Unterhaltung, aber sicher!: Populäre Repräsentationen von Recht und Ordnung in den Fernsehkrimis »Stahlnetz« und »Blaulicht«, 1958/59-1968 [1. Aufl.] 9783839422281

Die zwischen 1958/59 und 1968 im Fernsehen der Bundesrepublik und der DDR ausgestrahlten Kriminalreihen »Stahlnetz« und

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German Pages 466 Year 2014

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Table of contents :
Inhalt
1. Einleitung
1.1 Der Kriminal-(Fernseh-)Film
1.2 Historische Erkenntnisziele
1.3 Quellen und Forschungsstand
1.4 Die Historische Filmanalyse. Eine quellenkritische Betrachtung
2. »Das Fenster zur Welt« des Krimis
2.1 Soziale Praxis des Fernsehens
2.2 Die Geburt der Fernsehkriminalreihe. Genreentwicklungen und Authentizitätsprinzip
2.3 Das Stahlnetz
2.4 Das Blaulicht
3. Der idealtypische Ermittler: ein Repräsentant zwischen Staatsgewalt und Privatheit
3.1 Identifikation – der Ermittler als Mensch
3.2 Respekt und Vertrauen – der Ermittler als Staatsrepräsentant
3.3 Der gute Ermittler. Ein Zwischenfazit
4. Der idealtypische Kriminelle und seine Tat – Demaskierung und Abschreckung
4.1 Auffällige und straffällige Jugendliche – vom Halbstarken zum Täter
4.2 Scheinwelt – straffällig gewordene Bürger
4.3 Die Halbwelt – von der Bürgerlichkeit in die Unterwelt
4.4 Die Unterwelt – das Berufsverbrechertum
4.5 Der Verdacht
4.6 Menschen im kriminellen Umfeld – das Rotlichtmilieu
4.7 Gesellschaftlicher Umgang mit Kriminalität und die Grenzen des Sagbaren. Ein Zwischenfazit
5. Der idealtypische Bürger als »Freund und Helfer« der Polizei
5.1 Aufmerksame und wachsame Bürger
5.2 Zeugen
5.3 Belehrung des Zuschauers
5.4 Die Erziehung zur Aufmerksamkeit und Wachsamkeit. Ein Zwischenfazit
6. Das idealtypische Opfer
6.1 Nichtteilnehmende Opfer
6.2 Provozierende, latente und teilnehmende Opfer
6.3 Die sozialistische Gesellschaft als Opfer
6.4 Weibliche Leichtgläubigkeit und entblösste Körper. Ein Zwischenfazit
7. Die idealtypische Topografie des Tatortes
7.1 Stadt
7.2 Land
7.3 Der Tat-Raum zwischen Entlokalisierung und Grossstadtaffinität. Ein Zwischenfazit
8. Der Ost-West-Konflikt im Wohnzimmer
8.1 Bedrohliche Mauer und verweigerte Hilfe – die DDR aus westdeutscher Sicht
8.2 Polizeiliche Unfähigkeit, Sensationsgier und westliche Agenten – die Bundesrepublik aus Sicht der DDR
8.3 Das andere Deutschland zwischen begrenzter und totaler Wahrnehmung. Ein Zwischenfazit
9. Schlussbemerkungen
9.1 Sicherheit
9.2 Norm
9.3 Aufmerksamkeit und Wachsamkeit
9.4 Das Ende der Ikonophobie?
Dank
Abkürzungsverzeichnis
Quellenverzeichnis
Ungedruckte Quellen
Experteninterviews
Periodika
Filmische Quellen
Statistiken, Datenbanken und Nachschlagewerke
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Anhang
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Unterhaltung, aber sicher!: Populäre Repräsentationen von Recht und Ordnung in den Fernsehkrimis »Stahlnetz« und »Blaulicht«, 1958/59-1968 [1. Aufl.]
 9783839422281

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Nora Hilgert Unterhaltung, aber sicher!

Histoire | Band 38

Nora Hilgert (Dr. phil.), geb. Helmli, ist seit 2009 als Geschäftsführerin des Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands e.V. tätig.

Nora Hilgert

Unterhaltung, aber sicher! Populäre Repräsentationen von Recht und Ordnung in den Fernsehkrimis »Stahlnetz« und »Blaulicht«, 1958/59-1968

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Vorderseite: Standbild aus Blaulicht, Folge 18, Heißes Geld, Deutsches Rundfunkarchiv Potsdam. Rückseite: Standbild aus Stahlnetz, Folge 14, In der Nacht zum Dienstag ..., Norddeutscher Rundfunk. Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2228-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

1

Einleitung | 9

1.1 1.2 1.3 1.4

Der Kriminal-(Fernseh-)Film | 13 Historische Erkenntnisziele | 23 Quellen und Forschungsstand | 32 Die Historische Filmanalyse. Eine quellenkritische Betrachtung | 41

»Das Fenster zur Welt« des Krimis | 55 2.1 Soziale Praxis des Fernsehens | 55 2.2 Die Geburt der Fernsehkriminalreihe. Genreentwicklungen und Authentizitätsprinzip | 66 2.3 Das Stahlnetz | 78 2.4 Das Blaulicht | 106 2

3

Der idealtypische Ermittler: ein Repräsentant zwischen Staatsgewalt und Privatheit | 137

3.1 Identifikation – der Ermittler als Mensch | 141 3.2 Respekt und Vertrauen – der Ermittler als Staatsrepräsentant | 177 3.3 Der gute Ermittler. Ein Zwischenfazit | 205 4

Der idealtypische Kriminelle und seine Tat – Demaskierung und Abschreckung | 211

4.1 Auffällige und straffällige Jugendliche – vom Halbstarken zum Täter | 216 4.2 Scheinwelt – straffällig gewordene Bürger | 246 4.3 Die Halbwelt – von der Bürgerlichkeit in die Unterwelt | 270 4.4 Die Unterwelt – das Berufsverbrechertum | 278 4.5 Der Verdacht | 301 4.6 Menschen im kriminellen Umfeld – das Rotlichtmilieu | 303 4.7 Gesellschaftlicher Umgang mit Kriminalität und die Grenzen des Sagbaren. Ein Zwischenfazit | 310 5

Der idealtypische Bürger als »Freund und Helfer« der Polizei | 315

5.1 Aufmerksame und wachsame Bürger | 316 5.2 Zeugen | 325 5.3 Belehrung des Zuschauers | 335

5.4 Die Erziehung zur Aufmerksamkeit und Wachsamkeit. Ein Zwischenfazit | 339 6

Das idealtypische Opfer | 343

6.1 6.2 6.3 6.4

Nichtteilnehmende Opfer | 344 Provozierende, latente und teilnehmende Opfer | 351 Die sozialistische Gesellschaft als Opfer | 355 Weibliche Leichtgläubigkeit und entblösste Körper. Ein Zwischenfazit | 357

7

Die idealtypische Topografie des Tatortes | 359

7.1 Stadt | 360 7.2 Land | 376 7.3 Der Tat-Raum zwischen Entlokalisierung und Grossstadtaffinität. Ein Zwischenfazit | 382 Der Ost-West-Konflikt im Wohnzimmer | 385 8.1 Bedrohliche Mauer und verweigerte Hilfe – die DDR aus westdeutscher Sicht | 387 8.2 Polizeiliche Unfähigkeit, Sensationsgier und westliche Agenten – die Bundesrepublik aus Sicht der DDR | 389 8.3 Das andere Deutschland zwischen begrenzter und totaler Wahrnehmung. Ein Zwischenfazit | 395 8

9

Schlussbemerkungen | 397

9.1 9.2 9.3 9.4

Sicherheit | 399 Norm | 402 Aufmerksamkeit und Wachsamkeit | 407 Das Ende der Ikonophobie? | 409

Dank | 413 Abkürzungsverzeichnis | 415 Quellenverzeichnis | 417

Ungedruckte Quellen | 417 Experteninterviews | 418 Periodika | 418 Filmische Quellen | 419 Statistiken, Datenbanken und Nachschlagewerke | 419

Literaturverzeichnis | 421 Abbildungsverzeichnis | 457 Anhang | 461

1 Einleitung Ehemann griff zum Messer und schlug mit Bierflasche zu – weil sie bei »Stahlnetz« redete. »Ich habe sie schon oft gewarnt. Als sie auch diesmal wieder in den spannendsten Momenten mit ihren Kommentaren nicht sparen konnte, geriet ich in Rage.« Der Mann nahm eine Bierflasche und schlug sie seiner Frau auf den Kopf. […] Wie der Roland-Krimi ausging, das hat er auf dem Polizeirevier erfahren.1

Am 26. August 1966 berichtete die Hamburger Morgenpost über einen Ehestreit, der sich drei Tage zuvor in Berlin-Kreuzberg ereignet hatte. Ein Ehemann war gewalttätig geworden, weil seine Frau den ungestörten Genuss der 21. StahlnetzFolge »Der fünfte Mann«2 vereitelt hatte. Wenngleich die Meldung keinen hohen Nachrichtenwert besaß, veröffentlichte die Boulevard-Zeitung einen groß aufgemachten Artikel, der eine halbe Zeitungsseite umfasste. Warum das Hamburger Blatt die skurrile Meldung so prominent platzierte, scheint sofort klar. Zum einen war Stahlnetz eine lokale Fernsehproduktion des Norddeutschen Rundfunks (NDR) und des Studio Hamburg, zum anderen wurde der Ehestreit durch eines der erfolgreichsten Fernsehspiele des Jahrzehnts ausgelöst, mit dem wohl jeder Leser etwas anfangen konnte. Immerhin konnte das Stahlnetz laut den von Infratest durchgeführten Umfragen regelmäßige Einschaltquoten von bis zu 80 % und mehr verbuchen und das auch nach achtjähriger Laufzeit.3 Derartig hohe Zahlen wurden von

1

o. A.: Ehemann griff zum Messer und schlug mit Bierflasche zu – weil sie bei »Stahlnetz« redete, in: Hamburger Morgenpost, 26. 8. 1966, in: NDR Pressedokumentation. Nachfolgende Zitate ebd.

2

Stahlnetz, »Der fünfte Mann«, Folge 21, 23. 8. 1966.

3

Infratest (Hg.): Der Fernsehzuschauer. Das Kriminalstück im Urteil der Zuschauer (= Schriftenreihe zur empirischen Sozialforschung, Bd. 3), München 1965.

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anderen Kriminalsendungen nur selten erreicht. Stahlnetz gilt daher als einer der »Straßenfeger« seiner Zeit, also der späten 1950er und 1960er Jahre. Ansatzpunkt von Regisseur Jürgen Roland und Drehbuchautor Wolfgang Menge war es, die ihnen vorliegenden Polizeiakten möglichst authentisch für den Fernsehbildschirm aufzubereiten. Dabei mussten Sie natürlich Konzessionen an das Publikum machen. (Klein-)Kriminalität, die den zwischenmenschlichen Alltag sehr viel eher tangiert als Mord oder Totschlag, erschien zu marginal. Leichen waren (und sind) eben für den Krimi ein unerlässlicher Bestandteil.4 Mit einer authentisch anmutenden Fallschilderung verband sich für Fernsehmacher wie Zuschauer5 ein zweiter Aspekt, die überzeugende Darstellung polizeilicher Arbeit. Im Gegensatz zum englischsprachigen Krimi stand im Stahlnetz kein genialer Einzelermittler im Mittelpunkt der Handlung, sondern ein kriminalpolizeiliches Ermittlerteam. Dieses fiktive Team basierte in seinem Aufbau auf den Strukturen der realen Kriminalpolizei und verkörperte auf diese Weise authentisch die Staatsmacht. Jürgen Roland wollte sein Stahlnetz, den ersten in Reihe produzierten deutschen Fernsehkrimi, eben bewusst vom Klischee des Sherlock Holmes absetzen.6 Und wenn man dem Artikel der Hamburger Morgenpost Glauben schenken darf und der gewalttätige Ehemann tatsächlich vom Ausgang der Folge auf dem Revier erfuhr, ist anzunehmen, dass auch Teile der Polizei zum Zuschauerkreis der Reihe Stahlnetz zählten. Die genannten Anliegen verfolgten jedoch nicht nur Jürgen Roland, Wolfgang Menge und der NDR, sondern auch der Deutsche Fernsehfunk der DDR (DFF), das dortige Ministerium des Innern, Drehbuchautor Günter Prodöhl und wechselnde Regisseure. Seit 1958 planten sie eine ganz ähnlich gelagerte Kriminalsendung, die das Vorbild Stahlnetz unter sozialistischen Vorzeichen zu überflügeln suchte. Dem ab 1959 live ausgestrahlten Blaulicht lag ebenfalls der Anspruch zugrunde, Fälle aus den Akten der DDR-Ermittlungsbehörden zu rekonstruieren und dabei die Arbeit der Kriminalpolizei in den Vordergrund zu stellen. Anders als das Stahlnetz, das mit stetig wechselndem Personal aufwartete, versuchte das Blaulicht, mit einem unveränderten »Ermittlerkollektiv«, bestehend aus drei Volkspolizisten, zu überzeugen. Mehr noch versuchten sich die DDR-Fernsehmacher bewusst von der »Lei4

Jürgen Roland befand sich gerade in diesem Punkt in einem wohl unlösbaren Dilemma. Ein Krimi ohne Leiche sage dem Zuschauer weniger zu; er hingegen ziehe die »menschlichen Konflikte, die Kriminalität auslösen« vor, wie er dem Filmjournalisten Peter Kniewel in einem Interview gestand. In: Kniewel, Peter: Ohne Leichen geht es nicht. Jürgen Roland dreht neues »Stahlnetz«, in: [unleserlich; vermutlich HörZu] (1966), H. 22, S. 4, in: DIF – Nachlass Jürgen Roland.

5

Hier und im Folgenden beziehen sich die generischen Maskulina selbstverständlich sowohl auf Männer als auch auf Frauen.

6

Roland, Jürgen: Das Fernsehen: dein Freund und Helfer, in: Deutsche Polizei (1959), S. 50.

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chenflut« westdeutscher Kriminalfilme abzusetzen und anderen, weniger affektgeladenen Verbrechen den Vorzug zu geben. Sie legten ein besonderes Augenmerk auf Betrügereien und Diebstähle. Trotz oder gerade wegen der propagandistischen Färbung – etwa die Darstellung der Bundesrepublik mit ihrem negativen, zerstörerischen Einfluss –, wurde die Reihe Blaulicht, sofern man den Äußerungen des Deutschen Fernsehfunks glauben darf, von den ostdeutschen Zuschauern mit großer Zustimmung angenommen. Unter Berücksichtigung der Möglichkeiten zum Empfang des Westfernsehens in der DDR ist allerdings auch davon auszugehen, dass der ein oder andere Zuschauer ebenfalls die Reihe Stahlnetz einschaltete.7 Obwohl solch spektakuläre Schlagzeilen, wie der oben aufgeführte Ehestreit, für die (Rezeptions-)Geschichte des Blaulicht nicht überliefert sind, so entschieden sich zumindest einige Bürger der DDR zum Kauf eines teuren Fernsehgerätes, explizit um die Reihe Blaulicht sehen zu können. Umso enttäuschter gab sich ein Käufer, als, kurz nach dem Erwerb des neuen Empfängers, das Blaulicht in eine längere Sendepause ging. »Warum kommt diese beliebte Sendung [Blaulicht, N. H.] nicht mehr? Wir haben uns extra deshalb einen FS-Apparat gekauft und nun ist Sense!«, schrieb der empörte Neu-Zuschauer im Mai 1965 an den Deutschen Fernsehfunk.8 Drei Jahre später wurde die Reihe nahezu zeitgleich mit dem westlichen Pendant endgültig eingestellt. Das Ende beider Reihen lag jedoch weniger im mangelnden Zuschauerinteresse begründet, als vielmehr in den vielfältigen neuen Projekten der jeweiligen Drehbuchautoren und Regisseure.9 Das Unterhaltungsbedürfnis der vielen Zuschauer nach einem langen Arbeitstag zu stillen, war jedoch nur ein Ziel der beiden Reihen Stahlnetz und Blaulicht. Gleichzeitig, so die Grundthese dieser Arbeit, wollten die Macher der Reihen den Zuschauer über die Arbeit der Kriminalpolizei aufklären und gegenüber Unrecht und Verbrechen zu mehr Sensibilität und Wachsamkeit – besonders im »sozialistischen« Blaulicht – erziehen. Dies war nur möglich, weil beide Reihen nicht nur als fiktive und damit in ihrer Aussagekraft begrenzte Erzählungen, sondern als Verweissysteme in die gesellschaftliche Realität des einzelnen Zuschauers zu verstehen sind.

7

Zum Westempfang siehe aus zeitgenössischer Perspektive: Heil, Karolus Heinz: Fernsehempfang in der SBZ. Empfangsmöglichkeiten, Zuschauerverhalten, Beurteilung, München 1961. Zur Forschung vgl. u. a.: Hochmuth, Hanno: Feindbild und Leitbild. Westfernsehen in der DDR, in: Aust, Martin/Schönpflug, Daniel (Hg.): Vom Gegner lernen. Feindschaften und Kulturtransfers im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. 2007, S. 271–293.

8 9

o. A.: Der Fernsehzuschauer, Mai 1965, S. 35, in: DRA. Vgl. hierzu die von der Autorin geführten Zeitzeugeninterviews mit Wolfgang Menge, Hans-Joachim Hildebrandt und Manfred Mosblech.

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Trotz ihrer Bedeutung für die frühe Fernsehgeschichte hat die bisherige Forschung beide Kriminalreihen lediglich als Vorgeschichte der bis heute erfolgreichen Reihen Tatort und Polizeiruf 110 gesehen. Weder die inhaltliche und ästhetische Gestaltung noch die impliziten zeitgeschichtlichen Themenkomplexe, die deutschdeutsche Beziehungsgeschichte sowie kulturgeschichtliche Fragen nach der Darstellung von gesellschaftlichen Normen und Werten sowie Emotionen wurden bisher genauer an diesem Fernsehmaterial untersucht. Doch nicht nur diese Quelle im Besonderen, die Quelle (Fernseh-)Film im Allgemeinen wird in der Geschichtswissenschaft häufig nur zur Illustration der Kultur-, Normen-, Alltags- und Gesellschaftsgeschichte verwendet.10 Und das, obwohl audiovisuelle Medien das Leben 10 Studien im deutschsprachigen Raum, die historische Fragestellungen mit der Illustration und/oder Analyse von Filmsujets bzw. Dialogen verbinden vgl. u. a.: Westermann, Bärbel: Nationale Identität im Spielfilm der fünfziger Jahre, Frankfurt a. M. 1990; Schettler, Holger: Arbeiter und Angestellte im Film. Die Darstellung der sozialen Lage von Arbeitern und Angestellten im deutschen Spielfilm 1918–1939, Bielefeld 1992; Greffrath, Bettina: Gesellschaftsbilder der Nachkriegszeit. Deutsche Spielfilme 1945–1949, Pfaffenweiler 1995; Gröschl, Jutta: Die Deutschlandpolitik der vier Großmächte in der Berichterstattung der deutschen Wochenschauen 1945–1949. Ein Beitrag zur Diskussion um den Film als historische Quelle, Berlin 1997; Kannapin, Detlef: Dialektik der Bilder. Der Nationalsozialismus im deutschen Film. Ein Ost-West-Vergleich, Berlin 2005. Seit einigen Jahren interessieren sich Historiker für die Auswirkungen der Medienentwicklung auf die Gesellschaft und die Herausbildung »partizipatorischer und demokratischer Strukturen« (Bösch). Kritisch wäre anzumerken, dass die audiovisuellen Medien dabei noch immer unterrepräsentiert sind. Vgl. u. a.: Beutelschmidt, Thomas: Sozialistische Audiovisonen. Zur Geschichte der Medienkultur in der DDR, Potsdam 1995; Knoch, Habbo/Morat, Daniel (Hg.): Kommunikation als Beobachtung. Medienwandel und Gesellschaftsbilder 1880–1960, München 2003; Crivellari, Fabio/Kirchmann, Kay/Sandl, Marcus/Schlögl, Rudolf (Hg.): Die Medien der Geschichte. Historizität und Medialität in interdisziplinärer Perspektive, Konstanz 2004; Bösch, Frank/Borutta, Manuel (Hg.): Die Massen bewegen. Medien und Emotionen in der Moderne, Frankfurt a. M. 2006; Bösch, Frank/Frei, Norbert (Hg.): Medialisierung und Demokratie im 20. Jahrhundert, Göttingen 2006; Hodenberg, Christina von: Konsens und Krise. Eine Geschichte der westdeutschen Medienöffentlichkeit 1945–1973, Göttingen 2006; Lindenberger, Thomas (Hg.): Massenmedien im Kalten Krieg. Akteure, Bilder, Resonanzen, Köln/Weimar/Wien 2006; Daniel, Ute/ Schildt, Axel (Hg.): Massenmedien im Europa des 20. Jahrhunderts, Köln 2010; Classen, Christoph: Politik als Unterhaltung. Zur Medialisierung von Politik in populären Filmen und Fernsehserien, in: Arnold, Klaus/Classen, Christoph/Kinnebrock, Susanne/et al. (Hg.): Von der Politisierung der Medien zur Medialisierung des Politischen? Zum Verhältnis von Medien, Öffentlichkeit und Politik im 20. Jahrhundert, Leipzig 2010, S. 287–304. Gleichzeitig ist das Verdienst Gerhard Pauls hervorzuheben, das

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der Menschen seit der Wende zum 20. Jahrhundert in besonderem Maße prägen. In dieser Arbeit wird die den Film auszeichnende Vielschichtigkeit – bestehend aus Ton-, Bild- und Montageebene – nun zum Ausgangspunkt der Analyse gemacht. Die hierfür nötige, jedoch bis dato nicht vorliegende methodologisch reflektierte »Historische Filmanalyse« wird die Grundlage der Quellenanalyse und Interpretation bilden.

1.1 D ER K RIMINAL -(F ERNSEH -)F ILM Beide Kriminalreihen gehörten also zu den erfolgreichsten Fernsehkriminalsendungen ihrer Zeit. Lediglich Mehrteiler wie die vom NDR/WDR produzierte Francis Durbridge-Reihe (1959–1988) und Einzelproduktionen beider Länder erbrachten ähnliche Erfolge in diesem Genre. Doch gerade weil die Zuschauerzahlen der Reihen aus heutiger Sicht unvorstellbar hoch erscheinen, müssen sie in Relation zu äußeren Faktoren gesetzt werden. Das zeitgenössische Fernsehen war in beiden Staaten der 1950er Jahre auf lediglich einen Kanal begrenzt: das Programm der Arbeitsgemeinschaft öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten in Deutschland (ARD) bzw. des Deutschen Fernsehfunks (DFF). Entsprechend eingeschränkt war die Auswahl der abendlichen Fernsehgestaltung. Eine mögliche Alternative stellte allenfalls das Programm des anderen Staates dar, sofern dieses empfangbar war. Ab 1963 konnten der bundesdeutsche (und DDR-)Bürger zumindest auf das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) ausweichen, im Osten dauerte es noch bis 1969, bis DDR-II auf Sendung ging. Die eingeschränkte Programmauswahl wurde durch die Verbreitungszahlen des Mediums verschärft. Das Fernsehen erreichte seinen massenmedialen Status, also eine Million angemeldete Geräte, in der Bundesrepublik erst 1957, die DDR folgte drei Jahre später.11 Somit umgab das Fernsehen vor allem in der Anfangszeit beider Reihen noch häufig der Nimbus des Exotischen.12 Gesevisuelle 20. Jahrhundert greifbarer zu machen: Paul, Gerhard: Das Jahrhundert der Bilder. 1900–1949, Bd. 1, Göttingen 2009; Paul, Gerhard: Das Jahrhundert der Bilder. 1949 bis heute, Bd. 2, Göttingen 2008. Siehe auch Pauls Bemühungen zur Einführung einer »Visual History«: Paul, Gerhard (Hg.): Visual history. Ein Studienbuch, Göttingen 2006. Zur Problematik des Zugangs zu Fernsehquellen für die Forschung vgl. jüngst: Classen, Christoph/Großmann, Thomas/Kramp, Leif: Zeitgeschichte ohne Bild und Ton? Probleme der Rundfunk-Überlieferung und die Initiative »Audiovisuelles Erbe«, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 8 (2011), H. 1, S. 130–140. 11 Vgl. hierzu: Hickethier, Knut/Hoff, Peter: Geschichte des deutschen Fernsehens, Stuttgart 1998. 12 Die Einschaltquoten der beiden Reihen verdeutlichen, wie notwendig es ist, mediale Produkte in ihren institutionellen und zeitgenössischen Kontext einzubinden. Das Kapitel

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hen wurde meist, was auf Sendung ging, sofern es das eigene Freizeitbudget13 zuließ. Zählten Stahlnetz und Blaulicht zwar zum festen Bestandteil des zeitgenössischen Fernsehens, wurde die Hinwendung des Zuschauers zu Kriminalfilmen nicht erst mit deren Ursendungen vollzogen. Die Beliebtheit des Kriminalgenres reichte in Deutschland sehr viel weiter zurück. So wurden Kriminalromane oder -geschichten bereits seit dem 18. Jahrhundert narrativ verdichtet und publiziert.14 Das Aufkommen der Massenpresse seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts15 förderte zusätzlich deren Verbreitungsgrad. Groschenhefte, Zeitschriften, Zeitungen und Romane veröffentlichten die gruselig-mysteriösen Rätselgeschichten in großer Auflage. Auch der sich in der Weimarer Republik zum neuen Massenmedium entwickelnde Hörfunk16 sowie das Kino17 nahmen das Kriminalsujet auf und fanden eigene Adaptionen. Nach dessen Institutionalisierung in der Nachkriegszeit nahm »Das Fenster zur Welt« wird daher auch die soziale Praxis des Fernsehens genauer in den Blick nehmen. 13 Siehe hierzu u. a.: Schildt, Axel: Moderne Zeiten. Freizeit, Massenmedien und »Zeitgeist« in der Bundesrepublik der 50er Jahre, Hamburg 1995, S. 85–86 und Frese, Matthias: »Samstags gehört Vati mir«. Arbeit und Freizeit von Frauen und Männern in der gewerkschaftlichen Diskussion der frühen Bundesrepublik Deutschland, 1949–1965, in: Westfälische Forschungen 45 (1995), S. 73–101. Für die DDR siehe u. a.: Schütterle, Juliane: Kumpel, Kader und Genossen: Arbeiten und Leben im Uranbergbau der DDR. Die Wismut AG, Paderborn 2010, S. 90. 14 Eine (literatur-)wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Kriminalität, Recht und Strafe in narrativen, massenmedialen Darstellungen findet sich u. a. in den Sammelbänden: Schönert, Jörg (Hg.): Literatur und Kriminalität. Die gesellschaftliche Erfahrung von Verbrechen und Strafverfolgung als Gegenstand des Erzählens. Deutschland, England und Frankreich 1850–1880, Tübingen 1983; Schönert, Jörg (Hg.): Erzählte Kriminalität. Zur Typologie und Funktion von narrativen Darstellungen in Strafrechtspflege, Publizistik und Literatur zwischen 1770 und 1920, Tübingen 1991 sowie Linder, Joachim/Ort, Claus-Michael (Hg.): Verbrechen – Justiz – Medien. Konstellationen in Deutschland von 1900 bis zur Gegenwart, Tübingen 1999. 15 Vgl. dazu als Überblick: Faulstich, Werner: Medienwandel im Industrie- und Massenzeitalter (1830–1900), Göttingen 2004 und Requate, Jörg: Kommerzialisierung der Presse im frühen 20. Jahrhundert. Konsumierendes und fragmentiertes Publikum, in: Zimmermann, Clemens (Hg.): Politischer Journalismus, Öffentlichkeit und Medien im 19. und 20. Jahrhundert, Ostfildern 2006, S. 121–137. 16 Zum Kriminalgenre im Hörfunk vgl. u. a.: Meyer, Andreas: Kriminalhörspiele 1924– 1994. Eine Dokumentation, Potsdam 1998. 17 Zum Genre des Kriminalfilms vgl. u. a.: Hickethier, Knut (Hg.): Kriminalfilm, Stuttgart 2005.

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sich auch das Fernsehen des Genres an und entwickelte neue Gestaltungsformen, die im zweiten Kapitel nähere Beachtung finden. Hier werden auch die beiden Kriminalreihen Stahlnetz und Blaulicht sowie ihre geistigen Väter und Regisseure ausführlich vorgestellt. Die Verbreitung des Kriminalgenres über einen jahrhundertelangen Zeitraum und sein Niederschlag in verschiedenen (Massen-)Medien lässt die Vermutung zu, dass der Krimi einen besonderen Reiz auf den Leser, Hörer oder Zuschauer ausübt. Ist es die Spannung, die sich bei der Suche nach dem Täter aufbaut, die Sensationsund Rätsellust oder die Faszination der menschlichen Abgründe? Was führt den Zuschauer immer wieder zu Geschichten, die lediglich zwei grundlegende Variationen kennen: die Suche nach dem Täter oder nach seinen Motiven? Bertolt Brecht, der sich wie zahlreiche Intellektuelle des 20. Jahrhunderts als Krimiliebhaber bezeichnete, sah die Attraktivität des Krimis vor allem in der intellektuellen Denkaufgabe begründet, »die der Kriminalroman dem Detektiv und dem Leser stellt.«18 Zugleich seien es die Unstimmigkeiten in der Geschichte und die »Kausalität« der Geschehnisse, die in der Wirklichkeit wohl selten derart gehäuft auftreten. Doch nicht nur die Geschehnisse, auch die »menschlichen Handlungen« erscheinen im Kriminalroman als kausal. Sie zu »fixieren, ist die hauptsächlichste intellektuelle Vergnügung, die uns der Kriminalroman bietet.« Die literatur- und medienwissenschaftliche Forschung beschreibt zwei abstrakte Merkmale, die den Krimi prägen und auch heute noch populär machen: der Widerstreit von Gut und Böse und die authentische Darstellung.19 Darüber hinaus ist die Vermittlung von Normen und Werten als Merkmal zu ergänzen. Der Widerstreit von Gut und Böse, als erste und wichtigste Eigenschaft des Krimis, geht auf eine narrative Grundkonstante zurück, die bereits im Genre des Märchens zu finden ist.20 Im Märchen wie im Krimi siegt meist das Gute über das Böse. Der schlechte Charakter im Märchen wird wie der schuldige Verbrecher im Krimi durch die guten Eigenschaften des Helden bzw. des guten Kriminalisten überführt. Bleibt das Ende offen oder diffus, wird also der Täter nicht überführt oder ist der Polizist in seinem Verhalten ambivalent, bleibt auch beim Zuschauer ein unwohles, unbefriedigtes Gefühl zurück. Denn in der Logik des Genres bringt jede Tat zwar die im Krimi konstruierte, normative Ordnung durcheinander, der tüchtige Ermittler stellt sie aber innerhalb von 30, 60 oder 90 Minuten wieder her. 18 Hier und im Folgenden: Brecht, Bertolt: Über die Popularität des Kriminalromans (1938/43), in: Vogt, Jochen (Hg.): Der Kriminalroman. Poetik, Theorie, Geschichte, München 1998, S. 33–37, Zitat S. 35–36. 19 Für die ersten beiden Eigenschaften des Krimis siehe Viehoff, Reinhold: Der Krimi im Fernsehen. Überlegungen zur Genre- und Programmgeschichte, in: Vogt, Jochen (Hg.): MedienMorde. Krimis intermedial, München 2004, S. 89–110. 20 Ebd., S. 93.

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Mit der Tat und der sich anschließenden Ermittlung und Fahndung baut sich die den Krimi kennzeichnende Spannung auf. Sie ist zum einen in der Inszenierung und dem Plot begründet, zum anderen in der lustvoll-schaurigen Bewusstwerdung des Zuschauers, dass auch er zum Opfer des beschriebenen Verbrechens werden könnte.21 Umso wichtiger erscheinen die erfolgreiche Aufklärung und die Wiederherstellung der Ordnung – als eine Art Rückversicherung des Zuschauers, der sich nach Ende des Krimis wieder sicher fühlen kann. Die überzeugende Strukturierung der Krimiwelt ist gebunden an die zweite Eigenschaft des Krimis: die absolute Realitätsnähe, die Authentizität. Ein (deutscher) Krimi22 funktioniert, wenn die Handlung vom Zuschauer als halbwegs realistisch wahrgenommen wird und es zu einer Relativierung des Unterschieds zwischen Realität und Fiktion kommt. Hiermit eröffnet sich ein sprachlich schwierig zu differenzierendes Feld zwischen Alltagswirklichkeit/»realer Realität« (Luhmann) und der inszenierten Alltagswirklichkeit/»fiktionaler Realität« (Luhmann). Stahlnetz und Blaulicht verfolgten ein Konzept, das darauf rekurrierte, reale und fiktive Realität einander anzunähern.23 Luhmann bemerkt zu diesem Problem in seiner Studie »Realität der Massenmedien«, dass auch eine fiktive Geschichte nicht ausschließlich fiktiv sein darf: »Der Leser/Zuschauer muß in die Lage versetzt werden, sehr schnell ein zur Erzählung passendes, auf sie zugeschnittenes Gedächtnis zu bilden; und das kann er nur, wenn ihm in den Bildern oder Texten genügend ihm bekannte 21 Kluge, Alexander/Reitz, Edgar/Reinke, Wilfried: Wort und Film (1965), in: Eder, Klaus/ Kluge, Alexander (Hg.): Ulmer Dramaturgien 1980, S. 9–27, hier S. 16. Auch wenn die Rezeption des Einzelnen historisch nicht rekonstruierbar ist, können zumindest eingeschränkt Aussagen zum Rezeptionskontext und zu jeweiligen Zuschauerschichten (Alter, Bildung, Geschlecht, Kulturkreis) gemacht werden. Vgl. hierzu u. a.: Klingler, Walter/ Altenhein, Hans (Hg.): Medienrezeption seit 1945. Forschungsbilanz und Forschungsperspektiven, Baden-Baden 21999; Meyen, Michael: Mediennutzung. Mediaforschung, Medienfunktionen, Nutzungsmuster, Konstanz 2001 und Bartsch, Anne/Eder, Jens/Fahlenbrach, Kathrin (Hg.): Audiovisuelle Emotionen. Emotionsdarstellung und Emotionsvermittlung durch audiovisuelle Medienangebote, Köln 2007. Ob der Zuschauer im Falle des Krimis eine mögliche Viktimisierung annimmt, ist also von mehreren Faktoren und nicht zuletzt von der logischen Gestaltung des Plots abhängig. 22 Es bestehen deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen »Kriminationen«. Während in britischen oder amerikanischen Fällen der konstruierte Charakter merklich hervortritt, präferieren deutsche Autoren einen stärkeren Realitätsanspruch. 23 Einschränkend muss festgestellt werden, dass die Integration »realistischer Entitäten« und die Herstellung eines Zusammenhangs zwischen fiktiver und realer Wirklichkeit nicht unbedingt auf den Krimi begrenzt, sondern ein generelles Charakteristikum fiktionaler Texte ist. Vgl. hierzu: Brück, Ingrid: Alles klar, Herr Kommissar? Aus der Geschichte des Fernsehkrimis in ARD und ZDF, Bonn 2003, S. 24.

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Details mitgeliefert werden.« Der Rezipient erkenne zwar, so Luhmann, den Unterschied zwischen realer und inszenierter Realität, deute jedoch einzelne Handlungen seiner eigenen Lebenssituation entsprechend.24 Es ist daher davon auszugehen, dass die Zuschauer, die Stahlnetz und Blaulicht jahrelang die Treue hielten, das Authentizitätskonzept annahmen. Gleichzeitig ist festzuhalten, dass beide Krimireihen, wie jedes audiovisuelle Medium, in ihrer Gesamtgestalt von den Vorstellungen verschiedener Personen wie beispielsweise dem Regisseur, Drehbuchautor, Dramaturgen, Cutter oder den Schauspielern abhängig waren. Unter diesen vielfältigen Einflüssen kann der Film somit nur einen Ausschnitt der Alltagswirklichkeit einfangen bzw. eine Wirklichkeitskonstruktion anbieten. Lediglich der Teil, den die Kameralinse auch erfasst, ist für den Zuschauer wahrnehmbar. Hinzu kommt, dass Schnitte von einer Einstellung in die andere sowie Einstellungsgrößen die Bedeutung verändern und Zusammenhänge gezielt herstellen können. Zudem bedingt die szenische Umsetzung einer fiktiven (wie auch dokumentarischen) Geschichte Abstraktion, die zu Vereinfachungen von Sachverhalten und zum Rückgriff auf bekannte Stereotype25 führt. Die hier angedeuteten Mechanismen von Vereinfachungen, Medienlogiken und Stereotypisierungen werden im Folgenden an den beiden Kriminalreihen Stahlnetz und Blaulicht aufgedeckt. Realitätsnähe und Authentizität führen zu einer dritten, für die Fragestellung dieser Untersuchung grundlegenden Eigenschaft des Krimis: die Darstellung und 24 Luhmann, Niklas: Die Realität der Massenmedien, Wiesbaden 32004, S. 101–103. Luhmann nimmt damit wiederum auf den Soziologen Stuart Hall Bezug: »The different areas of social life appear to be mapped out into discoursive domains, hierarchically organized into dominant oder preferred meanings [Vorzugslesart, N. H.]. […] When the viewer takes the connoted meaning from, say a television newscast a current affairs programme full and straight, and decodes the message in terms of the reference code in which it hast been encoded, we might say that the viewer is operating insinde the dominant code«. In: Hall, Stuart: Encoding/decoding, in: Ders. (Hg.): Culture, media, language. Working papers in cultural studies, 1972–1979, London 2004, S. 128–138, Zitat S. 134 und 136. Wirklichkeit soll hier im pragmatischen Sinne Berger/Luckmanns begriffen werden: »Die Wirklichkeit der Alltagswelt [also die reale Realität, N. H.] wird als Wirklichkeit hingenommen. Über ihre einfache Präsenz hinaus bedarf sie keiner zusätzlichen Verifizierung. Sie ist einfach da – als selbstverständliche, zwingende Faktizität«. In: Berger, Peter L./Luckmann, Thomas: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt a. M. 212007, S. 26. 25 »Stereotypisierungen sind Wirklichkeitskonstruktionen, die der Komplexitätsreduktion dienen und Identität vermittels der Konstruktion von Alterität stabilisieren.« In: Ahbe, Thomas: Der Kleinbürger als Froschkönig. Kleinbürgerstereotype im Offizialdiskurs der DDR, in: Gries, Rainer/Satjukow, Silke (Hg.): Unsere Feinde. Konstruktionen des Anderen im Sozialismus, Leipzig 2004, S. 179–196, Zitat S. 181.

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Vermittlung von Normen26 und Werten sowie normabweichendem Verhalten (Devianz) und dem staatlichen Einschreiten gegen dieses Verhalten. Werte sollen hier nach Andreas Rödder als »allgemeine und grundlegende Orientierungsrichtlinien, die für das Denken, Reden und Handeln der Menschen auf individueller und kollektiver Ebene als verbindlich akzeptiert, dabei explizit artikuliert oder implizit angenommen werden«27 verstanden werden. Von den verschiedenen gesellschaftlichen und individuellen Werten steht vor allem die »Sicherheit« im Mittelpunkt des Krimis. Normen und Werte als moralische Handlungsleitlinien werden zumeist von bestimmten Teilen der Gesellschaft, selten ihrer Gesamtheit hervorgebracht, aber auch diskutiert, verändert und marginalisiert. Sie geben den einzelnen Gesellschaftsmitgliedern einen Leitfaden für den Umgang miteinander, aber auch in Bezug auf den Umgang mit Gütern. Jede Gesellschaft und ihre Institutionen wie Bildungseinrichtungen, Politik, Kirche, Familie, Rechtsprechung, Militär, Medien o. Ä. definieren ihre eigenen Normen und Tugenden bzw. verändern die tradierten Werte entsprechend ihrem Zeitgeist, so der Soziologe Johannes Stehr. Den Massenmedien kam (und kommt) dabei eine wichtige Aushandlungs- und Verbreitungsfunktion für Normen und Werte zu.28 Allerdings ist dabei nicht von einem einfachen Reiz-Reaktion-Schema29 auszugehen, sondern, wie bereits in Zusammenhang

26 Der Begriff der Norm wird hier gleichermaßen als Rechtsnorm verstanden, d. h. als schriftlich festgehaltener Gesetzestext, der durch die Exekutivgewalt des Staates Anwendung findet, wie auch als soziale Norm. Letzterer bezieht sich auf Handlungsvorschriften des sozialen Verhaltens, die »nicht gelten [können], ohne dass allgemeine verbindliche Typisierungen von Handlungen und Situationen als geltend anerkannt und durchgesetzt werden«. In: Popitz, Heinrich: Soziale Normen, Frankfurt a. M. 2006, S. 65. Soziale Normen werden nicht unbedingt schriftlich festgehalten, sondern lassen sich häufig nur an der Reaktion des Gegenüber ablesen. In: ebd., S. 71. Für eine Analyse des Krimis sind die Definitionen so genannter Sanktionsnormen interessant, da sie festlegen, was das einzelne Gesellschaftsmitglied »tun darf oder soll«. In: ebd., S. 111. 27 Rödder, Andreas: Werte und Wertewandel. Historisch-politische Perspektiven, in: Rödder, Andreas/Elz, Wolfgang (Hg.): Alte Werte – neue Werte. Schlaglichter des Wertewandels, Göttingen 2008, S. 9–25, Zitat S. 12. 28 Stehr, Johannes: Sagenhafter Alltag. Über die private Aneignung herrschender Moral, Frankfurt a. M./New York 1998, S. 24–26. 29 Das klassische, mittlerweile aber überholte Reiz-Reaktions-Schema (stimulus-response) unterstellt eine direkte Analogie zwischen dem Stimulus und der Wirkung; Medieninhalte oder Propaganda beispielsweise wirken – so die Annahme – entsprechend 1:1 auf den Rezipienten ein und werden von ihm angenommen. Vgl. hierzu u. a.: Merten, Klaus: Wirkungen von Kommunikation, in: Merten, Klaus/Schmidt, Siegfried J./Weischenberg,

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mit Realität und Fiktion im Film beschrieben, von einer »eigensinnigen« Annahme des einzelnen Individuums.30 Doch unabhängig davon, welche Teile des Medieninhaltes tatsächlich in die Perzeption eingehen, bleibt eine historische Wirkungsanalyse aufgrund fehlenden Quellenmaterials und der individuellen Rezeptionsleistung unvollständig. Vielmehr müssen daher die Absichten der Medienmacher, wie beispielweise Drehbuchautoren und Regisseuren der Kriminalreihen, analysiert werden, die sich in den Produkten unwillkürlich widerspiegeln. So hebt der Kriminalfilm in besonderer Weise Normen und Werte hervor, die von der Gesellschaft akzeptiert, aber auch von den Medienmachern wiederum selbst interpretiert werden. Ganz allgemein werden »Handlungen [im Kriminalfilm, N. H.] danach bewertet, ob eine Norm verletzt ist oder nicht, sie isoliert Personen als verantwortlich, die moralisch degradiert, stigmatisiert, zur Rechenschaft gezogen und sanktioniert werden können.«31 Um den Zuschauer des Kriminalfilms von dieser »punitiven Moral« (Stehr) und allgemeinen Handlungsleitsätzen gleichermaßen zu überzeugen und um ihn im Anschluss an den Film, wenn nicht zur Übernahme, so wenigstens doch zum Nachdenken über die dort gezeigten Normen und Werte anzuregen, ist es nötig, positive Figuren zu schaffen, die diese Normen und Werte vertreten. Schöpft der Zuschauer Vertrauen zu dieser Figur – im Krimi ist es in der Regel der Kommissar – fällt ihm auch die Annahme der vorgegebenen (punitiven) Moral leichter, so die hier vertretene Annahme. Der hier beschriebene Zeitraum zwischen 1958/59 und 1968 hielt in beiden deutschen Staaten grundlegende politik-, sozial- und kulturhistorische Veränderungen bereit, die nicht immer so offensichtlich wie der Bau der Mauer 1961 hervortraten, sich auf lange Sicht aber durchaus stark bemerkbar machten.32 Die Rede ist von einem umfassenden Mentalitätenwandel in einer Phase der »Fundamentalliberalisierung« (Habermas) der Bundesrepublik, die Ende der 1950er Jahre einsetzte und sich bis in die 1980er Jahre anhielt. Waren die 1950er Jahre noch von einem scheinbaren Widerspruch einer »Modernisierung im Wiederaufbau« (Schildt/

Siegfried (Hg.): Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft, Opladen 1994, S. 291–328. 30 Vgl. u. a.: Schulz, Winfried (Hg.): Medienwirkungen. Einflüsse von Presse, Radio und Fernsehen auf Individuum und Gesellschaft, Weinheim 1992 sowie Jäckel, Michael: Medienwirkungen. Ein Studienbuch zur Einführung, Wiesbaden 22002. Zur eigensinnigen Medienrezeption vgl. u. a.: S. Hall: Encoding/decoding, in: Hall, Stuart (Hg.): Culture, media, language, S. 128–138. 31 J. Stehr: Sagenhafter Alltag, S. 26–27. 32 Als allgemeinen Überblick vgl. das streitbare Werk: Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1949–1990, Bonn 2009.

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Sywottek)33 geprägt, also der Gleichzeitigkeit von modernen und antimodernen Tendenzen vor allem im Bereich »gesellschaftlicher Normen der Familie, Erziehung und privaten Lebensführung«,34 begannen am Ende des Jahrzehnts »Dynamische Zeiten« (Schildt/Siegfried).35 Diese ließen sich, wie der umfassende gleichnamige Sammelband zeigt, in allen Lebensbereichen nachvollziehen, so dass hier nur auf die für diese Studie relevanten hinzuweisen ist: Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit,36 Liberalisierung,37 Demokratisierung,38 Veränderungen der Geschlechterbeziehungen,39 generationelle Beziehungen,40 Westernisie33 Kleßmann, Christoph: Ein stolzes Schiff und krächzende Möwen. Die Geschichte der Bundesrepublik und ihrer Kritiker, in: Geschichte und Gesellschaft 11 (1985), S. 476– 494; Schildt, Axel/Sywottek, Arnold (Hg.): Modernisierung im Wiederaufbau. Die westdeutsche Gesellschaft der 50er Jahre, Bonn 1998; A. Schildt: Moderne Zeiten. 34 Herbert, Ulrich: Liberalisierung als Lernprozeß. Die Bundesrepublik in der deutschen Geschichte – eine Skizze, in: Ders. (Hg.): Wandlungsprozesse in Westdeutschland. Belastung, Integration, Liberalisierung 1945–1980, Göttingen 2003, S. 7–49, Zitat S. 25. 35 Vgl. u. a.: Schildt, Axel/Siegfried, Detlef (Hg.): Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre in den beiden deutschen Gesellschaften, Hamburg 2000; Herbert, Ulrich (Hg.): Wandlungsprozesse in Westdeutschland; Frese, Matthias/Paulus, Julia/Teppe, Karl (Hg.): Demokratisierung und gesellschaftlicher Aufbruch. Die sechziger Jahre als Wendezeit der Bundesrepublik, Paderborn 22005. 36 Vgl. u. a.: Siegfried, Detlef: Zwischen Aufarbeitung und Schlußstrich. Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in den beiden deutschen Staaten 1958–1969, in: A. Schildt/D. Siegfried (Hg.): Dynamische Zeiten, S. 77–113 sowie Gassert, Philipp/Steinweis, Alan E. (Hg.): Coping with the Nazi past. West German debates on Nazism and generational conflict, 1955–1975, New York 2006. 37 U. Herbert: Liberalisierung als Lernprozeß, in: Ders. (Hg.): Wandlungsprozesse in Westdeutschland, S. 7–49. 38 Vgl. u. a. Nolte, Paul: Die Ordnung der deutschen Gesellschaft. Selbstentwurf und Selbstbeschreibung im 20. Jahrhundert, München 2000; Jarausch, Konrad H: Die Umkehr. Deutsche Wandlungen 1945–1995, München 2004; Wolfrum, Edgar: Die geglückte Demokratie. Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart 2006. 39 Vgl. u. a.: Ruhl, Klaus-Jörg: Verordnete Unterordnung. Berufstätige Frauen zwischen Wirtschaftswachstum und konservativer Ideologie in der Nachkriegszeit (1945–1963), München 1994; Budde, Gunilla-Friederike: Frauen arbeiten. Weibliche Erwerbstätigkeit in Ost- und Westdeutschland nach 1945, Göttingen 1997; Oertzen, Christine von: Teilzeitarbeit und die Lust am Zuverdienen. Geschlechterpolitik und gesellschaftlicher Wandel in Westdeutschland 1948–1969 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 132), Göttingen 1999; Meyer-Lenz, Johanna (Hg.): Die Ordnung des Paares ist unbehaglich. Irritationen am und im Geschlechterdiskurs nach 1945, Münster 2000; Aufsätze von Pau-

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rung/Amerikanisierung41 und die bereits angeführte Medialisierung der Gesellschaft. Für die DDR lassen sich ähnliche Schlagworte im Hinblick auf Veränderungsprozesse anführen, allerdings unter anderen Vorzeichen und in zeitlich versetzten Phasen. Während sich in der Bundesrepublik ein kontinuierlicher Prozess abzeichnete, war die Entwicklung in der DDR durch den jeweiligen Kurs der SED bestimmt.42 Das zweite deutsche Nachkriegsjahrzehnt war dabei von zwei wesentlichen Ereignissen geprägt: dem Bau der Mauer und dem 11. Plenum des ZK der SED. Nach Schließung der innerdeutschen Grenze stellte sich eine liberale Phase ein, in der der »Aufbau des Sozialismus« abgeschlossen und gleichzeitig eine lus und von Oertzen in M. Frese/J. Paulus/K. Teppe (Hg.): Demokratisierung und gesellschaftlicher Aufbruch; Gerhard, Ute: 50 Jahre Gleichberechtigung – eine Springprozession, in: APuZ (2008), H. 24–25, S. 3–10; Silies, Eva-Maria: Liebe, Lust und Last. Die Pille als weibliche Generationserfahrung in der Bundesrepublik 1960–1980, Göttingen 2010. 40 Reulecke, Jürgen (Hg.): Generationalität und Lebensgeschichte im 20. Jahrhundert, München 2003; Weisbrod, Bernd: Cultures of Change. Generations in the Politics and Memory of Modern Germany, in: Lovell, Stephen (Hg.): Generations in twentiethcentury Europe, Basingstoke 2007, S. 19–35. Eng verbunden mit dem Generationenbegriff in den 1960er Jahren ist die sich entwickelnde Jugendkultur, hierzu vgl. stellvertretend: Siegfried, Detlef: Time is on my side. Konsum und Politik in der westdeutschen Jugendkultur der 60er Jahre, Göttingen 2006. 41 Vgl. u. a.: Lüdtke, Alf/Marßolek, Inge/Saldern, Adelheid von (Hg.): Amerikanisierung. Traum und Alptraum im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 1996; Jarausch, Konrad/Siegrist, Hannes (Hg.): Amerikanisierung und Sowjetisierung in Deutschland 1945–1970, Frankfurt a. M. 1997; Doering-Manteuffel, Anselm: Wie westlich sind die Deutschen? Amerikanisierung und Westernisierung im 20. Jahrhundert, Göttingen 1999; Stephan, Alexander (Hg.): Americanization and anti-Americanism. The German encounter with American culture after 1945, New York 2005 sowie Koch, Lars (Hg.): Modernisierung als Amerikanisierung? Entwicklungslinien der westdeutschen Kultur 1945–1960, Bielefeld 2007. 42 Zur DDR-Herrschaftsgeschichte vgl. u. a.: Meuschel, Sigrid: Legitimation und Parteiherrschaft. Zum Paradox von Stabilität und Revolution in der DDR 1945–1989, Frankfurt a. M. 1992; Bessel, Richard/Jessen, Ralph (Hg.): Die Grenzen der Diktatur. Staat und Gesellschaft in der DDR, Göttingen 1996; Timmermann, Heiner: Die DDR – Politik und Ideologie als Instrument, Berlin 1999; Mählert, Ulrich: Kleine Geschichte der DDR, München 42004; Sabrow, Martin: Macht und Herrschaft, in: Schultz, Helga/Wagener, Hans-Jürgen (Hg.): Die DDR im Rückblick. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur, Berlin 2007, S. 28–48; Fulbrook, Mary: Ein ganz normales Leben. Alltag und Gesellschaft in der DDR, Darmstadt 2008.

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(künstlerische) Auseinandersetzung mit diesem vorangetrieben werden sollte.43 Vor allem auf kultureller Ebene führte die von der SED zugestandene Freiheit zu mitunter regime-, aber auch selbstkritischen Auseinandersetzungen.44 Diese Phase der Liberalisierung endete in einem »kulturellen Kahlschlag« auf der als Wirtschaftsplenum angekündigten Sitzung des ZK im Dezember 1965.45 Es folgte für viele Kulturschaffende eine Phase der Desillusionierung. Neben diesen für die DDR einschneidenden Ereignissen prägten vor allem die Öffnungen und Veränderungen in den Generationen-46 und Geschlechterbeziehungen47 den Alltag. 43 Das »Neue Ökonomische System der Planung und Leitung« sollte den Aufbau in wirtschaftlicher Hinsicht unterstützten. Vgl. hierzu: Steiner, André: Von Plan zu Plan. Eine Wirtschaftsgeschichte der DDR, Bonn 2007, S. 130ff. Eng mit dem intellektuellen Aufbau des Sozialismus war der Bitterfelder Weg verbunden. Er sollte die so genannten Kulturschaffenden, also Schriftsteller, bildende Künstler, Filmemacher näher an das Leben der Werktätigen rücken und umgekehrt. Vgl. hierzu u. a.: Rüther, Günther: »Greif zur Feder, Kumpel«. Schriftsteller, Literatur und Politik in der DDR 1949–1990, Düsseldorf 2

1992; Barck, Simone/Wahl, Stefanie (Hg.): Bitterfelder Nachlese. Ein Kulturpalast, sei-

ne Konferenzen und Wirkungen, Berlin 2007. 44 Sie manifestierte sich in allen künstlerischen Bereichen; stellvertretend seien hier der Roman »Rummelplatz« von Werner Bräuning und die DEFA-Filme »Spur der Steine«, »Karla« und »Das Kaninchen bin ich« genannt. 45 Agde, Günter (Hg.): Kahlschlag. Das 11. Plenum des ZK der SED 1965. Studien und Dokumente, Berlin 1991. 46 Niethammer, Lutz/Plato, Alexander von/Wierling, Dorothee: Die volkseigene Erfahrung. Eine Archäologie des Lebens in der Industrieprovinz der DDR. 30 biographische Eröffnungen, Berlin 1991; Wierling, Dorothee: Die Jugend als innerer Feind. Konflikte in der Erziehungsdiktatur der sechziger Jahre, in: Kaelble, Hartmut/Kocka, Jürgen/Zwahr, Hartmut (Hg.): Sozialgeschichte der DDR, Stuttgart 1994, S. 404–425; Wierling, Dorothee: Erzieher und Erzogene. Zu Generationenprofilen in der DDR der 60er Jahre, in: A. Schildt /D. Siegfried (Hg.): Dynamische Zeiten, S. 624–641; Wierling, Dorothee: Geboren im Jahr Eins. Der Jahrgang 1949 in der DDR. Versuch einer Kollektivbiographie, Berlin 2002. 47 Vgl. u. a.: Merkel, Ina: Leitbilder und Lebensweisen von Frauen in der DDR, in: H. Kaelble/J. Kocka/H. Zwahr (Hg.): Sozialgeschichte der DDR, S. 359–381; Trappe, Heike: Emanzipation oder Zwang? Frauen in der DDR zwischen Beruf, Familie und Sozialpolitik, Berlin 1995; Schneider, Ute: Hausväteridylle oder sozialistische Utopie? Die Familie im Recht der DDR, Köln/Weimar/Wien 2004; Schwartz, Michael: Emanzipation zur sozialen Nützlichkeit. Bedingungen und Grenzen von Frauenpolitik in der DDR, in: Hoffmann, Dierk/Schwartz, Michael (Hg.): Sozialstaatlichkeit in der DDR. Sozialpolitische Entwicklungen im Spannungsfeld von Diktatur und Gesellschaft 1945/49–1989, München 2005, S. 47–87.

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1.2 H ISTORISCHE E RKENNTNISZIELE Ein Fernsehkrimi erfüllt seine Funktion für den Zuschauer und hält sein Authentizitätsversprechen, wenn dieser glaubt, der Mörder oder der Kommissar könnten auch der eigene Nachbar oder der Mensch von gegenüber sein, und wenn der leitende Kommissar überlegt und überlegen die Ordnung wiederherstellt. Aus historischem Erkenntnisinteresse und bezugnehmend auf die bereits ausgeführten konstituierenden Genremerkmale lassen sich eine Reihe von kulturgeschichtlich aufschlussreichen Thesen anhand der Krimireihen Stahlnetz und Blaulicht entwickeln. Diese berühren nicht nur die Inszenierung und Verhandlung von Staatlichkeit, Recht, Ordnung und Normen, sondern auch von Kriminalität, Andersartigkeit und Devianz sowie deren Auswirkungen auf die Gesellschaft. Darüber hinaus spielt auch die im Film dargestellte Gesellschaft selbst eine wichtige Rolle. Zum einen unterstreicht die filmische Bezugnahme auf reale gesellschaftliche Zustände oder Konflikte das Authentizitätsprinzip, zum anderen lassen sich anhand ihrer Darstellung gesellschaftliche Wunsch- und Kritikbilder der Fernsehmacher bzw. Krimischreiber ablesen. Zudem ist das Verhalten der fiktiven Gesellschaft gegenüber Ermittler und Verbrecher von Bedeutung: Sympathisiert sie, verhält sie sich neutral oder ablehnend? Doch obwohl der Bürger des Krimis exemplarisch für den Normen- und Wertehaushalt der Gesellschaft steht, wurde er von der medienwissenschaftlichen Forschung bisher nicht wahrgenommen; auch das Opfer und die Inszenierung der Handlungsräume wurden bisher wenig thematisiert. Um zeitgenössische Vorstellungen von Recht und Ordnung, Gut und Böse und den pädagogischen Ansatz in den Kriminalreihen Stahlnetz und Blaulicht nachvollziehen zu können, ist es allerdings notwendig, gerade diese Akteure in den Blick zu nehmen. Der Systemvergleich bietet eine weitere Analyseperspektive und so wird auch das jeweils »andere« Deutschland als handlungsrelevant begriffen und in entsprechender Weise untersucht. Im Folgenden wird nun jeder Akteur thesenartig wie inhaltlich umrissen, um einen Fragenkatalog für die nachstehende Untersuchung zu entwerfen; gleichzeitig entsprechen die Thesen den Gliederungspunkten der Kapitel drei bis acht: (1) Die Kriminalermittler sind die positiven Identifikationsfiguren für den Zuschauer, sie repräsentieren das Gute. Ihre dramaturgische Aufgabe ist es, zum einen zu belehren und zu moralisieren, zum anderen dem Bürger innerhalb der Handlung und dem Zuschauer vor dem Bildschirm ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen in das staatliche Exekutivorgan zu vermitteln. In der direkten Nachkriegszeit – viele der ehemaligen, belasteten NS-Polizisten setzten ihren Dienst unter alliiertem Kommando fort – herrschte Unbehagen in weiten Teilen der Bevölkerung vor allem gegenüber der polizeilichen Praxis der

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Schutzpolizisten. Diese Praxis bezog sich nicht nur auf die »paternalistisch-autoritäre Tradition des preußisch-deutschen Obrigkeitsstaates«,48 die über alle Regimewechsel hinweg Bestand hatte, sondern vor allem auf das konkrete Vorgehen gegen Schmuggler, Hehler, Hamsterer und Diebe. Mit Gründung der Bundesrepublik und der DDR sollte sich das Bild der Polizei wie bereits in der Weimarer Republik verbessern und der alte Leitsatz »Die Polizei – Dein Freund und Helfer« reaktiviert werden. Imagekampagnen, Ausstellungen und Bürgerarbeit waren wieder die Mittel der Wahl – nicht nur, um das Vertrauen in der Bevölkerung zu stärken. Sie sollten auch helfen, Nachwuchs zu rekrutieren, der nach dem Krieg aufgrund zahlreicher Verluste sowie der von den Alliierten betriebenen Entnazifizierungspolitik benötigt wurde. Den Massenmedien, also Presse, Hörfunk und später dem Fernsehen, kam im schwierigen Verhältnis zwischen Polizei und Bevölkerung eine Vermittlerrolle zu. Die Initiative ging keineswegs ausschließlich von der Polizei oder dem jeweiligen Innenministerium aus; auch so mancher Journalist legte eine gewisse Polizeinähe an den Tag.49 Insbesondere für die Reihe Stahlnetz ist diese Nähe nachvollziehbar, wie in Abschnitt 2.3 ausgeführt wird; das Blaulicht wiederum wurde von Beginn an inhaltlich stark vom Ministerium des Innern der DDR gelenkt. Das in beiden Ländern verfolgte Ziel war klar: Die Kriminalreihen sollten das Vertrauen in die »neuen« Staatsorgane hinsichtlich der Herstellung von Sicherheit und Ordnung aufbauen und vertiefen. Die positive Zeichnung des Polizisten als Held des Fernsehkrimis half dabei, eine Identifikationsbasis zwischen ihm und dem Zuschauer herzustellen und die von ihm vertretenen Normen und Werte als plausibel zu propagieren. Daraus ergab sich eine gewisse Zweiteilung der Person des Ermittlers: zum einen die offizielle Seite, die die Figur als Vertreter der staatlichen Exekutive respektvoll erscheinen lässt, zum anderen eine menschliche, persönliche Seite, die eine Identifikations- und Spiegelfläche für den Zuschauer bereithält. Vor diesem für beide Systeme ähnlichen dramaturgischen Ansatz ist zu fragen, wie die Ermittler als Figuren in den einzelnen Reihen gezeichnet wurden, welche systemischen Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten zwischen der Stahlnetz- und der Blaulicht-Polizei bestanden. (2) Der Täter ist die negative Identifikationsfigur für den Zuschauer, er repräsentiert das Böse. Eine plastische Schilderung des Täters ermöglichte zum einen, 48 Dierl, Florian: Die Ordnungspolizei, in: Ders./Hausleitner, Mariana/Hölzl, Martin/et al. (Hg.): Ordnung und Vernichtung. Die Polizei im NS-Staat, Dresden 2011, S. 32–41, Zitat S. 33. 49 Zur historischen Beziehung zwischen Journalismus und Polizeiarbeit siehe u. a.: Siemens, Daniel: Metropole und Verbrechen. Die Gerichtsreportage in Berlin, Paris und Chicago 1919–1933, Stuttgart 2007.

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das Unrecht zu definieren und für den Zuschauer greifbar zu machen, und zum anderen, ihn für Gefahren zu sensibilisieren. Verbrechen stehen nicht außerhalb der Gesellschaft, sondern sind ein Teil von ihr. Erst durch die Definition geltender Normen werden sie zu anormalen Handlungen gemacht. Ihre Sanktionierung und Verurteilung unterliegt dabei dem gleichen zeitlichen Wandel wie die Festlegung der Norm selbst. Grundsätzlich gilt, dass eine Normverletzung entweder gesetzlich, also formell durch staatliche Instanzen, bestraft und/oder informell sozial sanktioniert wird, z. B. durch Zurechtweisung. Die Bandbreite normabweichenden Verhaltens ist groß und kann von der Unhöflichkeit bis zum Mord reichen.50 Zur Ausbildung und Verfestigung des Normengefüges ist die Sozialisation des Einzelnen von entscheidender Bedeutung. Die soziologische und die kriminologische Forschung gab fehlgeleiteter bzw. gestörter Sozialisation lange Zeit eine Teilschuld an der Ausbildung abweichenden bis kriminellen Verhaltens.51 Der Entwicklung des Jugendlichen im Elternhaus und in der Schule galt daher ein besonderes Augenmerk. Parallel zum juristischen Umgang mit Normabweichungen und Verbrechen steht deren gesellschaftliche Aushandlung. Schwere Verbrechen wie Raub, Nötigung, Vergewaltigung, Kindesentführung, Totschlag oder Mord stoßen in aller Regel auf harsche Ablehnung in der Gesellschaft und münden in einer dauerhaften Stigmatisierung des Täters als Verbrecher.52 Dieses Stigma wird mit bestimmten Zuschreibungen und Stereotypen versehen und variiert nach Art des Verbrechens und Herkunft des Kriminellen. Auch die Medien nehmen diese Stereotypen in der faktischen Berichterstattung sowie in fiktiven Geschichten auf, bekräftigen, verändern oder verwerfen sie. Durch ihre kommunikative Wirkmächtigkeit im Alltag kommt ihnen daher eine besondere Rolle zu, den normativen Rahmen von Handlungen und die daraus folgende punitive Moralisierung zu beeinflussen. Mit Blick auf die hier zu untersuchenden Kriminalreihen ist zu fragen, welche Taten überhaupt vorgestellt und wie die Täter gezeichnet wurden. Gab es Unterschiede und 50 Bannenberg, Britta/Rössner, Dieter: Kriminalität in Deutschland, München 2005, S. 20. 51 Vgl. zeitgenössisch u. a.: Heinitz, Ernst: Im Blickpunkt der Kriminologie, in: Freie Universität Berlin (Hg.): Jugend in unserer Zeit. Eine Vortragsfolge der Freien Universität Berlin, München 1961, S. 53–73. Heinitz’ Position steht hier für beide Staaten. 52 Dem Soziologen Erving Goffman folgend, wird Stigma wie folgt verstanden: »… im Extrem handelt es sich um eine Person, die durch und durch schlecht ist oder gefährlich oder schwach. In unserer Vorstellung wird sie so von einer ganzen und gewöhnlichen Person zu einer befleckten, beeinträchtigen herabgemindert. Ein solches Attribut ist ein Stigma, besonders dann, wenn seine diskreditierende Wirkung sehr extensiv ist; manchmal wird es auch ein Fehler genannt, eine Unzulänglichkeit, ein Handikap«. In: Goffman, Erving: Stigma. Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität, Frankfurt a. M. 21

2010, S. 10–11.

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Präferenzen in Bezug auf Alter, Geschlecht und Herkunft? Welchen Stellenwert nahmen Sozialisation und Erziehung Jugendlicher ein? Wie war der generelle Umgang mit Kriminalität, besonders im sozialistischen Staat, dessen ideologisches Ziel die Überwindung der Kriminalität avisierte? Welche Grenzen des Sagbaren bestanden in Bezug auf Verbrechen und Täter? (3) Der Bürger ist eine Figur des positiven Lerneffekts. Seine Aufgabe ist es, den Zuschauer in einem Spiegeleffekt zur Aufmerksamkeit und Wachsamkeit sowie zur Zusammenarbeit mit dem »guten« Staat zu erziehen. Ob in der liberalen Grundordnung der Bundesrepublik oder dem diktatorischen System der DDR, auf das Engagement des Staatsbürgers war auf keinen Fall zu verzichten.53 Vielmehr war es zentraler Bestandteil aller verbrechenspräventiven Überlegungen. Bereits in der Weimarer Republik ging man davon aus, die Bevölkerung durch Aufklärung vor bestimmten Verbrechen wie Einbruch und Diebstahl schützen zu können.54 Auch Stahlnetz und Blaulicht nahmen im Zuge verbrechenspräventiver Überlegungen den Bürger als weiteren wichtigen Bestandteil der jeweiligen Handlung auf – im Vergleich zu anderen Fernsehkrimis durchaus keine Selbstverständlichkeit. Ob aus einer primär freiwilligen Intention heraus, wie im Falle des Stahlnetz, oder auf Anweisung des Ministeriums des Innern der DDR, der Bürger sollte innerhalb der fiktiven Handlung zu mehr Aufmerksamkeit gegenüber seiner Umwelt, insbesondere in Hinblick auf das Verbrechen, erzogen werden. Das DDR-Innenministerium verlangte sogar explizit eine »Erziehung zur Wachsamkeit« durch die DFF-Reihe Blaulicht.55 Dabei ist zu fragen, ob diese Wachsamkeit bereits als eine Vor- oder Teilform der in der DDR geförderten Praxis der Denunziation gelten kann. Die Inszenierung ist somit daraufhin zu untersuchen, ob der Bürger offen oder implizit zur Denunziation aufgerufen wurde oder eben nicht. Des Weiteren ist von Interesse, in welcher Weise der Appell zu Aufmerksamkeit und Wachsamkeit inszeniert wurde und welche systemischen Differenzen abzulesen sind. Welches Idealbild eines aufmerksamen bzw. wachsamen Bürgers wurde in beiden Reihen erschaffen? 53 Vgl. u. a.: Knoch, Habbo: Demokratie machen. Bürgerschaftliches Engagement in den 1960er und 1970er Jahren, in: Mecking, Sabine/Oebbecke, Janbernd (Hg.): Zwischen Effizienz und Legitimität. Kommunale Gebiets- und Funktionalreformen in der Bundesrepublik Deutschland in historischer und aktueller Perspektive, Paderborn 2009, S. 49– 62. 54 Wagner, Patrick: Volksgemeinschaft ohne Verbrecher. Konzeptionen und Praxis der Kriminalpolizei in der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus, Hamburg 1996, S. 107. 55 Sendereihe »Blaulicht« des Deutschen Fernsehfunks, 2. 3. 1960, in: BArch: DO 1/27689, S. 1.

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(4) Das Opfer ist eine Figur des negativen Lerneffekts. Seine Aufgabe ist es, den Zuschauer aus einer (vermeidbaren) Viktimisierung heraus ebenfalls zu mehr Aufmerksamkeit und Wachsamkeit zu erziehen. Opfer sind zentrale Figuren eines jeden Krimis. Sie gehören der grundlegenden Personen-Trias aus Initialverbrecher, Opfer und Ermittler an. Für den Krimi ist diese Personenkonstellation konstitutiv, in der Realität sucht die kriminologische Forschung die Viktimisierung immer wieder neu zu diskutieren und die Erkenntnisse zum Schutz vor Verbrechen auf den Prüfstand zu stellen.56 Denn die Gefahr, Opfer zu werden, ist im Zusammenhang mit bestimmen Verbrechensarten wie z. B. Diebstahl durchaus eingrenzbar, wenn der Bürger (ob im Krimi oder der Realität) sich präventiv verhält, also aufmerksam bzw. wachsam ist. Wenngleich die kriminologische Forschung das Opfer bereits seit Jahrzehnten für sich entdeckt hat, marginalisieren medienwissenschaftliche Untersuchungen von Krimis noch heute die Rolle des Opfers. Doch gerade dem Opfer kommt meines Erachtens eine wichtige Rolle im Vermittlungsakt von vermeintlich richtigen oder falschen Verhaltensweisen zu. Es ist daher zu fragen, welche Arten von Opfern dargestellt und welche Mitschuld ihnen an ihrem Opferstatus zugerechnet wurde. Darüber hinaus sind die Körper der Opfer und der filmische Umgang mit ihnen von Interesse angesichts der noch nicht lange zurückliegenden Gräuel des Zweiten Weltkrieges und des Holocaust.57 Wurden Opfer von Gewaltverbrechen (pietätvoll) gezeigt, wurden Unterschiede zwischen den Geschlechtern, dem Alter oder der sozialen oder regionalen Herkunft gemacht? (5) Kein Ort ist »unschuldig«, denn in allen Räumen können Verbrechen geschehen. Die Topografie des Verbrechens zeigt dem Zuschauer unsichere Orte, auch da, wo er sie nicht vermutet. Diese Erkenntnis soll ihn ebenfalls zu mehr Aufmerksamkeit und Wachsamkeit erziehen. Tatorte sind für den Normalbürger selten zugänglich, es sei denn, er steht in einer direkten Verbindung zu dem Verbrechen. Auch dem fiktiven Bürger des Krimis wird der Zugang normalerweise versperrt. Dem Zuschauer eröffnet sich der Tatort hingegen wie selbstverständlich. Gemäß der Genrekonvention folgt der Zuschauer jeder Bewegung des Ermittlers und so auch der Aufnahme der Spur am Tatort. 56 Vgl. u. a.: Kaiser, Günther/Jehle, Jörg-Martin: Verbrechensfurcht und Opferwerdung, Individualopfer und Verarbeitung von Opfererfahrungen (= Kriminologische Opferforschung 2), Heidelberg 1995; Baumann, Ulrich: Das Verbrechensopfer in Kriminalitätsdarstellungen der Presse. Eine empirische Untersuchung der Printmedien, Freiburg i. Br. 2000. 57 Vgl. u. a.: Goltermann, Svenja: Die Gesellschaft der Überlebenden. Deutsche Kriegsheimkehrer und ihre Gewalterfahrungen im Zweiten Weltkrieg, München 2009.

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Tatorte werden nicht nur zur Initialzündung der Ermittlung. Sie sind Teile des geografischen Raumes, also einer Stadt, eines Dorfes oder einer Landschaft.58 Als solche sind sie durch tradierte Geschichten oder Bilder präfiguriert oder werden durch Stereotype charakterisiert. So galt die Großstadt um das Fin de Siècle und bis weit in die Nachkriegszeit bei vielen Zeitgenossen als negativ besetzt.59 Mit ihr verbanden sich Vorstellungen eines Molochs, der Untaten und Verbrechen fördert. Vor allem die beengten und schlechten Lebensbedingungen in den Großstädten, die Vielfalt der Lebensweisen, aber auch der immer schneller werdende Rhythmus beunruhigten und faszinierten zugleich. Dem entgegen stand das Land, als Idyll und Lebensquell gepriesen. Verbrechen auf dem Lande schienen für die Literatur, den Film oder auch das Fernsehen nur ausnahmsweise möglich und erschütterten dann umso stärker die Dorfgemeinschaft.60 Auch die beiden Fernsehkriminalreihen Stahlnetz und Blaulicht mussten sich zwangsläufig mit dem lokalen Raum auseinandersetzen, denn er bot Kulisse und Handlungsraum zugleich. Es ist daher zu untersuchen, inwieweit bestehende Ressentiments gegen die Stadt und Huldigungen des Landes aufgenommen und womöglich zeitgeistig umgedeutet wurden. Ferner ist zu fragen, wie die einzelnen Tatorte inszeniert wurden und welche Aussagen sie über das Verbrechen und seine Zusammenhänge zuließen. Zugleich werden die damit verbundenen pädagogischen Einlassungen und systemischen Unterschiede zwischen Ost und West in Bezug auf die Bilder von Stadt und Land analysiert. (6) Der Krimi zeichnet eine asymmetrische Frontlinie im »Kalten Unterhaltungskrieg« nach und bewegt sich dabei zwischen demonstrativem Desinteresse und absoluter Aufmerksamkeit für den Systemgegner.

58 Vgl. hierzu u. a.: Griem, Julika/Scholz, Sebastian (Hg.): Tatort Stadt. Mediale Topographien eines Fernsehklassikers, Frankfurt a. M. 2010. 59 Reulecke hält fest, dass die Großstadtkritik sich aus der »rasanten Verstädterung« seit Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte; den Kritikern standen eben jene entgegen, die diese Entwicklungen als »Moderne bejubelten«. In: Reulecke, Jürgen: Die Stadt als Moloch? Zivilisations- und Großstadtkritik im frühen 20. Jahrhundert, in: Grebe, Katharina/ Schädler, Johannes (Hg.): Sorge und Gerechtigkeit – Werkleute im sozialen Feld … Festschrift zum 60. Geburtstag von Prof. Dr. Norbert Schwarte, Frankfurt a. M. 2004, S. 247–256, Zitat S. 249. 60 Filmisch lassen sich diese Ressentiments gegen die Stadt in ganz unterschiedlichen Genres wie Fritz Langs Meisterwerk »Metropolis« (1925/1926) und den Heimatfilmen der 1950er Jahre (z. B. »Grün ist die Heide«, 1951) nachvollziehen.

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In beiden politischen Systemen in Ost- und Westdeutschland gab es klare Verhaltensmuster im Umgang mit dem jeweils anderen Staat.61 Das sozialistische System war in fast allen Teilbereichen darauf bedacht, ein pejoratives Bild des ideologischen Gegners zu verbreiten, um sich selbst aufzuwerten. Die sozialistische Propaganda, die tief in alle gesellschaftlichen Bereiche hinein reichte,62 suchte den Westen nicht nur zu diskreditieren und zu bekämpfen, sie gab ihm auch in erheblichem Umfang die Schuld an der Kriminalität in der DDR.63 Die westliche Berichterstattung sah hingegen im Sozialismus/Kommunismus bzw. dem »Osten« eine stete Bedrohung, vor der es zu warnen galt,64 aber der man nicht unbedingt auf Unterhaltungsebene begegnen musste. Als beide Kriminalreihen 1958/1959 auf Sendung gingen, befand sich der Ost-West-Konflikt in einer Phase der stetigen Verhärtung und Aufrüstung. Erst Ende der 1960er Jahre, als beide Reihen ausliefen, wurde eine gewisse Entspannung in diesem Konflikt sowie zwischen beiden deutschen Staaten spürbar. Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, wie die jeweilige Reihe das andere Deutschland »ins Visier« nahm und mit welchen ideologischen Waffen sie den Kampf bestritt.65 Wie viel Raum wurde diesem Kampf gegeben, und wie reagierten die einzelnen Akteure (Kommissare, Verbrecher, Bürger) darauf? Reflektierten die Reihen die verschiedenen Phasen der politischen An- und Entspannung? Was im letzten Fragekomplex angedeutet wird, ist der gesamten vorliegenden Arbeit immanent: die Untersuchung ist Teil der Erforschung der »asymmetrisch 61 Vgl. u. a.: Gibas, Monika: »Bonner Ultras«, »Kriegstreiber und Schlotbarone«. Die Bundesrepublik als Feindbild der DDR in den fünfziger Jahren, in: R. Gries /S. Satjukow (Hg.): Unsere Feinde, S. 75–106. 62 Propaganda war in der DDR keineswegs ein negativ besetzter Begriff, der Terminus wurde vielmehr gleichgesetzt mit der Verbreitung der Theorie des Marxismus. Vgl. hierzu u. a. Diesener, Gerald/Gries, Rainer (Hg.): Propaganda in Deutschland. Zur Geschichte der politischen Massenbeeinflussung im 20. Jahrhundert, Darmstadt 1996; Gibas, Monika: Propaganda in der DDR, 1949–1989, Erfurt 2000; Matkowska, Ewa: Propaganda in der DDR. Aspekte, in: Kunicki, Wojciech (Hg.): Breslau und die Welt, Dresden 2009, S. 665–672. 63 Buchholz, Erich/Hartmann, Richard/Lekschas, John: Sozialistische Kriminologie. Versuch einer theoretischen Grundlegung, Berlin (O) 1966. 64 Vgl. hierzu u. a.: Löttel, Holger: Geschärfte Wahrnehmung. Angst als Perzeptionsfaktor in der Außenpolitik Konrad Adenauers, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 38 (2010), S. 79–97; Mergel, Thomas: Propaganda nach Hitler. Eine Kulturgeschichte des Wahlkampfs in der Bundesrepublik 1949–1990, Göttingen 2010. 65 Zur Feindbild-Stereotypen-Konstruktion des Ostens und Westens vgl.: R. Gries/S. Satjukow (Hg.): Unsere Feinde.

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verflochtenen Parallelgeschichte« (Christoph Kleßmann)66 der beiden deutschen Staaten. Im Anschluss an Kleßmann wird der Versuch unternommen, zugleich die Beziehungsgeschichte beider Staaten und ihre staatlichen Eigenheiten herauszuarbeiten, die mehr sind als eine »reine Dichotomie von freiheitlicher Demokratie und totalitärer Diktatur«.67 Die Einzelanalyse des jeweiligen Mediensystems und seiner Produkte Stahlnetz bzw. Blaulicht wird daher immer wieder in Beziehung zum jeweils anderen Deutschland gesetzt.68 Im Alltagsbereich beider Systeme fanden gemeinsame Dynamiken und Entwicklungen statt, die es anhand der Fernsehunterhaltungssendungen nachzuvollziehen gilt. Zugleich werden auch eklatante Unterschiede sichtbar, die sich nicht nur auf der Herrschafts- und Politikebene manifestierten, sondern auch in der individuellen Lebenswelt.69 Die diese Lebenswelten maßgeblich prägenden Massenmedien wurden in der DDR, wie in anderen Diktaturen auch, als Distributor von Agitation und Propaganda, »als politisches Kampfmittel und Hersteller sozialer und kultureller Wirklichkeit«70, als »schärfste Waffe der Partei«71 und ihrer sozialistischen Ideologie genutzt. Inwieweit diese in der DDR tatsächlich Wirkung zeigte, ist mit Blick auf die eigensinnige Perzeption von Medien im Allgemeinen schwierig zu beantworten. Offene Propaganda wurde, das war bereits aus der Zeit des Nationalsozialismus bekannt, eher abgelehnt. Als »wirksamer« im Sinne der Herrschenden erwiesen sich unterschwellige Überzeugungsparolen in Form von Unterhaltung.72 Umso wichtiger ist es, als Historiker populärkultu66 Kleßmann, Christoph: Konturen einer integrierten Nachkriegsgeschichte, in: APuZ (2005), H. 18–19, S. 3–11. Dieser Ansatz wird von Kleßmann bereits seit den 1990er Jahren verfolgt. Vgl. u. a.: Kleßmann, Christoph: Zwei Staaten, eine Nation. Deutsche Geschichte 1955–1970, Bonn 1991. 67 C. Kleßmann: Konturen einer integrierten Nachkriegsgeschichte, in: APuZ (2005), S. 3– 11, S. 10. 68 »Neben dem Vergleich mit der Bundesrepublik, der in der Tat wegen der Macht der exogenen Faktoren wenig erbringt und eher als eine Dialektik der wechselseitigen Bezogenheit und Beeinflussung gefaßt werden muß.« In: Niethammer, Lutz: Erfahrungen und Strukturen. Prolegomena zu einer Geschichte der Gesellschaft der DDR, in: H. Kaelble/J. Kocka/H. Zwahr (Hg.): Sozialgeschichte der DDR, S. 95–115, Zitat S. 98. 69 Zur Lebenswelt in der DDR vgl. u. a.: Badstübner, Evemarie (Hg.): Befremdlich anders. Leben in der DDR, Berlin 22000. 70 Lindenberger, Thomas: Einleitung, in: Ders. (Hg.): Massenmedien im Kalten Krieg. Akteure, Bilder, Resonanzen, Köln/Weimar/Wien 2006, S. 9–24, Zitat S. 11. 71 Holzweißig, Gunter: Die schärfste Waffe der Partei. Eine Mediengeschichte der DDR, Köln/Weimar/Wien 2002. Siehe auch: Zahlmann, Stefan (Hg.): Wie im Westen, nur anders. Medien in der DDR, Berlin 2010. 72 Vgl. u. a.: Marszolek, Inge: »Nur keine Öde«. Radio im Nationalsozialismus, in: Arnold, Klaus/Classen, Christoph/Kinnebrock, Susanne/et al. (Hg.): Von der Politisierung der

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relle Medienprodukte in den Blick zu nehmen und gesellschaftliche Zielvorstellungen und die damit verbundenen Normen, Werte und Leitbildern herauszuarbeiten. Der Historiker Thomas Lindenberger konstatiert hierzu: Als integraler Bestandteil der Kultur und Lebensweise in modernen Industriegesellschaften verknüpfen sie [die Massenmedien, N. H.] den Systemkonflikt mit den im Alltag bedeutsamen Weltsichten und Mentalitäten ihrer Nutzer. An den Fragen von Religion und Moral, der Beziehungen zwischen Geschlechtern und Generationen, des Verhältnisses von Eigennutz und Gemeinwohl und nicht zuletzt von Frieden und Freiheit ließ sich potenziell auch immer das Verhältnis zum »Anderen« des ideologischen Großkonflikts ablesen. Ohne die von Massenmedien in Umlauf gesetzten Worte, Töne und Bilder war gesellschaftliche Kommunikation und Orientierung über diese Fragen nicht möglich. Für die Untersuchung dieser lebensweltlichen Dimension über Massenmedien ist die Einbeziehung sozial- und alltagsgeschichtlicher Betrachtungsweisen unverzichtbar.73

Wenn auch der stark manipulatorisch-propagandistische Ansatz der DDR-Medien in der Forschung betont wird, schließt dies nicht aus, dass einzelne Journalisten, Redakteure, Regisseure und andere Akteure im Mediensystem im Rahmen des Möglichen auch »eigen-sinnig«74 Normen- und Wertebilder verbreiteten.75 Ein solcher Ansatz schließt die Untersuchung der »Herrschaft« der SED und ihrer »sozialen Praxis« in der Institution des Deutschen Fernsehfunks ein. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk der Bundesrepublik hatte sich mit seiner Errichtung dem Grundsatz verpflichtet, überparteiliche Information, Bildung und Medien zur Medialisierung des Politischen? Zum Verhältnis von Medien, Öffentlichkeit und Politik im 20. Jahrhundert, Leipzig 2010, S. 161–181. 73 T. Lindenberger: Einleitung, in: Lindenberger, Thomas (Hg.): Massenmedien im Kalten Krieg, S. 13. 74 Lüdtke, Alf: Einleitung. Herrschaft als soziale Praxis, in: Ders. (Hg.): Herrschaft als soziale Praxis. Historische und sozial-anthropologische Studien, Göttingen 1991, S. 9–51. »›Eigen-Sinn‹ kann in Widerstand gegen Vereinnahmungen und Aktivierungsversuche ›von oben‹ in den alltäglichen Beziehungen wie auch in der großen Politik münden. ›Eigen-Sinn‹ ist jedoch auch in der gezielten Nutzung und damit Reproduktion herrschaftskonformer Handlungsweisen zu beobachten, da diese für konkrete Individuen einen anderen – und sei es nur zusätzlichen – ›Sinn‹ beinhalten können als den der offiziellen Ideologie.« In: Lindenberger, Thomas: SED-Herrschaft als soziale Praxis, Herrschaft und »Eigen-Sinn«. Problemstellung und Begriffe, in: Gieseke, Jens (Hg.): Staatssicherheit und Gesellschaft. Studien zum Herrschaftsalltag in der DDR, Göttingen 2007, S. 23–47, Zitat S. 33. 75 Vgl. jüngst: Meyen, Michael/Fiedler, Anke (Hg.): Die Grenze im Kopf. Journalisten in der DDR, Berlin 2011.

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Unterhaltung zu liefern. Dennoch sind auch hier alle Medienakteure von ihrer Umwelt beeinflusst und geben eigen-sinnige Sichtweisen weiter. Gleichzeitig nahmen Politik und Kirchen über die Rundfunkräte Einfluss auf die Programmgestaltung;76 dieser erreichte im Ganzen jedoch nicht den Stellenwert staatlich gelenkter Massenmedien.

1.3 Q UELLEN

UND

F ORSCHUNGSSTAND

In der zehn Jahre langen Produktionszeit der Reihe Stahlnetz wurden zwischen 1958 und 1968 insgesamt 22 Folgen im Fernsehprogramm der ARD ausgestrahlt. Obwohl das Blaulicht erst eineinhalb Jahre später auf Sendung ging, wurden bis 1968 insgesamt 29 Folgen produziert. Aufgrund der schwierigen Überlieferungsbedingungen in den 1950er und 1960er Jahren, als das DDR-Fernsehen überwiegend mit Live-Technik arbeitete, sind nur 19 Folgen in Gänze oder zumindest in großen Teilen im Deutschen Rundfunk-Archiv Potsdam (DRA) erhalten.77 Das Stahlnetz wurde 2005 als DVD-Edition verlegt.78 Die Filme bilden die Hauptquellen der vorliegenden Untersuchung. Die Drehbücher der einzelnen Folgen79 – sofern über76 Konrad Dussel führt zu den Rundfunkräten des SDR und SWF aus: »Vor allem die Parteien begannen jedoch in den sechziger Jahren ihr Verhalten gegenüber ihren Rundfunkräten deutlich zu verändern. Nun sollte im ganz neuen Sinne Rundfunkpolitik betrieben werden: Die Rundfunkräte sollten nicht mehr Mittler zwischen Rundfunk und Gesellschaft sein, sondern Interessenvertreter der Partei in den Anstalten. Unabhängigkeit im Dienste der Interessen der Allgemeinheit war als Leitwert nicht mehr gefragt«. In: Dussel, Konrad: Die Interessen der Allgemeinheit vertreten. Die Tätigkeit der Rundfunk- und Verwaltungsräte von Südwestfunk und Süddeutschem Rundfunk 1949 bis 1969, BadenBaden 1995, S. 481. Auch der NWDR besaß einen starken Verwaltungsrat, der nicht nur über finanzielle Mittelverteilung entschied, sondern auch über Programmfragen. Siehe: Rüden, Peter von: Konflikte, Kämpfe, Kontroversen. Der NWDR unter deutscher Verantwortung, in: Rüden, Peter von/Wagner, Hans-Ulrich (Hg.): Die Geschichte des Nordwestdeutschen Rundfunks (1), Hamburg 2005, S. 87–130. 77 Vgl. hierzu: Fischer, Jörg-Uwe: Blaulicht. Fernseh-Krimireihe des Deutschen Fernsehfunks, 1959–1968 (= DRA-Spezial), Potsdam 2006. 78 Stahlnetz, 22 Folgen, Norddeutscher Rundfunk, Vertrieb durch Studio Hamburg Fernseh Allianz (FA) GmbH. 79 Zur Stahlnetz-Reihe liegen nur noch wenige Drehbücher und Materialien im Nachlass Wolfgang Menges in der Deutschen Kinemathek, Berlin, im Nachlass Jürgen Rolands im Deutschen Filminstitut, Frankfurt a. M. sowie im Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg vor. Die Drehbücher der Blaulicht-Reihe sind nahezu vollständig im DRA erhalten.

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liefert – wurden nur ergänzend hinzugezogen. Ein systematischer Abgleich zwischen schriftlichem und filmischen Text erfolgt nicht, da in erster Linie das Produkt, das den Zuschauer erreichte, von Interesse ist. Die Ausstrahlung von Fernsehsendungen wird häufig von Printmedien durch Vorankündigungen und/oder Besprechungen begleitet. Dies galt für beide deutsche Staaten, wenngleich darauf zu verweisen ist, dass die Berichterstattung in der DDR generell von den Vorgaben der Partei und Zensur geprägt war. Obwohl Kritiker zumeist einen anderen Blickwinkel auf Kino- oder Fernsehfilme haben – sie sehen die Filme nicht aus einem eskapistischen Unterhaltungsbedürfnis heraus, sondern bemühen sich, ihre Meinung als nüchterne, professionelle Urteile dazustellen –, können ihre Rezensionen ein Indikator für die Beliebtheit der fernsehfilmischen Inszenierung, der Wirkung der verhandelten Themen, deren Schauspieler etc. sein. Aus diesem Grund wurden für diese Studie über 400 Einzelrezensionen zu beiden Reihen ausgewertet. Hinzu kommen mehrere Hundert Artikel über die Regisseure, Drehbuchautoren und Schauspieler von Stahlnetz und Blaulicht.80 Um den professionellen Seheindruck mit der Einstellung des »normalen« Fernsehpublikums zu kontrastieren, wurde auf veröffentlichte und unveröffentlichte Statements von Zuschauern in Fernsehzeitungen oder Zuschauerpost an die Sender zurückgegriffen.81 Ein weiteres Mittel, die direkte Meinung der Zuschauer zu erfahren, bietet die demoskopische Umfrage. Der NDR beauftragte die Münchener Firma Infratest, nach jeder Sendung telefonische Umfragen durchzuführen, Spontanzitate zu sammeln und eine Indexierung für die jeweilige Sendung anzufertigen.82 Auch der DFF erkannte frühzeitig, wie wichtig Sofortumfragen, aber auch allgemeine Befragungen waren. Für die Reihe Blaulicht liegt allerdings nur eine über einen längeren Zeitraum angelegte und auf allgemeine Fragen abzielende Umfrage vor.83 80 Dabei konnte auf Presseausschnittsammlungen in der NDR-Pressedokumentation, im DRA Potsdam sowie im Menge-Nachlass und Roland-Nachlass zurückgegriffen werden. 81 Für ein Stimmungsbild des DDR-Publikums wurde der als Zeitschrift herausgegebene »Fernsehzuschauer« genutzt, den die Abteilung Außenverbindung des DFF zusammengestellt hatte, als noch keine eigene Zuschauerabteilung existierte. Eine vergleichbare Sammlung liegt für das Stahlnetz nicht vor; Zuschauerpost an die Stahlnetz-Redaktion ist nicht überliefert. 82 Vorliegend im Menge-Nachlass sowie der NDR-Pressedokumentation. 83 Zwar können demoskopische Umfragen in Diktaturen für die historische Forschung genutzt, doch sollte der Aussagewert stets kritisch geprüft werden. Hatte der Befragte die Möglichkeit, seine Meinung frei zu äußern oder wurde er unter Druck gesetzt? Hat er mit dem Wissen um Repression die eigene Meinung verschwiegen und seine Aussagen bereits vorzensiert – das Phänomen der »Schere im Kopf«? Auch in liberalen Systemen können derartige Umfragen manipuliert werden, aber der interne Nutzen der Manipulation scheint gering, wird die Umfrage doch der Optimierung des Produkts wegen unter-

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Für die Produktionsgeschichte der Reihen, vom Sammeln der Idee bis zur Abfassung des Drehbuches, ist eine weitere Quelle relevant. Das Stahlnetz beruft sich in nahezu jeder Folge explizit auf die Nutzung polizeilicher Unterlagen und suggeriert so, der inszenierte Fall habe sich tatsächlich ereignet. Im Folgenden soll die Inszenierung nicht in jedem Detail abgeglichen werden, jedoch ist von Interesse, welche Veränderungen der Drehbuchautor Wolfgang Menge vorgenommen hat. Die polizeilichen Unterlagen werden daher, soweit vorhanden, in die Analyse einbezogen.84 Für das Blaulicht ist derartiges Quellenmaterial nicht überliefert, die Sendereihe betonte die Bearbeitung von realen Fällen ohnehin weniger explizit als das Stahlnetz. Dennoch ist dieser Zusammenhang durchaus herzustellen. Ein Schwerpunkt beider Produktionen war die Zusammenarbeit mit der Polizei bzw. dem Ministerium des Innern der DDR. Im Falle von Jürgen Rolands Stahlnetz wurde die Unterstützung, wie noch auszuführen ist, mal formeller, wenn Uniformen für den Dreh benötigt wurden, mal informeller geregelt, wenn Hilfestellungen erbeten waren. Polizeiakten, die die Unterstützung dokumentieren würden, sind nicht vorhanden. Dennoch konnten im Staatsarchiv Hamburg allgemeine Akten der Hamburger Behörde für Inneres, der Polizeibehörden I und II, der staatlichen Pressestelle sowie einzelne Akten des Norddeutschen Rundfunks und in der Pressedokumentation des NDR der Briefwechsel Rolands mit verschiedenen Kriminalräten eingesehen werden. Die Unterstützungen des Ministeriums des Innern und der Volkspolizei für den Deutschen Fernsehfunk und die Reihe Blaulicht sind hingegen belegt.85 Auch die Akten des Fernsehfunks geben über den Produktionskontext der Reihe sowie allgemeine Entwicklung des DFF in wichtigen innenpolitischen Phasen Auskunft.86 Vergleichbare Akten zur Produktion des Stahlnetz sind weder beim NDR87 noch im Hamburger Staatsarchiv vorhanden. Die Nachlässe von Wolfgang Menge und Jürgen Roland enthalten ebenfalls keine konzeptionellen Schriftstücke. Um diese Lücken zu füllen, wurde daher ein leitfadengestütztes Zeitzeugeninter-

nommen. In Umfragen, die nach außen hin präsentiert werden, sollte ein kritischer Blick jedoch immer den Aussagegehalt prüfen. 84 Im Nachlass von Wolfgang Menge sind hierzu einige Akten archiviert. 85 Vgl. hierzu den Bestand DO 1 im BArch. 86 Vgl. hierzu den Bestand DC 04, DR 6, DR 8 sowie DY 30/IV 2/9.02 und DY 30/IV A2/9.02 im BArch. Des Weiteren wurden Akten des BStU zu den Fernsehmachern der Reihe Blaulicht eingesehen. 87 Der Aktenbestand der NDR ist nur partiell erschlossen, im Gegensatz zu den Archiven anderer öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten. Sollten weitere Bestände zur Frühgeschichte des Fernsehens zugänglich gemacht werden, wären diese auf konzeptionelle Akten zur Reihe Stahlnetz zu prüfen.

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view88 mit Wolfgang Menge geführt. Da Jürgen Roland bereits im Jahr 2003 verstorben ist, wurde auf ein von Burkhard Vorländer geführtes Interview mit dem Regisseur zurückgegriffen.89 Gleichermaßen wurden die Blaulicht-Regisseure Hans-Joachim Hildebrandt und Manfred Mosblech sowie ein ehemaliger, leitender Dramaturg des DFF, Hans Müncheberg, von der Verfasserin interviewt. Letzterer hatte nach der Wende 1989/90 die Bestände einer seit den frühen 1980er Jahren bestehenden Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung der Geschichte des DFF an sich genommen und ein privates Archiv geschaffen, das ebenfalls einige Materialen über die Reihe Blaulicht bereithält.90 Um die Argumentation der beiden Reihen im Hinblick auf die vorgeschlagenen Forschungsfragen herausarbeiten zu können, ist, neben der Kenntnis interner Abläufe in der Produktion sowie den beiden Sendeanstalten91 auch eine Einbezie88 Die Interviews wurden nicht als lebensgeschichtliche Interviews nach den Methoden der Oral History geführt. Die Zeitzeugen und ehemaligen Fernsehmacher wurden vielmehr als Experten verstanden, die halfen, die damaligen Produktionszusammenhänge zu erhellen. Vgl. u. a.: (Hg.): Oral history. Mündlich erfragte Geschichte, Göttingen 1990; Ritchie, Donald A: Doing oral history. A practical guide, Oxford 22003; Wierling, Dorothee: Oral History, in: Maurer, Michael (Hg.): Neue Themen und Methoden der Geschichtswissenschaft, Stuttgart 2003, S. 81–151 und Abrams, Lynn: Oral history theory, London 2010. 89 Im Rahmen seiner Magisterarbeit über das Stahlnetz als »Anfänge des Serienkrimis im Deutschen Fernsehen« hatte Vorländer Roland leitfragengestützt interviewt. Teile des Gesprächs sind in der unveröffentlichten Magisterarbeit transkribiert, der Autorin standen zudem die Aufnahmebänder zur Verfügung. Vorländer, Burkhard: »Stahlnetz«. Die Anfänge des Serienkrimis im Deutschen Fernsehen, Magisterarbeit, Hamburg 1992. 90 Im Folgenden gekennzeichnet mit Archiv Müncheberg. 91 Zur Institutionengeschichte des NWDR/NWRV/NDR vgl. u. a.: Köhler, Wolfram (Hg.): Der NDR. Zwischen Programm und Politik. Beiträge zu seiner Geschichte, Hannover 1991; Hickethier, Knut (Hg.): Institution, Technik und Programm. Rahmenaspekte der Programmgeschichte des Fernsehens (= Geschichte des Fernsehens in der Bundesrepublik Deutschland 1), Paderborn 1993; P. v. Rüden, H.-U. Wagner (Hg.): Die Geschichte des Nordwestdeutschen Rundfunks (1); Wagner, Hans-Ulrich (Hg.): Die Geschichte des Nordwestdeutschen Rundfunks (2), Hamburg 2008; Zur Geschichte des DFF liegt bislang keine systematische Monografie vor. Wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Werke, die sich u. a. der Institution widmen, vgl.: Hoff, Peter: Organisation und Programmentwicklung des DDR-Fernsehens, in: K. Hickethier: Institution, Technik und Programm, S. 245–288; Müncheberg, Hans: Blaues Wunder aus Adlershof. Der Deutsche Fernsehfunk. Erlebtes und Gesammeltes, Berlin 2000; Steinmetz, Rüdiger/Viehoff, Reinhold: Deutsches Fernsehen Ost. Eine Programmgeschichte des DDR-Fernsehens, Berlin 2008.

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hung zeitgenössischer Diskurse der 1960er Jahren wichtig. Wie verhandelte eine polizeinahe Öffentlichkeit und die kriminologische Forschung Verbrechen und ihre Genese? Wie reagierte die Gesellschaft auf Verbrechen, wie ging sie eine gute Dekade nach Kriegsende damit um? Wie wurde der Bevölkerung die Arbeit der Polizei konkret nahegebracht? Fachwissenschaftliche, also kriminologische und soziologische Schriften sowie Ratgeberliteratur und die printmediale Auseinandersetzung mit diesen Themen werden ergänzend und kontrastiv zur Interpretation der Quellen hinzugezogen.92 Eine geschichtswissenschaftliche Untersuchung der beiden Kriminalreihen Stahlnetz und Blaulicht berührt, neben den bereits in Abschnitt 1.1 genannten alltags-, kultur- und gesellschaftlichen Perspektiven, eine ganze Reihe von Forschungsfeldern verschiedener Disziplinen, deren Erkenntnisse es in der Analyse zusammenzuführen gilt. Allen voran steht die literatur- und medienwissenschaftliche Forschung zum Thema Fernsehkriminalfilm und -reihe, im Besonderen zu Stahlnetz und Blaulicht. Die literarische, wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Literatur über das Genre Krimi sowie einzelne Genreprodukte ist mittlerweile unüberschaubar. Engt man den Blick auf den Fernsehkrimi selbst und auf den nationalen Rahmen Bundesrepublik (und DDR) ein, wird ersichtlich, dass die Beschäftigung mit dem Fernsehkrimi in den 1990er Jahren in den Medienwissenschaften einen Auftrieb erlebt hat.93 1995 wurde an der Martin-Luther-Universität in Halle ein DFG-Projekt mit dem Schwerpunkt »Krimi im Fernsehen« eingerichtet. In der Folge erschienen Aufsätze u. a. in der Fachzeitschrift Siegener Periodicum zur internationalen empirischen Literaturwissenschaft (SPIEL)94 sowie Ein92 Hierzu wurden eine Reihe von Fachzeitschriften und populäre Zeitschriften ausgewertet: die produktionsrelevanten Jahrgänge der »Deutschen Polizei. Gewerkschaftszeitung der deutschen Polizei«, die »Schriftenreihe des Bundeskriminalamtes«, »Forum Kriminalistik«, »Die Volkspolizei« und die »Schriftenreihe der Deutschen Volkspolizei«; »Der Stern«, »Der Spiegel« und »HörZu«. 93 Bereits 1992 erschienen zwei Dissertationen, die sich vor allem der Reihe Tatort ideologiekritisch (Thomas Weber) und unter dem Aspekt von Authentizität und Fiktion (Ludwig Bauer) annahmen. Siehe: Weber, Thomas: Die unterhaltsame Aufklärung. Ideologiekritische Interpretation von Kriminalfernsehserien des westdeutschen Fernsehens, Bielefeld 1992 und Bauer, Ludwig: Authentizität, Mimesis, Fiktion. Fernsehunterhaltung und Integration von Realität am Beispiel des Kriminalsujets, München 1992. 94 Hier sei u. a. verwiesen auf: Viehoff, Reinhold/Brück, Ingrid/Menn, Andrea: Medien – Gattung – Krimi im Fernsehen. Eine Einleitung, in: SPIEL 13 (1994), H. 2, S. 165–172; Guder, Andrea: Der Krimi im Fernsehen der DDR. Ein gattungs- und programmgeschichtlicher Überblick, in: SPIEL 15 (1996), H. 2, S. 342–346; Brück, Ingrid/Guder, Andrea/Viehoff, Reinhold/et al.: Krimigeschichte(n). Zur Entwicklung des deutschen Fernsehkrimis, in: Klingler, Walter/Roters, Gunnar/Zöllner, Oliver (Hg.): Fernsehfor-

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zelpublikationen,95 auf die im Zusammenhang mit den hier verhandelten Krimireihen noch näher eingegangen wird. Einen guten Überblick über die »Programm- und Produktionsgeschichte von den Anfängen bis heute« gibt der Abschlussband des Projektes.96 Er nimmt beide deutschen Staaten in den Blick, bettet das Medium Fernsehen kurz in den historischen Kontext des jeweiligen Mediensystems ein und stellt dann publikumswirksame Reihen aus mehr als 50 Jahren Genregeschichte vor. Allerdings werden die Fernsehgeschichten beider deutscher Staaten in der Regel nicht miteinander verbunden, sondern stehen als eigenständige Themenblöcke nebeneinander.97 Ähnliches gilt auch für die grundlegenden Schriften von Knut Hickethier98 und Peter Hoff99 zu diesem Thema. Weniger an einem Überblick oder an einer Erkundung des Genres interessiert, als vielmehr an konkreten einzelnen Reihen orientiert, sind die Studien der jüngeren und jüngsten Zeit. Der niederländische Medienwissenschaftler Tom Zwaenepoel veröffentlichte 2004 seine Dissertation zur ZDF-Reihe Derrick, in der er einen weiten Bogen zurück in die literarischen Anfänge des Genres spannt.100 Einen mediensemiotischen Ansatz verfolgt die neueste Publikation zur schung in Deutschland. Themen – Akteure – Methoden, Baden-Baden 1998, S. 401–417; Brück, Ingrid: Verbrechensdarstellung im deutschen »Fernsehkrimi«. Anmerkungen zur aktuellen Situation, in: J. Linder /C.-M. Ort (Hg.): Verbrechen – Justiz – Medien, S. 489– 502. 95 Guder, Andrea: Genosse Hauptmann auf Verbrecherjagd. Der Krimi in Film und Fernsehen der DDR, Bonn 2003 und I. Brück: Alles klar, Herr Kommissar? 96 Brück, Ingrid/Guder, Andrea/Viehoff, Reinhold/et al.: Der deutsche Fernsehkrimi. Eine Programm- und Produktionsgeschichte von den Anfängen bis heute, Stuttgart/Weimar 2003. 97 Ähnliches gilt für den 1995 von einigen Mitarbeiterinnen des Projektes veröffentlichten Aufsatz: Brück, Ingrid/Guder, Andrea/Wehn, Karin: Bevor »Kommissar Fuchs« den »Genossen Schimanski« traf. Der Sozialistische Kriminalfernsehfilm im gesamdeutschen Kontext, in: SPIEL 14 (1995), H. 2, S. 244–273. 98 Hickethier, Knut/Lützen, Wolf Dieter: Krimi-Unterhaltung. Überlegungen zum Genre am Beispiel von Kriminalfilmen und -serien, in: Hartwig, Helmut (Hg.): Sehen lernen. Kritik und Weiterarbeit am Konzept Visuelle Kommunikation, Köln 1978, S. 312–335; Hickethier, Knut: Der Fernsehkrimi. Stationen westdeutscher Genregeschichte, in: SPIEL 13 (1994), H. 2, S. 278–291. 99 Hoff, Peter: Der Fernsehkrimi in der DDR, in: SPIEL 13 (1994), H. 2, S. 292–306; Hoff, Peter: Polizeiruf 110. Filme, Fälle, Fakten, Berlin 2001. 100 Zwaenepoel, Tom: Dem guten Wahrheitsfinder auf der Spur. Das populäre Krimigenre in der Literatur und im ZDF-Fernsehen, Würzburg 2004. Dieser Studie ging voraus: Zwaenepoel, Tom: Fernsehkrimis »made in Germany« – eine inhaltliche und sprachlich-stilistische Analyse, Gent 1994.

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Reihe Tatort. Der Autor, Dennis Gräf, untersucht hierbei den Tatort als kulturellen Speicher historischer Diskursfiguren wie der des »Bürgertums« von den 1970er Jahren bis heute.101 Nahezu allen genannten Publikationen – ausgenommen sind die Schriften der DFG-Projektgruppe – ist gemeinsam, dass sie entweder gar nicht oder nur kursorisch die Anfänge des Fernsehkrimis in Deutschland betrachten. Weder Stahlnetz noch Blaulicht wurde bisher eine eigenständige Monografie gewidmet.102 Andrea Guder und Ingrid Brück sind immerhin bemüht, die jeweiligen Reihen nicht nur als bloße Vorläufer späterer Fernsehkrimis zu fassen, sondern einzelne Folgen in den Blick zu nehmen und diese nach Genrespezifika zu befragen. Allerdings verharren beide Autorinnen mit ihrer programmgeschichtlichen Darstellung in der jeweiligen Krimiproduktion und ziehen keine Querverweise zum anderen Deutschland. Ebenfalls 2003 erschien die Magisterarbeit Christiane Hartmanns unter dem Titel »Von Stahlnetz zu Tatort«,103 in der die Autorin auf knappen 16 Seiten das Stahlnetz als Vorläufer der Reihe Tatort vorstellt. Für die Reihe Blaulicht ist nur ein kurzer eigenständiger Aufsatz des DRA-Archivars Jörg-Uwe Fischer zu nennen.104 Wesentlich breiter ist die mediengeschichtliche Literatur zur Institution des Fernsehens in der Bundesrepublik und der DDR aufgestellt. An dieser Stelle sei lediglich auf die wichtigsten Publikationen für die jeweiligen Länder verwiesen. Für die Bundesrepublik sind vor allem Hickethiers zahlreiche Studien zum Programm wie auch zur Institution zu nennen. Seine 1998 gemeinsam mit Peter Hoff bearbeitete »Geschichte des Deutschen Fernsehens« gilt als Standardwerk.105 2001 wurden programmliche und institutionelle Entwicklungen des DFF erstmals in 101 Gräf, Dennis: Tatort. Ein populäres Medium als kultureller Speicher, Marburg 2010. Problematisch erscheint, dass der Autor die einschlägigen historischen Werke nicht einbezieht und seine Erkenntnisse daran prüft. Die Studie bleibt somit eine medienwissenschaftlich-quellenimmanent argumentierende Arbeit ohne historische Perspektive. 102 Instruktiv ist der Aufsatz von: Peulings, Birgit: Von »Der Polizeibericht meldet« zu »Stahlnetz«, in: Heller, Heinz-Bernd/Zimmermann, Peter (Hg.): Blicke in die Welt. Reportagen und Magazine des nordwestdeutschen Fernsehens in den 50er und 60er Jahren, Konstanz 1995, S. 141–153. Stärker als Lobeshymne auf den Regisseur Roland und als Reminiszenz an das eigene Fernseherlebnis gerät der Aufsatz von: Prümm, Karl: Der Film noir der Adenauer Ära. Die Reihe Stahlnetz und ihr Erfinder Jürgen Roland, in: Fischer, Ludwig (Hg.): Programm und Programmatik. Kultur- und medienwissenschaftliche Analysen, Konstanz 2005, S. 329–338. 103 Hartmann, Christiane: Von »Stahlnetz« zu »Tatort«. 50 Jahre deutscher Fernsehkrimi, Marburg 2003. 104 Fischer, Jörg-Uwe: Grenzüberschreitende Kriminalität: zur Fernseh-Krimireihe »Blaulicht« des Deutschen Fernsehfunks (1959–1968), in: info7 21 (2006), H. 1, S. 57–60. 105 K. Hickethier/P. Hoff: Geschichte des deutschen Fernsehens. Des Weiteren ist u. a. zu nennen: K. Hickethier (Hg.): Institution, Technik und Programm.

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einem groß angelegten DFG-Forschungsprojekt systematisch untersucht. Die Ergebnisse finden sich in der projekteigenen Reihe »Materialien – Analysen – Zusammenhänge«,106 in Einzelpublikationen (zumeist Dissertationen)107 sowie in dem voluminösen Abschlussband »Deutsches Fernsehen Ost«,108 der die Ergebnisse der Forschungen exemplarisch für den Bereich Unterhaltung herausarbeitete. Der Ansatz des Forschungsprojektes beinhaltete nicht nur die Programmgeschichte des Ost-Fernsehens, sondern den des »kontrastiven Dialogs« mit dem für die DDR stets relevanten Westen. Das dort vorgeschlagene Deutungsmodell zielt nach eigenen Worten jedoch »weniger auf ein hohes, die Auflehnung förderndes Einflusspotenzial der westlichen Fernsehprogramme auf Einstellungen, Wertorientierungen usw., sondern auf dessen Rolle als Gegenmodell gesellschaftlicher Kommunikation«.109 Wenngleich dieser Dialog nur in Ansätzen herausgearbeitet wurde, liegt ein institutioneller und programmgeschichtlicher Überblick vor, der für diese Studie fruchtbar gemacht werden kann. Die Kriminalpolizei in beiden Staaten stellt sich im Vergleich zum Fernsehen weniger gut erforscht dar. Mit den Schriften von Klaus Weinhauer zur »Schutzpolizei in der Bundesrepublik«110 in den 1960er Jahren und von Thomas Lindenberger

106 Siehe u. a.: Dittmar, Claudia/Vollberg, Susanne (Hg.): Die Überwindung der Langeweile? Zur Programmentwicklung des DDR-Fernsehens 1969 bis 1974, Leipzig 2002; Hoff, Peter/Mühl-Benninghaus, Wolfgang: Tages Arbeit – Abends Gäste. Grundzüge der DDR-Fernsehunterhaltung in den 1950er und frühen 1960er Jahren, untersucht an ausgewählten Sendungen der »großen« und der »kleinen« Show, Leipzig 2005; Wrage, Henning (Hg.): Alltag. Zur Dramaturgie des Normalen im DDR-Fernsehen, Leipzig 2006; Trültzsch, Sascha (Hg.): Abbild – Vorbild – Alltagsbild. Thematische Einzelanalysen zu ausgewählten Familienserien des DDR-Fernsehens, Leipzig 2007; Dittmar, Claudia/Vollberg, Susanne: Zwischen Experiment und Etablierung. Die Programmentwicklung des DDR-Fernsehens 1958௅1963, Leipzig 2007. 107 Vgl. u. a.: Wrage, Henning: Die Zeit der Kunst. Literatur, Film und Fernsehen in der DDR der 1960er Jahre. Eine Kulturgeschichte in Beispielen, Heidelberg 2008; Trültzsch, Sascha: Kontextualisierte Medieninhaltsanalyse. Mit einem Beispiel zum Frauenbild in DDR-Familienserien, Wiesbaden 2009; Dittmar, Claudia: Feindliches Fernsehen. Das DDR-Fernsehen und seine Strategien im Umgang mit dem westdeutschen Fernsehen, Bielefeld 2010. 108 R. Steinmetz/R. Viehoff: Deutsches Fernsehen Ost. 109 Ebd., S. 27. Insgesamt gibt es nur wenige Forschungen, die sich mit deutsch-deutschen Mediendiskursen auseinander- und sie in Relation zueinander setzen. An dieser Stelle sei auf einen Sammelband verwiesen, der diese Lücke zu füllen sucht: Ruchatz, Jens (Hg.): Mediendiskurse deutsch/deutsch, Weimar 2005. 110 Weinhauer, Klaus: Schutzpolizei in der Bundesrepublik. Zwischen Bürgerkrieg und Innerer Sicherheit: Die turbulenten sechziger Jahre, Paderborn 2003.

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zur »Volkspolizei«111 zwischen 1952 und 1968 liegen zwei wichtige Habilitationen zur Nachkriegspolizei vor. Beide richten ihren Blick jedoch in erster Linie auf die Schutzpolizei bzw. arbeiten in einem Schwerpunkt die Geschichte des Abschnittsbevollmächtigten heraus. Weinhauer und Lindenberger erhellen mit ihren Ergebnissen ein Dunkelfeld der deutschen Polizeigeschichte, lassen aber die Abteilung der Kriminalpolizei weitgehend unbearbeitet. Jüngst erschienen ist eine Studie zum Bundeskriminalamt der Bundesrepublik als Zwischenstand eines noch laufenden Forschungsprojektes.112 Ergänzend wird die 1996 erschienene Dissertation Patrick Wagners zur Kriminalpolizei in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus hinzugezogen.113 Eine Geschichte der Polizei in vergleichender Perspektive zum jeweilig anderen Deutschland steht ebenfalls noch aus.114 Die sich mit dem Verbrecher und der Entstehung von Kriminalität theoretisch auseinandersetzende kriminologische Forschung beider Länder ist für das 20. Jahrhundert bzw. die Zeit des Bestehens der DDR bereits näher betrachtet worden, allerdings fehlt auch hier die vergleichende Perspektive.115 Ein weiteres Desiderat ist eine Kriminalitätsgeschichte des 20. Jahrhunderts. Als eigener Forschungszweig etabliert, widmet sich eine Vielzahl ihrer Studien der Frühen Neuzeit und dem 19. Jahrhundert. Ein Blick in die jüngste Vergangenheit wird seltener gewagt.116 Nehmen neuere Forschungen dennoch Kriminalität im 20. Jahrhundert in den Blick,

111 Lindenberger, Thomas: Volkspolizei. Herrschaftspraxis und öffentliche Ordnung im SED-Staat 1952–1968, Köln/Weimar/Wien 2003. 112 Baumann, Imanuel/Reinke, Herbert/Stephan, Andrej/et al.: Schatten der Vergangenheit. Das BKA und seine Gründungsgeneration in der frühen Bundesrepublik, Köln 2011. 113 P. Wagner: Volksgemeinschaft ohne Verbrecher. 114 Ein erster Versuch ist der Sammelband zur deutschen Nachkriegspolizei bis 1969, allerdings behandeln die Aufsätze (mit Ausnahme der Einleitung) nur jeweils ein Land, nicht beide Länder im Vergleich. Fürmetz, Gerhard/Reinke, Herbert/Weinhauer, Klaus (Hg.): Nachkriegspolizei. Sicherheit und Ordnung in Ost- und Westdeutschland 1945– 1969, Hamburg 2001. 115 Für die Bundesrepublik siehe: Baumann, Imanuel: Dem Verbrechen auf der Spur. Eine Geschichte der Kriminologie und Kriminalpolitik in Deutschland 1880 bis 1980, Göttingen 2006; für die DDR siehe: Rode, Christian: Kriminologie in der DDR. Kriminalitätsursachenforschung zwischen Empirie und Ideologie, Freiburg i. Br. 1996. Für Rodes Publikation ist anzumerken, dass der Autor keinen historischen Ansatz wählt, Querverweise auf wichtige Zäsuren der DDR-Geschichte fehlen. 116 Blauert, Andreas/Schwerhoff, Gerd (Hg.): Kriminalitätsgeschichte. Beiträge zur Sozialund Kulturgeschichte der Vormoderne, Konstanz 2000 und Habermas, Rebekka/ Schwerhoff, Gerd (Hg.): Verbrechen im Blick. Perspektiven der neuzeitlichen Kriminalitätsgeschichte, Frankfurt a. M. 2009. Der Sammelband weist vier Aufsätze aus, die sich mit der printmedialen und literarischen Darstellung von Kriminalität in der Neuzeit auseinandersetzen.

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beziehen sie sich zumeist auf den printmedialen Diskurs.117 Da sich alle drei Studien von Philipp Müller, Ingrid Brückweh und Daniel Siemens auf die Dynamik medialer Prozesse bei der Verhandlung von Kriminalität und Verbrechen in der Öffentlichkeit beziehen, bilden sie eine strukturelle Grundlage für die vorliegende Studie.

1.4 D IE H ISTORISCHE F ILMANALYSE . E INE QUELLENKRITISCHE B ETRACHTUNG Wie bereits zu Beginn festgestellt, fehlt bislang eine methodisch reflektierte Historische Filmanalyse. Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, eine Erweiterung der Historischen Methode unter Einbeziehung filmwissenschaftlicher Ansätze zu entwickeln. Um die Übertragbarkeit auf andere Filmquellen zu ermöglichen, sind die Ausführungen bewusst allgemein gehalten. Der historische Erkenntniswert einer Analyse bildlicher Überreste, Denkmäler und Traditionen wurde bereits durch die Historische Bildkunde und Historische Bildforschung erkannt, die sich – durch einen eklatanten Mangel an schriftlichen Quellen in der Erforschung von Mittelalter und Früher Neuzeit vorangetrieben – seit den 1970er Jahren nachdrücklich bemühten, Bilder in die Historische Methode zu integrieren. Sie schufen daraufhin ein an die kunstgeschichtlichen Ansätze Erwin Panofskys und Aby Warburgs angelehntes, methodisches Repertoire.118 Hingegen wurden jene Bilder, die an der Schwelle zum 20. Jahrhundert »laufen lernten« und seitdem mit Macht in die modernen Lebenswelten eindringen, von 117 Müller, Philipp: Auf der Suche nach dem Täter. Die öffentliche Dramatisierung von Verbrechen im Berlin des Kaiserreichs, Frankfurt a. M. 2005; Brückweh, Kerstin: Mordlust. Serienmorde, Gewalt und Emotionen im 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 2006; D. Siemens: Metropole und Verbrechen. Dem medialen Ansatz der drei Studien ist es geschuldet, dass sie vor allem Kriminalität untersuchen, die sich durch einen gewissen Spektakelwert auszeichnete. »Einfache« Kriminalität wie Diebstähle, Betrug etc. bleibt außen vor. Einen interdisziplinarischen Ansatz unter Einbeziehung der Medien- und Rechtswissenschaften verfolgt der jüngst erschienene Sammelband: Härter, Karl/Sälter, Gerhard/Wiebel, Eva (Hg.): Repräsentationen von Kriminalität und öffentlicher Sicherheit. Bilder, Vorstellungen und Diskurse vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 2010. Einen anderen Zugang wählen Barbara Korte und Sylvia Paletschek, die sich dem fiktiven Kriminalroman zuwenden: Korte, Barbara/Paletschek, Sylvia (Hg.): Geschichte im Krimi. Beiträge aus den Kulturwissenschaften, Köln/Weimar/ Wien 2009. 118 Vgl. u. a.: Tolkemitt, Brigitte/Wohlfeil, Rainer: Historische Bildkunde. Probleme – Wege – Beispiele, Berlin 1991; Jäger, Jens: Photographie. Bilder der Neuzeit. Einführung in die historische Bildforschung, Tübingen 2000.

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vielen Historikern als unseriös, trivial und wenig aussagekräftig angesehen und als Quellen der historischen Forschung abgelehnt.119 Dabei hatte Siegfried Kracauer in seinen nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen filmsoziologischen Schriften eindrücklich vorgeführt, inwiefern Filme Auskunft über ihre Produktionsbedingungen und zeitgenössisch virulente Wünsche, Hoffnungen, Mentalitäten und Werte geben können.120 Erst seit einigen Jahren gewinnt innerhalb der Geschichtswissenschaft die Diskussion an Dynamik, Filme (ob für das Kino oder das Fernsehen produziert) stärker in den historischen Erkenntnisprozess einzubeziehen und eine geeignete Methode einzufordern.121

119 Im Jahr 2009 hat die Historikerin Wiebke Glowatz den Versuch unternommen, eine »Filmanalyse als Erweiterung der historischen Hilfswissenschaften« im Rahmen ihrer Dissertation vorzulegen. Wenngleich bestimmte Ähnlichkeiten zum hier vorliegenden methodischen Ansatz bestehen, ist die Herangehensweise eine andere. Im Mittelpunkt stehen hier filmische Quellen, die mithilfe der Methode analysiert werden, nicht, wie im Falle Glowatz, die eine Methode anhand eines Films exemplifiziert. Glowatz, Wiebke: Filmanalyse als Erweiterung der historischen Hilfswissenschaften. Eine Studie am Beispiel des Spielfilms »Taking sides – Der Fall Furtwängler« [Regie István Szabó, D/F/ GB 2001], Düsseldorf 2009. Ausführungen der Autorin zur hier vorgestellten Methode siehe auch: Helmli, Nora: Die Bedrohung der Kernfamilien in der DDR-Fernsehkriminalreihe Blaulicht. Eine Historische Filmanalyse, in: GWU 62 (2011), H. 9/10, S. 546– 556. 120 Kracauer, Siegfried: Von Caligari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films, Frankfurt a. M. 1984 sowie Kracauer, Siegfried: Theorie des Films. Die Errettung der äußeren Wirklichkeit, Frankfurt a. M. 2009. 121 Siehe u. a.: Riederer, Günter: Den Bilderschatz heben – Vom schwierigen Verhältnis zwischen Geschichtswissenschaft und Film, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 31 (2003), S. 15–39; Paul, Gerhard: Von der Historischen Bildkunde zur Visual History. Eine Einführung, in: Ders. (Hg.): Visual history. Ein Studienbuch, Göttingen 2006, S. 7–36; T. Lindenberger: Einleitung, in: Lindenberger, Thomas (Hg.): Massenmedien im Kalten Krieg, S. 9–24; Marsiske, Hans-Arthur: Software für Zeitmaschinen. Film und Computersimulation, in: Goertz, Hans-Jürgen (Hg.): Geschichte. Ein Grundkurs, Reinbek bei Hamburg 2007, S. 238–252. Arthur Schlegelmilch hat 2008 zusammenfassend konstatiert: »Worin liegt diese Zurückhaltung begründet? Zunächst gewiss daran, dass es sich um ein ausgesprochen heterogenes Forschungsfeld handelt, das noch keine festen methodischen Standards aufweist und poly- und interdisziplinäre Arbeitsweisen verlangt. Hierzu gehören die Befassung mit medientheoretischen Fragen und medientechnischen Entwicklungen, mit Drehbüchern, Literaturvorlagen und Lebensbiografien ebenso wie die Aneignung von Filmlesetechniken, wie zum Beispiel die Verwendung von geeigneten Aufschreibesystemen, die Analyse der Szenerie, der Kameraführung, des Schnitts sowie des filmästhetischen Gesamteindrucks«. In: Schlegelmilch, Arthur: Der (politische) Spielfilm als historische Quelle, in: BIOS 21 (2008), H. 1, S. 93–103, Zitat S. 93–94.

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Den Überlegungen zu einer Historischen Filmanalyse muss die Annahme zugrunde gelegt werden, dass Filme nicht gesamtgesellschaftlich wirken oder »Kollektivdispositionen« (Siegfried Kracauer) widerspiegeln können. Filme vermögen es selten, alle Menschen gleichzeitig anzusprechen, da die Zuschauer in unterschiedlichen kulturellen und Bildungskontexten leben und so den Film auf eine andere Art und Weise dekodieren. Trifft ein Film den »Nerv der Zeit«, indem er sich mit aktuellen Problemen auseinandersetzt, Utopien imaginiert oder das Publikum in eine angenehme, konfliktarme Welt entfliehen lässt, ist sein Erfolg absehbar. Darüber hinaus repräsentiert ein Film aber auch die Vorstellungen und Ideen der Filmemacher, also der Produzenten, des Regisseurs etc., und hat damit die Möglichkeit, bestimmte Leitbilder, Normen und Werte vorzugeben – wie bereits für den Krimi im Hinblick auf die punitive Moral angedeutet wurde. Um diese filmimmanenten Realitäten, Strukturen und Aussagen aufzudecken, ist es nötig, die Grenzen der eigenen Disziplin zu verlassen und in für Historiker ungewohnte Wissenschaftsbereiche vorzudringen. Eine Historische Filmanalyse verbindet deshalb den geschichtswissenschaftlichen Anspruch mit den Methoden der Film- und Medienwissenschaft. Denn die »fiktionale Realität« ist für den Historiker zwar auf inhaltlicher Ebene leicht zu entschlüsseln, solange er sich einzig auf Dialoge und das Drehbuch konzentriert. Erkenntnisse aus den nichtsprachlichen Anteilen des Films können jedoch erst durch eine detaillierte Filmanalyse erbracht werden. Sprache, Bild und ihr Zusammenspiel durch die Montage der Bilder bilden im audiovisuellen Medium eine Einheit, deren Komplexität berücksichtigt werden muss. Ein Film ist sozusagen mehr als nur die Summe seiner Teile Bild, Text/Sprache und Ton. Die hier anzuwendende Historische Filmanalyse wird daher unter Zuhilfenahme medienwissenschaftlicher Methoden die bisherige Analyse-Trias aus »Produktion«, »Inhalt« und »Distribution« überschreiten122 und der nur mühevoll zu operationalisierende Affektlenkung im Film bzw. allen audiovisuellen Medien begegnen, ohne die methodischen und theoretischen Ansprüche der Geschichtswissenschaft aus dem Blick zu verlieren. Historiker sind bestrebt, das »Handeln und Denken von Menschen in der Vergangenheit unter den sich wandelnden Bedingungen von Raum, Zeit und Gesellschaft« greifbar zu machen123; sie verfolgen damit einen »auf Synthese und Totalität ausgerichteten« Ansatz. Dieser steht jedoch im Gegensatz zu

122 Vgl. hierzu ältere Studien wie: H. Schettler: Arbeiter und Angestellte im Film; J. Gröschl: Die Deutschlandpolitik der vier Großmächte. 123 Vierhaus, Rudolf: Die Rekonstruktion historischer Lebenswelten. Probleme moderner Kulturgeschichtsschreibung, in: Bödeker, Hans Erich/Krusenstjern, Benigna von/ Matthiesen, Michael (Hg.): Vergangenheit als Geschichte. Studien zum 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen 2003, S. 98–110, Zitat S. 99. Siehe auch: Rohlfes, Joachim: Geschichte und ihre Didaktik, Göttingen 32005, S. 33f.

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systematisch arbeitenden Disziplinen (zu denen auch die Medienwissenschaften zu rechnen sind), »die sich mit Einzelbereichen befassen, ohne sich fortwährend auf ›das Ganze‹ zu beziehen«.124 Es wäre daher wenig produktiv, die in den Filmwissenschaften angewendete Filmanalyse in all ihren Untersuchungsschritten auf die »Standard-Prinzipien« (Jerzy Topolski)125 der historischen Quelleninterpretation zu beziehen. Wichtig scheint vielmehr die Übernahme von bewährten AnalyseInstrumentarien und dem gebräuchlichen Vokabular zur filmästhetischen Gestaltung, wie es im folgenden Abschnitt näher ausgeführt wird. Damit soll keine Neuformulierung der Standard-Prinzipien, sondern vielmehr eine Ergänzung der »prozessualen Operationen« (nach Rüsen) vorgenommen werden. Eine Übernahme des film-, medien- und kommunikationswissenschaftlichen Instrumentariums in die Historische Methode der Geschichtswissenschaft macht es ganz allgemein nötig, sich mit den von diesen Disziplinen gestellten Fragen – etwa zur Entwicklung von Genres oder zur Wirkung von Medien(-inhalten) – und den dafür entwickelten Theorien zu beschäftigen, um die Spezifika der Quelle Film angemessen zu reflektieren. Im Folgenden soll nun die Historische Methode, verstanden als ein »Ensemble von Verfahrensregeln, denen das historische Denken folgt«,126 an neuralgischen Punkten im Hinblick auf die spezifischen Anforderungen dieses Materials ergänzt werden. Heuristik – die historische Fragestellung und die Suche nach geeignetem historischem Material Die Fragestellung gilt gemeinhin als »der Ausgangspunkt des Forschens« (Johann G. Droysen).127 Die Heuristik ist dabei jedoch mehr als nur ein Raster, historisches Material zu erschließen, vielmehr weist sie diesem erst einen historiografischen Wert zu.128

124 Ebd., S. 33. 125 Topolski, Jerzy: Was ist historische Methode?, in: Meier, Christian/Rüsen, Jörn (Hg.): Theorie der Geschichte. Beiträge zur Historik (Historische Methode 5), München 1988, S. 100–113. 126 Rüsen, Jörn: Rekonstruktion der Vergangenheit. Die Prinzipien der historischen Forschung, Göttingen 1986, S. 87. 127 Droysen, Johann Gustav: Historik. Band 1: Rekonstruktion der ersten vollständigen Fassung der Vorlesung (1857), Stuttgart 1977, S. 426. Goetz, Hans-Werner: Die Historische Fragestellung in ihrer Bedeutung für die Theorie und Methode der Geschichtswissenschaft, in: Hering, Rainer/Nicolaysen, Rainer (Hg.): Lebendige Sozialgeschichte. Gedenkschrift für Peter Borowsky, Wiesbaden 2003, S. 94–101, Zitat S. 97–98. 128 J. Rüsen: Rekonstruktion der Vergangenheit, S. 105.

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Der zweite Teil der Heuristik umfasst die Suche nach geeigneten audiovisuellen Quellen und deren Klassifizierung nach traditionellen, quellenkundlichen Begriffen.129 Aus Gründen der Übersichtlichkeit bietet es sich an, die Filmquelle für die weitere Analyse in grobe Handlungsstränge und, darauf aufbauend, individuell in Sequenzen und Subsequenzen zu unterteilen. Meist orientiert sich diese Einteilung an der immanenten Struktur des Films, die durch Einführung der Figuren, Höheund Wendepunkte bedingt ist und sich häufig an das klassische Drei- oder FünfAkt-Schema anlehnt.130 Im Anschluss daran sollte diese Unterteilung des Handlungsverlaufes inhaltlich und formal in einer Tabelle protokolliert werden.131

129 Nach der Definition Rankes, Droysens und Bernheims sind unmittelbare und ungewollte Überlieferungen, wie Familienfotos oder private Briefe, den »Überresten« zu zurechnen. Absichtlich überlieferte Quellen wie Chroniken, Annalen oder Biografien, aber auch Lieder, Erzählungen und Sagen werden als »Tradition« bezeichnet. Der grundlegende Unterschied zu überrestlichen Quellen besteht in der bewussten Überlieferung von Einschätzungen über zeitgenössische Umstände durch den jeweiligen Verfasser an die Nachwelt. (Vgl. hierzu: Borowsky, Peter/Vogel, Barbara/Wunder, Heide: Einführung in die Geschichtswissenschaft I. Grundprobleme, Arbeitsorganisation, Hilfsmittel, Opladen 51989. S. 125.) Filme – ob Kino- oder Fernsehfilme, fiktionalen oder nichtfiktionalen Inhalts – sollen in erster Linie das eskapistische Unterhaltungsbedürfnis der Zuschauer befriedigen und/oder Informationen und Bildungsinhalte vermitteln, wenngleich dies von Film zu Film variiert. Darüber hinaus spiegeln Filme Sitten und Gebräuche wider, Normen und Werte der Produktionszeit bzw. der Produzenten und versuchen auf vermeintliche Träume, Ängste und Hoffnungen im Publikum zu reagieren. Droysen regte in seiner »Historik« an, nicht fassbare, mental-zeitgeistige Überlieferungen den »Überresten« zuzuordnen (J. G. Droysen: Historik, S. 426.) – demzufolge wären zeitgenössische Filmproduktionen ebenso als »Überreste« zu klassifizieren. Allerdings gehören Filme zum Œuvre eines Künstlers, dessen Werk nächsten Generationen genauso zugänglich sein soll wie beispielsweise literarische Zeugnisse. Eine Überlieferung ist demnach klar intendiert. Ebenso werden durch die Vielzahl der Mitarbeiter an Filmprojekten verschiedene Sichtweisen auf die Produktionszeit in den Film eingearbeitet, manchmal zufällig, häufig jedoch absichtlich in Form von Gesellschaftskritik oder Ähnlichem. Film ist damit, wie bereits erwähnt, kein »Abbild, sondern als gestaltetes Bild der Wirklichkeit zu interpretieren; nicht die mitgeteilten Tatsachen, sondern die Gestaltungsabsichten machten den Film als Quelle interessant«. In: Körber, EstherBeate: Wie interpretiert man eine Wochenschau? Überlegungen an Beispielen aus der Nachkriegszeit, in: GWU, S. 137–150, Zitat S. 137. 130 Scherer, Stefan: Einführung in die Dramen-Analyse, Darmstadt 2010. 131 Obwohl die Transkription von Filmen sehr aufwendig ist, lohnt die Anfertigung solcher Protokolle, da sie »in der Regel zu einer sehr genauen und intensiven Beobachtung des Films [führen], sie fördern dabei oft neue Details zutage, die zuvor nicht bemerkt wurden«. In: Hickethier, Knut: Film- und Fernsehanalyse, Stuttgart 42007, S. 36. Später

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(Quellen-)Kritik – Kontrollinstanz »über den Tatsachengehalt jeder historischen Aussage« 132 Im Grundverständnis der Historischen Methode betritt die »historische Forschung den festen Boden der Tatsächlichkeit der historischen Erkenntnis« durch die Quellenkritik, also die Ergründung der äußeren und inneren Eigenschaften des betrachteten historischen Materials.133 Im Gegensatz zu rein visuellen Quellen (wie Gemälden oder Fotografien134) wurde die Überprüfung der Historizität und Glaubwürdigkeit bzw. Originalität von inszeniertem audiovisuellem Material als nicht notwendig eingestuft, weil (Spiel-) Filme aufgrund ihrer technischen Komplexität und Ausstattung als nahezu fälschungssicher galten. Allerdings war und ist es möglich, Filme während und nach Abschluss der Produktion immer wieder durch Schnitte, neue Einschübe oder Nachbearbeitungen in Gestalt und Aussage zu verändern; insbesondere mit Hilfe moderner Computertechnik sind derartigen Veränderungen kaum noch Grenzen gesetzt.135 Zudem können Teile des Filmmaterials verloren gehen, wie das Beispiel »Metropolis« von Fritz Lang zeigt.136 Eine Überprüfung des Überlieferungsprozesses ist demnach nötig, um Lücken und Veränderungen des Filmmaterials auszumachen. Die bereits mehrfach angesprochene inhaltliche und ästhetische Komplexität audiovisuellen Quellenmaterials macht es nötig, die standardisierten Prinzipien der Kritik zur Beschreibung und Analyse von historischen Quellen methodisch zu er-

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kann die grobe Verschriftlichung durch ein Einstellungsprotokoll bestimmter Szenen ergänzt werden. J. Rüsen: Rekonstruktion der Vergangenheit, S. 109. Ebd., S. 107. Damit gilt die »Quellenkritik [als] das Nadelöhr zur historischen Objektivität«. King, David/Cohen, Stephen F./Langendorf, Cornelia: Stalins Retuschen. Foto- und Kunstmanipulationen in der Sowjetunion, Hamburg 1997. Die Gründe für eine nachträgliche Veränderung des Filmmaterials können moralisch, religiös oder politisch anstößige Szenen sein, wie z. B. bei dem 1942 fertiggestellten Hollywood-Film »Casablanca« in seiner deutschen Kinoversion 1952 alle Bezüge auf das nationalsozialistische Deutschland getilgt waren. Zu den Möglichkeiten der digitalen Computertechnik vgl. u. a.: Schicha, Christian: Alles Lüge? Formen der Bildmanipulation und ihre zulässigen Grenzen, in: Medien-Impulse 54 (2005), S. 9–15. Zur Überlieferungssituation des Films »Metropolis« vgl. u. a.: Elsaesser, Thomas: Metropolis. Der Filmklassiker von Fritz Lang, Hamburg, Wien 2001. 2008 wurden in Buenos Aires verloren geglaubte Filmsequenzen entdeckt (siehe: Naundorf, Karin: Reise nach Metropolis. ZEIT-Magazin Leben, 3. 7. 2008). Im Mai 2011 kam eine restaurierte Fassung in die bundesdeutschen Kinos. Siehe Kothenschulte, Daniel: Die Zukunftsruine. Metropolis 2010. Fritz Langs restaurierter Klassiker, Köln 2010.

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weitern. Dabei wird auf zwei unterschiedliche Traditionen der Film- und Fernsehanalyse zurückgegriffen, die sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern sich im Sinne der erweiterten Historisch-kritischen Methode befruchten können: zum einen auf einen hermeneutischen, durch die Literaturwissenschaften geprägten Ansatz, der die Analyse des eigentlichen Filmbildes, seiner Montage und der eingesetzten Gestaltungsmittel in den Vordergrund stellt,137 und zum anderen soll Lothar Mikos’ und Helmut Kortes’ inhaltsanalytischer Ansatz aufgegriffen werden, um die medienwissenschaftliche Kontextualisierung der Filmbilder nicht zu vernachlässigen.138 Äußere Quellenkritik Im Arbeitsschritt der Quellenprüfung und -kritik müssen Adressat, Verfasser, Finanziers, Produktionsort und -zeit des vorliegenden Films durch externe Informationsquellen erschlossen werden. Im Gegensatz zu schriftlichen Quellen ist jedoch die Bestimmung des Verfassers und der Adressaten mit erheblich mehr Schwierigkeiten verbunden. Aufgrund der vorherrschenden Zuschreibungsgewohnheiten werden das Gelingen und der Sinn eines Films mit dem Regisseur und Drehbuchautor in Verbindung gebracht. Diese Beschreibung greift jedoch häufig zu kurz, weil Filme innerhalb eines größeren Produktionskontextes entstehen. Hierzu zählt in erster Linie die Produktionsfirma, die die Entscheidungsgewalt darüber besitzt, ob und wie ein Film überhaupt produziert wird. Des Weiteren sind u. a. Kameramänner (und -frauen), die die Bilder aufzeichnen, Cutter, die die Bilder aneinander montieren, Komponisten und Musiker, die Musik beisteuern, Bühnenbildner und vor allem Schauspieler, die den Figuren ein Gesicht geben, an einer Filmproduktion beteiligt. Wenngleich kein (kollektiv-)biografisches Profil aller Beteiligten notwendig ist (oft genug fehlen entsprechende Angaben), ist eine gewisse Sensibilität nötig, die Verfasserschaft eines Films nicht unbedingt nur auf Drehbuchautor und Regisseur zu reduzieren. Weitaus schwieriger ist die Beschreibung der Adressaten eines Films, also die Erstellung eines Zuschauerprofils. Die Massenmedien Film und Fernsehen werden zumeist von einem großen und heterogenen Zuschauerkreis rezipiert. Hierbei lassen sich aber auch Unterschiede bestimmen: Variierend nach Sujet können Filme vorwiegend ein männliches oder weibliches, ein jüngeres oder älteres Publikum, breite oder eher schmale Nutzerschichten ansprechen. Hinzu kommen persönliche Präfe-

137 K. Hickethier: Film- und Fernsehanalyse, und Faulstich, Werner: Grundkurs Filmanalyse, München 2002. 138 Korte, Helmut/Drexler, Peter: Einführung in die systematische Filmanalyse. Ein Arbeitsbuch, Berlin 32004 und Mikos, Lothar: Film- und Fernsehanalyse, Konstanz 2003. Sascha Trültzsch hat jüngst den inhaltsanalytischen Ansatz über- und die Methode der »kontextualisierten Medieninhaltsanalyse« erarbeitet, auf die ebenso zurückgegriffen wird. Siehe: S. Trültzsch: Kontextualisierte Medieninhaltsanalyse.

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renzen, Zeitbudgets und andere lebensweltliche Kontexte, die den Konsum von Film und Fernsehen beeinflussen. Sendezeit, länderspezifische Altersfreigabe von Kinofilmen – im Fall der Bundesrepublik durch die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft,139 in der DDR durch die Hauptverwaltung Film im Ministerium für Kultur140 –, Genre, Gattung, Filmkritiken sowie Umfragen demoskopischer Institute und Zuschauerforschung der Fernsehsender geben weitere wichtige Hinweise auf ein anvisiertes und tatsächliches Publikum. Innere Quellenkritik Die innere Kritik einer audiovisuellen Quelle widmet sich einer genauen Analyse relevanter Filmteile, also Schlüsselsequenzen und -szenen, die bereits im vorhergehenden Arbeitsschritt als relevant für die Beantwortung der Fragestellung ausgewählt wurden. Um Übersichtlichkeit, Transparenz und Zitierfähigkeit zu gewährleisten, können die qualitativ und quantitativ erhobenen Analysedaten in einem Einstellungsprotokoll festgehalten werden. Die Dimensionen der Analyse erstrecken sich auf folgende formalästhetische Kernbereiche: Analyse des Visuellen, des Auditiven und Narrativen141. Die Verwendung eines einheitlichen, an den Medienwissenschaften orientierten Vokabulars erleichtert die Verständlichkeit und Kompatibilität zu anderen Filmanalysen und filmhistorischen Ausführungen. Analyse des Visuellen Das audiovisuelle, zweidimensionale Filmbild wird hier grundsätzlich als fotografische Abbildung verstanden, die Bewegungen mit der Dimension der Zeit verbindet. Diese »spezifische Verzahnung von Raum und Zeit, in der ›Dynamisierung des Raumes‹ und der ›Verräumlichung der Zeit‹, [bildet] deshalb die Besonderheit der audiovisuellen Medien«.142 Für die nachfolgende Analyse der beiden Kriminalreihen Stahlnetz und Blaulicht ist im besonderen Maße die Größe der Einstellung wichtig.143 Diese bestimmt

139 Vgl. jüngst: Kniep, Jürgen: »Keine Jugendfreigabe!«. Filmzensur in Westdeutschland; 1949–1990, Göttingen 2010. 140 Struch, Matthias: Auf dem Weg zur sozialistischen Persönlichkeit. Kinder- und Jugendmedienschutz in der DDR, Teil 1, in: tv diskurs (2009), H. 48, S. 62–65 und Ders.: Auf dem Weg zur sozialistischen Persönlichkeit. Kinder- und Jugendmedienschutz in der DDR, Teil 2, in: tv diskurs (2009), H. 49, S. 76–81. 141 Narrativ meint hier keine inhaltsorientierte Analyse, sondern die Bereiche des Erzählens und Darstellens sowie der Montage, die entscheidend für die Erzeugung von Bedeutung im Film ist. 142 K. Hickethier: Film- und Fernsehanalyse, S. 42. 143 Eine »Einstellung« ist die kleinste Analyseeinheit und definiert sich als »Filmstück zwischen zwei Schnitten« In: Wendorf, Joachim: Filme, in: Maurer, Michael (Hg.):

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die »Relation zwischen dem Standpunkt und dem Abgebildeten, zwischen dem Zuschauerblick und dem Gezeigten«.144 Es haben sich folgende Kategorien für die Analyse durchgesetzt:145 Die weite Einstellung (W), auch Super-Totale oder Panorama sowie panoramatische Totale genannt, zeigt meist große Landschaftsaufnahmen, in denen der Mensch verschwindend klein wirkt. Häufig wird diese Einstellungsgröße zu Beginn eines Films, als so genannter establishing shot, verwendet, um den Zuschauer in die Umgebung der Filmhandlung einzuführen. Die nächst kleinere Einstellung wird als Totale (T) bezeichnet, in welcher der Handlungsraum bestimmt wird und der gezeigte Mensch eine untergeordnete Rolle einnimmt. Sie wird meist zu Beginn einer Aktion in einer Szene eingesetzt, damit der Zuschauer im Verlauf der Handlung Details wieder erkennt und sie lokalisieren kann. Die Halbtotale (HT) zeigt die menschliche Figur von Kopf bis Fuß. Sie eignet sich für die Darstellung von Menschengruppen oder körperbetonten Aktionen. Durch die Tradition des Showdowns im amerikanischen Western hat sich eine Einstellungsgröße zwischen Halbtotale und Halbnah herausgebildet: der so genannte knee-shot oder die amerikanische Einstellung (A), bei der die Figur von den Knien bis zum Kopf zu sehen ist. Die halbnahe Einstellung (HN), welche die Figur von der Hüfte aufwärts zeigt, lässt noch Aussagen über die unmittelbare Umgebung zu, im Gegensatz zur nahen Einstellung (N), in welcher mimische und gestische Elemente dominieren. Der Mensch ist hier vom Kopf bis zur Mitte des Oberkörpers sichtbar. Zentriert wird der Schauspieler oder die Schauspielerin in der Großaufnahme (G). Hier ist lediglich der Kopf, eine Hand oder ein anderes Körperteil zu sehen. Bei Gesichtsaufnahmen steht der mimische Ausdruck im Vordergrund. Durch die sichtbaren, intimen Regungen ist diese Einstellungsgröße für die Charakterisierung der Figur und die Erhöhung der Identifikation von Abgebildetem und Zuschauer wichtig. Eine noch stärke Eingrenzung des Bildausschnittes ist die Detailaufnahme (D), die nur noch einen Ausschnitt aus dem Gesicht oder eines Gegenstandes zeigt. All diese Kategorien sind signifikant, um Nähe oder Distanz des Zuschauers zum Gezeigten zu beschreiben. Hierbei weisen Groß- und Detailaufnahmen die größte fiktive Nähe auf, weite oder totale Einstellungen hingegen die größte Distanz zum Abgebildeten. Jedoch ist nicht die einzelne Einstellung dafür entscheidend, ob sich im Kopf des Zuschauers Nähe oder Distanz entwickeln, sondern der »Wechsel der Einstellungen innerhalb einer Einstellungsfolge«.146 Es ist daher auf die Hand-

Quellen (= Aufriß der Historischen Wissenschaften 4), Leipzig 2002, S. 449–471, Zitat S. 451. 144 K. Hickethier: Film- und Fernsehanalyse, S. 57. Die einzelnen Bildausschnittsgrößen, die zur Vereinfachung und Vereinheitlichung in der Filmproduktion eingeführt wurden, dienen der Analyse hier als Grundlage. 145 Nachfolgende Darstellung siehe ebd., S. 57–61. 146 Ebd., S. 60.

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lungskontexte zu achten, denn der häufige Einsatz von Totalen muss nicht zwangsläufig Distanz zum Dargestellten oder Einsamkeit bedeuten, sondern kann dem Zuschauer »formale Zusammenhänge verdeutlichen, lokale Zuordnungen und Raumorientierungen geben«.147 Ebenso wichtig wie die Größe der Einstellung ist die Kameraperspektive, welche dem »Betrachter ein bestimmtes Verhältnis zu den abgebildeten Personen oder Gegenständen vermittelt«.148 Die Blickperspektive wird unterteilt in Normalsicht – in Augenhöhe mit den handelnden Figuren –, Untersicht (Froschperspektive) und Aufsicht (Vogelperspektive). Gerade ein abgerückter Standpunkt der Kamera ist oft handlungsmotiviert und unterstreicht besondere Momente der Handlung. Dabei kann eine Untersicht »Macht und Stärke suggerieren«, eine Aufsicht im Gegensatz dazu Unterlegenheit, Einsamkeit und Schwäche der gezeigten Figur beim Betrachter evozieren. Schräge, »verkantete« oder »gekippte« Kamerapositionen können darüber hinaus »Hinweise auf die Befindlichkeiten des Protagonisten (im Sinne einer ›emotionalen Schieflage‹) geben oder als Gefahrensignale die Unsicherheit der betreffenden Situation verdeutlichen«.149 Eine weitere, eher selten verwendete Kameraperspektive ist die so genannte subjektive Kamera, auch point of view shot genannt, welche den Blickwinkel der handelnden Figur einnimmt und damit den Zuschauer aktiv und »unmittelbar in die Handlung einbezieht«.150 In gleicher Weise wirkt die Lichtgestaltung im Film, sie erzeugt unterschiedliche Stimmungen, die als »Eigenschaften einer Situation oder auch eines Charakters verstanden werden«.151 Analyse des Auditiven Hintergrundgeräusche lassen einen Film greifbar wirken, denn sie »signalisieren uns Lebendigkeit […] und steigern den Wirklichkeitseindruck des Visuellen wesentlich«.152 Der atmosphärische Ton und/oder der Original-Ton ist auch dann vorhanden, »wenn nichts zu hören ist und eine ›spannungsgeladene Stille‹ beabsichtigt ist«.153 Zur Intensivierung des realistischen Eindrucks sind Geräusche entweder visuell lokalisierbar (synchron) oder außerhalb des Bildes (asynchron) hörbar. Meist findet ein Übergang vom asynchronen zum synchronen Geräusch statt. Musik, die das »Gezeigte mit emotionalen Qualitäten versieht«, wird vom Zuschauer oft nur unterschwellig wahrgenommen. Dabei »verbinden sich die im Zuschauer geweckten Emotionen mit den Bildern, die für die eher diffusen Emotio-

147 148 149 150 151 152 153

H. Korte/P. Drexler: Einführung in die systematische Filmanalyse, S. 29. Ebd., S. 42. Ebd., S. 43. Ebd. K. Hickethier: Film- und Fernsehanalyse, S. 79. Ebd., S. 96. Ebd.

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nen visuelle Anknüpfungspunkte bieten«. Hierfür haben sich, ebenso wie in der Bildgestaltung, Konventionen zur Verstärkung des Realismuseindrucks herausgebildet.154 In jedem Fall gilt: »Filmmusik ist ein dramaturgisches Element, eine Bauform des Erzählens. In dieser Bedeutung muss sie analysiert werden«.155 Werner Faulstich nennt in seinen Erläuterungen zur Filmmusik 20 verschiedene Funktionen, die sie erfüllen kann156. Da Filmmusik als ästhetisches Gestaltungsmittel stark kontext- sowie gattungsgebunden ist, ist eine eingehende Analyse auch für den Historiker sinnvoll; vor allem sollte jedoch neben dem Inhalt die Form- und Bildsprache im Vordergrund stehen. Analyse des Narrativen Alle Kategorien verweben sich für den Zuschauer während des Sehens zu einem Narrativ.157 Damit öffnet sich ein weiterer Analysekomplex auf der Ebene des Erzählens und Darstellens, der Dramaturgie, der Erzählstrategien sowie der Montage. Im vorliegenden Untersuchungszusammenhang werden für die Beantwortung der vorliegenden Fragestellung vor allem die Bereiche des Erzählens und Darstellens sowie der Montage zum Tragen kommen. Jeder Film kann als Zeichenprozess und somit als (kultureller) »Text« verstanden werden.158 Hickethier weist darauf hin: »Das Besondere des filmischen Textes

154 Das Alltägliche und Normale wird durch tonale Orchestermusik oder einzelne Instrumente begleitet. Spannungsgeladene oder emotionale Momente werden durch Crescendi, einen bestimmten Takt, Tonlage und Instrumenteneinsatz erzielt. Für viele Filme gilt eine leitmotivische Verklammerung, »um eine Figur zu begleiten, die einzelnen Phasen der Entwicklung musikalisch in Variationen und Verfremdung des Motivs anzudeuten und auf einen nahenden Konfliktaustrag hinzuweisen«. In: ebd., S. 101f. 155 W. Faulstich: Grundkurs Filmanalyse, S. 137. 156 »1. Atmosphäre herstellen; 2. Ausrufezeichen setzen; 3. Bewegung illustrieren; 4. Bilder integrieren; 5. Emotionen abbilden; 6. Epische Bezüge herstellen; 7. Formbildend wirken; 8. Geräusche stilisieren; 9. Gesellschaftlichen Kontext vermitteln; 10. Gruppengefühl vermitteln; 11. Historische Zeit evozieren; 12. Irreal machen; 13. Karikieren und Parodieren; 14. Kommentieren; 15. Nebensächlichkeiten hervorheben; 16. Personen dimensionieren; 17. Physiologisch konditionieren; 18. Rezeption kollektivieren; 19. Raumgefühl herstellen; 20. Zeitempfinden relativieren.« In: ebd., S. 141f. 157 Narrativ meint im hier verwendeten Sinn: »einen eigenen gestalteten Kosmos zu schaffen, etwas durch Anfang und Ende in sich Geschlossenes zu begrenzen und zu strukturieren«. In: K. Hickethier: Film- und Fernsehanalyse, S. 111. 158 Dieser Ansatz ist auf die Zeichentheorie nach Ferdinand de Saussure und für den Film im Besonderen auf Christian Metz zurückzuführen. Siehe: Metz, Christian: Sprache und Film, Frankfurt a. M. 1973. Bei den audiovisuellen Zeichen finden sich die Grundmerkmale jedes Zeichens, die Bestandstandteile des Signifikanten (des Bezeichnenden) und des Signifikaten (des Bezeichneten) wieder. Siehe: Monaco, James: Film verstehen.

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liegt gerade darin, dass er Bedeutungen nicht nur auf der Ebene des gesprochenen Textes, des Abgebildeten, der Struktur der Bilder und ihrer Verbindung (Montage) entstehen lässt, sondern dass diese Bedeutungen auch im Spiel der einzelnen Ausdrucks- und Mitteilungsebenen entstehen«.159 Um diese einzelnen Bedeutungsfelder sprachlich fassen zu können, nutzt die Filmwissenschaft die linguistischen Begriffe der Denotation160 und Konnotation.161 Durch die Visualität des Films ist die denotative Bedeutung – also der Abbildcharakter der Zeichen – im viel stärkeren Maß vorhanden und damit relativ leicht zu entschlüsseln. Durch Konnotationen ist der Film in der Lage, mehr Bedeutung zu vermitteln, »als die Summe [seiner] Denotationen umfasst«.162 Filmbilder transportieren durch ihre Präsentation meist mehr als nur eine Bedeutung. Selbst einfache Unterhaltungsfilme arbeiten mit den Prinzipien der konnotativen Bedeutung. Ihre Entstehung ist dabei nicht auf ein einziges Filmbild reduziert, das symbolisch aufgeladen ist, sondern ergibt sich durch die Montage einzelner Einstellungen. Um die mehrfachen Bedeutungsebenen von Filmbildern zu entschlüsseln, nutzt der Zuschauer kulturelle Codes. Darüber hinaus gilt, dass Filme individuell gelesen werden, denn »kulturelle Kenntnisse, mediale Erfahrung der Zuschauer und deren Realitätsverständnis sind am Verstehensprozess beteiligt«.163 Um Konnotationen filmisch umzusetzen, wird die Montage der Filmbilder genutzt. In diesem »handwerklichen Begriff der Filmpraxis […] treffen zwei Aspekte zusammen: zum einen die Aufnahmen, die aus unterschiedlichen Positionen aufgenommen wurden, zum anderen die Auswahl, zeitliche Begrenzung der Einstellungen [durch den Schnitt] und Arrangement der Einstellungen [durch die Montage], um den Eindruck eines Flusses (›continuity‹) zu erzeugen«.164 Die Montage wirkt somit »als organisierende Kraft des im Film Erzählten«165 und schafft Übergänge zwischen verschiedenen Handlungszusammenhängen (Sequenzen)

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Kunst, Technik, Sprache, Geschichte und Theorie des Films und der Medien. Mit einer Einführung in Multimedia, Reinbek bei Hamburg 42002, S. 158ff. K. Hickethier: Film- und Fernsehanalyse, S. 24f. »Die mit dem Zeichen (Wort, Bild) gemeinte Sachbezeichnung, die direkte, unmittelbare Bedeutung eines Wortes, Satzes oder Textes.« In: Gast, Wolfgang: Einführung in Begriffe und Methoden der Filmanalyse, Frankfurt a. M. 1993, S. 39. Siehe auch J. Monaco: Film verstehen, S. 162. Dieser Begriff meint die Bedeutung eines Filmbildes, die über die Summe seiner Denotationen hinausgeht, symbolischen Charakter haben kann und sich überwiegend aus kulturellen Codes speist. Siehe: W. Gast: Einführung in Begriffe und Methoden der Filmanalyse, S. 38–39 und J. Monaco: Film verstehen, S. 158ff. W. Gast: Einführung in Begriffe und Methoden der Filmanalyse, S. 39. K. Hickethier: Film- und Fernsehanalyse, S. 6. Ebd., S. 144. Ebd., S. 146.

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durch bestimmte Arten von Schnitten. Die Filmanalyse unterscheidet im Allgemeinen zwischen dem harten und weichen Schnitt. Der weiche Schnitt meint eine Überblendung von einer Einstellung in eine andere. Diese Art der Einstellungsverbindung wird oft benutzt, um »Traumsequenzen, Gedanken und Rückblenden hervorzuheben, unterschiedliche Handlungsorte, Personen oder Gegenstände in einen inhaltlichen Zusammenhang zu bringen, oder auch, um das Erzähltempo zu beschleunigen«.166 Der harte Schnitt wird zumeist als »normaler« Übergang von einer Einstellung in die andere benutzt. Allerdings kann man diesen ebenso filmästhetisch wirkungsvoll einsetzen: Zur Rhythmisierung der Handlung, zur Spannungssteigerung durch Parallelmontage, zur Vereinigung gegensätzlicher Bildinhalte oder Einstellungsgrößen zu einer gemeinsamen Aussage oder Metapher durch Kontrastmontage.167 Darüber hinaus nutzen Regisseure das Schuss-GegenschussVerfahren in nahezu jedem Film für Dialogszenen. Dabei werden die Gesprächspartner parallel zum Gesprächsverlauf abwechselnd »meist über die Schulter des jeweiligen Gegenüber[s]« gefilmt.168 Interpretation und Darstellung Im Rückgriff auf die Ausgangsüberlegungen, wonach die visuelle Anziehungskraft von Filmen darin begründet liegt, dass sie unter (häufiger) Bezugnahme auf aktuelle, in verschiedenen Gesellschaftsschichten vorherrschende Diskurse, Wünsche, Hoffnungen und Ängste eine fiktive Realität konstruieren, muss im Schritt der Quelleninterpretation eben jene außerhalb des Films liegende »soziale Realität« (Trültzsch) einbezogen und historisiert werden. Mitchell hat das (Stand-)Bild als »komplexes Wechselspiel von Visualität, Apparat, Institution, Diskurs, Körper und Figurativität«169 begriffen. Filme bewegen sich in einem ähnlich komplexen Feld, wobei in beiden Fällen der Aspekt der Ästhetik zu ergänzen wäre. Um die Quelle Film adäquat zu begreifen und sie in die historische Darstellung einbinden zu können, sollte daher eine Rekonstruktion der Vergangenheit unter Einbeziehung zeitgenössischer Quellen auf folgenden Ebenen erfolgen: erstens Kontextualisierung der zeitgenössischen »Gesellschaft« und (Teil-)Öffentlichkeiten; zweitens Kontextualisierung der zeitgenössischen Diskurse, Debatten, zeitgeistigen Vorstellungen,

166 H. Korte/P. Drexler: Einführung in die systematische Filmanalyse, S. 30. 167 Zum Schnitt siehe: H. Korte/P. Drexler: Einführung in die systematische Filmanalyse, S. 30f. und Kuchenbuch, Thomas: Filmanalyse. Theorien – Methoden – Kritik, Wien/ Köln/Weimar 22005, S. 64 und 69f. 168 K. Hickethier: Film- und Fernsehanalyse, S. 151. 169 Mitchell, William J. T.: Der Pictorial Turn, in: Kravagna, Christian (Hg.): Privileg Blick. Kritik der visuellen Kultur, Berlin 1997, S. 15–40, Zitat S. 19.

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Mentalitäten,170 drittens Kontextualisierung der in der Frage aufgeworfenen Teilaspekte (z. B. Geschlecht, Technik, Wissenschaft), viertens Kontextualisierung der Produktionsrealität, fünftens Kontextualisierung der Medienlogiken unter Berücksichtigung medienimmanenter und systemimmanenter Logiken und Sagbarkeitsregime, sechstens Kontextualisierung der Rezeptionssituation. Im Folgenden soll die hier dargestellte, erweiterte Historische Methode ihre Anwendung finden; vor allem aber ist sie ein Plädoyer dafür, das Filmbild stärker in die historische Analyse und Darstellung zu rücken.

170 »Es ist notwendig zu untersuchen, wie sich Inhalt und Repräsentation eines Film- oder Fernsehtextes mit Diskursen verbinden und auf diese Weise von den Zuschauern mit Bedeutung gefüllt werden können.« In: L. Mikos: Film- und Fernsehanalyse, S. 105.

2 »Das Fenster zur Welt« des Krimis

Die Geschichte der beiden Fernsehkriminalreihen Stahlnetz und Blaulicht ist nur zu verstehen im Kontext der Etablierung des Fernsehens als neuem Leitmedium und seinem Aufstieg zum Massenmedium in beiden deutschen Staaten.1 Das bewegte Tonbild, das bisher nur im Kino rezipiert werden konnte, war in die heimischen vier Wände eingezogen und veränderte damit auch die Freizeitgestaltung vieler Menschen. Der Abschnitt »Soziale Praxis des Fernsehens« nimmt hierauf Bezug. Zu klären ist, wer eigentlich fernsieht und unter welchen Umständen dies geschieht. War ein Blick über die Grenze möglich? Und war der Publikumserfolg beider Kriminalreihen allein auf ihr Genre zurückzuführen, das bei weitem keine Erfindung des Fernsehens war, oder ließen sich die Zuschauer von der filmischen wie inhaltlichen Gestaltung der beiden Reihen begeistern? Im Anschluss an die Praxis des Fernsehens soll daher die Genregeschichte kurz beleuchtet werden, bevor die beiden Reihen Stahlnetz und Blaulicht mit ihren Akteure in den Blickpunkt rücken.

2.1 S OZIALE P RAXIS

DES

F ERNSEHENS

Empfang War das Fernsehgerät erst einmal von häufig mühsam Erspartem gekauft, korrekt aufgestellt und die Antenne ausgerichtet, war der Empfang zunächst eines Senders (und stundenweise eines weiteren Regionalsenders) möglich. Doch den »guten« Empfang des Ersten Deutschen Fernsehens gab es nicht in allen Regionen der Bundesrepublik. Bis 1954, in der »vorindustriellen Phase« des Fernsehens (Hickethier), galt fast ausschließlich das nordwestdeutsche Rundfunkgebiet als gut versorgt. Und erst

1

Die medienwissenschaftliche Forschung hat bereits grundlegende Studien zur fernsehinstitutionellen Geschichte beider Länder vorgelegt, so dass auf nähere Ausführungen dieses Aspektes verzichtet werden kann.

