Umweltgerechtigkeit: Environmental Justice in der deutschen Rechtsordnung [1 ed.] 9783428521340, 9783428121342


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Umweltgerechtigkeit: Environmental Justice in der deutschen Rechtsordnung [1 ed.]
 9783428521340, 9783428121342

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MICHAEL KLOEPFER

Umweltgerechtigkeit

Schriften zum Umweltrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Michael Kloepfer, Berlin

Band 150

Umweltgerechtigkeit Environmental Justice in der deutschen Rechtsordnung

Von Michael Kloepfer

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten © 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-4247 ISBN 3-428-12134-1 978-3-428-12134-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Umweltschutz für alle? Die vorliegende Studie geht der Frage nach, ob Umweltgüter und Umweltbelastungen in unserem Gemeinwesen gerecht verteilt sind. Die rechtswissenschaftliche Untersuchung stellt insbesondere die Frage nach der Umweltgerechtigkeit, nach deren Kriterien und einzelnen Erscheinungsformen in den Vordergrund. Sie nimmt damit von deutscher Seite Anregungen auf, die aus der US-amerikanischen Diskussion um die „environmental justice" stammen. Dabei geht es allerdings nicht um eine einfache Rezeption, weil die Diskussionen in den USA aus dem Kerngedanken des Verbots rassischer Diskriminierung rührt, das in der Rechtswirklichkeit Deutschlands glücklicherweise keine vergleichbare aktuelle Brisanz besitzt. Die Studie geht nicht nur der theoretischen Ableitung und der allgemeinen Gestalt der Umweltgerechtigkeit nach. In der Überzeugung seiner praktischen Notwendigkeit und Brauchbarkeit in unserem Rechtssystem wird dem Gedanken der Umweltgerechtigkeit und seinen praktischen Erscheinungsformen in verschiedensten Problembereichen nachgespürt. So werden Aspekte der Umweltgerechtigkeit bei der Raumplanung, der Fernstraßenplanung, der Standortauswahl für Atomanlagen, der Flughafenplanung, der Abfallentsorgung, der Errichtung von Mobilfunkanlagen, beim Klimaschutz und beim Emissionshandel sowie im Schadensersatz-, Steuer- und Finanzrecht untersucht. Die Arbeit enstand in den Jahren 2001 bis 2005. Sie gibt im Wesentlichen den Stand vom Sommer 2005 wieder. Allen, die an dem Gelingen der Arbeit beteiligt waren, danke ich herzlich. Am Entstehen der Arbeit waren mit großem Engagement und Scharfsinn meine folgenden Mitarbeiter beteiligt: Ralph Czarnecki, LL.M. (Kapitel 4 und 9), Sonja Eisenberg (Kapitel 1, 2, 5 und 11), Christina Hakel, LL.M. (Kapitel 1, 10 und Sachregister), Günter Handke (Kapitel 3, 7, 10 und 11) und Sven Sattler (Kapitel 6 und 8). Herr Johannes Bosselmann hat die Schlussarbeiteii des Buches sorgfältig betreut. Die Entstehung der Studie ist von der Deutschen Forschungsgemeinschaft großzügig gefördert worden. Berlin, im Dezember 2005

Michael Kloepfer

Inhalt 1. Kapitel Einleitung I. Einführung Π. Konzept der Umweltgerechtigkeit

19 20

1. Soziale und räumliche Umweltgerechtigkeit

20

2. Zeitliche Dimension

24

a) Intragenerationelle Gerechtigkeit

24

b) Intergenerationelle Gerechtigkeit

26

c) Verhältnis zwischen intra- und intergenerationeller Gerechtigkeit

27

d) Gerechtigkeit gegenüber der Natur bzw. „interspezielle" Gerechtigkeit

28

ΠΙ. Zur Verteilungs- und Verfahrensgerechtigkeit im Umweltrecht 1. Umweltgerechtigkeit als Problem der Verteilungsgerechtigkeit

30 30

a) Allgemeine Kriterien einer gerechten Verteilung

32

b) Kriterien der Verteilungsgerechtigkeit von Umweltlasten und -nutzen

36

aa) Gerechtigkeit durch Gleichheit bei der Verteilung von Umweltgütern .. bb) Gerechtigkeit bei der Verteilung von Umweltlasten

37 39

(1) Verhältnismäßige Gleichheit

40

(2) Verursacherprinzip und Gemeinlastprinzip

43

(3) Prinzip der Nachhaltigkeit

44

(4) Grundsatz der angemessenen Nutzung gemeinsamer Güter

45

c) Zwischenergebnis 2. Umweltgerechtigkeit durch Verfahrensgerechtigkeit

47 47

a) Bedeutung des Verfahrensablaufs nach der „Procedural Justice"-Forschung

48

b) Kritik an der Procedural Justice-Forschung

51

c) Verfahrensgerechtigkeit im Umweltrecht

53

IV. Ergebnis und Ausblick auf die nachfolgenden Kapitel

54

8

Inhalt 2. Kapitel Environmental Justice in den USA I. Einführung: Entwicklung der Environmental Justice-Bewegung

57

1. Umweltrechtsentwicklung in den USA

57

2. Environmental Justice als Forderung der Bürgerrechtsbewegung

59

3. Rechtstheoretische Entwicklungen

67

II. Environmental Justice im US-Bundesrecht 1. Environmental Justice in der Gesetzgebung und Verwaltung

68 68

a) Einführung

68

b) Einschlägiges Gesetzesrecht

69

aa) Rechtliche Anknüpfungspunkte für die Durchsetzung von Environmental Justice (1) U.S. Constitution - Amendment XIV

69 69

(2) Civil Rights Act of 1964, Title V I - Nondiscrimination in federally assisted programs

70

(3) U.S. Code Collection Title 42 Chapter 21 Subchapter I Sec. 1983 ..

72

bb) Ansatzpunkte für die Kompensation nicht beseitigbarer Ungerechtigkeiten

74

c) Verwaltungshandeln im Environmental Justice-Bereich

76

aa) Environmental Justice im Rahmen der Verwaltungstätigkeit der Bundesbehörden

76

bb) Executive Order 12898

76

cc) Verordnungen der EPA auf der Grundlage von § 602 Title V I des Civil Rights Act von 1964

78

dd) Ausführungsverordnungen zu den Umweltgesetzen

78

2. Rechtsmittel zur Durchsetzung von Environmental Justice

79

a) Beschwerde gegenüber der Verwaltung (»Administrative Remedies" und „Administrative Complaints")

79

b) Klagen vor Gericht

81

c) Zusammenfassung der aktuellen Rechtsprechung zur Klagebefugnis bei diskriminierenden Maßnahmen der Verwaltung

82

aa) Urteil des U.S. Supreme Court: Alexander v. Sandoval (2001)

82

(1) Sachverhalt

83

(2) Entscheidung des Supreme Court

83

(3) Zusammenfassung des Minderheitsvotums

84

Inhalt bb) Die Urteile in der Sache South Camden Citizens in Action v. New Jersey Department of Environmental Protection (2001)

85

(1) Sachverhalt und Hintergrund der Entscheidung

85

(2) Entscheidung des District Court

85

(3) Entscheidung des U.S. Court of Appeals, Third Circuit

86

ΙΠ. Environmental Justice in den einzelnen Bundesstaaten 1. Allgemeines

87 87

a) Ausführung von Bundesgesetzen

87

b) Durchsetzung

88

aa) Normaler Rechtsweg

88

bb) Beschwerdeverfahren der EPA

88

2. Überblick

88

3. Platzierung von Anlagen

89

a) Verhältnis zur örtlichen Selbstverwaltung

89

b) Verfahren zur Anlagenplatzierung

89

4. Altlastensanierung

91

a) Verfügungsbeschränkungen

92

b) Brownfields-Programme

92

5. Summationsauswirkungen in Kalifornien IV. Ergebnis

93 94

3. Kapitel Umweltgerechtigkeit in der Raumplanung I. Einführung Π. Struktur der Raumplanung in der Bundesrepublik Deutschland ΙΠ. Verteilungsmechanismen im Raumordnungs- und Landesplanungsrecht

97 98 102

1. Aufgabe und Leitvorstellung der Raumordnung nach § 1 ROG

102

2. Grundsätze der Raumordnung nach § 2 Abs. 2 ROG

106

3. Ziele der Raumordnung i. S. d. § 3 Nr. 2 ROG

109

IV. Ergebnis

111

10

Inhalt 4. Kapitel Umweltgerechtigkeit in der Fernstraßenplanung I. Einführung

116

1. Fernstraßen als Umweltbelastungen

116

2. Ausgangslage der Verteilung

117

II. Überblick über die Bundesfernstraßenplanung ΠΙ. Bundesverkehrswegeplan

118 119

1. Allgemeines

119

2. Berücksichtigung der Verteilungsgerechtigkeit

120

a) Ziele

120

b) Bewertungsmethodik und Verteilung

121

aa) Umweltbelange in der Nutzen-Kosten-Analyse bb) Raumordnung und Raumwirksamkeitsanalyse

122 123

(1) Verteilungsziele

123

(2) Entlastungsziele

124

(3) Umweltrisikoeinschätzung

125

(4) FFH-Verträglichkeit

126

c) Weitere Kriterien der Planung im Bundesverkehrswegeplan 3. Ergebnis zum Bundesverkehrswegeplan IV. Bedarfsplan und Ausbauplanung

126 128 128

1. Allgemeines

128

2. Berücksichtigung der Verteilungsgerechtigkeit

129

3. Ergebnis der Bedarfsplanung

132

V. Linienbestimmung gem. § 16 FStrG

132

1. Allgemeines

132

2. Berücksichtigung der Verteilungsgerechtigkeit

134

a) Umweltprüfung

135

b) Naturschutz und Landschaftspflege

137

c) Lärm

138

3. Zwischenergebnis der Linienbestimmung

139

Inhalt VI. Planfeststellungsverfahren gem. § 17 FStrG

139

1. Allgemeines

139

2. Berücksichtigung der Verteilungsgerechtigkeit

140

3. Zwischenergebnis der Planfeststellung

144

Vn. Ergebnis

145 5. Kapitel Umweltgerechtigkeit im Luftverkehrsrecht

I. Einführung Π. Deutsches und internationales Luftverkehrsrecht

147 149

1. Rechtsgrundlagen

149

2. Rechtliche Elemente der Flughafenplanung

150

a) Zulassungsrecht

150

b) Nebeneinander von luftrechtlicher Genehmigung und Planfeststellung

151

c) Festlegung der sog. Flugverfahren

152

ΙΠ. Grundprobleme der Verteilungs- und Verfahrensgerechtigkeit im Luftverkehrsrecht

153

1. Definition der zu verteilenden Umweltlasten und die tatsächliche Belastungssituation 153 a) Fluglärm

153

b) Beeinträchtigung von Natur und Landschaft

154

c) Luftverunreinigung

155

2. Grundprobleme der Umweltgerechtigkeit im Luftverkehrsrecht IV. Zulassungsrecht

156 157

1. Regelungsgehalte von Genehmigung und Planfeststellung

157

2. Abwägungsentscheidung der Planfeststellungsbehörde

159

a) Grundsatz der Problembewältigung - die Abwägung als Mittel zur Konfliktvermeidung 160 aa) Lärmschutz als einzustellender Belang

161

bb) Ermittlung der Zumutbarkeitsgrenze im Einzelfall

162

cc) Strukturelle Schwäche der planungsrechtlichen Abwägung

163

dd) Schutz von Natur und Landschaft als einzustellender Belang

164

b) Schutzanordnungen gem. § 9 Abs. 2 LuftVG

164

12

Inhalt 3. Verteilungsgesichtspunkte a) Vorbelastungsrechtsprechung des BVerwG

166 166

aa) Kritische Würdigung der Rechtsprechung

166

bb) Alternative Lösungsansätze in der Literatur

166

cc) Kritische Würdigung der Literatur

167

dd) Praktische Relevanz der Vorbelastungsrechtsprechung

168

b) Fehlen einer bundesweiten Festlegung der Unzumutbarkeitsschwelle

169

c) Gesetzlich vorgesehene kompensatorische Maßnahmen

170

d) Zwischenergebnis

170

4. Plan verfahren, Rechtsschutz und Verfahrensgerechtigkeit a) Zulassungsverfahren

171 171

aa) Planfeststellungsbedürftige Zulassung

171

bb) Isolierte luftrechtliche Genehmigung

172

b) Rechtsschutzmöglichkeiten

172

aa) Planfeststellungsbedürftige Zulassung

173

bb) Isolierte luftrechtliche Genehmigung

173

c) Berücksichtigung des Gesichtspunkts der Verfahrensgerechtigkeit V. Luftverkehrslenkung - Festlegung der An- und Abflugwege 1. Erlassverfahren für An-und Abflugwege

