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German Pages 294 [295] Year 2023
Beiträge zum Internationalen und Europäischen Strafrecht Studies in International and European Criminal Law and Procedure Band / Volume 53
Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der Europäischen Staatsanwaltschaft
Von
Merve Yolaçan
Duncker & Humblot · Berlin
MERVE YOLAÇAN
Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der Europäischen Staatsanwaltschaft
Beiträge zum Internationalen und Europäischen Strafrecht Studies in International and European Criminal Law and Procedure Herausgegeben von / Edited by Prof. Dr. Dr. h.c. Kai Ambos, Richter am Kosovo Sondertribunal Berater (amicus curiae) Sondergerichtsbarkeit für den Frieden, Bogotá, Kolumbien
Band / Volume 53
Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der Europäischen Staatsanwaltschaft
Von
Merve Yolaçan
Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat diese Arbeit im Jahre 2022 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten
© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI Books GmbH, Leck Printed in Germany
ISSN 1867-5271 ISBN 978-3-428-18910-6 (Print) ISBN 978-3-428-58910-4 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Cimi
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Oktober 2022 fertiggestellt und im Wintersemester 2022/2023 von der Juristischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg als Dissertation angenommen. Gesetzgebung, Literatur und Rechtsprechung sind im Wesentlichen auf dem Stand Oktober 2022. Mein besonders tiefer Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Dr. h.c. Walter Perron. An seinem Institut durfte ich als Studentin und später auch während des Rechtsreferendariats meine ersten Erfahrungen im Bereich der Forschung des internationalen Strafrechts sammeln. Ohne seine langjährige und wohlwollende Unterstützung, engmaschige und gleichzeitig freiheitliche Betreuung sowie konstruktiven Anregungen wäre die vorliegende Arbeit nicht realisierbar gewesen. Die Zeit an seinem Lehrstuhl war stimmungsvoll und prägend für meinen akademischen und beruflichen Werdegang. Prof. Dr. Gerson Trüg danke ich für die äußerst zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Ferner möchte ich mich bei meinen ehemaligen Lehrstuhl-Kollegen für die gute Gesellschaft während, aber auch nach unserer gemeinsamen Zeit am Lehrstuhl, bedanken. Hervorgehoben seien hier Dr. Björn Boerger, Oliver Jany, Nico Schmid und Derya Schneider. Darüber hinaus gilt meinen brillanten Freunden besonderer Dank: Dr. Daniel Bunsen, Fraence Grethe, LL.M., Dr. Theresa Kipp, Cornelia Kuhn und Dr. AnneSophie Landwers für ihre sehr umfassenden Korrekturhilfen und ihre moralische Unterstützung. Fabian Brand danke ich für den regen fachlichen Austausch, Yag˘ mur Özkan für ihr offenes Ohr. Anna Kaeß und Hanna Kees danke ich für ihre vielfältige Bestärkung. Meinem Bruder Semih Yolaçan danke ich dafür, dass er durch seine schlechten (bis mittelschlechten) Witze jederzeit die Gelassenheit herstellen konnte, die für die Fertigstellung dieser Arbeit unabdinglich war. Mein innerster Dank gebührt schließlich meinen lieben Eltern, Hacer und Cemal Yolaçan. Ich danke ihnen für ihren zweifelsfreien Glauben an das Gelingen dieser Arbeit, ihre bedingungslose Unterstützung und ihren ganz besonders motivierenden Rückhalt. Meinem Vater, der die Veröffentlichung dieser Arbeit leider nicht miterlebt, danke ich dafür, dass er, ganz selbstverständlich und allen Widrigkeiten zum
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Vorwort
Trotz, Zuversicht in den Gang der Dinge ausgestrahlt und die notwendige Portion Optimismus für dieses Projekt vermittelt hat. Ihm ist diese Arbeit gewidmet. Frankfurt am Main, im April 2023
Merve Yolaçan
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 I. Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 II. Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 III. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 IV. Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 A. Europäische Staatsanwaltschaft als neuer Akteur auf dem Gebiet grenzüberschreitender Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 I. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1. Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union . . . . . . . . . . . . . 25 2. Grenzüberschreitendes Mandat und zukünftige Erweiterungsperspektiven . . . . 27 3. Grenzüberschreitende Ermittlungshandlungen in Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 II. Organisation und Funktionsweise der EUStA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1. Zentrale Ebene in Luxemburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 a) Kollegium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 b) Ständige Kammern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 c) Europäische Generalstaatsanwältin und ihre Stellvertreter . . . . . . . . . . . . . . 37 d) Europäische Staatsanwälte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 e) Verwaltungsdirektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2. Dezentrale Ebene in den Mitgliedstaaten: Delegierte Europäische Staatsanwälte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 a) Zuständigkeit und Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 b) Anweisungsbefugnis gegenüber nationalen Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 c) Zusammenarbeit mit den nationalen Staatsanwaltschaften . . . . . . . . . . . . . . 41 d) Aufsicht über die Delegierten Europäischen Staatsanwälte . . . . . . . . . . . . . . 43 3. Bewertung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 III. Rechtsquellen und anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 1. Vorrang der VO und Grundprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2. Geschäftsordnung, Leitlinien und Durchführungsbestimmungen . . . . . . . . . . . . 46 3. Partnerschaftsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 4. Mitgliedstaatliches nationales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 5. Bewertung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 IV. Informationskanäle und Aktenverwaltung der EUStA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 1. Informationszugang durch Meldung bzw. Unterrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
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Inhaltsverzeichnis 2. Informationen aus nationalen Datenbanken oder Registern . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3. Informationen aus unionalen Datenbanken oder Registern . . . . . . . . . . . . . . . . 52 4. Informationszugang aus anderen Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 5. Fallbearbeitungssystem der EUStA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 a) Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 b) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 aa) Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 bb) Informationen aus den Verfahrensakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 cc) Index der Verfahrensakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 c) Zugriff auf das Fallbearbeitungssystem durch das EUStA-Personal . . . . . . . 59 aa) Interner Zugriff auf Register und Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 bb) Interner Zugriff auf Informationen in gespiegelter Verfahrensakte und Verfahrensakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 cc) Externer Zugriff auf das Fallbearbeitungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 6. Bewertung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der Europäischen Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . 63 I. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA auf dem Gebiet der teilnehmenden Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 1. Auswahl des Delegierten Europäischen Staatsanwalts nach Art. 26 Abs. 4 VO 65 a) Regelfall nach Art. 26 Abs. 4 S. 1 VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 aa) Schwerpunkt der strafbaren Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 bb) Großteil der strafbaren Handlungen bei mehreren miteinander verbundenen Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 b) Abweichung vom Regelfall nach Art. 26 Abs. 4 S. 2 VO . . . . . . . . . . . . . . . 69 aa) Bestehen mehrerer Gerichtsbarkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 bb) Einleitung des Ermittlungsverfahrens durch den Delegierten Europäischen Staatsanwalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 cc) Anweisung der zuständigen Ständigen Kammer zur Einleitung des Ermittlungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 c) Beschluss über Neuzuweisung des Verfahrens an einen Delegierten Europäischen Staatsanwalt in einem anderen Mitgliedstaat nach Art. 26 Abs. 5 lit. a), Art. 36 Abs. 3 VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 aa) Zeitpunkt der Entscheidung über eine Strafverfolgung nach Art. 36 VO 72 bb) Materielle Kriterien für eine Neuzuweisung nach Art. 36 Abs. 3 VO . . 73 cc) Rechtsschutz gegen die Entscheidung der Neuzuweisung . . . . . . . . . . . 74 (1) Neuzuweisung als Verfahrenshandlung der EUStA mit Rechtswirkung gegenüber Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 (2) Prüfungsmaßstab des nationalen Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 d) Bewertung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 aa) Kriterien für die Auswahl des Delegierten Europäischen Staatsanwalts
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Inhaltsverzeichnis
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bb) Neuzuweisung des Verfahrens an einen anderen Delegierten Europäischen Staatsanwalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 2. Ablauf grenzüberschreitender Ermittlungen nach Art. 31 VO . . . . . . . . . . . . . . 81 a) Erforderlichkeit einer Maßnahme in einem anderen Mitgliedstaat als dem des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 b) Zuweisung einer Maßnahme an den unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 aa) Zuweisung einer Maßnahme und richterliche Genehmigung . . . . . . . . . 85 (1) Richterliche Genehmigung nach dem mitgliedstaatlichen Recht des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts . . . . . . . . . 86 (2) Richterliche Genehmigung nach dem mitgliedstaatlichen Recht des betrauten und unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 (3) Richterliche Genehmigung nach dem mitgliedstaatlichen Recht des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts . . . . . . . . . . . . . . 88 bb) Bindungswirkung der Zuweisung und Bedenken des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 c) Durchführung der zugewiesenen Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 d) Rückgriff auf Rechtsinstrumente der gegenseitigen Anerkennung oder der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 e) Festnahme im Ermittlungsverfahren und grenzüberschreitende Übergabe 93 f) Bewertung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 aa) Praktikabilität des Prinzips der Single Judicial Authorisation und Unterminierung von Rechtsschutzmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 bb) Rechtskontrolle im unterstützenden Mitgliedstaat bei richterlichem Genehmigungserfordernis – Vorlageersuchen Oberlandesgericht Wien . . . 96 (1) RL-EEA und gegenseitige Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 (2) Zuweisungssystem und sui generis Charakter der EUStA . . . . . . . . 103 (3) Gleichartigkeiten der Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 (4) Sachprüfung bei Vollstreckung bzw. Zuweisung . . . . . . . . . . . . . . . . 106 cc) Möglichkeiten der Interpretation des Rechtsschutzes gegen zugewiesene Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 (1) Gleichlauf des Rechtsschutzes gegen Maßnahmen unter RL-EEA und zugewiesene Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 (2) Volle inhaltliche Rechtskontrolle vor Gerichten des unterstützenden Mitgliedstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 (3) Europarechtliche Forderung für einen Rechtsschutzmechanismus
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(4) Neue Rahmenbedingungen für den Rechtsschutz grenzüberschreitender Maßnahmen der EUStA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 (5) Ungenutztes Potenzial: Weitergabe der gespiegelten Verfahrensakte aus dem Fallbearbeitungssystem in grenzüberschreitenden Ermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
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Inhaltsverzeichnis II. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA auf dem Gebiet von nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 1. Beziehungsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 2. Kooperation durch Arbeitsvereinbarungen und Kontaktstellen . . . . . . . . . . . . . 126 3. Kooperation durch Art. 105 Abs. 3 VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 4. Informationsaustausch auf Grundlage von Art. 99 Abs. 2 VO . . . . . . . . . . . . . . 131 5. Bewertung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 III. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA auf dem Gebiet von Drittstaaten 135 1. Kooperation durch Arbeitsvereinbarungen und Kontaktstellen . . . . . . . . . . . . . 135 2. Kooperation durch völkerrechtlich bindende Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . 135 3. Kooperation auf Ersuchen eines Drittstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 4. Kooperation durch Informationsaustausch auf Grundlage von Art. 99 Abs. 2 VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 5. Bewertung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 IV. Zusammenarbeit mit Eurojust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 1. Erweiterung der grenzüberschreitenden Handlungsräume der EUStA durch Zusammenarbeit mit Eurojust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2. Territorialer Aktionsradius der EUStA durch Zusammenarbeit mit Eurojust . . 146 3. Zuständigkeitsüberschneidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 4. Befugnisse und Unterstützungsleistungen des Eurojust in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 a) Ersuchen an die zuständigen nationalen Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 b) Erledigung von Rechtshilfeersuchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 c) Koordinierung Gemeinsamer Ermittlungsgruppen (GEG) . . . . . . . . . . . . . . . 154 d) Informationsaustausch und wechselseitiger Zugriff auf Fallbearbeitungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 5. Bewertung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 V. Zusammenarbeit mit OLAF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 1. Erweiterung der grenzüberschreitenden Handlungsräume der EUStA durch Zusammenarbeit mit OLAF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 2. Territorialer Aktionsradius der EUStA durch Zusammenarbeit mit OLAF . . . . 161 3. Zuständigkeitsüberschneidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 a) Schadensgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 b) Vorsatzerfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 c) Zuständigkeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 4. Befugnisse und Unterstützungsleistungen des OLAF in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 a) Ersuchen an das OLAF um unterstützende Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . 165 b) Informationsgewinn durch ergänzende Untersuchungen des OLAF . . . . . . . 168 c) Engmaschiger Informationsaustausch und wechselseitiger Zugriff auf Fallbearbeitungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
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d) Operative Unterstützung durch Einbindung in Maßnahmen oder Bildung Gemeinsamer Ermittlungsgruppen (GEG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 5. Bewertung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 C. Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der Europäischen Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 I. Rechtlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 1. Grundrechtecharta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 2. EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 3. Richtlinien über die Rechte von Verdächtigen und Beschuldigten in Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 4. Nationales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 II. Zentrale Verteidigungsrechte im grenzüberschreitenden Ermittlungsverfahren der EUStA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 1. Informations- bzw. Akteneinsichtsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 a) Informationsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 b) Zugang zu Verfahrensakte der EUStA gem. Art. 45 Abs. 2 UAbs. 2 S. 2 VO 182 aa) Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 bb) Adressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 cc) Gegenstand, Inhalt und Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 dd) Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 ee) Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 ff) Bewertung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 (1) Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 (2) Adressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 (3) Vorschlag: Zugang zur Verfahrensakte über die Zentrale („Verteilerfunktion“ der Zentrale) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 (4) Vorschlag: Antrag zum Zugang zur Verfahrensakte bei der Zentrale 196 (5) Inhalt und Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 (6) Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 c) Auskunftsersuchen nach Art. 59 VO mit Vorschlag: Musterantrag . . . . . . . . 203 d) Zugang zu Informationen der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 e) Zugang zu Informationen bei Drittstaaten und Interpol mit Vorschlag: Musterantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 f) Bewertung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 2. Zugang zu Rechtsbeistand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 a) Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 b) Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 c) Vorübergehende Abweichungsmöglichkeiten bzw. Einschränkungen im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 d) Verzichtsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
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Inhaltsverzeichnis e) Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Verfahren zur Vollstreckung des EuHb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 aa) Zeitpunkt, Umfang, vorübergehende Abweichungen und Verzicht . . . . . 216 bb) Rechtsbeistand im Vollstreckungs- und Ausstellungsmitgliedstaat . . . . . 217 cc) Prozesskostenhilfe bei Benennung eines Rechtsbeistands in Vollstreckungs- und Ausstellungsmitgliedstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 f) Personenkreis des Rechtsbeistands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 g) Bewertung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 aa) Implikationen der Mehrfachverteidigung in Verfahren des EuHb nach Art. 10 RL 2013/48/EU für grenzüberschreitende EUStA-Verfahren . . . 222 (1) Vergleichbares Bedürfnis nach Mehrfachverteidigung in Verfahren von EuHb und grenzüberschreitenden EUStA-Verfahren . . . . . . . . . 226 (2) Fehlende Möglichkeit der Mehrfachverteidigung unter der RL-EEA und Bedeutung für grenzüberschreitende EUStA-Verfahren . . . . . . . 228 (3) Rechtsinstrumente zur Umsetzung einer Regelung zur Mehrfachverteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA . . . 230 bb) Vorschlag Richtlinienbestimmung: Zugang zu Rechtsbeiständen bei grenzüberschreitenden Maßnahmen der EUStA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 cc) Einführung unionaler anwaltlicher Berufsregelungen für die effektive Wahrnehmung von Verteidigungsrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 3. Recht auf Prozesskostenhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 a) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 b) Zeitliche Gewährleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 c) Materielle Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 d) Bewilligungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 e) Qualität der mit Prozesskostenhilfe verbundenen Dienstleistungen und Schulung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 f) Sonderregel: Prozesskostenhilfe in Verfahren zur Vollstreckung eines EuHb 242 aa) Prozesskostenhilfe (nur) im Vollstreckungsmitgliedstaat . . . . . . . . . . . . 243 bb) Prozesskostenhilfe im Vollstreckungsmitgliedstaat und Ausstellungsmitgliedstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 (1) Voraussetzungen bzw. Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 (2) Erforderlichkeitsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 cc) Leistungsumfang der Prozesskostenhilfe im Ausstellungsmitgliedstaat 246 dd) Bewilligungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 ee) Möglichkeit der Bedürftigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 g) Bewertung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 aa) Implikationen der Prozesskostenhilfe in Verfahren des EuHb für grenzüberschreitende EUStA-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 bb) Geltungsgründe für doppelte Prozesskostenhilfe in Verfahren des EuHb und Übertragung auf grenzüberschreitende EUStA-Verfahren . . . . . . . . 254
Inhaltsverzeichnis
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cc) Vorschlag: Betraute und unterstützende Rechtsbeistände in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 (1) Vorschlag: Konzentration der Bewilligungsentscheidung bei der EUStA-Zentrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 (2) Vorschlag: Kriterien zur Bewilligung zum Zugang zu multinationalen, prozesskostenfinanzierten Rechtsbeiständen . . . . . . . . . . . . . . . 263 (3) Erforderlichkeitsvorbehalt und materielle Kriterien . . . . . . . . . . . . . 265 (4) Bedürftigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 (5) Vorschlag: Zeitspanne der Gewährleistung multinationaler, prozesskostenfinanzierter Rechtsbeistände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 (6) Leistungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 4. Zugang zu Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 a) Sprache und Übersetzung nach der VO und Geschäftsordnung der EUStA
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b) Sprache und Übersetzung nach den Leitlinien zu Art. 31 VO . . . . . . . . . . . . 272 c) Übersetzung nach RL 2010/64/EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 d) Bewertung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 I. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 II. Berichte, Pressemitteilungen, Positionspapiere, Stellungnahmen und Studien . . . 288 III. Beschlüsse, Kooperationen und Vereinbarungen der EUStA . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 IV. Vorschläge, Mitteilungen und Vorlagen der Europäischen Kommission und Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
Abkürzungsverzeichnis ABl. Abs. Abschn. AEUV Alt. AO Art. BGBl. BGH BMJV BR Drucks. BRAK BReg bspw. BT Drucks. BVerfG bzw. ca. CB CCBE CCF COM DAV ders. d. h. dies. ECBA EEA EGMR EJN EMRK etc. EU EuG EuGH EuGH-VerfO EuHb EuR Eurojust EUStA
Amtsblatt der Europäischen Union Absatz Abschnitt Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Alternative Abgabenordnung Artikel Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Bundesratsdrucksacke Bundesrechtsanwaltskammer Bundesregierung beispielsweise Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht beziehungsweise circa Compliance Berater Council of Bars and Law Societes of Europe Interpol Commission for the Control of INTERPOL’s Files Dokument der Kommission Deutscher Anwaltverein derselbe das heißt dieselbe(n) European Criminal Bar Association Europäische Ermittlungsanordnung Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Europäisches Justizielles Netz Europäische Menschenrechtskonvention et cetera Europäische Union Europäisches Gericht erster Instanz/Gericht der Europäischen Union Europäischer Gerichtshof Verfahrensordnung des Gerichtshofs Europäischer Haftbefehl Europarecht Agentur der Europäischen Union für justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen Europäische Staatsanwaltschaft
Abkürzungsverzeichnis EUStAG
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Gesetz zur Ausführung der EU-Verordnung zur Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft (Europäische-Staatsanwaltschaft-Gesetz) EUV Vertrag über die Europäische Union f./ff. folgende(n) Fn. Fußnote FS Festschrift GA Goltdammer’s Archiv GEG Gemeinsame Ermittlungsgruppe GRCh Grundrechtecharta grds. grundsätzlich GVG Gerichtsverfassungsgesetz Herv. Hervorhebung/Hervorhebungen HRRS Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht Hrsg. Herausgeber Hs. Halbsatz i. d. R. in der Regel IRG Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen i. S. d. im Sinne des/der i. V. m. in Verbindung mit jM juris: die Monatszeitschrift Jura Juristische Ausbildung Kap. Kapitel KOM Dokument der Kommission Kommission Europäische Kommission Kripo Die Kriminalpolizei KriPoz Kriminalpolitische Zeitschrift krit. kritisch KWG Kreditwesengesetz lit. littera/Buchstabe m. w. N. mit weiterem Nachweis/mit weiteren Nachweisen NJECL New Journal of European Criminal Law NJOZ Neue Juristische Online-Zeitschrift NJW Neue Juristische Wochenschrift Nr. Nummer NZG Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht NZWiSt Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht o. ä. oder ähnliche/ähnliches OLAF Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung OLG Oberlandesgericht PIF Französisches Akronym für: protection des intérêts financiers de l’union européenne RL Richtlinie RL-EEA RL 2014/41/EU Rn. Randnummer RPD Rules on the Processing of Data Rs. Rechtssache s. siehe S. Seite
18 Satzung GH SDÜ SeeFischG SEV s. o. sog. StGB StPO StraFo StV u. a. UAbs. v. Verf. vgl. VO Vorb. wistra z. B. ZEuS ZIS ZPO ZRP ZStV ZStW
Abkürzungsverzeichnis Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union Schengener Durchführungsübereinkommen Seefischereigesetz Sammlung Europäischer Verträge siehe oben sogenannt/sogenannte/sogenanntes Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Strafverteidiger Forum Strafverteidiger und andere/unter anderem Unterabsatz von/vom Verfasserin vergleiche Verordnung (EU) 2017/1939 Vorbemerkung Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht zum Beispiel Zeitschrift für Europarechtliche Studien Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zentrales staatsanwaltliches Verfahrensregister Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft
Einleitung Am 20. November 2017 trat die Verordnung (EU) 2017/19391 zur Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft2 in Kraft, mit der eine neue Zeitrechnung für die grenzüberschreitende, europäische Kriminalitätsbekämpfung begann. Denn mit der Schaffung der EUStA ist die erste genuin unionale Strafverfolgungsbehörde in Aktion getreten.3 Die Errichtung der EUStA kam – da die erforderliche Einstimmigkeit im Rat nicht erreichbar war – im vertraglich zulässigen Wege der Verstärkten Zusammenarbeit4 durch eine Gruppe von 20 EU-Mitgliedstaaten zustande, zwischenzeitlich haben sich zwei weitere Mitgliedstaaten an der Errichtung der EUStA beteiligt.5 Fünf EUMitgliedstaaten haben sich bis heute nicht an der Errichtung der EUStA beteiligt.6 Der Anwendungsbereich der VO beschränkt sich auf die an der Verstärkten Zusammenarbeit teilnehmenden Mitgliedstaaten. Daher hat die Errichtung der EUStA auch die Entstehung von zwei Rechtskreisen im europäischen Rechtsraum mit sich gebracht. Die EUStA ist zuständig für die Verfolgung von Straftaten, die sich gegen die finanziellen Haushaltsinteressen der Union richten.7 Dabei handelt es sich um einen Kriminalitätsbereich, der häufig transnationalen Charakter hat.8 Die Strafverfolgung durch die EUStA vollzieht sich daher in bedeutendem Maße durch grenzüberschreitende Ermittlungen. Grenzüberschreitend sind Ermittlungen, wenn sich ein Sachverhalt auf dem Territorium verschiedener Staaten abspielt oder einen Schadenseintritt in verschiedenen Staaten bewirken kann.
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ABl. 2017/L283/1 v. 31. 10. 2017, nachfolgend: „VO“. Nachfolgend: „EUStA“. 3 Für eine ausführliche Darstellung der Idee und historischen Entwicklung der Europäischen Staatsanwaltschaft s. zusammenfassend Rheinbay, Errichtung einer EUStA, S. 80 – 84. 4 Art. 86 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV. 5 S. Erwägungsgrund (8) VO. 6 An der Errichtung der EUStA nicht teilnehmende Mitgliedstaaten sind: Dänemark, Irland, Ungarn, Polen und Schweden. 7 S. dazu die ausführlichen Darstellungen unter A., S. 21 ff. dieser Arbeit. 8 Hecker, Europäisches Strafrecht, S. 19, Rn. 32; Killmann/Schröder, in: Sieber u. a. (Hrsg.), Europäisches Strafrecht, § 12, Rn. 2. 2
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Einleitung
I. Gegenstand der Untersuchung Die vorliegende Untersuchung analysiert, welche Rechtsinstrumente der EUStA bei der Durchführung von grenzüberschreitenden Ermittlungen zur Verfügung stehen (de lege lata). Sie beschäftigt sich mit der Frage, wie die Verteidigungsrechte des von den grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffenen den Handlungsräumen der EUStA gegenübergestellt werden sollten und unterbreitet entsprechende de lege ferenda-Vorschläge. Hierbei wird der Umstand berücksichtigt, dass sich grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA potenziell auf dem Gebiet von an der EUStA teilnehmenden Mitgliedstaaten, auf dem Gebiet von nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten oder auf dem Gebiet von Drittstaaten abspielen. Schließlich können grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA auch als ein Konglomerat von Ermittlungshandlungen auf all diesen Gebieten erfolgen. Die Funktionsweise der grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA bestimmt sich nach dem jeweiligen rechtlichen Ordnungsrahmen, der ihr im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten, nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten bzw. Drittstaaten zuteilwird. So folgt die grenzüberschreitende Beweissammlung der EUStA auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten den Bestimmungen der VO und einzelstaatlichen Rechtsordnungen, während sie sich auf dem Gebiet von nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten durch Inanspruchnahme von Instrumenten der europäischen Strafrechtskooperation vollzieht. Im Verhältnis zu Drittstaaten eröffnen sich Ermittlungsmöglichkeiten der EUStA durch völkerrechtlich bindende Übereinkommen und Kooperationsabkommen. Diese Vielschichtigkeit der Rechtsinstrumente verleiht dem Ermittlungsverfahren der EUStA einen hohen Komplexitätsgrad. Gleichzeitig vollziehen sich in der Ermittlungsphase des Strafverfahrens entscheidende Weichenstellungen für das Schicksal des Beschuldigten. Denn die im Rahmen der Ermittlungsphase gewonnenen verwertbaren Beweise bilden die Grundlage für die richterliche Überzeugung des Strafurteils. Zwar hat der europäische Gesetzgeber im letzten Jahrzehnt die Stärkung der Verfahrensrechte von Verdächtigen und Beschuldigten durch den Erlass verschiedener Richtlinien in den Blick genommen.9 Eine Anpassung der bestehenden Instrumente aber blieb trotz Errichtung der EUStA aus. Die Notwendigkeit einer grundlegenden Auseinandersetzung mit der Verteidigungsposition von Beschuldigten in grenzüberschreitenden Strafverfahren wurde von der Rechtswissenschaft im Lichte der Institutionalisierung strafrechtlicher Zusammenarbeit bereits vor Errichtung der EUStA und unter Entwicklung ver-
9 Vgl. Entschließung des Rates v. 30. November 2009 über einen Fahrplan zur Stärkung der Verfahrensrechte von Verdächtigen oder Beschuldigten in Strafverfahren (2009/C 295/01), ABl.EU C 295/1 v. 4. 12. 2009.
II. Ziel der Untersuchung
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schiedener Konzeptvorschläge betont.10 Bekannt geworden (indes nicht umgesetzt) sind dabei insbesondere solche wie der Eurodefensor11 oder der Vorschlag für die Errichtung eines unabhängigen Ombudsmannes für das Strafrecht,12 die zur Aufwertung der Verteidigungsposition des Beschuldigten eine gewisse Institutionalisierung der grenzüberschreitenden Strafverteidigung als Gegengewicht zur Institutionalisierung der Strafverfolgung vorsehen.13 Diese Arbeit beleuchtet bestehende, in grenzüberschreitenden Verfahren der EUStA besonders bedeutende Verteidigungsrechte vor dem Hintergrund der grenzüberschreitenden Ermittlungstätigkeit und Handlungsfelder der EUStA. So werden Informations- und Akteneinsichtsrechte, der Zugang zu einem Rechtsbeistand, das Recht auf Prozesskostenhilfe und der Zugang zu Übersetzung analysiert und ihre Gewährleistungen auf Leistungsfähigkeit und Ineffizienzen hin untersucht.
II. Ziel der Untersuchung Ziel dieser Untersuchung ist es, Optionen für die Weiterentwicklung der Beschuldigtenrechte im grenzüberschreitenden Ermittlungsverfahren der EUStA aufzuzeigen. Dafür werden de lege ferenda konkrete Vorschläge für die Aufwertung der Verteidigungsposition des Beschuldigten präsentiert. Diese Vorschläge zielen einerseits auf die Einführung praktischer Vehikel zur Ermöglichung der Wahrnehmung bestehender Verteidigungsrechte des Beschuldigten. Sie halten dafür z. B. Musteranträge für Informationsersuchen bereit und zeigen auf, welche Infrastrukturen und Kommunikationskanäle im grenzüberschreitenden Ermittlungsverfahren der EUStA für den Beschuldigten, aber auch im Interesse der Strafverfolgung und der Justiz, fruchtbar gemacht werden können. Andererseits zielen diese Vorschläge unmittelbar auf eine Stärkung der Rechtsposition des von den grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffenen. Ihre Notwendigkeit folgt der Feststellung eines bestehenden prozessualen Kräfte10 Bspw. Ahlbrecht, StV 2012, 491, 494 ff.: „Plattform“ zur Stärkung der Beschuldigtenrechte; ders./Lagodny, StraFo 2003, 329, 334 f.; Arnold, HRRS 2008, 10, 19 ff.: „Europäischer Strafverteidiger“; Salditt, StV 136, 137: „Doppelte Verteidigung“; Vogel, ZStW 2004, 400, 416: „Europäisches Netzwerk der Strafverteidigung“. 11 Schünemann, ZStW 2004, 376, 388 ff. 12 Dieser Vorschlag geht zurück auf eine Idee des CCBE, s. zuletzt CCBE-Info September 2006/No 16, S. 6. Der CCBE ist die offizielle Vertretung der europäischen Rechtsanwälte, die sich aus Mitgliedern der Kammern und Berufsorganisationen der EU-Mitgliedstaaten und weiteren Staaten zusammensetzt, für eine zusammenfassende Darstellung seiner Tätigkeiten s. Esser, in: Sieber u. a. (Hrsg.), Europäisches Strafrecht, § 57, Rn. 14 ff. 13 Mit dem Eurodefensor wird die Schaffung einer neuen europäischen Institution, die sich zum Teil aus europäischen Verwaltungsbeamten formieren soll, postuliert. Der Vorschlag für die Errichtung eines unabhängigen Ombudsmannes für das Strafrecht sieht eine unabhängige, mit Strafverteidigern besetzte Einrichtung vor, die die Strafverteidigung auch vor den anderen Unionsstellen vertreten soll.
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Einleitung
ungleichgewichts zugunsten der europäischen Strafverfolgung.14 So wird ein Konzeptvorschlag für den Zugang zur Verfahrensakte der EUStA aufgestellt, in dem die EUStA-Zentrale als Adressatin und Herausgeberin von Verfahrensinformationen steht (Verteilerfunktion der EUStA-Zentrale). Zudem wird die Notwendigkeit für die Einführung eines Rechts auf Zugang zu multinationalen, prozesskostenfinanzierten Rechtsbeiständen in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA aufgezeigt und eine entsprechende Richtlinienbestimmung formuliert (betrauter und unterstützender Rechtsbeistand). Weiterhin werden Optionen für die praktische Umsetzung der Prozesskostenhilfe in grenzüberschreitenden Verfahren der EUStA aufgezeigt (Konzentration der Bewilligungsentscheidung bei der EUStA-Zentrale/den Ständigen Kammern) sowie für die Weiterentwicklung des Zugangs zu Übersetzung plädiert (Nutzbarmachung des EUStA Fallbearbeitungssystems).
III. Gang der Untersuchung Im ersten Kapitel (A.) erfolgt eine Darstellung der Zuständigkeit und Funktionsweise der EUStA. Dort wird abgebildet, welche Akteure in die Ermittlungstätigkeit der EUStA eingebunden sind und welchen Normdirektiven die Tätigkeit der EUStA untersteht. Zudem wird aufgezeigt, wie die EUStA die für ihre Aufgabenerfüllung erforderliche Informationsbeschaffung betreibt. Zuletzt wird beleuchtet, wie die EUStA verfahrensrelevante Informationen verwaltet und in ihrem Fallbearbeitungssystem katalogisiert. Erst diese Darstellungen ermöglichen ein Verständnis der allgemeinen Ermittlungstätigkeit der EUStA. Das zweite Kapitel (B.) befasst sich konkret mit der grenzüberschreitenden Ermittlungstätigkeit der EUStA. Die Darstellungen differenzieren zwischen Ermittlungen der EUStA auf dem Gebiet von teilnehmenden Mitgliedstaaten, auf dem Gebiet von nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten sowie dem von Drittstaaten. Dabei wird zunächst dargestellt, wie in grenzüberschreitenden Sachverhalten im Zuständigkeitsbereich der EUStA die Auswahl des ermittlungsführenden, sog. betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts, erfolgt. Im Anwendungsbereich der VO und für die grenzüberschreitende Beweissammlung in den teilnehmenden Mitgliedstaaten hat der Verordnungsgeber ein spezielles Rechtsinstrument (Zuweisungssystem) geschaffen. Durch Zuweisungen von Maßnahmen kann der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt Ermittlungshandlungen in einem anderen 14 Ahlbrecht, StV 2012, 491, 492 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht, § 13, Rn. 1; Bachmaier-Winter, in: Bachmaier-Winter (Hrsg.), EPPO Challenges Ahead, S. 132 ff.; Gleß/ Wahl, in: SLGH, Internationale Rechtshilfe, Hauptteil III; Abschn. D. III D. 5, Einführung, Rn. 37; Schünemann StRR 2011, 130, 135, ders., StV 2016, 178, 182, der die EUStA bildlich als Teil einer „sich zu einem Gebirge auftürmenden transnationalen Strafverfolgung“ sieht, während die Verteidigung „den Anblick einer lächerlichen Maus“ abgibt; Zerbes, ZIS 2015, 145, 153; vgl. zum Ganzen ähnlich bereits Kempf, StV 2003, 128, 129 f. und Satzger, StV 2003, 137, 139 f. in Bezug auf den Vorschlag der Errichtung einer EUStA auf Basis des Grünbuchs COM (2001) 715.
III. Gang der Untersuchung
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Mitgliedstaat durchführen lassen, die ein anderer, der sog. unterstützende Delegierte Europäische Staatsanwalt, durchführt. Für die Herbeiführung der grenzüberschreitenden Beweissammlung in nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten muss die EUStA auf Instrumente der gegenseitigen Anerkennung zurückgreifen. Diese Arbeit untersucht, welche Auswirkungen die Wahl des Rechtsinstruments für die Rechtsschutzmöglichkeiten des von den grenzüberschreitenden Ermittlungen Betroffenen im europäischen Rechtsraum hat und betrachtet die Rechtsinstrumente mit Blick auf ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Zudem erfolgt eine Darstellung der Handlungsmöglichkeiten der EUStA bei der Beweissammlung in Drittstaaten. Die grenzüberschreitende Ermittlungstätigkeit der EUStA wird sich insbesondere in den nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten und Drittstaaten durch die Einbindung etablierter Behörden wie Eurojust und OLAF vollziehen. Deshalb erfolgt ferner eine Darstellung und Bewertung der Kooperation dieser Behörden miteinander. Das Kapitel schließt mit der Erkenntnis, dass der EUStA für die Durchführung grenzüberschreitender Ermittlungen zahlreiche Instrumente und Kooperationspartner zur Verfügung stehen, mit deren Hilfe sie einen großen Informationspool generieren und ihre Ermittlungen effektivieren kann. Im dritten Kapitel (C.) werden einzelne, unionale Verteidigungsrechte dargestellt und vor dem Hintergrund, dass sie mit der Errichtung der EUStA keine Anpassungen erfahren haben, auf die Leistungsfähigkeit ihrer Gewährleistungen hin analysiert. Dabei werden Defizite identifiziert und Vorschläge für Anpassungen der Verteidigungsrechte aufgezeigt. Zunächst erfolgt eine Untersuchung des Rechts auf Akteneinsicht in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA. Dazu werden Informationsquellen der EUStA dargestellt und Zugangswege mit Musteranträgen zu diesen aufgezeigt. Zudem erfolgt hier der Vorschlag, der EUStA-Zentrale eine aktive Rolle im Prozess der Akteneinsicht zu verleihen – sie kann als Adressatin von Akteneinsichtsersuchen fungieren. Digitale Infrastrukturen und die Bereitstellung von Musteranträgen sollen in den Prozess der Akteneinsicht eingebunden werden. Eine effektive Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA ist dem Beschuldigten nur eröffnet, wenn er Zugang zu multinationalen, prozesskostenfinanzierten Rechtsbeiständen hat. Spiegelbildlich zum betrauten und unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt wird auf Seiten der Verteidigung der Anspruch auf Hinzuziehung eines betrauten und eines unterstützenden Rechtsbeistands bzw. mehrerer unterstützender Rechtsbeistände begründet und eine entsprechende Richtlinienbestimmung formuliert. Das Recht auf Prozesskostenhilfe soll die Hinzuziehung eines betrauten und eines bzw. mehrerer unterstützender Rechtsbeistände im grenzüberschreitenden Verfahren der EUStA realisieren. Die Bewilligungsentscheidung über die Prozesskostenhilfe soll bei der EUStA-Zentrale konzentriert werden – dazu kann eine Entscheidungskommission zur Zentrale gesandt oder aber die Ständige Kammer mit der Bewilli-
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Einleitung
gungsentscheidung belegt werden. Zudem werden Kriterien für die Bewilligungsentscheidung entwickelt. Schließlich soll das Recht auf Übersetzung in grenzüberschreitenden Ermittlungsverfahren der EUStA durch eine Nutzbarmachung des EUStA Fallbearbeitungssystems aufgewertet werden.
IV. Terminologie Soweit in dieser Untersuchung „Mitgliedstaaten“ benannt sind, bezeichnen diese die an der Verstärkten Zusammenarbeit der EUStA teilnehmenden Mitgliedstaaten der EU. Aus Klarstellungsgründen und zur deutlicheren terminologischen Abgrenzung von anderen Fallgestaltungen wird in dieser Untersuchung an manchen Stellen dennoch auf „teilnehmende Mitgliedstaaten“ Bezug genommen. Die an der Verstärkten Zusammenarbeit zur Errichtung der EUStA nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten werden stets als „nichtteilnehmende Mitgliedstaaten“ bezeichnet. Die Begriffe „Mitgliedstaaten der EU“ oder „Mitgliedstaaten der Union“ fassen die an der Verstärkten Zusammenarbeit teilnehmenden und nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten zusammen. Der „Beschuldigte“ oder der „von den grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffene“ bezeichnet die beschuldigte oder verdächtige Person im Ermittlungsverfahren der EUStA.
A. Europäische Staatsanwaltschaft als neuer Akteur auf dem Gebiet grenzüberschreitender Strafverfolgung Mit der Errichtung der EUStA wurde ein neues Zeitalter der europäischen Strafrechtskooperation eingeläutet. Um die grenzüberschreitenden Handlungsmöglichkeiten dieser Behörde und damit korrelierende Konsequenzen für die Verteidigung des Betroffenen zu erfassen, muss zunächst die Zuständigkeit, das multidimensionale Organisationsmodell und die Funktionsweise der EUStA umrissen werden.
I. Zuständigkeit Die EUStA nimmt eine Rolle bei der Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität im europäischen Rechtsraum ein. 1. Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union Der EUStA obliegt gem. Art. 22 Abs. 1 S. 1 VO die Verfolgung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union, die in der Richtlinie (EU) 2017/ 13711 (sog. PIF-Richtlinie)2 festgelegt und in nationales Recht umgesetzt worden sind.3 Damit wird die sachliche Zuständigkeit der EUStA durch die PIF-Richtlinie konkretisiert. 1
ABl. L 198/29 v. 28. 07. 2017. „PIF“ ist das französische Akronym für „protection des intérêts financiers de l’union européenne“. 3 Die VO etabliert zwischen der EUStA und den Mitgliedstaaten ein System geteilter Zuständigkeit in der Bekämpfung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union, das sich auf das Evokationsrecht der EUStA stützt, s. Erwägungsgrund (13) VO. Für eine ausführliche Darstellung des (in dieser Arbeit ausgegrenzten) Kompetenzgefüges zwischen EUStA und den Mitgliedstaaten s. Csonka/Jusczak/Sason, eucrim 2017, 125, 128 f. Dagegen hatte die Kommission ursprünglich eine ausschließliche Zuständigkeit der EUStA für die Bekämpfung der Straftaten gegen die finanziellen Interessen der Union vorgeschlagen, s. Art. 11 Abs. 4 COM (2013) 534 final. Als alternatives Modell und in Anlehnung an die Funktionsweise des Internationalen Strafgerichtshofs führt ein Zuständigkeitssystem der Komplementarität zwischen EUStA und den Mitgliedstaaten an Satzger, in: BachmaierWinter (Hrsg.), EPPO Challenges Ahead, S. 43, 56 ff. Die Mitgliedstaaten übermitteln der EUStA gem. Art. 117 S. 3 VO eine Liste ihrer nationalen Bestimmungen zum materiellen Strafrecht, die als Ergebnis der Umsetzung der in der 2
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„Finanzielle Interessen der Union“ sind nach der Begriffsbestimmung des Art. 2 Nr. 3 VO und im Gleichlauf zur Definition des Art. 1 Nr. 3 VO, Art. 2 Abs. 1 PIFRichtlinie sämtliche Einnahmen, Ausgaben und Vermögenswerte, die durch den Haushaltsplan der EU oder eines EU-Organs, einer Einrichtung oder sonstigen Stellen der EU erfasst, erworben oder geschuldet werden. Art. 3 und Art. 4 PIFRichtlinie treffen Bestimmungen zu den Straftaten gegen die finanziellen Interessen der Union und definieren darunter insbesondere Betrug, Geldwäsche, Bestechlichkeit und Bestechung sowie die missbräuchliche Verwendung von Mitteln durch öffentliche Bedienstete. Darüber hinaus ist eine akzessorische Haftung juristischer Personen vorgesehen, sofern eine einschlägige Straftat zu ihren Gunsten und durch eine Leitungsperson begangen wurden (Art. 6 und Art. 9 PIF-Richtlinie).4 Unter die Zuständigkeit der EUStA fällt auch die Verfolgung der organisierten Mehrwertsteuerhinterziehung (sog. Karussellbetrug) i. S. d. Art. 3 Abs. 2 lit. d) der PIF-Richtlinie, wenn sie das Hoheitsgebiet von zwei oder mehr Mitgliedstaaten und einen Gesamtschaden von mindestens 10 Mio. Euro umfasst, Art. 22 Abs. 1 VO. Nach Art. 22 Abs. 2 VO ist die EUStA ferner zuständig für die Verfolgung von Straftaten bezüglich der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung i. S. d. Rahmenbeschlusses 2008/841/JI,5 wenn der Schwerpunkt der strafbaren Aktivitäten der kriminellen Vereinigung auf der Begehung von Straftaten i. S. d. Art. 22 Abs. 1 VO liegt.
PIF-Richtlinie festgelegten Straftaten zu betrachten sind. Die EUStA hat die in den Listen enthaltenen Informationen gem. Art. 17 S. 4 VO öffentlich bekannt zu machen. 4 Nach Gleß/Wahl, in: SLGH, Internationale Rechtshilfe, Hauptteil III, Abschn. D. III D. 5, Einführung, Rn. 7 muss sich die Verfolgungszuständigkeit der EUStA auch auf die Verfolgung juristischer Personen erstrecken, unabhängig davon, ob der Mitgliedstaat die deliktische Verantwortlichkeit juristischer Personen strafrechtlich statuiert hat oder im Ordnungswidrigkeitenrecht begründet sieht. Ähnlich sehen dies Grasso/Sicurella/Giuffrida, in: Ligeti u. a. (Hrsg.), EPPO at Launch, S. 51, die in der PIF-Richtlinie eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten erkennen, juristische Personen „haftbar“ zu machen, ohne dabei eine Differenzierung in Richtung des Kriminalstrafrechts (criminal liability) vorzunehmen (so lautet es in ihrem Originalbeitrag: „It is positive, that the PIF Directive restates the obligation for Member States to provide for the legal person’s liability, which can play admittedly play a relevant role when it comes to fraud, especially when VAT-related“). Anderer Ansicht ist Brodowski, StV 2017, 684, 686 in Fn. 14: Bei Fehlen eines Kriminalstrafrechts gegen juristische Personen bestehe kein Anknüpfungspunkt für eine sachliche Zuständigkeit der EUStA, auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Ordnungswidrigkeit sowie ders., in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 22, Rn. 86, wonach Ordnungswidrigkeiten die sachliche Zuständigkeit der EUStA nicht auslösen könnten. EU-Mitgliedstaaten, deren Rechtsordnung (noch) kein Kriminalstrafrecht gegen juristische Personen kennt, sind Deutschland, Bulgarien, Griechenland und Lettland, s. Vermeulen/De Bondt/Ryckman, Liability of legal persons for offences in the EU, S. 32. 5 ABl. L 300/42 v. 11. 11. 2008.
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Die EUStA ist außerdem auch für alle anderen Straftaten zuständig, die mit einer unter Art. 22 Abs. 1 VO fallenden strafbaren Handlung untrennbar verbunden sind,6 wobei sich hier Einschränkungen aus Art. 25 Abs. 3 VO ergeben.7 Jedenfalls ist die EUStA nicht zuständig für Straftaten in Bezug auf nationale Steuern, auch nicht für Straftaten, die mit diesen untrennbar verbunden sind, Art. 22 Abs. 4 VO.8 2. Grenzüberschreitendes Mandat und zukünftige Erweiterungsperspektiven Gegen den EU-Haushalt gerichtete Straftaten haben häufig transnationalen Charakter.9 Die grenzüberschreitende Ermittlungstätigkeit der EUStA steht zuvörderst im Zusammenhang mit ihrem Mandat, dem Schutz der finanziellen Interessen der Union. Der Schutz der finanziellen Interessen der Union vor Betrügereien und sonstigen gegen die finanziellen Interessen der Union gerichteten rechtswidrigen Handlungen ist ein zentrales Unionsziel, welches in Art. 325 AEUV primärrechtlich verankert wurde.10 Die EUStA ist ein unionales, institutionelles Instrument zur Verwirklichung des in Art. 325 AEUV manifestierten Unionsziels.11 Hinter der Errichtung der EUStA stand die rechtspolitische Motivation, eine Effizienzsteigerung in der Verfolgung gerade grenzüberschreitender Kriminal6 Der Begriff „untrennbar miteinander verbundene Straftaten“ sollte im Lichte der einschlägigen Rechtsprechung ausgelegt werden, die als relevantes Kriterium für die Anwendung des Grundsatzes ne bis in idem die Identität der Sachverhalte (oder im Wesentlichen gleichartige Sachverhalte) heranzieht, was so zu verstehen ist, dass es eine Reihe konkreter Umstände gibt, die zeitlich und räumlich untrennbar miteinander verbunden sind, s. Erwägungsgrund (54) VO und vgl. Erläuterungen von Guerra, eucrim 2021, 49 f. zur entsprechenden EuGH Rechtsprechung. Kritisch zur Anlehnung an die EuGH Rechtsprechung bei der Auslegung der untrennbar miteinander verbundenen Straftaten äußern sich Grasso/Sicurella/Giuffrida, in: Ligeti u. a. (Hrsg.), EPPO at Launch, S. 36, da die ne bis in idem-Rechtsprechung konzeptionell darauf ziele, gleichartige Sachverhalte eben einer Straftat zuzuordnen und deshalb keine Anknüpfung zur Evaluierung einer anderen (also der untrennbar mit dem PIF-Delikt verbundenen) Straftat bieten könne. Ein klassisches Beispiel für eine Zusammenhangstat ist nach Gleß/Wahl, in: SLGH, Internationale Rechtshilfe, Hauptteil III, Abschn. D. III D. 5, Einführung, Rn. 6 die Urkundenfälschung zum Zwecke der Ausführung eines Betrugs zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union. 7 Art. 25 Abs. 3 VO definiert Umstände, bei deren Vorliegen die EUStA ihre Zuständigkeit nicht ausübt, sondern den Fall an die zuständigen nationalen Behörden verweist. 8 Da allerdings der Mehrwertsteuerbetrug häufig auch mit Straftaten in Bezug auf nationale Steuern einherginge, äußert sich Ceccarelli, eucrim 2021, 47 f. kritisch zur Bestimmung des Art. 22 Abs. 4 VO und hält es für möglich, dass sie in Zukunft im Rahmen der in Art. 119 VO vorgesehenen Überprüfungsklausel zum Gegenstand einer Bewertung und ggf. damit einhergehenden Gesetzgebungsvorschlägen der Kommission gemacht wird. 9 Hecker, Europäisches Strafrecht, S. 19, Rn. 32; Killmann/Schröder, in: Sieber u. a. (Hrsg.), Europäisches Strafrecht, § 12, Rn. 2. 10 Satzger, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 325 AEUV, Rn. 1. 11 Vogel/Eisele, in: Grabitz u. a. (Hrsg.), Recht der EU, Art. 86 AEUV, Rn. 7.
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sachverhalte zu generieren.12 Insbesondere bei der mitgliedstaatlich gelenkten Strafverfolgung der Delikte gegen die finanziellen Interessen der Union hatten sich praktische und rechtliche Schwierigkeiten in der grenzüberschreitenden Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung von internationalen Kriminalitätssachverhalten manifestiert.13 Die Kommissionsbegründung zum Vorschlag für die Errichtung der EUStA betonte, dass Betrugsfälle, die einen Bezug zu mehreren Mitgliedstaaten aufweisen, auf europäischer Ebene eng abgestimmte, effektive Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen erforderten. Die bisherige Koordinierung durch und der Informationsaustausch zwischen EU-Einrichtungen wie Eurojust, Europol und OLAF könne die Defizite der grenzüberschreitenden Betrugsverfolgung nicht beseitigen – ein neues Strafverfolgungssystem unter Errichtung einer unionalen Strafverfolgungsbehörde aber würde eine verbesserte Kohärenz und Koordinierung in der Bekämpfung der haushaltsschädigenden Kriminalität mit sich bringen.14 Der EUStA kommt aber auch ein universales, über den Schutz der finanziellen Interessen der Union hinausgehendes Wirkpotenzial bei der grenzüberschreitenden Kriminalitätsbekämpfung zu. Systematisch betrachtet wurde die Errichtung der EUStA im Primärrecht – anders als das in Art. 325 AEUV verankerte Unionsziel – nicht im Abschnitt der Haushaltsvorschriften15 verortet. Mit Art. 86 AEUV wurde die EUStA in Titel V des AEUV integriert und in den normativen Kontext der Vorschriften zum Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts eingebettet. Rechtspolitisch betrachtet wird der EUStA damit eine bedeutende Rolle in der Gewährleistung von Freiheit, Sicherheit und Recht und in der Bekämpfung von schwerer Kriminalität mit grenzüberschreitender Dimension zuteil.16 Zudem sieht das Primärrecht die Möglichkeit vor, das Mandat der EUStA auf andere, grenzüberschreitende Sachverhalte zu erweitern. Nach der in Art. 86 Abs. 4 AEUV enthaltenen Kompetenzerweiterungsklausel,17 könnten die Befugnisse der 12 Vgl. S. 2 der Begründung zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft, COM (2012) 534 final, 2013/0255 (APP). Vgl. zum rechtspolitischen Hintergrund der Errichtung der EUStA auch Vogel/Eisele, in: Grabitz u. a. (Hrsg.), Recht der EU, Art. 86 AEUV, Rn. 7, die den rechtspolitischen Hintergrund der EUStA mehr noch in der Gewährleistung von Freiheit, Sicherheit und Recht sehen, als im Schutz der finanziellen Interessen der Union. 13 Bachmaier-Winter, in: Bachmaier-Winter (Hrsg.), EPPO Challenges Ahead, S. 120 f.; Kuhl, eucrim 2017, 135; Magnus HRRS 2018, 143; Schramm, JZ 2014, 749, 755. 14 Vgl. S. 2 der Begründung zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft, COM (2012) 534 final, 2013/0255 (APP). 15 Vgl. Art. 310 – Art. 325 AEUV. 16 Vogel/Eisele, in: Grabitz u. a. (Hrsg.), Recht der EU, Art. 86 AEUV, Rn. 7. 17 Vogel/Eisele, in: Grabitz u. a. (Hrsg.), Recht der EU, Art. 86 AEUV, Rn. 60. Für eine solche Kompetenzerweiterung der EUStA wäre ein einstimmiger Beschluss des Europäischen Rates, nach Anhörung der Kommission und mehrheitlicher Zustimmung des Europäischen Parlaments, erforderlich. Dieser Beschluss brächte für sich gesehen (nur) eine Erweiterung der Ermächtigungsgrundlage in Art. 86 Abs. 1 und 2 AEUV mit sich, deshalb müsste zudem eine
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EUStA in Zukunft auch auf die „Bekämpfung der schweren Kriminalität mit grenzüberschreitender Dimension“ sowie auf „schwere, mehr als einen Mitgliedstaat betreffende Straftaten“ ausgedehnt werden. Art. 86 Abs. 4 AEUV präzisiert diese Kriminalitätsbereiche nicht näher; ihrem Wortlaut nach knüpft die Kompetenzerweiterungsklausel des Art. 86 Abs. 4 AEUV an die nach Art. 83 Abs. 1 AEUV einer Harmonisierung zugänglichen Kriminalitätsbereiche an.18 Art. 83 Abs. 1 AEUV sieht vor, dass das Europäische Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren durch Richtlinien Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen in den Bereichen „besonders schwerer Kriminalität“, die eine „grenzüberschreitende Dimension“ haben, festgelegen können. Diese Kriminalitätsbereiche werden in Art. 83 Abs. 1 UAbs. 2 AEUVenumerativ und abschließend19 aufgezählt und betreffen namentlich den Terrorismus, Menschenhandel, die sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern, den illegalen Waffenhandel, die Geldwäsche, Korruption, Fälschung von Zahlungsmitteln, Computerkriminalität und die organisierte Kriminalität.20 Die Europäische Kommission hat bereits eine Initiative vorgelegt, um die Zuständigkeit der EUStA auf die Bekämpfung von terroristischen Bedrohungen und terroristischen Straftaten auszuweiten, die mehr als einen Mitgliedstaat betreffen.21 Die aktuelle Terrorismusbekämpfung durch die nationalen Strafverfolgungsbehörden der EU-Mitgliedstaaten erachtet die Europäische Kommission als defizitär, mit dem Einsatz der EUStA aber könne man dem Terrorismus eine „umfassende europäische Antwort“22 entgegensetzen. Die Mandatierung der EUStA bei der Bekämpfung grenzüberschreitender terroristischer Straftaten brächte einen Mehrwert gegenüber dem System der nationalen Strafverfolgung. Die EUStA verfüge über einen ganzheitlichen Blick auf grenzüberschreitende Kriminalität in der Union und gleichzeitig über spezifische Kenntnisse in den mitgliedstaatlichen Rechtssystemen. Durch den Einsatz der Ständigen Kammern würde eine rasche Entscheidungsfindung gewährleistet, der Einsatz der Delegierten Europäischen Staatsanwälte als Ermittlungsführer auf nationaler Ebene brächte eine Effizienzsteigerung für die Strafverfolgung.23 Das Fallbearbeitungssystem der EUStA ermögliche zudem einen verordnungsrechtliche Umsetzung durch Rat und Parlament im besonderen Gesetzgebungsverfahren erfolgen, s. zum Ganzen Vogel/Eisele, in: Grabitz u. a. (Hrsg.), Recht der EU, Art. 86, Rn. 63. 18 Dannecker, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 86 AEUV Rn. 6; Rheinbay, Errichtung einer EUStA, S. 119; Vogel/Eisele, in: Grabitz u. a. (Hrsg.), Recht der EU, Art. 86, Rn. 61. 19 Vogel/Eisele, in: Grabitz u. a. (Hrsg.), Recht der EU, Art. 83 AEUV, Rn. 48. 20 Vgl. Art. 83 Abs. 1 AEUV. S. auch Rheinbay, Errichtung einer EUStA, S. 119, die für den Fall einer Kompetenzerweiterung der EUStA auf Grundlage von Art. 86 Abs. 4 AEUV für unionsweit einheitlich einzuführende Straftatbestände plädiert, da der Begriff der schweren Kriminalität einer Konkretisierung bedürfe, ähnlich äußern sich dazu auch Wasmeier/Killmann, in: von der Groeben u. a. (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 86 AEUV, Rn. 48. 21 S. Mitteilung der Europäischen Kommission COM (2018) 641 final. 22 Vgl. Mitteilung der Europäischen Kommission COM (2018) 641 final, S. 10. 23 Vgl. Mitteilung der Europäischen Kommission COM (2018) 641 final, S. 4 ff., 13.
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schnellen Kommunikationsfluss zwischen allen mit der Ermittlungsarbeit befassten Akteuren.24 Derzeit erscheint eine Erweiterung des EUStA-Mandats zwar nicht naheliegend.25 Eine Erweiterung der Kompetenzen der EUStA erfordert nach Art. 86 Abs. 4 S. 2 AEUV einen einstimmigen Beschluss des Europäischen Rates und kann, anders als die Errichtung der EUStA selbst, nicht im Wege der Verstärken Zusammenarbeit nach Art. 86 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV erfolgen.26 Die Mandatserweiterung der EUStA ist damit vom Dafürhalten aller Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten, damit auch derjenigen EU-Mitgliedstaaten, die nicht an der Verstärkten Zusammenarbeit teilnehmen, abhängig.27 Diese dürften ihre Zurückhaltung gegenüber der Errichtung der EUStA bereits durch ihre Nichtteilnahme an der Verstärkten Zusammenarbeit kundgetan haben. Dennoch ist vor dem Hintergrund der allgemeinen Tendenz hin zur institutionellen Europäisierung der Strafverfolgung davon auszugehen, dass der Erfolg der grenzüberschreitenden Ermittlungstätigkeit der EUStA (auch von den an der Verstärkten Zusammenarbeit nichtteilnehmenden) Mitgliedstaaten beobachtet und zur Bewertungsgrundlage für eine zukünftige Mandatserweiterung werden wird.28 Es ist zu erwarten, dass die EUStA als erste genuin europäische Strafverfolgungsbehörde (nicht nur) von den EU-Mitgliedstaaten als ein global player auf dem Feld der grenzüberschreitenden Strafverfolgung wahrgenommen wird. Der Bedeutungszuwachs, den beispielsweise Eurojust im letzten Jahrzehnt bei der grenzüberschreitenden Strafverfolgung erfahren hat, kann als Vorbote der Strahlkraft der EUStA dienen. War Eurojust im Jahre 2010 noch in lediglich 1.424 Fälle einbezogen,29 war es im Jahre 2021 mit insgesamt 10.105 Fällen befasst30 und konnte einen anhaltenden Aufwärtstrend in Ersuchen um Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der grenzüberschreitenden Strafverfolgungskoordination verzeichnen. Die EUStA steht durch den Einsatz der Delegierten Europäischen Staatsanwälte in den Mit24
Vgl. Mitteilung der Europäischen Kommission COM (2018) 641 final, S. 13. Vgl. Gleß/Wahl, in: SLGH, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Hauptteil III; Abschn. D. III D. 5, Einführung, Rn. 50 m. w. N.; Di Francesco Maesa, eucrim 2017, 156, 158 f.; Meyer, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 55, Rn. 24. Auch die deutsche Justiz steht einer Mandatserweiterung ablehnend gegenüber, s. Stellungnahme Nr. 16/18 des Deutschen Richterbundes zur Zuständigkeitsausweitung der Europäischen Staatsanwaltschaft. Für eine graduelle Zuständigkeitsausweitung des EUStA Mandats auf die Bekämpfung von Terrorismus dagegen plädieren Juszczak/Sason, eucrim 2019, 66, 72 f. 26 Vgl. Dannecker, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 86 AEUV, Rn. 6; Vogel/Eisele, in: Grabitz u. a. (Hrsg.), Recht der EU, Art. 86 AEUV, Rn. 63. 27 Vgl. Dannecker, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 86 AEUV, Rn. 6; Vogel/Eisele, in: Grabitz u. a. (Hrsg.), Recht der EU, Art. 86 AEUV, Rn. 63. 28 So auch Dannecker, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 86 AEUV, Rn. 8, nach dem die Mitgliedstaaten zu einer Zuständigkeitserweiterung der EUStA eher bereit wären, wenn die EUStA nach ihrer Errichtung erfolgreich sein wird. 29 Eurojust, Jahresbericht 2010, S. 76. 30 Eurojust, Jahresbericht 2021, S. 57 f. 25
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gliedstaaten sogar unmittelbarer am Kriminalgeschehen und hat das Potenzial, durch ihre moderne Informationsinfrastruktur grenzüberschreitender Kriminalität noch viel zeiteffektiver zu begegnen.31 Perspektivisch betrachtet wird die EUStA deshalb in der Diskussion um grenzüberschreitende Strafverfolgung im europäischen Rechtsraum eine zentrale Rolle einnehmen.32 3. Grenzüberschreitende Ermittlungshandlungen in Zahlen Im Jahre 2022 führte die EUStA 1117 Ermittlungsverfahren durch, von denen 28,2 % eine grenzüberschreitende Dimension aufwiesen, die zugrundeliegenden Taten sich also auf dem Territorium verschiedener Staaten abspielten oder einen Schadenseintritt in verschiedenen Staaten bewirken konnten.33 Von im Jahre 2022 durch deutsche Delegierte Europäische Staatsanwälte eingeleiteten Ermittlungsverfahren sind sogar 76 % grenzüberschreitend: Von 114 laufenden Ermittlungsverfahren sind 87 als grenzüberschreitend markiert.34 Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der EUStA wird durch Zuweisungen von Maßnahmen von betrautem an den unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt realisiert. Im Jahre 2022 zählte die EUStA 897 solcher zugewiesenen Maßnahmen.35 Als Indikator für die Dimension grenzüberschreitenden Ermittlungshandelns im europäischen Rechtsraum und den Trend hin zur verstärkten zwischenstaatlichen strafrechtlichen Zusammenarbeit kann auch die Koordinierungstätigkeit des Eurojust herangezogen werden. Im Jahre 2021 erfasste Eurojust 10.105 laufende Fälle grenzüberschreitender Strafermittlungen, in denen sich Staatsanwaltschaften aus allen Teilen der EU an Eurojust wandten – gemessen an der Gesamtzahl der von Eurojust unterstützten Fälle ergab sich gegenüber dem Jahr 2020 ein Anstieg um 15 %.36 Zudem waren Instrumente der justiziellen Zusammenarbeit, wie die Europäische Ermittlungsanordnung, 4.319-mal sowie 3.312 Rechtshilfeersuchen in Nutzung.37 Die Eurojust zum Zwecke der Unterstützungsforderung gemeldeten Fälle stellten zum größten Teil Betrugsdelikte, Geldwäsche und Drogenhandel dar.38 Auch die Tätigkeiten des EJN zeigen diesen Trend. Die justiziellen Kontaktstellen der EU-Mitgliedstaaten können von mitgliedstaatlichen Strafverfolgungsbehörden zum Zwecke der Vereinfachung des Umgangs mit grenzüberschreitenden Fallge31
Vgl. Bachmaier-Winter, in: Bachmaier-Winter (Hrsg.), EPPO Challenges Ahead, S. 119. So auch Csonka/Juszczak/Sason, eucrim 2017, 125, 133. 33 EPPO Annual Report: 2022, S. 10. 34 EPPO Annual Report: 2022, S. 32. 35 EPPO Annual Report: 2022, S. 12. 36 Vgl. Eurojust, Jahresbericht 2021, S. 12. 37 Vgl. Eurojust, Jahresbericht 2021, S. 12. 38 Vgl. Eurojust, Jahresbericht 2021, S. 42. 32
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staltungen (z. B. durch Kontaktherstellung mit Strafverfolgungsbehörden eines anderen EU-Mitgliedstaates oder durch Zurverfügungstellung von Informationen über das Rechtssystem eines anderen EU-Mitgliedstaates) kontaktiert werden. Im Zeitraum der Jahre 2019 bis 2020 wurde das EJN in mehr als 14.000 Fälle einbezogen.39 Zudem war das Netzwerk in mehr als 3.500 Fällen von Europäischen Ermittlungsanordnungen einbezogen.40 In Fallgestaltungen, die auf Rechtshilfemaßnahmen nach dem EU-Rechtshilfeübereinkommen41 zielten, war das EJN mehr als 5.000 Mal involviert.42 Es ist davon auszugehen, dass deutlich häufiger von grenzüberschreitenden Ermittlungsmaßnahmen Gebrauch gemacht wird, als bereits durch die von Eurojust und dem EJN erfassten Fälle widergespiegelt werden. Es gibt keine Verpflichtung der EU-Mitgliedstaaten, die vorgenannten europäischen Institutionen mit der Koordinierung von grenzüberschreitenden Ermittlungen zu befassen. Vielmehr sind Eurojust und das EJN als Serviceeinrichtung für die mitgliedstaatlichen Strafverfolgungsbehörden zu verstehen. Die Einbindung Eurojusts oder die Konsultation der Verbindungsrichter und -staatsanwälte des EJN kann bei grenzüberschreitenden Ermittlungsvorhaben eine Erleichterung für die anfragende Strafverfolgungsbehörde bedeuten. Grenzgebietsnahe mitgliedstaatliche Strafverfolgungsbehörden jedoch werden praktisch Ansprechpartner im Nachbarmitgliedstaat haben, mit denen sich die Kommunikation ohne Zwischenschaltung einer Institution zweckmäßiger gestalten dürfte. Der Rechtshilfeverkehr der im Dreiländereck befindlichen Staatsanwaltschaft Freiburg führt exemplarisch vor, dass grenzüberschreitende Ermittlungsvorhaben in tatsächlicher Hinsicht die von Eurojust und EJN erfassten Zahlen bei Weitem übersteigen. Dort gingen laut Dezernatsstatistik (ohne Berücksichtigung der Zweigstelle Lörrach) vom 01. 01. 2019 bis zum 08. 02. 2021 aus den Bereichen der sonstigen Rechtshilfe43 503 Rechtshilfeersuchen aus dem Ausland, Drittstaaten inbegriffen, ein.44 Der genannte Zeitraum zählt 528 Werktage – mit 503 Rechtshilfeersuchen wird die Staatsanwaltschaft Freiburg demzufolge nahezu jeden Werktag mit der Thematik grenzüberschreitender Ermittlungen befasst. Andere grenzgebietsnahe Staatsanwaltschaften dürften eine ähnliche Befassungsfrequenz vermerken. Dies lässt den Rückschluss zu, dass grenzüberschreitende Fälle zum Ermittlungsalltag der nationalen Strafverfolgungsbehörden, aber auch der EUStA gehören. 39
Vgl. EJN, Tätigkeitsbericht 2019 – 2020, S. 7. Vgl. EJN, Tätigkeitsbericht 2019 – 2020, S. 16. 41 ABl. C 197/1 v. 12. 07. 2000. 42 Vgl. EJN, Tätigkeitsbericht 2019 – 2020, S. 21. 43 Die sonstige Rechtshilfe umfasst jede Unterstützung für ein ausländisches Verfahren in strafrechtlichen Angelegenheiten und sämtliche Maßnahmen der Zusammenarbeit, die weder in einer Auslieferung, noch in einer Übernahme der Strafverfolgung, noch in der Vollstreckung von Urteilen bestehen; vor allem geht es dabei um die Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen, s. Zerbes, in: Ambos u. a. (Hrsg.), Rechtshilferecht, Rn. 771. 44 Persönliche Auskunft von Erstem Staatsanwalt Krapp, Staatsanwaltschaft Freiburg. 40
II. Organisation und Funktionsweise der EUStA
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II. Organisation und Funktionsweise der EUStA Nach der VO ist die EUStA eine einheitliche EU-Einrichtung45 und unabhängige Strafverfolgungsbehörde46 mit eigener Rechtspersönlichkeit.47 Sie gliedert sich in eine zentrale und dezentrale Ebene.48 1. Zentrale Ebene in Luxemburg Die zentrale Ebene besteht aus der zentralen Dienststelle in Luxemburg, der das Kollegium, die Ständigen Kammern, die Europäische Generalstaatsanwältin, die Stellvertreter der Europäischen Generalstaatsanwältin und der Verwaltungsdirektor angehören.49 a) Kollegium Das Kollegium setzt sich zusammen aus der Europäischen Generalstaatsanwältin und einem Europäischen Staatsanwalt je Mitgliedstaat.50 Das Kollegium übt die allgemeine Aufsicht über die Tätigkeiten der EUStA aus. Die „allgemeine Aufsicht“ ist ein Kontrollmechanismus der EUStA, der die „allgemeine Verwaltung der Tätigkeit der EUStA, in deren Rahmen Weisungen nur zu Angelegenheiten gegeben werden, die für die EUStA von übergreifender Bedeutung sind“,51 umfasst. In Erwägungsgrund (23) VO wird – neben dem Begriff „allgemeine Aufsicht“ – der Begriff der „Aufsicht“, beschrieben als „eine engere und durchgängige Aufsicht über die Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen“, zu welcher gehöre, „dass, wenn erforderlich, eingegriffen und Weisungen zu Ermittlungen und Strafverfolgungsangelegenheiten erteilt werden können“.52 Da die „allgemeine Aufsicht“ und „Aufsicht“ unterschiedliche Kontrollmaßnahmen unter
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Art. 3 Abs. 1, Art. 8 Abs. 1 VO. Art. 6 Abs. 1 VO. 47 Art. 3 Abs. 2 VO. 48 Art. 8 Abs. 2 VO. Die Gliederung der Behörde in eine zentrale und dezentrale Ebene wurde mit der Bezeichnung „Doppel-Hut“ verbildlicht, s. Beschlussempfehlung des Deutschen Bundestags, BT Drucks. 18/1658, S. 4, die sich dann durch Rezeption etabliert hat, vgl. Böse, JZ 2017, 82 ff. (mit Schlussfolgerungen zu aus dem „Doppel-Hut“-Modell resultierenden Rechtsschutzmodellen) und Schramm, JZ 2014, 749, 754. Dieser konkret erfolgten Ausgestaltung war eine Diskussion um verschiedene Umsetzungsmöglichkeiten einer zu schaffenden EUStA vorausgegangen, s. zusammenfassende Darstellung mit Bewertung Rheinbay, Errichtung einer EUStA, S. 16 ff. 49 Art. 8 Abs. 3 VO. 50 Art. 9 Abs. 1 VO. 51 S. Erwägungsgrund (23) VO. 52 Erwägungsgrund (23) S. 3 VO. 46
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der VO darstellen,53 ist der Wirkbereich des Kollegiums außerhalb der operationellen Ermittlungstätigkeit der EUStA zu erblicken. Im Rahmen der allgemeinen Aufsicht erlässt das Kollegium Leitlinien, Zielvorgaben und Initiativen für die EUStA.54 So hat das Kollegium Leitlinien zur Zuständigkeitsausübung,55 der Fallabgabe an die mitgliedstaatlichen Behörden56 sowie zu grenzüberschreitenden Ermittlungen auf Grundlage von Art. 31 VO57 erlassen. Das Kollegium entscheidet zudem, „über strategische Fragen und allgemeine Angelegenheiten, die sich aus den Einzelfällen ergeben, insbesondere mit Blick darauf, die Kohärenz, Effizienz und Einheitlichkeit bei der Strafverfolgungspolitik der EUStA in allen Mitgliedstaaten sicherzustellen“58 und wirkt auf die Strafverfolgungspolitik der EUStA hin.59 Das Kollegium trifft aber keine operativen oder ermittlungstechnischen Entscheidungen in Einzelfällen.60 Die Abkoppelung des Kollegiums vom operationellen Ermittlungsgeschehen wird auch durch die Geschäftsordnung der EUStA61 insinuiert: Art. 5 Abs. 1 Geschäftsordnung regelt, dass das Kollegium zur Wahrnehmung seiner Aufgaben Informationen über die Tätigkeiten der EUStA anfragen darf. Nach Art. 5 Abs. 2 Geschäftsordnung sollen dem Kollegium Informationen aus einzelnen Verfahren jedoch anonymisiert und nur zu dem Maß seiner erforderlichen Aufgabenerfüllung vorgelegt werden.62 Das Kollegium tritt regelmäßig und mindestens einmal im Monat in der Zentrale in Luxemburg zusammen.63 Sein Entscheidungsinstrument ist grundsätzlich der Beschluss, der mit einfacher Mehrheit gefasst wird, wobei jedes Kollegiumsmitglied mit jeweils einer Stimme ausgestattet ist. Die Stimme der Generalstaatsanwältin gibt 53 S. Wortlaut Erwägungsgrund (23) S. 1 VO: „Die in dieser Verordnung verwendeten Begriffe „allgemeine Aufsicht“, „überwachen und leiten“ und „Aufsicht“ beschreiben „unterschiedliche Kontrollmaßnahmen, die von der EUStA ausgeübt werden“ (Herv. durch Verf.). 54 S. Burchard, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 9, Rn. 8, der das Kollegium als „central policymaking (,legislative‘) actor“ bezeichnet. 55 Vgl. Consolidated Version of College Decision 029/2021. 56 Vgl. College Decision 029/2021 consolidated as amended by College Decision 007/ 2022. 57 Vgl. College Decision 006/2022, nachfolgend: Leitlinien zu Art. 31 VO. 58 Art. 9 Abs. 2 VO. 59 S. auch Art. 6 Geschäftsordnung, der wörtlich lautet: „The College shall determine the priorities and the investigation and prosecution policy of the EPPO […]“. 60 Art. 9 Abs. 2 S. 3 VO. S. auch Burchard, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 9, Rn. 10 f. 61 College Decision 003/2020, nachfolgend: Geschäftsordnung. 62 Freilich wird dadurch aber keine trennscharfe personelle Abkoppelung des Kollegiums von den laufenden Verfahren errichtet, da das Kollegium schließlich mit den 22 Europäischen Staatsanwälten besetzt ist, die funktional in die Ermittlungstätigkeiten auf der dezentralen Ebene eingebunden sind und dadurch schon detailreiche Kenntnisse über einzelne Verfahren haben dürften. 63 Art. 9 Abs. 2 S. 1 VO, Art. 7 und Art. 12 Geschäftsordnung.
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den Ausschlag, sofern Stimmengleichheit bei einer vom Kollegium zu entscheidenden Frage vorliegt.64 b) Ständige Kammern Die Ständigen Kammern bestehen aus einem Vorsitzenden und zwei ständigen Mitgliedern.65 Der Vorsitz wird von der Europäischen Generalstaatsanwältin oder einem ihrer Stellvertreter oder einem zum Vorsitzenden benannten Europäischen Staatsanwalt geführt. Die zwei ständigen Mitglieder sind durch Europäische Staatsanwälte besetzt, die der zentralen staatsanwaltlichen Ebene angehören.66 Neben diesen drei Akteuren nimmt der die Aufsicht über die Ermittlungen führende Europäische Staatsanwalt als Stimmberechtigter an den Beratungen der Ständigen Kammer teil67 und ist damit ein viertes, verfahrensabhängiges Glied der Ständigen Kammer.68 Die konkrete Zusammensetzung und Zuständigkeitsaufteilung der Ständigen Kammern folgt einem Beschluss des Kollegiums.69 Insgesamt werden 15 Ständige Kammern errichtet.70 Jeder Europäische Staatsanwalt soll das ständige Mitglied einer Ständigen Kammer, bzw. zweier oder dreier Kammern stellen. Die Verfahren werden den Ständigen Kammern nach dem Zufallsprinzip zugewiesen.71 Ein Verfahren soll jedoch nicht derjenigen Ständigen Kammer zugewiesen sein, deren Ständiges Mitglied die Aufsicht über die Ermittlungen zu führen hätte72 – also beispielsweise nicht derjenigen Ständigen Kammer zugewiesen werden, deren Ständiges Mitglied der deutsche Europäische Staatsanwalt ist, der für die Aufsicht des in Deutschland ermittelnden deutschen Delegierten Europäischen Staatsanwalts zuständig wäre. Abweichend davon soll die Zuweisung eines Verfahrens zu einer bestimmten Ständigen Kammer jedoch in bestimmten Fallgestaltungen zum Zwecke der Effektivierung der Arbeiten der EUStA möglich sein.73 Aufgabe der Ständigen Kammern ist die Überwachung und Leitung der von den Delegierten Europäischen Staatsanwälten auf der nationalen Ebene geführten Er64
Art. 9 Abs. 5 VO, Art. 8-10 Geschäftsordnung. Art. 10 Abs. 1 VO. 66 Art. 10 Abs. 1 VO. 67 Art. 10 Abs. 9 S. 1 VO. 68 So Burchard, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 10, Rn. 3, der den Europäischen Staatsanwalt im Gefüge der Ständigen Kammer als „case-specific Member“ bezeichnet. 69 College Decision 015/2020, basierend auf Art. 10 Abs. 1 S. 2 VO i. V. m. Art. 15 Abs. 1 Geschäftsordnung. 70 Art. 2 Abs. 1 College Decision 015/2020. 71 Art. 10 Abs. 1 UAbs. 2 VO, Art. 19 Abs. 1 Geschäftsordnung. 72 Art. 19 Abs. 2 Geschäftsordnung, Art. 4 College Decision 015/2020. 73 Art. 19 Abs. 4 Geschäftsordnung. 65
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mittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen.74 Dies umfasst beispielsweise Fragen75 nach der Bestimmung des nach nationalem Recht zuständigen Gerichts,76 zur Verfahrenseinstellung,77 sowie zur Verweisung eines Verfahrens an nationale Behörden.78 Die Ständigen Kammern können dem Delegierten Europäischen Staatsanwalt auch Weisungen wie zur Einleitung von Ermittlungen in grenzüberschreitenden Fallgestaltungen erteilen. Denn die Ständige Kammer entscheidet über den Ort der Anklageerhebung bei Bestehen mehrerer Gerichtsbarkeiten und wählt den ermittelnden Delegierten Europäischen Staatsanwalt aus.79 Die Ständige Kammer kann über den die Aufsicht führenden Europäischen Staatsanwalt in einem konkreten Verfahren dem Delegierten Europäischen Staatsanwalt Weisungen erteilen, die im Einklang mit nationalem Recht stehen, wenn dies für die effiziente Durchführung der Ermittlungen oder zur Gewährleistung einer kohärenten Funktionsweise der EUStA notwendig ist.80 Diese Weisungen müssen grundsätzlich verfahrensbezogen erfolgen; die VO statuiert aber keine inhaltlichen Schranken, so dass die Ständige Kammer die Weisung aussprechen kann, nach der der Delegierte Europäische Staatsanwalt z. B. eine bestimmte Person vernehmen soll.81 Die Delegierten Europäischen Staatsanwälte sollen an die Weisungen der Ständigen Kammern und der Europäischen Staatsanwälte gebunden sein.82 Damit die Ständigen Kammern die Überwachung und Leitung der von den Delegierten Europäischen Staatsanwälten geführten Ermittlungen vornehmen können, sollen letztere die zuständige Ständige Kammer und den die Aufsicht führenden Europäischen Staatsanwalt über alle wesentlichen Entwicklungen des Falles unterrichten.83 Die Ständigen Kammern gewährleisten zudem die Koordination der Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen in grenzüberschreitenden Fällen.84 Sie können in diesen Fallgestaltungen auch operative Entscheidungen treffen und darüber befin74
Art. 10 Abs. 2 VO, vgl. für den Begriff der Überwachung und Leitung als Kontrollmaßnahme der EUStA auch Erwägungsgrund (23) S. 3 VO. 75 Vgl. abschließende Aufzählung Art. 10 Abs. 2 und Abs. 3 VO. 76 Art. 10 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 lit. a) i. V. m. Art. 36 Abs. 5 VO. 77 Art. 10 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 lit. b) i. V. m. Art. 39 Abs. 1 lit. a) – g) VO. 78 Art. 10 Abs. 2. S. 1, Abs. 3 lit. d) i. V. m. Art. 34 Abs. 1, 2, 3, 6 VO. 79 Art. 10 Abs. 2 S. 1, Abs. 4 lit. a) i. V. m. Art. 36 Abs. 3 VO. Eine ausführliche Darstellung über die Auswahl des Delegierten Europäischen Staatsanwalts im grenzüberschreitenden Ermittlungsverfahren erfolgt unter B., S. 65 ff. dieser Arbeit. 80 Art. 10 Abs. 5 VO. 81 Burchard, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 10, Rn. 24. 82 Vgl. aber Erwägungsgrund (35) VO; sollte der Delegierte Europäische Staatsanwalt der Auffassung sein, dass er zur Ausführung einer Weisung Maßnahmen treffen müsste, die nicht im Einklang mit dem nationalen Recht stehen, sollte er um die Überprüfung der Weisung durch die Europäische Generalstaatsanwältin ersuchen. 83 Erwägungsgrund (35) VO, Art. 28 Abs. 1 S. 3 VO. 84 Art. 10 Abs. 2 S. 2 VO.
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den, ob und welche Strafverfolgungsmaßnahme in einem Mitgliedstaat durchgeführt werden muss, wenn die Durchführung grenzüberschreitender Maßnahmen angezeigt ist.85 Die Ständigen Kammern gewährleisten auch die Durchführung der Entscheidungen des Kollegiums über strategische und allgemeine Fragen.86 Mindestens zweimal im Kalendermonat sollen die Ständigen Kammern zusammentreten.87 Entscheidungsinstrument der Ständigen Kammern ist der mit einfacher Mehrheit gefasste Beschluss; jedes Mitglied hat eine Stimme, bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag. Zur Entscheidungsfindung berät sich die Ständige Kammer, wobei sie gegebenenfalls den Entscheidungsvorschlag des Delegierten Europäischen Staatsanwalts berücksichtigt.88 c) Europäische Generalstaatsanwältin und ihre Stellvertreter Die Europäische Generalstaatsanwältin89 ist die Leiterin der EUStA und organisiert die Arbeit der Behörde, leitet ihre Tätigkeit und trifft Entscheidungen gemäß der VO.90 Sie vertritt die Behörde gegenüber den Organen der Union, den Mitgliedstaaten und gegenüber Dritten.91 Zwei Stellvertreter,92 die aus dem Kreis der Europäischen Staatsanwälte ernannt werden,93 unterstützen sie bei der Erfüllung ihrer Aufgaben und vertreten sie bei Abwesenheit und Verhinderung.94 In ihrer Rolle als Vertreter unterliegen sie der Aufsicht der Europäischen Generalstaatsanwältin.95 Die Stellvertreter behalten dabei ihren Status als Europäische Staatsanwälte.96
85 Vgl. Art. 31 Abs. 8 VO. Eine ausführliche Darstellung der Funktionsweise grenzüberschreitender Maßnahmen im System der VO erfolgt unter B., S. 81 ff. dieser Arbeit. 86 Art. 10 Abs. 2 S. 2 VO. 87 Art. 3 Abs. 1 College Decision 015/2020. 88 Art. 10 Abs. 6 VO. 89 Am 14. Oktober 2019 wurde Laura Codrut¸a Kövesi vom Rat der EU für eine Amtszeit von sieben Jahren zur ersten Europäische Generalstaatsanwältin ernannt und am 17. Oktober 2019 vom Europäischen Parlament bestätigt, am 1. November 2019 nahm sie ihre Arbeit für die EUStA auf, s. Beschluss (EU) 2019/1798 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. L 274/1 v. 28. 10. 2019. 90 Art. 11 Abs. 1 VO. 91 Art. 11 Abs. 3 VO, Art. 25 Abs. 3 Geschäftsordnung. 92 Zu Stellvertretern der Europäischen Generalstaatsanwältin wurden durch Beschluss des Kollegiums (Art. 15 Abs. 1 VO) der deutsche Staatsanwalt Andrés Ritter und der italienische Richter Danilo Ceccarelli für eine Amtszeit von drei Jahren ernannt, s. College Decision 011/ 2020 und College Decision 010/2020. 93 Art. 10 Abs. 1 VO. 94 Art. 11 Abs. 2 VO. 95 Art. 28 Geschäftsordnung. 96 Art. 15 Abs. 1 S. 3 VO.
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d) Europäische Staatsanwälte Die Europäischen Staatsanwälte fungieren als Verbindungsstellen und Informationskanäle zwischen der EUStA und den nationalen Strafverfolgungsbehörden.97 Je Mitgliedstaat wird ein Europäischer Staatsanwalt für eine Amtszeit von sechs Jahren ernannt.98 Die Europäischen Staatsanwälte beaufsichtigen (für die Ständige Kammer) die Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen, für die die mit dem Verfahren betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwälte in ihrem Herkunftsmitgliedstaat zuständig sind.99 Gegenüber den Delegierten Europäischen Staatsanwälten kommt dem die Aufsicht führenden Europäischen Staatsanwalt ein verfahrensbezogenes, im Einklang mit dem anwendbaren nationalen Recht stehendes Weisungsrecht zu.100 Für die jeweils von ihnen beaufsichtigten Verfahren unterbreiten die Europäischen Staatsanwälte Zusammenfassungen und ggf. Vorschläge für die von der Ständigen Kammer zu treffenden Entscheidungen.101 Die Europäischen Staatsanwälte überwachen die Durchführung der Aufgaben der EUStA in ihrem jeweiligen Mitgliedstaat in enger Abstimmung mit den Delegierten Europäischen Staatsanwälten und stellen sicher, dass diese alle einschlägigen Informationen aus der zentralen Dienststelle erhalten.102 e) Verwaltungsdirektor Der Verwaltungsdirektor regelt die Haushalts- und Verwaltungsangelegenheiten der EUStA, in welchen er die Behörde auch vertritt.103 Er übt sein Amt unabhängig aus und steht außerhalb der operativen Tätigkeit der EUStA. 2. Dezentrale Ebene in den Mitgliedstaaten: Delegierte Europäische Staatsanwälte Die dezentrale Ebene besteht aus den Delegierten Europäischen Staatsanwälten, die in den Mitgliedstaaten angesiedelt sind.104 In jedem Mitgliedstaat muss es zwei 97
Art. 12 Abs. 5 S. 1 VO. Art. 16 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3 VO. Die ersten Europäischen Staatsanwälte der Europäischen Staatsanwaltschaft wurden am 27. 07. 2020 qua Durchführungsbeschluss (EU) 2020/1117 des Rates ernannt, s. ABl. L 244/18 v. 29. 07. 2020. 99 Art. 12 Abs. 1 S. 1 VO. 100 Art. 10 Abs. 5 VO. 101 Art. 12 Abs. 1 S. 2 VO. 102 Art. 12 Abs. 5 S. 3 VO. 103 Art. 19 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3 VO. 104 Art. 8 Abs. 4 VO. Diese haben ihren Sitz in den Ländern: Österreich in Wien und Graz, Belgien in Brüssel, Bulgarien in Sofia, Kroatien in Zagreb, Zypern in Nicosia, Tschechien in Budweis, Brünn, 98
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oder mehr Delegierte Europäische Staatsanwälte geben.105 Im Jahr 2022 zählte die EUStA insgesamt 114 aktive Delegierte Europäische Staatsanwälte, insgesamt sollen in dieser ersten Einstellungsrunde 140 Delegierte Europäische Staatsanwälte ernannt werden.106 a) Zuständigkeit und Kompetenzen Die Delegierten Europäischen Staatsanwälte sind für die von ihnen eingeleiteten, ihnen zugewiesenen oder durch Wahrnehmung ihres Evokationsrechts übernommenen Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen zuständig.107 Sie führen die Ermittlungen, Strafverfolgungsmaßnahmen und Anklageerhebungen der EUStA vor Ort (nur) in ihren jeweiligen Mitgliedstaaten aus.108 Dabei handeln sie im Namen der EUStA und funktional als europäische Behörde.109 In dieser Rolle beanspruchen die Delegierten Europäischen Staatsanwälte unmittelbare Rechte aus der VO, gleichzeitig leiten sie Rechte aus den nationalen Rechtsordnungen ab und haben die gleichen Befugnisse wie nationale Staatsanwälte.110 Sie bleiben in operativer Sicht also in ihre nationalen Rechtsordnungen integriert (sog. „Doppelhut-Modell“).111 In Deutschland haben sich die Justizministerinnen und Justizminister der Länder mit Beschluss vom 15. 11. 2018 für die Errichtung von fünf sog. Zentren zur Bekämpfung der Finanzkriminalität zum Nachteil des EU-Haushalts in den (General-) Staatsanwaltschaften der Länder Bayern, Berlin, Hamburg, Hessen und NordrheinWestfahlen ausgesprochen.112 Die Dienstsitze der amtierenden deutschen Delegierten Europäischen Staatsanwälte liegen in Berlin, Frankfurt am Main, Hamburg,
Liberec, Prag, und Zlin, Estland in Tallinn, Finnland in Helsinki, Frankreich in Paris, Deutschland in Berlin, Frankfurt, Hamburg, Köln und München, Griechenland in Athen, Italien in Bologna, Mailand, Neapel, Palermo, Rom, Turin und Venedig, Lettland in Riga, Litauen in Vilnius, Luxemburg in Luxemburg, Malta in Valetta, Niederlande in Rotterdam, Portugal in Porto und Lissabon, Rumänien in Bukarest und Jassy, Slowakei in Bratislava, Slowenien in Ljubljana, Spanien in Madrid. 105 Art. 13 Abs. 2 VO. 106 EPPO Annual Report: 2022, S. 8. 107 Art. 13 Abs. 1 UAbs. 1 VO. 108 Art. 13 Abs. 1 VO. 109 Burchard, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 13 Rn. 3. 110 Burchard, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 13 Rn. 3. 111 Erwägungsgrund (43) VO. 112 Abrufbar unter: https://www.justiz.bayern.de/media/pdf/jumiko2018/herbst_2018/ii-2_ nw_-_bv_europ%C3%A4ische_staatsanwaltschaft_-_aufbau_von_zentren_und_personalgewin nung.pdf (15. 10. 2022).
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Köln und München.113 Für die Führung von Revisionsverfahren wurde beim Bundesgerichtshof eine Stelle am Dienstsitz des Generalbundesanwaltes in Karlsruhe geschaffen. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass sich die örtliche Zuständigkeit der deutschen Delegierten Europäischen Staatsanwälte nach der Sonderregel des § 143 Abs. 6 GVG auf das gesamte Bundesgebiet erstreckt.114 Die Grundregel des § 143 Abs. 1 GVG, nach der sich die örtliche Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft nach der Zuständigkeit des Gerichts richtet, für das sie bestellt ist, findet für die EUStA keine Anwendung.115 Soweit StPO Vorschriften die gerichtliche Zuständigkeit an den Sitz der zuständigen Staatsanwaltschaft knüpfen, gilt gem. § 3 Abs. 3 S. 1 EUStAG der Dienstort des mit den Ermittlungen betrauten oder unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts als Sitz der EUStA. b) Anweisungsbefugnis gegenüber nationalen Behörden Gem. Art. 28 Abs. 1 S. 1 VO kann der Delegierte Europäische Staatsanwalt im Einklang mit der VO und dem nationalen Recht Ermittlungsmaßnahmen und andere Maßnahmen selbst treffen oder aber auch die zuständigen Behörden seines Mitgliedstaates zur Durchführung von Maßnahmen anweisen. Diese Behörden stellen gem. Art. 28 Abs. 1 S. 2 VO sicher, dass die Weisungen des Delegierten Europäischen Staatsanwalts befolgt werden und führen die entsprechenden Maßnahmen im Einklang mit dem nationalen Recht durch. Die Mitgliedstaaten benennen und melden der EUStA die für die Durchführung der VO zuständigen Behörden.116 Die Bundesregierung hat in ihrer Mitteilung an die EUStA vom 18. 6. 2021 als zuständige nationale Behörden i. S. d. Art. 28 Abs. 1 S. 1 VO benannt: die Polizeibehörden (Polizei der Länder, Bundespolizei, Bundeskriminalamt), die Bundesfinanzbehörden (Hauptzollämter, Zollfahndungsämter, Zollkriminalamt), Landesfinanzbehörden (Finanzämter, Dienststellen der Steuerfahndung), die Forst- und Jagdverwaltung des Bundes, die Forst-, Jagd- und Fischereiverwaltung und Bergämter der Länder, ggf. weitere Behörden, deren Angehörige als Ermittlungspersonen nach den jeweiligen Landesverordnungen ermächtigt sind (§ 152 Abs. 2 GVG) und Kontrollbeamtinnen und -beamte der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung i. R. d. Fischereikontrolle außerhalb der Küstengewässer nach § 16 Abs. 3 SeeFischG.117 113 Vgl. College Decision 22/2020, College Decision 19/2020 und LTO, Europäische Staatsanwaltschaft. Es geht los, abrufbar unter https://www.lto.de/recht/justiz/j/eu-staatsanwalt schaft-start-betrug-umsatzsteuer-subventionen-geldwaesche-ermittlungen/ (15. 10. 2022). 114 Huber, in: BeckOK GVG, § 143, Rn. 10. 115 Vgl. Huber, in: BeckOK GVG, § 143, Rn. 1. 116 Art. 117 S. 1 VO. 117 S. Mitteilung der Bundesregierung vom 18. 06. 2021, abrufbar unter: https://www.eppo. europa.eu/sites/default/files/2021-11/12-DE.pdf (04. 03. 2023).
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Die Anweisungsbefugnis des Delegierten Europäischen Staatsanwalts gegenüber den nationalen Behörden reicht so weit, wie sie einem nationalen Staatsanwalt im innerstaatlichen, vergleichbaren Fall zusteht.118 In Deutschland kann der Delegierte Europäische Staatsanwalt die Polizei also nach Art. 28 Abs. 1 S. 1 VO i. V. m. § 161 Abs. 1 S. 1 StPO damit beauftragen, Ermittlungen durchzuführen.119 Die Auftragsausführung durch die Polizei erfolgt, ggf. nach eigenen Auskunftsverlangen gegenüber anderen Behörden, gem. § 161 Abs. 1 S. 2 StPO.120 Gem. §§ 161 Abs. 1 StPO, 404, 406 AO können die Finanzbehörden mit Ermittlungen jeder Art betraut werden. Maßnahmen, die die Polizeibehörden auf Anordnung des Delegierten Europäischen Staatsanwalts vornehmen, sind als prozessuale Akte der EUStA zu qualifizieren und damit der nach Art. 42 VO vorgesehenen gerichtlichen Kontrolle zugänglich.121 c) Zusammenarbeit mit den nationalen Staatsanwaltschaften Der deutsche Delegierte Europäische Staatsanwalt kann bei der Durchführung einzelner Ermittlungsmaßnahmen gem. § 13 EUStAG auch die örtlich zuständige, nationale Staatsanwaltschaft im Wege der Amtshilfe um Unterstützung ersuchen, so nach Nr. 302 Abs. 1 RiStBV bei der Durchführung von umfangreichen Durchsuchungsmaßnahmen oder der Zeugenvernehmung gem. § 161a Abs. 4 StPO.122 Ein an die nationale Staatsanwaltschaft gerichtetes Amtshilfeersuchen kann auch eine Bitte zur Bereitstellung eines Wirtschaftsreferenten enthalten.123 Die nationalen Staatsanwaltschaften sind zur loyalen Zusammenarbeit mit und zur Unterstützung der EUStA verpflichtet.124 Die Konzeption einer Zusammenarbeit über den Weg der Amtshilfe war notwendig, da der deutsche Delegierte Europäische Staatsanwalt die nationale Staatsanwaltschaft nicht bereits auf Grundlage des Art. 28 Abs. 1 S. 1 VO zur Durchführung einer Maßnahme anweisen kann.125 Die nationalen Staatsanwaltschaften sind, wenn die EUStA ihre Zuständigkeit ausgeübt hat, nicht als national zuständige Behörde i. S. d. Art. 28 Abs. 1 S. 1 VO zu sehen, da die EUStA an die Stelle der sonst zuständigen Staatsanwaltschaft tritt, wenn sie ihre Zuständigkeit für einen Fall
118
Trautmann, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 135, Rn. 126. Trautmann, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 135, Rn. 128. 120 Trautmann, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 135, Rn. 128. 121 Trautmann, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 136, Rn. 130. 122 Herrnfeld, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 77, Rn. 15. 123 Herrnfeld, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 77, Rn. 15. 124 Art. 5 Abs. 6 VO. 125 Herrnfeld, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 77, Rn. 15; Trautmann, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 136, Rn. 132. 119
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ausgeübt hat.126 Mit der Amtshilfekonzeption hat der deutsche Gesetzgeber für die Zusammenarbeit der EUStA mit den nationalen Staatsanwaltschaften die gleiche Struktur festgelegt, wie sie im Verhältnis zwischen innerstaatlichen Justizbehörden gem. §§ 156 ff. GVG vorgesehen ist.127 In der Tätigkeitspraxis des deutschen Delegierten Europäischen Staatsanwalts wird die Unterstützung des Rechtspflegers bei der Vorbereitung vermögensabschöpfender Maßnahmen nach § 111b StPO eine wichtige Rolle spielen.128 Der Delegierte Europäische Staatsanwalt wird dem Rechtspfleger die in § 31 Abs. 1 RPflG enthaltenen Geschäfte im Einzelfall dafür übertragen müssen, da § 31 RPflG gem. § 9 S. 1 EUStAG keine Anwendung findet.129 Bei der Aufgabenwahrnehmung der Delegierten Europäischen Staatsanwälte in anderen Mitgliedstaaten wird zu berücksichtigen sein, dass deren Rechtsordnungen ggf. verschiedene Ermittlungsphasen und die Figur eines Untersuchungsrichters, der ebenfalls an der Erforschung des Sachverhalts durch etwa die Durchführung von Zwangsmaßnahmen mitwirkt, kennen.130 So besteht das belgische Ermittlungsverfahren aus zwei Stufen, einer Voruntersuchungsphase („preliminary enquiry“), die der vollständigen Kontrolle der Staatsanwaltschaft obliegt und einer gerichtlichen Ermittlungsphase („judicial investigation“), die kompetenziell der Herrschaft des Untersuchungsrichters unterliegt.131 In Frankreich kann das Ermittlungsverfahren durch die sog. „phase d’ênquete“, einem polizeilichen Vorverfahren unter der Leitung der Staatsanwaltschaft („Procureur de la République“ und „Procureur général“) und der sog. „information“, einem vom Untersuchungsrichter („juge d’instruction“) geführten Ermittlungsabschnitt gekennzeichnet sein.132 Im luxemburgischen Strafprozess existiert wegen der historischen Verflechtung mit der französischen Strafprozessordnung mit der sog. „ênquete préliminaire“ auch ein polizeilich geführtes Vorverfahren unter der Kontrolle der Staatsanwaltschaft („procureur d’État“) sowie mit der sog. „instruction préparatoire“ eine durch den Untersuchungsrichter („juge d’instruction“) geführte Ermittlungsphase.133 Auch in Spanien wirkt der Untersuchungsrichter („juez de instrucción“) bei der Klärung des Sachverhalts durch die Leitung und Durchführung 126 Herrnfeld, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 77, Rn. 15 mit Verweis auf das geteilte Zuständigkeitsverhältnis zwischen nationaler Strafverfolgung und EUStA i. S. d. Art. 25 Abs. 1 S. 2 VO. 127 Trautmann, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 137, Rn. 136. 128 Trautmann, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 137, Rn. 138. 129 Trautmann, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 137, Rn. 138. 130 Auch die deutsche StPO kannte die Phase einer gerichtlichen Voruntersuchung und die Figur eines Untersuchungsrichters, die durch das 1. StVRG (Erstes Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts, BGBl. Teil I vom 11. 12. 1974, S. 3393) abgeschafft wurde. 131 Vgl. Van Den Berge, eucrim 2021, 63, 63. 132 Vgl. Knytel, Europäische Ermittlungsanordnung, S. 95 ff. 133 Vgl. Marletta, in: Ligeti u. a. (Hrsg.), EPPO At Launch, S. 191 f.
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von Ermittlungsmaßnahmen mit, wobei die Voruntersuchung („investigación preliminar“) des Staatsanwalts („fiscal“) vorgelagert sein kann.134. Eine Unterscheidung von Ermittlungen durch Staatsanwaltschaft und Untersuchungsrichter kennt auch der slowenische Strafprozess.135 In diesen Mitgliedstaaten ergeben sich für die Arbeit der Delegierten Europäischen Staatsanwälte unter Umständen Besonderheiten.136 d) Aufsicht über die Delegierten Europäischen Staatsanwälte Die Delegierten Europäischen Staatsanwälte unterliegen gem. Art. 12 Abs. 1 VO der Aufsicht der Europäischen Staatsanwälte für die Ständige Kammer. In grenzüberschreitenden Fällen der EUStA gewährleistet die Ständige Kammer gem. Art. 10 Abs. 2 S. 2 VO die Koordination der Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen sowie die Durchführung der vom Kollegium gem. Art. 9 Abs. 2 VO getroffenen Entscheidungen über strategische Fragen und allgemeine Angelegenheiten.137 Eine Weisungsabhängigkeit besteht nur im Verhältnis der Delegierten Europäischen Staatsanwälte zur Ständigen Kammer und zu dem die Aufsicht führenden Europäischen Staatsanwalt. Von Personen außerhalb der EUStA, von Mitgliedstaaten, Organen, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der EU dürfen die Delegierten Europäischen Staatsanwälte keine Weisungen einholen oder entgegennehmen.138 Für deutsche Delegierte Europäische Staatsanwälte bedeutet dies, dass sie ausschließlich den Weisungen und der Aufsicht nach Maßgabe der VO unterliegen und die §§ 144 – 147 GVG nicht anzuwenden sind.139
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Vgl. Vilas Álvarez, eucrim 2018, 124, 125. Vgl. Van Den Berge, eucrim 2021, 63, 63. 136 So haben Frankreich, Luxemburg, Spanien und Slowenien mit der Schaffung der EUStA Anpassungen in ihren Strafprozessordnungen initiiert, wonach den Delegierten Europäischen Staatsanwälten die Ermittlungsaufgaben des Untersuchungsrichters übertragen wurden. Im Falle der Anordnung von gewissen Ermittlungsmaßnahmen durch den Delegierten Europäischen Staatsanwalt soll der Untersuchungsrichter als Kontrollinstanz fungieren, vgl. Van Den Berge, eucrim 2021, 63, 63. Die Aufgaben des Untersuchungsrichters, der damit aus der Sachverhaltsermittlung herausgezogen und dem nunmehr (nur noch) die richterliche Kontrolle von Ermittlungsmaßnahmen zugeschrieben wird, nähern sich damit funktional den Aufgaben des deutschen Ermittlungsrichters an. Belgien dagegen hat darauf verzichtet, den Verfahrensablauf im Strafverfahren anlässlich der Schaffung der EUStA zu ändern. So bleibt der belgische Untersuchungsrichter weiterhin zuständig für die Durchführung bestimmter Ermittlungsmaßnahmen, wie etwa die Durchsuchung oder die Telekommunikationsüberwachung, deren Durchführung der Delegierte Europäische Staatsanwalt beantragen kann. Der belgische Gesetzgeber sieht die Ernennung von Untersuchungsrichtern vor, die auf Finanzkriminalität spezialisiert sind und vorrangig in EUStA-Verfahren eingebunden werden sollen, vgl. Van Den Berge, eucrim 2021, 63, 64. 137 Art. 10 Abs. 2 VO. 138 Art. 6 Abs. 1 VO. 139 Vgl. § 5 Abs. 1 S. 2 EUStAG. 135
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A. Europäische Staatsanwaltschaft als neuer Akteur
3. Bewertung und Fazit Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass die EUStA einerseits Tätigkeiten durch die der zentralen Ebene angehörigen Gremien vornehmen wird. Sie wird dort mit dem Kollegium über strategische Fragestellungen befinden, auf die Gleichförmigkeit ihres Handelns hinwirken und ein leitlinienorientiertes Profil schaffen. Mit den Ständigen Kammern wird das operationelle Geschäft gebündelt und gelenkt, indem verfahrensleitende Entscheidungen, z. B. in Bezug auf Anklageerhebung und Verfahrensbeendigung, getroffen werden. Dazu gehört auch die Aufsicht über die Durchführung der operationellen Tätigkeit der dezentralen Ebene. In grenzüberschreitenden Fallgestaltungen kommt den Ständigen Kammern in der zentralen Ebene die Rolle zu, die internationalen Ermittlungen zu koordinieren. Durch diesen modus operandi werden Verfahrensinformationen zentralisiert und ein Forum für das mitgliedstaatliche Verdikt in der unionalen Strafverfolgung geschaffen. Die zentrale Ebene bildet mit den Ständigen Kammern das eigentlich multinationale Element140 und den Drehpunkt der Ermittlungen der EUStA. Komplettiert werden sie aber erst durch die operationelle und investigative Tätigkeit der Delegierten Europäischen Staatsanwälte und letztlich durch den Rückgriff auf mitgliedstaatliche Strafverfolgungsressourcen, die aufgrund ihrer Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit zu einer Kooperation mit der EUStA verpflichtet sind. Die Delegierten Europäischen Staatsanwälte ihrerseits sind nur den Weisungen der zentralen Ebene unterworfen, die von dem die Aufsicht führenden Europäischen Staatsanwalt ausgesprochen oder von diesem im Namen der Ständigen Kammern transportiert werden. Das gerichtliche Hauptverfahren findet vor den mitgliedstaatlichen Gerichten statt. Den Delegierten Europäischen Staatsanwälten kommt in diesem Verfahrensstadium die Vertretung der Anklage zu. Auch wenn die Errichtung der EUStA einen großen Fortschritt für die Entwicklung des Europäischen Strafrechts mit sich gebracht hat, fällt auf, dass die EUStA ihre Handlungsmöglichkeiten überwiegend aus den nationalen Rechtsordnungen ableitet. Ihre organisatorische Ausgestaltung ist an die mitgliedstaatlichen Strafverfolgungsstrukturen angelehnt und ihre Funktionsweise folgt den Normdirektiven der nationalen Rechtsordnungen. Das Corpus Juris141 dagegen, welches zu Beginn der 1990er Jahre den ersten Modellentwurf für die Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft aufgestellt hatte, sah eine deutlich weitreichendere Europäisierung des Strafprozesses vor.142 Danach sollten sog. abgeordnete Europäische Staatsanwälte im gesamten Unionsgebiet für die Ermittlung, Verfolgung, Anklageerhebung und Vollstreckung zuständig sein, ohne dabei an die territorialen
140
Vgl. Maschl-Clausen, eucrim 2021, 55, 56. Delmas-Marty/Vervaele, Corpus Juris 2000, Fassung von Florenz. 142 S. zusammenfassend Zöller/Bock, in: Böse (Hrsg.), EnzEur, Bd. 11, § 22, Rn. 3. 141
III. Rechtsquellen und anwendbares Recht
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Grenzen ihres Mitgliedstaates beschränkt zu sein.143 Die europäische Union sollte zu diesem Zweck einen einheitlichen Strafverfolgungsraum bilden.144 Der europäische Gesetzgeber hat sich mit der VO, dreißig Jahre nach Entstehung der ersten Vision für eine Europäische Staatsanwaltschaft dagegen für ein Modell entschieden, das die nationale, souveränitätsbezogene Strafverfolgung der Mitgliedstaaten weitestgehend konserviert.
III. Rechtsquellen und anwendbares Recht Die Arbeitsweise der EUStA folgt den Regelungen der VO, ihrer Geschäftsordnung, ihren Leitlinien, Arbeits- und Kooperationsabkommen mit Partnern sowie den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen. 1. Vorrang der VO und Grundprinzipien Die Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen der EUStA unterliegen gem. Art. 5 Abs. 3 S. 1 VO der VO. Soweit eine Frage in der VO nicht geregelt ist, ist nationales Recht anzuwenden; nationales Recht meint das anwendbare nationale Recht des Mitgliedstaates des mit dem Verfahren betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts.145 Regeln nationales Recht und VO dieselbe Frage, gilt das Primat des EU-Rechts,146 wonach die nationale Vorschrift bestehen bleibt, aber nicht angewendet werden darf.147 Normhierarchisch steht das gesamte Primär- und Sekundärrecht der EU über dem einfachen Recht und auch über dem deutschen Grundgesetz.148 In Art. 5 Abs. 1 VO bekennt sich die EUStA zur Wahrung der in der Grundrechtecharta (GrCh) verankerten Rechte, wobei sich ihre Bindung an die GrCh als Einrichtung der Union149 bereits aus Art. 51 Abs. 1 GrCh ergibt. Nach Art. 5 Abs. 2 VO ist die EUStA bei all ihren Tätigkeiten an die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und Verhältnismäßigkeit gebunden.
143 Vgl. Delmas-Marty/Vervaele, Corpus Juris 2000, Fassung von Florenz, Art. 18 Nr. 2 und Nr. 4 lit. a). 144 Vgl. Delmas-Marty/Vervaele, Corpus Juris 2000, Fassung von Florenz, Art. 18 Nr. 1. 145 Art. 5 Abs. 3 S. 2 VO. 146 Art. 5 Abs. 3 S. 3 VO. 147 Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 1 AEUV, Rn. 18. 148 Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 1 AEUV, Rn. 20 f. 149 Art. 3 Abs. 1 VO.