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1960 ermittelte das Institut für Demoskopie Allensbach, dass 84 % der süddeutschen Teilnehmer überhaupt Fernsehempfang hatten.2 Das dichter werdende Sendernetz und die steigende Empfangsqualität kamen jedoch nicht nur den Zuschauern im eigenen Land zugute. Mit einer entsprechend ausgerichteten Antenne war es auch den Bürgern der DDR in grenznahen Gebieten – später auch bis weit an die Ostgrenzen der DDR – möglich, »Westfernsehen« zu empfangen.3 Bis 1956/57 war der Empfang des jeweils anderen Senders allerdings schwierig, weil die Sendenormen technisch erheblich voneinander abwichen. Die Bundesrepublik (wie auch der Rest Europas) sendete mit einer CCIRZeilennorm. Die DDR hingegen nutzte die bis dahin in den Ostblock-Staaten vereinbarte OIR-Zeilennorm. In der Folge konnten west- oder ostdeutsche Zuschauer entweder nur Ton oder nur Bild des »Feindsenders« empfangen. Erst mit der Umstellung der DDR-Norm auf die westeuropäischen Standards wurde der Empfang in beiden Ländern deutlich verbessert. Das Umstellen bedeutete jedoch nicht nur die Änderung der Zeilennorm, sondern auch die Umrüstung aller Geräte auf Staatskosten. Entgegen zeitgenössischen Behauptungen, die DDR würde ihr Zeilenformat nur für Propagandazwecke umstellen und damit einem geheimen »Westplan« folgen, waren es vorwiegend pragmatische Beweggründe wie die Entstörung der Bildqualität. Mit Änderung der Sendenorm wurde dem westlichen »Feindsender« allerdings mehr oder weniger unfreiwillig »Tür und Tor« geöffnet. Obwohl kein Gesetzestext existierte und damit »legale« Handlungsvollmachten gegen Schwarzhörer und Schwarzseher ausstellte, übten die Partei und ihr angeschlossener Spitzelapparat massiven Druck auf die Bevölkerung aus, um den Westempfang zu stoppen. Mittel dafür waren, wie in anderen Belangen, Propaganda, soziale Ächtung, aber auch Denunziationen durch Nachbarn und Arbeitskollegen.4 Durch den Mauerbau begann eine neue Phase in der Auseinandersetzung über den Empfang des Westmediums. Ihr Gepräge fand sie in der von der FDJ initiierten »Aktion Ochsenkopf«. Deren Aktivisten fühlten sich durch eine Selbstverpflich2

Infratest (Hg.): Hörfunk und Fernsehen, Allensbach 1960, S. 98.

3

Vgl.: Meyen, Michael: Einschalten, Umschalten, Ausschalten? Das Fernsehen im DDRAlltag, Leipzig 2003, S. 52 und Woo-Seung, Lee: Das Fernsehen im geteilten Deutschland (1952–1989). Ideologische Konkurrenz und programmliche Kooperation, Potsdam 2003, S. 27ff.

4

Der Infratest-Autor Heil führt hierzu aus: »Die Zonenjustiz belegt ›organisierten Empfang‹ verschiedener Arten westlicher Fernsehsendungen mit hohen Strafen; als ›organisierter Empfang‹ gilt bereits die Tatsache, daß Bekannte oder Freunde im Kreis der Familie – etwa bei einem Besuch – Zuschauer westlicher Sendungen werden«. (K. H. Heil: Fernsehempfang in der SBZ, S. 25). Zur Forschung siehe u. a.: Geserick, Rolf: 40 Jahre Presse, Rundfunk und Kommunikationspolitik in der DDR, München 1989, hier vor allem S. 155–156.

»D AS F ENSTER ZUR W ELT « DES KRIMIS | 57

tung, keine Westsender zu sehen, animiert, private Antennen auf Hausdächern im Fichtelgebirge abzubrechen. Das Fichtelgebirge lag im direkten Einstrahlbereich der bundesdeutschen Sendeanlage »Ochsenkopf« und gab der Aktion ihren Namen. Ähnlich spektakuläre Aktionen »staatlichen« Vandalismus wiederholten sich nicht. Vielmehr kamen höhere Parteiebenen spätestens ab dem 11. Plenum 1965 zu einem realistischeren Umgang mit dem Westfernsehen. In einem Monatsbericht an Ulbricht aus dem Jahr 1966 heißt es: Jedenfalls steht fest, daß die Unzufriedenheit am jetzigen Programm des Deutschen Fernsehfunks allgemein sehr stark ist. Dabei gibt es auch solche Auffassungen: »Wir können ja ausweichen auf das Westfernsehen, es zwingt uns ja niemand, das zur Zeit langweilige Programm des Deutschen Fernsehfunks anzusehen.« Wir sehen diese Stimmungen – und ein großer Teil dieser Kritik ist berechtigt – als sehr ernst an, …5

Die interne Selbstkritik bedeutete jedoch keineswegs die offizielle Anerkennung des Westempfangs. Dieser musste weiterhin im Verborgenen stattfinden. DDReigenes Zahlenmaterial über den konkreten Empfang westlicher Sender6 liegt nicht vor. Es kann allerdings auf die oben erwähnte Infratest-Studie aus dem Jahr 1961 zurückgegriffen werden.7 Laut dieser Studie war es »für über drei Viertel der Fernsehteilnehmer der SBZ […] möglich, Fernsehsendungen aus der Bundesrepublik oder aus Westberlin zu empfangen«.8 Infratest sah hierfür zwei wesentliche Ursachen: zum einen den besseren Empfang westdeutscher Sendungen, zum anderen »ein starkes Bedürfnis nach Informationen und Unterhaltungen aus anderen als den

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Monatsbericht (Februar) des Genossen Mückenberger an Genossen Ulbricht, 24. 2. 1966, S. 2, in: BArch: DY 30/IV A 2/9.02/67.

6

»Sender« ist hier bewusst in doppelter Hinsicht zu verstehen. Gemäß vorliegender Infratest-Studie nutzten die ostdeutschen Flüchtlinge weniger das Fernsehen als vielmehr das Radio, um sich über Geschehnisse im Westen zu informieren. Dies sei, so schlussfolgert der Autor, vor allem auf das durchgängige Programm der Radiosender zurückzuführen, die »darum als Nachrichtenquelle bei Bedarf und jederzeit zugänglich ist«. In: K. H. Heil: Fernsehempfang in der SBZ, S. 10.

7

Ebd. Mitarbeiter des Meinungsforschungsinstitutes interviewten im November 1960, also ein knappes Jahr vor Schließung der Grenzen, 820 Personen im Auffanglager BerlinMarienfelde. Die während der Befragung gegebenen Antworten sowie die daraus resultierende Studie müssen sehr stark in dem Befragungskontext gesehen werden. Eine negative Grundhaltung gegenüber der DDR und dementsprechend ihren staatsnahen Medien ist bei den Flüchtlingen wohl vorauszusetzen. Ebd., S. 87.

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Ebd., S. 29. Noch höher schätzte Heil den Anteil an Fernsehteilnehmern, der über die Möglichkeiten des Westempfangs zumindest informiert war.

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von staatlicher Seite gesteuerten Quellen«.9 Er bestätigte damit die Erkenntnisse vorangegangener Studien.10 Ein weiterer Grund für die hohen Einschaltquoten war nach Infratest in der guten Empfangsqualität des Westfernsehens »im weit überwiegenden Teil der SBZ«11 zu suchen. Obwohl in der Auswertung nicht näher auf die Empfangsqualitäten im Einzelnen eingegangen wurde, gab eine tabellarische Übersicht darüber Auskunft, dass das bis Ende der DDR klischeehaft kolportierte »Tal der Ahnungslosen« im Raum Dresden zumindest im Jahr 1960 noch nicht existierte. Die insgesamt sieben Befragten dieser Region beurteilten den Empfang westdeutscher Sender mit »durchschnittlich« bis »sehr gut«.12 Im Vergleich zu den guten Empfangsmöglichkeiten des »Westfernsehens« im Osten war das »Ostfernsehen« im Westen nur partiell empfangbar. Eine 1961 veröffentlichte Infratest-Studie zu den »Empfangsmöglichkeiten und Nutzung des sowjetzonalen ›Deutschen Fernsehfunks‹ in der Bundesrepublik Deutschland«13 belegte dies. Dieser Studie zufolge waren für den Empfang des Ostsenders vor allem die geografischen Gegebenheiten ausschlaggebend. Die mittels UKW übertragenen Sendeinhalte konnten sich nur »geradlinig ausbreiten und die deutschen Mittelgebirge somit große Räume der Bundesrepublik für einen Empfang abschirmen«.14 Dementsprechend war der Empfang vor allem in Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen sowie in Hessen möglich.15 Nordrhein-Westfalen (und damit auch das Ruhrgebiet), Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg sowie Mittel- und Südbayern konnten zumindest Anfang der 1960er Jahre kein DDR-Fernsehen empfangen. Damit widerlegte Infratest die in der DDR häufig kolportierte Behauptung, das SED-Regime würde besonders die »Werktätigen« des Ruhrgebiets mit Informatio-

9

Ebd., S. 31.

10 Heil, Karolus Heinz: Empfangsmöglichkeiten und Nutzung des sowjetzonalen »Deutschen Fernsehfunks« in der Bundesrepublik Deutschland 1961. 11 K. H. Heil: Fernsehempfang in der SBZ, S. 33. 12 Ein gänzlich anderes Bild zeichnete »Der Spiegel« im Jahr 1985: »Bisher war der Bezirk Dresden noch ein Stück DDR pur. Im fernöstlichen Teil der Deutschen Demokratischen Republik konnte das West-Fernsehen, mangels Reichweite, seinen verderblichen Einfluß nicht entfalten. Jahrelang galt den SED-Ideologen diese Region mit einigen angrenzenden Gebieten als Oase des hausgemachten Sozialismus«. In: o. A.: Nur Schnee. Bürgergruppen sorgen für West-Fernsehen im Dresdner Umland – mit Unterstützung der SED, in: Der Spiegel 45 (1985), S. 97. 13 K. H. Heil: Empfangsmöglichkeiten und Nutzung. 14 Ebd., S. 30. 15 Für den Norden Deutschlands ermittelte Infratest sogar eine »fast lückenlose Versorgung. […] Nahezu jeder zweite Fernsehhaushalt kann das SBZ-Fernsehen empfangen; jeder dritte verzeichnet ›zufriedenstellenden‹ Empfang.« In: ebd.

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nen versorgen.16 Dennoch traf das ostdeutsche Fernsehen auf ein zunehmend interessiertes Publikum in Westdeutschland, wie eine im Jahr 1959 veröffentlichte Infratest-Studie feststellte.17 Im Vergleich zu früheren Erhebungen hatte der Anteil von »Empfangswilligen« um 10 % zugenommen. Als Begründung führte Autor Karolus Heil in einer weiteren Studie die gestiegene Zahl an Fernsehempfängern und die verbesserte Empfangsqualität an, zudem bestätige »die Tatsache die These, daß in grenznahen Gegenden eher der Anreiz besteht, über die Empfangsmöglichkeiten von Sendern jenseits der Grenze sich zu vergewissern als in abgelegenen Gegenden«.18 Ob das Programm des DFF tatsächlich rezipiert werde, sei jedoch stark von der Empfangsqualität abhängig.19 Aber in Anbetracht der hohen Einschaltquoten derjenigen, denen ein akzeptabler Empfang möglich sei, kam Heil zu einer brisanten Feststellung: Einige vage Schlüsse daraus, welche Zuschauerzahlen das SBZ-Fernsehen in der Bundesrepublik möglicherweise erzielen würde, wenn in allen Gebieten ein zufriedenstellender Empfang möglich wäre, gestattet die Tatsache, daß nur 5 % der westdeutschen Fernsehteilnehmer, die mehr oder minder zufriedenstellende Empfangsmöglichkeiten der SBZ-Sendungen angaben, diese Sendungen »nie« empfangen, 94 % der Teilnehmergruppe aber zumindest »selten«, 75 % »regelmäßig« und »häufig« Zonenprogramme ansehen.20 16 Ebd., S. 36. 17 Blücher, Viggo Graf/Quitt, Helmut: Empfang und Wirkung sowjetzonaler Fernsehsendungen in der Bundesrepublik 1959. Hier konstatierte man noch, dass in SchleswigHolstein das Interesse am Deutschen Fernsehfunk eher gering sei. Schließlich hätten 40 % der Fernsehteilnehmer noch nicht versucht, das »sowjetische Programm zu empfangen«. Ein Jahr später ergaben sich bereits grundlegend andere Ergebnisse, SchleswigHolstein hatte nun doch eine Reihe von Vielsehern. 18 K. H. Heil: Empfangsmöglichkeiten und Nutzung, S. 35. 19 Über die Empfangsqualität des Ostfernsehens urteilen die westdeutschen Zuschauer im Vergleich zum eigenen Fernsehen in der Regel schlechter. So gaben nur etwa 6 % aller Fernsehteilnehmer an, den DFF »sehr gut« zu empfangen. Im Vergleich dazu war die ARD auf diesem Niveau zu 39 % empfangbar. 42 % beurteilten den Empfang des ostdeutschen Senders als »gut«, 21 % sagten dies wenigstens über die Bildqualität. Jedoch sei diese bei bereits 36 % wieder teilweise gestört gewesen und bei 38 % schlecht bis sehr schlecht. Die Tonqualität wurde sogar »noch stärker gerügt«. In: V. Graf Blücher/H. Quitt: Empfang und Wirkung sowjetzonaler Fernsehsendungen, S. 35–37. 20 Ebd., S. 44. Auch hier kommt die ein Jahr zuvor publizierte Studie noch zu anderen Ergebnissen: »Andererseits: dort, wo das Ostprogramm gut und leicht anzuschauen ist, werden Fernsehzuschauer seiner überdrüssig. In Niedersachsen, wo der sowjetzonale ›Deutsche Fernsehfunk‹ von mehr als jedem zweiten Zuschauer empfangen werden kann, machen nur 16 % der Fernsehteilnehmer davon Gebrauch«. In: ebd., S. 23.

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Im Sinne der unterstellten Gefahr ideologischer Infiltration, die vom Deutschen Fernsehfunk für den Westen ausgehe, muss diese Feststellung einigen Zündstoff bereitgehalten haben. Ferner kam Heil zu der Erkenntnis, dass Frauen und Männer aller Schichten, wenn sie ein Fernsehgerät besäßen, gleichsam häufig den DFF einschalteten.21 Ebenso beunruhigend schätzte Heil die Tatsache ein, dass »Barrieren rationaler und emotionaler Art, die eine Nutzung der Sendungen des SBZ-Fernsehens verbieten würden, nur in geringem Maße zu bestehen [scheinen]«22 und dementsprechend häufig subtil vermittelte Propaganda nicht erkannt werde. Auf ein Korrelat zwischen Bildungsgrad und Zuschauerinteresse geht Heil in dieser Studie nicht mehr ein. Allerdings wurde aus einer zwei Jahre zuvor veröffentlichen Studie aussagekräftiges Zahlenmaterial präsentiert: So fanden sich unter Befürwortern des Deutschen Fernsehfunks 86 % Personen, die lediglich eine Volksschulbildung genossen haben; Zuschauer mit Abitur oder gar einem Hochschulabschluss waren dem ostdeutschen Programm lediglich zu 3 % bzw. 1 % zugeneigt.23 Allerdings ignorierte diese Statistik die Tatsache, dass gerade höher gebildete Bürger das Fernsehen zu einem Großteil explizit ablehnten und gar kein Gerät besaßen. Arbeiter und Angestellte leisteten sich hingegen viel häufiger ein Fernsehgerät.24 Transformation des Alltags In enger Verbindung zu den Empfangsmöglichkeiten im jeweiligen deutschen Staat, steht die soziale Praxis des Fernsehens im Alltag und seine Transformation durch das Fernsehen. In einem Aufsatz der Zeitschrift »Fernsehen« stellt der Autor Hans Gabler 1956 drei verschiedene in Deutschland praktizierte Empfangsformen vor: 1. Der Einzelempfang – das Betrachten des Programms an jeweils einem Gerät durch einen einzelnen Menschen (höchstens noch der mit einem vertrauten Menschen gemeinsame Empfang). 2. Der Gruppenempfang – das Fernsehen im Familien-, Bekannten- oder Freundeskreis. 3. Der Kollektivempfang – das Fernsehen in einer zufälligen, wahllos zusammengekommenen Menge, die sich gar nicht oder nur sehr oberflächlich kennt und vielleicht noch, wie im totalitären Staat, unter Druck zum Fernsehen »befohlen« wurde.25 21 K. H. Heil: Empfangsmöglichkeiten und Nutzung, S. 49–58. 22 Ebd., S. 48. 23 V. Graf Blücher/H. Quitt: Empfang und Wirkung sowjetzonaler Fernsehsendungen, S. 28. 24 Vgl. u. a.: A. Schildt: Moderne Zeiten, S. 275f. 25 Gabler, Hans: Fernsehen im Einzel- und Kollektivempfang, in: Fernsehen (1956), S. 148– 154, S. 149.

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Die verschiedenen Empfangstypen folgten dabei einer Chronologie, die sich stark an der inhaltlichen und technischen Entwicklung des Fernsehens von der Zeit des Nationalsozialismus bis in die 1960er Jahre orientierte. Gemäß Gabler war der Kollektivempfang zu Beginn des industriellen Fernsehzeitalters negativ belegt, weil es mit der frühen Empfangstechnik des NS-Fernsehens (und des DDR-Fernsehens) assoziiert wurde. Da die Geräteproduktion während des »Dritten Reiches« dem experimentellen Stand des Fernsehens entsprach und Geräte nahezu unerschwinglich waren, richtete das Reichspostministerium vor allem in Berlin so genannte Fernsehstuben ein. Diese wurden von der Bevölkerung jedoch häufig geschmäht, da ein offener Meinungsaustausch über das Programm wegen Spitzeln oder Denunzianten als schwierig galt. Auch hatte das Fernsehen keinen Vorteil gegenüber dem von Reichsminister Goebbels stark geförderten Kino.26 In der Bundesrepublik behielt der kollektive Empfang seinen totalitären »Beigeschmack« und wurde daher lange abgelehnt, wie Gabler nachweist. Allerdings wäre für die meisten Deutschen nach 1945 ein Fernseherlebnis ohne Geräte im öffentlichen Raum, also in den Schaufenstern der Rundfunkgeschäfte, in den Hotellobbys und Kneipen, nicht möglich gewesen. Aber vielleicht haben die meisten die Krönung Elisabeth II. 1953 und das Endspiel der Fußballweltmeisterschaft in Bern 1954 weniger als kollektiven Empfang aufgefasst denn als positives, gemeinschaftliches Freizeiterlebnis.27 Doch derartige Formen des Kollektivempfangs blieben in der Bundesrepublik ein Übergangsphänomen, das mit Verbreitung der Fernsehempfänger in den Haushalten verdrängt wurde. In der DDR führte der Mangel an Geräten und Antennen ebenfalls zur Einrichtung von »Fernsehstuben« in Schulen und Arbeitsstätten. Außer bei Sportübertragungen ließ sich eine ähnliche Reaktion der Zuschauerschaft wie im »Dritten Reich« und der Bundesrepublik beobachten: Zuschauer blieben den staatlichen Fernsehstuben fern. Dies könnte mit einer ähnlich bewussten Verweigerung gegenüber staatlicher Kontrolle begründet werden.28 Vor allem aber waren ganz prakti26 Vgl. K. Hickethier/P. Hoff: Geschichte des deutschen Fernsehens, S. 40. 27 Der Rundfunkjournalist Kurt Wagenführ notierte im November 1951 in sein Tagebuch: »Vor dem Schaufenster stehen an jedem Abend Trauben von Menschen und starren auf das Fernsehprogramm, wobei sie sich durch den meist auf der Straße schlecht ankommenden Ton nicht stören lassen«. In: ebd., S. 92; siehe auch: Hilgert, Christoph: »1:0 für Dr. Pleister«. Sport im NWDR-Fernsehen, in: H.-U. Wagner (Hg.): Die Geschichte des Nordwestdeutschen Rundfunks (2), S. 311–319. 28 Wie massiv die staatliche Kontrolle und der ausgeübte Druck waren, lässt sich heute nicht in Gänze rekonstruieren. Der Medienwissenschaftler Michael Meyen geht davon aus: »Es mag sein, dass die Funktionäre […] tatsächlich an die Segnungen des Gemeinschaftsempfangs glaubten, aber so stark, die Menschen am Abend zu bestimmten Sendungen in besondere Räume zu zwingen und ihnen dort auch noch den Mund zu verbie-

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sche Gründe dafür verantwortlich. Niemand, der gegen 17 Uhr Feierabend hatte, wollte bis zum Programmbeginn um 20 Uhr im Betrieb ausharren. Auch Fernsehapparate in von Schulkindern genutzten Pionierräumen schienen gerade bei einem Programm in den Abendstunden wenig sinnvoll.29 Dennoch wuchs die Zahl der Fernsehstuben kontinuierlich, denn das teure Fernsehgerät dafür wurde meistens vom Staat bezahlt. Zwischen 1954 und 1956 ist daher von 1000 bis 2500 solcher öffentlichen Empfangsplätze auszugehen.30 Das Gros der ostdeutschen Bevölkerung zog allerdings wie in Westdeutschland einen (semi-)privaten Empfang vor.31 Der westdeutsche Soziologe Heil konstatiert hierzu 1961 in einer Infratest-Studie: »60 von hundert der Gruppe regelmäßiger Westfernseh-Zuschauer nahmen am eigenen Gerät oder an den Geräten enger Familienangehöriger wie der Eltern oder des Ehegatten am Empfang teil«.32 Rund 40 % der von Heil befragten DDR-Flüchtlinge gaben an, bei Verwandten, Freunden, Bekannten oder Vermietern fernzusehen – hier allerdings mit stark eingeschränktem bis gar keinem Westempfang.33 Neben Daten über die generelle Möglichkeit, das Konkurrenzprogramm wahrzunehmen, zeigt die Infratest-Studie, dass Fernsehen durchaus in größerem Kreis rezipiert wurde. Dabei verteilte sich die Statistik auf Gruppen zwischen zwei und mehr als sieben Personen relativ gleich um 17 %; die meisten schienen allerdings in einer Gruppe von etwa vier Personen fernzusehen. Für den regulären DFF-Empfang – ohne Westfernsehen – kam Heil sogar zu dem Schluss, dass »die Gepflogenheit, Freunde oder Bekannte zur Teilnahme am Fernsehempfang aufzusuchen, noch stärker als in der Bundesrepublik entwickelt zu sein scheint«.34 Dieses Bild ließe sich problemlos für die frühen Fernsehjahre in der ten, war die Partei denn doch nicht«. In: M. Meyen: Einschalten, Umschalten, Ausschalten, S. 45. 29 Ebd., S. 45–46. 30 Ebd., S. 46. 31 So berichten 95 bis 99 % der von Infratest befragten Fernsehbesitzer über eine eigene Antenne, zumeist auf dem Hausdach. Siehe: K. H. Heil: Fernsehempfang in der SBZ, S. 21–22. 32 Ebd., S. 23. Der Infratest-Autor rekurriert mit dieser Zahl lediglich auf einen Teil aller von ihm befragten Flüchtlinge aus der DDR. 237 von 820 Befragten, also rund 35 %, gaben an, wenigstens einmal pro Woche Westfernsehen einzuschalten. 33 Wenngleich Heil diesen Erklärungsansatz nicht in Betracht zieht, kann davon ausgegangen werden, dass sich in der Anfangszeit des DDR-Fernsehens vor allem Parteifunktionäre ein Gerät leisten konnten. Allerdings dürfte sich der Empfang des westdeutschen Senders aus ideologischer Überzeugung ausgeschlossen haben. 34 Ebd., S. 26. Selbst für die Bundesrepublik rechnete man 1962 noch mit rund drei Personen vor dem Fernseher. Ob diese Angaben nur für eine Kleinfamilie galten oder auch Besuch einschlossen, kann nicht abschließend geklärt werden. Vgl. auch: Und immer

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Bundesrepublik zeichnen, wenngleich man hier die Gruppengröße ob der Anschaffung eines eigenen Gerätes schneller reduzierte. Ein Zeitzeuge erinnert sich: »… ich entsinne mich noch genau, wie die ganze Familie – umgeben von Nachbarn und Freunden – atemlos die spärlichen, von der schmetternden Eurovisionsfahne feierlich eingeleiteten Sportsendungen verfolgte«. 35 Wenngleich die Menge der abendlichen Besucher in beiden Staaten kontinuierlich abnahm, ist ganzheitlich ein Trend zur »Verhäuslichung« der Fernsehbesitzer zu konstatieren.36 Erst mit dem einsetzenden Gewöhnungseffekt löste sich der extreme Drang, zu Hause zu bleiben, wieder ein wenig. Man empfand nicht mehr den Zwang, das Programm bis zu seinem Ende zu verfolgen,37 sondern selektierte je nach Interesse.38 Um eine Verhäuslichung (als Familie) überhaupt zulassen zu können, brauchten die Zuschauer genügend freie Zeit.39 Im Vergleich beider Länder waren viele noch: Kontrastprogramm von drüben, in: epd/Kirche und Fernsehen (1962), H. 14, S. 1– 2, S. 1. 35 Brater, Jürgen: Generation Käfer. Unsere besten Jahre, Frankfurt a. M. 22005, S. 111. 36 Schildt zitiert eine Umfrage des NWDR aus dem Jahr 1954/55, wonach sich 72 % der Männer und 64 % der Frauen durch den Fernseher stärker an das Haus gebunden fühlten. A. Schildt: Moderne Zeiten, S. 278. Auch für die DDR wurde ein ähnlicher Umstand auf einer Sitzung des Rundfunkkomitees festgehalten: »Ist es nicht eine Tatsache, daß dort, wo die Leute Fernsehen haben, heute weniger gelesen wird; daß viele Leute nicht mehr aus der Wohnung herauskommen, nicht mehr an die frische Luft gehen usw. Bei der Programmgestaltung müssen wir das bedenken«. In: Sitzung des Komitees am 21. 4. 59, S. 17, in: BArch: DR 6/463. 37 »Da hat man alles angeschaut, weil es ja neu war«, resümierte die interviewte Hausfrau C. Hausfrau F äußerte sich ähnlich: »Bis sie ›gute Nacht‹ gesagt haben, waren wir vor dem Fernseher, weil das was Neues war. Aber mit der Zeit ist es weniger geworden«. Zitiert aus Raumer-Mandel, Alexandra: Medien-Lebensläufe von Hausfrauen. Eine biografische Befragung, München 1990, S. 257. 38 Allerdings wendet Hickethier ein: »Die neue Fernsehöffentlichkeit war durch den Faktor der Zeit bestimmt. […] Es gab noch keine Aufzeichnungsmöglichkeiten im privaten Bereich, was den zeitlichen Druck zur Teilnahme erhöhte«. In: K. Hickethier/P. Hoff: Geschichte des deutschen Fernsehens, S. 277. 39 Am Ende der ersten Dekade nach Gründung der Bundesrepublik lag die durchschnittliche Wochenarbeitszeit bei etwa 48 Stunden, verteilt auf sechs bzw. ab 1955/56 sukzessive fünf Tage. Das Budget der zur Verfügung stehenden »freien Zeit« belief sich, bei einer Nachtruhe von acht Stunden, also auf lediglich fünf Stunden. Diese mussten jedoch zugleich für Einkäufe, den Haushalt, Essen und Trinken, Körperhygiene usw. genutzt werden. Die Zeit, die tatsächlich vor dem Fernseher verbracht werden konnte, war entsprechend gering. In den 1960er Jahren wuchs das Freizeitbudget, so dass auch das sich

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Arbeitnehmer der Bundesrepublik dabei deutlich im Vorteil. Nachdem 1955/56 die Fünf-Tage-Woche realisiert wurde, standen vielen zwei Wochenendetage zur freien Verfügung.40 In der DDR setzte sich dieses Arbeitsmodell erst 1967 vollends durch.41

Abb. 1: Privates Fernsehvergnügen in der DDR in den 1960er Jahren.

Die Anschaffung eines Fernsehgerätes folgte in vielen Haushalten der Prämisse, den Feierabend qualitativ aufzuwerten (Abb. 1). Stärker noch als beim Radio suchte man beim Fernsehen die Unterhaltung. Im Vergleich zum Kinobesuch sparte man sich den Weg. Einen weiteren Grund sieht der Historiker Axel Schildt im zuneh-

ausweitende Fernsehprogramm verstärkt genutzt werden konnte. In der DDR lag die Arbeitszeit höher als in der Bundesrepublik. Die Fünf-Tage-Woche wurde erst 1967 flächendeckend in der Industrie eingeführt. Auch der Aufwand, das tägliche Leben zu bestreiten, war ungleich höher. Wegen der Mangelversorgung hatten die Menschen – und vor allem die Frauen – weniger Freizeit: Selbstversorgung mit Lebensmitteln durch Gemüseanbau im eigenen Garten oder das bekannte Schlangestehen kosteten schlicht Zeit. 40 Vgl. hierzu u. a.: M. Frese: Samstags gehört Vati mir, in: Westfälische Forschungen 45 (1995), S. 73–101. Die tatsächliche Arbeitszeit in den einzelnen Branchen variierte z. T. erheblich. Schildt arbeitet die eklatanten Unterschiede heraus und verweist darauf, dass mit dem wirtschaftlichen Aufschwung auch die Arbeitszeiten beispielsweise in der Industrie anstiegen. Das Budget freier Zeit wurde zusätzlich durch lange Wegstrecken zur Arbeit und wieder nach Hause verkürzt. Siehe: A. Schildt: Moderne Zeiten, S. 79–90. Für die DDR sind ähnlich einschränkende Argumente zum Verhältnis von Arbeitszeit und Freizeit anzuführen. 41 Zur Einführung der Fünf-Tage-Woche in der Industrie siehe: J. Schütterle: Kumpel, Kader und Genossen, S. 90. Zeitgenössisch siehe: o. A.: DDR, Fünf-Tage-Woche, Samstags nie, in: Der Spiegel 36 (1967), S. 22.

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menden sozialen Druck gegen Ende der 1950er Jahre.42 Ohne die Fernseherfahrung am vorhergehenden Abend war ein Gespräch in der Firma oder beim Einkauf häufig nicht mehr möglich.43 Doch wenngleich die Fernsehanstalten mit ihrem Programm den ständigen Fernsehkonsum unterstützten, standen sie der »Fernsehfaszination« nicht unkritisch gegenüber. ZDF-Intendant Holzamer äußerte sich 1963 besorgt: »Und wenn man hier sofort von Fernsehfaszination spricht, so sollte man bei näherem Zusehen auch von Fernsehschwächen in den Haushalten reden. Oft sieht man sich Dinge an, weil man sich nicht entschließen kann, den Apparat abzuschalten und weil man sich in seinen eigenen vier Wänden bei menschlichen Schwächen stärker gehen zu lassen pflegt«.44 Generell kann allerdings konstatiert werden, dass das Fernsehen allmählich zu einer Ritualisierung und Strukturierung des Alltags führte.45 Die Kriminalreihen Stahlnetz und Blaulicht trugen nicht unerheblich dazu bei, das Medium Fernsehen im Alltag zu verankern und diesen letztlich auch zu strukturieren. Ein Hinweis auf die Sogwirkung der Reihe Stahlnetz für den Alltag der Zuschauer zeigte ein Titelbild der Fernsehzeitschrift »HörZu« aus dem Jahr 1961, die ein junges Ehepaar auf seiner Couch sitzend abbildet. Vor ihnen steht das Abendessen, das sie gebannt auf das Fernsehgerät starrend einnehmen, während einer der Straßenfeger jener Jahre ausgestrahlt wird.46

42 Für die DDR liegen Quellen, wie sie Schildt herangezogen hat, nicht vor. Mit Blick auf die Zahlen zur Geräteproduktion sind in der DDR ähnliche Kriterien anzulegen. 43 A. Schildt: Moderne Zeiten, S. 277. 44 Holzamer, Karl: Fernsehen – Unterhaltungs- und Nachrichtenmagazin?, in: ArchivDienst für Funk Fernsehen Film 12 (1963), S. 336f, zitiert nach: Bleicher, Joan Kristin (Hg.): Fernseh-Programme in Deutschland. Konzeptionen, Diskussionen, Kritik (1935– 1993). Ein Reader, Opladen 1996, S. 96. 45 Bartsch, Anne/Brück, Ingrid/Fahlenbrach, Kathrin (Hg.): Medienrituale. Rituelle Performanz in Film, Fernsehen und Neuen Medien, Wiesbaden 2008. 46 HörZu, Nr. 45, 1961. Ein solch sprechendes Bild war für die Reihe Blaulicht nicht zu finden, aufgrund der Zuschauerresonanz kann jedoch davon ausgegangen werden, dass sich solche und ähnliche Szenen auch in DDR-Haushalten zur entsprechenden Sendezeit abgespielt haben.

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2.2 D IE G EBURT DER F ERNSEHKRIMINALREIHE . G ENREENTWICKLUNGEN UND AUTHENTIZITÄTSPRINZIP Rolands Krimis (oder Leichen) sind die besten also? Nein, so pauschal kann man das nicht sagen. Denn die »Stahlnetze« sind keine Krimis. Roland betont das mit aller Entschiedenheit und läßt sich vom Terminus »Dokumentarisches Kriminalspiel« nicht abbringen.47

Wenn selbst vom Regisseur »so pauschal« keine Antwort darauf zu geben war, ob Stahlnetz ein Krimi, ein »dokumentarisches Kriminalspiel« oder womöglich ein »Antikrimi« sei, sollte an dieser Stelle eine kurze Verständigung darüber stattfinden, was unter dem Genre »Krimi« zu verstehen ist und inwiefern diese Klassifizierung für die beiden Kriminalreihen Stahlnetz und Blaulicht gilt. Wenngleich die Geschichte der Literaturwissenschaft zeigt, dass Texte über Gewalt, Verbrechen und deren Aufklärung definitorisch schwierig zu fassen sind,48 scheint mittlerweile ein Minimalkonsens über den »Krimi«, dessen Kurzbezeichnung mittlerweile Einzug in wissenschaftliche Arbeiten gefunden hat, zu herrschen. Als Krimis werden Geschichten bezeichnet, die die Aufklärung von Verbrechen in den Blick nehmen. Ausgangspunkt des Genres der Kriminal- und der Detektivliteratur ist mehr oder weniger unumstritten Edgar Allan Poes »Der Mord in der Rue Morgue«.49 Ihm folgte mit einigem Abstand Arthur Conan Doyles »Sherlock Hol47 o. A.: Ist »Stahlnetz« ein Anti-Krimi? Jürgen Rolands Erfolgsserie wird 10 Jahre alt, in: Welt am Sonntag, 10. 3. 1968, in: DIF – Nachlass Jürgen Roland. 48 Vgl. hierzu u. a.: Heißenbüttel, Helmut: Spielregeln des Kriminalromans, in: Der Monat 16 (1963), H. 181, S. 51–60; Heißenbüttel, Helmut: Spielregeln des Kriminalromans. Eine Erweiterung des Themas, in: Schmidt-Henkel, Gerhard/Enders, Horst/Knilli, Friedrich/et al. (Hg.): Trivialliteratur. Aufsätze, Berlin 1964, S. 162–175; Alewyn, Richard: Anatomie des Detektivromans, in: Ders.: Probleme und Gestalten. Essays, Frankfurt a. M. 1974, S. 361–394; Ders.: Ursprung des Detektivromans, in: Ders.: Probleme und Gestalten, S. 341–360; Nusser, Peter: Der Kriminalroman, Stuttgart 21992 und T. Zwaenepoel: Dem guten Wahrheitsfinder. 49 Karl Härter datiert das Interesse an Verbrechen, Justiz und Strafe sogar deutlich früher: »Bereits mittelalterliche Rechtstexte wie der Sachsenspiegel waren reichhaltig illustriert und sogar Gerichtsbücher und Kriminalakten enthalten eher beiläufig angefertigte Zeichnungen«. Mit dem Aufkommen des illustrierten Flugblattes als Massenmedium im 16. Jahrhundert nahmen sich diese kriminellen Verhaltens in ihren Bildern an. Dabei ist – ähnlich dem bundesdeutschen Fernsehkriminalfilm der 1950er Jahre – festzuhalten, dass »schwere Verbrechen und peinliche Strafen« weitaus häufiger in Druck gingen als in der

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mes«. Die Anfänge wurden demnach vor allem im englischsprachigen Raum gemacht,50 wo fiktive Handlungsstränge bevorzugt und Detektive z. T. mit übernatürlichen wirkenden Geistesfähigkeiten ausgestattet wurden. Deutsche Autoren betonten hingegen häufig den Wahrheitsgehalt ihrer Geschichten. So findet sich beispielsweise in Schillers Opus »Der Verbrecher aus verlorener Ehre« (1786) der Zusatz »Eine wahre Geschichte« und damit der Verweis auf ihren (fingierten) dokumentarischen Charakter. Der Medienwissenschaftler Thomas Weber knüpft die fiktive bzw. dokumentarische Gestaltung des Krimis eng an seine Hauptaufgabe, die Unterhaltung, und die jeweiligen gesellschaftlichen Begehrlichkeiten. In einem historischen Rückblick sieht er das Unterhaltungs- und damit auch Sensationsbedürfnis der deutschsprachigen Leser des 18. Jahrhunderts durch die PitavalGeschichten51 befriedigt. Diese frühen, semidokumentarischen Aufarbeitungen wurden im 19. Jahrhundert von fiktionaleren Konzeptionen verdrängt. Weber merkt allerdings an, dass trotz fiktiver Kriminalfälle der Bezug auf die Realität bestehen blieb und »allenfalls modifiziert« wurde.52 Nachdem sich die Medienlandschaft des späten 19. Jahrhunderts53 ausdifferenzierte und der Autor damit zunehmend von klassischen Publikationsmethoden entbunden wurde, verbreiterte sich auch das Angebot von Kriminalgeschichten. Zu diesen neuen Formen zählten u. a. der Kol-

Strafrechtspraxis verhandelt. In: Härter, Karl: Criminalbilder. Verbrechen, Justiz und Strafe in illustrierten Einblattdrucken der Frühen Neuzeit, in: Ders./G. Sälter/E.Wiebel (Hg.): Repräsentationen von Kriminalität und öffentlicher Sicherheit, S. 25–97, Zitate S. 25 und 34. 50 Doch auch die deutsche Literatur wartete mit einer Vielzahl von Romanen, Novellen und Stücken auf, die Kriminalfälle oder Verbrechen behandelten. Als wohl bekannteste Beispiele sind Friedrich Schillers »Der Verbrecher aus verlorener Ehre« oder E. T. A. Hoffmanns Novelle »Das Fräulein von Scudery« zu nennen. 51 Der französische Jurist François Gayot de Pitaval veröffentlichte ab 1734 Fallgeschichten, die er aus Prozessakten und Verhandlungsprotokollen (re-)konstruierte und mit erklärenden Anmerkungen versah. Pitaval schuf eine 20-bändige Ausgabe, die rasch nach ihrem Erscheinen in mehrere Sprachen, u. a. ins Deutsche, übersetzt wurde und auf großen Zuspruch stieß. Siehe: L. Bauer: Authentizität, S. 50–51. 52 Weber, Thomas: Die beruhigende Mörderjagd. Zur Ästhetik und Funktion von westdeutschen Fernsehkrimis, in: SPIEL 13 (1994), H. 2, S. 256–277, S. 259. Siehe auch: L. Bauer: Authentizität, S. 51. 53 J. Requate: Kommerzialisierung der Presse im frühen 20. Jahrhundert, in: C. Zimmermann (Hg.): Politischer Journalismus, S. 121–137 und Requate, Jörg: Kennzeichen der deutschen Mediengesellschaft des 19. Jahrhunderts, in: Ders. (Hg.): Das 19. Jahrhundert als Mediengesellschaft, München 2009, S. 30–42.

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portageroman oder auch die Dime Novel (Heftromankrimi) mit ihren wiederkehrenden Helden, die in kurzen Zyklen ermittelten.54 Mit dem Aufkommen des audiovisuellen Mediums erfuhr das Genre eine neuerliche Erweiterung. Stärker noch als in der Literatur löste sich der Gegensatz zwischen Fiktivität und Faktizität in der Kriminalhandlung auf, denn das filmische Zeichen erzeugte bereits den Eindruck, unmittelbar die Realität abzubilden.55 An die Gegebenheiten des neuen Mediums angepasst, fand auch der Krimi zu neuen (Misch-)Formen, wie z. B. Gangster-, Detektiv- und Polizeikrimis, die die unterschiedlichen Erwartungen der Zuschauer bedienten.56 Bis in die 1940er Jahre hinein erfreute sich der Krimi besonderer Beliebtheit. Entgegen älteren Forschungsmeinungen, das »Dritte Reich« hätte auf die Distribution des Kriminalromans verzichtet, diesen sogar verboten,57 blühte das Geschäft mit dem fiktiven Verbrechen. Folgt man dem Literaturwissenschaftler Carsten Würmann, hatte nahezu jeder große Verlag Kriminalromane in seinem Programm, die, um verschiedene Käuferschichten anzusprechen, in unterschiedlicher Ausführung verlegt wurden. Daneben verkauften sich die so genannten Groschenhefte in hoher Auflage von mehreren hunderttausend Stück.58 Der Markt war dabei keineswegs nur von deutschen Produkten dominiert. Englischsprachige Romane erfüllten im »Dritten Reich« eine schriftstellerische Vorbildfunktion, die weithin anerkannt war. Autoren und Verlage nutzten den »guten Ruf« der englischsprachigen Erzeugnisse und anglisierten Autorennamen, Buch- oder Hefttitel, um ihren Absatz zu erhöhen.59 Ähnliche Tendenzen in der Befürwortung westlicher Produkte sind beim Film des »Dritten Reiches« abzulesen. Das synchronisierte Hollywoodkino war bei Zuschauern wie Machthabern beliebt, gleichzeitig galt »der Westen« als ideologi-

54 T. Weber: Die beruhigende Mörderjagd, in: SPIEL 13 (1994), S. 259. 55 L. Bauer: Authentizität, S. 14. 56 T. Weber: Die beruhigende Mörderjagd, in: SPIEL 13 (1994), S. 259–260. Allgemeiner vgl. auch: Holzmann, Gabriela: Schaulust und Verbrechen. Eine Geschichte des Krimis als Mediengeschichte (1850–1950), Stuttgart/Weimar 2001. 57 Alewyn beschreibt, dass der Detektivroman von totalitären Machthabern allgemein unterdrückt worden sei. In: R. Alewyn: Ursprung des Detektivromans, in: Ders.: Probleme und Gestalten, S. 344. Doch nicht alle Literaturwissenschaftler schlossen sich Alewyn gleichermaßen an, ein differenzierteres Bild findet sich jüngst bei Würmann, Carsten: Zum Kriminalroman im Nationalsozialismus, in: Franceschini, Bruno/Ders. (Hg.): Verbrechen als Passion. Neue Untersuchungen zum Kriminalgenre, Berlin 2004, S. 143–186, siehe hier besonders Fußnoten 8 und 9. 58 Ebd., S. 147–148. 59 Ebd., S. 150.

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scher Gegner und kulturelles Gegenbild.60 Für beide Medien kam es mit Kriegsbeginn 1939 zu einer einschneidenden Zäsur. Während der Import US-amerikanischer Produktionen gestoppt und die Film-Propaganda nun gänzlich nach innen und auf die Vorbereitung des Krieges gerichtet wurde,61 verbot das Regime zahlreiche Kriminalromane.62 Begründet wurden die Verbote im Literaturbetrieb mit Ressentiments gegenüber den eskapistischen Elementen des englischsprachigen Kriminalromans, seiner minderen sprachlichen Güte sowie der Exterritorialisierung von Handlungen, die zumeist in England oder den USA angesiedelt waren. Erich Langenbucher, Ministerialrat im Propagandaministerium, plädierte dafür, deutsche Verbrechen, die es auch unter dem Nationalsozialismus geben könnte, zu schildern und die Polizei in ihrem Kampf gegen das Verbrechen hervorzuheben – nicht mehr Scotland Yard. Er orientierte sich in seinen Forderungen an der Kriminalberichterstattung in Zeitungen und Zeitschriften und forderte einen stärker dokumentarischen Stil.63 Gewaltdarstellungen, Morde und andere Schwerverbrechen sollten dabei nur sparsam Eingang in die Handlung finden. Langenbuchers Forderungen wurden den Verlagen, den Buchhandlungen und den Leihbüchereien ab 1940 vorgeschrieben. Würmann kann herausarbeiten, dass die herrschende Ideologie des Nationalsozialismus, z. B. in Form des Antisemitismus und des völkischen Rassedenkens, kaum Eingang in die Romanhandlungen fand. Häufig war noch nicht einmal erkennbar, ob die Handlung vor oder nach 1933 spielte. Stattdessen wurde in den gehobenen Kriminalromanen eine zeitlose »moderne Industriegesellschaft mit rechtsstaatlichen Normen« präsentiert, die durchaus nach 1945 hätte gelten können.64 Wiederum scheint ein Vergleich zum Unterhaltungsmedium Film instruktiv. Denn sowohl auf der Kinoleinwand als auch in der Kriminalliteratur wurde 60 Eder, Jens: Das populäre Kino im Krieg, in: Segeberg, Harro (Hg.): Das Dritte Reich und der Film (= Mediale Mobilmachung 1), München 2004, S. 379–417, S. 381. 61 Ebd., S. 381. 62 C. Würmann: Zum Kriminalroman im Nationalsozialismus, in: B. Franceschini/Ders. (Hg.): Verbrechen als Passion, S. 152. Würmann lässt offen, ob und in welchem Umfang sich die Verbote auf die englischsprachigen Importe bezogen und in welchem Maß deren Absatz nach dem Krieg noch vorangetrieben wurde. 63 Ebd., S. 161. Würmann schätzt Langenbuchers Forderung als illusorisch ein, schließlich könne ein Polizeibericht niemals die Massenpopularität der sensationellen Literatur erreichen. 64 Ebd., S. 176. Der Autor geht sogar einen Schritt weiter, indem er konstatiert: »Gerade weil sie nicht auf explizit nationalsozialistische Normen und Werte abhoben, sondern sich auf ein zeittypisches Gemisch bürgerlicher Vorstellungen bezogen, halfen sie mit, die Fiktion einer zwar nicht demokratischen, vielleicht nur bedingt rechtsstaatlichen, aber durchaus rechtschaffenen modernen Gesellschaft aufzurechtzuerhalten [sic!], die durch jede erfolgreiche Aufklärung eines Verbrechens ihre Bestätigung fand« In: ebd., S. 179.

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versucht, Unterhaltungs- und damit auch Erziehungsaufgaben unter Auslassung des zeitgenössischen Bezugs durchzusetzen. Derweil erfreuten sich nicht nur die gedruckten oder verfilmten Kriminalstoffe, sondern auch die über Äther gesendeten Kriminalhörspiele großer Beliebtheit. Als Begriff erstmalig 1935 verwendet, existierte die Gattung bereits seit den 1920er Jahren. Die Produktionen von Kriminalhörspielen waren sowohl inhaltlich als auch in der Zuschauerresonanz den Kriminalromanen ähnlich.65 Dieser Trend setzte sich nach 1945/49 in beiden deutschen Staaten fort. Eine Studie des NWDR zum »Interesse der Jugendlichen an publizistischen Mitteln« aus dem Jahr 1954 konnte deutlich herausarbeiten, dass diese Nutzergruppe offensichtliche Präferenzen für das Kriminalhörspiel habe.66 Diesem Interesse entgegenkommend, sendete der westdeutsche Hörfunk der 1950er Jahre die besonders beliebten Hörspielserien wie Gestatten, mein Name ist Cox, Täter gesucht oder Paul Temple.67 Auch in der DDR waren Krimis im Hörfunk beliebt. Einige größere Fernsehproduktionen wie die Pitaval-Reihe fanden im Radio ihren Ursprung oder wurden begleitend zu einer großen Fernsehkrimireihe eingesetzt.68 Der Sprung vom Hörfunk auf das neue Medium Fernsehen schien bei der ungebrochenen Popularität des Genres konsequent. Visuell konnte sich das Fernsehen zwar beim Film bedienen, aber das kleine Bildschirmformat verlangte eine andere, neue Ästhetik, auch in Bezug auf den Krimi. Der von Kinoregisseur Alfred Hitchcock entwickelte berühmte »Vertigo-Effekt«, also das Einzoomen der Kamera bei gleichzeitiger Rückwärtsfahrt (oder umgekehrt), hätte auf dem kleinen Fernsehbildschirm massiv an Wirkung verloren. Die westdeutschen Fernsehmacher zogen es daher vor, dem Bundesbürger zunächst dokumentarisch angelegte Fernsehspiele (oder Theaterstücke) – ohne vielfältige visuelle Effekte – zu präsentieren. Im Jahr 1954 wurden erste »Mit-mach-Krimis« gesendet, bei denen der Schluss offen blieb, damit der Zuschauer den Fall selbst lösen und die Antwort einsenden konnte. Außerdem feierte in diesem Jahr eine Sendung Premiere, die den deutschen Fernsehkrimi nachhaltig beeinflussen sollte: Diese Sendereihe Der Polizeibericht 65 A. Meyer: Kriminalhörspiele 1924, S. 34–38. 66 Ernst, Wolfgang: Jugendliche Heute. Interesse der Jugendlichen an publizistischen Mitteln, Hamburg 1954, S. 13. 67 Ebd., S. 15 und Weichselbaumer, Susanne: Das Hörspiel der fünfziger Jahre. »Regionalliga Süd« und »Championsleague«, Frankfurt a. M. 2007, S. 144f. sowie 242f. Vor allem Paul Temple, als ältestes Hörspiel dieser Reihe, erfreute sich großer Beliebtheit. Es wurden sogar Fanclubs in Europa und Übersee gegründet. Das Prinzip der Falllösung am Ende einer Reihe von Folgen stieß auf eine breite Zuschauerresonanz und wurde zum Vorbild späterer Fernsehproduktionen wie z. B. der Reihe Durbridge. Zu Paul Temple siehe: A. Meyer: Kriminalhörspiele 1924, S. 40. 68 Ebd., S. 57–59.

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meldet …69. In dieser dokumentarischen Sendereihe stellte der Hamburger Kriminalkommissar Breuer den Zuschauern abgeschlossene, z. T. aber auch ungelöste Kriminalfälle vor und erläuterte dabei die Arbeit der Kriminalpolizei.70 1958 wurde der live gesendete Der Polizeibericht meldet … von der vorproduzierten Reihe Stahlnetz abgelöst. Zwar wurde das dokumentarische und damit auf Authentizität abhebende Element beibehalten, die Arbeit der Polizei anhand von Kriminalpolizeiakten nachzuzeichnen, die Handlung selbst wurde jedoch weitgehend fiktionalisiert. Das vom NDR produzierte Stahlnetz wurde bis 1968 ausgestrahlt und gilt als Vorläufer der Reihe Tatort. Als am 29. November 1970 die erste Tatort-Folge »Taxi nach Leipzig« in der ARD lief, hatte sich bereits eine Reihe weiterer Eigenproduktionen im Programm der einzelnen Sendeanstalten, aber auch im ZDF etabliert. Von der Popularität der Reihe Stahlnetz inspiriert, produzierte das ZDF zwei ähnliche Reihen: Das Kriminalmuseum (1963–1970)71 und Die fünfte Kolonne (1963– 1968)72. Parallel zu den semidokumentarisch ausgerichteten Sendungen entwickelte sich eine fiktionale Linie73, die sich stark an amerikanischen, britischen oder französischen Krimis anlehnte. Zu den bekanntesten Produktionen der ausgehenden 1950er und 1960er Jahre zählten die Literaturverfilmungen von Kriminalautor Francis Durbridge, die als Mehrteiler auf der ARD gesendet wurden (1959–1968).74 Im Gegensatz zur Stahlnetz-Reihe waren die in England spielenden Durbridge-Filme rein fiktiv.75 Ihre Filmästhetik wich mithin stark von den Inszenierungen des Stahlnetz ab. Zum einen wurde Durbridge nahezu komplett im Studio gedreht und konnte so eine gewisse Kammerspielästhetik nicht verleugnen,76 zum anderen wurden die Zuschauer durch die mehrteilige Struktur der einzelnen Folgen über einen Zeitraum von mehreren Abenden innerhalb einer Woche an ihren Bildschirmen gehalten. Die Durbridge-Verfilmungen waren regelrechte Fernsehereignisse, die einmal jährlich stattfanden und die Zuschauer vor ihre Geräte bannten. Keiner wollte die Fortset69 Nähere Erläuterungen zu Der Polizeibericht meldet … und Stahlnetz siehe den folgenden Abschnitt. 70 Das ZDF nahm 1967 den Inszenierungsansatz des Polizeiberichtes auf und schuf die Sendung Aktenzeichen xy ungelöst. 71 Vgl. u. a.: I. Brück: Alles klar, Herr Kommissar?, S. 144–171. 72 Vgl. u. a.: Ebd., S. 172–194. 73 Auf die Unterscheidung zwischen dokumentarischer und fiktionaler Traditionslinie verweist: Brück, Ingrid: Der westdeutsche Fernsehkrimi im Diskurs der Expertinnen: ein Forschungsbericht, in: SPIEL 15 (1996), H. 2, S. 293–341, besonders S. 306 und 310. 74 Zuvor wurde »Durbridge« bereits mehrfach für den Hörfunk und das englische Fernsehen adaptiert. 75 I. Brück u. a.: Der deutsche Fernsehkrimi, S. 123. 76 Ebd., S. 124.

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zung und damit Aufklärung des Falles verpassen. Aufgrund ihrer großen Beliebtheit wurde auch diese Reihe häufig als »Straßenfeger« bezeichnet.77 Eine andere, ähnliche beliebte Produktion des Konkurrenten ZDF war Der Kommissar, gespielt von Schauspieler Erik Ode (1968–1975).78 Die Geschichten waren ebenfalls fiktiv, stellten aber eine Art Zwischenformat dar, indem sie zum einen die Fälle an die Realität des Zuschauers anpassten (im Gegensatz zu Durbridge) und zum anderen in das Prinzip der Serialität einführten. So konnte sich der Zuschauer an eine Figur »gewöhnen«, was ihm bei Stahlnetz oder Das Kriminalmuseum noch verwehrt blieb. Parallel zu diesen Eigenproduktionen kauften beide Anstalten ausländische, vor allem US-amerikanische und britische Krimis (Perry Mason, 77 Sunset Strip) ein, die synchronisiert ausgestrahlt wurden.79 Die DDR begegnete dem Krimi auf ambivalente Weise. Auf der einen Seite wurde zwar seine Unterhaltungsfunktion und Beliebtheit in der Bevölkerung gewürdigt, auf der anderen Seite stand er im Grundsatz zur Diskussion, galt er doch als unsozialistisch, bürgerlich und damit als überholtes Genre. Da die Bevölkerung bei einem strikten Verbot der Kriminalliteratur wohl auf westliche Stoffe zurückgriffen hätte, billigte die SED-Führung dem Krimi eine eingeschränkte Daseinsberechtigung zu. Den Autoren wurde daher u. a. zur Auflage gemacht, ausreichend erzieherische Aspekte in die Handlung einzubringen.80 Eine Forderung die für den gesamten Kulturbereich nachvollzogen werden kann. Mit dieser Forderung verbunden war die bereits 1934 in der Sowjetunion festgesetzte Doktrin des »Sozialistischen Realismus«81. Die Autoren aller Medien – Radio, Literatur, Film und Fernse77 Der Begriff des »Straßenfegers« stammte aus der Zeit der Hörspielproduktion Anfang der 1950er Jahre. 78 Vgl. u. a. I. Brück: Alles klar, Herr Kommissar?, S. 195–232. 79 Die deutliche Fiktionalisierung der Eigenproduktionen in den 1960er Jahren, hier allen voran Stahlnetz, sieht Hickethier als Folge des verstärkten Zukaufs. K. Hickethier: Der Fernsehkrimi, in: SPIEL 13 (1994), S. 282. 80 A. Guder: Genosse Hauptmann auf Verbrecherjagd, S. 5. 81 Die Forschung zum Sozialistischen Realismus ist sich darüber uneinig, ob er als Stilrichtung, Doktrin (G. Rüther: Greif zur Feder, S. 46ff.) oder als Methode bezeichnet werden soll. Geht man vom Gründungsstatut auf dem I. Allunionstreffen des Sowjetischen Schriftstellerverbandes 1934 aus, so ist er sicherlich als Letzteres zu bezeichnen: »Als die grundlegende Methode der sowjetischen schönen Literatur und der Kritik fordert der Sozialistische Realismus vom Künstler eine wahrheitsgetreue, historisch korrekte Darstellung der Wirklichkeit in ihrer revolutionären Entwicklung.« (zitiert nach: Mozejko, Edward: Der sozialistische Realismus. Theorie, Entwicklung und Versagen einer Literaturmethode, Bonn 1977, S. 59). Der Autorin scheint es sinnvoll, alle hier benannte Begrifflichkeit zur Beschreibung des Sozialistischen Realismus zu verwenden, da er nicht

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hen – und Genres hatten sich entsprechend an drei Prinzipien zu orientieren. Da der Sozialistische Realismus auch von Bedeutung für die Blaulicht-Reihe war, sollen dessen Leitlinien kurz vorgestellt werden. Erstens hatte der Stoff Parteilichkeit zu vermitteln. Dies bedeutete das Anerkennen der »führenden Rolle der Arbeiterklasse und ihrer Partei« und daraus folgend, »die historische Überlegenheit des sozialistischen Gesellschaftssystems gegenüber dem Kapitalismus« deutlich zu machen.82 Diese Superiorität sollte sich in den Themen und den behandelten Konflikten, den handelnden Personen und ihrer Bewertung, »[dem] sozialistische[n] Menschenbild und seine[r] ethische[n] Vorbildwirkung«, in »[der] künstlerische[n] Aufdeckung gesellschaftlicher Konflikte und ihrer Lösung« sowie allen ästhetischen Gestaltungsmittel wiederfinden.83 Für die Reihe Blaulicht lässt sich an dieser Stelle bereits festhalten, dass Parteilichkeit zum einen durch eine korrekte Darstellung der Polizeiarbeit und zum anderen durch das individuelle Verhalten der einzelnen Polizisten im Umgang mit der jeweiligen Kriminalität, den Tätern und der Bevölkerung im Krimi herausgearbeitet wurde. Volksverbundenheit war das zweite Prinzip des Sozialistischen Realismus. Inhalt und Form der jeweiligen Darstellung sollten »den Bedürfnissen der Bevölkerungsmehrheit« entsprechen, aber keine Angleichung an den Massengeschmack vornehmen. Die Autoren hatten das Ziel zu verfolgen, den Rezipienten zu einem »erwünschten Bewusstseins- und Geschmacksniveau« zu führen.84 Grundlegend für dieses Merkmal war die »Verbundenheit und Übereinstimmung mit der herrschenden Klasse und dem Arbeiter- und Bauernstaat unter Führung der SED. Denn die Überwindung des Widerspruchs zwischen Geist und Macht bilde die wichtigste Voraussetzung für die Realisierung einer volksverbundenen Literatur und Kunst«.85 Für den Blaulicht-Krimi galt die Prämisse der Volksverbundenheit nicht nur durch die Beliebtheit des Krimis an sich, sondern durch seine pädagogischen Einflechtungen, die in der folgenden Analyse herauszuarbeiten sind. Eine dritte Komponente war die wahrheitsgetreue Darstellung der Realität, deren entscheidendes Kriterium freilich der geltende »Klassenstandpunkt« darstellen sollte. Dementsprechend hatte sich der Künstler der Einhaltung folgender Forderungen zu verschreiben: Erstens der »getreue[n] Wiedergabe des Details«, zweinur eine Denkart war, deren Darstellung klar reglementiert wurde. Vielmehr war er auch eine Methode zum spezifischen Erkenntnisgewinn, eine Doktrin, die sich an die Vorgaben der Partei halten musste, und darüber hinaus eine Stilrichtung, die sich von westlichen Kunstrichtungen klar abgrenzte. 82 Erbe, Günter: Die verfemte Moderne. Die Auseinandersetzung mit dem »Modernismus« in Kulturpolitik, Literaturwissenschaft und Literatur der DDR, Opladen 1993, S. 30. 83 Zitate siehe: G. Rüther: Greif zur Feder, S. 52. 84 G. Erbe: Die verfemte Moderne, S. 31. 85 G. Rüther: Greif zur Feder, S. 52.

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tens der »getreue[n] Wiedergabe typischer Charaktere« und drittens der »getreue[n] Wiedergabe typischer Umstände«.86 Diese Ansprüche schlossen eine positive Inszenierung der Realität und des Helden ein. Alle Aspekte finden sich ebenso wie Punkt eins in der Darstellung der Kriminalpolizisten wieder. Alle drei Prinzipien des Sozialistischen Realismus entfalteten sich in besonderer Weise in massenwirksamen Medien, zu denen ab Ende der 1950er Jahre auch das Fernsehen zu rechnen war. Reihen wie Blaulicht hatten entsprechend drei Aufgaben zu erfüllen. Erstens hatten sie einen »ideologischen Erziehungsauftrag« nachzukommen, also die Menschen »zu grossen Taten für den Sozialismus anregen [und] in ihnen die Liebe zur Arbeit erwecken [sic!]«.87 Zweitens hatte der (Fernseh-)Film eine gemeinschaftsstiftende Wirkung anzustreben. Denn »filmisch vermittelte ›Kollektiverlebnisse gesamtgesellschaftlichen Ausmaßes‹ sollten das Gefühl erzeugen, in der sozialistischen Gemeinschaft aufgehoben und geborgen zu sein«.88 Durch jene Bestätigung des Kollektivs wurde eine Systembestätigung nach innen evoziert, die sich auf eine Abgrenzung zum kapitalistischen Ausland übertrug. Eine dritte Funktion des (Fernseh-)Films war die Vermittlung des sozialistischen Wertekanons und der sozialistischen Lebensweise. Grundlage dessen war das arbeitende Kollektiv und nicht die Individualität des Einzelnen. 1958 hatte Walter Ulbricht auf dem V. Parteitag der SED die »Zehn Gebote der Sozialismus« in Anlehnung an die christlichen zehn Gebote verkündet, die bis zum Regimewechsel 1970 Gültigkeit besaßen. Die moralische Botschaft der zehn Gebote und die damit verbundene Zementierung des »neuen sozialistischen Menschen« bestimmte die Aussagen der Reihe Blaulicht in entscheidendem Maße, daher sollen sie hier in Gänze zitiert werden. Nur derjenige handelt sittlich und wahrhaft menschlich, der sich aktiv für den Sieg des Sozialismus einsetzt, d. h. für die Beseitigung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. So kommt er dazu, seinem Leben einen neuen Sinn, einen festen inneren Halt und eine klare Perspektive zu geben. Das moralische Gesicht des neuen, sozialistischen Menschen, der sich in diesem edlen Kampf um den Sieg des Sozialismus entwickelt, wird bestimmt durch die Einhaltung der grundlegenden Moralgesetze: 1. Du sollst stets für die internationale Solidarität der Arbeiterklasse und aller Werktätigen sowie für die unverbrüchliche Verbundenheit aller sozialistischen Länder einsetzen. 86 Ebd., S. 50. 87 Kulturpolitische Konzeption für die Arbeit des DEFA-Studios für Spielfilme, Juni 1966, in: BArch: DR 1/4935 [Grammatik aus Gründen der Lesbarkeit verändert; N. H.]. 88 Miltschitzky, Elisabeth: Als Individuum im Kollektiv. »Massenwirksamkeit« und Publikumserfolg im DDR-Film, in: Schaudig, Michael (Hg.): Positionen deutscher Filmgeschichte. 100 Jahre Kinemathographie: Strukturen, Diskurse, Kontexte, München 1996, S. 419–454, Zitat S. 421.

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2. Du sollst Dein Vaterland lieben und stets bereit sein, Deine ganze Kraft und Fähigkeit für die Verteidigung der Arbeiter-und-Bauern-Macht einzusetzen. 3. Du sollst helfen, die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen zu beseitigen. 4. Du sollst gute Taten für den Sozialismus vollbringen, denn der Sozialismus führt zu einem besseren Leben für alle Werktätigen. 5. Du sollst beim Aufbau des Sozialismus im Geiste der gegenseitigen Hilfe und der kameradschaftlichen Zusammenarbeit handeln, das Kollektiv achten und seine Kritik beherzigen. 6. Du sollst das Volkseigentum schützen und mehren. 7. Du sollst stets nach Verbesserung Deiner Leistungen streben, sparsam sein und die sozialistische Arbeitsdisziplin festigen. 8. Du sollst Deine Kinder im Geiste des Friedens und des Sozialismus zu allseitig gebildeten, charakterfesten und körperlich gestählten Menschen erziehen. 9. Du sollst sauber und anständig leben und Deine Familie achten. 10. Du sollst Solidarität mit den um ihre nationale Befreiung kämpfenden und den ihre nationale Unabhängigkeit verteidigenden Völkern üben. Diese Moralgesetzte, diese Gebote der neuen, sozialistischen Sittlichkeit, sind ein fester Bestandteil unserer Weltanschauung.89

Alle genannten Prämissen und Aufgaben mussten nicht nur inhaltlich, sondern auch ästhetisch umgesetzt werden. Die Folge waren einfache Strukturen und ein stringenter Handlungsverlauf, die einem breiten Publikum den Zugang zu sozialistischen Filmen erleichtern sollten. Ebenso war ein positives bzw. eindeutiges Ende im Sinne eines Sieges der sozialistischen Idee erwünscht. Für die Kulturschaffenden bestand in diesen Anforderungen jedoch die Schwierigkeit, ein gewisses Niveau zu halten; waren viele nämlich zu dogmatisch, blieb das Publikum aus. Presse, Hörfunk und Film waren nicht nur in der Bundesrepublik die dominanten Massenmedien der ersten Nachkriegsjahre, auch in der SBZ/DDR war die Nachfrage nach Information und Unterhaltung groß. So stand auch der Krimi in der Gunst der Einwohner der SBZ/DDR. Daher feierte die DEFA bereits im zweiten Jahr ihres Bestehens am 2. Mai 1947 mit ihrem ersten Kriminalfilm Premiere. Entgegen angelsächsischen Traditionen hob »Razzia«, gedreht von Werner Klingler, jedoch weniger auf einen raffinierten Mord ab, sondern brachte die aktuelle Dramatik des Schwarzmarktes auf die Leinwand.90 Diese Schwerpunktsetzung war rich89 Ulbricht, Walter: Der Kampf um den Frieden, für den Sieg des Sozialismus, für die nationale Wiedergeburt Deutschlands als friedliebender, demokratischer Staat. Referat und Schlusswort auf dem V. Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands Berlin, 10. bis 16. Juli 1958, Berlin (O) 21958, S. 122–123. 90 »Razzia«,

Regie:

Werner

Klingler,

Deutschland

(Ost)

1946/1947.

Siehe:

http://www.filmportal.de/df/e4/Uebersicht,,,,,,,,778CC76843AE46D89E6EADE739270A 67,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,.html, 9. 5. 2013. In einer Besprechung des Films »Razzia« verweist

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tungsweisend für den DDR-Krimi. Auch die folgenden Produktionen orientierten sich an aktuellen Fällen mit Handlungsort Berlin, der Bundesrepublik oder auch der DDR. In den Handlungen der einzelnen Filme verbanden sich authentische Geschehnisse (z. B. historische Ereignisse) mit der stets geforderten politischideologischen Dimension.91 Das Fernsehen der DDR konnte und wollte sich der Sogwirkung des Krimis ebenfalls nicht entziehen und sendete bereits während seines Versuchsprogramms im Studio inszenierte Kriminalstücke. Zwar wurde ähnlich wie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk der Bundesrepublik auf angelsächsische Vorlagen (z. B. Edgar Wallace) zurückgegriffen, doch spätestens mit dem offiziellen Programmstart sollten dem Publikum auch eigene Produktionen präsentiert werden. Neben Einzelproduktionen (wie z. B. Es geschah in Berlin von Autor Günter Prodöhl) begann 1958 die erste Kriminalreihe des Deutschen Fernsehfunk: der Fernseh-Pitaval. Dieser nahm sich historischer Kriminalfälle an, die der promovierte Jurist Friedrich Karl Kaul aufarbeitete und dem Zuschauer präsentierte. In der 20 Jahre langen Produktionsgeschichte der Reihe zeigte der DFF Kriminalfälle aus der Weimarer Republik, der Zeit des Nationalsozialismus sowie aktuelle Fälle aus der Bundesrepublik in Form einer publizistischen Einführung durch Kaul und dramatisierten Einspielern. Im Mittelpunkt von Handlung und Darstellung standen vornehmlich die Ursache des Verbrechens und die (vermeintlich unrühmliche) Rolle der Justiz, weniger die Aufklärungsarbeit der Polizei.92 Eine umgekehrte Absicht verfolgte die bereits ein Jahr später beginnende Kriminalreihe Blaulicht. Innerhalb von 29 Sendungen stellte sie ihrem bundesdeutschen Vorbild Stahlnetz ähnlich anhand von abgeschlossenen Fallakten die Arbeit der Kriminalpolizei in den Vordergrund. Beide Produktionen wurden im Jahr 1968 eingestellt. Grund dafür war weniger mangelndes Zuschauerinteresse als vielmehr die Müdigkeit der Autoren, nachlassendes Interesse am Stoff und anderweitige Projektverpflichtungen. Die Reihe Blaulicht wurde sodann mit einiger zeitlicher die Tägliche Rundschau darauf: »... und man lernt auch die andere Seite kennen; die Männer, die dem Verbrechen den Kampf angesagt haben und deren Alltag die Sensation ist, die die anderen sonntags im Kino betrachten – die Kriminalpolizisten, deren stille, unermüdliche, aufopfernde Arbeit zum eigentlichen Gegenstand des Films wird«. In: Ein realistischer Zeitfilm. Erstaufführung des DEFA-Films Razzia in der Staatsoper, in: Tägliche Rundschau, Berlin (O), 3. 5. 1947. Die DFF Blaulicht-Reihe kehrte etwa zehn Jahre später zu diesem Sujet zurück, wenn auch mit anderen Fällen. 91 A. Guder: Genosse Hauptmann auf Verbrecherjagd, S. 43–46. Es bleibt festzuhalten, dass der Anteil von Kriminalfilmen bei der DEFA im Vergleich zu anderen Genres stets gering blieb. 92 Fischer, Jörg-Uwe: Fernsehpitaval. Fernseh-Kriminalreihe des Deutschen Fernsehfunks/ Fernsehen der DDR 1958–1978 (= DRA-Spezial), Potsdam 2006, S. 3.

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Überlagerung von anderen, ähnlich gestalteten Reihen (und Serien) wie Die Drei von der K, Täter unbekannt oder Kriminalfälle ohne Beispiel abgelöst. Erneut den Entwicklungen in der Bundesrepublik folgend, die 1970 mit dem Tatort das Genre des Fernsehkrimis geradezu revolutionierte, strahlte auch der DFF 1971 ein neues Format aus: den Polizeiruf 110.93 Auch der Fernseh-Pitaval wurde durch ein neues Format ersetzt und so an die veränderten Gegebenheiten der DDR angepasst. Der Staatsanwalt hat das Wort wurde ab 1965 bis zum Fall der Mauer regelmäßig ausgestrahlt und widmete sich ausschließlich dem Vergehen der Bürger im eigenen Land. Ob die Darstellung von Verbrechen im eigenen Land überhaupt zulässig sei und auf welche Ursachen Kriminalität zurückgeführt werden konnte, beschäftigte nicht nur die Parteigenossen, sondern auch die Krimiautoren. Gemäß der herrschenden Ideologie des Sozialismus sollte Kriminalität mit der Überwindung des Kapitalismus gleichsam beseitigt werden. Das Movens für Kriminalität lag dementsprechend im Kapitalismus mit all seinen Implementierungen und der Bürgerlichkeit als universellem Feindbild der Arbeiterklasse begründet.94 Zur Überwindung der rückständigen, kapitalistischen Denk- und Verhaltensgewohnheiten musste die Gesellschaft der DDR gemäß den sozialistischen Werten und Normen umerzogen werden. Ein nicht unerheblicher Teil der Verantwortung in der Umerziehung kam dabei den staatlichen gelenkten Massenmedien unter Prämisse des Sozialistischen Realismus zu. Und so war auch das überaus beliebte Genre des Krimis von diesen Vorgaben tangiert. Was bereits für die DEFA ausgeführt wurde, gilt im gleichen Maße auch für den Fernsehkrimi oder die Literatur. Es sollte – im Übrigen ähnlich den Vorgaben im Nationalsozialismus – weitgehend auf die Darstellung von Gewaltverbrechen und anderen schweren Delikten verzichtet werden. Ebenso war die Rolle des Kollektivs bei der Ermittlungsarbeit zu betonen. Die geschilderten Fälle sollten zudem – im Gegensatz zu den Durbridge-Krimis oder Verfilmungen von Edgar Wallace – einen Bezug zur Realität und keine rein fiktive Handlung aufweisen, da es um Erziehung und nicht banale Unterhaltung ging. Hier schließt sich der sozia-

93 P. Hoff: Polizeiruf 110. Vgl. auch: Jäger, Christian: Alltag verhaftet. Zur Repräsentation von Alltag im ostdeutschen Fernsehkrimi Polizeiruf 110, in: H. Wrage (Hg.): Alltag, S. 157–170. 94 Die Klassenkampftheorie der 1950er Jahre sowie die in Teilen modifizierte und abgeschwächte Relikte- und Rudimentetheorie der 1960er Jahre ging davon aus, dass die Ursachen von Kriminalität ausschließlich im schädlichen Einfluss des Westens zu suchen seien. Durch die Schließung der Grenzen gen Westen 1961 und das propagierte »Ankommen im Sozialismus« nahm man zunehmend Abstand von der »Klassenkampftheorie« und führte die Ursachen für Kriminalität zunehmend auf das rückständige, bürgerliche Denken der Bevölkerung zurück. Siehe: C. Rode: Kriminologie in der DDR.

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listische Krimi an die dokumentarische Linie des westdeutschen Kriminalfilms an, von der bereits die Rede war. In den folgenden Abschnitten werden die beiden Kriminalreihen ausführlich dargestellt. Dabei sind vor allem drei Bereiche von Belang: erstens die Akteure hinter und vor der Kamera, also Drehbuchautoren, Dramaturgen, Schauspieler und Regisseure. Wie sind sie zum Fernsehen und zu der jeweiligen Reihe gekommen? Was war ihr Antrieb für die Entwicklung und Umsetzung der Stoffe? Welchen Generationen und Alterskohorten gehörten sie an? Zweitens soll der Blick auf die fernsehtechnische und -ästhetische Umsetzung der jeweiligen Stoffe gelenkt werden. Wie war die Produktion vor Ort organisiert? Gab es zensorische Eingriffe und wie wurden diese durchgeführt (vor allem bei der Blaulicht-Produktion)? Wie viel Einfluss nahmen Stellen von außen, also die jeweiligen Fernsehanstalten, aber auch die Polizei und das Innenministerium, auf die Produktionen? Gleichzeitig ist interessant, wie beide Reihen in diesen Kreisen aufgenommen wurden. Dies leitet über zu einem dritten Schwerpunkt, dem Zuschauer. Welche zeitgenössischen Reaktionen sind überliefert und wie hat der Zuschauer die jeweilige Reihe im Ganzen wahrgenommen?

2.3 D AS S TAHLNETZ Roland, Menge und der Krimi Jürgen Roland Schellack (Abb. 2), der spätere »Mr. Stahlnetz«,95 wurde am 25. Dezember 1925 in Hamburg geboren. Noch während des »Dritten Reiches«, als er im Krieg verletzungsbedingt der Propaganda-Abteilung zugewiesen wurde, erhielt er erste Einblicke in journalistische Arbeit und Abläufe des NS-Medienbetriebs. Nach Ende des Krieges begann er fast nahtlos ein Volontariat beim ersten Radiosender Hamburgs, den die britische Besatzungsmacht unterhielt, und wurde so genannter news editor.96 Schnell spezialisierte er sich auf »Sensations-Berichterstattung, die er möglichst wirklichkeitsnah gestaltete«.97 1948 wechselte er das Medium und wurde Regieassistent beim Film, u. a. bei den Regisseuren Fritz Kirchhoff und Eugen York. 95 o. A.: Jürgen Roland »Mr. Stahlnetz« geht in Rente, in: BILD-Zeitung, 7.12.1990, in: DIF – Nachlass Jürgen Roland. 96 Dies belegt ein vom Nordwestdeutschen Rundfunk und der Broadcasting Control Unit quittiertes Schriftstück vom 14. 9. 1945, in: DIF – Nachlass Jürgen Roland. 97 o. A.: Interpress Archiv. Internationaler biographischer Pressedient, 15.12.1975, in: DIF – Nachlass Jürgen Roland. Siehe auch: Wagner, Hans-Ulrich: Das Ringen um einen neuen Rundfunk: Der NWDR unter der Kontrolle der britischen Besatzungsmacht, in: P.v. Rüden /H.-U. Wagner (Hg.): Die Geschichte des Nordwestdeutschen Rundfunks (1), S. 13–84, hier S. 38.

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195098/195199 besuchte er die Fernsehschule der BBC in London, die ihm nach seiner Rückkehr zu einer Anstellung beim NWDR-Fernsehen verhalf.

Abb. 2: Stahlnetz-Regisseur Jürgen Roland 1959 während der Edgar-Wallace-Produktion »Roter Kreis«.

Was ihn als Gerichts- und Polizeireporter besonders interessiert hatte,100 brachte er ab 1953/1954 auf den Fernsehbildschirm. Die Dokumentarreihe Der Polizeibericht meldet … ging auf Sendung. In einer Mischung aus nachgespielten Szenen, dokumentarischen Aufnahmen und Interviews zeichnete Roland wahre Kriminalfälle101 für den Zuschauer nach. Roland genoss dabei die großzügige Unterstützung des Hamburger Kripo-Chefs Carl Breuer,102 der oft in der Sendung auftrat, um die gezeigten Bilder zu kommentieren und sie für den Zuschauer einzuordnen. Daran lassen sich bereits zwei der drei wesentlichen Merkmale der Sendungen aufzeigen: die Aufklärung von Straftaten vorzuführen und damit gleichzeitig »präventive

98 o. A.: Munzinger Archiv 47/90, in: DIF – Nachlass Jürgen Roland. 99 o. A.: Interpress Archiv. Internationaler biographischer Pressedient, 15. 12. 1975, in: ebd. 100 Unklar ist, ob Roland lediglich kurz nach dem Krieg Gerichtsreporter war oder auch nach seiner Rückkehr aus London. 101 »Wahr« meint hier bereits aufgeklärte, aber noch nicht abgeurteilte Fälle. K. Prümm: Der Film noir der Adenauer Ära, in: L. Fischer (Hg.): Programm und Programmatik, S. 332. 102 »Kuddel« wurde 1933 aus dem Polizeidienst entlassen und übernahm 1945 die Leitung des Kriminalamtes bis zu seinem Ruhestand im Jahr 1960. Siehe: Kopitzsch, Wolfgang: Hamburg, in: Groß, Hermann/Frevel, Bernhard/Dams, Carsten (Hg.): Handbuch der Polizeien Deutschlands, Wiesbaden 2008, S. 165–197, hier S. 170.

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Verbrechensbekämpfung« zu betreiben.103 Als Wolfgang Menge, ebenfalls als Polizeireporter104 einmal tätig gewesen, gegen Ende der Sendereihe zum Produktionsteam stieß, erfand er die »Familie Beese«, die als Negativfolie für derartige Belehrungen dienen sollte.105 Denn erst durch die aktive Mitarbeit der Bevölkerung konnte seiner Vorstellung nach eine effektive Verbrechensbekämpfung stattfinden.106 Roland, der NWDR und die Polizei verfolgten ähnliche Ziele. Bereits 1953 hatte eine Tagung über die Zusammenarbeit zwischen Rundfunk und Polizei stattgefunden, auf der die Bedeutung des Fernsehens für die Verbrechensverhütung betont wurde.107 Roland verfolgte mit Der Polizeibericht meldet … jedoch ein weiteres Anliegen: Er wollte das Bild der Polizei in der Öffentlichkeit stärken, frei nach dem Motto: »Verständnis schafft Vertrauen«.108 Denn Roland hatte für sich erkannt, dass das Image der Polizei in der Öffentlichkeit auch nach Gründung der Bundesrepublik denkbar schlecht war. Die Polizei hatte ja das Erbe aus der Nazizeit, und da die Deutschen alles aus der Nazizeit verdrängt haben und auch damals schon in vielen Dingen falsch informiert waren, hatten sie also nur gelesen, daß es bei den schrecklichen Progomen [sic!] in Polen auch Polizeibataillone [sic!] gegeben hatte. Schon das war für viele, die ohnehin mit der Polizei nicht viel im Sinn hatten, aus welchem Grund auch immer, Anlaß zu sagen: Aha, die böse Polizei, als Handlanger der Herrschenden.109

103 »Im ›Polizeibericht‹ hat es klar Aufträge zur präventiven Verbrechensbekämpfung auch mit Ratschlägen gegeben.« Aussage Jürgen Rolands, zitiert nach: B. Vorländer: Stahlnetz. Die Anfänge, S. 136. 104 B. Peulings: Von »Der Polizeibericht meldet« zu »Stahlnetz«, in: H.-B. Heller/P. Zimmermann (Hg.): Blicke in die Welt, S. 146. 105 »Süchtig nach Geschichte – Der Regisseur Jürgen Roland«, TV-Dokumentation 1986. 106 Ein Aspekt, der auch zentral für die spätere Stahlnetz-Produktion ist. Nähere Ausführungen siehe Kapitel fünf. 107 StAHH: 621-1/144 NDR 1329 sowie Schwarzkopf, Dietrich: Ausbildung und Vertrauensbildung: die Rundfunkschule des NWDR (= Nordwestdeutsche Hefte zur Rundfunkgeschichte 6), Hamburg 2007, S. 30. 108 Jürgen Roland, zitiert nach: B. Vorländer: Stahlnetz. Die Anfänge, S. 135. 109 Jürgen Roland, zitiert nach: ebd., S. 136. Ob Roland bereits in den 1950er Jahren in der Lage gewesen war, so reflektiert über die nationalsozialistische Vergangenheit zu sprechen, muss offen bleiben. Die meisten Aussagen dieser Art sind erst für die späten 1980er und beginnenden 1990er Jahre dokumentiert, als die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Diktatur auch im öffentlichen Raum weiter entwickelt war.

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Er (und Menge) verstanden ihre Arbeit allerdings weniger als »Rehabilitation«110 der Polizei oder bewussten Imagefilm. Wie Roland anmerkte, lag der Sinn vielmehr in der »gute[n] Tat – das hört sich jetzt sehr blöde an, also Sie wissen was ich meine. Wir hätten uns beide unserem Verständnis von Polizeiarbeit und aus unserer Kenntnis von deutscher Polizeiarbeit nicht bereit gefunden [sic!], eine Polizeinegative Sendung zu machen. Weil wir beide dazu zuviel [sic!] verstanden von der Polizei«. Der Übergang von der Sendereihe Der Polizeibericht meldet … hin zum Stahlnetz war vor allem in diesem Punkt fließend. Und so können die Bemerkungen Rolands zur Reihe Der Polizeibericht meldet … im gleichen Maße für das Stahlnetz gelten. Auch für den Zuschauer war der Übergang fließend, denn Der Polizeibericht meldet … ging ohne Sendepause in das erste Stahlnetz »Mordfall Oberhausen«111 über, das am 14. März 1958 erstmals über den Sender lief – es sollte der Durchbruch Rolands als Regisseur werden.112 Den Anstoß für eine Weiterentwicklung des Sendeformates gab eine »Studienreise« durch die USA. Auf diese hatte ihn der NDR im Jahr 1956 geschickt, u. a., wie Roland selbst sagte, um den amerikanischen Fernsehkrimi näher kennenzulernen. Dort habe er »diese ›Dragnet‹-Sendung«113 auf NBC gesehen und sei vom ersten Moment an fasziniert gewesen. Ihn beeindruckte vor allem die Titelmelodie, die später auch das Markenzeichen des Stahlnetz werden sollte,114 der Off-Erzähler und nicht zuletzt die Kommissarsfigur Sergeant Joe Friday, gespielt von Jack Webb, dem Regisseur der US-Serie.115 Bereits im Vorspann wurde der Zuschauer 110 »Nein das geht mir zu weit.« In: Jürgen Roland, zitiert nach: ebd., S. 136. Nachfolgendes Zitat: ebd., S. 137. 111 Stahlnetz, »Mordfall Oberhausen«, Folge 1, 14. 3. 1958. 112 Entgegen den von Ingrid Brück in ihrer Dissertation festgehaltenen Regiewechseln im Verlauf der Produktionszeit war Roland der einzige Regisseur aller Folgen. Die von Brück genannten Günter Haase, Bernd Eismann, Fritz Lehmann und Wolfgang Zeh, denen sie einzelne Folgen zuweist, haben gemäß den Credits der Originalaufnahmen ausschließlich als Kameraleute gearbeitet. Ebenso widerspricht Brücks Aufzählung den Aussagen Rolands zu einzelnen Folgen im Interview mit Burkhard Vorländer. Vgl. I. Brück: Alles klar, Herr Kommissar?, S. 87 und Übersicht auf S. 286. 113 Jürgen Roland, zitiert nach: B. Vorländer: Stahlnetz. Die Anfänge, S. 136. 114 Das von Ray Anthony und Walter Schumann komponierte bzw. überarbeitete FanfarenMotiv ist bis heute untrennbar mit der Reihe Stahlnetz verknüpft. Wie beliebt es damals war, zeigen unzählige Briefe an die Redaktion mit Lob, Nachfragen und Bitten, die Melodie auf Vinyl zu pressen. Siehe NDR-Pressedokumentation. 115 Die Premiere der amerikanischen Ursendung Dragnet erfolgte 1949 im Hörfunk, zwei Jahre später kam der Wechsel ins Bildmedium Fernsehen. Für beide Sendeformen zeichnete Jack Webb als Regisseur verantwortlich und sprach bzw. spielte den Hauptdarsteller Sergeant Friday. »Trocken und unaufgeregt, eben im nüchternen Stil eines

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über den (semi-)dokumentarischen Charakter der Sendung aufgeklärt: »Ladies and Gentlemen. The story you are about to see is true«.116 Später wurde ergänzt: »The names have been changed to protect the innocent«.117 Als Roland aus den Vereinigten Staaten zurückgekehrt war, konnte er seinen Kollegen Wolfgang Menge (Abb. 3) für das neue Format gewinnen.118 Die erneute, dieses Mal jedoch längerfristige Zusammenarbeit beider gibt Anlass, die recht parallel verlaufende Biografie Wolfgang Menges näher zu beleuchten. Er wurde am 10. April 1924 in Berlin geboren, war somit fast gleichaltrig zu Roland, und wuchs wie dieser in Hamburg auf. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wandte er sich dem Journalismus zu, absolvierte ein Volontariat beim »German News Service«, dem Vorläufer der Deutschen Presseagentur (dpa) und wurde 1949 als einer der ersten Reporter beim »Hamburger Abendblatt« angestellt. Doch hielt es ihn nicht lange in Deutschland, und so ging er 1954 für einige Zeit als Korrespondent der »Welt« nach Asien.119 Neben den Stahlnetz-Drehbüchern, von denen er nahezu alle

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Polizeiberichts, reihte er die Fakten des aktuell zu bearbeitenden Falles aneinander. Dichterische Freiheiten und literarische Ausschmückungen waren seine Sache nicht, und auch seine Zeugen wurden höflich, aber eindringlich zur Sachlichkeit angehalten.« In: Keller, Harald: Kultserien und ihre Stars, Reinbek bei Hamburg 1999, S. 345. Neuartig war der starke Realitätsbezug und der imitierte »Cop-Jargon« der Reihe, der die Zuschauer begeisterte und Dragnet zu einer der populärsten Fernsehsendungen ihrer Zeit machte. 1959 wurde die Produktion unterbrochen und acht Jahre später erneut aufgenommen. Allerdings konnte sich die Neuauflage nur drei Jahre im Programm halten (ebd., S. 345–349). Ob deutsche Sendeanstalten das Dragnet für den deutschen Markt importierten, konnte nicht geklärt werden. Dragnet, »The Big Cast«, 14. 2. 1952. Dragnet, »The Big Trunk«, 7. 1. 1954. Wolfgang Menge bestritt in einem Interview, dass Roland die Idee zu Stahlnetz tatsächlich aus den USA mitgebracht habe. Vielmehr sei Roland ratsuchend zu Menge gekommen, da Der Polizeibericht meldet … an Verve verloren hatte und er eine Neuerung suchte. Menge habe dann begonnen, erste Dialoge zu schreiben, und so sei das rein fiktive Format Stahlnetz entstanden. Menges Aussagen widersprechen jedoch zu stark den bisher vorgetragenen Quellen und vor allem der exakten Wiedergabe verschiedener gestalterischer Elemente der Dragnet-Serie. Ein direkter Vergleich beider Sendungen zeigt, wie stark die Parallelen sind; eine rein zufällige Überschneidung ist nahezu ausgeschlossen. (Zeitzeugeninterview, Wolfgang Menge, 2. 6. 2008.) Unterschiedliche Quellen geben an, dass er der Korrespondententätigkeit bis Mitte der 60er Jahre nachgegangen ist. Hier sind jedoch Zweifel anzumelden, hat er doch spätestens seit der ersten Stahlnetz-Folge 1958 als Drehbuchautor gearbeitet – nach Aussagen von Jürgen Roland sogar bereits in den letzten Folgen von Der Polizeibericht meldet …. Vgl.: http://www.filmportal.de/df/08/Credits,,,,,,,,A13C3A2BA2134B5AAEEFD466FB 18CB2Bcredits,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,.html, 9. 5. 2013. Das Munzinger Archiv bestätigt, dass Menge bereits Ende der 1950er Jahre wieder in Deutschland gewesen ist. Zwar wird

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verfasste,120 schrieb er zunehmend zeitkritische Fernsehskripte u. a. über das Strafbataillon 999 (1959/60)121. Bis Ende der 1960er Jahre nahm ihn die Arbeit am Krimigenre jedoch fast gänzlich ein. Seinen endgültigen Durchbruch als querdenkender Autor erlangte er 1970 mit dem Fernsehspielfilm Das Millionenspiel.122

Abb. 3: Stahlnetz-Drehbuchautor Wolfgang Menge 1959 während der Edgar-WallaceProduktion »Roter Kreis«.

Obgleich Menges persönliche Motivation für sein Mitwirken an der Reihe Stahlnetz – fernab einer möglicherweise monetären – auch in einem Gespräch mit der Autorin nicht gänzlich geklärt werden konnte, unterstützte er Roland, das dokumentarische Material in ein fiktives Format zu überführen. Wie bereits angedeutet,

kein Rückkehrdatum genannt, doch werden eine Reihe von Drehbüchern aufgezählt, die er seit 1958 realisierte. Eintrag »Menge, Wolfgang« in Munzinger Online/Personen – Internationales Biographisches Archiv, http://www.munzinger.de.proxy.ub.uni-frank furt.de/docu-ment/00000017015, 9. 5. 2013. 120 Lediglich das Drehbuch zur 21. Folge wurde nicht von Wolfgang Menge verfasst. Hier zeichnete Thomas Keck verantwortlich. Dies stimmt überein mit den Aussagen Menges im Gespräch mit der Autorin, dass er seine Tätigkeit als Autor zeitweise niederlegte. Das letzte Drehbuch wurde von Menge in Co-Autorenschaft mit Karl Heinz Zeitler verfasst. 121 »Strafbataillon 999«, Regie: Harald Philipp, Bundesrepublik Deutschland 1959/60, siehe: http://www.filmportal.de/film/strafbataillon-999_82b308c9ddf44ea0b80f91292 3406eab, 9. 5. 2013. 122 »Das Millionenspiel«, Regie: Tom Toelle, Bundesrepublik Deutschland 1970, siehe: http://www.filmpotal.de/df/f6/Uebersicht,,c,,,,,,CA72AB0A62F54C4783B45CD31DA2 F172,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,.html, 9. 5. 2013.

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machten sie sich in der Gestaltung des Stahlnetz einige Elemente des in Amerika populären Dragnet zunutze, um auch das heimische Publikum für den »neuen« Krimi zu begeistern. Sie übernahmen sodann die Titelmelodie und sogar den Titel in einer freien deutschen Übersetzung.123 Ein weiteres Element war der Off-Kommentar, den das Stahlnetz bis zum Ende der Reihe beibehielt. Dieser Kommentar wurde je nach Folge abwechselnd von einem neutralen Sprecher (wie z. B. in »Die Blaue Mütze«124), dem Kommissar oder dem Verbrecher gesprochen. Der Polizeikommentar überwog jedoch bei Weitem – ähnlich wie im Vorbild Dragnet. Dem Off-Erzähler kamen im Rahmen der Sendung verschiedene Funktionen zu: Erstens begleitete er die gezeigten Bilder, ordnete sie der Geschichte zu und erklärte die Arbeit der Polizei während der Ermittlungen. Der Kommentar beschränkte sich daher nicht nur auf die Fakten des Falls, Uhrzeit und Ort der Tat, sondern gab auch kriminaltechnische Erklärungen. Der Sprecher verlieh der Binnengliederung der Geschichte eine äußere Logik und machte sie für den Zuschauer nachvollziehbar. In der Verbindung aus realen Fakten (zu Technik, zu einem Ort und einem Fall) und fiktiver Handlung kam dem Kommentar zweitens die Funktion zu, die Bilder und die mit ihnen verbundene Geschichte zu authentifizieren. Drittens ermöglichte ein Off-Text des Kommissars und vor allem des Verbrechers (wie in »Treffpunkt Bahnhof Zoo«125 oder »Der fünfte Mann«) eine Art Psychogramm des Täters. Im Falle des Verbrecher-Kommentars konnte dieser selbst Stellung zu seinem Verhalten nehmen, es dem Zuschauer erklären, ohne sich selbst rechtfertigen zu müssen. Warum der Täter in seinen Kommentar wenig Reue für sein Verhalten zeigte und warum er im Verlauf der Reihe immer stärker in den Fokus rückte, soll in Kapitel vier näher erläutert werden.

123 Dragnet würde korrekt mit »Schleppnetz« übersetzt. Dies schien den Machern wohl zu naiv, und so gaben Sie der Reihe den Namen Stahlnetz. Ein Netz, das den Verbrechern garantiert kein Entkommen mehr ermöglicht – so die Verheißung. Roland äußerte sich dazu in der »Deutschen Polizei«: »... wobei ich bei der Titelfindung an jenes unsichtbare Netz gedacht habe, das von der Polizei ausgeworfen wurde, den Verbrecher zu fangen«. In: J. Roland: Das Fernsehen: dein Freund und Helfer, in: Deutsche Polizei (1959), S. 50. 124 Stahlnetz, »Die Blaue Mütze«, Folge 3, 16. 6. 1958. 125 Stahlnetz, »Treffpunkt Bahnhof Zoo«, Folge 7, 22. 2. 1959.

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Abb. 4: Stahlnetz-Schriftzug zu Beginn oder Ende einer Folge (Stahlnetz, »Die Zeugin im grünen Rock«).

Inhaltlicher Mittelpunkt der Reihe war die Aufklärungsarbeit der Polizei, die Roland und Menge jedoch kritischer als die amerikanische Vorlage inszenierten. Es sollte nicht der ermittelnde Einzelheld, der so typisch für amerikanische und englische Krimis war, in den Vordergrund gestellt werden, sondern vielmehr der »gewöhnliche« deutsche Kriminalbeamte: »In dieser Sendung will ich von der unermüdlichen Kleinarbeit des namenlosem Kriminalsekretärs berichten, der auf die Herbeischaffung eines gestohlenen Fahrrades genausoviel Mühe, Witz und Geschicklichkeit verwenden muß wie sein ungleich berühmterer (und besser bezahlter) Kollege Sherlock Holmes von Scotland Yard«.126 Einer journalistischen Tradition folgend, fügte Roland in einem Interview 1968 hinzu, »war uns die Dokumentation wichtiger als der Thriller-Effekt, und dem in Wahrheit nicht existenten Musterkommissar oder Superdetektiven haben wir das Teamwork der Kripo gegenübergestellt«.127 Um diese Polizeiarbeit dem Zuschauer so authentisch und so glaubhaft wie möglich zu präsentieren, griffen Roland und Menge neben dem Kommentar zu weiteren stilistischen Mitteln. Zum einen nutzten sie alltägliche Bilder von Passanten, Verkehr oder Kaufhäusern, um in die jeweiligen Situationen einzuführen, oder setzten gezielt dokumentarische Aufnahmen ein, um eine bestimmte Stimmung zu erzeugen bzw. beim Zuschauer abzurufen.128 Um den Arbeitsalltag der Polizei zu dokumentieren, griffen die Macher, wie bereits für die auditive Ebene herausgearbeitet, gleichfalls auf (kriminal-)technische Bilder aus den Laboren der Polizei, der Fahndungskartei des LKA usw. zurück. Der Einsatz solcher Bilder unterschied die Reihe Stahlnetz grundlegend von anderen Kriminalsendungen wie z. B. den Durbridge-Mehrteilern oder den Kinofilmen der Reihe Edgar Wallace. Während sich die Polizei in letztgenannten Filmen lediglich auf ihre Kombinationsgabe verließ, hob Roland hervor, dass die Kriminaltechnik einen erheblichen Teil zur Ermitt126 Ebd. 127 o. A.: Ist »Stahlnetz« ein Anti-Krimi? Jürgen Rolands Erfolgsserie wird 10 Jahre alt, in: Welt am Sonntag, 10. 3. 1968, in: DIF – Nachlass Jürgen Roland. 128 Vgl. hierzu Stahlnetz, »Das Haus an der Stör«, Folge 17, 26. 5. 1963.

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lungsarbeit beitrug. Diesbezügliche Erklärungen wurden bis zum Ende der Reihe beibehalten. Ob alle Details tatsächlich der Realität entsprachen, spielt für diese Untersuchung keine Rolle. Auch für die zeitgenössischen Zuschauer waren derartige Fragen kaum von Belang. Nur selten gab es Filmkritiken, in denen »echte« Polizisten die Ermittlungsfehler ihrer Fernsehkollegen aufdeckten.129 Vielleicht gingen die Zuschauer auch per se vom Wahrheitsgehalt des Gezeigten aufgrund der vermeintlich authentischen Darstellung aus. Wie wichtig die Unterstützung der realen Kriminalpolizei für Roland war, zeigt sich an intensiven Kooperationen, die über die gesamte Produktionszeit hinweg bestanden.130 Die wenn auch nur ausschnittweise erhaltenen Korrespondenzen Rolands bzw. der NDR-»Polizeiredaktion« belegen, dass der Regisseur die Innenminister und Landeskriminaldirektoren nicht nur um die Leihgabe von Requisiten wie Uniformen131 oder Kriminalakten für Drehbuchschreiber Wolfgang Menge bat, sondern vor allem auf eine enge Begleitung der Produktion durch einen lokalen Kommissar Wert legte. So schrieb Roland an Kriminalrat Eduard Richrath, Leiter der Bezirks-Kriminalstelle Kiel, für die Folge »Verbrannte Spuren«132: … ob Sie uns den Leiter Ihrer Mordkommission und gleichzeitig Ihren Brandexperten, Herrn Oberkommissar Ballhause, für die Dauer unserer Aufnahmen attachieren können, […]. Dieses Verfahren, sehr geehrter Herr Kriminalrat, hat sich in der Zusammenarbeit mit den Kollegen der Kriminalpolizei in den anderen Ländern als überaus vorteilhaft erwiesen, weil durch die Mitarbeit eines Fachmannes die Gewähr dafür gegeben ist, daß die Filme in fachlicher wie ideeller Hinsicht den Interessen der Kriminalpolizei dienlich sind.133

129 Vgl. hierzu: o. A.: Irrtum, Herr Roland! In: HörZu 43, 25. 10. 1969, in: DIF – Nachlass Jürgen Roland. Dieser Artikel bezieht sich allerdings nicht auf eine der StahlnetzFolgen. 130 Für den Zuschauer waren dabei die im Abspann genannten Kommissariate der einzelnen Drehorte am offensichtlichsten. Roland berichtet in einem Interview, dass Menge und er über besonders gute Kontakte zu den Kriminalpolizeistellen in NordrheinWestfalen verfügten: »Der Chef der Düsseldorfer Kriminalpolizei, Wehner, ein Freund von Wolfgang genauso wie von mir, deshalb spielen so viele Fälle in NordrheinWestfalen, rief an, so einfach war das, nicht genialisches, der rief an bei mir sagt ›Mensch Jürgen ich hab’ hier eine Geschichte, das ist ungeheuerlich‹«. Zitiert nach: B. Vorländer: Stahlnetz. Die Anfänge, S. 142. 131 Jürgen Roland an den Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen, 13. 6. 1960, in: NDR-Pressedokumentation: »Wir bitten hiermit höflich um die leihweise Überlassung von 10 Schutzpolizei-Uniformen des Landes Nordrhein-Westfalen, einschließlich Mützen und Koppelzeug«. 132 Stahlnetz, »Verbrannte Spuren«, Folge 11, 11. 6. 1960. 133 Jürgen Roland an Kriminalrat Richrath, Leiter der Bezirks-Kriminalstelle Kiel, 28. 3. 1960, in: NDR-Pressedokumentation.

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Wenn möglich sollte sogar derjenige Kommissar die Dreharbeiten begleiten, der den »wahren« Fall aufgeklärt hatte.134 Vom neuen Fernsehformat beflügelt, erklärte sich der Kölner Kriminalrat, Karl Kiehne, sogar bereit, vor die Kamera zu treten und die zweite Stahlnetz-Folge »Bankraub in Köln«135 anzusagen – im Übrigen sein erster Fall als Kripochef. Dramaturgisch zwischen einem (gestellten) TageschauAusschnitt136 und dem Beginn der fiktiven Handlung platziert, spricht er den Zuschauer von seinem vermeintlichen echten Schreibtisch aus direkt an. Er bereitet damit nicht nur den Übergang von der »realen« Tagesschau zur »fiktiven« Handlung vor, sondern betont durch sein seriöses Auftreten im schwarzen Anzug und die ihn legitimierende Bauchbinde »Kriminalrat K. Kiehne Kripochef/Köln« die Authentizität des Falls.137 Allerdings ließ die Kooperationsbereitschaft der angesprochenen Innenminister, Polizeipräsidenten und Kriminalräte zumindest 1961 in Rolands Augen zu wünschen übrig. In einem Artikelentwurf »Kriminalität und Wirklichkeit« für die Gewerkschaftszeitung »Deutsche Polizei« äußerte Roland verständnislos, »daß es heute noch leitende Polizeibeamte gibt, die das Fernsehen als Möglichkeit der Beeinflussung der Zuschauer in dem von uns gewünschten Sinne rundheraus und rundweg ablehnen, die glauben, daß ›Propaganda‹ in jeder Form mit ihren polizeilichen Vorschriften nicht zu vereinbaren sei […]«.138 Dass Roland hier den Begriff der Zuschauerbeeinflussung nutzt und ihn sogar auf »Propaganda«139 zuspitzt, lässt

134 Jürgen Roland an Landeskriminaldirektor Weber, 2. 2. 1960, in: NDR-Pressedokumentation: »Darf ich Sie nun heute bitten, sehr geehrter Herr Direktor, Herrn Kriminalkommissar Sobeck die Erlaubnis zu erteilen, als dem für den vorliegenden Fall verantwortlichen Kriminalbeamten, für einige Tage auf unsere Kosten nach Hamburg zu kommen, um uns hier mit Rat und Tat zur Seite zu stehen?«. Die Bitte betraf die Dreharbeiten an Stahlnetz, »Die Zeugin im grünen Rock«, Folge 10, 6. 4. 1960. 135 Stahlnetz, »Bankraub in Köln«, Folge 2, 23. 4. 1958. 136 In besagtem Tagesschau-Ausschnitt werden vier Jungen gezeigt, die der Polizei durch ihre Hinweise geholfen hatten, den Kriminalfall aufzuklären. Zum Dank waren sie vom Kölner Polizeipräsidenten empfangen worden. Die in der Tagesschau gezeigten Jungen und die Darsteller im Stahlnetz sind identisch. Entweder hatte Roland die »realen« Kinder auch in seiner Reihe auftreten lassen oder er hatte den Tagesschau-Ausschnitt nachinszeniert. Glaubt man dem moderierenden Kiehne, waren es »echte« TagesschauBilder. 137 Stahlnetz, »Bankraub in Köln«, 0:53:00–0:53:09. 138 Artikelentwurf »Kriminalität und Wirklichkeit«/Brief Jürgen Rolands an die Redaktion der »Deutschen Polizei«, 20. 2. 1961, in: NDR-Pressedokumentation. Der Artikel erschien unverändert und unter selbigem Titel in: Deutsche Polizei, 1961, S. 69. 139 Der »Propaganda«-Begriff wurde in der Bundesrepublik trotz seiner NS-Belastung bis in die 1960er Jahre hinein wenig problematisiert. Vgl.: Gries, Rainer/Schmale, Wolfgang (Hg.): Kultur der Propaganda. Überlegungen zur einer Propagandageschichte der

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darauf schließen, wie wirkmächtig er das Fernsehen einschätzte, das erst wenige Jahre zuvor den massenmedialen Status erreicht hatte. Ebenso klar tritt dahinter das fast plakativ anmutende, aber die Biografie Rolands bestimmende Motiv hervor, die Arbeit der Polizei in ein positives, fast makelloses Licht zu rücken und so den Dialog zwischen Bevölkerung und Polizei zu verbessern. Das idealisierte Bild der Polizei findet sich in vielen seiner Projekte wieder: außer in der Fernsehreihe Stahlnetz auch in den folgenden Fernsehfilmen (»Engel von St. Pauli«140) und Reihen (beispielsweise Tatort und Großstadtrevier) sowie seinen Artikeln in der »Deutschen Polizei«. Außerdem sprach er oft mit Stolz über die »Plakette in Gold«, die er 1960 von der Gewerkschaft der Polizei für seine Bemühungen um das gute Verhältnis zwischen Bevölkerung und Polizei erhalten hatte. Doch bereits zwei Jahre zuvor hatte sich Roland mittels einer symbolischen Geste in Polizeikreisen hohes Ansehen erworben. Wie aus einem Artikel der Hamburger Beilage der »Deutschen Polizei« hervorgeht, hatte der Regisseur auf einer offiziellen Gedenkfeier zur Ehrung gefallener Polizisten141 einen Kranz neben dem Polizeichef und dem Hamburger Innensenator niedergelegt. Der anonyme Autor äußert sich darüber sichtlich gerührt: Als Jürgen Roland stumm seinen Kranz an der Gedenkstätte, dem »Revier Blutbuche«, niederlegt, stellte diese Handlung sichtbar für alle Anwesenden nicht nur eine Geste dar, sondern war als ein Ausdruck des wirklichen Gedenkens, der Würdigung und der ehrlichen Verbundenheit zu werten. Wir sprechen im Namen aller Polizeibediensteten, wenn wir unsere Zeilen schließen, indem wir sagen: »Vielen Dank, Jürgen Roland!«142

Inwieweit Roland mit dieser emotional aufgeladenen Geste tatsächliche Verbundenheit zum Ausdruck bringen wollte oder vielleicht aus Kalkül handelte, möglichst viele Polizisten für seine Arbeit beim Fernsehen zu begeistern, muss offen bleiben. Rolands Selbstinszenierung als »Freund der Polizei« auch in den folgenden Jahrzehnten spricht jedoch für echtes Interesse und Engagement.

Kulturgeschichte, Bochum 2005; G. Diesener/R. Gries (Hg.): Propaganda in Deutschland; Bussemer, Thymian/Glotz, Peter: Propaganda. Konzepte und Theorien, Wiesbaden 22008; T. Mergel: Propaganda nach Hitler. 140 »Die Engel von St. Pauli«, Regie: Jürgen Roland, Bundesrepublik Deutschland 1969, http://www.filmportal.de/df/d0/Uebersicht,,,,,,,,F2E64353DA1E493D946139EEC42AC D0A,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,.html, 9. 5. 2013. 141 Das »Revier Blutbuche« war ursprünglich als Ehrenmal für die gefallenen Ordnungspolizisten während des »Hamburger Aufstands« 1923 errichtet worden; später diente es als allgemeine Ehrengrabstätte der Polizei. 142 Das vermerken wir gern! Vielen Dank, Jürgen Roland!, in: Deutsche Polizei 1959, S. H/7.

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Grundlegend für die Produzenten der Reihe Stahlnetz wie auch für den Erfolg der Reihe beim Publikum war – wie bereits angedeutet – die Authentizität der dargestellten Fälle, deren Vorlage reale Polizeiakten stellten. Die entsprechenden Unterlagen sind nicht für alle Folgen überliefert, doch war der zu Beginn eines jeden Stahlnetz eingeblendete Titel »Dieser Fall ist wahr. Er wurde aufgezeichnet nach den Unterlagen der Kriminalpolizei« keine hohle Versprechung an den Zuschauer.143 Einschränkend muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass Menge seine Freiheiten als Autor nutzte und die Fälle fernsehgerecht aufarbeitete. Er straffte die Handlung zeitlich wie inhaltlich und baute Spannungseffekte ein. Roland bemerkte hierzu rückblickend: »Du mußt ja nicht den guten Dokumentarfilm machen, wo du akribisch alles abschreibst, du mußt es so umsetzen, wie es aber genauso hätte sein können«. 144 Setzt man die Reihe Stahlnetz in Bezug zu den programmlichen Grundsätzen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks der damaligen Bundesrepublik, ist festzustellen, dass Roland mit seinem Krimi alle wesentlichen Felder abdeckte: Information, Unterhaltung, Bildung. Denn das Stahlnetz setzte sich erstens für ein positives Bild der (Kriminal-)Polizei ein. Auf welche Weise Roland ein solches Bild entwarf und wie dies konkret aussah, soll in Kapitel drei ausführlich dargelegt werden. Dass ein solch informierender Charakter des Stahlnetz in Bezug auf die staatliche Exekutive möglich und vielleicht sogar nötig war, erklärt sich aus den historischen Zusammenhängen. Lediglich eine Dekade nach den Verbrechen des »Dritten Reiches« und des Zweiten Weltkriegs sowie der Not und Versorgungskriminalität der Nachkriegszeit stieß der staatliche »Freund und Helfer« bei der Bevölkerung noch immer auf Skepsis. Dass Roland gewisse Sympathien für die Vertreter der staatlichen Exekutive hegte, ist bereits aufgezeigt worden. Die Reihe Stahlnetz ist in diesem Zusammenhang nicht von den damalig geführten Debatten zu trennen, denn auch hier wurde um ein verständnisvolleres und kooperatives Bild der Polizei geworben. Zweitens verfolgte Roland ein klares Unterhaltungsziel. »Wir wollten etwas Neues machen – damals gab es noch keine Krimis im Fernsehen, der Krimi war ja tot in Deutschland, es gab auch keine Kriminalfilme, der letzte deutsche Kriminalfilm lag vier Jahre zurück als wir anfingen«.145 Dieser Aspekt wird in den folgenden Abschnitten genauer ausgeführt. Ein dritter, wesentlicher Aspekt ist der hinter dem Stahlnetz stehende pädagogische Gedanke. Wie bereits in Zusammenhang mit Der Polizeibericht meldet … angedeutet, sollte der Bürger zu einem tieferen Verständnis für die Arbeit der Polizei bewogen werden. Gleichsam sollte dem Bürger der Stellenwert der Verbre143 »Wir haben das Publikum nie beschissen.« In: Jürgen Roland, zitiert nach: B. Vorländer: Stahlnetz. Die Anfänge, S. 147. 144 Ebd., S. 147. 145 Ebd., S. 135.

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chensbekämpfung vor Augen geführt werden und er dadurch lernen, die Polizei durch Hinweise und richtige Verhaltensweise im Falle eines Verbrechens zu unterstützten. Eine klare Erziehungsabsicht ist jedoch im Gegensatz zur Reihe Blaulicht schwer nachzuweisen, da es für die Reihe Stahlnetz kein von oben vorgeschriebenes, staatliches Propaganda-Konzept gab und konzeptionelle Akten ebenso fehlen. In einem von der Verfasserin im Jahr 2008 geführten Interview mit Wolfgang Menge wies er jegliche Aufklärungsfunktion vehement von sich.146 Auch Roland resümierte rückblickend: »Wir haben sicher ein Verdienst, Menge und ich, daß das Publikum manches, was auf der Seite der Kriminalpolizei passierte, mit anderen Augen gesehen hat als vorher. Aber wenn ich sagen würde, das sei das erklärte Ziel der Sendung gewesen, das wäre eine infame Lüge«.147 Für beide Aussagen ist in Rechnung zu stellen, dass zwischen der Produktion der Reihe Stahlnetz und der rückblickenden Betrachtung mehr als 30 Jahre, im Falle Menges fast 50 Jahre lagen. Der Blick auf die Reihe ist durch verschiedene andere Produktionen und Entwicklungen im Genre des Krimis überlagert worden. Ein Blick auf die einzelnen Folgen zeigt sehr wohl einen impliziten, dem Zeitgeist entsprechenden aufklärerischen und pädagogisierenden Impetus – seltener mit dem erhobenen Zeigefinger als vielmehr im Gestus des Zeigens.148 Dies führte zu einem vierten Grundanliegen der Reihe, das auch erst in der rückblickenden Betrachtung erkennbar wird: die Mitgestaltung eines Rechts- und Unrechtsdiskurses, den es gerade im ersten Nachkriegsjahrzehnt als Reaktion auf den Nationalsozialismus und als Neubestimmung in der freiheitlich-rechtsstaatlichen Bundesrepublik neu auszuhandeln galt und dessen Schauplätze in den täglichen Normverhandlungen in den Medien wiederzufinden sind. In den Studios der Real-Film-Atelierbetriebe Die größte Landesrundfunkanstalt, der NWRV,149 übernahm die redaktionelle und finanzielle Betreuung der Reihe Stahlnetz.150 Die meisten Filmaufnahmen wurden zu 146 Zeitzeugeninterview, Wolfgang Menge, 2. 6. 2008. 147 Jürgen Roland, zitiert nach: B. Vorländer: Stahlnetz. Die Anfänge, S. 140. 148 Auch Birgit Peulings stellt fest: »Es ist der belehrende Gestus mit dem die Arbeit der Polizei erklärt wird und die ständige Betonung der Wichtigkeit der Zeugenaussagen. Wenn schon ›Der Polizeibericht meldet …‹ auf die aktive Mitarbeit der Bevölkerung hingewiesen hatte, so steht ›Stahlnetz‹ dem in nichts nach: …« In: B. Peulings: Von »Der Polizeibericht meldet« zu »Stahlnetz«, in: H.-B. Heller/P. Zimmermann (Hg.): Blicke in die Welt, S. 151. 149 Der NWRV hatte am 1. 4. 1956 den Fernsehbereich des NWDR übernommen. Ab 1961 waren die Sendegebiete des Norddeutschen und Westdeutschen Rundfunks für sich allein verantwortlich. Im Staatsarchiv Hamburg und dem NDR sind nur wenige Akten zugänglich, die Auskunft über die Produktionsbedingungen des NWDR-/NWRV-

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einem Großteil in den privatwirtschaftlichen Studios der Real-Film-Atelierbetriebe, dem späteren Studio Hamburg gedreht, das durch einen Kooperationsvertrag mit dem NWRV verbunden war. Wenn Außenaufnahmen in anderen Städten nötig waren, wurden z. T. die Kapazitäten der ortsansässigen Sendeanstalt genutzt.151 Die individuellen Schauplätze wurden von Wolfgang Menge im Vorwege besucht und das Drehbuch entsprechend darauf abgestimmt. Die Besetzung der einzelnen Rollen lag zumeist in der Hand des Regisseurs, einer Position, der damals viel Entscheidungsfreiheit zugebilligt wurde. Der Name des Regisseurs war das Aushängeschild des Fernsehfilms – im Gegensatz zu heutigen Produktionen, bei denen die Regisseure weniger gut bekannt sind. Dies belegen auch unzählige Pressestimmen, die Roland als intellektuellen und künstlerischen Kern des Stahlnetz identifizierten bzw. ihn durch ihre Berichterstattung dazu stilisierten. Auch Schauspieler nahmen Roland als zentrale Figur wahr, wie zahlreiche Bitten für ein Engagement an ihn belegen.152 Die Produktionsleitung oblag von Beginn an dem im Filmgeschäft erfahrenen Erich Holder. Er wurde 1901 geboren, kam während der Weimarer Republik zur UFA, wo er als Regieassistent bei Friedrich Wilhelm Murnau tätig war. Noch vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten übernahm er eigene Regietätigkeiten im Bereich von Komödien und Dramen. Während des »Dritten Reiches« stieg er zu einem der einflussreichsten Produzenten auf und produzierte u. a. Filme von Veit Harlan und Kristina Söderbaum.153 Da es in seiner Arbeitsbiografie keine erkennba-

150 151

152

153

Fernsehen und damit auch der Reihe Stahlnetz geben. Zum NWRV siehe: Wagner, Hans-Ulrich: Der Nord- und Westdeutsche Rundfunkverband (NWRV) 1956–1961. Ein Arbeits- und Quellenbericht, Hamburg 2013, http://www.hans-bredow-institut.de/ webfm_send/706, 9. 5. 2013. Weil ein historisches Archiv beim NDR fehlt, sind einzelne Mitarbeiter nicht zu ermitteln. Vgl. hierzu einen Briefwechsel über die Nutzung von Filmequipment des Senders Freies Berlin für die siebte Stahlnetz-Folge »Treffpunkt Bahnhof Zoo«. »Beim Eintreffen in Berlin fuhren wir wie bei den bisherigen Filmaufnahmen zum SFB.« In: Korrespondenz: Spedition/Norkas an Verwaltungsleitung/Herrn Hessling, Hamburg, den 16. Februar 1959, Anlage 1, in: Korrespondenz: Hessling an Herrn Geschäftsführer Dr. Hubrich, in: Schriftwechsel und sonstige Unterlagen des Verwaltungsleiters des Fernsehens (Hessling), in: StAHH: 621-1/144 NDR 693. Vgl. NDR-Pressedokumentation. Für viele Schauspieler entwickelte sich das Stahlnetz zu einem Karrieresprungbrett, wie u. a. die Schauspielerkarrieren von Eddi Arent, Grit Böttcher, Dirk Dautzenberg, Hannelore Elsner, Paul Edwin Roth, Wolfgang Völz zeigen. Erich Holders Filmografie auf: http://www.filmportal.de/person/erich-holder_c7f7 c566c74e4ba6bd902dd8c43728bf, 9. 5. 2013.

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ren Brüche gab, können an ihm die personellen Kontinuitäten über die politische Zäsur von 1945 hinweg plastisch nachvollzogen werden.154 Roland und Menge waren in der Gestaltung der Stoffe und der Sendelänge weitgehend frei, der NWRV/NDR nahm so gut wie keinen Einfluss auf die Sendung – zumindest deuten hierauf die vorliegenden Akten und Gespräche hin. Möglich wurden diese Freiheiten durch das Fehlen fester Programmstrukturen, so dass auf die Länge einzelner Sendungen noch variabel reagiert werden konnte. Während das Stahlnetz 1958 nur 30 Minuten lang war, weitete sich die reguläre Sendezeit im Verlauf der Folgen auf durchschnittlich 60 Minuten aus. Extreme Überschreitungen von fast zwei Stunden waren ebenfalls möglich wie in Folge »E 605«155. Der NDR übernahm als Sendeanstalt also keine inhaltliche Regulierungsfunktion, sondern fällte lediglich finanzielle bzw. personelle Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Produktionsteam.156 Roland resümierte auf die Frage, ob er »freie Hand« gehabt hätte: »Absolut freie Hand … Vor allen Dingen Joachim Fest, […], damals Chefredakteur, der war sofort aufgeschlossen dafür. […] Es gab nicht mal vorgeschriebene Längen«.157 Auch Menge betonte, dass er die Drehbücher nie mit einer bestimmten Redaktion beim NWRV/NDR, an die das Stahlnetz durchaus angebunden war, absprechen musste. Die Redaktion fungierte mithin als organisatorischer Sammelpunkt, um die Dreharbeiten in den einzelnen Städten zu koordinieren sowie Zuschauerpost und sonstige Anfragen entgegenzunehmen.158 Während der Dreharbeiten selbst war Drehbuchautor Menge zumeist anwesend, um im Bedarfsfall Szenen neu bzw. umzuschreiben.159 Dass Roland generellen Einfluss auf die Bücher genommen hatte, weist Menge strikt von sich. Aufgrund der dominanten Position Rolands sind hier aber wohl Zweifel anzumelden. Verfolgt man die Intensität, mit der die Fernsehakteure die Stahlnetz-Produktion vorantrieben, ist ein erster »Knick« 1960 nach zwölf Folgen, die gemeinhin als 154 Zum Themenkomplex siehe u. a.: Weiß, Matthias: Journalisten. Worte als Taten, in: Frei, Norbert/Freimüller, Tobias (Hg.): Hitlers Eliten nach 1945, München 2003, S. 218–268. 155 Stahlnetz, »E 605«, Folge 12, 3. 10. 1960. Die Folge »E 605« ist auf der DVD-Ausgabe als Doppelfolge ausgewiesen, im Original wurde sie allerdings an einem Abend als überlange Sendung ausgestrahlt. Im Folgenden wird ausgewiesen, ob sich die Angaben auf die ersten oder zweiten Teil der DVD-Ausgabe beziehen. 156 Schriftwechsel und sonstige Unterlagen des Verwaltungsleiters des Fernsehens (Hessling), in: StAHH: 621-1/144 NDR 693. 157 Jürgen Roland, zitiert nach: B. Vorländer: Stahlnetz. Die Anfänge, S. 138. 158 Ingrid Brück führt aus, dass das Stahlnetz zunächst in der Hauptabteilung »Zeitgeschehen« gewesen sei und 1961 in Folge von Umstrukturierungen in die Abteilung »Fernsehspiel« eingegliedert wurde. Brück nennt hierzu allerdings keine Quellen. Siehe: I. Brück: Alles klar, Herr Kommissar?, S. 85. 159 Zeitzeugeninterview, Wolfgang Menge, 2. 6. 2008.

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erste Staffel bezeichnet wurden,160 deutlich erkennbar. Im ersten Produktionsjahr liefen innerhalb von vier Monaten vier Folgen der Krimireihe. 1959 sank die Zahl fertiggestellter Produktion auf insgesamt vier Folgen für das gesamte Jahr, der Abstand zwischen den Einzelsendungen vergrößerte sich. Im Jahr 1960 konnte Roland nur noch drei Produktionen beenden. In den folgenden Jahren verschmälerten sich die Kapazitäten noch einmal, so dass in der Regel eine bis drei StahlnetzFolgen pro Jahr ausgestrahlt wurden. Die Gründe für das Stagnieren der Produktion waren wohl weniger in der finanziellen Ausstattung der Reihe zu suchen, als vielmehr in vielfältigen weiteren Verpflichtungen von Regisseur und Drehbuchautor. Roland realisierte neben anderen Fernsehproduktionen (Dem Täter auf der Spur) einige Kinofilme (Edgar Wallace, Lotusblüten für Miß Quon)161. Auch Menge wurde als Drehbuchautor gefragter.162 In den Jahren 1963/1964 verwirklichten sie gemeinsam den Kinofilm Polizeirevier Davidswache, das von ähnlicher Machart wie ihr erfolgreicher Fernsehkrimi war.163 Am 14. März 1968, genau zehn Jahre nach der Premiere der ersten StahlnetzFolge, lief dann ohne weitere Ankündigung die letzte Episode über die Fernsehbildschirme. Sehr zum Verdruss vieler Zuschauer, wie noch darzulegen ist. Wenn man den Aussagen beider Macher glauben darf, lag das Ende der Reihe jedoch nicht nur in anderweitigen Engagements begründet. Vielmehr hatte sich das Konzept für sie persönlich, aber auch für den deutschen Fernsehmarkt überlebt. Die Einschaltquoten sprechen zwar gegen diese These, aber mit Blick auf die soziokulturellen Entwicklungen um das Jahr 1968 wäre die Begründung durchaus nachvollziehbar.164 160 Wenngleich das Wort »Staffel« für die Reihe Stahlnetz benutzt wurde, so ist dies nicht auf den Inhalt der Reihe zu beziehen, sondern lediglich auf die Produktionskontexte. Eine inhaltliche Staffelung hätte einen hervorgehobenen Endpunkt in der Strukturierung des Plots vorausgesetzt, den es im Stahlnetz zu keiner Zeit gab. Jede Folge kann auch einzeln für sich betrachtet werden. 161 Siehe: Filmografie Jürgen Rolands auf: http://www.filmportal.de/df/43/ Credits,,,,,,,,5C6DDADD4B3E4B48A1004A78648BDA06credits,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,.html, 9. 5. 2013. 162 Siehe: Filmografie Wolfgang Menges auf: http://www.filmportal.de/df/08/ Credits,,,,,,,,A13C3A2BA2134B5AAEEFD466FB18CB2Bcredits,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,.html, 9. 5. 2013. 163 »Polizeirevier Davidswache«, Regie: Jürgen Roland, Bundesrepublik Deutschland 1962, http://www.filmportal.de/df/64/Uebersicht,,,,,,,,7D8551FD6B504AA99EC1F47 CFB4F4689,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,.html, 9. 5. 2013. 164 Hier sei auf den gesellschaftlichen Mentalitätenwandel in Bezug auf die Geschlechter, das Verständnis von Demokratie, gegenüber der Polizei als Staatsmacht, die Studentenunruhen 1968 und letztlich ein sich veränderndes Selbstbild der eigenen Gesellschaft verwiesen. Siehe u. a.: A. Schildt: Moderne Zeiten; Ders.: Rebellion und Reform. Die Bundesrepublik der Sechzigerjahre, Bonn 2005; U. Herbert: Liberalisierung als Lernprozeß, in: Herbert, Ulrich (Hg.): Wandlungsprozesse in Westdeutschland, S. 7–49 sowie Weinhauer, Klaus: »Freund und Helfer« an der »Front«. Patriarchen, Modernisie-

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Für den Autor Menge soll zudem das Verhalten der Polizei gegenüber Demonstranten im Zusammenhang mit den Studentenunruhen 1967/1968 ein Grund gewesen sein, die Arbeit an der Reihe Stahlnetz einzustellen und keine 23. Folge mehr zu schreiben: Sendungen, die wir vorhatten, würden in dieser Situation ein politisches Gewicht erhalten, das genau jener Seite nützen würde, die sich als widerwärtig und abscheulich erwiesen hat ... Vielleicht besinnt sich unsere Regierung – die hat, mindestens in Berlin, die meiste Schuld – und bietet uns eines Tages wieder eine Polizei an, für die man sich nicht zu schämen braucht.165

Menges Absage an eine Fortführung der Reihe unter Begründung der politischen Aussage unterstreicht noch einmal die These, dass Stahlnetz keine reine Unterhaltungssendung war, sondern auch im Bewusstsein der Macher durchaus ein klar positives Polizeiimage und ein festes Normen- und Wertegefüge transportierte. Krimibegeisterung vor dem Fernsehgerät Obwohl es beim NWDR bereits seit 1946 ein eigenes Büro für Hörerpost gegeben hatte, professionalisierte sich die Hörerforschung nur langsam.166 Neben eigenen kleinen Umfragen, beauftragte der NWDR ab 1949 u. a. das ein Jahr zuvor gegründete Institut für Demoskopie in Allensbach mit Studien zu Hörgewohnheiten. Trotz dieser Aktivitäten im Bereich Hörer- und Zuschauerforschung wurde dieser bis zur Trennung von NDR und WDR im Jahr 1955/1956 nur mäßiges Interesse entgegengebracht.167 Der damalige Abteilungsleiter, Wolfgang Ernst, unterbreitete dem NDR zwar noch verschiedene Vorschläge für eine Neustrukturierung, sie stießen allerdings auf wenig Interesse bei der Senderleitung. Vielmehr schätzte man sich rer und Gruppenkohäsion in der westdeutschen Schutzpolizei von Mitte der 1950er bis in die frühen 1970er Jahre, in: M. Frese/J. Paulus/K. Teppe (Hg.): Demokratisierung und gesellschaftlicher Aufbruch, S. 549–573. 165 o. A.: Personalien, in: Der Spiegel, 28.4.1968, S. 198. 166 Ihr Vorbild war die BBC, die seit 1936 eine entsprechende Abteilung, das »Audience Research Department«, unterhielt. Siehe: Wagner, Hans-Ulrich: Seekarten für die Rundfunk-Kapitäne. Die Hörerforschung des NWDR, in: Ders. (Hg.): Die Geschichte des Nordwestdeutschen Rundfunks (2), S. 49–68. Zur Geschichte der Zuschauerbefragung vgl. u. a.: Schneider, Irmela: Passiv und gebildet, aktiv und diszipliniert. Diskurse über das Zuschauen und den Zuschauer, in: Schneider, Irmela/Hahn, Thorsten/Bartz, Christina (Hg.): Medienkultur der 60er Jahre. Diskursgeschichte der Medien nach 1945, Wiesbaden 2003, S. 73–97. 167 H.-U. Wagner: Seekarten für die Rundfunk-Kapitäne, in: Ders. (Hg.): Die Geschichte des Nordwestdeutschen Rundfunks (2), S. 64.

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glücklich, die kostspielige Abteilung endlich schließen zu können. Ernst ging daraufhin mit seinen bisherigen Mitarbeitern und den bis dahin gesammelten Akten nach München. Dort war 1949 das »Institut zur Erforschung der Wirkung publizistischer Mittel«, später »Infratest«, gegründet worden, das er innerhalb weniger Jahre zu einem der Marktführer für Demoskopie ausbaute.168 Da der Hörer und in zunehmendem Maße der Zuschauer von den Programmverantwortlichen nicht völlig ausgeblendet werden konnte, beauftragte der NDR kommerzielle Unternehmen mit der Nutzersichtung wie etwa das Institut NoelleNeumanns, aber auch Infratest, das mit seiner speziellen Ausrichtung auf den Mediensektor alle Umfragen zu Stahlnetz und Auswertungen über den Krimi im Allgemeinen vorlegte.169 Ein wesentliches Ergebnis dieser Studien war, dass nahezu kein deutscher Krimi zwischen Ende der 1950er und Mitte der 1960er Jahre so beliebt war wie das Stahlnetz. Die Einschaltquoten der Zuschauer rangierten in den ersten zehn Folgen zwischen 77 % bei der Folge »Sechs unter Verdacht«170 und 97 % bei »Die Zeugin im grünen Rock«. Im Durchschnitt lag die Einschaltquote bei etwa 80 bis 85 %. So unbeschreiblich hoch die genannten Quoten aus heutiger Sicht erscheinen mögen, stehen sie nicht für sich allein, sondern müssen im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Fernsehens, der geringen Programmauswahl sowie der allgemeinen Einstellung des Zuschauers zu diesem Genre gesehen werden. Ende der 1950er bis Mitte der 1960er Jahre war die massenhafte Verbreitung des Fernsehens zwar nicht mehr aufzuhalten, doch war längst nicht jeder Haushalt der Bundesrepublik mit einem Gerät ausgestattet. Und so bedeutete eine 80-prozentige Sehbeteiligung im Jahr 1958 etwas anderes als 1964. Während 1958 gerade eine Million Geräte angemeldet waren, zählte die Post Mitte der 1960er Jahre bereits acht Millionen Geräte und mehr. Bis zur Einführung des ZDF im Jahr 1963 war die Möglichkeit, auf ein anderes Programm auszuweichen, fast nicht gegeben. Wollte der Zuschauer keinen Krimi sehen, musste er entweder ganz auf das Fernsehpro-

168 Ebd., S. 64. Siehe auch: Bessler, Hansjörg: Hörer- und Zuschauerforschung, München 1980, S. 46–127 und Meyen, Michael: Hauptsache Unterhaltung. Mediennutzung und Medienbewertung in Deutschland in den 50er Jahren, Münster 2001, S. 61. 169 Trotz der allgemeinen Quellenproblematik war es der Autorin möglich, verschiedene Infratest-Studien für die ersten beiden Produktionsjahre ausfindig zu machen. Die Umfragen wurden nicht publiziert, aber dem Autor Menge nach der Sendung zur Verfügung gestellt. Des Weiteren sind einzelne Ausgaben in der Pressedokumentation des NDR erhalten, sie sind jedoch nicht systematisch archiviert. So liegen Umfragen der Stahlnetz-Folgen fünf bis zehn sowie 14 bis 15 vor. Unklar ist, ob der NDR das Stahlnetz hat breitflächig abfragen lassen oder lediglich punktuell. Darüber hinaus wird hier eine von Infratest vorgelegte Studie über »Das Kriminalstück im Urteil der Zuschauer« herangezogen werden. Infratest (Hg.): Der Fernsehzuschauer. 170 Stahlnetz, »Sechs unter Verdacht«, Folge 6, 29. 12. 1958.

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gramm verzichten oder, wenn empfangbar und gewünscht, auf das DDR-Fernsehen ausweichen. Die Einschaltquoten des Stahlnetz bestechen umso mehr, setzt man sie in Relation zu anderen Sendeformen dieses Genres. Infratest publizierte im Jahr 1965 eine Studie über »Das Kriminalstück im Urteil der Zuschauer«, in welche Zuschauerreaktionen der Jahre 1957/58 und 1963/64 einflossen, also die Jahre, in denen Stahlnetz seine Anfangs- und Hochphase verzeichnen konnte. Demnach erreichten alle anderen Krimiformate, ob sie nun aus Amerika importiert waren oder auf deutsche Produktionen zurückgingen, selten einen Einzelwert von 70 %. Vielmehr rangierten die meisten Produktionen zwischen 20 % und 50 %. Ergänzt man diese Ergebnisse durch den Befund, dass Ende der 1950er Jahre »73 % der Zuschauer erklärten, am Krimi stark oder sehr stark interessiert zu sein«,171 und stellt gleichzeitig die hohe Dichte anderer Krimis in Rechnung, machen die Zahlen die Beliebtheit des Stahlnetz noch einmal besonders deutlich. Sowohl Männer wie Frauen zählten sich zu den Krimifans, ebenso alle Altersgruppen, wobei die 20- bis 29-jährigen mit 83 % die höchste Quote erreichten. Die 60- bis 69-jährigen konnten sich »nur« zu 55 % für das Genre erwärmen. Eine deutliche Auswirkung hatte die Bildung auf die Beliebtheit des Krimis im Fernsehen; 75 % der Befragten mit Volksschulbildung, jedoch nur 54 % der Abiturienten konnten sich für den Krimi begeistern.172 Das niedrige Ergebnis der »intellektuellen« Zuschauer korreliert mit der allgemeinen Ablehnung des Fernsehens der Gruppe in jener Zeit.173 In Groß- und Kleinstädten gab es nur geringe Unterschiede in der Präferenz; die Tendenz zum Krimi war in der Großstadt (77 %) ein wenig höher als in Orten mit unter 10.000 Einwohnern (66 %). Kam ein Kriminalstück zur Sendung, lag die durchschnittliche Sehbeteiligung zwischen 1956 und 1959 bei 81 %. Zum Vergleich: Zu den »Bunten Abenden«, Shows und Quizsendungen schalteten etwa 60 bis 70 % der Zuschauer ihr Fernsehgerät ein. Nach Einführung des Zweiten Deutschen Fernsehens veränderten sich diese Zahlen zwangsläufig. Zwar hatte der Zuschauer nun die Auswahl zwischen zwei Kanälen – allerdings nicht sogleich im gesamten Sendegebiet, da das Netz erst nach und nach ausgebaut wurde. Doch auch hier galt die Faustregel: »Nur wirklich außergewöhnliche, vom Publikum besonders geschätzte Sendungen anderer Art machen es möglich, den abziehenden Einfluss des Krimi zu bremsen oder gar auszuschalten«.174 War speziell ein Stahlnetz im Programm, lag die Sehbeteili-

171 172 173 174

Infratest (Hg.): Der Fernsehzuschauer, S. 5. Ebd., S. 5. Vgl. u. a.: A. Schildt: Moderne Zeiten, S. 275. Infratest (Hg.): Der Fernsehzuschauer, S. 39.

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gung beim ZDF »weit unter 10 %«.175 Das ZDF machte dem Stahlnetz demnach nur unwesentlich viele Zuschauer streitig.176 An der Einschaltquote lässt sich zwar ablesen, wie viele Zuschauer zum Sendezeitpunkt x ihr Gerät einschalteten, sie gibt jedoch keine Auskunft über die darauf verwendete Aufmerksamkeit und die inhaltliche Bewertung der Sendung. Hierzu führte Infratest einen Bewertungsindex von -10 bis +10 ein, auf dem die telefonisch Interviewten die Sendung verorten konnten. Stahlnetz erreichte einen selbst für die Analytiker erstaunlich konstanten Index von +5 bis +7, der Durchschnitt der Reihe lag bei +6. Im Juni 1959 kam Infratest zu folgender Einschätzung der achten Stahlnetz-Folge »Das Alibi«177: Die folgende Aufstellung zeigt deutlich – und durch die bei »Stahlnetz« gewohnt hohe Sehbeteiligung gewinnt dies noch an Bedeutung –, daß, neben einer indifferenten Minderheit und gerade 1 Prozent einschränkender Stimme, über 90 % aller Fernsehzuschauer, die »Alibi« am Bilderschirm verfolgt hatten und dazu Stellung nahmen, die Sendung eindeutig positiv beurteilten. Sehr gut

40 %

Gut

51 %

Zufriedenstellend Nicht ganz zufriedenstellend Schlecht

8% 1% –– % ––––– 100 % = Alle, die diese Sendungen beurteilten.

Der Sendereihe, die »immer wieder begeistert«, wie auch der »ausgezeichneten« Einzelsendung werden von zahlreichen Panel-Teilnehmern Lob und Anerkennung zuteil.178

Diese Einschätzung hatte sich auch zweieinhalb Jahre später, zur 15. Folge »In jeder Stadt …«179, kaum verändert:

175 Ebd., S. 20. 176 »Auch die Reihe ›Stahlnetz‹ ist nicht von der zwangsläufigen Abnahme der Sehbeteiligung durch das Vorhandensein eines zweiten Programms verschont geblieben. Dennoch muß die erstaunliche Tatsache gewürdigt werden, daß der Rückgang nur gering war, daß also die Zuschauer das Besondere dieser Reihe trotz der Lockerung durch ein paralleles Programm weiter würdigen.« In: ebd., S. 20. 177 Stahlnetz, »Das Alibi«, Folge 8, 12. 6. 1959. 178 Infratest-Umfrage, Fr. 12. 6. 1959, S. 11, in: 4.4 – 96/05, 6.02: Stahlnetz XVII, in: Nachlass Wolfgang Menge, Deutsche Kinemathek Berlin. 179 Stahlnetz, »In jeder Stadt …«, Folge 15, 6. 4. 1962.

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Die wie üblich sehr guten Werte für Sehbeteiligung [hier 76 %, N. H.] und Beurteilung [hier +6, N. H.] der heutigen Folge von Jürgen Rolands Stahlnetz-Serie sind ein Beweis für die nach wie vor große Beliebtheit der Serie. Ausgezeichnet

36 %

Gut

54 %

Zufriedenstellend

7%

Mäßig

3%

Sehr schlecht

–– % ––––– 100 % = Alle, die diese Sendungen beurteilten.180

Konkret wurden von den Zuschauern drei Aspekte immer wieder als besonders positiv wahrgenommen, die nicht nur für diese 15. Folge galten, sondern für nahezu alle Stahlnetz-Folgen: 1. Der Film war »atemberaubend spannend« gestaltet (dieser Punkt kommt mit Abstand am häufigsten vor). […] 2. Durch den Film konnte man die Arbeit der Kriminalpolizei kennenlernen, was die ganze Serie so »interessant« macht. […] 3. Der Film ist »nach Tatsachen gedreht« und deshalb besonders »realistisch« und »sehenswert«.181

Auffällig war die Übereinstimmung dieser individuellen Stimmen mit den meisten der Pressestimmen zur Stahlnetz-Reihe. Es ließe sich daher vermuten, dass die Zuschauer auch wegen der Pressebeichterstattung mittlerweile so stark auf die grundlegenden Aspekte des Stahlnetz eingeschworen waren, dass sie schwerlich noch eine eigene Meinung artikulierten. Gleichzeitig zeigen die spontan abgerufenen Momentaufnahmen, dass die Gestaltung der Reihe tatsächlich von den Zuschauern im intendierten Sinne angenommen und übernommen wurde. Dies gilt auch für den pädagogisierenden Ansatz, der einzelnen Zuschauer im Laufe der Folgen gar nicht mehr ausreichend genug herausgearbeitet wurde: Diese Sendung sollte meiner Ansicht nach die Öffentlichkeit aufklären und versuchen, vor Schaden zu bewahren, und dazu gehört außer Spannung die nüchterne Aufklärung, die von einem Fachmann gebracht werden sollte. Wie früher von Hamburgs Polizeichef. Hier hätte

180 Infratest-Umfrage, Di 7.11.61, S. 33–34, in: 4.4 – 96/05, 6.02: Stahlnetz XVII, in: Nachlass Wolfgang Menge, Deutsche Kinemathek Berlin. 181 Ebd.

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das Fernsehen eine große, richtige Aufgabe zu erfüllen. Gäbe es nicht so viele Dumme, gäbe es auch nicht so viel Betrüger.182

In seiner zusammenfassenden Einschätzung zu allen in Deutschland ausgestrahlten Kriminalstücken relativiert Infratest z. T. die überragenden Ergebnisse allerdings. Denn »jede Reihensendung kann damit rechnen, daß sie schon nach kurzer Zeit ›ihr‹ Publikum hat«. Die Sehbeteiligung bleibe damit relativ konstant, und auch der Beurteilungsindex schwanke, von einigen Ausnahmen abgesehen, nur geringfügig. Ähnliches gelte auch für Rolands Reihe. »So genießt etwa ›Stahlnetz‹, auch wenn es nur in unregelmäßigen großen Abständen auftaucht, von vornherein eine Atmosphäre des ›good will‹ beim Zuschauer, der sich von den einzelnen Sendungen bisher kaum enttäuscht fand.«183 Diese Einschränkung schmälerte weder die allgemeine Zuschauerbegeisterung noch die Zustimmung der beiden mit dem Stahlnetz verbundenen Institutionen: die Sendeanstalt und die Polizei. Obwohl für beide Institutionen im Vergleich zur DDR nahezu kein Stimmungsbericht überliefert ist, können einzelne Indizien eine Richtung weisen. So zeigte sich der damalige Intendant des NWDR, Hilpert, nach dem ersten Jahr Stahlnetz recht angetan: Ich habe aufmerksam verfolgt, wie die Sendung »STAHLNETZ« sich mehr und mehr verbessert hat und wie sie nunmehr zu einer anerkannten und von allen Anstalten gesuchten Sendung geworden ist. Das ist das Verdienst des verantwortlichen Redakteurs Roland, das Verdienst des guten Autors Menge, aber auch das Verdienst des Produktionsleiters Holder, der, wie ich in den Unterlagen früherer Sendungen nachgesehen habe, eine für unsere Verhältnisse vorbildliche Kalkulation macht.184

Da sich das Stahlnetz, wie die Infratest-Befragungen zeigen, stetiger Beliebtheit erfreute und davon auszugehen ist, dass die Kosten für das Projekt in den nächsten Produktionsjahren nicht in die Höhe getrieben wurden – Roland hatte weder aufwendige Schauplätze noch Spezialeffekte eingebaut –, war dieser Krimi für den NDR ein kaum zu verzichtendes Aushängeschild. Auch die Polizei bzw. ihre Gewerkschaft nahm hin und wieder Stellung zum Stahlnetz. Eines der zentralen Organe für eine Auseinandersetzung mit der Kriminalreihe war die bereits benannte Gewerkschaftszeitung »Deutsche Polizei«, zu der Roland enge Kontakte pflegte. Zwölf Monate nach der Premiere hatte sich Roland 182 Infratest-Umfrage, 22.2.1959, S. 6, in: 4.4 – 96/05, 6.02: Stahlnetz XVII, in: Nachlass Wolfgang Menge, Deutsche Kinemathek Berlin. 183 Ebd., S. 12–13. 184 Dr. Hilpert an den Geschäftsführer des NWDR, Dr. Georg Hubrich, 31. 3. 1959, in: Schriftwechsel und sonstige Unterlagen des Verwaltungsleiters des Fernsehens (Hessling), [Hervorhebung im Original, N. H.], in: StAHH 621-1/144 NDR 693.

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erstmalig mit einem Artikel zu Wort gemeldet und seine neueste Reihe vorgestellt, nicht ohne auf den erfolgreichen Vorgänger Der Polizeibericht meldet … zu verweisen. Hauptanliegen des Artikels war es wohl weniger, die Einschaltquote in Polizeikreisen zu erhöhen, als um für Verständnis und Unterstützung zu werben.185 Carl Breuer, leitender Kriminaldirektor Hamburgs, der Roland bereits bei der Vorgängersendung unterstützt hatte, platzierte einen Co-Artikel, in dem er explizit heraushob: »Diese Arbeiten [gemeint ist Stahlnetz, N. H.] zu vertiefen, ihre Basis zu verbreitern und sie allen Dienststellen der Kriminalpolizei in der Bundesrepublik zu ermöglichen, soll Sinn und Zweck dieser Zeilen sein«.186 Und so führte er seiner Leserschaft die möglichen Einsatzbereiche des neuen Mediums Fernsehen aus. Dass das ausgewiesene Stahlnetz dabei unter die Rubrik »Dokumentarberichte« falle, helfe, die Akzeptanz zu erhöhen. Ein Jahr später meldete sich Herbert Warncke (unbekannter Dienstgrad) an gleicher Stelle zu Wort und resümierte über Rolands Wirken: »Ihre Kenntnis und die objektive Darstellung unserer Arbeit, wobei selbst kleine Details nicht übergangen sind, hat den Polizeibediensteten stets Freude bereitet. In der breitesten Öffentlichkeit haben Sie mit Ihren Sendungen Interesse und Verständnis für unsere Tätigkeit geweckt«.187 Das Stahlnetz schien damit zumindest unter den Lesern der Gewerkschaftszeitung »angekommen« zu sein. Erst als Roland den Fokus einer Folge kurzzeitig von der Kriminalpolizei auf den Schutzpolizisten Wohlers verlagerte, glaubte er dies in einem erneuten Artikel erläutern zu müssen. Doch Roland schrieb keine Rechtfertigungen, dies hätte auch nicht seiner Art entsprochen. Vielmehr nutzte er die ihm zur Verfügung stehende Seite und warb noch einmal für sein Gesamtunternehmen – wie bereits im letzten Abschnitt ausgeführt. Und um auch den Letzten in den Reihen der (Hamburger) Polizei von seiner »Wohltätigkeit« zu überzeugen, mietete Roland regelmäßig nach der Fertigstellung seiner Stahlnetz-Sendungen ein Hamburger Kino an, um den Polizisten wie auch dem Verwaltungsrat des NDR Folgen vorzuspielen.188 In ähnlicher Weise veranstaltete die Gewerkschaft der Polizei eine geschlossene Filmvorführung der Folge »Rehe«,189 noch bevor diese überhaupt im Fernsehen gezeigt wurde.190 Die Polizei

185 J. Roland: Das Fernsehen: dein Freund und Helfer, in: Deutsche Polizei (1959), S. 50. 186 Breuer, Karl: Das Fernsehen im Dienste der Verbrechensbekämpfung, in: Deutsche Polizei 1959, S. 51–53, S. 51. 187 Warncke, Herbert: Sind wir »Mörder« oder »Totschläger«?, in: Deutsche Polizei (1960), S. H/48–H/50, Zitat S. H/50. 188 Unveröffentlichte Pressemitteilung der Gloria-Film zu Rolands Film »Heißer Hafen Hongkong«, o. D, in: DIF – Nachlass Jürgen Roland. 189 Stahlnetz, »Rehe«, Folge 18, 16. 6. 1964.

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schien Rolands Stahlnetz-Folgen sogar so sehr überzeugt zu haben, dass sie nach seiner Auskunft noch »heute [Anfang der 1990er Jahre, N. H.] als Lehrfilme in Landeskriminalämtern« eingesetzt werden.191 In Anbetracht der vielfältigen Zustimmungsbekundungen waren kritische Artikel wie »Irrtum, Herr Roland« in der Fernsehzeitschrift »HörZu« eher eine Ausnahme.192 Die »Berufskriminalisten« würden sich »am meisten« über »die Häufung von Unwahrscheinlichkeiten« ärgern. Allerdings nahmen diese Rolands Forderung nach Authentizität wohl auch allzu wörtlich, ohne dramaturgische Konventionen zu berücksichtigen. Eintreffen am Tatort: »E 605« (1960) Die Stahlnetz-Folge »E 605«, die im Folgenden exemplarisch herausgegriffen wird, um die wichtigsten filmästhetischen Aspekte der Inszenierung Rolands aufzuzeigen, zeichnet sich durch eine doppelte Erzählerperspektive aus. Auf der einen Seite stehen die Bankräuber, die den Überfall auf einen Geldtransport der Sparkasse minutiös planen und nach dem Raub versuchen, sich so unauffällig wie möglich zu verhalten, bis sie letztlich doch von der Polizei gestellt werden können. Die Verbrecherperspektive ist in dieser ungewöhnlich langen Folge zunächst sehr dominant; bis zur 18. Minute folgt die Kamera ausschließlich den beiden Bankräubern. Allerdings begleitet ein Off-Kommentar die Vorbereitungen der Täter und vermittelt so den Eindruck, die Bankräuber seien von Beginn an im »Auge des Gesetzes« und dass diesem nichts entgehe. Auf der anderen Seite der Erzählung stehen die Ermittlungen der Kriminalpolizei, die wenige Minuten nach dem Überfall beginnen. Gemäß den Roland’schen Grundsätzen wird die Arbeit der Kriminalpolizei als Arbeit im Team dargestellt, die die Zuschauer von der polizeilichen Effizienz und Überlegenheit überzeugt. Gleichzeitig darf ein aufklärendes und erziehendes Moment nicht fehlen. Eine Szene, die diese Vorgaben vereint, eröffnet sich dem Zuschauer direkt im Anschluss an die Tat.193 Hauptkommissar Opitz hat den Off-Kommentar übernommen und weist den

190 Ankündigungsplakat »Jürgen Roland kommt!«, in: DIF – Nachlass Jürgen Roland. Da Roland den noch laufenden Fall »Timo Rinnelt« in der Folge »Rehe« verarbeitet hatte, wurde die Ausstrahlung um wenige Monate zurückgestellt. Die Gefahr, den Täter durch die gezeigten polizeilichen Ermittlungen zu warnen, wurde als zu hoch eingeschätzt. 191 Interview mit Jürgen Roland am 9. 12. 1991, in: B. Vorländer: Stahlnetz. Die Anfänge, S. 145. Ob diese Aussage Rolands der Wahrheit entsprach, konnte nicht verifiziert werden. 192 o. A.: Irrtum, Herr Roland!, in: HörZu 43, 25. 10. 1969, in: DIF – Nachlass Jürgen Roland. 193 Stahlnetz, »E 605« (1), 0:19:05–0:25:00.

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Zuschauer in die Szene ein: Die ersten Minuten nach einem Überfall seien die wichtigsten, um die Spur des Täters aufzunehmen. Noch steht die Kamera in dieser Szene mitten in einer gaffenden Menschenmenge vor der Sparkasse und beobachtet, wie der verletzte Geldtransportfahrer verbunden wird. Fast unbewegt behält die Kamera ihren Standpunkt bei, als Opitz mit seinem Wagen vor die Sparkassenfiliale rollt und sich die Reihen des umstehenden »Publikums« lichten. In der Totalen ist nun sein Dienstfahrzeug, ein VW-Käfer, und er selbst zu sehen (Abb. 5). Währenddessen unterrichtet er den Zuschauer aus dem Off darüber, dass gerade der 11. Juni sei und nun jede Minute zähle, um ein Netz auszulegen, in dem sich die Verbrecher verfangen würden.

Abb. 5: Eintreffen der Kriminalpolizei am Tatort (Stahlnetz, »E 605«).

Sogleich lässt er sich von einem Schutzpolizisten die bisherigen Maßnahmen erläutern. Erstmals in dieser Szene nimmt die Kamera Bewegung auf, fährt auf den Kommissar zu und zoomt ihn auf eine amerikanische Einstellung heran – nicht nur um den Dialog mit dem Schutzpolizisten besser verstehen zu können, sondern auch um der bisher nur akustisch vernommenen Stimme ein Gesicht zu geben und gleichzeitig seine Position als Chef des Ermittlungsapparates hervorheben zu können.194 Nach einigen Zwischenschnitten, in denen das Tatfahrzeug von zwei Jungen gefunden wird und der Kommissar weitere Anweisungen gibt, betritt dieser zum ersten Mal die Sparkasse. Um dem Zuschauer einen Überblick zu verschaffen, hat die Kamera eine übergeordnete Position eingenommen und beobachtet die Bankangestellten zunächst aus der Vogelperspektive in einer Totalen (Abb. 6).

194 Ebd., 0:19:05–0:19:57.

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Abb. 6: Im Sparkassenraum vor dem Eintreffen der Kriminalpolizei (Stahlnetz, »E 605«).

Wenige Sekunden bevor der Kommissar die Filiale betritt, beginnt ein Schwenk in den Raum und gleichzeitig ein Absenken der Kameraposition. In einigem Abstand bleibt die Kamera auf einer noch immer leicht erhöhten Position stehen und beobachtet den Kommissar, wie er dem Filialleiter und dem Hauptkassierer erste Fragen stellt. Als das Gespräch für die Ermittlungen relevant wird, folgt ein Schnitt in eine halbnahe Einstellung. Die Kamera steht jetzt direkt neben den drei Männern, so, als wäre sie eine vierte Person, die in erster Linie den Kommissar beobachtet (Abb. 7 und Abb. 8).

Abb. 7 und Abb. 8: Kommissar Opitz befragt den Leiter der Sparkassen-Filiale und den Kassenleiter (Stahlnetz, »E 605«).

Während des Gesprächs geht das Geschäft in der Sparkasse weiter. Im Hintergrund laufen Angestellte hin und her, atmosphärischer Ton begleitet die Szene. Opitz’ Dialog mit beiden Männern wird durch Schuss und Gegenschuss aufgelockert. Trotz der verschiedenen Kamerapositionen bleibt Opitz der Bildmittelpunkt und somit auch der Bezugspunkt für den Zuschauer. Seine Fragen zu den Umständen der Tat wirken durch die Bildgestaltung besonders eindringlich und unnachgiebig. Als er sich zum Gehen umwendet, ist die Kamera ihm wieder einen kleinen Schritt

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voraus und steht bereits an der Tür. Sie erfasst ihn wieder in einer amerikanischen bis halbnahen Einstellung, in der er den Filialleiter mit spitzem Ton fragt, ob er denn auch bereitwillig helfen würde, wenn es nicht in seinem Interesse läge. Der Filialleiter fühlt sich ertappt und antwortet schnell: »Natürlich doch, selbstverständlich«.195 Da Opitz sich zur Kamera dreht, als er aus dem Bild geht, ist sein leicht verbitterter Gesichtsausdruck gut zu sehen. Dieser verweist darauf, wie wichtig die Zusammenarbeit der Bevölkerung mit der Polizei ist, und dass sie aus Sicht der Polizei nicht immer reibungslos vonstatten geht. Dem Zuschauer wird in dieser Folge erstmals das wichtige Verhältnis zwischen Bürger und Polizei angedeutet und unterbreitet, dass die Mitarbeit des einzelnen Bürgers für die Ermittlungen der Polizei unerlässlich ist. Richtig verhielt sich eine junge Frau, die, nachdem sie einen leeren Wagen auf einem Trümmergrundstück entdeckt hatte, sofort die Polizei alarmierte. Es folgt ein Schnitt in die nächste Einstellung auf das Trümmergelände. Der Zuschauer wird auch hier zunächst mit einer totalen Aufsicht in den Ort eingeführt (Abb. 9). So kann er sich innerhalb der folgenden Bilder besser orientieren.

Abb. 9: Totale auf ein Trümmergrundstück und das Tatfahrzeug (l., Stahlnetz, »E 605«). Abb. 10: Obersekretär Richter verständigt den Erkennungsdienst (r., Stahlnetz, »E 605«).

Obersekretär Richter erreicht das Grundstück mit einem Dienstfahrzeug. Als er aus dem Wagen steigt, hat die Kamera ihre übergeordnete Position verlassen und steht direkt neben dem Polizei-Käfer. Erneut nimmt sie die Position einer umstehenden Beobachterin ein, ist jedoch wesentlich dynamischer als zuvor. Richter bewegt sich zwischen den wenigen Umstehenden, dem mitgefahrenen Überfall-Zeugen und dem gefundenen Tatfahrzeug hin und her. Er bedeutet einem Schutzpolizisten, das Auto abzuschirmen und den Umstehenden, nichts anzufassen. Hiernach verständigt er den Erkennungsdienst (Abb. 10). Die Kamera folgt dem Geschehen in einer Halbtotalen; durch die vielen Menschen und die beiden Autos wirkt die Einstellung jedoch kleiner und beengter, gleichzeitig erscheint das Geschehen näher. Als Richter per

195 Ebd., 0:21:05–0:22:56.

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Funkgerät die Zentrale verständigt, lehnt er sich lässig an den Wagen mit einer Hand in die Hüfte gestützt.196 Der kurze erste Eindruck des Obersekretärs, der in der Hierarchie deutlich unter Opitz steht, aber eine solche Karriere vielleicht noch vor sich hat, ist wesentlich lockerer als sein Vorgesetzter. Trotzdem vermittelt er nicht weniger Respekt als der gesetzte Kommissar, wie diese Szene zeigt. Die Umstehenden weichen ihm sofort aus, wenn er eine entsprechende Handbewegung macht. Auch weist die benannte Frau nur darauf hin, dass sie angerufen habe; weitere Gespräche schließen sich nicht erkennbar an. Ansonsten sind lediglich das leise Summen des Straßenverkehrs und die abgeklärte Stimme des Kriminalbeamten zu vernehmen. Auch dieser kurze Ausschnitt weist auf die Grundmerkmale des Stahlnetz hin: Zum einen wird die Position des Kriminalisten herausgehoben; dieses Mal ist es jedoch ein anderer, schließlich arbeiten die Polizisten im Team. Gleichsam unerlässlich ist die Schutzpolizei, um die Arbeit der Kriminalpolizei zu unterstützen und Beweise und Spuren vor Fremden zu sichern. Die eigentliche Spurensicherung wird von einem weiteren Glied im Polizeiapparat übernommen, das wenige Schnitte später auftritt. Dabei werden nicht nur die Kriminaltechniker selbst gezeigt, sondern ihre Arbeit wird auch durch einen entsprechenden Kommentar erklärt. Die Respektsperson Kriminalpolizist wird, zumindest in diesen Szenen, in denen »Publikum« anwesend ist, lediglich in mittelgroßen bis großen Einstellungsgrößen gefilmt. Dadurch wird dem Zuschauer eine gewisse Distanz zu dem Vertreter der Staatsmacht suggeriert, in dessen Ermittlungen er langsam eingeführt und von dessen Arbeit für die Sicherheit des Einzelnen er langsam überzeugt werden soll. Äußert sich der Kommissar in erklärender, pädagogisierender oder moralisierender Weise, zoomt die Kamera in eine Nah- bis Großaufnahme; Letztere sind allerdings selten. Die beiden Ausschnitte werden gleichermaßen durch die Nebenfigur des Bürgers bestimmt. Er tritt zum einen als gaffende Menschenmenge in Erscheinung, die sich für das geschehene Verbrechen interessiert – quer durch alle Altersschichten, Männer wie Frauen. Zum anderen tritt er als unmittelbar Beteiligter, als Opfer des Überfalls und als Zeuge auf, der der Polizei sofort Hilfe anbietet oder nach einem besonderen Fund die Polizei informiert. Diese Personengruppe wird im Verlauf der Untersuchung als »aufmerksame Bürger« bezeichnet, denen eine Schlüsselrolle im pädagogischen Anspruch der Reihe zukam. Eine dritte Kategorie der mittelbar Beteiligten, wie z. B. der Filialleiter, scheint lediglich aus eigenem Interesse die Polizei zu unterstützten und wird entsprechend ambivalent auf dialogischer und filmischer Ebene inszeniert. Es wird weniger offene Kritik von Seiten der Polizei an ihnen geübt. Vielmehr muss sich der Zuschauer selbst ein Urteil aus den Gesten der Polizisten und den Dialogen bilden.

196 Ebd., 0:22:57–0:23:22.

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2.4 D AS B LAULICHT Das Krimikollektiv Während der engste Mitarbeiterstab der Stahlnetz-Produktion auf die beiden Akteure Jürgen Roland und Wolfgang Menge beschränkt war, wurde die Reihe Blaulicht von mehreren Personen und Behörden beeinflusst. Günter Prodöhl zeichnete für Drehbuch und Idee verantwortlich, Evelyn Heyden arbeitete als Dramaturgin, Hans-Joachim Hildebrandt, Otto Holub und Manfred Mosblech führten jeweils Regie. Neben den genannten Personen griffen auch ganze Institutionen in den Produktionsprozess ein wie der Deutsche Fernsehfunk und das Ministerium des Innern (MdI), das durch den Offizier Gottfried Zenner197 vertreten wurde. Alle Akteure gewährleisteten die zu erfüllende Unterhaltungsfunktion und den von der SED ausgegebenen Propagandaauftrag.

197 Gottfried Zenner war Mitarbeiter der Öffentlichkeitsarbeit des MdI und begleitete jede Blaulicht-Produktion vom Drehbuch bis zur Live-Sendung. Er war dafür zuständig, dass ein korrektes Polizeibild vermittelt wurde, aber auch um die ideologischen Vorgaben in Zusammenarbeit mit dem Team umzusetzen. Wenngleich Heyden und Prodöhl den MdI-Mitarbeiter in einem Interview 1984 als »verdienstvollen Mann« bezeichnen, sprechen schriftliche Zeugnisse von 1966 eine andere Sprache. Hier urteilte Heyden: »Die Arbeitsbedingungen haben sich für uns im letzten Jahr zusätzlich durch das gespannte Verhältnis zum Genossen Fred Zenner verschlechtert. […] Uns fehlt also jetzt der Berater in Gestalt eines ständigen Gesprächspartners. Jedes Zusammentreffen zwischen Prodöhl und Zenner verläuft in einer eisigen Atmosphäre, der Wortwechsel beschränkte sich auf wenige unumgängliche Äußerungen«. In: Heyden, Evelyn: Aufstellung, Brief an Adameck über Horst Zaeske, 26. 4. 1966, S. 4, in: BArch DR 8/283.

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Abb. 11: Blaulicht-Drehbuchautor Günter Prodöhl.

