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German Pages [271] Year 2008
Joachim Tauber Ralph T ü c h t e n h a g e n Vilnius
Joachim Tauber Ralph Tuchtenhagen
Vilnius Kleine Geschichte der Stadt
§ 2008
BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Umschlagabbildungen: Vorne: Die Altstadt von Vilnius (Foto: privat). Hinten: Vilnius im Jahre 1576.
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»In Vilnius kündet jeder Stein von der Geschichte, man kann ihr nicht entkommen.« Czestaw Mitosz, Die Straßen von Wilna »Keines dieser Völker kann behaupten, daß Vilnius ihm allein gehört. Die in dieser Stadt fast phantastische Verschmelzung von Sprachen, nationalen Traditionen und Religionen, die politische Grenzen ignoriert, fiel Neuankömmlingen immer ins Auge, während ihre Bewohner meinten, daß es gar nicht anders sein könne.« Tomas Venclova, Vilnius. Eine Stadt in Europa
INHALT
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Vorwort
13
I.
13
1. Vilnius im Rahmen der mittelalterlichen Geschichte Litauens
15 21 24
Die vorgeschichtliche Periode (bis 1322/23) Hauptstadt des gediminischen Reiches (1322/23-1386) Das christliche Vilnius
32
2. Die Residenzstadt
33 35 39 48
Die Residenz der Großfürsten Die Residenz des Hofadels Die Residenz der Bischöfe Die Residenz der Klöster
50
3. Die Bürgerstadt
50 53 54 57
Die Einfuhrung des Magdeburger Stadtrechts 1387 Bürgerrecht und Magistrat Kaufleute und Handwerker Ethnische und religiöse Gruppen
67
II. Die Frühe Neuzeit: Vilnius im Zeitalter der Lubliner Union ( 1 5 6 9 - 1 7 9 5 )
69
1. Der äußere Ereignisrahmen
73
2. Die Residenzstadt
73 78 85
Die Residenz des Großfürsten Die Residenz des Hof- und Dienstadels Konfessionalisierung der Kirchenresidenz
Das mittelalterliche Vilnius
Inhalt
7
110 122 124 125 130 131 134
Bildungswesen Druckereien und Literatur 3. Die Bürgerstadt Veränderungen im Stadtbild Die Bürgerstadt als Rechts- und Verwaltungsraum Handel und Handwerk Ethnien und Religionen
138
III. Das 19. Jahrhundert: Von Napoleon zur Revolution von 1905
140 144 149 152
Napoleon in Vilnius Die polnisch-litauischen Aufstände Die litauische Nationalbewegung und Vilnius Die Revolution von 1905 und der Große Seimas von Vilnius
159
IV. Das 20. Jahrhundert
159
1. Die erste deutsche Okkupation
165 169
Der 16. Februar 1918
175
Zur sozialen und ökonomischen Entwicklung der Stadt Judentum zwischen Orthodoxen und Zionisten 2. Streit um Vilnius (1918-1939)
178 178
180 186 191 191
8
l
Vilnius als Teil der polnischen Republik Polnische Provinz statt litauische Metropole: Vilnius im toten Winkel Der unvollendete litauische Nationalstaat 3. Die Katastrophe: Vilnius während des Zweiten Weltkrieges (1939-1944) Zwischenspiel: Litauische Inbesitznahme und erste sowjetische Besatzung 1939-1941
196
Die deutsche Besatzung 1 9 4 1 - 1 9 4 4
205
Die Ermordung der Juden von Vilnius
215
4.
Die Hauptstadt der Litauischen Sozialistischen
Sowjetrepublik [LSSR] ( 1 9 4 5 - 1 9 9 0 ) 215 219
Ethnische Säuberung auf Sowjetart 1 9 4 4 - 1 9 4 7 : Die » R e patriierung« der Polen Zwischen Widerstand und Anpassung
227
Ideologischer Anspruch und Stadtentwicklung
231
Saudis: der K a m p f um die erneute Unabhängigkeit
239
5.
243
Anhang
243
Zeittafel zur Geschichte der Stadt Vilnius
250
Die Metropole der Republik Litauen
Chronologische Verzeichnisse der in Vilnius residierenden hohen Amts- und Würdenträger
258
Vilnius in der Forschung
264
Weiterführende Literatur
268
Zeichen und Abkürzungen
269
Orts- und Straßenregister
274
Personenregister
Inhalt
9
Vorwort
Die Auseinandersetzung mit Vilnius war für uns eine Erfahrung der besonderen Art: Nur an wenigen Orten ist Europa so gegenwärtig wie in dieser Stadt, deren entscheidendes Kennzeichen über 1000 Jahre hinweg die Vielfalt war. Die unterschiedlichen Strömungen, Ideen, Religionen, Konfessionen und Ethnien, die in dieser Stadt am Zusammenfluss von Vilnia und Neris zusammentrafen, bezeugen aber auch den Zwiespalt, der Europa so lange (mit)kennzeichnete und prägte: Nicht nur mit-, sondern oft nebenund manchmal auch gegeneinander lebten die Menschen in Vilnius; im vergangenen Jahrhundert, das nicht zu Unrecht als » d u n k l e s « bezeichnet wird, fielen Zehntausende von Menschen hier ideologischer und/oder rassistisch motivierter Gewalt zum Opfer. Dass Europas kulturelles Herz im Jahre 2009 an der Neris schlagen wird, ist auch ein Beleg für einen tiefgreifenden Wandel Europas im 21. Jahrhundert. Die besondere Geschichte der Stadt und die Tatsache, dass die vorliegende » K l e i n e Geschichte« die erste etwas umfänglichere Gesamtdarstellung der Geschichte von Vilnius in deutscher Sprache ist, legte es nahe, die Arbeit auf mehrere Schultern zu verteilen. Die Textteile zum Mittelalter und zur frühen Neuzeit stammen aus der Feder von Ralph Tuchtenhagen, diejenigen zum 19. und 20. Jahrhundert wurden von Joachim Tauber verfasst. Auf eine durchgehende einheitliche Textgestaltung dieser Kapitel haben wir verzichtet. Alle anderen Teile dieses Buches sind Gemeinschaftsprodukte. Sie wären allerdings ohne tatkräftige und engagierte Mithelfer nicht möglich gewesen. Ausdrücklich danken möchten wir Arthur Hermann (Heidelberg), der das ganze Manuskript auf inhaltliche und sprachliche Aspekte hin durchgesehen hat; Matthias Weingard (Universität Hamburg), der das Register erarbeitet und einen Teil der Endkorrektur übernommen hat; und schließlich Corinna Tuchtenhagen und Barbara Bühler-Tauber, die mit ihrer bewährten Stilkritik dazu beigetragen haben, dass der Text lesbar wurde. Namen sind bei der Darstellung der Geschichte von Vilnius ein besonderes Problem. Im Mittelalter fanden vor allem litauische und lateinische, in der frühen Neuzeit und im 19. Jh. polnische, russische und jiddische, im 20. Jh., polnische, russische und litauische Namensformen Verwendung. W i r haben uns dafür entschieden, in der Regel die litauischen Namensformen zu verwenden. Nur in einigen Ausnahmefällen, wo uns die polnische oder die deutsche Namensform im deutschen Sprachgebrauch präsenter zu Vorwort
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sein schien, sind wir von dieser Regel abgewichen. Dieses Verfahren ist sicherlich, und mit guten Gründen, kritisierbar, etwa weil selbst in Litauen bisweilen mit polnischen Namensformen operiert wird. Da es aber ein zentrales Anliegen unserer »Kleinen Geschichte« ist, dem deutschsprachigen Leser das historische Vilnius und damit einen wichtigen Teil des heutigen Litauen und der litauischen Kultur näher zu bringen, schien es uns vertretbar, selbst in einer deutschsprachigen Darstellung litauische Namensformen zu verwenden. Grundsätzlich haben wir versucht, Eigennamen und Bezeichnungen bei ihrer ersten Erwähnung auch in den jeweils anderen Sprachen mit aufzunehmen. Fachbegriffe sind kursiv wiedergegeben. Im Text wird zwischen Amtsund Lebensdaten einzelner Persönlichkeiten unterschieden. Lebensdaten sind durch die üblichen Symbole (*,t) gekennzeichnet. Wir haben uns bemüht, möglichst für alle historischen Persönlichkeiten entsprechende Daten zu finden. In einigen Fällen ist uns dies jedoch nicht gelungen. Sie sind entweder durch Fragezeichen markiert, wenn nur eines von mehreren Daten fehlt; oder gar nicht, wenn sämtliche Daten fehlen. Ferner haben wir Amts- und Lebensdaten immer nur jeweils bei der ersten Namensnennung innerhalb eines Kapitels aufgeführt, um den Text einigermaßen flüssig lesbar zu halten. Datumsangaben folgen den zu einer bestimmten Zeit in einem bestimmten Land üblichen Kalendern. Der Julianische Kalender galt: in Polen-Litauen bis 1582 (nach 1772/95-1918 unter russländischer Herrschaft wieder eingeführt) ' im Herzogtum Preußen bis 1610 » in deutschen protestantischen Ländern bis 1700 im Russländischen Reich bis 1918 Die Umrechnung des Julianischen auf den (neueren) Gregorianischen Kalender erfolgt für das 16./17. Jahrhundert durch Addierung von 10, für das 18. Jahrhundert von 11, für das 19. Jahrhundert von 12 und für das 20. Jahrhundert von 13 Tagen. Die Autoren, im Juni 2008
12 Vorwort
I. DAS MITTELALTERLICHE VILNIUS
Die mittelalterliche Geschichte von Vilnius darzustellen, steht vor zahlreichen quellenhistorischen Schwierigkeiten. Die Akten und Stadtbücher der Stadt Vilnius und der Vilniusser Gilden und Zünfte sind von wenigen Ausnahmen abgesehen bei der Besetzung der Stadt durch Moskauer Truppen zwischen 1655 und 1661 verloren gegangen. Die erhalten gebliebenen Abschriften der älteren Gilden- und Zunftprivilegien wurden größtenteils Opfer eines schweren Stadtbrandes am 18. Mai 1706. Das Archiv des Domkapitels, das hierfür einigen Ersatz hätte leisten können, ist in den Jahren 1592 und 1610 ebenfalls durch Brände beschädigt und stark dezimiert worden. Beim Moskauer Sturm auf die Stadt 1655 verlegte es der damalige Domherr, Jurgis Tiskevicius (poln. Jerzy Tyszkiewicz, 16491656, *?, fl656), nach Preußen. Von dort gelangte es erst nach einer längeren Odyssee wieder nach Vilnius zurück - um 1748 erneut einem Brand ausgesetzt zu sein. Ahnliche Schicksale haben auch die Klosterarchive von Vilnius und ein Teil der älteren Akten der großfürstlichen Kanzlei (vor allem aus der Zeit Mindaugas') erlitten. Einigermaßen verlässlich können Historiker nur mit den sog. litauischen »Metrica«, einem Archivbestand aus dem 15. Jahrhundert, arbeiten. Was also über das mittelalterliche Vilnius gesagt werden kann, ist das Ergebnis mühseliger Puzzlearbeit mit Hilfe ausländischer Nachrichten über Vilnius oder mit Quellen zur allgemeinen Geschichte Litauens, die einen Bezug zu Vilnius besitzen.
1. Vilnius im Rahmen der mittelalterlichen Geschichte Litauens Für das Jahr 1009 werden die Begriffe »Litauen« und »Litauer« erstmals in schriftlichen Quellen erwähnt: In den Annales Quedlinburgenses (1008ff) taucht » L i t u a « im Rahmen der Prussenmission Brunos von Querfurt (*974, f l 0 0 9 ) auf, die novgorodische »Erzählung der vergangenen Jahre« (»Nestorchronik«) erwähnt sie in einem anderen Zusammenhang. Bruno soll zudem einen »König der Rus'« (rex Russorum), Netimer, zum Christentum bekehrt haben, wurde aber offenbar im selben Jahr 1009 mit seinen Begleitern von Prussen oder Litauern im prussischlitauischen Grenzgebiet erschlagen und starb in der Rückschau einer menologischen Kirchengeschichte als Märtyrer. Die mittelalterliche G e s c h i c h t e Litauens
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Erste schrifiliche Spuren (unter Mindaugas)-. Etwas spezifischer traten Litauer in historischen Dokumenten des 13. Jahrhunderts in Erscheinung, als die benachbarten Prussen vom Deutschen Orden unterworfen wurden. Sie zeichneten sich zu dieser Zeit als letzter Hort des europäischen Heidentums aus - wohl nicht zuletzt im Schutz ausgedehnter Urwälder und unwegsamer Sumpfgebiete, aber auch wegen ihrer im Vergleich mit den anderen baltischen Stämmen, vor allem den Prussen und Letten, komplexeren und militärisch wirksameren politischen Organisation (Fürstenherrschaft). Schon zu Beginn des 13. Jahrhunderts wehrten sich litauische Fürsten nicht nur erfolgreich gegen westeuropäische Kreuzzugsheere, sondern weiteten ihre Herrschaft auch weit nach Osten (obere Düna, unterer Dnepr) und Süden (Schwarzrussland, Polesien) aus. Dem Papsttum und der europäischen Christenheit waren die Litauer ein Dorn im Auge. Deshalb rief der Heilige Stuhl zu Beginn des 13. Jahrhunderts in über 100 päpstlichen Bullen zu Kreuzzügen gegen Litauen, sog. »Litauenreisen«, auf, an denen solche illustren Persönlichkeiten wie Graf Wilhelm von Holland ("1227, fl256, 1254-1256 röm.-dt. König), König Johann von Böhmen, (*1316, tl378,1346-1378 als Karl IV. röm.-dt. Kaiser), Herzog Albrecht von Österreich ('1349/50?, tl395), Henry Derby (*1367, 11413, 1399-1413 als Henry IV. König von England) oder der deutsche Dichter Oswald von Wolkenstein ("1377, t l 4 4 5 ) teilnahmen. Den Litauenfahrern winkte die Verfügungsgewalt über Land und Leute der eroberten Territorien sowie eine Absolution all ihrer Sünden. Rund 200 Jahre lang versuchte besonders der Deutsche Orden auf diese Art, die litauischen Stämme zu unterwerfen. Nachdem die nordlitauischen Zemaitier den Schwertbrüderorden in der Schlacht von Säule (lit. Siauliai) 1236 vernichtend geschlagen hatten, fasste Mindaugas (?-1263) als erster litauischer Fürst die bis dahin zersplitterten litauischen Herrschaftsgebiete zusammen und vereinigte sie zu einem mächtigen Reich. 1251 konvertierten er und seine Familie zum Christentum. Mindaugas erhielt dafür 1253 die Königswürde aus der Hand Papst Innozenz' IV. (1243-1254) und wurde von Bischof Heidenreich von Kulm höchstwahrscheinlich in Vilnius gekrönt. Innozenz IV. sah in ihm einen wichtigen potentiellen Mitstreiter bei der Abwehr der Mongolen, die seit 1240 das östliche Europa unsicher machten. Mindaugas' Taufe und die Verleihung der Königswürde gingen deshalb nicht allein auf das Konto eines politisch geschickten litauischen Fürsten, sondern waren vom Papsttum und verschiedenen christlichen Mächten (vor allem dem Deutschen Orden) erwünscht und wurden nach Kräften gefördert. Bereits 1251 erlaubte 14
D a s mittelalterliche Vilnius
Mindaugas Christen, sich in Vilnius niederzulassen und erteilte Befehl, die erste Kirche Litauens in Vilnius zu bauen. Außerdem entstand 1251 ein Bistum Litauen unter dem Episkopat des Deutschordenspriesters Christian und der direkten Aufsicht des Heiligen Stuhles, das jedoch einstweilen Episode blieb. Ein Großteil der zemaitischen Bevölkerung blieb beim alten Glauben. Selbst Mindaugas fiel 1261 vom Christentum ab.
Die vorgeschichtliche Periode (bis 1322/23) Dass das Christentum unter Mindaugas anfing, sich in Vilnius zu etablieren, gehört zum Wissen der nachgeborenen Historiker. Aus den Quellen erfahren wir dies nicht direkt. Uberhaupt bleiben die Quellen der Mindaugas-Zeit stumm, wenn es um die Stadt Vilnius geht. Wollten frühere Generationen etwas darüber erfahren, mussten sie sich auf Legenden verlassen, im 19. und 20. Jahrhundert haben archäologische Funde und indirekte Textquellen etwas mehr Licht ins Dunkel der Anfänge der Stadt gebracht. Die Legende vom eisernen Wolf. Die wichtigste und bekannteste Legende über den Ursprung der Stadt Vilnius überliefert die zweite Redaktion der sog. »Litauischen Chroniken« (lit. Lietuvos metrasciai) des 16. Jahrhunderts. Nach ihrer Auskunft soll der litauische Großfürst Gediminas ( 1 3 1 6 1341), ein Nachkomme des Mindaugas, bei der Jagd auf einem Hügel am Zusammenfluss der Neris und Vilnia gerastet haben. Dort träumte er von einem eisernen Wolf. Der Pfeil, den der Großfürst auf das Tier abschoss, prallte an dessen Körper ab. Beunruhigt bat er seinen heidnischen Hohepriester Lizdeika um eine Deutung. Dieser meinte: »(...) der eiserne Wolf steht auf einem Hügel, auf dem eine Burg und eine Stadt errichtet werden - die Hauptstadt Litauens und die Residenz der Herrscher.« Die Festung aber müsse fest wie Eisen sein, dann würde ihr Ruhm laut durch die Welt hallen (Das litauischen Wörter für laut und berühmt sind identisch). Die Legende vom Eisernen Wolf Eines Tages begab sich Gediminas aufJagd in eine Gegend, die einen halben Tagesritt von Trakai entfernt lag. Dort gelangte er auf einen herrlichen Hügel am Ufer des Vilnia-Flusses. Auf dem Hügel traf er auf einen Auerochsen, den er erlegte. Seit diesem Tag wird der Hügel Tauro kalnas (Auerochsen-Hügel, R.T.) genannt. Da der Tag schon weit fortgeschritten und es zu spät war, nach Trakai zurückzukehren, machte er im Sventaragis-Tal, dem Ort, an dem die vormaligen Herrscher des Landes verbrannt worden waren, Halt. Er blieb hier zur Nacht, Die mittelalterliche Geschichte Litauens
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und wie er schlief, träumte er von einem Hügel, den man Kreivasis (der Krumme) nannte. Auf diesem stand ein riesiger eiserner Wolf. Der Wolf heulte, als seien hundert Wölfe in ihm. Gediminas erwachte aus seinem Schlaf und befragte den Weisen Lizdeika, den Mann, der als kleines Kind in einem Adlernest gefunden worden war (Adlernest = lizdas, R.T.). Dieser Lizdeika war Gediminas' Seher und das Haupt aller heidnischen Priester. »Ich hatte einen seltsamen Traum«, sagte Gediminas, und berichtete alles, was er in seinem Traum gesehen hatte. Der Seher antwortete: »Herr, die Bedeutung des eisernen Wolfes ist diese: An diesem Platz sollst du Deine Hauptstadt bauen; und das ohrenbetäubende Geheul des Wolfes heißt, dass ihr Ruhm in alle Lande dringen wird.« Am nächsten Tag befahl Gediminas, ohne noch einmal nach Hause zurückzukehren, seinen Männern, eine Burg im Sventaragis-Tal - die Untere Burg - und eine andere Burg auf dem Kreivasis-Hügel zu errichten, und er nannte das Land seiner Burgen Vilnius. (Übersetzung aus den »Litauischen Chroniken«, 16. Jahrhundert). Literatur. Ju£as, Mecislovas: Lietuvos metraläai ir kronikos [Litauische Annalen und Chroniken], Vilnius 2002.
Vorgeschichtliche Spuren: Die Archäologie erzählt eine etwas andere Geschichte vom Ursprung der Stadt Vilnius. Mit dem Zurückweichen des Eises der letzten großen Kaltzeit (ca. 800.000-20.000 v. Chr.) strömten Menschen in das freiwerdende Land um die Ostsee. Im Raum von Vilnius entstand am Zusammenfluss zweier Flüsse, der Neris und der Vilnia, an dessen Schnittpunkt ein markanter Hügel entstanden war, ein von einer mesolithischen Bevölkerung genutzter günstiger Befestigungspunkt und Siedlungsplatz. Die Vilnia (auch: Vilnelé, weissruss. Vjal'lja, poln. Wilenka, »die W e l l e « ) entspringt unweit der höchsten Erhebung Litauens, in der Nähe der Grenze zu Weißrussland. Durch ihr beachtliches Gefälle (40 m auf 10 km) nimmt sie streckenweise Wildwassercharakter an. In Vilnius trennt sie den heutigen Stadtteil Uzupis von der Altstadt, fließt entlang des Kalnij-Parks und mündet unterhalb der späteren Gediminasburg (Oberen Burg) in die Neris. Der Lauf der Vilnia war früher an der Mündung zweigeteilt, sie bildete auf diese Weise später den Burggraben. Die Neris (lit. Neris, poln. Wilia, weißruss. Vilia) entspringt im Norden Weißrusslands, durchfließt die früheren litauischen Herrschaftsgebiete und mündet bei Kaunas (poln. Kowno) in den Nemunas (dt. Memel). Die archäologischen Spuren auf dem heutigen Stadtgebiet, genauer: in der Gegend der heutigen Turmgasse (Boksto gatvé), verweisen darauf, dass hier bereits im steinzeitlichen Magdalénien (ca. 10.000 v. Chr.) Menschen gesiedelt haben. Ausgra16
Das mittelalterliche Vilnius
bungen auf dem Gelände des Vilniusser Arsenals haben eine 7,5 m dicke Kulturschicht zu Tage gefördert, in der sich Hinterlassenschaften aus dem 4. Jt. v. Chr. befinden. Untersuchungen im Boden unter dem Kathedralplatz zeigen, dass Vilnius spätestens im 2. Jahrhundert v. Chr. besiedelt war. Seit dem Frühmittelalter war der Ort wiederum von anderen Kulturen geprägt: Zunächst scheinen hier Balten gesiedelt zu haben. Später kamen Slaven und spätestens seit dem 11. Jahrhundert auch Juden hinzu. Im 10. Jahrhundert entstand eine hölzerne Befestigungsanlage, um die herum eine Siedlung wuchs. Manche Historiker halten diese frühe Siedlung für Voruta, eine vergessene Hauptstadt des litauischen Königs Mindaugas im 13. Jahrhundert Religiöses Zentrum-, Der Hügel war nicht nur ein Siedlungs- und mögliches politisches, sondern auch ein religiöses Zentrum. Nach der Uberlieferung fanden auf dem Hügel vorchristliche Riten statt. Ein Herrscher namens Sventaragis (wörtl. »Heiliges Horn«) soll verordnet haben, dass die Toten, statt beerdigt oder in Bäume gelegt, von nun an auf dem Hügel verbrannt werden sollten. Das Tal am Fuße des Hügels reservierte er für die Verbrennung der Herrscher. Es ist nach seinem Namen benannt. Dieser Bericht fällt zusammen mit Beobachtungen von Archäologen, die fiir das 8-/9. Jahrhundert n. Chr. einen signifikanten Wechsel der Begräbnisbräuche in den Ländern der Balten feststellen, nämlich den Übergang von der Erd- zur Feuerbestattung. Am Fuß des später sog. Gediminas-Hügels befand sich das wichtigste heidnische Heiligtum der Litauer: der Hain des Donnergottes Perkunas (an dieser Stelle entstand nach 1386 der katholische Dom von Vilnius). Über die religiösen Vorstellungen und Praktiken im Sventaragis-Tal sind wir im Einzelnen auf Vermutungen angewiesen. Quellen über die litauische Mythologie liegen nur zerstreut und aus späterer Zeit vor. Dazu zählen das Chronicon Livoniae Heinrichs des Letten (1225-1227), die Livländische Reimchronik (1290-1296), die Reiseberichte des Wiegand von Marburg und die Chronik von Peter von Dusburg (1326). Später liefert die Chronik des Simon Grunau (1519-1529), kirchliche Verordnungen und Berichte der Jesuiten detailliertere Informationen. Nach diesen Quellen kann man Folgendes rekonstruieren. Die vorchristliche Religion der Litauer lässt sich in drei Epochen gliedern: 1. Eine frühe Epoche matriarchalischer Stammesordnung von Jägern und Sammlern (junge Altsteinzeit, mittlere Steinzeit), in der ein totemistischer, animistischer und Handwerkerkult mit weiblichen, übernatürlichen Wesen verbunden war. 2. Eine spätere Epoche matriarchalischer Stammesordnung, basierend auf Agrarwirtschaft mit den weiblichen Die mittelalterliche Geschichte Litauens
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Gottheiten der Sonne, des Mondes und der Erde wie auch verschiedenen Göttinnen, die die Fruchtbarkeit und das Wasser repräsentierten. Die Göttinnen waren für Geburt, Leben und Tod der Menschen sowie für Flora und Fauna verantwortlich. Sie sorgten für die Fortdauer des Lebens und der Fruchtbarkeit im Universum, indem sie Leben und Tod abwechseln ließen und sie im Gleichgewicht hielten. Sie kontrollierten Himmel, Erde, Wasser, Feuer und Atmosphäre. 3. Eine Epoche patriarchalischer Stammesordnung. In dieser Periode entstanden die später bekannten Hauptgötter. Weibliche Gottheiten verloren an Bedeutung und koexistierten bestenfalls. In dieser Zeit entstand auch die Vorstellung eines einzigen übergeordneten Gottes, Dievas (»heller Himmel«, » L i c h t « , » T a g « ) , des Schöpfers und Herrn der Welt, des Schicksals und allen Lebens. Seine Frau war die Große Mutter, die Göttin Lada, die Mutter zweier Urzwillinge in Gestalt von Zwillingspferden. Daneben existierten Diener des Dievas: Praamzius als Herrscher der Zeit und des unausweichlichen Schicksals, außerdem Prakürimas und Ukopirmas. Die Anbetung des höchsten Gottes wurde während der Wintersonnenwende zelebriert. 12 Tage lang fanden totemistische, animistische, imagistische Riten verbunden mit der Anrufung der Ahnen statt. Die litauische Religion der dritten Periode kannte - fiir die spätere Übernahme des Christentums wichtig - auch eine göttliche Trinität: Perkünas, Patrimpas (oder Potrimpo) und Pikuolis (oder Pikulas, Patollo). Perkünas war der Gott des Himmels, der Wasser des Himmels, der Fruchtbarkeit der Erde und der Lebewesen. Er war der höchste Gott neben Dievas. Patrimpas brachte den Frühling, die Freude, Frieden, Reife, Entspannung, er war der Gott der Haustiere, pflügte Felder und erntete Früchte. Pikuolis war der Gott der Unterwelt, alles Bösen und des Todes. Die Himmelsgötter stellten eine eigene mythologische Gruppe dar. Menulis (Mond) und Säule (Sonne) bildeten ein Götterehepaar. Sterne und Planeten waren ihre Töchter. Geburt und Tod wurden deifiziert in Laima (Geburt) und Giltine (Tod). Die alten Litauer verehrten zudem das Feuer, Gabija, als Person und Gottheit. Daneben gab es Götter für das Pflanzen- und Tierreich, für Ackerbau und Ernte, Götter des Wassers und im Wasser, des Reichtums, der Schäfer, des Krieges, der Wege, des Holzes, der Bäume, der Bienen, außerdem Geister der Luft und des Windes. Einen eigenständigen Zweig der litauischen Mythologie stellt die Jenseitslehre dar, die indoeuropäische Elemente der Himmel- und Höllevorstellungen (»veles«, Totengeister) aufgenommen hat. 18
D a s mittelalterliche Vilnius
Religiöse Riten wurden in heiligen Hainen und an heiligen Wasserläufen abgehalten. In der Eisenzeit kamen Tempel auf. Reste von Tempeln hat man an verschiedenen Plätzen in Litauen gefunden, darunter in den Gewölben des Doms von Vilnius. Die Götterverehrung erfolgte durch Opfer, auch Menschenopfer (oft Gefangene, die man dem Kriegsgott übergab). Neben den allgemeinen Göttern wurden Distimpatis (Ortsgeister) verehrt. Als höchste religiöse Feste galten die Nordlichtzeit (um Ostern) und die erst im Zuge der Gegenreformation verbotene Sonnenwendfeier. Kreuzpunkt von Handelsstraßen-, Ein drittes Charakteristikum des vorgeschichtlichen Vilnius war das eines Kreuzpunktes verschiedener Handelsstraßen nach Osten, Norden und Süden. Archäologische Grabungen der Jahre 1899, 1932 und 1979 legen nahe, dass sich im 9. Jahrhundert im Siedlungsbereich der Prussen ein bedeutendes Handelszentrum namens Kaup entwickelte, das sich nach Einschätzung der litauisch-amerikanischen Archäologin Marija Gimbutas (*1921,11994) zum »Tor des Handels über den unteren Memellauf mit den Kuren, Litauern und anderen baltischen Stämmen« entwickelte. Nach dem Niedergang der großen Fernhandelsplätze Truso weiter im Süden und Grobin weiter im Norden wurde Kaup zum Haupthandelsplatz warägischer (wikingischer) Kaufleute aus Birka in Svealand (Mittelschweden). Seine günstige Lage an einem Sandstrand, der reich an Bernstein und gleichzeitig gut vor Feinden geschützt war, machte ihn zu einem erfolgreichen Handelszentrum, das bis zum Ende des 10. Jahrhunderts, als der dänische Wikinger Haakon Samland plünderte, kontinuierlich bestand. Mehrere Uberfälle von Wikingern (1016, Ende 11. Jahrhundert) beeinträchtigten den Handel, brachten ihn aber nie ganz zum Erliegen. Ein anderer Fernhandelsplatz, Cranz, entstand während dieser Zeit nördlich von Wiskiauten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Bewohner des vorgeschichtlichen Vilnius mit den Nordleuten in Kaup und Cranz Handel trieben. Genaueres weiß man darüber jedoch nicht. Sollte dies der Fall gewesen sein, kann man wohl davon ausgehen, dass Vilnius eher auf einem Nebenzweig der großen Handelsstraßen lag.
Wikingerzeitiicher Handel im südlichen Ostseeraum
Aufgrund der archäologischen Befunde ist bekannt, dass Goten, Gepiden, Vandalen, Rugier, Heruler und Burgunder die Ostsee und die Flusssysteme im südlichen Ostseeraum bereits vor der Zeitenwende befuhren. Vom 6. bis 8. Jahrhundert n. Chr. lassen sich häufige Vorstöße von Skandinaviern von Schonen auf die dänischen Inseln und von Uppland (Schweden) und Godand aus an die Die mittelalterliche G e s c h i c h t e Litauens
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finnländische Südwestküste und in die Gegend des Frischen und Kurischen H a f f s nachweisen. Der zunächst ebenfalls nur archäologisch, seit der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts aber auch schriftlich dokumentierte Wikingerhandel entwickelte sich auf den gleichen Routen. Die wichtigsten Zentren des Wikingerhandels - Haithabu (an. Hedeby, Schleswig), Kaupang (Oslofjord), Birka (Mälarsee), Alt-Ladoga (an. Aldajgjuborg, russ. Staraja-Ladoga, Ladogasee), Novgorod und Gorodisce (Rus'), Grebin (lett. Grobina, kurländische Westküste), Wiskiauten (Samland), Truso (poln. Druzno, dt. Drausenhof, Frisches Haff), Wollin (auch Julin, Jomne, Vineta, an. Jömsborgr, Odermündung)
-
markierten Knotenpunkte eines Handelsnetzes, das schnell an Dichte zunahm. Der nordosteuropäische Wikingerhandel war über diese Knotenpunkte an drei andere große wikingische Handelsräume angeschlossen. Die wichtigsten Anschlusswege nach Osten hin waren die Raubhandelsrouten der Waräger von Birka (Schweden) und Haithabu (Dänemark) aus über das Ostbaltikum auf der Wolga-Kaukasusroute ins Chazarenreich, auf dem » W e g von den Warägern zu den G r i e c h e n « , d.h. über den Dnepr (Altajgjuborg-Novgorod-Kiev) und auf der Weichselroute von Truso über das Schwarze Meer nach Byzanz (an. Miklagardr). Als die Waräger-Züge in die nordösdichen Flusssysteme des Ostseeraumes in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts langsam verebbten, nutzten Esten und Kuren das Machtvakuum, um ihrerseits Raubhandelszüge nach Schweden und Schonen zu unternehmen. U m die Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert steuerten die nordosteuropäischen Kreuzzüge das ihre zu einer gewissen Regelmäßigkeit der Seeverbindungen Nordosteuropas bei. Sowohl der Nordosten des Ostseeraumes mit Finnland als auch der Südwesten mit der Lübecker und Kieler Bucht blieben somit zunächst im Windschatten des regelmäßigen Seeverkehrs. Sie wurden verkehrsgeographisch erst erfasst, als die Kreuzzüge auch diese Räume in das Seeverkehrsnetz der Ostsee integrierten.
Weiterfahrende Literatur: Elimers, Dedef: Frühmittelalterliche Handelsschiffahrt in Mittel- und Nordeuropa, Neumünster 1972, S. 227-254. Viking og Hvidekrisc. Norden og Europa 800-1200 (hg.v. Else Roesdal), Kobenhavn 2 1993. Leciejewicz, Lech: Normanowie nad Odrij i Wisl^ w IX-XI wieku, in: Kwartalnik Historyczny 100 (1993), S. 49-62. Jansson, J.: Skandinavien, Baltikum och Rus' undcr vikingatiden, in: Norden og Baltikum, Oslo 1994 (= Det 22. nordiske historikermate, Oslo 13.-18. august 1994), S. 5-25. Stasiewski, Bernhard: Missionsbestrebungen im Ostseeraum im 13. Jahrhundert, in: Der Ostseeraum im Blickfeld der deutschen Geschichte, Köln 1970, S. 17-37. Rebas, Hain: Internationella medeltida kommunikationer tili och genom Baltikum, in: Historisk tidskrift (S) 98 (1978), S.156-185. Christiansen, Eric: The northern Crusades, London-Basingstoke 1980, London *1997. Mühlen, Bernd von zur: Die Kultur der Wikinger in Ostpreußen, Bonn 1975 (= Bonner Hefte für Vorgeschichte 9).
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Das mittelalterliche Vilnius
Hauptstadt des gediminischen Reiches ( 1 3 2 2 / 2 3 - 1 3 8 6 ) Nach der Ermordnung Mindaugas' (1263), der die Niederlage des Deutschen Ordens in der Schlacht von Durben (1260) und Mindaugas' Abfall vom Deutschen Orden vorausgegangen war, fiel Litauen in Heidentum und politische Zersplitterung zurück. Damit ging auch das frühe Bistum Litauen verloren. Erst ein Nachfahre des Mindaugas, Gediminas (13161341), einigte das Reich aufs Neue. Er war es auch, der seine Residenz von Trakai nach Vilnius (1322/23) verlegte, das bis zur Aufteilung des Großfurstentums in den Teilungen Polen-Litauens die Hauptstadt Litauens bleiben sollte. Den Hintergrund der Hauptstadtverlegung bildeten wohl vor allem militärische, aber auch wirtschaftliche Gründe. Die Gediminas-Briefe: Die Herrschaftsperiode Gediminas' ist die erste Periode, fiir die wir schriftliche Quellen einer Stadtgeschichte von Vilnius besitzen. 1322/23 schrieb Gediminas Briefe » a n die Regierenden, Räte und Bürger, Kaufleute und Handwerker verschiedener A r t « , konkret: an König Ludwig IV. (»den Bayern«, 1314/22-1328; Kaiser 1328-1347), Papst Johannes XXII. (1316-1334, "1245, U334), an die Dominikaner und Franziskaner der sächsischen Ordensprovinz, den Deutschen Orden, an die Bewohner von Gotland und an verschiedene Fernhandelsstädte (u.a. Lübeck, Rostock, Stralsund, Greifswald, Stettin, Riga, Magdeburg, Bremen, Köln, Rom), in denen er Kaufleute, Handwerker, Geistliche, Soldaten und Bauern einlud, sich in Litauen nieder zu lassen. Gleichzeitig wies er darauf hin, es bestünden in seinem Reich bereits zwei christliche Kirchen, davon eine in der Königsstadt Vilnius ( » u n u m in civitate nostra regia, Vilna dicta«). Den potentiellen Neuankömmlingen versprach er die gleichen Privilegien wie sie die Bürger der 1201 gegründeten Stadt Riga in Livland genossen. Er ließ zudem mitteilen, dass Litauen »durch die königliche Gnade für alle Kaufleute, Ritter und Vasallen von Steuern, Zoll und Straßengebühren frei ist«. Diese Vergünstigungen würden auch »den Handwerkern, verschiedener Art, nämlich den Meistern, Schuhmachern, Stellmachern, Steinmetzen, Salzarbeitern, Müllern, Silberschmieden, den Wurfgerätemachern, den Fischern und anderen eingeräumt; sie möchten kommen mit ihren Kindern, Weibern und ihrem Vieh, und freiwillig kommen und gehen (...) wir versprechen ihnen völlige Sicherheit, und dass sie von keinen unrechtmäßigen Ansprüchen meiner Untertanen berührt werden«. Diese Briefe ließ er über den Boten der Stadt Riga verbreiten. 1324 kamen Abgesandte Papst Johannes' XXII. nach Vilnius, da sie Gediminas' Briefe so verstanden hatten, dass der Großfürst sich taufen lasDie mittelalterliche Geschichte Litauens
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sen wollte. Gediminas wies jedoch daraufhin, dass von Taufe keine Rede gewesen sei; er habe nur den »Glauben empfangen« (fidempercipere) wollen. Dass es hier wohl vor allem um eine Duldung verschiedener Religionen gegangen sein muss, macht eine Erklärung von 1324 deutlich, in der Gediminas verlauten ließ, dass in Vilnius alle Religionen nach ihren Sitten und Gebräuchen leben könnten: Christen katholischen und orthodoxen Glaubens, Juden, Tataren, und Heiden. Den »Glauben empfangen« bedeutete für Gediminas also, den katholischen Glauben in seinem Land ohne Restriktionen zu tolerieren. Da die Gediminas-Briefe die erste bekannte schriftliche Erwähnung des Stadtnamens enthalten, gilt das Jahr 1323 in der litauischen Geschichtsschreibung über Vilnius als Gründungsdatum der Stadt. Da die Stadt jedoch schon länger bestand, waren die Gediminas-Briefe nur der verzweifelte Versuch, eine vom Deutschen Orden gegenüber Litauen und Vilnius verhängte Handelsblockade zu brechen. Die Gediminas-Briefe sind aber nicht nur als Dokument zur Einladung ausländischer Fachkräfte nach Vilnius zu interpretieren. Vielmehr wird hier auch das Bemühen des litauischen Großfürsten deutlich, Beziehungen zu deutschen Fürsten zu knüpfen und, über die Erwähnung der Kirchen, sich als vollwertiges Mitglied der christlichen Herrscher Europas zu präsentieren. Politisches, geistliches und wirtschaftliches Zentrum-, Die in den Gediminas-Briefen durchscheinende dreifache Funktion von Vilnius als politisches, geistliches und wirtschaftliches Zentrum des Großfürstentums Litauen verweist einerseits auf die archäologischen Funde der vorhistorischen Periode. Sie wird aber noch deutlicher, wenn man die Entwicklung der Stadt in der Herrschaftsperiode Gediminas' nachvollzieht. Politisch wurde Vilnius aufgewertet, als Gediminas seine Residenz in den Jahren 1322/23 von Trakai nach Vilnius verlegte. Als geistliches Zentrum kann Vilnius deshalb gelten, weil sich hier eines der Hauptheiligtümer des heidnischen Litauen befand, aber auch, weil das Christentum hier trotz der Kämpfe des Großfürsten mit dem Deutschen Orden eine Existenz erhielt. Die Gediminas-Briefe luden u.a. Priester ein, die die polnische, prussische und semgallische Sprache beherrschten. Es ist darüber hinaus bekannt, dass Gediminas' deutschsprachiger Dolmetscher, der Franziskanermönch Hennekin (auch: Hanul, seit 1323 in Vilnius), seinen katholischen Glauben ohne jede Einschränkung ausübte. Ebenso wirkten in der Stadt Franziskaner aus Riga, von denen in den Quellen zwei (Bertold und Heinrich) namentlich auftauchen. Bei den im Gediminas-Brief erwähnten Kirchen handelte es sich um die Kirchen der Franziskaner- und Dominikaner-Klöster, die noch 22
D a s mittelalterliche Vilnius
vor dem offiziellen Übergang Litauens zum Christentum (1386) gegründet wurden. Trotzdem war das gediminische Vilnius offenbar nicht nur ein Ort ungetrübter religiöser Toleranz. Davon zeugt der heute sog. » H ü g e l der drei Kreuze«. Der »Hügel der drei Kreuze« Nach einer Legende, die in der dritten Redaktion der Litauischen Chroniken, der sog. Bychowiec-Chronik (16. Jahrhundert), wiedergegeben ist, wurden sieben Franziskaner-Mönche aus Podolien, die von (dem Vilniusser Wojewoden?) Petras GoJtautas nach Vilnius eingeladen worden waren, 1333 von heidnischen Einwohnern der Stadt gepeinigt, gekreuzigt und in die Vilnia geworfen. Am Ort ihrer Kreuzigung soll später eine Kapelle gebaut worden sein. Noch später habe man an dieser Stelle auch Kreuze errichtet. Eine andere Version überliefert die sog. Chronica XX Generalium (entstanden vor 1369), der zufolge zwei Franziskaner-Brüder, Ulrich und Martin, die in Vilnius das Christentum verbreiten wollten, 1340 auf Befehl des Großfürsten umgebracht wurden. Ulrich wurde zu Tode gefoltert und in die Vilnia geworfen. Gediminas' Schwester, eine orthodoxe Nonne, barg den Leichnam und verbrannte ihn in ihrem Kloster. Der tatsächliche Hintergrund des »Hügels der Kreuze« ist bis heute nicht geklärt. Eine andere Vermutung die Kreuze seien anlässlich der Verleihung des Magdeburger Stadtrechtes errichtet worden, bleibt ebenso unbewiesen.
Nach Gediminas' Tod wurden zwei seiner Söhne, Algirdas (poln. Olgierd, 1 3 4 5 - 1 3 7 7 ) und K ? stutis (poln. Kiejstut, dt. Kynstute, 1 3 8 1 - 1 3 8 2 ) , Großfürsten von Litauen. Dabei herrschte Algirdas als Großfürst, residierte in Vilnius und war offenbar für die erfolgreich expansive Ostpolitik des Großfiirstentums zuständig, während sein Bruder K^stutis in Trakai residierte und sich um die Westpolitik kümmerte. Algirdas war kein Christ, unter seiner Herrschaft entstanden jedoch mehrere christliche Kirchen und Klöster, die auf die Initiative seiner zwei orthodox gläubigen Frauen zurück gingen: In Vilnius stiftete Algirdas' zweite Frau und Mutter des späteren litauischen Großfürsten Jogaila, Ul'jana (Juliane) Aleksandrovna von Tver' (*ca. 1325, t l 3 9 2 ) , in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts die Heilig-Geist-Kirche und die Kirche Zur Unbefleckten Muttergottes. In der letztgenannten fand Ul'jana 1392 ihre letzte Ruhestätte. In den 1380er Jahren, also bereits nach Algirdas' Tod, entstand die katholische Nikolaikirche, das älteste in seinen Grundstrukturen heute noch erhaltene Kirchengebäude der Stadt und ganz Litauens. Sie wurde im Stil der ersten Die mittelalterliche G e s c h i c h t e Litauens
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Phase der litauischen Gotik errichtet. Über die Umstände der Stiftung und Errichtung dieser Kirchen ist kaum etwas bekannt. Sie zeugen aber davon, dass die von Gediminas eingeführte Duldung einer christlichen Bevölkerung in einer immer noch heidnisch dominierten Stadt auch unter seinen Nachfolgern beachtet wurde. Auch die Funktion von Vilnius als Wirtschaftszentrum und besonders als Schnittpunkt verschiedener Handelsachsen zwischen Ost und West blieb unter Gediminas und seinen Nachfolgern erhalten. Insbesondere der Warenverkehr zwischen Litauen und den Territorien des Deutschen Ordens spielte eine zentrale Rolle. So ist bekannt, dass Gediminas 1338 mit dem Deutschen Orden einen Handelsvertrag abschloss, der die Handelswege (u.a. nach Vilnius) und die zu transportierenden Waren genau festlegte.
Das christliche Vilnius
Jogaila und Vytautas der Große 1377-1434/44: Einen tiefen Einschnitt in der politischen Geschichte der Stadt Vilnius bedeutete die Herrschaftsperiode Jogailas (1377-1434) und Vytautas' (1386-1444). Jogaila war einer der 12 Söhne des Algirdas. Als sein Vater 1377 starb, wurde Jogailas Großfiirstentitel von seiner Verwandtschaft in Frage gestellt. Erst nach einigen Jahren politischer Machinationen (u.a. Einkerkerung und Ermordnung seines Onkels K^stutis) konnte er seine Herrschaft stabilisieren. Es bildete einen Teil seiner politischen Aktivitäten, K^stutis' Sohn, Vytautas (poln. Witold, *1350, tl430), der mit dem Deutschen Orden gegen Jogaila paktierte, fiir seine Sache zu gewinnen. In den folgenden Jahrzehnten wechselten sich bei den beiden Großfürsten Feind- und Freundschaft ab. Als der kleinpolnische Adel 1384 nach einem starken Alliierten suchte, um Teile des ungarischen Herrschaftsterritoriums zu gewinnen, bot er Jogaila die Hand der jungen Tochter des polnischen Königs Ludwik I. (1370-1382), Jadwiga (ung. Hedvig, *1373, U 3 9 9 ) und eine Union mit Polen an, verlangte aber im Gegenzug, dass der litauische Großfürst zum Christentum übertrete. Darauf ging Jogaila ein. Im Unionsvertrag von Kreva (poln. Krewo) 1385 wurden diese Bedingungen festgeschrieben. 1386 ließen sich Jogaila und seine Familie sowie die noch nicht christianisierten Teile Litauens (= vor allem die westlichen Teile des Reiches) katholisch taufen, Jogaila wurde vom polnischen Adel zum König gewählt, bestieg als Wladyslaw II. Jagiello den polnischen Thron und nahm Jadwiga zur Frau. 24
Das mittelalterliche Vilnius
Solange Jadwiga lebte, spielte Jogaila allerdings nur die Rolle eines Juniorpartners. Die Königin verstand es, ihre eigenen politischen Ziele auch gegen Jogaila durchzusetzen, da sie die Unterstützung des kleinpolnischen Adels und gewisser Teile des übrigen polnischen Reichsadels genoss. Erst 1399, als Jadwiga kinderlos starb, konnte Jogaila die Macht in Polen in vollem Umfang übernehmen. Unter der Bevölkerung von Vilnius und Litauen ging die Christianisierung offenbar nicht so problemlos vonstatten. Dies wissen wir aus einer Beschreibung der Taufe der Stadt Vilnius, die uns der polnische Geschichtsschreiber Jan Dlugosz (lat. Johannes Dlugossius od. Johannes Longinus, *1415, t l 4 8 0 ) in seinen Annales seu Cronicae incliti Regni Poloniae (entstanden 1455-1480) hinterlassen hat. Von seiner Darstellung sind sicher einige Abstriche zu machen, denn ein polnischer katholischer Gelehrter und Geistlicher legte eine andere Perspektive an und besaß andere Interessen als ein interessierter Beobachter der heutigen Zeit. Nach Dlugoszs Darstellung wurde in der Stadt das heilige ewige Feuer gelöscht, der Tempel, in dem es gebrannt hatte, und der heilige Hain zerstört, die heiligen Schlangen getötet. Die Stadtbevölkerung beweinte die alten Gottheiten, leistete aber angeblich gegen diese Maßnahmen im Allgemeinen keinen Widerstand, sondern ging lernwillig zum neuen Glauben über und erhielt gruppenweise neue, christliche, Namen, wie z.B. Jonas (Johannes), Petras (Petrus), Povilas (Paulus), Ona (Anna) oder Marija (Maria). Sie erhielten auch Taufhemden weshalb sich nach Dlugosz einige mehrmals hätten taufen lassen. Ein etwas anderes Bild erscheint im orthodoxen Blickwinkel russischer Chroniken, nach denen zumindest zwei angesehene Einwohner der Stadt, deren Namen im Dunkeln bleiben, die Taufe verweigerten und deshalb mit dem Tode bestraft wurden. Für Vilnius hatte die polnisch-litauische Union und die Christianisierung einschneidende Folgen. Nicht nur, dass Jogaila unmittelbar nach seiner Taufe damit begann, die nichtorthodoxen Teile seines Reiches, wozu auch Vilnius gehörte, zu christianisieren - auch das litauische Herrschaftszentrum verschob sich nun teilweise nach Polen. Darüber hinaus brannten Truppen des Deutschen Ordens und Vytautas', denen der Machtzuwachs Jogailas ein Dorn im Auge war, die Stadt Vilnius und die Schiefe Burg (s.u.) nieder. Nur die Obere Burg (s.u.) konnten sie nicht einnehmen. Nach jahrelangen Fehden einigten sich Jogaila und Vytautas schließlich in einem Vertrag von 1392 darauf, dass Vytautas Vizeregent über Litauen mit Residenz in Vilnius werden sollte. Dies machte Vytautas in der Folgezeit zum faktischen Herrscher über Litauen. Dabei betrieb er eine recht eiDie mittelalterliche Geschichte Litauens
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genständige Außenpolitik. Die Hauptkonflikte ergaben sich wieder mit dem Deutschen Orden, dessen Angriffen auf Litauen und Vilnius er sich aber 1394 und 1402 erfolgreich zu erwehren wusste. 1401 gelang es Jogaila, dem Vytautas' Eigenmächtigkeiten in Litauen zu weit gingen, im Vertrag von Vilnius, mit dem Vizeherrscher zu einem Ausgleich zu kommen und ihn zu einer gemeinsamen Außenpolitik zu bewegen. Gleichzeitig anerkannte er ihn von nun an als Großfürsten von Litauen. Zum Vertragstext gehörte auch, dass der litauische Adel im Falle von Vytautas' Tod Jogaila zum Großfürsten von Litauen wählen würde; umgekehrt stimmte der polnische Adel zu, dass im Falle von Jogailas' Tod ein neuer König von Polen nicht ohne Vytautas' Zustimmung gewählt werden sollte. Vytautas' Großfurstenwürde wurde in der Folgezeit noch einmal in Frage gestellt, als der Deutsche Orden Svitrigaila (poln. Swidrygiello), einen Bruder Jogailas, als Großfürsten von Litauen anerkannte und unterstützte und seine Anwartschaft auf den Thron gegen Jogaila und Vytautas militärisch durchzusetzen suchte. In der Schlacht von Tannenberg (poln. Grunwald, lit. Zalgiris, 1410) gelang es Jogailas und Vytautas' vereinten Truppen, dem Orden eine entscheidende Niederlage beizubringen. Die Schlacht gilt als bedeutendste Schlacht der Geschichte Litauens, war aber in einem größeren Maßstab nicht direkt ausschlag-gebend für die weitere Geschichte Litauens. Allerdings muss andererseits daraufhingewiesen werden, dass sich der Deutsche Orden nach 1410 nie mehr richtig erholt hat. Die Inkorporation Novgorods durch den Moskauer Großfürsten Ivan III. (1462-1505) im Jahre 1478 und die dadurch gewachsene Macht Moskaus verschärfte die außenpolitische Lage des Ordens weiter. Mehrere Niederlagen gegen Polen und Litauen sowie Zwistigkeiten zwischen dem preußischen und dem Inländischen Ordenszweig führten im 15. Jahrhundert zu einem langsamen Niedergang der Ordensmacht. Auf dem Hintergrund dieser Entwicklung verlangte Vytautas von Jogaila 1429 die Anerkennung der Königswürde für Litauen, die er auch erhielt. Vytautas starb jedoch vor der Krönung 1430. Vilnius wurde also in der Folgezeit keine Königsstadt. Vilnius erhielt mit all diesen Vorgängen, die eine deutliche Aufwertung des litauischen Großfurstentums mit sich brachten, eine herausragende Rolle als politisches Zentrum Litauens. Gleichzeit bedeuteten militärische Erfolge gegen den Deutschen Orden mehr Ruhe an den Grenzen und Sicherheit vor Überfällen. Seit dem letzten Angriff des Deutschen Ordens auf Vilnius 1402, den Vytautas erfolgreich zurückgeschlagen hatte, der Niederlage in der Schlacht von Tannenberg und dem Frieden zwischen dem Deutschen Orden und Litauen 1422 erlebte die Stadt eine zweiein26
D a s mittelalterliche Vilnius
halb Jahrhundert währende Friedenszeit, in der sie sich prächtig entwickeln konnte. Grundlage dieser Entwicklung war neben dem äußeren Frieden das 1387 von Jogaila eingeführte Magdeburger Stadtrecht und die Tatsache, dass Vilnius 1387 Bischofssitz wurde. Damit konzentrierte sich die stadtwirtschaftliche und geistliche Potenz Litauens in Vilnius. Die Friedenszeit, die vor allem der militärischen Stärke der Union von Kreva und der vernichtenden Niederlage des Deutschen Ordens in Tannenberg zu verdanken war, wirkte sich allerdings reichspolitisch negativ aus. Vilnius verlor unter den Jogailern an Bedeutung. Hauptstadt des polnischlitauischen Unionsreiches und Residenz Jogailas war seit 1386 Krakau. Vilnius diente nur noch als Nebenresidenz des Reiches und Hauptstadt des litauischen Großfürsten, der je nach den reichspolitischen Konjunkturen als Vizekönig, bisweilen aber auch nur als dem König unterstehender Wojewode behandelt wurde. In diesem Sinne schwankte die reichspolitische Bedeutung von Vilnius. Von der Union von Kreva zur Union von Lublin: Unter Großfürst Svitrigaila (poln. Swidrygiello, 1430-1432, * ca. 1370, tl452) erfuhr Vilnius eine erneute Aufwertung, indem der Großfürst eine Politik der völligen Unabhängigkeit Litauens von Polen verfolgte. Gleichzeitig verschoben sich auch die religiösen Gewichte in der Stadt, denn Svitrigaila, Sohn einer orthodox gläubigen Mutter (Ul'jana von Tver), war orthodox erzogen worden und gewährte seinen Vilniusser orthodoxen Untertanen weitgehende Freiheiten und Sonderrechte. Diese Politik währte allerdings nur bis 1432, als es seinem Thronrivalen Zygimantas K^stutaitis (Großfürst 14321440, 'nach 1350, tl440) gelang, mit Hilfe des polnischen Adels Vilnius und die Macht in Litauen zu erobern. Zygimantas K^stutaitis verdankte seine Thronbesteigung (1432) vor allem Polen, und das bedeutete, dass er zunächst stark vom Königreich abhängig war. Erst als er Svitrigaila 1435 endgültig aus Litauen vertrieben hatte, konnte er seine Macht festigen - und zwar sowohl gegenüber den litauischen Untertanen wie auch gegenüber Polen. In der Innenpolitik, die natürlich auch Vilnius betraf, folgte er jedoch weitgehend den Vorgaben Svitrigailas. Bereits 1434 vergab er ein Privileg an orthodoxe litauische Adlige, das diese den litauischen Adligen katholischen Glaubens rechtlich gleichstellte. Nach der Ermordung Zygimantas K^stutaitis durch einen Anhänger Svitrigailas 1440 wurde Kazimieras Jagiellonus vom litauischen Adel nach Vilnius gerufen. Dort angekommen, riefen ihn fuhrende litauische Adlige un-
Die mittelalterliche Geschichte Litauens
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ter Führung des faktischen Herrschers von Litauen, des Wojewoden von Vilnius und Kanzlers von Litauen (beides 1443-1458), Jonas Gostautas (*ca. 1393, t l 4 5 8 ) , zum Großfürsten (Kazimieras, 1440-1492) aus und hofften, die litauischen Interessen gegen Polen so durchsetzen zu können. Auf diese Weise rutschte die Union erneut in eine schwere Krise, doch konnte diese nach Wladyslaws III. T o d in der Schlacht von Varna (gegen die Osmanen, 1444) beigelegt werden. Z u m König von Polen wurde nun Kazimieras selbst als Kazimierz IV. Jagielloriczyk ( 1 4 4 7 - 1 4 9 2 ) gewählt, allerdings erst, nachdem der litauische Adel zugestimmt hatte, und zwar unter der Bedingung, dass die Privilegien des litauischen Adels und Litauens territoriale Integrität gewahrt blieben. Anders als seine Vorgänger residierte Kazimieras oft in Vilnius und setzte sich für die Interessen der (litauischen) JogailaDynastie und Litauens eher als für die Interessen Polens und des Unionsreiches ein. Er war zudem wohl der letzte Großfürst, der selbst noch das Litauische beherrschte und anwandte. Dennoch war seine Regierung von zahlreichen Streitereien über den territorialen Bestand Litauens, vor allem in der Podolien- und Wolhynienfrage, und über den Charakter der litauischpolnischen Union bestimmt. A u f der anderen Seite gelang es ihm, die Grenzen des Unionsreiches zu sichern, frühere Territorien Polens zurück zu gewinnen und schließlich im Frieden von T h o r n (1466) sogar über den Deutschen Orden zu triumphieren und das »Preußen königlichen Anteils« seinem Reich anzugliedern. Das brachte noch keine Beseitigung des Ordens und endgültige Sicherung der Stadt Vilnius nach Westen hin, doch immerhin eine bessere Kontrolle der Ordensaktivitäten. Schließlich litt er unter Verschwörungen litauischer Adliger, die ihm vorwarfen, dass er zu lange in Krakau residierte, und ihn durch einen anderen Großfürsten ersetzen wollten. Insgesamt aber gewann Vilnius durch die Betonung der litauisch-jogailischen Interessen im Unionsreich eine hohe politische Bedeutung.
Polnisch-litauische Unionen im Mittelalter Um den äußeren Frieden fiir Litauen zu sichern, verheiratete Gediminas 1325 seine Tochter Aldona an den polnischen König Kazimierz III. (*1310, tl370), und schloss ein Bündnis mit ihm. 1387 heiratete Gediminas' Enkelsohn Jogaila die polnische Prinzessin Jadwiga ("1374, tl399) und schloss die Union von Kreva (poln. Krewo) mit Polen. Die bedeutsamsten Unionen und politische Rechtsakte seither und bis 1569 waren: 28
Das mittelalterliche Vilnius
1387 1401 1413 1432 1499 1501 1569
Union von Kreva Union von Vilnius und Radom Union von Horodlo Union von Gardinas (Grodno) Union von Krakau und Vilnius Union von Mielnik Union von Lublin
Die Union von Kreva vom 14.8.1385 umfasste die Heirat zwischen dem litauischen Großfürsten Jogaila und Jadwiga von Polen, die Konversion Jogailas zum Katholizismus, eine Zahlung von 100.000 Florin an Herzog Wilhelm von Österreich als Ausgleich für die gebrochene Verlobung zwischen Jadwiga und Wilhelm, die Rückeroberung verloren gegangener polnischer Territorien durch Jogaila und eine Amnestie für alle christlichen Gefangenen in Litauen. Die Union von Vilnius und Radom erweiterte die Union von Kreva durch die sog. Vereinbarung von Ostrow, die Litauen eine weitgehende Autonomie in inneren Angelegenheiten sicherte. Vytautas wurde anerkannter Großfürst von Litauen, während sein Vetter Jogaila als Oberherr der Union fungierte. Jogaila sollte das Großfurstentum erben, falls Vytautas starb. Vytautas besaß bei der Wahl eines neuen Königs von Polen das Vorzugsrecht im Falle des Todes Jogailas. Die Union gab Vytautas Rückendeckung bei seinen Kriegszügen gegen den Deutschen Orden und bei der Rückeroberung Zemaitijas. Die Union von Horodlo bestand aus mehreren Verträgen, die die früheren Unionen von Kreva und Vilnius/Radom erweiterten. Hauptergebnis war die Anerkennung des litauischen und ruthenischen Adels als mit dem polnischen Adel gleichberechtigt, in einer Union zwischen zwei unabhängigen Staaten, die von zwei unabhängigen und gewählten Herrrschern regiert wurden. Litauen behielt mit dem Großfürsten und dem litauischen Reichstag eine eigene Regierung. Alle wichtigen Unionsangelegenheiten sollten jedoch gemeinsam beraten werden. Zudem wurden die Amter des Kastellans und des Wojewoden in Litauen eingeführt. Die Union von Gardinas/Grodno bekräftigte die vorangegangenen Unionen. Bereits kurze Zeit später, zwischen 1440 und 1447 zerbrach die Union jedoch. 1447 wurde sie wiederum als Personalunion geschlossen, die bis 1492 halten sollte, als Jan Olbracht König von Polen und Aleksandras Großfürst von Litauen wurden. Die Union war dadurch zerbrochen; andererseits arbeiteten die beiden Herrscher eng zusammen, so dass man in dieser Zeit von einer faktischen dynastischen Union sprechen kann. Die Union von Krakau und Vilnius, die nach dem Vorbild der Union von Horodlo geschlossen wurde, sollte die Personalunion wieder herstellen. Man vereinbarte die gemeinsame Verteidigung der beiden Reiche, eine gemeinsame Kriegs- und Friedenspolitik und gemeinsame Beratungen in allen Fragen gemeinsamen Interesses. Die mittelalterliche Geschichte Litauens
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Die Union von Mielnik bekräftigte die Vereinbarungen von Krakau und Vilnius. Sie wurde jedoch vom litauischen Sejm nicht ratifiziert. Erst nachdem Aleksandras zum König von Polen gewählt worden war (1506), konnte die Personalunion defacto umgesetzt werden. Für die Union von Lublin s. das Kapitel über die frühe Neuzeit. Weitetfiihrende Literatur. Koyama, Satoshi: The Polish-Lithuanian Commonwealth as a political space. Its unity and complexity, Sapporo 2007.
Unter Kazimieras' zweitem Sohn, Jan Olbracht, fiel Vilnius wieder die Rolle einer zweiten Hauptstadt des Unionsreiches zu. Die neuen politischen Institutionen des Unionsreiches, der Senat (der frühere Geheime/Private Rat) und der Sejm (Reichsrat) u.a. etablierten sich nun alle in Krakau, so dass für die großfürstliche Verwaltung nur die Institutionen für die innerlitauischen Angelegenheiten blieben, die in der Regel in Vilnius ihren Sitz hatten. Jan Olbrachts ambitionierte Außenpolitik, seine Versuche, Moldavien für die Krone Polen-Litauens zu gewinnen (1497), und die Verteidigung der polnischen Ostgrenze gegen die Tataren (1498-1501) zeigten hingegen keine Rückwirkungen auf die Entwicklung von Vilnius. Jan Olbrachts Bruder, Aleksandras (*1461, fl506, reg. als König von Polen 1501-06), hatte dann gegen die wachsende Macht von Senat und Sejm zu kämpfen. Auch außenpolitisch gelang ihm nicht mehr viel. Aleksandras musste hilflos mit ansehen, wie Litauen von allierten Truppen des Moskauer Zaren Ivan III. und der Tataren verwüstet wurde. In Reaktion auf die militärische Katastrophe erhielt Vilnius 1503-1522 aber immerhin eine Wehrmauer, die vor allem den Sinn hatte, künftigen Einfällen der Moskauer und Tataren etwas entgegenzusetzen. Unter dem in Krakau geborenen Großfürsten Zygimantas I. Senasis (poln. Zygmunt I Stary, »der Alte«, 1506-1548) wurde die Situation für Vilnius erneut schwierig. In drei großen Kriegen gegen Moskau verlor er schließlich Smolensk (1514), eine der wichtigsten Grenzfestungen Litauens und Vorposten von Vilnius. Die Kriege, vor allem die Einfuhrung eines stehenden Heeres (1527), verursachten erhebliche Kosten, die Zygimantas mit Hilfe des polnischen Adels, der szlachta, zu decken hoffte. Das jedoch bewirkte eine Stärkung der politischen Macht des Sejm und des polnischen und litauischen Adels. Unter Aleksandras hatte der Reichstag 1505 das Gesetz Nihil novi {»Nihil novi nisi commune consensu«) durchgesetzt, das dem König verbot, neue Gesetze und Verordnungen im Reich ohne Billigung des Sejm einzuführen. Dies behinderte Zigimantas' Bewe30
Das mittelalterliche Vilnius
gungsfreiheit. Trotzdem erlebte Vilnius unter Zygimantas I. eine kulturelle Blütezeit. Das prächtigste Ereignis war sicherlich Zygimantas Krönung zum Großfürsten von Litauen in Vilnius am 20. November 1506. Zygimantas I. und seine Frau Bona Sforza von Milano und Bari waren passionierte Kulturmäzene. Sie unterstützten die Ideale des Renaissance-Humanismus und der Renaissance-Bewegung in Kunst, Architektur und Literatur in Litauen und besonders in Vilnius, wo sie sich oft aufhielten. Gegenüber der Reformation, die gerade auch in Vilnius unter den Deutschen, aber auch im litauischen Adel, der in Vilnius residierte, eine bedeutende Rolle spielte, nahm Zygimantas I. eine kritische, katholizismusfreundliche, jedoch aus Gründen der Staatsraison tolerante Haltung ein. Großfürst Zygimantas II. Augustas (poln. Zygmunt II August, 15441572), der letzte Jagiellone, war der wohl gebildetste aller JagiellonenHerrscher in Litauen und Polen. Er beherrschte fließend Latein, Deutsch und Italienisch. Seine Muttersprache war jedoch das Polnische. Ob er Litauisch sprach, ist nicht bekannt. Unter seiner Herrschaft nahm Vilnius einen erneuten wirtschaftlichen Aufschwung. Handel und Handwerk blühten. Viele Renaissance-Gebäude entstanden, darunter der prachtvolle Großfurstenpalast, die sog. Untere Burg. Humanistische Gelehrsamkeit und Renaissance-Kunst, -Literatur und -Architektur wurden von ihm gefördert. In Vilnius lernte Zygimantas II. Augustas seine spätere zweite Frau, die Witwe Barbora Radvilaite (poln. Barbara Radziwitt, *1520, t l 5 5 1 ) , kennen, die er nach dem Tod der Großfürstin, Elisabeth von Habsburg (*1526, t l 5 4 5 ) , 1547 heiratete. Außenpolitisch blieb Moskau wie schon unter seinem Vater eine Gefahr. Besonders der Livländische Krieg (15581583/84) Ivans IV. („des Schrecklichen", 1549-1584) bedeutete eine massive Bedrohung nicht nur für Litauen allgemein, sondern ganz besonders für Vilnius. Jedoch gelang es Zygimantas II. Augustas, einen Großteil Livlands zu besetzen und 1561 Litauen einzuverleiben. Von Süden her (Osmanen, Tataren) drohte Zygimantas II. Augustas keine Gefahr. Insgesamt erlebte Vilnius so gesehen also eine recht friedliche Periode. Zygimantas II. Augustas reformierte die Territorialverwaltung des Großfiirstentums. Es entstanden neue Wojewodschaften, die ihrerseits in Bezirke unterteilt wurden. Auf diese Weise entstand der Bezirk Vilnius, der einen Teil der gleichnamigen Wojewodschaft bildete. Gegenüber der Reformation blieb er wie sein Vater tolerant. 1569 erfolgte unter seiner Herrschaft die polnisch-litauische Union, die aus der bisherigen Personalunion eine Realunion der beiden Reiche machte. Damit wurde festgeschrieben, was bereits Praxis war: Der König Die mittelalterliche Geschichte Litauens
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von Polen war zugleich Großfürst von Litauen. Mehr als zuvor sank Vilnius jetzt jedoch in seiner Bedeutung als Residenz des Großfürsten von Litauen. In der unter dem Druck der Moskauer Westexpansion erfolgten und fiir unauflösbar erklärten (Real-)Union von Lublin (1569) wurde Litauen unter der königlichen Krone zu einem »unteilbaren Leib« mit Polen, verlor aber die drei Wojewodschaften Wolhynien, Kiev und Podlachien an den polnischen Reichsteil. Die beiden Länder erhielten einen gemeinsamen Herrscher, Senat und Reichstag. Der Monarch wurde in Polen gewählt und in Krakau gekrönt. Jeder dritte Reichstag musste auf litauischem Territorium, nicht jedoch notwendigerweise in Vilnius, stattfinden. Außenpolitik und Münze waren Unionsangelegenheiten. Recht, Justiz, Verwaltung, Finanzen und Armee regelten Polen und Litauen jeweils selbständig. Auf diese Weise blieb etwa das Zweite Litauische Statut von 1566, das die litauische Rechtsüberlieferung bis zu diesem Zeitpunkt zusammenfasste, in Geltung. In der Landesverwaltung behielt der litauische Adel das Recht auf Ämterbesetzung und Steuererhebung. Die Regimenter waren weiterhin auf der Grundlage der litauischen Adelsfahne organisiert. Die erhalten gebliebenen Privilegien verhinderten allerdings nicht die Polonisierung des litauischen Adels. Schon im Zweiten Litauischen Statut von 1566 stand Polnisch gleichberechtigt neben Litauisch und Latein. Der Text der Unionsakte von Lublin war nur in polnischer Sprache abgefasst, und 1696 wurde Polnisch im litauischen Reichsteil zur Kanzleisprache, zur lingua franca des litauischen Adels und des hohen Klerus. Außer in der Sprache machte sich die Polonisierung des litauischen Adels aber auch in der Treue zur Katholischen Kirche, im Habitus und in der Heiratspolitik bemerkbar.