173 174 174

a) Rechtsgrundlagen

174

b) Erlassverfahren

175

c) Lärmminderung in der Verkehrslenkung

175

d) Berücksichtigung von Verteilungsaspekten

178

2. Erlassverfahren und der Gesichtspunkt der Verfahrensgerechtigkeit

178

3. Rechtsschutzmöglichkeiten und der Gesichtspunkt der Verfahrensgerechtigkeit

179

VI. Reform des Lärmschutzgesetzes

181

1. Geltendes Recht

181

2. Inhalt der Novelle und Stand des Gesetzgebungsverfahrens

182

3. Kritische Würdigung der Novelle unter Verteilungsgesichtspunkten

182

VII. Ergebnis

183

Inhalt

13

6. Kapitel Umweltgerechtigkeit bei der Standortauswahl für Atomanlagen I. Einführung Π. Entwicklung des Atomrechts und der Atomwirtschaft in Deutschland

185 186

1. Atomgesetz

186

2. Atomwirtschaft und Ausstiegsdebatte

188

3. Entsorgungsproblematik

189

a) Endlagerung

189

b) Zwischenlagerung

191

c) Wiederaufarbeitung

191

ΙΠ. Probleme der Verteilungs- und Verfahrensgerechtigkeit in der Atomwirtschaft 1. Grundprobleme der räumlichen Gerechtigkeit

192 192

2. Anlagen zur Erzeugung und Entsorgung von Kernenergie als zu verteilende Umweltlasten 193 IV. Anlagengenehmigungsrecht und Möglichkeiten der Berücksichtigung von Verteilungsaspekten 196 1. Verteilungsprinzipien bei der Standortauswahl von Atomanlagen und Zwischenlagern 196 2. Genehmigungspflichtige Anlagen nach §§ 5 ff. AtG

197

a) Genehmigungspflichtige Anlagen nach § 7 Abs. 1 AtG

197

b) Genehmigungspflichtige Anlagen nach §§ 5, 6 AtG (Zwischenlager)

199

3. Genehmigung von Anlagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen (§7 AtG)

200

a) Übersicht über Genehmigungsverfahren und Umweltverträglichkeitsprüfung 200 b) Standortproblematik im Rahmen der Raumordnung

201

c) Genehmigungsvoraussetzungen und Verteilungsaspekte

202

aa) Schadensvorsorge i. S. d. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG

203

(1) Berücksichtigung (radiologischer) Vorbelastungen

204

(2) Vorsorgeprinzip und Bevölkerungsdichte

206

bb) Berücksichtigung überwiegender öffentlicher Interessen bei der Standortwahl (§ 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 AtG)

209

14

Inhalt d) Landesrechtliche Bauvorschriften und Möglichkeiten alternativer Standortplanung 211 e) Zwischenergebnis

212

4. Genehmigung von Anlagen zur Aufbewahrung von Kernbrennstoffen nach §§ 5, 6 AtG (Zwischenlagerung) 212 a) Verteilungsfragen im Genehmigungsverfahren

212

b) Umweltverträglichkeitsprüfung und Möglichkeiten vergleichender Standortplanung 213 c) Möglichkeiten alternativer Standortplanung im Rahmen der atomrechtlichen Genehmigungsvoraussetzungen 214 d) Landesrechtliche Bauvorschriften und Möglichkeiten alternativer Standortplanung 215 e) Zwischenergebnis

215

V. Umweltgerechtigkeit bei der Endlager-Standortauswahl

216

1. Derzeitiger Stand der Endlagerung in Deutschland

216

2. Planfeststellung insbes. von Endlagerungsanlagen gem. § 9b AtG

217

3. Grundprobleme einer gerechten Endlagerstandortauswahl

217

4. Verteilungs- und Verfahrensgerechtigkeit bei der Standortauswahl

220

a) Reform des Verfahrens zur Standortsuche

220

b) Kriterien der Gebietsauswahl

222

c) Procedural Justice-Forschung und Konsequenzen für die Ausgestaltung des Verfahrens zur Standortauswahl 224 d) Zwischenergebnis

227

7. Kapitel Umweltgerechtigkeit bei der Abfallentsorgung I. Einführung II. Abfall und Abfallbeseitigungsanlagen als zu verteilende Umweltlasten ΠΙ. Probleme der Verteilungsgerechtigkeit in der Abfallentsorgung

229 234 235

1. Räumliche Verteilung der Abfallströme

235

2. Räumliche Verteilung von Abfallentsorgungsanlagen

237

Inhalt IV. Verteilungsfragen bei der Planung und Genehmigung von Abfallbeseitigungsanlagen 238 1. Planung und Genehmigung von Abfallbeseitigungsanlagen

239

a) Erste Stufe: Abfallwirtschaftsplanung

239

b) Zweite Stufe: Planfeststellung und Genehmigung

242

aa) Immissionsschutzrechtliche Genehmigung

242

bb) Abfallrechtliche Planfeststellung oder Plangenehmigung

242

2. Verteilungsgerechtigkeit bei der Abfallwirtschaftsplanung

243

a) Gesundheit der Menschen

244

b) Tiere und Pflanzen

246

c) Gewässer und Boden

246

d) Schutz vor Verunreinigungen und Lärm

246

e) Ziele, Grundsätze und sonstige Erfordernisse der Raumordnung

247

f) Belange des Naturschutzes, der Landschaftspflege und des Städtebaus

249

3. Verteilungskriterien bei der Planfeststellung und Genehmigung

250

a) Vorschriften des Bundes-Immissionsschutzgesetzes

250

b) Planfeststellung und Genehmigung von Deponien

252

4. Maßgebliche Prinzipien

252

a) Prinzip der Nachhaltigkeit

252

b) Proportionale Gleichheit und Verursacherprinzip

253

c) Prinzip der ortsnahen Abfallbeseitigung

253

d) Grundsatz der Herstellung gleichwertiger ökologischer Lebensverhältnisse 257 V. Verfahrensgerechtigkeit in der Abfallentsorgungsplanung

257

1. Verfahrensdefizite bei der Standortauswahl von Entsorgungsanlagen

259

2. Zwischenergebnis

262 8. Kapitel

Umweltgerechtigkeit und ortsfeste Mobilfunkanlagen I. Einführung Π. Mobilfunkanlagen und Immissionsschutzrecht

266 267

1. Grenzwerte der 26. BImSchV

267

2. Nicht wissenschaftlich nachgewiesene Gesundheitsrisiken

267

16

Inhalt 3. Aufstellungsverfahren und Überwachung der Grenzwerte

268

a) Standortbescheinigung der Bundesnetzagentur

268

b) Immissionsschutzbehörden

268

c) Untere Baubehörden

269

d) Freiwillige Selbstverpflichtungen der Mobilfunkbetreiber

269

e) Zivilrechtliche Abwehransprüche

270

ΙΠ. Mobilfunkanlagen und Baurecht

270

1. Baurechtliche Genehmigung

270

a) Genehmigungsbedürftigkeit von Mobilfunkanlagen

271

b) Bauordnungsrechtliche Genehmigungsfähigkeit von Mobilfunkanlagen —

271

c) Bauplanungsrechtliche Genehmigungsfähigkeit von Mobilfunkanlagen

271

aa) Reine Wohngebiete

272

bb) Allgemeine Wohngebiete

273

cc) Sonstige Baugebiete

273

2. Steuerungsmöglichkeiten durch die Festsetzung von Bebauungsplänen

274

a) Reine und allgemeine Wohngebiete

274

b) Sonstige Baugebiete

274

3. Errichtung von Mobilfunkanlagen und der Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit IV. Ergebnis

275 276

9. Kapitel Umweltgerechtigkeit im Klimaschutz und Emissionshandel I. Einführung II. Emissionshandel in der EG und in Deutschland

278 280

1. Völkerrechtlicher Hintergrund

280

2. THG-Richtlinie der EG

282

3. Umsetzung in Deutschland

283

III. Verteilungsprobleme

285

1. Allgemeine Kriterien

286

2. Gesamtmenge und Teilnehmer

287

Inhalt 3. Zuteilung auf Tätigkeitsbereiche

291

4. Verteilung der Emissionsrechte auf einzelne Anlagen

292

5. Folgeprobleme

297

IV. Ergebnis

299

10. Kapitel Umweltgerechtigkeit im Schadensersatz-, Steuer- und Finanzrecht I. Einführung

302

Π. Individuelle finanzielle Kompensation ungleicher räumlicher Umweltlastenverteilung 302 1. Ausgleichsansprüche für sog. Planungsschäden

303

2. Ansprüche aus enteignungsgleichem und enteignendem Eingriff

304

3. Ermäßigung des Grundstückswertes gem. § 82 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BewG

306

4. Einzelfallbezogenheit der Ersatz- und Ermäßigungsansprüche

307

ΙΠ. Kollektive Kompensation im Rahmen der föderalen Finanzordnung 1. Ökologische Finanzreform

308 310

a) Ökologische Veränderung der staatlichen Subventionen

310

b) Ökologische Steuerreform

311

c) Ökologische Finanzreform und soziale (Umwelt-)Gerechtigkeit

313

2. Ökologischer Umbau des bundesstaatlichen Finanzausgleichs

315

a) Vertikaler Finanzausgleich

316

b) Horizontaler Finanzausgleich (Länderfinanzausgleich)

318

c) Bundesergänzungszuweisungen

321

d) Kommunaler Finanzausgleich

322

e) Sonderlastenausgleich nach Art. 106 Abs. 8 GG

325

3. Honorierung ökologischer Ausgleichsfunktionen im bundesstaatlichen Finanzausgleich 326 4. Ergebnis

2 Kloepfer

328

18

Inhalt IL Kapitel

Gesamtergebnisse I. Verteilungs- und Verfahrensgerechtigkeit im Umweltrecht

331

Π. Environmental Justice in den USA

332

III. Umweltgerechtigkeit in Deutschland

333

1. Generelle Feststellungen

333

2. Deutsche Rechtsordnung und ökologische Verteilungsgerechtigkeit

334

IV. Endergebnis

336

1. Kritische Würdigung der deutschen Rechtslage

336

2. Schlussfolgerungen

337

Sachverzeichnis

339

7. Kapitel

Einleitung I. Einführung Wo Abfalle entsorgt, Straßen gebaut, neue Technologien gefördert und dabei Emissionen verursacht, Verschmutzungen ertragen oder Artenschwund beobachtet werden, sind immer zugleich Mensch und Natur betroffen. Die Forderung nach Umweltgerechtigkeit erschöpft sich deshalb nicht im Umwelt- und Naturschutz, sondern zielt in ihrer sozialen Komponente darauf ab, den Zugang der Menschen zu den natürlichen Ressourcen unabhängig von ihrer sozialen Stellung und ethnischen Herkunft zu optimieren und niemanden im Hinblick auf Umweltlasten und -risiken ungerechtfertigt zu benachteiligen. Als einzelne Ziele der Umweltgerechtigkeit werden dabei genannt: Die Verhinderung der Entstehung neuer Umweltbelastungen; die Beseitigung vorhandener Belastungen nach dem Verursacherbzw. Gemeinlastprinzip; die gerechte Verteilung nicht vermeidbarer und nicht eliminierbarer Umweltbelastungen; die Entscheidung der Betroffenen selbst über von ihnen zu tragende Umweltbelastungen; die Gleichbehandlung sozialer Gruppen bei Vermeidung, Feststellung, Beseitigung und Entschädigung von Umweltbelastungen.1

1

Im Rahmen dieses einführenden Kapitels geht es primär darum, eine Definition der Umweltgerechtigkeit zu formulieren, die der Arbeit zugrunde gelegt werden kann und die Maßstab der Subsumtion in den einzelnen nachfolgenden Kapiteln sein wird. Zunächst sollen dafür das Konzept der Umweltgerechtigkeit und seine verschiedenen Dimensionen näher erläutert werden. Danach wird auf die zwei für die Umweltgerechtigkeit wesentlichen Bereiche der Gerechtigkeitsforschung, nämlich die Verteilungs- und die Verfahrensgerechtigkeit, näher eingegangen. Diese bilden nämlich den Kernbereich der angewandten Umweltgerechtigkeit. Schließlich wird ein Ausblick für die kommenden Kapiteln gegeben, in denen gezeigt werden soll, wo in diesem Bereich bisher Probleme gesehen und diskutiert werden. Anschließend soll nach rechtlichen Möglichkeiten gesucht werden, wie bestehenden Ungerechtigkeiten bei der Belastung der Bevölkerung mit unvermeidbaren Umweltlasten bzw. bei der Begünstigung im Hinblick auf die partielle Nutzung von Umweltgütern abgeholfen werden kann oder wie diese Ungleichheiten vermieden werden können.