Geistiger Vater der Reihe war der am 29. Mai 1920 geborene Günter Prodöhl (Abb. 11). Wie Jürgen Roland und Wolfgang Menge war auch er als Gerichtsreporter tätig gewesen und hatte in dieser Funktion zwischen 1948198/1949199 und 1960 für verschiedene Tageszeitungen (u. a. »Nachtexpress«, »BZ am Abend«) gearbeitet. Ab 1954 erschienen gesammelte Artikel unter der Reihe »Aus der Arbeit der Volkspolizei«200 in der Zeitschrift »Das Magazin«.201 Auch die Groschenheft-Reihe »Blaulicht« brachte seine Geschichten.202 Um 1958 kam Hans Müncheberg, damaliger

198 o. A.: Günter Prodöhl, Schriftsteller, in: Filmspiegel, 9. 8. 1967, in: Presseausschnittsammlung DRA Potsdam. 199 Günter Prodöhl, zitiert nach: Verband der Film- und Fernsehschaffenden, Gespräch mit Evelyn Heyden und Günter Prodöhl am 22. Mai 1984, in: Archiv Müncheberg, S. 1. 200 »Sie [Hilde Eisler, Redakteurin beim »Magazin«, N. H.] fragte mich, ob ich ihr nicht mal eine Kriminalgeschichte, die bei der Volkspolizei spielt, bringen könnte, denn damals waren im ›Magazin‹ nur Kriminalgeschichten, die aus Amerika gekauft werden mußten, England und Frankreich. Da suchte sie also einen.« In: ebd., S. 10–11). 201 Als »Das Magazin« 1954 erstmals in der DDR erschien, konnte es bereits auf eine längere Tradition bis in die Weimarer Republik zurückblicken. Anspruch der Zeitschrift war es, in einer Mischung aus intelligent verfassten Artikeln und Nacktaufnahmen den Leser zu unterhalten. Vgl. die journalistisch beleuchtete Geschichte der Zeitschrift von Gebhardt, Manfred: Die Nackte unterm Ladentisch. Das Magazin in der DDR, Berlin 2006. 202 Die Heftreihe »Blaulicht« erschien seit 1958 im Oktavheft-Format mit einer Auflage von etwa 200.000 Exemplaren. Die vom hauseigenen Verlag des Ministerium des Innern herausgegeben Krimis hatten vorrangig »einen Beitrag ›zur Stärkung des Verhältnisses zwischen der Deutschen Volkspolizei und den Werktätigen der DDR‹ zu leis-

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Leiter der Fernsehdramatik beim Deutschen Fernsehfunk, auf Prodöhl zu und versuchte, ihn für eine Krimireihe im Fernsehen zu gewinnen.203 Prodöhl sagte zu und arbeitete zusammen mit der Dramaturgin Evelyn Heyden204 die Idee für eine Fernsehreihe aus. Die Vorgabe bzw. der Auftrag bestand zunächst aus einem einzelnen Motto: die »Volkspolizei als Polizei des Volkes«.205 Beide kamen sodann mit einem Vertreter des MdI zusammen, um die Konzeption einer solchen zehnteiligen Reihe durchzusprechen, »lange, bevor überhaupt irgend etwas [sic!] von Büchern, von Exposés oder so etwas da war«, erklärte Heyden in einem rückblickenden Interview.206 Dass man sich erst mit dem Innenministerium über die Darstellung der Polizei austauschte, bevor überhaupt ein inhaltliches Konzept entworfen wurde, erlaubt einen tiefen Einblick in die damalige Herrschaftspraxis der DDR-Organe. Eine Sendung über einen Teil des Staatsapparates zu machen, war nicht ohne vorherige Absprache möglich. Ob das Ministerium eine kritische Darstellung fürchtete und deshalb von vornherein eine eigenständige Arbeit unterband oder ob die Macher bereits eine Schere im Kopf hatten und das Ministerium pflichtschuldigst zum frühestmöglichen Zeitpunkt involvierten,207 ist unklar. Denkbar wäre ein sol-

203

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ten«. Diesen Auftrag hoffte man durch eine wirklichkeitsnahe Gestaltung zu erreichen, und daher arbeitete die Kriminalpolizei z. T. eng mit den Autoren zusammen. Nach Fertigstellung des Manuskripts nahm das Ministerium dann konkreten Einfluss durch Überprüfungen, Zensur oder Verbot. Obwohl die Reihe immer wieder mit Autoren- und »Manuskriptmangel« zu kämpfen hatte, wurde sie bis 1990 fortgesetzt. Vgl. hierzu: Barck, Simone: Im Blaulicht-Milieu, in: Barck, Simone/Lokatis, Siegfried (Hg.): Zensurspiele. Heimliche Literaturgeschichten aus der DDR, Halle (Saale) 2008, S. 273– 279. Parallel dazu verwirklichte der DFF bereits Prodöhls Buch »Die im Dunkeln«. Müncheberg wollte ihn allerdings längerfristig mit einer ganzen Reihe an das Fernsehen binden, wie er in einem Interview mit der Autorin ausführt. Evelyn Heyden wurde 1928 geboren und absolvierte 1952 ihr Staatsexamen in Germanistik an der Berliner Humboldt-Universität. 1953/1954 kam sie als Lektorin zum Verlag Neues Berlin, wo sie den Autor Günter Prodöhl betreute. Vor allem ihre Erfahrung in der Bearbeitung von Kriminalstoffen öffnete ihr den Weg in den deutschen Fernsehfunk, denn hier fehlten Dramaturgen mit dieser Spezialisierung. Verband der Film- und Fernsehschaffenden, Gespräch mit Evelyn Heyden und Günter Prodöhl am 22. Mai 1984, S. 9, in: Archiv Müncheberg. Ebd. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass Prodöhl seit dem 26. 2. 1952, also auch in der Zeit der Themenfindung und Ideenausarbeitung des Blaulicht, als »Geheimer Informator« (GI) für das Ministerium der Staatssicherheit unter dem Decknamen »Heinz Nachtigall« arbeitete. Den vorliegenden Akten des MfS ist zu entnehmen, dass er u. a. Informationen über Berliner Schriftsteller im Vorwege und der Nachbereitung der (Bitterfelder) Kulturkonferenz sammeln sollte. Da er als Kriminalautor jedoch keine Akzeptanz im Schriftstellerverband gefunden hatte, wurde er als »Informeller Mitarbei-

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ches Vorgespräch auch, um von Produktionsseite aus den Rahmen abzustecken, in dem man sich umso freier bewegen konnte. Gleichzeitig war die Mithilfe des Ministeriums für die authentische Darstellung des Stoffes im Hinblick auf fachliche Beratung und logistische Unterstützung, wie Roland es für die Reihe Stahlnetz in Anspruch nahm, unerlässlich. Welche tatsächliche Intention von beiden Seiten verfolgt wurde, wer auf wen zukam und welche Zwänge und Vorgaben ausgeübt wurden, lässt sich aufgrund fehlender Quellen nicht sicher sagen. Beide Parteien hatten in jedem Fall großes Interesse an einem Erfolg der Reihe. Ebenso schwierig zu rekonstruieren ist die Grundintention des Autors. Wollte er nur spannende Geschichten erzählen, oder brachte er einen pädagogischen Impetus von sich aus ein? Fest steht, dass das erste Gespräch mit einem Mitarbeiter des MdI, Lothar Hölzel, in der Privatwohnung Evelyn Heydens stattfand und jener bereits »ein paar Skizzen von Fällen« als »Gesprächsgrundlage« mitbrachte.208 Der entscheidende Antrieb zur Ausarbeitung eines Konzeptes parallel zu dieser ersten Ideensammlung kam allerdings von außen. Günter Prodöhl und Verantwortliche im DFF hatten im »Westfernsehen«, das Personen aus dem Kulturbereich durchaus zur Verfügung stand, um den »Konkurrenten« stets im Blick zu behalten, erste Folgen der Reihe Stahlnetz gesehen. »Man sagte mir damals, […], wir brauchen etwas dagegen, wir brauchen in dieser Hinsicht auch etwas. Ich vermute, daß das der eigentliche Grund war.«209 Diese Vermutung wird durch entsprechende Vermerke des Ministeriums des Innern bestätigt.210 Heyden und Prodöhl arbeiteten sodann die

ter« im Oktober 1962 wieder »entlassen«. Seine Tätigkeit für das MfS legt den Schluss nahe, dass er die Herrschaftspraxis des Regimes internalisiert hatte und womöglich einer engen Zusammenarbeit mit dem MdI weniger kritisch gegenüber stand, diese möglicherweise aktiv befürwortete. Darüber hinaus verrät die Akte, dass Prodöhl den Kontakt zum MfS auch zu seinem eigenen Vorteil nutzte: »Zum Abschluss der Unterredung mit dem GI stellte er die Frage, auf welchem Wege er sich in den Besitz von Literatur setzen kann, die er aus dem Westen benötigt. Besonders interessieren ihn dabei sämtliche Kriminalfälle aus aller Welt. Der GI benötigt solches Material, um Anregungen für seine Bücher zu haben. Da aber die Gefahr der Kontrolle an der Sektorengrenze besteht, möchte er von uns einen Rat haben, wie er ohne Schwierigkeiten sich laufend derartiges Material besorgen kann. Der Unterzeichnete hat zugesagt, ihm in den nächsten Tagen eine Auskunft darüber zu geben«. In: Treffbericht, 9. 4. 1958, in: BStU, ZA MfS AIM 20765/ 62/A/2, pag. S. 55. Gesamter Vorgang siehe: BStU, ZA MfS AIM 20765/ 62/P; BStU, ZA MfS AIM 20765/ 62/A/2; BStU, ZA MfS AKK 8658/81. 208 Verband der Film- und Fernsehschaffenden, Gespräch mit Evelyn Heyden und Günter Prodöhl am 22. Mai 1984, S. 9, in: Archiv Müncheberg. 209 Ebd., S. 10. 210 In einer internen Auswertung der Hauptabteilung K beim MdI heißt es: »Ursprünglich wollte man lediglich in Form von künstlerischen Reportagen aus der Arbeit der Volkspolizei – speziell der Kriminalpolizei – berichten und damit der im Westfernsehen lau-

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Eckpunkte aus, die in mehreren Bereichen den bereits für das Stahlnetz ausgeführten Leitlinien (z. T. fast wortgleich) entsprachen. Wir wollen mit dieser Reihe dem speziellen Publikumsinteresse an Kriminalspielen entsprechen; wollen aber auf die billigen Tricks dieses Genre auf den blossen [sic!] Nervenkitzel, tolle Schiessereien [sic!], Verfolgungsjagden und – dem Klischee-Detektiv bzw. Kommissar älteren Kalibers verzichten, weil es notwendig und möglich ist, Spannung mit anderen Mitteln zu erzeugen. Wir wollen unsere Zuschauer mit der interessanten, verantwortungsvollen und erfolgreichen Arbeit unserer Kriminalpolizei bekanntmachen, wollen tüchtige Kriminalpolizeioffiziere zeigen, die nicht wie weiland Sherlock Holmes »genial« und im Alleingang und überlegtem Zusammenwirken Erstaunliches leisten. Es geht uns nicht so sehr um den eklatanten Fall mit dem der Kriminalist brilliert, nicht um den »Blick in die dunkel, geheimnisvolle Welt des Verbrechens«, sondern darum 1. Die besonderen Funktionen unserer Kriminalpolizei in unserer Gesellschaft zu zeigen: Unsere Kriminalisten beschränken sich nicht darauf, den Täter zu ermitteln und der Justiz zu übergeben. Sie arbeiten auf die verschiedenste Weise mit an der weiteren Einschränkung der Kriminalität. Aufklärend und gewissermaßen vorbeugend zu wirken, ist eines ihrer Anliegen. Sie helfen mit bei der Eingliederung von Gestrauchelten in die Gesellschaft, weil es für sie nicht um den »Interessanten Verbrecher«, sondern um den Menschen und die Gesellschaft geht. 2. zu zeigen, welche spezifischen Delikte sich (in der DDR) aus der besonderen Situation im geteilten Deutschland ergeben. 3. die neuen Formen der Rechtsprechung mit in die Spiele einzubeziehen. 4. geht es uns besonders um den Appell an die Zuschauer zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Kriminalpolizei und Bevölkerung bei der Verhinderung und Aufklärung von Verbrechen.211

In diesem internen Papier fehlen die obligatorischen Seitenhiebe auf negative westliche Vorbilder und die Versicherungen über die Superiorität des eigenen Systems wie selbstverständlich nicht. Dennoch fällt auf, dass sich die Verfasser zum einen konkret auf eine der herausragenden Detektivfiguren der westlichen Literaturge-

fenden Sendung ›Stahlnetz‹ mit einem Gegenstück begegnen« In: Hauptabteilung K: Auswertung der Sendereihe »Blaulicht« des Deutschen Fernsehfunks, 22. 3. 1961, in: BArch DO 1/27689, pag. S. 55. Damit ist die in der Forschungsliteratur häufig nur assoziativ geäußerte Vermutung auf eine sichere Quellenbasis gestellt. Vgl. z. B. A. Guder: Genosse Hauptmann auf Verbrecherjagd, S. 81. 211 Günter Prodöhl – Kriminalreihe, in: Archiv Müncheberg, o. D. Dieses Papier wurde auch in die Spielplanargumentation für den Juni 1959 eingefügt. Siehe BArch: DR 8/280.

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schichte beziehen und sich an dieser abarbeiten. Die Blaulicht-Macher sahen demnach die Wurzeln ihres Krimis keineswegs in sowjetischen Vorbildern als vielmehr in einer westlichen Tradition. Fraglich ist, ob das Publikum eine andere überhaupt angenommen hätte. Zum anderen sind die von Heyden und Prodöhl aufgezählten Eckpunkte Aufklärung, Verbrechensprävention und Zusammenarbeit mit der Bevölkerung system- und ideologieunabhängig. Denn obgleich der real existierende Sozialismus eine Ideologie vertrat, die davon ausging, dass Kriminalität in der nach eigenen Idealen transformierten Gesellschaft nicht mehr existiere, musste sich der Staat in der Übergangszeit weiterhin mit dem Phänomen Kriminalität auseinandersetzen und es als real annehmen. Zudem hatte das Blaulicht nicht nur den ideologischen Vorgaben der Partei212 zu folgen, sondern von Seiten des MdI einen klar formulierten Erziehungsauftrag zu erfüllen: Die »Sendereihe hilft mit den speziellen künstlerischen und technischen Mitteln bei der Erziehung der Menschen zur Wachsamkeit«.213

212 Da diese bis 1961 scheinbar noch nicht umgesetzt wurden, hielt das MdI in einer Auswertung der Reihe für die zweite Staffel ab Oktober 1961 (also nach dem Mauerbau) fest: »Das Blaulicht-Kollektiv sollte in geeigneter Form von uns mit der Staatsratserklärung und dem Staatsratsbeschluss bekannt gemacht werden. Die sich für die Sicherheitsorgane ergebenden Schlußfolgerungen müssen in den weiteren Folgen der Blaulicht-Sendungen unbedingt als Ausgangspunkt betrachtet werden. Beim Autor und Regisseur kann die Kenntnis über die Bedeutung dieser Beschlüsse für unsere künftige Tätigkeit nicht vorausgesetzt werden. In den Grundzügen muß dieser Personenkreis unbedingt eingewiesen werden«. In: Hauptabteilung K: Auswertung der Sendereihe »Blaulicht« des Deutschen Fernsehfunks, 22. 3. 1961, in: BArch DO 1/27689, pag. S. 58. An dieser Stelle kann bereits bilanziert werden, dass die vom Ministerium erbetenen Veränderungen realiter nicht konsequent umgesetzt wurden. 213 [Gottfried Zenner, Hauptmann der VP]: Entwurf. Einschätzung der Sendereihe »Blaulicht« des Deutschen Fernsehfunks, in: BArch DO 1/27689, [2. 3. 1960], pag. S. 44 [Hervorhebung durch Autorin, N. H.].

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Abb. 12: Blaulicht-Schriftzug (Blaulicht, »Nachtstreife«).

Auf dieser Grundlage erarbeiteten Prodöhl und Heyden ein Figurenkonzept, wobei gerade die Zusammenstellung des Kernteams schwierig war. Die Prämisse war, sich von der Reihe Stahlnetz abzugrenzen, aber nicht nur in der allgemeinen Darstellung der Verbrechensbekämpfung, sondern auch über einen individuellen Figurenzugang. Beim Stahlnetz gab es keine personellen Kontinuitäten, in jeder Folge ermittelte ein anderes Kommissarteam. Ein Ansatzpunkt, sich entsprechend abzuheben, war daher der Einsatz eines immerwährenden »Ermittlerkollektivs«. Auf die Frage der Drehbuchschreiber, wie sich die Kriminalisten in West und Ost jedoch konkret unterscheiden sollten, »fingen die [das MdI] nämlich auch an rumzueiern und konnten uns eigentlich so etwas Konkretes auch wiederum nicht sagen, wo man direkt danach schreiben konnte, wie nach einer Gebrauchsanweisung«.214 Autor und Dramaturgin »tasteten sich dann ziemlich mühselig über diesen Punkt hinweg«215 und kamen schlussendlich zu einer Ermittlergruppe von vier Personen: »[1.] der Staatsanwalt, [2.] der ältere Erfahrene, der mit der großen Menschenkenntnis, dann [3.] ein junger Intellektueller und dann [4.] ein etwas lustiger Jüngerer«.216 Um jedoch nicht nur die Vorgaben des Ministeriums abzuarbeiten, sondern auch das Unterhaltungsbedürfnis des Publikums zu befriedigen, bauten Prodöhl und Heyden 214 Evelyn Heyden, zitiert nach: Verband der Film- und Fernsehschaffenden, Gespräch mit Evelyn Heyden und Günter Prodöhl am 22. Mai 1984, S. 12, in: Archiv Müncheberg. 215 Ebd. 216 Ebd. Auch auf die Anzahl der Ermittler nahm nach Aussage Heydens das MdI Einfluss: »Die haben immer gesagt, wenn er [G. Prodöhl] vom Kommissar sprach, er hatte eigentlich immer nur einen gewollt, das kommt auf gar keinen Fall infrage, es sind mindestens drei, wenn nicht vier oder fünf, eigentlich gehört der Staatsanwalt dazu. […] – [G. P.] Es war immer das Kollektiv, nicht der Einzelne«. Zitiert nach ebd., S. 15–16.

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neben der eigentlichen Aufklärungsarbeit durch die Kriminalpolizei, auch die persönlichen Eigenarten der Kriminalisten in den Mittelpunkt der Spielhandlung [ein]. […]. Das sollte (und geschah beispielsweise in der ersten Sendung) mit etwa folgenden Mitteln geschehen: Tierliebe der Kriminalisten (deshalb war in der ersten Folge eine Schildkröte – die man bei einem Schieber gefunden haben will – als »Zubehör« im Dienstzimmer), Kakteensammlung und -Pflege, Kaffeekochen, kumpelhaftes Verhalten der Kriminalisten untereinander usw.217

Das Ministerium sprach sich jedoch gegen derart viele Alltäglichkeiten aus, und so wurden die genannten Eigenheiten wieder gestrichen. Dies zeigt erneut, wie einflussreich das MdI selbst bei der Gestaltung der Reihe war. Identifikationsangebote für den Zuschauer, wie die oben benannten Charaktereigenschaften, wurden dann auf andere Weise gemacht. Jedoch unabhängig von der Figurenzeichnung erreichten die vier Schauspieler die stärkste Zuschauerbindung. Die »unverbrauchten« Gesichter Bruno Carstens’, Alexander Papendiecks, Horst Torkas und Werner Senftlebens verkörperten das Ermittlerkollektiv über den gesamten Produktionszeitraum hinweg und spielten sich innerhalb weniger Folgen »in die Herzen« der Zuschauer.218 Nebenfiguren waren der Leiter der Kriminalpolizei, »Genosse Major«, sowie einige namenlose Kriminaltechniker. Die Zuschauerbindung erfolgte jedoch nicht nur über die Figurenzeichnung und die Besetzung der Rollen, auch die Titelmelodie von Peter Gunn, die ab der 13. Folge das Blaulicht einleitete, stieß auf große Zustimmung.219

217 In: Hauptabteilung K: Auswertung der Sendereihe »Blaulicht« des Deutschen Fernsehfunks, 22.3.1961, in: BArch DO 1/27689, pag. S. 56. 218 Zur Zeichnung der Figuren und zur Biografie aller Schauspieler siehe Kapitel drei. 219 Peter Gunn war Titelheld der gleichnamigen Krimiserie, die zwischen 1958 und 1961 für den amerikanischen Markt produziert worden war. Auf welchen Wegen die von Henry Mancini komponierte Musik in die DDR gelangte, konnte für diese Untersuchung nicht abschließend eruiert werden. Aber die unzähligen Coverversionen, u. a. von Jimi Hendrix, beförderten eine schnelle Verbreitung auch auf dem sozialistischen Markt. Im Übrigen fehlt im Abspann der Reihe jeder Hinweis auf die musikalischen Anleihen. Zu fragen wäre, ob der konkrete Hinweis auf einen US-Import von offizieller Seite wegen ungeklärter Urheberrechtsfragen verboten wurde oder ob man – nach Einführung der 60:40 Regel – bewusst darauf verzichtete, um keine Begehrlichkeiten bei den Zuschauern zu schüren. Die 1958 eingeführte 60:40-Regel begrenzte den Anteil ausländischer Tanz- und Unterhaltungsmusik in der DDR auf 40 %.

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Abb. 13: Blaulicht-Regisseur Hans-Joachim Hildebrandt (vermutlich 2.v.r.).

Hans-Joachim Hildebrandt (Abb. 13), der entscheidend für die Auswahl der Schauspieler verantwortlich zeichnete, übernahm die Regietätigkeit der ersten 14 Blaulicht-Folgen. Im Gegensatz zu Roland brachte Hildebrandt keine journalistische Ausbildung, dafür aber erhebliche Regieerfahrung mit. Hildebrandt, am 27. September 1929 in Magdeburg geboren, erhielt 1949 eine Anstellung beim Berliner Rundfunk und wurde dort zum Radioregisseur ausgebildet. Da ihn die Bildmedien reizten, er eine Anstellung bei der DEFA jedoch als aussichtslos erachtete, wandte er sich bald dem neu gründeten Fernsehfunk zu. 1953 wurde er zunächst als Ansageregisseur eingestellt, 1955 inszenierte er das erste Mal eigenständig.220 Bereits ein Jahr später entdeckte er seine Leidenschaft für das Krimigenre, die ihn bis zum Ende seiner Berufslaufbahn begleitete.221 1958 realisierte er ein erstes Stück von Prodöhl, den Film Es geschah in Berlin, und kam so mit ihm über die Reihe Blaulicht ins Gespräch. Da dem Autor noch kein Regisseur zugewiesen, die Dienstwege im DFF noch kurz waren und Hildebrandt die »Magazin«-Geschichten Prodöhls kannte, erklärte er sich dazu bereit, das Blaulicht zu inszenieren. 1961 verließ Hildebrandt die Produktion auf eigenen Wunsch, weil ihn, so seine rückblickende Aussage im Gespräch mit der Verfasserin, die »Mauer« störte. Er ließ sich daraufhin in das neu aufzubauende »Ostsee-Studio« nach Rostock versetzen,222 kehrte 220 Von der Autorin geführtes Interview mit Hans Joachim Hildebrandt. 221 Hildebrandt verwirklichte nach dem Abdreh der Blaulicht-Reihe über ein Dutzend Polizeiruf-110-Folgen. 222 In einem Interview mit Prodöhl und Heyden beschreiben sie Hildebrandts Motivation sehr viel stärker karriereorientiert: »Er war ein renommierter und auch guter Regisseur und versprach sich davon etwas. Ich kann das auch verstehen, daß er nun weitergeben und leitende Position bekleiden kann, daß er wieder Neues aufbauen kann, als nur immer am Ball zu arbeiten«. In: Günter Prodöhl, in: Verband der Film- und Fernseh-

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jedoch ein knappes Jahr später nach Berlin wegen persönlicher Probleme mit den Generalintendanten des Rostocker Studios zurück.

Abb. 14: Blaulicht-Regisseur Otto Holub (vermutlich r.).

Um weiterhin eine rasche Abfolge der Sendungen zu gewährleisten, vielleicht auch um das »erschöpfte«223 Team mit einem jüngeren Regisseur zu motivieren, in jedem Fall um die ideologische Fortführung der Reihe zu sichern, wurde der Parteisekretär224 Otto Holub zum Blaulicht berufen (Abb. 14). »Theoretisch hätten sie uns ja auch einen Ersatz anbieten können [für Hildebrandt], sie haben aber sehr genau überlegt und haben uns dann ziemlich rasch den Otto Holub avisiert und angeboten.«225 Mit dem am 5. Oktober 1928 in der Tschechoslowakei geborenen Regisseur kamen auch gravierende politische Veränderungen. Die Schließung der Grenze am 13. August 1961 wurde für die Produktion des Blaulicht zu einer inhaltlichen Zäsur. War die offene Grenze nach Westberlin zumindest in einigen Folgen Anlass und/oder Möglichkeit zu kriminellen Handlungen gewesen, verschwand dieses Argumentationsmuster fast gänzlich nach Schließung der Mauer.226 Für den Regisseur und das bestehende Team stellte sich der Wechsel als produktiv heraus. Mit Holub wurden plötzlich andere Stoffe möglich – nicht nur durch

223 224 225 226

schaffenden, Gespräch mit Evelyn Heyden und Günter Prodöhl am 22. Mai 1984, S. 24, in: Archiv Müncheberg. So die rückblickende Aussage Holubs in einem Interview für die Arbeitsgruppe Chronik des DFF, 11. 1. 1971, S. 27–28, in: Archiv Müncheberg. Ebd., S. 30. Evelyn Heyden, in: Verband der Film- und Fernsehschaffenden, Gespräch mit Evelyn Heyden und Günter Prodöhl am 22. Mai 1984, S. 30, in: Archiv Müncheberg. Nähere Ausführungen siehe Kapitel vier.

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die politischen Vorgaben bedingt –, da er »von anderer Mentalität war«.227 Heyden beschreibt ihn rückblickend, er sei »kein Knallerbum-Regisseur [gewesen], sondern er hatte mehr Seele mit reingebracht, er war feinfühliger, da konnten wir eben einen ganzen Krimi über einen Karnickeldieb machen, kein Mord und kein Totschlag«.228 Und tatsächlich brachte Otto Holub eine ganz eigene Handschrift in die Gestaltung des Blaulicht ein. Zu Beginn seiner Tätigkeit nutzte er die Gelegenheit, um sich selbst in die Akten der Kriminalpolizei zu vertiefen – das Produktionsteam war ob der hohen Sendefrequenz erschöpft, zudem hatte Prodöhl seine gesammelten Stoffe in den ersten 15 Folgen bereits verarbeitet. Außerdem begleitete der Regisseur den Nachtdienst der Kriminalpolizei im Funkwagen und bei ihren Ermittlungen, um das »Milieu« zu studieren.229 Dass Holub vor seiner eigenen Regietätigkeit beim DFF als Lehrer für das Regiefach gearbeitet hatte, kam der visuellen Gestaltung der Blaulicht-Folgen zugute. Während Hildebrandt viel Wert auf Dialoge gelegt hatte, dies war z. T. seiner Rundfunk-Vergangenheit geschuldet,230 brachte Holub einen neuen »Blick«, eine neue Kameraführung ein. Er wagte neue Kamerawinkel, andere Einstellungsgrößen sowie eine veränderte musikalische Gestaltung der Folgen. Ähnliche Entwicklungen lassen sich im Übrigen bei den jungen Filmemachern der DEFA Mitte der 1960er Jahre nachvollziehen.231 Die Subtilität seiner Darstellung, die zumeist auf das Zeigen offener Gewalt verzichtete, setzte sich auch in der Umsetzung der vorgegebenen Ideologie fort. Dies wird in den folgenden Kapiteln noch näher auszuführen sein. Nach vier Jahren und elf Folgen Blaulicht verließ Holub die Produktion wieder. Welche Gründe zum Bruch führten, darüber schweigen sich alle Beteiligten in den vorliegenden Interviews aus. Grund könnte ein neues Angebot gewesen, das Holub annahm; ab Ende der 1960er Jahre arbeitete er zeitweise für die DEFA.232 Vielleicht war es aber auch die Gestaltung seiner letzten Folge, die dem MdI und den Verantwortlichen beim DFF missfallen hatte. Denn fast beiläufig thematisierte

227 Günter Prodöhl, in: Verband der Film- und Fernsehschaffenden, Gespräch mit Evelyn Heyden und Günter Prodöhl am 22. Mai 1984, , S. 30, in: Archiv Müncheberg. 228 Evelyn Heyden, in: ebd. 229 Arbeitsgruppe Chronik des DFF, Interview mit Otto Holub, S. 28, in: Archiv Müncheberg, 11. 1. 1971. 230 So mutmaßt zumindest auch »Der Morgen«: Der Weg eines Fernsehregisseurs. Gespräch mit Hans-Joachim Hildebrandt, in: Der Morgen, 6. 6. 1957. 231 Zum jungen deutschen Film der DDR vgl.: Helmli, Nora: (Vor-)Bild einer neuen Weiblichkeit? Scheidung und Familiengesetzgebung im DEFA-Film Lots Weib (1965), in: WerkstattGeschichte (2008), H. 49, S. 85–95. 232 Wenige Jahre später, am 31. 3. 1977, verstarb Holub, im Alter von 48 Jahren. Siehe: BArch DC 20: Ministerrat der DDR, Personalkartei.

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die Folge »Ein Mann zuviel«233 Korruption auf höherer Leitungsebene – ein Tabu im SED-Staat.234

Abb. 15: Blaulicht-Regisseur Manfred Mosblech (3.v.l).

Der nachfolgende Regisseur, Manfred Mosblech (Abb. 15), war dem eingespielten Team nicht unbekannt. Er hatte bereits als Assistent seiner beiden Vorgänger gearbeitet und war mit dem Plot bestens vertraut. Wenngleich Heyden rückblickend über Mosblechs Regiedebüt sagte, dass »wir erst ein bissel Angst gehabt haben«, lobte sie den damals 32-jährigen (geboren am 3. Oktober 1934235) als besten Regisseur aller Blaulicht-Folgen.236 Prodöhl beschrieb dessen Arbeit sogar als »Sound der neuen Zeit«237, was sich wohl vor allem auf die ästhetische Gestaltung der Reihe bezog, die Mosblech im Sinne Holubs konsequent weiterentwickelte. Ferner kam ihm zugute, dass er mehr Filmeinspieler herstellen konnte als seine Kollegen, da die technischen Entwicklungen nun auch beim DFF vorangeschritten waren.

233 Blaulicht, »Ein Mann zuviel«, Folge 25, 25. 6. 1966. 234 Die Literaturwissenschaftlerin Dorothea Germer identifizierte verschiedene TäterTabus in der Kriminalliteratur der DDR. Hierzu zählten Leitungskader (auf politischer wie auch wirtschaftlicher Ebene), Parteifunktionäre und andere »vorbildliche« Sozialisten, ebenso Kriminalisten, Staatsanwälte, Volkspolizisten, Arbeiter und Ärzte. In: Germer, Dorothea: Von Genossen und Gangstern. Zum Gesellschaftsbild in der Kriminalliteratur der DDR und Ostdeutschlands von 1974 bis 1994, Essen 1998, S. 191–194. 235 BArch DC 20: Ministerrat der DDR, Personalkartei. 236 Evelyn Heyden, in: Verband der Film- und Fernsehschaffenden, Gespräch mit Evelyn Heyden und Günter Prodöhl am 22. Mai 1984, in: Archiv Müncheberg, S. 36. 237 Günter Prodöhl, in: ebd., S. 37.

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Der ambitionierte Fernsehmacher Mosblech sollte jedoch keine Zeit bekommen, seine Fertigkeiten an der Reihe zu erproben. Wie beim westdeutschen Stahlnetz machten sich vor allem beim Autor Ermüdungserscheinungen bemerkbar. »Der Autor war ohne Atem, ohne Kraft«, blickte Prodöhl auf sich selbst zurück.238 Er war zu dieser Zeit ebenfalls in andere Projekte involviert, unter anderen in die Kriminalfälle ohne Beispiel, die eine große Resonanz auch im sozialistischen Ausland fanden – als Buch und Fernsehproduktion. Darüber hinaus hatten der Autor und seine Dramaturgin zunehmend eine Aversion gegen die beiden Hauptdarsteller Carstens und Torka entwickelt, die jedoch beim Publikum am beliebtesten waren.239 »Wir haben immer überlegt, wie wir sie loswerden, aber wir waren mit ihnen nun auf Tod und Leben so verschwistert und verschwägert, es war kein Rauskommen. Da hat Prodöhl gesagt, nun ist Schluß, …«240 Auch die Zusammenarbeit mit dem Ministerium des Innern und dem abgestellten Fred Zenner gestaltete sich, wie bereits angedeutet, seit 1965/1966 immer schwieriger. So legte Evelyn Heyden dem Intendanten des Fernsehens, Heinz Adameck, 1966 eine alarmierende Aufstellung vor. »Unsere Blaulicht-Sendereihe ist in Gefahr, weil unserem Autor Günter Prodöhl für weitere Folgen nicht in ausreichendem Maße Material über interessante Kriminalfälle zur Verfügung gestellt wird.«241 Eine handschriftliche Notiz auf der Akte verweist darauf, dass Adameck die Sorgen und Nöte des Blaulicht-Teams durchaus ernst nahm, denn er vermerkte »für Verhandlungen mit dem Innenministerium«. Da trotz Interventionen von Seiten des Produktionsteams nur noch wenige Folgen ausgestrahlt wurden, sah sich wohl auch das MdI durch neue Produktionen in seinen Kapazitäten stärker gebunden. Ein Indiz dafür ist in der Aktenüberlieferung des MdI dieser Jahre zu finden. Bereits 1962 endet die anfänglich dichte Berichterstattung über die Reihe Blaulicht. Bis dahin wurden in kurzer Abfolge verschiedene Vorschläge zur Konzeption neuer Fälle vorgelegt, allerdings wurde nahezu keiner realisiert.242 Bemerkenswert ist, dass die Zäsur des 11. Plenums des ZK der SED im Jahr 1965 fast spurlos an den Machern des Blaulicht vorbeigegangen war. Keiner der Protagonisten erwähnte den kulturpolitischen Kahlschlag, der sich so stark auf die

238 Ebd. 239 Auch Manfred Mosblech schätzte die Schauspieler rückblickend als mäßig begabt ein. (von der Autorin geführtes Interview Manfred Mosblech). 240 Evelyn Heyden, in: Verband der Film- und Fernsehschaffenden, Gespräch mit Evelyn Heyden und Günter Prodöhl am 22. Mai 1984, in: Archiv Müncheberg, S. 38. 241 Heyden, Evelyn: Aufstellung, Brief an Adameck über Horst Zaeske, 26.4.1966, S. 1, in: BArch DR 8/283. 242 Die fehlende Aktenüberlieferung könnte gleichsam darauf hinweisen, dass das Ministerium die Reihe Blaulicht als weniger »betreuungsintensiv« einschätzte. Allerdings widerspräche die gängige Herrschaftspraxis der Staatsorgane dieser Vermutung.

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Produktionen der DEFA, des DFF243 und die Literatur ausgewirkt hatte. Im Gegenteil, das Blaulicht ging gestärkt aus der kulturellen Krise hervor und wurde nach 1965 als eine »Vorzeigeproduktion« im ZK diskutiert.244 Diesen Status bekam das Blaulicht wohl auch zugebilligt, weil seine Macher es verstanden hatten, die westdeutsche Vorlage Stahlnetz nicht zu imitieren, sondern sozialistisches Krimiformat zu schaffen, um der televisuellen Republikflucht der eigenen Bevölkerung zu begegnen. Und so übernahmen sie zwar den Aspekt der Authentizität, verzichteten jedoch darauf, die im Stahlnetz so markanten Stilmittel zu nutzen. Und so gab es nur selten einen Off-Kommentar, Datum und Uhrzeit wurden gar nicht genannt. Auch die den Stahlnetz-Zuschauern so vertrauten einleitenden Bemerkungen über die Gegend und seine Bewohner sowie die Präsentation von Alltäglichkeit – zumeist in den frühen Folgen – fehlten gänzlich in der DDR-Krimireihe. Vielmehr bewegten sich die Figuren des Blaulicht in einem räumlich engen Radius; je Folge gab es höchsten fünf verschiedene Szenenbilder. Ebenso fehlte die im Stahlnetz obligatorische Einblendung »Dieser Fall ist wahr«. Wenn nun auf diese konstituierenden Authentizitätssignale verzichtet wurde, wie konnte der Zuschauer dennoch gewiss sein, vermeintlich wahre Fälle präsentiert zu bekommen? Was ließ die Schauspieler in ihrer Rolle glaubhaft erscheinen? Bereits der Untertitel der Reihe »Aus der Arbeit der Volkspolizei« sowie die textlichen Vorankündigungen der ersten Folgen in der Rundfunkzeitschrift machten unmissverständlich deutlich, dass das Blaulicht in Zusammenarbeit mit einer offiziellen, staatlichen Stelle entwickelt und gedreht wurde. Obgleich dem Zuschauer die genauen Produktionshintergründe wie im Stahlnetz verborgen blieben, wurde ein Authentizitätsversprechen gegeben. Die Darstellung der Polizei auf dem Fernsehbildschirm musste somit zwangsläufig »richtig« und »wahr« sein – zumal auch dem Zuschauer der Einfluss staatlicher Stellen auf den Alltag nur zu bewusst war. Ent243 C. Dittmar: Feindliches Fernsehen, S. 230. DFF-Intendant Adameck musste trotz der Kritik seinen Platz nicht räumen. Gleichzeitig forcierte man Mitarbeiterschulungen, um inhaltlichen Problemen vorzubeugen. (Siehe: Beschlussprotokolle aus dem Jahr 1965, in BArch: DR 8/362). Am 15. 2. 1966 bat Alexander Abusch um einen »Problemspiegel« für die Erstellung eines Perspektivplans zur Kulturentwicklung für das Politbüro, und bereits acht Tage später verließ das fünfseitige Schreiben die Intendanz. Adameck nahm den »Rüffel der Parteispitze als durchaus sehr ernst. (Problemspiegel/Antwort des Intendanten Adameck; 23. 2. 66; Anlagen Problemspiegel u. Leitfaden für Perspektivplan des DFF bis 1970, in BArch: DR 8/322). So ist auch Peter Hoff zu widersprechen, der die Kritik am Fernsehen nur als Teil einer »Kollektivschelte« einschätzte, ihr aber wenig Bedeutung zumaß (K. Hickethier/P. Hoff: Geschichte des deutschen Fernsehens, S. 300). 244 Siehe hierzu: »Es ist kein Zufall, daß die ›Blaulicht- und Pitaval-Sendungen‹ […] zu den erfolgreichen Programmen zählen und sie neue Fragen auf neue Weise aufgegriffen haben«. In: Aussprache; o. D.; o. V, S. 8, in: BArch: DY 30/ IV A 2/ 9.02/ 67.

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sprechend glaubwürdig erschienen die Erklärungen der Kommissare zu kriminaltechnischen Problemen, obwohl diese in die Dialoge eingeflochten waren und nicht kommentierend aus dem Off gesprochen wurden. Technische Bilder (wie z. B. die Fahndungskartei, kriminaltechnische Geräte) waren wiederum in beiden Reihen als Authentizitätsmarker zu finden. Die Glaubwürdigkeit der Handlung und damit auch des präsentierten Normengefüges wurde in der Reihe Blaulicht auf zwei weiteren Ebenen hergestellt: Erstens wirkten die Figuren durch ihre Charakterisierung lebensnah und zweitens wurde ein ständiger Bezug zum »Westen« (meist in Abgrenzung zu ihm) hergestellt. Da die Bundesrepublik auch im Leben der meisten DDR-Bürger eine feste, reale Größe einnahm, wirkte die ständige Thematisierung gleichsam wirklichkeitsnah. Mit dem für das Regime doppelten Effekt, dass dadurch die antiwestliche Ideologie (im Bezug auf die Kriminalität) legitimiert wurde. Da sich das Blaulicht in einer Tradition mit dem Stahlnetz begriff, könnte ebenso unterstellt werden, dass die Fernsehmacher davon ausgingen, dass west- wie ostdeutsche Zuschauer bereits so sehr an das Authentizitätsversprechen gewöhnt waren, dass eine Wiederholung der Stahlnetz-Stilmittel unnötig gewesen wären. Als sich die Zusammenarbeit mit dem MdI ab 1966 verschlechterte und »wahre« Krimisujets allmählich ausgingen, hielt das Drehteam dennoch an bisherigen Grundsatz der Wirklichkeitsnähe fest: Theoretisch wäre es denkbar, dass G. Prodöhl in noch stärkerem Maße als bisher seine Phantasie zu Hilfe nimmt, um den Mangel an lebendigem Wissen aus der Praxis zu kompensieren. Aber das wäre erstens für den Autor eine große zusätzliche literarische Belastung und zweitens entspräche es in keiner Weise dem Wesen der Reihe, das eben gerade in der Wirklichkeitsnähe und realistischen Anschaulichkeit der Spiele besteht.245

Zwischen Live-Aufnahmen und Filmeinspielungen Die technischen Ausgangsvoraussetzungen für den Dreh einer unterhaltsamen, spannenden Kriminalreihe, deren Handlung komplex und alles andere als kammerspielartig sein sollte, waren Ende der 1950er Jahre im Deutschen Fernsehfunk denkbar schlecht. Weder verfügte die staatliche Sendeanstalt über ausreichend viele Kameras noch über weiteres Equipment zum Dreh von Außeneinstellungen oder Kamerafahrten.246 Für die Blaulicht-Produktion standen lediglich zwei eher schwer245 Heyden, Evelyn: Aufstellung, Brief an Adameck über Horst Zaeske, 26. 4. 1966, S. 3, in: BArch DR 8/283. 246 Zur Ausstattung des DFF siehe: Breitenborn, Uwe: Spurrinnen und Leitplanken des Programms. Genre- und Formatentwicklung im Deutschen Fernsehen Ost, in: S. Zahlmann, Stefan (Hg.): Wie im Westen, nur anders, S. 131–155, hier S. 134–136.

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fällige Studiokameras zur Verfügung. Wenn eine spezielle Ausstattung (z. B. Schienen) gewünscht war, musste das Material vorbestellt und von anderen Produktionen abgezogen werden. Die in der Bundesrepublik bereits gängige Aufnahmetechnik, die eine Vorproduktion des Stahlnetz ermöglicht hatte, fehlte noch in der DDR. Das Blaulicht wurde daher – bis auf wenige Ausnahmen – live gesendet und damit auch live gespielt. Dazu waren mehrere aufwendige Proben im Vorwege nötig. Zum Zeitpunkt der Sendung musste das gesamte Produktionsteam anwesend sein. Fehlte einer der Schauspieler (z. B. durch Krankheit oder ein Engagement am Theater, das stets Vorrang hatte), konnte die Übertragung nicht stattfinden. Hans Müncheberg resümierte rückblickend, dass der »Zwang, live zu machen« zu einem entscheidenden Kriterium für eine schnelle Sendeabfolge wurde. »Heute [1984] dauert es ja im Durchschnitt 2–3 Jahre bis man von der Idee auf den Sender kommt – wenn überhaupt, denn damals dauerte es 6–8 Wochen.«247 Blaulicht konnte, soweit dies festzustellen ist, alle avisierten Sendetermine einhalten. Wenn es die Spielhandlung nötig machte, dass die Produktion das Studiogelände in Adlershof verließ und in die »reale« Welt eindrang, wurden die Außenaufnahmen grundsätzlich von der DEFA übernommen. Waren die Außenaufnahmen abgeschlossen, wurden sie vom jeweiligen Regisseur geschnitten und auf das entsprechende Format kopiert. Während der Live-Sendung bestand das Wagnis darin, die Rolle(n) der DEFA zum richtigen Zeitpunkt und in der richtigen Reihenfolge einzuspielen. Zu Beginn waren die Einspielungen noch ohne atmosphärischen Ton oder Dialoge und lediglich mit Musik unterlegt wie in Folge acht »Die Butterhexe«248. Später jedoch näherte man sich immer stärker einer »filmischen Gestaltung« an. Ähnlich dem Fernsehprogramm der Bundesrepublik, das ab 1958 eine feste Programmstruktur anstrebte, war auch im DDR-Fernsehen dienstags, donnerstags und sonntags ein Sendeplatz für die »Dramatische Kunst«, zu der auch das Blaulicht zählte, vorgesehen. Bis zur elften Folge hatte der Krimi einen festen Sendeplatz am Donnerstagabend nach der Aktuellen Kamera, also um 20.00 Uhr.249 Von der elften bis zur 16. Folge wurde das Blaulicht auf den Sonntagabend verschoben. Ab der 18. Folge brach dieses Schema auf und der Krimi wurde an verschiedenen Tagen, durchaus auch montags und nicht immer um 20.00 Uhr gesendet, etwa wenn der Folge eine Informationssendung vorgeschaltet wurde.250 Für Zuschauer, die das

247 Hans Müncheberg, in: Verband der Film- und Fernsehschaffenden, Gespräch mit Evelyn Heyden und Günter Prodöhl am 22. Mai 1984, in: Archiv Müncheberg, S. 29. 248 Blaulicht, »Die Butterhexe«, Folge 8, 28. 7. 1960. 249 Der DFF hatte sich bewusst für eine Vorverlegung der Nachrichten und des Abendprogramms entschieden, um die Zuschauer in Ost und West von der Tagesschau abzuhalten. 250 Vgl. hierzu die Programmzeitschrift »FF – dabei«.

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Blaulicht z. B. durch Schichtarbeit verpasst hatten, wurde die von der Livesendung abgefilmte Folge an einem der nächsten Tage im Vormittagsprogramm wiederholt. Im Zusammenhang mit den Produktionsbedingungen der Blaulicht-Reihe ist ebenso auf das in allen Zeitzeugeninterviews marginalisierte Thema der Zensur einzugehen. Die Protagonisten hatten wohl nicht nur die berühmte »Schere im Kopf«,251 die die Informationen zwangsläufig selektierte, sondern sie mussten auch um »kalte« und »heiße« Abnahmen kämpfen. Nach Erstellung des Skripts und seiner Freigabe – im Falle des Blaulicht war nicht nur der DFF, sondern auch das MdI daran beteiligt – folgte die Besetzung der Nebenrollen. Erste Proben in so genannten Probelokalen, meist stillgelegte Tanz- oder Kinosäle, die das gesamte Ostberliner Stadtgebiet verteilt waren, schlossen sich an. Saßen die Texte sicher, kam es zur »kalten« Abnahme, also einem Gesamtdurchlauf in angedeuteter Dekoration vor einem Verantwortlichen des DFF. Hiernach folgte der Schritt ins Studio gemeinsam mit den Kameraleuten und erneute Proben. Auf der »heißen« Abnahme waren der jeweilige Oberspielleiter und Werner Fehlig, der stellvertretende Intendant des DFF, anwesend und kritisierten ein letztes Mal die Dialoge und die Inszenierung. Sie wiesen wenn nötig auch auf ideologische Mängel hin. Standen brisante Gegenwartsprobleme auf dem Programm und fehlten entsprechende Sätze, schlug Fehlig Ergänzungen vor. Diese wurden rasch eingearbeitet und die anwesenden Parteigenossen im Zweifelsfall bei der letzten Abnahme darauf verwiesen. 252 Eine ähnliche Praxis ist auch von der DEFA, aber auch den Dreharbeiten von Kinofilmen im »Dritten Reich« bekannt. Hans-Joachim Hildebrandt und Manfred Mosblech berichten rückblickend davon, wie sie versucht hätten, das Blaulicht so »parteifern« wie möglich zu gestalten, indem sie Bilder des Parteisekretärs oder Abzeichen in den jeweiligen Bildausschnitt nicht mit hinein nahmen. Wie ideologisch die einzelnen Folgen tatsächlich waren, soll in den anschließenden Analysen herausgearbeitet werden.

251 »Das lange Wirken einer restriktiven Aufsicht ließ in vielen Fernsehkünstlern einen ›Erfahrungsschatz‹ wachsen, aus dem er von Fall zu Fall ableiten konnte, was ›geht‹ und was man ›nicht durchgehen lassen‹ würde.« (Müncheberg, Hans: Zur Geschichte der Fernsehdramatik in der DDR, in: Riedel, Heide (Hg.): Mit uns zieht die neue Zeit … 40 Jahre DDR-Medien, Berlin 1993, S. 94–105, Zitat S. 102). 252 Interview mit Hans Müncheberg, 8. 4. 2008.

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Krimibegeisterung vor dem Fernsehgerät Der Deutsche Fernsehfunk institutionalisierte eine eigene Zuschauerforschungsabteilung zwar erst 1964, aber der Meinung der wachsenden Zuschauerschar wurde bereits Ende der 1950er Jahre zunehmend Bedeutung beigemessen. Aus dieser Zeit sind beispielsweise Umfragen und so genannte Aussprachen auf den Leipziger Messen überliefert, auf denen der DFF mit einem eigenen Stand und diversen Veranstaltungen vertreten war. Zuschauer, die sich ein Fernsehgerät leisten konnten – und dieses auch bekamen –, hielten mit ihrer kritischen Meinung zum allgemeinen Fernsehprogramm sowie zu einzelnen Sendungen nicht zurück. So vermerkte ein Mitarbeiter des DFF in einem Bericht über die Herbstmesse 1957: »Bei ›politischen‹ Sendungen wird in letzter Zeit wieder kräftig der Holzhammer geschwungen. Nach der Bundestagswahl hoffen 6 Besucher, daß er wieder beiseitegelegt wird, da ›es ohne ihn viel wirksamer geht‹«.253 Die ehemals zuständige »Abteilung Außenverbindung« unterhielt darüber hinaus verschiedene »Befragungszirkel«.254 Diese ersuchten ausgewählte Fernsehteilnehmer im Schema so genannter Fragekomplexe zu ihrer Meinung über bestimmte Sendungen. Der Fragekomplex Nr. 13 betraf die Reihe Blaulicht und wurde am 26. September 1960, also ein Jahr nach Erstsendung, erstellt und ausgewertet. Zu Beginn der Auswertung fällt auf, dass lediglich 461 »Fernsehteilnehmer« den Fragebogen tatsächlich ausgefüllt hatten, diese jedoch aus 55 Befragungszirkeln kamen. Es hatten also durchschnittlich neun Personen pro Zirkel an der Befragung teilgenommen. Mit Blick auf die Zahl der angemeldeten Geräte erscheint dieses Echo gering, denn das DDR-Fernsehen hatte im selben Jahr die Millionengrenze überschritten.255 Aus dem geringen Rücklauf, den der Autor der Studie im Übrigen nicht kommentierte, ließe sich schlussfolgern, dass die DDR-Zuschauer entweder noch nicht hinreichend an ein demoskopisches Befragungssystem gewöhnt waren bzw. mit Blick auf negative Auswirkungen die offene Aussprache scheuten256 – es 253 Pressestelle: Bericht über die Zuschauer-Aussprachen auf der Leipziger Herbstmesse 1957, 16. September 1967, S. 4, in: BArch: DR 8/493. 254 Wie genau diese »Befragungszirkel« organisiert waren, bleibt offen. Denkbar wäre ein kleiner Stab an Mitarbeitern, die in den größeren Städten der DDR als Interviewer mit einem Leitfaden zu den jeweiligen Fernsehteilnehmern geschickt wurden. Die Auswertung wurde vermutlich nicht vor Ort, sondern in Adlershof direkt vorgenommen. 255 Hempel, Manfred/Schmotz, Dieter: Die Entwicklung des Fernsehens der DDR. Folge 1: Zeittafel, Berlin 1977. 256 Dies bestätigt auch Michael Meyen, vor allem im Bezug auf politische Sendungen. Zudem seien die Interviewer des DFF in ihrer Arbeit mit stark variierenden Reaktionen konfrontiert gewesen. »Die Skala habe von Skepsis und Misstrauen bis zu übergroßer Freude gereicht.« In: Meyen, Michael: Denver Clan und Neues Deutschland. Mediennutzung in der DDR, Berlin 2003, S. 32–33.

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wurde immerhin die Angabe des vollständigen Namens sowie des Berufes verlangt257 – oder das Netz der Befragungszirkel noch dünn und von geringer Ausbreitung war. Nur 73 der 461 zurückgesandten Fragebögen wurden von Frauen ausgefüllt. Dies überrascht allerdings kaum, verzichtete man doch explizit auf »eine gleichzeitige Befragung der Ehepartner«. Wie viele der Befragten tatsächlich in einer Ehe lebten und wie viele in einem Einzelhaushalt, wurde nicht differenziert. Sehr wohl wurde aber nach der Berufsgruppe der Fernsehteilnehmer unterschieden: Arbeiter

=

Bauern

=

138/30 % 11/2,3 %

Angestellte

=

218/47 %

Intelligenz

=

49/10,6 %

Hausfrauen

=

14/3,4 %

Handwerker

=

23/5 %

Rentner

=

8/1,7 %258

Wenngleich auf die Verwendung der ideologisch aufgeladenen Begriffe »Arbeiter« und »Angestellter« im Verlauf der Analyse noch einzugehen sein wird, sei hier bereits auf die staatssozialistische Konstruktion der sozialen Schichtung der Bevölkerung verwiesen. Im »Arbeiter-und-Bauernstaat« rechnete sich die SED-Führungsriege so wie viele andere Parteifunktionäre ganz selbstverständlich zur Arbeiterklasse. Die eigentliche Zugehörigkeit und Distinktion verwässerte entsprechend. Dennoch können die Zahlen zumindest einen Hinweis auf die soziale Verteilung der Fernsehbesitzer geben, wenngleich ebenfalls einzuschränken ist, dass sich vor allem Parteikader die teureren Geräte leisten konnten. Von allen Befragten gaben 76,4 % an, die Reihe Blaulicht regelmäßig zu sehen. Gleichzeitig schränkt der Autor der Studie die 14 % derer ein, die nicht regelmäßig fernsahen, da sie (»bis auf wenige Ausnahmen«) »durch Schichtarbeit, oder durch 257 Christa Braumann, ehemalige Leiterin der Abteilung Analyse und Information beim DDR-Fernsehen, beschreibt die Befragungsverfahren der Zuschauerforschung nach ihrer Gründung Mitte der 1960er Jahre. Sie lässt allerdings offen, ob den Befragten Anonymität zugesichert wurde, wie in der Literatur z. T. ergänzt, oder nicht. Vgl. Braumann, Christa: Fernsehforschung zwischen Parteilichkeit und Objektivität. Zur Zuschauerforschung in der ehemaligen DDR, in: Rundfunk und Fernsehen 42 (1994), S. 524–541. Zur Zusicherung der Anonymität vgl. M. Meyen: Denver Clan und Neues Deutschland, S. 33 sowie Gansen, Petra: Wirkung nach Plan. Sozialistische Medienwirkungsforschung in der DDR. Theorien, Modelle, Befunde, Opladen 1997, S. 92. 258 Auswertung zum Fragekomplex 13, Betreff: Blaulicht, 26. 9. 1960, in: DRA: H 074-0002/0004: Archivbestand Fernsehen/Befragung der Fernsehkorrespondenten. Parallel in: BArch: DR 8/216.

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andere berufliche oder gesellschaftliche Arbeit am regelmäßigen Empfang verhindert seien«.259 Ob die mögliche Zahl der regelmäßigen Blaulicht-Seher tatsächlich über 90 % gelegen hat, ist kritisch zu hinterfragen – wurde doch häufig versucht, den positiven Gesamteindruck mit guten Umfragen zu vermitteln. Da der DFF gerade im ersten Jahrzehnt seines Bestehens von einer Dynamik des Neuen geprägt war, ist fraglich, ob die Ergebnisse mit Blick auf ein positives Gesamtergebnis manipuliert wurden.260 Gerade im Unterhaltungssegment hätten gefälschte Ergebnisse fatale Folgen für die künftige Programmgestaltung und eine Abwanderung der Zuschauer (gen Westen) zur Folge gehabt. Vergleicht man die vorliegenden Zahlen mit denen der Reihe Stahlnetz, ist eine Parallelität im Sehverhalten festzustellen und damit damit eine gewisse Validität der Ergebnisse zu unterstellen. Gleiches kann auch für die Beantwortung der Frage gelten »Wie schätzen Sie die Sendungen ein?«. Hier antworteten 45,1 % mit »sehr gut«, 54 % mit »gut« und lediglich 0,1 % mit »befriedigend«. Zwar erinnert eine derartige Zustimmung von fast 100 % an die Prozentsätze der angeblichen Wahlbeteiligung in der »demokratischen Republik«,261 aber auch hier sei zu bemerken, dass das Programm noch nicht das Maß an Differenzierung kannte, das heute alltäglich auf den Zuschauer einwirkt. Wurde also ein Krimi gesendet, traf er vermutlich auf ein aufgeschlossenes Publikum. Zum Zeitpunkt der Auswertung hatte der DFF bereits acht Folgen der beliebten Sendereihe ausgestrahlt und war außer an den »Einschaltquoten« auch daran interessiert, die Akzeptanz der inhaltlichen Gestaltung auszuloten. Es schlossen sich daher Fragen nach der Darstellung der Kriminalpolizei, dem erzieherischen Anliegen der Reihe, der Beibehaltung der Standardfiguren sowie nach der Interessenverteilung zu Gunsten von Mord und Schwerbrechen und zu Ungunsten geringfügiger Delikte an. Auch die Wahl des Schauplatzes war für den DFF von Interesse, denn die bisherigen Folgen hatten ausschließlich in Berlin gespielt. Alle Fragen wurden im Sinne der bestehenden Gestaltung beantwortet. Eine überwältigende Mehrheit von über 90 % erkannte die »aufklärerischere und erzieherische Absicht« als

259 Ebd, S. 1. 260 Meyen hält den »Resultaten der Zuschauer- und Hörerforschung« zugute: »Zum einen lagen die Befragungen sowohl zeitlich und räumlich näher am ›Gegenstand‹ (Mediennutzung der DDR-Bürger) als etwa Flüchtlingsbefragungen in der Bundesrepublik oder medienbiografische Erhebungen, und zum anderen waren die jeweiligen Leitungen nicht an einem Wunschbild interessiert, sondern an der Realität. […] Bei Fälschungen wurde mit ›disziplinarischen Maßnahme‹, ›Stellungnahmen‹ und Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren gedroht (Betrug zum Nachteil des sozialistischen Eigentums). Dass die ermittelten Daten in den Ergebnisberichten geschönt wurden, kann als ausgeschlossen gelten«. In: M. Meyen: Denver Clan und Neues Deutschland, S. 33. 261 Vgl. u. a.: Fricke, Karl Wilhelm: Der Geburtsmakel der DDR. Die Furcht der SED vor freien Wahlen, in: Deutschland Archiv 42 (2009), H. 3, S. 406–413.

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»Grundanliegen« an, wenngleich Spannung und Effekt nicht gänzlich auf der Strecke bleiben sollten: Hier dürfte keines von beiden zurückstehen. Erzieherisches Anliegen mit kriminalistischem Effekt und Spannung verbinden. Beide jedoch in ihrer Verbindung so dosieren, daß der durch den kriminalistischen Effekt bzw. Spannung ergriffene Zuschauer durch Hinzufügung einer bestimmten Menge erzieherischer Wirkung für die gute Sache der Handlung Partei ergreift.262

Ein ähnliches Echo war auch für die Beibehaltung des Ermittlerkollektivs zu verzeichnen, denn »in gewisser Weise erleichtern sie es dem Zuschauer, auch komplizierte Verknüpfungen des Kriminalspiels zu folgen und Zusammenhänge zu erkennen«, resümiert der Autor der Studie.263 Was hier als positiv hervorgehoben wird, verneinten etwa 15 %: »Ich würde einen öfteren Wechsel befürworten. Bei der Besetzung mit Standardfiguren kennt man allmählich zu sehr die Gewohnheiten. Ein Wechsel der Spieler ist interessanter«.264 Dieser Wunsch wurde bekanntlich bis zum Ende nicht erfüllt. Dass die Blaulicht-Macher ein festes Schauspieler-Ensemble beibehielten, erhöhte den Wiedererkennungswert der Reihe265 und die Bindung des Zuschauers signifikant. Wie wegweisend dieses Konzept war, deutet sich in der Gestaltung nachfolgender Krimis – auch in der Bundesrepublik – an, die fast alle ein festes Ermittlerteam installierten. Der DFF und die positive Wirkung der ideologischen Vorgaben wurden mit der Frage nach der Schwere der dargestellten Delikte bestätigt. 361 der Befragten sprachen sich für kleinere Delikte aus, u. a. weil diese viel häufiger zu finden seien. Wesentlich uneinheitlicher antworteten die Zuschauer lediglich in der letzten Frage, ob das Blaulicht tatsächlich in Berlin bleiben oder die Ermittler im gesamten Staatsgebiet zum Einsatz kommen sollten. Durch eine Verteilung der Einsatzorte könnten sich mehr Menschen angesprochen fühlen und wachsamer werden, urteilte der Autor. Ein ähnliches Prinzip verfolgte Stahlnetz von Beginn an, und auch im Blaulicht wurde ab der 13. Folge darauf geachtet, eine gewisse Ausgewogenheit

262 Horst Maertin, Funktechniker aus Rostock, Auswertung zum Fragekomplex 13, Betreff: Blaulicht, 26. 9. 1960, S. 2, in: DRA: H 074-00-02/0004: Archivbestand Fernsehen/Befragung der Fernsehkorrespondenten. 263 Ebd. 264 Ursula Saalmann, Hpt.Refer. [sic!] aus Halle, in: ebd. 265 Heinz Swat, Konstrukteur aus Hoyerswerda, urteilt: »Die Standardfiguren können beibehalten werden. Ich sehe die Schauspieler gern. Sie sind mir schon wie gute alte Bekannte«. In: ebd.

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zwischen Berlin und den restlichen Bezirken herzustellen. Oftmals wurde jedoch die Stadt gar nicht benannt und damit ein Wiedererkennungseffekt erschwert.266 Die überwältigende Zustimmung zur Blaulicht-Reihe ist jedoch nicht nur an internen Umfragen abzulesen, sondern auch an vielen Zuschaueräußerungen und Pressekritiken. So finden sich in anderen, eher allgemein gehaltenen Umfragen der Abteilung Außenverbindung eingestreute Hinweise darauf, dass die Zuschauer eine Fortsetzung der Reihe und höhere Folgenfrequenz verlangten – vor allem ab Mitte der 1960er Jahre, als die Abstände zwischen den einzelnen Sendungen größer wurden.267 Die Presseberichterstattung zur Sendereihe im Allgemeinen und den Folgen im Besonderen war durchweg von einer positiven, fast überschwänglichen Resonanz geprägt, was im Hinblick auf die staatlich gelenkte Presse nicht überrascht. Wenn Kritik geäußert wurde, war sie nicht grundsätzlicher Art, sondern zumeist punktuell auf einzelne Folgen bezogen. Eine der printmedialen Hauptunterstützer der Sendereihe war die Rundfunkzeitschrift Funk und Fernsehen. Sie bewarb jede neue Folge mit großformatigen Set- oder Standfotos sowie längeren Erklärungen, die mitunter bis zu zwei Druckseiten füllten. Zudem waren Kritiken zu einzelnen Folgen die Regel. Die meisten »Werbe-Artikel« finden sich in der Kernzeit der BlaulichtReihe zwischen 1960 und 1966. Allerdings wurden die Artikel bereits 1965 seltener und die Besprechungen kürzer, verloren jedoch nicht an Überzeugung für die Qualität der Reihe. Der »FuF«-Redakteur Rudolf Hanisch urteilte 1960: Es hat sich herumgesprochen unter den Fernsehfreunden, daß ein Spiel aus Günter Prodöhls Serie »Blaulicht – Aus der Arbeit der Kriminalpolizei« in der Regel einen kurzweiligen Abend am Bildschirm garantiert. Das hat natürlich seine guten Gründe. Einer der entscheidenden davon scheint mir zu sein: Der Autor vermag es trefflich, aus einem nüchternen Kriminalfall eine Fabel zu bauen, in der die menschlichen Charaktere durch ihre Handlung glaubhaft und überzeugend wirken.268

Ein Jahr später illustrierte eine Ankündigung zur Fortsetzung der Reihe die Alltagsdimension der Krimileidenschaft der Zuschauer:

266 Siehe hierzu Kapitel sieben. 267 Vgl. hierzu: Archivbestand Fernsehen/Befragung der Fernsehkorrespondenten, Abt. Außenverbindungen; 21. 3. 1960: Auswertung des Fragenkomplexes Nr. 9: Vorschläge zum Sommerprogamm, in: DRA: H 074-00-02/0004; Archivbestand Fernsehen: 4. DDR-Umfrage (November 1967), in: DRA: H 074-00-02/0010. 268 Harnisch, Rudolf: … die Serie höre nimmer auf! In: Funk und Fernsehen 1960, H. 35, S. 21.

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Wenn »Blaulicht« im Fernsehen ankündigt ist, pflegt zwar der Straßenverkehr weiter zu fließen, aber dafür wird jegliches Tun im häuslichen Kreis lahmgelegt. […]. Und nicht nur in der DDR. Auch in Westdeutschland schalten viele Hunderttausende auf Empfang, wenn »Blaulicht« angesagt ist.269

Im letzten Jahr der Blaulicht-Produktion wurde keine Besprechung mehr gedruckt, einzig die reguläre Sendeankündigung blieb erhalten. Andere Serien wie Der Staatsanwalt hat das Wort oder Kriminalfälle ohne Beispiel hatten Blaulicht anscheinend den publizistischen Rang abgelaufen. Einzig für eine Illustration der Tragweite des DDR-Programms in das »kapitalistische Ausland« wurde das Blaulicht noch herangezogen: Gute Bekannte: Von den Hauptgestalten der Fernsehsendereihe »Blaulicht«, Hauptmann Wernicke, Oberleutnant Thomas und Leutnant Timm, geht eine so starke Ausstrahlung aus, sie wirken lebensecht, daß sie für mich gute Bekannte geworden sind. Sie bringen ihre Rollen überzeugend, weshalb ich mir wünschte, hier in Westberlin wären alle Polizeiangehörigen so tüchtig, wenn es um die Aufklärung von Verbrechen geht. L. V., Westberlin270

Auch wenn die »Funk und Fernsehen« den Groll der Zuschauer über das nachlassende Sendevolumen insgesamt eher verhalten abbildete, lassen sich aus anderen Quellen eine Vielzahl von Stimmen zitieren, die um weitere Folgen baten. Es zeichnete sich also ein ähnliches Bild wie in der Bundesrepublik ab. Die Reihe hätte durchaus fortgesetzt werden können, wenn die Fernsehmacher dem Willen des Publikums gefolgt wären. Doch nicht nur der Zuschauer war von der Krimireihe eingenommen, auch dem kritischen Blick der zuschauenden Volkspolizisten hielt die Sendereihe stand. Zumindest wurde ein solches Bild in der Öffentlichkeit wie auch der Teilöffentlichkeit der Polizei verbreitet. Ein negatives Bild wäre gleichwohl unmöglich gewesen, denn schließlich arbeitete die Produktion eng mit der Volkspolizei zusammen, und so wäre jede Kritik auf das Ministerium selbst zurückgefallen. Und so geht aus einem 1962 versandten Brief des Generalleutnants der VP im Namen der »bewaff-

269 Blaulicht, in: Funk und Fernsehen 1961, H. 30, S. 13. 270 Meinungen, Meldungen, Glossen, in: Funk und Fernsehen 1968, H. 49. Auch Uwe Johnson war Zuschauer des Blaulicht und hielt dies in seiner regelmäßig erscheinende Kolumne im Westberliner »Tagesspiegel« fest. Er vermerkte 1964: »Spannung stellt sich her durch das ehrwürdige Schema der Verbrecherjagd; auf der einen Seite eine Gruppe von drei Kriminalbeamten, die durch geduldige Arbeit, verpatzte Urlaube und saloppe Ausdrucksweise für sich einnehmen können; auf der anderen Seite kleine Leute mit mittleren Straftaten«. In: Johnson, Uwe: Der 5. Kanal, Frankfurt a. M. 1987, Zitat S. 122.

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neten Organe« an den stellvertretenden Intendanten des DFF, Fehlig, folgendes Lob hervor: Die Sendereihe »Blaulicht« des Deutschen Fernsehfunks erfreut sich bei Millionen Fernsehzuschauern einer wachsenden Beliebtheit. Das »Blaulicht«-Kollektiv des Deutschen Fernsehfunks steht u. E. mit an der Spitze beim Beschreiten neuer Wege für die Gestaltung von Gegenwartsstoffen. […]. Die Beteiligten haben durch ihre Arbeit einen wertvollen Beitrag zur Lösung der Aufgaben der Rechtspflegeorgane der DDR geleistet. Als wichtigstes Ergebnis muß das erfolgreiche Bemühen genannt werden, das Bündnis zwischen der Bevölkerung und der Deutschen Volkspolizei zu stärken und zu festigen. […]. Die Künstler haben viel Zeit aufgebracht, um das Leben der Volkspolizisten und ihren Dienst an Ort und Stelle kennenzulernen. Sie haben an Schulungen, praktischen Übungen im Kriminaltechnischen Institut, an Schießübungen und an Nachtdiensten in der Kriminalpolizei teilgenommen und dadurch die Voraussetzungen für eine wirklichkeitsnahe Gestaltung geschaffen. […]. Mit der realistischen Gestaltung des Kampfes gegen Rechtverletzungen tragen die Mitarbeiter des »Blaulicht«Kollektivs in hervorragendem Maße dazu bei, das Vertrauen unserer Werktätigen zur Deutschen Volkspolizei zu stärken, eine enge Verbundenheit bei der Erhöhung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu schaffen und damit den Kampf um den Sieg des Sozialismus in der DDR zu unterstützen.271

Neben den bereits herausgearbeiteten allgemeinen »Errungenschaften« der Blaulicht-Reihe geht der Generalleutnant auf zwei wesentliche Punkte ein, die für die Einschätzung der Blaulicht-Reihe – und damit auch der Stahlnetz-Reihe – von Bedeutung sind: Zum einen unterstütze die Reihe nach Ansicht der Volkspolizei aktiv das Verhältnis zwischen Staatsmacht und Bevölkerung und trage zum anderen zur Erhöhung der inneren Sicherheit bei. Zwar ist dem Absender des Briefes wohl zu unterstellen, dass er die Wirkung des Blaulicht nach einem einfachen SenderEmpfänger-Modell beurteilte und annahm, dass die pädagogischen Aussagen der Reihe 1:1 auf die Zuschauer übergingen. Dennoch ist diese Einschätzung der Polizei in hohem Maße bemerkenswert, billigte sie einer fiktiven Fernsehreihe doch überhaupt eine solche Breitenwirkung zu.272 Nicht zuletzt deshalb zeichnete die Deutsche Volkspolizei das Blaulicht-Team am 1. Juli 1960 für seine Leistungen aus: »Schönste Anerkennung war aber den Blaulicht-Leuten die Auszeichnung mit dem Ehrenzeichen der Deutschen Volkspolizei. Wenn die Fachleute, die solche Sachen ja mit viel kritischeren Augen betrach-

271 Generalleutnant der VP, Seifert, an Werner Fehlig, 30. 8. 1962, in: BArch: DO 1/27689, pag. S. 82–83. 272 In dieser Beziehung ist ein ähnliches Agieren der west- und der ostdeutschen Polizei erkennbar.

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ten, damit zufrieden sind, muß ja wohl was dran sein …«273, urteilte die »Berliner Zeitung« pflichtschuldigst. Zwar berichtete die polizeieigene Zeitschrift »Die Volkspolizei« nicht über diese Auszeichnung, so doch über die Verleihung des »Heinrich-Greif-Preises«274 im darauffolgenden Jahr mit einer doppelseitigen Fotostrecke und dem Hinweis: »… sowie alle anderen ›Blaulicht‹-Mitarbeiter wünschen auch wir noch viele wertvolle Sendungen«.275 Ein weiteres Indiz dafür, wie bedeutend das Ministerium des Innern die Wirkung der Blaulicht-Ermittler einschätzte, zeigt die Teilnahme der Schauspieler am »Tag der Volkspolizei« in ihrer Rolle als Kommissare.276 Die Volkspolizei schätzte jedoch nicht nur die Wirkung der Sendereihe Blaulicht als besonders positiv ein, sondern auch ihren eigenen Verdienst an dieser Wirkung. Daher sollte die Zusammenarbeit mit den Medien ausgebaut werden, um die Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums bzw. der Polizei zu verbessern. Ein Major der VP versuchte im Dezember 1961 in einem ministeriumsinternen Papier entsprechende Anstöße an seine Kollegen zu geben: Den Autoren (Kriminalliteratur, Kriminalfilme, Fernsehspiele, Hörspiele des Rundfunks) geht es darum, ausgehend von den Erfahrungen, die das Fernsehen bei der Blaulichtreihe gemacht hat, d. h. die gute Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei – und die dadurch erzielte Massenwirkung und richtige Darstellung des Kriminalisten, sowie die Bekämpfung der Kriminalität in einem sozialistischen Staat –, von der Kriminalpolizei Hinweise […] zu erhalten.277

Doch nicht nur die Volkspolizei reagierte nahezu überschwänglich auf den Erfolg der Fernsehreihe Blaulicht. Auch das MfS schätzte die Stücke Prodöhls und damit auch die des Blaulicht als »massenwirksam und parteilich [ein]. In einer volkstümlichen Motivation erhellten sie politische und gesellschaftliche Hintergründe, so daß 273 Ronka, Maria: Rotlicht für »Blaulicht«, in: Berliner Zeitung, 12. 3. 1961. Das Ehrenzeichen wurde zusammen mit einer Medaille für ausgezeichnete Leistungen verliehen. Siehe: Hauptabteilung K; Auswertung der Sendereihe »Blaulicht« des Deutschen Fernsehfunks, in: BArch DO1/27689, pag. S. 55. 274 Der Heinrich-Greif-Preis wurde an Kulturschaffende der DDR für einzelne oder kollektive Leistungen verliehen und war mit höheren Geldprämien dotiert. Vgl. hierzu: Schnitzler, Robin: »Ehre heißt Planerfüllung!«. Zur Geschichte der Instrumentalisierung und Manipulation von Ehre und Geehrten mit Hilfe von Auszeichnungen in der DDR, 3 Bde, Berlin 2007. 275 Die Volkspolizei 15, H. 9, 1962, o. S. 276 Der Hinweis auf die Teilnahme der Schauspieler wurde der Verfasserin in einem informellen Gespräch mit Regisseur Hildebrandt gegeben, dieser konnte jedoch weder durch Aktennotizen noch entsprechende Zeitungsartikel verifiziert werden. 277 Hauptabteilung K, Methodisches Referat: Kriminalliteratur, Kriminalfilme, Fernsehspiele und Hörspiele des Rundfunks, 11. 12 1961, in: BArch DO 1/ 27689, pag. S. 70–71.

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sie auch breiten Zugang für solche Bevölkerungsschichten boten, die unmittelbar politischer Agitation nicht zugänglich waren«.278 Abschließend sei noch ein weiterer, doch ungleich prominenterer Zuschauer der Blaulicht-Reihe erwähnt: Jürgen Roland. Als er Hans-Joachim Hildebrandt zufällig in den 1960er Jahren bei einem Dreh in Hamburg traf – Hildebrandt hatte eine Drehgenehmigung für einen Kriminalfilm erhalten – gestand er, alle »Blaulichter« gesehen und diese aufgezeichnet zu haben. Er brillierte mit Wissen über alle Ermittler und sprach Hildebrandt Lob für die Besetzung aus.279 Wie viele Westdeutsche den Krimi tatsächlich gesehen haben, kann nicht mehr rekonstruiert werden. Die Tatsache, dass der Soziologe Karolus Heil die Reihe in einer zeitgenössischen Studie zum Fernsehen in der DDR erwähnt, lässt zumindest darauf schließen, dass das Blaulicht einige Fans westlich der Mauer besaß.280 Eintreffen am Tatort: »Heißes Geld« (1963) Der Fall »Heißes Geld«281 thematisiert wie die Stahlnetz-Folge »E 605« einen Raub, mit dem Unterschied, dass hier ein Tresoreinbruch verübt wird und kein Überfall. Es kommen also keine Menschen zu schaden, stattdessen werden die Arbeiter des Waggonbaus um ihren Lohn geprellt. Da der Einbruch in der Nacht verübt wurde, entdecken ihn die Angestellten erst am nächsten Morgen und alarmieren sofort die Polizei. Erwähnenswert ist, dass die Tat, der Stahlnetz-Folge ähnlich, nicht am Beginn steht, sondern der Zuschauer zunächst in eine Rahmenhandlung eingeführt wird. Und so hält die Kamera zunächst den Umgang des VEB mit den Lohngeldern fest, wodurch mehrere Tatverdächtige aufgebaut werden können. Erst hiernach geschieht der Einbruch. Im Gegensatz zur Stahlnetz-Folge bleiben die Täter unbekannt, es erfolgt auch keine entsprechende Erzählperspektive. Die dem Zuschauer in dieser 18. Folge bereits wohlbekannten Kriminalisten treten erstmals in der 18. Minute auf.282 Direkt nach der Abblende der vorherigen Szene, in der die Täter mit dem erbeuteten Geld auf einen Zug aufspringen, empfängt die Kamera die Kriminalpolizisten.283 Doch sie erwartet Hauptmann Wernicke und Leutnant Timm284 nicht

278 Hauptabteilung XX/7, 10. 11. 1980, in: BStU, ZA MfS AKK 8658/81; pag. S. 62. 279 Interview Hans-Joachim Hildebrandt. 280 Heil, Karolus Heinz: Das Fernsehen in der Sowjetischen Besatzungszone 1953–1963, Bonn/Berlin 1967, S. 117. 281 Blaulicht, »Heißes Geld«, Folge 18, Teil I 23. 3. 1963, Teil II 24. 3. 1963. 282 Blaulicht, »Heißes Geld« (I), 0:18:40:–0:22:26. 283 Um eine Vergleichbarkeit zwischen der bereits analysierten Stahlnetz-Folge »E 605« und der Blaulicht-Folge »Heißes Geld« zu gewährleisten, wurde ebenfalls die Ankunft des Kommissarteams am Tatort untersucht.

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am Tatort, sondern »holt« sie am Präsidium mit einem Dienstwagen ab. Als sich beide in das Auto gesetzt haben, beginnt die Sirene des Martinshorns, und der Wagen setzt sich in Bewegung. Nach dem Schnitt folgt keine Aufsicht oder Totale auf den ankommenden Wagen wie sonst üblich, um den Zuschauer zu orientieren. Stattdessen steht die Kamera auf einem Bürgersteig und blickt an Wohnhausfassaden hoch, deren Fenster sich vereinzelt öffnen. Die Bewohner schauen neugierig bis interessiert nach, woher die Blaulicht-Sirene kommt. Bereits auf akustischer Ebene wird also der Einsatz des nahenden Blaulicht-Kollektivs eingeleitet. Nun fährt das Polizeiauto ins Bild und bleibt stehen, Timm steigt aus und erhält die Anweisung zu warten und in das Werk nachzukommen (Abb. 16).

Abb. 16: Leutnant Timm erhält Instruktionen von Hauptmann Wernicke (Blaulicht, »Heißes Geld«).

Die Kamera fängt ihn in einer für das Blaulicht eher ungewöhnlichen Untersicht ein,285 um ihn als Vertreter der Staatsmacht zu legitimieren. Im Vergleich zur bereits analysierten Stahlnetz-Szene »E 605« wird der Kriminalleutnant sofort nach dem Aussteigen in einer halbnahen Einstellung gefilmt, die eine gewisse Vertrautheit zwischen ihm und der Kamera und damit auch dem Zuschauer nahelegt. Bereits in der nächsten Einstellung ist die Kamera am Tatort und steht mitten unter Werksarbeitern, die sich am Eingang der Verwaltung versammelt haben und auf die Polizei warten. Von ihren Standpunkt aus fängt sie in einem Schwenk einen jungen Mann ein, der an einem kleinen Kiosk-Wagen fragt, was passiert sei und eine Milch bestellt. Auch hier wählt der Regisseur Holub eine halbnahe Einstellung. Sie soll 284 Oberleutnant Thomas, der dritte des Ermittlerkollektivs, wartet im Krankenhaus auf die Geburt seines ersten Kindes. Eine entsprechende Krankenhausszene schließt sich an diese an. 285 Untersichten heben das Gezeigte besonders hervor; dieses Stilmittel wird zumeist genutzt, um die Überlegenheit von Figuren zu präsentieren. Warum diese Kameraposition im Blaulicht selten genutzt wird, soll in Kapitel drei näher beleuchtet werden.

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dem Zuschauer eine Figur vorstellen, die ihm im späteren Verlauf der Handlung als Täter wieder begegnet.286

Abb. 17: Einer der Täter beobachtet die Ankunft der Kriminalpolizei auf dem Werksgelände (Blaulicht, »Heißes Geld«).

Als Wernicke auf das Werksgelände fährt, sieht ihm die Kamera entgegen, wie viele Umstehende auch. Leises Gemurmel ist im Hintergrund zu hören, dass man die Polizei bereits erwarte. Noch immer unbewegt auf ihrer Ausgangsposition, fährt das Auto auf die Kamera zu, und Wernicke steigt direkt vor ihr aus dem Wagen. Nun beginnt auch sie sich zu bewegen und folgt ihm, als er auf den Betriebsleiter des Werkes und den Parteisekretär zugeht, um sie zu begrüßen. Sie steht etwas abgerückt hinter ihm und blickt über seine Schultern. Da er als Kommissar bereits eingeführt ist, braucht sie sich mit ihm nicht mehr zu befassen – etwa in Totalen, Profil- oder Frontaufnahmen –, dem Zuschauer ist Wernicke ebenso bestens vertraut. Auch die Einstellungsgröße, wieder eine Halbnahe, deutet auf die bestehende Vertrautheit hin. Nach einem kurzen Dialog gehen Wernicke, das Verwaltungspersonal und die ebenfalls in Zivil gekleideten Männer der Spurensicherung hinein. Eine Tür schließt sich, die Kamera blickt den Personen hinterher. Für die umstehenden Arbeiter, darunter auch einer der Täter (Abb. 17) endet der Einblick in die Ermittlungsarbeit der Polizei in diesem Moment, jedoch nicht für den Zuschauer, der mithilfe Kamera bereits am Tatort ist, als sich erneut eine Tür öffnet. Wernicke tritt ein und auf die Kamera zu. Er ist jetzt in einer nahen, fast dominanten Einstellung zu sehen. Durch einen sehr leicht erhöhten Blickwinkel der Kamera wirken die

286 Die Filmwissenschaft bezeichnet dieses inszenatorische Mittel als Plant – eine Figur oder ein Detail werden fast zufällig in die Handlung eingeführt, haben zunächst aber keine weitere Bedeutung. Erst im Verlauf des Films wird das Detail oder die Person erneut aufgenommen und für den Zuschauer stellt sich ein »Aha-Effekt« ein, da er sich an die erste Begegnung erinnert.

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hinter Wernicke stehenden Menschen klein und marginalisiert – während der ersten Untersuchungen sind sie es auch (Abb. 18).

Abb. 18: Hauptmann Wernicke auf dem Weg zum Tatort (Blaulicht, »Heißes Geld«).

Es schließt sich erneut ein kurzer Dialog mit dem Betriebsleiter und einer Verwaltungsangestellten an, dann steht Wernicke mit dem Polizeifotografen allein im Tatraum. Bevor Wernicke das Zimmer gründlich untersucht, tritt er noch näher an die Kamera heran. Sein Gesicht ist jetzt in einer Großaufnahme zu sehen. Gleichzeitig setzt ein sich langsam aufbauendes Blechbläser-Motiv ein. Nun sind der akustische wie bildliche Ausgangspunkt für Wernickes Ermittlungen direkt am Tatort geschaffen. Es folgt eine subjektive Kameraführung, die Wernickes kriminalistischen Blick imitiert. In leicht verwackelten Bildern sucht die Kamera den gesamten Raum ab, tastet sich vor bis sie den Tresor erreicht hat. Die Musik begleitet Wernickes forschenden Blick und hält inne, wenn auch er innehält. Als er eine Fußspur direkt vor dem Tresor entdeckt, steigert sich die Melodie zu einem kurzen Höhepunkt. Hiernach flacht sie wieder ab, behält aber ihre Dynamik bei, da auch Wernicke seine Untersuchungen noch nicht abgeschlossen hat. Als er durch das Loch in den Tresorinnenraum blickt, wechselt kurzzeitig die Kameraperspektive in dessen Inneres und erblickt einen abgeklärt und seriös wirkenden Kommissar (Abb. 19).

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Abb. 19: Hauptmann Wernicke blickt in das Innere des aufgebrochenen Tresors (Blaulicht, »Heißes Geld«).

Sofort folgt sie jedoch wieder seinem Blick. Eine erste Vernehmung der Angestellten schließt sich wenig später an. Während des ersten informativen Gesprächs steht die Kamera erneut hinter Wernicke und blickt auf zwei Personen in Normalsicht (Abb. 20). Es werden also keine Abhängigkeits- oder Machtgefälle zwischen der vernehmenden Staatsmacht und den vermeintlich verdächtigen Mitarbeitern inszeniert wie in so vielen Stahlnetz-Folgen.

Abb. 20: Befragung von Mitarbeitern des Waggonbau Grohlitz, die Kamera ist in Normalsicht (Blaulicht, »Heißes Geld«).

Die Blaulicht-Macher vertraten, ähnlich wie Roland und Menge, die Grundsätze, dass die Arbeit der Polizei im Vordergrund zu stehen hat und sie den Zuschauer von der Superiorität der Staatsorgane überzeugen soll. Neben dem Vertrauen in die Sicherheitsorgane sollte der Zuschauer zu mehr Wachsamkeit und einem guten Staatsbürger erzogen werden, der sich aufgeschlossen gegenüber polizeilichen Ermittlungen zeigt. Wenngleich das Konzept der Wachsamkeit in diesem kurzen Ausschnitt nicht verarbeitet wurde, so lassen sich – ähnlich der benannten Stahlnetz-Folge – zwei wesentliche Elemente ausmachen. Zum einen das Ermittlerteam,

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welches hier zunächst durch Wernicke vertreten wird. Er tritt als Respektsperson auf, zu der die Angestellten des Waggonbaus aufschauen. Gleichzeitig wird er für den Zuschauer als nahbar inszeniert. Der Zuschauer kann sich seinem Gesicht so nähern, dass der analytische Blick, der sogleich in subjektiver Weise übernommen wird, geradezu greifbar wird. Eine Identifikation mit dem Kommissar wird durch diese Art der Inszenierung geradewegs erzwungen, ganz im Gegensatz zum Stahlnetz, wo die Ermittlerfiguren zumindest in dieser ersten Szene eher distanziert erschienen. Und dennoch ist dieser Zwang nicht unangenehm, da er als Kommissar das Gute verkörpert, das Sicherheit und Ordnung wiederherstellt. Ein weiterer Unterschied ergibt sich in der ersten Vernehmung der Angestellten. Obwohl er wie Kommissar Opitz mit ihnen auf Augenhöhe redet, erscheint die Atmosphäre ruhiger. Auch die Kamera ist nicht abgerückt und erhöht, sondern direkt bei den Personen, die z. T. auch in Nah- und Großaufnahmen gefilmt werden. Dadurch ergibt sich zwangsläufig eine Übertragung auf den Zuschauer, der verständige und mit der Polizei kooperierende Zeugen sieht. Sie bilden wie im Stahlnetz das zweite Element dieser kurzen Szene. Auch hier werden »Gaffer« gezeigt, die lediglich aus Sensationsgier an der Tat interessiert zu sein scheinen, als aus dem Wunsch, sich qualitativ zu äußern. Die Verwaltungsangestellten, die von dem Raub zumindest indirekt betroffen sind, da sie die Lohngelder verwalten, scheinen – bis auf die Frau – unaufgeregt. Sie vertrauen der Polizei, dass diese das Verbrechen aufklärt und unterstützten sie nach ihren Kräften. Im Gegensatz zum Essener Sparkassenfilialleiter machen sie ihre Mithilfe nicht vom eigenen Nutzen abhängig.

3 Der idealtypische Ermittler: ein Repräsentant zwischen Staatsgewalt und Privatheit Vor deutscher Polizei hätte ich auch keine Angst. […] Deutsche Polizei ist harmloser und ich glaube auch ziemlich dumm. 1

Die junge Britin aus wohlhabendem Hause äußert hier eine aus Sicht der Siegermacht nachvollziehbare Position der Überlegenheit gegenüber der deutschen Polizei – filmisch umgesetzt durch ihre Position hoch zu Pferde. Tatsächlich aber wirkt die von der Anfang-20-Jährigen in der Stahlnetz-Folge »Verbrannte Spuren« geäußerte Kritik wenig reflektiert. Vielmehr wird ihr Kommentar eingesetzt, um eine gewisse Naivität der Ausländerin zu entlarven. Denn innerhalb der filmischen Argumentationslogik bildet das vermeintlich despektierliche Urteil den Gegensatz zur offensichtlichen Botschaft der Kriminalreihe: Die deutsche Polizei ist in ihrer Gesamtheit außerordentlich kompetent. Zugleich offenbart dieses Zitat eine Selbst- und Fremdwahrnehmung der Stahlnetz-Polizei, die sich auch auf die reale Situation und das Verhältnis zwischen Bürger und Polizei in Deutschland beziehen lässt. Seit Institutionalisierung der Schutzpolizei2 stand diese als sichtbare, weil uniformierte Vertreterin des Staates in der Kritik der Bevölkerung. Zumeist entlud sich der Unmut an der staatlichen Exekutive, indem das Maß ihrer Kompetenz in Frage gestellt wurde. In der öffentlichen Wahrnehmung bildete sich bereits während des Kaiserreiches eine Mischung aus Autoritätsgläubigkeit, Angst, Kritik und Stereotypen, die den Schutzmann als tumben, unfreundlichen und wenig kompromissbereiten Schläger stilisierte, aus.3 Die

1

Stahlnetz, »Verbrannte Spuren«, 0:29:23–0:29:30.

2

Die Schutzpolizei ging auf militärische Einheiten zurück und wurde während der Zeit des

3

Vgl.: Funk, Albrecht: Polizei und Rechtsstaat. Die Entwicklung des staatlichen Gewalt-

Deutschen Kaiserreiches zu einem eigenen Organ ausgebaut. monopols in Preußen 1848–1914, Frankfurt a. M./New York 1986, S. 278–287, vor allem

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Polizeibehörden in der Weimarer Republik zeigten sich im Zuge ihrer Professionalisierung lernfähig. So gab die Stadt Hamburg 1928 interne »Richtlinien für höfliches Benehmen gegenüber dem Publikum« heraus. Hierin heißt es, dass der Beamte »in der Form stets höflich und verbindlich, in der Sache bestimmt und klar«, nicht aber »in der Form verletzend und scharf, und in der Sache unbestimmt und schwankend« aufzutreten habe. Auch möge er bedenken, dass die Sympathie des »Publikums« sich meist an den Festgenommenen wende und nicht an den Schutzmann.4 Die Bestrebungen, einen angemessen Umgang mit dem Bürger zu erreichen, fanden in den regelmäßig veranstalteten Polizeiausstellungen der Länder und Stadtstaaten ihren Ausdruck. So trat die Hamburger Polizei 1928 auf seine Ausstellungsbesucher mit dem Motto zu: »Ich will dein Freund sein, lerne mich kennen!«5 Das offene Angebot bedeutete dem Besucher, die (bestehende) Distanz zwischen Bürger und Staat abzubauen und sogar eine Freundschaft entwickeln zu lassen. Denn Freunde, so könnte der Eingangssatz dem Besucher nahelegt haben, respektierten einander und übten keine willkürliche Gewalt gegeneinander aus. Das sich bis heute als ambivalent gestaltende Verhältnis zwischen Bürger und Schutzpolizei steht im Gegensatz zur Wahrnehmung der Kriminalpolizei. Dieser wird in der Öffentlichkeit oftmals ein separierter und autonomer Status zugesprochen. Die relative Abgeschlossenheit der kriminalpolizeilichen Arbeit scheint das Ansehen der Kripo zu erhöhen. Im Falle eines Verbrechens muss die Kripo zwar zur Stelle sein, aber das schnelle Absperren des Tatortes durch die Schutzpolizei schließt die Öffentlichkeit von den Ermittlungen aus. Zwischenberichte werden selten oder nur dann gegeben, wenn die Bevölkerung bei den Ermittlungen behilflich sein soll. Erst die Ergreifung des Täters oder der Misserfolg eines Falles sind wieder von öffentlichem und damit auch medialem Interesse. Auf dieser Ebene ist auch Kritik an der Arbeit der Kriminalpolizei oder ihre Anerkennung möglich, eine

S. 285–286. Funk arbeitet heraus, dass die Schutzpolizei gravierende Unterschiede in der Behandlung von Bürgern, Armen und Arbeitern machte. Zu polizeilichen Disziplinierungsmaßnahmen und der Festsetzung des Normenrahmens vgl. auch: Jessen, Ralph: Polizei im Industrierevier. Modernisierung und Herrschaftspraxis im westfälischen Ruhrgebiet 1848–1914, Göttingen 1989, S. 213–282 sowie Ders.: Preußische Polizei und Arbeiterschaft im Kaiserreich, in: Nitschke, Peter (Hg.): Die deutsche Polizei und ihre Geschichte. Beiträge zu einem distanzierten Verhältnis, Hilden 1996, S. 46–71. 4

Die Polizeibehörde Hamburg (Abt. Ordnungspolizei): Richtlinien für höfliches Benehmen gegenüber dem Publikum (1928), in: StAHH: 331-1 Polizeibehörde I 1550: Verhalten der Polizei gegenüber Bevölkerung 1927–1945.

5

Ebd.

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direkte Kommunikation zwischen dem einzelnen Bürger und der Kriminalpolizei ist selten.6 Aus dieser eingeschränkten Kommunikationssituation zwischen Kriminalpolizei und Bürger erklärt sich, so die hier vertretene These, ein großer Teil der Beliebtheit des (Fernseh-)Krimis. Es ist nicht nur die Sensationsgier nach immer spektakuläreren Verbrechen und ihrer Aufklärung, sondern auch der lang ersehnte Einblick in die verborgene Welt der Kriminalpolizei und ihre Ermittlungsstrategien. Die populären Vorstellungen über die Arbeit der Kriminalpolizei waren (und sind) dabei meist unrealisitisch und von den genial ermittelnden Einzelhelden Edgar Allan Poes oder Arthur Conan Doyles geprägt.7 Um der Bevölkerung einen realistischen Eindruck ihres Berufes zu vermitteln, schrieben ehemalige Kriminalkommissare oder Polizeichefs immer wieder populärwissenschaftliche Bücher oder veröffentlichten in Zeitungs- oder Zeitschriftenartikeln. So plädierte der Stuttgarter Polizeipräsident und Präsident des Württembergischen Landeskriminalpolizeiamtes, Rudolf Klaiber, schon im Jahr 1931 dafür, die Kriminalarbeit zu zeigen, »wie sie wirklich« sei: »frei von aller falschen Romantik und doch vielfach voll Spannung? Der Kriminalist muß das wünschen, schon um der schiefen Beurteilung willen, der immer noch die Kriminalpolizei ausgesetzt ist«.8 Auch in den 1960er Jahren wiesen Publikationen immer wieder auf den Unterschied von Kriminalfiktion und realer Verbrechensaufklärung hin – die Autoren mussten dabei nicht immer ehemalige Polizisten sein. Frank Arnau, Schriftsteller und Publizist, versuchte mit seinem Buch »Das Auge des Gesetzes. Macht und Ohnmacht der Kriminalpolizei« zu zeigen, dass »die Wirklichkeit anders ist: weniger romantisch, meist ohne strahlende Helden, aber dennoch voller Spannung – wie alles, das ein Stück wirklicher menschlicher Geschichte und menschlichen Lebens ist«.9 Ein Blick in heutige Debatten zeigt, dass die Diskussion über die mitunter verzerrte Vorstellung der Polizeiarbeit in Fernsehkrimis keineswegs an Aktualität verloren hat: »Die Leute glauben, dass Kommissare tatsächlich so sind wie im 6

Hierbei ist jedoch zwischen den einzelnen Dezernaten und ihren Aufgaben zu unterscheiden. Bestimmte Deliktarten wie z. B. Diebstahl, Vandalismus oder Sexualdelikte erfordern vom Zeitpunkt der Tat an die Mithilfe der Bevölkerung. Hingegen werden schwere Wirtschaftsverbrechen oder Kapitalverbrechen häufig unter Ausschluss der Öffentlichkeit ermittelt. Gerade die Prävention von Delikten wie Wohnungseinbrüchen etc. macht die direkte Kommunikation zwischen Polizei und Bürgern nötig und bezeichnet ein eigenes Aufgabenfeld der Polizei.

7

Vgl. Abschnitt 2.2.

8

Vorwort des Polizeipräsidenten Rudolf Klaiber, in: Elwenspoek, Curt: Mord und Totschlag – Polizei greift ein! Ein Buch vom Kampf der Kriminalpolizei, Stuttgart 1931, S. 5.

9

Arnau, Frank: Das Auge des Gesetzes. Macht und Ohnmacht der Kriminalpolizei, München 1962, S. 7.

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Tatort, dass die Polizei so arbeitet wie in den sonntagabendlichen 90 Minuten, dass sie gegen Tatverdächtige so vorgehen darf, dass sie von der Schusswaffe Gebrauch machen muss […] – und dass Schauspieler erfahrene Polizeipraktiker sind«.10 In auffälliger Weise zeigen alle Zitate an, wie schwer eine Trennung zwischen Medienrealität und Realität gerade beim Genre des Kriminalfilms fällt. Ein Erklärungsansatz ist in der bereits ausgeführten Genrelogik und jeweiligen Tradition zu suchen. Dieser folgend, muss ein (deutscher) Krimi den Leser bzw. Zuschauer mit Hilfe vermeintlich wahrer, realer Fakten überzeugen. Dass diese Fakten, um dramaturgisch wirken zu können, einer festen Strategie von Inszenierung und Stereotypisierung folgen, wird von manchen Kritikern gern übersehen. Einen Kristallisationspunkt »wirklicher« Darstellung kriminalpolizeilicher Arbeit bildeten die beiden Fernsehkriminalreihen Stahlnetz und Blaulicht zu Beginn der deutsch-deutschen Fernsehgeschichte; schließlich wollten beide die kriminalpolizeiliche Arbeitsweise authentisch darstellen. Ziel einer Untersuchung beider Reihen kann es jedoch nicht sein, abzugleichen, ob Roland und Prodöhl »alles richtig« gemacht und dafür das »Abc für Kriminalbeamte«11 konsultiert haben. Vielmehr ist zu fragen, auf welche Weise sie ihre Vorstellung von Authentizität herstellten und welche Funktion die authentische Darstellung erfüllte. Konkret auf die Hauptakteure der beiden Kriminalreihen bezogen heißt das: Durch welches Auftreten zeichnete sich der jeweilige Kommissar aus und welche beruflichen wie gesellschaftlichen Leitbilder verkörperte er? Denn die Ermittler beider Reihen sollten den Zuschauer nicht nur unterhalten, sondern ihn auch im Sinne der zeitgenössischen Normen und Werte belehren und erziehen. Um beide Vorhaben gleichermaßen erfolgreich durchzusetzen, war es notwendig, den Kommissar idealtypisch zu konzipieren: Zum einen musste er als Mensch auftreten, um in seinem Beruf als Kriminalpolizist glaubwürdig zu erscheinen. Gerade diese Ebene war für die Rezeption des Krimis von besonderer Bedeutung, schließlich sollte sich der Zuschauer mit dem Helden des Stücks identifizieren, um dann die von ihm vertretene Moral zu internalisieren. Dabei sind nicht nur sein Beruf wichtig, sondern ebenso seine Person, seine Herkunft, sein Charakter und sein Verhalten. Es ist zu klären, wie er als Ermittler in Erscheinung tritt, ob und welches Privatleben er führt, wie er sich im Allgemeinen, gegenüber Zeugen, seinen Kollegen oder Vorgesetzten verhält. Des Weiteren interessiert, ob er die gängigen Beamtentugenden, die so genannten Sekundärtugenden wie Fleiß, Ordnung, Pünktlichkeit oder Genügsamkeit vertritt und ob er als Ermittler ein bestimmtes Berufsethos verinnerlicht hat. 10 Kersten, Joachim: Aufklärung am Sonntagabend: Der ARD Tatort, in: Linssen, Ruth/ Pfeiffer, Hartmut (Hg.): Polizei. Außendarstellung in Öffentlichkeit und Medien, Frankfurt a. M. 2009, S. 135–143, Zitat S. 139. 11 Meixner, Franz: Auskunftsbuch für Kriminalbeamte. 1000 Stichworte aus Kriminalistik/ Kriminologie und verwandten Gebieten nebst Erläuterungen, Hamburg 1960.

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Zum anderen war der Ermittler in hohem Maße eine öffentliche Person und damit einem starken staatlichen Repräsentationszwang ausgesetzt – vor allem in der DDR. Er vertrat den (sozialistischen) Staat, das (sozialistische) Recht und Gesetz. Er musste für Sicherheit und Ordnung und für die Aufklärung von Verbrechen sorgen, wodurch sein Auftreten eine Signalwirkung bekam. Als Vertreter der Polizei sollte sein Verhalten möglichst positiv und moralisch integer wirken, um sich der Unterstützung der Bevölkerung gewiss zu sein. Ferner stellt sich die Frage, welche Konsequenzen sich aus einem positiv oder negativ inszenierten menschlichen und gleichzeitig repräsentativen Charakter des Kommissars für das allgemeine Ermittlerbild ergaben und welches Bild von der Polizei als staatlicher Institution entworfen wurde.

3.1 I DENTIFIKATION –

DER

E RMITTLER

ALS

M ENSCH

Erscheinungsbild Kleidungsstücke wie ein Anzug mit Krawatte und ein Mantel12 – meist ein heller Trenchcoat, in der DDR häufig ein Wollmantel – dominierten das Erscheinungsbild aller Fernsehermittler und suggerierten auf diese Weise Seriosität, die in den 1950er und 1960er Jahren häufig mit dieser Garderobe verbunden wurde.13 Wie sehr die Stahlnetz-Kommissare diesem Klischee verhaftet waren, zeigt eine kurze Szene aus der Folge »Rehe«. Kommissar Berenthin rüffelt einige seiner Mitarbeiter, die keinen Trenchcoat oder Ähnliches tragen, sondern einen schwarzen, glatten Ledermantel. Der »rieche drei Meilen gegen den Wind nach Kripo« – und dies sei schließlich zu vermeiden (Abb. 21 und Abb. 22).14 12 Gräfin Vitzthum von Eckstädt, Iris Elisabeth: Würdiger Bürger im Frack. Ein Beitrag zur kulturgeschichtlichen Kleiderforschung, Baltmannsweiler 2008. Mit dem Aufstieg neuer Eliten in den 1950er Jahren, die sich zunehmend über ihren wirtschaftlichen Status und nicht mehr über ihre soziale Herkunft definierten, änderten sich auch die Kleidergewohnheiten. Der Frack als besonderes Gesellschaftskleid »höchster bürgerlicher Kleidungskultur« (S. 122) büßte nach 1945 rapide an Stellenwert ein und galt nicht mehr als alltagstauglich, außer zu besonders feierlichen Anlässen und Abendveranstaltungen. Vielmehr wurde der Straßenanzug zum Kleidungsstück für alle Gelegenheiten. In: ebd., S. 85f. und S. 122. 13 Auch der reale Kriminalermittler trug keine Uniform. Ob er allerdings im Ermittlungsalltag den Kleidungsstil seiner Fernsehkollegen bevorzugte, lässt sich wegen mangelnden Fotomaterials nicht rekonstruieren. 14 Stahlnetz, »Rehe«, 0:28:00f. Ob der Ledermantel in den Augen Berenthins Assoziationen zum Kleidungsstil der nationalsozialistischen SS oder Gestapo geweckt hat, bleibt offen. Sein wütender Ausruf verstärkt jedoch sein Unbehagen gegenüber dem Ledermantel, den

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Abb. 21 und Abb. 22: Kommissar Berenthin (Heinz Engelmann) bei einer Besprechung mit den Mitarbeitern der Kripo, mit und ohne Ledermantel bekleidet (Stahlnetz, »Rehe«).

In der Reihe Blaulicht findet sich eine solch explizite Diskussion um die Bekleidung der Ermittler nicht (Abb. 23). Eher war es möglich, die Kriminalpolizisten in einigen Folgen in Freizeit- oder Nachtbekleidung zu erleben.

Abb. 23: Hauptmann Wernicke und VP-Meister Timm im Gespräch. Beide tragen die übliche Arbeitsbekleidung (Blaulicht, »Ein gewisser Herr Hügi«).

er als »Uniform« bezeichnet und den sogar die Weibliche Kriminalpolizei trägt. Erwähnenswert ist, dass diejenigen Beamten, die einen Ledermantel tragen, jünger sind als Berenthin. Es ist demnach zu vermuten, dass hier weniger SS-Assoziationen geweckt werden sollen, als vielmehr eine neue Generation mit den gängigen Kleidungsstilen der Kriminalpolizei bricht. Nach einem Schwenk über die weiteren 20 Mitarbeiter der Kriminalpolizei wird allerdings ersichtlich, dass Ledermäntel nur eine Minderheit darstellen, der Großteil der Beamten trägt einen Trenchcoat – die unauffällige Uniform eben.

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Ein Accessoire, das durchaus zum männlichen (aber auch weiblichen) Erscheinungsbild während der Produktionszeit gehörte, war der Klapprandhut.15 Entsprechend tragen die Kommissare der Reihe Stahlnetz sowie viele Fernsehbürger einen solchen. Die Blaulicht-Ermittler hingegen vermeiden den Auftritt mit Hut; er scheint hier weniger selbstverständlich, vielleicht auch zu bürgerlich. Spürt man den alltäglich anmutenden Erkennungsmerkmalen der west- wie ostdeutscher Ermittler in anderen nationalen und internationalen Kriminalsendungen dieser Zeit nach, werden Vorbilder schnell ersichtlich. Beispielsweise trat der amerikanische Dragnet-Star Jack Webb, aus der Vorlage zur Reihe Stahlnetz, im gleichen Kleidungsstil auf. Ostdeutsche bzw. osteuropäische Vorgängerreihen lassen sich nicht als Referenz vorbringen. Wie bereits festgehalten, orientierten sich die DDR-Krimimacher vielmehr am Westen und versahen die Geschichte mit sozialistischen Akzenten. Das Merkmal Kleidung enthält vier wesentliche Charakteristika, die zur Bewertung der Kriminalpolizei und der Fernsehermittler beider deutschen Staaten beitragen: Erstens war die Pflege des Äußeren seit den Anfängen der Polizei eines der wichtigsten nach außen getragenen Prinzipien; Nachlässigkeit wurde als innere Schwäche ausgelegt.16 Auch die Kriminalermittler beider Reihen vermitteln dieses Ideal, indem sie gepflegt und seriös auftreten. Entsprechend ordentlich, schließe sich daraus, verrichtet die Kriminalpolizei ihren Dienst. Ein gepflegtes Äußeres verweist entsprechend auf die Zuverlässigkeit der Sicherheitsorgane.17 Zweitens treten die Ermittler zunächst unauffällig in Erscheinung; als einzige Polizeieinheit tragen sie keine Uniform und sind daher als Repräsentanten der Staatsmacht nicht sofort identifizierbar. Dennoch – so könnte es für den Zuschauer erscheinen – dienen Anzug, Trenchcoat und Hut als eine Art Uniform. Diese Uniform ist drittens jedoch nicht geschützt und kann von jedermann getragen werden – etwa auch von einem Kriminellen. Eine äußerliche Unterscheidung ist dann kaum mehr möglich. Beispielsweise trägt der Blaulicht-Kinder15 »Der Spiegel« berichtet im Juli 1955 über eine werbewirksame Kampagne der »Arbeitsgemeinschaft Hut«, die mit einer »simplen Parole ›Man trägt wieder einen Hut‹ auch den Umsatz der einschlägigen Geschäfte außerordentlich stark belebt[e]«. (o. A.: Erhards Verbrauchswelle, in: Der Spiegel, 20. 7. 1955, S. 15). Doch obwohl der Hut in den 1960er Jahren zunehmend aus dem Straßenbild der Bundesrepublik verschwand, hielten die Stahlnetz-Kommissare daran bis zum Ende fest. Zur Kopfbedeckung im 20. Jahrhundert vgl.: Loschek, Ingrid: Reclams Mode- und Kostümlexikon, Stuttgart 41999. 16 Schmidt, Daniel: Schützen und Dienen. Polizisten im Ruhrgebiet in Demokratie und Diktatur, 1919–1939, Essen 2008, S. 172. 17 Eine Ermittlerfigur wie der spätere Tatort-Star Horst Schimanski (Götz George) wäre zeitgenössisch undenkbar gewesen.

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mörder, Richard Göttlich, einen beigefarbenen Trenchcoat und einen schwarzen Hut.18 Auch der Stahlnetz-Kindermörder, Willi Funke, trägt diese Kombination, schlägt allerdings den Mantelkragen im Gegensatz zu den Kommissaren nach oben. Die daraus folgende äußere Ähnlichkeit zweier antagonistisch inszenierter Figuren wird in west- wie ostdeutschen Dialogen nicht kommentiert. Der Vorteil der Übereinstimmung wird dem Zuschauer im Vorgehen der Polizei präsentiert, wenn sich diese die Unauffälligkeit bei ihren Ermittlungen zunutze macht. Viertens lässt sich aus der hellen Kleidung der meisten Kommissare und der zutiefst ablehnenden Haltung gegenüber dunklen, schweren Ledermänteln ein betont positives Image lesen, das den Charakter der Polizei als »gut« und im Sinne des Verbrechens als unschuldig unterstreicht – Polizisten lassen sich in beiden Reihen nie etwas zu Schulden kommen. Obwohl das äußere Erscheinungsbild der bundesrepublikanischen Fernsehermittler zumindest aus heutiger Sicht unauffällig erscheint, wurde mitunter harsche Kritik daran geäußert. Vor allem Schutzpolizisten, die sich in der Reihe ohnehin zu selten und wenn, dann als »dummer August« präsentiert sahen, kritisierten den Kleidungsstil leitender Kriminalbeamter in den Stahlnetz-Krimis. Die Zuschriften, die Jürgen Roland in der Polizei-Redaktion erreichten, beantwortete er häufig jedoch mit Unverständnis: »Ich weiß nicht, warum ein Kriminalbeamter nicht auch einen Smoking oder einen gut gearbeiteten Anzug tragen darf …«19 Für das Blaulicht lassen sich derartige Zuschriften nicht nachvollziehen. Kritik am Kleidungsstil wäre immerhin gleichzeitig eine Kritik am staatlichen Sicherheitsorgan gewesen und diese hätte in offiziellen und semioffiziellen Veröffentlichungen ohnehin eine Zensur erfahren. Ein weiteres Merkmal der Kriminalermittler und -ermittlerinnen beider Systeme ist das ständige Rauchen von Zigaretten. Bereits im Verlauf der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war das Massenkonsumgut Zigarette so alltäglich und damit akzeptabel geworden, dass »Zigarettenraucher nahezu überall – auch in Nichtraucherwohnungen – ihr Bedürfnis befriedigen konnten, ohne vorher um Erlaubnis zu fragen«.20 Entsprechend rauchte ein Großteil der Bevölkerung vor und hinter der Fernsehscheibe.21 Neben der Abbildung einer Alltäglichkeit kommt der Zigarette in 18 Blaulicht, »Der Kindermörder«, Folge 9, Teil I 15. 10. 1960; Teil II 16. 10. 1960. 19 Brief Jürgen Rolands an Polizeimeister Hans Seidensticker, 4. 5. 1960, S. 3, in: Pressedokumentation des NDR. 20 Jacobs, Tino: Rauch und Macht. Das Unternehmen Reemtsma 1920–1961 (= Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte 44), Göttingen 2008, S. 28. 21 Während die Zigarette im 19. Jahrhundert noch ein Luxusprodukt war, avancierte sie »kurz darauf zum Taktgeber einer hektischen, nervösen Industriegesellschaft« (ebd., S. 26). Und auch wenn der Historiker Christoph Maria Merki den »Nikotinhunger« der Deutschen Anfang der 1950er Jahre als gestillt beurteilt, rauchten in dieser Zeit immerhin

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den Kriminalfilmen jedoch auch eine inhaltliche Relevanz zu. Situationsabhängig ist sie ein Indiz für Lässigkeit, Langeweile oder Ausweglosigkeit, die scheinbar weggeraucht werden kann. Auch, so lässt sich vermuten, trägt die Zigarette dazu bei, den Kriminalpolizisten maskuliner erscheinen zu lassen, galt sie doch lange Zeit als ein »Ausdruck dezidierter Männlichkeit« (Jacobs).22 Häufig ist das Verlangen nach ihr jedoch der Ausdruck von Stress, z. B. wenn ein Verdächtiger von der Polizei verhört wird. Der Entzug einer Zigarette durch die überlegenere Polizei übt zusätzlich erheblichen Druck auf den Verhörten aus und führt in vielen Situationen zu einem (Teil-)Geständnis. Umgekehrt scheint das Angebot einer Zigarette an Zeugen wie Verdächtige eine versöhnliche Wirkung zu haben. So nützlich eine Zigarette für den Fortgang der Handlung ist, äußerten die Zuschauer in Ost wie West Kritik am extensiven Zigarettenkonsum auf dem Bildschirm. »Weitere Beschwerden gibt es hinsichtlich des vielen Rauchens. Die Nichtraucher machen dem DFF den Vorwurf, daß er die Jugend zum Rauchen verführt.«23 Welche Bedeutung der Deutsche Fernsehfunk dieser Kritik beimaß, ist der Quelle nicht zu entnehmen. Die Blaulicht-Ermittler hörten jedenfalls nicht mit dem Rauchen auf. Die westdeutschen Programmleiter erörterten ebenso die Kritik am Rauchverhalten, wiesen sie jedoch mit dem lapidaren Hinweis zurück, dass diese noch 84 % der deutschen Männer, 1958 77 % und 1966 noch 57 %. Vgl.: Merki, Christoph Maria: Die amerikanische Zigarette – das Mass aller Dinge. Rauchen in Deutschland zur Zeit der Zigarettenwährung (1945–1948), in: Hengartner, Thomas/Merki, Christoph Maria (Hg.): Tabakfragen. Rauchen aus kulturwissenschaftlicher Sicht, Zürich 1996, S. 57–82, Zitat S. 71. Und so wurden 1961 mehr als zehn Milliarden Zigaretten allein in der Bundesrepublik verkauft. Siehe: Schildt, Axel/Siegfried, Detlef: Deutsche Kulturgeschichte. Die Bundesrepublik – 1945 bis zur Gegenwart, München 2009, S. 250. 22 T. Jacobs: Rauch und Macht, S. 26. Jacobs verweist hier auf die von der Werbung eingeführte Ikone des Malboro Man. Die männliche Konnotation des Rauchens geht bereits auf das 19. Jahrhundert zurück. Hier war das Rauchen mit Tätigkeiten, Orten und Habitus verbunden, die Männern vorbehalten waren (vgl. hierzu: Brändli, Sabina: »Sie rauchen wie ein Mann, Madame«. Zur Ikonografie der rauchenden Frau im 19. und 20. Jahrhundert, in: Hengartner, Thomas/Merki, Christoph Maria [Hg.]: Tabakfragen. Rauchen aus kulturwissenschaftlicher Sicht, Zürich 1996, S. 83–109, Zitat S. 90). Erst ab den 1920er Jahren wurde die rauchende Frau zunehmend gesellschaftsfähig und avancierte zum »Inbegriff verführerischer Weiblichkeit« (ebd., S. 103). In den 1950er Jahren brach die Alleinherrschaft des männlichen Rauchers vollständig zusammen, ein neues öffentlich toleriertes Image – in enger Verbindung mit der Amerikanisierung des Lebensstils – kam auf: »die rauchende, saubere Hausfrau« (ebd., S. 106). Damit wurde der Trend zum geschlechtsunabhängigen Rauchen verstärkt und Bestandteil eines »unisex-Habitus« (ebd., S. 109). 23 Kollegiumsvorlage, Programmleitung, 5. 1. 1965, S. 24; in: BArch: DR 8/ 37.

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wohl von Nichtrauchern geäußert wurde.24 Doch nicht nur auf dem Bildschirm, auch in der Realität sahen sich rauchende Polizisten besonders interner Kritik ausgesetzt. Denn allein wegen ihrer polizeilichen Vorbildfunktion war es diensthabenden Polizisten in der Bundesrepublik sowie in der DDR verboten, Zigaretten im Dienst zu konsumieren, vor allem wenn sie in Bürgerkontakt standen25 ௅ die Fernsehkommissare waren hier freilich etwas freier. Herkunft, Alter und Vergangenheit Vom NWRV/NDR in alleiniger Verantwortung produziert, war das der NachfolgeReihe Tatort zugrunde liegende föderale Prinzip im Stahlnetz noch nicht bindend, und Roland und Menge waren entsprechend frei in der Wahl ihrer Schauplätze und der Besetzung der Ermittlerrollen. Da das Programm über die ARD deutschlandweit ausgestrahlt wurde, war es der überregionalen Popularität allerdings zuträglich, die regionale Bandbreite der Bundesrepublik auszunutzen.26 Und so verteilten sich die Fälle von der Nord- und Ostsee bis nach München. Obwohl einige Städte wie Hamburg immer wieder Handlungsschauplätze von Verbrechen wurden, verzichteten die Stahlnetz-Macher darauf, wiederkehrenden Regionen und Städten feste Ermittler zuzuweisen. Stattdessen wechselte das Ermittlerteam von Folge zu Folge. Sympathien, Schauspieler für manche Rollen immer wieder zu besetzen, waren jedoch durchaus erkennbar. Heinz Engelmann war mit sieben Kommissarsrollen der meist besetzte Schauspieler der Reihe. Ob und welches Idealbild des Kommissars Jürgen Roland mit dieser Rolle verband, soll am Ende des Kapitels resümiert werden. Um die regionale Verteilung der Verbrechen glaubwürdig zu inszenieren, muss der Stahlnetz-Kommissar eine gute Ortskenntnis und bestmöglich eine heimatliche

24 Ebenso harmlos und kaum existent war die im medialen Diskurs der 1950er und 1960er Jahre allgemein geäußerte Kritik am Rauchen. T. Jacobs: Rauch und Macht, S. 28. Jacobs zeigt auf, dass die überbordende Macht der Tabakkonzerne für das positive Image des Rauchens in der Öffentlichkeit verantwortlich war. In: ebd., S. 245f. 25 Zur zeitgenössischen Diskussion, ob dieses Rauchverbot eine Einengung persönlicher Freiheitsrechte darstelle, siehe: Ko.: Rauchverbot für Polizeibeamte, in: Deutsche Polizei (1957), S. 165, 165. 26 Ob Roland von Beginn an plante, die regionale Bandbreite der Bundesrepublik auszunutzen oder sich diese mehr zufällig ergab, ist aufgrund fehlender Konzeptpapiere nicht zu rekonstruieren. Auch Wolfgang Menge geht hierauf nicht weiter in dem mit ihm geführten Interview ein. Eine Mischung aus Intuition, den bearbeiteten Kriminalakten und inszenatorischer Praxis scheint denkbar.

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Verbundenheit mit der Region aufweisen.27 Hierzu zählte für viele Zuschauer und Fernsehkritiker der ortsübliche Dialekt. Wurde dieser nicht korrekt wiedergegeben oder vermochte der Schauspieler seinen eigenen Akzent nicht abzulegen, waren Beschwerden nicht unüblich.28 Den »Glaubwürdigkeitsverlust« konnten die Stahlnetz-Macher vor allem in jenen Folgen umgehen, in denen Ermittler aufgrund fehlender Ressourcen vor Ort aus der nächstgrößeren Stadt angefordert wurden.29 Zumeist bemühten sich jedoch alle Kommissar-Schauspieler, hochdeutsch zu sprechen, zum einen als Ausweis einer höheren Bildung, zum anderen um sich von den vielen Tätern aus der Mittel- und Unterschicht abzusetzen, welche häufig ein stark regional geprägtes Idiom aufwiesen.30 Ähnliches ist für das Blaulicht zu konstatieren, dessen Ermittler mitnichten eine »Berliner Schnauze« pflegen, obwohl sie in den ersten zwölf Folgen ausschließlich hier ermitteln. Dennoch durfte das Lokalkolorit in den Fällen nicht fehlen und so findet sich Mundartliches vor allem bei Zeugen, Tätern und Randfiguren aus der Bevölkerung wieder. Ab der 13. Folge im Jahre 1961 war das Ermittlerkollektiv nicht mehr auf Berlin als Handlungsort festgelegt. Sie ermittelten nun im gesamten Gebiet der DDR. Der fast selbstverständliche Wechsel in andere Dienststellen wurde allerdings kommentarlos vollzogen, manches Mal sogar, ohne die jeweilige Stadt zu benennen. Damit reagierte der Deutsche Fernsehfunk zwar einerseits auf die Attraktivität der Reihe für die jeweiligen Zuschauer vor Ort, andererseits setzte er das Lokalkonzept zumindest aus heutiger Sicht weniger erfolgreich um.31 27 So ist für die 1950er Jahre eine starke Verbundenheit mit der Heimatregion bzw. einer Region im Allgemeinen zu konstatieren, wie sich in der Popularität von Mundarthörspielen oder -fernsehspielen, etwa dem Hamburger »Ohnsorg Theater«, das seit 1954 regelmäßig im Fernsehprogramm vertreten war, zeigte. 28 Gabriel Straubing aus der Deutschen Tagespost vermerkte für die Folge »Aktenzeichen: Welcker u. a. wg. Mordes«, Folge 9, 6. 11. 1959: »Die Mileuechtheit [sic!] bestand darin, daß die Polizeiwachtmeister in den Münchner Revieren hannoveranisch und hamburgisch sprachen, daß die Münchner Funkstreife plötzlich Mercedes-Wagen anstelle der stadtbekannten BMW benutzt und es am Rande Münchens einen Selbstmördersee gibt, den jeder vergeblich auf der Landkarte suchen wird«. (Straubing, Gabriel: Klassische Krimistoffe, Deutsche Tagespost, 13. 11. 1959). 29 Vgl. hierzu u. a.: Stahlnetz, »Saison«, Folge 13, 24. 4. 1961; Stahlnetz, »Verbrannte Spuren«. 30 Allerdings wurde der Fall hierdurch nicht unbedingt authentischer, wie Journalist Bruno Romberg kritisierte: »Auch die bewußte Schattierung, daß Kriminalbeamte hochdeutsch, Verbrecher und Zeugen aber Dialekt sprechen, machte den Gesamteindruck nicht glaubwürdiger«. In: Romberg, Bruno: Kritisch ferngesehen. Donau-Kurier, 17. 11. 1959, in: NDR-Pressedokumentation. 31 Vgl. hierzu Kapitel sieben.

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Das Alter des leitenden Stahlnetz-Ermittlers liegt zwischen 40 und 55 Jahren. Der dem Ermittler unterstehende Beamte ist selten jünger als 30 Jahre und im Ausnahmefall kurz vor der Pensionierung.32 Die Altersspannweite entsprach damit dem bundesrepublikanischen Polizeipersonal. Hier lag das Berufseintrittsalter im Jahr 1967 zwischen 18 und 26 Jahren.33 Hinzu kam, dass auch Aufstiegschancen nicht von allen Beamten gleichermaßen genutzt wurden oder aufgrund fehlender Qualifikationen nicht genutzt werden konnten. Zudem waren die Hürden hoch, in den höheren Dienst aufzusteigen, also Kriminalkommissar zu werden, denn es musste nicht nur ein bestimmtes Alter erreicht, sondern auch eine Reihe von Lehrgängen am Hiltruper Polizeiinstitut absolviert werden.34 Die differenzierte Altersverteilung der Stahlnetz-Ermittler legt die Vermutung nahe, dass verschiedene Alterskohorten von Zuschauern gezielt angesprochen und ihnen ein Identifikationsmuster angeboten werden sollte. Die Kommissarfigur entsprach dabei der mittleren Generation und trat für junge Zuschauer als ein erstrebenswertes Vorbild auf. Wiederum konnte den mittleren und älteren Zuschauerjahrgängen durch die filmische Darstellung von nachvollziehbaren, altersorientierten Aufstiegsstrukturen eine Art Sicherheitsversprechen gemacht werden: das Versprechen, dass eine vitale mittlere Generation die neue gesellschaftliche Ordnung der Bundesrepublik aufbaut und sie gleichermaßen schützt. Mit dieser Beobachtung wird zugleich eine von Medienwissenschaftler Thomas Küpper unlängst geäußerte These entkräftet, dass die Hauptfiguren des (Fernseh-)Kriminalfilms in erster Linie lebenserfahrene Vaterfiguren seien.35 Solche Ermittler klärten den Fall entweder durch ihr lebenslang erworbenes Wissen auf, wie etwa Agatha Christie’s Hercule Poirot oder Miss Marple, oder sie näherten sich immer stärker dem Stereotyp des Psychologen, Priesters und Vaters an, wie Küpper an der Figur Derrick nachzeich32 Die Altersangaben beruhen auf Schätzungen. Im Stahlnetz wie auch im Blaulicht werden keine Altersangaben zu den Kommissaren gemacht. Auch in den Konzeptpapieren oder Drehbüchern lassen sich keine Hinweis auf das Alter finden. Als Referenz für die reale Alterssituation in der bundesrepublikanischen Polizei siehe: K. Weinhauer: Schutzpolizei in der Bundesrepublik, S. 75. 33 Vgl. ebd., S. 64. Das Eintrittsalter in den Polizeidienst wurde von den Bundesländern unterschiedlich geregelt, in Hamburg durfte es beispielsweise nicht über 25 Jahren liegen. Gleichzeitig gab es verschiedene Ansätze, ältere Bewerber einzustellen. Ebd., S. 71. 34 Hier sei auf die Folge »Sechs unter Verdacht« verwiesen. Ein im Vergleich zu den anderen jung wirkender Beamter soll in Bälde auf den Kommissarslehrgang gehen und hiernach zum Kommissar befördert werden können. Er ist nach Schätzung der Autorin ca. 30 Jahre alt. 35 Küpper, Thomas: Erfahrung und Skepsis. Altersfiguren des Kriminalgenres, in: Ruppert, Stefan (Hg.): Lebensalter und Recht. Zur Segmentierung des menschlichen Lebenslaufes durch rechtliche Regelungen seit 1750, Frankfurt a. M. 2010, S. 207–217.

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net. Wenngleich die These auf die von Küpper untersuchten Figuren passt, so ist sie mit Blick auf die Kriminalreihen Stahlnetz und Blaulicht nicht zu verallgemeinern, da alle hier untersuchten Ermittler längst nicht das gesetzte Alter der von Küppers untersuchten Figuren erreicht hatten. Während das Alter der Kommissare häufig von ihrem äußeren Erscheinungsbild ablesbar ist, lassen sich konkrete Aussagen über ihre Herkunft, Milieu und Vergangenheit nur schwer treffen. Da Konzeptpapiere und Aussagen der Filmemacher in diese Richtung fehlen, ist es ratsam erneut einen Seitenblick auf die bundesrepublikanische Polizeiwirklichkeit zu werfen. Eine Mitte der 1960er Jahre durchgeführte Umfrage ergab, dass der Anteil der quereinsteigenden Facharbeiter, der »sonstigen Angestellten« und der Berufssoldaten mit 71,8 % sehr hoch lag; die meisten Polizisten hatten also vor ihrer Beamtenlaufbahn eine andere Tätigkeit ausgeübt.36 Auf die Frage, warum ein Wechsel in den Polizeidienst erfolgt war, gaben etwa 22 % an, dass sie in der Nachkriegszeit eine Arbeit gesucht und keine andere Möglichkeit zu einem neuen Berufseinstieg gesehen hätten, da ihr alter Beruf ihnen nicht mehr zugänglich war. Ein unwesentlich höherer Prozentsatz gab an, im Polizeiberuf die ökonomische Sicherheit gesucht zu haben.37 Die Stahlnetz-Beamten weisen hingegen in vielen Folgen auf ihr geringes Gehalt hin, in ihren Augen scheinen sie also zu wenig zu verdienen. Allerdings wird die Höhe des Gehalts nie genannt und auch nicht zu anderen Berufen in Beziehung gesetzt. Nur 5,3 % der Befragten der oben genannten Studie gaben an, durch Dritte oder zufällig Polizist geworden zu sein. »Die Selbstrekrutierung der Polizei durch Söhne aus Polizeibeamtenfamilien ist im strikten Sinne nicht groß«, schlussfolgert die Autorin der Studie, Liselotte Hinz. Dennoch seien Polizeibeamte etwa 40 % der Befragten aus ihrem privaten Umfeld bekannt. Ein Großteil der interviewten Polizisten (84,1 %) hatte eine Volksschul- bis Mittelschulbildung, lediglich 14,1 % besaßen eine höhere Schuldbildung und nur 1,8 % hatten eine Universität besucht.38 Der Bildungsgrad der Stahlnetz-Polizisten wird in der einen oder anderen Folge ironisch aufgegriffen, vor allem, wenn ein Kollege »schlauer« als andere scheint. In der Folge »Verbrannte Spuren« muss daher ein Mitarbeiter des Morddezernats einen verbrannten Buchrest identifizieren und herausfinden, um welches Buch es sich handelt, weil er als Einziger Abitur hat. Bis auf diese wenigen Andeutungen bleibt unklar, ob die Stahlnetz-Beamten vor ihrem Polizeidienst einen anderen Beruf ausgeübt haben, ob Eltern, Freunde oder Bekannte bei der Polizei verbeamtet sind, welche Schulbildung sie genossen haben und was sie bewogen hat, 36 Hinz, Liselotte: Zum Berufs- und Gesellschaftsbild von Polizisten, in: Feest, Johannes/ Lautmann, Rüdiger (Hg.): Die Polizei. Soziologische Studien und Forschungsberichte, Opladen 1971, S. 122–146, S. 126. 37 Ebd., S. 128. 38 Ebd., S. 127.

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in den Polizeidienst einzutreten. Dies wären durchaus interessante Fragen im Hinblick auf eine etwaige Zuschauerbindung. Denn je mehr der Zuschauer über die Motivation für eine bestimmte Berufsentscheidung weiß, desto eher kann er diese nachvollziehen und womöglich auf seine eigene Wirklichkeit übertragen. Darüber hinaus können solche Informationen den Sympathiewert der Figur steigern und sie für den Zuschauer erfahrbarer machen. Eine Betrachtung von Alter und Herkunft der fiktiven wie realen Beamten fordert gleichsam eine Beschäftigung mit deren Vergangenheit heraus. Als Teil des nationalsozialistischen Herrschaftsapparates39 wurde die Polizei 1945 unter alliiertes Kommando gestellt. Vor allem die britische und die amerikanische Seite unternahmen den Versuch, eine »Entpolizeilichung« des Alltags und der Verwaltung durchzusetzen, die Polizei entsprechend zu reformieren und zu dezentralisieren.40 Gleichzeitig sollte ein personeller Neubeginn geschaffen werden – 85 % der oben genannten Studie erklärten, dass sie erst nach 1945 zur Polizei gekommen seien.41 Damit liegt gleichzeitig der Schluss nahe, dass 15 % über die »Stunde null« hinweg im Beamtendienst verblieben waren bzw. wieder eingestellt wurden. Die Zahlen bestätigen noch einmal, was den überlieferten Quellen bereits zu entnehmen ist: Entnazifizierung wurde mit unterschiedlicher Intensität je nach Besatzungszone und Kommune betrieben.42 Da die westlichen Alliierten den schnellen und effizienten Einsatz neuer Sicherheitskräfte anstrebten, wurden 1947/48 viele derer wieder eingestellt, die 1945 entlassen worden waren.43 Während ältere Studien zur Polizei39 Vgl. hierzu u. a.: Schulte, Wolfgang (Hg.): Die Polizei im NS-Staat. Beiträge eines internationalen Symposiums an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster, Frankfurt a. M. 2009 und F. Dierl/M. Hausleitner/M. Hölzl/et al. (Hg.): Ordnung und Vernichtung. Die Polizei im NS-Staat, Dresden 2011. 40 Vgl. u. a.: Richter, Jeffrey S.: »Entpolizeilichung« der öffentlichen Ordnung. Die Reform der Verwaltungspolizei in der britischen Besatzungszone 1945–1955, in: G. Fürmetz/ H. Reinke/K. Weinhauer (Hg.): Nachkriegspolizei, S. 35–50; Noethen, Stefan: Polizei in der Besatzungszeit. Vorstellungen und Einflüsse der Alliierten, in: Lange, Hans-Jürgen (Hg.): Die Polizei der Gesellschaft. Zur Soziologie der inneren Sicherheit, Opladen 2003, S. 77–90. 41 L. Hinz: Zum Berufs- und Gesellschaftsbild von Polizisten, in: J. Feest/R. Lautmann (Hg.): Die Polizei, S. 127. 42 Vgl. u. a.: G. Fürmetz/H. Reinke/K. Weinhauer: Nachkriegspolizei in Deutschland. Doppelte Polizeigeschichte 1945–1969, in: Dies. (Hg.): Nachkriegspolizei, S. 7–33, S. 12f., sowie Liebert, Frank: »Die Dinge müssen zur Ruhe kommen, man muß einen Strich dadurch machen«. Politische »Säuberungen« in der niedersächsischen Polizei 1945– 1951, in: G. Fürmetz/H. Reinke/K. Weinhauer (Hg.): Nachkriegspolizei, S. 71–103. 43 G. Fürmetz/H. Reinke/K. Weinhauer: Nachkriegspolizei in Deutschland, in: Dies. (Hg.): Nachkriegspolizei, S. 7–33, S. 13. Eine zweite »Welle« der Wiedereinstellung folgte mit

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geschichte hierin eine »Renazifizierung« der Polizei sahen,44 relativieren neuere Untersuchung diesen Vorwurf und zeigen auf, dass die Maßnahmen dennoch Erfolg hatten und ein Zurückkehren zu alten polizeilichen Praktiken nicht vollzogen wurde.45 Denn den wieder eingestellten Polizisten stand eine Überzahl neu eingestellter Beamter gegenüber, die »anders sozialisiert waren«. 46 Die Beteiligung der deutschen Kriminalpolizei an nationalsozialistischen Verbrechen und ihre enge Verbindung zur SS war den Siegermächten zwar häufig bekannt gewesen,47 aber vor allem die westlichen Alliierten besaßen keine wesentliche Kenntnis über die kriminalpolizeiliche Wirklichkeit im Nationalsozialismus.48 Zwar wurden SS-Mitglieder der der Ausführung des Artikels 131 GG über die »Wiederverwendung derjenigen Angehörigen des öffentlichen Diensts, die nach dem 8. Mai 1945 aus dem Dienst ausgeschieden und noch nicht oder nicht ihrer früheren Stellung entsprechend beschäftigt waren« (K. Weinhauer: Schutzpolizei in der Bundesrepublik, S. 121). Weinhauer arbeitet heraus, dass gegenüber den so genannten »131ern« in der nordrhein-westfälischen Polizei eine gewisse »Großzügigkeit« herrschte, und so wurden z. T. auch mehr als die gesetzlich geforderten 20 % wieder eingestellt. Gemäß einer Statistik der Polizeidirektion Bielefeld lag der Prozentsatz wieder eingestellter »131er« im gehobenen Dienst 1955 bei 68 %, 1959 hatte er sich auf 40 % gesenkt. In: ebd., S. 122–124. 44 Vgl. Werkentin, Falco: Die Restauration der deutschen Polizei. Innere Rüstung von 1945 bis zur Notstandsgesetzgebung, Frankfurt a. M./New York 1984, und Steinborn, Norbert/ Schanzenbach, Karin: Die Hamburger Polizei nach 1945. Ein Neuanfang, der keiner war, Hamburg 1990. 45 Vgl. K. Weinhauer: Schutzpolizei in der Bundesrepublik; G. Fürmetz/H. Reinke/K. Weinhauer: Nachkriegspolizei in Deutschland, in: Dies. (Hg.): Nachkriegspolizei, S. 7– 33; F. Liebert: »Die Dinge müssen zur Ruhe kommen, man muß einen Strich dadurch machen«, in: ebd., S. 71–103. Liebert schätzt vor allem die mentalen und habituellen Folgen der alliierten Maßnahmen als hoch ein, bemerkt jedoch auch, dass die »politischen ›Säuberungen‹« zu einer »Tabuisierung und perzeptiven Umwandlung von belasteten Teilen der Vergangenheit« führten. In: ebd., S. 101–102. 46 K. Weinhauer: Schutzpolizei in der Bundesrepublik, S. 125. 47 Vgl. u. a. P. Wagner: Volksgemeinschaft ohne Verbrecher; Roth, Thomas: »Verbrechensbekämpfung« und soziale Ausgrenzung im nationalsozialistischen Köln. Kriminalpolizei, Strafjustiz und abweichendes Verhalten zwischen Machtübernahme und Kriegsende (= Schriften des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln 15), Köln 2010; Roth, Thomas: Die Kriminalpolizei, in: F. Dierl/M. Hausleitner/M. Hölzl/et al. (Hg.): Ordnung und Vernichtung. Die Polizei im NS-Staat, Dresden 2011, S. 42–53. 48 Linck, Stephan: »To exploit this product of German genius … is surely good business«. Zur Personalpolitik der britischen Besatzungsmacht gegenüber der deutschen Kriminalpolizei nach 1945, in: G. Fürmetz/H. Reinke/K. Weinhauer (Hg.): Nachkriegspolizei, S. 105–127, Zitat S. 108. Die Geschichte der Kriminalpolizei in der Bundesrepublik wie

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Kripo teilweise ab 1946 wieder entlassen, wie Linck für die britische Besatzungsmacht herausarbeitet, aber auf das Spezialwissen der Beamten war nur schwer zu verzichten.49 Der Historiker Stefan Noethen konstatiert daher für Nordrhein-Westfalen: »Bei der Wiedereinstellungspraxis herrschte auf deutscher Seite schon sehr bald die Tendenz vor, über formale Belastungen hinwegzusehen, zumal dann, wenn es sich bei dem Bewerber um eine von der Ausbildung und Erfahrung her qualifizierte Person handelte«.50 Linck spitzt diese Praxis mit der Aussage zu, dass die Kriminalpolizisten des NS-Staates rehabilitiert wurden und mit ihnen das Ordnungsdenken, »das die Ausgegrenzten der Gesellschaft zum Problem erhob«.51 Die Personalstruktur des Polizeidienstes war während der Produktionszeit der Reihe Stahlnetz unweigerlich mit den Kontinuitäten und Brüchen zur nationalsozialistischen Vergangenheit verbunden. Doch spielte die Vergangenheit im polizeilichen Alltag und/oder in der Fernsehreihe Stahlnetz eine Rolle? Während bis zur Mitte der 1950er Jahre die NS-Vergangenheit in der realen Polizei allgemein beschwiegen, verdrängt und verharmlost52 wurde, brach zumindest in NordrheinWestfalen 1956 eine heftige Diskussion um die SS-Ränge leitender Kriminalbeamter los.53 Einen weiteren Schritt zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit der Polizei stellte die Einrichtung der Ludwigsburger Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen im Jahr 1958 dar. Klaus Weinhauer sieht um 1960 eine erkennbare Zäsur im Umgang mit der NS-Vergangenheit innerhalb der Polizei und ordnet diese in den allgemeinen gesellschaftlichen Wandel ein.54 Doch obwohl auch der DDR stellt ein Desiderat der deutschen Polizeigeschichte dar. Jüngst erschienen ist eine Studie zur frühen Geschichte des Bundeskriminalamtes I. Baumann/H. Reinke/ A. Stephan/et al.: Schatten der Vergangenheit. 49 Noethen, Stefan: Alte Kameraden und neue Kollegen. Polizei in Nordrhein-Westfalen 1945–1953, Essen 2003, S. 191. 50 »Besonders stark war auf deutscher Seite das Bestreben, frühere hochrangige Kriminalbeamte wieder für die Polizei zu gewinnen; solche Männer waren bald so begehrt, dass sie sich ihre Dienststelle gewissermaßen aussuchen konnten.« In: ebd., S. 245–246. 51 S. Linck: »To exploit this product of German genius … is surely good business«, in: G. Fürmetz/H. Reinke/K. Weinhauer (Hg.): Nachkriegspolizei, S. 105–127, S. 127. 52 Noethen benennt diese Topoi im Umgang mit der NS-Vergangenheit bis zum Ende seines Untersuchungszeitraumes Mitte der 1950er Jahre. S. Noethen: Alte Kameraden und neue Kollegen, S. 477f. 53 K. Weinhauer: Schutzpolizei in der Bundesrepublik, S. 127f. 54 Stellvertretend für eine mittlerweile überbordende Forschung zum Umgang mit der NSVergangenheit innerhalb der bundesdeutschen Gesellschaft vgl. u. a.: Loth, Wilfried/Rusinek, Bernd-A. (Hg.): Verwandlungspolitik. NS-Eliten in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, Frankfurt a. M. 1998; Reichel, Peter: Vergangenheitsbewältigung in Deutschland. Die politisch-justitielle Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur nach 1945,

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er für die 1960er Jahre einige Beispiele der Auseinandersetzung anführt, blieb die Beteiligung der Polizei an Gewaltverbrechen während des »Dritten Reiches« ein Tabu.55 Dieses Tabu setzte sich auf dem Fernsehbildschirm in der Reihe Stahlnetz fort. Gleichwohl sich die Vergangenheit des Nationalsozialismus in allen Biografien, ob auf oder hinter dem Bildschirm niederschlug56 und die Produktion in den Beginn eines umfassenden Wertewandelprozesses fiel, findet die Vergangenheit keinerlei Erwähnung in der Kriminalreihe. Sie bildet eine Leerstelle, etwas Unausgesprochenes – es sei denn, sie betrifft einen Täter und damit die Aufklärung eines Falles.57 Allerdings werden in diesem Zusammenhang nie Formulierungen wie »Drittes Reich« oder »Nationalsozialismus« gewählt, ebenso werden eine Thematisierung des Holocaust oder der durch den Krieg erlittenen Traumata (in der Bevölkerung) vermieden. Allein die letzten Kriegstage und die direkte Nachkriegszeit finden nur einmal Eingang, in den Dialogtext der 17. Stahlnetz-Folge. Kommissar Roggenburg erinnert sich in »Das Haus an der Stör« im Jahr 1963: Sie müssen sich nur die Zeit vor Augen halten. Sie müssen sich vorstellen, wie die Leute damals lebten. […]. Ich glaub’, das weiß niemand mehr genau. Wir können uns an die Zeit erinnern, wir können die Äußerlichkeiten nachlesen, aber wissen wir deshalb Bescheid? [Es folgen Originalbilder (wahrscheinlich Wochenschauaufnahmen) von überfüllten Bahnhöfen, Hamsterfahrten, fröhlichen Kriegsheimkehrern, Menschen, die für Essen anstehen, Anmerkung N. H.]58

Eine mögliche Schulddebatte der Deutschen stößt Roggenburg nicht an. Er sieht sie lediglich als Opfer des Krieges. Ob diese Ausblendung durch Roland und Menge, den NDR oder die Polizei selbst forciert wurde oder womöglich gar nicht in ihrem Bewusstseinshorizont war, muss aufgrund der fehlenden Quellen offen bleiben. Es Bonn 2003; Frei, Norbert: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, München 22003; Cornelißen, Christoph/Klinkhammer, Lutz/ Schwentker, Wolfgang (Hg.): Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945, Frankfurt a. M. 2003, hier im Besonderen: Wolfrum, Edgar: Die Suche nach dem »Ende der Nachkriegszeit«. Krieg und NS-Diktatur in öffentlichen Geschichtsbildern der »alten« Bundesrepublik Deutschland, in: ebd., S. 184–197. 55 K. Weinhauer: Schutzpolizei in der Bundesrepublik, S. 139f. Zeitgenössisch vgl. hierzu: Sektion Bayern des Komitee für Sauberkeit und Ordnung in der Polizei: Im gleichen Schritt und Tritt. Demokratie und Münchener Polizei, München 1963. 56 Zum biografischen Hintergrund der beiden Stahlnetz-Macher, Menge und Roland, siehe vorhergehendes Kapitel. Zu Alter und Sozialisation von Polizisten auf dem Bildschirm und den Straßen der Bundesrepublik siehe oben. 57 Vgl. hierzu Stahlnetz, »Das Haus an der Stör«. 58 Stahlnetz, »Das Haus an der Stör«, 0:06:00:–0:06:19.

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lässt sich jedoch aus dem Gesamtkonzept der Reihe schließen, dass die Macher wohl davon ausgingen, dass eine Auseinandersetzung um eine Täterschaft der Fernsehkriminalisten dem propagierten Image des Kommissars als integerem Staatsrepräsentanten und »Nachbar« (»Die Blaue Mütze«), geschadet hätte. So lässt sich festhalten, dass nicht nur die Vergangenheit der Stahlnetz-Ermittler offen bleibt, sondern auch ihre außerberufliche Zukunft in Form von Träumen und Plänen zur Gründung einer Familie sowie außerberuflichen Interessen. Damit bleiben die Ermittler auf dieser Ebene für den Zuschauer unnahbar und distanziert, aber gleichzeitig respektabel. Ein Blick auf die DDR-Krimireihe zeigt, dass auch hier die benannten, persönlichen Hintergründe weitgehend vermieden wurden. Lediglich in der vierten Folge »Kippentütchen«59 findet sich ein kurzer Hinweis darauf, dass Hauptmann Wernicke während des »Dritten Reiches« im Konzentrationslager interniert war. Bei der Untersuchung eines Mordfalls in einer Berliner Laubenkolonie fördern die Ermittler ein wichtiges Indiz zu Tage, das am Ende sogar den Täter überführen soll: ein Kippentütchen. Oberleutnant Thomas und Leutnant Timm stehen sichtlich ratlos vor dem entscheidenden Fund, doch ihr Vorgesetzter Hauptmann Wernicke kann ihnen erläutern, dass es häufig im »Knast« zum Einsatz komme, wo Tabak mehr Wert sei als Brot. Er selbst kenne die Kippentütchen aus dem »KZ«60 – zum Beweis dreht er daraufhin eins. Der Ton des Kommissars verändert sich hier merklich von einem locker erklärenden zu einem distanzierten, beinahe abgerückten; den letzten Halbsatz flüstert er fast unhörbar. Währenddessen dreht er sich von seinen Mitarbeitern weg in die Kamera und läuft auf diese zu, so dass der Zuschauer ihn genau beobachten kann: Sein Gesicht wirkt starr, fast eingefroren und könnte als Hinweis auf eine schwere Vergangenheit während der NS-Zeit gedeutet werden. Im Gegensatz zur Stahlnetz-Reihe war es hier, im Jahr 1959, zumindest für einen Moment möglich, ein durch den Nationalsozialismus bedingtes Trauma anzudeuten. Im Sinne einer antifaschistischen Lesart kann Wernicke als politischer 59 Blaulicht, »Kippentütchen«, Folge 4, 14. 1. 1960. 60 Ebd., 0:22:43–0:22:49. Auch Richard Bessel stellt heraus, dass ein nicht geringer Anteil, wenngleich nicht die Mehrheit der mecklenburgischer Polizisten ehemalige KZ-Häftlinge oder Spanienkämpfer waren (Bessel, Richard: Die Volkspolizei und das Volk. Mecklenburg-Vorpommern 1945 bis 1952, in: Melis, Damian von [Hg.]: Sozialismus auf dem Lande. Tradition und Transformation in Mecklenburg-Vorpommern von 1945 bis 1952, Schwerin 1999, S. 17–40). Hans Warnke, Mitglied der KPD-Landesleitung, äußerte sich 1945 zum Aufbau der Polizei in diesem Sinne: »Es muß auch hier ein neuer Geist sein, und das ist nur möglich, wenn neue Menschen in diesen Stellen sind. Hierzu werden Leute aus den Konzentrationslagern am besten geeignet sein«. In: Ministerium des Innern (Hg.): Geschichte der Deutschen Volkspolizei. Band 1: 1945–1961, Berlin (O) 21987, S. 14.

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Gefangener gedeutet werden, dessen Inhaftierung die Authentizität seiner sozialistisch-kommunistischen Überzeugung steigert und für den Zuschauer nachfühlbar macht. Auf emotional-subversiver Ebene wurde damit der antifaschistische Aufbaumythos der DDR61 untermauert, womit der zuschauende Bürger in anderen Zusammenhängen platt und offen konfrontiert war. Gleichzeitig lenkt Wernickes Aussage den Blick davon ab, dass auch er ein Täter während des Nationalsozialismus gewesen sein könnte. Schließlich vollzog auch die DDR den Bruch mit der Vergangenheit längst nicht so weitreichend, wie offiziell verlautbart. In vielen Bereichen war auf frühere (und möglicherweise belastete) Fachkräfte nicht zu verzichten. Personelle Kontinuitäten fanden sich daher auch in ostdeutschen Polizeikreisen. Im Januar 1949 waren beispielsweise in Mecklenburg noch immer 73,7 % ehemalige Wehrmachtsangehörige im Dienst.62 Trotz dieser Zahlen, die wie in den westlichen Besatzungszonen bzw. der späteren Bundesrepublik lokal differierten, hat die bisherige Forschung herausgearbeitet, dass die Entnazifizierung in der SBZ deutlich weiter reichte – immerhin sollte die Polizei die neue sozialistische Gesellschaftsordnung schützen.63 Daher wurden vor allem Schlüsselpositionen mit linientreuen Kommunisten, die aus dem Exil zurückkehrten, besetzt, z. T. auch unabhängig von Fachkenntnis und Bildungsniveau.64 Ebenso viel Aufmerksamkeit wie der Vergangenheit schenkte der realsozialistische Staat und seine Propaganda der Herkunft bzw. dem Milieu seiner Bewohner. 61 Vgl. hierzu u. a.: S. Meuschel: Legitimation und Parteiherrschaft, S. 29–40. 62 R. Bessel: Die Volkspolizei und das Volk, in: D. v. Melis (Hg.): Sozialismus auf dem Lande, S. 17–40, S. 25. 63 Reinke, Herbert: »Ordnung, Sicherheit und Hilfe«. Die Anfänge der Volkspolizei in den sächsischen Großstädten Leipzig und Dresden 1945–1947, in: G. Fürmetz/H. Reinke/ K. Weinhauer (Hg.): Nachkriegspolizei, S. 51–70, hier S. 59. Zum Aufbau der Volkspolizei in der Nachkriegszeit vgl. auch: Bessel, Richard: Polizei zwischen Krieg und Sozialismus. Die Anfänge der Volkspolizei nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Jansen, Christian/ Niethammer, Lutz/Weisbrod, Bernd (Hg.): Von der Aufgabe der Freiheit. Politische Verantwortung und bürgerliche Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert, Berlin 1995, S. 517–532; Bessel, Richard: Grenzen des Polizeistaates. Polizei und Gesellschaft der SBZ und frühen DDR, 1945–1953, in: Bessel, Richard/Jessen, Ralph (Hg.): Die Grenzen der Diktatur. Staat und Gesellschaft in der DDR, Göttingen 1996, S. 224–253. 64 T. Lindenberger: Volkspolizei, S. 38–39. Lindenberger schätzt den Neuaufbau der Volkspolizei in der SBZ unter »personalpolitischem Gesichtspunkt als historisch einmaliges Experiment« ein, da die »neuen Machthaber« Polizisten des »Dritten Reiches« und Angehörige anderer NS-Organisationen nicht oder nur in geringem Umfang einstellten (ebd., S. 40). Allerdings liegen keine konkreten Untersuchungen zur Kriminalpolizei vor, deren Spezialwissen sich deutlich vom »einfachen« Schutzmann auf der Straße unterschied.

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Im »Arbeiter-und-Bauern-Staat« zählte die Zugehörigkeit zur »Arbeiterklasse« zum ideologischen Konstrukt der DDR. Selbst wenn man nicht der genuinen Schicht des so genannten Produktionsarbeiters angehörte, musste eine Verbindung zur »herrschenden Klasse«, z. B. durch Mitgliedschaft in der SED, das Aussehen oder den sozialen Habitus, hergestellt werden.65 Die DDR hielt bis zu ihrem Ende am Konstrukt des »Arbeiters« fest und propagierte dieses Selbstbild in allen offiziellen Verlautbarungen und ihren Medien. So findet sich der in der DDR sehr weit ausgelegte Begriff auch in einer Vielzahl kriminalpolizeilicher Kaderakten. 1958 waren etwa 82 % der Kriminalpolizisten der sozialen Herkunft nach Arbeiter.66 Vergleicht man das Ideal des Arbeiters im Sinne des Sozialistischen Realismus mit den drei Kriminalermittlern, ist es der volksschulgebildete67 Hauptmann Wernicke,68 der diesem Ideal am ehesten entspricht. Seine Mitarbeiter Thomas und Timm brillieren hingegen mit kriminaltechnischem Wissen,69 was auf eine höhere Schulbildung schließen lässt. Für eine genaue Kennt-

65 Zum ideologischen Konstrukt des »Arbeiters«, wenngleich stark verallgemeinert: »Es war eine Absurdität zu behaupten, die ostdeutschen Arbeiter hätten die politische Herrschaft ausgeübt. Aber das soziale Zepter hielten sie in der Hand. Anschauungen, Meinungen, Konventionen, Kleidungs- und Konsumgewohnheiten und nicht zuletzt die Alltagssitten richteten sich nach den Normen und Idealen der arbeitenden Klasse. Weil es sich um eine arbeitende Klasse handelte, nicht um eine genießende, den körperlichen Kräften eine wesentliche Rolle zukam, besaßen diese Normen und Ideale einen unverkennbar männlichen Einschlag. […] Noch im leiblichen Gestus imitierten Ingenieure, Werkleiter und Universitätsprofessoren den männlichen Arbeiter, wenn sie ungeniert ihren Bauch oder ihre sexuelle Potenz zur Schau stellten«. In: Engler, Wolfgang: Die Ostdeutschen als Avantgarde, Berlin 52008, S. 200. 66 T. Lindenberger: Volkspolizei, Tabelle S. 224; zum Arbeiterbegriff siehe: ebd., S. 219. 67 Lindenberger führt für das Jahr 1958 eine Quote von 91,7 % volksschulgebildeten Kriminalisten an. Diese lag im Vergleich zu anderen Abteilungen am zweitniedrigsten (ebd., S. 225). Wenngleich der Blaulicht-Krimi nicht als 1:1-Umsetzung der realen Verhältnisse verstanden werden darf, sondern als fiktive Aufbereitung realistischer Kontexte, kann Lindenbergers Untersuchung als mögliche Richtung gedeutet werden. 68 Der Schauspieler, der Hauptmann Wernicke über die gesamte Produktionszeit sein Gesicht lieh, wurde 1918 in Wilhelmshaven geboren. Nach dem Krieg bestand er die Aufnahmeprüfung am Theaterinstitut in Weimar und begann eine einjährige Ausbildung. Hiernach folgten mehrere Theaterstationen, bis er 1959 zum Berliner Ensemble und den Deutschen Fernsehfunk wechselte. In: Tribüne, 29. 5. 1970, in: BArch, DX 3/73. 69 Zwar kommentiert auch Wernicke die kriminaltechnischen Untersuchungen, aber wesentlich seltener als seine Mitarbeiter, die ein tieferes Technikverständnis aufweisen, und wenn, häufig bildbegleitend als Off-Kommentar. Die Auswertung der kriminaltechni-

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nis der Paragrafen ist wiederum der Staatsanwalt zuständig. Er spielt in dieser Reihe im Vergleich zum Stahlnetz ohnehin eine starke Rolle – so ist er bei Vernehmungen und Besprechungen oft anwesend.70 Hauptmann Wernicke beweist dagegen Einfühlungsvermögen und kann sich in die Psyche seines Gegenübers, vor allem der Jugendlichen aus der Arbeiterschicht, hineindenken. Er bildet gleichsam die moralische Instanz des Ermittlerkollektivs, denn er sieht nicht nur die Tat, sondern auch den Menschen dahinter. Dies belegt Wernicke auf eindrucksvolle Weise in der Folge »Prozeß Jutta H.«,71 als er sich vor Gericht für die Angeklagte und tatsächliche Kindsmörderin einsetzt. Ebenso zeichnet er sich durch Bodenständigkeit und Familiennähe aus. Gerade in dieser Zeichnung wirkt er zugänglich und sympathisch und verspricht damit eine hohe Zuschauerbindung. Mit Blick auf die personelle Schichtung der realen DDR-Kriminalpolizei hat Thomas Lindenberger herausgearbeitet, dass die eher diffuse Kategorie »Angestellte und Sonstige« mit einem höheren Prozentsatz vertreten war als jener »Arbeiter«, allerdings wurden die Zahlen in der Statistik nicht weiter ausdifferenziert. Grundsätzlich hält Lindenberger für das Ende der 1950er Jahre fest, dass das Personal der Kriminalpolizei jung und z. T. gebildet war und in nicht wenigen Fällen aus ehemaligen Angestellten bestand. »Hier lassen sich Konturen einer Gruppe junger aufstiegsorientierter Professionalisten erkennen«, die nur wenig Erfahrung aus der Arbeiterbewegung der Weimarer Zeit mitbrachten.72 Die beschriebenen Verhältnisse lassen sich auch auf zwei der drei Hauptfiguren der Reihe Blaulicht spiegeln. Wernickes Mitarbeiter Oberleutnant Alexander Thomas und Leutnant Horst Timm können der Kategorie der »jungen Professionalisten« zugerechnet werden. Beide sind zwischen 30 und 35 Jahren alt – zumindest dem äußeren Anschein nach – und entsprechen damit ebenfalls einer der stärksten Gruppe der realen Kriminalpolizei.73

schen Untersuchung bleibt dem Kriminaltechniker selbst vorbehalten. Siehe beispielsweise in Blaulicht, »Splitter«, Folge 10, 8. 12. 1960, 0:33:00ff. 70 Vgl. hier ebd. 71 Blaulicht, »Prozeß Jutta H.«, Folge 22, 28. 5. 1964. 72 T. Lindenberger: Volkspolizei, S. 227. 73 T. Lindenberger: Volkspolizei, S. 220–222. Der Schauspieler Alexander Papendieck wurde am 28. 2. 1928 in Dresden geboren. Nach kurzem Kriegsdienst begann er in der Nachkriegszeit eine Schauspielausbildung und wurde für das Theater verpflichtet. In den 1950er Jahren spielte er in diversen DEFA-Produktionen. Ende der 1950er Jahre wechselte er zum DFF. Mit der Reihe Blaulicht wurde er bekannt, und er spielte später in weiteren Krimis die Rolle eines Oberleutnants, manchmal sogar unter gleichem Namen. Er verstarb im Jahr 1974. Vgl. hierzu: http://www.filmportal.de/df/72/Credits,,,,,,,,F251 F108EBEB40DEB5114EDD6E3D9F2credits,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,.html; Nachruf in: Neues Deutschland, 30. 8. 1974, in: BArch: DX 3/ 461.

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Mit Blick auf die Zeichnung der Charaktere lassen sich jedoch noch feinere Unterschiede zwischen Timm und Thomas herausarbeiten. Thomas (Abb. 24) scheint aufgrund seiner oft elaborierten Sprache, aber auch des bereits aufgezeigten kriminaltechnischen Sachverstandes wegen eine höhere Schulbildung genossen zu haben.74 Könnte er aufgrund dieses Indizes sogar als Intellektueller oder »Intelligenzler« bezeichnet werden, oder ginge eine solche Bezeichnung im Sinne einer volksnahen Inszenierung fehl? Gerade Begriff der »Intelligenz« war zumindest im ersten Nachkriegsjahrzehnt von z. T. negativen Vorstellungen über eine bewusst reaktionäre Gruppe überformt, die noch immer in der bürgerlichen Welt verankert war.75 Da Oberleutnant Thomas in seiner Zeichnung durchweg positiv erscheint, ist zumindest der in der DDR negativ besetzte Begriff des »Intelligenzler« hier nicht anzuwenden. Schließlich tritt der Anfangdreißiger als Vorbild auf, denn er ist durch Bildung und Integrität bereits zum Oberleutnant der Volkspolizei befördert worden.

Der Schauspieler Horst Torka wurde am 30. 7. 1926 in Gleiwitz geboren und verstarb am 16. 3. 2005. Ob er ebenfalls Kriegsdienst geleistet hatte wie alle anderen Akteure der beiden Reihen, konnte nicht abschließend geklärt werden. Gemäß seiner Filmografie war er vor und neben seiner Tätigkeit beim DFF ebenfalls bei der DEFA und wahrscheinlich auch beim Theater beschäftigt. Weitergehende lebensgeschichtliche Zusammenhänge des Schauspielers müssen offen bleiben. Vgl.: http://www.imdb.de/-name/nm0868075/ sowie http://www.filmportal.de/df/9c/Uebersicht,,,,,,3A9AF1E364DC42EB9988AB14DF712E8F,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,.html] 74 Als Gegensatz zu seinem kriminologischen Fachwissen wird Thomas’ fehlendes technisches Verständnis für die Zusammensetzung einer Pkw-Lenkung, die er für seine Führerscheinprüfung kennen muss, humorig inszeniert. Vgl. Blaulicht, »Das Gitter«, Folge 15, 25. 2. 1962. 75 Herzberg, Guntolf: Anpassung und Aufbegehren. Die Intelligenz der DDR in den Krisenjahren 1956/58, Berlin 2006, S. 26. Eine genaue Definition wurde in den 1950er Jahren jedoch nicht gegeben, wie der DDR-Historiker Kowalczuk festhält. Erst in den 1960er Jahren sah man die »Intelligenz« als »soziale Schicht der berufsmäßigen Geistesschaffenden« an. Siehe: Kowalczuk, Ilko-Sascha: Geist im Dienste der Macht. Hochschulpolitik in der SBZ/DDR 1945 bis 1961, Berlin 2003, S. 40–41.

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Abb. 24 und Abb. 25: Oberleutnant Thomas (l.) und Leutnant Timm (r.; Blaulicht, »Heißes Geld«, Teil I).

Die soziale Herkunft der Figur des Leutnants Timm (Abb. 25) ist allein aus dem Filmmaterial und den vorhandenen Produktionsunterlagen heraus schwer zu verorten. Er ist nur wenig jünger als Thomas, gilt jedoch als Nachwuchskriminalist, der sich im Verlauf der Folgen durch Fleiß nach oben arbeitet, entsprechende Lehrgänge mit sehr guten Bewertungen abschließt und vom VP-Meister zum Leutnant befördert wird.76 Obwohl er technischen Sachverstand beweist und immer wieder durch sein gutes kriminalistisches Gespür auffällt, bleiben Verweise auf seine Schulbildung außen vor. Wie Oberleutnant Thomas ist er als »junger Professionalist« zu bezeichnen, der sich vor allem durch Motivation und Aufstiegswillen auszeichnet, ohne im sozialistisch negativ gedeuteten Sinne »karrieristisch« zu sein. Timm weist von allen drei Charakteren das größte Entwicklungspotenzial auf – nicht nur beruflich, sondern auch privat, wie noch auszuführen ist – und könnte daher vor allem von jüngeren Zuschauern als Vorbild begriffen worden sein. Mit den drei hier vergebenen Kategorien des Arbeiters (Wernicke), des Gebildeten (Thomas) und des fleißigen Jung-Professionalisten (Timm) sind für ein disparates Fernsehpublikum Identifikationsanreize geschaffen worden, die über eine Charakterbindung im Sinne von Sympathie und Antipathie hinausgingen und die soziale Schichtung des Publikums abzubilden versuchten. Zudem wird – ähnlich wie im Stahlnetz der Bundesrepublik – das Sicherheitsversprechen der FernsehKriminalpolizei auf unterschiedliche Generationen verteilt. Männlichkeit Folgt man der Auffassung der Geschlechtergeschichte, sind Männlichkeit und Weiblichkeit gesellschaftliche Konstrukte, die sich erst in der und durch die soziale Praxis entwickeln und festschreiben. Die Verortung des Individuums als männlicher

76 Siehe u. a.: Blaulicht, »Splitter«, 0:53:50–0:53:54.

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oder weiblicher Teil der Gesellschaft ist dabei häufig von äußeren gesellschaftlichen Anforderungen und Zwängen bestimmt.77 Die zu erfüllenden Rollenmuster variieren je nach gesellschaftlichem Kontext und seiner Epoche.78 So hat das Geschlechterverständnis während des 20. Jahrhunderts eine starke Wandlung vollzogen. Es war geprägt durch die verschiedenen politischen Systeme sowie eine Modernisierung des täglichen Lebens. Gerade für die 1950er und 1960er Jahre war ein erheblicher Wandel im Geschlechterdiskurs zu verzeichnen.79 Die hier im Blickpunkt stehenden Polizeien der Bundesrepublik und der DDR waren in nur geringem Maße gegenüber einer Veränderung des bestehenden Geschlechtermodells aufgeschlossen. Zwar beschäftigten beide Länder auch Frauen im Polizeidienst, aber das Ideal des Polizisten blieb vorerst ein zutiefst männliches. Weinhauer stützt sich in seiner Untersuchung zur Schutzpolizei der Bundesrepublik u. a. auf eine westdeutsche Umfrage aus den Jahren 1957/1958 zum »Ideal des echten Mannes«. Die Befragung wurde vorwiegend bei Männern aus der Unterschicht durchgeführt; jener Schicht, die auch in der Schutzpolizei überproportional vertreten war. »Echte« Männer zeichneten sich demnach durch körperliche Stärke

77 Vgl. u. a.: Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt a. M. 1991, und Butler, Judith: Performative Akte und Geschlechterkonstitutionen. Phänomenologie und feministische Theorie, in: Wirth, Uwe (Hg.): Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt a. M. 2002, S. 301–322. 78 Vgl. hierzu u. a.: Conrad, Anne: Frauen- und Geschlechtergeschichte, in: Maurer, Michael (Hg.): Neue Themen und Methoden der Geschichtswissenschaft (= Aufriß der Historischen Wissenschaften 7), Stuttgart 2003, S. 230–293; Dölling, Irene/Krais, Beate (Hg.): Ein alltägliches Spiel. Geschlechterkonstruktionen in der sozialen Praxis, Frankfurt a. M. 1997; Frei Gerlach, Franziska/Kreis-Schinck, Annette/Opitz, Claudia/et al. (Hg.): Körperkonzepte. Interdisziplinäre Studien zur Geschlechterforschung, Münster, New York, München, Berlin 2003; Frevert, Ute: Umbruch der Geschlechterverhältnisse. Die 60er Jahre als geschlechterpolitischer Experimentierraum, in: A. Schildt/D. Siegfried (Hg.): Dynamische Zeiten, S. 642–660; Hausen, Karin: Öffentlichkeit und Privatheit. Gesellschaftpolitische Konstruktionen und die Geschichte der Geschlechterbeziehungen, in: Dies./Wunder, Heide (Hg.): Frauengeschichte - Geschlechtergeschichte, Frankfurt a. M. 1992, S. 81–88; J. Meyer-Lenz (Hg.): Die Ordnung des Paares; Neverla, Irene: Männerwelten – Frauenwelten. Wirklichkeitsmodell, Geschlechterrollen, Chancenverteilung, in: K. Merten/S. J. Schmidt/S. Weischenberg (Hg.): Die Wirklichkeit der Medien, S. 257– 276 und Paulus, Julia: Familienrollen und Geschlechterverhältnisse im Wandel, in: M. Frese/J. Paulus/K. Teppe (Hg.): Demokratisierung und gesellschaftlicher Aufbruch, S. 107–119. 79 Ausführlich siehe Abschnitt »Privatleben«.