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A. Europäische Staatsanwaltschaft als neuer Akteur
2. Geschäftsordnung, Leitlinien und Durchführungsbestimmungen Art. 21 VO vermittelt der EUStA das Recht, ihre innere Arbeitsorganisation mittels einer Geschäftsordnung selbst festzulegen.150 Da die Geschäftsordnungsautonomie unmittelbar aus der VO folgt, hat sie sich im Rahmen der verordnungsgebenden Vorgaben zu bewegen.151 Normhierarchisch ist die Geschäftsordnung als Tertiärrecht zu klassifizieren, welches den Bestimmungen des Primär- und Sekundärrechts nachsteht.152 Inhaltlich enthält die Geschäftsordnung eine Sammlung von intern verbindlichen Rechtsnormen zu den Arbeitsabläufen und innerbehördlichen Zuständigkeiten der EUStA. Im Verhältnis zum Bürger entfaltet sie dagegen keine (Außen-)Wirkung.153 Für spezielle Regelungsgegenstände hält die VO die Rechtsinstrumente Leitlinien (sog. „Guidelines“)154 und Durchführungsbestimmungen155 bereit. Leitlinien unterscheiden sich von der Geschäftsordnung durch ein geringeres Maß an Bindungswirkung, sie lösen keine verbindliche Rechtsfolge aus.156 Leitlinien sind keine Rechtsnormen, denen unbedingt Folge zu leisten wäre, sondern dienen als Verhaltensnormen, die auf eine zu befolgende Verwaltungspraxis hinweisen oder fungieren als Auslegungs- und Orientierungshilfe bei der Anwendung von Normen.157 Eine allgemeine Befugnis zum Erlass von Leitlinien erblickt die EUStA in Art. 9 Abs. 2 VO. Die Norm stattet das Kollegium mit der Befugnis zur Gestaltung der Strafverfolgungspolitik der EUStA aus. Auf Grundlage von Art. 9 Abs. 2 VO, Art. 31, und Art. 114 VO158 hat das Kollegium Leitlinien zur Materie der grenzüberschreitenden Ermittlungen nach Art. 31 VO erlassen.159 150
Zum Zustandekommen der Geschäftsordnung s. Art. 9 Abs. 4 VO, Art. 21 Abs. 2 VO. Brodowski, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 21, Rn. 4. 152 Brodowski, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 21, Rn. 4. 153 Brodowski, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 21, Rn. 5 f. 154 Vgl. Art. 27 Abs. 8 VO: für die Evokation eines Verfahrens, Art. 34 Abs. 3 VO: für die Verweisung eines Verfahrens an die nationalen Behörden und Art. 40 Abs. 2 VO: für das vereinfachte Strafverfolgungsverfahren. 155 Vgl. Art. 78 Abs. 5 (Durchführungsbestimmungen zur Auswahl und zu den Aufgaben des Datenschutzbeauftragten), Art. 96 Abs. 1, Art. 114 lit. c) VO (Durchführungsbestimmungen zu den Beschäftigungsbedingungen der Delegierten Europäischen Staatsanwälte); Art. 114 lit. d) VO (Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten), Art. 114 lit. e) (Durchführungsbestimmungen zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft und zum freien Datenverkehr). 156 Vgl. Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 27, Rn. 14; siehe aber auch Brodowski, in: Herrnfeld u.a, (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 21, Rn. 16, nach dem sich die Rechtsnatur von Geschäftsordnung und Leitlinien nicht unbedingt trennscharf unterscheiden lässt. 157 Vgl. EuG (Fünfte Kammer), Urteil v. 08. 10. 2008 – T-73/04. 158 Vgl. Vorbemerkung zu Art. 1 Leitlinien zu Art. 31 VO. 151
III. Rechtsquellen und anwendbares Recht
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3. Partnerschaftsvereinbarungen Die VO sieht vor, dass die EUStA Partnerschaften zu Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union, zu den Behörden der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten, den Behörden von Drittstaaten und internationalen Organisationen herstellen und unterhalten kann, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist.160 Ordnungsrahmen solcher Partnerschaften können insbesondere Arbeitsvereinbarungen sein, in Beziehung zu den nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten oder Drittstaaten kommen auch völkerrechtlich bindende Übereinkommen und sog. „Memoranda of Understanding“ in Betracht.161 4. Mitgliedstaatliches nationales Recht Außerhalb des Regelungsbereichs der VO sind die Strafverfolgungssysteme der Mitgliedstaaten für die Arbeitsweise der EUStA bestimmend. In Deutschland sind das die Regelwerke der StPO, des GVG und StGB, die für die EUStA den Ablauf des Zwischen-, Haupt- und Rechtsmittelverfahrens bestimmen, wenn innerhalb des Zuständigkeitsbereichs der EUStA ein deutscher Europäischer Delegierter Staatsanwalt mit den Ermittlungen betraut würde. 159 College Decision 006/2022. Art. 9 Abs. 2 VO wird offenbar als eine Generalklausel zum Erlass von Leitlinien für die Ermittlungspraxis der EUStA interpretiert. Die Norm bestimmt, dass das Kollegium über Fragen und allgemeine Angelegenheiten zur Sicherstellung der Kohärenz, Effizienz und Einheitlichkeit der Strafverfolgungspolitik der EUStA in allen Mitgliedstaaten, entscheidet. Dass Leitlinien das zur Umsetzung dieser Entscheidungen entsprechende Instrument wären, ergibt sich nicht schon aus dem Wortlaut von Art. 9 Abs. 2 VO, den Begriff „Leitlinie[n]“ lässt er missen. Vielmehr existieren in der VO (nur) Spezialnormen, die bei Vorliegen eines bestimmten Szenarios den Erlass von „allgemeinen Leitlinie[n]“ durch das Kollegium vorsehen (vgl. Art. 27 Abs. 8 VO: für die Evokation eines Verfahrens, Art. 34 Abs. 3 VO: für die Verweisung eines Verfahrens an die nationalen Behörden und Art. 40 Abs. 2 VO: für das vereinfachte Strafverfolgungsverfahren, vgl. auch Art. 11 Geschäftsordnung, der das Verfahren für den Erlass von Leitlinien (nur) auf Grundlage der vorgenannten Bestimmungen festlegt). Daraus wäre unter systematischer Auslegung auch der Rückschluss zulässig, das Kollegium wäre verordnungskonzeptionell nur bei Bezugnahme auf eine (der o. g.) Spezialnorm im Rahmen ihres Aufgabenbereichs nach Art. 9 VO dazu befugt, überhaupt Leitlinien erlassen. Art. 31 VO enthält im Gegensatz zu den o. g. Spezialnormen keine Verweisung auf Art. 9 Abs. 2 VO. Im Sinne der Gewährleistung einer gleichförmigen Strafverfolgungspraxis bei grenzüberschreitenden Ermittlungen ist der Erlass von Leitlinien zu begrüßen. Im Sinne der Rechtsklarheit aber hätte der Verordnungsgeber eine Art. 9 Abs. 2 VO eindeutig als Generalermächtigung für den Erlass von Leitlinien ausgestalten können. 160 Art. 99 Abs. 1 VO. 161 S. für eine Darstellung der Zusammenarbeit durch Kooperationsvereinbarung zwischen der EUStA und nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten unter B., S. 125 ff. dieser Arbeit; zwischen EUStA und Drittstaaten unter B., S. 135 ff. dieser Arbeit; zwischen EUStA und Eurojust unter B., S. 145 ff. dieser Arbeit; zwischen EUStA und OLAF unter B., S. 158 ff. dieser Arbeit.
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A. Europäische Staatsanwaltschaft als neuer Akteur
Die VO enthält Regelungen zur Erhebung der Anklage,162 die allerdings nur den innerbehördlichen Entscheidungsprozess zum Vorgehen mit einem ausermittelten Sachverhalt bestimmen.163 Die VO trifft keine Regelungen dazu, wie sich die Anklageerhebung im (Außen-)Verhältnis zu den mitgliedstaatlichen Gerichten oder wie sich die Vertretung der Anklage nach dem Zeitpunkt der Anklageerhebung zu gestalten hat. Deshalb bestimmt mitgliedstaatliches nationales Prozessrecht (das Zwischenverfahren sowie)164 das gerichtliche Hauptverfahren.165 Ab dem Zeitpunkt der Anklageerhebung wird die EUStA bzw. der Delegierte Europäische Staatsanwalt als Vertreter der Anklage vollends in das nationale Gerichtsverfahren eingebettet. 5. Bewertung und Fazit Damit stellt sich die Arbeitsweise der EUStA als das Produkt europäischer und nationaler Gesetzgebung, interner Organisationsregeln sowie vertraglicher Beziehungen dar. Für das Ermittlungsverfahren hält die VO nur fragmentarisch genuine Regelungen bereit und weist vielfältige Inbezugnahmen auf das nationale Strafverfahrensrecht auf.166 Der eingeschränkte Regelungsbereich der VO führt dazu, dass der Ablauf des Strafverfahrens im Kompetenzbereich der EUStA durch die nationalen Verfahrenssysteme ausgefüllt wird und sich die Bedeutung der Frage nach dem Anwendungsvorrang der VO im Verhältnis zum nationalen Recht relativiert. 162 Vgl. Art. 35 Abs. 1 und Art. 36 Abs. 1 VO, wonach der Delegierte Europäische Staatsanwalt nach Abschluss der Ermittlungen dem die Aufsicht führenden Europäischen Staatsanwalt einen Beschlussentwurf zu der Frage vorlegt, ob die Strafverfolgung vor einem nationalen Gericht stattfinden soll. Der Europäische Staatsanwalt leitet diesen Beschlussentwurf, versehen mit einer eigenen Bewertung, der zuständigen Ständigen Kammer weiter. Sofern der Beschlussentwurf darauf lautet, Anklage zu erheben, hat die zuständige Ständige Kammer über den Beschlussentwurf zu beschließen. 163 Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 36 Rn. 3. 164 Soweit dieses im mitgliedstaatlichen Recht als Prozessabschnitt nach Ermittlungsabschluss und vor gerichtlichem Hauptverfahren vorgesehen ist. 165 Vgl. Vogel/Eisele, in: Grabitz u. a. (Hrsg.), Recht der EU, Art. 86 AEUV, Rn. 43 und Rn. 56 mit Verweis auf Art. 86 Abs. 3 AEUV, der eine Ermächtigung für die Festlegung von Verfahrensvorschriften, die für die EUStA gelten, bereithält und die nationale Gerichtsorganisation und das nationale Recht über das gerichtliche Hauptverfahren gerade nicht erfasst. 166 Vgl. bspw. Art. 28 Abs. 1 VO (Führung der Ermittlungen): „Der mit einem Verfahren betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt kann im Einklang mit dieser Verordnung und dem nationalen Recht die Ermittlungsmaßnahmen und andere Maßnahmen entweder selbst treffen oder die zuständigen Behörden seines Mitgliedstaats dazu anweisen“ und vgl. Art. 40 VO (Vereinfachte Strafverfolgungsverfahren): „Wenn das geltende nationale Recht ein vereinfachtes Strafverfolgungsverfahren zum endgültigen Abschluss des Verfahrens […] vorsieht, kann der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt […] der zuständigen ständigen Kammer vorschlagen, dieses Verfahren gemäß den im nationalen Recht vorgesehenen Bedingungen anzuwenden.“ (Herv. durch Verf.).
IV. Informationskanäle und Aktenverwaltung der EUStA
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Daneben benennt die VO nationale, internationale und nichtstaatliche Instanzen als Kooperationspartner der EUStA. Kooperations- und Arbeitsvereinbarungen mit diesen Partnern können der EUStA im Rahmen ihrer Aufgabenwahrnehmung vielseitige Handlungsmöglichkeiten eröffnen.167 Der von grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffene steht somit einem Konglomerat aus europäischen Normen, nationalen Verfahrensabläufen, internationaler Zusammenarbeit und vertraglichen Vereinbarungen gegenüber.
IV. Informationskanäle und Aktenverwaltung der EUStA Informationen über die in ihrem Zuständigkeitsbereich liegenden Sachverhalte kann die EUStA einerseits durch Meldung bzw. Unterrichtung gem. Art. 24 VO von den mitgliedstaatlichen Behörden oder den Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union erhalten. Anderseits können die Delegierten Europäischen Staatsanwälte gem. Art. 43 Abs. 1 und Abs. 2 VO auch auf mitgliedstaatliche oder unionale (Strafverfolgungs-)Datenbanken zurückgreifen, um sich Zugang zu ermittlungssachdienlichen Informationen zu verschaffen. Ihre Aktenverwaltung stellt die EUStA gem. Art. 44 VO durch ein eigenes Informationssystem, dem sog. Fallbearbeitungssystem, sicher. 1. Informationszugang durch Meldung bzw. Unterrichtung Die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union sowie die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten sind gem. Art. 24 Abs. 1 VO dazu verpflichtet, der EUStA unverzüglich Straftaten zu melden, für die sie ihre Zuständigkeit ausüben könnte.168 Die Meldung kann an den Delegierten Europäischen Staatsanwalt oder an die EUStA-Zentrale adressiert werden.169 Die Meldung versetzt die EUStA in die Lage, ein Ermittlungsverfahren gem. Art. 26 VO einzuleiten.170 Aus Perspektive des deutschen Rechts wird eine Meldepflicht in Anlehnung an § 116 AO bereits ausgelöst, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Straftat besteht, die mehr als eine bloße Vermutung darstellt. Das Vorliegen eines Anfangsverdachts i. S. d. § 152 Abs. 2 StPO oder eines sonstigen qualifizierten Tatverdachts i. S. d. §§ 112, 203 StPO ist dagegen nicht erforderlich.171
167
S. dazu ausführliche Darstellungen unter B., S. 144 ff. dieser Arbeit in Bezug auf die Kooperation mit Eurojust und B., S. 158 ff. dieser Arbeit in Bezug auf die Kooperation mit OLAF. 168 Vgl. auch Erwägungsgründe (48) und (49) VO. 169 Trautmann, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 121, Rn. 56. 170 Trautmann, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 121, Rn. 57. 171 Trautmann, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 125 f., Rn. 73.
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A. Europäische Staatsanwaltschaft als neuer Akteur
Hat die Justiz- oder Strafverfolgungsbehörde eines Mitgliedstaates bereits ein Ermittlungsverfahren wegen einer Straftat, für die die EUStA sachlich zuständig ist, eingeleitet oder erkennt sie die Zuständigkeit der EUStA zu einem späteren Zeitpunkt und liegt ein Fall der konkurrierenden Zuständigkeit zwischen EUStA und mitgliedstaatlicher Strafverfolgung vor,172 so unterrichtet die Behörde die EUStA unverzüglich über diese Straftat. Die Unterrichtung ermöglicht der EUStA die Evokation und Übernahme des mitgliedstaatlich bereits eingeleiteten Ermittlungsverfahrens gem. Art. 27 VO.173 Eine Unterrichtung zur EUStA erfolgt nach der deutschen Zuständigkeitsverteilung im Strafverfahren durch die Staatsanwaltschaft (und nicht bereits durch ihre Ermittlungspersonen).174 Auch die gem. § 386 Abs. 2 AO zuständigen Straf- und Bußgeldstellen bei den Hauptzollämtern, Finanzämtern und dem Bundeszentralamt für Steuerstrafsachen, die das Ermittlungsverfahren i. S. d. § 399 Abs. 1 AO selbstständig führen und soweit sie die Stellung einer Staatsanwaltschaft einnehmen, können die EUStA unterrichten.175 Sofern gem. § 397 Abs. 1 AO bereits ein förmliches Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, unterrichten auch die Steuerfahndungsbehörden und Zollämter die EUStA.176 Die mitgliedstaatlichen Behörden sollen ein System schaffen, welches die Informationsübermittlung in Richtung der EUStA sicherstellt.177 In der konkreten Umsetzung dieses Systems sind die Mitgliedstaaten frei.178 In Deutschland wurde ein solches Meldesystem bisher nicht geschaffen, könnte aber durch Verwaltungsvorschriften errichtet werden.179
172
Vgl. Art. 25 Abs. 2 VO, wonach die EUStA bei einem Schaden von weniger als 10.000 Euro ihre Zuständigkeit für das PIF-Delikt nur unter bestimmten Voraussetzungen ausüben kann und vgl. Art. 25 Abs. 3 VO, wonach die EUStA ihre Zuständigkeit nicht ausübt und den Fall an die zuständigen nationalen Behörden verweist, wenn das nationale Recht für das in Frage stehende Delikt eine bestimmte Höchststrafe nicht bereithält bzw. wenn der durch das PIF-Delikt entstandene Schaden eine bestimmte Schwelle nicht erreicht. 173 Trautmann, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 121, Rn. 57. 174 Trautmann, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 123, Rn. 63. 175 Trautmann, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 126 f., Rn. 78. 176 Trautmann, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 126 f., Rn. 78. 177 Vgl. Erwägungsgrund (52) VO. 178 Trautmann, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 125, Rn. 68. 179 Trautmann, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 125, Rn. 70. Für die Form und den Inhalt der Unterrichtung an die deutschen Delegierten Europäischen Staatsanwälte s. die praxisrelevanten Hinweise von Trautmann, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 127 f., Rn. 83.
IV. Informationskanäle und Aktenverwaltung der EUStA
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2. Informationen aus nationalen Datenbanken oder Registern Eine weitere Informationsquelle für die EUStA sind die in nationalen Ermittlungs- und Strafverfolgungsdatenbanken oder entsprechenden Registern der mitgliedstaatlichen Behörden hinterlegten Informationen. Der Delegierte Europäische Staatsanwalt kann gem. Art. 43 Abs. 1 VO sachdienliche Informationen aus den vorgenannten Quellen abrufen oder anfordern, wenn dies nach nationalem Recht in vergleichbaren Fällen möglich wäre. Die Norm vermittelt dem Delegierten Europäischen Staatsanwalt aber keinen (technischen) Direktzugriff oder eine eigene Durchsuchungsmöglichkeit von jeglichen nationalen behördlichen Strafverfolgungsdatenbanken, sondern garantiert ihm (nur) den Erhalt von Informationen.180 Hat der Delegierte Europäische Staatsanwalt nach Maßgabe des nationalen Rechts keinen direkten eigenen Zugriff auf eine behördliche Datenbank, kann er den Träger der behördlichen Datenbank um ermittlungsrelevante Informationsfreigabe ersuchen. Gegenüber dem Träger der behördlichen Datenbank hat er einen Auskunftsanspruch, der darauf gerichtet ist, (überhaupt) eine Antwort zu erhalten.181 Inhaltlich muss das Ersuchen des Delegierten Europäischen Staatsanwalts auf eine sachdienliche Information gerichtet sein.182 Er kann auch bereits vor der förmlichen Einleitung eines Ermittlungsverfahren ein Auskunftsersuchen stellen, da dieses keinen hoheitlichen Eingriff begründet.183 In der Praxis wird eine Beauskunftung vor Einleitung eines Ermittlungsverfahrens regelmäßig erfolgen, wenn der Delegierte Europäische Staatsanwalt die ihm vorgelegten Meldungen bzw. Unterrichtungen nach Art. 26 Abs. 4 VO überprüft.184
180
Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 43, Rn. 3 mit Verweis auf den Wortlaut von Art. 43 Abs. 1 VO: „Delegierte Europäische Staatsanwälte können […] sachdienliche Informationen erhalten […]“. (Herv. durch Verf.). 181 Vgl. Ausführungen im Referentenentwurf des BMJV, Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der VO, S. 39, Art. 43, wonach „der Auskunftsanspruch unmittelbar aus Art. 43 Abs. 1 EUStA-Verordnung in Verbindung mit der jeweiligen Regelung im deutschen Recht“ resultiert. Vgl. auch Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 43, Rn. 7, der jedenfalls für Art. 43 Abs. 2 (Informationszugang auf unionaler Ebene) ausführt, dass die ersuchten unionalen Behörden – im Einklang mit den einschlägigen Datenverarbeitungsregularien – zu einer Antwort verpflichtet wären. Da sowohl Art. 43 Abs. 1 als auch Art. 43 Abs. 2 VO lauten, dass Informationen „erhalten“ werden „können“ bzw. „kann“, ist eine Verpflichtung der ersuchten Informationsträger zu einer Antwort anzunehmen, sofern eine Auskunftsbeziehung zwischen Staatsanwaltschaft und Informationsträger nach nationalem Recht grundsätzlich besteht. 182 Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 43, Rn. 3 ff. 183 Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 43, Rn. 5; mit Verweis auf Art. 13 Abs. 1 VO auch der Referentenentwurf des BMJV, Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der VO, S. 67, zu § 12; Trautmann, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 139, Rn. 147. 184 Trautmann, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 139, Rn. 147.
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A. Europäische Staatsanwaltschaft als neuer Akteur
Für die deutschen Delegierten Europäischen Staatsanwälte sind Zugänge zu Informationen im Verfahrensregister der jeweiligen Staatsanwaltschaft (§ 485 StPO), im Zentralen staatsanwaltlichen Verfahrensregister (§§ 492 ff. StPO), im Bundeszentralregister sowie ggf. in einer landesbezogen geführte Vollzugsdatei und in anderen behördlichen Registern eröffnet. In der Praxis dürfte vor allem um Informationen aus dem vom Bundesamt für Justiz als Registerbehörde185 geführten Zentralen staatsanwaltlichen Verfahrensregister (ZStV) ersucht werden. Darin werden bundesländerübergreifend alle staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren gesammelt, die sich gegen einen bestimmten bekannten Täter richten.186 Sämtliche Staatsanwaltschaften sowie Finanzbehörden, soweit sie die Ermittlungen führen,187 sind dazu verpflichtet, der Registerbehörde einzutragende Daten mitzuteilen.188 Dazu gehören die Personendaten eines Beschuldigten und, soweit erforderlich, zu seiner Identifizierung geeignete Merkmale, die nähere Bezeichnung der Straftaten, Tatzeiten und Tatorte sowie Daten zur Einleitung des Verfahrens und Verfahrenserledigung.189 Weitere relevante Informationen werden im Ausländerzentralregister, Handelsregister, Fahrerlaubnisregister sowie im Schuldnerverzeichnis gem. § 882f Abs. 1 S. 1 Nr. 5 ZPO oder über BaFin-Auskünfte nach §§ 24c KWG verfügbar sein.190
3. Informationen aus unionalen Datenbanken oder Registern Sachdienliche Informationen kann die EUStA gem. Art. 43 Abs. 2 VO auch aus Datenbanken und Registern der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union erhalten. Während der Informationszugang auf nationaler Ebene dem Delegierten Europäischen Staatsanwalt – und im Ausnahmefall dem die Ermittlungen nach Art. 28 Abs. 4 VO führenden Europäischen Staatsanwalt – vorbehalten ist, kommt der Zugang zu Informationen aus der unionalen Ebene der EUStA, also auch den Ständigen Kammern und dem restlichen Personal der EUStA, zu. Die Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Union müssen der EUStA aber weder direkten Zugriff auf ihre Informationssysteme einrichten noch die ersuchte Information liefern, sofern dies im Widerspruch zum Unionsrecht, insbesondere der Verordnung (EU) 2018/1725 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union,191 steht.192 Jedenfalls aber sollen sie Ersuchen der EUStA beantworten.193 185
§ 492 Abs. 1 StPO. Wittig, in: BeckOK StPO, § 492, Rn. 4. 187 §§ 386, 399 AO. 188 Wittig, in: BeckOK StPO, § 492, Rn. 6. 189 § 492 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 – 5 StPO. 190 Trautmann, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 139, Rn. 148. 191 ABl. L 295/39 v. 21. 11. 2018. 186
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Besondere Regeln für den Informationsfluss auf unionaler Ebene trifft die VO in Bezug auf Eurojust und OLAF. Der EUStA wird ein mittelbarer Zugriff auf in den Fallbearbeitungssystemen von Eurojust194 und OLAF195 befindlichen Informationen nach dem Prinzip des „Treffer/Kein-Treffer“-Verfahrens gewährt (umgekehrt erhalten Eurojust und OLAF einen gleichförmigen Zugriff auf das Fallbearbeitungssystem der EUStA).196 Die EUStA kann spezifische Suchbegriffe in die Fallbearbeitungssysteme von Eurojust und OLAF eingeben und eine automatische Suche auslösen. Wenn die durch die EUStA eingegebenen Suchbegriffe im Fallbearbeitungssystem des Eurojust oder OLAF einen Treffer generieren, wird dieser Umstand – also das Vorliegen eines Treffers – wechselseitig der abfragenden EUStA sowie Eurojust (und im Falle einer Abfrage im Fallbearbeitungssystem von Eurojust auch dem EU-Mitgliedstaat, das die betroffenen Daten Eurojust übermittelt hat)197 bzw. OLAF mitgeteilt. Zu dieser Mitteilung gehört auch die Offenbarung der abgefragten Suchbegriffe.198 Die hinter dem Treffer stehende, im abgefragten Fallbearbeitungssystem hinterlegte (vollständige) Information, wird vom mittelbaren Zugriffsrecht der EUStA nach dem Treffer/Kein-Treffer Verfahren jedoch nicht erfasst.199 Deshalb wird sie bei Vorliegen eines Treffers auch nicht angezeigt. Bei Vorliegen eines Treffers kann die EUStA Eurojust gem. Art. 100 Abs. 2 lit. a) VO bzw. OLAF gem. Art. 101 Abs. 3 lit. a) VO um Übermittlung der hinterlegten Information ersuchen. Die Übermittlung der im jeweiligen Fallbearbeitungssystem hinterlegten Information erfolgt nach Maßgabe der VO, der Eurojust-VO bzw. der OLAF Änderungs-VO und im Einklang mit der Verordnung (EU) 2018/1725 des Europäischen Rates und des Europäischen Parlaments vom 23. Oktober 2018 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 45/2001 und des Beschlusses Nr. 1247/2002/EG.200 Im Fallbearbeitungssystem von Eurojust sind Informationen enthalten, die die mitgliedstaatlichen Behörden,
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Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 43, Rn. 7. Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 43, Rn. 7. 194 Art. 100 Abs. 3 VO, Art. 50 Abs. 5 S. 2 Eurojust-VO. S. dazu Darstellungen unter B., S. 155 ff. dieser Arbeit. 195 Art. 101 Abs. 5 VO, s. dazu Darstellungen unter B., S. 169 ff. dieser Arbeit. 196 Für Eurojust folgt dies aus Art. 50 Abs. 5 S. 1 Eurojust-VO, für OLAF folgt dies aus Art. 12g Abs. 2 OLAF Änderungs-VO. 197 Esser, StV 2020, 636, 641. 198 Brodowski, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 100, Rn. 25 und Art. 101, Rn. 39. 199 Brodowski, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 100, Rn. 25 und Art. 101, Rn. 37. 200 Brodowski, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 100, Rn. 25. 193
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Europol, die EUStA und OLAF liefern, um die Aufgabenwahrnehmung Eurojusts zu ermöglichen.201 Zudem kann die EUStA, wenn dies für die Zwecke ihrer Ermittlungen notwendig ist, von Europol auf Antrag alle sachdienlichen Informationen über eine in ihre Zuständigkeit fallende Straftat einholen.202 Einen Zugriffsmechanismus auf das Fallbearbeitungssystem des Europol, wie es der EUStA für die Fallbearbeitungssysteme des Eurojust und OLAF nach dem Treffer/Kein-Treffer Verfahren eingeräumt wurde, ist in der VO nicht vorgesehen.203 4. Informationszugang aus anderen Quellen Erwägungsgrund (49) S. 2 VO sieht zudem vor, dass die EUStA Informationen auch aus anderen Quellen, wie von privaten Hinweisgebern, erhalten oder einholen kann. Auf der Internetseite der EUStA steht für die Meldung von Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union für jedermann auch eine entsprechende Meldemaske bereit.204 5. Fallbearbeitungssystem der EUStA Gem. Art. 44 Abs. 1 VO betreibt die EUStA ihr eigenes Fallbearbeitungssystem. Das Fallbearbeitungssystem ist ein IT-basiertes System, in dem eingehende Informationen und Hinweise auf Straftaten im Zuständigkeitsbereich der EUStA, verfahrensrelevante Informationen sowie dienstliche Vorgänge in der EUStA-Zentrale gesammelt und abgebildet werden. Auf der dezentralen Ebene führen die Delegierten Europäischen Staatsanwälte für ihre Ermittlungen Verfahrensakten nach Maßgabe des mitgliedstaatlichen Rechts, die im Fallbearbeitungssystem gespiegelt werden sollen. a) Zweck Mit dem Fallbearbeitungssystem wird die Verwaltung der Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen der EUStA, insbesondere durch die Organisation interner Informationsabläufe, und eine Hilfestellung für die Ermittlungstätigkeit in grenzüberschreitenden Fällen bezweckt.205 Das Fallbearbeitungssystem soll der 201 Vgl. Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 4 Abs. 2 lit. e), Art. 7 Abs. 8, Art. 8 Abs. 1 lit b) und lit. c), Art. 21, Art. 23 Eurojust-VO. 202 Art. 102 Abs. 2 VO. 203 Gleichwohl wird Eurojust und OLAF ein indirekter Zugriff auf die Informationssammlung Europols nach dem Treffer/Kein-Treffer-Verfahren eingeräumt, s. Art. 21 EuropolVO. 204 Vgl. https://www.eppo.europa.eu/en/form/eppo-report-a-crime/ (04. 03. 2023). 205 Art. 44 Abs. 2 lit. a) VO.
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Zentrale und den Delegierten Europäischen Staatsanwälten einen sicheren Zugang zu Informationen über Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen gewährleisten.206 Zudem soll es den Abgleich von Informationen und die Extraktion von Daten für operative Analysen und statistische Zwecke ermöglichen207 sowie die Überwachung der Rechtmäßigkeit der Verarbeitung operativer personenbezogener Daten erleichtern.208 Diesen Zweckbestimmungen nach ist das Fallbearbeitungssystem zuvörderst ein Instrument zur Optimierung der EUStA-internen Kommunikation und des Informationsaustausches.209 Auch Erwägungsgrund (47) VO setzt das Fallbearbeitungssystem in einen funktionalen Zusammenhang zu behördeninternen Arbeitsabläufen. Das Fallbearbeitungssystem soll gewährleisten, dass die EUStA als einheitliche Behörde funktioniert und für die Zentrale diejenigen Informationen liefert, die für die Ausübung ihrer Aufsichts- und Leitungstätigkeit notwendig sind. b) Inhalt Das Fallbearbeitungssystem setzt sich aus drei Bestandteilen zusammen. Es enthält ein Register, Informationen aus den Verfahrensakten und einen Index aller Verfahrensakten.210 aa) Register Das Register dient dazu, Informationen, die die Zuständigkeitsausübung der EUStA betreffen, zu erfassen.211 Solche Informationen wird die EUStAvon Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union sowie den Behörden der Mitgliedstaaten erhalten. Diese sind dazu verpflichtet, der EUStA bei Kenntniserlangung unverzüglich Meldung über Straftaten abzugeben, die in den Zuständigkeitsbereich der EUStA fallen, damit die EUStA ihre Zuständigkeit ausüben kann.212 Die bei der EUStA eingehenden Informationen werden im Register nach Maßgabe der Regelungen der Geschäftsordnung erfasst.213 Im Einzelnen soll die Registratur bspw. die Informationsquelle, eine rechtliche Einordnung des gemeldeten Sachverhalts, Angaben zu verdächtigen Personen oder Gruppen, den Tatort, sowie
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Art. 44 Abs. 2 lit. b) VO. Art. 44 Abs. 2 lit. c) VO. 208 Art. 44 Abs. 2 lit. d) VO. 209 Vgl. Referentenentwurf des BMJV, Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der VO, S. 40, Art. 44 bis 46; Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 44, Rn. 4. 210 Art. 44 Abs. 4 VO. 211 Art. 44 Abs. 4 lit. a) VO. 212 Art. 24 Abs. 1 VO. 213 Art. 24 Abs. 6 VO i. V. m. Art. 38 ff. Geschäftsordnung. 207
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eine Schätzung des Schadens enthalten.214 Mit der Information übermittelte Anlagen sollen ebenfalls registriert werden.215 Anschließend soll das Fallbearbeitungssystem die Europäischen Staatsanwälte (der von der Meldung betroffenen Mitgliedstaaten) informieren,216 die einem Delegierten Europäischen Staatanwalt die Prüfung der registrierten Information für die Zuständigkeitsausübung der EUStA zuweisen sollen.217 Der Delegierte Europäische Staatsanwalt ist dabei nicht auf die Informationen der Registratur beschränkt, vielmehr soll er alle die der EUStA zur Verfügung stehenden Informationsquellen sowie die ihm nach dem anzuwenden nationalen Recht zur Verfügung stehenden Quellen nutzen.218 Die EUStA kann sich in diesem Stadium zur Informationsgewinnung auch mit den Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union sowie den nationalen Behörden austauschen.219 bb) Informationen aus den Verfahrensakten Kommt der Delegierte Europäische Staatsanwalt zu dem Entschluss, die Zuständigkeit der EUStA (durch Einleitung eines Ermittlungsverfahrens oder durch Evokation eines Verfahrens) auszuüben, so legt er eine Verfahrensakte an.220 Nach Art. 45 Abs. 1 UAbs. 2 VO muss die Verfahrensakte alle Informationen und Beweismittel enthalten, die das Ermittlungsverfahren der EUStA betreffen und dem Delegierten Europäischen Staatsanwalt zur Verfügung stehen.221 Die Verfahrensakte wird vom betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt nach den Vorgaben des Rechts seines Mitgliedstaates geführt.222 Damit bestimmen die nationalen Aktenführungsvorschriften die konkrete Gestaltung, den Aufbau und die Bestandteile der EUStA-Verfahrensakte. In das auf der zentralen Ebene geführte Fallbearbeitungssystem findet die Verfahrensakte erst durch einen Kopiervorgang Eingang. Art. 45 Abs. 3 VO bestimmt, dass das Fallbearbeitungssystem der EUStA alle Informationen und Beweismittel der national geführten Verfahrensakte enthalten muss, damit die EUStA-Zentrale ihre Aufgaben wahrnehmen kann.223 Die dezentral geführte Verfahrensakte muss also im zentralen Fallbearbeitungssystem der EUStA gespiegelt werden. Für die 214
Art. 38 Abs. 3 Geschäftsordnung. Art. 38 Abs. 4 Geschäftsordnung. 216 Art. 38 Abs. 5 Geschäftsordnung. 217 Art. 39 Abs. 2, Abs. 1 und Art. 40 Geschäftsordnung. 218 Art. 40 Abs. 3 Geschäftsordnung. 219 Art. 39 Abs. 3 Geschäftsordnung. 220 Art. 45 Abs. 1, Abs. 2 VO. 221 Art. 45 Abs. 1 UAbs. 2 VO. 222 Art. 45 Abs. 2 VO. 223 Art. 45 Abs. 3 VO.
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Spiegelung in das Fallbearbeitungssystem wird entweder eine elektronische Kopie der nach nationalem Recht (elektronisch) geführten Verfahrensakte inklusive Beweismittel in das Fallbearbeitungssystem übertragen oder elektronische Akten manuell kopiert und in das Fallbearbeitungssystem übertragen.224 Der Delegierte Europäische Staatsanwalt trägt Sorge dafür, dass die im Fallbearbeitungssystem gespiegelte Verfahrensakte sich inhaltlich mit der national geführten Verfahrensakte deckt und aktualisiert diese laufend.225 Ob die Aufgabenwahrnehmung der EUStAZentrale auch erfordert, dass neben sämtlichen Aktenbestandteilen auch etwa Sonderhefte gespiegelt werden müssen, ergibt sich aus der VO nicht.226 Die deutschen Delegierten Europäischen Staatanwälte werden ihre Verfahrensakten und Vorgangsverwaltung über eine IT-Infrastruktur führen, die das Land Nordrhein-Westfalen aufgrund einer gemeinsamen Verwaltungsvereinbarung der Länder Bayern, Berlin, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und des Bundes zur Verfügung stellt.227 Ein (IT-)System, welches die national geführte Verfahrensakte automatisch mit dem Fallbearbeitungssystem synchronisiert, gibt es derzeit nicht.228 In der Praxis wird der Delegierte Europäische Staatsanwalt von EUStA-Mitarbeitern und seinem Verwaltungspersonal dabei unterstützt werden, die im Fallbearbeitungssystem gespiegelten Verfahrensakten stets auf dem laufenden, der nationalen Verfahrensakte entsprechenden Stand zu halten.229 Die Inhalte der gespiegelten Verfahrensakte sind in englischer Sprache abzubilden.230 Die nationale Verfahrensakte wird bei einem Upload in das Fallbearbeitungssystem durch ein IT-Tool der EUStA („eTranslation“) automatisch übersetzt.231 Bildlich betrachtet existieren für ein Ermittlungsverfahren im Zuständigkeitsbereich der EUStA also zwei inhaltsgleiche, aber in zwei Sprachen dargestellte Verfahrensakten: Eine gespiegelte, englische Verfahrensakte im Fallbearbeitungssystem der EUStA auf der zentralen Ebene sowie eine nach nationalem Recht und in mitgliedstaatlicher Amtssprache geführte Verfahrensakte auf der dezentralen Ebene. Die führende Akte ist stets die nach nationalem Recht geführte Verfahrensakte auf der dezentralen Ebene. Für den deutschen Delegierten Europäischen Staatsanwalt sind für die Aktenführung damit die Vorschriften für die Bildung, Führung und Aufbewahrung der 224
Niedernhuber, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 178, Rn. 188. Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 44, Rn. 10. 226 Niedernhuber, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 178, Rn. 189 227 Trautmann, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 140, Rn. 151 und Fn. 156. 228 Niedernhuber, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 178, Rn. 188. 229 Niedernhuber, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 178, Rn. 188. 230 Art. 1 College Decision 002/2020, wonach Englisch als Arbeitssprache für die operativen und administrativen Tätigkeiten der EUStA festgelegt wurde. 231 EPPO Annual Report: 2021, S. 74. 225
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Akten des Bundes und der Länder maßgeblich. Auch die in der StPO normierten Vorschriften über die elektronische Aktenführung, das Justizaktenaufbewahrungsgesetz und die Aktenordnungen der Länder finden Anwendung. Die Akteneinsicht erfolgt nach dem nationalen Recht des aktenführenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts.232 Obwohl die Verfahrensakte nach nationalem Recht geführt wird, wird sie nicht als den Mitgliedstaaten zugehörig erachtet, sondern stellt eine allein der Kontrolle des Delegierten Europäischen Staatsanwalts unterliegende Verfahrensakte der EUStA dar.233 Entsprechend muss sie vom Zugriff der nationalen Staatsanwälte separiert werden.234 cc) Index der Verfahrensakten Der Index der Verfahrensakten soll die Gesamtheit der im Zuständigkeitsbereich der EUStA laufenden Verfahren abbilden.235 Der Index der Verfahrensakten generiert für jede im Fallbearbeitungssystem gespiegelte Verfahrensakte eine Kennnummer; dieser Vorgang nennt sich Verweis. Der Verweis im Index auf eine gespiegelte Verfahrensakte enthält personenbezogene, identifikationsrelevante Daten des Beschuldigten, sowie der Opfer von Straftaten, die in den Zuständigkeitsbereich der EUStA fallen.236 Somit decken sich die Informationen im Verweis mit denjenigen aus der gespiegelten Verfahrensakte, werden aus dieser jedoch nicht automatisch extrahiert. Die gespiegelte Verfahrensakte enthält mehr Inhalte als der Verweis; denn die im Index enthaltenen operativen personenbezogenen Daten sind auf Daten beschränkt, die zur Identifizierung von Fällen oder Herstellung von Verknüpfungen zwischen verschiedenen gespiegelten Verfahrensakten erforderlich sind.237 Die vom Index generierte Kennnummer der gespiegelten Verfahrensakte wird mit der entsprechenden Information aus der Registratur verlinkt.
232 Referentenentwurf des BMJV, Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der VO, S. 40, Art. 44 bis 46. 233 Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 45, Rn. 3. 234 Trautmann, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 140, Rn. 150. 235 Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 44, Rn. 8. 236 Art. 41 Abs. 2 Geschäftsordnung. 237 Art. 44 Abs. 3 UAbs. 1 VO und vgl. Erwägungsgrund (2) Delegierte Verordnung (EU) 2020/2153 der Kommission vom 7. Oktober 2020 zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/ 1939 des Rastes in Bezug auf die Kategorien operativer personenbezogener Daten und die Kategorien betroffener Personen, deren operative personenbezogene Daten von der Europäischen Staatsanwaltschaft im Register der Verfahrensakte verarbeitet werden dürfen, ABl. L 431/1 v. 21. 12. 2020 (nachfolgend: DelVO (EU) 2020/2153). Die konkreten Kategorien von operativen personenbezogenen Daten, die im Index verarbeitet werden dürfen, sind in der DelVO (EU) 2020/2153) festgelegt.
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c) Zugriff auf das Fallbearbeitungssystem durch das EUStA-Personal Die VO sieht für das EUStA-Personal differenzierte Zugriffsrechte auf das Fallbearbeitungssystem vor. Der Umfang der Zugriffsrechte korreliert mit den Aufgaben- und Funktionsgebieten des EUStA-Personals. aa) Interner Zugriff auf Register und Index Auf das Register und den Index aller Verfahrensakten haben die Europäische Generalstaatsanwältin, ihre Stellvertreter, andere Europäische Staatsanwälte und die Delegierten Europäischen Staatsanwälte nur Zugriff, soweit dies für die Erfüllung ihrer Pflichten erforderlich ist.238 Der Zugriff kann durch Beschluss der Europäischen Generalstaatsanwältin auch auf weiteres Personal ausgeweitet werden; er kann für die grundsätzlich Zugriffsberechtigten auch zeitweise beschränkt werden, sofern dies zur Gewährleistung der Vertraulichkeit notwendig ist.239 bb) Interner Zugriff auf Informationen in gespiegelter Verfahrensakte und Verfahrensakte Der die Aufsicht führende Europäische Staatsanwalt sowie die zuständige Ständige Kammer haben bei der Ausübung ihrer Befugnisse unmittelbaren Zugriff auf die im Fallbearbeitungssystem enthaltene gespiegelte Verfahrensakte. Der die Aufsicht führende Europäische Staatsanwalt hat zudem unmittelbaren Zugriff auf die national geführte Verfahrensakte. Auf Antrag erhält auch die zuständige Ständige Kammer Zugang zur national geführten Verfahrensakte.240 Andere – als die ermittlungsführenden (betrauten) – Delegierten Europäischen Staatsanwälte können Zugang zu den im Fallbearbeitungssystem elektronisch gespeicherten Informationen aus der gespiegelten Verfahrensakte sowie den Verfahrensakten beantragen.241 Dies kommt insbesondere bei grenzüberschreitenden Ermittlungen in Betracht, in denen der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt einen unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt um die Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen in dessen Mitgliedstaat ersucht. Der unterstützende Delegierte Europäische Staatsanwalt kann die Akteneinsicht beim betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt beantragen, der über die Gewährung der Akteneinsicht nach Maßgabe des mitgliedstaatlichen Rechts zu befinden hat. Die Akteneinsicht richtet sich also danach, unter welchen Voraussetzungen und zu welchen Bedingungen des mitgliedstaatlichen Rechts des betrauten Delegierten
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Art. 46 UAbs. 1 VO, Art. 61 Abs. 1 Geschäftsordnung. Art. 61 Abs. 2 Geschäftsordnung. 240 Art. 46 UAbs. 1 S. 4 VO. 241 Art. 46 UA 2 VO, Art. 61 Abs. 5 Geschäftsordnung.
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Europäischen Staatsanwalts die Akteneinsicht für einen anderen, nicht mit der Führung der Ermittlungen befassten Staatsanwaltskollegen möglich wäre. cc) Externer Zugriff auf das Fallbearbeitungssystem Externe Personen haben keinen Zugriff auf das behördeninterne Fallbearbeitungssystem. Der Zugang zur national geführten Verfahrensakte richtet sich für Verdächtige und Beschuldigte sowie für andere an dem Verfahren beteiligte Personen nach dem Recht des Mitgliedstaates des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts.242 Zugang zu den im Fallbearbeitungssystem hinterlegten Daten wird nur durch die datenschutzrechtlichen Bestimmungen der Art. 57 ff. VO eröffnet. Gemäß Art. 59 VO hat die betroffene Person das Recht, von der EUStA Bestätigung darüber zu verlangen, ob operative, personenbezogene Daten verarbeitet werden, die sie betreffen. Sie kann die Zwecke, Rechtsgrundlage und Kategorie dieser Daten erfragen sowie z. B. um die Offenlegung der Empfänger und Speicherdauer dieser Daten ersuchen. Das datenschutzrechtliche Auskunftsrecht kann aber gem. Art. 60 VO eingeschränkt werden.243 6. Bewertung und Fazit Die in der VO vorgesehenen Informationskanäle generieren für die EUStA einen Informationspool, den die grenzüberschreitende Strafverfolgung in diesem Umfang institutionalisiert nie bereitgehalten hatte. Nationale und europäische Träger von Strafverfolgungsdatenbanken haben Informationsersuchen der EUStA zu beantworten. Der Einsatz von Delegierten Europäischen Staatsanwälten auf der dezentralen Ebene eröffnet den Datenverkehr mit zahlreichen Behörden, die bereits vor Einleitung eines Ermittlungsverfahrens um Informationen ersucht werden können. Weiteres EUStA-Personal kann zusätzlich um Informationen aus europäischen Strafverfolgungsdatenbanken ersuchen. So zieht die EUStA viele Fäden von dezentral eingesammelten, ermittlungsrelevanten Informationen zusammen, die auf der zentralen Ebene gebündelt und kontextualisiert werden. Dieser Effekt wird durch die institutionellen Partnerschaften der EUStA, insbesondere durch die Eröffnung des wechselseitigen Zugriffs auf institutseigene Fallbearbeitungssysteme und der Vereinbarungen zum Informationsaustausch, verstärkt. Einerseits können solche Informationsaustauschmechanismen und -abreden die Informationsgewinnung der EUStA im Ermittlungsverfahren zeitlich beschleunigen, 242
Art. 45 Abs. 2 UA. 1 VO. S. für eine ausführliche Darstellung des Auskunftsanspruchs nach Art. 59 VO und ein entsprechendes Antragsmuster unter C., S. 203 ff. dieser Arbeit. 243
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zur Abgrenzung der Verfahrenszuständigkeiten der im Feld des europäischen Strafrechts tätigen Institutionen verhelfen, dadurch potenzielle Parallelermittlungen eindämmen und so das jeweilige Verfahren ökonomisieren. Andererseits eröffnet die Möglichkeit des interinstitutionellen Informationsaustausches mit den Behörden Eurojust, OLAF und Europol der EUStA potenziell den Zugang zu einer Datensammlung, die materiell auch über den Zuständigkeitsbereich der EUStA hinausgehende Informationen bereithält. Grundsätzlich bezweckt die Datensammlung von Eurojust, OLAF und Europol die Sammlung von Informationen, die im Zusammenhang mit dem eigenen Zuständigkeits- und Aufgabengebiet stehen. Gleichwohl kann die jeweilige Datensammlung auch Hinweise für Straftaten im Zuständigkeitsbereich der EUStA bereithalten und damit für mehrere Institutionen gleichermaßen relevant sein. Hier erscheint es naheliegend anzunehmen, dass die interinstitutionelle Übermittlung von Informationen ihrem Umfang nach eher großzügig erfolgen wird, da sich Informationen praktisch nicht immer in für den Zuständigkeitsbereich einer Institution betreffende Einzelteile zerlegen lassen werden. Ein gewisser Informationskontext wird auch erforderlich sein, damit eine die Information abfragende Institution auch ihre Aufgabenerfüllung wahrnehmen kann. Diese tatsächlich zu erwartenden Verhältnisse tragen zur Erweiterung des EUStA Wissenspools bei. Das Fallbearbeitungssystem vermag seiner ausdrücklichen Zweckbestimmung nach lediglich internen Organisationsangelegenheiten dienen, zentralisiert mit den gespiegelten Verfahrensakten nichtsdestotrotz vollständig die auf der dezentralen Ebene geführten Ermittlungen. Damit verfügt die EUStA-Zentrale über eine Kopie der nach nationalem Recht geführten Verfahrensakte. Insbesondere in grenzüberschreitenden Fallgestaltungen, in denen der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt Informationen aus in anderen als seinem eigenen Mitgliedstaat geführten Ermittlungsverfahren benötigt, kann er den Zugriff auf eine gespiegelte Verfahrensakte beantragen, die ihm virtuell im Fallbearbeitungssystem ggf. nur noch „per Mausklick“ freizugeben sein wird. Für die Kommunikation in der grenzüberschreitenden Strafverfolgung ist dieses System ein Gewinn. Dass der Verordnungsgeber dem Fallbearbeitungssystem nur eine behördeninterne Funktion zuweist und sich der Zugriff auf die im Fallbearbeitungssystem hinterlegten gespiegelten Verfahrensakten nur über datenschutzrechtliche Bestimmungen eröffnet, ist nicht nachvollziehbar. Die grenzüberschreitende Strafverfolgung könnte in höherem Maße vom Fallbearbeitungssystem profitieren, wenn die dort hinterlegten, in englischer Sprache geführten gespiegelten Verfahrensakten z. B. auch vor den mitgliedstaatlichen Gerichten verwendet werden könnten.244 Zudem hätte das Fallbearbeitungssystem das Potenzial, die Akteneinsicht in grenzüberschreitenden EUStA-Verfahren zu erleichtern und effektivieren, wenn für den von grenzüberschreitenden Maßnahmen der EUStA Betroffenen oder für eine geschä244 S. für die Nutzbarmachung des EUStA Fallbearbeitungssystems unter C., S. 196 ff. und unter C., S. 277 ff. dieser Arbeit.
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A. Europäische Staatsanwaltschaft als neuer Akteur
digte Person ein direkter Zugangskanal zur gespiegelten Verfahrensakte eröffnet würde. Schließlich bildet die gespiegelte Verfahrensakte dieselben Inhalte ab, wie die national geführte Verfahrensakte. Das Akteneinsichtsersuchen könnte unmittelbar an die EUStA-Zentrale gerichtet werden und von dort aus mit der Freigabe der gespiegelten Verfahrensakte beantwortet werden.245 Dies hätte für den Ersuchenden den Vorteil, dass er sich nicht an verschiedene mitgliedstaatliche Behörden wenden müsste. Zudem könnten kostspielige und zeitaufwändige Übersetzungen der Akteninhalte vermieden werden, da sie im Fallbearbeitungssystem ohnehin einheitlich in englischer Sprache geführt werden.
245 S. in diesem Sinne den nachfolgenden ausführlichen Vorschlag in C., S. 194 ff. dieser Arbeit.
B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der Europäischen Staatsanwaltschaft Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA können sich auf dem Gebiet von an der EUStA teilnehmenden Mitgliedstaaten, auf dem Gebiet von nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten oder auf dem Gebiet von Drittstaaten abspielen. Schließlich kann das grenzüberschreitende Verfahren der EUStA auch durch eine Kombination von Ermittlungshandlungen auf den vorgenannten Gebieten gekennzeichnet sein. Die Grundsätze und Funktionsweise der grenzüberschreitenden Ermittlungshandlungen der EUStA bestimmen sich nach dem jeweiligen rechtlichen Ordnungsrahmen, der der EUStA im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten, den nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten und den Drittstaaten zuteilwird. So fallen grenzüberschreitende Ermittlungen auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten in den Anwendungsbereich der VO, während grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA auf dem Gebiet von nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten durch Inanspruchnahme von Instrumenten der europäischen Strafrechtskooperation eröffnet sind. Im Verhältnis zu Drittstaaten hat die EUStA Ermittlungsmöglichkeiten nach den Bestimmungen völkerrechtlich bindender Übereinkommen und Kooperationsbeziehungen. Die grenzüberschreitenden Ermittlungshandlungen der EUStA vollziehen sich zudem durch eine Zusammenarbeit mit Unionsagenturen, die sich auf dem Bereich der europäischen Strafrechtskooperation bereits etabliert haben. Insbesondere in Sachverhaltsgestaltungen, die sich auf dem Gebiet der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten oder Drittstaaten abspielen, wird der Ermittlungserfolg der EUStA von einer fruchtbaren Kooperation mit dem Eurojust oder dem OLAF abhängen.1 Nachfolgend werden die grenzüberschreitenden Ermittlungsmöglichkeiten der EUStA dargestellt, wobei aufgrund der unterschiedlichen geltenden Ordnungsrahmen zwischen Ermittlungen auf dem Gebiet der teilnehmenden Mitgliedstaaten (unter I.), der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten (unter II.) und der Drittstaaten (unter III.) differenziert wird. Zudem erfolgt eine Darstellung der grenzüberschreitenden Ermittlungsmöglichkeiten der EUStA durch interinstitutionelle Kooperation mit Eurojust (unter IV.) und OLAF (unter V.). Das daraus gewonnene Verständnis über die grenzüberschreitenden Handlungsräume der EUStA bildet den Relationspunkt für die Reflektion der Verteidigungsposition des von den grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffenen, die Gegenstand von Kapitel C. dieser Arbeit darstellt. 1
Meyer, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 59, Rn. 39.
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
I. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA auf dem Gebiet der teilnehmenden Mitgliedstaaten Werden Ermittlungshandlungen auf dem Gebiet von zwei oder mehr Mitgliedstaaten notwendig, folgt die grenzüberschreitende Ermittlungsarbeit der EUStA aufgrund der gem. Art. 20 Abs. 4 EUV geltenden Bindung der Mitgliedstaaten an die Verstärkte Zusammenarbeit zur Errichtung der EUStA nach Art. 86 Abs. 1 UAbs. 3 AEUV den Regelungen der VO. Die zentrale Norm für grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA bildet Art. 31 VO. Sie hält Vorschriften über Ermittlungszuständigkeiten und -abläufe bereit. Soweit sie keine Bestimmungen trifft, wird das grenzüberschreitende Ermittlungsverfahren durch die mitgliedstaatlichen Verfahrenssysteme ausgefüllt.2 Art. 31 VO trägt dem Umstand Rechnung, dass die EUStA organisatorisch eine Strafverfolgungsbehörde ist, deren strategischer Apparat auf der zentralen Ebene angesiedelt ist, während ihre operative Ermittlungstätigkeit durch Delegierte Europäische Staatsanwälte auf der dezentralen Ebene in den Mitgliedstaaten im Einklang mit dem nationalen Recht durchgeführt wird. Der Wirkbereich des einzelnen Delegierten Europäischen Staatsanwalts ist gem. Art. 13 Abs. 1 VO auf das Gebiet seines eigenen Mitgliedstaates beschränkt. Deshalb sieht Art. 31 VO vor, dass sich die grenzüberschreitende Ermittlungstätigkeit durch das Zusammenwirken von den jeweiligen Delegierten Europäischen Staatsanwälten der betroffenen Mitgliedstaaten vollzieht. Art. 31 Abs. 1 i. V. m. Art. 28 Abs. 1 VO legt die Rollenverteilung im Verhältnis der Delegierten Europäischen Staatsanwälte zueinander fest: Die Ermittlungsführung liegt beim sog. betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt. Erfordert die Ermittlungsführung, dass die EUStA eine Maßnahme in einem anderen als dem Mitgliedstaat des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts durchführt, so wird diese nach einer Zuweisung des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts an und durch den sog. unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt realisiert.3 Bei grenzüberschreitenden Fallgestaltungen stellt sich daher zunächst stets die Frage, wie der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt zu bestimmen ist, also welcher mitgliedstaatliche Delegierte Europäische Staatsanwalt für die Einleitung eines Verfahrens und Ermittlungsführung in einem grenzüberschreitenden Sachverhalt zuständig ist.
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Art. 5 Abs. 3 VO. S. ausführliche Darstellung zum Ablauf grenzüberschreitender Ermittlungen nach Art. 31 VO im Zuweisungssystem zwischen dem betrautem und unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt unter B., S. 81 ff. dieser Arbeit. 3
I. Ermittlungen auf dem Gebiet der teilnehmenden Mitgliedstaaten
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1. Auswahl des Delegierten Europäischen Staatsanwalts nach Art. 26 Abs. 4 VO Die Bedeutung der Auswahl des Delegierten Europäischen Staatsanwalts in grenzüberschreitenden Sachverhalten liegt darin begründet, dass mit ihr gleichzeitig mindestens ein mitgliedstaatliches Strafverfahrensrecht für die Ermittlungsarbeit – und damit korrespondierend auch für die Verteidigungsposition des von den Ermittlungen Betroffenen – festgelegt wird.4 Andererseits wird auch das geltende materielle Recht und damit die Strafverantwortlichkeit des Beschuldigten determiniert. Wenngleich der europäische Gesetzgeber mit der PIF-Richtlinie innerhalb der EU-Mitgliedstaaten von seiner Anweisungskompetenz5 zur Schaffung eines gemeinschaftlichen Mindeststandards bezüglich der PIF-Delikte Gebrauch gemacht hat, kann die Rechtslage in den EUMitgliedstaaten, insbesondere mit Blick auf Verjährungsvorschriften6 und Strafandrohung, divergieren.7 4
Vgl. Brodowski, StV 2020, 684, 689. Vgl. Art. 83 Abs. 2 AEUV. 6 Art. 12 Abs. 1 der PIF-Richtlinie schreibt den EU-Mitgliedstaaten vor, dass sie erforderliche Maßnahmen zur Festlegung einer Verjährungsfrist zu treffen haben, durch die etwa Straftaten wie der Betrug gegen die finanziellen Interessen der Union, „für einen ausreichend langen Zeitraum nach der Begehung“ dieser Straftat wirksam bekämpft werden können. Nach Art. 12 Abs. 2 PIF-Richtlinie wird dieser Zeitraum mit einer Dauer von mindestens fünf Jahren ab dem Zeitpunkt der Begehung der Straftat vorgegeben; eine kürzere Verjährungsfrist als fünf Jahre, aber nicht weniger als drei Jahre ist nach Art. 12 Abs. 3 PIF-Richtlinie möglich, sofern die Frist bei bestimmten Handlungen unterbrochen oder ausgesetzt werden kann. Welche Unterschiedlichkeiten bzw. Polemik die mitgliedstaatlichen Verjährungsregeln im Bereich der PIF-Delikte bereithält, konnte das EuGH, Urteil v. 08. 09. 2015 – C-105/14, BeckRS 2015, 81088 (Taricco), demonstrieren. Im italienischen Ausgangsverfahren ging es um Strafverfahren betreffend karussellähnlicher Mehrwertsteuerdelikte in Millionenhöhe. Es hatte sich gezeigt, dass im italienischen Strafrecht ein Verjährungseintritt vor Ergehen eines abschließenden Urteils zur Straflosigkeit der Beschuldigten führen kann, da nach innerstaatlichem Recht das Ruhen und die Unterbrechung der Verjährung zu einer Verlängerung von höchstens einem Viertel der Verjährungsfrist führen darf (Art. 161 des Codice penale), wobei dieser Umstand in praktisch aufwändigen und langdauernden Wirtschaftsstrafverfahren faktisch oft zur Straflosigkeit (nach italienischem Rechtsverständnis ist die Verjährung, anders als nach deutschem Verständnis, als Verfolgungshindernis, dem materiellen Strafrecht zugeordnet, s. Lochmann EuR 2019, 61, 64) der Beschuldigten führt, s. Lochmann EuR 2019, 61, 62. Im Übrigen lag die große Frage der Rechtssache Taricco in der Klärung des Verhältnisses von unionsvertraglichen Regelungen zu nationalen Verjährungsfristen – genauer: in der Ausnahme des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts – begründet, s. dazu auch EuGH, Urteil v. 05. 12. 2017 – C-42/17 (M.A.S und M.B.), NZG 2018, 236 ff. 7 Grasso/Sicurella/Giuffrida, in: Ligeti u. a. (Hrsg.), EPPO At Launch, S. 51 f. mit beispielhafter Darstellung der Rechtslage in Italien; Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 26, Rn. 11. Besonders kritisch hierzu äußert sich Ambos, Internationales Strafrecht, § 13, Rn. 26, der in Art. 22 Abs. 1 VO eine mit dem Bestimmtheitsgrundsatz unvereinbare dynamische Blankettstrafrechtsregelung in die PIF-Richtlinie sieht, die „noch dadurch verschlimmert wird, dass nicht ein einziges Tatbestandsmerkmal irgendeines Delikts 5
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
Leitet die EUStA ein Ermittlungsverfahren nach Art. 26 Abs. 1 VO ein, so bestimmt sich die Auswahl des Delegierten Europäischen Staatsanwalts nach Art. 26 Abs. 4 VO.8 a) Regelfall nach Art. 26 Abs. 4 S. 1 VO Das Verfahren wird in der Regel von einem Delegierten Europäischen Staatsanwalt aus dem Mitgliedstaat eingeleitet und bearbeitet, in dem der Schwerpunkt der strafbaren Handlung liegt, oder, falls mehrere miteinander verbundene Straftaten innerhalb des Zuständigkeitsbereichs der EUStA begangen wurden, aus dem Mitgliedstaat, in dem der Großteil der Straftaten begangen wurde, Art. 26 Abs. 4 S. 1 VO. Diese Regel findet nicht nur in grenzüberschreitenden Fällen, sondern grundsätzlich auch Anwendung in Fallgestaltungen, in denen nur ein Mitgliedstaat Gerichtsbarkeit hat.9 Dabei wird die innermitgliedstaatliche Zuständigkeit der Delegierten Europäischen Staatsanwälte eines Mitgliedstaates auch nach Art. 26 Abs. 4 S. 1 VO bestimmt.10 aa) Schwerpunkt der strafbaren Handlung Das Kriterium „Schwerpunkt der strafbaren Handlung“ knüpft an den Begehungsort der strafbaren Handlung und lässt den Erfolgsort i. S. d. Ubiquitätstheorie definiert wird“. Anders sehen dies Juszczak/Sason, eucrim 2017, 80, 86, der Bestimmtheitsgrundsatz sei bei einer Zusammenschau der VO und der PIF-Richtlinie gewahrt. 8 Übernimmt die EUStA dagegen einen Fall durch Evokation nach Art. 27 VO, so bestimmt sich die Auswahl des Delegierten Europäischen Staatsanwalts und des Forumstaates nach Maßgabe des Art. 27 Abs. 6 VO. Danach kann das Evokationsrecht durch den Delegierten Europäischen Staatsanwalt jedes Mitgliedstaates ausgeübt werden, deren zuständige Behörde ein Ermittlungsverfahren in Bezug auf eine Straftat eingeleitet hat, die in den Zuständigkeitsbereich der EUStA fällt. 9 Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 26, Rn. 12 mit Verweis auf Art. 26 Abs. 4 lit. c) VO, wonach der Ort, an dem der Hauptteil des finanziellen Schadens eingetreten ist, als Erfolgsort einer im Zuständigkeitsbereich der EUStA liegenden Straftat bereits ein eigenständiges Zuständigkeitskriterium für die Auswahl des Delegierten Europäischen Staatsanwalts begründet und deshalb unter dem Begriff des Schwerpunkts der strafbaren Handlung unberücksichtigt bleiben muss. 10 Vgl. Art. 13 Abs. 2 S. 1 VO, nach dem es in jedem Mitgliedstaat zwei oder mehr Delegierte Europäische Staatsanwälte geben muss, deren Zuständigkeit auch abgegrenzt werden kann. S. hierzu auch Art. 43 Abs. 2 Geschäftsordnung, nach der der Europäische Staatsanwalt einen oder mehrere Delegierte Europäische Staatsanwälte aus demselben Mitgliedstaat bestimmen kann, die die Ermittlungen gemeinsam mit dem betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt führen, wenn dies nach nationalem Recht zulässig ist und s. Art. 49 Geschäftsordnung, nach dem der die Aufsicht führende Europäische Staatsanwalt die Neuzuweisung eines Falles an einen anderen Delegierten Europäischen Staatsanwalt im selben Mitgliedstaat vorschlagen kann.
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außen vor.11 Von diesem Kriterium zur Auswahl des verfahrensleitenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts zu trennen ist die Frage nach der territorialen Zuständigkeit der EUStA gem. Art. 23 lit. a) VO, die sich auf Handlungs- und Erfolgsort gleichermaßen bezieht.12 Für die materielle Bestimmung des Schwerpunktes der strafbaren Handlung gibt es derzeit noch keinen unionsrechtlichen Standard.13 Umstände wie die für die Tat angedrohte Strafe, die vorgefundene Deliktsart und Beteiligungsform sowie der Wert des geschützten Rechtsguts können bei der Schwerpunktbestimmung herangezogen werden.14 bb) Großteil der strafbaren Handlungen bei mehreren miteinander verbundenen Straftaten Bei mehreren miteinander verbundenen Straftaten innerhalb des Zuständigkeitsbereichs der EUStA ist gem. Art. 26 Abs. 4 S. 1 Alt. 2 VO der Delegierte Europäische Staatsanwalt desjenigen Mitgliedstaates für die Verfahrenseinleitung und -führung zuständig, in dem der Großteil der Straftaten begangen wurde. Ob mehrere Straftaten vorliegen, ist nach dem unionsrechtlichen Tatbegriff unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 54 SDÜ zu beurteilen.15 Für die Auslegung des Merkmals „derselben Tat“ nach Art. 54 SDÜ ist die „Identität der materiellen Tat, verstanden als das Vorhandensein eines Komplexes unlösbar mit einander verbundener Tatsachen“16 entscheidend. Eine solche Identität ist gegeben, wenn ein tatsächlicher Sachverhalt in zeitlicher oder räumlicher Hinsicht sowie nach seinem Zweck unlösbar miteinander verbunden ist, ganz unabhängig von der rechtlichen Qualifikation der Tatsachen und des rechtlichen Schutzgutes.17 Für das Vorliegen von mehreren miteinander verbundenen Straftaten i. S. d. Art. 26 Abs. 4 S. 1 Alt. 2 VO muss bereits jede in Frage stehende Straftat für sich ein PIF-Delikt begründen. Eine nach mitgliedstaatlichem Recht pönalisierte, aber nicht in den sachlichen Zuständigkeitsbereich der EUStA fallende Straftat ist für die Betrachtung der Verbindung nicht ausreichend.18 Diese Straftaten dürften aber nicht als untrennbar miteinander verbunden i. S. d. Art. 22 Abs. 3 VO zu qualifizieren 11
Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 26, Rn. 12; Niedernhuber, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 150, Rn. 48. 12 Brodowski, StV 2017, 684, 686. 13 Vgl. Meyer, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 58, Rn. 37; Niedernhuber, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 151, Rn. 50. 14 Niedernhuber, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 151, Rn. 50. 15 Niedernhuber, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 150, Rn. 49. 16 Vgl. EuGH, Urteil v. 18. 07. 2007 – C-367/05, NStZ 2008, 164 (Kraaijenbrink); EuGH Urteil v. 18. 07. 2007 – C-288/05, NJW 2007, 3412 (Kretzinger); EuGH Urteil v. 28. 09. 2006 – C-467/04, NJW 2006, 3403 (Gasparini). 17 EuGH, Urteil v. 9. 03. 2006 – C-436/04, EuZW 2006, 274 (Van Esbroeck). 18 Vgl. zum Ganzen Brodowski, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 22, Rn. 101 und Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 26, Rn. 13.
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
sein.19 Ihre Verfolgung müsste grundsätzlich in jedem Mitgliedstaat ohne Verstoß gegen das ne bis in idem Prinzip möglich sein.20 In welchem Mitgliedstaat der Großteil der Straftaten i. S. d. Art. 26 Abs. 4 S. 1 Alt. 2 VO begangen wurde, kann grundsätzlich nach quantitativen und qualitativen Gesichtspunkten beurteilt werden.21 Die VO lässt den Begriff interpretationsoffen. Ein unionsrechtlicher Maßstab für die Begriffsbestimmung hat sich, ebenso wie beim Begriff des Schwerpunktes der strafbaren Handlung i. S. d. Art. 26 Abs. 4 S. 1 Alt. 1 VO hier noch nicht entwickelt. Der Großteil der Straftaten könnte durch die Zahl bzw. Häufigkeit des Vorkommens der in Frage stehenden Straftaten definiert werden und unter Berücksichtigung der rechtlichen Interessen, der Schwere der in Frage stehenden Straftaten oder den in Frage stehenden Beteiligungsformen des/der Beschuldigten bestimmt werden.22 Hinter Art. 26 Abs. 4 S. 1 VO steht der Gedanke der Verfahrenskonzentration zum Zwecke der Wahrung der Beschuldigtenrechte. Nach Erwägungsgrund (67) VO soll die EUStA in der Regel nur ein Ermittlungsverfahren gegen einen Beschuldigten führen, die Straftat mehrerer Personen soll in einem Verfahren gebündelt werden.23 Die Überlegung, den Beschuldigten nur einer Strafgewalt auszusetzen, hatte sich in der europäischen Strafrechtspolitik bereits vor Errichtung der EUStA im Kontext der Beilegung von Jurisdiktionskonflikten zwischen den EU-Mitgliedstaaten und der Vermeidung der Mehrfachverfolgung des Beschuldigten manifestiert.24 Auch in diesem Zusammenhang wurde in der Rechtswissenschaft dafür plädiert, die Zahl der
19 Die Zuständigkeit der EUStA i. S. d. Art. 22 Abs. 3 VO erstreckt sich potenziell auf alle nach mitgliedstaatlichem Recht strafbewehrte Handlungen, die untrennbar mit Straftaten i. S. d. Art. 22 Abs. 1 VO verbunden sind. Untrennbar mit Straftaten i. S. d. Art. 22 Abs. 1 VO verbunden können also auch Straftaten sein, die, isoliert betrachtet, gar nicht in den sachlichen Zuständigkeitsbereich der EUStA fielen (Zuständigkeit der EUStA für andere Straftaten kraft Sachzusammenhangs zu PIF-Delikten, s. Magnus, HRRS 2018, 143, 149). 20 Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 26, Rn. 13. 21 Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 26, Rn. 13; Niedernhuber, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 151, Rn. 50. 22 Vgl. Luchtman, in: Geelhoed u. a. (Hrsg.), Shifting Perspectives on the EPPO, S. 157 f., der die Unbestimmtheit des Begriffs „Großteil der Straftaten“ moniert. 23 Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 26, Rn. 13. 24 Vgl. Grünbuch über Kompetenzkonflikte und den Grundsatz ne bis in idem in Strafverfahren, KOM(2005) 696 endgültig, S. 8, wonach zur Verhinderung von Kompetenzkonflikten „die Mitgliedstaaten verpflichtet wären, im Fall einer Mehrfachverfolgung das Verfahren auf einen ,federführenden‘ Staat (,Verfahrensstaat‘) zu beschränken.“ und wonach „eine Liste von Kriterien aufgestellt“ werden könne, „die von den Mitgliedstaaten bei der Wahl des Verfahrensstaates heranzuziehen wären“; vgl. Erwägungsgrund (3) des Rahmenbeschlusses 2009/ 948/JI des Rates vom 30. November 2009 zur Beilegung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren, ABl. L 328/42 v. 5. 12. 2009 und vgl. Art. 82 Abs. 2 lit. b) AEUV.
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Strafgewalten über bindende Kriterien, etwa durch ein Qualitätsprinzip, zu reduzieren.25 b) Abweichung vom Regelfall nach Art. 26 Abs. 4 S. 2 VO Von den dargestellten Grundsätzen kann unter bestimmten Voraussetzungen abgewichen werden. Bei Bestehen mehrerer Gerichtsbarkeiten kann ein Delegierter Europäischer Staatsanwalt eines anderen Mitgliedstaates als derjenige, in dessen Mitgliedstaat der Schwerpunkt der strafbaren Handlung liegt oder der Großteil der Straftaten begangen wurde, die Ermittlungen einleiten. Die Abweichung vom Regelfall ist nur bei gebührender Begründung und nach Berücksichtigung der in Art. 26 Abs. 4 S. 2 lit. a) – c) VO festgelegten Kriterien möglich. So normiert Art. 26 Abs. 4 S. 2 lit. a) VO den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Verdächtigen oder Beschuldigten zum primär zu berücksichtigenden Kriterium bei der Wahl des Delegierten Europäischen Staatsanwalts bei Bestehen mehrerer Gerichtsbarkeiten. Dahinter steht der Gedanke, dass der Beschuldigte an seinem frei gewählten Aufenthaltsort der Verfahrenssprache regelmäßig mächtig ist, seine Verteidigerkommunikation deshalb gesichert ist und Reisen zu Gerichtsterminen zeitlich kurz gehalten werden können.26 Ein ähnlicher Gedanke kommt bei dem gem. Art. 26 Abs. 4 S. 2 lit. b) VO sekundär zu berücksichtigenden Kriterium der Staatsangehörigkeit des Beschuldigten zum Tragen.27 Tertiär und als Auffangkriterium ist gem. Art. 26 Abs. 4 S. 2 lit. c) VO der Ort, an dem der Hauptteil des Schadens eingetreten ist, zu berücksichtigen. Wenn der allgemeine EU-Haushalt betroffen ist, ist Brüssel als Erfolgsort zu betrachten und Belgien der für den Fall zuständige Mitgliedstaat.28 Die VO misst den Kriterien eine Rangordnung bei, die verpflichtend zu beachten sei.29 Dennoch soll die grundlegende Rangordnung nicht dazu führen, dass das höherrangige Kriterium das niedrigrangige in jedem Fall aussticht – so soll der Delegierte Europäische Staatsanwalts des Mitgliedstaates (X) der Staatsangehörigkeit des Beschuldigten (Art. 26 Abs. 4 S. 2 lit. b) VO) die Ermittlungen auch einleiten dürfen, wenn der gewöhnliche Aufenthalt des Beschuldigten im Mitgliedstaat (Y), und damit im in der Rangfolge höheren Kriterium, Art. 26 Abs. 4 S. 2 25 Vgl. Vander Beken/Vermeulen/Lagodny, NStZ 2002, 624, 625 f., die als qualitative Kriterien den Tatort, prozessökonomische Gründe wie den Verfügbarkeitsgrad von Beweismitteln, die Resozialisierung, den Ort des „charakteristischen Unrechts“ der Tat anführen und für eine Einzelfallentscheidung (Abwägungskontrolle) plädieren. Die Autoren schrieben einer damals noch zu errichtenden Europäischen Staatsanwaltschaft auch die Rolle einer Entscheidungsstelle für die Lösung von Kompetenzkonflikten zu; Vander Beken/Vermeulen/ Lagodny, NStZ 2002, 624, 627. 26 Niedernhuber, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 151, Rn. 51. 27 Niedernhuber, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 151, Rn. 52. 28 Niedernhuber, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 151, Rn. 53. 29 Vgl. Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 26, Rn. 15.
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
lit. a) VO, liegt.30 Genauso wie schon vom Regelfall der Auswahl des Delegierten Europäischen Staatsanwalts bei gebührender Begründung abgewichen werden könne, könne auch von der Rangordnung der Kriterien bei gebührender Begründung abgewichen werden.31 aa) Bestehen mehrerer Gerichtsbarkeiten Ob mehrere Gerichtsbarkeiten für einen Fall vorliegen, bestimmt sich nach dem mitgliedstaatlichen Strafanwendungsrecht und ist damit aus der Gesamtheit der mitgliedstaatlichen Regelungen, die den Anwendungsbereich ihres nationalen Strafrechts bestimmen,32 zu extrahieren. Die Ausgestaltung der mitgliedstaatlichen, strafgewaltbegründenden Regeln ist Ausfluss der völkerrechtlichen Souveränität des nationalen Gesetzgebers.33 Den Mitgliedstaaten steht es frei, ihren Strafanspruch im Rahmen des geltenden Völkerrechts zu begründen und den Geltungsbereich des nationalen Strafrechts über das eigene Staatsgebiet hinaus zu erstrecken.34 Die VO beeinflusst die Jurisdiktionssysteme der Mitgliedstaaten nicht. Praktisch wurde die Gerichtsbarkeit der Mitgliedstaaten für die Materie der VO durch Art. 11 PIF-Richtlinie, nach der die Mitgliedstaaten erforderliche Maßnahmen für die Begründung der Gerichtsbarkeiten zur Verfolgung der Straftaten im Bereich von Betrug zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union zu treffen hatten, bereits harmonisiert.35 Art. 11 PIF-Richtlinie hat insoweit eine materielle Geltungserstreckung36 für die mitgliedstaatlichen Jurisdiktionsbestimmungen bewirkt. bb) Einleitung des Ermittlungsverfahrens durch den Delegierten Europäischen Staatsanwalt Ist ein Ausnahmetatbestand i. S. d. Art. 26 Abs. 4 S. 2 lit. a) – c) VO begründet, kann der Delegierte Europäische Staatsanwalt gem. Art. 26 Abs. 4 S. 2, Alt. 1 VO ein Ermittlungsverfahren einleiten. Die Einleitung des Ermittlungsverfahrens vollzieht sich nach Maßgabe des Art. 26 Abs. 1 VO. Danach ist der Delegierte Europäische Staatsanwalt dazu verpflichtet, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, wenn nach dem anwendbaren nationalen Recht berechtigter Grund zu der Annahme besteht, dass eine in die Zu30
Vgl. Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 26, Rn. 15. Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 26, Rn. 15. 32 Heintschel-Heinegg, in: BeckOK StGB, § 3, Rn. 3. 33 Eser/Weißer, in: Schönke/Schröder StGB, Vorb. §§ 3 – 9, Rn. 5. 34 Eser/Weißer, in: Schönke/Schröder StGB, Vorb. §§ 3 – 9, Rn. 5; für die völkerrechtliche Einhegung des nationalen Strafanwendungsrechts s. Eser/Weißer, in: Schönke/Schröder StGB, Vorb. §§ 3 – 9, Rn. 10 f. 35 Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a., EPPO Commentary, Art. 26, Rn. 11. 36 Vgl. zum Begriff Eser/Weißer, in: Schönke/Schröder StGB, Vorb. §§ 3 – 9, Rn. 8. 31
I. Ermittlungen auf dem Gebiet der teilnehmenden Mitgliedstaaten
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ständigkeit der EUStA fallende Straftat begangen wird oder wurde.37 Zuvor prüft der Delegierte Europäische Staatsanwalt, ob er nach dem nationalem Recht seines Mitgliedstaates die Gerichtsbarkeit für eine in den Zuständigkeitsbereich der EUStA fallende Straftat hat.38 Die Prüfung des berechtigten Grundes zur Annahme einer Straftat, also des für eine Strafverfolgung erforderlichen Verdachtsgrades, erfolgt nach Maßgabe mitgliedstaatlichen Rechts,39 so dass ein deutscher Delegierter Europäischer Staatsanwalt bei der Einleitung des Ermittlungsverfahrens den Anfangsverdacht nach Maßgabe des § 152 Abs. 2 StPO zum Relationspunkt seiner Prüfung setzen wird.40 Die Einleitung des Ermittlungsverfahrens hält der Delegierte Europäische Staatsanwalt im Fallbearbeitungssystem fest. Dadurch soll festgestellt werden können, ob bereits ein anderer Delegierter Europäischer Staatsanwalt aus einem anderen Mitgliedstaat Ermittlungen eingeleitet hat.41 Denn nach Erwägungsgrund (67) VO sollte gegen den Beschuldigten nur ein einziges Ermittlungsoder Strafverfolgungsverfahren der EUStA durchgeführt werden. In der Fallkonstellation, in der der Delegierte Europäische Staatsanwalt eines anderen Mitgliedstaates auf Grundlage seiner Regelzuständigkeit nach Art. 26 Abs. 4 S. 1 VO bereits Ermittlungen eingeleitet hat, darf der ausnahmsweise nach gebührender Begründung auserwählte Delegierte Europäische Staatsanwalt erst nach einer Neuzuweisung des Falles durch die Ständige Kammer tätig werden.42 Die Ständige Kammer führt zu diesem Zweck gem. Art. 26 Abs. 5 lit. a) VO eine Anhörung der betreffenden Europäischen Staatsanwälte und/oder der Delegierten Europäischen Staatsanwälte durch, bevor sie eine Neuzuweisung beschließt. Die Neuzuweisung muss mit den Kriterien für die Wahl des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts übereinstimmen und im „allgemeinen Interesse der Rechtspflege“ liegen. 37 Das Legalitätsprinzip manifestiert sich in der VO auch in den Erwägungsgründen (66) und (81) VO und ist autonom auszulegen. Nach Erwägungsgrund (66) soll die Ermittlungsund Strafverfolgungstätigkeit der EUStA vom Legalitätsprinzip geleitet sein, nach dem die EUStA die Vorschriften der VO strikt einhält, insbesondere in Bezug auf die Zuständigkeit und ihre Ausübung sowie die Einleitung des Ermittlungsverfahrens. Nach Erwägungsgrund (81) VO sollten Ermittlungen der EUStA in der Regel zur Strafverfolgung vor den zuständigen nationalen Gerichten führen, wenn ausreichend Beweise vorliegen und der Strafverfolgung keine rechtlichen Gründe entgegenstehen oder wenn kein vereinfachtes Strafverfahren angewandt wird; vgl. zum Vorliegen eines autonomen Begriffsverständnisses auch § 3 Abs. 1 EUStAG, wonach § 160 Abs. 1 StPO nicht anzuwenden ist, wenn die EUStA die Verfolgung einer Straftat übernommen hat. 38 Dabei hat er auch die materiellen und prozeduralen Beschränkungen der Zuständigkeitsausübung der EUStA i. R. d. Art. 25 Abs. 2 und 3 VO zu beachten, siehe für eine gesamtheitliche Darstellung dieser Gleß/Wahl, in: SLGH, Internationale Rechtshilfe, Hauptteil III, Abschn. D. III D. 5, Rn. 10. 39 Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 26, Rn. 5. 40 S. Referentenentwurf des BMJV, Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der VO, S. 24. 41 Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 26, Rn. 10. 42 Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 36, Rn. 10.
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cc) Anweisung der zuständigen Ständigen Kammer zur Einleitung des Ermittlungsverfahrens Wenn noch kein Ermittlungsverfahren durch einen Delegierten Europäischen Staatsanwalt eingeleitet wurde, so kann die Ständige Kammer einen Delegierten Europäischen Staatsanwalt gem. Art. 26 Abs. 3 VO dazu anweisen, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Bei Bestehen mehrerer Gerichtsbarkeiten hat die zuständige Ständige Kammer dabei konsequenterweise das in Art. 26 Abs. 4 VO normierte Regel-AusnahmeVerhältnis unter Berücksichtigung der Kriterien nach Art. 26 Abs. 4 S. 2 lit. a) – c) VO zu beachten. c) Beschluss über Neuzuweisung des Verfahrens an einen Delegierten Europäischen Staatsanwalt in einem anderen Mitgliedstaat nach Art. 26 Abs. 5 lit. a), Art. 36 Abs. 3 VO Grundsätzlich soll der Sachverhalt im Mitgliedstaat des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts zur Anklage gebracht werden.43 Wenn mehrere Mitgliedstaaten nach Maßgabe ihres anwendbaren Rechts die Gerichtsbarkeit für den Fall haben, kann die zuständige Ständige Kammer aber bis zu einer Entscheidung über die Strafverfolgung beschließen, das Verfahren einem Delegierten Europäischen Staatsanwalt eines anderen Mitgliedstaates neu zuzuweisen. aa) Zeitpunkt der Entscheidung über eine Strafverfolgung nach Art. 36 VO Die Entscheidung über die Strafverfolgung und damit der Zeitpunkt, bis zu dem es möglich ist, einen Fall einem neuen Delegierten Europäischen Staatsanwalt zuzuweisen, bestimmt sich nach Art. 36 VO. Die Entscheidung über die Strafverfolgung vor einem nationalen Gericht obliegt der Ständigen Kammer.44 Der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt erstellt nach Abschluss seiner Ermittlungen einen Bericht, der eine Zusammenfassung des Verfahrens und einen Beschlussentwurf zu der Frage enthält, ob die Strafverfolgung vor einem nationalen Gericht erfolgen soll.45 Der Bericht enthält ggf. auch eine hinreichende Begründung dafür, die Anklage entweder vor einem Gericht des Mitgliedstaates, in dem er angesiedelt ist, oder gemäß Art. 26 Abs. 4 VO vor einem Gericht eines anderen Mitgliedstaates, der Gerichtsbarkeit für den Fall hat, zu erheben.46 Der Beschlussentwurf des Delegierten Europäischen Staatsanwalts wird der Ständigen Kammer durch den 43
Vgl. Art. 36 Abs. 3 S. 1 VO. Art. 36 Abs. 1 VO. 45 Vgl. Art. 35 Abs. 1 S. 1 VO. 46 Art. 35 Abs. 3 VO. 44
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den Delegierten Europäischen Staatsanwalt beaufsichtigenden Europäischen Staatsanwalt, ggf. mit einer eigenen Bewertung, weitergeleitet.47 Die Ständige Kammer entscheidet sodann über den Beschlussentwurf innerhalb von 21 Tagen.48 Fasst sie innerhalb der 21-Tage-Frist keinen Beschluss, so gilt der vom Delegierten Europäischen Staatsanwalt vorgeschlagene Beschluss als angenommen und er kann Anklage vor dem mitgliedstaatlichen Gericht erheben.49 Folglich kann eine Neuzuweisung in potenziell vielen Zeitmomenten und vor allem über einen Zeitraum bis hin zu kurz vor Beginn des gerichtlichen Verfahrens erfolgen: Von der Einleitung des Ermittlungsverfahrens bis hin zum Abschluss der Ermittlungen des Delegierten Europäischen Staatsanwalts, über den Zeitraum der Begutachtung des Europäischen Staatsanwalts und den Zeitraum von 21 Tagen bis zur Beschlussfassung der Ständigen Kammer und damit unmittelbar vor Anklageerhebung. bb) Materielle Kriterien für eine Neuzuweisung nach Art. 36 Abs. 3 VO Materielle Kriterien für die Neuzuweisung durch die Ständige Kammer sind in Art. 36 Abs. 3 VO statuiert. Bei Bestehen mehrerer Gerichtsbarkeiten für den Fall beschließt die Ständige Kammer zwar grundsätzlich in dem Mitgliedstaat des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts Anklage zu erheben. Sie kann aber auch beschließen Anklage in einem anderen Mitgliedstaat zu erheben, wenn „hinreichende Gründe“ vorliegen, die dies rechtfertigen, wobei die Kriterien nach Art. 26 Abs. 4 und 5 VO heranzuziehen sind und einen Delegierten Europäischen Staatsanwalt dieses Mitgliedstaates entsprechend anweisen. Die Ständige Kammer berücksichtigt dabei den Bericht des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts, der eine Stellungnahme zum Ort der Anklageerhebung enthält, ist aber nicht an den Berichtsinhalt gebunden.50 Die Ständige Kammer kann den Europäischen Staatsanwalt aus dem Mitgliedstaat, dem der Fall nach dem Vorschlag neu zugewiesen werden soll, dazu einladen, an ihrer Sitzung teilzunehmen und auch die betreffenden Delegierten Europäischen Staatsanwälte um schriftliche Bemerkungen ersuchen.51 Die Entscheidung der Ständigen Kammer über eine Neuzuweisung soll aber nicht vom Gedanken des Forum Shoppings geleitet sein.52 47
Art. 35 Abs. 1 S. 2 VO. Art. 36 Abs. 1 VO. 49 Dies gilt nicht, wenn der Delegierte Europäische Staatsanwalt in seinem Beschlussentwurf begründet hat, dass die Anklage an einem anderen als seinem Mitgliedstaat erhoben werden sollte (und deshalb eine Neuzuweisung des Falles erfolgen sollte), s. Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 36, Rn. 10. 50 Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 36, Rn. 8. 51 Art. 50 Abs. 2 Geschäftsordnung. 48
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cc) Rechtsschutz gegen die Entscheidung der Neuzuweisung Rechtsschutz gegen die Entscheidung der Neuzuweisung ist vor den nationalen Gerichten zu suchen. Die Anklageerhebung durch die EUStA hat keine Auswirkungen auf eine eigene Zuständigkeitsprüfung der nationalen Gerichte.53 Dies bedeutet, dass das nationale Gericht, bei dem die EUStA Anklage erhoben hat, in einem Fall, in dem die Gerichtsbarkeit mehrerer Mitgliedstaaten in Betracht kommt, selbst auch prüfen wird ob es nach Maßgabe seines nationalen Rechts für das Verfahren zuständig ist.54 (1) Neuzuweisung als Verfahrenshandlung der EUStA mit Rechtswirkung gegenüber Dritten Der Rechtsschutz gegen Maßnahmen der EUStA richtet sich nach Art. 42 VO und ist gespalten zwischen nationalen Gerichten und dem EuGH. Gegen Verfahrenshandlungen der EUStA mit Rechtswirkung gegenüber Dritten ist gem. Art. 42 Abs. 1 VO die Kontrolle vor den nationalen Gerichten vorgesehen. Dahinter steht der in Erwägungsgrund (87) VO verankerte Gedanke, dass Handlungen, die die EUStA im Laufe ihrer Ermittlungen vornimmt, eng mit der nationalen Strafverfolgung zusammenhängen und Wirkungen in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten entfalten. Deshalb sollen sie auch der dortigen Rechtskontrolle unterworfen sein. Bei der grenzüberschreitenden Forumwahl55 der EUStA handelt es sich nach Erwägungsgrund (87) UAbs. 2 S. 2 VO um eine Verfahrenshandlung mit Rechtswirkungen gegenüber Dritten, die der Rechtskontrolle der nationalen Gerichte unterliegt. In zeitlicher Hinsicht soll sich die Rechtskontrolle der grenzüberschreitenden Forumwahl durch die einzelstaatlichen Gerichte spätestens im Hauptverfahren eröffnen.56 (2) Prüfungsmaßstab des nationalen Gerichts Der von der Neuzuweisung Betroffene kann vor dem nationalen Gericht einwenden, dass die EUStA nicht dazu befugt ist, die Anklage vor diesem Gericht zu erheben. Die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung der grenzüberschreitenden Forumwahl der EUStA wurde in Deutschland durch § 16 Abs. 2 StPO neu geschaffen. 52
Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 36, Rn. 13. Vgl. Art. 36 Abs. 5 VO. 54 Vgl. Art. 36 Abs. 5 VO. 55 Vgl. Erwägungsgrund (87) UAbs. 2 S. 2 VO, der insoweit von „Verfahrenshandlungen, die die Wahl des Mitgliedstaates betreffen, dessen Gerichte für die Entscheidung über die Anklage zuständig sein sollen“, spricht. 56 Vgl. Erwägungsgrund (87) UAbs. 2 VO. 53
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Der Einwand des Angeklagten kann im deutschen Strafprozess gem. § 16 Abs. 1 StPO schon vor Eröffnung des Hauptverfahrens bis zum Beginn seiner Vernehmung zur Sache erhoben werden; maßgeblich ist der Zeitpunkt, in dem der Angeklagte nach Belehrung gem. § 243 Abs. 4 S. 1 StPO erklärt hat, ob er zur Sache aussagen wolle.57 Das nationale Gericht wird prüfen, ob die Anklage (nach nationalem Recht) schon erhoben werden konnte und ob die EUStA die Anklageerhebung durch Neuzuweisung gem. Art. 36 Abs. 3 VO auf den Delegierten Europäischen Staatsanwalt übertragen durfte, wenn der den Sachverhalt zuvor ermittelnde Delegierte Europäische Staatsanwalt einem anderen Mitgliedstaat zugehörig war.58 Dabei wird das nationale Gericht die in Art. 26 Abs. 4 S. 2 lit. a) – c) VO statuierten Kriterien in den Blick nehmen. Prüfungsmaßstab des nationalen Gerichts ist (allein) die Frage, ob die EUStA die Befugnis hatte, einen anderen Anklageort als den des ursprünglichen Ermittlungsortes zu wählen, nicht aber die Zweckmäßigkeit der Neuzuweisung.59 Die nationalen Gerichte sollen dabei auch die Rechtsprechung des EGMR heranziehen und die Neuzuweisung der EUStA unter dem Gesichtspunkt des Willkürverbots beleuchten und eruieren, ob es „vernünftige Gründe“ für die Neuzuweisung gibt.60 Dabei sollen die nationalen Gerichte auch prüfen, ob die Entscheidung der EUStA über die Anklageerhebung in einem neuen Mitgliedstaat infolge der Neuzuweisung des Falles frei von Willkür, äußeren Einflüssen und im Wege eines transparenten Entscheidungsverfahrens unter Beachtung des ordnungsgemäßen Beschlussverfahrens nach Art. 10 Abs. 6 und Abs. 9 VO zustande gekommen ist.61 Wenn das nationale Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Anklageerhebung nach einer Neuzuweisung auf Grundlage von Art. 36 Abs. 3 VO nicht rechtmäßig ist, 57
S. zum Ganzen BT Drucks. 19/17963, S. 63. Bachler, in: BeckOK, § 16 StPO, Rn. 5. 59 Bachler, in: BeckOK, § 16 StPO, Rn. 5. 60 Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.) EPPO Commentary, Art. 36, Rn. 19, der für die Durchführung einer Art der Angemessenheitsprüfung („test of reasonableness“) plädiert, die der EGMR, Urteil v. 12. 07. 2007 – 74613/01, NJOZ 2008, 3605 ff. (Jorgic/Deutschland) etabliert hatte. Der serbische Milizenführer Jorgic, der in Bosnien ansässig war, aber auch über einen behördlich gemeldeten Wohnsitz in Deutschland verfügte, wurde durch das OLG Düsseldorf, bestätigt durch den BGH und das BVerfG, wegen Völkermordes verurteilt. Das OLG hatte sich für die Ausübung seiner Zuständigkeit auf das Weltrechtsprinzip (§ 6 Nr. 1 StGB a. F.) gestützt. Jorgic hatte vor dem EGMR vorgetragen, dass die deutschen Gerichte ihre Zuständigkeit willkürlich bejaht hätten, so dass sein Verfahren nicht vor einem „auf Gesetz beruhendem Gericht“ i. S. d. Art. 6 Abs. 1 EMRK verhandelt worden sei. Der EGMR statuierte, dass es in erster Linie den staatlichen Gerichten obliegt, ihre Zuständigkeitsvorschriften auszulegen und ihre Auslegung nur in Frage gestellt werden könne, wenn sie eindeutig das staatliche Recht verletzt habe. Art. 6 EMRK gebe dem Angeklagten nicht das Recht, die Zuständigkeit des Gerichts zu wählen, der Gerichtshof könne nur überprüfen, ob die Gerichte vernünftige Gründe hatten, ihre Zuständigkeit zu bejahen. 61 Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 36, Rn. 19. 58
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
hat es das Verfahren auszusetzen und dem EuGH gem. Art. 42 Abs. 2 lit. a) VO zur Vorabentscheidung nach Art. 267 Abs. 1 lit. b), Abs. 2 AEUV vorzulegen.62 Denn die Frage der Gültigkeit der Entscheidung der EUStA, in welchem Mitgliedstaat die Anklageerhebung erfolgen soll, fußt unmittelbar auf dem Unionsrecht.63 Im Durchschnitt beträgt die Verfahrensdauer von Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH 16,6 Monate.64 Eine schnellere Entscheidung des Gerichtshof kann gem. Art. 267 Abs. 4 AEUV erfolgen, wenn die Vorlagefrage eine inhaftierte Person betrifft. Mit Art. 107 – 114 EuGH-VerfO und Art. 23a Satzung GH wurde ein der Forderung des Art. 267 Abs. 4 AEUV entsprechendes Eilvorabentscheidungsverfahren geschaffen.65 Gem. Art. 107 Abs. 1 EuGH-VerfO kann eine Vorlage zur Vorabentscheidung auf Antrag des vorlegenden Gerichts (oder ausnahmsweise von Amts wegen) als Eilvorabentscheidungsverfahren durchgeführt werden, wenn die Vorlagefrage den Bereich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts betrifft und das Gericht gem. Art. 107 Abs. 2 EuGH-VerfO Umstände darlegt, aus denen sich die Dringlichkeit für die Anwendung des Eilvorabentscheidungsverfahrens ergeben. Ein Zeitraum für die Dauer des Eilvorabentscheidungsverfahrens ist gesetzlich nicht festgelegt, in der Praxis liegt die durchschnittliche Verfahrensdauer derzeit bei 3,7 Monaten.66 Die für das Eilvorabentscheidungsverfahren erforderliche Dringlichkeit könnte durch das vorlegende Gericht bei der Neuzuweisung des Falles durch die Ständige Kammer der EUStA damit begründet werden, dass die Neuzuweisung für den Beschuldigten die Gefahr birgt, dass sein durch die Charta garantiertes Grundrecht auf ein faires Verfahren verletzt wird, weil die Neuzuweisung unmittelbar vor der Anklageerhebung durchgeführt und die Verfahrensstrategie des Beschuldigten ineffektiv gemacht wurde. Auffällig ist die geringe Zahl an Eilvorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH. Von im Jahre 2021 durchgeführten 547 Vorabentscheidungsverfahren waren lediglich gleichzeitig 9 Eilvorabentscheidungsverfahren,67 während der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts mit 136 Fällen das vom Gerichtshof am wichtigsten behandelte Sachgebiet darstellte.68 Ob sich dies darauf zurückführen lässt, dass die Mitgliedstaaten seltener Eilvorabentscheidungsverfahren beantragen oder der Gerichtshof hohe Forderungen an die Begründung der Dringlichkeit i. S. d. Art. 107 Abs. 2 EuGH-VerfO stellt, bleibt offen. Wie sich die Neuzuweisung eines Falles durch die EUStA in die vorgenannten Normdirektiven einfügen wird, wird die Rechtsprechungspraxis des EuGH zeigen. Grundsätzlich könnte eine Vorlage zur Vorabentscheidung auch im beschleunigten Verfahren nach Art. 105 EuGH-VerfO 62
Bachler, in: BeckOK, § 16 StPO, Rn. 6. BT Drucks. 19/17963, S. 63. 64 EuGH, Jahresbericht 2021, S. 73. 65 Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, § 267 AEUV, Rn. 46. 66 EuGH, Jahresbericht 2021, S. 73. 67 EuGH, Jahresbericht 2021, S. 73. 68 EuGH, Jahresbericht 2021, S. 74.
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I. Ermittlungen auf dem Gebiet der teilnehmenden Mitgliedstaaten
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entschieden werden, wenn die Art der Rechtssache ihre rasche Erledigung erfordert. Da der EuGH von diesem Verfahren insgesamt nur zurückhaltend Gebrauch macht69 ist davon auszugehen, dass es in der Praxis um die Frage der Neuzuweisung des Falles durch die EUStA keine Rolle spielen wird. Im Übrigen ist neben dem Rechtsschutz vor den nationalen Gerichten der Weg zum EuGH unmittelbar eröffnet in den Fällen des Art. 42 Abs. 3 bis 8 VO.70 d) Bewertung und Fazit Regeln über die Bestimmung des mitgliedstaatlichen Delegierten Europäischen Staatsanwalts sind dazu geeignet, die EUStA-interne Zuständigkeitsverteilung der Ermittler zu konturieren und sagen das auf den Fall anwendbare Verfahrensrecht voraus. aa) Kriterien für die Auswahl des Delegierten Europäischen Staatsanwalts Ihrem Wortlaut nach ist die autonom auszulegende Regelung des Art. 26 Abs. 4 S. 1 VO, die für die Verfahrenseinleitung an den „Schwerpunkt der strafbaren Handlung“ bzw. bei mehreren, miteinander verbundenen Straftaten an den Ort knüpft, an dem der „Großteil der Straftaten“ begangen wurde, interpretationsoffen formuliert.71 Der Schwerpunkt der strafbaren Handlung sollte indes nach qualitativen Kriterien beurteilt werden und an dem Ort gesehen werden, an dem der Täter diejenigen Handlungen vornimmt, die konkret auf die Tatbestandsverwirklichung zielen. Vorbereitungshandlungen zur Tatbestandsverwirklichung und Handlungen zur Beendigung der strafbaren Handlung sollten außer Betracht bleiben. Für eine Beurteilung nach qualitativen Gesichtspunkten spricht das allgemeine Begriffsverständnis von „Schwerpunkt“ (in der englischen Originalfassung der VO „focus of criminal activity“, auf Deutsch auch als „Mittelpunkt“ zu übersetzen)72, das den wichtigsten Aspekt einer Kategorie (hier: der strafbaren Handlung) beschreibt. 69
Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 267, Rn. 45. Gegenstand der unmittelbaren Rechtskontrolle des EuGH nach Art. 42 Abs. 3 bis 7 VO sind Einstellungsbeschlüsse der EUStA, Streitigkeiten im Zusammenhang mit Schadensersatzforderungen gegenüber der EUStA, Streitigkeiten im Zusammenhang mit Schiedsklauseln in Verträgen, die von der EUStA geschlossen wurden und Streitigkeiten im Zusammenhang mit Personalangelegenheiten, die Entlassung des Europäischen Generalstaatsanwalts und der Europäischen Staatsanwälte miteingeschlossen. S. für umfassende Kritik zu dem Rechtsschutzmodell der EUStA Böse, JZ 2017, 82 ff. 71 Dazu äußert sich besonders kritisch: Luchtmann, in: Geelhoed u. a. (Hrsg.), Shifting Perspectives on the EPPO, S. 157; der vorträgt, dass unklar sei, nach welchen Kriterien der Schwerpunkt der strafbaren Handlung i. S. d. Art. 26 Abs. 4 S. 1 VO überhaupt zu beurteilen sei. S. auch Panzavolta, in: Bachmaier-Winter (Hrsg.), EPPO Challenges Ahead, S. 76 ff. sowie Wahl, in: Ligeti u. a. (Hrsg.), EPPO at Launch, S. 92 m. w. N. 72 S. Pons-Onlinewörterbuch Englisch-Deutsch, https://de.pons.com/%C3%BCbersetzung/ englisch-deutsch/focus (04. 03. 2023). 70
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
Mit der Auswahlbestimmung des Delegierten Europäischen Staatsanwalts für den Fall des Vorliegens von mehreren verbundenen Straftaten hat sich der Verordnungsgeber mit der Anknüpfung an den „Großteil“ der begangenen Straftaten begrifflich für ein quantitativ zu verstehendes Kriterium entschieden – quantitativ unberücksichtigt bleiben müsste jedenfalls das aus der strafbaren Handlungen resultierende Schadensvolumen, denn dieses hat der Verordnungsgeber mit der Schaffung von Art. 26 Abs. 4 S. 2 lit. c) VO bereits als ein eigenständiges Kriterium zur Bestimmung des Delegierten Europäischen Staatsanwalts in grenzüberschreitenden Fällen festgelegt. Die in Art. 26 Abs. 4 S. 2 lit. a) – c) VO aufgestellten Kriterien zur Zuständigkeitsbestimmung des Delegierten Europäischen Staatsanwalts in Fällen, in denen mehrere Mitgliedstaaten Gerichtsbarkeit haben, können im Interesse der optimierten Ressourcenverwendung der EUStA zur Verfahrenskonzentration beitragen. So kann die Berücksichtigung des gewöhnlichen Aufenthaltsortes des Beschuldigten i. S. d. Art. 26 Abs. 4 S. 2 lit. a) VO im Ermittlungsverfahren die Notwendigkeit der Überstellung des Beschuldigten in einen anderen Mitgliedstaat entbehrlich machen.73 Die Berücksichtigung der Staatsangehörigkeit des Beschuldigten i. S. d. Art. 26 Abs. 4 S. 2 lit. b) VO kann insbesondere relevant werden, wenn der Beschuldigte der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates angehört und ein PIF-Delikt außerhalb des territorialen Gebiets der Mitgliedstaaten begeht.74 Das Kriterium des Ortes, an dem der Hauptteil des finanziellen Schadens i. S. d. Art. 26 Abs. 4 S. 2 lit. c) VO eingetreten ist, wird relevant, wenn Straftaten außerhalb des und von Straftätern ohne Sitz auf dem Gebiet(s) der Mitgliedstaaten begangen wurden.75 Zudem kann der Kriterienkatalog des Art. 26 Abs. 4 S. 2 lit. a) – c) VO zur Vermeidung von ressourcenintensiven Mehrfachermittlungen durch die Delegierten Europäischen Staatsanwälte in den Mitgliedstaaten beitragen und für die EUStA als ein Mittel der Ermittlungskoordination fungieren. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass nach Erwägungsgrund (67) VO gegen einen Beschuldigten nur ein einziges – und damit einer Rechtsordnung zuordenbares – Ermittlungs- oder Strafverfolgungsverfahren der EUStA laufen soll. Darin wird teilweise eine Ausnahme zum Legalitätsprinzip gesehen: Der Delegierte Europäische Staatsanwalt, der um die Ermittlungseinleitung eines anderen mitgliedstaatlichen Delegierten Europäischen Staatsanwalts weiß, sollte keine Ermittlungen einleiten.76 Nichtsdestotrotz hat die EUStA verordnungsgeberseits auch einen Spielraum für die Durchführung von Mehrfachermittlungen: Nach dem Wortlaut des Erwägungsgrundes (67) VO sind auch Ausnahmen vom Grundsatz der Beschränkung auf ein Verfahren gegen den Beschuldigten möglich. Denn die Ermittlungs- und Strafverfolgungsverfahren der EUStA sollten sich (nur) „in der Regel“ auf ein einziges 73
Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 26, Rn. 16. Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 26, Rn. 17. 75 Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 26, Rn. 17. 76 Vgl. Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 26, Rn. 10.
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I. Ermittlungen auf dem Gebiet der teilnehmenden Mitgliedstaaten
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Verfahren beschränken. Eine Ausnahme müsste die EUStA mit Blick auf die im Erwägungsgrund (67) VO erklärte bestmögliche Wahrung der Rechte des Beschuldigten gewiss rechtfertigen können. Der Verordnungsgeber hat sich damit jedenfalls dazu entschieden, der EUStA eine gewisse Flexibilität einzuräumen und lässt Raum für parallele Ermittlungen, deren Verbot systematisch in Art. 26 VO oder Art. 31 VO ihren Platz hätte finden können. Dadurch wird die EUStA agil, da in der Praxis auf der Täterseite, z. B. beim Karussellbetrug, auch häufig Personenmehrheiten stehen dürften, deren Verbindung in einem Sachverhalt sich auf den ersten Blick nicht unmittelbar offenbart und möglicherweise erst im Laufe eines Ermittlungsverfahrens zu Tage träte. In dieser Situation könnte die EUStA gegen in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässige Mitbeschuldigte zunächst in diesen Mitgliedstaaten Ermittlungen durchführen und auch beide betreffende Beweise sammeln, bis der Zusammenhang zu einem Sachverhalt hergestellt wird. Erwägungsgrund (67) VO sieht zwar auch vor, dass die EUStA nur ein Verfahren einleiten und die Ermittlungen gegen alle Beschuldigten verbunden durchführen sollte, aber auch dies gilt nur „grundsätzlich“. Diese Thematik verdient vor dem Hintergrund, dass Staaten ihr Strafanwendungsrecht tendenziell auf extraterritoriale Sachverhalte und Mehrfachzuständigkeiten ausweiten,77 große Beachtung. Die Möglichkeit, simultane Ermittlungsverfahren wegen ein und derselben Tat (sog. „Spiegelverfahren“) in mehreren Rechtsordnungen zu führen, ist aus der Perspektive der Strafverfolgung als ein Vorteil von Mehrfachzuständigkeiten zu sehen.78 Der Gedanke lässt sich auf Ermittlungen der EUStA übertragen, da ihr Wirkbereich mit der Dimension der mitgliedstaatlichen Strafgewalt und ihren Anknüpfungspunkten korreliert. Den in Art. 26 Abs. 4 S. 2 lit. a) – c) VO aufgestellten Kriterienkatalog müsste die EUStA streng genommen als abschließend betrachten.79 Hätte der Verordnungsgeber den Kriterienkatalog einer Erweiterung und der Berücksichtigungsfähigkeit anderer Kriterien öffnen wollen, hätte er dies linguistisch, etwa durch die Formulierung, dass insbesondere bestimmte Kriterien zu berücksichtigen sind, ausdrücken können. Der Begriff „insbesondere“ als Ausdruck einer beispielhaften Aufzählung wird in der VO auch tatsächlich an 64 Stellen gebraucht. Die in der VO festgelegten Kriterien sollten nach dem Wortlaut von Art. 26 Abs. 4 S. 2 VO („[…] Kriterien in der angegebenen Reihenfolge zu berücksichtigen“) als hierarchisch und in der festgelegten Rang77
Gleß/Hackner/Trautmann, in: SLGH, Internationale Rechtshilfe, Einleitung, Abschn. IV. 2 c), Rn. 233. 78 Gleß/Hackner/Trautmann, in: SLGH, Internationale Rechtshilfe, Einleitung, Abschn. IV. 2 c), Rn. 234. 79 Nach Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 26, Rn. 15 muss aber die Erweiterungsfähigkeit der Kriterien möglich sein. Kritisch zur Konzeption des Kriterienkatalogs äußert sich Luchtman, in: Geelhoed u. a. (Hrsg.), Shifting Perspectives on the EPPO, S. 158, die Norm sei in puncto Kriterienkatalog unklar formuliert, es sei etwa fraglich, ob der Kriterienkatalog abschließend sei und ob die dort vorgegebene Rangordnung undurchdringlich wäre.
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
ordnung auch als verbindlich erachtet werden. Die Aufstellung einer Rangordnung böte entgegen ihrer Bezeichnung keine Referenz für die hierarchische Abfolge der Begründung der ausnahmsweisen Auswahl des Delegierten Europäischen Staatsanwalts, wenn das rangniedrigere Kriterium dazu geeignet wäre, das ranghöhere abzulösen.80 Mit diesem Verständnis des Kriterienkatalogs wären der Auswahl des Delegierten Europäischen Staatsanwalts und damit verbundenen Forumwahl der EUStA gewisse Grenzen gesetzt. Die Kehrseite der Verbindlichkeit dieses Systems liegt darin, dass in einem besonderen Einzelfall kein Raum mehr für eine andersartige Abwägung, die unter Umständen auch den Interessen des Beschuldigten diente, verbliebe. bb) Neuzuweisung des Verfahrens an einen anderen Delegierten Europäischen Staatsanwalt Bemerkenswerte Handlungsräume gereichen der EUStA allerdings wiederum durch das große Zeitfenster, das ihr für die Neuzuweisung eines Falles nach Art. 36 Abs. 3 VO zusteht.81 Bis zur Anklageerhebung kann die Ständige Kammer beschließen, den Fall einem anderen Delegierten Europäischen Staatsanwalt zuzuweisen, wenn mehrere Mitgliedstaaten Gerichtsbarkeit für den Fall haben. Der Etablierung einer einheitlichen Rechtsanwendung der EUStA bei der Entscheidung über die Neuzuweisung eines Falls hätte es beigetragen, diese Entscheidung der übergeordneten europäischen Gerichtskontrolle zu unterwerfen.82 Der Rechtsschutz gegen die auf der zentralen Ebene durch die Ständige Kammer der EUStA getroffene Entscheidung über die Neuzuweisung eines Falles ist verordnungskonzeptionell primär vor den nationalen Gerichten zu suchen und wird dem EuGH nur im Wege der Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV zugänglich gemacht.83 Die Neuzuweisung eines Falls ist eine folgenreiche Entscheidung für die Ermittler und den Beschuldigten, da damit auch eine Neuwahl des Verfahrensforums einhergeht. So droht eine Fragmentierung der von der EUStA zu achtenden Grundrechtsstandards, wenn die mitgliedstaatlichen Gerichte zur Kontrolle von
80 Für die Möglichkeit der Abweichung von dieser Reihenfolge aber argumentiert Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 26, Rn. 15. 81 Vgl. Caeiro/Amaral Rodrigues, in: Ligeti (u. a.), EPPO at Launch, S. 75 ff.; Giuffrida, eucrim 2017, 149, 153; Gleß/Wahl, in: SLGH, Internationale Rechtshilfe, Hauptteil III; Abschn. D. III D. 5, Einführung, Rn. 12 m. w. N. 82 Valsamis/Giuffrida, Raising the bar? Thoughts on the establishment of the EPPO, S. 15; Panzavolta, in: Bachmaier-Winter (Hrsg.), EPPO Challenges Ahead, S. 79 f.; Valsamis/Giuffrida, in: Ligeti u. a. (Hrsg.), EPPO at Launch, S. 125 ff.; vgl. Wahl, in: Ligeti u. a. (Hrsg.), EPPO at Launch, S. 94. 83 Brodowski, StV 2017, 684, 692; Esser, StV 2014, 494, 501; Valsamis/Giuffrida, in: Ligeti u. a. (Hrsg.), EPPO at Launch, S. 123 f.; Valsamis/Giuffrida, Raising the bar? Thoughts on the establishment of the EPPO, S. 15.