2. Die Residenzstadt Die aus der Zeit Mindaugas' bekannte dreifache Funktion der Stadt als politisches, kirchliches und wirtschaftliches Zentrum des Großfiirstentums Litauens machte sich seit 1386 in der Ausbildung verschiedener Jurisdiktionen und Stände bemerkbar. Sie lassen sich in zwei große Gruppen teilen: die Jurisdiktionen der Residenten und die Jurisdiktionen der Stadtbürger. Residenten waren Standespersonen, die zwar in der Stadt wohnten, deren Tätigkeitsfeld sowie wirtschaftliche und finanzielle Absicherung aber nicht auf die Stadt beschränkt war. Sie nutzten die Stadt nur als Zentrum ihrer überlokalen Aktivitäten. Zu ihnen zählten die Großfürsten von Litauen, 32
D a s mittelalterliche Vilnius
von Polen war zugleich Großfürst von Litauen. Mehr als zuvor sank Vilnius jetzt jedoch in seiner Bedeutung als Residenz des Großfürsten von Litauen. In der unter dem Druck der Moskauer Westexpansion erfolgten und fiir unauflösbar erklärten (Real-)Union von Lublin (1569) wurde Litauen unter der königlichen Krone zu einem »unteilbaren Leib« mit Polen, verlor aber die drei Wojewodschaften Wolhynien, Kiev und Podlachien an den polnischen Reichsteil. Die beiden Länder erhielten einen gemeinsamen Herrscher, Senat und Reichstag. Der Monarch wurde in Polen gewählt und in Krakau gekrönt. Jeder dritte Reichstag musste auf litauischem Territorium, nicht jedoch notwendigerweise in Vilnius, stattfinden. Außenpolitik und Münze waren Unionsangelegenheiten. Recht, Justiz, Verwaltung, Finanzen und Armee regelten Polen und Litauen jeweils selbständig. Auf diese Weise blieb etwa das Zweite Litauische Statut von 1566, das die litauische Rechtsüberlieferung bis zu diesem Zeitpunkt zusammenfasste, in Geltung. In der Landesverwaltung behielt der litauische Adel das Recht auf Ämterbesetzung und Steuererhebung. Die Regimenter waren weiterhin auf der Grundlage der litauischen Adelsfahne organisiert. Die erhalten gebliebenen Privilegien verhinderten allerdings nicht die Polonisierung des litauischen Adels. Schon im Zweiten Litauischen Statut von 1566 stand Polnisch gleichberechtigt neben Litauisch und Latein. Der Text der Unionsakte von Lublin war nur in polnischer Sprache abgefasst, und 1696 wurde Polnisch im litauischen Reichsteil zur Kanzleisprache, zur lingua franca des litauischen Adels und des hohen Klerus. Außer in der Sprache machte sich die Polonisierung des litauischen Adels aber auch in der Treue zur Katholischen Kirche, im Habitus und in der Heiratspolitik bemerkbar.
2. Die Residenzstadt Die aus der Zeit Mindaugas' bekannte dreifache Funktion der Stadt als politisches, kirchliches und wirtschaftliches Zentrum des Großfiirstentums Litauens machte sich seit 1386 in der Ausbildung verschiedener Jurisdiktionen und Stände bemerkbar. Sie lassen sich in zwei große Gruppen teilen: die Jurisdiktionen der Residenten und die Jurisdiktionen der Stadtbürger. Residenten waren Standespersonen, die zwar in der Stadt wohnten, deren Tätigkeitsfeld sowie wirtschaftliche und finanzielle Absicherung aber nicht auf die Stadt beschränkt war. Sie nutzten die Stadt nur als Zentrum ihrer überlokalen Aktivitäten. Zu ihnen zählten die Großfürsten von Litauen, 32
D a s mittelalterliche Vilnius
aber auch die Mitglieder des Domkapitels von Vilnius, die Mönche und Nonnen und die Adligen mit ihrer jeweiligen Klientel. Sie alle erhielten vom Großfürsten ihre je eigenen Privilegien und konnten auch nur von ihresgleichen gerichtet werden. Sie zählten nicht zur Stadtbevölkerung im engeren Sinne. Das Stadtbürgertum bildete die eigentliche Stadtbevölkerung, war in seiner Tätigkeit auf die Stadt angewiesen und verließ die Stadt nur gelegentlich, z.B. für Handelsreisen. Es bildete ebenfalls eine Jurisdiktion eigenen Rechts mit speziellen Stadt- und Bürgerprivilegien sowie einer stadtbürgerlichen Selbstverwaltung und Justiz unter Aufsicht des Rathauses.
Die Residenz der Großfürsten Physisches Symbol der Großfurstenresidenz Vilnius war die großfürstliche Burg auf einem 40 m hohen und 160 m langen Hügel oberhalb der VilniaMündung in die Neris, dem heute sog. Gediminas-Hügel. Archäologische Funde zeigen, dass der Hügel bereits in der jüngeren Steinzeit (Neolithikum) befestigt war. Im 9. Jahrhundert n. Chr. befand sich hier eine mit Steinen verstärkte Holzpalisadenbefestigung. Im 10. Jahrhundert entstand offenbar eine hölzerne Burg, die Gediminas mit Feldsteinen und Ziegeln ausbauen und durch eine Steinmauer mit Türmen befestigen ließ. Anlässlich der Verlegung der großfürstlichen Residenz von Trakai nach Vilnius unter Gediminas wurde sie weiter ausgebaut und verbessert. Außerdem ließ der Großfürst den Bergrücken zum heutigen »Berg der drei Kreuze« hin durchstechen, um die Vilnia in das künstliche Tal zwischen Burg und Kreuzhügel umzuleiten und auf diese Weise eine zusätzliche Sicherung der Oberen Burg zu gewinnen. Der dialektische Nachteil dieser Maßnahmen bestand allerdings darin, dass die Obere Burg und die um sie herum entstehende Bürgerstadt in der zweihundertjährigen militärischen Auseinandersetzung zwischen dem Deutschen Orden und dem Großfurstentum ein bevorzugtes Angriffsziel darstellte. Truppen des Deutschen Ordens und andere Kreuzzugsheere belagerten die Burg in den Jahren 1365, 1375, 1377, 1383, 1390, 1392, 1394 und 1402, ohne sie jedoch jemals völlig einnehmen zu können. Dies war das Ergebnis des jeweiligen Wiederaufbaus und ständiger Verbesserungen der Burg durch die Großfürsten. Am stärksten bedroht war die Burg während der Regierungszeit Jogailas im Jahre 1390, als über 300 Ritter unter dem Großmarschall Engelhard Rabe von Wildstein und Konrad von Wallenrode (* 1330er, t l 3 9 3 ) - unter BeteiliDie Residenzstadt
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gung u.a. von Henry Bolingbroke (of Derby, "1367, t l 4 l 3 ) , der eine Beschreibung der Schlacht hinterließ, und dem Thronprätendenten fiir den litauischen Thron, Vytautas. Zu dieser Zeit existierte neben der Oberen auch schon die Untere und die Krumme Burg (s.u.) auf dem Kreuzberg bzw. »Berg der Drei Kreuze« Den Deutschordensrittern gelang es, die Krumme Burg einzunehmen und zu zerstören, die anderen Burgen blieben jedoch unversehrt. 1394 belagerten sie die Burgen von Vilnius erneut und drei Wochen lang, wobei einer der Verteidigungstiirme schwer beschädigt wurde und in die Neris stürzte; im Übrigen jedoch hielten die Burgen Stand. Vytautas ließ wurde die Obere Burg und andere damit im Zusammenhang stehende Gebäude 1 4 1 9 - 1 4 2 2 , nach dem großen Brand von Vilnius, um- und ausbauen, teilweise nach architektonischen Vorbildern der Deutschordensburgen, die er während seiner Koalition mit dem Deutschen Orden kennengelernt hatte. Daraus entstand die dreiflüglige und wahrscheinlich zweigeschossige Struktur der Oberen Burg im backsteingotischen Stil mit dem Großfurstenpalast wie sie heute noch in Resten zu sehen sind. In der Oberen Burg sollte Vytautas zum König von Litauen gekrönt werden. Doch dazu kam es, wie erwähnt, nicht mehr. Die Untere Burg bestand fast ausschließlich aus Holz und bildete zunächst eine Vorburg zur Oberen Burg. Unter Großfürst Aleksandras wurde die Untere Burg Residenz des Großfürsten. Zigimantas I. »der Alte« benutzte die Untere Burg ebenfalls als Residenz, wich aber bisweilen auf den Dom aus. Um die Untere Burg herum entstand eine kleine Siedlung, die noch im 14. Jahrhundert durch eine Wehrmauer gesichert wurde. Die Krumme (oder: Schiefe) Burg stand nach mittelalterlichen Quellen auf einen Hügel, vermutlich dem heutigen »Berg der drei Kreuze«. Sie wurde 1390 von den Truppen des Deutschen Ordens niedergebrannt und danach nicht wiedererrichtet. Zu den Burgen von Vilnius gehörte ein im 15. Jahrhundert unter Vytautas errichtetes Arsenal (sog. Altes Arsenal, ein neueres entstand im 18. Jahrhundert). Es wurde in der Zeit zwischen Zigimantas dem Alten und Zigimantas II. Augustas durch drei neue Flügel erweitert. Nach Aussage von Zeitgenossen lagerten im Alten Arsenal zu Beginn des 17. Jahrhunderts rund 180 Kanonen und weiteres Militärgerät.
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Die Residenz des Hofadels Als Stadtresidenten ohne Bürgerstatus waren neben den Großfürsten die Mitglieder des litauischen und ruthenischen Dienstadels eine wichtige soziale Gruppe innerhalb der Stadt. Nachdem Vytautas seine Residenz nach Vilnius verlegt hatte, wurde die Stadt zum Zentrum der großfürstlichen Verwaltung, die Vytautas aber fast ausschließlich dem Adel überließ. Dieser Adel in großfürstlichen Diensten war im Mittelalter noch nicht so zahlreich wie in der frühen Neuzeit und beschränkte sich darüber hinaus auch nur auf einige wenige bedeutende Familien. Auch waren Überschneidungen mit den geistlichen hohen Amtern und andere Doppelfunktionen an der Tagesordnung. Die großfürstlichen Großmarschälle und Hetmane, Schatzmeister und Kanzler von Litauen, die Kastellane und Wojewoden von Vilnius - sie alle hielten sich zeitweise oder dauerhaft in der Stadt auf und bauten Stadtpaläste und besaßen Grundstücke innerhalb und in der Nähe der Stadt. Kastellanai und Wojewodschaft Vilnius: Das erste und wichtigste Amt war zunächst das des Kastellans (Burgvogts), der fiir die Verteidigung und das Gerichtswesen der Vilniusser Burg zuständig war. 1413 schuf Vytautas fiir das Großfurstentum eine Regionaladministration, die das Reich in zehn Wojewodschaften (lit. vaivadija, lat. palatinatus) teilte, von denen eine die Wojewodschaft Vilnius bildete. Oberster Amtsmann war der Wojewode mit Sitz in Vilnius. Bis zur dritten Teilung Polen-Litauens (1795) setzte sich die Wojewodschaft Vilnius außerdem aus fünf administrativen Untereinheiten, sog. powiaty (lit. pavietai) zusammen, von denen der powiat Vilnius-Trakai den wichtigsten bildete (die anderen powiaty waren Asmiany, Lida, Vilkmerge und Braslaü). Das Kastellanenamt existierte ebenfalls bis zur dritten Teilung, war aber seit 1413 dem Wojewodenamt untergeordnet. Die Wojewoden, die im übrigen Litauen eingesetzt wurden, wählte der Großfürst aus dem Adel der Vilniusser Wojewodschaft. Die Amtsinhaber stammten in der Regel aus einigen wenigen Familien des litauischen Hochadels dieser Wojewodschaft, insbesondere aus den Familien Radvila (poln. Radziwill) und Sapiega (poln. Sapieha), die dieses Amt praktisch in Erbpacht bekleideten. Die Urahnen der Radvila, die Familie der Astikai, sind seit 1398 schriftlich dokumentiert und waren alteingesessene Vilniusser Magnaten ganz im Gegensatz zu den Sapiega, die aus dem Smolensker ruthenischen Bojarenadel stammten und erst im 16. Jahrhundert im Dienst für den Großfürsten aufstiegen. Andere Amtsinhaber kamen aus der unter Vytautas emDie Residenzstadt
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porgekommenen litauischen Hochadelsfamilie der Gostautai (poln. Gasztold) und den Familien Manvydas (poln. Monwid), Hlebavicius (poln. Hlebowicz), Tiskevicius (poln. Tyszkiewicz), Chodkevicius (poln. Chodkiewicz), Pacas (poln. Pac) und Visnioveckis (poln. Wisniowiecki), von denen viele mit den Radvila verschwägert waren oder von ihnen protegiert wurden. Zentralämter. Neben den großfürstlichen Ämtern fiir die Vilniusser Lokal- und Regionalverwaltung residierten auch die Inhaber der großfürstlichen Zentralämter in Vilnius. Dazu gehörte das Amt des Kanzlers von Litauen, zuständig fiir Außenpolitik, Teile der Innenpolitik und tätig als Vorsitzender der Assessorengerichte, der höchsten Gerichte für die direkten Untertanen des Großfürsten. Sein Amt wurde im 15. Jahrhundert in das Amt des Großkanzlers von Litauen und das des Hilfskanzlers geteilt. Der Unterkanzler war ein eigenständiger Beamter ohne Subordination gegenüber dem Großkanzler, der fiir die Außenpolitik des Reiches gegenüber Moskau verantwortlich zeichnete. Zu den Kanzleiämtern gehörten weitere Posten wie die des Regenten, der Sekretäre, der Schreiber (u.a.: ruthenische; tatarische, später »arabisch« genannte Schreiber fiir den diplomatischen Verkehr mit den Tataren), Archivare, Chronisten und weiterer untergeordneter Bediensteter. Mit den Verwaltungsreformen Aleksandras' im 15. Jahrhundert kamen neue, rechtlich klar definierte Zentralämter wie das des Hetmans, des Großmarschalls, des Großschatzmeisters, des Hofmarschalls u.a. hinzu. Alle diese großfürstlichen Beamten mit ihren jeweiligen Familien und Klientelgruppen, bis ins 14. Jahrhundert bezeichnet mit dem Kollektivnamen leiciai (»Litauer«), machten einen beträchtlichen, wenn auch nicht genau bezifferbaren und quantitativ nicht dominierenden Anteil der Bevölkerung von Vilnius aus. Was die Dienstadelsfamilien im Einzelnen betrifft, so spielten im Mittelalter die litauischen Adelsfamilien Gostautas (poln. Gasztold), K^sgaila und Manvydas (poln. Monwid), ein Nebenzweig der Familie Gediminas, zunächst die wichtigste Rolle in der Stadt. Der Stammvater der Gostautas-Familie, der in Vilnius geborene Jonas Gostautas (poln. Jan Gasztold, *1383?, tl458), war als Marschall von Litauen ein Gefolgsmann Vytautas' in dessen letzten Herrschaftsjahren und setzte seinen Dienst unter Svitrigaila fort. Nach einer Zeit als Gouverneur von Smolensk, unterstützte er 1440 die Machtergreifung Kazimierz' auf den Thron des Großfürsten von Litauen. Dies brachte ihm 1440 zunächst die Würde eines Wojewoden (Palatins) von Trakai ein. 1443 übernahm er das Wojewodenamt von Vilnius, 1443-1458 wurde er Kanzler von Litauen und damit de 36
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facto-Herrscher über Litauen. In dieser Funktion arbeitete er an der größtmöglichen Unabhängigkeit Litauens von Polen. Ein weiterer Vertreter der Gostautas-Familie, der für Vilnius eine wichtige Rolle spielte, war Albrecht Gostautas (poln. Olbracht Gasztold, *ca.l480, tl539). Nach Wojewoden-Ämtern in Novogrodek (lit. Naugardukas, ruth. Navahrudak), Polock (lit. Polockas, ruth. Palack) und Trakai erhielt er das Wojewodenamt von Vilnius im Jahre 1522 und wurde gleichzeitig Großkanzler von Litauen. In dieser Funktion initiierte er die Ausarbeitung der ersten Redaktion des Litauischen Statuts (1529). Er war, beeinflusst durch die Muttersprachen-Idee der Reformation, Verfechter einer eigenständigen litauischen Sprache und Kultur. Es heißt, er habe wie viele aus seiner Familie, als einer der wenigen Adligen das Litauische gesprochen, obwohl das Polnische und Lateinische in Vilnius und anderen Städten des Großfurstentums längst dominierten. Er trat außerdem als Mäzen des in litauischer Sprache schreibenden und stark von den Ideen der Renaissance und Reformation beeinflussten sowie von Bona Sforza und Zygimantas Augustas protegierten und in Vilnius lehrenden Abraomas Kulvietis (lat. Abraham Culvensis) hervor. Stärker noch als gegenüber den Polen wog sein Misstrauen gegenüber den Ruthenen. Sein größter Rivale war der Großhetman von Polen-Litauen, Konstantin Konstantinovic Ostrozski (poln. Konstanty Ostrozski, *1460, tl530), der sich vehement für ein ruthenisches Vilnius und Litauen einsetzte. Die Familie Kfsgaila hatte das Kastellanen- und Wojewoden-Amt von Vilnius fast ausschließlich für sich gepachtet. Die K^sgaila gehörten zu den größten Gutsbesitzern Litauens und besaßen die schlagkräftigste Privatarmee des Großfürstentums. Sie stammten ursprünglich aus Zemaitija und Trakai, wo sie 1412-1532 das Amt des Ältesten von Zemaitija bekleideten. Im 16. Jahrhundert starb die Familie aus. Nicht ganz gesichert ist, ob ein Gefolgsmann von Vytautas, K^sgaila, im heute den Benediktinerinnen gehörenden Haus in der Gasse des Heiligen Ignatius (Sv. Ignoto, Nr. 7) gewohnt hat. Mykolas Kfsgaila Valimantaitis (* ?, 11451/52?) bekleidete das Kastellanenamt von Vilnius 1443-1448 und war zugleich Ältester von Zemaitija (1412-1432, 1440-1441, 1443-1450). Als er die Thronbesteigung Svitrigailas unterstützte, wurde er inhaftiert. Sein Sohn wiederum, Jonas K^sgaila (Kfsgailaitis, lat. Johannes Kyensgalowicz, f l 4 8 5 ) , war ebenfalls Ältester von Zemaitija (1451-1485), aber auch Kastellan von Trakai und Vilnius. Dessen Sohn, Mykolas K^sgaila (tl476), wurde Kanzler von Litauen (1446-1476), Regent von Smolensk (1458-1476) und Wojewode (Palatin von Vilnius). Dessen Sohn, Stanislovas K^sgaila (poln. Die Residenzstadt
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Stanislaw Janowicz Kiezgajlo, f l 5 2 6 ) , war Ältester von Zemaitija (14861522), Kastellan von Trakai (1499-1522) und Vilnius (1522-1526), Großhetman von Litauen (1501-1502). Er ist vor allem fiir seine erfolgreiche Politik gegenüber dem Großfiirstentum Moskau bekannt geworden. Seine Grabstätte befindet sich im Dom von Vilnius, wo sie noch heute besichtigt werden kann. Uber die Manvydas-Familie ist kaum etwas bekannt. Man weiß, dass Manvydas (poln. Monwid, *ca. 1288, f l 3 4 8 ) , der Stammvater, der älteste Sohn Gediminas' war. Er erhielt von Vytautas das Gut Lazduny, das später in den Besitz der Radvila überging, die es dann fiir Jahrhunderte besaßen. Albertas Vaitiekus Manvydas (*ca. 1370, t l 4 2 3 ) und Jonas Manvydas (poln. Jan Monwid, *ca.l395, t l 4 5 8 ) dienten beide als Wojewoden von Vilnius (1413-1423? bzw. 1458-?). Eine späte Vertreterin der ManvydasFamilie, Sofija Ona Manvydaite, heiratete den Wojewoden von Vilnius Mikalojus Radvila Senasis (poln. Mikolaj Radziwill, »der Alte", *1404, 11450) und überführte damit die Tradition des Wojewodenamtes in die Hände der Radziwill-Familie. Die Radvila/Radvilaitis/Radziwill waren die zweifellos wichtigste und einflussreichste Vilniusser Adelsfamilie im ausgehenden Mittelalter. Ihre Existenz ist mit ihrem »Urvater« Lizdeika, der der Legende nach als Säugling in einem Adlernest in der Nähe des Schlosses Verkiai bei Vilnius gefunden worden sein soll, seit dem 14. Jahrhundert belegt. Zahlreiche Familienmitglieder waren in Ämtern der großfürstlichen Verwaltung tätig. Für Vilnius sind sie vor allem als Wojewoden hervorgetreten. Sie besaßen ausgedehnte Ländereien u.a. in der näheren Umgebung von Vilnius, die im 19. Jahrhundert später zu Vorstädten wurden. So gehörte ihnen spätestens seit dem 15. Jahrhundert das Gebiet um den heutigen Platz der Stadtverwaltung (Savivaldybes aikste), das sie 1506 den Karmelitern abtraten und wo mit der karmelitischen St. Georg-Kirche das Vilniusser Mausoleum der Familie entstand. Im 15. und 16. Jahrhundert besaßen sie das westlich von Vilnius am linken Neris-Ufer belegene Waldgebiet des heutigen VingioParks. Seit dem 16. Jahrhundert gehörte ihnen der nahe daran auf der anderen Seite der Neris liegende »Tiergarten« (Zverynas), den sie als Revier für die Jagd auf Auerochsen und Elche nutzten. In der St. JohannesStr. (heute Nr. 13/15, Ecke Nr. 23) entstand im 15. Jahrhundert das Palais Radvila als Wohnsitz des Bischofs von Vilnius. Andere Adelsfamilien waren für Vilnius von untergeordneter Bedeutung. Die Alseniskiai stellten im ausgehenden Mittelalter einen Kastellan von Vilnius, Alexandras Alseniskias (poln. Holszanski, 1T511), der ca. 38
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1492-1511 amtierte. Der letzte Vertreter der Alseniskiai, Fürst Pavilas Alseniskis (poln. Pawel Holszariski, *ca. 1485, t l 5 5 5 ) , war 1536-1555 Bischof von Vilnius. Die Ostrozski, eine Adelsfamilie ruthenischer (weißrussischer) Herkunft, steuerten den Großhetman von Polen-Litauen, Konstanty Ostrozski, bei, der in Vilnius tätig und besitzlich war, seinen orthodoxen Glauben vehement verteidigte und den Bau orthodoxer Kirchen und Schulen für orthodoxe Kinder förderte. Dies war erstaunlich, denn orthodoxe Adlige erhielten erst 1563 das Privileg (durch Zigimantas Augustas), litauische Staatsposten wahrzunehmen. Die Burg der Alseniskiai, Rokantiskes, befand sich östlich von Vilnius auf einem Hügel in der Nähe der Vilnia. Sie wurde im 16. Jahrhundert im Renaissance-Stil erbaut. Hier lebten Aleksandras, Jurgis und Pavilas Alseniskias. Sie wurde von Königin Bona Sforza übernommen und ging später in die Hände der Familie Pacas über, bevor sie während des Nordischen Krieges 1655 von Kosaken niedergebrannt wurde. Die Ruinen von Rokantiskes sind die einzigen erhaltenen Ruinen einer mittelalterlichen Adelsburg in Vilnius. Von anderen Adligen ist kaum mehr als der Name bekannt. So schenkte z.B. Zigimantas Senasis 1522 einem Hofadligen namens Ivan Timofeevic Plesceev Jurlov ein Haus in der Trakai-Gasse in Vilnius. 1526 kam ein weiteres Haus in der Bernhardiner-Gasse (Bernardinij gatve) hinzu.
Die Residenz der Bischöfe Bistum Vilnius-. Mit der Union von Kreva und der Taufe Jogailas ließ der Großfürst 1387 ein Bistum Vilnius (lat. Dioecesis Vilnensis) gründen. Damit wurde Vilnius zur Residenz der katholischen Bischöfe. Jogailas' Bitte um Gründung eines Bistums unterstützte der damalige Papst Urban VI. (1378-1389, *ca. 1318, t l 3 8 9 ) gerne, ergab sich doch dadurch die Möglichkeit, den Einfluss der katholischen Kirche weiter in den Nordosten Europas auszudehnen. Mit einer Bulle vom 12. März 1387 verkündete der Papst die Gründung eines Domkapitels, bestehend aus einem Kollegium von zehn Kanonikern. Erster Bischof wurde ein Wunschkandidat Jogailas', der Franziskaner, Litauermissionar und Bischof von Siret im Fürstentum Moldau, Andrzej Wasilko (auch: Jastrz^biec oder Polak/»der Pole«, lit. Andrius Vasila, *?, 11398). Dieser kam 1388 nach Vilnius, um die Taufe der nichtchristlichen Bevölkerung der Stadt zu vollziehen.
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Das Bistum Vilnius stellte ein umfangreiches Kirchenterritorium eigenen Rechts dar. Es erstreckte sich auf den größten Teil der katholischen Kirchenterritorien Litauens. Selbst in orthodoxen Gebieten unterhielt es einzelne Kirchen und Missionsstationen. Im Jahre 1400 wurde es durch das Bistum Luckas (ruth. Luz'k, poln. Luck) im Süden des Großfurstentums ergänzt. 1405 ließ der Großfürst zudem die katholische Diözese Kiev, die bereits Ende des 14. Jahrhunderts, für kurze Zeit bestanden hatte, wiedergründen. Auch in der um 1400 noch vom Deutschen Orden kontrollierten Zemaitija gab es litauische Katholiken, die 1417, bei der Unterwerfung unter den litauischen Großfürsten Vytautas, mit einem eigenen Bistum in Medininkai (poln. Miedniki Krölewskie) versehen wurden, das später nach Varniai (poln. Wornie) verlegt wurde. Dennoch war die Diözese Vilnius im Mittelalter die territorial größte aller litauischen katholischen Diözesen, ja ganz Europas. Das Bistum Vilnius wurde nach Vorbild der Bistümer in Polen organisiert. Bereits im 15. Jahrhundert stellte der Großfürst den Bischöfen einen sog. Koadjutor oder Suffraganbischof und ein Konsistorium zur Seite. Ursprünglich bestand das Bistum aus zwei Prälaturen - der des PfarreiPriesters und des Dekans - und zehn Kanonikern. Noch vor 1397 kam eine weitere Prälatur, die des Custos, hinzu. 1435 folgte mit der des Erzdiakons eine vierte. 1522 schließlich wurde je eine Prälatur fiir Scholastik und Kirchengesang eingerichtet. In administrativer Hinsicht stand das Bistum Vilnius zunächst unter der Aufsicht des Heiligen Stuhles. 1415 wurde es dem Erzbischof von Gniezno (dt. Gnesen) unterstellt, damit Teil der polnischen katholischen Hierarchie und der Unionspolitik Litauens und Polens, wie sie seit 1387 verfolgt wurde. Das Vorschlagsrecht für die Besetzung des Bischofsamtes und die Präsentation der Kanoniker lag jedoch beim Großfürsten. Die Bischöfe stammten während des gesamten Mittelalters in der Regel aus dem litauischen Adel. Das Domkapitel wurde aufgrund des Mangels an litauischen Geistlichen zunächst mit polnischen, deutschen und böhmischen Geistlichen besetzt. Die Kanoniker besaßen normalerweise eine universitäre Bildung, die sie in Krakau oder anderen europäischen Universitäten erworben hatten. Als einzige Schrift- und Rechtsgelehrte Litauens waren sie unter anderem an der Ausarbeitung des Ersten und Zweiten Litauischen Statuts beteiligt, aber auch als Sekretäre der großfürstlichen Verwaltung, als Diplomaten und politische Berater der litauischen Herrscher tätig. Eines der großen Desiderata des Bistums und ganz Litauens war es, dass das Großfiirstentum bis ins 15. Jahrhundert hinein keine einzige höhere 40
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Schule besaß. Selbst im Rahmen des polnisch-litauischen Unionsreiches gab es keine Bildungsstätte, die eine höhere Ausbildung von Geistlichen ermöglicht hätte. Die Theologische Fakultät der Universität Krakau, die diese Aufgabe hätte übernehmen können, bestand nur auf dem Papier. U n d auch die Einrichtung eines Kollegs für litauischen Studenten an der Universität Prag im Jahre 1397 schuf kaum Abhilfe. Es sind keine litauischen Studenten bekannt, die an dieser Einrichtung studierten. Zudem spiegelte der Lehrplan eher die Ansprüche einer niederen Bildung für arme Studenten wieder. Erst die Wiedereröffnung der Prager Theologischen Fakultät im gleichen Jahr 1397 brachte eine Verbesserung. Sie sollte für die kommenden 150 Jahre die zentrale Bildungsstätte für den katholischen geistlichen Nachwuchs Litauens werden; und so erklärt es sich auch, dass nur wenige Litauer, dafür aber viele Böhmen, Polen und Deutsche im Domkapitel von Vilnius tätig waren. W a s das niedere Bildungswesen anbelangt, existierten an den Pfarrkirchen einige wenige Schulen, darunter in Vilnius die Domschule (seit 1397) mit besoldeten Lehrern und seit 1513 die Schule der St. Johanneskirche, die jedoch über eine rudimentäre Elementarbildung wohl nicht hinauskamen. Uber eine dritte Schule am Vilniusser Franziskanerkloster kann die Forschung nur spekulieren. Aufgrund mangelnder Quellen ist über sie praktisch nichts bekannt. Der Lehrplan an den kirchlichen Elementarschulen wird ähnlich wie an den polnischen Domschulen aus dem Trivium und Quadrivium bestanden haben. Dazu gehörten Lesen, Schreiben, Arithmetik, Latein, Bibelstudien, Liturgie und Kirchenliedsingen. Ziel war die Vorbereitung der Schüler auf den geistlichen Dienst. W i e die Ernennung der Bischöfe, so oblag auch der Unterhalt des Bistums dem Großfürsten. Bereits Jogaila schenkte der Kirche rund 900 km 2 Landgüter. In Vilnius erhielt das Bistum mehrere Baugründe zur Errichtung von Kirchen, aber auch Grundbesitz in der näheren Umgebung der Stadt - so z.B. das erstmals 1387 erwähnte, nördlich der Stadt am linken Neris-Ufer liegende, vormals großfürstliche Gut Verkiai, das einen ausgesprochenen Versorgungscharakter hatte und das Bistum mit Lebensmitteln, aber auch Baumaterialien (vor allem Backsteinen) versah. 1390 erhielt das Bistum das Dorf Paneriai, das ebenfalls als Produzent von Backsteinen wichtig wurde. Die Nachfolger Jogailas folgten dem Beispiel ihres Urahnen mit weiteren Schenkungen. Die wichtigste Aufgabe des Bistums Vilnius in Litauen bestand in der Schaffung eines funktionierenden Netzes von Pfarreien und Kirchen. Neuere Forschungen haben gezeigt, dass in der Diözese bis 1555 259 KirDie Residenzstadt
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chen gebaut wurden, wobei in der Frühphase die meisten Gründungen des Großfürsten waren. Erst in zweiter Linie stifteten Adlige Kirchen. Dieses Verhältnis drehte sich jedoch seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts um. Den kleinsten Anteil an Kirchengründungen und -patronage hatte die litauische Geistlichkeit. Eine Unterteilung des Bistums in Pfarrdekanate kannte die mittelalterliche Diözese Vilnius nicht. Diese kam erst in den 1550er Jahren auf, als im Stadtteil Antakalnis u.a. ein Dekanat für Vilnius eingerichtet wurde. Die Besetzung der Pfarreien mit Geistlichen war eine »gemischte« Angelegenheit, d.h. es bestand ein Präsentationsrecht des jeweiligen Kirchenpatrons für die Kandidaten. Der Bischof musste den Vorschlag jedoch bestätigen. Der Unterhalt der Pfarreien wurde in Vilnius durch Zuteilung von Bürgerhaushalten geregelt, die an die Pfarreien Abgaben und Dienste zu entrichten hatten. Bisweilen reichten die HaushaltsZuteilungen der Patrone an die Pfarreien jedoch nicht aus, was im Mittelalter zu Ämterhäufungen bei den Pfarrern und damit gleichzeitig zur Unterversorgung der einzelnen Pfarreien mit Priestern führte. Diese Praxis wurde 1550 vom Großfürsten und in der zweiten Hälfte auch von der katholischen Obrigkeit zwar scharf kritisiert, aber nicht abgeschafft. Als Hauptkirche des Bistums diente die zur Zeit Bischof Wasilkos im backsteingotischen Stil errichtete, fünf Kapellen beherbergende St. Stanislaus* und St. Ladislaus-Kathedrale, und zwar auf dem Platz, auf dem bereits die Mindaugas-Kirche von 1251 und davor höchstwahrscheinlich das Perkunas-Heiligtum gestanden hatten. Sie bildete das Zentrum des geistlichen Lebens in Vilnius und ganz Litauens. In ihr fanden u.a. die Krönungen der Großfürsten, aber auch die Treffen der hohen kirchlichen Würdenträger, Empfänge für bedeutende Gäst u.a.m. statt. Im Jahre 1399 brannte sie während eines verheerenden Feuers, das in der ganzen Stadt wütete, erstmals nieder, wurde aber auf Vytautas' Befehl sofort wieder aufgebaut. Dieser Vorgang wiederholte sich 1419 in fast identischer Weise, mit dem einzigen Unterschied, dass Vytautas sie nun noch prächtiger und größer wiedererrichten ließ. 1522 wurde sie renoviert und erhielt einen Glockenturm, der auf einen der Verteidigungstürme der Unteren Burg gesetzt wurde. Als die Kathedrale während des Stadtbrandes von 1530 erneut nieder-brannte, wurde sie 1534 bis 1557 unter Bischof Pawel Holszariski ( 1 5 3 6 - 1 5 5 5 ) im Renaissancestil wieder aufgebaut, wobei sie Krypten, Katakomben und einige zusätzliche Kappellen erhielt, die zur Gräbnisstätte für mehrere Großfürsten und Vertreter des Vilniusser Adels wurden, darunter: Vytautas' Gemahlin Ona (Anna, 1418), Vytautas selbst (1430), sein Bruder Zigimantas (Zigimantas, 1440), Vytautas' Vetter Svitrigaila (1452), der Heilige Kasi42
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mir (1484), Aleksandras (1506), die zwei Ehefrauen von Zigimantas Augustas, Elisabeth von Habsburg (1545) und Barbora Radvilaite sowie Albertas Gostautas. Zahlreiche Malereien und andere Kunstwerke schmückten die Kirche, u.a. das älteste bekannte Fresco Litauens in einer der Krypta-Kapellen. Ebenfalls noch während Wasilkos Amtszeit entstand die schon vor der Christianisierung Litauens von Jogaila in Auftrag gegebene, im gotischen Stil errichtete St. Johanneskirche, die heute Teil des Universitätsgeländes ist, im Mittelalter jedoch neben dem Rathaus auf dem ursprünglichen Marktplatz (Ecke Pilies/Sv. Joño gatvé, dt. Burg-/St. Johannes-Str.) stand. Sie wurde 1426 vollendet, unter Papst Leo X. (1513-1521) mit Privilegien versehen und 1571 im Zuge der Gründung des Jesuitenkollegiums von den Jesuiten übernommen. Unter Wasilko entstanden auch die St. Martinsund die St. Annenkirche - beide im gotischen Stil. Die St. Martinskirche, gegründet von Jogaila 1380, diente als Kirche der großfürstlichen Oberen Burg, errichtet auf den Ruinen des heidnischen Tempels von Vilnius. Die Annenkirche (lit. Sv. Onos baznycia) wurde 1392 fiir Vytautas' zweite Frau Anna am Platz der heutigen Maironio gatvé 8 am rechten Vilnia-Ufer in Holzbauweise errichtet. Sie diente als Hauptkirche der in der Stadt wohnenden und arbeitenden deutschen Stadtbürger. 1419 wurde sie im großen Stadtbrand zerstört und danach durch eine von Großfürst Aleksandras in Auftrag gegebene, 1495-1500 erbaute Backsteinkirche ersetzt. Sie entwickelte sich im 16. Jahrhundert zur ersten Hauptkirche der Vilniusser Reformation. Alle genannten Kirchen wurden durch den großen Stadtbrand von 1419 unter Wasilkos Nachfolger, dem Franziskaner Jakub Plichta (1398-1407), zerstört, jedoch nach dem Brand wieder aufgebaut. Außer diesen berühmtesten Kirchen des mittelalterlichen Vilnius entstanden andere Kirchen, die weniger bedeutend, aber doch Teil der frühen katholischen Kirchengeschichte von Vilnius sind. Die Peter-Paul-Kirche (lit. Sv. apastalij Petro ir Povilo baznycia) im Antakalnis-Viertel wurde wohl bereits unter Jogaila Ende des 14. Jahrhunderts als Holzkirche errichtet. Im 15. Jahrhundert wurde sie neu gebaut, jedoch 1594 durch Feuer zerstört. Die Nikolaikirche (lit. Sv. Mykalojaus baznycia) ist die älteste in ihrer ursprünglichen Form noch bestehende Kirche Litauens. Sie wird in schriftlichen Dokumenten erstmals 1387 erwähnt, ist aber wohl älter und entstand im backsteingotischen Stil. Die Heiligkreuzkirche wurde im 14. Jahrhundert an der Stelle gegründet, wo 1366 nach der Bychowiec-Chronik 14 Franziskaner zu Tode gemartert worden waren. Schließlich entstand im 15. Jahrhundert eine einschiffige gotische Kirche, die nach Gründung der JesuitenDie Residenzstadt
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akademie als Akademiekirche diente und nach den Bränden von 1748 und 1749 umgestaltet und in die heutige Kirche des Barmherzigen Gottes verwandelt wurde. Zum Bistum gehörten allerdings nicht nur Vilniusser Kirchenbauten. Auch Profangebäude sind erwähnenswert, neben den bereits genannten Bauten und Dörfern Verkiai und Paneriai insbesondere das spätere Palais Radvila in der Vilniusser St. Johannes-Str. (heute Nr. 13/15, Ecke Nr. 23), das im Mittelalter als Wohnsitz des Bischofs von Vilnius diente. Eines der sich durch das gesamte Mittelalter ziehenden Probleme für das Bistum war die rechtliche Stellung der Nichtkatholiken. Im Zentrum der entsprechenden Vilniusser Kirchenpolitik standen dabei die orthodoxen Ruthenen. Eine Klausel der Union von Kreva besagte, dass Jogaila sich verpflichtete, den katholischen Glauben in ganz Litauen, also auch unter den orthodoxen Gläubigen zu verbreiten. Da sich die mittelalterliche katholische Kirche von Litauen vor allem als Missionskirche verstand, unternahm sie immer wieder Versuche, insbesondere die orthodoxen Ruthenen, im 16. und 17. Jahrhundert aber auch die Protestanten, zur Konversion zum Katholizismus zu bewegen - angefangen mit einem diesbezüglichen Auftrag Papst Martins V. (1417-1431) an den Vilniusser Bischof Piotr Krakowczyk (1414-1421), die orthodoxe Bevölkerung Litauens zum katholischen Glauben zu bekehren, um das abendländische Schisma in diesem Teil Europas zu beenden, über Bischof Maciej Wilnianin (1422-1453), einen Litauer, der sich für die Vorzugsrechte der litauischen katholischen Bevölkerung einsetzte, eine Inquisition zur Verfolgung der Hussiten einleitete und zahlreiche neue Kirchen bauen ließ, bis hin zu Bischof Jan I. (Losowicz, 1468-1481), der zahlreiche Ruthenen zum Katholizismus bekehrte und die Franziskaner-Observanten (Bernhardiner) nach Vilnius holte, und dem Koadjutor Georg Casimir Ancuta (* ?, tl737) mit seiner Schrift » J u s p l e n u m religionis catholicae in regno Poloniaw«, die beweisen sollte, dass Orthodoxe und Protestanten nicht dieselben Vorrechte wie Katholiken besitzen konnten. Allerdings gab es gegen solche Bestrebungen politische Widerstände, vor allem von Seiten des orthodoxen Adels, z.B. der Familie Ostrozski, die zeitweise auch in Vilnius residierte. Die offizielle Konversionspolitik kam aus diesem Grund zu Beginn des 16. Jahrhunderts weitgehend zum Erliegen. Orthodoxe Kirche-. Weniger erfolgreich, aber älter war die Präsenz der Orthodoxen Kirche in Vilnius. Schon vor der Taufe Jogailas war Litauen Objekt orthodoxer Missionsbestrebungen gewesen. Die Metropolie für die Länder der Rus', die sich während des 14. Jahrhunderts aus Furcht vor den Tataren teilweise litauischer Herrschaft unterstellten, hatte ihren Sitz seit 44
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1299 in Vladimir-Suzdal, also auf nichtlitauischem Rus'-Gebiet. Ergänzend entstand 1303 eine neue Metropolie für die südlichen Rus'-Länder in Galic (lit. Halycas, poln. Halicz). 1316/17 schließlich errichteten der byzantinische Kaiser Andronikos II. (1282-1328) und der Patriarch von Konstantinopel Johannes XIII. (1316-1320) eine eigene Metropolie für Litauen mit Sitz in Novgorodok (poln. Novogrödek, weißruss. Navahrudak, heute Weißrussland). Der dort residierende Metropolit von Litauen, Theophil (1317-1330, *?, tca. 1330), betrieb in der Folgezeit eine den litauischen Großfürsten Gediminas unterstützende, moskaufeindliche Kirchenpolitik gegen den »Metropoliten von Kiev und der ganzen Rus'« (offizieller Titel bis 1448), Petrus (?-1326), der seinen Sitz inzwischen in Moskau hatte und die Protektion des Moskauer Großflirsten genoss. Es war die Absicht des litauischen Metropoliten, sich mit Hilfe des litauischen Großfürsten selbst auf den Metropolitenstuhl von Kiev und Russland zu hieven, um damit Kiev, das zu dieser Zeit zu Litauen gehörte, einem litauischen Metropoliten zu unterstellen und gleichzeitig einen Fuß in den moskauischen Machtbereich zu setzen. Diese Pläne wurden jedoch später von Konstantinopel durchkreuzt. Mit dem Tode Theophils ging die Episode einer eigenen litauischen Metropolie zu Ende. Künftig unterstanden die orthodoxen Gläubigen in Litauen - und Vilnius - wieder dem Metropoliten von Kiev und Russland. Ein erneutes hoffnungsvolles Zwischenspiel stellten die Bemühungen des byzantinischen Kirchenlegaten Kiprian (*ca. 1336, t l 4 0 6 ) dar. 1373 schickte ihn der ökomenische Patriarch von Konstantinopel, Philotheus I. Kokkinos (1353-1354, 1354, 1364-1376), auf eine Mission nach Litauen und Russland, um die Fürsten von Litauen und Tver' mit Metropolit Alexius von Kiev und der ganzen Rus' (1354-1378) zu versöhnen. Als 1375 der litauisch-moskauische Konflikt wieder aufflammte, baten die litauischen Großfürsten den Patriarchen, Kiprian als Metropoliten von Litauen einzusetzen. Tatsächlich berief der Patriarch Kiprian als Metropolitien von Kiev, der ganzen Rus' und Litauen - wohl um die kirchlich-administrative Einheit dieses Raumes und den Frieden zwischen den Großfürsten zu sichern. Damit wurde die unter Alexius verursachte Spaltung de iure aufgehoben. Kiprian selbst galt als Vorkämpfer für die kirchliche und weltliche Einheit der Rus'-Länder, konnte sich aber auf Dauer nicht durchsetzen. Künftige Bemühungen, eine Wiederbesetzung des litauischen Metropolitenstuhles zu erreichen, scheiterten bis weit ins 15. Jahrhundert hinein. Noch 1451 anerkannte Großfürst Kazimieras (1440-1492) in einem Privileg offiziell die Zugehörigkeit aller orthodoxen Gläubiger in seinem Reich zur KirchenDie Residenzstadt
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Jurisdiktion von Kiev und Russland. Der damalige Kiever Metropolit, Jonas (1448-1461), ernannte aber immerhin einen Stellvertreter für die litauischen Gebiete, Gregor II. (1458-1472). Einen weiteren tiefen Einschnitt fiir die litauischen orthodoxen Gläubigen stellte die Taufe Jogailas und der Übergang Litauens zum Katholizismus dar. Privilegien Jogailas' von 1387 und Vytautas' von 1413 gewährten der Katholischen Kirche Vorzugsrechte gegenüber der Orthodoxen. Zu ihnen gehörte beispielsweise, dass es den Orthodoxen verboten war, neue Kirchen in Litauen zu bauen oder orthodoxe Holz- in Steinkirchen umzubauen. Es gibt jedoch keinen Nachweis darüber, dass dieses Verbot tatsächlich eingehalten wurde, und die Geschichte der meisten orthodoxen Kirchen in Vilnius wiederlegt es sogar in der Praxis: Noch zu Beginn des 16. Jahrhunderts nämlich ließ der Großhetman von Litauen, Konstanty Ostrozski, mehrere orthodoxe Steinkirchen in Litauen, darunter die Nikolai-Kirche in Vilnius, errichten. Dieses Beispiel verweist auch darauf, dass die Orthodoxe Kirche mächtige Unterstützer aus dem (meist ruthenischen) Adel Litauens hatte: neben der Familie Ostrozski vor allem die Familie Chodkevicius und die Herzöge Sapiega. Blickt man auf Gesamtlitauen, so waren zudem um 1500 Katholiken und Orthodoxe im Großfiirstentum zahlenmäßig noch ungefähr gleich stark. So wenigstens berichtet es der polnische Sekretär Großfürst Aleksandras', Erazm Ciolek (*1474, t l 5 2 2 ) , 1501 an den Heiligen Stuhl in Rom. Diese Tatsache ließ die Großfürsten und einige führende Geistliche in Litauen im 15. und 16. Jahrhundert über eine katholisch-orthodoxe Kirchenunion, zumindest aber eine enge Zusammenarbeit zwischen Katholiken und Orthodoxen nachdenken. Erste praktische Schritte dazu wurden auf dem Konzil von Ferrara-Florenz (1438-1445) unternommen, das 1439 angesichts der Bedrohung durch die Osmanen und mit Unterstützung des Metropoliten von Kiev und Moskau, Isidor ( 1 4 3 6 1441), eine Kirchenunion zu Stande brachte, die, obwohl von offizieller orthodoxer Seite nie ratifiziert, in praxi bis zum Fall Konstantinopels (1453) währte. Auf Dauer durchsetzen konnte sich die Union jedoch erst unter dem Druck der Reformation und eines stärker werdenden, immer häufiger auch in die Kirchenangelegenheiten Litauens intervenierenden Moskauer Reiches, das 1589 ein eigenes Moskauer Patriarchat gegründet hatte, mit der Union von Brest im Jahre 1596 (s. das Kapitel über die frühe Neuzeit). Wie man sieht, lag Vilnius während des Mittelalters eher an der Peripherie orthodoxer kirchenpolitischer und -administrativer Bestrebungen. 46
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Dies sollte sich erst im 16. Jahrhundert unter dem Eindruck der Reformation und Gegenreformation ändern. Die Geschichte der Orthodoxie in Vilnius ist aufgrund einer fehlenden Residenz der orthodoxen Hierarchie vor allem die Geschichte ihrer Kirchen. Bereits 1345 wurde an der Stelle des Heiligtums des heidnischen Gottes Ragutis eine orthodoxe Kirche aus Holz, geweiht dem Heiligen Paraskeve (Pjatnica-Kirche), erbaut. Sie wurde nach einem Brand im 16. Jahrhundert durch einen Steinbau ersetzt. 1611 ging sie an die Unierte Kirche über. Am linken Vilnia-Ufer ließ Marija Jaroslavna im 14. Jahrhundert die orthodoxe Muttergotteskirche gründen, die der Überlieferung nach als Grabstätte der Fürstin dienen sollte. 1415 wurde sie zur Kathedrale erhoben und 1 5 1 1 - 1 5 2 2 von Fürst Konstantin Ostrozski umgebaut. 1516 fand hier auch die orthodoxe Frau Großfürst Aleksandras', Elena, ihre letzte Ruhestätte. 1609 fiel die Kirche an die Unierten. 1514 wurde die auf Betreiben Konstantin Ostrozskis im gotischen Stil erbaute orthodoxe Kirche des Heiligen Michael in der Großen Gasse (Didzioji gatve, heute Nr. 12) eingeweiht. Sie ging 1609 an die Unierten über. In der Vorstadt Zirmünai auf dem anderen Nerisufer gegenüber den Burgen von Vilnius, die zur Fischersiedlung Zvejai gehörte, entstand im 16. Jahrhundert die orthodoxe Kirche der Heiligen Barbara. Ebenfalls auf das 16. Jahrhundert geht die orthodoxe Auferstehungskirche in der Großen Gasse (heute Nr. 17) zurück. Zu einem geistlichen Zentrum der Orthodoxen in Vilnius und ganz Litauen wurde die Kultstätte der Heiligen Antonij, Johannes und Eustathios: die Dreifaltigkeitskirche (als Steinkirche: 1514) und das 1567 gegründete Heiliggeistkloster (Basilianer). Hier entstand im 16. Jahrhundert auch eine orthodoxe Druckerei. 1915 wurden die Reliquien der Heiligen während der deutschen Invasion nach Moskau gebracht, jedoch 1946 an das Heiliggeist-Kloster in Vilnius zurückgegeben. Die orthodoxen Heiligen Antonij, Johannes und Eustathios Die Orthodoxe Kirche in Vilnius ist vor allem durch den Kult um die Heiligen Antonij, Johannes und Eustathios bekannt geworden. Von ihnen wird die folgende Legende überliefert. Die drei Brüder Antonij, Johannes und Eustathios waren als Teil einer Moskauer Mission von 1347 an den Hof von Algirdas, der mit der orthodoxen Fürstin Marija Jaroslavna (tl346) verheirat war, gekommen. Sie sollten für die religiösen Belange der Fürstin Sorge tragen. Zu Lebzeiten Marija Jaroslavnas entstand die orthodoxe Heiliggeist-Kirche in Vilnius. Algirdas war formell zur Orthodoxie übergetreten. Nach dem Tod seiner Frau fiel Die Residenzstadt
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er jedoch in den traditionellen litauischen Feuerkult zurück. Die orthodoxe Mission wurde strikt untersagt. Die drei Brüder traten als orthodox Gläubige in der Folgezeit zwar nicht offensiv auf, richteten sich aber auch nicht nach heidnischen Sitten, d.h. sie schnitten nicht ihr Haar und aßen an Festtagen keine verbotenen Speisen. In diesem Zusammenhang wurden die drei orthodoxen Geistlichen der öffentlichen Predigt angeklagt und vor Algirdas gebracht, der sie zwingen wollte, während der Fastenzeit Fleisch zu essen. Als sie sich weigerten, warf er sie ins Gefängnis, wo sie ein Jahr zubrachten, ließ sie foltern und Antonij schließlich am 14. April 1347 an eine den Heiden heilige Eiche hängen. Am 24. April endete auch Johannes an dieser Eiche. Die Leichname der beiden Brüder wurden von einer Volksmenge in der Kirche Nikolais des Wunderwirkers bestattet. Ein dritter Märtyrer war ihr Bruder Eusthathius, der am 13. Dezember 1347 ebenfalls an der Eiche erhängt wurde. Diese wurde seither zum heiligen Baum der orthodoxen Christen in Vilnius. Später entstand an dieser Stelle eine Kirche der Heiligen Dreieinigkeit fiir die drei Brüder. Ihr Altar wurde aus dem Holz der besagten Eiche gefertigt. Die unverwesten Leichnahme der drei Brüder liegen in einem Schrein der Klosterkirche des Heiligen Geistes in Vilnius. Ihr Namenstag ist nach orthodoxer Tradition seit 1364 der 14. April.
Die Residenz der Klöster Eine weitere nichtbürgerliche Gruppe von Residenten stellten die Klosterinsassen dar. Die Zeit der massenhaften Klostergründungen auf dem Boden der Stadt Vilnius war die frühe Neuzeit. Aber auch schon während des Mittelalters ließen sich hier einige Bruderschaften nieder, insbesondere die katholischen Franziskaner, Franziskaner-Observanten (Bernhardiner) und Dominikaner sowie die orthodoxen Basilianer.
Franziskaner.
Die ersten Franziskaner fanden bereits vor der Christia-
nisierung Litauens in der Gegend zwischen der Trakai- (Trakt}), Kedainiij-, Lydos- und Franziskaner- (Pranciskonij-) Gasse eine Heimstätte. Dies bezeugen Funde von Gräbern, die aus der Zeit um die Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert stammen. Sie gehören damit zu den ältesten Zeugnissen des Christentums in Litauen überhaupt. Für die Mitte des H . J a h r h u n derts lässt sich außerdem eine kleine gotische Steinkirche oder Kapelle an der Trakai-Gasse nachweisen, deren Reste in der bis heute bestehenden, allerdings 1812 barock umgebauten Kirche noch immer zu sehen sind. Aufgrund der gefundenen Gräber ist anzunehmen, dass sich an gleicher Stelle bereits vor dem 14. Jahrhundert eine Holzkirche befunden hat. Sie
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Das mittelalterliche Vilnius
bildete den Kern des Franziskanerklosters, des ältestens Klosters Vilnius' und Litauens, das seit den Tagen Gediminas' (seit 1334) nach und nach seine heutige Gestalt erhielt. Über hundert Jahre später ließen sich die Bernhardiner in Vilnius nieder. Nach Vilnius eingeladen und gefördert von den Vilniusser katholischen Bischöfen Mikolaj z Solecznik ( 1 4 5 3 - 1 4 6 7 ) und Jan I. gründeten Franziskaner-Observanten aus Polen und aus den Reihen des Deutschen Ordens 1462 (oder 1469) auf dem Höhepunkt der christlichen Missionierung Litauens ein Kloster an einer Flussschleife der Vilnia in der Nähe des damaligen Stadtzentrums. Die 1469 auf dem Klostergelände errichtete Holzkirche wurde um 1500 in eine Steinkirche umgebaut. Als sie bald darauf einstürzte, wurde sie in den Jahren 1560 und 1564 im RenaissanceStil neu errichtet. Die Bernhardinerkirche war ein Teil der städtischen Wehranlagen und mit Schießscharten ausgestattet. Sie diente in der Folgezeit aber auch als Grabeskirche. Als 1509 der Wojewode von Vilnius, Mikalojus Radvilaitis » d e r A l t e « , starb, wurde er in der BernhardinerKirche beigesetzt und damit der erste prominente T o t e der Kirche. Viele andere berühmte Adlige und Geistliche sollten ihm folgen. Die Gärten des Bernhardiner-Klosters wurden im 16. Jahrhundert der Universität übergeben und als Botanische Gärten genutzt. Im 19. Jahrhundert entstand aus ihnen der Sereikiskes-Park, der erste öffentliche Park der Stadt. 1501 fasste der Dominikanerorden in Vilnius Fuß. Sein Kloster entstand an einer Stelle in der späteren Dominikanergasse (Dominikoni} gatve), an der bereits eine wahrscheinlich hölzerne Kirche aus der Regierungszeit Gediminas existierte. A m gleichen Ort hatte Vytautas 1408 eine Heiliggeist-Kirche (vollendet Ende des 14. Jahrhunderts) bauen lassen, die die Dominikaner im Gründungsjahr des Konvents als Klosterkirche aus der H a n d des Vilniusser Bischofs Wojciech (Albert) T a b o r ( 1 4 9 2 1507) erhielten. Das orthodoxe Basilianerkloster an der Gasse des Tors zu Morgenröte (Ausros Vartij gatve) geht der Legende nach auf das Jahr 1347 zurück. In diesem Jahr soll Ul'jana von Tver'eine hölzerne orthodoxe Kirche zu ihrem Gedenken errichtet haben. Diese wurde 1514 durch eine Steinkirche: die bereits erwähnte, von dem orthodoxen Fürsten Konstanty Ostrozski (*ca. 1460, t l 5 3 0 ) gestiftete Michaelskirche, ersetzt. Belegt ist die G r ü n d u n g des Mönchsklosters jedoch erst für die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert
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3. Die Bürgerstadt Wie die Residenzstadt so nahm auch die Bürgerstadt seit Vytautas' Herrschaft einen bedeutenden Aufschwung. Für die Zeit vor Vytautas' gehen Archäologen von einer im 11. und 12. Jahrhundert entstandenen HolzbauSiedlung im Nordwesten der Burg entlang der Vilnia aus. Außerdem entstand im 14. Jahrhundert südlich der großfürstlichen Burg ein Burgweiler, aus dem schon bald die spätmittelalterliche Bürgerstadt hervorging. Im späten 14. Jahrhundert zählte die Stadt bereits rund 30.000 Einwohner, von denen der allergrößte Teil dem Stadtbürgertum bzw. nichtresidentialen Stadtbewohnern zuzurechnen ist. Vilnius gehörte damit zu den größeren Städten Europas und zu den größten des östlichen Europa. Es erreichte in dieser Zeit eine ähnliche Einwohnerzahl wie Krakau und Moskau. Mit den großen Städten des Westens, z.B. London (um 1300: 80.000), Paris (1365: 275.000) oder Amsterdam (rd. 740.000) konnte sie freilich nicht konkurrieren.
Die Einführung des Magdeburger Stadtrechts 1387 Die wichtigste Voraussetzung für einen Aufschwung von Handel und Handwerk war der rechtliche Rahmen, innerhalb dessen Kaufleute und Handwerker agierten. Das zentrale Datum ist auch hier das Jahr 1387, als Jogaila der Stadt das Magdeburger Stadtrecht verlieh. Weitere Privilegien erhielt die Stadt in den Jahren 1432 und 1536. Die Verleihung von Stadtrechten lag im Zug der Zeit. Vilnius war jedoch die erste Stadt Litauens, die Stadtrechte erhielt. Kurze Zeit später folgten Brest (1390), Trakai (Anfang 15. Jahrhundert) und Kaunas (1408), alle im Westen des Großfurstentums gelegen. Privilegierte Städte im Osten entstanden erst Ende des 15. Jahrhunderts unter der Herrschaft Aleksandras', darunter Kiev (1494-1497), Polock (1498) und Minsk (1499). Im Gegensatz zu den meisten anderen litauischen Städten, vor allem Kaunas, wo es nur die deutschen Zuwanderer betraf, bezog sich das Magdeburger Stadtrecht in Vilnius auf alle Bevölkerungsgruppen der Stadt (mit Ausnahme der Juden).
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Das Magdeburgische Stadtrecht Stadtrechte haben ihre Wurzeln meist im Gewohnheitsrecht der Kaufleute, in von den Grundherren verliehenen Privilegien und von der jeweiligen Gemeinschaft selbst aufgestellten Regeln (»Willkür«), Innerhalb der Stadtmauern wurde den Bürgern durch das Stadtrecht die persönliche Freiheit, das uneingeschränkte Eigentumsrecht, die Unversehrtheit von Leib und Leben und eine geregelte wirtschaftliche Tätigkeit garantiert. Magdeburgisches Recht: Das Magdeburgische Recht hatte einen erheblichen Einfluss auf die Stadtrechte in Ostmittel- und Nordosteuropa, meist in einer schlesisch-polnischen Variante, dem Neumarkter Recht, seltener in einer nördlichen Variante, dem Kulmer Recht, das in West- und Ostpreußen dominierte. Die älteste schriftliche Quelle für die Existenz des Magdeburgischen Stadtrechts ist das Privileg des Erzbischofs von Magdeburg, Wichmann, von 1188, durch das städtische Gerichtsverfahren vereinfacht werden sollten. Eine solche Änderung setzt bereits existierendes Stadtrecht in Magdeburg voraus. 1294 kauften die Magdeburger Bürger dem Erzbischof die Ämter des Schultheißen und des Burggrafen ab und konnten sie damit nun selbst besetzen. Der Erzbischof blieb zwar formal Gerichtsherr, da er aber die Ämter nur mit den von den Stadtbürgern bestimmten Personen besetzen konnte, lag die Gerichtsbarkeit de facto in bürgerlicher Hand. Im selben Jahr bildete sich die Aufgabentrennung von Rat und Schöffengericht aus, bei der der Schöffenstuhl für die Rechtsprechung zuständig war, während der Rat ftir Verwaltung und Gesetzgebung verantwortlich zeichnete. Ab diesem Zeitpunkt kann vom »Magdeburger Recht« im Sinne einer unabhängigen Selbstverwaltung der Bürgerstadt gesprochen werden. Eine wesendiche Neuerung des Magdeburgischen Rechts bestand in der Beseitigung der sog. »Prozessgefahr«, durch die ausgeschlossen wurde, dass ein Prozess allein aufgrund unkorrekter Wortwahl während der Verhandlungen eingestellt wurde. Diese Änderung stärkte das Vertrauen in das städtische Gericht und begründete eine größere Rechtssicherheit. Bei durchreisenden Kaufleuten kam das sog. »Gastrecht« zum Einsatz, das bestimmte, dass die Streitfrage durch das Gericht innerhalb eines Tages gelöst werden musste. Diese prozessrechtlichen Regelungen zeigen, dass es sich beim Magdeburgischen Stadtrecht im Wesendichen um ein Kaufmannsrecht, weniger um ein Handwerksrecht handelte. Dafür sprechen auch andere Regelungen wie etwa die Frage der Haftung für die Ware, die Rechnungslegungspflicht der Kaufleute, die geordnete Buchführung, Fragen des Gesellschafterkapitals und des treuhänderischen Wirkens. Auch andere Rechtsfragen wurden abgedeckt. Im Ehegüter- und Erbrecht galt der Ehemann spätestens nun als Vormund seiner Ehefrau. Im Strafrecht war die wichtigste Regelung die Abschaffung der Sippenhaft; aber auch die Aufwertung der prozessualen Rechtsfindung und des Zeugenbeweises vor Gericht im Gegensatz zur früher üblichen Blutrache und zum Gottesbeweis und die Aufhebung der Verjährung für Gewaltverbrechen waren wichtige Bestimmungen. Die Bürgerschaft
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Mit der Urtcilsfindung war in Magdeburg der sog. »Schöppenstuhl« betraut, der in der Regel aus elf Schöffen bestand, die auf Lebenszeit gewählt wurden und ihre Nachfolger selbst bestimmen konnten. Ab 1336 war eine gleichzeitige Mitgliedschaft in dem für die Rechtsprechung verantwortlichen Schöffenkollegium und dem für die Gesetzgebung zuständigen Rat in Magdeburg untersagt. Neben der Funktion als Gerichtshof für Magdeburg kam dem Schöffenstuhl auch hohe Bedeutung bei der Rechtsauslegung anderer Städte zu, die sich nach Magdeburgischem Recht konstituiert hatten. Das Magdeburgische Recht wurde in der Folge vielen neu gegründeten Städten in den Gebieten der »deutschen« (d.h. deutschrechdichen) Ostsiedlung vom jeweiligen Stadtherren verliehen. Es kam besonders in der Mark Brandenburg, vereinzelt in Pommern, Preußen, Thüringen, Sachsen, Schlesien, Böhmen, Mähren und der Lausitz zur Anwendung. Im Herrschaftsbereich der litauischen Großfürsten unterstanden außer Vilnius auch Kaunas, Trakai und Kiev Magdeburgischem Stadtrecht. Das Magdeburgische Recht galt insbesondere für die neu zuziehende städtische Bevölkerung, nicht jedoch für die alte städtische Stammbevölkerung, und auch nicht für Juden, die in der Regel nicht als Teil der ursprünglichen städtischen Bevölkerung angesehen wurden. Eine Ausnahme bildete Trakai, wo der jüdischen Bevölkerung das Magdeburgische Recht 1444 verliehen wurde, nachdem die christliche Bevölkerung bereits unter Magdeburgischen Recht stand. Als Oberhof behielt der Magdeburger Schöffenstuhl die Interpretationshoheit über das Recht der Tochterstädte und übte so in der Rechtsausbildung einen bedeutenden Einfluss aus. Der »Rechtszug nach Magdeburg« brachte jedoch meist kein Urteil, sondern nur eine Auskunft, die es den anfragenden Schöffen ermöglichen sollte, ihr Urteil zu finden, allerdings sahen einzelne Stadtverfassungen das Magdeburger Ergebnis als bindendes Urteil an. Während schon früh einzelne Herrscher versuchten, durch Installation eigener Oberhöfe die überterritoriale Bedeutung des Magdeburger Schöffenstuhls zu unterlaufen, war diesen Versuchen aber erst ein durchschlagender Erfolg beschieden, als sich Deutschland im Zuge der Reformation konfessionell aufspaltete und daher etwa katholisch gebliebene Gebiete vom Rechtzug nach Magdeburg abgeschnitten wurden. Das endgültige Aus für die Bedeutung Magdeburgs als Oberhof bedeutete die Vernichtung der umfangreichen Spruchsammlung des SchöfFenstuhls während des Dreißigjährigen Krieges 1631. In Polen-Litauen verlor das Magdeburgische Recht erst im Zuge der napoleonischen Besetzung und der damit verbundenen Reformen seine Gültigkeit, in Litauisch-Ruthenien gar erst mit dem Inkrafttreten der »Gesetzessammlung des Russländischen Kaiserreiches« in der linksufrigen Ukraine (1840). Neben dem Magdeburgischen existierten in Nordosteuropa auch andere Stadtrechte, die eine Wirkung über die eigentliche Stadt hinaus entfalteten. Dazu zählten das Lübische (Hansische), das Novgorodische, das Pskover, das
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schwedische und das dänische Stadtrecht. Sie alle spielten jedoch für die Städte des Großfurstentums Litauen keine Rolle. Weiterfahrende Literatur: Buchda, Gerhard: Magdeburger Recht, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (hg.v. Adalbert Erler u.a.), Bd. 3, Berlin 1984. Ebel, Friedrich: Magdeburger Recht, in: Lexikon des Mittelalters (hg.v. Norbert Angermann), Bd. 6, Suttgart-Weimar 1999. Lück, Heiner: Die Verbreitung des Sachsenspiegels und des Magdeburger Rechts in Osteuropa, in: Der sassen speyghel. Sachsenspiegel - Recht - Alltag (hg.v. Mamoun Fansa), Bd. 2, Oldenburg 1995, S. 37-49.
Bürgerrecht und Magistrat Nach den Bestimmungen des Vilniusser (Magdeburgischen) Stadtrechts stellten die Stadtbürger eine eigene Jurisdiktion innerhalb der Stadt dar, die im städtischen Magistrat (Rathaus) repräsentiert war. Als Bürger zählte, wer mindestens sechs Jahre in der Stadt ansässig war, einen Eid auf die Stadt und die Bürgerrechte und -pflichten abgelegt hatte, Grundeigentum in der Stadt besaß und vom Magistrat öffentlich als Bürger akzeptiert worden war. Stadtbürger galten als persönlich frei und besaßen das aktive und passive Wahlrecht fiir die Ämter und Gremien der Bürgerstadt. Gleichzeitig waren sie zu vielerlei Abgaben (Steuern u.a.) und bürgerlichen Diensten (Bauprojekten, Bürgerwachen, städtischen Milizen u.a.) verpflichtet. Das Bürgerrecht erwies sich als sehr attraktiv und zog auch Bauern aus dem städtischen Umland in die Stadt. Handelte es sich um entlaufene leibeigene Bauern, wurden sie allerdings meist an ihre rechtmäßigen adligen oder kirchlichen Herren ausgeliefert. Der städtische Magistrat geht in seinen Ursprüngen auf den Anfang des 15. Jahrhunderts zurück und wurde in dieser Zeit als » R a t der S t a d t « bezeichnet. Er repräsentierte die Bürgerstadt gegenüber anderen städtischen Jurisdiktionen, vor allem gegenüber dem Großfürsten, dem stadtresidenten Adel, der Kirche und den Klöstern, und vereinigte in sich die Funktionen einer bürgerstädtischen Rechts-, Gerichts- und Polizeibehörde. Er erließ Gesetze, wachte über die Unverletzbarkeit der Stadtprivilegien und die städtischen Korporationen (Gilden, Zünfte), sorgte fiir die Einziehung der städtischen Steuern, gewährleistete die Sicherheit und Wohlfahrt der Bürger, hielt die allgemeine öffentliche Ordnung aufrecht (z.B. durch Verbote von Alkoholmissbrauch oder Glücksspiel), kontrollierte mit Hilfe genormter Maßstäbe und der Ratswaage Maße und Gewichte für den Handel, organisierte Fährdienste über die Neris und die Vilnia, sorgte für Die Bürgerschaft
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die Armen, Kranken und Alten und hielt Gericht über Missetäter. Urteile wurden auf dem Rathausplatz öffentlich vollstreckt. Dabei konnten die Delinquenten an den Pranger gestellt, gehängt, enthauptet, verkrüppelt (z.B. durch Handabschlagen oder Knochenbrechen) oder ausgepeitscht werden. Auch Geldstrafen kamen vor. Den Vorsitz im Magistrat führte ein burmistras (poln. burmistrz, Bürgermeister), der unbehelligt durch den großfürstlichen Kastellan oder den Wojewoden von Vilnius agierte. Er kontrollierte die städtischen Exekutivorgane, berief Schöffen, die als Gerichtsassessoren die vom Rat behandelten Kriminalfälle der Stadtbürger und anderer städtischer Jurisdiktionen, aber auch einfachere Verbrechen behandelten; außerdem den sog. Lonar (Stadtkämmerer), der den Stadtkasten (städtische Kasse) sowie den Markt und den Handel kontrollierte, und einige kleinere Magistratsbeamte. Das Vilniusser Rathaus, in dem der Magistrat tagte, lässt sich erstmals für das Jahr 1432 nachweisen. Es handelte sich um ein Steingebäude im gotischen Stil, das in der Folgezeit mehrere Umbauten erlebte (zuletzt im neoklassizistischen Stil durch Laurynas Gucevicius, *1753, tl798, im Jahre 1799). Hier wurden geeichte Meßgeräte und Gewichte aufbewahrt. Das Rathaus besaß ein Monopol auf Hopfen sowie auf den Met-, Bier- und sonstigen Alkoholausschank in der Stadt. Auf dem Rathausplatz wurden wichtige Ereignisse des städtischen Lebens angekündigt, u.a. der Besuch hoher Gäste, Feste der stadtansässigen Adelsfamilien, aber auch neue Gesetze oder Hinrichtungen.