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und Präsenz aus und wussten diese in passenden Situationen einzusetzen, ansonsten handelte »Mann« kontrolliert.80 Im Gegensatz zu dem betont körperlichen Ideal der westdeutschen Schutzpolizei oder den medialen Inszenierungen von Comic- oder Westernhelden wie Superman oder dem pistolenzückenden Gary Cooper aus dem Hollywood-Kinofilm High Noon81 orientierte sich die Gestaltung der Fernsehkriminalisten an einem betont konsensfähigen männlichen Gestus.82 Die deutschen Ermittler waren damit auch im Gegensatz zum US-amerikanischen Vorbild Dragnet konzipiert, in dem Sergeant Friday und seine Kollegen die körperliche Auseinandersetzung mit Verbrechern nicht scheuten. Schlägereien sind im Stahlnetz und Blaulicht selten. Die deutschen Fernsehmacher präferierten also einen Kommissar, der sich nicht allein durch körperliche Stärke, sondern vor allem durch Intelligenz auszeichnete. Denn nur auf diese Weise, so die These, konnte der Zuschauer auch Vertrauen in den Staat, sein Rechtsgefüge und Repräsentanten sowie seine Normen und Werte gewinnen. Die Männlichkeit der Kriminalisten wird auf vier Ebenen inszeniert: Besonders augenfällig ist erstens die Tatsache, dass ausschließlich Männer die Ermittlungen führen. Auch wenn weibliche Kriminalpolizeibeamte in beiden Reihen auftreten, 80 K. Weinhauer: Schutzpolizei in der Bundesrepublik, S. 102f. Vgl. zur aktuellen Forschung zum Männlichkeitsbild der Polizei und dem Konzept der hegemonialen Männlichkeit: Behr, Rafael: Cop Culture – der Alltag des Gewaltmonopols. Männlichkeit, Handlungsmuster und Kultur in der Polizei, Opladen 2000. 81 »High Noon«, 1952, Regie: Fred Zinnemann, USA. 82 Betrachtet man zeitgenössische Darstellungen von Männern im Referenzmedium Werbung, fällt auf, dass Stahlnetz-Regisseur Roland sich an einem Männertyp orientierte, der als »der Erfolgreiche« bezeichnet werden kann. In einer soziologischen Verlaufsanalyse der leserkräftigen Zeitschriften Auto Motor Sport, Stern und Brigitte konnte der Autor Guido Zurstiege fünf verschiedene Männlichkeitstypen zwischen 1950 und 1990 differenzieren. Die Fernsehermittler des Stahlnetz sind hierbei eindeutig der Gruppe zuzuordnen, die sich als sachverständig und erfolgreich ausweist. Einschlägig für den StahlnetzErmittler und damit wieder für den zugewiesenen Männertyp war der deutlich fehlende Sinn für Romantik, korrespondierend mit den Ausführungen zum Privatleben der Ermittler (Zurstiege, Guido: Mannsbilder – Männlichkeit in der Werbung. Zur Darstellung von Männern in der Anzeigenwerbung der 50er, 70er und 90er Jahre, Opladen, Wiesbaden 1998, S. 160). Werbung wird hier als Referenzrahmen herangezogen, da es ebenso ein Bildmedium ist, das mit einer Kombination aus Text und Ikone arbeitet und so, ähnlich wie der Film, Rückschlüsse auf die Mentalitäten der Entstehungszeit zulässt. Vgl.: Gries, Rainer/Ilgen, Volker/Schindelbeck, Dirk: Ins Gehirn der Masse kriechen! Werbung und Mentalitätengeschichte, Darmstadt 1995. Zur Konstruktion von Männlichkeit vgl. auch: Perry, Joe: Healthy for Family Life. Television, Masculinity and Domestiv Modernity during West Germany’s Miracle Years, in: German History 25 (2007), H. 4, S. 560–595.

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werden sie bis auf wenige Folgen marginalisiert. Erst mit der Initialisierung der Reihe Polizeiruf 110 im Fernsehen der DDR wurde auch eine weibliche Ermittlerfigur eingeführt. Das westdeutsche Fernsehen benötigte für diese Entwicklung erheblich länger.83 Das Arbeitsgebiet der weiblichen Fernsehpolizisten ist ebenfalls klar von dem ihrer männlichen Kollegen – den realen Vorgaben entsprechend – auf das Verhör von Frauen, Jugendlichen und Kindern sowie die Überführung dieser Gefangenen begrenzt.84 Die Ergreifung der Täter und damit die Herstellung von Sicherheit und Ordnung sind den männlichen Ermittlern vorbehalten. Damit wurde die auch in den 1950er Jahren zumindest in der Bundesrepublik weithin propagierte Dichotomie bestätigt, dass Männer dem Bereich des Öffentlichen angehören und Frauen eher im Privaten kompetent sind.85 Zwar wurde toleriert, dass Frauen arbeiten, jedoch nur bis zum Eintritt in die Ehe.86 Die im Stahlnetz abgebildeten Frauen der Weiblichen Kriminalpolizei (WKP) sind weder verheiratet, noch haben sie Kinder; im Blaulicht tritt eine in diesem Bereich arbeitende Frau gar nicht in Erscheinung. Auf dieser Ebene ist darüber hinaus ein weiterer Aspekt augenfällig: nur Männer verfügen über kriminalistisches und kriminaltechnisches Wissen und wenden dieses an – Frauen werden davon so gut wie ausgeschlossen.87 Dadurch verstärkt sich die Bedeutung der Männer, wird doch in beiden Sendungen die Effizienz und Unabdingbarkeit der Technik bei der Aufklärung von Straftaten betont. Die zweite Ebene, auf der Männlichkeit – allerdings ausschließlich in der westdeutschen Kriminalreihe – hergestellt wird, greift auf die historische Entwicklung des polizeiinternen Ideals von Männlichkeit zurück. Noch in der Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts88 und auch über die Zäsur von 194589 hinweg zeichneten sich vor allem Schutzpolizisten durch die soldatischen Tugenden Mut, Tapferkeit, Überlegtheit bis hin zur Kaltblütigkeit90 sowie eine sportliche Erscheinung aus; die stolz geschwellte und gut durchtrainierte Brust wurde während der Streifengänge 83 Kubitz, Peter Paul/Waz, Gerlinde (Hg.): Die Kommissarinnen. Fotografien von Herlinde Koelbl, Berlin 2004. 84 Näheres siehe Abschnitt »Weibliche Kriminalpolizei«. 85 Allgemein zur Dichotomie »öffentlich – privat« siehe K. Hausen: Öffentlichkeit und Privatheit, in: Dies./H. Wunder (Hg.): Frauengeschichte – Geschlechtergeschichte, S. 81– 88. Siehe auch Abschnitt »Privatleben«. 86 Siehe u. a.: C. v. Oertzen: Teilzeitarbeit und die Lust. 87 Eine Ausnahme bildet die Blaulicht-Folge »Kippentütchen«. Hier übernimmt eine Frau die Rolle der KTI-Mitarbeiterin und sogleich flirtet Oberleutnant Thomas mit ihr, um schneller Informationen zu erhalten. Im Stahlnetz treten keine Frau im Bereich der Kriminaltechnik auf. 88 D. Schmidt: Schützen und Dienen, S. 171–176. 89 K. Weinhauer: Schutzpolizei in der Bundesrepublik, S. 141–145. 90 Ebd., S. 101.

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präsentiert. Wenngleich die soldatischen Tugenden bei der Kriminalpolizei bereits während der Weimarer Zeit immer stärker in den Hintergrund traten, blieben sie trotz allem Bestandteil der polizeilichen Sozialisation. Daneben pflegte die Kriminalpolizei ein intellektuelles Image, schließlich erforderte ihr Beruf ein gewisses Bildungsniveau, um die kriminaltechnischen und kriminalistischen Hintergründe adäquat erfassen zu können. Vergleicht man nun den Fernsehheld mit diesem historisch entwickelten Ideal, muss auch er sich einer Reihe männlicher Attribute fügen. Wenngleich die Kriminalisten nicht unbedingt die Anforderungen muskulöser Athleten erfüllen, treiben einige Stahlnetz-Ermittler in polizeieigenen Einrichtungen Sport – vor allem leitende Kommissare.91 Auffällig ist jedoch, dass dies nur einmal auf bildlicher Ebene Erwähnung findet. In der Folge »E 605« sucht Obersekretär Richter Hauptkommissar Opitz in einem Fitnessraum der Polizei auf und kommentiert das Schwitzen seines Chefs ironisch: »Sagen Sie mal, warum machen Sie das überhaupt? Ich würde lieber zeitig ins Bett gehen, in ihrem Alter …«. Jener antwortet: »Das könnte Ihnen auch nicht schaden. […] Das ist alles Fett, mein Lieber«.92 Die belehrenden Hinweise haben jedoch keinen Erfolg, Richter verlässt den Fitnessraum mit einem verschmitzten Lächeln. Doch auch wenn nicht jeder Kommissar Sport treibt, wird in allen Stahlnetz-Folgen stets betont, dass die Kriminalisten nicht untätig in ihren Büros sitzen, sondern für ihre Ermittlungen vor Ort unterwegs sind. Kommissar Wetzlars Stöhnen, dass er sich nach dem Fund der »Blauen Mütze« gleich wieder an die »Rennerei« gewöhnen müsse, ist nur ein Beispiel hierfür. Die meisten sind also keine »Schreibtisch-Kriminalisten« (mit Ausnahme der höher bediensteten Kriminalräte93) und können eine Verfolgungsjagd des Täters problemlos bestehen, ohne außer Atem zu geraten. 94 Wie bereits angedeutet, finden Sport und körperliche Gesundheit in der Reihe Blaulicht keine Erwähnung.95 Für beide Reihen gilt zudem, dass der Zuschauer nicht mit intimer Körperlichkeit konfrontiert wird. Das Verhältnis zwischen dem Körper des Schauerspielers und damit des fiktiven Helden und dem Zuschauer blieb distanziert. Ein sportlicher, vielleicht sogar nackter Männerkörper hätte die Sehgewohnheiten der zeitgenössischen Zu91 Dennoch ist die im Stahlnetz gezeigte körperliche Betätigung nicht mit dem späterer Tatorte vergleichbar, in denen die Kommissare beispielsweise joggen. 92 Stahlnetz, »E 605« (2), 0:08:00–0:08:14. 93 Wie z. B. Kriminalrat Kerkhahn in Stahlnetz, »Das 12. Messer«, Folge 5, 20. 11. 1958. 94 Vgl. u. a.: Stahlnetz, »Aktenzeichen: Welcker«; Stahlnetz, »E 605«; Stahlnetz, »In der Nacht zum Dienstag …«, Folge 14, 7. 11. 1961; Stahlnetz, »Ein Toter zuviel«, Folge 22, 14. 3. 1968. 95 Einzige Ausnahme bildet die Folge »Freizügigkeitsverkehr«. Leutnant Timm erreicht den Campingplatz mit einem Ruderboot vom Wasser aus. Die Wahrung körperlicher Fitness, um jedem Verbrecher hinterher laufen zu können, findet im Blaulicht nicht statt. In: Blaulicht, »Freizügigkeitsverkehr«, Folge 23, 18. 10. 1964.

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schauer wohl auch überfordert – vor allem im Hinblick auf die fast prüde Einstellung zu Sexualität und das geltende Jugendschutzgesetz.96 Die männlichen Kriminalisten beider Staaten zeichnen sich drittens durch Rationalität im Umgang mit dem Verbrechen, den Tätern und Zeugen aus. Die Ermittler sprechen in einem abgeklärten, unaufgeregten Tonfall und fällen ihre Entscheidungen reaktionsschnell und ohne Zögern. Ihren Gegenpart bilden entweder Zeugen, Täter oder Opfer, die ängstlich, irrational oder heftig reagieren. Einen weiteren Gegensatz bilden zumindest im Stahlnetz die Kolleginnen der Weiblichen Kriminalpolizei. Oberkommissar Bade (»Die Tote im Hafenbecken«)97 beispielsweise weiß, dass ihm die Hände gebunden sind, wenn vergewaltigte Mädchen ihre Peiniger nicht anzeigen. Die Kommissarin der WKP hingegen steht diesem Fall konsterniert und empathisch gegenüber und muss resigniert zugeben, dass das »keine angenehmen Aussichten sind«.98 Eine vierte Ebene der Männlichkeit findet mit der Inszenierung von Familie und Vaterschaft nur Eingang in die Reihe Blaulicht.99 Zwar gibt es durchaus StahlnetzErmittler, die verheiratet sind und Kinder haben, aber für Menge und Roland ist dieser Konnex nicht konstitutiv für das Männlichkeitsideal. Im Bezug auf die Inszenierung von Männlichkeit lässt sich resümieren, dass beide Reihen nur makellose Männer zeigen. Keiner von ihnen ist kriegsversehrt, traumatisiert, muss sich seinen Platz in der Familie nach seiner Heimkehr aus dem Krieg erkämpfen oder gar eine neue Familie gründen, weil die Ehe durch Krieg und Nachkriegszeit gescheitert ist. Die Fernsehmacher tabuisierten also auch in diesem Punkt die Vergangenheit. Ähnlich wie die Fernsehakteure im Hier und Jetzt lebten, sollten auch die männlichen wie weiblichen Fernsehzuschauer nicht an die Strapazen der Vergangenheit erinnert werden. Privatleben Dem Grundanliegen der Reihe Stahlnetz folgend, blendeten die Fernsehmacher allzu subjektive Eigenschaften der Kriminalisten in ihrer Inszenierung aus. Zwar sollten sie als Menschen überzeugen, doch im Vordergrund stand die authentische Beschreibung der Polizeiarbeit. Das Privatleben der Ermittler war damit eher zweitrangig. Doch obwohl das Stahlnetz weder die zeitgenössischen Ideale der Kernfamilie noch der bundesrepublikanischen »Hausfrauenehe« präsentierte, zeigte die Reihe ein klares Werte- und Normengefüge auf. So wird etwa das intakte Familien96 Vgl. u. a.: Herzog, Dagmar: Die Politisierung der Lust. Sexualität in der deutschen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts, München 2005. 97 Stahlnetz, »Die Tote im Hafenbecken«, Folge 4, 22. 8. 1958. 98 Stahlnetz, »In jeder Stadt …«. 99 Dieser Aspekt wird im folgenden Abschnitt näher beleuchtet.

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leben leitender Kriminalbeamter wie im Fall »Zeugin im grünen Rock« gezeigt, aber das Junggesellendasein vieler Beamter verschwiegen. Mögliche Scheidungen von Polizisten sind ebenfalls nicht relevant, ebenso wenig wie Eheschließungen. Dennoch verzichtete Jürgen Roland nicht gänzlich auf private Anspielungen in der Zeichnung seiner Charaktere. Besonders deutlich gelang die Differenzierung des Privatlebens der einzelnen Dienstgrade in der bereits erwähnten zehnten Stahlnetz-Folge »Die Zeugin im grünen Rock«, deren Handlung in einer Düsseldorfer Silvesternacht beginnt. Auf den Zuschauer soll die ausgelassene Stimmung zum Jahreswechsel überspringen, und so werden Männer und Frauen gezeigt, die zu Rock-’n’-Roll-Rhythmen tanzen, lachen, mit Luftschlangen beworfen schunkeln oder sich zu zarter Hintergrundmusik küssen. Immer wieder werden die schnell wechselnden Filmausschnitte, die nicht nur die Ausgelassenheit der Partygäste, sondern auch die Ausdehnung der Feiern über die gesamte Stadt demonstrieren, unterbrochen von Feuerwerkssalven vor dem nächtlichen Himmel. Auch auf der akustischen Ebene wechselt sich Musik mit dem Krachen explodierender Raketen ab. Unter den vielen Feiernden befinden sich die Angehörigen der Düsseldorfer Mordkommission, welche unter Leitung von Kommissar Brandis steht, wie dem Off-Kommentar zu entnehmen ist. Im Gegensatz zu seinen meist jüngeren Kollegen genießt jener den Silvesterabend in einem großzügigen Privathaus unter erlesenen Gästen – darauf weisen Kleidung, Mobiliar und Innendekoration hin. Kontrastierend dazu findet sich der Zuschauer in der nächsten Szene im Wohnzimmer des Kriminalen Bergener wieder. Er ist deutlich über 50 Jahre alt und hat es offenkundig nicht geschafft, über die mittlere Beamtenlaufbahn hinaus Karriere zu machen. Ein Haus kann und will er sich von seinem Gehalt nicht leisten. In der Silvesternacht sitzt er allein mit seiner Frau auf dem Sofa eines gepflegten Wohnzimmers »Marke Gelsenkirchener Barock«. Beide schauen gebannt auf ihr Fernsehgerät – ein Luxusgegenstand jener Jahre und damit Zeichen eines gewissen Wohlstands.100 Auch der Kollege Brauer wird gezeigt, wie er ausgelassen in einem größeren Lokal feiert, wo eine Liveband spielt – ähnlich den Impressionen zu Beginn. Er ist jung und schätzt die Geselligkeit. Ein Schwenk über die tanzenden Gäste zeigt, dass sich Feiernde aller Altersstufen zusammengefunden haben.101 Obwohl die Inszenierung die Unterschiede der Gehaltsklassen und des Alters der Beamten anhand von Art und Ausstattung der Silvesterfeiern herausarbeitet, eint alle Ermittler, dass sie ein Privatleben haben und dieses zumindest mit ihrer Ehefrau oder einer Bekannten teilen. Einsame, vielleicht sogar depressive Ermittler werden nicht gezeigt und existieren in der Logik des Films nicht. 100 Das ausgestrahlte Silvesterprogramm ist ein selbstironisch-scherzhafter Seitenhieb auf die amerikanische Vorlage, denn zu sehen sind die »Dragnet«-Girls in einer Revue. Stahlnetz, »Die Zeugin im grünen Rock«, 0:03:23–0:04:06. 101 Ebd., 0:04:06–0:05:17.

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Eine weitere Eigenschaft, die alle Stahlnetz-Kommissare verbindet, ist die unbedingte Einsatzbereitschaft. Für sie ist es egal, ob sie zum Dienst eingeteilt worden sind oder nicht, denn als Repräsentanten der Staatsmacht haben sie ihre privaten Bedürfnisse unterzuordnen. Mehr noch wird suggeriert, dass die Kriminalpolizisten anstandslos alles hinter sich lassen, auch ihre (enttäuschten) Frauen, wenn es um das Gemeinwohl und die Sicherheit der Bürger, also die schnelle Ergreifung eines Täters geht. Die Inszenierung einer Aufopferung für das »große Ganze« lässt die Ermittler als stille Helden, als Heroen des Alltags erscheinen.102 Wesentlich privater und damit ein Stück weit menschlicher sind die Ermittler der Reihe Blaulicht. Zentraler Bestandteil ihres Privatlebens sind ihre Familien, die im folgenden Kapitel nähere Beachtung finden. Darüber hinaus werden private Situationen immer wieder angedeutet, entweder wenn die Beamten durch einen Einsatz aus dem Schlaf geweckt werden,103 den Abend auf dem heimischen Sofa verbringen oder die Kinder des Kollegen beaufsichtigen.104 Allerdings fehlen in der Darstellung privater Zusammenhänge – anders als in der westdeutschen Reihe – Hinweise auf einen Freundeskreis oder private Feiern. Wenn die Ermittler tatsächlich etwas feiern, z. B. den Abschluss eines schwierigen Falls oder die Geburt eines Kindes, besuchen sie sich gegenseitig zu Hause und stoßen mit einem Glas Bier oder Hochprozentigem darauf an. Eine solche Szene bietet sich in der Folge »Bitte um mildernde Umstände«,105 als Wernicke die beiden Kollegen zu sich nach Hause einlädt, um seinen Geburtstag zu feiern.106 Um sich nicht um die Verwandten kümmern zu müssen, verschwinden die drei Ermittler in der Küche des Hauptmanns, wo sich zugleich die Möglichkeit bietet, dessen erste vollautomatische Waschmaschine auszuprobieren. In dieser Szene fehlt der Hinweis nicht, wie lange Wernicke auf dieses Gerät warten musste. Für den Zuschauer wird damit auf der einen Seite deutlich, dass auch Kriminalkommissare auf derartige Gebrauchsgüter warten müssen, auf der anderen Seite ist hierin eine gewisse Kritik an der Gebrauchs- und Konsumgüterwirtschaft der DDR angedeutet. Thomas und Timm nehmen die Information über die lange Wartezeit ohne Staunen als gegeben hin. Da Wernicke nach eigenen Angaben seit einer Dreiviertelstunde versucht, die Maschine in Gang zu bringen, »ehe die Frauen sie kaputt machen«,107 stehen nun alle drei Kommissare ratlos davor. Doch unzählige Versuche durch Drehen der Knöpfe helfen nicht; erst als Leutnant Timm die Gebrauchsanweisung eingehend studiert, findet er die Lösung 102 103 104 105 106 107

Vgl. hierzu: Stahlnetz, »Die Zeugin im grünen Rock«, 0:11:56–0:12:02. Siehe Blaulicht, »Kippentütchen«. Siehe Blaulicht, »Ein Mann zuviel«. Blaulicht, »Bitte um mildernde Umstände«, Folge 16, 15. 4. 1962. Ebd., 0:43:00ff. Ebd., 0:43:57–0:43:59.

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des Problems. Inszenatorisch hebt die Kameraführung Timms Fund hervor, indem sie ihn in einer halbnahen und dann nahen Einstellung filmt, als er Wernicke verschmitzt anlächelt. Zuvor wurde die Szenerie lediglich in einer Halbtotalen gezeigt, um dem Zuschauer einen bestmöglichen Überblick in dem kleinen Raum zu gewährleisten. Die persönliche Ebene der drei Ermittler wird für den Zuschauer damit besonders herausgehoben, denn wenige Schnitte später macht Thomas einen Witz auf Kosten seines Vorgesetzten, blickt aber sogleich wie ein kleiner Junge pflichtschuldigst nach unten. Wernicke reagiert auf diesen Witz nicht und unterstreicht einmal mehr, wie vertraut sich die drei sind, und dass ihre Beziehung über das reine Arbeitsverhältnis hinausgeht. Das Wäschewaschen selbst endet in einer kleinen Katastrophe, da die Maschine ohne Wasserzufuhr heiß läuft und gleichzeitig die gesamte Küche unter Wasser gesetzt ist. Wernicke hatte vergessen, den Wasserschlauch anzuschließen. Ein solcher Einblick in die Lebenswelt der Ermittler, der nicht nur Stärken, sondern auch Schwächen offenlegte, war im Stahlnetz oder anderen westdeutschen Fernsehkriminalfilmen unüblich.108 Eine Steigerung erfährt der Aspekt Freizeit in der Blaulicht-Folge 23, in der Leutnant Timm als erster und einziger Kommissar beider Reihen in den Urlaub fährt und der Zuschauer ihn auf dieser Reise begleitet. Während es für die kühle Distanz der Stahlnetz-Inszenierung nahezu unmöglich erschien, einen derartigen Plot zu entwerfen, wurde er im Blaulicht umgesetzt. Allerdings war diese Annäherung an eine entheroisierte Privatheit nur dem jüngsten Charakter zugestanden. Einem Junggesellen gemäß ging er zelten und versorgte sich selbst. Sein Urlaub wirkt lebensnah, wenngleich Camping in der DDR nicht nur ein Single-Vergnügen war, sondern vor allem ein Familienerlebnis, das sich in den 1960er Jahren wachsender Beliebtheit erfreute. Ein- bis Zwei-Kind-Familien nutzten die zunehmende Motorisierung und freie Zeiteinteilung während des Urlaubs, um naturverbunden zu reisen.109 Ähnliche Gründe scheinen auch den Ermittler Timm dazu bewogen zu haben, sich mit dem Paddelboot auf den Weg zu einem Campingplatz direkt an der Müritz zu begeben. Hier kann er frei über seine Zeit im leer stehenden Zelt seines Onkels verfügen. Eine teure Camping-Fahrt ins sozialistische Ausland wäre für Timm mit Blick auf die günstigen Bedingungen an der Müritz wohl keine Alterna-

108 Eine westdeutsche Ausnahme bildet die Stahlnetz-Doppelfolge »Spur 211«, Folge 16, Teil I 28. 11. 1962 und Teil II 30. 11. 1962, und ihr Kommissar Rathje. Vgl. Abschnitt »Schwächen«. 109 So eine 1971 in der institutseigenen Zeitschrift veröffentlichten Studie des Instituts für Marktforschung. Zitiert nach: Irmscher, Gerlinde: Vergnügen an der frischen Luft. Camping in der DDR, in: Häußer, Ulrike/Merkel, Marcus (Hg.): Vergnügen in der DDR, Berlin 2009, S. 373–384, hier S. 378–379. Siehe auch: Wolter, Heike: »Ich harre aus im Land und geh, ihm fremd«. Die Geschichte des Tourismus in der DDR, Frankfurt a. M. 2009, S. 266–279, vor allem S. 266 und S. 277f.

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tive gewesen. Gleichzeitig wirkt die inszenierte Reise zu einem DDR-Urlaubsort wie eine Werbebotschaft an die Zuschauer, inländische Reiseziele zu wählen. Die reale Reisewelle ins sozialistische Ausland wie etwa nach Ungarn oder Bulgarien ließ sich jedoch vor dem Hintergrund wachsender Motorisierung gegen Ende der 1960er Jahre kaum aufhalten.110 Im Urlaub angekommen, beginnt Timm, sich auch äußerlich zu verändern: Sein Erscheinungsbild weicht erstmals von dem üblichen des Kriminalisten ab. Er tauscht Sakko und Krawatte gegen ein der sommerlichen Urlaubswärme angemessenes, legeres Hemd und eine kurze Hose. Auch seinen Berufsalltag versucht er abzustreifen, indem er den Platzwart inständig darum bittet, keinem zu erzählen, dass er Polizist sei. Da der kriminalistische Instinkt jedoch nicht so einfach abgelegt werden kann, erscheint ihm ein Neuankömmling auf dem Zeltplatz von Beginn an verdächtig. Seine heimlichen »Ermittlungen« bestätigen wenig später den Verdacht, dass es sich bei diesem Gast um einen Kriminellen handelt. Anders als bei anderen Berufen, so unterstreicht diese Folge, können Kriminalisten ihre spezifischen Qualifikationen und Fähigkeiten, also ihre Menschenkenntnis und ihren Spürsinn, nicht zu Hause lassen. Frau und Familie der Kriminalbeamten Während der Abwesenheit vieler Ehemänner und Väter im Zweiten Weltkrieg und in der Kriegsgefangenschaft war es in Deutschland zu einer Verschiebung der Geschlechterverhältnisse gekommen. Bestanden vormals klar getrennte Rollenzuweisungen in der Familie, musste sich die Frau nun um alle Familienbelange sorgen. Dazu gehörten der Haushalt, die Lebensmittelbeschaffung, die Übernahme der Ernährerrolle des Mannes und der Versuch, eine soziale Deklassierung der Familie zu verhindern.111 Auch nach der Rückkehr der häufig physisch und/oder psychisch versehrten Männer trat keine Änderung der Verhältnisse ein. Oft kam es trotz anfänglicher Freude schnell zu Spannungen, da sich die Männer überflüssig vorkamen.112 Mit Stabilisierung der Verhältnisse und der bald vollzogenen Gründung der Bundesrepublik war in Westdeutschland eine Rückkehr zu alten Rollenmustern zu

110 G. Irmscher: Vergnügen an der frischen Luft, in: U. Häußer/M. Merkel (Hg.): Vergnügen in der DDR, S. 382. 111 K.-J. Ruhl: Verordnete Unterordnung, S. 132. 112 Zur Situation in der direkten Nachkriegszeit vgl. u. a.: Meyer, Sibylle/Schulze, Eva: Von Liebe sprach damals keiner. Familienalltag in der Nachkriegszeit, München 1985, S. 126–149; zur Erwerbstätigkeit der Frau vgl. u. a.: K.-J. Ruhl: Verordnete Unterordnung, zu Scheidungen in der Nachkriegszeit vgl. u. a.: Niehuss, Merith: Kontinuität und Wandel der Familie in den 50er Jahren, in: A. Schildt/A. Sywottek (Hg.): Modernisierung im Wiederaufbau, S. 316–334.

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verzeichnen. Der Mann gewann seine Position als Familienoberhaupt und Ernährer der Familie zurück, und die Frau musste sich dieser Hierarchie mehr oder weniger »unterordnen«. Sie war als Hausfrau für die Versorgung der Kinder und des Haushaltes zuständig, eine »Erwerbsform«, die sich in dem zeitgenössisch hoch geschätzten Leitbegriff der »Hausfrauenehe« manifestierte.113 Das Bestreben nach einer Ehe im klassischen Verständnis der Geschlechterrollen lässt dabei weniger als Rückkehr zu »vorfaschistischen Traditionen«, sondern vielmehr als eine »Sehnsucht nach Normalität« beschreiben.114 Auch die Medien unterstützten den Leitgedanken einer dominanten Männlichkeit und der damit korrespondierenden »Hausfrauenehe«. In der Frauenzeitschrift Brigitte finden sich bis Ende der 1960er Jahre reihenweise Artikel, die ein Verharren in traditionellen Vorstellungen deutlich hervorheben115 und zumindest bis 1958/1959 die Geschlechterdifferenz »als die fraglos richtige Art der Lebensführung, in der von der Frau, aufgrund ihrer weiblichen Wesensart, Anpassungsleistungen an die Bedürfnisse ihres aufstiegsorientierten Mannes abverlangt werden«, legitimieren.116 Um Harmonie in der Ehe zu garantieren, müsse sich die Ehefrau entsprechend anpassen, so die Brigitte. Denn nur durch ihre emotionalen, naturnahen und genuin sozialen Fähigkeiten könne die intellektuelle Führungskompetenz ihres Mannes in ein Gleichgewicht gebracht werden.117 Obwohl der Familiensinn der bundesrepublikanischen Fernsehermittler sowie das Leitbild der »Hausfrauenehe« in keiner Stahlnetz-Folge sonderlich betont wer-

113 Das Leitbild der Hausfrauenehe wurde von staatlicher Seite durch den konservativen Bundesminister für Familienfragen, Franz-Josef Wuermeling, forciert. In seinen Reden betonte Wuermeling immer wieder die strikte Aufgabentrennung der Geschlechter, um die Stabilität und Kernaufgaben der Familie, also die Weitergabe von kulturellen, abendländisch-konservativen Werten sowie die Reproduktion, zu gewährleisten. Dem Mann oblagen dabei die Ausübung der Familienautorität und die Sorge um das materielle Wohl der Familie. Einen Grund für eine zusätzliche Erwerbstätigkeit der Frau gab es in seinen Augen daher nicht. Vgl. u. a.: Wuermeling, Franz-Josef: Familie – Gabe und Aufgabe, Köln 1963. 114 D. Herzog: Politisierung der Lust, S. 127–129. 115 Horvath, Dora: Bitte recht weiblich! Frauenleitbilder in der deutschen Zeitschrift Brigitte 1949–1982, Zürich 2000, S. 247. 116 Ebd., S. 210. 117 Ebd., S. 213f. Ein weiterer Artikel der Zeitschrift aus dem Jahr 1958 bestätigt diese Sichtweise noch einmal: »Ehefrauen und solchen, die es werden wollen, empfiehlt Brigitte daher, die folgenden Feierabend-Tips zu beherzigen: Sehen Sie so hübsch aus, wie Sie können, wenn er nach Hause kommt. Bedenken Sie, daß er im Büro meist mit gepflegten Frauen zusammenarbeitet. […] Sorgen Sie dafür, daß das Zimmer in dem Sie zusammen essen und den Abend verbringen aufgeräumt ist. Männer hassen im Raum verstreute Näh- und Stopfsachen«. In: Brigitte 2 (1958), S. 22.

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den, waren diese Grundwerte der bundesrepublikanischen Gesellschaft Ende der 1950er und zum Beginn der 1960er Jahre auch im Stahlnetz zu finden. Wie bereits im Zusammenhang mit der Konstruktion des männlichen Kriminalisten erwähnt, leben viele Beamte in intakten Familien, sind Ehemänner und Väter. Doch nur selten treten die Familien und insbesondere die Ehefrauen in die Handlung ein. Vielmehr finden sie in kurzen Privatgesprächen zwischen den Kommissaren Erwähnung oder sie werden am Telefon über das Zuspätkommen des Ehemannes aufgrund dienstlicher Verpflichtungen unterrichtet.118 Die Ehefrauen müssen also auf das gemeinsame Familienleben warten, bis alle Verbrecher verhaftet sind – sie tun dies im Übrigen ohne Widerwort oder offensichtlichen Gram. Versammelt sich einmal die gesamte Familie zum Abendessen, sind Störungen des »Idylls« durch einen Mordfall oder Besprechungen zum Fortgang der Ermittlungen bereits absehbar. Dabei reagieren fast alle Ehefrauen so verständnisvoll wie die Frau des Leiters der Düsseldorfer Kriminalpolizei Krämer, die die Störung durch den Leiter des Morddezernats mit einem stillen Lächeln begleitet.119 Eine untergeordnete Rolle ist bei fast allen Ehefrauen der Kriminalbeamten zu beobachten. Eine Ausnahme bildet die Frau des in der Folge »Saison« ermittelnden Schutzpolizisten, die sich entschieden über Verzögerungen beim Abendessen durch dringende Telefonanrufe empört. Mehr noch, sie mischt sich neugierig in die Ermittlungen ihres Mannes ein, fragt ihn am Esstisch aus und kramt in Beweisstücken, die im Büro des Schutzpolizisten liegen. Auch wenn er seine Frau zurechtweist, wird von der ersten Filmminute an deutlich, dass sie eine dominante Rolle innerhalb der Familie einnimmt. Sie ist die »Mutter«, die den Ehemann nervös werden lässt, wenn er ahnt, dass er zu spät zum Essen kommt, und die die gemeinsamen Kinder in barschem Ton beim Abendessen ermahnt. Unterstützt wird das matriarchale Bild durch den recht unbeholfen wirkenden Ehemann. Das resolute Verhalten der Ehefrau ist typisch für die bereits angesprochene Beobachtung, die Schutzpolizei würde im Stahlnetz als »dummer August« keine Achtung finden. Schließlich wird der Schutzpolizist im Familienkreis diskreditiert und die Ehefrau in ihrem Verhalten als unpassend dargestellt. Dass Roland die Schutzpolizei tatsächlich abqualifizieren wollte, scheint hingegen unwahrscheinlich. Stattdessen wusste er, wie erheiternd eine solche Figur für eine Inszenierung sein kann: »Es ist mir unmöglich, auf diese kleinen menschlichen Lichter zu verzichten, denen ich nicht zuletzt einen Anteil an dem Erfolg unserer Sendung beimesse«. 120

118 So z. B. in der 21. Stahlnetz-Folge, »Der fünfte Mann«, 0:44:00ff. 119 Siehe Stahlnetz, »Die Zeugin im grünen Rock«. Ähnlich »still« reagiert auch die Frau Bergeners, als dieser im gleichen Fall zum Tatort gerufen wird. 120 Brief Jürgen Rolands an Polizeimeister Hans Seidensticker, 4. 5. 1960, S. 3, in: Pressedokumentation des NDR.

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In welcher Position die Frau gegenüber ihrem Ehemann auch dargestellt wird, eines verbindet sie: Alle üben den Beruf der Hausfrau aus und kümmern sich um die Erziehung der Kinder. Sie gewährleisten die feste Familienstruktur, die dem Kommissar in seinem schweren Beruf Halt gibt. Zugleich bieten sie den Kindern einen Rahmen, behütet aufzuwachsen. Denn im Sinne damals geläufiger soziologischer Theorien121 versprach ein intaktes Elternhaus die besten Voraussetzungen für eine positive Sozialisation, die nicht in der Kriminalität endete. Regisseur Roland bewegte sich also mit der Darstellung der familiären Verhältnisse aller Ermittler in klaren, gesellschaftlich akzeptierten Bereichen. Und auch wenn der Ermittler des Falls »Sechs unter Verdacht« seinen Pflegesohn allein großzuziehen scheint, da seine Frau nie erwähnt wird oder zu sehen ist, wirkt eine solche Konstellation nahezu unwahrscheinlich und einzigartig. Obwohl die Ehefrauen auch im Blaulicht nur selten bildliche Präsenz zeigten, wurde der Zuschauer zumindest auf dialogischer Ebene von den ersten Folgen an mit den Familienverhältnissen der einzelnen Kommissare vertraut gemacht. Wenn die Ehefrauen aktiv in die Handlung eintraten, waren sie zumeist unterstützend für ihren Mann tätig. Und so wird dem Zuschauer bereits in der vierten Folge, »Kippentütchen«, Wernickes fürsorgliche Ehefrau präsentiert. Obwohl sie selbst einen Beruf ausübt,122 steht sie gemeinsam mit ihm in der Nacht auf, legt ihm seine Kleidung zurecht, macht ihm ein paar Brote und brüht schnell einen Kaffee auf. Sie scheint in diesen Dingen sehr routiniert, nur an die Dienstwaffe unter dem Kopfkissen wird sie sich »wohl nie gewöhnen«.123 Doch statt ihrem Mann die Wahl seines Berufes und die damit verbundenen Unannehmlichkeiten vorzuhalten – wie dies im Stahlnetz immer wieder vorkommt – reagiert die Blaulicht-Frau verständnisvoll. Indes ist nicht nur die Beziehung der beiden Ehepartner zueinander harmonisch und ausgeglichen, auch das Verhältnis zwischen Wernicke und seinem Sohn erscheint liebe- und verständnisvoll und nicht von überkommenen Erziehungsmethoden geprägt. Wenn nötig, passt Wernicke auch einmal auf die Kinder der Familie Thomas auf und lässt sich nicht einmal aus der Ruhe bringen, als die Kinder einen gerade beendeten Aufsatz für eine kriminalistische Zeitschrift vernichten.124 Der im Blaulicht dargestellte Umgang der Geschlechter korrespondierte mit dem von der SED propagierten Frauen- und Familienideal der 1950er und 1960er Jahre. Als Ziel wurde, unter stark ökonomischen Vorzeichen, die Gleichberechtigung der Geschlechter und die Emanzipation der Frau durch das in der Verfassung 121 Vgl. hierzu Kapitel vier. 122 Wernicke kündigt am Ende der Szene an, er würde sie später im Laden anrufen. Seine Frau ist möglicherweise als Verkäuferin oder Filialleiterin tätig, vielleicht ruft er sie auch in ihrem eigenen Laden an. 123 Blaulicht, »Kippentütchen«, 0:11:51. 124 Blaulicht, »Ein Mann zuviel«, 0:57:00–0:58:02.

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verankerte Recht »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit« angegeben.125 Im Rückblick lassen sich zur Verwirklichung dieses Anspruchs verschiedene Entwicklungsstufen in der Frauen- und Familienpolitik ausmachen:126 In der ersten Phase von 1945 bis 1949 wurde versucht, »Frauen durch die Integration in gesellschaftlichen Vereinigungen in das öffentliche Leben mit einzubeziehen und politisch zu beeinflussen«.127 Die zweite Phase zwischen 1949 und 1956/57 war durch eine (Re-)Integration von Frauen in den Arbeitsprozess gekennzeichnet. Dabei wandelte sich vor allem für alleinstehende Frauen im arbeitsfähigen Alter »das Recht auf Arbeit in die Pflicht zur Arbeit um«.128 In dieser Phase konnten zwar alleinstehende Frauen für das Arbeitsleben erreicht werden, doch die Ehefrau und Mutter und somit das »traditionelle Familienleitbild« blieben unangetastet.129 Diese zweite Phase wurde 1957/58 durch eine Periode der »Frauenoffensive«, welche bis 1964/65 andauerte, abgelöst. Im Mittelpunkt der Politik stand nun die »sozialistische Frau«, die »ihrer Arbeit aus einem inneren Bedürfnis heraus nachging und nicht aus materiellen Gründen«.130 Damit wurde dem traditionellen Hausfrauenideal ein neues gesellschaftliches Leitbild entgegengestellt. Es wurde in Form von Berichten, Aufrufen, Artikeln in Zeitungen und Zeitschriften propagiert. Die Intensität der Propaganda lässt den Schluss zu, dass Hausfrauen durch eine öffentlich-moralische Delegitimation in die »Produktion« gezwungen werden sollten. Allerdings waren die Gründe für das massive Anwerben von Haus- und Ehefrauen nicht nur im ideologischen Anspruch der Partei auf Gleichberechtigung und Integration zu suchen. Vielmehr spielten pragmatische Motive eine erhebliche Rolle, da die »zentral gelenkte Wirtschaft in ihrer Auf- und Umbruchphase« die rund 2,7 Millionen Flüchtlinge – vermehrt junge und qualifizierte Menschen – nur schwer kompensieren konnte.131 Darüber hinaus übten die Abschaffung der Lebensmittel125 Die Gleichberechtigung der Geschlechter wurde demnach vom System auf rein ökonomische Umstände begrenzt. Zu beachten gilt, dass der einzig gültige Bezugspunkt das »Modell Mann« (Diemer) war. Denn die »männliche Berufsbiografie lieferte den normativen Maßstab der Frauenförderungskonzepte«, um Frauen »an das männliche Erwerbsverhalten heranzuführen«. In: Diemer, Susanne: Patriarchalismus in der DDR. Strukturelle, kulturelle und subjektive Dimensionen der Geschlechterpolarisierung, Opladen 1994, S. 116. 126 Überblickt man die Forschungsliteratur zum Thema, werden unterschiedliche Periodisierungen vorgeschlagen. Im Folgenden wird den Modellen von Gesine Obertreis und Heike Trappe gefolgt. 127 H. Trappe: Emanzipation oder Zwang, S. 37. 128 Obertreis, Gesine: Familienpolitik in der DDR 1945–1980, Opladen 1986, S. 137. 129 Ebd., S. 138. 130 Ebd., S. 145f. 131 H. Trappe: Emanzipation oder Zwang, S. 59.

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karten 1958 und das gleichzeitige Ansteigen der Lebensmittelpreise erheblichen finanziellen Druck vor allem auf Familien aus, die nur ein Einkommen zur Verfügung hatten. Somit konnte sich die »untätige« Haus- und Ehefrau der Notwendigkeit einer Erwerbstätigkeit auf Dauer kaum entziehen. Zur gleichen Zeit wurde versucht, durch Zeitungsartikel ebenso »auf die Ehemänner Einfluß zu nehmen, auf deren ablehnender Haltung die Skepsis und Vorurteile der Ehefrauen oftmals beruhten«.132 Ab 1960/61 kam es zu einer Schwerpunktverlagerung in der Frauenpolitik zugunsten einer beruflichen Qualifizierung und Weiterbildung der weiblichen Arbeitskräfte.133 Zentrales Dokument für diese Modifikation des Frauenleitbildes war das im Dezember 1961 vom ZK der SED veröffentlichte Kommuniqué »Die Frauen – der Frieden und der Sozialismus«.134 Die vierte Phase der innenpolitischen Gleichberechtigungsstrategie begann mit der Verabschiedung des Familiengesetzbuches (FGB) 1965. In diesem wurde »erstmalig ein Leitbild der sozialistischen Familie formuliert«135 und der Hausfrauenehe zugunsten einer »gleichberechtigten Stellung der Frau in der Familie«136 per Gesetz die Grundlage entzogen. Jedoch wirkten fehlende Betreuungseinrichtungen für Kinder hemmend auf den Verwirklichungsprozess, so dass ab 1972, in einer fünften Phase, verstärkt sozialpolitische Maßnahmen ergriffen werden mussten.137 Obwohl die DDR-Frauenpolitik in der offiziellen Propaganda sowie den staatseigenen Medien eine große Rolle

132 G. Obertreis: Familienpolitik in der DDR 1945, S. 150. 133 Ergänzend ist auf Michael Schwartz hinzuweisen, der nachweisen kann, dass die Losung der »Qualifizierung«, »die anstelle der pejorativen ›Umschulung‹ trat, von der DDR-Regierung schon 1950 ausgegeben wurde«. Vgl. dazu weiter: M. Schwartz: Emanzipation zur sozialen Nützlichkeit, in: Hoffmann, Dierk/Schwartz, Michael (Hg.): Sozialstaatlichkeit in der DDR, S. 47–87, besonders S. 62ff. 134 Veröffentlicht in: ZK der SED (Hg.): Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Beschlüsse und Erklärungen des Zentralkomitees sowie seines Politbüros und seines Sekretariats (VIII), Berlin (O) 1962, S. 504–509. Im Kommuniqué werden zwei Grundpositionen deutlich: zum einen die berufliche Höherqualifizierung der Frauen, zum anderen der Aufruf zu einer Höherpositionierung von Frauen in Betrieben, Gewerkschaften usw. 135 H. Trappe: Emanzipation oder Zwang, S. 38. 136 Kanzlei des Staatsrates der DDR (Hg.): Ein glückliches Familienleben – Anliegen des Familiengesetzbuches der DDR. Familiengesetzbuch der DDR und Einführungsgesetz zum Familiengesetzbuch der DDR sowie Auszüge aus der Begründung und der Diskussion zum Familiengesetzbuch in der 17. Sitzung der Volkskammer der DDR vom 20. Dezember 1965 und der 22. Sitzung des Staatsrates der DDR vom 26. November 1965, Berlin (O) 1965, S. 57. 137 Zur Beschreibung dieser und nachfolgender Phasen siehe H. Trappe: Emanzipation oder Zwang, S. 39ff.

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spielte und ihr daher viel Raum gewährt wurde, bleibt sie in Bezug auf die Ermittlerfrauen unerwähnt – anders jedoch im Zusammenhang mit Opfern und Täterinnen, wie noch auszuführen ist. Männer spielten bei den Umsetzungen der oben beschriebenen Maßnahmen so gut wie keine Rolle. Sie waren »vor allem (die verlässlichere) Arbeitskraft«138, die zwar unterstützend im Haushalt wirken sollte, aber ein expliziter Diskurs über die »Vereinbarkeit von Beruf und Vaterschaft« existierte nicht.139 Dagegen hatte die Frau eine Doppel- bzw. Dreifachbelastung aus Beruf, Familie und Haushalt sowie Beziehungsgestaltung zu tragen. »Letzteres bedeutete, daß sie faktisch auch für das Familienklima und den Bestand der Partnerschaft zuständig gemacht wurde.«140 Das offizielle sozialistische Familienleitbild klammerte diese Schwierigkeiten jedoch aus, so dass sich große Diskrepanzen zwischen Ideal und Realität ergaben: Das Ideal der Zwei- und Mehr-Kind-Familie wurde aufgrund zu hoher Belastung der Frauen meist unterschritten, und bis zum Ende der DDR stiegen die Scheidungszahlen stetig an.141 Eine hohe Arbeitsbelastung der Frau diente aber im Blaulicht nicht als Begründungszusammenhang für die kinderarmen Familien der Kommissare. Vielmehr scheinen die unregelmäßigen Arbeitszeiten der Ermittler der Grund dieses Phänomens zu sein. Offen angesprochen wird es allerdings nicht.

138 Gysi, Jutta/Meyer, Dagmar: Leitbild: berufstätige Mutter – DDR-Frauen in Familie, Partnerschaft und Ehe, in: Helwig, Gisela/Nickel, Hildegard Maria (Hg.): Frauen in Deutschland 1945–1992, Bonn 1993, S. 139–165, hier S. 140. 139 Irene Dölling unterstreicht, dass gerade durch die Einführung des FGB die »bis dahin – ohnehin nur zaghaft unternommenen – Versuche zum Erliegen kamen, das Männerbild um gleichberechtigte und gleichverantwortliche Partnerschaft bei der Erziehung und Versorgung der Kinder wie bei der Hausarbeit zu erweitern« (Dölling, Irene: Bewußtsein – Frauen- und Männerbilder in der DDR, in: G. Helwig/H.M. Nickel [Hg.]: Frauen in Deutschland 1945–1992, S. 23–52, hier S. 29). Dem steht § 10 des FGB in gewisser Weise entgegen, der festlegt, dass beide Ehepartner für Kindererziehung und Haushaltsführung verantwortlich seien. Dennoch behält Dölling recht, da es im Paragrafen weiter heißt: »Die Beziehung der Ehegatten zueinander sind so zu gestalten, daß die Frau ihre berufliche und gesellschaftliche Tätigkeit mit der Mutterschaft vereinbaren kann«. Somit ist die Berufstätigkeit mit der Mutterschaft gleichgestellt und die Frau auf eben diese Bereiche reduziert (ebd.). Die stetigen Aufrufe der Partei, Männer sollen sich an der Hausarbeit beteiligen, simplifizierten das Problem der Doppelbelastung von Frauen und Mithilfe des Ehemannes auf die Handlungsebene und trugen so zur Individualisierung des Problems bei. Siehe: S. Diemer: Patriarchalismus in der DDR, S. 152. 140 J. Gysi/D. Meyer: Leitbild: berufstätige Mutter, in: G. Helwig/H.M. Nickel (Hg.): Frauen in Deutschland 1945–1992, S. 140. 141 Siehe Mertens, Lothar: Wider die sozialistische Familiennorm. Ehescheidungen in der DDR 1950–1989, Opladen 1998.

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Während Wernicke bereits seit einigen Jahren verheiratet ist und einen etwa zehnjährigen Sohn hat, befindet sich Oberleutnant Thomas zu Beginn der Reihe gerade in der Phase der Familiengründung. Dem Konzept der Reihe folgend, den Zuschauer am Privat- und Familienleben der Reihe teilnehmen zu lassen, nimmt jener auch an der Geburt der ersten Kinder der Familie Thomas teil.142 In der Folge »Heißes Geld« wartet Thomas nervös vor der Entbindungsstation. Seine Schuhe, in Großaufnahme zu sehen, stoßen rhythmisch gegen das Tischbein. Als die Kamera langsam bis zu seinem Gesicht an ihm hochfährt, wird klar, dass er vollkommen angespannt ist. Berufliche Verpflichtungen zwingen Thomas, das Krankenhaus kurz zu verlassen, doch als er zurückkehrt, wird er von der Geburt von Zwillingen überrascht. Glücklich über diesen Umstand, läuft er beschwingt durch das Krankenhaus.143 Seine fröhliche Stimmung wird von beschwingter Trompetenmusik untermalt, die jeglichen O-Ton überspielt.144 Wie für die meisten Personen auf Thomas’ Weg dürfte auch für den Zuschauer ein solch fröhlicher Kommissar eher ungewöhnlich gewesen sein, schließlich haben die Ermittler es zumeist mit ernsten und schweren Fällen zu tun. Die Dynamik seiner Schritte und der korrespondierenden Kameraführung verraten jedoch mehr als nur eine phasenweise Auflockerung des schwer zu lösenden Falles, sie zeigen vor allem den Stellenwert an, den Thomas der Geburt seiner Kinder beimisst. Die freudige Nachricht und seine Reaktion darauf lassen ihn menschlich und als liebenden Vater erscheinen, für den es doch mehr als den Beruf gibt. Gleichzeitig hebt seine Figur den erwünschten Kindersegen in der DDR plastisch hervor. Allein Leutnant Timm bleibt bis zur 23. Folge Blaulicht solo und kinderlos. Erst in der Folge »Freizügigkeitsverkehr«, in der Timm in den Urlaub fährt, lernt er »seine Frau fürs Leben« kennen.145 Um die Spannung für den Zuschauer zu erhöhen und einen Anreiz zu schaffen, wieder einzuschalten, entwickelt sich das im Urlaub gefundene partnerschaftliche Glück allerdings nur langsam und dokumentiert gleichzeitig, wie schwierig die Partnersuche für einen Kriminaler sein kann. So verschweigt Timm Inge lieber seinen Beruf bzw. drückt sich um eine Antwort, um sie nicht abzuschrecken.146 Es kommt daraufhin zu Missverständnissen,147 die erst 142 Blaulicht, »Heißes Geld« (I). 143 Ebd., 0:45:52. 144 Die dynamische Kameraführung lässt darauf schließen, dass die DEFA diese kurze Episode gedreht hatte und sie während der Livesendung eingespielt wurde. Die schweren Studiokameras wären wohl kaum in der Lage gewesen, dies zu inszenieren. 145 Siehe hierzu folgenden Abschnitt. 146 Sicherlich auch, um auf dem Campingplatz nicht belästigt zu werden. Blaulicht, »Freizügigkeitsverkehr«, 0:42:30. 147 Inge beginnt, angestachelt durch eine Zeltnachbarin, an der Integrität Timms zu zweifeln. Er flüchtet nicht nur vor einem ABV, sondern betrinkt sich auch mit einem neuen Campinggast. Und so, mutmaßt die Nachbarin in übertreibender Art, trinke der Hallodri

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in der nächsten Folge aufgeklärt werden, als er sie zufällig bei Ermittlungen zu einem neuen Fall wiedertrifft.148 Allerdings wurde diese Art der Partnerfindung nicht von allen Zuschauern goutiert: Der Schluss der Sendung [Folge 23, Freizügigkeitsverkehr, N. H.] war mir zu komisch. Ich hatte erwartet, dass Timm sofort seiner Inge nachfahren würde. Aber was tut er? Er geht angeln. Mit anderen Worten: solch ein Waschlappen. Wenn ich ein Mädchen wäre, würde ich mich für solch einen Mann bedanken. Die Inge tat mir jedenfalls leid.149

Resümierend lässt sich festhalten, dass die Darstellung der Ehefrauen im Blaulicht nicht nur mehr Raum einnimmt als im Stahlnetz, sondern die Reihe insgesamt ein versöhnliches Verhältnis der Frau gegenüber dem Beruf ihres Ehemannes transportiert. Blaulicht-Ehefrauen beschweren sich selten über lange Arbeitszeiten. Sie sind höchstens besorgt ob der Gesundheit und des Wohlbefindens ihrer Ehemänner. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Propaganda scheint dieses Bild allerdings wenig überraschend. Auch treten die Ehefrauen zumeist gleichberechtigt, selbstbewusst und familienorientiert auf, womit sie in jeder Hinsicht dem von der sozialistischen Frauen- und Familienpolitik vorgegebenen Idealbild entsprechen.150 Insgesamt trägt die enge Bindung der Kommissare an ihre jeweilige Partnerin und Familien dazu bei, das Identifikationspotenzial des Zuschauers zu erhöhen. Auch hier werden wieder Angebote an verschiedene Typen gemacht, vom frisch verliebten Junggesellen über den Vater werdenden Anfang- bis Mittdreißiger bis hin zum gesetzten Familienvater, der bereits über eine Dekade mit seiner Frau verheiratet ist. Zudem unterstreicht eine solch private Seite der Ermittler erneut, dass er nicht nur einen Beruf hat, sondern auch ein Mensch ist, wie jeder andere.

Timm sicherlich nicht nur, sondern stehle auch und gehe fremd (ebd., 0:48:00ff.). Als Inge erfährt, dass sie ihn völlig falsch eingeschätzt hat, verlässt sie den Campingplatz grußlos. 148 Blaulicht, »Auftrag Mord«, Folge 24, 1. 7. 1965. Beide haben jedoch keine Zeit, ihren Neuanfang zu genießen, denn Inge muss ihren Verlobten in spe immer wieder »mit dem Verbrechen« teilen. Bereits eine Folge später freut sich Timm, noch mit einem Bademantel bekleidet und einem elektrischem Rasierapparat in der Hand, auf ein Treffen mit seinen zukünftigen Schwiegereltern, das aber nicht zustande kommt, weil er zum nächsten Tatort gerufen wird. Blaulicht, »Ein Mann zuviel«, 0:29:00. 149 o. A.: Der Fernsehzuschauer, Dezember 1964, S. 78, in: DRA. 150 Vgl. u. a.: U. Schneider: Hausväteridylle oder sozialistische Utopie; I. Merkel: Leitbilder und Lebensweisen von Frauen in der DDR, in: H. Kaelble/J. Kocka/H. Zwahr (Hg.): Sozialgeschichte der DDR, S. 359–381.

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3.2 R ESPEKT UND V ERTRAUEN – DER E RMITTLER ALS S TAATSREPRÄSENTANT Während sich die vorausgehenden Ausführungen mit den individuell-menschlichen Eigenschaften eines Kommissars auseinandersetzten, soll nun der Arbeitsalltag des Ermittlers unter dem Aspekt von Respekt und Vertrauen genauer untersucht werden. Zwei für das öffentliche Bild der staatlichen Exekutive wichtige Eigenschaften treten damit in den Vordergrund: Zum einen präsentiert sich der Polizist als männlich-starker Kämpfer gegen Unrecht und Unordnung, der seinen Beruf nicht nur als Broterwerb, sondern als Berufung betrachtet. Zum anderen werden der Umgang mit den Kollegen, den Hierarchien und die Zusammenarbeit mit anderen Polizeidienststellen, die zu einer erfolgreichen Ergreifung des Täters führen, virulent. Das positive Bild eines erfolgreichen Kommissars wird ferner davon geprägt, wie er mit Verdächtigen und Tätern umgeht und ob er sogar gewisse Grenzen überschreitet, um Wahrheit und Ordnung wiederherzustellen: etwa durch die Ausübung von Gewalt während eines Verhörs. Um das Gesamtbild der präsentierten Kriminalpolizei zu vervollständigen, soll auch die Sonderform des verdeckt arbeitenden Ermittlers sowie die Weibliche Kriminalpolizei einbezogen werden. Berufsethos Heute versteht sich die Polizei als »modernes Dienstleistungsunternehmen«151, in dessen Leitbild nicht mehr die »Berufung« verankert zu sein scheint, sondern vielmehr das Tun als (»normaler«) Beruf verstanden wird. Wenngleich diese Entwicklung für das Berufsbeamtentum schon zum Ende des Kaiserreiches vollzogen wurde,152 hielt sich innerhalb der Polizei ein bestimmtes Berufsethos bis weit in die 1970er Jahre und wurde erst mit ihrer Modernisierung allmählich verändert. So wählte Innenminister Otto Bennemann bei der Eröffnung der Internationalen Polizeiausstellung in Hannover 1966 folgende Worte, um den Beruf des Polizisten zu beschreiben: »Der Polizeiberuf ist kein Job, den man je nach der Lage der Konjunk-

151 Prigge, Wolfgang-Ulrich/Sudek, Rolf (Hg.): Innere Führung durch Leitbilder? Eine Analyse des Leitbildprozesses bei der Polizei, Berlin 2003, S. 230. 152 Henning, Hansjoachim: Die deutsche Beamtenschaft im 19. Jahrhundert. Zwischen Stand und Beruf, Wiesbaden 1984, hier vor allem Zusammenfassung S. 149–161. »Damit begann sich auch die Bewußtseinshaltung der nicht-akademisch gebildeten Beamten gegenüber ihrem Status zu ändern: wie die Verbandsgründungen am ehesten verdeutlichen, stand für sie nun nicht mehr der die ganze Person umfassende Dienst im Vordergrund, sondern – bei Aufrechterhaltung aller personalen Loyalität – qualifizierte Leistung gegen angemessene Gegenleistung, und dies entsprach dem Berufsbild der industriellen Gesellschaft« (ebd., S. 153).

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tur ergreift und wieder aufgibt. Er ist ein Beruf fürs Leben. Er ist Dienst für das Wohl des Ganzen. Er fordert Verantwortungsgefühl, Pflichtbewußtsein und Hingabe, wenn es sein muß, auch den Einsatz des Lebens. Das ist kein Pathos, kein leeres Wort«.153 Auch die Stahlnetz-Akteure betonten dieses Berufsverständnis immer wieder. Bereits in der dritten Folge, »Die Blaue Mütze«, wird es dem Zuschauer eindrücklich vor Augen geführt: Noch bevor Kriminalobersekretär Wetzlar und sein jüngerer Kollege, Kriminalsekretär Schmitt, die Ermittlungen richtig aufnehmen, werden beide in einem scheinbar ungezwungenen Gespräch von der Kamera beobachtet.154 Zunächst noch ein wenig abseitig, folgt sie beiden, bis sie auf einer Parkbank Platz genommen haben, um sich dann direkt hinter ihnen zu platzieren und sie in einer nahen Einstellung zu beobachten. Roland scheint hier ganz explizit mit der Neugier des Zuschauers zu spielen, da nur die Kamera diese voyeuristische Nähe zu beiden Kommissaren einnehmen kann, um vermeintliche Einblicke in die arkane kriminalpolizeiliche Ermittlungsarbeit zu geben. Die Stimmen der Kommissare sind klar, nahezu keine Nebengeräusche stören das Gespräch, auch verzichtet Roland auf jegliche Hintergrundmusik. Das Gespräch beginnt mit der harmlos anmutenden Feststellung Wetzlars, dass die im Park spielenden Kinder es gut hätten, da sie sich aussuchen könnten, ob sie Räuber oder Gendarm seien. Die leichte Resignation in seiner Stimme deutet an, welch fundamentale Berufsauffassung er vertritt: Ein Kriminalbeamter hat sich nicht nur auf ewig entschieden »gut« zu sein, sondern sein Beruf wirkt aufgrund dieser Unabänderlichkeit fast wie eine Bürde.155 Allerdings unterscheidet sich seine Auffassung doch erheblich von der seines jüngeren Kollegen Schmitt. Für diesen ist sein Beruf am Ende doch nur ein »Job«, den es nach Vorschrift zu machen gilt. Verstärkt wird seine Auffassung durch den ihn auszeichnenden, pedantischen Charakterzug – den er im Übrigen mit vielen im Stahlnetz gezeigten Assistenten teilt. So lässt sich Schmitt alles quittieren – auch 55 Pfennig156 – und mokiert sich über den fehlenden Speck in seiner Erbsensuppe, während Wetzlar die bei den Ermittlungen anfallenden Spesen für Essen und Getränke selbst übernimmt. Eine solche Inszenierung kann als Parodie auf das Vorurteil vom pfennigfuchsenden Beamten gesehen werden, das den »wahren« Kommissar wohl kaum tangiert. Und so nimmt Wetzlar es mit Humor und empfiehlt seinem Kollegen, Einspruch zu erheben, mit

153 Internationale Polizeiausstellung 1966 Hannover. Dokumentation in Wort und Bild, Hamburg 1967, S. 52. 154 Stahlnetz, »Die Blaue Mütze«, 0:08:15–0:10:27. 155 Die Dienstbezeichnung Obersekretär wird wenige Jahre später bereits abgeschafft. Sie zeigt einen mittleren Dienstgrad an, in dem noch viel Kärrnerarbeit geleistet werden muss. 156 Stahlnetz, »Die Blaue Mütze«, 0:16:25–0:16:36.

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dem Hinweis, dass er bei der Kriminalpolizei arbeite. Die Ironie in seiner Stimme verweist gleichzeitig darauf, dass er wohl nicht mehr an den Respekt einflößenden oder geachteten Kriminalpolizisten glaubt.157 Viele Assistenten, Schmitt ist hier nur ein Beispiel, erweisen sich – neben dem traditionellen Verbrecher – als Gegenspieler des altgedienten Ermittlers. Denn sie stellen die bisherige Ordnung durch ihr Auftreten und ihre veränderte Berufsauffassung in Frage und scheinen wenig vom Berufsethos des älteren Ermittlers beseelt.158 Ist hier zugleich eine Kritik an den bundesdeutschen Polizeipatriarchen der ausgehenden 1950er Jahre von Seiten der Filmemacher zu erkennen? Dies scheint wohl eher nicht zutreffend, denn die Zeichnung des Kommissars »alter« Prägung gelingt außerordentlich positiv, während die Assistenten sich der Kritik aussetzen, die alten Werte nicht mehr hochzuhalten. Indes scheint für die Polizisten des Blaulicht eine solche Diskussion unerheblich. Sie sehen ihren Beruf als eine Tätigkeit wie jede andere – zumindest finden sich in den filmischen Quellen keine dialogischen Hinweise auf ein herausgehobenes Statusgefühl, wie es für das Stahlnetz aufgezeigt wurde. Dennoch bedeutet dies nicht, dass die Polizisten auf der Mattscheibe ihren Dienst nicht als außergewöhnlich und bedeutend begreifen. Sie verstehen ihren Beruf durchaus als gesellschaftlichen Auftrag – wenngleich Leutnant Timm so manches Mal in scherzhafter Weise das Tun des Ermittlerkollektivs in Frage stellt.159 Der Staatsdoktrin entsprechend fiel die Antwort Wernickes auf diese Scherze aus:

157 Wenngleich neben der Ironie eine gewisse Resignation in seiner Stimme mitschwingt, reagieren die meisten von Kriminalpolizisten angesprochenen Bürger im Stahlnetz mit dem gebotenen Respekt. Vgl. auch Kapitel fünf. 158 Dies ist ein auch in den Polizeikreisen der Bundesrepublik Ende der 1950er Jahre diskutiertes Problem vom Berufsverständnis der »jungen Polizeibeamten«. »Offenbar hatte sich Ende der 1950er Jahre die dienstliche Position derjenigen Beamten, die nicht in den Weimarer Polizeien ausgebildet und sozialisiert worden waren, so verstärkt, daß die von dort übernommenen Normen und Werte, zumindest im Urteil der älteren Vorgesetzten, in Frage gestellt wurden.« (K. Weinhauer: Schutzpolizei in der Bundesrepublik, S. 104–105). Das sich wandelnde Berufsverständnis mündete nicht zuletzt in einer Autoritätskrise, die im folgenden Abschnitt näher beleuchtet wird. 159 Die öffentlichen Verlautbarungen zur Polizei in der DDR verfolgten in erster Linie propagandistische Zwecke, das Blaulicht gab sich in vielen Szenen genre- und bildschirmgerecht etwas lässiger. Diese Haltung verkörpert vor allem der junge Ermittler Timm. Er reflektiert sehr offen die mit dem Beruf des Kriminalisten verbundenen positiven Herausforderungen. Das lästige Aktenstudium vergangener Fälle gehöre seiner Meinung nach weniger dazu, dann hätte er auch Buchhalter werden können (Blaulicht, »Die Butterhexe«, 0:46:20). Die damit vom Zuschauer als eher aufgelockert wahrgenommene Stimmung innerhalb der Polizei konnte eine positive Wahrnehmung des Gesamtapparates günstig beeinflussen.

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Genosse Timm, es ist Aufgabe der Volkspolizei, den Bürger vor jeden Angriffen auf sein Leben, seine Gesundheit und Besitztum zu schützen. Egal ob man ihm einen Wartburg Sport oder einen Karnickelbock gestohlen hat. Egal auch ob man ihn mit einem blanken Messer bedroht oder nur umgerannt hat. Wir haben das mit der gleichen Gewissenhaftigkeit zu untersuchen und den Täter zu überführen.160

Wernickes Aussage bezieht sich auf eine wichtige Funktion der Polizei im sozialistischen Staat, die nicht nur die innere Sicherheit gewährt, sondern auf diese Weise auch das sozialistische Gebilde zusammenhält. Die DDR-Führung stellte entsprechend hohe Ansprüche an den einzelnen Volkspolizisten: Ausgehend von den generellen Erziehungsaufgaben, wie sie der VI. Parteitag gestellt hatte, wurden die Erziehungsziele für die Lehrprogramme der Schulen des MdI präzisiert bzw. neu formuliert. Es galt, solche VP-Angehörige zu erziehen und auszubilden, »die sich durch Treue zur Arbeiterklasse, Verantwortungsbewusstsein, Schöpfertum und Kühnheit, eiserne Arbeitsdisziplin, Kämpfertum und Unduldsamkeit gegenüber Mängeln und Fehlern«, durch »Bescheidenheit, Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit und Sauberkeit sowie hohes fachliches Können und hohes physisches Leistungsvermögen auszeichnen«.161

Zwar erinnern die hier genannten Werte durchaus an die Maßstäbe bundesdeutscher Polizisten, wenngleich unter sozialistischen Vorzeichen, doch sollten die Angehörigen der Deutschen Volkspolizei mehr noch einen »neuen sozialistischen Menschen verkörpern«.162 So hatten die Volkspolizisten bei ihrem Amtsantritt (um 1964/65) einerseits zu schwören, »die sozialistische Gesellschafts-, Staats- und Rechtsordnung zu schützen«163 sowie durchaus »selbstständig und schöpferisch die Beschlüsse der Partei [zu verwirklichen]«,164 andererseits sollten sie ihre Aufgaben »nur in enger Gemeinsamkeit mit den Menschen [erfüllen]«.165 Gerade der letzte Aspekt war in Zusammenhang mit der Reihe Blaulicht von besonderer Bedeutung, galt doch der vom Ministerium des Innern ausgegebene Auftrag, die »Erziehung der Menschen zur Wachsamkeit und [zur Unterstützung] der Deutschen Volkspolizei

160 Blaulicht, »Bitte um mildernde Umstände«, 0:14:00. 161 Ministerium des Innern: Geschichte der Deutschen Volkspolizei. Band 2: 1961–1975, Berlin (O) 1983, S. 90–91. 162 Kobran, Gerhard: Zur Entwicklung des sozialistischen Polizeibegriffes, Maschinenmanuskript, [o. J.], S. 195. 163 Ministerium des Innern: Geschichte der Deutschen Volkspolizei. Band 2, S. 36. 164 G. Kobran: Zur Entwicklung des sozialistischen Polizeibegriffes, S. 195. 165 Ebd., S. 71.

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bei der Bekämpfung und Beseitigung von polizeilichen Schwerpunkten«166 zu fördern und damit langfristig zur Überwindung von Kriminalität beizutragen. Hierarchien Die bundesrepublikanische Polizei war in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten von einem Neben- und Miteinander der Kontinuitäten und Brüche bestimmt. Wie bereits angedeutet, geriet der Apparat der staatlichen Exekutive ab Ende der 1950er Jahre in eine Wertekrise, die in den 1960er Jahren in einer personellen Umwälzung kulminierte. Der Bereich der Kriminalpolizei war dabei von einer zunehmenden Zahl von Hochschulabsolventen und freiberuflich Tätigen geprägt.167 Zwar legte die Polizei insgesamt ihren militärischen Duktus immer weiter ab und betonte die persönliche Leistung und zwischenmenschliche Beziehung vor blindem Gehorsam, doch blieben klare hierarchische Strukturen wie selbstverständlich bestehen. Ein ähnliches Bild lässt sich für die Reihe Stahlnetz von Beginn an nachvollziehen. Das Verhalten vorgesetzter Stahlnetz-Ermittler wirkt pädagogisch, zuweilen streng und patriarchalisch. So werden Kriminalsekretäre und Kriminalassistenten gern als »Junge« bezeichnet.168 Auch maßregeln die Vorgesetzten ihre Mitarbeiter offen, wenn diese einen unzulässigen Ton anschlagen169 oder sich in ihren Gesten unangemessen verhalten, beispielsweise wenn sie sich auf den Schreibtisch des Vorgesetzten setzen oder die Füße hochlegen.170 Meist genügt schlicht eine Geste, um dem Mitarbeiter sein Fehlverhalten deutlich zu machen. Die Stellung des leitenden Kommissars bleibt in allen Folgen unhinterfragt, nie muss er sich gegen seine Mitarbeiter behaupten. Die herausgehobene Position des Kommissars bzw. seines Vorgesetzten erweckt den Eindruck, er entspreche den von Weinhauer beschriebenen Polizei-»Patriarchen«.171 Ein autoritärer Duktus ist hingegen ebenso wenig im Stahlnetz erkennbar wie die sich Ende der 1950er Jahre realiter anbahnende Autoritätskrise,172 insbesondere in der Schutzpolizei. Zwar ist auch im Stahlnetz der Trend festzustellen, dass die nachwachsende Kriminalistengeneration weniger am alten

166 Sendereihe »Blaulicht« des Deutschen Fernsehfunks, 2. 3. 1960, S. 1, in: BArch: DO 1/27689. Vgl. auch Kapitel vier. 167 Vgl. u. a. Wego, Maria: Entstehung und Entwicklung des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen, in: Nitschke, Peter (Hg.): Die deutsche Polizei und ihre Geschichte. Beiträge zu einem distanzierten Verhältnis, Hilden 1996, S. 174–189 und P. Wagner: Volksgemeinschaft ohne Verbrecher. 168 Vgl. Stahlnetz, »Die Tote im Hafenbecken«. 169 Stahlnetz, »Treffpunkt Bahnhof Zoo«. 170 Stahlnetz, »E 605«. 171 K. Weinhauer: Schutzpolizei in der Bundesrepublik, S. 102–120. 172 Hier ebd., S. 106ff.

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Berufsethos festhält, aber ein Infragestellen der alten Vorbilder bleibt aus. Zum einen wären Handlung und Zuschauer damit wohl überfordert gewesen, da es erklärender Zusätze bedurft hätte. Zum anderen wollte Roland vor allem das Bild der Polizei in der Öffentlichkeit verbessern. Die Darstellung interner Krisen hätte in diesem Zusammenhang eher negative Auswirkungen gehabt. Die reale Polizei konnte die Krise mit einer »patriarchalen Offensive«173 zunächst eindämmen, musste sich aber Ende der 1960er Jahre eingestehen, die rückwärtsgerichteten Ansichten zu reformieren und zu modernisieren. Obwohl das Stahlnetz die institutionelle Krise nicht widerspiegelte, sind die Hierarchien innerhalb der ermittelnden Beamtengruppe stets präsent und werden auch nie in Frage gestellt. Dies wird vor allem bei den Ermittlungen und Vernehmungen deutlich. Meist sind es die Assistenten, die nachts den Verdächtigen verfolgen. Während der Vernehmungen ist ihr Rederecht hingegen drastisch eingeschränkt. Zumeist sitzen sie schweigend neben dem Verdächtigen oder versorgen ihren Vorgesetzten mit zusätzlichen Informationen. Der leitende Kommissar steht oder sitzt meist in erhöhter Position, die auf bildlicher wie inhaltlicher Ebene seine Dominanz unterstreicht. Ein weiterer Unterschied, der zwischen den einzelnen Hierarchieebenen immer wieder betont wird, ist die intuitive, beinahe unfehlbare »Spürnase« der leitenden Ermittler.174 Dass der Chefermittler jedoch auch an seine Grenzen zu stoßen vermag und an seiner Intuition Zweifeln kann, wie Kommissar Brandis in der zehnten Stahlnetz-Folge »Die Zeugin im grünen Rock« vor Augen führt, lässt diesen menschlicher und glaubwürdiger erscheinen. Den jungen Ermittlern wiederum fehlt diese Intuition meist aufgrund mangelnder Erfahrung; sie kann entsprechend nur im Lernprozess von Ermittlung zu Ermittlung und natürlich durch Belehrung von oben erworben werden. Dieser »natürliche« Lernprozess war ein spezifischer Aspekt in der Inszenierung der Stahlnetz-Reihe und in anderen Kriminalfilmen dieser Zeit keine Selbstverständlichkeit. In der Reihe Kommissar präsentierte stets Erik Ode als leitender Ermittler die Lösung des Falls und betraute seine Mitarbeiter lediglich mit der Festnahme. Und auch Derrick beanspruchte für sich, den Fall allein gelöst zu haben. Harry hatte derweil den Wagen geholt.

173 »Hierin ging es um mehr als den Versuch, einen paternalistischen Führungsstil in der Polizei der frühen 1960er Jahre zu (re)etablieren. Vielmehr sollten patriarchalische Denkmuster und Handlungsnormen in der Polizei fester verankert und die Polizeibeamten zu einer ›Schicksalsgemeinschaft‹ zusammengeschlossen werden, deren Verbindung zum Staat es zu festigen galt.«. In: ebd., S. 110. 174 Vgl. Stahlnetz, »Das Alibi«.

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Werden Mitarbeiter kritisiert, nehmen sie die Kritik zwar an, lassen sich aber selten einschüchtern.175 Sind die Mitarbeiter umgekehrt unzufrieden mit der Arbeits- oder Verhaltensweise ihres Vorgesetzten, deuten sie dies nur an, es beeinflusst aber nie die Ermittlungen.176 Auch werden die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten eines Aufstiegs innerhalb der bestehenden Strukturen nie beleuchtet und für den Zuschauer transparent gemacht.177 Es existieren weder Intrigen, Streitigkeiten noch Korruption in Polizeikreisen – ein Sujet, das heute durchaus in die Kriminalfilme Eingang findet.178 Die Polizisten des Stahlnetz scheinen im Umgang miteinander durch und durch integer zu sein, ganz im Sinne der bereits geäußerten fundamentalen Berufsauffassung: Polizist zu sein, ist eben kein Job, sondern eine Berufung, bei der es nur eine, nämlich die »gute« Seite gibt. Beschwerden über die schlechte Bezahlung und die unregelmäßigen Arbeitszeiten der Stahlnetz-Kripo gehören dennoch zum Standardrepertoire der mittleren Dienstgrade.179 Sogar Schutzpolizisten mokieren sich darüber, dass die meisten Mitglieder der Mordkommission nur wenig verdienen würden. Zudem könne man sie nicht einmal telefonisch zum Einsatz zu rufen, da sie gar keinen Apparat besäßen. Schließlich »sei Deutschland ein armes Land« und ein Telefon koste immerhin 12 Mark im Monat – der leicht süffisante Ton der Beamten legt jedoch nahe, dass 175 Als Kriminalobersekretär Jungclaus in der Folge »Treffpunkt Bahnhof Zoo« von Kommissar Rogge wegen seines schlechten Deutsch zurechtgewiesen wird, antwortet dieser frech, dass er ja nicht Kommissar sei. 176 Hinweise auf die reale Unzufriedenheit von Polizeibeamten im mittleren Dienst gegenüber Beamten im gehobenen Dienst geben Studien wie etwa: Murck, Manfred: Gutes Arbeitsklima, aber schlechte Aufstiegschancen. Arbeitszufriedenheit und Leistungsbereitschaft bei der Kripo – Ergebnisse einer empirischen Untersuchung, in: Kriminalistik 40 (1986), S. 341–345; Becker, Matthias/Diehl, Stefan/Scheer, Guntram: Bestimmungsgründe der Arbeits(un)zufriedenheit von Polizisten, in: W.-U. Prigge/R. Sudek (Hg.): Innere Führung durch Leitbilder?, S. 123–156. 177 Zu den schwierigen Aufstiegsbedingungen im deutschen Polizeiapparat vor 1945 siehe: P. Wagner: Volksgemeinschaft ohne Verbrecher, S. 124. Für die Kriminalpolizei, speziell das Bundeskriminalamt nach 1945 siehe: I. Baumann/H. Reinke/A. Stephan/et al.: Schatten der Vergangenheit. Zur Laufbahnentwicklung in der Schutzpolizei vgl.: K. Weinhauer: Schutzpolizei in der Bundesrepublik, S. 64–74. 178 Vgl. Schimanski, »Schuld und Sühne«, 30. 1. 2011; Regie: Thomas Jauch, ARD. 179 Blickt man auf die Geschichte des Kriminalgenres zurück, finden sich ähnliche Seitenhiebe bereits in Conan Doyles »Sherlock-Holmes«-Romanen. Ihr reales Pendant finden sie u. a. in der Gewerkschaftszeitung Deutsche Polizei. Es wurden immer wieder Artikel zur »sozialen Situation« der Polizei abgedruckt, in denen es hieß: »Die gegenwärtige Situation der Beamten, insbesondere der Polizeibeamten steht in keinem angemessenen Verhältnis zu den Ansprüchen, die die Allgemeinheit an die Leistungsansprüche des öffentlichen Dienstes stellt«. In: »Soziale Situation für Polizeibeamte«, in: Deutsche Polizei (1965), H/ 30–32, hier 31.

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das Jammern wohl nicht unbedingt gerechtfertigt sei.180 Der gehobene Beamte beschwert sich dagegen nie über sein Einkommen. Hierbei mag das Alter eine Rolle spielen, denn meistens beklagen sich die jüngeren Kommissare. Aus Sicht der Zuschauer erscheinen die häufigen Beschwerden als ein Hinweis darauf, dass der Beruf des Kommissars mit wenigen Privilegien, aber vielen Pflichten verbunden ist. Dennoch gelingt es meist, diesen Malus in der Wahrnehmung durch das Ergebnis der Untersuchungen, also das Ergreifen des Täters, wettzumachen. Die Kriminalpolizisten des Blaulicht sprechen dagegen nie über die Besoldung ihrer Arbeit. Sicherlich gibt es ab und an eine kurze Bemerkung über den Dienst, aber eine generelle Kritik findet sich – wenig verwunderlich – nicht. Dabei hätten auch die Polizisten des Blaulicht allen Grund gehabt, missmutig zu sein, denn auch in der DDR standen Bezahlung und Arbeitsbelastung in keinem Verhältnis zu einander – weder auf dem Fernsehbildschirm noch in der Realität.181 Das zutiefst kollegiale, fast kameradschaftliche Verhältnis der drei BlaulichtErmittler wurde bereits mehrfach benannt. Denn obwohl alle Ermittler einen unterschiedlichen Dienstgrad besitzen und dieser stets in die Begrüßungsformel eingebracht wird, herrscht kein Subordinationsprinzip. Vielmehr wird dem Zuschauer – dem Verhalten gegenüber Zeugen ähnlich – das Gefühl vermittelt, die Ermittler würden sich auf Augenhöhe begegnen und die Hierarchien betont flach gehalten. In dieses Bild passt u. a. die Szene, in der Wernicke seine beiden Mitarbeiter zu seiner Geburtstagsfeier nach Hause einlädt und die drei gemeinsam das eine oder andere Gläschen Likör trinken. Auch der Leiter der Kriminalpolizei (»Genosse Major«) lädt sein Ermittlerkollektiv nach erfolgreicher Aufklärung des größten Geldschrankdiebstahls in der bisherigen »DDR-Geschichte« auf ein »Glas« nach Feierabend ein, um auf den Erfolg anzustoßen.182 Einzig, dass sich die Ermittler auch in der häuslichen Umgebung weiterhin mit »Genosse« ansprechen, irritiert aus heutiger Sicht. Die Ansprache gehörte jedoch zu den zeitgenössischen Gepflogenheiten unter Polizeibeamten. Die Beobachtungen aus der Reihe Blaulicht sind dabei ein Spiegel der allgemeinen Entwicklungen in der DDR, für die eine starke Angleichung privater und beruflicher Ebenen festzuhalten ist. So fuhr man unter Leitung des FDGB gemeinsam mit den Kollegen in den Urlaub, unternahm Ausflüge oder beging Kulturaben-

180 Stahlnetz, » Die Zeugin im grünen Rock«, 0:02:21–0:02:30. 181 Gerade in der Zeit zwischen 1945 und 1952 verließen viele Polizeiangehörige ihren Dienst auf eigenen Wunsch, um in anderen Berufssparten schneller Karriere zu machen und eine bessere Bezahlung zu erreichen. Siehe: R. Bessel: Die Volkspolizei und das Volk, in: D. v. Melis (Hg.): Sozialismus auf dem Lande, S. 17–40, S. 37–38. 182 Blaulicht, »Heißes Geld (II)«, 01:05:50.

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de miteinander.183 In der vom Ministerium herausgegebenen »Geschichte der Volkspolizei« heißt es hierzu für die Zeit um 1959 beispielgebend: In den Dienstkollektiven entwickelten sich unter dem Aspekt, sozialistisch zu leben, verstärkt kulturelle Aktivitäten. Vielfältige Formen und Methoden des Beschäftigens mit Kunst und Kultur und die kulturelle Selbstbetätigung wurden zum untrennbaren Bestandteil der Arbeit in den Partei- und FDJ-Organisationen. In vielen Dienststellen schlossen sich die Volkspolizisten in Volkskunstgruppen zusammen und sahen ihre Freizeitbeschäftigung sowohl als einen wichtigen Teil ihrer Persönlichkeitsentwicklung als auch der politisch-ideologischen Arbeit in ihren Dienstkollektiven an.184

Die gemeinsam verbrachte Freizeit der Blaulicht-Ermittler und das hierdurch gestärkte Vertrauen (jenseits der in Polizeikreisen beschworenen soldatischen Kameradschaft) mussten für den Zuschauer positiv wirken. Der Schluss liegt nahe, dass das Ermittlerkollektiv auf der Mattscheibe einen doppelten Vorbildcharakter hatte. Nicht nur die Bevölkerung sollte zu mehr Wachsamkeit erzogen werden und ein Gefühl von Sicherheit bekommen, sondern die drei sympathischen Polizisten konnten durchaus als Berufsvorbilder für Heranwachsende dienen. Gleichzeitig konnte mit dieser positiven Grundstimmung davon abgelenkt werden, dass die Volkspolizei als Arbeitgeber keinen guten Ruf vor allem in Bezug auf die Entlohnung hatte und damit »zu allen Zeiten Schwierigkeiten [bestanden], Personal zu finden«.185 Und auch die Kontinuität des Ermittlerteams sowie ihr berufliches Selbstverständnis widersprach sichtlich der ständigen Fluktuation von Volkspolizisten.186 Die nachhaltigste Wirkung als Vorbildcharakter erzielte wahrscheinlich die Figur des Leutnant Timm. Schon zu Beginn ist er als Polizeimeister an der Lösung der Fälle beteiligt, und er zeichnet sich durch Fleiß aus, indem er so manche Nacht schlaflos verbringt, um die Lösung eines Falles durch kluge Überlegungen zu befördern.187 Später besucht er einen Fortbildungslehrgang, um neue Ermittlungstechniken zu erlernen. Timm bringt nach dem Lehrgang so viel neues Know-how in die 183 Kleßmann, Christoph: Arbeiter im »Arbeiterstaat« DDR. Deutsche Traditionen, sowjetisches Modell, westdeutsches Magnetfeld (1945–1971), Bonn 2007, S. 695–703. 184 Ministerium des Innern (Hg.): Geschichte der Deutschen Volkspolizei, Band 1, S. 302. 185 T. Lindenberger: Volkspolizei, S. 211. 186 Ebd., S. 212. 187 In der Folge »Ein gewisser Herr Hügi« versucht er, mittels eines Experiments einen Verkehrssünder zu überführen. Wernicke tut Timms Erfindergeist als jungenhaftes Gehabe ab, schließlich gebe es bei der Volkspolizei ausgebildete Techniker. Dennoch bleibt der Eindruck, dass Timms Idee und Experiment für die Beweisführung wichtig sein könnten. Blaulicht, »Ein gewisser Herr Hügi«, Folge 6, 21. 4. 1960, 0:20:15– 0:21:42.

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Ermittlungen um den »Mann zuviel« ein, dass Thomas, wenn auch nur im Scherz, Angst um die »Rangfolge« bekommt.188 Gleichzeitig muss diese Folge auch unter dem Eindruck der erst wenige Monate zuvor geäußerten Kritik des ZK an den Kulturschaffenden der DDR auf dem 11. Plenum 1965 gesehen werden. Indem der »Jungspund« Timm sich in dieser Folge auffällig korrekt und eifrig verhält, entspricht er mehr denn je den offiziellen Vorgaben, auf dem Bildschirm keine umstürzlerischen und den Sozialismus hinterfragenden Charaktere zu zeigen, sondern vielmehr solche, die das System zum Aufstieg nutzen. Verhalten gegenüber anderen Polizeidienststellen Obwohl der Schwerpunkt der dargestellten Ermittlungen zumeist auf einem Dezernat (häufig der Mordkommission) lag, war die Möglichkeit der Zusammenarbeit mit anderen Kommissariaten innerhalb einer Dienststelle nicht ausgeschlossen. Manchmal war sie sogar explizit erwünscht, da die ermittelnde Einheit nicht immer über die jeweilige Expertise verfügte. Beispielsweise hält der westdeutsche Stahlnetz-Kriminaloberrat Krämer als Leiter der gesamten Düsseldorfer Kriminalpolizei allmorgendlich eine gemeinsame Dienstbesprechung aller Kommissariate ab, um den Informationsaustausch zwischen den einzelnen Abteilungen zu verbessern.189 Einen solchen Austausch benötigt das Ermittlerkollektiv um Wernicke selten. Gemeinsame Dienstbesprechungen mit nicht näher benannten Kollegen finden in nur wenigen Folgen statt. In diesen (seltenen) Fällen (wie z. B. »Die Butterhexe« oder »Der Kindermörder«) haben solche Szenen wie im Stahlnetz die dramaturgische Aufgabe, die wirkungsvolle Arbeit der Volkspolizei als Ganzes zu betonen. Meist arbeiten die drei Blaulicht-Ermittler jedoch selbstständig und führen sogar die Sicherung der Tatortspuren durch, ein Vorgang, der eigentlich der Kriminaltechnik vorbehalten ist. Dennoch lässt sich in der DDR-Krimireihe kein durchgehendes Narrativ erkennen, das Selbstständigkeit und Unabhängigkeit unterstreicht. Die Konzentration auf die drei Ermittler zu Beginn der Krimireihe und die stetige Ausweitung des Personaltableaus scheint vielmehr mit den damaligen Produktionskapazitäten zusammenzuhängen. So ist zu beobachten, dass ab Mitte der 1960er Jahre mehr Polizisten auftraten, da auch die Spielräume für die Inszenierung wie beschrieben größer wurden. Unabdingbarer Helfer der Stahlnetz- wie Blaulicht-Kommissare ist die Schutzpolizei. Sie nehmen Verdächtige fest oder bewachen sie, errichten Straßenbarrieren und befragen Passanten. In der Stahlnetz-Folge »Spur 211« werden die Schutzpoli188 Siehe Blaulicht, »Ein Mann zuviel«, 0:07:12–0:07:43. 189 Stahlnetz, »Die Zeugin im grünen Rock«. Ob solche übergreifenden Dienstbesprechungen dem zeitgenössischen realen Arbeitsalltag der Kriminalpolizei entsprachen, muss offen bleiben.

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zisten für die Ermittlungen der Kriminalpolizei als nahezu unentbehrlich dargestellt. Und so erklärt der Off-Kommentar, dass beim so genannten »Ersten Angriff«190 der Kriminalpolizei die Schutzpolizisten Sperrzonen errichteten und Verdächtige anhalten. Doch nur selten haben die Beamten in Uniform eine Sprech- oder auch handlungsrelevante Rolle. Wohl auch deshalb gab es hin und wieder Kritik an Rolands Darstellung der Schutzbeamten aus den Reihen der Polizei. 1960 schrieb Polizeimeister Hans Seidensticker an die Gewerkschaftszeitung Deutsche Polizei einen empörten Leserbrief: »Der uniformierte Beamte dagegen sieht sich […] als zur Salzsäule erstarrter, Meldung machender und unablässig salutierender Eckensteher«.191 In der persönlichen Antwort an Hans Seidensticker weist Roland die Empörung zurück, seien doch die »einzigen negativen Kritiken an unserer Sendung […] seit eh und je […], daß wir die Polizei zu positiv[,] mit anderen Worten, zu sehr durch die Werbebrille betrachtet, darstellen«.192 Wenige Monate später entrüstet sich ein weiterer Zuschauer über Rolands Inszenierung. Er scheint dem Schreibduktus nach aus polizeinahen Kreisen zu stammen und fragt verwundert in einem an die Redaktion der TV-Fernsehwoche gerichteten Leserbrief: »Aber ist es denn notwendig, daß in seinen Stahlnetz-Sendungen der uniformierte Polizeibeamte immer wieder als Dummer August präsen-

190 »Erster Angriff« meint hier »taktische Maßnahmen« der Kriminalpolizei direkt nach einer Tat. Allerdings ergeben sich in den sonst so gut recherchierten kriminaltechnischen und kriminalistischen Ausführungen der Reihe Stahlnetz Inkonsistenzen zum »Auskunftsbuch für Kriminalbeamte«: »Unter dem Begriff Erster Angriff sind jene Maßnahmen zu verstehen, die bereits am Tatort ergriffen werden müssen, damit die Straftat aufgeklärt werden kann. Die rein ordnungspolizeilichen Aufgaben, wie Absperrungen des Tatortes, Verkehrsumleitungen usw. zählen daher nicht zum Ersten Angriff, weil sie mit der Aufklärung nur mittelbar zu tun haben. […] Der Erste Angriff ist also bereits die einleitende Untersuchungshandlung der Kriminalpolizei. …« (F. Meixner: Auskunftsbuch für Kriminalbeamte, S. 131). Da Roland seine Fernsehreihe an den Zuschauer bestmöglich »vermarkten« wollte, nahm er derartige Unsauberkeiten wohl billigend in Kauf. Interessanterweise findet das »Auskunftsbuch für Kriminalbeamte«, kurz das Kriminalisten-Abc, eine Fibel mit 1000 Stichwörtern und Erläuterungen, die unter Kriminalbeamten gewiss einen hohen Verbreitungsgrad hatten, des Öfteren Erwähnung im Stahlnetz. So z. B. auch in der Folge »Saison«. Durch das Zitat offizieller kriminalistischer Literatur im Stahlnetz sollte der Eindruck der Authentizität vertieft werden. 191 Brief Hans Seidenstickers an die Gewerkschaft der Polizei, Landesbezirk NordrheinWestfalen, z. Hd. Herrn Wilhelm Kruse, 8. 4. 1960, S. 2, in: NDR-Pressedokumentation. 192 Brief Jürgen Rolands an Hans Seidensticker, 4. 5. 1960, S. 2, in: NDR-Pressedokumentation.

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tiert wird?«193 Der Autor sah dabei nicht nur die Beziehungen innerhalb der Polizei gefährdet, sondern auch »das Verhältnis zwischen Zivilbevölkerung und Polizei« – und gerade dieses Verhältnis wollte Roland ja besonders positiv beeinflussen. Rolands weist die Kritik in einem weiteren persönlichen Antwortschreiben von sich: »… ich bin eingebildet genug, anzunehmen, daß 12 »Stahlnetz«-Sendungen für sich sprechen, und man wird mir kaum verübeln können, daß ich die jüngst erfolgte Auszeichnung meiner Person durch die Goldenen Plakette der Gewerkschaft der Polizei (Kripo und Schupo!) für eine Bestätigung der Richtigkeit meiner Bemühungen ansehe«.194 Etwa ein Jahr später inszenierte Roland die Stahlnetz-Folge »Saison«, in der die Figur des Polizeimeisters Wohlers aus dem Harz als kluger, umsichtiger und keineswegs abgestellter Schutzmann überzeugt (Abb. 26). Doch zunächst wirkt er lediglich tapsig, seiner einnehmenden Ehefrau unterwürfig und unscheinbar (Abb. 27) – auch die ermittelnden Kriminalbeamten nehmen ihn nur am Rande wahr und können kaum glauben, dass Wohlers tatsächlich als Polizist etwas zu tun habe.195

Abb. 26: Polizeimeister Wohlers am Tatort (l.; Stahlnetz, »Saison«). Abb. 27: Polizeimeister Wohlers und seine Frau (r.; Stahlnetz, »Saison«). 193 Brief Jakob Rahms an die TV-Fernsehwoche, 29. 7. 1960, in: NDR-Pressedokumentation. Die Kritik an der Darstellung der Schutzpolizei im Fernsehen hält bis heute an. Der Politologe Joachim Kersten konstatiert hierzu: »Ein Grund weshalb Polizisten den Tatort unrealistisch finden, ist oben angesprochen: Die uniformierte Polizei wird immer noch als Dummbackenverein dargestellt, der Verdächtige bringen und abholen darf und ansonsten die Spuren verwischt oder die Arbeit behindert. Wenn jedoch eine real tote Leiche im Wald gefunden wird, kommen reale Streifenbeamte, sperren ab und so weiter. Da kommt keiner im Trenchcoat, dem alle ehrfürchtig Platz machen«. In: J. Kersten: Aufklärung am Sonntagabend: Der ARD Tatort, in: Linssen, Ruth/Pfeiffer, Hartmut (Hg.): Polizei, S. 135–143, S. 140. 194 Brief Jürgen Rolands an Jakob Rahm, 26. 9. 1960, in: NDR-Pressedokumentation. 195 Stahlnetz, »Saison«, 0:48:50–0:49:03.

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Doch die Figur entwickelt sich, und Wohlers kann am Ende durch seine Menschenund Ortskenntnis den Fall aufklären. Er ist damit eine positive Figur, wenn nicht sogar die positivste dieser Stahlnetz-Folge, denn er stellt nicht nur Sicherheit und Ordnung auf dem Lande wieder her, sondern bildet auch den sympathischen Gegenpart zu einem dominanten, die Zeugen in barschem Ton befragenden Staatsanwalt. Es lässt sich nicht mit Bestimmtheit klären, inwieweit diese Folge tatsächlich auf die benannte Kritik reagierte oder ob Roland Versprechungen der Schutzpolizei gegenüber nachgekommen war und sie deshalb in den Mittelpunkt gerückt hatte. Dass Roland die Folge jedoch bewusst einsetzte, daran lässt ein Artikel-Entwurf für die Deutsche Polizei keinen Zweifel: »Die uniformierten Beamten aber sind, genau wie ihre in zivil arbeitenden Kollegen von der Kripo, einer häufigen Verzeichnung und Verzerrung durch Illustrierte, Romane und Filme ausgesetzt, so daß es mir wesentlich erscheint, auch hier einmal durch eine sachliche, faire und objektive Darstellung Vorurteile abzuräumen und Verständnis zu wecken«.196 Auch der Volkspolizist sollte in der DDR-Reihe Blaulicht »sachlich und fair« dargestellt werden, wenngleich in keiner Folge eine weitergehende Sprechrolle für einen Uniformierten vorgesehen war. Dennoch lohnt ein genauer Blick auf die im Blaulicht vertretenen Nicht-Kriminalisten, versuchte doch die DDR, realiter wie im Film, mit dem so genannten Abschnittsbevollmächtigten (ABV)197 und Freiwilligen Helfern198 eine besondere Form der bürgernahen Polizeiarbeit zu entwickeln. Dabei unterschieden sich beide Formen deutlich voneinander. Während der ABV in die Struktur der Polizei als eigene Abteilung eingegliedert war, wurden die »Freiwilligen Helfer« auf »vielfachen Wunsch« aus der Mitte der Bevölkerung heraus Anfang der 1950er Jahre installiert. Die »DDR-Feierabendpolizisten« (Lindenberger) sollten nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch in ihren Wohngebieten199 erziehen und arbeiteten durch aufmerksames Beobachten ihrer Umwelt dem ABV zu. Gerade das denunziatorische Moment wurde von der SED-Führung ausgenutzt, konnten sie sich doch keineswegs auf spontane Bezichtigungen aus der Bevölkerung verlassen.200 Ihr Stellenwert für die Volkspolizei wurde in öffentlichen Ver196 Rolands Entwurf für einen Artikel in der »Deutschen Polizei«, in: NDR-Pressedokumentation. Einen filmischen Gegenentwurf schuf Roland erst Mitte der 1980er Jahre mit der bis heute beliebten Vorabendserie »Großstadtrevier«. 197 Der Abschnittsbevollmächtigte wurde seit 1952/53 auf dem Land wie auch in der Stadt – hier allerdings zahlenmäßig geringer vertreten – eingesetzt. Zum ABV (auf dem Land) siehe: T. Lindenberger: Volkspolizei, S. 295–366. 198 Ebd., S. 271–394. 199 Ebd., S. 285. 200 Ebd., S. 293. Dennoch, so betont Lindenberger, sind die Freiwilligen Helfer keinesfalls als »Vergesellschaftung von Herrschaftsfunktionen« zu deuten, wie sie im Nationalsozialismus ihre Praxis gefunden hatten. Vielmehr eigneten sich die Freiwilligen Helfer

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lautbarungen daher immer wieder betont: »Die Aufgaben der Volkspolizei waren ohne die Mitwirkung ihrer freiwilligen Helfer nicht zu lösen. Die Tätigkeit der Helfer hatte sich in den vorangegangenen Jahren als eine spezifische Form der bewußten und aktiven Teilnahme der Werktätigen an der staatlichen Leitung hinsichtlich Ordnung und Sicherheit bewährt«.201 In der Reihe Blaulicht finden beide Formen der Zuarbeit durch ABV und Freiwillige Helfer nur dann Eingang in die Handlung, wenn dem Verbrecher mit vereinten Kräften entgegengetreten werden muss. Auffällig ist, dass Freiwillige Helfer vor allem in den Folgen bis zum Mauerbau eingesetzt werden, beispielsweise in »Kippentütchen« oder »Die Butterhexe«. Sie durchkämmen Laubenkolonien oder verteilen wichtige Informationen an die Bevölkerung. Nach dem Mauerbau ist es vorwiegend der ABV, der helfen kann, die Kriminalfälle aufzuklären.202 So findet ein ABV die verletzte Helga Sommer während der »Nachtstreife« in ihrer Wohnung und bestellt einen Krankenwagen.203 Vor allem die genaue Kenntnis seiner Nachbarschaft hilft den Blaulicht-Ermittlern bei der Lösung des Falles. Um die Identifikation mit diesen (Vor-)Formen polizeilicher Arbeit für den Zuschauer zu erleichtern, wäre es allerdings nötig gewesen, die jeweiligen Personen und ihr Handeln dramaturgisch präziser auszugestalten. So bleiben sie lediglich Randfiguren. Ein beständiger, wenngleich abstrakter Ermittlungspartner der westdeutschen Kriminalpolizei war das Bundeskriminalamt (BKA) mit Sitz in Wiesbaden – im Stahlnetz wie in der Realität. Seinem damaligen Auftrag nach oblag ihm das Sammeln und Auswerten von Nachrichten, es trat als Schnittstelle zum Ausland auf, koordinierte Interpol-Anfragen und unterstützte die Kriminalpolizei der jeweiligen Bundesländer durch »gute fachliche Leistungen«.204 Ebenso zählte zu den Aufgaben des BKA die Organisation von Fachtagungen und die Herausgabe einer Schriften-

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»als Beleg für die von der SED mit hartnäckiger Konsequenz ins Werk gesetzte Verstaatlichung gesellschaftlicher Beziehungen« (ebd., S. 293). Darauf einzugehen, welche eigensinne Umsetzung die Freiwilligen Helfer in den einzelnen Folgen erfuhren, würde hier zu weit führen. Ministerium des Innern (Hg.): Geschichte der Deutschen Volkspolizei, Band 1, S. 70. Ihr genuiner Tätigkeitsbereich, der 1964 mit einer Regierungsverordnung festgeschrieben wurde, lag im lokalen Bereich »im Einschreiten gegen Ordnungswidrigkeiten, mündlichen Verwarnungen, Personalienfeststellung, ersten Maßnahmen am Unfallort« (ebd., S. 290). Solche Aufgaben wurden jedoch in den Kriminalfilmen nur selten gezeigt. Blaulicht, »Nachtstreife«, Folge 28, 2. 12. 1967. Ullrich, Wolfgang: Verbrechensbekämpfung. Geschichte, Organisation, Rechtsprechung, Neuwied am Rhein 1961, S. 327–331. Zur jüngeren Forschung vgl.: SchmidtJortzig, Immo Joachim: Ermittlungskompetenzen des BKA, Frankfurt a. M. 2009 und I. Baumann/H. Reinke/A. Stephan/et al.: Schatten der Vergangenheit.

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reihe mit kriminologischem Grundlagenwissen.205 Für die Reihe Stahlnetz von besonderer Bedeutung sind die kriminaltechnischen Labore des BKA, die als hochtechnisierte und wissenschaftliche Einrichtungen dargestellt werden und die Authentizität der Handlung deutlich erhöhen. Trotzdem erscheinen die Beamten des BKA so gut wie nie als handlungstragende Akteure, wohl auch vor dem Hintergrund, dass das BKA selbst keine Ermittlungen durchführen durfte. In der Folge »Sechs unter Verdacht« erhält das sonst eher technokratisch auftretende BKA durch Selbmann, einen Freund des ermittelnden Kriminalobersekretärs Wissmann, erstmals ein Gesicht. Zunächst erscheint Selbmann eher unsympathisch, tritt er doch als allwissender »Superdetektiv vom Bundeskriminalamt« auf. Erst der Kontakt zur Kripo-Arbeit vor Ort und die Gespräche mit Wissmann verändern Selbmanns Bild von dem Fall und der Arbeit, die der einzelne Kommissar leisten muss. Trotz dieser Erkenntnis bleibt Selbmanns Zeichnung als Vertreter des BKA im Vergleich zu Wissmann und seinem Assistenten Schreyvogel deutlich negativ. Dies könnte als Kritik an einem institutionellen Standesdünkel aufzufassen sein. Ob die Zuschauer diese kritische Würdigung der Sicherheitsapparate wahrgenommen haben, bleibt aufgrund fehlender Rezensionen unklar. Im Großen und Ganzen bleibt das BKA als wichtige Institution indes positiv besetzt. In Bezug auf die öffentliche Kritik an der Arbeit bundesdeutscher Sicherheitsorgane fällt auf, dass die realiter oft schwierige Zusammenarbeit der kriminalpolizeilichen Abteilungen einzelner Bundesländer keine Erwähnung im Stahlnetz findet. Von den Alliierten der Hoheit der Länder unterstellt, arbeite die Polizei separiert und oft wenig effektiv in der Verbrechensbekämpfung. So lautete zumindest der Tenor einer Serie der Zeitschrift Stern aus dem Jahr 1967. Unter dem Titel »Deutschland – deine Kripo« sollten dem Leser die Probleme und Schwächen der Kripo anhand einzelner Fallbeispiele vorgeführt werden. Der Text kam u. a. zu dem Schluss, dass eine »Großfahndung – aber nur vor der Haustür«206 möglich sei. Grund hierfür, argumentierte Autor Jörg A. Elten, sei »der Kompetenz-Wirrwarr auf der unteren Ebene [und dieser] setzt sich auf höherer Ebene fort. Elf Innenminister und Senatoren der Länder und der Bundesinnenminister haben in Sachen Kripo mitzureden. Und sie reden kräftig mit«.207 Die Stahlnetz-Kommissare brauchen sich um solch widrige Arbeitsbedingungen kaum Sorgen machen. In ihrer idealen Welt funktioniert der Austausch über Bundesländergrenzen hinweg rei-

205 Einzige Ausnahme bildete die Folge »Strandkorb 421«, in der ein Beamter des BKA selbstständige Ermittlungen durchführt. Stahlnetz, »Strandkorb 421«, Folge 19, 24. 11. 1963. 206 Elten, Jörg Andrees: Deutschland – deine Kripo, in: Stern, 19. 2. 1967, S. 48. 207 Ebd., S. 52.

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bungslos. Auch Interpol ist ein verlässlicher Fernsehermittlungspartner.208 Zum Gegensatz von Realität und der Fernsehfiktion heißt es in der »Stern«-Serie zugespitzt: »In Film- und Fernsehkrimis wird gewöhnlich ein Verbrecher von zwölf Peterwagen und 24 Polizisten gejagt und erwischt. In der Praxis jedoch jagt ein Kriminalbeamter hinter zwölf gestohlenen Autos und 24 Verbrechern her«. Dies sei »die Situation auf die knappste Formel gebracht, die fatale Situation der deutschen Kriminalpolizei«.209 Gerade wegen Rolands enger Verbindung zur Kriminalpolizei verwundert es, dass das Stahlnetz das System so selten kritisierte. Der eine oder andere Hinweis oder sogar eine systemkritische Folge wäre trotz guter Zusammenarbeit mit der Polizei nicht unmöglich gewesen.210 Dass die Fernsehmacher zu solch umstrittenen Themen schwiegen, deutet zum einen darauf hin, dass das gute Verhältnis zu höhere Polizeibeamten nicht getrübt werden sollte. Zum anderen setzte der öffentlichmediale Tadel an der Kriminalpolizei erst Mitte, Ende der 1960er Jahre ein. Die zitierte Stern-Serie ist dabei nur ein Beispiel. Als Stahlnetz auf Sendung ging, befand sich der Polizeiapparat noch in einer Übergangsphase zur Liberalisierung. Geschlossenheit der inneren Reihen wurde von den »Patriarchen« gefordert. Mit dem Erstarken der kritischen Medienöffentlichkeit211 und der »Modernisierer« wurde Beanstandung an diesen Reihen zwar möglich, das Stahlnetz hatte seinen Zenit jedoch längst überschritten.

208 Ein ähnlich idealisiertes Bild entwirft Herbert Kosyra, Kriminalinspektor, in seiner 1980 erschienen Geschichte der Kriminalpolizei. Hier heißt es zur Zusammenarbeit der Kriminalpolizei in den 1950er, 1960er Jahren: »Bei der Alltagsarbeit der Polizei siegten immer wieder das Pflichtbewußtsein und die Kameradschaftlichkeit der Beamten über alle Schwierigkeiten. Die Hilfsbereitschaft und das Entgegenkommen, welches jeder Kriminalist bei den Kollegen in den anderen Ländern fand, waren durchweg vorbildlich«. In: Kosyra, Herbert: Die deutsche Kriminalpolizei in den Jahren 1945 bis 1955, St. Michael 1980, S. 170. 209 Beide Zitate: Elten, Jörg Andrees: Deutschland – deine Kripo, in: Stern, 26. 3. 1967, hier S. 65. 210 Auch Wolfgang Menge betonte in dem mit der Autorin geführten Interview, dass die Fernsehmacher durchaus nicht alles unkritisch sahen. Dies sei schließlich an manchen Stellen, z. B. in Zusammenhang mit der Besoldung, geschehen. 211 Christina von Hodenberg argumentiert in ihrer Studie zur Medienöffentlichkeit der Bundesrepublik, dass diese bereits ab 1958 zunehmend zeitkritischer und damit demokratischer wurde, einen wesentlichen Schub jedoch erst 1965 erfahren hat. Die bereits zitierte Zeitschrift »Stern« zählte ihrer Einschätzung nach zu den »zeitkritischen Medien«. Der sich ab 1965 verschärfende Ton und die intellektuelle Kritik am Staat waren für die Phase bis 1973 prägend. In: C. von Hodenberg: Konsens und Krise, S. 362–439, hier besonders S. 362–370.

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Verhalten gegenüber Verdächtigen und Tätern Während die Fernsehpolizisten die Bürger meist im angemessenen Tonfall ansprachen,212 verhalten sich die Kommissare aus West und Ost gegenüber vermeintlichen Tätern und Verdächtigen oft unnachgiebig hart und dominant. Es fällt auf, dass die Stahlnetz-Ermittler in dieser Hinsicht wesentlich grober gezeichnet werden als die Ermittler des Blaulicht. Ein einprägsames Beispiel dafür ist die Folge »Die Zeugin im grünen Rock«. Hauptermittler Brandis begegnet der dringend tatverdächtigen Berta Kurz mit leiser, aber doch eindringlicher Stimme. Seine Dominanz gegenüber der Verhörten sowie sein forschendes Gesicht werden kameratechnisch durch eine nahe Untersicht verstärkt; der Zuschauer ist deutlich näher an seinem Gesicht als an dem von Berta Kurz, die in einer halbnahen Aufsicht auf dem Bett ihrer Zelle sitzt. Die Dominanz des Ermittlers gegenüber der vermeintlichen Täterin wird auch nicht aufgehoben, als er sich zu ihr herunter beugt (Abb. 28).

Abb. 28: Kommissar Brandis verhört die Verdächtige Berta Kurz (Stahlnetz, »Die Zeugin im grünen Rock«).

Vielmehr wirkt er aus ihrer Sicht noch bedrohlicher, denn mit souveräner und abgeklärter Stimme suggeriert er ihr, dass sie und nicht die »Waltraud« viele Gründe gehabt hätte, das Opfer Pohlitz zu erschlagen. Die Inhaftierte reagiert nervös und gerät in den weiteren Vernehmungen durch Brandis immer mehr durch laute Geräusche,213 schnelle Bewegungen oder die Konfrontation mit ihrer eigenen Vergangenheit unter Druck. Außerhalb der Vernehmungen ist Brandis, wie manch anderer Kommissar, keineswegs frei von Zweifeln über seine Ermittlungs- und Verhörmethoden. Als Repräsentant des staatlichen Gewaltmonopols darf er jedoch nicht zweifeln und muss

212 Siehe hierzu Kapitel fünf. 213 Stahlnetz, »Die Zeugin im grünen Rock«, 00:29:50.

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gegen einen Verdächtigen die polizeiliche Härte überzeugend vertreten; andererseits ist es durchaus menschlich zu zweifeln, zu irren, sich Fehler einzugestehen, zu ihnen zu stehen und diese zu beheben. Der »Patriarch« und Kripo-Chef Krämer fängt diese Ambivalenz am Ende dieser Stahlnetz-Folge auf und überführt sie in eine allgemeingültige, dem Berufsethos naheliegende Schlussmoral: »Sie hätten genauso alle Spuren verfolgt, wie Sie es getan haben. Sie hatten ja gar keine andere Möglichkeit. Wir können 99mal einen falschen Weg gehen, die Hauptsache bleibt, dass wir nicht fahrlässig sind und dass wir den 100sten Weg auch noch verfolgen«.214 Selbstzweifel, wie sie Kommissar Brandis heimsuchen, werden in der BlaulichtReihe nicht thematisiert. Die Polizei der Fernseh-DDR gibt sich in allen Ermittlungen und Vernehmungen stets souverän und überlegen. Zwar gehört auch der scharfe, verurteilende Tonfall durchaus zum Repertoire der Blaulicht-Ermittler, aber das Verhältnis zwischen Tätern/Verdächtigen und den Blaulicht-Ermittlern wird weder durch Aufsichten noch ein Herabsprechen auf den Täter oder den Verhörten inszeniert.215 Häufig müssen Täter noch nicht einmal zu längeren Vernehmungen vorgeführt werden, da sie auf frischer Tat ertappt wurden. Die fast egalitäre Behandlung vieler Täter verändert sich jedoch radikal, sobald Mord oder versuchter Mord zur Ermittlung ausstehen. Ein eindrucksvolles Beispiel ist die Darstellung des ehemaligen SS-Scharführers Debel,216 der nicht nur eine ungesühnte NS-Vergangenheit hat, sondern auch seine Schwester töten und Republikflucht begehen wollte. Als die Ermittler ihn noch für unschuldig halten, begegnen sie ihm respektvoll und freundlich. Doch als seine wahre Identität aufgedeckt wird, kann Wernicke, der während des »Dritten Reiches« interniert war, nur schwer an sich halten und wird gegenüber dem Verdächtigen laut. Ein möglicher Übergriff deutet sich jedoch nicht an, stattdessen kehrt Wernicke schnell zur gewohnten Ruhe zurück. Auch die Kamera bleibt mit dem Mörder Debel auf einer Ebene, also in Normalsicht – im Gegensatz zur zitierten Stahlnetz-Folge. Lediglich Oberleutnant Thomas wird, als er den richtigen Namen Debels vorliest, in einer leichten Aufsicht gezeigt.217 Nahezu ausschließlich begegnen alle drei Ermittler ihrem Gegenüber also mit Ruhe. Diese Methode schüchtert zwar keinen der Täter in dem Maße ein wie Berta

214 Ebd., 0:54:15–0:54:29. 215 Eine Ausnahme bildet die Folge »Ein Mann zu viel«. Timm verhört einen sitzenden Verdächtigen, den die Kamera in einer Aufsicht erfasst. Der Ermittler tritt in Untersicht auf. Die Machtverhältnisse werden jedoch nicht nur durch den jeweiligen Bildausschnitt unterstrichen, sondern auch durch den Tonfall des Kommissars, der deutlich fester ist als in anderen Folgen. Timm gelangt mit dieser Verhörmethode schnell an sein Ziel und erhält die gewünschten Informationen. 216 Blaulicht, »Das Gitter«, 1:06:00ff. 217 Ebd., 1:05:13–1:07:28.

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Kurz, dennoch verunsichert sie die meisten Verhörten und treibt sie an, alle Taten zu gestehen. Das Fehlen repressiver wie körperlicher Verhörmethoden bei der Fernsehkriminalpolizei berührt zugleich eine Grenze des Sag- und Zeigbaren. Die so genannten Sicherheitsorgane der DDR, zu denen nicht nur die Polizei, sondern auch das Ministerium für Staatssicherheit218 zählte, wollten sich nach außen hin selbstverständlich positiv repräsentiert sehen. Im Inneren aber übten sie Folter, Zwang und Gewalt gegen die Feinde des Staates und seiner Gesellschaft aus. So realistisch sich auch das Blaulicht präsentieren wollte, die hier gezeigten Verhör- und Haftsituationen entsprachen in keiner Weise der DDR-Realität.219 Die Weibliche Kriminalpolizei Während bisher hauptsächlich die Inszenierung der männlich dominierten (Kriminal-)Polizei im Mittelpunkt stand, ist nun ein Bereich polizeilicher Arbeit zu beleuchten, der realiter und auch dem Namen nach von Frauen geprägt war: die Weibliche Kriminalpolizei (WKP). Fürsorgetätigkeiten, also die Betreuung von Gefangenen, Prostituierten oder verwahrlosten Kindern und Jugendlichen, den so genannten »Gefährdeten«, wurden in Deutschland seit dem späten Kaiserreich vermehrt durch säkulare und konfessionelle Frauenverbände (unter dem Vorbild der internationalen Frauenbewegung) geleistet. 1903 stellte der preußische Staat erstmalig Geld zur Verfügung, um »die Fürsorgetätigkeit der Frauen bei der Polizei zu ermöglichen«.220 1927 entschieden sich die vier deutschen Länder Baden, Sachsen, Hamburg und Preußen dazu, die WKP zu institutionalisieren.221 Dem Gedanken, dass Frauen innerhalb der Polizei am besten den »polizeilichen Grundaufgaben«, also dem »Helfen, Fördern und Vorbeugen«, nachkommen könnten, liegt ein klar polarisiertes Geschlechtermodell zugrunde. Es war bei der Neuordnung der Polizei zu Beginn der Weimarer Republik prägend und setzte sich auch 218 Zur Geschichte des Ministeriums für Staatssicherheit vgl. u. a.: Gieseke, Jens: Die DDR-Staatssicherheit. Schild und Schwert der Partei, Bonn 2000 und Ders. (Hg.): Staatssicherheit und Gesellschaft. Studien zum Herrschaftsalltag in der DDR, Göttingen 2007. 219 Vgl. u. a.: J. Gieseke: Die DDR-Staatssicherheit; Ders.: Volkspolizei und Staatssicherheit. Zum inneren Sicherheitsapparat der DDR, in: H.-J. Lange (Hg.): Die Polizei der Gesellschaft, S. 93–120 und im Besonderen Wierling, Dorothee: Die Stasi in der Erinnerung, in: J. Gieseke (Hg.): Staatssicherheit und Gesellschaft, S. 187–208, zu Erinnerungsmustern in Oral-History-Interviews über die Staatssicherheit als »nichtthematisierter Teil des Alltags«, »als faszinierendes Geheimnis« und »als ›normale‹ Behörde«. 220 Wieking, Friedrike: Die Entwicklung der weiblichen Kriminalpolizei in Deutschland von den Anfängen bis zur Gegenwart, Lübeck 1958, S. 9. 221 Die Länder handhabten Aufnahmebedingungen und Aufgabenbereiche unterschiedlich. Weiterführend ebd., S. 26–53.

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nach 1945 fort. Dem bereits an anderer Stelle ausgeführten Männlichkeitsideal der staatlichen Exekutive musste die Polizistin komplementär gegenüberstehen, und ihr Aufgabenbereich durfte nicht zu eng an dem der männlichen Beamten liegen. So äußerte beispielsweise die Vereinigung der höheren Kriminalbeamten Preußens in den Anfangsjahren der WKP, dass deren Teilnahme an Ermittlungen vollkommen ausgeschlossen sei, ebenso »könne nicht genügend davor ›gewarnt‹ werden, der Frau eine Stellung einzuräumen, die sie zum Vorgesetzten von männlichen Kriminalbeamten macht«.222 Doch selbst ihre Befähigung zur fürsorglichen Tätigkeit wurde kritisch betrachtet. Der Vorwurf lautete, die meisten Polizistinnen seien unverheiratet und hätten daher weniger Einfühlungsvermögen als die meisten männlichen Beamte als Väter: »Es ist deswegen nicht ohne weiteres einzusehen, warum die Vernehmung von Knaben nicht durch Männer, die selbst Väter sind, vorgenommen werden soll, sondern durch unverheiratete Frauen«.223 Von ihrer Bedeutung und Notwendigkeit überzeugt, bauten die Alliierten nach Ende des Zweiten Weltkrieges die Weibliche Kriminalpolizei wieder auf, griffen dabei aber durchaus auf »belastetes« Personal zurück.224 Eine Kriminalkommissarin der Zeit schreibt hierzu unkritisch: »In jeder Zone blieben Beamtinnen am Werk, die sich aus innerer Überzeugung und Neigung zu ihrem Beruf unverzagt an den

222 Zitiert nach Nienhaus, Ursula: Nicht für eine Führungsposition geeignet. Josefine Erkens und die Anfänge der weiblichen Polizei in Deutschland 1923–1933, Münster 1999, S. 41. 223 Regierungsrat Antz (Polizeidirektion München), in: Deutsches Polizeiarchiv (1927), zitiert nach: ebd., S. 42. Josephine Erkens, eine der führenden Figuren beim Aufbau der WKP während der Weimarer Republik, zeigte sich hingegen äußerst sendungsbewusst und bemerkte zum weiblichen Polizeidienst, dass es eine »notwendige Ergänzung der männlichen Arbeit [sei], und zwar aus der Erkenntnis heraus, daß bestimmte Delikte, in die vorwiegend Frauen und Kinder verwickelt sind, der Aufklärung durch Frauen bedürfen. Ferner liegt die Aufgabe der weiblichen Polizei in der methodischen Vertiefung des neuzeitlichen Ermittlungsverfahrens mit seinem ganz neuen Problemkomplex, den die soziale und psychologische Differenzierung des Verbrechens ergibt«. In: Referat Josephine Erkens, »Die weibliche Polizei als Organ der neuzeitlichen Strafrechtspflege«, zitiert nach: Nienhaus, Ursula: Einsatz für die »Sittlichkeit«. Die Anfänge der weiblichen Polizei im Wilhelminischen Kaiserreich und in der Weimarer Republik, in: Lüdtke, Alf (Hg.): »Sicherheit« und »Wohlfahrt«. Polizei, Gesellschaft und Herrschaft im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1992, S. 243–266, hier S. 262. Siehe hierzu auch Zitate Erkens’ in: U. Nienhaus: Nicht für eine Führungsposition geeignet, S. 46f. 224 Zur Geschichte der Weiblichen Kriminalpolizei der Nachkriegszeit in beiden deutschen Staaten siehe jüngst: Blum, Bettina: Polizistinnen im geteilten Deutschland. Geschlechterdifferenz im staatlichen Gewaltmonopol vom Kriegsende bis in die siebziger Jahre, Essen 2012.

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Neuaufbau einer Weiblichen Kriminalpolizei begaben«.225 Das während der NSZeit kontinuierlich erweiterte Aufgabengebiet der weiblichen Kriminalbeamtinnen226 blieb in der direkten Nachkriegszeit und über die Gründung der Bundesrepublik hinaus bestehen. Es umfasste zum einen »die Bearbeitung von Strafsachen gegen Kinder beiderlei Geschlechts, weibliche Jugendliche, weibliche Heranwachsende sowie weibliche Erwachsene in besonderen Fällen«. Zum anderen oblag ihr »bei der Bearbeitung von Strafsachen, die nicht in ihre Zuständigkeit fallen, z. B. durch Vernehmung von Kindern und weiblichen Jugendlichen als Zeugen und Verletze in Sittlichkeitsdelikten, mit der Durchführung der körperlichen Durchsuchung vertraut [zu] sein«.227 Gegen Ende der 1960er Jahre hatten sich die oben beschriebenen Ressentiments gegen Frauen im Dienst offenkundig abgeschwächt und die WKP sich als notwendige Abteilung bewährt. Denn »der verstärkte Einsatz der Frau mildert nicht nur den Personalmangel, sondern trägt auch zu einer intensiveren Gestaltung der Verbrechensbekämpfung und des Aufklärungsergebnisses bei«, heißt es in einer zeitgenössischen Bilanz.228 In den Krimis der Stahlnetz-Reihe wird die WKP kaum thematisiert; das Skript sah sie lediglich in vier Folgen vor: »Treffpunkt Bahnhof Zoo«, »In jeder Stadt«, »Das Haus an der Stör« sowie »Rehe«. Die jeweils recht kleinen Nebenrollen der Polizistinnen sind einerseits in der inhaltlichen Anlage der einzelnen Fälle zu suchen, andererseits hätte eine starke Kommissarin die Sehgewohnheiten der meisten Zuschauer in den 1960er Jahren wohl irritiert. Die vier weiblichen Stahlnetz-Charaktere der eben erwähnten Folgen sind ähnlich individuell gestaltet wie die männlichen Kommissare, nichtsdestoweniger vereinen sie eine Reihe gleicher Eigenschaften. An erster Stelle ist das Selbstbewusstsein der Frauen zu nennen; schließlich müssen sie sich tagtäglich in einer Männer-

225 F. Wieking: Entwicklung der weiblichen Kriminalpolizei. 226 B. Blum: Polizistinnen im geteilten Deutschland, S. 58–59. Zur WKP während der NSZeit vgl. auch: Nienhaus, Ursula: Himmlers willige Komplizinnen. Weibliche Polizei im Nationalsozialismus 1937 bis 1945, in: Grüttner, Michael/Hachtmann, Rüdiger/Haupt, Heinz-Gerhard (Hg.): Geschichte und Emanzipation. Festschrift für Reinhard Rürup, Frankfurt a. M. 1999. 227 Mayer, Hans: Die Organe der Verbrechensbekämpfung. Entwicklung der Kriminalität und des Personalbestandes von Staatsanwaltschaft und Polizei, Hamburg 1969, S. 122. 228 Ebd., S. 124. Zur populärwissenschaftlichen »Bewerbung« des Berufes der Weiblichen Kriminalpolizistin siehe: Lender, Wolf: Bitte öffnen, Kriminalpolizei. Der Kriminalbeamte und sein Arbeitsgebiet, Düsseldorf 1967, S. 73–74. Lender stellte die Polizistinnen der WKP als Persönlichkeiten mit festen Berufszielen und »fraulicher Selbstsicherheit« vor. Sie übten ihren Beruf mit Begeisterung aus und verkörperten das Berufsideal der Polizistin.

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domäne behaupten. Ein Blick in zwei der vier Folgen ist lohnend, um eine Reihe gemeinsamer Charakteristika, aber auch die Unterschiede der Frauen aufzuzeigen. In der 1962 gesendeten Folge »In jeder Stadt« ermitteln Mordkommission und die Weibliche Kriminalpolizei gemeinsam. Obwohl die Führung des Falles vorschriftsgemäß Kommissar Bade obliegt, bindet er seine Kollegin rasch in alle Ermittlungen ein. Als er nach den ersten Erkundigungen wieder in sein Büro im Präsidium zurückkehrt und seine Sekretärin fragt, ob »Frau Schuster« bereits dagewesen sei, antwortet diese gelangweilt und etwas schnippisch, dass »sich noch keine Frau« gemeldet habe. Die adrette Sekretärin sieht sich anscheinend in einer Art Konkurrenz zur Leiterin der WKP. Dass sie die just in diesem Moment eintretende Frau Schuster nur beiläufig grüßt, ist ein weiterer Hinweis darauf. Frau Schuster, die im Übrigen nie als Kommissarin bezeichnet wird, trägt einen knielangen Rock, eine weiße Bluse, schwarze Pumps und eine leger über die Schulter gelegte Strickjacke, die sie beim Eintreten in Bades Büro mit überkreuzten Armen festhält. Ihre Körpersprache signalisiert Ablehnung und Distanz, auch ihr Ton wirkt zunächst schroff. Trotzdem tritt sie nicht unsympathisch auf und spielt sich sogleich in die Herzen der Zuschauer(-innen), als sie, von ihren männlichen Kollegen für einen Moment unbeachtet, am Besprechungstisch stehen bleibt (Abb. 29). Beide hatten sich bereits gesetzt, ohne ihr zuvor einen Stuhl angeboten zu haben. Bade bemerkt die Ungeschicktheit, erhebt sich schnell und holt das Versäumnis nach. Schuster nimmt Platz und lächelt süffisant-verschmitzt Bades Mitarbeiter zu, der nicht aufgestanden war (Abb. 30).

Abb. 29 und Abb. 30: Frau Schuster erbittet die Einhaltung der Etikette (Stahlnetz, »In jeder Stadt«).

Die beschriebene Szene zeigt eine selbstbewusste Frau mittleren Alters, die es sich nicht nehmen lässt, ihre männlichen Kollegen auf Benimmregeln hinzuweisen. Auch zeigt sie keinerlei Scheu, sich in die Gespräche mit gezielten Fragen einzubringen. Zugleich zeigt diese Szene aus der heutigen Perspektive den etwas ungelenken zwischenmenschlichen Umgang der Kommissare mit einer Frau auf Augen-

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höhe. Beide Geschlechter finden jedoch schnell auf einer Arbeitsebene zusammen, und Schuster begleitet Bade fortan zu einer Reihe von Zeugenbefragungen. Sie ist es, die vornehmlich Mädchen und Frauen mit unangenehmen Fragen konfrontiert, zugleich geht sie auf diese zu und vermittelt ihnen ein Gefühl von Verständnis und Sicherheit. Geleitet werde ihr Umgang mit Zeugen und Opfern aus ihrem Wissen über die »heutige« Jugend und ihre Eltern, die sich zu wenig um ihre Kinder kümmerten und so manches Abgleiten nicht erkennen würden, wie sie gegenüber Bade betont.229 Eltern und Lehrer, die im Laufe der Ermittlungen auftreten, kritisiert sie daher offen und z. T. recht unsensibel durch ihr unwirsches Verhalten. Doch auch wenn am Ende die Täter überführt werden können, fehlen die Beweise, um sie für mehrere Jahre einzusperren. Aus moralischer Perspektive, die Schuster – weiblichmitfühlend – stellvertretend für die Öffentlichkeit bzw. den Zuschauer einnimmt, scheint dies unvertretbar. Bade belehrt sie daraufhin, dass es nicht nur an der Polizei liege, sondern auch an Eltern und Opfern, die das Schweigen durchbrechen müssten. Er bestärkt damit gleichzeitig die zuvor geäußerten Bedenken der Kommissarin über die Rolle der Eltern in der Erziehung. Ein gänzlich anderer Fall ist das »Haus an der Stör«, die 17. Stahlnetz-Folge. Die Rolle der WKP unterscheidet sich hier insofern, als sie nicht an den Ermittlungen beteiligt ist, sondern lediglich die Täterin der Vorschrift nach gemeinsam mit dem ermittelnden Kommissar in die Untersuchungshaft überführt. Fräulein Johannsen230 ist zunächst wenig über diesen Auftrag erfreut – vielleicht, weil sie selbst keine Ermittlungen anstellen darf. Außerdem missfällt ihr sichtlich, dass sie mit ihrem Kollegen, Kriminaloberkommissar Roggenburg, Chef der Mordkommission, mit der Bahn von Itzehoe aus nach Oberbayern reisen muss, um die Täterin zu verhaften. Ihren Missmut bringt sie von Beginn an durch kleine Belehrungen, Gesten und eine entnervte Mimik zum Ausdruck. Roggenburg hingegen kann nach 15 Jahren nun endlich einen Fall zu Ende bringen. Während der Zugfahrt referiert er den Fall für Johannsen und den Zuschauer gleichermaßen. Je mehr sie über den Fall und damit auch den – zumindest in der Resonanz der zeitgenössischen Kritik – sympathisch gespielten Kommissar erfährt, desto teilnehmender wird sie.231 Obwohl sie Roggenburg gegen Ende der Folge immer häufiger drängt, seine Ermittlungen und damit die Lösung des Falles offen zu legen, bleibt sie in ihrer Rolle insgesamt passiv.

229 Stahlnetz, »In jeder Stadt …«, 0:27:40–0:27:55. 230 Die Leiterin der WKP ist dem Aussehen nach rund 15 bis 25 Jahre jünger als ihr Kollege Roggenburg (ca. 55–60 Jahre) und wirkt vom ersten Moment an, als die Kamera sie in einer nahen Einstellung einfängt, abweisend und ein wenig verhärmt, mit züchtig zugeknöpfter Bluse, einer schwarzen Baskenmütze und einem weitgeschnittenen schwarzen Kostüm. 231 Stahlnetz, »Das Haus an der Stör«, 0:31:25.

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Doch ob in aktiver Rolle, wie in der Folge »In jeder Stadt«, oder wie hier beschrieben, die Darstellerinnen der Weiblichen Kriminalpolizei können die Fernsehkritiker nicht überzeugen. In den vorliegenden Rezensionen zur Folge »Das Haus an der Stör« wird die Darstellerin gar nicht oder lediglich als »verschlafen« erwähnt.232 Aber auch ihre Vorgängerin wird nur selten und wenn, dann eher unschmeichelhaft kommentiert. So urteilte das Hamburger Echo: »Der sachlich gehaltene Dialogtext (Wolfgang Menge) erschien von der Beamtenseite her gradspurig, nur von der Kommissarin etwas zu amerikanisch-unterkühlt geredet […]«.233 Damit steht die Inszenierung u. a. im krassen Gegensatz zu dem noch 1929 von der UFA vertriebenen Kulturfilm über die WKP, in welchem die Polizistinnen mit »flotten Figuren und modischen Kleidern, aber entschiedenem, sehr sportlichem, betont freundlich-mütterlichem Verhalten gegenüber Kindern und Jugendlichen als Verkörperung der ›Neuen Frau‹ auftraten«.234 Das Fernsehbild der WKP blieb in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten also ein ambivalentes und reduziertes, das die Zuschauerinnen nicht unbedingt zur Identifikation aufforderte. Dies änderte sich erst 1978, als die erste weibliche Kommissarin in der Fernsehreihe Tatort auftrat.235 Im Gegensatz zum Stahlnetz findet die weibliche Kriminalpolizei der DDR keine Erwähnung in der Krimireihe Blaulicht. Das Aussparen eines nicht geringen Teils der staatlichen Exekutive überrascht, war man doch gerade in der SBZ/DDR bestrebt, Frauen in den Polizeiberuf zu bringen – wohl weniger aus qualifikatorischer denn aus pragmatischer Sicht, um die hohe Arbeitslosenquote in der SBZ und frühen DDR zu senken.236 Propagandistisch wurde in den Anfangsjahren der DDR 232 Vor dem Bildschirm, in: Allgemeine Zeitung, 28. 5. 1963, in: NDR-Pressedokumentation. 233 Kritisch gesehen. Siebzehnjährige im »Stahlnetz«, in: Hamburger Echo, 7. 4. 1962, in: NDR-Pressedokumentation. Leider fehlt ein Hinweis, auf welches amerikanische Vorbild sich diese Kritik bezog. 234 U. Nienhaus: Nicht für eine Führungsposition geeignet, S. 40. Zum Begriff der »Neuen Frau« siehe Bock, Petra: Neue Frauen und die Weimarer Republik, in: Dies./Koblitz, Katja (Hg.): Neue Frauen zwischen den Zeiten, Berlin 1995, S. 14–37. 235 Doch auch hier tat sich die ARD zunächst schwer, die Kommissarin Buchmüller adäquat in die Handlung einzubinden. Siehe: P. P. Kubitz/G. Waz (Hg.): Die Kommissarinnen, S. 120–123. 236 Bessel, Richard: »Besonders schwierig … weltanschaulich zu schulen«. Volkspolizistinnen in der SBZ und frühen DDR 1945–1952, in: G. Fürmetz/H. Reinke/K. Weinhauer (Hg.): Nachkriegspolizei, S. 155–168, hier S. 157. Zur Weiblichen Kriminalpolizei der DDR siehe auch: Blum, Bettina: Weibliche Polizei – soziale Polizei? Weibliche (Jugend)Polizei zwischen Demokratie und Diktatur (1927–1952), in: W. Schulte (Hg.): Die Polizei im NS-Staat, S. 511–539 und B. Blum: Polizistinnen im geteilten Deutschland.

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versucht, die Frau als in der männerdominierten Polizei gleichberechtigt zu zeigen; im 1948 geschaffenen Periodikum Die Volkspolizei fanden sich daher regelmäßig Streifenpolizisten beiderlei Geschlechts abgebildet. De facto wurde die Frau in der Volkspolizei jedoch stark marginalisiert. Ihr Hauptarbeitsgebiet war die Verwaltungspolizei, hiernach kamen administrative Stellen in den Landespolizeibehörden und der Kriminalpolizei237 – die Organisationsstrukturen der Polizei veränderten sich allerdings häufig und z. T. wurde die Weibliche Kriminalpolizei ganz abgeschafft bzw. ging in anderen Abteilungen auf.238 Eine von der Historikerin Bettina Blum vorgelegte systematische Untersuchung von Polizistinnen in der DDR zeigt, dass das Frauenkommuniqué nicht zu einer Angleichung des Geschlechterverhältnisses führte. Vielmehr sei eine »Verfestigung geschlechtsspezifisch organisierter ›seperate spheres‹« zu konstatieren gewesen.239 Erst ab 1965 wurde die Frauenförderung und damit Höherqualifizierung der Frauen im Polizeidienst ausgebaut und die Polizistinnen verstärkt in den Bereichen Strafvollzug, Verkehr- und Kriminalpolizei eingesetzt.240 Ab 1971 rückte auch im Fernsehen der DDR eine Frau an eine prominentere Stelle vor. Mit der ersten Folge Polizeiruf 110 wurde dem leitenden Oberleutnant Fuchs die weibliche Kollegin Leutnant Vera Arndt zur Seite gestellt. Allerdings urteilte der DFF nur wenige Monate nach der Erstausstrahlung der neuen Kriminalreihe unmissverständlich: Die obige Tabelle macht deutlich, daß die Zuschauer bei der weiblichen Kriminalistin – Leutnant Vera Arndt – andere Eigenschaften als die Hervorstechendsten empfanden als bei ihrem männlichen Kollegen. Sie erscheint vor allem freundlich und hilfsbereit, klug und gebildet, mutig und tapfer, währen die Zuschauer ihr weniger stark zutrauen, daß sie den Staat vor Verbrechen wirksam schützen kann.241

Die Ressentiments der Zuschauer gegen eine Ermittlerin waren also kurz nach dem Sendestart der Reihe noch deutlich zu spüren. Vielleicht ahnten die Blaulicht-

237 R. Bessel: »Besonders schwierig … weltanschaulich zu schulen«, in: G. Fürmetz/ H. Reinke/K. Weinhauer (Hg.): Nachkriegspolizei, S. 167. Bessel führt des Weiteren aus, dass die Volkspolizistinnen seltener proletarischer Herkunft waren und eine höhere Schulbildung als viele ihre männlichen Kollegen besaßen (ebd., S. 160). 238 B. Blum: Polizistinnen im geteilten Deutschland, S. 241–242. 239 Ebd., S. 224. 240 Ebd., S. 250–255 sowie T. Lindenberger: Volkspolizei, S. 225. 241 Deutscher Fernsehfunk, Abt. Zuschauerforschung: Ergebnisse zu Sendungen des DFF, die der Propagierung der Arbeit der Volkspolizei und der Verkehrserziehung dienen [Streng vertraulich!], 9. 11. 1971, S. 17, in: BArch: DO 1/10534. Zum Polizeiruf 110 vgl.: P. Hoff: Polizeiruf 110, S. 29–34.

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Macher eine solche Bewertung bereits oder erlagen ihrem eigenen Zögern gegenüber Frauen im Dienste der Verbrechensbekämpfung. Schwächen und Eigenheiten Auf den ersten Blick inszenierte das Stahlnetz eine Erfolgsgeschichte der Kriminalpolizei. Für die Bearbeitung aller Delikte kann sie auf einen größeren Mitarbeiterstab zurückgreifen, der keine langen Arbeitszeiten scheut und jeden Täter durch Intelligenz, Geduld sowie kriminaltechnische Überlegenheit überführt. Trotzdem sind auch Misstöne zu vernehmen, die dieses Bild verzerren. Nicht jeder StahlnetzErmittler ist, dem realen Polizeidienst durchaus ähnlich, gleich fleißig und ermittelt dementsprechend gleich erfolgreich. Um dieser Diskrepanz nachzuspüren, sollen im Folgenden die menschlichen Unzulänglichkeiten am Rande des »Erfolgs-Narrativs« Beachtung finden. Eine kleine, eindrückliche Charakterstudie des Kriminalen legt Roland in der Doppelfolge »Spur 211« im Jahr 1962 vor. Im Mittelpunkt der 16. Folge stehen der leitende Kriminaloberkommissar Semmler und sein Mitarbeiter Kriminalhauptmeister Rathje. Nach einer längeren szenischen Schilderung der ersten Handlungselemente zieht nicht sogleich Semmler die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf sich, sondern sein Mitarbeiter Rathje (Abb. 31). Dies mag nicht nur an seiner massigen Statur liegen, mit der er im Bild Präsenz zeigt, sondern auch an der Übernahme des Off-Kommentars. Im Verlauf der Doppelfolge werden sich die beiden Stimmen Rathjes und Semmlers immer wieder abwechseln, allerdings treten sie nie in einen Dialog miteinander, sondern erfüllen vielmehr auch im Kommentar zwei konträre Rollen. Während Semmler nüchtern die kriminologischen Fakten referiert, kommt Rathje immer wieder auf sich als Person zurück. An zwei Stellen beschreibt er sich explizit als »Beamter«.

Abb. 31: Kommissar Rathje (Stahlnetz, »Spur 211«).

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Dabei geht es ihm weniger um das Verhältnis zwischen ihm und seinem Arbeitgeber, dem Staat, als vielmehr um eine Reihe von stereotypen Eigenschaften. Zu diesen gehöre zum einen Faulheit. Rathje gibt zu, dass dieser Wesenszug auf ihn zutreffe, ist er doch »theoretisch ein Feind übermäßigen Fleißes, schließlich ist man ja irgendwo Beamter und kennt seine strengen, natürlichen Grenzen«.242 Praktisch, so schiebt er nach, arbeite er oft von morgens früh bis abends spät; schließlich könne er weder ein Schild an die Tür hängen, dass wegen Einführung der 42-StundenWoche die Polizei geschlossen sei, noch könne er die Ermittlungen in halbseidenen Bars zu später Stunde unterlassen. Dass er sich während seiner unberechenbaren Arbeitszeiten keiner Askese hingibt, kann der Zuschauer sogleich sehen, steht doch ein appetitliches, »gut bürgerliches« Abendessen auf seinem Schreibtisch, auf einem karierten Platzdeckchen angerichtet und mit einem schäumenden Glas Bier garniert. Auch Gründlichkeit gehöre, wie er sagt, zu den Eigenschaften »deutscher Beamter« und so gehe die Kripo den eingegangenen Spuren auch zwei- oder dreimal nach, schließlich soll dieser Ruf »nicht durch uns angekratzt« werden.243 Rathje, so wird in den Kommentaren und seiner schauspielerischen Art immer wieder deutlich, begegnet den Widrigkeiten seines Berufes mit einer fast stoischen Ruhe. Zudem enthüllt er immer wieder kleine Eigenheiten oder Schwächen, wie fast zwanghaftes Bonbonessen, eine Vorliebe für Frühjahrsblüher oder die Pflege seines Büro-Wellensittichs. Auf diese Weise bildet er einen Kontrapunkt zu seinem agilen Chef, der keine geregelten Bettzeiten oder Pausen einhält, bevor der Verbrecher nicht gefasst ist. Auch wirkt Semmler, zumindest im Vergleich der beiden OffKommentare, wesentlich rationaler als Rathje und vertritt eine klare Einstellung zu seinem Beruf: Für ihn ist es seine Berufung.244 Trotz dieser inszenatorischen Gegensätze wirkt Rathje in seiner Zeichnung nicht negativ. Vielmehr bestätigt er selbst, dass »nicht jeder Chef sein kann«. Rathjes Selbsteinschätzung hebt dabei eine der grundsätzlichen Stahlnetz-Aussagen hervor, nach der man bei der Kriminalpolizei nur vorankommt, wenn man agil, fit und rücksichtslos zu sich selbst ist. Gleichzeitig enthüllt Roland mit Hilfe des Schauspielers Rudolf Romberg und der humorigen Anlage der Rolle des Rathje erneut ein Stück Menschlichkeit im Beruf des Kriminalermittlers und erhöht so das Identifikationspotenzial beim Zuschauer. Das zeigen auch die Kritiken zu dieser Folge, die den »gemütlichen, anscheinend wilhelminischen Zeiten entstammenden Hauptmeister Rathje«245 nur ausnahmsweise als »Trottel«246 sehen. 242 243 244 245

Stahlnetz, »Spur 211« (I), 0:37:00ff. Ebd., 0:55:34–0:55:40. Vgl. hierzu auch den Abschnitt »Berufsethos«. o. A.: Vor dem Fernsehschirm, in: Der Tagesspiegel, 2. 12. 1962, in: NDR-Pressedokumentation.

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Die Gestaltung weiterer Folgen legt jedoch den Schluss nahe, dass der sympathische, brummelige Rathje nur eine Ausnahme von der Regel ist. Alle anderen Ermittler der Reihe kommen über einzelne, kleinere Marotten nicht hinaus. Dennoch lässt sich im Verlauf der Produktionszeit eine gewisse Entwicklung ablesen: Zwar bleiben die leitenden Kommissare über die gesamte Zeit hinweg betont rational, souverän und abgeklärt, ihre Mitarbeiter eignen sich aber immer stärkere Absonderlichkeiten an. Während Kriminalobersekretär Wetzlar in der Folge »Die Blaue Mütze« nur das Aquarium neben seiner Schreibtischarbeit und sogar den Vernehmungen pflegt, wird Kriminalobersekretär Jungclaus in Folge sieben bereits als »Blumennarr, aber […] tüchtiger Beamter« aus dem Off beschrieben. Die Eigenheit wird sogar soweit zugespitzt, dass er nicht nur im Büro seines Vorgesetzten die Blumen gießt, sondern auch vergisst, eine Zeugin am Tatort zu befragen, weil dort ein Gummibaum während des Banküberfalls zu Schaden gekommen war.247 Eine andere durchaus tolerierte Eigenart wird zum Ende der Reihe immer stärker ironisch aufgegriffen: Der hohe Kaffeekonsum der Polizisten während der Dienstzeit. Schmielchen, die Sekretärin des leitenden Kriminalkommissar Meyer, erhält beispielsweise in der 1966 ausgestrahlten Folge »Der fünfte Mann«, auf ihre Frage, ob sie noch einen Kaffee aufbrühen solle, die fast vorwurfsvolle Antwort: Meyer: Schmielchen, Sie sehen zu viel Krimis im Fernsehen. Schmielchen: Wieso? M: Na, da trinken doch die Kommissare ständig Kaffee. S: Na, und? M: Nach jeder Sendung fragen mich meine Bekannten, ob wir wirklich so viel Kaffee trinken. Das sei doch wohl reichlich übertrieben. Am Ende nimmt Meyer lachend doch einen Kaffee.248

Viele Kommissare – besonders jene außerhalb der Städte – trinken neben Kaffee auch gern ein Glas Milch und essen einen Apfel. Neben ein paar Bockwürsten und Erbsensuppen sind das die einzigen Nahrungsmittel, von denen sich die Ermittler ernähren. Eine Frage wäre, ob der demonstrative Genuss von Milch ebenso ins Zeitkolorit gehört wie das Tragen eines Anzuges oder ob es als Vorbild einer gesünderen Ernährung dienen sollte. Nachdem die Bundesbürger ihre Unterernährung der Nachkriegsnot mit reichhaltigem, fetten Essen in den ersten Jahren nach Gründung der Bundesrepublik ausgeglichen hatten, meldeten 1952 erste Zeitungen das steigende Übergewicht der Westdeutschen.249 Die Milch trinkenden Kommissa246 247 248 249

o. A.: Fernseh-Journal, in: Der Tag, 2. 12. 1962, in: NDR-Pressedokumentation. Kulminationspunkt bildet wie oben beschrieben die Folge »Spur 211«. Stahlnetz, Der fünfte Mann, 0:42:31–0:42:47. Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, S. 39–52.

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re mussten dabei nicht unbedingt wie ein Relikt aus alten Zeiten gelten; denn einerseits erweckten sie den Anschein, sich gesund zu ernähren, an Bewährtem festzuhalten und bodenständig zu sein. Andererseits ist zeitgenössischen Werbeanzeigen durchaus der Aufruf zu entnehmen, Mild zu trinken. So auch in der Gewerkschaftszeitung Deutsche Polizei: »Milch hilft beim Denken! Wer Köpfchen hat, bringt es weiter als andere. Aber müde, abgespannte Menschen können nicht ruhig und scharf überlegen. Darum ist Milch so wichtig für alle, die geistig arbeiten! Milch erfrischt nämlich nicht nur für den Augenblick, Milch macht den ganzen Menschen kräftiger, gesünder und ausgeglichener«.250 Die in einigen Folgen der Reihe Stahlnetz inszenierte Offenherzigkeit mancher Ermittler verleiht den sonst abgeklärt wirkenden Staatsdienern ein menschliches Antlitz und macht sie für den Zuschauer lebensnah, sympathisch und erhöht das Identifikationspotenzial mit den Hütern von Recht und Ordnung. Auch tragen die mitunter fast komisch wirkenden Eigenheiten zur Auflockerung der trockenen Fallbeschreibungen bei. Das Blaulicht sah die Notwendigkeit einer zwangloseren Gestaltung der Stoffe durch eine Reihe von Marotten bis hin zu einzelnen Schwächen nicht. Sicherlich trinken auch die drei DDR-Ermittler ein Glas Bier, Likör oder einen Kaffee, aber in keiner Folge wird der Konsum von Lebensmitteln, die Pflege von Pflanzen oder Ähnliches explizit thematisiert oder kommentiert. Demnach sollten die Ermittler vorrangig als Garanten von Sicherheit und Ordnung glaubwürdig erscheinen und zugleich zu Wachsamkeit erziehen und nicht durch negative Eigenschaften, und seien es auch nur Marotten, auffallen.

3.3 D ER

GUTE

E RMITTLER . E IN Z WISCHENFAZIT

Ein Kriminalfilm-Ermittler ist gemäß der Konvention des Genres der gute Part, der dem Bösen gegenübersteht und aus dem Kampf stets erfolgreich hervorgeht. Dass sich die reale (Kriminal-)Polizei keineswegs in ihrer Selbst- und Fremdwahrnehmung als perfekt, ideal und gut wahrnahm, zeigen die internen wie externen Auseinandersetzungen mit dem Beruf des Polizisten in der zweiten deutschen Nachkriegszeit. Die in diesem Kapitel immer wieder auftretende Leitfrage nach der Figuration des Kommissars in beiden Reihen, seinem Charakter und Habitus, trieb bereits 1957 den altgedienten Polizisten Hans Philippi in einem Artikel der Gewerkschaftszeitung Deutsche Polizei unter dem Titel um: »Über welche Eigenschaften muß ein Polizeibeamter verfügen?«251 zusammen. Aus seiner Sicht sind es 250 Anzeige der Milchwirtschaft, in: Deutsche Polizei (1958), S. 181. 251 Dieses und nachfolgende Zitate: Philippi, Hans: Über welche Eigenschaften muß ein Polizeibeamter verfügen?, in: Deutsche Polizei (1957), S. 89.

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drei grundlegende Eigenschaften, die ein Beamter der Polizei, gleich welcher Dienststelle bzw. welchem Dezernat er angehört, mitbringen muss. Zunächst brauche er eine gute Auffassungsgabe, die meist ein gutes Schulwissen einschließt, wenngleich Philippi auch einräumt, dass eine höhere Schulbildung nicht unbedingt von Nöten sei. Intelligenz sei »für ihn persönlich und für unseren ganzen Berufsstand« ein Pluspunkt.252 Unabhängig davon hält der Autor stete Weiterbildung für eine wichtige Voraussetzung, um im Polizeiberuf voranzukommen. Was Philippi für die Polizei der Bundesrepublik konstatiert, lässt sich weitgehend auf die Botschaften der beiden Reihen Stahlnetz und Blaulicht übertragen: Kriminalkommissare brauchen neben der fachlichen Ausbildung und Schulung in erster Linie die von Philippi herausgehobene »gute Auffassungsgabe«, denn immerhin bestehe ihr Beruf darin, Sachverhalte an einem Tatort zu erfassen, um aus ihnen die richtigen Schlüsse zu ziehen. Dass dabei ein intuitives Gespür nötig ist, ließe sich ergänzen. Doch nicht alle dargestellten Ermittler verfügten gleichermaßen über das nötige Maß dieser Gaben. Vor allem der kriminalistische Nachwuchs müsse von den erfahrenen Vorgesetzten lernen und sich stets weiterbilden. So besuchen die Fernsehermittler in Ost und West immer wieder Lehrgänge, um sich weiterzubilden, aber auch um eine Beförderung zu erreichen. Als eine weitere wichtige Eigenschaft, die ein Polizeibeamten besitzen muss, nennt Hans Philippi gutes Benehmen, und er rekurriert damit implizit auf die von außen an die Polizei herangetragene Kritik, die Beamten würden sich zu forsch gegenüber dem »Publikum« verhalten. Der Einzelne müsse kein »Gent« sein, stellt Philippi klar, aber er komme während seiner Arbeit mit allen Bevölkerungsschichten in Kontakt, und umso wichtiger sei es, dass er sich zu benehmen wisse. So werde dem »Einschreiten«, die »in der Natur der Sache liegende Schärfe genommen«. Auch diese Punkte sind in beiden Reihen in unterschiedlicher Ausprägung wiederzufinden. Die Fernsehkriminalkommissare beider Länder gehen in der Regel verständnisvoll auf Zeugen zu, wenngleich in der DDR-Reihe eine Idealisierung stattfindet, die klar propagandistische Zwecke verfolgte. Hier begegnen die drei Ermittler nicht nur Zeugen, sondern auch Verdächtigen und vielen Tätern (je nach Straftat) auf Augenhöhe. Der im Stahlnetz häufig genutzte Wechsel von Auf- und Untersichten während der Verhöre ist im Blaulicht daher so gut wie gar nicht anzutreffen. Das Verhalten der Blaulicht- und Stahlnetz-Kollegen untereinander ist zumeist von Fairness geprägt; Kritik an Mitarbeitern wird in beiden Reihen vor allem von oben nach unten geäußert. Massive Beschwerden, Illoyalität oder gar Korruption kennt kein Fernsehkriminalist, weder in Ost noch West. Das von Philippi angemahnte »gute Benehmen« äußert sich ebenfalls im Erscheinungsbild der Polizisten. Da die Fernsehkommissare üblicherweise uniformiert sind, müssen sie 252 Diese Aussage reiht sich in die Diskussion ein, dass vor allem Kriminalkommissare und die führenden Polizisten besser gebildet seien als der Schutzpolizist auf der Straße.

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durch ein gepflegtes Auftreten überzeugen. Nur dann kann ihnen der Zuschauer (wie auch die Figuren innerhalb der Handlung) Respekt und Vertrauen entgegenbringen. Als dritte und letzte nennt Philippi die für ihn wichtigste Eigenschaft, den guten Willen, der auch bei beruflichen Rückschlägen nicht abhanden kommen dürfe, denn »gepaart mit einer Portion gesunden Ehrgeizes [forme der gute Wille] einen guten Polizeibeamten«. Kultiviert werden könne er seines Erachtens nach durch Selbsterziehung und Selbstbildung. Wenn diese drei Eigenschaften in einem Polizeibeamten vereint würden, dann »genießt er Achtung«, hat »gute Aufstiegsmöglichkeiten« und »nach außen hin größtmögliche Autorität« – wobei offen gelassen wird, ob sich diese Autorität auf das »Publikum« und/oder die Kollegen bezieht. Willensstärke wird vor allem im Stahlnetz geradezu paradigmatisch von den einzelnen leitenden Kriminalkommissaren verkörpert. Sie kennen weder Freizeit noch Ruhe, denn ihr beständiger Antrieb ist die Jagd nach dem Verbrecher, der hinter Schloss und Riegel gehöre, damit Recht und Ordnung wiederhergestellt sind. Schwächen, wie sie z. B. Kriminalhauptmeister Rathje verkörpert, führen dazu, dass »nicht jeder Chef sein kann«; auf die Ergreifung der Täter haben sie keinerlei Auswirkungen. Mit der Figur des Kommissars ist demnach ein bestimmtes, männliches Ideal verbunden, das sich in beiden Reihen wiederfindet, wenngleich die west- und ostdeutsche Produktion unterschiedliche Prioritäten setzte. Dies ist nicht nur den unterschiedlichen Mentalitäten, sondern auch den z. T. massiven Einflüssen der staatlichen Propaganda geschuldet. In beiden Reihen lässt sich die fast vollkommene Absenz von Frauen zur Strafverfolgung bzw. Aufklärung von Straftaten feststellen, Ausnahmen bilden lediglich kleinere Nebenrollen in der Reihe Stahlnetz. Das hier entworfene Bild des Kriminalkommissars kann nicht allein an einer Figur festgemacht werden. Zumeist sind es verschiedene Personen, die in der Summe das Idealbild erreichen – ganz dem Grundsatz beider Reihen folgend, dass Kriminalfälle immer im Team gelöst werden und nicht im genialen Alleingang. Dennoch schien zumindest für Jürgen Roland die Idealfigur des Ermittlers durch den Schauspielers Heinz Engelmann repräsentiert. Er spielte während der zehn Jahr langen Produktionszeit von Stahlnetz am häufigsten einen Kommissar – von Folge neun »Aktenzeichen: Welcker« bis zur letzten Folge »Ein Toter zuviel« insgesamt sechs Mal.253 Bereits 1961, also nach seinem dritten Stahlnetz-Auftritt, bat Engelmann Roland darum, ihm die Möglichkeit zu geben, nicht gänzlich auf die Kommissarrolle festgelegt zu werden:

253 Heinz Engelmann spielte in »Aktenzeichen: Welcker« (1959), »E 605« (1960), »In der Nacht zum Dienstag …« (1961), »In jeder Stadt …« (1962), »Spur 211« (1962), »Rehe« (1964), »Ein Toter zuviel« (1968).

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Auf meine Frage, ob nicht irgendeine Gangsterrolle oder eine andere kleine, aber gute Rolle drin ist, bist du leider nicht eingegangen. Du glaubst gar nicht, wie gern ich einmal etwas ganz anderes spielen möchte. Ich wäre dann natürlich nicht Heinz Engelmann oder der als Kommissar bekannte Typ. […]. Ich möchte zu gern einmal auf der anderen Seite stehen. […]. Ich möchte Dir nur einmal den Tip geben, mich auch anders zu sehen, denn sonst wäre es mit meiner Schauspielerei schlecht bestellt.254

Eine Antwort von Jürgen Roland liegt nicht vor, doch die Besetzungslisten der folgenden Jahre zeigen, dass Roland auf Engelmanns Talent als Kommissar nicht verzichten wollte. Auch beim Publikum war der Schauspieler beliebt. Kritiker hoben die schauspielerische Leistung Engelmanns auch bei einer schlechten Bewertung der Folge stets lobend und vor allem als authentisch hervor. In einer Kritik über sein Stahlnetz-Debüt heißt es: »In Heinz Engelmann fand Roland einen Kriminalinspektor, der das ganze Pflichtbewusstsein eines Beamten mit dem Jagdeifer des leidenschaftlichen Kriminalisten zu verbinden vermochte«.255 Auch in der letzten Stahlnetz-Folge war man noch dieser Ansicht: »Kommissar Schilling [Heinz Engelmann; N. H.] wirkt wie seine Kollegen aus dem echten Polizeipräsidium«.256 In ähnlicher Weise wurden Bruno Carstens, Alexander Papendieck und Horst Torka in ihrer Rolle als Blaulicht-Kollektiv von den Fernsehkritikern wahrgenommen: »Nicht zuletzt dank dieser engen Zusammenarbeit mit den Männern der Praxis wurden die energischen, sympathischen, nüchtern arbeitenden und dennoch humorvollen Charaktere profiliert, die in unseren Vorstellungen die Volkspolizei verkörpern«.257 Bedenken der Schauspieler, zu stark auf ihre Rollen festgelegt zu sein, sind nicht überliefert. Der Artikel Philippis wie auch die Analyse der beiden Reihen Stahlnetz und Blaulicht bestätigen gleichermaßen die zu Beginn geäußerte These einer Dichotomie zwischen dem Kommissar als Mensch und als Repräsentant der staatlichen Exekutive, die es im Folgenden kurz zusammenzufassen gilt. Erstens: Der Kommissar agiert im Kriminalfilm als Held, der als Vertreter des Guten die verrückte Ordnung wiederherstellt, das begangene Verbrechen aufklärt, den Täter zur Strecke bringt und damit auch »das Böse« vorerst vernichtet. Gleichzeitig machen die Reihen deutlich, dass die Welt nicht auf diesen einfachen Antagonismus zu reduzieren ist, dass auch Polizisten böse sein können (zumindest in den Augen der Bürger) und dass Verbrechen niemals aufhört. Daneben erfüllt der 254 Brief Heinz Engelmanns an Jürgen Roland, 3. 2. 1961, in: NDR Pressedokumentation. 255 Fernsehen kritisch betrachtet, in: Neue Ruhrzeitung, 7. 11. 1959, in: NDR Pressedokumentation. 256 Fernsehen nah gesehen, Kompliment, in: Abendpost, Frankfurter Nachtausgabe, 16. 3. 1968, in: NDR Pressedokumentation. 257 Blaulicht, in: Funk und Fernsehen, 27. 10. 1963.

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Kommissar eine stark pädagogische Funktion: Er klärt nicht nur das Verbrechen auf, sondern auch den Zuschauer über die Grenzen zwischen Recht und Unrecht, zwischen Gut und Böse. Zugleich belehrt der Kommissar über die jeweiligen Bürgerrechte und -pflichten. Denn der Zuschauer, so wird in den folgenden Kapiteln näher ausgeführt, muss ebenfalls einen Beitrag bei der Ergreifung von Straftätern leisten. Um diese Form der Aufklärung anzunehmen, also auf den Kommissar »zu hören«, muss sich der Zuschauer mit ihm identifizieren. Daher ist die menschliche Gestaltung des Kommissars z. B. durch kleine Marotten, aber auch durch das Erleben privaten Glücks unabdingbar, um eine lebensweltliche Nähe zwischen Zuschauer und Kommissar herzustellen. Denn erst wenn der Zuschauer den Kommissar anerkennt, kann er dessen Sichtweise und die damit verbundenen gesellschaftlichen Normen und Werte etc. annehmen und womöglich in sein eigenes Leben übernehmen. Grundsätzlich ist zu konstatieren, dass das Bild des Kommissars in beiden Reihen nur wenige Makel kennt – korrelierend mit seiner eindeutigen Vorbildfunktion. Zweitens: Ähnlich dem realen Polizeikommissar tritt auch der Fernsehkommissar als ein Repräsentant der Staatsmacht auf. Eine gewisse Distanz zwischen ihm und dem Bürger bzw. Zuschauer muss deshalb bestehen bleiben, damit der Bürger, aber auch der Verbrecher der Polizei gegenüber Respekt behält. Dieser Respekt ist nötig, um das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen. Die Macher beider Reihen achteten sehr darauf, dass der Kommissar und sein Arbeitsumfeld korrekt dargestellt wurden. Zum einen sollte er dadurch glaubwürdig und authentisch erscheinen, zum anderen sollte damit seine Vertrauensposition gestärkt werden. Für das Stahlnetz spielte die dritte Folge, »Die blaue Mütze«, eine zentrale Rolle: Ab dieser Folge wurden die oben benannten Punkte in Gänze durchgesetzt und der Kommissar zur wichtigsten Figur erhoben. Für das Blaulicht ist eine solche Genese aufgrund der Überlieferungssituation schwerer nachzuvollziehen. Auch haben die verschiedenen Regisseure ihre eigenen Vorstellungen in die Reihe eingebracht und die Charaktere verändert und vertieft.

4 Der idealtypische Kriminelle und seine Tat – Demaskierung und Abschreckung Manchmal sieht es so aus, als stünden die Verbrecher jenseits von Barrieren, abgetrennt von unserem Leben. Aber das stimmt nicht. Sie leben mit uns, neben uns. Es sieht immer nur so aus, als wäre hier das Licht und dort das Dunkel. In Wahrheit gehört beides zusammen. In Wahrheit gäbe es das eine nicht ohne das andere.1

Verbrecher wurden seitens der Kriminologie bis ins 20. Jahrhundert hinein nicht als Teil der bürgerlichen Gesellschaft betrachtet. Vielmehr standen bürgerliche und kriminelle Identitäten einander gegenüber, der Kriminelle wurde zum Feindbild und Antagonisten des »anständigen« Bürgers.2 Im Zuge ihrer Verwissenschaftlichung ging die Kriminologie um die Jahrhundertwende dazu über, Verbrechen medizinisch-anthropologisch zu erklären. Der Verbrecher, so hieß es, sei ein »verhinderter Mensch«, der sich »aufgrund erworbener und/oder angeborener Hemmnisse«3 nicht vollends entwickelt habe. Der Kriminelle wurde somit als »minderwertig« identifiziert, dessen Entwicklung durch eine Vielzahl von endogenen und exogenen Faktoren bestimmt sei.4 Ein entscheidendes Bedrohungspotenzial hielt nach Ansicht der Kriminalwissenschaftler und Psychiater das Leben in der modernen Großstadt be-

1 2

Stahlnetz, »Sechs unter Verdacht«, 0:46:10–0:46:28. Becker, Peter: Die Erfindung und Identifizierung des Bösen: Der Kriminelle, in: Krumeich, Gerd/Lehmann, Hartmut (Hg.): »Gott mit uns«. Nation, Religion und Gewalt im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Göttingen 2000, S. 9–33, hier S. 14. Vgl. allgemein: Galassi, Silviana: Kriminologie im Deutschen Kaiserreich. Geschichte einer gebrochenen Verwissenschaftlichung, Stuttgart 2004.