I. Ermittlungen auf dem Gebiet der teilnehmenden Mitgliedstaaten
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Handlungen der EUStA im Ermittlungsverfahren zuständig sind, während teilweise eine Zuständigkeit der Unionsgerichte existiert.84 2. Ablauf grenzüberschreitender Ermittlungen nach Art. 31 VO Der Ablauf grenzüberschreitender Ermittlungen der EUStA ist in Art. 31 VO geregelt. Die Norm stellt Bestimmungen über grenzüberschreitende, das Territorium der teilnehmenden Mitgliedstaaten betreffende Ermittlungen der EUStA auf. Sie ist (mit Ausnahme von Art. 31 Abs. 6 VO) als abschließende Regelung über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit i. S. d. Art. 5 Abs. 3 S. 1 VO zwischen den Delegierten Europäischen Staatsanwälten konzipiert.85 Nach Erwägungsgrund (74) VO bleiben die bestehenden Rechtsinstrumente zur Erleichterung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen nationalen Behörden und für die Zusammenarbeit nationaler Behörden auf Grundlage des Verwaltungsrechts unberührt. Daher sind völkerrechtliche Vereinbarungen, Rechtsakte der EU und Regelungen über die Zusammenarbeit von anderen Behörden (wie etwa der Polizei), die im Rahmen des EUStA Ermittlungsverfahrens tätig werden sowie die Rechtshilfe in Strafsachen auf Ersuchen eines Gerichts im Hauptverfahren neben Art. 31 VO anwendbar.86 Art. 31 VO legt Verfahrensregeln und Grundsätze der Zusammenarbeit zwischen dem verfahrensleitenden, sog. betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt und einem anderen, dem sog. unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt fest. Dem betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt kommt die Rolle des Ermittlungsführers zu. Er leitet das Ermittlungsverfahren nach Maßgabe der VO und den Bestimmungen seines nationalen Rechts. Möchte er grenzüberschreitend ermitteln und eine Maßnahme in einem anderen als seinem eigenen Mitgliedstaat durchführen, so ist er auf den unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt dieses Mitgliedstaates angewiesen. Denn die Ermittlungsgewalt eines jeden Delegierten Europäischen Staatsanwalts ist territorial auf seinen eigenen Mitgliedstaat beschränkt. Jeder Delegierte Europäische Staatsanwalt kann Ermittlungen vor Ort (nur) in seinem eigenen Mitgliedstaat ausführen, dort hat er die gleichen Befugnisse wie nationale Staatsanwälte.87 Nach Art. 31 Abs. 1 S. 1 VO arbeiten der betraute und der unterstützende Delegierte Europäische Staatsanwalt in grenzüberschreitenden Ermittlungen eng zusammen, unterstützen einander und konsultieren sich gegenseitig. Zudem hat das Kollegium der EUStA auf Grundlage von Art. 9 Abs. 2, Art. 3, und Art. 114 VO Leitlinien (sog. „Guidelines“) zu grenzüberschreitenden Ermittlungen 84
Esser, StV 2014, 494, 501; vgl. Wahl, in: Ligeti u. a. (Hrsg.), EPPO at Launch, S. 94. BT Drucks. 19/17963, S. 29. 86 BT Drucks. 19/17963, S. 29; vgl. auch § 6 EUStAG. 87 Art. 13 Abs. 1 VO. 85
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
nach Art. 31 VO erlassen88 (nachfolgend: Leitlinien zu Art. 31 VO), um eine gleichförmige Strafverfolgungspraxis zu etablieren. Leitlinien sind keine Rechtsnormen, denen unbedingt Folge zu leisten wäre, sondern dienen als Verhaltensnormen, die auf eine zu befolgende Verwaltungspraxis hinweisen oder als Auslegungs- und Orientierungshilfe bei der Anwendung von Normen.89 a) Erforderlichkeit einer Maßnahme in einem anderen Mitgliedstaat als dem des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts Wird die Durchführung einer Maßnahme in einem anderen Mitgliedstaat als dem des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts erforderlich, so entscheidet der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt über die Anordnung der Maßnahme und weist diese dem im anderen Mitgliedstaat ansässigen, unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt zu, Art. 31 Abs. 1 VO.90 Unter den Maßnahmenbegriff des Art. 31 Abs. 2 S. 1 VO fallen alle Maßnahmen, die dem betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt nach Art. 30 VO zur Verfügung stehen. Darunter zu fassen sind einerseits die als Mindestkanon91 aufgeführten Maßnahmen nach Art. 30 Abs. 1 lit. a) – f) VO, namentlich die Durchsuchung, die Herausgabe von relevanten Gegenständen, die Sicherstellung von Tatwerkzeugen, die Überwachung elektronischer Kommunikation und die Verfolgung und Ortung von Gegenständen mit technischen Mitteln, die die Mitgliedstaaten zumindest in Fällen, in denen die den Ermittlungen zugrunde liegende Straftat mit Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens vier Jahren bedroht ist, als Ermittlungsinstrumente für die Ermittlungstätigkeit des Delegierten Europäischen Staatsanwalt bereithalten müssen.92 Die vorgenannten Maßnahmen können unter dem geltenden nationalen 88
Vgl. College Decision 006/2022. Vgl. EuG (Fünfte Kammer), Urteil v. 08. 10. 2008 – T-73/04, BeckRS 2010, 91984. 90 Vgl. auch Erwägungsgrund (72) VO. 91 Vgl. Erwägungsgrund (71) VO, der von dem „in dieser Verordnung aufgeführten Minimum an Ermittlungsmaßnahmen“ spricht. 92 Diese Maßnahmen sind in der StPO bereits etabliert durch die Durchsuchungs- und Beschlagnahmevorschriften der §§ 94, 98, 99, 100 Abs. 1, 102, 103, 108 StPO, durch die Vorschriften zur Herausgabe von gespeicherten Computerdaten und Beschlagnahme der Emails beim Provider gem. §§ 94, 98 StPO, durch die Vorschriften zur Erhebung von Verkehrs- und Standortdaten gem. § 100g StPO und die Einholung von Bankauskünften nach § 161a StPO. Die Sicherstellung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten einschließlich Vermögenswerten wird durch die Durchsuchungs- und Beschlagnahmevorschriften einerseits und durch die Beantragung eines Arrestbeschlusses gem. §§ 111e Abs. 1 und Abs. 4, 111j StPO i. V. m. §§ 73 Abs. 1, 73c, 73d StGB sowie der Vollziehung des Vermögensarrestes durch einen Pfändungsbeschluss (§§ 73 ff. StGB i. V. m. §§ 111b, 111d, 111e, 111f Abs. 3 S. 3 StPO i. V. m. §§ 928, 930, 829, 840 ZPO ermöglicht. Die Überwachung der ein- und ausgehenden Kommunikation ist über die Telefonüberwachung inklusive Verkehrs- und Standortdaten möglich nach §§ 100a Abs. 2, 100g Abs. 1 StPO und die Internetkommunikation kann 89
I. Ermittlungen auf dem Gebiet der teilnehmenden Mitgliedstaaten
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Recht an Bedingungen geknüpft werden, wenn das nationale Recht Beschränkungen enthält, die für bestimmte Personen- und Berufsgruppen gelten.93 Außerdem können die Maßnahmen nach Art. 30 Abs. 1 lit. c), lit. e) und lit. f) VO nach Maßgabe des geltenden nationalen Rechts an zusätzliche Bedingungen – einschließlich Beschränkungen – geknüpft werden.94 Eine solche Bedingung kann auch ein Richtervorbehalt sein, sofern das nationale Recht einen solchen vorsieht.95 Zudem kann die Anwendung von Maßnahmen nach Art. 30 Abs. 1 lit. e) und lit. f) VO auf bestimmte schwere Straftaten beschränkt werden.96 Gem. Art. 30 Abs. 4 VO gehören andere Maßnahmen, die den Staatsanwälten nach dem nationalen Recht in vergleichbaren innerstaatlichen Fällen zur Verfügung stehen, auch zu den anordnungsfähigen Maßnahmen i. S. d. Art. 31 Abs. 2 S. 1 VO.97 Darunter fallen grundsätzlich auch Maßnahmen, die zwar die mitgliedstaatliche Rechtsordnung des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts bereithält, die aber in der Rechtsordnung des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts unbekannt sind.98 Eine Maßnahme, die nur im Mitgliedstaat des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts existiert und die es im Mitgliedstaat des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt nicht gibt, kann der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt nicht zuweisen.99 Dahinter steht der Gedanke, dass die durch Zuweisung gewonnenen Beweismittel im gerichtlichen Verfahren des Mitgliedstaates des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts verwertbar sein solgem. §§ 100a Abs. 2, 100g Abs. 1 StPO überwacht werden. Die Verfolgung und Ortung von Gegenständen mit technischen Mitteln wird über die Erhebung der Verkehrs- und Standortdaten (§ 100g StPO) und den Einsatz eines IMSI-Catchers (§ 100i StPO) ermöglicht. Die kontrollierte Warenlieferung kann auf die allgemeine Ermittlungskompetenz gem. den §§ 161, 163 StPO i. V. m. Nr. 29a-d RiStBV gestützt werden. Bei einer längerfristigen Observation ist zusätzlich § 163f StPO zu beachten, vgl. zum Ganzen BT Drucks. 19/17963, S. 27. 93 Vgl. Art. 30 Abs. 2 VO. Zu denken ist im deutschen Recht in diesem Zusammenhang an Zeugnisverweigerungsrechte der Angehörigen des Beschuldigten und der Berufsgeheimnisträger nach den §§ 52, 53 StPO, Beschlagnahmeverbote nach § 97 StPO und Maßnahmen bei zeugnisverweigerungsberechtigten Berufsgeheimnisträgern nach § 160a StPO. 94 Art. 30 Abs. 3 VO. 95 Magnus, HRRS 2018, 143, 145. 96 In diesem Fall übermitteln die Mitgliedstaaten der EUStA nach Art. 117 S. 4 VO eine Liste der Beschränkungen, die von der EUStA öffentlich bekannt gemacht wird. 97 Vgl. auch Erwägungsgrund (71) VO, wonach der Delegierte Europäische Staatsanwalt über das in der VO aufgeführte Minimum an Ermittlungsmaßnahmen hinaus auch andere Maßnahmen nach innerstaatlichem Recht beantragen und durchführen kann. 98 Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 31, Rn. 13 mit Verweis auf Art. 31 Abs. 5 lit. d) VO, wonach sich betrauter und unterstützender Delegierter Europäischer Staatsanwalt im Sinne der Findung einer einvernehmlichen Lösung beraten, wenn eine dem unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt zugewiesene Maßnahme nach dem Recht seines Mitgliedstaates nicht existiert oder nicht zur Verfügung stünde. 99 Niedernhuber, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 168, Rn. 128.
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len.100 Beispielsweise wird ein österreichischer Delegierter Europäischer Staatsanwalt die Quellen-Telekommunikationsüberwachung von Endgeräten des Beschuldigten einem deutschen Delegierten Europäischen Staatsanwalt nicht zuweisen können, da das österreichische Recht für diese in Deutschland nach § 100a Abs. 1, S. 2, 3 StPO zulässige Maßnahme keine Rechtsgrundlage bereithält.101 Ob eine Maßnahme in einem anderen Mitgliedstaat als dem des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts erforderlich ist, bestimmt sich gem. Art. 31 Abs. 2 S. 2 VO nach Maßgabe des Rechts des Mitgliedstaates des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts. Der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt hat damit die Durchführung der Maßnahme am eigenen mitgliedstaatlichen Prozessrecht und auf die dort aufgestellten formellen wie materiellen Voraussetzungen hin zu überprüfen und so zu verfügen, wie es nach nationalem Recht vorgesehen wäre.102 Dabei hat er gem. Art. 31 Abs. 2 S. 1 VO, Art. 30 Abs. 5 VO den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. So kann er eine Maßnahme nur anordnen, wenn hinreichende Gründe zur Annahme bestehen, dass die betreffende Maßnahme auf die Erlangung von Informationen oder Beweismitteln zielt, die für die Ermittlungen nützlich sind, ohne dass eine weniger eingreifende, gleich effektive Maßnahme zur Verfügung steht. b) Zuweisung einer Maßnahme an den unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt Der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt weist eine Maßnahme nach Anordnung und Begründung i. S. d. Art. 31 Abs. 1 S. 1 und S. 2 VO einem oder mehreren Delegierten Europäischen Staatsanwälten zu und setzt seinen die Aufsicht führenden Europäischen Staatsanwalt darüber gem. Art. 31 Abs. 2 S. 3 VO in Kenntnis. Die Zuweisung wird im Fallbearbeitungssystem registriert, welches die betroffenen Europäischen Staatsanwälte (die die Aufsicht über den unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt führen) informiert, die sodann den geeigneten Delegierten Europäischen Staatsanwalt bestimmen, der die Maßnahme durchführt.103 Letzterer wird darüber durch das Fallbearbeitungssystem benachrichtigt.104 In dringenden Fällen kann der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt die Durchführung einer Maßnahme einem beliebigen unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt auch direkt zuweisen.105
100
Niedernhuber, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 168, Rn. 128. Niedernhuber, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 168, Rn. 128. 102 Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 31, Rn. 15. 103 Art. 53 Abs. 1 S. 2 Geschäftsordnung. 104 Art. 53 Abs. 1 S. 3 Geschäftsordnung. 105 Art. 53 Abs. 1 S. 4 und S. 5 Geschäftsordnung. 101
I. Ermittlungen auf dem Gebiet der teilnehmenden Mitgliedstaaten
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Nach der Geschäftsordnung enthält eine Zuweisung diejenigen Informationen, die für die Maßnahmendurchführung des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts erforderlich sind und ist mit einer Durchführungsfrist versehen.106 Die Leitlinien zu Art. 31 VO präzisieren den Inhalt einer Zuweisung mit einer Aufzählung ihrer Mindestbestandteile.107 Danach soll sie mindestens folgende Angaben enthalten: – Das Ziel der und eine Begründung für die Zuweisung, – die für die Zuweisung notwendigen Informationen über betroffene Personen, – eine Sachverhaltszusammenfassung des Falls und Verfahrens sowie eine rechtliche Bewertung des Sachverhalts unter Angabe der relevanten mitgliedstaatlichen strafrechtlichen Normen und der Bestimmungen der VO, – eine Beschreibung der zugewiesenen Maßnahmen unter Angabe der angezielten Beweise, – die Darstellung hinreichender Gründe für die Annahme, dass die zugewiesene Maßnahme ermittlungsrelevante Informationen und Beweise liefern würde und keine weniger einschneidenden Maßnahmen existieren, die zum gleichen Ermittlungsziel führten, – ggf. die Angabe von Form- und Verfahrensvorschriften, die nach dem Recht des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts vom unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt zu beachten sind. aa) Zuweisung einer Maßnahme und richterliche Genehmigung Bei der Zuweisung von grenzüberschreitenden Maßnahmen ist nach Art. 31 Abs. 3 VO zu berücksichtigen, ob die konkrete Maßnahme einer richterlichen Genehmigung nach dem Recht des betrauten oder des unterstützenden Mitgliedstaates, oder gar beider Mitgliedstaaten bedarf. Eine richterliche Genehmigung i. S. d. Art. 31 Abs. 3 VO ist die gerichtliche Anordnung einer Maßnahme auf Antrag der Staatsanwaltschaft ebenso wie die richterliche Genehmigung einer vom Staatsanwalt angeordneten Maßnahme, auch in Fällen von Gefahr im Verzug.108 Erwägungsgrund (72) S. 2 VO statuiert für grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA den Grundsatz der Single Judicial Authorisation.109 Erfordert die Durchführung einer Maßnahme eine richterliche Genehmigung, so ist festzulegen, in 106
Art. 53 Abs. 2 Geschäftsordnung. Section Two/B., Ziffer 14 Leitlinien zu Art. 31 VO. 108 Vgl. BT Drucks. 19/17963, S. 29; Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 31, Rn. 20. 109 Niedernhuber, in: Esser/Herrnfeld, EUStA Handbuch, S. 169, Rn. 133. 107
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
welchem Mitgliedstaat die Genehmigung einzuholen ist. Dabei soll in jedem Fall nur eine richterliche Genehmigung eingeholt werden. Die VO unterscheidet zwischen zuweisungsfähigen Maßnahmen, die (1) nach dem mitgliedstaatlichen Recht des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts eine richterliche Genehmigung erfordern (Art. 31 Abs. 3 UAbs. 1 VO), die (2) eine richterliche Genehmigung nach dem mitgliedstaatlichen Recht des betrauten sowohl als auch des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts erfordern (Art. 31 Abs. 1 UAbs. 1 VO, Erwägungsgrund (72) S. 2 VO) und die (3) nach dem mitgliedstaatlichen Recht des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts zwar keine, aber nach dem mitgliedstaatlichen Recht des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts eine richterliche Genehmigung erfordern (Art. 31 Abs. 3 UAbs. 3 VO). Die Prüfung der Notwendigkeit einer richterlichen Genehmigung für eine Maßnahme sowie formelle und materielle Voraussetzungen für die richterliche Genehmigung einer Maßnahme bestimmen sich stets nach dem nationalen Recht desjenigen Delegierten Europäischen Staatsanwalts, der die Maßnahme anordnet bzw. der die richterliche Genehmigung einzuholen hat. (1) Richterliche Genehmigung nach dem mitgliedstaatlichen Recht des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts Sofern eine richterliche Genehmigung für eine zugewiesene Maßnahme nur nach dem mitgliedstaatlichen Recht des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts notwendig ist, hat der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalts nichts weiter zu veranlassen. Gem. Art. 31 Abs. 3 UAbs. 1 VO muss die richterliche Genehmigung vom unterstützenden Delegierten Europäischen Staatanwalt nach dem Recht seines Mitgliedstaates eingeholt werden. Der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt hat seine Zuweisung allerdings zurückzuziehen, wenn die richterliche Genehmigung im unterstützenden Mitgliedstaat verweigert wird, Art. 31 Abs. 3 UAbs. 2 VO. (2) Richterliche Genehmigung nach dem mitgliedstaatlichen Recht des betrauten und unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts Für den Fall, dass eine richterliche Genehmigung sowohl nach dem mitgliedstaatlichen Recht des betrauten, als auch des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts erforderlich ist, soll Art. 31 Abs. 3 UAbs. 1 VO Anwendung finden.110 Art. 31 Abs. 3 UAbs. 1 VO bestimmt, dass der unterstützende Delegierte Europäische Staatsanwalt eine richterliche Genehmigung einzuholen hat, wenn nach dem Recht seines Mitgliedstaates eine richterliche Genehmigung für die Durchführung einer Maßnahme erforderlich ist. Ob davon auch der Fall erfasst ist, in dem dieselbe 110
Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 31, Rn. 21.
I. Ermittlungen auf dem Gebiet der teilnehmenden Mitgliedstaaten
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Maßnahme gleichzeitig auch eine richterliche Genehmigung nach dem Recht des betrauten Mitgliedstaates erfordert, bleibt bei strenger Wortlautbetrachtung der Norm offen.111 Dafür spricht, dass Erwägungsgrund (72) VO die Konstellation einer nach betrautem und unterstützendem Mitgliedstaat erforderlichen Genehmigung explizit aufgreift und erklärt, dass in solchen Fällen „auf jeden Fall nur eine Genehmigung“ eingeholt werden sollte. Diesen Grundsatz hat auch der deutsche Gesetzgeber bei der Schaffung des § 3 Abs. 2 EUStAG aufgegriffen: Die Norm bestimmt, dass die unter Richtervorbehalt stehenden Vorschriften der StPO nur dann anwendbar sind, wenn das Recht des Mitgliedstaates des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts für eine Maßnahme auf eine vorherige richterliche Anordnung oder Genehmigung verzichtet.112 Nach dem Wortlaut des Art. 31 Abs. 3 UAbs. 1 VO und im Sinne des Prinzips der Single Judicial Authorisation ist die nach dem Recht des betrauten und unterstützenden Mitgliedstaates erforderliche Genehmigung für eine Maßnahme damit stets (nur) durch den unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt einzuholen. Dieser Mechanismus entspricht auch der Systematik im Bereich der europäischen Justizkooperation auf Grundlage der EEA. Nach Art. 2 lit. d) S. 2 RL-EEA hat die Vollstreckungsbehörde, deren Rolle funktional mit der des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts vergleichbar ist,113 vor Vollstreckung einer erlassenen Ermittlungsmaßnahme nach Maßgabe der Rechtsordnung des Vollstreckungsstaates eine richterliche Genehmigung einzuholen. In ihren Leitlinien zu Art. 31 VO rückt die EUStA aber von der in Erwägungsgrund (72) VO stehenden Idee der Einholung nur einer richterlichen Genehmigung ab.114 Wenn für die Durchführung von grenzüberschreitenden Maßnahmen stets nur eine richterliche Genehmigung nach dem Recht des unterstützenden Mitgliedstaates eingeholt werden müsse, könne die Wirksamkeit von Rechtsbehelfen gegen die Maßnahme unterlaufen werden und es drohten Rechtsverstöße gegen Art. 47 GrCh und Art. 42 Abs. 1 VO.115 Diese Gefahr sei im Rechtsschutzsystem gegen Maßnahmen der EUStA angelegt. Denn Rechtsschutz gegen eine zugewiesene Maßnahme sei verordnungskonzeptionell gem. Art. 31 Abs. 2 VO stets vor Gerichten des betrauten Mitgliedstaates zu suchen. Nur dort könne eine Maßnahme auf ihre Anordnung, Sachgründe, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit überprüft wer-
111
Vgl. auch Section One/General Principles, Ziffer 8 Leitlinien zu Art. 31 VO: „[…] Article 31(3) does not expressly address situations where both the law of the Member State of the handling EDP and the law of the Member State of the assisting EDP require judicial authorisation.“ (Herv. durch Verf.). 112 BT Drucks. 19/17963, S. 29. 113 S. ausführliche Darstellung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Beweisgewinnung unter dem Zuweisungssystem und unter Rückgriff auf die RL-EEA nachfolgend unter B., S. 100 ff. dieser Arbeit. 114 Section One/General Principles, Ziffer 9 f. Leitlinien zu Art. 31 VO. 115 Section One/General Principles, Ziffer 9 f. Leitlinien zu Art. 31 VO.
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
den.116 Vor Gerichten im unterstützenden Mitgliedstaat könne die zugewiesene Maßnahme nur angegriffen werden, wenn ihre Durchführung fehlerhaft oder exzessiv gewesen sei.117 Würde eine Maßnahme gerichtlich stets und nur durch ein Gericht des unterstützenden Mitgliedstaates genehmigt, wäre sie nach dem Rechtsschutzsystem der VO nie der Rechtskontrolle im betrauten Mitgliedstaat, also der Inhaltskontrolle, zugänglich.118 (3) Richterliche Genehmigung nach dem mitgliedstaatlichen Recht des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts Wenn die zuweisungsgegenständliche Maßnahme nach dem mitgliedstaatlichen Recht des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts eine richterliche Genehmigung erfordert, die nach dem mitgliedstaatlichen Recht des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts nicht erforderlich wäre, so muss der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt die erforderliche Genehmigung des Gerichts vor der Zuweisung einholen und zusammen mit der Zuweisung an den unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt übermitteln, Art. 31 Abs. 3 UAbs. 3 VO. Der Übermittlung anderer Dokumente als der Zuweisung und der richterlichen Genehmigung an den unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt bedarf es dabei nicht.119 Die Leitlinien zu Art. 31 VO legen für diesen Fall fest, dass – abweichend vom Grundsatz, nach dem Zuweisungen zwischen den Delegierten Europäischen Staatsanwälten in der Arbeitssprache der EUStA, in englischer Sprache, übermittelt werden sollen – der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt dem unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt eine in dessen Landessprache übersetzte Zuweisung übermitteln soll.120 Auch die richterliche Genehmigung soll der betraute dem unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt in dessen Landessprache übermitteln.121 Ausgewiesener Zweck dieser Bestimmung ist, allen Verfahrensbeteiligten, namentlich dem unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt, dem für Rechtsmittel zuständigen Gericht, dem Beschuldigten und weiteren potenziell Beteiligten einen umfassenden Zugriff auf das Zuweisungsdokument zu eröffnen.122 116
Section Two/B., Ziffer 17 f. Leitlinien zu Art. 31 VO. Section Two/B., Ziffer 17 f. Leitlinien zu Art. 31 VO. 118 Section Two/B., Ziffer 17 f. Leitlinien zu Art. 31 VO. 119 Section Two/B., Ziffer 15 Leitlinien zu Art. 31 VO. 120 Section Two/B., Ziffer 15 Leitlinien zu Art. 31 VO. 121 Section Two/B., Ziffer 15 Leitlinien zu Art. 31 VO. 122 Section Two/B., Ziffer 15 Leitlinien zu Art. 31 VO, wörtlich: „The purpose of the translation is to guarantee full access to the document and to its content to all the involved actors: the assisting EDP, the Court competent for legal remedies, the suspect and the other private parties possibly involved.“ (Herv. durch Verf.). Dieser Zweckbestimmung werden die Bestimmungen der Leitlinien zur Anwendung von Art. 31 VO aber nicht gerecht, soweit sie 117
I. Ermittlungen auf dem Gebiet der teilnehmenden Mitgliedstaaten
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Der unterstützende Delegierte Europäische Staatsanwalt soll die Maßnahme nach Zuweisung durchführen, wobei der unterstützende Mitgliedstaat an die Durchführung einer grenzüberschreitenden Maßnahme der EUStA keine höheren Standards als für die Durchführung einer EEA stellen soll.123 Die Begründung und Anordnung einer Maßnahme wird in dem Fall, in dem eine richterliche Anordnung nur nach dem mitgliedstaatlichen Recht des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts nötig ist, auch nur nach Maßgabe dieses Rechts bestimmt. Deshalb soll die Zuweisung im Mitgliedstaat des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts keiner inhaltlichen Bewertung zugänglich sein.124 Ausnahmsweise aber soll eine Rechtskontrolle der Zuweisung im unterstützenden Mitgliedstaat ermöglicht werden, wenn die Zuweisung fehlerhaft oder exzessiv durchgeführt wird.125 bb) Bindungswirkung der Zuweisung und Bedenken des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts Die Zuweisung des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts ist für den unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt nach Art. 31 Abs. 4 VO bindend. Der unterstützende Delegierte Europäische Staatsanwalt hat die ihm zugewiesene Maßnahme folglich durchzuführen. Eine Letztentscheidungsbefugnis über die Zuweisung der Maßnahme oder ihrer Durchführung steht dem unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt, anders als nach der Rechtshilfekonzeption der RL-EEA, die dem Vollstreckungsstaat einen Katalog an Versagungsgründen für ersuchte Maßnahme bereitstellt,126 nicht zu. Art. 31 Abs. 5 VO lässt dem unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt (nur) Raum für eine „Gegenvorstellung“,127 wenn er Bedenken hinsichtlich der Zuweisung hat. Er soll seinen die Aufsicht führenden Europäischen Staatsanwalt in Kenntnis setzen und sich mit dem betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt beraten, wenn er die zugewiesene Maßnahme für unvollständig oder offensichtlich fehlerhaft hält, die Maßnahme innerhalb der gesetzten Frist nicht durchführen kann, davon ausgeht, dass eine geeignete, verhältnismäßigere Maßnahme das Ermittlungsziel erfüllen wird oder die ihm zugewiesene Maßnahme nach dem Recht seines Mitgliedstaates nicht existiert oder in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht zur Verfügung stünde.128 Im bilateralen Beratungsforum sollen betrauter dem Beschuldigten mit der Übersetzung den Zugang zu Zuweisungsdokumenten vermitteln wollen, s. dazu ausführlich unter C., S. 274 ff. dieser Arbeit. 123 Section One/General Principles, Ziffer 7 Leitlinien zu Art. 31 VO. 124 Section One/General Principles, Ziffer 7 Leitlinien zu Art. 31 VO. 125 Section Two/B., Ziffer 16 Leitlinien zu Art. 31 VO. 126 Vgl. Art. 11 RL-EEA. 127 BT Drucks. 19/17963, S. 29. 128 Art. 31 Abs. 5 lit. a) – d) VO.
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
und unterstützender Delegierter Europäischer Staatsanwalt die Angelegenheit um die bedenkenbehaftete Zuweisung in „beiderseitigem Einvernehmen“ regeln. Bis zu einem Beratungsergebnis kann der unterstützende Delegierte Europäische Staatsanwalt die Durchführung der zugewiesenen Maßnahme aussetzen. Schwierigkeiten dürfte die Frage nach der Bewertung der Zuweisung aufwerfen, wenn der unterstützende Delegierte Europäische Staatsanwalt der Auffassung ist, dass die ihm zugewiesene Maßnahme nach dem Recht des Mitgliedstaates nicht existiert oder in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht zur Verfügung stünde, Art. 31 Abs. 5 lit. d) VO.129 Dieser der Gegenvorstellung eröffnete Bedenkenträger findet sich nahezu wortgleich in Art. 10 Abs. 1 lit. a) und lit. b) RL-EEA – im Anwendungsbereich der RL-EEA kann die Vollstreckungsbehörde auf eine nicht in der EEA vorgesehene, innerstaatliche Ermittlungsmaßnahme zurückgreifen, wenn die in der EEA angegebene Ermittlungsmaßnahme nach dem Recht des Vollstreckungsstaates nicht existiert oder in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht zur Verfügung stehen würde. Da der Verordnungsgeber sich zu einem textuellen Gleichlauf mit der RL-EEA entschieden hat, ist Art. 31 Abs. 5 lit. d) VO entsprechend vor dem Hintergrund der nach dem Recht des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts bereitstehenden Alternativmaßnahmen für einen Fall zu beleuchten.130 Dies hat zur Konsequenz, dass der unterstützende Delegierte Europäische Staatsanwalt die ihm zugewiesene Maßnahme in die Wertung seines eigenen Rechtssystems einzuordnen und auf ihre Durchführbarkeit zu überprüfen hat131 (ungeachtet der Tatsache, dass sein Negativtestat über die Durchführbarkeit einer zugewiesenen Maßnahme nur zu einer Beratung über die Maßnahme führen würde). Wenn es den Delegierten Europäischen Staatsanwälten nicht gelingt, innerhalb von sieben Werktagen eine einvernehmliche Klärung der Angelegenheit zu bewir-
129
Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 31, Rn. 29. Vgl. Art. 10 Abs. 1 und Abs. 3 RL-EEA. Bachmaier-Winter, in: Bachmaier-Winter (Hrsg.), EPPO Challenges Ahead, S. 127 sieht in dem Fall, in dem gem. Art. 31 Abs. 5 lit. d) VO die zugewiesene Maßnahme nach dem Recht des Mitgliedstaates nicht existiert oder in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht zur Verfügung stünde, gleichzeitig den Regelungsbereich des Art. 31 Abs. 6 VO und damit den Rückgriff auf die RL-EEA als eröffnet an. Diese Sichtweise würde dem unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt gleichzeitig auch potenziell einen Weg zur Versagung der Durchführung einer zugewiesenen Maßnahme in entsprechender Anwendung des Art. 10 Abs. 5 RL-EEA eröffnen. Die Möglichkeit der Versagung einer zugewiesenen Maßnahme wollte der Verordnungsgeber dem unterstützenden Delegierten Staatsanwalt bei der Konzeption des Art. 31 Abs. 5 VO aber gerade nicht einräumen, in diesem Punkt unterscheiden sich die VO und RL-EEA geradezu. Eine Versagungsmöglichkeit „durch die Hintertür“ des Art. 31 Abs. 6 RL-EEA kann im Falle des Art. 31 Abs. 5 lit. d) VO deshalb nicht eröffnet sein, wenn eine zugewiesene Maßnahme nach dem innerstaatlichen Recht des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts nicht existiert. 131 Vgl. Perron, in: FS Sieber, S. 6 im Kontext der Vollstreckung einer eingehenden EEA und Alternativmaßnahmen. S. auch Burchard, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 32, Rn. 3. 130
I. Ermittlungen auf dem Gebiet der teilnehmenden Mitgliedstaaten
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ken, wird die Angelegenheit an die zuständige Ständige Kammer verwiesen.132 Diese entscheidet ggf. nach Anhörung der Delegierten Europäischen Staatsanwälte nach dem geltenden nationalen Recht und der VO darüber, ob und innerhalb welches Zeitraums die zugewiesene Maßnahme durchgeführt werden muss oder bestimmt eine durchzuführende Ersatzmaßnahme.133 Das von der Ständigen Kammer bei dieser Entscheidung zu berücksichtigende geltende nationale Recht ist das Recht des Mitgliedstaates des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatanwalts, da er, der eine zugewiesene Maßnahme grundsätzlich nicht verweigern, sondern nur in ein Beratungsforum heben kann, ansonsten möglicherweise dazu instruiert würde, in seinem Mitgliedstaat unrechtmäßig zu handeln.134 Die Ständige Kammer wird in gleicher Weise eingeschaltet, wenn der unterstützende Delegierte Europäische Staatsanwalt die Zuweisung nicht innerhalb der vom betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt gesetzten Frist oder angemessener Zeit durchgeführt hat.135 Die VO und Geschäftsordnung sehen weder einen Zeitrahmen für die vom betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt zu setzende Frist für die Durchführung einer zugewiesen Maßnahme, noch einen Zeitrahmen für die Entscheidung der Ständigen Kammer vor.136 Die Frist für die Durchführung der Zuweisung einer Maßnahme wäre im Einzelfall unter Berücksichtigung von Dringlichkeit, Stand der Ermittlungen und Verjährungsfristen zu bestimmen. Ob sich in der Praxis ein Referenzwert aus den für die Vollstreckung einer EEA geltenden Fristen nach Art. 12 Abs. 4 RL-EEA ableiten lassen wird, wonach die Vollstreckungsbehörde eine anerkannte EEA innerhalb von 90 Tagen nach Entscheidung über die Anerkennung der EEA durchführt, wird sich zeigen. Tendenziell ist wegen den direkten Kommunikationswegen zwischen dem betrauten und den unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwälten wohl eine zügigere Durchführung von zugewiesenen Maßnahmen bei grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA zu erwarten.
132
Art. 31 Abs. 6 S. 1 VO. Art. 31 Abs. 8 VO. 134 Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 31, Rn. 33. 135 Art. 31 Abs. 7 S. 2 VO. 136 Derartige Fristen hält Bachmaier-Winter, in: Bachmaier-Winter (Hrsg.), EPPO Challenges Ahead, S. 125 auch nicht für zielführend, da Verzögerungen bei grenzüberschreitenden Ermittlungen regelmäßig nicht auf den Unwillen, sondern fehlende personelle Kapazitäten der Strafverfolger zurückzuführen seien, insbesondere die Aufarbeitung von wirtschafts- und steuerstrafrechtlichen Angelegenheiten gestalten sich zeitaufwändig. Allegezza/Mosna, in: Bachmaier-Winter (Hrsg.), EPPO Challenges Ahead, S. 154 und 157 sehen im Fehlen der Fristen jedenfalls eine erhöhte Gefahr für die zeitliche Verzögerung der Durchführung von zugewiesenen Maßnahmen. 133
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
c) Durchführung der zugewiesenen Maßnahme Die Vollstreckung der zugewiesenen Maßnahme richtet sich nach Art. 32 VO. Der unterstützende Delegierte Europäische Staatsanwalt kann die Maßnahme selbst durchführen137 oder die zuständige nationale Behörde mit der Durchführung der Maßnahme beauftragen.138 Der deutsche Gesetzgeber bestimmt mit § 13 EUStAG, dass der deutsche (unterstützende) Delegierte Europäische Staatsanwalt die bei den Oberlandesgerichten, Langerichten und Amtsgerichten bestellten Staatsanwälte und Amtsanwälte (vgl. § 142 Abs. 1 Nr. 2 GVG) um Amtshilfe bei der Durchführung der Maßnahmen ersuchen darf. Nach Art. 32 S. 2 VO muss der unterstützende Delegierte Europäische Staatsanwalt bei der Durchführung auch Formvorschriften und Verfahrensvorgaben einhalten, die vom betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt mit der Zuweisung angegeben werden, soweit diese nicht im Widerspruch zum nationalen ordre public des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts stehen. Darunter zu fassen sind etwa die Belehrung über Aussageverweigerungsrechte, Immunitäten oder das Erfordernis der Dokumentation einer Maßnahme wie der Durchsuchung, ganz unabhängig davon, ob diese Umstände nach dem mitgliedstaatlichen Recht des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts zu achten wären.139 Dahinter steht der Gedanke und die im grenzüberschreitenden Verfahren angewandte Praxis,140 die gerichtliche Verwertbarkeit von außerhalb des Forumstaates gewonnenen Beweisen durch die Herstellung einer Modalitätenäquivalenz im Verhältnis zur Durchführung von rein innerstaatlichen Maßnahmen zu gewährleisten.141 d) Rückgriff auf Rechtsinstrumente der gegenseitigen Anerkennung oder der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit Gem. Art. 31 Abs. 6 VO können die Delegierten Europäischen Staatsanwälte bei grenzüberschreitenden Ermittlungen auch auf Rechtsinstrumente über die gegenseitige Anerkennung oder grenzüberschreitende Zusammenarbeit zurückgreifen, wenn eine Maßnahme in einem rein innerstaatlichen Fall nicht existiert, aber in einem grenzüberschreitenden Fall typischerweise eingesetzt würde. Insbesondere die EEA wird im Rahmen von Art. 31 Abs. 6 VO relevant werden,142 wobei beispielhaft als typisch grenzüberschreitende Maßnahmen die zeitweilige Überstellung 137
Art. 28 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 VO. Art. 28 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 VO. 139 Burchard, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 32, Rn. 4 f.; Niedernhuber, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 173, Rn. 162. 140 Vgl. Art. 4 Abs. 1 EU-RhÜbk; Art. 9 Abs. 2 RL-EEA. 141 Burchard, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 32, Rn. 5. 142 Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 31, Rn. 34. 138
I. Ermittlungen auf dem Gebiet der teilnehmenden Mitgliedstaaten
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von inhaftierten Personen zur Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen nach Art. 22 und Art. 23 RL-EEA und die grenzüberschreitende Vernehmung per Videokonferenz und sonstige audiovisuelle Übertragung i. S. d. Art. 24 RL-EEA in Betracht kommen.143 Erwägungsgrund (73) VO stellt klar, dass die Rechtsinstrumente über gegenseitige Anerkennung und grenzüberschreitende Zusammenarbeit die spezifische Konzeption der Durchführung von grenzüberschreitenden Ermittlungen der VO ergänzen und (nur) dort greifen, wo das nationale Recht für einen rein innerstaatlichen Fall keine spezifische Maßnahme bereithielte.144 Die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen dürften die in der RL-EEA normierten Maßnahmen aber überwiegend ohnehin bereithalten, so dass für Art. 31 Abs. 6 VO in der Praxis kein allzu großer Anwendungsbereich verbleiben dürfte.145 Perspektivisch betrachtet kann die geplante E-Evidence Verordnung146 unter Art. 31 Abs. 6 VO Bedeutung erlangen.147 Der deutsche Gesetzgeber hat mit Art. 6 Abs. 1 EUStAG klargestellt, dass das IRG nur bei Maßnahmen nach Art. 31 Abs. 6 VO anzuwenden ist. e) Festnahme im Ermittlungsverfahren und grenzüberschreitende Übergabe Gem. Art. 33 Abs. 1 VO kann der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt die Festnahme oder Untersuchungshaft des Beschuldigten im Einklang mit dem in einem innerstaatlich vergleichbaren Fall anwendbaren nationalen Recht anordnen oder beantragen. Damit sind §§ 112 – 130, 131 StPO im Verfahren der EUStA anwendbar.148 Sofern die Festnahme oder Übergabe einer Person erforderlich ist, die sich nicht im Mitgliedstaat des betrauten Delegierten Europäischen Staatanwalts aufhält, erlässt dieser einen Europäischen Haftbefehl oder ersucht die zuständige Behörde jenes Mitgliedstaates um den Erlass eines solchen Haftbefehls, Art. 33 Abs. 2 VO. Da sich die Norm nur auf ausgehende Ersuchen von Fahndungen und Auslieferungen auf Basis des Europäischen Haftbefehls bezieht, bleibt es für eingehende Europäische 143 BT Drucks. 19/17963, S. 30; Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 31, Rn. 35. 144 Vgl. Bachmaier-Winter, in: Bachmaier-Winter (Hrsg.), EPPO Challenges Ahead, S. 123 f., die die Formulierung von Erwägungsgrund (73) VO für verwirrend hält, soweit sie auf eine nach nationalem Recht nicht verfügbare Maßnahme abstellt, da die EUStA hauptsächlich mit transnationalen Fällen befasst würde. 145 Mosna, ZStW 2019, 808, 846 mit Verweis auf Art. 10 Abs. 2 RL-EEA, der einen Maßnahmenkatalog normiert, den das Recht des Vollstreckungsstaates stets zur Verfügung stellen muss. 146 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Europäische Herausgabeanordnungen und Sicherungsanordnungen für elektronische Beweismittel, COM (2018) 225 final. 147 Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 31, Rn. 34. 148 BT Drucks. 19/17963, S. 30.
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
Haftbefehle aus anderen Mitgliedstaaten für Deutschland bei der Zuständigkeit der Generalstaatsanwaltschaft für die Durchführung von Auslieferungs- und Übergabeverfahren.149 f) Bewertung und Fazit Die VO hält nur wenige Regelungen für das Ermittlungsverfahren der EUStA bereit, dessen Ablauf in der Folge überwiegend durch die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen determiniert wird. Für grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA jedoch hat der Verordnungsgeber mit Art. 31 VO ein spezialgesetzliches Konzept für das Gebiet der Mitgliedstaaten aufgestellt. Dadurch soll zum Ausdruck gebracht werden, dass die EUStA (auch bei grenzüberschreitenden Ermittlungen) als einheitliche Behörde und unteilbare Einrichtung der Union150 operiert. Einen Rückgriff auf die Europäische Ermittlungsanordnung erlaubt die VO nur ausnahmsweise.151 Dabei wurde mit der RL-EEA, die bis Mai 2017 umzusetzen war,152 mit dem Ziel der Weiterentwicklung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts auf europäischer Ebene erst jüngst ein umfassendes und einheitliches System für die Durchführung von polizeilichen und justiziellen Ermittlungsmaßnahmen zum Zwecke der grenzüberschreitenden Beweisgewinnung für Strafverfahren festgelegt.153 In der Praxis der strafrechtlichen Zusammenarbeit hat sich die Europäische Ermittlungsanordnung etabliert und spielt eine zunehmende Rolle.154 Die auf dem Boden mitgliedstaatlicher Rechtsordnungen durchgeführte grenzüberschreitende Ermittlungstätigkeit der EUStA bei gleichzeitigem Selbstverständnis, eine unteilbare Behörde zu sein, wirft Probleme mit Blick auf das Prinzip der Single Judicial Authorisation und Unklarheiten mit Blick auf Rechtsschutzmöglichkeiten gegen zugewiesene Maßnahmen auf. aa) Praktikabilität des Prinzips der Single Judicial Authorisation und Unterminierung von Rechtsschutzmöglichkeiten So erscheint fraglich, ob das Prinzip der Single Judicial Authorisation155 bei grenzüberschreitenden Maßnahmen, die sowohl dem Recht des betrauten Mitgliedstaates, als auch des unterstützenden Mitgliedstaates einer richterlichen Genehmigung bedürften, praktisch umsetzbar ist. 149
BT Drucks. 19/17963, S. 30. Vgl. Erwägungsgrund (21) S. 1 VO. 151 Art. 31 Abs. 6 VO. 152 Vgl. Art. 36 Abs. 1 RL-EEA. 153 Vgl. Erwägungsgrund (1), (7) und (8) RL-EEA und Art. 34 RL-EEA. 154 Vgl. COM (2021) 409 final, S. 13 f. 155 Niedernhuber, in: Esser/Herrnfeld, EUStA Handbuch, S. 169, Rn. 133. 150
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Erwägungsgrund (72) S. 2 VO postuliert, dass in diesen Fällen für die Durchführung einer zugewiesenen Maßnahme „auf jeden Fall nur eine Genehmigung“ eingeholt werden soll. Dahinter steht der Gedanke, grenzüberschreitende Ermittlungen zu vereinfachen und zu beschleunigen.156 Gem. Art. 31 Abs. 3 UAbs. 1 VO i. V. m. Erwägungsgrund (72) S. 2 VO ist die richterliche Genehmigung in diesen Fällen lediglich durch den unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt nach Maßgabe der Rechtsordnung des unterstützenden Mitgliedstaates einzuholen. In der Praxis aber wird der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt eine nach dem Recht seines Mitgliedstaates unter richterlichem Genehmigungsvorbehalt stehende Maßnahme unter Berufung auf das Prinzip der Single Judicial Authorisation dem unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt schlicht nicht ohne eigenen Zeiteinsatz zuweisen können. Da der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt gem. Art. 31 Abs. 2 S. 2 VO eine Maßnahme nur anordnen kann, wenn auch die Voraussetzungen für die Anordnung nach dem Recht seines Mitgliedstaates vorliegen, hat er die Maßnahme vor Anordnung und Zuweisung auch materiell am Maßstab seiner eigenen Rechtsordnung zu prüfen. Dadurch unterliegt eine zugewiesene Maßnahme in jedem Fall einer doppelten Rechtskontrolle, da auch das Gericht des unterstützenden Mitgliedstaates über die Anordnungsvoraussetzungen für die zugewiesene Maßnahme entscheiden wird.157 Der Umstand, dass eine grenzüberschreitende Maßnahme vor ihrer Durchführung damit faktisch immer eine doppelte Rechtskontrolle durchläuft, kann unter den Mitgliedstaaten der Union zwar zur Akzeptanz der Ermittlungsarbeit der EUStA beitragen. Einer Beschleunigung und förmlichen Verschlankung der grenzüberschreitenden Ermittlungsarbeit verhilft das so verstandene Prinzip der Single Judicial Authorisation nur in begrenztem Maße. In manchen Mitgliedstaaten wird eine Maßnahme vor Zuweisung an einen unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt nicht nur einer Rechtskontrolle, sondern möglicherweise tatsächlich einer richterlichen Kontrolle zugeführt werden, bevor sie dem Gericht des unterstützenden Mitgliedstaates für die Einholung einer Genehmigung vorgelegt wird. In der Strafprozessordnung der Mitgliedstaaten Belgien und Luxemburg etwa liegt eine Phase der Ermittlungsführung und die Entscheidung über die Ermittlungsstrategie ganz bei dem Untersuchungsrichter (juge d’instruction).158 Die Delegierten Europäischen Staatsanwälte werden in Belgien funktional die Rolle der Staatsanwaltschaft (in Belgien: magistrat, in Luxemburg: procureur d’État) – und nicht der Untersuchungsrichter – übernehmen.159 Die Entscheidungskompetenz über die Anordnung bestimmter Ermittlungsmaßnahmen wie z. B. einer Wohnungsdurchsuchung und über die Ermittlungsstrategie, 156
Niedernhuber, in: Esser/Herrnfeld, EUStA Handbuch, S. 169, Rn. 133. Vgl. BR Drucks. 47/20, S. 27; Niedernhuber, in: Esser/Herrnfeld, EUStA Handbuch, S. 169, Rn. 140. 158 Van Berge, eucrim 2021, 63. 159 Van Berge, eucrim 2021, 63; Marletta, in: Ligeti u. a. (Hrsg.), EPPO at Launch, S. 193 f. 157
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
obliegt aber allein dem Untersuchungsrichter (Verwirklichung des sog. Prinzips appréciation souveraine).160 Das mitgliedstaatliche Recht könnte zur Wahrung der innerstaatlichen Kompetenzverteilung daher vor Zuweisung einer unter Genehmigungsvorbehalt stehenden Maßnahme vor dem Hintergrund der führenden Rolle des Untersuchungsrichters erfordern, dass der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt die Maßnahme vor Zuweisung der Beurteilung des Untersuchungsrichters zuführt.161 In Frankreich, Spanien und Slowenien, deren Strafprozess ebenfalls die Rolle des Untersuchungsrichters kennt, könnten ähnliche Fragestellungen aufgeworfen werden. Die EUStA offenbart in ihren Leitlinien zu Art. 31 VO selbst Zweifel an der konsequenten Anwendung des im Erwägungsgrund (72) S. 2 statuierten Prinzips der Single Judicial Authorisation.162 Die ausnahmslose Beachtung von Erwägungsgrund (72) S. 2 VO bei richterlichem Genehmigungserfordernis nach dem Recht des betrauten und unterstützenden Mitgliedstaates führt nach Art. 31 Abs. 3 UAbs. 1 VO dazu, dass die Genehmigung nur nach Maßgabe der Rechtsordnung des unterstützenden Mitgliedstaates einzuholen wäre. Damit würden aber die Rechtsschutzmöglichkeiten des von der Maßnahme Betroffenen unterminiert, da Rechtsschutz gegen eine zugewiesene Maßnahme verordnungskonzeptionell gem. Art. 31 Abs. 2 VO stets vor Gerichten des betrauten Mitgliedstaates – in dem dann gar keine gerichtliche Entscheidung existiert – zu suchen sei.163 Vor den Gerichten des unterstützenden Mitgliedstaates sei die Inhaltskontrolle der zugewiesenen Maßnahme nicht eröffnet, dort könne eine Maßnahme nur unter dem Gesichtspunkt des Vorliegens eines offensichtlichen Fehlers oder Exzesses angegriffen werden.164 bb) Rechtskontrolle im unterstützenden Mitgliedstaat bei richterlichem Genehmigungserfordernis – Vorlageersuchen Oberlandesgericht Wien Es ist damit unklar, wie weit die gerichtliche Kontrolle einer zugewiesenen Maßnahme durch das Gericht eines unterstützenden Mitgliedstaates geht, wenn die Maßnahme eine richterliche Genehmigung nach dem Recht des betrauen und unterstützenden Mitgliedstaates erfordert. 160
Van Berge, eucrim 2021, 63; Marletta, in: Ligeti u. a. (Hrsg.), EPPO at Launch, S. 193. Dass der Delegierte Europäische Staatsanwalt und der Untersuchungsrichter in Fragen der Ermittlungsführung einander mit unterschiedlichen Rechtsansichten begegnen werden, prophezeit Marletta, in: Ligeti u. a. (Hrsg.), EPPO at Launch, S. 194, er hält es für wahrscheinlich, dass der Delegierte Europäische Staatsanwalt mit seinen Maßnahmenvorschlägen an den Untersuchungsrichter regelmäßig an Grenzen stoßen wird. 162 Section One/General Principles, Ziffer 10 Leitlinien zu Art. 31 VO. 163 Section Two/B., Ziffer 17 f. Leitlinien zu Art. 31 VO. 164 Section Two/B., Ziffer 17 f. Leitlinien zu Art. 31 VO: „However, errors or excess in the execution of the measure by the assisting EDP could be challenged in the Member State of the assisting EDP.“. 161
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So hatte das Oberlandesgericht Wien über eine Beschwerde gegen die Zulässigkeit und Rechtmäßigkeit von Durchsuchungen und Beschlagnahmen zu entscheiden, die durch einen österreichischen unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt auf Zuweisung des deutschen betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts hin durchgeführt wurden.165 Das Oberlandesgericht Wien hat in diesem Fall am 25. April 2022 (das erste) Vorabentscheidungsersuchen zu grenzüberschreitenden Maßnahmen nach Art. 31 VO eingereicht.166 Die Vorlage betrifft die Anwendung des Art. 31 Abs. 3 VO und wirft folgende Vorlagefragen auf: 1. Ist das Unionsrecht, insbesondere Art. 31 Abs. 3 UAbs. 1 und Art. 32 der VO so auszulegen, dass bei grenzüberschreitenden Ermittlungen im Falle notwendiger richterlicher Genehmigung einer im Mitgliedstaat des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts durchzuführenden Maßnahme eine Prüfung sämtlicher materieller Gesichtspunkte, wie gerichtliche Strafbarkeit, Tatverdacht, Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit, stattzufinden hat? 2. Ist bei der Prüfung zu berücksichtigen, ob die Zulässigkeit der Maßnahme bereits im Mitgliedstaat des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts von einem Gericht nach dem Recht dieses Mitgliedstaates geprüft wurde? 3. Für den Fall, dass die erste Frage verneint bzw. die zweite Frage bejaht wird: In welchem Umfang hat eine gerichtliche Prüfung im Mitgliedstaat des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts stattzufinden?167 Dem Verfahren liegt folgender, vereinfachter Sachverhalt zugrunde: Ein deutscher betrauter Delegierter Europäischer Staatsanwalt führt Ermittlungen gegen mehrere Beschuldigte. Diese werden verdächtigt, bei der Einfuhr von Biodiesel aus den USA in die EU unrichtige Zollanmeldungen abgegeben zu haben und dabei einen Schaden von 1.295.000 Euro verursacht zu haben.168 Österreich nimmt in diesem Ermittlungsverfahren die Rolle des unterstützenden Mitgliedstaates ein. Auf Zuweisung des deutschen betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts und Antrag des österreichischen unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts wurde die Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume der Beschuldigten sowie die Beschlagnahme von Unterlagen durch die für die Anordnung solcher Maßnahmen nach nationalem Recht des unterstützenden Mitgliedstaates zuständi-
165 Summary of Case C-281/22 – G.K. u. a., abrufbar unter: https://curia.europa.eu/juris/ showPdf.jsf?text=&docid=261521&pageIndex=0&doclang=EN&mode=req&dir=&occ= first&part=1&cid=5391760 (04. 03. 2023). 166 Summary of Case C-281/22 – G.K. u. a. 167 Vgl. (nur) Vorlagefragen in ABl. EU C 318/23 v. 22. 08. 2022. 168 Im Einzelnen stehen Verstöße gegen folgende Bestimmungen im Raum: Art. 3 Abs. 2 lit. a) und c) PIF-Richtlinie, § 370 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3 und § 373 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3 AO, § 129 StGB.
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gen österreichischen Einzelrichter169 angeordnet. Vor Zuweisung der Maßnahmen an den österreichischen unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt aber, sei auch ein deutscher Ermittlungsrichter des Amtsgerichts München mit der Prüfung des Falles befasst gewesen. Ob aus dieser Befassung des Amtsgerichts München auch eine formale richterliche Genehmigung resultierte oder ein Durchsuchungsbeschluss angeordnet wurde, ergibt sich aus der derzeit nur vorliegenden Zusammenfassung des Vorabentscheidungsersuchens nicht zweifelsfrei,170 kann vorliegend aber insoweit dahinstehen, als die Durchsuchung gem. §§ 102, 105 Abs. 1 StPO und Beschlagnahme gem. §§ 94 Abs. 2, 98 Abs. 1 StPO nach deutschem Recht grundsätzlich dem Richtervorbehalt unterliegen. Im vorliegenden Fall also handelt es sich um zugewiesene Maßnahmen, die nach dem Recht des betrauten und des unterstützenden Mitgliedstaates einer richterlichen Genehmigung bedürfen, wobei zweifelsfrei und formal – und dafür spräche das Prinzip der Single Judicial Authorisation – jedenfalls eine richterliche Genehmigung im unterstützenden Mitgliedstaat eingeholt wurde. Im betrauten Mitgliedstaat soll der zuständige Richter jedenfalls in einer Weise inhaltlich mit dem Fall befasst gewesen sein. Die von den zugewiesenen Maßnahmen Betroffenen legten vor dem zuständigen Gericht in Österreich Beschwerde ein, mit der sie sich gegen die richterliche Anordnung der Durchsuchungen und Beschlagnahmen richteten. Sie trugen vor, dass schon kein hinreichender Straftatverdacht vorliege oder ein solcher in der richterlichen Anordnung der Maßnahmen unzureichend begründet worden sei. Zudem machten sie in Bezug auf die Durchführung der Beschlagnahme einen Verstoß gegen Art. 8 EMRK geltend und widersprachen der Weiterleitung der beschlagnahmten Unterlagen an die deutschen Behörden bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung.171 Die durchgeführten Maßnahmen seien unverhältnismäßig gewesen.172 Der österreichische unterstützende Delegierte Europäische Staatsanwalt erklärte in seiner Stellungnahme vom 15. Februar 2022, die Beschwerden seien zu verwerfen. Die Einwände der Beschwerdeführer scheiterten bereits an der fehlenden Zuständigkeit des österreichischen Gerichts, denn die Sachgründe einer zugewiesenen Maßnahme seien nur der Rechtskontrolle im betrauten Mitgliedstaat zugänglich. Dazu gehöre auch der Einwand gegen die verfahrensgegenständliche richterliche Genehmigung, also die Anordnung einer zugewiesenen Maßnahme. Im unterstüt169
Die Anordnungen erforderten aufgrund österreichischer Zuständigkeitsbestimmungen die Einbindung verschiedener Gerichte, s. Summary of Case C-281/22 – G.K. u. a., Rn. 3. 170 Summary of Case C-281/22 – G.K. u. a., Rn. 7. Derzeit liegt nur eine Zusammenfassung des Vorabentscheidungsersuchens vor. Dort lautet es zu der Befassung des Ermittlungsrichters wörtlich wie folgt: „With regard to the case in question, the European Delegated Prosecutor [Anm. der Verf.: gemeint ist der österreichische unterstützende Delegierte Europäische Staatsanwalt] pointed out that the suspicion that an offence had been committed had already been examined in the Federal Republic of Germany by the competent investigating judge at the Amtsgericht Munich (Local Court, Munich, Germany)“ (Herv. durch Verf.). 171 Summary of Case C-281/22 – G.K. u. a., Rn. 6. 172 Summary of Case C-281/22 – G.K. u. a., Rn. 8.
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zenden Mitgliedstaat sei die zugewiesene Maßnahme nur unter dem Gesichtspunkt ihrer konkreten Durchführung der gerichtlichen Kontrolle zugänglich. Materiellrechtliche Aspekte seien aber vor den Gerichten des betrauten Mitgliedstaates vorzubringen, dies gelte umso mehr, als im vorliegenden Fall bereits ein deutscher Ermittlungsrichter mit der Prüfung des Falls befasst gewesen sei.173 Das Oberlandesgericht Wien wägt in dem Vorlageersuchen ab, wie weit die gerichtliche Kontrolle einer zugewiesenen Maßnahme vor Gerichten des unterstützenden Mitgliedstaates reichen muss, wenn dort eine richterliche Genehmigung für die Durchführung einer zugewiesenen Maßnahme eingeholt wurde. Eine zugewiesene Maßnahme könne im unterstützenden Mitgliedstaat grundsätzlich der vollen Rechtskontrolle eröffnet werden. Die Eröffnung der vollständigen Überprüfung einer Maßnahme auf formelle und materielle Aspekte aber setze voraus, dass im unterstützenden Mitgliedstaat bei der Einholung einer richterlichen Genehmigung für die Durchführung der zugewiesenen Maßnahme auch die vollständige, vom betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt geführte Verfahrensakte vorgelegt und zur Beurteilungsgrundlage der richterlichen Genehmigung werden müsse.174 Nachteilhaft daran wäre, dass dies aufwändige Übersetzungsarbeiten erforderte. Zudem eröffnete dies bei der Einbindung mehrerer unterstützender Mitgliedstaaten in ein und demselben Ermittlungsverfahren eine Prüfung in zahlreichen unterstützenden Mitgliedstaaten nach Maßgabe ihrer eigenen Rechtsordnung, insbesondere dann, wenn eine richterliche Genehmigung nur nach dem Recht des unterstützenden Mitgliedstaates erforderlich sei.175 Die Möglichkeit, eine zugewiesene Maßnahme vor Gerichten des unterstützenden Mitgliedstaates der vollen Rechtskontrolle zu eröffnen trage zwar dem Umstand Rechnung, dass es sich bei der EUStA um eine einheitliche Behörde handelt. Tatsächlich aber bedeute diese Möglichkeit einen Rückschritt auf dem Gebiet der europäischen Strafrechtskooperation, insbesondere nach einem Vergleich mit Rechtsinstrumenten der gegenseitigen Anerkennung. Denn eine EEA sei im Vollstreckungsmitgliedstaat nur partiell auf formale Gesichtspunkte hin zu überprüfen, während eine zugewiesene Maßnahme im Ermittlungsverfahren der EUStA dann der vollen Rechtskontrolle, auch unter Einbezug der Rechtsordnung des betrauten Mitgliedstaates, unterliege.176 Die EUStA solle verordnungskonzeptionell aber eine schnelle, effiziente und ökonomische Strafverfolgung ermöglichen – die VO in diesem Sinne ausgelegt, solle die Überprüfung einer zugewiesenen Maßnahme im unterstützenden Mitgliedstaat auf formale Aspekte beschränkt werden. Dies soll jedenfalls dann gelten, wenn die zugewiesene Maßnahme im betrauten Mitgliedstaat bereits gerichtlich überprüft 173
Summary of Case C-281/22 – G.K. u. a., Rn. 7. Summary of Case C-281/22 – G.K. u. a., Rn. 10. 175 Summary of Case C-281/22 – G.K. u. a., Rn. 10. 176 Summary of Case C-281/22 – G.K. u. a., Rn. 11. 174
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worden sei.177 Gleichwohl könne dieses Verständnis einen Widerspruch zu der in Art. 31 Abs. 6 VO verankerten Subsidiarität der Rechtsinstrumente der gegenseitigen Anerkennung begründen, weshalb der EuGH zur Klärung der Rechtsfragen ersucht wird.178 Die Vorlagefrage des Oberlandesgerichts Wien steht stellvertretend für die Unklarheiten, die die VO in Bezug auf den Rechtsschutz gegen grenzüberschreitende Maßnahmen der EUStA gelassen hat. Fraglich ist, inwieweit sich die grenzüberschreitende Beweisgewinnung unter der RL-EEA von der grenzüberschreitenden Beweisgewinnung unter dem Zuweisungssystem der EUStA tatsächlich unterscheidet und ob Rechtsschutz gegen zugewiesene Maßnahmen der EUStA vor diesem Hintergrund auch im Sinne des beim Rechtsschutz gegen EEAen geltenden Trennungsmodells zu interpretieren ist. Dazu muss zunächst der Entstehungskontext der grenzüberschreitenden Beweisgewinnung unter der RL-EEA und dem EUStA-Zuweisungssystem beleuchtet werden. (1) RL-EEA und gegenseitige Anerkennung Zu beachten ist, dass der Rechtsrahmen für die EEA einem anderen Ausgangspunkt als die Normierung der grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA entspringt. Die EEA ist zuvörderst im Zusammenhang mit der (sonstigen) traditionellen Rechtshilfe in Strafsachen zu betrachten.179 Darunter ist ein Verfahren zur Unterstützung einer ausländischen Strafverfolgung, welche von einem Staat auf Ersuchen eines anderen, die Strafverfolgung führenden Staates geleistet wird, zu verstehen, wobei sich die Vollstreckung des Ersuchens nach dem Recht des ersuchten Staates (locus regit actum) vollzieht.180 Die traditionelle Rechthilfe fußt auf Europaratsinstrumenten und multilateralen Verträgen181 und wird wegen des sich auf dem diplomatischen Wege vollziehenden, sehr formalisierten Verfahrens als ein auf177
Summary of Case C-281/22 – G.K. u. a., Rn. 12. Summary of Case C-281/22 – G.K. u. a., Rn. 13. 179 S. für eine ausführliche Darstellung des historischen Kontexts der RL-EEA Knytel, Europäische Ermittlungsanordnung, S. 32 ff. 180 Ambos/Gronke, in: Ambos u. a. (Hrsg.), Rechtshilferecht, S. 61, Rn. 4. 181 Als Mutterkonventionen für das europäische vertragliche Auslieferungsrecht und der sonstigen Rechtshilfe mit ihren zusätzlichen Protokollen: Europäisches Auslieferungsübereinkommen vom 13. 12. 1957, BGBl. 1964 II S. 1369, 1371, nachfolgend: EuAlÜbk; Europäisches Rechtshilfeübereinkommen vom 20. 04. 1959, BGBl. 2014 II S. 1038, nachfolgend: EuRhÜbk; 1. Zusatzprotokoll zum Europäischen Auslieferungsabkommen vom 15.10.195, SEV Nr. 86, 2. Zusatzprotokoll zum Europäischen Auslieferungsabkommen vom 17. 03. 1978, SEV Nr. 98, 3. Zusatzprotokoll zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 10. 11. 2010, SEV Nr. 209, 4. Zusatzprotokoll zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 20. 09. 2012, SEV Nr. 212; 1. Zusatzprotokoll vom 17. 03. 1978 zum Europäischen Rechtshilfeübereinkommen, SEV Nr. 99; 2. Zusatzprotokoll vom 08. 11. 2001 zum Europäischen Rechtshilfeübereinkomme, SEV Nr. 182. 178
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wändiges Kooperationsmittel verstanden.182 Hinter der Schaffung der RL-EEA stand die rechtspolitische Motivation des europäischen Gesetzgebers, ein einheitliches, möglichst alle strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen umfassendes und vereinfachtes System für den grenzüberschreitenden Beweisverkehr in Strafsachen zu schaffen.183 Die RL-EEA basiert auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, nach dem jeder Mitgliedstaat gerichtliche Urteile oder Entscheidungen eines anderen Mitgliedstaates als solche anerkennt und zügige Hilfe zur Vollstreckung des Urteils oder der Entscheidung leistet, ohne dabei eine sachliche, am eigenen Recht zu messende Überprüfung des Urteils oder der Entscheidung vorzunehmen.184 Die Vollstreckung einer Anordnung folgt dabei grundsätzlich dem locus regit actum Prinzip, nach dem der Vollstreckungsstaat die Anordnung im Einklang mit seinem nationalen Recht durchführt;185 wobei im Vollstreckungsstaat die von der Anordnungsbehörde angegebenen Form- und Verfahrensvorschriften einzuhalten sind (forum regit actum Prinzip),186 sofern diese nicht im Widerspruch zu den Rechtsgrundsätzen des Vollstreckungsstaates stehen.187 Mit der RL-EEA wurde die grenzüberschreitende Beweissammlung im europäischen Rechtsraum zwar vereinfacht und beschleunigt,188 indem der Erlass und die Übermittlung der Anordnung formalisiert wurden189 und Fristen zur Anerkennung und Vollstreckung einer erhaltenen Anordnung festgelegt190 wurden.191 Eine Vollstreckung der Anordnung ohne jegliche sachliche Nachprüfung der Anordnung i. S. d. Art. 9 Abs. 1 RL-EEA aber, bleibt nur ein Desiderat des europäischen Gesetzgebers, da die mitgliedstaatlichen strafprozessualen Handlungen mangels Harmonisierung nationalen Direktiven folgen. Eine Anordnung ist im Vollstreckungsstaat gerade nicht „self-executing“, sondern muss von diesem erst in eine eigene Entscheidung modelliert werden.192 Dabei hat der Vollstreckungsstaat eine Anordnung denklogisch zunächst auf ihre rechtliche 182 Vogel/Eisele, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Recht der EU, Art. 82, Rn. 1; Wasmeier, in: Sieber u. a. (Hrsg.), Europäisches Strafrecht, § 32, Rn. 7. 183 Vgl. Erwägungsgrund (6), (7), und (8) RL-EEA sowie Art. 34 RL-EEA. 184 Vogel/Eisele, in: Grabitz u. a. (Hrsg.), Recht der EU, Art. 82 AEUV, Rn. 23. 185 Art. 9 Abs. 1 RL-EEA. 186 Art. 9 Abs. 2 RL-EEA. 187 Art. 9 Abs. 2 RL-EEA. 188 Vgl. COM (2021) 409 final, S. 15. 189 Vgl. Art. 5, 7 RL-EEA. 190 Vgl. Art. 12 RL-EEA. 191 Allegrezza/Mosna, in: Bachmaier-Winter (Hrsg.), EPPO Challenges Ahead, S. 155; Mosna, ZStW 2019, 808, 845; Perron, in: FS Sieber, S. 4. Vgl. für zusammenfassende Darstellung der rechtswissenschaftlichen Meinungslandschaft zu Nutzen und Effektivität der RLEEA Knytel, Europäische Ermittlungsanordnung, S. 59 ff. 192 Vogel/Eisele, in: Grabitz u. a. (Hrsg.), Recht der EU, Art. 82, Rn. 25.
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Durchführbarkeit nach Maßgabe der eigenen Rechtsordnung zu überprüfen und damit implizit eine sachliche Nachprüfung der Anordnung durchzuführen.193 Die RL-EEA greift diesen Prozess letztlich auch auf, indem sie dem Vollstreckungsstaat mit Art. 11 Abs. 1 RL-EEA fakultative Gründe194 für die Versagung der Anerkennung oder der Vollstreckung zuerkennt, etwa für den Fall, in dem der Vollstreckung einer EEA nach dem Recht des Vollstreckungsstaates Immunitäten oder Vorrechte entgegenstehen (Art. 11 Abs. 1 lit. a) RL-EEA) oder die Vollstreckung dem Grundsatz ne bis in idem zuwiderlaufen würde (Art. 11 Abs. 1 lit. d) RL-EEA). Zudem finden sich für verschiedene Ermittlungsmaßnahmen in den Art. 22 Abs. 2, Art. 23 Abs. 2, Art. 24 Abs. 2, Art. 26 Abs. 6, Art. 27 Abs. 5, Art. 28 Abs. 1, Art. 29 Abs. 3 und Art. 30 Abs. 5 RL-EEA Einschränkungen der grundsätzlichen Verpflichtung zur Vollstreckung einer EEA nach Art. 9 Abs. 1 RL-EEA.195 Bedeutend ist in diesem Zusammenhang, dass die Mitgliedstaaten verschiedene Konzepte bei der Umsetzung der RL-EEA durchgeführt haben196 – mehr als die Hälfte der Mitgliedstaaten haben die in Art. 11 Abs. 1 RL-EEA vom Richtliniengeber fakultativ konzipierten Versagungsgründe sogar als zwingend umgesetzt, einige Mitgliedstaaten ergänzten die vorgenannten Versagungsgründe für bestimmte Ermittlungsmaßnahmen durch weitere Gründe197 und einige Mitgliedstaaten haben gar zusätzliche Versagungsgründe in ihr nationales Recht eingeführt.198 Dieser Umstand kann die praktische Anwendbarkeit der Richtlinie erschweren.199 Er demonstriert gleichzeitig, dass die Vollstreckungsstaaten ein Interesse daran haben, bei der Prüfung von eingehenden EEA ein größeres Maß an Gegenkontrolle zu erhalten. Gem. Art. 10 Abs. 1 RL-EEA kann die Vollstreckungsbehörde auch auf eine nicht in der EEA vorgesehene Ermittlungsmaßnahme zurückgreifen, wenn die in der EEA angegebene Ermittlungsmaßnahme in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht zur Verfügung stünde. Die grenzüberschreitende Beweisgewinnung mittels EEA ist damit eine Zusammensetzung von strafprozessualen Handlungen von Anordnungs- und Vollstreckungsbehörde, die im Einklang mit ihrer jeweiligen nationalen Rechtsordnung durchgeführt werden. Nichtsdestotrotz wird die EEA in der Praxis häufig erfolgreich eingesetzt. Aus einer Datenerfassung der Kommission auf Grundlage von Art. 37 RL-EEA ergibt sich, dass die Anzahl erlassener und vollstreckter EEA seit Beginn der Anwendung
193
Perron, in: FS Sieber, S. 6. Vgl. COM (2021) 409 final, S. 9. 195 Vgl. COM (2021) 409 final, S. 9. 196 Vgl. COM (2021) 409 final, S. 9, 11. 197 Vgl. COM (2021) 409 final, S. 9. 198 Vgl. COM (2021) 409 final, S. 11, beispielhafte Versagungsgründe sind danach das fehlende, unvollständige oder fehlerhafte Ausfüllen des EEA-Formblatts, die erfolgreiche Anfechtung einer EEA oder die Rücknahme einer EEA. 199 Vgl. COM (2021) 409 final, S. 11. 194
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der RL-EEA200 zwischen einem niedrigen dreistelligen Bereich (in einem Mitgliedstaat wurden 364 EEA erlassen und 180 erhalten) und einem niedrigen fünfstelligen Bereich (ein Mitgliedstaat hat ca. 15.900 EEA erlassen und 10.500 erhalten) liegt.201 In den meisten Fällen wurden die erlassenen EEA erfolgreich auch vollstreckt, so lag die niedrigste Vollstreckungsquote in einem Mitgliedstaat bei 76,65 %, die höchste in einem Mitgliedstaat bei 96,93 %.202 Der höchste Wert für Versagungen von EEA liegt bei 17 % aller in einem Mitgliedstaat erlassenen EEA, der niedrigste Versagungswert liegt bei 0 % aller in einem Mitgliedstaat erlassenen EEA.203 (2) Zuweisungssystem und sui generis Charakter der EUStA Die Regelungen zu grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA dagegen, sind vor dem Hintergrund des der EUStA vom europäischen Gesetzgeber zugeschriebenen sui generis Charakters zu betrachten.204 Der europäische Gesetzgeber hat sich dazu entschieden, die grenzüberschreitende Beweissammlung der EUStA nicht in das System der EEA einzupassen, da die EUStA als einheitliche, unteilbare Staatsanwaltschaft für einen einheitlichen Rechtsraum konzipiert wurde.205 Zur Ausübung ihrer Tätigkeit sollte sie nicht erst auf Instrumente angewiesen sein, die die Rechtshilfe erleichtern oder die gegenseitige Anerkennung von Gerichtsentscheidungen zwischen Mitgliedstaaten vorsehen.206 Das System des betrauten und unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts sollte bei einem Vergleich mit den bestehenden, auf dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung beruhenden unionalen Rechtsinstrumenten für die grenzüberschreitende Beweisgewinnung wie die EEA als das fortschrittlichere System hervorgehen.207
200 Gem. Art. 36 Abs. 1 RL-EEA war die RL-EEA bis zum 22. Mai 2017 umzusetzen, von allen an die Richtlinie gebundenen Mitgliedstaaten erfolgten die nationalen Umsetzungsmaßnahmen tatsächlich aber erst im September 2018, s. COM (2021) 409 final, S. 3. 201 Vgl. COM (2021) 409 final, S. 13. 202 Vgl. COM (2021) 409 final, S. 14. 203 Vgl. COM (2021) 409 final, S. 14. 204 Vgl. Mosna, ZStW 2019, 808, 846. 205 Vgl. Ergebnis der Ratsdiskussion vom 10. Oktober 2014 über die EUStA und ihren Rückgriff auf Rechtshilfeinstrumente und die gegenseitige Anerkennung, abrufbar unter: https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-14479-2014-INIT/en/pdf (04. 03. 2023) 206 Vgl. Ergebnis der Ratsdiskussion vom 10. Oktober 2014 über die EUStA und ihren Rückgriff auf Rechtshilfeinstrumente und die gegenseitige Anerkennung, abrufbar unter: https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-14479-2014-INIT/en/pdf (04. 03. 2023); Weyembergh/Brière, Towards a EPPO/Study for the LIBE Committee, S. 31. 207 Vgl. Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 31, Rn. 38.
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(3) Gleichartigkeiten der Systeme Trotz beanspruchtem Paradigmenwechsel aber folgt die grenzüberschreitende Beweisgewinnung der EUStA einerseits dem locus regit actum Grundsatz, einem Konzept des traditionellen Rechtshilferechts,208 und vereint andererseits zahlreiche Wesenselemente der EEA in sich. Der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt kann als funktionales Korrelat zur Anordnungsbehörde i. S. d. RL-EEA betrachtet werden (vgl. Art. 31 Abs. 1 VO und Art. 2 RL-EEA); er entscheidet nach Maßgabe seiner nationalen Rechtsordnung, ob grenzüberschreitendes Ermittlungshandeln zum Zwecke der Beweisgewinnung notwendig und rechtlich durchführbar ist (vgl. Art. 31 Abs. 2 S. 2 VO und Art. 4 RLEEA). Die konkrete Ermittlungsmaßnahme wird dann in dem Mitgliedstaat des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts nach Maßgabe seiner eigenen Rechtsordnung und dem locus regit actum Prinzip durchgeführt; auch bei der EEA nimmt die Vollstreckungsbehörde die ersuchte Ermittlungshandlung so vor, als wäre sie von einer Behörde des Vollstreckungsstaates angeordnet worden und damit nach dem locus regit actum Prinzip vor (vgl. Art. 31 Abs. 4, Art. 32 S. 1 VO und Art. 9 Abs. 1 RL-EEA). Art. 32 VO statuiert, dass die dem unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt zugewiesene Maßnahme gemäß der VO und dem Recht seines Mitgliedstaates durchgeführt wird, wobei die vom betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt ausdrücklich angegebenen Form- und Verfahrensvorschriften (forum regit actum) einzuhalten sind, „es sei denn, sie stehen im Widerspruch zu den wesentlichen Rechtsgrundsätzen des Mitgliedstaates des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts“. Dazu findet sich eine nahezu gleichlautende Vorschrift in Art. 9 Abs. 2 RL-EEA, wonach die Vollstreckungsbehörde die von der Anordnungsbehörde ausdrücklich angegebenen Formvorschriften und Verfahren einhält, sofern sie „nicht im Widerspruch zu den wesentlichen Rechtsgrundsätzen des Vollstreckungsstaates stehen“ (forum regit actum). Ein Unterschied zwischen der Durchführung einer grenzüberschreitenden Maßnahme nach der VO und der RL-EEA mag, den jeweiligen Gesetzestext formal betrachtet, darin liegen, dass Art. 9 Abs. 1 RL-EEA dem Vollstreckungsstaat die Möglichkeit einräumt, Gründe für die Versagung der Anerkennung oder der Vollstreckung der EEA bzw. für den Aufschub der Vollstreckung geltend zu machen und Art. 11 RL-EEA einen Katalog von Gründen für die Versagung der Anerkennung oder der Vollstreckung bereithält. Dagegen entfaltet eine vom betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt an den unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt zugewiesene Maßnahme verordnungskonzeptionell ausnahmslose Bindungswirkung, da der unterstützende Delegierte Europäische Staatsanwalt die Durchführung nicht versagen kann, sondern gem. Art. 31 Abs. 5 VO nur die Mög208 Allegrezza/Mosna, in: Bachmaier-Winter (Hrsg.), EPPO Challenges Ahead, S. 145; Mosna, ZStW 2019, 808, 837; Zerbes, ZIS 2015, 145, 147.
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lichkeit zur Gegenvorstellung und in diesem Zusammenhang der zeitweisen Aussetzung einer zugewiesenen Maßnahme hat, wenn er Bedenken mit Blick auf die zugewiesene Maßnahme hat. Der grenzüberschreitende Beweistransfer im Ermittlungsverfahren der EUStA erscheint auf den ersten Blick damit gesicherter als unter der RL-EEA. Allerdings fällt auf, dass sich die den unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt zur Gegenvorstellung berechtigenden „Bedenkenträger“ gegen eine zugewiesene Maßnahme (wenn auch dort mit unterschiedlichen Rechtsfolgen) in der RL-EEA wiederfinden.209 Der der Gegenvorstellung zugängliche Einwand des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts, nach dem eine Zuweisung „unvollständig oder einen offensichtlichen erheblichen Fehler enthält“ (Art. 31 Abs. 5 lit. a) VO) findet seine Entsprechung in Art. 9 Abs. 3 RL-EEA, wonach die Vollstreckungsbehörde eine EEA an den Anordnungsstaat zurückgibt, wenn sie nicht von der zuständigen Anordnungsbehörde i. S. d. Art. 2 lit. c) RL-EEA erlassen wurde. Der mögliche Einwand des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts, nach dem die Maßnahme „aus berechtigten, objektiven Gründen nicht innerhalb der in der Zuweisung gesetzten Frist durchgeführt werden kann“ (Art. 31 Abs. 5 lit. b) VO) findet ein Korrelat in Art. 12 Abs. 5 RL-EEA: danach stimmen sich die Vollstreckungs- und Anordnungsbehörde über einen Zeitpunkt für die Durchführung einer Anordnung ab, wenn es der Vollstreckungsbehörde nicht möglich ist, die Ermittlungsmaßnahme innerhalb der in der RL vorgesehenen Frist durchzuführen. Der unterstützende Delegierte Europäische Staatsanwalt kann einwenden, dass sich mit einer alternativen, weniger eingreifenden Maßnahme dieselben Ergebnisse wie mit der zugewiesenen Maßnahme erreichen lassen (Art. 31 Abs. 5 lit. c) VO) – ein Pendant dazu statuiert Art. 10 Abs. 3 RL-EEA, wonach die Vollstreckungsbehörde auf eine andere als die in der EEA angegebene Ermittlungsmaßnahme zurückgreifen kann, wenn eine solche mit weniger einschneidenden Mitteln das gleiche Ergebnis wie die in der EEA angegebene Ermittlungsmaßnahme erreichen würde. Zuletzt kann der unterstützende Delegierte Europäische Staatsanwalt einwenden, dass die zugewiesene Maßnahme nach dem Recht seines Mitgliedstaates nicht existiert oder in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht zur Verfügung stünde (Art. 31 Abs. 5 lit. d) VO); Art. 10 Abs. 1 RL-EEA bestimmt, dass die Vollstreckungsbehörde auf eine nicht in der EEA vorgesehene Ermittlungsmaßnahme zurückgreift, wenn die in der EEA angegebene Ermittlungsmaßnahme nach dem Recht des Vollstreckungsstaates nicht besteht oder in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht zur Verfügung stünde. Bei Vorliegen der vorgenannten „Bedenkenträger“ sieht die VO vor, dass sich betrauter und unterstützender Delegierter Europäischer Staatsanwalt beraten, um eine einvernehmliche Lösung zu erzielen. Auch die RL-EEA sieht die Konsultation 209 Vgl. Bachmaier-Winter, in: Bachmaier-Winter (Hrsg.), EPPO Challenges Ahead, S. 126 ff.
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zwischen Vollstreckungs- und Anordnungsbehörde bei Uneinigkeiten als Beschleuniger einer Anordnung vor (vgl. bspw. Art. 6 Abs. 3 RL-EEA: Konsultation bei Zweifeln über Vorliegen der Bedingungen für den Erlass einer EEA; Art. 9 Abs. 6 RL-EEA: Konsultation bei Anerkennung und Vollstreckung der Anordnung; Art. 11 Abs. 4 RL-EEA: Konsultation vor Versagung einer Anordnung). Insoweit zielen VO und RL-EEA darauf ab, dass die grenzüberschreitende Beweissammlung nicht vorschnell scheitern und im Rahmen der Möglichkeiten des einschlägigen nationalen Rechts möglich gemacht werden soll. Zwar ist eine Versagung der zugewiesenen Maßnahme unter der VO nicht möglich. Faktisch jedoch hat die Aussetzung einer zugewiesenen Maßnahme bei Bedenken des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts bis zur einvernehmlichen Lösung der Angelegenheit mit dem betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt bzw. einer Entscheidung der Ständigen Kammer zeitweise die gleiche Wirkung wie eine Versagung der Durchführung einer EEA. Dass diese im Anwendungsbereich der RL-EEA häufig zum Tragen kommt, erscheint wegen der vorgelagerten Konsultationspflicht gem. Art. 11 Abs. 4 RL-EEA aber eher unwahrscheinlich. Auch dadurch relativieren sich die Unterschiede der grenzüberschreitenden Beweissammlung nach VO und RL-EEA. (4) Sachprüfung bei Vollstreckung bzw. Zuweisung Zudem führt die Normierung von Bedenkenträgern nach Art. 31 Abs. 5 VO unter dem gleichen Aspekt wie die Normierung der Versagungsgründe unter der RL-EEA dazu, dass der unterstützende Delegierte Europäische Staatsanwalt eine sachliche Prüfung der zugewiesenen Maßnahme durchführen wird, da er nur dadurch beurteilen kann, ob sich etwa „mit einer alternativen, weniger eingreifenden Maßnahme dieselben Ergebnisse wie mit der zugewiesenen Maßnahme erreichen ließen“ (Art. 31 Abs. 5 lit. c) VO) oder gar die „zugewiesene Maßnahme nach dem Recht seines Mitgliedstaates nicht existiert oder in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht zur Verfügung stünde“ (Art. 31 Abs. 5 lit. d) VO). Damit dürfte sich der Zeitaufwand bis zur Durchführung einer zugewiesenen Maßnahme ähnlich der Anerkennung und Vollstreckung einer Anordnung unter der RL-EEA gestalten, bei der die Vollstreckungsbehörde eine eingehende Anordnung ebenfalls auf ihre Vereinbarkeit und Durchführbarkeit unter der eigenen Rechtsordnung zu prüfen hat.210 Steht die zugewiesene Maßnahme nach dem Recht des Mitgliedstaates des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts zudem unter einem richterlichen Vorbehalt, wird schließlich auch ein Gericht mit der materiellen Prüfung der zugewiesenen Maßnahme befasst sein. Wenn das Gericht dabei entsprechendes Aktenmaterial der EUStA hinzuziehen möchte, kann die Durchführung der zugewiesenen Maßnahme sehr aufwändig und zeitintensiv sein.211 Da die Verfahrens210 211
Vgl. dazu ausführlich Perron, in: FS Sieber, S. 6. Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 31, Rn. 40.
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akten nach dem Recht des Mitgliedstaates des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts und damit regelmäßig in einer anderen Amtssprache als der des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts geführt werden, müsste das Aktenmaterial ggf. zunächst übersetzt werden.212 Die Leitlinien zu Art. 31 VO sehen eine Übersetzung von Zuweisungen in die Amtssprache des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts ausdrücklich nur für die Fälle vor, in denen eine richterliche Genehmigung nach dem Recht des betrauten Mitgliedstaates erforderlich ist.213 cc) Möglichkeiten der Interpretation des Rechtsschutzes gegen zugewiesene Maßnahmen Zusammenfassend wird klar: Auch unter der VO stellt sich die grenzüberschreitende Beweissammlung als ein „Patchwork“214 der mitgliedstaatlichen Strafprozessordnungen dar. Dies überrascht natürlich insoweit nicht, als mit der Schaffung der EUStA kein einheitliches, europäisches Prozessrecht geschaffen wurde,215 212
Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 31, Rn. 40. Vgl. Section Two/B., Ziffer 15 und Ziffer 23 Leitlinien zu Art. 31 VO, die die Übersetzung in die Amtssprache des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts auf den Fall des Art. 31 Abs. 3 UAbs. 3 bzw. Art. 31 Abs. 3 UAbs. 2 VO beziehen, die vom richterlichen Genehmigungserfordernis bzw. der Einholung einer richterlichen Genehmigung nach dem Recht (nur) des betrauten Delegierten Europäischen Staatanwaltes ausgehen. Gleichwohl ist der Bezug auf Art. 31 Abs. 3 UAbs. 2 VO, den Section Two/B., Ziffer 23 Leitlinien zu Art. 31 für das Übersetzungserfordernis aufstellt, missverständlich formuliert. Denn Art. 31 Abs. 3 UAbs. 2 VO normiert den Fall, in dem die richterliche Genehmigung nach dem Recht des unterstützenden Mitgliedstaates erforderlich ist und von diesem auch einzuholen ist – Ziffer 23 der Leitlinien zu Art. 31 VO bezieht die Übersetzung zwar auf die vorgenannte Norm, geht aber davon aus, dass eine richterliche Genehmigung bereits im betrauten Mitgliedstaat eingeholt wurde (und auf eine richterliche Genehmigung im unterstützenden Mitgliedstaat, wohl in Anlehnung an das Prinzip der Single Judicial Authoriation, verzichtet werden kann). Zu übersetzen soll danach die richterliche Genehmigung sein, die im betrauten Mitgliedstaat eingeholt wurde. Für den Fall aber, dass ein Gericht des unterstützenden Mitgliedstaates über die richterliche Genehmigung entscheidet, gibt es keine Bestimmung zur Übersetzung der Zuweisung. 214 Vgl. European Criminal Policy Initiative, ZIS 2013, 412, 417. 215 Auf Grundlage von Art. 82 Abs. 2 AEUV wurde im letzten Jahrzehnt aber eine Mindestharmonisierung des Strafverfahrensrechts durchgeführt, darunter die Richtlinie über das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren (ABl. L 280/1 v. 26. 10. 2010), die Richtlinie über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren (ABl. L 142/1 v. 01. 06. 2012), die Richtlinie über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Strafverfahren und zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls und das Recht auf Kommunikation mit Dritten und Konsularbehörden (ABl. L 294/1 v. 6. 11. 2013), die Richtlinie über die Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung in Strafverfahren (ABl. L 65/1 v. 11. 03. 2016), die Richtlinie über Verfahrensgarantien in Strafverfahren für Kinder, die Verdächtige oder beschuldigte Personen in Strafverfahren sind (ABl. L 132/1 v. 21. 05. 2016) und die Richtlinie über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte in Strafverfahren sowie für gesuchte Perso213
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aber überrascht insoweit, als der Verordnungsgeber mit der Schaffung von Art. 31 VO ein neues, fortschrittlicheres System der grenzüberschreitenden Beweisgewinnung in Aussicht gestellt hatte.216 Das Novum bzw. der mit der EUStA postulierte Fortschritt ist nach einem Vergleich der VO mit der RL-EEA nicht in den Vorschriften zur grenzüberschreitenden Beweisgewinnung zu erblicken, sondern in der personellen Organisation der EUStA zu sehen. Die Delegierten Europäischen Staatsanwälten sind Teil einer europäischen Behörde. Sie sind durch ein dickeres kollegiales Band verbunden, als es verschiedenstaatliche nationale Strafverfolger zueinander sind und dürften aufgrund der beschränkten materiellen Zuständigkeit der EUStA in kürzester Zeit einen hohen Grad an Professionalität und Routine im Umgang mit grenzüberschreitenden Ermittlungsfällen entwickeln. Damit wird sich die Beweisgewinnung zwischen den mitgliedstaatlichen Delegierten Europäischen Staatsanwälten zügiger vollziehen, als unter dem System der RL-EEA.217 Wenn auch die Formalisierung des grenzüberschreitenden Beweisverkehrs unter der RL-EEA die Kommunikationsprozesse zwischen den zuständigen Behörden nen in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls (ABl. L 297/1 v. 4. 11. 2016). Ein Konzeptvorschlag, die „Model Rules for the Procedure of the EPPO“, eine unionsweit einheitliche, supranationale Verfahrensordnung für die Ermittlungen der EUStA wurde nach Durchführung einer rechtsvergleichenden Studie im Jahre 2013 von Ligeti herausgegeben, abrufbar unter https://orbilu.uni.lu/bitstream/10993/42085/1/Model%20Rules%20and%20ex planatory%20notes%20EN.pdf (04. 03. 2023). Der Verordnungsgeber hat sich mit der VO letztlich dazu entschieden, die Ermittlungsarbeit der EUStA auf den nationalen Rechtsordnungen aufzusetzen. 216 Kritisch dazu äußern sich Allegrezza/Mosna, in: Bachmaier-Winter (Hrsg.), EPPO Challenges Ahead, S. 145, nach denen in der VO im Vergleich zur RL-EEA keine Neuerung für die grenzüberschreitende Beweisgewinnung geschaffen worden sei, da in der VO das für die traditionelle Rechtshilfe charakteristische locus regit actum Prinzip übernommen wurde. Mosna, ZStW 2019, 808, 846 f., kommt nach einem Vergleich der grenzüberschreitenden Beweisgewinnung auf Grundlage der RL-EEA und der VO zu dem Ergebnis, dass die RLEEA auch das praktikablere Rechtsinstrument darstelle. Eine Erklärung für die ausbleibende Innovation in der grenzüberschreitenden Beweisgewinnung erklären Allegrezza/Mosna, in: Bachmaier-Winter (Hrsg.), EPPO Challenges Ahead, S. 143, 149 ff. damit, dass die Konzeption der VO vor dem Hintergrund der Widerstände und Ängste der Mitgliedstaaten vor einem Souveränitätsverlust zu beleuchten ist und im Ergebnis als ein Akt der Realpolitik zu sehen ist, ähnlich auch Baab, eucrim 2021, 45, 45. Für eine Darstellung der Entwicklungsphasen der VO s. Allegrezza/Mosna, in: Bachmaier-Winter (Hrsg.), EPPO Challenges Ahead, S. 149 ff. 217 Vgl. dazu Aussage des deutschen Delegierten Europäischen Staatsanwalts Dr. Sebastian Trautmann, in: LTO, Europäische Staatsanwaltschaft. Es geht los, abrufbar unter: https://www. lto.de/recht/justiz/j/eu-staatsanwaltschaft-start-betrug-umsatzsteuer-subventionen-geldwaescheermittlungen/ (04. 03. 2023), der angibt, dass die Zusammenarbeit zwischen den Delegierten Europäischen Staatsanwälten effizienter als die Zusammenarbeit im Wege der Rechtshilfe funktionieren wird, da man sich über das Fallbearbeitungssystem oder per Mail schneller an die Kollegen in einem anderen Mitgliedstaat wenden könne, wenn dort etwa eine Durchsuchung oder Vernehmung durchgeführt werden solle.
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beschleunigt und vereinheitlicht hat, ihre konkrete Konzeption die justizielle Praxis vor Schwierigkeiten zu stellen. Nach einer Datenerfassung der Kommission wurde die „Länge und Komplexität“ der Formblätter218 am häufigsten als ein Hindernis für das „reibungslose Funktionieren der EEA“ angegeben.219 Zwischen den betrauten und unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwälten dagegen existiert eine direkte Kommunikationsinfrastruktur; sie können einander in grenzüberschreitenden Fallgestaltungen schlicht per Email oder durch das behördeninterne Fallbearbeitungssystem kontaktieren,220 ohne dabei den Formblättern der RL-EEA vergleichbaren Erfordernissen zu unterliegen. Zudem hat die Datenerfassung der Kommission auch ergeben, dass eine Vielzahl der Mitgliedstaaten meldete, dass sie Beweismittel vom Vollstreckungsstaat erst nach 91 bis 120 Tagen erhalte und als Gründe für die Verzögerung interne Verfahrensabläufe sowie eine hohe Arbeitsbelastung angegeben.221 Da die Arbeit am grenzüberschreitenden Fall für die Delegierten Europäischen Staatsanwälte aber eher die Regel als die Ausnahme darstellen wird, wird der grenzüberschreitende Beweisverkehr zwischen betrautem und unterstützendem Delegierten Europäischen Staatsanwalt einen Kernbereich der internen Verfahrensabläufe formieren und die Arbeitslast der Delegierten Europäischen Staatsanwälte, deren Zuständigkeitsbereich konzentriert ist, kein Hindernis bei der grenzüberschreitenden Beweisgewinnung sein. Für die Interpretation des Rechtsschutzes gegen zugewiesene Maßnahmen kommen nun zwei Möglichkeiten in Betracht: Die nun festgestellte rechtliche Gleichartigkeit der grenzüberschreitenden Beweisgewinnung unter dem System der RL-EEA und der VO könnte entweder dafür sprechen, den Rechtsschutz gegen EEA und zugewiesene Maßnahmen im Gleichlauf zueinander zu verstehen und den Rechtsschutz gegen zugewiesene Maßnahmen am Trennungsmodell des Rechtsschutzes gegen Maßnahmen unter der RL-EEA auszurichten. Oder die vom Verordnungsgeber postulierte Neuerung der grenzüberschreitenden Beweisgewinnung unter dem Zuweisungssystem der EUStA, die Einheitlichkeit und Unteilbarkeit der EUStA sowie der personell-organisatorische Fortschritt der europäischen Strafverfolgungsbehörde könnten dafür sprechen, eine breitflächigere Rechtskontrolle gegen zugewiesene Maßnahmen der EUStA zuzulassen, als unter dem Verständnis der gespaltenen Rechtskontrolle gegen Akte der RL-EEA. In Betracht kommt, zugewiesene Maßnahmen vor Gerichten jedes teilnehmenden Mitgliedstaates der vollen Rechtskontrolle zugänglich zu machen. 218
Vgl. Anhang A, Anhang B und Anhang C RL-EEA. Vgl. COM (2021) 409 final, S. 15. 220 Vgl. dazu Aussage des deutschen Delegierten Europäischen Staatsanwalts Dr. Sebastian Trautmann, in: LTO, Europäische Staatsanwaltschaft. Es geht los, abrufbar unter: https://www. lto.de/recht/justiz/j/eu-staatsanwaltschaft-start-betrug-umsatzsteuer-subventionen-geldwaescheermittlungen/ (04. 03. 2023). 221 Vgl. COM (2021) 409 final, S. 14. 219
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(1) Gleichlauf des Rechtsschutzes gegen Maßnahmen unter RL-EEA und zugewiesene Maßnahmen In den Leitlinien zu Art. 31 VO zeigt sich, dass die EUStA den Rechtsschutz vor zugewiesenen Maßnahmen nach Art. 31 VO entsprechend den Grundfesten des Rechtsschutzsystems der RL-EEA interpretiert. Der Rechtsschutz gegen eine EEA folgt dem sog. Trennungsmodell, nach dem die Sachgründe für den Erlass einer EEA gem. Art. 14 Abs. 2 S. 1 RL-EEA nur durch eine Klage im Anordnungsstaat angefochten werden können.222 Im Vollstreckungsstaat ist der Rechtsschutz nur unter dem Gesichtspunkt der Anerkennung und Vollstreckung der EEA eröffnet und damit beschränkt.223 Gleichwohl eröffnet sich ein Maß an Rechtsschutz im Vollstreckungsmitgliedstaat unter Art. 14 Abs. 2 S. 2 RL-EEA, da die grundrechtlichen Garantien im Vollstreckungsstaat unberührt bleiben. Rechtsschutz gegen eine zugewiesene Maßnahme der EUStA sei verordnungskonzeptionell gem. Art. 31 Abs. 2 VO stets vor Gerichten des betrauten Mitgliedstaates zu suchen.224 Vor den Gerichten des unterstützenden Mitgliedstaates sei die Inhaltskontrolle der zugewiesenen Maßnahme nicht eröffnet, dort könne eine Maßnahme nur unter dem Gesichtspunkt des Vorliegens eines offensichtlichen Fehlers oder Exzesses angegriffen werden.225 Dass das Prinzip der Single Judicial Authorisation unter Umständen die Rechtsschutzmöglichkeiten des Betroffenen unterminiert, wenn eine richterliche Genehmigung nur nach dem Recht des unterstützenden Mitgliedstaates eingeholt wird – und hierbei gar keine überprüfbare Sachentscheidung im betrauten Mitgliedstaat existierte – und nach der Konzeption der VO keine Inhaltskontrolle eröffnet wäre, erkennt die EUStA in ihren Leitlinien.226 Hintergrund für die Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle im Vollstreckungsstaat und den fragmentierten Rechtsschutz im Rahmen der RL-EEA ist, dass 222
Kritisch dazu Mosna, ZStW 2019, 808, 828; Böse, ZIS 2014, 152, 159 ff. Gleichwohl eröffnet die RL-EEA nach Perron, in: FS Sieber, S. 13 ff. der Vollstreckungsbehörde schon bei der Prüfung der Vollstreckungsvoraussetzungen gewichtige Möglichkeiten zur Gegenkontrolle der mittels EEA angeordneten Maßnahme, indem sie eine angeordnete Maßnahme durch eine andere Maßnahme ersetzen kann (Art. 10 Abs. 1 RL-EEA) oder der Anordnungsmaßnahme mitteilt, dass sie die erbetene Unterstützung nicht leisten kann (Art. 10 Abs. 5 RL-EEA), die Maßnahme nur eine weniger einschneidende Maßnahme ersetzen kann (Art. 10 Abs. 3 RL-EEA) oder die Anerkennung der Maßnahme, deren Vollstreckung im Widerspruch zu GrCh oder EMRK stünde oder im Vollstreckungsstaat auf bestimmte, der EEA nicht zugrundeliegende Straftaten beschränkt wäre (Art. 11 Abs. 1 lit. f) und h) RL-EEA). 224 Section Two/B., Ziffer 17 f. Leitlinien zu Art. 31 VO. 225 Section Two/B., Ziffer 17 f. Leitlinien zu Art. 31 VO: „However, errors or excess in the execution of the measure by the assisting EDP could be challenged in the Member State of the assisting EDP.“. 226 Section Two/B., Ziffer 17 f. Leitlinien zu Art. 31 VO. 223
I. Ermittlungen auf dem Gebiet der teilnehmenden Mitgliedstaaten
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Anordnungs- und Vollstreckungsstaat (jedenfalls der richtliniengeberischen Konzeption nach227) voneinander abgrenzbare Rollen einnehmen und in arbeitsteiliger Weise zusammenarbeiten. Im Rahmen einer EEAwird die gerichtliche Entscheidung des Anordnungsstaates auf Grundlage des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung durch den Vollstreckungsstaat vollstreckt. Auch wenn der Verordnungsgeber mit dem Zuweisungssystem für die grenzüberschreitende Beweisgewinnung einen Fortschritt gegenüber der RL-EEA geschaffen haben will, hat die VO keine neue Verfahrensrealität gebracht: Denn auch die Delegierten Europäischen Staatsanwälte führen ihre Ermittlungen auf dem territorialen Bereich und nach den Normdirektiven ihrer eigenen Rechtsordnungen durch. Bei der Durchführung grenzüberschreitender Ermittlungen sind sie auf den Ermittlungsteil der unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwälte angewiesen. Die Ermittlungsergebnisse werden also, ähnlich wie unter der RL-EEA auch, zwischen den Delegierten Europäischen Staatsanwälten arbeitsteilig generiert. Der Rechtsschutz gegen die Sachgründe einer zugewiesenen Maßnahme könnte unter diesem Gesichtspunkt auch in der Sphäre des betrauten Mitgliedstaates zu konzentrieren sein. Gegen die Durchführung der zugewiesenen Maßnahme könnte sich der Betroffene im unterstützenden Mitgliedstaat zur Wehr setzen. Für die tatsächliche Durchführbarkeit des Hauptverfahrens der EUStA erscheint es notwendig, den Angriff gegen die Sachgründe einer zugewiesenen Maßnahme bei Gerichten des betrauten Mitgliedstaates zu konzentrieren. Andernfalls wäre eine zugewiesene Maßnahme der vollen Rechtskontrolle in allen in die EUStA-Ermittlungen eingebundenen Mitgliedstaaten zugänglich. Wenn die EUStA in einem Ermittlungsverfahren etwa an zahlreiche unterstützende Delegierte Europäische Staatsanwälte unterschiedliche Maßnahmen zuwiese, die in deren Mitgliedstaaten angegriffen würden, könnte die Durchführung des Hauptverfahrens gelähmt werden. Denn der Ablauf und Gang des Hauptverfahrens hinge dann untrennbar am Schicksal der in anderen unterstützenden Mitgliedstaaten laufenden Rechtsschutzverfahren, die Urteilsfindung wäre untrennbar verbunden mit den Entscheidungen zur Validität der zugewiesenen Einzelmaßnahmen. So müsste das Hauptverfahren im betrauten Mitgliedstaat ausgesetzt werden, bis die Gerichte unterstützender Mitgliedstaaten über die Rechtmäßigkeit einer zugewiesenen Maßnahme entschieden hätten. Damit ginge zwangsläufig ein Zeit- und Ressourcenaufwand (auf Seiten der Justiz, wie auch für die Verteidigung) einher, der nicht im Interesse des Rechtsschutzsuchenden sein dürfte. Selbst wenn sich der Zeitverlust im Einzelfall in Grenzen hielte, spiegelte das Ergebnis einer vollumfänglichen Rechtskontrolle durch Gerichte des unterstützenden Mitgliedstaates potenziell vielzählige, einzelmitgliedstaatliche Rechtsordnungen wider. Wie dieser Umstand vom Hauptsachegericht im betrauten Mitgliedstat zu berücksichtigen wäre, ist zwar fraglich, aber vor dem Hintergrund bestehender vergleichbarer Rechtsordnungen im europäischen Rechtsraum nicht per se unmöglich. 227
Kritisch dazu Perron, in: FS Sieber, S. 14.
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
Den Rechtsschutz gegen zugewiesene Maßnahmen an das Rechtsschutzsystem der RL-EEA anzupassen, drängt sich aber vor allem auf, um eine Rechtszersplitterung im europäischen Rechtsraum zu vermeiden. Denn nicht alle Mitgliedstaaten der Union nehmen an der EUStA teil. Für die Durchführung von Maßnahmen auf dem Gebiet der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten wird die EUStA auf Instrumente der gegenseitigen Anerkennung und die RL-EEA zurückgreifen. Die Rechtskontrolle der Sachgründe einer so durchgeführten Maßnahme kann der Betroffene nach dem Rechtsschutzsystem der RL-EEA nur im Anordnungsstaat, welcher aus der Perspektive der EUStA gleichzeitig den Mitgliedstaat des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts darstellt, herbeiführen. Der gleiche Beschuldigte kann in ein und demselben Ermittlungsverfahren der EUStA aber auch von auf Grundlage des Zuweisungssystems durchgeführten Maßnahmen betroffen sein. Damit die sachliche Rechtskontrolle dieser Maßnahmen das Ergebnis einer gesamtheitlichen Betrachtung wird, ist sie bei dem betrauten Mitgliedstaat zu bündeln. Fraglich ist, ob das im Zuweisungssystem der EUStA geltende Prinzip der Single Judicial Authoriation dagegen spricht, den Rechtsschutz gegen zugewiesene Maßnahmen nach dem Trennungsmodell unter der RL-EEA auszugestalten. Steht eine zugewiesene Maßnahme nach der Rechtsordnung des betrauten und des unterstützenden Mitgliedstaates unter richterlichem Genehmigungsvorbehalt, so soll nach dem Prinzip der Single Judicial Authorisation und im Einklang mit Art. 31 Abs. 3 UAbs. 1, Erwägungsgrund (72) VO regelmäßig nur eine Genehmigung im unterstützenden Mitgliedstaat eingeholt werden. Dann existierte erstens möglicherweise gar keine Sachentscheidung im betrauten Mitgliedstaat und mangels Sachentscheidung auch kein Rechtsakt, der vor Gerichten des betrauten Mitgliedstaates angegriffen werden könnte. Der Ort der Einholung einer richterlichen Genehmigung könnte also dazu führen, dass der Rechtsschutz gegen eine zugewiesene Maßnahme ins Leere läuft. Zweitens wäre es möglich, dass im betrauten Mitgliedstaat nur eine reduzierte Sachprüfung der zugewiesenen Maßnahme, und zwar nur mit Blick auf die grundsätzliche Anordnungsfähigkeit einer Maßnahme, erfolgt. Ob in diesen Fällen die Rechtskontrolle der Sachprüfung im betrauten Mitgliedstaat eine ähnliche Prüfungsdichte aufweisen würde, wie die Rechtskontrolle der im unterstützenden Mitgliedstaat eingeholten richterlichen Genehmigung, ist fraglich. Mit Verweis auf eine zum Rechtsschutz gegen Akte im Rahmen der RL-EEA ergangene Rechtsprechung,228 erklärt die EUStA in den Leitlinien zu Art. 31 VO aber, dass die Sachgründe einer zugewiesenen Maßnahme in jedem Fall, auch ohne Vorliegen einer richterlichen Genehmigung des betrauten Mitgliedstaates, zur Wahrung von Art. 47 GrCh einer gerichtlichen Kontrolle des betrauten Mitgliedstaates eröffnet werden sollten.229 228 Section Two/B., Ziffer 19 Leitlinien zu Art. 31 VO, EuGH (Erste Kammer), Urteil v. 11. 11. 2021 – C-852/19, BeckRS 2021, 33900. 229 Section Two/B., Ziffer 20 Leitlinien zu Art. 31 VO.
I. Ermittlungen auf dem Gebiet der teilnehmenden Mitgliedstaaten
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Diese Erklärung bringt für den Rechtsschutzsuchenden und die für die Sachprüfung der zugewiesenen Maßnahme zuständigen Gerichte im betrauten Mitgliedstaat Herausforderungen mit sich. Für den von grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffenen wird unter den bestehenden Regelungen der Verordnung nicht klar sein, wo er Rechtsschutz gegen eine zugewiesene Maßnahme zu suchen hat. Die in den Leitlinien statuierte Erklärung, nach der die sachliche Prüfung einer zugewiesenen Maßnahme vor Gerichten des betrauten Mitgliedstaates zu erfolgen habe, ändert daran nichts. Denn Leitlinien haben keine Bindungswirkung für die Mitgliedstaaten. Sie sind keine Rechtsnormen, denen unbedingt Folge zu leisten wäre, sondern dienen als Verhaltensnorm, die auf eine zu befolgende Verwaltungspraxis hinweisen oder fungieren als Auslegungs- und Orientierungshilfe bei der Anwendung von Normen.230 Der von einer zugewiesenen und im unterstützenden Mitgliedstaat durchgeführten Maßnahme Betroffene wird vielmehr berechtigterweise davon ausgehen, dass er in diesem Mitgliedstaat auch eine volle Rechtskontrolle herbeiführen kann. Denn wird er von einer Durchsuchung im unterstützenden Mitgliedstaat Italien getroffen, wird er dem italienischen (unterstützenden Delegierten Europäischen) Staatsanwalt oder italienischen Polizeibeamten gegenüberstehen. Ihm wird ein nach italienischem Recht erlassener und in Italienisch gehaltener Durchsuchungsbeschluss eröffnet, der die Handschrift einer nationalen Maßnahme trägt. Ihm wird mitunter ohne Einsicht in die Verfahrensakte nicht klar sein, welcher Mitgliedstaat mit der Ermittlungsführung betraut ist. Unter diesem Eindruck wird er für die Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen berechtigterweise einen italienischen Rechtsanwalt mandatieren und vergüten, dies aber vergeblich, denn die volle Rechtskontrolle vor Gerichten des unterstützenden Mitgliedstaates wird er damit nicht herbeiführen können. Für den von einer grenzüberschreitenden Maßnahme der EUStA Betroffenen muss klar sein, wo er Rechtsschutz suchen kann. Dies gilt auch für den von einer zugewiesenen Maßnahme der EUStA betroffenen nichtverdächtigen Dritten. Durch die Herausgabe von Rechtsbehelfsbelehrungen bei oder nach Durchführung zugewiesener Maßnahmen, aus denen sich ergäbe, dass die sachliche Rechtskontrolle der Maßnahme nur vor Gerichten des betrauten Mitgliedstaates erfolgen kann, könnte die EUStA hier kurzfristig selbst auf Rechtsklarheit hinwirken. Soweit die EUStA in ihren Leitlinien erklärt, dass die Sachprüfung einer zugewiesenen Maßnahme nur vor den Gerichten des betrauten Mitgliedstaates erfolgen könne, selbst wenn dort keine Sachentscheidung vorläge – und eine erforderliche richterliche Genehmigung damit nur im unterstützenden Mitgliedstaat eingeholt wurde –, führt dies zu einem kuriosen Ergebnis. Gerichte des betrauten Mitgliedstaates müssten hier also die Anordnung einer zugewiesenen Maßnahme überprüfen, die nach Maßgabe der Rechtsordnung des unterstützenden Mitgliedstaates erfolgte. 230
Vgl. EuG (Fünfte Kammer), Urteil v. 08. 10. 2008 – T-73/04, BeckRS 2010, 91984.
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
Sie müssten Fremdrecht prüfen. Dazu müssten sie zunächst die der Anordnung zugrundeliegenden Informationen beiziehen – diese sind enthalten in jenen Unterlagen, die der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt dem unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt mit der Zuweisung231 übermittelt hat – und die der unterstützende Delegierte Europäische Staatsanwalt nach eigenem Ermessen im Einklang mit den inhaltlichen und umfangmäßigen Anforderungen an die Einholung von richterlichen Genehmigungen nach Maßgabe der Rechtsordnung des betrauten Mitgliedstaates an das für die Anordnung einer Maßnahme zuständige Gericht weitergeleitet hat. Diese Unterlagen werden bei dem Gericht des unterstützenden Mitgliedstaates entweder in Englisch oder in die Amtssprache des unterstützenden Mitgliedstaates übersetzt232 eingegangen sein. Für die sachliche Überprüfung einer im unterstützenden Mitgliedstaat angeordneten Maßnahme vor einem Gericht des betrauten Mitgliedstaates müssten zunächst zeitaufwändige Übersetzungen eingeholt werden. Dies mutet auch sonderbar an, weil die Zuweisung des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts an den unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt einen reduzierteren Umfang hat, als die in der Amtssprache des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts geführte Verfahrensakte.233 Dass die Leitlinien zu Art. 31 VO eine Zuständigkeit der betrauten Mitgliedstaaten für die Sachprüfung einer zugewiesenen Maßnahme mit einer im Rahmen der RL-EEA ergangenen Rechtsprechung begründen,234 ist nicht restlos nachvollziehbar. Die Leitlinien erläutern, dass der Gerichtshof klargestellt habe, dass der von einer Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung betroffenen Person im Anordnungsstaat ein Rechtsbehelf gegen die Anordnung einer EEA zustehen muss, weil sie nach dem Trennungsmodell des Rechtsschutzes gegen EEA nur dort die Sachprüfung der Maßnahme auch durchführen könne.235 Zu beachten ist in diesem Zusammenhang aber, dass in dem dem Verfahren zugrundeliegenden Fall bereits eine Sachentscheidung des Anordnungsstaates (Bulgarien) für die Anordnung der EEA (zum Zwecke der Durchführung von Durchsuchungen, Beschlagnahmen und Zeugenvernehmungen) existierte. Das Strafrecht des Anordnungsstaates hielt (nur) keinen Rechtsbehelf gegen Anordnungen sowie gegen den Erlass einer EEA bereit, obwohl er gem. Art. 14 Abs. 2 RL-EEA, nach dem die Gründe für den Erlass einer EEA nur 231
S. für eine Darstellung der mit der Zuweisung zu übermittelnden Inhalte und Dokumente unter B., S. 85 dieser Arbeit. 232 Vgl. Section Two/B., Ziffer 15 UAbs. 2 und Ziffer 23 Leitlinien zu Art. 31 VO, wo die Übersetzung in die Amtssprache des unterstützenden Mitgliedstaates aber auch nur vorgesehen wird für den Fall, für den eine richterliche Genehmigung nur nach dem Recht des betrauten Mitgliedstaates erforderlich ist und eingeholt wurde. 233 S. für eine Darstellung der mit der Zuweisung zu übermittelnden Inhalte und Dokumente unter B., S. 85 dieser Arbeit. 234 Section Two/B., Ziffer 19 und Ziffer 20 Leitlinien zu Art. 31 VO, EuGH (Erste Kammer), Urteil v. 11. 11. 2021 – C-852/19, BeckRS 2021, 33900. 235 Section Two/B., Ziffer 19 Leitlinien zu Art. 31 VO, EuGH (Erste Kammer), Urteil v. 11. 11. 2021 – C-852/19, BeckRS 2021, 33900.