Kaufleute und Handwerker Über Einzelheiten des stadtbürgerlichen Lebens im mittelalterlichen Vilnius ist nicht allzu viel bekannt. Die Gediminas-Briefe, die durch Einwanderung von Kaufleuten und Handwerkern eine Antwort erhalten haben, geben hier ein wenig Aufschluss. Ansonsten ist man jedoch hauptsächlich auf archäologische Zeugnisse angewissen. Schriftliche Quellen existieren nur spärlich. Die Kaufleute: Archäologische Funde haben Hinweise zu Tage gefördert, dass bereits im Frühmittelalter ein reger Handel in der Stadt entstanden war. Darauf verweisen u.a. Münzen aus fremden Ländern und Städten. Um 1000 sollen hier viele »norwegische« (Paul Weber) - gemeint sind wohl wikingische - Händler tätig gewesen sein. Dafür gibt es aber kaum Beweise. Sicherer ist hingegen, dass im 11. und 12. Jahrhundert ein Fluss54
Das mittelalterliche Vilnius
hafen entstand, über den Kaufleute aus dem Westen z.B. Salz, Buntmetalle (vor allem Silber, Gold, Kupfer), Waffen und Kleidung verkauften. Aus dem Vilniusser Hinterland und weiter aus dem Osten kamen Pelze, Wachs, Honig, Hanf und andere Rohstoffe. Für das 14. Jahrhundert lassen sich (wie auch in Kaunas und Trakai) bereits Warenstapel, Handelshäuser und je eine Marktkirche deutscher und russischer Kaufleute nachweisen. Die aus dem Westen kommenden Kaufleute, die sog. »Gäste«, besaßen in der in den 1320er Jahren eingeweihten Nikolaikirche - der heilige Nikolaus ist der Patron der seefahrenden Kaufleute - ihr religiöses Zentrum. Die Kirchen waren jedoch nicht nur Stätten der religiösen Erbauung, sondern für die Kaufleute zugleich Warenlager, Tresor und Zufluchtsort vor Gefahren aller Art. Für das 14. Jahrhundert erhält man schon ein etwas genaueres Bild vom städtischen Handel. Vilnius lag nun nachweislich am Kreuzungspunkt mehrerer Handels- und Heeresstraßen zwischen Trakai, Medininkai, Rüdninkai und Polock, und der Fernhandelsroute von der Ostsee zum Schwarzen Meer. 1390 erhob der Deutsche Orden die beiden Marktorte Ragnit und Memel in Preußen zu Handelszentren zwischen Zemaitija und den preußischen Ordensgebieten. Eine Folge des dadurch in Gang gesetzten merkantilen Aufschwungs war die Gründung der Stadt Kaunas durch Vytautas im Jahre 1408. Kaunas wiederum, das am Zusammenfluss von Neris und Memel lag, war ein wichtiger Handelsknotenpunkt für die Bürger von Vilnius, die über die Neris ihre Handels- und Handwerksprodukte in Kaunas absetzen konnten. In Kaunas entstand im frühen 15. Jahrhundert zudem ein Hansekontor, das bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts als Zentrale des Hansehandels in Litauen fungierte. Auf diese Weise wurde also Vilnius indirekt auch in das Handelsnetz der Hanse mit einbezogen. Unproblematisch waren die Handelsbeziehungen jedoch nicht. Litauen besaß seit 1422 bei Palanga (dt. Polangen) nur einem kleinen Streifen Land an der Ostsee. Ein Hafen fehlte, und auch spätere Versuche, die Mündung der kleinen Kurländischen Aa zum Hafen auszubauen, scheiterten kläglich. Der litauische Handel war also vollständig vom guten Willen des Deutschen Ordens abhängig. Verhandlungen Litauens mit dem Orden (1528/29), die 1529 angesichts einer prekären außenpolitischen Situation Litauens in einen neuen Vertrag mit dem Orden mündeten, der auch Bestimmungen über den wechselseitigen Handel enthielt, änderten daran nichts. Andererseits wurden mit dem Vertrag von 1529 die Bestimmungen von 1422 bestätigt, die einen freien Handel zwischen dem Deutschen Orden und Litauen garantierten. Zölle für litauische Kaufleute bestanden im Mittelalter nur in Die Bürgerschaft
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Königsberg, Pillau, Memel und Labiau. Erst 1775 erlaubte ein neuer Handelsvertrag zwischen Polen-Litauen und Preußen Grenzölle. Den Vilniusser Kaufleuten gewährte das Stadtrecht im ganzen Herrschaftsgebiet des Großfurstentums und ab 1569 auch in Polen Handelsund Zollfreiheit. Seit Großfürst Aleksandras mussten sie weder Straßen-, Brücken- und Furtensteuem noch Abgaben fiir die Schiffahrt auf der Neris von Vilnius nach Kaunas und zurück, noch Zölle in anderen Städten entrichten. Ausländische Kaufleute waren verpflichtet, ihre Waren zuerst in Vilnius anzubieten, bevor sie weiterzogen (Stapelrecht), genossen aber das Recht, in Vilnius Häuser zu bauen und waren fiir den Markthandel in Vilnius von allen Abgaben befreit. 1503 entstand aufgrund der großen Zahl fremder Kaufleute in Vilnius ein besonderes Haus fiir die » G ä s t e « an dem Platz, auf dem heute die litauische Philharmonie steht. Dort gab es Unterkünfte, Stapelraum fiir Handelswaren, außerdem Ställe fiir Pferde, Wagen und Schlitten. Der Handel in der Stadt unterlag sehr strikten Regelungen. Der wichtigste Markt befand sich auf dem Rathausplatz (lit. Rotuses aikste), der zusammen mit dem Rathaus zu Beginn des 15. Jahrhunderts entstand. Damals war der Platz von kleinen Geschäften ( » B u d e n « ) eingerahmt, die das Rathaus an Kleinhändler verpachtete und sich so seinen Anteil am Geschäftsgewinn der Krämer sicherte. Diese kleinen Geschäfte konnten nicht einfach verkauft, verschenkt oder sonst irgendwie frei transferriert werden. Backsteingebäude mit Geschäften und Buden erstreckten sich in zwei Reihen vom Rathaus bis in die Große Gasse (Didzioji gatve) hinein. Gehandelt wurden hauptsächlich Salz, Eisen- und Fleischprodukte. Der Handel auf dem Rathausplatz war auch in anderer Hinsicht restringiert. Jüdischen Metzgern beispielsweise war es nicht erlaubt, Geschäfte am Marktplatz oder in der Deutschen Gasse (lit. Vokieciij gatve) zu unterhalten. Es war auch verboten, Waren auf den Straßen aufzukaufen und sie später in der Stadt zu einem höheren Preis anzubieten. Diese Maßnahme zielte darauf ab, eine Inflation der Handelspreise in Krisenzeiten zu vermeiden. Übertretungen wurden mit Geldstrafen, Auspeitschen, Einkerkerung und Warenkonfiskation geahndet. Konfiszierte Ware ging in der Regel an Flüchtlinge und an die Hospitäler. Neben dem Warenhandel war der Marktplatz auch Schauplatz einer anderen Art von Geschäften: Bärenbändiger, durchreisende Akrobaten, Theatertruppen und Mysterienspiele gehörten zum üblichen Erscheinungsbild des Rathausmarktes und brachten den Akteuren wohl auch einige Kapos (litauische Währung bis ins 14. Jahrhundert) und Dinare ein. 56
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Der Handel fand aber nicht nur auf dem Markt statt. Viele Geschäfte befanden sich entlang der wichtigsten Geschäftsstraßen des mittelalterlichen Vilnius. Dazu zählten die Große Gasse, die Burggasse und die Deutsche Gasse. Auch das Handwerk blühte seit dem 14. Jahrhundert. Aus dieser Zeit belegte Straßennamen wie Fleischer-, Mühlen-, Kutscher-, Glaser- oder Gerbergasse deuten darauf hin, dass es entsprechende Handwerke in der Stadt gegeben hat. Zunftprivilegien, die auf eine korporative Organisation der Handwerke verweisen, sind jedoch erst aus dem 15. Jahrhundert bekannt. Als erste Zunft ist die der Goldschmiede belegt. Ihre Privilegien wurden Ende des 15. Jahrhunderts von Großfürst Aleksandras ausgestellt. Das Zunfthaus befand sich in der heutigen Gaono gatve Nr. 6; auch in anderen Häusern ließen sich Goldschmiede nieder, so. z.B. im Haus Pilies gatve Nr. 12, das aus ursprünglich zwei gotischen, vor 1514 erbauten Häusern bestand. Bekannt ist auch, dass das Privileg der Wachsverarbeitung vom Großfürsten an die Stadt, d.h. an einzelne Handwerker, abgetreten wurde. Wachs war wegen seiner zentralen Bedeutung für die Beleuchtung (Kerzen), aber auch wegen seiner abdichtenden Eigenschaften im Mittelalter ein wichtiger Handelartikel. Nicht nur innerhalb der Stadtmauern wurde Handwerk betrieben. Auch in den Vorstädten Uzupis (»Hinter dem Fluss«) und Lukiskes (um den heutigen Lukiskiij-aikste/Lukiskiij-Platz am Neris-Bogen), die wahrscheinlich schon seit dem 14. Jahrhundert existierten, aber erst seit dem 15. Jahrhundert belegt sind, sowie Rasos und Antalkalnis (wahrschein-lich seit dem 15. Jahrhundert) existierten zahlreiche Werkstätten, allerdings wohl ohne Zunftprivilegien.
Ethnische und religiöse Gruppen Neben der Gliederung der Stadtbevölkerung in Berufsgruppen und ihre ständischen Organisationen, die in den großen Handelsstädten im Ostseeraum und in Mittel- und Westeuropa ein Hauptkriterium städtischer sozialer Strukturierung waren, existierten in Vilnius zusätzlich ethnische und religiöse Statusgruppen. Kirchen, Friedhöfe und Schulen für die verschiedenen ethnisch-religiösen Gemeinschaften in verschiedenen Teilen der Stadt stellten spezifische Sozialräume dar, auf die im Folgenden eingegangen werden soll. Anfangs war Vilnius von einer lokalen litauischen Bevölkerung besiedelt, die in der sog. »Großen Stadt«, also in der eigentlichen Bürgerstadt, Die Bürgerschaft
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wohnte. Aber in der seit dem 14. Jahrhundert rasch wachsenden Stadt und ermuntert durch die Gediminas-Briefe von 1323 ließen sich schon bald Personen nichtlitauischer Herkunft nieder, insbesondere aus dem Heiligen Römischen Reich (»Deutsche«), dem Königreich Polen ( » P o l e n « ) und aus Litauisch-Ruthenien, also denjenigen Gebieten der Rus', die im 14. Jahrhundert unter litauische Herrschaft gelangten. Seit dem frühen 15. Jahrhundert kamen Juden, Karaiten und Tataren hinzu.
Deutsche-, Deutsche siedelten in Vilnius bereits vor den GediminasBriefen. Die erste größere Einwanderungswelle von Deutschen ist jedoch auf die Gediminas-Briefe zurückzufuhren, wobei die meisten deutschen Einwanderer des 14. Jahrhunderts aus Riga stammten. In späteren Jahrhunderten kamen deutsche Einwanderer auch aus anderen Städten Litauens, Polens und aus dem Heiligen Römischen Reich. In Vilnius besaßen die Deutschen ein eigenes Viertel, das sich seit dem 14. Jahrhundert um die von deutschen Kaufleuten 1320 erbaute Nikolaikirche (Sv. Mikalojaus Baznycia) und die Deutsche Gasse herum entwickelte. Über sie ist jedoch kaum etwas bekannt. Etwas besser weiß man für das 15. Jahrhundert Bescheid, als Deutsche erstmals in den Mitgliederverzeichnissen der in dieser Zeit aufkommenden Vilniusser Zünfte auftauchen, wo sie zusammen mit Polen und Litauern eine überethnische Rechts- und Berufsgemeinschaft bildeten. Ihre Hauptkirche war in dieser Zeit die Annenkirche. Es ist außerdem davon auszugehen, dass sie weitere Kirchen in der Stadt besaßen oder zusammen mit anderen, nichtdeutschen Katholiken nutzten. Mittelalterliche Gebäude in der Deutschen Gasse sind jedoch nicht erhalten. Die ältesten Bauten stammen alle aus dem 16. Jahrhundert.
Polen: Trotz ihres bedeutenden Anteils an der ethnischen Geschichte der Stadt ist das Thema Polen in Vilnius für das Mittelalter erstaunlich schlecht erforscht. Dies hängt wohl einerseits mit der polnischen Nationalgeschichtsschreibung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zusammen, die Vilnius pauschal als polnische Stadt reklamierte und deshalb auf Nachweise und Darstellungen einer polnischen Bevölkerungsgruppe im mittelalterlichen Vilnius verzichten zu können glaubte; ein anderer Hauptgrund ist aber auch, dass es gar nicht so einfach ist, » P o l e n « und »Litauer« im Mittelalter auseinander zu halten. Besonders im Spätmittelalter ging die litauische städtische Oberschicht - Adel wie Kaufleute und reiche Handwerker dazu über, Polnisch zu sprechen und sich einen polnischen Habitus zuzulegen. Katholisch waren beide Gruppen ohnehin. Etwas leichter ist es für die frühe Geschichte der Stadt. Wie die Deutschen, so haben auch Polen schon seit dem 14. Jahrhundert in Vilnius gelebt. Sie kamen nach 1386 58
Das mittelalterliche Vilnius
zum größten Teil aus den polnischen Kronländern; einige stammten jedoch auch aus Podiasien, einer Region, die zum Großfiirstentum gehörte, aber einen starken Anteil polnischsprachiger, katholischer Bevölkerung hatte. Die Vilniusser Polen sind wie schon erwähnt als Geistliche und Hofbedienstete tätig gewesen. Soweit sie jedoch im Vilniusser Stadtbürgertum vorkamen, lassen sie sich vor allem im Handwerk nachweisen, wo sie zusammen mit Deutschen und Juden Zünfte bildeten, in denen sie zahlreich vertreten waren. Polnische Kaufleute in Vilnius sind hingegen kaum dokumentierbar. » G ä s t e « , beispielsweise aus Krakau, gehörten allerdings zum Vilniusser Alltag. Als Hauptkirchen der polnischen Bevölkerung von Vilnius dienten die Hauptkirchen des Bistums Vilnius, das ja Teil des polnisches Erzbistums von Gniezno war und wenigstens in der Anfangsphase des Bistums zahlreiche polnische Geistliche in seinen Reihen beschäftigte. Ruthenen: Im mittelalterlichen Vilnius machten die Ruthenen höchstwahrscheinlich einen ebenso großen Anteil an der Bevölkerung aus wie die Litauer. Sie waren außer der Gediminas-Familie wohl die ersten (orthodoxen) Christen in Vilnius. Da Christentum und Buchgelehrsamkeit im Mittelalter meist synonym waren, waren sie auch die ersten, die sich der Schriftlichkeit bedienten und diese in den Dienst der Großfürsten stellen. Bevor ab dem 16. Jahrhundert das Polnische als Kanzleisprache zu dominieren begann, diente eine ruthenische („weißrussische") Variante des Altkirchenslavischen als Schriftsprache der großfürstlichen Verwaltung in Vilnius. Zudem entstand im Mittelalter eine ruthenischsprachige Chronistik, die als einzige des gesamten Großfurstentums erhebliche Bedeutung für die moderne Historiographie erlangt hat. Die Ruthenen bewohnten das sog. »Russische Ende" der Stadt. Dort entstanden auch die meisten Kirchen, die neben den Ruthenen auch anderen orthodoxen Gläubigen als geistliche Zentren dienten.
Ruthenien und die Ruthenen Ruthenien ist der vom Lateinischen abgeleitete Name für die Rus\ Im Lateinischen wird Russland als Russia, aber auch als Ruthenia bezeichnet. Gleichzeitig erscheint das Fürstentum Galizien-Wolhynien in mittelalterlichen Quellen als Russia. Er bezeichnet ein Gebiet, das heute überwiegend zu Weißrussland und zur Ukraine, zu einem kleineren Teil auch zu Polen gehört und mit dem historischen Galizien weitgehend identisch ist. Vom Landschaftsnamen abgeleitet ist die Bevölkerungsbezeichnung Ruthenen (früher auch: Reußen). Für die Zeit des Polnisch-Litauischen Reiches gab es bereits zwei verschiedene Begriffe von Ruthenien bzw. Ruthenen: im engeren Sinne das Fürstentum, später die WojewodDie Bürgerschaft
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schaft Ruthenien um die Stadt Lwöw (russ. L'vov, ukr. L'viiv). Im weiteren Sinne verstand man unter Ruthenen die gesamte ostslavische Bevölkerung des Reiches (mit meist orthodoxem Glauben), so etwa bei der Krönung des Fürsten Danylo von Galizien-Wolhynien zum rex russiae im Jahre 1253. Ruthenien wird erstmals 981 erwähnt, als der Kiever Großfürst Vladimir I. das Gebiet seinem Herrschaftsterritorium als Fürstentum einverleibte. 1018 fiel es an die polnische Krone, nach 1031 wiederum an den Kiever Großfürsten zurück. Mitte des 11. Jahrhunderts wurde es vom Kiewer Reich getrennt, und 1199 unter Fürst Roman Mstislavic (1150-1205) mit dem Fürstentum Volodymyr zum Fürstentum Halyc-Volodymyr vereinigt. Nach dem Zusammenbruch des Kiever Reiches unter den Wirkungen des Mongoleneinfalls entstand nach 1240 das ruthenische Fürstentum Galizien-Wolhynien, das von den Mongolen abhängig war. 1340 eroberte der polnische König Kazimierz III. (1333-1370, *1310, t l 3 7 0 ) das Fürstentum. 1340 wurde daraus als »Wojewodschaft Ruthenien" (lat. Palatinatus
russiae, pl. Wojewidztwo ruskie) ein Bestandteil des Kö-
nigreiches Polen, der bis zur ersten Teilung Polen-Litauens (1772) unter der Herrschaft der polnischen Krone blieb. Hinsichtlich der kirchlichen Organisation bildeten die orthodoxen Ruthenen im Rahmen der sog. ruthenischen Metropolie, des griechisch-orthodoxen Erzbistums eine Entität, die nicht dem Moskauer Patriarchat (gegr. 1590), sondern dem Patriarchat von Konstantinopel unterstand, das einen durchaus eigenen Standpunkt gegenüber Moskau vertrat. Mit der katholisch-orthoxen Kirchenunion von Brest (1596), die die Orthodoxen des polnisch-litauischen Reiches der römischen Kirche unterstellte, kam eine weitere Abkoppelung von Moskau und den anderen Ostslaven hinzu. Wann die Sprache der Bevölkerung Rutheniens sich von derjenigen der übrigen Ostslaven trennte, ist schwer zu sagen. Klar ist wohl, dass sie sich vom Moskauer Idiom schon im Mittelalter unterschied. Dies hatte mit der Kirche zu tun. Viele litauische Begriffe, besonders in der Gegend von Vilnius und besonders aus dem kirchlichen Bereich, sind in das Ruthenische eingegangen (und umgekehrt). Das Weißrussische bildet zusammen mit dem Russischen und dem Ukrainischen eine der drei ostslawischen Sprachen, die sich im Mittelalter aus dem Altostslawischen entwickelt haben. Im 14. Jahrhundert kam am H o f des litauischen Großfürsten in Vilnius eine eigene auf dem Weißrussischen basierende Kanzleisprache auf, die von der Moskauer Kanzleisprache leicht abwich. Mit der Ausdehnung des Großfurstentums Litauen auf den Westen der ehemaligen Kiever Rus nahm sie auch ukrainische Elemente in sich auf. Seit der litauischpolnischen Union von Lublin (1569) geriet sie unter den Einfluss des Polnischen und verlor gleichzeitig massiv an Bedeutung für die Staatsämter. Bis 1696 galt sie jedoch offiziell immer noch als Amtssprache. Nach der dritten Teilung Polen-Litauens (1795) kam sie ganz außer Gebrauch. Zwar entstanden schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die ersten literarischen Werke in einer
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Das mittelalterliche Vilnius
neuen weißrussischen Schriftsprache, die sich auf die nordöstlichen Dialekte des Weißrussischen stützte, doch erst nach der Revolution von 1905 konnten legal Bücher und Zeitungen gedruckt werden. Von 1903 bis 1911 erschien in Warschau Jauchim Karskis Werk Belorussy. Jazyk belorusskowo naroda (Das Weißrussische. Die Sprache des weißrussischen Volkes), in dem die Schriftsprache kodifiziert und die Weißrussen als »Volk" proklamiert wurden. In den 1930er Jahren geriet das Weißrussische immer mehr unter den Druck russischer bzw. polnischer Sprachdominanz. Als » V o l k « oder gar »Nation« begriffen sich die Ruthenen, die unter russischer Herrschaft dann als »Weißrussen« und »Kleinrussen« bezeichnet und damit begrifflich dem Russentum einverleibt wurden, erst sehr spät. Selbst heute identifizieren sich noch manche Ruthenen/Weißrussen/Ukrainer einfach als »Hiesige«/»Leute von hier« ( tutejszy). Weiterführende Literatur: Litauen und Ruthenien. Lithuania and Ruthenia. Studien zu einer transkulturellen Kommunikationsregion (15.-18. Jahrhundert). S tu dies of a transcultural communication zone (15 t h -18 t h centuries) (hg.v. Stefan Rohdewald, David Frick, Stefan Wiederkehr), Wiesbaden 2007 ( = Forschungen zur osteuropäischen Geschichte 71). Petrov, Aleksej L.: Medieval Carpathian Rus\ The oldest documentation about the Carpatho-Rusyn Church and Epatchy, 1391-1498, New York 1998. Drevnosti Litvy Belorussii, Vilnius 1988. Handbuch der Geschichte Weißrußlands (hg.v. Dietrich Beyrau, Rainer Lindner), Göttingen 2001. Geschichte det Ukraine (hg v. Frank Golczewski), Göttingen 1993. Panzer, Baidur: Die slavischen Sprachen in Gegenwart und Geschichte. Sprachstrukturen und Verwandtschaft, Frankfurt am Main-New York 2 1996 ( = Heidelberger Publikationen zur Slavistik. A. Linguistische Reihe 3). Die Literatur der Slawen (hg.v. Frank Wollman, Frank/Reinhard Ibler), Frankfurt/M.-Wien etc. 2003 ( = Vergleichende Studien zu den slavischen Sprachen und Literaturen 7). Plochij, Serhij M.: The origins of the Slavic nations. Premodern identities in Russia, Ukraine, and Belarus, New York etc. 2006.
Juden: Juden wurden im Hoch- und Spätmittelalter beginnend mit dem Ersten Kreuzzug (1096) aus dem Heiligen Römischen Reich und von der Iberischen Halbinsel (1492, 1497) vertrieben oder flohen vor Pogromen. Vytautas hatte 1388 Privilegien für jüdische Einwanderer in Trakai und Brest und 1399 für solche in Grodno nach dem Vorbild der Privilegien für Juden im Königreich Polen gewährt. Sie sind in Abschriften erhalten. Für Vilnius fehlen solche Dokumente allerdings. Gemäß der jüdischen mündlichen Uberliederung war es Gediminas, der im Umfeld der Erhebung von Vilnius zur neuen Residenz seines Reiches - möglicherweise auch in seinen Briefen von 1323 - Juden einlud, sich in Vilnius (altjidd. Vilno, jidd. Vilne, hebr. Vilna) niederzulassen. Dies war der Beginn einer bis heute fast 700jährigen Geschichte des Vilniusser Judentums. Die Vertreibung der litauischen Juden von 1495 unter Aleksandras blieb Episode. Bereits kurze Zeit Die Bürgerschaft
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später rief sie der Großfürst, der unter Geldmangel litt und gleichzeitig einen Feldzug zu organisieren hatte, wieder zurück. Die jüdische Bevölkerung war von der Geltung des Magdeburger Stadtrechts in Vilnius ausgenommen. Man schätzt, dass Juden bereits kurz nach ihrer Einwanderung bis zur Hälfte der Bevölkerung der Stadt, zu manchen Zeiten sogar mehr, ausmachten. Vilnius wurde so schon im Mittelalter zum wichtigsten jüdischen Zentrum Osteuropas, zu einem »Jeruscholajim de Lite«, einem litauischen Jerusalem - allerdings vorerst mehr, was die Bevölkerungsmenge, nicht so sehr, was die geistige Ausstrahlung anging. Diese kam erst im 17. und 18. Jahrhundert voll zum Tragen. Im 15. Jahrhundert entwickelte sich um die »Jidische Gas" (lit. Zydij gatve) herum das Vilniusser Judenviertel, das sich von westlich der Großen Gasse bis zur Dominikaner- (lit. Dominikonij gatve) und Deutschen Gasse (jidd. Dajtsche Gas) erstreckte und später über die Deutsche Gasse hinaus in Richtung Wallgasse (lit. Pylimo gatve) hinausragte. Diese bis ins 20. Jahrhundert im Wesentlichen unveränderte Ausdehnung erreichte das jüdische Viertel allerdings erst im 16. und 17. Jahrhundert. Die Nähe zum Deutschenviertel hat wohl damit zu tun, dass beide Gruppen, Juden und Deutsche, einen gemeinsamen sprachlichen Hintergrund (Jiddisch, Mittelhochdeutsch, Mittelniederdeutsch) und vielleicht gemeinsame Handelsverbindungen ins Heilige Römische Reich hatten. Das Zentrum jüdischer Institutionen und der jüdischen Einwohner von Vilnius war der Vilner schul-hejf (Der Schulhof/Die Synagoge von Vilnius), dessen älteste Struktur das um 1440 errichtete »Kleine Alte Gebetshaus« (jidd. Klojz joschn) war. Um den Schul-hejf herum entstanden kleine Läden, Handwerkerbuden und Bibliotheken. Seit dem 15. Jahrhundert ist auch ein jüdischer Friedhof in der Vorstadt Snipiskes (gegenüber der Gediminas-Burg auf der anderen Seite der Neris) belegt, ungefähr an dem Ort, wo der heutige Sport- und Konzertpalast liegt. Karaiten: Die Karaiten, eine jüdische Sondergruppierung, die aus den ukrainischen Gebieten (vor allem von der Krim) stammte, kamen unter Vytautas nach Vilnius. Im Zuge der Politik Vytautas' gegenüber Moskau und den Tataren paktierte der Großfürst in den 1390er Jahren mit dem Führer der Goldenen Horde, Tochtamys, gegen den Herrscher Mittel- und Ostasiens, Tamerlan (Timur). Auf diese Weise kam es 1397 und 1398 zu Kämpfen gegen die Tataren, die Vytautas Siege und zahlreiche Kriegsgefangene einbrachten, zu denen auch Angehörige der karaitischen Glaubensgemeinschaft gehörten. Da die Kämpfe in drei verschiedenen Gegenden 62
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stattfanden - die erste (1397) im Gebiet der Horde von Azov, die zweite und dritte (1398) in der Nähe von Kaffa (heute Feodosia) und Solchat (heute Staryj Krym) - ist nicht genau zu klären, woher die mehrere hundert Familien umfassenden karaitischen Gefangenen stammten. Vytautas stellte sie jedenfalls als Leibgarde und auf anderen Ehrenposten an - zunächst in Trakai, in Vytautas' damaliger Residenz, und in den litauischen Grenzregionen um die Orte Birzai, Pasvalys, Pusalotas, Naujamiestis und Panevezys. In der Volksüberlieferung und den Gottesdiensten der Karaiten lebt Vytautas bis heute als fast mythischer Herrscher, als »König, der seine Feinde zerschlägt«, fort. Von ihm erhielten sie Privilegien, die von seinen Nachfolgern bestätigt wurden. Das älteste erhaltene Dokument dieser Art, ausgestellt von Großfürst Kazimieras im Jahre 1441, war nach dem Modell des Magdeburger Stadtrechts abgefasst und gewährte weitgehende Autonomierechte für die Verwaltung und das religiöse und kulturelle Leben der Karaiten, darunter die Zusicherung, dass die Karaiten ihre (Turk-)Sprache ungehindert benutzen durften und ihre Religion von niemand verfolgt werden sollte. Der für das europäische mittelalterliche Lehnswesen typische Vertrag auf Gegenseitigkeit, der hier durch die Privilegienvergabe geschlossen worden war, zahlte sich fiir beide Seiten aus. Die Karaiten standen in Vilnius unter der direkten Aufsicht des Wojewoden von Vilnius, der seinerseits dem Großfürsten verantwortlich war. Dies hatte fiir die Karaiten nicht nur Nachteile. Die direkte Verbindung zum großfürstlichen Hof führte in der Folgezeit dazu, dass viele Karaiten dem Großfürsten als Leibwächter, Ärzte oder Ubersetzer dienten. Diese herausragende Position machte sich auch in der Präsenz der Gotteshäuser in der Stadt bemerkbar. Besaßen die Karaiten zunächst nur ein Bethaus in der Stadt, so hatten sie bereits in der Zeit Kazimieras quantitativ und politisch so sehr an Gewicht gewonnen, dass der jüdische Haupttempel von Vilnius in ihrem Besitz war.
Karaiten (auch: Karäer, Karaim, Karaimen, Qaraiten, lit. karaimai). Die jüdische Glaubensgemeinschaft der Karaiten stammt ursprünglich aus Mesopotamien. Von dort aus verbreitete sie sich nach Ägypten und Syrien, später über Spanien und Konstantinopel auch in Europa. Ursprünglich lautete der Name der Karaiten Ananiten, nach Anan ben David, dem ersten Schriftgelehrten der Karaiten, der eine Lebensanweisung verfasste, die unabhängig vom Talmud war. Während des 9. oder 10. Jahrhunderts setzte sich der Name Karaiten durch, um deren persönliche Bibellektüre zu betonen. Sie akzeptierten die Schriften des Alten Testaments und die Zehn Gebote, also die Tora, jedoch im Unterschied zu den rabDie Bürgerschaft
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binischen Juden nicht den Talmud als Heilige Schriften und lehnten die mündliche Tradition als Quelle des göttlichen Gesetzes ab. Deshalb nennen sie sich auch »Menschen des einen Buches«. Christus und Mohammed erkennen sie als Propheten an. Die heiligen Schriften versteht der Karaismus als selbsterklärend. Persönliche Erklärungen lehnt er ab. Die litauischen Karaiten stammen nach einer historiographischen Theorie von den Chazaren, einem sonst fast unbekannten Chanat jüdischen Glaubens an der unteren Wolga, ab. Vielleicht handelte es sich aber auch schon damals um eine Gruppe suigeneris. Einige hundert Karaiten wurden von Großfürst Vytautas 1397-1398 nach einem Feldzug vom Schwarzen Meer mitgebracht und als Leibgarde des Großfürsten beschäftigt. Im 17. Jahrhundert lebten rund 5.000 Karaiten im Großfiirstentum Litauen. Danach sank ihre Zahl durch Assimilation stetig. Das Zentrum karaitischer Siedlung in Litauen war (und ist bis heute) Trakai. Aber auch in Vilnius gab es eine kleine Gemeinde mit einer kinese (Gebetshaus). Bis ins 19. Jahrhundert benutzten die Karaiten die hebräische Schrift, später gingen sie zur lateinischen Schreibweise über. Karaiten existieren bis heute in Litauen. Sie werden auf ca. 200 Mitglieder geschätzt. Weiterfahrende Literatur. Szyszman, A.: Osadnictwo karaimskie na ziemiach Wielkiego Ksiestwa Litewskiego [Karaitische Siedlung auf dem Territorium des Großfiirscentums Litauen], Wilno 1936.
Tataren-. Nach dem Bericht des polnischen Historikers Jan Dlugosz siedelten auch sunnitische Muslime (»Tataren«) bereits während des Mittelalters in Vilnius. Ursprünglich handelte es sich um Kriegsgefangene aus den Gebieten der sich auflösenden Goldenen Horde, den Chanaten der Krim, Kazan' und Astrachan, denen Vytautas spezielle Rechte (Privilegien) verlieh. Vom 14. bis 17. Jahrhundert wanderten weitere Tataren nach Litauen und Vilnius ein. Vilnius war somit nicht der einzige Ort, wo Tataren eingesetzt wurden. Vielmehr siedelten die litauischen Großfürsten Tataren in allen befestigten Städten des Großfurstentums, besonders in Trakai, Kaunas, Lida, Kreva, Novogrodek und Grodno sowie im zemaitischen Grenzgebiet gegen den Deutschen Orden an. Für das Ende des 16. Jahrhunderts schätzt man ihre Zahl auf 100.000 bis 200.000 Personen und die Zahl der Moscheen auf rund 400. Vilnius bildete dabei keineswegs das tatarische Zentrum Litauens. Dennoch war die Stadt wegen der großfürstlichen Residenz für die tatarischen Spezialtruppen von Bedeutung. In Vilnius hatte Vytautas den Tataren Wohngebiete in der Vorstadt Lukiskes, der seither sog. »Tartaria«, geschenkt. Das Verhältnis zwischen Tataren und Großfürsten war seither 64
Das mittelalterliche Vilnius
von gegenseitiger Hochachtung geprägt. Die Tataren nannten Vytautas verballhornt Vattad, gleichbedeutend mit »Verteidiger des Islam in nichtmuslimischer Umgebung". Die Vilniusser Tataren hatten ihr geistliches und geistiges Zentrum in einer aus Holz errichteten Moschee in der Moscheegasse (Mecetes gatve) und verfugten zudem über einen eigenen Friedhof, auf dessen Grabstelen der Halbmond prankte. Während seiner 600jährigen Geschichte in Vilnius und Litauen übernahm der TatarenIslam viele christliche Elemente. Zu diesem Assimilationsprozess gehörte auch der Sprachwechsel. Die stadtbürgerlichen Tataren gingen genau wie die Mitglieder des niederen Tatarenadels irgendwann nach ihrer Einwanderung dazu über, ihre eigene (Turk-)Sprache abzulegen und Ruthenisch zu sprechen. Geschrieben wurde das Ruthenische jedoch mit arabischen Buchstaben. Der tatarische Hochadel hingegen bediente sich seit dem 16. Jahrhundert wie seine litauischen und ruthenischen Standeskollegen überwiegend des Polnischen. Von den Krim-Tataren und den Osmanen wurden die litauischen Tataren Lipka Tatarlar - litauische Tataren - genannt. Lipka war eine Verballhornung von Litwa (Litauen) und ging so in die litauischen und polnischen Quellen über die Tataren in Litauen ein. Spätestens nach den Osmanenkriegen von 1672 und 1678 war der Name Tatar-Lipka ein fester Bestandteil der polnischen diplomatischen Sprache. Spätmittelalterliche Stadtbilder von Vilnius
Über die frühe Bauphase und das frühe Stadtbild von Vilnius ist kaum etwas bekannt. Zu den ältesten Zeugnissen dieser Epoche gehören zahlreiche Gebäude, meist Kirchen, im gotischen Stil. Sie sind teilweise bis heute erhalten, teilweise wurden sie überbaut, und sind nur in Resten zu besichtigen. Das gotische Vilnius dokumentiert sich am deutlichsten und künsderisch beeindruckendsten im sog. »gotischen Winkel«: mit Michaelkirche, Bernhardiner-Kirche und St. Annenkirche. Aber auch andere Kirchen wie die Nikolaikirche, die HeiliggeistKirche, die Johanneskirche und einige gotische Bürgerhäuser zeugen von der Gotizität des mittelalterlichen Vilnius. Man darf sich aber von diesen Glanzstücken mittelalterlicher Architektur in Vilnius nicht täuschen lassen. Der größte Teil der Stadt bestand aus weitaus bescheideneren Holzgebäuden. Die ersten schriftlichen Nachrichten über das Erscheinungsbild der Stadt stammen vom Ende des 14. Jahrhunderts. Aus einem Bericht des Earl of Derby, Henry Bolingbroke (*1367, tl413), dem späteren König von England, Henry IV. (1399-1413). Bolingbroke, der am Sturm der vereinigten Heere des Deutschen Ordens und Vytautas' auf Vilnius im Jahre 1390 beteiligt war, berichtet, dass die Stadt ganz aus Holz gebaut gewesen sei Die Bürgerschaft
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und keine Stadtmauern besessen habe. Das einzige steinerne Gebäude war die großfürstliche Burg. Die nächste Beschreibung der, bereits autonomen (souveraine), Stadt stammt von dem flämischen Reisenden Ghillebert de Lannoy (*1386, t l 4 6 2 ) aus dem Jahre 1414. Er erwähnt die Obere Burg, den hölzernen Vytautas-Palast in ihrem Inneren, die aus Steinen und Erde bestehende Burgbefestigung und auch die Funktion der Burg als Hof des Großfürsten. Die langgestreckte, unummauerte Stadt reichte von einem Hügel bis zum Burgberg, war mit Häusern rar bestückt (mal amaisonnée) und aus Holz. Auch bemerkte de Lannoy, dass es in der Stadt keine Backsteinkirchen gab, wie er sie aus Preußen und Livland kannte. Eine lebendige Schilderung des spätmittelalterlichen Stadtbildes von Vilnius und der Wohnbedingungen liefen Sebastian Münster (*1488, t l 5 5 2 ) in seiner »Cosmographia« aus dem Jahre 1544: »Die Hauptstatt in Littaw ist Vilna/da ist auch ein Bisthumb/unnd ist diese Statt so groß als Crackaw mit allen Vorstädten. Doch steht nit ein Hauß am andern/sondern sie haben Gärten und Hof dazwischen wie auf den Dörffern (...) Die gemeinen Häuser haben kein Camin/daher die Leut wegen des stäten Raüchs/ire Augen verderben/und werden nicht bald an einem Ort so viele blinde gesehen als zu Vilna« Weiterfahrende Literatur: Henry Earl of Derby: Expeditions to Prussia and the Holy Land in the years 1390-1 and 1392-3. Being the accounts kept by his treasurer during 2 years (hg.v. Lucy Toulmin Smith) (1894). Reprint New York 1965 (= The Royal Historical Society. Publications, N.S. 52). Lannoy, Ghillebert de: Oeuvres de Ghillebert de Lannoy, voyageur, diplomate et moraliste (Kg. v. Ch. Potvin, avec des notes géographiques et une carte par J.-C. Houzeau), Louvain 1878. Lannoy, Ghillebert de: Guillebert de Lannoy et ses voyages en 1 4 1 3 , 1 4 1 4 et 1421 (commentés en français et en polonais par Joachim Lelewel), Bruxelles 1844. Münster, Sebastian: Cosmographia, Basel 1552, liber IIII: De Polonia. Lithuania, S. 906.
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Das mittelalterliche Vilnius
Russland und Preußen verteilte und den Rumpfstaat zu einem Satelliten des Russländischen Kaiserreiches machte. Russland erhielt u.a. Gebiete im Osten des Großfurstentums Litauen, die Hälfte Wolhyniens und Podolien. Preußen sicherte sich Danzig, Thorn, Gnesen, Posen, Kalisz und kleinere weitere Gebiete. Die dadurch ausgelöste Volkserhebung von 1794 unter Tadeusz Kosciuszko (*1746, tl817) wurde von Preußen und Russland blutig niedergeschlagen und führte zur dritten - vollständigen - Teilung (1795), in der Russland die übrigen ostpolnischen Gebiete, Restlitauen, Lettgallen und Kurland, das zu »kompensierende« Osterreich u.a. Westgalizien mit Krakau, Sandomierz, Lublin, Radom und Preußen Warschau, die Gebiete zwischen Weichsel, Bug und Memel (»Neuostpreußen«) und einen Teil des Gebietes um Krakau erhielten. Das südwestliche Litauen, die Suvalkija (poln. Suwalki), seit 1795 zu Preußen gehörig, gelangte 1807 an das von einem Marionettenkabinett Napoleons regierte »Herzogtum Warschau« (1806-1815) und nach dem Wiener Kongress (1815) an das russländische Teilungsgebiet (»Kongresspolen«). Das übrige Litauen wurde dem Russländischen Reich unter der Bezeichnung »Nordwestgebiet« oder »Nordwestgouvernements« einverleibt. Die Neuordnung der »polnischen Frage« nach dem Wiener Kongress 1815 oder die im geheimen Zusatzprotokoll des Deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt von 1939 beschlossene Aufteilung der Zweiten Republik zwischen Deutschland und der Sowjetunion und die Aufteilung bzw. Westverschiebung Polens nach dem Zweiten Weltkrieg werden gelegentlich als »Vierte Teilung« Polens bezeichnet. Der Begriff »Polnische Teilungen« - so als hätten die Teilungen einen »polnischen« Charakter - findet in der Geschichtswissenschaft heute kaum noch Verwendung. Weiterführende Literatur: Müller, Michael G.: Die Teilungen Polens 1772, 1793, 1795, München 2 1984. Lukowski, Jerzy: The partitions o f Poland 1772, 1793, 1795, LondonNew York 4 1999.
1. Der äußere Ereignisrahmen Von diesen großpolitischen Entwicklungen im Gesamtreich und in Litauen war Vilnius in unterschiedlicher Weise betroffen. In der Zeit des Inländischen Kriegs und der polnisch-litauischen Militärunternehmungen während der smuta war Vilnius kein Kriegsschauplatz. Vielmehr profitierten Handel und Handwerk von den Kriegshandlungen jenseits der Grenzen Litauens. Auch die Reformation und Gegenreformation sorgten für Aufbruchstimmung in der Stadt. Der Bau von Kirchen, Klöstern, Bildungsanstalten, ein lebhaftes Geistesleben, in dem theologische und philosophi-
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sehe, bald aber auch schon Themen der Geschichte, der Sprach-, Naturund Geowissenschaften eine Rolle spielten, prägten das neue religiöse und geistige Leben der Stadt. In dieser Zeit stieg Vilnius zu einer europäischen Residenzstadt auf, die es an kultureller Pracht und politischem Glanz mit Florenz oder Mailand aufnehmen konnte. Viele polnische und litauische Historiker haben u.a. deswegen das 16. Jahrhundert, unter der Herrschaft der Jagiellonen Zygimantas dem Alten (1506-1548) und Zygimantas Augustas (1548-1572), als »Goldenes Zeitalter« für Vilnius reklamiert. Nach diesem »goldenen Zeitalter« setzte für Vilnius jedoch - historiorhetorisch-dialektisch konsequent und eng mit dem außen- und innenpolitischen Niedergang des Großfiirstentums und der Rzeczpospolita verbunden eine Zeit des politischen und wirtschaftlichen Bedeutungsverlustes ein. Die Lubliner Union (1569), das Ende der Jagiellonen-Dynastie (1572) und die Einfuhrung der Wahlmonarchie (1573) verlagerten das politische Gewicht des Unionsreiches nach Polen und ließen Vilnius auf das Niveau einer Haupt- und Residenzstadt des Teilreiches Litauen herabsinken. Der bislang einträgliche Fernhandel verlagerte sich nach der Entdeckung Amerikas und der Erschließung neuer Märkte in der neuen Welt immer stärker in den atlantischen Raum; das nordosteuropäische Handelssystem geriet in die Defensive. Die frühneuzeitliche Wasserscheide der städtischen Entwicklung stellte die »Sintflut« dar. Am 31. Juli 1655 besetzten Moskauer Truppen Vilnius, zerstörten weite Teile der Stadt, darunter zahlreiche bedeutende Bauten, u.a. die untere und obere Burg, den Dom, zahlreiche Kirchen und Adelspaläste, und plünderten und schändeten die Gräber mehrerer Adelsfamilien, u.a. der Sapiega, deren damals bedeutendster Vertreter, der Wojewode von Vilnius und Großhetman von Litauen, Jonas Povilas Sapiega (poln. Jan Pawel Sapieha, 1609, 11665), Stadt und Reich vergeblich gegen die Moskauer zu verteidigen suchte. Gleichzeitig schwächte der Kriegseintritt Schwedens (1656) die Härte des Besatzungsregimes in den Jahren 1656 bis 1658 etwas ab. Nach dem Waffenstillstand von Valiersar (20.12.1658) standen Moskau jedoch wieder alle militärischen Kräfte zur Verfugung. Der Versuch Sapiegas, die russische Besetzung durch einen Sturm auf die Stadt am 11. Oktober 1658 zu beenden, scheiterte am erfolgreichen Widerstand des moskauischen Stadtkommandanten Jurij Alekseevic Dolgorukov (*?, t l 6 8 2 ) . Erst mit dem polnisch/litauisch-schwedischen Friedensschluss von Oliva am 23. April 1660 und der militärischen Unterstützung durch die Kosaken bekam Polen-Litauen den Rücken frei, um nun alle Kräfte gegen 70
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Moskau zu wenden. In den Jahren 1660 und 1661 errangen die vereinigten polnischen, litauischen und kosackischen Truppen eine Reihe glänzender Siege gegen Moskauer Truppen, so dass Vilnius den Moskauern 1661 durch Truppen General Stefan Czarnieckis ("1599,11665) schließlich entrissen werden konnte. Die Folgen der moskauischen Besetzung fiir die Stadtbewohner und ihre Wirtschaft waren katastrophal. Während der Eroberung der Stadt waren viele Einwohner von moskauischen Soldaten getötet worden. Viele Adelsfamilien hatten sich während des Krieges und der Besetzung von Vilnius auf ihre Landgüter zurückgezogen. Zahlreiche Handwerker und Kaufleute waren ins herzogliche Preußen oder Königreich Polen geflohen und hatten sich dort z.T. neue Existenzen aufgebaut. Im Ergebnis hatte Vilnius nach dem Krieg mit einem schmerzlich spürbaren Bevölkerungsverlust zu kämpfen, der sich besonders auf die Bürgerstadt und ihre wirtschaftlichen Aktivitäten höchst negativ auswirkte. Auch die Residenzstadt hatte stark gelitten. Die während des Krieges zerstörten Gebäude wurden zwar nach und nach wieder aufgebaut oder durch neue ersetzt, viele blieben jedoch Ruine und ließen Vilnius nach der » S i n t f l u t « als gestrandetes Wrack zurück. Die rund 130 Jahre, die bis zur dritten Teilung Polen-Litauens (1795), also bis zum Verlust der politischen Souveränität, blieben, waren durch weitere Zerstörungen, mühsame Versuche des Wiederaufbaus und einen allgemeinen Bedeutungsverlust der Stadt gekennzeichnet. Während des Großen Nordischen Krieges (1700-1721) wurde Vilnius erneut, 1702 und 1707, diesmal von schwedischen Truppen, besetzt. Diese Besetzungen waren jedoch nicht so verheerend wie die moskauische von 1655 bis 1661. 1702 brauchten die schwedischen Truppen nur ein Winterquartier vor ihrem Weiterzug nach Polen, das sie im März 1702 wieder verließen. 1707 war Vilnius ebenfalls nur eine Durchgangsstation für schwedische Truppen, die ins Moskauer Reich zogen. Trotzdem belasteten Einquartierungen und Kontributionen und nicht zuletzt zahlreiche Beschädigungen die Stadt weit über ein erträgliches Maß hinaus. Neben Besetzungen und Kriegswirkungen ließen auch Feuersbrünste die Stadt nicht zur Ruhe kommen. 1737,1745 und 1747 brannte die Stadt zu großen Teilen nieder. Nach den Zerstörungen der zweiten Hälfte des 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts nahm die Stadt einen leichten Aufschwung in der Regierungszeit Stanislaw August Poniatowskis (1764-1795). Zahlreiche Reformen zur Behebung der innenpolitischen Missstände und der Versuch einer außenpolitischen Stabilisierung gegenüber Russland, Preußen und Habsburg nach dem Schock der ersten Teilung Polen-Litauens (1772) Der äußere Ereignisrahmen
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machten bald sich auch in Vilnius bemerkbar. Zahlreiche neue Ämter und Regierungskommissionen sorgten für Bewegung in Politik und Kultur und einen regen Zuzug in die Stadt. Der dadurch vermehrte Bedarf an Konsum* und Luxusgütern für den Dienstadel kurbelte Handel und Handwerk an. Der allgemeine Aufschwung im europäischen und transatlantischen Handel und die Anfänge der europäischen Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts taten ein Übriges, um der städtischen Wirtschaft wieder auf die Beine zu helfen. Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts war Vilnius eine nach langen Zeiten der Stagnation wieder wachsende Stadt, so dass dort zu Beginn des 19. Jahrhunderts immerhin rund 20.000 Einwohner lebten. Dennoch sollte Vilnius damit immer noch als eine der kleineren Städte des europäischen Nordens gelten (zum nordosteuropäischen Vergleich um 1800 [gerundet]: St. Petersburg 300.000, Hamburg 130.000, Kopenhagen und Minsk 100.000, Königsberg und Stockholm 80.000, Warschau 63.000, Danzig 50.000, Riga 30.000, Äbo/Turku 10.000). Stanislaw August Poniatowski (1764-1795) Stanislaw August Poniatowski ("1732, tl798) regierte von 1764 bis zu seiner Abdankung 1795 als letzter König und Großfürst des Unionsreiches PolenLitauen. Er versuchte die in verschiedene Hochadelsfraktionen zerrissene Rzeczpospolita zu reformieren und vor Interventionen auswärtiger Mächte zu schützen. Dieses Unternehmen wurde jedoch durch konkurrierende Adelsparteien und eine starke russische Einflussnahme erschwert. Als der polnischlitauische Adel während des Sejms von 1767/68 versuchte, seine ausgedehnten Freiheiten und Privilegien gegen außenpolitische Einflussnahme zu sichern, bildete sich 1768 mit der Konföderation von Bar ein Streitbund oppositioneller Adliger, der sich sowohl gegen den König als auch gegen die Einmischung Russlands in die inneren Angelegenheiten Polen-Litauens richtete, jedoch langfristig nicht nur den staadichen Niedergang des Landes beschleunigte, sondern zusätzlich die Anarchie in der Adelsrepublik durch den gleichzeitig ausbrechenden »Hajdamakenaufstand« verstärkte. Beide wurden in den Folgejahren von Russland militärisch niedergeschlagen. Der daraus hervorgehende Machtzuwachs Russlands rief die benachbarten Großmächte auf den Plan und führte am 17. Februar und am 5. August 1772 zur Unterzeichnung von Verträgen zwischen Preußen, Österreich und Russland über die Erste Teilung Polens. Der König wurde dadurch von einem von den Interventionsmächten eingesetzten und manipulierten »Immerwährenden Sejm« abhängig. Trotzdem strebte Poniatowski danach, die Unabhängigkeit der Rzeczpospolita zurückzugewinnen und weitere Reformen durchzusetzen. So ließ er mit der »Mai-
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Verfassung« (3. Mai 1791) das erste Rechtsdokument Europas verabschieden, das eine Gewaltenteilung in Legislative und Exekutive festlegte. Bürgertum, Bauern und Juden wurden mit neuen Rechten ausgestattet. Ohne seine Staatsform stark zu verändern, wurde Polen-Litauen damit zu einer konstitutionellen Monarchie. 1792, während des russisch-polnischen Krieges, schloss sich Poniatowski allerdings der »Konföderation von Targowica« an, die sich gegen weitere Reformen wandte und eine abermalige Einmischung Russlands provozierte. In der Folge kam es am Januar 1793 zur zweiten Teilung PolenLitauens. Poniatowski wurde 1794 von der Kosciuszko-Regierung abgelöst und 1795 nach Grodno gebracht, wo er, nach dem gescheiteren KosciuszkoAufstand, die dritte Teilung des Landes unterzeichnen und am 25. November 1795 abdanken musste. Kaiser Paul I. berief ihn nach dem Tod Katharinas II. nach St. Petersburg, wo er am 12. Februar 1798 starb und seine letzte Ruhestätte fand. Weiterführende Literatur. Memoires secrets inedits de Stanislas II Auguste (Leipz. 1862, dt. Die Memoiren des letzten Königs von Polen Stanislaw August Poniatowski. Bd. 1, München 1917 (= Polnische Bibliothek. Abt. 2/1). Correspondancc ineditc du roi Stanislaus Auguste Poniatowski et Mad. Geoffrin 1764-77 Paris (1887). Zamoyski, Adam: The last kingofPoland, London 1992.
2. Die Residenzstadt Die bereits im Mittelalter aufgekommene Funktion von Vilnius als Residenzstadt der litauischen Großfürsten, des litauischen Hofadels und der Bischöfe der Diözese Vilnius blieb in der Unionszeit erhalten, wenn auch Vilnius für die Großfürsten und den Hofadel jetzt nur eine von mehreren Residenzen des Gesamtreiches darstellte.
Die Residenz der Großfürsten Mit dem Unionsvertrag von Lublin wurde Vilnius zweite Hauptstadt des Reiches, spielte aber in der Gesamtpolitik der Union nur noch eine untergeordnete Rolle. Die Hauptresidenz des Unionsreiches befand sich seit 1569 zunächst in Krakau und seit 1596 in Warschau, d.h. der König/ Großfürst residierte nur noch zeitweise in Vilnius. Die Rzeczpospolita wurde nun durch den gemeinsamen Reichstag regiert, der sich aus den drei Ständen des Königs, dem durch den König ernannten Senat und Repräsentanten des gemeinen Adels zusammensetzte. Der Senat wurde aus den WoDie Residenzstadt
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Verfassung« (3. Mai 1791) das erste Rechtsdokument Europas verabschieden, das eine Gewaltenteilung in Legislative und Exekutive festlegte. Bürgertum, Bauern und Juden wurden mit neuen Rechten ausgestattet. Ohne seine Staatsform stark zu verändern, wurde Polen-Litauen damit zu einer konstitutionellen Monarchie. 1792, während des russisch-polnischen Krieges, schloss sich Poniatowski allerdings der »Konföderation von Targowica« an, die sich gegen weitere Reformen wandte und eine abermalige Einmischung Russlands provozierte. In der Folge kam es am Januar 1793 zur zweiten Teilung PolenLitauens. Poniatowski wurde 1794 von der Kosciuszko-Regierung abgelöst und 1795 nach Grodno gebracht, wo er, nach dem gescheiteren KosciuszkoAufstand, die dritte Teilung des Landes unterzeichnen und am 25. November 1795 abdanken musste. Kaiser Paul I. berief ihn nach dem Tod Katharinas II. nach St. Petersburg, wo er am 12. Februar 1798 starb und seine letzte Ruhestätte fand. Weiterführende Literatur. Memoires secrets inedits de Stanislas II Auguste (Leipz. 1862, dt. Die Memoiren des letzten Königs von Polen Stanislaw August Poniatowski. Bd. 1, München 1917 (= Polnische Bibliothek. Abt. 2/1). Correspondancc ineditc du roi Stanislaus Auguste Poniatowski et Mad. Geoffrin 1764-77 Paris (1887). Zamoyski, Adam: The last kingofPoland, London 1992.
2. Die Residenzstadt Die bereits im Mittelalter aufgekommene Funktion von Vilnius als Residenzstadt der litauischen Großfürsten, des litauischen Hofadels und der Bischöfe der Diözese Vilnius blieb in der Unionszeit erhalten, wenn auch Vilnius für die Großfürsten und den Hofadel jetzt nur eine von mehreren Residenzen des Gesamtreiches darstellte.
Die Residenz der Großfürsten Mit dem Unionsvertrag von Lublin wurde Vilnius zweite Hauptstadt des Reiches, spielte aber in der Gesamtpolitik der Union nur noch eine untergeordnete Rolle. Die Hauptresidenz des Unionsreiches befand sich seit 1569 zunächst in Krakau und seit 1596 in Warschau, d.h. der König/ Großfürst residierte nur noch zeitweise in Vilnius. Die Rzeczpospolita wurde nun durch den gemeinsamen Reichstag regiert, der sich aus den drei Ständen des Königs, dem durch den König ernannten Senat und Repräsentanten des gemeinen Adels zusammensetzte. Der Senat wurde aus den WoDie Residenzstadt
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jewoden, Kastellanen, hohen Amtsträger der Krone und Bischöfen gebildet, darunter auch denjenigen von Vilnius, die ihre jeweiligen Vertreter nach Krakau bzw. Warschau schickten. Auch der litauische Sejm war teilweise deckungsgleich mit dem in Vilnius residierenden Hof- und Dienstadel in Vilnius und musste die litauische Residenz immer wieder verlassen, um Angelegenheiten »beider Nationen« zu beraten - es sei denn, der Sejm tagte gerade in Vilnius. Die großßirstlichen Burgen: Mit der verminderten Bedeutung von Vilnius als Residenz des litauischen Großfürsten und des Hof- und Dienstadels veränderten sich auch die Funktionen der großfürstlichen Burgen der Residenzstadt. Nach dem 16. Jahrhundert verlor die Obere Burg ihre frühere Funktion als großfürstliche Residenz und verfiel nach und nach. Bis ins frühe 17. Jahrhundert diente sie allerdings noch als Adelsgefängnis. Als Festungsbau wurde sie zuletzt während des Moskauer Angriffs von 1655 genutzt, als die gesamte Burganlage erstmals in ihrer Geschichte von fremden Truppen besetzt und weitgehend zerstört wurde. 1661 eroberte die litauische Armee Vilnius und seine Burgen zwar zurück, doch blieb die Obere Burg in der Folgezeit sich selbst überlassen. Die Untere Burg hingegen spielte in der Unionszeit eine wichtige Rolle. Sie sollte bis zum Moskauer Angriff Residenz des litauischen Großfürsten und seines Hofes bleiben. Zygimantas II. Senasis (poln. Zygmunt I. Stary/ »der Alte«, 1506-1548, "1467, tl548) ließ die Untere Burg nach Plänen Bartolomeo Bereccis da Pontassieve (*1480, fl537), Giovanni Cini da Siena (*?, t?), Bernardino de Gianoti Zanobis (*?, 11541) und anderer italienischer Architekten im Renaissance-Stil beträchtlich erweitern und zum Großfiirstenpalast ausbauen, ein drittes Stockwerk sowie einen größeren Garten hinzufugen. In diesem Palast empfing er 1517 erstmals seine zweite Frau, Bona Sforza d'Arragona ("1494, tl557). Sein Sohn, Zygimantas II. Augustas (poln. Zygmunt II. August, 1544-1572, "1520, tl572), wurde (bereits 1529 im Alter von 9 Jahren) in der Unteren Burg zum Großfürsten von Litauen gekrönt, lebte dort mit seiner ersten Frau, der Kaisertocher Elisabeth von Habsburg ("1526,11545), und mit seiner zweiten Frau Barbora Radvilaite (poln. Barbara Radziwill, *1520, 11551). Nach Aussagen eines Abgesandten des Heiligen Stuhles, des Nuntius und Bischofs von Camerino Bernardo Bongiovanni (1560-1563, *?, tl574), lagerten im Großfiirstenpalast zu dieser Zeit mehr Reichtümer als im Vatikan, und die darin untergebrachte Bibliothek Zigimantas' II. war damals die größte Europas. Der Palast diente als Schauplatz opulenter fürstlicher Gastmahle, prächtiger Schauspiele, glanzvoller Konzerte und lebhafter literarischer und aka74
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demischer Debatten. Im Schlosshof ritten illustre Gäste, darunter der spätere Papst Clemens VIII. ( 1 5 9 2 - 1 6 0 5 ) , auf Kamelen und konnten die fünf zahmen Bären des Großfürsten bestaunen. Unter den Waza-Königen/Großfürsten, vor allem unter Zygimantas III., wurde der Renaissance-Palast im frühen Barockstil umgebaut. Wiederum waren es italienische Architekten und Künstler, unter ihnen Matteo Castelli (*1560, t l 6 3 2 ) und Giovanni Giacomo Tencalla (*1593, +1653), die federführend an der Neugestaltung beteiligt waren. Auch unter den Vazas war der Palast Schauplatz zahlreicher berühmter Festlichkeiten wie z.B. der Hochzeit des Großherzogs von Finnland, Johan (später Johan III. von Schweden, *1537, +1592) mit Zygimantas' II. August Schwester, Katarina Jagiellonica (*1526, +1583). A m 4. September 1636 wurde im Palast zudem die erste Oper Litauens, » I I ratto di H e l e n a « , unter den italienischen Impresarios Marco Scacchi (*1602, +1685) und Virgilio Puccitelli (*1599, + 1654), aufgeführt. Während des Moskauer Krieges erlitt der Großfürstenpalast ein ähnliches Schicksal wie die Obere Burg. Beim Sturm Moskauer Truppen auf die Stadt (1655) wurde er schwer beschädigt und geplündert. Nach der Wiedereinnahme von Vilnius durch litauische Truppen nutzten ihn die Großfürsten nicht mehr, und er verfiel bis zum Ende des Großfurstentums zusehends. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts, nach den Teilungen Polen-Litauens, lebten verschiedene Adelsfamilien darin. Kurze Zeit später ordneten die russischen Behörden 1801 den Abriss des Großfurstenpalastes an. Stehen blieb allein eine Mauer, die zur W a n d eines Hauses für einen jüdischen Kaufmann, Abraham Schlossberg, wurde. Erst 2 0 0 2 fasste das litauische Parlament den Entschluss, den Palast bis 2009, anlässlich der ersten schriftlichen Erwähnung Litauens, zu rekonstruieren. Die Großfürsten residierten nach 1655 in verschiedenen Adelspalästen der Stadt, u.a. in dem im Jahre 1700 fertiggestellten Sluszko-Palast (s.u.). Dieses Fehlen einer festen großfürstlichen Residenz war u.a. dafür verantwortlich, dass die Bedeutung der Stadt Vilnius als Zentrum litauisch-großfürstlicher Politik weiter an Bedeutung verlor, insbesondere in der Zeit der Sachsen-Könige/Großfiirsten ( 1 6 9 7 1763). A u f dem rechten Nerisufer gegenüber der St. Peter und St. Paul-Kirche in Antakalnis entstand Mitte des 16. Jahrhunderts auf Befehl Zygimantas' II. August ein königlicher Gutshof, die sog. Derevnictva (poln. Derewnictwo), der als Bei- und Diensthof für den Großftirstenpalast von Vilnius diente. Er wurde vor allem von Zygimantas' III. und Vladislovas IV. Vaza (poln. Wladyslaw Vaza, 1 6 3 2 - 1 6 4 8 ) genutzt. Nach der Zerstörung des FürstenDie Residenzstadt
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palastes hatte er seinen ursprünglichen Zweck eingebüßt und ging zunächst in den Besitz des polnischen Adligen Mikolaj Pieglowski, später der Familie Wolowicz, des Großhetmans von Litauen und Wojewoden von Vilnius, Mykolas Kazimieras Pacas (poln. Micha! Kazimierz Pac, *1624, 11682), und 1741 schließlich der Familie Tiesenhausen (poln. Tyzenhaus) über. Als der Hof Mitte des 18. Jahrhunderts in die Hände der Lateran-Mönche gelangte, wurde er in Tusculum umbenannt und in ein Zentrum musischer Erbauung und Gelehrsamkeit verwandelt. Die umliegenden Wälder und Seen nutze man als Wild- und Fischrevier. Großfürstliche Festung: Die zunehmende Absenz der Großfürsten verminderte nicht die Bedeutung von Vilnius als großfürstliche Festung. Das im 15. Jahrhundert unter Vytautas angelegte Arsenal war bereits unter Zygimantas I. Senasis und Zygimantas II. Augustas durch einen neuen Flügel erweitert worden. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts entstanden unter Zygimantas III. Vaza (poln. Zygmunt III. Vaza, 1587-1632) zwei weitere Flügel. Nach Berichten von Zeitgenossen lagerten im Alten Arsenal während des 17. Jhs. immerhin 180 schwere Kanonen. Der Turm des Arsenals wurde im 16. Jahrhundert als Orientierungspunkt für Schiffe auf der Neris genutzt. Zeitweise war im Arsenal auch die Burgverwaltung untergebracht. Im 18. Jahrhundert wurde das Alte Arsenal offenbar zu eng. Nun entstand in einem der ältesten Burggebäude auf Befehl und unter der Aufsicht des Großhetmans von Litauen, Mykolas Kazimieras Oginskis (poln. Michal Kazimierz Oginski, *1731, 11799), das Neue Arsenal, das auch als Unterkunft für Soldaten genutzt wurde und dessen Außenwand einen Teil der Stadtmauer bildete. Unter Zigimantas Senasis wurde 1522 die städtische Wehrmauer vollendet. Sie war rund drei Kilometer lang, zwei bis drei Meter stark und bis zu zwölf Meter hoch. Sie verlief von der Unteren Burg über die heutigen Straßen Liejyklos, Pylimo, Sv. Dvasios und Boksto bis zur Vilnia, deren Steilufer sie sicherte. Sie besaß neun Tore und mehrere Wehrtürme, wobei das mächtigste das Subaciaus-Tor war. Berühmter jedoch wurde das Medininkq-Tor (auch: Ausros Vartei/»Tor der Morgenröte«, s.u.). Die Wehrmauer umschloss eine Stadtfläche von 8,5 km2 (ohne die Untere Burg). Außerhalb der Mauer befanden sich die Vorstädte Uzupis und Lukiskes, die wahrscheinlich schon seit dem 14. Jahrhundert existierten, sowie Rasos und Antalkalnis (wahrscheinlich seit dem 15. Jahrhundert). Die Mauer selbst bestand in ihrem unteren Abschnitt aus Stein, darüber aus Backstein. Sie blieb bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts erhalten, als sie von der russländischen Regierung geschleift wurde. 76
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Seit 1648 ließen die Großfürsten die Verteidigungsanlagen von Vilnius gemäß den neuen Erfordernissen der Kriegsfiihrung und Militärtechnik erheblich ausbauen. Zur Vorbereitung auf einen Krieg mit dem Moskauer Reich wurden Bastionen in zwei Linien angelegt. Die erste Linie entstand in unmittelbarer Nähe der Stadtmauer, die sie verstärken sollte. Die zweite Linie, der sog. » R i n g « , erstreckte sich weiter von der Stadt entfernt und umschloss die von der Stadtmauer ausgesparten Vorstädte sowie die Zugänge zu den Burgen. Die Arbeiten an diesen beiden Ringen konnten jedoch bis zum Sturm Moskauer Truppen auf die Stadt im Jahre 1655 nicht mehr fertig gestellt werden. Zwischen den beiden Bastionslinien entstanden nach dem Krieg Friedhöfe, die zunächst den Gefallenen des Krieges, später auch anderen Toten als letzte Ruhestätte dienten. Im 18. Jahrhundert wurden als Ersatz für die früheren Bastionen außerhalb der Stadt Wallanlagen gebaut. Der Bekesas- und Panonietis-Hügel Gegenüber dem »Hügel der drei Kreuze« befindet sich der Bekesas- und Panonietis Hügel. Er ist benannt nach dem ungarischen Adligen Kasparas Bekeäas (ung. Kaspar Bekes, poln. Kasper Bekiecz, *1520, tl579), einst Feind, später Verbündeter und Freund Großfürst Stefan Bäthorys, mit dem er vor dessen Wahl zum litauischen Großfürsten und polnischen König um die Herrschaft in Siebenbürgen gestritten hatte. Nach Bäthorys Thronbesteigung in PolenLitauen folgte ihm BekeSas nach Vilnius, wurde Kommandant der ungarischen Infantrie des Großfürsten und blieb bis zu seinem Tode (1580 in Grodno) ein treuer Diener seines Herrn. Seine sterblichen Überreste ließ Bathory nach Vilnius bringen, um sie dort beisetzen zu lassen, doch weigerte sich die Vilniusser katholische Geistlichkeit, BekeSas ein christliches Begräbnis zu gewähren, weil er ein Anhänger der antitrinitarischen Lehre gewesen war. Daraufhin ließ ihn Bathory auf einem Hügel begraben, auf dem bereits Vadusas Panonietis, ein anderer gefallener Waffenbruder des Großfürsten beigesetzt worden war. Über Bekesas Grab ließ Bathory einen massiven Grabstein in der Form eines achteckigen Turms errichten, der aber im 17. und 18. Jahrhundert verfiel, bis er im 19. Jahrhundert fast völlig verschwand. Heute gehört der Bekesas- und PanonietisHügel zu den bekanntesten Wahrzeichen vonn Vilnius.
IVeiterfahrendt Literatur: Visuotine lietuviij cnciklopedija, Bd. 2, Vilnius 2002, S. 782.