3 4

Ebd., S. 13. Ebd., S. 25. Die Verknüpfung innerer und äußerer Faktoren in der »Anlage-UmweltFormel« geht maßgeblich auf den Berliner Rechtswissenschaftler Franz von Liszt zurück.

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reit.5 Das dieser Deutung zugrunde liegende »Anlage-Umwelt-Modell« blieb über die politische Zäsur des Jahres 1933 hinaus das führende Konzept der Kriminologie. Während der NS-Diktatur gewann zudem die Erforschung des »Erbfaktors« an Bedeutung, und so wurde die Kriminalwissenschaft »zur Legitimationswissenschaft staatlicher Sanktions- und Strafpolitik«. Aber auch nach Ende »Dritten Reiches« blieben Anlage und Umwelt zentrale Bezugspunkte zur Erklärung von Kriminalität.6 Im Zuge einer beginnenden öffentlichen Auseinandersetzung mit der NS-Zeit seit Ende der 1950er Jahre wuchs in der bundesdeutschen Kriminalwissenschaft die Sensibilität für die eigene Wissenschaftsgeschichte und die bisherigen Denkmuster.7 Gegen Ende der 1960er Jahren gewann die Kriminalsoziologie zunehmend an Bedeutung,8 und mit der großen Strafrechtsreform im Jahr 1969 ließ man den kriminalbiologischen Ansatz endgültig hinter sich.9 Obwohl in der DDR biologistisch-psychologische Faktoren für die Ursachen von Kriminalität nicht ausgeschlossen wurden, überformte das marxistisch-leninistische Dogma die damals gängigen Erklärungsansätze der Kriminologie.10 Wie bereits an anderen Stellen ausgeführt, galt die grundsätzliche Annahme, dass

5

Hierzu siehe Kapitel sieben. Folgender Absatz siehe: I. Baumann: Dem Verbrechen auf der Spur.

6

Die Ermordung von Juden, Roma und Sinti wurde zwar als spezifisch nationalsozialistisch erkannt, aber ihre rassistische Motivation negiert. In: ebd., S. 168–169. Vgl. auch: Wetzell, Richard F.: Inventing the Criminal. A History of German Criminology, 1880– 1945, Chapel Hill/London 2000 und Kailer, Thomas: Vermessung des Verbrechers. Die Kriminalbiologische Untersuchung in Bayern, 1923–1945, Bielefeld 2011.

7

Eine Beschäftigung mit der eigenen Wissenschaftsgeschichte setzte allerdings erst in den 1970er, 1980er Jahren ein. In: ebd., S. 235–237.

8

Ebd., S. 303.

9

Ebd., S. 299. In den 1970er Jahren setzte sich schrittweise der »Labelling Approach« (Etikettierungsansatz) durch. Dieser ging von der Ubiquität des Verbrechens aus, das in der gesellschaftlichen Struktur zu suchen und nicht auf eine Person allein zurückzuführen sei. Auch dieser Ansatz wurde bereits einer grundlegenden Kritik unterzogen, so dass heute verschiedene Erklärungsansätze unterschiedlicher theoretischer Reichweite zur Entstehung und zur Prävention von Kriminalität vorliegen. Zum letzten Punkt siehe: B. Bannenberg/D. Rössner: Kriminalität in Deutschland, S. 49ff.

10 Bis in die 1960er Jahre hinein war die Kriminologie in der DDR keine eigenständige Wissenschaft. Sie wurde als bürgerliches Residuum abgelehnt, korrelierend mit der in den 1950er Jahren vorherrschenden Klassenkampftheorie. Erst zwischen 1962 und 1966 setzte sich der Begriff der »Kriminologie« wieder langsam durch, und eine eigene Disziplin etablierte sich. In: C. Rode: Kriminologie in der DDR, S. 89–90.

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Kriminalität als eine bestimmte gesellschaftliche Erscheinung dem Sozialismus, dieser neuen menschlichen Lebensweise der Gesellschaft, fremd [ist]. Sie gehört nicht zum Wesen dieser neuen Form des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Folglich kann auch die Ursache, die diese Erscheinung noch erzeugt, nicht zum Wesen des Sozialismus selbst gehören.11

Anfang der 1950er Jahre nahm man gemäß der so genannten Klassenkampftheorie noch eine Differenzierung der strafbaren Handlungen zum Ausgangspunkt der Beurteilung von Kriminalität. Allerdings wurde die Unterscheidung in kriminelle Handlungen mit einem klassenkämpferischen Hintergrund und denen, die auf alte bürgerliche Werte zurückgingen, in den 1960er und 1970er Jahren zugunsten der »Rudimente- oder Relikttheorie« aufgegeben.12 Diesem Ansatz folgend waren einerseits psychische Faktoren wie ein rückständiges Bewusstsein und das Rudiment bürgerlich-kapitalistischer Denkweisen Ursachen für die Kriminalität in der DDR. Andererseits bedingten »objektive, gesellschaftliche Zustände«13, also soziale Faktoren, die Situation. Ein Überblick der theoretischen und praxisorientierten kriminologischen Schriften der DDR zeigt, dass die beiden Faktoren keineswegs gleich gewichtet wurden. So war das Stehen außerhalb des Kollektivs und der sozialistischen Moral weitaus kriminogener als die in der DDR herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen oder sozialen Bedingungen. Erwähnenswert ist, dass neben dem bekannten Anti-Kapitalismus-Paradigma durchaus systemübergreifende Kriminalitätsfaktoren herausgearbeitet wurden. Entsprechend seien für Kriminalität u. a. ursächlich: »sonstige negative Einstellungen«, »Alkoholmissbrauch/Alkoholismus«, »Entwicklungsstörungen«, »Erziehungsmängel«, »Psychopathologien«, »geringe Bildung«, »Probleme in der Familie des Täters«, »negative Milieu- oder Gruppenprägungen«, »gesellschaftliche Widersprüche«, »mangelhafte Resozialisation«, »Beschäftigungslosigkeit« oder unzureichende »Wohnbedingungen«.14 Hauptursache blieb allerdings nach Ansicht der DDRKriminologen die negative Beeinflussung durch das Fernsehen, Bücher, Groschenhefte etc. aus dem Westen und das Denken der Bevölkerung in »alten«, bürgerlichen Mustern. Dem konnte letztlich nur durch die Erziehung nach sozialistischem Maßstab »abgeholfen« werden. Diese Aufgabe betonte Walter Ulbricht auf dem VI. Parteitag der SED 1963 noch einmal in aller Deutlichkeit, als er den Sieg des Sozialismus verkündete. Ein Mittel zur Erziehung der Bevölkerung sahen die Machthaber der DDR im Programm des staatlichen Deutschen Fernsehfunks bzw. der Medien ganz allgemein.

11 E. Buchholz/R. Hartmann/J. Lekschas: Sozialistische Kriminologie, S. 96. 12 Vgl. C. Rode: Kriminologie in der DDR, S. 34–37 sowie S. 74–88. 13 Ebd., S. 80. 14 Ebd., S. 143–153.

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Wenngleich sich die Zuschauer beider Staaten nicht mit derartigen Theorien en détail beschäftigten mussten, sind kriminologischen Erklärungsansätze in beide Reihen – allein durch die polizeiliche Beratung – eingeflossen. Ganz allgemein, so kann das folgende Kapitel überschrieben werden, gestalten Stahlnetz und Blaulicht die Inszenierung der Täter mit einer Mischung aus Abschreckung und Erziehung. Denn ähnlich dem Idealbild des rechtschaffenen Bürgers gab es die Vorstellung eines negativen »Idealbilds« des Verbrechers. Allerdings handelte es sich dabei um ein theoretisches Konstrukt, das nur bedingt berücksichtigt, wie verschieden jeder Mensch und damit auch jeder Täter ist.15 Für die Untersuchung der beiden Fernsehkriminalreihen Stahlnetz und Blaulicht ist die Trennung von Täter und Tat, wie sie die Kriminologie vornimmt, wenig zielführend,16 weil sich diese Differenzierung in der Inszenierung nicht widerspiegelt. Die Einteilung der Täter und ihrer Taten erfolgt daher in eigens entwickelten, heuristischen Kategorien, d. h. die Täter werden unterschiedlichen kriminogenen »Welten« zugeordnet, die den jeweiligen Bezug zwischen der »normalen« Gesellschaft und den verschiedenen Tätertypen herstellen: der Scheinwelt, der Halbwelt und der Unterwelt.17 Als »normale« Gesellschaft wird hier der Teil der Krimibevölkerung verstanden, der das unauffällige Gegengewicht zur Welt des Verbrechens, also die rechtschaffene, »heile« Welt bildet. Diese findet im Krimi keine explizite Erwähnung, sondern definiert sich lediglich aus der Opposition zum Verbrechen heraus, das sie bedroht. Ob die Autoren und die Regisseure beider Kriminalreihen einen per se verbrechensfreien Raum unterstellten, kann nur gemutmaßt werden. Die Einteilung der Welten zeigt jedoch bereits im Vorwege, dass eine »heile«, »normale« Welt lediglich ein Konstrukt ist. Täter der Scheinwelt sind Teil der »normalen« Gesellschaft. Ihre Verbrechen sind für die Krimibevölkerung unvorhersehbar (häufig im Affekt) und werden daher mit besonderer Besorgnis registriert, weil sie das Idyll der »Normalität« zerstören. 15 Ebd., S. 254–256 und E. Buchholz/R. Hartmann/J. Lekschas: Sozialistische Kriminologie, S. 98. 16 In der Kriminologie der 1960er Jahre wurde zwischen einer ursachenbezogenen Typologie des Täters (Ätiologie) und einer deskriptiven Typisierung von Taten (Phänomenologie) unterschieden. Dies sollte den Kriminalbeamten die Ermittlungs-, aber auch Vernehmungsarbeit erleichtern. Vgl. hierzu u. a.: Niggemeyer, Bernhard/Gallus, Herbert/ Hoeveler, Hans-Joachim: Kriminologie. Leitfaden für Kriminalbeamte (= Schriftenreihe des Bundeskriminalamtes), Wiesbaden 1967. 17 Die heuristischen Kategorien orientieren sich an den in den Filmen kolportierten Stereotypen, weniger an kriminologischen Abhandlungen. Die Kriminologie sieht vor allem einen Unterschied zwischen Affekttätern und Gelegenheits- sowie Berufsverbrechern, der hier jedoch zu kurz greifen würde. Zur Täterphänomenologie vgl.: Goedecke, Willy: Berufs- und Gewohnheitsverbrecher. Eine Untersuchung zur allgemeinen Charakteristik dieser Tätergruppe (= Schriftenreihe des Bundeskriminalamtes), Wiesbaden 1962.

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Im Gegensatz dazu stehen die Täter der Halbwelt. Diese begehen Verbrechen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen oder einen gehobenen, anders nicht zu finanzierenden Lebensstandard zu sichern. Ihre kriminellen Methoden sind dabei in der Regel eher trickreich als gewalttätig, worin sie sich von der Unterwelt abgrenzen lassen. In beiden letztgenannten Kategorien finden sich die so genannten Berufsverbrecher. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal beider Welten ist die Anpassung der Täter an die »normale« Gesellschaft. Halbwelttäter halten einen Bezug zur Scheinwelt aufrecht, indem sie sich integer geben und als rechtschaffene Bürger inszenieren. Die Unterwelt hingegen ist eine abgegrenzte Parallelwelt mit eigenen Normen (Verbrecherehre) und Hierarchien. Die Delikte werden selten von Einzeltätern verübt. Die Unterwelt steht zudem in engem Kontakt zum »Milieu«, dem so genannten Rotlichtmilieu. Die Mehrzahl der in beiden Reihen gezeigten Taten, wie Raubmord und Totschlag, Vergewaltigung bzw. sexueller Missbrauch (von Kindern), Raub, Körperverletzung, Diebstahl, Betrug, Brandstiftung, Widerstand gegen die Staatsgewalt bzw. die öffentliche Ordnung sowie Sachbeschädigung, gehört systemunabhängigen Deliktkategorien an.18 Lediglich ihre Deutung, Ursachenforschung und die daraus abgeleitete Konsequenz wurden von der jeweils herrschenden Doktrin bzw. gesellschaftspolitischen Grundansicht beeinflusst. Obwohl viele der hier vorgestellten Delikte altersunabhängig verübt werden, wird dem Problemkomplex der Jugendkriminalität und Jugenddelinquenz als spezifischer Alters- und Zeiterscheinung besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Die in den Reihen Stahlnetz und Blaulicht unter den Stichworten »Halbstarke« und »Rowdys« subsumierten jugendlichen Verbrecher werden daher gesondert betrachtet. Hiernach erfolgt die bereits vorgestellte Einteilung der Verbrecher gemäß ihrer Anbindung an die »normale« Gesellschaft. An diese Darstellung schließt sich eine Untersuchung des mit einem Verbrechen und den Ermittlungen einhergehenden Verdachtsmoments sowie des kriminellen Umfeldes, des so genannten »Milieus« an.

18 Die Deliktkategorien wurden aus dem Strafgesetzbuch der DDR von 1968 übernommen, die sich ebenso in der polizeilichen Kriminalstatistik der Bundesrepublik wiederfinden.

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4.1 AUFFÄLLIGE UND STRAFFÄLLIGE J UGENDLICHE – VOM H ALBSTARKEN ZUM T ÄTER Eine fehlgeleitete Jugend? Mit der zeitlich versetzten Etablierung verschiedener Massenmedien in der zwischen 1880 und 1930 gelegenen »massenmedialen Sattelzeit« (Knoch/Morat)19 erfuhr auch die öffentliche Auseinandersetzung um die »Jugend«20 einen Auftrieb. Die Debatten wurden zumeist von den Erwachsenen bestimmt; Jugendliche selbst konnten sich hingegen kaum einbringen. Diskurse über Jugend geben dem Historiker mentalitätengeschichtliche Einblicke, da sie nicht nur die Sicht der Erwachsenenwelt auf Jugendliche aufzeigen, sondern auch eine Einschätzung zur Gesellschaft liefern, deren Zukunft in der Hand der Jugend zu liegen scheint. Entsprechend wurden Jugendliche mit Ratschlägen und Schutzinitiativen bzw. Kritik und Sorgen überhäuft, die ihnen den vermeintlich rechten Weg weisen sollten. Die von Detlev Peukert für das Kaiserreich identifizierten Zukunftsängste und Probleme im Umgang mit den Jugendlichen können grundsätzlich auch für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg konstatiert werden.21 Während der Produktionszeit von Stahlnetz und Blaulicht brach sich zudem eine beispiellose subkulturelle Ausdifferenzierung der Nachkriegsjugend Bahn. Beide Fernsehkriminalreihen griffen bereits ab der jeweils vierten Folge22 das Thema der (männlichen) jugendlichen Subkultur und Jugendkriminalität auf: 1958 in »Die blaue Mütze« (Stahlnetz) und 1959 in »Aktenzeichen: Welcker« (Stahlnetz) sowie 1960 in »Kippentütchen« (Blaulicht). 1961 nahmen beide Produktionsteams das Thema Jugendkriminalität nahezu gleichzeitig in den Blick.23 Während im westdeutschen Fernsehen die Folge »In der Nacht zum Dienstag …« einen Einzeltäter präsentierte, wartete »Die Meute« im DFF dem Titel entsprechend mit einer ganzen Bande jugendlicher Delin-

19 Knoch, Habbo/Morat, Daniel: Medienwandel und Gesellschaftsbilder 1880–1960. Zur historischen Kommunikologie der massenmedialen Sattelzeit, in: Dies. (Hg.): Kommunikation als Beobachtung, S. 9–34. 20 Vgl. hierzu: Savage, Jon: Teenage. Die Erfindung der Jugend (1875–1945), Frankfurt a. M./New York 2008. 21 Peukert, Detlev: Die »Halbstarken«, in: Zeitschrift für Pädagogik (1984), H. 4, S. 533– 584, hier S. 534–535. Peukert nennt u. a. die Klagen über »zuchtloses Auftreten junger Erwachsener in ihrer Freizeit«, »Verrohung« oder »aufrührerisches Verhalten«. 22 Anzumerken ist, dass das Blaulicht Delinquenz und Kriminalität weiblicher Jugendlicher bereits der Folge »Mädchen in Zelle 7«, Folge 3, 10. 12. 1959 thematisierte. 23 Stahlnetz, »In der Nacht zum Dienstag …« und Blaulicht, «Die Meute«, Folge 14, 10. 12. 1961.

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quenten auf. Einen ähnlichen Zugang verfolgte die letzte Jugend-Folge der Reihe Blaulicht mit »Kümmelblättchen« Ende 1963.24 In beiden Fernsehkriminalreihen werden die für die Handlung relevanten Jugendlichen zumeist als »Halbstarke« bzw. »Rowdys« bezeichnet.25 In Deutschland war der Begriff »Halbstarke« 1912 vom Hamburger Pfarrer Clemens Schultz in die öffentliche Debatte eingeführt worden.26 Schultz charakterisierte dabei den »jungen Mann im Alter von 12–22 Jahren« als »halbstark«, »der zur verkommenen Großstadtjugend gehört«.27 Weiter beschrieb er diesen »jungen Mann« als »arbeitsscheu und unordentlich. Es habe ihm in der Jugend an Liebe, vor allem von Seiten des Vaters, gefehlt; außerdem übten Schundromane, Krimis und unsittliche Filme einen schlechten Einfluss auf den Jugendlichen aus«.28 Dieser Topos hält sich bis ins 21. Jahrhundert, bedenkt man die große Anzahl von Publikation zum negativen Einfluss der »neuen Medien«.29 Weitsichtig hegte Schultz gleichwohl den Verdacht, dass »[d]as alles […] nur zum Teile schuld an der Verrohung der Jugend [hat]«.30 Auch die Gesellschaft (einschließlich der Kirchen), die diese Jugendlichen nicht genügend auffange, trage ihren Anteil. Zwischen 1930 und 1953 starb der Begriff »halbstark« im deutschsprachigen Raum nahezu aus, und er wurde erst in der Mitte der 1950er Jahre wieder in den

24 Blaulicht, »Kümmelblättchen«, Folge 21, 29. 12. 1963. 25 Einzige Ausnahme bildete die Stahlnetz-Folge »In der Nacht zum Dienstag …«. 26 Schultz, Clemens: Die Halbstarken, Leipzig 1912. Nachweislich noch früher gebrauchte der Hamburger Richter Hermann Popert das Wort in seinem 1905 erschienenen Roman »Helmuth Harringa«, allerdings weniger öffentlichkeitswirksam. Vgl.: Kurme, Sebastian: Halbstarke. Jugendprotest in den 1950er Jahren in Deutschland und den USA, Frankfurt a. M. 2006, S. 180. 27 C. Schultz: Die Halbstarken, S. 7. 28 Ebd., S. 7–15. 29 Vgl. u. a.: Lukesch, Helmut/Brosius, Hans-Bernd: Wenn Gewalt zur Unterhaltung wird … Beiträge zur Nutzung und Wirkung von Gewaltdarstellungen in audiovisuellen Medien, Regensburg 21994; Krebs, Dagmar: Gewalt und Pornographie im Fernsehen – Verführung oder Therapie, in: K. Merten/S. J. Schmidt/S. Weischenberg (Hg.): Die Wirklichkeit der Medien, S. 352–376; Röser, Jutta: Fernsehgewalt im gesellschaftlichen Kontext. Eine Cultural Studies-Analyse über Medienaneignungen in Dominanzverhältnissen, Wiesbaden 2000; Pethes, Nicolas: Publikumsversuche. Die Normalisierung des Zuschauers aus der Programmierung der Gewalt, in: Schneider, Irmela/Hahn, Thorsten/Bartz, Christina (Hg.): Medienkultur der 60er Jahre. Diskursgeschichte der Medien nach 1945, Wiesbaden 2003, S. 99–117; Zenck, Martin/Becker, Tim/Woebs, Raphael (Hg.): Gewaltdarstellung und Darstellungsgewalt in den Künsten und Medien, Berlin 2007. 30 C. Schultz: Die Halbstarken, S. 14.

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Diskurs über abweichendes Verhalten aufgenommen.31 Nun waren unter Halbstarken »Halbwüchsige«32 zu verstehen, »die randalieren oder in sonst normwidrigfriedenstörender Weise auffallen«.33 Allerdings gebrauchten Vertreter der Wissenschaft, der Medien wie auch die Bevölkerung den Begriff »halbstark« in höchstem Maße uneinheitlich. Während die Fachliteratur, dabei vor allem soziologische wie pädagogische Schriften, weder einen »äußeren noch einen unmittelbaren inneren Zusammenhang« zwischen Straftaten wie Mord, Raub und Totschlag sahen, stellte die Presse diesen »gelegentlich« her.34 Der Soziologe und Pädagoge Curt Bondy bilanzierte 1957 nach Auswertung des zeitgenössischen Pressespiegels, dass »die meisten Verfasser hinsichtlich der diesem Verhalten [Krawalle] zugrunde liegenden Haltungen, Eigenschaften und Motivationen in der Regel keinen Unterschied zwischen Halbstarken und anderen Jugendlichen [machen], sondern bringen hier stillschweigend oder ausdrücklich ein Bild von der seelischen Situation der gesamten Jugend«.35 Bondy gab damit einen lebhaften Eindruck, wie schnell die vermeintliche Halbstarken-Problematik von verschiedenen Gesellschaftsvertretern seit den ersten Krawallen im Herbst 1955 hochstilisiert wurde.36 Er ging sogar einen Schritt weiter und beschuldigte besonders die Boulevard-Presse, das Verhalten der Jugend31 Siehe hierzu: Kaiser, Günther: Randalierende Jugend. Eine soziologische und kriminologische Studie über die sogenannten »Halbstarken«, Heidelberg 1959. Der Historiker Detlev Peukert bestätigt Kaisers Ergebnisse, indem er konstatiert: »Zwar hielt sich das Negativbild des ›Halbstarken‹ noch in der pädagogischen Literatur der zwanziger Jahre, aber mit der Veränderung der Sozialisationsbedingungen, der Arbeits- und Gesellschaftsstrukturen sowie angesichts der verdüsterten Zukunftsaussichten der jungen Generation in der Weimarer Republik veränderte sich auch der Verhaltensstil der auffälligen Jugendlichen: er wurde noch ausgeprägter subkulturell. Damit löste der Typus der ›Wilden Cliquen‹ den Typus der ›halbstarken‹ Einzelnen ab«. In: D. Peukert: Die »Halbstarken«, in: Zeitschrift für Pädagogik (1984), S. 539. 32 Kaiser gebraucht »halbwüchsig« synonym zu »jugendlich«, es umfasst die Altersgruppe zwischen 14 und 24 Jahren. Siehe: G. Kaiser: Randalierende Jugend, S. 21. 33 Ebd., S. 21 sowie 92–101. 34 Bondy, Curt/Braden, Jan/Cohen, Rudolf/et al.: Jugendliche stören die Ordnung. Bericht und Stellungnahme zu den Halbstarkenkrawallen, München 1957, S. 16. 35 Ebd., S. 20. 36 »Die Ausdrücke [»Halbstarke« und »Halbstarken-Krawalle«; N. H.] erschienen in den Schlagzeilen und Aufsätzen einer Vielzahl von Zeitungen in der Bundesrepublik. […] Manche Verfasser bringen die Halbstarken ohne weiteres in enge Verbindung zur Jugendstraffälligkeit, während nach anderer Ansicht das Verhalten der Halbstarken mit Straffälligkeit nichts zu tun hat, sondern nur Ausdruck allgemeiner Unzufriedenheit und Langeweile, oder aber im Gegenteil Zeichen überschäumender jugendlicher Lebenskraft ist.« In: ebd., S. 9–10.

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lichen zu kriminalisieren und damit eine Mitschuld an der Ausbreitung der Krawalle zu tragen.37 Die von Bondy aufgedeckte mediale Logik, von Einzelfällen auf ein grundlegendes gesellschaftliches Problem zu schließen, stellt für die Analyse der beiden Kriminalreihen einen wichtigen Ansatzpunkt dar.38 Dem (Medien-)Phänomen der sich aufbäumenden, halbstarken Jugend standen die »jugendlichen Straffälligen« gegenüber, die »entsprechend der Kriminalstatistik in krimineller Hinsicht, d. h. durch Verletzungen von Strafrechtsnormen« auffielen.39 Obwohl die von dem Kriminologen Günther Kaiser 1959 vorgenommene Trennung zwischen »kriminellen« und »halbstarken« Jugendlichen mit der Überschreitung bestehender Gesetze recht eindeutig definiert war, war der Begriff der Normabweichung schwieriger zu fassen. Im Zirkelschluss führten die weichen Abgrenzungen zwischen den Begriffen dazu, dass das in der Öffentlichkeit auffällige Verhalten der Halbstarken, die zu keinem Zeitpunkt die Mehrheit der Jugendlichen repräsentierten,40 eben nicht nur als Abweichung von der Norm betrachtet, sondern als Verbrechen eingestuft wurde.41 Eine mögliche Erklärung für die Pars-pro-toto-Argumentation der Medien, insbesondere der Presse, war die Wahrnehmung einer nur schwer einschätzbaren, diffusen Gefahr, die angeblich von den Halbstarken ausging. Vor allem einzelne, jedoch stark emotionalisierend-reißerische Meldungen über Vergewaltigungen und Tötungen durch Jugendliche schürten ein Gefühl der Panik über die (moralische) Verwahrlosung der Heranwachsenden und daran anschließend der gesamten Gesellschaft.42 Dass die meisten Vorfälle dieser Art lediglich singuläre kriminelle Vorkommnisse waren, wurde von den Medien häufig ignoriert.43 37 Ebd., S. 67–70. 38 Bereits in der Kaiserzeit und der Weimarer Republik wurde das Verhalten krimineller Jugendlicher von der Presse verallgemeinert und auf die gesamte Jugend »von heute« übertragen. Siehe hierzu: D. Siemens: Metropole und Verbrechen, S. 130. 39 G. Kaiser: Randalierende Jugend, S. 21, Hervorhebung im Original. Der Autor führt weiter aus, dass Halbstarken-Kriminalität »reine Angriffs- und Schädigungskriminalität« sei und keine »Nutzkriminalität«. In: ebd., S. 35. 40 Der Kriminologe Kaiser geht davon aus, dass man sich den »Anteil der ›aktuellen Halbstarken‹ an der männlichen Halbwüchsigenbevölkerung in der Größenordnung von 1– 5 % und die Zahl der ›potentiellen Halbstarken‹ mit max. 10 % vorzustellen haben.« In: ebd., S. 54, Hervorhebung im Original. 41 Für einen zeitgenössischen Überblick siehe: C. Bondy/J. Braden/R. Cohen/et al.: Jugendliche stören die Ordnung; für eine geschichtswissenschaftliche Zusammenfassung siehe: S. Kurme: Halbstarke, S. 243–262. 42 An dieser Stelle sei auf das Anfang der 1970er Jahre vom britischen Soziologen Stanley Cohen entwickelte Konzept der »moral panics« verwiesen, das die tiefe Beunruhigung einer Gesellschaft und/oder Teile von ihr beschreibt. Die Beunruhigung bezieht sich dabei

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Das Ende des Halbstarken-Phänomens und dessen Skandalisierung in den Medien ist schwer festzulegen. Anfang der 1960er Jahre hatte es den Zenit massenmedialer Wahrnehmung bereits überschritten und wurde schlussendlich von anderen gesellschaftlichen Dynamiken wie einer Liberalisierung im Umgang mit jugendlichen Konsum- und Subkulturen und einer politischen Polarisierung im Rahmen der Studentenproteste Ende der 1960er Jahre überlagert.44 Dennoch fand das Wort immer wieder in den alltäglichen Sprachgebrauch zurück. In der DDR fand der in Westdeutschland so prominente Begriff des »Halbstarken« wesentlich seltener Verwendung. Stattdessen griff man auf die Bezeichnungen »Rowdy« bzw. »Rowdytum« zurück. Dabei sollten die englischen Begriffe keineswegs auf eine für den sozialistischen Staat inakzeptable Westorientierung verweisen,45 vielmehr wurden sie als direkte Abgrenzung zum westdeutschen Phänomen

zumeist auf eine Erschütterung oder Gefährdung des bestehenden Normen- und Wertegefüges. Cohen stützte sich bei seinen theoretischen Überlegungen vor allem auf die Analyse jugendlicher Mod- und Rockerkulturen in England. Die Berichterstattung der Presse charakterisiert Cohen dabei wie folgt: »There was very little interest in what actually happened; what counted is how closely a new account conform stereotype. The youth was depicted as being part of gang, even though all of the youth involved were part of very loose assemblies rather tightly structured gangs«. In: Goode, Erich/Ben-Yehuda, Nachman: Moral Panics. The Social Construction of Deviance, Oxford (USA) 1994, S. 25. 43 Siehe: C. Bondy/J. Braden/R. Cohen/et al.: Jugendliche stören die Ordnung, S. 16ff. 44 Vgl. hierzu: D. Siegfried: Time is on my side. 45 Janssen, Wiebke: Halbstarke in der DDR. Verfolgung und Kriminalisierung einer Jugendkultur, Berlin 2010, S. 179–182. Die Historikerin Wiebke Janssen widerspricht damit Uta Poiger, die in ihrem Werk »Jazz, rock, and rebels« konstatiert: »In reaction, East German authorities either asserted that Halbstarke did not exist under socialism, or, if they acknowledged the presence of young rebels, they used the English term ›rowdies‹ rather than Halbstarke, thus suggesting that adolescent misbehavior was in fact a foreign import« (Poiger, Uta G: Jazz, rock, and rebels. Cold war politics and American culture in a divided Germany, Berkeley (Calif.) 2000, S. 85, Hervorhebungen im Original). Allerdings unterstreicht auch Poiger, dass sich die DDR-Führung mit dem Phänomen der »Halbstarken« auseinandersetzte, indem sie den Film »Berlin – Ecke Schönhauser« anführt. Wohl aber ist Poiger zu widersprechen, wenn sie dem Film unterstellt, dass er »Halbstarke not as a problem that arose in capitalist society and threatened East German socialism from the outside, but as a genuine East German problem« begreift (ebd., S. 123). Denn der Film macht sehr deutlich, dass diese Jugendlichen westlich bis amerikanisch beeinflusst sind und sich ihr Habitus an westlichen Filmen orientiert.

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verstanden.46 Der Begriff des »Rowdys« wurde bereits um 1850 aus dem Englischen in den deutschen Wortschatz übernommen und konnte daher als etablierte Bezeichnung für delinquente Jugendliche verwendet werden.47 Dennoch nutzte man vor allem im alltäglichen Sprachgebrauch beide Begriffe. Ein zeitgenössischer Elternratgeber aus dem Jahr 1959 verstand unter »halbstark«, »wenn ein junger Mensch eine Igeltolle und eine Niethose trägt, schlacksig auftritt und abends mit seinesgleichen an den Straßenecken steht, […]. Ist er sogar im Besitze es Kofferradios und trägt er es stolz zur Schau, so ist nach Meinung der Menschen sofort jeder Zweifel ausgeschlossen; es kann ja nur ein Halbstarker sein!«.48 Für tatsächliche jugendkriminelle Handlungen solle hingegen der Begriff »Rowdy« Anwendung finden, so der Autor Gerhard Feix weiter.49 Die in dem Ratgeber »Erziehe keinen Rowdy« vorgeschlagene Trennschärfe der Begriffe findet sich ebenso in den offiziellen Verlautbarungen der pädagogischen Elite der DDR wieder. Indes wurde eine Auseinandersetzung mit dem »harmlosen« Phänomen der Halbstarken zugunsten einer Kriminalisierung der Rowdys unterlassen. Denn bereits unangepasstes Verhalten galt als Rowdytum, und so kamen die Ausführungen des Zentralvorstandes der Gewerkschaft Unterricht und Erziehung sowie des Deutschen Pädagogischen Zentralinstituts der von Feix angeprangerten Generalisierung in der Bundesrepublik gleich. Denn ob sie nun in »Ecken« standen, Rock ’n’ Roll hörten, randalierten bzw. im weitesten Sinn als normabweichend wahrgenommen wurden: Jugendliche, die sich so verhielten, galten in der DDR als kriminell und sogar »gesellschaftsgefährlich«: Das Rowdytum ist eine der Deutschen Demokratischen Republik noch existierende gesellschaftliche Erscheinung, die die Sicherheit der öffentlichen Ordnung in der Deutschen Demokratischen Republik gefährdet, die einen Angriff auf die Normen der sozialistischen Disziplin dar-

46 Wenngleich die Begriffe in beiden deutschen Staaten synonym verwendet wurden, soll der besseren Verständlichkeit und innertextuellen Orientierung halber im Zusammenhang mit der DDR auf den Begriff »Halbstarke« weitgehend verzichtet werden. 47 W. Janssen: Halbstarke in der DDR, S. 181. 48 Feix, Gerhard: Erziehe keinen Rowdy!, Berlin (O) 1959, S. 2–3. 49 »Für Erscheinungen von Jugendkriminalität sollte die ebenfalls geläufige, aber exaktere Bezeichnung ›Rowdy‹ beziehungsweise ›Rowdytum‹ Anwendung finden. Sie hat den Vorteil, daß sie einerseits die harmlosen Jugendstreiche, die nun einmal von jeder Generation verübt werden und ohne die junge Menschen undenkbar wären, von vornherein ausschließt und andererseits die schweren Übertretungen der Normen des gesellschaftlichen Lebens klar von diesen Streichen abgrenzt und sie nicht bagatellisiert.« In: ebd., S. 5.

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stellt und die der sozialistischen Erziehung der jungen Generation zu allseitig gebildeten, kulturvollen und charakterfesten, der Sache des Sozialismus treu ergebenen Menschen.50

Das angeführte Zitat deutet auf ein wesentliches Element in der Beschäftigung mit Rowdytum und Jugendlichen in der DDR hin: die propagandistische Vermischung von Normübertritt und bereits strafbarer Handlung und damit die Stigmatisierung der Jugendlichen zu Verbrechern. Für die DDR lassen sich drei Stadien der Jugendkriminalität unterscheiden, die für die Untersuchung der Reihe Blaulicht nützlich sind: jugendliche Auffälligkeit und (norm-)abweichendes Verhalten, Schwererziehbarkeit und die genuine Jugendkriminalität. Gemäß staatlichen Definitionen waren die Grenzen zwischen allen drei Phänomenen fließend. Im Gegensatz zu westdeutschen Theorien gingen sozialistische Erklärungsansätze (zunächst) davon aus, dass kindliche und jugendliche Fehlentwicklungen – ähnlich wie in der Erwachsenenkriminalität – nur im Kapitalismus möglich seien. Die Ursachen für fehlgeleitete Jugendliche im eigenen System sahen die Verantwortlichen ausschließlich im schädigenden Einfluss des Westens, wie eine Verlautbarung des Zentralvorstands der Gewerkschaft Unterricht und Erziehung deutlich macht: Die zu diesem Zweck angestellten Untersuchungen über Erscheinungen des Rowdytums in der Deutschen Demokratischen Republik führten übereinstimmend zu dem Ergebnis, daß allen rowdyhaften Handlungen der unheilvolle Einfluß westdeutscher und amerikanischer Schund- und Schmutzerzeugnisse zugrunde lag, mit denen Westdeutschland und Westberlin geradezu überflutet werden und die durch einzelne Kanäle auch in die Deutsche Demokratische Republik eindringen und dort wirksam werden.51

Einer der benannten Kanäle waren grenzüberschreitende Massenmedien wie z. B. das westdeutsche Fernsehen. Dessen schädigender Einfluss wurde sodann als eine der Hauptursachen für Rowdytum und Jugendkriminalität gesehen: Die feindlichen Ideologien, die über westliche Rundfunk- und Fernsehstationen und auf anderen Wegen bei uns eindringen, werden dort wirksam, wo die gesellschaftliche Erziehung

50 Luther, Horst: Das Rowdytum in der Deutschen Demokratischen Republik und seine Bekämpfung, Dissertation, Berlin 1959, S. 1. Vgl. auch: Zentralvorstand der Gewerkschaft Unterricht und Erziehung in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Pädagogischen Zentralinstitut (Hg.): Schule und Erziehung in Westdeutschland. Die Saat der Gewalt. Zum Rowdytum in Westdeutschland, [1961], S. 9. 51 Ebd., S. 6.

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vernachlässigt wird. Im Ergebnis führt dies bei Jugendlichen zu Idealen westlicher Prägung, die bis zu Grenzverletzungen und Rowdytum gereichen.52

Insbesondere Fernsehkriminalfilmen (wie auch Kriminalromanen), die sich bei Schülern aller Bildungsniveaus großer Beliebtheit erfreuten,53 wurde eine stark »zersetzende« Wirkung zugesprochen, da sie durch ihren Charakter zur Nachahmung animierten. Dieses Argument wurde im Übrigen auch in westdeutschen Debatten immer wieder vorgebracht. Gleichzeitig machte sich die DDRFührungsriege die Beliebtheit des Krimis zu eigen, um Kriminalität auf jugendgerechte Weise vorzubeugen, wie z. B. in der Kriminalreihe Blaulicht. Die äußere Erscheinung und der Habitus halbstarker Jugendlicher Nicht nur die Rezeption des Phänomens halbstarker Jugendlicher war von Klischees stark beeinflusst, auch deren Äußeres wurde durch die Medien und Fachliteratur gleichartig wahrgenommen. Folgt man medialen Beschreibungen, so eiferten die Jugendlichen beider Länder häufig Schauspielern oder Musikern nach und waren durch eine typische Kleidung auszumachen. Diese bestand meist aus Lackschuhen, Niethosen bzw. Jeans,54 Lederjacken und -hosen, karierten Holzfäller- bzw. Texas52 Perspektivplan zur Zurückdrängung der Jugendkriminalität und Schaffung eines Systems vorbeugender Maßnahmen, Beschluß des Rates der Stadt Karl-Marx-Stadt, vom 18. November 1965, S. 1, in: BArch: DC 4/869. 53 Eine Studie des Zentralinstituts für Jugendfragen über die jugendliche Nutzung der Massenmedien kam 1975 zu dem Ergebnis: »Zu den wichtigsten Fernsehsendungen für Jugendliche zählen die Abenteuer- und Kriminalfilme, Spielfilme, Unterhaltungsfilme und Sportsendungen. Sie verzeichnen durchgehend die höchsten Quoten an häufigen Teilnehmern, schon in Klasse 6 über der 60 %- bzw. 70 %- oder 80 %-Marke. Die Zahl derjenigen, die Spiel-, Abenteuer- sowie Kriminalfilme so gut wie gar nicht sieht, geht von über 10 % (Klasse 6) auf 2 bis 4 % (mit Klasse 8) zurück« (Fol.19). Zudem hielt die Studie eine hohe Schwarzseherquote für das westdeutsche Fernsehen fest (Fol. 5). In: Bisky, L./Gehrisch, H./Müller, H.: Zentralinstitut für Jugendforschung: Kurzfassung des Forschungsberichtes zur Intervallstudie: Entwicklungsformen und Entwicklungsbedingungen von Jugendlichen in der DDR – Schüler und Klassen 6 bis 10; Teil: Nutzung von Massenmedien (MKM), März 1975, in: BArch, DC 4/2083, foliert. 54 Krüger, Heinz-Hermann: Sprachlose Rebellen? Zur Subkultur der »Halbstarken« in den Fünfziger Jahren, in: Breyvogel, Wilfried (Hg.): Autonomie und Widerstand. Zur Theorie und Geschichte des Jugendprotestes, Essen 1983, S. 78–82, hier S. 81. Krüger weist darauf hin, dass gerade die Jeans zu einem »Erkennungszeichen« der Halbstarken wurden. Das Tragen der Hosen vermittelte durch deren engen Sitz nicht nur ein Gefühl für den eigenen Körper, »sie drückten zugleich ganz deutlich und bewußt eine Distanz zu den

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hemden sowie verschiedenen Arten von Mützen. Meist trugen die männlichen Jugendlichen zudem einen auffälligen Haarschnitt, z. B. die so genannte Entenschwanz-Frisur, später auch den »Pilzkopf« der Beatles. Dass diese Aufmachungen das Erscheinungsbild der west- wie ostdeutschen Städte stark prägte, ist zu bezweifeln. Die meisten Jugendlichen waren zumindest in ihrer Arbeitszeit eher unauffällig gekleidet. Vergleicht man dies mit der Darstellung der Jugendlichen in den vorliegenden Fernsehkrimis, zeigt sich allerdings, dass die Produzenten das landläufige Bild des »Halbstarken« perpetuierten. Sowohl im Stahlnetz wie auch im Blaulicht zeigten alle jugendlichen Täter eine ähnliche Erscheinung.55 Wie grundlegend insbesondere das Merkmal Kleidung für die Beschreibung halbstarker Jugendlicher war, thematisierte die erste Stahlnetz-Folge zum Thema Jugendkriminalität aus dem Jahr 1958. Zu »Die Blaue Mütze«, deren Titel dem Zuschauer schon erste Hinweise gab, hieß es in der Zeitschrift HörZu: Eine neue Folge der spannenden Kriminal-Serie Jürgen Rolands: Stahlnetz. Zwei junge Burschen im Alter von 19 bis 22 Jahren haben einen Berliner Drogisten in seinem Geschäft überfallen. […]. Kurze Zeit darauf ist die Kriminalpolizei zur Stelle. Sie findet keine Spuren – nur eine blaue Mütze aus Wachstuch mit einem gestrickten Streifen. Wenig genug.56

Beide Täter sind demnach im Übergang zum Erwachsenenalter, männlich und augenscheinlich gewalttätig. Zudem haben sie einen erwähnenswerten Modegeschmack. Wie der Zuschauer dann im Film erfährt, ist die am Tatort verlorene Mütze aus Wachstuch sogar ungewöhnlich für Westberlin. Dies wird im Verlauf der Handlung eindrucksvoll bestätigt, indem die beiden Kriminalbeamten hunderte Mützengeschäfte aufsuchen müssen, bis sie einen entscheidenden Hinweis bekommen. Der Träger der Mütze wird ohne Umschweife in der heranwachsenden Generation vermutet und dann auch tatsächlich im Milieu der Halbstarken gefunden. Auch im ostdeutschen Krimi wurde die Zugehörigkeit der Jugendlichen zu einer bestimmten Gruppe stereotyp visualisiert. Die den Rowdys hinlänglich unterstellte westliche Orientierung unterstrichen die Filmfiguren durch das Tragen von Jeans Anschauungen und Erwartungen der Erwachsenen im Hinblick auf ›anständige‹ Kleidung aus«. In: ebd., S. 81. Zur Jeans in der DDR siehe: Menzel, Rebecca: Jeans in der DDR. Vom tieferen Sinn einer Freizeithose, Berlin 2004. 55 Für die Reihe Blaulicht ist anzumerken, dass die Jugendlichen während ihrer Arbeit, sofern sie überhaupt einer nachgingen, unauffällige Arbeitskleidung trugen. Erst in der Freizeit kleideten sie sich in Lederjacken und Jeans. Siehe Blaulicht, »Kümmelblättchen«. Im Stahlnetz sind bis auf eine Ausnahme keine Jugendlichen bei der Arbeit zu sehen. Ein Mitglied der »Welcker-Bande« arbeitet in einer Bar als Kellner. Er trägt entsprechende Kellnerkleidung. Siehe Stahlnetz, »Aktenzeichen: Welcker «. 56 Ankündigung der Stahlnetz-Folge »Die Blaue Mütze«, in: HörZu 24 (1958), S. 42.

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und Lederkleidung. Beides war bis zum Ende der DDR ein rares Gut, das zumeist aus dem Westen eingeschmuggelt werden musste. Das Tragen von Jeanshosen unterlag bis Ende der 1960er Jahre z. T. sogar einem offiziellen Verbot, wenngleich es, bedingt durch sich abwechselnde politische »Tauwetter«- und »Eiszeit-«phasen, erst gelockert und dann wieder verschärft worden war. Eine erste Phase der Liberalisierung im Umgang mit den »Niethosen« setzte in der Mitte der 1950er Jahre ein.57 Den Funktionären der FDJ war das westliche Produkt, dessen Träger so eindeutig durch »imperialistische Propaganda« verblendet erschienen, jedoch ein Dorn im Auge, und so erreichten sie ein neuerliches Verbot ab 1958, das den Mauerbau überdauerte.58 Das Verbot setzte somit eine Norm, deren Überschreitung den Normverletzer eindeutig stigmatisierte und aus dem Kollektiv ausschloss. Entsprechend ausgestoßen werden auch die Jugendlichen der Blaulicht-Folge »Kippentütchen« (1959), die aufgrund ihres Verhaltens und ihrer antisozialistischen Einstellung nicht in die FDJ eintreten dürfen. Welche herausragende Bedeutung und Wertschätzung die Jugendlichen der westlichen Kleidung zuschreiben, macht einer von ihnen in einer Befragung durch Hauptmann Wernicke deutlich. Aus einer resignativen Stimmung, die von der Ausgrenzung durch die FDJ getragen wird, wechselt er in eine enthusiastische Tonlage und berichtet: »Echte Jeans. Amerikanische. […] Det’s ne Macht, Mensch [er lacht, …]. Die ganze Schrift amerikanisch, Original Texas, Made in USA. Gibt’s im ganzen Konsum nich. Und absolut hauteng. Na, wenn se neu ist, denn müssen se mit’se unter de Dusche gehen, dann wird se so«.59 Wernicke nimmt die jugendlichen Äußerungen über die Hose mit einem Schmunzeln zur Kenntnis, doch verweist das Zitat sehr wohl auf die Brisanz des Themas. Der westliche Import entzündete zum einen den Konflikt mit dem politischen Regime der DDR, zum anderen konnten die Jugendlichen ähnlich dem Westen Deutschlands gegen die Eltern als Vertreter einer anderen Generation revoltieren. Die »Jeans symbolisierten lässige Unbekümmertheit, eine Lebenshaltung, die für die Generation, die die Entbehrungen der Kriegs- und Aufbaujahre noch in guter Erinnerung hatte, schwer nachvollziehbar war«.60 Darüber hinaus zeigten sich die meisten Eltern in West und Ost wenig einverstanden mit den körperbetonten 57 In der Folge waren Jeanshosen im Straßenbild und sogar auf der Leinwand zu finden. Einer der wenigen »Halbstarken«-Filme der DDR, »Berlin – Ecke Schönhauser«, zeigte Jugendliche in westlicher Kleidung. 58 Ebd, S. 40ff 59 Blaulicht, »Kippentütchen«, 0:56:09–0:56:35. 60 Ebd., S. 45f. Ähnliches galt auch für das Bild der Jeanshose unter den westdeutschen Jugendlichen. Siehe Hölscher, Christoph: »Halbstark«. Jugendlicher Alltag und Subkultur in Berliner Arbeiterbezirken der fünfziger Jahre, in: Schmiechen-Ackermann, Detlef/Stipani, Ute/Toelle, Claudia (Hg.): Alltag und Politik in einem Berliner Arbeiterbezirk. Neukölln von 1945 bis 1989, Bielefeld 1998, S. 181–212, besonders S. 197–199.

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Schnitten der Jeans. Sie widersprachen in allem der Vorstellung anständiger Kleidung, die eben nicht bestimmte Körperteile betonte und damit womöglich sexualisierte.61 Trotz der Verbote und Stigmatisierung war die Jeans im DDR-Straßenbild der 1960er Jahre durchaus präsent, nicht zuletzt bedingt durch eine neuerliche »Tauwetterphase« zwischen 1962/63 und 1965. Einen für die nächsten Jahre wohl entscheidenden Endpunkt dieser liberalen Entwicklungen setzte das 11. Plenum des ZK der SED. Zwei Jahre später brachte der Zentralrat der FDJ seine Ansichten zur westlichen Kultur und damit auch zur Jeanshose unmissverständlich zum Ausdruck: Gegen das prinzipienlose Dulden und Verbreiten von »Argumenten« und »Informationen« des Westens, das Nachäffen von Modeerscheinungen und das Abhören von Westsendern und Westfernsehen ist aufzutreten und eine breite propagandistische Arbeit zu entwickeln. Den Jugendlichen ist überwiegend und anschaulich darzulegen, dass mit diesen Mitteln der Gegner seine psychologische Kriegsführung gegen die DDR betreibt.62

Nahezu zeitgleich sollte die DDR-Jugend durch eine eigene Jeans wieder den »Ausdruck der Freiheit« erleben, diesmal jedoch nach sozialistischen Ansprüchen. Der DEFA-Film »Heißer Sommer«63 hatte als Träger dieser Werbebotschaft nicht unerheblichen Einfluss auf den Erfolg der DDR-Jeans,64 wenngleich die Originale Levis und Wrangler unersetzlich blieben. Ein im zeitgenössischen Sinne auffälliger Kleidungsstil war jedoch nicht das einzige Merkmal des vielschichtigen Phänomens Jugend. Beide Reihen setzten in ihrer Gestaltung gleichermaßen auf den Bereich der Freizeit und einen jugendlichhalbstarken Habitus in Sprache und Umgangsformen miteinander. Viele Autoren populärer Zeitschriften und wissenschaftlicher Fachliteratur waren sich in den 1950er und 1960er Jahren einig, dass das Moped bzw. Motorrad ein Ausdruck des jugendlichen Lebensgefühls war. Zudem konnte das Knattern und Röhren des Motors teilweise als Ruhestörer eingesetzt werden, um Erwachsene und

61 Eine Aufweichung tradierter Geschlechterrollen war auch im Bereich der Bekleidungsindustrie zu beobachten. Gerade Frauen wollten sich von dem Rockzwang befreien und sich mit einer Jeanshose – zumindest in ihrem äußeren Erscheinungsbild – selbst verwirklichen. Siehe: R. Menzel: Jeans in der DDR, S. 45. 62 Zentralrat der FDJ, Abt. Kultur: Konzeption für die Arbeit in den Staatlichen Jugendklubhäusern, den Jugendklubs an kulturellen Einrichtungen und in den Wohngebieten und in den Dorfklubs, 1967, in: SAPMO-BArch, DY 24/ 6394, S. 7, zitiert nach: ebd., S. 88–89. 63 »Heißer Sommer«, DEFA 1967/68, Regie: Joachim Hasler. 64 Ebd., S. 65–72.

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Gesellschaft zu provozieren.65 In Stahlnetz66 und Blaulicht bewegen sich die meisten Jugendlichen zu Fuß, doch gerade in der Fernseh-DDR rasen sie zuweilen auf motorisierten Zweirädern durch die Stadt und verzichten auf öffentliche Verkehrsmittel oder gar das Fahrrad. Moped und Motorrad sind hier in erster Linie ein städtisches Phänomen – wie die halbstarke bzw. rowdyhafte Jugend selbst. Die Zweiräder waren jedoch nicht nur ein einfaches Fortbewegungsmittel, sondern Statussymbole in zweierlei Hinsicht. Zum einen war damit ein finanzieller Aufwand verbunden, der erarbeitet oder, wie im Fall einiger Fernsehjugendlicher, ergaunert werden musste. Zum anderen konnte das Motorrad – gemäß dem 1955 in deutschen Kinos gezeigten amerikanischen Film »Der Wilde« mit Marlon Brando67 – ein Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit vermitteln. Das Blaulicht setzte das Motiv der Motorrad fahrenden Jugendclique vor allem in der Folge »Die Meute« (1961) um. Elvis und seine Bande jagen mit ihren Motorrädern lautstark durch die Straßen und Gassen der Stadt. Darüber hinaus wird das Motorrad hier zum Hilfsmittel einer kriminellen Handlung, als die Bande die ebenfalls noch jugendliche Karin verfolgt. Sie hatte Elvis, den »Leader«, provoziert, indem sie seine sexuellen Avancen zurückwies. Nachdem die motorisierte »Meute« sie erreicht und schließlich umringt hat, steigt Elvis von seiner Maschine ab und bedeutet allen, die Motoren ebenfalls abzustellen. Als sich Karin abermals gegen Elvis’ Zudringlichkeit wehrt, gibt er der Gruppe ein Zeichen. Die Motorräder werden aufs Neue gezündet, der Lärm der Maschinen soll Karins Hilfeschreie übertönen. Denn nun halten zwei Mitglieder der Bande sie fest (Abb. 32), Elvis reißt ihre Kleider auf und befiehlt Caruso zu »beginnen«. Als sich keiner aus der Gruppe bewegt, stattdessen sogar ein Mitglied flüchtet, wird Karin von Elvis selbst inmitten der Motorradscheinwerfer vergewaltigt (Abb. 33). Wenngleich das Motorrad hier keine unmittelbare Handlungsrelevanz hat, ist es doch eng mit dem Agieren der Jugendlichen verbunden. Sie fühlen sich sicherer und mächtiger, auch weil sie auf diese Weise ihr Verbrechen übertönen können. 65 Kaiser führt zeitgenössisch zur ruhestörenden Wirkung der Motorräder aus: »In dicht aufgeschlossener Kolonne und laut knatternd fahren sie mit ihren Mopeds oder Motorrädern durch die Hauptstraßen«. In: G. Kaiser: Randalierende Jugend, S. 24. Zur filmischen Umsetzung siehe auch: Blaulicht, »Die Meute«. 66 Mopeds und Motorräder erscheinen im Stahlnetz lediglich als Füllbilder. Beispielsweise bewundern zwei Jugendliche ein vor einem Hauseingang abgestelltes Motorrad, während der Kommissar in »Die Blaue Mütze« zufällig vorbeigeht. Obwohl keine Motorrad fahrenden Jugendlichen gezeigt werden, bedeutet dies nicht, dass Jugendliche im Stahlnetz keine Affinität zu Motorrädern pflegten. In den wenigen Sendeminuten konnte nicht jede Facette von Jugendkultur ausgeleuchtet werden. 67 »Der Wilde«, Regie: Laslo Benedek, USA 1953 (Deutschland 1955), http://www.imdb. de/title/tt0047677/, 9. 5. 2013.

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Abb. 32: Bandenmitglieder halten die schreiende Katrin fest (l.; Blaulicht, »Die Meute«). Abb. 33: Elvis in Erwartung der Vergewaltigung Katrins (r.; Blaulicht, »Die Meute«).

Eine weitere zeitgenössische Wahrnehmung jugendlicher Kultur war ein jugendspezifischer Jargon, der den Jugendlichen eine Abgrenzung gegenüber den Erwachsenen ermöglichte und die Identität in der Gruppe erhöhte.68 Häufig orientierten sich die Spitznamen an Jugendidolen aus Film und Musik. Die Jugendlichen versuchten sich damit selbst als Helden zu stilisieren und profitierten vom Flair einer transnationalen Jugendsubkultur. In beiden Kriminalreihen ist ein solcher Jargon bzw. Tonfall u. a. in den Spitznamen der Protagonisten wie »Blubber-Paule« (Stahlnetz »Die Blaue Mütze«) oder »Elvis« (»Die Meute«) und »Charly« (»Kippentütchen«) im Blaulicht nachvollziehbar. Gerade in der DDR-Kriminalreihe hatte die Häufung englischer Spitznamen einen eindeutigen Bezug zu Konsumartikeln des »kapitalistischen Auslands« und sollte so den schädigenden Einfluss von Literatur, Musik und Filmen aus dem Westen besonders hervorheben.69 Die Verwendung von Spitznamen führt zu einem weiteren Merkmal jugendlicher Kultur: dem Konsum von populärer Musik und den daraus folgenden, jugendspezifischen Tanzformen.70 Diese finden sich in beiden Kriminalreihen und dienen 68 H.-H. Krüger: Sprachlose Rebellen?, in: Breyvogel, Wilfried (Hg.): Autonomie und Widerstand, S. 81. 69 Der Zentralvorstand der Gewerkschaft Unterricht und Erziehung konstatiert hierzu: »Die Namen, die sich einzelne Rowdys in der Deutschen Demokratischen Republik zugelegt haben, weisen ebenfalls sehr deutlich auf die Wurzeln rowdyhaften Verhaltens hin. Solche Namen sind: Killer, Slim, Elvis Presley, Conny, Charly, Boy, Jazzer, Billy usw.«. In: Zentralvorstand der Gewerkschaft Unterricht und Erziehung in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Pädagogischen Zentralinstitut (Hg.): Schule und Erziehung in Westdeutschland, S. 7. Siehe auch: Skyba, Peter: Vom Hoffnungsträger zum Sicherheitsrisiko. Jugend in der DDR und Jugendpolitik der SED 1949–1961, Köln 2000, S. 411–413. 70 D. Peukert: Die »Halbstarken«, in: Zeitschrift für Pädagogik (1984), S. 543. Vgl. auch: Zinnecker, Jürgen: Metamorphosen im Zeitraffer. Jungsein in der zweiten Hälfte des

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zur Charakterisierung der Jugendlichen. Bereits in »Die Blaue Mütze« hören alle Heranwachsenden Musik und tanzen dazu. Hierzu besuchen sie die modern eingerichtete Bar »Maxim«, deren Wände mit zeitgenössischen abstrakten Figuren und Mustern dekoriert sind. Sesselgruppen samt Nierentisch laden dazu ein, sich niederzulassen (Abb. 34). Eine Jukebox, die die Szene mit einer Großaufnahme einleitet, liefert die Hits und Schlager, zu denen Mädchen und Jungen ausgelassen tanzen.71 In der Stahlnetz-Folge »Aktenzeichen: Welcker« steht hingegen ein Kofferradio als Lieferant »heißer« Musik im Mittelpunkt. Doch es wird nicht nur dazu genutzt, um zu tanzen, sondern es soll auch den Pistolenschuss auf eines der Bandenmitglieder übertönen.72 Damit konterkariert Jürgen Roland die eigentlich positiv besetzte Unterhaltungsfunktion des Radios, das neben der Jukebox und dem heimischen Schallplattenspieler zum wichtigster Distributor des Rock ’n’ Roll und später der Beat-Musik für die Jugendlichen der 1950er und 1960er Jahre zählte. Und weil das Kofferradio problemlos auch in den öffentlichen Raum mitgenommen werden konnte, war es ein besonders vielfältig einsetzbares jugendkulturelles »Accessoire«. Im Rahmen der Blaulicht-Folge »Kippentütchen« ist das (westdeutsche) Kofferradio zugleich ein Symbol jugendlicher Aufsässigkeit und devianter Freizeitgestaltung. Die »Heule« – ein häufig gebrauchter Slang-Ausdruck, der den mitunter störenden Charakter des Radios ironisch andeutet – steht auf dem Tresen einer Vorortkneipe und beschwingt die jugendlichen Gäste. Sie wippen zu einem Schlager mit den Füßen, den Fingern oder den Köpfen.73 Dabei kümmern sich die Jugendlichen wenig darum, ob die laute Musik andere Gäste stören könnte oder gar verboten ist. Vielmehr genießen sie es, den Gastwirt einzuschüchtern und Alkohol zu trinken (Abb. 35). Auch in anderen Folgen kommt das Kofferradio oder wahlweise ein Plattenspieler außerhalb von Wohnräumen zum Einsatz, um der engen Häuslichkeit (und dem Musikgeschmack der Eltern) zu entfliehen und die »eigene Musik« hören zu können. 20. Jahrhunderts, in: Levi, Giovanni/Schmitt, Jean-Claude (Hg.): Geschichte der Jugend. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart (2), Frankfurt a. M. 1997, S. 460–505, hier S. 480. 71 Stahlnetz, »Die Blaue Mütze«, 0:16:36. 72 Stahlnetz, »Aktenzeichen: Welcker«, 0:0:15–0:1:06. 73 Vor allem der hier gespielte englischsprachige Schlager wurde von den sozialistischen Jugendschützern als besonders gefährdend wahrgenommen: »Aus der Vielzahl der schmutzigen Quellen für die Vergiftung der Jugend sei nur noch eine gewisse Art der ›Musik‹ und des ›Tanzes‹ genannt. […] Der Zusammenhang zwischen dieser Sorte Tanzund Unterhaltungsmusik [hier Rock ’n’ Roll] und den begangenen Ausschreitung junger Menschen liegt offen auf der Hand«. In: Zentralvorstand der Gewerkschaft Unterricht und Erziehung in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Pädagogischen Zentralinstitut (Hg.): Schule und Erziehung in Westdeutschland, S. 33.

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Abb. 34 und Abb. 35: Jugendliche im Stahlnetz (r., »Blaue Mütze«) und im Blaulicht (l., »Kippentütchen«).

Auch in den Folgen des Blaulicht geht ein großer Teil der auftretenden Jugendlichen scheinbar keiner geregelten Arbeit nach, bei der sie für die Kommissare auffindbar wären. Ein weiterer Punkt ist bereits angeklungen: der Genuss von Alkohol. Meist trinken sie Bier, manchmal auch Branntwein, wie etwa im Fall von Otto Ott, als er das erste Mal vom Kommissar im »Maxim« angetroffen wird. Das Trinken von Alkohol scheint für die Jugendlichen selbstverständlich, für die Erwachsenen (zumindest der DDR) hingegen teilweise bedenklich.74 Ein Aufruf zu seinem »bewussten« Genuss fehlt dennoch in beiden Reihen. Rückblickend verwundert das Fehlen eines moralischen Appells im Besonderen für die DDR, da gerade hier der Kampf gegen Alkoholismus und Trunksucht vehement angegangenen wurde. In den Akten des Amts für Jugendfragen sowie diversen pädagogischen Schriften und Ratgebern wurde der Konsum sogar als kriminogen gebrandmarkt. Hierzu gehört die Gefährdung der Kinder und Jugendlichen durch Alkohol- und Nikotingenuß, sowie schädliche Beeinflussung durch schlechte Beispiele, die Erwachsenen den Jugendlichen durch ihr Verhalten in Gaststätten, Tanzlokalen und öffentlichen Vergnügungsparks geben. Auf Auswirklungen solcher Einflüsse, besonders Alkohol und Nikotin, trifft man

74 Der Gastwirt der Blaulicht-Folge »Kippentütchen« fordert die Jungen wiederholt zum Gehen auf, da sie »für heute genug« hätten. Dem sozialistischen Anspruch gerecht werdend, verwehrt sich der FDJ-Leiter in der Folge »Kümmelblättchen« gegen den Genuss hochprozentigen Alkohols. Er beweist Durchsetzungsvermögen, indem er die beiden trinkenden Jugendlichen des Raumes verweist. Dass beide und die ihnen zugehörige Gruppe Jugendlicher kurze Zeit später in einer Hafenkneipe einkehren, wird nicht weiter problematisiert. Zum ambivalenten Umgang mit (hochprozentigem) Alkohol in der DDR vgl.: Kochan, Thomas: Blauer Würger. So trank die DDR, Berlin 2011.

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immer wieder bei der Untersuchung der Lebensverhältnisse krimineller Jugendlicher oder erziehungsgefährdeter Kinder.75

Auch in der Bundesrepublik war der schädigende Einfluss des Alkohols auf Jugendliche bekannt.76 Dass der pädagogische Anspruch beider Reihen ausgerechnet in diesem Zusammenhang nicht umgesetzt wurde, lässt vermuten, dass das Problembewusstsein zwar unter Kriminologen und Pädagogen vorhanden war, sich jedoch noch nicht ins allgemeine Wertesystem übertragen hatte. Das Gros der Zuschauer und Fernsehmacher sah im moderaten Alkoholkonsum von Jugendlichen offenbar kein besonders drängendes Problem für eine Einbindung in einer fiktionale Kriminalreihe. Die stereotype Darstellung der vermeintlich kriminellen Jugendlichen lässt sich an dieser Stelle um einen weiteren Punkt ergänzen: Beide Reihen konzentrieren sich vornehmlich auf die Freizeitgestaltung. In aller Regel werden die Jugendlichen nicht als Arbeitnehmer gezeigt. Lediglich in einer kurzen Szene am Ende der Folge »Aktenzeichen: Welcker «, in der die Täter gefasst werden können, wird kurz deren Arbeitsstätte gezeigt. Allerdings geht kein Mitglied der »Welcker-Bande« einer körperlich harten Arbeit – etwa als Fabrik- oder Bauarbeiter – nach. Stattdessen sind sie Kellner in einer »Espresso«-Bar, wo sie die Freigetränke ausnutzen, um einigen Mädchen zu imponieren, mit denen sie zusammensitzen statt Gäste zu bedienen. Der Täter Otto Ott aus der Folge »Die Blaue Mütze« gibt dem Kommissar mit süffisantem Lächeln zu verstehen, dass es mit der Arbeit »nich so doll«77 steht – schließlich habe er bereits die dritte Lehre angefangen. Auch Helmut Matuschke, Otts Komplize beim Überfall, erklärt dem Kommissar am helllichten Tag betont lässig, dass er Zeit für die Polizei habe – weil er ebenfalls arbeitslos ist, könnte der Zuschauer ergänzen. Die Taten Das öffentliche Bild der Halbstarken und Rowdys wurde nicht nur durch Kleidung, musikalische Vorlieben, den Besitz eines Motorrades und Trinkgewohnheiten 75 Institut für Staatsrecht der juristischen Fakultät, Humboldt-Universität zu Berlin: Wesen und Erscheinungsformen schädlicher Einflüsse, die eine Gefahr für die politische, körperliche, geistige und moralische Entwicklung der Jugend unter den Bedingungen des umfassenden Aufbaus des Sozialismus in der DDR sein können, in: An das Amt für Jugendfragen, 21. 10. 1966, in: BArch: DC 4/ 1229, S. 2–3. 76 Das 1951 beschlossene Gesetz zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit (JÖSchG) verbot die Abgabe von Alkohol an Jugendliche in Gaststätten, Lokalen und der Öffentlichkeit. 77 Stahlnetz, »Die Blaue Mütze«, 0: 20:20.

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geprägt, sondern vor allem durch ein erhöhtes Gewaltpotenzial, Krawalle und kriminelle Handlungen aller Art überzeichnet. In der Rückschau erscheinen viele der Delikte eher geringfügig, handelte es sich doch häufig um Ruhestörungen, rüpelhaftes Auftreten, Sachbeschädigungen und zuweilen kleinere Diebstähle. Der bereits zitierte Kriminologe Günther Kaiser differenzierte Ende der 1950er Jahre daher zwischen Jugendkriminalität und den Vergehen Halbstarker, denn: Die »Halbstarken«-Kriminalität vergegenständlicht sich mithin praktisch wie begrifflich in der Kriminalität der reinen Angriffs- und Schädigungsdelikte; und zwar – mit Ausnahmen der kriminellen Spitzen Mord und Totschlag – unabhängig vom Grad der im konkreten Fall erkennbar gewordenen verbrecherischen Energie. Gleichzeitig sind damit sowohl das Kriterium der »Halbstarken«-Kriminalität gegenüber der sonstigen Jugendkriminalität gefunden, als auch das Abgrenzungsmerkmal der »Halbstarken« von den sonst in krimineller Hinsicht aufgefallenen Halbwüchsigen aufgezeigt.78

Die Zeichnung nahezu aller Jugendlichen der hier untersuchten west- und ostdeutschen Kriminalfolgen weicht erheblich von dem ab, was Kaiser beschreibt. Die meisten der als Halbstarke und Rowdys bezeichneten Jugendlichen machen sich schwerer Kapitalverbrechen schuldig. Dabei ist zumindest in der Stahlnetz-Reihe eine gewisse Steigerung erkennbar. Während die naiv gezeichneten Jugendlichen in »Die blauen Mütze« einen Seifenhändler lediglich niederschlagen, um seine Kasse auszurauben, begehen Welcker und seine Bande kalkuliert schweren Raub, schwere Körperverletzung und Mord. In der zwei Jahre später ausgestrahlten Stahlnetz-Folge »In der Nacht zum Dienstag …« tötet ein entflohener Heimjugendlicher eine Studentin wegen fünf Mark und stiehlt auf seiner Flucht mehrere Autos. Die Blaulicht-Reihe beginnt ihre »Jugend-Folgen«, entgegen der sonst unüblichen Behandlung von Kapitalverbrechen, mit einem Mord. Charly,79 der Anführer einer Gruppe Jugendlicher, tötet in einer Laubenkolonie vor den Toren Berlins seine Vermieterin. Elvis80 macht sich des Raubes und der Vergewaltigung schuldig; Ossi und Kalle81 überfallen im Rostocker Hafen mehrere Seemänner, einer von ihnen erliegt später seinen schweren Verletzungen. Am 6. November 1959 wird »Aktenzeichen: Welcker u. a. wegen Mordes« erstmalig ausgestrahlt. Anders als der Überfall auf den Seifenhändler in »Die Blaue Mütze« waren alle Taten dieser »Jungen«, wie der Kommissar bereits zu Beginn des Krimis eindringlich schildert, »lange vorbereitet, vorsichtig kalkuliert, nichts

78 G. Kaiser: Randalierende Jugend, S. 46–47. 79 Blaulicht, »Kippentütchen«. 80 Blaulicht, »Die Meute«. 81 Blaulicht, »Kümmelblättchen«.

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sollte dem Zufall überlassen bleiben«.82 Die Heranwachsenden wirken in den wenigen Szenen, in denen sie zu sehen sind, arrogant und emotionslos. Nahaufnahmen beider Haupttäter sind selten, zumeist werden sie in der Halbtotalen und Totalen fotografiert. Anders als bei Otto Ott und Helmut Matuschke (»Die Blaue Mütze«) behält der Zuschauer so die Distanz zu beiden. Eine einzige Nahaufnahme zeigt Welcker in starker Untersicht auf einem Flachdach stehend, als dieser am Ende der Folge mit einer Pistole auf einen Mitarbeiter der Mordkommission schießt. Wesentlich mehr als über die Haupttäter erfährt der Zuschauer über die weiteren Mitglieder der Gruppe, die entweder von beiden umgebracht, zum Selbstmord getrieben werden oder nach ihrer Ergreifung geständig sind. Obwohl das erste Opfer und Bandenmitglied, Peter Althoff, selbst nur kurz im Bild zu sehen ist, scheint das Auftreten seiner Mutter symptomatisch für seine spätere Entwicklung. Die Figur der Mutter als auch die Wohnungsausstattung deuten auf den Wohlstand der Familie Althoff hin. Das Wohnzimmer ist modern und gehoben eingerichtet, die Mutter trägt ein edles Kostüm, ihr Mann arbeitet in leitender Position in einer Fabrik. Frau Althoff wirkt allerdings emotional unterkühlt, ihr Tonfall während der Befragung zu ihrem verschwundenen Sohn wirkt unbeteiligt. Sie und ihr Mann hätten schon lange aufgehört, sich Sorgen um ihren Sohn zu machen, schließlich gingen die Kinder ihre eigenen Wege. So ist es ihr auch wesentlich wichtiger zu betonen, dass ihr Mann viel arbeitet und das Verschwinden des Sohnes wenige Wochen zuvor mit der Ankunft der japanischen Wirtschaftsdelegation zusammenfiel. Zwar vermieden Menge und Roland, dem Zuschauer im Stahlnetz direkte Erklärungsansätze zur Entstehung von Jugendkriminalität zu geben, aber die Inszenierungsweise dieser Szene zeigt deutlich ein gestörtes Eltern-Kind-Verhältnis. Die Schwere der von Althoff begangenen Taten gemeinsam mit der Welcker-Bande wird durch das Gezeigte nicht relativiert, aber es wird verdeutlicht, wie wichtig das elterliche Umfeld für die Sozialisation von Jugendlichen ist – nicht nur auf dem Fernsehbildschirm. Auf intakte familiäre Verhältnisse legte die zeitgenössische Jugend- und Kriminalitätsforschung großen Wert; der Kriminologe Ernst Heinitz führte dazu 1961 aus: Die Bedeutung der Familien für Verhütung der Jugendkriminalität kann kaum überschätzt werden. Die Familie hat die ersten und stärksten Einflüsse auf das Kind. […]. Es überrascht daher nicht, überall wieder in allen Teilen der Welt durch exakte kriminologische Forschung bestätigt zu finden, daß ungünstige Familienverhältnisse […] namentlich Verwaisung oder Ehescheidung der Eltern, in einer Beziehung zur Jugendkriminalität stehen.83

82 Stahlnetz, »Aktenzeichen: Welcker«, 0:02:37–0:02:42. 83 E. Heinitz: Im Blickpunkt der Kriminologie, in: Freie Universität Berlin (Hg.): Jugend in unserer Zeit, S. 62–63.

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Doch nicht alle Mitglieder der Welcker-Gruppe werden gleichermaßen als skrupellose Verbrecher inszeniert. Ein nur kurzzeitiges Mitglied der Bande – Eichendorff genannt – zeigt Reue. Er tritt erst in die Handlung ein, als er bei einem Selbstmordversuch von der Polizei aufgefunden wird. Schnell befragen ihn die Beamten an seinem Krankenbett zum Rest der Bande und ihren Motiven. Der schwer verwundete Eichendorff liegt weiß gekleidet auf einem weißen Laken und ist zudem hell ausgeleuchtet; seine körperlichen wie seelischen Qualen werden durch Nahaufnahmen und seine immer wieder stockenden Aussagen hervorgehoben. Er gibt zu, dass er seit dem ersten Überfall nicht mehr habe schlafen können. Beide Kommissare sitzen an seinem Bett. Ihre schwarze Kleidung erinnert an die eines Pfarrers, der dem Sterbenden seine Sünden vergibt. Die physisch überlegene Position der Kommissare wird durch Aufsichten aus der Perspektive des Verletzten verstärkt. Beide Beamte sind in Nah- und Großaufnahmen zu sehen, um ihre Dominanz zusätzlich zu betonen. Fernab der juristischen Beurteilung Eichendorffs, der nach seiner Genesung zu einer Haftstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt wird, nutzt Kommissar Dressler seine hervorgehobene moralische Stellung und erteilt dem verletzten Delinquenten am Ende der kurzen Vernehmung tatsächlich eine Art Absolution. Dressler beruhigt Eichendorff damit, dass die Polizei mit den Tätern schon abrechnen werde. Damit zeigt die Szene deutlich, dass geständigen und reuigen Tätern durchaus die Möglichkeit zur Reintegration in die Gesellschaft eingeräumt wird. Die herausgehobene Position des Kriminalkommissars wird auch am Ende dieser Stahlnetz-Folge noch einmal deutlich. Denn es ist Dressler, der sich erstmals gegen die auch bei der Polizei vorherrschende Meinung verwehrt, alle Halbstarken seien Verbrecher und gehörten eingesperrt. 84 Vielmehr, so erklärt er, in einer Großaufnahme, seinen Kollegen mit festem Blick in die Kamera belehrend, dass er nur Jungen kennen würde, die »in Ordnung sind – und das sind Gott sei Dank die meisten; diese hier«, und dabei tippt er nachdenklich auf die Akte »Welcker«, die »eiskalt andere Menschen umlegen, und das sind Verbrecher, ob sie nun 18 sind oder 80«. Die moralische Überlegenheit des Kommissars wird durch das Einzoomen der Kamera auf sein Gesicht während dieses Monologs unterstrichen. Dass das moralische Schlusswort und die Gestaltung der Reihe ihre Wirkung nicht verfehlt hatten, zeigt die für diese Folge vorliegende Infratest-Umfrage. Die Bewertung lag bei »plus 7«, eine im Vergleich zu anderen Sendungen der Sendewoche sehr hohe Indexierung. Zudem schätzten 89 % der befragten Zuschauer die Sendung als »ausgezeichnet« und »gut« ein, lediglich 1 % äußerte sich »sehr schlecht« über die Sendung. Dies bestätigen ebenso die von Infratest gesammelten Kurzkommentare:

84 Stahlnetz, »Aktenzeichen: Welcker«, 1:00:54.

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»Ganz ausgezeichnet« war der Film für einen großen Teil der Fernseher; daneben bezeichnet man ihn als »außerordentlich eindrucksvoll – spannend – unterhaltsam«. »Lehrreich« war er darüber hinaus für alle jene, die sich mit den aufgezeigten Tatsachen und Problemen auseinandersetzen und damit manchmal »nachdenklich« gestimmt wurden.85

Was dieser Zuschauer andeutete, kann als These formuliert werden: Menge und Roland nutzten die seit vielen Folgen anhaltende Popularität der Sendereihe, um die Zuschauer zum Nachdenken darüber anzuregen, Jugendliche nicht vorschnell als Verbrecher zu verurteilen. Wahre Verbrecher seien nur wenige, das macht der Held unmissverständlich deutlich.86 Die Debatte um das »Unwesen« der Halbstarken blieb tatsächlich noch einige Zeit auf dem Tableau der massenmedialen Berichterstattung und ebbte erst am Beginn der 1960er Jahre langsam ab, nicht zuletzt durch die Akzeptanz vielfältiger Formen von Jugendlichkeit und einer sich entwickelnden jugendlichen Massenkultur.87 Festzuhalten bleibt, dass Jugendkriminalität weiterhin die Gemüter der Öffentlichkeit, Politik und Wissenschaft erregte. Dennoch maßen Jürgen Roland und Wolfgang Menge dem Thema wenig Entwicklungspotenzial bei und sendeten im November 1961 zum letzten Mal eine Geschichte über die Missetaten eines jungen Erwachsenen. In »In der Nacht zum Dienstag …« wird konsequent vermieden, den flüchtigen Willibald Kramer als »halbstark« zu bezeichnen, schließlich hatte Kommissar Dressler in »Aktenzeichen: Welcker« die notwendige begriffliche Schärfung geschaffen.88 Kramer, der auf der Flucht aus dem Heim schwere Verbrechen verübt, in deren Verlauf er zwei Menschen tötet, wird in der Inszenierung entsprechend eindeutig als Krimineller gekennzeichnet. Gleichzeitig vermieden es Menge und Roland, Kramers kriminelle Karriere als linear und unausweichlich darzustellen. Auch Ansätze einer Verallgemeinerung werden ausgespart. Der Zuschauer sollte sich vielmehr eine eigene Meinung bilden und dabei so wenig wie möglich durch die Inszenierung beeinflusst werden. Selbst die moralische Verurteilung des Jugendlichen wurde dadurch umgangen, dass sich Kramer am Ende einer Verfolgungsjagd selbst richtet und in einen Hochofen springt. Der inszenatorische Abstand, mit dem der Täter in dieser Folge betrachtet wird – der Zuschauer sieht ihn zum ersten Mal nach 25 Minuten, auch die Dialoge des Täters sind spärlich –, folgte in gewisser Weise der Distanz, mit der die Gesellschaft den Jugendlichen auch realiter begegnete. 85 Infratest-Umfrage: Stahlnetz, Fr. 6. 11. 1959, in: 4.4 – 96/05, 6.02, S. 18–19, in: Stahlnetz XVII, in: Nachlass Wolfgang Menge, Deutsche Kinemathek Berlin. 86 Dass trotzdem keiner seiner gerechten Strafe entgeht, unterstreicht der Kommissar durch Verlesung der Gerichtsbeschlüsse über die verbliebenen Bandenmitglieder. 87 Vgl.: D. Siegfried: Time is on my side. 88 Die inhaltliche Weiterentwicklung der beiden Folgen wird durch die personelle Kontinuität verstärkt, indem Heinz Engelmann beide Male den Kommissar spielt.

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Zwei Jahre vor dieser Stahlnetz-Folge hatte der Deutsche Fernsehfunk seine erste »Halbstarken«-Folge innerhalb der Reihe Blaulicht ausgestrahlt. Dem »Kippentütchen« (1960) folgten zwei weitere Folgen mit jeweils zwei Jahren Abstand. Allen drei Folgen ist gemein, dass die »auffälligen« Jugendlichen in Gruppen agieren und von einem »Boss« angeführt werden. Doch nicht alle – und das ist zur Bewertung der Jugendlichen für den Zuschauer und gleichermaßen für den sozialistischen Staates wichtig – sind tatsächlich kriminell; vielmehr konzentriert sich die verbrecherische Energie auf die jeweiligen Bandenanführer und ihr nahes Umfeld. Charly, Ossi und Elvis führen die jeweiligen Banden an, und alle drei verüben schwere Verbrechen.89 Die eindeutige Westorientierung der Gruppen, die nach sozialistischer Auffassung allein für das Verhalten der Jugendlichen verantwortlich war, fehlt in keiner der Blaulicht-Folgen. Während in der Folge » Kippentütchen« westliche »Schundliteratur« von den Jugendlichen mit Hingabe gelesen wird, prahlt Elvis in »Die Meute« damit, Bill Haley einmal live gehört und einen großen Krawall angezettelt zu haben. Seine Freunde hängen gebannt an seinen Lippen, als er erzählt: »Im Sportpalast gastierte damals gerade der Bill Haly [sic!]. So’n müder zweiter Aufguß von Elvis. Da sind wir denn mit alle Elvis-Fans aus Flüchtlingslager angetanzt. Aber ganz auf Zack, mit Tuten und Knüppel. […] Den Bill Haly [sic!] mußte zum Schluß die Polente unters [sic!] Podium vorholen und in Sicherheit bringen«.90 Auf die Frage, warum er nicht »drüben bleibe«, wenn es dort so »schau« sei, antwortet er einsilbig »Auftrag« und verstärkt damit zweifelsohne die Anerkennung unter seinen Freunden.91 Auch Ossi und seine Clique stehen einem westlichen Lebensstil positiv gegenüber. Sie tanzen gern Twist und gehen im verrufenen Cliquenleben der »ElefantenBande« auf. Dennoch argumentiert diese im Dezember 1963 ausgestrahlte Sendung 89 Alle drei Bosse haben einen schnell aufbrausenden und aggressiven Charakter. Sie dulden keinen Widerspruch und fühlen sich immer im Recht. Um die Cliquen zusammenzuhalten, schüchtern sie einzelne Mitglieder ein. Obwohl viele darunter leiden, bewundern sie ihren Anführer für seine Durchsetzungsfähigkeit und stehen ihm (fast immer) treu zur Seite; sogar dann, als Elvis das Mädchen Karin vergewaltigt. Siehe: Drehbuch Blaulicht, »Die Meute«, S. 79, in: DRA. 90 Drehbuch Blaulicht, »Die Meute«, S. 37–38, in: DRA. 91 Die Figur des Elvis erinnert an einen Jugendlichen, der im »Bericht des Generalstaatsanwaltes über Erscheinungen, Ursachen, Bekämpfung der Jugendkriminalität im Jahre 1965« (12. 10. 1966) Erwähnung findet: »Der Anführer dieser Gruppe war ein wegen Spionage vorbestrafter über 18 Jahre alter Rückkehrer. Er gab regelmäßig Hinweise zur Durchführung von Straftaten, insbesondere zur ›konspirativen Arbeit‹. In dem gegen alle Mitglieder der Gruppe eingeleiteten Ermittlungsverfahren wurde die Begehung von insgesamt 22 Einbruchsdiebstählen festgestellt«. In: BArch: DC 4/869, S. 4.

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nicht ostentativ mit einer Verwestlichung der Jugendlichen, um ihr kriminelles Verhalten zu erklären. Hier werden keine westlichen Schundromane gelesen, und die Figuren schwärmen nicht davon, dass der Westen »schöner« sei. Vielmehr haben sich die Rostocker Jugendlichen in ihrem Leben eingerichtet und »organisieren« Zigaretten und Alkohol, indem sie ausländische Seemänner überfallen. Auch wenn darin aus rückblickender Perspektive eine Kritik an der DDR-Mangelwirtschaft steckt, dürfte dies von den Machern der Reihe nicht unbedingt intendiert gewesen sein. Stattdessen scheint ein anderer Argumentationsstrang durch, der – wie in der Bundesrepublik – an einen zentralen Aspekt der zeitgenössischen Debatte um gestrauchelte, kriminelle Jugendliche anknüpfte: das zerrüttete Elternhaus und die fehlende Erziehung. Doch dieses Phänomen ist nicht nur für die Folge »Kümmelblättchen« relevant, es ist in allen drei Folgen nachvollziehbar. In »Kippentütchen« führt der Gangleader Charly selbst seine Kindheit als eine Art Entschuldigung für seine Taten an: »Meine Mutter! Ick hab ja kaum ne Mutter gekannt. Mit zwee Jahren ham se mich ins Kinderheim gekommen [sic!], ham se mir erzählt. Weil de Olle de Milchkarten jegen Zigaretten verschob und ihr det Sorgerecht entzogen wurde. Mein Vater [noch etwas lauter] hat ja meine Mutter selber nicht gekannt«. Charly ringt in dieser Szene offensichtlich um Luft und Fassung, sein Blick geht ins Leere.92 Der Zuschauer hat Charlys Ausbruch in einer großen Gesichtsaufnahme gewissermaßen hautnah miterlebt. Er konnte sehen, wie viel Bitterkeit und wie viel Zorn in seinem Gesicht liegt. Wernicke sieht das Schicksal Charlys stellvertretend für viele der Gruppe und strebt nicht nur die Klärung des Falles an, sondern will auch für die Jugendlichen ein besseres Umfeld schaffen – unter der Führung der FDJ, die sich bisher geweigert hatte, die Clique aufzunehmen. In der 14. Blaulicht-Folge »Die Meute« werden ebenfalls zerrüttete Familienverhältnisse als Erklärung für das rowdyhafte Verhalten einiger Gruppenmitglieder herangezogen. So berichtet die Großmutter eines Cliquenmitglieds: »Sein Vater, was mein Sohn war, der ist doch gestorben, als Leo erst vier Jahre alt war. Und seine Mutter … na ja, das ist ’ne Geschichte, die man gar kein’ erzählen kann. Und seither hab ich ihn großgezogen«.93 Diese Aussage lässt offen, warum die Geschichte der Mutter nicht erzählt werden kann. War sie verwahrlost und konnte sich nicht ausreichend um ihren Sohn kümmern? War sie promiskuitiv, arbeitete vielleicht als Prostituierte oder hatte kein Interesse an ihrem Sohn? Das Schicksal der Mutter wird nicht aufgelöst. Offen bleibt auch das Schicksal der Clique um Elvis. Zwar verurteilt Wernicke die Taten, ob er den wenigen Jugendlichen, die sich

92 Blaulicht, »Kippentütchen«, 1:03:40–1:04:00. Auch hier klingt bereits das Narrativ des verwahrlosten Elternhauses als Grund für das »Rowdytum« an. 93 Drehbuch Blaulicht, »Die Meute«, S. 56, in: DRA.

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gegen Elvis stellen, ebenfalls eine zweite Chance einräumt wie in der vorhergehenden Folge, bleibt unklar.94 Umso stärker tritt das Erziehungsmoment in der 1963 ausgestrahlten Folge »Kümmelblättchen« auf. Hier sind der FDJ-Klubleiter sowie ein am Rande auftretender Brigadeführer bereits über die Jugendlichen im Einzelnen informiert – ein Hinweis darauf, dass staatliche Organe die Jugendlichen bereits stärker in das System eingebunden hatten.95 Nehmen Sie nur diesen Bübi. Ist’n intelligenter, aufgeschlossener Junge. Aber so ohne Nestwärme groß geworden, in Heimen erzogen, während die Mutter sich herumtrieb. Na, nu’ hat sie endlich geheiratet, aber ’nen Mann, der nicht viel älter ist als der Sohn. Im Betrieb ist er leider auch nicht richtig angefaßt worden, aber da bin ich hinterher die Sache grade zu biegen.96

Was in diesem Zitat anklingt, ist ein prinzipieller Unterschied zwischen den Kriminalreihen Stahlnetz und Blaulicht. Denn im Vergleich zum Stahlnetz kennen die Blaulicht-Macher einen Gegensatz zwischen »guten« und »schlechten« Jugendlichen und zeigen damit ein eindeutiges Vorbild bzw. einen Ausweg für gestrauchelte Heranwachsende. Die »guten« Jugendlichen stellen aus eigenem Antrieb Gerechtigkeit her, wie in der Folge »Kippentütchen«, indem sie hinter dem Rücken von Charly mit der Polizei kooperieren, oder sie werden mit Hilfe der FDJ zu (noch) besseren Menschen erzogen. Um die einen von den anderen inszenatorisch hervorzuheben, werden die vermeintlich guten Jugendlichen lebhaft gezeichnet. Sie unterhalten sich viel und ordnen sich natürlich in die Gruppe ein, zeigen aber vor allem in ihren Gesichtsausdrücken häufiger Zweifel an.97 Im »Kümmelblättchen« sind beide Gruppen stark entmischt. Auf der einen Seite steht die ehemalige ElefantenBande, deren Mitglieder immer noch stark miteinander verbunden sind, auf der anderen Seite sind die Mitglieder der FDJ, die im Klubheim ihre Freizeit verbringen und dort die Möglichkeit haben, zu tanzen oder an einem Motorrad zu basteln. Das Tragen der üblichen FDJ-Uniformen, das Singen sozialistischer Lieder oder das Diskutieren über den Sozialismus wird hier nicht forciert, vielmehr fungiert das 94 Da die Folge »Die Meute« nicht mehr erhalten ist, lässt sich die Figurenzeichnung im Einzelnen nur schwer nachvollziehen, denn auch das vorliegende Drehbuch enthält keinerlei Anweisungen zur Spielweise. 95 Vgl. u. a.: P. Skyba: Vom Hoffnungsträger zum Sicherheitsrisiko; Mählert, Ulrich/Stephan, Gerd-Rüdiger: Blaue Hemden – rote Fahnen. Die Geschichte der Freien Deutschen Jugend, Opladen 1996; vgl. zudem zeitgenössisch: Zentralrat der FDJ: Geschichte der Freien Deutschen Jugend, Berlin 1982. 96 Blaulicht, »Kümmelblättchen«, 0:38:33–0:39. 97 Hier vor allem in »Kippentütchen«.

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Klubheim als attraktiver Treff- und Bezugspunkt für die Jugendlichen. Obwohl beide Gruppen ihre Zeit gemeinsam in besagtem Klubheim verbringen, bleibt die ehemalige Elefanten-Bande weitgehend außen vor. Erst nach Ergreifung und Bestrafung aller Täter scheint ihre Integration möglich. Für die Analyse der Folge »Kümmelblättchen« ist ein offizielles Dokument der SED von zentraler Bedeutung: das am 17. September 1963 veröffentliche Kommuniqué: »Jugend von heute – Hausherren von morgen – der Jugend Vertrauen und Verantwortung«.98 Zielgruppe des Kommuniqués waren nicht nur die Mädchen und Jungen, die den Sozialismus tatkräftig mit aufbauen sollten, sondern »alle Bürger der DDR, deren Herz und Verstand jung geblieben sind«.99 Explizit wurden im Text immer wieder Eltern, Lehrer, Erzieher, Meister, Klubhausleiter, FDJ-, Gewerkschafts- und Sportfunktionäre angesprochen, auf die Jugendlichen einzugehen. Dabei ging es den Autoren nicht nur um die ideologische Erziehung, sondern auch um lebensweltliche Fragen und Probleme: Ungenutzte Freizeit führt zu Langeweile, Lustlosigkeit, Kraftlosigkeit, Übermut und Überdruß. Deshalb rufen wir alle auf, der Jugend vor allem im Wohngebiet in origineller und wirksamer Weise zu helfen, ihre Freizeit sinnvoll und im Interesse der Gesellschaft zu nutzen. Diese Hilfe kann jedoch nicht in Gängelei, Zeigefingerheben und Administrieren bestehen. […]100

Gleichermaßen sollten die Themen Liebe, Ehe und Partnerschaft offen mit den Jugendlichen besprochen werden. Unter diesen geforderten Aspekten gewinnt vor allem der in der Folge »Kümmelblättchen« auftretende Leiter des Klubheims und FDJ-Sekretär eine herausstehende Rolle. Er vermeidet es, die Jugendlichen zu erziehen und zu belehren. Vielmehr versucht er, auf gleicher Ebene und mit jugendlichem Gestus101 mit ihnen zu kommunizieren. Ein kleines Box-Duell gegen den 98 Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik (Hg.): Dokumente zur Jugendpolitik der DDR. Mit vollständigem Text des Jugendgesetzes der DDR und des Jugendkommuniques des Politbüros des ZK der SED, Berlin (O). Wenngleich eingewendet werden kann, dass die Zeitspanne zwischen der Veröffentlichung des Politbüro-Textes und der Ausstrahlung dieser Folge zu kurz gewesen sei, um die wichtigsten Punkte umzusetzen, ist auf eine längere Diskussion um die Jugend im Vorfeld der Veröffentlichung zu verweisen. Ebenso war ein Reagieren durch sehr kurze Produktionszeiten der Live-Sendungen eher möglich als bei vorproduzierten Sendungen. 99 Ebd., S. 64. 100 Ebd., S. 89. 101 In seiner betont jugendlichen und verständnisvollen Art erinnert die Figurenzeichnung des Jugendleiters an manchen HJ-Funktionär in den Jugendfilmen der NS-Zeit. Vgl. hierzu etwa: »Jungens«, Regie: Robert A. Stemmle, Deutschland 1940/41, http://www.

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Bandenführer Ossi stärkt dabei seine Position und bringt ihm den Respekt der Elefanten-Bande ein. Gleichzeitig ist das Boxen – wie im Kommuniqué gefordert – als sinnvolle Freizeitbeschäftigung zu werten. Doch diese Szene hält einen weiteren Aspekt bereit, der ebenfalls im Jugendkommuniqué eindringlich besprochen wurde: das Tanzvergnügen und der Konsum westlicher Musik. Als der neue Klubheimleiter zum ersten Mal auf die Jugendlichen trifft, überlässt er ihnen sofort seine mitgebrachten Platten. Sogleich erklingt ein Twist, und die Jugendlichen tanzen dazu – sie erhalten sogar eine kurze Einweisung in die richtige Tanzbewegung. Und so geht er fast plakativ konform mit dem Kommuniqué, in dem es heißt: In der letzten Zeit gab es viele Diskussionen über bestimmte Tanzformen, hervorgerufen einerseits durch Einflüsse westlicher Unkultur und andererseits durch engstirnige Praktiken gegenüber Jugendlichen. Die Haltung der Partei zu diesen Fragen ist nach wie vor klar und deutlich: Wir betrachten den Tanz als einen legitimen Ausdruck von Lebensfreude und Lebenslust. […]. Welchen Takt die Jugend wählt, ist ihr überlassen: Hauptsache, sie bleibt taktvoll!102

In den beiden Folgen »Kippentütchen« und »Kümmelblättchen« stellt die FDJ die Lösung der Probleme von Verwahrlosung und Gammlertum dar: Hier werden die Jugendlichen zu besseren, hilfsbereiten und sozialen Menschen erzogen.103 Und indem Hauptmann Wernicke die Täter identifiziert und die Gestrauchelten, soweit möglich, wieder dem Kollektiv zuführt, entspricht er einer Anfang der 1960er Jahre vom Ministerium des Innern formulierten Maxime: Wichtig sei es, filmportal.de/df/67/Credits,,,,,,,,F9E46C0D23DB4CA68EF8ED12125071E8credits,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,.html, 9. 5. 2013. 102 Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik (Hg.): Dokumente zur Jugendpolitik der DDR, S. 92. Wie Dorothee Wierling ausführt, wurde gerade dieser Abschnitt des Kommuniqués von manchen Funktionären als Legitimierung des verhassten »Beat« gesehen. Das Kommuniqué wollte dabei lediglich einige Zugeständnisse machen, um ein auf Jugendliche zugeschnittenes »Modernisierungs- und Mobilisierungsprogramm« anzuschieben. 1965 wurde jedoch festgestellt, dass sich die »sog. Bewusstseinsmängel« der Jugendlichen mehrten und diese entpolitisierter, individueller, aber auch resignierter seien. In der Folge wurde das Kommuniqué wie andere Reden und Schriften zur Jugendpolitik marginalisiert und unter Berücksichtigung der angeblich gestiegenen Jugendkriminalität als »Fehlschlag charakterisiert«. Die bisherige Jugendpolitik wurde dann auf dem 11. Plenum 1965 – wie vieles andere – zurückgenommen. Siehe: D. Wierling: Geboren im Jahr Eins, S. 198–211. Nach dem 11. Plenum wurde keine weitere Folge, die die Probleme der Jugend ins Zentrum rückte, ausgestrahlt. 103 Dass die FDJ im Gegensatz zum Jugendkommuniqué im Blaulicht eine herausgehobene Rolle spielt, ist als Interpretation der recht allgemein gehaltenen Formulierungen im Text der SED zu erklären.

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die Jugend nicht ausschließlich nach bestimmten auffälligen Äußerlichkeiten zu beurteilen und von hier auf den Kern des Jugendlichen zu schließen. Ebenso falsch ist es, überspannte Anforderungen an Jugendliche, zum Teil höhere als an Erwachsene zu stellen – d. h. nicht zu berücksichtigen, daß Jugendliche nicht jedes Wort vorher auf die Goldwaage legen, ehe sie es aussprechen. Begehen Volkspolizisten diesen Fehler, dann drängen sie – ohne daß sie es wollen – manche Jugendliche in Opposition, erschweren ihnen einen richtigen Standpunkt einzunehmen und selbst den Kampf gegen das Rowdytum aufzunehmen.104

Jugendliche Täterinnen In den 1950er und 1960er Jahren gab es in beiden deutschen Staaten nur wenige halbstarke Mädchen.105 Auch im Stahlnetz und Blaulicht sind Mädchen nur selten in kriminelle Handlungen verwickelt. Während in der ersten Stahlnetz-Jugendfolge lediglich Helga, die Freundin Matuschkes, näher in Erscheinung tritt, werden jungen Frauen in »Aktenzeichen: Welcker« keine Sprechrollen mehr zugebilligt. Die öffentliche Debatte um kriminelle Jugendliche weiblichen Geschlechts, die parallel zur Stahlnetz-Reihe geführt wurde, beschrieb diese zumeist als verwahrlost und z. T. als »halbstark«; insbesondere wenn sie frühzeitig sexuellen Verkehr mit häufig wechselnden Partnern hatten. Um einen solchen Eindruck zu vermeiden, betont Helga gegenüber der Polizei schnell und beinahe wie aufgesagt, dass sie und Helmut verlobt seien.106 Auch ihre Gesten und Handlungen sowie ihre äußere Erscheinung vermitteln einen ordentlichen und sittsamen Eindruck. So lässt sie sich durch den Kommissar und seine Fragen über ihren Verlobten nicht von der Hausarbeit ablenken. Sie hängt die Wäsche ab, fügt einem Topf auf dem Herd Gewürze hinzu und wäscht in einem Zuber die Wäsche. Der Kommissar kommentiert mit ironischem Unterton, dass sie wohl schon für die Ehe üben würde. Doch Helga lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen und strahlt hausfrauliches Selbstbewusstsein aus. Auch wenn sie mit ihren langen blonden Haaren und ihren weiblichen Rundungen den Rezensenten der Folge aufgefallen war, repräsentierte die Filmfigur nicht unbedingt das Klischee des jungen Mädchens, das einem Starlett oder der neuesten Mode aus bekannten Jugendmagazinen wie Bravo oder Twen nacheiferte. Vielmehr erschien sie – im Gegensatz zu ihrem Verlobten – als bodenständig und wohlerzo-

104 Luther, Horst: Rowdytum – richtig einschätzen, in: Die Volkspolizei 1961, S. 23–24. 105 Halbstarke Mädchen finden nur in geringem Maße Eingang in die zeitgenössische Forschungsliteratur. Vgl.: G. Kaiser: Randalierende Jugend, S. 130–134. Zur aktuellen Forschung vgl. u. a.: U. G. Poiger: Jazz, rock, and rebels, S. 169. Poiger bestätigt, dass sich nur wenige Mädchen den Straßencliquen der Halbstarken anschlossen. Erst mit Aufkommen des Rock ’n’ Roll, dem Poiger eine revolutionierende Wirkung zuspricht, wurden junge Frauen verstärkt wahrgenommen. 106 Stahlnetz, »Die Blaue Mütze«, 0:34:40.

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gen. Helga galt damit als Vorbild, das über die Reihe Stahlnetz hinaus medial transportiert wurde. Die Schauspielerin Karin Stoltenfeldt, die Helga verkörpert hatte, wurde schließlich sogar in der Jugendzeitschrift Bravo mit den Worten vorgestellt: »Karin büffelt Fremdsprachen und lernt tanzen. Sie will eine ›tolle Frau‹ werden«.107 Während Jürgen Roland das Problem jugendlicher Täterinnen gänzlich aussparte und stattdessen einem jugendlichen Täter ein »ordentliches« Mädchen zur Seite stellte, wird das Thema weiblicher Jugenddelinquenz im Blaulicht in mehreren Folgen aufgeworfen.108 Noch bevor männliche Jugendtäter überhaupt in das Blickfeld der Zuschauer rücken, werden die »Mädchen in Zelle 7«109 zu Handlungsfiguren der dritten Blaulicht-Folge 1959 (Abb. 36).

Abb. 36: Inhaftierte jugendliche Täterinnen im Blaulicht, »Mädchen aus Zelle 7«.

Diese Mädchen agieren nicht als »Anhängsel« männlicher Bandenmitglieder, sondern sind eigenständige Täterinnen. Alle drei, Rita, Helga und Ingrid, begegnen sich in der Zelle sieben des örtlichen Polizeigefängnisses und berichten nacheinander – in Rückblenden, die parallel zu den Ermittlungen der Kriminalpolizei montiert sind – von ihren Taten. Allein Ritas Vergehen bleiben für den Zuschauer offen. Sie scheint allerdings bereits mehrere Haftstrafen verbüßt zu haben. So macht sie Helga großspurig Mut: »Die erste Strafe ist die schwerste. Dat ist wie beim Kinderkriegen. Bei’t sechste merkste kaum noch wat«.110 Rita bildet das »schlechte«, verderbte 107 In »Stahlnetz« fiel Karin auf. Ein neuer Bildschirm-Star? In: Bravo, o. D, in: NDRPressedokumentation. 108 Warum das Stahlnetz ganz unterschiedlich gewichtete, kann aufgrund fehlender Produktionsakten nicht mehr nachvollzogen werden. 109 Der Film liegt nur noch als Drehbuch vor. 110 Drehbuch Blaulicht, »Mädchen in Zelle 7«, S. 62.

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Gegengewicht zu den beiden Anderen. Denn Helga111 und Ingrid haben sich zwar – in der Filmlogik – etwas zu Schulden kommen lassen, standen dabei aber unter dem negativen Einfluss männlicher Vorgesetzter. Sie teilen zudem ein ähnliches Schicksal: In beiden Fällen hatte der jeweilige Arbeitgeber seine überlegene Position ausgenutzt, um sich sexuell an ihnen zu vergehen. Helga durfte sich dafür aus der Tageskasse des Schuhgeschäfts, in dem sie angestellt war, Geld nehmen. Ingrid hingegen erduldete den Missbrauch still und wurde schließlich wegen einer entwendeten Lohntüte festgenommen, die sie angeblich nur geliehen hatte und einen Tag später zurücklegen wollte. Obwohl in beiden Fällen ein Straftatbestand vorliegt, behandelt die Polizei sie aufgrund ihrer Vorgeschichte nachsichtig. Für Ingrid legen die Kommissare bei ihren Kollegen ein gutes Wort ein. »Schließlich«, so Staatsanwalt Siebert, »haben wir [er und Wernicke; N. H.] im Laufe unserer Ermittlungen sehr viel über Fräulein Eckert in Erfahrung gebracht. Und wir dürfen sagen, es war im wesentlichen Gutes. Sie trieb sich nicht herum, hier im Betrieb war sie fleissig [sic!] und gewissenhaft, zu Hause hat sie mit ihrer Tante ein sehr herzliches Einvernehmen. Ich könnte noch manches aufzählen, das für sie spricht«.112 Ingrid wird als im Kern mustergültiges Mädchen präsentiert, das lediglich durch das gravierende Fehlverhalten ihres Vorgesetzten ins Straucheln geriet. Die Blaulicht-Macher zogen hier also eine klare Grenze zwischen mehr oder minder selbstinitiierter Kriminalität, wie sie offenbar bei Rita vorlag, und solchen Vergehen, die primär von außen provoziert wurden. Berücksichtigung fand zudem, dass Ingrids und Helgas Taten nur minder schwer waren. Auffälliger im Sinne von Verwahrlosung waren die Mädchen der drei »Rowdy«-Folgen der Reihe Blaulicht. Auch wenn sie nicht explizit als »Bandenbräute« bezeichnet wurden, ist eine solche Zuordnung in einigen Fällen durchaus adäquat. In »Kippentütchen« ist es vor allem Pony, die durch eine direkte Nähe zum »Boss« hervortritt. Sie ist, wie sie auch gegenüber Charly nur zögerlich zugibt, aus einem Jugendheim im Berliner Westen (Schlachtensee) geflohen. Der Grund ihrer Einweisung, Obdachlosigkeit und Prostitution, wird von der Polizei erst im Verlauf der Ermittlungen enthüllt. Sie hingegen verwehrt sich gegen eine solche Kategorisierung, schließlich sei sie doch nicht »auf’n Strich gegangen« und hatte lediglich »ein paar Freunde«.113 Sie gibt den extrem beengten häuslichen Verhältnissen im Westen Berlins die Schuld. Es stellt sich die Frage, warum der Staatsanwalt und Wernickes Ermittlerteam – untypischerweise – so wenig Interesse daran zeigen, Pony in die Gesellschaft zu reintegrieren bzw. in das sozialistische Kollektiv der DDR einzu111 Helga war vom Westen Berlins in den Osten geflohen und wurde als Mittäterin in einem Mordfall gesucht. Dass sie nicht an dem Mord beteiligt war, stellen die Ermittlungen der »überlegenen« ostdeutschen Kriminalpolizei klar. 112 Drehbuch Blaulicht, »Mädchen in Zelle 7«, S. 75. 113 Blaulicht, »Kippentütchen«, 0:47:50–58.

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gliedern. Die ausbleibende Agitation nährt das Vertrauen Ponys in die DDR-Polizei, und so erzählt sie bereitwillig-verschmitzt von ihrem Freund Charly.114 Im Vergleich zur hausfraulichen Helga der Stahlnetz-Folge »Die Blaue Mütze« wirkt Pony beinahe burschikos. Sie trägt Hosen und einen weiten, ihre Figur wenig betonenden Pullover. In einer der Kneipenszenen deutet sich aber an, dass sie durchaus ein Faible für ältere Männer – und wohl auch deren Geld – hat. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, wünscht sie sich im Grunde zu heiraten. So beginnen ihre Augen zu leuchten, als sie dem Staatsanwalt stolz berichtet, dass sich Charly beinahe mit ihr verlobt hätte. Dass Pony mit ihrem Auftreten problemlos Anschluss bei den Rowdys gefunden hatte, unterstreicht das Klischee des verwahrlosten, halbstarken Mädchens. Doch obwohl Ponys Ausgangsbedingungen denkbar schlecht sind, wird sie nicht als Verbrecherin inszeniert. Sie beteiligt sich an keiner von Charlys Taten. Ob sie überhaupt Kenntnis von der kriminellen Energie ihres Freundes hatte, bleibt offen. Autor Prodöhl und Regisseur Hildebrandt wollten offenbar vermeiden, eine direkte Verbindung zwischen Verwahrlosung und Kriminalität herauszustellen und inszenieren Pony dafür im ideologisch richtigen Sinne als Opfer des »Westens«. In der Folge »Kümmelblättchen« heben sich die beiden Mädchen der ehemaligen Elefanten-Bande, »Lolita« und »Biene«, nicht nur von Pony, sondern vor allem von den FDJlerinnen dieser Folge ab. Zum einen tragen sie toupierte, modische Frisuren, zum anderen sind sie die einzigen weiblichen Sprechrollen. Während die schwarzhaarige Biene noch immer eng an die Bande gebunden ist, schwankt die blonde Lolita115 zwischen der neuen FDJ-Gruppe und ihren alten Freunden.116 Biene unterstützt die kriminellen Taten der Gruppe117 und erntet für ihre aktive Zusammenarbeit deren Respekt. Anders als Pony ist Biene damit nicht nur ein weibliches Anhängsel eines Bandenmitglieds. Sie wird als Kumpel anerkannt, mit der man eine »Sause« machen kann.118 In gewisser Hinsicht führt die kriminelle Energie zum Verlust ihrer Weiblichkeit, denn in ihr wird nicht die Frau, sondern der Kamerad gesehen. 114 Vielleicht bemüht er die ideologischen Worthülsen deshalb nicht, weil er erkennt, dass sie bereits eine »gesunde« antiwestliche Einstellung durch die beengten Wohnverhältnisse und das Westberliner Fürsorgeheim ausgebildet hat. Schließlich ist sie ja in den Osten geflohen, weil sie in Westberlin keine Zukunft für sich sah. 115 Die Inszenierung spielt mit der Bedeutung des Namens als erotisch attraktive Frau. So ist Lolita das einzige Mädchen der Folge, das viel Wert auf ihr Äußeres legt und mit ihren Reizen spielt. 116 Während sie sich noch zu Beginn weigert, mit der alten Truppe den Jugendklub wegen Streitigkeiten zwischen dem neuem Klubleiter und Ossi zu verlassen, verrät sie »Bübi« an die Polizei, um sich bei Ossi wieder einzuschmeicheln. 117 Blaulicht, »Kümmelblättchen«, 0:17:28–18:23. 118 Ebd., 0:20:00.

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Folgt man der Historikerin Wiebke Janssen, blieben Mädchen in der DDR bandenähnlichen »Straßengemeinschaften Gleichaltriger« zumeist fern, da es geschlechtsspezifisch unterschiedliche Formen der Freizeitgestaltung gab. In der Blaulicht-Folge »Kümmelblättchen« sind weibliche Jugendliche hingegen sehr wohl Teil der Bande. Janssen beschreibt darüber hinaus das Verhältnis der Geschlechter in der jugendlichen Rowdy-Gruppe als von Gewalt und Unterdrückung geprägt.119 Auch dieser Aspekt wird in der Geschichte des »Kümmelblättchen« nicht vertieft. Ein Vergleich der in allen Folgen inszenierten jugendlichen Täterinnen zeigt, dass nicht nur die Schwere der Taten, sondern auch das Benehmen der jeweiligen Mädchen stark variiert. Während fast alle eine Vergangenheit in der Fürsorge, dem Jugendwerkhof oder dem Jugendheim vorzuweisen haben, sind Helga und Ingrid (»Mädchen in Zelle 7«) beinahe unverschuldet durch die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz auf abseitige Wege geraten. Offenbar liegt der Polizei deshalb besonders daran, beide (wieder) ins Kollektiv einzugliedern. Allen anderen Mädchen, wie Biene, Pony oder Lolita, wird dieses Entgegenkommen der Polizei nicht zuteil. Zur Inszenierung jugendlicher Täter und Täterinnen in Stahlnetz und Blaulicht lässt sich bilanzierend festhalten, dass sie in besonderer Weise von den sozialen und jugendkulturellen Entwicklungen während der Produktionszeit geprägt war. Seit Mitte der 1950er Jahre rebellierte ein kleiner Teil der deutschen Jugendlichen gegen die bestehende Ordnung des bundesdeutschen und des sozialistischen Staates. Ihr primär unpolitischer Protest äußerte sich in einer Hinwendung zur Populärkultur des Westens, besonders der der USA. Ihr Kleidungsstil, ihr Musikkonsum sowie ihr allgemeines Auftreten widerstrebten der Aufbaugeneration, die das gesellschaftliche Leben prägte. In einer Mischung aus Verständnislosigkeit und Unbehagen beäugte sie die Jugend und ihr Verhalten im öffentlich-medialen Raum. Die z. T. skandalisierenden Beschreibungen des jugendlichen Verhaltens wiesen dabei zunehmend Stereotypen auf. Gleichzeitig war ein Trend zur Kriminalisierung erkennbar. Beide Kriminalreihen beschäftigten sich mit diesen Tendenzen und waren selbst davon beeinflusst. Allerdings wich das gezeigte Bild der Fernsehjugendlichen erheblich von dem realen Verhalten der Halbstarken und Rowdys in beiden Staaten ab; wobei der Begriff Rowdy kriminelles Verhalten bereits suggerierte. Die Taten

119 Einen Nachweis für ihre Thesen zum Umgang innerhalb der Gruppen liefert Janssen nicht. Vielmehr bezieht sie sich auf Studien zu häuslicher Gewalt in Arbeiterfamilien. Ihrer Argumentation ist in Teilen zu widersprechen, denn erstens »rekrutierten« sich Rowdys nicht nur aus dem Arbeitermilieu, und zweitens muss auch dann der soziale Umgang nicht zwangsläufig von Gewalt geprägt sein. Dass der sozialistische Staat die Geschlechterverhältnisse derartiger Gruppen als prekär bezeichnete, erklärt sich auch aus propagandistischen Intentionen. Vgl.: W. Janssen: Halbstarke in der DDR, S. 226.

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auf der Mattscheibe reichten von einfachem Diebstahl bis hin zu Mord. Die ausschließlich männlichen Gewalttäter wirkten in beiden Staaten stets abgeklärt, arrogant und gaben anderen die Schuld an ihren Verbrechen. Während das Stahlnetz die gängigen Stereotypen anfangs weitgehend ungefiltert weiterleitete, wurde bereits in der zweiten Halbstarken-Folge durch den leitenden Kommissar eine entscheidende Differenzierung eingeführt: Nicht alle Jugendlichen seien kriminell, sondern nur einige wenige. Das Wort »halbstark« war somit nicht mehr als Beschreibung für die Gesamtheit der Jugendlichen geeignet. Das Stahlnetz stellte sich damit gegen den damals in Westdeutschland dominanten Diskurs. In der dritten Jugend-Folge wurden dementsprechend Verallgemeinerungen gegenüber den Jugendlichen vermieden. Günter Prodöhl, Hans-Joachim Hildebrandt und Otto Holub hielten sich im Blaulicht bei der Darstellung der jugendlichen Verbrecher stark an die gängige Lehrmeinung der DDR-Kriminologen und Pädagogen, die nonkonformes Verhalten von Jugendlichen weitgehend als kriminell brandmarkten. Im Unterschied zur westdeutschen Inszenierung wurde jedoch auch Wert auf die Präsentation »guter« Jugendlicher gelegt, die in der Regel in der FDJ organisiert waren. Diese bildeten ein ideologisches Gegengewicht zum Rowdytum einzelner Fehlgeleiteter. Zugleich bot die FDJ geläuterten Jungverbrechern die Möglichkeit zur Rückkehr ins sozialistische Kollektiv. Die Starthilfe dazu leistete zumeist Hauptmann Wernicke.

4.2 S CHEINWELT –

STRAFFÄLLIG GEWORDENE

B ÜRGER

In den 1950er und 1960er Jahren hatte sich die traditionelle Vorstellung, Verbrecher stünden außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft, grundlegend gewandelt. Straftäter wurden als Teil der Gesellschaft begriffen. Ihr asoziales und kriminelles Verhalten wurde dabei auf eine Reihe endogener und exogener Faktoren zurückgeführt. Wenngleich Kriminologie und Kriminalpolizei diesen Modellen viel Aufmerksamkeit bei der Analyse und Ergreifung der Täter schenkten, waren sie für die einfache Bevölkerung in Ost und West weit weniger nachvollziehbar. Eine subjektive Einschätzung, wie nah das eigene Lebensumfeld an die Welt des Verbrechens heranreichte und wie gefährdet die eigene Sicherheit wirklich war, konnten die wissenschaftlichen Modelle nur z. T. leisten. Geht man von der Annahme aus, dass ein Großteil der Bevölkerung das eigene Leben und Verhalten als »normal«, also sich in einem bestimmten Normenrahmen bewegend, einschätzt und sich hierdurch ein Gefühl von Sicherheit einstellt, ist die Erschütterung in solchen Fällen besonders groß, in denen vermeintlich normale (Mit-)Bürger straffällig werden. Das Konstrukt einer heilen Welt wird damit nachhaltig zerstört.

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Eine »Hintertür«, die den Schein der heilen Welt aufrechterhält, öffnet sich jedoch, wenn die (Affekt-)Taten der »normalen« Bürger im Nahbereich des Täters, etwa dem familiären Umfeld, geschehen, sie also keine Breitenwirkung in die Gesellschaft hinein entfalten – wie es bei einem vermeintlich unauffälligen Serientäter der Fall wäre. Im Folgenden ist zu fragen, auf welche Weise die Bedrohung der heilen Welt in den beiden Kriminalreihen inszeniert wird und wie Verbrecher und Verbrechen gestaltet sein müssen, um dieses Konstrukt weiterhin aufrechtzuerhalten. Es werden vier große Tätergruppen in den Blick genommen: Zunächst interessieren die Mörderinnen. Die geschlechtsspezifische Anpassung des Begriffs ist damit begründet, dass in beiden Reihen nahezu ausschließlich Frauen aus Heimtücke in ihren Nahfeld töten.120 Im zweiten Schritt sollen überforderte Mütter in den Blick genommen werden. Ein Verbrechen, das die Scheinwelt seit jeher in ihren Grundfesten nachhaltig erschüttert, sind sexuell motivierte Vergehen an Minderjährigen. Hier finden sich ausschließlich männliche Täter, deren z. T. psychopathologische Störung, aber auch Habgier zur Tat führt. Hieran schließt sich der Bereich der Verkehrskriminalität an. Mörderinnen »Frauen, die töten, wählen extreme Lösungen für Probleme, mit denen Tausende von Frauen täglich auf friedlichere Weise fertig werden.«121 Frauen – und Männer – haben von jeher feste gesellschaftliche Rollen zu erfüllen, die durch die Gesellschaft selbst bestimmt werden und damit auch einem zeitlichen Wandel unterliegen. Bisher wurden vor allem Frauen beschrieben, die diesen gesellschaftlichen Rollen nachkamen und ein »normales« Leben führten. Hier nun rücken Frauen in den Blick, die von dieser Norm, dieser Rollenerwartung abweichen, indem sie Verbrechen begehen, indem sie töten.122 Warum Frauen kriminell werden, versuchten 120 Es existiert lediglich eine Stahlnetz-Folge, »Das Alibi«, in der ein Ehemann seine Frau von einem Dritten aus Habgier erschießen lässt. Da diese Folge jedoch keine weitergehenden Erkenntnisse über den straffällig gewordenen Bürger liefert, wird sie hier nicht betrachtet. 121 Jones, Ann: Frauen, die töten, Frankfurt a. M. 1986, S. 32. 122 Der Kriminologe Carl Gustav Cremer fasste 1974 eine Vielzahl von Delikten als »qualitative Phänomene weiblicher Kriminalität« auf. Mord und Totschlag seien demnach nur eine von zahlreichen Deliktkategorien; bis auf wenige – wie »Eigenabtreibung« – sind alle genannten »Phänomene« jedoch keineswegs typisch weiblich, sondern werden von beiden Geschlechtern begangen. Siehe: Cremer, Carl Gustav: Untersuchungen zur Kriminalität der Frau. Versuch einer Phänomenologie und einer Diskussion der wichtigsten aetiologischen Ansätze, Lübeck 1974.

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Kriminologen bereits früh zu verstehen. Seit Caesare Lombroso 1894 sein Werk »Weib als Verbrecherin und Prostituierte«123 veröffentlicht hatte, wurden weitere Theorien entwickelt, um das Phänomen der weiblichen Kriminalität und seine Ursachen zu erklären. Der von Lombroso und anderen vertretene biologischanthropologische Ansatz, der einen Zusammenhang zwischen körperlicher Konstitution, Psyche und Sexualität sah, wird heute überwiegend als spekulativ zurückgewiesen.124 In der Mitte des 20. Jahrhunderts kamen neue soziologische und sozialpsychologische Erklärungsansätze auf. Einer der bekanntesten Vertreter dieser Richtung war Otto Pollak. Seine »Kavalierstheorie« ging davon aus, dass die Kriminalitätsbelastung zwischen Männern und Frauen grundsätzlich gleich sei. Frauen würden aber seltener entdeckt, verfolgt und verurteilt, weil sie ihre Umwelt besser täuschten und ihre Taten effizienter verheimlichen könnten als männliche Verbrecher. Die von Pollack unterstellte »maskierte Kriminalität« konnte jedoch durch verschiedene Studien, u. a. aus der Dunkelfeldforschung,125 widerlegt werden. Die im Nachgang zu Pollak entwickelten feministischen Ansätze sowie die traditionellen Kriminalitätstheorien überzeugten die Fachwelt nicht nachhaltig.126 Um den niedrigen Anteil der Frauen an der Gesamtkriminalstatistik zu erklären, wird daher heute auf den in den 1980er Jahren entwickelten Ansatz der Sozialisationsund Rollentheorie zurückgegriffen. Dieser geht davon aus, dass Frauen kriminell weniger auffällig werden, weil sie sozial geschützter sind als Männer und weil ihnen eine andere »Rollen- und Verhaltenserwartung durch geschlechtsspezifisch unterschiedliche Erziehungsmuster« entgegengebracht wird. Dem Kriminologen Lindner folgend, werden »Mädchen […] eher zu Passivität und Folgsamkeit erzogen, sie werden stärker zu Häuslichkeit und Rücksichtnahme angehalten […]. Zudem sei die Geschlechtsrolle der Frau mit einer erhöhten informellen Überwachung verbunden«. Misslingt diese geschlechtsspezifische Sozialisation und informelle Überwachung, kann Frauenkriminalität entstehen.127 Kritik ist jedoch auch an diesem Ansatz anzubringen, denn er beachtet nicht, dass »bei Männern wie auch bei 123 Lombroso, Cesare/Ferrero, Guglielmo: Das Weib als Verbrecherin und Prostituierte. Anthropologische Studien, gegründet auf eine Darstellung der Biologie und Psychologie des normalen Weibes, Hamburg 1894. 124 Lindner, Andrea: 100 Jahre Frauenkriminalität. Die quantitative und qualitative Entwicklung der weiblichen Delinquenz von 1902 bis 2002, Frankfurt a. M. 2006, S. 27. Zum Diskurs über das »verbrecherische Weib« siehe: Uhl, Karsten: Das »verbrecherische Weib«. Geschlecht, Verbrechen und Strafen im kriminologischen Diskurs 1800– 1945, Münster 2003, hier vor allem S. 43–61 sowie S. 115–146. 125 Die »Dunkelfeldforschung« ist ein Teil der Kriminologie, die sich mit nicht registrierten Straftaten beschäftigt, also den so genannten Dunkelziffern. Demgegenüber steht das Hellfeld registrierter Straftaten. 126 A. Lindner: 100 Jahre Frauenkriminalität, S. 37–46. 127 Ebd., S. 36.

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Frauen die gleichen kriminogenen Faktoren zur Entstehung von kriminellem Verhalten [führen]«.128 Obwohl dieser Ansatz lange nach der Produktionszeit entwickelt wurde und ebenfalls Schwächen aufweist, kann er für eine Betrachtung der Kriminalfilme fruchtbar gemacht werden. Aus den beiden Reihen Stahlnetz und Blaulicht und ihrem jeweiligen pädagogischen Grundanliegen heraus lässt sich die These entwickeln, dass bei der Darstellung krimineller Frauen insbesondere deren gesellschaftliche Positionierung bedeutsam war: zum einen, um eine plausible und für den Zuschauer nachvollziehbare Erklärung für die weibliche Normabweichung zu finden, die das Einzelschicksal hinreichend beleuchtet und gleichzeitig andeutet, dass sich »Verbrechen nicht lohnen«. Zum anderen musste diese Erklärung eng an den Lebensbereich der einzelnen Frau gekoppelt sein, um dem Zuschauer eine Übertragung auf die eigene Lebenswelt zu ermöglichen und gleichzeitig die Begrenzung der Kriminalität auf die »Scheinwelt« zu legitimieren. Weibliche Kriminalität erstreckt sich in den Kriminalreihen auf viele Deliktarten; die meisten sind dabei nicht »typisch« weiblich und könnten auch von Männern begangen werden. Auffällig ist auch, dass im Stahlnetz nur Täterinnen präsentiert werden, die morden. Dabei ist Mord ein Delikt, das gemäß polizeilicher Kriminalstatistik nur selten vorkommt – insbesondere bei weiblichen Tätern. Zu erklären ist der dramaturgische Schwerpunkt dadurch, dass sich ein Tötungsdelikt erstens sensationeller als ein einfacher Diebstahl inszenieren lässt, und dass zweitens die Motive für einen Mord meist im Charakter des Täters oder der zwischenmenschlichen Ebene zu suchen sind, die sich im Fernsehfilm gut darstellen lässt. Mordmotive können Habgier, Eifersucht, Neid, Notwehr oder Erniedrigung sein. Drittens verdeutlicht ein Mord in besonders dramatischer Weise, wie Individuen der »normalen« Gesellschaft straucheln und fallen können. Der pädagogische Effekt ist bei der Betrachtung von Mörderinnen besonders hoch, da der Zuschauer zusätzlich mit einem zerstörten Rollenbild konfrontiert wird. Die Tatbestände der drei Stahlnetz-Folgen »Die Zeugin im grünen Rock«, »Saison« und »Das Haus an der Stör« sind in ihrer Anlage recht ähnlich: Frauen morden bzw. sind die treibende Kraft für einen Mord. Gleichwohl unterscheiden sich die Tötungsdelikte in der Ausführung wie auch die dahinter stehenden Motive, die hier interessieren. Während die Mörderin Helga Überlinger, die einen Freier im Affekt tötet, in ihrer Figurenzeichnung der Folge »Die Zeugin im grünen Rock« blass bleibt, widmet Wolfgang Menge Gisela Schinzel als Mörderin sehr viel mehr Auf128 Ebd., S. 38. Für einen Überblick über die Theorien, die zur Erklärung weiblicher Kriminalität im 20. Jahrhundert entwickelt wurden, siehe: Theurer, Andrea: Emanzipation – Der Schlüssel zur Erklärung der Frauenkriminalität? Eine empirische Untersuchung über den Zusammenhang zwischen weiblicher Kriminalität und der Geschlechtsrollenorientierung, Regensburg 1996.

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merksamkeit. Die etwa 20-Jährige hat erst wenige Monate vor dem Mord geheiratet und lebt mit ihrem Mann in einer Ein-Zimmer-Wohnung im Haus der Schwiegermutter. Obwohl sie zunächst schüchtern auftritt, spielt sie die Hauptrolle in Schillers »Die Jungfrau von Orleans« in der lokalen Laienspielgruppe. Ihr guter Leumund wird von verschiedenen Personen aus dem Dorf bestätigt. So bezeugt selbst die Ehefrau des örtlichen Polizeipostens ihrem ermittelnden Gatten, dass Gisela »ein ordentliches und solides Mädchen« sei.129 Einen Mord traue sie ihr nicht zu. Gleichwohl macht sich Gisela durch ihre steigende Nervosität verdächtig. Allerdings lassen sich die Beamten bald von ihrer offenen Art einnehmen. So bekräftigt sie, keine Angst vor dem zu haben, was die Polizei herausfinde. Sie verbirgt nicht einmal ihren Hass auf das Opfer: Helga, die ebenfalls Mieterin im Haus der Schwiegermutter war, hatte Giselas Mann Avancen gemacht und gleichzeitig eine Allianz mit der Schwiegermutter gegen Gisela gebildet. Die vermeintlich überzeugende Klarheit von Gisela Schinzels Aussagen und der Anschein von Unschuld werden auf visueller Ebene durch eine helle Ausleuchtung und mehrere Großaufnahmen ihres Gesichtes unterstützt.130 Zugleich nähren die häufigen Nahaufnahmen erste Zweifel – es scheint, als ob die Kamera mehr wüsste als die Kommissare und die von Schinzel aufgebaute Fassade durchblicken kann. Trotz ihrer Unscheinbarkeit gerät Gisela immer wieder ins Visier der Ermittler. Schlussendlich hat der Polizeiposten des Ortes den entscheidenden Einfall, und er kann die Täterin überführen. Ein dramaturgisches Mittel ist die Parallelmontage zu Gisela Schinzels Hauptrolle der Johanna von Orleans. Wiederholt wird sie auf der Probenbühne in den Vernehmungen vor dem Inquisitionsgericht dazu aufgefordert, die ganze Wahrheit zu sagen; sehen ihre Richter doch nicht, dass sie von den edelsten Motiven geleitet wurde. Auch wenn Giselas Beweggründe nicht denen der Johanna von Orleans entsprechen, befreit sie sich doch aus Helgas symbolischem »Gefängnis«, indem sie sie ermordet. Eindrücklich gesteht Gisela – noch in ihrer Verkleidung als Jungfrau von Orleans – Polizeiwachtmeister Wohlers die Tat. In einer nahen Einstellung durchleidet sie noch einmal die eigene Pein und schildert die Momente, die letztlich zur Tat führten. Ihre Stimme ist schrill, die Worte stocken, ihre Augen sind die meiste Zeit über geschlossen, sie hält sich die Ohren zu, als würde sie Helgas Stimme wieder hören (Abb. 37).131

129 Stahlnetz, »Saison«, 0:30:20. 130 Ebd., 0:11:10–0:17:05. 131 Stahlnetz, »Saison«, 1:22:08–1:23:20.

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Abb. 37: Gisela Schinzel während ihres Geständnisses (Stahlnetz, »Saison«).

Erst nach dem eigentlichen Geständnis der Tat, woraufhin sie sichtlich erleichtert wirkt und sich beruhigt, zoomt die Kamera wieder auf. Die Nähe zur Täterin in ihren bewegtesten Sekunden verringert gleichsam die Distanz zwischen ihr und dem Zuschauer, der durch die Nahaufnahme gewissermaßen gezwungen ist, sich mit ihr und ihrem Schicksal auseinanderzusetzen. Gisela bildet den hellen Bildmittelpunkt, dem der Zuschauer nicht entfliehen kann. Weniger psychopathologisch tritt die Mörderin Frau Noak132 in der Folge »Das Haus an der Stör« auf. Gemeinsam mit ihrem Liebhaber, dem Bildhauer Helmut Reinhold, hatte sie ihren Ehemann erschlagen.133 Jener war erst wenige Wochen zuvor aus der Kriegsgefangenschaft nach Ende des Zweiten Weltkrieges heimgekehrt. Die Täter ließen die Leiche in einem nahen See verschwinden und verzogen kurze Zeit später, um ihre Spuren zu verwischen. Da »Das Haus an der Stör« in Rückblenden erzählt wird, erfährt der Zuschauer wenig über die Tätercharaktere. Stattdessen werden die Zusammenhänge der Tat und die wie immer überlegte Vorgehensweise der Kriminalpolizei nachgezeichnet. Allein eine kurze Szene in der Mitte des Films gibt Auskunft über die physische Erscheinung der Mörderin. Sie ist blond, gepflegt und modisch gekleidet. Da sie Boutiquenbesitzerin ist, verwundert diese Erscheinung jedoch kaum. Durch die helle Ausleuchtung, ihre helle Haarfarbe und die beige Farbe ihres Kostüms könnte dem Zuschauer nahegelegt werden, sie als unschuldig zu sehen. Die Inszenierung vermeidet absichtlich jeden Hinweis darauf, hier eine Täterin zu zeigen. Gegenüber den Fragen des Kommissars tritt

132 Der Vorname von Frau Noak bleibt unerwähnt. Eine Identifikation mit ihrer Figur wird so für den Zuschauer erschwert. 133 Obwohl der Kommissar in diesem Zusammenhang erklärt, dass Erschlagen keine typische Mordart von Frauen sei, wird nicht nur Herr Noak, sondern auch Herr Pohlitz in der Folge »Die Zeugin im grünen Rock« von einer Frau erschlagen. Stahlnetz, »Das Haus an der Stör«, 1:07:05.

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sie – im Gegensatz zu Gisela Schinzel – selbstbewusst und offen auf. Sie bemüht sich allem Anschein nach, die Umstände des damaligen Verschwindens ihres Mannes so gut wie möglich zu rekonstruieren und bietet dem Kommissar sogar an, auch weiterhin für Auskünfte zur Verfügung zu stehen.134 Anders als bei der Anhörung von Gisela Schinzel wird Frau Noak in diesem Gespräch nur in halbtotalen bis halbnahen Einstellungen und zumeist mit dem Kommissar gemeinsam im Bild gezeigt. Dies unterstützt einerseits den offenen Dialog, andererseits wird eine Fokussierung auf Frau Noak vermieden, um den Ermittlungen des Kommissars und damit auch der Phantasie der Zuschauer nicht vorzugreifen. Da Frau Noak nur kurz und in einer Reihe anderer Personen aus dem damaligen Umfeld in Erscheinung tritt, bleibt ihre Figur allerdings blass. Als die ehemaligen Nachbarn zu ihr und der Ehe befragt werden, sind die Aussagen einstimmig positiv – eine solche Tat traue ihr keiner zu, alle beschreiben sie als integer und aufrichtig. Eindeutiger in Bezug auf die weibliche Täterpersönlichkeit sind die realen Ermittlungsakten der Kriminalpolizei zum Mordfall »Blaue«, der der StahlnetzFolge zugrunde lag.135 Die Akten standen Wolfgang Menge beim Abfassen des Drehbuches zur Verfügung. In den Geständnissen der historischen Figuren Ruth Blaue und Horst Buchholz finden sich konkrete Hinweise darauf, dass die Initiative zum Mord von der Ehefrau ausging: Die Tat war zuvor zwischen Frau Blaue und mir abgesprochen worden. Wann es geschehen war, kann ich nicht mehr genau sagen. Der konkrete Entschluß ist von Frau Blaue am Morgen vor der Tat ausgegangen. […]. Auf den Vorhalt, daß er sich sicherlich nicht so leicht von seiner Ehefrau erschlagen lassen würde, muß ich sagen, dass ich aus dem Gespräch gefolgert habe, sie hätte die Absicht, ihn im Schlaf zu erschlagen. […]. Sie kam nochmal auf die Tötungsabsicht zu sprechen und meinte, daß es so nicht mehr weitergehe mit ihrem Manne. Sie wolle ihn erschlagen.136

Der in dieser Aussage bereits deutlich werdende Einfluss der Ehefrau auf ihren Untermieter und Liebhaber Horst Buchholz wurde noch einmal während der Gerichtsverhandlung durch den psychiatrischen Gutachter, Dr. med. Günther Stedtfeld, bekräftigt. Er hatte sich eingehend mit beiden Tätern im Vorfeld des Prozesses beschäftigt und kam über das Verhältnis zwischen Buchholz und Ruth Blaue zu der Ansicht: 134 Ebd., 0:45:37–0:52:00. 135 Siehe hierzu auch die 2011 erschienene literarische Auseinandersetzung mit dem Mordfall Blaue: Alberts, Klaus: Die Mörderin Ruth Blaue. Schleswig-Holsteins rätselhafter Nachkriegsfall, Heide 2011. 136 Amtsgericht, Vernehmung Horst Buchholz, 22. 11. 1954, in: 4.4 – 96/05, 5.10: Stahlnetz XVII, in: Nachlass Wolfgang Menge, Deutsche Kinemathek Berlin.

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Zur Person des Buchholz möchte ich sagen, daß ich ihn als einen sehr aufgeweckten Mann kenne, der jedoch völlig verändert schien. Frau B. schien eine lebensbejahende Frau zu sein, äußerst suggestiv, die den Mann völlig beherrscht. Sie hatte den jungen, unerfahrenen Buchholz ganz in ihrer Gewalt. Ich habe mehrmals versucht, B. aus dieser Umgebung herauszubringen. Was jedoch durch Frau B. nicht gelang. Er überließ ihr alles. Daß Frau B. auch geschlechtliche Beziehungen zu ihm hatte, war inzwischen für mich ganz offensichtlich. […]. Wie bereits erwähnt, stand Buchh. ganz unter diesem Einfluß, dieser auch an Jahren älteren Frau, die auch über alle alltäglichen Dinge einfach entschied. […]. Soweit ich mich erinnere und soweit mir bekannt, war Frau Blaue das erste Erlebnis für Buchh. Meiner Meinung nach muß Frau B. sexuell weitgehend potent gewesen sein und ihn auch auf geschlechtlichem Gebiet geschult haben. […]137

Menge hat diese Zusammenhänge nicht in der hier formulierten Klarheit für das Fernsehen herausgearbeitet. Letztlich wird der starke Einfluss der Figur Frau Noak auf ihren Liebhaber nur angedeutet. Obwohl die Dominanz einer Frau gegenüber einem jüngeren Mann ein altes Motiv der Kriminalgeschichte ist, war es für das (Familien-)Fernsehunterhaltungsformat Stahlnetz möglicherweise kein adäquates Sujet. Eine ältere Frau und einen jüngeren Mann in einem nichtehelichen, sexuellen Abhängigkeitsverhältnis zu zeigen bzw. überhaupt zu thematisieren, war brisant.138 Lediglich Reinholds Fixierung auf sie als Muse und Modell wird immer wieder betont; so porträtiert er in seinen Madonnen-Plastiken stets Frau Noak – und erhebt sie damit zugleich zu einer heiligen, reinen Frau. Dies ist für den Fernsehkommissar nach langen Ermittlungen der entscheidende Hinweis auf die beiden Mörder und ihr Motiv.139 Währenddessen hielt die Landespolizei Schleswig-Holstein für den wahren Kriminalfall als Zwischenstand fest: »Es dürfte als Motiv der Tat zur Hauptsache das Geld eine Rolle gespielt haben und erst in zweiter Linie, Blaue als Hindernis zu beseitigen«.140 Menge geht in der Ergründung der Motivlage einen anderen Weg. Geld hatte die von ihm skizzierte Frau Noak als Boutiquenbesitzerin nicht nötig. Die eindeutig auf der Beziehungsebene angesiedelte Tat wird nicht nur nicht als solche erkannt und gesühnt, sondern auch durch die schwere Nachkriegszeit 137 Aussage von Dr. med. Günther Stedtfeld, Washington (D. C.) in der Gerichtsverhandlung, in: ebd. 138 Um diese Zusammenhänge nicht thematisieren zu müssen, verlegt Menge die Festnahme auf einen Fastnachtsball. Da das Gesicht Helmut Reinholds maskiert ist, ist eine Aussage zu seinem Alter unmöglich. Und um der Verhaftung und Demaskierung zu entgehen, richtet er sich ein wenig abseits des Getümmels selbst. 139 Die im Film häufig gezeigten Gipsköpfe einer Frau bedeuten nach Aussage des Kommissar »alles, den Schlüssel und sogar den Beweis«. In: Stahlnetz, »Das Haus an der Stör«, 1:13:00–1:13:02. 140 Landespolizei Schleswig-Holstein, 4. 12. 1954, in: 4.4 – 96/05, 5.10: Stahlnetz XVII, in: Nachlass Wolfgang Menge, Deutsche Kinemathek Berlin.

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(v)erklärt. Entsprechend holt der Off-Kommentar des Kommissars kurz vor der Festnahme der beiden Täter bis in die Zeit zwischen 1948 und 1949 aus. Denn, so konstatiert der Ermittler, auch wenn noch so viele Fakten aus »jenen Tagen, den Wochen und Monaten nach dem Krieg« zusammengetragen werden, »richtig empfinden können wir die Zeit nicht mehr. Begeben wir uns heute in die Zeit von damals, so ist es, als studierten wir ein fremdes Volk einer vergangenen Epoche. Nur manchmal, durch fast einfältige Vorgänge, werden wir wieder mit dieser Zeit konfrontiert. Wir ahnen dann einen Augenblick lang wie wir damals wirklich waren«.141 Die Erklärungen Roggenburgs fügen sich nahtlos in das Geständnis der Frau Noak ein. Weinend gibt sie zu, dass sie ihren Mann erschlagen hat, um ihn loszuwerden. An Scheidung sei in dieser Zeit nicht zu denken gewesen, verteidigt sie sich.142 Ihr Mann sei mittel- und obdachlos geworden, wenn sie ihn einfach verlassen hätte. Das habe sie ihm nicht antun wollen. Mit diesen Aussagen verweist sie in besonderer Weise auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und die für manche erdrückende Scheinwelt jener Zeit. Die Stimme der Verhörten wird, wie meist, wenn Täter oder Täterinnen in Bedrängnis geraten, laut und schrill. Ihr Gesichtsausdruck, den die Kamera in einer nahen Einstellung einfängt, spiegelt eine Mischung aus Härte, Unverständnis, aber auch Verzweiflung wider. Einerseits scheint eine Last abzufallen, vielleicht bereut sie auch die Tat, zumindest lassen die Tränen in ihrem Gesicht diesen Schluss zu. Andererseits ist sie darüber enttäuscht, dass sie nach all den Jahren doch noch von der Polizei gestellt wurde. Frau Noak wehrt sich nicht, als sie von der Weiblichen Kriminalpolizei abgeführt wird. Wie Gisela Schinzel scheint auch sie zu wissen, dass es kein Zurück mehr gibt. Die Aufklärungs- und Vollzugsmacht der Polizei erkennen beide bedingungslos an. Verzweifelte Mütter Während Frauen im westdeutschen Stahlnetz vor allem aus Habgier töten oder die Tat der Beziehungsebene entspringt, werden diese Motivlagen im DDR-Pendant

141 Stahlnetz, »Das Haus an der Stör«, 1:15:50–1:16:24. 142 »Mit dem Familienrechtsänderungsgesetz wurde ab 1961 die Ehescheidung sogar erschwert, auch in der Rechtsprechung.« In: Buske, Sybille: Fräulein Mutter und ihr Bastard. Eine Geschichte der Unehelichkeit in Deutschland 1900 bis 1970, Göttingen 2004, S. 211; siehe auch: Kuller, Christiane: Familienpolitik im föderativen Sozialstaat. Die Formierung eines Politikfeldes in der Bundesrepublik 1949–1975, München 2004, S. 36–60, besonders S. 50–54. Zur Situation in den 1940er Jahren siehe: Niehuss, Merith: Familie, Frau und Gesellschaft. Studien zur Strukturgeschichte der Familie in Westdeutschland 1945–1960, Göttingen 2001, S. 98–106.

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völlig außer Acht gelassen. Wiederum ist die Thematisierung überforderter Mütter143 und verzweifelter Frauen, die keine Kinder bekommen können,144 nie Gegenstand des Stahlnetz, sondern einzig des Blaulicht. Die im Folgenden zu analysierenden Blaulicht-Folgen wurden alle vom Regisseur Otto Holub inszeniert und im Abstand eines Jahres gesendet. Die im Jahr 1963 ausgestrahlte Folge »In vierundzwanzig Stunden« behandelt das Thema Kinderlosigkeit. Marga Gruber bemüht sich seit Jahren erfolglos, schwanger zu werden. Da ihr Mann großen Wert auf einen »Stammhalter« legt, setzt er sie erheblich unter Druck und droht, sie zu verlassen. Der für sie einzige Ausweg scheint daher die Vortäuschung einer Schwangerschaft und die Entführung eines Neugeborenen, das sie als ihr eigenes Kind ausgeben will. Den Säugling findet sie schließlich bei der ihr unbekannten Frau Hintze, der Ehefrau eines Arbeitskollegen ihres Mannes. Beide werden in einer die Unterschiede der Frauen betonenden Parallelerzählung vorgestellt. Auf der einen Seite steht die selbstbewusste junge Frau Hintze, die ihren eigenen Weg gehen will, ein Kosmetikgeschäft besitzt, gepflegt und modisch gekleidet ist und sich trotz Schwangerschaft von ihrem Mann scheiden lassen will.145 Sie ist fest davon überzeugt, ihren Sohn auch ohne Vater aufziehen zu können. Die Bedenken ihrer in Westberlin lebenden Mutter weist sie mit dem Hinweis auf die guten Kinderkrippen der DDR zurück. Doch obwohl ihr Selbstbewusstsein durch die Inszenierung imponierend und ihre »gute« Einstellung zum Sozialismus überzeugend wirkt, verringert dies nicht die Distanz des Zuschauers gegenüber ihrem Auftreten als Mutter. Nach der Entführung ihres Sohnes zeigt sie sich zunächst erstaunlich abgeklärt und gefühlsarm. Erst später klärt sich auf, dass sie davon ausgegangen war, ihre Mutter hätte das Kind mit nach Westberlin genommen. Wernicke und sein Ermittlerteam sind von den Reaktionen der Mutter überrascht und glauben ebenfalls für einen Moment, dass die Entführung nur fingiert ist.146 Als 143 Blaulicht, »Prozeß Jutta H.«. 144 Blaulicht, »In vierundzwanzig Stunden«, Folge 19, 28. 5. 1963. 145 1963 war es in der DDR trotz emanzipierter Frauenpolitik für Ehefrauen keineswegs leicht, sich von ihrem Ehegatten scheiden zu lassen. Erst mit dem im Dezember 1965 verabschiedeten FGB wurden die Rechte der Frauen erstmals so gestärkt, dass sie auch ohne Einverständnis und ohne gravierende Verfehlungen des Gatten geschieden werden konnten. Der DEFA-Film »Lots Weib« nahm diese Problematik 1965 auf. Forschungen zum FGB vgl.: U. Schneider: Hausväteridylle oder sozialistische Utopie. Zum Film »Lots Weib« siehe: N. Helmli: (Vor-)Bild einer neuen Weiblichkeit, in: WerkstattGeschichte (2008), S. 85–95. 146 Auch Wernicke bezweifelt zu Beginn, dass das Kind entführt wurde. »Wir haben in den letzten Woche eine Reihe von Diebstählen, wo nur die Wagendecken aus den Kinderwagen entwendet wurden.« (Blaulicht, »In vierundzwanzig Stunden«, 0:19:12– 0:19.19). Frau Hintze macht sich zusätzlich für den Zuschauer verdächtig, als sie ihrer

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sich jedoch die Großmutter meldet und klar wird, dass das Kind tatsächlich entführt worden ist, entdeckt Frau Hintze ihre Mutterinstinkte und zeigt sich sehr besorgt.147 Oberleutnant Thomas, Vater zweier Kinder, bemerkt diese Veränderung und konstatiert: »sie liebt es jetzt wie jede andere Mutter. Und mehr seit dem das passiert ist«.148 Auf der anderen Seite steht die Täterin, Marga Gruber. Sie ist Arbeiterin in einem Betrieb und damit gewissermaßen Kern der sozialistischen Gesellschaft. Ihre Tat liegt im unerfüllten Kinderwunsch und dem hohen gesellschaftlichen Druck, endlich ein Kind zu bekommen, begründet. Die vorgetäuschte Schwangerschaft sollte die »quälenden«149 Nachfragen der Kollegen und ihres Mannes beenden, gesteht sie bei ihrer Festnahme.150 Wie angespannt Marga Gruber ist, verdeutlichen die Szenen vor und auch nach der Tat. Insbesondere ihrem Mann gegenüber zeigt sich die Täterin nervös, fragt er doch immer wieder nach, wie es dem Kind gehe und warum seine Frau nicht aus der Berliner Charité, wo er sie überdies angeblich nicht besuchen dürfe, entlassen werde.151 Die innere Resignation der Figur wird durch ihren gesenkten Kopf, die hängenden Schultern und kurzsilbigen Antworten verdeutlicht. Der einzige vertrauliche Moment zwischen ihr und ihrem Mann wird nach ihrer Rückkehr aus Berlin von den neugierigen Nachbarinnen jäh beendet.152 Wie auch Frau Hintze bleibt die Täterin dem Zuschauer bis zu ihrer Tat auf visueller wie auch dialogischer Ebene weitgehend fremd. Sie wird fast ausschließlich in halbnahen Einstellungen und oft von hinten gezeigt. Erst als sie nach der Tat von der Polizei aufgesucht wird, ist ihr weinendes, verzweifeltes Gesicht in einer nahen bis großen Einstellung zu sehen. Sie gesteht die Tat ohne Umschweife. Im Verlauf ihres Geständnisses wird der Zuschauer aufgrund der visuellen Nähe zu ihr gezwungen, sich mit der Täterin auseinanderzusetzen, ihre Gesichtszüge zu studieren und die Motive ihrer Tat zu ergründen. Marga Gruber führt an, wie verzweifelt sie war, und bereut die Tat.153 Anders als in den sonst üblichen Täter-Inszenie-

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Mutter telegrafiert, dass das Kind krank sei und Medizin benötige (ebd., 0:27:27– 0:28:22). Wernicke thematisiert das Verhalten der Mutter noch einmal gegenüber Thomas (ebd., 0:28:22–0:28:37). Sie wirkt plötzlich nervös, aufgebracht und besorgt. Ein leichter Zoom auf sie verstärkt ihre flehende Bitte an Wernicke, den Jungen alsbald zu finden (ebd., 0:41:26–0:41:43). Ebd., 0:52:52–0:52–54. Ebd., 0:52:00. Ebd., 0:52:13. Ebd., 0:9:28–0:12:00. Welch starker Einfluss dem nachbarlichen Umfeld Marga Grubers zukommt, wird kurz nach ihrem Abgang aus der beschriebenen Szene deutlich. Aufgeregt sitzen die Nachbarinnen um den Kaffeetisch und reden bemitleidend und zugleich fordernd über Marga Gruber. Blaulicht, »In vierundzwanzig Stunden«, 0:50:49–0:52:34.

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rungen wird Frau Gruber nicht aus einer starken Aufsicht heraus gefilmt. Die Kamera nimmt während ihrer Aussage eine normalsichtige Position ein. Entgegen einer durchaus geläufigen Krimikonvention setzt sich auch Leutnant Timm beschwichtigend neben und nicht hinter die Täterin. Behutsam, fast kameradschaftlich fragt er, warum sie sich zu dieser »unglückseligen Idee« hatte verleiten lassen. Oberleutnant Thomas hingegen, der als junger Vater die Sorge der Mutter grundsätzlich nachfühlen kann, bleibt gegenüber der Täterin hart. Da er sich nicht zu ihr setzt, sondern stehen bleibt, wahrt er seine dominante Position. Die beiden Polizisten treten hier nicht nur als Repräsentanten der Staatsmacht auf, sondern spiegeln die Ambivalenz der Gesellschaft und der Zuschauer zwischen Verständnis und Ablehnung. Hauptmann Wernicke scheint in dieser Frage entschiedener. Er erkennt die Schuld der Täterin, weist den Ehemann in einem Vier-Augen-Gespräch jedoch auch darauf hin, dass auch er einen Teil der Schuld trage, da er sich unbedingt ein Kind gewünscht habe. Wernickes pädagogischer Appell erreicht den Gatten, der erkennt, welcher Druck auf seiner Frau lastete, und er verspricht, ihr beizustehen – ganz im Sinne des sozialistischen Familien-, Ehe- und solidarischen Ideals. Wernickes verständnisvolle Reaktion überrascht aus der Rückschau, doch scheint er das Gute in der Täterin zu sehen. Er erreicht damit eine Läuterung des Ehemannes und will sogar einen Adoptionsantrag befürworten.154 Dem Zuschauer wird mit diesem Schluss die perfekte Propaganda in Bezug auf das sozialistische Menschen- und Weltverständnis geliefert, die in der Realität der 1960er Jahre wohl kaum wiederzufinden gewesen wäre. Die Milde, die Marga Gruber offensichtlich zu Teil wurde, wird Jutta Heintze in der Blaulicht-Folge »Prozeß Jutta H.« 1964 verwehrt.155 Obwohl der Zuschauer bis zum Ende der Folge im Unklaren gelassen wird, ob Jutta Heintze tatsächlich eine Kindsmörderin ist, endet der Film mit einem Geständnis. Heintze hat ihren Säugling erstickt, um ihren Mann, der das Kind ablehnt, wieder stärker an sich zu binden. Ungewöhnlich für die Machart der Kriminalreihen ist die hier gewählte Inszenierung des Falles. Als Rahmenhandlung dient die Gerichtsverhandlung. Die Tat und die Herleitung der Motive werden in langen Rückblenden gezeigt. Dazwischen sind Szenen aus dem Gerichtsgebäude montiert, um der Handlung einen roten Faden zu geben und um die Schwere der Tat einzuordnen.

154 Gesamter Absatz: Ebd., 0:52:59–0:54:37. 155 Blaulicht, »Prozeß Jutta H.«, 28. 5. 1964. Der abgekürzte Nachname der Täterin im Titel der Folge greift auf eine übliche Praxis des Persönlichkeitsschutzes in laufenden Ermittlungen und Gerichtsprozessen zurück. Hier verweist die Abkürzung m. E. zudem auf zwei Ebenen: Einerseits evoziert er Distanz; schließlich ist es schwieriger, sich mit einer Figur, deren Nachnamen verschwiegen wird, zu identifizieren. Andererseits verweist der anonymisierte Nachname und die hierdurch herausgehobene Präsenz des Vornamens auf das Einzelschicksal einer Frau.

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Jutta Heintzes Verhalten wird durch einen psychiatrischen Sachverständigen im Verlauf der Verhandlung erklärt: »Ihre Tat ist psychologisch als die Handlung eines im hohem Grade neurotischen Menschen zu erklären. […] Jutta Heintze, von Natur aus zu einer fast krankhaften Stimmungs- und Affektlabilität neigend, war in dieser Phase nur vermindert in der Lage das strafbare ihrer Handlung einzusehen«.156 Aufgrund dieser Diagnose soll sie durch den § 51 RStGB geschützt werden.157 Unter Berufung auf diesen Paragrafen wird Jutta Heintze letztendlich wegen Totschlags (§ 212 RStGB)158 zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Das juristische Urteil entspreche allerdings nicht dem moralischen Urteil, wie die Richterin in ihrer Urteilsbegründung betont. Darüber könne das Gericht nicht entscheiden. In diesem Fall trage der Ehemann einen großen Teil der Schuld – ähnlich wie in der zuvor besprochenen Folge »In vierundzwanzig Stunden«. In den folgenden Rückblenden, die Heintze immer wieder als verzweifelte und überforderte Ehefrau und Mutter zeigen, wirkt nicht nur ihr Mann, sondern auch die Schwiegermutter in negativer Weise auf sie ein. Am aussagekräftigsten ist wohl die erste Rückblende, in der es zu dem Streit kommt, der die Tat auslöst. Jutta Heintze steht in der Küche und kocht Windeln aus; ihr Mann echauffiert sich wegen des Gestanks. Die Kamera ist direkt auf sie gerichtet und fängt ihren traurig-müden und erschöpften Gesichtsausdruck ein. Ein langer, anstrengender Arbeitstag scheint bereits hinter ihr zu liegen. Doch ihr Mann sieht dies nicht, er wirft ihr stattdessen mit aggressiver Stimme vor, sie habe seine Schuhe nicht geputzt. Als sie ihn in ruhigem Ton bittet, dies einmal selbst zu tun, da sie nicht wisse, wo ihr der Kopf steht, wirft er ihr die Schuhe hin und schreit: »soweit kommt’s noch«. In seiner aggressiv-abweisenden Art, die durch starke Unter- und Aufsichten der Kamera verstärkt wird, macht er deutlich, dass ihn das Wohl seiner Familie nicht sonderlich interessiert. Schließlich fragt er sogar: »wollte ich den Jungen?«.159 Als er sich daraufhin ausgehfertig ankleidet, eskaliert die Situation. Sein Tonfall wird zunehmend aggressiver. Schmutz am Hemdkragen ist für ihn dann Anlass genug, seiner Frau völliges Unvermögen vorzuwerfen. Diese Erniedrigung wird auf visueller Ebene durch fortwährende Unter- und Aufsichten sowie einen sich stärker einen156 Ebd., 1:03:13–1:04:04. 157 Gemäß dem Reichsstrafgesetzbuch von 1871, das in der DDR bis zur Einführung eines neuen Strafgesetzbuchs im Jahre 1968 Gültigkeit besaß, galt entsprechend für den Fall Heintze: »Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Thäter zur Zeit der Begehung der Handlung sich in einem Zustande von Bewusstlosigkeit oder krankhafter Störung der Geistesthätigkeit befand, durch welchen seine freie Willensbestimmung ausgeschlossen war«. In: § 51, Deutsches Reichsgesetzblatt, Band 1871, Nr. 24, S. 136. 158 »Wer vorsätzlich einen Menschen tödtet, wird, wenn er die Tödtung nicht mit Ueberlegung ausgeführt hat, wegen Todtschlags mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren bestraft«, § 212, Reichsstrafgesetzbuch, in: Deutsches Reichsgesetzblatt, Band 1871, Nr. 24, S. 167. 159 Blaulicht, »Prozeß Jutta H.«, 0:07:05.

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genden Bildausschnitt verdeutlicht. Bald sind nur noch seine stechenden Augen und sein schreiender Mund zu sehen bzw. ihre größer werdenden, angsterfüllten Augen.160 Als sie sich ihm in den Weg stellt, um ihn am Gehen zu hindern, zoomt die Kamera im Schuss-Gegenschuss-Verfahren immer näher an beide Gesichter heran, um die sich bis zur Ausweglosigkeit steigernde Verzweiflung Jutta Heintzes für den Zuschauer besonders eindrücklich zu gestalten, nachdem er sie mehrmals ins Gesicht geschlagen hat. Bevor der Zuschauer aus dieser beinahe erdrückenden Enge der Beziehung und der häuslichen Gewalt durch einen Schnitt auf die Nachbarn entlassen wird, ist das verzerrte Gesicht Jutta Heintzes, das sie mit ihrer Hand schützt, in einer Detailaufnahme zu sehen (Abb. 38 bis Abb. 41).

Abb. 38 bis Abb. 41: Ehestreit zwischen Jutta Heintze und ihrem Mann, der in häuslicher Gewalt endet. Eine Nachbarin horcht an der Wand (r. unten; Blaulicht, »Prozess Jutta H.«).

Die Spannung zwischen den Eheleuten löst sich erst mit Ankunft der vier Jahre alten Tochter, die von der Schwiegermutter zurückgebracht wird. Doch für Jutta Heintze ist der Endpunkt der Erniedrigung damit noch nicht erreicht; denn auch die Schwiegermutter redet nach dem Abgang ihres Sohnes unentwegt auf sie ein.161 160 Ebd., 0:07:50–0:8:02. 161 Während sich die Schwiegermutter gegen über Jutta H. kalt verhält, steht sie physisch hinter ihrem Sohn, tröstet ihn und küsst ihn liebevoll auf den Kopf.

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Auf- und Untersichten verstärken auch hier die erfahrenen Erniedrigungen. Die Schwiegermutter wirft ihr vor, dass eine »erfahrene Frau« eine Schwangerschaft zu verhüten gewusst hätte. Das Thema Abtreibung wird zwischen beiden Frauen offen verhandelt. Schließlich ruft sie ihre Schwiegermutter verzweifelt an, wie es weitergehen, ob sie den Jungen vielleicht umbringen solle.162 Nachdem die Kinderleiche aufgefunden wird, ist die Polizei schnell vor Ort, um die Umstände der Tat aufzuklären. Um sie als Täterin auch filmisch aufzubauen, setzte der Regisseur Otto Holub ein eindringliches und immer lauter werdendes Harmoniumspiel ein, das die Ausweglosigkeit und Enge noch einmal musikalisch aufgreift. Jutta H. starrt wie in Trance auf das leere Bettchen ihres Sohnes. Die Überblendungen zwischen ihrem schreienden Säugling und einer Puppe werden immer schneller und kündigen eine Verstrickung in die Tat an. Die durch die Polizei nachgewiesene und am Ende der Folge eingestandene Schuld der Täterin wie auch die Motive und auslösenden Momente der Tat deuten darauf hin, dass es sich bei diesem Fall um ein Einzelschicksal handelt. Ebenso bleibt die Wirkung der Tat lokal begrenzt, d. h. sie hat keine Auswirkungen über den familiären Rahmen hinaus. Dennoch, so argumentiert der ostdeutsche Krimi – dem Ideologiekonzept der DDR folgend –, trage Jutta Heintze nicht allein die Schuld an ihrem Vergehen. Auch die Gesellschaft, hier allen voran der Ehemann, haben sich moralisch schuldig gemacht. Und so nimmt das Ermittlerkollektiv um Wernicke an neuralgischen Punkten pädagogischen Einfluss auf die Umwelt Jutta Heintzes. Beispielhaft sollen zwei Szenen herausgegriffen werden, in denen die drei Polizisten ihre, d. h. die staatliche Position, zum Ausdruck bringen. Bereits während des oben geschilderten Ehestreits wird die Szenerie unterbrochen und die Nachbarn der Eheleute eingeblendet. Die Nachbarin horcht an der Wand und regt sich fürchterlich über das Gebaren des Herrn Heintze auf. Ihr Mann hingegen sitzt beinahe desinteressiert am Tisch und löst ein Kreuzworträtsel. Als sie ihren Ehemann auffordert, in den Streit einzuschreiten, macht er ihr klar, dass es nicht seine Aufgabe sei. Doch sie hält ihm die sozialistischen Wertvorstellungen vor, dass die Gesellschaft, also auch sie beide, mithelfen müssten, die Ehe auf einen rechten Weg zu bringen. Der Nachbar bleibt dennoch bei seiner Meinung und stellt stattdessen das Radio ein wenig lauter. Bei der Zeugenbefragung noch in der Tatnacht gibt Oberleutnant Thomas beiden unmissverständlich zu verstehen, dass sie dem Ehepaar hätten helfen müssen. Jetzt sei es zu spät. Die frustrierte und zugleich anklagende Antwort des Polizisten steht für sich und beendet diese Szene ohne Gegenrede.163 Dieter Heintzes Schuld an der Tat seiner Frau wird nicht nur durch sein Verhalten in der Ehe erklärt, wie oben beschrieben, sondern vor allem in seiner Einstel162 Ebd., 0:12:26. 163 Ebd., 0:31:51.

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lung zur Ehe. In einer Kontrastmontage werden die Aussagen des Psychiaters über die Ehe der Heintzes mit den Aussagen von Dieter Heintze gegeneinander gestellt. So bedeutet der Sachverständige, dass die Ehe zu früh und unüberlegt geschlossen worden sei. Und auch Heintze gibt nach einem kurzen Moment der Besinnung zu: »Auf dem Standesamt hat mich keiner gefragt, warum und weshalb ich heiraten will. Und ob meine Ehe für die Gesellschaft einen Wert hat«.164 Im Rückschluss versteht er nicht, warum der Wert der Ehe und die Verpflichtung gegenüber Familie und Gesellschaft nun plötzlich so hoch stehen, als er sich scheiden lassen möchte. Dies spielt auf die damals in der DDR-Öffentlichkeit tatsächlich sehr ausführlich geführte Diskussion um das 1965 verabschiedete FGB an. Was in der zuvor analysierten Folge »In vierundzwanzig Stunden« bereits angedeutet wurde, wird hier sehr offen ausgesprochen: die Möglichkeit der Scheidung, aber auch der Wert der Familie in der Gesellschaft.165 »Prozeß Jutta H.« kann somit als Teil der groß angelegten medialen Auseinandersetzung um das erste Familiengesetzbuch der DDR gesehen werden.166 Neben dem ideologischen Tiefgang dieser Folge bleibt die Aufforderung an den Zuschauer, nicht wegzusehen, wenn es zu häuslicher Gewalt kommt. Eine Forderung, die, befreit vom ideologischen Ballast, zivilcouragiertes Handeln anspricht. Sie hätte im Prinzip ebenso gut im ähnlich pädagogisierenden Stahlnetz geäußert werden können. Roland, Menge und der NDR vermieden jedoch nicht nur das Thema überforderter Mütter, sondern auch generell Verbrechen, die die Struktur der von Politik und Gesellschaft gleichermaßen idealisierten Kernfamilie hinterfragt hätten.167 Kinderschändung und Kindesentführung Sexueller Missbrauch an Minderjährigen, Kindesentführung (aus erpresserischen Motiven) sowie die Tötung der Opfer ist ein stark emotional besetztes Thema in der Öffentlichkeit. Geschieht ein Verbrechen, beteiligen sich zumeist die Printmedien, 164 Ebd., 1:02:48. 165 Im FGB heißt es dazu bereits in der Einleitung: »Die Familie ist die kleinste Zelle der Gesellschaft. […] In der Deutschen Demokratischen Republik hat die Familie große gesellschaftliche Bedeutung. Sie entwickelt sich zu einer Gemeinschaft, in der die Fähigkeiten und Eigenschaften, Unterstützung und Förderung finden, die das Verhalten des Menschen als Persönlichkeit in der sozialistischen Gesellschaft bestimmen«. In: Kanzlei des Staatsrates der DDR (Hg.): Ein glückliches Familienleben, S. 117. 166 Siehe hierzu ebenfalls U. Schneider: Hausväteridylle oder sozialistische Utopie. 167 Der Schutz der Kernfamilie als Rückzugsort der Gesellschaft war vor allem in den 1950er Jahren in der Bundesrepublik ein viel beschworenes Thema. Vgl. hierzu Ausführungen in Kapitel vier sowie u. a.: Moeller, Robert G.: Geschützte Mütter. Frauen und Familien in der westdeutschen Nachkriegspolitik, München 1997.