2

1

2*

Maschewsky, Umweltgerechtigkeit, Public Health und soziale Stadt, 2001, S. 44.

20

1. Kap.: Einleitung

II. Konzept der Umweltgerechtigkeit Das Problem der Umweltgerechtigkeit hat seine Ursachen unter anderem in der von Natur aus nicht ausgewogenen geographischen Verteilung von Umweltgütern und in der gezielten räumlichen Verteilung und Konzentration von anthropogen bedingten Umweltbelastungen (räumliche Dimension). Die gesellschaftlichen Kosten und ökologischen Nachteile des Ge- und Verbrauchs von Umweltgütern werden dabei häufig nicht von den Nutzern, sondern von anderen Gruppen der Gesellschaft getragen (soziale Dimension). Wie sehr die ungleiche Verteilung von Umweltlasten gerade auch in den modernen Industriegesellschaften zu einem sozialen Problem geworden ist, zeigt die US-amerikanische Environmental-Justice- Diskussion (s. u. 2. Kapitel). Aber nicht nur die Folgen der Inanspruchnahme und des Verbrauchs von Umweltgütern wirken sich unterschiedlich auf einzelne soziale Gruppen aus, sondern auch Maßnahmen zum Schutz der Umwelt ζ. B. in Gestalt von Ökosteuern (s. u. 10. Kapitel). Bei der Frage der gerechten Verteilung von Umweltnutzen und -lasten geht es zudem in einer zeitlichen Dimension um die Berücksichtigung der zukünftigen Generationen. Art. 20a GG verlangt ausdrücklich den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen auch im Interesse der künftigen Generationen. Die lebensnotwendigen natürlichen Ressourcen - wie Wasser, Luft, Boden und Landschaft mit Fauna und Flora - müssen den nachfolgenden Generationen als Lebensgrundlage in substantiellem Maß erhalten bleiben.2 Inhalt des Staatsziels Umweltschutz ist damit auch die Herstellung einer sog. intergenerationellen Gerechtigkeit. 3 Sie ist zu unterscheiden von der sog. intragenerationellen Umweltgerechtigkeit, welche die Problematik der gerechten Verteilung innerhalb derselben Generation betrifft.

1. Soziale und räumliche Umweltgerechtigkeit Die räumliche und die soziale Dimension der Umweltgerechtigkeit sind eng miteinander verbunden. So spricht sich die US-amerikanische Environmental JusticeBewegung (s. u. 2. Kapitel), die den Ausgangspunkt einer wissenschaftlichen Diskussion um Umweltgerechtigkeit bildet, vor allem für die Vermeidung von Benachteiligungen im Umweltschutz aus rassischen, ethnischen und sozialen Gründen aus. Dabei richtet sie sich insbesondere dagegen, dass Standorte für besonders umweltbelastende Aktivitäten in Gemeinden mit rassischen und ethnischen Minderheiten bzw. einkommensschwachen Gruppen gewählt werden. Es kann daher von einer geographischen oder räumlichen Gerechtigkeit mit sozialen Aspekten 2

Epiney, in: v. Mangoldt / Klein / Starck (Hg.), Das Bonner Grundgesetz, 4. Aufl. 2000, Art. 20a Rn. 66. 3 Schulze- Fie litz, in: Dreier (Hg.), Grundgesetz. Kommentar, 1998, Art. 20a Rn. 34; Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 1997, S. 190 ff. u. 247 ff. Vgl. zur intergenerationellen Gerechtigkeit auch Leist, in: Bayertz (Hg.), Praktische Philosophie, 1991, S. 322 ff.

II. Konzept der Umweltgerechtigkeit

21

gesprochen werden. Zusätzlich gibt es jedoch noch eine rein soziale Dimension. Dabei werden die Benachteiligung durch die mangelhafte Befolgung umweltrechtlicher Vorschriften und Anordnungen in diesen Gemeinden sowie finanzbedingte Benachteiligungen der Minderheiten bei den im Umweltschutz immer mehr eingesetzten Marktlösungen diskutiert. 4 Mit anderen Worten: Umweltgerechtigkeit bezieht sich einerseits auf die im 5 Hinblick auf geographische und soziale Ungleichheiten bezogene erhöhte Umweltund Gesundheitsbelastung durch die Lebensbedingungen am Wohnort und andererseits auf eine sozial ungerechte Verteilung der Kosten des Umweltschutzes, insbesondere bezogen auf die sog. neuen ökonomischen Instrumente des Umweltschutzes. Die letztgenannten reinen Probleme sozialer Umweltgerechtigkeit ohne räumlichen Bezug werden im folgenden nur am Rande behandelt. So werden zwar die im Zusammenhang mit der Ökosteuer relevant werdenden Fragen der steuerlichen Gerechtigkeit oder die Verteilungswirkungen umweltpolitischer Abgaben überblicksweise dargestellt, sonstige rein soziale Auswirkungen ökonomischer Umweltschutzinstrumente jedoch nicht vertieft behandelt. Entsprechend der in den USA geführten Environmental Justice-Debatte soll der Schwerpunkt auf der räumlichen (und gleichzeitig sozialen) Umweltgerechtigkeit liegen; d. h. es soll untersucht werden, inwieweit die Möglichkeit besteht, distributive Aspekte insbesondere bei der Zulassung neuer umweit- und gesundheitsbelastender Anlagen zu berücksichtigen, sowie inwiefern entsprechende Kompensationsmöglichkeiten für die Konzentration von Umweltbelastungen in Frage kommen. Bezüglich des als räumliche Umweltgerechtigkeit bezeichneten Aspekts der 6 Verteilungswirkung von Umweltlasten geht es in Deutschland, im Unterschied zu der Debatte in den USA, wo teilweise die Vorwürfe eines gezielten Positionierens umweit- und gesundheitsschädigender Anlagen in von ethnischen Minderheiten oder einkommensschwachen Personen bewohnten Gemeinden erhoben werden, nicht um den Vorwurf bewusster und willentlicher Diskriminierung sozial benachteiligter Schichten, insbesondere bestimmter Ethnien. Trotzdem sind auch hier überproportionale Belastungen ohnehin gesellschaftlich benachteiligter Gruppen festzustellen. 5 Diese geographisch und sozial ungleiche Verteilung von Umweltlasten in Deutschland ist primär auf ökonomische Wirkungszusammenhänge zurückzuführen. So lässt sich anführen, dass bauplanerisch als Mischnutzung ausgewiesene Gebiete zur Ansiedlung umweltbelastender Anlagen führen, was zu einem Absinken der Wohnpreise und damit zu einer verstärkten Bewohnung durch einkommensschwache Gruppen führt. Ebenso wird geltend gemacht, dass effektive menschliche Anstrengungen zum Umweltschutz Wohlstand voraussetzten.6 4 Vgl. hierzu Kloepfer, 5

DVB1. 2000, 750 (751).

Heinrich /Mielck/Schäfer/Mey, Soziale Ungleichheit und umweltbedingte Erkrankung in Deutschland, 1998; Jarre, Die verteilungspolitische Bedeutung von Umweltschäden, 1976, S. 88 ff. und 180 f.; ders., Umweltbelastungen und ihre Verteilung auf soziale Schichten, 1975, S. 60 ff. (für das Ruhrgebiet); Maschewsky (FN 1), S. 145 ff., insb. 148 f.

22

7

1. Kap.: Einleitung

Verschiedene empirische Studien7 haben diese durch Umweltbedingungen verursachte gesundheitliche Ungleichheit relativ konsistent bestätigt, als sich insgesamt zeigt, dass untere soziale Schichten im Allgemeinen einen schlechteren Gesundheitszustand und eine niedrigere Lebenserwartung aufweisen als Personen aus oberen sozialen Schichten (wobei als Indikatoren zur Berechnung der sozialen Schicht in der Regel eine Kombination von Ausbildung, beruflichem Status und Einkommen zugrundegelegt wird, wenngleich auch unterschiedliche Algorithmen für die Berechnung verwendet werden).8 Als Ursachen dafür, dass bei Personen mit geringerem sozioökonomischen Status ein schlechterer Gesundheitszustand festgestellt wird, werden hauptsächlich folgende Einflüsse diskutiert: Gesundheitsverhalten, gesundheitliche Versorgung und Lebensbedingungen.9 Bezüglich des hier allein relevanten Bereiches der Lebensbedingungen wird zwischen den beiden Elementen gesundheitliche Belastungen (ζ. B. in der Wohnumgebung) und Ressourcen zur Bewältigung dieser Belastung (ζ. B. Möglichkeiten der Freizeitgestaltung) unterschieden. Bezüglich des ersten Aspekts wurde herausgefunden, dass sowohl Schadstoffe in der Außenluft, als auch Schadstoffe in der Innenluft zu umweltbedingten Erkrankungen führen können, wobei der erste Fall eher auf Personen aus der unteren Schicht zutrifft, der Fall von Erkrankungen durch Schadstoffe im Innenbereich hingegen häufiger bei Personen aus der oberen Schicht festgestellt wurde. Für die vorliegende Arbeit ist einzig der Bereich umweltbezogener Expositionen in der Außenluft von Interesse. 10 Hierzu wurde festgestellt, dass Wohngegenden mit höheren Luftschadstoffbelastungen überproportional durch Personen der unteren sozialen Schichten bewohnt werden. Sie wohnen häufiger an verkehrsreichen Straßen und Industrieanlagen und sind somit verstärkt den Expositionen durch Außenluftschadstoffe und Lärm ausgesetzt, welche zu den bei Personen der unteren Schicht häufiger auftretenden umweltbedingten Erkrankungen wie chronischer Bronchitis (bei Erwachsenen), bösartigen Neubildungen und HerzKreislaufkrankheiten führen. 11 Hinsichtlich des zweitgenannten Aspekts der Möglichkeiten zur Bewältigung dieser Belastungen stellte eine auf das Ruhrgebiet bezogene Studie zudem fest, dass in Arbeiterwohngebieten Parks und Wälder wesent6 Vgl. hierzu und zu der folgenden Argumentation Huffman, in: Bosselmann/Richardson (Hg.), Environmental Justice and Market Mechanisms, 1999, S. 279 ff. 7 Eine der ersten Veröffentlichungen zu diesem Bereich überhaupt sind die u. a. auf das Beispiel des Ruhrgebiets bezogenen Untersuchungen von Jarre (beide FN 5). Eine der umfassendsten empirischen Arbeiten zu diesem Bereich ist die Studie von Heinrich/Mielck/ Schäfer /Mey (FN 5). Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Befassung mit dem Thema „Umwelt und Gesundheit" durch den Bundestagsausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, BT-Drs. 14/2848, insb. S. 48 ff. s Vgl. hierzu Heinrich/Mielck/Schäfer/Mey (FN 5), S. 3 f., 15 ff. u. 21 ff.; s. a. den Bericht des Bundestags-Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung „Umwelt und Gesundheit", BT-Drs. 14/2848, S. 14 u. 48 ff. 9 Heinrich/Mielck/Schäfer/Mey (FN 5), S. 28 ff. u. Abb. 2. 10 Dazu Heinrich/Mielck/Schäfer/Mey (FN 5), S. 35 f. u. 51 ff.

u Heinrich/Mielck/Schäfer/Mey

(FN 5), S. 4 f.