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Die Residenz des Hof- und Dienstadels Trotz nur sporadischer Anwesenheit des Großfürsten und seines Hofes in Vilnius blieben die großfürstlichen Ämter in Vilnius erhalten, so dass die Funktion der Stadt als Residenz des Hof- und Dienstadels auch in der Zeit der Lubliner Union eine bedeutende Rolle spielte. Einem allgemeinen Trend des frühneuzeitlichen Europa folgend bauten die Großfürsten ihre Verwaltung sogar erheblich aus. Dies hatte Rückwirkungen auf den Hofund Dienstadel, der nun in immer größerer Zahl in der Stadt Wohnung nahm. Die Verwaltungstätigkeit, die zu einem Großteil in der Hand des Hofund Dienstadels lag, war auf die Verwaltungszweige des großfürstlichen Staates als Teil des Unionsreiches sowie die Gebiets- und Stadtverwaltung verteilt. Von den zehn Zentral- und Senatorenämtern des Unionsreiches hatten fünf ihren Sitz in Vilnius: das Amt des Großmarschalls, des Großkanzlers, des Vizekanzlers, des Großunterschatzmeisters und des Hofmarschalls von Litauen (die anderen fünf residierten in Krakau und trugen den Titel »Amt des [xy] der Krone«), Der Großmarschall von Litauen (Marszalek Wielki Litewski) war für die Sicherheit des Großfürsten und für die Ordnung in seiner entourage zuständig. Er saß einer eigenen Gerichtsbarkeit vor und urteilte über alle Klagen, die Mitglieder des Hofadels oder Hofbedienstete dem Großfürsten anheim stellten. Er erfüllte auf diese Weise die Funktion eines Hofrichters, gegen dessen Urteile keine Berufung eingelegt werden konnte. Der Großmarschall überwachte überdies die Wojewoden, den Zutritt zum Großfürsten und fungierte als Zeremonienmeister des Hofes. Für die Belange des großfürstlichen Hofes im engeren Sinne war der Hofmarschall (poln. Marszalek Nadworny Litewski) zuständig. Er rangierte in der administrativen Hierarchie unter dem Großmarschall. Stellvertreter des Großmarschalls waren der Großschatzmeister und der Großkanzler. Der Großkanzler (poln. Kanclerz Wielki Litewski) - und der Unterkanzler (poln. Podkanclerzy Litewski) - von Litauen standen den beiden Kanzleien des Großfiirsten (der »Großen" und der „Kleinen«) vor. Sie arbeiteten kollegial und zeichneten für die auswärtigen (i.d.R. moskauischen) und inneren Angelegenheiten des Großfurstentums verantwortlich. Außerdem standen sie den Assessorengerichten vor, die sich mit Rechtsfällen der Untertanen großfürstlichen Rechts (also nicht des Adels oder der Kirche) befassten. Die rangniedrigsten Ämter waren die des litauischen Großschatzmeisters und Unterschatzmeisters (poln. Podskarbi Wielki Litewski), die sich um die großfürstlichen Finanzen, die Münze und Buch78
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fuhrung kümmerten. Der Großkanzler und Großschatzmeister erhielten keine Gehälter, so dass sie für Korruption höchst anfallig waren. Dies wirkte sich besonders in einer von Kaufleuten und Handwerkern geprägten Stadt wie Vilnius aus, wo das Geld oft locker saß. Den Zentral- und Senatorenämtern waren weitere Posten beigeordnet, z.B. der des litauischen Großsekretärs (poln. Sekretarz Wielki), des weltlichen und kirchlichen litauischen Referendars, des litauischen Instygators (Kronanwalts) und Vize-Instygators, des Großschreibers (Pisarz Wielki) und des litauischen Schatzmeisters (Skarbny). Dazu kamen das »Litauische Tribunal« {Trybunal Litewski), der höchste Gerichtshof für litauische Adlige, und das »Litauische Schatztribunal« {Trybunal Skarbowy Litewski) mit je eigenen ausgedehnten Verwaltungen. Mit Ausnahme des Marschallamtes wurden alle diese Ämter auf Lebenszeit vergeben, d.h. ihre Inhaber residierten sehr lange in Vilnius und bildeten in der Regel einen festen Bestandteil der gesamtstädtischen Bevölkerung. Mit dem Hof eng verbunden, weil Teil der Kernaufgaben des Großfürsten, aber keine Zentral- und Senatorenämter, waren die militärischen Dienste. Das höchste militärische Amt war das des Hetmans, ein bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts unbesoldetes Amt auf Lebenszeit. Hetmane agierten recht selbständig. Sie unterhielten eigene Kontakte mit dem Osmanischen Reich, Russland und den Tataren. Innerhalb ihres Kompetenzbereichs waren sie oberste Verwalter, Richter und Gesetzgeber mit je eigenen Stäben; seit 1590 besaßen ihre Gesetze die gleiche Verbindlichkeit wie die Gesetze des Sejm. Für Litauen existierten wie für die Krone Polen ein Groß- (poln. Hetman Wielki Litewski) und ein Feldhetman (poln. Hetman Polny Litewski)-, wobei letzterer ersterem untergeordnet war. Eine besondere Kategorie neben den Zentral- und Senatorenämtern bildeten die sog. Hofämter. Sie bezogen sich allerdings nur teilweise auf Funktionen, die mit dem Hof zu tun hatten; manche nahmen auch Aufgaben mit Bezug zum gesamten Großfurstentum wahr. Ende des 17. Jahrhunderts allerdings waren die meisten von ihnen bereits reine Ehrenämter. Zu ihnen gehörten verschiedene Teilämter des Mundschenks, das Amt des Kämmerers, des Standartenträgers, Schwertträgers, Marstall-Aufsehers, Jägermeisters u.a.m. Hinsichtlich der Gebietsverwaltung bildete Vilnius eine und dabei die größte der acht Wojewodschaften des Großfürstentums Litauen (neben Brest, Minsk, Mscislaw, Naugardas, Polock, Trakai, Vitebsk und dem Ältestenbezirk Zemaitija). Der Wojewode von Vilnius saß den Wojewodschafts-Landtagen (poln. Sejmiki Wojewödzkie) vor und mobilisierte im Die Residenzstadt
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Kriegsfall das adlige Aufgebot seiner Wojewodschaft. Wojewoden anderer Wojewodschaften besaßen üblicherweise einen Assessor, der die lokalen Preise und Maße festsetzte und überwachte. In der privilegierten Stadt Vilnius wurde diese Aufgabe jedoch vom städtischen Magistrat wahrgenommen. Auch wurde der Wojewode von Vilnius, anders als in anderen Wojewodschaften, nicht vom König, sondern vom Wojewodschaftsadel gewählt, musste allerdings vom König bestätigt werden. Insgesamt kamen dem Wojewoden der litauischen Haupt- und Residenzstadt so weniger Machtbefugnisse zu als seinen Kollegen im Großfiirstentum. Dem Wojewoden von Vilnius untergeordnet war der Kastellan (poln. kasztelan), der einen Teil der Wojewodschaft, das sog. powiat, verwaltete. Vilnius bildete dabei im Gegensatz zu den ländlichen powiaty (powiaty ziemskie) ein sog. städtisches powiat {powiat grodzki oder miasta na prawach powiatu!»Stadt mit den Rechten eines powiat«) und wurde wie Krakau und Trakai von einem »herausgehobenen Kastelan« (poln. kasztelan wyröznieni) im Rang eines Wojewoden verwaltet. Schließlich existierten zahlreiche Territorialämter: im Wesentlichen Doppelungen der Zentralämter, deren Inhaber jedoch durch den Landtag des litauischen Adels (Seimas) eingesetzt wurden. Die für Vilnius wichtigsten Territorialämter waren die des Generalstarosten (poln. Starosta generalny), der für die Provinz Litauen des Unionsreiches zuständig war und seinen Sitz in Vilnius hatte, und des Stadt-Starosten (poln. Starosta grodowy) von Vilnius, der als Vertreter des Großfürsten die Stadt beaufsichtigte. Er kontrollierte die städtischen Gerichte, die die meisten Kriminalfälle behandelten und die Jurisdiktion über den lokalen und besuchenden Adel besorgten. Außerdem dienten sie als Exekutivorgan für die Urteile aller anderen Gerichte. Neben den Großfürsten besaß auch der Dienstadel politische Vertretungen in Vilnius. Die Repräsentanten des litauischen Adels kamen vor allem im Herrenrat zusammen, der in der Regel in Vilnius tagte. Im 15. Jahrhundert hervorgegangen aus dem großfürstlichen Rat, wurde er nach dem Unionsschluss von Lublin zum konstituierenden Teil des polnisch-litauischen Senats. Er vertrat die Funktionen des Großfürsten während der Interregna und stellte die höchste Gewalt im Großfürstentum bis zum Antritt eines neuen Großfürsten dar. Seit den Zeiten Kazimiras' I. (1444-1492, *1427, 11492) fungierte er als Hofgericht in Abwesenheit des Großfürsten. Er rief den litauischen Seimas zusammen. Nach 1506 konnte kein Gesetz in Litauen ohne seine Zustimmung verabschiedet werden. Seit dem 16. Jahrhundert bildeten er einen Geheimen Rat, der als Keimzelle des litauischen 80
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Herrenrates angesehen werden kann. 1529 hatte der Herrenrat 35-50 permanente Mitglieder, darunter Magnaten, Bischöfe, Marschälle und Schatzmeister des Großfürsten, die Wojewoden und Kastellane von Vilnius und Trakai, den Ältesten von Zemaitija sowie den Großhetman und den Großkanzler von Litauen. Für alle diese hohen großfürstlichen Amter bürgerte sich de facto eine konfessionelle Klausel ein: 1447 verbot Kazimieras I. Personen, die nicht in Litauen ansässig, d.h. besitzlich, und katholisch waren, Ämter in der Kirche oder im Staatsdienst anzunehmen. In diesem Zusammenhang wurden einige Amtsinhaber entlassen. Mit der Warschauer Konföderation von 1573 erhielten die protestantischen und orthodoxen Adligen Religionsfreiheit und damit gleichzeitig das Recht, die Ämter des Wojewoden und des Kastellans von Vilnius zu bekleiden, was zuvor ebenfalls allein Katholiken vorbehalten gewesen war. Dieses Recht wurde 1591 jedoch wieder zurückgenommen. Nach 1668 wurde niemand in die Senatorenämter berufen, der nicht katholischen Glaubens war, obwohl dies nirgendwo schriftlich festgelegt und verordnet war. Auch in vielen anderen Ämtern waren die meisten Inhaber Katholiken und Litauer. Dadurch sank der politische Einfluss der Protestanten, aber auch der orthodoxen Ruthenen erheblich, und es kam immer wieder zu religiös-politischen Konflikten. Eine Sonderstellung nahm der tatarische Adel ein. Er genoss bereits seit dem 14. Jahrhundert einen informellen quasi-adligen Status. Seine Rechte wurden erstmals durch Privilegien Zygimantas II. Augustas 1561 und 1568 festgeschrieben und 1576, 1609, 1634 und 1699 erweitert. Gemäß diesen Privilegien war es ihnen erlaubt, Moscheen zu errichten, Güter zu erwerben und christliche Arbeiter auf ihnen zu beschäftigen. Zudem waren sie von allen Steuern befreit und besaßen das sonst nur dem litauischen Adel vorbehaltene Recht, Schwerter zu tragen. Der tatarische Adel nahm überwiegend militärische Aufgaben im Dienste des Großfürsten wahr. In der Umgebung von Vilnius existierten mehrere Güter tatarischer Adliger, die im Kriegsfall mit ihren Aufgeboten den Großfürsten und die Stadt Vilnius schützen sollten. Allerdings gestaltete sich das tatarisch-großfürstliche Verhältnis nicht immer spannungsfrei. Als die Großfürsten 1591 und 1672 die Privilegien des tatarischen Adels einzuschränken versuchten, erschütterten tatarische Aufstände das Großfurstentum, die auch in Vilnius zu spüren waren. Vilniusser Adelsfamilien: Die bedeutendsten Adelsfamilien, die in Vilnius residierten, waren einerseits die schon im Spätmittelalter in der Stadt ansässigen Radvila (poln. Radziwill), andererseits neu hinzukommende Die Residenzstadt
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Familien wie die Sapiega, Pacas, Ogjriski, Tyzenhauzas, Tiskevicius, Cartoriskis, Vysnioveckis, Masalskis und Katkevicius. Die Radvila gehörten nicht nur zum alteingesessenen Residenzadel von Vilnius, sondern hatten 1515 auch die Reichsfürstenwürde des Heiligen Römischen Reiches erhalten und zählten damit zu den ehrwürdigsten Adelsfamilien Europas. Viele der hohen großfürstlichen Ämter mit Sitz in Vilnius wurden von den Radvila besetzt, oft in einer einzigartigen Ämterhäufung bei einzelnen Persönlichkeiten. Exemplarisch sei hier nur auf die Karriere eines der älteren Vertreter der Familie verwiesen, nämlich die des »litauischen Herkules« Jurgis Radvila (poln. Jerzy Radziwill, *1480, f l 5 4 1 ) , der neben anderen Amtern seit 1510 als stellvertretender Mundschenk des Großfürsten, seit 1521 als Feldhetman von Litauen, seit 1527 als Kastellan von Vilnius, seit 1528 als Hofmarschall, seit 1531 als Großhetman von Litauen, seit 1531 als Starost von Vilnius und einer Reihe von anderen litauischen Städten diente. Seine Nachfahren standen ihm kaum nach. Die Radvila waren es auch, auf deren Intervention hin die Konfessionsklausel für die großfürstlichen Ämter 1573 vorübergehend aufgehoben wurde. Die politische Stellung der Radvila war so überragend, dass sie selbst als Calvinisten, die viele von ihnen waren, in die höchsten Ämter aufsteigen und dabei gleichzeitig, wie beispielsweise Fürst Kristupas Radvila (Krzysztof Radziwill, *1585, t l 6 4 0 ) , als Opponenten der katholischen Großfürsten/Könige auftreten konnten. Familiärer Mittelpunkt der Radvila war ein Palast in der Altstadt von Vilnius, der 1635-1653 im Auftrag des Hofkämmerers von Litauen (1633-1655), Feldhetmans von Litauen und Starosten von Zermaitija (beides 1646-1655), Fürst Jonusas Radvila (Janusz Radziwill, *1612, t l 6 5 5 ) , nach Entwürfen des Architekten Jan Ulrich im Stil der niederländischen Spätrenaissance erbaut worden war. Es handelte sich dabei um den zweiten Stadtpalast der Familie, der gleichzeitig der größte von ganz Vilnius war. Zuvor existierte dort wahrscheinlich eine aus Holz gezimmerte Stadtresidenz des Vilniusser Wojewoden (1551-1565) Mikalojus »des Schwarzen« Radvila (poln. Mikolaj Czarny Radziwill, "1515,11565). Der Renaissancepalast wurde während des Moskauer Sturms auf Vilnius 1655 zerstört und blieb jahrhundertelang Ruine. Erst in den 1980er Jahren ließen ihn die Stadtväter rekonstruieren. Er beherbergt heute einen Teil des Litauischen Kunstmuseums. Die Sapiega (ruth. Sapega, poln. Sapieha) stammten aus dem Smolensker Bojarentum (Militäradel) und stiegen im 16. Jahrhundert zu den bedeutendsten Familien des Vilniusser und litauischen Adels auf. Als Urahn 82
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gilt der mächtige Hof- und Großkanzler von Litauen, Leonas Sapiega (poln. Lew Sapieha, *1557,11633), der ein enger Vertrauter Stefan Bäthorys und Zygimantas III. Vaza war, sich in den 1580er und 1590er Jahren durch eine für Litauen äußerst vorteilhafte Moskaupolitik auszeichnete und 1621 zum Wojewoden von Vilnius ernannt wurde. Er fungierte ferner als Hauptherausgeber der letzten Fassung des in ruthenischer Kanzleisprache abgefassten Litauischen Statuts von 1588, der Kodifikation litauischer Rechte in Einklang mit den Bestimmungen der Lubliner Union. Er wurde damit zu einem der Architekten der litauischen Rechtsordnung im Rahmen des Unionsreiches. In seinen letzten Lebensjahren legte er die Grundlagen zur Schaffung einer Juristischen Fakultät an der Universität Vilnius, die 1641 gegründet wurde. Schließlich tat er sich auch als Wohltäter zahlreicher katholischer Kirchen hervor. Spätere Generationen der Familie Sapiega traten in die Fußtapfen ihres Urahns und dienten den Großfürsten als königliche Sekretäre, Großschreiber, Hofmarschälle, Vizekanzler, Groß- und Feldhetmane und Kastellane. In diesen und anderen Funktionen, aber auch als konfessionelle Gegner befanden sie sich in einer Dauerkonkurrenz mit den Radvila. Diese machte sich auch über Litauen hinaus bemerkbar. Als Mykolas Pranciskus Sapiega (poln. Micha! Franciszek Sapieha, "1670, t l 7 0 0 ) im Jahre 1700 von Kaiser Leopold I. (1658-1705) den Fürstentitel empfing, war ihm diese Würde nicht lange beschieden - sie ging mit dem Tod seines Trägers im gleichen Jahr wieder verloren. Ebenfalls 1700 erhielt der Großhetman von Litauen, Jonas Kazimiras Sapiega (poln. Kazimierz Jan Sapieha, *1637, 1T720) den litauischen Fürstentitel, und 1768 wurden die Sapiega vom polnischen Sejm insgesamt zum Fürstengeschlecht erhoben, doch dies alles führte keineswegs zur Ranggleichheit mit den Radvila, von denen mehrere den litauischen, polnischen und römisch-deutschen Reichsfiirstentitel trugen. Auch die Sapiega besaßen mehrere Paläste in Vilnius. Der älteste, hölzerne Palast Leonas Sapiegas befand sich im Antakalnis-Viertel. An gleicher Stelle entstand hier auf Befehl Jonas Kazimieras Sapiegas in den Jahren 1691-1697 ein barocker Palast nach Entwürfen von Giovanni Pietro Perti (*1648,11714), ausgestattet mit Fresken von Michelangelo Palloni ("1637, 1T712). Im 17. Jahrhundert kam ein barocker Park mit Parterren, Teichen und Avenuen hinzu. Heutzutage beherbergt der Palast das Sapiega-Krankenhaus (lit. Sapiegos ligonine). Im 17. Jahrhundert erhielten die Radvila und Sapiega Konkurrenz durch weitere im Großfurstendienst aufsteigende Adelsfamilien. Die aus Die Residenzstadt
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dem ruthenischen Bojarentum stammenden Tiskevicius (ruth. Tyskievic, poln. Tyszkiewicz) stellten im 17. und 18. Jahrhundert mehrere Großschatzmeister und Feldhetmane von Litauen und mit Skumin Tiskevicius (*1570,1-1642) auch einen Wojewoden von Vilnius (1640-1642). Die Pacas (poln. Pac) traten als Kanzler von Litauen, Wojewoden von Vilnius und Mäzene zahlreicher Vilniusser Bauwerke in Erscheinung. Der Wojewode von Vilnius (1669-1682), Mykolas Kazimieras Pacas (Michal Kazimierz Pac, "1624, f l 6 8 2 ) , beispielsweise finanzierte den Bau der Peter-PaulKirche in der Vorstadt Antakalnis, eines der bedeutendsten barocken Baudenkmäler von Vilnius mit Anklängen an den Petersdom in Rom und zum Gedenken an die Besatzungszeit und den litauischen Sieg über Moskau im Jahre 1661. Sie ersetzte eine ältere Holzkirche, die von Krakauer Baumeistern errichtet, aber während der Moskauer Besetzung der Stadt zerstört worden war. Der Familie Pacas war allerdings nur eine kurze Glanzzeit beschieden. Nach dem Tod Mykolas Kazimiras Pacas und seines Bruders, des Kanzlers von Litauen (1658-1684), Kristupas Zigimantas Pacas (Krzysztof Zygmunt Pac,"1621,tl684), erlebte sie einen politischen Niedergang. Im 18. Jahrhundert taten sich neben den bereits genannten besonders die Vilniusser Adelsfamilien Oginskis und Cartoriskis hervor. Der Gegner Stanislaw Poniatowskis während der Thronkandidatur von 1764 und Wojewode von Vilnius, Mykolas Kazimiras Oginskis (poln. Michal Kazimierz Ogiriski, *1730, t l 8 0 0 ) wurde 1768 Großhetman von Litauen und war eine der profiliertesten Figuren der antirussischen Konföderation von Bar (1768-1772), die zur ersten Teilung Polen-Litauens führte. Er gründete das Arsenal von Vilnius und trieb den Bau von Straßen, Kanälen und die Gründung von Manufakturen und Fabriken in Vilnius voran. Die Cartoriskis, die eine Verwandtschaft mit Großfürst Gediminas behaupteten, dominierten das Vilniusser adlige Residententum des 18. Jahrhunderts. Sie stellten mehrere Kastellane von Vilnius und Großkanzler von Litauen. Fürst Kazimiras Cartoriskis (poln. Kazimierz Czartoryski, *1674, t l 7 4 l ) , u.a. Kastellan von Vilnius, zeigte unverhohlen Ambitionen auf den Königsthron und gründete die später als »Familie« bekannte Thronprätendenten-Partei. Neben diesen Vilniusser Vertretern litauischer Adelsdynastien lebten zahlreiche großfürstliche Funktionsträger in Vilnius, deren Familien meist außerhalb von Vilnius auf dem Lande lebten. Zu nennen wären etwa der Großhetman von Litauen und Kastellan von Vilnius (1566-1572), Grigorijus Katkevicius (poln. Grzegorz Chodkiewicz, *?, 11572); der Kastellan (1703-1744) und Wojewode von Vilnius (1706-1707) ruthenischer Her84
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kunft Fürst Mykolas Visnioveckis (poln. Michal Serwacy Wisniowiecki, *1680, t l 7 4 4 ) ; der Kastellan von Vilnius ( 1 7 4 4 - 1 7 6 8 ) Fürst Mykolas Juzefas Masalskis (poln. Michal Jozef Massalski, *ca.l700, t l 7 6 8 ) oder der polnische Adlige Krzysztof Wiesiolowski (*?, 11637), der u.a. Stadtstarost von Vilnius war. Besondere Erwähnung verdienen Antanas Tyzenhauzas und Dominik Sluszko. Tyzenhauzas (poln. Antoni Tyzenhaus/dt. Anton "Piesenhausen, "1733 in Vilnius, t l 7 8 5 ) , Schatzmeister von Litauen ( 1 7 6 5 1785), Industrieunternehmer, Finanzier und persönlicher Freund des letzten Großfürsten, Stanislaw August Poniatowski, studierte am Jesuitenkolleg in Vilnius, war mit Jean-Jacques Rousseau ( " 1 7 1 2 , 1 1 7 7 8 ) bekannt und hinterließ in Vilnius einen beachtenswerten Palast im frühklassizistischen Stil (1770er Jahre) in der Deutschen Gasse, der wahrscheinlich von dem venetianischen Architekten Giuseppe de Sacco (*ca. 1739, 11798) aus einem bereits 1597 erwähnten Haus umgebaut worden war, nach Tyzenhauzas' Bankrott 1777 bald verfiel, 1975 jedoch rekonstruiert wurde. Im Rahmen einer Darstellung des Vilniusser Residenzadels muss ein weiterer bedeutender Barockpalast erwähnt werden, der in der Vorstadt Antakalnis auf einer künstlichen Halbinsel am Nerisufer auf Befehl des Polocker Wojewoden Dominik Sluszko (*ca. 1655, 11713) in den Jahren 1690-1700 nach Entwürfen von Michelangelo Palloni und Pietro Perti entstand. Der Sluszko-Palast war wiederholt Vilniusser Residenz der polnisch-litauischen Herrscher, nachdem der Großfurstenpalast während der moskauischen Besetzung 1 6 5 5 - 1 6 6 1 zerstört worden war. Während des Großen Nordischen Krieges nutzte Zar Peter I. den Palast in den Jahren 1705 und 1709 als Hauptquartier. Nach Sluszkos T o d ging der Palast 1727 in die Fürstenfamilie der Puzyna (Rurikiden) über. 1745 erwarben ihn die Potockis. 1756 kauften ihn der Piaristenorden und brachten darin ein Kollegium und eine Druckerei unter. 1766 schließlich erwarb ihn Mykolas Kazimiras Ogiriskis, der ihn nach Entwürfen Pietro Rossis umbauen ließ. 1794 konfiszierte die russische Regierung den ehemaligen Sluszko-Palast und verwandelte ihn in ein Wohnhaus. Nach weiteren Umnutzungen ist dort heute die Litauische Akademie für Musik und Theater untergebracht.
Konfessionalisierung der Kirchenresidenz Im Gegensatz zur adligen Residenzstadt, deren Charakter sich gegenüber den Entwicklungen des Mittelalters kaum veränderte - wenn auch viele neue Ämter hinzukamen - , war die Kirchenresidenz in der frühen Neuzeit Die Residenzstadt
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tiefgreifenden Umwälzungen unterworfen. Das katholische Bistum Vilnius und sein Sitz in der litauischen Hauptstadt blieben zwar erhalten. Doch erschütterten die Konfessionalisierung und mit ihr verbundene Reformen innerhalb der Katholischen und Orthodoxen Kirche sowie die reformatorischen Bestrebungen verschiedener protestantischer Gemeinschaften die ehedem monopolisch erscheinende katholische Residenz erheblich. Die Verlegung der physischen Residenz in den Palast des 1539 verstorbenen Kanzlers von Litauen und Wojewoden von Vilnius, Albertas Gostautas (poln. Olbracht Gasztold, *1462, tl539), am heutigen Daukanto-Platz (Daukanto-aikste, heute Präsidentenpalast), im Jahre 1543, wo sie bis 1794 blieb, stellte dabei noch die kleinste Veränderung dar. Die katholische Kirche ging aus den Konfessionalisierungsprozessen des 16. und 17. Jahrhunderts letztendlich gestärkt hervor. Deutlicher noch als in früheren Jahrhunderten wurde Vilnius in der frühen Neuzeit zum Zentrum des litauischen Katholizismus, während die Protestanten und Orthodoxen nach einer anfänglich starken Präsenz in der Hauptstadt bald auf Orte in anderen Teilen Litauens ausweichen mussten. Gleichzeitig entwickelte sich Vilnius seit dem 17. Jahrhundert zum religiösen und administrativen Zentrum der litauischen Juden. Die Reformation: Das zentrale Ereignis, das die kirchlichen Verhältnisse in Vilnius im 16. Jahrhundert bestimmte, war die Reformation. Sie gewann in der Stadt und Litauen Einfluss hauptsächlich durch Litauer, die im deutschsprachigen Ausland studiert hatten, z.T. aber auch durch die deutschen Stadtbürger und schließlich durch Kontakte zwischen deutschen und litauischen Geistlichen. Bereits 1520, noch vor Luthers Anhörung auf dem Reichstag zu Worms (1521), verlangte der in Vilnius weilende päpstliche Nuntius Zaccaria Ferreri (*1479, 11526) von Großfürst Zygimantas dem Alten (1506-1548) ein Verbot lutherischer Lehren. 1521 warnte er auf einer Diözesansynode in Vilnius erneut vor der gefährlichen »Häresie«. Es sollte jedoch sechs Jahre dauern, bis das Vilniusser Bistum anlässlich einer Synode um die Jahreswende 1527/28 seine Diözesanpfarrer ermahnte, keine Lehrer an den Pfarrschulen anzustellen, die an deutschen Universitäten studiert hatten. Trotz dieser eher zögerlichen Opposition gegen reformatorische Lehren konnte die Reformation in Vilnius und Litauen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts kaum Fuß fassen. Die Reformation blieb einstweilen eine rein theologische Angelegenheit. Eine Ausnahme bildete der protestantische Humanist Abraomas Kulvietis (lat. Abraham Culvensis, ca. 1509, 11545), der sich nur kurze Zeit in Vilnius aufhielt, es aber, protegiert von Albertas Gostautas, vermochte, 1539 ohne 86
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Erlaubnis der geistlichen Obrigkeit ein protestantisches Kollegium zu gründen, das nicht nur zum Zentrum der theologischen Auseinandersetzungen in Vilnius und Litauen wurde, sondern die lutherische Lehre auch weiter in die Stadtbevölkerung hineintrug. Abraomas hatte bei Erasmus von Rotterdam ("1469, 11536) in Leuwen und Philipp Melanchthon (*1497, t l 5 6 0 ) in Wittenberg studiert und war ein glühender Verfechter der reformatorischen Ideen. Seine aus Sicht des Bistums illegale Tätigkeit brachte ihm die einstweilige Vertreibung aus Litauen von der H a n d des Großfürsten ein. In der Emigration im nahe gelegenen Königsberg im seit 1525 lutherischen Herzogtum Preußen wurde er jedoch Rektor des sog. Partikulars (gegr. 1542), aus dem zwei Jahre später die Universität Königsberg hervorging. Dort erhielt er zudem eine Professur für griechische Sprache. Kurze Zeit später wurde er von der Königin/Großfürstin Bona Sforza rehabilitiert (ausführlich dazu im Abschnitt über die Bildung). Dieser erste Impuls der lutherischen Reformation hinterließ durchaus Spuren im Vilniusser Stadtbürgertum. In den 1550er Jahren entstanden in der Deutschen Gasse in Vilnius eine lutherische Gemeinde und ein lutherischer Friedhof. Weitere lutherische Gemeinden folgten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. In dieser Zeit dominierte jedoch bereits der Calvinismus das reformatorische Litauen. Seinen relativen Erfolg verdankte er dem Nachfolger Zygimantas des Alten auf dem Großfürstenthron, Zygimanatas II. Augustas ( 1 5 4 8 - 1 5 7 2 ) , der im R u f des religiösen Indifferentismus und politischer Zauderhaftigkeit stand. Diese Eigenschaften ließen ein theologisches Vakuum entstehen, in dem sich die Reformation weiter entwickeln konnte. Sie machten den Großfürsten allerdings auch selbst zum Objekt protestantischer und katholischer Überzeugungsarbeit. Martin Luther ( * 1 4 8 3 , 1 1 5 4 6 ) , Jean Calvin (*1509, 11564), der Zürcher Reformator Heinrich Bullinger ( ' 1 5 0 4 , t l 5 7 5 ) , der italienische Protestant Bernardino Ochino ("1487, t l 5 6 4 ) , die reformierten Herzöge Albrecht von Preußen (*1490, 11568) und J o h a n n Friedrich der Großmütige von Sachsen ("1503, 11554) standen zu diesem Zweck in engem Briefkontakt mit dem Großfürsten - so wie andererseits auch katholische Propagandisten, etwa die Päpste Julius III. ( 1 5 5 0 - 1 5 5 5 ) , Paul IV. ( 1 5 5 5 - 1 5 5 9 ) und P i u s V . ( 1 5 6 6 - 1 5 7 2 ) sowie Kaiser K a r l V . ( 1 5 2 0 - 1 5 5 8 ) . Letztendlich blieb Zygimantas Augustas sein Leben lang Katholik, zeigte sich aber in seiner phlegmatischen Grundhaltung gleichzeitig als resistent gegen dogmatische Festlegungen. Unter seiner Herrschaft genossen die Vilniusser Protestanten ein hohes Maß religiöser Freiheit.
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Nach Zygimantas' II. Tod und damit dem Ende der JagiellonenDynastie 1572 wurde das Bekenntnis zum Katholizismus zu einer der entscheidenden Vorbedingungen für die Wahl zum König und Großfürsten in der künftigen Wahlmonarchie Polen-Litauen - nicht zuletzt auch auf dem Hintergrund, dass die zunächst regierenden Vaza (Vasa) sich mit einem protestantischen Familienzweig in Schweden auseinander zu setzen hatten, der drohte, Polen und Litauen in Unions- oder gar InkorporationsTerritorien Schwedens zu verwandeln. In dieser Zeit, der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, erwies sich der Wojewode von Vilnius und Kanzler von Litauen, Mikalojus Radvila »der Schwarze« (poln. Mikolaj »Czarny« Radziwill, 1515,11565), als zentrale Gestalt der litauischen reformatorischen, genauer: calvinistischen Bewegung. Unter seiner Protektion fand 1553 der erste calvinistische Gottesdienst in Vilnius statt. Nachdem er sich anlässlich eines Disputs mit dem in Vilnius weilenden päpstlichen Nuntius und Bischof von Verona, Luigi Lippomano (*1500,11559), 1555 offen zum Protestantismus bekannt hatte, ließ er in Königsberg eine Confessio fidei (1559) als schriftliche Antwort auf Lippomanos Kampfschrift Confirmazione e stabilimento di tutti li dogmi cattolici .. . contro i novatori (»Bekräftigung und Bestärkung aller katholischen Dogmen [...] gegen die Neuerer«, Venedig 1553) drucken. 1557 hatte das Bekenntnis des schwarzen Radvila zum Protestantismus bereits solche Kreise gezogen, dass sich das Vilniusser Domkapitel darüber beklagte, dass Radvilas Palast in der Vilniusser Vorstadt Lukiskés zum Treffpunkt zahlreicher Vilniusser und auswärtiger Protestanten geworden war. In den 1550er Jahren wurden unter dem Protektorat Radvilas des Schwarzen zwei wichtige Entwicklungen innerhalb des litauischen Protestantismus angestoßen: Zum einen bekannten sich in der Folgezeit zahlreiche Vertreter der litauischen Hochadels, darunter viele in Vilnius, zum Calvinismus; zum anderen entstand in den kommenden Jahren eine eigenständige calvinistische Kirchenorganisation in Vilnius und Litauen. Die Anhängerschaft des Calvinismus stammte aus verschiedenen sozialen Schichten, seine wichtigsten Vertreter jedoch waren litauische Adlige. Dabei hingen die meisten wie Radvila der Schwarze dem Calvinismus an. Dies galt insbesondere für Vilnius und andere größere Städte des Großfiirstentums (vor allem Kaunas, Polock, Vitebsk, Brest), während sich Reste des Luthertums eher an der Peripherie des Reiches, besonders an den Grenzen zu den lutherischen Territorien Preußen und Livland, hielten. Die Reformation spaltete nicht nur den Vilniusser Residenzadel, sondern auch die Stadtbürgerschaft. Dies wird am besten am Beispiel der Familie Radvila 88
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deutlich, die seit d e n T a g e n R a d v i l a s des S c h w a r z e n in einen p r o t e s t a n t i schen u n d e i n e n k a t h o l i s c h e n Z w e i g zerfiel. A b e r a u c h viele andere F a m i lien des V i l n i u s s e r H o c h a d e l s w a r e n v o n der k o n f e s s i o n e l l e n S p a l t u n g bet r o f f e n . S c h ä t z u n g e n v o n H i s t o r i k e r n g e h e n d a v o n aus, dass 1 5 6 6 r u n d die H ä l f t e der M i t g l i e d e r des g r o ß f ü r s t l i c h e n R a t e s ( S e i m a s ) in V i l n i u s d e m P r o t e s t a n t i s m u s , d a v o n der größte T e i l d e m C a l v i n i s m u s , a n h i n g . A h n l i ches gilt fiir S t a d t b ü r g e r u n d G e l e h r t e , die o f t als P r o t é g é s ( K l i e n t e n ) der O b e r s c h i c h t h a n d e l t e n , wie e t w a der Fall A b r a o m a s K u l v i e t i s / G o s t a u t a s (s.o.) zeigt. T h e o l o g i s c h e D i s p u t e f a n d e n aber n u r in der O b e r s c h i c h t statt. Gelegentlich g i n g e n diese in p h y s i s c h e G e w a l t über; so e t w a 1 5 6 0 , als einige P r o t e s t a n t e n , j e d e n f a l l s n a c h D a r s t e l l u n g d e s Vilniusser D o m k a p i t e l s , katholische Priester aus ihren K i r c h e n vertrieben u n d a u s r a u b t e n , S a k r a m e n te u n d G e b e t s a l t ä r e s c h ä n d e t e n o d e r aus d e n K i r c h e n e n t f e r n t e n . Insges a m t aber ü b e r w o g in d e r S t a d t die religiöse T o l e r a n z o d e r z u m i n d e s t d e r G e w a l t v e r z i c h t . Religiöse U n r u h e n w u r d e n in d e r Regel v o n d e r O b r i g k e i t u n t e r d r ü c k t , militärische K o n f l i k t e o d e r M a s s a k e r blieben j e d o c h aus. In d e r R e g e l ü b e r n a h m e n die P r o t e s t a n t e n in V i l n i u s u n d a n d e r e n g r o ß e n S t ä d t e n L i t a u e n s K i r c h e n nicht v o n d e n K a t h o l i k e n , s o n d e r n bauten n e u e G o t t e s h ä u s e r o d e r V e r s a m m l u n g s p l ä t z e . D e r V e r l u s t an Mitglied e r n in d e n k a t h o l i s c h e n K i r c h s p i e l e n f ü h r t e j e d o c h zu L e e r s t ä n d e n k a t h o lischer K i r c h e n . M a n schätzt, dass u m 1 5 9 5 r u n d die H ä l f t e aller K i r c h e n in d e n B i s t ü m e r n V i l n i u s u n d Z e m a i t i j a keine o d e r k a u m M i t g l i e d e r besaß. E r s t in d i e s e m S t a d i u m w u r d e n m a n c h e dieser K i r c h e n v o n P r o t e s t a n t e n übernommen. D i e G e m e i n d e n der V i l n i u s s e r C a l v i n i s t e n rückten s c h o n bald v o n d e n V o r s t ä d t e n ins Z e n t r u m der S t a d t , v o r allem in die S t a d t p a l ä s t e R a d v i l a s des S c h w a r z e n u n d a n d e r e r h o c h a d l i g e r A n h ä n g e r des C a l v i n i s m u s . A n ders als in a n d e r e n S t ä d t e n d e s G r o ß f ü r s t e n t u m s f a n d e n die V e r s a m m l u n g e n hier a u f p r i v a t e m G r u n d u n d B o d e n statt u n d waren v o n d e r O b r i g k e i t d e s h a l b k a u m zu k o n t r o l l i e r e n . In d e n 1 5 7 0 e r J a h r e n w u r d e der Palast R a d v i l a s d e s S c h w a r z e n j e d o c h zu eng, der V i l n i u s s e r W o j e w o d e k a u f t e ein S t ü c k L a n d in der W a l l g a s s e (lit. P y l i m o g a t v é ) u n d ließ d o r t u m 1 5 8 0 eine K i r c h e , etwas später a u c h eine Schule, ein A r m e n h a u s , eine B i b l i o t h e k , A r c h i v , D r u c k e r e i u n d F r i e d h o f errichten. D i e verschiedenen p r o t e s t a n t i s c h e n R i c h t u n g e n b i l d e t e n u n t e r s c h i e d liche O r g a n i s a t i o n s s t r u k t u r e n aus. D i e lutherischen G e m e i n d e n L i t a u e n s blieben dezentral-lokal organisiert u n d u n t e r s c h i e d e n sich stark in ihrer theologischen A u s r i c h t u n g u n d ihrem sozialen G e f u g e . D i e E n t s t e h u n g einer
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litauischen lutherischen Pastorenschicht blieb aus. Meist stammten die Pastoren aus Preußen oder Livland. Als Ursprung einer calvinistischen Organisationsstruktur gilt die Jahreswende 1557/58, als in Vilnius die erste protestantische Synode Litauens abgehalten und damit die sog. Unitas Lithuaniae (poln. Jednota Litewska), die calvinistische Kirchenprovinz Litauen, gegründet wurde. Im gleichen Jahr fand eine calvinistische Synode in Brest statt, so dass die litauischen Calvinisten zunächst zwei Synodaldistrikte (Vilnius, Brest-Litovsk) bildeten. Ab 1595 nannten sich die Calvinisten in Litauen (wie auch in Polen) Evangelisch-Reformierte Kirche und suggerierten damit eine einheitliche Kirchenorganisation, die so aber nicht existierte. Um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert gab es rund 200 calvinistische Gemeinden in Litauen, die in sechs Synodaldistrikte um die Zentren Vilnius, Kedainiai (dt. Kedahnen, poln. Kiejdan), Birzai, Sluck, Koidanaia (poln. Kojdanow, ruth. Kojdanava) und Zabludöw (das spätere Izabeline) zusammengefasst waren. Das Netzwerk der 200 Unitas-Pastorate deckte also fast ganz Litauen ab. Die Gesamtkirchenleitung hatte die Synode inne, in der die Pastoren, (nichtgeistliche) Kuratoren und weitere Delegierte der Gemeinden versammelt waren. Als Verwaltungsgremium für die Zeit zwischen den Synoden fungierte ein Konsistorium. Die Synode wählte einen Generalsuperintendenten als Vorsitzenden. Sein Amt entsprach funktionell dem eines lutherischen Bischofs und wurde erstmals an Simonas Zacijus (*ca. 1507, 11591) vergeben. Die Einzelgemeinden lagen in der Obhut von Pastoren, Lehrern, Ältesten (Presbytern; für die Seelsorge) und Dekanen (fiir die Pflege der Kranken, Alten, Witwen und Armen). Am stärksten wirkte die Reformation über ihre theologischen Schriften. Der Druck des ersten litauischen lutherischen Katechismus (»Die einfachen Worte des Katechismus«, 1547) des Martynas Mazvydas (*1510, 11563) in Königsberg wurde schon bald in Vilnius bekannt. In der Druckerei Radvilas des Schwarzen in Brest (gegr. 1533) erschienen 1558 das sog. Brester Kirchenliederbuch, 1559 die bereits erwähnte polnischsprachige Confessio fidei Radvilas des Schwarzen und 1563 die sog. Brester Bibel, die erste in Litauen gedruckte polnische Übersetzung der Heiligen Schrift. In Radvilas Druckerei von Nieswiez (gegr. 1562) kam 1562 der erste calvinistische Katechismus in ruthenischer Sprache heraus. Sie alle fanden ihren Weg schnell in die lesekundigen Haushalte des Vilniusser Adels und Bürgertums. Die erste protestantische Druckerei in Vilnius wurde jedoch erst ca. 1575 eingerichtet. Im Unterschied zu früheren Drucken erschienen in Vilnius mehr Polemiken gegen Katholiken und Antitrinitarier, insbeson90
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dere von Andreas Volanus (poln. Andrzej Wolan, *ca. 1530, 11610), Stanislaus Sudrovius (*ca. 1550,11600) und Andrzej Chrz^stowski (*ca. 1555, 11618). Daneben bildeten Katechismen, Gottesdienstordnungen, Kirchenlieder- und Gebetsbücher, Liturgien und Postillen, etwa von Baltramiejus Vilentas (*ca. 1525, t l 5 8 7 ) und Johann Bretke (lit. Jonas Bretkünas, "1536, t l 6 0 2 ) den Grundstock der Vilniusser reformierten Druckerei. Bretke fertigte auch die erste Ubersetzung der gesamten Heiligen Schrift ins Litauische an. Sie wurde jedoch nie gedruckt. Mit der protestantischen gedruckten Literatur begann eine Bewegung gegen den Analphabetismus in Vilnius und darüber hinaus. Der litauischen Sprache kam dies jedoch - von Ausnahmen abgesehen und im Gegensatz zur Stärkung der Volkssprachen durch die Reformation in anderen Ländern Europas - nicht zu Gute. Andererseits ist ein Zusammenhang zwischen Reformation und Lituanismus nicht von der Hand zu weisen. Der bereits mehrfach erwähnte Wojewode von Vilnius, Albertas Gostautas, war ein großer Förderer der Reformation, und gleichzeitig ein Lituanist, der den Ruthenen und Polen gegenüber mißtrauisch blieb. Der erste Druck in litauischer (und polnischer) Sprache in der Vilniusser calvinistischen Druckerei war ein Katechismus von Merkeiis Petkevicius ("1550, t l 6 0 8 ) aus dem Jahre 1598. Seine Wirkung blieb jedoch wegen der Dominanz der polnischen Sprache in der Stadt recht begrenzt. Nach der ersten Generation von Reformatoren schwand der deutsche protestantische Einfluss in der Stadt. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurden deshalb die Verbindungen zu den polnischen Protestanten wichtiger. Weitere Einflüsse zeigten sich durch reformierte Flüchtlinge aus Frankreich (Hugenotten), Schottland (Anhänger von John Knox) und anderen Ländern. Dies fiihrte zur Entstehung weiterer Strömungen des litauischen Protestantismus, vor allem der Antitrinitarier. Sehr früh machten sich in Vilnius antitrinitarische Tendenzen breit. Schon 1558 tauchte der Italiener Giorgio Biandrata (*1516, t l 5 8 8 ) in Vilnius auf, nachdem ihn die Genfer wegen seiner antitrinitarischen Ansichten aus der Stadt vertrieben hatten. Er gewann in Vilnius trotz einer entschlossenen Opposition Calvins und der Führung der Vilniusser Calvinisten eine ansehnliche Anhängerschaft unter den Vilniusser Calvinisten und unterhielt freundschaftliche Beziehungen zu Radvila dem Schwarzen. Nach dem Tod Radvilas schlössen die Vilniusser Calvinisten die Antitrinitarier aus ihren Reihen aus, die dann die sog. »Kleine Kirche« oder auch »Litauische Bruderschaft« bildeten und 1565 ihre erste eigene Synode abhielten. Sie genossen dabei die Protektion hoher litauischer Adliger. Ihre Aktivitäten verlagerten Die Residenzstadt
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sie aber nach 1565 meistenteils von Vilnius auf die Landgüter ihrer Protektoren, wo sie dann nach und nach, endgültig aber im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts nach zahllosen theologischen Auseinandersetzungen in die Bedeutungslosigkeit absanken. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhundert ging die Hoch-Zeit des Calvinismus und gleichzeitig des gesamten Protestantismus in Vilnius (und Litauen) zu Ende. Nach dem Tod Radvilas des Schwarzen (1565) rekonvertierten immer mehr Protestanten zum Katholizismus. 1650 waren fast alle protestantischen Kirchen wieder in katholischer Hand. Die noch verbliebenen Protestanten verlagerten ihren Lebensmittelpunkt aufs Land. So entstand z.B. unter der Patronage eines Cousins Radvilas des Schwarzen, Mikalojus Radvila dem Braunen (*1512, tl584), seinem Sohn Kristupas Radvila (poln. Krzysztof Mikolaj »Pierota'Vdem Donnerer«, * 1547, tl603) und seinem Enkelsohn Kristupas II. (poln. Krzyztof II., *1585, tl640) auf den Gütern dieses Zweigs der Familie Radvila in Birzai und Dubingiai ein neues Zentrum des litauischen Calvinismus. Sichtbarstes Zeichen dieser Dissoziation des Vilniusser Calvinismus war im Jahre 1640 die Verlegung der calvinistischen Kirche nach außerhalb der Stadtmauern, in die Wallgasse (Pylimo gatve), wo der calvinistische Friedhof lag. Gleichzeitig wurden auch die Rechte der Calvinisten, am städtischen Leben teilzunehmen, eingeschränkt. Das eigentliche Zentrum der litauischen Protestanten wurde nun Kedainiai im heutigen Zentrallitauen, wo zwei calvinistische und eine lutherische Kirche sowie eine antitrinitarische Gemeinde und eine bedeutende Bibliothek mit vorwiegend protestantischem Schrifttum entstanden. Außerdem flohen auch schottische Emigranten nach ihrer Verfolgung durch die Church of Scotland dorthin. Die bereits erwähnte, mit diesem Ort verbundene Union von Kedainiai (1655-1656) zwischen dem protestantischen Zweig der Familie Radvila und König Karl X. Gustav von Schweden ist insofern mit der Geschichte des litauischen Protetantismus verbunden, als hier der Plan bestand, die katholisch dominierte polnisch-litauische Union durch ein schwedisch-protestantisches Protektorat über Litauen zu ersetzen und die Radvila zur einflussreichsten Adelsfamilie unter schwedischem Schutz in Litauen zu machen. Gegenreformation-, Eine der Erklärungen frir den Niedergang des Protestantismus in Vilnius waren die Wirkungen der katholischen Gegenreformation, die ihrerseits durch äußere und innere Faktoren begünstigt wurde. Mit der polnisch-litauischen Union von 1569 gingen die gesamte Diözese Kiev und Teile der Diözese Luck in polnische Oberhoheit über, was das Eigengewicht des Bistums Vilnius innerhalb Litauens erhöhte und 92
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expansiven Tendenzen Vorschub leistete. War der Hauptcharakter des Bistums Vilnius im Mittelalter der eines Missionsbistums zur Ausbreitung des katholischen Christentums in der Stadt und großen Teilen Litauens gewesen, so wandelte es sich im 16. und 17. Jahrhundert zum Zentrum der polnisch-litauischen Gegenreformation. Die frühe Gegenreformation ist eng mit den Bemühungen der Vilniusser Bischöfe verbunden, der eindringenden Reformation ein katholisches Gegengewicht entgegenzusetzen und ihrerseits Reformmaßnahmen zu ergreifen. Die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts hat in diesem Sinne unter dem Druck der Reformation eine ganze Reihe tatkräftiger und illustrer Bischöfe hervorgebracht. Jan z Ksi^zqt Litewskich (Johannes der Litauer, auch: Jan Ochstat, Jan de Thelnicz, 1 5 1 9 - 1 5 3 6 ) , ein unehelicher Sohn Zygimantas des Alten und vor seiner Wahl zum Bischof Sekretär am königlichen H o f in Krakau, führte neue Diözesanämter: Scholasten und Kantoren, ein, um die Bildungskompetenzen der katholischen Kirche Litauens zu verbessern. Außerdem hielt er eine Bischofssynode in Vilnius (1526) ab, die erstmals zu Statuten für das Bistum führten (veröffentlicht 1528). Unterstützt wurde er dabei besonders von der Großfürstin/Königin Bona Sforza. Als Gehilfen (Suffragane) dienten ihm ein einflussreicher polnischer Dominikaner namens Feliks, als Sekretär und Arzt der berühmte ruthenische »Doktor der Sieben Freien Künste« und Buchdrucker Franciszek Skoryna (*ca. 1485/90, tea. 1540/51). Synoden galten in der Zeit der Lubliner Union überhaupt als Allheilmittel für die Probleme der Kirche. Von 1502 bis 1744 hielt das Vilniusser Bistums eine Vielzahl von Synoden ab. Dabei ging es jedoch nicht von Anfang an um die Bekämpfung der Reformation. Die ersten Synoden von 1502, 1526 und 1528 beschäftigten sich vielmehr mit den ureigensten Problemen des Bistums, u.a. mit einer Reform der Pfarrschule. Erst eine Synode von 1555 setzte sich explizit mit der »gefährlichen« Ausbreitung des Luthertums auseinander. Als Verfechter der Vilniusser Gegenreformation exponierte sich besonders der in der Stadt geborene Bischof Kardinal Jurgis Radvila (poln. Jerzy Radziwill, 1 5 7 9 - 1 5 9 1 , *1556, t l 6 0 0 ) . Als Mitglied der Radvila-Familie und Sohn Radvilas des Schwarzen calvinistisch getauft und erzogen, studierte er 1 5 7 1 - 1 5 7 3 an der lutherischen Universität zu Leipzig, geriet jedoch nach dem Verlust seiner Eltern im Alter von 12 Jahren (1568) unter den Einfluss des Jesuiten und späteren Rektors der Universität von Vilnius, Piotr Skarga (*1536, t l 6 1 2 ) , und trat zum Katholizismus über. Als Protege des damals amtierenden Vilniusser Bischofs Valerijonas Protasevicius Die Residenzstadt
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(poln. Walerian Protasewicz, 1 5 5 6 - 1 5 7 9 , ca. 1505, t l 5 7 9 ) wurde er 1575 nach einem längeren Studienaufenthalt in Rom, wo er unter der Aufsicht des Jesuitenpaters Achille Gagliardi (*1537, t l 6 0 7 ) in der Villa Papst Julius III. ( 1 5 5 0 - 1 5 5 5 , *1487, t l 5 5 5 ) weitere Studien betrieb, mit Zustimmung Stefan Bathorys und Papst GregorsXIII. ( 1 5 7 2 - 1 5 8 5 , "1502, t l 5 8 5 ) zunächst zum Koadjutor (Suffraganbischof) von Vilnius ernannt, um 1581 schließlich das Bischofsamt von Vilnius zu übernehmen. 1583 empfing er außerdem die Kardinalswürde. 1 5 8 3 - 1 5 8 6 fungierte er sogar als Stellvertreter des Großfürsten (Stefan Bathorys) in Livland. 1591 schließlich wurde er Erzbischof von Krakau, d.h. zum Oberherrn des Bistums Vilnius gewählt. Alle drei Ämter behielt er bis zu seinem Tode. Kardinal Radvila war ein Hauptanwalt der Gegenreformation, einer der Architekten der Union von Brest (1595/96) und ein Förderer der Jesuiten. Sein Lehrer Bischof Protasevicius hatte 1564 damit begonnen, die für die europäische Gegenreformation zentralen Tridentinischen Reformen in Litauen umzusetzen. Dieses Werk setzte Kardinal Radvila tatkräftig fort. Die Jesuiten und ihre Aktivitäten in Vilnius und Litauen bildeten einen anderen wichtigen Hintergrund für die Erfolge der Gegenreformation. Jesuiten waren bereits 1569 auf Einladung Bischof Valerijonas Protasevicius' (poln. Walerian Protaszewicz Suszkowski; im Amt 1 5 5 6 - 1 5 7 9 ) , der u.a. auch das Zölibat für den Klerus und den Gebrauch des Lateinischen in der Liturgie einführte, nach Vilnius gekommen. Die Jesuiten sahen in Vilnius einen Stützpunkt für eine weitreichende katholische Mission in Nordosteuropa. Von hier wollten sie Schweden und Russland, ja sogar China für den Katholizismus gewinnen. Der Spatz in der Hand waren jedoch die Calvinisten von Vilnius. Es entstand ein harter kirchenpolitischer Kampf, der auch einige Menschenleben forderte, schließlich aber mit einem Sieg der katholischen Seite endete. Einen Teil ihres Erfolges verdankten die Jesuiten der Tatsache, dass sie aus unterschiedlichen Ländern stammten, in mehreren Sprachen predigten und lehrten, darunter Polnisch, Litauisch und Deutsch, und damit die multikulturelle Stadtbevölkerung besser erreichten als etwa die meist deutschsprachigen Lutheraner. Sie gründeten Bruderschaften, kümmerten sich um die Armen, Gefangenen und Prostituierten, fahrten schriftliche und mündliche Dispute mit Protestanten und Orthodoxen - und überzeugten nicht zuletzt viele litauische Adlige zur Rekonversion, darunter solche hoch gestellten Persönlichkeiten wie den Kastellan von Vilnius und Großmarschall von Litauen, Jonas Chodkevicius (poln. Jan Chodkevicz, "1537, t l 5 7 9 ) , drei Söhne Radvilas des Schwarzen sowie den Wojewoden von Vilnius, Leonas Sapiega. Von zentraler Bedeu94
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tung waren Bildungsbemühungen (s.u.), in deren Zentrum die Aktivitäten der Vilniusser Jesuitenakademie und der Vilniusser Jesuitendruckerei standen. Das Jesuitenkolleg von Vilnius besuchten nicht nur Katholiken, sondern auch Orthodoxe und Protestanten, Lehrpläne wurden ständig erweitert und die Zahl der Studenten nahm stetig zu. Die Nachfolger Jurgis Radvilas, Benedykt Woyna (Wojna, 1600-1615, *?, tl615) und Eustachy Wollowicz (1616-1630, *1572, tl630), führten das Werk des Bischofs energisch und erfolgreich fort. Insgesamt 12 Synoden der Diözese Vilnius und 9 bischöfliche Visitationen fanden unter ihrer Amtsführung statt, darunter 1607 eine Synode über die Verwaltung der Sakramente und die Disziplin des Pfarrklerus und 1630 eine über die Verwaltung des Kirchenvermögens. Die Wirkungen der gegenreformatorischen Kirchenpolitik der Bischöfe und der Jesuiten trugen schon bald Früchte. Bereits 1555 wurde in Vilnius eine permanente päpstliche Nunziatur eingerichtet, die sich um die Probleme des litauischen Katholizismus kümmern sollte. Ihr Einfluss machte sich jedoch recht spät bemerkbar, nämlich erst als der päpstliche Legat Allesandro Comuleo (auch: Alexander Komulovic, "1548, tl608) im Jahre 1595 eine Visitation der Diözese Vilnius sede vacante durchführte. Bemühungen um eine Verbesserung der Pfarrerbildung und -disziplin setzten hingegen früh ein. Die Synode von 1607, die sich diesem Thema widmete, stellte hier schon fast einen Schlusspunkt dar. Schon nach der ersten Bischofsvisitation wurden Maßnahmen zur Besserung des Pfarrklerus getroffen. Die Pfarrer waren nun gehalten, ihre Amtskleidung ständig zu tragen, auf Konkubinen, Glückspiel und Gelage zu verzichten und an ihrem Arbeitsort zu wohnen - alles bis dahin unübliche Verhaltensforderungen. Ab den 1570er Jahren trat eine deutliche qualitative Verbesserung bei der Besetzung der Bischofs- und Pfarrämter ein. Dennoch blieb die Pfarrerdisziplin noch lange Zeit ein virulentes Thema. Bis 1685 beschäftigten sich Vilniusser Bischofssynoden mit diesem Problem. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurden zahlreiche neue Pfarreien gegründet, vor allem in Gebieten mit orthodoxer Bevölkerung. Hintergrund war die Tatsache, dass litauische Adlige in dieser Zeit mit ausgedehnten Gütern in diesen Gebieten belehnt wurden und ihre katholischen Bauern dorthin mitnahmen. 1605 teilte sie die Diözese in fünf Dekanate und ein Erzdekanat für die ruthenischen Gebiete. 1651 war die Zahl der Dekanate auf 26 angewachsen. Außerdem wurde 1652 ein zweiter Suffraganbischof für Ruthenien eingesetzt. Insgesamt existierten in der Diözese Vilnius im Jahre 1651 354 funktionierende Pfarreien. Die Residenzstadt
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Neben der Jesuitenakademie in Vilnius, wo viele künftige Geistliche Kurse in Moraltheologie und theologischer Disputationskunst besuchten, wurde die Pfarrerbildung gemäß den Beschlüssen des Konzils von Trient durch die Einrichtung von Seminaren für mittellose Kandidaten ergänzt. Der Bischof von Zemaitija, Merkeiis Giedraitis ( 1 5 7 6 - 1 6 0 9 , 1537, t l 6 0 9 ) , eröffnete bereits 1581 ein solches Seminar für die Kandidaten seiner Diözese. Bischof-Kardinal Jurgis Radvila folgte 1582 mit der Gründung eines Seminars für die Diözese Vilnius. 1583 schließlich richtete der Jesuit Antonio Possevino (*1534, 11611) in Vilnius ein (päpstliches) Seminar für Studenten aus benachbarten nicht-katholischen, d.h. protestantischen und orthodoxen Ländern ein. Die Pfarrerbildung endete jedoch nicht mit dem Akademie- oder Seminarexamen. Auch später waren die Pfarrer gehalten, sich wenigstens mit Hilfe von Büchern weiterzubilden. Sie wurden während der Bischofs- oder Dekanats-Visitation oder, wenn sie in andere Pfarreien versetzt werden oder das Recht auf Abnahme der Beichte erwerben wollten, während der Synoden geprüft. Zu einer verbesserten Bildung gehörten auch Sprachkompetenzen. Die Beherrschung des Litauischen wurde zu einer Grundvoraussetzung für die Besetzung der Pfarrämter. Auch kirchliche Literatur erschien zunehmend in litauischer Sprache, darunter am bedeutendsten die Katechismen (1585 und 1595) des deutschen Gegenreformatoren Petrus Canisius (*1521, t l 5 9 7 ) und des spanischen Jesuiten Diego Ledesma (*1519, 1-1575), die Postilla (1599) des polnischen Jesuiten Jakub Wöjek (*1540 od. 1541, 11597), die Sermones-Sammlung (1629) des litauischen Jesuiten Konstantinas Sirvydas (*1578 od. 1581, 11631) und das erste litauische Kirchenliederbuch für die Katholische Kirche in Litauen (1646) von Saliamonas Slavocinskis (*ca. 1630, tca. 1660). Diese stark von der Reformation und der von den Protestanten eingeführten Kirchendisziplin und kirchlichen Bildung beeinflussten Maßnahmen veränderten das Erscheinungsbild der katholischen Geistlichkeit in Litauen erheblich. Der Respekt der Laien gegenüber der Geistlichkeit wuchs dabei merklich an. Die Reformen in der Kirchenverwaltung und gegenüber dem Pfarrklerus hatten Wirkungen auch auf das Leben der katholischen Gläubigen. Die durch das Konzil von Trient endgültig auf sieben festgesetzte Zahl der Sakramente wurden nun in vollem U m f a n g angewandt: Taufe, Firmung, Eucharistie, Bußsakrament, Krankensalbung, Ordo und Ehe wurden mit neuen Regularien versehen. Vor den Reformen war das einzige Sakrament, das die litauische Bevölkerung in der Praxis gekannt hatte, die Taufe gewesen. N u n wurde darauf geachtet, dass sie früh erfolgte. Zudem wurde die Zahl der 96
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Taufpaten begrenzt. Die Firmung ging in den Kontrollkanon der Bischofsund Dekan-Visitationen ein. Eine regelmäßige Eucharistiefeier konnte wenigstens für Ostern durchgesetzt werden. Beim Bußsakrament war zunächst die Furcht vieler Gläubiger auszuräumen, dass nach Durchführung des Bußsakraments unmittelbar der Tod eintrete. Mit der Zeit konnten die Büßer aber eines Besseren belehrt werden. Register von Taufen, Heiraten und Todesfällen wurden eingeführt. Traditionelle heidnische Begräbnisse in Form von Feuerbestattungen auf offenem Feld sollten bekämpft und durch reguläre Kirchhofbestattungen ersetzt werden. Eheschließungen wurden im Gegensatz zu früheren Zeiten öffentlich durchgeführt. Klöster und Kongregationen: Vom katholischen Aufbruch der Gegenreformation profitierte auch das Klosterleben. Die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts war ein goldenes Zeitalter der Klostergründungen - allerdings stärker in Zemaitija als in der Diözese Vilnius. Unter den neuen Kongregationen war die der Jesuiten zahlenmäßig die stärkste. Das Netz ihrer Klöster und Konvente erreichten schon im 16. Jahrhundert die gleiche Dichte wie das der seit dem Mittelalter ansässigen Franziskaner und FranziskanerObservanten (Bernhardiner) sowie der Dominikaner, die erst 1646 eine litauische Ordensprovinz erhielten. Zum Zentrum der 1608 gegründeten litauischen Provinz der Jesuiten, die auch Teile Polens und PolnischLivlands umfasste, wurde Vilnius. Außer der Jesuitenakademie besaßen die Jesuiten als Residenz des Ordensprovinzials (Oberhauptes der Ordensprovinz) ein Professhaus (gegr. 1604) in der Großen Gasse (Didzioji gatve), ein Kloster (erbaut 1604-1615) und ein Krankenhaus, zudem ein Noviziat (gegr. 1602-1604, ausgebaut 1622-1633) mit einer bedeutenden Bibliothek, einem Hospital, einer Brauerei und Werkstätten in der St. IgnatiusGasse (Sv. Ignoto gatve). Außerhalb der damaligen Stadtmauern, im heutigen Stadtteil Snipiskes, befand sich ein weiteres Jesuitenkloster mit der St. Raphael-Kirche für die Anwärter der höchsten hierarchischen Stufe des jesuitischen Klosterlebens, des Profess-Amtes. Es ging später, nach der Auflösung des Ordens in Litauen 1773, in die Hände der Piaristen über. Die Jesuiten waren nicht die einzigen Ordensleute, die mit der Gegenreformation in Vilnius Einzug hielten. Zahlreiche katholische Mäzene wurden im Rahmen der Gegenreformation aktiv und förderten Klostergründungen in Vilnius und im übrigen Litauen. So entstand 16201630 die Allerheiligenkirche und eine großes Kloster des KarmeliterStammordens in der Rüdninkij-Gasse. Die Karmeliter prägten im 17. und 18. Jahrhundert das religiöse Bild der Stadt durch zahlreiche Prozessionen und Feste. Die Residenzstadt
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Ebenfalls in der Rüdninkij-Gasse ließen 1621-1627 der Vilniusser Bürgermeister Ignacy Dubowicz und sein Bruder Stefan ein Barfüßer-Kloster errichten. Die Barfüßer waren in Vilnius als Kerzengießer und Bierbrauer, aber auch wegen ihrer karitativen Hinwendung zu den Alten und Waisen und ihrer Stipendien für Medizinstudenten bekannt. Neben dem Kloster entstand auf Initiative und mit Mitteln des litauischen Vizekanzlers Steponas Pacas (poln. Stefan Pac, "1587, f l 6 4 0 ) 1633-1650 die St. TheresaKirche, eines der schönsten Beispiele des Frühbarock in Vilnius. Der Hospitalorden der Barmherzigen Brüder (Fatebenefratelli), den Bischof Abraham Woyna (1631-1649) nach Vilnius eingeladen hatte, übernahm 1635 die bereits bestehende gotische Heilig-Kreuz-Kapelle und ein dazu gehöriges zweistöckiges Wohnhaus und bauten sie in eine barocke Kirche mit Klosteranlage um. Die Barmherzigen Brüder besaßen im polnisch-litauischen Reich um 1800 zudem 32 Hospitäler, eines davon in Vilnius. Bischof Brzostowski brachte den 1621 gegründeten Schulorden der Piaristen nach Vilnius. Diese hatten ihr 1742 gegründetes Kloster und Kirche in der heutigen Dluga-Straße und besaßen in Vilnius eine eigene Druckerei, die jedoch erst um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert einige wenige Bücher herausbrachte. Die Lateran-Kanoniker, die von Bischof Eustachy Wollowicz nach Vilnius gerufen worden waren, erbauten eine Kirche und ein Kloster (16771684), in der Vorstadt Antakalnis (1864 aufgegeben). Die (St. Peter- undPaul-)Kirche, gestiftet durch den Großhetman von Litauen (1667-1682), Mykolas Kazimieras Pacas (poln. Micha! Kazimierz Pac, *1624, 11682), wurde zum berühmtesten Baudenkmal des Barock in Vilnius und zur Grablege ihres Stifters. Ebenfalls in Antakalnis wurde 1694-1717 auf Initiative des Großhetmans von Litauen (1682-1720), Jonas Kazimieras Sapiega d.J. (poln. Jan Kazimierz Sapieha, "1637, t l 7 2 0 ) , die Christkönigskirche gebaut. Neben der Kirche entstand ein Trinitarierkloster, dem die Klosterbrüder 1726 ein Ordenskollegium anschlössen. Die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert war auch für die Nonnenklöster eine Blütezeit. Ab 1594/95 ließ der spätere Wojewode von Vilnius (ab 1604), Mikolajus Kristupas Radvila (poln. Mikolaj Krzysztof »Sierotk a « / » d a s Waisenkind« Radziwill, *1549, t l 6 1 6 ) ein Kloster fiir die Bernhardiner-Schwestern in Vilnius bauen. Um die heutige St. Katharinenkirche in der St. Ignatius-Gasse herum entstand zu Beginn des 17. Jahrhunderts ein Benediktinerinnen-Kloster, als der Großhetman von Litauen, Jonas 98
Die Frühe Neuzeit
Karolis Chodkevicius (poln. Jan Karol Chodkiewicz, "1560, tl621) und seine Frau Sofija Chodkeviciene-Mieleckaite (*?, 11619) Benediktinerinnen aus Nesvyzius (poln. Nieswiez, ruth. Njasviz) um eine kleine Stiftungskirche ansiedelten. Bei der Allerheiligenkirche des KarmeliterStammordens in der Rüdninkij-Gasse ließ Steponas Pacas zu Beginn des 17. Jahrhunderts ein Barfüßerinnenkloster mit der Kirche St. Joseph der Bräutigam erbauen. In der Rasq-Gasse entstand in einer längeren Bauperiode (1694-1797) ein Kloster der Visitantinnen, die von Bischof Konstanty Kazimierz Brzostowski (1687-1722, "1644, tl722) nach Vilnius eingeladen worden waren. Frömmigkeitsleben: Auch das Frömmigkeitsleben erhielt neue Impulse durch die Gegenreformation. Der Kasimir-Kult nahm in Vilnius seit 1520 einen bedeutsamen Aufschwung. Die Eucharistie wurde vermehrt gefeiert; Tabernakel wurden auf den Hochaltären errichtet und Corpus ChristiProzessionen durchgeführt. Der Kirchengesang verbreitete sich. Es wurde populär, 40 Stunden vor dem Sakrament zu beten. Man trug das Heilige Sakrament vor die Kranken. Der Rosenkranz und Pilgerfahrten nach Rom, Loreto oder Jerusalem, aber auch zu näheren Zielen, etwa zu den heiligen Linden in Preußen, zu den Marien von Trakai und Cz^stochowa (Polen), im Vilniusser »Tor der Morgenröte« oder zum Kreuzweg in Gardai/ Zemaitija wurden populär. Das »Tor der Morgenröte« und die Schwarze Madonna von Vilnius Das »Tor der Morgenröte« (lit. Aulros Vartai, poln. Ostra Brama, weißruss. Vostraja Brama) beherbergt seit ca. 1500 das Bildnis der Schwarzen Madonna und wurde dadurch ein weltberühmter Pilgerschrein. Das Tor selbst entstand zwischen 1503 und 1522 mit dem Bau der Stadtmauer von Vilnius. Seinen Namen bezog es von dem Weiler Ostry Koniec, zu dem vom Tor aus eine Straße führte. Es war aber auch unter dem Namen Medininkai-Tor bekannt, weil von dort die Straße in das südlich von Vilnius gelegene Dorf Medininkai führte. Das »Tor der Morgenröte« ist das einzige noch verbliebene der ursprünglich neun Tore der Stadtmauer von Vilnius. Die anderen acht Tore wurden auf Befehl der großfürstlichen Regierung Ende des 18. Jahrhunderts geschleift. In der frühen Neuzeit enthielten Stadttore oft Reliquien, um die Stadt vor Angriffen zu schützen. So war es auch im Falle des »Tors der Morgenröte«, das eine Kapelle umschloss, in der zu Beginn des 16. Jahrhunderts die Wunderikone der »Gebeneiten Jungfrau Maria voll Gnaden«, auch »Schwarze Madonna« genannt, aufgestellt wurde. Die Schwarze Madonna wurde in den nachfolgenden Jahrhunderten zu einem Wahrzeichen der Stadt Vilnius und zu einem Wallfährts-
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ziel für katholische, unierte und orthodoxe Gläubige aus Vilnius, ganz Litauen und den Nachbarstaaten. Weiterfahrende Literatur. Charkiewicz Jatoslaw: Ikony Matki Bozej. Styczert-gradzieA, Hajnowka 2000.
Die bestehenden religiösen Bruderschaften reformierten ihre Lebensweise im katholischen Geist. Marien-, Rosenkranz-, Annen-, Corpus ChristiBruderschafiten, Bruderschaften der christlichen Gelehrsamkeit u n d der Schutzengel schössen aus dem Boden. W ä h r e n d Epidemien waren die Bruderschaften des Heiligen Lazarus, des Heiligen Joseph von Arimathea u n d des Nikodemus aktiv, den Kranken beizustehen u n d die T o t e n zu begraben. Die von den Jesuiten geführte Bruderschaft des Heiligen Martin war besonders unter den Vilniusser Deutschen beliebt.