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aber auch Hör- und Fernsehfunk auf der Suche nach dem Opfer und/oder dem Täter. Literatur, Kino und Fernsehen nehmen sich dieser Thematik immer wieder an, jedoch im Vergleich zu den anderen hier vorgestellten Delikten wesentlich seltener. Die Gründe liegen sicherlich in der Emotionalität und Komplexität des Themas. Prodöhl, Hildebrandt, Menge und Roland scheuten die Auseinandersetzung allerdings nicht. Beiden Fernsehproduktionen haben sich in ihrer Bildsprache, aber auch der Komposition der Fälle von zwei wirkmächtigen deutschen Kinoproduktionen beeinflussen lassen: Fritz Langs »M – Eine Stadt sucht einen Mörder« (1931)168 sowie Ladislao Vajdas »Es geschah am hellichten Tag« (1958).169 Es ist davon auszugehen, dass nicht nur Roland Zugang zu beiden Filmen hatte, sondern auch Prodöhl und Hildebrandt.170 Die Blaulicht-Macher nahmen sich des Gegenstandes der Kinderschändung bereits in der neunten Folge 1960 mit dem programmatischen, aber simplen Titel »Der Kindermörder« an. Ein in Westberlin umherziehender Mann mittleren Alters freundet sich zunächst mit fünf- bis siebenjährigen Mädchen an, indem er ihnen Schokolade kauft oder mit ihnen Karussell fährt. Anschließend lockt er sie in einen dunklen Keller, vergeht sich an ihnen und lässt sie anschließend mit unzähligen Messerstichen verbluten. Um der aufgebrachten westdeutschen Bevölkerung einen Schuldigen zu präsentieren, wird alsbald einem Geisteskranken der Prozess gemacht, ohne dessen Schuld hinlänglich beweisen zu können. Bereits am Ende dieser ersten Folge wird daher unmissverständlich klar, dass der Kindermörder Richard Göttling noch immer auf freiem Fuß ist. Er verlagert seine Taten sodann in den Ostteil der Stadt. Die »überlegene« Volkspolizei kann ihn bereits nach einem Mord aufspüren und verhaften. Obwohl die »antiwestliche« Propaganda gerade in den ersten Episoden vor dem Mauerbau nicht fehlen durfte und hier recht eindrücklich in die Geschichte eingearbeitet ist, kommen große Filmteile fast ohne ideologische Zuspitzungen aus und konzentrieren sich vielmehr auf die Psychologie des Täters. Seinen Kinovorbildern ähnlich, führt auch Göttling seine Taten mit Kalkül und aus einem inneren Zwang heraus aus.171 Im Wissen um Strafmilderung versucht er in den Vernehmungen der 168 »M – Eine Stadt sucht einen Mörder«, Regie: Fritz Lang, Deutschland 1931, http://www.filmportal.de/df/9e/Uebersicht,,,,,,,,84E5CE1E5633491D85D9A16F7711D4 37,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,.html, 9. 5. 2013. 169 »Es geschah am hellichten Tag«, Regisseur: Ladislao Vajda, Schweiz/Bundesrepublik Deutschland 1958, http://www.filmportal.de/df/26/Uebersicht,,,,,,,,5BEBA7A1D9174E51ACEDD1AFB6C3F995,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,.html, 9. 5. 2013. 170 Vgl. Abschnitt 2.4. 171 Im Gegensatz zu seinen Kinovorbildern wird der pathologische Zug Göttlings jedoch nicht visuell hervorgehoben. In den Filmen »M« und »Es geschah am hellichten Tag« werden Beckerts und Schrotts Hände häufig in einer Nah- und Großaufnahme gezeigt. Sie täuen ihre Finger nervös ineinander, sobald sie ein Mädchen sehen (wie im Falle

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Kriminalpolizei eine psychische Störung vorzutäuschen und spekuliert auf Anerkennung einer verminderten Schuldfähigkeit gemäß § 51 RStGB.172 Der einbestellte Psychiater konstatiert jedoch, dass der Täter »aus rein sadistischen Motiven« heraus gehandelt habe. »Er hat das Kind, nach meiner Auffassung, nicht getötet, um etwa einen gefährlichen Tatzeugen zu beseitigen, sondern rein aus sexueller Mordlust.«173 Da sich Göttling nach Auslieferung an die West-Berliner Behörden selbst richtet, entzieht er sich der Bestrafung des Staates. Offen bleibt die Frage, ob er dies auch getan hätte, wenn er in der DDR geblieben wäre. Durch seine Übergabe an die westdeutschen Behörden konnte sein Suizid jedoch exterritorialisiert werden.

Abb. 42 und Abb. 43: Der Blaulicht-Kindermörder Göttling (l.; »Kindermörder«) und der Stahlnetz-Kindermörder Funke (r.; »Rehe«).

In der visuellen Beschreibung des Kindermörders geht Blaulicht-Regisseur Holub von dem etablierten Inszenierungskonzept der beiden Kinofilme ab. Während die Täter bei Lang und Vajda dunkel gekleidet sind, eine massige Statur besitzen und große Augen mit stechendem Blick haben, trägt Göttling einen hellen Trenchcoat und einen hellen Anzug (Abb. 42). Obwohl seine Statur immer noch als massig und groß zu beschreiben ist, wirkt er harmlos und unauffällig. Dass er eben nicht an die Kinderschreckfigur des »schwarzen Mannes« erinnert, erklärt dem Zuschauer, Beckerts) oder wenn sie von ihrer Frau angeschrien werden (wie im Falle Schrotts). Das Händeringen kann als Vorbote für eine neue Tat und als inszenatorisch notwendiges äußeres Zeichen des inneren Zwangs verstanden werden. 172 Dabei spricht er plötzlich mit abgehackter, hoher Stimme, nach Luft ringend, schaut an die Decke und versichert, dass er Kinder gern habe, aber ein innerer Trieb ihn lenke. Wernicke durchschaut ihn schnell. Scharf fordert er Göttling auf, nicht den Geisteskranken zu spielen. Schließlich hätte er alle seine Taten »mit einer Kaltblütigkeit ohnegleichen vorbereitet«. Blaulicht, »Der Kindermörder« (II), 0:47:22–0:49:10. 173 Ebd., 0:31:47–0:32:02.

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warum es dem Täter gelingt, nach den Morden unbemerkt zu verschwinden. Erst nach dem vierten Mord trägt er – im Einklang mit den etablierten Inszenierungskonventionen – fast ausschließlich schwarze Kleidung; seine großen Augen werden allerdings durch eine Brille verfremdet. Ein weiteres Gestaltungsmerkmal der Figuren ist deren musikalische Begleitmotiv. Während sich Beckert in »M – Eine Stadt sucht einen Mörder« durch ein markantes Pfeifen174 auszeichnet, durch das er sogar überführt werden kann, wird in den nachfolgenden Filmen lediglich eine leicht verspielte, kaum dramatische Melodie eingesetzt, um den Täter zu kennzeichnen. Diese wird entweder von einem Blechbläser, wie in »Es geschah am hellichten Tag«, oder von einer einzelnen Klarinette, wie in »Der Kindermörder«, gespielt. Die an ein Kinderlied erinnernde Melodie der Blaulicht-Folge setzt dann ein, wenn sich der Mörder ein neues Opfer ausgesucht hat und dieses nun langsam ins Vertrauen zieht. Es scheint, als ob sich auch der Zuschauer durch diese naive Melodie für einen Moment in Sicherheit wähnen soll, bevor er sich umso schmerzlicher des grausigen Mordes bewusst wird. Im Gegensatz zur filmischen Inszenierung anderer Verbrechen fällt die Vermeidung konkreter Tatdarstellungen im Kontext von Kinderschändungen und Kindstötungen auf. Alle kriminellen Handlungen finden im Verborgenen statt: entweder in einem Keller (»Der Kindermörder»), einem fernen Waldstück (»Es geschah am hellichten Tag«) oder einem entlegenen Teil der Großstadt (»M«). Dem Zuschauer wird nur gezeigt, wie der Täter mit seinem Opfer in diesen Räumen verschwindet, er darf ihnen jedoch nicht folgen. Es ist davon auszugehen, dass die Filmemacher zum einen aus Pietät so verfuhren, zum anderen wären explizitere Darstellungen der Tat vermutlich nur mit starker Altersbeschränkung freigegeben worden. Dies wäre allerdings dem Grundanliegen vor allem der Fernsehkriminalreihe zuwidergelaufen, mit diesen Filmen nicht nur zu unterhalten, sondern in besonderem Maße große Bevölkerungsschichten über den Umgang mit und über den Schutz vor Verbrechen (an Kindern) aufzuklären. Die Tat des Kindermörders der Stahlnetz-Folge »Rehe« (1964) war weniger sexuell-sadistisch motiviert denn von Habgier geprägt. Funke hatte den sechsjährigen Uwe Teichert entführt, ermordet und dessen Vater erpresst. Obwohl die Polizei sofort reagierte, konnte der Täter zunächst entkommen. Erst Hinweise aus der Bevölkerung brachten die Kriminalpolizei auf seine Spur. Vier Jahre nachdem im DFF die Blaulicht-Folge »Der Kindermörder« erstmals zu sehen war, folgte dieses Stahlnetz. Es war mit einer Gesamtdauer von 110 Minuten eine der längsten Folgen in der gesamten Reihe, was die Bedeutung unterstreicht, die dem Thema beigemessen wurde. Roland und Menge orientierten sich an einem zeitgenössisch aktuellen Fall, der erst wenige Monate vor der Erstausstrahlung die hessische Landeshauptstadt Wiesbaden erschüttert hatte: dem Fall Timo Rinnelt. Um die während der 174 Ein Motiv aus der Oper »Peer Gynt« von Edvard Grieg.

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Dreharbeiten noch andauernde Ermittlungsarbeit nicht zu gefährden, verfremdete Roland den Fall. 175 Der Rinnelt-Täter war zu diesem Zeitpunkt noch immer flüchtig und konnte erst 1967 – drei Jahre nach Ausstrahlung der Stahlnetz-Folge – gefasst werden. Im Vergleich zum wahren Täter, aber auch im Vergleich zu den Tätern der beiden vorher genannten Kinofilme und der Blaulicht-Folge begeht der Stahlnetz-Täter Funke seine Taten nicht aus einer zwanghaft neurotisch Störung heraus. Er tötet aus Habgier, um sich mit seiner zukünftigen Ehefrau ein komfortables Leben einzurichten. Funkes Motive werden allerdings nur langsam herausgearbeitet; zunächst legt die Inszenierung sogar Parallelen zur Darstellung eines Triebtäters nahe. Im Vergleich zu allen anderen Filmen wird dem Täter viel Raum gegeben, die Tat vorzubereiten. So kann der Zuschauer in der Folge »Rehe« genau beobachten, mit welcher Ruhe er die Entführung eines Kindes vorbereitet, indem er Straßen abläuft, ein Fahrrad stiehlt und verschiedene Jungen anspricht. Dass er sein Opfer dann zufällig wählt, verstärkt die Vorzugslesart eines Triebtäters – immerhin konnte er auf diese Weise nicht sicher sein, dass die geplante Erpressung Erfolg verspricht. Der Moment, als Funke sein Opfer anspricht und sich dessen Vertrauen erschleicht, unterscheidet sich bei Roland ebenfalls von den erwähnten Kinofilm-Inszenierungen und enthüllt gleichzeitig die Perfidie und Grausamkeit des Verbrechens. Im Gegensatz zu dem bedrohlich auftreten schwarz gekleideten Beckert (»M«) oder dem massigen Schrott (»Es geschah am hellichten Tag«) tritt Funke – ähnlich wie Göttling als Blaulicht-»Kindermörder« – als hellgekleideter »Onkel« auf, der dem kleinen Jungen die Wünsche von den Augen abzulesen scheint. Schnell kann er sein Opfer überzeugen, ihm zu folgen, um gemeinsam Rehe im Wald zu beobachten. Während sich Uwe immer mehr auf den Fremden einlässt, verengen sich gleichzeitig die Bildausschnitte auf Funkes Gesicht. Anfangs spricht Funke in einer halbnahen Einstellung auf den Jungen herab, als Funke ihn vollends überzeugt hat, zeigt die Kamera nur noch die leuchtenden Augen des Täters. 175 Dessen Motivlage stellte sich im Gegensatz zu Rolands Mörder wesentlich komplexer und zugleich als für einen Kriminellen untypischer dar, wie »Der Spiegel« resümierte: »Er half Nachbarsfrauen beim Einkaufen, alberte gern mit Kindern und war, wie eine befreundete Familie empfand, ›immer so hilfsbereit und auch sonst gefällig‹. […] Er, der Medizinersohn aus Wiesbaden, war es nach eigenem Bekunden gewesen, der am 13. Februar 1964 in der hessischen Landeshauptstadt den siebenjährigen Timo Rinnelt umbrachte. Es war kein Fall von Kidnapping, wie die Polizei noch bis zur letzten Woche vermutete: Timo war bereits tot, als ihn seine Eltern vermißten. […] Nach Geld trachtete der verschuldete Wiesbadener erst, als er von den neuen Sprach-Spektrogrammen hörte und Angst vor der eigenen Stimme bekam. Nun wollte er die Rinnelt-Story – anonym – an Illustrierte verkaufen«. In: o. A.: Verbrechen, Timo Rinnelt, Heißer Kaffee, in: Der Spiegel 24 (1967), S. 44. Siehe auch: Ziegler, Gerhard: Der Mörder im Haus, in: Die Zeit, 9. 6. 1967.

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Wenngleich diese Inszenierung einige Parallelen zur filmischen Darstellung der vorher genannten Kindermörder aufweist, bestehen doch erhebliche Unterschiede. Funke tötet lediglich ein Kind, mordet also nicht in Serie. Die Täter-Figur wirkt zudem weit weniger bedrohlich als der Kindermörder im Blaulicht. Dessen Statur ist groß, massig und – zumindest am Ende – dunkel. Funke hingegen ist eher schmächtig; er trägt eine helle Lederjacke und Hose und hat damit wenig von dem »bösen, schwarzen Mann« (Abb. 43). Dass nicht alle Kinder sich von dieser Fassade täuschen lassen, beweist ein kurz zuvor angesprochener, älterer Junge. Er weigert sich, mit Funke in den Wald zu gehen, um dort Fußball zu spielen, denn er darf nicht mit »Fremden mitgehen«.176 Diese wenigen Sekunden sind allerdings der einzige pädagogische Einwand. Weder der Kommissar noch eine weitere Figur gehen darauf ein, dass es eben nicht der schwarze Mann sein muss, der Kinder anspricht, sondern dass es jeder Fremde sein kann. Ein weiterer Unterschied zu den vorhergehenden Inszenierungen ist das Geschlecht des Opfers. Während es zuvor ausschließlich Mädchen waren, die Männern zum Opfer fielen, wird hier ein Junge getötet. Ob Roland damit ebenso ein Zeichen setzen wollte, dass eben nicht nur Mädchen schutzbedürftig sind, sondern auch Jungen, bleibt aufgrund fehlender Quellen offen; denkbar ist es. Fahrerflucht mit Todesfolge Verkehrskriminalität war, gemessen an den steigenden Unfallzahlen in den Polizeistatistiken der Bundesrepublik und der DDR, ein ernst zu nehmendes Problem, dem mit Aufklärungskampagnen begegnet wurde. Im Stahlnetz findet sich diese Thematik, anders als in Blaulicht, allerdings nicht; wohl auch, weil die Inszenierung eines Unfalls weniger Spannung versprach als ein raffiniert ausgeklügelter Mord. HansJoachim Hildebrandt177 und Manfred Mosblech178 griffen diese Problematik dennoch auf, jedoch nicht (nur) vor dem Hintergrund der Verkehrserziehung. In der Folge »Splitter« ereignet sich 1960 ein Autounfall mit Fahrerflucht, in dessen Folge das Verkehrsopfer seinen Verletzungen erliegt. Der eigentliche Unfallhergang wird jedoch nicht gezeigt und auch im Verlauf dieser Folge nur auf verbaler Ebene rekonstruiert. Sehr viel mehr Energie wird darauf verwendet, den Täter zu finden, denn dieser ist nicht nur flüchtig, sondern hat den Toten in ein Taxi gesetzt und ihn als vermeintlich Betrunkenen in einen Berliner Vorort fahren lassen. Der eigentliche Täter, zunächst nur dem Zuschauer bekannt, gibt sich in seiner Art lässig-arrogant, großmännisch und herablassend. Die Figurenzeichnung legt gleichsam Kontakte in den Westen Deutschlands nahe. Er zeigt keine Reue an der Tat und 176 Stahlnetz, »Rehe«, 0:04:37–0:04:39. 177 Blaulicht, »Splitter«. 178 Blaulicht, »Nachtstreife«.

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ist vielmehr besorgt, ins Gefängnis zu kommen und die Fahrerlaubnis zu verlieren.179 Trotz überzogener Zeichnung des Täters ist die Tat für den Zuschauer generalisierbar. Schließlich sind auch DDR-Bürger nicht davor gefeit, in angetrunkenem Zustand in ein Auto zu steigen und einen Unfall zu verursachen. Zudem betont die Folge in selbstverständlicher Weise die Überlegenheit der Deutschen Volkpolizei bei der Aufklärung von Verbrechen auch im Bereich der voranschreitenden Verkehrskriminalität. Während die Tat in der Folge »Splitter« nicht gezeigt wird und auch der Täter nur wenig in Erscheinung tritt, vollzieht Mosblech sieben Jahre später minutiös einen Autounfall nach. »Nachtstreife« (1967) geht dabei von einem ähnlichen Tatverlauf aus. Ein alkoholisierter Autofahrer – hier ohne Westbezug – fährt mit überhöhter Geschwindigkeit ein Mädchen an, das kurze Zeit später ihren inneren Verletzungen erliegt. Hier steht jedoch nicht nur die Tat, sondern auch der Täter im Vordergrund der Folge.180 Vom ersten Moment an, als das Ehepaar Döppke im Wagen sitzend gezeigt wird, fallen vorwiegend nahe, schräge Einstellungen auf. Der Ehemann hat seiner Frau das Steuer überlassen, weil er betrunken ist. Klischeehaft echauffiert er sich in barschem Ton über ihren Fahrstil. Die Position der Kamera ist im Vergleich zu anderen Folgen ungewöhnlich nah am Geschehen, so als hätte der Zuschauer auf der Rückbank des Wagens Platz genommen.181 Um die Haupthandlung zu unterstreichen, setzt mit dem über die Landstraße fahrenden Wagen der Döppkes erstmalig Musik ein. Schnelle Takte begleiten die Fahrt. Ein fast leichtfüßiges KlarinettenMotiv hebt noch einmal den angeheiterten Zustand des Ehemannes hervor. In seinem Übermut überredet er seine Frau, ihm das Steuer zu überlassen. Mit dem Fahrerwechsel verändert sich die Musik, sie verliert ihre Leichtigkeit und erhält durch tiefe, staccatoartige Bässe einen bedrohlichen Charakter. Sie greift damit dem 179 Der Taxifahrer des Toten, gegen den aufgrund eines Anfangsverdachts ermittelt wird, steht dem Täter antagonistisch gegenüber: Als ehemaliger Arbeiter hat er einen starken Gerechtigkeitssinn und tritt bodenständig auf. Er folgt damit dem positiven Bild des Arbeiters im Sozialismus, der nicht unbedingt in einer Werkshalle gezeigt werden muss, sondern sich überall durch sein moralisches Verhalten auszeichnet. Er steht damit im krassen Gegensatz zur »Künstlerpersönlichkeit« des Täters. Um die Vorbildwirkung des Taxifahrers zu unterstreichen, wird ihm mehr Raum gegeben als dem eigentlichen Täter, dessen Verhaftung noch nicht einmal gezeigt wird. 180 Inspiration könnte Mosblech von der bereits sechs Jahre zurückliegenden StahlnetzFolge »In der Nacht zum Dienstag …« erhalten haben. Auch hier befindet sich die Kriminalpolizei im nächtlichen Einsatz, um Straftaten schneller aufklären zu können. Um die Spannung zu erhöhen und die Folge möglichst abwechslungsreich zu gestalten, werden viele kleine Delikte parallel erzählt. Der Schwerpunkt liegt allerdings auf der eingängigen Schilderung des Verkehrsunfalls. 181 Blaulicht, »Nachtstreife«, 0:05:49–0:5:57.

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Unfall (für einen Moment) voraus. Als Döppke erneut die Geschwindigkeit erhöht, gewinnt die Musik ihre spielerische Leichtigkeit wieder, wenngleich sie wiederholt durch tiefe, unharmonische Töne unterbrochen wird. Sich dem Unfall nähernd, steigern sich Tempo und Misstöne dieses Motivs. Die Kamera wechselt nun häufig zwischen dem Ehepaar hin und her. Diese Sprünge symbolisieren die Nervosität der Frau, die fürchtet, vielleicht auch ahnt, dass der rasante Fahrstil des Mannes kein gutes Ende nehmen wird. Er wirft ihr hingegen Ängstlichkeit vor. Seine Arroganz wird auf visueller Ebene durch schräge Untersichten verstärkt und zugleich karikiert. Den Unfall, mit einer Großaufnahme der vor Schreck aufgerissenen Augen des Opfers bebildert, nimmt der alkoholisierte Döppke zunächst nicht wahr und fährt weiter. Durch die Bedenken seiner Frau lenkt er ein und fährt zurück. Am Unfallort finden sie eine schwer verletzte und besinnungslose junge Frau, die sie kurzerhand ins Auto setzen, um Döppkes Vater, Chefarzt eines Krankenhauses, aufzusuchen. Um seine Tat zu vertuschen, bringt er die Verletzte nach einer kurzen Untersuchung entgegen dem Auftrag seines Vaters nicht in ein Krankenhaus, sondern in ihre elterliche Wohnung. Döppkes Fahrt wird dabei von dem bereits erwähnten musikalischen Motiv begleitet. Es übernimmt die Rolle eines Seismographen, der bei jeder Folgetat, die dazu dient, die Haupttat zu kaschieren, ausschlägt – so auch, als Döppke auf einem Parkplatz den Scheinwerfer eines fremden Wagens abmontiert, um den beim Unfall zerstörten Scheinwerfer seines Autos zu ersetzen.182 Da die Umstände der Tat für den Zuschauer transparent sind und nicht aufgeklärt werden müssen, kann die Täterfigur in den Fokus rücken. Dabei erhält der Zuschauer vor allem Einsicht in die familiäre Situation des Täters. Hier ergeben sich verschiedene Konstellationen: Während die Mutter emotional Partei für ihren Sohn ergreift, erfasst der dominante Vater sofort die Schuld des Sohnes. Döppkes Frau, die ihrem Mann wenig entgegensetzt, wird von ihm instrumentalisiert. Sie soll sich an seiner statt der Polizei stellen, die Schuld auf sich nehmen, um von ihm als Täter abzulenken. Doch sie befindet sich offensichtlich in einem moralischen Dilemma, denn sie hatte in einer vorangegangenen Szene bereits anonym die Polizei über den Unfall informiert und so die Ermittlungen auf die Familie gelenkt. Döppkes Vater übernimmt im Verlauf der Folge immer mehr die Rolle des moralischen Gewissens, indem er seinen Sohn auffordert, die Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen.183 Als Mutter und Sohn nicht darauf reagieren und weiter abwiegeln, spricht der Vater die Vergehen des Sohnes erstmals laut und vehement an beide appellierend aus; der Zuschauer sieht dabei den massigen Kopf des Vaters in einer großen Einstellung: »Klaus hat sich strafbar gemacht: Trunkenheit am

182 Ebd., 0:19:58–0:20:24. 183 Ebd., 0:22:33–0:22:43.

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Steuer, Körperverletzung, Fahrerflucht, dafür muss er einstehen! Ein Scheißkerl wäre er wohl, der sich so durchs Leben schmuggelt«.184 Die immer wieder durch andere Szenen unterbrochenen Diskussionen finden im großzügig ausgestatteten Privathaus des Chefarztes statt. Auch der Sohn hat es in eine respektable Stellung als Ingenieur gebracht. Dies ist für die Beurteilung des Täters sowie für die Art der Inszenierung relevant: Erstmals in der Geschichte der Reihe Blaulicht entstammt der Täter nicht der weitläufigen Arbeiterschicht, sondern der akademisch gebildeten Schicht, der so genannten Intelligenz.185 Die von der DDR-Staatspropaganda seinerzeit immer wieder geschürten Ressentiments gegen ein mögliches Verharren der Intelligenz im Bürgerlichen186 werden durch die Überheblichkeit des Täters und den Standesdünkel der Mutter unterstrichen. Einzig der Vater erkennt und benennt die moralische und juristische Verfehlung des Sohnes klar und verlangt daher eine Ahndung des Vergehens.187 Doch der Vater kann den Sohn nicht überzeugen. Dass das Mädchen zum Zeitpunkt der Befragung durch die Polizei bereits tot ist, weiß er nicht. Entsprechend jovial und selbstgewiss tritt der junge Döppke auch gegenüber Kommissar Werni184 Ebd., 0:30:20–0:30:26. 185 Vgl. hierzu Ausführungen in Abschnitt 3.1 »Alter, Herkunft, Vergangenheit«. 186 1948 schätzte der Parteivorstand der SED, dass das Gros der Intelligenz die bürgerlichen Wertetraditionen nicht ablegen wolle und dem Sozialismus reserviert gegenüberstehe (nach: G. Herzberg: Anpassung und Aufbegehren, S. 26). Folglich setzte sich das Misstrauen der SED-Führung gegenüber der Intelligenz Anfang der 1950er Jahre fort (siehe Budde, Gunilla-Friederike: Frauen der Intelligenz. Akademikerinnen in der DDR 1945 bis 1975, Göttingen 2003, S. 32). Aufgrund eines akuten Fachkräftemangels mussten ihr, ob noch im Nationalsozialismus ausgebildet (»alt«) oder in der DDR (»neu«), im Laufe der 1950er Jahre Zugeständnisse gemacht werden. Die Privilegien bewegten sich in einem finanziellen, aber auch ideellen Bereich durch Auszeichnungen, Ehrentitel und Preise. Trotz der Bindung an den DDR-Staat bleibt zu konstatieren, dass Berufe, die einen Hochschulabschluss voraussetzten, einen gewissen bürgerlichen Habitus beibehielten. So deutet es zumindest der Historiker Christoph Kleßmann an. Siehe Kleßmann, Christoph: Relikte des Bildungsbürgertums in der DDR, in: H. Kaelble/J. Kocka/H. Zwahr (Hg.): Sozialgeschichte der DDR, Stuttgart 1994, S. 254–270. 187 Eine Rezension in »Neue Zeit« unterstreicht die ablehnende Haltung gegenüber dem Sohn; Gleichzeitig wird die Verkehrskriminalität nicht allein auf die Intelligenz reduziert, sondern verallgemeinert. »In diesem seit langer Zeit erregendsten und aussagestärksten Fernsehspiel der ›Blaulicht‹-Reihe wurde nicht nur ein schwerwiegendes Verkehrsdelikt behandelt, es wurden zugleich überzeugend menschliche Schwächen aufgedeckt, gegen die sicher auch weniger labile Menschen als der verzogene Sohn des Chefarztes im entscheidenden Augenblick kämpfen, um wenigstens den Mut aufzubringen, sich zu ihrer Tat zu bekennen und Hilfe zu leisten, damit Schlimmeres verhindert werden kann«. In: Skulksi, Gudrun: Fahrerflucht mit bösen Folgen, in: Neue Zeit, 7. 12. 1967.

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cke auf, der diesen bei seinen Eltern ausfindig gemacht hat. Als Wernickes Fragen ins Leere laufen, betont er die Schwere der Tat aus Sicht des Gesetzgebers: Wernicke: Ein Verkehrsunfall ist eine Straftat wie jede andere auch, Herr Döppke. Döppke: Jaja natürlich, für Sie schon. Aber für einen normalen Bürger ist ein Verkehrsunfall ja nichts Kriminelles. Wernicke: Für den Normalbürger sind Verkehrsunfälle weitaus gefährlicher als kriminelle Delikte. Mord und Totschlag fordern bei uns allenfalls im Jahr ein paar dutzend Opfer, Verkehrsunfälle einige tausend. […]. Wer betrunken mit dem Wagen durch die Straßen einer Großstadt rast, ist genauso gefährlich wie ein Verbrecher, der mit offenem Messer auf die Menschen losgeht.188

Als Döppke sich am Ende der Folge damit herausredet, dass seine Person für den Betrieb und damit die ganze Wirtschaft wichtig sei und er sich deshalb erst jetzt stelle, verliert Wernicke endgültig die Fassung. In Rage schreit er Döppke an, dass Verkehrsunfälle nicht als Bagatelle zu behandeln seien und unterstreicht seine Wut mit einem Schlag auf den Tisch. Wernickes Wut, die in der Kriminalreihe nur selten zum Vorschein kommt, hebt die allgemeine Bedeutung dieses Falles deutlich hervor. Wenngleich der Täter allein durch seine Überheblichkeit den Unfall und den Tod des Opfers zu verantworten hat, ist sein Verhalten weder auf die »Intelligenz« noch seine gesellschaftliche Stellung begrenzt. Wiesen die bisherigen Betrachtungen zu Mord und Totschlag eine lokal begrenzte Reichweite auf und hatten die Taten stark individualisierten Charakter, nehmen die Folgen zur Verkehrskriminalität erstmalig die gesamte Bevölkerung in den Blick. Die Schlussmoral Wernickes und damit der eindringliche Appel an die Zuschauer sind, dass Trunkenheit am Steuer und ein daraus resultierender Unfall durch überlegtes Handeln vermieden werden kann.

4.3 D IE H ALBWELT – VON DER B ÜRGERLICHKEIT

IN DIE

U NTERWELT

Im Gegensatz zur vermeintlich heilen Scheinwelt, in die schwere Verbrechen – meist Mord, Totschlag und fahrlässige Körperverletzung – unverhofft und mit aller Härte hinein brechen, erscheint der Bereich der Zwischen- oder Halbwelt weniger bedrohlich, wenngleich keineswegs ungefährlich. Auch hier werden Opfer gefordert; dennoch scheint ein Schutz gegen diese Delikte in erster Linie die eigene Aufmerksamkeit zu sein. Die Rede ist hier von Verbrechern, die der normalen Welt noch stark verhaftet zu sein scheinen bzw. diese als Tarnung benutzen. Die Opfer 188 Blaulicht, »Nachtstreife«, 0:55:17–0:55:47.

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sind entsprechend arglos. Ein Beispiel dafür ist das Phänomen des Heiratsschwindels. Weitere Bereiche, die in dieser Zwischenwelt zwischen dem Schein des Normalen und dem Sein der Skrupellosigkeit angesiedelt sind, aber der normalen Bevölkerung zumeist verborgen bleiben, sind Korruption und Unterschlagung. Beide Kategorien sind mit Blick auf ihren geringeren inszenatorischen Wert im Stahlnetz nicht zu finden. Die Blaulicht-Macher nahmen sich derartiger Themen jedoch in vier Folgen an.189 Heiratsschwindler und Trickdiebe Bereits in Folge sechs treibt »Ein gewisser Herr Hügi« sein Unwesen als Heiratsschwindler190 in der DDR und bringt dabei wohlhabende Frauen um ihr Hab und Gut. Drei Monate später betrügt die »Butterhexe« alte Damen um ihr Erspartes und ihre Rente. Beide Täter nutzen die offenen Sektorengrenzen in Berlin für ihre Verbrechen. Nach dem Bau der Berliner Mauer kam das Blaulicht erst 1962 mit der Folge »Bitte um mildernde Umstände« und letztmalig 1964 mit dem »Freizügigkeitsverkehr« auf den Trickdiebstahl zurück. Auffällig ist, dass in dieser Deliktkategorie vor allem männliche Täter auftreten, einzige Ausnahme bildet die »Butterhexe«. Entgegen den bisherigen Darstellungen zur Reihe Blaulicht sind alle in dieser Welt agierenden Täter Bürger der DDR.191 Es sind also nicht, wie oftmals in der Forschungsliteratur dargestellt wird, ausschließlich westdeutsche Kriminelle, die in die DDR kommen. 189 Wie zu zeigen ist, wird der Heiratsschwindler im zeitgenössischen, kriminologischen Diskurs bereits als Berufsverbrecher bezeichnet. Von dieser Einteilung soll jedoch vor dem Hintergrund der Tarnung und Restintegration in die »normale«, »heile« Gesellschaft Abstand genommen werden. 190 Das Phänomen des Heiratsschwindels ist kein ausschließlich ostdeutsches Phänomen. So verweist der vom BKA herausgegebene »Leitfaden für Kriminalbeamte« anhand von Fallschilderungen auf den Tatbestand. Es wird ausgeführt, dass Heiratsschwindel vor allem in Zeiten des Männermangels, wie z. B. nach Ende des Zweiten Weltkriegs, Konjunktur hatte. »Nach Kriegen erfaßt die Angst, keinen Ehepartner mehr zu bekommen, auch jüngere Jahrgänge.« Die Opfer des Heiratsschwindels sind, so das BKA, in aller Regel weiblich, die Täter also männlich. Letztere weisen zumeist »moralische Mängel auf, scheuen körperliche Arbeit und Gewaltanwendung und besitzen nicht selten eine gewisse Intelligenz, ihre Opfer zu täuschen«. Das Täterprofil des Heiratsschwindlers sehe also wie folgt aus: »Gesetztes Alter, vorbestraft, arbeitsscheu, Neigung zur Hochstapelei, Menschenkenntnis, Einfühlungsvermögen, vertrauenswürdiges Aussehen, geschmackvolle Kleidung, gewandtes Auftreten und fließende Rede«. In: B. Niggemeyer/H. Gallus/H.-J. Hoeveler: Kriminologie. Leitfaden für Kriminalbeamte, S. 142–157. 191 Vgl. u. a. A. Guder: Genosse Hauptmann auf Verbrecherjagd.

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Heiratsschwindler und Trickdiebe zeichnen sich in allen Blaulicht-Folgen durch ein unscheinbares Auftreten sowie adrette, ordentliche Kleidung aus. Gerade das äußere Erscheinungsbild ist für diese Deliktkategorie von herausragender Bedeutung, schließlich müssen die Opfer Vertrauen zu den jeweiligen Tätern fassen. Um in Kontakt mit seinen Opfern zu treten, gibt der wegen Betrügereien vorbestrafte Brittigkeit alias Herr Hügi Heiratsannoncen in westdeutschen Illustrierten auf. In seinen Anzeigen gibt er vor, ein Schweizer Großindustrieller auf Brautschau zu sein. Hügi hat es aber nicht auf die Frauen Westberlins abgesehen, sondern auf wohlhabende Damen in der DDR, die ihre Sehnsucht nach dem »Westen« nicht verhehlen – und eben westdeutsche Zeitungen lesen. Obwohl die Kamera den Heiratsschwindler oft in einer nahen Einstellung einfängt, bleibt seine Figur eigentümlich distanziert; er ist für den Zuschauer zunächst genauso schwer zu fassen wie für seine Opfer. Auch die Nachahmung des Schweizer Idioms wirkt in der Rückschau merkwürdig dilettantisch, in der Folge wird dies nicht thematisiert. Er nutzt die Sehnsucht seiner Opfer nach einem liebenden Mann und ihre Leichtgläubigkeit aus, mit ihm, Herrn »Hügi«, und ihrem Ersparten – das sie ihm vorab überweisen, damit es unter Umgehung gesetzlicher Bestimmungen der DDR im Verhältnis eins zu eins in Schweizer Franken umgetauscht werden könne – ein wohlhabendes Leben in der Schweiz zu führen. Um das Bild des gesellschaftsfähigen und integeren Mannes zu brechen und dem Zuschauer die wahre Identität zu enthüllen, tritt zu Beginn der Folge eine von ihm geprellte Zahnärztin auf, die langsam erkennt, dass sie das Opfer eines Betrügers wurde. Eine weitere Szene zeigt Brittigkeit, als er sich betrinkt und mit einer Prostituierten auf deren Zimmer geht. In einer dritten und ihn endgültig entlarvenden Szene durchsucht er die Wohnräume seines letzten Opfers, einer Warnemünder Hotelbesitzerin, nach Wertsachen. In diesem Hotel kann er schließlich von Wernicke und Thomas überführt werden. Die Folge ist mit einer Gesamtdauer von rund 80 Minuten vergleichsweise lang. Die Figurenzeichnung sowie die Bildregie waren hingegen konventionell, und auch die Auflösung und moralische Bewertung des Falls durch die Polizei bleiben abstrakt und sind wenig eingängig für den Zuschauer. Wesentlich eindrücklicher gelingt die Darstellung der weiblichen Trickdiebin in der Folge »Die Butterhexe«. Ihre Beschreibung beginnt im häuslichen Milieu, wo sie mit ihrem 16 Jahre alten, rebellischen und bisweilen respektlosen Sohn streitet, weil er seine Lehrstelle – die vierte in diesem Jahr – gekündigt hat. Offen betont sie ihrem Sohn gegenüber ihre Rechtschaffenheit und fordert ihn auf, sich ein Beispiel an ihr zu nehmen. In erzieherischem Tonfall beschwert sie sich, dass nun die Jugendfürsorge wieder käme und er womöglich in ein Heim müsse. Ihre Aussagen erinnern stark an den Diskurs über deviante, normabweichende Jugendliche in der nur sechs Monate zuvor ausgestrahlten Folge »Kippentütchen«.

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In dieser ersten Szene ist der Zuschauer noch im Unklaren über den wahren »Beruf« von Elisabeth Wendler. Wenige Augenblicke später wird sie jedoch bei einer ihrer Taten von der Kamera begleitet. Wendler gibt vor, Beamtin des Sozialamtes zu sein, erweckt somit den Eindruck von Rechtschaffenheit und wiegt die 75jährige Dame in Sicherheit. Die Unbekümmertheit der Situation wird durch die fast dörfliche Atmosphäre des Schrebergartens am Rande von Westberlin verstärkt.192 Sobald sich eine Gelegenheit bietet, nutzt sie die Arglosigkeit der Rentnerin aus und entwendet das offen herumliegende Portemonnaie, worin sich deren gesamte Monatsrente befindet. Während die Opfer des Herrn Hügi den materiellen Verlust überwiegend mit Fassung tragen, ist der emotionale und finanzielle Schaden für die bestohlenen Rentnerinnen erheblich. Die Täterin scheint davon gänzlich unbeeindruckt zu sein und setzt ihre Taten skrupellos fort. Nur einmal gibt sie zu, dass ihr die bestohlenen Frauen nachts in Alpträumen erscheinen.193 Die sonst glatt inszenierte Elisabeth Wendler wirkt mit einem Mal menschlicher; allerdings rückt diese Szene sie keineswegs in ein positiveres Licht. Vielmehr wird sie hier als schwache Frau inszeniert, die ihren spielsüchtigen Liebhaber aushält und ihn immer wieder beschenkt.194 Auch er ahnt nicht, welchen »Beruf« sie ausübt, weshalb er sie einmal voller Spott fragt, ob sie eine Mörderin oder eine Bankräuberin sei.195 Als sie ihm offenbart, dass sie eine »Verbrecherin und eine Betrügerin«, die »Butterhexe« sei, hat er nur ein müdes Lächeln für sie übrig.196 Ihre Unscheinbarkeit wird somit auch in dieser Situation nicht in Frage gestellt. Im Gegensatz zu anderen Tätern, die auf die Milde der Blaulicht-Ermittler und der Richter hoffen konnten, bleibt diese der »Butterhexe« aufgrund der Schwere der Taten verwehrt. Sie wird, so verliest es der Staatsanwalt in einem Off-Kommentar, zu zehn Jahren Zuchthaus und einer Geldstrafe von 1000 Mark verurteilt.197 Damit ist sie die erste (und einzige) Täterin der Blaulicht-Reihe, die ihre Taten aus kriminellem Kalkül begeht und keine psychische Belastung für sich geltend machen kann. Obwohl die ersten beiden Folgen mit der erfolgreichen Überführung der Täter enden, scheint die Aufklärung von Trickbetrugsfällen für die Polizei nicht einfach. In der Folge »Bitte um mildernde Umstände« agiert das auf Warendiebstähle in

192 Im ersten Teil dieser Folge ist die »Butterhexe« lediglich im Westen Berlins »tätig«; erst als sie dort alle möglichen Stadtteile »abgeschöpft« hat, geht sie in den »demokratischen Sektor« Berlins und agiert damit im Zuständigkeitsbereich von Hauptmann Wernicke. 193 Blaulicht, »Die Butterhexe«, 0:27:30–0:27:35. 194 Ebd., 0:23:49. 195 Ebd., 0:23:14. 196 Ebd., 0:27:15–0:0:27:45. 197 Ebd., 01:06:36–01:06:38.

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Kaufhäusern spezialisierte Trickbetrüger-Pärchen so unauffällig, dass die Ermittlungen der Polizei zunächst ins Leere laufen. Erst eine Gruppe Kinder kann sie mithilfe von selbst erstellten Fotoaufnahmen überführen.198 Letztmalig wird ein Trickdieb in der Folge »Freizügigkeitsverkehr« thematisiert. Der Titel dieser Folge verweist nicht nur scherzhaft auf den Urlaub, den Timm sich an der Mecklenburger Seenplatte gönnt, sondern auch auf die Tat selbst.199 Der Täter, Richard Schulz, tarnt sich als »alte, ehrwürdige Diakonissenschwester«,200 da von ihr keine kriminellen Machenschaften zu erwarten seien, bekundet er. Zudem sei die Hilfsbereitschaft besonders groß. Ein Bezug zur kirchen- bzw. religionskritischen Haltung der DDR-Propaganda liegt hier nahe, lässt sich aber nicht weiter verifizieren.201 Schulz gelingt es jedenfalls, durch diese »Masche« mittels Scheckbetrug einige tausend Mark zu erbeuten. Die Analyse der genannten Blaulicht-Folgen zeigt deutlich, dass bei der Darstellung von Tätern aus der Halbwelt die Schilderung des Vergehens und der dabei angewandten Tricks im Mittelpunkt stehen Die inszenatorische Ergründung der jeweiligen Motivlage oder der Charaktere der Täter spielen hingegen nur eine untergeordnete Rolle. Erklärlich wird eine derartige Inszenierungsstrategie, wenn damit an die Eigenverantwortung der Zuschauer appelliert werden sollte, sich gegen verdeckte und von den Opfern nur schwer zu erkennenden Verbrechen durch Wachsamkeit zu schützen. Das bestätigt die eingangs aufgestellte These, dass die »normale« Bevölkerung vor allem durch Wachsamkeit zur Abwehr von Verbrechen der Halbwelt beitragen kann und muss. Damit erfüllt die Inszenierung solcher Taten in der Reihe Blaulicht gleichsam die vom Ministerium des Innern geforderte Kriminalprävention durch Aufklärung.202 Korruption und Unterschlagung Die ebenfalls nur im Blaulicht verhandelten Delikte Unterschlagung und Korruption wurden erst nach dem Bau der Berliner Mauer und der Schließung der innerdeutschen Grenze aufgenommen. »Das Gitter« wie auch die vier Jahre später gesendete Folge »Ein Mann zuviel« zeigen ausnahmslos Staatsbürger der DDR als

198 Blaulicht, »Bitte um mildernde Umstände«, 1:13:09–1:13:45. 199 Denn der Freizügigkeitsverkehr erlaubte, Geld bei jeder Post oder Sparkasse vom eigenen Konto abzuheben, egal wo man sich in der DDR befand. 200 Blaulicht, »Freizügigkeitsverkehr«, 0:37:07. 201 Zum Verhältnis von Staatsideologie und Kirche in der DDR vgl. u. a.: Pollak, Detlef: Von der Mehrheits- zur Minderheitskirche. Das Schicksal der evangelischen Kirchen, in: Schultz, Helga/Wagener, Hans-Jürgen (Hg.): Die DDR im Rückblick. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur, Berlin 2007, S. 49–79. 202 Ausführlicher in Kapitel fünf.

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Täterinnen und Täter. Im Sinne der Relikte- oder Rudimentetheorie könnte argumentiert werden, dass alle hier vorgeführten Delinquenten weiterhin dem bürgerlich-kapitalistischen Denken verhaftet waren, was für die Taten ursächlich hätte sein können. Interessanterweise deutet die Inszenierung diesen Zusammenhang aber nicht konsequent an. In der Folge »Das Gitter« wird bei der gründlichen Inventur in einem ländlichen Textilkonsum – einem Bekleidungsgeschäft – festgestellt, dass die seit kurzem verschwundene Verkaufsstellenleiterin, Elisabeth Fritsche, sowie ihr Stellvertreter und (heimlicher) Lebensgefährte, Stefan Kessler, über Jahre hinweg insgesamt 140.000 Mark unterschlagen haben. Diese Tat zieht sich wie ein roter Faden durch die Folge, dominiert aber nicht die Handlung, die eine überraschende Wende nimmt und sich letztendlich auf Fritsches Bruder konzentriert.203 Die Haupttäterin tritt in dieser mehr als einstündigen Folge nur kurz auf. In allen Szenen – zu Beginn wie auch am Ende – wirkt sie nervös, sie raucht viel und ist einsilbig. Auch ihr Gesicht ist blass und müde. Da Elisabeth Fritsche nur in wenigen Szenen auftritt, wird sie in ihrer Abwesenheit charakterisiert. Sie sei nicht bei allen beliebt gewesen, lästert eine ihrer Verkäuferinnen. Hinzu kommt ihr Verhältnis zum jüngeren Stefan Kessler, ihrem Stellvertreter, der »weiß Gott, eine jüngere hätte haben können«, wie eine Verkäuferin bereitwillig der Polizei erzählt.204 Als sie am Ende noch einmal kurz vorgeführt wird, tritt sie endgültig als gebrochene Frau auf, die scheu von unten nach oben schaut.205 In Anbetracht der Schwere der Tat (nach dem Geldwert der Zeit und den Maßstäben der DDR beurteilt), verwundert es, dass weder Elisabeth Fritsche noch Stefan Kessler, sondern der Leiter der Betriebsstellenprüfung, Logau, eingehend von Wernicke belehrt wird.206 Im Dienstzimmer des Kommissars soll Logau ihm das Abschlussergebnis der Inventurprüfung mitteilen. Logau druckst jedoch herum und versucht den Kommissar von der Gesamthöhe des Schadens abzulenken. Daraufhin reagiert Wernicke ungehalten und fordert Logau in scharfem Ton auf, ihm die exakte Summe zu nennen. Obwohl Logau vor dem Schreibtisch des Hauptmanns steht 203 Die Unterschlagung steht zunächst gar nicht im Mittelpunkt der Folge. Vielmehr scheint es, als sei ein Mord geschehen, und so konzentrieren sich die polizeilichen Ermittlungen auf das spurlose Verschwinden der Leiche. Erst in der 51. Minute wird dem Zuschauer enthüllt, dass die vermeintlich Ermordete lebt, sich in einer Holzhütte im Wald versteckt hält und mit ihrem Bruder die Flucht über die innerdeutsche Grenze plant. Sichtlich verzweifelt, ändert sie ihren Entschluss; daraufhin versucht ihr Bruder, sie zu töten und dann allein durch ein Kanalsystem zu entfliehen. Hier wird er durch ein Gitter gestoppt und kann von der Grenzpolizei verhaftet werden, die durch Sensoren in den Gittern alarmiert wurde. Vgl. hierzu auch Kapitel acht. 204 Blaulicht, »Das Gitter«, 0:25:25–0:25:30. 205 Ebd., 1:07:50–1:07:54. 206 Ebd., 1:03:16–1:04:52.

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und dieser sitzt, verdeutlicht der Tonfall die Machtposition des Polizisten. Erst als es zu einer Aussprache über die Möglichkeit und Unmöglichkeit einer solchen Unterschlagung kommt, setzt sich Logau. Sein Ton ist zunächst beschwichtigend, herunterspielend. Schließlich hätten Fritsche und Kessler das in sie gesetzte Vertrauen ausgenutzt. Doch für Wernicke ist dies keine Entschuldigung und Grund genug, vor allem Logau in die Pflicht zu nehmen. Er habe seine »Aufsichtspflicht aufs Gröbste verletzt«. Innerhalb weniger Minuten wird der Leiter der Betriebsstellenprüfung für Wernicke zum Hauptschuldigen für das »verschluderte Volkseigentum«. Wernickes Ton ist scharf und hart, und er lässt Logau kaum ausreden. Als er ihm seine »moralische« Verwerfung vorführt, stellt er auch visuell seine Machtposition heraus, indem er aufsteht und sich hinter Logau stellt. Wenngleich andere Stellen über den Leiter richten müssen, verurteilt ihn Wernicke als Staatsvertreter hart. Logau verlässt den Raum ohne ein Gegenwort. Wenn hier nicht ausschließlich die beiden Täter verhaftet, sondern auch Vorgesetzte zur Rechenschaft gezogen werden, so entspricht dies dem ideologischen Konzept der Blaulicht-Reihe sowie der sozialistischen Auffassung einer gesellschaftlichen Mitschuld bzw. einer gesellschaftlichen Verantwortung und einer Vorbildfunktion von leitenden Funktionsträgern für das (Arbeits-)Kollektiv. Dennoch verwundert es aus heutiger Perspektive, dass die Haupttäterin und ihr Komplize von den Polizisten nicht stärker gerügt werden. Dies ist meines Erachtens nur dadurch zu erklären, dass der Bruder von Elisabeth Fritsche ein sehr viel schwerer wiegendes Delikt verübt hat. So will er nicht nur seine eigene Schwester töten, um ungehindert Republikflucht begehen zu können, sondern er hatte nach dem Krieg seine Identität als ehemaliger SS-Angehöriger und Kriegsverbrecher verwischt und sich als der – eigentlich gefallene – Ehemann seiner Schwester ausgegeben. Wenngleich Wernicke als ehemaliger KZ-Häftling seine innere Erregung über die zu Tage tretenden Kriegsverbrechen207 kaum verbergen kann, wird diese unerwartete Wendung nicht durch antifaschistische Propaganda überfrachtet. Im Gegenteil, sie fehlt sogar gänzlich. Auch das weitere Schicksal des SS-Täters Fritsche bleibt offen. Ein zweiter Fall von Unterschlagung wird erst vier Jahre später in der Folge »Ein Mann zuviel« (1966) verhandelt. Wieder bildet sie nicht das Hauptthema der Folge, wird aber im Verlauf der Handlung bedeutsam und offenbart die moralische Verwerflichkeit der so genannten Führungskader. Die Vorsitzenden zweier PGHs (Produktionsgenossenschaften des Handwerks), Lindemann und Ziegler, haben sich gegenseitig Aufträge zugespielt. Einer der beiden, Ziegler, hat zudem Baumaterialien aus so genannten Überplanbeständen im Wert von 60.000 Mark unterschlagen und damit auf Kosten der PGH sein Wochenendhaus gebaut.208 Im Vergleich zu 207 Fritsche war als SS-Scharführer bis Kriegsende Krankenpfleger im KZ Neuengamme. 208 Blaulicht, »Ein Mann zuviel«, 1:18:25–1:19:56.

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früheren und späteren Blaulicht-Folgen fällt auf, dass die Korruption zwar aufgedeckt, die Täter jedoch keine Stellung zu ihrer moralischen Schuld nehmen müssen. Hatten die Blaulicht-Macher Angst davor, gesellschaftlich Höhergestellte öffentlich zu verurteilen? Aus den Produktionsunterlagen lässt sich diese Frage nicht beantworten. Generell unterlag die Thematisierung von Kriminalität durch Leitungskader und Parteifunktionäre in den Massenmedien einem strikten Tabu.209 Und so wird lediglich der Hauptbuchhalter, ein gebrochener, alkoholkranker Mann, der rasch seine Beteiligung gesteht und sowohl Lindemann als auch seinen Chef Ziegler schwer belastet, von Oberleutnant Thomas befragt. Da eine pädagogische Belehrung des Buchhalters ausbleibt, wird der Blick der Zuschauer erwartungsvoll auf die beiden Haupttäter gelenkt. Ziegler verfügt als Vorsitzender der PGH über gute Verbindungen in die oberen Kader- und Entscheidungsebenen des Regimes. Seine Tätigkeit als Vorsitzender scheint so lukrativ zu sein, dass er sich einen Pkw der sowjetischen Marke Wolga sowie ein Ferienhaus an der Ostseeküste leisten kann. Auch seine Frau, die für den Zuschauer erstmals auf einer betrieblichen Feier in Erscheinung tritt, versteckt die angehäuften Besitztümern nicht und trägt im Vergleich zu den anderen anwesenden Frauen ein langes Abendkleid, eine aufwendige, juwelenbesetzte Halskette, einen Pelzmantel und eine Nerzstola. Ziegler selbst trägt eine pelzgefütterte Jacke. Wenngleich der Reichtum der Zieglers von den Angestellten und den Ermittlern kaum thematisiert wird, scheint er weder in das Bild der gezeigten Gesellschaft noch zu deren Ideal zu passen. Vielmehr ruft der nach außen getragene Reichtum Neid hervor, wie eine Sekretärin feststellt. Gleiches gilt für die Figur Lindemanns. Auch er hebt sich mittels seiner Kleidung von anderen männlichen Figuren dieser Folge ab. Er trägt einen hellen Mantel, einen feinen Tuchschal und eine französische Baskenmütze. Im Unterschied zur massigen Figur Zieglers wirkte Lindemann zwar schmächtig, tritt aber dennoch als gleichwertiger Partner und Täter auf. Nur Lindemanns Schwäche für kleine Affären unterscheidet die beiden. Obwohl beide durch Veruntreuung von staatlichen Geldern bzw. »Volkseigentum« reich geworden sind, wird das in der DDR so scharf verurteilte Verbrechen von keiner Figur kommentiert. Kritik an der Tat wird lediglich über eine negative Figurenzeichnung erreicht. Ob der durchschnittliche Fernsehzuschauer diese Art der Missbilligung beim ersten Sehen der Folge tatsächlich für sich übersetzen konnte, bleibt zu bezweifeln. Gleichzeitig verwundert eine solche inhaltliche Ausrichtung nur sechs Monate nach dem 11. Plenum 1965, auf dem viele regimekritische Werke verboten wurden. Dass Otto Holub den Gegenstand der Korruption wählte, um einfach nur zu unterhalten, scheint unter Berücksichtigung der scharfen Zensurmaßnahmen unglaubwürdig. Ob diese Folge nur möglich wurde, weil sich das MdI zu dieser Zeit verstärkt auf andere Fernsehsendungen konzentrierte, weil das 209 Siehe D. Germer: Von Genossen und Gangstern.

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Blaulicht als »sicherer ideologischer Hafen« galt, ist aufgrund fehlender Quellen nicht nachzuweisen. Fest steht allerdings, dass »Ein Mann zuviel« das letzte von Holub gestaltete Blaulicht war. Vergleicht man beide hier vorgestellten Folgen noch einmal, fällt auf, dass Regisseur Holub sich sowohl in seiner ersten als auch in seiner letzten BlaulichtFolge mit dem Thema Korruption und Unterschlagung auseinandersetzte. Er brachte, wie bereits in Kapitel drei beschrieben, seine ganz eigene Handschrift in die Gestaltung der Fälle ein. Dazu zählte unter anderen, dass der ohnehin nur leise pädagogische Unterton gegenüber dem Zuschauer noch weiter in den Hintergrund trat. Beflügelt durch die unverändert große Attraktivität des Blaulicht bei den Zuschauern war es daher vielleicht möglich, auch die Korruption der höheren Leitungskader in den Blick zu nehmen.

4.4 D IE U NTERWELT –

DAS

B ERUFSVERBRECHERTUM

Eine Sphäre, die von den bisher vorgestellten (auch im zeitgenössisch kriminologischen Sinne) abzugrenzen ist, ist die der Unterwelt, des so genannten Berufsverbrechertums. Ohne die zeitgenössische Debatte in ihrer Breite zu diskutieren,210 sind hier unter dieser recht strittigen, aber doch griffigen Formulierung jene Täter subsumiert, die keiner regulären Arbeit nachgingen, sondern ihr Einkommen durch Diebstahl, Raub und Hehlerei »verdienten«. Entgegen den Kriminellen der Halbwelt, deren »Tätigkeitsfeld« noch einen eng begrenzten Rahmen aufweist, agieren die Kriminellen der Unterwelt umfassender. Ihnen kann prinzipiell jeder Bürger zum Opfer fallen. De facto sind die Angehörigen der Unterwelt zumeist unter sich und vor allem an pekuniären Aspekten interessiert. Sexueller Missbrauch und bandenmäßige Kuppelei Eine Folge, die in ihrer inhaltlichen Gestaltung wie auch in ihrer Aussage separat von den anderen Unterwelt-Folgen analysiert werden soll, ist die 15. StahlnetzFolge »In jeder Stadt …« aus dem Frühjahr 1962. Bereits der Titel verweist auf eine gewisse Allgemeingültigkeit des Inhalts und soll einen größtmöglichen Zuschauerkreis ansprechen.211 Denn das Thema ist brisant: sexueller Missbrauch an minderjährigen Mädchen und bandenmäßige Kuppelei. Um den Zuschauer auf die 210 Zur zeitgenössisch recht intensiv geführten Diskussion um Berufs- und Gewohnheitsverbrecher siehe u. a.: W. Goedecke: Berufs- und Gewohnheitsverbrecher. 211 Da Fernsehgeräte zunächst vor allem in den Städten hohen Absatz fanden, erhält der Titel ein noch stärkeres Gewicht.

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Tragweite des Verbrechens hinzuweisen, wird dieser in unüblichem Duktus direkt angesprochen: »Was hier am Beispiel Hamburgs berichtet wird, passiert täglich in jeder Stadt. Auch in Ihrer!«.212 Diese Verallgemeinerung enthebt das Verbrechen und seine Darstellung erstmals dem lokal begrenzten Raum, der in allen anderen Folgen vorgegeben ist. Wenn es sich in jeder Stadt abspielen kann, wie OffKommentar sowie leitender Kommissar betonen, könne prinzipiell auch jede Person vor dem Fernsehbildschirm Opfer des in der Folge thematisierten Verbrechens werden. Ein Krimi spielt zwar genrebedingt gemeinhin immer mit der Angst vor der Viktimisierung des Lesers oder Zuschauers, dennoch lässt ihn die schnelle Aufklärung des Falles diese Gefahr rasch vergessen. In dieser 15. Folge der Reihe Stahlnetz wird der Fernsehzuschauer allerdings gezwungen, sich das Verbrechen in der eigenen Stadt, vielleicht sogar an den eigenen Kindern vorzustellen. Vollzogen wird der sexuelle Missbrauch sowie die bandenmäßige Kuppelei von einem Geflecht verschiedener männlicher Täter: erstens der vorgebliche Filmproduzent Schaffner, der Mädchen per Zeitungsannonce in sein »Filmstudio« lockt, um sie unter Einfluss von Alkohol »zu vernaschen«, wie es sein Laufbursche mit süffisantem Lächeln umschreibt (letztlich werden sie vergewaltigt);213 zweitens der Fotograf Dibritzky, der junge, zumeist minderjährige Mädchen auf der Straße, in Lokalen oder Musikläden anspricht und sie in sein Atelier zu Probeaufnahmen einlädt; drittens der Frauenarzt Dr. Bertram, der illegale Abtreibungen an Missbrauchsopfern vornimmt, um die Vergewaltigungen zu verschleiern. Während eines nächtlichen Eingriffs stirbt ein Mädchen, deren Leiche im Hamburger Hafen »entsorgt« wird. Um diese drei Täter herum spinnt sich ein Netz aus Herren der »besseren Gesellschaft«, denen die Mädchen vermittelt werden. Alle drei Täter, die stellvertretend für Tätergruppen stehen, sind sich ihrer Schuld nicht bewusst, wohl auch, weil keines ihrer Opfer Anzeige bei der Polizei erstattet. Der Polizei bleibt daher nur wenig Handlungsspielraum in der Ergreifung der Täter, wie der leitende Kommissar Bade der Leiterin der Weiblichen Kriminalpolizei verdeutlicht: »Wir kennen den da oben [Dibritzky; N. H.] ganz genau. […] Wir können ihm nichts anhaben. […], der weiß ganz genau, dass wir ihm nichts tun können, wenn wir ihn nicht auf frischer Tat ertappen«.214 Im Gegensatz zum »Filmproduzenten« Schaffner ist der Fotograf Dibritzky kein aktiver Täter, sondern nur ein »Mittelsmann«, auch im eigenen Verständnis: »Film und junge Mädchen, die brauchen sich. […] Ohne Leute wie mich würde die Farbe in den Tuben bleiben, die Leinwand würde zu Bettlaken verarbeitet«.215

212 213 214 215

Stahlnetz, »In jeder Stadt …«, 0:00:18–0:00:23. Ebd., 0:46:22–0:46:24. Ebd., 0:30:33–0:32:02. Ebd., 0:48:42–0:48:56.

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Das Auftreten der beiden Täterfiguren unterscheidet sich eklatant voneinander. Dibritzky ist klein und schmal. Fast immer hängt eine Fotokamera um seinen Hals, die ihn einerseits als Künstler zu erkennen gibt. Andererseits ist sie das notwendige Utensil seiner Maskerade, der, wie Roland aufzeigt, viele Mädchen glauben. Die Männer, auf die die Mädchen während der »Orgien«216 in Dibritzkys Wohnung treffen, sind zwischen 50 und 60 Jahren und haben ähnliche sexuelle Vorlieben wie der vermeintliche Filmproduzent. Als Kommissar Bade und seine Kollegen im Verlauf ihrer Ermittlungen Dibritzkys Wohnung aufsuchen, finden sie folgende Szenerie vor: Verschiedene Mädchen knien vor älteren, in Sesseln sitzenden Herren, stehen mit ihnen küssend an einer Wand oder sitzen auf deren Schoß. Als sie von den Polizisten zur Rede gestellt werden, geben die Mädchen an, dass solche Abende wichtig für ihre Karriere seien. Gleichzeitig machen sie deutlich, dass das selbst gewählte Abenteuer helfe, aus der häuslichen Enge zu entfliehen.217 Der dritte Täter, der Abtreibungsarzt Dr. Bertram, tritt erst in der letzten Szene in Erscheinung. Obwohl er ein Mädchen getötet hat und versuchte, das Vergewaltigungsdelikt zu vertuschen, steht er in dieser Folge nur begrenzt im Mittelpunkt der moralischen Verurteilung. Zwar kann er rechtskräftig verurteilt werden, doch exemplifiziert Drehbuchautor Menge an seinem Fall nicht das Problem illegaler Schwangerschaftsabbrüche und die rigide Sexualmoral der 1960er Jahre.218 Es sollen vielmehr die stigmatisiert werden, die die Mädchen in derartige Situationen

216 Ebd., 0:48:42–0:48:56. 217 Ebd., 0:41:41–0:42:46. 218 Eng verbunden mit der Ablehnung vorehelicher Sexualität waren die Tabuthemen Sexualaufklärung und Abtreibung. Vor allem Jugendliche litten unter dem Einfluss der Kirchen, die nicht nur versuchten, »den Gebrauch empfängnisverhütender Mittel zu unterbinden«, sondern ebenso »die Notwendigkeit sexueller Aufklärung, etwa in den Schulen [negierten]« (Glaser, Hermann: Die 50er Jahre. Deutschland zwischen 1950 und 1960, Hamburg 2005, S. 91, sowie E.-M. Silies: Liebe, Lust und Last, S. 52–56). Erst gegen Mitte der 1960er Jahre setzten Diskussionen über Aufklärung, Nacktheit, Sexualität und der Kampf gegen falsche Prüderie ein, die über die USA und Frankreich auch Deutschland erreichten (A. Schildt: Rebellion und Reform, S. 34f.). Diesen liberalen Strömungen stand indessen die gesellschaftliche Ächtung unehelicher Mütter weiterhin gegenüber, die zu einer erheblichen Zahl illegaler Abtreibungen beitrug. »Die geschätzte Zahl der Abtreibungen lag bei einer halben bis mehr als einer Million jährlich. Die Dunkelziffer errechnete sich aus der Potenzierung der bekannt gewordenen Fälle von Abtreibungen (1:100). […] Das bedeutete, dass pro Jahr jede 10. bis 20. Frau einen Schwangerschaftsabbruch hatte« (Delille, Angela/Grohn, Andrea: Blick zurück aufs Glück. Frauenleben und Familienpolitik in den 50er Jahren, Berlin 1985, S. 123). Weitreichende Reformen, wie die Novellierung des § 218 StGB und die Abschaffung des »Kuppeleiparagraphen«, setzten sich erst in den 1970er Jahren durch.

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bringen. Dass aber gerade diese Täter nicht wirksam belangt werden können,219 wovon die Leiterin der WKP und sicherlich viele Zuschauer ausgehen, hinterlässt Unverständnis und Beunruhigung. Die bisher geltende Kriminorm, wonach jeder Täter sicher und dauerhaft verhaftet und bestraft wird, ist hier außer Kraft gesetzt. Die Stuttgarter Zeitung kommentierte die dabei wahrgenommene Lücke zwischen Recht und Gerechtigkeitsempfinden wie folgt: »Nachdenklicher freilich stimmte an diesem Film die immer wieder betonte Tatsache, daß eine gewisse Sorte von dunklen Lebemännern durch das Gesetz kaum zu fassen ist, daß sie entweder straflos ausgehen oder schlimmstenfalls (wegen Kuppelei oder fahrlässiger Tötung) mit ein paar Monaten Gefängnis davonkommen«.220 Doch nicht alle Fernsehkritiken griffen diese Beunruhigung gleichermaßen auf. Ganz allgemein lobte die Wochenzeitung des Deutschen Gewerkschaftsbundes Welt der Arbeit: »Hier war zum ersten Mal der Versuch gelungen, über das Vordergründige einer Kriminalgeschichte ins Gesellschaftskritische und Menschliche, dort, wo es problematisch ist, vorzustoßen«.221 Räuber und Diebe Die Deliktkategorien Raub und Diebstahl nehmen nicht nur in den polizeilichen Kriminalstatistiken breiten Raum ein, sondern auch in beiden Kriminalreihen. Die Vielzahl der Folgen, die Verbrechen dieser Deliktkategorien zum Thema machen, fordert eine Kategorisierung im Sinne von Analyse und Lesbarkeit. Im Folgenden wird daher eine Trennung zwischen den Delikten »Banküberfall« und »schwerer Diebstahl« auf Institutionen und dem »Raubüberfall« auf Individuen unterschieden. Der westdeutsche Bankraub und sein ostdeutsches Pendant Die Inszenierung eines Bankraubs bot dem Regisseur Jürgen Roland wie auch den Zuschauern in vielerlei Hinsicht eine willkommene Abwechslung zum heimtückischen Mord oder Totschlag; denn erst dann bei dieser Deliktkategorie können auf dem Bildschirm westerngleich Pistolen gezückt und wilde Verfolgungsjagden möglich werden. Bereits die zweite Stahlnetz-Folge widmete sich dem Banküberfall auf

219 Eine nachhaltig wirksame Verurteilung der Täter Schaffner und Dibritzky muss Bade verneinen; er sei froh, wenn wenigstens Schaffner einige Wochen im Gefängnis bleibe, aber auch dafür müsse er »noch fleißig sein«. In: Stahlnetz, »In jeder Stadt …«, 1:15:00–1:15:07. 220 Kai: »In jeder Stadt …«, in: Stuttgarter Zeitung, 10. 4. 1962, in: NDR-Pressedokumentation. 221 D. R.: Die kleinen und großen Tele-Unarten, in: Welt der Arbeit, 20. 4. 1962, in: NDR Pressedokumentation.

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eine Kölner Sparkassenfiliale. Dem 1958 ausgestrahlten »Bankraub in Köln«222, folgte bereits ein Jahr später »Treffpunkt Bahnhof Zoo«, im Jahr 1960 »E 605« und mit einigem Abstand 1966 die Folge »Der fünfte Mann«. 1968 griff Roland das Thema letztmalig in der Folge »Ein Toter zuviel« auf. In der DDR stieß das Thema Bankraub offenbar auf kein erweitertes Interesse. Weder in der Kriminalreihe Blaulicht oder in anderen Krimis noch in den Veröffentlichungen der Volkspolizei finden sich Hinweise auf etwaige Fälle. Ein Grund ist wohl in der ideologischen Brandmarkung des Themas als kapitalistisch und westlich zu suchen. Wie im Folgenden zu zeigen ist, verzichtete Günter Prodöhl jedoch nicht ganz auf das im westdeutschen Kriminalfilm beliebte Sujet. Eine inhaltlich und zeitlich mit der Stahlnetz-Folge »E 605« in Bezug stehende Handlung lieferte das Blaulicht mit »Heißes Geld«.223 Eine weitere mit dieser Deliktgruppe vergleichbare Geschichte ist der Überfall auf eine Postfiliale in der Folge »Maskenball«.224 Um das Spannungsfeld zwischen ost- und westdeutscher Inszenierung herauszuarbeiten, sollen die Blaulicht-Folgen chronologisch mit den entsprechenden Folgen des Stahlnetz verglichen werden. Rolands erste Bankraubfolge 1958 beginnt spannungsgeladen, um den Zuschauer sofort in die Handlung einzubeziehen. Dieser wird zunächst verbal durch einen Kriminalkommissar auf die folgende Szene vorbereitet und blickt hiernach in der nächsten Einstellung unvermittelt in den Mündungslauf einer Maschinenpistole.225 Der Bankraub selbst ist innerhalb weniger Fernsehsekunden vorbei, und auch die Suche nach beiden Tätern ist binnen weniger Tage und einer halben Fernsehstunde beendet. Der Haupttäter, Hermann Lippschitz, der die Tat geplant hat, ist über 40 Jahre alt und bereits 24-mal vorbestraft, meist wegen Betrugs und Einbruchs, und erfüllt damit hinreichend die Vorstellungen eines unterweltlichen Berufsverbrechers. Die weiteren Ermittlungen ergeben, dass er überdies regelmäßig seine Ehefrau schlägt. »Eine gefährliche Mischung«, wie der leitende Kommissar dem Zuschauer in seinem Off-Kommentar zu verstehen gibt. In den Vernehmungen gibt sich Lippschitz abgeklärt, er beteuert seine Unschuld, verbunden mit der Beschwerde, dass »nur wer einmal gesessen hat«, immer wieder verdächtigt werde. Er spricht damit ein häufig kolportiertes Stereotyp an, auf das die Polizisten jedoch nicht weiter eingehen. Insgesamt ist seine Erscheinung ungepflegt, er trägt einen Drei-Tage-Bart, ungewaschenes Haar und abgetragene Kleidung. Er und sein Komplize, Egon Kramer, sind Arbeiter. Kramer, der jüngere der beiden, hat mit dem 222 Stahlnetz, »Bankraub in Köln«, 23. 4. 1958. 223 Der Titel spielt auf einen schweren Tresoreinbruch an. Obwohl die Tat auch als schwerer Raub gedeutet werden könnte, soll sie hier als Vergleichsfolge zum westdeutschen Bankraub herangezogen werden. 224 Blaulicht, »Maskenball«, Folge 26, 13. 11. 1966. 225 Stahlnetz, »Bankraub in Köln«, 0:03:10.

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Überfall zum ersten Mal in seinem Leben ein »größeres Ding gedreht«. Obwohl der aus einer dörflichen Gegend im Westerwald stammende Mittäter ebenfalls in abgeklärtem Tonfall spricht, wirkt er unsicherer. Im Gegensatz zu Lippschitz ist er gerade erst durch falsche Freunde in die verbrecherische Unterwelt abgetrieben, Lippschitz ist bereits lange ein Teil davon. Der Inszenierung nach waren die ersten Stahlnetz-Bankräuber noch einem bestimmten, sehr stereotypen Männlichkeitstypus verhaftet. Die nachfolgende Sendung »Treffpunkt Bahnhof Zoo« bricht sodann mit diesem Bild, indem sie ein Täterpaar zeigt, das eine kleine, etwas abseits gelegene Bankfiliale im Berliner Stadtteil Moabit überfällt. Während sie nur den Fluchtwagen fährt und keine Waffe trägt, führt der bereits vorbestrafte Manfred Drechsel, 31 Jahre, den Bankraub selbstsicher durch. Nach der Tat taucht er sofort unter, da er weiß, dass die Polizei schnell nach ihm fahnden wird. Eine Neuerung dieser Folge sind ausgedehnte Monologpassagen des Täters aus dem Off, die dem Zuschauer tiefe Einblicke in seine Persönlichkeit geben. Er darf sich hier erstmals selbst erklären und den Zuschauer an seiner Gedankenwelt teilhaben lassen. Dabei gibt er sich zuversichtlich, weiß aber um das Risiko, das mit seiner Tat verbunden ist: Angst hatte ich nicht, noch nicht. […]. Aber noch hoffte ich mit heilen Knochen aus der Sache rauszukommen. Im Moment standen die Zeitungen voll von dem Ding. Aber bald würde ’was Neues passieren und über meinen Fall Gras wachsen. […]. Dann würde ich endlich Geld haben, ne Menge Geld. […]. Ich weiß nicht wieso, aber hier kriegte ich es plötzlich mit der Angst [am Potsdamer Platz, direkt an der Zonengrenze; N. H.]. Würde es wirklich alles klappen, ich blieb im Westen.226

Seine Komplizin Sabine227 ist ihrem Aussehen nach ebenso unauffällig wie Manfred Drechsel. Sie trägt modische bis elegante Kleidung, lässt ihre Haare nach zeitgenössischem Chic ondulieren und ist etwa Mitte bis Ende dreißig.228 Gegenüber 226 Stahlnetz, »Treffpunkt Bahnhof Zoo«, 0:34:49–0:35:48. Wenig später führt er sein Selbstgespräch fort. Er wiederholt die im Radio ausgestrahlte Täterbeschreibung und fragt sich, auf wie viele Tausend diese wohl zutreffen würde. Trotz seiner guten Tarnung, schafft es Drechsel nicht, seine »Visage« (ebd., 0:14:25) unten zu halten und wird von der Polizei gestellt. 227 Die Freundin, Chefin und Komplizin Drechsels hat keinen Nachnamen. Zwar wird im Krimi häufig auf die Nachnamen von Frauen verzichtet, doch bleibt offen, warum. In gewisser Weise verharmlost das Weglassen des Nachnamens die Mittäterin. Zur Namensvergabe in Kriminalstücken siehe: Eis, Gerhard: Über die Namen im Kriminalroman der Gegenwart, in: Neophilologus. An international journal of modern an medieaval language and literature 49 (1965), S. 307–322. 228 Nach der Tat entledigt sie sich gekonnt ihrer Kleidung und färbt sich die zuvor hellblonden Haare schwarz, da auch sie bei dem Überfall gesehen wurde. Ihre Kleidung ist

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der Polizei tritt sie abgeklärt, fast arrogant auf. Ihr Gesicht ist zumeist ausdruckslos und bis auf eine Zigarette nimmt sie während der Befragungen nichts an.229 Ihr Verhalten gegenüber der Polizei lässt erahnen, dass sie nicht zum ersten Mal Kontakt zu dieser Behörde hat. Ob sie bereits vorbestraft ist, bleibt unklar. Die Unauffälligkeit der Bankräuber setzt sich im nachfolgenden »E 605« fort. Beide Haupttäter sind in dieser Folge normal situiert und gekleidet. Das noch im »Bankraub in Köln« verwendete Klischee des aus der Unterschicht stammenden Bankräubers scheint hier überwunden. Erneut greift Roland in der Inszenierung auf den inneren Monolog zurück. So erklärt einer der Täter, Elling, dem Zuschauer den Plan des Überfalls en détail. Im Verlauf der Folge wird der Off-Monolog zugunsten einer szenischen Schilderung und dem Off-Kommentar des Kommissars immer mehr aufgegeben. Nachdem Elling gemeinsam mit seinem Schwager Karl Siegert einen Geldtransporter überfallen hat, erfährt der Zuschauer nicht nur, wie beide das Leben »danach« planen und versuchen sich vorerst unauffällig zu verhalten, sondern auch, dass dem Duo eigentlich zwei weitere »Ganoven« angehören: der knapp 20-jährige Peter Lieberitz und der soeben aus der Haft entlassene Helmut Faber. Obwohl Elling den Überfall geplant und dem Zuschauer vorgestellt hat, ist Siegert, genannt Charly, der eigentliche Kopf der Bankräuber. Kommentiert wird die Wahl des Namens nicht. Der englische Spitzname erweckt jedoch den Eindruck einer Reminiszenz an die Zeit der Halbstarken, der alle vier Täter mehr oder weniger entwachsen sind. Siegert ist etwa 35 Jahre alt. »Charly« zeichnet sich in erster Linie durch sein brutales und rücksichtsloses Verhalten aus. So bringt er, da der Verdacht des Verrats innerhalb der Gruppe aufgekommen ist, sein Schwager Elling als eines der schwächeren Glieder um und vergräbt die Leiche zusammen mit Faber. Siegerts Vorstrafen werden nicht genannt, sein skrupelloses Vorgehen legt allerdings eine kriminelle Vergangenheit nahe. So zögert er ebenfalls nicht, sich einen heftigen Schusswechsel mit der Polizei zu liefern, als diese auf seine Spur gekommen ist. Um seine Schuld zu vertuschen, tötet er während dieses Gefechts auch seinen Komplizen Faber. Ellings Vorstrafen werden im Gegensatz dazu offen benannt. Er war bereits wegen eines Überfalls (gemeinsam mit Faber) verurteilt worden. Nach Verbüßung der Strafe hatte Elling versucht, sich als ehrlicher »Bürger« in die Gesellschaft zu reintegrieren – zumindest versprach er dies seiner kurz nach der Entlassung aus der Haft geehelichten Frau, der Schwester Siegerts. Dass der gute Wille zum Neuanfang nur kurz währte, wird schnell klar. Die Ehe selbst wird lediglich in wenigen Einstellungen behandelt. Der Umgangston der Eheleute ist nicht ungewöhnlich; nach dem Überfall ebenfalls schwarz. Die Wandlung von einer hellen Gestalt zu einer dunklen kann nicht nur als Tarnung, sondern auch als Inszenierungsmittel gedeutet werden, das auf ihre Schuld hinweist. 229 Stahlnetz, »Treffpunkt Bahnhof Zoo«, 0:41:15–0:41:23.

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Gewalt ist kein Thema in der Beziehung – und dies ist nicht selbstverständlich, wie andere Folgen suggerieren. Aufgrund des Verwandtschaftsverhältnisses zum Kopf der Gruppe steht Elling unter besonderem Einfluss von Karl Siegert. Dieser erteilt sehr klare Befehle und hat Elling wegen dessen Spielsucht in der Hand.230 Faber, der dritte Kriminelle, tritt nur kurz in Erscheinung. Nach Ellings Tod nimmt er dessen Platz ein. Sein Habitus ist mit dem von Siegert vergleichbar. Er tritt in ähnlich brutaler Weise auf, wenngleich sich dieser Eindruck durch seine schmächtige Figur etwas abmildert. Aber auch der Tonfall und die derbe Redensweise ähneln sich.231 Das schwächste und zugleich jüngste Gruppenmitglied ist Lieberitz, dessen Verbindungen zur Gruppe unklar bleiben. Für den Zuschauer wird er zunächst nicht als Bandenmitglied, sondern vielmehr als anonymer Tippgeber der Polizei ansichtig. Obwohl Lieberitz ähnlich wie Egon Kramer erst in die Unterwelt abzudriften droht, schreiten die Kommissare nicht ein. Es folgen keine Belehrungen wie im Blaulicht oder eine Reintegration des Jungverbrechers. Hier liegt einer der wesentlichen Unterschiede der beiden Reihen. Die zunehmende Skrupellosigkeit der gezeigten Täter, ihre Redeautonomie in Off-Monologen und die sich ausdehnende Sendezeit waren mit der Gestaltung im Blaulicht nicht vergleichbar. In der Doppelfolge »Heißes Geld« (1963) widmete sich Otto Holub zwar ausgiebig dem Einbruch in das Lohnbüro des VEB Waggonbau Grohlitz sowie den Ermittlungen der Polizei, aber die Täter selbst treten erst in den letzten Minuten der zweiten Folge in Erscheinung. Erst kurz zuvor ist die Polizei überhaupt auf den Täterkreis aufmerksam geworden: die Lehrlinge des Betriebes. Hier finden sie auch beide Täter, den Anführer Klaus Hilbert und seinen Komplizen Horst Latwich. Beide geben sich nach außen hin vorbildlich und sind sogar in einer Laienspielgruppe des Betriebs aktiv – ganz im Zeichen der 1. Bitterfelder Konferenz von 1959 unter dem Motto »Greif zur Feder, Kumpel«. Hervorzuheben ist, dass die beiden Anfang-20-Jährigen nicht als Rowdys beschrieben werden. Weder Kleidung, Alltagsverhalten noch die Schwere der Tat deuten auf eine derartige Zuordnung hin. Und so werden sie mit Blick auf diese Tat entgegen der gängigen Stereotypen nicht als Rowdys bezeichnet. Auch unterscheidet sich das Täterprofil, zumindest das von Klaus Hilbert, deutlich von dem der Rowdys anderer Folgen. Vergleicht man diese Täter mit denen der vorangegangenen Stahlnetz-Folgen, fallen eklatante Unterschiede auf. Klaus Hilbert ist nicht vorbestraft und Sohn eines Professors, also eines in der DDR durchaus hofierten Intellektuellen, der über sei230 Stahlnetz, »E 605« (1), 0:29:10. 231 Nachdem Faber und Siegert den Komplizen Elling begraben haben, beschwert sich Faber: »Diese Sau, mir noch einen zu verpassen«. In: Stahlnetz, »E 605« (2), 0:06:14– 0:06:17.

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nen Sohne sagt, dass er »doch alles hat, was ein junger Mensch sich nur wünschen kann. […] Was er haben wollte, bekam er doch«.232 Der Vater ist es auch, der ein prägnantes Bild von Klaus Hilbert und dessen innerem Zustand entwirft. Obwohl er technisch begabt sei und mit großem Geschick Modellschiffe bastle, sei er durch die Aufnahmeprüfung an der Technischen Universität gefallen. Er habe daraufhin etwas »Praktisches« lernen müssen und eine Schlosserlehre im Waggonbau begonnen. Hier fühle er sich auf der einen Seite als Professorensohn und durch seinen Intellekt den »Kameraden« gegenüber erhaben, auf der anderen Seite sei sein Selbstbewusstsein gestört.233 Gegenüber Wernicke betont der Professor die gute Erziehung des Sohnes, obwohl seine Frau früh verstorben sei. Die seinem Sohn vorgeworfene Tat kann er kaum begreifen. Als Hauptmann Wernicke ein Foto von Hilbert als Fahndungsfoto mitnehmen will, um es in der Aktuellen Kamera zu veröffentlichen, zögert der Vater für einen Moment. Er scheint um seine Stellung und seinen guten Ruf zu fürchten: »Soll das vielleicht morgen in alle Zeitungen kommen?«. Doch er entscheidet sich, das Bild herauszugeben und erfüllt auf diese Weise die moralischen Erwartungen der (sozialistischen) Gesellschaft. Ähnlich wie in der Folge »Nachtstreife« kommt der häufige Vorwurf an die »DDR-Intelligenz«, der Bürgerlichkeit noch allzu verhaftet zu sein, nur unterschwellig zum Ausdruck. In der Hauptsache ist es eben kein Arbeitersohn, der nach (erbeutetem) Reichtum strebt, sondern der eines Intellektuellen. Einmal eine große Tat begangen, schreckt Hilbert vor weiteren nicht zurück. Er bestiehlt seinen Onkel und bedroht mit der gestohlenen Waffe einen Hotelportier, bevor die Polizei ihn festnimmt. Sein Komplize Latwich war bereits vor dem großen Einbruch kriminell aktiv, wurde jedoch nie verhaftet. Indes waren seine Familienverhältnisse bereits beim örtlichen ABV aktenkundig: Der Vater war wenige Jahre zuvor aus der DDR geflohen, und obwohl die Mutter als zuvorkommend und fleißig beschrieben wird, war sie nach Einschätzung des ABV mit der Erziehung ihres Sohnes überfordert. Latwich sei in der Gegend als Rowdy verschrien.234 In der Charakterisierung dieser Nebenfigur knüpft Holub doch wieder an das gängige Rowdy-Klischee an.235 Ähnlich wie in den anderen von Regisseur Holub gestalteten Blaulicht-Folgen unterlässt die Polizei eine moralische Bewertung der Tat; es gibt keinen pädagogischen Schlusssatz und damit keine »Absolution« durch die Ermittler. Erst sechs Jahre nach dem Fall »E 605« und drei Jahre nach der Blaulicht-Folge »Heißes Geld« wird 1966 erneut eine Stahlnetz-Episode zum Thema Banküberfälle ausgestrahlt. In »Der fünfte Mann« wird erstmals nicht nur ein Überfall inszeniert, sondern eine ganze Überfallserie. Das Stahlnetz wird in dieser Folge inszenatorisch 232 233 234 235

Blaulicht, »Heißes Geld« (II), 0:46:30–0:46:32 und 0:48:57–0:48:59. Ebd., 0:43:21–0:43:43. Ebd., 0:41:25–0:41:56. Siehe dazu ausführlich Abschnitt 5.1.

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weiterentwickelt. Zum einen wird dem Täter, Dieter Hesse, noch mehr Raum gegeben, sich dem Zuschauer »vorzustellen«, zum anderen wird hier erstmalig die Verurteilung eines Verbrechers vorangestellt, um die Schwere seiner Tat herauszuheben. Hier liegt das Zuchthaus des Landes Rheinland-Pfalz. […]. Darunter ein Mann, der am 5. 11. 1963 zu zweimal lebenslangem Zuchthaus und Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf Lebenszeit verurteilt wurde [Stahlnetz-Thema, Credits]. […]. Dieser Mann darf nicht am täglichen allgemeinen Spaziergang der Gefangenen teilnehmen. Dieser Mann betritt den Zuchthaushof nur in einer Einzelfreistunde. Gefesselt und von mehreren bewaffneten Beamten bewacht.236

Der Off-Kommentar begleitet Außen- und Innenaufnahmen des Zuchthauses, der Zellentür und die Originalfotos des Prozesses, die den Richter sowie den verhafteten Täter zeigen. Die Überlagerung von fiktionalem Kommentar und realen Bilder suggeriert eine besonders starke Authentizität der folgenden Handlung.237 Dazu wird dem Täter per Off-Sprecher die Möglichkeit eingeräumt, sich selbst vorzustellen und damit zur filmischen Rekonstruktion des ersten Banküberfalls überzuleiten. Erst als die Mordkommission in Koblenz die Ermittlungen aufnimmt, ändert sich die Erzählperspektive. Veranlassung für ihre Ermittlungen ist ein Tötungsdelikt Hesses. Zu diesem Zeitpunkt hat er bereits vier Komplizen angeheuert, mit denen er größere Bankfilialen ausrauben will. Alle vier Mittäter sind zwischen 1920 und 1930 geboren, also wesentlich älter als Hesse, der Jahrgang 1939 ist. Die Berufe der vier Komplizen variieren stark, und so befindet sich unter ihnen ein Arbeiter, ein Seemann, ein Schriftsteller/Geflügelzüchter/Friseur sowie ein Technischer Zeichner. Hesse hingegen hat nie eine Ausbildung begonnen.238 Alle Festgenommenen gehören ihrem Erscheinungsbild nach einem unterschichtigen Milieu an.

236 Stahlnetz, »Der fünfte Mann«, 0:00:00–0:02:15. 237 Obwohl die Namen der Kriminalfilme üblicherweise geändert wurden, hatte Menge den Zusammenhang zum realen Täter recht offensichtlich gestaltet: Dieter Hesse war der ebenfalls 1939 geborene »Dieter Freese«, der Anfang der 1960er Jahre für Aufsehen sorgte. Zum echten Fall siehe: Hans Günter Wallraff: Jürgen Roland filmt die FreeseStory, in: Hamburger Abendecho, 18. 3. 1966, in: NDR-Pressedokumentation. Den Donau-Kurier veranlasste die Nähe zum echten Fall dazu, in einer Rezension zu fragen, warum bei einer solchen Ähnlichkeit nicht der Originalname beibehalten wurde, und beantwortet selbst: »Wohl um des einmal gefaßten Stahlnetz-Grundsatzes willen«. In: Videns: Stahlnetz, in: Donau-Kurier, 25. 8. 1966, in: NDR-Pressedokumentation. 238 Sein Leben erscheint als gewissermaßen zielstrebige Entwicklung hin zur Unterwelt: Da er schon in der Jugend keinen Elan für rechtschaffene Arbeit verspürte, »verdiente« er sein Geld mit kleinen Einbrüchen. Als die derart erlangte Beute nicht mehr ausreich-

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Auch die Bars, in denen sich die Täter bevorzugt aufhalten, dienen Roland zur Charakterisierung ihrer sozialen Herkunft; so hat Hesse die vier im »Loch«, einer kleinen Spelunke, angesprochen. Bis auf den Arbeiter, den ältesten von allen, sind alle mehrfach vorbestraft: u. a. wegen Diebstahls, Betrugs, Urkundenfälschung, Zuhälterei, Zechprellerei, Körperverletzung und Hehlerei. Obwohl die vier Komplizen älter sind und über eine längere kriminelle »Karriere« verfügen als Hesse, fällt die starke Hierarchie innerhalb der Gruppe auf, deren Zentrum Hesse ist. Sie bewundern ihn für seine vielen Banküberfälle und akzeptieren deshalb seine Position als Anführer. Dass keiner seinen Nachnamen wissen darf, erhöht den Respekt in der Gruppe noch einmal. Welche praktische Überlegung für Hesse dahinter steckt, wird dem Zuschauer deutlich, als die vier Komplizen von der Polizei vernommen werden: Ohne Nachnamen bleibt Hesse ein Phantom. Aufgrund seines Alters unterschätzt die Polizei zunächst Hesses Bedeutung innerhalb der Bande; man hält ihn für einen »Lehrling«, einen »Konfirmanden«, aber nicht für den Kopf – vergleichbar mit der Figur Lieberitz aus der Folge »E 605«. Doch die Polizei kann auch diesen Täter stellen, wenn hierfür auch eine aufwendig inszenierte Verfolgungsjagd nötig ist.239 Die nur wenige Monate später ausgestrahlte Blaulicht-Folge »Maskenball« (1966) zeigt den Überfall auf eine Postfiliale. Obwohl hier keine Bank ausgeraubt wird, kann die Folge als Antwort des DFF auf »Der fünfte Mann« gewertet werden. Allerdings gelingt den Tätern hier kein großer Coup, um die in der Post befindlichen 400.000 Mark zu erbeuten. Im Verwirrspiel um die zunächst maskierten Täter kristallisieren sich vier unterschiedliche Täterfiguren heraus. Drei von ihnen – Daniel Petermann, Erhard Bauschke und Joseph Rudinke – sind Bürger der DDR; hinzu kommt mit Karl Rudinke, dem Bruder von Joseph, ein in Westdeutschland flüchtiger Mörder, der über die Tschechoslowakei in die DDR gelangt ist. Ein Vergleich der vier Delinquenten zeigt die unterschiedlichen (Proto-)Typen bzw. Entwicklungsstufen des (Berufs-)Verbrechertums auf: Erstens Petermann, der sich gegenüber seinem Bekannten Bauschke und den Zellengenossen naiv, fast dümmlich gibt. Während des ersten Verhörs bei der Polite, steigerte er seine kriminellen Taten ohne Skrupel bis hin zu Bankraub und Totschlag. Diese Art der Inszenierung stempelt Hesse nachdrücklich zum Berufsverbrecher. 239 ro.: Gestern am Bildschirm, in: Generalanzeiger (Wuppertal), 24. 8. 1966. Ähnlich äußerte sich der Donau-Kurier: »Vor allem der Hatz durch den Winterwald, die etwas Naturfilmhaftes an sich hatte, wäre eine Kürzung gut bekommen« (Videns: Stahlnetz, in: Donau-Kurier, 25. 8. 1966). Wortgleich zu finden bei: Auf auf, zum fröhlichen Gangsterjagen!, in: epd/Kirche und Fernsehen, 27. 8. 1966. Vgl. auch: egvin: Stahlnetz, in: Kieler Morgenzeitung, 25. 8. 1966. Alle Artikel finden sich in der NDR-Pressedokumentation. Entgegen vielen negativen Presserezensionen belegt die Infratest-Umfrage der Folge das weiterhin ungebrochene Zuschauerinteresse; die Bewertung lag bei einem Indexwert von +6, die Zuschauerbeteiligung bei 77 %.

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zei gibt er sich als unverstandener, sensibler Künstler aus. Die erhoffte Strafmilderung blockt Oberleutnant Thomas jedoch ab.240 Auch Hauptmann Wernicke, der in vielen Folgen den Fürsprecher gestrauchelter junger Erwachsener gibt, bleibt gegenüber Petermann ambivalent: »Aber so benimmt sich doch kein vernünftiger Mensch? [laut] Na, ich weiß nicht, was man mit Ihnen noch anfangen soll. Na, mag sich doch das Gericht den Kopf darüber zerbrechen [normaler Tonfall].«241 Petermann erhält keine Gelegenheit zum Widerspruch. Lediglich sein gesenkter Kopf ist in einer Rückansicht zu sehen. Zwar bleibt sein Schicksal offen, doch lässt seine Reue die (Wieder-)Eingliederung ins Kollektiv erahnen. Zweitens Petermanns Arbeitskollege Erhard Bauschke ist als Krimineller bereits länger »im Geschäft«. Seine familiären Verhältnisse scheinen chaotisch; er betrügt seine Ehefrau und hegt Scheidungsabsichten. Neben seinen zwei ehelichen Kindern kann er noch drei weitere, unehelich gezeugte Nachkommen vorweisen. Charakterlich wird Bauschke als jähzornig beschrieben, er neigt zur Gewalt und versteht es, sein Gegenüber einzuschüchtern. Dennoch versucht seine Ehefrau ihn wieder auf den rechten Weg zurückzubringen. Damit begründet sie zumindest die Entscheidung, ihn gegenüber der Polizei zu verraten: »Sie denken jetzt, dass ich mich nur an ihm rächen will. […] Aber ich kann nicht mehr still sein. Wenn er nicht endlich zur Besinnung gebracht wird [weint]. Ich kann ihn doch nicht zum Verbrecher werden lassen. Das muss doch einen Weg geben«.242 Ob Bauschke tatsächlich »zu retten« ist, bleibt offen. Eine Wiedereingliederung scheint jedoch unwahrscheinlicher als im Falle Petermanns. Mit einem wesentlich längeren Vorstrafenregister als Petermann und Bauschke tritt drittens der ältere Joseph Rudinke auf. Er hat mehrere »Einsteigdiebstähle« (Einbruchsdelikte) begangen, weswegen er sich in Haft befindet. Er ist ein grobschlächtiger, zur Gewalt neigender Typ, der sich einen Spaß daraus macht, den

240 Petermann: »Ich bin ein durch und durch sensitiver Mensch, schöpferisch möchte ich arbeiten, nicht mechanisch. Die Musik ist mein Gebiet und komponieren möchte ich« – Thomas: »Aha, haben Sie sich denn schon um eine entsprechende Ausbildung bemüht? Können Sie überhaupt Noten schreiben? Spielen Sie ein Instrument?« (Blaulicht, »Maskenball«, 0:13:10–0:14:22). Die Bildausschnitte werden von Frage zu Frage enger und fokussierter auf Petermann. Das Gespräch wird um einige Sätze fortgesetzt, bis Petermann zu der Feststellung kommt: »Ich bin Einzelgänger, ich kann mich nicht in so organisierte Gemeinschaften einordnen« (Blaulicht, »Maskenball«, 0:14:05–0:15:13). Damit zielte Petermann zwar auf etwaige Laien-Musik-Zirkel ab, es könnte aber auch als generelle Absage an das sozialistische Kollektiv verstanden werden. Er steht also nach eigener Aussage außerhalb der Gesellschaft und lässt daher sich zu kleineren Straftaten überreden – könnte ergänzt werden. 241 Ebd., 1:20:43–1:20:54. 242 Ebd., 1:02:03–1:02:26.

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jüngeren Petermann in das Gefängnisleben »einzuführen«. Seine Stimme ist hart, seine Sprache vulgär. Kaum greifbar ist viertens Karl Rudinke. Sein Wesen kann einzig über die Dialogebene erschlossen werden. Er ist ohne Zweifel schwer kriminell, denn im Gegensatz zu seinem Bruder Joseph hat er bereits einfachen und schweren Diebstahl, versuchten Bankraub und einen Mord begangen, weshalb er vor den Strafverfolgungsbehörden der Bundesrepublik in die DDR geflohen ist. Das negative Potenzial und die Bereitschaft zu kriminellen Folgehandlungen sind zwar bei allen vier Verbrechern vorhanden, aber nur Petermann bekundet mehr oder weniger glaubwürdig seine Reue. Doch nicht allein die Bereitschaft zu einem Verbrechen steigert sich von Täter zu Täter, auch die Schwere der einzelnen Taten nimmt erheblich zu. Während Petermann, Bauschke und Rudinke Taten verüben, bei denen die Opfer nur wenig Schaden nehmen, ist Karl Rudinke fähig zum Mord. Gleichzeitig ist er der einzige der vier Verbrecher, der aus Westdeutschland stammt. Nachdem im Blaulicht längere Zeit auf »Westtäter« verzichtet wurde – Otto Holub hatte dieses Sujet zwischenzeitlich nur in der Spionagefolge »Auftrag Mord« aufgegriffen,243 – führte Manfred Mosblech diese Figur mit der Folge »Maskenball« wieder ein. Ob diese Wiedereinführung mit den Nachwirkungen des 11. Plenums 1965 zusammenhing und die Zuschauer wieder einmal an den bestehenden Ost-West-Gegensatz erinnert werden sollten, oder ob sich der Jungregisseur auf diese Weise im »Krimigeschäft« profilieren wollte, lässt sich aus den vorliegenden Produktionsunterlagen nicht abschließend klären. Vieles spricht jedoch für eine Verbindung zu den kulturpolitischen Beschlüssen des 11. Plenums. In der Bundesrepublik endete die Serie von Banküberfällen erst mit der letzten ausgestrahlten Stahlnetz-Folge im Jahre 1968. Im Gegensatz zu »Der fünfte Mann« werden hier andere Motive, Tatverläufe und Täterzeichnungen präsentiert. Die Täter setzen sich aus dem nicht vorbestraften Kleinunternehmer Kögler und seinen bereits vorbestraften Angestellten, Wischer und Krützefeld zusammen.244 Kögler erweckt zunächst einen eher harmlosen Eindruck. Die Integrität des Chefs wird durch seine Figur und sein Auftreten unterstützt. Er ist massig, hat ein breites Gesicht, trägt einen schwarzen Mantel und eine Melone und erinnert damit an die Ikone des Wirtschaftswunders, den CDU-Politiker Ludwig Erhard. Doch obwohl Kögler vorgibt, sein eigenes »Wirtschaftswunder« erreicht zu haben, ist die Existenz der Firma ernsthaft bedroht. Kredite für Neuinvestitionen belasteten das Geschäft schwer. So kommt ihm die Idee, die beiden vorbestraften Angestellten für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Er animiert sie, für ihn eine Reihe von Banken zu überfallen. Die Rigidität, mit der er beide antreibt, steigert sich, je näher der Stichtag der Kreditrückzahlung rückt. Um die Abhängigkeits- und Dominanzver243 Siehe hierzu Kapitel acht. 244 Beide wurden aufgrund mehrerer Diebstähle und Einbrüche verurteilt.

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hältnisse visuell zu unterstreichen, wird Kögler fast immer in starken Untersichten aufgenommen, wodurch sein massiger Körper noch mehr in den Vordergrund tritt und so fast das gesamte Bild einnimmt. Seine beiden Angestellten wirken im Vergleich zu ihm klein und schmächtig. Als der naiv wirkende Wischer beginnt, sich benachteiligt zu fühlen, und seinen Chef erpresst, erhält sein Freund und Kumpan Krützefeld von Kögler den Befehl, Wischer umzubringen. Krützefeld führt diesen Auftrag ohne Umschweife aus. An der Figur Kögler werden dem Zuschauer zwei Dimensionen des Verbrechens deutlich gemacht. Einerseits wird an ihm nachvollzogen, zu welchen Taten ein Mensch fähig wird, wenn er unter (finanziellem) Druck steht. Andererseits wird klar, dass es hier nicht um Affekthandlungen geht, sondern um wohl kalkulierte, skrupellose Taten eines Mittelstandsvertreters. Doch Kögler imponiert seinen Mitarbeitern nicht nur durch seine physische Präsenz und seine Rigorosität, sondern auch einen gewissen kriminellen Sachverstand. Ob dies vom zunächst kolportierten Saubermann-Image auf eine dunklere Vergangenheit verweist, wird von Drehbuchschreiber Menge offen gelassen. Das Skript lässt offen, warum sich die Angestellten Köglers instrumentalisieren lassen. Diese Frage ist ohne Stereotypen, wie sie der Film durchaus bereithält, nicht zu beantworten. Wischer und Krützefeld entstammen einem eher unterschichtigen Milieu, ihre Sprache ist einfach und z. T. stark dialektgefärbt. Krützefeld hält sich häufig in Bars auf, er ist ehemaliger Fremdenlegionär und hat keine Familie. Gegenüber seinem Freund Wischer tritt er freundschaftlich auf, er leiht ihm Geld und versucht, nach der Entlassung aus der Haft mit ehrlicher Arbeit bei Kögler Fuß zu fassen. Wischer erscheint als die harmloseste Figur der drei Täter, obwohl auch er vorbestraft ist. Sein Handeln ist zumeist impulsiv und selten weitsichtig. Seine finanzielle Situation ist schwierig, denn er lebt über seine Verhältnisse und muss jeden Monat eine Ratenzahlung von 764 Mark leisten – eine im Vergleich zu den durchschnittlichen Monatsgehältern der Bundesrepublik hohe Summe.245 Wischer und Krützefeld lassen sich vor allem vor dem Hintergrund ihrer kargen Lebensverhältnisse von Kögler beeindrucken. Aufgrund seiner sozialen und gesellschaftlich höheren Stellung, die ihnen die Möglichkeit des sozialen Aufstiegs eröffnet, hinterfragen sie seine Ansichten und Anweisungen nicht. Beide Figuren rekurrieren noch einmal mit aller Deutlichkeit auf eine populäre Grundauffassung, die in den meisten Stahlnetz-Folgen zur Unterwelt anklingt und mit den gängigen kriminologischen Theorien der Zeit durchaus in Einklang steht: Ist ein Täter vorbestraft, ist seine Hemmschwelle, erneut ein Verbrechen zu begehen, relativ niedrig und die Rückfallquote hoch. 245 Zur Aufschlüsselung der Gehälter und deren Relation zu Preisen für Fernsehgeräte siehe: Wildt, Michael: Am Beginn der »Konsumgesellschaft«. Mangelerfahrungen, Lebenshaltung, Wohlstandshoffnung in Westdeutschland in den fünfziger Jahren, Hamburg 21994.

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Zum Sujet des Bankraubs bzw. des schweren Gelddiebstahls lässt sich generalisierend feststellen, dass Frauen weder im Stahlnetz noch im Blaulicht direkt beteiligt sind. Die Täter sind zumeist zwischen 20 und 40 Jahre alt und versprechen sich von der Beteiligung an derartigen Verbrechen ein besseres, luxuriöseres Leben, z. T. auch mehr Anerkennung. Mit Ausnahme der Blaulicht-Folge »Heißes Geld« entstammen die Täter in der Regel einem unterschichtigen Milieu und zeichnen sich weniger durch Weitsicht als durch Hörigkeit aus. Ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Reihen besteht im Schusswaffengebrauch der Täter. Während im Stahlnetz sehr freigiebig ge- und erschossen wird, ist dies im Blaulicht nur selten der Fall. Der Raubüberfall Obwohl die Delikte Bank- und Raubüberfall eine juristische Kategorie bilden, werden in den beiden Reihen feine Unterschiede gemacht. Banküberfälle konzentrieren sich auf die Institution, Raubüberfälle werden auf Privatpersonen verübt. Das Blaulicht nimmt Letzteres gar nicht in seine Narration auf, der Stahlnetz-Autor Menge nur in zwei Folgen: »Das zwölfte Messer« sowie »Spur 211«, die einzige Stahlnetz-Doppelfolge. Da der Täter der fünften Folge aus dem Jahr 1958 noch unterkomplex gezeichnet war, soll der Blick sogleich auf die Folge »Spur 211« gelenkt werden, denn hier werden nicht nur Vorgehen, Motivation und Ergreifung der beiden Täter ausführlich dargestellt, auch die Besonderheit eines Täterpaares hebt diese Folge hervor. Um die Spannung über zwei Folgen aufrecht zu erhalten, werden im ersten Teil lediglich zwei maskierte, unbekannte Täter gezeigt. Auf einen der beiden Täter stoßen die Ermittler erst im zweiten Teil, es ist die zierliche junge Frau Edith Tierfelder. Ungewöhnlich für die Brutalität der verübten Morde ist die Mittäterschaft dieser Frau, die alles andere als brutal auftritt. Nach ihrem Geständnis bei der Polizei wirkt Edith Tierfelder einerseits innerlich gebrochen, anderseits aber auch von einer quälenden Last befreit. Entsprechend emotional ist das sich über mehrere Stunden hinziehende Geständnis inszeniert. Zunächst werden nur die Augen der Frau von der Kamera in einer Großaufnahme erfasst, bevor ihr ganzer Körper zu sehen ist. Eine an derartigen Verbrechen beteiligte Frau soll ganz besondere Aufmerksamkeit erfahren, suggeriert die Gestaltung. Verantwortlich für ihre Entwicklung als Täterin ist der wesentlich ältere, mehrfach vorbestrafte Otto Hecht. Rückblenden geben Einblicke, wie Edith Tierfelder ihren Komplizen Otto Hecht im Haushalt ihrer Eltern kennenlernt. Der Vater verübte früher gemeinsam mit Hecht Einbrüche, während die Mutter wiederum eine Affäre mit ihm hatte. Da diese formative Phase der kriminellen Sozialisationsgeschichte Tierfelders in der StahlnetzFolge nur am Rande beleuchtet wird, lohnt ein Blick in die reale Ermittlungsakte

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»Gerhard Popp«. Diese lag auch Wolfgang Menge bei der Abfassung des Drehbuches vor, ebenso wie eine Reihe von Zeitungsartikeln und ein mehrteiliger Aufsatz in der Fachzeitschrift Kriminalistik.246 Inge Marchlowitz, die reale Vorlage der Figur Edith Tierfelder, war zum Zeitpunkt der Taten zwischen 16 und 18 Jahre alt, Popp war 20 Jahre älter. Die Kriminalakten und Zeitungsberichte betonen in besonderem Maße den steten Einfluss Popps seit Marchlowitz Jugend: Ich war gerade sechs Jahre alt. […]. Zusammen mit meinem Vater beging er strafbare Handlungen. Alle freuten sich immer sehr, wenn sie etwas gestohlen hatten […]. Ich freute mich dann auch und bewunderte vor allem Gerhard Popp. […]. Gerd erzählte mir oft von seinem Treiben und sagte dann, ich solle auch mitmachen. Nur weil er es wollte, gab ich dann nach. Gerd hatte großen Einfluß auf mich und machte als erstes Schießübungen mit mir.247

Auch die Filmfigur Edith Tierfelder deutet diesen Einfluss an. Nachdem Hecht ihr eindringlich erklärt hatte, dass man mit ehrlicher Arbeit nicht reich werde, schloss sie sich ihm an und ging in »seine Lehre«.248 Ihre starke Abhängigkeit zu ihm und seine Dominanz nehmen im Laufe ihrer Entwicklung so starken Einfluss auf Ediths Rechtsempfinden, dass sie sich glücklich fühlt, als sie nicht mehr nur »Schmiere stehen« muss, sondern zum ersten Mal selbst eine Tat ausführen darf.249 Hechts Dominanz erzeugt in ihr zugleich eine omnipräsente, von ihr kaum zu erklärende Angst. So, als würde sie diese Angst noch einmal durchleben, sitzt sie bleich und mit schweißnasser Stirn im Verhör. Dies hindert Tierfelder jedoch nicht daran, die Schuld für alle begangenen Morde auf sich zu nehmen, um den eigentlichen Täter, Hecht, zu schützen.250 Doch die Fernseh-Kriminalpolizei findet schnell heraus, dass 246 Siehe: 4.4 – 96/05, 5.08: Stahlnetz XVI, in: Nachlass Wolfgang Menge, Deutsche Kinemathek Berlin. 247 Hans-Günther Metzger: Inge Marchlowitz kennt ihre Publicity, in: Hannoversche Allgemeine, 19. 1. 1959 sowie Doppelmörder Popp: Melzer war Anstifter, in: Hannoversche Allgemeine, 28. 1. 59, in: ebd. 248 Stahlnetz, »Spur 211« (II), 0:14:37. 249 Hier setzt auch der erste Teil der Stahlnetz-Folge ein, das Verhör Tierfelders findet sich im zweiten Teil. 250 Auch im wahren Fall nimmt Inge Marchlowitz die Schuld auf sich: »Bisher hatte Popps Freundin, die zur Tatzeit sechzehn Jahre alte Inge Marchlowitz, die Morde auf sich genommen. Sie hatte behauptet, die beiden Opfer, den 29 Jahre alten Genossenschaftsleiter Heinrich Bick, und den 37 Jahre alten Kaufmann Heinz Engels, durch Kopfschüsse getötet zu haben«. In: Inge Marchlowitz hat nicht geschossen. Der Freund Gerhard Popp hat die Automorde gestanden, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. 4. 1959, in: 4.4 – 96/05, 5.08: Stahlnetz XVI, in: Nachlass Wolfgang Menge, Deutsche Kinemathek Berlin.

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sie nicht die Täterin gewesen sein kann.251 Die Kamera zoomt während ihrer Aussagen immer wieder von einer Halbtotalen, die die beiden Kommissare und Tierfelder gemeinsam zeigt, in eine Großaufnahme der Gesichter. Damit wird zwar einerseits die Distanz zwischen dem Zuschauer und der Täterin abgebaut und Tierfelder dadurch als Mensch erfahrbar; andererseits kann der Zuschauer ihren Aussagen zu den Verbrechen nun nicht mehr ausweichen. Hannelore Elsner, die Edith Tierfelder in »Spur 211« verkörpert, legte ihrer Figur ein gehöriges Maß Naivität und eine gewisse Einfachheit in die Stimme. Dies unterscheidet die fiktive Figur allerdings von der wahren Täterin – Elsners Interpretation lässt sie deutlich harmloser und weicher erscheinen. Inge Marchlowitz verhielt sich zwar auch naiv und leichtgläubig: »Nach dem Eindruck im Gerichtsaal ist sie primitiv, stumpf, von einer perversen Begeisterung für falsche ›Helden‹ wie Popp, aber keineswegs dumm, und sie ist schon gar nicht eine Kokotte, was ihr so oft angedichtet wurde«.252 Darüber hinaus erkannte die Justiz durchaus einen Zug von Berechnung in ihrem Charakter. Wie der Staatsanwalt nach einem Bericht der Hannoverschen Allgemeinen in seinem Schlussplädoyer feststellte, »sei sie keineswegs das völlig willenlose Geschöpf in den Händen von Popp gewesen. Wiederholt sei bewiesen worden, daß sie ihren Willen gegenüber dem Angeklagten durchgesetzt habe. Ihr moralischer Widerstand gegen ihn sei dagegen nicht übermäßig entwickelt gewesen«.253 Dass die Stahlnetz-Figur Edith Tierfelder eindimensionaler angelegt war als die reale Täterin, ist einerseits durch die Notwendigkeit der Komplexitätsreduktion einer Fernsehinszenierung zu erklären, andererseits lassen sich dahinter auch weitergehende Absichten vermuten. Ein so tief gefallenes Mädchen, das nicht nur Opfer, sondern auch selbstbestimmte Täterin war, hätte die zeitgenössischen Sehgewohnheiten in erheblichem Umfang erschüttert. Insbesondere weil damit ein massiver Bruch der damals gängigen Geschlechter-Stereotypen verbunden gewesen wäre. Der männliche Einfluss auf die Täterin wird sowohl im realen wie auch im fiktiven Fall immer wieder deutlich. Vor allem imponierten der »Gangsterbraut«, wie Edith Tierfelder von den Fernehkritikern genannt wurde, Hechts lässige Art und gleichzeitige Kaltblütigkeit bei der Planung und der Durchführung der brutalen

251 Im wahren Fall bleibt diese Frage lange offen und kann schlussendlich nur durch das Geständnis Popps geklärt werden. 252 Inge Marchlowitz kennt ihre Publicity, in: Hannoversche Allgemeine, 19. 1. 1959 sowie Doppelmörder Popp: Melzer war Anstifter, in: Hannoversche Allgemeine, 28. 1. 1959; in: 4.4 – 96/05, 5.08: Stahlnetz XVI, in: Nachlass Wolfgang Menge, Deutsche Kinemathek Berlin. 253 Sechs Stunden Plädoyer im Mordprozess. Verteidiger beschuldigten gegenseitig ihre Mandanten, in: Hannoversche Allgemeine, 30. 1. 1959, in: ebd.

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Verbrechen.254 Die starke Täterpersönlichkeit ist im Fall Popp jedoch nicht in diesem Maße herauszulesen. Der Gerichtsreporter Hans-Günther Metzger konstatiert bereits während des Prozesses: Zwar berichtet [Popp] über seine und seiner Freundin Taten aus einem an Hemmungslosigkeit grenzenden Geltungsbedürfnis. […]. Aber er hat Angst gehabt, sagt er, und man glaubt es. Ihm wäre lieber gewesen, die beiden hätten sich gewehrt, dann hätte sein »Gewissen« eine Rechtfertigung für das Schießen gehabt […]. Popp ist klein, er kompensiert. Sein Anzug hat breitere Schultern als sein Körper, und zu einem seiner Verbrechen zog er seinen Mantel an, um größer zu erscheinen. Schußwaffen geben ihm das Gefühl der Überlegenheit.255

Eben das Gegenteil scheint für Menges Täter der Fall zu sein. Hecht entbehrt jedes Minderwertigkeitskomplexes. Es kann daher vermutet werden, dass eine Vereinfachung der Täterpsyche wie auch im Falle Tierfelders nicht nur einer komplexitätsreduzierten Darstellung geschuldet war, sondern dass willensschwache tötende Männer auf dem Bildschirm weniger glaubwürdig erschienen. Die von Roland umgesetzte Täterzeichnung schien Kritiker wie auch Zuschauer jedenfalls mehrheitlich überzeugt zu haben. Der Evangelische Pressedienst forderte sogar eine sehr viel stärkere Stereotypisierung: »Wenn in solch einem Stück aber Mörder und Verbrecher als Spielfiguren vorstellt werden, dann muss, ob es naturgetreu ist oder nicht, eine gewisse Schwarz-Weiß-Zeichnung angebracht werden, denn hier stehen sie, die Verbrecher, exemplarisch für das Böse schlechthin. Der böse Mörder aber erscheint im Stahlnetz als der Typ des tüchtigen Facharbeiters, die Gangsterbraut als ein kindliches, liebenswertes, tapferes Mädchen«.256 Das Gros der Zuschauer hatte, laut einer Infratest-Umfrage, keine Einwände gegen die Täterzeichnungen. Vielmehr stellte sich bei den meisten Zuschauern ein unterhaltsam-wohliges »Schaudern« ein.257 254 Stahlnetz, »Spur 211« (II), 0:13:32ff. Ediths Ausführungen lassen sich wie eine Gebrauchsanweisung zum richtigen Verbrechen lesen. Die Kamera zoomt zum Beginn ihrer detaillierten Ausführungen in eine Großaufnahme ihres Gesichts. Damit wird nicht die Tat selbst unterstrichen, sondern auch ein besonderer Blick auf die Täterin freigegeben (siehe oben). 255 Inge Marchlowitz kennt ihre Publicity, in: Hannoversche Allgemeine, 19. 1. 1959 sowie Doppelmörder Popp: Melzer war Anstifter, in: Hannoversche Allgemeine, 28. 1. 1959; in: 4.4 – 96/05, 5.08: Stahlnetz XVI, in: Nachlass Wolfgang Menge, Deutsche Kinemathek Berlin. 256 Bedenklich wie immer, in: epd/Kirche und Fernsehen (1962) Nr. 49. 257 Infratest ermittelte, dass rund 85 % der Zuschauer beide Sendefolgen als ausgezeichnet und gut einschätzten. Die Demoskopen schlussfolgerten: »Alles in allem hat aber diese ›Stahlnetz‹-Produktion bei den Zuschauern ein ausgesprochen positives Echo ausgelöst, und folgende Spontanäußerung eines Befragten dürfte für viele stehen: ›Spannung, Auf-

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Neben der charakterlichen Bewertung der Täter wird in den Rezensionen der Tagespresse sowie der Infratest-Umfrage jedoch ein weiterer Aspekt deutlich: »Eine Tatsache beschäftigte mitunter einige Zuschauer sehr: Die genaue und sehr realistische Darstellung des Tatablaufes. Während einige der Ansicht sind, ›Stahlnetz‹ würde dadurch ›aufklärend‹ wirken, zweifeln mehrere Zuschauer daran, ob es gut sei, dies ›alles so offen‹ zu zeigen, da man befürchte, die ›Jugend‹ werde dadurch ›gefährdet‹ oder aber ›Verbrecher‹ könnten daraus lernen. 258 Die Bremer Nachrichten beurteilen trotz positiver Grundresonanz diesen Aspekt noch harscher: »Bedenken: jugendgefährdend, schlafraubend, furchterregend«.259 Die ohnehin gelegentlich geäußerte Sorge bezüglich der »Jugendfreigabe« dieser und anderer Krimis wird hier noch einmal besonders hervorgehoben. Zugleich bestätigt sie, dass die Zuschauer das Authentizitätsprinzip der Reihe internalisiert hatten und die Täterzeichnung als real wahrnahmen – trotz oder wegen der herausgearbeiteten Stereotypisierung. Schwerer (Einbruch-)Diebstahl Obwohl Einbrüche und Diebstähle den größten Teil der polizeilichen Kriminalstatistik ausmachen, sind diese Delikte von eher geringem Inszenierungs- und Spektakel-Wert. Schließlich erzeugt ein Einbruch weit weniger Spannung als ein raffinierter Mord. Roland nahm sich dieser Thematik daher nur in einer Folge an, bemühte sich aber, den Unterhaltungswert zu steigern, indem er »Strandkorb 421« auf der Urlaubsinsel Norderney spielen ließ.260 Diese Folge ist im Übrigen eine der wenigen, die in den Freizeitbereich der Fernsehgesellschaft eindringt – zumeist finden die Verbrechen im »normalen« Alltagsleben statt. Doch nicht nur die Umgebung, sondern auch ein Hoteldieb »internationalen Formats« samt Partnerin sowie ein verdeckter Ermittler des BKA261 sollen für Spannung und Unterhaltung sorgen. Den Blaulicht-Machern schien diese Deliktkategorie für die filmische Verarbeitung in ihrer Reihe ebenfalls wenig ergiebig. Lediglich zwei Folgen gehen dezidiert auf

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regung, Wahrheit – was will man mehr!‹«. In: Infratest Auswertung vom 28. 11 und 30. 11. 1962, S. 45–46, in: NDR-Pressedokumentation. Ebd., Hervorhebung durch Autorin; N. H. Unsere Kritik, in: Bremer Nachrichten, 30. 11. 1962, in: NDR-Pressedokumentation, [Hervorhebung durch Autorin; N. H.] Vgl. hierzu Kapitel sieben. Der verdeckte Ermittler des BKA war dabei eine inhaltliche Finte Rolands und Menges, da das BKA realiter gar keine eigenen Ermittlungen anstellen durfte. Prompte Beschwerden über eine derartige Abweichung von der Realität – und der Unterwanderung des Authentizitätsprinzips – folgten auf dem Fuße: Bräuning, Herbert: Polizei ärgert sich über Strandkorb 421, in: Bild-Zeitung, 26. 11. 1964.

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Einbruchdiebstähle ein: »Ein Mann zuviel« und »Der vierte Mann«.262 Festzuhalten ist, dass das Blaulicht zumeist junge Einbrecher zeigte, das Stahlnetz hingegen Täter mittleren Alters präsentierte. Das Verbrecherduo der Stahlnetz-Folge »Strandkorb 421« wurde im Gegensatz zum ermittelnden BKA-Beamten kaum gewürdigt, vielmehr monierten die Rezensenten deren Glaubwürdigkeit.263 Rückblickend ergibt sich dadurch eine gewisse Ambivalenz zwischen einer Urlaubsepisode, die den Zuschauer auf unterhaltsame Weise darüber belehren wollte, dass Verbrecher auch vor dem lang ersehnten Urlaub nicht Halt machen, und der Präsentation eines unglaubwürdigen VerbrecherDuos. Unglaubwürdigkeit reduziert das Identifikationspotenzial und damit den Lerneffekt beim Zuschauer, was bei allem Unterhaltungsbedürfnis sicherlich unerwünscht war. Lerneffekt und Bedrohungspotenzial für den Zuschauer waren auch in den beiden Blaulicht-Folgen eher gering. Da »Ein Mann zuviel« (1966) zugleich Korruption auf höherer Leitungsebene thematisiert,264 bleibt die Zeichnung des EinbrecherTrios eher blass, obwohl erstmalig eine Einbrecherin treibende Kraft ist. Während die drei Kriminellen in »Ein Mann zuviel« auf eigene Rechnung einbrechen, stehlen »Bummi«, »Pittiplatsch« und »Meister Nadelöhr« in der Folge »Der vierte Mann« (1967) im Auftrag eines Hehlers. Die Charakterisierung der Täter richtet sich in erster Linie auf »Meister Nadelöhr«. Während die Familiengeschichte der anderen Täter kaum eine Rolle spielt, wird sie bei dieser Figur prominent ausgebreitet, um seine »Verbrecher-Karriere« nachzuzeichnen. Diese beginnt mit seiner Entlassung aus dem Jugendwerkhof, als er 15 Jahre alt ist. Diese Schlussfolgerung wird dem Zuschauer nicht nur durch die Form der Inszenierung nahegelegt, sondern von der Freundin Nadelöhrs in der Handlung offen ausgesprochen. Ihre Anklage geht sogar noch einen Schritt weiter, indem sie dem Vater, dem Bürgermeister des Dorfes, eine Teilschuld an der kriminellen Laufbahn des Sohnes und dessen Trunksucht gibt. Letztendlich habe er »nicht das rechte Verständnis« für seinen Sohn aufgebracht.265 Der Bürgermeister und Vater weist die Kritik selbstverständlich von sich. Er sieht lediglich den Ist-Zustand seines Sohnes und verdammt dessen Hang zum Alkohol, seine Faulheit und Arbeitsscheue. Er habe seinem Sohn bereits in frühester Kindheit ein »Lodderleben« prophezeit. Der Vater rekurriert damit auf die gängigen Klischees, wie sie in Krimis, aber auch dem realen Alltag

262 Blaulicht, »Der vierte Mann«, Folge 27, 27. 3. 1967. 263 Besprechung o. A.: Strandkorb 421«, in: Fernseh-Dienst 49 (Nov. 1964), S. 9; Herchenröder, Gunnar: Fernsehkritik, in: Darmstädter Echo, 26. 11. 1964; sowie o. A.: Kookie war doch scheintot, in: Aachener Nachrichten, 28. 11. 1964, in: NDR-Pressedokumentation. 264 Vgl. Abschnitt 5.3. 265 Blaulicht, Der vierte Mann, 01:01:30–01:02:00.

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immer wieder zu finden waren; dies haben die Ausführungen zu Rowdys in der DDR bereits verdeutlicht. Aus heutiger Sicht erscheint ein anderer Aspekt sehr viel stärker, nämlich die Kritik an den Missständen im Erziehungssystem der DDR und den Jugendwerkhöfen.266 Diese Systemkritik bleibt allerdings ungehört und auch ungesühnt für die Blaulicht-Macher. Trauten ihr die Zensoren weniger Überzeugungskraft zu als dem honorigen Vater oder hatte Regisseur Mosblech während der Vorabnahme an der richtigen Stelle gehustet?267 Die Diskrepanz zwischen rigider Zensurpolitik und der in dieser Folge geäußerten Regimekritik ist jedenfalls eklatant. Schieber und Schmuggler – eine typische Blaulicht-Kategorie Nicht nur Heiratsschwindler, Trickdiebe und korrupte Firmenchefs waren für die Blaulicht-Macher interessant, auch Schieber, Schmuggler und Hehler zählten zu einer beliebten Fernseh-Tätergruppe. Zwar waren Letztgenannte kein »Produkt« sozialistischer Verhältnisse,268 doch wurde ihr Tätigkeitsfeld durch die Mangelwirtschaft der DDR sowie die Situation der innerdeutschen Grenze und ihre Schließung im August 1961 befördert. Daraus ergab sich, diese Deliktgruppe immer wieder in das Blaulicht-Programm aufzunehmen. Schmuggler von Diebesgut wurden erstmalig 1960 in der siebten Folge »Waggon 27-14-44 G«269 gezeigt. Bereits sieben Monate später trieben erneut Hehler ihr Unwesen in der Folge »Gardez!«.270 Noch innerhalb des gleichen Jahres und damit wenige Monate nach dem Bau der Mauer,

266 Zu den Jugendwerkhöfen der DDR siehe u. a.: Zimmermann, Verena: »Den neuen Menschen schaffen«. Die Umerziehung von schwererziehbaren und straffälligen Jugendlichen in der DDR (1945–1990), Köln 2004; Gatzemann, Andreas: Die Erziehung zum »neuen« Menschen im Jugendwerkhof Torgau. Ein Beitrag zum kulturellen Gedächtnis, Berlin 2008, und Vogel, Rahel Marie: Auf dem Weg zum neuen Menschen. Umerziehung zur sozialistischen Persönlichkeit in den Jugendwerkhöfen Hummelshain und Wolfersdorf (1961–1989), Frankfurt a. M. 2010. 267 Die interviewten Zeitzeugen berichten über dieses gängige Mittel, um die Parteigenossen während der Filmabnahme von heiklen Stellen abzulenken. Ob es allerdings der Wahrheit entsprach, kann nicht mehr geklärt werden. Vgl. hierzu auch Abschnitt 2.4. 268 Zur Kriminalität der Nachkriegszeit, als Schmuggel und Hehlerei für kurze Zeit nahezu alltäglich geworden waren, siehe: Zierenberg, Malte: Stadt der Schieber. Der Berliner Schwarzmarkt 1939–1950, Göttingen 2008, sowie Mörchen, Stefan: »Echte Kriminelle« und »zeitbedingte Rechtsbrecher«. Schwarzer Markt und Konstruktionen des Kriminellen in der Nachkriegszeit, in: WerkstattGeschichte 42 (2006), S. 57–76. 269 Blaulicht, »Waggon 27-14-44 G«, Folge 7, 24. 5. 1960. 270 Blaulicht, »Gardez!«, Folge 11, 22. 1. 1961. Da kein überliefertes Filmmaterial vorliegt, wird diese Folge nicht in die Analyse einbezogen.

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wurde – ohne diesen jedoch zu thematisieren – »Antiquitäten«271 gesendet. Hiernach griffen die Fernsehmacher zunächst andere Themen auf, bevor das Blaulicht 1967 den Schmuggel in der Folge »Der vierte Mann« ein letztes Mal auf den Bildschirm brachte. Vergleicht man die einzelnen Täterzeichnungen, lässt sich in dieser Deliktkategorie eine enorme Entwicklung konstatieren. Während im Mai 1960 vor allem Rangierer, also Menschen der unteren Einkommensklassen, kleinere Diebstähle begehen und ihre Beute über die Grenze hinweg in den Westen verkaufen, werden nach Schließung der Grenze nur noch Täter aus höheren Einkommensschichten des Schmuggels überführt. Das von der Propaganda der DDR häufig aufgegriffene Problem des Schiebertums wird somit nach Grenzschließung auf eine Schicht verlagert, die ohnehin als suspekt und »dekadent« galt. »Solide« Berufsgruppen wie Arbeiter und Angestellte mussten sich nicht angesprochen und beschuldigt fühlen. Nichtsdestotrotz stammen alle überführten Fernsehtäter aus der DDR; sie haben allenfalls geschäftliche Kontakte in den Westen Deutschlands. Das widerspricht erneut der in der bisherigen Forschung vertretenen Ansicht, dass es vor allem westdeutsche Täter waren, die im DDR-Krimi Verbrechen begingen. Eine westliche Beeinflussung war in dieser Kategorie wohl eine der Hauptvoraussetzung für den Interzonenhandel. Die Haupttäter der Folge »Waggon 27-14-44G«, Blonka und Papke, treten zunächst in ihrem eigentlichen Beruf als Rangierer auf. Doch bereits nach wenigen Minuten Film wird klar, dass sie ab und zu Obst oder Konserven, aber auch Armbanduhren aus den Waggons stehlen. Sie sehen ihre Handlungen weniger als kriminell denn als harmlos an. Ihnen stehen Brigadier Hartmann und der Rest der Kollegen entgegen, die ihre Taten verurteilen. Hartmann versucht vor allem auf Papke, der in diesem Fall Orangen von einem Waggon geholt hat, einzuwirken. Hartmann: Hast wieder nen Uffläufer jeschoben, was? Aber damit ist jetzt Schluß mein Lieber. Bei mir hört det uff, du! Papke: (abwinkend) N’paar Appelsinen machen doch keenen Herrmann. H.: (laut werdend) Schaff dat Zeug zurück. […]. Nimm lieber das bißchen Grips zusammen und überleg dir mal, wat euer angestammtes Rangiererbrauchtum in Wirklichkeit ist. Diebstahl, janz jemeiner Diebstahl. Mensch, ihr seid ja ganz gewöhnliche Einbrecher. Is’ euch det noch nicht uffjejangen?272

Auffällig ist die auf einfache Worte herunter gebrochene Propaganda, die sich gegen überkommene Vorstellungen wie das »Rangiererbrauchtum« stellt und damit das sozialistische Kollektiv, das aus dem Neuen entstehen soll, stärkt. Da der Rest der Rangiererkolonne hinter Hartmann steht und ihm immer wieder laut beipflich271 Blaulicht, »Antiquitäten«, Folge 13, 12. 11. 1961. 272 Blaulicht, »Waggon 27-14-44 G«, 0:06:50–0:07:46.

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tet, hat er als Parteisekretär offenbar den richtigen Ton getroffen. Seine Worte wirken in keiner Weise so spröde wie die sonstige Parteisprache. Dem Zuschauer sollte die Botschaft durch eine halbnahe Kameraeinstellung verdeutlicht werden. Obwohl der Rangiermeister Helmchen den Brigadier Hartmann in seinem Elan beipflichtet, deklariert er diese kleinen Diebstähle als harmlos, schließlich seien die Diebstähle in der Nachkriegszeit wesentlich schlimmer gewesen.273 Nachdem Wernicke die Ermittlung aufgenommen hat, stößt er recht bald auf den Rangierer Papke. Da er sich jedoch nur kleine Diebstähle hat zu Schulden kommen lassen, stellen ihm die Ermittler eine Rückkehr und Wiederaufnahme ins sozialistische Kollektiv in Aussicht: »Wenn Sie mit Ihrer Vergangenheit brechen und reinen Tisch machen, dann könnte man [das Gericht; N. H.] Ihnen glauben, dass Sie ein anständiger Mensch werden wollen«.274 Während die kriminellen Rangierer 1960 zumeist schmutzverschmiert gezeigt werden, tritt die Antiquitäten- und Kunsthändlerin Gisela Beckmann 1961 in der Folge »Antiquitäten« als eine gepflegte, attraktive Frau auf. Sie ist zwischen 45 und 50 Jahre alt und hat sich mit dem Kunsthandel eine gesicherte Existenz aufbauen können. Gegenüber Oberleutnant Thomas rühmt sie sich damit, dass sie und ihr (Ex-)Mann eine sehr gut laufende Galerie auf dem Ku’damm besessen hätten, diese jedoch mit der Währungsreform schließen mussten. Hiernach sei sie nach Leipzig zurückgekehrt. Was sie gegenüber Thomas jedoch verheimlicht, sind ihre immer noch exzellenten geschäftlichen Kontakte zu einem Stuttgarter Auktionator. Als die Polizei ihre Ermittlungen aufnimmt und den beiden Hehlern allmählich auf die Spur kommt, werden auch die Ausmaße ihrer Interzonengeschäfte deutlich. Dennoch bleibt die bereits geschlossene Grenze in dieser Folge völlig unerwähnt, vielmehr kann Frau Beckmann problemlos von Leipzig nach Stuttgart fliegen. Das Ausblenden der aktuellen Entwicklungen irritiert in der Rückschau; zumal das Blaulicht einer scharfen Zensur unterlag. Erklärlich wird dies nur, wenn mit der Folge noch einmal verdeutlicht werden sollte, wie schädlich die offene Grenze für die DDR gewesen ist und welche Möglichkeiten sie für kriminelle Machenschaften eröffnet hatte. Die 1967 ausgestrahlte Blaulicht-Folge »Der vierte Mann« geht von der gleichen Deliktkategorie aus, also der Hehlerei von Kunstgegenständen, jedoch wird das Bild des Hehlers hier noch einmal verändert. Während die Beckmanns als Neureiche auftreten, wird hier ein Künstler und Angehöriger der Intelligenz dieser Tat für schuldig befunden. Edmund Zigorski, dessen Spitzname, der »Doktor«, auf das Plagiat seiner Doktorarbeit anspielt, ist ca. 50 bis 55 Jahre alt und besitzt ein größeres Atelier. Die luxuriöse Ausstattung seiner Wohnung sowie seine elegante Kleidung scheinen jedoch im Gegensatz zu dieser künstlerischen Arbeit zu stehen. Auch 273 Ebd., 0:16:40. 274 Ebd., 0:37:40–0:37:42.

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Thomas weist Wernicke auf diese Diskrepanz in einem kurzen Telefonat an die Dienststelle hin: »Ich habe doch schon mit dem ABV gesprochen. Kein Mensch weiß hier so richtig, wovon der Zigorski eigentlich lebt. Angeblich ist er freischaffender Bildhauer, aber da sieht man nicht so richtig durch. Ich möchte wetten, das ist unser Mann«.275 Das Rätsel löst sich für den Zuschauer schnell auf, Zigorski verdient sein Geld mit Schmuggel und Hehlerei. Unklar bleibt jedoch, ob seine Käufer ausschließlich aus Westdeutschland stammen oder ob er auch Kunden in der DDR bedient.

4.5 D ER V ERDACHT Geschieht ein Verbrechen, dann scheint es ganz selbstverständlich, dass am Ende ein oder mehrere Täter verhaftet werden, die es aus einer Reihe von Verdächtigen zu ermitteln galt. Auch der (Fernseh-)Krimi lebt von der Spannung, dass die Kriminalpolizei während ihrer Arbeit zwangsläufig Unschuldige in den Blick nimmt. In vielen Krimis wird dies selbstverständlich und ohne weiteren Kommentar praktiziert. Während im Blaulicht allerdings höchst selten ein falscher Verdacht geäußert und die Überlegenheit der Kriminalpolizei auch gerade dadurch herausgestellt wird, setzt das Stahlnetz hier neue Standards. Denn Roland und Menge werden in ihren realistisch anmutenden Fallschilderungen nicht müde, den Zuschauer darüber aufzuklären, welche Auswirkungen es haben kann, Unschuldige unter Verdacht zu nehmen und sie womöglich nicht entlasten zu können. Die sechste Folge »Sechs unter Verdacht« aus dem Jahre 1958 setzt sich bereits im Titel explizit mit diesem Problem auseinander.276 In einer kleinen Hamburger Bankfiliale wurde die Unterschrift des Geschäftsführers einer Reederei gefälscht, um Geld von dessen Firmenkonto auf ein fremdes zu transferieren. Eine oder einer der Bankmitarbeiterinnen oder -mitarbeiter musste an diesem Betrug mitgewirkt haben, da die Kundenunterschriften in einem abschließbaren Schrank in der Filiale verwahrt werden. So stehen zunächst einmal alle Angestellten für die Kriminalpolizei unter Verdacht: Verdacht besteht gegen seine Mitarbeiter [die Mitarbeiter des Filialleiters Kern, N. H.], gegen die anderen sechs. Einer von ihnen wird das kommende Fest im Gefängnis verbringen, vorausgesetzt, die Polizei kann diesen einen überführen. Denn sie ist sicher, dass einer von diesen sechs ein Verbrechen begangen hat. Dass einer zumindest einem Verbrecher geholfen hat. Sollte es nicht gelingen, diesen einen zu fassen, werden die unschuldigen fünf ein freudloses Weihnachtsfest verbringen. Schon ihretwegen muß die Polizei den Schuldigen entde-

275 Blaulicht, Der vierte Mann, 0:43:46–0:43:57. 276 Stahlnetz, »Sechs unter Verdacht«.

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cken, ja vielleicht gerade wegen der fünf, die unschuldig sind. Gerade sie müssen von dem schweren Verdacht befreit werden.277

Ein Off-Kommentar, der in Abweichung zu anderen Stahlnetz-Folgen nicht vom Kommissar, sondern einem neutralen Erzähler gesprochen wird, stellt die Verdächtigen im Einzelnen vor und begleitet die Ermittlungsarbeit der Polizei. Der im Hintergrund agierende Haupttäter, Lewandowski, tritt hingegen kaum in Erscheinung. Obwohl alle Verdächtigen ganz »normale« Bankangestellte seien, wie es aus dem Off heißt, trügen sie an einer kleinen oder großen privaten Last. Hilde Boll, 38 Jahre alt, ist Buchhalterin und muss ihre Mutter und ihren schulpflichtigen Bruder ernähren, da der Vater während des Russlandfeldzuges im Zweiten Weltkrieg gefallen ist. Sie »hat viel erwartet im Leben, wenig nur ist eingetroffen«, und so zeichnet sie sich durch scheue Zurückhaltung aus. Verdächtigt wird außerdem der 30-jährige Helmut Wiedemann. Er ist ein gut gekleideter, von zahlreichen Frauen angehimmelter Junggeselle, der noch bei seiner Mutter wohnt.278 Auch der 42-jährige Kassierer Harald Parge ist verdächtig, die illegale Überweisung vorgenommen zu haben. Er lebt in einer festen Partnerschaft, doch die Ehe scheint zerrüttet, wie aus den wenigen Dialogen der Gatten klar wird. Noch nicht verheiratet ist Otto Kern, der 18-jährige Laufbursche der Bank. Er verbringt seine Abende zumeist mit seiner blonden Verlobten in den »Riverkasematten«, einem Ende der 1950er Jahre über die Grenzen Hamburgs hinaus bekannten Jazzclub. Ihn belastet der Verdacht der Polizei besonders schwer, und so gibt er sich seit dem Verbrechen dem Alkohol hin. Helga Mahlmann, 24 Jahre alt, ist bereits verlobt. Den Namen ihres Verlobten möchte sie verschweigen, weil ihre Mutter mit der Wahl nicht einverstanden sei. Ähnlich wie Hilde Boll gibt auch sie sich gegenüber den Kollegen verschlossen und zurückgezogen, was sie zeitweise für Polizei und Zuschauer verdächtig macht. Die jüngste Bankangestellte, Gisela Hagen, ist 23 Jahre alt und hat ein heimliches Verhältnis mit dem Filialleiter, der sie heiraten möchte. Sie hat jedoch noch zwei weitere Geheimnisse, die beide erst am Ende der Folge aufgedeckt werden. Zum einen hat sie ein uneheliches Kind, das im Heim lebt, da sie es allein nicht versorgen kann. In beiden Kriminalreihen wird der Komplex unehelicher Kinder immer wieder angedeutet, allerdings nie vertieft. Zeitgenössisch tangierte dieses Thema allerdings ein größeres gesellschaftliches Problem und hing eng mit dem bereits mehrfach angesprochenen Thema der Abtreibung zusammen.279 Gisela Hagen verschweigt jedoch nicht nur ihr uneheliches Kind, sondern auch ihre Verbindung zum Täter Lewandowski. Er ist der Vater ihres Kindes und hatte sie erpresst, die 277 Ebd., 00:04:02–00:04:52. 278 Ebd., 0:26:35. 279 Siehe hier u. a. S. Buske: Fräulein Mutter und ihr Bastard.

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Überweisungen zu fälschen. Der leitende Kommissar Wissmann erahnt diese Zusammenhänge, noch bevor der eigentliche Täter und seine »Komplizin« gefasst werden: »Erpressung ist genauso schlimm wie Mord. Das ist schleichender Mord. Ich habe Fälle erlebt, die mit einer Erpressung von hundert Mark anfingen und mit Selbstmord des Erpressten aufhörten«.280 Nachdem Wissmann Gisela Hagen mit seiner Sicht auf den Fall konfrontiert, ist sie erleichtert, dass sie sich endlich offenbaren kann. »Hauptsache es ist alles vorbei«, gibt sie zu.281 Alle vorgestellten Figuren eint der Verdacht, unter dem sie stehen und der sie seelisch stark belastet. Alle werden als fahrig, nervös und zerstreut beschrieben. Otto Kern betrinkt sich jeden Abend in seinem Stammlokal, Helmut Wiedemann scheut den Weg nach Hause, da er die Fragen seiner Mutter nicht erträgt.282 Wie weit ein Verdacht gehen kann, zeigt sich im Besonderen an der bereits erwähnten Folge »Die Zeugin im grünen Rock«. Die Verdächtige Berta Kurz wird sogar in Untersuchungshaft genommen. Ihre Zelle und die zermürbenden Vernehmungen durch die Kriminalpolizei lassen die Verdächtige beinahe zerbrechen, so dass sie sogar bereit ist, einen Mord zu gestehen, den sie nicht begangen hatte.

4.6 M ENSCHEN IM KRIMINELLEN U MFELD – DAS R OTLICHTMILIEU Jede fiktive Figur muss in einen bestimmten lebensweltlichen Kontext eingebunden werden, damit sie glaubwürdig und für den Leser bzw. Zuschauer erklärlich und erfahrbar wird. Dies gilt gleichermaßen für die Akteure eines Krimis. Die einzelnen Figuren, ob Kommissar oder Täter, werden in eine Beschreibung aus Herkunft (sofern thematisiert) und ihren momentanen Lebensverhältnissen eingebettet. Häufig nutzten die Drehbuchautoren Menge und Prodöhl einfache Zuschreibungen wie Arbeiter, Mittelständler, Intellektueller oder Künstler, um Täter zu charakterisieren. Wiederum werden andere Figuren nur durch ihre jeweilige kriminelle oder aufklärende Aktivität definiert. Zugleich findet stets eine Zuordnung der Figuren zu einem Milieu statt. Allerdings ist dabei auf die Diskrepanz zwischen der analytischen Ebene, die das Milieu als »soziokulturelles Gebilde« (Lepsius) begreift,283 und dem 280 Ebd., 0:24:40:–0:24:50. 281 Ebd., 0:49:04–0:49:06. 282 Ebd., 0:08:00–0:08:23 (Wiedemann). Mit alkoholschwerer Zunge versucht Kern, sich gegenüber seiner Verlobten zu rechtfertigen: »Du brauchst nicht zu trinken, du bist ein unschuldiges, ein junges Mädchen. Auf mir lastet ein schwerer Verdacht«. In: ebd., 0:12:24–0:13:10. 283 Nach Rainer Lepsius werden Milieus als soziokulturelle Gebilde beschrieben, die sich »durch eine Koinzidenz mehrerer Strukturdimensionen wie Religion, regionale Traditi-

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eher umgangssprachlichen Gebrauch des Begriffes auf Ebene der meisten Filme hinzuweisen. Milieu wird dann zumeist mit dem Rotlichtmilieu, also der gewerblichen Prostitution und den z. T. damit einhergehenden Verbrechen, gleichgesetzt. Es erfolgt die Reduktion auf einen zumindest im allgemeinen Sprachgebrauch negativ besetzten Begriff. Das »Milieu« unterliegt einer starken Stereotypisierung, die sich nicht nur auf seine Akteure bezieht – wie in der wissenschaftlichen Analyse –, sondern einen geografischen Raum umfasst, der nahezu ausschließlich in Städten zu finden ist. Diese Stereotypisierung, die in den Medien wie im kollektiven Bewusstsein tief verankert ist, findet sich auch in den Kriminalreihen Stahlnetz und Blaulicht. Gleichwohl bleiben Bilder und Beschreibungen vor allem des als verrucht geltenden Rotlichtmilieus auf wenige Folgen beschränkt,284 und nur selten treten das »Milieu« oder seine Personen in zentraler Funktion für die Handlung auf. Zumeist ist es auf eine exotische »Nebenfigur« reduziert. So verkehrt weder die oben aufgezeigte Schein- noch die Halbwelt in Rotlichtkreisen. Einzig Räuber, Diebe und Schmuggler halten sich gern im Licht der Leuchtreklamen auf. Dabei ist zu beobachten, dass die Begriffe Milieu oder auch Rotlichtmilieu im Blaulicht gar nicht verwendet werden. Das Stahlnetz als Hamburger Produktion geht deutlich unverkrampfter mit dem Themenkomplex um und lokalisiert hier bereits 1958 »Die Tote im Hafenbecken«. Dabei gilt es, den Mord an einer Prostituierten auf HamburgSt. Pauli, dem auch in den 1950er Jahren deutschlandweit bekannten Vergnügungsviertel, aufzuklären.285 Zwar betont der Off-Kommentar zu Beginn, dass St. Pauli nicht nur aus leuchtenden Angeboten wie »weiße Venus«, »schwarze Venus«, »Venus zu Pferde« oder »Damenringkämpfen« besteht, sondern dass es auch hier sehr wohl Mietshäuser mit »normalen« Hausbewohnern gibt. Aber wenig später lenkt er den Blick eben doch auf die »Tampico-Bar«, die stellvertretend für viele halbseidene Hafenkneipen steht. Das ist die Tampico-Bar. […]. Vielleicht haben Sie sie im Kino anders gesehen? Sie sind enttäuscht? Das ist nicht unsere Schuld. So sehen diese Bars wirklich aus. Die männlichen

on, wirtschaftliche Lage, kulturelle Orientierung, schichtspezifische Zusammensetzung« auszeichnen und bestimmte Bevölkerungsteile betreffen. Siehe: Lepsius, M. Rainer: Parteiensystem und Sozialstruktur. Zum Problem der Demokratisierung der deutschen Gesellschaft, in: Ritter, Gerhard Albert (Hg.): Deutsche Parteien vor 1918, Köln 1973, S. 56–80, hier S. 68, und Tenfelde, Klaus: Milieus, politische Sozialisation und Generationenkonflikte im 20. Jahrhundert. Vortrag vor dem Gesprächskreis Geschichte der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn am 11. Juni 1997, Bonn 1998. 284 Zur historischen Tradition der Prostitution vgl.: Dücker, Elisabeth von/Museum der Arbeit (Hg.): Sexarbeit. Prostitution – Lebenswelten und Mythen, Bremen 2005. 285 Stahlnetz, »Die Tote im Hafenbecken«, 22. 8. 1958.

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Gäste wechseln täglich, die weiblichen sind immer da, über Jahre hinweg. Hier ist nichts umsonst. Das erwartet auch niemand. Nicht in St. Pauli, nicht in Bombay oder Baltimore. Sie haben ihr eigenes Gesicht, Plüsch statt Romantik, Glimmer statt Pracht.286

Der lakonische bis ernste Tonfall dieser Einführung spielt mit den klischeehaften Erwartungen der Zuschauer, eine glitzernde, prachtvolle, aber auch verruchte Welt vorzufinden. Stattdessen werden nackte Frauenbeine eingeblendet, trinkende Frauen und Männer, müde, abgestumpfte, desillusionierte Gesichter und eine etwas heruntergekommene Kneipe, die wenig Glanz ausstrahlt.287 Der Tonfall unter den Prostituierten ist derb, aber sie versichern jedem, der es hören will, dass sie zusammenhalten.288 Obwohl die Bildsprache sehr eindeutig auf die Tätigkeit der Frauen hindeutet, wird das Wort Prostituierte289 peinlichst vermieden. Die sehr klaren Moralvorstellungen – vor allem hinter dem Fernsehbildschirm – verboten es.290 Als der Off-Sprecher das Opfer Helga Wieberitz näher vorstellt und auf ihren Beruf zu sprechen kommt, senkt sich seine Stimme und er schließt zögernd mit den Worten »Beruf … nein, … Beruf nicht«.291 Trotz der gespielten Scham des Sprechers ist für den Zuschauer bereits offensichtlich, dass es ihr Beruf als Prostituierte ist, der zu ihrem Tod führt. Denn ihr Mörder, ein Seemann, will das geforderte Geld nicht im Voraus bezahlen und tötet sie nach kurzem Streit im Affekt.292 Eine in den entsprechenden Stahlnetz-Folgen wiederkehrende Charakterisierung des »Milieus« findet sich auch auf der akustischen Ebene wieder. Sobald die Bilder nackter Beine und Bars eingeblendet werden, beginnt eine laszive, von Blech- und 286 287 288 289

Ebd., 0:05:39–0:06:35. Die Einschätzungen zur Kneipe sind aus der heutigen Sicht vorgenommen. Stahlnetz, »Die Tote im Hafenbecken«, 0:24:52. Obwohl Prostitution als das »Anbieten und die Ausübung einer sexuellen Dienstleistung gegen Geld oder Naturalien« hinlänglich bekannt ist, sei hier kritisch angemerkt, dass »[d]er Begriff ›Prostituierte‹ […] nicht zu jeder Zeit und an jedem Ort für dieselbe soziale Gruppe oder dieselben Handlungen [steht]«. In: Freund-Widder, Michaela/Leopold, Beate: Prostitution. Annäherung an ein vielschichtiges Thema, in: Dücker, Elisabeth von/Museum der Arbeit (Hg.): Sexarbeit. Prostitution – Lebenswelten und Mythen, Bremen 2005, S. 15–16, Zitat S. 15. 290 Vgl. u. a.: U. Frevert: Umbruch der Geschlechterverhältnisse, in: A. Schildt/D. Siegfried (Hg.): Dynamische Zeiten, S. 642–660; D. Herzog: Politisierung der Lust; Hoffmann, Stefanie: »Darüber spricht man nicht?«. Die öffentliche Diskussion über die Sexualmoral in den 50er Jahren im Spiegel der Frauenzeitschrift »Constanze«, in: J. Meyer-Lenz (Hg.): Die Ordnung des Paares ist unbehaglich, S. 57–84; Steinbacher, Sybille: Wie der Sex nach Deutschland kam. Der Kampf um Sittlichkeit und Anstand in der frühen Bundesrepublik, München 2011. 291 Stahlnetz, »Die Tote im Hafenbecken«, 0:01:10–0:01:13. 292 Die Darstellung des Opfers wird in Kapitel sechs analysiert.

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Holzbläsern gespielte Swing-Melodie. Die Töne werden gezogen, um den aufreizenden Charakter zu verstärken. Die Musik soll klischeehaft das Bild von Revuen leicht bekleideter Mädchen oder Striptease-Tänzerinnen abrufen. Durch die akustische Gestaltung wird in etwa das nachempfunden, was auch der Zuschauer bei einem Besuch des Hamburger Hafenviertels oder eines anderen Rotlichtbezirks empfinden oder hören möchte. Gleichzeitig lenkt die Musik von der nüchternen Betrachtungsweise der Polizei auf dieses Viertel, seine Bewohner, Besucher und die dort »Beschäftigten« ab. Roland nimmt sich der Hetären erst wieder acht Folgen später in »E 605« an, als der Bankräuber Karl Siegert in einer »Telefon-Bar« auf seine Komplizen wartet. An jedem Tisch steht ein Telefon, um die Kontaktaufnahme zwischen den Gästen zu erleichtern. Die Wände sind mit Bildern von halbnackten Damen geschmückt. Daran, dass unter den Gästen auch Prostituierte zu finden sind, lässt die Inszenierung kaum Zweifel. Kurz nachdem die Szene begonnen hat, rufen zwei Damen an Karl Siegerts Tisch an. In einer angeschrägten Einstellung werden sie hinter ihrem Tisch in Untersicht gefilmt. Ihre Sprache ist derb, und beide sind stark geschminkt. Ausführlicher wird das Rotlichtviertel in den bald darauf erscheinenden Folgen »In der Nacht zum Dienstag …« (1961) und »Spur 211« (1962) beschrieben. Hier erfolgt auch erstmals eine eindeutige Verbindung zwischen den Kommissaren und dem »Milieu«. In der erstgenannten Folge werden während des Nachtdienstes einige Prostituierte auf das Präsidium gebracht. Auf den ersten Blick sind sie nicht unbedingt als solche zu erkennen, da sie Kostüme tragen und ordentlich frisiert sind. Allerdings fallen sie sichtlich durch ihr Verhalten auf: Mit ihren weiblichen Reizen spielend, stehen sie lässig in der Tür, stützen provozierend die Hände auf die Hüften und blicken die Polizisten mit forderndem Augenaufschlag an. Doch der Zuschauer muss seine Interpretation nicht ins Leere schicken, denn ein andeutungsreicher Off-Kommentar erklärt die Situation: »In der Nacht zum Dienstag sind nur sechs Damen, die normalerweise einen lediglich Herren interessierenden Beruf ausüben, auf der düsteren Seite der Königsallee festgenommen worden. Meistens sind es mehr. In der Woche durchschnittlich 165. Ihr Weg ist auch ihnen zur Routine geworden. Wie so manches andere. Erst zur Wache und dann zur Sitte«.293 Auffällig ist auch hier, dass der Kommentar erneut das Wort Prostituierte sorgsam vermeidet. Während sich die Schutzpolizisten unempfänglich gegenüber den Festgenommenen zeigen, flirten die diensthabenden Kriminalpolizisten ganz offen mit ihnen. Als der leitende Kriminalkommissar von einer Dienstreise zurückkehrt und die Mädchen im Flur antrifft, gibt er einer von ihnen sogar einen Klaps auf den Hintern und kommentiert sein Verhalten mit den Worten: »Hätte ich gewusst, was hier los ist, wäre ich früher gekommen«.294 Dieser für viele Zuschauer sicherlich überra293 Stahlnetz, »In der Nacht zum Dienstag …«, 0:10:07–0:10:23. 294 Ebd., 0:09:29–0:09:31.

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schend vertraute Umgang zwischen den Kommissaren und den gezeigten Damen kann als Hinweis darauf verstanden werden, dass die Kriminalpolizei keine Berührungsängste zum »Milieu« besitzt. Gleichzeitig wirkt das Verhalten der Beamten chauvinistisch und betont noch einmal die Männlichkeit der Kommissare. 295 Offener als in diesen drei Stahlnetz-Folgen ist der Umgang mit dem »Milieu« in der Doppelfolge »Spur 211«. Auch hier leiten Bilder zunächst den Schauplatz ein: nackte Frauenbeine, weibliche Gesichter, nackte, gemalte Frauen an den Wänden, Männer, die die verhüllten Brüste von Frauen massieren. Es wird eine abendliche Welt zwischen Licht und Schatten gezeigt, die nicht unbedingt von Filmschauspielern rekonstruiert wird; Roland fängt die Szene vielmehr mit dokumentarischem Blick ein. Allerdings scheint sich Roland dafür beinahe zu rechtfertigen bzw. diesen Zugang für den Zuschauer mithilfe der Kommissare pädagogisch aufzuarbeiten: Es ist vielleicht nicht allgemein bekannt, aber nach Paragraph 361 Absatz 1 Ziffer 6 wird bereits mit Haft bestraft, wer öffentlich in auffälliger Weise oder in einer Weise, die geeignet ist, einzelne oder die Allgemeinheit zu belästigen, zu Unzucht auffordert oder sich dazu anbietet. Es besteht kein Zweifel, daß hier die Forderungen des Gesetzes erfüllt sind. Andererseits dürfte jemand, der hier herkommt, sich nicht wundern, wenn er das eben Beschriebene beobachtet. Es besteht also für einen Besucher dieser Straßenstelle oder der Lokale kein Anlaß, sich überraschend belästigt zu fühlen.296

Der Blick in das »Milieu« ist in dieser Folge erneut handlungsorientiert, denn eines der Opfer lebte hier sein Doppelleben aus. Neben der Darstellung des Straßenstrichs ist das Auftreten einer »Edel-Prostituierten« interessant, die wegen ihrer Bekanntschaft zum Opfer näher beleuchtet wird. In ihrer Zeichnung erinnert sie stark an das Filmbild der Rosemarie Nitribitt – die Bezeichnung Prostituierte findet sich auch hier nicht.297 Die Befragung der Frauen wird allerdings nicht der eigentlich zuständigen Weiblichen Kriminalpolizei übertragen, dieses Recht behalten sich die männlichen Kollegen vor. Denn, so heißt es aus dem Off, »uns Männern gegenüber sind die Frauen aufgeschlossener. Das Schamgefühl dürfte sich in dem Beruf ohnehin mit der Zeit gelegt haben«.298 An diesem Zitat wird noch einmal deutlich, dass der

295 Die angedeutete sexuelle Dominanz der Kommissare gegenüber (»käuflichen«) Frauen weckt Assoziationen an die Filmfigur James Bond. Vgl. zur Figur James Bond: AnnaLena Dreyer: Der Wandel der Figur »James Bond« oder wie James Bond an die aktuelle Männlichkeit anpasst, Hamburg 2011. 296 Stahlnetz, »Spur 211« (I), 0:27:14–0:28:19. 297 »Das Mädchen Rosemarie«, Regie: Rolf Thiele, Bundesrepublik Deutschland 1958, http://www.filmportal.de/df/70/Uebersicht,,,,,,,,AA8256B3CB0E43C589ACCEFC77A7 7C2E,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,.html, 9. 5. 2013. 298 Stahlnetz, »Spur 211« (I), 0:28:28–0:28:37.

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Kommissar den Gang in das Milieu zwar einerseits nicht scheuen darf und sich dort auskennen muss, um bei den Ermittlungen gezielt vorgehen zu können. Andererseits tut er dies auch nicht unfreiwillig, wie an Rathjes leicht ironischem Unterton als Kenner vieler Kneipen (nach Feierabend) deutlich wird. Der vermeintliche Zwiespalt zwischen dem »guten« Kommissar und der Welt des Rotlichtmilieus, die sich durch etwas Dunkles und Sündhaftes auszeichnet, ist somit gar nicht so groß. Gleichzeitig sind auch die Prostituierten genau über die Polizei orientiert. Sie erkennen die Kriminalpolizisten meist in ihrer auffällig unauffälligen Arbeitskluft: »Pack deinen Sex ruhig wieder ein, da holste keine Puseratze raus, denen kannst du höchstens noch was schenken«,299 klärt eine Bardame die andere auf. Mit diesem Satz war 1966 zum ersten Mal die Möglichkeit gekommen, das Wort »Sex« in einem Stahlnetz auszusprechen. Eine Wiederholung gab es allerdings nicht. Doch das Milieu besteht nicht ausschließlich aus Bars, in denen Prostituierte auf Freier warten – obwohl dieser Eindruck in den wenigen Folgen forciert wird. In der Folge »Spur 211« wird ebenfalls ein stark verrauchter Spielsalon als »Milieu« eingeführt. Rathje und Semmler suchen hier zwei Zeugen für einen der Morde. Zu dem Lokal heißt es erklärend aus dem Off: »Die ständigen Besucher dieser Etablissements haben eine beneidenswerte Sicherheit, wenn sie sich mit uns unterhalten. Selbst wenn sie um eigene Erfahrungen noch herumgekommen sind, scheint sie das Milieu auf Vernehmungen durch die Kripo vorzubereiten«.300 Dennoch erhalten die beiden Kommissare einige gewünschte Informationen. Die Betrachtung des »Milieus« und seiner Menschen in der Kriminalreihe Stahlnetz zeigt gleichsam zwei Aspekte auf. Zum einen gibt das »Milieu«, das vor allem nachts aktiv ist und keine »normalen« Besucher kennt, der Unterwelt eine Heimat. Zum anderen wird milieubedingte Kriminalität wie Zuhälterei, aber auch Gewalt gegenüber den Frauen im Fernsehfilm gar nicht thematisiert. Dies ist vielleicht mit der weitgehenden Tabuisierung und der gleichzeitigen Faszination für das amouröse Zwielicht auf Seiten der Zuschauer und auf Seiten der Macher zu erklären. Schließlich waren es nur die »Milieuaufnahmen«, in denen etwas nackte Haut gezeigt werden konnte. Die öffentliche Problematisierung des »Milieus« setzte erst wesentlich später ein. Obwohl die DDR in einigen gesellschaftlichen Bereichen durchaus tolerant war, etwa bei der intensiv gepflegten Freikörperkultur der 1980er Jahre, war der öffentlich-mediale Umgang mit offen gezeigter Sexualität,301 der Prostitution und dem 299 Stahlnetz, »Der fünfte Mann«, 0:47:48–0:48:03. 300 Stahlnetz, »Spur 211« (I), 0:36:42–0:36:56. 301 Zum Umgang mit Prostitution in Bundesrepublik vgl. u. a.: Freund-Widder, Michaela: Frauen unter Kontrolle. Prostitution und ihre staatliche Bekämpfung in Hamburg vom Ende des Kaiserreichs bis zu den Anfängen der Bundesrepublik (= Geschlecht – Kultur – Gesellschaft 8), Münster 2003. Zum Umgang mit Prostitution in der DDR vgl.: Mer-

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Milieu in den 1960er Jahre noch bieder und verschlossen.302 So fanden MilieuDarstellungen lediglich andeutungsweise in die Blaulicht-Filme Eingang. Wenn zwielichtige Bars in die Handlung des DDR-Krimis aufgenommen wurden, dann meist, um Schmugglern und Schiebern den unauffälligen Kontakt mit ihren Kunden zu ermöglichen. Eine Nähe zum Rotlicht wird dabei nicht immer deutlich. Auffällig ist, dass diese Bars nicht ausschließlich im Westen Berlins liegen, sondern sich auch im Ostteil der Stadt bzw. in der DDR befinden. Das äußere Erscheinungsbild der Bardamen wird stereotyp in jeder Folge aufgenommen. Sie sind schwarzhaarig und tragen körperbetonte, jedoch nicht aufreizende Kleidung. Ebenso zeichnen sie sich durch eine gewisse Rigorosität im Umgang mit Männern aus, die jedoch auch schnell einen anbiedernden Einschlag bekommen kann. Ähnlich den Bardamen der westdeutschen Krimireihe können auch sie die Polizei schnell von anderen Gästen unterscheiden.303 Die Folge »Das Kümmelblättchen« (1963), die zu einem Gutteil in einer Rostocker Hafenkneipe spielt, zeigt Reminiszenzen an die Stahlnetz-Folge »Die Tote am Hafenbecken« (1958). Auch hier trifft der Zuschauer auf Frauen, die sich von Seemännern Essen und Trinken spendieren lassen und dies mit »sexuellen Gegenleistungen« bezahlen wollen. Doch im Gegensatz zu den Prostituierten der vierten Stahlnetz-Folge wird der »Tauschhandel« im Blaulicht nur dezent angedeutet und durch das aufdringliche Verhalten einer der Damen ironisch gebrochen. Dass auch DDR-Polizisten die Bars und Kneipen in ihrem Bezirk kennen, klingt in den einzelnen Folgen immer wieder an, wenngleich es nie so explizit gezeigt kel, Ina: Die Nackten und die Roten. Zum Verhältnis von Nacktheit und Öffentlichkeit in der DDR, in: Mühlberg, Dietrich (Hg.): Differente Sexualitäten (= Mitteilungen aus der kulturwissenschaftlichen Forschung 36), Berlin 1995, S. 80–108. Merkel konstatiert ganz allgemein, dass »jede Form öffentlicher Darstellung von nackten Menschen in erotischer oder sexueller Verknüpfung einen Bruch herrschender kultureller Tabus bedeutet hätte.« In: ebd., S. 83. Für die DEFA-Filme der 1950er und 1960er Jahre konstatiert sie, dass hier ein Wandel von einer Debatte über Prüderie hin zu einer Liberalisierung von Nacktdarstellungen stattgefunden habe. Ende der 1960er Jahre hätte man sich an »Nacktdarstellungen« gewöhnt, sofern diese nicht in Zusammenhang zu wahrer, sauberer Liebe standen. Den Ausführungen Merkels ist beizupflichten, denn auch in den Kriminalfilmen werden Liebesszenen nur selten gezeigt. Sexualität ist hingegen ein absolutes Tabu, selbst in Zusammenhang mit »schmutziger Liebe« (Merkel). Merkels Erkenntnisse sind also auf diesen Bereich noch auszuweiten. 302 Uta Falck geht in ihrem Werk »VEB Bordell« detailliert auf die Prostitution in der DDR ein und betont für die 1960er Jahre die Fortführung der bereits begonnenen Prostitutionsbekämpfung in Form von restriktiven Gesetzen oder der Eingliederung der Frauen in den Arbeitsprozess im Zuge der DDR-Frauenpolitik. Siehe: Falck, Uta: VEB Bordell. Geschichte der Prostitution in der DDR, Berlin 1998, S. 81–90. 303 Siehe z. B.: Blaulicht, »Antiquitäten«, 0:59:00–1:01:00.

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oder ausgesprochen wird wie im Stahlnetz. In der neunten Folge, »Kindermörder« (1960), findet sich ein Hinweis darauf, dass Wernicke zu Ermittlungszwecken längere Zeit in einer zwielichtigen Kneipe verbracht hat und nun den Wirt kennt.304 Sowohl im Stahlnetz als auch im Blaulicht wird das vermeintlich verdorbene, zumeist nur durch bunte Neonlichter erhellte »Milieu der Nacht« mit einer Reihe von tradierten Stereotypen aufgeladen. Obwohl sich das Stahlnetz um eine nüchterne Darstellung bemühte, nutzte es diese Stereotypen, um Stimmungen auszudrücken. Gleichzeitig enthüllte der sezierende, semidokumentarische Blick Rolands auch einen Teil des wahren St. Pauli (und anderer Vergnügungsmeilen).