Π. Konzept der Umweltgerechtigkeit

23

lieh seltener bzw. weiter entfernt seien als in Gebieten, in denen Personen oberer Schichten wohnen.12 Insgesamt werden vier verschiedene Abhilfemöglichkeiten, d. h. Ansatzpunkte 8 für die Verringerung der gesundheitlichen Ungleichheit in Abhängigkeit von der sozialen Ungleichheit diskutiert: Verringerung der sozialen Ungleichheit, Änderung zugunsten gesundheitsfördernden Verhaltens insbesondere in der unteren sozialen Schicht, Erhöhung der körperlichen Abwehrkräfte in der unteren sozialen Schicht sowie Verringerung der Exposition durch Schadstoffe in besonders betroffenen sozialen Schichten. Eben dieser letzte Punkt wirft neben dem Problem der Möglichkeiten des Umweltrechts zur absoluten Vermeidung bzw. Verringerung der Schadstoffe auch diejenige ihrer sozial gerechten Verteilung bei Unvermeidbarkeit auf, d. h. die Frage nach den rechtlichen Möglichkeiten einer Vermeidung von Schadstoffkonzentrationen in bestimmten, insbesondere von Personen der unteren sozialen Schicht bewohnten Gebieten. Von medizinischer Seite werden diesbezüglich staatliche Interventionen zur Verringerung der Schadstoffemissionen in den hoch belasteten Regionen für erforderlich gehalten, in denen ein höherer Anteil von Personen der sozial unteren Schicht leben muss.13 So gibt es, auch wenn die ungleiche Umweltlastenverteilung auf ökonomische Wirkungszusammenhänge zurückgeführt werden kann, Möglichkeiten, durch den Einsatz rechtlicher und politischer Instrumente der räumlichen Konzentration von Umweltlasten, ζ. B. im Rahmen der zukünftigen Platzierung umweltbelastender Projekte, entgegenzuwirken. Auch wenn schwerlich allgemeingültige Kriterien für die Beurteilung der Gerechtigkeit solcher umweltrelevanter Entscheidungen aufgestellt werden können, ist doch vorstellbar, dass bestimmte umweit- und gesundheitsbezogene Verteilungsaspekte Bestandteil einer entsprechenden Platzierungsentscheidung sein können.

9

Von Interesse ist daher zunächst die Frage, inwieweit das geltende Genehmigungsrecht in Deutschland bereits die Berücksichtigung von Verteilungsaspekten im Rahmen der Genehmigungsvoraussetzungen für umweltbelastende Anlagen vorsieht oder ermöglicht. Sofern hier Mängel bestehen, ist zu überlegen, ob es entsprechende Reformmöglichkeiten gibt, durch die eine Einbeziehung von materiellen Verteilungskriterien für die Zukunft gewährleistet würde.

10

Wichtig bei der Zuteilung von Umweltlasten und ein wesentlicher Aspekt im 10a Rahmen der sozialen Komponente der Umweltgerechtigkeitsforderung ist daneben die Frage nach der Gerechtigkeit/Fairness des in der Verteilungsentscheidung mündenden Verfahrens. Die Gewährleistung bestimmter Beteiligungs- und Informationsmöglichkeiten der betroffenen Bevölkerungsteile und anderer als wesentlich für ein gerechtes Verfahren angesehener Voraussetzungen (näher zur sog. Verfahrensgerechtigkeit s. u. III.2.) stellen sozusagen eine Mindestvoraussetzung für 12 Jarre , Umweltbelastungen (FN 5), S. 60 ff. 13 Heinrich /Mielck/Schäfer/Mey (FN 5), S. 5 f.

1. Kap.: Einleitung

24

die Herstellung von Umweltgerechtigkeit dar. So ist ζ. B. der Informationsstand bezüglich der mit der Anlage etc. einhergehenden Gefahren und die Bereitschaft, sich gegen den Neubau beispielsweise von Anlagen, Verkehrswegen oder auch der in letzter Zeit zunehmend bekämpften Errichtung von Sendemasten zu wehren und entsprechende Eigeninitiative zu ergreifen, in den von sozial schwächeren Schichten bewohnten Gebieten entschieden geringer. Ein Beispiel hinsichtlich des Versuchs einer weitreichenden Beteiligung aller Bevölkerungsgruppen am entsprechenden Standortauswahlverfahren stellt möglicherweise das vom Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte (AkEnd) vorgeschlagene Verfahren dar (s. u. 6. Kapitel). 11

Zusätzlich zu einem solchen Versuch der Herstellung von Gerechtigkeit einerseits durch Verteilungsgerechtigkeit und andererseits durch entsprechende verfahrensbezogene Instrumente können kompensatorische Maßnahmen erforderlich sein, ζ. B. in der Form einer Art des „Umweltausgleichs" zwischen Körperschaften zur Verbesserung des Zugangs zu Umweltressourcen und somit einer Erhöhung des Umweltnutzens, welche es u. U. - sofern dies sich als bisher unzureichend erweist - entsprechend rechtlich zu verankern gilt.

2. Zeitliche Dimension 12

Die zeitliche Dimension der Umweltgerechtigkeit unterteilt sich in die intragenerationelle und die intergenerationelle. Hinzu kommt außerdem ein Sonderfall der Umweltgerechtigkeit, der außerhalb der bisherigen anthropozentrisch geführten Umweltgerechtigkeitsdiskussion steht: die interspezielle Gerechtigkeit. Die erste Gerechtigkeitsart behandelt den herkömmlichen rein sozialen und gegenwartsbezogenen Gerechtigkeitsbegriff, durch die zweite will man die Verantwortung für die Umwelt in zeitlicher Hinsicht auf die zukünftigen Generationen ausdehnen und durch die dritte soll in räumlicher Hinsicht die Verantwortung nicht nur für die gesamte menschliche, sondern auch für die „natürliche Mitwelt" umfasst werden. 14 a) Intragenerationelle

13

Gerechtigkeit

Mit der (umweltbezogenen) intragenerationellen Gerechtigkeit ist die gerechte Verteilung von Umweltlasten und Umweltnutzen auf soziale Schichten innerhalb einer Generationen gemeint. Dabei wird von dem Begriff nicht nur das Ziel einer gerechten Verteilung von Umweltnutzen und Umweltlasten innerhalb eines Staates, sondern auch die grenzüberschreitende Dimension erfasst. In letzterem Fall geht es um die Frage nach der Notwendigkeit einer Umverteilung von Umweltgütern und -belastungen aufgrund des globalen Armutsproblems sowie aufgrund 14

Bosselmann/Schröter,

Umwelt und Gerechtigkeit, 2001, S. 44.

II. Konzept der Umweltgerechtigkeit

25

der Tatsache, dass der Wohlstand der reicheren Länder in nicht geringem Maße auf der übermäßigen Umweltnutzung auf Kosten der ärmeren Länder basiert. 15 In der gegenwartsbezogenen Dimension der intragenerationellen Gerechtigkeit geht es im Allgemeinen sowohl um die Frage, inwieweit eine überproportionale Belastung sozial benachteiligter Gruppen mit schädlichen Umweltauswirkungen festgestellt werden kann, als auch um entsprechende rechtliche Instrumentarien zur Kontrolle oder Korrektur unerwünschter - insbesondere räumlicher - Verteilungswirkungen. Dabei sind von der Rechtsordnung primär Reaktionen auf Umweltungerechtigkeiten zu erwarten, die von Menschen verursacht sind. Natürliche Verteilungsunterschiede bei Landschaftsbeschaffenheit, Bodenfruchtbarkeit, Wasserversorgung etc. können aber Anlass für staatliche Fördermaßnahmen sein.

14

Wenngleich der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit auf den soeben genannten 15 Aspekt intragenerationeller Gerechtigkeit - und zwar in seiner Dimension als räumliche Verteilungsgerechtigkeit - gelegt werden soll, so kann darüber hinaus unter diesem Stichwort auch die Frage nach der gerechten Verteilung der Kosten des Umweltschutzes behandelt werden. 16 Staatliche Maßnahmen zur Verringerung und Vermeidung von Umweltbelastungen können zu einer Kollision mit dem Interesse an mehr Wohlstand und sozialer Gerechtigkeit führen. 17 Hier wird u. a. die Frage relevant, inwiefern sozial benachteiligte Gruppen, die möglicherweise bereits überproportional hohe Umweltbelastungen zu tragen haben, durch teureres Benzin, höhere Produktionskosten und teurere Konsumprodukte zusätzlich beschwert werden, indem sich ζ. B. erschwinglicher Wohlstand und Arbeitsplatzchancen weiter verringern. So wurde schon früh vermutet, dass die unteren Einkommensklassen, die in der Tendenz am meisten von der Umweltschädigung betroffen sind, am schwersten an den Kosten der Umweltpolitik tragen. 18 Die genauen verteilungspolitischen Auswirkungen umweltpolitischer Maßnah16 men hängen dabei, sofern es um die Kostenverteilung geht, von der jeweils gewählten Durchsetzungs- und Finanzierungslast ab. Zu unterscheiden ist insbesondere zwischen dem Verursacher- und dem Gemeinlastprinzip als Möglichkeiten für die Kostenanlastung. Der Vorstellung, das Verursacherprinzip, nach dem Aufwand und Kosten für die Beseitigung, Verminderung bzw. Verhinderung von Umweltschäden den Verursachern der Schäden angelastet und in ihre Kostenkalkulation internalisiert werden sollen, führe zu einer grundsätzlich gerechten Kostenvertei15 Näher z. B. Martinz-Allier,

The Environmentalism of the Poor, 2002, S. 213 ff.

16

s. ζ. B. Weßels, Erosion des Wachstumsparadigmas: Neue Konfliktstrukturen im politischen System der Bundesrepublik?, 1991, S. 127 ff. 17 Zu diesem Problem ζ. B. Kreimer/Zwingmann, WSI-Mitteilungen 1985, 729 (733 ff.); vgl. auch Bosselmann/Schröter (FN 14), S. 48 f. is Kreimer/Zwingmann, WSI-Mitteilungen 1985, 729 (734); Zimmermann, Umweltpolitik und Verteilung, 1985, S. 223: „Es ist im Durchschnitt aller Ergebnisse als erwiesen zu betrachten, dass die Verteilungseffekte der Kosten der Umweltpolitik [ . . . ] regressiv bis höchst regressiv ausfallen".

26

1. Kap.: Einleitung

lung, wird dabei z. T. widersprochen. Ein Problem des Verursacherprinzips im Hinblick auf die sozialen Verteilungswirkungen liegt darin, dass dieses Prinzip letztlich zur Verteuerung umweltschädigender Investitionen, Produktionsverfahren und damit auch der so erzeugten Konsumgüter führt. Das bedeutet einen Überwälzungsmechanismus, der in der Tendenz wie eine (sozial tendenziell ungerechte) Umsatz- oder Verbrauchssteuer wirkt. 19 Fraglich ist jedoch auch, ob die andere Alternative - das Gemeinlastprinzip - zu einer sozial gerechten Verteilung von Umweltkosten führt. Beim Gemeinlastprinzip, wonach Maßnahmen zum Umweltschutz von der öffentlichen Hand finanziert werden, sind die Verteilungswirkungen grundsätzlich von der Art abhängig, wie der Staat die hierfür notwendigen Einnahmen aufbringt. 20 Problematisch ist hier allerdings, dass die Verteilungswirkung der Richtung nach unbestimmter ist als beim Verursacherprinzip. Eine Zuordnung ist am ehesten klar nachvollziehbar, wenn der Staat eine spezielle Steuer zur Finanzierung ganz bestimmter Umweltschutzprogramme erhebt oder eine bestehende Steuer hierfür erhöht. Für diesen Fall wird festgestellt, dass steuerliche Zuschläge auf Verbrauchsteuern (wie ζ. B. Zuschläge auf den Verbrauch von Mineralölprodukten, Erdgas und Strom), ebenso wie andere Verbrauchsteuern auch, als verteilungspolitisch ungünstig anzusehen sind. 21 Welches Prinzip im Einzelfall anzuwenden ist, richtet sich nach einer sorgfältigen Abwägung. 17

Dieses Problem einer gerechten Verteilung von Umweltkosten führt in einem weiten Sinne auch zu der Frage der Verteilungswirkungen der 1999 in Deutschland eingeführten sog. Ökosteuer. Zwar geht es hierbei nicht um die Erhebung einer Abgabe zum Zwecke der Finanzierung von Umweltprogrammen. Jedoch ist auch die Ökosteuer, die (u. a.) dem Ziel verstärkten Umweltschutzes durch eine Verteuerung des Energieverbrauchs zum Zwecke der Verringerung des entsprechenden Ressourceneinsatzes dient, in sozialer Hinsicht problematisch. Wie alle Verbrauchsteuern führt sie aufgrund ihrer (zumindest teilweise) regressiven Wirkung zu einer stärkeren Belastung einkommensschwacher Gruppen, weshalb entsprechende Erstattungs- und Befreiungsmöglichkeiten und andere kompensatorische Maßnahmen diskutiert werden (ausführlich dazu s. u. 10. Kapitel). 22

b) Intergenerationelle 18

Gerechtigkeit

Imtergenerationelle Gerechtigkeit befasst sich mit Gerechtigkeitsproblemen zwischen den Generationen. Soweit sich dies auf die derzeit lebenden Generatio19 Vgl. Wicke, Umweltökonomie, 1982, S. 312; Kreimer/Zwingmann, 1985, 729 (735 f.). 20 Weßels (FN 16), S. 217.