I. Ermittlungen auf dem Gebiet der teilnehmenden Mitgliedstaaten
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durch eine Klage im Anordnungsstaat angefochten werden können, dafür Sorge zu tragen hatte, dass die von der EEA betroffene Person einen Rechtsbehelf vor dem Anordnungsstaat hat, der ihr die Anfechtung der sachlichen Gründe für den Erlass der EEA ermöglicht. In grenzüberschreitenden Verfahren der EUStA existiert aber mitunter gar keine einer Anfechtung überhaupt zugängliche Sachentscheidung im betrauten Mitgliedstaat – und zwar dann nicht, wenn die Durchführung einer Maßnahme unter der Rechtsordnung des betrauten und unterstützenden Mitgliedstaates einer richterlichen Genehmigung bedarf, diese aufgrund des Prinzips der Single Judicial Authorisation aber nur im unterstützenden Mitgliedstaat eingeholt wurde. Oder wenn eine Maßnahme überhaupt nur im unterstützenden Mitgliedstaat einer richterlichen Genehmigung bedarf. Die im Rahmen der RL-EEA ergangene Rechtsprechung des EuGH kann vor diesem Hintergrund, übertragen auf Zuweisungen der EUStA, auch dahingehend verstanden werden, dass der Zugang zu einem wirksamen Rechtsbehelf unter Art. 47 GrCh grundsätzlich dort eröffnet sein muss, wo die Sachentscheidung über eine Maßnahme überprüfungsfähig ist – und zwar dort, wo sie existiert. (2) Volle inhaltliche Rechtskontrolle vor Gerichten des unterstützenden Mitgliedstaates Eine Anlehnung des Rechtsschutzes gegen zugewiesene Maßnahmen an das System der RL-EEA ist nicht zwingend. In der VO findet sich schon keine in ihrer Klarheit dem Art. 14 Abs. 2 RL-EEA entsprechende Regelung zum Rechtsschutz gegen grenzüberschreitende, zugewiesene Maßnahmen. Eine Anlehnung an das Rechtsschutzsystem der RL-EEA müsste im Grunde gar dem postulierten Selbstverständnis der EUStA widersprechen, die sich als einheitliche und unteilbare Behörde versteht. Dies erlaubt zumindest den Rückschluss, dass auch der Rechtsschutz gegen eine Maßnahme dieser Behörde nicht in Einzelteile fragmentiert vor verschiedenstaatlichen Gerichten zu suchen sein dürfte. Für grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA hat sich der Verordnungsgeber aber bewusst für ein neues System ausgesprochen – denn die als einheitliche, mit sui generis Charakter konzipierte EUStA sollte zur Ausübung ihrer Tätigkeit nicht erst auf Instrumente der Rechtshilfe oder der gegenseitigen Anerkennung von Gerichtsentscheidungen zwischen Mitgliedstaaten angewiesen sein.236 Die selbst postulierte Unteilbarkeit und Einheitlichkeit der EUStA erlaubt die Schlussfolgerung, dass auch die von ihr (in unterschiedlichen Mitgliedstaaten erlassenen oder durchgeführten) Maßnahmen als Gesamtheit zu erachten sind. Es erscheint vor dem Hintergrund der (jedenfalls postulierten) Wesensunterschiede 236 Vgl. Ergebnis der Ratsdiskussion vom 10. Oktober 2014 über die EUStA und ihren Rückgriff auf Rechtshilfeinstrumente und die gegenseitige Anerkennung, abrufbar unter: https://db.eurocrim.org/db/de/doc/2341.pdf) (04. 03. 2023); Weyembergh/Brière, Towards a EPPO/Study for the LIBE Committee, S. 31.
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
zwischen der grenzüberschreitenden Strafverfolgungskooperation im Rahmen einer EEA und den grenzüberschreitenden Ermittlungen der VO nicht zwangsläufig gerechtfertigt, das dichotome Rechtschutzsystem der RL-EEA237 auf den Rechtsschutz von zugewiesenen Maßnahmen zu übertragen. Eine Alternative zu dem in den Leitlinien zu Art. 31 VO beschriebenen fragmentierten Rechtsschutz vor Gerichten des betrauten und unterstützenden Mitgliedstaates bzw. des Rechtsschutzes nur vor einem Gericht des betrauten Mitgliedstaates ist es, die vom betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt zugewiesene Einzelmaßnahme, für die die richterliche Genehmigung im Einklang mit Art. 31 Abs. 3 UAbs. 1 VO, Erwägungsgrund (72) S. 2 VO (nur) im Mitgliedstaat des unterstützenden Mitgliedstaates eingeholt wurde, zusätzlich vor einem Gericht des unterstützenden Mitgliedstaates der vollen, inhaltlichen Rechtskontrolle zugänglich zu machen. Der Wortlaut von Art. 31 Abs. 2 und Art. 42 Abs. 1 VO lässt eine derartige Interpretation zu: Die VO hält keine spezialgesetzlichen Instrumente für die gerichtliche Kontrolle von Verfahrenshandlungen der EUStA bereit. So verhält es sich auch im Falle von grenzüberschreitenden Maßnahmen nach Art. 31 VO. Vielmehr hat der Verordnungsgeber die gerichtliche Kontrolle von Verfahrenshandlungen der EUStA mit Rechtswirkung gegenüber Dritten allgemein in Art. 42 Abs. 1 VO geregelt und der Kontrolle durch die „zuständigen nationalen Gerichte“238 unterstellt.239 Verfahrenshandlungen der EUStA sind bei notwendiger Beurteilung nach unionsrechtlichen Maßstäben solche Handlungen, die die EUStA in Ausübung ihrer Aufgaben der Ermittlung, Verfolgung oder Anklageerhebung in Bezug auf konkrete mutmaßliche Straftaten tätigt und die Rechtswirkungen gegenüber einem Dritten erzeugen.240 Eine derartige Rechtswirkung kann auch von vorläufigen Entscheidungen, wie z. B. Handlungen zur Beweiserhebung erzeugt werden, soweit diesen eine eigenständige Rechtswirkung beigemessen werden kann und das Zuwarten einer finalen Ent237
Dazu bereits kritisch: Böhm, NJW 2017, 1512, 1514. Art. 42 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 VO. 239 Dies entspricht insoweit der üblichen Rechtsschutzkonzeption im Unionsrecht, die zwischen zwei Rechtsanwendungsebenen trennt, als die Durchführung und Anwendung des Unionsrechts im nationalen Rechtsraum der Mitgliedstaaten erfolgt und Auslegung und Anwendung des Unionsrechts auch nationalen Gerichten zugewiesen ist. Rechtsschutz gegen Rechtsakte von Unionsorganen ist vor der Unionsgerichtsbarkeit zu suchen; Rechtsschutz vor Rechtsakten der Mitgliedstaaten vor den nationalen Gerichten, auch wenn das Unionsrecht Prüfungsmaßstab ist, vgl. Gärditz, in: Böse (Hrsg.), EnzEur Bd. 11, § 25, Rn. 2. Dass der Rechtsschutz vor Verfahrenshandlungen mit Rechtswirkungen gegenüber Dritten der EUStA vor den nationalen Gerichten zu suchen ist und dem Gerichtshof nur die punktuelle Zuständigkeit zur Klärung von europarechtlichen Fragen zuweist, erscheint vor dem Hintergrund, dass die Handlungen der EUStA wegen ihres modus operandi im engen Zusammenhang mit dem nationalen Recht stehen, schlüssig, aber diskutabel, vgl. Böse, JZ 2/2017, 82, 83 f.; Mitsilegas/Giuffrida, in: Ligeti u. a. (Hrsg.), EPPO At Launch, S. 123 f. insbesondere mit Blick auf die Entscheidung der Neuzuweisung eines Falles; Zöller/Bock, in: Böse (Hrsg.), EnzEur Bd. 11, § 22, Rn. 38. 240 Esser, in: Esser/Herrnfeld (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 299, Rn. 35 f. 238
I. Ermittlungen auf dem Gebiet der teilnehmenden Mitgliedstaaten
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scheidung zur Klärung einer durch die Handlung besonders aufgeworfenen Rechtsfrage nicht mehr effektiv wäre.241 Maßnahmen, die nach Art. 31 Abs. 1 S. 2 VO mit dem Ziel der Beweisgewinnung im Ermittlungsverfahren gegen einen Beschuldigten vom betrauten an den unterstützenden Delegierten Europäischen adressiert werden, sind als Verfahrenshandlungen der EUStA i. S. d. Art. 42 Abs. 1 S. 1 VO zu qualifizieren. Interpretationsoffen aber bleibt, welches Gericht das für die (eigenständige, vom gerichtlichen Hauptverfahren unabhängige) Rechtskontrolle einer zugewiesenen Maßnahme zuständige nationale Gericht sein kann. Die VO trifft dazu keine ausdrückliche Regelung. Auf den ersten Blick erscheint es zwingend, den gerichtlichen Rechtsschutz gegen zugewiesene Maßnahmen im Mitgliedstaat des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts zu suchen und so einen Gleichlauf zwischen Rechtsschutz im Ermittlungsverfahren und späterem Hauptsacheverfahren zu schaffen. Der betraute Mitgliedstaat kann als der nationale Rechtsraum betrachtet werden, der dem grenzüberschreitenden Ermittlungsverfahren sein Hauptgepräge gibt. Schließlich übernimmt der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt im Verhältnis zum unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt die Führungsrolle bei grenzüberschreitenden Maßnahmen. Der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt entscheidet gem. Art. 31 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2 VO über die Erforderlichkeit, Anordnung und Begründung einer grenzüberschreitenden Maßnahme nach Maßgabe der Rechtsordnung des betrauten Mitgliedstaates. Dieser Mitgliedstaat wird regelmäßig242 auch Forumstaat für das Verfahren sein und damit auch zum Ort, an dem die Anklageerhebung erfolgt und das gerichtliche Hauptverfahren durchgeführt wird. Die spürbare Rechtswirkung einer zugewiesenen Maßnahme tritt für den Betroffenen aber erst im unterstützenden Mitgliedstaat und mit der Durchführungshandlung des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts ein. Eine vom betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt zugewiesene Maßnahme wird im unterstützenden Mitgliedstaat nach Maßgabe des locus regit actum Prinzips vollzogen. Dem Betroffenen wird eine zugewiesene Maßnahme in der Sprache des unterstützenden Mitgliedstaates eröffnet und mit einer Rechtsgrundlage aus dem Prozessrecht des unterstützenden Mitgliedstaates begründet. Er wird Ermittlungspersonen des unterstützenden Mitgliedstaates gegenüberstehen, die die Maßnahme nach der Rechtsordnung des unterstützenden Mitgliedstaates durchführen – nach Abschluss der Maßnahme wird sich der wehrwillige Betroffene an einen Rechtsbeistand im unterstützenden Mitgliedstaat wenden.
241
Esser, in: Esser/Herrnfeld (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 299, Rn. 39. Sofern im laufenden Ermittlungsverfahren keine neue Zuweisung an einen anderen Delegierten Europäischen Staatsanwalt gem. Art. 26 Abs. 4 VO erfolgt. 242
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
Damit stammen die Rechtswirkungen i. S. d. Art. 42 Abs. 1 VO bei grenzüberschreitenden Maßnahmen der EUStA ihrer Bedeutung und Tragweite nach gleichermaßen aus der Rechtsordnung des betrauten, wie auch des unterstützenden Mitgliedstaates. Das Ermittlungsverfahren der EUStA ist überstaatlich und wird durch eine supranationale Rechtsgrundlage legitimiert. Folgerichtig kann der Betroffene in dieser Phase nicht auf einen einzelstaatlichen nationalen Rechtsschutz beschränkt werden. Dem Betroffenen muss im Einzelfall der Rechtsschutz in beiden Mitgliedstaaten separat eröffnet werden.243 Diese Möglichkeit würde die mitgliedstaatlichen Gerichte freilich vor Schwierigkeiten stellen: Mangels harmonisierten Strafprozessrechts müssten sie bei der vollen Inhaltskontrolle einer Maßnahme auch die Maßnahmenteile rechtlich würdigen, die auf einer fremden Rechtsordnung fußen. So müsste ein Gericht des unterstützenden Mitgliedstaates prüfen, ob der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt die zugewiesene Durchsuchung nach Maßgabe der Rechtsordnung des betrauten Mitgliedstaates rechtmäßig angeordnet und begründet hat (und ob die Zuweisung sodann nach Maßgabe der Rechtsordnung des unterstützenden Mitgliedstaates rechtmäßig durchgeführt wurde244). Ein Gericht des betrauten Mitgliedstaates müsste in diesem Beispiel überprüfen, ob der unterstützende Delegierte Europäische Staatsanwalt die Durchsuchung nach Maßgabe der Rechtsordnung des unterstützenden Mitgliedstaates rechtmäßig durchgeführt hat. Dem Konzept einer (partiellen) Fremdrechtsanwendung bzw. für die oben beschriebene Konstellation genauer: Fremdrechtswürdigung, dürften die Mitgliedstaaten aufgrund der im Bereich des Strafrechts traditionell stark gehegter Souveränitätsvorbehalte zurückhaltend gegenüberstehen. Es erscheint auf der anderen Seite aber nicht sachgerecht, dass die Mitgliedstaaten im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit eine europäische Strafverfolgungsbehörde schaffen, die sich den Zugriff auf den Beschuldigten durch Rückgriff auf mitgliedstaatliche Rechtsinstrumente und -ressourcen selbstverständlich erlaubt und gleichzeitig den Rechtsschutz des Beschuldigten unter Verweis auf Schwierigkeiten der Fremdrechtswürdigung für die mitgliedstaatlichen Strafgerichte fragmentiert und von sich weist. (3) Europarechtliche Forderung für einen Rechtsschutzmechanismus Festzustellen bleibt, dass der Verordnungsgeber die Chance verpasst hat, eine europarechtliche Forderung für einen Rechtsschutzmechanismus gegen grenzüberschreitende Maßnahmen der EUStA in der Phase des Ermittlungsverfahrens auf243
Vgl. auch Esser, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 300, Rn. 45. Dabei sind ggf. auch die in Art. 31 Abs. 5 VO normierten Tatbestände zu würdigen, nach denen der unterstützende Delegierte Europäische Staatsanwalt die Zuweisung aussetzen kann. 244
I. Ermittlungen auf dem Gebiet der teilnehmenden Mitgliedstaaten
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zustellen, deren Inhalt in der Praxis nun von der Zuständigkeitsinterpretation der nationalen Gerichte abhängen wird. Indes enthält Art. 86 Abs. 3 AEUV eine spezielle Ermächtigung245 für die Schaffung eines genuin europäischen Strafprozessrechts.246 Die Norm bestimmt, dass die Verordnung zur Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft „die für ihre Tätigkeit geltenden Verfahrensvorschriften sowie die Regeln für die Zulässigkeit von Beweismitteln und für die gerichtliche Kontrolle der von der Europäischen Staatsanwaltschaft bei der Erfüllung ihrer Aufgaben vorgenommenen Prozesshandlungen“247 festlegt. Diese Ermächtigung erfasst (nur) die Regulierung des Ermittlungsverfahrens der EUStA und damit den Zeitabschnitt der Untersuchung und Verfolgung eines Falles bis hin zur Anklageerhebung – die Gerichtsorganisation und das von den nationalen Gerichten geführte Hauptverfahren wird von der Ermächtigung dagegen nicht gedeckt.248 Das Primärrecht hat die Möglichkeit der Errichtung eines europaweiten Rechtsschutzinstruments gegen Maßnahmen im Ermittlungsverfahren der EUStA bereitgehalten, der Verordnungsgeber aber hat sich dazu entschieden, den Rechtsschutz akzessorisch zu dem jeweils anwendbaren nationalen Recht zu gestalten und für grenzüberschreitende Maßnahmen bedauerlicherweise offen zu lassen. (4) Neue Rahmenbedingungen für den Rechtsschutz grenzüberschreitender Maßnahmen der EUStA Ganz gleich, ob der Rechtsschutz gegen zugewiesene Maßnahmen primär vor Gerichten des betrauten oder der unterstützenden Mitgliedstaaten zu suchen ist, steht fest, dass sich die mitgliedstaatlichen Gerichte bei grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA zunehmend mit den Rechtsordnungen anderer Mitgliedstaaten zu befassen haben. Die Union kann Bedingungen schaffen, unter denen die Kontrolle einer grenzüberschreitenden Maßnahme der EUStA vor einem Gericht des betrauten oder unterstützenden Mitgliedstaates möglicherweise ohne ein europaweites Rechtsschutzinstrument gelingt. Die offensichtlichste, aber wohl auch utopischste Lösung läge darin, ein supranationales Straf(prozess-)recht oder eine volle Rechtsanglei245
Im Verhältnis zu Art. 82 Abs. 2 AEUV, s. Vogel/Eisele, in: Grabitz u. a. (Hrsg.), Recht der EU, Art. 86 AEUV, Rn. 63. Art. 82 Abs. 2 AEUV enthält dagegen eine Ermächtigung (nur) zur Angleichung des Strafverfahrensrechts zum Zwecke der Erleichterung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auf dem Fundament des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung, die im Vergleich zu Art. 86 AEUV aber neben dem Ermittlungsverfahren auch das Haupt- und Rechtsmittelverfahren sowie Vollstreckungsverfahren erfasst, vgl. Böse, in: Böse (Hrsg.), EnzEur, Bd. 11, § 4 Rn. 42 f. 246 Vogel/Eisele, in: Grabitz u. a. (Hrsg.), Recht der EU, Art. 86 AEUV, Rn. 63. 247 Herv. durch Verf. 248 Vogel/Eisele, in: Grabitz u. a. (Hrsg.), Recht der EU, Art. 86 AEUV, Rn. 63.
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
chung oder gar Vereinheitlichung der mitgliedstaatlichen Strafrechtssysteme zu realisieren. Ein gangbarer und kurzfristig anwendbarer Weg aber wäre, die mitgliedstaatlichen Gerichte bei der Rechtskontrolle von Verfahrenshandlungen der EUStA auf die Würdigung fremden Rechts vorzubereiten, einzustellen und entsprechend auszustatten. So könnte die Union unterstützen, dass sich die Gerichte zur Würdigung des fremden Rechts Erkenntnisquellen über dieses Recht verschaffen. Die Gerichte könnten Sachverständigengutachten oder amtliche Auskünfte zu partiellen Rechtsfragen einholen, die sich im Rahmen des Rechtsschutzes gegen eine grenzüberschreitende Maßnahme der EUStA stellen. Auch im Bereich der Strafrechtsvergleichung sachkundige und etablierte Institutionen, wie etwa das MaxPlanck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht, könnten z. B. durch die Bereitstellung von rechtlichen Gutachten als Erkenntnisquelle für Gerichte dienen. Es könnte eine unionale Sachverständigenvereinigung für strafrechtsvergleichende Fragen errichtet werden. Denkbar ist auch die Schaffung einer Vereinigung von „fliegenden Richtern“, einer Organisation, welcher Richter der Mitgliedstaaten angehören, die sich als sachkundige Personen ihres nationalen Rechts für den gerichtlichen Prozess eines anderen Mitgliedstaates zur Verfügung stellen249 – freilich ohne mit dem konkreten Ermittlungsverfahren im eigenen Mitgliedstaat befasst zu sein. Der Rückgriff auf solche Erkenntnisquellen und ihre Einbindung in den Prozess bzw. ihre Prozessrolle hängt von den Möglichkeiten ab, die das nationale Recht für die Einholung von Erkenntnisquellen zur Würdigung des Rechts erlaubt: Eine Einbindung als sachkundiger Zeuge oder Sachverständiger dürfte praktikabel sein, möglicherweise erlauben die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen auch die Einbindung als Laienrichter, Schöffe oder in einer vergleichbaren Prozessrolle. Die Union kann die vorgenannten Ideen konkret unterstützen, indem sie die Kosten übernimmt, die entstehen, wenn sich ein mitgliedstaatliches Gericht zur Kontrolle einer grenzüberschreitenden Ermittlungsmaßnahme einer Erkenntnisquelle wie eines Sachverständigen bedient. Erwägungsgrund (112) S. 2 VO sieht eine Kostenübernahme durch die EUStA selbst vor, wenn „außergewöhnlich hohe Kosten von Ermittlungsmaßnahmen, beispielsweise für komplexe Sachverständigengutachten“ entstehen.250 Ab welchem Betrag Kosten als außergewöhnlich hoch zu beziffern sind und ob sich Sachverständigengutachten auch auf die Sachkunde eines Rechtsgebiets beziehen können, ist nicht bestimmt – damit aber auch einer Ausle249 Vgl. für die Einbindung von Gerichten des Vollstreckungsstaates in das Verfahren des Anordnungsstaates zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer im Vollstreckungsstaat auf Grundlage der Europäischen Ermittlungsanordnung durchgeführten Maßnahme Costa Ramos/ Luchtman/Munteanu, eucrim 2020, 230, 234. 250 Vgl. für das Verfahren der Kostenübernahme Art. 54 Geschäftsordnung.
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gung zugänglich, die eine Kostenübernahme durch andere Personen als durch die Verfahrenssubjekte eröffnet. Zudem könnte die Union auf eine Institutionalisierung von Sachverständigen über mitgliedstaatliches Recht hinwirken. Dazu kann sie die Tätigkeit des Sachverständigen für ein mitgliedstaatliches Recht an einheitliche Qualitätsstandards binden (z. B. einen bestimmten akademischen Grad im Recht oder eine Mindestberufserfahrung festlegen) und diese zertifizieren und die Zertifizierung an die Absolvierung bestimmter akkreditierter Schulungen binden. Eine derartige Zertifizierung könnte in den Mitgliedstaaten an ausgewählten Universitäten oder strafrechtlichen Instituten durchgeführt werden. Ein positiver Nebeneffekt wäre, dass solche Orte auch als Forum für den regelmäßigen Austausch von mitgliedstaatlicher Sachkunde dienten. Weiterhin kann die Union Trainingsprogramme zum europäischen Strafrecht, speziell die Abläufe der EUStA betreffend, für Mitglieder der nationalen Justizbehörden251 auf den Weg bringen. So könnte die Union spezielle Austauschprogramme für Richter fördern und darauf hinwirken, dass Richter zeitweise in die Arbeit der Justizbehörde eines anderen Mitgliedstaates eingebunden werden. Dies kann einerseits dazu führen, dass die Mitgliedstaaten eine höhere Akzeptanz für das Mandat der EUStA entwickeln. Andererseits kann ein Grundverständnis für das Verfahrensrecht eines anderen Mitgliedstaates entwickelt werden und das Rechtsverständnis über grenzüberschreitende Maßnahmen der EUStA schaffen oder erhöhen und möglicherweise auch zur Feststellung führen, dass die Rechtsordnungen und -kulturen gar nicht so sehr differieren, wie oft angenommen. Als immer wiederkehrendes Problem werden im Zusammenhang mit der Vollstreckung von unionalen Rechtshilfeinstrument auf Seiten der Justiz Sprachbarrieren zum und Sprachverständnisvorbehalte gegenüber dem Anordnungsstaat thematisiert. Auch die EUStA scheint sich darauf eingestellt zu haben, dass ihre Arbeitssprache Englisch vor den mitgliedstaatlichen Gerichten abgewehrt werden wird und hat in ihren Leitlinien zu Art. 31 VO festgelegt, dass eine Zuweisung unter Umständen übersetzt werden soll. Dem kann die Union durch das institutionalisierte Angebot von Englischschulungen zur Rechtsterminologie der strafrechtlichen Justizkooperation und die Herausgabe eines entsprechenden Lexikons leicht begegnen, schließlich ist der Zuständigkeitsbereich der EUStA begrenzt und die mitgliedstaatlichen Gerichte werden sich mit wiederaufkommenden Rechtsthemen auseinandersetzen zu haben. Teilweise verfügen die Mitgliedstaaten, gerade geografisch aneinandergrenzende Mitgliedstaaten, auch über gleiche Amtssprachen und ähnliche Strafrechtssysteme (beispielsweise sind Deutschland und Österreich deutschsprachige Staaten. Frankreich, Belgien und Luxemburg sind französischsprachige Staaten und haben die Institution des Untersuchungsrichters gemein). In diesen Fällen könnte ein mit251 Vgl. für die Notwendigkeit spezieller Trainings für mitgliedstaatliche Richter zu unionalen Verfahrensrechten Allegreza/Covolo, in: Allegrezza/Covolo (Hrsg.), Effective Defence Rights in Criminal Proceedings, S. 509.
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
gliedstaatliches Gericht seine rechtliche Würdigung ohnehin zunächst anhand ihm zugänglicher Gesetzestexte und unter Berücksichtigung gegebener Rechtsprechung und Literatur durchführen. Anhaltspunkte dafür wird es in der Zuweisung einer Maßnahme finden. Denn nach den Leitlinien zu Art. 31 VO soll eine Zuweisung neben einer Sachverhaltszusammenfassung auch eine rechtliche Würdigung des anwendbaren Rechts enthalten.252 Die Zuweisung soll (zumindest in den Fällen, in denen eine gerichtliche Genehmigung des unterstützenden Mitgliedstaates erforderlich ist) in die Amtssprache des unterstützenden Mitgliedstaates übersetzt übermittelt werden253 – so dürfte die Rechtsprüfung jedenfalls nicht an den (oft als Hindernis für die Europäisierung des Strafrechts beschriebenen) Sprachbarrieren zwischen den Mitgliedstaaten scheitern. Letztlich könnten die Mitgliedstaaten die Initiative ergreifen und in ihren Rechtssystemen Sonderzuständigkeiten für den Rechtsschutz gegen grenzüberschreitende Einzelmaßnahmen der EUStA schaffen. Diese Einheiten könnten personell mit in verschiedenen Rechtsordnungen und Rechtssprachen kundigen Richtern besetzt werden.254 Das Recht auf wirksamen Rechtsschutz ist ein Grundprinzip des Unionsrechts, welches seine Verankerung in Art. 6 und Art. 13 EMRK sowie in Art. 47 GrCh gefunden hat. Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV belegt die nationalen Gesetzgeber mit der Pflicht, erforderliche Rechtsbehelfe für den effektiven Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen zu schaffen.255 Die konkrete Ausgestaltung entsprechender Rechtsschutzsysteme, zu denen auch die verfahrensrechtlichen und gerichtsorganisatorischen Modalitäten zählen, obliegt dem politischen Ermessen der mitgliedstaatlichen Gesetzgeber.256 Dieses Ermessen entspricht dem in Art. 19 Abs. 1 EUV festgelegten Rechtsschutzauftrag zwischen unionalen und nationalen Gerichten, die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten wird aber verstärkt zum Gegenstand der europäisch gerichtlichen Rechtsprechung und durch diese determiniert.257 So hatte die Rechtsprechung des EuGH bereits qualitative und strukturelle Anforderungen an die mitgliedstaatlichen Gerichte zum Gegenstand.258 Vor diesem Hintergrund sind die Mitgliedstaaten verstärkt zur Schaffung von Rechtsschutzmechanismen gegen grenzüberschreitende Maßnahmen 252
Section Two/B., Ziffer 14 Leitlinien zu Art. 31 VO. Section Two/B., Ziffer 15 Leitlinien zu Art. 31 VO. 254 Vgl. Perron, in: FS Sieber, S. 5 mit der Idee zur Schaffung von Sonderzuständigkeiten für den Bereich eingehender Europäischer Ermittlungsanordnungen und anderer Rechtsinstrumente. 255 Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 19 AEUV, Rn. 64. 256 Gaitanides, in: von der Groeben u. a. (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 19 EUV, Rn. 60. 257 Vgl. Covolo, in: Allegrezza/Covolo (Hrsg.), Effective Defence Rights in Criminal Proceedings, S. 84 ff. mit historischer Darstellung der Rechtsprechung im Spannungsfeld zwischen nationaler Verfahrensautonomie und Effektivität des Unionsrechts. 258 Wegener, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 19, Rn. 69 ff. mit Darstellung der Rechtsprechungspraxis des EuGH. 253
I. Ermittlungen auf dem Gebiet der teilnehmenden Mitgliedstaaten
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der EUStA aufgefordert und können die entscheidenden Weichen für die Effektivität des Rechtsschutzes im Wege der nationalen Gesetzgebung legen. Dennoch lässt sich eine Realität nicht ausschalten: So lange kein harmonisiertes Strafprozessrecht besteht, kann auf eine Europäisierung des Rechtsschutzes gegen Einzelmaßnahmen der EUStA zwar durch die Schaffung gewisser Rahmenbedingungen hingewirkt werden, langfristig gesehen bietet aber nur eine Harmonisierung des Strafprozesses eine einheitliche Lösung für die Fragen, die sich im Zusammenhang mit den Ermittlungskompetenzen der EUStA stellen. (5) Ungenutztes Potenzial: Weitergabe der gespiegelten Verfahrensakte aus dem Fallbearbeitungssystem in grenzüberschreitenden Ermittlungen Zudem sollte erwogen werden, die im Fallbearbeitungssystem gespiegelte Verfahrensakte für grenzüberschreitende Fälle der EUStA, auch im Zusammenhang mit der Einholung der richterlichen Genehmigung und Rechtskontrolle in – sei es in dem betrauten oder in dem unterstützenden Mitgliedstaat – nutzbar zu machen. So könnte dem Gericht des unterstützenden Mitgliedstaates bei der Einholung der richterlichen Genehmigung für eine zugewiesene Maßnahme die komplette gespiegelte Verfahrensakte aus dem Fallbearbeitungssystem zugänglich gemacht werden. Damit würde dem Gericht des unterstützenden Mitgliedstaates einerseits eine angemessene Informationsgrundlage für die Entscheidung über die richterliche Genehmigung verschafft, da dieses tatsächlich regelmäßig eine Sachprüfung des Falles vornehmen wird.259 Andererseits könnten dadurch Zeit und Ressourcen eingespart werden, die für die Übersetzung von Aktenteilen in die Amtssprache des unterstützenden Mitgliedstaates entstehen. Für die Weitergabe der in englischer Sprache geführten gespiegelten Verfahrensakte aus dem Fallbearbeitungssystem der EUStA besteht derzeit allerdings keine Rechtsgrundlage.260 Freilich ist die Beschleunigung des Ermittlungsverfahrens der EUStA durch die Zulassung von in englischer Sprache geführten Fallinformationen vor den mitgliedstaatlichen Behörden und Gerichten überhaupt nur eine erwägenswerte Option, wenn die Mitgliedstaaten ihre Bereitschaft zur Annahme einer einheitlichen Sprache in grenzüberschreitenden Ermittlungsfällen erkennen ließen. An einer solchen Bereitschaft kann man nach einem Blick auf die Sprachenregelung im Gültigkeitsbe259
S. dazu unter B., S. 106 f. dieser Arbeit. Die im Fallbearbeitungssystem hinterlegten Informationen dienen nach der Bestimmung der VO behördeninternen Zwecken. Davon ausgehend ist es (zwar bedauerlich, aber) konsequent, dass Informationen aus dem Fallbearbeitungssystem nicht an mitgliedstaatliche Gerichte übermittelt werden können, da auch der Beschuldigte verordnungskonzeptionell keine Einsichtsmöglichkeit in die gespiegelte Verfahrensakte im Fallbearbeitungssystem der EUStA hat. Der Verordnungsgeber nimmt in Kauf, dass das Fallbearbeitungssystem im Ermittlungsverfahren der EUStA nicht entsprechend seiner Potenziale voll nutzbar gemacht wird. 260
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
reich der RL-EEA zweifeln; nur zwölf von 25 Mitgliedstaaten lassen die englische Sprache für eingehende Anordnungen zu, zehn Mitgliedstaaten akzeptieren sie erst gar nicht, drei Mitgliedstaaten akzeptieren sie im Notfall oder Einzelfall – auch Deutschland akzeptiert für eingehende Ersuchen nur die deutsche Sprache.261 Nach Perron könnte in Deutschland die Akzeptanz für die Annahme von englischsprachigen Anordnungen und anderen Rechtshilfeersuchen durch die Einrichtung von Sonderzuständigkeiten bei Gerichten und Behörden und den Einsatz von Personen, die sich freiwillig für den Dienst in englischer Sprache bereitstellen, erhöht werden.262 Der Gedanke, spezielle Einheiten für den englischsprachigen Rechtsverkehr zu schaffen, lässt sich auch auf die grenzüberschreitende Beweisgewinnung der EUStA übertragen. Wenn die mitgliedstaatlichen Gerichte und Behörden über fremdsprachlich versierte Spezialeinheiten verfügten, könnte die vom unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt beantragte Durchführung einer zugewiesenen Maßnahme ohne Übersetzung, Zeitverlust und finanzielle Disposition263 durchgeführt werden. Insbesondere in Fällen, in denen der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt gleichzeitig Maßnahmen in verschiedenen Mitgliedstaaten zuweisen möchte, könnten mitgliedstaatliche Spezialeinheiten für englischsprachige Fallinformationen erforderlich sein. Die europäische Strafverfolgung wäre gelähmt, wenn die französischen, portugiesischen und lettischen unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwälte für die Einholung einer richterlichen Genehmigung in ihrem Mitgliedstaat zur Durchführung einer vom deutschen betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt zugewiesenen Maßnahme zunächst reihum damit beschäftigt wären, die deutsche Verfahrensakte in ihre Amtssprache übersetzen zu lassen. Spezielle Einheiten für den Umgang mit fremdsprachlichem Rechtsverkehr könnten darüber hinaus auch als Kommunikationsstelle zwischen dem fremdsprachigen Beschuldigten und mitgliedstaatlichen Behörden fungieren.
261 Perron, in: FS Sieber S. 4 f., der den Umstand, dass mit der RL-EEA keine einheitliche Kommunikationssprache festgelegt wird, als verpasste Chance sieht. 262 Perron, in: FS Sieber, S. 5. 263 Die Kosten für die Übersetzung der Zuweisung des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts an den unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts sollen nicht von den Mitgliedstaaten, sondern grundsätzlich von der EUStA getragen werden. Die Behörden des unterstützenden Mitgliedstaaten sollen eine einfache Übersetzung akzeptieren, da das Unionsrecht für die Zuweisung keine förmlichen Erfordernisse (wie etwa die zertifizierte Übersetzungen) aufstelle, s. Section Three, Ziffer 29 (Zweiter Spiegelstrich) Leitlinien zu Art. 31 VO. Im Übrigen gilt nach Erwägungsgrund (112) VO, dass die Kosten der Maßnahmen der EUStA grundsätzlich von den nationalen, die Maßnahmen ausführenden Behörden zu tragen sind.
II. Ermittlungen auf dem Gebiet von nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten
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II. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA auf dem Gebiet von nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten Art. 105 VO trifft Bestimmungen über die Beziehung der EUStA zu den Mitgliedstaaten, die nicht an der Verstärkten Zusammenarbeit zur Errichtung der EUStA teilnehmen.264 Dies sind Dänemark, Irland, Polen, Schweden und Ungarn. Anknüpfungspunkte für die Zuständigkeit der EUStA auf dem Gebiet der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten finden sich in Art. 23 lit. b) und c) VO: Danach ist die EUStA territorial und personell zuständig für Straftaten, die von einem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates begangen wurden, sofern ein Mitgliedstaat über die Gerichtsbarkeit für derartige Straftaten verfügt, wenn die Straftaten außerhalb seines Hoheitsgebietes (also im konkreten Beispiel: auf dem Gebiet der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten) begangen wurden oder (auf dem Gebiet der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten) von einer Person begangen wurden, die zum Zeitpunkt der Straftat dem Statut oder den Beschäftigungsbedingungen unterlag, sofern ein Mitgliedstaat Gerichtsbarkeit für derartige Straftaten hat, wenn sie außerhalb seines Mitgliedstaates begangen wurden. Diese Anknüpfungspunkte spiegeln den völkerrechtlich anerkannten Grundsatz der Personalhoheit über eigene Staatsangehörige, wonach jeder Inländer dem Strafrecht seines Heimatstaates unterworfen ist, wider.265 Da von den teilnehmenden Mitgliedstaaten aber nur jeder für sich Staatsqualität besitzt und mit der Verstärkten Zusammenarbeit keine neue Staatsentität begründet wurde, leiten sich die Anknüpfungspunkte für die Zuständigkeit der EUStA konsequenterweise aus dem Strafanwendungsrecht des Mitgliedstaates des staatsangehörigen Täters ab. 1. Beziehungsgrundsätze Gemäß Art. 20 Abs. 4 S. 1 EUV sind die im Rahmen der Verstärkten Zusammenarbeit erlassenen Rechtsakte nur für die an dieser Zusammenarbeit beteiligten Mitgliedstaaten bindend und entfalten nur für diese dieselben Rechtswirkungen, wie sonstiges Unionsrecht.266 Dadurch entstehen innerhalb der Mitgliedstaaten der Union verschiedene Rechtskreise; das innerhalb der Verstärkten Zusammenarbeit erlassene partikulare Recht einerseits und das gemeinsame Recht der gesamten Union ande-
264 Der Beitritt der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten an die Verstärkte Zusammenarbeit ist nach Art. 20 Abs. 1 UAbs. 2 S. 2 EUV möglich und bestimmt sich nach Maßgabe des Art. 331 AEUV, vgl. Becker, in: von der Groeben u. a. (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 20 EUV, Rn. 61. 265 Vgl. zum Begriff des Personalitätsprinzips im Rahmen von Anknüpfungspunkten von staatlicher Strafgewalt Eser/Weißer, in: Schönke/Schröder StGB, Vorb. zu §§ 3 – 9, Rn. 20. 266 Becker, in: von der Groeben u. a. (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 20, Rn. 64.
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
rerseits.267 Die VO gilt für die nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten nicht, das gemeinsame Recht der gesamten Union hingegen schon. Die nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten (mit Ausnahme von Dänemark und Irland)268 sind aber durch die PIF-Richtlinie gebunden. Sie müssen die PIF-Delikte gem. Art. 325 Abs. 1 AEUV durch den Einsatz ihrer eigenen Behörden verfolgen und so für einen wirksamen Schutz des EU-Haushalts sorgen.269 Nach Art. 4 Abs. 3 EUV sind die nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten zur loyalen Zusammenarbeit mit der EUStA verpflichtet.270 Die an der Verstärkten Zusammenarbeit nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten haben gemäß Art. 327 S. 2 AEUV der Durchführung der Verstärkten Zusammenarbeit durch die daran beteiligten Mitglieder aber nicht im Wege zu stehen (während die Verstärkte Zusammenarbeit die Zuständigkeiten, Rechte und Pflichten der nicht an der Zusammenarbeit beteiligten Mitgliedstaaten der EU zu achten hat, Art. 327 S. 1 AEUV). „Nicht im Wege stehen“ bedeutet, dass die nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten Störungen zu unterlassen haben und keinen Einfluss auf die gemeinsamen Organe nehmen dürfen, die die Verstärkte Zusammenarbeit behindern.271 Sie können aber etwa Verstöße gegen die Grundsätze der Verstärkten Zusammenarbeit durch Nichtigkeitsklage vom EuGH überprüfen lassen.272 Erwägungsgrund (110) VO greift den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit auf und erklärt die nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten zur Zusammenarbeit mit der EUStA verpflichtet. Zudem ist dort vorgesehen, dass die Kommission Vorschläge zur Gewährleistung einer wirksamen justiziellen Zusammenarbeit zwischen den nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten und der EUStA unterbreitet – bisher ist dies jedoch noch nicht geschehen. 2. Kooperation durch Arbeitsvereinbarungen und Kontaktstellen Gem. Art. 105 Abs. 1, Art. 99 Abs. 3 VO kann die EUStA Arbeitsvereinbarungen mit den Behörden der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten schließen, die den Austausch von strategischen Informationen und die Entsendung von Verbindungsbeamten der EUStA regeln. Unter strategischen Informationen i. S. d. Art. 105 Abs. 1 VO sind z. B. Abbildungen über Kriminalitätsentwicklungen, Informationen über Ermittlungstechniken sowie forensische Analysepapiere zu verstehen.273 Zu be267
Becker, in: von der Groeben u. a. (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 327, Rn. 5. Vgl. Erwägungsgründe (36) bis (38) PIF-Richtlinie. 269 Meyer, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 54, Rn. 21 und Rn. 40. 270 Meyer, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 54, Rn. 21; Zöller/Bock, in: Böse (Hrsg.) EnzEuR Bd. 11, § 22, Rn. 49. 271 Becker, in: von der Groeben u. a. (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 327, Rn. 6. 272 Becker, in: von der Groeben u. a. (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 327, Rn. 6. 273 Brodowski, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 105, Rn. 5. 268
II. Ermittlungen auf dem Gebiet von nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten
127
achten ist, dass mit den nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten getroffene Arbeitsvereinbarungen keine Bindungswirkung gegenüber der Union oder ihren Mitgliedstaaten entfalten, die darin festgelegten Grundfeste sind weder einklagbar, noch durchsetzbar.274 Arbeitsvereinbarungen können zudem keine Basis für den Austausch von personenbezogenen Daten bilden. Der Austausch von personenbezogenen Daten mit den nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten richtet sich nach Maßgabe der allgemeinen Regeln zur Datenverarbeitung (Art. 47 ff. VO). Anders als für die Übermittlung von personenbezogenen Daten an Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Union (vgl. Art. 54 VO) und an Drittstaaten (vgl. Art. 80 VO) trifft die VO keine besonderen Bestimmungen für die Datenübermittlung an nichtteilnehmende Mitgliedstaaten. Für die Übermittlung personenbezogener Daten durch die nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten an die EUStA gelten die Regelungen der Richtlinie (EU) 2016/680.275 Arbeitsvereinbarungen i. S. d. Art. 105 Abs. 1 VO bilden auch keine taugliche Grundlage für Rechtshilfe und Auslieferung.276 Gemäß Art. 105 Abs. 2 VO kann die EUStA im Einvernehmen mit den zuständigen Behörden Kontaktstellen in den nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten errichten. Die nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten können die personelle Besetzung und Ausstattung dieser Kontaktstellen selbst bestimmen. Die Verpflichtung der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten zur Errichtung von Kontaktstellen ergibt sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit.277 In praktischer Hinsicht könnten die nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten zu errichtende EUStA Kontaktstellen z. B. bei den gem. Art. 20 Abs. 1 Eurojust-VO bereits bestehenden nationalen Anlaufstellen des Eurojust oder den Kontaktstellen des EJN ansiedeln. Konzeptionell könnten die EUStA Kontaktstellen an die bestehenden Eurojust Kontaktstellen in Drittstaaten angelehnt werden, die nach Art. 52 Abs. 3 Eurojust-VO von Eurojust im Einvernehmen mit Behörden von Drittstaaten bei operativem Bedarf in den Drittstaaten ernannt werden. Die EUStA wird bei der Verfolgung der PIF-Delikte mit Bezügen zu nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten stark auf eine fruchtbare Interaktion mit etablierten europäischen Strafverfolgungsbehörden angewiesen sein. Eine Ansiedlung der EUStA-Kontaktstellen in örtlicher Nähe zu den Eurojust-Anlaufstellen oder den Kontaktstellen des Europäischen Justiziellen Netzes könnte eine gute Grundlage für einen engen persönlichen Austausch bieten.
274
Brodowski, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 105, Rn. 4. Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates, ABl. L 119/89 v. 04. 05. 2016. 276 Franssen, NCECL 2018, 291, 298. 277 Brodowski, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 105, Rn. 6. 275
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
Bisher hat die EUStA nur ein Kooperationsabkommen mit der Generalstaatsanwaltschaft Ungarns abgeschlossen.278 Ein neues Rechtsinstrument i. S. d. Art. 105 Abs. 3 S. 1 VO zur Zusammenarbeit wurde damit nicht geschaffen. Die Parteien erklären in dem Abkommen vielmehr (nur) ihre Bereitschaft zur strafrechtlichen Kooperation auf Grundlage der bestehenden, anwendbaren Unionsrechtsakte und multilateraler Rechtsinstrumente.279 Immerhin sieht das Kooperationsabkommen einen direkten Interaktionskanal zwischen den Parteien vor: So sollen Rechtshilfeersuchen des ungarischen Generalstaatsanwalts direkt an die EUStA-Zentrale in Luxemburg gerichtet werden, die EUStA kann umgekehrt Rechtshilfeersuchen an die ungarische Generalstaatsanwaltschaft (Department of Priority, Corruption and Organised Crime Cases) richten. Daraus lassen sich zwei Rückschlüsse ziehen: Einerseits bekundet die ungarische Generalstaatsanwaltschaft damit, die Ermittlungen betreffend Kriminalität gegen den EU-Haushalt eigens betreiben und notwendigenfalls auch mit Hilfe der EUStA bekämpfen zu wollen. Andererseits erkennt die Generalstaatsanwaltschaft Ungarn die Notifizierung der EUStA als zuständige Behörde für die geltenden Rechtsakte der Union im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Fällen, die in der Zuständigkeit der EUStA liegen, durch die teilnehmenden Mitgliedstaaten an. Für die operationelle und fallbezogene Zusammenarbeit hat die EUStA eine Kontaktstelle beim ungarischen Generalstaatsanwalt errichtet.280 Zudem sieht die Kooperationsvereinbarung die Entsendung eines Verbindungsbeamten der ungarischen Generalstaatsanwaltschaft zur EUStA-Zentrale in Luxemburg vor.281 Als Kooperationsmechanismen sieht das Abkommen den Austausch strategischer und nicht-operationeller Informationen, regelmäßige Treffen zwischen der Europäischen Generalstaatsanwältin und dem ungarischen Generalstaatsanwalt, sowie interinstitutionelle Schulungsveranstaltungen vor.282 Kooperationsabkommen mit anderen nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten werden derzeit verhandelt. Laufende Verhandlungen mit Irland sind gescheitert, Rechtshilfeersuchen der EUStA wurden von den irischen Behörden nicht vollstreckt.283 Ein Kooperationsabkommen mit Dänemark wird derzeit verhandelt.284 Die justizielle Zusammenarbeit mit Schweden auf Grundlage der bestehenden Rechtsinstrumente wird von der EUStA als problemlos erachtet.285 Zwischen Polen und der 278
Working Arrangement on Cooperation between the European Public Prosecutor’s Office (‘EPPO’) an the Office of the Prosecutor General of Hungary, abrufbar unter: https:// www.eppo.europa.eu/sites/default/files/2021-04/Working_arrangement_Hungary.pdf (04. 03. 2023), nachfolgend: EUStA, Ungarn Kooperationsabkommen. 279 Vgl. Art. 1 Abs. 3 und Art. 3 Abs. 1 EUStA, Ungarn Kooperationsabkommen. 280 Art. 4 EUStA, Ungarn Kooperationsabkommen. 281 Art. 5 Abs. 1 EUStA, Ungarn Kooperationsabkommen. 282 Art. 7 und Art. 8 EUStA, Ungarn Kooperationsabkommen. 283 EPPO Annual Report: 2022, S. 96. 284 EPPO Annual Report: 2022, S. 96. 285 EPPO Annual Report: 2021, S. 90.
II. Ermittlungen auf dem Gebiet von nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten
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EUStA ist noch kein Kooperationsabkommen zustande gekommen.286 In den Jahren 2021 – 2022 hatte Polen die Notifizierung der EUStA als zuständige Behörde für die Zwecke der Umsetzung der geltenden Rechtsakte der Union im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen in Fällen, die in der Zuständigkeit der EUStA liegen, durch die teilnehmenden Mitgliedstaaten auch noch nicht anerkannt.287 Die EUStA hat damit keinen Zugriff auf Beweismittel, die sich auf polnischem Staatsgebiet befinden.288 Dies dürfte die Ermittlungsarbeit der EUStA erheblich beeinträchtigen, da die grenzüberschreitenden, nichtteilnehmende Mitgliedstaaten betreffenden Fälle der EUStA nach Bezügen zu Ungarn am häufigsten Bezüge zu Polen aufweisen.289 3. Kooperation durch Art. 105 Abs. 3 VO Nach Art. 105 Abs. 3 VO notifizieren die teilnehmenden Mitgliedstaaten die EUStA als zuständige Behörde für die Zwecke der Umsetzung der geltenden Rechtsakte der Union im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen in Fällen, die in der Zuständigkeit der EUStA liegen in ihren Beziehungen zu den nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten. Dieses Erfordernis gilt jedenfalls solange wie – derzeit der Fall – kein Rechtsinstrument für die Zusammenarbeit in Strafsachen und Übergabeverfahren zwischen der EUStA und den zuständigen Behörden der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten besteht. Die nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten haben diese Notifizierung aufgrund des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit gem. Art. 4 Abs. 3 EUV zu akzeptieren.290 Die geltenden Rechtsakte der Union im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen umfassen alle bereits erlassenen und zukünftig zu erlassende Rechtsakte auf Grundlage des Art. 82 Abs. 1 AEUV, Rechtsinstrumente, die unter dem früheren Primärrecht angenommen wurden und noch in Kraft sind sowie den Besitzstand der Rahmenbeschlüsse zur justiziellen Zusammenarbeit.291
286
EPPO Annual Report: 2022, S. 96. EPPO Annual Report: 2021, S. 89. 288 EPPO Annual Report: 2021, S. 90. 289 So war die EUStA im Jahre 2022 in 86 Fällen mit Ermittlungen in nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten befasst, von denen 40 Fälle Bezüge zu Ungarn aufwiesen, gefolgt von 31 Fällen mit Bezügen zu Polen, 9 Bezügen zu Schweden und je 3 Bezügen zu Dänemark und Irland, vgl. EPPO Annual Report: 2022, S. 96. 290 Brodowski, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 186, Rn. 16; ders., in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 105, Rn. 9. Franssen, NJECL 2018, 291, 295 sieht dagegen noch Bedarf, die konkrete Bedeutung des aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit folgenden Pflichtenprogramms der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten gegenüber der EUStA bzw. den Mitgliedstaaten zu schärfen und erachtet eine aus (allein) auf Basis des Art. 4 Abs. 3 EUV abgeleitete Zusammenarbeitspflicht als problematisch. 291 Brodowski, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 105, Rn. 10. 287
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
Die bedeutendsten Rechtsakte in diesem Zusammenhang sind die RL-EEA (die allerdings für Dänemark und Irland nicht bindend ist und deshalb nur in der Zusammenarbeit mit Polen, Schweden und Ungarn relevant wird), das Europäische Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union,292 die Verordnung (EU) 2018/1805 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 über die gegenseitige Anerkennung von Sicherstellungs- und Einziehungsermächtigungen,293 der Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten294 sowie der Rahmenbeschluss 2009/948/JI des Rates vom 30. November 2009 zur Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren295.296 Diese Rechtsakte sind unter Beachtung des anwendbaren nationalen Rechts des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts auf die EUStA mit der Maßgabe anzuwenden, dass sie im Verhältnis zu den nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten die Rolle der anordnenden bzw. ersuchenden Behörde einnimmt.297 Die Notifizierung der EUStA als zuständige Behörde der Mitgliedstaaten bewirkt, dass der EUStA dieselben Rechtspositionen zuteilwerden wie den nationalen zuständigen Justizbehörden.298 So kann die EUStA Anordnungen i. S. d. RL-EEA an die zuständigen Behörden der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten adressieren, die dann dazu verpflichtet sind, die Anordnungen anzuerkennen und zu vollstrecken, so, als handele es sich dabei um Anordnungen der Justizbehörden der Mitgliedstaaten.299 Für die nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten resultiert diese Verpflichtung nicht bereits aus der VO,300 sondern wird mit dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit nach Art. 4 Abs. 3 EUV301 und dem in Art. 327 S. 2 AEUV statuierten Grundsatz, 292
ABl. C 197/1 v. 12. 07. 2000. ABl. L 303/1 v. 28. 11. 2018. 294 ABl. L 190/1 v. 18. 07. 2002. 295 ABl. L 328/42 v. 15. 12. 2009. 296 Brodowski, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 105, Rn. 14 – 18. Für Franssen, NCECL 2018, 291, 297 ist die Anwendbarkeit des Rahmenbeschlusses 2009/948/JI des Rates vom 30. November 2009 zur Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren zwischen EUStA und den nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten nicht zwingend, sondern unklar; er wirft die Frage auf, ob dafür nicht noch ein zusätzlicher Rechtsakt erforderlich wäre. 297 Brodowski, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 105. Rn. 20. 298 Brodowski, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 105, Rn. 9; Gleß/Wahl, in: SLGH, Internationale Rechtshilfe, Hauptteil III, Abschn. D. III D. 5, Einführung, Rn. 25. Franssen, NJECL 2018, 291, 295, bezeichnet die EUStA bei diesem Vorgang als „legal successor of the national judicial authorities competent for PIF crimes“ und deklariert die EUStA damit zu rechtlichen „Erben“ der nationalen Behörden. 299 Referentenentwurf des BMJV, Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der VO, S. 47. 300 Vgl. Art. 20 Abs. 4 EUV und Erwägungsgrund (110) VO. 301 Brodowski, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 105, Rn. 9; Referentenentwurf des BMJV, Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der VO, S. 47. 293
II. Ermittlungen auf dem Gebiet von nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten
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nach dem die an einer Verstärkten Zusammenarbeit nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten der Union den daran beteiligten Mitgliedstaaten nicht im Wege stehen,302 begründet. Die Notifikation der EUStA als zuständige Behörde der Mitgliedstaaten führt umgekehrt aber nicht dazu, dass die Behörden der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten grundsätzlich Ersuchen oder etwa eine EEA an die EUStA richten könnten. Ausnahmsweise soll dies möglich sein in Fällen, in denen die Ersuchen der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten auf einen Erkenntnisgewinn über ein von der EUStA geführtes Verfahren gerichtet sind.303 Art. 105 Abs. 3 VO ist nicht anwendbar auf Ersuchen, die auf einen Erkenntnisgewinn für ausländische Ermittlungsverfahren zielen.304 4. Informationsaustausch auf Grundlage von Art. 99 Abs. 2 VO Gem. Art. 99 Abs. 2 VO kann die EUStA mit Eurojust und den Behörden der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten (und den Behörden von Drittländern sowie internationalen Organisationen) zur Erfüllung ihrer Aufgaben sämtliche Informationen direkt austauschen, soweit dies für die Erfüllung ihrer Aufgaben relevant ist.305 Auf Grundlage von Art. 99 Abs. 2 VO kann die EUStA jedoch keine personenbezogenen Daten i. S. d. Art. 2 Nr. 7 VO an Eurojust übermitteln. Die Übermittlung von Informationen einschließlich personenbezogener Daten an Eurojust hat der Verordnungsgeber in Art. 100 Abs. 2 lit. a) VO speziell geregelt; die Vorschrift ist im Zusammenschau mit Art. 54 VO zu lesen.
302
Vgl. Franssen, NJECL 2018, 291, 294. Brodowski, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 105, Rn. 12; Referentenentwurf des BMJV, Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der VO, S. 48. Dieser Interpretation folgt auch der deutsche Gesetzgeber, der mit § 6 Abs. 4 EUStAG die Situation von eingehenden Rechtshilfeersuchen adressiert, die auf die Übermittlung von Auskünften aus Akten der EUStA oder die Herausgabe von Gegenständen gerichtet ist, über die die EUStA im Rahmen eines von ihr geführten Ermittlungsverfahrens verfügt. Für Franssen, NCECL 2018, 291, 296 ist der Umgang mit von nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten eingehenden Rechtshilfeersuchen bei der EUStA in der VO nicht klar geregelt, zur Begründung verweist er auf Art. 104 Abs. 6 VO, wonach die EUStA den zuständigen Behörden von Drittstaaten oder internationalen Organisationen auf Ersuchen Informationen oder Beweismittel, die sich bereits in ihrem Besitz befinden, für Ermittlungszwecke oder für die Verwendung als Beweismittel bei strafrechtlichen Ermittlungen zur Verfügung stellen darf. Eine vergleichbare Regelung lässt Art. 105 VO vermissen. 304 Referentenentwurf des BMJV, Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der VO, S. 48. 305 Reziprok dazu bestimmt Art. 8 Abs. 1 lit. b) Eurojust-VO die Befugnis der nationalen Mitglieder Eurojusts, die EUStA unmittelbar zu kontaktieren und Informationen mit ihr auszutauschen. 303
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
5. Bewertung und Fazit Die Notifizierung der EUStA als zuständige Behörde im Verhältnis der Zusammenarbeit von an der EUStA teilnehmenden Mitgliedstaaten und nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten führt dazu, dass die EUStA zu einer nationalen Justizbehörde hochgezont wird, auch mit Wirkung außerhalb des persönlichen Anwendungsbereichs der VO. Im Verhältnis zu den Justizbehörden der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten wird die EUStA damit zur Inhaberin oder Rechtsnachfolgerin der Rechte der nationalen Justizbehörden der Mitgliedstaaten, genauer; des Mitgliedstaates des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts. Dabei erscheint fraglich, wie sich diese Außenwirkung gegenüber den nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten legitimiert,306 die ja gerade durch ihre Nichtteilnahme an der Verstärkten Zusammenarbeit demonstriert haben dürften, sich dem Regelungsbereich der VO nicht unterwerfen zu wollen. Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit nach Art. 4 Abs. 3 EUVeinerseits und der Grundsatz, nach dem die Verstärkte Zusammenarbeit die Zuständigkeiten, Rechte und Pflichten der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten nach Art. 327 S. 1 AEUV achtet andererseits, stehen einander im Spannungsfeld der Interessen der Mitgliedstaaten der EU diametral gegenüber. Nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit achten und unterstützen sich die Union und die Mitgliedstaaten gem. Art. 4 Abs. 3 UAbs. 1 EUV gegenseitig bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus den Verträgen ergeben. Die Verstärkte Zusammenarbeit zur Errichtung der EUStA ist aber keine „Aufgabe, die sich aus den Verträgen“307 ergibt. Die Verstärkte Zusammenarbeit ist ein politisches Instrument der differenzierten Integration im europäischen Rechtsraum, das für einen flexiblen Integrationsfortschritt von integrationswilligen Staaten der Union geschaffen wurde und eine unterschiedliche Rechtsgeltung und Rechtsanwendung innerhalb der Union erlaubt.308 Im Zusammenhang mit der Errichtung der EUStA ist die Verstärkte Zusammenarbeit (nur ein mögliches) Mittel zur Erfüllung einer Aufgabe; namentlich der in Art. 325 Abs. 1 AEUV statuierten Pflicht der Union und der Mitgliedstaaten, Betrügereien und sonstige gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtete rechtswidrige Handlungen zu bekämpfen. Deshalb muss die loyale Zusammenarbeit der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten zum Zwecke des Schutzes der EU-Haushaltsinteressen nicht zwangsläufig um die EUStA als Mittelpunkt kreisen. Gem. Art. 325 Abs. 3 S. 2 AEUV haben die Mitgliedstaaten der Union bei der Erfüllung ihrer Aufgabe, der Betrugsbekämpfung, für eine enge, regelmäßige Zusammenarbeit zwischen (nur) den zuständigen nationalen Justizbehörden zu sorgen. Unter diesem Gesichtspunkt dürfte sich die Pflicht zur Zusammenarbeit mit der EUStA für nicht bereitwillige Mitgliedstaaten der Union relativieren. Nichtsdestotrotz stellt sich ganz 306
Vgl. Franssen, NJECL 2018, 291, 293 f. Art. 4 Abs. 3 UAbs. 1 EUV. 308 Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 20 EUV, Rn. 1 ff. 307
II. Ermittlungen auf dem Gebiet von nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten
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allgemein die Frage, wo die Grenzen der unionrechtlichen Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten mit der EUStA verlaufen. Die EUStA ist auf den Kooperationswillen der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten angewiesen, da sie ihre Strafverfolgungspolitik dort praktisch nicht durchsetzen kann. Sie kann den nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten weder Weisungen erteilen noch vor ihren Gerichten auftreten.309 Sie wird als unionales Verfolgungsorgan in der europäischen Strafverfolgungspraxis zwar gewisse Standards setzen und Richtwerte für die Verfolgungspraxis der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten etablieren, deren Befolgung aber nur durch die Kommission und Mitgliedstaaten im Wege des Vertragsverletzungsverfahrens durchsetzbar sein wird.310 Problematisch erscheint auch, dass die EUStA in ihrem Zuständigkeitsfeld Rechtshilfeersuchen an die Behörden der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten adressieren darf, diese sich umgekehrt aber mit Ersuchen nur an die EUStA wenden dürfen, wenn ihr Ersuchen auf einen Fall im Zuständigkeitsbereich der EUStA abzielt. Dadurch entsteht der Eindruck, dass der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit wie eine nur in Richtung der EUStA führende Einbahnstraße funktioniert. Der EUStA werden durch die Notifizierung alle Rechte der nationalen Justizbehörden vermacht, ohne sie mit korrespondierenden Pflichten zur Zusammenarbeit zu belegen; schließlich kann der Grundsatz der Unionstreue durch den EuGH bzw. EuG gerichtlich überprüft und sanktioniert werden.311 Die Möglichkeit der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten, die EUStA im Hinblick auf einen Fall in ihrem Zuständigkeitsbereich ersuchen zu können, vermag die Bringschuld der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten nicht zu entschärfen – praktisch stellt sich schon die Frage, in welchen Fällen ein nichtteilnehmender Mitgliedstaat überhaupt das Bedürfnis für ein Ersuchen an die EUStA haben würde, wenn ein Fall (neben seiner Zuständigkeit auch bereits) die Zuständigkeit der EUStA begründet. In dieser Konstellation bietet es sich für den nichtteilnehmenden Mitgliedstaat geradezu an, seine Zuständigkeit im Einvernehmen mit der und zugunsten der Fallübernahme durch die EUStA gar nicht erst auszuüben, ressourcenintensive Mehrfachermittlungen neben der EUStA zu vermeiden und seine nationalen Gerichte zu entlasten.312 Ein solches Vorgehen stünde auch im Einklang mit dem Rahmenbeschluss 2009/948/JI des Rates vom 30. November 2009 zur Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren.313 309
Meyer, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 59, Rn. 44. Meyer, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 60, Rn. 45. 311 Calliess/Kahl/Puttler, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 4, Rn. 42. 312 Vgl. Franssen, NJECL 2018, 291, 297 der die Möglichkeit von Mehrfachzuständigkeiten durch EUStA und Behörden der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten aufzeigt und in diesem Zusammenhang für die Vermeidung von Mehrfachermittlungen in einem frühen Verfahrensstadium plädiert. 313 ABl. L 328/42 v. 15. 12. 2009. Aber auch wenn der nichtteilnehmende Mitgliedstaat seine Zuständigkeit ausübt und ein Ersuchen an die EUStA richtet, stellt sich für Franssen, NCECL 2018, 291, 296 die Frage, an 310
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
Zudem erscheinen die nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten gegenüber den Drittstaaten und internationalen Organisationen in puncto loyaler Zusammenarbeit schlechter gestellt. Denn gem. Art. 104 Abs. 6 S. 1 VO kann die EUStA Drittstaaten und internationalen Organisationen auf Ersuchen explizit bereits in ihrem Besitz befindliche Informationen oder Beweismittel für Ermittlungszwecke oder die Verwendung als Beweismittel zur Verfügung stellen – dem nichtteilnehmenden Mitgliedstaat werden Ersuchen an die EUStA für die zukünftige Verwendung von eigenen Strafverfahren dagegen nicht ausdrücklich zugesprochen. Einem einheitlichen europäischen Rechtsraum und auch der Teilnahmebereitwilligkeit der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten an der EUStA trüge ein breiteres Kooperationsfeld bei, dessen Zielrichtung auch von der EUStA zum nichtteilnehmenden Mitgliedstaat ausgerichtet ist.314 Solange kein besonderes Rechtsinstrument i. S. d. Art. 105 Abs. 3 VO für die Zusammenarbeit in Strafsachen und Übergabeverfahren zwischen der EUStA und den nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten verabschiedet wird, herrscht ein Zustand der Rechtsunsicherheit.315 Es bleibt fraglich, welche Rechtsakte im Verhältnis zwischen EUStA und nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten anwendbar sind bzw. auf welche Grundlage sich eine Rechtshilfehandlung stützt, wie die Notifizierung der EUStA sich auf die Auslegung der anwendbaren Rechtsakte auswirkt, wie sich das im EUStA-Verfahren maßgebliche nationale Recht dazu verhält und welche Rechte und Pflichten daraus für die Beteiligten der Kooperation resultieren. Bis zur Schaffung eines besonderen Rechtsinstruments und auch für den Fall, dass nichtteilnehmende Mitgliedstaaten der Notifizierung der EUStA als zuständige Behörde entgegentreten, wird die Zusammenarbeit mit den nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten bzw. der Wirkbereich der EUStA über die Anwendungsgrenzen der VO hinaus auch maßgeblich über Eurojust und OLAF hergestellt werden.316
wen ein solches Ersuchen zu richten wäre, ob die EUStA überhaupt dazu befugt ist, Ersuchen zu beantworten, wenn noch Unklarheiten bzgl. der geteilten Zuständigkeit für PIF-Straftaten mit den Mitgliedstaaten bestehen und ob die EUStA um Beibringung von Beweismitteln zur Verwendung im eigenen Strafverfahren des nichtteilnehmenden Mitgliedstaates ersucht werden kann. 314 Franssen, NJECL 2018, 291, 296. 315 Vgl. Brodowski, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 105, Rn. 20; Di Francesco Maesa, eucrim 2017, 156, 157 f.; Franssen, NCECL 2018, 291, 298 f., die vor diesem Hintergrund für den Erlass eines neuen Rechtsinstruments plädieren, das das Verhältnis von EUStA und nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten regelt. 316 Gleß/Wahl, in: SLGH, Internationale Rechtshilfe, Hauptteil III, Abschn. D. III D. 5, Einführung, Rn. 42; Di Francesco Maesa, eucrim 2017, 156, 157.
III. Ermittlungen auf dem Gebiet von Drittstaaten
135
III. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA auf dem Gebiet von Drittstaaten Die EUStA kann in grenzüberschreitenden Ermittlungen auf dem Gebiet der Drittstaaten oder bei beabsichtigter Einbeziehung von internationalen Organisationen auf diverse Kooperationsinstrumente zurückgreifen. Art. 104 VO trifft Bestimmungen über die Beziehung der EUStA zu Drittländern und internationalen Organisationen. Internationale Organisationen sind völkerrechtliche internationale Organisationen und nachgeordnete Einrichtungen dieser Organisationen, wie etwa Interpol.317 1. Kooperation durch Arbeitsvereinbarungen und Kontaktstellen Die EUStA kann, vergleichbar mit den Kooperationsmechanismen mit den nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten, Arbeitsvereinbarungen mit den Behörden von Drittstaaten und internationalen Organisationen schließen, die insbesondere den Austausch von strategischen Informationen und die Entsendung von Verbindungsbeamten der Drittstaaten zur EUStA betreffen.318 Eine Grundlage für den Austausch personenbezogener Daten enthalten die Arbeitsvereinbarungen aber nicht.319 Zudem kann eine Zusammenarbeit auch im Einvernehmen mit den Drittstaaten durch dort errichtete Kontaktstellen erfolgen.320 2. Kooperation durch völkerrechtlich bindende Übereinkommen Art. 104 Abs. 3 bis Abs. 5 VO halten Kooperationsinstrumente auf Grundlage von völkerrechtlichen Vereinbarungen bereit, die eine bestimmte Stufenfolge vorgeben.321 Primär soll die EUStA mit Drittstaaten auf der Basis von Art. 104 Abs. 3 VO kooperieren.322 Art. 104 Abs. 3 VO erklärt internationale Übereinkünfte mit Drittstaaten, die die Union geschlossen hat oder denen die Union gem. Art. 218 AEUV beigetreten ist für die EUStA automatisch als bindend,323 wenn diese Übereinkünfte Zuständigkeitsbereiche der EUStA betreffen; beispielhaft hierfür werden internationale Übereinkünfte über die Zusammenarbeit in Strafsachen genannt. Bislang
317
Vgl. Erwägungsgrund (108) VO. Art. 104 Abs. 1, Art. 99 Abs. 3 VO. 319 Referentenentwurf des BMJV, Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der VO, S. 46. 320 Art. 104 Abs. 2 VO. 321 Referentenentwurf des BMJV, Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der VO, S. 46. 322 Referentenentwurf des BMJV, Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der VO, S. 46. 323 Gleß/Wahl, in: SLGH, Internationale Rechtshilfe, Hauptteil III, Abschn. D. III D. 5, Einführung, Rn. 26. 318
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
existieren keine spezifischen Übereinkommen über die Zusammenarbeit der EUStA mit Drittstaaten.324 Vereinbarungen, die aber die Sachgebiete der EUStA betreffen und deshalb unter Art. 104 Abs. 3 VO zu fassen sind, sind beispielsweise das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption,325 das UN Übereinkommen gegen grenzüberschreitende organisierte Kriminalität,326 das Betrugsbekämpfungsabkommen mit der Schweiz,327 das Übereinkommen zwischen der EU sowie der Republik Island und dem Königreich Norwegen über die Anwendung einiger Bestimmungen des Übereinkommens vom 29. Mai 2000 über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und des dazugehörigen Protokolls von 2001328 und das Rechtshilfeübereinkommen zwischen der EU und Japan329.330 Da das Abkommen zwischen der EU und den Vereinigten Staaten von Amerika über Rechtshilfe331 nur eine Modifikation der bilateralen Verträge der EU-Mitgliedstaaten schafft, bietet es keine geeignete Rechtsgrundlage.332 Erwägungsgrund (109) VO sieht vor, dass das Kollegium auf den Abschluss von neuen, an die operativen EUStA-Bedürfnisse angepasste internationale Übereinkommen hinwirken kann. Es kann dem Rat vorschlagen, die Kommission darauf hinzuweisen, dass Empfehlungen zur Aufnahme von Verhandlungen über internationale Übereinkünfte mit Drittstaaten oder internationalen Organisationen erforderlich sind. Sekundär und im Falle des Fehlens einer Übereinkunft nach Art. 104 Abs. 3 VO soll die EUStA gem. Art. 104 Abs. 4 VO die Kooperation mit den Drittstaaten über Rechtshilfeersuchen auf Grundlage von multilateralen Übereinkommen der Mitgliedstaaten, etwa dem Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 (zuletzt geändert durch Art. 1 bis Art. 6 Zusatzprotokoll II RHÜ 1959 vom 8. 11. 2001),333 betreiben.334 Im Rahmen der Kooperation nach Art. 104 Abs. 3 VO erkennen die Mitgliedstaaten die EUStA als zuständige Behörde für die Zwecke der Anwendung der von ihnen geschlossenen multilateralen internationalen Übereinkünfte über die Rechtshilfe in Strafsachen für die Durch324
Referentenentwurf des BMJV, Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der VO, S. 46. Abrufbar unter: https://www.unodc.org/documents/brussels/UN_Convention_Against_ Corruption.pdf (04. 03. 2023). 326 Abrufbar unter: https://www.unodc.org/unodc/en/organized-crime/intro/UNTOC. html#Fulltext (04. 03. 2023). 327 ABl. L 46/8 v. 17. 02. 2009. 328 ABl. L 26/3 v. 29. 01. 2004. 329 ABl. L 39/20 v. 12. 02. 2010. 330 Gleß/Wahl, in: SLGH, Internationale Rechtshilfe, Hauptteil III, Abschn. D. III D. 5, Einführung, Rn. 26. 331 ABl. L 181/34 v. 19. 07. 2003. 332 Franssen, NCECL 2019, 1, 10; Gleß/Wahl, in: SLGH, Internationale Rechtshilfe, Hauptteil III, Abschn. D. III D. 5, Einführung, Rn. 26. 333 Abrufbar unter: https://rm.coe.int/16800656ce (04. 03. 2023). 334 Referentenentwurf des BMJV, Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der VO, S. 46. 325
III. Ermittlungen auf dem Gebiet von Drittstaaten
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führung von Ersuchen an. Sie notifizieren die EUStA, vorbehaltlich der Zustimmung des Drittstaates und nur bei vertraglicher Zulässigkeit, ggf. im Wege einer vertraglichen Änderung der Übereinkünfte. Gem. Erwägungsgrund (109) UAbs. 2 VO ist die Notifizierung der EUStA als Ausfluss der gem. Art. 4 Abs. 3 EUV geltenden Pflicht der (teilnehmenden) Mitgliedstaaten zur loyalen Zusammenarbeit mit der EUStA zu verstehen. In Betracht kommen in diesem Zusammenhang Übereinkommen des Europarats, die Regelungen über Rechtshilfe in Strafsachen enthalten und von den Mitgliedstaaten ratifiziert wurden.335 Die Mitgliedstaaten können die EUStA gem. Art. 104 Abs. 4 UAbs. 2 VO als zuständige Behörde für die Zwecke anderer von ihnen geschlossener internationaler Übereinkünfte über die Rechtshilfe in Strafsachen, ggf. im Wege der Änderung dieser Übereinkünfte, notifizieren. Soweit weder eine Übereinkunft nach Art. 104 Abs. 3 VO besteht, noch eine Anerkennung nach Art. 104 Abs. 4 VO erfolgt ist kann, alternativ,336 der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt gem. Art. 104 Abs. 5 UAbs. 1 VO von seinem Status und seinen Befugnissen als nationaler Staatsanwalt Gebrauch machen und auf der Grundlage der von diesem Mitgliedstaat geschlossenen internationalen Übereinkünfte oder des geltenden nationalen Rechts und ggf. über die nationalen Behörden, die Behörden von Drittstaaten um Rechtshilfe in Strafsachen ersuchen. Der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt setzt in diesem Fall die Behörden der Drittstaaten in Kenntnis und bemüht sich um deren Zustimmung für eine Verwendung der mittels des Ersuchens eingeholten Beweise im Verfahren der EUStA.337 In jedem Fall wird der Drittstaat darüber informiert, dass der Endempfänger des Ersuchens die EUStA ist.338 Gem. Art. 104 Abs. 5 UAbs. 2 VO kann die EUStA die Behörden der Drittstaaten um Rechtshilfe in Strafsachen auch ohne Vorliegen einer anwendbaren internationalen Übereinkunft339 im Einzelfall und innerhalb der Grenzen ihrer sachlichen Zuständigkeit ersuchen. Die EUStA erfüllt die von diesen Behörden ggf. festgelegten Bedingungen für die Verwendung der von ihnen auf dieser Grundlage festgelegten Informationen. Zu beachten ist, dass die Rechtshilfe auf der Grundlage von Art. 104 Abs. 3 bis Abs. 5 VO den Bereich der Auslieferung und Haft nicht umfasst, da es sich bei dieser Materie traditionell um politisch sensible Bereiche für die Mitgliedstaaten handelt.340 Wenn der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt einen Drittstaat um eine Auslieferung ersuchen möchte, muss er die zuständige Behörde seines Mitgliedstaates um die Ausgabe eines entsprechenden Auslieferungsersuchens auf Grundlage bestehender internationaler Abkommen und nach Maßgabe des Rechts seines Mit335
Referentenentwurf des BMJV, Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der VO, S. 47. Referentenentwurf des BMJV, Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der VO, S. 47. 337 Art. 104 Abs. 5 UAbs. 1 S. 2 VO. 338 Art. 104 Abs. 5 UAbs. 1 S. 3 VO. 339 Referentenentwurf des BMJV, Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der VO, S. 47. 340 Franssen, NJECL 2019, 1, 12. 336
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
gliedstaates ersuchen. Hier kommen etwa das Europäische Auslieferungsübereinkommen341 oder das Abkommen zwischen der EU und den Vereinigten Staaten von Amerika über Auslieferung342 in Betracht.343 3. Kooperation auf Ersuchen eines Drittstaates Gem. Art. 104 Abs. 6 S. 1 VO kann die EUStA den zuständigen Behörden der Drittstaaten oder internationalen Organisationen auf Ersuchen Informationen oder Beweismittel, die sich bereits im Besitz der EUStA befinden, für Ermittlungszwecke oder die Verwendung als Beweismittel bei strafrechtlichen Ermittlungen bereitstellen. Über eine derartige Ermittlung entscheidet gem. Art. 104 Abs. 6 S. 2 VO der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt nach Maßgabe des Rechts seines Mitgliedstaates und nach Konsultation der Ständigen Kammer. Ersucht ein Drittstaat Beweismittel, die sich nicht bereits im Besitz der EUStA befinden, hat er sich unter Rückgriff auf bestehende internationale Vereinbarungen an die zuständige nationale Behörde des Mitgliedstaates zu wenden, in dem die Beweisgewinnung durchgeführt werden soll.344 4. Kooperation durch Informationsaustausch auf Grundlage von Art. 99 Abs. 2 VO Die EUStA kann mit den Drittstaaten und internationalen Organisationen zudem auf Grundlage von Art. 99 Abs. 2 VO direkt sämtliche Informationen austauschen, sofern die VO nichts anderes vorsieht. Für den Austausch operativer personenbezogener Daten zum Zwecke der Zusammenarbeit mit Drittstaaten und internationalen Organisationen345 sind die Bestimmungen des Kapitels VIII VO zu beachten. Art. 80 VO trifft besondere Bestimmungen über die Übermittlung von operativen personenbezogenen Daten der EUStA an Drittstaaten und internationale Organisationen und knüpft diese an eine Kaskade verschiedener Bedingungen. So darf die Datenübermittlung nur erfolgen, wenn die Kommission gem. Art. 36 der Richtlinie (EU) 2016/680 beschlossen hat, dass das betreffende Drittland oder die betreffende internationale Organisation ein angemessenes Schutzniveau bietet (sog. Angemessenheitsbeschluss).346 Ohne Vorliegen eines Angemessenheitsbeschlusses 341
SEV Nr. 24, abrufbar unter: https://rm.coe.int/16800645c5 (04. 03. 2023). ABl. L 181/27 v. 19. 07. 2003. 343 Gleß/Wahl, in: SLGH, Internationale Rechtshilfe, Hauptteil III, Abschn. D. III D. 5, Einführung, Rn. 21; Franssen, NJECL 2019, 1, 12. 344 Franssen, NJECL 2019, 1, 12. 345 S. Art. 49 Abs. 1 lit. c) VO. 346 Art. 81 VO. 342
III. Ermittlungen auf dem Gebiet von Drittstaaten
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kann die EUStA Daten zwar übermitteln, allerdings müssen dann in rechtsverbindlichen Instrumenten geeignete Garantien für den Schutz operativer personenbezogener Daten vorgesehen sein oder die EUStA gelangt nach einer Beurteilung aller übermittlungsrelevanten Umstände zu dem Ergebnis, dass geeignete Garantien zum Schutz operativer personenbezogener Daten bestehen.347 Zuletzt kann auch ohne Angemessenheitsbeschluss und die Feststellung von geeigneten Garantien eine Datenübermittlung erfolgen, wenn dies etwa zum Schutz lebenswichtiger Interessen der betroffenen Person oder einer anderen Person oder „zur Wahrung berechtigter Interessen der betroffenen Person“ oder in Einzelfällen das Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Übermittlung gegenüber den Grundrechte der betroffenen Person zur Erfüllung der Aufgaben der EUStA notwendig ist.348 Weitere Voraussetzungen für die Datenübermittlung werden in Art. 84 VO statuiert. Zu beachten ist, dass eine Datenübermittlung unbeschadet von bilateralen oder multilateralen internationalen Übereinkünften erfolgen kann.349 5. Bewertung und Fazit Die Vielzahl und potenzielle Varietät der Rechtsinstrumente, mit denen eine Kooperation zwischen Drittstaaten und EUStA möglich ist, wirft die Frage auf, welche Rolle die Verstärkte Zusammenarbeit der EUStA im Außenverhältnis zuschreiben möchte (und kann). Art. 104 Abs. 3 VO erklärt internationale Übereinkünfte mit Drittländern, die die Union abgeschlossen hat oder denen sie beigetreten ist und die Zuständigkeitsbereiche der EUStA betreffen, für die EUStA als bindend. Die Drittstaaten aber sind dadurch umgekehrt nicht dazu verpflichtet, die EUStA als berechtigte Behörde im Sinne einer völkerrechtlichen Übereinkunft zu erachten, solange diese keine entsprechende Vereinbarung bereithält. An derartigen Vereinbarungen wird es in den internationalen Übereinkünften fehlen, da mit der EUStA überhaupt erstmals eine europäische, supranationale Strafverfolgungsbehörde zu Tage tritt, so dass hier zukünftig entsprechende spezifische Vereinbarungen notwendig werden.350 Solange völkerrechtlich keine beidseitigen Notifikationsmechanismen existieren, können Drittstaaten schließlich auch nicht dazu gezwungen werden die EUStA als berechtigte Behörde im Sinne der völkerrechtlichen Kooperation zu erachten.351 Soweit eine Kooperation mit Drittstaaten auf Art. 104 Abs. 4 VO gestützt wird und die Mitgliedstaaten die EUStA als zuständige Behörde für die von ihnen geschlossenen internationalen Übereinkünfte über die Rechtshilfe in Strafsachen notifizieren, gehen damit zuweilen drei zentrale Feststellungen einher: 347
Art. 82 Abs. 1 VO. Vgl. Art. 83 Abs. 1 lit. a) bis d) VO. 349 Vgl. Wortlaut des Art. 84 Abs. 1 Hs. 1 VO. 350 Meyer, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 61, Rn. 50. 351 Meyer, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 61, Rn. 49.
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
Erstens müsste es sich bei der Notifizierung der EUStA um einen Akt handeln, der unter den geltenden internationalen Übereinkommen zulässig ist.352 Das bedeutet, dass die für die Union (und qua Ableitung die für die EUStA) bindenden Kooperationsverträge – jeder Vertrag für sich – die Möglichkeit der Notifizierung einer supranationalen Behörde überhaupt bereithalten müssten. Das Szenario der EUStANotifizierung aber wird von den geltenden internationalen Übereinkünften der Mitgliedstaaten naturgemäß nicht erfasst, da die EUStA erst neu geschaffen wurde.353 Die EUStA kann auch nicht einfach als Rechtsnachfolgerin der Mitgliedstaaten in die Rechtsposition der Vertragsstaaten einrücken, auch wenn sie durch die Delegierten Europäischen Staatsanwälte nach Maßgabe des nationalen Rechts der Vertragsstaaten operiert.354 Denn funktional betrachtet ist die EUStA eine einheitliche, unteilbare Einrichtung der Union und gehört der supranationalen Strafverfolgung an.355 Solange völkerrechtlich keine beidseitigen Notifikationsmechanismen oder Zustimmungserklärungen zur Rolle der EUStA existieren, können Drittstaaten nicht dazu gezwungen werden, die EUStA als berechtigte Behörde im Sinne der völkerrechtlichen Kooperation zu sehen.356 Die Schaffung einer neuen völkervertraglichen Rechtsgrundlage im Verhältnis zu den Drittstaaten ist zwar grundsätzlich möglich, wirft aber, zweitens, die Frage auf, welche Rolle der EUStA dann zugeschrieben werden soll, schließlich sind Vertragsparteien solcher Vereinbarungen üblicherweise Staaten.357 Die VO legt sich dazu nicht fest – soll die EUStA zentrale Behörde für die Rechtshilfe in Strafsachen (für die Mitgliedstaaten) sein, sollte sie in dieser Funktion auch in Rechtshilfeersuchen der nationalen Behörden eingebunden werden, wenn ihr Zuständigkeitsbereich nicht eröffnet ist? Mit welchen Maßnahmen soll sie die Drittstaaten im Rahmen der Rechtshilfe unterstützen können?358 Wie stellt es sich für Drittstaaten dar, dass (selbst) innerhalb der Union an der Verstärkten Zusammenarbeit nichtteilnehmende Mitgliedstaaten existieren und wie kann ihre erforderliche Zustimmung zu vertraglichen Änderungen von multilateralen, internationalen Abkommen eingeholt werden?359 Versetzt man sich bei diesem Prozess in die Perspektive der Drittstaaten, drängt es sich drittens die Frage auf, wozu es nützt, eine EUStA-Notifizierung – sei sie als zentrale Behörde der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten oder andersartig konzi352
Franssen, NJECL 2019, 1, 14. Vgl. Meyer, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 61, Rn. 50. 354 Meyer, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 62, Rn. 54. 355 Meyer, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 62, Rn. 54. 356 Ludwiczak Glassey, eucrim 2019, 205, 206 mit der Feststellung, dass eine Kooperation zwischen EUStA und Schweiz sich deshalb wohl nicht auf Art. 104 Abs. 4 VO stützen lassen wird; Meyer, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 61, Rn. 49. 357 Franssen, NJECL 2019, 1, 13. 358 Franssen, NJECL 2019, 1, 5, 13. 359 Franssen, NJECL 2019, 1, 13. 353
III. Ermittlungen auf dem Gebiet von Drittstaaten
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piert – zu akzeptieren und welchen Mehrwert sie für die Drittstaaten bringt.360 Denn auch im Verhältnis zu den Drittstaaten ist die verordnungsgeberische Konzeption der Kooperation als eine Einbahnstraße in Richtung der EUStA ausgestaltet.361 Die EUStA soll Drittstaaten um Rechtshilfe ersuchen können. Umgekehrt aber können sich Drittstaaten überhaupt nur mit der EUStA befassen, wenn die in ihrem Interesse liegende Fallmaterie gleichzeitig den Zuständigkeitsbereich der EUStA betrifft. So gibt die EUStA gem. Art. 104 Abs. 6 VO nur Ersuchen um Beweismittel statt, wenn sie sich bereits in ihrem Besitz befinden. Da die VO aber keine Bestimmungen zur Herausgabe von Zufallsfunden der EUStA bereithält, kann diese in Abhängigkeit zur nationalen Rechtsordnung des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts unterschiedlich ausfallen. Rechtshilfemaßnahmen kann die EUStA für Drittstaaten nicht ausführen.362 Aus der Brille von Drittstaaten betrachtet, dürfte eine Kooperation mit der EUStA bereits wegen ihres auf die Verfolgung von PIF-Straftaten beschränkten und mit den teilnehmenden Mitgliedstaaten geteilten Zuständigkeitsbereichs unzulänglich erscheinen. Zudem dürften sich Drittstaaten darüber wundern, dass mit den nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten auch innerhalb der Union keine geschlossene Zustimmung zur Errichtung der EUStA besteht.363 Vor diesem Hintergrund und der allgemein bekannten Langwierigkeit bei der Vollstreckung von Rechtshilfeersuchen dürften Drittstaaten den direkten Weg zu den nationalen Behörden, ggf. unter Einschaltung von Eurojust – und damit auch den ihnen bekannten Weg der Rechtshilfe – favorisieren. Attraktiver wäre die Kooperation mit der EUStA für Drittstaaten freilich, wenn sie eine Universalzuständigkeit in Strafsachen hätte und die Koordinierung von Rechtshilfeersuchen, die sich für einen Fall ggf. auf mehrere EUMitgliedstaaten gleichzeitig richtet, zentral übernähme. Einer Kooperation auf Grundlage von Art. 104 Abs. 5 VO, die durch die Befugnisse als nationaler Staatsanwalt durch den betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt hergestellt werden kann, dürften die Drittstaaten skeptisch gegenüberstehen.364 Im Fall von Art. 104 Abs. 5 VO kann eine Kooperation zwischen der EUStA und einem Drittstaat nur stattfinden, wenn zwischen dem Mitgliedstaat des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts und dem Drittstaat eine internationale Übereinkunft besteht oder das geltende nationale Recht des Mitgliedstaates eine 360
Vgl. auch Meyer, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 63, Rn. 58. Vgl. Meyer, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 63, Rn. 58 der ausführt, dass sich die Drittstaaten bei der Kooperation mit der EUStA vom Gedanken der Reziprozität leiten lassen dürften. 362 Franssen, NJECL 2019, 1, 12. 363 Vgl. auch Ludwiczak Glassey, eucrim 2019, 205, 206, die diesen Umstand als ein Hindernis für die Zusammenarbeit zwischen EUStA und der Schweiz erachtet. 364 Gleß/Wahl, in: SLGH, Internationale Rechtshilfe, Hauptteil III, Abschn. D. III D. 5, Einführung, Rn. 28. 361
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
solche Kooperation erlaubt. Problematisch am Rückgriff auf die Rechtshilfeinstrumente der Mitgliedstaaten zur Kooperation mit Drittstaaten ist, dass das ob und wie einer Kooperation zwischen EUStA und Drittstaat in strenger Abhängigkeit zu den individuellen völkerrechtlichen Vereinbarungen eines Mitgliedstaates steht.365 Einen unionsrechtlichen Standard gibt es in der Rechtshilfe mit Drittstaaten nicht.366 Für einen Drittstaat kann dies bedeuten, dass er unter Art. 104 Abs. 5 VO mit dem betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt des Mitgliedstaates (X) aufgrund bestehender Übereinkunft kooperieren würde, eine Kooperationsanfrage des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts des Mitgliedstaates (Y) mangels Rechtsbeziehungen ablehnen müsste. Beispielhaft kann hier das Abkommen über die Zusammenarbeit zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten andererseits zur Bekämpfung von Betrug und sonstigen rechtswidrigen Handlungen, die ihre finanziellen Interessen beeinträchtigen,367 herangezogen werden:368 Dieses Abkommen ist nicht in Kraft getreten, da es nicht von allen EU-Mitgliedstaaten ratifiziert wurde,369 die Ratifizierung durch Irland fehlt.370 Als bilateraler Vertrag ist das Abkommen nur zwischen den Parteien anwendbar, die ihren Willen dazu erklärt haben. Dies sind die Schweiz und die EU – von den 22 Mitgliedstaaten aber, haben nur 12 eine entsprechende Willenserklärung abgegeben.371 Aus Schweizer Perspektive führt dieser Umstand zu einer Rechtsunsicherheit, der forum shopping durch die EUStA befürchten lässt.372 Zudem handelt der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt, wenn auch unter Rückgriff auf mitgliedstaatliche Übereinkünfte mit Drittstaaten gem. Art. 104 Abs. 5 VO, funktional als supranationales Strafverfolgungsorgan, dessen Zuständigkeitsbereich sich immerhin auf 22 Staaten erstreckt.373 Die Kooperationshandlung des Drittstaates auf das Ersuchen eines betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts wird damit in einem von der EUStA geführten Verfahren verwendet werden. Funktional kann die Kooperationshandlung eines Drittstaates zugunsten eines Mitgliedstaates im Ergebnis als eine Kooperationshandlung zugunsten eines anderen Völkerrechtssubjekts, der EU, betrachtet werden und deshalb unter dem 365
Vgl. auch Meyer, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 62, Rn. 57. Meyer, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 63, Rn. 57. 367 ABl. L 46/8 v. 17. 02. 2009. 368 Ludwiczak Glassey, eucrim 2019, 205, 206. 369 Vgl. Art. 44 Abs. 2 des Abkommens über die Zusammenarbeit zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten andererseits zur Bekämpfung von Betrug und sonstigen rechtswidrigen Handlungen, die ihre finanziellen Interessen beeinträchtigen. 370 Ludwiczak Glassey, eucrim 2019, 205, 206. 371 Ludwiczak Glassey, eucrim 2019, 205, 206. 372 Vgl. Ludwiczak Glassey, eucrim 2019, 205, 207. 373 Gleß/Wahl, in: SLGH, Internationale Rechtshilfe, Hauptteil III, Abschn. D. III D. 5, Einführung, Rn. 28. 366
III. Ermittlungen auf dem Gebiet von Drittstaaten
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Recht des Drittstaates einer besonderen, nicht ohne Zweifel begründbaren Rechtfertigung bedürfen.374 Zudem müsste im Mitgliedstaat des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts in der das Ersuchen betreffenden Materie auch ein eigenes, nationales Strafverfahren anhängig sein, damit der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt überhaupt in der Rolle eines nationalen Staatsanwalts agieren kann. Dies ist schon mit Blick auf die Zuständigkeitsregelung des Art. 22 VO problematisch.375 Dagegen steht der Informationsaustausch operativer personenbezogener Daten mit Drittstaaten auf einer eindeutigen Rechtsgrundlage und könnte in der Kooperation der EUStA mit den Drittstaaten eine große Rolle spielen. Art. 84 VO statuiert die besonderen Voraussetzungen, unter denen die EUStA operative personenbezogene Daten an in Drittstaaten niedergelassene Empfänger übermitteln kann. Der Tatbestand des Art. 84 VO ist so konzipiert, dass die EUStA die Erforderlichkeit einer Informationsweitergabe regelmäßig rechtfertigen können wird, da ihr durch die mit unbestimmten Rechtsbegriffen ausgefüllten Bedingungen an die Informationsweitergabe ein erheblicher Beurteilungsspielraum bleibt. Solange die vorgenannten Fragen zu den internationalen Vereinbarungen der EUStA mit Drittstaaten offenbleiben, wird eine Kooperation maßgeblich unter Einbindung von Eurojust und OLAF gelebt werden. Eurojust hat bereits zahlreiche Kooperationsabkommen und Beziehungen zu Drittstaaten etabliert. Darunter finden sich auch Vereinbarungen über die Weitergabe von von Drittstaaten erhaltenen Informationen an andere Parteien (regelmäßig in einer Klausel als sog. „onwards transmission“ bezeichnet), von denen auch die EUStA profitieren kann.376 Zudem bestimmt Art. 50 Abs. 4 lit. a) Eurojust-VO, dass Eurojust die EUStA an seiner Tätigkeit im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Fällen auch durch die Weitergabe von Informationen zu seinen Fällen, einschließlich personenbezogener Daten, beteiligen kann. Auf dem Gebiet der Drittstaaten ist OLAF die einzige EUBehörde, die zumindest in einem gewissen Umfang durch eigene Untersuchungspersonen auf eine Beweisgewinnung hinwirken kann. Da das Unionrecht von jeder Person und jeder Stelle abverlangt, gegen Mittelerhalt aus dem EU-Haushalt auch die Untersuchungsbefugnisse des OLAF zu akzeptieren,377 räumt sich das OLAF in Mittelverwendungsverträgen mit auch in Drittstaaten ansässigen Mittelempfängern das Recht zur Durchführung von Vor-Ort-Untersuchungen und damit verbundene 374
Ludwiczak Glassey, eucrim 2019, 205, 207 mit Blick auf die Schweizer Rechtslage. Gleß/Wahl, in: SLGH, Internationale Rechtshilfe, Hauptteil III, Abschn. D. III D. 5, Einführung, Rn. 28. 376 Franssen, NJECL 2019, 1, 12, 13. 377 Vgl. Art. 219 Verordnung (EU, Euratom 2018/1046 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juli 2018 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union, zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1296/2013, (EU) Nr. 1301/2013, (EU) Nr. 1303/2013, (EU) Nr. 1304/2013, (EU) Nr. 1309/2013, (EU) Nr. 1316/2013, (EU) Nr. 223/ 2014, (EU) Nr. 283/2014, (EU) Nr. 283/2014 und des Beschlusses Nr. 541/2014/EU sowie zur Aufhebung der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012, ABl. L 193/1 v. 30. 07. 2018. 375
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
Handlungsbefugnisse wie Vorlageaufforderungen von Unterlagen an die Mittelempfänger ein. In der EU-Ratsarbeitsgruppe zur Betrugsbekämpfung wurde eine den OLAF-Untersuchungsbefugnissen vergleichbare Kompetenz für EUStA-Ermittler in Drittstaaten angedacht, soll aber nicht weiter verfolgt worden sein.378
IV. Zusammenarbeit mit Eurojust In grenzüberschreitenden Fallgestaltungen, die sich auf dem Gebiet der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten und Drittstaaten abspielen, wird der Ermittlungserfolg der EUStA von einer fruchtbaren Kooperation mit anderen Unionsagenturen abhängen.379 Das Eurojust380 steht der EUStA dabei als besonderer Kooperationspartner zur Seite. Schon in Kapitel II der VO und gleich auf die Bestimmung, dass die EUStA als Einrichtung der Union mit eigener Rechtspersönlichkeit errichtet wird381 ist normiert, dass die EUStA eng mit Eurojust zusammenarbeitet und von dieser Stelle unterstützt wird (Art. 3 Abs. 3 VO).382 Eurojust ist die justizielle Service- und An378
Franssen, NJECL 2019, 1, 4. Meyer, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 59, Rn. 39. 380 Eingerichtet durch den Beschluss 2002/187/JI des Rates vom 28. 02. 2002 über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung schwerer Kriminalität, ABl. EG Nr. L 63, nunmehr gestützt auf Art. 85 AEUV und die Verordnung (EU) 2018/1727 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. 11. 2018 betreffend die Agentur der Europäischen Union für justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen, ABl. L 295/138 (nachfolgend: EurojustVO). In Deutschland ist zudem das Gesetz zur Durchführung der Eurojust-VO mit dem Inhalt des Eurojust-Gesetzes als wesentlicher Inhalt in Kraft getreten (BGBl. Nr. 45 vom 11. 12. 2019, S. 2010 – 2014); zur bundeseinheitlichen Umsetzung der Eurojust-VO bedurfte es gesetzlicher Durchführungsbestimmungen, die in Ausnahme des unionsrechtlichen Normwiederholungsverbots europarechtlich zulässig sind, vgl. Esser, StV 2020, 636. 381 Art. 3 Abs. 1 und 2 VO. 382 Vgl. für die enge Beziehung zwischen EUStA und Eurojust auch Erwägungsgrund (10) und Art. 100 Abs. 1 S. 1 VO. Die Beziehungen der EUStA zu anderen unionalen Behörden dagegen werden zum ersten Mal in Kapitel X der VO festgelegt. Die hervorgehobene Rolle Eurojusts für die Errichtung der EUStA ist primärrechtlich in Art. 86 AEUV angelegt. Die Norm sieht vor, dass eine Europäische Staatanwaltschaft „ausgehend von Eurojust“ eingesetzt werden könnte und hat die EUStA als Fortentwicklung von Eurojust konzipiert, vgl. Suhr, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 85, Rn. 1. Über die Auslegung des Art. 86 Abs. 1 UAbs. 1 S. 1 AEUV besteht Uneinigkeit. Nach Esser, StV 2020, 636, 637, hätte die Auslegung der primärrechtlichen Bestimmung bei der Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft eine Auflösung von Eurojust nahegelegt – in der Koexistenz der Institutionen sei die Durchsetzung eines politischen Willens zu erblicken. Nach Rheinbay –Errichtung einer EUStA, S. 97 – 100, ergibt die systematische Auslegung der Norm, dass eine Europäische Staatsanwaltschaft als eigene Einrichtung mit eigenem Personal errichtet wird, die aber zunächst auf Strukturen von Eurojust zurückgreifen und diese nutzen kann, um sich sodann selbst aufzubauen. Nach Vogel/Eisele, in: Grabitz u. a. (Hrsg.), Recht der EU, Art. 86 AEUV, Rn. 17 f. kann der Unionsgesetzgeber für die EUStA eine Struktur schaffen, die sich von derjenigen Eurojusts unterscheidet, hat das Verhältnis der Behörden jedoch im Sinne 379
IV. Zusammenarbeit mit Eurojust
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laufstelle der nationalen Strafverfolgungsbehörden und Gerichte der EU-Mitgliedstaaten.383 Die Agentur wurde geschaffen, um die in den EU-Mitgliedstaaten geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zu koordinieren, staatenübergreifende Strafverfolgungsmaßnahmen zu fördern sowie Auslieferungs- und Rechtshilfeersuchen zu erleichtern.384 Seit seiner Errichtung wird Eurojust mit steigender Tendenz von den Behörden der Mitgliedstaaten der Union und Drittstaaten in grenzüberschreitende Ermittlungen eingebunden.385 Art. 100 Abs. 2 VO sieht vor, dass die EUStA das Eurojust im Rahmen ihrer Tätigkeit im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Fällen beteiligen kann.386 Zwischen den Behörden besteht eine Arbeitsvereinbarung, die auf Art. 100 Abs. 4 S. 2 VO und Art. 50 Abs. 6 S. 2 Eurojust-VO fußt und in der die Einzelheiten zwischenbehördlicher Unterstützungsleistungen und des Informationsaustausches festgelegt sind. 387 1. Erweiterung der grenzüberschreitenden Handlungsräume der EUStA durch Zusammenarbeit mit Eurojust Für die EUStA ist eine Zusammenarbeit mit Eurojust in grenzüberschreitenden Fällen gewinnbringend, da sie ihr Ermittlungsmöglichkeiten auf dem Gebiet der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten und Drittstaaten eröffnet.388
„weitgehender Synergie, Kooperation und Komplementarität“ zu bestimmen. Verschiedene Auslegungsmöglichkeiten differenzierend darstellend: Trentmann, ZStW 2017, 108, 128. Zudem hatte die rechtswissenschaftliche Literatur Eurojust bereits vor Schaffung des Art. 86 AEUV als „Keimzelle“ für eine zu errichtende Europäische Staatsanwaltschaft erachtet, s. Satzger, StV 2003, 137, 138; Kretschmer, Jura 2007, 169, 174. 383 Ahlbrecht, in: Ahlbrecht u. a. (Hrsg.), Internationales Strafrecht, Rn. 1490. 384 Esser/Herbold, NJW 2004, 2421. 385 Vgl. Eurojust, Jahresbericht 2021, S. 12. 386 Reziprok dazu bestimmt Art. 50 Abs. 4 Eurojust-VO, dass Eurojust die EUStA an seiner Tätigkeit im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Fällen beteiligen kann. 387 S. EUStA-Eurojust Arbeitsvereinbarung. 388 In grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA (nur) auf dem Gebiet der teilnehmenden Mitgliedstaaten ist die Beteiligung von Eurojust nicht vorgesehen, da hier keine Koordination zwischen nationalen Strafverfolgungsbehörden erforderlich ist, weil schon die Strafverfolgung durch eine europäische Einrichtung betrieben wird, s. Brodowski, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 196, Rn. 49; ders., in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 100, Rn. 15. Nur im Ausnahmefall kann die EUStA das Eurojust in ihren Ermittlungen auf dem Gebiet der teilnehmenden Mitgliedstaaten beteiligen, diese Möglichkeit ist eröffnet, wenn Ermittlungen der EUStA auf dem Gebiet der teilnehmenden Mitgliedstaaten mit anderen, nicht im Zuständigkeitsbereich der EUStA liegenden Ermittlungen koordiniert werden müssten, s. Brodowski, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 100, Rn. 15. Diese Situation kann entstehen, wenn internationale Fälle aus kriminaltaktischen Gründen Simultanermittlungen durch verschiedene ermittlungsführende Stellen auf dem Gebiet von
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
Eurojust kann darauf hinwirken, dass an der EUStA nichtteilnehmende Mitgliedstaaten bestimmte Ermittlungshandlungen durchführen. Die EUStA kann diese Fähigkeit des Eurojust für ihre eigenen grenzüberschreitenden Ermittlungen fruchtbar machen. Im Verhältnis zu den nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten kann die EUStA das Eurojust als Intermediär zwischenschalten – Eurojust ist als Kooperationspartner zur loyalen Zusammenarbeit mit der EUStA verpflichtet. Eurojust soll die Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen der EUStA aktiv unterstützen,389 etwa indem Eurojust der EUStA bei der Koordinierung von grenzüberschreitenden Ermittlungsmaßnahmen assistiert.390 Die nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten sind ihrerseits zur loyalen Zusammenarbeit mit Eurojust verpflichtet und haben an sie gerichtete Ersuchen des Eurojust grundsätzlich zu befolgen. So kann ein betrauter Delegierter Europäischer Staatsanwalt sich mit dem nationalen Mitglied eines an der EUStA nichtteilnehmenden Mitgliedstaates in Verbindung setzen und eine Zusammenarbeit zwischen EUStA und Eurojust beantragen. Dabei könnte das nationale Mitglied von Eurojust darum gebeten werden, ein sog. Ersuchen an die zuständigen Behörden des nichtteilnehmenden Mitgliedstaates zu übermitteln, mit dem z. B. die Durchsuchung von Räumlichkeiten des von grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffenen auf dem Staatsagebiet dieses nichtteilnehmenden Mitgliedstaats begehrt wird. Zudem kann Eurojust zur Unterstützung von grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA auf eine Ermittlungsdurchführung in Drittstaaten, mit denen sie Kooperationsbeziehungen und -vereinbarungen unterhält, hinwirken. Erwägungsgrund (102) S. 3 VO sieht die operative Zusammenarbeit von EUStA, Eurojust und Drittstaaten, die eine Kooperation zu Eurojust unterhalten, explizit vor. Möglichkeiten und Grenzen der Handlungsräume von Eurojust in Drittstaaten werden durch die einzelnen Vereinbarungen der Kooperationspartner bestimmt. 2. Territorialer Aktionsradius der EUStA durch Zusammenarbeit mit Eurojust Eurojust kann die EUStA bei grenzüberschreitenden Ermittlungen mit Bezügen zu nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten unter Rückgriff auf die Eurojust-VO unterstützen.
verschiedenen Staaten erfordern, etwa weil ein Sachverhalt aufgrund verschiedener Kriminalitätsaspekte Hinweise auf Zuständigkeiten der EUStA und Eurojust gleichermaßen anzeigt. 389 Vgl. Erwägungsgrund (69) VO. 390 Vgl. Erwägungsgrund (102) VO.
IV. Zusammenarbeit mit Eurojust
147
Denn die Eurojust-VO gilt unmittelbar in den Mitgliedstaaten der EU, mit Ausnahme von Dänemark.391 Irland hat sich an der Eurojust-VO beteiligt.392 Der Anwendungsbereich der VO dagegen ist auf die teilnehmenden Mitgliedstaaten beschränkt. An der EUStA nichtteilnehmende Staaten sind Dänemark, Irland, Polen, Schweden und Ungarn. Für die an der EUStA nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten – mit Ausnahme von Dänemark393– bleibt Eurojust auch nach Errichtung der EUStA zuständig.394 Für die EUStA schlägt eine Zusammenarbeit mit Eurojust auf dem Gebiet der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten folglich Brücken nach Irland, Polen, Schweden und Ungarn. Da auch die nationalen Mitglieder Eurojusts, die den an der EUStA nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten angehörig sind durch die Regelungen der Eurojust-VO dem Grundsatz der engen Zusammenarbeit mit der EUStA unterworfen sind, entsteht auf unionaler Ebene ein Forum für die strafrechtliche Zusammenarbeit zwischen EUStA und den nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten. Eurojust kann die EUStA bei grenzüberschreitenden Ermittlungen mit Bezügen zu Drittstaaten unter Rückgriff auf ihre Kooperationsbeziehungen bzw. -vereinbarungen mit den Drittstaaten unterstützen. Gem. Art. 50 Abs. 3 Eurojust-VO nutzt Eurojust die Beziehungen, die zu Drittstaaten, einschließlich ihrer Verbindungsrichter, geknüpft wurden, um die enge Zusammenarbeit mit der EUStA zu fördern. Die Arbeitsvereinbarung zwischen EUStA und Eurojust sieht vor, dass die EUStA die Unterstützung von Eurojust in grenzüberschreitenden Fällen mit Drittstaatenbezug anfordern kann.395 Eurojust unterhält Kooperationsbeziehungen zu 55 Staaten.396 Dazu gehören Kooperationsvereinbarungen397 zwischen Eurojust und Albanien, Georgien, Großbritannien, Island, Liechtenstein, Moldau, Montenegro, Nord Mazedonien, Norwegen, Schweiz, Serbien, Ukraine und den USA. Mit Ausnahme von Island, Liechtenstein und Moldau haben die vorgenannten Staaten auch Verbindungsbe-
391 Vgl. Erwägungsgrund (72) Eurojust-VO und Protokoll Nr. 22 über die Position Dänemarks (ABl. C 326/1 v. 26. 10. 2012) zum Vertrag über die Europäische Union und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union. 392 Vgl. Beschluss (EU) 2019/2006 der Kommission vom 29. November 2019 über die Beteiligung Irlands an der Verordnung (EU) 2018/1727 des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Agentur der Europäischen Union für justizielle Zusammenarbeit (Eurojust), ABl. L 310/59 v. 2. 12. 2019 und vgl. Erwägungsgrund (71) Eurojust-VO. 393 Dänemark und Eurojust haben jedoch eine Vereinbarung zur strafjustiziellen Kooperation getroffen, mit der ihre Beziehung festgelegt wurde, das entsprechende Dokument ist abrufbar unter: https://www.eurojust.europa.eu/sites/default/files/InternationalAgreements/Eu rojust-Denmark-2019-10-07_EN.pdf (04. 03. 2023) 394 Vgl. Erwägungsgrund (5) Eurojust-VO. 395 Art. 8 EUStA-Eurojust Arbeitsvereinbarung. 396 S. Darstellung unter: https://www.eurojust.europa.eu/ar2020/5-gateway-55-jurisdictionsworldwide (04. 03. 2023). 397 Vgl. Art. 47 Abs. 1, Art. 52 Abs. 2 Eurojust-VO.
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
amte398 zu Eurojust entsandt.399 In mehr als 50 Drittstaaten stehen bei den zuständigen Behörden Eurojust Kontaktstellen bereit.400 Die Kooperationsvereinbarungen zwischen Eurojust und Drittstaaten zielen im Wesentlichen auf einen gegenseitigen Informations- und Datenaustausch. Die grenzüberschreitende Ermittlungsarbeit der EUStA kann von diesem Informationsund Datenaustausch profitieren, wenn an das Eurojust gelieferte Informationen an die EUStA weiterübermittelt werden. Die Zulässigkeit der Weiterübermittlung von Informationen und Daten an andere Stellen ist regelmäßig Bestimmungsgegenstand der Kooperationsvereinbarungen und durch den Kooperationszweck determiniert.401 Die Information übermittelnde Partei kann in der Regel Verwendungsbeschränkungen für den Informations- und Datenaustausch auferlegen.402 Die Information ersuchende Partei soll der ersuchten Partei den Zweck ihrer Informationsabfrage mitteilen.403 Die Weitergabe der durch eine Partei erlangte Information an eine andere Stelle (sog. „onwards transmission“) wird in den Kooperationsvereinbarungen nicht ausgeschlossen, regelmäßig aber von der Zustimmung der die Information liefernden Partei abhängig gemacht.404 Die Weitergabe von Informationen, die Eurojust von Drittstaaten (und anderen Stellen) erlangt hat, unterliegt darüber hinaus den Vorschriften zur Verarbeitung personenbezogener Daten in der Eurojust-VO (Art. 26 ff. Eurojust-VO).