Kasimir der Heilige Der Sohn Großfurst/König Kazimiras' und Elisabeths von Habsburg wurde seit seinem neunten Lebensjahr von dem berühmten polnischen Historiker Jan Dlugosz und dem italienischen Humanisten Filippo »Callimachus« Buonaccorsi ("1437, 1"1497) erzogen. Mit dreizehn Jahren bestieg er den ungarischen Königsthron. Sein erklärtes Ziel war ein nachhaltiger Sieg über die Osmanen. Nachdem er darin kläglich versagt hatte, wurde er 1475 einem Pater Longinus zur Erziehung übergeben. Als sein Vater 1479 für fünfJahre nach Litauen ging, fiel die Verantwortung für die Krone Polens Kazimiras zu. 1481-1483 betrieb er eine sehr vor- und umsichtige Politik für das Königreich Polen. Er neigte zur Frömmelei und schwächte seinen Körper durch religiöse Übungen und Fasten. Dies verursachte eine schwere Lungenkrankheit, wahrscheinlich Tuberkulose, an der er 1484 auf einer Reise nach Litauen starb. Er wurde im Dom von Vilnius in einer ihm gewidmeten Kapelle beigesetzt. Seinen Heiligenstatus erlangte Kasimir nicht allein wegen der ihm zugeschriebenen gerechten und weisen Regierung, sondern vor allem deshalb, weil er zahlreiche Wunder vollbracht haben soll. Vom Vatikan wurde er auf Betreiben des Vilniusser Bischofs Benedykt Woyna als Heiliger Kasimir kanonisiert und dient seither als Patron mehrerer Länder, darunter Polen und Litauen. 1604 wurde in Vilnius der Grundstein für eine Kirche zu Ehren des Heiligen Kasimir gelegt. Weiterfahrende Literatur: Ferreri, Zacharias: Vita Beati Casimiri Confessoris ex serenissimis Polonie regibus, & magnis Lituanie dueibus clarissimi; Vita Sancti Casimiri, Thorn 1521. Suiiedelis, Simas: Der heilige Casimir, 1458-1484. Zum Gedächtnis seines 500. Todestages, Stein a.Rh. 1984. Aliäauskas, Vytautas: Saint Casimir, Vilnius 2004.
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Die Zeit nach 1661 (Auflclärung und Kirchenreform)-. Die Besetzung Vilnius' durch die Moskauer 1655-1660/61 stellte auch für die Kirche einen historischen Scheidepunkt dar. Der gegenreformatorische Schwung war seit 1655 verloren gegangen. Die Kirche war wie alle anderen städtischen Institutionen und Personen mit dem Wiederaufbau des im Krieg Verlorenen beschäftigt. Zur Erinnerung an die Kriegsjahre entstanden bis 1669 bei der hölzernen Sommerresidenz der Bischöfe, dem Verkiai-Palast (lit. Verkiq rümai), der seit dem Ende 14. Jahrhunderts im Besitz der Kirche war, unter Aufsicht der Dominikaner von Vilnius die Kalvarien von Verkiai (lit. Verkitj Kalvarijos), ein Kreuzweg, bestehend aus 22 Kapellen, sieben Toren aus Holz und Backsteinen und zwei Kirchen. Sie folgten exakt dem Vorbild des Kreuzesweges von Jerusalem. Gläubige aus Vilnius und aus dem Ausland kamen zu Gottesdiensten, vor allem über die Pfingsttage. Die Anlage wurde 1962 unter sowjetischer Herrschaft zerstört, aber nach Wiedererlangung der staatlichen Souveränität Litauens rekonstruiert. Viele Vilniusser Kirchen erhielten nach 1661 ein neues Gesicht im Stil des Barock. Der Dom wurde allerdings nur notdürftig wieder hergerrichtet. Erst 1769 begann ein umfassender Umbau, der sich bis 1801 hinzog. Im Zeitalter der Aufklärung, im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts unter Großftirst/König Poniatowski und dem großfürstlichen Kanzleisekretär (seit 1748), Mitglied des litauischen Senats und Bischof von Vilnius (1762-1794), Ignotas Jokübas Masalskis (poln. Ignacy Massalski, * 1729, t l 7 9 4 ) machten sich Anzeichen für einen architektonischen Neuaufbruch der katholischen Kirche bemerkbar. Besonders prächtig gestaltete sich der Umbau der Sommerresidenz von Verkiai unter Masalskis. Das »Versailles von Vilnius« erstand nun als Steingebäude im neuklassizistischen Stil nach Entwürfen von Marcin Knackfus ('vor 1742, tnach 1821) und Laurynas Stuoka-Gucevicius (poln. Wawrzyniec Gucewicz, *1753, t l 7 9 8 ) wieder. Es beherbergte ein kleines Theater, eine umfangreiche Bibliothek, ein Schusswaffenmuseum und war von einem weitläufigen Park umgeben. Während Napoleons Russlandfeldzug wurde der Palast schwer beschädigt. Eine Restauration konnte erst unter seinem neuen Besitzer, Fürst Ludwig Wittgenstein, in 1840er Jahren in Angriff genommen werden. Seit 1992 befindet sich dort der Regionalpark Verkiai. Masalskis beauftragte Laurynas Stuoka-Gucevicius auch mit dem Neubau des Doms im klassizistischen Stil so, wie er dem Betrachter heute entgegentritt. Unter Masalskis setzte nach Jahrzehnten der Stagnation schließlich auch eine katholische Erneuerungsbewegung ein. Er schuf zahlreiche neue Kirchspiele und bediente sich der katholischen Orden, besonders der JesuiDie Residenzstadt
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ten und Dominikaner, der, um die katholischen Bildungs- und Missionsbemühungen schneller voranzutreiben. Außerdem erweiterte er das bischöfliche Seminar und versuchte, die Liturgie zu bereinigen. Auf seinen Gütern fahrte er Erleichterungen für die bäuerliche Bevölkerung ein und propagierte eine Elementarschulbildung für Bauernkinder. Für alle diese Projekte setzte er einen Großteil seines Privatvermögens ein. Masalskis war in den Jahren 1773-1776 einer der Hauptinitiatoren der Kommission für nationale Erziehung, reorganisierte das Diözesanseminar, erneuerte dessen Programm, verlangte von den Pastoren litauische Sprachkenntnisse und propagierte physiokratische Ideen in der Staatswirtschaft und Lebensführung. In der Diözese Vilnius führte er Elementarschulen ein und entwarf entsprechende Lehrprogramme. Die Orthodoxe und die Unierte Kirche: Die Orthodoxe Kirche Litauens litt im 16. Jahrhundert gleich unter mehreren Problemen. Sie war im Großfürstentum weit entfernt von den orthodoxen hierarchischen Zentren Konstantinopel und Moskau, ihre Geistlichen waren im Vergleich zu Katholiken und Protestanten in der Masse unterprivilegiert, arm und ungebildet und stammten in der Regel nicht aus dem Adel. In vielen Gemeinden herrschte das blanke Chaos. Die Klöster befanden sich im Niedergang. Die wenigen klugen Köpfe und viele wohlhabende und einflussreiche Adlige des orthodoxen Lagers zogen es in der Zeit der Reformation vor, sich den neuen Strömungen des Protestantismus und des Reformkatholizismus anzuschließen. Dadurch ermangelte es der Orthodoxie einer wirksamen Patronage. Die orthodoxen Laienbruderschaften, auch sie von geringem Bildungsniveau und in der Regel mittellos, waren noch der aktivste Zweig orthodoxer organisierter Gläubigkeit. In Vilnius war die Situation besonders dramatisch, denn die Stadt war nicht einmal ein geistliches Zentrum der litauischen Orthodoxen. Zur Ausnahme von der Regel und zu einem wichtigen Zentrum der Orthodoxie in Litauen wurde hingegen das Gut der Familie Ostrozski in Ostrog (am Fluss Horyn, heutige Westukraine), vor allem unter Konstantin Konstantinovic Ostrozski (poln. Konstanty Wasyl Ostrogski, lit. Konstantinas Vasilijus Ostrogiskis, *1526, 11608), der dort eine orthodoxe Schule und eine Druckerei unterhielt und Schrifttum in altkirchenslavischer Sprache drucken ließ. Als die Familie Ostrozski zu Beginn des 17. Jahrhunderts im Mannesstamm ausstarb, fiel aber auch dieser Stützpunkt orthodoxer Traditionen in Litauen fort. Die kirchengeschichtliche Entwicklung der litauischen Orthodoxie entwickelte sich während des 16. Jahrhunderts allerdings ohnehin in eine andere Richtung. 102
Die Frühe Neuzeit
Auslöser fur neue Entwicklungen innerhalb der litauischen orthodoxen Kirche waren Reformanstöße des Patriarchen von Konstantinopel, Jeremiah II. (1572-1594, 'ca. 1530, t l 5 9 5 ) , in der Metropolie Kiev (Litauen). 1588 unterstellte er die litauischen orthodoxen Laienbruderschaften von Lvovas (poln. Lwow, dt. Lemberg) und Vilnius direkt dem Patriarchen von Konstantinopel, entzog sie also der Kontrolle des Metropoliten von Kiev, und gewährte ihnen das Recht, eigene Kirchen, Schulen und Druckereien zu unterhalten. Zudem durften sie nun eigene Vertreter zu Synoden, Reichs- und Landtagen entsenden. Anlässlich einer Visitation in der Metropolie Kiev im Jahre 1589 führte er jährlich abzuhaltende Synoden in der Metropolie ein, entfernte den Kiever Metropoliten Onisifor Devocka (1579-1589) aus dem Amt und ersetzte ihn durch Kirill Terleckij (*?, t l 6 0 7 ) als Exarchen des Unionsreiches. Diese Maßnahmen führten zu einem Dauerkonflikt zwischen Laienbruderschaften und Bischöfen, die jetzt kräftige Konkurrenz in der Deutungshoheit und organisatorischen Macht erhielten. Man kann darüber spekulieren, ob der lachende Dritte in diesem Zwist nicht der Patriarch von Konstantinopel war. Bischöfe und Laienbruderschaften hatten ganz unterschiedliche Vorstellungen von der Notwendigkeit und der Art der Durchfuhrung von Reformen in der Metropolie Kiev. Vieles deutete in Richtung einer Hinwendung der Orthodoxie zur Westkirche. Eine Schrift Piotr Skargas von
1577 (0jednosci
Kosciola Bozego pod jednym Pasterzem i o greckim od tej
jednosci odstqpieniu - » U b e r die Kirche Gottes unter einem einzigen Hirten und über die Verweigerung der Einheit durch die Griechen«, Wilno 1577; zweite Aufl. von 1590 unter dem Titel 0 rzqdzie i jednosci Kosciola Bozego pod jednym pasterzem - » U b e r die Führung und Einheit der Kirche Gottes unter einem einzigen H i r t e n « ) hatte zum Anschluss der Orthodoxen an die römische Kirche aufgerufen und dadurch eine heftige Diskussion innerhalb der Orthodoxen Kirche ausgelöst. Skargas Schrift traf allerdings weder Orthodoxe noch Katholiken ganz unvorbereitet. Seit dem - in diesem Punkt allerdings gescheiterten - Konzil von Ferrara-Florenz (1439) stand die Frage einer Union zwischen Orthodoxie und Katholizismus auf der Tagesordnung kirchenpolitischer Überlegungen. Aus orthodoxer Sicht sprach einiges für eine Union: ganz allgemein die missliche Tatsache der Kirchenspaltung seit 1154, konkreter die räumliche und spirituelle Distanz zum Patriarchat in Konstantinopel, die Ausbreitung des Protestantismus im Unionsreich, die Aussicht auf eine rechtliche Gleichstellung des orthodoxen Adels in den Reichsgremien u.a.m. Die Residenzstadt
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In diesem Klima schufen Zygimantas III. Vaza (1587-1632) und sein Krongroßkanzler Jan Zamojski (1581-1605, "1542, fl605), unterstützt u.a. von Konstantin Ostrozski und dem päpstlichen Nuntius Germanico Malaspina (1592-1598, *1550, tl603), mit der Union von Brest (1595/ 96) eine »Unierte Kirche«, die unter Beibehaltung des orthodoxen Ritus und des orthodoxen Kirchenrechts den größten Teil der orthodoxen Bevölkerung Polens und Litauens, die »Metropolie von Kiev-Halyc und der ganzen Rus'« umfassen, ihre Beziehungen zum Patriarchen von Konstantinopel beenden und vom Moskauer Patriarchat abkoppeln und unter die Oberhoheit des Papstes bringen sollte. Die Union bestimmte auch, dass die orthodoxen Bischöfe nun vom Papst und nicht mehr in einer komplizierten Prozedur von Großfürst und Patriarch ernannt wurden. Dies verschaffte den unierten Bischöfen in Litauen, die nun der Jurisdiktion des Papstes unterstanden, eine größere Bewegungsfreiheit als ihren orthodoxen Kollegen. Die traditionellen orthodoxen Riten durften beibehalten werden, sofern sie nicht der katholischen Lehre widersprachen. Das Credo jedoch musste nach katholischer Tradition gesprochen werden. Die 33 Artikel des Unionsvertrags wurden von Papst Clemens VIII. (1592-1605) in der Bulle Magnus Dominus et laudabilis bestätigt. Die Union war zunächst sehr erfolgreich, verlor aber nach einigen Jahrzehnten ihre anfängliche Unterstützung, vor allem aufgrund der Moskauer Antipropaganda. Das in der »Zeit der Wirren« (russ. smuta, 1598-1613) innerlich geschwächte Moskau konnte die Brester Union zwar nicht verhindern. Auf lange Sicht jedoch bot sie der Moskauer Außenpolitik Kritikund Interventionsmöglichkeiten, die u.a. zur Zerschlagung Polen-Litauens (1772, 1793, 1795) und einer massiven Rekonversionspolitik im 19. Jahrhundert führten. Aber auch ohne auswärtige Interventionen konnten sich nicht alle Orthodoxen Litauens für die Union erwärmen. Eine Minderheit verweigerte sich und blieb bei der alten Kirche. Dies führte in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zeitweise zu erbitterten Glaubenskämpfen mit den Unierten, die sich besonders unter der ländlichen ruthenischen Bevölkerung in den nordöstlichen (Weißrussland) und südöstlichen (Ukraine) Grenzgebieten, aber auch in den größeren Städten des Doppelreiches fanden. Man bezichtigte sich gegenseitig des Antichristentums und des Verrats an der »wahren Kirche« und schreckte auch vor physischer Gewalt nicht zurück. Einen ersten Höhepunkt erreichte der Konflikt mit dem Angriff eines Anhängers der alten Orthodoxie auf den unionsfreundlichen Bischof von Volodymyr, Ipatij Potij (poln. Hipaczyus Pociej, 1599-1613, 104
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*1541, 11613), auf offener Straße in Vilnius im Jahre 1609, bei dem Potij schwer verletzt wurde. Die innere Entwicklung der Unierten Kirche schritt trotz ihrer Konflikte mit den Orthodoxen erfolgreich voran. Der Sitz des unierten Metropoliten war Kiev, seit 1569 Teil des Königreiches Polen, doch residierte er meist außerhalb, häufig in Vilnius, Naugardukas, Minsk oder Grodno. Die Metropolie teilte sich in die drei Kirchenprovinzen der Metropolie Kiev, des Erzbistums Polock und des Bistums Pinsk-Turov. Obwohl das organisatorische Zentrum der Unierten nominell in Kiev lag, wurde letztlich Vilnius zum Mittelpunkt der unierten Reformarbeit. Hier zwang die Konfrontation mit anderen Konfessionen und Religionen zu geistiger Auseinandersetzung und zur Hinterfragung der eigenen theologischen und organisatorischen Positionen. Gleichzeitig herrschte hier aber auch ein Klima ausreichender religiöser Toleranz, das Reformen auch innerhalb der Reihen der Unierten zuließ. Diese Reformarbeiten der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts sind besonders mit den Metropoliten Jozef Venjamin Rucki (1614-1637, "1574, +1637) und Josafat Kuncewicz (ruth. Josofat Kuncevic, "1580 od. 1584, f l 6 2 3 ) verbunden, deren Wirkungszentrum die Metropolitanresidenz Vilnius war. Rucki verkörperte die für die litauische Elite des 16. Jahrhunderts typische Zerrissenheit zwischen den Konfessionen. Er war in einer calvinistischen Familie aufgewachsen, hatte die calvinistische Schule in Vilnius besucht und später an der Prager Universität studiert, war nach einer prägenden Begegnung mit Jesuiten zum Katholizismus übergetreten, schließlich aber zur Orthodoxie konvertiert. Nach dem Abschluss der Brester Union ging er nach Rom, trat zur Unierten Kirche über und studierte an der dort eigens für die Unierten eingerichteten geistlichen Akademie, dem unierten Collegium Graecum. Nachdem Rucki Metropolit von Kiev geworden war, machte er sich an eine Reform der orthodoxen Klöster, die sich in ihrer überwiegenden Mehrzahl der Brester Union verweigert hatten. Zunächst schloss er 1617 sechs kontemplative Bruderschaften zum erneuerten Orden des Heiligen Basilius zusammen und reformierte ihre Regeln nach Vorbild der Jesuiten und Barfüßer-Karmeliter-Klöster. Zentrum der Reformarbeit war jedoch das Vilniusser orthodoxe Heiliggeistkloster. Nach dem vorläufigen Abschluss der Reformen erhielt der Basilianerorden, der zum Zeitpunkt der Brester Union bereits lange existiert, zwischenzeitlich aber eine Niedergangsperiode erlebt hatte, 1631 eine neue Approbation, diesmal allerdings nicht durch den Patriarchen von Konstantinopel, sondern durch den Papst. Dies war der Beginn eines erfolgreichen Projekts Die Residenzstadt
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für eine weitreichende monastische Reform im linierten Geist. Grundlage der Ordensregel waren die Lehren und Ordensregeln Basilius' des Großen ("329, t329), Theodoros' (*760, t826) und Theodosius' von Kiev (*?, tl074). Rucki und sein Mitstreiter, der unierte Erzbischof Josafat, lehnten sich bei ihren Reformen auch an katholische Klostermodelle des Mittelalters an, kombinierten dabei jedoch die orthodoxe asketisch-kontemplative Tradition mit den pastoralen Forderungen des Westkirche. In der Nähe der Klöster entstanden schon bald Pfarreien und Schulen. Sie waren eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass Basilianer zum päpstlichen Seminar in Vilnius oder zum Collegium Graecum in Rom zugelassen wurden. Gleichzeitig demonstrierten der Basilianerorden und seine pastoralen und Bildungsaktivitäten die Überlegenheit unierter Kirchlichkeit gegenüber dem orthodoxen Traditionalismus. 1637, im Jahre von Ruckis Tod, existierten in der Metropolie Kiev bereits 32 Männer- und 10 Frauenkonvente der Basilianer. Der unierte Erzbischof von Polock (ca. 1580-1623), Josafat Kuncewicz ("1580, 1T623), hat neben seiner Reformtätigkeit an der Seite Ruckis vor allem durch seine ausgedehnten seelsorgerischen Aktivitäten und seinem Märtyrerstatus zu einem gestärkten Selbstverständnis der Unierten Kirche Litauens beigetragen. Er predigte nicht allein in den Kirchen, sondern auch auf den Feldern, in Hospitälern, Gefängnissen und während seiner Reisen. Diese Nähe zu den Gläubigen dort, wo sie arbeiteten und lebten, aber auch seine Freundlichkeit und sein Engagement für die Armen bewogen viele Orthodoxe, zur Unierten Kirche überzutreten. Unter den Konvertiten befanden sich aber nicht nur die Armen und Ausgestoßenen, sondern auch hochgestellte Persönlichkeiten wie der frühere Patriarch von Moskau, Ignatius (1605-1606), oder Immanuel Kantakuzenus, ein Mitglied der byzantinischen Kaiserfamilie Paleologus. Als Erzbischof sorgte Kuncewicz dafür, dass byzantinische Kirchen wiedereröffnet wurden. Außerdem veröffentlichte er einen Katechismus für die unierte Geistlichkeit mit der Anweisung, ihn auswendig zu lernen. Er stellte Regeln für die priesterliche Lebensführung auf, wies die Dekane an, ihre Kontrollaufgaben Ernst zu nehmen, rief Synoden in mehreren Städten seiner Diözese zusammen und widersetzte sich entschieden Plänen des Hofkanzlers Leonas Sapiega, den Orthodoxen mehr Zugeständnisse zu machen. Zahlreiche Konversionen zur Unierten Kirche und eine große Achtung sogar von Seiten der Katholiken waren Früchte seiner Bemühungen.
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Die Frühe Neuzeit
Der heilige Josafat Josafat Kuncewicz hatte an der Schule von Volodymyr Kirchenslavisch studiert. Danach war er bei dem Vilniusser Kaufmann Papowicz in in die Lehre gegangen. In Vilnius kam er mit der unierten Geistlichkeit in Kontakt. 1604 trat er ins Vilniusser Basilianerkloster (Heilig-Geist-Kloster) ein, wo er sich schon bald einen Ruf als heiliger Mann erwarb. Nicht nur die einfache Bevölkerung, sondern auch Mitglieder der orthodoxen Oberschicht suchten ihn dort auf. Unter seinem Einfluss wuchs die Zahl der Novizen schnell an, und eine Erneuerung des gesamten orthodoxen geistlichen Lebens vollzog sich im Kloster. 1609 wurde Josafat, nachdem er private Studien bei einem Jesuitenpfarrer, Vater Fabricius, absolviert hatte, zum katholischen Priester geweiht. Im Laufe der Zeit stieg er zum Klosteroberen mehrerer Klöster auf. 1617 wurde er Bischof von Vitebsk mit dem Recht auf die Erzbischofswürde von Polock, die er 1618 erlangte. Der Zwist mit den Anti-Unionisten bildete eines der Hauptprobleme seiner Amtszeit. 1623 musste er sein Engagement für die Union aufgrund eines Attentats eines Anhängers der Orthodoxie mit dem Leben bezahlen. Josafat wurden nach seinem Tod zahlreiche Wunder zugeschrieben - u.a. ging die Legende, der Körper des Heiligen sei auch fünf Jahre nach seinem Tod noch unversehrt so dass Papst Urban VIII. (1623-1644) 1628 einen Heiligsprechungsprozess einleitete, der 1643 zunächst zur Seligsprechung Josafats ftihrte. Eine Kanonisierung erfolgte erst 1867 durch Papst Pius IX. (1846-1878). Der Namenstag des Heiligen Josafat ist der erste Sonntag nach dem 12. November (nach Julianischem Kalender) bzw. am 14. November (nach traditionellem katholischen Kalender). Josafat ist der Schutzheilige einer Reihe von polnischen Kirchspielen in den USA, von denen die Basilika des Heiligen Josafat in Milwaukee/Wisc. und die Josafat-Gemeinde in Chicagp/Ill. am bekanntesten sind. Außerdem gilt er als Schutzheiliger der umstrittenen Priestergemeinschaft des Heiligen Josafat in L'viv (Lemberg), Westukraine. Weiterfahrende Literatur: Wysochansky, Demetrius E.-. St. Josephat Kuntsevych, apostlc of Church unicy, Detroit 1987. Unger-Dreiling, Erika: Josafat, Vorkämpfer und Märtyrer für die Einheit der Christen, Wien 1960.
Eine dritte Persönlichkeit hat der Unierten Kirche die Kraft zum Überleben gegeben: Meletij Smotrycky (*1578, t l 6 3 3 ) . Der ruthenische Unionsgegner Smotrycky war auf dem Landgut Konstantin Ostrozskis, später an der Vilniusser Jesuitenakademie ( 1 5 9 4 - 1 6 0 0 ) , aber auch an den Universitäten Leipzig, Wittenberg und Nürnberg erzogen worden, wurde später Rektor der Kiever Bruderschaftsschule, kämpfte gegen die Brester Union und besonders gegen Josafat Kuncewicz. 1627 konvertierte Smotrycky je-
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doch zur Unierten Kirche und lieferte damit aus unierter Sicht den Beweis für die Wahrhaftigkeit der unierten Lehren. Smotrycky verfasste überdies die einzige Grammatik des Kirchenslavischen {Grammatiki slavenskijapravilnoe Syntagma) für Litauen, die 1619 in der Vivies-Druckerei des Vilniusser Heiliggeistklosters erschien und zahlreiche Neuauflagen erlebte. Der eigentlich ermutigenden Entwicklung in den ersten beiden Jahrzehnten folgte eine Krise der Unierten Kirche in den 1620er Jahren. 1622 gingen bei der Propaganda Fide in Rom zahlreiche Klagen litauischer katholischer Bischöfe ein, die vor allem auf die Forderung hinausliefen, die Unierte Kirche abzuschaffen. Die Verteidigung der Unierten durch den Vilniusser Bischof Wollowicz und andere mächtige Fürsprecher führten jedoch dazu, dass Papst Urban VIII. (1623-1644, *1568, tl644) die Unierte Kirche bestätigte und damit ein mögliches Ende der Unierten Kirche verhinderte. Orthodoxe Kirche: Die Union von Brest hinterließ in den Resten der Orthodoxen Kirche Litauens nicht nur konfessionellen Trotz, sondern wirkte auch reformfördernd. Nachdem die orthodoxe Hierarchie mit dem Unionsschluss 1595/96 von Diskontinuität und innerer Zerrissenheit gezeichnet war, wurden die orthodoxen Bruderschaften zum Kristallisationspunkt orthodoxen geistlichen Lebens. Die Bruderschaften von Sluck unterstellten sich 1620, die von Mogilev 1633 direkt dem Patriarchen von Konstantinopel und umgingen auf diese Weise Zwistigkeiten mit dem umstrittenen, zwischen Orthodoxie und Unierter Kirche schwankenden Kiever Bistum. Zu den wichtigsten orthodoxen Bruderschaften im Großfürstentum gehörten neben denen von Brest, Mogilev und Minsk auch diejenigen von Vilnius, und hier insbesondere die der Heiligen Dreifaltigkeit. Sie unterhielt wie die anderen Bruderschaften ein Kloster (heute: Ausros Vartij gatve 10, gegr. um 1600) und zelebrierte Gottesdienste. Zum Kloster gehörten ein Gästehaus, ein Armenhaus, eine Bank, eine Buchhandlung und eine Bibliothek sowie eine Schule, in der Russisch, Griechisch, Polnisch, Latein, Logik und Dialektik unterrichtet wurden, und eine Druckerei (in Vievis/poln. Jewje, etwas außerhalb, südwestlich, von Vilnius), in der Meletij Smotrycky 1619 die erste Grammatik für kirchenslavische Sprache (s.o.) drucken ließ. Um die drohende Auflösung der orthodoxen geistlichen Hierarchie in Litauen zu verhindern, weihte der orthodoxe Patriarch von Jerusalem, Theophanes III. (1608-1644, 'um 1570, tl644), 1620/21 insgeheim einen Metropoliten und fünf Bischöfe. Die Anerkennung der Weihe durch Großfurst/König Zygimantas III. Vaza (1587-1632) blieb ihm jedoch 108
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trotz des Widerstands des orthodoxen Adels, einer Rebellion der Zaporoger Kosaken und Moskauer Säbelrasseins verwehrt. 1633/35 erreichten die Orthodoxen vom Nachfolger Zygimantas' III., Vladislovas (poln. Wladystaw IV Vaza, 1632-1648) und vom Reichssejm eine offizielle Anerkennung als Kirche und eigenen Metropoliten mit Sitz in Kiev. Doch auch der neue Metropolit, Piotr Mogila (1633-1647), war reformfreundlich eingestellt, drängte den Einfluss der Bruderschaften zurück und stärkte die Stellung des Pfarrklerus und der Kirchenhierarchen. Die Einrichtung neuer Amter, insbesondere das des »Oberpopen« (protopop) und des Suffraganbischofs ( v i k a r i j ) , und die Einführung von Pfarrprotokollen sollten die Kontrolle der Pfarreien gewährleisten. Das Zentrum der Reformaktivitäten, die auch die Einrichtung einer Kirchenakademie umfassten, blieb Kiev. Vilnius gehörte aus der Perspektive der orthodoxen Litauer eher zur Peripherie. Diese Wahrnehmung verstärkte sich noch, nachdem die Wojewodschaft Kiev 1654 an Moskau verloren gegangen war. Gleichzeitig jedoch wuchs der Moskauer Einfluss auf die Kiever Metropolie seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhundert, insbesondere aber im 18. Jahrhundert, und damit auch die Möglichkeiten, die litauischen Orthodoxen zu instrumentalisieren und sich in die inneren Angelegeheiten Litauens einzumischen. Wenn auch Vilnius nicht zum Zentrum der Orthodoxen Kirche in Litauen wurde, so gab es doch eine lebendige orthodoxe ( » d i s u n i e r t e « ) Gemeinde in Vilnius. 1597 gründeten die Disunierten und die Bruderschaft der Heiligen Dreifaltigkeit in der Ausros Varti} gatve die orthodoxe Heiliggeistkirche, den Mittelpunkt des Klosters zur Heiligen Dreifaltigkeit. Der erste Abt des Klosters, Leontius Karpowicz (" 1580, f l 6 2 0 ) , formulierte Klosterregeln auf Grundlage der Basiliusregel. Sein Nachfolger, Meletij Smotryckyj ließ 1624 die bis heute bestehende barocke Steinkirche bauen.
Mit der dritten Teilung Polen-Litauens (1795) veränderte sich die Struktur der Kirchenverwaltungen beträchtlich. Die russländische Regierung und die Russische Orthodoxe Kirche betrieben seit 1795 eine Politik der Auflösung der Unierten Kirche. Das katholische Bistum Vilnius wurde 1798 wieder eingerichtet, in seiner Zuständigkeit jedoch auf die Regierungsbezirke Vilnius und Grodno beschränkt und dem Bistum Mogilev unterstellt. Die theologische Fakultät der Jesuiten verlegte die Regierung 1842 nach St. Petersburg. Die Vilniusser Lutheraner mussten sich nach Die Residenzstadt
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dem Willen der russisch-kaiserlichen Kirchenordnung von 1832 der Kurländischen Lutherischen Kirche unterordnen. Nur die Calvinisten Litauens konnten ihre Eigenständigkeit wahren.
Bildungswesen Die eng mit der Entwicklung der Kirchen verbundene Expansion der Bildungseinrichtungen erwies sich als eine der markanten Entwicklungen in der Geschichte der Stadt Vilnius während der frühen Neuzeit. Bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts hatte ein Privileg der Domschule bestimmt, dass neben der 1397 gegründeten Domschule keine neuen Schulen in Vilnius eingerichtet werden durften. Jetzt jedoch traten neben die Domschule und die 1513 gegründete Schule von St. Johannes neue Bildungsinstitutionen auf allen Ebenen. Sie waren Ausdruck der Konfessionalisierung und der damit verbundenen kirchlichen Anstrengungen zur Verbesserung des intellektuellen Niveaus und der Führungskompetenzen der Geistlichkeit. Im Zeitalter der Aufklärung (Ende des 18. Jahrhunderts) kamen Elementarschulen für die städtischen Unterschichten und als Vorstufe für die höheren Bildungsanstalten hinzu. Höhere Bildung: Trotz dieses allgemeinen Aufbruchs waren die Ursprünge eines höheren Bildungswesens in Vilnius zunächst noch eng mit der Domschule verbunden. Bereits 1452 hatte Kazimiras I. (1440-1492) mit Hilfe einer Besteuerung der städtischen Gasthäuser mehr Mittel für die Domschule bereitgestellt. 1522 erweiterte Bischof Jonas (1519-1536) die Domschule um drei neue Klassen, setzte die Zahl der Unterrichtsstunden herab und erweiterte den Lehrplan um die Fächer Rhetorik, Dialektik, Musik und deutsche Sprache. Außerdem führte er das Amt eines Kontrolleurs für die Lehrer ein. Ziel dieser Maßnahmen war die Gewinnung zusätzlicher litauischer Priesterkandidaten, die nach dem Besuch der Domschule die Universität Krakau besuchen sollten, um als vollausgebildete Priester in die Diözese Vilnius zurückzukehren. Die zweite bis dahin existierende Vilniusser Lehranstalt, die Johannesschule, war ihrem Typus nach eine Kirchspielschule, wie es sie mehrfach in der Diözese Vilnius gab. Dennoch unterschied sie sich in mehreren Hinsichten von den anderen Kirchspielschulen des Bistums. Ihre Mittel bezog sie von den Pfarrern der St. Johanneskirche und vom städtischen Magistrat. Entsprechend den Geldgebern diente sie nicht ausschließlich der geistlichen Bildung und Erziehung der eingepfarrten Kinder der St. Johannes110
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Gemeinde, sondern auch der Ausbildung von Fachkräften fiir die städtische Verwaltung. Ihr Lehrplan bestand aus Latein, Arithmetik, Briefe- und Dokumenteschreiben. Mitte des 16. Jahrhunderts wurde der Lehrplan unter dem Einfluss der Ideen des europäischen Humanismus um die Fächer Griechisch und Deutsch erweitert, so dass die Johannesschule nun den Status einer höheren Lehranstalt beanspruchen konnte. Eine Erweiterung eigener Art setzte der spanische Jurist und Dichter Pedro Ruiz de Moros (lat. Petrus Roysius, "1506, 11571) durch, der seit 1551 in Litauen wirkte und seit 1563 Rektor der Johannesschule war. Er gab neben dem regulären Unterricht an der Johannesschule auch Kurse in Römischem, Litauischem und Magdeburgischen Recht und trug so entscheidend zur Ausbildung von Kandidaten für den expandierenden Verwaltungsapparat des Vilniusser Magistrats und des großfürstlichen Hofes bei. Die juristischen Fächer blieben jedoch an Ruiz de Moros' Person geknüpft und auf seine Amtszeit beschränkt. Eine Institutionalisierung der Rechtskunde auf lange Sicht gelang der Johannesschule nicht. Das zweite Drittel des 16. Jahrhunderts brachte neue Bildungsansätze in anderer Hinsicht. Im Jahre 1539 baten Jonas Vilamovskis (poln. Jan Wilamowski), der Notar des Wojewoden von Vilnius, Albertas Gostautas (1526-1539?), und sein Kollege aus Studententagen, Magister Jurgis Eisiskietis (poln. Georg z Ejszyszek), das Domkapitel um Erlaubnis, eine Privatschule » f ü r Kinder des Adels« in Vilnius zu errichten. Die Erlaubnis wurde jedoch nicht erteilt, einerseits weil die Dom- und Johannesschule zu wenige Schüler besaß, eine dritte Schule unökonomisch schien und die beiden bestehenden Schulen wohl auch um ihr Bildungsmonopol in der Stadt fürchteten, andererseits, weil » d i e Köpfe der Kinder von Personen verdreht würden, die an der (protestantischen) Universität Leipzig studiert hätten«. Erfolgreich hingegen war der bereits erwähnte, in litauischer Sprache schreibende und stark von Ideen der Renaissance und Reformation beeinflusste Abraomas Kulvietis. Kulvietis war Jurist und Professor an der Königsberger Universität. 1528-1537 studierte er an mehreren europäischen Universitäten, darunter Krakau. Später wechselte er an die katholische Universität Leuven, wo er sich mit den Werken des Erasmus befasste. Er setzte seine Studien in Wittenberg fort, wo er Luthers Lehre studierte. 1536 zog er nach Leipzig und schließlich nach Sienna, wo er 1537 den Doktortitel fiir Jurisprudenz erwarb. Schließlich kehrte er nach Litauen zurück, gab in Vilnius - wahrscheinlich seit 1539 - Unterrricht und galt als Protegé der Großfürstin Bona Sforza und des Großfürsten ZygimanDie Residenzstadt
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tas' II. Augustas. 1540 gründete er in Vilnius eine eigene Schule, an der er mehrere Lehrer beschäftigte und ca. 60 Schüler in den »Sieben Freien Künsten« unterrichtete. Wegen seiner lutherischen Uberzeugungen war er bei den Katholiken in Vilnius unbeliebt, und nachdem die Großfürstin 1542 Vilnius verlassen hatte, wurde er auf Betreiben des Vilniusser Bischofs Fürst Pawel Holszariski (lit. Alseniskis, 1536-1555, "ca. 1485, 11555) genötigt, die Stadt zu verlassen. 1544 gehörte er zusammen mit anderen litauischen und deutschen Protestanten zu den Mitbegründern der Königsberger Universität, wo er als erster Professor für Hebräisch und Griechisch und Übersetzer litauischer protestantischer Lieder hervortrat. 1545 durfte Kulvietis nach Litauen zurückkehren, starb während der Reise jedoch an Tuberkulose. Die Universität-, Erste Versuche, eine höhere Lehranstalt in Litauen zu gründen, gingen seit 1549 vom päpstlichen Nuntius in Polen und Kardinal-Bischof von Zacynthus, Giovanni Francesco Commendone ("1523, 11584), und vom Gründer des Jesuitenordens, Ignatius von Loyala (*1491, tl556) aus. Geplant war eine Akademie unter Aufsicht der Jesuiten Nicolaus Gaudanus und Claudius Le Jay (Jajus, *1500 oder 1504, tl552), doch stieß das Unternehmen zunächst auf Schwierigkeiten. Erst konnte der Heilige Stuhl keinen geeigneten Rektor finden; dann, als der erste Jesuitenpater, Alonso Salmerön (*1515, tl585), als Begleiter des päpstlichen Nuntius in Polen, Luigi Lippomano (1555-1557, *?, tl559), 1555 nach Vilnius kam, wo Zigimantas II. Augustas gerade residierte, verhinderte höchstwahrscheinlich Radvila der Schwarze, dass der Jesuit vom Großfürsten empfangen wurde und das Akademieprojekt vortragen konnte. Er sprach nur mit einem königlichen Sekretär, der aber das ganze Projekt als hoffnungslos einstufte. Einen neuen Anlauf unternahm der Vilniusser Bischof Valerijonas Protasevicius (poln. Walerian Protaszewicz Szuszkowski, 1556-1579), der mit Unterstützung Commendones so lange auf den König einwirkte, bis dieser 1564 der Gründung der Jesuitenakademie zustimmte. Die Pläne waren schon recht weit gediehen, als Commendone 1565 nach Rom zurückbeordert wurde und für die weitere Förderung der Akademie nicht mehr zur Verfügung stand. Gleichzeitig gewann der mehrheitlich protestantisch gesinnte Hofadel nun wieder stärkeren Einfluss auf den König. Im Frühjahr 1565 brach sogar eine Adelsrevolte aus, die zur Besetzung des großfürstlichen Palastes führte. Außer den Protestanten sprach sich zu diesem Zeitpunkt allerdings auch die Führung des Jesuitenordens gegen eine Universitätsgründung aus. 112 Die Frühe Neuzeit
Es war der lokale katholische Adel, der die Jesuiten 1568 angesichts des wachsenden Einflusses der protestantischen Universität Königsberg auf die städtische Jugend schließlich drängte, ein Kollegium in Vilnius oder Kaunas zu gründen. Dies führte zum Erfolg. 1569 erwarb Protasevicius einige Häuser in Vilnius und eröffnete das Jesuitenkollegium. Dabei handelte es sich um eine fünfklassige, höhere Bildungsanstalt mit sechsjährigen Kursen (die fünfte Klasse umfasste zwei Jahre). Das Kollegium bestand anfangs aus den drei Fakultäten für Humaniora (seit 1569), Philosophie (1572) und Theologie (1578). 1644 gründete Kazimiras Leonas Sapiega außerdem eine Juristenfakultät, die Gelehrte und Studenten auch aus nichtlitauischen Ländern, vor allem aus Polen, Preußen und Livland, anzog. Der Lehrplan, die sog. Ratio studiorum, die nach 1578 verbindlich wurde, sah für alle Klassen Theologieunterricht vor. Zusätzlich erhielten die Studenten in den ersten drei Klassen, den sog. classes grammaticae, einen klassischen Sprach- und Literaturunterricht. In der ersten Klasse wurden die infirma classis grammaticae, die Grundlagen der klassischen Sprachen Griechisch und Latein, gelehrt. In der zweiten Klasse folgten die media classis grammaticae, d.h. der Abschluss des Lateinbasisunterrichts mit Lektüre der Texte von Cicero und Ovid und die Fortsetzung des Griechischunterrichts. Die suprema classis grammaticae schließlich vervollständigte die Latein- und Griechischkenntnisse der Studenten. Auf dem Lektüreplan standen Autoren wie Aesop, Virgil und Cicero. Die Klassen vier und fünf bauten auf dem Sprachunterricht der unteren drei Klassen auf. In der vierten Klasse, classis humanitatis, las und übersetzte man u.a. Werke von Virgil und Horaz. Die fünfte Klasse, classis rhetorica, vermittelte die Grundlagen der Rhetorik, klassischen Mythologie, Geschichte, Geographie und Logik. Zudem legte der Lehrplan großen Wert auf Gesundheit und Körpererziehung sowie auf moralische und religiöse Integrität. Die ersten Studenten schrieben sich 1570 ein. Im gleichen Jahr wurde eine Kollegiumsbibliothek gegründet, deren Grundstock aus von Protasevicius gestifteten Büchern bestand. 1572 kamen die Sammlungen der königlichgroßfürstlichen Bibliothek Zygimantas' II. Augustas hinzu. 1575 stifteten Fürst Mikalojus Kristupas Radvila (poln. Mikolaj Krzysztof Radziwill, "1549, 11616) und Elzbieta Oginska eine Kollegiumsdruckerei, die Bücher in lateinischer und polnischer Sprache druckte und u.a. das erste heute noch erhaltene Buch in litauischer Sprache, Mikalojus Dauksas' ('1527-38, 11613) Kathecbismas, arba Mokslas kiekvienam krikscioniui privalus (Katechismus, oder Unterweisung in allen christlichen Pflichten) aus dem Jahre 1595, hinterließ. Auch die erste Theatergründung Litauens stand im ZusamDie Residenzstadt
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menhang mit dem Kollegium. 1570 wurde mit dem Jesuitendrama »Herkules« anlässlich der Eröffnung des akademischen Jahres das erste Theaterstück in Vilnius und Litauen aufgeführt. Am 1. April 1579 erhob Stefan Bäthory das Kolleg anlässlich seiner Wahl zum Großfürsten von Litauen zur Akademie (Alma academia et università Vilnensis societatis JESU). Schon 1578 hatte er das Jesuitenkollegium mit Privilegien nach Vorbild der Universität Krakau ausgestattet. Dieser Beschluss war allerdings auf den Widerstand des Kanzlers von Litauen, Mikalojus Radvila des Roten (Mikolaj Rudy Radziwill, 1512, tl584) gestoßen, der sich geweigert hatte, das großfürstliche Kanzleisiegel unter das Dokument zu setzen. Es gelang dem Großfürsten jedoch, den litauischen Vizekanzler, Eustachy Wollowicz, zu überzeugen. Die Universitätsprivilegien wurden am 30. Oktober 1579 durch eine Bulle Papst Gregors XIII. (1572-1585) bestätigt. Ziel der Universität war es u.a., dem von Schweden her drohenden Protestantismus, dem von Moskau propagierten orthodoxen Glauben und dem von den feindlichen Tataren und Osmanen getragenen Islam entgegen zu wirken und dem Katholizismus in Litauen eine stabilere Grundlage zu verschaffen. Erster Rektor der neuen Universität wurde Piotr Skarga (*1536, fl612). Ihm gelang es, berühmte Wissenschaftler aus ganz Europa zu gewinnen, die Bibliothek wesentlich zu erweitern und zahlreiche Gönner und Donatoren für die Akademie zu begeistern, darunter Bischof Protasevicius, Zygimantas III. (1587-1632) und den Hofmarschall von Litauen (1637-1656), Kazimiras Leonas Sapiega (poln. Kazimierz Lew Sapieha, *1607 oder 1609, tl656). Die Vilniusser Akademie besaß zu Beginn eine Abteilung für die Anfängerausbildung (scholae inferiores) und zwei Fakultäten für die höhere Bildung. Die scholae inferiores boten eine sechsjährige Ausbildung, deren Abschluss als Zulassungsvoraussetzung für die Philosophische Fakultät galt. Das Studium in der Philosophischen Fakultät dauerte drei Jahre und war die Voraussetzung für ein Studium in der Theologischen Fakultät, das vier Jahre lang dauerte. Die 1644 gegründete Juristenfakultät umfasste je zwei Lehrstühle für Kanonisches und Bürgerliches Recht und bot ebenfalls ein Aufbaustudium an. Die Vilniusser Akademie war lange Zeit die einzige Hochschule in ganz Nordosteuropa. Trotzdem oder gerade deshalb entwickelte sie sich bis ins 17. Jahrhundert glänzend. Ihre Professoren veröffentlichten für ihre Zeit bedeutende und in ganz Europa bekannt gewordene Werke zu Themen der katholischen Theologie, der Philosophie, Geschichte, Staatskunde und Astronomie. Außerdem entstanden zahlreiche Theaterstücke aus der Feder 114
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der Professoren und Studenten. Daneben bildeten Lehrmaterialien einen wichtigen Teil der Buchproduktion. Von diesen war die Publikation von Wörterbüchern und Grammatiken die bei weitem bedeutendste Sparte des Gebrauchsschrifttums. Als wohl wichtigstes Werk in der Anfangsphase der Universität erwies sich das Dictionarium trium linguarum in usum iuventis (Wörterbuch dreier Sprachen [Litauisch, Polnisch, Latein] zum Gebrauch für die Jugend) des Vilniusser Theologie-Professors Konstantinas Sirvydas (*1569,1T631). Mit ihm begann das systematische Studium der litauischen Sprache. Obwohl viele Vilniusser Jesuiten aus Polen stammten, war die Universität Vilnius keineswegs ein Instrument der Polonisierung Litauens, die jenseits der Universität während des 16. und 17. Jahrhunderts in vollem Gange war. Als Unterrichtssprache der Universität diente das Lateinische, das eher einem lituanistischen Bewusstsein in die Hände spielte. Lituanistische Tendenzen kamen im 16. Jahrhundert als Gegenbewegung zur voranschreitenden Polonisierung vor allem des litauischen Adels auf und waren eng mit der These des litauischen Gelehrten Michaion Lituanus (lit. Mykolas Lietuvis, 'um 1490, f l 5 6 0 ) verbunden, der in seiner Schrift De moribus Tartarorum, Litwanorum, Moschorum (Uber die Sitten der Tataren, Litauer und Moskauer, vor 1550, gedr. 1615) eine römische Abstammung der Litauer behauptete, die er anhand einiger gemessen an heutigen wissenschaftlichen Standards grotesken etymologischen Ableitungen zu erhärten suchte. Diese These stützte gleichzeitig eine katholische und antiorthodoxe bzw. antiprotestantische Tendenz des litauischen Gelehrten, die auch im litauischen Adel zahlreiche Anhänger fand. Auch die ethnische Zusammensetzung der Professoren- und Studentenschaft sprach nicht für eine Polonisierung der Vilniusser gelehrten Welt. Schon 1585 bestand der Lehrkörper aus einem Portugiesen, einem Spanier, einem Polen und mehreren Briten. Unter den Studenten befanden sich Italiener, Franzosen, Deutsche, Polen und Litauer, die von ihren Professoren nicht selten angehalten wurden, ihre Übungsarbeiten in litauischer Sprache zu verfassen, um später die litauischsprachige Bevölkerung zu erreichen. Die Jesuiten selbst unterstützten die polnische Sprache in Litauen im Gegensatz zu den meisten Kirchspielpfarrern, von denen viele aus Polen stammten, ebenfalls nicht. Zwar benutzten sie das Polnische; doch standen daneben das Litauische, das Deutsche oder das Italienische und Spanische als gebräuchliche Sprachen, in denen sie ihre Lehren verbreiteten. Die ersten 500 Studenten immatrikulierten sich gleich im ersten Jahr der Universität 1579. Im Wintersemester 1617/18 waren bereits mehr als Die Residenzstadt
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1200 Studenten immatrikuliert. Im Durchschnitt schrieben sich in dieser Zeit 800 Studenten pro Jahr ein. Die »Sintflut« brachte allerdings einen dramatischen Einbruch bei den Studentenzahlen und in der Qualität der Lehre. Auch die Wirkungen der Gegenreformation führten zu Qualitätsverlusten. Nachdem der Protestantismus in Litauen marginalisiert worden war, entfiel eine wesentliche Antriebsfeder zur fortwährenden Weiterentwicklung der Lehrinhalte und Suche nach wissenschaftlichen Argumenten für die Richtigkeit der katholischen Dogmen. Auch eine Rezeption der wissenschaftlichen Entwicklungen Westeuropas fand seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts kaum noch statt. In anderer Hinsicht blieb die Universität Vilnius jedoch erfolgreich. Das ursprüngliche Vilniusser Jesuitenkollegium wurde zum Modell für eine Reihe weiterer Akademien gleichen Typs. Im 17. Jahrhundert unterhielten die Jesuiten in ihrer litauischen Ordensprovinz nicht weniger als 20 Kollegien. Außerdem kopierten andere Kongregationen das jesuitische Modell: Die Piaristen besaßen zu dieser Zeit acht, die Basilianer vier, die Protestanten zwei und die Universität Krakau eines solcher Kollegien. Ein Neuansatz zeichnete sich mit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. ab. Als 1773 der Jesuitenorden unter Papst Clemens XIV. (17691774, *1705, t l 7 7 4 ) aufgehoben wurde, übernahm die 1773 geschaffene »Kommission für Volksbildung« (poln. Komisja EdukacjiNarodowej), ein Vorläufer der späteren europäischen Bildungsministerien, in der auch einige Professoren der Vilniusser Universität und hohe katholische Geistliche, u.a. die Bischöfe Fürst Masalskis und Jonas Nepomukas Kosakovskis (poln. Jan Nepomucen Kossakowski, 1798-1808, *1775, tl808), mitwirkten, die Oberaufsicht über die Universität. Eine Reihe von Reformen im Geiste der Aufklärung folgten. Die Zahl der Professoren, ursprünglich 40, mittlerweile auf 15 gesunken, wurde erhöht, neue Lehrstühle und Fächer entstanden. Die Zahl der Fakultäten, 1773 nur noch zwei, nämlich die physische und die moralische, wurde im selben Jahr um eine medizinische Fakultät (1781) erweitert. Unter der Leitung des Vilniusser jesuitischen Astronomen und Architekten Tomasz Zebrowski (*1714, t l 7 5 8 ) entstand 1782-1786 das erste Observatorium Polen-Litauens (nach Entwürfen von Marcin Knakfus, *vor 1742, fnach 1821, im klassizistischen Stil). 1781 gab sich die Universität neue Statuten, nach denen sie nun die Bezeichnung Academia et Universitas Vilnensis führte. Auf Betreiben des Rektors Marcin PoczobuttOdlanicki (1780-1799, *1728,11810) erhielt die »Akademie und Universität» 1783 den Status einer „Haupt-Schule« (Szkola Glówna) von Litauen. Sie wurde mit mehreren neuen Laboratorien und einem botanischen Gar116
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ten versehen. Neue Gebäude wurden gebaut, für deren Innenarchitektur wiederum Knakfus verantwortlich zeichnete. Der Universitätsbibliothek verlieh der Seimas 1780 das depositum-Recht, das Recht also, von jedem Buch, das im Großfiirstentum Litauen erschien, ein Belegexemplar zu erhalten. Dieses Privileg ging jedoch später mit den Bildungsreformen des russländischen Kaisers Alexanders I. (1801-1825) an die Universitätsbibliothek St. Petersburg verloren. Nach der dritten Teilung Polen-Litauens (1795) kam die Universität unter russländische Oberhoheit. Der russische Gouverneur von Vilnius, Nikolaj V. Repnin (1796-1798, *1734, t 1801), unterstellte die Universität 1796 einer litauischen Bildungskommission, die ihrerseits eng mit dem Domkapitel zusammenarbeitete, so dass nach den bildungspolitischen Vorstößen der Aufklärung nun die Kirche wieder an Boden gewann. 1800 gelang es dem in St. Petersburg wirkenden Pater Gruber sogar, die Akademie wieder in die Hand der Jesuiten zu bringen. 1803 konfirmierte Kaiser Alexander I. die neuen Statuten und verlieh der Universität die Bezeichnung »Kaiserliche Universität zu Vilnius« (Imperatorskij Vilenskij Universitet'). Sie erhielt damit zugleich das Privileg, sämtliche Bildungsinstitutionen im ehemaligen Litauen zu überwachen und verwalten. Elementarschulwesen-. Die katholischen Bildungsanstrengungen hatten nicht allein die höheren Bildungsanstalten im Blick, sondern zielten unter dem Einfluss von Humanismus, Renaissance und nicht zuletzt Reformation auch auf den Aufbau eines breiten Elementarschulwesens. Angeregt und unterstützt durch Zygimantas II. (den Alten) wies die Bistumssynode von Vilnius bereits 1527-1528 die Pfarrer ihrer Diözese an, in den Kirchspielen Schulen einzurichten. In ihnen sollten in erster Linie eine gute Erziehung und gutes Benehmen, Grundlagen der Moral und die katholischen Glaubenssätze vermittelt werden. Die Fächer Lesen, Schreiben und Rechnen wurden in litauischer und polnischer Sprache unterrichtet. Begabtere Schüler konnten außerdem Kenntnisse in Latein, Bibelkunde, Liturgie und Kirchenmusik erwerben. In die Schulen aufgenommen wurden in der Regel nur Jungen, die in der Regel aus dem Adel oder Stadtbürgertum stammten. 1526 existierten in der Diözese bereits ca. 150-200 solcher Pfarrschulen. Ob Vilnius zu dieser Zeit eine oder mehrere Pfarrschulen über die Dom- und Johannesschule hinaus besaß, ist in der Forschung umstritten. Für das spätere 16. Jahrhundert sind jedoch mehrere Pfarrschulen an Vilniusser Kirchen belegt. 1627 rief die Diözesansynode von Vilnius zudem eine Erziehungskommission ins Leben, die sämtliche Schulreformen in Litauen (Lehrpläne, Regularien etc.) koordinieren und kontrollieren sollte. Die Residenzstadt
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Piaristiscbe Schulen-. Eine hohe Bedeutung fiir die kirchlich initiierte Elementarschulbildung erlangten auch die Piaristen. 1597 richtete der Gründer des Piaristenordens, der spanische Priester José Calasanz (*1556, tl648), in Rom eine freie Schule für Jungen und Mädchen ein, die Papst Gregor XV. (1621-1623, *1554, +1623) 1621 approbierte, indem er deren Lehrplan genehmigte. Unterrichtet wurden die Fächer Lesen, Schreiben, Arithmetik und Religion - im Wesentlichen also die Kerninhalte der mittelalterlichen Universitäten, des Triviums und Quadriviums. Besonders gefördert wurden Kinder armer Eltern. Die römische Schule wurde zum Modell fiir ähnliche Schulen in Norditalien, in den Habsburgerlanden, Polen (seit 1642) und Litauen. In Litauen gründeten Piaristenmönche ihre erste Schule 1684 in Dambrovic. Eine weitere folgte 1689 in Liubesave. Nachdem die Piaristen 1736 eine eigene litauische Ordensprovinz gegründet hatten, entstanden Elementarschulen an allen Piaristenklöstern Litauens. Schon bald erhielten die Piaristen auch die Erlaubnis, höhere Schulen einzurichten. Dies brachte sie in eine Konkurrenz zu den Jesuiten, die vor 1773 (mit der Auflösung des Jesuitenordens in Litauen und der Abschaffung des selbstverwalteten Kirchenschulwesens) nicht beendet werden sollte. In Vilnius gründeten die Piaristen 1726 ein geistliches Kollegium, das unter dem Episkopat Mikolaj Zienkowiczs (1730-1762, *1670,11762) zum Anlass für Konflikte mit den Jesuiten wurde, die ein Privilegium besaßen, das anderen Orden verbot, Schulen an Orten zu gründen, in denen jesuitische Schulen existierten. Eine dementsprechende Klage reichte der litauische Jesuitenprovinzial im Vatikan ein, was zur Folge hatte, dass der Papst das Piaristenkollegium schließen ließ (der Vilniusser Piaristenkonvent blieb jedoch erhalten). Der Lehrplan und die Unterrichtsmethoden der Piaristen waren, wiederum zum Arger der Jesuiten, nach dem Modell der Jesuitenschulen angelegt. So jedenfalls verhielt es sich bis zu den Reformen des piaristischen Pädagogen Stanislaw Konarski (*1700, tl777). Konarski war 1715 in den Piaristenorden eingetreten und lehrte seit 1722 Rhetorik am Piaristenkollegium in Warschau. Außerdem war er offizieller Sprecher des Ordens in Polen. Seine rhetorische Begabung fiel bald auf, und die Piaristen schickten ihn zu Studien an das von Calasanz 1630 gegründete Collegium Nazarenum für begabte Jungen, das allerdings inzwischen eine Schule fiir junge Adlige geworden war. Der Lehrplan des Nazarenums legte wenig Wert auf eine humanistische Bildung; man lernte nicht mehr Latein, dagegen wurde die Reinheit der Sprache, insbesondere eine geschliffene Rhetorik in der 118
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Muttersprache betont. Die religiöse Bildung überlies man den Kirchenschulen, die an Sonn- und Feiertagen Katechismus- und Bibelunterricht anboten. Mit dem Ubergang zur Adelsschule wurden neue Fächer wie Tanzen, Fechten, Reiten und Ballspiele eingeführt. Wer nach dem Studium nach mehr Bildung verlangte, dem bot der damalige Rektor des Nazarenums, Paolino Chelucci (*1682, 11754), zusätzliche Lehrveranstaltungen an, in denen Philosophie und Gewohnheitsrecht sowie Theologie im Mittelpunkt standen. Nachdem Konarski sein Studium am Nazarenum absolviert hatte, erhielt er dort einen Lehrstuhl für Rhetorik. 1736 kehrte er mit zahlreichen Reformideen nach Polen zurück, stieß aber zunächst auf den Widerstand seiner Ordensbrüder. Nachdem er jedoch 1738 Assistent des piaristischen Ordensprovinzials von Polen geworden war und 1740 die Erlaubnis erhalten hatte, in Warschau ein Collegium Nobilium nach Vorbild der CalasanciSchule in Rom zu gründen, wurde er jedoch immer häufiger gebeten, ähnliche Schulen in Polen-Litauen einzurichten oder bestehende zu reformieren. Faktenwissen ging dabei vor Gelehrtheit. Übliche Unterrichtsfächer waren Französisch, Deutsch, Geschichte, Geographie, Religion und Patriotismus (Untertanenerziehung). Auch Theaterunterricht in polnischer und französischer Sprache spielte eine wichtige Rolle. Die Ausbildung erfolgte in 5 Stufen (Klassen). Insgesamt studierte man damit acht Jahre, weil die Stufen II, IV und V je zwei Jahre in Anspruch nahmen. Daran anschließend konnten die Studenten weitere zwei Jahre die Fächer Philosophie, Recht, Mathematik, Physik, Biologie und Astronomie studieren. In der Philosophie nahm Konarski neben den Scholastikern auch neuere Philosophen wie Bacon, Descartes, Wolf, Locke und Spinoza in den Lehrplan auf. Pädagogisch folgte er den neueren Lehren des 18. Jahrhunderts. Dabei sollte Disziplin durch Einsicht ersetzt werden. Die Umsetzung dieser neuen, letztlich auf Ideen der europäischen Aufklärung zurückgehenden pädogogischen Konzepte gelang Konarski jedoch nur teilweise. In den Jahren 1750-1753 wurden alle Piaristenschulen nach Vorbild des Warschauer Collegium Nobilium reformiert. Ziel dieser Reform war es, auf die Berufspraxis ausgerichtete Fachkräfte wie Buchhalter, Sekretäre, Gärtner usw. heranzuziehen. In der litauischen Piaristenprovinz gab es insgesamt acht Kollegien. Sie wurden nach dem Methodus docendi pro Scholis Piis Provinciae Lituaniae (1754) des Ordensbruders Jurgis Ciapinskis (poln. Georgii Ciapinski, *1718, tl768) betrieben, dessen Studienordnung seinerseits auf dem Vorbild der »Ordynacje« Konarskis von 1750 beruhte. Die bewusste Anlehnung an das polnische Vorbild trug wesentlich zu einer weiDie Residenzstadt
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teren Polonisierung des litauischen Bildungswesens bei. Nicht zuletzt deshalb standen die Piaristenkollegien beim inzwischen durchweg polonisierten litauischen Adel hoch im Kurs. Es ist nicht ohne Ironie, dass ausgerechnet die reformierten Piaristenschulen in Vilnius, wo die Piaristen wegen ihres Konflikts mit den Jesuiten keine höheren Schulen betreiben durften, einen bedeutenden Einfluss auf Jesuiten und Vertreter der Aufklärung ausübten: Nach Vorbild des Warschauer piaristischen Kollegiums gründeten die Jesuiten 1751 ihr eigenes Collegium Nobilium in Vilnius. Dieses wiederum diente als Modellschule fiir andere Jesuitenschulen in Litauen, von denen es 1773 bei Auflösung des Jesuitenordens in Litauen bereits 15 gab. Der Lehrplan entsprach ganz dem der höheren Piaristenschulen Litauens. 1773 wurde zudem der Vorschlag diskutiert, eine Akademie der Wissenschaften in Vilnius zu gründen, um die eher praktischen Fächer wie Geometrie, Mechanik, Geographie, Bergbau und Wirtschaft studieren zu können, die zentral fiir eine funktionierendes Wirtschafts- und Sozialsystem im Sinne der von Masalskis und anderen litauischen Aufklärern verfochtenen Physiokratie waren. Auch hier stand der piaristische Bildungskanon Pate. Von den Piaristenschulen war der Weg zu den Arbeiten der »Kommission für Nationale Erziehung« in Polen-Litauen (1773-1794) nicht mehr weit. Die Pfarrschulen mit ihrer vorwiegend religiösen Erziehung, die zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert mehr oder weniger kontinuierlich existierten, wurden nach dem Willen der Kommission im ausgehenden 18. Jahrhundert durch weltliche Volksschulen ergänzt, die besonders von Bischof Masalskis angeregt und gefördert wurden. Dies hatte organisatorische Rückwirkungen auf die Pfarrschulen. Um ein zentral kontrolliertes Bildungssystem im Geiste der Aufklärung zu schaffen, wurden die Pfarrschulen mit der Auflösung des Jesuitenordens und der Einsetzung der Kommission für Volkserziehung 1773 einem Departement fiir geistliche Schulen der Kommission für Volkserziehung unterstellt. Protestantische Schulen-. Das humanistische Interesse, besonders aber die von Philipp Melanchthon (*1497,11560) in Deutschland angestoßene protestantische Bildungsbewegung übten einen erheblichen Einfluss auf protestantische Bildungsbemühungen in Vilnius und im übrigen protestantischen Litauen aus. Die Kulvietis-Schule ist in diesem Zusammenhang bereits mehrfach erwähnt worden. Neben Kulvietis sind jedoch auch andere litauische Humanisten in Vilnius aktiv geworden, darunter Jurgis Zablockis (*ca. 1510, tl563), Stanislovas Rapolionis ("um 1500, Stanislovas Rapolionis 1545) und Martynas Mazvydas (*1510, 11563). Sie gehörten wie 120
Die Frühe Neuzeit
Kulvietis zu den ersten Verfechtern der Reformation in Litauen und standen wie viele ihrer Mitstreiter in engem Kontakt mit deutschen und niederländischen Universitäten. Die wichtigsten protestantischen Universitäten, an denen auch viele litauische Studenten studierten, waren Leipzig, Wittenberg, Heidelberg und Leiden. Krakau hingegen, die eigentlich fiir Litauer gedachte Universität, war nur für katholische Theologiestudenten interessant. Die meisten Litauer jedoch, die im Ausland Theologie studierten, kehrten als überzeugte Lutheraner und Calvinisten zurück, darunter viele litauische Adelssöhne, die zugleich die wichtigsten Staatsposten in Litauen besetzten. Zusammen mit der Vertreibung von Kulvietis aus Vilnius 1539 verbot zwar Zygimantas II. d.A. Litauern das Studium im Ausland, doch dies zeigte nur sehr begrenzten Erfolg. Diese Entwicklung schuf günstige Rahmenbedingungen fiir ein protestantisches Bildungswesen in Vilnius. Dabei waren hier vor allem die höheren protestantischen Schulen von Bedeutung. Mikalojus VI. »der Rote« Radvila ("1512, t l 5 8 4 ) beispielsweise, Großkanzler von Litauen, Wojewode von Vilnius und glühender Verfechter des Calvinismus, ließ die von Kulvietis' gegründete »Klassische Schule« wiedereröffnen. Sie bereitete die protestantische Intelligenz auf ihre Funktionen als Staatsdiener, Lehrer und Mitglieder der litauischen politischen Elite vor. Der Lehrplan umfasste Latein, Griechisch, Logik und Theologie in einem Vierjahresplan, in der Regel in litauischer Sprache. Eine ähnlich hohe Bedeutung erlangte auch das calvinistische Gymnasium von Vilnius (1592-1611). Mit dem Niedergang des Vilniusser Calvinismus zu Beginn des 17. Jahrhunderts und einem Brand im Vilniusser Gymnasium 1611, nach dem das Schulgebäude nicht wieder aufgebaut wurde, entstanden ersatzweise zwei calvinistische Gymnasien in Kedainiai und Sluck. Für das calvinistische höhere Bildungswesen in Vilnius bedeutete dies jedoch das Ende. Neben diesen beiden höheren Schulen existierten Schulen in fast jedem Vilniusser protestantischen Pastorat. Die meisten von ihnen wurden jedoch im Gleichschritt mit der siegreich voranschreitenden Gegenreformation im Verlauf des 17. Jahrhunderts geschlossen. Unierte und orthodoxe Schulen: Die Schulen der Unierten und Orthodoxen in Vilnius führten ein eher abgeschiedenes und kümmerliches Dasein. Die Unierten unterhielten im Basilianerkloster in der Ausros Vartij gatve (heute: Nr. 7b) ein Priesterseminar. Am orthodoxen Kloster der Dreifaltigkeit war nach dem Bau der ersten disunierten Klosterkirche (1595) ein Kollegium mit fünf Klassen nach Modell der Jesuitenkollegien entstanden. Da es jedoch fast ausschließlich der Priesterausbildung diente, Die Residenzstadt
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blieb seine Wirkung wie die des unierten Priesterseminars auf die eigene konfessionelle Sphäre beschränkt.
Druckereien und Literatur In den erweiterten Kontext einer Bildungsgeschichte des frühneuzeitlichen Vilnius gehört auch die Geschichte der Druckereien und der Literatur. Als erste Druckerei nicht nur in Vilnius, sondern im Großfurstentum Litauen überhaupt nahm die ca. 1520-1522 im Haus des Vilniusser Bürgermeisters Jokübas Babicius (*?, tca. 1526) gegründete ruthenische Druckerei Pranciskus Skorinas (weißruss. Francisk Skaryna, 'i486, tca. 1512) ihre Arbeit auf. Drucktypen und eine Druckerpresse hatte Skorina aus Prag mitgebracht. Er druckte in Vilnius zwei Bücher in kyrillischer Schrift: das Kleine Reisebüchlein (Malaja podoroznaja knizka, Vilnius 1522) und das Psalterund Stundenbuch Der Apostel (Apostol, Vilnius 1525). Die Texte standen der gesprochenen Volkssprache nahe, weshalb Skorina bis heute als Schöpfer der ruthenischen (und nachfolgend weißrussischen) Literatursprache betrachtet wird. Entsprechend der während des späten 16. und 17. Jahrhunderts schwächer werdenden Stellung des Protestantismus in Vilnius befanden sich die noch vor den katholischen gegründeten protestantischen Druckereien vor allem außerhalb von Vilnius. 1553 gründete Mikalojus Radvila der Schwarze eine calvinistische Druckerei in Brest-Litovsk mit den Druckern Bernard Wojewodka und Stanislaw Murmelius. Sie war bis 1570 in Betrieb und brachte vor allem teurere Publikationen heraus, darunter die sog. Bibel von Brest-Litovsk von 1563 in polnischer Übersetzung. Die Brester Druckerei wurde 1576 nach Vilnius verlegt, wo sie bis 1593 zunächst als calvinistische Druckerei weiterarbeitete und 1594 von den Jesuiten übernommen wurde. 1572 gründete der polnische Magnat und Arianer Jan Kiszka (*ca. 1552, t l 592) eine Druckerei in Losk, deren Drucker Szymon Budny (*ca. 1530, tl593) und Jan Karcan ("1574, 11620) religiöse und weltliche Literatur publizierten. Die ebenfalls von Kiszka gestiftete, 1592 gegründete und bis 1654 betriebene Druckerei in Liubecz schließlich brachte rund 100 Titel in lateinischer und polnischer Sprache heraus. Die Produkte dieser Druckereien fanden natürlich auch in Vilnius Verbreitung, wenn sie auch nicht den städtischen intellektuellen und handwerklichen Kreisen entstammten. 122
Die Frühe Neuzeit
Für Vilnius wurden die katholischen Druckereien wichtiger. Die älteste war die der Gebrüder Lew und tukasz Mamonicz, die mit Unterbrechungen von 1574 bis 1623 in Betrieb war und zunächst unter der Schutzherrschaft des Kanzlers von Litauen, Leonas Sapiega ("1557, t l 6 3 3 ) stand. Sie publizierte über 100 Fibeln, Grammatiken, religiöse Schriften und Gelegenheitsdichtungen in kyrillischer und lateinischer Schrift, die meisten davon in polnischer Sprache. 1586 erhielt sie ein Privileg König Stephan Báthorys zum Druck staatlicher Rechtsliteratur, darunter das Litauische Statut von 1588. Leistungsfähiger als die Mamonicz-Druckerei war die nur wenig später gegründete Druckerei von Jan Karcan. Bis 1611 sind hier über 100 Titel in lateinischer, polnischer, griechischer und anderen Sprachen gedruckt worden. Knapp 70% der Produktion bestand aus weltlichen Werken der Antike und Renaissance. Andere Publikationen waren Lehrbücher und Gelegenheitsdichtungen. Auch die ersten Kalender Litauens stammten aus dieser Druckerei. Von überragender Bedeutung war die Druckerei der Jesuitenakademie. Sie befand sich ursprünglich (1575-1586) im Besitz des Marschalls von Litauen, Mikalojus Kristupas Radvila (poln. Mikolaj Krzysztof »Sierotka«/»das Waisenkind«, "1549,11616). 1586 schenkte er sie der Jesuitenakademie, die sie bis 1805 betrieb. Die Druckerei verlegte über 3.000 Titel in lateinischer, polnischer, deutscher, französischer, litauischer, lettischer und italienischer Sprache. Zu ihren Publikationen zählten religiöse Polemiken (theologische Traktate, Heiligenviten, Predigten, Reden, Meditationen), offizielle Dokumente der kirchlichen Institutionen (Synodaldekrete, Verfassungen, Satzungen, Klosterregeln, Ritualbücher), wissenschaftliche Werke von Professoren der Vilniusser Akademie und Literatur für Studienzwecke (Lehrbücher, Dissertationthesen, Texte antiker Autoren), Gelegenheitsdichtungen und Periodika. 1595 ließ der Gelehrte und Verfechter litauischer Sprache und Kultur, Mikalojus Dauksa, hier eine berühmt gewordene litauische Ubersetzung (Katekizmas) des Katechismus des spanischen Jesuiten Jacobus de Ledesma (*1519, tl575), De divinis scripturis (1574), drucken. 1599 erschien seine Ubersetzung {Postilé), der Postilla (1575) des Rektors des Jesuitenkollegiums Jakub Wójek. Neben den Jesuiten betrieben auch die anderen Orden in und außerhalb von Vilnius Druckereien von einiger Bedeutung. Die Druckerei der Franziskaner, die mit Unterbrechungen von 1671 bis 1781 in Betrieb war, veröffentlichte rund 160 Titel, zu denen religiöse Schriften, theologische Dissertationen, Gelegenheitsdichtungen und Übersetzungen in polnischer, Die R e s i d e n z s t a d t
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lateinischer, italienischer und litauischer Sprache zählten. 1781 verkaufte sie der Orden an die Jesuitenakademie. Die 1754 vom Rektor des Piaristenkollegiums Mathias Dominicus Dogiel (*1715, 1"1760) in Vilnius gegründete Druckerei des Piaristenordens druckte zwischen 1754 und 1836 über 600 Titel in lateinischer Sprache. Der unierte Basilianerorden betrieb in Vilnius Druckereien in den Jahren 1628-1629 und 1760 bis zur Auflösung des Ordens im Jahre 1839. Sie publizierten rund 200 Bücher in polnischer, lateinischer und litauischer Sprache zu Themen des religiösen Lebens der Unierten Kirche, darunter Lobgedichte, Lehrbücher für Basilianerschulen und wissenschaftliche Traktate. Eine Druckerei der orthodoxen Bruderschaft des Vilniusser Heiliggeistklosters bestand 1595-1610 und 1615-1660. Sie besaß 1611-1615 auch eine Filiale in Vievis und brachte über 80 Lehrbücher für Schulen der Bruderschaft, liturgische Bücher und polemische Werke in polnischer und russischer Sprache heraus. Als bedeutendstes Werk kann die von Meletij Smotricki verfasste, 1619 in Vievis publizierte »Slavische Grammatik« (Gramatiki Slavenskija pravil'coe Sintagrna) gelten, die während des 17. Jahrhunderts im gesamten Moskauer Reich und in den bulgarischen Ländern Verbreitung fand.