WSI-Mitteilungen

21 Kreimer/Zwingmann, WSI-Mitteilungen 1985, 729 (736 f.). 22 Vgl. hierzu die Infras-Studie, Soziale und räumliche Verteilungswirkungen von Energieabgaben, erstellt im Rahmen des 4. EU-Forschungsrahmenprogramms im Projekt „Environmental Fiscal Reform", 1999.

27

II. Konzept der Umweltgerechtigkeit

nen bezieht (etwa: junge, mittlere und ältere Generationen), werden damit klassische Generationskonflikte beim Umgang mit der Umwelt aufgerufen, die nach dem Maßstab der Umweltgerechtigkeit gelöst werden können. Umweltorientierte Gerechtigkeitskonzepte beinhalten in der Regel aber vor allem auch eine Zukunftskomponente, d. h. sie beziehen die Bedürfnisse der nachfolgenden Generationen mit ein. Hier geht es um das ethische Gebot, den künftigen Generationen die gleichen oder entsprechenden Lebens- und Entwicklungsmöglichkeiten zu bewahren, wie die heutigen sie haben, und nicht auf ihre Kosten zu leben. Dieser Aspekt ist zugleich Teil des Nachhaltigkeitsgrundsatzes im Sinne der Formulierung des Berichts der sog. Brundtland-Kommission. 23 Ungeklärt und u. a. unter Soziologen, Ökonomen und teilweise auch Juristen um- 19 stritten ist allerdings die Frage, inwiefern und welche Handlungsbeschränkungen sich daraus für die heutigen Generationen ergeben. Nach dem Bericht der Brundtland-Kommission soll diese Frage ζ. B. unter Zugrundelegung des Bedürfniskriteriums entschieden werden. 24 Da sich dabei das Problem der mangelnden Vorhersehbarkeit der Bedürfnisse der künftigen Generationen und technischen Entwicklungen stellt, halten andere hingegen das Gleichheitskriterium für sinnvoller. 25 Im Sinne von Rawls , der sein Vertragsmodell der „original position" 26 auf die verschiedenen Generationen ausdehnt, lasse sich die Beziehung zwischen den Generationen als vertragliches Band zwischen Gleichen denken. So wie die heutige Generation einen ökologischen Bestand von früheren Generationen geerbt habe, sei sie zur Erhaltung dieses Bestandes und damit zum schonenden Umgang mit den Ressourcen verpflichtet. Eine reine Gleichverteilung von Rechten, Lasten und Pflichten der Generationen sei jedoch angesichts des Bevölkerungswachstums und des Ressourcenverbrauchs nicht mehr ausreichend, um Gleichheit zwischen Gegenwart und Zukunft herzustellen. So muss in gewissen Bereichen keine bloße Weitergabe, sondern eine Verbesserung der Umweltbedingungen angestrebt werden.

c) Verhältnis zwischen intra- und intergenerationeller

Gerechtigkeit

Zum Verhältnis zwischen intra- und intergenerationeller Gerechtigkeit wird dabei vertreten, dass es keinen Vorrang der einen vor der anderen, sondern nur eine Kompromisslösung geben könne. 27 Einigkeit besteht jedenfalls insoweit, als es nie nur um eine gerechte Verteilung bestehender Umweltlasten gehen kann, sondern immer auch um Nutzungsbeschränkungen in Bezug auf die Umwelt zum Zwecke ihres Erhaltes für zukünftige Nutzungen gehen muss. Letzterer Aspekt bildet einen 23 24 25 26 27

Vgl. WCED, Our Common Future, 1987, S. 43 ff. Näher zu den einzelnen hier relevanten Gerechtigkeitskriterien unten S. 17. Bosselmann/Schröter (FN 14), S. 50 ff. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 9. Aufl. 1996, S. 327 ff. Bosselmann/Schröter (FN 14), S. 52.

20

28

1. Kap.: Einleitung

wesentlichen Inhalt allen vorsorgenden Umweltschutzes. Hierauf muss auch in Zukunft der Schwerpunkt umweltpolitischen Tätigwerdens gelegt werden. Nur, wenn es um unvermeidbare Umweltlasten geht bzw. eine Entscheidung zur Hinnahme von Umweltbeeinträchtigungen getroffen wurde, kann es um die Frage nach der räumlich und sozial gerechten Verteilung dieser Lasten gehen. Da der Aspekt der sozialen und räumlichen Verteilungsgerechtigkeit bisher weitaus weniger Beachtung gefunden hat als die Frage nach den Möglichkeiten vorsorgenden bzw. nachhaltigen Umweltschutzes, wird es vorliegend - wie bereits erwähnt - in erster Linie um ersteren Aspekt gehen. Im Mittelpunkt steht also die auf die intragenerationelle Gerechtigkeit bezogene Frage, wie bei nicht vermeidbaren bzw. in Kauf genommenen Umweltbelastungen eine sozial gerechte Verteilung erreicht werden kann. d) Gerechtigkeit gegenüber der Natur bzw. „ interspezielle " Gerechtigkeit 21

Die Vertreter eines ökozentrischen Ansatzes empfinden die Beschränkung des Gerechtigkeitspostulats auf zwischenmenschliche Beziehungen in einer Generation bzw. zwischen verschiedenen Generationen in der Umweltgerechtigkeitsdebatte als zu eng. Da jede innerhalb einer Gesellschaft oder zwischen Staaten vorgenommene Aufteilung oder Umverteilung natürlicher Ressourcen auch unmittelbar die Ökosysteme selbst betreffe, setzt sich nach ihrer Ansicht die Belastung und Überbelastung der Ökosysteme fort, solange Umweltgerechtigkeit allein als Problem sozial gerechter (also anthropozentrischer) Ressourcenaufteilung verstanden wird. 28 Sie entwickeln daher aus den vorhandenen Konzeptionen zur Gerechtigkeit unter Ergänzung durch die Umweltethik ein Prinzip der ökologischen Gerechtigkeit, das die Natur als eigenständigen Adressaten mit einbezieht und einheitlich auf soziale und ökologische Unausgewogenheiten angewendet werden soll. 29

22

In Abkehr von dem anthropozentrischen Ansatz wird dabei neben der intersowie der intragenerationellen Gerechtigkeit auch die sogenannte interspezielle Gerechtigkeit als wesentliches Element der ökologischen Gerechtigkeit angesehen. 30 Die Gerechtigkeit als Rechtsprinzip sei nicht auf die zwischenmenschlichen Beziehungen zu beschränken, sondern gelte vielmehr als Verfassungsprinzip für die gesamte Rechtsordnung und damit auch für das Umweltrecht. 31 Diese Konzep28 So insb. Bosselmann/Schröter (FN 14), S. 38. 29 Bosselmann/Schröter (FN 14), S. 38 ff., 45. 30 Bosselmann/Schröter (FN 14), S. 54 ff. Die Autoren verwenden den Begriff der ökologischen Gerechtigkeit dabei in einem engeren und einem weiteren Sinne. Im engeren Sinne ist das Gebot der Erhaltung der natürlichen Umwelt gemeint (S. 36), in einem weiteren Sinne als „Prinzip der ökologischen Gerechtigkeit" wird das Anliegen der sozialen Gerechtigkeit mit einbezogen. Ohne letztere Komponente sei ökologische Gerechtigkeit in politischer und ethischer Hinsicht problematisch, vgl. ebd., S. 41. 31 Hierzu und zum Folgenden Bosselmann/Schröter (FN 14), S. 37 ff.

II. Konzept der Umweltgerechtigkeit

29

tion geht über gängige Umweltgerechtigkeitsvorstellungen sowie das Konzept der Nachhaltigkeit hinaus. Nach dem Bericht der Brundtland-Kommission und der Agenda 21 enthält das Konzept nachhaltiger Entwicklung nur die beiden Elemente der inter- und intragenerationellen Gerechtigkeit. 32 Die Befürworter des Konzepts interspezieller Gerechtigkeit fordern ein neues Gerechtigkeitskonzept, das die Natur als eigenständigen Adressaten mit einbeziehe und einheitlich auf soziale und ökologische Unausgewogenheiten angewendet werden könne. Ein Konzept der ökologischen Gerechtigkeit müsse daher die Gerechtigkeit gegenüber der Natur mit einschließen. Angestrebt wird damit ein Wechsel von der sog. anthropozentrischen Umweltethik zu einer sog. „ökologischen Mitweltethik". Hierzu ist festzustellen, dass ein ethisches Prinzip des Respekts vor der Natur 23 durchaus sinnvoll ist und das Interesse am Fortbestand des menschlichen Lebens auch eine besondere Verantwortung gegenüber der Natur und u. U. die Notwendigkeit „kollektiver Selbstbeschränkung"33 begründen kann. Diese Vorstellung wird hier durchaus geteilt. Abzulehnen ist jedoch, dass dies innerhalb des Komplexes der Gerechtigkeit diskutiert wird. Dieser ökozentrische Ansatz ist vielmehr Teil der Problematik effektiven und intensiven Umweltschutzes unter Berücksichtigung des Vorsorgeprinzips, eines hohen Schutzniveaus und dem Grundsatz nachhaltiger Politikgestaltung, als eine Frage der Gerechtigkeit. Im Folgenden wird die Gerechtigkeit in erster Linie als eine auf das menschliche Zusammenleben bezogene Handlungsmaxime angesehen. Gerechtigkeit ist also eine Norm, die das Miteinander von Menschen, Gruppen (sozialen wie kulturellen Gruppen) und Volkern regeln soll. Die interspezielle Gerechtigkeit oder Gerechtigkeit gegenüber der Natur fällt strukturell aus dem Rahmen dieses Gerechtigkeitskonzepts. Im Kontext der interspeziellen Gerechtigkeit können weder gerechtigkeitstheoretische Überlegungen wie die vertragliche Gerechtigkeitsvorstellung bei Rawls (dazu unten gleich mehr) angestellt werden, noch besteht eine im Rahmen von Gerechtigkeitsvorstellungen typische wechselseitige Verpflichtung zwischen Menschen auf der einen und Tieren, Pflanzen und Ökosystemen auf der anderen Seite.34 Zudem muss die Annahme, dass die „interspezielle Gerechtigkeit" begrifflich nicht unter dem Stichwort der ökologischen Gerechtigkeit abgehandelt wird, nicht zu einem Weniger an Umweltschutz und Verantwortung gegenüber der Natur führen. Zusammengefasst sei daher nochmals gesagt, dass die hier vorzunehmende Analyse über die Notwendigkeiten und rechtlichen Möglichkeiten, die Belange der 32 Vgl. WCED (FN 23) und UNCED, Abschlussdokument des Weltumweltgipfels in Rio de Janeiro, 1992. Zum Prinzip der Nachhaltigkeit unten unter III. 1 .b)bb)(3); für eine ausführliche Analyse vgl. Rennings/Hohmeyer (Hg.), Nachhaltigkeit, 1997. 33 So Bosselmann/Schröter (FN 14), S. 54. 34 So auch Bosselmann/Schröter (FN 14), S. 54 ff., als Befürworter des Konzepts der interspeziellen Gerechtigkeit. Ihre positive Haltung gegenüber der interspeziellen Gerechtigkeit erklären sie durch eine Abkehr von den traditionellen anthropozentrischen Vorstellungen von Gerechtigkeit, die durch die Vorstellung vom Respekt vor dem Leben als ethisches und als rechtliches Prinzip ersetzt wird.