398
Vgl. Art. 53 Abs. 1 Eurojust-VO. S. Darstellung unter: https://www.eurojust.europa.eu/ar2020/5-gateway-55-jurisdictionsworldwide (04. 03. 2023). 400 S. Darstellung unter: https://www.eurojust.europa.eu/ar2020/5-gateway-55-jurisdictionsworldwide (04. 03. 2023). Zudem ist eine Ausweitung der Kooperationsbeziehungen beabsichtigt. Die Kommission hat im Dezember 2020 eine Empfehlung für einen Beschluss des Rates über die Ermächtigung zur Aufnahme von Verhandlungen über Abkommen zwischen der Europäischen Union und Algerien, Armenien, Bosnien und Herzegowina, Ägypten, Israel, Jordanien, Libanon, Marokko, Tunesien und der Türkei über die Zusammenarbeit mit Eurojust und den für die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen zuständigen Behörden dieser Drittländer abgegeben, vgl. COM (2020) 743 final. 401 Vgl. Art. 10 Nr. 1 Agreement on Cooperation between Eurojust and Switzerland, der lautet: „The Parties may exchange all information that is necessary, relevant and not excessive, for the purpose of and in accordance with this agreement.“ (Herv. durch Verf.). Art. 10 Nr. 1 lit. a) Agreement on Cooperation between Eurojust and the United States of America garantiert den Parteien die Freigabe der ausgetauschten Informationen zur Verwendung zu Strafverfolgungszwecken und Strafverfahrenszwecken. 402 Vgl. exemplarisch Art. 10 Nr. 3 Agreement on Cooperation between Eurojust and Georgia, vgl. Art. 9 Nr. 3 Agreement on Cooperation between Eurojust and the Republic of Serbia, vgl. Art. 9.3 Agreement on Cooperation between Eurojust and Montenegro. 403 Vgl. exemplarisch Art. 10 Nr. 2 Agreement on Cooperation between Eurojust and Georgia, vgl. Art. 10 Nr. 2 Agreement on Cooperation between Eurojust and the Republic of Serbia. 404 Vgl. exemplarisch Art. 18 Agreement on Cooperation between Eurojust and Georgia („Onwards Transfers“) und Art. 17 Agreement on Cooperation between Eurojust and Montenegro. 399
IV. Zusammenarbeit mit Eurojust
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3. Zuständigkeitsüberschneidungen Die EUStA kann Eurojust in seinen grenzüberschreitenden Ermittlungen als Unterstützer akquirieren, wenn sie selbst die Zuständigkeit für den Fall hat.405 Teilweise überschneiden sich die Zuständigkeiten der Behörden. Dann stellt sich die Frage nach dem Zuständigkeitsverhältnis zwischen EUStA und Eurojust, aus dem die Unterstützungsrolle des Eurojust resultieren kann. So sind beide Behörden zuständig für gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtete Straftaten.406 Zudem existiert eine weitere Zuständigkeitsüberschneidung für den Bereich der organisierten Kriminalität. Eurojust ist nach Anhang I der Eurojust-VO ohne weitere Spezifikation für organisierte Kriminalität zuständig.407 Der Bereich der organi-
405
Die sachliche Zuständigkeit der EUStA ist auf die Verfolgung von Straftaten gegen die finanziellen Interessen der Union beschränkt. Die sachliche Zuständigkeit des Eurojust dagegen reicht weiter. Eurojust ist zuständig für die Ermittlung und Verfolgung von in Anhang I der Eurojust-VO aufgezählten Formen schwerer Kriminalität mit grenzüberschreitender Dimension. Formen der schweren Kriminalität sind beispielsweise Terrorismus, Drogenhandel und Geldwäschehandlungen, vgl. Art. 3 Abs. 1 S. 1 Eurojust-VO i. V. m. Anhang I der Eurojust-VO. Sie weisen eine grenzüberschreitende Dimension auf, wenn zwei oder mehr Mitgliedstaaten betroffen sind oder eine Verfolgung auf gemeinsamer Grundlage erforderlich ist. Nach Art. 85 Abs. 1 AEUV wird das Mandat des Eurojust nur ausgelöst, wenn „zwei oder mehr Mitgliedstaaten“ betroffen sind oder eine Verfolgung auf gemeinsamer Grundlage erforderlich ist“. Rein nationale Ermittlungen und Verfolgungen dagegen, sind vom Mandat des Eurojust nicht erfasst. Die grenzüberschreitende Dimension ist prozessual zu ermitteln, auf eine materiell-rechtliche Beurteilung der in Frage stehenden Straftat kommt es nicht an. Damit ist die grenzüberschreitende Dimension einer Straftat bereits dann zu bejahen, wenn ihre Ermittlung und Verfolgung die Zusammenarbeit von zwei oder mehr Mitgliedstaaten mittels Beweis- oder Verfahrenshilfe erfordert. Eine Verfolgung auf gemeinsamer Grundlage ist dann als erforderlich anzusehen, wenn die Verfolgung nur durch koordiniertes Handeln mehrerer Mitgliedstaaten taktisch erfolgsversprechend durchgeführt werden kann, s. zum Ganzen Vogel/Eisele, in: Grabitz u. a. (Hrsg.), Recht der EU, Art. 85, Rn. 10. Die Zuständigkeit von Eurojust kann auch bei anderen als den in Anhang I genannten Arten von Straftaten auf Ersuchen einer zuständigen Behörde eines Mitgliedstaates ausgelöst werden, wenn dies im Einklang mit den Aufgaben von Eurojust steht, s. Art. 3 Abs. 3 Eurojust-VO. Zudem ist Eurojust zuständig für Straftaten, die mit den in Anhang I aufgeführten Straftaten im Zusammenhang stehen (s. Art. 3 Abs. 3 EurojustVO), davon ausgenommen sind aber Straftaten, die mit einer PIF-Straftat unmittelbar verbunden sind, s. Esser, StV 2020, 636, 638. Auf Ersuchen der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaates kann Eurojust auch Ermittlungen und Maßnahmen unterstützen, die allein diesen Mitgliedstaat oder einen Drittstaat betreffen, sofern mit diesem Land ein Abkommen oder eine Zusammenarbeitsvereinbarung getroffen wurde oder im Einzelfall ein wesentliches Interesse an der Unterstützung besteht (s. Art. 3 Abs. 5 Eurojust-VO). Eurojust kann auf Ersuchen eines Mitgliedstaates auch Unterstützungsleistungen vornehmen, die nur diesen Mitgliedstaat berühren, aber Auswirken auf Unionsebene haben (Art. 3 Abs. 6 Eurojust-VO). 406 Vgl. Spiegelstrich 16 der Liste in Anhang I der Eurojust-VO und Art. 22 Abs. 1 S. 1 VO. Gleichwohl geht der Zuständigkeitsbereich des Eurojust weit über den der EUStA hinaus. 407 Vgl. Spiegelstrich 2 der Liste in Anhang I der Eurojust-VO.
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
sierten Kriminalität wird durch den Rahmenbeschluss 2008/841/JI408 konkretisiert.409 Gem. Art. 22 Abs. 2 VO ist die EUStA auch zuständig für Straftaten bezüglich der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung i. S. d. Rahmenbeschlusses 2008/841/JI,410 wenn der Schwerpunkt der strafbaren Aktivitäten der kriminellen Vereinigung auf der Begehung von Straftaten gegen die finanziellen Interessen der Union liegt. Weitere Zuständigkeitsüberschneidungen können sich unter Art. 22 Abs. 3 VO ergeben, nach dem die EUStA für alle Straftaten sachlich zuständig ist, die untrennbar mit Straftaten gegen die finanziellen Interessen der Union i. S. d. Art. 22 Abs. 1 VO verbunden sind. Diese Straftaten können potenziell auch den in Anhang I der Eurojust-VO gelisteten Kriminalitätsbereichen entsprechen. Im Falle von Überschneidungen der Zuständigkeitsbereiche von Eurojust und EUStA statuiert die Eurojust-VO grundsätzlich einen Vorrang für die Zuständigkeitsausübung und Aufgabenwahrnehmung der EUStA.411 Gem. Art. 3 Abs. 1 S. 2 Eurojust-VO übt Eurojust seine Zuständigkeit nicht in Bezug auf Straftaten aus, für die die EUStA ihre Zuständigkeit ausübt. Eine Fallübernahme durch die EUStA begründet damit regelmäßig eine Sperre für die Zuständigkeitsausübung von Eurojust.412 Ausnahmsweise übt Eurojust gem. Art. 3 Abs. 2 und Erwägungsgrund (8) S. 4 Eurojust-VO seine Zuständigkeit aus in Fällen, in denen zwar teilnehmende Mitgliedstaaten beteiligt sind, für die die EUStA aber nicht zuständig ist (z. B. weil der Gesamtschaden bei einem Mehrwertsteuerbetrug einen Gesamtschaden von 10 Mio. Euro nicht erreicht, vgl. Art. 22 Abs. 1 S. 2 VO) oder entscheidet, ihre Zuständigkeit nicht auszuüben (z. B. im Falle des Art. 25 Abs. 3 VO). Zudem kann Eurojust seine Zuständigkeit gem. Art. 3 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 EurojustVO ausüben, wenn es sich um Fälle handelt, an denen an der EUStA nichtteilnehmende Mitgliedstaaten beteiligt sind und soweit diese oder die EUStA einen Antrag auf Zuständigkeitsausübung von Eurojust stellen.413 Auf eigene Initiative kann Eurojust in diesen Fällen – entgegen der Grundregel für die Zuständigkeitsausübung nach Art. 2 Abs. 3 Eurojust-VO – nicht tätig werden, da Art. 3 Abs. 1 S. 2 EurojustVO systematisch als lex specialis im Verhältnis zu Art. 2 Abs. 3 Eurojust-VO zu betrachten ist.
408
ABl. L 300/42 v. 11. 11. 2008. Suhr, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 83, Rn. 11. 410 ABl. L 300/42 v. 11. 11. 2008. 411 Esser, StV 2020, 636, 637. 412 Brodowski, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 100, Rn. 9; Esser, StV 2020, 636, 637. 413 Esser, StV 2020, 636, 637. 409
IV. Zusammenarbeit mit Eurojust
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Für Sachverhalte auf dem Gebiet von Drittstaaten, für die die EUStA ihre Zuständigkeit ausgeübt hat, kann Eurojust gem. Art. 2 Abs. 3 Eurojust-VO auf Ersuchen der EUStA zuständig werden.414 4. Befugnisse und Unterstützungsleistungen des Eurojust in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Das Eurojust kann grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA nur im Rahmen seines Mandats und seiner Kompetenzen unterstützen. Hierbei ist zu beachten, dass Eurojust, anders als die EUStA, keine Strafverfolgungsbehörde ist und mangels Ermächtigung selbst keine Ermittlungs- und förmlichen Prozesshandlungen (wie beispielsweise eine Durchsuchungsanordnung) in den Mitgliedstaaten der Union vornehmen kann.415 Zwar bestimmt Art. 85 Abs. 1 UAbs. 2 lit. a) AEUV, dass auch die Einleitung von strafrechtlichen Ermittlungsmaßnahmen sowie Vorschläge zur Einleitung von strafrechtlichen Verfolgungsmaßnahmen, insbesondere bei Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union, zu den Aufgaben des Eurojust gehören kann. Entsprechende Handlungen können im Rahmen der Tätigkeit des Eurojust aber nur die zuständigen nationalen Behörden der Mitgliedstaaten durchführen.416 Das Eurojust selbst kann keine eigenen Ermittlungen und Verfolgungen durchführen.417 Es ist bei seiner Aufgabenwahrnehmung damit auf die Durchführungshandlungen der zuständigen nationalen Behörden angewiesen. a) Ersuchen an die zuständigen nationalen Behörden Gleichwohl kann Eurojust auf die Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen und Prozesshandlungen durch die zuständigen nationalen Behörden der Mitgliedstaaten hinwirken.418 Zentrales Handlungsinstrument dafür sind Ersuchen des Eurojust. Das geltende Sekundärrecht sieht mit Art. 4 Abs. 2 lit. a) Eurojust-VO vor, dass Eurojust die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten mit einer Begründung darum ersuchen kann, zu bestimmten Tatbeständen Ermittlungen zu führen oder Strafverfolgungsmaßnahmen einzuleiten. Die zuständigen Behörden des Mitgliedstaates können ein solches Ersuchen des Eurojust gem. Art. 4 Abs. 6 S. 1 Eurojust-VO nur ablehnen, wenn es wesentliche nationale Sicherheitsinteressen beeinträchtigen, den Erfolg einer laufenden Ermittlung oder die Sicherheit einer Person gefährden würde. Die Mitgliedstaaten müssen die Ablehnung eines Ersuchens des Eurojust unverzüglich 414
Vgl. Brodowski, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 100, Rn. 9. Vgl. Art. 85 Abs. 2 AEUV und Böse, in: Schwarze u. a. (Hrsg.), EU Kommentar, Art. 85 AEUV, Rn. 4, 12; Suhr, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 85, Rn. 15; Vogel/Eisele, in: Grabitz u. a. (Hrsg.), Recht der EU, Art. 85 AEUV, Rn. 11, 20 f. 416 Böse, in: Schwarze u. a. (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 85 AEUV, Rn. 12. 417 Vogel/Eisele, in: Grabitz u. a. (Hrsg.), Recht der EU, Art. 85 AEUV, Rn. 11. 418 Vgl. Vogel/Eisele, in: Grabitz u. a. (Hrsg.), Recht der EU, Art. 85 AEUV, Rn. 20. 415
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
begründen.419 Die Entscheidung, ein Ersuchen des Eurojust abzulehnen, ist gesetzessystematisch betrachtet der rechtfertigungsbedürftige Ausnahmefall.420 Damit werden die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten grundsätzlich dazu verpflichtet, Ersuchen des Eurojust zu befolgen.421 In Mitgliedstaaten, deren Strafverfolgungssysteme dem Legalitätsprinzip folgen, wird ein Ersuchen von Eurojust regelmäßig den Anfangsverdacht einer Straftat auslösen, der die zuständige nationale Behörde nach Maßgabe des nationalen Rechts zur Aufnahme von Ermittlungen zwingt.422 Ob Ersuchen des Eurojust auch konkrete Anweisungen zur Durchführung von Einzelmaßnahmen (etwa einer Durchsuchung) in einem durch die zuständigen nationalen Behörden geführten Ermittlungsverfahren enthalten dürfen, ist im Einzelfall unter Betrachtung des primärrechtlichen Mandats von Eurojust zu entscheiden. Art. 85 Abs. 1 UAbs. 2 lit. a) Alt. 1 AEUV benennt zwar die „Einleitung von strafrechtlichen Ermittlungsmaßnahmen“ als Aufgabe von Eurojust, die Norm deckt aber nur eine durch Eurojust an die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten gerichtete abstrakt-generelle Anweisung zur Einleitung von strafrechtlichen Ermittlungen nach Maßgabe des nationalen Rechts ab.423 Nach Art. 85 Abs. 1 UAbs. 2 lit. a) Alt. 2 AEUV kann Eurojust zwar „Vorschläge zur Einleitung von strafrechtlichen Verfolgungsmaßnahmen“ unterbreiten – unter Verfolgungsmaßnahmen ist in der Terminologie des Unionsrechts aber die rechtliche Würdigung durchgeführter Ermittlungen und die Entscheidung über den Fortgang des Verfahrens (Einstellung, Anklage etc.) zu verstehen,424 Einzelmaßnahmen dagegen fallen nicht darunter. Gleichwohl dürfte ein Ersuchen im Einzelfall ausnahmsweise auch mit der An-
419
Art. 4 Abs. 6 S. 1 Eurojust-VO. Zöller/Bock, in: Böse (Hrsg.), EnzEuR Bd. 11, § 21, Rn. 21. 421 Esser, StV 2020, 636, 638; Zöller/Bock, in: Böse (Hrsg.), EnzEuR Bd. 11, § 21, Rn. 21. A. A. Böse, in: Schwarze u. a. (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 85, Rn. 5, nach dem Ersuchen des Eurojust zwar nicht verbindlich seien, aber das Begründungserfordernis für die Ablehnung eines Ersuchens jedenfalls einen faktischen Befolgungsdruck für die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten erzeugt. 422 Zöller/Bock, in: Böse (Hrsg.), EnzEuR Bd. 11, § 21, Rn. 21, wonach das Ersuchen des Eurojust die Kenntniserlangung von dem Verdacht einer Straftat „auf anderem Wege“ i. S. d. § 160 Abs. 1 StPO begründet. Gilt im ersuchten Mitgliedstaat allerdings das Opportunitätsprinzip oder sind die Voraussetzungen für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nicht gegeben, so könnte ein Ersuchen des Eurojust das nationale Recht in einer Weise überspielen, die nach Vogel/Eisele, in: Grabitz u. a. (Hrsg.), Recht der EU, Art. 85 AEUV, Rn. 20 nicht im Einklang mit dem in Art. 67 Abs. 1 AEUV verankerten Gebot der Achtung der verschiedenen Rechtsordnungen und -traditionen der Mitgliedstaaten stünde. 423 Vogel/Eisele, in: Grabitz u. a. (Hrsg.), Recht der EU, Art. 85 AEUV, Rn. 20; Wasmeier/ Maschl-Clausen, in: von der Groeben u. a. (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 85 AEUV, Rn. 72. 424 Böse, in: Schwarze u. a. (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 85, Rn. 4; Vogel/Eisele, in: Grabitz u. a. (Hrsg.), Recht der EU, Art. 85 AEUV, Rn. 8, 21. 420
IV. Zusammenarbeit mit Eurojust
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weisung zur Durchführung von bestimmten Einzelmaßnamen verbunden werden.425 Eine solche Anweisung muss sich im Rahmen des in Art. 85 Abs. 1 AEUV Mandats von Eurojust, die Koordinierung und Zusammenarbeit zwischen den nationalen Behörden bei der Bekämpfung schwerer, grenzüberschreitender Kriminalität zu unterstützen und zu verstärken, bewegen. Gleichzeitig sind die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten durch den in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit dazu verpflichtet dafür zu sorgen, dass Eurojust die ihm übertragenen Aufgaben wirksam erfüllen kann.426 Diese Pflicht ist bedeutend, da Eurojust selbst nicht zur Durchführung von Ermittlungen befugt ist und sich auf die Verfolgungshandlungen durch die Mitgliedstaaten stützen muss.427 In der Praxis dürfte sich ein Ersuchen des Eurojust, das eine Anweisung zur Durchführung einer Einzelmaßnahme enthält, für die ersuchte nationale Behörde ohnehin regelmäßig als rechtlich zulässig, zweckmäßig und für den Ermittlungserfolg zielführend darstellen. Denn Ersuchen des Eurojust werden gem. Art. 5 Abs. 1 und Abs. 2 Eurojust-VO durch die betroffenen nationalen Mitglieder des Eurojust (ggf. in der Formation des Kollegiums, vgl. Art. 10 Eurojust-VO) aufgesetzt.428 Die nationalen Mitglieder des Eurojust sind beispielsweise Staatsanwälte oder Richter eines Mitgliedstaates und mit den Befugnissen aus der Rechtsordnung ihres Mitgliedstaates ausgestattet.429 Das nationale Mitglied des Eurojust kann sich daher in die Rolle des Ermittlungsführers im Mitgliedstaat versetzen. Ein Ersuchen an die zuständige Behörde seines Mitgliedstaates wird ein nationales Mitglied daher nur mit einer solchen Einzelmaßnahme versehen, die er unter der nationalen Rechtsordnung auch für zulässig hält. Daraus folgt, dass die in einem Ersuchen enthaltene Einzelmaßnahme sich regelmäßig mit der von der nationalen zuständigen Behörde in 425 Vgl. Vogel/Eisele, in: Grabitz u. a. (Hrsg.), Recht der EU, Art. 85 AEUV, Rn. 20, nach denen eine solche Anweisung nur ausnahmsweise für „bestimmte, unverzichtbare Einzelmaßnahmen (z. B. Durchsuchungen, Telekommunikationsüberwachungen u. dgl.)“ erfolgen könne. Dagegen schließen Wasmeier/Maschl-Clausen, in: von der Groeben u. a. (Hrsg.), Europäischen Unionsrecht, Art. 85 AEUV, Rn. 73 eine Befugnis von Eurojust, die nationalen Behörden zu bestimmten Maßnahmen im Ermittlungsverfahren anzuweisen, unter Verweis auf die Ermittlungshoheit der nationalen Behörden gänzlich aus. Vgl. dazu auch Dannecker, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 85. Rn. 14, der eine direkte Weisungsbefugnis von Eurojust gegenüber den nationalen Behörden nach der sekundärrechtlichen Ausgestaltung des Eurojust zwar ablehnt, aber die Idee aufwirft, dass die Bediensteten der nationalen Behörden als weisungsgebundene Vertreter des Eurojust fungieren könnten, wobei Eurojust nach dem nationalen Recht keine eigenen Befugnisse zustehen. 426 Vogel/Eisele, in: Grabitz u. a. (Hrsg.), Recht der EU, Art. 85 AEUV, Rn. 12. 427 Vgl. Vogel/Eisele, in: Grabitz u. a. (Hrsg.), Recht der EU, Art. 85 AEUV, Rn. 12. 428 In der Praxis wird die Tätigkeit des Eurojust fast ausschließlich über die nationalen Mitglieder der jeweils betroffenen Mitgliedstaaten, überwiegend auf informeller Ebene, vollzogen, s. Wasmeier/Maschl-Clausen, in: von der Groeben u. a. (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 85 AEUV, Rn. 22. 429 Art. 7 Abs. 4 Eurojust-VO. Gleichwohl verpflichtet die Eurojust-VO die Mitgliedstaaten dazu, die nationalen Mitglieder mindestens mit den in der Eurojust-VO bestimmten Befugnissen auszustatten.
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
Betracht gezogenen Einzelmaßnahme decken dürfte. Dies wäre z. B. der Fall, wenn die begründete Annahme besteht, dass sich in den Wohnräumen eines Beschuldigten Beweismittel (wie Scheinrechnungen und Scheinbücher bei einem mutmaßlichen Umsatzsteuerkarussell), auffinden lassen werden. Hier könnte das Eurojust mit seinem Ersuchen auf eine Durchsuchung der Wohnräume hinwirken, die sich aus Sicht der nationalen zuständigen Behörde ebenfalls als zulässig, zielführend und alternativlos darstellen könnte. Zudem strebt das Eurojust in der Praxis überwiegend einvernehmliche Lösungen in der Kooperation mit den nationalen zuständigen Behörden an,430 so dass ein Ersuchen des Eurojust um eine Einzelmaßnahme durch die nationale zuständige Behörde jedenfalls ernsthaft berücksichtigt werden dürfte. b) Erledigung von Rechtshilfeersuchen Gem. Art. 100 Abs. 2 lit. b) VO kann die EUStA im Zusammenhang mit ihren grenzüberschreitenden Fällen Eurojust darum ersuchen, sie bei der Übermittlung ihrer Entscheidungen und Rechtshilfeersuchen an nichtteilnehmende Mitgliedstaaten und Drittstaaten zu unterstützen. Mit Zustimmung der zuständigen nationalen Behörden können die nationalen Mitglieder des Eurojust Rechtshilfeersuchen oder Entscheidungen betreffend die gegenseitige Anerkennung (nicht nur unterstützen, sondern) auch selbst ausstellen oder erledigen und Ermittlungsmaßnahmen, die in der RL-EEA vorgesehen sind, anordnen, darum ersuchen oder erledigen431 und damit letztlich als potentielle Anordnungs- oder Vollstreckungsbehörde einer EEA fungieren.432 Sofern nichtteilnehmende Mitgliedstaaten ihre nationalen Mitglieder mit dieser Befugnis ausstatten, erhielte die EUStA mit dem nationalen Mitglied des nichtteilnehmenden Mitgliedstaates einen direkten Ansprechpartner für die Übermittlung und Durchführung ihrer auf die RL-EEA gestützten Maßnahmen. c) Koordinierung Gemeinsamer Ermittlungsgruppen (GEG) Eurojust kann die EUStA bei grenzüberschreitenden Ermittlungen auch unterstützen, indem es die in Art. 4 Abs. 2 lit. d) Eurojust-VO vorgesehene Bildung Gemeinsamer Ermittlungsgruppen (sog. GEG) unter Beteiligung der EUStA in Person des Delegierten Europäischen Staatsanwalts koordiniert.433
430 Wasmeier/Maschl-Clausen, in: von der Groeben u. a. (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 85 AEUV, Rn. 22. 431 Art. 8 Abs. 3 lit. a) und lit. b) Eurojust-VO. 432 Esser, StV 2020, 636, 639. 433 Brodowski, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 197, Rn. 53; ders., in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 100, Rn. 19; Meyer, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 65, Rn. 65.
IV. Zusammenarbeit mit Eurojust
155
GEG sind ein Instrument zur bi- oder multilateralen justiziellen Rechtshilfe in strafrechtlichen Angelegenheiten.434 Eine GEG kommt durch eine Kooperationsvereinbarung zwischen zwei oder mehreren Staaten oder EU-Institutionen zustande, in der sich die Beteiligten die unmittelbare Erhebung und den Austausch von Informationen und Beweismitteln ermöglichen um den zeit- und ressourcenintensiven Weg der herkömmlichen Rechtshilfe zu vermeiden.435 Personell setzt sich eine GEG aus Richtern, Staatsanwälten und Strafverfolgungsbeamten zusammen, die bei länderübergreifenden Ermittlungen für einen gewissen Zeitraum zusammenarbeiten. Bei der Bildung einer GEG kann Eurojust die Rolle einer Koordinatorin und Unterstützerin einnehmen. Im Einzelnen kann Eurojust prüfen, ob sich der Einsatz einer GEG für die Ermittlung eines Sachverhalts eignet und seine Hilfe bei der Abfassung von entsprechenden Vereinbarungen anbieten. Es kann Ermittlungs- und Strafverfolgungsstrategien koordinieren und finanzielle sowie logistische Unterstützung leisten, die im Rahmen von Reisen der GEG oder etwa für Dolmetschleistungen, die Übersendung von Beweismitteln und den Verleih von Ermittlungsausrüstung erforderlich wird.436 d) Informationsaustausch und wechselseitiger Zugriff auf Fallbearbeitungssysteme Die grenzüberschreitende Ermittlungsarbeit der EUStA kann zudem von einem Informationsaustausch mit Eurojust profitieren. Gem. Art. 100 Abs. 2 lit. a) VO kann die EUStA ermittlungsbezogene Informationen, einschließlich personenbezogener Daten zu ihren Ermittlungen, im Einklang mit den einschlägigen Bestimmungen der VO an Eurojust weitergeben. Reziprok zu Art. 100 Abs. 2 lit. a) VO bestimmt Art. 50 Abs. 4 lit. a) Eurojust-VO, dass Eurojust die EUStA an seiner Tätigkeit im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Fällen auch durch die Weitergabe von Informationen zu seinen Fällen, einschließlich personenbezogener Daten, beteiligen kann. Die Weitergabe von operativen Informationen gem. Art. 100 Abs. 2 lit. a) VO durch die EUStA an das Eurojust erfolgt, indem der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt das vom Fall betroffene nationale Mitglied Eurojusts und das nationale Mitglied seines eigenen Mitgliedstaates kontaktiert.437 Eine andere Möglichkeit ist, dass der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt sich an eine benannte Kontaktstelle438 bei Eurojust 434
Riegel, Kripo 2008, 80, 80. JITs Network, Gemeinsame Ermittlungsgruppen Leitfaden, S. 4. 436 Eurojust Factsheet 2020, S. 6. 437 Espina Ramos, in: Bachmaier-Winter (Hrsg.), EPPO Challenges Ahead, S. 94 mit Verweis auf Erwägungsgrund (102) S. 3 VO, der den Umstand, dass der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt stets auch das nationale Mitglied seines Mitgliedstaates in die Informationskette einbinden muss, als ein unnötiges Hindernis für die EUStA Ermittlungsarbeit sieht. 438 Vgl. Erwägungsgrund (26) Eurojust-VO. 435
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
wendet.439 Die Informationsweitergabe durch die EUStA gem. Art. 100 Abs. 1 lit. a) VO ist im Zusammenhang mit den in Kapitel VIII, Art. 47 ff. VO statuierten speziellen Vorschriften zum Datenschutz zu lesen.440 Zudem erlaubt die Generalklausel441 Art. 99 VO der EUStA zur Erfüllung ihrer Aufgaben den direkten Informationsaustausch mit all ihren Partnern, also auch Eurojust, den Behörden der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten (und auch den Behörden von Drittländern sowie mit internationalen Organisationen).442 Davon erfasst ist der Austausch von strategischen und analytischen Informationen.443 Die EUStA und Eurojust gewähren sich zudem gegenseitigen, mittelbaren Zugriff auf ihre Fallbearbeitungssysteme gem. Art. 100 Abs. 3 VO bzw. Art. 50 Abs. 5 Eurojust-VO.444 Die EUStA kann dazu Suchbegriffe im Fallbearbeitungssystem von Eurojust eingeben. Decken sich die Suchbegriffe mit den im Fallbearbeitungssystem der EUStA hinterlegten Informationen, so wird das Vorliegen eines Treffers angezeigt (sog. Treffer/kein-Treffer Verfahren). Um die hinter dem Treffer stehende Information zu erhalten, muss die EUStA ein Ersuchen an Eurojust um Übermittlung der Information richten, die Rechtsgrundlage dafür bildet Art. 100 Abs. 2 lit. a) VO.445 Die Übermittlung von Informationen der EUStA aus dem Fallbearbeitungssystem der EUStA an Eurojust erfolgt nach Maßgabe der Datenschutzbestimmungen in Art. 47 ff. VO. In Art. 54 VO finden sich die spezifischen Grundsätze für die Informationsübermittlung von operativen personenbezogenen Daten an Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Union und damit auch an Eurojust. Die Informationsübermittlung von Eurojust an die EUStA erfolgt nach Maßgabe des Art. 50 Abs. 2 und Art. 50 Abs. 4 lit. a) Eurojust-VO und den in Kapitel IV Eurojust-VO festgelegten Grundsätzen zur Informationsverarbeitung. 5. Bewertung und Fazit Die Beteiligung von Eurojust an grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA wird zuvörderst auf dem Gebiet der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten eine große 439
Art. 10 EUStA-Eurojust Arbeitsvereinbarung, vgl. Erwägungsgrund (102) VO. Brodowski, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 100, Rn. 16. 441 Brodowski, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 184, Rn. 7. 442 Reziprok dazu bestimmt Art. 8 Abs. 1 lit. b) Eurojust-VO die Befugnis der nationalen Mitglieder Eurojusts, die EUStA unmittelbar zu kontaktieren und Informationen mit ihr auszutauschen. 443 Brodowski, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 185, Rn. 10; ders., in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, S. 582, Rn. 9. 444 S. für eine ausführliche Darstellung der Funktionsweise des EUStA-Fallbearbeitungssystems unter A., S. 54 ff. dieser Arbeit. 445 Vgl. Brodowski, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 192, Rn. 35; ders., in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 100, Rn. 25. 440
IV. Zusammenarbeit mit Eurojust
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Rolle spielen.446 Ein offensichtlicher Grund dafür ist, dass sich der Geltungsbereich der VO auf die teilnehmenden Mitgliedstaaten beschränkt und die EUStA keine Befugnis hat, eigene Ermittlungen auf dem Gebiet der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten durchzuführen. Weisen Fälle Bezüge zu nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten auf, kann die EUStA ihre partnerschaftliche Beziehung zu Eurojust fruchtbar machen und die Wirkbereiche Eurojusts in ihre eigene grenzüberschreitende Ermittlungsarbeit einbinden. Die EUStA kann Eurojust um jede Unterstützungshandlung bitten, die sich auf den Zuständigkeitsbereich von Eurojust bezieht, sich mit den Aufgaben und Kompetenzen von Eurojust deckt und im Einklang mit der VO und Eurojust-VO steht. Die Beteiligung von Eurojust in der grenzüberschreitenden Fallarbeit der EUStA ist in der VO nicht abschließend und erschöpfend festgelegt.447 Die EUStA kann Eurojust darum ersuchen, dass Eurojust die zuständigen Behörden der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten um die Einleitung von Ermittlungen und Strafverfolgungsbehörden ersucht (Art. 4 Abs. 2 lit. a) Eurojust-VO), dass Eurojust auf die Ermittlungsführung einer bestimmten nationalen Behörde hinwirkt (Art. 4 Abs. 2 lit. b) Eurojust-VO) oder eine Koordinierung zwischen den zuständigen Behörden der betroffenen Mitgliedstaaten vornimmt (Art. 4 Abs. 2 lit. c) VO), dass Eurojust die Mitgliedstaaten um den Einsatz von gemeinsamen Ermittlungsteams (Art. 4 Abs. 2 lit. d) Eurojust-VO) oder um die Zurverfügungstellung von Informationen für seine Aufgabenwahrnehmung ersucht (Art. 4 Abs. 2 lit. e) VO). Beantragt die EUStA eine Zusammenarbeit mit Eurojust, so hat Eurojust dem Antrag zu entsprechen. Unterstützungsersuchen der EUStA an Eurojust sind gem. Art. 50 Abs. 2 Eurojust-VO von Eurojust so zu behandeln, als wären sie von einer für die justizielle Zusammenarbeit zuständigen nationalen Behörde gestellt worden und unverzüglich zu bearbeiten. Aus der Gleichstellung von Unterstützungsersuchen der EUStA an Eurojust mit Ersuchen von nationalen Behörden an Eurojust resultiert für Eurojust die Pflicht, den Unterstützungsersuchen auch nachzukommen.448 Richtet sodann Eurojust auf ein Unterstützungsersuchen der EUStA ein (eigenes) Ersuchen an die nationale Behörde eines Mitgliedstaates, so wird diese das Ersuchen von Eurojust gem. Art. 4 Abs. 6 S. 1 Eurojust-VO unverzüglich beantworten und hat es grundsätzlich zu befolgen.449 446 Vgl. Brodowski, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 100, Rn. 2; Espina Ramos, in: Bachmaier-Winter (Hrsg.), EPPO Challenges Ahead, S. 89, 94; Gleß/Wahl, in: SLGH, Internationale Rechtshilfe, Hauptteil III, Abschn. D. III D. 5, Einführung, Rn. 43; Sˇ krlec, eucrim 2019, 188, 193; Spiezia, eucrim 2018, 130, 134; Zöller/Bock, in: Böse (Hrsg.) EnzEuR Bd. 11, § 22, Rn. 44. 447 Vgl. Art. 100 Abs. 2 VO, wörtlich: „In operativen Fragen kann die EUStA Eurojust an ihrer Tätigkeit im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Fällen beteiligen, unter anderem in dem sie […]“ (Herv. durch die Verf). 448 Brodowski, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 100, Rn. 12 m. w. N. 449 Esser, StV 2020, 636, 637.
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
Eurojust kann Ermittlungen oder Maßnahmen zwar nicht selber durchführen. Durch Ersuchen an die Mitgliedstaaten aber, die grundsätzlich zu befolgen sind, kann Eurojust faktisch mitgliedstaatliche Ermittlungen auslösen und richtungsweisende Impulse für das nationale Strafverfahren geben. Wenn Eurojust Ersuchen im Auftrag der EUStA an nichtteilnehmende Mitgliedstaaten übermittelt, findet die Ermittlungstaktik der EUStA damit Einschlag in das Strafverfahren der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten und bewirkt einen Dominoeffekt.
V. Zusammenarbeit mit OLAF Die EUStA kann ihre grenzüberschreitenden Ermittlungen auch durch die Unterstützung von OLAF intensivieren. Das OLAF ist nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit dazu verpflichtet, die Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen der EUStA aktiv zu unterstützen und mit ihr zusammenzuarbeiten.450 Den rechtlichen Rahmen für die Tätigkeit des OLAF bildet die im Zuge der Errichtung der EUStA in Kraft getretene Verordnung (EU, Euratom) 2020/2223 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Dezember 2020 zur Änderung der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 883/2013451 im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit der Europäischen Staatsanwaltschaft und die Wirksamkeit der Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung.452 Sie hat die Verordnung (EU, Euratom) Nr. 883/2013 angepasst. Zudem enthält die Verordnung (EG, Euratom) 2185/ 96453 zusätzliche allgemeine Bestimmungen für die Kontrollen und Vor-Ort-Kontrollen des OLAF. Auf Grundlage von Art. 99 Abs. 3 VO und Art. 12g Abs. 1 OLAFÄnderungs-VO haben das OLAF und die EUStA eine Arbeitsvereinbarung geschlossen, in der die technischen Modalitäten der zwischenbehördlichen Zusammenarbeit festgelegt wurden.454 Art. 101 Abs. 3 VO sieht vor, dass das OLAF auf Ersuchen der EUStA insbesondere fallrelevante Informationen zur Verfügung stellt, die Ermittlungen der EUStA operativ unterstützt und ihre Maßnahmen mit nationalen Verwaltungsbehörden bzw. Unionseinrichtungen koordiniert sowie verwaltungsrechtliche Untersuchungen durchführt. Gem. Art. 100 Abs. 3 lit. a) VO kann das OLAF die EUStA im Verlauf einer von ihr durchgeführten Ermittlung unterstützen, indem es der EUStA Informationen, (auch forensische) Analysen, Fachwissen und operative 450
Vgl. Erwägungsgrund (69) S. 2 VO, Art. 4 Abs. 3 EUV. ABl. L 248/1 v. 19. 09. 2013 (nachfolgend: OLAF-VO). 452 ABl. L 437/49 v. 28. 12. 2020 (nachfolgend: OLAF Änderungs-VO). 453 ABl. L 292/2 v. 15. 11. 1996. 454 Working Arrangement between the European Anti-Fraud Office („OLAF“ and the European Public Prosecutor’s Office („EPPO“), abrufbar unter: https://www.eppo.europa.eu/ sites/default/files/2021-07/Working_arrangement_EPPO_OLAF.pdf (04. 03. 2023) (nachfolgend: EUStA-OLAF Arbeitsvereinbarung). 451
V. Zusammenarbeit mit OLAF
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Unterstützung bereitstellt. Die EUStA kann das OLAF gem. Art. 101 Abs. 3 lit. b) VO auch um die Erleichterung der Koordinierung konkreter Maßnahmen der zuständigen nationalen Verwaltungsbehörden und Einrichtungen der Union ersuchen. Zudem kann das OLAF die EUStA gem. Art. 101 Abs. 3 lit. c) VO durch verwaltungsrechtliche Untersuchungen unterstützen. Art. 12e OLAF Änderungs-VO bestimmt reziprok zu Art. 101 Abs. 3 VO die Pflicht des OLAF, die EUStA auf ihr Ersuchen mit den vorgenannten Maßnahmen zu unterstützen. 1. Erweiterung der grenzüberschreitenden Handlungsräume der EUStA durch Zusammenarbeit mit OLAF Für die EUStA ist eine Zusammenarbeit mit OLAF in grenzüberschreitenden Fällen gewinnbringend, da sie ihr einerseits Ermittlungsmöglichkeiten auf dem Gebiet der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten und Drittstaaten eröffnet. Die EUStA hat in nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten und Drittstaaten mangels Anwendbarkeit der VO keine eigenen Ermittlungsbefugnisse und müsste für die Durchführung von Maßnahmen auf Instrumente der gegenseitigen Anerkennung oder Rechtshilfe zurückgreifen. Sie kann aber auch das OLAF als Intermediär einschalten und um die Durchführung von Verwaltungsuntersuchungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Union bei einem Beschuldigten, der als Subventionsempfänger aus dem EU-Haushalt ein Wirtschaftsteilnehmer i. S. d. OLAF-VO ist, ersuchen und dadurch beispielsweise Vor-Ort-Kontrollen des OLAF (die Überprüfung von Belegen, Bankkontoauszügen oder Buchungsbelegen455) auslösen. Das OLAF wird einem Ersuchen nachkommen, da es zur loyalen Zusammenarbeit mit der EUStA verpflichtet ist.456 Der von OLAF kontrollierte Wirtschaftsteilnehmer ist seinerseits dazu verpflichtet, mit dem OLAF bei dessen Untersuchungen zusammenzuarbeiten.457 Das OLAF hat zwar keine Zwangsbefugnisse. Für den Fall, dass sich ein Wirtschaftsteilnehmer einer Untersuchung des OLAF widersetzt, kann das OLAF aber die zuständigen Behörden des Mitgliedstaates des betroffenen Wirtschaftsteilnehmers einschalten. Diese sind dazu verpflichtet, den OLAF-Bediensteten bei ihren Untersuchungen ohne unangemessene Verzögerung die notwendige Unterstützung zu leisten, ggf. auch durch Einschaltung der mitgliedstaatlichen Strafverfolgungsbehörde, damit das OLAF seine Aufgaben wirksam durchführen kann.458 Bei grenzüberschreitenden Ermittlungen auf dem Gebiet (nur) der teilnehmenden Mitgliedstaaten kann das OLAF der EUStA andererseits Expertenwissen zum 455
Vgl. Art. 7 Abs. 1 VO 2185/96. Vgl. Erwägungsgrund (69) S. 2 VO, Art. 4 Abs. 3 EUV. 457 Vgl. Art. 3 Abs. 3 OLAF Änderungs-VO. 458 Vgl. Art. 3 Abs. 5 UAbs. 1, Art. 3 Abs. 6 UAbs. 1 OLAF Änderungs-VO. 456
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
Sachgebiet der EU-Haushaltsinteressen zur Verfügung stellen. Die EUStA kann OLAF-Bedienstete als Sachverständige, sachverständige Zeugen,459 als Berater oder in einer anderen, nach dem anwendbaren nationalen Recht zulässigen Beteiligungsrolle in ihre Ermittlungstätigkeiten einbeziehen.460 In Betracht kommt beispielsweise, dass OLAF-Bedienstete an einer durch die EUStA angeordneten Durchsuchung teilnehmen oder die EUStA bei der Auswertung von beschlagnahmten Unterlagen unterstützen.461 Der Mehrwert einer Zusammenarbeit mit dem OLAF liegt für die EUStA insbesondere darin, dass das OLAF über eine praktisch erprobte Expertise im Bereich des Schutzes der finanziellen Haushaltsinteressen der Union verfügt. Beide Behörden haben ein Mandat zur Bekämpfung von gegen den EU-Haushalt gerichteten Straftaten. Die durch das OLAF praktisch erprobten Untersuchungen und erarbeiteten (forensischen) Analysen für diesen Kriminalitätsbereich kann die EUStA bei der Erarbeitung ihrer Ermittlungsstrategie fruchtbar machen.462 Zu beachten ist zudem, dass die Untersuchungstätigkeit des OLAF durch ihre eigenen Bediensteten durchgeführt wird. OLAF-Bedienstete fungieren als europäische Ermittlungspersonen und führen ihre Untersuchungen auf dem Boden des Unionsrechts aus. Anders als die Delegierten Europäischen Staatsanwälte leiten sie keine Befugnisse aus den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen ab, sie sind nicht mit den gleichen Befugnissen ausgestattet, wie nationale Ermittlungspersonen. Sie haben keine Zwangsbefugnisse. Leistet ein kontrollierter Wirtschaftsteilnehmer Widerstand, kann eine OLAF-Untersuchung nur durch Einschaltung der zuständigen nationalen Behörden durchgeführt werden. OLAF-Bedienstete können ihre Untersuchungen daher autark faktisch nur bei kooperationswilligen Wirtschaftsteilnehmern durchführen. Dies bedeutet aber auch, dass OLAF-Bedienstete bei kooperationswilligen Wirtschaftsteilnehmern ohne die Beteiligung nationaler Behörden bei einer Vor-Ort-Kontrolle etwa Bankkontoauszüge und Rechnungen kopieren und Auskünfte zu Investitionsvorhaben des Wirtschaftsteilnehmers einholen können. Die Möglichkeit der Durchführung von Untersuchungen ohne die Beteiligung von na459 Vgl. OLAF-Bericht 2021, S. 37, wonach OLAF-Bedienstete die EUStA bei Ermittlungen im Jahre 2021 als sachverständige Zeugen unterstützt haben. 460 Vgl. Ziffer 6.1.1.c) EUStA-OLAF Arbeitsvereinbarung. 461 In Deutschland ist die Beteiligung von sachverständigen Zeugen bei Maßnahmen im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts praxisüblich. Die Rechtsgrundlage für eine Beteiligung von OLAF-Bediensteten an Ermittlungen der EUStA ist nach deutschem Recht in §§ 161, 72 ff. StPO zu erblicken. Die StPO legt den Personenkreis, der an einer Durchsuchung zugegen sein darf, nicht fest und erlaubt die Anwesenheit von Personen, deren Beteiligung aufgrund ihres besonderen Wissens für die Maßnahme erforderlich ist, vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss v. 20. 09. 1990 – 2 Vas 1/90 (zur Anwesenheit von ausländischen Ermittlungsbeamten). Die Einbeziehung von Sachverständigen bei der Durchführung einer Durchsuchung ist zu erwägen, wenn sie die sachgerechte Erledigung der Maßnahme fördert und einer blinden Sicherstellung beweiserheblicher Gegenstände entgegenwirkt, s. Hauschild, in: MüKo StPO, § 105, Rn. 35. 462 Vgl. Ziffer 6.1.1. a) und b) EUStA-OLAF Arbeitsvereinbarung.
V. Zusammenarbeit mit OLAF
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tionalen Behörden kann sich als wirkungsvoll erweisen, wenn nationale Behörden den Schutz der finanziellen Haushaltsinteressen der Union nicht effektiv betreiben, z. B. weil ihre eigene Verwicklung in den Sachverhalt im Raum steht. Für grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA bedeutet die Untersuchungsautonomie des OLAF, dass sie sich bei kooperationswilligen Wirtschaftsteilnehmern in nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten durch die Einschaltung des OLAF einen direkten Zugriff zu beweiserheblichem Material eröffnen kann, ohne erst eine ggf. zeitintensivere oder nicht erfolgsversprechende, durch die zuständigen Behörden des nichtteilnehmenden Mitgliedstaates zu vollstreckende EEA auf den Weg zu bringen. 2. Territorialer Aktionsradius der EUStA durch Zusammenarbeit mit OLAF Eine Kooperation mit OLAF eröffnet der EUStA zunächst ein territoriales Aktionsfeld, das weiter gefasst ist, als der Geltungsbereich der VO. Die OLAF-VO und OLAF-Änderungs-VO gelten in allen Mitgliedstaaten der EU. Der Anwendungsbereich der VO dagegen ist auf die teilnehmenden Mitgliedstaaten beschränkt. An der EUStA nichtteilnehmende Staaten sind Dänemark, Irland, Polen, Schweden und Ungarn. Auf dem Gebiet dieser Staaten kann das OLAF, anders als die EUStA, tätig werden. Da das Unionrecht von jeder Person und jeder Stelle abverlangt, gegen Mittelerhalt aus dem EU-Haushalt auch die Untersuchungsbefugnisse des OLAF zu akzeptieren,463 erstreckt sich das Wirkpotenzial des OLAF durch diverse Abkommen auch auf Drittstaaten und einzelne Mittelempfänger.464 3. Zuständigkeitsüberschneidungen Die EUStA kann das OLAF in seinen grenzüberschreitenden Ermittlungen als Unterstützer akquirieren, wenn sie selbst die Zuständigkeit für den Fall hat. Die Zuständigkeiten der Behörden weisen eine große Schnittmenge auf. Daher stellt sich die Frage nach dem Zuständigkeitsverhältnis zwischen EUStA und OLAF, aus dem die Unterstützungsrolle des OLAF resultieren kann. 463
Vgl. Art. 219 Verordnung (EU, Euratom 2018/1046 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juli 2018 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union, zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1296/2013, (EU) Nr. 1301/2013, (EU) Nr. 1303/2013, (EU) Nr. 1304/2013, (EU) Nr. 1309/2013, (EU) Nr. 1316/2013, (EU) Nr. 223/ 2014, (EU) Nr. 283/2014, (EU) Nr. 283/2014 und des Beschlusses Nr. 541/2014/EU sowie zur Aufhebung der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012, ABl. L 193/1 v. 30. 07. 2018. 464 S. für eine Darstellung der Konzepte der Vertragsvereinbarungen („Partnership and Cooperation Agreements“ mit anderen Staaten, Mittelverträge im Rahmen der Heranführungshilfen für EU-Beitrittskandidaten Staaten „Framework Agreements“ und individuelle Vereinbarungen („individual Financing Agreements“, Mittelverträge im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik) Scharf-Kröner/Seyderhelm, eucrim 3/2019, 209, 211 ff.
162
B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
Dem OLAF obliegt die Aufgabe, Betrug, Korruption und alle anderen rechtswidrigen Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union zu bekämpfen.465 Sein Mandat deckt sich insoweit mit dem sachlichen Zuständigkeitsbereich der EUStA, der die Verfolgung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union i. S. d. PIF-Richtlinie umfasst. a) Schadensgrenzen Gem. Art. 25 Abs. 2 VO kann die EUStA ihre Zuständigkeit für eine Straftat i. S. d. PIF-Richtlinie aber nur ausüben, wenn dadurch ein Schaden von mehr als 10.000 Euro zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union entstanden oder zu erwarten ist. In dem Bereich der Schadenserwartung bis 10.000 Euro also, hat das OLAF grundsätzlich die Alleinzuständigkeit für den Schutz der finanziellen Interessen der Union. Ausnahmsweise kann die EUStA ihre Zuständigkeit bei Entstehung oder Erwartung eines Schadens von weniger als 10.000 Euro zum Nachteil der finanziellen Interessen nichtsdestotrotz ausüben, wenn der Fall Auswirkungen auf Unionsebene hat (Art. 25 Abs. 2 lit. a) VO) oder Beamte oder sonstige Bedienstete der EU oder Mitglieder der Organe der Union der Begehung der Straftat verdächtigt werden können (Art. 25 Abs. 2 lit. b) VO). Für die Verfolgung von Mehrwertsteuerbetrug zulasten der finanziellen Interessen der Union466 ist die sachliche Zuständigkeit der EUStA erst eröffnet, wenn der Mehrwertsteuerbetrug einen Gesamtschaden von mindestens 10 Millionen Euro umfasst und zwei oder mehr Mitgliedstaaten betrifft (Art. 22 Abs. 1 S. 2 VO). Damit bleibt das OLAF im Bereich des Mehrwertsteuerbetrugs zuständig, wenn sich der Gesamtschaden unterhalb der Schwelle von 10 Millionen Euro bewegt. b) Vorsatzerfordernis Zudem wird die sachliche Zuständigkeit der EUStA gem. Art. 22 Abs. 1 VO wegen der Verweisung in die Straftaten i. S. d. PIF-Richtlinie nur ausgelöst für Straftaten, für deren sämtliche Tatbestandsmerkmale das Vorsatzerfordernis gilt.467 Das OLAF hat damit die Alleinzuständigkeit für Sachverhalte, in denen mangels Nachweis eines Vorsatzes keine strafrechtlichen Tatvorwürfe im Raum stehen, aber dennoch eine Unregelmäßigkeit vorliegt, die einen Schaden für den EU-Haushalt begründet.468
465
Art. 1 OLAF-VO. Vgl. Art. 3 Abs. 2 lit. d), Art. 2 Abs. 2 PIF-Richtlinie. 467 Vgl. Erwägungsgrund (11) PIF-Richtlinie. 468 Schnichels, EuZW 2018, 561.
466
V. Zusammenarbeit mit OLAF
163
Der Begriff „Unregelmäßigkeit“ bezeichnet im Kontext der Betrugsbekämpfung der EU jeden Verstoß gegen eine Vorschrift des Unionsrechts.469 Das Unionsrecht unterscheidet zwischen betrügerischen, durch Vorsatz gekennzeichneten,470 und nichtbetrügerischen Unregelmäßigkeiten. Das Mandat des OLAF spielt bei unvorsätzlichen Taten damit auf der Ebene der nichtbetrügerischen Unregelmäßigkeiten, die im „Verstoß gegen eine Gemeinschaftsbestimmung als Folge einer Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers, die einen Schaden für den Gesamthaushaltsplan der Gemeinschaften oder die Haushalte, die von den Gemeinschaften verwaltet werden, bewirkt hat bzw. haben würde, sei es durch die Verminderung oder den Ausfall von Eigenmitteleinnahmen, die direkt für die Rechnung der Gemeinschaften erhoben wurde oder sei es durch eine ungerechtfertigte Ausgabe“ liegen.471 c) Zuständigkeitsverhältnis Soweit sich die Zuständigkeiten von EUStA und OLAF decken, formuliert Art. 101 Abs. 2 VO einen Vorrang für die strafrechtlichen Ermittlungen der EUStA. Grundsätzlich kann das OLAF bei Vorliegen eines Sachverhalts, der Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungen der EUStA ist, keine Verwaltungsuntersuchung durchführen. Zu den strafrechtlichen Ermittlungen der EUStA parallel hinzutretende Verwaltungsuntersuchungen des OLAF kommen aber in Betracht, wenn die EUStA das OLAF um solche ersucht.472 Reziprok dazu statuiert Art. 12d Abs. 1 OLAF Änderungs-VO den Grundsatz der Vermeidung von Doppeluntersuchungen und bestimmt, dass das OLAF eine laufende Untersuchung einstellt, wenn die EUStA bereits eine Ermittlung zu demselben Sachverhalt durchführt. Es sei denn, das OLAF wird, erstens, durch die EUStA um Unterstützung i. S. d. Art. 12e OLAF Änderungs-VO ersucht oder zweitens, das OLAF bekundet gegenüber der EUStA seinen Willen an der Durchführung von ergänzenden Untersuchungen i. S. d. Art. 12f OLAF Änderungs-VO und die EUStA erhebt dagegen innerhalb einer bestimmten Frist keine Einwände.473 469
Bergmann, Handlexikon, Unregelmäßigkeit. Vgl. Art. 1 Abs. 1 des Anhangs zum Rechtsakt des Rates vom 26. Juli 1995 über die Ausarbeitung des Übereinkommens über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. Nr. C 316/48 v. 27. 11. 1995 (sog. PIF-Übereinkommen). 471 S. Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (sog. PIF-Verordnung), ABl. L 312 v. 23. 12. 1995. 472 Vgl. Wortlaut des Art. 101 Abs. 2 VO: „[…] eröffnet das OLAF unbeschadet der in Absatz 3 genannten Maßnahmen keine parallel hierzu laufenden verwaltungsrechtlichen Untersuchungen zu demselben Sachverhalt.“ und vgl. Art. 101 Abs. 3 lit. c) VO: […] kann die EUStA das OLAF ersuchen, sie gemäß seinem Mandat insbesondere durch folgende Maßnahmen zu unterstützen oder ihre Tätigkeit zu ergänzen: […] c) Durchführung verwaltungsrechtlicher Untersuchungen“ (Herv. durch Verf.). 473 Art. 12c Abs. 5 UAbs. 1 OLAF Änderungs-VO. 470
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
Wenn die EUStA sich gegen eine eigene Ermittlungsführung entschieden oder das Verfahren eingestellt hat, kann das OLAF erwägen, sein Mandat auszulösen und Verwaltungsuntersuchungen durchzuführen, Art. 101 Abs. 4 VO.474. Eine spiegelbildliche Regelung findet sich in Art. 12d Abs. 2 OLAF Änderungs-VO. Für den Fall, dass der EUStA nach dem Beschluss über die Einstellung eines Verfahrens neue Tatsachen bekannt werden, gilt erneut ein Primat für die (Wiederaufnahme der) Ermittlungen475 durch die EUStA.476 4. Befugnisse und Unterstützungsleistungen des OLAF in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Das OLAF kann grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA nur im Rahmen seines Mandats und seiner Kompetenzen unterstützen. Zu beachten ist, dass das OLAF, anders als die EUStA, keine strafprozessualen Eingriffsbefugnisse hat.477 Gleichwohl kann das OLAF Verwaltungsuntersuchungen durchführen und dabei Informationen oder Beweise gewinnen, die im grenzüberschreitenden Ermittlungsverfahren der EUStA fruchtbar gemacht werden können. So kann die EUStA das OLAF bei grenzüberschreitenden Ermittlungen um die Durchführung von konkreten Maßnahmen ersuchen, einen engmaschigen Informationsaustausch mit dem OLAF betreiben, ermittlungsrelevante Erkenntnisse generieren und OLAFBedienstete in die konkrete Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen der EUStA einbinden.
474
Gem. Art. 39 Abs. 4 S. 2 VO können die eingestellten Verfahren der EUStA an das OLAF (oder die zuständigen nationalen Verwaltungs- und Justizbehörden) zum Zwecke der Wiedereinziehung oder sonstiger verwaltungsrechtlicher Folgemaßnahmen verwiesen werden. 475 Vgl. Art. 39 Abs. 2 VO. 476 Vgl. Art. 12d Abs. 2 S. 2 OLAF Änderungs-VO. Der Umstand, dass der Generaldirektor des OLAF die EUStA nach dem Wortlaut des Art. 12d Abs. 2 S. 2 OLAF Änderungs-VO im Falle des Bekanntwerdens neuer, die Zuständigkeit der EUStA begründender Umstände die EUStA darum ersuchen „kann“, eine „Untersuchung wieder aufzunehmen“ bedeutet nicht, dass die Wiederaufnahme eines eingestellten Verfahrens erst durch das Ersuchen des OLAF an die EUStA zurückgespielt werden kann. Vielmehr ist diese Regelung dahingehend zu verstehen, dass in diesem Fall erneut die Grundregel vom Primat der EUStA Ermittlungen i. S. d. Art. 101 Abs. 2 VO gilt. 477 Wenngleich seine Maßnahmen grundrechtsrelevante Wirkung entfalten können, wird das Handeln des OLAF dem administrativen Bereich zugeordnet, s. Satzger, in: Streinz, EUV/ AEUV, Art. 325, Rn. 38; Spitzer/Stiegel, in: von der Groeben u. a. (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 325, Rn. 148 f., die darin nicht ohne weiteres Ermittlungen im strafrechtlichen Sinne sehen sondern die eine Einordnung als Vorfeldermittlung vornehmen, vergleichbar der im deutschen Recht nach §§ 193 ff. AO durchgeführten Außenprüfung; dagegen: Langbauer, Strafrecht vor Unionsgerichten, S. 368 f.
V. Zusammenarbeit mit OLAF
165
a) Ersuchen an das OLAF um unterstützende Maßnahmen Art. 12e OLAF-Änderungs-VO sieht vor, dass das OLAF die EUStA auf Ersuchen unterstützt oder die Tätigkeit der EUStA durch Informationsbereitstellung, die Durchführung operationeller Hilfe, die Koordinierung von Maßnahmen und Durchführung von verwaltungsrechtlichen Untersuchungen unterstützt. Die EUStA hat ein Unterstützungsersuchen schriftlich an das OLAF zu übermitteln und dabei alle zweckdienlichen Informationen zu der betreffenden Ermittlung der EUStA und eine konkret ersuchte Maßnahme sowie einen entsprechenden Zeitplan zu benennen.478 Das OLAF hat bei der Zusammenarbeit auf ein Ersuchen der EUStA sicherzustellen, dass es die in der VO verbürgten Verfahrensgarantien einhält, damit Grundrechte und Verfahrensrechte der Betroffenen gewahrt sind und die Zulässigkeit von Beweismitteln im Verfahren der EUStA gewährleistet ist.479 In Betracht kommt insbesondere, dass die EUStA das OLAF um die Durchführung von Verwaltungsuntersuchungen ersucht und so eine Ermittlungstätigkeit der OLAF-Bediensteten bei Wirtschaftsteilnehmern auslöst, auf die sie selbst nicht zugreifen könnte. Ureigene Befugnis des OLAF ist die Durchführung von Verwaltungsuntersuchungen in Form von sog. externen Untersuchungen und internen Untersuchungen.480 Verwaltungsuntersuchungen umfassen Kontrollen, Überprüfungen vor Ort und sonstige Maßnahmen, die zum Schutz der finanziellen Interessen der Union vorgenommen werden und ggf. den Beweis für Unregelmäßigkeiten bei den untersuchten Handlungen erbringen.481 Das OLAF kann bei Verwaltungsuntersuchungen Auskünfte einholen, sich Unterlagen vorlegen und kopieren lassen, sowie Geschäftsräume betreten und besichtigen, im Einzelnen insbesondere: – über die zur Zusammenarbeit mit dem OLAF verpflichteten Mitgliedstaaten der Union Bankkontoinformationen von Kreditinstituten einholen,482 – sich Bücher, Belege (Rechnungen, Lastenverzeichnisse, Lohn- und Begleitzettel, Haushalts- und Buchungsbelege) und EDV-Daten vorzeigen und kopieren lassen,483 – Auskünfte über Geschäftssysteme und -abläufe, sowie Investitionen einholen,484 478
Art. 12e Abs. 2 OLAF Änderungs-VO, Ziffer 6.1.3 EUStA-OLAF Arbeitsvereinbarung. Art. 12e Abs. 3 OLAF Änderungs-VO. 480 Vgl. Art. 2 Nr. 4 OLAF Änderungs-VO. 481 Vgl. Art. 2 Nr. 4 OLAF Änderungs-VO. 482 Vgl. Erwägungsgrund (15) S. 3, Erwägungsgrund (31) OLAF Änderungs-VO, Art. 7 Abs. 1 erster Spiegelstrich VO 2185/96. 483 Art. 7 Abs. 1 VO 2185/96. 484 Art. 7 Abs. 1 VO 2185/96. 479
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
– Stichproben bzw. physische Kontrollen von Waren bzw. Leistungen durchführen.485 Externe Untersuchungen des OLAF sind auf Kontrollen und Überprüfungen vor Ort in den Mitgliedstaaten der EU und bei bestehenden entsprechenden Vereinbarungen auch auf Drittstaaten und die Räumlichkeiten internationaler Organisationen486 sowie auf Wirtschaftsteilnehmer487 gerichtet. Sie werden durch Bedienstete des OLAF durchgeführt, das OLAF kann dabei auch die Unterstützung der zuständigen Behörde des betroffenen Mitgliedstaates beantragen.488 Der betroffene Mitgliedstaat hat sicherzustellen, dass die Bediensteten des OLAF Zugang zu sämtlichen mit dem untersuchten Sachverhalt zusammenhängenden Informationen und Schriftstücken haben, die für eine wirksame Durchführung der Kontrollen und Überprüfungen vor Ort erforderlich sind, sowie zu gewährleisten, dass die Bediensteten des OLAF diese Schriftstücke auch sicherstellen können.489 Waren für die Durchführung der externen Untersuchungen des OLAF noch – vorbehaltlich des anwendbaren Unionsrechts – die Vorschriften und Gepflogenheiten des betroffenen Mitgliedstaates zentral maßgebend,490 bestimmt sich das anwendbare Recht mit dem Inkrafttreten der OLAF Änderungs-VO nunmehr nach dem Mitwirkungsverhalten des von der Untersuchung betroffenen Wirtschaftsteilnehmers: Soweit ein Wirtschaftsteilnehmer während einer externen Untersuchung des OLAF mit dem OLAF kooperiert, erfolgt die Durchführung der Untersuchung allein nach Maßgabe des Unionsrechts.491 Regelungen des Unionsrechts, die die Einhaltung nationaler Vorschriften vorschreiben und den Zugang des OLAF zu Informationen und Unterlagen auf die für die Kontrolleure der nationalen Verwaltungen geltenden Bedingungen einschränken sind dann nicht anwendbar.492 Soweit sich der Wirtschaftsteilnehmer einer Untersuchung widersetzt, z. B. indem er den OLAF-Bediensteten den Zugang zu seinen Räumlichkeiten vorenthält, leisten die zuständigen Behörden des betroffenen Mitgliedstaates dem OLAF die für die Untersuchung notwendige Unterstützung, wobei sie nach ihrem geltenden nationalen Verfahrensrecht handeln.493 Grundsätzlich sind die Wirtschaftsteilnehmer dazu 485
Art. 7 Abs. 1 VO 2185/96. Art. 3 Abs. 1 OLAF Änderungs-VO. 487 Art. 3 Abs. 3 OLAF Änderungs-VO. 488 Art. 3 Abs. 5 OLAF Änderungs-VO. 489 Art. 3 Abs. 4 OLAF Änderungs-VO. 490 Art. 3 Abs. 3 OLAF-VO. 491 Im Wesentlichen nach Maßgabe der OLAF-VO, OLAF Änderungs-VO und der Verordnung (EG, Euratom) 2185/96. 492 Art. 3 Abs 4 OLAF Änderungs-VO. 493 Art. 3 Abs. 6 OLAF Änderungs-VO. Hintergrund der neuen Regelung um das anwendbare Recht ist, dass die Kommission in einem Evaluierungsbericht festgestellt hatte, dass aufgrund der Verweisungen in das nationale Recht in der OLAF-VO und Verordnung (Euratom, EG) Nr. 2185/96 Unklarheiten bezüglich des bei den OLAF Untersuchungen anwendbaren Rechts existierten, s. Erwägungsgrund (19) 486
V. Zusammenarbeit mit OLAF
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verpflichtet, mit dem OLAF zusammenzuarbeiten, das OLAF kann von ihnen auch schriftliche und mündliche Informationen einholen.494 Interne Untersuchungen des OLAF sind auf die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union gerichtet.495 Der Blick auf die Adressaten der internen Untersuchungen des OLAF zeigt eine Schnittstelle zur personellen Zuständigkeit der EUStA auf: Gemäß Art. 23 lit. c) VO ist die EUStA zuständig für die Verfolgung von Straftaten gegen die finanziellen Interessen der Union, die außerhalb des Gebiets der teilnehmenden Mitgliedstaaten von einer Person begangenen wurden, die zum Zeitpunkt der Straftat dem Statut oder den Beschäftigungsbedingungen unterlag,496 sofern ein teilnehmender Mitgliedstaat über Gerichtsbarkeit für solche Straftaten verfügt, wenn sie außerhalb seines Hoheitsgebiets begangen wurden. Darunter fallen etwa EU-Beamte, Zeit- und Vertragsbedienstete.497 Bei seinen internen Untersuchung erhält das OLAF Informationen zum untersuchten Sachverhalt, Zutrittsrechte zu den Räumlichkeiten der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union und ist dazu ermächtigt, ihre Rechnungsführung einzusehen.498 Das OLAF kann dabei von den Beamten oder sonstigen Bediensteten, den Mitgliedern der Organe oder Einrichtungen, den Leitern sonstiger Stellen oder Mitarbeitern mündliche Informationen im Rahmen von Befragungen und schriftliche Informationen verlangen.499
OLAF Änderungs-VO. Die nunmehr statuierte Verknüpfung des anwendbaren Rechts (Unionsrecht oder nationales Recht) mit dem Mitwirkungsverhalten des von den Untersuchungen des OLAF betroffenen Wirtschaftsteilnehmers erfolgte auf Grundlage des EuG (Erste Kammer), Urteil v. 03. 05. 2018 – T-48/16, BeckRS 2018, 7143 (Sigma Orionis SA), vgl. Erwägungsgrund (20) OLAF Änderungs-VO. Der EuG hat mit dem Urteil entschieden, dass nationale Bestimmungen (hier: Bestimmungen Frankreichs, die bei einer vor Ort Kontrolle eine richterliche Anordnung sowie die Begleitung OLAFs durch nationale Polizeibeamte erfordern) nur dann maßgeblich werden, wenn das OLAF Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung der Kontrollen durchführte. Wenn der Wirtschaftsteilnehmer dagegen keinen Widerspruch gegen die Untersuchung erhebe, könne das OLAF auf Grundlage des Unionsrechts (der OLAF-VO und der VO (Euratom, EG) Nr. 11 2185/96 des Rates vom 11. November 1996 betreffend die Kontrollen und Überprüfungen vor Ort durch die Kommission zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften vor Betrug und anderen Unregelmäßigkeiten, ABl. L 292/2 v. 15.11.196) mit schriftlicher Ermächtigung des Generaldirektors des OLAF durchführen. 494 Art. 3 Abs. 3 OLAF Änderungs-VO. 495 Art. 4 Abs. 1 OLAF Änderungs-VO. 496 Maßgebend ist, ob die Person dem Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 31, Nr. 11 über das Statut der Beamten und über die Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft, ABl. EG 1385/62 v. 14. 06. 1961 unterliegt, s. Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 23, Rn. 11. 497 Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 23, Rn. 11. 498 Vgl. Art. 4 Abs. 2 lit. a) OLAF Änderungs-VO. 499 Vgl. Art. 4 Abs. 2 lit. b) OLAF Änderungs-VO.
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
Nach Abschluss seiner Untersuchungen erstellt das OLAF einen Bericht und kann damit den nationalen Strafverfolgungsbehörden justizielle Empfehlungen abgeben und auf die Auslösung von strafverfahrensrechtlichen Ermittlungen hinwirken. Bindungswirkung entfalten die Empfehlungen des OLAF für die nationalen Strafverfolgungsbehörden zwar nicht,500 gleichwohl werden sie in Staaten in deren Strafverfahren das Legalitätsprinzip gilt zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfolgbare Straftat auslösen und die Einleitung eines Verfahrens anstoßen.501 b) Informationsgewinn durch ergänzende Untersuchungen des OLAF Art. 12f OLAF Änderungs-VO eröffnet dem OLAF die Möglichkeit der Durchführung von ergänzenden Untersuchungen zu den Ermittlungen der EUStA. Im Jahre 2021 hat das OLAF 26 ergänzende Untersuchungen zu den 576 laufenden Ermittlungsverfahren der EUStA durchgeführt.502 Ergänzende Untersuchungen durch das OLAF kommen in Betracht, wenn der OLAF-Generaldirektor der Auffassung ist, dass neben den Ermittlungen der EUStA eine OLAF-Untersuchung eingeleitet werden sollte, um den Erlass von „Sicherungsmaßnahmen oder finanziellen, disziplinarischen oder verwaltungsrechtlichen Maßnahmen zu erleichtern“503. Die Durchführung von ergänzenden Untersuchungen durch das OLAF soll ausweislich der EUStA-OLAF Arbeitsvereinbarung insbesondere erwogen werden, wenn die Verjährung einer von der EUStA ermittelten Tat oder ein etwaiger Anspruch auf Rückzahlung von EU-Mitteln droht, wenn der betreffende Sachverhalt einen Schadensumfang birgt, der ein außerordentliches Risiko für den EU-Haushalt mit sich bringt, wenn disziplinarische Maßnahmen erforderlich werden oder Beweismittel für nichtbetrügerische Unregelmäßigkeiten auffindbar sind.504 In diesem Fall setzt das OLAF die EUStA in schriftlicher Form unter Angabe von Art und Zweck der Untersuchung in Kenntnis und die EUStA entscheidet innerhalb einer Frist, ob sie Einwände gegen eine Untersuchungseinleitung der EUStA hat.505 Sofern sie keine Einwände erhebt, kann das OLAF eine ergänzende Untersuchung einleiten, die unter fortlaufender Konsultation mit der EUStA durchgeführt wird. 500 Satzger, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 325, Rn. 37. Zum Rechtsschutz gegen externe OLAF Untersuchungen s. Partsch, EuZW 2017, 878 ff. und Schnichels/Jodocy, EuZW 2020, 777 f. 501 Zöller/Bock, in: Böse (Hrsg.), EnzEur Bd. 11, § 23, Rn. 23. 502 OLAF-Bericht 2021, Seite 38. Beispielsweise hat das OLAF in einem Fall einer ergänzenden Untersuchung in enger Absprache mit der EUStA zwei Vor-Ort-Kontrollen wegen des Verdachts eines Betrugs betreffend Mittel aus dem Europäischen Fond für Regionale Entwicklung (EFRE) in Kroatien durchgeführt, die später zu einer Festnahme der Verdächtigen durch die EUStA geführt haben, s. OLAF-Bericht 2021, Seite 40. 503 Art. 12f Abs. 1 S. 1, Hs. 1 OLAF Änderungs-VO. 504 Vgl. Ziffer 6.2.1 EUStA-OLAF Arbeitsvereinbarung. 505 Art. 12f Abs. 1 UAbs. 2 OLAF Änderungs-VO.
V. Zusammenarbeit mit OLAF
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Erhebt die EUStA im Laufe dieser ergänzenden Untersuchung zu einem späteren Zeitpunkt aber Einwände, ist sie einzustellen oder auf bestimmte Untersuchungsmaßnahmen zu verzichten.506 Ergänzende Untersuchungen kommen zudem in Betracht, wenn das OLAF Untersuchungen eingeleitet hatte, nachdem es von der EUStA die Mitteilung erhalten hatte, diese führe keine Ermittlungen durch und die EUStA zu einem späteren Zeitpunkt doch entscheidet, Ermittlungen über denselben Sachverhalt aufzunehmen.507 Über diese Entscheidung informiert die EUStA das OLAF unverzüglich.508 Hält der OLAF-Generaldirektor die Fortführung einer begonnenen OLAF-Untersuchung für erforderlich, so kann dies vor der EUStA begründet und die Untersuchung unter Konsultation mit der EUStA fortgeführt werden.509 c) Engmaschiger Informationsaustausch und wechselseitiger Zugriff auf Fallbearbeitungssysteme Der europäische Gesetzgeber sieht einen engmaschigen Informationsaustausch zwischen EUStA und OLAF vor. Die EUStA kann den dadurch entstehenden Wissenspool bei ihrer grenzüberschreitenden Ermittlungsarbeit nutzen. Art. 12c – 12g OLAF Änderungs-VO legen Informationspflichten zwischen EUStA und OLAF fest, wobei der Informationsstrom im Wesentlichen in Richtung der EUStA zielt.510 Die technischen Modalitäten der Informationsübermittlung sind in der EUStAOLAF Arbeitsvereinbarung festgelegt. Das Fallbearbeitungssystem der EUStA ist das zentrale Werkzeug für die Informationsauswertung für EUStA und OLAF gleichermaßen: Einerseits bündelt es die Informationen, die das OLAF der EUStA auf Grundlage des Art. 24 VO übermittelt hat,511 andererseits kann das OLAF über den indirekten Zugriff auf das Fallbearbeitungssystem der EUStA vor Einleitung von Untersuchungen über das Treffer/Kein-Treffer Verfahren identifizieren, ob der EUStA der betreffende Sachverhalt bereits bekannt ist und ermittelt wird. 506
Art. 12f Abs. 1 UAbs. 3 OLAF Änderungs-VO. Art. 12f Abs. 2 OLAF Änderungs-VO. 508 Art. 12f Abs. 2 OLAF Änderungs-VO. 509 Vgl. Art. 12f Abs. 2 OLAF Änderungs-VO. 510 Diese Regelungen sind als Ausfluss des Art. 24 Abs. 1 VO zu verstehen, wonach die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union (neben den Mitgliedstaaten) dazu verpflichtet sind, der EUStA unverzüglich jegliche Straftaten zu melden, für die sie ihre Zuständigkeit ausüben könnte. 511 Vgl. Art. 44 Abs. 4 lit. a) VO. Die technischen Modalitäten der Meldungsübermittlung nach Art. 24 VO ergeben sich nicht explizit aus der VO oder Geschäftsordnung. Es ist davon auszugehen, dass eine technische Schnittstelle zwischen den Fallbearbeitungssystemen der EUStA und des OLAF besteht, über die auch Meldungen nach Art. 24 VO direkt an die EUStA übermittelt werden können. 507
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
Gem. Art. 12c Abs. 1 OLAF Änderungs-VO übermittelt das OLAF der EUStA einen Bericht über alle Straftaten, bezüglich derer die EUStA ihre Zuständigkeiten ausüben könnte. Der Bericht enthält eine Beschreibung des Sachverhalts unter Angabe des voraussichtlichen Schadens unter rechtlicher Würdigung und Angaben für mögliche Opfer, Verdächtige oder andere Beteiligte.512 Die EUStA hat bei Erhalt einer Information durch das OLAF fünf Tage Zeit um zu entscheiden, ob sie Ermittlungen einleiten wird.513 Das OLAF kann vor Meldung an die EUStA aber auch zunächst eine eigene Bewertung der ihm vorliegenden Informationen durchführen, z. B. indem es die ihm nach Art. 6 OLAF-VO zustehenden Zugangsrechte zu Informationen in Datenbanken der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union nutzt oder auf die ihm gem. Art. 8 Abs. 2 OLAF Änderungs-VO durch die Mitgliedstaaten übermittelten Informationen durchsieht, wenn ein Fall potenziell in den Zuständigkeitsbereich der EUStA fällt, aber eine Beschreibung des Sachverhalts i. S. d. Art. 12c Abs. 2 OLAF Änderungs-VO wegen Informationslücken nicht möglich ist.514 Ergibt sich erst im Laufe einer Verwaltungsuntersuchung, dass die Zuständigkeit der EUStA in Betracht kommt, setzt das OLAF seine Untersuchung nicht fort, außer es wird, erstens, durch die EUStA um Unterstützung ersucht oder zweitens, es bekundet gegenüber der EUStA seinen Willen an der Durchführung von ergänzenden Untersuchungen i. S. d. Art. 12f OLAF Änderungs-VO und die EUStA erhebt dagegen keine Einwände.515 Das OLAF ist dazu angehalten, vor Einleitung seiner Untersuchungen und zur Ermöglichung der Zuständigkeitsausübung der EUStA im Fallbearbeitungssystem der EUStA über seinen indirekten Zugriff nach dem Treffer/Kein-Treffer-Prinzip zu prüfen, ob bereits eine Ermittlung der EUStA im Gange ist.516 Die EUStA stellt dem OLAF sachdienliche Informationen bereit, wenn verwaltungsrechtliche Maßnahmen nach Verfahrenseinstellung oder Nichtausübung ihrer Zuständigkeit in Betracht kommen.517 Dies ist etwa der Fall, wenn die betreffende Tat bereits verjährt ist, aber noch Feststellungen über den Schadensumfang erforderlich sind, um finanzielle Sanierungspläne zu entwickeln518 oder der betreffende Sachverhalt Bezüge zu nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten oder Drittstaaten aufweist.519
512
Art. 12c Abs. 2 OLAF Änderungs-VO. Ziffer 5.1.2 EUStA-OLAF Arbeitsvereinbarung. 514 Art. 12c Abs. 4 OLAF Änderungs-VO. 515 Art. 12c Abs. 5 UAbs. 1 OLAF Änderungs-VO. 516 Art. 12c Abs. 5 UAbs. 1, Art. 12g Abs. 2 OLAF Änderungs-VO, Ziff. 5.1.1 EUStAOLAF Arbeitsvereinbarung. 517 Art. 101 Abs. 4 VO, Art. 12d Abs. 4 S. 1 OLAF Änderungs-VO, Ziffer 5.2 und Ziffer 5.3 EUStA-OLAF Arbeitsvereinbarung. 518 Vgl. Ziffer 5.3.2 EUStA-OLAF Arbeitsvereinbarung. 519 Vgl. Ziffer 5.3.2 EUStA-OLAF Arbeitsvereinbarung. 513
V. Zusammenarbeit mit OLAF
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d) Operative Unterstützung durch Einbindung in Maßnahmen oder Bildung Gemeinsamer Ermittlungsgruppen (GEG) Die EUStA kann OLAF-Bedienstete, die über eigene Ermittlungsexpertise verfügen, in die Durchführung ihrer Maßnahmen einbinden. In Betracht kommt, dass OLAF-Bedienstete eine durch die EUStA angeordnete Durchsuchung als sachverständige Zeugen begleiten, um Beweismaterial auf seine Erheblichkeit hin zu sichten.520 Der Schutz der finanziellen Interessen der Union gehört zum ureigenen Mandat des OLAF. Daher sind OLAF-Bedienstete mit der notwendigen Sachexpertise ausgestattet.521 Zudem verfügen sie aufgrund ihrer Befugnis zur Durchführung von Vor-Ort-Kontrollen über praktische Erfahrung im Bereich der Beweissicherung. Zudem kann die EUStA nach der EUStA-OLAF Arbeitsvereinbarung bei der Durchführung von Ermittlungen als Teil einer Gemeinsamen Ermittlungsgruppe (GEG) die Einbindung des OLAF anregen, etwa wenn die Ermittlungen komplexe Betrugsfälle betreffen, die neben forensischen Analysen auch einer näheren Berücksichtigung von verwaltungsrechtlichen Aspekten bedürfen und/oder Ermittlungen auf den Gebieten von teilnehmenden und nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten und Drittstaaten gleichzeitig erfordern.522 5. Bewertung und Fazit Die Zuständigkeiten von EUStA und OLAF weisen eine große Schnittmenge auf. Der Verordnungsgeber hat der EUStA bei Zuständigkeitsüberschneidungen den Verfolgungsvorrang für Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union eingeräumt. Damit wurde der Schutz des EU-Haushalts, das Kernsachgebiet des OLAF, in die Ermittlungszuständigkeit der EUStA überführt. Für Verwaltungsuntersuchungen des OLAF zum Schutz des EU-Haushalts verbleibt bei Zuständigkeitsüberschneidungen mit der EUStA nur noch Raum, wenn die EUStA das OLAF um entsprechende Unterstützungsleistungen ersucht (oder einem Untersuchungsvorhaben des OLAF nicht entgegentritt). Dass die EUStA das OLAF aber in ihre laufenden Strafermittlungen auf dem Gebiet der teilnehmenden Mitgliedstaaten durch Ersuchen um Verwaltungsuntersuchungen zum Zwecke der Beweisgewinnung einbindet, erscheint unter praktischen und rechtlichen Gesichtspunkten eher unwahrscheinlich. Für die Einbindung von OLAF spricht auf den ersten flüchtigen Blick, dass sie die erste und einzige Behörde auf Unionsebene ist, die auf jahrelange, durch eigene Ermittler durchgeführte investigative Erfahrung im Bereich von PIF-Straftaten verfügt.523 520
Vgl. Ziffer 6.1.1.c EUStA-OLAF Arbeitsvereinbarung. Kollozcek/Echanove Gonzales de Anleo, eucrim 2021, 187, 190. 522 Vgl. Ziffer 6.3 EUStA-OLAF Arbeitsvereinbarung. 523 Vgl. Klement, eucrim 2017, 196, 196; Venegoni, eucrim 2017, 193, 195.
521
172
B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
Für den Delegierten Europäischen Staatsanwalt aber, der Ermittlungen auf dem Gebiet der teilnehmenden Mitgliedstaaten nach Maßgabe des nationalen Rechts seines Mitgliedstaates führt, erscheint es praktisch zweckmäßiger, auf die nach nationalem Recht bestehenden personellen Ermittlungsressourcen, wie etwa die Polizei, zuzugreifen. Auch diese verfügt über Ermittlungserfahrung, zudem kann ihr Einsatz durch den Delegierten Europäischen Staatsanwalt unmittelbar eingeleitet und überwacht werden. Der entscheidende Vorteil des Einsatzes nationaler Ermittlungsressourcen gegenüber der Einbindung von OLAF liegt darin, dass erstere mit den mitgliedstaatlichen Anforderungen an eine rechtmäßige Beweisgewinnung vertraut sind. Darüber hinaus ist zu beachten, dass das OLAF (ohnehin) auf Unterstützung der mitgliedstaatlichen Behörden angewiesen ist, wenn sich der untersuchte Wirtschaftsteilnehmer einer Kontrolle widersetzt, indem er z. B. den Zugang zu seinen Räumlichkeiten vorenthält. Denn das OLAF hat keine eigenen Zwangsbefugnisse.524 In diesen Fällen ersucht das OLAF die nationalen (Strafverfolgungs-) Behörden, die mit den entsprechenden Zwangsbefugnissen ausgestattet sind, um den OLAF-Bediensteten die notwendige Unterstützung zur Kontrolldurchführung zu leisten. Der Delegierte Europäische Staatsanwalt kann daraus folgern, dass der unmittelbare Einsatz von nationalen Ermittlungsressourcen zweckmäßiger ist, als das OLAF einzubinden, dessen Untersuchungserfolg am Ende des Tages letztlich auch am Einsatz von nationalen Ermittlungsbehörden hängt und überhaupt nur durch sie gewährleistet werden kann. In rechtlicher Hinsicht kann die parallel zu EUStA-Ermittlungen erfolgende Einbindung von OLAF Fragen nach der Verhältnismäßigkeit der Ermittlungen und eines fairen Verfahrens aufwerfen.525 Grundsätzlich ist die parallele Durchführung von OLAF Untersuchungen und EUStA Ermittlungen in ein und demselben Sachverhalt unter dem in Art. 50 GrCh und Art. 54 SDÜ verankerten ne bis in idem Prinzip zulässig, da sich das Recht, wegen einer Straftat nicht erneut verfolgt zu werden, nur auf den Fall einer bereits erfolgten Verurteilung oder eines erfolgten Freispruchs bezieht – die Mehrfachverfolgung einer Straftat, sei es durch verschiedenstaatliche Ermittlungen oder strafrechtliche und verwaltungsrechtliche Maßnahmen, ist möglich.526 Insbesondere wenn die Ermittlungen der EUStA und die Untersuchungen des OLAF auf die Gewinnung deckungsgleicher Beweismittel und auf einen deckungsgleichen Sachverhalt zielen, müssen die jeweiligen Eingriffsbefugnisse in den Blick genommen werden. Sollten sich die Anwendungsvoraussetzungen der Ermittlungsmaßnahmen der EUStA sowie Untersuchungshandlungen des OLAF in Bezug auf ein Beweisziel unterscheiden, kann eine Fragmentierung von Beschuldigtenrechten resultieren.527 Diese Situation kann auch entstehen, wenn das OLAF erst an EUStA-Ermittlungen anschließende Untersuchungen durchführt. 524
Vgl. Erwägungsgrund (22) und Art. 3 Abs. 6 OLAF Änderungs-VO. Brodowski, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 101, Rn. 15. 526 Brodowski, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 101, Rn. 15. 527 Brodowski, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 101, Rn. 15.
525
V. Zusammenarbeit mit OLAF
173
Soweit das OLAF verwaltungsrechtliche Untersuchungen mit einer Handlungsempfehlung an eine nationale Behörde, z. B. mit dem Inhalt einer Empfehlung zur Rückzahlungsaufforderung an einen Subventionsempfänger, abgeschlossen hat und die EUStA zu einem späteren Zeitpunkt für denselben Sachverhalt strafrechtliche Ermittlungen durchführen möchte, kann der ne bis in idem Grundsatz entgegenstehen. Eine verwaltungsrechtliche Maßnahme ist ihrer Natur nach als strafrechtlich zu qualifizieren und kann aufgrund des Doppelbestrafungsverbots nach Art. 50 GrCh und Art. 54 SDÜ eine Strafverfolgungsmaßnahme sperren, wenn die rechtliche Einordnung der Zuwiderhandlung nach nationalem Recht dem Bereich des Strafrechts zuzuordnen ist, die Ermächtigungsnorm für die verwaltungsrechtliche Maßnahme abschreckende Zwecke verfolgt oder die verwaltungsrechtliche Maßnahme sich durch eine gewisse Art und Schwere auszeichnet.528 Die auf Verwaltungsuntersuchungen gerichtete Einbindung von OLAF ist deshalb mit gewissen Unabwägbarkeiten für die Durchführbarkeit und Effektivität von strafrechtlichen Ermittlungen der EUStA behaftet. Der ermittlungsführende Delegierte Europäische Staatsanwalt wird sich gut überlegen, ob eine Einbindung zweckmäßig und insbesondere Vorteile gegenüber einer Ermittlungsdurchführung mittels nationaler behördlicher Ressourcen birgt. Im Sinne der zuverlässigen Beweisgewinnung und -verwertung könnte er sich tendenziell gegen die Einbindung von OLAF entscheiden. Anders verhält es sich, wenn die EUStA auf die Durchführung von Ermittlungshandlungen auf dem Gebiet von nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten oder in Drittstaaten zielt. Hier hat sie mangels Anwendbarkeit der VO keine eigenen Ermittlungsbefugnisse und kann Ermittlungen nur unter Rückgriff auf Rechtsinstrumente der gegenseitigen Anerkennung oder der traditionellen Rechtshilfe anstoßen. Das OLAF dagegen ist in diesen Gebieten auch mit eigenen Befugnissen ausgestattet Zwar hat es keine strafprozessualen Ermittlungs- bzw. Zwangsbefugnisse. Gleichwohl hat es bei seinen Verwaltungsuntersuchungen weitreichende Auskunfts- und Unterlagenvorlage- und Betretungsrechte gegenüber kontrollierten Wirtschaftsteilnehmern. Diesen Umstand kann sich die EUStA zu Nutze machen, das OLAF um die Durchführung von unterstützenden Maßnahmen ersuchen und sich auf diesem Wege ermittlungsrelevante Informationen oder Beweise beschaffen. Denn die Mitgliedstaaten der Union, Mittelempfänger aus dem EU-Haushalt und die vom OLAF Kontrollierten sind zur Zusammenarbeit mit dem OLAF verpflichtet. Insgesamt wird sich die Zusammenarbeit von EUStA und OLAF schwerpunktmäßig auf dem Feld des zwischenbehördlichen Informationsaustausches bewegen.529 Der Informationsaustausch bildet die entscheidende Weichenstellung für die Zu528
Vgl. EGMR, Urt. v. 8. Juni 1976 (Engel u. a. gegen Niederlande). Gleß/Wahl, in: SLGH, Internationale Rechtshilfe, Hauptteil III, Abschn. D. III D. 5, Einführung, Rn. 43; Kollozcek/Echanove Gonzales de Anleo, eucrim 2021, 187, 190; Meyer, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 67, Rn. 72; Zöller/Bock, in: Böse (Hrsg.) EnzEuR Bd. 11, § 22, Rn. 47. 529
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B. Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA
ständigkeitsabgrenzung und spätere Zuständigkeitsausübung von EUStA und OLAF. In diesem Sinne statuiert Art. 101 Abs. 5 VO den indirekten Zugriff der EUStA auf das Fallbearbeitungssystem des OLAF nach dem Treffer/Kein-Treffer Verfahren. Damit sich EUStA und OLAF wie vom Verordnungsgeber vorgesehen in ihren Funktionen komplettieren, muss dieser Informationsaustausch laufend erfolgen. Da die Ermittlung eines Sachverhalts naturgemäß verschiedene Zeitabschnitte durchläuft und fallrelevante Erkenntnisse und Zusammenhänge in zeitlichen Abständen klar werden, wird sich die Zuständigkeit von EUStA und OLAF nicht immer trennscharf voneinander abgrenzen lassen. Im Zeitraum der Unklarheit werden die Behörden gemäß ihrer Aufgabenbereiche Informationen sammeln und rege austauschen. Hier füllt die europäische Strafverfolgung ihren Wissenspool mit Erkenntnissen, von denen (nicht nur die) grenzüberschreitende Ermittlungsarbeit der EUStA profitieren dürfte.
C. Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der Europäischen Staatsanwaltschaft Fraglich ist, wie die Verteidigung des von den grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffenen den Handlungsräumen der EUStA gegenübersteht. Die Verteidigungsrechte des Betroffenen ergeben sich verordnungskonzeptionell aus dem europäischen Primärrecht, dem Sekundärrecht und dem anwendbaren nationalen Recht.
I. Rechtlicher Rahmen In Erwägungsgrund (80) S. 2 VO bekennt sich die EUStA zur Wahrung der Grundrechte und Grundsätze in Art. 6 EUV und der GrCh, in ihren Anwendungsbereichen im Völkerrecht und durch internationale Übereinkünfte, bei denen die Union oder alle Mitgliedstaaten der Union Vertragsparteien sind. Darunter fällt auch die Wahrung der unter der EMRK statuierten Rechte. Nach Erwägungsgrund (83) VO muss die EUStA insbesondere das Recht auf ein faires Verfahren, die Verteidigungsrechte und die Unschuldsvermutung, wie sie in Art. 47 und 48 GrCh verankert sind, achten und ihre Tätigkeit in vollem Einklang mit diesen Rechten ausüben. In diesem Sinne erklärt Art. 5 Abs. 1 VO die Bindung der EUStA an die GrCh. Kraft Zuweisung durch Art. 6 Abs. 1 EUV ist die GrCh Teil des Primärrechts.1 Als ranghöchstes Unionsrecht ist sie maßgebend für das Handeln aller Organe und Einrichtungen und Mitgliedstaaten der EU sowie die Gültigkeit des Sekundärrechts der Union. Die EUStA ist als Einrichtung der Union2 gem. Art. 51 Abs. 1 GrCh Verpflichtungsadressatin der GrCh. Art. 41 Abs. 1 VO bestimmt, dass die Tätigkeiten der EUStA in vollem Einklang mit den in der GrCh verankerten Rechten Verdächtiger und Beschuldigter, einschließlich des Rechts auf ein faires Verfahren und der Verteidigungsrechte, durchzuführen sind.
1 2
Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 6 EUV, Rn. 1 f. Vgl. Art. 3 Abs. 2 VO.
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C. Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA
1. Grundrechtecharta Maßgebend für die Auslegung und Anwendung der Bestimmungen der GrCh sind gem. Art. 6 Abs. 1 UAbs. 3 EUV die in Titel VII GrCh festgelegten Grundsätze und die gebührende Berücksichtigung der Erläuterungen,3 die als Anleitung für die Auslegung der GrCh verfasst4 wurden. Art. 52 Abs. 3 GrCh statuiert eine Verweisung in die in der EMRK garantierten Rechte: Soweit die GrCh Rechte enthält, die eine Entsprechung in der EMRK finden, hat sich ihre Bedeutung und Tragweite mindestens mit der in der EMRK statuierten Gewährleistung zu decken. Davon unberührt bleibt die Möglichkeit, dass das Unionsrecht einen weitergehenden Schutz gewährleisten kann. Für die Verteidigung des von grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffenen sind die in Titel VI in Art. 47 bis Art. 50 GrCh normierten justiziellen Rechte von Relevanz. 2. EMRK Die Verfahren der EUStA haben sich an den Grundrechten der EMRK zu messen. Gem. Art. 6 Abs. 3 EUV sind diese Grundrechte (und die Grundrechte, die sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben) allgemeine Grundsätze und Teil des Unionsrechts. Die Union selbst ist aber keine Vertragspartei der EMRK, obwohl Art. 6 Abs. 2 EUV und Art. 59 Abs. 2 EMRK die Möglichkeit eines Beitritts der Union zur EMRK vorsehen. Die Geltung der EMRK in den EU-Mitgliedstaaten ergibt sich völkerrechtlich dadurch, dass alle EU-Mitgliedstaaten EMRK-Vertragsparteien sind. Damit haben sich die EU-Mitgliedstaaten eine Selbstverpflichtung aufgegeben, die für sie auch beim Handeln im Rahmen der EU gilt.5 3. Richtlinien über die Rechte von Verdächtigen und Beschuldigten in Strafverfahren In einem Verfahren der EUStA stehen jedem Verdächtigen oder Beschuldigen gem. Art. 41 Abs. 2 VO die sich aus dem Sekundärrecht der Union ergebenden 3
Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. C 303/17 v. 14. 12. 2007 (nachfolgend: Erläuterungen zur GrCh). 4 Vgl. Art. 52 Abs. 7 GrCh und Erläuterungen zur Charta der Grundrechte. 5 S. dazu Deutscher Bundestag, EU-Agenturen und Menschenrechte, WD 2 3000 – 049/19, S. 5. Der Umstand, dass die Union keine Vertragspartei der EMRK ist, wirkt sich auf die Rechtsschutzmöglichkeiten des Beschuldigten gegen Akte der EUStA aus. Vor dem EGMR wäre die Individualbeschwerde eines Beschuldigten gegen die EUStA wegen Verletzung einer EMRK-Bestimmung unzulässig, da vor dem EGMR nur Vertragsparteien der EMRK – und damit nur die EU-Mitgliedstaaten – Beschwerdegegner sein können.
I. Rechtlicher Rahmen
177
Rechte, insbesondere den von ihr erlassenen und in nationales Recht umgesetzten Richtlinien über die Rechte von Verdächtigen und Beschuldigten in Strafverfahren, zu. Gem. Art. 82 Abs. 2 AEUV kann der europäische Normgeber mittels Richtlinien eine Rechtsangleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Strafverfahrensrechts herbeiführen.6 Für die adressierten Mitgliedstaaten sind Richtlinienbestimmungen verbindlich,7 schaffen aber – anders als Verordnungen –8 kein unmittelbar geltendes Recht in den Mitgliedstaaten. Sie verpflichten die Mitgliedstaaten zur Herstellung eines Rechtszustands bzw. eines Ziels, das die Mitgliedstaaten durch nationale Umsetzungsakte, etwa durch Neuschaffung oder Modifikation innerstaatlichen Rechts, zu vollziehen haben.9 Die Mitgliedstaaten haben alle erforderlichen Maßnahmen für die vollständige Gewährleistung der Richtlinienbestimmungen zu treffen. Bei der Wahl ihrer Mittel und Durchführungsmodalitäten sind sie aber frei.10 Gegenstand der Richtlinien nach Art. 82 Abs. 2 AEUV dürfen nur Mindestvorschriften sein, die sich auf die in Art. 82 Abs. 2 AEUV bestimmten Aspekte des Strafverfahrens beziehen.11 Der Erlass von Mindestvorschriften schafft ein unionales Mindest-Schutzniveau, dessen Gewährleistung durch die Mitgliedstaaten nicht unterschritten werden darf. Die Mitgliedstaaten können aber auch ein höheres Schutzniveau als durch die Richtlinienbestimmung vorgesehen einführen und weitergehende Vorschriften erlassen.12 Dies bedeutet, dass sich das Schutzniveau in Strafverfahren der Mitgliedstaaten im Einzelfall, abhängig von der nationalen gesetzgeberischen Entscheidung der Mitgliedstaaten, unterscheidet. Dies wirft die Frage auf, inwieweit Richtlinien zur Etablierung eines gleichförmigen, angemessenen Schutzniveaus im europäischen Rechtsraum überhaupt geeignet sind.13 Dieser Umstand ist bei der Betrachtung von im Verfahren der EUStA anwendbaren Richtlinien einzustellen.
6
Vogel/Eisele, in: Grabitz u. a. (Hrsg.), Recht der EU, Art. 82 AEUV, Rn. 84, 87; für den Begriff und die Materie des Strafverfahrens im unionsrechtlichen Sinn und i. S. d. Art. 82 AEUV s. Vogel/Eisele, in: Grabitz u. a. (Hrsg.), Recht der EU, Art. 82, Rn. 12 f. 7 Vgl. Art. 288 Abs. 3 AEUV. 8 Vgl. Art. 288 Abs. 2 AEUV. 9 Nettesheim, in: Grabitz u. a. (Hrsg.), Recht der EU, Art. 288 AEUV, Rn. 104. 10 Nettesheim, in: Grabitz u. a. (Hrsg.), Recht der EU, Art. 288 AEUV, Rn. 112. 11 Suhr, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 82, Rn. 46; Vogel/Eisele, in: Grabitz u. a. (Hrsg.), Recht der EU, Art. 82, Rn. 90. 12 Suhr, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 82, Rn. 46; Vogel/Eisele, in: Grabitz u. a. (Hrsg.), Recht der EU, Art. 82, Rn. 90, 92. 13 Vogel/Eisele, in: Grabitz u. a. (Hrsg.), Recht der EU, Art. 82, Rn. 86; Wahl, in: Ligeti u. a. (Hrsg.), EPPO At Launch, S. 101.
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C. Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA
Art. 41 Abs. 2 lit. a) – e) VO benennt (nicht nur) im Strafverfahren der EUStA geltende Richtlinien, wobei die Aufzählung nicht abschließend ist14: – das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen gemäß der RL 2010/64/ EU,15 – das Recht auf Belehrung oder Unterrichtung und das Recht auf Einsicht in die Verfahrensakte gemäß der Richtlinie 2012/13/EU,16 – das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand und das Recht auf Kommunikation mit Dritten und auf Benachrichtigung eines Dritten im Falle einer Festnahme gemäß der RL 2013/48//EU,17 – das Recht auf Aussageverweigerung und Unschuldsvermutung gemäß der RL (EU) 2016/34318 und – das Recht auf Prozesskostenhilfe gemäß der RL (EU) 2016/1919.19
4. Nationales Recht Darüber hinaus stehen dem Verdächtigen und Beschuldigten sowie allen anderen an EUStA-Verfahren Beteiligten, wie Geschädigten, Zeugen und Anwälten,20 gem. Art. 41 Abs. 3 VO alle Verfahrensrechte zu, die ihnen durch das geltende nationale Recht vermittelt werden. Dazu gehört beispielsweise die Möglichkeit, Beweismittel beizubringen oder zu beantragen, Sachverständige zu bestellen oder auf die Vernehmung eines Zeugen hinzuwirken und die EUStA dazu aufzufordern, entsprechende Maßnahmen im Namen der Verteidigung zu erwirken.
II. Zentrale Verteidigungsrechte im grenzüberschreitenden Ermittlungsverfahren der EUStA Die Errichtung der EUStA hat die Geburtsstunde einer genuin europäischen Strafverfolgung eingeläutet. Die EUStA kann mithilfe der in den Mitgliedstaaten als ihr verlängerter Arm handelnden Delegierten Europäischen Staatsanwälte nach 22 14
Vgl. Wortlaut Art. 41 Abs. 2 VO: „Jeder Verdächtige oder Beschuldigte in einem Strafverfahren der EUStA hat […] Verfahrensrechte, wie beispielsweise […]“ (Herv. durch Verf.). In der Zukunft zu erlassende unionale Rechtsakte im Bereich der Verfahrensrechte von Beschuldigten werden damit im EUStA Verfahren Anwendung finden. 15 ABl. L 280/1 v. 26. 10. 2010. 16 ABl. L 142/5 v. 01. 06. 2012. 17 ABl. L 294/1 v. 6. 11. 2013. 18 ABl. L 65/1 v. 11. 03. 2016. 19 ABl. L 297/1 v. 04. 11. 2016. 20 Brodowski, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 41, Rn. 55.
II. Zentrale Verteidigungsrechte im Ermittlungsverfahren der EUStA
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Strafverfahrensordnungen auf den Beschuldigten zugreifen und ihre Ermittlungsarbeit über ihren zentralen Sitz in Luxemburg koordinieren. Damit geht eine Verstärkung der Ressourcen der Ermittlungsbehörden einher, welche eine strukturelle Gewichtsverschiebung der Kräfte zulasten des von den Ermittlungen der EUStA Beschuldigten produzieren kann.21 Die Verteidigung des Beschuldigten steht dieser neuen, qualitativen Dimension europäischer Strafverfolgung durch die EUStA einerseits ohne institutionelles Korrelat gegenüber. Andererseits stellt sie wohl ernüchtert fest, dass die Kumulierung von europäischen Institutionen strafrechtlicher Zusammenarbeit wie Eurojust, OLAF, Europol und EJN mit der EUStA um einen neuen Akteur ergänzt wird22 und die Bildung eines spezifischen Netzwerks auf dem Gebiet der europäischen Strafverfolgung23 weiter vorangetrieben wird. Die Verteidigung steht nun potenziell mitgliedstaatlicher, nationaler und unionaler Strafverfolgung, unionalen Strafverfolgungseinrichtungen wie dem Eurojust, OLAF und internationalen Organisationen wie Interpol gegenüber. Dabei ist die Verteidigungsarbeit gerade in grenzüberschreitenden Ermittlungen gegen den Beschuldigten mit besonders spezifischen Herausforderungen behaftet. Die Verfahrensrealität zeigt, dass die Verteidigung sich in dieser Situation regelmäßig mit den Gesetzen, Praktiken und der Kultur einer ihr fremden Verfahrensordnung konfrontiert sieht, Sprachbarrieren für den Zugang zu verfahrensrelevanten Informationen überwinden muss und das Zusammenspiel zwischen nationalen und unionalen Strafverfolgungsbehörden sowie die Einflussbereiche anderer Einrichtungen der strafrechtlichen Zusammenarbeit im Blick behalten muss.
21 Ahlbrecht, StV 2012, 491, 492 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht, § 13, Rn. 1; Bachmaier-Winter, in: Bachmaier-Winter (Hrsg.), EPPO Challenges Ahead, S. 132 ff.; Gleß/ Wahl, in: SLGH, Internationale Rechtshilfe, Hauptteil III; Abschn. D. III D. 5, Einführung, Rn. 37; Schünemann, StRR 2011, 130, 135, ders., StV 2016, 178, 182, der die EUStA bildlich als Teil einer „sich zu einem Gebirge auftürmenden transanationalen Strafverfolgung“ sieht, während die Verteidigung „den Anblick einer lächerlichen Maus“ abgibt; Zerbes, ZIS 2015, 145, 153; vgl. zum Ganzen ähnlich bereits Kempf, StV 2003, 128, 129 f. und Satzger, StV 2003, 137, 139 f. in Bezug auf den Vorschlag der Errichtung einer EUStA auf Basis des Grünbuchs COM (2001) 715. 22 Ahlbrecht/Rüschendorf, in: Volk/Beukelmann, Anwaltshandbuch, § 16, Rn. 14; Ambos, Internationales Strafrecht, § 13, Rn. 1, der in der Errichtung der EUStA vor Institutionalisierung einer die Waffengleichheit wahrenden europäischen Strafverteidigung einen besonders eilfertigen Vorstoß der Mitgliedstaaten erkennt; Gleß, StV 2010, 400, 404, nach der die einseitige Stärkung der Strafverteidigung zur strukturellen Schwächung der Strafverteidigung führt; so bereits auch: Kretschmer, Jura 2007; 169; Schünemann, GA 2002, 501, 516. 23 Vgl. Schoppa, Europäische Sicherheitsagenturen, S. 328 ff. und 397 f. mit Verweis auf das Stockholmer Programm und den dieses implementierenden Aktionsplan (ABl. C 115/28 v. 04. 05. 2010), die in der Institutionalisierung und Kooperation von europäischen Sicherheitsagenturen wie Eurojust, Europol und Frontex eine „spezifische Netzwerkbildung“ sieht, die eine immer wichtiger werdende, konstante Komponente der Sicherheitszusammenarbeit darstellt.
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C. Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA
Nach Art. 41 Abs. 1 VO hat die EUStA ihre Tätigkeiten in vollem Einklang mit dem Recht auf ein faires Verfahren durchzuführen. Dazu gehört auch das Recht auf eine effektive Strafverteidigung, die dem Beschuldigten durch das Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Abs. 1 EMRK und dessen Teilaspekten nach Art. 6 Abs. 3 lit. b) und c) EMRK vermittelt wird: Der Beschuldigte muss die Möglichkeit haben, seine Rechte effektiv auszuüben und in die Lage versetzt werden, wirksam von diesen Gebrauch zu machen.24 Das Recht auf eine effektive Strafverteidigung zielt im Wesentlichen darauf, dass die Verfahrenssubjekte ihren Prozessstandpunkt unter gleichartigen Bedingungen vertreten können und impliziert, dass der Angeklagte bzw. seine Verteidigung den Strafverfolgungsbehörden verfahrensrechtlich gleichgestellt sein soll („principle of equality of arms“/Waffengleichheit als Teilgarantie des Rechts auf ein faires Verfahren).25 Die Waffengleichheit erfordert im Strafverfahren eine geeignete Verteidigung, die im Vergleich zur Anklage nicht substanziell benachteiligt ist. So dürfen auch Ermittlungsverfahren nicht so geführt werden, dass eine substanzielle Verteidigung materiell betrachtet im Nachhinein nicht mehr eröffnet werden kann.26 Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage auf, inwieweit die Tätigkeit der EUStA nach der Konzeption der VO de lege lata ihrem Anspruch, der Gewährleistungen eines fairen Verfahrens, überhaupt gerecht werden kann. Denn der Status quo ist, dass das Kräfteverhältnis zwischen europäischer Strafverfolgung und grenzüberschreitender Strafverteidigung institutionell betrachtet schon längst und mit der Errichtung der EUStA erst recht zugunsten der Strafverfolgung verschoben ist.27 Der europäische Gesetzgeber hat im letzten Jahrzehnt zwar auch die Stärkung der Verfahrensrechte von Verdächtigen und Beschuldigten durch den Erlass verschiedener Richtlinien in den Blick genommen. Eine Anpassung der bestehenden Instrumente blieb trotz Errichtung der EUStA aber aus. Nachfolgend werden Verfahrensrechte adressiert, die für die grenzüberschreitende Verteidigung des Beschuldigten von höchster Relevanz sind und die ihm nach der Konzeption der VO de lege lata zuteilwerden. Diese Verfahrensrechte werden gegen die grenzüberschreitenden Handlungsräume der EUStA gehalten und vor dem Hintergrund der (rechts-)tatsächlichen Bedürfnisse der grenzüberschreitenden Strafverteidigung auf ihre Leistungsfähigkeit und Grenzen für die Gewährleistung einer Waffengleichheit im Strafverfahren hin untersucht. Es wird eruiert, inwieweit die bestehenden Verfahrensrechte dazu geeignet sind, zu einem desiderablen Gleichgewicht zwischen der institutionell starken, europäischen Strafverfolgung 24 Vgl. Augustin, Effektive Verteidigung, S. 44 ff.; Esser, in: Sieber u. a. (Hrsg.), Europäisches Strafrecht, § 58, Abschnitt A, Rn. 1 ff.; Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 159 ff. 25 EGMR, Urteil v. 27. 06. 1968 – 1936/63, BeckRS 1968, 105102 (Neumeister/AUT). 26 Gaede, in: MüKO StPO, Art. 6 EMRK, Rn. 304. 27 Vgl. Ambos/Rackow/Schork, StV 2021, 126, 127; Esser, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 244, Rn. 13, S. 289, Rn. 290, S. 290, Rn. 298; Oehmichen, in: Esser/ Herrnfeld (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 345, Rn. 1 ff., S. 371, Rn. 115.
II. Zentrale Verteidigungsrechte im Ermittlungsverfahren der EUStA
181
einerseits und der grenzüberschreitenden Strafverteidigung andererseits beizutragen. Abschließend werden de lege ferenda konkrete Vorschläge für die Aufwertung der Verteidigungsposition des Beschuldigten extrahiert und Möglichkeiten ihrer rechtlichen Umsetzung aufgezeigt. 1. Informations- bzw. Akteneinsichtsrechte Für die erfolgreiche Verteidigung des Mandanten im Ermittlungsverfahren der EUStA ist der Zugang zu allen verfahrensrelevanten Informationen eine unverzichtbare Grundbedingung. Im grenzüberschreitenden Ermittlungsverfahren der EUStA können fallrelevante Informationen in verschiedenen Quellen auffindbar sein. a) Informationsquellen Die wichtigste Informationsquelle für die Verteidigung ist die gem. Art. 45 Abs. 1, Abs. 2 VO durch den betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt nach dem Recht seines Mitgliedstaates geführte Verfahrensakte. Hat der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt im Einklang mit seinem nationalen Recht bestimmte Ermittlungsmaßnahmen im Wege der Amtshilfe durch Einbezug der nationalen Staatsanwaltschaften oder anderer nationaler Behörden, öffentlicher Dienststellen, Körperschaften oder Anstalten28 durchgeführt, könnten diese Stellen ebenfalls eigene Akten bereithalten, die Bezüge zum Fall des Beschuldigten aufweisen. Zu beachten ist, dass in Sachverhalten mit mehreren Beschuldigten auch die Akte eines (Mit-)Beschuldigten eine wichtige Informationsquelle sein kann, z. B. wenn die EUStA in einem Fall gegen verschiedene Beschuldigte zunächst getrennte Ermittlungsverfahren führt.29 Die Verteidigung des von grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffenen wird auch die im nach Art. 44 VO im behördeninternen Fallbearbeitungssystem der EUStA befindlichen Verfahrensinformationen als relevant erachten.30 Denn das Fallbearbeitungssystem enthält eine in englischer Sprache geführte Kopie (gespiegelte Verfahrensakte) der mitgliedstaatlich geführten Verfahrensakte der EUStA.31
28
Vgl. für die Adressaten einer Amtshilfehandlung des deutschen Delegierten Europäischen Staatsanwalts Niedernhuber, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 154, Rn. 67 unter Verweis auf § 13 EUStAG i. V. m. § 142 Abs. 1 Nr. 2, 3 GVG. 29 Vgl. Oehmichen, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 360, Rn. 66. 30 Vgl. Oehmichen, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 360, Rn. 64 f. 31 S. dazu unter A., S. 56 ff. dieser Arbeit.