4.7 G ESELLSCHAFTLICHER U MGANG MIT K RIMINALITÄT UND DIE G RENZEN DES S AGBAREN . E IN Z WISCHENFAZIT Ohne Verbrecher wäre ein Krimi kein Krimi. Aber auch eine Gesellschaft scheint ohne Kriminalität nicht denkbar; selbst in der DDR, die Zeit ihres Bestehens an der sozialistischen Utopie einer kriminalitätsfreien Gesellschaft festhielt, gab es Verbrecher. Um diese Utopie verwirklichen zu können, wurden auf allen Ebenen des DDR-Alltags Kriminalitätsbekämpfung, Kriminalitätsprävention und die Internalisierung des neuen sozialistischen Menschenbilds forciert. Dennoch erfreute sich das fiktive Spiel des DFF mit der vermeintlich zum Aussterben verurteilten Kriminalität größter Beliebtheit. Die bisherige Forschung ging, um dieses scheinbar paradoxe Phänomen zu erklären, von zwei sich ergänzenden Thesen aus: Erstens sei Kriminalität auf dem Bildschirm möglich, weil sie einerseits exterritorialisiert, also in verschiedener Weise dem Westen zugeschrieben wurde und/oder zweitens, weil einzelne, gestrauchelte Individuen der DDR sie verübten.305 Beiden Thesen ist, wie gezeigt werden konnte, mit Blick auf die hier untersuchte Kriminalreihe Blaulicht zu widersprechen. Alle Studien, die eine breite Analyse der audiovisuellen Quellen vermissen lassen, folgen letztlich der vom Regime vorgegebenen Propagandalinie recht unkritisch. Sie gehen dabei vor allem vom indoktrinatorischen Charakter der Ideologie und damit auch der Massenmedien als »schärfster Waffe der Partei« (Holzweißig) aus. Im Hinblick auf die Durchherrschung der Gesellschaft und all ihrer Bereiche durch die SED ist ihnen zwar recht304 Blaulicht, »Der Kindermörder« (II), 0:21:31–0:21:58. 305 Vgl. R. Steinmetz/R. Viehoff: Deutsches Fernsehen Ost; Viehoff, Reinhold: Kontexte und Texte – Verbrechensdarstellung als Problem im Fernsehen der DDR. Versuch eines Aufrisses, in: Marxen, Klaus/Weinke, Annette (Hg.): Inszenierungen des Rechts. Schauprozesse, Medienprozesse und Prozessfilme in der DDR, Berlin 2006, S. 151– 173; A. Guder: Genosse Hauptmann auf Verbrecherjagd; I. Brück u. a.: Der deutsche Fernsehkrimi; P. Hoff: Der Fernsehkrimi in der DDR, in: SPIEL 13 (1994), S. 292–306.

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zugeben, doch vernachlässigen sie individuelle, eigensinnige Gestaltungsfreiheiten der einzelnen Akteure im System, vor allem der Regisseure im Teilsystem der Medien, aber auch der eigensinnigen Annahme der Medienprodukte durch den Zuschauer. Die starke Orientierung der fernsehwissenschaftlichen Forschung an den offiziellen Parteivorgaben der SED und den kriminologischen Theorien (hier Klassenkampf- und Rudimentetheorie) bei der Interpretation des Krimis der DDR verkennt, dass Vorgaben und Theorien lediglich ideologischen Nennwert besaßen, aber nicht unbedingt mit der Realität übereinstimmten. Sicherlich ging die damalige DDR-Elite davon aus, dass Kriminalität einst überwunden werden könnte. Dies lässt jedoch nicht den Schluss zu, dass diese Vorstellung zwingend 1:1 von den Fernsehmachern umgesetzt wurde. Die vorliegende Analyse kann vielmehr zeigen, dass längst nicht alle Folgen (auch nicht vor dem Mauerbau) der pauschalen Argumentationslinie folgten. Häufig genug handelte es sich um Individuen, deren Leben eine falsche Wende genommen hatte (wie im Fall »Prozeß Jutta H.« oder »In vierundzwanzig Stunden«), die aber keineswegs allein durch das Individuum verursacht worden war. Letztlich wurde nur jugendlichen Straftätern eine konkrete Westorientierung zugeschrieben; dies bezog sich jedoch weniger auf ihre Taten als vielmehr auf die Nachahmung eines westlichen Lebensstils.306 Auch Schieber und Schmuggler, die Geschäfte zwischen Ost- und Westberlin unterhielten, lebten von einem direkten Westbezug. Unbestritten ist, dass der Westen in irgendeiner Weise immer eine Rolle spielte, aber längst nicht in jeder Folge eine kriminogene. Auch die zweite These, dass in den DDR-Fernsehkrimis meist nur ein einzelnes Individuum strauchelt, muss mit Blick auf die vorliegenden Ergebnisse relativiert werden. Denn nicht nur der ostdeutsche Krimi zeigt gescheiterte Figuren, auch der westdeutsche Krimi kommt nicht ohne dieses Sujet aus. Schließlich ist festzuhalten, dass niemals eine ganze Gesellschaft ins Straucheln gerät. Das Herausgreifen eines Individuums, das eines Verbrechens überführt wird, liegt im Genre selbst begründet. Vielmehr ist zu konstatieren, dass Kriminalität in beiden Systemen auf verschiedene Sphären und auf einzelne Opfer (oder kleinere Gruppen) begrenzt wird. Die unterstellte gesellschaftsschädigende Wirkung des DDR-Verbrechers ergibt sich lediglich aus dem ideologischen Kollektiv-Gedanken,307 nicht aus den hier dargestellten Verbrechen. Ansonsten hätten vermehrt Verbrechen wie Spionage,

306 Die begangenen Taten hatten keinen republikfeindlichen Charakter, sondern sind zumeist durch Habsucht motiviert. Habsucht ist wiederum eine Charaktereigenschaft, die in einem kapitalistischen System durchaus gefördert wird – in diesem Punkt ist der bisherigen Forschung zuzustimmen. 307 Der sozialistische Kollektiv-Gedanke geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass ein Verbrecher sich diesem nicht unterordnen will und droht, das Kollektiv zu zerstören.

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Sabotage oder Ähnliches Erwähnung finden müssen. Gleichwohl werden Täter und Kollektiv eng aufeinander bezogen. Denn mitnichten ist das Individuum allein für seine Taten verantwortlich. Auch die Gesellschaft, die vielleicht einmal zu wenig hingeschaut hat, trägt ihren Anteil daran. Hier liegt auch der wesentliche Unterschied zum Stahlnetz-Krimi der Bundesrepublik, der eine moralische Mitschuld der Gesellschaft außen vor lässt. Neben diesen allgemeinen Beobachtungen zur Kriminalitätsdarstellung in den DDR-Krimis gilt es die Ausgangsvermutung zu resümieren, dass die Schein-, Halbund Unterwelten in bestimmter Weise mit der »heilen« Welt des »normalen« Bürgers und damit auch des Zuschauers verbunden sind. Dabei entspricht die Scheinwelt am ehesten der Welt des Zuschauers, sie ist im Nahfeld des Zuschauers lokalisierbar. Die Kriminellen sind Teil der bürgerlichen Welt. Zumeist werden Morde, Tötungsdelikte oder fahrlässige Körperverletzungen (z. T. mit Todesfolge) begangen. Obwohl alle Taten zum Tod des Opfers führen, geht von ihnen de facto nur eine geringe Gefahr für die Fernsehgesellschaft und die Zuschauer aus, schließlich werden die Opfer nicht wahllos ausgesucht, sondern sehr gezielt aus dem nächsten Umfeld des Täters oder der Täterin. Die Gefahr, zufällig Opfer zu werden, wird lediglich im Bereich der Verkehrskriminalität suggeriert. Alle Täter – in der Scheinwelt sind es vor allem Täterinnen – scheinen dabei sehr unauffällig in ihrem Habitus und fest in der »normalen« Welt verankert. Sie leben ein bis zur Tat relativ »normales«, also normkonformes Leben. Erst die bestimmte Konstellation verschiedener Faktoren führt zur kriminellen Handlung. Obwohl die Tat lokal begrenzt ist, birgt sie einen hohen Inszenierungswert, schließlich wird die bürgerliche Idylle in ihren Grundfesten gestört. Die Halbwelt wird von Tätern »belebt«, die vorgeben, mit der normkonformen Welt verbunden und moralisch integer zu sein. Das nahezu unscheinbare Auftreten der Täter beruht jedoch auf einer perfekten Täuschung. Ihre Opfer werden dadurch in Sicherheit gewiegt, so dass die Durchführung des Verbrechens leichter fällt. Den Verbrechern kann der einzelne Bürger vor allem durch Aufmerksamkeit begegnen, nicht nur um ihre Taten zu verhindern, sondern auch um sich selbst zu schützen. Alle aus dieser Welt stammenden Verbrechen werden daher in erhöhtem Maße pädagogisch aufbereitet, allerdings lediglich im Blaulicht-Krimi. Die Unterwelt bildet eine Art Parallel- oder Gegenwelt zur »normalen« Welt. Ihr gehören Berufskriminelle an, deren einzige Einkommensquelle das Verbrechen ist. Dem Umfeld sind vor allem Prostituierte und dunkle Bars zuzurechnen, das so genannte Rotlichtmilieu. Obwohl die hier gezeigten Verbrechen wie Raub, Bankraub, Diebstahl etc. in der realen polizeilichen Kriminalstatistik einen hohen Prozentsatz einnehmen, erscheinen die Verbrecher im Fernsehen vielmehr als ein Exotikum, das bestaunt werden kann, vor dem man sich als Normalbürger aber nicht wirklich fürchten muss.

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Im Vergleich beider Kriminalreihen fällt auf, dass sich die westdeutschen Verbrecher nahezu ausschließlich in der Schein- und Unterwelt wiederfinden. Die Halbwelt existiert lediglich im Krimi der DDR. Dementsprechend lassen sich die bestehenden Thesen in Bezug auf die DDR weiter differenzieren: Die Inszenierung eines großen Spektrums verschiedener Verbrechen, die in den Alltag jedes Einzelnen eindringen können, fördert zum einen die vom Ministerium des Innern verlangte Erhöhung der Wachsamkeit. Diese Sensibilisierung führt zum anderen dazu, dass eine größere Bandbreite von Verhaltensweisen als kriminell gekennzeichnet bzw. inkriminiert wird. Im bundesdeutschen Stahlnetz hingegen werden zumeist spektakuläre Fälle inszeniert, die den Rahmen dessen, was Kriminalität bedeutet, sehr eng spannen und die die Alltagswirklichkeit des Einzelnen nur in Ausnahmefällen berühren. Kriminalität und Gewalt in der Familie beispielsweise (wie sie die Blaulicht-Folge »Prozeß Jutta H.« zeigt) werden im Stahlnetz nicht aufgenommen. Das völlige Zurücktreten dieser Art von Kriminalität kann einerseits dafür sprechen, dass die fernsehschauende Bevölkerung kein Interesse an derartigen Verbrechen hatte. Andererseits zeigt es aber auch, dass die Thematisierung von Gewalt in der Familie und ihre Untiefen in der bundesdeutschen Gesellschaft weitgehend tabuisiert waren. Immerhin galt es, die Kernfamilie (propagandistisch) zu stabilisieren – gerade mit Blick auf den »Pillenknick« Anfang der 1960er Jahre. Ein gesellschaftlich sensibler Bereich, der jedoch nur einen Teil der Familie repräsentierte, fand in Anlehnung an das zeitgenössische Medienereignis der Halbstarken in beiden Reihen verstärkte Aufmerksamkeit: Jugenddelinquenz und Jugendkriminalität. Vor allem für das Stahlnetz konnte hier eine enorme Entwicklung nachgezeichnet werden, in der von dem Klischee des kriminellen Halbstarken Abstand genommen wurde, um Jugendkriminalität als eigenständiges, aber nicht generelles Phänomen in den Vordergrund zu rücken. Im Blaulicht-Krimi blieb die Darstellung der Jugendlichen stark den gängigen Vorstellungen und Klischees verhaftet. Eine Differenzierung zwischen Rowdys und Kriminellen war weniger erwünscht, vielmehr sollten auffällige, normabweichende Jugendliche kriminalisiert werden. Ein weiterer Unterschied zum Stahlnetz zeigte sich im Umgang mit den Jugendlichen – und nicht nur hier, sondern in mehreren alltagsnahen Deliktgruppen: das Aufzeigen eines pädagogischen Auswegs für gestrauchelte Jugendliche – im Einklang mit dem sozialistischen System. Die Grenzen des Sagbaren waren in beiden Reihen sehr unterschiedlich. So ist Kritik an der politischen Elite im Blaulicht unmöglich, wird jedoch auch im Stahlnetz nie offen artikuliert. Einzige Ausnahme bildete der Blaulicht-Fall »Ein Mann zuviel« (1966), in dem die Korruption von höheren Partei- bzw. Betriebsfunktionären eine Rolle spielte. Hieran lässt sich auch noch einmal aufzeigen, dass die einzelnen Akteure im Mediensystem durchaus eigensinnig handeln konnten.

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Verbrechergruppen, die gänzlich aus dem Narrativen der Reihen ausgeschlossen wurden, waren weibliche Giftmörderinnen sowie (psychisch gestörte) Serientäter.308 Gerade erstgenannte waren jedoch in den bundesdeutschen Medien der 1950er und 1960er Jahre durchaus präsent.309 Die Absenz von Serientätern, die die Öffentlichkeiten beider deutscher Staaten während dieser Jahre z. T. erheblich bewegten,310 dürfte mit der Komplexität der Inszenierung und den Schwierigkeiten einer fernsehgerechten Umsetzung zusammenhängen, die eine solche Fallschilderung erfordert hätte. Ebenso werden Wirtschaftsverbrechen und Kriminalität in den oberen Gesellschaftsschichten (der Bundesrepublik) in beiden Reihen ausgespart. Dieser bemerkenswerten Leerstelle nahmen sich die Fernsehkriminalfilme erst ab den 1970er Jahren an, als die Thematisierung der Kriminalität des »kleinen Mannes« zunehmend unattraktiv wurde.

308 Der Kindermörder Göttling könnte als Serientäter bezeichnet werden, denn er tötet immer nach dem gleichen Muster. Allerdings wird diese Kategorisierung im Blaulicht nicht verwendet, daher hat sie auch keine Aufnahme in diese Darstellung gefunden. 309 Irma Weiler führt hierzu drei Fälle näher aus. Inge Weiler: Giftmordwissen und Giftmörderinnen. Eine diskursgeschichtliche Studie, Tübingen 1998, S. 273ff. 310 K. Brückweh: Mordlust.

5 Der idealtypische Bürger als »Freund und Helfer« der Polizei

Die Handlung eines Kriminalfilms konzentriert sich zumeist auf drei Kernbereiche: die Tat, den Täter und den Kommissar. Ein lediglich am Rande agierendes Figurenensemble, das in dieser Gleichung nie genannt wird, sind die Bürger. Bürger werden hier als Angehörige eines Staates verstanden, nicht als spezifische Sozialformation, die zwischen Adel und Arbeiterschaft steht. Es wird daher im Folgenden nicht nach fortdauernden Elementen von Bürgerlichkeit in der Zeit nach 19451 in beiden deutschen Staaten gefragt, sondern nach der Gesamtheit aller im Film auftretenden Gesellschaftsvertreter und ihrem Verhältnis zur staatlichen Exekutive. Die literatur- und medienwissenschaftliche Forschung hat den Bürger in ihren Studien zum Kriminalroman bzw. Kriminalfilm bisher marginalisiert. Ein möglicher Grund ist in seinem unscheinbaren und kurzen Auftreten innerhalb der Handlung zu suchen. Dennoch erfüllt er, wenn er tatsächlich in den Dialog eintritt, eine wichtige Funktion z. B. als Zeuge. Wird ein Bürger von sich aus aktiv und ruft die Polizei, weil er ein Verbrechen beobachtet oder es sogar verhindert hat, erhöht sich seine Handlungsrelevanz noch einmal. Das Grundanliegen der Kriminalreihen Stahlnetz und Blaulicht zielte, wie bereits mehrfach ausgeführt, nicht nur auf Unterhaltung, sondern auch auf die pädagogische Beeinflussung des Zuschauers. Neben dem Kommissar als positivem Helden kommt daher der Figur des Bürgers eine Schlüsselfunktion zu. Der Bürger der fiktiven Kriminalhandlung steht für ein idealtypisches Verhältnis zwischen Bürger und Staat, das in der Regel durch gegenseitigen Respekt und Unterstützung geprägt ist. Die Bürger beider Staaten wurden dabei zwar als eigenständige Akteure begriffen, doch das hintergründige, systembedingte Konzept ist ein gänzlich anderes. Welche Ausprägungen und Vorstellungen von einem idealen Staatsbürger die beiden Reihen mittels der Kriminalhandlung verbreiteten, ist Gegenstand des fol1

Zum Bürgertum nach 1945 vgl. u. a. Hettling, Manfred/Ulrich, Bernd (Hg.): Bürgertum nach 1945, Hamburg 2005.

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genden Kapitels. Dabei stehen lediglich die Bürger im Vordergrund, die aktiv in die Handlung eintreten bzw. von der Polizei durch Befragungen aktiviert werden.

5.1 AUFMERKSAME

UND WACHSAME

B ÜRGER

Im Zuge ihrer Professionalisierung entstand innerhalb der Kriminalpolizei der Gedanke, die »alltägliche Praxis [der] repressive[n] Kriminalitätsbekämpfung« um den Bereich der Vorbeugung zu erweitern. Seinen institutionellen Ausdruck fand dieser Gedanke in der Einrichtung von kriminalpolizeilichen Beratungsstellen Anfang der 1920er Jahre. Hier sollte die Bevölkerung über mögliche Sicherheitsmaßnahmen gegen Diebstahl und Einbruch aufgeklärt werden.2 Wegen mangelnden Interesses in der Bevölkerung veränderten die Beratungsstellen im Laufe der Jahre ihr Profil und klärten die Bevölkerung bald breitflächig über Kriminalität auf. Wenngleich sich das System der präventiven Verbrechensbekämpfung über die NSZeit in die Nachkriegszeit hinein veränderte, blieb der Ansatz bestehen, Kriminalität durch Aufklärung in der Bevölkerung vorbeugen zu können.3 In einem Artikel für die Deutsche Polizei aus dem Jahr 1966 wird explizit Bezug darauf genommen: »Mittels dieser Aktion [gemeint ist die Pressekampagne »Die Kriminalpolizei rät«; N. H.] wird der Versuch unternommen, den Bürger durch Erziehung zur Aufmerksamkeit und Sorgfalt gegen die Gefahren des Verbrechens zu immunisieren […]. Er muss lernen, mit dem Verbrechen zu leben«.4 Aufklärung meinte demnach in erster Linie, die Bevölkerung auf mögliche Gefahren hinzuweisen und Tipps zum angemessenen Schutz zu geben.5 Die Öffentlichkeitsarbeit der Polizei sei dabei ihrer eigenen Aussage nach auf eine enge Kooperation mit den Massenmedien angewie-

2

Gesamter Absatz: P. Wagner: Volksgemeinschaft ohne Verbrecher, S. 107–108.

3

Die Polizei sah (und sieht) als weitere Möglichkeit der Schadensverhütung z. B. das Abhören von Telefonen. Dieser Bereich hat in beiden Reihen so gut wie keine Relevanz. Zur juristischen Auseinandersetzung mit diesen Maßnahmen vgl. u. a.: Warschko, Jeannette: Vorbeugende Verbrechensbekämpfung – Prävention oder Repression?, Hamburg 1995.

4

Weinberger, Rolf: Ein neuer Weg kriminalpolizeilicher Prävention, in: Deutsche Polizei (1966), H. 3, S. 77–78, hier S. 77.

5

Kriminalprävention findet heutzutage auf drei Ebenen statt: Primär durch »Einflussnahme auf Erziehung und Sozialisation, Ausbildung und Beruf, Wohnung, Freizeit und Erholung«. Sekundär werden spezielle Maßnahmen bei einem bereits erkennbaren Risiko eingeleitet. Die Maßnahmen können sich dabei an Täter sowie Opfer wenden. Als tertiäre Kriminalprävention werden gezielte Maßnahmen bezeichnet, die Wiederholungstaten verhindern sollen. In: Meier, Bernd-Dieter: Kriminologie (Grundrisse des Rechts), München 32007, S. 275.

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sen.6 Kritikern dieser Annäherung an die Medien wurde im gleichen Artikel entgegengehalten: »Im Zeitalter der Massenmedien sollten wir aber doch nicht zu ängstlich sein. In einer Zeit, in welcher Gottesdienste mit Jazzmusik geliftet werden, muß auch die Polizei umdenken lernen«.7 Eng verbunden mit der Aufklärung der Bevölkerung war die »Erziehung zur Aufmerksamkeit«, also eine Aufmerksamkeitssteigerung gegenüber der eigenen Umwelt und die Bereitschaft, bei Auffälligkeiten entsprechend die Polizei zu alarmieren.8 Doch was war unter der »Erziehung zur Aufmerksamkeit« konkret zu verstehen? Sollte eine gute Dekade nach dem Ende des institutionalisierten Systems der nationalsozialistischen Denunziation,9 die einen Teil des staatlichen Unterdrückungsapparates bildete, diese wiedereingeführt werden? Jürgen Roland und Wolfgang Menge hatten das Konzept der Aufmerksamkeit in ihren Filmen aufgenommen, um das Verhältnis zwischen Bürger, Polizei und einer möglichen Verbrechensgefahr unter rechtsstaatlichen Prämissen zu verdeutlichen, und auch Prodöhl durfte darauf nicht verzichten. Bereits in der ersten Stahlnetz-Folge »Mordfall Oberhausen« wird ein aufmerksamer Bürger in der Gestalt des Fotografen Selburg präsentiert. Durch sein umsichtiges Verhalten kann er der Polizei den entscheidenden Hinweis geben, um zwei 6

R. Weinberger: Ein neuer Weg kriminalpolizeilicher Prävention, in: Deutsche Polizei (1966), S. 77–78, hier S. 78.

7

»Die Pressearbeit der Polizei wurde auf die Bedürfnisse der Massenmedien eingestellt, in Zusammenarbeit mit Filmproduzenten wurden zahlreiche Filme und Fernsehstreifen hergestellt, die geeignet sind, das Ansehen der Polizei aufzuwerten und gleichzeitig verbrechensvorbeugende Wirkung zu erzielen.« In: ebd., S. 77.

8

Die Notwendigkeit einer verstärkte Einbeziehung des Bürgers hatte auch das BKA erkannt und eine entsprechende Fachtagung ausgerichtet: Bundeskriminalamt Wiesbaden: Kriminalitätsbekämpfung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Arbeitstagung d. Bundeskriminalamtes Wiesbaden vom 23.–26. Nov. 1987, Wiesbaden 1988.

9

Siehe u. a.: Hornung, Ela: Denunziation als soziale Praxis. Fälle aus der NS-Militärjustiz, Wien 2010; Gellately, Robert: Hingeschaut und weggesehen. Hitler und sein Volk, Bonn 2

2004, S. 188–200, 314–319; Abke, Stephanie: Sichtbare Zeichen unsichtbarer Kräfte.

Denunziationsmuster und Denunziationsverhalten 1933–1949, Tübingen 2003. Die Forschung hat herausgestellt, dass den meisten Denunziationen bis zum Ende der NS-Zeit eigennützige Beweggründe wie Nachbarschaftstreitigkeiten zugrunde lagen, wobei sich die Anzeigenden durchaus bewusst über die Konsequenzen einer Anzeige waren. Denunziation war keineswegs eine »Erfindung« des Nationalsozialismus. Obrigkeiten, die »Anreize oder Verpflichtungen zur Anzeige von Normverstößen« setzten, reichen weit in die Geschichte zurück. Für einen knappen Überblick siehe: Schröter, Michael: Der willkommene Verrat, in: Ders. (Hg.): Der willkommene Verrat. Beiträge zur Denunziationsforschung, Weilerswist 2007, S. 203–227.

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gesuchte Trickdiebe und Mörder zu überführen. Zunächst fallen ihm zwei junge Männer auf, die von seiner Assistentin bedient werden. Als er hört, wie sie ihr einen (gefälschten) Teppich feilbieten, fühlt er sich in seinem Verdacht bestätigt. Er bringt sich in das Gespräch ein und täuscht – gewarnt durch einen Zeitungsartikel – Kaufabsichten vor. Ein Treffen wird ausgemacht, ohne dass die beiden Männer etwas bemerken. Als die Trickdiebe den Laden verlassen, geht Selburg sogleich zu einem Telefon. Nun ist nicht mehr er im Bild zu sehen, sondern lediglich seine Hand und der schwarze Apparat. Er wählt die Nummer »1-1-0« (Abb. 44). Erst als die Wählscheibe wieder in ihre Ausgangsposition zurückgesprungen ist, schwenkt die Kamera in gleicher, halbnaher Einstellung auf das Gesicht des Fotografen, der den Vorfall dem zuständigen Kommissar meldet.10

Abb. 44: Selburg wählt »1-1-0« (Stahlnetz, »Mordfall Oberhausen«).

Die bildliche Gestaltung suggeriert sein vorbildliches Verhalten so plakativ, dass es gar nicht mittels Off-Ton kommentiert wird. Der kleine Bildausschnitt und damit der Fokus auf das Telefon, auf dem sehr deutlich die gewählte Nummer zu sehen ist, übernehmen diese Funktion. Die Schlussfolgerung aus der Szene ist jedoch nicht nur eine klare Funktionszuweisung an den aufmerksamen und umsichtigen Bürger, die Polizei zu informieren, sondern auch, dass die Überführung des Verbrechers und seine Verhaftung Aufgabe der staatlichen Ordnungsmacht ist – und nicht die des Bürgers. Selburgs Weitsicht und Aufmerksamkeit wird in besonderer Weise durch die vorhergehende Szene hervorgehoben. Eine verzweifelte Frau sitzt auf dem Kommissariat und gibt eine Anzeige wegen Betruges (durch eben jene Trickdiebe) auf. Im Gegensatz zu Selburg war sie weder umsichtig noch vorsichtig. Schließlich

10 Stahlnetz, »Mordfall Oberhausen«, 0:18:08–0:18:45. Ein wenig unlogisch erscheint jedoch, dass sich nach der Wahl des Notrufes sofort der zuständige Kommissar meldet.

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sahen sich nicht wie »Verbrecher« aus, das musste sie zugeben.11 Dieser Satz wirkt für einen Sekundenbruchteil nach, bevor ein Schnitt in oben beschriebene Szene überleitet. In geschlechtergeschichtlicher Lesart tritt ein klarer Unterschied zwischen Bürger und Bürgerin hervor: Männer sind aufmerksam, Frauen hingegen naiv und leichtgläubig. Da keine Relativierung ihres naiven Verhaltens vorgenommen wird und die Täter durch Selburgs Einschreiten gefasst werden, bleibt das Ungleichgewicht der Geschlechter am Ende der Folge bestehen. Doch nicht in jeder Folge kommen die Ermittlungen aufgrund eines aufmerksamen Bürgers derartig schnell zum Ziel. Ein Negativbeispiel wird in der zwölften Folge, »E 605« (1960), präsentiert. Der Bankräuber Elling lässt sich Nummernschilder anfertigen, die er später an einen gestohlen Wagen montieren will. Da er das Kennzeichen seines angeblich neuen, gerade angemeldeten Wagens »aus dem Effeff« kennt und sich weigert, die Kennzeichen vom Hersteller montieren zu lassen, wird der junge Verkäufer misstrauisch. Nervös befragt er den Kunden nach weiteren Informationen. Elling reagiert jedoch ungehalten, und das Gespräch endet schnell. Nachdem er den Laden verlassen hat, tritt der Chef aus einem Nebenraum hervor. Von seinem Mitarbeiter bestürmt, dämpft er dessen Elan, zur Polizei zu gehen schroff. »Hör mal zu, mein Junge, wir verkaufen Nummernschilder. Deine einzige Sorge soll sein, dass die bezahlt werden, ist das klar!? […] Das Denken kannst du mir überlassen.«12 Zwar verteidigt der Ladeninhaber damit die Rechte und Wünsche seines Kunden, hätte der junge Verkäufer jedoch tatsächlich die Polizei informiert, wäre der Bankraub schneller aufgeklärt worden. Der Zuschauer muss diese Schlussfolgerung jedoch nicht allein auf inhaltlicher Ebene decodieren, auch auf dialogischer Ebene wird eine Bewertung des Vorgangs von den Kriminalbeamten aufgegriffen. Sie wüssten zwar, dass es keine rechtliche Grundlage gibt, die Käufer zu registrieren, bemängeln diesen Umstand aber deutlich. »Der Händler hat nämlich gewusst, dass da irgendetwas faul ist. Aber es gibt ja keine Vorschriften, die die Herstellung und den freien Verkauf der Nummernschilder verbieten […].«13 Ein für den Zuschauer möglicher Schluss dieser Folge konnte sein, dass jeder Bürger seine Umwelt aufmerksam zu beobachten habe und bei Auffälligkeiten auch gegen den Willen des Vorgesetzten die Polizei informieren solle. Doch welches Normengefüge liegt dieser Schlussfolgerung zugrunde? Weicht jemand etwa von der Norm ab, weil er sich weigert, eine Dienstleistung in Anspruch zu nehmen? Und wird dieser Verweigerungshaltung des Kunden adäquat durch eine polizeiliche Überprüfung begegnet? Im Stahlnetz der beginnenden 1960er Jahre scheint bei »Gefahr im Verzug« Derartiges gerechtfertigt. Allerdings ist einzuwenden, dass der junge Verkäufer die Gefahr eigentlich gar nicht kannte, sondern nur die Zuschauer. 11 Ebd., 0:13:43. 12 Stahlnetz, »E 605« (1), 0:09:56–0:10:13. 13 Stahlnetz, »E 605« (1), 0:30:45–0:30:51.

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Fast unausweichlich erscheint für sie die Forderung der Polizei sinnvoll, denn Ellings späterer Tod hätte durch eine Meldung an die Polizei sogar verhindert werden können.14 An diesem Beispiel wird einmal mehr deutlich, dass Aufmerksamkeit und Wachsamkeit nur ein schmaler Grat trennt. Ein ähnlicher Fall wird in den späteren Folgen nicht mehr aufgegriffen. Sehr viel häufiger treten hingegen Bürger auf, die zufällig auf etwas Merkwürdiges stoßen, sofort die Polizei informieren und damit die Ermittlungen in Gang setzen oder voranbringen.15 In der vierten (»Die Tote im Hafenbecken«) und 15. StahlnetzFolge (»In jeder Stadt …«) sind es zwei ältere Männer, die auf dem Heimweg von der Arbeit im Hamburger Hafen Treibgut entdecken. Die Zufälligkeit und Unplanbarkeit ihres Fundes wird in der Folge »Die Tote im Hafenbecken« durch den Kommentar explizit hervorgehoben: »Damit wäre der Fall Helga Wieberitz, vermisst am 8. April, vorläufig abgeschlossen. Würde vielleicht heute noch in der Vermisstenkartei ruhen, wenn nicht rund drei Monate später, am 12. Juli kurz nach Feierabend um 17.10 Uhr der Arbeiter der Hanseatischen Lagerhausgesellschaft, Kurt Wilhelm, eine Banane gegessen hätte. Jawohl, eine Banane«.16 Obwohl Kurt Wilhelm und sein Kollege Emil nach ihrem Anruf bei der Polizei nicht mehr handlungsrelevant sind, könnte beim Zuschauer ein positiver Eindruck zurückbleiben. Denn die beiden Hafenarbeiter wurden durch die Nennung ihres Namens personalisiert und damit für den Zuschauer erfahrbarer und einprägsamer. Ähnlich aufmerksam agieren die Hafenarbeiter der Folge »In jeder Stadt …«. Beide werden zwar nicht durch einen Off-Kommentar eingeführt oder mit Namen genannt, dennoch nimmt der Zuschauer kurzzeitig an ihrer persönlichen Lebenswelt teil. Es ist bereits dunkel, und die Männer legen mit einem Schiff am Kai an. Einer der Aussteigenden 14 Weniger prominent inszeniert und nicht in der Handlung vertieft, treten in der Folge »Rehe« zwei Hausfrauen auf, die den späteren Kindermörder mit dem kleinen Jungen auf dem Gepäckträger in Richtung Wald fahren sehen. Eine der beiden argwöhnt, dass ihr das Bild der beiden merkwürdig erscheine. Allerdings kommen die Frauen rasch zu ihrem Gesprächsthema zurück und vergessen, was sie gesehen haben. Für den Zuschauer wird im Verlauf der Handlung klar, dass ein beherztes Eingreifen der Frauen durch die Alarmierung der Polizei oder zumindest eine spätere Aussage dem Fall eine andere Wendung gegeben hätte. Diese Option wird nicht vertieft, sie bleibt eine Randerscheinung. Stahlnetz, »Rehe«, 0:07:58–0:08:00. 15 Das Verhalten der gezeigten Personen könnte auch als prosoziales, vielleicht sogar couragiertes Handeln bezeichnet werden. Allerdings schreiten sie nicht selbst gegen den Täter ein, sondern verständigen telefonisch die Polizei. Wie prosoziales Verhalten zu erlernen ist, wird nicht vertieft. Es bleibt bei der normativen Feststellung, dass Helfen gut ist. Zum couragierten und prosozialen Handeln siehe: Heuer, Wolfgang: Couragiertes Handeln, Lüneburg 2002. 16 Stahlnetz, »Die Tote im Hafenbecken«, 0:14:40–0:15:02.

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sagt zu einem Kollegen, dass er sich sogleich »in die Falle hauen will«, da er morgen Tagschicht habe. Als die beiden eine im Wasser treibende Kiste sehen, ist es der müde Arbeiter, der vorschlägt, die Polizei zu alarmieren. Dem Zuschauer ist in beiden Szenen erneut kurz und anschaulich gezeigt worden, was zu tun ist, wenn etwas Unnormales auftritt. Ebenso »vorbildlich« verhalten sich Bürger verschiedener Folgen, die nach einem Überfall, den sie selbst beobachtet haben,17 oder nach einem Verkehrsunfall ordnungsgemäß die Polizei rufen.18 Auffällig, im Sinne einer positiven Wirkung, ist das bedächtige Verhalten der Bürger nach einem Unfall und das Auslösen der Erste-Hilfe-Kette. Zunächst treten sie an den Wagen heran, sehen hinein, untersuchen gegebenenfalls den Verletzten und alarmieren zwischenzeitlich die Polizei. Das Konzept des aufmerksamen Bürgers, das in verschiedenen Stahlnetz-Folgen umgesetzt wurde, findet sich im Krimi der DDR ebenfalls wieder, erhält im Hinblick auf die Herrschaftspraxis des SED-Regimes jedoch einen deutlich schärferen Einschlag. So arbeitete nicht nur die Volkspolizei mit »Freiwilligen Helfern« und ABV in den Wohngebieten, um für Sicherheit und Ordnung im Sinne der Diktatur zu sorgen, auch das Ministerium für Staatssicherheit setzte ein weit verzweigtes Spitzelnetz von offiziellen und inoffiziellen Mitarbeitern ein, um die Bürger der DDR aufmerksam zu beobachten.19 Die Grenzen zwischen »normaler«, systemunabhängiger und politischer Kriminalität waren bewusst fließend gehalten. Neben den offiziellen Stellen sollte jeder Bürger seinen eigenen Beitrag zur Erhaltung des Systems leisten und nicht nur offensichtliche Regimegegner benennen, sondern auch den täglichen Normverstoß wachsam beobachten und zur Anzeige bringen. Die Kriminalreihe Blaulicht konzentrierte sich in ihrer Darstellung des Bürgers vor allem auf Letzteres. Das Ministerium des Innern ergänzte das pädagogische Konzept des Blaulicht mit der Vorgabe, die Zuschauer zur »Wachsamkeit« zu erziehen und damit die Volkspolizei in ihrer Arbeit gegen das Verbrechen zu unterstützen: Die Sendereihe hilft mit den speziellen künstlerischen Mitteln bei der Erziehung der Menschen zur Wachsamkeit und unterstützt die Deutsche Volkspolizei bei der Bekämpfung und Beseitigung von polizeilichen Schwerpunkten. Die Sendereihe ist erzieherisch wertvoll, weil sie die Methoden und Formen einer wirkungsvollen Zusammenarbeit zwischen DVP und Bevölkerung anschaulich vermittelt. (BArch: DO 1/27689) 17 Hier Stahlnetz, »Die Blaue Mütze« und »Treffpunkt Bahnhof Zoo«. 18 Hier Stahlnetz, »In der Nacht zum Dienstag …« sowie »In der Nacht zu Ostersonntag«. 19 Im Jahr 1988 führte das MfS in seinen Akten 173.081 Inoffizielle Mitarbeiter. Vgl. u. a.: Gieseke, Jens: Mielke-Konzern. Die Geschichte der Stasi 1945-1990, Stuttgart 2001; Zahlen siehe S. 54. Gieseke, Jens: Die hauptamtlichen Mitarbeiter der Staatssicherheit. Personalstruktur und Lebenswelt 1950–1989/90, Berlin 2000; und Müller-Enbergs, Helmut: Inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (3 Bde.), Berlin 42010.

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Wachsamkeit wird dementsprechend als Erweiterung des für das westdeutsche Stahlnetz konstatierten Konzepts der Aufmerksamkeit im oben genannten Sinne verstanden. Vergleicht man beide Reihen zunächst rein quantitativ nach der Anzahl der aufmerksamen und wachsamen Bürger, ergibt sich ein überraschender Befund. Während im Stahlnetz von der ersten Folge an Bürger präsentiert werden, die selbstständig die Polizei alarmieren, sind solche Figuren in den ersten BlaulichtFolgen gar nicht zu finden. Dies liegt zum einen an den inhaltlich und dramaturgisch sehr geschlossenen Darstellungen, in denen die Polizei lediglich in einem lokal begrenzten Raum agiert. Außenaufnahmen, wie sie im Stahlnetz bei der Darstellung aufmerksamer Bürger dezidiert eingesetzt werden, sind im Blaulicht aufgrund fehlender technischer Mittel nicht möglich. Zum anderen sind die Taten der ersten Folgen auf einen engen Personenkreis beschränkt, so dass die Kriminalisten lediglich die Opfer, deren Angehörige oder die der Täter vernehmen. Erst als die »Butterhexe« 1960 ihre kriminellen Handlungen von West- nach Ostberlin verlagert, wird die gesamte Bevölkerung in die Ermittlungen einbezogen. Durch vielfältige Maßnahmen (Verteilung von Flugblättern, Printartikel oder Hinweise im Radio) wird vor allem die bevorzugte Opfergruppe der Rentner vor der Trickbetrügerin gewarnt und dadurch aufmerksamer und wachsamer gemacht. In den nachfolgenden Sendungen wird dieses Schema erneut angewandt, als der Westberliner Kindermörder Göttling ein Mädchen aus der DDR tötet. Anders als im StahlnetzFall »Rehe« werden DDR-Bürger nachträglich zu Zeugen, die sich an »merkwürdige« Begebenheiten erinnern und selbstständig die Polizei aufsuchen.20 Dass Bürger die Polizei aktiv über ein Verbrechen informieren, wird erst nach dem Regiewechsel zu Otto Holub ab 1962 aufgenommen. Sodann wird in der Folge »Bitte um mildernde Umstände« eine Verkäuferin gezeigt, die, nachdem sie einen Diebstahl bemerkt hat, sofort den Dieb verfolgt. Dieser ist zwar entkommen, doch die Verkäuferin kann dem wenig später eintreffenden Oberleutnant Thomas einen wichtigen Hinweis geben. Zwei Folgen später (»Heißes Geld«) wird erneut eine Verkäuferin präsentiert, die auf einen angebrannten Geldschein aufmerksam wird, vor dem die Polizei kurz zuvor gewarnt hatte. Mittels einer Finte erfährt sie die Personalien der Käuferin und ruft umgehend die Polizei. Ihre Kollegin hebt explizit ihre Weitsicht hervor, und auch die Blaulicht-Ermittler erwähnen sie lobend in einem späteren Gespräch.21 Nach dieser Folge spielen wachsame Bürger für eine Weile keine Rolle mehr. Erst in der vorletzten22 und in der letzten23 Folge treten 20 Wie im Falle einer älteren Dame, die dem Kindermörder kurz vor dem Mord gegenüberstand und das auf seinem Arm schlafende Mädchen für seine Tochter gehalten hatte. 21 Blaulicht, »Heißes Geld« (I), 0:55:00–0:55:50. 22 Blaulicht, »Nachtstreife«. 23 Blaulicht, »Leichenfund im Jagen 14«, Folge 29, 27. 10. 1968.

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erneut Frauen auf, die die Polizei über kriminelle Handlungen, in beiden Fällen eines engen Familienangehörigen (Ehemann bzw. Sohnes), informieren. Das Konzept der Wachsamkeit erfährt hier eine moralische Erweiterung, da die Frauen ein Schweigen mit ihrem Gewissen hätten nicht vereinbaren können. Im Vergleich zum Stahlnetz fällt auf, dass in den bisher genannten Folgen ausschließlich aufmerksame Bürgerinnen inszeniert werden. Stellt man die Verankerung der Frau im öffentlichen Bewusstsein der DDR in Rechnung, könnten auch die Blaulicht-Akteure als Teil des Agitations-und-Propaganda-Systems hiervon beeinflusst worden sein. 1961, also ein Jahr, bevor Frauen verstärkt als wachsame Bürgerinnen auftraten, wurde das Kommuniqué »Die Frau – der Friede und der Sozialismus« medienwirksam erlassen.24 Einen direkten Zusammenhang zwischen den Inhalten des Kommuniqué und der Darstellung der Frauen in den Blaulicht-Folgen ist zwar nicht auszumachen, dennoch kann eine zunehmende öffentliche Sensibilisierung für das Thema »Frau« angeführt werden.25 Mit Blick auf die recht späte und gleichzeitig eher zurückgenommene Thematisierung des wachsamen Bürgers stellt sich die Frage, inwiefern die Vorgaben des MdI zur »Erziehung des Bürgers zu mehr Wachsamkeit« überhaupt umgesetzt wurden. Aufgrund mehrmaliger Zensurdurchläufe ist es unwahrscheinlich, dass die Vorgaben des Ministeriums nur inadäquat berücksichtigt wurden, und so ist die Frage auf die Form der Inszenierung zu erweitern. Der Blick ist zu weiten von einer positiven Exemplifizierung zu negativen Beispielen, aus denen innerhalb der Handlung eine positive Lehre gezogen wird. Doch auch in diesem Sinne findet die Belehrung eines Fernsehbürgers im Sinne der Wachsamkeit lediglich in zwei Folgen statt. Eine davon ist die bereits benannte »Bitte um mildernde Umstände«. Cornelius Eduard Wippler gibt vor, einen Einbruch im Nachbarhaus gesehen zu haben und löst damit die Ermittlungen der Polizei aus. Seine Entdeckung wird begleitet von einer spannungssteigernden Hintergrundmelodie. Im Verlauf der Ermittlungen kommt jedoch zu Tage, dass Wippler 24 Veröffentlicht in: ZK der SED (Hg.): Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, S. 504–509. Siehe auch Abschnitt 3.1: »Frau und Familie«. 25 Innerhalb des Fernsehfunks fand eine rege Auseinandersetzung mit dem Kommuniqué und seiner Umsetzung auf personaler wie programmlicher Ebene statt. »Diese Grundsatzfragen müssen in allen Redaktionen behandelt werden. Sie sind keine Ressortangelegenheiten der Frauenredaktion.« In: Staatliches Rundfunkkomitee: Plan für die weitere Arbeit des Demokratischen Rundfunks mit dem Kommuniqué »Die Frau, der Friede und der Sozialismus« und den entsprechenden Beschlüssen des Ministerrates, 12. 12. 1963, S. 3, in: BArch: DR 6/404. Vgl. auch: BArch DY 30/ IV 2/ 9.02/ 24 sowie BArch DR 8/84: »Konzeption zur Sendetätigkeit ›Die Frau und das entwickelte gesellschaftliche System des Sozialismus‹ für die Vorbereitung der Sendetätigkeit 1968/69 und Vorbereitung der Aussprache bei der Frauenkommission beim ZK der SED im Juni«, 20. 5. 1968.

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gar keine Einbrecher in besagtem Keller gesehen hat. Der vermeintlich aufmerksame Bürger gibt am Ende kleinlaut zu: »Ich muss Ihnen ein Geständnis machen. […] Ich habe den Einbrecher gar nicht gesehen. Das habe ich meiner Frau nur so gesagt«.26 Er begründet den falschen Alarm damit, dass er der Nachbarin, die seine Tochter stets als verdorben bezeichnet hatte, eins »auswischen wollte«. Da Wippler von einem sichtlich schlechten Gewissen geplagt ist, gibt sich auch der Kriminalist milde und dankt Wippler für seine Offenheit. Dem Zuschauer ist hingegen klar, dass der Polizei durch die falschen Angaben Wipplers viele unnötige Ermittlungsgänge entstanden sind. Doch das negative Exempel wird sogleich umgedeutet, denn der »gute«, »sozialistische« Bürger erkennt seine Schuld und zeigt Verantwortung. Weniger einsichtig ist der Mitarbeiter einer Postfiliale in der vier Jahre später ausgestrahlten Blaulicht-Folge »Maskenball« (1966). Es ist lediglich dem Zufall geschuldet, dass die in der Post befindlichen 400.000 Mark bei einem Überfall nicht erbeutet werden. Wernicke äußert sich hierzu in ironischer und gleichzeitig anklagender Weise gegenüber dem sichtlich naiven Mitarbeiter: Wernicke: War denn ihr Geldschrank in der Baracke einbruchssicher? Postamtsleiter: Normalerweise ja. W: Was heißt »normalerweise«? P: Tja, ein mit dem internen Betrieb des Amtes Vertrauter konnte möglicherweise wissen, dass der jeweils Nachtdienst tuende Kollege einen Schlüssel für den Geldschrank verwahrte. In einem versiegelten Kuvert selbstverständlich. W: Was, der Schlüssel vom Geldschrank war im gleichen Raum aufbewahrt? P: Ja! Damit die Gelder gleich früh morgens zur Notenbank geschafft werden konnten. W: Das ist ja eine geniale Lösung. P: Ja, das war nur eine Notlösung. Während unser neues Gebäude im Bau war. Und außerdem ist auch nie etwas passiert.27

Der Hauptmann kritisiert in erster Linie die Unachtsamkeit der Postmitarbeiter, die sich in der DDR anscheinend so sicher fühlten, dass sie keinen Überfall erwarteten. Allerdings sei dies eine fatale Fehleinschätzung, wie Wernicke nachdrücklich mit Verweis auf den ersten bewaffneten Postüberfall anführt. Obwohl vor allem das letzte Beispiel auf den ersten Blick wenig mit der Lebenswirklichkeit des einzelnen Zuschauers verbunden ist, hält es dennoch Möglichkeiten der Adaption bereit. Denn Hab und Gut zu sichern, um es vor Diebstahl und Einbruch zu schützen, ging jeden einzelnen Bürger an. Und auch die Falschaussage kann von ihrem Kontext gelöst und auf einen beliebigen (Nachbarschafts)Konflikt bezogen werden. 26 Blaulicht, »Bitte um mildernde Umstände«, 0:55:10–0:55:19. 27 Blaulicht, »Maskenball«, 0:06:58–0:07:31.

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5.2 Z EUGEN Zeugenschaft ist im Allgemeinen zufällig und kann kaum aktiv herbeigeführt werden. Dies unterscheidet sie im Wesentlichen von den aufmerksamen bzw. wachsamen Bürgern. Ein Zeuge hört oder sieht ein Verbrechen meist zufällig und alarmiert im Idealfall die Polizei. Er hat dann in so genannten informatorischen Befragungen zum Tathergang und zur Person des Täters auszusagen. Dies muss er entweder vor Ort tun oder er wird auf dem Präsidium bzw. der jeweiligen Polizeidienststelle vernommen. Zeugenschaft schließt dabei nicht nur direkte Zeugen einer Straftat ein, sondern auch andere Bürger, die (möglicherweise) Verbindungen zum Opfer oder zum Täter haben können. Über den Umgang der Polizei mit Zeugen wies die bundesdeutsche Gewerkschaftszeitung Deutsche Polizei ihre Leser im Jahr 1958 eindringlich hin: »Bei jeder Ermittlungsarbeit kommt den Zeugenaussagen eine beachtliche Bedeutung zu […]. Zur Bedeutung des Zeugen für die polizeiliche Tätigkeit kann zusammenfassend gesagt werden, daß wir mit ihm von der Anzeigenaufnahme bis zum Schlußbericht zu tun haben, und es vielfach von einer Aussage abhängt, ob und wie schnell wir den Straftäter überführen können«.28 In den Reihen Stahlnetz und Blaulicht entsprechen die präsentierten Zeugen in etwa einem Querschnitt der Bevölkerung. Im Folgenden werden einige Zeugen in ihrer Spezifik vorgestellt und aussagekräftige Exempel herausgegriffen, die richtiges oder falsches Zeugenverhalten verdeutlichen. Gleichzeitig interessiert das Verhalten der Polizei gegenüber den Zeugen.29 Trifft die Fernseh-Kriminalpolizei am Ort des Geschehens ein, teilt sie sich zumeist in zwei Gruppen auf: Ein Teil führt die kriminaltechnischen Untersuchungen durch, der andere nimmt die Aussagen der Zeugen auf. Dieser Ablauf findet sich in allen Stahlnetz- wie auch Blaulicht-Folgen wieder, sofern es Zeugen der Tat bzw. Personen gibt, die das Opfer entdeckt haben. Meist befinden sich diese Zeugen auch im näheren Umkreis des Opfers oder Täters. Noch als der Mord an Frau Wesemann in der fünften Stahlnetz-Folge »Das zwölfte Messer« geschieht, wird einer ihrer Nachbarn durch einen Schrei aufmerksam, sieht aus dem Fenster und steht wenig später in der Wohnung der Ermordeten. Als er erfasst, was geschehen ist, verständigt er sofort die Polizei. Nachdem die Polizei vor Ort die Spuren gesichert hat (Abb. 45), haben sich weitere Nachbarn in der Wohnung eingefunden, die nun von Kommissar Kardoff angehört werden (Abb.

28 Mey, Klaus-Dietrich: Die Psychologie des Zeugen, in: Deutsche Polizei (1958), S. 179. Eine Bestätigung dieser Aussagen findet sich auch in: Fischer, Johann: Die polizeiliche Vernehmung (= Schriftenreihe des Bundeskriminalamtes 2–3) 1975. 29 Dabei geht es jedoch nicht darum, ob die realen Methoden und Psychologien der Zeugenbefragung exakt in den beiden Reihen umgesetzt wurden.

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46). Alle geben bereitwillig Auskunft über ihr Verhältnis zur Familie der Getöteten, ohne dass Kardoff viele Fragen stellen muss.

Abb. 45 und Abb. 46: Die Kriminalpolizei beginnt mit der Spurensicherung im Mordfall Wesemann (l.). Der diensthabende Kommissar vernimmt die Zeugen (r.; Stahlnetz, »Das zwölfte Messer«).

Doch obwohl die Zeugen die Lebensverhältnisse der Toten kennen, führen ihre Zeugenaussagen nicht auf die Spur des Täters oder die Motive der Tat, wie Kardoff wenig später kommentiert. Daher veröffentlicht die Polizei einen Zeugenaufruf zur Tat bzw. zum Täter, der bereits wenig später Erfolg zeigt. Bei der Vielzahl der eingegangenen Aussagen sei es nun Aufgabe der Kriminalpolizei, »die Spreu vom Weizen zu trennen. Das ist bei jedem Verbrechen so und das ist jedes Mal bei unserer Arbeit das Gleiche«, wird der Zuschauer aus dem Off aufgeklärt.30 An diesem Schema ändert sich über den gesamten Produktionszeitraum nichts. Varianten der aufgeforderten Zeugenaussagen bestehen in einer Befragung an einem anderen Ort, fernab des Tatorts, z. B. am Arbeitsplatz oder in einem Lokal. Eine weitere Möglichkeit ist die Vorladung von Zeugen in das Präsidium, doch wird gerade im Stahlnetz weniger darauf zurückgegriffen. Eine Erklärung hierfür liefert Hauptkommissar Opitz, als er die Frau eines Täters zu sich in das Präsidium bittet, aber die Befragung doch nach draußen in eine Parkanlage verlegt. Opitz erklärt aus dem Off: »Es besteht eine Anordnung, nach der wir uns außerhalb des Präsidiums nicht mit Zeugen unterhalten sollten. […] Wer unseren Beruf kennt, weiß, dass ein offenes Gespräch nur allzu leicht von der Muffigkeit der Amtsatmosphäre in unseren Diensträumen erstickt wird«.31 Opitz scheint hier in der Tat den Kriminalisten aus der Seele zu sprechen, legt man die Publikation des BKA »Die polizeiliche Vernehmung« zugrunde: »Einem alten kriminalistischen Grundsatz zufolge sollten Vernehmungen stets an einem Ort

30 Stahlnetz, »Das 12. Messer«, 0:12:24–0:12:33. 31 Stahlnetz, »E 605« (2), 0:15:28–0:15:50.

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vorgenommen werden, der dem Vernommenen keinen moralischen Rückhalt bietet«.32 Das Dienstzimmer des Beamten böte sich daher als idealer Ort an, denn hier sei »sein zweckmäßig eingerichtetes Büro mit allen erforderlichen Unterlagen« und eine »vertraute Schreibkraft«. Vernehmungen in Räumen der zu vernehmenden Person werden im Allgemeinen als schwierig eingeschätzt, da der Beamte jederzeit zum Gehen aufgefordert werden könne. Zum Verhalten während der Befragung wird unmissverständlich darauf hingewiesen, dass den Zeugen auf dem Präsidium bzw. der Dienststelle freundlich entgegenzukommen sei. »Erscheint der Zeuge bei uns, so vergeben wir uns nichts, wenn wir ihn beim Eintritt in den Raum entgegengehen und ihn durch Handschlag begrüßen. Diese kleine Geste kann schon Wunder wirken. Wir haben damit nicht nur etwas für die Kontaktaufnahme getan, sondern dem Zeugen ein weiteres – oft bedrückendes – Zwangsgefühl der Atmosphäre genommen.«33 Dennoch, und das wussten auch die zitierten Autoren der bundesdeutschen Polizei, können Personen nicht für jede Information auf das Kommissariat geladen werden. Daher ist »selbstverständlich absolut nichts dagegen einzuwenden, wenn kurze, weniger schwierige Vernehmungen außerhalb der Dienststelle durchgeführt werden. Besonders Informationen und Auskünfte wird man in der Regel an Ort und Stelle bei den Betreffenden selbst einholen müssen«.34 Die aufgezeigte Diskrepanz zwischen realer Ermittlungsarbeit und der fiktionalen Umsetzung ist bis heute festzustellen. Ein gängiges Mittel, aussageunwilligen Zeugen die Vorladung in die Dienststelle anzudrohen, findet sich nach wie vor in den Inszenierungen der Reihen Tatort oder Polizeiruf 110. Ein weiterer Gegensatz ist die unbedingte Anfertigung von Vernehmungsprotokollen, die im Fernsehkrimi aufgrund des Spannungsbogens häufig vernachlässigt wird. Das während der Vernehmungen nötige psychologische und taktische Vorgehen gegenüber einem Zeugen wird im Stahlnetz nur auf der Handlungs-, nicht auf der Kommentarebene wiedergegeben. Dabei wendet die Stahlnetz-Kriminalpolizei verschiedene Methoden an, um Zeugen zu einer Aussage zu bewegen. Stehen die Zeugen offenkundig oder vermeintlich in keiner persönlichen Beziehung zur Tat oder zum Täter, ist das Verhalten der Polizei zumeist offen und freundlich. Besagten Zeugen werden auf dem Präsidium Kaffee oder Zigaretten angeboten. Die Situation wird ihnen, wie in der Fachliteratur gefordert, so komfortabel wie möglich eingerichtet. Auch das Verhalten der Beamten ist im Gegensatz zu den oben beschriebenen Vernehmungen von Verdächtigen gelassen. Allerdings trifft die Kriminalpolizei nicht immer auf verständige Zeugen, die bereitwillig alles zu Protokoll geben oder der Polizei durch eine Information weiterhelfen (wollen). Gerade wenn sich die Zeugen in vertrauten Umgebungen befinden, neigen sie, wie um die theoreti32 Hier und im Folgenden: J. Fischer: Die polizeiliche Vernehmung, S. 67–68. 33 Mey, Klaus-Dietrich: Die Psychologie der Zeugen, in: Deutsche Polizei (1958), S. 179. 34 J. Fischer: Die polizeiliche Vernehmung, S. 71.

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schen Auslassungen der realen Polizei zu bestätigen, zu polizeikritischen Äußerungen. »Sie sitzen in ihrem Präsidium und haben sicherlich Geduld. Wenn ick mir alleine überlege, wie lange Sie an dieser Sache hier schon rumgefummelt haben.«35 Ebenso ungehalten fallen die Antworten der Fernsehbürger aus, wenn sie die Kriminalpolizei wegen ihrer Unauffälligkeit nicht sogleich als Staatsbeamte erkennen. Meist folgt sogar ein gehässiger letzter Satz, der den Unbekannten als Taugenichts und Müßiggänger bezeichnet, da er doch am Tage Zeit hätte, spazieren zu gehen. Doch auch wenn die Kriminalbeamten ihren Dienstausweis zu Beginn vorzeigen, wird ihnen nicht immer bereitwillig geholfen. So verweigert die Verkäuferin in einem Uhrengeschäft die Aussage über einen Kunden, solange der Chef nicht da ist, schließlich könnte die Dienstmarke gefälscht sein: »Man liest ja so viel über Betrüger, die sich für Kriminalbeamte ausgeben …«.36 Die Ressentiments der Fernsehbürger hatten dabei allzu reale Vorbilder, wie eine im Jahr 1951 veröffentlichte Broschüre »Die Polizei in der Demokratie« andeutet.37 Erstellt wurde sie vom Büro für politische Studien, ein Verlag, der durch den christlichen Intellektuellen Eugen Kogon vertreten wurde.38 In gut lesbaren Stil und anschaulichen Illustrationen wird über die einzelnen Aufgabengebiete der Polizei berichtet. Neben der Regelung und Beaufsichtigung des Verkehrs zählt dazu die »Bekämpfung von Verbrechen« durch die Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei.39 Die Broschüre sieht ihren Bildungsauftrag jedoch nicht nur in der Aufklärung des Lesers über die Polizeiarbeit, sondern auch darin, dass der Leser und Bürger die Polizei wieder in seine Mitte zurückholen müsse. Und so schließt die Broschüre mit dem Satz: »Dürfen wir mit einer kleinen praktischen Anregung schließen? Das nächstemal, wenn Sie ›Ihrem‹ Polizisten begegnen: lächeln Sie ihm zu und grüßen Sie ihn! Tun Sie das immer wieder, er wird sich freuen und das Gefühl bekommen, unter Freunden zu leben, für deren Sicherheit und Wohlbefinden er sich dann doppelt und gerne verantwortlich weiß«.40 Mit diesem Schlusssatz wird das sonst von Seiten der Polizei vertretene Credo »Dein Freund und Helfer« umgekehrt. Roland nahm den Schlusssatz der Broschüre indirekt auf, indem er das abweisende Verhalten seiner Fernsehbürger gegenüber der Polizei eindeutig negativ inszenierte. 35 Stahlnetz, »Die Blaue Mütze«, 0:28:37–0:28:45. 36 Stahlnetz, »Die Zeugin im grünen Rock«, 0:34:43–0:34:47. 37 Büro für politische Studien (Hg.): Die Polizei in der Demokratie, Frankfurt a. M. 1951. 38 Das Büro für politische Studien, das seine Leser über die Grundkonstanten der Demokratie aufklären wollte, war durch seinen Vorsitzenden eng mit der Europa-Union verbunden und kolportierte die dort vertretenen Thesen und Argumente. Für eine Selbstdarstellung siehe: Eickhorn, Gerhard: Für ein föderales Europa. Beschlüsse der Bundeskongresse der Europa-Union Deutschland, 1947–1991, Bonn 1993. 39 Büro für politische Studien (Hg.): Die Polizei in der Demokratie, S. 12 und 14. 40 Ebd., S. 22.

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Der Fortgang der Ermittlungen macht es in einigen Folgen der Stahlnetz-Reihe nötig, Zeugen oder Opfer vermeintlichen Tätern gegenüberzustellen. In der Regel werden das Opfer und/oder Zeuge(n) jeweils einer Reihe von fünf bis sechs Männern (oder Frauen) konfrontiert. Zeugen bzw. Opfer haben dann die Möglichkeit, die Reihe abzuschreiten und den vermeintlichen Täter wiederzuerkennen.41

Abb. 47 und Abb. 48: Ein Zeuge schreitet die Reihe von Verdächtigen ab (l.). Es kommt zum Blickwechsel mit einem vermeintlichen Täter (r.; Stahlnetz, »E 605« [2]).

Abb. 49 und Abb. 50: Zunächst werden nur die Beine der weiblichen Verdächtigen gezeigt (l.). Der Kommissar instruiert den Zeugen, sich nicht laut zu äußern (r.; Stahlnetz, »Spur 211«).

In der Folge »E 605« findet die Gegenüberstellung in einem speziellen Raum statt, der mit fahrbaren Gittern geschützt werden kann und vorsieht, dass die vermeintlichen Täter auf einer Bühne stehen. Vor der Gegenüberstellung instruiert der leitende Kommissar die Zeugen, die unbedingt darauf achten sollen, keine Meinung vor den Tatverdächtigen abzugeben, um den vermeintlichen Täter nicht vorzuwarnen: »Sie werden da vorne gleich ein paar Männer sehen. Wir vermuten, dass einer von 41 In beiden Folgen ist nur ein Verdächtiger anwesend, der Rest wird mit Mitarbeitern der Polizei ergänzt.

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ihnen am Überfall beteiligt war. Ich gebe ihnen keine Hinweise, Sie müssen sehen, ob Sie einen erkennen. Aber Sie müssen sicher sein«.42 Während die Kamera zu Beginn der Gegenüberstellung in kleinen Bildausschnitten immer wieder Details des Raumes einfängt, z. B. eine vergitterte Tür oder ein Fenster, bleibt sie während der Instruktion der Zeugen in einer untersichtigen Totalen, um so den gesamten Raum mit allen Personen überschauen zu können. Erst als der letzte Zeuge die Reihe abschreitet, nimmt sie im Schuss-Gegenschuss-Verfahren die Verdächtigen und den Zeugen auf. Da die vermeintlichen Täter erhöht stehen, muss der Zeuge nach oben schauen und die vermeintlichen Täter nach unten. Durch die starken Auf- und Untersichten ergibt sich eine merkwürdige Verzerrung der ZeugenVerdächtigen-Verhältnisses (Abb. 47 und Abb. 48).43 Der Verdächtige ist dadurch dem Opfer/Zeugen physisch überlegen und kann ihn einschüchtern. Roland wollte vielleicht gerade diesen Aspekt, die Angst des Zeugen vor dem vermeintlich übermächtigen Täter, filmisch umsetzen und wählte daher die extremen Einstellungen. Dialog oder Gesten nehmen diese Angst jedoch nicht weiter auf. Aus heutiger Sicht weitaus verblüffender ist der Umgang mit den Zeugen auf dem Bildschirm und ihr erzwungener Kontakt mit dem vermeintlichen Täter. Die mit dem Kontakt einhergehende Gefahr für den Zeugen wird nicht angesprochen, wohl als solche auch nicht so empfunden. In der zwei Jahre später ausgestrahlten Folge »Spur 211« wird innerhalb der Doppelfolge mehrere Male auf dieses Mittel der Zeugenbefragung zurückgegriffen und nun auch dem Zuschauer per Off-Kommentar erläutert: Diese Prozedur, bei der die Identität von Verdächtigen durch Zeugen festgestellt werden soll, muß besonders gründlich vorbereitet werden. Zunächst darf die verdächtige Person nicht alleine dem Zeugen vorgestellt werden. Wir müssen ihm eine Auswahl anbieten. Die Leute, unter die wir die verdächtige Person einreihen, sollen ihr außerdem ähnlich sein, im Aussehen, in der Kleidung. Obendrein müssen wir versuchen, die beiden Parteien unter Umständen zusammenzubringen, die jenen ähneln, bei denen der Zeuge die verdächtige Person gesehen haben will bzw. gesehen haben kann. Das betrifft zum Beispiel die Beleuchtung und die Entfernung.44

Die den Zeugen in der Folge »Spur 211« gegenübergestellte Verdächtige ist eine Prostituierte, der vorgeworfen wird, einen Freier ermordet zu haben. Die Inszenierung weicht stark von der verdächtiger Männer ab, obwohl der Kommentar stets neutral von »verdächtiger Person« spricht. Die Kamera beginnt zunächst die Reihe 42 Stahlnetz, »E 605« (2), 0:26:36–0:27:32. Auch in Folge »Spur 211« wird betont, dass die Zeugen ihre Aussagen auf keinen Fall vor den Verdächtigen äußern dürfen. 43 Stahlnetz, »E 605« (2), 0:27:55–0:28:30. 44 Stahlnetz, »Spur 211« (I), 0:43:51–0:44:45.

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weiß beschuhter und mit Nylonstrümpfen bekleideter Damenbeine zu filmen (Abb. 49), ehe ein Schwenk nach oben Rumpf und Kopf der Frauen zeigt. Der Vergleich macht deutlich, dass die Kameraführung einem typisch männlichen Blick auf die weiblichen Körperformen folgte. Im Blaulicht nehmen die Inszenierung der Zeugen sowie ihre Befragung gleichermaßen einen wichtigen Teil des Films ein. Wie angedeutet, werden die Zeugen der DDR-Reihe weniger häufig an ihrem Arbeitsplatz oder zu Hause aufgesucht, vielmehr erhalten sie eine (mündliche) Vorladung ins Präsidium, um dort angehört zu werden und vorschriftsmäßig ein Protokoll anzufertigen zu können – meist von Leutnant Timm als Nachwuchskriminalist. Doch ist hierin nicht nur die vorbildliche Durchführung von Vorgaben zu sehen, sondern auch eine produktionsbedingte Schwerpunktsetzung. Der Produktion standen nur begrenzte räumliche wie technische Kapazitäten zur Verfügung, viele Szenen einer Folge spielten daher im Studio, also auf dem Revier. Aufgrund einer anderen Deliktstruktur der Blaulicht-Krimis kommen bei Befragungen nicht nur Täter und Zeugen zu Wort, sondern vermehrt auch Opfer von (Trick-)Diebstählen und Betrug. Zumeist suchen sie selbst schamerfüllt die Polizei auf, wie in den Folgen »Ein gewisser Herr Hügi« und »Die Butterhexe«.45 Ausnahmslos antworten alle auftretenden Zeugen auf die Fragen der Polizei sehr ausführlich bzw. tragen von selbst den Sachverhalt vor. Während im Stahlnetz ein gewisses Distanzverhältnis zwischen Zeugen und Polizisten bestehen bleibt, entsteht in vielen Blaulicht-Folgen ein nahezu freundschaftliches Verhältnis zwischen Polizei und Bürger. Zwar variiert der Grad der Vertrautheit je nach Alter des Befragten und seinem Zusammenhang zur Tat, aber im Großen und Ganzen versuchen alle drei Ermittler, dem Zeugen ein komfortables Umfeld zu schaffen. Selten sprechen sie auf die Zeugen herab, stattdessen begegnen sie ihnen auf Augenhöhe.46 Gibt es eine Überlagerung von Zeugen und Opfern, ist die Nähe am größten. Dann sitzen die Kommissare wie im Fall der »Butterhexe« gemeinsam mit einer geschädigten, alten Dame an einem runden Tisch im Dienstzimmer Wernickes. Sie hören ihr aufmerksam zu, lassen sie aussprechen und setzen ein mitfühlendes Gesicht auf. Die Szene ist in einer Halbtotale aufgenommen. Um die Anteilnahme der Kommissare, aber auch die Verzweiflung des Opfers zu verdeutlichen, zoomt die Kamera immer wieder auf die Gesichter. Durch ihren Standort gibt die Kamera dem Zuschauer sogar das Gefühl, selbst am Tisch zu sitzen und an der Befragung teilzunehmen.47 Ein weiteres, bereits ausgeführtes Beispiel ist das Vertrauen, das das BlaulichtKollektiv »gefährdeten« Jugendlichen entgegenbringt. Vor allem Wernicke gelingt 45 Auf die Opfer wird im folgenden Kapitel näher eingegangen. 46 Vgl. auch Abschnitt 2.4, Eintreffen am Tatort. 47 Blaulicht, »Die Butterhexe«, 0:41:21.

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es in mehreren Folgen, durch Zuhören und vorsichtiges Einwirkungen, die Jugendlichen auf seine Seite zu ziehen und sie zu einer Aussage gegen ihren jeweiligen »Boss« zu bewegen. Die Opfer und Zeugen nehmen das ihnen entgegengebrachte Vertrauen an und kooperieren mit der Polizei. Das nahezu freundschaftliche Verhältnis zwischen Polizei und Zeugen und die daraus folgenden Ermittlungserfolge sollen die Überlegenheit der DDR-(Fernseh-)Polizei demonstrieren. Vor dem Bau der Mauer wird dabei in einigen Folgen auf das Stilmittel der kontrastierenden Montage und damit des Vergleichs zur Westberliner Polizei zurückgegriffen. Gehen Zeugen und Opfer auf eine Polizeiwache in Westberlin, werden sie selten ernst genommen und müssen hinter einer Art Tresen stehen bleiben, der sie räumlich von den Polizisten trennt. Exemplarisch wird der Umgang mit einem blinden Zeugen im Fall der »Butterhexe« von Regisseur Hildebrandt dargestellt. Der diensthabende Kriminalsekretär hört dem Blinden nur flüchtig zu, dreht sich sogar mit dem Rücken zu ihm, während der Zeuge weiterhin über die unsicheren Verhältnisse in seiner Laubenkolonie klagt.48 Als der alte Mann fertig ist, werden seine Sorgen und Ängste als geringfügig und individuell abgetan; schließlich müsse er doch die »wirklich großen Aufgaben der Polizei« bedenken. Das Desinteresse am Zeugen kulminiert in der Frage des Polizisten, ob der Blinde die Täterin »gesehen« habe. Um die Arroganz des Polizisten zu unterstreichen und die Abneigung beim Zuschauer zu steigern, wird er in einer starken Untersicht gefilmt. Die Trauer und Wut des Blinden scheinen an ihm abzuperlen, denn sein Gesicht ist regungslos. Als der Zeuge sich zunehmend ereifert, dass der Mord an seiner Bekannten schnellstmöglich aufgeklärt werden müsse, hat sich der Kriminalsekretär bereits einer Zeitung zugewandt und stößt seinen uniformierten Kollegen an, den Zeugen hinaus zu komplimentieren. Regisseur Hildebrandt steigert die Antipathie gegen die westdeutsche Polizei noch einmal, indem der Kriminalsekretär den Zeugen mit abfälliger Stimme nach dessen Verlassen kommentiert: »Wie sich der kleine Mann immer die Arbeit der Polizei vorstellt. Als ob das alles so einfach wäre«.49 Das für das Stahlnetz bereits ausgeführte Mittel der Gegenüberstellung mit bereits ermittelten oder vermeintlichen Tätern findet ebenfalls im Blaulicht seine Umsetzung. Aber auch hier weichen die Inszenierungen erheblich voneinander ab. Weder erfolgt die Gegenüberstellung in einem besonderen Raum noch unter besonderen Verhältnissen. Stattdessen stehen sich Täter und Zeugen noch unvermittelter in Wernickes Büro gegenüber, als das bisher festgehalten wurde. Auch wird explizit gewünscht, dass sich die Zeugen laut äußern. Im Falle des »Kindermörders« soll »die kleine Monika«, die von ihm zwar angesprochen wurde, aber nicht mit ihm gegangen ist, den Täter identifizieren. Als Monika Oberleutnant Thomas scheu ins Ohr flüstert, wen sie damals gesehen hat, fordert dieser sie auf: »Aber Monika, so 48 Ebd., 0:10:48. 49 Ebd., 0:10:14–0:13:4:48.

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ein großes Mädchen wie du braucht doch keine Angst zu haben. Komm sags mal laut, dass es alle hören«.50 Monika, die in Normalsicht und einer Halbtotalen zu sehen ist, zeigt auf den Kindermörder und ist sich auch auf Wernickes Nachfrage hin sicher.51 Jetzt, mit einer Großaufnahme auf ihr Gesicht, sagt sie selbstbewusst, fast empört, »wenn er was anderes sagt, glauben Sie ihm ja nicht. Er hat ja schon mal geschwindelt, wollte mir ja gar keine Schokolade schenken, tot wollte er mich machen, hat mir Mutti gesagt«.52 In der wesentlich später produzierten Folge »Maskenball« hatten die Gegenüberstellungsmethoden der Fernseh-Kriminalpolizei sich denen der Stahlnetz-Polizei angepasst. So wird der Zeuge eines Postüberfalls den Verdächtigen zwar auch direkt in einem Büro gegenübergestellt, aber Wernicke weist ihn zuvor in einem anderen Raum in beschwörerischem Tonfall darauf hin: Wernicke: Noch eins, Herr Koch. Lassen Sie niemanden durch nichts anmerken, ob Sie ihn erkannt haben oder nicht. Koch: Soll ich denn ganz dicht drangehen an die Herren? W: Ja, so dicht, wie sie ihm im Postamt gegenüber gestanden sind. […]. Und wenn Sie sich einig sind, dann gehen wir wieder zu mir.53

Abb. 51 und Abb. 52: Hauptmann Wernicke instruiert den Zeugen Koch (l.). Der Zeuge schreitet die Reihe vermeintlicher Täter ab (r.; Blaulicht, »Maskenball«).

Den Ermittlungsschritten der Stahlnetz-Kollegen ähnlich, wenden sich die Blaulicht-Ermittler in verschiedenen Fällen an die Bevölkerung und bitten um deren Mithilfe. So auch in der Folge »In vierundzwanzig Stunden«, in der ein Neugebore-

50 Blaulicht, »Der Kindermörder« (II), 0:50:24–0:50:30. 51 Dass Auf-den-Täter-Zeigen wird auch bei anderen Gegenüberstellungen wiederholt und scheint eine »Eigenart« des DDR-Blaulicht zu sein. Es nimmt in gewisser Weise eine semiöffentliche Abstrafung des Täters vorweg. 52 Ebd., 0:50:38–0:50:52. 53 Blaulicht, »Maskenball«, 0:56:18–0:57:29.

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nes in Ostberlin entführt wird. Eine Zeugin unter den Zeugen, die sich melden, ist Eisenbahnschaffnerin und hat die vermeintliche Täterin gesehen. Doch nicht der Inhalt ist hier relevant, sondern der Reflexionsgrad ihrer Aussage. Obwohl dialogisch nicht weiter eingebunden, kann sie doch als Exempel für eine vorbildliche Zeugenaussage gelten. Denn sie erzählt nicht nur unaufgefordert, was sie gesehen hat, sondern reflektiert, dass sich ihre Erinnerung durch äußere Faktoren durchaus verschoben haben kann. Beispielsweise geht sie davon aus, dass sie die vermeintliche Täterin jünger einschätzte, weil sie ein Kind auf dem Arm hatte. Dass sie die Möglichkeit einer Veränderung ihrer Erinnerung überhaupt in Betracht zieht, unterscheidet sie deutlich von anderen Zeugen dieser und der westdeutschen Krimireihe, die zumeist bei ihrer ersten Meinung bleiben. In den Folgen »Der Kindermörder« (Teil I) sowie »Prozess Jutta H.« wird ein weiterer Aspekt der Zeugenvernehmung inszeniert: die Aussage vor Gericht. Da der erste Teil von »Der Kindermörder« in einem Westberliner Gericht spielt und damit einem ideologischen Muster folgt, soll an dieser Stelle nur die letztgenannte Folge Beachtung finden. Sie zeigt als einzige ein Gericht der DDR. Trotz einer ausführlichen Einweisung in ihre Zeugenrechte wird nur eine Zeugin tatsächlich gehört, alle anderen Zeugenaussagen werden durch Rückblenden überspielt. Es ist die Geliebte des Ehemannes, die vor Gericht aussagen muss. Sie wirkt durch die Autorität des Gerichts gehemmt. Auch muss sie ihre Aussage im Stehen machen, eine Sitzmöglichkeit, wie in den Räumen der Polizei, gibt es nicht. Doch obwohl die Richterin erhöht sitzt, wird filmisch kein besonderes Machtverhältnis durch entsprechende Kameraeinstellungen aufgebaut. Auf diese Weise wird auch die Justiz der DDR als respektvoll und gleichzeitig volksnah und vor allem rechtsstaatlich inszeniert und nicht als übermächtige Institution. Zeugen helfen im Blaulicht jedoch nicht nur durch ihre Aussagen, Täter schnell zu ergreifen. Sie bieten auch aktiv ihre Hilfe bei den Ermittlungen an, wie z. B. der Direktor eines Waggonbau-Betriebes, der in der Folge »Heißes Geld« die Schuhsohlen aller Arbeiter überprüfen lässt. Hier inszeniert sich das Blaulicht erneut solidarischer mit der Polizei, als dies im Stahlnetz zu sehen ist. Als in der Folge »E 605« ein Bankdirektor Geld in einem belebten Café überbringen soll, zögert er und macht deutlich, dass er die Ermittlungen der Polizei nicht unbedingt durch die eigene Person unterstützen will. Die für die Bundesrepublik konstatierten Ressentiments der Bürger gegenüber der Polizei sind im Blaulicht nicht zu finden. Die Blaulicht-Bürger begegnen der Polizei stets respektvoll und sind zu Aussagen bereit. Diese positive Reaktion wird inszenatorisch durch das Vorgehen der Polizei begründet, die ebenfalls auf die Zeugen verständnisvoll zugeht. Und so lässt sich das Verhalten des Blaulicht-Kollektivs mit einer Aussage aus der Folge »Butterhexe« zusammenfassen: »Es erweist sich immer wieder. Wir können auf die Dauer

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nur erfolgreich sein, wenn wir die Menschen über unsere Arbeit orientieren und zur Mitarbeit gewinnen«.54

5.3 B ELEHRUNG DES Z USCHAUERS Die Belehrung des Zuschauers zieht sich durch beide Reihen wie ein roter Faden. Auf mehreren Ebenen werden die Fernsehbürger und realen Zuschauer instruiert, wie sie sich in einem Rechtssystem zu verhalten haben. Bisher wurde herausgearbeitet, wie der Zuschauer durch die Inszenierung selbst, also durch eine Interpretation der Handlung, zu einer tieferen Einsicht in die kriminalpolizeiliche Arbeit kommen konnte. Im nächsten Schritt interessiert, wie der Zuschauer direkt und ohne Umwege angesprochen wird. Im Stahlnetz wird die Belehrung des Zuschauers in erster Linie über den OffKommentar des Kommissars oder eines neutralen Sprechers erreicht. Dabei orientiert sich der Kommentar weitgehend an einer faktenorientierten Darstellung, moralisierende Sätze sind dennoch situationsabhängig zu finden. Da die BlaulichtMacher auf einen Off-Kommentar verzichten, übernimmt der leitende Kommissar, Hauptmann Wernicke, die Belehrungsfunktion auf dialogischer Ebene. Trotzdem war nicht jede Folge gleichermaßen mit belehrenden Sätzen ausgestattet; dies hätte die einzelnen Sendungen wohl auch überfrachtet und den Spaß am Zuschauen gemindert. Dem Konzept der Vorgängerreihe Der Polizeibericht meldet … folgend, wird im Stahlnetz anfänglich die frontale Belehrung verwendet, indem der leitende Beamte in die Kamera spricht. In der zweiten Folge »Bankraub in Köln« spricht sogar ein vermeintlich realer Kommissar die Zuschauer an, indem er direkt in die Kamera blickt. Eingerahmt von einem hellen Hintergrund, spricht Kriminalrat Kiehne in monotoner, etwas aufgeregter, aber damit auch authentischer Weise. Er selbst trägt einen schwarzen Anzug, so dass er als Bildmittelpunkt auftritt. Als er die allgemeine Fallschilderung abgeschlossen hat, geht er in einen beschwörerischen Tonfall über. Die Kamera zoomt in eine Nahaufnahme, um das Gesagte filmisch zu unterstreichen: »Denn gerade die Aufklärung dieses Verbrechens zeigt die Bedeutung Ihrer Mitarbeit mit aller Deutlichkeit. Und beweist einmal mehr, dass der Erfolg der Kriminalpolizei nicht das Ergebnis kriminalistischer Einzelleistung ist, sondern das Ergebnis der Zusammenarbeit sehr vieler Kräfte, unter denen Sie eine der wesentlichsten sind«.55 Die nächste Folge, die den Zuschauer über ordnungsgemäßes Verhalten von Zeugen nach einem Mord instruiert, ist »Das Alibi«, das etwa ein Jahr später 54 Blaulicht, »Butterhexe«, 0:15:38–0:15:45. 55 Stahlnetz, »Bankraub in Köln«, 0:01:52–0:02:23.

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gesendet wurde. Der Mord an Frau Krützfeld wird schnell von den Nachbarn bemerkt, und ein Nachbar läuft zur nächsten Polizeiwache, um ihn zu melden. Als die Polizei eintrifft und die übliche Prozedur beginnt, werden auch die anderen Hausbewohner vernommen, besonders diejenigen, die den Mörder davonlaufen sahen. Sie hätten »nicht nur das Gesicht [gesehen], den Gang, die Figur, alles«, stellt einer der Nachbarn richtig.56 Eine Nachfrage an den Zeugen, ob er vielleicht etwas hatte sehen wollen, weil er etwas Bestimmtes erwartete (ähnlich dem oben vorgetragenen Fall der Schaffnerin in der Blaulicht-Folge »In vierundzwanzig Stunden«), wird von dem Kommissar jedoch abgebrochen, noch bevor der Nachbar antwortet kann. Der Fernsehzeuge erhält im Stahlnetz demnach keine Möglichkeit, seine Aussage zu reflektieren. Da es aber ausgesprochen wurde, ist anzunehmen, dass zumindest der Zuschauer für die Möglichkeit einer fehlerhaften Zeugenaussage sensibilisiert wird. Nach der Befragung aller Zeugen und der Überprüfung der Alibis möglicher Verdächtiger kommen die Kommissare auf das Ehepaar Buttenschön zurück, das auch den Mord meldete. Eine Rekonstruktion am Tatort soll Klarheit über ihre Aussagen bringen – ganz ähnlich einer Gegenüberstellung. »Nach unserer Erfahrung [der Kriminalpolizei, N. H.] musste sich das Ehepaar Buttenschön getäuscht haben, doch die Vermutung allein genügte nicht.« Buttenschöns sollen daher unter gleichen Bedingungen einen zuvor vorgestellten Mann wiedererkennen. Als dies keine Resultate erbringt, resümiert der leitende Kommissar: »Ich hatte richtig vermutet, beide Zeugen hatten prompt auf den falschen getippt. Das erleben wir oft genug. Zeugenaussagen mögen oft präzise sein, aber genauso oft sind sie falsch. Das ist beileibe keine Absicht der Betreffenden, wir wissen das. Wir können es kaum ändern. Nur verlangt man von uns, dass wir es verstehen die Spreu vom Weizen zu trennen«.57 Eindrücklich führt Roland in dieser Szene vor Augen, wie schnell sich Zeugen irren können. Gleichzeitig – und das scheint eine ebenso wichtige Aussage der Szene – braucht der um eine richtige Aussage bemühte Bürger keine Angst zu haben, wenn diese einmal falsch sein sollte. Denn, so die Vorzugslesart dieser Szene, die Kriminalpolizei könne sehr wohl unterscheiden, ob eine Aussage wahr oder unwahr ist.

56 Stahlnetz, »Das Alibi«, 0:09:17–0:09:19. 57 Ebd., 0:28:40–0:29:00. Das Verifizieren von Zeugenaussagen, das realiter nicht immer so einfach ist wie im hier besprochenen Stahlnetz, beschäftigte ebenfalls die kriminalistische Fachliteratur. Vgl. u. a.: J. Fischer: Die polizeiliche Vernehmung; Arntzen, Friedrich: Vernehmungspsychologie. Psychologie der Zeugenvernehmung, München 1978, Arntzen, Friedrich/Michaelis-Arntzen, Else: Psychologie der Zeugenaussage. System der Glaubwürdigkeitsmerkmale, München 21983 sowie Füllgrabe, Uwe: Irrtum und Lüge, Stuttgart 1995.

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Auch in der Folge »Spur 211« wird der Zuschauer noch einmal an seine Pflicht erinnert, die eigene Umwelt aufmerksam wahrzunehmen. Wie leicht sich dabei »Fehler« einschleichen können, wird deutlich in Szene gesetzt. Hier werden Zeugen kurz vor einer Tat von der Kamera in ihrem Alltag festgehalten, bevor sie von der Polizei befragt werden. Der Zuschauer begleitet sie, wie sie von der Arbeit nach Hause kommen, mit ihrem Hund Gassi gehen oder Wäsche zusammenlegen. Zwar macht der Off-Kommentar deutlich, dass diese Menschen für den Fall selbst nicht relevant sind, aber dennoch für die nachfolgende Belehrung. Dahinter steht der Gedanke, dass eine Belehrung sich leichter einprägt, wenn die Möglichkeit der Identifikation geboten wird. Als es nun zur Flucht der Täter im Anschluss an die Tat kommt, begegnen diese nacheinander den genannten Zeugen. Das Bild friert plötzlich ein, und die Standbilder der vier Zeugen werden nacheinander gezeigt. Dass der Film stoppt, ist hier ein besonderes, sonst ungebräuchliches Mittel, um den Kommentar stärker zur Geltung zu bringen. »Vier Zeugen, vier Menschen haben die beiden Täter gesehen. Sie haben beobachtet, wie die Täter flüchteten, alle haben die gleichen Personen gesehen, aber nur wenige ihrer Beobachtungen stimmen überein.«58 Die daraufhin eingeblendeten Zeugenaussagen bestätigen den Kommentar. Und sie bestätigen, was bereits in der Folge »Das Alibi« festgestellt wurde: Zeugen können sich irren. Ein weiterer belehrender Kommentar ist offensichtlich nicht mehr nötig, die Ermittlungen werden nun aufgenommen. Da die Macher auf einen Erzählerkommentar verzichteten, mussten die Zuschauer der Blaulicht-Reihe ihre eigenen Schlussfolgerungen aus dem Subtext der Dialoge und der Inszenierung des Falls ziehen. Bedingt durch den zweimaligen Regisseurswechsel fällt die Belehrung der Zeugen (und des Zuschauers) in den einzelnen Produktionsperioden unterschiedlich aus. Noch zu Beginn des Blaulicht hebt ein kurzes Innehalten des Hauptkommissars seine Aussagen dramaturgisch hervor. Er ist dann allein im Bild in einer nahen Einstellung zu sehen, meist in einer leichten Untersicht, um ihn stärker herauszustellen. Auf diese Weise klärt er beispielsweise dem Vater eines Betrugsopfers, in diesem Fall des Heiratsschwindlers Hügi, darüber auf: »Jeder Bürger hat nicht nur das Recht, sondern auch die moralische Pflicht, Straftaten, von denen er Kenntnis erlangt, zur Anzeige zu bringen. Zu seinem persönlichen Schutz kann er verlangen, dass seine Anzeige vertraulich behandelt wird«.59 Der belehrende Impetus des Hauptmanns steigert sich merklich in der Folge »Splitter«, als Wernicke eine junge Frau über die Folgen einer Falschaussage aufklärt. Obwohl sie aufwendig versucht, ihre Aussage als wahr darzustellen, erkennt Thomas den Schwindel und kann alle von ihr aufgezählten Details widerlegen. Der sonst eher kameradschaftliche Umgang der Ermittler mit den Zeugen schlägt in 58 Stahlnetz, »Spur 211« (I), 0:08:34–0:08:45. 59 Blaulicht, »Ein gewisser Herr Hügi«, 0:22:30–0:22:56.

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dieser Szene in einen ungewöhnlich scharfen Ton um, nachdem ihre Lüge erkannt wird. Thomas und Wernicke, die zuvor noch neben ihr an einem Tisch gesessen haben, stehen jetzt vor ihr. Für kurze Zeit geht die Kamera in die sonst eher unüblichen Auf- und Untersichten, um das angespannte Verhältnis zwischen den Kommissaren und der vermeintlichen Zeugin hervorzuheben und darauf hinzudeuten, dass die beiden Polizisten durchaus Autorität besitzen. Sie fordern die junge Frau auf, ihr auf das Präsidium zu folgen. Mit belegter, schuldbewusster Stimme liest sie am nächsten Morgen auf dem Präsidium das Protokoll ihrer richtiggestellten Aussage laut vor. Im Gegensatz zur »Notlüge« des Zeugen Wippler aus der späteren Folge »Bitte um mildernde Umstände«, der die Kommissare mit Humor begegnen, obwohl sie Ermittlungen ausgelöst hatte, wird dem Zuschauer hier die Problematik einer Falschaussage bei einem Fall wie Mord klar vor Augen geführt. Für die Drehbuchschreiber und das MdI erscheint gegen Ende der Reihe Blaulicht ein weiteres Problem dringlich: die Aufklärung und Belehrung des Bürgers über seine Arglosigkeit im Umgang mit dem Thema Sicherheit. So entrüsten sich Wernicke und Thomas 1966 in der Folge »Maskenball«, wie bereits erwähnt, offen und allgemeingültig: Wernicke: Wie die Kollegen von der Postdirektion. »Bei uns passiert so was nicht. Im Sozialismus ist kein Boden für solche Verbrechen.« Ach, kommen Sie mir doch nicht damit. […]. Aber wir leben doch nicht auf einer einsamen Insel im Stillen Ozean. Wenn drüben lauter solche Überfälle passieren, kann das auch hier inspirieren. Thomas: Da haben Sie recht, die Leute sind bei uns recht arglos geworden. Banküberfälle wie drüben halten sie für ausgeschlossen. Also, wenn ich mir vorstelle, bei uns in der Notenbank erschienen Gangster mit Maschinenpistolen und riefen Hände hoch, ich fürchte, die Leute würden das erst einmal für eine Filmaufnahme halten. Wernicke: Genau! Und diese Arglosigkeit läßt auch den Schlendrian bei den Sicherheitsmaßnahmen einreißen.60

Der Dialog der beiden Ermittler hält nicht nur eine allgemeine Belehrung über das Thema Sicherheit bereit, sondern spielt in geschickter Weise mit einer Reihe von Annahmen der sozialistischen Propaganda und enthüllt zugleich einen überraschenden und vermeintlich ehrlichen Blick auf die Gesellschaft der DDR – nur ein knappes Jahr nach dem 11. Plenum. Zum einen stellen Wernicke und Thomas fest, dass der Sozialismus nicht vom Rest seiner Umwelt abgekapselt existiert und gelebt werden kann. Vielmehr würden die Menschen in der DDR von verschiedenen Seiten beeinflusst, auch und vor allem vom Westen Deutschlands. Thomas hebt in seiner Aussage besonders hervor, wie viel härter die westdeutsche Kriminalität gegenüber derjenigen DDR sei, immerhin kenne der Osten Banküberfälle lediglich 60 Blaulicht, »Maskenball«, 0:33:01–0:33:40.

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aus dem Film. Durch den westlichen Einfluss könnten gerade Bürger, die nicht so tief im Sozialismus verwurzelt sind, leicht beeinflusst und damit kriminell werden, ließe sich die Propaganda im Sinne der Klassenkampftheorie ergänzen. In einem zweiten Schritt wendet sich Wernicke explizit der DDR-Bevölkerung im Film und damit auch dem Zuschauer zu, der sich in seiner Umwelt zu sicher fühle. Dies sei gewissermaßen die Kehrseite einer im Blaulicht fiktional und von der SED real propagierten niedrigen Kriminalitätsrate. Wernickes Entrüstung, die sicherlich auch im Produktionsjahr 1966 auf eine Anweisung des MdI zurückging, lässt sich im »Jahresprogramm für die Öffentlichkeitsarbeit« aus dem Jahr 1970 nachvollziehen. Das MdI wies den Deutschen Fernsehfunk und Rundfunk dazu an, in ihren Sendungen Standardhinweise zu geben auf: •

die Sicherung von Kraftfahrzeugen gegen Diebstahl und unbefugtes Benutzen,



die Sicherung von Wohnungen und Wochenendhäusern bei längerer Abwesenheit,



die Möglichkeit der Verhütung von Taschendiebstählen in Warenhäusern und öffentlichen Verkehrsmitteln einschließlich der Reichsbahn und



die Verhinderung von Diebstählen persönlichen Eigentums während der Ferienzeit.61

Die Allgemeingültigkeit des Dialogs und der Aussage wird für den Zuschauer dadurch unterstrichen, dass die inhaltliche Entwicklung der Folge kurz innehält, und der Dialog somit losgelöst vom eigentlichen Fall betrachtet werden kann. Zum anderen erhalten die Aussagen durch eine Konzentration auf die Gesichter beider Kommissare eine besonders intensive Wirkung und Wichtigkeit. Das hier angeführte Beispiel ist jedoch nicht nur unter dem Aspekt der Zuschauerbelehrung zu sehen, sondern schließt gleichzeitig den Kreis zum Konzept des wachsamen Bürgers.

5.4 D IE E RZIEHUNG ZUR AUFMERKSAMKEIT UND W ACHSAMKEIT . E IN Z WISCHENFAZIT Der Fernsehbürger als Repräsentant der Gesellschaft tritt zumeist unscheinbar als Staffage der vermeintlich normalen Welt im Kriminalfilm auf. Er lässt die Handlung lebendig und realistisch erscheinen. Wie hier herausgearbeitet werden konnte, geht seine Funktion jedoch weit über seine bloße Anwesenheit hinaus, indem er eine wichtige Rolle im pädagogischen Konzept des authentisch angelegten Kriminalfilms erfüllt. Die Kriminalreihen Stahlnetz und Blaulicht weisen dem Bürger innerhalb der Kriminalhandlung drei verschiedene Funktionen zu, die der Zuschau61 Ministerium des Innern, Abt. Presse/Information: Jahresprogramm für die Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums des Innern 1970; 17. 9. 1969, S. 11–12, in: BArch: DO 1/10533.

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er z. T. offensichtlich, z. T. konnotativ auf seine eigene Wirklichkeit beziehen konnte (und auch sollte). Der Bürger sollte erstens zu Aufmerksamkeit (Bundesrepublik) und zu Wachsamkeit (DDR) erzogen werden. Mit diesem pädagogischen Konzepten verband sich ein differenziertes Bürgerbild. Der Stahlnetz-Zuschauer wurde zur selbstständigen Zusammenarbeit mit der Polizei und einer aufmerksamen Beobachtung der Umwelt ermuntert. Dabei kam den Massenmedien eine wichtige Rolle in der Aufklärung und Warnung der Bevölkerung sowie der Animation zur Mithilfe zu. Beobachtet ein Bürger etwas »Abnormes« im Sinne der Kriminalität soll er die Polizei verständigen, aber nicht unbedingt auf eigene Faust ermitteln bzw. den Täter stellen. Diese Aufgabe bleibt der staatlichen Exekutive überlassen. Folgt ein Bürger diesem als vorbildlich inszenierten Verhalten nicht, können die Ermittlungen der Polizei unter Umständen negativ beeinflusst werden. Die vom Ministerium des Innern vorgeschriebene Erziehung zur Wachsamkeit des Blaulicht-Zuschauers ging von einem auf den sozialistischen Staat fixierten Bürger aus, der ebenfalls aufmerksam seine Umwelt beobachtet, aber nicht nur kriminelle Handlungen, sondern auch »politische« und systembedingt unmoralische Normabweichung zur Anzeige bringt. In dieser denunziatorischen Differenzierung unterscheiden sich beide Konzepte voneinander. Da politische Kriminalität im Blaulicht nur am Rande verhandelt wird, wird sie durch eine moralische Komponente ersetzt. Ist das moralische Empfinden eines Einzelnen gestört, hat er darüber die Polizei zu informieren. Zweitens wurde dem Bürger eine wichtige Funktion als Zeuge zugewiesen. Menge und Roland setzten überdurchschnittlich häufig einen Off-Kommentar ein, der den Zuschauer in die verschiedenen Aspekte der Vernehmung, der Gegenüberstellung usw. einführen soll. Der Gestus des Zeigens wird ergänzt durch Szenen der Zeugenbefragung vor Ort oder an ihrem Arbeitsplatz. Hier reagieren die Personen oft ungehalten auf die Fragen der Polizei, die sich nicht immer sofort zu erkennen gibt, um die Aussagen nicht zu beeinflussen. Es wird dem Bürger der Bundesrepublik zwar zugestanden, die Polizei in ihrem Vorgehen zu kritisieren, doch wirken die unwirschen Antworten ungleichgewichtig im Vergleich zur mühevollen Kleinarbeit der Polizei. Die negative Inszenierung verweist gleichzeitig darauf, dass auch der Bürger die Pflicht besaß, der Polizei als »Freund und Helfer« zu begegnen. Das Blaulicht verzichtete weitgehend auf einen Off-Kommentar und übertrug Hauptmann Wernicke die Belehrung des Zeugen, zumeist in Folge ihres negativen Verhaltens. Kritik wird an der Polizei im Blaulicht von Seiten des Krimibürgers nie geäußert. Stattdessen fördert das entgegenkommende Verhalten der Volkspolizei die Kooperationswilligkeit der gezeigten Bürger. Drittens sollte der Zuschauer ganz direkt belehrt werden. Das Stahlnetz nutzte hierzu erneut den Off-Kommentar, um beispielsweise auf Problematiken in abweichenden Zeugenaussagen hinzuweisen. Die häufig betonte kriminaltechnische Überlegenheit der Polizei, die der Off-Kommentar immer wieder herausstellt, setzt

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sich im Bereich der Zeugenvernehmung und Belehrung des Zuschauers über die Superiorität der Polizei fort. Kriminalität, der der Bürger präventiv begegnen kann, wird im Stahlnetz wie im Blaulicht nur auf inhaltlicher Ebene umgesetzt und nicht dialogisch aufgegriffen. Der Zuschauer muss also selbstständig die Belehrungsformel erkennen. Während es in der Bundesrepublik zwischenmenschliche Aspekte sind, die in diesem Zusammenhang hervorgehoben werden, z. B. fehlende familiäre Bindungen, wird in der Reihe Blaulicht die Gutgläubigkeit vieler DDR-Bürger aufgegriffen, die Kriminalität begünstigt. Dies schafft bereits den Übergang in das nächste Kapitel, in dem die Opfer von Verbrechen untersucht werden.

6 Das idealtypische Opfer

Während der Bürger im pädagogischen Konzept beider Reihen eine Figur des positiven Lerneffekts darstellt, kann der Zuschauer aus der Viktimisierung des Fernsehbürgers im negativen Sinne lernen. Da der Figurengruppe der Opfer im Krimi nur wenig Handlungsspielraum zugestanden wird, sich ihre Daseinsberechtigung eigentlich nur auf ein Auslösen der Handlung beschränkt, war die bisherige literatur- oder medienwissenschaftliche Krimiforschung daran desinteressiert wie an der Gruppe der Bürger. Auch die Kriminologie hat in Deutschland erst in den 1970er Jahren eine Hinwendung zum Verbrechensopfer mit Ausbildung eines eigenen Forschungszweiges, der Viktimologie, vollzogen.1 Als Opfer werden »natürliche Personen [bezeichnet], die in direkter Folge eines Verstoßes gegen die Strafrechtsnormen einen Schaden, insbesondere eine Beeinträchtigung ihrer körperlichen Unversehrtheit, seelisches Leid oder einen wirtschaftlichen Nachteil, erlitten ha[ben]«.2 Diese Definition sagt allerdings nichts darüber aus, wie das Opfer in die »bestimmte Lage« geraten ist und welche Teilschuld es gegebenenfalls an seinem Leid trägt.3 Eine zeitgenössische Schablone zur Klassifizierung einzelner Opfer gibt der kanadische Kriminologe Ezzat Abdel Fattah. Er erarbeitete 1967 eine Opfertypologie, die den Tatbeitrag des Opfers als konstituierendes Merkmal begriff. Fattah ging von

1

Zwar lagen bereits einzelne deutschsprachige Studien über die Opfer bestimmter Delikte seit Anfang der 1960er Jahre vor (Vgl. u. a.: Lenz, Edgar: Der Betrogene. Eine kriminologische Untersuchung, Hamburg 1961), aber die internationale Forschung, hier allen voran in Amerika und Frankreich, hatte längst eine Vorreiterrolle übernommen. Hans von Henting gilt als einer der geistigen Väter der Viktimologie. Mit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft emigrierte er in die USA, wo er grundlegende Studien vorlegte.

2 3

B.-D. Meier: Kriminologie, S. 198. Zudem stellen sich eine Reihe weiterer Fragen, z. B. ob der Opferbegriff einzig auf natürliche Personen anzuwenden ist, oder wie Personen erfasst werden, die nicht direkt von der Tat betroffen sind (z. B. Angehörige des primären Opfers). Ausführlicher siehe ebd., S. 199ff.

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insgesamt fünf Opfergruppen aus: nichtteilnehmende, latente, provozierende, teilnehmende und falsche Opfer.4 Fattah wurde zwar von deutschen Kriminologen zunächst für dieses Modell gelobt,5 es setzte sich jedoch langfristig nicht durch. Einer der Hauptkritikpunkte dieser Typologie war die Konzentration auf personale Opfer.6 Verbrechen können schließlich auch an Institutionen, Geschäften, also juristischen Personen, und dem Staat bzw. der Gesellschaft begangen werden. Die amerikanischen Kriminologen Marvin E. Wolfgang und Thorsten Sellin arbeiteten zu diesen Opfergruppen ein Modell der primären, sekundären und tertiären Viktimisierung aus.7 Obwohl auch dieses Modell bereits überarbeitet wurde und in andere Theorien einfloss, kann es gemeinsam mit Fattahs Opfertypologien die Opfer des fiktiven Genres analytisch greifen.

6.1 N ICHTTEILNEHMENDE O PFER Die Gruppe derer, die unschuldig Opfer einer Strafhandlung geworden sind, unabhängig davon, ob sie im Affekt, aus Habgier und anderen niederen Beweggründen getötet, überfallen, in Folge von Alkoholeinfluss angefahren, entführt oder vergewaltigt wurden, ist in der Gesamtbetrachtung beider Kriminalreihen die größte. Der individuellen inhaltlichen Ausrichtung der jeweiligen Reihe geschuldet, überwiegt diese Opferkategorie eindeutig im Stahlnetz-Krimi. Obwohl die Opfer, ähnlich den bereits vorgestellten Zeugen, recht unterschiedlich in Bezug auf Alter und soziale Herkunft sind, können nach oben vorgeschlagenem Schema Unterkategorien der 4

Nichtteilnehmende Opfer: Der Tatbeitrag fehlt völlig; eine mögliche Tat ist der Überfall (aus dem Hinterhalt). Latente Opfer: »Aufgrund bestimmter Merkmale, Kennzeichen, Neigungen und Eigenschaften wird seitens eines potentiellen Täters eine geringe Widerstandkraft angenommen. Derartige Personen sind mehr als andere zur Opferwerdung prädestiniert«. Provozierende Opfer: »Der Täter wird im Vorfeld durch das Opfer gereizt.« Teilnehmende Opfer: »Das Opfer wirkt direkt bei der Tatausführung mit« (z. B. ist das Opfer Mitglied einer kriminellen Gruppe oder zeigt eine »tatgeneigte Haltung«). Falsche Opfer: »Der Betreffende ist entweder nicht wirkliches Opfer einer Straftat (Beispiel: Opfer höherer Gewalt), überhaupt kein (Beispiel: eingebildetes Opfer, Vortäuschen einer Straftat) oder ein Opfer seiner selbst (Beispiel: Selbstmörder)«. Zitiert nach: Kiefl, Walter/Lamnek, Siegfried: Soziologie des Opfers. Theorie, Methoden und Empirie der Viktimologie, München 1986, S. 62.

5

Amelunxen, Clemens: Das Opfer der Straftat. Beiträge zur Viktimologie, Hamburg 1970.

6

Schneider, Hans Joachim: Viktimologie. Wissenschaft vom Verbrechensopfer, Tübingen

7

Sellin, Thorsten/Wolfgang, Marvin E.: The measurement of delinquency, New York/

1975, S. 54–55 und W. Kiefl/S. Lamnek: Soziologie des Opfers, S. 63. London/Sydney 1964.

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Opfertypologien herausgearbeitet werden. Im Folgenden sollen diejenigen unterschieden werden, die Opfer eines Kapitalverbrechens, eines Überfalls oder Missbrauchsopfer werden. Die letztgenannte Kategorie bildet den Übergang zum folgenden Kapitel der latenten Opfer. Opfer eines Kapitalverbrechens Alle Frauen der Reihen Stahlnetz und Blaulicht, die unverschuldet Opfer eines Kapitalverbrechens geworden sind, werden vom Täter im Schlaf überrascht und entweder sofort in ihrem Bett getötet oder in einem anderen Raum der Wohnung.8 Sie sind unterschiedlichen Alters, zwei von drei Opfern sind verheiratet. Hinter allen Taten steht das Motiv der Habgier. Um den Spannungseffekt zu erhöhen, aber auch um das Leiden und die Angst der weiblichen Opfer dem Zuschauer besonders eindrücklich vor Augen zu führen, sieht der Zuschauer die Frauen in den StahlnetzFolgen »Das 12. Messer« sowie »Das Alibi« vor und während der Tat. Zunächst werden ihr Schreck, dann das sich verzerrende Gericht in einer Großaufnahme gezeigt. Eine schnelle Schnittfolge schließt sich an und suggeriert damit gleichzeitig eine rasche Abfolge der Tat. Die temporeiche Schnittfolge und das verzerrte Gesicht der hilflosen Opfer verfehlten ihre emotionale Wirkung – vor allem auf die weiblichen Zuschauer – mit Sicherheit nicht, wenn hierzu auch keine weiteren Aussagen vorliegen. Im Unterschied zu den beiden Stahlnetz-Folgen zeigte Regisseur Hildebrandt nicht, wie der junge Mieter Charly seine Vermieterin in »Kippentütchen« erschlägt. Die Begründung ist in dem ohnehin schwierigen Verhältnis der DDR zum Kriminalfilm zu suchen, gleichzeitig jedoch in der Handschrift des Regisseurs, der im Allgemeinen auf detaillierte Gewaltdarstellungen verzichtete. Ob der Verzicht womöglich von Seiten des DFF oder MdI vorgegeben war, ließ sich nicht nachvollziehen. Allen Opfern ist gemein, dass sie nach der Tat noch einmal in den Fokus der Kamera synonym für den Fokus der Ermittlungen rücken. Für einen kurzen Moment werden die Frauenleichen in einer Halbtotalen bis Totalen fotografiert, um die Brutalität, die tödlichen Verletzungen und das bereits geronnene Blut zu zeigen. Zwei von drei Opfern wurden niedergestochen, und auch Frau Krützfeld hatte in der Folge »Alibi« durch die auf sie abgegeben Schüsse viel Blut verloren. Die Körperlichkeit, mit der die weiblichen Opfer in beiden Reihen präsentiert werden, unterscheidet sie erheblich von denen der männlichen Opfer.

8

Stahlnetz, »Das 12. Messer«; Stahlnetz, »Das Alibi«; Blaulicht, »Kippentütchen«.

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Männliche Opfer, ob zu Hause oder unterwegs getötet,9 werden während der Tat nur schemenhaft, wenn überhaupt, von der Kamera erfasst. Sie stoßen keine Hilferufe aus, sondern sterben still. Gerade bei Taten im sozialen Nahbereich, also in den eigenen vier Wänden bzw. in einem Hotelzimmer, ist die Kamera vollkommen absent. Die Stahlnetz-Folge »Das Haus an der Stör« geht hierbei wohl am weitesten, denn der Tathergang wird ausschließlich über eine Erzählung in Rückblenden rekonstruiert, der Mord selbst wird gar nicht gezeigt. Taten, die an männlichen Opfern verübt werden, die unterwegs sind, gehen fast immer auf Schusswaffengebrauch zurück. Häufig sind der Schuss und das Einsinken des Opfers, doch selten das Gesicht des Erschossenen zu sehen. Die Kamera ist dementsprechend bei allen Morden außerhalb der Wohnung anwesend und nimmt zumeist die Perspektive des Täters ein. In der Stahlnetz-Folge »Spur 211« aus dem Jahr 1962 wird diese Inszenierungspraxis deutlich gesteigert.

Abb. 53 bis Abb. 56: Ermordung eines männlichen Opfers (Stahlnetz, »Spur 211«).

9

Männliche Opfer, die zu Hause/in einem Hotelzimmer getötet werden, sind zu finden in: Stahlnetz, »Die Zeugin im grünen Rock«; Stahlnetz, »Das Haus an der Stör«; Stahlnetz, Strandkorb 421«. Männliche Opfer, die unterwegs getötet werden, sind zu finden in: Stahlnetz, »Nacht zum Ostersonntag«; Stahlnetz, »Spur 211«.

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Die Kamera hat den Fahrer des Wagens und seinen Mörder von der Windschutzscheibe aus genau im Blick (Abb. 53). Der Zuschauer befindet sich damit in einer fast ausweglosen Situation, denn er scheint im Wagen selbst gefangen. Die von der schallgedämpften Pistole erstickten Schreie der zweiten Täterin, die auf der Rückbank sitzt, steigern die Spannung. Roland setzt nur noch Großaufnahmen ein, um zum ersten und einzigen Mal dem männlichen Opfer während der Tat ein Gesicht zu geben und filmt seine verängstigten Augen (Abb. 54). Ein schneller Schnitt auf den Pistolenlauf (Abb. 55) und dann auf das Fahrzeug von außen entlassen den Zuschauer aus der Enge des Autos und der bedrohlichen Situation (Abb. 56). Allerdings geht nur die Fernsehkritik der epd explizit auf die Inszenierung der »Bluttat« ein: »War es bei Durbridge am Anfang nur mit einem schnellen Blick auf die Leiche abgetan gewesen, so servierten die Stahlnetzköche eine Bluttat gleich zweimal, zeigten die Morde mit einer minutiösen Genauigkeit und hatten reichlich viel für die Leichen übrig«.10 Entgegen der despektierlichen Einschätzung des christlichen Kritikers fing Infratest eine positive Resonanz ein. Die befragten Zuschauer zeigten sich von Spannung und Realistik begeistert, wenngleich manch negative Stimme auf die Brutalität der Darstellung abhob.11 Mitgefühl für die Opfer zeigte jedoch keiner der Befragten. Die Inszenierung der nichtteilnehmenden Opfer schließt selbstverständlich den gewaltsamen Tod eines Berufsverbrechers nicht aus.12 Dabei ähneln sich die Motive und Inszenierungsstrategien im Stahlnetz und Blaulicht auffällig. Der Tod des Kriminellen, den zumeist ein Komplize unvermittelt herbeiführt, wird in allen Fällen damit begründet, dass er zu viel wisse und damit für die anderen Kriminellen zu einem Risiko werde. In den Folgen »Ein Toter zuviel« (Stahlnetz) oder »Auftrag Mord« (Blaulicht) werden die Opfer in einem Auto von hinten erschossen (West) oder erdrosselt (Ost). Hiernach erfolgt die »Entsorgung« der Leiche entweder auf einem Feld oder an einer Brücke erhängt, um einen Selbstmord vorzutäuschen. Im Vergleich der beiden Folgen inszenierte Blaulicht-Regisseur Holub »Auftrag Mord« im Jahr 1965 wesentlich spannungsreicher und gleichzeitig brutaler als Roland – allerdings werden auch keine »einfachen« Verbrecher gezeigt, sondern »Spione« aus dem Westen, deren Brutalität hervorgehoben muss. Im Gegensatz zu früheren Inszenierungen bleibt die Kamera vor allem auf den Mörder gerichtet, der lange zögert. Als er dem Opfer letztendlich die Schlinge um den Hals legt, wird dieses aus dem Bild gezogen. Lediglich seine Hand am Lenkrad symbolisiert den

10 Bedenklich wie immer, in: epd/Kirche und Fernsehen (1962) Nr. 49. 11 Infratest-Umfrage, Mittwoch 28. 11. und Freitag 30. 11. 1962, in: NDR-Pressedokumentation. 12 Stahlnetz, »Ein Toter zuviel«; Blaulicht, »Auftrag Mord«; Blaulicht, »Leichenfund im Jagen 14«.

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Todeskampf.13 Obwohl Mosblech in der letzten Blaulicht-Folge »Leichenfund im Jagen 14« den Mord an einem zwielichtigen Mann inszenatorisch erneut aufgreift, scheut er vor solch brutalen Szenen zurück. Lediglich die Hand des Opfers und sein auf die Beifahrerseite gesunkener Körper werden gezeigt.14 Analysiert man die Darstellungen männlicher und weiblicher Opfer im zeitlichen Verlauf, ist eine Brutalisierung für beide Reihen zu verzeichnen. Allerdings nimmt diese beim Blaulicht zum Ende der Reihe, mit dem Regiewechsel zu Mosblech, wieder ab. Im Bezug auf die weitgehende Absenz einer Inszenierung der Tat und des Körpers des männlichen Opfers ließe sich vermuten, dass 13 bis 23 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs männliche Tote auf den Fernsehbildschirm unerwünscht waren. Ob dies nur Ausdruck produktionsspezifischer Entscheidungen war oder tiefer gehende Kollektivmentalitäten beim Zuschauer ansprach, müssen weiterführende Studien klären. Opfer eines Überfalls Überfälle werden in beiden Kriminalreihen – ähnlich wie Mord und Totschlag – aus niederen Beweggründen begangen; die Opfer sind männlich und weiblich. Lediglich die Art der Tatausführung sowie die Tatsituationen sind an den jeweiligen Plot angepasst. Im Folgenden soll unterschieden werden zwischen Überfällen auf das Opfer im häuslichen Umfeld und im öffentlichen Raum. An dieser Stelle sei bereits vorweggenommen, dass die wenigsten Opfer eines Überfalls in dessen Folge versterben, obwohl sie häufig mit einer Schusswaffe bedroht werden. Im Ganzen wurde nur jeweils eine Folge in der Reihe Stahlnetz (»Spur 211«) und Blaulicht (»Der vierte Mann«) gedreht, die einen häuslichen Überfall zeigt. Grund der Überfälle ist dabei allerdings nicht die Arglosigkeit des Opfers, die das Verbrechen hätte verhindern können, sondern die Habgier der Täter. Für den Zuschauer bleibt daher der Schluss, dass er sich nur bedingt schützen kann; zumindest werden auf dialogischer Ebene keine zu ergreifenden Sicherheitsmaßnahmen vorgeschlagen. Alle verbleibenden männlichen wie weiblichen Opfer werden unterwegs oder bei der Arbeit überfallen.15 Dabei gelingt es nicht allen Opfern, um Hilfe zu rufen, vor allem die Überfallopfer in der Reihe Blaulicht werden nicht gehört, da sie allein sind. Die Schreie der Angestellten einer kleinen Berliner Bank der Stahlnetz-Folge 13 Blaulicht, »Auftrag Mord«, 0:28:53–0:31:00. 14 Blaulicht, »Leichenfund im Jagen 14«, 0:23:10. 15 Stahlnetz, »Bankraub in Köln«; Stahlnetz, »Die Blaue Mütze«; Stahlnetz, »Treffpunkt Bahnhof Zoo«; Stahlnetz, »E 605«; Stahlnetz, »In der Nacht zum Dienstag …«; Blaulicht, »Kümmelblättchen«; Stahlnetz, »Nacht zum Ostersonntag«; Stahlnetz, »Der Fünfte Mann«; Stahlnetz, »Ein Toter zuviel«; Blaulicht, »Maskenball«.

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»Treffpunkt Bahnhof Zoo« sind für sie allerdings lebensrettend, denn nur so wird ein Nachbar auf den Überfall aufmerksam und ruft die Polizei.16 Und auch wenn der Überfall für die Angestellte ein Schock war und sie im Anschluss eine Beruhigungstablette nehmen muss, macht sie einen gefassten Eindruck. Dieses Verhalten zeichnet im Übrigen alle überfallenen Bankangestellten und Bankkunden aus. Während des Überfalls benehmen sie sich nahezu »vorbildlich«, nehmen die Hände hoch und folgen den Anweisungen der Täter. Auch ihre Art, mit dem Überfall umzugehen, ist erstaunlich beherrscht. Keine(r) der Überfallenen ist während oder nach der Tat psychisch labil oder muss medizinisch versorgt werden. Die Relevanz der männlichen oder weiblichen Opfer eines Banküberfalls scheint für die polizeilichen Ermittlungen im Vergleich zu Tat und Täter so unbedeutend, dass sie z. T. nicht verhört werden oder die Kommissare ihnen nicht zuhören, wie in der Folge »Treffpunkt Bahnhof Zoo« ironisch aufgegriffen wird.17 So werden auch die »Heldentaten« der Bankangestellten, die sich entweder den Anordnungen des Täters nicht fügen wollen oder sogar versuchen, den Täter selbst zu stellen, in den anschließenden Dialogen nicht vertieft bzw. lobend hervorgehoben. Für den Zuschauer werden hingegen nur die Auswirkungen der »mutigen« Taten eindeutig negativ inszeniert: Entweder zwingt der Bankräuber die Angestellte auf brutale Weise, sich den Anweisungen zu fügen, oder der mit einem Locher nach dem Täter werfende Bankangestellte wird erschossen. Courage, so das Signal an den Zuschauer, zahlt sich weder in der Folge »Der fünfte Mann« noch in einer anderen Folge aus – zumindest in der Deliktkategorie Überfall. Werden Personen auf der Flucht eines Täters überfallen, weil er z. B. Geld braucht, sterben sie häufig durch diesen Überfall. So in den Stahlnetz-Folgen »In der Nacht zum Dienstag …«, als eine Studentin beim Zeitungaustragen ermordet wird, weil der Täter Geld bei ihr vermutet, oder »Nacht zum Ostersonntag«,18 als ein Taxifahrer wegen des Fahrgelds ermordet wird. Wie bereits oben ausgeführt, werden auch hier die weiblichen Toten gezeigt, selbst wenn ihre Beine entblößt sind und ihre Kleidung zerrissen ist. Tote Männer hingegen bleiben nur schemenhaft angedeutet. Opfer eines Verkehrsunfalls Ähnliche Beobachtungen setzen sich bei der Inszenierung der Opfer beider Blaulicht-Verkehrsunfälle fort – jeweils ein Mann und eine Frau. Beide erliegen den Unfallfolgen, da sie keine medizinische Hilfe erhalten; die Täter sind lediglich 16 Ähnlich wie in Stahlnetz, »Die Blaue Mütze«. 17 Der Kommissar hört der überfallenen Bankangestellten zunächst nicht richtig zu, da er sich um den »verunfallten« Gummibaum sorgt. 18 Stahlnetz, »Nacht zum Ostersonntag«, Folge 20, 8. 12. 1965.

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bemüht, die Unfälle zu vertuschen. In der ersten Unfallfolge »Splitter« wird dem Opfer inszenatorisch am wenigsten Aufmerksamkeit geschenkt. Der Unfall wird nicht gezeigt, der Zuschauer sieht den bereits Verstorbenen erst- und letztmalig, als er vor einer fremden Gartentür abgesetzt wird. Sein Körper verschwindet fast in der totalen Einstellung und wird zusätzlich durch die nächtliche Dunkelheit verschluckt. Zu dieser Folge steht im krassen Gegensatz die Inszenierung der »Nachtstreife«. Wie bereits im Kapitel »Der idealtypische Kriminelle« näher ausgeführt, wird den Unfallzusammenhängen ähnlich viel Aufmerksamkeit geschenkt wie dem Unfall selbst. Ein junges Mädchen wird von einem Auto erfasst, dessen betrunkener Fahrer mit überhöhter Geschwindigkeit fährt. In schneller Schnittfolge wird das schmerzverzerrte Gesicht des jungen Mädchens kurz vor dem Aufprall gezeigt. Der Aufprall selbst wird ausgeblendet. Nach dem Unfall ist das Mädchen, ohne sichtbare äußere Unfallspuren, noch einige Male zu sehen, sie erliegt jedoch ihren inneren Verletzungen in der Wohnung ihrer Mutter. Da sie allein war, konnte sie keine Hilfe mehr verständigen. Obwohl sie nach dem Unfall bei Bewusstsein ist, sprechen Täter und Opfer nicht über den Unfall selbst. Sie macht ihm keine Vorwürfe, sondern hat vielmehr Angst vor ihrer Mutter, die ihr verboten hatte auszugehen. Den Schuldvorwurf formuliert stattdessen Hauptmann Wernicke mit großer Vehemenz an den Täter. Unabhängig vom Geschlecht und der Darstellung der Verletzten wird dem Zuschauer aus Opferperspektive noch einmal die möglich Viktimierung im Straßenverkehr aufgezeigt. Denn nicht nur jeder kann (un-)absichtlich zum Täter werden, sondern viel mehr noch auch unverschuldet zum Opfer. Missbrauchsopfer Eine Emotionalisierung des Deliktes erfolgt in den ohnehin stark moralisierenden Folgen über Missbrauchsopfer.19 Innerhalb dieser Gruppe ist zwischen Kindern und einem jungen Mädchen als Opfern zu unterscheiden. Beiden Gruppen wird entweder vor der Tat – wie im Falle der Kinder – oder nach der Tat erhebliche Aufmerksamkeit geschenkt. Im Gegensatz zu anderen Opfergruppen verzichten beide Reihen jedoch darauf, die toten Kinder oder vergewaltigten Mädchen kurz nach der Tat zu zeigen. Lediglich der nackte Arm eines Mädchens in der Blaulicht-Folge »Der Kindermörder« deutet ihren leblosen Körper und damit die Tat an.20 Wie bereits in Abschnitt 4.2 ausgeführt, zeichnen sich die getöteten Kinder durch Leichtgläubigkeit und Naivität aus. Sie haben vergessen, dass sie nicht mit einem fremden Mann mitgehen dürfen. Ob auch ein erzieherisches Verschulden der 19 Blaulicht, »Der Kindermörder«; Blaulicht, »Die Meute«; Stahlnetz, »In jeder Stadt …«; Stahlnetz, »Rehe«. 20 Der Leichnam des ermordeten Jungen in »Rehe« wird nicht gezeigt. Die geschlechterstereotype Darstellung setzt sich damit auch bei den Kindern fort.

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Eltern vorliegt, wird nicht weiter thematisiert; einzig eine Nachbarin weist den Vater in der Stahlnetz-Folge »Rehe« darauf hin, dass dem Kind »die Mutter« fehle. In der Blaulicht-Folge »Der Kindermörder« geht das Opfer Renate selbst darauf ein, dass sie allein ist, weil beide Elternteile arbeiten. Die filmische Argumentation greift diese Hinweise jedoch nicht auf, um daraus das jeweilige Verbrechen abzuleiten. Doch beide Opfer werden nicht nur als leichtgläubig, sondern vor allem als Kinder inszeniert, die sich wie im Falle des kleinen Uwe (Stahlnetz) für die Natur (und im Falle von Renate für Karussells) begeistern. Beide Kinder werden in kleinen Bildausschnitten häufig auf ihr Gesicht und die großen Kinderaugen reduziert, um die Empathie des Zuschauers zu steigern. Denn umso höher das Mitgefühl des Zuschauers ist, desto stärker fällt auch die Verurteilung des Täters aus. Gleichzeitig bleibt der erzieherische Vorwurf an die erwachsenen Zuschauer, dass die Kinder durch ein anerzogenes »Nein« gegenüber fremden Männern die Tat hätten verhindern können. Ebenso unausweichlich wie der Tod der Kinder ist die Vergewaltigung Karins durch den Kopf der »Meute«. Die Kamera blickt hier jedoch nicht weg, sondern filmt das sich windende Mädchen in einer halbnahen Einstellung.21 Für sie ist die Tat so traumatisierend, dass sie sich das Leben nimmt. Der Zuschauer wird sodann nicht nur mit einer Vergewaltigung konfrontiert, sondern auch mit dem leblosen, toten Körper eines minderjährigen Mädchens.22 Wäre die Clique des Täters eingeschritten, hätte die Tat verhindert werden können. Es bleibt die einzige Folge, in der eine Vergewaltigung gezeigt wird, allerdings findet Gewalt an Frauen in anderen Folgen ihre Fortsetzung.

6.2 P ROVOZIERENDE ,

LATENTE UND TEILNEHMENDE

O PFER

Die Opfer, die von Fattah als provozierend, latent und/oder teilnehmend beschrieben werden, tragen zumindest eine Teilschuld an ihrem Opferstatus, wenngleich eine solche Beurteilung keine juristische oder kriminologische Relevanz besitzt, sondern einzig aus der Argumentation der Inszenierung geschlussfolgert wird. Die meisten der nachstehenden Opfer zeichnen sich gegenüber dem Täter bzw. der Täterin durch Nachlässigkeit, Leichtsinn oder unverhohlene Provokation aus. Daher ist gerade der erzieherische Ansatz in der Inszenierung besonders zu beachten, denn die Fahrlässigkeit der Opfer könnte vom Zuschauer durchaus auf seine eigene Lebenswelt übertragen werden. 21 Einzige noch vorliegende Filmszene der Folge »Die Meute«. 22 Beide vorliegenden Rezensionen gehen nicht auf die Vergewaltigungsszene ein, betonen jedoch die »harte Kost« für den Zuschauer. Siehe: o. A.: Neues Deutschland, o. J.; o. A.: Bildschirm am Abend, o. A., o. J., beide in: Archiv Müncheberg.

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Opfer durch Leichtsinn Viel Raum, um sich als Zuschauer den Opfern anzunähern und sie in ihren Beweggründen verstehen zu können, erhalten die jungen Mädchen »In jeder Stadt …«. Wenn diese von einem dubiosen Filmproduzenten des Abends zu einem Vorsprechen eingeladen werden, wirken sie naiv und unerfahren und merken nicht, dass jener unlautere Absichten verfolgt. Als Schaffner sie auffordert sich für Probeaufnahmen auszuziehen, zögern sie und wehren sich zumindest verbal. Durch Alkohol gefügig gemacht, lassen sie seine körperlichen Zudringlichkeiten ob seiner Autorität als »Regisseur« letztlich zu – ihnen ist die Hauptrolle zu wichtig. Als er beginnt, die Mädchen zu berühren, schaut die Kamera weg. Roland kommentierte die Darstellung derartiger Szenen knapp 30 Jahre später mit den Worten: »Bei uns findet beispielsweise kein unappetitlicher Sex statt […], ich habe es immer für legitim gehalten, Leute mit diesen Dingen nicht in die Wohnküche und ins Wohnzimmer zu fallen«.23 Zwar hatte Roland recht, dass »unappetitlicher Sex« nicht stattfand, allerdings verlagerte das Wegblicken der Kamera diese Szenen in die Phantasie der Zuschauer. Gleichzeitig könnte das Abdrehen der Kamera dahingehend gedeutet werden, dass auch viele Eltern wegschauten bei dem, was ihre Kinder taten. Doch es ist eben nicht nur die Naivität der Opfer und ihre Leichtsinnigkeit, sondern es sind bestimmte Träume und Erwartungen, die sie verbinden: einer momentanen Lebenssituation, der familiären Enge oder der Bevormundung durch die Eltern entfliehen, reich und berühmt werden. Eines der Opfer erklärt sich gegenüber der Polizei: »Aber Sie haben ja keine Ahnung, wie es wirklich da unten aussieht. Meinen Sie, mir macht das Spaß, drei Jahre lang in demselben Mantel herumzulaufen? Wenn eine Kollegin, die keinen Pfennig mehr verdient als ich, drei neue in einem Jahr kauft? Ach, was wissen Sie eigentlich von uns«.24 Opfer durch Provokation Alle Opfer durch Provokation verbindet eine besondere Beziehung zum Täter, die in den gezeigten Fällen der Reihen Stahlnetz und Blaulicht in einem Affektmord münden. Bereits im ersten Fall der Stahlnetz-Reihe (»Mordfall Oberhausen«) wird auf diese »besondere« Opfer-Täter-Beziehung Bezug genommen. Zwei Männer geraten mit dem Täter in Streit, dieser verliert die Beherrschung und erschießt beide. Der Zusammenhang zwischen Täter und Opfern sowie die Hintergründe der Affekttat werden nicht weiter ausgeführt, dennoch ist für diese erste Folge der wichtige Befund zu konstatieren, dass die Tat aufgrund einer Provokation zwischen Täter und Opfern erfolgte. 23 B. Vorländer: Stahlnetz. Die Anfänge, S. 145. 24 Stahlnetz, »In jeder Stadt …«, 0:54:37–0:55:47.

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Ähnlich wie Gisela Schinzel, die von ihrem Opfer monatelang »gequält und verhöhnt« wurde, bis sie es umbrachte,25 hielt auch Jutta Heintze26 das Leben, das sie führte, nicht mehr aus. Sie tötete ihr Kind, um den eigenen Mann wieder für sich zu gewinnen, der sie und das Neugeborene ablehnte. Wenngleich das Opfer hier auf den ersten Blick das wehrlose Kind ist, so greift diese Sicht auf den Blaulicht-Fall »Jutta H.« zu kurz. Jutta Heintze ist ebenfalls ein Opfer von Provokationen und Erniedrigungen, allerdings durch ihren Mann, nicht ihr Kind. Die moralische Mitschuld des Mannes am Tod des Kindes wird durch eine Viktimisierung der Frau von dem Gericht, das den Fall verhandelt, hervorgehoben. Wie bereits in Kapitel vier verdeutlicht, legte Regisseur Holub in seiner Inszenierung großen Wert auf die Entwicklung von Tat und Täterin – auch als Opfer. Die Schuld der Täterinnen steht in der Argumentation der beiden Reihen jeder Abrede fern, doch wird sie von verschiedenen Faktoren, u. a. einer Anlage des Täters – vor allem der Täterinnen – zu einem labilen, z. T. aggressiven Charakter wie auch durch den äußeren Einfluss der Provokation deutlich beeinflusst. Die Opfer, zumindest der genannten Stahlnetz-Folgen hätten ihren Tod zwar nicht unbedingt verhindern können, aber tragen in jedem Fall durch ihre Provokation einen Teil der Schuld. Opfer von Kapitalverbrechen Helga Wieberitz, die bereits in Kapitel vier näher beschrieben wurde, kann infolge der Inszenierung als Prostituierte durchaus zur Gruppe latenter Opfer gezählt werden. Der Leichtsinn, einem Seemann auf sein Schiff zu folgen, wird ihr zum Verhängnis.27 Andere Prostituierte der Hamburger Hafenkneipe lehnen dies rundweg ab und bleiben in »sicherem« Terrain. Obwohl Helga Wieberitz einem Gewerbe nachgeht, dass von den meisten Zuschauern wohl als schmutzig und abstoßend und als Gegenentwurf zur »sittlichen, moralischen und reinen Frau«28 empfunden wurde, wird sie als eines der wenigen Opfer näher betrachtet. Der Zuschauer wird aus25 Stahlnetz, »Saison«: 1:22:13–1:22:38. 26 Blaulicht, »Prozeß Jutta H.«. 27 Das Risiko einer Prostituierten beschreibt Rebecca, eine ehemalige Prostituierte, in einem Interview: »In der Süderstraße habe ich gearbeitet. Da gibt es so einen Platz, der beobachtet wird, dass einem nichts passiert. Da fährt man hin mit den Gästen. Und die Autonummer hat man sich gemerkt – oder die anderen Frauen – falls mal etwas passiert und der mit einem abrauscht«. Sylvia, eine andere Prostituierte, spricht über den Beginn ihrer Arbeit Ende der 1970er Jahre: »Man wusste nie, bei wem man einsteigt. Es steht ja nicht dran: ›Ich bin ein Mörder‹ oder ›Ich bin ein Vergewaltiger‹ – und diese kleine Angst ist immer«. Zitiert nach: E. von Dücker/Museum der Arbeit (Hg.): Sexarbeit, S. 79 und 104. 28 M. Freund-Widder: Frauen unter Kontrolle, hier S. 282.

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führlich in ihr Milieu im Hafenviertel von St. Pauli eingeführt, sie wird ihm als Person vorgestellt und sogar bei vollem Namen genannt. Allerdings wird ihr Beruf nur angedeutet, das tatsächliche Aussprechen vermieden. Obwohl dem Opfer aus einer stereotyp-moralischen Verurteilung ihres Berufes heraus die Alleinschuld an ihrem Tod gegeben werden könnte, wird sie bei Auflösung des Falles rehabilitiert. Sie musste sterben, weil sie Geld verlangte, das ihr und ihrer Dienstleistung zustand. Betrugsopfer Eine gänzliche andere Art repräsentieren die ausnahmslos weiblichen, teilnehmenden Opfer verschiedener Betrüger in einer Stahlnetz-29 und mehreren BlaulichtFolgen.30 Dem Leseangebot der Filme folgend, gehören diese Frauen dem »normalen«, dem rechtschaffenen Teil der Bevölkerung an, der einer geregelten Arbeit nachgeht und sich ansonsten wenig auffällig zeigt. Ihre Unbescholtenheit und ihr damit verbundener Glaube an das Gute im Menschen lässt diese Frauen jedoch arglos werden. Wenngleich viele Betrugsopfer in den Kriminalfilmen schon einmal in den Zeitungen von Betrügern gelesen hatten, übersetzten sie diese Information nicht in ihre eigene Lebenswirklichkeit.31 Die Reihe Blaulicht widmet sich in mehreren Folgen intensiv der Gruppe von Betrügern und so bot den Machern die Möglichkeit, verschiedene Opfergruppen näher zu beleuchten und ihnen die Chance einzurichten, sich zu rechtfertigen, aber auch ein Einsehen in ihren Teil der Schuld zu gewinnen. Die erste Gruppe von Opfern sind Rentnerinnen betagten Alters, die der Trickbetrügerin Elisabeth Wendler, der »Butterhexe«, zu schnell Vertrauen schenken und damit unachtsam werden, ihr Portemonnaie auf dem Kaffeetisch liegen lassen oder der Betrügerin Geld für eine Versicherung anvertrauen. Die Fernseh-Volkspolizei erkennt schnell, dass die Bevölkerung, vor allem die »alten Leute«, besonders zu informieren und zu warnen sind. Es werden daraufhin umfangreiche Maßnahmen eingeleitet. Ob derartiges in der DDR auch realiter vorgenommen worden wäre, lässt sich rückblickend nicht einschätzen. Für das Blaulicht kann davon ausgegangen werden, dass derartig propagandistische Bilder dazu beitragen sollten, die Bevölkerung von der Tüchtigkeit der Volkspolizei als Gesamtapparat zu überzeugen. Im Falle der »Butterhexe« haben die Maßnahmen Erfolg; gerade ihr letztes 29 Stahlnetz, »Mordfall Oberhausen«. 30 Blaulicht, »Ein gewisser Herr Hügi«; Blaulicht, »Die Butterhexe«; Blaulicht, »Bitte um mildernde Umstände«, Blaulicht, »Freizügigkeitsverkehr«. 31 »Schließlich«, stellt ein Hannoveraner Kommissar (»Mordfall Oberhausen«) fest, »hatten auch Sie nur gedacht, das [gemeint ist der Pressebericht und die Warnung, N. H.] gilt nur für andere, für Sie trifft das nicht zu. Bei Ihnen war es ja auch ein besonderer Grund, was?« In: Stahlnetz, »Mordfall Oberhausen«, 0:12:59–0:13:05.

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Opfer zeigt sich von Beginn an misstrauisch. Die Macher hofften mit der positiven Darstellung der Opfer wohl auf ein Vorbild für den Zuschauer: Geschädigte gehen zur Polizei, melden einen Betrugsfall und müssen keine Vorwürfe für ihr Verhalten erdulden. Stattdessen ist die Einsicht in die eigene Mitschuld bereits vorhanden, und die Figuren wie auch die Fernsehzuschauer verhalten sich künftig wachsamer. Eine weitere Gruppe von Opfern sind die des Betrügers und Heiratsschwindlers Hügi. Die wohlhabenden Zahnärztinnen, Café- und Hotelbesitzerinnen sehnen sich nach einem Leben im »Westen«, lesen Westberliner Zeitungen und werden so auf deren Heiratsannoncen aufmerksam. In dieser Folge wird die Mitschuld der weiblichen Opfer weniger in ihrer Arglosigkeit gesehen als vielmehr in ihrer losen Bindung an die DDR und den Sozialismus. Doch bis auf wenige Lehrsätze, die Wernicke und Thomas anführen, hilft das Ermittlerteam den Opfern sofort. Nicht alle Opfer gehen zur Polizei – eine betrogene Zahnärztin schämt sich zu sehr für ihre Leichtgläubigkeit. Entschließen sich die durchaus selbstbewussten Frauen jedoch dazu, wirken sich ihre Aussagen positiv auf die Ermittlungen aus. Im Gegensatz zu den Betrugsopfern der »Butterhexe« fordern die geprellten Frauen eine hohe, »lebenslängliche« Strafe für den Heiratsschwindler, da sie den Vertrauensschaden, der ihnen emotional widerfahren ist, hoch bemessen. Die Zeichnung der Opfer bleibt ambivalent, da sie zwar menschlich enttäuscht wurden, aber gleichzeitig mit dem System brechen wollten; die Gleichzeitigkeit von Mitgefühl und Ablehnung beim Zuschauer könnte die Folge gewesen sein. Alle Betrugsopfer zeichnet eine rege Aktivität und Interaktion mit der Polizei aus. Gerade in dieser Opfer- wie Täterkategorie ist der Lerneffekt für den Zuschauer am höchsten, da Aufmerksamkeit und Wachsamkeit die Taten und die Schädigung des Opfers verhindert hätten.

6.3 D IE

SOZIALISTISCHE

G ESELLSCHAFT

ALS

O PFER

In einer Reihe von Blaulicht-Folgen betreffen die ausgeführten Taten keine einzelnen Personen, sondern einen unspezifischen Personenkreis bzw. das »Volkseigentum«32 der DDR. Es werden nicht nur Waren gestohlen,33 sondern auch Kunstge32 »Bezeichnung für das staatliche Eigentum, insbesondere an Unternehmen, Produktionsmitteln sowie Grundstücken. Mit dieser Bezeichnung sollte nach außen dargestellt werden, daß das gesamte Volk Eigentümer und Nutznießer der Betriebe sei. Tatsächlich hatte das Volk keinen Einfluß auf die Verwendung des Volkseigentums, alle Entscheidungen wurden durch die staatliche Bürokratie nach den Richtlinien der SED, die z. T. auch direkt eingriff, getroffen.« In: Wolf, Birgit: Sprache in der DDR. Ein Wörterbuch, Berlin, New York 2000, S. 240. 33 Blaulicht, »Waggon 27-14 44 G«; Blaulicht, »Das Gitter«

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genstände,34 Antiquitäten,35 Lohngelder36 und Baumaterialien37. Der hierdurch entstehende Schaden für die sozialistische Gesellschaft wird nicht weiter beziffert, auch die Empörung des »Volkes« wird nicht gezeigt. In den Folgen »Waggon 2714-44G« (1960), »Antiquitäten« (1961) und »Der vierte Mann« (1967) steht die offene Grenze nach Westdeutschland in einem engen Zusammenhang mit den gestohlenen Waren und Kunstgegenständen, wenngleich sie nicht ursächlich für den Raubtaten selbst ist. In den Folgen »Das Gitter« (1962), »Heißes Geld« (1963) und »Ein Mann zuviel« (1966) wird Geld direkt aus dem Volksvermögen der DDR hinterzogen bzw. gestohlen. Die Jahreszahlen deuten noch einmal an, dass 1961 nicht unbedingt als Zäsur in der Darstellung von Tätern und Opfern gilt. Volksvermögen wurde vor und nach dem Mauerbau ausschließlich von Bürgern der DDR hinterzogen. Und auch wenn einige von ihnen stark nach Westen orientiert oder bereits nach Westberlin geflohen sind, wird ihr Bezug zur DDR eindeutig inszeniert. Alle drei Verbrechen werden in erster Linie von den Polizisten als Stellvertreter des Staates und der Gesellschaft moralisch verurteilt. In den jeweiligen Betrieben sind die Angestellten zwar in gewisser Weise schockiert über die Taten und die moralische Entgleisung der »Genossen«, aber weniger über das abhanden gekommene Geld. Und wenn, dass argumentieren sie nur innerhalb ihrer eigenen Lebenswelt argumentieren. Beispielsweise gibt ein Arbeiter des Waggonbau unmissverständlich zu verstehen, dass er ohne Lohntüte nicht zu seiner Frau nach Hause kommen dürfe.38 Bemerkenswert ist, dass das sozialistische Kollektiv, vertreten beispielsweise durch einen Parteisekretär, nicht als solches spricht und eine Beurteilung der Taten keine zusätzliche, ideologische Komponente erhält.39 Dies könnte die Aussage Hildebrandts in einem mit der Verfasserin geführten Interview bestätigen, dass die BlaulichtMacher bestrebt waren, die allgegenwärtige Übermacht der SED abzuschwächen und den Krimi für breite Zuschauerschichten attraktiv zu halten. Gleichzeitig könnte die Vermeidung plakativer Propaganda auch einer von oben angeordneten Strategie gefolgt sein.

34 Blaulicht, »Der vierte Mann«. 35 Blaulicht, »Antiquitäten«. 36 Blaulicht, »Heißes Geld«. 37 Blaulicht, »Ein Mann zuviel«. 38 Blaulicht, »Heißes Geld« (I), 0:22:08–0:22:18. 39 Nur in der Blaulicht-Folge »Das Gitter« weist Hauptmann Wernicke den Betriebsstellenprüfer Logau intensiv zurecht, dass die Unterschlagung von Geld nur durch seine vernachlässigten Kontrollpflichten in begangenen Umfang möglich wurde. Siehe auch Abschnitt 4.3, »Korruption und Unterschlagung«.

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6.4 W EIBLICHE L EICHTGLÄUBIGKEIT UND ENTBLÖSSTE K ÖRPER . E IN Z WISCHENFAZIT Nach einem Modell des Kriminologen Fattah können die Opfer der beiden Kriminalreihen Stahlnetz und Blaulicht in fünf verschiedene Gruppen geteilt werden. Der Opfertypus des »falschen Opfers« konnte in der Analyse für das Stahlnetz gar nicht und für das Blaulicht nur in einer Folge herausgearbeitet werden. Das minderjährige Mädchen Karin hatte sich nach einer Vergewaltigung durch »Die Meute« das Leben genommen. Der Fall bleibt jedoch singulär. Ein Selbstmord bzw. ein fingierter Opferstatus war in der damaligen Produktionszeit für den westdeutschen Fernsehkrimi nahezu ausgeschlossen. Wesentlich allgemeingültiger als Karins Schicksal sollte das der anderen dargestellten Opfer sein. Zwar fallen viele Personen einem Tötungsdelikt zum Opfer, aber hier ließen sich Unterschiede – vor allem im Tatanteil – feststellen. Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass alle Opfer des teilnehmenden, latenten und vor allem provozierenden Typus ihre Viktimisierung hätten möglicherweise abmildern, wenn nicht gar abwenden können. Dass alle Opfer dieser drei Gruppen weiblich sind, lässt sich mit den Ergebnissen der zeitgenössischen kriminologischen Forschung, die einzelnen Deliktarten bestimmte Opfer-Konstitutionen zuwies, untermauern.40 Darüber hinaus entspricht die Darstellung der Opfer in den Kriminalreihen einer geschlechterstereotypen Sicht auf das Weibliche, das als leichtgläubig und naiv erscheint. Männer werden nicht Opfer von Betrügern, da sie umsichtiger sind. Vielmehr wissen sie weibliche Schwächen für sich zu nutzen. Einzige Ausnahme bildete die weibliche Trickbetrügerin, die »Butterhexe«, der Reihe Blaulicht. Doch bereits ihre Stilisierung zur »Hexe« bzw. einer Heilsbringerin mystifizierte und entmenschlichte sie. Die Gruppe der nichtteilnehmenden Opfer zeigte Schicksale beiderlei Geschlechts und unterschiedlicher Altersstufen. Frauen und Männer können in den eigenen vier Wänden, aber auch im öffentlichen bzw. semiöffentlichen Raum Opfer eines Verbrechens werden. Geschlechterstereotypen, wonach Frauen auf die private und Männer auf die öffentliche Sphäre festgelegt sind, greifen hier zu kurz. Allerdings ist festzuhalten, dass männliche Leichen in der Inszenierung nur angedeutet werden, wohingegen weibliche Körper, ob entblößt oder blutüberströmt, zumindest in einer Halbtotalen in beiden Reihen zu sehen sind. Bezieht man die Opfertypologien auf die in Kapitel vier vorgeschlagenen Verbrechenswelten, fällt auf, dass in der »Scheinwelt« und der »Unterwelt« vor allem nichtteilnehmende bzw. provozierende Opfer zu finden sind. Beide Welten werden in ihrer Tragweite für die Lebenswelt des Zuschauers als minder gefährlich inszeniert, denn die Taten sind regional stark begrenzt oder so spektakulär, dass eine 40 E. Lenz: Der Betrogene.

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breite Opferwerdung unwahrscheinlich ist. Hingegen ist die Wahrscheinlichkeit signifikant höher, Opfer eines Verbrechers der Halbwelt zu werden. Da Unachtsamkeit und die Tarnung des Täters zur Viktimisierung führt, überwiegen latente Opfer entsprechend. Wachsamkeit, so die Schlussfolgerung, ist daher die beste Möglichkeit des Schutzes.

7 Die idealtypische Topografie des Tatortes

»Stadt und Moloch, Land und Kraftquell«1 stellten dichotome Stereotype dar, die spätestens gegen Ende des 19. Jahrhunderts in den öffentlichen Diskurs drängten. Sie speisten sich aus den spürbaren Folgen der Industrialisierung und Urbanisierung: Mitte des Jahrhunderts hatte ein rasanter Bevölkerungsanstieg zu einem beschleunigten Städtewachstum geführt; einhergehend mit der Gründung neuer und der Vergrößerung vorhandener Städte, gewannen das Leben in der Großstadt und die Herausbildung urbaner Strukturen stärker an Bedeutung.2 Eine besondere Entwicklung durchlebte Berlin, das von der Großstadt zur Metropole wuchs. Zugleich dynamisierte sich eine bereits bestehende Stadtkritik im Zuge der soziokulturellen Entwicklungen. Der Antiurbanismus – getragen vom Bildungsbürgertum, Künstlern und Wissenschaftlern gleichermaßen – beschwor Bilder des Untergangs, hervorgerufen durch Lärm, Hektik, Menschenmassen, Dekadenz, Oberflächlichkeit und anderen Zuschreibungen.3 Moralische Verrohung (vor allem der Jugend) und Krimi-

1

Rekurrierend auf den Titel des Sammelbandes: Zimmermann, Clemens/Reulecke, Jürgen (Hg.): Die Stadt als Moloch? Das Land als Kraftquell? Wahrnehmungen und Wirkungen der Großstädte um 1900, Basel 1999.

2

Reulecke, Jürgen: Geschichte der Urbanisierung in Deutschland, Frankfurt a. M. 1985, S. 139. Vgl. auch: Tenfelde, Klaus: Die Welt als Stadt? Zur Entwicklung des Stadt-LandGegensatzes im 20. Jahrhundert, in: Lenger, Friedrich/Tenfelde, Klaus (Hg.): Die europäische Stadt im 20. Jahrhundert. Wahrnehmung, Entwicklung, Erosion, Köln 2006, S. 233–364.

3

Zur Großstadtkritik siehe: Simmel, Georg: Die Großstädte und das Geistesleben [1903], Frankfurt a. M. 2006. Demgegenüber standen positive Attribute wie Modernität, Dynamik, Faszination, Diversität und Entfaltung durch plurale Lebensstile. Vgl. hierzu: Engeli, Christian: Die Großstadt um 1900. Wahrnehmung und Wirkungen in Literatur, Kunst, Wissenschaft und Politik, in: C. Zimmermann/J. Reulecke (Hg.): Die Stadt als Moloch?, S. 21–51.

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nalität seien direkte Folgen gewesen.4 Dem Negativszenario stand das Land, verklärt durch Agrarromantik, »als Jungbrunnen der Nation und Garant einer intakten Gesellschaft« gegenüber.5 Parallel sorgten die sich etablierenden, pluralen Lebensstile und die soziale Heterogenität in den Großstädten für eine Abnahme der subjektiv empfundenen Bedrohung durch den Moloch Stadt. Wenngleich die intellektuelle Großstadtkritik mit der Zeit abflachte, blieb das mediale Stereotyp einer angeblichen Verbindung von Kriminalität und Großstadt – genährt von der polizeilichen Kriminalstatistik – bestehen.6

7.1 S TADT Die beiden Kriminalreihen Stahlnetz und Blaulicht nehmen die bestehenden Stereotypen (oder auch statistischen Evidenzen) zur Grundlage und siedeln die meisten Verbrechen im städtischen Kontext an. Berlin ist für das Stahlnetz nur eine von mehreren Städten, die in den Blick genommen werden. Das Blaulicht konzentrierte sich hingegen in den ersten zwölf Folgen ausschließlich auf die geteilte Stadt. Obwohl Berlin generell den Handlungsraum in einer Vielzahl von Folgen beider Reihen stellt, bildet die Stadt lediglich eine Handlungskulisse, einen Handlungsraum, der die Taten und Ermittlungen authentisch und erfahrbar macht. Um den jeweiligen Stadtraum zu beschreiben, setzten Menge und Roland im Stahlnetz atmosphärische Bilder wie z. B. panoramatische Schwenks aus der Vogelperspektive, Originaltöne, eine auf die Bilder abgestimmte Filmmusik und/oder einen erklärenden Kommentar ein. Dieser Off-Kommentar verband eine Hervorhebung der Topografie, also der Spezifika des Handlungsraums – wie etwa der Stadtlandschaft des Ruhrgebiets in der Folge »Das zwölfte Messer« –, mit einer Einführung in das soziale Milieu. Die aufwendigen Einführungen setzten mit der zweiten Stahlnetz-Folge ein, endeten allerdings bereits in Folge sieben. Ab der achten Folge, »Das Alibi«, begannen die Handlungen unvermittelter; eine Orientierung, an welchem Ort das Verbrechen gerade stattfand, fiel deutlich schwerer. Stattdessen hatten 4

Der Historiker Eric Johnson zeigt in einer dichten Quellenstudie auf, dass die Kriminalitätsraten zwar in den Großstädten um die Jahrhundertwende anstiegen, dass das kaiserzeitliche Deutschland im Gegenzug auch eine der sichersten Gesellschaften – zumindest in Bezug auf die Rate der Tötungsdelikte – war. In: Johnson, Eric A: Urbanization and crime. Germany, 1871–1914, Cambridge 1995.

5

C. Engeli: Die Großstadt um 1900, in: C. Zimmermann/J. Reulecke (Hg.): Die Stadt als Moloch?, S. 33. Es handelte sich um einen stabilen Diskurs, der vom Fin de Siècle bis in die 1940er Jahre Gültigkeit besaß.

6

Vgl. die »Stern«-Reihe »Deutschland deine Kripo« sowie »Auf der Flitze«, in: Der Spiegel 47 (1967), S. 49–54.

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die Stadtansichten nur illustrativen Charakter. Lediglich die Autokennzeichen gaben einen Hinweis darauf, wo ermittelt wurde. Zwar nahm Roland das Konzept der Einführung in Folge zehn und 15 noch einmal auf, hielt aber nicht dauerhaft daran fest. Deutlich präsenter als andere Städte treten in den Stahlnetz-Episoden die Städte Berlin und Hamburg sowie der Städteverbund des Ruhrgebiets hervor, sie sollen daher besondere Beachtung finden. Zudem wird der Blick durch eine Analyse der Kleinstadt ergänzt.7 Die Fernsehmacher des Blaulicht verzichteten auf eine verbale, herausgehobene Einbettung des Handlungsraums. Weder Berlin noch andere Gegenden werden explizit zu Beginn des Films genannt. So manches Mal bleibt der Zuschauer im Unklaren darüber, wo die Ermittler gerade tätig sind. Auch die wenigen gezeigten Stadtansichten machen es schwer, die Handlung zu lokalisieren und Bahnhöfe, Straßen und Gebäude zuzuordnen. Dennoch lassen sich die Städte Berlin und Leipzig klar verorten und sollen im Folgenden nähere Beachtung finden. Die geteilte Stadt – Berlin Beide Stahlnetz-Folgen, in denen Berlin den Ort der Haupthandlung bildet, wurden jeweils vor dem Bau der Mauer gedreht. Hiernach blendeten die westdeutschen Krimimacher die geteilte Stadt aus ihrer filmischen Wahrnehmung aus. In »Die Blaue Mütze« und »Treffpunkte Bahnhof Zoo« wird den Stadtansichten vor allem zu Beginn besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Ein direkter Vergleich der Folgen zeigt, wie unterschiedlich mit dem Topos Großstadt umgegangen wird. Während in der »Blauen Mütze« der Stadtteil Neukölln vorgestellt wird, der übrige Teil der Stadt jedoch keine weitere Bedeutung für die Handlung besitzt, bleibt die Stadt als Handlungskulisse während der gesamten Folge »Treffpunkt Bahnhof Zoo« relevant.

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Dabei handelt es sich nur um eine Auswahl. Westdeutsche Städte wie Stuttgart (Stahlnetz, »Rehe«) oder München (Stahlnetz, »Aktenzeichen: Welcker«) sowie das ostdeutsche Rostock (Blaulicht, »Kümmelblättchen«) oder Magdeburg (»Blaulicht, »Ein Mann zuviel«) bleiben außen vor.

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Abb. 57: Panoramatische Totale auf Neukölln (Stahlnetz, »Die Blaue Mütze«).

In der ersten Berlin-Folge »Die Blaue Mütze« achtet Drehbuchautor Wolfgang Menge bei der Vorstellung der Kulisse darauf, die geografischen und sozialen Fakten des Stadtteils Neukölln hervorzuheben. Der Zuschauer soll die vorbeilaufenden Menschen und Häuserfronten einordnen können und gleichzeitig in das Stadtmilieu, in dem Halbstarke einen Seifenhändler überfallen, eingeführt werden. Der Sprecher referiert: [Kamera über den Dächern, panoramatische Totale, (Abb. 57); N. H.]. Es ist Mittwoch, der 14. August 1957. […]. Das ist übrigens Berlin. Sie brauchen nicht erst zu suchen, das Brandenburger Tor können Sie nicht erkennen, den Kurfürstendamm auch nicht. Dies ist der Stadtteil Neukölln. Früher hieß es hier Rixdorf. [Kommentator fängt an zu singen]. »In Rixdorf is Musike, Musike«. [Wieder Sprechstimme]. Pardon! Heute also Neukölln. Neukölln hat im Westen große Friedhöfe, das Tempelhofer Feld, im Osten Kleingärten und den TeltowKanal. Dazwischen, in der Mitte, Textilfabriken, Brauereien, 235.820 Menschen, sechs Gymnasien, sechs Altersheime, eine Mosaikfabrik, die Hasenheide […] und das Jugendgefängnis, hier Café Schönstätt genannt. [Langsamer Zoom auf ein Fenster. Kamera auf der Straße, Menschen gehen vorbei, Totale; N. H.]. […] Die nüchternen Ziffern für den 14. Bezirk Neukölln sehen so aus: 58 % Arbeiter, 31 % Angestellte und Beamte, 11 % sind selbstständig. 26 km Sektoren- bzw. Zonengrenze, das sind auch nüchterne Ziffern, aber nicht für die Neuköllner.8

Neukölln wird hier als Arbeiterviertel beschrieben, das fern des Berliner Trubels liegt, denn selbst die Kamera vermag aus ihrer erhöhten Perspektive nicht die Wahrzeichen Berlins zu erkennen. Die besagte Schlichtheit des Stadtteils wird auf akustischer Ebene durch eine einfache Melodie unterstrichen. Dem Vernehmen nach werden Vergangenheit und Gegenwart Neuköllns durch einen volkstümlich-

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Stahlnetz, »Die Blaue Mütze«, 0:00:00–0:1:35.

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frivolen Gassenhauer des Fin de Siècle verbunden und zugleich durch die Umbenennung des Stadtteils von Rixdorf in Neukölln im Jahr 1912, um das schlechte Image zu verbessern. Rixdorf war vor allem wegen seiner hohen Kriminalitätsrate und »schlechter Sitten« bekannt.9 Im Heute des Films gibt es allerdings trotz alltäglicher Bilder immer noch Kriminalität in diesem Stadtteil, wie der Verlauf der Handlung zeigt. Vorahnend fällt der Blick der Kamera auf ein randvolles Jugendgefängnis, das verharmlosend »Café Schönstätt« gerufen wird.

Abb. 58 und Abb. 59: Die Gedächtniskirche (l.) und der Berliner Reichstag (r.; Stahlnetz, »Treffpunkt Bahnhof Zoo«).

Ein gänzlich anderes, fast gegensätzliches Berlin wird drei Folgen später in »Treffpunkt Bahnhof Zoo« präsentiert. [Fernsehübertragung zum 45. Sechs-Tage-Rennen (deutscher Kommentar), Filmfest in Berlin mit internationalen Stars (englischer Kommentar), hoher, offizieller Besuch in der Kommandantur Berlin (russischer Kommentar), originale Fernsehbilder; Bilder von Zeitungsschlagzeilen (passend zum russischen Kommentar), Hoteleröffnung (französischer Kommentar), Gedächtniskirche, (Abb. 58); N. H.]. Das ist die Stadt, die Stadt, in der ich arbeite, die Stadt, in der ich lebe. Sie hat ihre Besonderheiten, diese Stadt, ihretwegen wird der Name Berlin fast täglich in der ganzen Welt genannt [Schild: Achtung Sie verlassen West-Berlin 50 m; N. H.]. Wir hier, wir in Berlin haben uns daran gewöhnt, wie eine Filmdiva behandelt zu werden. [Leere Straßen, hinter dem Brandenburger Tor]. Für uns ist das Besondere alltäglich. [Siegessäule]. Die Gegensätze dieser Stadt, wir sehen sie kaum. Damit soll nicht gesagt werden, dass sie uns gleichgültig sind. Im Gegenteil, wenig läßt uns unbekümmert. [Marschmusik, Marschgeräusche, Reichstag, der gerade wiederaufgebaut wird (Abb. 59). Spree, 9

Federspiel, Ruth: Soziale Mobilität im Berlin des zwanzigsten Jahrhunderts. Frauen und Männer in Berlin-Neukölln 1905–1957, Berlin 1999, S. 45. Die 1945 beendete Terrorherrschaft der Nationalsozialisten oder der »Kampf um Berlin« in den letzten Kriegstagen spielen im Kommentar sowie der Folge allgemein keine Rolle.

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leichte Abendmusik, Hochhäuser, Hinterhöfe]. Tja, das Besondere ist für uns alltäglich geworden. Das ist es. Wir sprechen darüber, aber es regt uns nicht mehr auf. [Stadtautobahn.]. Für uns ist Berlin eine Stadt wie jede andere. Unsere Stadt natürlich, aber eine Stadt, in der wir essen und trinken, ins Kino gehen, in die Oper, Freunde treffen, faulenzen und arbeiten …10

In dieser Folge wird der Vier-Mächte-Status der Stadt Berlin von Beginn an betont. Das Einspielen originaler Nachrichtenversätze erhöht die Authentizität des Ortes und der Handlung in besonderem Maße. Ausgenommen die politische geprägte Berichterstattung der »sowjetischen Zone«,11 die einen Bezug auf die Zweite Berlin-Krise andeutet, verbinden freizeitbezogene Ereignisse die Nachrichten aus dem Westteil Berlins. Alle Bilder und Toneinspielungen nehmen Bezug auf die Bereiche Sport, Kultur und Gesellschaft und unterstreichen, auch durch die verschiedenen Sprachen, die Vielfältigkeit und Internationalität der Stadt. Im Gegensatz zur Einführung in die Folge »Die Blaue Mütze«, die den Alltag des Stadtteils Neukölln betonte, wird hier das Außergewöhnliche herausgestellt. Der Kommentar, Berlin sei in der Außenwahrnehmung mit einer »Filmdiva« vergleichbar, wird sogleich von einer passenden, filmmusikartigen Melodie untermalt. Auch die Wahrzeichen der Stadt werden nun gezeigt. Dabei verbindet der Sprecher die jüngste Vergangenheit mit der Gegenwart nicht nur auf unterschwelliger Ebene, sondern stellt eindeutige Bezüge her. Um die stets präsente Vergangenheit visuell zu verdeutlichen, wird sogleich der Reichstag eingeblendet und auf akustischer Ebene mit dem Marschieren von Soldaten und Marschmusik verbunden. Gleichzeitig prägen leere Straßen und Sperrzonen als Symbole für die deutsche Teilung das Bild der Stadt. Obwohl Roland und Menge Berlin als »Schaufenster der Systemkonkurrenz«12 im Wortsinn umsetzten, beziehen sie keine kommentierende Stellung zu den aktuellen politischen Ereignissen. Zwar ist hinter den stereotypen Bildern uniformierter Kräfte, die die DDR bewachen, eine versteckte Kritik anzunehmen, doch bleibt sie auf dieser Ebene stehen. Scheuten Menge und Roland eine klare Stellungnahme zur »Sowjetzone«, um den unterhaltenden Krimi nicht zu überlas10 Stahlnetz, »Treffpunkt Bahnhof Zoo«, 0:00:00–0:02:02. 11 Der Begriff »DDR« oder »Deutsche Demokratische Republik« durfte im offiziellen Sprachgebrauch der Bundesrepublik nicht verwendet werden. Erst mit einer Entspannung in der Ostpolitik kam es ab 1968 zu einer Annäherung und wenig später zu einer Anerkennung der DDR. Siehe zeitgenössisch u. a.: Bender, Peter: Zehn Gründe für die Anerkennung der DDR, Frankfurt a. M. 1968, und Schwarze, Hanns Werner: Die DDR ist keine Zone mehr, Köln 1969. 12 Lemke, Michael (Hg.): Schaufenster der Systemkonkurrenz. Die Region BerlinBrandenburg im Kalten Krieg, Köln 2006, und Warnke, Stephanie: Stein gegen Stein. Architektur und Medien im geteilten Berlin 1950–1970, Frankfurt a. M. 2009.

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ten? Zumindest Wolfgang Menge zeigte mit der Fernsehserie »Ein Herz und eine Seele« ein gutes Jahrzehnt später, dass Unterhaltung und politische Stellungnahme durchaus möglich waren. Unter dem Eindruck der beiden Stahlnetz-Folgen überrascht ein Blick auf die Reihe Blaulicht. Keine einzige Folge zeigt die neuen »Ikonen« der Stadt wie z. B. die Stalinallee/Karl-Marx-Alle13 oder den Mitte der 1960er Jahre beginnenden Ausbau des Alexanderplatzes. Auch der Vier-Mächte-Status wird nicht angesprochen. Vielmehr existiert Berlin vor allem auf überdimensionierten Stadtplänen, die die Wände der Polizeiräume schmücken und vor denen oft beraten wird. Ein »authentischer« Seh-Eindruck Berlins wird hingegen nicht vermittelt.14 Die wenigen Szenen außerhalb der Büros sind zumeist durch kleine Bildausschnitte bis zu einer Halbtotalen, selten einer Totalen, eingefangen. Meist rasen die Einsatzfahrzeuge so schnell an den Gebäuden vorbei, dass eine Identifizierung der Umgebung kaum möglich scheint. Das Bild von Berlin beschränkt sich damit fast ausschließlich auf die Dienstzimmer (Abb. 60), deren Gebäude nur einmal in der »Butterhexe« gezeigt wird, und entlegene Randgebiete und Laubenkolonien (Abb. 61).

13 Vgl. Borngräber, Christian: Planung und Aufbau der Stalinallee und des Zentrums in OstBerlin, in: Boberg, Jochen/Fichter, Tilman/Gillen, Eckhart (Hg.): Die Metropole. Industriekultur in Berlin im 20. Jahrhundert, München 1986, S. 328–337; Müller, Doris: »Wir bauen die erste sozialistische Straße Berlins«. Die Stalinallee in der politischen Propaganda im ersten Jahr des »Nationalen Aufbauprogramms Berlin 1952«, in: Vorsteher, Dieter (Hg.): Parteiauftrag: Ein neues Deutschland. Bilder, Rituale und Symbole der frühen DDR, München 1996, S. 220–223 und S. 369–388 sowie S. Warnke: Stein gegen Stein, S. 94–119 und S. 141–151. 14 Stadtpläne werden in einigen Stahlnetz-Folgen von den Ermittlern eingesetzt, um beispielsweise den Fluchtweg des Täters zu rekonstruieren. Siehe: Stahlnetz, »In der Nacht zum Dienstag …« und Stahlnetz, »Der fünfte Mann«. Björn Bollhöfer konnte ähnliche Inszenierungsstrategien für den derzeitigen Kölner Tatort herausarbeiten. Der Stadtplan im Büro des leitenden Kommissars Ballauf »ist besonders geeignet, um bei längeren oder häufig frequentierten Innenaufnahmen den Handlungsort präsent zu halten«. Im Gegensatz zu Stahlnetz und Blaulicht wird der Stadtplan des Kölner Tatort jedoch vielmehr als »Verankerung der Geschichte in einem referentiellen Raum« genutzt, so Bollhöfer. Bollhöfer, Björn: Geographien des Fernsehens. Der Kölner Tatort als mediale Verortung kultureller Praktiken, Bielefeld 2007, S. 138–139.