24

30

1. Kap.: Einleitung

Umweltgerechtigkeit in Deutschland zu berücksichtigen, vielmehr schwerpunktmäßig im Sinne der US-amerikanischen Environmental-Justice- Diskussion mit ihren spezifisch sozialen und räumlichen Gerechtigkeitsforderungen verstanden werden soll. Hier geht es in erster Linie um die Frage nach den rechtlichen Verteilungsinstrumenten für eine räumlich und sozial gerechte Verteilung von Umweltlasten und Umweltnutzen sowohl innerhalb der gegenwärtigen als auch gegenüber der zukünftigen Generationen. Bei einer solchen Analyse stehen notwendig anthropozentrische Erwägungen im Vordergrund. Im Rahmen der folgenden Untersuchung der Umweltgerechtigkeit wird daher die sog. „interspezielle Gerechtigkeit", d. h. die Gerechtigkeit gegenüber der Natur und der Wahrung ihrer etwaigen Eigenrechte, nur mittelbar eine Rolle spielen.35

ΙΠ. Zur Verteilungs- und Verfahrensgerechtigkeit im Umweltrecht

25

Wie bereits mehrfach angesprochen, geht es bei der Umsetzung von Umweltgerechtigkeit primär um Verteilungsfragen (dazu 1.). Da diese jedoch selten eindeutig und zufriedenstellend beantwortet werden können, gewinnt zunehmend - und das nicht nur im Umweltrecht - die sog. Verfahrensgerechtigkeit an Bedeutung (dazu 2.).

1. Umweltgerechtigkeit als Problem der Verteilungsgerechtigkeit 26

Die Verteilungsgerechtigkeit betrifft die inhaltlichen Prinzipien der Verteilung von Gütern und Lasten, Ressourcen und Lebenschancen innerhalb einer Gruppe, einer Gesellschaft oder anderen Gemeinschaftsverhältnissen. Den Begriff der Verteilungsgerechtigkeit (iustitia distributiva) prägte Aristoteles in seiner Nikomachischen Ethik. 36 Die lateinische Bezeichnung iustitia distributiva geht auf die Aristoteles-Rezeption des Thomas von Aquin zurück. 37

27

Das Problem der Verteilungsgerechtigkeit stellt sich zum einen dann, wenn begehrte Güter knapp sind, d. h. nicht alle soviel davon erhalten können wie sie wünschen, und zum anderen, wenn in einer Gesellschaft notwendigerweise anfallende 35 So auch Maschewsky (FN 1), S. 45. 36

Aristoteles, Nikomachische Ethik, 5. Buch, Kap. 6/7, 1131b 6 ff. Aristoteles setzt der distributiven Gerechtigkeit die kommutative Gerechtigkeit gegenüber. Während die zweite das Verhältnis zwischen einzelnen Bürgern entsprechend einem arithmetischen Gleichheitsgebot regelt, soll die distributive Gerechtigkeit das hierarchische Verhältnis zwischen Staat und Bürger gerecht gestalten. Hier ist jedoch eine proportionale bzw. geometrische Gleichheit anzuwenden. 37

v. Aquin, Summa Theologica, XVIII. Recht und Gerechtigkeit, 1987.

III. Zur Verteilungs- und Verfahrensgerechtigkeit im Umweltrecht

31

und unvermeidbare Lasten auf die einzelnen Mitglieder der Gesellschaft verteilt werden müssen.38 Auch das nationale und internationale Umweltrecht hat sich diesen beiden Formen von Verteilungsproblemen zu stellen. Zum einen besteht eine Knappheits- bzw. Mangelsituation von Umweltgütern und den von ihnen zur Verfügung gestellten Nutzenfunktionen. 39 Zum anderen stellt sich das Problem der gerechten Verteilung von nicht vermeidbaren Umweltlasten. Auch im deutschen Umweltrecht wird die Frage gestellt, wie die natürlichen Ressourcen und die Gesamtbelastungsmenge gerecht zu verteilen sind. 40 Eine Antwort auf diese Fragen ist bislang allenfalls ansatzweise oder nur für begrenzte Bereiche geliefert worden. Die Frage nach der Gerechtigkeit staatlichen Rechts, und so auch des Umweltrechts, kann allerdings nur in Bezug auf ein Gut gestellt werden, das der staatlichen Zuteilung unterliegt. 41 Sofern die Verteilung von Gütern oder Lasten weitgehend dem Marktgeschehen überlassen ist, kann dem Staat jedoch die Aufgabe zukommen, in das Marktgeschehen einzugreifen und durch die Verrechtlichung des Verteilungsprozesses eine Umverteilung im Sinne der Herstellung größerer distributiver Gerechtigkeit zu bewirken. Allgemein wird insbesondere der Öffentlichkeitscharakter von Gütern als ein Indiz dafür gesehen, dass der Staat eine grundsätzliche Verantwortung für ihre Verteilung trägt. 42 Der Öffentlichkeitscharakter von Umweltgütern ist in weitem Maße durch den Grad ihrer technischen Teilbarkeit bestimmt: Weitgehende Unteilbarkeit intendiert einen hohen Öffentlichkeitsgrad und umgekehrt. 43 Insbesondere bei Luft und großen Gewässern besteht eine weitgehende tatsächliche Unteilbarkeit und damit die Notwendigkeit, dass der Staat für ihre Verteilung sorgt. Die Zuteilung von Teilen mit Ausschließlichkeitsrechten an einzelne Bürger scheidet aus. Zwar sind andere Umweltgüter wie der Boden teilbar und einzelnen Wirtschaftssubjekten als privates Gut zurechenbar. Auch hier hat der Staat aber in weitem Umfang die Entscheidung über die Allokation und Nutzung übernommen (ζ. B. im Bereich der Bodennutzung durch Verteilungs· und Nutzungsvorgaben im Bau- und Planungsrecht.

28

Soweit also die Zuteilung von Umweltgütern bzw. die Hinnahme von Umwelt29 lasten rechtlichen Vorgaben unterworfen ist, stellt sich die Frage nach der ausreichenden Beachtung materieller Verteilungskriterien im Rahmen dieser Regelungen. Dort, wo der Staat die Verteilung von Umweltgütern und -lasten bisher dem Marktgeschehen überlässt, ist in Bezug auf die Verteilungsgerechtigkeit im Umweltrecht von Interesse, inwiefern hier ein staatliches Eingreifen in das Marktgeschehen durch den Erlass differenzierter Regelungen zu größerer distributiver 38 Raiser, Das Lebende Recht, 3. Aufl. 1999, S. 214. 39 Dazu Gethmann/Kloepfer/Reinert, Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995, S. 27 ff. 40 Vgl. Epiney, in: v. Mangoldt/ Klein /Starck (FN 2), Art. 20a Rn. 7. 41 Dazu Raiser (FN 38), S. 214. 42 Berg, Der Staat 15 (1976), 11 ff; vgl. auch Gethmann/Kloepfer/Reinert S. 44 ff. 43 Gethmann/Kloepfer/Reinert (FN 39), S. 43 ff.

(FN 39),

32

1. Kap.: Einleitung

Gerechtigkeit führen kann. In beiden Fällen wird damit die Frage nach den Kriterien und Prinzipien relevant, die der Staat hierbei zu beachten hat. 30

So sollen zuerst die in der Vergangenheit aufgestellten Kriterien einer gerechten Verteilung vorgestellt werden, um danach zu erläutern, wie diese Kriterien speziell für eine gerechte Verteilung von Umweltlasten und -nutzen herangezogen werden müssten. a) Allgemeine Kriterien

einer gerechten Verteilung

31

Die gesellschaftliche Aufgabe der gerechten Verteilung von Gütern und Lasten führt zu der Frage nach den Verteilungsregeln. Wer nach konkreten und einfach anwendbaren Verteilungsregeln sucht, stößt auf eine Vielzahl verschiedenartiger Postulate, die sich teilweise ähneln, teilweise auch widersprechen und bisweilen auch nur auf einen eng begrenzten Anwendungsbereich beziehen. Eine einzige allgemeingültige Regel zu finden, ist dabei unmöglich. Vielmehr muss für den Einzelfall das passende Verteilungsprinzip gefunden werden.

32

In der abendländischen Philosophie der vergangenen 2500 Jahre kristallisierten sich im Wesentlichen sechs Verteilungsprinzipien als maßgeblich heraus: Gleichheit, Proportionalität, Angemessenheit, Billigkeit, Leistung und Bedürftigkeit. Während in der Vergangenheit vielfach ein universelles Verteilungsprinzip verfochten wurde, hat sich vor allem seit Michael Walzer die Vorstellung des Prinzipienpluralismus durchgesetzt. Seinem Konzept liegt der Gedanke zugrunde, dass es in den modernen pluralistischen Gesellschaften immer schwieriger wird, allseits akzeptierte Maßstäbe des gerechten Entscheidens aufzustellen. Walzer teilt daher Lebenssachverhalte in Sphären ein, denen jeweils ein Verteilungsprinzip entspricht. So bestimmt er für die Sphäre der Sicherheit und Wohlfahrt das Bedürfnisprinzip und für die Sphäre der Mitgliedschaft in einer Gemeinschaft das Gleichheitsprinzip. 44 Im Großen und Ganzen decken sich Walzers Verteilungsregeln allerdings mit den oben genannten.

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Dieser Prinzipienpluralismus kann jedoch auch übertrieben werden, indem er beliebig detailliert wird. So hat zum Beispiel der amerikanische Politologe und Moralphilosoph Elster mehr als dreißig Verteilungskriterien, die den Verteilungsprozessen allein oder gemischt zu Grunde liegen sollen, formuliert 45 Meist handelt es sich dabei jedoch lediglich um Unterformen der bekannten Kriterien.

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Als Gegenbeispiel kann John Rawls genannt werden, der zeitlich noch vor Walzer seine Gerechtigkeitstheorie der Fairness konstruiert hatte und damit die Gerechtigkeitsdebatte für das 20. Jahrhundert neu entfachte. Rawls subsumierte Verteilungsgerechtigkeit unter zwei Prinzipien. Dafür legt er seinen Überlegungen das 44

Walzer, Sphären der Gerechtigkeit. Ein Plädoyer für Pluralität und Gleichheit, 1992, S. 107 und 134. 45 Elster, Local Justice. How Institutions Allocate Scare Goods and Necessary Burdens, 1992, S. 67 ff.

III. Zur Verteilungs- und Verfahrensgerechtigkeit im Umweltrecht

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Denkmodell des Urzustandes zugrunde. Er stellt die Frage, auf welche Gerechtigkeitsprinzipien sich die Menschen einigen würden, wenn sie ohne Kenntnis ihrer individuellen Interessen sowie ihrer persönlichen und sozialen Lage in einem gemeinsamen Akt die Grundsätze wählen würden, nach denen Grundrechte und -pflichten und die Verteilung der gesellschaftlichen Güter bestimmt werden. 46 Um diesen Zustand zu erreichen, setzt er die Menschen im fiktiven Urzustand hinter einen sog. „Schleier des Nichtwissens" {„veil of ignorance ")47, der dazu dient, dass alle Menschen in vollständiger Freiheit, Gleichheit und Unparteilichkeit und ohne Einfluss gesellschaftlicher Machverhältnisse über die grundlegenden Verteilungsprinzipien entscheiden können. Nach Rawls würden sich die Menschen im Urzustand schließlich auf zwei Verteilungsprinzipien einigen: ,,a) Jede Person hat den gleichen unabdingbaren Anspruch auf ein völlig adäquates System gleicher Grundfreiheiten, das mit demselben System von Freiheiten für alle vereinbar ist. b) Soziale und ökonomische Ungleichheiten müssen zwei Bedingungen erfüllen: erstens müssen sie mit Ämtern und Positionen verbunden sein, die unter Bedingungen fairer Chancengleichheit allen offen stehen; und zweitens müssen sie den am wenigsten begünstigten Angehörigen der Gesellschaft den größten Vorteil bringen (Differenzprinzip)." 48 Umweltrechtliche Verteilungsentscheidungen fußen meist auf äußerst komplexen Lebenssachverhalten, bei denen verschiedenste Interessen gewahrt werden müssen. So müssen bei jeder Verteilungsentscheidung eine Vielzahl von Umständen wie ζ. B. der konkrete Lebenszusammenhang, die Folge Wirkungen und die urteilenden Personen berücksichtigt werden. Die Anwendung der Rawls 'sehen Prinzipien führt dabei vielfach zu keiner zufriedenstellend eindeutigen und somit zu keiner gerechten Lösung. Und auch wenn Walzers Sphärenidee grundsätzlich passender scheint, sind seine Sphären nicht unter Umweltaspekten gewählt worden und daher nicht auf Umweltprobleme eins zu eins zu übernehmen. 2500 Jahre des philosophischen Disputs über das Wesen der Gerechtigkeit zwingen zu der Einsicht, dass keine Theorie oder Konzeption des Richtigen und Gerechten für sich beanspruchen kann, eine umfassende und allseits akzeptierte Lösung für alle Verteilungsprobleme zu finden. Es gibt kein elementares und homogenes Konzept der Verteilungsgerechtigkeit, das sich durch ein einziges Prinzip zusammenfassen lässt. Vielmehr sind auf verschiedene Situationen und auf verschiedene Bereiche des sozialen Handelns unterschiedliche Gerechtigkeitsstandards anzuwenden.49 Möglich sind daher nur Einzeluntersuchungen konkreter sozialer Verteilungsvorgänge im Hinblick auf die in ihnen angewandten und von den Beteiligten als gerecht empfundenen materiellen Verteilungskriterien. Verteilungs46 Rawls (FN 26), S. 28. 47 Rawls (FN 26), S. 159 ff. 48 Rawls, Gerechtigkeit als Fairness, 2003, S. 78. 49 Koller, in: Müller /Wegener (Hg.), Soziale Ungleichheit und soziale Gerechtigkeit, 1995, S. 53, 54. Vgl. auch ebd., FN 53. 3 Kloepfer