3. Die Bürgerstadt Wie viele andere Aspekte des kulturellen und religiösen Lebens von Vilnius war das Druckereiwesen von Vilnius Ausdruck einer von Handwerkern und Kaufleuten geprägten Stadt, die die Druckerzeugnisse herstellten und vertrieben, zugleich aber - in seiner konfessionell und sprachlich differenzierten Ausrichtung - einer multikonfessionellen und multiethnischen Prägung der städtischen Bevölkerung und des ganzen polnisch-litauischen Staatswesens, in dem die Druckerzeugnisse hauptsächlich Absatz fanden. Beschäftigt man sich mit diesem Aspekt eingehender, wird man schnell gewahr, dass sich Vilnius und die Rzeczpospolita in der frühen Neuzeit im Vergleich zum Mittelalter ethnisch weiter differenziert hatten. Bevölkerungsentwicklung: Im 16. Jahrhundert wohnten in Vilnius nach groben Schätzungen rund 20.000 Menschen. Dies war im ostmitteleuropäischen und nordosteuropäischen Vergleich eine relativ hohe Zahl, nahm sich aber im gesamteuropäischen Vergleich eher bescheiden aus, denn die größeren Städte des europäischen Westens und Südens konnten in dieser Zeit mühelos einige zehntausend Einwohner mehr aufweisen (Konstantinopel, Paris und Neapel jeweils knapp 200.000, Danzig und Hamburg im124
Die Frühe Neuzeit
lateinischer, italienischer und litauischer Sprache zählten. 1781 verkaufte sie der Orden an die Jesuitenakademie. Die 1754 vom Rektor des Piaristenkollegiums Mathias Dominicus Dogiel (*1715, 1"1760) in Vilnius gegründete Druckerei des Piaristenordens druckte zwischen 1754 und 1836 über 600 Titel in lateinischer Sprache. Der unierte Basilianerorden betrieb in Vilnius Druckereien in den Jahren 1628-1629 und 1760 bis zur Auflösung des Ordens im Jahre 1839. Sie publizierten rund 200 Bücher in polnischer, lateinischer und litauischer Sprache zu Themen des religiösen Lebens der Unierten Kirche, darunter Lobgedichte, Lehrbücher für Basilianerschulen und wissenschaftliche Traktate. Eine Druckerei der orthodoxen Bruderschaft des Vilniusser Heiliggeistklosters bestand 1595-1610 und 1615-1660. Sie besaß 1611-1615 auch eine Filiale in Vievis und brachte über 80 Lehrbücher für Schulen der Bruderschaft, liturgische Bücher und polemische Werke in polnischer und russischer Sprache heraus. Als bedeutendstes Werk kann die von Meletij Smotricki verfasste, 1619 in Vievis publizierte »Slavische Grammatik« (Gramatiki Slavenskija pravil'coe Sintagrna) gelten, die während des 17. Jahrhunderts im gesamten Moskauer Reich und in den bulgarischen Ländern Verbreitung fand.
3. Die Bürgerstadt Wie viele andere Aspekte des kulturellen und religiösen Lebens von Vilnius war das Druckereiwesen von Vilnius Ausdruck einer von Handwerkern und Kaufleuten geprägten Stadt, die die Druckerzeugnisse herstellten und vertrieben, zugleich aber - in seiner konfessionell und sprachlich differenzierten Ausrichtung - einer multikonfessionellen und multiethnischen Prägung der städtischen Bevölkerung und des ganzen polnisch-litauischen Staatswesens, in dem die Druckerzeugnisse hauptsächlich Absatz fanden. Beschäftigt man sich mit diesem Aspekt eingehender, wird man schnell gewahr, dass sich Vilnius und die Rzeczpospolita in der frühen Neuzeit im Vergleich zum Mittelalter ethnisch weiter differenziert hatten. Bevölkerungsentwicklung: Im 16. Jahrhundert wohnten in Vilnius nach groben Schätzungen rund 20.000 Menschen. Dies war im ostmitteleuropäischen und nordosteuropäischen Vergleich eine relativ hohe Zahl, nahm sich aber im gesamteuropäischen Vergleich eher bescheiden aus, denn die größeren Städte des europäischen Westens und Südens konnten in dieser Zeit mühelos einige zehntausend Einwohner mehr aufweisen (Konstantinopel, Paris und Neapel jeweils knapp 200.000, Danzig und Hamburg im124
Die Frühe Neuzeit
merhin schon rd. 50.000). Einen herben Bevölkerungsverlust erlebte Vilnius 1655 während des polnisch/litauisch-moskauischen Krieges (1654-1667), als nach Ausweis einer Bürgerliste aus dem Königsberger Stadtarchiv viele Bürger vor den Moskauern und Tataren ins herzogliche Preußen flohen oder umkamen. Einen noch höheren Blutzoll forderten der Große Nordische Krieg ( 1 7 0 0 - 1 7 2 1 ) und die Pestepidemie des Jahres 1710. Auch qualitativ wandelte sich die Struktur der Stadtbevölkerung. Im 16. Jahrhundert zeichnete sich eine soziale Differenzierung ab, die für frühere Perioden so nicht dokumentierbar ist. Die seit dem Mittelalter ansässigen Bürgerfamilien erhielten Konkurrenz durch zahlreiche Neubürger. Dabei stellten die Alteingesessenen in der Regel das Patriziat; die Neubürger hingegen, oft als plebs bezeichnet, bildeten größtenteils die bürgerliche Mittel- und Unterschicht. Zwischen diesen beiden Lagern kam es häufig zu Konflikten, weswegen im 16. Jahrhundert eine neue Institution entstand, die den Magistrat und die Aktivitäten des Patriziats kontrollierte: die Bürgergemeinde - ein Kollegium von 60 Personen, deren Mitglieder überwiegend aus dem städtischen plebs stammten. Der Prozess der sozialen Differenzierung erfasste aber nicht nur das Stadtbürgertum, sondern auch die übrige Stadtbevölkerung. In der frühen Neuzeit lebten in der Stadt mehr und mehr Einwohner, die kein Bürgerrecht besaßen, also nicht an politischen Entscheidungen der Bürgerstadt teilhatten, aber persönlich frei und im städtischen Gewerbe tätig waren und durch das allgemeine Stadtrecht geschützt wurden. Ihre Zahl überstieg in der frühen Neuzeit die der eingeschriebenen Stadtbürger immer mehr. Dabei handelte es sich oft um entlaufene Gutsbauern, die » d u r c h Stadtluft frei« werden wollten. Diese Läuflinge wiederum waren ein potentieller Konfliktherd zwischen der Bürgerstadt und dem Gutsadel, der » s e i n e « Bauern als Arbeitskraft brauchte und zurückforderte. Das Problem spitzte sich seit dem letzten Drittel des 15. Jahrhunderts, insbesondere aber mit der juristischen Festschreibung der Leibeigenschaft der Bauern 1557 zu. Gleichzeitig führte die Legalisierung der Leibeigenschaft auch dazu, dass insgesamt weniger Bauern den Sprung in die Stadt schafften.
Veränderungen im Stadtbild Während der frühen Neuzeit machten sich im Stadtbild bedeutende Veränderungen bemerkbar. Straßen entstanden, Vorstädte wurden teils in die Kernstadt integriert oder entwickelten sich auf der Grundlage neuer wirtDie Bürgerschaft
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schaftlicher und sozialer Erfordernisse, die Infrastruktur der Stadt wurde erheblich verbessert und ausgebaut. Die Straßen der Stadt: Bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts wurden Häuser in Vilnius ohne jeden Plan gebaut. Erst 1536 befahl der Großfürst, Zygimantas Senasis (»der Alte«), Häuser in Reihen und nach vom Magistrat erarbeiteten Karten zu bauen. Auf diese Weise entstanden in Vilnius erstmals geschlossene Straßenziige. Viele von ihnen schlössen mit Bögen und Toren an ihren jeweiligen Enden ab. Dennoch blieben Straßen ein variabler Teil des Vilniusser Stadtbildes. Häufige Feuer führten zu Veränderungen in der Straßenfuhrung oder manchmal sogar zu ihrem völligen Verschwinden. Am besten lässt sich die Entstehung von Straßen in Vilnius begreifen, wenn man sie von den zentralen Bauten der Stadt her denkt: den großfürstlichen Burgen, dem Domplatz und dem Rathausplatz. Die Burgen und der Domplatz bildeten den Ausgangspunkt für die Straßen, die nach Süden zur Bürgerstadt führten. Auf dem gepflasterten Domplatz befanden sich der Bischofspalast, das Kapitelhaus und, in größerer Entfernung, das Oberste Gericht, das großfürstliche Hofamt und die großfürstliche Mühle an der Vilnia. Hier wurden auch verschiedene Märkte, darunter der berühmte St. Kazimierz-Jahrmarkt, abgehalten. Südlich des Domplatzes begann die - im 16./17. Jahrhundert sog. - Kanonikergasse (lit. Kanauninki} gatve, heutige Burgstraße/Pilies gatve), eine der ältesten Straßen der Stadt, benannt nach mehreren Häusern, die von den Vilniusser Bischöfen, Prälaten und Kanonikern bewohnt wurden. Sie verband zusammen mit der Großen Gasse (Didzioji gatve) die Zentren der Residenz- und Bürgerstadt - Burg, Dom und Rathaus - und diente oft als Paradestraße für die litauischen Heere, die Großfürsten und ihr Gefolge und kirchliche Prozessionen. Gleichzeitig verband sie auch die wichtigsten Märkte der Stadt: den Dom-, den Rathaus- und den Pjatnickaja-Markt (Fischmarkt). Von ihr gingen zahlreiche Seitengassen mit weiteren Geschäftshäusern ab. Sie war eine der wenigen Straßen, die ihr Gesicht trotz zahlreicher Stadtbrände über viele Jahrhunderte hinweg fast unverändert bewahrten. Das Rathaus bildete seit dem Mittelalter den Mittelpunkt der Bürgerstadt. Der unregelmäßig angelegte Rathausplatz befand sich im Schnittpunkt vieler bekannter Gassen. In der frühen Neuzeit wurde er außerdem zum Zentrum adliger Präsenz in der Stadt, denn viele Adelspaläste entstanden in der Nähe des Rathausplatzes. Vom Rathausplatz gingen nach Nordwesten die Deutsche Gasse (Vokieciij gatve) mit der Michaels-, der Franziskaner- und der evangelisch-lutheri126
Die Frühe Neuzeit
sehen Kirche und vielen Backsteinhäusern im gotischen Stil, bewohnt von deutschsprachigen Handwerkern und Kaufleuten, die zu den reichsten der Stadt gehörten; nach Südwesten die Rüdininkai-Gasse (Rüdininkij gatve), die nach Rüdininkai und ins Königreich Polen führte, auf der die polnischen Könige als litauische Großfürsten in die Stadt einzogen und vom Magistrat feierlich empfangen wurden, indem dieser ihnen die symbolischen Schlüssel der Stadt übergab. Hier befand sich die Allerheiligenkirche, die St. Joseph-der-Anverlobte-Kirche und das Barfußerinnen-Kloster. An die Deutsche Gasse grenzte das jüdische Viertel, das durch die heutigen Straßen Stiklii}, Zydi}, Gaono, Svarco gatve und einige andere gebildet wurde. Die Bebauung war in der Regel hoch, ohne Tore, mit kleinen, niedrigen schmiedeeisernen Türen. Manche Häuser besaßen nur zwei Fenster. Eine der für das öffentliche Leben der Stadt bedeutsamsten Straßen war die Johannesgasse. An der nur rund 200 m langen Straße befanden sich der älteste Marktplatz der Stadt und viele Geschäfte, Handwerksbetriebe und Gasthäuser. Sie diente als Wohnstraße für die vornehmsten Würdenträger der Stadt aus den Familien der Radvila, Pacas oder Sapiega, fiir Universitätsrektoren, Offiziere und die höhere Geistlichkeit. Hier wurden die städtischen Karnevale vorbereitet. Sie diente als Schaustraße fiir Passionsspiele, Prozessionen hochgestellter Adliger, der Universitätsdozenten und Studenten, der Handwerkerzünfte, der Totengeleitzüge zum calvinistischen Friedhof und der städtischen Hochzeitszüge. Auch zahlreiche handgreifliche Auseinandersetzungen zwischen Protestanten und Katholiken, insbesondere zwischen Calvinisten und Jesuiten fanden hier eine Bühne. Die Dominikanergasse (Dominikoni} gatve) war Teil der alten Verbindungsstraße zwischen Vilnius und Trakai und gehörte, seit dem 14. Jahrhundert dokumentiert, ebenfalls zu den ältesten Straßen der Stadt. Hier befanden sich die dominikanische Heiliggeistkirche und das Dominikanerkloster. Viele Repräsentanten des Sejm und hohe Staatsbeamte, darunter die Sapiega mit ihren zwei Palästen am westlichen Ende der Straße, wohnten hier, weshalb sie auch Senatorengasse hieß. Der Wohlstand der Straßenbewohner wurde zusätzlich dadurch unterstrichen, dass bereits im 16. Jahrhundert die meisten Gebäude aus Backstein errichtet waren und einige von ihnen mit Trinkwasser versorgt wurden, das von den VingriaiQuellen über ein Rohrsystem in die Straße gelangte. Auch die Trakai-Gasse (Trakij gatve), entstanden im 14. Jahrhundert, gehörte zu den ältesten Straßen der Stadt. Sie trägt noch heute denselben Namen wie in alten Zeiten (war allerdings zwischenzeitlich, in DokumenDie Bürgerschaft
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ten des 15. Jahrhunderts, auch unter dem Namen Suboc/Subacius-Gasse bekannt). Sie begann an der Kreuzung von Großer Gasse/Gasse der Morgenröte (Ausros gatve) und führte in die Vorstadt Paplavai. In der TrakaiGasse ließ Fürstin Jadvyga Oginskiene ein Heim für Findelkinder errichten, in dem 1791 über 100 Waisen eine Unterkunft fanden. Kernstadt und Vorstädte-. In der frühen Neuzeit expandierte die Stadt nicht nur im Inneren, sondern auch über die Grenzen der mittelalterlichen Stadt hinaus. Abgesehen von der zum Bistum Vilnius gehörenden und bereits seit dem 14. Jahrhundert bestehenden Vorstadt Paneriai wurden in der frühen Neuzeit mehrere neue Vorstädte an die Kernstadt angegliedert oder entstanden in dieser Zeit überhaupt erst, darunter Zvejai, Antakalnis, Uzupis, Zverynas, Naujininkai und Paplavai. Nachdem der Vilniusser Bürgermeister Ulrich Hosius 1536 die erste Brücke über die Neris hatte bauen lassen, wurde die seit dem 14. Jahrhundert bestehende nördliche Vorstadt Zvejai (poln. Rybaki, »Fischervorstadt«, heute ein Teil der Stadtviertel Snipiskes und Zirmünai) am rechten Vilnia-Ufer zu einem Viertel der Kernstadt von Vilnius. Hier befand sich der älteste und größte jüdische Friedhof Litauens (1592 erstmals erwähnt, bis 1830), unter den Juden als Snipisok bekannt. Dieser Name gab später dem ganzen Stadtviertel Snipiskes seinen Namen. Hier lagen die Gräber des Gaons von Vilnius und anderer wichtiger jüdischer Persönlichkeiten (s.u.). Mittelalterliche Wurzeln hatte auch die nordöstliche, am rechten NerisUfer liegende Vorstadt Antakalnis (poln. Antokol, wörtl. »Ort auf Hügeln«) mit der katholischen Peter-Paul-Kirche und einem der SapiegaPaläste. Im 18. Jahrhundert wurde dort der Botanische Garten der Universität Vilnius angelegt. Trotz dieser Zuwächse blieb Antakalnis aber auch in der frühen Neuzeit eine Vorstadt von Vilnius. Die über drei Vilnia-Brücken mit der eigentlichen Stadt verbünde östliche Vorstadt Uzupis ist seit dem 16. Jahrhundert belegt. Bis zu diesem Zeitpunkt war sie eine Siedlung der Stadtarmen gewesen. Hier befanden sich das 1496 errichtete Bernhardiner-Kloster mit einem der ältesten Friedhöfe der Stadt und die Kirche des Heiligen Balthasar. Seit dem 16. Jahrhundert wuchs Uzupis langsam mit der Vilniusser Kernstadt zusammen. Auch die Vorstädte des 19. und 20. Jahrhunderts waren schon in der frühen Neuzeit mit der Kernstadt verbunden, besaßen jedoch völlig andere Funktionen. Der Gutshof Derevnictva ist bereits erwähnt worden. Er diente zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert als Residenz verschiedener Herr128
Die Frühe Neuzeit
scher, hoher Würdenträger des Reiches und zuletzt der Lateran-Mönche mit umliegendem Wild- und Fischrevier. Aus diesem Gebiet entwickelte sich im 19. und 20. Jahrhundert das Tuskulenai-(Tusculum-) Viertel. Die an drei Seiten von der Neris umflossene Vorstadt Zverynas (poln. Zwierzyniec, wörtl. »Die Menagerie«) westlich des heutigen Parlamentsgebäudes und gegenüber dem Vingis-Park (poln. Zakrft, wörtl. »Kurve«, »Windung«) beispielsweise fungierte bis ins 19. Jahrhundert als Jagdrevier der Radvila. Erst 1825 entstand dort ein Sommerhaus, das später als Residenz des Generalgouverneurs von Vilnius genutzt wurde. In Zverynas stand auch die einzige karaitische Synagoge (persisch-hebr. kenesa) von Vilnius. Die erst im 18. Jahrhundert entstände Vorstadt Naujininkai diente während ihrer Anfangsphase als Quartier vorzugsweise für russische Altgläubige, die hier eine Kirche und einen Friedhof errichteten. Der älteste und berühmteste städtische Friedhof wurde 1769 im Süden von Vilnius angelegt. Mit dem um den Friedhof herum gebauten Gebäuden entstand daraus die Vorstadt Rasos. Der frühneuzeitliche Ausbau der Stadt Vilnius und der innerstädtischen Verbindungen lassen sich auch an anderen Indizien ablesen. 1532 entstand die erste Wasserleitung, die die Hygiene in der Stadt wesentlich verbesserte. Das Wasser kam aus Quellen am Hügel des Dominikanerklosters (s.o.) und floss über Holzröhren in die reicheren Bürgerhäuser der Stadt (vor allem in der Dominikanergasse). Wer in den Genuss fließenden Wassers kommen wollte, musste dafür jedoch teuer bezahlen. Die ärmeren oder abgelegeneren Häuser und Viertel der Stadt wurden von der Wasserleitung nicht erfasst. Auf diese Weise blieb die städtische Hygiene auch weiterhin ein Problem. Im 16. Jahrhundert entstanden die ersten Manufakturen der Stadt: mehrere Mühlen in der Mühlengasse (Malünij gatve) am rechten Ufer der Vilnia, darunter die 1527 gegründete Papiermühle des deutschen Manufakturunternehmers Karl Weynart in Uzupis, der 1524 ein Privileg Zigimantas des Alten für sein Unternehmen erhalten hatte, eine 1547 eingerichtete Glasbläserei in der Vorstadt Zvejai sowie eine Kanonengießerei. Feuer und Zerstörungen: Die Baustrukturen der Stadt waren immer wieder äußeren Bedrohungen ausgesetzt. Aufgrund zahlreicher Feuersbrünste und Kriegseinwirkungen mussten die oft gerade erst errichteten Gebäude stets von Neuem aufgebaut werden, oder sie wurden gleich durch andere ersetzt. Die Baugeschichte des Doms mag hier für viele andere Beispiele stehen. Nach dem verheerenden Stadtfeuer von 1610, der den Dom (wie auch die großfürstlichen Burgen, zahlreiche Kirchen, die Universität Die Bürgerschaft
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und viele Wohnhäuser) schwer beschädigte, ließ Bischof Benedykt Woyna die heute noch sichtbaren Vordertürme hinzufugen. 1623-1636 wurde auf Befehl Zygimantas III. Vaza die barocke Kapelle Kasimirs (des Heiligen) integriert. Nachdem der Dom während des moskauischen Angriffs 1655 wiederum stark beschädigt worden war, ließ Bischof Brzostowski die alte Innenausstattung 1691-1692 wieder herrichten und durch Frescos von Michelangelo Palloni und einem Altar und Stuck von Pietro Perti ergänzen. Nach dem Brand von 1769 ordnete Bischof Masalskis einen Neubau des Doms an, der sich nach Entwürfen von Laurynas Gucevicius von 1779 bis 1783 hinzog und dem Dom das heutige neoklassizistische Aussehen verlieh; die Innenausstattung wurde 1801 vollendet.
Klassizismus in Vilnius: Laurynas Stuoka-Gucevtäus Kaum ein anderer Architekt hat das klassizistische Bild von Vilnius so sehr geprägt wie der erste professionelle litauische Baumeister Laurynas StuokaGuceviiius (poln. Wawrzyniec Gucewicz, *1753, tl798). Von bäuerlicher Herkunft, ausgebildet zunächst an der Vilniusser Jesuitenakademie (17731775), danach in Rom, Paris und an verschiedenen Bildungsstätten in Dänemark, Schweden und im Heiligen Römischen Reich, beauftragte ihn Bischof Fürst Masalskis nach seiner Rückkehr aus dem Ausland, den Bischofspalast von Verkiai im klassizistischen Stil neu zu entwerfen. 1789 erhielt er einen Posten als Professor fiir Architektur und Topographie an der Vilniusser Schule des Artillerie- und Ingenieurkorps, 1794 einen Ruf der Jesuitenakademie als Professor für Bürgerarchitektur. 1797 übernahm er den neu eingerichteten Lehrstuhl fiir Architektur an der Akademie. Seine klassizistischen Hauptwerke in Vilnius, das neue Rathaus (eingeweiht 1799) und der Neubau des Doms (1777-1801), entstanden seit 1797. Stuoka-Gucevicius zeichnete außerdem eine topographische Karte des westlichen Teils der Stadt Vilnius, die eine Quelle ersten Ranges zur Rekonstruktion der städtischen Bauten im späten 18. Jahrhundert darstellt. Weiterführende Literatur: Laurynas Guceviiius ir jo epocha (hg.v. Rasa Butviiaite, Egidijus Aieksandravifius), Vilnius 2004 (= Acta Acadcmiae Artium Vilnensis 32) [mit engl. Zsf.: Laurynas Guceviiius and his time].
Die Bürgerstadt als Rechts- und Verwaltungsraum An der Verfassung der Bürgerstadt änderte sich gegenüber der mittelalterlichen Periode prinzipiell wenig. Allerdings verschaffte der politische Be-
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deutungsverlust der Residenzstadt während der Unionsperiode der Bürgerstadt nun mehr Bewegungsfreiheit. Auch kamen im Rahmen des allgemeinen Ausbaus der Verwaltung einige neue städtische Amter hinzu, wenigstens sind sie erst ab dem 16. Jahrhundert belegt. Dazu zählten das Amt des Stadtsyndicus (poln. Syndyk Miejski), der für Steuerangelegenheiten zwischen Stadt und Krone zuständig war, und der Hutman für die bürgerstädtischen Polizeiaufgaben, aber auch kleinere Posten wie der des Wasserleitungsmeisters, des Feuerwehrmeisters oder der städtischen Übersetzer, die zugleich als Geheimagenten der Stadt im Ausland fungierten. Der Bürgermeister erhielt im Zeitalter der Reformation und Gegenreformation zusätzliche Aufgaben, indem er nun die teils von den Kirchen, teils von den Zünften und Gilden organisierte Armenfursorge zu beaufsichtigen hatte. Bis 1845 beherbergte das Rathaus die meisten dieser bürgerstädtischen Ämter. Dort tagten der Magistrat und der Rat der Kaufleute; im gleichen Gebäude untergebracht waren das Bürgermeisteramt, das Stadtarchiv, ein Waffensaal und das städtische Gefängnis. Auf dem Rathausplatz fanden Bestrafungen und Hinrichtungen statt. Hier stand auch der Schandpfahl. Die deutlichsten Veränderungen gingen in der frühen Neuzeit jedoch nicht mit der Verwaltung, sondern mit dem Rathausgebäude einher. Am Rathaus entstand ein über 40 m hoher Glockenturm, der auf Braun und Hohenbergs Atlas europäischer Städte von 1572 abgebildet und deutlich zu sehen ist. Im 17. Jahrhundert erhielt der Turm Glocken, die die Bürger daran erinnern sollten, wann sie nachts das Licht zu löschen hatten, und vor Gefahren warnten. 1781 fiel der Turm jedoch in sich zusammen. Danach wurde das alte Rathaus durch ein klassisches Gebäude nach Plänen Laurynas Stuoka-Gucevicius' ersetzt, das zur Burggasse (Pilies gatve) hin ausgerichtet war, an deren Ende wiederum ein anderes Großwerk des Architekten, der klassizistische Dom, stand. Der Bau konnte allerdings erst 1799, also bereits unter russischer Herrschaft, beendet werden.
Handel und Handwerk Die außenpolitische Entwicklung Litauens hatte unmittelbare Auswirkungen auf Handel und Handwerk in Vilnius. Das 16. Jahrhundert und die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts waren eine Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs. Der polnisch/litauisch-moskauische Krieg (1654-1667) jedoch brachte der Stadt eine wirtschaftliche Katastrophe. Viele Menschen flohen Die Bürgerschaft
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oder wurden getötet, zahlreiche Gebäude lagen in Schutt und Asche, der Handel kam erst nach und nach wieder in Schwung. Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, als die europäischen Konjunkturen günstig waren und politische, kirchliche und kulturelle Reformen im Großfurstentum neue Ressourcen erforderten und gleichzeitig produzierten, erholte sich die Stadt auch wirtschaftlich. Handel-, Im 16. Jahrhundert weiteten sich die Handelsbeziehungen der Stadt Vilnius bedeutend aus. Die mittelalterlichen Verbindungen über die Neris und Memel wurden nun ergänzt durch zahlreiche Handelsstraßen, die im 16. Jahrhundert von Vilnius nach Riga, über Kaunas nach Königsberg und Danzig, über Grodno nach Gnesen, Posen und von dort weiter nach Westen, über Brest nach Krakau und Lemberg und über Polock nach Novgorodok führten. Nach Osten verband eine Straße Vilnius mit Moskau. Der Handel beschränkte sich jedoch nicht auf diese Routen. Im 16. Jahrhundert lässt sich der von Vilniusser Kaufleuten erschlossene merkantile Raum durch das Polygon Antwerpen-Reval-Moskau-Konstantinopel-Nürnberg beschreiben. Diese Handelsgeographie verwies aber gleichzeitig auf die Tatsache, dass sich die Hauptrouten des Fernhandels in der frühen Neuzeit von der Ostsee weg in den atlantischen Raum verschoben hatten. Der Vilniusser Handel reagierte darauf mit neuen Verbindungen ins ostmitteleuropäische Binnenland. Außerdem profitierte er davon, dass die mittelalterlichen Kriege gegen den Deutschen Orden wegen der militärischen Schwäche des Ordens zum Erliegen gekommen waren und im 16. Jahrhundert eine allgemein günstige Konjunktur im Welthandel herrschte. Dazu kam eine lange Friedensperiode, die für Vilnius bis zum polnisch/litauischmoskauischen Krieg (1654-1667) währte. Die Warenpalette glich der des späten Mittelalters. Es waren vor allem Rohstoffe wie Pelze, Wachs oder Honig, die den Handel in der Stadt Vilnius bestimmten. Dazu trat der Getreidehandel, der jedoch vom litauischen Adel mit Hilfe jüdischer Handelsagenten oft direkt auf die Märkte von Königsberg oder Danzig gebracht wurde. Bedeutender noch war die im Zeitalter der überseeischen Entdeckungen steigende Nachfrage nach Rohmaterialien für den Schiffsbau. Schnittholz, Pech, Asche, Hanf und Flachs standen immer häufiger auf den Auftragslisten Vilniusser Kaufleute. Diese Waren, die Vilnius nur als Zwischenstation vom litauischen Hinterland in den europäischen Westen passierten, wurden ergänzt durch Produkte, die aus dem Vilniusser Handwerk stammten. Nicht nur traditionelle Handelswaren jedoch, sondern auch Nachrichten und Personen wurden nun systematisch transportiert. Dominierte im 16. Jahrhundert noch ein mittelalterliches 132
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Botenwesen, das Nachrichten im Einzelauftrag der Großfürsten, des Adels und der Kirche transportierte, so fuhr 1562 erstmals eine Postkutsche von Vilnius über Krakau nach Wien. Weitere Postrouten über Kaunas, Memel und Königsberg sowie über Warschau ins Heilige Römische Reich kamen im 17. Jahrhundert hinzu. Handwerk: Auch das Handwerk blühte im frühneuzeitlichen Vilnius auf. Im 16. und 17. Jahrhundert entstanden mehrere Zünfte, von denen die Schuhmacher- (Privileg Zygimantas' Augustas 1522 und 1560), die Metzger- (Privileg Zygimantas' Vasa 1596), Zinngießer- (Privileg Vladislav Vazas 1633), Töpfer- (Privileg Jan Kazimirs 1664), Barbier- und ChirurgenPrivileg Jan Kazimirs 1667) sowie die Schneiderzunft (Privileg Augustus III. 1754) dokumentierbar sind. Bekannt sind darüber hinaus auch andere Zünfte wie die der Glaser, Goldschmiede, Kupferstecher, Perlmuttschneider, Glockengießer, Uhrmacher, Weber oder Buchbinder. Das sog. »Gewercks-Buch« der Vilniusser Zinngießer von 1742 im Archiv der »Gesellschaft der Freunde der Wissenschaften in W i l n o « ist eines der wenigen Zeugnisse, die einen Einblick in die inneren Verhältnisse der Gilden und Zünfte der Stadt Vilnius in der frühen Neuzeit erlauben. Hier kann man z.B. erfahren, dass in den Jahren 1528 bis 1742 insgeamt 47 Zinngießermeister überwiegend deutschsprachiger Herkunft Mitglieder der Zunft waren. Es enthält zudem 1633 von Großfürst Vladislovas IV. ausgestellte Privilegien, die der Zunft eine Selbstverwaltung mit zwei Altermännern und vierteljährlichen Zusammenkünften der Zunftmitglieder gewährten. Außerdem regelte das Privileg Ausbildung und Pflichten der Lehrlinge, die Versorgung der Meisterwitwen und Maßnahmen gegen Pfuscherei und Landstreicherei. Schließlich enthält das »Gewerckbuch« ein bischöfliches Privileg von 1655, das es den Zinngießern erlaubte, einen »Gewercks Altar« in der Josephs- und Nicodemus-Kirche »hinter dem Scharffen T o r « zu unterhalten. Wie im Mittelalter und in der frühen Neuzeit üblich, folgten die Privilegienverschreibungen und die darin enthaltenen Ordnungspunkte Schemata, die im Unionsreich weit verbreitet waren. Vieles davon war bereits mit den Bestimmungen des Magdeburger Stadtrechts vorgegeben. Und die anderen Zünfte haben sich auf dieser Grundlage höchstwahrscheinlich ganz ähnlich entwickelt. Wie die Kaufleute, so besaßen auch die Handwerker ihre speziellen Märkte. Der größte Handwerkermarkt war der Kaziukas-Jahrmarkt (lit. Kaziuko muge, poln. Kaziuki). Er entwickelte sich im 17. Jahrhundert und wurde traditionell an dem auf den Tag des Heiligen Kasimir (4. März) folgenden Sonntag auf den beiden Hauptmärkten und in den Straßen der Die Bürgerschaft
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Stadt Vilnius abgehalten. Der Verkauf handwerklicher Produkte, Volkskunst, Musik und Tanz waren ein fester Bestandteil des Kaziukas-Jahrmarktes wie auch anderer, kleinerer Märkte im Jahreslauf.
Ethnien und Religionen Das frühneuzeitliche Vilnius zeigte sich wie schon im Mittelalter als multiethnische Stadt. Doch ging der ethnische Differenzierungsprozess - und mit ihm der konfessionelle - in der frühen Neuzeit weiter. Während der litauische und ruthenische Adel spätestens im 17. Jh. einen massiven Polonisierungsprozess durchlief, der teils vom polnischen, teils vom litauischen und ruthenischen Adel selbst ausging und sich auch in Vilnius deutlich bemerkbar machte, blieb das bürgerliche Vilnius in zahlreiche ethnische Gruppen gespalten. Am ehesten noch orientierten sich die litauischen und ruthenischen Stadtbürger am polnischen Vorbild und durchliefen einen Assimilationsprozess, der sie als distinkte ethnische Gruppe praktisch zum Verschwinden brachte. Dies hatte auch damit zu tun, dass nach dem Verlust der meisten ruthenisch besiedelten Gebiete innerhalb der Rzeczpospolita nach dem Waffenstand von Andruszöw (1667) und dem Frieden von Buczacz (1672) der Zuzug von Ruthenen nach Vilnius deutlich nachließ. Auf diese Weise finden sich unter den Vilniusser Kaufleuten und Handwerkern zahlreiche »Polen«. Andere ethnische Gruppen bewahrten ihre her- und mitgebrachten Eigenheiten. Zu ihnen zählen insbesondere die Deutschen, Juden, Karaiten und Tataren. Vertreter weiterer Ethnien wie beispielsweise Italiener, Spanier, Schotten, Roma oder Russen tauchen in den Quellen zur Stadtgeschichte zwar vereinzelt auf, und ihre Vertreter haben als Theologen, Architekten, Künstler oder Offiziere oft Herausragendes geleistet, spielten aber als ethnisch-soziale Gruppe keine signifikante Rolle für die Sozialstruktur der Stadt. Die Deutschen in Vilnius stellten in der frühen Neuzeit nicht nur wie schon im Mittelalter zahlreiche städtische Kaufleute und Handwerker, sondern seit dem 16. Jh. auch viele Gelehrte, die einen bedeutenden Einfluss auf die Kultur und Wissenschaft Polen-Litauens und darüber hinaus ausübten - insbesondere an der 1578 gegründeten Jesuitenakademie. Sie gehörten jedoch in der Regel nicht zur traditionellen deutschen Stadtbevölkerung mit ihren sozioökonomischen Organisationen und ihrer räumlichen Konzentration um die Deutsche Gasse. Vielmehr waren sie in die trans134
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ethnische Korporativorganisation der Vilniusser Universität eingebunden, die, ähnlich wie die Gilden und Zünfte, eine eigenständige Rechtskörperschaft bildete. Die jüdische Präsenz in Vilnius nahm nach eher bescheidenen Anfängen im Mittelalter in der frühen Neuzeit einen bedeutenden Aufschwung. In den frühneuzeitlichen Quellen zur Stadtgeschichte tauchen mit jedem Jahr mehr Juden auf. Sie hatten 1593 von Zygimantas III. das Recht auf eine weitgehende Selbstverwaltung, Steuerfreiheit und eigene Kaufmannsund Handwerksorganisationen erhalten. Auch von der städtischen Gerichtsbarkeit waren sie ausgenommen; vielmehr unterstanden sie dem Gericht des Wojewoden von Vilnius. Mitte des 17. Jh.s lebten bereits rd. 3.000 Juden in der Stadt und machten damit schätzungsweise etwas über 15% der Vilniusser Gesamtbevölkerung aus. Als Selbstverwaltungsorgan der Juden in Vilnius wie auch der jüdischen Gemeinschaften anderer Städte Polen-Litauens diente der sog. Kahal, der das gesamte religiöse, kulturelle und wirtschaftliche Leben der jüdischen Gemeinde in Vilnius kontrollierte. Das architektonische Zentrum der Vilniusser Juden bildete seit 1440 ein Gebetshaus am Ende der Judengasse. An gleicher Stelle errichtete die jüdische Gemeinde 1572 eine erste Synagoge in Holzbauweise, gefolgt von der »Großen Synagoge« von 1630-1633, einem Bauwerk aus Stein, so beeindruckend, dass Napoleon während seines Russlandfeldzugs 1812 angeblich kaum Worte fand vor lauter Begeisterung. Allerdings hatte der Kaiser der Franzosen da schon die im 18. Jh. von dem Vilniusser Baumeister deutscher Herkunft Johann Christoph Glaubitz ("1700, t 1767) im Stil der italienischen Renaissance umgebaute Version der Großen Synagoge vor sich. Um die Große Synagoge herum entstanden mehrere Gebäude des jüdischen Gemeindelebens, u.a. eine Schule, eine Bibliothek und ein Badehaus, die mit der Zeit den sog. Schulhojf (Schulhof) bildeten. Die Prosperität und relative Rechtssicherheit der Vilniusser und litauischen Juden wurde 1648 nachhaltig erschüttert, als sie während der Kosakenaufstände schwere Pogrome zu erleiden hatten. Die Massaker forderten weit über 100.000 Opfer in ganz Polen und Litauen. Die Institutionen sowie die wirtschaftliche und soziale Basis der Juden wurden dadurch weitgehend vernichtet. Ein bedeutender Teil des polnisch-litauischen Judentums flüchtete sich in mystische Heilslehren (Kabbala, Messianismus) und eine schlichte Volksfrömmigkeit (Chassidismus). Vilnius hingegen entwickelte sich, da Bischof Fürst Massalskis den litauischen Juden religiöse Toleranz gewährte, zu einem Zentrum des jüdischen Rationalismus und der AufkläDie Bürgerschaft
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rung, zum „Jerusalem Litauens". Dieser Prozess spiegelte sich besonders in einer bedeutenden Buchproduktion im späten 18. Jh. wieder. Bis ins späte 18. Jh. wurden jüdische Bücher allerdings weder in Vilnius noch sonst irgendwo in Litauen publiziert, sondern im nichtlitauischen Ausland (meist in Amsterdam, Prag und in verschiedenen Städten des Heiligen Römischen Reiches, Russlands und Polens). Ende des 18. Jahrhundert machte die Auseinandersetzung zwischen Misnagdim und Chassidim, d.h. zwischen nordlitauischen » r a t i o n a l e n « und südlitauischen »mystizistis c h e n « Juden ein Druckereiwesen unabdingbar. 1788 erschien das wahrscheinlich erste jüdische Buch Nordlitauens, Jakobs von Vistinic „Zera Yankev" (Der Same Jakobs), in Grodna in der Druckerei des aufklärerischen Herrschers von Polen-Litauen, Stanislaw II. August Poniatowski ( 1 7 6 4 - 1 7 9 5 ) . Das erste jüdische Buch, das in Vilnius publiziert wurde die Neuauflage einer mittelalterlichen Satire von Pinches von Polock, die religiöse Missbräuche anprangerte - kam erst 1799 heraus. Der Gaon von Vilnius Gaon (pl. Geonim; aus dem Hebr. - »Exzellenz«) ist der Titel für die jüdischen geistlichen Schriftgelehrten und Vorsteher der Talmudschulen, die vom 7. bis 13. Jh. in Palästina und Babylonien ihre Blütezeit erlebten. Die Hauptfanktion der Geonim war die Interpretation des Talmud sowie die Bewahrung und Fortentwicklung des Talmud-Rechts. In der nachbabylonischen Zeit wurde der Titel Gaon als Ehrentitel für Männer verwendet, die sich durch besondere Verdienste in der jüdischen Gelehrsamkeit auszeichneten. Einer von ihnen war der sog. Gaon von Vilnius, Elijah ben Salomon ("1720, 11797). Elijah stammte aus einer traditionsreichen Gelehrtenfamilie und ließ sich nach Reisen in den Jahren 1740-1745 durch die jüdischen Siedlungen in Polen und im Heiligen Römischen Reich in Vilnius nieder. In Vilnius lehnte er das Rabbineramt ab, widmete sich aber intensiv religiösen Studien, vor allem dem Studium des Talmud und der Midrasch, aber auch der Bibelexegese, mystischen Texten und Ritualen, der Philosophie, Grammatik, Mathematik, Astronomie, Geographie, Botanik, Zoologie und Medizin. Die Ergebnisse dieser Studien machten ihn so berühmt, dass er seit ca. 1750 von der jüdischen Bevölkerung von Vilnius mit dem Ehrentitel Gaon angesprochen wurde. Seine besondere Begabung lag in der Verbindung jüdischer Gelehrtheit mit den rational-kritischen Methoden und Erkenntnisinteressen des Zeitalters der Aufklärung. Dadurch stellte er sich bewusst in einen Gegensatz zu anderen großen jüdischen Bewegungen seiner Zeit, insbesondere gegen den Chassidismus, den er als abergläubisch und bildungsfeindlich verfehmte, dessen Anhänger er exkommunizieren und dessen Bücher er verbrennen ließ. Ein gewisses Misstrauen hegte 136
Die Frühe Neuzeit
er aber auch gegen die in seinen Augen naive jüdische Aufklärung, die Haskala. Stattdessen wurde er zum Anführer der Bewegung der Misnagdim (oder: Mitnaggedim/»Opponenten«), einer Gruppe von Anhängern des Gaon, die sich selbst offenbar als mäßigende Kraft zwischen den beiden Extremen von Chassidismus und Haskala sahen. Elijah ben Salomons Werke erschienen posthum und umfassten zahl- und umfangreiche Kommentare zu Bibel, Talmud, Midrasch und anderen Werken der jüdischen religiös-literarischen Tradition. Weiterfahrende Literatur: The Gaon of Vilnius and the annals ofjewish culture. Materials of the international scientific conference, Vilnius, September 10-12, 1997 (hg.v. Izraelis Lempertas), Vilnius 1998. Etkes, Immanuel: The Gaon of Vilna. The man and his image, Berkeley/Cal. 2002.
Karaiten-, Die mit den Juden in religiöser Hinsicht nahe verwandten Karaiten sind in Vilnius während der frühen Neuzeit nur spärlich nachweisbar. Die Zentren der litauischen Karaiten befanden sich in Trakai und Luck. Kleinere Gemeinden entstanden in der frühen Neuzeit in den ethnischlitauischen Gebieten des Großfurstentums. In Vilnius sind einige Mitglieder des großfürstlichen Hofes und des Vilniuser Dienstadels als Karaiten bekannt, darunter mehrere Arzte und Offiziere. Ihre Synagoge befand sich in der westlichen Vilniusser Vorstadt Zverynas.
Tataren: U m eine ähnliche Funktionsgruppe im Dienste der Großfürsten und des Adels handelte es sich auch bei den Tataren. Der tatarische Adel war im großfürstlichen Militärdienst in eigenständigen Einheiten, » B a n n e r n « , organisiert und besaß Dienstgüter in der Nähe der größeren litauischen Städte, darunter auch Vilnius. Manche seiner Vertreter dienten in der Leibwache des Großfürsten in den Burgen von Vilnius. Mit dem Niedergang der litauischen Militärmacht nach der » S i n t f l u t « mussten viele tatarische Militäradlige den Dienst bei den Großfürsten quittierten und verdingten sich als Söldner oder Bedienstete bei litauischen Magnaten. Darüber hinaus existierte aber auch eine tatarische bürgerliche Gemeinde, die, ähnlich wie die Juden und Karaiten, recht abgeschlossen in der Vilniusser Vorstadt Lukiskes lebten, wo ihre Moschee stand. In der Stadt arbeiteten sie in der Regel als Dienstleute (Kutscher, Gärtner, Portiers), manche von ihnen übten auch Handwerke (z.B. Gerberei) aus oder arbeiteten als Landarbeiter auf den Feldern der Vilniusser Ackerbürger.
Die Bürgerschaft
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IV. DAS 20. JAHRHUNDERT
1. Die erste deutsche Okkupation Die Deutschen rückten am 18. September in die Stadt ein und wurden von der Bevölkerung aus den eben geschilderten Gründen durchaus nicht unfreundlich empfangen. Manchen litauischen Intellektuellen plagten allerdings unliebsame historische Reminiszenzen: Der Rechtsanwalt Petras Klimas ("1891, 11969), der bald Mitglied des litauischen Landesrates und später litauischer Diplomat werden sollte, beobachtete berittene Totenkopfhusaren, die als erste deutsche Soldaten den Stadtkern erreichten: » D i e Männer waren fast genauso wie vor fünfhundert Jahren in graue Mäntel gehüllt, nur die Kreuze fehlten. « Die neuen Herren als späte Epigonen der Ordensritter zu betrachten, sollte in den kommenden Jahren noch vielen anderen Zeitgenossen in den Sinn kommen. Die ersten deutschen Truppen in Vilnius, 18. September 1915: »Ihr Aussehen und ihre Kleidung waren deutlich besser als bei den Russen (...) Auch die Wagen und Pferdegespanne waren besser. Die Offiziere gingen viel anständiger mit ihren Soldaten um, und die Beziehungen - das konnte man sofort sehen - waren besser und unkompliziert. Die Organisation war - deutsch. Kaum waren sie in der Stadt, schon war die Brücke repariert. Am selben Tag noch nahm am Juigisplatz ein Telegraphenamt seine Arbeit auf, Telephone funktionierten wieder usw. Die ganze Stadt wurde in 18 Postbezirke eingeteilt. Irgendwelche Unordnung wurde von ihrer Seite nicht angerichtet, während die Russen beim Rückzug manches Fenster eingeworfen hatten (...) alles war voll von kaufenden Soldaten. Vor allem Süßigkeiten, Papyrossi (...) Sie sind einfach schneidig diese Deutschen, ihr ganzes Auftreten, ihre Arbeiten - alles geschieht schnell. Die Russen waren auf ihrem Rückzug nicht so schnell wie die Deutschen bei ihrem Einmarsch. « Quelle: Petras Klimas, Dicnoraitis [Tagebuch], 1915-1916, Chicago 1988, S. 26.
Aus litauischer Sicht stand der Beginn der deutschen Herrschaft dennoch unter einem unglücklichen Stern: allein dass der deutsche Kriegskommandant seine erste Verlautbarung nur in Polnisch, Russisch und Deutsch plakatieren ließ, sorgte für Ernüchterung, doch weit bedenklicher war der Inhalt. Es war nämlich die Rede davon, die deutsche Armee habe die Die erste deutsche Okkupation
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russländische Armee aus » d e r polnischen Stadt Vilnius« hinausgeworfen und sei nunmehr selbst in die »Perle Polens« einmarschiert. Sollte den Deutschen bis dahin nicht klar gewesen sein, auf was sie sich eingelassen hatten, so zeigte der heftige litauische Protest beim Befehlshaber die angespannte Lage zwischen den einzelnen Volksgruppen. Am einfachsten fiel den Juden die Umstellung, denn durch das Jiddische verfugten sie über eine Kommunikationsbasis mit den neuen Herren. Jedenfalls registrierten litauische Beobachter säuerlich, dass die bislang russischen Anschriften an jüdischen Läden schnell deutschen Bezeichnungen wichen. Wie sahen die deutschen Pläne aus? In der Auseinandersetzung innerhalb der deutschen Führung spielte das 1915 eroberte Gebiet eine wichtige Rolle. Die deutsche 10. Armee, die im Herbst 1915 in Vilnius einmarschierte, stand unter dem Oberbefehl der Helden von Tannenberg, Paul von Hindenburg (*1847, t l 9 3 4 ) und Erich Ludendorff (* 1865, t l 9 3 7 ) , die als Oberbefehlshaber Ost ihre Machtstellung ausnutzten, um Litauen (und Teile Kurlands sowie die Gegend um Bialystok) einer reinen Militärverwaltung zu unterstellen, in deren Befehlsbereich zivile Reichsbehörden (und insbesondere das Auswärtige Amt oder gar Abgeordnete des Reichstags) nichts zu sagen hatten. Das seltsame Verwaltungsgebiet erhielt einen noch seltsameren Namen: als Land OberOst (eine Abkürzung von Oberbefehlshaber Ost) ging es in die Geschichte ein. Vilnius war zunächst nicht der Sitz eines Verwaltungsbezirkes (sondern Kaunas und Bialystok), erst später kam die Stadt aus noch zu schildernden politischen Gründen zu dieser zweifelhaften Ehre. Die Militärverwaltung fühlte sich berufen, neben den fiir die deutsche Kriegsanstrengung wichtigen Belangen das ihrem Befehl unterstehende Land zu »kultivieren«. Im Editorial der ersten Nummer der »Wilnaer Zeitung« vom 20. Januar 1916 wurde geradezu hymnisch die Aufgabe formuliert: »Deutsche Art ist es, (...) die Segnungen deutscher Kultur auch den besetzten Gebieten zuteil werden zu lassen. Deutsche Kultur! (...) Auch über diesem Land wird ihr Glanz leuchten, auch hier wird sie befreien und beglücken. « Unter diesen Voraussetzungen ließen die Militärs ihrem Ordnungssinn freien Lauf: In Vilnius beschäftigte man sich mit dem Verweilen auf den schmalen Fußwegen, die meist nur aus Holz oder Tonplatten bestanden, so dass es immer wieder zu Zusammenballungen und Stockungen kam; außerdem konnte die Zivilbevölkerung den deutschen Soldaten nicht im gebührenden Respekt ausweichen. So blieb auch dem Beobachter der »Zeitung der 10. Armee« nur die Hoffnung auf Besserung: »Eine schmale Holzplanke fuhrt am Rande des Rinnstein-Abgrundes ent160
Das 20. Jahrhundert
lang (...) Man braucht kein Riese mit breiten Schultern zu sein, um diese Passagen mit seinem eigenen Leibe auszufüllen und zu versperren (...) Nun begibt es sich jedoch selten, daß dem Wanderer die Straße allein zur Verfugung steht (...) So entwickelt sich eine Art Reigentanz: Ausweichen, Hüpfen, Umkreisen, Balancieren - man könnte eine wahre Quadrille aus diesen unfreiwilligen Sprüngen des Fußgängers herstellen (...) Wir können die schmalen Holzstege, die Alt und Jung zu so wunderlichen Straßentänzen zwingt (sie!), getrost zu den verschwindenden Wahrzeichen der Stadt rechnen. Wenn Wilna sich weiter auf der Bahn seiner Neubelebung entwickelt, so werden auch diese Seitengassen allmählich von der Planke zum Bürgersteig aufwärtsdringen (...) Auch dieser Schandfleck der Stadt Wilna wird hoffentlich bald ausgetilgt werden, wenigsten bedarf er dringender Verbesserung.« Diese Hoffnung erfüllte sich aber offenbar nicht so rasch, so dass die deutsche Bürokratie versuchte, das Problem mit einer Verordnung zum Verkehr auf den Bürgersteigen in den Griff zu bekommen: »Uberall ist rechtzeitig nach rechts auszuweichen. Auf den Bürgersteigen dürfen in der Regel nicht mehr als zwei Zivilpersonen nebeneinander gehen. Auf der linken Seite ist stets soviel Platz zu lassen, daß ein Überholen ohne Verlassen des Bürgersteigs möglich ist. Dort stehen zu bleiben, ist streng verboten. Zuwiderhandlungen werden mit Geldstrafe bis zu 1000 Mark oder Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft.« Im Februar 1916 erließ die deutsche Stadtverwaltung dann eine Verordnung über die Straßenreinigung, die die Wilnaer Zeitung kommentierte: »Sie legt dem einzelnen eine Mehrarbeit auf, die jedoch nicht nur der Allgemeinheit, sondern ebensosehr dem Einzelnen selber zu Gute kommt. Und sie bringt, was das Wesentlichste ist, mitten im Krieg wieder ein Stück Kultur. « Nachdem Anfang 1916 » i n geradezu vorbildlicher Weise« Straßenschilder in Wilna aufgestellt worden waren, gab es den Vorschlag, auch Hausnummern von den Bewohnern anbringen zu lassen; dabei sollte auf weißem Feld eine große schwarze Nummer erscheinen und das etwa 15 x 20 Zentimeter betragende Schild » i n leserlicher Höhe unmittelbar an der Haustür« angebracht werden. Das Verordnungsblatt der Deutschen Verwaltung fiir Litauen zeigt, dass es offenbar nur wenige Bereiche gab, in denen die Administration sich nicht berufen fühlte, mit schriftlichen Verfügungen einzugreifen. Eine fast schon an Hybris grenzende Selbstgewissheit war bereits im April 1916 bei der deutschen Verwaltung in Vilnius deutlich zu spüren: »Auch diejenigen, die hinter der Front in Feindesland dem deutschen Namen Ehre machen, indem sie deutsche Ordnung, deutsche Sitte und deutschen Gemeinsinn in ein wesensfremdes Volk pflanzen, tragen ihr Teil Die erste deutsche Okkupation
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dazu bei, daß das Dichterwort wahr werden muss: Es soll am deutschen Wesen einst die Welt genesen. « Das kulturelle Uberlegenheitsgefuhl dürfte auch einer der Gründe sein, weswegen die Beschreibungen der Stadt durchaus zwiespältig bleiben. Oft bündelte sich die visuelle Darstellung von Vilnius zu einer Melange aus fehlender Kultur und antisemitischen Vorurteilen, wie beispielsweise in der ersten Nummer der »Zeitung der 10. A r m e e « , in der den Soldaten erste Eindrücke der Stadt vermittelt wurden: » H i n t e r dem T o r [gemeint ist die Ostra Brama - J T ] trostlose Straßen, holzgepflastert schmutzig - fettig. Uber den Baracken, Holzbuden und Bretterhütten lastet schwere Luft. Schmierige Juden mit Vollbärten von hellstem Rot bis zum dunkelsten Schwarz, stehen in ihren zerfetzten Kaftanen zwischen bleichen Weibern und jungen Mädchen. Schmutzige Kinder hocken auf den Holzstiegen. Ungewaschen, ungekämmt sind sie alle, - und über ihnen allen der Geruch, der dieser ganzen Stadt die Stimmung verleiht. « Aus der »Zeitung der 10. Armee« »Armes Wilna! Königin einst unter Litauens Städten, was hat man aus dir gemacht! Bist wie die Prinzessin im Märchen, die man zu Knechten und Mägden sperrte und der man das weiche fürstliche Lager nahm ... Der Westen und der Osten rangen um dich, um deinen stolzen Besitz. Und als der Westen müde ward und sich in Kämpfen der Spaltung und der inneren Zernichtung (sie!) zerrieb, da erhob sich der junge, erwachende, doch noch schlaftrunken-täppische Geselle im Osten und fiel über dich, die Wehrlose, her. Barbar war er noch und mißgönnte dir dein Geschmeide. Despot war er und befahl dir, dich seinem Willen zu beugen. Er zwang dir, der Weinenden, Bittenden, Flehenden, seinen rohen Steppen-Geschmack auf und raubte dir deine Wesengebärde ... Was er dir gab, das mochtest du nicht; denn du wußtest, es paßt nicht zu dir, war es doch ein Fremdes. Und was er dir ließ mit höhnischem Tyrannengrinsen, das waren und sind noch heute versteckte Schönheiten einstiger Pracht und Herrlichkeit.« Quelle: Beilage der Zeitung der 10. Armee, Nr. 363, 15. Scheiding (September) 1917: Walter Jäger: Alt-Wilna.
Der Chef der Militärverwaltung Litauen, Theodor von Heppe ("1870, 11954), der von Bialystok kommend im Januar 1918 sein Amt in Vilnius antrat, gehörte zu denjenigen, die die Schönheiten ihres Dienstortes durchaus zu schätzen wussten. 162
Das 20. Jahrhundert
Theodor von Heppe über Vilnius »Meine jetzige Residenz, die viel umstrittene Stadt Wilna, war nach ihrer Lage und ihren reichen Kunstschätzen zweifellos die schönste Stadt des Ostens, die ich bisher kennen gelernt hatte. Im breiten Flusstal der hier schon statdichen Wilija an der Einmündung der kleineren Wilejka zwischen schön bewaldeten Berghängen sich ausbreitend, bot die Großstadt mit ihren unzähligen, aus dem Häusergewirr emporragenden Kirchtürmen und goldenen Kuppeln (Wilna hatte damals etwa 60 Kirchen und Synagogen) einen imponierenden Anblick. Vom Schlossberg oder dem Kreuzberg auf sie herabsehend, hatte ich manchmal den Eindruck einer entfernten Ähnlichkeit mit Florenz. Aus der Nähe betrachtet war das Stadtbild allerdings in vielen Beziehungen fremdartig und unharmonisch. Über ein halbes Jahrtausend lang hatten die verschiedensten Einflüsse aus dem Orient und Occident ein eigenartiges Kulturgemisch hervorgebracht, das dem, auch jetzt noch bestehenden Wirrwarr der Nationalitäten entsprach.« Quelle: Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg LBr. N 196-1, Lcbenserinnerungen des Theodor von Heppe BAV: Im Weltkrieg 1914-1918
Allerdings bemängelte auch von Heppe die unzureichende Kanalisation der Altstadt, die schmalen aus Holz bestehenden Bürgersteige sowie die » w e n i g planvolle« Anlage der Stadt, und er fühlte sich vom Juden viertel, » e i n e der größten Merkwürdigkeiten in W i l n a « , abgestoßen. Die Militärverwaltung ging mit drakonischer Härte vor, um das Land wirtschaftlich für die deutsche Kriegsführung und die Versorgung der Bevölkerung im Deutschen Reich auszunutzen. Die Jahre der ersten deutschen Besatzung gingen als Hungerszeit in die kollektive Erinnerung ein. Vilnius litt sehr stark unter dem Lebensmittelmangel, denn auch Reisen in die Dörfer zur Selbstversorgung waren durch strenge Reglementierungen der Deutschen mehr oder weniger unterbunden worden. Natürlich stiegen - trotz der Preisfestsetzung durch die Besatzer - die Preise für Nahrungsmittel, und es entwickelte sich ein ausgeprägter Schwarzmarkt. Bald standen die Menschen vor den Läden Schlange - und nicht selten war die Warterei vergebens. Selbst in zeitgenössischen deutschen Publikationen wird deutlich, dass es viel Not in der Stadt gab. Allein Anfang August 1917 nahmen mehr als 100.000 Menschen an den täglichen Massenspeisungen in Volksküchen oder in öffentlichen Gebäuden teil. In diesem Jahr erreichte die Sterblichkeitsrate einen neuen Höhepunkt. Für die jüdische Bevölkerung liegen Zahlen vor: die Sterblichkeit, die zwischen 1900 und 1910 um 21 Promille gelegen hatte, betrug 1917 68,2 Promille. Besonders betroffen waren Neugeborene, Kinder und ältere Menschen. Die erste deutsche Okkupation
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Besser als in ihren eigenen Worten lässt sich die Politik der Verwaltung nicht beschreiben (Verwaltungsbericht der Militärverwaltung Litauen für die Zeit vom 1. April bis 30. September 1917): » D i e Stimmung der Bevölkerung ist im allgemeinen infolge der durch den Krieg gebotenen wirtschaftlichen Maßnahmen, insbesondere der Beschlagnahme der Ernteerzeugnisse, des zwangsweisen Ankaufes wichtigster Lebensmittel, der Pferdeaushebungen, sowie die Einstellung der männlichen Bevölkerung in die der Etappeninspektion unterstellten Arbeiter-Bataillone gedrückt (...) Die Ausnutzung sämtlicher im Verwaltungsgebiet vorhandenen Arbeitskräfte ist eine Hauptaufgabe der Verwaltung und der anderen in Frage kommenden Dienststellen. Die listenmäßige Erfassung der männlichen Arbeitskräfte ist durchgeführt, die Registrierung der weiblichen Arbeitskräfte in der Durchfuhrung begriffen, die hierzu in den meisten Kreisen eingerichteten Kartotheken haben sich gut bewährt«. Auch aus der Stadt mussten Männer in den berüchtigten Arbeitsbataillonen dienen: Mitte 1917 wurden 1.793 Vilniuser zur Arbeit in der Landwirtschaft oder in Fabriken nach Deutschland gebracht. Daneben wurden in der Umgebung der Stadt mehrere Tausend Arbeiter eingesetzt. Die Haltung der Bevölkerung zu diesen Maßnahmen wird aus einem Rapport des Polizeipräsidenten von Vilnius aus dem Juli 1917 deutlich, in dem er berichtet, dass am Sammelpunkt in Antakalnis mehr als 1.000 Personen gemustert worden seien, von denen nur 31 Mann Freiwillige waren. Da Vilnius eine der großen Etappenstädte der Ostfront war und viele deutsche Soldaten in die Stadt kamen, wurden Soldatenführer gedruckt, deren Inhalt deutlich werden lässt, wie fremd die Stadt doch in vielem den neuen Herren geblieben war. So heißt es zum Glockenturm der Kathedrale: »(...) von niemanden erhielt er diese barbarische und fast wilde Gestaltung... und man wird geneigt, ihn für die geheime Seele der Stadt zu halten, die blutmäßig und national, noch unterhalb all der wilnaischen Frömmigkeit, sich in die urwaldmäßige Dumpfheit der Slawenseele verliert, unbeeinflußbar und von verborgener Wildheit, zur Verteidigung ihrer Eigenart bereit ist: das litauische Blut, über dessen Instinkte die Kultur der Kirche gelegt ist (...) Denn dieses litauische Wesen, das sich uns am faßlichsten in seiner religiösen Gestalt darbietet, es bleibt in Wahrheit doch geheim, fremd, unerkannt und voller Möglichkeiten. Kenner der Sprache und des Volkes, deutsche Soldaten mit Wissenschaftsköpfen, sprechen mit einer Achtung von den starken, noch unentwickelten Gegebenheiten der litauischen Seele und des Verstandes eines Volkes, dessen Sprache urtümlich an die Geheimnisse des Sanskrit rührt, dessen Ornamentik kühn, selbständig 164
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und bescheiden von eigenem Formgefiihl aussagt, und das heute noch ohne Schulen im Dämmer eines bäuerlichen Daseins sich erschöpft... Was wird geschehen und wie ändert sich das Bild des Ostens, wenn frei von polnischer Bevormundung und zarischer Unterdrückung dies Volk in die Gemeinschaft westlicher Kultur eintritt? Wir werden, wir Lebende, die wir soviel Neues unter der Sonne dieser Jahre sahen, auch dies Neue sehen - zu seiner Zeit. « Es ist kein Zufall, dass in dieser Eloge auf die Zukunft des litauischen Volkes auch von »polnischer Bevormundung« die Rede ist. Waren die Deutschen im Herbst 1915 noch in die »Perle Polens« einmarschiert, so stellte sich im März 1918, als der obige Bericht in einer Zeitung erschien, die Lage ganz anders dar: die deutsche Politik hatte inzwischen Litauen entdeckt.