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Abb. 60 und Abb. 61: Oberleutnant Thomas vor einem Stadtplan Berlins (l.); eine Berliner Laubenkolonie (r.; Blaulicht, »Butterhexe«).

Eine Erklärung für die unspezifische lokale Ausdehnung ist auf zwei unterschiedlichen Ebenen zu suchen: Zum einen unterstreicht sie den Ansatz der Reihe, dass Kriminalität nicht an den Ort, sondern das kapitalistische Denken in den Köpfen der DDR-Bürger gebunden ist. Zum anderen erlaubten die technischen Bedingungen der ersten Fernsehjahre solch eine filmische Gestaltung nicht. Wie bereits an anderer Stelle beschrieben, mussten alle Außenaufnahmen von der DEFA angefertigt werden, da der Fernsehfunk nicht über die nötige Ausstattung verfügte. Zudem wurden die ersten zwölf Blaulicht-Folgen mit einem recht kurzen zeitlichen Vorlauf gesendet, für eine aufwendige filmische Gestaltung blieb daher keine Zeit. Erst als die Lücken zwischen den einzelnen Teilen immer größer und die Technik handhabbarer wurde, wurden auch mehr Stadtaufnahmen (wie in den Folgen »Auftrag Mord« und »Nachtstreife«) möglich. Fernab der bildlichen Gestaltung wird Berlin dialogisch nie als Großstadt begriffen, die dem Topos nach aus sich heraus für Kriminalität verantwortlich ist. Allerdings beherrscht der Ost-West-Gegensatz sehr klar das Bild der Stadt. Der offiziellen Propaganda folgend, wurde stetig auf den schädigenden, ideologischen Einfluss sowie auf die räumliche Nähe Westberlins verwiesen.15 Eine Verlagerung der Handlung in den Berliner Westen findet jedoch lediglich in der Blaulicht-Folge »Waggon 27-14-44G« statt. Allerdings werden auch hier keine authentifizierenden Bilder der Stadt gezeigt; zwei Flaschen der Marke »Coca-Cola« sollen, neben einer dialogischen Andeutung, darauf verweisen.16 Bemerkenswert ist, dass der Bau der

15 Sehr eklatant in den Folgen »Die Butterhexe« und »Der Kindermörder« vor Schließung der Grenze. 16 In ähnlicher Weise grenzüberschreitend wird in der Folge »Antiquitäten« eine Kurzreise der Kunsthehlerin nach Stuttgart inszeniert. Aus dem Dialog geht hervor, dass sie einen Interzonenflug genommen hat. Bilder dieses Fluges oder der Stadt werden ebenso ver-

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Berliner Mauer und die Schließung der Grenze am 13. August 1961 keine Erwähnung in der Reihe findet, obwohl der »antifaschistische Schutzwall« doch in offizieller Lesart helfen sollte, den »schädigenden« Einfluss des Westens zu minimieren.17 Die Großstadt – Hamburg und Leipzig Während Jürgen Roland in den Einführungen der beiden Westberlin-Folgen vor allem einen Aspekt der (geteilten) Großstadt betont, zeichnen sich die ersten Bilder der Hafenstadt Hamburg durch die Gegenüberstellung von unerwartet Gegensätzlichem aus. [Totale, Revuemusik, verfremdet durch langgezogene Töne von Blechbläsern, Autos, eine Straße voller Leuchtreklamen, es folgen immer wieder andere Leuchtreklamen, halbnahe Aufnahmen von Plakaten; N. H.]. Das kennen Sie vielleicht: populärstes Vergnügungsviertel in Deutschland. […]. Besser, so kennen Sie St. Pauli: Bars, Tanzdielen, Cafés, Eckkneipen, Sittenfilme, Damenringkämpfe, Kamelreiten im Keller, schwarze Venus, weiße Venus, Venus zu Pferde. Die Reeperbahn mit hochtrabenden Lichtreklamen über drei oder vier Stockwerke hinweg. [Musikwechsel, Musik jetzt vorsichtiger, einfacher, z. T. nur Töne; N. H.]. Aber neben den Neonröhren sind Fenster. Fenster von Wohnungen, auf die Sie wahrscheinlich nie geachtet haben. Was sich dort abspielt, steht auch in keinem Verhältnis zu dem, was unten angepriesen wird. [Musikwechsel, getragene Abendmusik; N. H.].18

Roland beginnt diese vierte Stahlnetz-Folge mit erwarteten, stereotypen Bildern des bekanntesten Stadtteils Hamburgs: Leuchtreklamen von Tanzbars, die von passender Revuemusik begleitet werden.19 Volle Straßen und Lokale signalisieren die Beliebtheit der Reeperbahn. Doch das offizielle St.-Pauli-Bild, als »Fließband der

mieden – nicht zuletzt wohl auch, um das Bedürfnis und die Sehnsucht der eigenen Bevölkerung kleinzuhalten. 17 Zur Visualisierung der geschlossenen Grenze siehe Kapitel acht. 18 Stahlnetz, »Die Tote im Hafenbecken«, 0:00:00–0:01:03. 19 In Reiseführern der Stadt Hamburg stand (und steht) St. Pauli meist im Mittelpunkt, und die »Reeperbahn wurde zu einem Reservoir für alles, was in der übrigen Bundesrepublik verboten war, insbesondere die zur Zurschaustellung von Nacktheit, denn Striptease und barbusiges Schlammringen erfreuten sich in den fünfziger Jahren größter Beliebtheit«. In: Sneeringer, Julia: »Fließband der Freuden«. Die Vermarktung Hamburgs und der Reeperbahn in den 1950er und 1960er Jahren, in: Forschungsstelle für Zeitgeschichte (Hg.): Zeitgeschichte in Hamburg, Hamburg 2008, S. 41–56, Zitat S. 47.

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Freude«,20 wird zugleich konterkariert, als der Zuschauer nüchtern darauf hingewiesen wird, dass in diesem Stadtteil durchaus Menschen wohnen, die einem geregelten Leben nachgehen und die einen »normalen« Alltag haben, der nicht (nur) aus Tanz und Erotik besteht. Diese Menschen, wie etwa der gewöhnliche Hafenarbeiter, finden hingegen keine nähere Beachtung, sondern der Mord an einer Prostituierten wird zum Gegenstand der Folge.21 Obwohl die Filmmontage die »normalen« Mietshäuser durch einen Schnitt in die folgende Einstellung mit dem späteren Opfer verbindet und auch sie damit zu einer »normalen« Mieterin macht, bleibt das Klischee einer Verbindung von Gewalt, Prostitution und St. Pauli durch die Hintergründe ihres Todes aufrechterhalten. Der Regisseur Jürgen Roland nahm diese Verbindung in seinem späteren Kinofilm »Polizeirevier Davidswache« auf, in welchem er die Polizeiarbeit auf dem Kiez mit dem z. T. kriminellen Milieu des Stadtviertels verband. Die Historikerin Julia Sneeringer unterstellt dem 1963/1964 gedrehten Film, »die Reeperbahn zum Synonym für Kriminalität« gemacht zu haben.22 Wenn dem so ist, trug sicherlich bereits die Stahlnetz-Folge »Die Tote im Hafenbecken« aus dem Jahr 1958 dazu bei. Nur zwei Folgen später führen Bilder und Kommentar in eine gänzlich andere Facette der Stadt ein. Weihnachtliche Musik und volle Schaufensterauslagen künden davon, dass sich die Hansestadt stellvertretend für ganz Westdeutschland von den schweren Tagen des Krieges erholt hat und das Wirtschaftswunder in dieser Vorweihnachtszeit in voller Blüte steht. [Totale, Hamburger Jungfernstieg oder Mönckebergstraße, Menschentreiben auf der Straße, Weihnachtsmusik, übergehend in Jahrmarktmusik; N. H.]. So strahlt die Stadt jedes Jahr in den Wochen vor Weihnachten, in den Wochen, die wir gerade hinter uns haben. [Halbtotalen, Schaufensterdekorationen, Schaufensterauslagen, verkantete Einstellungen, Kamera dreht sich langsam; N. H.]. Alles ist freilich ein bisschen größer geworden im Laufe der letzten Jahre, ein bisschen lauter, ein bisschen heller. […, Drehorgelmusik/Jahrmarktmusik, Bilder Neuer Wall; N. H.].23

Eine versteckte Kritik am immer größer werdenden Weihnachtstrubel, der keine Zeit zur Einkehr mehr lässt, wird durch die Intonation des Sprechers deutlich, der seine Stimme an den entsprechenden Stellen deutlich absenkt. Die Bildgestaltung 20 Ebd. Der Titel von Sneeringers Aufsatz rekurriert auf eine Werbebroschüre der Stadt Hamburg aus dem Jahr 1961, herausgegeben von Fremdenverkehrs- und Kongreß-Zentrale Hamburgs. 21 Vgl. hierzu Abschnitt 4.6. 22 J. Sneeringer: »Fließband der Freuden«, in: Forschungsstelle für Zeitgeschichte (Hg.): Zeitgeschichte, S. 46. 23 Stahlnetz, »Sechs unter Verdacht«, 0:00:40–0:01:01.

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unterstützt die Tonebene durch verkantete, schräge Einstellungen. So beginnt sich die Kamera beim Filmen der Schaufenster und Straße gegen den Uhrzeiger zu drehen. Die Waren entwickeln eine regelrechte Sogwirkung, Schwindel stellt sich ein. Aber der Ärger wird verschluckt vom Glitzern, vom Flimmern, vom Blitzen. Er wird erstickt vom Blickfeuer unzähliger Glühbirnen. [Menschen vor Schaufenstern: Fisch, Spielwaren, Schuhe; N. H.]. Da wird angepriesen und gekauft, da wird gewünscht und gegeben. Der Alltag scheint auf Urlaub zu sein, ein paar Wochen hindurch spiegelt sich die Heiterkeit dieses Festes in den Augen der Passanten. In allen Augen, auf allen Gesichtern? [Schnelle Rückwärtsfahrt durch Neuer Wall; N. H.]. Natürlich nicht. Aber auf den meisten. [Kaufhaus, Menschenmengen strömen einer Rolltreppe entgegen, Kamera fährt mit dieser nach oben; N. H.]. Doch der Kummer bleibt nicht aus, weil das Leben nicht stillsteht. Auch in diesen Tagen nicht. Und wer in dieser Zeit leidet, leidet deshalb doppelt. Geringe Lasten drücken schwerer.24

Der Einführung in den Stadtteil St. Pauli ganz ähnlich, rekurriert der Sprecher auf etwas Gegensätzliches. Auf der einen Seite steht die Zeit, an der gemeinhin dem Fest entgegengefiebert wird. Auf der anderen Seite der vorweihnachtlichen Unbeschwertheit stehen Menschen, die durch etwas Negatives – einen Verdacht – belastet werden. Der Kommentar bietet darüber hinaus eine weitere Dimension an, die sich von der primären Handlung abhebt, und auf die der zeitkritische Autor Menge verweist: Es gibt Menschen, die leiden, weil sie nur ein geringes Einkommen beziehen, das den Konsum in der bunten Warenwelt nur bedingt ermöglicht, oder die familiäre Belastungen ertragen, etwa weil der Krieg die Familie auseinandergerissen hat. Zwar reiht sich Menges Konsumkritik hier nicht in den Chor derer ein, die Amerika zum Sinnbild für Vermassung und die Veränderung von Lebensstilen brandmarken,25 doch sind kulturpessimistische Ressentiments spürbar, zumindest in der Weise, dass sie zu bedenken geben, dass nicht alle gleichermaßen am Wohlstand und Glück der Zeit Anteil haben. 24 Ebd., 0:01:10–00:01:52. 25 Axel Schildt beschreibt die Amerikanisierung des deutschen Konsums in drei Wellen. Dabei betont er, dass amerikanische Lebensstile, Waren und Einflüsse nicht 1:1 übernommen wurden, sondern den deutschen Traditionen angepasst wurden. In: Schildt, Axel: Amerikanische Einflüsse auf die westdeutsche Konsumentwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Haupt, Heinz-Gerhard/Torp, Claudius (Hg.): Die Konsumgesellschaft in Deutschland 1890–1990. Ein Handbuch, Frankfurt a. M. 2009, S. 435–447. Zur Konsumkritik seit Mitte der 1950er Jahre vgl.: Wildt, Michael: Konsumbürger. Das Politische als Optionsfreiheit und Distinktion, in: M. Hettling/B. Ulrich (Hg.): Bürgertum nach 1945, S. 255–283, vor allem S. 278ff. sowie A. Schildt/D. Siegfried: Deutsche Kulturgeschichte, S. 187–188.

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Auch in der dritten und letzten Hamburg-Folge »In jeder Stadt …« nehmen Roland und Menge erneut Gegensätze auf. Allerdings tragen sie diese Gegensätze nicht in ein bestimmtes soziokulturelles Milieu hinein, sondern bleiben auf einer für jeden Zuschauer übertragbaren Ebene. Die nachstehende Schilderung ist sogar so universell zu verstehen, dass Hamburg für jede beliebige Stadt stehen könnte, in die das geschilderte Verbrechen, der sexuelle Missbrauch an minderjährigen Mädchen, beliebig transferiert werden kann. [Dampfertuten, Möwenschreie, Panoramatotale über Hamburger Hafen, Landungsbrücken; N. H.]. Was hier am Beispiel Hamburgs berichtet wird, passiert täglich in jeder Stadt. Auch in Ihrer. [St. Pauli, Leuchtreklamen, Revuemusik; N. H.]. Lassen Sie sich nicht davon irritieren, was Sie im Augenblick sehen, St. Pauli, Vergnügungsviertel einer Hafenstadt. Aber dieses Viertel hat mit unserem Film nichts zu tun. Uns interessiert nur das Auto, das durch die Nebenstraßen fährt, dem Hafen zu.26

Doch obwohl das Verbrechen in jeder anderen Stadt stattfinden könnte, wie im Übrigen fast alle Folgen der Stahlnetz-Reihe, werden Bilder präsentiert und benannt, die untrüglich Hamburg auszeichnen: der Hafen, die Landungsbrücken und St. Pauli – das Vergnügungsviertel nicht einer Hafenstadt, sondern der Hafenstadt Hamburg.27 Ob der Zuschauer bei solch starken Bildern tatsächlich die Transferleistung in seine eigene Stadt vollziehen konnte, bleibt ungewiss. Die Rezensionen gehen lediglich auf das Titel-Wortspiel »In jeder Stadt …« ein, um den über Hamburg hinaus weisenden Charakter zu verdeutlichen, geben aber kein Beispiel aus ihrer jeweiligen Region. Ein mögliches, wenngleich nicht so herausgehobenes Beispiel einer ostdeutschen Großstadt neben Berlin ist Leipzig. Zwei von 29 Folgen der Reihe Blaulicht28 spielen in dieser Stadt mit ihren 600.000 Einwohnern. Erstmalig entfernen sich die Filmemacher von der »Grenz-Stadt« Berlin in der ersten nach dem Mauerbau ausgestrahlten Folge »Antiquitäten« und richten ihren kriminalistischen Blick auf die traditionsreiche Messestadt Leipzig.29 Wenngleich ein einführender Kommentar 26 Stahlnetz, »In jeder Stadt …«, 0:00:00–0:01:00. 27 Amenda, Lars/Grünen, Sonja: »Tor zur Welt«. Hamburg-Bilder und Hamburg-Werbung im 20. Jahrhundert, München 2008, S. 9–100. 28 Blaulicht, »Antiquitäten«; Blaulicht, »Nachtstreife«. 29 Hintergrund war eine längere Diskussion um das Einsatzgebiet der drei Ermittler, ob dieses für alle Folgen auf Berlin beschränkt bleiben oder auf das gesamte Staatsgebiet der DDR ausgeweitet werden solle. Zur Messestadt Leipzig allgemein siehe u. a.: Gormsen, Niels: Leipzig – Stadt, Handel, Messe. Die städtebauliche Entwicklung der Stadt Leipzig als Handels- und Messestadt, Leipzig 1996, besonders S. 9–14. Zeitgenössisch vgl. u. a.: Goebel, Christiane Renate: Leipzig. Vom Werden der Messestadt, Leipzig 1963.

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und Bilder fehlen, wird Leipzig szenisch und dialogisch charakterisiert. Zwei Punkte treten dabei besonders hervor: Internationalität und Vergnügen. Trotz Mauerbau sind die Betten des »Hotel Excelsior«, eines der ersten Häuser am Platze, mit ausländischen, überwiegend westlichen »Delegierten« (der Leipziger Messe) belegt. Der von Leutnant Timm zu befragende Hotelmanager hat viel zu tun, um die Gäste zu versorgen. Ständig wird er aus dem Gespräch gerissen, weil das Telefon läutet und er mit guten Französisch- und Spanisch-Kenntnissen glänzt. Doch Leipzig ist nicht nur Anziehungspunkt westlicher Besucher, es zeichnet sich auch durch seine Bars aus, deren weibliches, leicht bekleidetes Personal als Zeichen der Exklusivität nur »Mixgetränke« serviert. Der Eindruck, es herrsche hier »westliche Dekadenz«, wird durch das gehobene Interieur der Bar mit seiner verspiegelten Decke und der ausgesuchten Kundschaft – zu dieser zählt u. a. der Adelige, Baron von Bentheim, der am Ende der Folge von der Polizei wegen illegaler Kunstgeschäfte verhaftet wird – verstärkt. Trotz negativer Einfärbung und eindeutig westlicher Konnotation können Hotel und Bar positiv als Modernität der DDR verstanden werden, die sich trotz Schließung aller Grenzen als ein offenes Land präsentiert, das weder ausländische Besucher zurückweist, noch das gehobene Vergnügen verbietet. Ein Einordnung Leipzig in die eine oder andere Richtung findet in keinem der Dialoge statt, sie gehen vielmehr neutral mit ihr um. Es blieb letztlich dem Zuschauer überlassen, sich eine Meinung über die Stadt zu bilden. Ein gänzlich anderes, weniger »dekadentes« Bild der Stadt Leipzig wird sehr viel später, in der vorletzen Blaulicht-Folge, »Nachtstreife«, gezeichnet. In Anlehnung an den beständigen Off-Kommentar der westdeutschen Krimireihe, führt Wernicke den Zuschauer hier ein einziges Mal in die Handlung und damit auch deren Ort ein, indem er erklärt, dass sich der Kriminaldauerdienst im Einsatz befinde. Die Großstadt Leipzig wird durch Bilder stark befahrener Kreuzungen, Häuserschluchten und den durch diese Szenerie fahrenden Einsatzwagen charakterisiert. Dynamische Schnitte und die bekannte, lebhafte Eingangsmelodie der Reihe tragen dazu bei, dem Zuschauer ein positives Bild der Polizei und Stadt gleichermaßen zu vermitteln. Dennoch verzichtet der Regisseur Manfred Mosblech darauf, die Arbeit der Polizei etwa durch Panoramatotalen in einen größeren bildlichen Zusammenhang zur Stadt zu stellen. Wieder sind es meist kleinere Bildausschnitte, die, wie in anderen Folgen, dominieren. Und so werden die gezeigten Taten in keine Verbindung zu Leipziger Sehenswürdigkeit gebracht, sondern bleiben universell. Die in der ersten Leipzig-Folge betonte Vielfältigkeit und Internationalität der Messestadt findet in dieser Folge ihre Fortsetzung; etwa indem Dreharbeiten der DEFA gezeigt werden oder ein betrunkener Engländer, der den Weg zu seinem Hotel vergessen hat, die Polizeidienststelle des Blaulicht-Kollektivs aufsucht und um Hilfe bittet. Mosblech kann damit nicht nur das Klischee des Alkohol genießenden Engländers unterbringen, sondern zugleich die Hilfsbereitschaft der Polizei

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demonstrieren. Leutnant Timm nimmt sich des Engländers sogleich an und steht ihm zur Seite, sein Hotel wiederzufinden. Der Städteverbund – das Ruhrgebiet Eine andere Facette von Urbanität ist das von Industriekultur geprägte Ruhrgebiet.30 Jürgen Roland nimmt den Städteverbund bereits in der fünften Folge in seine Kriminalerzählung auf. Bis 1961 wird das Ruhrgebiet insgesamt fünf Mal Handlungsort der Reihe Stahlnetz sein, hiernach bricht das filmische Interesse für diese Region ab. Dennoch spielen damit fast ein Fünftel aller Fälle in einer Umgebung, die stark vom Arbeitermilieu geprägt ist. Um die Besonderheit der Landschaft für den Zuschauer deutlich abzubilden, wird der »Kohlenpott« in der Folge »Das 12. Messer« zunächst in einer panoramatischen Totale präsentiert. Im Gegensatz zu anderen Folgen, die von einer fröhlichen Melodie eingeführt werden, begleitet ein fast spröde wirkendes Harmoniumspiel die Bilder, das jedes Originalgeräusch der Stadtlandschaft übertönt und diese in gewisser Weise künstlich erscheinen lässt: Das ist das Ruhrgebiet mit über fünf Millionen Bewohnern. Die Grenzen zwischen den Städten scheinen willkürlich gezogen, man weiß kaum, wo etwa Essen beginnt, und wo Bochum aufhört. Die Kohle hat dem Gebiet seinen schwarzen Stempel aufgedrückt. [Kohlenwagen; N. H.]. 298.736 Männer fahren täglich ein, in drei oder vier Schichten aufgeteilt. [Kumpel beim Abstieg; N. H.] Auch heute am Sonnabend sind sie unter Tage. In siebeneinhalb Stunden erst werden sie alle aus der Tiefe des Schachtes wieder ans Tageslicht kommen.31

Der Kommentar weist den Zuschauer jedoch nicht nur auf die massive Dichte des Ruhrgebietes und die einzigartige Gestaltung der Landschaft hin, sondern auch auf das für das Ruhrgebiet wichtigste Merkmal: den Kohlebergbau. Durch die Montage aus Bild und Ton entsteht ein vermeintlich authentischer Eindruck der Schwere der Bergarbeit unter Tage. Das dreckig-verrußte Ruhrgebiet steht damit im krassen Gegensatz zur sauberen Urbanität Berlins oder Hamburgs.32 Düstere Musik mit 30 Vgl. u. a.: J. Reulecke: Geschichte der Urbanisierung in Deutschland, S. 83ff.; Reulecke, Jürgen: Stadtentwicklung und Verstädterung vom 19. zum 20. Jahrhundert, in: Zimmermann, Michael (Hg.): Die Erfindung des Ruhrgebiets. Arbeit und Alltag um 1900, Essen 2000, S. 177–195 sowie Laak, Dirk van: Land der Städte. Städtestadt. Literatur über das Phänomen Ruhrgebiet 1911–1961, Essen 2009. 31 Stahlnetz, »Das 12. Messer«, 0:00:00–0:00:37. 32 Obgleich auch im Hamburger Hafen verschiedene Güter verladen wurden und es durchaus dreckig sein konnte, werden solche Bilder nicht gezeigt. Das Hamburger Hafenbild ist von den Landungsbrücken aus ein zutiefst touristisches.

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einzelnen Staccato-Tönen, die wie Rauch aus brennenden Schloten schießen, komplettiert das stereotype Bild des Ruhrgebiets. Und so verwundert es beinahe, dass weder dieser Fall noch die nachfolgenden tatsächlich im Ruß der Kohle spielen. Auch wird in den nachfolgenden Filmen der industrielle Kontext des Ruhrgebietes immer weniger betont, lediglich Idiome wie in der Folge »Das Alibi« oder Autokennzeichen33 weisen auf den Handlungsort hin. Es scheint so, als wollte Roland durch eine immer stärkere Abkehr vom »Stempel Kohle« die Vielfalt des Ruhrgebietes zeigen, indem er die Folgen in die private Umgebung einer ausgelassenen Silvestergesellschaft (»Zeugin im grünen Rock«), ins Freibad (»E 605«) und in das kleinstädtische Milieu verlegte. Dennoch war auf die industriellen Hintergründe nicht in Gänze zu verzichten und so enden die Folgen »E 605« wie auch »Die Nacht zum Dienstag« in Fabrikhallen und Hochöfen. Dem Drehbuchautor Prodöhl standen durchaus ähnliche industrielle Landschaften zur Verfügung, man denke nur an das Vorzeige-Kombinat »Schwarze Pumpe« bei Spremberg. Interessanterweise finden in diesen Kontext nahezu keine Kriminalhandlungen, ob in der Literatur, dem Film oder Fernsehen statt. Ein Erklärungsansatz für das Aussparen dieses »Milieus« könnte in der ideologischen Überhöhung der DDR-Großbaustellen als Sinnbild für den Aufbau des Sozialismus gelegen haben. Die heroischen Arbeiter hatten die Grundsätze des Sozialismus zumindest in der Propaganda des Staates vollkommen internalisiert und ein Verbrechen an diesem Ort war somit ausgeschlossen. Vielmehr diente das Kombinat als Vorlage für die Aufbau-Literatur der beginnenden 1960er Jahre wie in Brigitte Reimanns Roman »Ankunft im Alltag« – in der die Auseinandersetzung mit dem Aufbaumythos jedoch keineswegs konfliktfrei dargestellt wurde.34 Der einzige Fall, der in einem industriell-handwerklichen Zusammenhang angesiedelt ist, ist die 1963 gesendete Doppelfolge »Heißes Geld«. In dem fiktiven Betrieb »Waggonbau Grohlitz« wird eingebrochen und alle Lohngelder werden entwendet. Die Arbeiter des Betriebs können am Ende des Verdachts entlastet werden, da ein Lehrling, Sohn eines Professors, sich des Verbrechens schuldig gemacht hatte.35 Obwohl längere Passagen der Folge innerhalb des Werksgeländes spielen, 33 Stahlnetz, »E 605«. 34 Brigitte Reimann: Ankunft im Alltag, Berlin 2010. Zur Forschung vgl. u. a.: Zimmermann, Peter: Industrieliteratur der DDR. Vom Helden der Arbeit zum Planer und Leiter, Stuttgart 1984; Krenzlin, Leonore: Soziale Umschulung und neuer Lebensstil. Der »Bitterfelder Weg« und ein Blick auf Brigitte Reimann, in: Badstübner, Evemarie (Hg.): Befremdlich anders. Leben in der DDR, Berlin 2000, S. 539–551; Wiesener, Barbara: Brigitte Reimanns »Ankunft im Alltag«, in: Barck, Simone/Wahl, Stefanie (Hg.): Bitterfelder Nachlese. Ein Kulturpalast, seine Konferenzen und Wirkungen, Berlin 2007, S. 165– 172 sowie H. Wrage: Die Zeit der Kunst. 35 Vgl. hierzu Abschnitt 4.4.

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erscheinen die Bilder alltäglich und es kommt zu keiner Heroisierung des Arbeiters als Typus.36 Die Mittel- und Kleinstadt Nicht nur das industrielle Milieu, sondern auch die Kleinstädte der DDR wurden nahezu gänzlich aus der »Fernseh-Kriminalstatistik« verbannt. Es findet sich daher keine Blaulicht-Folge in diesem Kontext. Dennoch sei auf eine DEFAFilmproduktion der 1960er Jahre verwiesen, die die Kleinstadt zur Handlungskulisse der Kriminalkomödie »Hände hoch – oder ich schieße!«37 erhebt. Den Regisseur Hans-Joachim Kasprzik reizte jedoch nicht nur das kleinstädtische Milieu, in dem alle Bewohner miteinander bekannt sind, er verband damit einen ironischen Blick auf die DDR-Propaganda, die eine stetig sinkende Kriminalitätsrate proportional zum Aufbau des Sozialismus kolportierte. Nicht von ungefähr wurde der Film auf dem 11. Plenum 1965 verboten. Dennoch lohnt ein kurzer Exkurs auf die 2009 restaurierte Fassung: Für Leutnant Holms,38 einen jungen, aufstreben Kriminalisten, ist es eine schier unerträgliche Situation, dass in der Kleinstadt Wolkenheim die Kriminalitätsrate bei null liegt – auf dem niedrigsten Stand in der gesamten DDR. Und daher muss sein Vorgesetzter, Genosse Major – im Übrigen der aus Blaulicht sehr wohl bekannte Hauptmann Wernicke/Bruno Carstens –, ihn des Öfteren zurechtweisen: »Wir sind doch hier nicht in Blaulicht! […] Ich appelliere an Ihr politisches Bewusstsein. Quasi haben Sie gar keinen Anspruch auf einen Fall, weil die Kriminalität als solche …« – »… für uns nicht typisch ist. [vervollständigt Holms den Satz; N. H.]« – »Wir sind eine geschlossene Gesellschaft«.39 Neben einem Verweis auf das Blaulicht, der noch einmal betont, wie bekannt die Fernsehreihe war, ist dieser kurzer Ausschnitt ein Beispiel für den schmalen Grat der Kriminalitätsdarstellung in der DDR. Ging sie mit der offiziellen Leitlinie kritisch bzw. ironisch um, wurde sie verboten.

36 Vgl. hierzu u. a.: Finke, Klaus (Hg.): Politik und Mythos. Kader, Arbeiter und Aktivisten im DEFA-Film, Oldenburg 2002; Barck, Simone/Mühlberg, Dietrich: Arbeiter-Bilder und Klasseninszenierung in der DDR. Zur Geschichte einer ambivalenten Beziehung, in: Hübner, Peter/Kleßmann, Christoph/Tenfelde, Klaus (Hg.): Arbeiter im Staatssozialismus. Ideologischer Anspruch und soziale Wirklichkeit, Köln 2005, S. 163–190. 37 »Hände hoch – oder ich schieße!«, Regie: Hans-Joachim Kasprzik, DDR/Bundesrepublik Deutschland 1965/1966 + 2009, http://www.filmportal.de/df/5c/Uebersicht,,,,,,,,F21AAC FABED243039934EC9FB33A5DDA,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,.html, 9. 5. 2013. 38 Der Nachname Holms kann durchaus als Anspielung auf den Detektiv Sherlock Holmes verstanden werden. 39 »Hände hoch – oder ich schieße!«, 0:30:14.

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Vor eine gänzlich andere Situation sind die Kommissare der westdeutschen Fernsehkriminalpolizei gestellt, denn mittel- und kleinstädtische40 Kriminalität ist hier kein Auslaufphänomen. Zwar suchen nicht unbedingt organisierte Banden die abgeschiedene »Idylle« des Fernsehparadieses heim, aber Beziehungstaten, wie in der Folge »Das Haus an der Stör«, sind keineswegs ausgeschlossen. Im einführenden Kommentar dieser 17. Stahlnetz-Folge wird der Zuschauer zunächst auf den Tat-Raum, die Kleinstadt Meldorf, verwiesen: »Die Stör und das Haus. Beides an der Südwestecke in Schleswig-Holstein. In dem Teil unseres Landes, der immer ein wenig abseits von allem ist. Nie wirklich wichtig, nie richtig reich […]. Und auch die Stadt Itzehoe ist für uns nur interessant als Ausgangspunkt einer Reise, die wir mit unseren beiden Kriminalbeamten vorhaben«.41 Die Reise selbst unternehmen Kommissar Roggenburg und seine Kollegin Petersen mit der Deutschen Bundesbahn – laut Roggenburg die bequemste Art zu reisen. In dem gebuchten Liegeabteil können sie nicht nur den Fall in allen Einzelheiten besprechen, sondern auch die vorbeiziehenden Landschaften und Städte bestaunen; die Fahrt nach Oberbayern dauert immerhin über zehn Stunden. Roggenburg, in der Kleinstadt Itzehoe beheimatet, äußert sich anerkennend über die Mittelstadt, in diesem Fall Göttingen: »Da wollte ich mal studieren, als ich noch klein war. Der Name klang so vielversprechend. Es gibt wenige Städte, die einen Namen haben, der gebildet klingt, geruhsam und klug. Göttingen, ja, Göttingen hat das alles«.42 Die angedeutete, aber nie erfüllte Sehnsucht ist für seine Kollegin wenig nachvollziehbar, sie hätte darüber noch nie nachgedacht – und enthüllt damit einen stereotyp-kleinstädtischen und damit vermeintlich begrenzten Blick. Da sich die Kommissare vom eigentlichen TatRaum entfernen, wird dessen Charakterisierung jedoch weitgehend unmöglich. Auch die Rückblenden zeigen selten Außenansichten. Damit scheint sich der Fall mit der Reise von diesem Ort zu lösen, gewissermaßen zu enträumlichen, und am Ende auf die beiden Mörder zu reduzieren. Drei Jahre später wird die Kriminalhandlung wieder stärker an die Kleinstadt selbst gebunden, wenngleich eindrückliche Bilder ebenfalls fehlen. Die Kamera zeigt nur kleine Bildausschnitte einer Innenstadt, Gassen und Häuser werden angedeutet. Der Fokus liegt vielmehr auf Sparkasseninnenräumen, die aneinander montiert werden, um die Bankraubserie »Des fünften Mannes« zu illustrieren. Ziel sollte es in erster Linie sein, die rheinland-pfälzische Provinzialität vorzuführen, denn der Bankräuber hatte sich die Kleinstädte und Dörfer nur ausgesucht, weil es keinerlei Sicherheitsvorkehrungen gab. Roland und Menge kommentieren diese Naivität mit einer abschätzigen Bemerkung des Täters über die »idealen« Zustände, 40 Zur Mittelstadt vgl. jüngst: Schmidt-Lauber, Brigitta (Hg.): Mittelstadt. Urbanes Leben jenseits der Metropole, Frankfurt a. M. 2010. 41 Stahlnetz, »Das Haus an der Stör«, 0:00:00–0:00:52. 42 Ebd., 0:30:41–0:30:56.

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die er hier vorfinde. Ein Appell, wie er in der Blaulicht-Folge »Maskenball« über das schwindende Sicherheitsdenken der Bevölkerung und der Angestellten43 möglich war, erschien den Stahlnetz-Machern entweder zu plakativ oder beim westdeutschen Publikum Mitte der 1960er Jahre wohl nicht (mehr) möglich.

7.2 L AND Der Übergang von der Kleinstadt zur ländlichen Gegend ist fließend. Waren überhaupt nur wenige Folgen der Kriminalreihen in der Kleinstadt auszumachen, wurde der dörfliche Kontext so gut wie ausgeklammert. Lediglich eine Stahlnetz-Folge widmete sich mit »Verbrannte Spuren« explizit der ländlichen Region um Hamburg. Das Blaulicht situiert die Handlungen der Folgen »Das Gitter« und der »Der vierte Mann« in einem (unbekannten) Dorf, ohne jedoch den spezifischen ländlichen Charakter des Handlungsraums auf dialogischer oder bildlicher Ebene zu betonen. Allerdings werden jeweils zwei Stahlnetz-44 und eine Blaulicht-Folge45 in einem typischen Urlaubsort gedreht. Das Dorf Das prototypische Dorf Westdeutschlands lokalisieren Roland und Menge im »Hamburger Hinterland«. Fachwerkhäuser, Reetdächer und Ackerland bestimmen die Landschaft. Doch interessieren sich weder Protagonisten noch Kamera für das sonst eher ungewöhnliche Ambiente. Vielmehr wird der landwirtschaftliche Raum ohne Kommentar in die Handlung eingefügt. Eine heimatfilmische Idylle, wie sie im zeitgenössischen Kino präsentiert wurde,46 ist hier allerdings lange zu suchen. Im Vordergrund steht vielmehr die Bevölkerung des Dorfes. Ihre Struktur ist hauptsächlich von Bauern geprägt, denen alteingesessener Adel vorsteht. Beide Sphären werden bereits in den ersten Minuten der Folge angedeutet. Die Szene beginnt mit vier Karten spielenden Bauern, die sofort ihren Stammtisch verlassen, als Feueralarm ertönt. Kontrastiert wird das selbstlose, aufopfernde Verhalten durch den ansässigen Landadel, die von Altmanns. Sie reagieren nicht auf die gut vernehmbaren Schreie, die von außen hereindringen. So wird die erwachsene Tochter des Hauses entsprechend gemaßregelt, als sie dennoch unruhig wird: »Wir sind beim

43 Vgl. auch Kapitel fünf. 44 Stahlnetz, »Saison«; Stahlnetz, »Strandkorb 421«. 45 Blaulicht, »Freizügigkeitsverkehr«. 46 Vgl. u. a.: Moltke, Johannes von: No place like home. Locations of Heimat in German cinema, Berkeley 2005.

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Essen, mein Kind«.47 Erst als eine junge Engländerin, Gast des Hauses, verlautbart, es brenne, sind auch die von Altmanns alarmiert. Doch wenngleich die Tochter kurz darauf die Brandstätte aufsucht, hilft sie – als Frau und Angehörige des Adels – nicht beim Löschen der Scheune. Die Bauern scheinen die Distinktionsunterschiede jedoch weit weniger gravierend wahrzunehmen als sie. Wenig später ist sie zunächst unsicher, ob sie nicht Ärger mit ihrem Vater bekommen würde, der Wert auf Etikette und die Beibehaltung einer klaren Hierarchie legt, als sie sich an den Stammtisch der Bauern setzt. »Ich glaube nicht, dass Papa sich freuen wird, wenn ich mich da mit ’ransetze«, lässt Fräulein von Altmann ihren Begleiter, den als Pferdemaler getarnten Kriminalpolizisten Eismann, wissen.48 Die von ihr betonten Unterschiede zeigen sich ebenso deutlich an Kleidung und Sprache. Die Bauern pflegen einen lässigen Sprachstil, jedoch ohne plattdeutsches Idiom. Sie und ihr Vater sprechen Hochdeutsch und Englisch. Während Bauern und Adelsfamilie nebeneinander ohne weiter benannte Vorurteile leben, zeigen sich auf Seiten der Kriminalpolizei, die von außen in das Dorf kommt, kleine Ressentiments gegen die scheinbare adlige Dominanz: »Wer war denn dieser neugierige Herr?« (Brandexperte der Kriminalpolizei Rendsburg) – »Herr von Altmann.« (Schutzpolizist des Dorfes) – »Ach, also ein Aristokrat, wie ich aus ihren Andeutungen entnehmen darf« (Brandexperte).49 Doch die Polizei steht nicht nur den von Altmanns, sondern auch der dörflichen Gemeinschaft insgesamt skeptisch gegenüber. Als der leitende Kommissar den Staatsanwalt über sein Vorgehen aufklärt, Eismann als Pferdemaler verdeckt ermitteln zu lassen, gibt er zu verstehen: »Wichtiger ist, dass er sich dort bewegen kann, ohne dass man merkt, dass er ein Kriminalbeamter ist. Man weiß ja nie in solchen Dörfern, ob die nicht alle unter einer Decke stecken.« – »Ja, wir haben da schon die tollsten Sachen erlebt, lieber Strobel.« (Staatsanwalt) – »Ja, wir auch«.50 Die Szene illustriert einmal mehr, dass die staatliche Exekutive nicht frei von Vorurteilen war. Die weiteren Ermittlungen »entlasten« die Dorfgemeinschaft jedoch. Vielmehr wurde die Abgeschiedenheit der Landschaft von zwei Städtern genutzt, um Selbstmord – bzw. Mord und Brandstiftung – zu begehen. Das »Land« bleibt demnach unschuldig. Da im ostdeutschen Blaulicht überhaupt sehr wenige Außenaufnahmen eingespielt werden, ist es nahezu unmöglich, eine Folge einem bestimmten ländlichen Kontext zuzuweisen. Zwar verweisen die Folgen »Das Gitter« und »Der vierte Mann« mittels schmaler, dörflicher Straßen und vereinzelter Bebauung auf solche Zusammenhänge, aber die Dörfer als solche werden nicht benannt. Auch eine vermeintliche Dorfbevölkerung tritt nicht als Akteur in Erscheinung, weder aktiv noch 47 Stahlnetz, »Verbrannte Spuren«, 0:01:14. 48 Ebd., 0:24:28–0:24:30. 49 Ebd., 0:04:57–0:05:05. 50 Ebd., 0:22:53–0:23:06.

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passiv. Über den Fortgang des staatlich forcierten Aufbaus des »sozialistischen Dorfes« erfährt der Zuschauer nichts.51 Der Urlaubsort Im 20. Jahrhundert war das Recht auf Urlaub keineswegs selbstverständlich. Galt die Einführung des arbeitsfreien Sonntags am Ende des 19. Jahrhunderts bereits als Errungenschaft, warteten Arbeiter, Angestellte und Beamte noch einige Jahrzehnte auf die Durchsetzung von bezahltem Urlaub. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg regelten Urlaubsgesetze einen Mindesturlaubsanspruch von zwölf Arbeitstagen, der 1963 in einem bundeseinheitlichen Gesetz auf 18 Tage erhöht wurde. Auch in der DDR wurde mit der Verfassungslegung ein Recht auf Urlaub festgeschrieben.52 Da die Arbeitszeiten in beiden Staaten in der Regel noch sehr lang waren und sich der arbeitsfreie Samstag erst in den 1950er bzw. 1960er Jahren durchsetzte, galt freie Zeit und besonders der Urlaub als wertvolles Gut. Die freien Wochenend- und Urlaubstage wurden jedoch nicht nur in den eigenen vier Wänden verbracht, sondern vermehrt auf Reisen. Der staatliche Feriendienst des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) entwickelte sich im Laufe der Jahre zum größten Reiseveranstalter und bot fünf Millionen DDR-Bürgern Urlaubsplätze in eigenen Ferienheimen, Campingplätzen oder ähnlichen Einrichtungen an. Der hier genannte »Sozialtourismus der DDR« (Spode), der Anleihen am KdF-Tourismus der NS-Zeit nahm,53 fand in der Bundesrepublik wenig Anklang. Hier setzte sich die Individualreise, begünstigt durch die schnell zunehmende Motorisierung, durch. Während die bundesdeutschen Urlauber ihre Ferien bis zum Ende der 1950er Jahre noch über51 Vgl. hierzu aus Sicht der DDR: Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED (Hg.): Das sozialistische Dorf. Sozialstruktur und Lebensweise, Berlin (O) 1985. Zur Forschung über das sozialistische Dorf vgl. u. a.: Humm, Antonia Maria: Auf dem Weg zum sozialistischen Dorf? Zum Wandel der dörflichen Lebenswelt in der DDR von 1952 bis 1969 mit vergleichenden Aspekten zur Bundesrepublik Deutschland, Göttingen 1999 und Schöne, Jens: Frühling auf dem Lande? Die Kollektivierung der DDRLandwirtschaft, Berlin 22007. 52 Zur Urlaubsgesetzregelung vgl. u. a. Mertsching, Klaus: Recht auf Urlaub, in: Hütter, Hans Walter/Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hg.): Endlich Urlaub! Die Deutschen reisen. Begleitbuch zur Ausstellung im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Köln 1996, S. 20–24. 53 Zum KdF-Tourismus vgl. u. a.: Baranowski, Shelley: A family vacation for workers. The strength through joy resort at Prora, in: German History 25 (2007), H. 4, S. 539–559 und Spode, Hasso: Der Aufstieg des Massentourismus im 20. Jahrhundert, in: H.-G. Haupt/C. Torp (Hg.): Die Konsumgesellschaft in Deutschland, S. 114–128, hier S. 121–123. Zum Tourismus in der DDR siehe: H. Wolter: Ich harre aus im Land. Vgl. auch Abschnitt 3.1.

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wiegend im eigenen Land verbrachten, lagen die Reiseziele in den 1960er Jahren vorwiegend in den angrenzenden Nachbarstaaten und südlich der Alpen.54 Die Faszination des Reisens machte auch vor dem Fernsehkrimi nicht halt, und so fanden deutsche Reiseziele ebenfalls Eingang in die beiden Reihen Stahlnetz und Blaulicht. In beiden Reihen werden dem Zuschauer allerdings erreichbare Ziele präsentiert wie das Skigebiet im Harz55, die Insel Norderney56 oder die Mecklenburger Seenplatte.57 Alle drei genannten Folgen waren jedoch weniger audiovisuelle Reiseführer inländischer Urlaubsgebiete, vielmehr dienten sie der Aufklärung darüber, dass Verbrechen auch in idyllischen Regionen möglich sind. Wie bereits im Kapitel »Der idealtypische Ermittler« dargestellt, war ein Urlaub bundesrepublikanischer Kommissare ausgeschlossen, und so wurden sie auch in den Ferienregionen als staatliche Exekutivgewalt inszeniert. Ein »Freund und Helfer« in Badehose hätte dieses Bild nach Ansicht der Stahlnetz-Macher wohl zerstört.58 Doch gerade der Sakko und Hut tragende Kriminalpolizist wirkt an der sommerlichen See deplatziert. Und so werden die ermittelnden Kriminalbeamten nicht nur durch ihre Kleidung als eine Art Fremdkörper staunend wahrgenommen, auch ihr Verhältnis zum Ort selbst scheint distanziert; vor allem weil die Orte nicht über eine eigenständige Mordkommission verfügen und die Beamten zumeist aus den Städten anreisen müssen (Abb. 62 und Abb. 63).

54 Zum Verhältnis von Inlands- und Auslandstourismus der Bundesrepublik vgl. u. a.: A. Schildt: Moderne Zeiten, S. 195ff. und H. Spode: Der Aufstieg des Massentourismus im 20. Jahrhundert, in: H.-G. Haupt/C. Torp (Hg.): Die Konsumgesellschaft in Deutschland, S. 127. Italien wurde zeitgenössisch in Prospekten, Schlagern und Filmen breit beworben. Vergleich hierzu: Pagenstecher, Cord: Der bundesdeutsche Tourismus. Ansätze zu einer Visual History: Urlaubsprospekte, Reiseführer, Fotoalben 1950–1990, Hamburg 2003, S. 385f. 55 Stahlnetz, »Saison«. 56 Stahlnetz, »Strandkorb 421«. 57 Blaulicht, »Freizügigkeitsverkehr«. 58 So wie auch mit Badehosen bekleidete Politiker einen Teil ihres seriösen Images verlieren – ob nun gewollt oder ungewollt. Vgl. hier u. a.: Mergel, Thomas: Propaganda in der Kultur des Schauens. Visuelle Politik in der Weimarer Republik, in: Hardtwig, Wolfgang (Hg.): Ordnungen in der Krise. Zur politischen Kulturgeschichte Deutschlands 1900– 1933, München 2007, S. 531–560.

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Abb. 62 und Abb. 63: Kriminalkommissare am Strand bei den Ermittlungen (Stahlnetz, »Strandkorb 421«).

Kommt Sachverstand von außen, hat dies zumeist Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis vor Ort. Die urbanen Polizisten erwecken in beiden Stahlnetz-Folgen den Eindruck einer arroganten Überlegenheit gegenüber den Landposten vor Ort: »Hübsch ist es hier, wenn ich mir vorstelle, dass Sie den ganzen Tag hier machen können, was Sie wollen.« (Kommissar) – »Was ich will? Hier ist auch was zu tun. Und ich bin allein, ich hab die ganze Verantwortung.« (Polizeiposten) – »Aber was kann denn hier schon großes passieren, paar Verkehrsunfälle, ein paar kleine Karambolagen.« (Kommissar) – »Und jetzt zum Beispiel ein Mord.« (Polizeiposten).59 Doch aus den Worten der auswärtigen Beamten spricht nicht nur Arroganz, sondern auch der Hinweis, dass sie selbst dem trügerischen Schein des Urlaubsortes erliegen, an dem die Zeit stillzustehen scheint und die Kriminalität eine Pause macht. Zwei Jahre später, in der Folge »Strandkorb 421«, wird diese Unstimmigkeit zurückgenommen, indem die Spitzen auswärtiger Beamter gegenüber einheimischen Polizeiposten gänzlich vermieden werden. Das Setting der Urlaubsorte spielt in beiden Kriminalfilmen eine besondere Rolle, wenngleich auffällt, dass keine Landschaft, ob bewaldetes Skigebiet oder Nordseeküste, in besonderer Weise durch Panoramatotalen eingeführt werden. Ebenso finden sich keine längeren Kameraschwenks um der Landschaft willen; der Urlaubsraum wird vielmehr in die Handlung integriert. Trotzdem fehlt es im Hintergrund der Handlung nicht an Schnee, Skifahrern, Strand und Menschen in Badebekleidung, um die Authentizität der Kriminalgeschichte zu steigern. Ein besonderes Urlaubshighlight waren, wenn man Menges und Rolands Blick glauben darf, MissWahlen. Sowohl die Folge »Saison« als auch »Strandkorb 421« beginnen mit der Wahl zur »Miss Skihaserl« bzw. »Miss Norderney«. Mit männlichem Kamerablick sind zunächst nur die Beine der Kandidatinnen zu sehen, bevor Körper und Gesicht der Titelaspirantinnen eingeblendet werden. Ein Conférencier betont die körperli-

59 Stahlnetz, »Saison«, 0:48:47–0:49:02.

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chen Vorzüge der zur Wahl stehenden Frauen. Vor allem die Folge »Strandkorb 421« lebt zudem von ungestellten Aufnahmen des Urlauberlebens der Insel Norderney, die dem Zuschauer helfen sollen, sich auf die Urlaubsstimmung und das Geschehen einzulassen. Allerdings darf der erzieherische Effekt auch in den Urlaubsfolgen nicht vernachlässigt werden, und daher unterrichtet der leitende Kommissar des Raubdezernates Aurich seine neuen Kollegen – und den Fernsehzuschauer gleichermaßen: »Bedauerlicherweise bestellen immer noch sehr viele Leute, die verreisen, ihre Brötchen nicht ab, ihre Milch, ihre Zeitung. […] Also für jeden gewitzten Einbrecher, die zuverlässigsten Tips. Und dann, überfüllte Hotels, Gäste mit überfüllten Brieftaschen, offene Fenster, also da kann man jeden Gauner auch schriftlich einladen«.60 Ein abschreckendes Exempel, bei dem Otto NormalTourist Opfer eines Verbrechens wird, wird nicht vorgeführt. Es bleibt bei dem Appell ohne weitere inhaltliche Untermauerung. Die Blaulicht-Folge »Freizügigkeitsverkehr« zielte in eine gänzlich andere Richtung. Hier stehen der Urlaub machende Leutnant Timm und der sich versteckende Trickdieb gleichermaßen im Mittelpunkt. Der Urlaub selbst bildet lediglich die Rahmenhandlung.

Abb. 64: Leutnant Timm im Urlaub mit seiner Urlaubsbekanntschaft Inge (Blaulicht, »Freizügigkeitsverkehr«).

Die Seenlandschaft der Müritz und ihre Campinggäste tragen dazu bei, ähnlich wie in den Stahlnetz-Folgen, Atmosphäre zu entwickeln. Das Setting ist insgesamt ruhig und beschaulich, fernab vom Trubel überfüllter Massenstrände oder FDGB-Heime. Hier hätte sich Timm wohl auch nicht erholen können, schließlich legt er Wert auf

60 Stahlnetz, »Strandkorb 421«, 0:09:09–0:09:33.

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eine Reise allein und inkognito.61 Der Leutnant bevorzugt dementsprechend eine Reiseart, die seinen individuellen Bedürfnissen entgegenkommt und gleichzeitig gesellschaftliche Akzeptanz findet. Und so avanciert der Zeltplatz zu einem Ort, an dem ein Vertreter der staatlichen Exekutive die Alltagskleidung ab- und die Freizeitkleidung anlegen kann (Abb. 64). Wenngleich weder der Ort noch das Zelten an sich in besonderer Weise herausgehoben werden, erhält diese Reisemöglichkeit durch Timm ein positives Image.

7.3 D ER T AT -R AUM ZWISCHEN E NTLOKALISIERUNG UND G ROSSSTADTAFFINITÄT . E IN Z WISCHENFAZIT Weder ist die Stadt ein moralischer Moloch noch das Land ein Jungbrunnen und Kraftquell. Kriminalität ist lokal unbegrenzt und kann an jedem Ort geschehen, ob mitten in Berlin, in einer Laubenkolonie am Stadtrand, im Urlaub, im Hamburger Hafen oder dem Industrierevier des Ruhrgebietes. Stadtlandschaften und dünner besiedelte Landstriche werden von beiden Drehbuchschreibern variabel eingesetzt, zumindest war der unterschiedliche regionale Bezug im Stahlnetz von Beginn an ein Gestaltungsprinzip. Die Blaulicht-Macher entschieden sich erst nach einem Dutzend Berlin-Folgen dazu, die Vielfalt der DDR aufzunehmen. Allerdings spiegelte sich diese nicht unbedingt in den einzelnen Folgen wider. Berlin und andere Städte werden zumeist in kleinen Einstellungsgrößen aufgenommen oder Einsatzwagen rasen an Gebäudeschluchten vorbei, ohne dass Details erkennbar sind. Ebenso fehlen Aufnahmen bekannter Plätze oder Gebäude, um die Handlung eindeutig zu lokalisieren. In vielen Folgen wird der eigentliche Tat-Raum nicht einmal benannt. Die in der Forschung häufig geäußerte These, das Blaulicht exterritorialisiere die Kriminalität, indem vorwiegend westliche Kriminelle oder durch den Kapitalismus beeinflusste DDR-Bürger Taten begehen, kann unter dem Aspekt des Handlungsortes relativiert werden. Kriminalität wird zwar häufig in einen Zusammenhang mit westlichem Einfluss gestellt, aber sie findet zumeist auf dem Gebiet der DDR statt. So lässt sich die These formulieren, dass Kriminalität in der DDR nicht einfach exterritorialisiert, sondern im eigenen Land entlokalisiert wird. Zum einen wird damit aufgezeigt, dass der Ort keine konstituierende Bedeutung für die Geschichte selbst hat, zum anderen, dass dem Zuschauer kein einseitiges, urbanes Bild von Kriminalität vermittelt wird – diese kann in jeder Stadt oder jedem Landstrich auftreten und ist eben nicht auf die Hauptstadt begrenzt. 61 Timm instruiert den Platzwart mit aller Dringlichkeit, vor den übrigen Gästen zu verheimlichen, dass er bei der Kriminalpolizei sei. »Bitte erzählen Sie es keinem. Ich bin jetzt nur Urlauber, nichts weiter.« In: Blaulicht, »Freizügigkeitsverkehr«, 0:30:57– 0:31:00.

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Die Stahlnetz-Macher verfolgten eine entgegensetzte Strategie. Die Orte werden fast immer bei der Vorstellung des Kommissars genannt oder sind durch die Autokennzeichen schnell ersichtlich. In den ersten sieben Folgen setzt Menge sogar einen eigenen Kommentar ein, um den jeweiligen Handlungsraum im speziellen einzuführen. Die lokale Verbundenheit der Zuschauer mit »ihrer« Stadt wird dadurch unterstützt. Ebenso steigert sich die Authentizität der Handlung, wenn auf reale Schauplätze zurückgegriffen und diese durch Wahrzeichen oder Orte mit Wiedererkennungswert hervorgehoben wird. Beide Reihen verbindet die Bevorzugung der Großstadt als Handlungsort. Sie folgen damit den gängigen Stereotypen, dass Großstädte gefährlicher sind und bemühen sich auch nicht, diese auszuräumen. Dennoch, was beiden Reihen gleichermaßen unmissverständlich inhärent ist: Die Polizei ist auf dem Land genauso effektiv wie in der Stadt. Wenn die Ressourcen vor Ort nicht vorhanden sind, werden sie aus der nächst größeren Stadt angefordert; in der DDR wird sogar die Illusion aufgebaut, das (bzw. ein) erfolgreiche(s) Blaulicht-Team sei an jedem Ort vorhanden. Fernab einer Präsentation von Urlaubszielen für den Fernsehzuschauer trug die lokale Verschiebung des gewohnten Einsatzgebietes der Blaulicht-Ermittler zu einer Auflockerung der eingespielten Folgen bei – dies galt im Übrigen für das Stahlnetz gleichermaßen. Alle Urlaubsfolgen wurden zu Zeitpunkten gesendet, an denen die Zuschauer bereits länger auf eine Folge warten mussten und ein Wechsel des Stammpublikums aufgrund anderer, neuerer Formate zu befürchten war. Ein besonderer Einsatzort für die Kommissare, weniger der Verbrecher, da diese ja universell agieren, ist der Urlaubsort. Während westdeutsche Beamte die Fassung wahren und auch am Strand den Anzug nicht ablegen, wagt das Blaulicht die »Freizügigkeit« und schickt Timm in den Urlaub. Alle Urlaubsfolgen wurden zu Zeitpunkten gesendet, an denen die Zuschauer bereits länger auf eine Folge warten mussten und ein Wechsel des Stammpublikums aufgrund anderer, neuerer Formate zu befürchten war.

8 Der Ost-West-Konflikt im Wohnzimmer

Deutschland und im Besonderen Berlin war unbestritten die »Nahtstelle« (Wolfgang Koeppen) des Ost-West-Konfliktes, der nicht erst mit der Ersten Berlin-Krise 1948 entstanden war. Über die Entstehung des weltumspannenden Konfliktes, seine Ideologien und Entwicklung hin zum Kalten Krieg hat die Forschung bereits ausführlich Studien vorgelegt.1 Im Vordergrund dieser Analyse steht jedoch weniger die politische und militärische Konstellation des Kalten Krieges,2 als der dauerpräsente Ost-West-Konflikt auf der Ebene des Alltags. Denn trotz der angespannten Situation verfiel die Bevölkerung keineswegs in Panik, sondern arrangierte sich mit der alltäglichen Bedrohung. Auch mit der Teilung selbst musste man im Laufe der Jahre einen Umgang finden: Beispielsweise konnte man bei Verwandten in der DDR bzw. Bundesrepublik anrufen,3 ein Westpaket versenden,4 verbotene englisch-

1

Vgl. u. a.: Steininger, Rolf: Der Kalte Krieg, Frankfurt a. M. 42006; Gaddis, John Lewis: Der Kalte Krieg. Eine neue Geschichte, München 2007; Stöver, Bernd: Der Kalte Krieg 1947–1991. Geschichte eines radikalen Zeitalters, Bonn 2007; Görtemaker, Manfred: Deutschland im Ost-West-Konflikt, in: Herbstritt, Georg/Müller-Enbergs, Helmut (Hg.): Das Gesicht dem Westen zu … DDR-Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland (= Analysen und Dokumente/Die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der Ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik 23), Bremen 2003, S. 14–33.

2

Allein in Deutschland lagerten unzählige atomare Sprengköpfe, die bei Ausbruch eines Dritten Weltkrieges zur vollkommenden Zerstörung des Hauptschlachtfeldes geführt hätten, und zwar beiden deutschen Staaten. Siehe: B. Stöver: Der Kalte Krieg 1947–1991, S. 190.

3

Die außenpolitische Anerkennung der DDR, die Entspannung der Systemgegensätze und die mit der Bundesrepublik unterzeichneten Verträge, u. a. der Grundlagenvertrag (1973), Anfang der 1970er trugen dazu bei, dass sich die Kontakte zwischen West- und Ostbürgern intensivierten. Görtemaker führt hierzu aus, dass die Zahl der Telefongespräche förmlich explodierte und auch die Besucherzahlen deutlich nach oben gingen. Siehe:

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sprachige Musik aus dem Westen hören,5 Levis-Jeans tragen6 und nicht zuletzt den jeweilig anderen Fernsehsender einschalten. Im Fernsehprogramm beider Staaten fanden sich klar politisch orientierte, propagandistische bis ideologische Sendungen wieder. Die beiden wohl bekanntesten Magazinsendungen waren »Die Rote Optik« (NDR/ARD), moderiert von Thilo Koch und gesendet zwischen 1958 und 1960, sowie »Der Schwarze Kanal« (DFF). Karl Eduard von Schnitzler, »Ulbrichts Starfighter«, wie ihn »Der Spiegel« 1961 betitelte,7 ging 1960 erstmals auf Sendung und wurde bis zum Ende der DDR wöchentlich fortgesetzt. Während Schnitzler zum Zeitpunkt des Sendestarts vor allem die Westzuschauer ansprechen sollte, erfolgte ab 1964 im Zuge der Abkehr des Wiedervereinigungsgedankens eine Wendung nach innen. Er hatte von nun an die primäre Aufgabe, »das von DDR-Bürgern im Westfernsehen Gesehene zu korrigieren«.8 Beide Sendungen trugen dazu bei, den Kalten Krieg auf den Fernsehbildschirm zu transferieren. Neben diesen stark polarisierenden Sendungen wirkten die beiden Krimireihen wohl weniger propagandistisch, doch sparten sie das andere Deutschland in ihren Plots keineswegs aus. Im Folgenden ist daher zu fragen, wie der andere Staat in den beiden Krimis wahrgenommen wurde und auf welche Weise er Eingang in die Handlung fand? Welche Klischees oder Feindbilder9 wurden bemüht und welche Ressentiments wurden M. Görtemaker: Deutschland im Ost-West-Konflikt, in: Herbstritt, Georg/Müller-Enbergs, Helmut (Hg.): Das Gesicht dem Westen zu, S. 14–33, hier S. 22. Zur Deutschlandpolitik der SED vgl.: Lemke, Michael: Einheit oder Sozialismus? Die Deutschlandpolitik der SED 1949–1961, Köln 2001. 4

Siehe hierzu: Härtel, Christian/Kabus, Petra: Das Westpaket. Geschenksendung, keine Handelsware, Berlin 2000.

5

Vgl. u. a.: Rauhut, Michael: Rock in der DDR. 1964 bis 1989, Bonn 2002; Wilke, Thomas: Die Disko im Äther. Zur Legitimation und Distribution populärer Westmusik in der Podiumdiskothek bei DT 64, in: Trültzsch, Sascha/Wilke, Thomas (Hg.): Heißer Sommer – coole Beats. Zur populären Musik und ihren medialen Repräsentationen in der DDR, Frankfurt a. M. 2010, S. 119–138 sowie Stahl, Heiner: Jugendradio im kalten Ätherkrieg. Berlin als eine Klanglandschaft des Pop (1962–1973), Berlin 2010, besonders S. 204–209.

6 7

Siehe Abschnitt 4.1. o. A.: Mann gegen Mann, in: Der Spiegel 7, 8. 2. 1961, S. 58. Zur Entstehung und Entwicklung des »Schwarzen Kanals« siehe: Levasier, Marc: »Der schwarze Kanal«. Entstehung und Entwicklung einer journalistischen Kontersendung des DDR-Fernsehens, in: Wilke, Jürgen (Hg.): Journalisten und Journalismus in der DDR. Berufsorganisation – Westkorrespondenten – »Der schwarze Kanal«, Köln 2007, S. 217–313.

8

K. Hickethier/P. Hoff: Geschichte des deutschen Fernsehens, S. 283.

9

Rainer Gries und Silke Satjukow verstehen unter einem Feindbild »das Ensemble negativer Vorstellungen, das eine bestimmte Gruppen von einer als gegnerisch perzipierten

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geschürt? Lassen sich Konjunkturen oder Brüche im Bild des jeweils anderen konstatieren?

8.1 B EDROHLICHE M AUER UND VERWEIGERTE H ILFE – DIE DDR AUS WESTDEUTSCHER S ICHT Jürgen Rolands und Wolfgang Menges Umgang mit der DDR in der Reihe Stahlnetz lässt sich als desinteressiert und marginal beschreiben. Lediglich eine Folge offenbart einen Blick über die Grenze hinweg in das andere Deutschland, andere begnügen sich mit einer Andeutung. Diese Andeutungen sind dann entweder abfälliger Art von Seiten der Kriminalisten, wenn beispielsweise die angefragte Unterstützung bei der DDR-Polizei verweigert wird, oder befragte Zeugen äußern sich resigniert und verständnislos, dass ein Familienmitglied »zurück in die Zone«10 gegangen ist. Allerdings sind diese Äußerungen so selten und für den Verlauf der Geschichten unbedeutend, dass hier nicht weiter darauf eingegangen wird. In den »Blick« gerät die DDR naheliegend in einer der Berlin-Folgen »Treffpunkt Bahnhof Zoo« – dies konnte bereits in den Kapiteln vier und sieben angedeutet werden. Der flüchtige Manfred Drechsel, für den der Westen der Stadt nach seinem Banküberfall zu einer Art Gefängnis geworden ist, erwägt für einen kurzen Moment: »Ich fuhr zum Potsdamer Platz. Sollte ich rüber? Irgendwie musst’ ich ja raus aus Berlin. Aber nach drüben? Da sind die Kontrollen noch strenger. Ich brauchte mir die Vopos auf der andren Seite des Platzes nur anzusehen. Ich weiß nicht wieso, aber hier kriegte ich’s plötzlich mit der Angst. Würde es wirklich alles klappen? Ich blieb im Westen«.11 Während dieses Off-Monologs wird die Figur an einer Kreuzung stehend gefilmt. Im Hintergrund sind schemenhaft uniformierte Gruppe. Feindbilder werden mit einem Anspruch auf absolute Gültigkeit offeriert, sie sind häufig mit Bedrohungsszenarien verbunden und legen im Regelfall die Vernichtung des Feindes als eine politische und moralische Notwendigkeit nahe«. In: Gries, Rainer/ Satjukow, Silke: Feindbilder des Sozialismus. Eine theoretische Einführung, in: Dies. (Hg.): Unsere Feinde, S. 13–70, Zitat S. 16. Die Autoren halten fest, dass ein stillschweigendes Regelwerk in der Erzählfigur des Feindes existiert, das sich auf fünf Ebenen bewegt: 1. Feindbilder entsprechen eigenen Denk- und Argumentationsmustern, 2. der Gegner wird als übertrieben gefährlich wahrgenommen, 3. bipolares Erzählschema, in dem der eigenen Position immer positive Attribute zugewiesen werden, 4. gleiche Handlungen werden unterschiedlich beurteilt, 5. monolithische Feindeinschätzung und Überschätzung der Geschlossenheit des Gegners. In: ebd., S. 31. 10 Stahlnetz, »Das 12. Messer«, 0:39:38. Wortgleich in »Das Haus an der Stör«, hier wollte der Ermordete jedoch nicht in die DDR ziehen, sondern lediglich Geschäfte machen. 11 Stahlnetz, »Treffpunkt Bahnhof Zoo«, 0:35:25–0:35:47.

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Gestalten zu erkennen. Die DDR wird in dieser kurzen Sequenz in Bild und Ton auf einen wesentlichen Punkt reduziert: die Anwendung von Repression, hier namentlich durch die Volkpolizei, kurz »Vopo«. Dass aber auch Polizisten der bundesdeutschen Grenzpolizei nicht zimperlich und vor allem misstrauisch mit Reisenden umgehen, die den Weg nach Westberlin (oder weiter) einschlugen, zeigt eine Szene der vorletzten Stahlnetz-Folge »Der fünfte Mann«. Der Bankräuber Dieter Dreschwitz gerät kurz vor der innerdeutschen Grenze, dem Bahnhof Helmstedt, in eine routinemäßige Passkontrolle. Der Grenzer ist misstrauisch, da der Zugfahrschein des Fahrgasts nicht ausreichend gelöst wurde und bittet ihn auszusteigen. Auch andere müssen aussteigen, so z. B. ein 15-jähriges Mädchen, das ohne elterliche Erlaubnis nach Berlin reist. Fernab einer Demonstration vermeintlich richtigen polizeilichen Handelns, wird in dieser Folge eine Facette der »German Angst«12 enthüllt, die nur selten so augenscheinlich zu Tage tritt. Der Grenzübertritt sollte denjenigen verwehrt werden, die vor einer Bestrafung in die DDR flüchteten. Aus diesen kurzen Andeutungen in den Filmquellen lassen sich nur einzelne Steinchen im Mosaik eines DDR-Bildes anordnen. Die Vorstellungswelten über die DDR sind einseitig, nicht nur in der Reihe Stahlnetz, sondern, so lässt sich unterstellen, auch im Allgemeinen. Als die Zeit-Redakteure Marion Gräfin Dönhoff, Rudolf Walter Leonhardt und Theo Sommer Anfang der 1960er Jahre die DDR bereisten, stellten sie ihre Eindrücke unter den Titel »Reise in ein fernes Land«.13 Alle drei Journalisten resümierten, dass sie zwar keine Anerkennung der DDR befürworteten, aber »auch nicht diese geradezu hysterische Angst vor ihrer ›Aufwertung‹«.14 Als Ende der 1960er Jahre eine neue Phase der Ostpolitik von Seiten der Bundesregierung eingeleitet und die DDR als Staat anerkannt wurde, hatte ein Großteil der Bevölkerung die Teilung trotz politischer Lippenbekenntnisse akzeptiert. Für eine neue Stufe der Auseinandersetzung mit der DDR im Stahlnetz-Krimi war es bereits zu spät, doch sein Nachfolger Tatort machte sich sogleich in seiner ersten Folge mit dem »Taxi nach Leipzig« auf die Reise in das »ferne« Land.

12 Einen anderen Teil der »German Angst« der bundesdeutschen Bevölkerung war die Angst vor dem Kommunismus, eine der »kräftigsten Kontinuitätslinien vom ›Dritten Reich‹« und die Angst vor der Zerstörung der inneren Ordnung der Bundesrepublik. Siehe: Schildt, Axel: »German Angst«. Überlegungen zur Mentalitätsgeschichte der Bundesrepublik, in: Münkel, Daniela/Schwarzkopf, Jutta (Hg.): Geschichte als Experiment. Studien zu Politik, Kultur und Alltag im 19. und 20. Jahrhundert. Festschrift für Adelheid von Saldern, Frankfurt a. M. 2004, S. 87–97. 13 Dönhoff, Marion Gräfin/Leonhardt, Rudolf Walter/Sommer, Theo: Reise in ein fernes Land. Bericht über Kultur, Wirtschaft und Politik in der DDR, Hamburg 1963. 14 Ebd., S. 136.

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8.2 P OLIZEILICHE U NFÄHIGKEIT , S ENSATIONSGIER UND WESTLICHE AGENTEN – DIE B UNDESREPUBLIK AUS S ICHT DER DDR Einen gänzlich anderen Umgang mit dem Ost-West-Konflikt pflegte der DFF unter Maßgabe der Partei. In der Kriminalreihe Blaulicht treten nicht nur Polizisten in den Blick, sondern auch die für die DDR-Medien dauerhaft interessanten Agenten und Spione aus dem Westen.15 Im Zusammenhang mit der innerdeutschen Grenze kann noch einmal festgestellt werden, dass das Blaulicht keinen Blick auf die Mauer oder in den Westen selbst wagte. Zwar wurde er angedeutet, aber ein Äquivalent zur Stahlnetz-Folge »Treffpunkt Berlin« ist vergebens zu suchen. Hingegen sind Grenzpolizisten des eigenen Staates immer wieder dabei zu beobachten, wie sie erfolgreich ihre Arbeit verrichten. 1961, als sie, durch einen Schuss alarmiert, die Leiche eines Unbekannten finden, ein Jahr später, als sie eine Republikflucht verhindern sowie 1965 und 1968, als sie in Berlin den Grenzverkehr regeln.16 Alle Beispiele verweisen auf einen Befund: Die Schließung der Grenze am 13. August 1961 markierte eine wichtige Zäsur in der Gestaltung der antiwestlichen Propaganda. Während zwei frühe Folgen, »Die Butterhexe« und »Der Kindermörder«, die westdeutsche Exekutive und Judikative in den Blick nehmen, verändert sich die bildliche Propaganda nach der zwölften Folge deutlich. Bilder des anderen Staates werden merklich zurückgefahren, er bleibt nur auf dialogischer Ebene präsent.17 1962 findet die innerdeutsche Grenze bzw. ein Republikflüchtiger Aufmerksamkeit – ein Problem, das ansonsten nur in den ersten Folgen der Sendereihe zu finden

15 Mit verstärktem Ausbau des Ministeriums für Staatssicherheit und seiner Spionageabteilung zwischen Mitte/Ende der 1960er und Mitte der 1970er waren auch auf dem Bildschirm häufiger Agenten und Spione zu sehen. Ab 1969 gab es sogar eine eigene Reihe »Rendezvous mit unbekannt«, die sich mit der »Arbeit der Abwehrorgane« befasste. Hinzu kamen Kriminalfilme, die westliche Agententätigkeit in die Handlung aufnahmen. Siehe u. a.: »Geheimcode B13« (Regie: Gerhard Respondek, 1967); »Treffpunkt Genf« (Regie: Rudi Kurz, 1968); »Tod im Preis inbegriffen« (Regie; Hans-Joachim Hildebrandt, 1969). Zur Forschung vgl. u. a.: Müller-Enbergs, Helmut: Was wissen wir über die DDR-Spionage?, in: Herbstritt, Georg/Müller-Enbergs, Helmut (Hg.): Das Gesicht dem Westen zu … DDR-Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland (Analysen und Dokumente/Die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der Ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik Bd. 23), Bremen 2003, S. 34–71. 16 Blaulicht, »Antiquitäten«. 17 Die Diskreditierung des anderen Staates blieb auf dem Bildschirm durchaus präsent. 1967 begann die Reihe »Kriminalfälle ohne Beispiel«. Der Autor Prodöhl zeigte hier ausschließlich korrumpierte westliche Staatsorgane.

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ist.18 Hiernach folgten drei Jahre, in denen vermehrt Fälle in der DDR gelöst wurden. Erst 1965 bricht der Kalte Krieg tatsächlich in die Wohnzimmer der BlaulichtZuschauer herein. »Auftrag Mord« wird vor dem 11. Plenum ausgestrahlt und widmet sich dem Thema Spionage. In den fünf verbleibenden Folgen tragen zwei weitere Male westdeutsche Verbrecher entscheidend zum Handlungsverlauf bei.19 Aus Sicht der massiven antiwestlichen Propaganda der DDR hätte man erwarten können, dass mehr als vier »West«-Täter in 29 Folgen gezeigt werden. Es zeigt sich jedoch, dass die Vorgaben der Staatsorgane eben nicht 1:1 umgesetzt wurden, wie von der Forschung häufig angenommen, sondern dass es durchaus individuelle Interpretationen gab. Die ermittlerische Unfähigkeit der westlichen Polizei und ihr – aus Sicht der DDR – falscher Umgang mit Zeugen in der Folge »Die Butterhexe« ist in den vorangegangenen Kapiteln bereits ausführlich dargestellt worden. Daher soll nun der bisher noch unterbelichtete erste Teil der Folge »Der Kindermörder« in den Mittelpunkt der Analyse treten. Der Film setzt mit der Verhandlung vor einem Westberliner Gericht ein und verlässt dabei nur selten den Gerichtssaal. In der Inszenierung werden drei wesentliche Strategien ersichtlich, um die Arbeit des Gerichts zu diskreditieren: Das Verhalten des Richters, des Staats- und Rechtsanwaltes, das Auftreten der Kriminalpolizei als Zeuge vor Gericht und die Rolle der Sensationspresse.20 Obwohl das Gericht den Angeklagten und alle Zeugen gewissenhaft anhört, der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger Rederecht und Einsprüche bewilligt, scheint es blind für die Argumentation des Verteidigers zu sein. Dieser kann in logischen Schritten mit eindeutigen Beweisen aufzeigen, dass der Angeklagte sich zwar als Kindermörder brüstet, dies jedoch nur tut, um anerkannt zu werden.21 Und so kennt der Rechtsanwalt bereits den Ausgang der Verhandlung, noch ehe sie beendet ist. Mit einer rhetorischen Frage wendet er sich an den Chefredakteur einer großen Zeitung im Anschluss an den Richterspruch: »Glauben Sie, dieser Prozess wäre in dieser Form verhandelt worden, wenn das Urteil nicht schon längst festge18 Blaulicht, »Tunnel an der Grenze«, Folge 1, 20. 8. 1959 und Blaulicht, »Zweimal gestorben«, Folge 2, 15. 10. 1959. Beide Filme sind nicht überliefert. 19 Blaulicht, »Maskenball« und Blaulicht, »Leichenfund im Jagen 14«. 20 Später fortgesetzt in einer eigenen Reihe: Kriminalfälle ohne Beispiel. Das Format dieser Folge erinnert an die Reihe Fernseh-Pitaval, lediglich der begleitende Kommentar des Staatsanwaltes fehlte. 21 Blaulicht, »Der Kindermörder« (I), 0:51:22–0:51:33. Ermöglicht wurde ihm sein Geständnis erst durch die Sensationspresse, die jedes einzelne Detail der Morde, Anschriften, Tatverläufe, Tatortskizzen etc. veröffentlichte. Der Angeklagte konnte die Artikel auswendig lernen und sie in seiner naiven Art exakt wiedergeben. Der Polizei sei in ihren unzähligen Verhören nicht aufgefallen, dass alle Informationen der Presse zu entnehmen waren.

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standen hätte?«.22 Er spielt damit sehr eindeutig auf die Korruption der westdeutschen Judikative an. Andererseits argumentiert der Anwalt verständnisvoll, wenn er in seinem Schlussplädoyer konstatiert, dass der Druck auf das Gericht durch die Presse und die aufgebrachte Bevölkerung wohl sehr groß sei und er nicht an der Stelle des Gerichtes stehen wolle. »Die Bevölkerung einer Millionenstadt erwartet von Ihnen eine Antwort. Ist der Kindermörder gefasst, oder läuft er noch immer frei herum. Unerkannt und unbehelligt.«23 Die Kamera bleibt während des Plädoyers starr auf den Verteidiger gerichtet, ein visueller Dialog mit dem Vorsitzenden wird nicht geschaffen, obwohl der Rechtsanwalt direkt vor ihm steht und ihn anspricht. Die Kamera fotografiert ihn jedoch nicht aus Sicht des Vorsitzenden, sondern aus Sicht des Staatsanwaltes. Dadurch wird noch einmal der Eindruck gesteigert, der Anwalt würde ins Leere sprechen. Auf diese Weise deutet sich bereits an, dass die Argumentation des Anwaltes tatsächlich keinen Einfluss auf die gerichtliche Entscheidung hat. Dass alle Akteure eng miteinander verbandelt sind und die Verhandlung im Nachhinein noch stärker präjudiziert erscheint, enthüllt nicht nur das kurze Gespräch zwischen dem führenden Pressevertreter und dem Rechtsanwalt. Mehr noch, auch Staatsanwalt und Verteidiger pflegen einen vertrauten Umgang. Nach der Verhandlung erkundigen sie sich gegenseitig nach der Familie des anderen und verabreden sich zu einer späteren Besprechung. Neben diesen beiden Figuren tritt genannter Pressevertreter als besonders sensationsheischend in den Vordergrund. Alle Vorwürfe der DDR-Propaganda bestätigend, sucht er mit unlauteren Methoden und schaurigen Details der Kindermorde die Auflage zu steigern.24 Und auch die Polizeibeamten sind weniger auf die Ergreifung des wahren Mörders bedacht als auf die Sicherung der eigenen Positionen, die sie durch den fehlenden Fahndungserfolg bedroht sehen. Und so legt die Inszenierung nicht nur systematisch die (angeblichen) Schwächen der westdeutschen Staatsorgane und den verheerenden Einfluss der Sensationspresse auf den Fall offen, sondern zeigt die fatalen Auswirkungen des falschen Richterspruchs: Der wahre Kindermörder überschreitet die Grenze nach Ostberlin. Die Inszenierungsstrategie dieser frühen Blaulicht-Folge entspricht recht genau den zeitgenössischen antiwestlichen Propaganda-Maßnahmen. Dabei kam es darauf 22 Blaulicht, »Der Kindermörder« (I), 1:02:30–1:02:33. 23 Ebd., 1:00:25–1:00:39. 24 Der Chefredakteur diktiert Schlagzeilen, noch bevor ein Ereignis überhaupt stattgefunden hat und wartet stets auf eine spektakuläre Nachricht oder ein außergewöhnliches Foto. Moralische Schranken scheinen ihm fremd. Ob sich der Fotograf nun in das Untersuchungsgefängnis einschleusen muss, um ein Foto des Angeklagten zu machen, oder eine Minikamera in den Gerichtssaal schmuggelt, die lediglich in Agentenfilmen vorstellbar scheint, ist nebensächlich. All das wird dem Zuschauer als Alltagsrealität westdeutscher Presse vorgestellt.

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an, die eigene Bevölkerung und gleichzeitig die westlichen Zuschauer davon zu überzeugen, dass die DDR der bessere Staat sei.25 Die Probe auf das Exempel folgte bereits am darauffolgenden Sendetag mit dem zweiten Teil des »Kindermörders«, der sich ausschließlich der überlegenen Arbeit der Volkspolizei widmete. Mit Schließung der Grenze im August 1961 vermieden die Fernsehmacher des DFF den direkten Bezug auf westdeutsche Staatsorgane in der Kriminalreihe Blaulicht. Wenn auf Straftaten die Verletzung der innerdeutschen Grenze z. B. durch Republikflucht folgte, wurde nicht die Grenze selbst, sondern die verlässliche Arbeit der Grenzpolizei und die Sicherheit des Schutzsystems demonstriert. Als der ehemalige SS-Scharführer Demel durch ein Abwassersystem in den Westen fliehen will, wird er durch ein »Gitter« (1961) gestoppt, gleichzeitig alarmieren elektronische Sensoren die Grenzer. Bereits wenige Minuten nach dem Alarm ist die gesamte Kanalisation umringt und dem Flüchtigen jeder Ausgang verwehrt. Hier wird die technische Überlegenheit der Grenztruppen der DDR parademäßig vorgeführt.26 Ein halbes Jahr nach Schließung der Mauer erscheint eine solche Folge logischer denn je, musste der Bevölkerung doch die Stabilität der Grenze vor Augen geführt werden, egal welchen Fluchtweg man wählte. Ein anderes Feindbildschema entwickelte sich dreieinhalb Jahre später, als sich in der Folge »Auftrag Mord« erstmals ein westlicher Agent in der Blaulicht-DDR aufhält.27 Der Titel der Folge rekurriert jedoch nicht auf den eigentlichen Spion, dessen Auftrag bis zum Ende unklar bleibt, sondern auf einen italienischen Zigarettenschmuggler, der vom westdeutschen Geheimdienst festgenommen wurde. Den Geheimdienst als Institution verkörpert ein kleiner, untersetzter Mann, der sich als »Kommissar Becker« ausgibt28 und als emotionslos und berechnend beschrieben 25 C. Dittmar: Feindliches Fernsehen, S. 88. 26 Grenztruppenforschung wird bisher überwiegend von ehemaligen Grenzern der DDR bestimmt. Vgl. u. a.: Baumgarten, Klaus-Dieter/Freitag, Peter: Die Grenzen der DDR. Geschichte, Fakten, Hintergründe, Berlin 22005 sowie Baumgarten, Klaus-Dieter: Erinnerungen. Autobiografie des Chefs der Grenztruppen der DDR, Berlin 22009. Einen unabhängigen Beitrag leistet: Sälter, Gerhard: Grenzpolizisten. Konformität, Verweigerung und Repression in der Grenzpolizei und den Grenztruppen der DDR 1952 bis 1965, Berlin 2009. 27 Die in der Zwischenzeit gesendeten Folgen nahmen Abstand vom offenen Ost-WestKonflikt und konzentrierten sich vermehrt auf die Kriminalität im eigenen Land. Eine Ausnahme bildete die Folge »Wunder wiederholen sich nicht« – ein Fall auf der Transitstrecke Berlin—Hamburg. Da diese Folge nicht überliefert ist, muss sie hier ausgeklammert werden. Blaulicht, »Wunder wiederholen sich nicht«, Folge 20, 27. 10. 1963. 28 Er setzt den Italiener, den er abschätzig »Makkaroni« nennt, unter Druck, ihn nicht nur der deutschen, sondern auch der italienischen Polizei auszuliefern, von der er ebenfalls gesucht wird. Tintoretto lässt sich darauf ein, allerdings muss er im Gegenzug seinen

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werden kann. Er geht tatsächlich über Leichen, um die eigenen Mitarbeiter zu schützen, indem er einen Mord in Auftrag gibt. Dass das DDR-Regime wohl sehr ähnlich verfahren wäre, wird selbstverständlich verschwiegen.29 Und so verbleibt beim Zuschauer lediglich ein zutiefst negativer Eindruck über den westlichen Geheimdienst, der im Übrigen auf modernste Technik (wie Minikameras etc.) zurückgreifen kann (Abb. 65). Der eigentliche Geheimagent, der zurückgeholt werden soll, bedient sich ebenfalls ausgeklügelter Apparate, um Nachrichten seines »Arbeitgebers« abzurufen. Hierzu zeichnet der Agent eine vereinbarte Sendung des »Senders Freies Berlin« mit einem Tonbandgerät auf, spielt sie rückwärts ab und erhält so alle nötigen Informationen (Abb. 66). Der Geheimagent als solcher tritt unauffällig auf. Der Zuschauer erfährt nur wenig über ihn, lediglich, dass er während des Krieges drei Jahre in Rom stationiert war.30

Abb. 65 und Abb. 66: Vorstellungen von westlicher Geheimdiensttechnik in der DDR (Blaulicht, »Auftrag Mord«).

Dass er nicht vor dem Gebrauch der Schusswaffe zurückschreckt, wird in den letzten Minuten dieser Blaulicht-Folge deutlich. Dem Zuschauer bietet sich zum ersten

Landsmann töten, damit auf dessen Pass der eigentliche Spion ausreisen kann. Und, »Kommissar Becker? Aber Junge, den hat’s doch nie gegeben.« In: Blaulicht, »Auftrag Mord«, 0:42:14–0:42:16). 29 Vgl. u. a.: Welsch, Wolfgang: Repression und Folter an Untersuchungshäftlingen des MfS, in: Mertens, Lothar (Hg.): Opfer und Täter im SED-Staat, Berlin 1998, S. 101–114 sowie Morawe, Petra: Untersuchungshaft bei der Staatssicherheit der DDR. Realitätsdiffusion infolge psychischer Folter, in: BIOS 12 (1999), H. 2, S. 191–208. 30 Ob durch diese von ihm fast versonnene Aussage eine dunkle Nazivergangenheit angedeutet werden soll, bleibt offen. Eine naheliegende Interpretation wäre sicherlich, dass gerade belastete Nazi-Schergen und Wehrmachtssoldaten in den Geheimdienst der Bundesrepublik aufgenommen wurden, um die DDR zu bekämpfen.

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Mal eine Verfolgungsfahrt durch Berlin in einem zivilen Polizeifahrzeug.31 Begleitet wird die Fahrt von einer flotten, dissonanten Melodie, die den rasanten Fahrstil und die Ausweglosigkeit der Verfolgten, also des Italieners und des Agenten, betont. Die Bildfolge wechselt dynamisch zwischen Totalen aus der Sicht der Verfolger, Oberleutnant Thomas und seinen Kollegen, nahen Einstellungen beider Fahrer aus der Perspektive des Beifahrers sowie Nahaufnahmen der quietschenden Reifen; immer wieder unterlegt von den jeweiligen Geräuschen. Die Musik steigert sich zu einem Höhepunkt, der sogleich das Ende der Verfolgungsfahrt und den Übergang zu einer Schießerei zwischen Thomas und dem Spion in einem alten Treppenhaus signalisiert. Um die Dramatik, in der sich Thomas plötzlich befindet, zu unterstreichen, wird sein Gesicht des Öfteren in einer Großaufnahme gezeigt. Die Musik ist nun dem schweren Atmen des Polizisten gewichen, der einem übermächtigen Schatten auf den Fersen ist. Thomas wirkt im Vergleich zu dem Geheimagenten, der die Treppen fast lautlos beschreitet, überlaut. Auch die erhöhte Position des Verfolgten, der sich einen Treppenabsatz über Thomas befindet, lässt den Kriminalisten angreifbar werden. Scheinbar geübt im Kampf Mann gegen Mann verhält sich der Agent ruhig, während Thomas Schweißperlen auf der Stirn stehen. Obwohl er überlegt handelt, kann er seine Stellung als überlegenes Organ der Volkspolizei erst rehabilitieren, als er den Agenten, der ihn für tot hält, aus dieser Täuschung heraus erschießt. Die Bewohner des Hauses können die Situation nicht einordnen und beschweren sich über den Lärm. Ein alter Mann hält die Kugeln für Knallfrösche, und eine andere Hausbewohnerin scheint ebenfalls unwissend, dass eine Schießerei vor sich geht. Das Verhalten der Bewohner deutet darauf hin, dass für sie eine Schießerei in einem Kalten-Krieg-Kontext völlig unmöglich erscheint. Obwohl Berlin der Kulminationspunkt des Ost-West-Konfliktes war, konnte die Bevölkerung die Gefahren – zumindest in der Blaulicht-DDR – ausblenden. Die Folge »Auftrag Mord« bildete einen Höhepunkt in der Feindbild-Propaganda der Blaulicht-Reihe, die in diesem Maß keine Fortsetzung fand. Bereits zwei Folgen später nahm der neue Regisseur der Reihe, Manfred Mosblech, ein in den vergangenen Jahren weitgehend vernachlässigtes Motiv wieder auf: der westdeutsche Verbrecher, der in der DDR sein Unwesen treibt (so in »Maskenball« und »Leichenfund im Jagen 14«). Während sich der eine vor den westdeutschen Behörden, die ihn wegen Mordes suchen, versteckt und die Gelegenheit nutzt, eine Post zu überfallen (»Maskenball«), fährt der andere in die DDR, um seinen Anteil an der Beute eines ehemaligen Überfalls abzuholen. Sein Komplize hatte sich nach dem Bankraub mit dem Geld in die DDR abgesetzt. Hier lebt er im Übrigen auch kein 31 Das Kennzeichnen des Polizeiwagens beginnt ironischerweise mit dem Buchstaben »IM«, eine Abkürzung, die im Jargon des Ministeriums für Staatssicherheit für den »Inoffiziellen Mitarbeiter«, also den verdeckt arbeitenden zivilen Spitzel, stand.

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rechtschaffenes Leben, denn er manipuliert im »Westen« gestohlene Autos und verkauft sie teuer weiter. Seine kriminelle Energie baut sich weiter auf, als das Geld aus dem Überfall von ihm zurückverlangt wird. Kurzerhand bringt er seinen ehemaligen Komplizen um und versteckt dessen Leiche in einem Waldstück nahe Berlin. Da seine Frau davon erfahren hat, meldet sie das Verbrechen der Blaulicht-Polizei und trägt so zu seiner Verhaftung bei. Alle »West«-Täter zeichnen sich durch Skrupellosigkeit und Kaltblütigkeit aus, denn alle sind bereit, für ihre Ziele zum Mörder zu werden. Dies hebt sie damit auch recht klar von den meisten anderen Tätern der Reihe Blaulicht ab.

8.3 D AS

ANDERE D EUTSCHLAND ZWISCHEN BEGRENZTER UND TOTALER W AHRNEHMUNG . E IN Z WISCHENFAZIT

Der Kalte Krieg fand nicht nur auf der politischen Bühne statt, sondern wurde ebenso in den Massenmedien der verschiedenen Länder ausgetragen – in publizistischen wie Unterhaltungssendungen gleichermaßen, dementsprechend auch in den beiden Kriminalreihen Stahlnetz und Blaulicht. Zwar fanden die »großen« Themen aus Politik und Wirtschaft, also auch die von Gries und Satjukow vorgeschlagenen Feindbildkonstruktionen, keinen direkten Eingang in die Handlung, aber ideologische Vorgaben und Ressentiments lassen sich in einigen Folgen nachvollziehen. Für beide Reihen ist grundsätzlich festzustellen, dass weder das Stahlnetz noch das Blaulicht in die große Systemkonkurrenz zwischen den USA und der Sowjetunion eingebettet ist. Ideologische Kampfbegriffe werden vor allem im Stahlnetz vermieden, das Blaulicht kennzeichnet eine erwartbare Kapitalismuskritik. Für das Stahlnetz ist ferner festzuhalten, dass Menge und Roland die DDR nur in den frühen Folgen tatsächlich in den Blick nehmen. Wenige andere Folgen deuten »die Zone« nur an; der Begriff »DDR« war ohnehin unerwünscht. Das Stahlnetz kam somit ohne einen tieferen Bezug zur DDR aus und entsprach damit weitgehend dem gesellschaftlichen Alltag der Bundesrepublik. Diese hatte sich in den 1950er Jahren dem eigenen Aufbau zugewandt und akzeptierte mit Schließung der Grenzen zunehmend die deutsche Teilung. Für das Blaulicht galt das Gegenteil. Ein Verweis auf »den Westen« fehlte in nahezu keiner Folge. Und dennoch wurden lediglich vier westdeutsche Täter innerhalb von 29 Folgen präsentiert. Einer von ihnen war westdeutscher Agent und brachte damit im Jahr 1965 erstmalig das Thema der Spionage in die Wohnzimmer der DDR-Bevölkerung. Ein weiteres Mal wurde die Thematik jedoch nicht aufgenommen, stattdessen startete der DFF im Jahr 1969 eine eigene Reihe über die »Abwehrorgane der DDR«: »Rendezvous mit unbekannt«.

9 Schlussbemerkungen

»Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett …« Die von Bill Ramsey 1962 humorvoll besungene Mimi, die nie ohne einen Kriminalroman ins Bett gehe und bis tief in die Nacht darin lese, entsprach einem augenfälligen Faktum der Nachkriegszeit. Zwar gaben statistisch gesehen eher Männer dem Kriminalroman den Vorzug, aber insgesamt war die Krimileidenschaft der Deutschen auf beiden Seiten der Grenze in den 1950er und 1960er Jahren stark ausgeprägt und bezog sich nicht nur auf das Buchmedium, sondern ebenso auf Presse, Film und Rundfunk. Allerdings war dies kein neuer Trend; vielmehr lassen sich Affinitäten für das Genre bis in das 16. Jahrhundert zurückverfolgen. Mit Etablierung des Fernsehens im massenmedialen Ensemble der 1950er Jahre nahm sich auch dieses Medium des Genres an, wobei das Sujet auf zwei verschiedene Arten adaptiert wurde: Zum einen gab es den fiktiven Krimi, in dem der Ermittler den Täter genial überführt, und zum anderen den in dieser Arbeit am Beispiel von Stahlnetz und Blaulicht ausführlich untersuchten authentischen Krimi, der versucht, die Kriminalhandlung in der Lebenswirklichkeit des Rezipienten anzusiedeln und die polizeilichen Ermittlungen so real wie möglich darzustellen. Beide Formen fanden in den 1950er und 1960er Jahren großen Anklang beim Publikum beider deutscher Staaten. Die geistigen Väter der westdeutschen Reihe Stahlnetz, Jürgen Roland und Wolfgang Menge, nahmen ihre Arbeit im Jahr 1958 auf. Jürgen Roland, Regisseur der streng dokumentarischen Vorgängerreihe Der Polizeibericht meldet …, hatte nach einem neuen, packenden Format für die Darstellung der kleinteiligen und mühsamen Polizeiarbeit gesucht und fand in den USA eine entsprechende Vorlage mit der Reihe Dragnet des Senders NBC. Sein Drehbuchautor Menge nahm einige Elemente der in den USA beliebten Sendung auf, passte das Konzept jedoch den westdeutschen Verhältnissen an und ersetzte den Einzelermittler durch ein Ermittlerteam. Die Kriminalpolizei unterstützte Menge bei der Abfassung der Drehbücher durch Aktenmaterial bereits abgeschlossener Fälle, die er jedoch den dramaturgischen Erfordernissen entsprechend in ihrer Komplexität reduzierte. Ebenso konnte durch Abgleich zwischen Inszenierung und vorliegen Ermittlungsakten nachvollzo-

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gen werden, dass Menge für den Zuschauer womöglich heikle Aspekte wie z. B. die sexuelle Hörigkeit eines Mannes gegenüber einer älteren Frau („Haus an der Stör“) nicht erkennen ließ. Eine sozialistische Adaption folgte dann rund 17 Monate später, als im Fernsehprogramm der DDR erstmals die Reihe Blaulicht ausgestrahlt wurde. Deutlich an die westliche Krimitradition anknüpfend, waren Drehbuchautor Günter Prodöhl, seine Dramaturgin Evelyn Heyden und verschiedene Regisseure ebenfalls darum bemüht, die Ermittlungsarbeit der Volkspolizei vorzustellen und als Teil der staatlichen Exekutive des neuen, sozialistischen Staates in ein positives Licht zu rücken. Der DFF reagierte mit dem Sendestart zugleich auf die starke Konkurrenz der westdeutschen ARD und ihres Programms, das trotz der deutschen Teilung in der DDR weithin empfangbar war und aufmerksam verfolgt wurde. Allerdings ließ sich der Kriminalfilm in der dargebotenen Form nicht so einfach auf die sozialistischen Verhältnisse übertragen. Nach Vorstellung der SED lagen die Wurzeln der Kriminalität im Kapitalismus begründet und sollten mit der Verwirklichung der sozialistischen Utopie überwunden werden. Dennoch mussten die DDR-Bürger nicht auf das beliebte Unterhaltungsformat verzichten. Die Produzenten suchten einen Mittelweg und nahmen von »Mord und Totschlag« weitgehend Abstand und präsentierten stattdessen Kriminalität, die ihren Vorstellungen nach »lebensnäher« wirkte. Trotz der inszenatorisch versuchten Abgrenzung von Stahlnetz und der Bundesrepublik, blieb der Bezugspunkt der DDR-Produktion das andere Deutschland. Eine Orientierung an östlichen bzw. sowjetischen Kriminalsendungen lässt sich in der BlaulichtReihe nicht erkennen. So ist auch in der Produktionsgeschichte beider Reihen, deren gemeinsamer Endpunkt das Jahr 1968 bildete, die von Kleßmann allgemein attestierte »asymmetrisch verflochtene Parallelgeschichte« der deutschen Staaten eindrücklich nachvollziehbar. Obwohl also beide Reihen unter unterschiedlichen politischen Vorzeichen entstanden, ließ sich durch die vorliegende Analyse eine Vielzahl systemübergreifender Gemeinsamkeiten – und systemimmanenter Unterschiede – feststellen. Diese verwiesen zum einen auf übergreifende Mentalitäten und gesellschaftliche Kontinuitäten und zum anderen auf das Bestreben beider Sendeanstalten, die televisuelle Republikflucht der west- wie ostdeutschen Zuschauer zu verhindern bzw. zu animieren. Wie gezeigt werden konnte, war die soziale Praxis des Fernsehens beider Länder von unterschiedlichem technischem Niveau geprägt, aber die Begeisterung für das neue Massenmedium war gleichermaßen stark. Um in den Genuss des neuen Programms zu kommen, mussten die meisten Bürger beider Staaten zunächst auf der Couch von Bekannten, Verwandten oder auch Vermietern Platz nehmen, der staatlich geförderte Kollektivempfang der DDR wurde von den Bürgern nicht angenommen. Mit wachsender Fernsehproduktion und sinkenden Gerätepreisen leisteten sich nahezu alle Einkommensschichten in der Bundesrepublik und DDR das neue, luxuriöse Freizeitvergnügen, wobei eingewandt werden muss, dass in der Bundes-

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republik vor allem im intellektuellen Milieu Ressentiments bestehen blieben. Die Fernsehkrimireihen Stahlnetz und Blaulicht trugen in erheblichem Umfang dazu bei, die Popularität des Mediums und damit auch seinen Verbreitungsgrad zu steigern. An ihre Sendetermine knüpften sich Rituale, ein gemeinsames Erleben und sicherlich auch das Reden darüber am nächsten Tag unter Kollegen oder beim Einkauf. Die Ergebnisse der historischen Filmanalyse lassen sich unter drei Aspekten zusammenfassen, die der grundlegenden These folgen, dass beide Reihen nicht nur als fiktive und damit in ihrer Aussagekraft begrenzte Erzählungen, sondern auch als Verweissysteme auf die gesellschaftliche Realität der einzelnen Zuschauer zu verstehen sind. Ein erstes Resultat ist die Bedeutung der Sicherheit innerhalb der Krimireihen. Sie wird nach der Tat durch die Kriminalkommissare wiederhergestellt. Damit verbindet sich das Versprechen, dass es die staatliche Exekutive ist, die dauerhaft für Sicherheit und Ordnung sorgt. Zweitens geben beide Reihen ein klares Werte- und Normengefüge vor. Zunächst werden ein Täter und sein abweichendes Verhalten präsentiert, dann erscheint der Kommissar als abwägende, moralisierende und erklärende Instanz. Drittens entwerfen die Kriminalreihen ein Konzept von Aufmerksamkeit und Wachsamkeit, das sich in erster Linie kriminalpräventiv auf die Bevölkerung sowohl innerhalb der Fernsehreihen als auch vor dem Bildschirm bezieht.

9.1 S ICHERHEIT Die Hauptfigur und der Held des Krimis ist den Genreprinzipien entsprechend der Ermittler. In der westdeutschen Reihe wird er durch den Kommissar und sein Team dargestellt, in der DDR ist es der mit militärischem Dienstgrad versehene Hauptmann der Volkspolizei samt seinen Mitarbeitern – das »Ermittlerkollektiv«. Die jeweiligen Hauptfiguren stellen die ver-rückte Ordnung wieder her, indem sie die Täter – ihre Gegenspieler – überführen und ihrer Strafe (durch die Justiz) zuführen. Die Reihen Stahlnetz und Blaulicht setzten, den jeweiligen systemischen Vorgaben entsprechend, auf unterschiedliche Darstellungsweisen der tragenden Hauptfiguren. Während Roland jede Folge mit einem anderen Team besetzte – lediglich einige Schauspieler wie Heinz Engelmann spielten wiederholt die Rolle des Kommissars und kamen damit dem Idealtypus des Fernsehermittlers nahe – setzte das Blaulicht-Kollektiv auf ein über alle Folgen hinweg bestehendes Ermittlerteam dreier Kriminalisten unterschiedlichen Ranges und Alters. Sie sollten den Zuschauer nicht nur langfristig binden, sondern ihm eine Identifikationsfläche bieten, indem sie die idealtypische Schichtung der DDR-Bevölkerung in Arbeiter (Hauptmann

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Wernicke), Intellektuelle/Angestellte (Oberleutnant Thomas) und den jungen, ungestümen Aufsteiger (Leutnant Timm) repräsentierten. Einzig die bäuerliche Bevölkerung war nicht vertreten. Die Blaulicht-Polizisten wichen allerdings in einem weiteren Punkt von ihren westdeutschen Kollegen ab, denn ihnen wurde ein Privatleben zugebilligt. Dadurch wurde den Vertretern der sonst reichlich abstrakten staatlichen Exekutive nicht nur ein menschliches Gesicht verliehen, gleichzeitig gaben die kleinen Geschichten neben dem kriminalpolizeilichen Alltag einen weiteren identifikatorischen Ansatzpunkt für den Zuschauer. Ob Familienleben,1 die Geburt der Kinder,2 die große Liebe3 oder die Beförderung in einen höheren Dienstgrad,4 der Zuschauer nahm an allen für die Kommissare wichtigen Ereignissen teil. Die Beispiele zeigen auf, dass sich das dargestellte Privatleben der Kommissare in erster Linie auf die Familie bzw. die Gründung einer Familie bezog. Hobbys, Freundschaften, Alltag und Kultur waren für die Linse der Kamera hingegen weniger von Belang. Das in der Reihe Blaulicht kolportierte Männerbild folgte merklich den von der SED bestimmten Vorgaben einer Konzentration auf Arbeit, in deren verlängerter Perspektive zum einen der Aufbau des Sozialismus, zum anderen die Gründung einer Familie als Kern der sozialistischen Gesellschaft stand. Gleichzeitig fällt auf, dass die mit sonst so hohem propagandistischem Aufwand inszenierte berufliche Gleichstellung der Frau hier keine Umsetzung fand, obwohl Frauen ihren Dienst in der Volkspolizei verrichteten. In der Fernsehreihe erscheinen keine weiblichen Ermittler, stattdessen sind Frauen fast ausschließlich als Mütter und Ehefrauen bzw. Täterinnen und Opfer zu sehen.5 Dahingegen zeigte das Stahlnetz sehr wohl Frauen im Dienst der Weiblichen Kriminalpolizei, die allerdings in nur wenigen Folgen so ausführlich auftreten wie in »Das Haus an der Stör« und »In jeder Stadt …«. Im Übrigen war das Aufgabenspektrum der WKP auf dem Bildschirm wie auch in der Realität im Vergleich zu den männlichen Kollegen deutlich eingeschränkt. Für beide Reihen lässt sich daher konstatieren, dass sie ihnen einen anderer Platz in der Gesellschaft zuwiesen, denn das Herstellen von Sicherheit und Ordnung war eindeutig männlich konnotiert. Alle Kommissare beider Reihe traten, wie gezeigt werden konnte, weitgehend als untadelige Helden auf, alle Fälle konnten von ihnen über kurz oder lang gelöst werden und keine Situation schien zu eskalieren. Während die Thematisierung von Schwächen im Blaulicht unerwünscht war, da die Staatsmacht stets einen überlegenen Eindruck vermitteln musste, zeigten einige Ermittler der Reihe Stahlnetz durch1

Vgl. u. a. Blaulicht, »Kippentütchen«; Blaulicht, »Die Meute«.

2

Vgl. u. a. Blaulicht, »Heißes Geld«.

3

Vgl. u. a. Blaulicht, »Freizügigkeitsverkehr«.

4

Vgl. u. a. Blaulicht, »Die Butterhexe«.

5

Lediglich die Folge »Heißes Geld« wartet mit einer Sekretärin innerhalb der Polizei auf.

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aus Marotten und schlechte Angewohnheiten. Einen dezidiert humoristisch gedachten Kulminationspunkt erreichte die Darstellung eines »schwächlichen« Ermittlers in der Doppelfolge »Spur 211«, in der der Beamte Rathje lieber gemütlich Bonbons lutschte und seine Mahlzeiten pünktlich einnahm, als sich wegen der Ermittlungen zu überhasten. Der Malus führte dabei nicht zu einer Diskreditierung des Berufsstandes, doch sehr wohl zu der Schlussfolgerung, dass eine derartige, »beamtenmäßige« Berufseinstellung das Fortkommen auf der Karriereleiter verhindert. Zugleich wurde die tadellose Arbeit der Kollegen durch ein solches dramaturgisches Mittel noch einmal besonders betont. Im Gegensatz zur Reihe Blaulicht wurden dem (westdeutschen) Zuschauer keine tieferen Einblicke in das Privatleben der Ermittler gewährt; äußerst selten nur durfte er den Kommissar oder einen seinen Mitarbeiter nach Hause begleiten oder Gespräche über das Privatleben mithören. Wesentlich stärker war der Blick auf die Arbeit der Beamten gerichtet. Diese zu erklären, also Einblicke in Kriminaltechnik und Fahndung zu geben, war Aufgabe des von Roland eingesetzten Off-Kommentars. Das Stilmittel unterstrich den semidokumentarischen Charakter der Reihe – das Blaulicht verzichtete hingegen auf Derartiges und stellte die Arbeit der Kriminalpolizei stattdessen auf dialogischer Ebene vor. Beide Reihen bedienten sich technischer Bilder, um die Überlegenheit der Kriminaltechnik und damit auch der Ermittlungsbehörden im Kampf gegen das Verbrechen zu unterstreichen. Das Gros der Kriminalpolizisten wurde in West wie Ost entsprechend effizient und allzeit dienstbereit präsentiert. Der Umgang mit dem Bürger, dem Verdächtigen und auch dem Täter wurde gleichsam als über jeden Zweifel erhaben inszeniert. Gerade für das Stahlnetz ist allerdings einzuwenden, dass die bundesdeutschen Fernsehkriminalisten stärker zu körperlichen und verbalen Druckmitteln in Befragungen neigten als ihre DDR-Kollegen. So wurden Hierarchieverhältnisse zwischen den benannten Personengruppen im Stahlnetz häufiger durch Auf- und Untersichten betont; das Blaulicht bemühte sich hingegen, den Dialog in »Normalsicht« zu gestalten. Es liegt nahe, den Grund für die übertrieben kameradschaftliche Blaulicht-Gestaltung in den Vorgaben der staatlichen Behörden zu sehen. Gemäß der kollektivistischen Staatsdoktrin zum einen und dem diktatorischen Staatsapparat zum anderen musste die Volkspolizei positiv, bedacht, menschlich und zugleich sachlich dargestellt werden. Sie sollte in der öffentlichen Wahrnehmung keinesfalls in die Nähe von Repression und Zwang geraten. Vielleicht richtete sich die Gestaltung der Charaktere aber auch nach dem Wunschbild der Blaulicht-Macher von einer idealen Deutschen Volkspolizei. Um mögliche Kritik der Fernsehmacher zu unterbinden, wurde die Produktion der Blaulicht-Reihe von ihren Anfängen an überwacht. Das Ministerium des Innern begleitete Prodöhl und Heyden von den ersten Ideen an bis zum fertiggestellten Produkt. Innerhalb des Fernsehfunks gab es zusätzliche Kontroll- und Zensurinstanzen. Um jegliche Fehler in der Darstellung der Polizei am Set zu vermeiden,

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wurde dem Team zusätzlich ein Oberleutnant des Innenministeriums zur Seite gestellt. Weniger Zwang als selbst verschriebene Korrektheit animierten Roland, vor jedem Dreh einen Kriminalpolizisten anzuschreiben und Mithilfe bei der jeweiligen Produktion zu erbitten. Es konnte gezeigt werden, dass Roland nicht nur aus inszenatorischen, sondern auch aus persönlichem Interesse daran gelegen war, das Bild der Polizei in der Bevölkerung zu verbessern. Dass die beiden Krimireihen also nicht nur unterhalten wollten, sondern durchaus das reale Image der Polizei zu verbessern suchten, liegt auf der Hand. Mit Blick auf die schwierige und belastete Vergangenheit der Polizei im »Dritten Reich« und der direkten Nachkriegszeit war es geboten, das Vertrauen der Bevölkerung in die staatliche Exekutive zu stärken. Obwohl die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in den 1960er Jahren in der Bundesrepublik zunehmend an Bedeutung gewann und in der DDR seit Anbeginn ein starker Antifaschismus propagiert wurde, lassen sich in beiden Reihen keine Rückbezüge auf die Verstrickung der Polizei in den Nationalsozialismus und vorhandene personelle Kontinuitäten ersehen.6 Die fiktive Kriminalpolizei richtete ihr Augenmerk entsprechend auf aktuelle Fälle, denn nur so konnte dem Zuschauer auch das Versprechen von Sicherheit im Alltag glaubwürdig vermittelt werden. Denn der Bürger vor dem Bildschirm sollte sich im gleichen Maße sicher fühlen wie sein Pendant auf dem Bildschirm. Daher nahm Roland sogar hoch aktuelle Fälle auf, wie z. B. den Fall Timo Rinnelt, den seine Kriminalisten noch vor den realen Kollegen lösen konnten. Das Ziel beider Reihen war es, das Sicherheitsgefühl des Zuschauers zu erhöhen, indem er gleichzeitig unterhalten wird: »Unterhaltung, aber sicher!«.

9.2 N ORM Das in beiden Reihen idealtypisch gezeichnete Sicherheits- und Ordnungsgefüge war durchsetzt von verbindlichen Rechts- und sozialen Verhaltensnormen. Sie bestimmten den Rahmen, in denen der Kriminalbeamte aktiv wurde, um die durch den Täter überschrittene Norm wiederherzustellen. Mit einer betont realistischen Darstellung der Polizeiarbeit ging eine vermeintlich realistische Inszenierung der Verbrechen einher. Wenngleich das Stahlnetz insgesamt eine eindeutige Präferenz 6

Lediglich in der Blaulicht-Folge »Kippentütchen« deutet Wernicke an, während der Zeit des »Dritten Reichs« in einem KZ interniert worden zu sein, was ihn nach DDR-üblicher Lesart aber zugleich als Angehörigen des kommunistischen Widerstands kenntlich macht. In der Stahlnetz-Folge »Das Haus an der Stör« blickt der leitende Kommissar in die direkte Nachkriegszeit zurück, da der zu bearbeitende Fall hier begonnen hatte. Sein Blick zurück führt ihn jedoch nicht in den Polizeialltag jener Tage, sondern in die dem kollektiven Gedächtnis sehr viel stärker verhaftete materielle Not.

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auf Kapitalverbrechen legte, die die Blaulicht-Macher wiederum strikt vermeiden wollten, präsentierten beide Reihen eine Vielzahl verschiedener Delikte und Tätertypen. Dem erzieherischen Ansatz entsprechend sollten die Deliktvariationen nicht nur das Unterhaltungsbedürfnis des Zuschauers und seine Freude am Nervenkitzel befriedigen. Vielmehr verband sich mit dem Appell an die punitive Moral des Zuschauers auch ein bestimmtes Belehrungskonzept. Vor diesem Hintergrund lautete die Ausgangsfrage der vorliegenden Analyse, welche Formen von Kriminalität gezeigt wurden, wo die Grenzen des Sag- und Zeigbaren lagen und welche Rückschlüsse die Darstellung auf die Gefährdung der Bevölkerung zuließen. Um die Tätergruppen analytisch greifbar zu machen, wurden sie in drei verschiedene, für diese Untersuchung als heuristische Kategorien entwickelte »Verbrechenswelten« eingeteilt: die »Scheinwelt«, die »Halbwelt« und die »Unterwelt«. Obwohl alle Täter sowohl im Blaulicht als auch im Stahlnetz als Teil der jeweiligen Gesamtgesellschaft dargestellt wurden, haftete ihnen – spätestens nach ihrer Tat – ein Stigma an, das sie vom Rest der Gesellschaft ausgrenzte. Die Täterwelten nahmen Bezug auf dieses Stigma und ordneten die Täter entsprechend ihrer Verbindung zur vermeintlich normalen Gemeinschaft an. Die Scheinwelt wies die größten Schnittmengen mit der »normalen« Gesellschaft auf; die Tat brach umso untervermittelter in diese Welt hinein. Täter der Halbwelt begingen die dargestellten kriminellen Handlungen bewusst, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie zeichneten sich durch eine nahezu perfekte Tarnung als unbescholtene Bürger aus, um dem Opfer Sicherheit vorzutäuschen und dessen Arglosigkeit entsprechend auszunutzen. Die Unterwelt suchte zumeist weniger Kontakt zur Scheinwelt, sie war vielmehr eine abgegrenzte Parallelwelt, mit eigenen Normen (Verbrecherehre), Hierarchien und einer oft derben, dialektgefärbten Sprache. Die Delikte der Unterwelt wurden selten von Einzeltätern verübt. Die Unterwelttäter standen meist in engem Kontakt zum »Milieu«, dem so genannten Rotlichtmilieu. Wie herausgearbeitet wurde, waren Täter der Scheinwelt zumeist weiblich, nahezu unauffällig im normalen Alltag eingegliedert und wurden als integer beschrieben. Die von ihnen begangenen Taten waren in ihrem direkten Nahfeld, also Familie und engem Bekanntenkreis angesiedelt und persönlich motiviert. Zudem traten weibliche Haupttäter im Stahlnetz ausschließlich in privatem Umfeld auf und wurden damit in die den Frauen klischeehaft zugewiesene häusliche Sphäre zurückgedrängt. Alle gezeigten Frauen mordeten im Affekt, aus Habgier, Erniedrigung, Hass oder Verzweiflung. Die beiden erstgenannten Motive fanden sich dabei ausschließlich im Stahlnetz wieder. Das Blaulicht zeichnete ein anderes Bild für den Täterkreis der Scheinwelt. Wenngleich die dargestellten verzweifelten Mütter wenig allgemeine Gefährdung für den Fernsehzuschauer vermitteln konnten, so wiesen die gezeigten Beispiele von Fahrerflucht mit Todesfolge – die im Übrigen ausschließlich von Männern begangen wurde – durchaus auf einen größeren Gefährdungsrahmen hin. Diese Gefährdung belehrte den Zuschauer zum einen hin-

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sichtlich seiner eigenen Viktimisierung oder gar Täterwerdung durch Unachtsamkeit im Straßenverkehr, zum anderen durch eine gesellschaftliche Mitschuld an den Verbrechen. Allen Fernsehbürgern wurde sodann durch das Blaulicht-Kollektiv aufgezeigt, wie sie die begangenen Taten hätten verhindern können. Die Botschaft solcher Szenarien vermittelte das Idealbild einer sozialistischen Gemeinschaft, die solidarisch für einander einzustehen hatte. Gleiches galt für die Inszenierung einer Frau, die unter häuslicher Gewalt litt und schließlich ihr Kind ermordete, die Nachbarn jedoch wegsahen. Der Fall »Jutta H.« transportierte u. a. das Bild des neuen sozialistischen Menschen, der die Zehn Gebote des Sozialismus zu befolgen hatte und dessen moralische Stabilität durch Integration in das sozialistische Kollektiv gewährleistet wurde. Während Frauen im Dienst der Kriminalpolizei der DDR marginalisiert wurden, traten sie hier als Täterinnen hervor, die zugleich Opfer männlicher Übermacht waren. Damit problematisierte das Blaulicht-Kollektiv einen Aspekt zwischenmenschlicher Beziehungen, der dem Ideal der Kernfamilie entgegenstand. Im Stahlnetz wurden solche Themen tabuisiert. Die im Blaulicht bevorzugten Deliktarten der Halbwelt konzentrierten sich auf Heiratsschwindel, Scheckbetrug und Korruption. Das Stahlnetz sparte diese Deliktkategorien gänzlich aus. Zum einen erschienen diese Fälle weniger affektgeladen inszenierbar, zum anderen sollte das Gefühl von Unsicherheit beim Unterhaltung suchenden Zuschauer vermieden werden. Denn, so die mit der Halbwelt verbundene These, die Reichweite der Tat umfasste einen großen, inhomogenen Opferkreis, der schwieriger mit einem Sicherheitsversprechen auf dem Bildschirm zu verbinden war. Da sich die Täter der Halbwelt bewusst fremde Opfer in einer breiten gesellschaftlichen Streuung suchten, wurde dem Zuschauer entsprechend eine hohe Gefahr der Viktimisierung aufgezeigt. In der Argumentationslogik der Reihe Blaulicht war der Opferwerdung durch Wachsamkeit des Einzelnen zu begegnen; ferner konnte jedoch an der Darstellung der Halbwelt-Täter die gängige Rudimentetheorie nachgewiesen werden. Diese machte die Persistenz bürgerlicher Wertvorstellungen als Hauptursachen von Kriminalität aus. Die Täter der Stahlnetz-Unterwelt waren am wenigsten der »normalen« Gesellschaft verhaftet, wiesen ein erhöhtes Aggressivitäts- und Gewaltpotenzial auf und waren daher geeignet, unter den Zuschauern Angst zu schüren. Zudem wurde ihre Welt unkritisch durch stereotype Bilder von Leuchtreklamen der Vergnügungsviertel, Prostituierten und zwielichtigen Gestalten und Bars beschrieben. Für den Zuschauer verband sich mit dieser Welt einerseits etwas Exotisches, das andererseits in sicherer Distanz über den Bildschirm betrachtet werden wollte. In Anbetracht der Unterwelttaten, die im Stahlnetz zwischen schwerem Einbruchdiebstahl und Raubmord pendelten, schien eine Viktimisierung des Fernsehbürgers und Zuschauers durch diese Tätergruppe gemäß der polizeilichen Kriminalstatistik wohl am wahrscheinlichsten. Allerdings blieben die Täter ihrer Welt so stark verhaftet, dass von ihnen keine direkte Gefahr für den Zuschauer in den heimischen vier

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Wänden auszugehen schien. Denn wenngleich die Täter schnell dazu bereit waren zu töten, beschränkten sich die Morde wie bei vielen Scheinweltdelikten wieder auf das eigene Umfeld der Täter. Ihre Opfer waren entsprechend Kriminelle und in der Regel nicht unbescholtene Bürger, die in ihren Wohnungen überfallen oder womöglich vergewaltigt wurden. Hieraus ergibt sich erneut eine Bestätigung der These, dass dem Zuschauer eine Art von Sicherheitsgefühl vermittelt wurde. Lediglich manche Berufsgruppen wie Bankangestellte oder Geldtransportfahrer schienen gefährdeter als andere zu sein – zugleich kamen die unbescholtenen Bürger im Stahlnetz zumeist glimpflich davon. Das Blaulicht zeigte nur wenige Täter der Unterwelt. Erklärbar wird dies mit Blick auf den Anspruch der Reihe, nah an der Lebenswelt des Zuschauers zu inszenieren – das Exotische und seine romantische Verklärung wurde zum Tabu. Gleichermaßen verwies jede Folge des Blaulicht auf die sozialistische Utopie, die von einer stückweisen Überwindung der kapitalistischen Grundeinstellung und damit des Berufsverbrechertums ausging. Habgier, die in einen Banküberfall oder Tresoreinbruch mündete, erreichte entsprechend die Grenze des Zeigbaren und war nur unter besonderen Konstellationen denkbar. Allenfalls westlich beeinflusste Täter oder solche aus schwierigen elterlichen Verhältnissen waren zu solch unterweltlich-kriminellen Handlungen auch tatsächlich fähig. Die bisherige Forschung zum ostdeutschen Krimi hatte herausgearbeitet, dass die Darstellung der Täter und ihrer Verbrechen bis zum Mauerbau generell eine starke Westzentrierung aufwiesen. Mit dieser Arbeit konnte jedoch nachgewiesen werden, dass die Blaulicht-Macher Verbrechen nicht einfach exterritorialisierten, sondern dass sich Ost- wie Westdeutsche gleichermaßen Verbrechen in der DDR schuldig machten. Eine Tätergruppe, die im Stahlnetz und im Blaulicht in allen drei Welten zu finden war, sind Jugendliche sowie halb erwachsene Delinquenten und Straftäter. Seit ihrer neuzeitlichen »Erfindung« war die Jugend Gegenstand pädagogischer Debatten. Vor allem dann, wenn sie von dem ihr auferlegten Normenrahmen abwich, also sich nicht den für sie angedachten Erziehungszielen unwidersprochen fügte. In den 1950er Jahren waren die Grenzen für Jugendliche recht eng gezogen: An Straßenecken herumzustehen, amerikanische Jazz- oder Rock-’n’-Roll-Musik zu hören, mangelnder Respekt vor erwachsenen Autoritäten oder ein unkonventioneller Kleidungsstil machten sie in den Augen vieler Erwachsener bereits verdächtig. Das Phänomen der »Halbstarken« (Bundesrepublik) und »Rowdys« (DDR) in den späten 1950er Jahren sowie deren begriffliche Unschärfe wurden in beiden Reihen aufgegriffen. Während Roland und Menge in der vierten Stahlnetz-Folge »Die Blaue Mütze« noch dem damals massenmedial dominanten Stereotyp des kriminellen Halbstarken folgten, differenzierten sie – mit Hilfe des Kommissars – bereits sechs Folgen später sehr klar zwischen kriminellen Jugendlichen und Halbstarken, die

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vielleicht unangenehm auffielen, aber »eben keine Morde«7 begingen. Sie konzentrierten sich somit auf einen ohnehin nur kleinen Teil von Jugendlichen, deren Verhalten vor allem durch die Printmedien seit Mitte der 1950er Jahre in hohem Maße kriminalisiert worden war und damit, wie in Kapitel vier dargelegt wurde, ein Gefühl der »moral panic« schürte. Das Blaulicht verallgemeinerte die subkulturelle Auffälligkeit einiger DDRJugendlicher und setzte sie mit kriminellen Jugendlichen gleich. Im Gegensatz zum westdeutschen Pendant lösten die DDR-Fernsehmacher diese Gleichsetzung nicht auf. Jugendliche, die sich nonkonform kleideten, westlicher Musik und Groschenheften zugetan waren und sich offen gegen die erwachsene Generation auflehnten, blieben in der Darstellungsweise kriminell und damit stigmatisiert. Als Gegenmodell wurden aber auch »gute« Jugendliche präsentiert, die entweder einen engen Kontakt zur staatlichen Jugendorganisation FDJ pflegten oder diesen anstrebten. Interessanterweise wurde die FDJ im Blaulicht als eine legere, verständnisvolle Jugendorganisation inszeniert, die ohne Uniform und ideologische Parolen auskam.8 Jugendliche, die sich »läuterungsfähig« gaben, zeigten eine im Sinne des Sozialistischen Realismus positive Wandlung und konnten durch den Ermittler Wernicke vom Bandenmitglied zum »guten« FDJler gebracht werden. Die Grenze des Sag- und Zeigbaren wurde in beiden Reihen in der (Nicht-) Thematisierung psychopathologischer Täter und Täterinnen deutlich. Täter, die aufgrund einer psychischen Störung Sexual- und Tötungsdelikte begingen, wurden kaum gezeigt. Einzige Ausnahme bildete der Blaulicht-Kindermörder Richard Göttling, der mehrere Mädchen aus einem inneren Zwang heraus tötete. Da die Taten von ihm jedoch wohlkalkuliert waren, wurde ihm Unzurechnungsfähigkeit durch eine psychische Störung abgesprochen. Das Fehlen psychopathologischer Fälle ist rückblickend erklärungsbedürftig. Einerseits könnte dies darauf hindeuten, dass beide Reihen den Zuschauer nicht unnötig verunsichern wollten, andererseits wurde durch das Ausblenden eine gewünschte Norm präsentiert, die irrationale Motive eben nicht zuließ. Beide Reihen präsentierten fast ausschließlich unpolitische und systemunabhängige Deliktkategorien; der Kalte Krieg und damit verbundene Agententätigkeiten oder Ähnliches wurden nur in einer Blaulicht-Folge gestreift.9 Das aufgezeigte Tatspektrum der Reihe Stahlnetz lokalisierte sich ausschließlich in der Schein- und Unterwelt und reduzierte sich auf Morde im Nahfeld sowie Banküberfälle und Morde im Milieu der Unterwelt. Eine realistische Relation zu Delikten der Kriminalstatistik bestand nicht. Obwohl dieses Missverhältnis inszenatorisch und durch Zuschauerverlangen begründbar war, blendeten Menge und Roland Delikte wie 7

Stahlnetz, »Aktenzeichen: Welcker«.

8

Vgl. u. a. Blaulicht, »Kümmelblättchen«.

9

Siehe Blaulicht, »Auftrag Mord«.

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Einbruch oder Diebstahl aus dem Bewusstsein der Fernsehbürger und damit auch Zuschauer aus. »Echte« Kriminalität war entsprechend in Westdeutschland auf Kapitalverbrechen reduziert, bei denen jedoch eine Viktimisierung für das Gros der Fernsehbürger und Zuschauer unwahrscheinlich schien. Hier lag einer der wesentlichen Unterschiede zur Reihe Blaulicht, die durch verschiedene Delikte die Kriminalität auf ein großes Spektrum verteilte und eine Opferwerdung in jeder Täterwelt möglich erschienen ließ. Den einzigen Schutz dagegen stellte wachsames Verhalten gegenüber der Umwelt dar, um mögliche kriminelle Handlungen und eine daraus folgende Viktimisierung im Vorfeld zu verhindern.

9.3 AUFMERKSAMKEIT

UND

W ACHSAMKEIT

Obwohl die Wahrscheinlichkeit einer möglichen Tötung für den westdeutschen Krimibürger wie auch Zuschauer gering zu sein schien, präsentierte das Stahlnetz verschiedene Opfertypen, deren Teilschuld an ihrer Viktimisierung klar aufgezeigt wurde. Sie hatten ihren Tod entweder fahrlässig (als Scheinweltangehörige) oder vorsätzlich (als Unterweltangehörige) selbst provoziert oder hätten durch eine weniger naive Haltung die Tat verhindern können. Der Fall »In jeder Stadt …«, der leichtgläubige junge Mädchen zeigt, die sich wegen ihres Traums, Schauspielerin zu werden, in die Hände dubioser Männer begeben, sollte dem Zuschauer dies sehr klar vor Augen führen. Damit verband sich ein negatives Lernkonzept, das dem Zuschauer in direkter Ansprache mögliche Gefahren aufzeigen und in einem zweiten Schritt dazu animieren sollte, die eigene Einstellung zu überprüfen. Ein positives Lernkonzept verband sich wiederum mit der Darstellung des Bürgers innerhalb der Handlung – eine Figur, die von der bisherigen medienwissenschaftlichen Forschung zumeist vernachlässigt wurde, aber neben dem Kommissar eine wichtige Identifikationsfläche für den Zuschauer darstellte. Daher wurden im Stahlnetz zwei Arten von Bürgern präsentiert: einerseits solche, die durch Aufmerksamkeit Verbrechen vereitelten, indem sie der Polizei rechtzeitig einen Tipp gaben, und andererseits solche, die »lediglich« als Zeugen nach einem Verbrechen auftraten. Letztere wurden häufig bei einer Befragung oder Gegenüberstellung von einem Off-Kommentar begleitet, um den Zuschauer über richtiges Verhalten zu instruieren oder offensichtlich und unmissverständlich durch den Kommissar belehrt. Eine ähnlich pädagogische Vorgehensweise war im Blaulicht zu beobachten. Allerdings wurde der Zuschauer hier nicht durch einen Off-Kommentar als vielmehr durch die Handlung und durch die Dialoge der drei Kriminalisten instruiert. Der negative Lerneffekt der Opfer wurde im Blaulicht vor allem bei kriminellen Handlungen der Halbwelt-Täter hervorgehoben. Da die Botschaft lautete, der wachsame Bürger könne Verbrechen präventiv begegnen, wurden die Opfer von Verbre-

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chern aus der Halbwelt, also von Betrügern und Schwindlern, als besonders einsichtig und lernfähig präsentiert. Das im Stahlnetz verfolgte Konzept des aufmerksamen Bürgers wurde in der DDR, wie bereits dargestellt, normativer gefasst. Bereits zu Beginn der Sendereihe erging eine Bestimmung des Innenministeriums an die Produktionsleiter, den »Bürger zu mehr Wachsamkeit zu erziehen«. Die hier propagierte Form von Wachsamkeit beinhaltete jedoch nicht nur, die Umwelt aufmerksam zu beobachten und zu prüfen, wem man vertraut, sondern gleichsam die Bereitschaft, (politische, moralische, soziale oder rechtliche) Auffälligkeiten – seien sie auch gering – den Staatsorganen zu melden. Denn nur so könne die neue sozialistische Gemeinschaft verwirklicht werden. Dass das Konzept der Wachsamkeit einer Form alltagsverträglicher Denunziation entsprach, wurde nicht thematisiert oder problematisiert. Die Konzepte von Aufmerksamkeit und Wachsamkeit offenbaren unterschiedliche Vorstellungen von einem idealen Verhältnis von Staat und Bürger. Für die Bundesrepublik arbeitete die historische Forschung eine zunehmende Modernisierung und Liberalisierung im Sinne von »Partizipation« und »Abbau hierarchischer und autoritärer Strukturen« (Herbert) heraus. Diese Entwicklungstendenzen sind gleichsam in der Reihe Stahlnetz sichtbar. In der DDR strebte die SED in den 1960er Jahren auf eine Konsolidierung ihrer Macht, indem sie dem Bürger ein Partizipationsversprechen gab. In der Reihe Blaulicht wurde dies mit dem Konzept der Wachsamkeit umgesetzt, das mit der Vorgabe sozialistischer Moral einen Appell sozialer Kontrolle einforderte. Das Konzept des aufmerksamen bzw. wachsamen Bürgers verband sich mit der Inszenierung der Tatorte. Das bereits seit der Jahrhundertwende bestehende Klischee der kriminellen Großstadt wurde in beiden Reihen bekräftigt. Denn immerhin fanden die meisten Verbrechen und vor allem die der Unterwelt in größeren Städten statt. Während das Blaulicht-Ermittlerkollektiv die überwiegende Zahl der Fälle in der Hauptstadt Berlin oder namenlosen städtischen Arealen löste, waren die unterschiedlichen Stahlnetz-Ermittler in der gesamten Bundesrepublik gefordert. Ob in München oder Hamburg, Verbrechen schienen in allen deutschen Städten möglich. Gleichzeitig wurde mit allerlei Lokalkolorit der Zuschauer der jeweiligen Region in besonderem Maße angesprochen und eine Zuschauerbindung vertieft. Die ersten Stahlnetz-Folgen versah Menge sogar mit einem ausführlichen Off-Kommentar, um in die jeweilige Topografie einzuführen. Durch die breite räumliche Streuung der Stahlnetz-Fälle schien auch der Wechsel der einzelnen Ermittlerteams von Folge zu Folge naheliegend. Im Blaulicht wurde ein Ortswechsel in eine andere Stadt der DDR nicht begründet, oftmals wurde noch nicht einmal die Stadt selbst benannt. Auf diese Weise musste auch nicht begründet werden, warum die drei Kriminalisten plötzlich nicht mehr ihrem alten Bezirk (überwiegend Berlin) zugeteilt waren und sich in ihrem neuen Gebiet (z. B. Leipzig) sofort auskannten. Gleichzeitig erreichte die Inszenierung dadurch eine Entlokalisierung, die das Verbrechen an

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jedem Ort der DDR möglich machte und durch die entstehende Unsicherheit das Konzept der Wachsamkeit noch einmal mehr unterstrich. In Abgrenzung zu teilweise noch in den 1950er Jahren gepflegten kulturkritischen Traditionen der Jahrhundertwende wurde das Land in beiden Reihen nicht als ewiger Kraftquell und als Idyll beschrieben. Zwar blieb der Urlaubsort (an der Nordsee oder der Mecklenburger Seenplatte) weiterhin positiv besetzt, doch zugleich wurde dem Zuschauer klar vermittelt, dass Verbrechen auch hier geschehen können und Wachsamkeit in der Freizeit geboten blieb. Eine andere Art der Bedrohung hielt die geteilte Stadt Berlin bereit. Sie versinnbildlichte in besonderer Weise die deutsche Teilung und den in den 1950er und 1960er Jahren herrschenden Kalten Krieg, der als alltägliche Drohkulisse in Westwie Ostdeutschland präsent war. Im Stahlnetz wurde der Kalte Krieg lediglich in zwei Folgen erwähnt, deren Handlung vor dem Bau der Mauer in der geteilten Stadt Berlin spielte, aber keinen inhaltlichen Bezug auf den schwelenden Konflikt nahm. Im Blaulicht wiederum war, wie bereits angedeutet, der Ost-West-Konflikt dauerpräsent und Kriminalität wurde der geltenden Doktrin nach alleinig Residuen bürgerlichen Denkens bzw. dem Einfluss des Westens in der DDR zugeschrieben. Während das andere Deutschland im Blaulicht als bekämpfenswert erschien und damit vom Bürger Wachsamkeit erforderte, wird es in der Bundesrepublik nur begrenzt wahrgenommen. Für beide Reihen gilt gleichermaßen, dass die zeitgenössischen Feindbilder der USA bzw. UdSSR nicht explizit angesprochen wurden, gleichzeitig wurde das die deutsch-deutsche Geschichte prägende Ereignis des Mauerbaus ausgeblendet.

9.4 D AS E NDE

DER I KONOPHOBIE ?

Dass Historiker schrittweise ihre »Ikonophobie« (Gerhard Paul) ablegen, zeigen die in den letzten Jahren betriebenen Forschungen, die sich explizit der Kraft der (audio-)visuellen Massenmedien annehmen. Bisher konzentrierten sich die Arbeiten zuweilen auf Fragen der Institution, der sozialen, politischen und kulturellen Wirkmechanismen der Massenmedien, ihrer gesellschaftlicher Zusammenhänge und Agendasettings. Das eigentliche Filmbild und damit auch eine (Audio-)Visual History im Sinne Gerhard Pauls und Günter Riederers wurde bisher vernachlässigt. Die Bedeutung der Massenmedien und ihre gesellschaftliche Wirkkraft kann jedoch nicht ohne ihre Produkte untersucht werden. Eine Analyse der audiovisuellen Überreste und inszenatorischen Traditionen ist daher unablässig. Am Beispiel der Kriminalreihen Stahlnetz und Blaulicht wurde deutlich, wie wertvoll eine Analyse von Inhalt, Ästhetik, Institution und Wirkung im Hinblick auf mentalitäten-, alltags- und gesellschaftsgeschichtliche Fragestellungen sein

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kann. Die klassische Methode der Historik greift bei der Analyse des mehrdimensionalen Filmbildes jedoch zu kurz, und so wurde ein möglicher Handlungsleitfaden einer Historischen Filmanalyse in Erweiterung der bestehenden Konventionen entworfen. Hierzu wurden die methodischen Grundlagen der Geschichtswissenschaft zur Quellenanalyse mit medienwissenschaftlichen Verfahren der Film- und Fernsehanalyse angereichert und in einem zweiten Schritt auf die Kriminalreihen angewandt. Dieser setzte die Geschichte des Fernsehens in Beziehung zu dem von ihm produzierten audiovisuellen Material, lenkte den Blick auf die einzelnen Macher der Reihen sowie auf die rekonstruierbaren Zuschauerreaktionen. Da das frühe Fernsehen aufgrund eingeschränkter technischer Bedingungen in der Produktion und dem Bildempfang lediglich eine reduzierte Ästhetik im Vergleich zu Kinofilmen in Anwendung bringen konnte, musste der geringe Variationsgrad der Bilder umso stärker in Verbindung zu Dialogen und inhaltlicher Entwicklung betrachtet werden. Auf diese Weise konnten Abhängigkeitsverhältnisse und Hierarchien zwischen den Figuren, also zwischen Kommissar und Verdächtigen bzw. Tätern oder etwa Identifikationsangebote verdeutlicht werden. In den hier untersuchten Fernsehkrimis ließ sich etwa erkennen, dass der Kommissar häufig durch eine kleine Einstellungsgröße mit geringer Distanz zum Zuschauer sprach und seine moralisierenden Aussagen durch einen Zoom unterstrichen wurden. Eine Bildanalyse konnte ebenso herausarbeiten, dass die Opferdarstellung beider Reihen sehr genau zwischen männlichen und weiblichen Opfern unterschied. Männliche Opfer waren meist nur kurz und in einer Halbtotalen bis Totalen zu sehen, ihr Tod wurde oftmals nur durch ein Detail wie eine Krawatte, die der Betreffende gerade noch getragen hatte,10 symbolisiert. Hingegen zeigten beide Reihen weibliche Tote zumeist in halbnahen Einstellungen, entblößte Körperteile und Blut waren nahezu selbstverständlich. Die Darstellung schwacher und verletzbarer Männerkörper wurde entsprechend vermieden. Die Bildästhetik beider Reihen, so könnte vermutet werden, versuchte dadurch die erst wenige Jahre zurückliegenden männlichen (Soldaten-) Opfer des Krieges nicht wieder in Erinnerung zu rufen. Insgesamt lässt sich für beide Reihen festhalten, dass die in den Filmen dargestellten Mentalitäten und Alltagspraktiken der Bürger beider deutschen Staaten näher aneinander lagen, als in der Retrospektive oft behauptet. Auch in der Bildsprache sowie in der Wahl der inszenatorischen Mittel setzten beide Kriminalreihen, trotz unterschiedlicher technischer Ausstattung, für ihr jeweiliges Fernsehsystem und das Genre des Fernsehkriminalspiels Standards. Stahlnetz und Blaulicht bereiteten so den Weg für die Sendereihen Tatort und Polizeiruf 110. Das bereits im Stahlnetz praktizierte föderale Konzept wurde ausgebaut und durch die im Blaulicht üblichen Ermittlerteams in einzelnen Städten ergänzt. Drehbuchschreiben und 10 Vgl. u. a. Stahlnetz, E 605.

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Inszenierung waren nicht mehr von den immer gleichen Personen abhängig, sondern wurden auf verschiedene Autoren und Regisseure verteilt. In ästhetischer Hinsicht entwickelte sich vor allem der Stil der Stahlnetz-Reihe, der sich durch viele Außenaufnahmen, dynamische Fahrten und eine scheinbar distanzierte und zugleich teilnehmende Kameraführung auszeichnete, weiter. Der fernsehtechnische Fortschritt, der bereits in den letzten Folgen der Blaulicht-Reihe ersichtlich war, ermöglichte es dem Polizeiruf 110, sich noch stärker am westlichen Konkurrenten zu orientieren. Die inhaltliche Ausprägung blieb allerdings bestehen, und der DFF verzichtete weiterhin auf ein Übergewicht von Kapitalverbrechen. Die langfristige Wirkung beider Reihen, die bis in das heutige Programm hineinreicht, ist unverkennbar. Wenngleich die Reihen Stahlnetz und Blaulicht durch ein idealisierendes Polizeibild Sicherheit und Ordnung versprachen und gleichzeitig den Bürger zum Freund und Helfer der Polizei machten, lag ihre primäre Aufgabe darin, einen niveauvollen Beitrag zur Freizeitgestaltung der (geteilten) Fernsehnation zu leisten: Unterhaltung, aber sicher!

Dank

Krimis faszinieren Menschen. Fast täglich und vor allem am Sonntagabend zieht es Millionen vor den Fernseher, wenn sich deutsche, amerikanische und britische Kommissare die Klinke in die Hand geben. Mein Verhältnis zur spannenden Unterhaltung hat sich im Verlauf dieser Arbeit stark verändert. Was zunächst ein reines Freizeitvergnügen war, ist am Ende minutiöses Schauen geworden, das keinen Blick mehr für die Unterhaltung ließ. Nichtsdestotrotz habe ich mir den Spaß am sonntäglichen Krimi bewahrt. Die vorliegende Arbeit ist eine gekürzte Fassung meiner im Juli 2011 an der Universität Hamburg verteidigten Dissertation. Ihr Entstehen habe ich einer Vielzahl von Personen und Institutionen zu verdanken. Zunächst und zuallererst danke ich meinen akademischen Eltern, Axel Schildt und Dorothee Wierling, die mich seit dem Studium begleitet, mir immer ein offenes Ohr geschenkt, mich beherbergt und mir Wege aufgezeigt haben, deren Begehung mich geprägt hat. Ferner haben Ute Schneider, Thomas Mergel und Detlef Siegfried meine akademische Laufbahn intensiv unterstützt. Zugleich hatte ich die Gelegenheit, in vielen Kolloquien von der Schweiz bis nach Potsdam meine Arbeit und deren Methode vorzustellen. Durch einen zweimonatigen Gastaufenthalt am SFB 640 »Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel« hatte ich 2009 die Möglichkeit, eine Vielzahl neuer Ideen zu sammeln. Für die Einladungen und spannenden Diskussionen möchte ich bei allen Beteiligten herzlich bedanken. Ein Historiker muss ins Archiv. Doch ohne den fast kriminalistischen Spürsinn einiger Archivare wäre manche Akte vielleicht ungesehen geblieben. Ich danke im besonderen Maße Ulf Rathje vom Bundesarchiv Berlin, Jörg-Uwe Fischer vom Deutschen Rundfunkarchiv Babelsberg, Gerrit Thies von der Deutschen Kinemathek Berlin und Hans Müncheberg, die sich viel Zeit für mein Projekt und Gespräche mit mir genommen haben. Zudem danke ich dem Deutschen Rundfunkarchiv Babelsberg für dessen Entgegenkommen bei der Bereitstellung des Bildmaterials für die Publikation.

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Danken möchte ich auch Werner Plumpe, Martin Schulze Wessel und dem Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands, da sie mir den Spielraum gegeben haben, neben dem Berufsalltag diese Arbeit zu schreiben und deren Druck vorzubereiten. Der akademische Alltag ist sodann von einer Vielzahl von Begegnungen geprägt, die manchmal flüchtig bleiben, manchmal aber auch in eine echte Freundschaft führen. Diese, meine Freunde, haben meinen Weg maßgeblich geprägt, wofür ich Ihnen sehr dankbar bin. Nicht zuletzt auch, weil sie immer wieder mit mir über diese Arbeit diskutiert, sie gelesen und neue Impulse gegeben haben: Kerstin Freydag, Janina Fuge, Vera Hierholzer, Claudia Kemper, Anna Menny, Sylvia Necker, Heidrun Ochs, Eva-Maria Silies, Veronika Springmann, Malte Thießen. Vor allem aber gebührt mein tiefer Dank meiner Großmutter und meiner Mutter, die mich jederzeit bedingungslos unterstützen, mir zur Seite stehen und mich immer wieder auffangen. Mein Ehemann: mein Ruhepol, mein Sparringspartner, mein Antreiber und mein Helfer, meine Liebe und mein Zuhause.

Abkürzungsverzeichnis ABV APuZ ARD BArch BIOS

Abschnittsbevollmächtiger Aus Politik und Zeitgeschichte Arbeitsgemeinschaft Bundesarchiv Berlin Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen BKA Bundeskriminalamt BStU Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik DEFA Deutsche Film AG DIF Deutsches Filminstitut, Frankfurt a. M. DFF Deutscher Fernsehfunk DDR Deutsche Demokratische Republik DRA Deutsches Rundfunkarchiv, Potsdam epd Evangelischer Pressedienst FDGB Freier Deutscher Gewerkschaftsbund FDJ Freie Deutsche Jugend FH Freiwillige Helfer GG Grundgesetz GWU Geschichte in Wissenschaft und Unterricht HJ Hitlerjugend KdF »Kraft durch Freude« KTI Kriminaltechnisches Institut MdI Ministerium des Innern MfS Ministerium für Staatssicherheit NBC National Broadcasting Company NDR Norddeutscher Rundfunk NWDR Nordwestdeutscher Rundfunk NWRV Nord- und Westdeutscher Rundfunkverband PGH Produktionsgenossenschaft des Handwerks PKW Personenkraftwagen SDR Süddeutscher Rundfunk SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands

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SPIEL StAHH SWF UdSSR UFA USA WDR WKP ZDF ZK

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Siegener Periodicum zur internationalen empirischen Literaturwissenschaft Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg Südwestdeutscher Rundfunk Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Universum Film AG Vereinigte Staaten von Amerika Westdeutscher Rundfunk Weibliche Kriminalpolizei Zweites Deutsches Fernsehen Zentralkomitee [der SED]

Quellenverzeichnis

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Drehbücher Blaulicht-Reihe Presseausschnittsammlung Werbeprospekte der Fernsehindustrie (Bestand: Deutsches Rundfunkmuseum im DRA) Norddeutscher Rundfunk – NDR-Pressedokumentation, Hamburg: • Presseausschnittsammlung Ordner »Stahlnetz, Kritiken« • Presseausschnittsammlung Ordner »Stahlnetz, Korrespondenzen« Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg (StAHH): • 135-1: IV Staatliche Pressestelle • 136-1: Behörde für Inneres • 331-1 I: Polizeibehörde I • 331-1 II: Polizeibehörde II • 621-1/144: Norddeutscher Rundfunk • ZAS A455: Polizei allgemein und historisches

E XPERTENINTERVIEWS Wolfgang Menge, 2. 6. 2008 Hans-Joachim Hildebrandt, 11. 4. 2008 Manfred Mosblech, 10. 4. 2008 Hans Müncheberg, 8. 4. 2008 Jürgen Roland, geführt von Burkhard Vorländer 9. 12. 1991 (Tonband)

P ERIODIKA systematisch: • Deutsche Polizei, 1957–1969 • Der Fernsehzuschauer • Forum der Kriminalistik, 1957–1969 • HörZu, 1957–1969 • Mitteilungen des Instituts für Bedarfsforschung, 1965 • Schriftenreihe des Bundeskriminalamtes, 1957–1969 • Schriftenreihe der Volkspolizei, 1957–1969 • Unser Rundfunk, 1957–1959 / Funk und Fernsehen, 1960–1969 • Die Volkspolizei, 1957–1969 punktuell: • Die Ansage • Brigitte • epd/Kirche und Rundfunk

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Fernseh-Informationen Fernsehen Rundfunk und Fernsehen Der Stern Der Spiegel

F ILMISCHE Q UELLEN unveröffentlicht: • DRA, Potsdam: • Blaulicht, Folge 4, 6–10, 13, 15–16, 18–19, 21–29 • Drei von der K. – Aus der Arbeit der Volkspolizei, Folge 11 • Haare hoch! Eine knifflige Kriminalparodie, Folge 1 • Harras, der Polizeihund, Folge 1 • Kriminalfälle ohne Beispiel, »Der Fall Timo Rinnelt (1–2)« • Polizeiruf 110, »Fall Lisa Murnau«, 1971 • TV-Ausstrahlung: Schimanski, „Schuld und Sühne“, ARD 30. 1. 2011 veröffentlicht: • Stahlnetz, DVD-Box, Studio Hamburg 2005. • Jack Webb – Dragnet, DVD-Box (25 Episodes), Madacy Entertainment Group, Ltd. 2004. • Das Mädchen Rosemarie, DVD (KulturSPIEGEL Edition Deutscher Film Nr. 10), Kinowelt GmbH 2009. • Es geschah am hellichten Tag, DVD (KulturSPIEGEL Edition Deutscher Film Nr. 11), Kinowelt GmbH 2009. • Hände hoch oder ich schiesse, DVD, DEFA-Stiftung 1999. • Francis Durbridge, DVD-Box (alle deutschen Verfilmungen 1959–1988), Studio Hamburg 2009. • Tatort, »Taxi nach Leipzig«, DVD, Touchstone 2009.

S TATISTIKEN , D ATENBANKEN

UND

N ACHSCHLAGEWERKE

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Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Privates Fernsehvergnügen in der DDR in den 1960er Jahren. Quelle: privat. Abb. 2: Stahlnetz-Regisseur Jürgen Roland 1959 während der Edgar-WallaceProduktion »Roter Kreis«. Quelle: Deutsche Kinemathek/United Archives. Abb. 3: Stahlnetz-Drehbuchautor Wolfgang Menge 1959 während der EdgarWallace-Produktion »Roter Kreis«. Quelle: Deutsche Kinemathek/United Archives. Abb. 4: Stahlnetz-Schriftzug zu Beginn oder Ende einer Folge (Stahlnetz, »Die Zeugin im grünen Rock«). Quelle: Norddeutscher Rundfunk. Abb. 5: Eintreffen der Kriminalpolizei am Tatort (Stahlnetz, »E 605«). Quelle: Norddeutscher Rundfunk. Abb. 6: Im Sparkassenraum vor dem Eintreffen der Kriminalpolizei (Stahlnetz, »E 605«). Quelle: Norddeutscher Rundfunk. Abb. 7 und Abb. 8: Kommissar Opitz befragt die Leiter der Sparkassen-Filiale (Stahlnetz, »E 605«). Quelle: Norddeutscher Rundfunk. Abb. 9: Totale auf ein Trümmergrundstück und das Tatfahrzeug (l., Stahlnetz, »E 605«). Quelle: Norddeutscher Rundfunk. Abb. 10: Obersekretär Richter verständigt den Erkennungsdienst (r., Stahlnetz, »E 605«). Quelle: Norddeutscher Rundfunk. Abb. 11: Blaulicht-Drehbuchautor Günter Prodöhl. Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv Babelsberg/Waltraut Denger. Abb. 12: Blaulicht-Schriftzug (Blaulicht, »Nachtstreife«). Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv Babelsberg. Abb. 13: Blaulicht-Regisseur Hans-Joachim Hildebrandt (vermutlich 2.v.r.). Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv Babelsberg/Günter Zimmermann (der Rechteinhaber bzw. ein Rechtsnachfolger ließ sich hier leider nicht ermitteln). Abb. 14: Blaulicht-Regisseur Otto Holub (vermutlich r.). Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv Babelsberg/Waltraut Denger. Abb. 15: Blaulicht-Regisseur Manfred Mosblech (3.v.l.). Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv Babelsberg/Wolfgang Ebert.

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Abb. 16: Leutnant Timm erhält Instruktionen von Hauptmann Wernicke (Blaulicht, »Heißes Geld«). Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv Babelsberg. Abb. 17: Einer der Täter beobachtet die Ankunft der Kriminalpolizei auf dem Werksgelände (Blaulicht, »Heißes Geld«). Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv Babelsberg. Abb. 18: Hauptmann Wernicke auf dem Weg zum Tatort (Blaulicht, »Heißes Geld«). Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv Babelsberg. Abb. 19: Hauptmann Wernicke blickt in das Innere des aufgebrochenen Tresors (Blaulicht, »Heißes Geld«). Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv Babelsberg. Abb. 20: Befragung von Mitarbeitern des Waggonbau Grohlitz, die Kamera ist in Normalsicht (Blaulicht, »Heißes Geld«). Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv Babelsberg. Abb. 21 und Abb. 22: Kommissar Berenthin (Heinz Engelmann) bei einer Besprechung mit den Mitarbeitern der Kripo, mit und ohne Ledermantel bekleidet (Stahlnetz, »Rehe«). Quelle: Norddeutscher Rundfunk. Abb. 23: Hauptmann Wernicke und VP-Meister Timm im Gespräch. Beide tragen die übliche Arbeitsbekleidung (Blaulicht, »Ein gewisser Herr Hügi«). Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv Babelsberg. Abb. 24 und Abb. 25: Oberleutnant Thomas (l.) und Leutnant Timm (r.; Blaulicht, »Heißes Geld«, Teil I). Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv Babelsberg. Abb. 26: Polizeimeister Wohlers am Tatort (l.; Stahlnetz, »Saison«). Quelle: Norddeutscher Rundfunk. Abb. 27: Polizeimeister Wohlers und seine Frau (r.; Stahlnetz, »Saison«). Quelle: Norddeutscher Rundfunk. Abb. 28: Kommissar Brandis verhört die Verdächtige Berta Kurz (Stahlnetz, »Die Zeugin im grünen Rock«). Quelle: Norddeutscher Rundfunk. Abb. 29 und Abb. 30: Frau Schuster erbittet die Einhaltung der Etikette (Stahlnetz, »In jeder Stadt«). Quelle: Norddeutscher Rundfunk. Abb. 31: Kommissar Rathje (Stahlnetz, »Spur 211«). Quelle: Norddeutscher Rundfunk. Abb. 32: Bandenmitglieder halten die schreiende Katrin fest (Blaulicht, »Die Meute«). Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv Babelsberg/Günther Vent (der Rechteinhaber bzw. ein Rechtsnachfolger ließ sich hier leider nicht ermitteln). Abb. 33: Elvis in Erwartung der Vergewaltigung Katrins (Blaulicht, »Die Meute«). Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv Babelsberg. Abb. 34 und Abb. 35: Jugendliche im Stahlnetz (l., »Blaue Mütze«) und im Blaulicht (r., »Kippentütchen«). Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv Babelsberg/ Norddeutscher Rundfunk. Abb. 36: Inhaftierte jugendliche Täterinnen im Blaulicht, »Mädchen aus Zelle 7«. Quelle: Norddeutscher Rundfunk/Deutsches Rundfunkarchiv Babelsberg/Günter Zimmermann (der Rechteinhaber bzw. ein Rechtsnachfolger ließ sich hier leider nicht ermitteln).

A BBILDUNGSVERZEICHNIS | 459

Abb. 37: Gisela Schinzel während ihres Geständnisses (Stahlnetz, »Saison«). Quelle: Norddeutscher Rundfunk. Abb. 38 bis Abb. 41: Ehestreit zwischen Jutta Heintze und ihrem Mann, der in häuslicher Gewalt endet. Eine Nachbarin horcht an der Wand (r. unten; Blaulicht, »Prozess Jutta H.«). Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv Babelsberg. Abb. 42 und Abb. 43: Der Blaulicht-Kindermörder Göttling (l.; »Kindermörder«) und der Stahlnetz-Kindermörder Funke (r.; »Rehe«). Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv Babelsberg/Norddeutscher Rundfunk. Abb. 44: Selburg wählt »1-1-0« (Stahlnetz, »Mordfall Oberhausen«). Quelle: Norddeutscher Rundfunk. Abb. 45 und Abb. 46: Die Kriminalpolizei beginnt mit der Spurensicherung im Mordfall Wesemann (l.). Der diensthabende Kommissar vernimmt die Zeugen (r.; Stahlnetz, »Das zwölfte Messer«). Quelle: Norddeutscher Rundfunk. Abb. 47 und Abb. 48: Ein Zeuge schreitet die Reihe von Verdächtigen ab (l.). Es kommt zum Blickwechsel mit einem vermeintlichen Täter (r.; Stahlnetz, »E 605« [2]). Quelle: Norddeutscher Rundfunk. Abb. 49 und Abb. 50: Zunächst werden nur die Beine der weiblichen Verdächtigen gezeigt (l.). Der Kommissar instruiert den Zeugen, sich nicht laut zu äußern (r.; Stahlnetz, »Spur 211«). Quelle: Norddeutscher Rundfunk. Abb. 51 und Abb. 52: Hauptmann Wernicke instruiert den Zeugen Koch (l.). Der Zeuge schreitet die Reihe vermeintlicher Täter ab (r.; Blaulicht, »Maskenball«). Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv Babelsberg. Abb. 53 bis Abb. 56: Ermordung eines männlichen Opfers (Stahlnetz, »Spur 211«). Quelle: Norddeutscher Rundfunk. Abb. 57: Panoramatische Totale auf Neukölln (Stahlnetz, »Die Blaue Mütze«). Quelle: Norddeutscher Rundfunk. Abb. 58 und Abb. 59: Die Gedächtniskirche (l.) und der Berliner Reichstag (r.; Stahlnetz, »Treffpunkt Bahnhof Zoo«). Quelle: Norddeutscher Rundfunk. Abb. 60 und Abb. 61: Oberleutnant Thomas vor einem Stadtplan Berlins (l.); eine Berliner Laubenkolonie (r.; Blaulicht, »Butterhexe«). Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv Babelsberg. Abb. 62 und Abb. 63: Kriminalkommissare am Strand bei den Ermittlungen (Stahlnetz, »Strandkorb 421«). Quelle: Norddeutscher Rundfunk. Abb. 64: Leutnant Timm im Urlaub mit seiner Urlaubsbekanntschaft Inge (Blaulicht, »Freizügigkeitsverkehr«). Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv Babelsberg/ Günther Vent (der Rechteinhaber bzw. ein Rechtsnachfolger ließ sich hier leider nicht ermitteln). Abb. 65 und Abb. 66: Vorstellungen von westlicher Geheimdiensttechnik in der DDR (Blaulicht, »Auftrag Mord«). Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv Babelsberg.

Anhang

Diese Aufstellung verzeichnet alle Stahlnetz- und Blaulicht-Folgen, sortiert nach ihrem Erstsendedatum. Die Daten der Erstsendungen sind der Forschungsliteratur1 und den jeweiligen Rezensionen bzw. Akten entnommen. Stahlnetz, »Mordfall Oberhausen«, Folge 1, Erstsendedatum: 14. 3. 1958, Regie: Jürgen Roland, NWRV. Stahlnetz, »Bankraub in Köln«, Folge 2, 23. 4. 1958, Regie: Jürgen Roland, NWRV. Stahlnetz, »Die Blaue Mütze«, Folge 3, 16. 6. 1958, Regie: Jürgen Roland, NWRV. Stahlnetz, »Die Tote im Hafenbecken«, Folge 4, 22. 8. 1958, Regie: Jürgen Roland, NWRV. Stahlnetz, »Das zwölfte Messer«, Folge 5, 20. 11. 1958, Regie: Jürgen Roland, NWRV. Stahlnetz, »Sechs unter Verdacht«, Folge 6, 29. 12. 1958, Regie: Jürgen Roland, NWRV. Stahlnetz, »Treffpunkt Bahnhof Zoo«, Folge 7, 22. 2. 1959, Regie: Jürgen Roland, NWRV. Stahlnetz, »Das Alibi«, Folge 8, 12. 6. 1959, Regie: Jürgen Roland, NWRV. Stahlnetz: »Aktenzeichen: Welcker: u. a. wegen Mordes«, Folge 9, 6. 11. 1959, Regie: Jürgen Roland, NWRV. Stahlnetz, »Die Zeugin im grünen Rock«, Folge 10, 6. 4. 1960, Regie: Jürgen Roland, NWRV. Stahlnetz, »Verbrannte Spuren«, Folge 11, 11. 6. 1960, Regie: Jürgen Roland, NWRV. Stahlnetz, »E 605«, Folge 12, 3. 10. 1960, Regie: Jürgen Roland, NWRV.

1

Für die Reihe Stahlnetz siehe: I. Brück: Alles klar, Herr Kommissar?; für die Reihe Blaulicht siehe: A. Guder: Genosse Hauptmann auf Verbrecherjagd. Für die Aufstellung bei Brück ist einschränkend festzuhalten, dass grobe inhaltliche Fehler in den Feldern Regie und Drehbuch vorliegen.

462 | U NTERHALTUNG ,

ABER SICHER !

Stahlnetz, »Saison«, Folge 13, 24. 4. 1961, Regie: Jürgen Roland, NWRV. Stahlnetz, »In der Nacht zum Dienstag ...«, Folge 14, 7. 11. 1961, Regie: Jürgen Roland, NWRV/NDR. Stahlnetz, »In jeder Stadt …«, Folge 15, 6. 4. 1962, Regie: Jürgen Roland, NDR. Stahlnetz, »Spur 211«, Folge 16, Teil I: 28. 11. 1962, Teil II: 30. 11. 1962, Regie: Jürgen Roland, NDR. Stahlnetz, »Das Haus an der Stör«, Folge 17, 26. 5. 1963, Regie: Jürgen Roland, NDR. Stahlnetz, »Rehe«, Folge 18, 16. 6. 1964, Regie: Jürgen Roland, NDR. Stahlnetz, »Strandkorb 421«, Folge 19, 24. 11. 1963, Regie: Jürgen Roland, NDR. Stahlnetz, »Die Nacht zum Ostersonntag«, Folge 20, 8. 12. 1965, Regie: Jürgen Roland, NDR. Stahlnetz, »Der fünfte Mann«, Folge 21, 23. 8. 1966, Regie: Jürgen Roland, NDR. Stahlnetz, »Ein Toter zuviel«, Folge 22, 14. 3. 1968, Regie: Jürgen Roland, NDR. Blaulicht, »Tunnel an der Grenze«, Folge 1, 20. 8. 1959, Regie: Hans Joachim Hildebrandt, DFF. Blaulicht, »Zweimal gestorben«, Folge 2, 15. 10. 1959, Regie: Hans Joachim Hildebrandt, DFF. Blaulicht, »Mädchen in Zelle 7«, Folge 3, 10. 12. 1959, Regie: Hans Joachim Hildebrandt, DFF. Blaulicht, »Kippentütchen«, Folge 4, 14. 1. 1960, Regie: Hans Joachim Hildebrandt, DFF. Blaulicht, »Das perfekte Alibi«, Folge 5, 10. 3. 1960, Regie: Hans Joachim Hildebrandt, DFF. Blaulicht, »Ein gewisser Herr Hügi«, Folge 6, 21. 4. 1960, Regie: Hans Joachim Hildebrandt, DFF. Blaulicht, »Waggon 27-14-44 G«, Folge 7, 24. 5. 1960, Regie: Hans Joachim Hildebrandt, DFF. Blaulicht, »Die Butterhexe«, Folge 8, 28. 7. 1960, Regie: Hans Joachim Hildebrandt, DFF. Blaulicht, »Der Kindermörder«, Folge 9, Teil I: 15. 10. 1960, Teil II: 16. 10. 1960, Regie: Hans Joachim Hildebrandt, DFF. Blaulicht, »Splitter«, Folge 10, 8. 12. 1960, Regie: Hans Joachim Hildebrandt, DFF. Blaulicht, »Gardez!«, Folge 11, 22. 1. 1961, Regie: Hans Joachim Hildebrandt, DFF. Blaulicht, »Brandnacht«, Folge 12, 19. 3. 1961, Regie: Hans Joachim Hildebrandt, DFF. Blaulicht, »Antiquitäten«, Folge 13, 12. 11. 1961, Regie: Hans Joachim Hildebrandt, DFF.

A NHANG | 463

Blaulicht, »Die Meute«, Folge 14, 10. 12. 1961, Regie: Hans Joachim Hildebrandt, DFF. Blaulicht, »Das Gitter«, Folge 15, 25. 2. 1962; Regie: Otto Holub, DFF. Blaulicht, »Bitte um mildernde Umstände«, Folge 16, 15. 4. 1962, Regie: Otto Holub, DFF. Blaulicht, »Schwarzes Benzin«, Folge 17, 14. 6. 1962, Regie: Otto Holub, DFF. Blaulicht, »Heißes Geld«, Folge 18, Teil I: 23. 3. 1963, Teil II: 24. 3. 1963, Regie: Otto Holub, DFF. Blaulicht, »In vierundzwanzig Stunden«, Folge 19, 28. 5. 1963, Regie: Otto Holub, DFF. Blaulicht, »Wunder wiederholen sich nicht«, Folge 20, 27. 10. 1963, Regie: Otto Holub, DFF. Blaulicht, »Kümmelbättchen«, Folge 21 29. 12. 1963, Regie: Otto Holub, DFF. Blaulicht, »Prozeß Jutta H.«, Folge 22 28. 5. 1964, Regie: Otto Holub, DFF. Blaulicht, »Freizügigkeitsverkehr«, Folge 23, 18. 10. 1964, Regie: Otto Holub, DFF. Blaulicht, »Auftrag Mord«, Folge 24, 1. 7. 1965, Regie: Otto Holub, DFF. Blaulicht, »Ein Mann zuviel«, Folge 25, 25. 6. 1966, Regie: Otto Holub, DFF. Blaulicht, »Maskenball«, Folge 26, 13. 11. 1966, Regie: Manfred Mosblech, DFF Blaulicht, »Der vierte Mann«, Folge 27, 27. 3. 1967, Regie: Manfred Mosblech, DFF Blaulicht, »Nachtstreife«, Folge 28, 2. 12. 1967, Regie: Manfred Mosblech, DFF Blaulicht, »Leichenfund im Jagen 14«, Folge 29, 27. 10. 1968, Regie: Manfred Mosblech, DFF.

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