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1. Kap.: Einleitung

prinzipien für die Verteilung von Umweltgütern und Umweltlasten bedürfen daher eines Prinzipienpluralismus im Sinne Walzers, bei dem neben den bereits kurz vorgestellten umweltrechtlichen Grundsätzen Vorsorge, Gemeinlast und Nachhaltigkeit die erwähnten sechs Verteilungsgrundsätze (Gleichheit, Proportionalität, Angemessenheit, Billigkeit, Leistung und Bedürftigkeit) flexibel und einzelfallbezogen angewendet werden können. Dazu sollen diese kurz näher erläutert werden. 36

Gleichheit ist eines der ältesten Verteilungsprinzipien, das in einem Atemzug mit Proportionalität, Angemessenheit und Billigkeit genannt werden muss. Alle vier Begriffe sind in etwa unter den englischen Begriff „equity", dessen sich die moderne sozialpsychologische Gerechtigkeitsforschung bedient, zu sammeln. Das Prinzip der Gleichheit kommt in der Norm zum Ausdruck, dass alle Menschen als gleiche zu behandeln sind. Dies bedeutet jedoch gerade nicht, dass alle Menschen gleich sind. Eine solche Behauptung würde zu den naturgegebenen Tatsachen in offenkundigem Widerspruch stehen.50 Diese Norm geht davon aus, dass die Gleichbehandlung den natürlichen Ausgangszustand darstellt, gegenüber dem jede Ungleichbehandlung zu rechtfertigen ist. Bezogen auf die Verteilungsgerechtigkeit bedeutet der Grundsatz der Gleichbehandlung, dass alle Güter und Lasten, die das soziale Zusammenleben mit sich bringt, auf alle Mitglieder der Gesellschaft gleichmäßig zu verteilen sind, sofern eine Ungleichverteilung nicht durch allgemein annehmbare Gründe gerechtfertigt ist. 51 Dieser Gleichbehandlungsgrundsatz ist auch Kern des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG. 5 2

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Der Grundsatz der Proportionalität kommt dann zur Anwendung, wenn Ungleichbehandlung zu rechtfertigen ist. Für Aristoteles gab es zwei Anwendungsformen der Gleichheit. Die arithmetische (oder numerische) und die proportionale (oder geometrische). Die erste bezieht sich auf eine strenge Trennung in gleiche Teile, während die zweite unterscheidende Merkmale einzelner Menschen, also die Gleichheit der Verhältnisse berücksichtigt. Es würde nämlich Ungerechtigkeit herrschen, wenn entweder ungleiche Personen gleiche Anteile oder gleiche Personen ungleiche Anteile zugeteilt bekommen.53 Was im konkreten Fall proportional entscheidend ist, muss mit Hilfe des Prinzips der Angemessenheit herausgefunden werden. Dieses Prinzip ist jedoch als sehr ambivalent zu bezeichnen, da die Kriterien der Angemessenheit in den Meinungen der Einzelnen sehr variieren. Sind es für die einen Verdienste, die als Variablen herangezogen werden sollen, ist es für 50 Auch Marx erkennt in seiner „Kritik des Gothaer Programms" von 1875 die Ungleichheit der Menschen an, denn „sie wären nicht verschiedene Individuen, wenn sie nicht ungleiche wären". Marx, Kritik des Gothaer Programms, 1875, in: Marx/Engels, Werke Bd. 19, 1961, S. 30. 51 Koller, in: Müller/Wegener (FN 49), S. 53, 54. 52 Siehe z.B. Gubelt, in: von Münch/Kunig (Hg.), Grundgesetz-Kommentar, 5. Aufl. 2000, Art. 3 Rn. 2. 53 Aristoteles (FN 36), 5. Buch, Kap. 6/7, 1131a 10 bis 1131b 10. Aristoteles sieht für die distributive Gerechtigkeit lediglich die proportionale Gleichheit vor. Die Formel „alle Menschen sind gleich", kommt erst im Zeitalter der Aufklärung auf.

III. Zur Verteilungs- und Verfahrensgerechtigkeit im Umweltrecht

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die anderen das individuelle Bedürfnis (dazu gleich mehr). ,Jedem das Seine" - oder mit den bekannten lateinischen Worten „suum cuique" 54 ausgedrückt - ist zwar ein anerkanntes Verteilungsprinzip, im Einzelfall jedoch nicht immer eindeutig anzuwenden. Eine umgekehrte Form 55 , Ungleichheiten zu begegnen, wurde mit dem Rechtspositivismus eingeführt. Demnach können Menschen nur insoweit als gleiche betrachtet werden, wie man die tatsächlich zwischen ihnen bestehenden Unterschiede ausblendet.56 Gleichbehandlung ist damit nur möglich, wenn man über die zahllosen Besonderheiten des Einzelfalles hinweggeht und letztlich verschiedene Dinge unter dieselbe Regel zwingt. 57 Bei diesem pauschalisierenden Vorgehen kommt es dazu, dass die meisten Fälle an Normen gemessen werden, die dafür genau genommen nicht geeignet sind. Um dadurch auftretende Härten im Einzelfall zu vermeiden, wird zur Herstellung von Gerechtigkeit im Einzelfall das Korrektiv der Billigkeit herangezogen. Dies zeigt sich vor allem im anglo-amerikanischen Rechtskreis, dessen Case-law insoweit in besonderem Maße ein „Billigkeitsrecht" darstellt.

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Die letzten beiden Prinzipien Leistung und Bedürftigkeit entstammen unter- 39 schiedlichen politischen Ideologien. Während der Bedarf vor allem von sozialistischen Autoren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in die Verteilungsgerechtigkeitsdebatte aufgenommen wurde, haben liberal-marktwirtschaftlich geprägte Autoren das Leistungsprinzip und auch das Beitragsprinzip geprägt. Beide Kriterien sind in unserer heutigen Gesellschaft als Verteilungsprinzipien nicht mehr weg zu denken. Das Leistungsprinzip normiert, dass jedem entsprechend der von ihm erbrachten Leistung oder Qualifikation ein bestimmtes Gut zugeteilt wird. 58 Dieses Prinzip findet ζ. B. Anwendung bei der Bemessung des Arbeitslohnes, der Vergabe von Studienplätzen oder der Besetzung von Stellen im öffentlichen Dienst. 59 Das Bedarfsprinzip findet sich im bekannten Satz Karl Marx' wieder: „Jedem nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen." 60 Seiner Meinung nach führt 54

„Suum cuique" ist dadurch zum Schlagwort geworden, dass der oströmische Kaiser Justinian diese Formel seinen Digesten von 533 n. Chr. als Rechts- und Gerechtigkeitsprinzip zu Grunde legen ließ: „Gerechtigkeit ist der unwandelbare und dauerhafte Wille, jedem sein Recht zu gewähren. Die Regeln des Rechts sind die folgenden: ehrbar leben, andere nicht verletzen, jedem das Seine zubilligen" (Digesten 1,1, 10). 55 Nämlich die Unterschiede nicht besonders zu berücksichtigen, sondern sie gezielt nicht zu beachten. 56 Kelsen, Das Problem der Gerechtigkeit, in: ders., Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960, S. 357 ff. (390). 57 Braun, Einführung in die Rechtswissenschaft, 1997, S. 80 ff. 58 Ähnlich das Beitragsprinzip, wonach entsprechend einem zuvor geleisteten Beitrag verteilt wird. Robert Nozick, der als extrem libertärer Philosoph gilt, will in diesem Kriterium das einzig gerechte Verteilungskriterium sehen. Nozick, Anarchie, Staat, Utopia, 1976, S. 108 f., 115 f., 144 f. 59 Vgl. § 8 Abs. 1 BBG. 60 Marx (FN 50), S. 21.

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1. Kap.: Einleitung

die Verteilung des gesamtgesellschaftlichen Arbeitsprodukts auf die einzelnen Arbeiter entsprechend der von ihnen jeweils erbrachten Arbeitsleistung nicht zu einem gerechten Ergebnis. Die Gleichheit bestehe in diesem Fall nur darin, dass am gleichen Maßstab, der Arbeitsleistung, gemessen wird. Da aber die Individuen unterschiedlich leistungsfähig und unterschiedlich bedürftig sind, führe eine Aufteilung rein proportional nach der Arbeitsleistung im Ergebnis zu Ungleichheiten. Deshalb müsse der Bedarf bei der Verteilung berücksichtigt werden. Das Bedürfnisprinzip findet sich auch im Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG wieder, das zu den nach Art. 79 Abs. 3 GG unabänderlichen Verfassungsprinzipien zählt. Es zielt auf soziale Sicherheit durch Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums 61 , Leistungs- und Daseinsvorsorge 62 und eine Sozialversicherung gegen die Wechselfälle des Lebens63 sowie auf soziale Gerechtigkeit 64 und Ausgleich sozialer Gegensätze65 durch Beseitigung ungleicher Startchancen66 und Abbau von Wohlstandsdifferenzen 67 ab. Dem Staat ist aufgegeben, soziale Gerechtigkeit durch sozialen Ausgleich herzustellen. 68

b) Kriterien der Verteilungsgerechtigkeit Umweltlasten und -nutzen

von

40

Bevor Kriterien speziell für eine gerechte Verteilung von Umweltgütern und Umweltlasten festgelegt werden können, ist es zunächst erforderlich, die im Folgenden zu Grunde gelegte Bedeutung der Begriffe des Umweltguts (bzw. der Umweltlast) zu beschreiben.

41

Umweltgüter werden häufig anhand der Unterscheidung zwischen privaten und freien Gütern bestimmt, wobei es sich ganz überwiegend um öffentliche Güter der Allgemeinheit handelt. Vor allem die Umweltökonomie als Teildisziplin der Wirtschaftswissenschaft beschäftigt sich bei ihrem Versuch, die Nutzung der Umwelt wirtschaftlich zu bewerten, mit dem Begriff des Umweltgutes. In der Umweltökonomie werden einzelne natürliche Ressourcen wie Bodenschätze, Tier- oder Pflanzenbestände ebenso als Umweltgüter beschrieben wie die Um61 BVerfGE 82, 60 (85); Zacher, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 1, Grundlagen von Staat und Verfassung, 2. Aufl. 1995, § 25 Rn. 25; Gröschner, in: Dreier (FN 3), Art. 20 (Sozialstaat) Rn. 26. 62 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, Grundbegriffe und Grundlagen des Staatsrechts. Strukturprinzipien der Verfassung, 2. Aufl. 1984, S. 698. 63 BVerfGE 28, 324 (348); Gröschner, in: Dreier (FN 3), Art. 20 (Sozialstaat) Rn. 43. 64 BVerfGE, 5, 85 (198); Stern (FN 62), S. 911. 65 BVerfGE, 22, 180(204). 66 Gröschner, in: Dreier (FN 3), Art. 20 (Sozialstaat) Rn. 39. 67 Zacher, in: Isensee / Kirchhof (FN 61), § 25 Rn. 25; Sommermann, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck (FN 2), Art. 20 Rn. 98 f. 68 BVerfGE 22, 180 (204); Gröschner, in: Dreier (FN 3), Art. 20 (Sozialstaat) Rn. 51.