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C. Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA
Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStAwerden besonders stark durch den Informationsaustausch mit europäischen Einrichtungen der strafrechtlichen Zusammenarbeit, wie Eurojust, OLAF, oder Europol betrieben werden.32 Die vorgenannten Einrichtungen könnten auch unabhängig von einer an die EUStA geleisteten Unterstützung eine Informationssammlung zum Betroffenen angelegt haben. Diese sind auch von Interesse für die Verteidigung. Bei grenzüberschreitenden Fällen mit Bezügen zu Drittstaaten können fallrelevante Informationen in dem System von Interpol hinterlegt sein. Freilich können sich fallrelevante Informationen potenziell in beliebig vielen Akten von anderen Staaten befinden. Der Weg zu den oben genannten Informationsquellen fußt auf einzelgesetzlichen Grundlagen, eröffnet sich unter der Erfüllung bestimmter Bedingungen und divergiert in Umfang, Zeitpunkt und (tatsächlicher) Zugangsmöglichkeit. b) Zugang zu Verfahrensakte der EUStA gem. Art. 45 Abs. 2 UAbs. 2 S. 2 VO Der Zugang zur Verfahrensakte der EUStA richtet sich gem. Art. 45 Abs. 2 UAbs. 2 S. 2 VO nach dem Recht des Mitgliedstaates des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts. In der EMRK verbürgt Art. 6 Abs. 3 lit. a) EMRK das Recht jeder angeklagten Person, innerhalb möglichst kurzer Frist und in einer ihr verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über die Art und den Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden. Der Anspruch auf Information ist als Bedingung für eine effektive Verteidigung zu verstehen und ist im Zusammenhang mit dem in Art. 6 Abs. 3 lit. b) EMRK statuierten Recht auf Verteidigung zu lesen.33 Die Akteneinsicht ist eine Grundbedingung für die Vorbereitung einer geeigneten Verteidigung. Die mit Art. 6 EMRK aspirierte Waffengleichheit im Strafverfahren setzt notwendigerweise eine Informationsäquivalenz zwischen Strafverfolgung und Strafverteidigung voraus. Die verweigerte Akteneinsicht kann einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 und Abs. 3 EMRK34 und eine Verletzung der Verteidigungsrechte des Beschuldigten aus Art. 48 Abs. 2 GrCh begründen,35 da die Auslegung der in der EMRK garantierten Rechte gem. Art. 52 Abs. 3 S. 1 GrCh eine Rechtserkenntnis-
32
S. dazu unter B., S. 155 f. und S. 169 ff. dieser Arbeit. Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 234; Lohse/Jakobs, in: Karlsruher Kommentar StPO, Art. 6 MRK, Rn. 81. 34 EGMR, Urteil v. 17. 02. 1997 – 10/1996/629/812, NStZ 1998, 429. 35 EGMR, Urteil v. 17. 02. 1997 – 10/1996/629/812, NStZ 1998, 429. Vgl. für die Entsprechung von Art. 6 EMRK und Art. 48 GrCh Zusammenfassung der Auflistungen des Konventpräsidiums Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 52 GrCh, Rn. 23 f. 33
II. Zentrale Verteidigungsrechte im Ermittlungsverfahren der EUStA
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quelle sind, die bei der Bestimmung der Tragweite und Auslegung der Rechte der GrCh heranzuziehen sind.36 Zudem ist der Zugang zur Verfahrensakte gem. Art. 41 Abs. 1 VO im Zusammenhang mit den in der Charta verankerten Rechten und unter Zugrundelegung des Art. 7 der Richtlinie 2012/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren37 (nachfolgend: RL 2012/13/EU) zu beurteilen, die einen Mindeststandard für den Zugang zur Verfahrensakte im europäischen Rechtsraum38 statuiert. Art. 41 Abs. 2 lit. b) VO nimmt für das Strafverfahren der EUStA ausdrücklich Bezug auf die in der der RL 2012/13/EU verbürgten Garantien.39 aa) Zeitpunkt Art. 45 Abs. 2 UAbs. 2 S. 2 VO trifft keine genuine Bestimmung über einen Zeitpunkt der Gewährleistung von Akteneinsicht, sondern verweist für den Zugang zur Verfahrensakte allgemein auf das Recht des Mitgliedstaates des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts. Gem. Art. 2 Abs. 1 RL 2012/13/EU ist der zeitliche Anwendungsbereich der RL eröffnet ab dem Zeitpunkt, zu dem Personen von den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaates davon in Kenntnis gesetzt werden, dass sie der Begehung einer Straftat verdächtig oder beschuldigt sind. Art. 7 Abs. 3 RL 2012/13/EU bestimmt, dass der Zugang zu strafverfahrensrelevanten Unterlagen „so rechtzeitig“ gewährt werden muss, dass die „Verteidigungsrechte wirksam wahrgenommen werden können, spätestens aber bei Einreichung der Anklageschrift bei Gericht“. Der EuGH hat Art. 7 Abs. 3 RL 2012/13/EU dahingehend interpretiert, dass das Recht auf Akteneinsicht nicht zwangsläufig bereits mit dem Zeitpunkt des Rechts auf Unterrichtung über den Tatvorwurf gem. Art. 6 Abs. 3 RL 2012/13/EU zusammenfällt, sondern diesem nachgelagert sein kann.40 Art. 6 Abs. 3 RL 2012/13/EU bestimmt, dass die Mitgliedstaaten der beschuldigten Person spätestens wenn einem Gericht die Anklageschrift vorgelegt wird auch detaillierte Informationen über den Tatvorwurf, einschließlich der Art und rechtlichen Beurteilung der Straftat und seiner Beteiligung, zu erteilen haben. Da die RL 2012/13 EU keinen Zeitpunkt für den Zugang zu Akte vorschreibt, kann dieser nach Interpretation des EuGH, abhängig der jeweiligen Fallgestaltung 36
Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 52 GrCh, Rn. 21. ABl. L 142/1 v. 01. 06. 2012. 38 Vgl. Erwägungsgründe (8) und (14) RL 2012/13/EU. 39 Die Geltung der in RL 2012/13/EU verbürgten Garantien ergibt sich für die Mitgliedstaaten bereits aus Art. 288 Abs. 3 AEUV, daher schafft die in Art. 41 Abs. 2 VO enthaltene Verweisung auf die Richtlinien über die Rechte von Verdächtigen und Beschuldigten in Strafverfahren kein neues Recht, sondern ist als deklaratorische Erklärung zu erachten. 40 EuGH Urteil v. 05. 06. 2018 – C-612/15, BeckRS 2018, 10157 (Kolev u. a.). 37
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C. Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA
bereits vor der Anrufung eines Gerichts, zeitgleich mit Anrufung eines Gerichts oder aber auch erst danach erfolgen.41 Das Ziel und der ordnungsgemäße Ablauf des Verfahrens aber setzten voraus, dass die Akteneinsicht spätestens dann zu erfolgen habe, wenn das für die Entscheidung zuständige Gericht mit den Verhandlungen über die Begründetheit des Tatvorwurfs tatsächlich beginnt.42 Der Zeitpunkt der Akteneinsicht habe jedoch unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung der verfahrensrechtlichen Waffengleichheit so zu erfolgen, dass der beschuldigten Person ausreichend Zeit verbleibe, die Verfahrensakte zur Kenntnis zu nehmen und ihre Verteidigung wirksam vorzubereiten, etwaige Stellungnahmen einzureichen und ggf. Anträge zu Sachverhaltsaufklärung zu stellen. Dies könne unter Umständen auch erfordern, dass das Verfahren ausgesetzt oder unterbrochen wird.43 bb) Adressat Im grenzüberschreitenden Ermittlungsverfahren ist ein Akteneinsichtsersuchen nach der Konzeption der VO an den betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt zu richten. Art. 45 Abs. 2 UAbs. 2 S. 2 VO bestimmt, dass der Zugang zur Verfahrensakte für Verdächtige und Beschuldigte sowie für andere an dem Verfahren beteiligte Personen von dem betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt nach Maßgabe seiner Rechtsordnung gewährt wird. Die Verfahrensakte wird gem. Art. 45 Abs. 1 UAbs. 1 VO durch den betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt angelegt und gem. Art. 45 Abs. 2 UAbs. 1 VO nach dem Recht seines Mitgliedstaates geführt. In grenzüberschreitenden Ermittlungsverfahren der EUStA soll der unterstützende Delegierte Europäische Staatsanwalt die im Wege einer zugewiesenen Maßnahme gesammelten Informationen dem betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt übermitteln.44 Letzterem obliegt die Entscheidung, ob die übermittelte Information zur Verfahrensakte zu nehmen ist. Bejahendenfalls ist er für die Synchronisierung der Verfahrensakte mit dem Fallbearbeitungssystem der EUStA zuständig und kopiert die übermittelte Information in die dort befindliche gespiegelte Verfahrensakte.45 Möglichkeiten, Akteneinsichtsersuchen in grenzüberschreitenden Fallgestaltungen direkt an die Zentrale in Luxemburg oder den unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt zu adressieren – die von dort etwa an den zuständigen betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt weitergeleitet werden könnten – sieht die VO nicht vor. 41
EuGH Urteil v. 05. 06. 2018 – C-612/15, BeckRS 2018, 10157 (Kolev u. a.). EuGH Urteil v. 05. 06. 2018 – C-612/15, BeckRS 2018, 10157 (Kolev u. a.). 43 EuGH Urteil v. 05. 06. 2018 – C-612/15, BeckRS 2018, 10157 (Kolev u. a.). 44 Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 45, Rn. 8. 45 Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 45, Rn. 8. 42
II. Zentrale Verteidigungsrechte im Ermittlungsverfahren der EUStA
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cc) Gegenstand, Inhalt und Umfang Gem. Art. 45 Abs. 2 UAbs. 2 S. 2 VO kann sich ein Akteneinsichtsersuchen in Verfahren der EUStA nur auf die Verfahrensakte der EUStA, also auf die vom betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt nach dem Recht seines Mitgliedstaates angelegte Akte,46 beziehen. Nicht davon erfasst ist die gespiegelte Verfahrensakte, die im Fallbearbeitungssystem der EUStA zum Zwecke der Aufgabenwahrnehmung der zentralen Dienststelle eine elektronische, in englischer Sprache geführte Kopie der Verfahrensakte enthält.47 Inhalte der Verfahrensakte sind gem. Art. 45 Abs. 1 UAbs. 2 VO alle dem die Verfahrensakte führenden Delegierten Europäischen Staatanwalt „zur Verfügung stehenden Informationen und Beweismittel“, die „das Ermittlungs- oder Strafverfolgungsverfahren der EUStA betreffen“. Die konkreten Inhaltsbestandteile der EUStA-Verfahrensakten können, abhängig vom Mitgliedstaat des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts divergieren, da die VO für die Führung der Verfahrensakte mit Art. 45 Abs. 2 UAbs. 1 VO auf die nationalen Rechtsordnungen verweist. In grenzüberschreitenden Ermittlungsverfahren der EUStA auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten wird der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt verfahrensrelevante Informationen und Beweismittel insbesondere vom unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt erhalten. Die Entscheidung, ob auf diesem Weg erhaltene Informationen zu der Verfahrensakte zu nehmen sind, obliegt dem betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt.48 Weiterhin wird der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt bei grenzüberschreitenden Ermittlungen auch verfahrensrelevante Informationen aus den Fallbearbeitungssystemen des Eurojust und OLAF oder durch allgemeinen zwischenbehördlichen Informationsaustausch erhalten.49 Der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt könnte gem. Art. 102 Abs. 2 VO auch Europol um sachdienliche Informationen über eine in ihre Zuständigkeit fallende Straftat ersucht haben. Die zwischenbehördlich erhaltene Information müsste gem. Art. 45 Abs. 1 UAbs. 2 VO zum Inhalt der Verfahrensakte werden, wenn sie verfahrensrelevant ist und Beweismittel enthält. Der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt wird bei grenzüberschreitenden Ermittlungen unter Umständen auch Akten oder Informationen von nationalen Behörden und Gerichten, z. B. von Finanz- bzw. Steuerbehörden, beiziehen. Eine beigezogene Akte kann je nach Klassifikation der nationalen Rechtsordnung damit eine Information oder ein Beweismittel i. S. d. Art. 45 Abs. 1 UAbs. 2 VO darstellen und auch zum Bestandteil der Verfahrensakte werden. Zudem werden bei EUStA-Verfahren mit mehreren Beschuldigten auch Aktenbestandteile von Mitbeschuldigten Eingang in 46
Vgl. Art. 45 Abs. 1 UAbs. 1 VO. Vgl. Art. 44 Abs. 4 lit. c) VO, Art. 45 Abs. 3 VO. 48 Herrnfeld, in: Herrnfeld u. a. (Hrsg.), EPPO Commentary, Art. 45, Rn. 8. 49 S. dazu unter B., S. 155 f. und S. 169 ff. dieser Arbeit.
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C. Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA
die Ermittlungsführung des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts finden. Auch Auskünfte aus nationalen Registern, wie z. B. dem Handels- oder Gewerberegister könnten bei den EUStA-Ermittlungen herangezogen werden und zum Inhalt der Verfahrensakte beitragen. Unionale Mindeststandards zum inhaltlichen Umfang der Akteneinsicht im Strafverfahren legen Art. 7 Abs. 1 und Abs. 2 RL 2021/13/EU fest. Art. 7 Abs. 1 RL 2012/13 garantiert einer festgenommenen und inhaftierten Person, dass ihr alle die für eine wirksame Anfechtung der Festnahme oder Inhaftierung nach innerstaatlichem Recht wesentlichen und im Besitz der zuständigen Behörde befindlichen Unterlagen zur Verfügung gestellt werden.50 Art. 7 Abs. 2 RL 2012/13/EU beschreibt den im Vergleich zu Art. 7 Abs. 1 RL 2012/13/EU allgemeinen Umfang der zu gewährenden Akteneinsicht für verdächtige und beschuldigte Personen, der inhaltlich über die Gewährleistung des Art. 7 Abs. 1 RL 2012/13/EU hinausgeht.51 Art. 7 Abs. 4 RL 2012/13/EU legt Gründe fest, bei deren Vorliegen das Recht auf Einsicht in bestimmte Teile der Akte abweichend von Art. 7 Abs. 2 und Abs. 3 RL 2012/13/EU verweigert werden kann, sofern das Recht auf ein faires Verfahren dadurch nicht beeinträchtigt wird. So kann die Akteneinsicht auf bestimmte Unterlagenteile beschränkt werden, wenn andernfalls das Leben oder Grundrechte einer anderen Person ernsthaft gefährdet werden könnten oder der Schutz eines wichtigen öffentlichen Interesses eine Beschränkung unbedingt erfordert, namentlich wenn laufende Ermittlungen gefährdet werden können. dd) Sprache Die VO trifft keine eigene Sprachregelung zur Akteneinsicht in grenzüberschreitenden Verfahren der EUStA. Gem. Art. 45 Abs. 2 UAbs. 2 S. 2 VO wird der Zugang zur Verfahrensakte vom betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt nach dem Recht seines Mitgliedstaates gewährt, regelmäßig wird die Akte damit in der Amtssprache dieses Mitgliedstaates geführt sein und in dieser zur Einsicht verfügbar gemacht werden. In grenzüberschreitenden Verfahren der EUStA kann für die Verteidigung des Betroffenen das Bedürfnis nach einer Übersetzung der Verfahrensakte entstehen. Diese Situation wird in der VO nicht adressiert. 50
Die Gewährleistung gilt aber nach der Rechtsprechung des EuGH nicht für Personen, die zum Zwecke der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls festgenommen werden, s. EuGH, Urteil v. 28. 01. 2021 – C-649/19, BeckRS 2021, 623. 51 Vgl. Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 RL 2012/13/EU: „alle Unterlagen zu dem gegenständlichen Fall, die sich im Besitz der zuständigen Behörde befinden und für eine wirksame Anfechtung der Festnahme oder Inhaftierung gemäß dem innerstaatlichen Recht wesentlich sind“ mit dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 2 RL 2012/13/EU: „zumindest alle im Besitz der zuständigen Behörden befindlichen Beweismittel zugunsten oder zulasten der Verdächtigen oder beschuldigten Person“ (Herv. durch Verf.).
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Aus Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren52 (nachfolgend: RL 2010/64/EU) lässt sich kein unbedingter Anspruch auf Übersetzung der Verfahrensakte der EUStA ableiten. Die Richtlinie deckt zwar das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen im Stadium des Ermittlungsverfahrens ab.53 Die Übersetzungsgarantie beschränkt sich aber auf Unterlagen, die „wesentlich“ für die Wahrnehmung der Verteidigungsrechte und Gewährleistung eines fairen Verfahrens der verdächtigen oder beschuldigten Person sind.54 Mindestens wesentliche Unterlagen sind (nur) jegliche Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßnahme, jegliche Anklageschrift und jegliches Urteil.55 Ob weitere Dokumente als wesentlich zu erachten und damit übersetzt werden, entscheiden die zuständigen Behörden im Einzelfall.56 Bei der Entscheidung, ob eine Unterlage im Strafverfahren als wesentlich einzuordnen ist, hat die zuständige Behörde die Rechtsprechung des EGMR zu berücksichtigen. Danach hat der Beschuldigte nur einen Anspruch auf Übersetzung solcher Unterlagen, ohne deren Kenntnis ihm ein faires Verfahren abgeschnitten wäre57 – dafür muss aber nicht erst jedes Beweis- oder Aktenstück übersetzt werden; es reicht aus, dass der Beschuldigte vom Tatvorwurf Kenntnis erhält und sich dagegen verteidigen kann.58 Zudem können Passagen von wesentlichen Dokumenten von einer Übersetzung ausgenommen werden, sofern sie sich nicht zum Tatvorwurf selbst verhalten.59 ee) Durchführung Die VO enthält keine Bestimmungen zur konkreten Durchführung der Einsicht in die Verfahrensakte, so dass sich diese gem. Art. 45 Abs. 2 UAbs. 2 S. 2 VO nach den Bestimmungen der Rechtsordnung des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts richtet. Art. 7 Abs. 5 RL 2012/13/EU normiert, dass der Zugang zur Akte in Strafverfahren unentgeltlich zu gewähren ist, gilt aber unbeschadet innerstaatlicher Vorschriften, nach denen Gebühren für die von den Akten anzufertigenden Kopien oder
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ABl. EU L 280/5 v. 26. 10. 2010. Vgl. Art. 1 Abs. 2 RL 2010/64/EU für den zeitlichen Anwendungsbereich der Richtlinie: sie gilt in Strafverfahren für Personen ab dem Zeitpunkt, zu dem sie von der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaates davon in Kenntnis gesetzt werden, dass sie der Begehung einer Straftat verdächtig oder beschuldigt sind. 54 Art. 3 Abs. 1 RL 2010/64/EU. 55 Art. 3 Abs. 2 RL 2010/64/EU. 56 Art. 3 Abs. 3 RL 2010/64/EU. 57 EGMR, Urteil v. 23. 10. 1978, NJW 1979, 1091. 58 EGMR, Urteil v. 19. 12. 1989 – 9783/82, BeckRS 1989, 113179. 59 Art. 3 Abs. 4 RL 2010/64/EU. 53
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C. Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA
für die Übersendung von Unterlagen an die betroffene Person oder deren Rechtsanwalt zu entrichten sind.60 Die formellen und materiellen Voraussetzungen für die Einsicht in die Verfahrensakte der EUStA sind dem mitgliedstaatlichen Recht des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts zu entnehmen. Dies gilt auch für die konkrete Einsichtsform bzw. -möglichkeit der Verfahrensakte: Denkbar ist, dass die Verfahrensakte der Verteidigung als Originalakte zur Verfügung gestellt oder eine Papierkopie der Originalakte übersendet wird; sie könnte aber auch in den Räumlichkeiten des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts zur Einsicht liegen oder digital bzw. als elektronisches Dokument zum Download verfügbar gemacht werden. Im Dezember 2021 hat die Kommission einen Verordnungsentwurf zur Digitalisierung der Justiz im Bereich der grenzüberschreitenden Zivil-, Handels- und Strafsachen veröffentlicht,61 der zuvörderst auf die Errichtung des zwischenmitgliedstaatlichen elektronischen Rechtsverkehrs im Bereich der Justiz zielt. Spätestens mit Inkrafttreten einer Verordnung zur Digitalisierung der Justiz unterlägen die Mitgliedstaaten der Verpflichtung, justizielle Prozesse und auch Verfahrensakten zu digitalisieren oder elektronisch zu führen. Inwieweit sich die Verordnungsaspirationen auch auf die Möglichkeiten der Akteneinsicht des Betroffenen bei den an der EUStA teilnehmenden Mitgliedstaaten konkret auswirken wird, bleibt abzuwarten. Da allerdings auch die mitgliedstaatlichen Justizbehörden eine Wende hin zur Digitalisierung betreiben dürften, ist damit zu rechnen, dass die EUStA-Verfahrensakte dem Betroffenen nach dem mitgliedstaatlichen Recht in Zukunft auch regelmäßig in digitaler Form zur Verfügung gestellt werden wird. ff) Bewertung und Fazit Der Umstand, dass die VO den Zugang zur Verfahrensakte akzessorisch zum mitgliedstaatlichen Recht des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts gestaltet, begründet die Gefahr einer Informationsasymmetrie im Verhältnis von durch grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA betroffenen Personen zueinander. Denn die Rechtsordnung des Mitgliedstaates des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts entscheidet über den Zeitpunkt, die Modalitäten und den Umfang der Akteneinsicht. Die Verteidigung des von grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffenen wird erst durch den Zugang zur Verfahrensakte mit der Informationsgrundlage ausgestattet, die ihr die Möglichkeit zur rechtlichen Würdigung des Mandats und die Erarbeitung einer Verteidigungsstrategie erlaubt. Dass dieses das Ermittlungsverfahren moderierende Momentum verordnungskonzeptionell letztlich 60 61
Erwägungsgrund (34) RL 2012/13/EU. S. COM (2021) 759 final.
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von der Rechtsordnung (allein) des betrauten Mitgliedstaates diktiert wird, während die EUStA als supranationale Behörde ihre grenzüberschreitenden Ermittlungen auf alle nach den Rechtsordnungen aller Mitgliedstaaten zur Verfügung stehenden Instrumente stützen kann, stellt die Verteidigung vor praktische Schwierigkeiten, die sie mit den unional verbürgten Verfahrensrechten nicht überwinden kann. (1) Zeitpunkt Die in RL 2012/12/EU als unionaler Mindeststandard formulierte Zeitspanne für den Zugang zu einer Verfahrensakte im Strafverfahren nivelliert die Unterschiede der Akteneinsicht nach den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen nicht in dem Maße, als sie dazu geeignet wäre, die Verteidigung auf Augenhöhe mit der Ermittlungstätigkeit einer supranationalen Strafverfolgungsbehörde zu heben und es unerheblich wäre, welcher Mitgliedstaat die Ermittlungsführung hält. Der europäische Gesetzgeber aspiriert mit Art. 7 RL 2012/12/EU die Festlegung eines Mindeststandards für den Zeitpunkt der Akteneinsicht im Strafverfahren. Die Norm ist allerdings zeitlich so weiträumig formuliert, dass die Mitgliedstaaten ihre nationalen Verfahrensordnungen wohl nicht in besonderem Maße anpassen mussten, um diesem Standard gerecht zu werden. Eine einheitliche Handhabe für die zeitliche Informationsgewinnung der grenzüberschreitend tätigen Verteidigung dürfte dadurch auch nicht entstanden sein. Denn wenn die Akteneinsicht dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 3 RL 2012/13/EU nach „spätestens bei Einreichung der Anklageschrift bei Gericht“ und im Lichte der EuGH Rechtsprechung im Einzelfall sogar nach Anrufung des Gerichts zu gewähren sein kann, ist potenziell jeder Zeitpunkt bis zur Sachentscheidung des Gerichts für die Akteneinsicht geeignet oder eben auch ungeeignet.62 Gerade in grenzüberschreitenden Verfahren birgt diese Unsicherheit aber die Gefahr der Ungleichbehandlung von EUStA-Ermittlungen Betroffenen.63 Die Rechtsordnung des Mitgliedstaates des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts determiniert dann, wieviel Zeit der Verteidigung zur Durchsicht und Analyse von Beweismitteln, zur Ausarbeitung einer Verteidigungsstrategie und zur Anstrengung von eigenen Sachverhaltsermittlungen in Antizipation zur Strafverfolgung verbleibt. In Mitgliedstaaten mit adversatorischen Strafverfahrenssystemen wie z. B. Italien wird die Akteneinsicht tendenziell in einer frühen Phase des Ermittlungsstadiums gewährt, in Deutschland dagegen erst zum Abschluss des Ermittlungsverfahrens.64
62 Kritisch auch Soo/Pivaty, eucrim 2019, 60, 62 nach Bejahung der von ihnen aufgeworfenen Frage, ob Wortlaut und Historie des Art. 7 Abs. 2, 3 der RL 2012/13/EU überhaupt den Fall der Akteneinsicht im Ermittlungsverfahren erfassen. 63 Soo/Pivaty, eucrim 2019, 60, 63; Esser, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 292; Wahl, in: Ligeti (u. a.), EPPO At Launch, S. 104. 64 Wahl, in: Ligeti (u. a.), EPPO At Launch, S. 104.
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C. Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA
Die aufgrund der hybriden Verfahrensstruktur der EUStA drohende Zersplitterung der Betroffenenrechte verlangt deshalb eine Antwort auf die Frage, ob ein einheitlicher Zeitraum für den Zugang zur Verfahrensakte definiert werden kann und wie dieser bei grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA zu bestimmen sein könnte. Dabei sind die sich diametral gegenüberstehenden Interessen der effektiven Strafverfolgung einerseits und die Chance auf eine effektive Verteidigung des Betroffenen andererseits zu betrachten.65 Für die Strafverteidigung eröffnet sich mit dem Zugang zur Verfahrensakte erst die Informationsbasis, auf die sich eine Verteidigungsstrategie stützen lässt. So kann die Verteidigung erst nach Durchsicht der Verfahrensakte einschätzen, ob sie ihrer Mandantschaft zum Schweigen raten soll, ob sie eine Verfahrensabsprache anstreben oder Beweisermittlungsanträge stellen bzw. eine eigene Beweiserhebung anstoßen sollte.66 Diese Möglichkeiten tragen der Waffengleichheit im Ermittlungsverfahren bei.67 Die Strafverfolgung dagegen legt mit der Freigabe der Verfahrensakte offen, welche Ermittlungsstrategie sie verfolgt, welche Sachverhalte sie im Blick hat und welche Beweismittel sie für den Nachweis einer verfolgten Tat bereits gesammelt hat. Sie hat im laufenden Ermittlungsverfahren ein Interesse daran, ihre Erkenntnisse erst zum spätmöglichsten Zeitpunkt offenzulegen, damit der Ermittlungszweck nicht gefährdet und laufende Ermittlungen nicht durch die Einflussnahme auf Zeugen oder die Vernichtung von noch nicht gewonnenen Beweismitteln behindert werden.68 Neben den Interessen der Verteidigung und Strafverfolgung ist bei der Erörterung der Frage nach den Möglichkeiten der Festlegung eines unionalen Zeitpunkts für die Einsicht in die Verfahrensakte der EUStA die Realität einzustellen, dass kein einheitliches europäisches Strafprozessrecht existiert. Die mitgliedstaatlichen Strafverfahrensordnungen sind unterschiedlich ausgestaltet. Sie kennen verschiedene Ermittlungsphasen, die durch unterschiedliche Akteure mit differierenden Kompetenzen (etwa Polizei, Untersuchungsrichter, Staatsanwaltschaft, Ermittlungsrichter) vollzogen werden.69 Die Mitgliedstaaten messen den Verteidigungsrechten in den verschiedenen Phasen des Strafverfahrens unterschiedliche Gewichte bei. So schränken einige die Beteiligung des Beschuldigten oder seiner Verteidigung in der Phase des Ermittlungsverfahrens ein70 und schließen eine Teilnahmemöglichkeit an Zeugenbefragungen aus, kompensieren diese fehlende Beteiligung aber durch die Gewährung uneingeschränkter Akteneinsicht, der Durchführung eines Kreuzverhörs in der Hauptverhandlung oder aktiver Teilnahme der Verteidigung an der Beweis65
Soo/Pivaty, eucrim 2019, 60, 64. Soo/Pivaty, eucrim 2019, 60, 64. 67 Soo/Pivaty, eucrim 2019, 60, 64. 68 Soo/Pivaty, eucrim 2019, 60, 64. 69 Vgl. exemplarisch die Gegenüberstellung des Ermittlungsverfahrens in Deutschland und in Frankreich, Knytel, Europäische Ermittlungsanordnung, S. 107 ff. 70 Vgl. Costa Ramos/Luchtman/Muneanu, eucrim 2020, 230, 236, die beispielhaft das Prozessrecht Portugals für nur restriktive Teilnahmerechte der Verteidigung anführen und den größeren Teilnahmerechten eines Verteidigers in Deutschland gegenüberstellen. 66
II. Zentrale Verteidigungsrechte im Ermittlungsverfahren der EUStA
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erhebung in der Phase der Hauptverhandlung.71 So halten auch nicht alle Verfahrensordnungen Instrumente des sofortigen Rechtsschutzes gegen Maßnahmen im laufenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahren bereit. In manchen Rechtsordnungen ist gegen Maßnahmen im Ermittlungsverfahren eine nachträgliche Rechtskontrolle vorgesehen. Die bestehenden Unterschiedlichkeiten sind unschädlich, so lange die Mitgliedstaaten nach einer Gesamtschau die Anforderungen an die Gewährleistung eines fairen Verfahrens erfüllen.72 Diese Unterschiede haben einen Einfluss auf die Ausgestaltung der mitgliedstaatlichen Informationsrechte des Beschuldigten und liefern Gründe, die für die individuelle Ausgestaltung des mitgliedstaatlichen Akteneinsichtsrechts im Sinne der bestmöglichen Rechtewahrung des Beschuldigten und damit gegen die Festlegung eines einheitlichen Zeitpunktes für die Akteneinsicht im grenzüberschreitenden Ermittlungsverfahren sprechen. Eine „one size fits all“-Lösung, ein klarer oder bestimmbarer Zeitpunkt für die Akteneinsicht wäre für den von einer supranationalen Behörde Verfolgten und für eine im rechtstaatlichen Verfahren aspirierte gleichförmige Informationsausstattung der Verteidigung wünschenswert, wenn die mitgliedstaatlichen Strafprozessordnungen gleichartig wären. Derzeit aber wäre sie, und hier manifestiert sich der auf der Seite der Verteidigungsrechte immer wiederkehrende Geburtsfehler der EUStA, nicht praktikabel, da die EUStA ihre Ermittlungen auf dem Boden der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen führt. Unter Berücksichtigung der dargestellten spezifischen Interessen grenzüberschreitender Verteidigung sowie Strafverfolgung, sollten die nach dem mitgliedstaatlichen Recht für die Entscheidung über die Akteneinsicht zuständigen Stellen bei der Frage nach dem Zeitpunkt der Akteneinsicht nachfolgende Kriterien bzw. Sondersituationen berücksichtigen: – Möglichkeiten des Rechtsschutzes im laufenden Ermittlungsverfahren, – Möglichkeiten von Verfahrensabsprachen im Stadium des laufenden Ermittlungsverfahrens, – Differenzierung nach offenen und verdeckten Maßnahmen im Ermittlungsverfahren, – Praxis der Ladungsfristen bzw. Beachtung des Zeitraums zwischen dem Abschluss von Ermittlungen und des Beginns der gerichtlichen Hauptverhandlung, – Vermögensarrest gegenüber dem von grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffenen, – Inhaftierung des von den grenzüberschreitenden Ermittlungen Betroffenen. Wenn die Rechtsordnung des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts sofortigen Rechtsschutz gegen eine Maßnahme im Ermittlungsverfahren vorhält, so 71 72
Costa Ramos/Luchtman/Muneanu, eucrim 2020, 230, 235. Costa Ramos/Luchtman/Muneanu, eucrim 2020, 230, 235.
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C. Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA
sollte die Verteidigung die Informationsgrundlage zur Herbeiführung einer entsprechenden Rechtskontrolle und damit die Einsicht in die Verfahrensakte bereits vor Abschluss des Ermittlungsverfahrens erhalten. Andernfalls kann sie von den sofortigen Rechtsschutzmechanismen tatsächlich keinen Gebrauch machen. In grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA ist aber noch der Besonderheit Rechnung zu tragen, dass eine Maßnahme durch den unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt nach der Rechtsordnung seines Mitgliedstaates durchgeführt worden sein könnte, Rechtsschutz vor solchen Maßnahmen aber regelmäßig im betrauten Mitgliedstaat zu suchen ist.73 Für den Betroffenen kann die Rechtswegeröffnung (nur) im betrauten Mitgliedstaat aber ungünstig sein, wenn die Rechtsordnung des unterstützenden Mitgliedstaates die Akteneinsicht grundsätzlich zu einem früheren Zeitstadium ermöglicht, als die Rechtsordnung des betrauten Mitgliedstaates, der Verteidigung damit mehr Zeit zur Erarbeitung ihrer Strategie verleibt und/oder die Rechtsordnung des unterstützenden Mitgliedstaates eine stärkere Rechtskontrolle gegen Maßnahmen im Ermittlungsverfahren vorsieht. Die Frage nach den Rechtsschutzmöglichkeiten des von grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffenen ist damit fest verwoben mit dem Zeitpunkt des Zugangs zur Verfahrensakte der EUStA. Kennt die Rechtsordnung des betrauten Mitgliedstaates Möglichkeiten der Verfahrensabsprachen oder Einstellungen im Stadium des Ermittlungsverfahrens, sollte dieser Umstand regelmäßig für einen frühzeitigen Zugang zur Verfahrensakte der EUStA eingestellt werden.74 Führt die EUStA offene, für den Betroffenen erkennbare Ermittlungsmaßnahmen wie eine Durchsuchung durch, so muss dieser Umstand ebenfalls für die frühzeitige Gewährung eines Zugangs zur Verfahrensakte sprechen. Soweit die Rechtsordnung des betrauten Mitgliedstaates keinen sofortigen Rechtsschutz gegen Maßnahmen im Ermittlungsverfahren bereithält, kann der Zugang zur Verfahrensakte der EUStA regelmäßig auch erst mit Abschluss der Ermittlungen gewährt werden. Eine effektive Gewährleistung der Verteidigungsrechte setzt aber voraus, dass der Verteidigung bis zum Beginn der gerichtlichen Hauptverhandlung ausreichend Zeit zur Verfügung steht, die Verfahrensakte zu studieren. Art. 7 Abs. 3 RL 2012/13/EU garantiert, dass der Zugang zu Strafverfahrensakten spätestens bei Einreichung der Anklageschrift bei Gericht zu gewähren ist. Die Norm trägt zu dem in Art. 7 Abs. 3 RL 2012/13/EU postulierten Ziel, namentlich der Ermöglichung einer wirksamen Wahrnehmung von Verteidigungsrechten (durch eine rechtzeitige Informationsausstattung der Verteidigung) aber nicht bei, wenn die Akteneinsicht zwar mit dem Zeitpunkt der Einreichung der Anklageschrift gewährt
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Section Two/B., Ziffer 17 f. Leitlinien zu Art. 31 VO. Vgl. Soo/Pivaty, eucrim 2019, 60, 63 mit Blick auf den zu gewährenden Umfang der Akteneinsicht im Rahmen von Art. 7 Abs. 2 und 3 RL 2012/13/EU. 74
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wird, die darauffolgende gerichtliche Hauptverhandlung aber in nur kurzem zeitlichen Abstand dazu terminiert wird. Hier könnte die Festlegung einer festen Zeitspanne zwischen dem Zeitpunkt der Anklageschrift und dem Beginn der Hauptverhandlung abhelfen. Da die Strafverfolgung mit dem Abschluss ihrer Ermittlungen und Anklageerhebung demonstriert, ausreichend Beweise für die Erörterung der Schuldfrage gesammelt zu haben, besteht in diesem Zeitabschnitt keine mit der im Zeitraum des laufenden Ermittlungsverfahrens vergleichbare Gefährdung für den Ermittlungserfolg der Strafverfolgungsbehörde. Die Verteidigung wird in grenzüberschreitenden Verfahren der EUStA regelmäßig mit anspruchsvollen Rechtsfragen, wie z. B. der Beurteilung von wirtschaftlichen Zusammenhängen bei Karussellbetrug oder mit der Rechtslage einer ihr fremden Prozessordnung befasst sein, so dass ihr Bedürfnis nach einem angemessenen, kalkulierbaren Zeitraum zur Prozessvorbereitung nach Einsicht in die Verfahrensakte das Strafverfolgungsinteresse der EUStA überwiegen dürfte. Die oben genannten Kriterien zur Berücksichtigung des Zeitpunkts der Gewährung des Zugangs zur Verfahrensakte der EUStA sind nicht als abschließend zu verstehen und sollten unter Einbezug der Besonderheiten des EUStA-Ermittlungsverfahrens dynamisch fortentwickelt werden. In die Entscheidungspraxis der für den Zugang zur Verfahrensakte zuständigen mitgliedstaatlichen Stellen könnten solche Kriterien durch eine auf Art. 9 Abs. 2 VO gestützte Erweiterung der Leitlinien zu Art. 31 VO implementiert werden. Eine Änderung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen wäre dabei zwar nicht erforderlich, die Kriterien würden den zuständigen Stellen aber dann auch nur eine Selbstverpflichtung auferlegen, deren Nichtbefolgung folgenlos bleiben könnte. (2) Adressat Gem. Art. 45 Abs. 2 S. 3 VO wird die Einsicht in die Verfahrensakte der EUStA durch den betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt nach der Rechtsordnung seines Mitgliedstaates gewährt und ist damit an diesen zu adressieren. Die Zentrale der EUStA wird in der VO nicht als Adressatin für einen Antrag auf Zugang zur Verfahrensakte genannt. Es ist gleichwohl zu erwarten, dass die Zentrale bei ihr eingehende Anträge auf Zugang zur Verfahrensakte an den zuständigen Delegierten Europäischen Staatsanwalt weiterleiten wird. Nichtsdestotrotz müsste dieser Antrag die formellen und materiellen Voraussetzungen für die Akteneinsicht nach der Rechtsordnung des betrauten Mitgliedstaates erfüllen, da diese den Maßstab für die Entscheidung über den Zugang zur Verfahrensakte bildet. Dazu gehört regelmäßig auch, dass der Antrag regelmäßig in der Amtssprache des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts gestellt werden müsste. Deshalb sollte die Verteidigung ihren Antrag nicht (nur) an die Zentrale der EUStA adressieren, könnte ihr aber zur Kenntnisnahme eine Kopie des an den betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt gerichteten Antrags zukommen lassen.
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C. Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA
Gleichwohl hätte man der Zentrale mit Blick auf die grenzüberschreitende Ermittlungstätigkeit der EUStA eine „Verteilerfunktion“ dergestalt zuschreiben können, dass sie als Empfängerin für Anträge auf Zugang zur Verfahrensakte fungiert, die Anträge an die zuständigen Delegierten Europäischen Staatsanwälte verteilt und einen einheitlichen Kommunikationskanal zum antragstellenden Verteidiger oder anderen Akteneinsichtsberechtigten unterhält. (3) Vorschlag: Zugang zur Verfahrensakte über die Zentrale („Verteilerfunktion“ der Zentrale) So könnte der Verordnungsgeber Regelungen zu den formellen Voraussetzungen zum Zugang zur Verfahrensakte aufstellen. Die Zentrale könnte als weitere zuständige Stelle für die Entgegennahme und Entscheidung der Zulässigkeit eines Antrags auf Zugangs zu Verfahrensakte eingerichtet werden. Dabei könnte die englische Sprache, die Arbeitssprache der EUStA, als zulässige Sprache für einen Antrag anerkannt werden. Für die Übersendung von Anträgen auf Zugang zur Verfahrensakte an die Zentrale könnte ein elektronischer Kanal eingerichtet werden, der eine einheitliche digitale Infrastruktur für die Kommunikation zwischen EUStA und den Antragstellern bildet. Schließlich könnte die EUStA unter Zuhilfenahme des EUStA-Fallbearbeitungssystems eingehende Anträge unverzüglich, taggleich, in Richtung des zuständigen betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts weiterleiten. Art. 45 Abs. 2 UAbs. 2 S. 2 VO, der bestimmt, dass der Zugang zur Verfahrensakte durch den betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt nach dem Recht seines Mitgliedstaates gewährt wird, steht seinem Wortlaut nach einer Einrichtung der EUStA-Zentrale als „Verteilerin“ eingehender Anträge nicht entgegen. Denn die materielle Entscheidung über den eingehenden Antrag verbliebe weiterhin beim Delegierten Europäischen Staatsanwalt. Die Zentrale würde lediglich als (neben den nach den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen für die Akteneinsicht zuständigen, zusätzliche) Stelle fungieren, die eine beschränkte Vorprüfung der eingehenden Anträge vornähme und diese intern verteilt. Die materielle Entscheidungskompetenz über den Antrag sowie die finale Freigabe verbliebe weiterhin beim Delegierten Europäischen Staatsanwalt. Dieser würde den Antrag in materieller Hinsicht nach Maßgabe der Rechtsordnung seines Mitgliedstaates überprüfen und bescheiden. Dafür müsste der Antrag auf Zugang zur Verfahrensakte ggf. in die Amtssprache des Mitgliedstaates übersetzt werden, und zwar dann, wenn die Entscheidung über den Zugang zur Verfahrensakte auch die Einbindung von nationalen Behörden oder Stellen erfordert und nicht mehr allein in der Zuständigkeit des in englischer Sprache versierten Delegierten Europäischen Staatsanwalts75 liegt. Übersetzungen von Dokumenten sieht die EUStA in 75 Vgl. Esser, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 288, Rn. 288: so trifft in Deutschland nach Abschluss des Verfahrens die nationale Staatsanwaltschaft als Vollstre-
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ihren Leitlinien zu Art. 31 VO bei Zuweisungen vor – danach sollen zugewiesene Maßnahmen in die Amtssprache des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts übersetzt werden, um allen am Verfahren involvierten Akteuren, namentlich dem unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt, den Gerichten, dem Beschuldigten und anderen Verfahrensbeteiligten den vollen Zugang zum Inhalt einer Zuweisung zu garantieren.76 Dieser Gedanke lässt sich auch auf den Zugang zur Verfahrensakte übertragen, der vor dem Hintergrund der grenzüberschreitenden Ermittlungstätigkeit der EUStA niedrigschwellig gestaltet werden muss. Dem Antragsteller kann der Zugang zur Verfahrensakte nicht unter Verweis auf eine Antragstellung in der Amtssprache eines Mitgliedstaates verschlossen werden, wenn die EUStA sich als unteilbare, europäische Behörde versteht. Die EUStA verfügt über Übersetzungstools,77 die für die Übersetzung von englischen Anträgen in die Amtssprache des betrauten Mitgliedstaates fruchtbar gemacht werden könnten. Die Inhalte der Verfahrensakte könnten dem Antragsteller dann schließlich über den elektronischen Kanal78 der Zentrale, vorzugsweise in elektronischer Form, übermittelt werden. Die Einführung des oben beschriebenen Prozederes wäre praktisch umsetzbar. Sie könnte einerseits die Wahrnehmung der EUStA als einheitliche Einrichtung der Union stärken und andererseits – zumindest im Zuständigkeitsbereich der EUStA – die Europäisierung der mitgliedstaatlichen Strafrechtsjustiz antreiben. Die EUStAZentrale als Verteilerin von Akteneinsichtsersuchen zu konzipieren, würde auch die Rechtewahrnehmung von anderen Verfahrensbeteiligten, z. B. geschädigten Personen, stärken. Diese wären zwar nicht von Ermittlungshandlungen der EUStA betroffen, könnten aber dennoch ein legitimes Interesse und ein Recht auf Zugang zur Verfahrensakte der EUStA haben, weil sie die Informationsgrundlage für gegen den von den EUStA-Ermittlungen Betroffenen gerichtete zivilrechtliche Ansprüche bieten kann. Andere Verfahrensbeteiligte müssten bei grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA zunächst den betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt identifizieren. Wenn nach dem geltenden nationalen Recht keine Benachrichtigung von anderen Verfahrensbeteiligten über ein Strafverfahren vorgesehen ist, kann dies sehr aufwändig sein. Andere Verfahrensbeteiligte müssten eine mit der Rechtsordnung und Amtssprache des betrauten Mitgliedstaates kundige anwaltliche Vertretung beauftragen, nur um überhaupt den Zugang zur Verfahrensakte zu erckungsbehörde und im Übrigen der Vorsitzende des mit der Entscheidung befassten Gerichts die Entscheidung über die Gewährung des Zugangs zur Verfahrensakte. 76 Vgl. Section Two/B., Ziffer 15 Leitlinien zu Art. 31 VO: „The purpose of the translation is to guarantee full access to the document and to its content to all the involved actors: the assisting EDP, the Court competent for legal remedies, the suspect and the other private parties possibly involved.“ 77 Vgl. EPPO Annual Report: 2021, S. 74. 78 Vgl. Costa Ramos/Luchtman/Muneanu, eucrim 2020, 230, 242, die sich allgemein für den Einsatz von neuen Technologien im Bereich der Akteneinsicht (und auch für die Videoaufnahme von polizeilichen Vernehmungen und Hauptverhandlungen) aussprechen.
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halten, sich ein Bild über die Rechtslage und ein Urteil über potenzielle Ansprüche zu machen. Der EUStA-Zentrale die Verteilerfunktion zuzuweisen, trüge zudem zu einer vertrauensvollen Kommunikationskultur zwischen europäischer Strafverfolgung auf der einen, und der Verteidigung auf der anderen Seite bei. Gerade bei grenzüberschreitenden Maßnahmen der EUStA, die nach Zuweisung des betrauten an (auch mehrere, verschiedene) unterstützende Delegierte Europäische Staatsanwälte durchgeführt werden, befürchtet die Verteidigung, dass die Verfahrensakte nicht vollständig sein könnte und sie für den Zugang zur Verfahrensakte ggf. noch einen orts- und sprachkundigen Korrespondenzanwalt beauftragen muss.79 Wenn der Antrag auf Zugang zur Verfahrensakte aber von in den Mitgliedstaaten zugelassenen Rechtsanwälten bereits in englischer Sprache an die Zentrale in Luxemburg gerichtet werden könnte, wäre eine direkte, die der Begegnung mit einer supranationalen Behörde angemessene Kommunikation zwischen Behörde und Verteidigung gewährleistet. Dies gilt umso mehr, als in der Praxis Akteneinsichtsersuchen von inländischen Verteidigern, die ihren Kanzleisitz im europäischen Ausland (aber nicht im Staat der zuständigen Strafverfolgungsbehörde) haben, unter Verweis auf den Kanzleisitz im Ausland zurückgewiesen werden, obwohl für in der EU zugelassene Rechtsanwälte die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheiten der Art. 49 ff. und 59 ff. AEUV gelten.80 Die Erbringung von grenzüberschreitenden Anwaltsdienstleistungen wird mit Errichtung der EUStA nachgefragter werden und darf im europäischen Rechtsraum nicht durch die Rechtspraxis der mitgliedstaatlichen Justizbehörden erschwert werden. (4) Vorschlag: Antrag zum Zugang zur Verfahrensakte bei der Zentrale Konzipiert man die Zentrale wie oben beschrieben als „Verteilerin“ von eingehenden Anträgen auf Zugang zur Verfahrensakte, könnte die EUStA eine digitale Antragsvorlage für Akteneinsichtsersuchen zur Verfügung stellen. Eine Antragsvorlage ermöglichte der EUStA eine gleichförmige Dokumentation der Anträge und böte den Antragstellern eine Handhabe für die Kommunikationspraxis mit der neuen Behörde. Im Bereich der europäischen Justizkooperation zwischen Behörden wird die Nutzung von Vorlagen (sog. „Formblätter“, z. B. bei Ersuchen einer Behörde um die Durchführung einer Ermittlungsmaßnahme mittels EEA)81 verwendet. Sie kann auch im Verhältnis zwischen Behörde und Individuum bzw. anwaltlicher Vertretung genutzt werden. Eine solche Antragsvorlage für den Zugang zur Verfahrensakte der EUStA könnte, in konzeptueller Anlehnung an die Formblätter der RL-EEA,82 als digitale 79 Vgl. Oehmichen, in: Herrnfeld/Esser, EUStA Handbuch, S. 359, Rn. 60 und S. 361, Rn. 67. 80 Traut/Cunningham, StraFo 2021, 447, 448. 81 Vgl. Art. 5 Abs. 1 RL-EEA und Anhang A RL-EEA. 82 Vgl. Anhang A RL-EEA.
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Datei in die technische Infrastruktur des EUStA-Fallbearbeitungssystems eingebettet werden und wie folgt konzipiert werden: [Absender, Ort, Datum] European Public Prosecutor’s Office 11 Avenue John F. Kennedy L-1855 Luxembourg Luxembourg Access request to case files of the EPPO under Article 45 para. 2 of the Council Regulation (EU) 2017/1939 of 12 October 2017 implementing enhanced cooperation of the establishment of the European Public Prosecutor’s Office (‘the EPPO’) Section A: Case file of the EPPO File No (if known): Handling European Delegated Prosecutor/Member State of handling European Delegated Prosecutor (if known): Member States involved (if known): Section B: Identity of the person requesting access to case files of the EPPO I. In the case of natural persons Name: First name(s): Nationality: Date of birth: Place of birth: Residence and address: Language(s) which the person understands: Is the person requesting access to the case files of the EPPO currently held in custody? & Yes & No If yes Address of prison: Contact details: II. In the case of legal persons Name: Form of legal person: Registered seat and registration number: Address of the legal person: Person authorized to represent the legal person: File reference (optional):
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C. Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA
III. In the case of an authority Official name of the authority: Name of its representative: Address: Tel.No: Email: File reference: Section C: Position of the person requesting access to the case files of the EPPO („the applicant“) Suspected or accused person Victim & Other private party & Judicial authority or any other competent authority as defined by the law of a Member State of the EU & Other person involved in the proceedings (please specify): Section D: Identity of the person representing the person requesting access to the case files of the EPPO
&
&
I. In case of natural persons83 Name: First name(s): Nationality: Date of birth: Place of birth: Residence and address: Language(s) which the person understands: II. In case of a lawyer84 1. Lawyer Name: First name(s): Nationality: Residence and address: Date of birth: Place of birth: Language(s) which the person understands:
83
Antragsteller können auch durch natürliche Personen vertreten werden, soweit die Prozessordnung des betrauten Mitgliedstaates eine solche Möglichkeit bereithält. 84 Die Errichtung einer EU-weiten Datenbank, auf der die nach mitgliedstaatlichem Recht zugelassenen und praktizierenden Anwälte registriert wären und deren Berufsstand von mitgliedstaatlichen Behörden elektronisch abgerufen werden könnte, könnte die Legitimierung von grenzüberschreitend tätigen Anwälten (nicht nur gegenüber) der EUStA erleichtern.
II. Zentrale Verteidigungsrechte im Ermittlungsverfahren der EUStA
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2. Law firm Name: Seat: Contact Details (phone number): Language(s) which the person understands: III. Proof of authorized representation & Copy of declaration of authorization (if the representative qualifies under Section C/I) & Copy of representatives identity card (if the representative qualifies under Section C/I) 85 & Copy of lawyer’s identity card (if the representative qualifies under Section C/II) & Copy of power of attorney (if the representative qualifies under Section C/II) Section E: Desired form of access request View file Copy file & View evidence objects Section F: Specified access request (under applicable national law) &
&
Dear Sir or Madam, In accordance with Article 45 para. 2 Regulation (EU) 2017/1939 I hereby request full access to the EPPO case file, in particular access to: – any statements of the applicant, – any statements of the accused, – any statements of any witness, – any notes between handling and the assisting European Delegated Prosecutor on assigned measures, including any translation of them,86 – any report/document of any measure having been carried out, including their judicial authorisation, – any notes/documents shared between the EPPO and other, – all documents contained in other case files of the EPPO which are related to the case of the applicant, – all documents concerning other person(s) than the applicant, which are related to the case of the applicant,87 – any record or report on physical and electronical evidence objects.
85 Der Nachweis in dieser Form wäre nicht notwendig, wenn sich die grenzüberschreitende Anwaltstätigkeit innerhalb der Union etwa durch Abruf eines Eintrags in einem entsprechenden Register verifizieren ließe. 86 Vgl. Section Two/B., Ziffer 15 Leitlinien zu Art. 31 VO. 87 Der Antrag müsste in Section E textuell angepasst werden und kann je nach Lage des Verfahrens und den Anforderungen der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen angepasst werden. Gleichwohl kann der hier angegebene Text als Vorlage dienen.
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C. Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA
Please send the requested files to the following address : […].88 Thank you in advance. For further information I remain at your disposal. [Unterschrift]
(5) Inhalt und Umfang Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA zeichnen sich dadurch aus, dass die EUStA über vielschichtige Möglichkeiten der Informationsgewinnung verfügt und sich auf eine rege Informationszulieferung durch ihre institutionellen sowie staatlichen Kooperationspartner verlassen kann.89 Der Zugang zur Verfahrensakte der EUStA soll den Antragsteller mit den Informationen ausstatten, die er zur Geltendmachung seiner Verteidigungsrechte benötigt. Eine (separate) Akteneinsicht bei anderen Stellen, z. B. bei Kooperationspartnern der EUStA sollte er gar nicht anstoßen müssen, um über den gleichen verfahrensbetreffenden Informationsstand wie die EUStA zu verfügen. Denn für die Aktenverwaltung der EUStA gilt gem. Art. 45 Abs. 2 UAbs. 2 VO der Grundsatz der Aktenvollständigkeit, nach dem die Verfahrensakte alle dem Delegierten Europäischen Staatsanwalt zur Verfügung stehenden Informationen enthalten muss, die die Ermittlungen der EUStA betreffen. In grenzüberschreitenden Ermittlungen ist der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt für die Führung der Verfahrensakte zuständig. Zugewiesene Maßnahmen und die Ergebnisse von durch den unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt durchgeführten Maßnahmen sind damit in der vom betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt geführten Verfahrensakte abzubilden. Dies gilt auch für Daten und Informationen, die der EUStA durch das OLAF, Eurojust oder Behörden von Drittstaaten zugeliefert wurden. Gleichwohl kann der Umfang der Einsicht in die Verfahrensakte der EUStA im Verhältnis der betrauten Mitgliedstaaten zueinander divergieren. Unional soll RL 2012/13/EU den Mindestumfang für die Akteneinsicht in Strafverfahren flankieren. Gem. Art. 7 Abs. 1 RL 2012/13/EU ist der festgenommenen und inhaftierten Person 88 Die durch den Delegierten Europäischen Staatsanwalt freigegebenen Akten könnten durch denselben Kommunikationskanal, durch den ein Antrag an die EUStA-Zentrale gerichtet werden kann, verfügbar gemacht werden. Für Akten bietet sich die Freigabe einer elektronischen Kopie der Akte an. Körperliche Beweismittel können auf diese Weise freilich nicht zugänglich gemacht werden und müssten ggf. bei der mitgliedstaatlich zuständigen Stelle gesichtet werden, da die EUStA keine eigene Asservatenkammer o. ä. an ihrer Zentrale hat. Die Einsicht in körperliche Beweismittel könnte aber auch durch den Einsatz von Videotechnologie ermöglicht werden. Dies kommt insbesondere in Betracht, wenn es dem Antragsteller darum geht, den Umfang und die Form der körperlichen Beweismittel zu erfassen. Die Beweismittel könnten in der Asservatenkammer abgefilmt werden. Der Antragsteller könnte sich sodann überlegen, ob er noch das Bedürfnis hat, die körperlichen Beweismittel „live“ anzusehen oder ob das übertragene Bild sein Informationsinteresse befriedigt. 89 S. dazu unter A., S. 49 ff. dieser Arbeit.
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Einsicht in jene Unterlagen zu gewähren, die sich im Besitz der zuständigen Behörden befinden und die für eine wirksame Anfechtung der Festnahme oder Inhaftierung nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts wesentlich sind. Allerdings offenbarte der Umsetzungsbericht zu RL 2012/13/EU, dass die Mitgliedstaaten der Union „wesentliche Unterlagen“ i. S. d. Art. 7 Abs. 1 RL 2012/13/EU unterschiedlich interpretieren und überwiegend keine Kriterien für die Wesentlichkeit von Unterlagen festgelegt haben.90 Im Stadium des Ermittlungsverfahrens schränken die Mitgliedstaaten den Umfang des Zugangs zur Verfahrensakte tendenziell stark ein oder verweigern diesen mit Blick auf die Möglichkeiten nach Art. 7 Abs. 4 RL 2012/ 13/EU.91 Der Umsetzungsbericht zu RL 2012/13/EU stellt auch fest, dass Art. 7 Abs. 4 RL 2012/13/EU zu den Bestimmungen zählt, die von den Mitgliedstaaten im Verhältnis zueinander äußerst unterschiedlich interpretiert wird.92 Zu beachten ist auch, dass die Verfahrensakten sich ihres inhaltlichen Umfangs, je nach bestimmendem nationalen Recht unterscheiden können, wenn das nationale Recht vorsieht, dass bestimmte Informationen getrennt von der Verfahrensakte zu führen sind.93 (6) Sprache Da der Zugang zur Verfahrensakte gem. Art. 45 Abs. 2 Uabs. 2 S. 2 VO nach dem Recht des Mitgliedstaates des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts gewährt wird, erhält der Antragsteller Einsicht in eine in der Amtssprache dieses Mitgliedstaates gehaltene Akte. Für die grenzüberschreitend tätige anwaltliche Vertretung des Antragstellers ist dies unbefriedigend, da sie, auch wenn sie selbst die betreffende Amtssprache beherrschte, regelmäßig auf eine Übersetzung der Akte hinwirken muss.94 Etwa wenn der Mandant, der diese Amtssprache versteht, ein Interesse an der Durchsicht der Verfahrensakte hat oder die Verfahrensakte die Grundlage für eine geplante zivilrechtliche Klage stellen soll. Dabei wäre es ohne technischen Aufwand möglich, dem Antragsteller die Verfahrensakte zusätzlich in englischer Ausführung zugänglich zu machen. Denn die nach nationalem Recht geführte Verfahrensakte wird gem. Art. 45 Abs. 3 VO für die Ermöglichung der Aufgabenwahrnehmung der Zentrale in Englisch übersetzt und in das Fallbearbeitungssystem der EUStA kopiert (gespiegelte Verfahrensakte95).
90
COM (2018) 858 final, S. 15 f. COM (2018) 858 final, S. 17. 92 COM (2018) 858 final, S. 15 f., 18 f. 93 Vgl. Oehmichen, in: Esser/Herrnfeld (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 359, Rn. 60 mit Verweis auf §§ 101 Abs. 2, 110a StPO. 94 Oehmichen, in: Esser/Herrnfeld (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 360, Rn. 66 und Rn. 68. 95 S. dazu Darstellungen unter A., S. 56 ff. dieser Arbeit. 91
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C. Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA
Dieser Vorgang wird durch ein im Fallbearbeitungssystem integriertes elektronisches Übersetzungstool ermöglicht. Die Leitlinien zu Art. 31 VO sehen vor, dass die Zuweisung vom betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt sogar in die Amtssprache des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts übersetzt werden soll, damit sie den Verfahrensbeteiligten zugänglich wird.96 Gleichwohl lässt dieser Umstand nicht darauf schließen, dass die Verfahrensakte in grenzüberschreitenden Verfahren der EUStA standardmäßig übersetzt würde – denn einerseits ist die dort vorgesehene Übersetzung ihres Wortlautes nach schon nur auf die Zuweisung bzw. die mit ihr einhergehenden Dokumente beschränkt97 und damit nur auf einen eingegrenzten Teil der Verfahrensakte. Andererseits steht dem betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt bei der Frage nach der Durchführung einer Übersetzung (bereits nur) der Zuweisung Ermessen zu. Die Delegierten Europäischen Staatsanwälte können im Einvernehmen auf die Übersetzung einer Zuweisung und der dazugehörigen Unterlagen verzichten.98 Gleichzeitig scheint der Anwendungsbereich für die Übersetzung einer Zuweisung nach den Leitlinien zu Art. 31 VO eingeschränkt auf die Fälle der Zuweisung, die nur nach dem Recht des betrauten Mitgliedstaates eine richterliche Genehmigung erfordern.99 Eine Übersetzung des vom unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts nach Zuweisung durchgeführten Ermittlungsergebnisses ist dagegen nicht vorgesehen – es ist also möglich, dass z. B. das an den betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt nach durchgeführter Zuweisung übermittelte Durchsu-
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Section Two/B., Ziffer 15 Leitlinien zu Art. 31 VO. Vgl. Wortlaut Section Two/B., Ziffer 15 Leitlinien zu Art. 31 VO: „[…] the assignment […] should be translated […] The purpose of the translation is to guarantee full access to the document and to its content […]“ (Herv. durch Verf.). Mindestbestandteile einer Zuweisung sind nach Two/B., Ziffer 14 Leitlinien zu Art. 31 VO: Ziel und Begründung für die Zuweisung, die für die Zuweisung notwendigen Informationen über betroffene Personen, eine Sachverhaltszusammenfassung des Falls und Verfahrens sowie eine rechtliche Bewertung des Sachverhalts unter Angabe der relevanten mitgliedstaatlichen strafrechtlichen Normen und der Bestimmungen der VO, eine Beschreibung der zugewiesenen Maßnahmen unter Angabe der angezielten Beweise, die Darstellung hinreichender Gründe für die Annahme, dass die zugewiesene Maßnahme ermittlungsrelevante Informationen und Beweise liefern würde und keine weniger einschneidenden Maßnahmen existieren, die zum gleichen Ermittlungsziel führten, ggf. die Angabe von Form- und Verfahrensvorschriften, die nach dem Recht des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts vom unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts zu beachten sind. 98 Section Two/B., Ziffer 23 Leitlinien zu Art. 31 VO. 99 Vgl. Wortlaut Section Two/B., Ziffer 15 Leitlinien zu Art. 31 VO: „For these measures, the assignment […] should be translated […].“. Dieser Satz nimmt seiner systematischen Stellung nach Bezug auf (den ersten Satz des Abschnittes und einen) vorhergehenden Satz, der lautet: „Pursuant to the last sub paragraph of Article 31(3), only in case the law of the Member State of the assisting EDP does not require judicial authorisation, but the law of the handling EDP so requires [….]“. (Herv. durch Verf.). 97
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chungsprotokoll in einer anderen Sprache als der Amtssprache des betrauten Mitgliedstaates Eingang in die Verfahrensakte findet. Es gibt damit keine klare Übersetzungsregelung für die Verfahrensakte bzw. Aktenbestandteile der EUStA.100 Der Informationssuchende wird sich im Einzelfall selbst um die Übersetzung der Verfahrensakten der EUStA kümmern müssen. Insbesondere wenn er oder seine anwaltliche Vertretung, der heutigen globalen Lebensrealität entsprechend auch der englischen Sprache mächtig ist, erscheint der fehlende Zugriff auf die im Fallbearbeitungssystem hinterlegte englische Kopie der Verfahrensakte bitter. c) Auskunftsersuchen nach Art. 59 VO mit Vorschlag: Musterantrag Zwar sieht die VO keinen Zugang zur gespiegelten Verfahrensakte im Fallbearbeitungssystem der EUStA vor. Dennoch eröffnet sich ein beschränkter Zugang zu Daten, die im Fallbearbeitungssystem der EUStA hinterlegt sind, durch datenschutzrechtliche Bestimmungen (Art. 57 ff. VO). Gem. Art. 59 VO hat die betroffene Person das Recht, von der EUStA Bestätigung darüber zu verlangen, ob sie betreffende operative, personenbezogene Daten verarbeitet werden. Wenn dies zutrifft, kann sie von der EUStA Auskunft darüber verlangen, zu welchen Zwecken und nach welcher Rechtsgrundlage und Kategorie die Verarbeitung der personenbezogenen Daten erfolgt. Sie kann die EUStA darum ersuchen, dass sie die Empfänger ihrer operativen personenbezogenen Daten (z. B. Drittstaaten und internationale Organisationen) offenlegt und Auskunft über die geplante Speicherdauer dieser Daten einholen. Zudem hat die betroffene Person ein Recht auf Auskunft über das Bestehen eines Rechts auf Berichtigung oder Löschung oder Einschränkung der Verarbeitung ihrer operativen personenbezogenen Daten durch die EUStA und auf Auskunft über das Recht auf Einlegung einer Beschwerde beim Europäischen Datenschutzbeauftragten. Sie hat weiterhin das Recht auf Auskunft über die Mitteilung zu den operativen personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind und über die Herkunft der Daten.101 Die EUStA kann das datenschutzrechtliche Auskunftsrecht der betroffenen Person aber gem. Art. 60 Abs. 1 VO teilweise oder vollständig einschränken. Im Falle einer Einschränkung teilt sie der betroffenen Person mit, dass sie eine Überprüfung vorgenommen hat, ohne darauf hinzuweisen, dass sie operative personenbezogene Daten verarbeitet.102 Eine Einschränkung kommt in Betracht, wenn sie unter Beachtung der Grundrechte der betroffenen Person verhältnismäßig und erforderlich ist, z. B. um die Durchführbarkeit von behördlichen oder gerichtlichen Untersuchungen, Ermittlungen oder Verfahren oder die Verhütung, Aufdeckung, 100 Die ECBA plädiert für die Übersetzung aller relevanter Verfahrensaktenteile in die Sprache des von Maßnahmen der EUStA Betroffenen, s. ECBA, Cornerstones on EPPO, S. 8. 101 S. im Einzelnen Art. 59 lit. a) – g) VO. 102 Art. 60 Abs. 2 VO.
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Ermittlung oder Verfolgung von Straftaten oder die Strafvollstreckung zu gewährleisten. Sie kann auch zum Schutz von Sicherheitsinteressen der Mitgliedstaaten der EU und der Rechte und Freiheiten Dritter geboten sein.103 Die Auskunftsmöglichkeit nach Art. 59 VO ist eine weitere relevante Erkenntnisquelle für die Verteidigung des von grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffenen. Sie bietet einen Einblick in die Reichweite, die das EUStA-Verfahren hat und kann ein Anfangspunkt für weitere Auskunftsersuchen oder Löschungs- und Berichtigungsansprüche des Betroffenen gegenüber Drittstaaten oder internationalen Organisationen sein. Insbesondere operative personenbezogene Daten, die Interpol empfangen hat, können für Drittstaaten die Informationsbasis zur Einleitung von Fahndungsmaßnahmen, wie der Ausschreibung zu einer Festnahme und einer Interpol Red Notice bilden und die Verteidigung zur Vornahme von Maßnahmen (wie der Beantragung des Rechtsschutzes gegen die Ausschreibung im ausschreibenden Mitgliedstaat oder die Beantragung der Löschung der Red Notice vor dem Interpol Commission for the Control of INTERPOL’s Files (CCF)) veranlassen. Für eine möglichst umfassende Informationsgewinnung sollte die Verteidigung des von grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffenen deshalb – parallel zu einem Ersuchen auf Einsicht der Verfahrensakte der EUStA – auch ein Auskunftsersuchen nach Art. 59 VO an die EUStA adressieren. Ein solches Ersuchen kann, eng orientiert am Wortlaut des Art. 59 VO, wie folgt formuliert werden: [Absender, Ort, Datum] European Public Prosecutor’s Office104 11 Avenue John F. Kennedy L-1855 Luxembourg Luxembourg105
103
S. zum Ganzen und im Einzelnen Art. 60 Abs. 1 lit. a) – e) VO. Der Antrag auf Auskunft nach Art. 59 VO ist nicht formgebunden und könnte damit auch per Email an die EUStA-Zentrale gerichtet werden. Auf der Website der EUStA ist aber keine Email-Adresse zu finden, so dass der Antrag auf dem Postweg versandt werden sollte, bei bekannter Email-Adresse empfiehlt sich, den Antrag vorab per Email zuzusenden (und das Muster mit dem Zusatz: „also by e-mail: [Adresse]“ zu versehen. Bei Übersendung mittels Postweg empfiehlt sich die Nutzung eines Einwurf-Einschreibens oder Kuriers, um den Empfangsnachweis zu erhalten, der für die Einschätzung der Beantwortungsfrist der EUStA relevant ist (vgl. Art. 57 Abs. 3 VO). 105 Der Antrag könnte auch (nur) an den/einen betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt adressiert werden, der auch Repräsentant der EUStA ist und diesen an die intern zuständige Stelle weiterleiten dürfte. Um hier zeitliche Verzögerungen zu vermeiden, empfiehlt es sich, den Antrag an die EUStA-Zentrale zu adressieren und den betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt, sofern bekannt, durch die Zusendung einer Kopie des Antrags über das Auskunftsersuchen zu informieren. 104
II. Zentrale Verteidigungsrechte im Ermittlungsverfahren der EUStA
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File reference: Access request under Article 59 of the Council Regulation (EU) 2017/1939 of 12 October 2017 implementing enhanced cooperation of the establishment of the European Public Prosecutor’s Office (‘the EPPO’) Max MUSTERMANN, born on 08 April 1976, residing in [Anschrift] Dear Sir or Madam, Max Mustermann has engaged me to represent him before the EPPO. Please find attached [a copy of]106 my power of attorney. In accordance with Article 59 Regulation (EU) 2017/1939 I hereby request I. confirmation as to whether the EPPO processes operational personal data concerning Max MUSTERMANN, and II. if that is the case, I request access to the following information: a) to which purposes of and on which legal basis you do process the operational personal data, b) the categories of operational personal data concerned, c) the recipients or categories of recipients to whom you have disclosed the operational data, in particular in third countries or international organisations, d) the envisaged period for which you will store the operational personal data, if you cannot provide this information, please reveal the criteria you use to determine that period, e) information on the existence of the right to request from you rectification or reassure of operational personal data or restriction of processing of operational personal data concerning Max Mustermann, f) information on the right to lodge a complaint with the European Data Protection Supervisor and the contact details of the European Data Protection Supervisor, g) the communication of the operational personal data undergoing processing and of any available information as to their origin. I expect to receive the requested information free of charge and in writing without undue delay and in any case at the latest after 3 months after you received this request (Article 58 (3), (4)) Regulation (EU) 2017/1937). Thank you in advance. For further information I remain at your disposal. Sincerely [Unterschrift]
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Die VO stellt keine Formanforderungen für den Antrag auf Auskunft nach Art. 59 VO. Daher dürfte die Einreichung der Kopie der anwaltlichen Vollmacht zum Nachweis der Vertretung des von der Datenverarbeitung Betroffenen als Legitimation ausreichen. Es empfiehlt sich aber, eine Originalvollmacht mitzuschicken oder nachzusenden (z. B. wenn der Antrag vorab per Email eingereicht würde).
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C. Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA
Die EUStA wird ihre Antwort auf ein Auskunftsersuchen gem. Art. 57 Abs. 1 S. 3 VO grundsätzlich in der Form übermitteln, in der sie den Antrag erhalten hat. Gem. Art. 57 Abs. 2 VO soll die EUStA unverzüglich, aber spätestens innerhalb von drei Monaten nach Eingang des Antrags mitteilen, wie mit dem Antrag verfahren wurde. Der Erhalt von Informationen auf ein Auskunftsersuchen hat gem. Art. 57 Abs. 4 S. 1 VO grundsätzlich unentgeltlich zu erfolgen. Auf Grundlage der erhaltenen Informationen könnte die Verteidigung für die betroffene Person gem. Art. 61 VO die Berichtigung und Löschung von operativen personenbezogenen Daten geltend machen. d) Zugang zu Informationen der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union Sollten Informationen aus den Fallbearbeitungssystemen bzw. den Datenbanken der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union, insbesondere der Kooperationspartner der EUStA, also Informationen des OLAF, Eurojust und Europol Eingang in das grenzüberschreitende Ermittlungsverfahren der EUStA gefunden haben, müssen diese Informationen zum Bestandteil der Verfahrensakte des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts werden. Denn Art. 45 Abs. 1 UAbs. 2 VO legt fest, dass die Verfahrensakte alle dem Delegierten Europäischen Staatsanwalt zur Verfügung stehenden Informationen und Beweismittel enthalten muss, die das Ermittlungs- oder Strafverfolgungsverfahren der EUStA betreffen. Für die Verteidigung eröffnet sich der Zugang zu Informationen, die die EUStAvon ihren engen Kooperationspartnern erhält, durch die Einsicht in die Verfahrensakte der EUStA. Erkennt die Verteidigung des von grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffenen durch Einsicht in die EUStA Verfahrensakte, dass auch europäische Einrichtungen wie das OLAF, Eurojust und Europol Informationen über den Mandanten gesammelt haben, so entsteht ein Interesse am Zugang zu diesen Informationen und etwa nach Abschluss des EUStA-Verfahrens ggf. auch ein Bedürfnis nach Löschung dieser Daten bei den anderen europäischen Einrichtungen. Es existiert jedoch keine Regelung für einen Zugang oder die Einsicht des Verteidigers in Akten des OLAF, Eurojust oder Europol.107 Obwohl Art. 47 Abs. 2, Art. 48 Abs. 2 GrCh bzw. Art. 41 Abs. 2 lit. b) GrCh ein Recht auf Akteneinsicht begründen, welches gem. Art. 52 Abs. 1 GrCh nur durch gesetzliche Regelung eingeschränkt werden kann, wird eine direkte Zugangsmöglichkeit zu diesen Akten regelmäßig zurückgewiesen.108 Die europäische Rechtsprechung lehnt Einsichtsmöglichkeiten in Ermittlungsakten des OLAF unter Verweis auf die Geheimhaltungspflicht und Handlungsin107 108
Krit. Esser, StV 2020, 636, 639 explizit mit Blick auf Eurojust. Wasmeier/Maschl-Clausen, in: von der Groeben u. a. (Hrsg.), Art. 85 AEUV, Rn. 43 f.
II. Zentrale Verteidigungsrechte im Ermittlungsverfahren der EUStA
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strumente des OLAF ab.109 Die Gewährung der Einsicht in Akten des OLAF könnte einerseits die Vertraulichkeit der Aufgabenwahrnehmung und Unabhängigkeit der Behörde beeinträchtigen,110 andererseits begründeten die vom OLAF erstellten Abschlussberichte mit Empfehlungen an die mitgliedstaatlichen Behörden schon keine Beschwer für den von Untersuchungen Betroffenen.111 Denn die Verteidigungsrechte des von OLAF-Untersuchungen Betroffenen könnten grundsätzlich auch durch eine Akteneinsicht bei der für eine abschließende Entscheidung zuständigen Stelle (hier: durch Akteneinsicht bei der Anstellungsbehörde, die über das arbeitsrechtliche Schicksal eines von internen Untersuchungen des OLAF betroffenen Gemeinschaftsbeamten zu entscheiden hatte) gewahrt werden.112 Der Vertraulichkeit der Untersuchungen des OLAF kommt nach der Rechtsprechung zur Einsicht in OLAF-Untersuchungsakten ein hoher Rang zu, so wurde beispielsweise der von einer Untersuchung Betroffene mit seinem Akteneinsichtsersuchen in einem Fall, in dem sogar bereits Teile einer OLAF-Untersuchungsakte unrechtmäßigerweise an die Presseöffentlichkeit gelangt waren, zurückgewiesen.113 Diese Grundsätze lassen sich auf einen Zugang zu Akten des Eurojust übertragen.114 Die bei Eurojust gesammelten Informationen setzen sich im Einzelnen zusammen aus: Informationen im Fallbearbeitungssystem, befristet geführten Arbeitsdateien und einem Index mit personenbezogenen wie nicht personenbezogenen Daten.115 Eurojust ist genauso wie das OLAF nicht zur Vornahme von Entscheidungen mit unmittelbarer Außenwirkung befugt, so dass dem von der Informationssammlung Betroffenen in Anlehnung an die Rechtsprechung zur Einsicht in die Untersuchungsakte des OLAF die notwendige Beschwer abgesprochen werden dürfte.116 Die Einsicht in Unterlagen des Eurojust kann auch nicht über ein Ersuchen an das nationale Mitglied des Eurojust betrieben werden, da dieses nicht als Justizbehörde zu erachten ist.117 Europol ist ebenfalls nicht zur Vornahme von Entscheidungen mit unmittelbarer Außenwirkung befugt, so dass die vorgenannten Grundsätze einer Einsichtsmöglichkeit in Unterlagen des Europol entgegenstehen. 109
Wasmeier/Maschl-Clausen, in: von der Groeben u. a. (Hrsg.), Art. 85 AEUV, Rn. 43 f. EuG (Zweite Kammer), Urteil v. 12. 09. 2007 – T-259/03, Rn. 241 – 243, BeckRS 2007, 147473. 111 EuG (Zweite Kammer), Urteil v. 12. 09. 2007 – T-259/03, Rn. 244, BeckRS 2007, 147473. 112 EuG (Sechste Kammer), Beschluss v. 18. 12. 2003 – T-215/02, Rn. 65, BeckRS 2003, 157783. 113 EuG (Sechste Kammer), Beschluss v. 18. 12. 2003 – T-215/02, Rn. 65, BeckRS 2003, 157783. 114 Wasmeier/Maschl-Clausen, in: von der Groeben u. a. (Hrsg.), Art. 85 AEUV, Rn. 44. Kritisch Esser, StV 2020, 636, 639, der die Unterlagen des Eurojust nach dem funktionellen und erst recht nach dem materiellen Aktenbegriff für eine lückenlose Information über die im Ermittlungsverfahren angefallenen Unterlagen erforderlich hält. 115 Vgl. Art. 23 Eurojust-VO. 116 Wasmeier/Maschl-Clausen, in: von der Groeben u. a. (Hrsg.), Art. 85 AEUV, Rn. 44. 117 Wittig, in: BeckOK StPO, § 474, Rn. 5.1. 110
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Wie auch für den Erhalt von bei der EUStA-Zentrale gespeicherten Informationen führt nur der Weg über datenschutzrechtliche Bestimmungen (in beschränktem Maße) zu der Informationssammlung des OLAF, Eurojust und Europol. Die Verteidigung des von grenzüberschreitenden Ermittlungen Betroffenen kann ein Auskunftsersuchen an die Einrichtungen der Union richten und ggf. Rechte auf Berichtigung, Löschung oder Einschränkung der Verarbeitung von Daten des Betroffenen anstrengen. Die Rechtsgrundlage für ein Auskunftsersuchen an das OLAF bildet Art. 4 Beschluss (EU) 2018/1962118 i. V. m. Art. 17 Abs. 1 Verordnung (EU) 2018/1725,119 die Rechtsgrundlage für ein Auskunftsersuchen an das Eurojust bildet Art. 31 Eurojust-VO i. V. m. Art. 80 Verordnung (EU) 2018/1725 und die Rechtsgrundlage für ein Auskunftsersuchen an Europol ist in Art. 36 Europol-VO zu erblicken. Da die Vorschriften konzeptionell im Gleichlauf zum Auskunftsrecht nach Art. 59 VO formuliert sind, kann das in diesem Kapitel dargestellte Muster120 mit entsprechenden Anpassungen als Vorlage für ein Ersuchen dienen. e) Zugang zu Informationen bei Drittstaaten und Interpol mit Vorschlag: Musterantrag Fallrelevante Informationen, die der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt bei seinen grenzüberschreitenden Ermittlungen durch Auskünfte von Behörden von Drittstaaten oder der internationalen Organisation Interpol erhalten hat, sind nach dem in Art. 45 Abs. 1 UAbs. 2 VO verankerten Grundsatz zur Verfahrensakte der EUStA zu nehmen. Sofern sich die Verteidigung des von den grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffenen Zugang zu behördlichen Akten eines Drittstaates verschaffen möchte, muss sie einen entsprechenden Antrag an die zuständige Stelle adressieren. Ohne eigene Rechtskenntnisse über die Verfahrensordnung des Drittstaates wird ihr dies nicht gelingen. Sie wird dabei Hilfe hinzuziehen müssen, indem sie z. B. einen Korrespondenzanwalt in dem betreffenden Drittstaat einschalten wird. Für die Verteidigung kann bei erkanntem Informationsfluss von Interpol an die EUStA von Interesse sein, welche Daten Interpol über den von den grenzüber118 Beschluss (EU) 2018/1962 der Kommission vom 11. Dezember 2018 über interne Vorschriften über die Verarbeitung personenbezogener Daten durch das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) in Bezug auf die Mitteilung von Informationen an betroffene Personen und die Beschränkung bestimmter Rechte der betroffenen Personen in Übereinstimmung mit Artikel 25 der Verordnung (EU) 2018/1725 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl.EU L 315/41 v. 12. 12. 2018. 119 Verordnung (EU) 2018/1725 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2018 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 45/2001 und des Beschlusses Nr. 1247/2002/EG, ABl.EU L 295/39 v. 21. 11. 2018 (nachfolgend: Verordnung (EU) 2018/1725). 120 S. für das Muster zu Art. 59 VO unter C., S. 204 f. dieser Arbeit.
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schreitenden Ermittlungen Betroffenen verfügt, insbesondere wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass dieser von Interpol zur Fahndung mittels sog. Red Notice ausgeschrieben werden könnte.121 Regelungen zur Informationsverarbeitung des Interpol finden sich in den „Rules on the Processing of Data“122 (nachfolgend: RPD) und im „Statute of the Commission for the Control of INTERPOL’s Files“ (nachfolgend: Statute). Rechtsgrundlage für die Einsicht in von Interpol verarbeitete Daten und Informationen ist Art. 29 Abs. 1 Statute i. V. m. Art. 18 Abs. 1 RPD. Ein Antrag auf Zugang zu Informationen ist gem. Art. 30 Abs. 2 Statute schriftlich bei der Request Chamber der Commission for the Control of INTERPOL’s files in einer der Arbeitssprachen des Interpol (vgl. Art. 18 Abs. 1 Statute: Englisch, Arabisch, Französisch oder Spanisch) einzureichen. Wird ein Antrag auf Löschung oder Berichtigung von Daten gestellt, so ist der Antrag mit einer Begründung zu versehen. Gem. Art. 40 Abs. 1 Statute soll die Request Chamber über den zulässigen Antrag auf Zugang zu Informationen innerhalb von vier Monaten nach Eingang entscheiden. Für die Entscheidung über Löschungs- oder Berichtigungsersuchen ist gem. Art. 40 Abs. 2 Statute ein Zeitrahmen von neun Monaten vorgesehen.123 Ein Ersuchen um Zugang zu Informationen des von den grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffenen bei Interpol kann beispielhaft wie folgt formuliert werden: [Absender, Ort, Datum] Requests Chamber124 Commission for the Control of INTERPOL’s files 200 quai Charles de Gaulle 69006 Lyon, France File reference: Request for access to information under Article 29 (1) of the Statute of the Commission for the Control of INTERPOL’s Files and under Article 18 (1) of the Rules on the Processing of Data Max MUSTERMANN, born on 08 April 1976, residing in [Anschrift] 121
Für eine überblicksartige Darstellung der Funktionsweise von Interpol Red Notices und Abwehrmöglichkeiten unter deutschem Recht sowie zum Rechtsweg zur Löschung von Red Notices s. zusammenfassend Kruse, in: StV 2021, 677 ff. 122 Abrufbar unter: https://www.interpol.int/Who-we-are/Legal-framework/Data-protec tion#:~:text=Rules%20on%20the%20Processing%20of%20Data&text=This%20robust%2 0set%20of%20rules,are%20subjects%20of%20this%20cooperation (04. 03. 2023). 123 Es bietet sich ggf. an, das Ersuchen um Zugang zu Informationen direkt mit einem Löschungs- oder Berichtigungsanspruch zu verknüpfen. Letzteres erfordert die Angabe einer entsprechenden tatsächlichen und/oder rechtlichen Begründung, vgl. Art. 30 Abs. 2 Statute, s. dazu ausführlich Meyer/Hüttemann, ZStW 2016, 394, 438 ff. 124 Das Ersuchen muss gem. Art. 30 Abs. 2 Statute in Schriftform eingereicht werden.
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Dear Sir or Madam, Max Mustermann (hereinafter: „the applicant“125) engaged me to represent him before the Commission for the Control of INTERPOL’s files. Please find attached my power of attorney.126 In accordance with Article 29 (1) of the Statute of the Commission for the Control of INTERPOL’s Files and under Article 18 (1) of the Rules on the Processing of Data I hereby request I. confirmation as to whether INTERPOL holds information or processes data concerning the applicant, and II. if that is the case, I request access to any information concerning the applicant, in particular on the existence of an INTERPOL notice or diffusion, information about the charge/charges on which such note or diffusion would be based and any copy of documents of the state authorities, with which such note or diffusion is justified and which are connected with the state authority’s request for a note or diffusion.127 I expect to receive the requested information in writing at the latest after 4 months after you received this request (Art. 40 (1) Statute of the Commission for the Control of INTERPOL’s Files). Thank you in advance. For further information I remain at your disposal. Sincerely [Unterschrift]
f) Bewertung und Fazit Die für die Verteidigung des von grenzüberschreitenden Ermittlungen Betroffenen zentrale Informationsquelle ist die Verfahrensakte der EUStA. Unter welchen Voraussetzungen sich der Zugang zur Verfahrensakte eröffnet, unterliegt den Bestimmungen der Rechtsordnung des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts. In grenzüberschreitenden Fällen der EUStA ist dieser für die Führung der Verfahrensakte zuständig. Der europäische Gesetzgeber hätte die Zuständigkeit für den Zugang zur Verfahrensakte aber auch bei der EUStA-Zentrale in Luxemburg ansiedeln können und hierfür einen digitalen Informationskanal zwischen Antragstellern und EUStA einrichten können, ggf. unter Nutzung der Technologie des behördeninternen Fallbearbeitungssystems. Die EUStA-Zentrale hätte im Verhältnis zu den Delegierten Europäischen Staatsanwälten eine Verteilerfunktion einnehmen 125
Vgl. Art. 30 Abs. 1 Statute. Die Vollmacht sollte im Original eingereicht werden. Dies wird zwar weder im Statute, noch im RPD ausdrücklich verlangt. Die in Art. 30 Abs. 2 Statute festgelegte Schriftform für ein Ersuchen deutet aber auf ein entsprechendes Erfordernis hin. 127 Das Ersuchen kann je nach Informationsstand der Verteidigung in diesem Punkt um weitere Aspekte ergänzt oder präzisiert werden. 126
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und eingehende Anträge an die zuständigen Stellen weiterleiten können. Dies hätte die Akteneinsicht gerade in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA vereinfacht. Der Inhalt der Verfahrensakte sollte den Ermittlungsstand, ergriffene Maßnahmen, Beweismittel und über beigezogene Akten bzw. durch Meldung nationaler oder europäischer Behörden gewonnene Erkenntnisse der EUStA abbilden; wobei der Umfang der Akteneinsicht eingeschränkt sein kann. Für die EUStA gilt der Grundsatz der Aktenvollständigkeit, so dass die Verteidigung des von grenzüberschreitenden Ermittlungen Betroffenen allein durch das Studium der Verfahrensakte, die alle ermittlungsrelevanten Informationen zu enthalten hat, möglich sein muss. Gleichwohl sollte die Verteidigung schon aus anwaltlicher Vorsicht erwägen, zusätzlich datenschutzrechtliche Auskunftsersuchen an europäische Behörden wie die EUStA, OLAF, Eurojust und Europol zu richten. Über solche Auskunftsersuchen kann sie erfahren, ob die Behörden personenbezogene Daten des Mandanten verarbeiten. Die Verarbeitung personenbezogener Daten kann ein Indikator für bevorstehende Ermittlungsverfahren sein oder in Zusammenschau mit den Aufgabenbereichen der Behörden anzeigen, in welchem Sachkontext und welcher Dimension der Mandant in das Blickfeld der Behörden gerückt ist. Daraufhin kann die Verteidigung erwägen, ob die Löschung oder Berichtigung der Daten zweckmäßig ist und entsprechende Anträge einreichen. Die Löschung und Berichtigung von operativen personenbezogenen Daten wird insbesondere bei Fällen mit Bezügen zu Interpol relevant. Solche Daten können für Drittstaaten die Informationsbasis zur Einleitung von Fahndungsmaßnahmen (z. B. zur Ausschreibung einer Festnahme) und einer Interpol Red Notice liefern. Für den Betroffenen stellt sich eine Interpol Red Notice als folgenschwer dar, da sie nicht selten zu überraschenden Festnahmen an Flughäfen führt. Weiß die Verteidigung, dass Interpol operative personenbezogene Maßnahmen des Mandanten verarbeitet, kann sie entsprechende Rechtsschutzmaßnahmen (gegen die Ausschreibung einer Fahndungsmaßnahme im Ausstellungsmitgliedstaat oder die Löschung einer Red Notice) veranlassen. Datenschutzrechtliche Auskunftsersuchen können also einen Informationsgewinn für die Verteidigung generieren, während der Aufwand für ihre Erstellung überschaubar ist und den hier vorgeschlagenen Mustern128 folgen kann. 2. Zugang zu Rechtsbeistand In grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA ist der Betroffene für die Ausübung seiner Rechte in besonderem Maße auf eine anwaltliche Verteidigung angewiesen. Schon im rein nationalen Strafverfahren ist für den Beschuldigten mangels fachspezifischer Kenntnisse ohne Zuhilfenahme professioneller Verteidigung nicht zwangsläufig erkennbar, welche strafverfahrensrechtlichen Rechtsposi128
S. dazu unter C., S. 204 f. und S. 209 f. dieser Arbeit.
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tionen ihm zuteilwerden und welche Einflussmöglichkeiten er auf den verfahrensrechtlichen Ausgang hat. Diese Situation erfährt eine Zuspitzung, wenn die EUStA auf Seiten der Strafverfolgung steht, da der Betroffene hier mit einer neuen, supranationalen Behörde konfrontiert wird, die ihre Ermittlungen unter Rückgriff auf ein Konglomerat verschiedener Rechtsordnungen, Rechtsgrundlagen und Kooperationsinstrumente steuert. Das Recht auf einen Verteidigerbeistand ist in Art. 6 Abs. 3 lit. c) EMRK und in Art. 48 Abs. 2 S. 2 GrCh verankert. Es ist von fundamentaler Bedeutung, da der Verteidigerbeistand den Angeklagten erst in die Lage versetzt, seine in Art. 6 EMRK statuierten Rechte wahrzunehmen.129 Das Recht dient der Herstellung der Waffengleichheit zwischen Angeklagtem und Strafverfolgungsbehörden, es soll als eine der Waffengleichheit dienende Kontrollinstanz sicherstellen, dass die Rechte des Angeklagten gewahrt werden130 und dem Angeklagten im Verhältnis zu den Strafverfolgungsbehörden als Vertreter und Fürsprecher tatsächliches Gehör verschaffen.131 Der Verteidiger ist als Prozesssubjektsgehilfe des Angeklagten zu verstehen, der für die effektive Verwirklichung des Teilhaberechts des Angeklagten steht.132 Es ist anerkannt, dass das Recht auf Verteidigerbeistand bereits im Ermittlungsverfahren gilt.133 Aus Art. 6 Abs. 3 lit. c) EMRK wird zudem, auch unter Berufung auf Art. 6 Abs. 3 lit. b) EMRK und Art. 8 EMRK, das Recht auf freien Kontaktverkehr zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger abgeleitet. Dazu gehört die Herstellung des Kontakts zur Verteidigung, die vertrauensvolle Kommunikation mit der Verteidigung und das Verbot der Beschlagnahme von Verteidigungsmaterial.134 Für Verfahren der EUStA referenzieren Art. 41 Abs. 1 letzter Hs. VO und Art. 41 Abs. 2 lit. c) VO mit Verweis auf Richtlinie 2013/48/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2013 über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Strafverfahren und in Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls sowie über das Recht auf Benachrichtigung eines Dritten bei Freiheitsentzug und das Recht auf Kommunikation mit Dritten und mit Konsularbehörden während des Freiheitsentzugs135 (nachfolgend: RL 2013/48/EU) auf das Recht auf einen Verteidigerbeistand. RL 2013/48/EU stützt sich auf Art. 3, 5, 6 und 8 EMRK in der Auslegung durch den EGMR fortlaufend festgelegter Standards zum 129 EGMR (Vierte Sektion), Urteil v. 15. 06. 2004 – 60958/00, BeckRS 2004, 159500; ausführlich Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 497 ff., 503 ff. 130 Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 504 m. w. N. über die Verteidigung als „watchdog of procedural regularity“. 131 Gaede, in: MüKo StPO, Art. 6 EMRK, Rn. 179 f. m. w. N.; ausführlich Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 505 f. 132 Gaede, in: MüKo StPO, Art. 6 EMRK, Rn. 182 m. w. N.; ausführlich Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 502 ff. 133 Gaede, in: MüKo StPO, Art. 6 EMRK, Rn. 61 f.; 188 ff. 134 Gaede, in: MüKo StPO, Art. 6 EMRK, Rn. 197 f. 135 ABl. EU L 294/1 v. 6. 11. 2013.
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Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand und fördert die Anwendung der Art. 4, 6, 7, 47 und 48 GrCh.136 Die Richtlinie stellt gemeinsame, in den Mitgliedstaaten anwendbare Mindestvorschriften auf, deren Gewährleistungen nachfolgend vor dem Hintergrund der grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA beleuchtet werden. a) Zeitpunkt Der Anwendungsbereich der RL 2013/48/EU ist für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren in zeitlicher Hinsicht eröffnet, wenn diese Personen von den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaates durch amtliche Mitteilung oder sonstige Art und Weise davon in Kenntnis gesetzt wurden, dass sie der Begehung einer Straftat verdächtig sind oder beschuldigt werden.137 Dafür ist ausreichend, dass diese Behörden eine amtliche Entscheidung erlassen oder einen sonstigen Verfahrensschritt vornehmen, um den Betroffenen darüber in Kenntnis zu setzen, dass er nach dem nationalen Recht als Verdächtiger oder Beschuldigter betrachtet wird; unerheblich dagegen ist, auf welchem Wege dem Betroffenen eine solche Information zugeht.138 Die in RL 2013/48/EU verbürgten Rechte gelten bis zum Abschluss des Strafverfahrens, das Rechtsmittelverfahren miteingeschlossen.139 Der persönliche Anwendungsbereich der Richtlinie ist auch für Personen eröffnet, die (erst) während einer Befragung durch die Polizei oder eine andere Strafverfolgungsbehörde zu Verdächtigen und beschuldigten Personen werden.140 Gem. Art. 3 Abs. 1 RL 2013/48/EU stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass Verdächtigen und beschuldigten Personen der Zugang zum Rechtsbeistand „so rechtzeitig und in einer solchen Art und Weise zukommt, dass die betroffenen Personen ihre Verteidigungsrechte praktisch und wirksam wahrnehmen können.“ Den Zugang zum Rechtsbeistand erhalten sie gem. Art. 3 Abs. 2 S. 1 RL 2013/48/EU „unverzüglich“. Art. 3 Abs. 2 S. 2 RL 2013/48/EU legt konkrete Zeitpunkte für den Zugang zu einem Rechtsbeistand fest: Erstens ist der Zugang zu einem Rechtsbeistand in jedem Fall vor einer Befragung durch die Polizei oder andere Strafverfolgungs- oder Justizbehörde zu gewähren.141 Zweitens, ab der Durchführung von Ermittlungs- oder anderen Beweiserhebungshandlungen durch Ermittlungs- oder andere zuständige Behörden, wenn dem Verdächtigen oder Beschuldigten die Anwesenheit bei der Durchführung solcher Maßnahmen nach dem nationalen Recht vorgeschrieben oder 136
Vgl. Erwägungsgrund (12) RL 2013/48/EU. Art. 2 Abs. 1 RL 2013/48/EU. 138 EuGH (Zweite Kammer), Urteil v. 12. 03. 2020 – C-659/18, BeckRS 2020, 3317, Rn. 26. 139 Vogel/Eisele, in: Grabitz u. a. (Hrsg.), Recht der EU, Art. 82 AEUV, Rn. 107. 140 Art. 2 Abs. 3 RL 2013/48/EU. 141 Art. 2 Abs. 2 S. 2 lit. a) RL 2013/48/EU. 137
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gestattet ist – in jedem Fall aber haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass eine Anwesenheit zu gestatten ist bei Identifizierungsgegenüberstellungen, Vernehmungsgegenüberstellungen und Tatortrekonstruktionen.142 Drittens, unverzüglich nach dem Freiheitsentzug,143 wobei durch die Mitgliedstaaten sicherzustellen ist, dass die Verdächtige oder beschuldigte Person in die Lage versetzt wird, das Recht auf den Zugang zum Verteidigerbeistand wirksam auszuüben.144 Viertens, „rechtzeitig“ bevor der vor ein in Strafsachen zuständiges Gericht geladene Verdächtige oder Beschuldigte vor diesem Gericht erscheint.145 Sofern keiner der vorgenannten Fälle des Art. 3 Abs. 2 S. 2 RL 2013/48/EU vorliegt, liefert die Zweckbestimmung des Art. 3 Abs. 1 2013/48/EU die Direktiven für die Bestimmung des Zeitpunktes für den Zugang zum Rechtsbeistand. b) Umfang Art. 3 Abs. 3 RL 2013/48/EU legt den Umfang der Gewährleistung des Zugangs zum Rechtsbeistand fest. Der Verdächtige oder beschuldigte Personen haben das Recht, mit dem sie vertretenden Rechtsbeistand unter vier Augen zusammenzutreffen und zu kommunizieren, auch vor einer Befragung durch die Polizei oder andere Strafverfolgungsoder Justizbehörden.146 Die Vertraulichkeit der Kommunikation bezieht neben Treffen mit dem Rechtsbeistand auch den Schriftverkehr, Telefongespräche und sonstige nach nationalem Recht zulässige Kommunikationsformen mit dem Rechtsbeistand ein.147 Der Rechtsbeistand des Verdächtigen oder der beschuldigten Person hat zudem ein Anwesenheitsrecht bei Befragungen. Die konkreten Teilnahmemodalitäten richten sich nach Bestimmungen des nationalen Rechts.148 Der Rechtsbeistand hat außerdem ein Anwesenheitsrecht bei Identifizierungs- und Vernehmungsgegenüberstellungen sowie Tatortrekonstruktionen, sofern solche Maßnahmen im nationalen Recht vorgesehen sind und dem Verdächtigen oder der beschuldigten Person nach Maßgabe des nationalen Rechts dabei auch die Anwesenheit gestattet ist.149
142
Art. 2 Abs. 2 S. 2 lit. b) i. V. m. Art. 3 Abs. 3 lit. c) RL 2013/48/EU. Art. 3 Abs. 2 S. 2 lit. c) RL 2013/48/EU. 144 Art. 3 Abs. 3 S. 2 RL 2013/48/EU. 145 Art. 3 Abs. 2 S. 2 lit. d) RL 2013/48/EU. 146 Art. 3 Abs. 3 lit. a) RL 2013/48/EU. 147 Vgl. Art. 4 RL 2013/48/EU. 148 Art. 3 Abs. 3 lit. b) RL 2013/48/EU. 149 Art. 3 Abs. 3 lit. c) RL 2013/48/EU.
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c) Vorübergehende Abweichungsmöglichkeiten bzw. Einschränkungen im Ermittlungsverfahren Während des vorgerichtlichen Verfahrensstadiums und unter außergewöhnlichen Umständen kann vom in Art. 3 Abs. 3 RL 2013/48/EU statuierten Umfang der Zugangsgarantie zum Rechtsbeistand temporär abgewichen werden (Art. 3 Abs. 6 RL 2013/48/EU). Dies ist der Fall, wenn die Abwehr einer Gefahr von Leib oder Leben oder für die Freiheit einer Person dringend erforderlich ist oder wenn ein sofortiges Handeln der Ermittlungsbehörden zwingend geboten ist, um eine erhebliche Gefährdung eines Strafverfahrens abzuwenden und diese vorgenannten Gründe eine Abweichung vom garantierten Zugang zum Rechtsbeistand rechtfertigen. Die genannten Gründe sind abschließend.150 Die Anwendung einer temporären Einschränkungen bedeutet, dass der Verdächtige oder die beschuldigte Person im begründeten Einzelfall bei seiner polizeilichen Befragung keinen Rechtsbeistand hat oder kein Zusammentreffen unter vier Augen ermöglicht wird. Auch im Falle eines Freiheitsentzugs des Verdächtigen oder der beschuldigten Person kann der Zugang zum Rechtsbeistand im vorgerichtlichen Verfahren und unter außergewöhnlichen Umständen temporär eingeschränkt werden. Dies ist der Fall, wenn es aufgrund einer geografischen Entfernung des Verdächtigen oder der beschuldigten Person nicht möglich ist, das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand unverzüglich nach dem Entzug der Freiheit zu gewährleisten.151 Art. 8 Abs. 1 RL 2013/48/EU bestimmt allgemeine Bedingungen für die Anwendung von temporären Abweichungen der Zugangsgarantie zum Rechtsbeistand. Danach sind Abweichungen nur zulässig, wenn sie verhältnismäßig und erforderlich, zeitlich begrenzt, nicht ausschließlich durch die Art oder Schwere der mutmaßlichen Straftat begründet sind und insgesamt ein faires Verfahren nicht beeinträchtigen. Die oben beschriebenen Abweichungsmöglichkeiten können gem. Art. 8 Abs. 2 RL 2013/48/EU nur durch eine ordnungsgemäß begründete Einzelfallentscheidung einer Justizbehörde, oder – wenn die Entscheidung einer richterlichen Kontrolle unterzogen werden kann – von einer anderen zuständigen Behörde erlassen werden. d) Verzichtsmöglichkeiten Der Zugang zu einem Rechtsbeistand steht zur Disposition der Verdächtigen oder beschuldigten Person, soweit nationale Vorschriften die Anwesenheit oder Unterstützung eines Rechtsbeistands nicht verbindlich vorschreiben, Art. 9 Abs. 1 RL 2013/48/EU.
150 Vgl. Wortlaut Art. 3 Abs. 6 S. 1 RL 2013/48/EU: „[…] durch einen der nachstehenden zwingenden Gründe gerechtfertigt ist: […]“ (Herv. durch Verf.). 151 Art. 3 Abs. 5 RL 2013/48/EU.
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Gem. Art. 3 Abs. 4 UAbs. 2 RL 2013/48/EU kann die festgenommene Person auf den Zugang zu einem Rechtsbeistand verzichten. Für andere Personen wird die Verzichtsmöglichkeit in der Richtlinie nicht speziell festgeschrieben. Sie ergibt sich aus einer Zusammenschau der Erwägungsgründe (19)152, (39)153, (41)154 und Art. 9 Abs. 1 RL 2013/48/EU. Art. 9 RL 2013/48/EU stellt die allgemeinen Bedingungen für einen wirksamen Verzicht auf. Der Verdächtige oder die beschuldigte Person muss ausreichende, verständliche und in einfacher Sprache gefasste Information über den Inhalt des Rechts auf Zugang zum Rechtsbeistand sowie mögliche Folgen seines Verzichts erhalten und die Verzichtserklärung freiwillig und unmissverständlich abgeben.155 Die formungebundene Verzichtserklärung wird schriftlich protokolliert156 und die Mitgliedstaaten stellen sicher und informieren darüber, dass der Verzicht im laufenden Strafverfahren jederzeit widerruflich ist.157 e) Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Verfahren zur Vollstreckung des EuHb Art. 10 RL 2013/48/EU stellt besondere Modalitäten für den Zugang zum Rechtsbeistand in Verfahren zur Vollstreckung des EuHb auf. Der Zugang zum Rechtsbeistand in Verfahren zur Vollstreckung eines EuHb zeichnet sich dadurch aus, dass einer mittels EuHb gesuchten Person (nachfolgend: gesuchte Person) nach ihrer Festnahme unter bestimmten Voraussetzungen Zugang zu einem Rechtsbeistand sowohl im Vollstreckungsmitgliedstaat, als auch im Ausstellungsstaat – also zu doppeltem Rechtsbeistand – eröffnet wird (Art. 10 Abs. 1 und Abs. 4 RL 2013/48/EU). aa) Zeitpunkt, Umfang, vorübergehende Abweichungen und Verzicht Der Zugang zum Rechtsbeistand im Vollstreckungsstaat ist so rechtzeitig zu gewähren, dass die gesuchte Person ihre Rechte wirksam geltend machen kann. Ist
152
Möglichkeit des Verzichts auf den Rechtsbeistand auch im gerichtlichen Verfahren. Vgl. Wortlaut, der sich nicht auf die festgenommene Person beschränkt: „Verdächtige oder beschuldigte Personen sollten auf ein durch diese Richtlinie gewährtes Recht verzichten können, sofern […]“ (Herv. durch Verf.). 154 Vgl. Wortlaut, der sich nicht auf die festgenommene Person beschränkt: „Widerruft ein Verdächtiger oder eine beschuldigte Person einen Verzicht im Einklang mit dieser Richtlinie, […]“. 155 Art. 9 Abs. 1 RL 2013/48/EU. 156 Art. 9 Abs. 2 RL 2013/48/EU. 157 Art. 9 Abs. 3 S. 1 RL 2013/48/EU. 153
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die gesuchte Person festgenommen, so ist ihr der Zugang unverzüglich ab dem Entzug der Freiheit zu gewähren.158 Seinem Umfang nach erfasst das Recht Zusammentreffen sowie die Kommunikation mit dem Rechtsbeistand.159 Die gesuchte Person hat zudem das Recht, dass ihr Rechtsbeistand bei ihrer Vernehmung durch die vollstreckende Justizbehörde zugegen ist und gemäß dem Verfahren des nationalen Rechts daran teilnimmt.160 Die vorgenannten Gewährleistungen sind textuell an die Gewährleistungen für die Verdächtige oder beschuldigte Person i. S. d. Art. 3 RL 2013/48/EU angelehnt und decken sich ihrem Umfang nach in kongruenter Weise, soweit die Verfahren vergleichbar sind. Gem. Art. 10 Abs. 3 RL 2013/48/EU finden die vorübergehenden Abweichungsmöglichkeiten nach Art. 9 RL 2013/48/EU sowie die Möglichkeiten eines Verzichts nach Art. 9 RL 2013/48/EU auch im Rahmen der Vollstreckung des EuHb Anwendung. bb) Rechtsbeistand im Vollstreckungs- und Ausstellungsmitgliedstaat In Verfahren zur Vollstreckung eines EuHb hat die gesuchte Person nach ihrer Festnahme aufgrund eines EuHb das Recht, neben einem Rechtsbeistand im Vollstreckungsmitgliedstaat auch einen Rechtsbeistand im Ausstellungsmitgliedstaat zu benennen. Gem. Art. 10 Abs. 4 S. 1 RL 2013/48/EU wird die gesuchte Person im Vollstreckungsmitgliedstaat unverzüglich nach Entzug ihrer Freiheit darüber informiert, dass sie das Recht hat, einen Rechtsbeistand im Ausstellungsmitgliedstaat zu benennen. Die Rolle des Rechtsbeistands im Ausstellungsmitgliedstaat besteht gem. Art. 10 Abs. 4 S. 2 RL 2013/48/EU darin, den Rechtsbeistand im Vollstreckungsmitgliedstaat zu unterstützen. Dazu gehört, dass er letzteren mit Informationen versorgt und berät, damit die gesuchte Person ihre Rechte nach dem RB 2022/584/JI des Rates wirksam ausüben kann. Beabsichtigt die gesuchte Person die Benennung eines Rechtsbeistands im Vollstreckungsmitgliedstaat, informiert die zuständige Behörde im Vollstreckungsmitgliedstaat umgehend die zuständige Behörde im Ausstellungsmitgliedstaat, die der gesuchten Person Informationen zur Suche eines Rechtsbeistands zur Verfügung stellt.161
158
Art. 10 Abs. 2 lit. a) RL 2013/48/EU. Art. 10 Abs. 2 lit. b) RL 2013/48/EU. 160 Art. 10 Abs. 2 lit. c) RL 2013/48/EU. 161 Art. 10 Abs. 6 RL 2013/48/EU. 159
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cc) Prozesskostenhilfe bei Benennung eines Rechtsbeistands in Vollstreckungs- und Ausstellungsmitgliedstaat Die Möglichkeit der Benennung von zweifacher Rechtsbeistandsvertretung in Ausstellungsmitgliedstaat- und Vollstreckungsmitgliedstaat nach Art. 10 RL 2013/ 48/EU ist im Zusammenhang mit den Bestimmungen der Richtlinie (EU) 2016/1919 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2016 über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren sowie für gesuchte Personen in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls162 (nachfolgend: RL (EU) 2016/1919) zu lesen.163 Gem. Art. 2 Abs. 2 RL (EU) 2016/1919 ist der Anwendungsbereich der Prozesskostenhilfe nach der Richtlinie für gesuchte Personen ab dem Zeitpunkt ihrer Festnahme im Vollstreckungsmitgliedstaat, die unter RL 2013/48/EU das Recht auf einen Zugang zu einem Rechtsbeistand haben, eröffnet. Art. 5 RL (EU) 2016/1919 trifft besondere Bestimmungen zur Prozesskostenhilfe in Verfahren zur Vollstreckung eines EuHb und adressiert den Vollstreckungsmitglied- und Ausstellungsmitgliedstaat. Der Vollstreckungsmitgliedstaat stellt gem. Art. 5 Abs. 1 RL (EU) 2016/1919 sicher, dass die gesuchte Person vom Zeitpunkt ihrer Festnahme aufgrund eines EuHb bis zum Zeitpunkt ihrer Übergabe (oder der rechtskräftigen Entscheidung, dass sie nicht übergeben wird) Anspruch auf Prozesskostenhilfe hat.164 Der Ausstellungsmitgliedstaat stellt gem. Art. 5 Abs. 2 RL (EU) 2016/1919 sicher, dass die gesuchte und nach RL 2013/48/EU zum Rechtsbeistand berechtigte Person einen Anspruch auf Prozesskostenhilfe hat. Dieser Anspruch unterliegt allerdings zwei Einschränkungen: Erstens bezieht er sich nur auf Verfahren zur Vollstreckung eines EuHb zum Zwecke der Strafverfolgung. EuHb zum Zwecke der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung fallen damit nicht in den Anwendungsbereich des Art. 5 Abs. 2 RL (EU) 2016/1919. Zweitens hat die gesuchte Person für den genannten Zweck nur insoweit Anspruch auf Prozesskostenhilfe im Ausstellungsmitgliedstaat, als diese erforderlich ist, um den in Art. 47 GrCh statuierten wirksamen Zugang zu Gerichten zu gewährleisten. Diese Erforderlichkeit ist gegeben, wenn der Rechtsbeistand in dem Vollstreckungsmitgliedstaat ohne die Unterstützung eines Rechtsbeistands im Ausstellungsmitgliedstaat nicht in der Lage wäre, Aufgaben im Zusammenhang mit der Vollstreckung eines EuHb zu erfüllen.165 Gem. Art. 5 Abs. 3 RL (EU) 2016/1919 kann der Anspruch auf Prozesskostenhilfe in Verfahren zur Vollstreckung eines EuHb von einer Bedürftigkeitsprüfung 162
ABl. EU L 297/1 v. 4. 11. 2016. Vgl. Art. 11 RL 2013/48/EU und vgl. Erwägungsgrund (4), (7) und Art. 1 Abs. 3 RL (EU) 2016/1919. 164 Vgl. auch Erwägungsgrund (22) RL (EU) 2016/1919. 165 Erwägungsgrund (21) RL (EU) 2016/1919. 163
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gem. Art. 4 Abs. 1 und Abs. 3 RL (EU) 2016/1919 abhängig gemacht werden, mit der die Mitgliedstaaten durch Betrachtung von Einkommen, Vermögen oder familiären Verhältnissen der betroffenen Person feststellen, ob diese über ausreichende Mittel zur Bezahlung eines Rechtsbeistands verfügt. Eine Prüfung von sog. materiellen Kriterien, beispielsweise von der Schwere der Straftat oder der Komplexität eines Falles, mit deren Berücksichtigung festgestellt werden soll, ob ein Anspruch auf Prozesskostenhilfe gem. Art. 4 Abs. 1 und Abs. 4 RL (EU) 2016/1919 im Interesse der Rechtspflege liegt, ist bei der Prozesskostenhilfe in Verfahren zur Vollstreckung eines EuHb nicht vorgesehen. Die Modalitäten für die Bereitstellung der Prozesskostenhilfe (Antragstellung, Bewilligungsverfahren) bestimmen die Mitgliedstaaten.166 Die Entscheidung über die Bewilligung soll von einer unabhängigen, für die Entscheidung zuständigen Behörde unverzüglich herbeigeführt werden,167 das in die Entscheidung eingebundene Personal soll von den Mitgliedstaaten dahingehend geschult werden.168 f) Personenkreis des Rechtsbeistands Als benennungsfähige Rechtsbeistände kommen Personen in Betracht, die nach nationalem Recht dazu befähigt und befugt sind Verdächtige und beschuldige Personen rechtlich zu beraten und zu unterstützen.169 In diesem Zusammenhang und mit grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA sind die Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet des Berufsrechts der grenzüberschreitend tätigen Rechtsanwälte zu beachten. Dazu gehören die Richtlinie des Rates vom 22. März 1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte170 (nachfolgend: Dienstleistungsrichtlinie), die Richtlinie 98/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde171 und die Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen172. Sie legen ein gemeinschaftliches Verständnis des Berufs „Rechtsanwalt“ fest. Die Mitgliedstaaten erkennen darin an, dass Personen, die unter einer mitgliedstaatlichen beruflichen Bezeichnung Rechtsanwaltstätigkeiten erbringen, auch als „Rechtsan166
Erwägungsgrund (18) RL (EU) 2016/1919. Erwägungsgrund (24) RL (EU) 2016/1919. 168 Erwägungsgrund (26) RL (EU) 2016/1919. 169 Erwägungsgrund (15) RL 2013/48/EU. 170 ABl. EG Nr. L 78/17 v. 26. 03. 1977. 171 ABl. EG L 77/36 v. 14. 03. 1998. 172 ABl. EU L 255/22 v. 30. 09. 2005.