Der 16. F e b r u a r
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War die Militärverwaltung vor Ort mit der wirtschaftlichen Ausbeutung und ihren »kolonialen« Aufgaben beschäftigt, so stellte sich in Berlin und bei der seit 1916 amtierenden 3. Obersten Heeresleitung unter Hindenburg und Ludendorff die Frage nach der politischen Zukunft von Ober Ost. Zunächst ist festzuhalten, dass die vielfältigen Konzeptionen und Entwürfe sich in einem mehr oder wenig einig waren: Deutschland strebte die direkte oder indirekte Annexion an. In den ersten Jahren des Krieges herrschte in den zivilen Teilen der Reichsleitung noch die Meinung vor, man solle keine voreiligen Schritte unternehmen, um nicht die Möglichkeit eines Separatfriedens mit dem russländischen Kaiserreich zu verspielen. Spätestens ab 1916 zeichnete sich jedoch klar ab, dass eine derartige Rücksichtnahme nicht mehr zu den Optionen der deutschen Politik gehörte. Russlands »Zurückdrängen auf seine natürlichen Grenzen«, wie es im internen Sprachgebrauch hieß, war angeblich aus strategischen Gründen eine conditio sine qua non der pax Germanica im Osten. Damit waren aber die eigentlichen Probleme nicht gelöst. Was sollte mit den baltischen Völkern und vor allem mit Polen geschehen? Gab man den Weg zum Wiederentstehen eines polnischen Staates frei, stellte sich quasi automatisch die Frage der Westgrenze dieses Staates, und damit verbunden die der polnischen Minderheit in Preußen. Selbstverständlich kam ein Abtreten deutschen Gebietes nicht infrage, und somit befand sich die deutsche Politik in einem circulus vitiosus. Hinzu kam, dass ab 1917 direkte Annexionen aufgrund des immer mehr um sich greifenden Schlüsselbegriffs vom »SelbstDie erste deutsche Okkupation
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bestimmungsrecht der Völker« außenpolitisch katastrophal gewirkt hätten. Die deutschen Aspirationen wurden daher verschleiert und mit einem angeblichen Volkswillen begründet. Berlin versuchte, trotz beständiger innerer Streitigkeiten, die sich vor allem zwischen militärischer Führung und ziviler Reichsleitung auftaten, auf die polnische Karte zu setzen. Die Proklamation eines polnischen Königreiches vom November 1916 hatte allerdings nicht die erhoffte Wirkung auf die Polen. Dies ist verständlich, wenn man sieht, dass die eigentliche Absicht war, polnische Soldaten für Deutschland kämpfen zu lassen, und über die Grenzen des Königreiches erst nach dem siegreichen Ende des Krieges verhandelt werden sollte. Litauen firmierte offensichtlich als Verhandlungs- und Kompensationsmasse für diesen zukünftigen Staat; jedenfalls wurden alle Pläne eines selbständigen Litauen bis Ende 1916 als illusionär bezeichnet. Erst als der Misserfolg der deutschen Politik in Polen sich klar abzeichnete, wuchs das Interesse an Litauen (ein deutliches Indiz für das politische Umdenken war die Verlegung des Sitzes des Verwaltungsbezirkes von Bialystok nach Vilnius). Die Besatzungsmacht ließ einen aus litauischen Vertretern bestehenden »Vertrauensrat«, die Taryba, gründen. Sie sollte keinerlei staatsrechtliche Befugnisse oder Autonomie besitzen, die Militärs sahen sie gar als bloßes Anordnungsorgan für die litauische Bevölkerung. Als Vorstufe der Taryba ist der Organisationsausschuss für eine litauische Konferenz zu betrachten, der vom 1. bis 4. August 1917 in Vilnius tagte. Der Ausschuss, bestehend aus 22 fuhrenden litauischen Politikern, war sich über das grundlegende Ziel einer litauischen Unabhängigkeit einig. Interessanterweise wurde jedoch bereits in dieser frühen Phase als Ideal von einem demokratischen Litauen mit einem gleichen, allgemeinen und geheimen Wahlrecht ausgegangen. Aufgrund dieser Ausrichtung wollte das Organisationskomitee auch die Mitglieder der zukünftigen Taryba von der Bevölkerung wählen lassen, was jedoch die Besatzungsmacht kategorisch ablehnte. So entstand die Notlösung, innerhalb der einzelnen Bezirke jeweils einen Delegierten durch Kooptation für die Konferenz in Vilnius zu bestimmen, bei der dann in geheimer Abstimmung die 20 Mitglieder der Taryba gewählt wurden. Die Konferenz verabschiedete auch eine Resolution, in der es heißt: » Z u r freien Entwicklung Litauens muß aus ihm ein unabhängiger, auf demokratischen Grundsätzen aufgebauter Staat (...) geschaffen werden. (...) Zur endgültigen Festsetzung der Grundlagen eines unabhängigen Litauens und der Beziehungen zu den Nachbarstaaten muss ein konstituierender Landtag Litauens in Wilna einberufen werden, der nach demokratischen Grundsätzen von allen seinen Bewohnern erwählt wird.«
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D a s 20. Jahrhundert
Die nie ins Wanken geratende Forderung nach einer verfassungsgebenden Versammlung zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Taryba. Sie belegt die überraschende und keineswegs selbstverständliche Orientierung der litauischen Politiker in eindeutiger Weise. Unabhängig von den deutschen Absichten und Erwartungen legte die Taryba damit das Fundament, auf dem später die litauische Republik entstehen sollte. Das zeigte sich in aller Deutlichkeit während des Jahres 1918. Der spektakuläre Schritt vom 16. Februar, als die Unabhängigkeit des Landes ein zweites Mal proklamiert wurde, ohne wie im Dezember 1917 von einer engen und ewigen Bindung an das Deutsche Reich zu sprechen (Zoll-, Münz- und Militärunion), stellt dabei nur den Höhepunkt dar. Was nun Vilnius anging, bestand die Aufgabe der Taryba » n u r noch« in der politisch-taktischen Umsetzung des Anspruches auf die historische Hauptstadt, denn an der Integration des Gebietes in den litauischen Staat bestand nie auch nur der Hauch eines Zweifels. Von vornherein herrschte im Rückgriff auf 1905 Ubereinstimmung, das neue Litauen nach seinen ethnographischen Grenzen zu definieren, wobei man mit dieser plakativen Formel sich auch von dem polnischen Schlagwort »von Meer zu Meer« (d.h. vom Schwarzen Meer bis zur Ostsee) positiv abzuheben glaubte und auf den Gebietsumfang des mittelalterlichen Großfurstentums keinen Anspruch erhob. Doch selbst wenn man der Argumentation über das litauische Vilniusgebiet Glauben schenkte (in der Stadt selbst dominierte zweifellos der polnische und jüdische Bevölkerungsanteil) und Vilnius als integralen Bestandteil eines ethnographischen Litauen betrachtete, blieben territoriale Fragen offen. Neben dem weißrussischen Gebiet um Grodno und der Suvalkija ging es dabei vor allem um die litauischsprachige Minderheit im nördlichen Ostpreußen. Natürlich mussten sich die litauischen Staatsgründer auch der Frage nach nichtlitauischen Bürgern stellen. Dazu hatte bereits die litauische Konferenz beschlossen: »Den nationalen Minoritäten in Litauen sollen die für ihre Kulturentwicklung nötigen Bedingungen zugesichert werden.« Die Taryba selbst beabsichtigte fünf bis sechs Vertreter der Minderheiten zu kooptieren, wobei zur Voraussetzung gemacht wurde, dass dieser Personenkreis fiir die litauische Unabhängigkeit eintrat und sich an keinen antilitauischen Aktionen beteiligt hatte, ein klarer Hinweis auf die polnischen Aktivitäten in und um Vilnius. Eine konkrete Ausgestaltung der den Minderheiten zugestandenen »Kulturentwicklung« erfolgte jedoch nicht. Das Thema taucht zwar in fast allen Protokollen der Taryba auf, doch überschattete der polnisch-litauische Konflikt die Diskussionen bis in den Oktober 1918. Im politischen Bereich Die erste deutsche Okkupation
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näherte man sich gar einer Diskriminierung an: Alle Einwohner Litauens sollten vor dem Gesetz gleich sein, doch hatten sich nationale Minderheiten dem litauischen Staat gegenüber loyal zu erklären, an der Regierung wurde ihnen allerdings kein Anteil zugestanden, da nur Litauer ein Ministeramt übernehmen konnten. Der liberalere Vorschlag einer Proklamation der Minderheitenrechte durch die Taryba fand keine Mehrheit. Die Minderheitenproblematik entlarvt sich damit als ein Spiegelbild des polnischlitauischen Antagonismus, denn die restriktive Auslegung politischer Aktivitäten der Minderheiten wird erst vor diesem Hintergrund verständlich. So selbstbewusst die Taryba im Umgang mit den Deutschen aufzutreten wusste, so zielstrebig sie ihre strategischen Ziele bei aller taktischen Raffinesse verfolgte, so wenig war sie in der Lage, ein tragfähiges Konzept für die Minderheitenpolitik zu entwickeln. Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt wird deutlich, welche Bedeutung die Vilniusfrage angenommen hatte. Aus polnischer Sicht erschienen die litauischen Ansprüche auf Vilnius als völlig unbegründet, weswegen man der Taryba feindselig gegenüber stand. Doch Vilnius war nur ein - wenn auch besonders symbolbeladener Teil des litauisch-polnischen Gegensatzes. In der polnischen Unabhängigkeitsbewegung existierten zwei Konzepte für den zukünftigen Staat. Während die Föderalisten, zu denen auch Jözef Pilsudski (*1867,11935) zählte, an ein Polen in den Grenzen vor der ersten Teilung 1772 dachten und dabei die alte polnisch-litauische Union wiederbeleben sowie Weißrussland und der Ukraine eine gewisse Selbständigkeit innerhalb des polnischen Staatswesens zugestehen wollten, vertraten die Nationalisten unter Roman Dmowski ("1864, t 1939) einen ethnisch homogeneren Staat, dessen Minderheiten der polnischen Staatsnation assimiliert werden sollten. Ob nun Föderalisten oder Nationalisten, die Integration Litauens in den polnischen Staat stand für beide Seiten fest, denn auch Roman Dmowski und seine Anhänger sahen das Territorium des ehemaligen Großfürstentums Litauen als polnisches Gebiet. Wiederum anders stellte sich die Situation für die jüdische Bevölkerung dar: auch wenn man der Taryba zunächst abwartend und teilweise skeptisch gegenüberstand, bot sich der litauische Nationalismus durchaus für eine Zusammenarbeit an. Doch auch der Beitritt jüdischer Politiker in die Taryba ließ trotz mancher jüdisch-litauischer Kontakte und Gespräche bis Ende Dezember 1918 auf sich warten, als der erste Zionistenkongress Litauens die Entsendung von Vertretern beschloss. Allerdings war die jüdische Meinung keineswegs einhellig; der Bund hatte sich z.B. für eine Föderation mit dem bolschewistischen Russland ausgesprochen. 168
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Vor diesem Hintergrund der zunehmend entlang nationaler und ethnischer Zuordnungen verlaufenden Konfliktlinien markierte der deutsche Zusammenbruch in dem diplomatischen und bald auch militärischen Ringen um die Stadt nur das Ende eines Kapitels.
Zur sozialen und ökonomischen Entwicklung der Stadt Die osteuropäische Stadtgeschichte kennt keine Dynamik, die der in Westeuropa vergleichbar wäre. Auch die Träger von Emanzipationsbestrebungen unterschieden sich in West und Ost: während hier vor allem das Stadtbürgertum zur Triebfeder der Veränderung wurde, waren es dort vor allem Adelige und landbesitzende Eliten, die die Entwicklung vorantrieben. Eigentlich kam es erst mit der demographischen Revolution des 19. Jahrhunderts und der Industrialisierung auch in Osteuropa zu einer Urbanisierung. Ab 1863 spielte zudem die Bauernbefreiung eine Rolle, durch die ebenfalls Menschen, die bisher auf dem Lande lebten, in die Städte zogen, teils, weil sie ihren Lebensunterhalt in den Dörfern nicht mehr sichern konnten, teils weil sie sich eine bessere Zukunft in den Zentren erhofften. Diese Entwicklungszüge treffen auch auf Vilnius zu. Hinzu kommt, dass die innerstädtische Segregation nicht nur entlang Kriterien der sozialen, sondern auch konfessionellen und nationalen Herkunft verlief. Die Stadt wurde von den verschiedenen Gruppen in unterschiedlichen Perspektiven wahrgenommen. In dieser Hinsicht hat das jüdische Vilne wenig mit dem polnischen W i l n o oder dem litauischen Vilnius zu tun, bleibt die vielbeschworene Multinationalität der Stadt im alltäglichen Nebeneinander stecken. 1804 lebten an die 35.000 Menschen in Vilnius, der größte Teil von ihnen waren Katholiken (ca. 22.000) und Juden (ca. 11.000). Es ist kein Zufall, dass noch die Religion, und nicht die Nation als Zugehörigkeitskriterium verwendet wurde; erst mit dem Entstehen des nationalen Gedankens gliederten sich die Bewohner der Stadt in neue Kategorien, und alte Trennungslinien vermischten sich mit neuen. W i e bereits geschildert, lässt sich diese Zäsur der Stadtgeschichte recht präzise auf die Zeit des Aufstandes in den 60er Jahren datieren. Im 19. Jahrhundert wurden mehrere Perspektiven für die weitere Stadtentwicklung entworfen (1817, 1837 und 1875), die vor allem auf einen klaren und » o r d e n t l i c h e n « Grundriss der Neustadt zielten, den man Die erste deutsche Okkupation
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durch breite, parallel ausgerichtete Straßenzüge und den sich daraus ergebenden viereckigen Häuserblöcken zu erreichen suchte. 1837 wurde erstmals die Stadterweiterung in die heutigen Stadtteile Antakalnis und Lukiskes projektiert. 1875 schlug schließlich die Geburtsstunde des Stadtteils Naujamiestis, was übrigens nichts anderes als »Neustadt« heißt. Bis zum Zweiten Weltkrieg sollten diese Pläne das Aussehen und die Anlage der Stadt prägen. Dabei fiel eine wichtige Entscheidung schon Anfang des Jahrhunderts: bereits zwischen 1800 und 1805 wurden die alten Stadtmauern mit ihren Türmen abgetragen, um der wachsenden Stadt neue Ausdehnungsmöglichkeit zu verschaffen. Nur ein altes Stadttor blieb stehen: Ausros Vartai (poln. Ostra Brama). Eine besondere Bedeutung hatten die größeren Plätze in der Stadt, hierher wurden die Karren der Landbevölkerung gefahren, beladen mit Lebensmitteln und anderem Handelsgut, hier fanden die Märkte statt und hier versorgte sich die Bevölkerung mit dem Lebensnotwendigen. Wie in vielen russischen Städten wurde als Verbindung zwischen alt und neu ein breiter Boulevard angelegt, der in zwei große Plätze überging. Die heutige Struktur des Stadtkerns geht, wie jeder Besucher von Vilnius unschwer erkennt, auf diesen Plan zurück. Dadurch verlagerte sich aber auch das Zentrum der Stadt nach und nach in einen Vorort. Dieses fast vollständig unbebaute Randgebiet wurde nach seinem Eigentümer Luka Lukiskes benannt. Lukiskes eignete sich aus zweierlei Gründen hervorragend für die Ausdehnung der Stadt: zum einen war das Gelände, wie bereits erwähnt, so gut wie unbebaut, zum anderen lag der Vorort noch in der Talebene von Vilnius, so dass bauliche Maßnahmen relativ einfach auszufuhren waren. Zentrale Bedeutung erlangte die breite Straße, die von der Kathedrale bis nach Lukiskes führte und mit deren Bau 1852 begonnen wurde. Heute stellt sie die Prachtstraße der Stadt dar und verbindet symbolisch kirchliche und weltliche Macht, denn an ihren jeweiligen Enden befinden sich die Kathedrale und das Parlament der Republik Litauen. Als imponierende Traversale regte die Straße immer auch die Phantasie der jeweils Herrschenden an, so dass alleine im 20. Jahrhundert so unterschiedliche Personen wie etwa Kaiser Wilhelm, Stalin und Lenin »Namenspatronen« des Prospektes wurden. Heute heißt die Prachtstraße von Vilnius nach dem litauischen Großfürsten Gediminas (Gedimino prospektas). Flankiert wird der Gediminas durch drei- bis vierstöckige Wohn- und Bürogebäude, die meist um die Jahrhundertwende entstanden und dem damals weit verbreiteten architektonischen Eklektizismus entsprachen. 170
Das 20. Jahrhundert
Schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden dagegen die klassizistischen Gebäude in der Stadt errichtet. An erster Stelle ist dabei das Palais des Gouverneurs (heute die Präsidentur) zu erwähnen, dessen Bau allerdings nur bedingt in Einklang mit der angrenzenden Universität steht. Weitere klassizistische Bauwerke sind die Kirche der Reformierten und Wohngebäude in der heutigen Liepkalnio-, Pylimo-, Didziojoje- J. Basanaviciaus- und Maironiostraße. Doch blieb die Stadt noch in der Mitte des Jahrhunderts überschaubar: um 1860 standen im Stadtgebiet 833 gemauerte und 806 hölzerne Häuser. Zu dieser Zeit lebten 60.000 Menschen in Vilnius, 1870 waren es dann 64.000, bevor sich im Jahrfünft bis 1875 der erste große Aufschwung abzeichnete und die Zahl der Einwohner um 16.000 auf 82.000 Personen anstieg. Bis zum Ende des Jahrhunderts waren Pferdekutschen und -droschken das einzige innerstädtische Transportmittel, wobei diese Form des Transportes mehr oder weniger nur den begüterten Schichten möglich war. 1821 waren rund Tausend Kutschen verschiedener Kategorien in der Stadt registriert, was einen gewissen Rückschluss auf die Exklusivität dieses Beförderungsmittels zulässt. Mitte des Jahrhunderts nahm das erste öffentliche Museum in der Stadt seine Arbeit auf, das sich mit der archäologischen Vergangenheit von Vilnius beschäftigte (ein Jahr zuvor war eine archäologische Kommission gegründet worden); 1867 öffnete die erste öffentliche Bibliothek ihre Tore. Auch die Segnungen der Technik erreichten nach und nach die Stadt: die erste Telegraphieverbindung nach St. Petersburg wurde 1834 eingerichtet, 1860 dampfte die erste Eisenbahn nach Vilnius (Linie St. Petersburg - Vilnius - Warschau), die 1881 bereits mehr als 400.000 Fahrgäste nach und von Vilnius beförderte, am Ende des 19. bzw. Beginn des 20. Jahrhunderts gab es die ersten Telephone, und das erste städtische Kraftwerk lieferte Energie. 1892 nahm eine Pferdetrambahn ihre Tätigkeit auf, um den Anwohnern ein erstes billiges innerstädtisches Transportmittel zu bieten. Es gab drei Linien, die die Innenstadt mit dem Bahnhof und den Stadtteilen Antakalnis und Uzupis jenseits der Neris verbanden. Die Gesamtstreckenlänge der Pferdetram betrug zunächst zehn Kilometer, in den einzelnen Waggons fanden 16 Personen Platz. 1908 wurde die Elektrifizierung der Tram beschlossen, außerdem sollten sechs neue Routen geschaffen werden, doch scheiterte das Projekt bis zum Beginn des Krieges an der Finanzierung; mit der deutschen Besatzung endete dann die Geschichte der Pferdetrambahn. Bis zum Beginn des Krieges waren nur 16 Automobile registriert. Allerdings führte schon eine Autobuslinie durch die Stadt, und noch eine Die erste deutsche Okkupation
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weitere Errungenschaft der Moderne hatte Einzug gehalten: 1897 gab es schon 300 Fahrräder in der Stadt, wobei das Radfahren strengen Regeln unterlag: der Innenstadtbereich war für dieses Verkehrsmittel gesperrt, und um ein Scheuen der Pferde zu vermeiden, hatten die Radfahrer bei einer (nicht gerade seltenen) Begegnung mit dieser Spezies abzusteigen und das Fahrrad zu verbergen. Außerdem musste man eine Fahrprüfung bei der Polizei ablegen. Alle diese Schwierigkeiten scheinen allerdings die Beliebtheit des neuen Transportsmittels nicht wesentlich beeinflusst zu haben: 1910 waren schon 1.154 Drahtesel registriert. Mit dem technischen Fortschritt kam es auch zur Entstehung von Industriebetrieben, wobei in Vilnius immer die Leichtindustrie bzw. die verarbeitende Industrie dominierte. Lebensmittel wurden produziert, es gab eine Leder- und Textilindustrie und schließlich entwickelten sich holzverarbeitende Betriebe. 1904 hatte die Schokoladen- und Süssigkeitenfabrik »Victoria« mit 300 Arbeitern die weitaus größte Belegschaft, mehrere Lederfabriken beschäftigten ca. 200 Angestellte. Das völlige Fehlen von Schwerindustrie prägte auch die Arbeiterschaft, denn in den meisten Fällen handelte es sich um Kleinbetriebe mit wenigen Beschäftigten. 1913 arbeiteten in nur 17 Fabriken mehr als 100 Arbeiter. Aus der Betriebsgröße und der Art der Arbeit erklärt sich auch, dass Facharbeiter innerhalb des Proletariats eher die Ausnahme darstellten und ungelernte Tagelöhner den Kern der Arbeiterschaft bildeten. Die Grenze zwischen Handwerker und Arbeiter blieb dabei fließend, in vielen Fällen war ein »Betrieb« eher als Handwerkstube zu bezeichnen, dessen »Personal« ausschließlich aus Familienmitgliedern bestand. Die Arbeitsbedingungen waren hart und das Leben mühsam. 1897 wurden die Arbeitszeiten in den Fabriken festgelegt: am Tag 11,5 und nachts 10 Stunden. Diese Regelung, die die großen Betriebe betraf, wurde 1902 und 1903 durch Anweisungen des Gouverneurs für die Handwerksbetriebe ergänzt, die die reine Arbeitszeit auf 10 Stunden festlegten. Da jedoch die Leistung nach Stückzahlen vergütet wurde, stand die Verordnung mehr auf dem Papier als dass sie in der Realität beachtet worden wäre. Viele Menschen arbeiteten weit länger, um sich den Lebensunterhalt zu verdienen (z.B. die Kutscher der Pferdetrambahn). Die Löhne variierten sehr stark nach Arbeitsplatz und Qualifikation. Die wenigen Facharbeiter in metallverarbeitenden Betrieben konnten zwischen 36 und 60 Rubel pro Monat verdienen, während in der Tabakfabrik nur 10 bis 20 Rubel ausgezahlt wurden. Frauen erhielten noch weniger: ihr Lohn für die stark gesundheitsgefährdende Arbeit betrug lediglich vier bis acht Rubel. 172
Das 20. Jahrhundert
Hunger gehörte zum Alltag, aber als 1904 auch noch eine wirtschaftliche Krise in Entlassungen mündete (in der Schokoladenfabrik verloren z.B. 80 Personen ihre Arbeitsplätze), spitzte sich die Lage krisenhaft zu. A m 1. Mai 1904 kam es zu einer illegalen Demonstration für die Rechte der Arbeiter; bei der gewaltsamen Auflösung der Ansammlung durch die Polizei wurden mehrere Hundert Demonstranten festgenommen und eine W o c h e lang festgehalten. Obwohl die Zahl der Arbeiter mit so genannten festen Arbeitsplätzen gering war, wuchs die Zahl der Bevölkerung im Zuge der Modernisierung weiter an: zwischen 1885 und 1909 verdoppelte sich die Einwohnerzahl von ca. 102.000 auf mehr als 205.000 Menschen. Der massive Zuzug verschärfte die bereits vorhandenen Wohnungsprobleme massiv. Fast ein Drittel der Vilniuser lebte in Einraumwohnungen, die sich oft auch zwei oder drei Familien teilten. In einer W o h n u n g wohnten durchschnittlich sechs oder sieben Menschen. Der Ausweg aus dieser Misere lag natürlich in einer verstärkten Bautätigkeit, wobei besonderes Augenmerk auf eine rasche Fertigstellung der Häuser und Wohnungen gelegt wurde. Unter diesen Umständen führte der bis 1914 anhaltende Bauboom vor allem zur Errichtung von Holzhäusern, die der Stadt nun ein weit deutlicheres »russisches« Aussehen gaben als sie bislang gehabt hatte. W ä h r e n d in der Innenstadt die gehobenen Schichten die ersten Vorzüge der Modernisierung genießen konnten, kam es in den weniger privilegierten Bezirken der Stadt zu einem Urbanen Wildwuchs. Die Infrastruktur lag im Argen: 1915 waren erst 52 Häuser an die Kanalisation angeschlossen (obwohl im Bereich des Rathauses und der Universität ein erster unterirdischer Abflusskanal, der beim Burgberg in die Neris mündete, bereits 1816 angelegt worden war), erste Wasserleitungen waren zwischen 1879 und 1882 gelegt worden. So gut wie überall fanden sich offene Abwasserrinnen, und die Müll- und Fäkalienentsorgung war zu Beginn des 20. Jahrhunderts Anlass ständiger Klagen. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sorgten Frühjahrshochwasser des öfteren für große Probleme (1821, 1837, 1844, 1845), bevor es gelang, durch Eindämmungen und Drainagen Vorkehrungen gegen die Flut zu treffen. Auch die Trinkwasserversorgung stellte ein Problem dar; es kam immer wieder zu Epidemien, die sich durch das Wasser der öffentlichen Pumpstationen verbreiteten. Erst durch den Bau der ersten Kläranlage 1914 zeichnete sich nach und nach eine Verbesserung ab. W a s die Gastronomie betrifft, so konnten sich die Einwohner offenbar nicht beklagen: es gab im Jahre 1910 Die erste deutsche Okkupation
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88 Restaurants, 97 Wirtschaften und Teestuben und sogar 450 alud.es, was man wohl am besten mit Bierstube (alus heißt Bier) ins Deutsche übersetzt. Reisende hatten die Auswahl zwischen 43 Hotels und Pensionen zur Übernachtung. Das kulturelle Leben nahm nach den Ereignissen von 1905 im Zeichen der Nationalbewegungen einen deutlichen Aufschwung. Bereits 1904 kam es zur Gründung polnischer und litauischer Gesangsvereine, 1906 wurde schließlich zur ersten polnischen Theaterauffuhrung geladen, nur kurz darauf, nämlich im November 1906 wurde die Oper »Birute« des litauischen Komponisten Mikas Petrauskas (*1873, t l 9 3 7 ) aufgeführt. Auffällig ist, dass das entstehende Musikleben sich ethnisch definierte, ein deutlicher Fingerzeig für die kommenden Jahrzehnte. Im 19. Jahrhundert änderte sich auch die ethnische Zusammensetzung der Stadt. Der Volkszählung von 1897 verdanken wir trotz politischer Vorgaben erste annähernd zuverlässige Daten: Einwohner gesamt davon: Juden Polen (Weiß)Russen Litauer Deutsche Muslime Ukrainer
155.000 40,0% 30,9% 20,0% 2,0% 1,4% 0,5% 0,3%
Dennoch ist es sehr schwierig, wenn nicht unmöglich, gesicherte Erkenntnisse über die ethnische Zusammensetzung in der Region zu erhalten. Dies liegt vor allem daran, dass die Frage nach der nationalen Zugehörigkeit in gewissem Sinne einen Anachronismus fiir das 19. Jahrhundert darstellt. Schon damals und mindestens bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges, wenn nicht gar bis heute gab und gibt es einen Teil der Bevölkerung, der sich schlicht als »Hiesige« bezeichnet und sich damit beharrlich einer nationalen Zuordnung entzieht. Zumindest bis weit in das 19. Jahrhundert hinein war nicht der Ethnos, sondern die Religion der eigentliche Faktor, der über Integration in oder Ausschluss aus einer Gruppe entschied. Dies dürfte mit ein Grund sein, weswegen die weißrussische Nationalbewegung nie richtig Fuß fassen konnte, denn die religiöse Spaltung der Gruppe in 174
Das 20. Jahrhundert
römisch-katholische und griechisch-katholische (unierte) Gläubige überlagerte die » n a t i o n a l e « Zugehörigkeit. Die » H i e s i g e n « , die auch einen eigenen, dem Russischen und Polnischen nahe stehenden Dialekt sprachen, gehörten in ihrer großen Mehrheit der weißrussischen Volksgruppe an (weswegen sie 1897 auch unter » W e i ß r u s s e n « miterfasst wurden). Ein dänischer Ethnograph, der die Stadt Anfang des 20. Jahrhunderts besuchte, hatte daher durchaus nicht unrecht, wenn er meinte, Vilnius sei vor allem anderen eine jüdische Stadt, insbesondere im Gebiet um den Bahnhof seien Handel und Dienstleistungen jeglicher Art fast ausschließlich in jüdischer Hand. Die jüdische Präponderanz legt es nahe, etwas ausfuhrlicher auf das Vilniuser Judentum einzugehen.
Judentum zwischen Orthodoxen und Zionisten Der Gegensatz zu den deutschen Juden, die im 19. Jahrhundert den erstaunlichen sozialen Aufstieg von »Kümmerexistenzen...in das deutsche Bürgertum hinein« nahmen (Gottfried Schramm), ist mit Händen zu greifen: in Osteuropa, und somit auch in Vilnius, blieben Modernisierung und Assimilation aus, und viele Juden lebten in tiefer Not als Tagelöhner und einfache Handwerker und Händler. Die Gestalt des »Luftmenschen«, der von der Hand in den Mund existierte und heute nicht wusste, wie er sich morgen ernähren sollte, fand sich auch in der Gegend um die Deutsche Gasse. Vilnius nahm für die osteuropäischen Juden allerdings eine Sonderstellung ein. Hier gab es trotz mancher Restriktionen ein besseres Umfeld, so dass sich ein Zentrum der jüdischen Kultur entwickeln konnte. Nicht umsonst erhielt die Stadt den schmückenden Beinamen »Jerusalem des Nord e n s « , der angeblich auf Napoleon beim Anblick der großen Synagoge von Vilnius zurückgeht. Eine Variante ist die Bezeichnung »litauisches Jerusal e m « . Noch in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts hatte die Stadt den Ruf einer orthodoxen und der Tradition verpflichteten Hochburg, doch nach und nach wurde Vilnius auch zur osteuropäischen » H a u p t stadt« der jüdischen Aufklärung (Haskala). Diese in Deutschland entstandene Bewegung fasste im dritten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts in Vilnius Fuß, wobei in der hiesigen Spielart nicht an ein völliges Aufgeben der jüdischen Identität gedacht wurde. Weltliche Bildung, und das hieß nach Lage der Dinge vor allem eine Hinwendung zum Russischen, kennzeichnete die Haskala. So bildete sich bald eine jüdische Intelligencija (zu Beginn der Die erste d e u t s c h e O k k u p a t i o n
175
80er Jahre waren 26,9% der Gymnasiasten des Vilniuser Lehrbezirkes Juden), deren Bildungssprache Russisch war, während ansonsten die Juden Jiddisch sprachen - und bald auch lasen, denn in Vilnius erschienen periodische Abenteuergeschichten in Jiddisch, die großen Zuspruch unter den Menschen fanden. Quasi nebenbei entwickelte sich das Jiddische, das die Juden in Vilnius sprachen, dadurch zur Schriftsprache. Vilnius wurde um die Jahrhundertwende auch zu einer Hochburg des Zionismus, von 1905 bis 1911 agierte hier das Büro des Zentralkomitees der russischen Zionisten. Simon Rosenbaum (lit. Simonas Rozenbaumas, "1859,11935), ein Mitglied des Komitees, stammte zwar aus Minsk, sollte aber später als kooptiertes Mitglied der Taryba und stellvertretender Außenminister der Republik Litauen Berühmtheit erlangen. Auch in der Arbeiterbewegung engagierten sich Vilniuser Juden, das Spektrum reichte von der Sozialrevolutionären Bewegung der Narodniki (Freunde des Volkes) über die Sozialdemokratie bis zu den Bol'seviki. Die bekannteste jüdische politische Vertretung im linken Spektrum ist aber zweifellos der Bund, der 1897 in Vilnius gegründet wurde. Vom 25. bis 27. September kam es im Stadtteil Lukiskes zu einem Treffen jüdischer Sozialdemokraten aus Warschau, Bialystok, Minsk, Vitebsk und Vilnius. Die elf (nach anderen Quellen 13) Delegierten (darunter zwei Frauen), die die Interessen von rund 3.500 Anhängern von sozialistischen Gruppen vertraten, gründeten eine politische Organisation namens »Algemeiner jidiser arbeiterbund in Rusland un Poiln«, kurz Bund genannt. Im Jahr 1917 hatte der Bund bereits 40.000 Mitglieder. Er lehnte sowohl eine Assimilation als auch eine Auswanderung ab, sondern trat für den Kampf um soziale und ethnische Gleichberechtigung zusammen mit den russischen Arbeitern und Sozialisten ein. In einer national-kulturellen Autonomie sah der Bund die Lösung der Nationalitätenfrage, damit folgte er eher einem anti-assimilatorischen Ansatz. Bei alledem ist keineswegs überraschend, dass Vilnius zu einem Zentrum der jüdischen Arbeiterbewegung wurde. Vorherrschend blieben zwar jüdische Kleinbetriebe, doch erodierten ab Mitte des Jahrhunderts die patriarchalischen Beziehungen zwischen Eigentümern und Arbeitern. Vorformen von Streikkassen und gewerkschaftlicher Organisation lassen sich in Vilnius ebenso nachweisen wie Bildungsinitiativen, in denen jüdische Intellektuelle jüdische Arbeiter mit der Theorie des Marxismus vertraut machten. Auch der Slogan der Narodniki, » i n s Volk zu gehen«, fand eine zeitgemäße jüdische Auslegung in Vilnius: » I n die Gassn, tsu di Massn«. Man hat in diesem Zusammenhang durchaus zutreffend von einer »Arbei176
D a s 20. Jahrhundert
ter-Haskala« gesprochen. Mit der Gründung wurde in der Stadt an der Neris » D i arbeiter stime«, das illegale Organ des Bundes, herausgegeben: bis zur Revolution im Herbst 1905 erschienen 40 Nummern der Untergrundzeitschrift. Die ungeheure Kraft und Dynamik der jüdischen Gemeinde von Vilnius zeigt sich vielleicht nirgends deutlicher als in ihren beiden politischen Hauptströmungen, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch große politische Visionen darstellten: hier der jüdische und dort der sozialistische Staat. Und schließlich gab es das religiöse Vilnius: um die Jahrhundertwende existierten rund 100 Synagogen und Gebetsstätten in der Stadt. Die Industrialisierung und insbesondere eine zarische Anordnung von 1897, die Juden die Ansiedlung auf Dörfern verbot, führten zu einem hohen jüdischen Anteil unter den neuen Anwohnern. Doch die politischen und religiösen Gegensätze fragmentierten die jüdische Gesellschaft auch mehr als alle anderen Gruppierungen (nur aus antisemitischer Sicht gab es »das Judentum« als geschlossene Gruppe). Die Bundisten betrachteten beispielsweise die Rabbis als kapitalistische Helfershelfer und die jüdischen Arbeitgeber als Ausbeuter, zwischen dem traditionellen jüdischen Milieu, den sozialistischen und zionistischen Zielvorstellungen lagen Welten. Die Orthodoxen ihrerseits empfanden die weltliche Ausrichtung der Bundisten und der Zionisten als eine Gefahrdung der Zukunft des Judentums. Auch im 19. Jahrhundert gab es in Vilnius eine besondere jüdische Verwaltung, den Kahal, über dessen Spezifik bereits gesprochen wurde. Für die zarische Bürokratie stellte der Kahal den eigentlichen Ansprechpartner dar, durch den z.B. die Steuern der Juden eingezogen wurden. Diese Funktion war wohl mit ein Grund, weswegen das Zarenreich den Kahal nach der Eingliederung Polens bestehen ließ. Der jüdischen Gemeinde blieb die Aufsicht in kulturell-religiösen Belangen, während die administrativen und judikativen Funktionen an die Verwaltung übergingen. Aufgrund der Prärogative in kulturellen Angelegenheiten besteuerte der Kahal auch selbst die Juden, um Schulen zu unterhalten und andere Ausgaben zu tätigen. Als 1827 die Wehrpflicht auch für Juden eingeführt wurde, unterlag die Musterung dem Kahal. Erst 1844 wurde diese Form jüdischer Sonderverwaltung durch Nikolaus I. aufgelöst und auch die jüdischen Untertanen der allgemeinen Verwaltung unterstellt. Auch wenn sie offiziell nicht mehr existierte (oder besser: nicht mehr wahrgenommen wurde), so blieb die jüdische Selbstverwaltung faktisch bestehen, der Kahal funktionierte quasi außergesetzlich weiter.
Die erste deutsche Okkupation
177
2. Streit um Vilnius (1918-1939) Vilnius als Teil der polnischen Republik Nach der deutschen Niederlage und dem Abzug der letzten deutschen Einheiten am Abend des 31. Dezember 1918 sah Vilnius viele verschiedene Herren: Litauer, Polen und Bol'seviki wechselten sich ab, während in Paris die Sieger des Ersten Weltkrieges versuchten, zwischen litauischen und polnischen Ansprüchen auf die Stadt zu entscheiden. In diese Phase der Unsicherheit und des Chaos gehört auch das kurzlebige sozialistische Experiment des litauisch-weißrussischen Sowjetstaates mit der Hauptstadt in Vilnius. Nach dem Einmarsch der Roten Armee in die Stadt am 5. Januar 1919 wurde Ende Februar die Litauische Sozialistische Sowjetrepublik mit der Weißrussischen Sozialistischen Sowjetrepublik vereinigt, das Gebilde ging unter der Kurzbezeichnung LietBel in die Geschichte ein. Im April eroberten dann die Polen in einem mehrtägigen Kampf die Stadt, bei dem auch Zivilisten starben. Am 21. April war die Stadt schließlich in polnischer Hand. Diplomatischer Druck der Entente und die zeitweise schwierige Lage Polens im polnisch-sowjetischen Krieg führten dann dazu, dass am 15. Juli 1920 die litauische Armee kampflos in Vilnius einzog. So schien Litauen im Juli 1920 den Sieg davon zu tragen, zumal die Alliierten der litauischen Republik Vilnius zuerkannt hatten. Doch die Polen vergifteten die Beziehungen zu Litauen endgültig, als »meuternde« polnische Einheiten unter dem General Lucian Zeligovski (* 1865, t l 9 4 7 ) , um die 15.000 Mann, am 9. Oktober 1920 in Vilnius einzogen. Mit diesem Coup waren Fakten geschaffen worden, denen sich auch die alliierte Botschafterkonferenz auf Dauer nicht verschließen wollte. Zeligovski proklamierte umgehend einen » S t a a t « namens Mittellitauen, dessen wichtigste Aufgabe in einer Charade bestand: Die am 8. Januar 1922 stattfindenden Wahlen zu einem Vilniuser Seim, die sowohl von den Litauern als auch von den Juden boykottiert wurden, erbrachten wenig überraschend eine klare polnische Mehrheit. Die Wahlbeteiligung lag bei fast 64%, doch wird bis heute die Legitimität dieses Seimas bestritten, da die Wählerlisten manipuliert worden seien und nur Anhänger eines Anschlusses an Polen zur Wahl gestanden hätten. Nachdem dieses Parlament am 20. Februar eine zweifellos mit der polnischen Regierung in Warschau abgestimmte Resolution verabschiedet hatte, dass Vilnius ein untrennbarer Teil Polens sei, und der Warschauer Seim dem am 24. März zugestimmt hatte, war die Eingliederung der Stadt in den polnischen Staat abgeschlossen. Formal und admi178
Das 20. Jahrhundert
nistrativ stellte die Bildung der Wojewodschaft Vilnius am 22. Dezember 1925 den Endpunkt der Eingliederung dar, wodurch auch die Bezeichnung » M i t t e l l i t a u e n « , die auf noch weiter reichende Pläne hingewiesen hatte (denn unter » W e s t l i t a u e n « konnte ja nur das Gebiet um Kaunas zu verstehen sein), obsolet wurde. Auch außenpolitisch gab es mit dem Beschluss der alliierten Botschafterkonferenz, die am 15. März 1923 die polnische Ostgrenze anerkannte, aus polnischer Sicht keine Vilniusfrage mehr. Die litauische Reaktion bestand in einer dezidierten Verweigerungshaltung, auf die im Kapitel über den unvollendeten litauischen Nationalstaat noch eingegangen wird (s. S. 186). » W a s gewann Polen durch die Auseinandersetzung mit Litauen? Eine weitere Woiwodschaftsstadt. Die Litauer jedoch verloren ihre jahrhundertealte H a u p t s t a d t « , lautet die kurze und prägnante Stellungnahme des polnischen Historikers Jerzy Ochmariski. Der starke Mann Polens, Jözef Pilsudski, hatte aber nicht nur die Staatsräson als Motiv fiir seinen Griff nach Vilnius im Sinn, denn er war in der unmittelbaren Umgebung dieser Stadt nach dem Aufstand von 1863 geboren worden und hatte sich in Vilnius zunächst den Sozialisten zugewandt, bevor er als Führer der polnischen Legionen während des Ersten Weltkrieges zum Gründervater des neuen polnischen Staates geworden war. Vielleicht lag es auch an seiner Herkunft, dass Pilsudski sich Polen nur in einer föderalen Gestalt vorstellen konnte, in der die historische litauischpolnische Union wiederentstehen sollte. Doch diese Konzeption war im Zeitalter des Nationalismus nicht mehr umzusetzen, und so griff der Marschall zum Trick mit den meuternden Truppen unter Zeligovski, um seine Vaterstadt der Republik Polen einzuverleiben. Pilsudski vergaß seine Herkunft nie; in einer berühmten Ansprache in Vilnius am 20. April 1922 anlässlich des » B e i t r i t t s « der Stadt zu Polen gewann er sein Publikum schon allein durch die einleitende Bemerkung, er rede hier nicht nur als Führer Polens, sondern auch als Vilniuser. Die Ansprache, die die Geschichte der Stadt und ihre Bedeutung sowohl für Polen als auch für Litauer festhielt, endete in einer sehr persönlichen Aussage des Marschalls, der betonte, auch im Moment des polnischen Triumphes strecke er seine Hände in Eintracht und Liebe nach Kaunas aus, er könne gar nicht anders als die Litauer für Brüder zu halten. Die Rede endete mit dem Satz: » U n d so rufe ich wie ein Kind, dessen Herz vor Aufregung heftig pocht: >Es lebe Vilnius!
1768-1790
Karolis Stanislovas Radvila (poln. Karol Stanislaw
1790-1795
(Vakanz)
»Panie Kochanku« Radziwill, "1734,1790)
Katholische Kirchenresidenten Bischöfe
von Vilnius
(1388-1925)
1388-1398
Andrius (poln. Andrzej Jastrz^biec; auch: Wasilko,
1399-1407
Jokübas (poln. Jakub Plichta (Franziskaner, *?, t l 4 0 7 )
1408-1414
Mikalojus (poln. Mikolaj Gorzkowski (*?, 11414)
1415-1422
Piotr Krakowczyk (lat. Petrus Cracovianus, *?, +?)
Pollak; Franziskaner, *?, 11398)
1422-1453
Motiejus (poln. Maciej Wilnianin, lat. Matthias Trakai) (*1370, f l 4 5 3 )
1453-1467
Mikalojus (poln. Mikolaj z Solecznik, *?, t?)
1468-1481
Jonas I. (poln. Jan I. tosowicz, *?, t?)
1481-1491
Andrius II. (poln. Andrzej II., *?, t?)
1492-1507
Vaitiekus Albertas Tabor (poln. Wojciech (Albert)
1507-1519
Vaitiekus Albertas Radvila (poln. Wojciech (Albert)
1519-1536
Jonas (poln. Jan z Ksi^z^t Litewskich/Johannes der
Tabor, "1453,1-1507) Radziwill, "ca. 1476,11519) Litauer,* 1499,11538) 1536-1555
Povilas
Alseniskis
(poln.
Pawel
Holszariski,*ca.
1556-1579
Valerionas Protasevicius (poln. Walerian Protasze-
1579-1591
Jurgis Radvila (poln. Jerzy Radziwill, Kardinal, "1556,
1485,1*1555) wicz (Szuszkowski), *ca. 1505, t l 5 7 9 ) 1-1600) 1600-1615 254
Anhang
Benedykt Woyna (Wojna, *?, f l 6 1 5 )
1616-1630
Eustachy Wollowicz (*1572,11630)
1631-1649
Abraham W o y n a (Wojna, *1569, t l 6 4 9 )
1649-1656
Jurgis Tiskevicius (poln. Jerzy Tyszkiewicz, *?, t l 6 5 6 )
1656-1661
Jurgis Karolis (poln. Jerzy Karol Zawisza, *?, 11661)
1661-1665
Jurgis (poln.Jerzy Biallozor, *?, t l 6 6 5 )
1667-1671
Aleksandras Kazimiras Sapiega (poln. Aleksander Kazimierz Sapieha, *1624,11671)
1672-1684
Mikalojus Steponas Pacas (poln. Mikolaj Stefan Pac, *ca. 1623,11684)
1685-1686
Aleksandras Kotovicius (poln. Aleksander Kotowicz,
1687-1722
Konstanty Kazimierz Brzostowski (*1644, t l 7 2 2 )
1722-1723
Maciej Jozef Ancuta (*?, 11723)
•1622,11686)
1724-1729
Karol Piotr Pancerzynski (*?, 11729)
1730-1762
Mikolaj Jan Zenkowicz (*1670, t l 7 6 2 )
1762-1794
Ignotas Jokübas Masalskis (poln. I g n a c y j a k u b Massalski,* 1726,11794)
1798-1808
Jan Nepomucen Kossakowski ("1775, t l 8 0 8 )
1814-1815
Hieronim Stroynowski (*?, t l 8 1 5 )
1840-1841
Andrzej Benedykt Klangiewicz (*?, f l 8 4 1 )
1848-1856
Waclaw Zyliriski (*?, t?)
1858-1883
Adam Stanislaw Krasinski ('1810,11891)
1883-1889
Karol Hryniewiecki (*184l, t l 9 2 9 )
1889-1895
Antoni Franciszek Audziewicz (*1834,11895)
1897-1902
Stefan Aleksander Zwierowicz (* 1842,11908)
1903-1917
Eduard von der Ropp (*1851,11939)
1918-1925
J u r g i s Matulaitis-Matulevicius (poln. Jerzy Matulewicz, *1871, t l 9 2 7 ) Erzbischöfe von Vilnius (seit 1925)
1925
Jan Cieplak (nominiert 1925, gest. vor Amtsantritt, *1857,tl926)
1926-1955
Romuald Jalbrzykowski ( 1 9 4 2 - 1 9 4 4 von der deutschen Besatzungsmacht interniert, residierte seit 1945 in Bialystok) (*1876,11955)
1989-1991
Julijonas Steponavicius (* 1911,11991)
1991 -
Audrys Juozas Backis (* 1937)
Hohe Amis- und Würdenträger
255
Russländische Militärgouverneure im Gouvernement Litauen (1796-1802) bzw. Gouvernement Vilnius (1802-1912) 1795-1796 wurde das besetzte Vilniusser Gebiet von einer russländischen Militäradministration verwaltet. 1796 schuf die St. Petersburger Regierung ein Gouvernement Litauen, zu dem auch die Stadt Vilnius gehörte. 1802 wurde aus dem Gouvernement Litauen ein Gouvernement Vilnius ausgegliedert, das formell bis zur deutschen Besetzung Litauens 1915 bestand. Die Vertreter der St. Petersburger Regierung in diesen Verwaltungseinheiten trugen bis 1864 die Bezeichnung »Militärgouverneur«, seit 1864 »Generalgouverneur von Vil'na, Kovno, Grodno und Minsk«. Militärgouverneure 1796--1798 1798--1799 1799--1801 1801--1806 1806--1809 1809--1811 1811--1812
von Vilnius
(1796-1864)
Fürst Nikolaj Vasil 'evic Repnin (*1734, t l 8 0 1 ) Moritz (Boris Petrovic) Lacy (*1737, f l 8 2 0 ) Michail Illarionovic Goleniscev-Kutuzov (*1745, 11813) Levin (Leontij Leont'evic) August Theophil Freiherr von Bennigsen (*1745, t l 8 2 6 ) Aleksandr Michailovic Rimskij-Korsakov ("1753, tl840) Michail Illarionovic Goleniscev-Kutuzov ("1745, 11813) Fürst Ivan Stepanovic Guriel (geschäftsführend) (*?,
1812--1812
Aleksandr tl840)
(Juni •- D e z . 1812
Französische Besatzung)
1812--1830
Aleksandr Michailovic Rimskij-Korsakov (*1753, 11840) Aleksandr Vasil'evic Chrapovickij ('1740, f l 8 0 1 ) Fürst Nikolaj Andreevic Dolgorukov ("1794,11847) Fedor Jakovlevic Mirkovic (*1789, t l 8 6 6 ) Ilja Gavrilovic Bibikov (*1794, t l 8 6 7 ) Vladimir Ivanovic Nazimov (*1802,11874)
1831 1831--1840 1840--1850 1850--1855 1855--1863 256
Anhang
Michailovic
Rimskij-Korsakov
(*1753,
(1863 1863-1864
Polnisch-litauischer Aufstand) Graf Michail Nikolaevic Murav'ev (*1796,11866)
Generalgouverneure
von Vil'na, Kovno, Grodno und Minsk
(1864-1912) 1864-•1865 1865-•18 66 1866-•1868 1868--1874 1874-•1880 1880--1884 1882--1884 1884--1893 1893--1897 1897--1901 1901--1902 1902--1904 1904--1905 1905--1909 1909- -13.7.1912
Graf Michail Nikolaevic Murav'ev ("1796,11866) Konstantin (Petrovic) von KaufFmann (*1818, t l 8 8 2 ) Graf Eduard (Trofimovic) von Baranoff(*1746,11819) Aleksandr Lvovic Potapov (*1818,11886) Petr Pavlovic Al'bedinskij (*1826, t l 8 8 3 ) GrafEduard (Ivanovic) Totleben (*1818, f l 8 8 4 ) Aleksandr Pavlovic Nikitin (*1824, t l 8 9 1 ) Ivan Semenovic Kachanov (*1825, t l 9 0 9 ) Petr Vasil'evic Orzevskij (*1839,11897) Vitalij Nikolaevic Trockij (*1835, t?) (Vakanz) Fürst Petr Dmitrevic Svjatopolk-Mirskij (*1857, t l 9 l 4 ) Aleksandr Alekseevic Freese (*1840, t?) Konstantin Faddeevic Krsivickij (Krzywicki, *1840, 11910) (Vakanz)
(Amt des Gouverneurs erloschen)
Hohe Amts- und Würdenträger
257
Vilnius in der Forschung Es ist wenig überraschend, dass die Geschichtsschreibung zu dieser Stadt nationale Prioritäten setzt und damit selbst in gewisser Weise die Geschichte von Vilnius widerspiegelt. Der Streit um die territoriale Zugehörigkeit und die Identität der Stadt haben auch die Darstellungen über sie beeinflusst. Bibliographien: Will man sich umfassend über das zur Stadt erschienene Schrifttum informieren, fuhrt an der dreibändigen Bibliographie von Henryk Baranowski kein Weg vorbei. Der erste Band, 1996 in Thorn erschienen, widmet sich ausschließlich der Universität (1579-1939). 1 Die Geschichte der Universitas Vilnensis ist damit der am besten erschlossenste Einzelbereich der Stadtgeschichte, wobei der Schwerpunkt der Darstellungen auf der Zeit der Stefan-Batory-Universität zwischen 1918 und 1939 liegt. Die polnische Präponderanz in der Stadtgeschichte bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges zeigt sich auch in dem überwiegenden polnischen Schrifttum, ist jedoch z.T. auch der Tatsache geschuldet, dass die Bibliographie mit dem Jahr 1939 endet. Baranowski ergänzte den Band zur Universität im Jahre 2000 um einen Band zur Stadtgeschichte, der aber über das Ende der polnischen Periode 1939 hinausging.2 Quellensammlungen-. Quellensammlungen speziell zur Geschichte der Stadt Vilnius existieren nicht. Einzeldokumente wie Bistumsakten, Stadtrechte, Papiere einzelner Gilden und Zünfte, Memoiren etc. wurden manchmal als Teil größerer Sammlungen3 oder als isolierte Texte4 veröffentlicht. Gesamtdarstellungen-, Gesamtdarstellungen zur Stadtgeschichte existieren in polnischer und litauischer Sprache, die meisten davon sind jedoch sehr alt und entsprechen in keiner Weise heutigen wissenschaftlichen Anforderungen. Die einzige relativ jüngere Darstellung, von 19685, hat den Makel, dass sie, wie in der Sowjetzeit üblich, wichtige Aspekte der Stadtgeschichte wie z.B. die Geschichte des residerenden Adels oder die Religionsgeschichte ausblendet. Überblicke in anderen Sprachen fehlen gänzlich - es sei denn, man möchte einzelne eher »atmosphärische« oder essayistische Texte6 als Ersatz akzeptieren. Archäologie: Einen Schwerpunkt der litauischen Forschungen der letzten Jahrzehnte bildeten archäologische Arbeiten in der Umgebung des Burgbergs, die sich natürlich stark auf die Zeit des Großfurstentums bezogen. Mittelalter. Bei den Forschungen zum mittelalterlichen Vilnius standen die Großfürsten und ihre Residenz im Vordergrund. Als Vytautas der 258
Anhang
Große 1930 in Kaunas im Rahmen seines 500. Todestages gefeiert wurde, sorgte dies für eine Flut von Erscheinungen zu Vilnius, verband sich doch der Mythos des Großfürsten mit dem Ringen um die >geraubte< Hauptstadt. Für Vilnius fehlt eine vergleichbare Masse von Publikationen. Polnisch-litauische
Union: Die Zeit der polnisch-litauischen Unionen
war im 19. und 20. Jahrhundert ein Dauerthema der litauischen und internationalen Geschichtsforschung. Dieser Trend setzt sich auch nach der Widererlangung der Unabhängigkeit fort, nun jedoch stärker im Rahmen erinnerungspolitischer Konnotationen. 19. Jahrhundert-,
Die Aufstände des 19. Jahrhunderts zählten zur Do-
mäne der polnischen Stadtgeschichtsschreibung - ließ sich doch problemlos nicht nur eine Verbindung zur allgemeinen polnischen Geschichte herstellen, sondern auch eine heroische Erzählung konstruieren. In den letzten Jahren hat sich die litauische Forschung zum 19. Jahrhundert stärker dem Thema der »Russifizierung« gewidmet und zieht inzwischen ein kritisches und differenziertes Fazit, wobei fiir Vilnius vor allem interessant ist, wie die russische Politik Polen und Litauer gegeneinander auszuspielen versuchte (übrigens ein Ansatz, dem später auch die deutschen Herren nicht widerstehen konnten). Das Vilniusgebiet selbst stand in der Forschung spätestens seit Ende des 19. Jahrhunderts im Zeichen der ethnischen Gruppen. Nach 1945 wurde diesem Thema vor allem im litauischen Exil weiter Aufmerksamkeit geschenkt. Das Schema einer national motivierten Schwerpunktsetzung zieht sich durch die gesamte Stadtforschung; die jeweiligen nationalen Narrative setzen die Themen fiir die geschichtliche Forschung. So finden sich relativ viele litauische Beiträge zu den Ereignissen um den großen Seimas von 1905 in Vilnius bzw. während der kommunistischen Herrschaft zu den Streikbewegungen desselben Jahres. Erster Weltkrieg: Die deutsche Besatzung in Vilnius während des Ersten Weltkrieges ist noch weitgehend unerforscht, da sich die Historiographie bislang entweder auf die deutsche Okkupation in ganz Litauen konzentrierte oder das Augenmerk vor allem auf die politischen Ereignisse (Taryba) richtete. Neben zwei deutschen Dissertationen aus den 1960er und 1970er Jahren 7 ist vor allem die Arbeit von Vejas Gabriel Liulievicius über das »Kriegsland im Osten« 8 hervorzuheben. Zwischenkriegszeit:
Die Zwischenkriegszeit als Höhepunkt des pol-
nisch-litauischen Gegensatzes verstärkte den Trend, über und nicht von Vilnius zu schreiben. Eine ganze Flut von Rechtfertigungspublikationen sowohl litauischer als auch polnischer Provenienz prägte die ersten Jahre Vilnius in der F o r s c h u n g
259
des polnischen Vilnius. So ist bis heute die Zwischenkriegszeit eine Periode, in der besonders viele Schriften über Vilnius erschienen, darunter auch eine nicht unbedeutende Anzahl politischer Tendenzschriften, die mit historischen oder ethnischen Argumenten die Zugehörigkeit der Stadt zu dem einen oder anderen Staatswesen zu belegen suchten. Der diplomatische Ablauf der Auseinandersetzung ist durch die immer noch nicht veraltete Monographie von Alfred Erich Senn aus den 60er Jahren auch in einer westlichen Sprache zugänglich.9 Ein Vergleich zwischen der Memel- und der Vilniusfrage wurde 1993 in dem Themenband »Zwischen Staatsnation und Minderheit: Litauen, das Memelland und das Wilnagebiet in der Zwischenkriegszeit« gezogen.10 Zweiter Weltkrieg: Die kurze litauische Inbesitznahme der Stadt im Herbst 1939 ist in den letzten Jahren Gegenstand mehrerer Sammelbände und Monographien geworden, ohne dass das letzte Wort in der Analyse der litauischen Politik bereits gesprochen wäre. Was die zweite deutsche Besatzung angeht, so stehen viele Darstellungen im Zeichen des nationalen Widerstand-Narrativs; insbesondere polnische Darstellungen konzentrieren sich auf die Tätigkeit der AK und insbesondere die Aktion »Ostra Brama«. In der litauischen Historiographie zeichnen sich in den letzten Jahrzehnte unterschiedliche Trends ab: zum einen gibt es inzwischen eine Fülle von eher populärwissenschaftlichen Darstellungen, die ein recht unkritisches, teilweise auch apologetisches Bild von litauischen Polizeieinheiten und Sonderverbänden zeichnen. In diesem Kontext erscheinen die deutschen und sowjetischen Besatzer als dämonische Gegenspieler der litauischen Kräfte. Daneben hat die junge kritische litauische Geschichtswissenschaft, nicht zuletzt unterstützt durch die Publikationen der Internationalen Kommission zur Erforschung der nationalsozialistischen und sowjetischen Verbrechen beim Präsidenten der Republik Litauen, in den letzten Jahren verdeutlicht, wie schillernd und mehrdeutig der Begriff »Kollaboration« im litauischen Kontext erscheint. Die Bände der Kommission sind im übrigen in zweisprachigen Fassungen erschienen und damit auch für den westlichen Leser zugänglich. Obwohl sich die erwähnten Arbeiten nicht spezifisch auf Vilnius beziehen, finden sich in ihnen viele Details und Einzelheiten zu den Geschehnissen in der Stadt. Sowjetperiode: Die Forschungen zur sowjetischen Zeit haben sich ähnlich wie die zur russischen und deutschen Herrschaft weniger auf die Stadt selbst, sondern vor allem auf das ganze Land bezogen. Nicht überraschend standen dabei die Repressionsorgane und vor allem die Partisanentätigkeit im Mittelpunkt des Interesses, Themenbereiche, die mit Vilnius nur inso260
Anhang
fern zu tun haben, als die Zentrale des Terrors sich mit dem KGB-Gebäude in der Stadt befand. Vor allem in der Zeitschrift Genocidas ir Rezistencija finden sich aber durchaus Aufsätze, die sich speziell mit Vilnius während der Phase der Sowjetrepublik beschäftigen. Ethnogeschichte: Forschungen zu den Deutschen in Vilnius sind spärlich gesät und meistens noch aus der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, dies gilt mutatis mutandis auch für die Tataren." Zum Schicksal der Juden in Vilnius gibt es eine Reihe von Memoiren und Aufzeichnungen. Hervorzuheben ist zweifellos das Tagebuch von Herman Kruk, das in einer englischen Fassung vorliegt.12 Eine wissenschaftliche Monographie hat Yitzhak Arad Anfang der 1980er Jahre veröffentlicht.13 Zum Holocaust in Litauen (und damit auch in Vilnius) sind zwei deutschsprachige Sammelbände erschienen.14 Zur jüdischen Kultur und zum jüdischen Leben in Vilnius gibt es inzwischen eine Vielzahl von Publikationen, darunter viele in Hebräisch. Deutlich geringer ist dagegen das Schrifttum in Litauisch oder Polnisch. Überblicksdarstellungen zum Judentum in Vilnius liegen auch in westlichen Sprachen vor. Eine der gelungensten Synthesen der letzten Jahre, deren Schwerpunkt klar im 20. Jahrhundert liegt, hat Henri Minczeles vor einigen Jahren vorgelegt.15 Erwähnenswert sind auch die verschiedenen Publikationen des jüdischen Museums in Vilnius.16 Im deutschsprachigen Raum ist vor allem auf den Sammelband von Marina Dmitrieva und Heidemarie Petersen zur Zwischenkriegszeit hinzuweisen.17 Religionsgeschichte-. Der Katholizismus in Vilnius hat vor allem in polnischsprachigen Publikationen 18 seinen Niederschlag gefunden, wobei besonders zur Ostra Brama im Laufe der Jahrhunderte viele Darstellungen erschienen sind. Deutlich weniger Beiträge liegen zu den anderen in Vilnius vertretenen christlichen Glaubensrichtungen vor. Speziell für die sowjetische Periode gibt es inzwischen einige Publikationen, die sich mit dem Widerstand der katholischen Kirche gegen die Sowjetmacht beschäftigen. Wirtschaftsgeschichte: Wirtschaftsgeschichtliche Themen wurden während der Sowjetzeit in gewissem Umfang behandelt, diese Arbeiten besitzen viele statistische Daten und bieten manches interessante Detail, leiden aber an der Ideologie geschuldeten Einseitigkeiten, wie z.B. einer starken Konzentration auf das klassische Industrieproletariat, das für Vilnius eben nicht typisch ist. Zum Handwerk in der Stadt existiert vor allem ältere Literatur, wobei sich die starke jüdische Präponderanz auch in den Publikationen widerspiegelt. Infrastruktur und soziale Verhältnisse-, Was die Infrastruktur der Stadt anbelangt, so beschäftigen sich die meisten Arbeiten mit dem späten Vilnius in der Forschung
261
19. und frühen 20. Jahrhundert, also der Phase, in der die Moderne in Vilnius Einzug hielt. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die sanitäre Situation in der Stadt, die eine Vielzahl von (teilweise medizinischen) Publikationen hervorrief. Viele der Arbeiten sind als zeitgenössische Darstellungen heute selbst als Quellen zu betrachten, es fallt auf, dass viele der Beiträge aus der polnischen Zeit der Stadt stammen. Kulturgeschichte-. Ein umfangreiches Feld stellt die Kulturgeschichte und insbesondere die Bildungspolitik dar. Es existieren zahlreiche Publikationen, die sich den litauisch-, russisch- oder jiddischsprachigen Schulen und Gymnasien in der Stadt widmen. Auch zu den verschiedenen Museen, Theatern und Opern gibt es ein relativ umfangreiches Schrifttum. Aufgrund der multiethnischen Geschichte der Stadt ist auch das Presse- und Verlagswesen in Vilnius relativ breit dokumentiert. Noch umfassender sind - wenig überraschend - Arbeiten zur Architektur der Stadt, wobei im Laufe des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts eine beträchtliche Anzahl von Darstellungen entstanden, die sich auch Einzelbauwerken oder Denkmälern widmen, wobei die Baugeschichte der verschiedenen Kirchen am meisten Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Publikationen in westlichen Sprachen: Obwohl eine beträchtliche Literatur zur Stadtgeschichte vorhanden ist, liegen nur wenige Publikationen in westlichen Sprachen vor. Die meisten dieser Publikation beziehen sich auf historische Schnittstellen, also die napoleonischen Kriege oder die Jahre 1915-1918 und 1941-1944. Mit dem Holocaust beschäftigen sich besonders viele der Publikationen. Außerdem ist der Kampf Litauens um die Unabhängigkeit relativ gut dokumentiert.19 Abschließend noch ein Wort zur deutschen Forschung: die Schwerpunkte liegen in den Epochen, in denen es zu spektakulären, meist militärischen Kontakten kam, also im Hochmittelalter und während der Weltkriege des 20. Jahrhunderts.
Anmerkungen 1
Henryk Baranowski: Bibliografìa Wilna, Bd. I: Universytet Wilenski 1 5 7 9 - 1 9 3 9 , T o r u ñ
2
Henryk Baranowski: Bibliografìa Wilna, T o m II: Miasto, T o r u ñ 2 0 0 0 .
1996. 3
Als Beispiele können genannt werden: J . Kurczewski (Hg.): Kosciól zamkowy: Cz^sc III. Streszczenie aktów kapituly wileñskiej [Kirche in der Festung. Teil III. Regesten der Akten des Vilniuser Domkapitels], Vilnius, 1916. Tyla, Antanas (Hg.): Lietuvos magdeburgmiij micstij privilegijos ir aktai [Privilegien und Dokumente der Städte nach magdeburgischem Recht in Litauen], Vilnius 2 2 0 0 6 .
262
Anhang
4
Am bekanntesten in Deutschland sind sicherlich solche Titel wie der von Czeslaw
5
Jurginis, J./Merkys, V./Tautavicius, A.: Vilniaus miesto istorija nuo seniausiij laikqiki
Milosz: Die Straßen von Wilna, München-Wien 1997. Spalio revolucijos [Geschichte der Stadt Vilnius von den ältesten Zeiten bis zur Oktoberrevolution], 2 Bde., Vilnius 1968. 6
W i e z.B. Tomas Venclova: Vilnius, Frankfurt/M. 2006. Saulius Zukas: Vilnius. T h e city and its history, Vilnius 2002.
7
Gerd Linde: Die deutsche Politik in Litauen im Ersten Weltkrieg, Wiesbaden 1965; Marianne Bienhold: Die Entstehung des litauischen Staates im Spiegel deutscher Akten, Bochum 1978.
8
Vejas Gabriel Liulevicius: Kriegsland im Osten. Eroberung, Kolonialisierung und Mili-
9
Alfred Erich Senn: T h e Great Powers, Lithuania and the Vilna Question, 1 9 2 0 - 1 9 2 8 ,
tärherrschaft im Ersten Weltkrieg, Hamburg 2002. Leiden 1966. 10
Nordost-Archiv. Zeitschrift für Regionalgeschichte, Neue Folge Band 11/1993, Heft 2
11
Als schütterer Ansatz für eine entsprechende »Forschung »können gelten: Paul Karge: Die Geschichte des Deutschtums in Wilna und Kauen (Kowno), in: Altpreußische Monatsschrift 54 (1917), S. 3 5 - 9 5 . Karin Friedrich: Cives Patriae. » G e r m a n « Burghers in the Polish-Lithuanian Commonwealth, Basingstoke 1999. Stanislaw Kryczynski: Tatarzy litewscy. Les Tatares lichuaniens. Pröba monografii historyczno-etnograficznej. [Die litauischen Tataren. Versuch einer historisch-ethnographischen Monographie], Gdansk 2000.
12
Herman Kruk: T h e Last Days of the Jerusalem o f Lithuania, New Häven 2002.
13
Yitzhak Arad: Ghetto in Flames. T h e Struggle and Destruction o f the Jews in Vilna in
14
Wolfgang Benz und Marion Neiss (Hrsg.): Judenmord in Litauen. Studien und Doku-
the Holocaust, New York 1982. mente, Berlin 1999; Vincas Bartusevicius, Joachim Tauber und Wolfram Wette (Hrsg.): Holocaust in Litauen. Krieg, Judenmord und Kollaboration im Jahre 1941, Köln u.a. 2003. 15
Henri Minczeles: Vilna, Wilno, Vilnius. La Jerusalem de Lituanie, Paris 2000.
16
Z.B. Josifas Levinsonas (Hrsg.): Soa (Holokaustas) Lietuvoje. Skaitiniai I dalis [Shoah (Holocaust) in Litauen, Teil I und II, Vilnius 2 0 0 1 und 2004; eine englische Version erschien 2 0 0 6 unter dem Titel: T h e Shoah (Holocaust) in Lithuania.
17
Marina Dmitrieva und Heidemarie Petersen (Hrsg.). Jüdische Kultur(en) im Neuen Europa. Wilna 1 9 1 8 - 1 9 3 9 , Wiesbaden 2004. Allgemein zur Thematik: Christoph Schmidt: Neue Literatur zur Geschichte der Juden in Litauen, in: Zeitschrift fiir OstmitteleuropaForschung 5 0 , 2 0 0 1 , S. 4 3 9 - 4 5 3 .
18
Von zentraler Bedeutung: Ks. Jan Kurczewski: Biskupstwo Wilenskie [Das Bistum Vilnius], Vilnius 1912. Jerzy Ochmariski: Biskupstwo wilenskie w sredniowieezu. Uströj i uposazenie [Das Bistum Vilnius im Mittelalter. Struktur und Gehalt], Poznan 1972.
19
Hierzu die beiden Monographien von Alfred Erich Senn: Lithuania Awakening, Berkeley ua. 1990; ders.: Gorbacev's Failure in Lithuania, New York 1995.
Vilnius in der Forschung
263
Weiterführende Literatur Die vorliegende Literaturliste ist als Empfehlung fiir ein vertiefendes Studium der Geschichte der Stadt Vilnius vornehmlich mit Hilfe deutsch-, englisch-, und französischsprachiger Titel gedacht. Sie ist keineswegs vollständig, und auch nicht repräsentativ im Sinne eines Uberblicks über die wichtigsten Forschungen zum Thema, zumal ein großer Teil der Literatur in Litauisch, Polnisch, bisweilen auch Russisch erschienen ist. Wir gehen davon aus, dass die Leser unseres kleinen Bandes diese Sprachen in der Regel nicht beherrschen und haben daher vor allem Werke in westlichen Sprachen aufgenommen. Einige wenige Ausnahmen von dieser Regel haben wir uns erlaubt, wenn wir der Meinung waren, dass der betreffende Titel ein unverzichtbares Standard- oder Grundlagenwerk darstellt. Für einen tieferen Einblick in die Forschungslandschaft und ihre Tendenzen verweisen wir auf die kurze Skizze im Anschluss. Dort in den Fußnoten erwähnte Titel wurden nicht in die vorliegende Literaturliste aufgenommen. Joachim Tauber, Ralph Tuchtenhagen
Ambruleviciüte, Aelita: Fairs and his [sic!] role in pattern of trade in Vilnius, in: Lietuvos istorijos studijos Nr. 19 (2007). Internetressource. Baronas, Darius u.a.: Christianity in Lithuania, Vilnius 2002. Barth, Theodor: Jewish Vilna/Vilnius: a diatribe with history, Oslo 1995, Basingstoke [u.a.] 1999. Briedis, Laimonas: Vilnius: city of strangers, Vilnius 2008. Bumblauskas, Alfredas u.a.: Universitas Vilnensis 1579-2004, Vilnius 2004. Caplinskas, R.: Vilniaus gatviij istorija [Geschichte der Vilniuser Straßen], Vilnius 2000. Das alte Buch in Litauen. 16.-18. Jahrhundert; Ausstellungskatalog, hrsg. v. Alma Braziüniene), Vilnius 1997. Forstreuter, Kurt: Deutschland und Litauen im Mittelalter, Köln-Graz 1962. Frick, David: Since all remain subject to chance. Poor relief in seventeenthcentury Wilno, in: Zeitschrift fiir Ostmitteleuropa-Forschung
55
(2006), S. 1 - 5 5 . Frick, David: T h e councilor and the baker's wife. Ruthenians and their language in seventeenth-century Vilnius, in: Speculum Slaviae orienta264
Anhang
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265
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Weiterführende Literatur
267
Zeichen und Abkürzungen Übliche Abkürzungen wie z.B. »sog. - so genannt« oder »z.B. - zum Beispiel« sind hier nicht aufgeführt. *
geboren
t AK an. dt. EK hebr. HKP jidd. KGB
gestorben Armia Krajowa altnordisch deutsch Einsatzkommando hebräisch Heereskraftfahrpark jiddisch Komitee für Staatssicherheit, Nachfolgeorganisation des NKWD
KPdSU KPL lat. lit. LSSR NKWD NS poln. russ. ruth.
Kommunistische Partei der Sowjetunion Kommunistische Partei Litauens lateinisch litauisch Litauische Sozialistische Sowjetrepublik Volkskommissariat für innere Angelegenheiten, dessen wichtigstes Ressort die Staatssicherheitsabteilung war Nationalsozialismus bzw. nationalsozialistisch polnisch russisch ruthenisch
schwed. SD ZK weißruss.
schwedisch Sicherheitsdienst Zentralkomitee weißrussisch
268
Anhang
ORTS- UND STRASSENREGISTER angefertigt von M a t t h i a s Weingard
Äbo, s. Turku Aldajgjuborg, s. Alt-Ladoga Alt-Ladoga (an. Aldajgjuborg, russ. StarajaLadoga, Ladogasee), 20 Amsterdam, 50, 136 Andrusovo, s. Andruszöw Andruszöw (russ. Andrusovo), 67, 134 Ant.ikalnis (poln. Antokol, wörtl. »Ort auf Hügeln«, Vorstadt), 4 2 , 4 3 , 75, 83, 84, 85, 98, 128, 144, 164, 170, 171, 195 Antokol, s. Antakalnis Antwerpen, 132 Asmiany, 35 Ausros Vartq gatve (dt. Gasse des Tors zu Morgenröte), 49, 76, 99, 108, 109, 121, 128 Azov, 63 Bar, 72, 84 Basanavicius-Straße, s. Basanaviciaus gatve Basanaviciaus gatve (dt. BasanaviciusStraße), 171, 184 Berlin, 165, 166, 188, 233 Bern, 183 Bernardinq gatve (dt. Bernhardiner-Gasse), 39 Bernhardiner-Gasse, s. Bernardinq gatve BiaJystok, 160, 162, 166, 176, 182, 203, 255 Birka, 19, 20 Birzai, 63, 90, 92 Boksto gatve (dt. Turmgasse), 16, 76 Bonn, 187,236, 242 Brasiaü, 35 Bremen, 21 Brest, 46, 5 0 , 6 0 , 6 1 , 7 9 , 8 8 , 90, 94, 104, 105, 107, 108, 132 Brest-Litovsk, 90, 122 Buczacz67,134 Burgstraße, s. Pilies gatve Byzanz (an. Miklagardr), 20 Cernigov, s. Czernichöw Chicago/ III., 107 Cranz, 19
Czernichöw (russ. Cernigov), 67 Cz^stochowa, 99 Däjtsche Gas, s. Vökieciq gatve Danzig, s. Gdansk Dambrovic, 118 Daukanto-aikste (dt. Daukanto-Platz), 86 Daukanto-Platz, s. Daukanto-aikste Deutsche Gasse, s. Vokiecii( gatve Deutschenviertel, 62 Didzioji gatve (dt. Große Gasse), 47, 56, 57, 97, 126 Dluga gatve (dt. Dlugosz-Straße), 98 Dhigosz-Straße, s. Dluga gatve Dominikanergasse, s. Dominikoni) gatve Dominikonq gatve (dt. Dominikanergasse), 49, 62, 127, 129 Domplatz, 126 Drausenhof, s. Truso Druzno, s. Truso Dubingiai, 92 Durben, 21 Ferrara-Florenz, 46, 103 Fischervorstadt, s. Zvejai Fischmarkt, s. Pjatnickaja-Markt Fleischergasse, 57 Florenz, 70, 163 Franziskanergasse, s. Pranciskonq gatve Gaon-Straße, s. Gaono gatve Gaono gatve (dt. Gaon-Straße), 57, 157 Gardai, 99 Gasse des Tors zu Morgenröte, s. Ausros Vartq gatve Gdansk (dt. Danzig), 6 8 , 6 9 , 7 2 , 1 2 4 , 1 3 2 Gediminas-Prospekt, s. Gedimino prospektas Gedimino prospektas (dt. Gediminas-Prospekt), 170, 181, 219, 223, 224, 229 Genf, 91 Gerbergasse, 57 Glasergasse, 57 Gnesen, s. Gniezno Gniezno (dt. Gnesen), 40, 59, 69, 132
Register
269
Grodno (Grodna), 29, 61, 64, 73, 77, 105, 109,132,136,167,246,256 Große Gasse, s. Didzioji gatve Gorodisce, 20 Greifswald, 21 Grobin, s. Grobina Grobina (dt. Grobin), 19,20 Grunwald, s. Zalgiris Haithabu (an. Hedeby, Schleswig), 20 Halycas (poln. Halicz, Galic), 45 Hamburg, 72, 124 Hedeby, s. Haithabu Heidelberg, 121 Helsinki, 2 3 1 , 2 3 2 Horodlo, 29 Izabelline, s. Zabhidöw Jalta, 216 Jerusalem, 62, 99, 101, 108, 136, 175, 226 Jewje, s. Vievis Jidische Gas, s. Zydq gatve Jomne, s. Wollin Jomsborgr, s. Wollin Judenviertel, 62, 163 Julin, s. Wollin Jurgisplatz, 159 Kaln 4 -Park, 16 Kanauninkq gatve (dt. Kanonikergasse), 126 Kanonikergasse, s. Kanauninki) gatve Kathedralplatz, 17 Katyn, 215 Kaunas (poln. Kowno, dt. Kauen), 16, 50, 52, 55, 56, 64, 8 8 , 1 1 3 , 132, 133,139, 143,145,157,160,179,182,185-189, 192, 193, 194, 199, 204, 205, 207, 223, 230, 247, 259 Kaup, 19 Kaupang (Oslofjord), 20 Kedainiai (poln. Kiejdan, dt. Kedahnen), 90, 92,121 Kedainiq gatve, 48 Kiev, 2 0 , 3 2 , 4 0 , 4 5 f., 50, 52, 6 0 , 6 7 , 9 2 , 103,105-109, 145 Kiev-Halyc, 104 Köln, 21 Königsberg, 56, 72, 87, 88, 90, 111, 112, 113, 125, 132 f.
270
Register
Koidanaia (poln. Kojdanöw, ruth. Kojdanava), 90 Kojdanava, s. Koidanaia Kojdanöw, s. Koidanaia Konstantinopel, 45, 46, 60, 63, 102-105, 108 124, 132 Kopenhagen, 72 Krakau (poln. Krakow), 2 7 - 3 0 , 3 2 , 4 0 , 4 1 , 50,59,69,73,74,78,80,84,93,94, 110, 111, 114,116, 121, 132, 133,203, 245 Kreva (poln. Krewo), 24, 27-29, 39, 44, 64, 243 Kulm, 51 Kutschergasse, 57 Labiau, 56 Lazdynai, 228 Leiden, 121 Lemberg, s. Lvovas Lenin (Stadtbezirk), 229 Lenin gatve, s. Lenin-Straße Lenin-Platz, 229, 230 Lenin-Straße (lit. Lenin gatve), 196 Leuwen (Leuven), 87, 111 Lida, 3 5 , 6 4 Liejyklos gatve (dt. Liejyklos-Straße), 76 Liejyklos-Straße, s. Liejyklos gatve Liepkalnio gatve (dt. Liepkalnis-Straße), 171 Liepkalnis-Straße, s. Liepkalnio gatve Liubecz, 122 Liubesave, 118 London, 50, 193, 2 0 3 , 2 1 5 Loreto, 99 Losk, 122 Lublin, 29 f., 32, 60,69, 70, 73, 78, 80, 83, 93,150,187,215,245,248 Luckas (ruth. Luz'k, poln. Luck), 40, 92, 137 Lübeck, 21 Lukiskes (»Tartaria«), 57, 64, 76, 88, 137, 170, 176 Lukiskiq-aikste (dt. Lukiskiq-Platz), 148 Lukiskiq-Platz, s. Lukiskiq aikste Luz'k, s. Luckas L'viv, s. Lvovas L'vov, s. Lvovas Lvovas (poln. Lwöw, russ. L'vov, ukr. L'viv, dt. Lemberg), 103, 107, 132, 182 Lwöw, s. Lvovas Lydos-Gasse (Lydos gatve), 48
Lydos gatve, s. Lydos-Gasse Luck, s. Luckas
Oströw, 29 Ostry Koniec, 99
Magdeburg, 21, 23, 27, 50-53, 62, 63, 111,
Palack, s. Polockas Palanga (dt. Polangen), 55 Paneriai (poln. Ponary, russ. Ponar), 41, 44, 128, 143, 145, 207 f., 209, 211, 218, 246 Panevezys, 63 Paplavai, 128
133, 138,243 Mailand, 70 Maironio gatve (dt. Maironis-Straße), 43, 171 Maironis-Straße, s. Maironio gatve Maliini) gatve (dt. Mühlengasse), 129 Marijampole, 183, 202 Marktplatz, 43, 56, 127 Mecetes gatve (dt. Moscheegasse), 65 Medininkai (poln. Miedniki Krölewskie), 40, 55, 9 9 , 2 3 7 Memel, 55, 56, 133, 155, 235, 260 Miedniki Krölewskie, s. Medinikai Mielnik, 29, 30 Miklagardr, s. Byzanz Milwaukee/Wise., 107 Minsk, 50, 72, 79, 105, 108, 145, 146, 176 Mogilev, 108, 109 Moscheegasse, s. Mecetes gatve Moskau, 13, 26, 30-32, 36, 38, 45-47, 50, 60, 62, 6 7 , 7 0 , 7 1 , 7 4 , 7 5 , 7 7 , 78, 8 2 85, 101, 102, 104, 106, 109, 114, 115, 124, 125, 130-132, 141, 183, 188-191, 195, 215, 222, 227, 233-236, 238, 245, 247, 249 Mscislaw, 79 Mühlengasse, s. Malünij gatve Naugardas, 79 Naugardukas (ruth. Navahrudak, poln. Novogrodek), 3 7 , 4 5 , 64, 105, 132, 139 Naujamiestis (»Neustadt"), 63, 170 Naujininkai, 128, 129 Navahrudak, s. Naugardukas Neapel, 124 Nesvyzius (poln. Nieswiez, ruth. Njasviz), 90, 99 Neumarkt, 51 Neustadt, S. Naujamiestis New York, 184,215 Novgorod, 13, 20,26, 52, 132 Novogrödek, s. Naugardukas Nürnberg, 107, 132 Oktober (Stadtbezirk), 229 Oliva, 6 7 , 7 0 Ostrog, 102
Paris, 50, 124, 130, 139, 143, 178, 195 Pasvalys, 63 Petrograd, 183 Pilaite, 228 Pilies gatve (dt. Burgstraße), 43, 57, 126, 131 Pillau, 56 Pinsk-Turov, 105 Pjatnickaja-Markt (Fischmarkt), 126 Platz der Sowjets, 239 Platz der Unabhängigkeit, 239 Polangen, s. Palanga Polock, s. Polockas Polockas (ruth. Palack, poln. Polock), 37, 50,55,79,85,88,105-107,132 Ponar, s. Paneriai Ponary, s. Paneriai Posen, s. Poznan Poznan (dt. Posen), 6 9 , 1 3 2 Prag, 41, 105, 122, 136 Pranciskonq gatve (Franziskanergasse), 48 Pusalotas, 63 Pylimo gatve (dt. Wallgasse), 62,76, 89, 92, 171 Radom, 29, 69 Ragnit, 55 Rasos, 57, 76, 129 Rasos-Straße, s. Ras 14 gatve Rast) gatve (dt. Rasos-Straße), 99 Rathausmarkt, 56, 126 Rathausplatz, s. Rotuses aikste Reval, 132 Riga, 2 1 , 2 2 , 58, 72, 132,236 Rom, 21, 46, 84, 94, 99, 105, 106, 108, 112, 118, 119, 130 Rostock, 21 Rotuses aikste (dt. Rathausplatz), 54, 56, 126, 131 Rüdininkai, 55, 127
Register
271
Rüdininkij gatve (dt. Rudininkq-Straße), 97, 98,99, 127 Rüdininkq-Straße, s. Rüdininkq gatve Rybaki, s. Zvejai Savivaldybes aikste (dt. Savivaldybes-Platz), 38 Savivaldybes-Platz, s. Savivaldybes aikste Salcininkai, 238 Sandomierz, 69 Säule, s. Siauliai Schaulen, s. Siauliai Schwarz-Straße, s. Svarco gatve Senatorengasse, 127 Sereikiskes-Park, 49 Seskine, 228 Siauliai (Schaulen/Saule), 14, 243 Sienna, 111 Siret, 39 Sluck, 90, 108, 121 Smolensk, 30, 35-37, 67, 82, 252 Snipiskes, 62, 97, 128 Solchat (heute Staryj Krym), 63 Sowjet (Stadtteil), 229 Stalingrad, 201 Staraja-Ladoga, s. Alt-Ladoga Staryj Krym, s. Solchat Stettin, 21 Stiklin gatve (dt. Stikliq-Straße), 127 Stikliq-Straße, s. Stikliq gatve Stockholm, 72 St. Petersburg, 72, 73, 109, 117, 138, 149, 152, 171,246,256 Stralsund, 21 St. Dvasios-Straße, s. Sv. Dvasios gatve St. Ignatius-Gasse, s. Sv. Ignoto gatve St. Johannes-Straße, s. Sv. Jono gatve Svarco gatve (dt. Schwarz-Straße), 127 Sv. Dvasios gatve (dt. St. Dvasios-Straße), 76 Sv. Ignoto gatve (dt. St. Ignatius-Gasse), 37, 97,98 Sv. Jono gatve (dt. St. Johannes-Straße), 38, 43, 44, 127 Tannenberg, s. Zalgiris Targowica, 68, 73 Tartaria, s. Lukiskes Tilsit, 141, 183 Thom, s. Toruri Toruri (dt.Thorn), 28,68,69
272
Register
Trakai (poln. Troki), 15,21-23, 33,35-38, 50, 52, 5 5 , 6 1 , 6 3 , 6 4 , 7 9 - 8 1 , 9 9 , 1 2 7 , 137,243,244 Trakai-Gasse, s. Trakq gatve Traki[ gatve (dt. Trakai-Gasse), 39,48, 127, 128 Trient, 96 Troki, s. Trakai Truso (poln. Druzno, dt. Drausenhof, Frisches Haff), 19,20 Turku (Äbo), 72 Turmgasse, s. Boksto gatve Tuskulenai-(Tusculum-) Viertel, 76, 129 Uzulenis, 150 Uzupis, 16, 57, 76, 128, 129, 171 Valiersar, 70 Varna, 28 Varniai (poln. Wornie), 40 Verkiai, 38,41, 44, 101, 130 Versailles, 101, 187, 188 Vievis (poln. Jewje), 108, 124 Vilkmerge, 35 Vingio-Park, 38, 129, 234, 248 Vitebsk, 79, 88,107,145, 176 Vivulskis-Straße, 184 Vokieciq gatve (dt. Deutschen-Gasse bzw. Straße, jidd. Däjtsche Gas), 56-58, 58, 62, 85, 87, 126, 127, 134, 175, 208 Voruta, 17 Wallgasse, s. Pylimo gatve Warschau, 61, 69, 72-74, 81, 118-120, 133, 145, 147,149, 171, 176,178,181, 184, 186, 188, 193, 203, 238, 246 Weimar, 187 Wien, 69, 133,213,245 Wiskiauten, 19,20 Wittenberg, 87, 107, 111, 121 Wollin (auch Julin, Jomne, Vineta, an. Jömsborgr, Odermündung), 20 Worms, 86 Wornie, s. Varniai Zabludow (Izabeline), 90 Zalgiris (poln. Grunwald, dt. Tannenberg), 26,27, 160,244 Zaporog, 67, 109 Zirmünai, 47, 128, 228
Zvejai (poln. Rybaki, »Fischervorstadt«), 47, 128, 129 Zverynas (poln. Zwierzyniec, wörtl. »Die Menagerie«), 38, 128, 129,137
Zwierzyniec, s. Zverynas Zydq gatve (jidd. Jidische Gas), 62, 127
Register
273
PERSONENREGISTER angefertigt von M a t t h i a s Weingard
Adamkus, Valdas (lit. Staatspräsident, * 1926), 204 Aesop (Dichter, um 600 v. Chr.), 113 Al'bedinskij, Petr Pavlovic (Generalgouverneur v. Vilnius 1874-1880, * 1826, 11883), 257 Albrecht von Österreich (Herzog, '1349/50?, t l 3 9 5 ) , 14 Albrecht von Preußen (Herzog, *1490, 11568), 87 Aldona (Tochter Gediminas', Gemahlin König Kazimierz III.), 28 Aleksandras (poln. Alexander Jagielloriczyk, Großfürstv. Litauen 1492-1506, Königv. Polen 1501-06, "1461, t l 5 0 6 ) , 29,30, 3 4 , 3 6 , 4 3 , 4 6 , 4 7 , 5 0 , 5 6 , 57,61,251 Alexander I. (russl. Kaiser 1801 -1825, * 1777, 1-1825), 117,143,144 Alexander II. (russl. Kaiser, '1825,+1881), 146 Alexius (Metropolit v. Kiev und der ganzen Rus'1354-1378), 45 Algirdas (poln. Olgierd, Großfürst v. Litauen 1345-1377), 2 3 , 2 4 , 4 7 , 4 8 , 2 5 0 Alseniskiai (poln. Holszariski, lit. Adelsfamilie), 38,39 Aläeniäkias, Aleksandras (Kastellan v. Vilnius ca. 1492-1511,11511), 38 f. Alseniskias, Jurgis (Kastellan v. Vilnius), 39 Alseniskias Pavilas (poln. Pawel Holszariski, Bischof v.VÜnius, 1536-1555, *ca. 1485, + 1555), 39,42,112,254 Altrichter, Helmut (Historiker), 231 Anan ben David (Karaitischer Schriftgelehrter), 63 Ancuta, Georg Casimir (Koadjutor des Bischofs v. Vilnius, * ?, +1737), 44 Ancuta, Maciej Jozef (Bischof v. Vilnius 1722-1723,*?,+1723),255 Andrzej II. (Andrius II. Bischofv. Vilnius 1481-1491, *?,+?), 254 Andronikos II. (byzantinischer Kaiser 1282-1328), 45 Antonij (Heiliger, Moskauer Gesandter, +1347)47f
274
Register
Arad, Yitzhak (jüdischer Widerstandskämpfer, Direktor der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, *1926), 219,261 Astikai (lit. Hochadelsfamilie), 35 Audziewicz, Antoni Franciszek (Bischofv. Vilnius 1889-1895, *1834, +1895), 255 Augustas II. Stiprusis (poln. August II. Moczny Königv. Polen-Litauen 1697-1706,1709-1733, *1670, + 1733), 252 Augustas III. Saksas (August III. von Sachsen, Königv. Polen-Litauen 1733-1763, •1696,+1763), 252 Babicius, Jokubas (Bürgermeister v. Vilnius, * ?, tea. 1526), 122 Backis, Audrys Juozas (Erzbischof v. Vilnius seit 1991, *1937),255 Bacon, Francis (Philosoph, *1561, +1626), 119 Bagel, Moses Bahelfer (Maler, "1908, +1995), 184 Baranoff, Eduard (Trofimovic) von (Generalgouverneurv. Vilnius 1866-1868, "1746, +1819), 257 Basanavicius, Jonas (führender Vertreter der lit. Nationalbewegung, *1851, +1927), 150,153,185 Basilius der Große (Kirchenvater, '329, +329), 106 Bäthory, Stefan (lit. Steponas Batoras, König V. Polen-Litauen 1575-1586, "1533, + 1586),77,83,94,114,123,251 Bekesas, Kasparas (ung. Kaspar Bekes, poln. Kasper Bekiecz, Kommandant, *1520, +1579), 77 Bennigsen, Levin (Leontij Leont evie) August Theophil Freiherr von (Militärgouverneur v. Vilnius 1801-1806,'1745, +1826), 256 Bertold (Franziskanermönch), 22 Biallozor, Jerzy (Jurgis, Bischof v. Vilnius 1661-1665,*?,+1665),255 Biandrata, Giorgio (Antitrinitarier, *1516, +1588), 91
Bibikov, Ilja Gavrilovic (Militärgouverneur v. Vilius 1850-1855/1794,11867), 256 Bolingbroke, Henry (Earl of Derby, als Henry IV. Königv. England 1399-1413, *1367, 1-1413), 14,34,65,243 Bongiovanni, Bernardo (Nuntius und Bischof V. Camerino 1560-1563,*?, t l 574), 74 Brazauskas, Algirdas (1. Sekretär des ZK der KPL, lit. Staatspräsident * 1932), 230 Bretkünas, Jonas (dt. Johann Bretke, theol. Schriftsteller, * 1536,11602), 91 Brez'nev, Leonid Il'ic (Generalsekretär der KPdSU *1906,11982), 221 Bruno von Querfurt (Missionar, "974, 11009), 13 Brzostowski, Konstantin Kazimiras (poln. Konstanty Kazimierz Brzostowski, Bischof v. Vilnius 1687-1722, '1644, 11722), 9 8 , 9 9 , 1 3 0 , 2 5 5 Bucelyte, E. (Ansagerin des litauischen Fernsehens), 237 Budny, Szymon (Drucker, 'ca. 1530,11593), 122
Bullinger, Heinrich (Reformator, "1504, 11575), 87 Buonaccorsi, Filippo »Callimachus« (Humanist, "1437,11497), 100 Butigeidas (Großfürst v. Litauen ca. 1285-1295), 250 Byron, Lord George Gordon (Dichter, * 1788, 11824),139 Calasanz, Jose (Gründer des Piaristenordens, •1556,11648), 118 Calvin, Jean (Reformator," 1509,11564), 87, 91 Canisius, Petrus (kathol. Theologe, "1521, 11597), 96 Cartoriski (Adelsfamilie), 82,84 Cartoriskis, Kazimiras (poln. Kazimierz Czartoryski, u.a. Kastellan v. Vilnius "1674,11741), 84 Castelli, Matteo (Architekt, "1560,11632), 75 Cernjachovski, Ivan Danilovic (Armeegeneral, " 1906,11945), 228,231 Chelucci, Paolino (Rektor des Nazarenums, •1682,11754), 119 Chmielnicki, Bohdan (*ca. 1595,11657),68 Chodkevicius (poln. Chodkiewicz, Adelfamilie), 36,46
Chodkevicius, Jonas (poln. Jan Chodkiewicz, Kastellan v. Vilnius und Großmarschall v. Litauen,"1537,11579),95 Chodkevicius, Jonas Karolis (poln. Jan Karol Chodkiewicz, Großhetman v. Litauen, "1560,11621), 98 f. Chodkeviciené-Mieleckaité, Sofìja (Ehefrau Jonas' Karolis'Chodkevicius', *?,11619), 99 Chodkiewicz, Krzysztof ( Wojewode v. Vilnius 1 6 4 2 - 1 6 5 2 , ' ? , t l 6 5 2 ) , 253 Chrapovickij, Aleksandr Vasil evie (Militärgouverneur v. Vilnius 1831, " 1740, 11801), 256 Chruscev, Nikita Sergeevic (Generalsekretär der KPdSU, '1894,11971), 217,229 Chrz^stowski, Andrzej (Schriftsteller, "ca. 1555,11618),91 Ciapinskis, Jurgis (poln. Georgii Ciapiñski, Piaristenmönch,'1718, t l 7 6 8 ) , 119 Cicero, Marcus Tullius (Staatsmann, Philosoph, "106 v. Chr., 143 v. Chr.), 113 Cini da Siena, Giovanni (Architekt, "?, t?). 74 Ciolek, Erazm (großfiirsdicher Sekretär, "1474,11522),46 Cieplak.Jan (Erzbischofv. Vilnius 1925, •1857,11926),255 Clemens VIII. (Papst 1592-1605), 75,104 Clemens XIV. (Papst 1769-1774,'1705, t l 7 7 4 ) , 116 Commendone, Giovanni Francesco (päpstl. Nuntius und Kardinal-Bischof v. Zacynthus,'1523,11584), 112 Comuleo, Allesandro (Alexander Komulovic, päpstl. Legat, '1548, t l 6 0 8 ) , 95 Czarnieckis, Stefan (General '1599,11665), 71 Czarnocka, Erna, 207 Czarnocki, Szarz und Wolf, 207 Dabulevicius, Karolis (Bürgermeister v. Vilnius,'1898,11988), 202 Danylo (Fürst v. Galizien-Wolhynien), 60 Daukantas, Simonas (Vertreter der lit. Nationalbewegung, '1793, 11864), 140,150 Dauksa, Mikalojus ("nach 1527,11613), 113, 123 Daumantas (Großfürst v. Litauen ca. 12821285), 250 Descartes, René (Philosoph, " 1596, 11650),119 Register
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Devocka, Onisifor (Metropolit v. Kiev 1 5 7 9 - 1 5 8 9 ) , 103 Dlugosz, Jan (lat. Johannes Dlugossius oder Johannes Longinus, poln. Chronist, * 1415, tl480), 25,64,100 Dmowski, R o m a n (Führer d. poln. Nationaldemokraten, ' 1 8 6 4 , t i 939), 168 Dogiel, Mathias Dominicus (Rektor d. Piaristenkollegiums, * 1 7 1 5 , 1 1 7 6 0 ) , 124 Dolgorukov, Jurij Alekseevic (Militärgouverneur v. Vilnius 1 8 3 1 - 1 8 4 0 , * 1794, t i 8 4 7 ) ,70,256 Dubowicz, Ignacy (Bürgermeister v. Vilnius), 98
Giedraitis, Merkeiis (Bischofv. Zemaitija 1576-1609,1537, tl609),96 Gimbutas, Marija (Historikerin, "1921, 11994), 19 Glaubitz, Johann Christoph (Architekt, *1700, t l 7 6 7 ) , 135 Glick, Hirsch ("1922, t?), 211 f. Goebbels, Joseph, 198 f. Goethe, Johann Wolfgangvon (Dichter, "1749, t l 8 3 2 ) , 139 Goleniscev-Kutuzov, Michail Illarionovic (Militärgouverneur v. Vilnius 1 7 9 9 1801,1809-1811,"1745, tl813),256 Gorbacev, Michail (Generalsekretär der
Dubowicz, Stefan, 98 Dzierzynski, Feliks ( C h e f der Ceka, ' 1877, tl926), 183,230
K P d S U , "1931), 2 2 1 , 2 3 3 , 2 3 4 Gostautas (poln. Gasztold, litauische Hochadelsfamilie), 36 Gostautas, Albertas (poln. Olbracht Gasz-
Eisiskietis, Jurgis (poln. Georg z Ejszyszek), 111
told, Wojewode v. Naugardukas, Polockas, Trakai und Vilnius, Großkanzler v.
Elena (Gemahlin Großfürst Aleksandras'), 4 7 Elijah ben Salomon (Gaon v. Vilnius 1 7 5 0 1797, "1720, t i 7 9 7 ) , 136 f. Elisabeth von Habsburg (Großfürstin v. Li-
Litauen 1 5 2 2 - 1 5 3 9 , "ca. 1 4 8 0 , 1 1 5 3 9 ) , 37,43,86,91,111,253 Gostautas, Jonas (poln. Jan Gasztotd, Gouverneur v. Smolensk, Marschall v. Litauen,
tauen, 1. Gemahlin Zygmantas' II., ' 1526,
Wojewode v. Trakai (1440) und Vilnius,
tl545),31,43,74,100
Kanzler v.Litauen 1 4 4 3 - 1 4 5 8 , "ca. 1393,
Erasmus von Rotterdam (Philosoph, T h e o loge, * 1469,11536), 8 7 , 1 1 1 Eustathios (Heiliger, Moskauer Gesandter, tl347),47f.
11458), 2 8 , 3 6 , 2 5 2 Gostautas, Petras (Wojewode v. Vilnius), 23 Gregor II. (Papst 1 4 5 8 - 1 4 7 2 ) , 4 6 Gregor X I I I . (Papst 1 5 7 2 - 1 5 8 5 , "1502, tl585),94,114
Fabricius (Jesuitenpater), 107 Feliks (Dominikanermönch), 93 Ferreri, Zaccaria (päpsdicher Nuntius, "1479, t l 5 2 6 ) , 86 Freese, Aleksandr Alekseevic (Generalgouver-
Gregor XV. (Papst 1 6 2 1 - 1 6 2 3 , "1554, t l 6 2 3 ) , 118 Griskevicius, Petras (Generalsekretär der K P L 1 9 7 4 - 1 9 8 7 , "1924, +1987), 2 2 2 Gruber (kath. Pater in St. Petersburg), 117
neur V. Vilnius 1 9 0 4 - 1 9 0 5 , " 1840, t ?),
Grunau, Simon (Chronist), 17
257
Guriel, Ivan Stepanovic (Militärgouverneur v. Vilnius 1 8 1 1 - 1 8 1 2 , " ? , t ? ) . 2 5 6
Gagliardi, Achille (Jesuitenpater, * 1537, t i 607), 9 4 Garton Ash, Timothy (Historiker), 2 3 6 Gaudanus, Nicolaus (Jesuitenmönch), 112 Gediminas (Gedimin, Großfürst v. Litauen 1 3 1 6 - 1 3 4 1 ), 15 f., 21 - 2 4 , 2 8 , 3 3 , 3 6 , 3 8 , 45,49,61,84,170,191,202,243,250 Gens, Jakob ( C h e f des Ghettos in Vilnius, "1905, t l 9 4 3 ) , 211 Gianoti Zanobis, Bernardino de (Architekt, *?, t l 5 4 1 ) , 7 4
Haakon (dänischer Wikinger), 19 Heidenreich von Kulm ( B i s c h o f 1 2 4 5 - 1 2 6 2 ) , 14 Heinrich der Lette (mittelalterlicher Chronist), 17 Heinrich (Franziskaner), 2 2 Hennekin (Hanul, großfürstlicher Sekretär),
22 Heppe, T h e o d o r von ( C h e f der Militärverwaltung Litauen 1 9 1 8 - ? , * 1 8 7 0 , 1 1 9 5 4 ) , 162 f.
276
Register
Heydrich, Reinhard (Chef des Reichssicherheitshauptamtes, *1904, t l 9 4 2 ) , 200 Hindenburg, Paul von (Oberbefehlshaber Ost, Reichspräsident, * 1847,11934), 160, 165 Hingst, Hans Christian (Stadtkommissar v. Vilnius 1941, • 1 8 9 5 ) t l 9 5 4 ) , 199,202, 204,248 Hitler, Adolf, 189,195,204 f., 248 Hlebavicius (poln. Hlebowicz, lit. Hochadelsfamilie), 36 Hlebavicius,Jonas (poln.Jan Hlebowicz, Wojewode v. Vilnius, Großkanzler v. Litauen, 1542-1549, * 1480,11549), 253 Horaz (Dichter, *65 v. Chr., 18 v. Chr.), 113 Hosius, Ulrich (Bürgermeister v. Vilnius), 128 Hryniewiecki, Karol (Bischof v. Vilnius 1 8 8 3 - 1 8 8 9 , ' 1841,11929), 255 Ignatius (Patriarch von Moskau 1605-1606), 106 Ignatius von Loyala (Gründer des Jesuitenordens, '1491,11556) Innozenz IV. (Papst 1243-1254), 14,243 Isidor (Metropolit v. Kiev und Moskau 1436-1441), 46 Ivan III. (Moskauer Großforst 1462-1505), 26,30 Ivan IV. (Moskauer Großfürst, 1549-1584), 31 Jadwiga (ung. Hedvig, Tochter Ludwiks I., Gemahlin Jogailas, '1373,11399), 24 f., 28, 29,243 Jäger, Karl (SS-Standartenführer, Chef des Einsatzkommandos 3 der Sicherheitspolizei in Kaunas, '1888,11959), 2 0 7 - 2 1 0 Jaibrzykowski, Romuald (Erzbischof v. Vilnius 1926-1955 [seit 1945 in Biatystok, '1876,11955), 255 Jaroslavna, Marija (Gemahlin Großfürst Algirdas', 11346), 47 Jaunutis (Großfürst v. Litauen 1341-1345), 250 Jeremiah II. (Patriarch v. Konstantinopel 1572-1594,'ca. 1530,11595), 103 Jogaila (poln. Jagiello, Großfürst v. Litauen 1377-1401, als poln. König: Wladyslaw II. Jagiello 1386-1434,' 1348,11434), 23, 24-29,33,39,41,43,44,46,50,243,244, 250,251
Johan (= Königjohan III. v. Schweden, •1537,11592), 75 Johann Friedrich von Sachsen (Herzog, •1503,11554), 87 Johann von Böhmen (König,' 1316,11378, 1346-1378 als Karl IV. röm.-dt. Kaiser), 14 Johannes (Heiliger, Moskauer Gesandter, 11347), 47 f. Johannes XIII. (Patriarch v. Konstantinopel 1316-1320), 45 Johannes XXII. (Papst 1316-1334, * 1245, 11334), 21 Jonas (Metropolit v. Kiev 1448-1461), 46 Jonas (poln.Jan z Ksi^z^t Litewskich Johannes der Litauer, auch: Jan Ochstat, Jan de Thelnicz, Bischof v. Vilnius 1519-1536, '1499, t l 5 3 8 ) , 9 3 , 1 1 0 , 2 5 4 Julius III. (Papst 1550-1555,'1487,11555), 87,94 Kachanov, Ivan Semenovic (Generalgouverneur v. Vilnius 1 8 8 4 - 1 8 9 3 , ' 1825, 11909), 257 Kalinauskas, Kostas (poln. Konstanty Kalinowski, '1838,11864), 147,148 Kantakuzenus, Immanuel (Mitglied des byzant. Kaiserhauses), 106 Karcan.Jan (Drucker, '1574,11620), 122, 123 Karl V. (röm.-dt. Kaiser 1520-1558), 87 Karl X. Gustav (König v. Schweden), 92 Karpowicz, Leontius (Abt, * 1580,11620), 109 Kasimir der Heilige s. Kazimiras Jagiellonus KatarinaJagellonica (Gemahlin Johan III., •1526,11583),75 Katharina II. (Kaiserin von Russland), 73, 157 Katkevicius (Adelsfamilie), 82 Katkevicius, Grigorijus (poln. Grzegorz Chodkiewicz, Großhetman v. Litauen und Kastellan v. Vilnius 1566-1572, *?, 11572), 84 Kauffmann, Konstantin (Petrovic) von Generalgouverneur v. Vilnius 1865-1866, •1818,11882), 257 Kazimiras Jagiellonus »der Heilige« (poln. Kazimierz, Großfürst v. Litauen 14401492, als Kazimierz IV. Jagiellonczyk Königv. Polen 1447-1492, '1427, t l 4 9 2 ) , 27 f., 30,45,63,80,81,100,110,245,251
Register
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Kazimierz III. (poln. König 1333-1370, •1310,1370), 2 8 , 6 0 Kazimiras, Jonas (poln. Jan Kazimierz, König V. Polen-Litauen 1648-1668,*1609, 11672), 252 Kfsgaila (lit. Adelsfamilie), 3 6 , 3 7 K^sgaila, Jonas (K^sgailaitis, lac. Johannes Kyensgalowicz, Ältester von Zemaitija 1451-1485, Kastellan von Trakai und Vilnius, * ? , 1-1485), 37 K^sgaila Valimantaitis, Mykolas (Kastellan v. Vilnius 1443-1448,Ältesterv. Zemaitija 1 4 1 2 - 1 4 3 2 , 1 4 4 0 - 1 4 4 1 , 1 4 4 3 - 1 4 5 0 , * ?, tl451/52?), 37,252 Kfsgaila, Mykolas (Kanzler v. Litauen 1 4 4 6 1476, Regent v. Smolensk 1458-1476, Wojewode/Palatin v. Vilnius ?—1476?, *1405,tl476), 37,252 K^sgaila, Stanislovas (poln. Stanislaw Janowicz Kiezgajlo, Ältester v. Zemaitija 1486-1522,Kastellan v. Trakai 1 4 9 9 1522 und Vilnius 1522-1526, Großhetman v. Litauen 1501-1502, * ?, 11526), 37 f. K^stutis (poln. Kiejstut, dt. Kynstute, Großfürst V. Litauen 1381-1382, *1297, 1-1382), 2 3 , 2 4 , 2 5 0 Kiprian (Kirchenlegat v. Byzanz, Metropolit v. Kiev, der Rus und Litauen, *ca. 1336, 11406), 45 Kiszka,Jan (poln. Magnat, Arianer, "ca. 1552, 1-1592), 122 Klangiewicz, Andrzej Benedykt (Bischof v. Vilnius 1840-1841,*?, 11841), 255 Klimas, Petras (Mitglied der Taryba, lit. Diplomat, *1891,11969), 159 Knackfus, Marcin (Architekt, *vor 1742, tnach 1821), 101,116 Knox, John (Theologe, *ca. 1514,11572), 91 Kokkinos, Philotheus I. (Patriarch v. Konstantinopel 1 3 5 3 - 1 3 5 4 , 1 3 5 4 , 1 3 6 4 1376), 45 Konarski, Stanislaw (Piaristischer Pädagoge, *1700, t l 7 7 7 ) , 118 f. Konrad von Wallenrode (Deutschordensritter, *1330er, 11393), 33,243 Kosakovskis, Jonas Nepomukas (poln. Jan Nepomucen Kossakowski, Bischof v. Vilnius 1798-1808, *1775,1-1808), 116,255 Kosciuszko, Tadeusz (poln. Freiheitskämpfer, •1746,11817),69,73
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Register
Kotovicius, Aleksandras (poln. Aleksander Kotowicz, Bischofv. Vilnus 1685-1686, •1622,11686),255 Kovaljov, Sergej (sowjetischer Dissident, •1930), 233 Kovner, Abba (jüdischer Widerstandskämpfer, '1918, t l 9 8 5 ) , 2 1 1 , 2 1 9 Krakowczyk, Piotr (lat. Petrus Cracovianus, Bischofv. Vilnius 1415-1422, *?, t?), 254 Krasinski, Adam Stanislaw (Bischof v. Vilnius 1858-1883, *1810,1-1891), 255 Krsivickij, Konstantin Faddeevic (Generalgouverneurv. Vilnius 1905-1909, '1840, 1-1910), 257 Kudirka, Vincas (Vertreter der lit. Nationalbewegung, '1858,1-1899), 140 Kulvietis, Abraomas (lat. Abraham Culvensis, Reformator, ca. '1509,11545), 37,86 f., 89,111 f., 120,121,244 Kuncewicz.Josafat » d e r Heilige« (ruth.. Josofat Kuncevic, ukr. Josafat Kuncevyc, Metropolit, Bischof v. Vitebsk, Erzbischof v.Polock 1 6 1 7 / 1 8 - 1 6 2 3 / 1 5 8 0 / 8 4 , -11623), 105,106 f. Kustynia, Piotr Krakowczyk von (Bischofv. Vilnius 1 4 1 4 - 1 4 2 1 ) , 4 4 , 2 5 4 Kutuzov, Michail (russ. Feldherr, Generalgouverneur 1 7 9 9 - 1 8 0 1 , 1 8 0 9 - 1 8 1 1 , •1745,1-1813), 1 4 2 , 1 4 4 , 2 5 6 Lacy, Moritz (Boris Petrovic) (Militärgouverneur v. Vilnius 1798-1799, '1737, tl820),S.256 Lamazurier (franz. Militärarzt), 142 Landolt, Johannes, 142 Landsbergis, Vytautas (lit. Politiker, Parlamentspräsident 1990, *1932), 223,225, 233 Landsbergis-Zemkalnis, Vytautas (Architekt, •1893,1T993), 224 Lannoy, Ghillebert de (Litauenreisender, •1386,1-1462), 6 6 , 2 4 4 Ledesma, Diego (Jacobus, Jesuitenmönch, •1519,1-1575), 9 6 , 1 2 3 Le Jay, Claudius (Jajus,Jesuitenmönch, •1500/1504,11552), 112 Lenin, Vladimir I'lic, 1 7 0 , 2 2 9 , 2 3 0 Lenkeviciute, Jolita (Soziologin), 180,240 L e o X . (Papst 1 5 1 3 - 1 5 2 1 ) , 4 3 Leopold I. (röm.-dt. Kaiser 1658-1705), 83
Lippomano, Luigi (päpstl. Nuntius 15551557, Bischof v. Verona, * 1500,11559), 88,112 Lituanus, Michaion (lit. Mykolas Lietuvis, *um 1490,11560), 115 Lizdeika (Hohepriester), 15,16,38 Locke, John (Philosoph, *1632, t l 7 0 4 ) , 119 Lohse, Hinrich (Reichskommissar Ostland, * 1896,11964), 198,199 Longinus, Johannes, s. Dhigosz,Jan Losowicz.Jan I. (Bischof v. Vilnius 14681481), 44,254 Ludendorff, Erich (dt. Genera], "1865, t l 9 3 7 ) , 160,165 LudwigIV. »der Bayer« (röm,-dt. König 1314/22-1328, Kaiser 1328-1347), 21 Ludwik I. (poln. König 1370-1382), 24 Lukiskes, Luka, 170 Lukosiüte, B„ 237 Jurlov, Ivan Timofeevic Plesceev, 39 Luther, Martin (Reformator, '1483, t l 5 4 6 ) , 86 f. Mackevicius, Antanas (" 1828,11863), 147 Mackionis, Rapolas, 197 Mackonyte, Birute, 191 Malaspina, Germanico (päpsd. Nuntius 15921598, * 1550,11603), 104 Mamonicz, Lew und Lukasz, 123 Manvydas (poln. Monwid, lit. Hochadelsfamilie), 36,38 Manvydas (Stammvater, ältester Sohn Gediminas', *ca. 1288,11348), 38 Manvydas, Albertas Vaitiekus (poln. Albrecht Monwid, Wojewode v. Vilnius 14131443,'ca. 1370, t l 4 4 3 ) , 38,252 Manvydas, Jonas (poln. Jan Monwid, Wojewode v. Vilnius 1458-?, 'ca.1395, tl458),38,252 Manvydaite, Sofija Ona, 38 Martin (Franziskanermönch, 11340) Martin V. (Papst 1417-1431), 44 Masalskis (lit. Adelsfamilie), 82 Masalskis, Ignotas Jokübas (poln. Ignacy Massalski, Kanzleisekretär 1748-1794, Bischof v. Vilnius 1762-1794, *1729, 1*1794), 101 f., 116,120,130,135,255 Masalskis, Myolasjuzefas (poln. Micha! Jözef Massalski, Kastellan v. Vilnius 17441768, "ca. 1700,11768), 85 Matulaitis,Jurgis (poln.Jerzy Matulewicz,
Bischof v. Vilnius 1918-1925, * 1871, t l 9 2 7 ) , 185,255 Mazvydas, Martynas (* 1510,11563), 90,120 Melanchthon, Philipp ('1497, tl560), 87, 120 Merkys, Antanas (Ministerpräsident, "1887, 1-1955), 194 f. Mickevicius, Adomas (poln. Adam Mickiewiez, Dichter und Nationalschriftsteller, "1798,1-1855), 139 f. Mickevicius-Kapsukas, Vincas (Vorsitzender der KPL, Regierungschef 1919," 1880, 1-1935), 183 Mikalojus (poln. Mikolaj Gorzkowski, Bischofv. Vilnius 1408-1414,"?, tl414), 254 Mikalojus (poln. Mikolaj z Solecznik, Bischof v. Vilnius 1453-1467,"?, t ?), 49,254 Milosz, Ceslaw (poln. Schriftsteller, "1911, 1-2004), 184,215 Mindaugas (lit. Fürst, Königv. Litauen 12531263,'>-1263), 13,14,15,17,21,32,243, 250 Mirkovic, Fedorjakovlevic (Militärgouverneur v. Vilnius 1840-1850, "1789, 11866), 256 Mogila, Piotr (Metropolit v. Kiev 16331647), 109 Molotov, Vjaceslav Michajlovic (sowj. Außenminister, "1890, t l 9 8 6 ) , 190,195,229 Münster, Sebastian (Kosmograph, Kartograph, Humanist, "1488,11552), 66 Murat,Joachim (napoleonischer General, "1767,1-1815), 143 Muravev, Michail (Militärgouverneur u. Generalgouverneur v. Vilnius 1863/64, 1864/65, "1796, t l 8 6 6 ) , 148,157,257 Murmelius, Stanislaw (Drucker), 122 Napoleon, 6 9 , 1 0 1 , 1 3 5 , 1 4 0 - 1 4 4 , 1 7 5 , 2 0 3 Narbutas, Teodoras (dt. Teodor Narbutt, Historiker, "1784,1-1864), 150 Nazimov, Vladimir Ivanovic (Militärgouverneur v. Vilnius 1855-1863, "1802, 11874), 256 Netimer (russl. König) 13 Nikitin, Aleksandr Pavlovic (Generalgouverneur v. Vilnius 1882-1884," 1824, 1-1891), 257 Nikolaus I. (Kaiser von Russland 1825-1855), 177
Register
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Ochino, Bernardino (*1487, tl564), 87 Ochmariski,Jerzy (Historiker), 179 Oginskis (poln. Ogiriski, lic. Adelsfamilie), 82.84 Ogiriska, Elzbieta, 113 Oginskis, Mykolas Kazimiras (poln. Micha! Kazimierz Ogiriski, Großhetman v. Litauen 1768-1800, *1730,11800), 76, 84.85 Oginskiene.Jadvyga (Fürstin), 128 Olbracht, Jan (lit. Jonas Albrechtas, König v. Polen 1492-1501, *1459, +1501), 29,30, 251 Ona (Anna, zweite Gemahlin Vyautas', 11418), 42,43 Orzevskij, Petr Vasil' evic (Generalgouverneur v. Vilnius 1893-1897, *1839, + 1897), 257 Ostrozski (poln. Ostrogski, ruth. Adelsfamilie), 3 9 , 4 4 , 4 6 , 1 0 2 Ostrogiskis, Konstantinas Vasilijus (poln. Konstanty Wasyl Ostrogski, Fürst, * 1526, 1-1608), 102,104,107 Ostrozskis, Konstantin Konstantinovic (poln. Konstanty Ostrogski, Wojewode v. Vilnius, Großhetman v. Polen-Litauen, * 1460,11530), 3 7 , 3 9 , 4 6 , 4 7 , 4 9 Oswald von Wolkenstein (Dichter, * 1377, 11445), 14 Ovid (Dichter, '43 v. Chr., +17 n. Chr.), 113 Pacas (poln. Pac, lit. Hochadelsfamilie), 36, 39,82,84,127 Pacas, Kristupas Zygimantas (poln. Krzysztof Zygmunt Pac, Kanzler v. Litauen 16581684, '1621, + 1684), 84 Pacas, Mikalojus Steponas (poln. Mikolaj Stefan Pac, Bischof v. Vilnius 1672-1684, *ca. 1623, +1684), 255 Pacas, Mykolas Kazimiras (poln. Michal Kazimierz Pac, Großhetman v. Litauen und Wojewode v. Vilnius 1669-?, *1624, 11682), 7 6 , 8 4 , 9 8 , 2 5 3 Pacas, Steponas (poln. Stefan Pac, lit. Vizekanzler, -1587, tl640), 98,99 Paleologus (byz. Kaiserfamilie), 106 Palloni, Michelangelo ('1637, +1712), 83,85, 130
Papowicz (Vilniusser Kaufmann), 107 Paul 1. (Kaiser von Russland), 73 Paul IV. (Papst 1555-1559), 87 Perti, Giovanni Pietro (*1648, +1714), 83, 85, 130 Peter I. » d e r Große« (Kaiser von Russland), 85,230 Petervon Dusburg (Chronist), 17 Petkevicius, Merkeiis (Theologe, "1550, +1608), 91 Petrauskas, Mikas (* 1873, + 1937), 174 Petrus (Metropolit v. Kiev und der ganzen Rus ?-1326), 45 Pieglowski, Mikolaj (poln. Adliger), 76 Pilsudski,J6zef (poln. Staatspräsident, *1867, +1935), 168,179 Pinches von Polock (Schriftsteller), 136 Pius V. (Papst 1566-1572), 87 Pius IX. (Papst 1846-1878), 107 Plagge, Karl (Major, *1897, +1957), 214 Plechavicius, Povilas (General, *1890, + 1973),
202
Plichta,Jakub (Bischof v. Vilnius 1399-1407, *?,+ 1407),43,254 Poczobutt-Odlanicki, Marcin (Rektor der Vilniusser Universität 1780-1799, *1728, +1810), 116 Pontassieve, Bartolomeo Bereccis da ("1480, +1537), 74 Possevino, Antonio (päpstl. Legat, *1534, +1611),96 Potapov, Aleksandr Lvovic (Generalgouverneur v. Vilnius 1868-1874, *1818, +1886), 257 Potij, Ipatij (poln. Hipaczyus Pociej, Bischofv. Volodymyr 1599-1613, "1541,+1613), 104 f.
Pancerzyriski, Karol Piotr (Bischof v. Vilnius
Potockis (Adelsfamilie), 85 Pozela, Karolis ('1896, + 1926), 230 Protasevicius, Valerijonas (poln. Walerian Protasewicz Szuszkowski, Bischof v. Vilnius 1556-1579,'ca. 1505,+1579), 93 f., 112,113,114,254 Puccitelli, Virgilio (Impresario, * 1599, +1654), 75 Pukuveras (Großfürst v. Litauen ca. 12851295), 250 Puzyna (Rurikiden, Fürstenfamilie), 85
1724-1729,*?,+1729), 255 Panonietis, Vadusas (Waffenbruder Großfürst Stefan Bathorys), 77
Rabe von Wildstein, Engelhard (Großmarschall d. Deutschen Ordens), 33,243
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Radvila (poln. Radziwill, litauische Hochadelsfamilie), 3 5 , 3 6 , 3 8 , 8 1 , 8 2 , 8 3 , 8 8 , 92,93,127,129 Radvilaite, Barbora (poln. Barbara Radziwill, •1520,1-1551), 3 1 , 4 3 , 7 4 Radvila, Jonusas (poln. Janusz Radziwill, Hofkämmerer v. Litauen 1 6 3 3 - 1 6 5 5 , Feldhetman v. Litauen und Starost v. Samogitien 1 6 4 6 - 1 6 5 5 und Wojewodev. Vilnius 1 6 5 3 - 1 6 5 5 , * l 6 l 2 , t l 6 5 5 ) , 82, 253 Radvila, Jurgis (poln. Jerzy Radziwill, Mundschenk 1 5 1 0 - 1 5 4 1 , Feldhetman v.
Litauen, * 1512,11584), 9 2 , 1 1 4 , 1 2 1 , 2 5 3 Radvila, Mikolajus Kristupas » d a s Waisenk i n d « (poln. Mikolaj Krzysztof » S i e r o t k a « Radziwill, Marschall v. Litauen, Wojewode v. Vilnius 1 6 0 4 - ?, * 1549, 11616), 9 8 , 1 1 3 , 1 2 3 , 2 5 3 Radvila, Mykolas Kazimiras (poln. Micha! Kazimierz Radziwill, Wojewode v. Vilnius 1 6 6 7 - 1 6 6 9 , * 1 6 2 5 , 1 1 6 8 0 ) , 253 Radvila Mykolas Jeronimas (poln. Micha! Hieronim Radziwill, Wojewode v. Vilnius 1 7 5 5 - ? , * 1 7 4 4 , 1 1 8 3 1 ) , 254 Radvila, Mykolas Kazimiras (poln. Micha!
Litauen 1521 - 1 5 4 1 , Kastellan v. Vilnius
Kazimierz » R y b e r i k o « Radziwill, Woje-
1 5 2 7 - 1 5 4 1 , Hofmarschall 1 5 2 8 - 1 5 4 1 ,
wode v. Vilnius 1 7 4 4 - ?, * 1 7 0 2 , 1 1 7 6 2 ) ,
Großhetman v. Litauen 1 5 3 1 - 1 5 4 1 , Starost V. Vilnius 1531 - 1 5 4 1 , ' 1 4 8 0 , f 1541), 8 2 Radvila, Jurgis (poln. Jerzy Radziwill, Bischof und Kardinal v. Vilnius 1 5 7 9 - 1 5 9 1 , 1 5 8 3 - 1 6 0 0 , Stellvertreter des Großfürsten in Livland 1 5 8 3 - 1 5 8 6 , Erzbischofv. Krakau 1591 - 1 6 0 0 , * 1556,11600), 93 f., 95,96,254 Radvila, Karolis Stanislovas (poln. Karol Stanislaw » P a n i e K o c h a n k u « Radziwill, Wojewodev. Vilnius 1 7 6 2 - 1 7 6 4 , 1 7 6 8 - 1 7 9 0 , ' 1 7 3 4 , 1 1 7 9 0 ) , 254 Radvila, Kristupas (poln. Krzysztof Radziwill, Fürst, Wojewode v. Vilnius 1633-?* 1585,11640), 82,253 Radvila, Kristupas » d e r D o n n e r e r « (poln. KrzysztofMikolaj » P i e r o t a « , Wojewode v. Vilnius 1 5 8 4 - ? , ' 1 5 4 7 , 1 1 6 0 3 ) , 9 2 , 2 5 3 Radvila, Mikalojus (poln. Mikolaj Radziwill, Wojewode v. Vilnius 1 5 0 7 - 1 5 2 1 und Großkanzler v. Litauen 1 5 1 0 - 1 5 2 1 , •1470,11521), 252 Radvila, Mikalojus Senasis (poln. Mikolaj Radziwill, » d e r A l t e « , Wojewode v. Vilnius 1 4 8 0 - 1 5 0 7 und Großkanzler v. Litauen 1 5 0 4 - 1 5 0 9 , 'ca. 1 4 5 0 , 1 1 5 0 9 ) , 38, 49,252 Radvila, Mikalojus » d e r S c h w a r z e « (poln. Mikolaj » C z a r n y « Radziwill, Wojewode und Kanzler v. Vilnius 1 5 5 1 - 1 5 6 5 , • 1515,11565), 8 2 , 8 8 - 9 2 , 9 3 , 9 4 , 1 1 2 , 122,245,253 Radvila, Mikalojus VI. » d e r B r a u n e « (poln. Mikolaj Rudy Radziwill, Wojewode v. Vilnius 1 5 7 6 - 1 5 8 4 und Großkanzler v.
254 Radvila, Vaitiekus Albertas (poln. Wojciech (Albert) Radziwill, Bischofv. Vilnius 1 5 0 7 - 1 5 1 9 , 'ca. 1 4 7 6 , 1 1 5 1 9 ) , 254 Rapolionis, Stanislovas (Humanist, "um 1 5 0 0 , 1 1 5 4 5 ) , 120 Rastikis, Stasys (Armeechef, * 1 8 9 6 , 1 1 9 8 5 ) , 192 Reinhardt, Georg-Hans (Generaloberst, •1887,11963), 205 Renteln, Adrian von (Generalkommissar v. L i t a u e n , ' 1 8 9 7 , 1 1 9 4 6 ) , 198 Repnin, Nikolaj V. (Militärgouverneur v. Vilnius 1 7 9 6 - 1 7 9 8 , • 1 7 3 4 , 1 1 8 0 1 ) , 1 1 7 , 2 5 6 Rimskij-Korsakov, Aleksandr Michailovic (Militärgouverneur v. Vilnius 1 8 0 6 - 1 8 0 9 , 1 8 1 2 - 1 8 3 0 , • 1753,11840), 256 R o m a n Mstislavic (Fürst v. Halyc-Volodymyr 1150-1205),60 Ropp, Eduard von der (Bischof v. Vilnius 1903-1917,'1851,11939),255 Rossi, Pietro (Architekt), 8 5 Rousseau, Jean-Jacques (Philosoph, ' 1 7 1 2 , 11778), 8 5 , 1 3 9 Rozenbaumas, Simonas (Simon Rosenbaum, jüdischer Politiker, ' 1 8 5 9 , +1935). 176 Rucki.JozefVenjamin (Metropolit 1 6 1 4 1637,'1574,11637) Ruiz de Moros, Pedro (lat. Petrus Roysius, Rektor der Johannesschule 1 5 6 3 - 1 5 7 1 • 1 5 0 6 , 1 1 5 7 1 ) , 111 Sacco, Giuseppe de (Architekt, "ca 1739, 11798), 85 Sacharov, Andrej ( ' 1 9 2 1 , 1 1 9 8 9 ) , 233
Register
281
Sadukas, A., 237 Salmerón, Alonso (Jesuitenpater, * 1515, 1-1585), 112 Sapiega (poln. Sapieha, ruth. Sapega, lit. Hochadelsfamilie), 3 5 , 4 6 , 7 0 , 8 2 , 8 3 , 127,245 Sapiega, Aleksandras (poln. Aleksander Kazimierz Sapieha, Bischof von Vilnius 1667-1671, -1624,11671), 255 Sapiega, Jonas Kazimieras d. J. (poln. Kazimierz Jan Sapieha, Großhetman v. Litauen 1682-1720,*1637,11720),98 Sapiega, Jonas Povilas (poln. Jan Pawel Sapieha, Großhetman v. Litauen und Wojewode v. Vilnius 1656-1665, *1609, 11665), 70,83,253 Sapiega, Kazimiras (poln. Kazimierz Lew Sapieha, Hofmarschall von Litauen 1637-1656,*1607 oder 1609,11656), 113,114 Sapiega, Jonas Kazimiras (poln. Kazimierz Jan Sapieha, Wojewode v. Vilnius 1705-1706, *1637,11720), 83,98,253 Sapiega, Leonas (poln. Lew Sapieha, H o f und Großkanzler von Litauen, Wojewode v.Vilnius 1621 od. 1623-?, *1557, 11633), 83,94,106,123,253 Sapiega, Mykolas Pranciskus (poln. Micha! Franciszek Sapieha, *1670,11700), 83 Scacchi, Marco (Impresario, *1602,11685), 75 Schiller, Friedrich von (Dichfer),139 Schlossberg, Abraham (Vilniusser Kaufmann), 75 Schmid, Anton (Feldwebel, '1900,11942), 213 Sforza dArragona, Bona (zweite Gemahlin Zygimantas' II., '1494,11557), 31,37,39, 74,87,93,111 Siegerist (Hauptmann), 142 Sierakauskas, Zigmas (poln. Zygmunt Sierakowski, '1826,11863), 147 Sirvydas, Konstantinas (Jesuitenpater, '1569/1578 od. 1581,11631),96,115 Skarga, Piotr (Rektor der Vilniusser Universität I579-?, "1536,11612), 93,103,114 Skorina, Pranciäkus (poln. Franciszek Skoryna, weißruss. Francisk Skaryna, Drucker, *ca. 1485/90, tca. 1540/51), 93, 122,244
282
Register
Slavocinskis, Saliamonas (Publizist, *ca. 1630, tca. 1660), 96 Siuszko, Dominik (Wojewode v. Polackas, *ca. 1655,11713), 85 Smetona, Antanas (lit. Präsident, "1874, 11944), 150,194 Smotrycky, Meletij (Theologe, "1578, 11633), 107 f., 109,124 Snieckus, Antanas (Generalsekretär der K P L 1936-1974, *1903,11974), 217,221 f., 229 Sobieskis, Jonas (poln. Jan III. Sobieski, Königv. Polen-Litauen 1674-1696, '1629, 11696), 252 Spinoza, Baruch de (Philosoph, *1632, 11677), 119 Stahel, Reiner (Generalleutnant, *1892, 11955), 204 Stalin, IosifVissarionovic, 170,190,221 f., 233 Stanevicius, Simonas ("1799,11848), 140 Stanislovas Augustas Poniatovskis (poln. Stanislaw II. August Poniatowski, Königv. Polen-Litauen 1763-1795/1732, 11798), 68,71,72 f., 84,85,101,136,252 Stanislovas Lescinskis I. (poln. Stanislaw I. Leszczyriski, Königv. Polen-Litauen 1706-1709, * 1677,11766), 252 Steponavicius, Julijonas (Erzbischofv. Vilnius 1989-1991,"1911,11991),255 Stroynowski, Hieronim (Bischof v. Vilnius 1814-1815,*?, 11815),255 Stuoka-Gucevicius, Laurynas (poln. WawrzyniecGucewicz,*1753,11798), 101, 130,131 Sudrovius, Stanislaus (Publizist, "ca. 1550, 11600), 91 Svarnas (Großfürstv. Litauen 1267-1269), 255 Svjatopolk-Mirskij, Petr Dmitrevic (Generalgouverneur v. Vilnius 1902-1904, *1857, 11914), 257 Sventaragis (vorzeitlicher Herrscher in Litauen), 17 Svitrigaila (poln. Swidrygietlo, Großfürst v. Litauen 1430-1432,* ca. 1370,11452), 26,27,36,37,42,251 Tabor, Vaitiekus Albertas (poln. Wojciech (Albert) Tabor, Bischof v. Vilnius 14921507,'1453,11507),49,254
Tamerlan (Timur, Mongolenchan), 6 2 Tencalla, Giovanni G i a c o m o (Architekt, •1593,11653),75 Terleckij, Kirill (Metropolit v. Kiev, *?, 11607), 103 T h e o d o r a s (Kirchenvater, *760, t 8 2 6 ) , 106 Theodosius von Kiev (Kirchenvater, *?, t l 0 7 4 ) , 106 T h e o p h a n e s I I I . (Patriarch v. Jerusalem 1 6 0 8 - 1 6 4 4 , *um 1570,11644), 108 Theophil (Metropolit v. Litauen 1 3 1 7 - 1 3 3 0 , '?, tca. 1330), 4 5 Tiskevicius (ruth. Tyskievic, poln. Iys/ki ewicz), 3 6 , 8 2 , 8 4 Tiskevicius, Jurgis (poln. Jerzy Tyszkiewicz, Bischof v. Vilnius 1 6 4 9 - 1 6 5 6 , *?, 11656), 13,255 Tiskevicius, Jonusas Skuminas (poln. Janusz Skumin Tyszkiewicz, Wojewode v. Vilnius 1 6 4 0 - 1 6 4 2 , * 1 5 7 0 , 1 1 6 4 2 ) , 8 4 , 2 5 3 Tochtamys (Führer der Goldenen Horde), 6 2 Todeben, Eduard (Ivanovic) (Generalgouverneur v. Vilnius 1 8 8 0 - 1 8 8 4 , * 1818, 11884), 2 5 7 Traidenis (Großfürst v. Litauen 1 2 6 9 - 1 2 8 2 ) , 250 Treniota (Großfiirstv. Litauen 1 2 6 3 - 1 2 7 0 ) , 250 Trockij, Vitalij Nikolaevic (Generalgouverneur v. Vilnius 1 8 9 7 - 1 9 0 1 , " 1835, t ?). 257 Tyzenhauzas (poln. Tyzenhaus, dt. Tiesenhausen), 7 6 , 8 2 Tyzenhauzas, Antanas (poln. Antoni Tyzenhaus, dt. Anton Tiesenhausen, Schatzmeister v. Litauen 1 7 6 5 - 1 7 8 5 , * 1733, + 1785), 85
Valua, Henrikas (Henry Valois/Henryk III. Walezy, König v. Polen-Litauen 1572-1574, * 1 5 5 1 , t l 5 8 9 ) , 251 Vaiciünas, Petras ( ' 1 8 9 0 , t l 9 5 9 ) , 187 Vaisvilkas (Großfürst v. Litauen 1264-1267), 250 Venclova, Tomas (lit. Dissident und Schriftsteller), 2 2 3 , 2 3 3 , 2 4 2 Vilamovskis.Jan (poln. Jan Wilamowski), 111 Vilentas, Baltramiejus (*ca. 1 5 2 5 , 1 1 5 8 7 ) , 91 Virgil (Dichter, ' 7 0 v. Chr., t l 9 v. Chr.), 113 Visnioveckis (poln. Wisniowiecki, lit. Hochadel), 3 6 , 8 2 Visnioveckis, Mykolas (poln. Michal Serwacy Wisniowiecki, Wojewode v. Vilnius 1706-1707,1735-1744'1680, tl744), 85,253 Visnioveckis, Mykolas Kaributas (poln. Michael Karybut Wisniowiecki, König v. Polen-Litauen 1 6 6 9 - 1 6 7 3 , ' 1640,11673), 251 Vysnioveclcis, Mykolas (poln. Michal Serwacy Wisniowiecki, Kastellan 1 7 0 3 - 1 7 4 4 , Wojewode V.Vilnius 1 7 0 6 - 1 7 0 7 , 1 7 3 5 1744, *1680,1-1744), 8 5 , 2 5 3 Vistinic, J a k o b von, 136 Vitte, Sergej J. (Ministerpräsident von Russland, *1849, t l 9 1 5 ) , 155 Vladislovas Varnietis (poln. Wladyslaw III. Warnenczyk, König v. Polen 1 4 3 4 - 1 4 4 4 , •1424,tl444),251 Vladislovas Vaza (poln. Wladyslaw IV Vaza, Königv. Polen-Litauen 1 6 3 2 - 1 6 4 8 , • 1595,11648), 7 5 , 1 0 9 , 1 3 3 , 2 5 2 Volanus, Andreas (Publizist, poln. Andrzej Wolan, *ca. 1 5 3 0 , 1 1 6 1 0 ) , 91 Vladimir I. (Großfürst v. Kiev), 6 0
Ul'jana (Juliane) Aleksandrovna von Tver' (zweite Gemahlin Großfürst Algirdas von Litauen, 'ca. 1 3 2 5 , 1 1 3 9 2 ) , 2 3 , 2 7 , 4 9 Ulrich (Franziskanermönch, f l 3 4 0 ) , 23 Ulrich,Jan (Architekt), 8 2 Urban VI. (Papst 1 3 7 8 - 1 3 8 9 , 'ca. 1318, 11389), 39 Urban VIII. (Papst 1 6 2 3 - 1 6 4 4 , ' 1 5 6 8 , 1T644), 1 0 7 , 1 0 8 Urblys, Juozas (lit. Außenminister, * 1896, 1-1991), 190
Voltaire (François Marie Arouet, ' 1 6 9 4 , 1-1778), 139 Vrublevskis, Tadas (poln. Tadeusz Wröblewski, ' 1 8 5 8 , 1 1 9 2 5 ) , 181 f. Vytautas der Große (poln. Witold, ruth. Vitovt, Großfürst v. Litauen. 1 3 9 2 / 1 4 0 1 1430, *ca. 1350,1-1430), 2 4 , 2 5 f., 2 9 , 3 4 , 35,36,37,38,40,42,43,46,49,50,55,61, 6 2 f , 6 4 f., 6 6 , 7 6 , 2 4 3 , 2 4 4 , 2 5 0 , 2 5 1 , 2 5 8 f. Vytenis (Großfürst v. Litauen 1 2 9 5 - 1 3 1 6 ) , 250
Register
283
Wasilko, Andrzej (auch: Jastrz^biec oder Polak/ » d e r Pole«, Bischof v. Vilnius 1 3 8 8 - 1 3 9 8 , ' ? , 1-1398), 3 9 , 4 2 , 4 3 , 2 5 4 Weber, Paul (Schriftsteller), 54 Weynart, Karl, 129
Zalys, Alfonsas (Bürgermeister und K P L Chef in Klaipeda, *1925,12005), 235 Zamojski,Jan (Krongroßkanzler 1581-1605, »1542,11605), 104 Zawisza, Jerzy Karol (Jurgis Karolis, Bischof
Wichmann (Erzbischofv. Magdeburg), 51 Wiegand von Marburg, 17 Wiesiolowski, Krzysztof (Scarost v. Vilnius,
v. Vilnius 1656-1661, *?, 11661), 255 Zebrowski, Tomasz (jesuitischer Architekt
*?, 11637), 85 Wilhelm II. (dt. Kaiser), 170 Wilhelm von Holland (röm.-dt. König 1254-1256, *1227,11256), 14 Wilhelm von Österreich, 29 Wilnianin, Maciej (auch: Matthias Trakai, Bischof v. Vilnius 1422-1453, '1370, 11453), 4 4 , 2 5 4 Wilson, Woodrov Wilson (Präsident der USA),142 Wittenberg, Jitzhak (jüdischer Widerstandskämpfer, *1907,11943), 211 Wittgenstein, Ludwig (Fürst), 101 Wöjek, Jacobus (Rektor des Jesuitenkollegiums, ' 1 5 4 0 / 4 1 , 1 1 5 9 7 ) , 9 6 , 1 2 3 Wojewodka, Bernard (Drucker), 122 Wollowicz, Eustachy (Bischof v. Vilnius 1616-1630, *1572,11630), 9 5 , 9 8 , 1 0 8 , 114,255 Woyna, Abraham (Wojna, Bischof v. Vilnius 1631-1649, * 1 5 6 9 , 2 5 5 Woyna, Benedykt (Wojna, Bischof von Vilnius 1600-1615,*?, 11615), 100,130, 254 Zablockis.Jurgis (Humanist, *ca. 1510, 11563), 120 Zacijus, Simonas (luth. Bischof v. Vilnius, *ca. 1507,11591), 91
284
Register
und Astronom, "1714,11758), 116 Zeligovski, Lucian (poln. General, *1865, 11947), 1 7 8 , 1 7 9 , 1 8 6 , 1 8 7 Zienkowicz, Mikoiaj (Bischof v. Vilnius 1730-1762, *1670,11762), 118,255 Zingeris, Emanuelis (lit. Politiker und Vertreter der jüdischen Minderheit, *1957), 235 Zwierowicz, Stefan Aleksander (Bischof v. Vilnius 1897-1902, *1842,11908), 255 Zygimantas K^stutaitis (poln. Zygmunt Kiejstutowicz, lit. Großfürst 1432-1440, 'nach 1350,11440), 27,251 Zygimantas I. Senasis (poln. Zygmunt I. Stary, Sigismund » d e r A l t e « , Königv. Polen und Großfürst v. Litauen 1506-1548, * 1467,11548), 7 0 , 7 4 , 7 6 , 86,87,93,117,121,126,251 Zygimantas II. Augustus (poln. Zygmunt II August, König v. Polen und Großfürst v. Litauen 1 5 4 4 - 1 5 7 2 , ' 1520,11572), 37, 7 0 , 7 4 , 7 5 , 7 6 , 8 1 , 8 7 , 8 8 , 1 1 1 f., 113,133, 251 Zygimantas III. Vaza (poln. Zygmunt III. Waza, Königv. Polen-Litauen 1 5 8 7 1632, '1566,11632), 7 5 , 7 6 , 8 3 , 1 0 4 , 1 0 8 , 109,114,130,133,135,251 Zyliriski, Waclaw (Bischof v. Vilnius 1848-1856, '?,t?), 255
t Harald
Roth
Hermannstadt Kleine Geschichte Stadt in
einer
Siebenbürgen
2007. 2. Aufl. VI, 2 3 3 Seiten. Mit 12 s / w - A b b . im Text u n d 2 0 s / w - A b b . auf 16 Tafeln. Franz. B r o s c h u r . ISBN 978-3-41 2-051 06-8
Hermannstadt - rumänisch Sibiu, ungarisch Nagyszeben wurde im 12. Jahrhundert zum Hauptort der deutschen und flämischen, später »Sachsen« genannten Siedler in Siebenbürgen. Im Mittelalter stieg es zur blühenden Handelsmetropole mit einem vielfaltig entwickelten Gewerbe und einer Münzkammer auf, war das politische Zentrum der »Sächsischen Nation« und eine militärisch uneinnehmbare Festung. Als Siebenbürgen im 18. Jahrhundert österreichisches Kronland wurde, bestimmten die neuen Herrscher die habsburgtreue Stadt zur Landeshauptstadt. Im 19. Jahrhundert, das einen ungeheuren Modernisierungsschub brachte, wurde Hermannstadt auch zu einem zentralen Ort der Rumänen Siebenbürgens, die hier seit der Mitte des 20. Jahrhunderts die Bevölkerungsmehrheit bilden. Heute liegt Hermannstadt im Zentrum Rumäniens und hat seit der politischen Wende eine verheißungsvolle Entwicklung von einer vergessenen Provinzstadt hin zu einem pulsierenden Kultur- und Wirtschaftsstandort genommen. An die Deutschen erinnern jedoch nicht nur das Stadtbild und die Stadtgeschichte, vielmehr bietet Hermannstadt heute ein Bild europäischer kultureller Pluralität par excellence.
U R S U L A P L A T Z I , D - 5 0 6 6 8 K Ö L N , T E L E F O N ( 0 2 2 1 ) 9 1 3 9 0 - 0 , FAX 9 1 3 9 0 - 1 1
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