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walt“ i. S. d. Richtlinie zu verstehen sind.173 Die Dienstleistungsrichtlinie garantiert, dass Rechtsanwälte in einem anderen als dem Mitgliedstaat ihrer Zulassung ihren Beruf ausüben können, ohne dass sie in dem anderen Mitgliedstaat einen Wohnsitz haben oder einer dortigen Berufsorganisation angehören müssen. Dahinter steht der Gedanke der Niederlassungsfreiheit. Gleichwohl haben die vorgenannten Rechtsakte kein unionales anwaltliches Berufsstandsrecht geschaffen. Denn die Rechtsanwälte sind bei der Ausübung einer Tätigkeit außerhalb ihres Mitgliedstaates an die in diesem Staat geltenden Bedingungen und Berufsstandsregeln der Anwaltschaft gebunden.174 Insbesondere können die Mitgliedstaaten die Ausübung der Rechtsanwaltstätigkeiten unter Bedingungen stellen und dem „ausländischen“ Rechtsanwalt auferlegen, dass er bei der Vertretung seiner Mandanten nur im Einvernehmen mit einem bei dem angerufenen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt, der ggf. diesem Gericht gegenüber die Verantwortung trägt, handeln darf.175 So hat der deutsche Gesetzgeber diese Rechtsakte mit der Schaffung des EuRAG umgesetzt. § 27 EuRAG stellt den dienstleistenden europäischen Rechtsanwalt mit dem deutschen Rechtsanwalt gleich. Diese Gleichstellung bedeutet aber nicht, dass der dienstleistende europäische Rechtsanwalt zur einschränkungslosen Verteidigung seines Mandanten in deutschen gerichtlichen oder behördlichen Verfahren befugt wäre. Denn nach § 28 Abs. 1 EuRAG kann er nur im Einvernehmen mit einem Rechtsanwalt (sog. Einvernehmensanwalt) handeln, der gem. § 28 Abs. 2 EuRAG seinerseits zur Vertretung oder Verteidigung bei dem Gericht oder der Behörde befugt sein muss. Er darf seinen Mandanten, dem in einem Strafverfahren die Freiheit entzogen ist, gem. § 30 Abs. 2 EuRAG auch nur in Begleitung des Einvernehmensanwalts besuchen und mit seinem Mandanten nur über den Einvernehmensanwalt schriftlich verkehren, sofern die direkte Korrespondenz nicht ausnahmsweise gerichtlich gestattet wird. Sobald der europäische dienstleistende Rechtsanwalt in Verfahren vor Gerichten oder Behörden tätig wird, hat er gem. § 31 Abs. 1 EuRAG einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, der in Deutschland wohnt oder dort einen Geschäftssitz hat. Dies gilt nicht, wenn der dienstleistende europäische Rechtsanwalt gem. § 31 Abs. 3 EuRAG einen sicheren Übermittlungsweg für die Zustellung elektronischer Dokumente eröffnet hat und das Gericht oder die Behörde auf die Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten verzichtet hat. Er kann dafür bei der für ihn zuständigen Rechtsanwaltskammer gem. § 27a EuRAG die Einrichtung eines besonderen elektronischen Anwaltspostfachs beantragen.176 173 So sind etwa der belgische Avocat/Advocaat, der dänische Advokat, der deutsche Rechtsanwalt, der irische Barrister/Solicitor als „Rechtsanwalt“ zu verstehen, s. Art. 1 Abs. 2 Dienstleistungsrichtlinie. 174 Vgl. Art. 4 und Art. 5 Dienstleistungsrichtlinie. 175 Vgl. Art. 4 und Art. 5 Dienstleistungsrichtlinie. 176 S. ausführliche und zusammenfassende Darstellung Ahlbrecht/Rüschendorf, in: Volk/ Beukelmann, Anwaltshandbuch, § 16, Rn. 34 ff.
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Folglich hängt die Qualifikation als Rechtsbeistand unter RL 2013/48/EU davon ab, ob eine Person nach mitgliedstaatlichem Recht zur rechtlichen Beratung und Unterstützung des Verdächtigen oder der beschuldigten Person befugt ist. Die unionalen Rechtsakte auf dem Gebiet des anwaltlichen Berufsrechts ändern daran nichts. Die mit ihnen statuieren Gewährleistungen beschränken sich darauf, dass die Mitgliedstaaten Personen, die eine anwaltliche Berufstätigkeit nach Maßgabe der Befähigung und der Akkreditierung durch einen anderen Mitgliedstaat ausüben, auch unter ihrer eigenen Rechtsordnung als solche Berufsträger („Rechtsanwälte“) zu erachten sind. Damit wird den Rechtsanwälten jedoch keine uneingeschränkte Vertretungsbefugnis ihrer Mandanten garantiert. Möchte ein italienischer Rechtsanwalt seinen Mandanten vor einem französischen Gericht vertreten, richten sich Zulässigkeit und Modalitäten dieser Vertretung nach den nationalen Standesregeln der französischen Anwaltschaft. g) Bewertung und Fazit Fraglich ist, inwiefern die unionalen Gewährleistungen zum Zugang zu einem Rechtsbeistand im Strafverfahren den Verteidigungsbedürfnissen des von grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffenen Rechnung tragen. Diese Frage muss unter Einbezug der bestehenden besonderen Herausforderungen der grenzüberschreitenden Verteidigungstätigkeit beleuchtet werden. Das grenzüberschreitende Ermittlungsverfahren der EUStA zeichnet sich dadurch aus, dass die Strafverfolgungsbehörde ihre Beweissammlung mittels eigenen Personals und auf verhältnismäßig unbürokratischem Wege durch den Rückgriff auf zahlreiche Strafverfolgungssysteme durchführen kann. Grenzüberschreitende Ermittlungshandlungen richten sich nach der Rechtsordnung des unterstützenden, oder in Fällen mit Bezug zu mehreren Mitgliedstaaten nach der Rechtsordnung der betreffenden unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwälte. Rechtsschutz vor Ermittlungsmaßnahmen der EUStA soll der Betroffene vor dem Gericht des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts suchen. Mandatiert der von den grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffene vor diesem Hintergrund einen Verteidiger im betrauten Mitgliedstaat, kann dieser die im oder in den unterstützenden Mitgliedstaaten durchgeführten Ermittlungshandlungen der EUStA einer eigenen rechtlichen Prüfung nur unterziehen, wenn er selbst über Rechtskenntnisse der Rechtsordnung des unterstützenden oder der unterstützenden Mitgliedstaaten verfügt. Dafür müsste er zudem entsprechende Sprachkenntnisse haben und mit der in dem unterstützenden oder den unterstützenden Mitgliedstaaten herrschenden Rechtspraxis vertraut sein. Während sprachliche Barrieren vor dem Hintergrund gleichsprachiger Mitgliedstaaten der Union und technischer Übersetzungstools für den Verteidiger tendenziell überwindbar sind, stellt sich die rechtliche Überprüfung von Ermittlungsmaßnahmen der EUStA am Maßstab einer für ihn fremden und vor allem von potenziell vielzähligen Rechtsordnung(-en) verfänglich dar. Regelmäßig wird er sich deshalb für eine sachgerechte
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Verteidigung die Unterstützung oder Beratung einer in der anderen Verfahrensordnung rechtskundigen Verteidigerperson einholen müssen. Gleichzeitig gibt es keinen unionalen berufsrechtlichen Standard, der es dem im grenzüberschreitenden Fall mandatierten Anwalt erlaubt, seinen Mandanten vor mitgliedstaatlichen gerichtlichen oder behördlichen Verfahren umfassend und uneingeschränkt zu vertreten. So könnte nicht einmal der „Idealverteidiger“, der mit einer Myriade von Rechtskenntnissen andersstaatlicher Ordnungen ausgestattet ist, seinen Mandanten im betrauten oder unterstützenden Mitgliedstaat ohne Hinzuziehung eines Korrespondenzanwalts vertreten. Es manifestiert sich, dass die Geltendmachung der Verteidigungsrechte des von grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffenen zwingend die Einbindung von mehreren, mit den verfahrensgegenständlichen Rechtsordnungen kundigen Verteidigern erfordert.177 In der Rechtswissenschaft wurde die Forderung nach der Einrichtung eines Mehrfachverteidigungskonzepts bei der unionalen strafrechtlichen Zusammenarbeit bereits im Zusammenhang mit der Verteidigung gegen einen EuHb formuliert178 und gewinnt erneut Relevanz im grenzüberschreitenden Ermittlungsverfahren der EUStA.179 aa) Implikationen der Mehrfachverteidigung in Verfahren des EuHb nach Art. 10 RL 2013/48/EU für grenzüberschreitende EUStA-Verfahren Denkbar ist, bereits in Art. 10 Abs. 4 RL 2013/48/EU i. V. m. Art. 5 RL (EU) 2016/1919 einen unionalen Anspruch auf doppelte, prozesskostenfähige Verteidigung zu erblicken. Ein solcher Anspruch könnte auch in grenzüberschreitenden Ermittlungsverfahren der EUStA zum Tragen kommen oder die Notwendigkeit für eine (neue) Konzeption von Mehrfachverteidigung anzeigen. Art. 10 Abs. 1 RL 2013/48/EU belegt die Mitgliedstaaten mit der Pflicht dafür zu sorgen, dass eine gesuchte Person nach ihrer Festnahme aufgrund eines EuHb das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand im Vollstreckungsmitgliedstaat hat. Nach Art. 10 Abs. 4 S. 1 RL 2013/48/EU hat die zuständige Behörde im Vollstreckungsmitgliedstaat die gesuchte Person unverzüglich nach ihrem Freiheitsentzug auch darüber zu unterrichten, dass sie das Recht hat, einen Rechtsbeistand im Ausstellungsmitgliedstaat zu bekommen. Benennt die gesuchte Person einen Rechtsbeistand im Ausstellungsmitgliedstaat, so unterrichtet die zuständige Behörde im Vollstreckungsmitgliedstaat gem. Art. 10 Abs. 5 RL 2013/48/EU die zuständige 177 Gleß/Wahl, in: SLGH, Internationale Rechtshilfe, Hauptteil III, Abschn. D. III D. 5, Einführung, Rn. 38. 178 Salditt, StV 2003, 136, 137; Rackow, in: Böse (Hrsg.), EnzEuR Bd. 11, § 24, Rn. 19 mit der Idee der Formalisierung der doppelten Verteidigung in Form von mehrnationalen Verteidigungsteams und Bildung eines zentralen Büros (public defender). 179 Gleß/Wahl, in: SLGH, Internationale Rechtshilfe, Hauptteil III, Abschn. D. III D. 5, Einführung, Rn. 38.
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Behörde im Ausstellungsmitgliedstaat. Letztere stellt der gesuchten Person Informationen zur Verfügung, um die Benennung ihres dortigen Rechtsbeistands zu erleichtern. Die Rolle des Rechtsbeistands im Ausstellungsmitgliedstaat besteht gem. Art. 10 Abs. 4 S. 2 RL 2013/48/EU darin, den Rechtsbeistand im Vollstreckungsmitgliedstaat mit Informationen zu versorgen und zu beraten, damit die gesuchte Person ihre Rechte nach dem Rahmenbeschluss 2002/584/JI geltend machen kann. Teilweise wird vertreten, dass diese Bestimmungen lediglich Belehrungs- und Konsultationspflichten auf Seiten des Vollstreckungsmitgliedstaates normieren, eine Garantie für eine zeitgleiche, doppelte Verteidigung in Ausstellungsmitglied- sowie Vollstreckungsmitgliedstaat werde damit aber nicht verbürgt.180 Insbesondere ergebe sich daraus kein Beiordnungsanspruch oder eine Vertretungsbefugnis des ausländischen Beistands vor einem mitgliedstaatlichen Gericht.181 Nach anderer Ansicht sei Art. 10 Abs. 4 RL 2013/48/EU dahingehend zu verstehen, dass die Norm auch die doppelte Verteidigung der gesuchten Person erfasst182 und den Beiständen auch einen Anspruch auf Beiordnung vor dem Gericht des Vollstreckungsmitgliedstaates vermittele.183 Der Anspruch beziehe sich auf die Beiordnung eines Rechtsbeistands im Vollstreckungsmitglied- sowie Ausstellungsmitgliedstaat gleichermaßen.184 Der Betroffene sei in der Auslieferungssituation mittels EuHb in besonderem Maße auf die doppelte Verteidigung angewiesen. Denn die Informationen über das dem EuHb zugrundeliegenden Ermittlungsverfahren könne ein Beistand im Ausstellungsmitgliedstaat schneller beschaffen, als ein Beistand im Vollstreckungsmitgliedstaat. Die Rechtsprechungsmaximen für ein faires Verfahren erforderten, dass die Verteidigung in ihren grundlegenden Aspekten ohne Einschränkung gesichert werden müsse.185 Der konkrete Gewährleistungsumfang von Art. 10 Abs. 4 RL 2013/48/EU ergibt sich erst aus einer Zusammenschau mit Art. 5 RL (EU) 2016/1919.186 Die Richtlinienbestimmungen sind zu differenzieren hinsichtlich des (reinen) Zugangs zu doppeltem Rechtsbeistand, die Prozesskostenhilfe für doppelten Rechtsbeistand und dem Beiordnungsanspruch der doppelten Rechtsbeistände vor mitgliedstaatlichen Gerichten und Behörden. Zugang zu doppeltem Rechtsbeistand steht der gesuchten Person nach Art. 10 Abs. 4 RL 2013/48/EU zu. Danach kann die gesuchte Person nach dem Entzug ihrer 180
Wahl, in: SLGH, Internationale Rechtshilfe, Hauptteil VII C 2.4.d), Rn. 16. Hackner, in: SLGH, Internationale Rechtshilfe, Hauptteil I, Achter Teil, Abschnitt 2, § 83c, Rn. 4; OLG Bremen StV 2019, 619, 621 zur Beiordnung und zum Akteneinsichtsrecht des Beistands im ersuchenden Mitgliedstaat für ein vor einem deutschen Gericht geführten Auslieferungsverfahren. 182 Knierim/Oehmichen, in: Knierim u. a. (Hrsg.), Gesamtes Strafrecht, Kapitel 17: Beschuldigtenrechte, Rn. 73 f.; Oehmichen, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 349, Rn. 13; Oehmichen, StV 2019, 621, 622. 183 Oehmichen, StV 2019, 621, 622. 184 Oehmichen, StV 2019, 621, 622. 185 Oehmichen, StV 2019, 621, 621. 186 Vgl. Art. 11 RL 2013/48/EU und Erwägungsgrund (21) RL (EU) 2016/1919. 181
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Freiheit je einen Rechtsbeistand im Vollstreckungs- sowie im Ausstellungsmitgliedstaat benennen. Dieses Benennungsrecht hat aber, isoliert betrachtet, noch keinen Mehrwert für die gesuchte Person. Denn die RL 2013/48/EU belegt ohnehin jeden einzelnen adressierten Mitgliedstaat (und damit auch einen potenziellen Vollstreckungs- und Ausstellungsmitgliedstaat) mit der Pflicht, jeder Verdächtigen und jeder beschuldigten Person unverzüglich nach dem Entzug ihrer Freiheit Zugang zu einem Rechtsbeistand zu gewähren. Die Gewährleistung des (reinen) Zugangs zu einem Rechtsbeistand im Ausstellungsmitgliedstaat ist, wenngleich die Rollenzuschreibung in Art. 10 Abs. 4 S. 2 RL 2013/48/EU, wonach der Rechtsbeistand im Ausstellungsmitgliedstaat (nur) Unterstützungsleistungen an den Rechtsbeistand im Vollstreckungsmitgliedstaat erbringen soll, dies auf den ersten Blick nahelegt, nicht beschränkt. Ein Rechtsbeistand im Ausstellungsmitgliedstaat kann Dienstleistungen des Umfangs seiner Wahl erbringen. Die Rollenzuschreibung in Art. 10 Abs. 4 S. 2 RL 2013/48/EU für den Rechtsbeistand im Ausstellungsmitgliedstaat wird erst in Zusammenschau mit der Prozesskostenhilfe für doppelten Rechtsbeistand nach Art. 5 RL (EU) 2016/1919 relevant. Die Prozesskosten für die Inanspruchnahme von zwei Rechtsbeiständen in ein und demselben Verfahren sind nur insoweit von den Mitgliedstaaten zu tragen, als sie der in Art. 10 Abs. 4 RL 2013/48/EU aufgestellten Rollenzuschreibung entsprechen.187 Das bedeutet, dass sich der gesuchten Person mit Art. 10 Abs. 4 RL 2013/48/ EU i. V. m. Art. 5 RL (EU) 2016/1919 ein Zugang zu doppelt prozesskostenfinanzierten Rechtsbeiständen eröffnet. Ein Beiordnungsanspruch der doppelten Rechtsbeistände vor einem beliebigen mitgliedstaatlichen Gericht der Union ergibt sich daraus aber nicht. Die Vollstreckungsmitgliedstaaten werden durch Art. 10 Abs. 4 RL 2013/48/EU nicht dazu verpflichtet, einen ausländischen Rechtsanwalt (den benannten Beistand im Ausstellungsmitgliedstaat) als rechtlichen Vertreter der gesuchten Person im Vollstreckungsmitgliedstaat auch beizuordnen. Eine Beiordnungspflicht stünde im Widerspruch zu den bestehenden europäischen Rechtsakten zum Berufsrecht grenzüberschreitend tätiger Anwälte, die nur eine Anerkennung der Rechtsberufe regeln und den Mitgliedstaaten Ermessen dabei einräumen, unter welchen Voraussetzungen sie ausländischen Rechtsanwälten eine Vertretungsbefugnis vor ihrem nationalen Gericht zusprechen.188 Eine Beiordnungspflicht ergibt sich zudem weder aus dem Wortlaut, noch aus dem Zweck des Art. 10 Abs. 4 RL 2013/48/EU. Die Benennung eines Rechtsbeistands im Ausstellungsmitgliedstaat dient nach Art. 10 Abs. 4 S. 2 letzter Hs. RL 2013/48/EU dem Zweck, die gesuchte Person in die Lage zu versetzen, dass sie ihre in RB 2002/584/JI garantierten Rechte bei der Vollstreckung eines EuHb wahrnehmen kann. Zu diesen Rechten gehört, dass die gesuchte Person im Vollstre187 S. zur ausführlichen Darstellung des Leistungsumfangs der Prozesskostenhilfe für den Rechtsbeistand im Ausstellungs- und Vollstreckungsmitgliedstaat C., S. 243 ff. dieser Arbeit. 188 S. dazu unter C., S. 219 ff. dieser Arbeit.
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ckungsmitgliedstaat Gründe darlegt, nach denen die vollstreckende Justizbehörde die Vollstreckung des EuHb verweigern kann.189 Der Angriff gegen die Vollstreckung des EuHb hat vor den zuständigen Stellen des Vollstreckungsmitgliedstaates zu erfolgen. Er kann durch die Beiordnung allein eines Rechtsbeistands im Vollstreckungsmitgliedstaat geführt werden. Die gesuchte Person hat bei Inanspruchnahme eines im Vollstreckungsmitgliedstaat uneingeschränkt vertretungsberechtigten Rechtsbeistands keinen Rechtsnachteil zu befürchten, wenn ihr dort kein zweiter Rechtsbeistand beigeordnet wird, sofern der zweite, dem Ausstellungsmitgliedstaat entstammende Rechtsbeistand den Rechtsbeistand im Vollstreckungsmitgliedstaat mit Information und Beratung über die seine Rechtsordnung betreffenden Teilaspekte des Verfahrens zur Vollstreckung des EuHb versorgen konnte. Diese Informationsversorgung zur Rechtewahrnehmung der gesuchten Person wird schließlich in finanzieller Hinsicht durch die RL (EU) 2016/1919 sichergestellt. Nach Art. 5 Abs. 2 und Erwägungsgrund (21) RL 2016/1919 sollten gesuchte Personen neben190 der Prozesskostenhilfe im Vollstreckungsmitgliedstaat auch Prozesskostenhilfe im Ausstellungsmitgliedstaat erhalten, (nur) insoweit der Rechtsbeistand im Vollstreckungsmitgliedstaat die Rechte der gesuchten Person ohne die Unterstützung und Information des Rechtsbeistands im Ausstellungsmitgliedstaates nicht wahrnehmen kann (Erforderlichkeitsvorbehalt). Die Rechtsrealität in grenzüberschreitenden Verfahren spricht aber schon dafür, dass die Inanspruchnahme eines Beistands im Ausstellungsmitgliedstaat zur Beratung und Information des Beistands im Vollstreckungsmitgliedstaates standardmäßig als notwendig zu erachten ist, da letzterer regelmäßig keine Rechtskenntnis über die Aspekte des den Ausstellungsmitgliedstaat betreffenden Verfahrensteil des EuHb haben dürfte. Insoweit hätte der Richtliniengeber die zusätzliche Prozesskostenhilfe im Ausstellungsmitgliedstaat vorbehaltslos formulieren können und auf den Erforderlichkeitsvorbehalt verzichten können.191 Für grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA lassen sich daraus folgende Feststellungen und Schlussfolgerungen ziehen:
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Vgl. Art. 3 und Art. 4 RB 2002/584/JI. Vgl. Wortlaut Erwägungsgrund (21): Gesuchte Personen sollten im Vollstreckungsmitgliedstaat einen Anspruch auf Prozesskostenhilfe haben. Außerdem sollten gesuchte Personen […], die […] ihr Recht auf Benennung eines Rechtsbeistands im Ausstellungsmitgliedstaat wahrnehmen, insoweit zum Bezug von Prozesskostenhilfe in diesem Mitgliedstaat […] berechtigt sein, als eine solche erforderlich ist […]“ (Herv. durch. Verf.). 191 Eine Gewährung der doppelten Prozesskostenhilfe ohne Erforderlichkeitsvorbehalt hatte die Kommission auch vorgeschlagen. Der Erforderlichkeitsvorbehalt in Art. 5 Abs. 2 Hs. 2 RL (EU) 2016/1919 war schließlich das Ergebnis eines Kompromisses während der Trilog Verhandlungen, s. historische Zusammenfassung Cras, eucrim 2017, 34, 35 ff., 41 f. 190
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(1) Vergleichbares Bedürfnis nach Mehrfachverteidigung in Verfahren von EuHb und grenzüberschreitenden EUStA-Verfahren Die der RL 2013/48/EU und RL (EU) 2016/1919 zugrundeliegende Situation, dass eine Person für ihre effektive Rechtewahrnehmung auf die speziellen Rechtskenntnisse von multinationalen Rechtsbeiständen angewiesen ist, kann auch auf den von grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffenen übertragen werden. Diese Situation begründet einen Zugang zur Mehrfachverteidigung bei grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA. Nach dem im Rechtsschutz gegen Verfahren von EuHben geltenden Trennungsmodell können die Sachgründe für den Erlass des EuHb nur im Ausstellungsmitgliedstaat angefochten werden, während die Vollstreckung des EuHb im Vollstreckungsmitgliedstaat anzugreifen ist. Ab dem Zeitpunkt ihrer Festnahme und bis zum Zeitpunkt ihrer Übergabe (oder der rechtskräftigen Entscheidung der Nichtübergabe) ist der gesuchten Person der Zugang zu doppeltem Rechtsbeistand im Ausstellungs- sowie Vollstreckungsmitgliedstaat eröffnet. Ein EuHb ist eine vom Ausstellungsmitgliedstaat an den Vollstreckungsmitgliedstaat übermittelte justizielle Entscheidung, die die Festnahme und Übergabe der gesuchten Person bezweckt. Sie ist nicht „self-executing“, sondern wird im Vollstreckungsmitgliedstaat erst durch den Erlass entsprechender Vollstreckungsakte, z. B. einer Festhalteanordnung, eines Auslieferungshaftbefehls oder einer Übergabeentscheidung durchgeführt werden. Diese Vollstreckungsakte kann die gesuchte Person vor ihrer Übergabe vor Gerichten des Vollstreckungsmitgliedstaates angreifen. Dort kann sie z. B. Gründe hervorbringen, aus denen die Vollstreckung des EuHb abzulehnen ist.192 Sofern dieser Angriff vor Gerichten des Vollstreckungsmitgliedstaates ohne die Zuarbeit durch einen Rechtsbeistand im Ausstellungsmitgliedstaat nicht gelingen kann, sieht Art. 10 Abs. 4 RL 2013/48/EU i. V. m. Art. 5 RL (EU) 2016/1919 vor, dass die gesuchte Person den Zugang zu doppelt prozesskostenfinanzierten Rechtsbeiständen erhält. In der Praxis wird ein wirkungsvoller Angriff gegen einen EuHb vor Gerichten des Vollstreckungsmitgliedstaates regelmäßig erfordern, dass sich die Verteidigung mit der justiziellen Entscheidung des Ausstellungsmitgliedstaates, also der rechtlichen Würdigung des Falles nach Maßgabe der Rechtsordnung des Ausstellungsmitgliedstaates, befasst. Gleichwohl kann es Fälle geben, in denen der Angriff gegen einen EuHb vor Gerichten des Vollstreckungsmitgliedstaates sogar ohne inhaltliche, rechtliche Würdigung der justiziellen Entscheidung des Ausstellungsmitgliedstaates gelingen kann: So lehnt die Justizbehörde des Vollstreckungsmitgliedstaates die Vollstreckung eines EuHb nach Art. 3 Nr. 1 RB 2002/584/JI ab, wenn sie dem EuHb zugrundeliegende Straftat im Vollstreckungsstaat unter Amnestie fällt. Sie lehnt die Vollstreckung nach Art. 4 Nr. 5 RB 2002/584/JI auch ab, wenn ihr bekannt wird, dass die gesuchte Person wegen derselben Handlung bereits in einem Drittstaat rechtskräftig verurteilt wurde und ihre Sanktion vollstreckt hat. Vor dem Hintergrund, dass 192
Vgl. Art. 3 und Art. 4 RB 2002/584/JI.
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nicht jeder Angriff gegen die Vollstreckung eines EuHb zwangsläufig auch die Würdigung der Rechtslage des Ausstellungsmitgliedstaates erfordert, ist es beachtlich, dass der europäische Gesetzgeber der gesuchten Person den Zugang zu doppeltem, prozesskostenfinanzierten Rechtsbeistand eröffnet hat. Für Verfahren der EUStA hat er dagegen gar keine Regelung zum Zugang zum Rechtsbeistand aufgestellt. Dabei hat die Verteidigung des von grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffenen – anders als beim EuHb – nicht nur zwei – sondern gar ein Konglomerat an Rechtsordnungen und Verfahrenspraktiken in ihre strategischen Überlegungen einzubeziehen. Denn im europäischen Rechtsraum können grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA potenziell auf dem Gebiet von 22 teilnehmenden Mitgliedstaaten auf Basis des in Art. 31 VO normierten Zuweisungssystems durchgeführt werden. In Betracht kommt zudem, dass die EUStA Ermittlungshandlungen unter Rückgriff auf unionale Instrumente der gegenseitigen Anerkennung, wie der EEA, auch auf dem Gebiet der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten durchführt. Möglich ist schließlich auch, dass die EUStA in einem Ermittlungsverfahren Beweise auf dem Gebiet von Drittstaaten sammelt. Der Betroffene wird für seine effektive Rechtewahrnehmung und gesamtheitliche Verteidigung regelmäßig auf den Rechtsrat von mehr als nur zweien, multinationalen Rechtsbeistanden angewiesen sein. Hinzu kommt, dass der fehlende Zugang zu multinationalen Rechtsbeiständen in Verfahren der EUStA für das Schicksal des Betroffenen sogar folgenreicher sein kann, als in Verfahren des EuHb. Zwar stellt sich eine auf einen EuHb gestützte Übergabeentscheidung des Vollstreckungsmitgliedstaates für die gesuchte Person als eingriffsintensiv dar. Gleichwohl kann sie sich im Ausstellungsmitgliedstaat, in einem nationalen Verfahren gegen die dem EuHb zugrundeliegende justizielle Entscheidung zur Wehr setzen. Der von grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffene befindet sich dagegen stets inmitten eines europäisierten Strafverfahrens. Solange das Verfahren noch nicht beendet ist, kann er mit einer sachgerechten Verteidigung noch Einfluss auf den Verfahrensausgang nehmen und sich entlasten. Dies erfordert aber, dass er einen der Ermittlungsrealität der EUStA entsprechenden Zugang zu Rechtsbeistand erhält. Gegen grenzüberschreitende Maßnahmen der EUStA kann er sich ohne Rechtsbeistände aus den Staaten, in denen die EUStA die Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen bewirkt hat, gar nicht verteidigen. In grenzüberschreitenden Verfahren der EUStA soll die Rechtskontrolle von Einzelmaßnahmen vor Gerichten des betrauten Mitgliedstaates konzentriert werden. Die Einzelmaßnahmen werden nach Zuweisung aber in einem oder gar mehreren unterstützenden Mitgliedstaaten nach Maßgabe der dort geltenden Rechtsordnungen durchgeführt. Die Ergebnisse der in den unterstützenden Mitgliedstaaten durchgeführten Einzelmaßnahmen bilden das Fundament für die Überzeugungsbildung des Gerichts im betrauten Mitgliedstaat. Deshalb wird die Verteidigung im betrauten Mitgliedstaat bei der Vornahme ihrer eigenen rechtlichen
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Überprüfung und Bewertung der Einzelmaßnahmen und wenn sie der Beweiserhebung oder -verwertung entgegen treten will regelmäßig auf die Rechtskenntnisse und Bewertung von in den unterstützenden Mitgliedstaaten praktizierenden Anwälten rekurrieren. Der praktisch relevante Anwendungsfall des Zugangs zum Rechtsbeistand in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA ist in der RL 2013/48/EU nicht geregelt. Da der Fall grenzüberschreitender Ermittlungen auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten regelmäßig – anders als in Verfahren zur Vollstreckung eines EuHb – mehr als nur zwei Mitgliedstaaten umfassen kann und die Interessenslage der mittels EuHb gesuchten Person und des von grenzüberschreitenden EUStA Ermittlungen Betroffenen wegen zugrundeliegender verschiedener Verfahren unterschiedlich gelagert ist, kann die Bestimmung zum doppelten Rechtsbeistand in Verfahren zur Vollstreckung von EuHb auch nicht einfach auf grenzüberschreitende Verfahren der EUStA übertragen werden. Deshalb besteht das Bedürfnis für eine eigene Regelung der Mehrfachverteidigung des von grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffenen. (2) Fehlende Möglichkeit der Mehrfachverteidigung unter der RL-EEA und Bedeutung für grenzüberschreitende EUStA-Verfahren Es muss bei der Forderung nach einer Mehrfachverteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA aber auch festgestellt werden, dass der europäische Gesetzgeber keine Mehrfachverteidigung gegen Maßnahmen unter der RL-EEA vorgesehen hat.193 Fraglich ist, wie das grenzüberschreitende Verfahren der EUStA im Verhältnis zu der Beweisgewinnung unter der RL-EEA, die keiner Mehrfachverteidigung zugänglich ist und zum EuHb, der eine Mehrfachverteidigung vorsieht, einzuordnen ist. Ein EuHb ist eine justizielle Entscheidung, die in einem Mitgliedstaat ergangen ist und die Festnahme und Übergabe einer gesuchten Person durch einen anderen Mitgliedstaat zur Strafverfolgung bezweckt.194 Eine EEA ist eine gerichtliche Entscheidung, die von einem Anordnungsstaat zur Durchführung einer Ermittlungsmaßnahme in einem Vollstreckungsstaat zur Erlangung von Beweisen erlassen wird.195 Grenzüberschreitende Ermittlungshandlungen der EUStA in Form von Zuweisungen nach Art. 31 VO sind Ermittlungsanweisungen zwischen Ermittlungsführern einer einheitlichen Behörde, die auf die Erlangung von Beweisen in verschiedenen Staaten für die Zwecke eines einheitlichen Strafverfahrens zielen. Sie unterscheiden sich vom EuHb und der EEA dadurch, dass sie durch ein und dieselbe 193 Vgl. Böse, ZIS 2014, 152, 160 m. w. N.; krit. Zur fehlenden Mehrfachverteidigung Bachmaier-Winter, in: Bachmaier-Winter (Hrsg.), EPPO Challenges Ahead, S. 134 f.; Mosna, ZStW 2019, 808, 827 f.; Wahl, in: Ligeti u. a. (Hrsg.), EPPO at Launch, S. 103. 194 Art. 1 Abs. 1 RB 2022/584/JI. Der zum Zwecke der Vollstreckung ausgestellte EuHb ist der Mehrfachverteidigung nicht zugänglich und wird hier deshalb nicht abgehandelt. 195 Art. 1 Abs. 1 RL-EEA.
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Behörde angeordnet und durchgeführt werden (wenngleich die Durchführung viele Parallelen zur Beweiserlangung unter der RL-EEA aufweist196), während sich die EEA und der EuHb als Instrumente der gegenseitigen Anerkennung erst durch das Zusammenwirken von zwei unterschiedlichen, mitgliedstaatlichen Behörden ihre Wirkungen entfalten. Auf den ersten Blick erscheint die mit dem EuHb einhergehende Festnahme und Übergabe im Vergleich zu den Wirkungen der EEA und Zuweisungen der EUStA den stärksten Grundrechtseingriff zu begründen und daher den Zugang zu Mehrfachverteidigung zu rechtfertigen. Zu beachten ist aber, dass sich die gesuchte Person im Ausstellungsmitgliedstaat nach ihrer Übergabe noch gegen die dem EuHb zugrundeliegende justizielle Entscheidung zur Wehr setzen kann. Ein EuHb versetzt den Ausstellungsmitgliedstaat in die Lage, die Strafverfolgung der gesuchten Person zu betreiben. Wird die gesuchte Person vom Vollstreckungsmitgliedstaat an den Ausstellungsmitgliedstaat übergeben, so wird ihre Strafverfolgung bildlich betrachtet in den (rein) nationalen Zuständigkeitsbereich des Ausstellungsmitgliedstaates verschoben. Dagegen sind Zuweisungen der EUStA genuin Teil der Strafverfolgung des Betroffenen, denn sie zielen unmittelbar auf die Erlangung von Beweisen für ein Strafverfahren – dieses Strafverfahren wird von der Ermittlungsphase bis zur Anklagevertretung und zum Urteilsspruch durch eine einheitliche, europäische Behörde betrieben und ist in diesen Verfahrensabschnitten durchweg europäisiert. Maßnahmen unter der RL-EEA sind in ihren Wirkungen den Zuweisungen der EUStA vergleichbar: auch sie zielen auf die Beweiserlangung für eine noch zu treffende Entscheidung zum Ausgang eines laufenden Verfahrens. Hinzukommt, dass die Beweiserlangung auf Grundlage einer Zuweisung oder EEA immer durch grenzüberschreitendes Ermittlungshandeln der zuständigen Behörde gekennzeichnet ist. Dagegen kann die einem EuHb zugrundeliegende justizielle, nationale Entscheidung (z. B. die Festnahmeanordnung eines Ausstellungsstaates) ohne Einbezug von Instrumenten der grenzüberschreitenden Strafrechtskooperation begründet worden sein, das grenzüberschreitende Element des EuHb ist dann (nur) in dem Vollzugsakt des Vollstreckungsstaates, also in der Festnahme und Übergabe der gesuchten Person zu erblicken. Diese Betrachtung legt der europäische Gesetzgeber der Mehrfachverteidigung in Verfahren von EuHb auch zugrunde, weil er die Mehrfachverteidigung gem. Art. 10 Abs. 4 RL 2013/48/EU i. V. m. Art. 5 Abs. 1 RL (EU) 2016/1919 erst ab dem Zeitpunkt der Festnahme auslöst und mit dem Zeitpunkt der Übergabe der gesuchten Person (oder dem Zeitpunkt der Entscheidung, diese nicht zu übergeben) beendet. Strukturell weist die Beweisgewinnung unter dem Zuweisungssystem der EUStA auch große Ähnlichkeiten zur Beweisgewinnung unter der RL-EEA auf.197 Der große 196 197
S. dazu ausführliche Darstellungen unter B., S. 104 ff. dieser Arbeit. S. dazu ausführliche Darstellungen unter B., S. 104 ff. dieser Arbeit.
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C. Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA
Mehrwert der Beweisgewinnung unter dem Zuweisungssystem ist darin zu sehen, dass sie sich innerhalb einer Behörde unbürokratischer und schneller durchführen lässt, als Maßnahmen unter der RL-EEA. Die EUStA trägt damit bedeutend zur Verstärkung der europäischen Strafverfolgung bei. Der europäische Gesetzgeber hätte bereits eine Mehrfachverteidigung für grenzüberschreitende Maßnahmen zur Beweiserlangung unter der RL-EEA einführen müssen.198 Die Thematik der Mehrfachverteidigung gegen EEAen wird in EUStA Verfahren relevant, wenn die EUStA ihre Beweissammlung in nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten unter Rückgriff auf die RL-EEA durchführt. Der Zugang zu einem (zusätzlichen) Rechtsbeistand im Vollstreckungsmitgliedstaat könnte zwar auch ohne ausdrückliche Bestimmung eröffnet sein, wenn die EEA auf die Durchführung einer Maßnahme zielt, die gleichzeitig einen unter Art. 3 Abs. 2 RL 2013/48/ EU den Zugang zum Rechtsbeistand auslösenden Tatbestände bildet. Dies ist z. B. der Fall, wenn mittels EEA die Befragung einer Person durch die Polizei199 begehrt wird.200 Denn die RL 2013/48/EU verpflichtet jeden einzelnen Mitgliedstaat zur Gewährleistung eines Rechtsbeistands und unterscheidet dabei gerade nicht zwischen rein nationalen und grenzüberschreitenden Maßnahmen. Die grenzüberschreitende Beweissammlung unter dem Zuweisungssystem der EUStA ist stärker, als unter der RL-EEA. Grenzüberschreitende Mehrfachverteidigung muss nun, da die die Errichtung der EUStA der Europäisierung des Strafverfahrens einen starken Vorschub geleistet hat, der den Stillstand der Rechtsposition des Betroffenen nicht rechtfertigen lässt, erst recht gesetzlich festgeschrieben werden.201 (3) Rechtsinstrumente zur Umsetzung einer Regelung zur Mehrfachverteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Eine Regelung für eine Mehrfachverteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA kann durch verschiedene Rechtsinstrumente umgesetzt werden. Eine solche Regelung könnte beispielsweise im Wege einer Fortsetzung des vom Rat der Europäischen Union im Jahre 2009 erlassenen Fahrplans zur Stärkung der Verfahrensrechte von Verdächtigen und Beschuldigten in Strafverfahren202 erlassen werden. Erwägungsgrund (12) der Entschließung sieht vor, dass der Rat prüfen muss, 198 Bachmaier-Winter, in: Bachmaier-Winter (Hrsg.), EPPO Challenges Ahead, S. 134 f.; Mosna, ZStW 2019, 808, 827 f. 199 Vgl. Art. 3 Abs. 2 lit. a) RL 2013/48/EU. 200 Bachmaier-Winter, in: Bachmaier-Winter (Hrsg.), EPPO Challenges Ahead, S. 133, die dieses Ergebnis aber in keinem Fall als ausreichende Gewährleistung für den Betroffenen gelten lässt. 201 Vgl. Bachmaier-Winter, in: Bachmaier-Winter (Hrsg.), EPPO Challenges Ahead, S. 135; Wahl, in: Ligeti u. a. (Hrsg.), EPPO at Launch, S. 103. 202 Entschließung des Rates vom 30. November 2009 über einen Fahrplan zur Stärkung der Verfahrensrechte von Verdächtigen oder Beschuldigten in Strafverfahren (2009/C 295/01), ABl.EU C 295/1 v. 4. 12. 2009.
II. Zentrale Verteidigungsrechte im Ermittlungsverfahren der EUStA
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ob er sich mit dem Schutz von Verfahrensrechten befassen muss, die nicht in dem bestehenden Katalog aufgeführt sind, da dieser nicht erschöpfend ist. Im Rahmen des Fahrplans zur Stärkung der Verfahrensrechte könnten die RL 2013/48/EU und RL (EU) 2016/1919 neugefasst werden. Denkbar ist auch die Kodifizierung einer neuen Richtlinie, die sich auf grenzüberschreitende Verfahren der EUStA bezieht. Eine Rechtsgrundlage dafür bietet Art. 82 Abs. 2 lit. b) AEUV. Fällt die Wahl auf das Rechtsinstrument der Richtlinie auf Grundlage des Art. 82 Abs. 2 lit. b) AEUV, so ist zu berücksichtigen, dass nicht alle Mitgliedstaaten der Union an der Verstärkten Zusammenarbeit der EUStA teilnehmen. Nichtteilnehmende Mitgliedstaaten sind Dänemark, Irland, Polen, Schweden und Ungarn. Dänemark beteiligt sich gemäß Art. 1 und 2 des dem EUV und AEUV beigefügten Protokolls Nr. 22 nicht, Irland beteiligt sich gemäß Art. 1 und 2 des dem EUV und AEUV beigefügten Protokolls Nr. 21 nicht an der Annahme von Maßnahmen durch den Rat, die nach dem Dritten Teil, Titel V des AEUV vorgeschlagen werden. Die Vorschriften dieses Teils und Maßnahmen, die auf dessen Grundlage geschlossen werden, sind für Dänemark und Irland nicht bindend oder anwendbar.203 Inwieweit Polen, Schweden und Ungarn durch eine Richtlinie adressiert werden könnten bzw. sollten, die Gewährleistungen zum Zugang zu einem Rechtsbeistand in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA zum Gegenstand hat, muss rechtlich und politisch abgewogen werden. Grundsätzlich kann eine Richtlinie im Einzelfall auch nur an einzelne Mitgliedstaaten adressiert werden und muss damit nicht alle Mitgliedstaaten der Union erfassen.204 Erstrebenswert ist die Einbindung der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten aber mit Blick auf die Schaffung eines gleichförmigen Rechtsschutzniveaus für den Betroffenen im europäischen Rechtsraum. Der von grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffene kann mit seiner Verteidigung nicht schutzloser stehen, wenn die EUStA Ermittlungsmaßnahmen im europäischen Rechtsraum, aber auf dem Gebiet der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten durchführen lässt, als wenn sie diese in den teilnehmenden Mitgliedstaaten durchführt. Wenn die EUStA ihre Beweissammlung auf dem Gebiet von nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten durchführt, so dürfte die Qualität der gerichtlichen Verteidigung des Betroffenen im betrauten Mitgliedstaat nicht schon deshalb leiden, weil Ermittlungsmaßnahmen in Polen durchgeführt wurden und weil eine Richtlinie, die grundsätzlich Prozesskostenhilfe für die Beratung des betrauten Verteidigers durch einen unterstützenden Verteidiger vorsieht, nicht zur Anwendung gelangt. Es wäre allerdings nicht möglich, die nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten mittels Richtlinie durch die Hintertür mit der 203
Vgl. ABl. EU C 115/1 v. 09. 05. 2008. Nettesheim, in: Grabitz u. a. (Hrsg.), Recht der EU, Art. 288, Rn. 110; Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV, Rn. 59. Dagegen keine Möglichkeit, den Adressatenkreis einer Richtlinie auf bestimmte Mitgliedstaaten zu beschränken sieht Bievert, in: Schwarze u. a. (Hrsg.), EU Kommentar, Art. 288 AEUV, Rn. 24. 204
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Erfüllung von Rechtspflichten belegen, die genuin zur Errichtung der EUStA und der Sachmaterie des Art. 86 AEUV gehören. Denn es ist zu beachten, dass die EUStA gem. Art. 86 Abs. 1 UAbs. 3 AEUV durch eine Verstärkte Zusammenarbeit eingesetzt wurde und gem. Art. 327 AEUV die Zuständigkeiten, Rechte und Pflichten der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigen darf. Soweit die mit einer Richtlinie bezweckte Rechtsharmonisierung eng an den Gegenstand des Art. 82 Abs. 2 lit. b) AEUV angelehnt ist, könnten auch die nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten mit einem entsprechenden Rechtsakt adressiert werden. Gegenstand des Art. 82 Abs. 2 lit. b) AEUV sind die Rechte des Beschuldigten und anderen Verfahrensbeteiligten, deren strukturelle Unterlegenheit bei der Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung durch Mindestharmonisierung abgemildert werden soll.205 Er bezieht sich auf individualschützende Strafverfahrensvorschriften, die dem Einzelnen unmittelbar Rechte verleihen.206 Der Richtlinienvorschlag müsste inhaltlich von der Angleichungskompetenz des Art. 82 Abs. 2 lit. b) AEUV gedeckt sein. Eine Angleichung nach Art. 82 Abs. 2 lit b) AEUV bezweckt die Erleichterung der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen und der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen mit grenzüberschreitender Dimension und muss dafür im Einklang mit dem Grundsatz der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit erforderlich i. S. d. Art. 5 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 und Abs. 4 EUV sein. Die EUStA stützt ihre grenzüberschreitenden Maßnahmen im Verhältnis zu den nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten auf die dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung basierenden Instrumente (z. B. RLEEA). Zuletzt müsste die Richtlinie im Wege des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens nach Art. 82 Abs. 2 S. 1, Art. 294 AEUV erlassen werden. Die Vertreter des Rates der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten könnten einem entsprechenden Vorhaben skeptisch gegenüberstehen, da sich die Staaten bereits gegen die Einrichtung der EUStA ausgesprochen haben. Sie könnten die Anweisungskompetenz der Union durch den Erlass von Sekundärrechtsakten auf dem Gebiet ihres nationalen Strafrechtssystems ablehnen. Zielt die Richtlinie aber primär auf die Stärkung von verfahrensrechtlichen Garantien des Beschuldigten in grenzüberschreitenden Ermittlungsverfahren, würde sie für die nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten auch keine spezifischen Handlungspflichten zur Einrichtung oder Teilnahme an der EUStA schaffen. Eine Regelung für eine Mehrfachverteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA könnte schließlich auch durch (eine Erweiterung) der VO auf Grundlage von Art. 86 Abs. 3 VO erlassen werden. Für die an der Verstärkten Zusammenarbeit nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten haben die im Rahmen der Verstärkten Zusammenarbeit erlassenen Rechtsakte gem. Art. 20 Abs. 4 EUV jedoch keine Bindungswirkung. Der Erlass einer solchen sektoralen Regelung ist aber mit
205 206
Satzger, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 82 AEUV, Rn. 51. Satzger, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 82 AEUV, Rn. 51.
II. Zentrale Verteidigungsrechte im Ermittlungsverfahren der EUStA
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Blick auf den oben beschriebenen Qualitätsverlust der Verteidigung des von grenzüberscheitenden Ermittlungen Betroffenen nicht desiderabel. So lange die EUStA ihre grenzüberschreitenden Ermittlungen auf dem Boden der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen durchführt, wird die Effektivität der Verteidigung naturgemäß immer von den einzelstaatlichen Rechtsordnungen abhängen. Nichtsdestotrotz kann die drohende Schieflage zulasten der Verteidigung durch die Gewährleistung einer Mehrfachverteidigung zu einem gewissen Maß nivelliert werden. bb) Vorschlag Richtlinienbestimmung: Zugang zu Rechtsbeiständen bei grenzüberschreitenden Maßnahmen der EUStA Vor diesem Hintergrund könnte eine Richtlinienbestimmung, die dem von EUStA Ermittlungen Betroffenen den prozesskostenfinanzierten Mehrfachzugang zu einem Rechtsbeistand verschafft, wie folgt formuliert werden: Art. xx Recht auf Zugang zu Rechtsbeiständen bei grenzüberschreitenden Maßnahmen der EU (1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die durch eine grenzüberschreitende Maßnahme der EU betroffene Person das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand hat.207 (2) Als grenzüberschreitende Maßnahme der EU im Sinne dieser Richtlinie gilt: a) Jede Maßnahme,208 die ein unterstützender Delegierter Europäischer Staatsanwalt aufgrund einer Zuweisung des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts nach Art. 31 VO selbst durchführt oder mit der er die zuständige nationale Behörde mit der Durchführung beauftragt, b) Jede Maßnahme, die auf Grundlage von Art. 31 Abs. 6 VO nach Maßgabe von Rechtsinstrumenten der gegenseitigen Anerkennung oder grenzüberschreitende Zusammenarbeit durchgeführt wird. 207
Ein etwaiger Zusatz, nachdem die betroffene Personen das Recht auf Zugang „im Mitgliedstaat des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts und dem oder den Mitgliedstaaten des oder der unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwälte“ hätte ist streng genommen nicht notwendig, da die Richtlinie jeden Mitgliedstaat für sich verpflichtet (und eben nicht von der Gewährleistung des Zugangs zum Rechtsbeistand entbindet, sofern ein anderer Mitgliedstaat diese Gewährleistung umgesetzt hat). Aus Gründen der Klarstellung, dass sich die Zugangsgarantie auch auf die (gleichzeitige) Benennung eines Rechtsbeistands in verschiedenen Mitgliedstaaten beziehen soll, wäre ein solcher Zusatz sinnvoll. Da sich die Regelung aber auch auf den Zugang zum Rechtsbeistand in nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten beziehen soll, kann ein solcher Zusatz hier nicht erfolgen. Eine dahingehende Klarstellung könnte über eine Formulierung von Erwägungsgründen erfolgen. 208 Hier könnten grundsätzlich auch nur besonders einschneidende Maßnahmen aufgeführt werden. Dann eröffnet die Richtlinienvorschrift den Mitgliedstaaten aber einen Bewertungsraum, der Tor zur Ungleichbehandlung der von den Ermittlungen Betroffenen eröffnet. Der Normklarheit muss im komplexen Ermittlungsverfahren der EUStA aber in besonderem Maße Bedeutung beigemessen werden.
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C. Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA
(3) Als betroffene Person gilt jeder Verdächtige oder Beschuldigte in einem Strafverfahren der EU. Als Verdächtiger oder Beschuldigter gilt jede Person, die von den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaates durch amtliche Mitteilung oder auf sonstige Art und Weise davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass sie der Begehung einer Straftat verdächtig ist.209 Ein Strafverfahren der EU liegt vor, wenn die EU ihre Zuständigkeit entweder durch Einleitung des Ermittlungsverfahrens oder durch die Entscheidung, ihr Evokationsrecht nach Art. 27 VO wahrzunehmen, ausgeübt hat.210 (4) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der betroffenen Person das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand so rechtzeitig und in einer solchen Art und Weise zukommt, dass sie ihre Verteidigungsrechte praktisch wirksam wahrnehmen kann.211 (5) In jedem Fall kann die betroffene Person ab dem zuerst eintretenden der folgenden Zeitpunkte Zugang zu einem Rechtsbeistand erhalten: a) ab dem Zeitpunkt der Durchführung einer grenzüberschreitenden Maßnahme der EU nach Abs. 2 lit. a) dieser Vorschrift. Die Durchführung einer solchen Maßnahme beginnt bei für die betroffene Person erkennbaren Maßnahmen (offene Maßnahmen) mit der an die betroffene Person gerichteten Erklärung der Eröffnung der Maßnahme durch den unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt oder die durch ihn mit der Durchführung beauftragten zuständigen nationalen Stelle. Die Durchführung einer grenzüberschreitenden Maßnahme beginnt bei für die betroffene Person nicht erkennbaren Maßnahmen (heimliche Maßnahmen) mit der tatsächlichen Kenntniserlangung der betroffenen Person. b) ab dem Zeitpunkt der Durchführung einer Maßnahme nach Abs. 2 lit. b) dieser Vorschrift. Die Durchführung einer solchen Maßnahme beginnt bei für die betroffene Person erkennbaren Maßnahmen (offene Maßnahmen) mit der an die betroffene Person gerichteten Erklärung der Eröffnung der Maßnahme durch die Vollstreckungsbehörde. Die Durchführung einer grenzüberschreitenden Maßnahme beginnt bei für die betroffene Person nicht erkennbaren Maßnahmen (heimliche Maßnahmen) mit der tatsächlichen Kenntniserlangung der betroffenen Person. c) unverzüglich nach Entzug der Freiheit,212 d) wenn die betroffene Person vor ein in Strafsachen zuständiges Gericht geladen wurde, rechtzeitig bevor die betroffene Person vor diesem Gericht erscheint.213 (6) Das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand umfasst Folgendes: a) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die betroffene Person das Recht hat, einen Rechtsbeistand zu benennen.
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Vgl. Art. 2 Abs. 1 RL 2013/48/EU. Vgl. Art. 25 Abs. 1 VO. 211 Vgl. textueller Gleichlauf zu Art. 3 Abs. 1 RL 2013/48/EU. 212 Vgl. textueller Gleichlauf zu Art. 3 Abs. 2 lit b) RL 2013/48/EU. 213 Vgl. Vgl. textueller Gleichlauf zu Art. 3 Abs. 2 lit. c) RL 2013/48/EU. 210
II. Zentrale Verteidigungsrechte im Ermittlungsverfahren der EUStA
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b) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die betroffene Person das Recht darauf hat, dass ihr benannter Rechtsbeistand sie nach Maßgabe des geltenden nationalen Rechts vor der EU und in einem in Strafsachen zuständigem Gericht des Mitgliedstaates vertritt und daran teilnimmt.214 c) Wird die Vertretung der betroffenen Person vor der EU und einem in Strafsachen zuständigen Gericht des Mitgliedstaates nur im Mitgliedstaat des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts durchgeführt, stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die betroffene Person folgende Rechte hat: aa) das Recht auf Kommunikation und Zusammentreffen mit allen von ihr benannten Rechtsbeiständen, bb) das Recht zur Herbeiführung der Kommunikation und des Zusammentreffens ihrer benannten Rechtsbestände untereinander, soweit dies für die wirksame Wahrnehmung der Rechte der betroffenen Person, insbesondere für die rechtliche Überprüfung von grenzüberschreitenden Maßnahmen, erforderlich ist. d) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die betroffene Person für den Zugang zu Rechtsbeiständen bei grenzüberschreitenden Maßnahmen der EU Anspruch auf Prozesskostenhilfe nach Maßgabe der RL (EU) 2016/1919 haben.215 (7) Der unterstützende Delegierte Europäische Staatsanwalt oder die durch ihn mit der Durchführung einer Maßnahme beauftragte nationale Behörde oder, die eine nach Abs. 2 lit. b) dieser Vorschrift durchführende Stelle unterrichtet die betroffene Person darüber, dass sie das Recht hat, einen Rechtsbeistand zu benennen. (8) Unter außergewöhnlichen Umständen und nur im vorgerichtlichen Stadium können die Mitgliedstaaten vorübergehend von der Anwendung des Abs. 6 dieser Vorschrift abweichen, wenn dies angesichts der besonderen Umstände des Falles durch einen der nachstehenden zwingenden Gründe gerechtfertigt ist: a) Wenn dies zur Abwehr einer Gefahr für Leib oder Leben oder für die Freiheit einer Person dringend erforderlich ist,
214 Diese Vorschrift soll keinen unionalen Anspruch auf Beiordnung eines bestimmten Verteidigers begründen, solange kein unionaler Standard für die grenzüberschreitende anwaltliche Tätigkeit im europäischen Rechtsraum geschaffen wird. Die Beiordnung vor der EUStA bzw. dem mitgliedstaatlichen Gericht soll sich nach den nationalen Vorschriften richten. Die betroffene Person könnte vor einer solchen Stelle damit nur durch einen Rechtsbeistand vertreten werden, der nach nationalem Recht dazu befugt wäre (also regelmäßig durch einen Rechtsbeistand, der nach den anwaltlichen Berufsregeln des Mitgliedstaates zugelassen oder vertretungsbefugt ist). Ein unionaler Anspruch auf die Beiordnung könnte gleichwohl begründet werden, wenn das Unionsrecht etwa anwaltliche berufsstandrechtliche Regelungen aufstellt, die die grenzüberschreitende Tätigkeit eines Anwalts im europäischen Rechtsraum vereinheitlichen. 215 Die Einzelheiten dieses Anspruchs sollten in der RL (EU) 2016/1919 geregelt werden. Eine solche Regelung sollte der betroffenen Person gewährleisten, dass sie bei Erforderlichkeit der Benennung mehrerer Rechtsbeistände in verschiedenen Mitgliedstaaten finanzielle Hilfe erhalten kann.
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C. Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA b) Wenn ein sofortiges Handeln der Ermittlungsbehörden zwingend geboten ist, um eine erhebliche Gefährdung eines Strafverfahrens abzuwenden.216
(9) Die in den Artikeln 4, 5, 6, 7, 8 und 9 RL 2013/48/EU vorgesehenen Rechte gelten entsprechend.
cc) Einführung unionaler anwaltlicher Berufsregelungen für die effektive Wahrnehmung von Verteidigungsrechten Von der Möglichkeit der Benennung mehrerer Rechtsbeistände zur Vertretung vor Behörden oder Gerichten in verschiedenen Mitgliedstaaten zu unterscheiden ist die Frage, ob eine effektive Wahrnehmung der Verteidigungsrechte auch erfordert, dass grenzüberschreitende Anwaltstätigkeiten im europäischen Rechtsraum uneingeschränkt gewährleistet werden sollten. Derzeit gibt es keine unionalen Rechtsakte, die einem nach Mitgliedstaat A zugelassenen Rechtsanwalt die Vertretung seines Mandanten vor einem in Mitgliedstaat B geführten gerichtlichen Verfahren garantieren. Die bestehenden unionalen Rechtsakte belegen die Mitgliedstaaten zwar mit der Pflicht, den nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates erworbenen anwaltlichen Berufsstand anzuerkennen. Die anwaltliche Berufsausübung des anerkannten Anwalts können die Mitgliedstaaten aber unter Einschränkungen stellen (z. B. durch die Notwendigkeit der Bestellung eines Einvernehmensanwaltes im Mitgliedstaat B). So ist denkbar, dass die Verteidigung des von grenzüberschreitenden Maßnahmen der EUStA Betroffenen im Einzelfall auch durch die Vertretung nur durch einen Rechtsbeistand optimaler ist, als unter Einbeziehung mehrerer Rechtsbeistände. Dies ist der Fall, wenn der Rechtsbeistand über Sprache und Rechtskenntnisse der in die Ermittlungen einbezogenen Mitgliedstaaten verfügt, z. B. weil es sich dabei um Nachbarstaaten oder konzeptionell sehr vergleichbare Rechtsordnungen handelt. In die heutige Rechtsausbildung finden auch internationale Aspekte Eingang. Durch ein Erasmus-Studium, LL.M-Studium oder Abordnungsmöglichkeiten in ausländische Partnerkanzleien könnten sich anwaltliche Berufsträger fundierte Kenntnisse über andere Rechtsordnungen angeeignet haben. Sie könnten auch aufgrund persönlicher Umstände (doppelter Staatsangehörigkeiten o. ä.) für die anwaltliche Vertretung in einem anderen Mitgliedstaat als dem ihrer beruflichen Zulassung geeignet sein. Hinzu kommt, dass es auch tendenziell einfache Handlungen bzw. Erklärungen vor Behörden oder Gerichten gibt, wie z. B. das Ersuchen um Einsicht in eine Akte, die ein Anwalt auch mit gröberen Rechtskenntnissen einer anderen Verfahrensordnung durchführen könnte, sofern entsprechende Wege eröffnet würden. 216
Vgl. textueller Gleichlauf zu Art. 3 Abs. 6 RL 2013/48/EU. Im Zusammenhang mit der Entscheidung über eine Abweichung zum Zwecke der Abwendung einer erheblichen Gefährdung eines Strafverfahrens sollten die praktischen Besonderheiten in Wirtschaftsstrafverfahren, wie im materiellen Zuständigkeitsbereich der EUStA, besonders berücksichtigt werden.
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Vor diesem Hintergrund sollte der europäische Gesetzgeber die Gestaltung eines anwaltlichen Berufsrechts anstoßen, welches die grenzüberschreitende Berufsausübung von Anwälten in praxisgerechtem Umfang ermöglicht. Dabei sind freilich gewisse Anforderungen an die Qualifikation des grenzüberschreitenden Anwalts zu stellen, da er den Verteidigungsrechten des Betroffenen nur Wirklichkeit verleihen kann, wenn er in ausreichendem Maße mit Rechtsordnung, und -wirklichkeit des Mitgliedstaates vertraut ist.217 3. Recht auf Prozesskostenhilfe Für die effektive Wahrnehmung seiner Verteidigungsrechte wird der von grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffene in besonderem Maße finanzielle Mittel aufwenden müssen, da er mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den Rechtsrat von mehr als nur einem Verteidiger angewiesen sein wird. Die Erarbeitung einer holistischen Verteidigungsstrategie für den von grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffenen erfordert, dass der ihn betreffende Tatvorwurf sowie das Ermittlungsverfahren unter sowohl der Rechtsordnung des betrauten, als auch der Rechtsordnung des oder der unterstützenden Mitgliedstaaten, ggf. auch unter den Rechtsordnungen von Drittstaaten bewertet werden muss. Die europäische Garantie des Rechts auf Prozesskostenhilfe fußt auf Art. 6 Abs. 3 lit. c) EMRK und Art. 48 Abs. 2 GrCh.218 Nach Art. 6 Abs. 3 lit. c) EMRK hat die angeklagte Person das Recht, falls ihr die Mittel zur Bezahlung fehlen, unentgeltlichen Verteidigerbeistand zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist. Art. 48 Abs. 3 GrCh bestimmt, dass jedem Angeklagten die Achtung der Verteidigungsrechte gewährleistet wird und ist im Zusammenhang mit Art. 6 Abs. 3 lit. c) EMRK zu interpretieren.219 Die Mittellosigkeit des Angeklagten und das Interesse der Rechtspflege an der Verteidigerbestellung müssen kumulativ vorliegen.220 Von der Mittellosigkeit des Angeklagten ist nach der Rechtsprechung des EGMR auch auszugehen, wenn das nationale Gericht über die Mittellosigkeit nicht entschieden hat.221 Woher die Mittellosigkeit des Angeklagten rührt ist unbeachtlich.222
217 Vgl. in diesem Zusammenhang die Idee eines Akkreditierungssystems für „Europäische Strafverteidiger“, zusammenfassend Rackow, in: Böse (Hrsg.), EnzEur, § 24, Rn. 16 f. 218 Ausführlich zur Konzeption der Prozesskostenhilfe nach der EMRK und GrCh unter Einbezug entsprechender europäischer Rechtsprechung s. Bannehr, Der europäische Pflichtverteidiger, S. 45 ff. und S. 140 ff. 219 Vgl. Art. 52 Abs. 3 S. 1 GrCh. 220 EGMR, Urteil v. 25. 04. 1983 – 2/1982/48/77, NStZ 1983, 373. 221 Gaede, in: MüKo StPO, Art. 6 EMRK, Rn. 205 mit Verweis auf EGMR, Urteil v. 25. 04. 1983 – 2/1982/48/77, NStZ 1983, 373. 222 Gaede, in: MüKo StPO, Art. 6 EMRK, Rn. 205.
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C. Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA
Die Beurteilung, ob eine Verteidigerbestellung „im Interesse der Rechtspflege“ liegt, orientiert sich nicht an den rollenspezifischen Interessen der Rechtpflege an einer Ahndung des Angeklagten.223 Das Interesse der Rechtspflege i. S. d. Art. 6 Abs. 3 lit. c) EMRK ist vielmehr dahingehend zu verstehen, dass damit die Herstellung einer Verfahrensgerechtigkeit gegenüber dem Angeklagten gemeint ist.224 Dieses Interesse an der Verfahrensgerechtigkeit macht eine Verteidigerbestellung erforderlich, wenn die Gesamtbetrachtung eines Falles unter Einbezug der Bedeutung der Sache für den Beschuldigten, der drohenden Bestrafung, sowie der Komplexität eines Falles darauf hindeutet, dass die konkrete und wirksame Verteidigung des Angeklagten auf der Kippe steht, weil er zur Selbstverteidigung nicht fähig ist oder die im Verfahren aufgeworfenen Fragen nur durch einen Anwalt dargeboten werden können.225 Die Garantie der Prozesskostenhilfe im Strafverfahren ist vor dem Hintergrund der Komplexität des modernen Strafverfahrens tendenziell weit auszulegen.226 Mit der RL (EU) 2016/1919 hat der europäische Gesetzgeber unionale Mindeststandards zur Prozesskostenhilfe statuiert. Sie steht in engem Zusammenhang mit der RL 2013/48/EU, da mit der Garantie der Prozesskostenhilfe die Effektivität des Zugangs zu einem Rechtsbeistand nach RL 2013/48/EU gewährleistet werden soll.227 Prozesskostenhilfe meint die Bereitstellung finanzieller Mittel durch einen Mitgliedstaat der Union für die Unterstützung durch einen Rechtsbeistand zur Ermöglichung der Wahrnehmung des Rechts auf Zugang zu einem Rechtsbeistand.228 Die Gewährleistungen der RL (EU) 2016/1919 haben standardmäßig das mitgliedstaatliche, rein nationale Strafverfahren zum Relationspunkt. Grenzüberschreitende Verfahrenskonstellationen werden nur durch eine Sonderregelung zur Prozesskostenhilfe in Verfahren zur Vollstreckung eines EuHb adressiert.229 Damit enthält die Richtlinie konsequenterweise keine Bestimmungen zur Prozesskostenhilfe in grenzüberschreitenden Verfahren der EUStA. Fraglich ist daher, inwieweit der Status quo der mit der RL (EU) 2016/1919 getroffenen Regelungen den Besonderheiten der Verteidigung des von grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffenen Rechnung trägt und diesem durch 223
Gaede, in: MüKo StPO, Art. 6 EMRK, Rn. 208 f. Gaede, in: MüKo StPO, Art. 6 EMRK, Rn. 208 f. m. w. N. in Fn. 617 dafür, dass das Interesse der Rechtspflege nach der Konzeption des Art. 6 Abs. 3 lit. c) EMRK im Sinne eines Interesses der Verfahrensgerechtigkeit zu interpretieren ist. 225 Gaede, in: MüKo StPO, Art. 6 EMRK, Rn. 209 ff. 226 Gaede, in: MüKo StPO, Art. 6 EMRK, Rn. 203 m. w. N. 227 Vgl. Erwägungsgrund (1) und Art. 1 Abs. 2 RL (EU) 2016/1919. 228 Art. 3 RL (EU) 2016/1919. 229 So auch Bannehr, Der europäische Pflichtverteidiger, S. 236, die den Umstand, dass andere transnationale Zwangsmaßnahmen keine Berücksichtigung in der RL (EU) 2016/1919 gefunden haben, obgleich die Einbeziehung der Fälle der Vollstreckung des EuHb eine große Anerkennung von Verteidigungsrechten in transnationalen Strafverfahren mit sich gebracht hat, bedauert. 224
II. Zentrale Verteidigungsrechte im Ermittlungsverfahren der EUStA
239
einen Zugang zum Rechtsbeistand die effektive Wahrnehmung seiner Verteidigungsrechte vermitteln kann. a) Anwendungsbereich Gemäß Art. 2 Abs. 1 RL (EU) 2016/1919 gelten die Gewährleistungen der Richtlinie für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren, die nach Maßgabe der RL 2013/48/EU das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand haben. Dies sind gem. Art. 2 Abs. 1 RL 2013/48/EU Verdächtige oder beschuldigte Personen in Strafverfahren, die von den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaates durch amtliche Mitteilung oder sonstige Art und Weise davon in Kenntnis gesetzt werden, dass sie der Begehung einer Straftat verdächtig sind oder beschuldigt werden. Art. 3 Abs. 2 RL 2013/48/EU beschreibt Konstellationen, bei deren Vorliegen diese Personen in jedem Fall einen Zugang zum Rechtsbeistand erhalten. Zudem erfordert die Eröffnung des Anwendungsbereichs der unionalen Prozesskostenhilfe, dass eine der folgenden (im Verhältnis zueinander alternativen) Voraussetzungen vorliegen muss: (1) der Person ist die Freiheit entzogen, (2) die Person hat nach Maßgabe des Unionsrechts oder nationalen Rechts einen Anspruch auf Unterstützung durch einen Rechtsbeistand oder (3) die Person hat ein Anwesenheitsrecht oder eine Anwesenheitspflicht bei einer Ermittlungs- oder Beweiserhebungshandlung (mindestens aber bei Identifizierungsgegenüberstellungen, Vernehmungsgegenüberstellungen und Tatortrekonstruktionen).230 Gem. Art. 2 Abs. 3 RL (EU) 2016/1919 finden die Gewährleistungen der Richtlinie auch Anwendung auf Personen, die ursprünglich nicht Verdächtige oder beschuldigte Personen waren, aber während der Befragung durch die Polizei oder eine andere Strafverfolgungsbehörde zu solchen werden, wenn sie das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand nach RL 2013/48/EU haben und die Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 1 RL (EU) 2016/1919 vorliegen. Der Anwendungsbereich der RL (EU) 2016/1919 ist zudem eröffnet für Personen, gegen die ein Verfahren zur Vollstreckung eines EuHb anhängig ist, die nach Maßgabe der RL 2013/48/EU das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand haben (sog. gesuchte Personen).231 Letzterer ist gesuchten Personen gem. Art. 2 Abs. 2 i. V. m. Art. 10 RL 2013/48/EU ab dem Zeitpunkt ihrer Festnahme im Vollstreckungsmitgliedstaat eröffnet. Die Fallkonstellation der Prozesskostenhilfe in Verfahren des EuHb wird in der Sonderregel Art. 5 RL (EU) 2016/1919 adressiert. Ihre Gewährleistungen unterscheiden sich, entsprechend den Besonderheiten des Verfahrens eines EuHb, ihrer Reichweite nach von den Gewährleistungen für Verdächtige und beschuldigte Personen.
230 231
Art. 2 Abs. 1 lit. a) – c) RL (EU) 2016/1919. Art. 1 lit. b) und Art. 2 Abs. 2 RL (EU) 2016/1919.
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C. Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA
b) Zeitliche Gewährleistung Dem Verdächtigen und der beschuldigten Person ist unverzüglich und spätestens vor einer Befragung durch die Polizei, eine andere Strafverfolgungsbehörde oder eine Justizbehörde oder vor der Durchführung einer Ermittlungs- oder Beweiserhebungshandlung wie einer Identifizierungs- oder Vernehmungsgegenüberstellung oder Tatortrekonstruktion Prozesskostenhilfe zu bewilligen.232 Dazu gehört auch die Situation, in der ein Verdächtiger oder eine beschuldigte Person zur Entscheidung über eine Haft einem zuständigen Gericht oder Richter vorgeführt wird und sich in Haft befindet.233 Erwägungsgrund (15) RL (EU) 2016/1919 beschreibt, welche Situationen nicht als Freiheitsentzug i. S. d. Richtlinie zu erachten sind. So begründen die „Identifizierung des Verdächtigen oder der beschuldigten Person, die Feststellung ob Ermittlungen aufgenommen werden sollten, Überprüfungen auf Waffenbesitz oder Prüfungen ähnlicher Sicherheitsfragen, die Durchführung anderer als in dieser Richtlinie ausdrücklich genannter Ermittlungs- oder Beweiserhebungshandlungen wie Körperkontrollen, körperliche Untersuchungen, Blut-, Alkohol- oder ähnliche Tests, die Anfertigung von Fotografien oder die Abnahme von Fingerabdrücken und die Vorführung des Verdächtigen oder der beschuldigten Person vor eine zuständige Behörde nach Maßgabe des nationalen Rechts“ keinen Freiheitsentzug i. S. d. Richtlinie, der den Weg zur Prozesskostenhilfe eröffnen würde. c) Materielle Voraussetzungen Gem. Art. 4 Abs. 1 RL (EU) 2016/1919 stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass Verdächtige und beschuldigte Personen, die nicht über ausreichende Mittel zur Bezahlung eines Rechtsbeistands verfügen, Anspruch auf Prozesskostenhilfe haben, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist. Die Mitgliedstaaten haben gem. Art. 4 Abs. 2 RL (EU) 2016/1919 die Wahl, ob sie der Entscheidung über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe eine Bedürftigkeitsprüfung (sog. means-test) und/oder eine Prüfung der materiellen Kriterien (sog. merits-test) zugrunde legen.234 232
Art. 4 Abs. 5 RL (EU) 2016/1919, Erwägungsgrund (19) RL (EU) 2016/1919. Vgl. Art. 4 Abs. 4 lit. a) und b) RL (EU) 2016/1919, wonach die materiellen Kriterien für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe bei Vorliegen dieser Umstände in jedem Fall als erfüllt gelten und in diesem Zusammenhang auch Art. 3 Abs. 2 lit. c) und d) RL 2013/48/EU. 234 Insoweit eröffnet die RL (EU) 2016/1919 auch dem über finanzielle Ressourcen Verfügenden einen Zugang zur Prozesskostenhilfe, da der Richtliniengeber formuliert, dass die Mitgliedstaaten die Bewilligung der Prozesskostenhilfe auch nur auf die Prüfung eines Aspekts (Bedürftigkeit oder materielle Kriterien) beschränken könnten. Die Gewährleistung des Art. 6 Abs. 3 lit. c) EMRK i. V. m. Art. 48 Abs. 2 GrCh dagegen erforderte noch, dass Mittellosigkeit des Angeklagten und ein Interesse der Rechtspflege an der Verteidigerbestellung kumulativ vorliegen müssen. 233
II. Zentrale Verteidigungsrechte im Ermittlungsverfahren der EUStA
241
Bei der Durchführung einer Bedürftigkeitsprüfung berücksichtigt der Mitgliedstaat beispielsweise das Einkommen, das Vermögen und die familiären Verhältnisse der betroffenen Person um festzustellen, ob sie nicht über ausreichende Mittel zur Bezahlung der Unterstützung durch einen Rechtsanwalt verfügt.235 Bei der Prüfung von materiellen Kriterien nimmt der Mitgliedstaat die Bewertung der Erforderlichkeit von Prozesskostenhilfe an der Betrachtung der Schwere der Straftat, der Komplexität des Falles und der Schwere der zu erwartenden Strafe vor, um festzustellen, ob die Prozesskostenhilfe im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist.236 In Fällen, in denen ein Verdächtiger oder eine beschuldigte Person einem zuständigen Gericht oder Richter zur Entscheidung über eine Haft vorgeführt wird oder in Fällen, in denen er sich in Haft befindet, wird vermutet, dass die materiellen Kriterien in jedem Fall erfüllt sind.237 d) Bewilligungsverfahren Die Entscheidung über die Bewilligung oder Ablehnung von Prozesskostenhilfe und über die Bestellung von Rechtsbeiständen ist von der zuständigen Behörde unverzüglich zu treffen.238 Wenn die zuständigen Behörden nicht dazu in der Lage sind, eine Entscheidung im Rahmen des zeitlichen Anwendungsbereichs der RL (EU) 2016/1919 zu treffen, so sollen sie jedenfalls vor der Befragung der betroffenen Person durch die Polizei, eine andere Strafverfolgungs- oder Justizbehörde oder vor der Durchführung von Ermittlungs- und Beweiserhebungshandlungen zumindest eine Dringlichkeits-Prozesskostenhilfe oder eine vorläufige Prozesskostenhilfe gewähren.239 Die Mitgliedstaaten sollen praktische Regelungen für die Bereitstellung der Prozesskostenhilfe einführen.240 Die für die Entscheidung zuständige Behörde soll eine unabhängige Behörde, ein Gericht oder ein Einzelrichter sein.241 In dringenden Fällen und wenn dies für die rechtzeitige Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderlich ist, soll auch die vorübergehende Einbeziehung der Polizei und Staatsanwaltschaft in den Entscheidungsprozess möglich sein.242
235
Art. 4 Abs. 3 RL (EU) 2016/1919. Art. 4 Abs. 4 S. 1 RL (EU) 2016/1919. 237 Art. 4 Abs. 4 S. 2 lit. a) und b) RL (EU) 2016/1919. S. für eine Zusammenfassung der Anpassungen, die die Vermutung der materiellen Kriterien in RL (EU) 2016/1919 für die Haftrichterpraxis in Deutschland gebracht hat, Kanniess HRRS 2019, 201, 203 ff. 238 Art. 6 Abs. 1 RL (EU) 2016/1919. 239 Erwägungsgrund (19) S. 2 RL (EU) 2016/1919. 240 Erwägungsgrund (18) RL (EU) 2016/1919. 241 Erwägungsgrund (24) S. 2 RL (EU) 2016/1919. 242 Erwägungsgrund (24) S. 3 RL (EU) 2016/1919. 236
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Über die Abweisung ihres Antrags sind die Verdächtigen und beschuldigten sowie gesuchten Personen schriftlich zu informieren.243 e) Qualität der mit Prozesskostenhilfe verbundenen Dienstleistungen und Schulung Art. 7 Abs. 1 RL (EU) 2016/1919 verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, Maßnahmen zu treffen, durch die sichergestellt ist, dass ein wirksames System der Prozesskostenhilfe von angemessener Qualität besteht, die mit der Prozesskostenhilfe verbundenen Dienstleistungen qualitativ angemessen sind und die bei Achtung der Unabhängigkeit der Rechtsberufe der Verfahrensfairness dienen. Die Mitgliedstaaten sind dazu verpflichtet, das in die Entscheidung über Prozesskostenhilfe eingebundene Personal angemessen zu schulen.244 Sie sollen zudem auch Weiterbildungsmaßnahmen für Rechtsbeistände, die Leistungen im Rahmen von Prozesskostenhilfe erbringen, fördern.245 Die Mitgliedstaaten müssen ferner sicherstellen, dass der Verdächtige sowie beschuldigte und gesuchte Personen das Recht haben, den Rechtsbeistand, der ihnen für die Erbringung von Dienstleistungen im Rahmen der Prozesskostenhilfe zugewiesen wurde, bei Vorliegen von rechtfertigenden, konkreten Umständen, auswechseln zu lassen.246 f) Sonderregel: Prozesskostenhilfe in Verfahren zur Vollstreckung eines EuHb Der Anwendungsbereich der RL (EU) 2016/1919 ist auch für Personen, gegen die ein Verfahren zur Vollstreckung eines EuHb anhängig ist und die nach Maßgabe der RL 2013/48/EU das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand haben, ab dem Zeitpunkt ihrer Festnahme im Vollstreckungsmitgliedstaat eröffnet.247 Art. 5 RL (EU) 2016/1919 stellt eine Sonderregelung für die Prozesskostenhilfe in Verfahren des EuHb auf. Ihre Gewährleistungen unterscheiden sich, entsprechend der Besonderheiten des Verfahrens eines EuHb, von den Gewährleistungen für Verdächtige und beschuldigte Personen. Art. 5 Abs. 1 RL (EU) 2016/1919 normiert die (nur) im Vollstreckungsmitgliedstaat zu leistende Prozesskostenhilfe. Art. 5 Abs. 2 RL (EU) 2016/1919 trifft eine Bestimmung zur (doppelten) Prozesskostenhilfe in Vollstreckungs- und Ausstellungsmitgliedstaat. Art. 5 Abs. 3 RL (EU) 2016/1919 eröffnet den Mitglied-
243
Art. 6 Abs. 2 RL (EU) 2016/1919. Art. 7 Abs. 2 RL (EU) 2016/1919. 245 Art. 7 Abs. 3 RL (EU) 2016/1919. 246 Art. 7 Abs. 4 RL (EU) 2016/1919. 247 Art. 2 Abs. 2 i. V. m. Art. 10 RL 2013/48/EU. 244
II. Zentrale Verteidigungsrechte im Ermittlungsverfahren der EUStA
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staaten die Möglichkeit, den Anspruch auf Prozesskostenhilfe in Verfahren zur Vollstreckung eines EuHb von einer Bedürftigkeitsprüfung abhängig zu machen. aa) Prozesskostenhilfe (nur) im Vollstreckungsmitgliedstaat Für gesuchte Personen stellt der Vollstreckungsmitgliedstaat gem. Art. 5 Abs. 1 RL (EU) 2016/1919 sicher, dass diese Anspruch auf Prozesskostenhilfe haben. Die zeitliche Gewährleistung von Art. 5 Abs. 1 RL (EU) 2016/1919 erstreckt sich auf den Zeitraum ab dem Zeitpunkt der Festnahme der gesuchten Person aufgrund eines EuHb bis zu ihrer Übergabe oder dem Zeitpunkt der rechtskräftigen Entscheidung, die gesuchte Person nicht zu übergeben. Sie wird also durch den Festnahmeakt ausgelöst.248 Damit wertet der Richtliniengeber die Festnahme im Vollstreckungsstaat als eine Situation, die den Anspruch auf Prozesskostenhilfe standardmäßig begründet249 und stellt sie dem Freiheitsentzug von Verdächtigen und beschuldigten Personen gleich.250 Beantragt die gesuchte Person ab dem Zeitpunkt ihrer Festnahme Prozesskostenhilfe für die Verteidigung im Vollstreckungsmitgliedstaat, haben die Mitgliedstaaten dem Antrag daher zu entsprechen.251 Erwägungsgrund (22) RL (EU) 2016/1919 bekräftigt dies: Die Mitgliedstaaten sollen dafür sorgen, dass gesuchte Personen bis zu ihrer Übergabe oder dem Zeitpunkt der rechtskräftigen Entscheidung, dass sie nicht übergeben werden, auch tatsächlich Zugang zu einem Rechtsbeistand haben. bb) Prozesskostenhilfe im Vollstreckungsmitgliedstaat und Ausstellungsmitgliedstaat Art. 5 Abs. 2 RL (EU) 2016/1919 eröffnet der gesuchten Person den (doppelten) Zugang zur Prozesskostenhilfe für einen Rechtsbeistand im Vollstreckungsmitgliedstaat und im Ausstellungsmitgliedstaat. Das bedeutet, dass sich eine gesuchte Person des Rechtsrates zweier Rechtsbeistände bedienen kann, während die dadurch entstehenden Kosten jeweils durch den betreffenden Vollstreckungs- und Ausstellungsmitgliedstaat getragen werden. Für rein nationale Verfahren oder andere transnationale Konstellationen sieht die Richtlinie eine Kostentragung für die Bestellung mehr als eines Rechtsbeistands nicht vor.252
248
Bannehr, Der europäische Pflichtverteidiger, S. 281. Bannehr, Der europäische Pflichtverteidiger, S. 281. 250 Vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. a) RL (EU) 2016/1010 i. V. m. Art. 3 Abs. 2 lit. c) RL 2013/48/ EU. 251 Bannehr, Der europäische Pflichtverteidiger, S. 281. 252 S. für eine zusammenfassende Darstellung der Entstehungsgeschichte von Art. 5 Abs. 2 RL (EU) 2016/1919 Mitternhuber, Rechtsbeistand und Prozesskostenhilfe, S. 287 f. m. w. N. 249
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(1) Voraussetzungen bzw. Beschränkungen Der (zusätzliche) Zugang zur Prozesskostenhilfe im Ausstellungsmitgliedstaat unterliegt aber gewissen Beschränkungen: Erstens ist er nur eröffnet, wenn gegen die gesuchte Person ein Verfahren zur Vollstreckung eines EuHb zum Zwecke der Strafverfolgung anhängig ist. Europäische Haftbefehle, die zum Zwecke der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung253 ergehen, sind der Prozesskostenhilfe im Ausstellungsmitgliedstaat damit nicht zugänglich.254 Zweitens muss die gesuchte Person ihr Recht auf Benennung eines Rechtsbeistands im Ausstellungsmitgliedstaat gem. Art. 10 Abs. 4 und 5 RL 2013/48/EU wahrnehmen. Drittens steht die Prozesskostenhilfe unter einem Erforderlichkeitsvorbehalt, denn gem. Art. 5 Abs. 2 letzter Hs. RL (EU) 2016/1919 besteht der Anspruch auf Prozesskostenhilfe im Ausstellungsmitgliedstaat nur insoweit, als diese erforderlich ist, um der gesuchten Person den wirksamen Zugang zu den Gerichten zu gewährleisten. (2) Erforderlichkeitsvorbehalt Damit hat der Richtliniengeber den Mitgliedstaaten ein Gestaltungsermessen für die Anspruchsvoraussetzungen der Prozesskostenhilfe im Ausstellungsmitgliedstaat eingeräumt.255 Die zuständige Behörde im Ausstellungsmitgliedstaat kann frei bewerten, ob sie der gesuchten Person ab ihrer Festnahme finanzielle Mittel zur Bestellung eines Rechtsbeistands im Ausstellungsmitgliedstaat bereitstellt. Einerseits wird der Beurteilungsspielraum der zuständigen Behörden durch die Zweckbestimmung der Prozesskostenhilfe im Ausstellungsmitgliedstaat determiniert: Der Anspruch auf Prozesskostenhilfe im Ausstellungsmitgliedstaat soll nur insoweit bestehen, als sie erforderlich ist, um den „wirksamen Zugang zu den Gerichten zu gewährleisten“. Dabei zielt die Richtlinie ihrem Wortlaut nach primär darauf, der gesuchten Person den Zugang zu den Gerichten vor dem Vollstreckungsmitgliedstaat zu ermöglichen.256 Dafür spricht auch die dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung inhärente Dichotomie der Rechtsschutzsystematik in Verfahren gegen den EuHb: Ein durch den Ausstellungsmitgliedstaat übermittelter EuHb, also eine justizielle Entscheidung, die die Festnahme und Übergabe der gesuchten Person bezweckt, ist im Vollstreckungsmitgliedstaat nicht „self executing“. Er verpflichtet den Vollstreckungsmitgliedstaat zwar im Wege der gegenseitigen Anerkennung zur Vollstreckung dieser justiziellen Entscheidung. Diese Verpflichtung kann der Vollstre253
Vgl. Art. 1 Abs. 1 letzter Hs. RB 2002/584/JI. Kritisch dazu Mitternhuber, Rechtsbeistand und Prozesskostenhilfe, S. 289 f. m. w. N. 255 So auch Bannehr, Der europäische Pflichtverteidiger, S. 282. 256 Vgl. Art. 5 Abs. 2 letzter Hs. RL (EU) 2016/1919: „[…] insoweit Anspruch auf Prozesskostenhilfe im Ausstellungsmitgliedstaat für die Zwecke eines solchen Verfahrens im Vollstreckungsmitgliedstaat haben, als Prozesskostenhilfe erforderlich ist, um den wirksamen Zugang zu den Gerichten zu gewährleisten.“ (Herv. durch Verf.). 254
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ckungsmitgliedstaat tatsächlich aber erst durch Erlass entsprechender Vollstreckungsakte nach Maßgabe seiner eigenen Rechtsordnung, also z. B. durch den Erlass einer Festhalteanordnung, eines Auslieferungshaftbefehls oder einer Übergabeentscheidung, erfüllen. Solche Rechtsakte des Vollstreckungsmitgliedstaates kann die festgenommene, gesuchte Person vor ihrer Übergabe auch nur vor den dortigen Gerichten angreifen. Zu diesem Zweck kann sie etwa darlegen, dass es zwingende und fakultative Gründe für die Ablehnung der Vollstreckung des EuHb257 gibt.258 Gegen den dem EuHb zugrundeliegenden nationalen Haftbefehl dagegen kann die gesuchte Person nur vor Gerichten des Ausstellungsmitgliedstaates vorgehen. Der gesuchten Person wird es regelmäßig schon daran gelegen sein, ihre Übergabe an den Ausstellungsmitgliedstaat zu verhindern, so dass sie, jedenfalls in zeitlicher Hinsicht, regelmäßig zuerst den Zugang zu Gerichten vor dem Vollstreckungsmitgliedstaat suchen wird. Wann die Prozesskostenhilfe im Ausstellungsmitgliedstaat für die Gewährleistung des wirksamen Zugangs zu den Gerichten erforderlich sein soll, beschreibt Erwägungsgrund (21) S. 3 RL (EU) 2016/1919 beispielhaft: Wenn der Rechtsbeistand in dem Vollstreckungsmitgliedstaat seine Aufgaben im Zusammenhang mit der Vollstreckung des EuHb ohne die Unterstützung eines Rechtsbeistands im Ausstellungsmitgliedstaat nicht wirksam und effizient erfüllen kann, so ist die Prozesskostenhilfe als erforderlich anzusehen. Andererseits wird der Beurteilungsspielraum der zuständigen Behörde bei der Entscheidung über die Erforderlichkeit durch die gesetzgeberische Funktion des Rechtsbeistands im Ausstellungsmitgliedstaat flankiert. In Art. 10 Abs. 4 S. 2 RL 2013/48/EU beschreibt der Richtliniengeber die Rolle des Rechtsbeistands im Ausstellungsmitgliedstaat in Verfahren von EuHb. Er hat die Funktion, den Rechtsbeistand im Vollstreckungsmitgliedstaat „zu unterstützen, indem er jenen Rechtsbeistand mit Informationen versorgt und berät, damit die gesuchte Person ihre Rechte nach dem Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates wirksam ausüben kann.“ In Verfahren des EuHb spricht tatsächlich vieles dafür, dass das Ermessen der zuständigen Behörde bei der Entscheidung, ob die Prozesskostenhilfe für die Bestellung eines Rechtsbeistands im Ausstellungsmitgliedstaat erforderlich ist, regelmäßig auf Null reduziert sein wird.259 Verfahren des EuHb zeichnen sich durch einen hohen Komplexitätsgrad aus, die gesuchte Person wird mangels eigener Kenntnisse und ggf. bestehenden Sprachbarrieren rechtliche Fragen zum Verfahren im Ausstellungsmitgliedstaat nicht beurteilen können und dem Rechtsbeistand im Voll-
257
Vgl. Art. 3 und Art. 4 RB 2002/584/JI. Für eine ausführliche Darstellung der Rechtsschutzlücken im deutschen System des IRG gegen die Vollstreckung eines EuHb s. Pieronczyk, AnwBl Online 2019, 362, 366 ff. 259 Bannehr, Der europäische Pflichtverteidiger, S. 283 f. 258
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streckungsmitgliedstaat wird die Erarbeitung einer Verteidigungsstrategie ohne Einbezug des ausstellungsstaatlichen Verfahrens nicht gelingen.260 cc) Leistungsumfang der Prozesskostenhilfe im Ausstellungsmitgliedstaat Fraglich ist, welche Leistungshandlungen des Rechtsbeistands im Ausstellungsmitgliedstaat von der richtliniengeberischen Konzeption der Prozesskostenhilfe gedeckt werden. Die RL (EU) 2016/1919 bestimmt lediglich, dass der Anspruch auf Prozesskostenhilfe insoweit besteht, als er für den Zugang zu den Gerichten erforderlich ist. Konkrete Leistungshandlungen oder einen Katalog von anwaltlichen Leistungen schreibt sie nicht fest. Der Leistungsumfang der Prozesskostenhilfe lässt sich unter Betrachtung der gesetzgeberischen Funktion des Rechtsbeistands im Ausstellungsmitgliedstaat umreißen. Gem. Art. 10 Abs. 4 S. 2 RL 2013/48/EU hat der Rechtsbeistand im Ausstellungsmitgliedstaat die Rolle, den Rechtsbeistand im Vollstreckungsmitgliedstaat zu unterstützen und zu diesem Zweck mit Informationen zu versorgen und zu beraten, damit die gesuchte Person ihre Rechte nach dem Rahmenbeschluss 2002/ 548/JI wirksam ausüben kann. Daraus folgt erstens, dass die Prozesskostenhilfe de lege lata nach einer strengen Wortlautauslegung nur die Interaktion zwischen den beiden Rechtsbeiständen erfasst. Die Interaktion zwischen dem Rechtsbeistand im Ausstellungsmitgliedstaat und der gesuchten Person dagegen wird in der RL 2013/48/EU nicht genannt und ist auch unter systematischer Gesetzesbetrachtung nicht im Leistungsumfang der Prozesskostenhilfe enthalten. Der Prozesskostenhilfe zugänglich ist nur die Interaktion zwischen gesuchter Person und dem Rechtsbeistand im Vollstreckungsmitgliedstaat, (nur) diese Interaktion wird durch Art. 10 Abs. 2 lit. b) und c) RL 2013/48/ EU ausdrücklich geregelt. Sie ermöglicht der gesuchten Person mit dem Rechtsbeistand im Vollstreckungsstaat zusammenzutreffen, mit ihm zu kommunizieren und von diesem zu einer Vernehmung durch die vollstreckende Justizbehörde begleitet zu werden. Die in Art. 10 Abs. 4 S. 2 RL (EU) 2016/1919 normierte Funktion des Rechtsbeistands im Ausstellungsmitgliedstaat qualifiziert die gesuchte Person (nur) als Relationspunkt der Unterstützungsarbeit des Rechtsbeistands im Ausstellungsmitgliedstaat: Seine Aufgabenwahrnehmung hat sich stets an den Rechtsinteressen der gesuchten Person zu orientieren. Dazu ist eine direkte Interaktion mit der gesuchten Person aber nicht zwingend erforderlich. Zweitens, stellt sich damit die Frage, welche konkreten Leistungshandlungen im Verhältnis der Interaktion zwischen dem Rechtsbeistand im Ausstellungsmitgliedstaat und dem Rechtsbeistand Vollstreckungsmitgliedstaat der Prozesskostenhilfe zugänglich sind. Art. 10 Abs. 4 S. 2 RL 2013/48/EU beschreibt den Rechtsbeistand im Ausstellungsmitgliedstaat mit den Attributen unterstützend, informierend und 260 Bannehr, Der europäische Pflichtverteidiger, S. 284; Mitternhuber, Rechtsbeistand und Prozesskostenhilfe, S. 267 ff.
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beratend. Der Leistungsumfang der Prozesskostenhilfe muss damit, entsprechend der Funktionsbestimmung des Rechtsbeistands und unter Einbeziehung der Rechtewahrnehmung der gesuchten Person unter RB 2002/584/JI, insbesondere der fakultativen und zwingenden Ablehnungsmöglichkeiten der Vollstreckung eines EuHb, mindestens folgende Handlungen des Rechtsbeistands im Ausstellungsmitgliedstaat umfassen: – die Erstellung von Gutachten zur Bewertung der dem EuHb zugrundeliegenden justiziellen Entscheidung des Ausstellungsmitgliedstaates, in prozess- sowie materiellrechtlicher Hinsicht, – die Einholung von behördlichen und gerichtlichen Akten im betreffenden Verfahren der gesuchten Person im Ausstellungsmitgliedstaat, insbesondere weil der übermittelte EuHb vom Ausstellungsstaat an den Vollstreckungsstaat nur mit den in Art. 8 RB 2002/584/JI aufgestellten Informationen und einem Formblatt zu übermitteln ist, die vollumfänglichen Verfahrensinformationen aber nur in den behördlichen und gerichtlichen Akten abgebildet werden, – die Einholung von Auskünften aus behördlichen Strafregistern oder Datenbanken, soweit nach nationalem Recht möglich, – die Einholung von Erklärungen/eidesstattlichen Versicherungen von Zeugen im Ausstellungsmitgliedstaat, soweit nach nationalem Recht möglich (z. B. von Inhaftierten im Ausstellungsmitgliedstaat zur Frage nach den dortigen Haftbedingungen. Die Ablehnung der Vollstreckung von EuHb wegen mangelhafter Haftbedingungen im Ausstellungsmitgliedstaat, die zu einer Verletzung von Art. 4 GrCh führen, ist wiederholt zum Gegenstand der jüngeren Rechtsprechung des EuGH und EGMR geworden.261), – fernmündliche Besprechungen zwischen Rechtsbeistand im Vollstreckungs- und Ausstellungsmitgliedstaat, per Email, Telefon, oder auch Videocalls (vor dem Hintergrund der Vielzahl an technischen Kommunikationsmöglichkeiten dürften physische Zusammenkünfte für die Interaktion zwischen Rechtsbeistand im Ausstellungs- und Vollstreckungsmitgliedstaat aber im Regelfall entbehrlich sein). Drittens resultiert die Feststellung, dass, da die einzelnen Handlungen des Rechtsbeistands im Ausstellungsmitgliedstaat weder in der Richtlinie zur Prozesskostenhilfe, noch in der Richtlinie zum Rechtsbeistand normiert sind, der Leistungsumfang der Prozesskostenhilfe für den Rechtsbeistand im Ausstellungsmitgliedstaat stark von der Praxis der dort für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe zuständigen Behörde abhängen wird. Dieser Umstand belegt die gesuchte Person mit einem gewissen finanziellen Risiko und kann zu einer im europäischen Rechtsraum 261 Vgl. dazu beispielhaft folgende Entscheidungen: EGMR (Fünfte Sektion), Urteil v. 25. 03. 2921 – 40324/16, 12623/17, BeckRS 2021, 5322 (Bivolaru et Moldovan); EuGH (Große Kammer), Urteil v. 05. 04. 2016 – C-404/15, C-659/15 PPU, NJW 2016, 1709 (Aranyosi und Ca˘ lda˘ raru).
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C. Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA
unerwünschten Ungleichbehandlung von gesuchten Personen bei dem Zugang zu einem prozesskostenhilfefinanzierten Rechtsbeistand führen. Viertens wird festgestellt, dass der Anspruch auf Prozesskostenhilfe für einen Rechtsbeistand im Ausstellungsmitgliedstaat die Mitgliedstaaten nicht auch mit der Pflicht belegt, diesen Rechtsbeistand gleichzeitig als universalen Prozessvertreter der gesuchten Person zu akzeptieren. Die Postulationsfähigkeit des Rechtsbeistands richtet sich nach den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen. Es gibt derzeit keine unionalen Berufsstandsregeln, die einen Rechtsbeistand qua Rechtsberuf dazu befähigen würden, vor allen mitgliedstaatlichen Gerichten die Vertretung einer Person zu übernehmen.262 Dies führt dazu, dass die gesuchte Person z. B. schon bei einer Akteneinsicht im Ausstellungsmitgliedstaat regelmäßig durch einen Rechtsbeistand des Ausstellungsmitgliedstaates vertreten werden müsste. dd) Bewilligungsentscheidung Die Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Ausstellungsmitgliedstaat soll nach Erwägungsgrund (21) S. 4 RL (EU) 2016/1919 von einer Behörde getroffen werden, die in diesem Mitgliedstaat für solche Entscheidungen zuständig ist. Art. 6 Abs. 1 RL (EU) 2016/1919 bestimmt, dass die Entscheidung über die Bewilligung von der zuständigen Behörde unverzüglich zu treffen ist.263 Für Fälle der Prozesskostenhilfe in Verfahren von EuHb mit Rechtsbeiständen in Vollstreckungs- und Ausstellungsmitgliedstaat nach Art. 5 Abs. 2 RL (EU) 2016/ 1919 bedeutet dies, dass zwei Behörden für die Bewilligungsentscheidung zuständig sind, und zwar die zuständige Behörde im Vollstreckungs- sowie die zuständige Behörde im Anordnungsmitgliedstaat.264 ee) Möglichkeit der Bedürftigkeitsprüfung Für Verfahren zur Vollstreckung von EuHb hat der Richtliniengeber bestimmt, dass die Mitgliedstaaten die Prozesskostenhilfe von einer Bedürftigkeitsprüfung i. S. d. Art. 4 Abs. 3 RL (EU) 2017/1919 abhängig machen dürfen.265 262
S. dazu unter C., S. 219 ff. dieser Arbeit. Vgl. für eine Darstellung der praktischen Schwierigkeiten der Bestellung eines doppelten Rechtsbeistands am Falle von Deutschland als Ausstellungsmitgliedstaat eines EuHb Mitternhuber, Rechtsbeistand und Prozesskostenhilfe, S. 282 ff. und S. 295 ff. 264 Kritisch dazu positioniert sich Mitternhuber, Rechtsbeistand und Prozesskostenhilfe, S. 292, da die Entscheidung, ob der Rechtsbeistand im Vollstreckungsmitgliedstaat für die Verteidigung der gesuchten Person auf die Unterstützung eines Rechtsbeistands im Ausstellungsmitgliedstaat angewiesen ist, damit der zuständigen Behörde des Ausstellungsmitgliedstaates unterliegt, die darüber mangels eigener Sachkunde nicht zwangsläufig urteilen könne. 265 Art. 5 Abs. 3 RL (EU) 2016/1919. 263
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Damit weicht der Richtliniengeber für die Fälle der Prozesskostenhilfe in Verfahren des EuHb von der in Art. 4 Abs. 2 RL (EU) 2016/1919 vorgesehenen Wahlmöglichkeit der Mitgliedstaaten ab. Dort kann die Entscheidung für die Feststellung der Prozesskostenhilfe von Verdächtigen und beschuldigten Personen von einer Bedürftigkeitsprüfung und/oder einer Prüfung der materiellen Kriterien abhängig gemacht werden. g) Bewertung und Fazit Die Regelungen der RL (EU) 2016/1919 stellen unionale Mindeststandards für den mitgliedstaatlich finanzierten Zugang zu einem Rechtsbeistand auf. Dabei hat die Richtlinie primär die Konstellation des rein national geführten Strafverfahrens im Blick. Den Mitgliedstaaten räumt sie einen weiten Spielraum für die Ausgestaltung der Anspruchsvoraussetzungen der Prozesskostenhilfe ein. Die Kosten der Prozesskostenhilfe werden durch die (Forum-)Mitgliedstaaten getragen. Prozesskostenhilfe für grenzüberschreitende Verfahren wird lediglich in einer Bestimmung adressiert. Gegenstand dieser Bestimmung ist die mittels EuHb zum Zwecke der Strafverfolgung gesuchte Person, die sich ab dem Zeitpunkt ihrer Festnahme eines oder zweier prozesskostenfinanzierter Rechtsbeistände bedienen kann. Der Richtliniengeber hat die Situation der mittels EuHb gesuchten Person als besonderen Fall der Prozesskostenhilfe anerkannt und, im Vergleich zu von rein nationalen Fallgestaltungen betroffenen Beschuldigten, der gesuchten Person ein erhöhtes Bedürfnis zu einem Rechtsbeistand zugesprochen. So gewährleistet die Richtlinie der gesuchten Person unter bestimmten Voraussetzungen einen prozesskostenfähigen Rechtsbeistand nicht nur im Vollstreckungsmitgliedstaat, sondern gleichzeitig auch im Ausstellungsmitgliedstaat. Die Entscheidung über die Gewährung der Prozesskostenhilfe liegt in diesen Fällen bei zwei Behörden, und zwar den Behörden des Ausstellungsmitglied- und des Vollstreckungsmitgliedstaates. Da die Prozesskostenhilfe für den (zusätzlichen) Rechtsbeistand im Ausstellungsmitgliedstaat unter einem Erforderlichkeitsvorbehalt steht, kommt den mitgliedstaatlichen Behörden ein großer Entscheidungsspielraum bei der Bewilligung der Prozesskostenhilfe selbst, aber auch bei der Entscheidung über den konkreten Leistungsumfang der Prozesskostenhilfe zu. aa) Implikationen der Prozesskostenhilfe in Verfahren des EuHb für grenzüberschreitende EUStA-Verfahren Auch in grenzüberschreitenden Verfahren der EUStA besteht für die betroffene Person das Bedürfnis nach dem Zugang zu mehr als nur einem Rechtsbeistand, da die EUStA ihre Ermittlungsmaßnahmen mit ihrem Zuweisungssystem potenziell auf dem Gebiet der teilnehmenden und nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten, sowie der Drittstaaten durchführen lassen kann.
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C. Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA
Fraglich ist, wie sich die Regelung zur Prozesskostenhilfe in Verfahren des EuHb zu der Situation des von grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffenen verhält und ob sich daraus Implikationen für seinen Zugang zu Rechtsbeiständen ableiten lassen. Erstens kann festgestellt werden, dass die Regelung des Art. 5 Abs. 2 RL (EU) 2016/1919 der gesuchten Person den Zugang zu zwei prozesskostenfinanzierten Rechtsbeiständen, einem im Vollstreckungsmitgliedstaat, sowie bei Erforderlichkeit auch im Ausstellungsmitgliedstaat eröffnet. Die Möglichkeit der Inanspruchnahme von zweien, unterschiedlich-mitgliedstaatlichen Rechtsbeiständen wurde geschaffen, um der gesuchten Person den wirksamen Zugang zu Gerichten zu gewährleisten.266 Die Verteidigung gegen die Vollstreckung eines EuHb im Vollstreckungsmitgliedstaat hat das Strafverfahrensrecht des Ausstellungsmitgliedstaates, welches die vom Vollstreckungsmitgliedstaat anzuerkennende und zu vollstreckende justizielle Entscheidung begründet, miteinzubeziehen. Mit einer vergleichbaren Situation sieht sich der von grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffene konfrontiert. Er wird für eine holistische Verteidigung regelmäßig auf den Rechtsrat von sogar mehr als nur zweien, unterschiedlich-mitgliedstaatlichen Rechtsbeiständen angewiesen sein. Denn im europäischen Rechtsraum können grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA potenziell auf dem Gebiet von 22 teilnehmenden Mitgliedstaaten auf Basis des in Art. 31 VO normierten Zuweisungssystems durchgeführt werden. In Betracht kommt zudem, dass die EUStA Ermittlungshandlungen unter Rückgriff auf unionale Instrumente der gegenseitigen Anerkennung, wie der EEA, auch auf dem Gebiet der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten durchführt. Möglich ist schließlich auch, dass die EUStA in einem Ermittlungsverfahren Beweise auf dem Gebiet von Drittstaaten sammelt. Dies zieht für die Verteidigung des von grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffenen mannigfaltige Konsequenzen mit sich: Sie hat – anders als beim EuHb nicht nur zwei sondern gar – ein ganzes Konglomerat an Rechtsordnungen und Verfahrenspraktiken in ihre strategischen Überlegungen einzubeziehen. Zweitens erfolgt die Feststellung, dass sich die von der EUStA getroffene Wahl des Rechtsinstruments für die Durchführung einer grenzüberschreitenden Ermittlungsmaßnahme auf die Rechtsschutzmöglichkeiten des Betroffenen auswirkt. Bei grenzüberschreitenden Maßnahmen der EUStA auf dem Gebiet der teilnehmenden Mitgliedstaaten unter dem Zuweisungssystem tritt hinzu, dass das für den Rechtsschutz zuständige mitgliedstaatliche Gericht sich nicht zwangsläufig eindeutig bestimmen lässt.267
266
Gleichwohl hat sich offenbart, dass diese Gewährleistung stark von den mitgliedstaatlichen Verfahrensordnungen und -praktiken abhängt, s. krit. dazu Wahl, in: Ligeti u. a. (Hrsg.), EPPO At Launch, S. 103. 267 S. dazu unter B., S. 107 ff. dieser Arbeit.
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Ermittlungen der EUStA im europäischen Rechtsraum werden entweder auf das EUStA-spezifische Zuweisungssystem und/oder ein Instrument der gegenseitigen Anerkennung (z. B. EEA) gestützt werden. Für die Durchführung von Ermittlungen auf dem Gebiet von Drittstaaten wird die EUStA auf vertragliche Vereinbarungen zurückgreifen. Damit korreliert der Rechtsschutz gegen grenzüberschreitende Maßnahmen der EUStA mit ihrem Aktionsradius und den Rechtsinstrumenten, von denen sie im konkreten Fall Gebrauch macht. Grenzüberschreitende Ermittlungsmaßnahmen auf dem Gebiet der teilnehmenden Mitgliedstaaten vollziehen sich nach Maßgabe der VO. Art. 31 VO hat ein System geschaffen, mit dem grenzüberschreitende Ermittlungen auf Zuweisung des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts durch den unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt, nach Maßgabe seiner Rechtsordnung, durchgeführt werden. Dem Zuweisungssystem liegt die vom Verordnungsgeber postulierte Idee zugrunde, dass es sich bei der EUStA um eine einheitliche Behörde handelt, deren grenzüberschreitende Ermittlungstätigkeit nicht erst durch den Rückgriff auf Instrumente der gegenseitigen Anerkennung durchgeführt werden könne. Tatsächlich weist die Durchführung einer grenzüberschreitenden Maßnahme nach dem Zuweisungssystem Parallelen zu Maßnahmen auf Grundlage der EEA, einem Instrument der gegenseitigen Anerkennung, auf.268 Insgesamt aber dürfte das Zuweisungssystem der VO als das dichtere bzw. praktisch wirksamere Maßnahmeninstrument grenzüberschreitender Strafverfolgung zu erachten sein, da zwischen den involvierten Delegierten Europäischen Staatsanwälten ein enges kollegiales Band bestehen dürfte. Sie dürften aufgrund der beschränkten sachlichen Zuständigkeit der EUStA zu Routiniers grenzüberschreitender Strafverfolgung werden. Der Rechtsschutz gegen grenzüberschreitende Maßnahmen der EUStA ist vor dem Hintergrund von Art. 42 VO und den Leitlinien der EUStA zu Art. 31 VO zu betrachten.269 Die Leitlinien zu Art. 31 VO stellen fest, dass die VO keine speziellen Rechtsschutzinstrumente für die Konstellation des grenzüberschreitenden Verfahrens bereithält und erklären die in Art. 42 VO getroffene Bestimmung zur gerichtlichen Kontrolle von Verfahrenshandlungen der EUStA für anwendbar.270 Art. 42 Abs. 1 VO konzentriert den Rechtsschutz gegen Verfahrenshandlungen der EUStA bei den „zuständigen nationalen Gerichte[n]“. In grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA sollen Gerichte des betrauten Mitgliedstaates als zuständige nationale Gerichte zu erachten sein, da der betraute Mitgliedstaat hier als Forummitgliedstaat fungiert.271 268
S. dazu unter B., S. 110 ff. dieser Arbeit. S. dazu ausführliche Darstellungen unter B., S. 107 ff. dieser Arbeit. 270 Vgl. Section One/General Principles/Ziffer 9 Leitlinien zu Art. 31 VO. 271 Vgl. Art. 31 Abs. 2 VO. 269
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C. Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA
In diesem Sinne bestimmen die Leitlinien zu Art. 31 VO, dass die Sachgründe, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit einer grenzüberschreitenden Maßnahme vor Gerichten des betrauten Mitgliedstaates anzugreifen sind.272 Dagegen soll eine Rechtskontrolle im unterstützenden Mitgliedstaat nur mit Blick auf die Verletzung von Grundrechten, eine fehlerhafte Durchführung der zugewiesenen Maßnahme und unter Berufung auf das Vorliegen einer nach der Rechtsordnung des unterstützenden Mitgliedstaates nicht existierende Maßnahme erfolgen können.273 Daraus folgt, dass der Rechtsschutz gegen grenzüberschreitende Maßnahmen der EUStA zuvörderst bei den Gerichten des betrauten Mitgliedstaates zu suchen ist. Die Leitlinien zu Art. 31 VO erlauben aber gleichwohl den Rückschluss, dass der Rechtsweg gegen grenzüberschreitende Maßnahmen der EUStA auch im unterstützenden Mitgliedstaat eröffnet sein kann. In Anlehnung an die Konzeption des Rechtsschutzes im System der EEA wiederum soll dieser materiell auf bestimmte Aspekte (europäischer ordre public, fehlende Ermächtigungsgrundlage für oder Exzess in der Durchführung einer Maßnahme) beschränkt sein. Die Mitgliedstaaten haben hier Spielraum für ihre Zuständigkeitsinterpretation.274 Wo und in welchem Maß der Betroffene Rechtsschutz vor grenzüberschreitenden Maßnahmen der EUStA auf Grundlage des Zuweisungssystems suchen kann, ist damit mitunter nicht zweifelsfrei vorhersehbar und hängt von der Bewertung der Mitgliedstaaten ab.275 Eine holistische Verteidigungsstrategie und der effektive Zugang zum Rechtsschutz des Betroffenen erfordern damit sehr wahrscheinlich die Expertise von Rechtsbeiständen aus allen in die Ermittlungen eingebundenen Mitgliedstaaten. Auf dem Gebiet der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten wird die EUStA ihre Ermittlungen unter Rückgriff auf Instrumente der gegenseitigen Anerkennung, wie die RL-EEA, durchführen. Der Rechtsschutz gegen Rechtsinstrumente der gegenseitigen Anerkennung zeichnet sich durch eine Aufspaltung aus. So gilt für den Rechtsschutz gegen eine Ermittlungsmaßnahme auf Grundlage der EEA, dass die sachlichen Gründe für den Erlass der EEA nur im Anordnungsstaat angefochten werden können, während die
272 Vgl. Section One/General Principles/Ziffer 3 Leitlinien zu Art. 31 VO: „The principle enshrined in Article 31(2) […] mirros the principle that the substantive reasons and conditions for adopting any intra-EU cross-border measures are governed by the law of the issuing Member State, and can be challenged only in that Member State.“ und vgl. Section Two/B./ Ziffer 17 Leitlinien zu Art. 31 VO: „Similarly to the system foreseen for the EIO, the justification and adoption of the measure – i. e., its substantive reasons, necessity and proportionality of the measure – should be subject to legal remedies only in the Member State of the handling EDP, in light of Article 31(2) of the EPPO Regulation.“ (Herv. durch Verf.). 273 Section Two/B./Ziffer 16 Leitlinien zu Art. 31 VO. 274 S. dazu ausführliche Darstellungen unter B., S. 115 ff. dieser Arbeit. 275 Vgl. dazu auch Vorabentscheidungsersuchen Österreichs vom 8. April 2022, Summary of Case C-281/22 mit der Frage, wie weit die Prüfung einer zugewiesenen Maßnahme vor dem Gericht des unterstützenden Mitgliedstaates reichen muss und darf.
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Vollstreckung der EEA vor Gerichten des Vollstreckungsstaates anzugreifen ist.276 Die Mitgliedstaaten haben sicherzustellen, dass gegen die in der EEA angegebenen Ermittlungsmaßnahmen Rechtsbehelfe bestehen, die es in vergleichbaren innerstaatlichen Fallkonstellationen gäbe.277 Die Aufspaltung des Rechtsschutzes folgt dem Umstand und der Rechtsrealität, dass sich der grenzüberschreitende Beweistransfer, gegen den sich der Rechtsschutz richtet, auch im Wege einer international-arbeitsteiligen Strafverfolgung vollzieht.278 Dahinter steht auch der vom Souveränitätsvorbehalt der Mitgliedstaaten geprägte Gedanke, das Schicksal mitgliedstaatlicher justizieller Entscheidungen des Anordnungsstaates nicht der Entscheidungsdisposition der Vollstreckungsstaaten zu überlassen und die Vollstreckung der justiziellen Entscheidungen des Anordnungsstaates zu effektivieren. Die Entwicklung einer Verteidigungsstrategie erfordert in diesen Fällen praktisch – genauso wie in der Verteidigung gegen EuHb – zwingend die Einbeziehung der Rechtsordnung und Verfahrenspraktiken des Anordnungs- sowie Vollstreckungsstaates. Weder die RL 2013/48/EU, noch die RL (EU) 2016/1919 adressieren diese Situation.279 Bei der Verteidigung gegen Ermittlungsmaßnahmen auf Grundlage der RL-EEA muss der Betroffene, möchte er sich Rechtsrat im Anordnungs- sowie Vollstreckungsstaat einholen, eigene finanzielle Mittel einsetzen.280 Den Rechtsweg gegen eine EEA kann er effektiv nur beschreiten, wenn er kompetenten, multinationalen und prozesskostenhilfegedeckten Rechtsbeistand hat.281 So gilt auch für den Rechtsschutz gegen einen EuHb, einem Instrument der gegenseitigen Anerkennung, dass die Sachgründe für den Erlass des EuHb, also die zugrundeliegende justizielle Entscheidung nur im Ausstellungsmitgliedstaat angefochten werden kann, während die Vollstreckung des EuHb im Vollstreckungsmitgliedstaat anzugreifen ist. Anders als im Falle einer EEA ist der mittels EuHb gesuchten Person innerhalb einer bestimmten Zeitspanne, und zwar ab dem Zeitpunkt ihrer Festnahme und bis zum Zeitpunkt ihrer Übergabe oder der rechtskräftigen Entscheidung der Nichtübergabe, der Zugang zu doppeltem Rechtsbeistand im Ausstellungs- sowie Vollstreckungsmitgliedstaat eröffnet. Führt die EUStA Ermittlungen auf dem Gebiet von Drittstaaten durch, wird sie auf Instrumente der traditionellen Rechtshilfe, völkerrechtlich bindende Übereinkommen oder anderweitige Vertragsvereinbarungen zurückgreifen. Nach der Konzeption der VO kann der Betroffene in jedem Fall Rechtsschutz vor Gerichten des betrauten Mitgliedstaates suchen. Inwieweit dieses aber die Durchführung der 276
Art. 14 Abs. 2 RL-EEA. Art. 14 Abs. 1 RL-EEA. 278 Böse, ZIS 2014, 152, 159 f. 279 Kritisch Mosna, ZStW 2019, 808, 828 f. 280 Vgl. Wahl, in: Ligeti u. a. (Hrsg.), EPPO At Launch, S. 103. 281 Mosna, ZStW 2019, 808, 828.
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C. Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA
Maßnahme im Drittstaat, also eine Maßnahme nach Fremdrecht, der Kontrolle unterwirft, hängt von der mitgliedstaatlichen Rechtsordnung ab. Für den Betroffenen könnte nach der Rechtsordnung des Drittstaates aber auch die Möglichkeit des sofortigen Rechtsschutzes gegen eine von der EUStA bzw. eines betrauten Mitgliedstaates ersuchten Maßnahme bestehen. Von dieser Möglichkeit könnte er vor Gerichten des Drittstaates Gebrauch machen wollen, eine auf diesem Wege von Gerichten des Drittstaates für unzulässig oder unrechtmäßig erklärte Maßnahme dürfte schließlich auch Auswirkungen auf das Hauptverfahren im betrauten Mitgliedstaat haben. Möglich und wahrscheinlich ist zuletzt, dass die EUStA grenzüberschreitende Ermittlungshandlungen auf dem Gebiet der teilnehmenden und nichtteilnehmen Mitgliedstaaten sowie auf dem Gebiet von Drittstaaten kombiniert. Bereits die Rechtskontrolle von grenzüberschreitenden Maßnahmen bei begrenztem Aktionsradius der EUStA stellt den Betroffenen vor anspruchsvolle Rechtsfragen und die Verteidigung vor eine große Herausforderung. Mit jeder Kombination und Ausweitung ihres Ermittlungshandelns wachsen die Anforderungen an eine gesamtheitliche Verteidigung geradezu exponentiell. Der räumliche Aktionsradius der EUStA einerseits und der rechtliche Gestaltungsrahmen ihrer Ermittlungen andererseits demonstrieren, dass der von grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffene ein ähnlich großes Bedürfnis nach mehrfachem, multistaatlichem Rechtsrat und Verteidigung haben wird, wie die mittels EuHb gesuchte Person. bb) Geltungsgründe für doppelte Prozesskostenhilfe in Verfahren des EuHb und Übertragung auf grenzüberschreitende EUStA-Verfahren Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse stellt sich die Frage, warum der europäische Gesetzgeber keine spezielle Regelung für den Rechtsbeistand des von grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffenen etabliert hat. Die Notwendigkeit von doppelt finanziertem Rechtsbeistand hat er in Verfahren des EuHb gesehen, ein Konzept doppelter Prozesskostenhilfe geschaffen und damit die Wichtigkeit des Zugangs zu multinationalen Rechtsbeiständen dem Grunde nach anerkannt. Die Europäische Kommission hatte in ihrem im Jahre 2013 vorgelegten Richtlinienvorschlag zur Prozesskostenhilfe erklärt, dass diese auch dazu beitragen solle, den Rechtsschutz für Personen zu verbessern, die an zukünftigen EUStAVerfahren beteiligt sind (und dabei abstrakt festgestellt, dass ihr Richtlinienvorschlag „strengere Vorschriften für die Prozesskostenhilfe“ enthielte, die auch das Verfahren einer damals noch zu errichtenden Europäischen Staatsanwaltschaft stärken würden).282 Von dieser globalen Erklärung abgesehen, hat das Szenario einer Europäi282 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über vorläufige Prozesskostenhilfe für Verdächtige oder Beschuldigte, denen die Freiheit entzogen ist,
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schen Staatsanwaltschaft unter dem ursprünglichen Verordnungsvorschlag in keiner Phase des Gesetzgebungsverfahrens der RL (EU) 2016/1919 Berücksichtigung283 und schließlich auch keinen Eingang in die RL (EU) 2016/1919 gefunden. Bei der Beantwortung der Frage bedarf es der Überlegung, worin der europäische Gesetzgeber den Geltungsgrund für die Gewährleistung doppelter Prozesskostenhilfe in Verfahren zur Vollstreckung von EuHb zur Strafverfolgung erblickt hat. Die RL (EU) 2016/1919 und RL 2013/48/EU bezeichnen die Gewährleistung eines fairen Verfahrens, genauer eines wirksamen Zugangs zu Gerichten, als einen Geltungsgrund für den doppelten Rechtsbeistand.284 Der wirksame Zugang zu den Gerichten vor dem Vollstreckungsstaat ist für die gesuchte Person aufgrund der Europäisierung des Verfahrens von EuHben erschwert. Das System des EuHb sieht in der Sphäre des Anordnungsstaates einen zweistufigen Schutz der Verfahrens- und Grundrechte der gesuchten Person vor. Die erste Stufe bildet der gerichtliche Schutz beim Erlass einer nationalen justiziellen Entscheidung (wie eines nationalen Haftbefehls), die zweite Schutzstufe bildet die Ausstellung des EuHb.285 Zugang zum Rechtsschutz in der Sphäre des Vollstreckungsmitgliedstaates eröffnet sich der gesuchten Person über die Geltendmachung von Versagungsgründen, die der Vollstreckung des EuHb entgegenstehen und damit durch den Angriff gegen Vollstreckungsakte des Vollstreckungsstaates. Die Unterstützung durch einen (zusätzlichen) Rechtsbeistand im Ausstellungsmitgliedstaat soll die gesuchte Person in die Lage versetzen, die ihr nach RB 2002/584/JI zustehenden Rechte geltend zu machen, insbesondere die dort in den Artikeln 3 und 4 festgelegten und vom Vollstreckungsstaat zu prüfenden Ablehnungsgründe für die Vollstreckung eines EuHb zu identifizieren und hervorzubringen.286 Der Rechtsbeistand im Ausstellungsmitgliedstaat kann den Rechtsbeistand im Vollstreckungsmitgliedstaat dabei unterstützen, indem er z. B. den Beweis erbringt, dass im Ausstellungsmitgliedstaat in derselben Strafsache bereits ein früheres Urteil ergangen ist und den in Art. 3 Abs. 2 RB 2002/584/JI normierten Ablehnungsgrund des
sowie über Prozesskostenhilfe in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls, COM (2013) 824 final. 283 Vgl. Gesetzesmaterialien und Verfahrensschritte zur Entstehung von RL (EU) 2016/ 1919, abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/HIS/?uri=consil:PE_33_201 6_REV_1 (04. 03. 2023) 284 Vgl. Erwägungsgrund (21) RL (EU) 2016/2019 und Art. 4 Abs. 10 S. 2 RL 2013/48/ EU. 285 EuGH (2. Kammer), Urteil v. 01. 06. 2016 – C-241/15, NJW 2017, 49 (Niculaie Aure Bob-Dogi). 286 Vgl. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Recht auf Rechtsbeistand in Strafverfahren und das Recht auf Kontaktaufnahme bei der Festnahme, KOM(2011) 326 endgültig, unter Ziffer 28 auf S. 10, und unter Ziffer 22 auf S. 16.
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ne bis in idem-Grundsatzes vorbringen.287 Hier wird die Aufspaltung des Rechtsschutzes in Verfahren von EuHb regelmäßig die Einbeziehung multinationaler Rechtsperspektiven erfordern und die Prozesskostenhilfe für einen zusätzlichen Rechtsbeistand im Ausstellungsmitgliedstaat nach Art. 5 Abs. 2 RL (EU) 2016/1919 auslösen. Gleichwohl muss festgestellt werden, dass der europäische Gesetzgeber die Möglichkeit der doppelten Prozesskostenhilfe in Verfahren des EuHb zeitlich beschränkt. Die Gewährleistung gilt (erst) ab dem Zeitpunkt der Festnahme der gesuchten Person und endet auch mit dem Zeitpunkt ihrer Übergabe (oder der Entscheidung sie nicht zu übergeben).288 Nach der Übergabe an den Ausstellungsmitgliedstaat greifen für die gesuchte Person ggf. allgemeine Tatbestände der Prozesskostenhilfe. Wendet sie sich im Ausstellungsmitgliedstaat aber gegen die dem EuHb zugrundeliegende justizielle Entscheidung, z. B. gegen einen Auslieferungshaftbefehl des Ausstellungsmitgliedstaates, so hat sie keinen Anspruch auf Prozesskostenhilfe für die Inanspruchnahme eines Rechtsbeistands aus dem Vollstreckungsmitgliedstaat für das Verfahren im Ausstellungsmitgliedstaat. Der europäische Gesetzgeber hat das Verfahren des EuHb bei der Frage nach der Prozesskostenfähigkeit doppelten Rechtsbeistands damit in zwei Phasen aufgeteilt: Die dem EuHb zugrundeliegende justizielle Entscheidung, also z. B. ein Inlandshaftbefehl, wird als rein nationaler Teil des Verfahrens gewertet. In diesem Teil des Verfahrens ist der Rechtewahrnehmung der gesuchten Person aus Sicht des europäischen Gesetzgebers durch die Gewährleistung des Zugangs zu (nur) einem Rechtsbeistand im Ausstellungsmitgliedstaat ausreichend Rechnung getragen. Der Zugang zu Gerichten vor dem Vollstreckungsmitgliedstaat dagegen stellt sich für die gesuchte Person als erschwert dar, weil hier dem Inlandshaftbefehl des Ausstellungsmitgliedstaates durch das Zusammenwirken mit einem Vollstreckungsakt des Vollstreckungsmitgliedstaates Wirklichkeit verliehen wird – hier befindet sie sich im europäisierten Teil des EuHb-Verfahrens. Denn erst der auf einen EuHb folgende Vollstreckungsakt verleiht dem Inlandshaftbefehl des Ausstellungsstaates unionsweite, extraterritoriale Wirkung.289 Nur diesen europäisierten Teil des Verfahrens wertet der europäische Gesetzgeber als doppelt prozesskostenfähig. Es fällt aber auf, dass für den Zugang zu Gerichten im Zusammenhang mit Maßnahmen unter der RL-EEA keine Gewährleistung doppelter Prozesskostenhilfe existiert.290 Freilich zielen EEA und EuHb in unterschiedliche Richtungen. Die EEA erfolgt zur Beweisgewinnung für ein Verfahren, der (den Zugang zum doppelt 287 Vgl. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Recht auf Rechtsbeistand in Strafverfahren und das Recht auf Kontaktaufnahme bei der Festnahme, KOM(2011) 326 endgültig Ziffer 28, S. 9. 288 Art. 5 Abs. 1 RL (EU) 2016/1919. 289 Vgl. Burchard, in: Böse (Hrsg.) EnzEuR Bd. 11, § 14, Rn. 7. 290 Krit. zum Versäumnis der Abänderung der RL (EU) 2016/1919 und RL 2013/48/EU hin zur doppelten Prozesskostenhilfe für Fälle der EEA, Mosna, ZStW 2019, 808, 828 f.
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prozesskostenfähigen Rechtsbeistand eröffnende) EuHb erfolgt zur Übergabe der gesuchten Person zum Zwecke der Strafverfolgung. Gleichwohl zeichnen sich Maßnahmen unter der RL-EEA durch ein mindestens genauso hohes Maß an Europäisierung aus, wie Verfahren zur Vollstreckung eines EuHb. Denn EEA und EuHb sind beide Instrumente der gegenseitigen Anerkennung, folgen einem dichotomen Rechtsschutzsystem, bei dem die Überprüfung einer Maßnahme in die Sphären des Anordnungs- bzw. Ausstellungsstaates und Vollstreckungsstaates aufgespalten wird. Auch die mittels EEA begehrte Maßnahme des Anordnungsstaates erlangt ihre extraterritoriale Wirkung erst durch einen Vollzugsakt der zuständigen Behörde im Vollstreckungsstaat. Die Verteidigung gegen Maßnahmen unter der RL-EEA und Verfahren in EuHb ist erschwert, weil sie sich in Ermangelung eines genuin europäischen Straf(-prozess)rechts unter Rückgriff auf die Rechtsordnungen und Verfahrenspraktiken verschiedener Mitgliedstaaten vollziehen. Vor diesem Hintergrund sind auch Maßnahmen unter der RL-EEA dazu geeignet, ein Strafverfahren auf eine die doppelte Prozesskostenhilfegewährleistung erfordernde Weise zu europäisieren. Als weiterer Geltungsgrund für den Zugang zu einem (doppelt) finanzierten Rechtsbeistand in Verfahren des EuHb ist der für eine Übergabe in einen anderen Mitgliedstaat erfolgende Freiheitsentzug der gesuchten Person zu erachten. Dies ergibt sich aus einem Vergleich mit den Prozesskostengewährleistungen für Verdächtige und beschuldigte Personen.291 Der europäische Gesetzgeber hatte bei der Schaffung der Richtlinien zum Rechtsbeistand und der Prozesskostenhilfe aber nicht nur das Rechtsinteresse der gesuchten Person an einem multinationalen Rechtsbeistand im Blick. Die Gesetzesmaterialien zu RL 2013/48/EU zeigen, dass die Stärkung der gegenseitigen Anerkennung zwischen den Mitgliedstaaten durch Förderung des gegenseitigen Vertrauens der Justizbehörden zueinander ein weiterer Geltungsgrund für die doppelte Prozesskostenhilfe in Verfahren des EuHb war.292 Die vorgenannten Geltungsgründe für die Gewährleistung doppelter Prozesskostenhilfe lassen sich auch auf grenzüberschreitende Verfahren der EUStA übertragen. Zu beachten ist, dass grenzüberschreitende Verfahren der EUStA, anders als Verfahren des EuHb, gerade nicht nur abschnitts- oder zeitweise extraterritoriale Wirkungen haben bzw. eine Europäisierung durch das eigenständige Zusammenwirken von verschiedenen, zuständigen mitgliedstaatlichen Behörden begründen. Grenzüberschreitende Verfahren der EUStA sind in ganzem Umfang genuin europäische Strafverfahren.
291
Vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. a) RL (EU) 2016/1919 und Art. 3 Abs. 2 lit. c) RL 2013/48/EU. Vgl. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Recht auf Rechtsbeistand in Strafverfahren und das Recht auf Kontaktaufnahme bei der Festnahme, KOM(2011) 326 endgültig, unter Ziffer 4, S. 1, unter Ziffer 28, S. 9 f., unter Ziffer 34, S. 12, unter Ziffer 22, S. 16 f. 292
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C. Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA
Die EUStA führt ihre grenzüberschreitenden Ermittlungen im europäischen Rechtsraum entweder auf Grundlage des Zuweisungssystems, unter Rückgriff auf Instrumente der gegenseitigen Anerkennung oder im Wege der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit durch. Im Zuweisungssystem erfolgt die grenzüberschreitende Beweisgewinnung der EUStA nach dem locus regit actum Grundsatz. Der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt entscheidet nach Maßgabe seiner eigenen Rechtsordnung, ob in einem Fall grenzüberschreitendes Ermittlungshandeln erforderlich ist und rechtlich zulässig ist.293 Die zugewiesene Maßnahme wird vom unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt nach Maßgabe seiner eigenen Rechtsordnung durchgeführt. Tatsächlich weist das Zuweisungssystem große Ähnlichkeiten mit der Durchführung von Ermittlungen auf Grundlage der EEA auf. Die VO hat, trotz postuliertem Novum, keine neuen Grundprinzipien für die Beweisgewinnung der EUStA aufgestellt. Vor diesem Hintergrund könnte der eine mehrfachte Prozesskosten rechtfertigende Europäisierungseffekt von EUStA Ermittlungen in Frage gestellt werden. Der von grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffene hat aber ohne mehrfachen, prozesskostenfinanzierten Rechtsbeistand gar keine Chance auf effektive Verteidigung gegen grenzüberschreitende Maßnahmen, ganz gleich ob sie unter dem Zuweisungssystem, unter Instrumenten gegenseitiger Anerkennung oder unter traditioneller Rechtshilfe durchgeführt werden. Möchte er sofortigen Rechtsschutz gegen eine Ermittlungsmaßnahme im unterstützenden Mitgliedstaat, im Vollstreckungsmitgliedstaat bzw. im ersuchten Staat geltend machen, so muss er zunächst eine Person mandatieren, die in dem entsprechenden Staat prozessfähig ist. Er muss eine Person mandatieren, die mit den Verfahrensvorschriften des entsprechenden Staates und mit der Funktionsweise der EUStA-Ermittlungen vertraut ist. Er muss, mit Blick auf das anschließende Hauptverfahren eine Person mandatieren, die auch im Forumstaat prozessfähig, rechtskundig und der Rechtssprache der entsprechenden Staaten mächtig ist. Dies gilt umgekehrt auch, wenn der Betroffene sich im Hauptverfahren des Forumstaates z. B. gegen die Verwertung von Beweisen wehren möchte, die die EUStA in anderen Staaten gesammelt hat. Es gilt als sicher, dass die Beweisgewinnung der EUStA bei der Verfolgung von sich gerade durch Transnationalität auszeichnenden PIF-Straftaten regelmäßig in mehreren Staaten – Mitgliedstaaten, nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten und Drittstaaten – erfolgt. Wirtschaftsstrafverfahren zeichnen sich durch hohe rechtliche Komplexität aus, die hier neben die schon schwer überschaubaren grenzüberschreitenden Ermittlungsmöglichkeiten der EUStA tritt. Mit der EUStA steht auf Seiten der Strafverfolgung eine einheitliche, europäische Behörde, die in jedem teilnehmenden Mitgliedstaat eigene Bedienstete bereithält, im Verhältnis zu nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten aufgrund europavertraglicher Verpflichtungen mit einer engen Zusammenarbeit zum Zwecke der Strafverfolgung rechnen darf und von Kooperationen mit Drittstaaten und internationalen Behörden 293
Vgl. Art. 31 Abs. 2 S. 2 VO.
II. Zentrale Verteidigungsrechte im Ermittlungsverfahren der EUStA
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Gebrauch machen wird. Trotz des Postulats der Einheitlichkeit, die, den Aufbau und die Funktionsweise der EUStA betrachtet freilich nur eine Fiktion ist, verweist sie den von ihren Ermittlungen Betroffenen an den Ordnungsrahmen des „anwendbaren nationalen Rechts“. Gegenüber der EUStA-Zentrale kann der Betroffene keine Prozesshandlung vornehmen. Für die Akteneinsicht muss er erst die national zuständige Stelle identifizieren. Mandatiert er einen Verteidiger für die Vertretung seiner Interessen, muss er damit rechnen, dass dieser, anders als die EUStA, mit seiner Zulassung bei andersstaatlichen Behörden an Grenzen stoßen wird – beginnend damit, dass die Prozesserklärungen eines Verteidigers in einem anderen Mitgliedstaat als dem seiner Zulassung schon keine Rechtsgültigkeit haben könnten, weil sie von der innerhalb der Mitgliedstaaten der Union differierenden Anerkennung des anderen Mitgliedstaates abhängen. Das heißt: Selbst wenn der von grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffene einen Idealverteidiger gefunden hat, dieser noch nicht einmal in der Lage sein muss, grundlegendste Verfahrensinformationen einzuholen. Diese Schieflage muss kompensiert werden. Eine Möglichkeit wäre, Rechtsvertretern der Verteidigung eine unionsweite Vertretungsbefugnis in grenzüberschreitenden Verfahren der EUStA zu gewährleisten. Dies ist nach jetzigem Stand aber ein sehr ambitioniertes Europäisierungsziel, welches wegen der bestehenden unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Berufsordnungen weder voll zweckmäßig, noch kurzfristig realisierbar erscheint. Eine andere Möglichkeit ist es, den speziellen modus operandi und die Verfahrensrealität der grenzüberschreitenden Ermittlungsarbeit der EUStA in den Blick zu nehmen und die Verteidigungsrechte des von grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffenen gesondert zu normieren. cc) Vorschlag: Betraute und unterstützende Rechtsbeistände in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Dem von grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffenen muss die rechtliche Gewährleistung eines Zugangs zu multinationalen, prozesskostenfinanzierten Rechtsbeiständen eröffnet werden. Die konkrete Ausgestaltung einer solchen Gewährleistung muss sich an der spezifischen Funktionsweise von EUStA-Verfahren orientieren. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass Ermittlungen auf dem Boden von einzelstaatlichen Rechtsordnungen durchgeführt werden, die durch in den Mitgliedstaaten oder Drittstaaten angesiedelte (Delegierte Europäische) Staatsanwälte geleitet werden. Damit der Betroffene seine Verteidigungsrechte wirksam wahrnehmen und bei grenzüberschreitenden Ermittlungen auch die aus den einzelstaatlichen Rechtsordnungen resultierenden Ermittlungsakte bewerten oder mit den ihm nach den nationalen Rechtsordnungen zustehenden Rechtsmitteln angreifen kann, muss ihm an jedem Ort, an dem ihn eine Maßnahme trifft, auch der Zugang zu einem prozesskostenfinanzierten Rechtsbeistand eröffnet werden.
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C. Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA
Reziprok zum betrauten und unterstützenden bzw. den unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwälten muss dem von den grenzüberschreitenden Ermittlungen auf dem Gebiet der teilnehmenden Mitgliedstaaten Betroffenen das Recht auf Zugang zu einem betrauten und zu einem unterstützenden Rechtsbeistand bzw. mehreren unterstützenden Rechtsbeiständen eröffnet werden. Dies kann dazu führen, dass der Betroffene auch zahlreiche Rechtsbeistände erhält – an der Zahl genauso viele, wie Delegierte Europäische Staatsanwälte in sein Ermittlungsverfahren eingebunden sind. Durch diesen Zugang soll der Betroffene in die Lage versetzt werden, seine Verfahrensrechte und den Zugang zu Gerichten wirksam wahrzunehmen. Im grenzüberschreitenden Verfahren der EUStA erfordert dies zunächst, dass der Betroffene Zugang zu verfahrensrelevanten Informationen erhält. Durch Rechtsbeistände in allen eingebundenen Mitgliedstaaten wird der Informationszugang nicht an der fehlenden Anerkennung oder den damit einhergehenden bürokratischen Prozessen (z. B. dem mitgliedstaatlichen Erfordernis der Bestellung eines Korrespondenzanwalts o. ä.) scheitern. Die Gewährleistung von mehreren Rechtsbeiständen für den Zugang zu Verfahrensinformationen wäre freilich schon hinfällig, wenn Akteneinsicht bei der EUStA-Zentrale eingeholt werden könnte – diese Möglichkeit sieht die VO aber nicht vor. Zugleich ermöglicht die Einbindung multinationaler Rechtsbeistände, dass die grenzüberschreitenden Ermittlungsmaßnahmen der EUStA unter den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen bewertet werden können. So kann nur ein unterstützender Rechtsbeistand beurteilen, ob eine Durchsuchung im unterstützenden Mitgliedstaat rechtswidrig war und deshalb entweder (a) soweit die nationale Rechtsordnung dies vorsieht, sofortigen Rechtsschutz gegen diese Maßnahme richten, entsprechende Prozesserklärungen abgeben sowie die Vertretung des Betroffenen im betrauten Mitgliedstaat einschränkungslos übernehmen, oder bzw. und, (b) sich mit dem betrauten Rechtsbeistand darüber beraten, ob vor dem Gericht des Forumstaates die Verwertbarkeit eines Beweises in erfolgsversprechender Weise angegriffen werden kann und sollte. Die Einführung eines Rechts auf Zugang zu multinationalen, prozesskostenfinanzierten Rechtsbeiständen in betrautem und in dem bzw. den unterstützenden Mitgliedstaaten würde die unterstützenden Rechtsbeistände aber nicht automatisch mit einer Vertretungsbefugnis vor Gerichten und Behörden des betrauten Mitgliedstaates (oder anderen unterstützenden Mitgliedstaaten) ausstatten. Denn ob der unterstützende Rechtsbeistand im Forumstaat als prozessführungsbefugt angesehen wird, hängt von den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen ab. Hierzu bedarf es einer gesonderten Initiative des europäischen Gesetzgebers. Mit der Errichtung der EUStA wurde die Zündung für ein europäisiertes Strafverfahren gelöst. Transnationale Kriminalitätsfälle sind im Europa ohne Grenzen längst Realität. Perspektivisch sollten Vehikel zur Rechtewahrnehmung von europäischen Bürgern, und dazu gehört auch die Inanspruchnahme anwaltlichen Beistands, nicht an den Grenzen von Mitgliedstaaten der Union scheitern.
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Die Einrichtung des Zugangs zu multinationalen, betrauten und unterstützenden Rechtsbeiständen in grenzüberschreitenden Verfahren der EUStA wirft aber auch die nachfolgenden Fragen auf. (1) Vorschlag: Konzentration der Bewilligungsentscheidung bei der EUStA-Zentrale – Bei wem wäre ein Antrag auf multinationale, prozesskostenfinanzierte Rechtsbeistände zu stellen, wer soll für die Entscheidung über die Bewilligung zuständig sein? Nach der Konzeption der RL (EU) 2016/1919 sind die Behörden der Mitgliedstaaten selbst für die Entscheidung über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe, auch in Fällen des EuHb – in diesen Fällen jeweils Behörden des Ausstellungs- sowie des Vollstreckungsmitgliedstaates – zuständig und haben bei der Bewilligungsentscheidung einen Ermessensspielraum (Erforderlichkeitsvorbehalt). Übertrüge man dieses System auf die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für unterstützende Rechtsbeistände, könnte die Bewilligungsentscheidung potenziell bei zahlreichen mitgliedstaatlichen Behörden liegen. Dies kann dazu führen, dass ein unterstützender Mitgliedstaat Prozesskostenhilfe für einen unterstützenden Rechtsbeistand gewährt, während ein anderer unterstützender Mitgliedstaat einen entsprechenden Antrag im gleichen Ermittlungsverfahren ablehnt, oder, dass die Gewährleistung eines unterstützenden Rechtsbeistands wegen unterschiedlicher Bearbeitungszeiten der zuständigen mitgliedstaatlichen Behörden tatsächlich auseinanderfällt. Zeitliche Differenzen beim Bewilligungsprozess würden sich stark auf die Vorbereitung der Verteidigung des Betroffenen auswirken. Die Bewilligungsentscheidung über prozesskostenfinanzierte, unterstützende Rechtsbeistände sollte deshalb bei der EUStA-Zentrale konzentriert werden. Dort könnte eine Entscheidungskommission für Bewilligungsentscheidungen eingerichtet werden. Die Mitgliedstaaten könnten zu diesem Zweck Entscheidungsträger an die Zentrale versenden bzw. abordnen, die an einem „round table“ eine Entscheidungskommission bilden. Diese Entscheidungsträger wären funktional und personell nicht als Teil der EUStA, sondern als Repräsentanten ihrer Mitgliedstaaten zu betrachten. Ihre Aufgabe soll darin liegen, über eingehende Bewilligungsanträge zu entscheiden. Um eine gleichförmige Bewilligungspraxis zu gewährleisten, sollen sie Bewilligungsvorgaben unterliegen. Gleichzeitig sollten für ihre Entscheidungen Prozesse implementiert werden; dazu könnten z. B. Bearbeitungszeiten für die Bewilligungsentscheidung und Kommunikationswege zum Antragsteller festgelegt werden. Für die Bewilligungsentscheidung bei grenzüberschreiten Verfahren könnte die Entscheidungskommission Beratungsrunden bilden, denen die Entscheidungsträger der betroffenen Mitgliedstaaten angehören. Bei diesen Beratungsrunden könnten Bewilligungszeiten, Bewilligungsgründe oder etwaige Hindernisse thematisiert werden. Die Bildung einer Entscheidungskommission und ihre Bewilligungspraxis könnte kurzfristig mit Mitteln des soft law, durch
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C. Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA
eine erklärte Selbstbindung der Mitgliedstaaten der Entscheidungsträger, auf den Weg gebracht werden. Wird ein grenzüberschreitendes Ermittlungsverfahren etwa in Mitgliedstaat A eingeleitet und Mitgliedstaaten B und C wären als unterstützende Mitgliedstaaten zur Durchführung von zugewiesenen Ermittlungsmaßnahmen berufen, dann könnte diese Entscheidungskommission wie folgt funktionieren: Der Betroffene stellt bei der Zentrale einen Antrag auf die Bewilligung von prozesskostenhilfefinanzierten Rechtsbeiständen in den Mitgliedstaaten A, B und C. Dafür kann er im Idealfall bereits ein elektronisches Formular, welches die gesetzlichen Mindestangaben für einen wirksamen Antrag spiegelt, nutzen. Nach Eingang dieses Antrags kommen die entsandten Entscheidungsträger der Mitgliedstaaten A, B und C zusammen und prüfen, ob ihre Mitgliedstaaten in das Verfahren eingebunden sind und nehmen eine Bewilligungsentscheidung nach festgelegten Kriterien vor. Die Zuständigkeit für die Bewilligungsentscheidung über Prozesskostenhilfe könnte aber auch der Ständigen Kammer der EUStA übertragen und auf diese Weise bei der EUStA-Zentrale konzentriert werden. Den Ständigen Kammern obliegt u. a. die Aufgabe, die Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen in grenzüberschreitenden Fällen zu koordinieren.294 Sie können dabei operative Entscheidungen treffen und darüber befinden, ob und welche Strafverfolgungsmaßnahme in einem Mitgliedstaat durchgeführt werden muss, wenn die Durchführung grenzüberschreitender Maßnahmen angezeigt ist.295 Die Ständigen Kammern sind in alle richtungsweisenden Entscheidungen des EUStA-Verfahrens eingebunden; sie treffen z. B. die Entscheidung bezüglich der Anklageerhebung, der Verfahrenseinstellung, aber auch bezüglich der Neuzuweisung von grenzüberschreitenden Fällen.296 Sie entscheiden auch über die Verbindung von durch mehrere Delegierte Europäische Staatsanwälte eingeleiteten Ermittlungsverfahren.297 Zu diesem Zweck werden die Ständigen Kammern durch den betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt über alle wesentlichen Entwicklungen eines grenzüberschreitenden Falles (z. B. der Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen) informiert.298 Die Ständigen Kammern sollen ihre Entscheidungsbefugnisse in spezifischen Phasen der EUStA-Verfahren ausüben und auf Grundlage eines vom betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts vorgeschlagenen Entscheidungsentwurfs treffen.299 Sie haben zur Erfüllung ihrer Aufgaben einen Zugriff auf die entsprechende gesamte Verfahrensakte der EUStA.300 294
Art. 10 Abs. 2 S. 2 VO. Vgl. Art. 31 Abs. 8 VO. 296 Vgl. Art. 10 Abs. 3 VO. 297 Erwägungsgrund (68) VO. 298 Erwägungsgrund (35) VO. 299 Erwägungsgrund (36) S. 1 VO. 300 Vgl. Art. 9 Abs. 6 UAbs. 2 VO. 295
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Dies bedeutet, dass die Ständigen Kammern grenzüberschreitende, auf der dezentralen Ebene durchgeführte Verfahren richtungsweisend gestalten, ihre Entwicklungen engmaschig begleiten und laufend verfahrensbezogene Entscheidungen treffen. Sie haben einen Gesamtüberblick über den Ablauf des grenzüberschreitenden Ermittlungsverfahrens. Dadurch verfügen sie bereits über das Sachwissen, das für die Prozesskostenhilfeentscheidung in einem grenzüberschreitenden Verfahren notwendig ist. Die in ein Verfahren eingebundenen Mitgliedstaaten und während der Ermittlungsphase getroffenen und geplanten Einzelmaßnahmen sind ihnen bekannt. Die Ständige Kammer mit einer Bewilligungszuständigkeit für Prozesskostenhilfe auszustatten ist mit ihrem verordnungskonzeptionellen Mandat vereinbar. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe kann als Annexmaterie der Aufgabenbestimmung nach Art. 9 Abs. 2 S. 2 VO, der „Koordination der Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen in grenzübergreifenden Fällen“ betrachtet werden. Es mutet aus deutscher Perspektive nicht seltsam an, die Entscheidung über die Prozesskostenhilfe in der Zuständigkeitssphäre der Strafverfolgungsbehörde anzusiedeln. Im deutschen Strafprozess ist die Staatsanwaltschaft in den Prozess der Bestellung eines Pflichtverteidigers eingebunden, entweder indem sie z. B. als Adressatin einen Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung entgegennimmt und dem für die Bestellung zuständigen Gericht mit eigener Stellungnahme zur der Frage, ob aus ihrer Sicht die Voraussetzungen notwendiger Verteidigung vorliegen, weiterleitet301 oder weil sie bereits von ihrer Eilentscheidungskompetenz Gebrauch gemacht und im Ermittlungsverfahren einen Pflichtverteidiger selbst bestellt hat.302 Allerdings müsste dem Antragsteller im Verfahren der EUStA eine Rechtsschutzmöglichkeit auf europäischer Ebene zur Überprüfung der Entscheidung der Ständigen Kammer über die Prozesskostenhilfe eröffnet werden. In die mit Art. 42 VO bestehende Rechtsschutzkonzeption ließe sich eine entsprechende Überprüfung nicht einpassen. (2) Vorschlag: Kriterien zur Bewilligung zum Zugang zu multinationalen, prozesskostenfinanzierten Rechtsbeiständen – Welche Kriterien sollten bei der Bewilligungsentscheidung zum Zugang zu multinationalen, prozesskostenfinanzierten Rechtsbeiständen berücksichtigt werden? Kriterien zur Bewilligung zum Zugang zu multinationalen, prozesskostenfinanzierten Rechtsbeiständen müssen extrahiert werden aus einerseits dem Zweck, dem Betroffenen Zugang zu Gerichten und effektive Verteidigung zu gewährleisten und andererseits aus der speziellen Funktionsweise der grenzüberschreitenden EUStAErmittlungen.
301 302
§ 142 Abs. 1 S. 1 StPO. § 142 Abs. 4 S. 1 StPO.
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Erstens, erfordert eine Bewilligungsentscheidung, dass diejenigen Mitgliedstaaten identifiziert werden, die in ein grenzüberschreitendes Verfahren der EUStA eingebunden sind. Aus der Perspektive des Betroffenen sind dies alle Mitgliedstaaten, in denen er von einer Maßnahme getroffen wurde. Naturgemäß sind ihm aber nur jene Maßnahmen bekannt, die offen durchgeführt wurden, wie z. B. eine Durchsuchung, oder die ihm nachträglich angezeigt wurden. Von der Durchführung heimlicher Maßnahmen (z. B. einer Telekommunikationsüberwachung) wird er ohne (nachträgliche) Anzeige der EUStA keine Kenntnis haben und konsequenterweise keinen Rechtsbeistand in dem Mitgliedstaat aufsuchen, in dem die heimliche Maßnahme durchgeführt wird. Die für die Bewilligungsentscheidung zuständige Stelle könnte hier potenziell einen Informationsvorsprung haben, insbesondere dann, wenn die Bewilligungsentscheidung in die Zuständigkeit der Ständigen Kammern überführt würde, die mit den Entwicklungen der grenzüberschreitenden EUStA-Fälle vertraut sind. Um den Ermittlungszweck von EUStA Ermittlungen nicht zu gefährden, muss bei der Frage nach den in ein grenzüberschreitendes Verfahren der EUStA eingebundenen Mitgliedstaaten im Stadium laufender Ermittlungen auf die Perspektive des Betroffenen abgestellt werden. Die Bewilligungsentscheidung könnte damit auf die vom Betroffenen im Bewilligungsantrag genannten Mitgliedstaaten beschränkt werden. Andernfalls wäre die für die Bewilligungsentscheidung zuständige Stelle dazu verpflichtet, dem Betroffenen heimliche oder geplante Ermittlungshandlungen anzuzeigen. Dem Betroffenen sollte aber ermöglicht werden, einen gestellten Bewilligungsantrag zu erweitern oder zu ergänzen, sobald ihm bekannt wird, dass noch weitere, ihm zuvor nicht bekannte unterstützende Mitgliedstaaten in die grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA eingebunden sind. Zweitens, könnte die Bewilligungsentscheidung für den Zugang zu multinationalen, prozesskostenfinanzierten Rechtsbeiständen materiell von der Eingriffsintensität der durchgeführten Maßnahme abhängig gemacht werden. So könnte eine Erheblichkeitsschwelle eingeführt werden, nach der nur Maßnahmen, die einen bestimmten Intensitätsgrad für den Betroffenen haben, auch den Zugang zum Rechtsbeistand im unterstützenden Mitgliedstaat eröffnen. Grundsätzlich können den von grenzüberschreitenden Ermittlungen Betroffenen in einem Mitgliedstaat alle Maßnahmen treffen, die die mitgliedstaatliche Rechtsordnung bereithält.303 Art. 30 Abs. 1 VO normiert einen Mindestkatalog von Ermittlungsmaßnahmen, die der EUStA zur Verfügung stehen müssen. Darunter finden sich z. B. die Durchsuchung, die Erwirkung der Herausgabe von Gegenständen sowie die Sicherstellung von Vermögenswerten. Das Vorliegen von Maßnahmen nach Art. 30 Abs. 1 VO könnte als ein Regelfall der Begründung der Erheblichkeitsschwelle angesehen werden. Eine Heranziehung der Maßnahmen nach Art. 30 Abs. 1 VO bietet sich an, weil diese zum Bereich der Standardinstrumente der Strafverfolgung gehören, die jede mitgliedstaatliche Rechtsordnung verordnungskonzeptionell für EUStA-Verfahren be303
Vgl. Art. 30 Abs. 4, Art. 31 Abs. 2 VO.
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reithalten muss. Gleichzeitig stellen sich diese Maßnahmen aufgrund in ihrer Durchführung oder in ihren Folgen für den Betroffenen mindestens als mittelschwere Grundrechtseingriffe dar, so dass sie ihrer Natur nach bereits eine gewisse Intensität mit sich bringen. (3) Erforderlichkeitsvorbehalt und materielle Kriterien – Sollte der Zugang zu multinationalen, prozesskostenfinanzierten Rechtsbeiständen an einen Erforderlichkeitsvorbehalt oder materielle Kriterien, wie die Komplexität eines Falles, gekoppelt werden? Wenn der Zugang zu multinationalen, prozesskostenfinanzierten Rechtsbeiständen an einen Erforderlichkeitsvorbehalt gekoppelt wird, kommt der für die Bewilligungsentscheidung zuständigen Stelle ein Ermessensspielraum zu. Dies könnte die Akzeptanz der Mitgliedstaaten gegenüber einer zu schaffenden Regelung stärken. Einen Erforderlichkeitsvorbehalt sieht das Unionsrecht in Art. 5 Abs. 2, Hs. 2 RL (EU) 2016/1919 für den Zugang zum doppelten Rechtsbeistand in Verfahren des EuHb vor. Danach wird der Zugang zu einem Rechtsbeistand in Ausstellungs- und Vollstreckungsmitgliedstaat nur insoweit gewährt, als dies für die gesuchte Person erforderlich ist, um ihr wirksamen Zugang zu Gerichten zu verschaffen, vor denen sie ihr im Rahmen des Verfahrens des EuHb zustehenden Rechte geltend machen kann. Auf der anderen Seite eröffnet ein Erforderlichkeitsvorbehalt Räume für Abweichungen in der Bewilligungspraxis. Diese Abweichungen können sich für den von grenzüberschreitenden Verfahren der EUStA Betroffenen in besonderem Maße auswirken, da in Fällen etwa der Einbindung von drei Mitgliedstaaten die abgelehnte oder bewilligte Prozesskostenfinanzierung darüber entscheidet, ob dem Betroffenen die Beurteilung einer in einem Mitgliedstaat durchgeführten Maßnahme durch einen professionellen Rechtsbeistand zukommt und welche konkreten Beweise im Hauptverfahren überhaupt effektiv angegriffen werden können.304 Diese Entscheidung aber, sollte als Bestandteil der Verteidigungsstrategie in der Sphäre des Betroffenen liegen. Die Funktionsweise der EUStA und die potenzielle Konfrontation des Betroffenen mit zahlreichen, unterschiedlichen Rechtsordnungen305 spricht bereits für sich betrachtet für eine Vermutung der Erforderlichkeit der Einbindung multinationaler Rechtsbeistände. Der europäische Gesetzgeber hat bereits für Fälle des EuHb zugestanden, dass diese einen gewissen Komplexitätsgrad mit sich bringen. In Art. 5 Abs. 3 RL (EU) 2016/1919 hat er festgelegt, dass die Bewilligung der Prozesskos304 Vgl. Esser, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 276, Rn. 202, nach dem bei der Beurteilung, ob ein den Anspruch auf Prozesskostenhilfe begründendes Interesse der Rechtspflege vorliegt, in Verfahren der EUStA die Komplexität ihrer Ermittlungsarbeit einzustellen ist. 305 Vgl. Bannehr, Der europäische Pflichtverteidiger, S. 172 ff. für eine tatsächliche Vermutung rechtlicher Komplexität von transnationalen Strafverfahren im Allgemeinen und auch in Verfahren von EuHb.
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C. Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA
tenhilfe in Verfahren des EuHb (nur) von einer Bedürftigkeitsprüfung abhängig gemacht werden kann. Die Prüfung materieller Kriterien, also die Berücksichtigung von Schwere der Straftat, Komplexität des Falles und Schwere der zu erwartenden Strafe, gesteht er den Mitgliedstaaten dagegen nur bei der Entscheidung über Prozesskostenhilfe in anderen Fällen als in Verfahren von EuHb zu.306 Dadurch hat der Richtliniengeber Verfahren zur Vollstreckung von EuHb in inhaltlicher Hinsicht der Ermessensdisposition der Mitgliedstaaten entzogen und demonstriert, dass diese Verfahren in materieller Hinsicht standardmäßig derart gewichtig sind, dass die Verweigerung von Prozesskostenhilfe nur wegen einer zweifellos gegebenen finanziellen Stärke der gesuchten Person gerechtfertigt werden kann, da hier die mit der Prozesskostenhilfe bezweckte Effektivierung des Zugangs zum Rechtsbeistand nicht in Gefahr steht. Für diese Auslegung spricht auch die Konzeption des Art. 4 Abs. 4 S. 2 lit. a) und b) RL (EU) 2016/1919. Hätte der Richtliniengeber das Recht auf Prozesskostenhilfe in Verfahren zur Vollstreckung von EuHb inhaltlich dem Ermessen der Mitgliedstaaten überlassen wollen, so hätte er die Verfahren zur Vollstreckung von EuHb auch als einen Fall mit Vermutungswirkung für das Vorliegen von materiellen Kriterien gleichstellen können. Grenzüberschreitende Verfahren der EUStA zeichnen sich wegen der potenziellen Einbindung einer Vielzahl von Mitgliedstaaten und Rechtsordnungen bis zur Entscheidung des Forummitgliedstaates durch eine noch höhere Komplexität aus, als Verfahren zur Vollstreckung des EuHb. Deshalb sollte die Bewilligungsentscheidung nicht an eine Prüfung materieller Kriterien i. S. d. Art. 4 Abs. 4 S. 1 RL (EU) 2016/ 1919 gekoppelt werden. (4) Bedürftigkeitsprüfung – Sollte der Zugang zu multinationalen, prozesskostenfinanzierten Rechtsbeiständen an eine Bedürftigkeitsprüfung gekoppelt werden? Die Gewährleistung des Zugangs zu multinationalen, prozesskostenfinanzierten Rechtsbeiständen kann aber durchaus von der finanziellen Leistungskraft des Betroffenen abhängig gemacht werden. Es erscheint billig, ihn mit den Kosten für eine multinationale Verteidigung zu belegen, wenn er entsprechende finanzielle Mittel aufbringen kann. Dabei könnte eine der Regelung des Art. 4 Abs. 2 RL (EU) 2016/ 1919 entsprechende Prüfung etabliert werden, bei der die Bewilligung der Prozesskostenhilfe beispielsweise das Einkommen, das Vermögen und die familiären Verhältnisse des Antragstellers berücksichtigt. Allerdings müsste der Tatbestand der finanziellen Leistungskraft des Betroffenen mit Blick auf den sachlichen Zuständigkeitsbereich der EUStA gesetzlich präzisiert werden. Bei der Verfolgung von PIF-Straftaten wird die EUStA regelmäßig auch
306
Vgl. Art. 4 Abs. 4 RL (EU) 2016/1919.
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Vermögenswerte arrestieren oder einziehen.307 Dem Betroffenen könnte im laufenden Verfahren also der Zugriff auf seine Vermögenswerte schon rechtlich entzogen sein, wenn z. B. vorläufige Sicherungsmaßnahmen erlassen wurden. In dieser Phase kann der Betroffene nicht als finanziell leistungsfähig angesehen werden, denn tatsächlich wird er den Zugang zu einem Rechtsbeistand mangels Zugriffs auf sein Vermögen nicht finanzieren können. Gleichzeitig ist die Schuldfrage in dieser Verfahrensphase noch ungeklärt. Es erscheint nicht billig, dem Betroffenen Prozesskostenhilfe unter Verweis auf seine finanzielle Leistungskraft zu verweigern, während ihm der tatsächliche Zugriff auf sein Vermögen durch vorläufige Maßnahmen der EUStA entzogen ist. Für diesen praktisch relevanten Fall muss ein Prozess geschaffen werden. Denkbar ist, ihm in diesen Fällen dennoch Prozesskostenhilfe zu gewähren, die entsprechende Leistung aber etwa mit dem eingezogenen Vermögen zu decken.308 (5) Vorschlag: Zeitspanne der Gewährleistung multinationaler, prozesskostenfinanzierter Rechtsbeistände – Auf welche Zeitspanne sollte sich der Zugang zu multinationalen, prozesskostenfinanzierten Rechtsbeiständen erstrecken? Der Beginn der Zeitspanne muss mit dem Zeitpunkt korrelieren, ab dem der Betroffene auch nach RL 2013/48/EU Zugang zu einem (betrauten) Rechtsbeistand hat. Gem. Art. 3 Abs. 1 RL 2013/48/EU gilt die Maxime, dass Verdächtigen und beschuldigten Personen der Zugang zu einem Rechtsbeistand „so rechtzeitig und in einer solchen Art und Weise zukommt, dass die betroffenen Personen ihre Verteidigungsrechte praktisch und wirksam wahrnehmen können“. Eine Person ist Verdächtiger bzw. beschuldigte Person, wenn sie von den zuständigen Behörden des Mitgliedstaates durch amtliche Mitteilung oder auf sonstige Art und Weise davon in Kenntnis gesetzt wird, dass sie zur Begehung einer Straftat verdächtig ist oder beschuldigt wird.309 Dafür ist ausreichend, dass diese Behörden eine amtliche Entscheidung erlassen oder einen sonstigen Verfahrensschritt vornehmen, um die Person darüber in Kenntnis zu setzen, dass sie nach dem nationalen Recht als Verdächtiger oder Beschuldigter betrachtet wird; unerheblich dagegen ist, auf welchem Wege dem Betroffenen eine solche Information zugeht.310 Zudem könnten, entsprechend der Regelung des Art. 3 Abs. 2 RL 2013/48/EU Situationen festgelegt werden, in denen dem Betroffenen in jedem Fall unverzüglich der Zugang zu einem Rechtsbeistand zu 307
Vgl. EPPO Annual Report: 2022, S. 4. Vgl. grundlegend zu der Gewährleistung von Kostenfreiheit für Prozesskostenhilfe und der Verpflichtung des Staates zur Schaffung der Rahmenbedingungen zu einer effektiven strafrechtlichen Prozesskostenhilfe unter den Garantien der EMRK, Bannehr, Der europäische Pflichtverteidiger, S. 126 ff. 309 Art. 2 Abs. 1 RL 2013/48/EU. 310 EuGH (Zweite Kammer), Urteil v. 12. 03. 2020 – C-659/18, BeckRS 2020, 3317, Rn. 26. 308
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eröffnen ist. Dazu müssen die in Art. 3 Abs. 2 RL 2013/48/EU normierten Fälle herangezogen werden – zusätzlich aber könnten hier die in Art. 30 Abs. 1 VO normierten Mindestmaßnahmen der EUStA als Auslöser für einen unverzüglichen Zugang zu einem unterstützenden Rechtsbeistand angesehen und in den Fallkatalog des Art. 3 Abs. 2 RL 2013/48/EU aufgenommen werden. So hätte der Betroffene Zugang zu einem Rechtsbeistand ab dem Zeitpunkt (des Beginns) einer Durchsuchung oder einer Beschlagnahme. Fraglich ist, wie weit die Zeitspanne, der Zugang zu einem unterstützenden oder mehreren unterstützenden Rechtsbeiständen reichen soll. In Betracht kommt, dass der Zugang auf die Phase des Ermittlungsverfahrens beschränkt wird oder aber das Hauptverfahren und das Rechtsmittelverfahren miteinbezieht. Der Zugang zu einem doppelt prozesskostenfinanzierten Rechtsbeistand in Verfahren zur Vollstreckung eines EuHb gem. Art. 5 Abs. 2 RL (EU) 2016/1919 wird der gesuchten Person nur für eine begrenzte Zeitspanne gewährt. Ab dem Zeitpunkt ihrer Festnahme aufgrund eines EuHb und (nur) bis zum Zeitpunkt ihrer Übergabe oder dem Zeitpunkt der rechtskräftigen Entscheidung, sie nicht zu übergeben, hat die gesuchte Person Anspruch auf doppelte Prozesskostenhilfe. Das heißt, dass die gesuchte Person, wurde sie in den Ausstellungsmitgliedstaat übergeben, keinen Anspruch (mehr) auf einen Rechtsbeistand im Vollstreckungsmitgliedstaat hat, der ihren Rechtsbeistand im Ausstellungsmitgliedstaat im dortigen Strafverfahren unterstützen könnte. Hinter der Beschränkung könnte der Gedanke stehen, dass die einmal übergebene gesuchte Person im Ausstellungsmitgliedstaat auch keines multinationalen Rechtsrates mehr bedarf, da die dem EuHb zugrundeliegende justizielle Entscheidung eine (nur) nach dem nationalen Recht des Ausstellungsmitgliedstaates zustande gekommene Entscheidung ist, und, dass der „europäisierte“ Teil des Verfahrens zur Vollstreckung eines EuHb, und zwar die Phase zwischen Erlass eines EuHb und des sich anschließenden Übergabeverfahrens, nach erfolgter Übergabe der Person abgeschlossen ist. Dieser Umstand regt dazu an, über eine zeitliche Begrenzung des Zugangs zu prozesskostenfinanzierten, multinationalen Rechtsbeiständen in grenzüberschreitenden Verfahren der EUStA nachzudenken. Eine zeitliche Begrenzung muss aber abgelehnt werden. Grenzüberschreitende Strafverfahren der EUStA, zeichnen sich – anders als Verfahren zur Vollstreckung von EuHb – gerade dadurch aus, dass sie in jeder Phase des Strafverfahrens „europäisiert“, also das Ergebnis der Möglichkeiten verschieden-mitgliedstaatlicher Rechtsordnungen und der VO, sind. Wenn Ermittlungshandlungen in verschiedenen Mitgliedstaaten durchgeführt werden, so kommen die jeweiligen Rechtsordnungen einzeln zur Anwendung und es vollzieht sich eine Beweissammlung nach einem andersstaatlichen Recht, als dem Recht des Forumstaates. Das im Forumstaat geführte Hauptverfahren folgt sodann den Maximen seiner eigenen Rechtsordnung. Dort werden aber diejenigen Ermittlungshandlungen der EUStA und Beweise zur Grundlage der strafrechtlichen Entscheidung und zum Schicksal des Betroffenen gemacht, die nach einer andersstaatlichen Rechtsordnung
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erhoben wurden. Möchte der Betroffene im Hauptverfahren die Verwertbarkeit grenzüberschreitend gesammelter Beweise wegen fehlerhafter Durchführung einer Ermittlungsmaßnahme angreifen, so muss er (a) die den Fehler begründenden tatsächlichen Umstände und (b) den daraus resultierenden rechtlichen Bruch begründen können. Dazu bedarf es einer materiellen Beurteilung der andersstaatlichen Ermittlungsmaßnahme. Und diese kann nur ein entsprechend qualifizierter, unterstützender Rechtsbeistand vornehmen. Dies gilt auch für ein sich anschließendes Rechtsmittelverfahren. Nach Eintritt der Rechtskraft einer mitgliedstaatlichen Entscheidung und mit dem Beginn des Vollstreckungsverfahrens aber endet das Bedürfnis nach multinationalem Rechtsrat. (6) Leistungsumfang – Worin sollte der Leistungsumfang des Zugangs zu multinationalen, prozesskostenfinanzierten Rechtsbeiständen liegen? Der Leistungsumfang des Zugangs zu multinationalen, prozesskostenfinanzierten Rechtsbeiständen sollte gesetzlich festgelegt werden. Dazu sollte im Sinne der Rechtsklarheit eine Beschreibung von anwaltlichen Tätigkeiten katalogisiert werden, die der unterstützende Rechtsbeistand unter Prozesskostenhilfe abrechnen kann. Die Rolle des unterstützenden Rechtsbeistands soll darin liegen, Maßnahmen nach dem Recht seines Mitgliedstaates zu beurteilen und ggf. Informationen bei oder Erklärungen gegenüber mitgliedstaatlichen Gerichten oder Behörden abzugeben. So könnte ein entsprechender Katalog folgenden Leistungsumfang abdecken: *
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Antragstellung vor Behörden und Gerichten, Erstellung von Rechtsgutachten zu einzelnen grenzüberschreitenden Ermittlungsmaßnahmen, Beauftragung von Sachverständigen, soweit diese für die Erstellung von Rechtsgutachten erforderlich sind, Kontaktaufnahme zu Zeugen für die Einholung von Beweisen, soweit dies nach mitgliedstaatlicher Rechtsordnung zulässig ist.
Die Festlegung eines Leistungsumfangs ist dazu geeignet, die Rolle des unterstützenden Rechtsbeistands zu definieren. Sie geht aber auch mit der Frage einher, in welchem Umfang und in welcher Höhe die konkreten Kosten von den Mitgliedstaaten zu decken sind und wie es sich für die Anwaltschaft verhält, dass die mitgliedstaatlichen Gebührenordnungen divergierende Kostenzusagen machen – für den unterstützenden Rechtsbeistand könnte die Annahme des Verteidigungsmandats weniger attraktiv sein, als für den betrauten Rechtsbeistand oder einen unterstützenden Rechtsbeistand eines anderen Mitgliedstaates, wenn die dortigen Rechtsordnungen beispielsweise eine höhere Kostendeckung versprechen.311 311 Die Anwendung verschiedener Gebührenordnungen der Mitgliedstaaten kann dazu führen, dass die staatliche Kostentragung von transnationalen Anwaltsdienstleistungen, je-
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4. Zugang zu Übersetzung In grenzüberschreitenden Verfahren der EUStA kann für den Betroffenen ein Bedürfnis nach Übersetzung entstehen. Dieses kann sich auf Inhalte der Verfahrensakte richten oder auf eine Kommunikation mit dem Verteidiger, der Strafverfolgungsbehörde oder dem Gericht beziehen. In grenzüberschreitenden Verfahren der EUStA erfolgt die Dokumentation der Beweissammlung in der Verfahrensakte durch den betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt in der Sprache, die seine Rechtsordnung als maßgeblich bestimmt. Dies folgt aus Art. 45 Abs. 2 VO, wonach die Verfahrensakte der EUStA durch den betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt nach dem Recht seines Mitgliedstaates geführt wird. Die Verfahrenssprache wird regelmäßig der Amtssprache dieses Mitgliedstaates entsprechen. Der von grenzüberschreitenden Ermittlungen Betroffene muss dieser Sprache nicht zwangsläufig mächtig sein. Der Zugang zu der Verfahrensakte richtet sich nach dem Recht des betrauten Mitgliedstaates, so dass darauf gerichtete Erklärungen ebenfalls in dieser Sprache abzugeben oder zu empfangen sind. Der Betroffene wird nicht nur mit der Amtssprache des betrauten Mitgliedstaates, sondern im Falle einer zugewiesenen Maßnahme der EUStA auch mit der Amtssprache des unterstützenden Mitgliedstaates konfrontiert. Wird dem unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt des Mitgliedstaates die Durchführung einer Durchsuchung zugewiesen, so würde diese Maßnahme dem Betroffenen in der Amtssprache des unterstützenden Mitgliedstaates eröffnet. Ihm würde ein Durchsuchungsbeschluss und eine Rechtsmittelbelehrung vorgelegt, die in der Amtssprache des unterstützenden Mitgliedstaates abgefasst sind. Die Erarbeitung einer Verteidigungsstrategie gegen grenzüberschreitende Maßnahmen der EUStA erfordert die Einbeziehung von Rechtsbeiständen in den unterstützenden Mitgliedstaaten. Die Kommunikation zwischen dem Betroffenen und seinen Rechtsbeiständen, aber auch die Kommunikation zwischen allen in die Verteidigung des Betroffenen eingebundenen Rechtsbeiständen kann ein tatsächliches Bedürfnis nach Übersetzung hervorrufen. Für den Zugang zu Übersetzung in Verfahren der EUStA stellt die VO keine eigenen Regelungen auf. Art. 41 Abs. 1 VO greift mit dem Verweis auf geltende Richtlinien lediglich bestehende Rechtspositionen auf und bestimmt, dass die Tätigkeiten der EUStA in vollem Einklang mit dem Recht auf ein faires Verfahren durchzuführen sind. Dazu gehört auch das Recht auf eine effektive Strafverteidigung, die dem Betroffenen durch das Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Abs. 1 weils in Abhängigkeit von der einzelnen mitgliedstaatlichen Gewährleistung, zwischen den Mitgliedstaaten divergiert und so das Gebührenrecht des Mitgliedstaates die Verteidigungsmöglichkeiten (und Attraktivität eines Verteidigungsmandates) determinieren, siehe für die ausführliche Darstellung dieses Konflikts Bannehr, Der europäische Pflichtverteidiger, S. 188 ff. m. w. N.
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EMRK und dessen Teilaspekt nach Art. 6 Abs. 3 lit. e) EMRK vermittelt wird. Der Angeklagte, der die Verhandlungssprache des Gerichts nicht spricht oder versteht, soll in allen Stadien des Verfahrens eine unentgeltliche – von seiner finanziellen Leistungskraft unabhängige – mündliche oder schriftliche Übersetzung erhalten, deren Umfang sich nach dem Zweck der Gewährleistung, und zwar der Gewährleistung einer effektiven Verteidigung, bestimmt.312 Art. 47 Abs. 2 GrCh verbürgt eine entsprechende Garantie. Für den Umfang der Rechte Verdächtiger und Beschuldigter referenziert Art. 41 VO beispielhaft auf die Geltung der Richtlinie 2010/ 64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren313 (nachfolgend: RL 2010/64/EU). Fraglich ist, inwieweit das bestehende Regelwerk zu Übersetzungen im Strafverfahren den Besonderheiten der Verteidigung des von grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffenen Rechnung trägt und ob es ihm die effektive Wahrnehmung seiner Verteidigungsrechte vermitteln kann. a) Sprache und Übersetzung nach der VO und Geschäftsordnung der EUStA Während die Verfahrensakten der EUStA in der Verfahrenssprache des betrauten Mitgliedstaates geführt werden, bestimmt die auf Grundlage von Art. 21 Abs. 1 VO erlassene Geschäftsordnung der EUStA, dass die Arbeitssprache der EUStA Englisch ist. Die Sprachenregelung bezieht sich gem. Art. 2 Abs. 1 Geschäftsordnung auf alle operativen und administrativen Tätigkeiten der EUStA. Englisch ist in allen internen Rechtsakten, Beschlüssen und Dokumenten der EUStA sowie bei allen förmlichen Mitteilungen innerhalb der Zentrale, zwischen der Zentrale und den Delegierten Europäischen Staatsanwälten sowie zwischen den verschieden-mitgliedstaatlichen Delegierten Europäischen Staatsanwälten zu verwenden. Art. 2 S. 1 Geschäftsordnung stellt – im Einklang mit der Grundkonzeption der VO – klar, dass Mitteilungen an am Strafverfahren Beteiligte, wie dem Verdächtigen, Beschuldigten, Opfer und Zeugen in der Sprache erfolgen, die in den anzuwendenden nationalen Vorschriften des Strafprozessrechts vorgeschrieben sind. Art. 2 S. 2 Geschäftsordnung eröffnet Raum für eine Übersetzung und bestimmt, dass der Mitteilung „erforderlichenfalls“ eine Übersetzung in eine Sprache, die vom Empfänger verstanden wird, beigefügt wird. Hiermit wird aber keine genuine Übersetzungsbestimmung für Verfahren der EUStA geschaffen. Vielmehr ist die Bestimmung dahingehend zu verstehen, dass eine Übersetzung dann beizufügen ist, wenn die Gewährleistung eines fairen Verfahrens und die Direktiven der RL 2010/64/EU dies erfordern. 312 313
Vgl. Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 287 ff. m. w. N. ABl. EU L 280/5 v. 26. 10. 2010.
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Art. 3 Geschäftsordnung trifft Bestimmungen zu „Übersetzungsmodalitäten“. Diese beziehen sich aber zuvörderst auf die Errichtung bzw. Inanspruchnahme von für das Funktionieren der EUStA bzw. für die Durchführung ihrer administrativen Arbeit erforderlichen Übersetzungssysteme. Dazu gehört beispielsweise die Einrichtung einer IT-Lösung für den Vollzug automatischer Übersetzungen einer Verfahrensakte. So wird die vom Delegierten Europäischen Staatsanwalt in mitgliedstaatlicher Sprache geführte Verfahrensakte bei Übertragung in das EUStA-Fallbearbeitungssystem automatisch in die englische Sprache übersetzt.314 b) Sprache und Übersetzung nach den Leitlinien zu Art. 31 VO Die auf Grundlage von Art. 9 Abs. 2, Art. 31 und Art. 114 VO erlassenen Leitlinien zu Art. 31 VO treffen partielle Bestimmungen über Übersetzungen im grenzüberschreitenden Verfahren der EUStA. Unter den allgemeinen Bestimmungen in den Leitlinien zu Art. 31 VO wird festgestellt, dass Kosten, die aufgrund des Zuweisungssystems entstehen, darunter auch solche für Übersetzungen, im Lichte des Erwägungsgrundes (113) VO grundsätzlich von der EUStA getragen werden sollen.315 Als vom Haushalt der EUStA zu deckende Kosten bezeichnet Erwägungsgrund (113) „die Kosten der operativen Kommunikation zwischen dem Delegierten Europäischen Staatsanwalt und der zentralen Ebene der EUStA“, zu denen beispielhaft auch die „Kosten für Übersetzungen, die für die interne Funktionsweise der EUStA notwendig sind“ zu fassen sind. Die externe Kommunikation der EUStA mit am Verfahren beteiligten Personen dagegen, wird vom Wortsinn des Erwägungsgrundes nicht getragen. Auch an anderen Stellen belegen die Leitlinien zu Art. 31 VO die Übersetzung in grenzüberschreitenden Verfahren der EUStA mit der Funktion, die interne Kommunikation der EUStA, insbesondere zwischen betrautem und unterstützendem Delegierten Europäischen Staatsanwalt, zu regulieren. So wird für die Zuweisung von anderen als im Katalog des Art. 30 VO enthaltenen Maßnahmen, die keiner richterlichen Genehmigung bedürfen, bestimmt, dass die Zuweisung in Englisch erfolgen könne und keiner Übersetzung bedürfe.316 Dagegen soll die Zuweisung von Maßnahmen aus dem Katalog des Art. 30 VO, die einer richterlichen Genehmigung (nur nach dem Recht des betrauten Mitgliedstaates) bedürfen, vom betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt in die 314
Vgl. EPPO Annual Report: 2021, S. 74. Vgl. Section One/General Principles, Ziffer 11 Leitlinien zu Art. 31 VO: „Bearing in mind that Article 31 of the EPPO Regulation creates a new legal framework for EPPO crossborder investigations, different from the traditional judicial cooperation legal instruments, the corresponding costs, including for translation, where applicable, should, in principle be borne by the EPPO, in light of recital 113 […]“ (Herv. durch Verf.) und vgl. Section Three, Ziffer 29 Leitlinien zu Art. 31 VO. 316 Section Two/A., Ziffer 12 Leitlinien zu Art. 31 VO. 315
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Amtssprache des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts übersetzt übermittelt werden.317 Die Übersetzung soll hier aber nicht nur der Kommunikation mit dem unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt dienen. Zweck dieser Übersetzung sei die Gewährleistung des vollen Zugangs zu dem Zuweisungsdokument und seiner Inhalte für alle Verfahrensbeteiligten, neben dem unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt und dem für den Rechtsschutz zuständigen Gericht namentlich auch für den Verdächtigen oder Beschuldigten und andere private Beteiligte.318 Daher solle nicht nur das Zuweisungsdokument selbst, sondern auch die mit ihr zu übermittelnde (nur nach dem Recht des betrauten Mitgliedstaates eingeholte) richterliche Genehmigung übersetzt werden.319 Der betraute Delegierte Europäische Staatsanwalt soll aber auf die Übersetzung der Zuweisung und zugehörigen Dokumente verzichten können, wenn er und der unterstützende Delegierte Europäische Staatsanwalt nach einer Konsultation übereinkommen, dass eine Übersetzung nicht notwendig erscheint, etwa wenn eine richterliche Genehmigung auch im unterstützenden Mitgliedstaat eingeholt wurde.320 c) Übersetzung nach RL 2010/64/EU Art. 1 Abs. 1 RL 2010/64/EU statuiert das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren für Personen ab dem Zeitpunkt, zu dem sie von der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaates davon in Kenntnis gesetzt werden, dass sie der Begehung einer Straftat verdächtig oder beschuldigt sind. Gem. Art. 2 Abs. 1 RL 2010/64/EU sind Verdächtigen und beschuldigten Personen unverzüglich Dolmetschleistungen während der Strafverfahren bei Ermittlungs- und Justizbehörden zu gewähren, wenn diese die Sprache des betreffenden Strafverfahrens nicht sprechen oder verstehen. Die Dolmetschleistungen sind ausdrücklich während polizeilichen Vernehmungen, sämtlichen Gerichtsverhandlungen und allen erforderlichen Zwischenverhandlungen zu gewähren. Die Dolmetschleistungen können gem. Art. 2 Abs. 6 RL 2010/64/EU auch durch Nutzung von Kommunikationstechnologien, namentlich Videokonferenzen, Telefon 317
Section Two/B., Ziffer 15 UAbs. 1 Leitlinien zu Art. 31 VO. Section Two/B., Ziffer 15 UAbs. 2 Leitlinien zu Art. 31 VO, wörtlich lautend: „For these measures, the assignment from the handling EDP to the assisting EDP(s) should be translated by the handling EDP and submitted in the language of the latter. The purpose of the translation is to guarantee full access to the document and its content to all the involved actors: the assisting EDP, the Court competent for legal remedies, the suspect and the other private parties possibly involved. For the same reasons, when the handling EDP submits the authorisation of the Court of his/her Member State, together with the Assignment, the judicial authorisation should also be translated.“ (Herv. durch Verf.). 319 Vgl. Section Two/B., Ziffer 15 UAbs. 2 und Ziffer 23 Leitlinien zu Art. 31 VO. 320 Section Two/B., Ziffer 23 letzter Hs. Leitlinien zu Art. 31 VO. 318
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C. Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA
oder Internet zur Verfügung gestellt werden, sofern die persönliche Abwesenheit des Dolmetschers der Gewährleistung eines fairen Verfahrens nicht entgegensteht. Die durch RL 2010/64/EU postulierte Garantie auf den Erhalt einer schriftlichen Übersetzung aller für die Wahrnehmung ihrer Verteidigungsrechte und Gewährleistung eines fairen Verfahrens erforderlichen Unterlagen beschränkt sich aber auf solche Unterlagen, die als „wesentlich“ zu qualifizieren sind. Als mindestens wesentliche Unterlagen gelten gem. Art. 3 Abs. 2 RL 2010/64/EU jegliche Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßnahme, jegliche Anklageschrift und jegliches Urteil. Art. 3 Abs. 4 RL 2010/64/EU erklärt eine Beschränkungsmöglichkeit für den Umfang der zu gewährleistenden Übersetzung wesentlicher Unterlagen. Danach müssen „Passagen wesentlicher Dokumente die nicht dafür maßgeblich sind, dass die Verdächtigen oder beschuldigten Personen wissen, was ihnen zur Last gelegt wird“ nicht zwangsläufig übersetzt werden. Ob die Übersetzung von Passagen wesentlicher Dokumente erforderlich ist bzw. ob andere als die in Art. 3 Abs. 2 RL 2010/64/EU katalogisierten Dokumente als wesentlich zu erachten sind, entscheiden die zuständigen Behörden gem. Art. 3 Abs. 3 RL 2010/64/EU im konkreten Einzelfall. Bei der Entscheidung, ob eine Unterlage im Strafverfahren als wesentlich i. S. d. Art. 3 Abs. 2 RL 2010/64/EU einzuordnen ist, hat die zuständige Behörde die Rechtsprechung des EGMR zu berücksichtigen. Danach hat der Beschuldigte nur einen Anspruch auf Übersetzung solcher Unterlagen, ohne deren Kenntnis ihm ein faires Verfahren abgeschnitten wäre321 – dafür muss aber nicht erst jedes Beweis- oder Aktenstück übersetzt werden; es reicht aus, dass der Beschuldigte vom Tatvorwurf Kenntnis erhält und sich dagegen verteidigen kann.322 Art. 3 Abs. 6 RL 2010/64/EU trifft Bestimmungen für die Übersetzung in Verfahren zur Vollstreckung eines EuHb. Danach hat der Vollstreckungsmitgliedstaat sicherzustellen, dass der gesuchten Person eine schriftliche Übersetzung des EuHbDokuments zur Verfügung gestellt wird, sofern sie die die Sprache, in der der EuHb ausgestellt bzw. übermittelt wurde, nicht versteht. Gem. Art. 3 Abs. 7 RL 2010/64/EU kann anstelle einer schriftlichen Übersetzung der wesentlichen Unterlagen aber eine mündliche Übersetzung oder mündliche Zusammenfassung der wesentlichen Dokumente zur Verfügung gestellt werden, soweit dieser Umstand einem fairen Verfahren nicht gegenübersteht. Für die Kosten der Dolmetschleistungen und Übersetzungen kommen die Mitgliedstaaten, ganz unabhängig vom Verfahrensausgang, gem. Art. 4 RL 2010/64/EU auf. Eine Bedürftigkeitsprüfung wie bei der Prozesskostenhilfe zum Rechtsbeistand, ist bei der Gewährleistung der Dolmetschleistungen und Übersetzungen nicht vorgesehen.
321 322
EGMR, Urteil vom 23. 10. 1978, NJW 1979, 1091. EGMR, Urteil vom 19. 12. 1989 – 9783/82, BeckRS 1989, 113179.
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d) Bewertung und Fazit Es kann festgestellt werden, dass die in den Leitlinien zu Art. 31 VO vorgesehenen Übersetzungsszenarien für Zuweisungen aus der Perspektive des von grenzüberschreitenden Ermittlungen Betroffenen keine klare Richtmarke bieten. Für ihn ist mitunter nicht vorhersehbar, welche Aktenbestandteile bzw. Zuweisungsdokumente ihm in welcher Sprache zugänglich werden. Dies liegt daran, dass die Übersetzungsszenarien in den Leitlinien zu Art. 31 VO primär die Erleichterung der Kommunikation zwischen betrautem und unterstützendem Delegierten Europäischen Staatsanwalt bezwecken und der Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der EUStA dienen. Denn die Übersetzung von Zuweisungen hängt nach den Leitlinien zu Art. 31 VO davon ab, ob die Durchführung einer grenzüberschreitenden Maßnahme einer richterlichen Genehmigung nach der Rechtsordnung des betrauten oder des unterstützenden Mitgliedstaates bedarf. Dazu sehen die Leitlinien drei Szenarien vor: Erstens, eine richterliche Genehmigung ist nach dem Recht des Mitgliedstaates des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts nötig – dann übermittelt dieser eine übersetzte Zuweisung inklusive der eingeholten, übersetzten richterlichen Genehmigung an den unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt. Zweitens, eine richterliche Genehmigung wird durch den unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt eingeholt – dann muss die Zuweisung des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts nicht übersetzt werden und kann dem unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt in Englisch übermittelt werden, wenn betrauter und unterstützender Delegierter Europäischer Staatsanwalt keine Notwendigkeit für eine Übersetzung sehen. Drittens, es wird gar keine richterliche Genehmigung eingeholt – dann kann die Zuweisung an den unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt in Englisch übermittelt werden, es ist keine Übersetzung erforderlich. Dies demonstriert, dass die EUStA den mitgliedstaatlichen Richtervorbehalt als Entscheidungskriterium für die Durchführung einer Übersetzung der Zuweisungsdokumente definiert. Soweit in den Leitlinien zu Art. 31 VO erklärt wird, die Übersetzung von Zuweisungsdokumenten bezwecke die Gewährleistung eines vollen Zugangs zum Zuweisungsdokument für den Verdächtigen oder Beschuldigten,323 tragen die in den Leitlinien aufgestellten Übersetzungsszenarien diesem Ziel aber nicht bei. Dafür gibt es zwei Gründe: Akteneinsicht erhält der Verfahrensbeteiligte der EUStA nach der Konzeption der VO beim betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt, der die Verfahrensakte der EUStA nach den Anforderungen der ordnungsgemäßen Aktenführung nach Maßgabe der Rechtsordnung seines Mitgliedstaates führt und die Einsicht in die Verfahrensakte nach Maßgabe der Rechtsordnung seines Mitgliedstaates erteilt. Dies gilt auch in grenzüberschreitenden Verfahren der EUStA. Der Betroffene muss sein Akteneinsichtsersuchen an den betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt 323
Vgl. Section Two/B., Ziffer 15 UAbs. 2 Leitlinien zu Art. 31 VO.
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C. Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA
richten. Die VO sieht die Situation des Informationszugangs beim unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt nicht vor. Wenn der Betroffene also um Akteneinsicht beim betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt ersucht, wird ihm eine in dessen Amtssprache geführte Verfahrensakte zugänglich. Um die Inhalte der Verfahrensakte vollständig zu verstehen, wird er in der Praxis also bereits einen dieser Sprache mächtigen Rechtsbeistand mandatiert haben. Dieser Rechtsbeistand wird beim Blick in die Verfahrensakte folgendes auffinden: Eine (nicht überraschend) in der Amtssprache des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts geführte Zuweisung mit richterlicher Genehmigung und ggf., dem Grundsatz der Aktenvollständigkeit entsprechend (und aufgrund der Vorgaben der Leitlinien zu Art. 31 VO), eine in die Amtssprache des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts übersetzte Version dieser Zuweisung mit richterlicher Genehmigung. Die übersetzte Version kann aus der Sicht des von den grenzüberschreitenden Maßnahmen Betroffenen in diesem Fall also schon keinen Mehrwert an Informationszugang erzeugen. Anders kann sich die Situation darstellen, wenn dem Betroffenen die Zuweisung und dazugehörige richterliche Genehmigung im unterstützenden Mitgliedstaat unmittelbar bei der Durchführung einer Maßnahme zugänglich gemacht werden. So ist denkbar, dass ihm die Zuweisung und richterliche Genehmigung vor Durchführung einer Durchsuchung vom unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalt vorgelegt werden – wenn der Betroffene der Amtssprache des unterstützenden Mitgliedstaates mächtig ist, können ihm die übersetzte Zuweisung und richterliche Genehmigung in verstehbarer Weise darlegen, mit welchem Tatvorwurf und welchem Beweisziel er konfrontiert wird. Wird eine grenzüberschreitende Maßnahme allerdings verdeckt durchgeführt, erübrigt sich der mit den Leitlinien aspirierte Mehrwert am Zugang zum Zuweisungsdokument schon wieder. Hinzukommt, dass der Zugang zu der übersetzten Zuweisung davon abhängt, ob die Rechtsordnung des betrauten oder unterstützenden Mitgliedstaates für eine Maßnahme einen Richtervorbehalt statuiert. Eine Übersetzung in die Amtssprache des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts und damit ggf. in die Sprache des Betroffenen erfolgt also nicht, wenn eine zugewiesene Maßnahme, weder nach der Rechtsordnung des betrauten, noch nach der Rechtsordnung des unterstützenden Mitgliedstaates der richterlichen Genehmigung bedarf. Der Zugang zur Übersetzung hängt davon ab, auf welche Maßnahme die EUStA zurückgreift und wird von der Zufälligkeit der formellen Voraussetzungen ihrer Durchführbarkeit begründet. Sind mehrere unterstützende Mitgliedstaaten in die grenzüberschreitenden Ermittlungen eingebunden, kann also eine Zuweisung in übersetzter Form vorliegen, eine andere Zuweisung aber nicht. Aus der Perspektive des Betroffenen ist dies verwirrend. Lässt die EUStA in einem Verfahren neben Maßnahmen in teilnehmenden Mitgliedstaaten nun auch Maßnahmen in nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten oder Drittstaaten durchführen, so kann dies dazu führen, dass bestimmte Aktenbestandteile übersetzt sind und andere nicht.
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Soweit also die Übersetzung von Zuweisungsdokumenten in den Leitlinien zu Art. 30 VO mit der Zweckbestimmung, dem von grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffenen einen vollständigen Informationszugang zu gewährleisten belegt wird, werden die vorgesehenen Übersetzungsszenarien den Bedürfnissen des Betroffenen vor dem Hintergrund der Ermittlungsrealität der EUStA nicht gerecht. Vielmehr dient eine mit dem richterlichen Genehmigungserfordernis korrelierende Übersetzung der Zuweisung der Legitimierung der EUStA-Maßnahmen gegenüber den mitgliedstaatlichen Gerichten –indem der unterstützende Delegierte Europäische Staatsanwalt für die Durchführung einer zugewiesenen Maßnahme, die nach seiner Rechtsordnung keinem Richtervorbehalt unterliegt, die bereits vom betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt eingeholte richterliche Genehmigung vorzeigen kann.324 Damit sie den Bedürfnissen des Betroffenen dient, müsste eine Übersetzung der Zuweisung stets und unabhängig vom Bestehen richterlicher Genehmigungserfordernisse erfolgen und dem Betroffenen der Zugang zur Verfahrensakte inklusive der Zuweisung und entsprechender Dokumente auch im unterstützenden Mitgliedstaat eröffnet werden. Freilich könnte das Gewirr um übersetzte und nicht übersetzte Zuweisungsdokumente entflochten und sprachliche Barrieren beim Zugang zur Verfahrensakte beseitigt werden, wenn dem Betroffenen ein unmittelbarer Zugang zur gespiegelten Verfahrensakte im Fallbearbeitungssystem der EUStA eingeräumt würde. Er erhielte dann Zugriff auf eine komplett einheitlich in Englisch geführte Akte, die die Verfahrensakte komplett spiegelt. Der grenzüberschreitend tätige Rechtsbeistand jedenfalls wird englische Sprachkenntnisse mitbringen. Und entsprechende Defizite durch den Einsatz von heutzutage geläufigen und gut entwickelten Übersetzungsprogrammen auszugleichen wissen.325 Die Gewährleistungen der RL 2010/64/EU werten die Rechtsposition des von grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffenen in puncto Übersetzungsleistungen auch nicht auf. Ein essentieller Kritikpunkt richtet sich gegen die Beschränkung der Übersetzungsgewährleistung auf „wesentliche Dokumente“, wobei sich im „Mindestkatalog“ wesentlicher Dokumente nur die Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßnahme, die Anklageschrift und das Urteil finden. Die Entscheidung, welche Dokumente im Übrigen als wesentlich zu qualifizieren sind, liegt bei den mitgliedstaatlichen Behörden. Gleichwohl müssen wesentliche Dokumente nicht in vollem Umfang übersetzt werden, es obliegt erneut den mitgliedstaatlichen Behörden zu beurteilen, ob sie bestimmte Passagen aus der Über324
S. für eine Darstellung potenzieller Problemfelder der Single Judicial Authorisation bei Bestehen eines richterlichen Genehmigungserfordernisses nach dem Recht des betrauten und unterstützenden Mitgliedstaates, unter B., S. 94 ff. dieser Arbeit. 325 Vgl. Oehmichen, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 362, Rn. 70, die aus der anwaltlichen Praxis berichtet, dass die Notwendigkeit der Übersetzung vor dem Hintergrund bestehender Übersetzungstools an Bedeutung verliert.
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C. Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA
setzung ausnehmen. Zudem lässt die Richtlinie die Möglichkeit, schriftliche Übersetzungen durch mündliche zu substituieren. Dadurch entsteht Raum für unterschiedliche Übersetzungspraktiken in den Mitgliedstaaten, so dass bereits vor Errichtung der EUStA die Forderung laut wurde, dass eine verbindliche Liste wesentlicher Dokumente festgeschrieben werden solle, die einen Anspruch auf schriftliche Übersetzung fixiert.326 In diesem Zusammenhang stellt sich zudem die Frage, ob die Beurteilung über die Wesentlichkeit eines Dokuments im Strafverfahren nicht vielmehr der Verteidigung des Betroffenen obliegt. Die anwaltliche Berufspraxis zeigt, dass für die Verteidigung mehr Dokumente als nur die Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßnahme, Anklageschrift und das Urteil als wesentlich zu erachten sind. Für sie sind wesentliche Unterlagen beispielsweise auch Vernehmungsprotokolle von Belastungszeugen und belastende Telefonüberwachungsprotokolle.327 Alternativ zur Orientierung am mitgliedstaatlichen Verständnis von wesentlichen Dokumenten könnte die Übersetzungsgewährleistung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA genauso weit reichen, wie der Umfang der Einsicht in die Verfahrensakte der EUStA gewährt wird.
326
Esser, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 268, Rn. 156 mit Verweis auf die ECBA – Notes on the Internal Rules of Procedure of the European Public Prosecutor’s Office, S. 6 f. 327 Oehmichen, in: Herrnfeld/Esser (Hrsg.), EUStA Handbuch, S. 361, Rn. 68.
Schlussbetrachtung Grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA zeichnen sich durch einen hohen Komplexitätsgrad aus. Dieser resultiert einerseits aus der Organisationsstruktur der EUStA und andererseits aus der Funktionsweise grenzüberschreitender Ermittlungen. Der strategische Apparat der EUStA ist in der Zentrale in Luxemburg angesiedelt. Dort werden verfahrensbezogene Entscheidungen getroffen, Strafverfolgungspraktiken sowie politische Zielvorstellungen der EUStA entwickelt und an den europäischen Gesetzgeber kommuniziert. Die operative Ermittlungstätigkeit dagegen vollzieht sich auf dem Boden der teilnehmenden Mitgliedstaaten durch die Ermittlungsführung der Delegierten Europäischen Staatsanwälte und unter Rückgriff auf alle Mittel und Ressourcen, die ihnen die jeweilige nationale Rechtsordnung an die Hand gibt. Die auf der dezentralen Ebene gesammelten Erkenntnisse und Informationen zieht die EUStA im Fallbearbeitungssystem in ihrer Zentrale zusammen, wo sie kontextualisiert werden können und – mit Ausnahme eines Informationsanspruchs nach datenschutzrechtlichen Bestimmungen – dem Zugriff des Beschuldigten entzogen sind. Beschränkt sich die Ermittlungstätigkeit der EUStA auf den Bereich nur eines Mitgliedstaates, so erscheint es, als hätte die Errichtung der EUStA gar keine Neuerung für das Strafverfahren gebracht. Denn die Ermittlungsführung erfolgt durch die Delegierten Europäischen Staatsanwälte schließlich nach Maßgabe der eigenen Rechtsordnung. In dieser Fallgestaltung deutet kaum ein Umstand darauf hin, dass die Tätigkeit des Delegierten Europäischen Staatsanwalts Gegenstand eines europäischen Ermittlungsverfahrens ist, da sie einem national geführten Verfahren entspricht. Dagegen ist die Funktionsweise der grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA für einen juristischen Laien weder vorhersehbar, noch greifbar. Die grenzüberschreitende Beweissammlung der EUStA kann sich unter Rückgriff auf eine Vielzahl von Rechtsinstrumenten vollziehen, selbst innerhalb des europäischen Rechtsraums existiert wegen des Bestehens zweier verschiedener Rechtskreise zwischen den teilnehmenden und nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten kein einheitlicher Ermittlungsprozess. Gleichwohl hat die Wahl des Rechtsinstruments für die Durchführung einer Maßnahme Konsequenzen für die Rechtsschutzmöglichkeiten des von den grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffenen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist nicht zweifelsfrei klar, wo und in welchem Umfang er die
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Schlussbetrachtung
Rechtskontrolle von grenzüberschreitenden Maßnahmen herbeiführen kann.1 Da der Verordnungsgeber keine europarechtliche Forderung für den Rechtsschutz gegen grenzüberschreitende Maßnahmen der EUStA ausgesprochen hat, wird dieser von der Zuständigkeitsinterpretation der Mitgliedstaaten abhängen – und kann daher divergieren. Bei näherer Betrachtung der im europäischen Rechtsraum zur Anwendung gelangenden Rechtsinstrumente, und zwar des Zuweisungssystems im Anwendungsbereich der VO und der RL-EEA im Verhältnis zu nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten, fällt aber auch auf, dass die vom Verordnungsgeber mit der Errichtung der EUStA postulierte Innovation der grenzüberschreitenden Beweisgewinnung ausgeblieben ist. Die Rechtsinstrumente weisen viele Ähnlichkeiten auf. Im Ergebnis ist dies nicht überraschend, da die Errichtung der EUStA nicht auf ein neues, harmonisiertes, europäisches Strafprozessrecht gestellt wurde, sondern ihre Funktionen aus den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, aus den mitgliedstaatlichen Rollenzuweisungen an die Staatsanwaltschaft, ableitet. Das Postulat des Verordnungsgebers, mit der EUStA eine unteilbare Behörde errichtet zu haben, bleibt unter diesem Gesichtspunkt eine Willensbekundung zur Europäisierung des Strafverfahrens. Und enthält eine Erinnerung daran, die Europäisierung des Strafverfahrens voranzutreiben. Das bemerkenswerte Novum in der Errichtung der EUStA ist in der personellen Aufstellung bzw. der Institutionalisierung der Behörde zu erblicken. Die EUStA bündelt Strafverfolger der Mitgliedstaaten, die eigene Kompetenzen mitbringen und stattet diese mit einem Budget und vor allem einer modernen Informationsinfrastruktur aus. Die Kommunikation zwischen Delegierten Europäischen Staatsanwälten in grenzüberschreitenden Ermittlungen wird mit dem Fallbearbeitungssystem und aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu derselben Behörde zuverlässig und zügig erfolgen. Als EU-Institution kann sie sich auf die Kooperation mit anderen Unionseinrichtungen auf dem Gebiet der europäischen Strafverfolgung, besonders auf Eurojust und OLAF, verlassen. Diese werden eng mit der EUStA zusammenarbeiten. Die interinstitutionelle Zusammenarbeit mit Eurojust und OLAF ist für die EUStA ein Leistungsverstärker. Die EUStA kann sich Handlungsräume in den nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten eröffnen, indem sie Ersuchen an Eurojust und OLAF adressiert, die eine Kettenreaktion von Mitwirkungspflichten auslösen: Eurojust und OLAF sind zur loyalen Zusammenarbeit mit der EUStA verpflichtet. Die nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten ihrerseits zur loyalen Zusammenarbeit mit Eurojust und OLAF. Auf diese Weise kann die EUStA richtungsweisende Impulse für Ermittlungshandlungen auf dem Gebiet der nichtteilnehmenden Mitgliedstaaten abgeben. Zudem kann sie die Kooperationsbeziehungen des Eurojust in Drittstaaten fruchtbar machen und sich durch Einbindung des OLAF Erkenntnisse über dortige Wirtschaftsteilnehmer verschaffen. EUStA, Eurojust und OLAF werden insbesondere einen regen Informations- und Datenaustausch betreiben. 1
Vgl. Vorlageersuchen Oberlandesgericht Wien, Summary of Case C-281/22 – G.K. u. a.
Schlussbetrachtung
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Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen lässt sich das Ausbleiben einer Neuerung der Verteidigungsposition des von den grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffenen nicht rechtfertigen. Die besonderen Handlungsräume, die durch grenzüberschreitende Ermittlungen der EUStA hergestellt werden, müssen einen Geltungsgrund für die Aufwertung der Verteidigungsrechte bilden. Eine Stellschraube, an der kurzfristig gedreht werden kann, ist das Fallbearbeitungssystem der EUStA. Dieses kann für die Information zwischen EUStA und dem Betroffenen fruchtbar gemacht und als Kommunikationskanal sowie als Akteneinsichtsportal fungieren. Das Fallbearbeitungssystem hält auch noch ungenutzte Potenziale für die Arbeit der EUStA selbst und auch die Justiz bereit. So könnten die im Fallbearbeitungssystem hinterlegten englischen Verfahrensakten bei grenzüberschreitenden Ermittlungen im Rahmen der Einholung von richterlichen Genehmigungen genutzt werden. Ein (wohl in der Rechtsrealität und -politik tendenziell eher langfristig umsetzbares) Ziel ist die Gewährleistung eines Anspruchs auf mehrfachen Rechtsbeistand in grenzüberschreitenden Verfahren der EUStA. Vor dem Hintergrund der Komplexität des Verfahrens ist der Betroffene in besonderem Maße auf professionellen Rechtsrat angewiesen. Diese Gewährleistung sollte durch Mittel der Prozesskostenhilfe realisiert werden. In Verfahren, in die zahlreiche Mitgliedstaaten eingebunden sind, kann dies für den Kostenträger (nach derzeitiger Konzeption der Prozesskostenhilfe sind dies die Mitgliedstaaten) sehr preisintensiv sein – dies sind aber Kosten, die für die Herstellung der Rechtsstaatlichkeit im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren bei der Errichtung einer unionalen Behörde entsprechend des Wertekatalogs der Union in Kauf zu nehmen sind. Diese Arbeit hat auch weitere Vorschläge zur Fortentwicklung der Verteidigungsposition des von grenzüberschreitenden Ermittlungen der EUStA Betroffenen aufgezeigt. Zuletzt bleibt aber leider auch die ernüchternde Erkenntnis, dass es sich dabei stets um den Versuch handelt, ein supranationales Konzept in kleine, mitgliedstaatliche Schubladen einzupassen. Bei diesem Versuch müssen viele Konzeptideen zugunsten der Staatensouveränität der Mitgliedstaaten weichen. Mit jeder Konzeptidee für eine desiderable Fortentwicklung der Verfahrensfairness in grenzüberschreitenden Verfahren der EUStA, die in eine mitgliedstaatliche Schublade gegossen wird, wächst das Dickicht nationaler Interessen bedauerlicherweise.
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eppo.europa.eu/sites/default/files/2020-12/2020.002%20EPPO%20Language%20deci sion%20-%20final.pdf (zitiert als: College Decision 002/2020) College Decision 003/2020: Internal Rules of Procedure of the European Public Prosecutor’s Office, abrufbar unter: https://www.eppo.europa.eu/sites/default/files/2020-12/2020.003%2 0IRP%20-%20final.pdf (erstmalig zitiert als: College Decision 003/2020, im weiteren Verlauf zitiert als: Geschäftsordnung) College Decision 006/2022: Decision of the College of the European Public Prosecutor’s Office of 26 January 2022. Adopting Guidelines of the College of the EPPO on the application of Art. 31 of Regulation (EU) 2017/1939 (zitiert als: College Decision 006/2022 und im Weiteren zitiert als: Leitlinien zu Art. 31 VO, Section, Ziffer) College Decision 010/2020: Decision of the College of the European Public Prosecutor’s Office of 11 November 2020 – Appointing Mr. Danilo Ceccarelli as Deputy Chief Prosecutor, abrufbar unter: https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/2020.010_appointment_of_mr_cecca relli_as_decp_0.pdf (zitiert als: College Decision 010/2020) College Decision 011/2020: Decision of the College of the European Public Prosecutor’s Office of 11 November 2020 – Appointing Mr. Andrés Ritter as Deputy Chief Prosecutor, abrufbar unter: https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/2020.011_appointment_of_mr_ritter_as_decp. pdf (zitiert als: College Decision 011/2020) College Decision 015/2020: Decision on the Permanent Chambers, abrufbar unter: https://ec.eu ropa.eu/info/sites/info/files/2020.015_decision_on_the_permanent_chambers_-_final_0.pdf (zitiert als: College Decision 015/2020) College Decision 19/2020: Decision of the College of the European Public Prosecutor’s Office of 25 November 2020 on the Appointment of European Delegated Prosecutors of the EPPO in the Federal Republic of Germany, abrufbar unter: https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/2 020.019_decision_appointment_edps_-_de_10_-_final.pdf (zitiert als: College Decision 19/ 2020) College Decision 22/2020: Decision of the College of the European Public Prosecutor’s Office of 2 December 2020 on the Appointment of one European Delegated Prosecutor in the Federal Republic of Germany, abrufbar unter: https://www.eppo.europa.eu/sites/default/ files/2021-01/2020.022%20Decision%20appointment%20EDPs%20-%20DE%201%20-%2 0final.pdf (zitiert als College Decision 22/2020) College Decision 029/2021 as amended by College Decision 007/2022: Decision of the College of the European Public Prosecutor’s Office of 21 April 2021. Adopting operational guidelines on investigation, evocation policy and referral of cases as amended by Decision 007/2022 of 7 February 2022 of the College of the EPPO, abrufbar unter: https://www.eppo.europa.eu/sites/ default/files/2022-02/EPPO_Operational_Guidelines_College_Decision_029.2021_as%2 0amended_by_College%20decision_007.2022.pdf (zitiert als: College Decision 029/2021 consolidated as amended by College Decision 007/2022) Consolidated Version of College Decision 029/2021: Decision of the College of the European Public Prosecutor’s Office of 21 April 2021. Adopting operational guidelines on investigation, evocation policy and referral of cases, amended by decision 026/2022 of 29 June 2022 of the College of the EPPO, abrufbar unter: https://www.eppo.europa.eu/sites/default/files/2 022-08/2021.029-2022.026_Amended_Operational_guidelines_on_Investigation_evocation_
IV. Vorschläge, Mitteilungen und Vorlagen der KOM und Bundesregierung
291
policy_referral_of_cases.pdf (zitiert als: Consolidated Version of College Decision 029/ 2021) EUStA-Eurojust Arbeitsvereinbarung, abrufbar unter: https://www.eppo.europa.eu/sites/de fault/files/2021-02/Working-Arrangement-Eurojust-EPPO.pdf (zitiert als: EUStA-Eurojust Arbeitsvereinbarung) EUStA-OLAF Arbeitsvereinbarung, abrufbar unter: https://www.eppo.europa.eu/sites/default/ files/2021-07/Working_arrangement_EPPO_OLAF.pdf (zitiert als: EUStA-OLAF Arbeitsvereinbarung)
IV. Vorschläge, Mitteilungen und Vorlagen der Europäischen Kommission und Bundesregierung Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Umsetzung der Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, COM (2021) 409 final, abrufbar unter: https://ec.europa.eu/transparency/documents-register/detail?ref=COM(2021)409& lang=de (zitiert als: COM (2021) 409 final, S.) Deutscher Bundesrat, Gesetzesentwurf der Bundesregierung. Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2017/1939 des Rates vom 12. Oktober 2017 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit zur Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft und zur Änderung weiterer Vorschriften, Drucksache 47/20, abrufbar unter: https://kripoz.de/wp-content/uploads/2020/03/br-drs-47-20.pdf (zitiert als: BR Drucks. 47/20, S.) Deutscher Bundestag, Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz. Vorschlag über eine Verordnung des Rates über die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft (EPPO), Drucksache 18/1658, abrufbar unter: http://dipbt.bun destag.de/doc/btd/18/016/1801658.pdf (zitiert als: BT Drucks. 18/1658, S.) Deutscher Bundestag, Gesetzesentwurf der Bundesregierung. Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2017/1939 des Rates vom 12. Oktober 2017 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit zur Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft und zur Änderung weiterer Vorschriften, Drucksache 19/17963, abrufbar unter: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/179/1917963.pdf (zitiert als: BT Drucks. 19/17963, S.) Deutscher Bundestag, Sachstand EU-Agenturen und Menschenrechte, Aktenzeichen WD 2 – 3000 – 049/19, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/650654/e57e58b c850abb8f95faf19c72ee7e02/WD-2-049-19-pdf-data.pdf (zitiert als Deutscher Bundestag, EU-Agenturen und Menschenrechte, WD 2 3000 – 049/19, S.) Empfehlung für einen Beschluss des Rates über die Ermächtigung zur Aufnahme von Verhandlungen über Abkommen zwischen der Europäischen Union und Algerien, Armenien, Bosnien und Herzegowina, Ägypten, Israel, Jordanien, Libanon, Marokko, Tunesien und der Türkei über die Zusammenarbeit zwischen der Agentur der Europäischen Union für justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (Eurojust) und den für die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen zuständigen Behörden dieser Drittländer, COM (2020) 743 final, abrufbar
292
Literaturverzeichnis
unter: https://ec.europa.eu/transparency/documents-register/detail?ref=COM(2020)743& lang=en (zitiert als: COM (2020) 743 final) Grünbuch über Kompetenzkonflikte und den Grundsatz ne bis in idem in Strafverfahren, KOM(2005) 696 endgültig, abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/ PDF/?uri=CELEX:52005DC0696&from=DE (zitiert als: Grünbuch über Kompetenzkonflikte und den Grundsatz ne bis in idem in Strafverfahren, KOM(2005) 696 endgültig, S.) Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft, COM (2001) 715, abrufbar unter: http://satzger.userweb.mwn.de/unterlagen/2D.pdf (zitiert als: Grünbuch COM (2001) 715, S.) Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Europäischen Rat. Ein Europa, das schützt: eine Initiative zur Ausweitung der Zuständigkeiten der Europäischen Staatsanwaltschaft auf grenzüberschreitende terroristische Straftaten, COM (2018) 641 final, abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:dee3a860-b65f-11e8-99ee -01aa75ed71a1.0002.02/DOC_1&format=PDF (zitiert als: COM (2018) 641 final) Referentenentwurf des BMJV, Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2017/1939 des Rates vom 12. Oktober 2017 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit zur Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft und zur Änderung weiterer Vorschriften, abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Do kumente/RefE_EUStA.pdf;jsessionid=3072226D912C855DE0B0EE863FF2842F.2_ cid324?__blob=publicationFile&v=1 (zitiert als: Referentenentwurf des BMJV, Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der VO, S.) Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 883/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit der Europäischen Staatsanwaltschaft und die Wirksamkeit der Untersuchungen des OLAF, COM (2018) 338 final, abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/ legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:52018PC0338 (zitiert als: COM (2018) 338 final) Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft, COM (2013) 534 final, abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/ LexUriServ.do?uri=COM:2013:0534:FIN:DE:PDF (zitiert als: COM (2013) 534 final)
Stichwortverzeichnis Akteneinsicht 181 ff. Arbeitsvereinbarungen 126 ff., 135, 145 ff., 158 ff. Auskunftsersuchen 203 ff. Auswahl des Delegierten Europäischen Staatsanwalts 65 ff. Betraute und unterstützende Rechtsbeistände 233 ff., 259 – Bedürftigkeitsprüfung 266 f. – Entscheidung bei Ständiger Kammer 262 ff. – Entscheidungskommission für Bewilligung 261 f. – Erforderlichkeitsvorbehalt 264 ff. – Erheblichkeitsschwelle 264 – Kriterien zur Bewilligung 263 f. – Leistungsumfang 269 – Materielle Kriterien 265 – Zeitspanne 268 ff. Betrauter Delegierter Europäischer Staatsanwalt 64 ff. Datenbanken/Register 51 f. – National 51 – Unional 52 Delegierter Europäischer Staatsanwalt 38 ff., 81 ff. Dezentrale Ebene 38 ff. Drittstaaten 135 ff. – Arbeitsvereinbarungen 135 – Ersuchen eines Drittstaates 138 – Informationsaustausch 138 – Kontaktstellen 135 – Völkerrechtliche bindende Übereinkommen 135 Durchführungsbestimmungen 46 Einleitung des Ermittlungsverfahrens 70 EuHb 216 ff. – Doppelte Prozesskostenhilfe 242 ff.
– Mehrfachverteidigung 222 ff. Eurojust 144 ff. – Erledigung von Rechtshilfeersuchen 154 – Ersuchen an nationale Behörden 151 – Informationsaustausch 155 Europäische Generalstaatsanwältin 37 Europäischer Staatsanwalt 38, 43 f. Fallbearbeitungssystem 54 ff. – Gespiegelte Verfahrensakte 56 ff., 153 f., 181 f. – Index 58 – Register 55 – Verfahrensakte der EUStA 56 ff. – Wechselseitiger Zugriff 155 f., 169 ff. – Zugriff, intern 59 ff. Finanzielle Interessen der Union 25 ff. Geschäftsordnung 46 f. Grenzüberschreitende Ermittlungen 64 ff., 125 ff., 135 ff. – Ablauf 81 ff. – Durchführung 92 – Neuzuweisung siehe Neuzuweisung des Verfahrens – Rechtskontrolle, Rechtsschutz 96 ff. – Richterliche Genehmigung 85 ff. – Zuweisung, Zuweisungssystem 84 ff. Informations-, bzw. Akteneinsichtsrechte 181 ff. Informationsquellen 49 ff. Kollegium
33 ff.
Leitlinien 46 Leitlinien zu Art. 31 VO
85 ff., 271 ff.
Meldung bzw. Unterrichtung an die EUStA 49 ff.
294
Stichwortverzeichnis
Multinationale, prozesskostenfinanzierte Rechtsbeistände siehe Betraute und unterstützende Rechtsbeistände
– Mehrfacher, in EUStA-Verfahren 225 ff., 233 ff. – Unter RL-EEA 228 ff.
Neuzuweisung des Verfahrens 72 ff. – Kriterien 73 – Rechtsschutz 74 – Zeitpunkt 72 Nichtteilnehmende Mitgliedstaaten – Beziehung 125 – Informationsaustausch 131 – Kontaktstellen, Kooperation 126
Single Judicial Authorisation 85 ff., 94 ff. – Rechtskontrolle 96 ff. – Sachprüfung 96 ff., 106 f. – Vorlageersuchen OLG Wien 96 ff. Ständige Kammern 35 ff. – Anweisung 72 – Neuzuweisung 72 ff. Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union 25 ff. Sui generis Charakter der EUStA 103 ff.
OLAF
158 ff.
PIF-Richtlinie siehe Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union Prozesskostenhilfe 237 ff. – Betraute und unterstützende Rechtsbeistände 233 ff., 259 ff. – Bewilligungsentscheidung, Konzentration 248, 262 ff. – Doppelte Prozesskostenhilfe 254 ff. – Kriterien für doppelte Prozesskostenhilfe 263 ff. Rechtsbeistand 211 ff. – In Verfahren zur Vollstreckung eines EuHb 216 ff.
Übersetzung, Zugang zu 270 ff. Unterstützender Delegierter Europäischer Staatsanwalt 84 ff. Verteidigung, rechtlicher Rahmen 175 ff. „Verteilerfunktion“ der Zentrale 194 ff. Verwaltungsdirektor 38 Zentrale Ebene 33 ff. Zugang zur Verfahrensakte 181 ff. Zuständigkeit 225 ff. Zuweisung einer Maßnahme, Zuweisungssystem 84 ff.