III. Zur Verteilungs- und Verfahrensgerechtigkeit im Umweltrecht

37

weltmedien Boden, Luft und Wasser oder sogar ganze Ökosysteme. Daran anknüpfend, aber hinausgehend über eine rein wirtschaftliche Betrachtungsweise sollen im Rahmen dieser Untersuchung Umweltgüter als alle natürlichen Ressourcen angesehen werden, die für den Menschen von wirtschaftlichem, physischem oder psychischem Nutzen sind (Umweltnutzen). Dazu gehören reine Luft und sauberes Wasser, Wälder, Grünflächen, Flüsse, Seen, Fischbestände, Grund und Boden, Bodenschätze, usw. Von der Verteilung von Umweltgütern wird die Verteilung von Umweltlasten unterschieden. Der Begriff der Umweltlast umfasst über Schäden hinaus alle Auswirkungen menschlichen Handelns, welche die Umwelt belasten und die Umweltqualität mindern und als Folge davon die Gesundheit des Menschen beeinträchtigen oder zumindest gefährden. Umweltlast als Verteilungsobjekt der Umweltgerechtigkeit kann daher unter Rückgriff auf den Begriff der schädlichen Umwelteinwirkung aus § 3 Abs. 1 BImSchG, der auch in § 10 Abs. 4 Satz 2 Nr. 4 KrW-/AbfG sowie in § 5 Abs. 2 Nr. 6, § 9 Abs. 1 Nr. 23 und 24 und § 35 Abs. 3 BauGB verwendet wird, definiert werden: Umweltlasten sind schädliche Umwelteinwirkungen, die einen Schaden, einen erheblichen Nachteil oder eine erhebliche Belästigung für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen im Stande sind. 69 Hierunter fallen auch Schäden für den Einzelnen.

42

aa) Gerechtigkeit durch Gleichheit bei der Verteilung von Umweltgütern Wie umstritten das Wesen der Gerechtigkeit auch sein mag, so besteht Einigkeit 43 darüber, dass Gerechtigkeit maßgeblich mit Gleichheit zu tun hat. Gleichheit kann dabei entweder im Sinne einer streng gleichmäßigen oder aber als proportionale Verteilung von Gütern und Lasten verstanden werden. Hier, bei der Verteilung von Umweltgütern, ist Gleichheit aufgrund nachfolgender Überlegungen primär streng arithmetisch aufzufassen. Ein Mangel an gesunder Umwelt beeinträchtigt nicht nur die Lebensqualität, sondern kann ab einer gewissen Belastungsintensität zu Gesundheitsschäden und einer Verkürzung der Lebenszeit führen. Im Extremfall können Umwelteinflüsse unmittelbar zum Tod führen. Umweltgüter, die notwendige Voraussetzung für ein gesundes Leben des Menschen sind, wie ζ. B. sauberes Wasser und reine Luft, müssen daher allen in gleichem Umfang und in gleichwertiger Art und Weise zur Verfügung stehen. Diese philosophische Schlussfolgerung ist in der Bundesrepublik Deutschland verfassungsrechtlich verankert. Sie folgt schon aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, aus der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG und aus dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG. 69

Jarass, Bundes-Immissionsschutzgesetz. Kommentar, 6. Aufl. 2005, § 3 Rn. 24.

44

38

1. Kap.: Einleitung

Das Bundesverfassungsgericht deutet seit dem Lüth-Urteil 70 die Grundrechte nicht nur als reine Abwehrrechte in subjektiv-rechtlicher Hinsicht. Es leitet aus der objektiv-rechtlichen Dimension insbesondere im Fristenlösungs-Urteil eine umfassende Verpflichtung des Staates ab, sich schützend und fördernd vor das Leben zu stellen und es vor rechtswidrigen Eingriffen nicht nur von Seiten des Staates selbst, sondern auch von Seiten Dritter zu bewahren. 71 Diese Schutzpflicht hat ihren Grund in der ausdrücklichen Verpflichtung aller staatlicher Gewalt zum Schutz der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG. 7 2 Sie wird ferner mittelbar aus den Grundrechtsschranken der Art. 11 Abs. 2 GG und Art. 13 Abs. 7 GG abgeleitet: Wenn der Staat danach zur Abwehr von Gefahren für die Allgemeinheit, von Seuchen oder schweren Unglücksfällen Grundrechte einschränken darf, ist er erst recht zum Schutz des Lebens und der Gesundheit verpflichtet, wenn keine Grundrechte eingeschränkt werden müssen.73 Die Verpflichtung des Staates erstreckt sich auch auf den Schutz der körperlichen Unversehrtheit vor Beeinträchtigungen durch Naturkräfte oder durch Umweltgefahren, auch wenn sie von außerhalb des Staatsgebietes einwirken. 74 Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG enthält zwar keine spezielle Aussage zum Umweltschutz, mittelbar werden aus ihm jedoch umweltschützende Teilgewährleistungen abgeleitet.75 Vor Schaffung des Art. 20a GG wurde der objektiv-rechtliche Gehalt des Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG herangezogen, um daraus - unzutreffend - ein Grundrecht auf eine menschenwürdige Umwelt 7 6 oder zumindest einen sozialstaatlich-objektiven Verfassungsauftrag an den Gesetzgeber abzuleiten, bestimmte Bereiche gesellschaftlichen und ökologischen Daseins durch Umweltschutzmaßnahmen zu sichern. In der Entscheidung zur Fluglärmbekämpfung vom 14.01. 1981 77 bevorzugt das BVerfG bei der Auslegung des Begriffs der körperlichen Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein weites Verständnis und unterstellt auch das psychische und das soziale Wohlbefinden der staatlichen Schutzpflicht. Nichtkörperliche Einwirkungen seien jedenfalls dann von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG erfasst, wenn sie das Befinden einer Person in einer Weise verändern, die der Zufügung von Schmerzen entspricht. 78 Das BVerfG knüpft damit an den Gesundheitsbegriff aus der Satzung der Weltgesundheitsorganisation vom 22.06.1946 79 an, nach der unter Gesundheit „der Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen" zu verstehen ist. 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79

BVerfGE 7, 198 (204 f.). BVerfGE 39, 1 (41 f.); 46, 160 (162). Schulze-Fielitz, in: Dreier (FN 3), Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 58, 88, 203, 251. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (FN 2), Art. 2 II Rn. 157. Kunig, in: v. Münch/Kunig (FN 52), Art. 2 Rn. 67. Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 3 Rn. 42 f. Vgl. Rupp, JZ 1971, 403. BVerfGE 56,54 (73, 78). BVerfGE 56, 54 (73 ff.). BGBL II 1974, S. 43 ff.

III. Zur Verteilungs- und Verfahrensgerechtigkeit im Umweltrecht

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Da alle Menschen aufgrund ihres Menschseins grundsätzlich die gleichen bio- 46 logischen Bedürfnisse besitzen, ist der Staat bei seinem Bemühen um Umweltschutz und der Sicherung einer gesunden Lebensumwelt nach Art. 3 Abs. 1 GG unter Grundrechtsaspekten verpflichtet, alle Menschen strikt gleich zu behandeln und allen in gleicher Weise Zugang zu den lebenswichtigen öffentlichen Umweltgütern zu gewährleisten. Die soziale Stellung oder die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit können kein Rechtfertigungsgrund für eine Bevorzugung bestimmter Personen oder Gruppen beim Zugang zu lebenswichtigen Umweltgütern oder umgekehrt einer überdurchschnittlichen Belastung mit schädlichen Umwelteinflüssen sein. Gleichheit ist das verfassungsrechtlich gebotene Gerechtigkeitskriterium für die Verteilung von Umweltgütern, deren Verfügbarkeit für das Leben und die Gesundheit essentiell sind. Eine Ungleichbehandlung kann allenfalls aufgrund des Bedürfnisprinzips gerechtfertigt sein, wenn bestimmte, im Vergleich zur Allgemeinheit überdurchschnittlich bedürftige Personengruppen auf eine besondere Umweltqualität angewiesen sind, wie ζ. B. Kranke, Schwangere oder Kinder. Sofern es um die Verteilung von Umweltgütern geht, die für die Nutzer nicht unmittelbar (über-)lebenswichtig sind, sondern primär der wirtschaftlichen Gewinnerzielung dienen, können andere Verteilungskriterien als das der strikten Gleichheit, wie ζ. B. Sachkunde oder wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, sachlich gerechtfertigt sein.

bb) Gerechtigkeit bei der Verteilung von Umweltlasten Von dem gleichberechtigten Zugang zu öffentlichen Umweltgütern ist die ge- 47 rechte Verteilung von Umweltlasten zu unterscheiden. Ob es sich bei dem Verteilungsgegenstand um ein Gut oder eine Last handelt, wirkt sich entscheidend auf die in Frage kommenden Verteilungskriterien aus. Bei der Verteilung von Umweltlasten kann sich die Herstellung von Umweltgerechtigkeit nicht in einer gleichmäßigen Verteilung der von umweltbelastenden Tätigkeiten und Anlagen ausgehenden Emissionen in Gestalt von Luftschadstoffen, Geräuschen, Erschütterungen usw. erschöpfen. Hier muss für den Einzelfall differenziert werden, nach welchem Gerechtigkeitskriterium vorzugehen ist. Verschiedene Sachverhalte bedürfen verschiedener Prinzipien. Werden Faktoren wie Vorbelastungen und Belastbarkeit eines bestimmten Gebietes beachtet, muss nach proportionalen Gerechtigkeitsaspekten vorgegangen werden. Geht es um den Fall, dass eine Gruppe von Menschen besonders für die Erzeugung von Umweltlasten Verantwortung trägt, muss eine Möglichkeit gefunden werden, wie das Verursacherprinzip ohne ungerechte Umverteilung angewendet wird. Gerade bei der Verteilung von Umweltlasten darf jedoch nie das Nachhaltigkeitsprinzip außer Acht gelassen werden.

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(1) Verhältnismäßige

1. Kap.: Einleitung

Gleichheit

48

Umweltlasten der oben genannten Art können bei der Verbreitung in ihrem jeweiligen Einwirkungsgebiet ihre Konzentration verändern oder sich mit vorhandenen Erscheinungen überlagern und verbinden. Deshalb sind bei der räumlichen Verteilung von Umweltbelastungen die Vorbelastung und der bestehende Grad eventueller Vorschädigungen der betroffenen Gebiete zu berücksichtigen. Die örtliche Vorbelastung wird im Standortauswahlverfahren häufig von den potentiell Betroffenen gegen die Platzierung einer neuen Anlage bzw. die Erweiterung einer Altanlage vorgebracht. Zwei Argumentationen stehen dabei im Vordergrund: Zum einen sei das Gebiet bereits Standort einer oder mehrerer umweltbelastender Anlagen, weshalb ζ. B. eine Abfallbeseitigungsanlage aufgrund dieser Vorbelastung auszuschließen sei (, letzter Abruf am 5. 12. 2005; vgl. auch die Stellungnahme der Strahlenschutzkommission vom 14.2.2003, , letzter Abruf am 5. 12. 2005.

III. Probleme der Verteilungs- und Verfahrensgerechtigkeit in der Atomwirtschaft

195

ßend erforscht ist. Es sind, ζ. B. im Vergleich zu den durch den Betrieb von Abfallentsorgungsanlagen auftretenden Emissionen (näher dazu siehe unten 7. Kapitel), in geringerem Maße unmittelbar schädliche und von den Anliegern als lästig empfundene Umweltauswirkungen zu verzeichnen. Insgesamt ist aber festzuhalten, dass neben der Gefahr von Unfallschäden jedenfalls die Möglichkeit einer erhöhten Gefährdung durch den Normalbetrieb besteht. Wegen der grundsätzlichen Möglichkeit eines GAU bzw. Super-GAU 805 stellt der Betrieb entsprechender Anlagen oftmals eine lokal unerwünschte Nutzung dar. Diese durch die Erzeugung von Kernenergie notwendigerweise anfallenden Lasten müssen demnach, auch wenn ihre Reichweite und das tatsächliche Gefahrdungspotential nicht feststehen, im Wege einer Verteilungsentscheidung bestimmten Mitgliedern der Gesellschaft auferlegt werden. Hier wird demnach die Frage nach den inhaltlichen Prinzipien zur Verteilung dieser Lasten relevant. Auch wenn die mit der Kernkraft verbundenen Risiken heute als so schwerwiegend erachtet werden, dass die Regierung mit Gesetz vom 22. 04. 2002 die Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität beschlossen hat, bleiben zudem die mit der Entsorgung verbundenen Risiken bestehen. Es handelt sich um unvermeidbare Lasten für Gesundheit und Umwelt, die damit zum Gegenstand einer politischen Verteilungsentscheidung werden. In Bezug auf die Endlagerung ist noch nicht abschließend geklärt, welches Material bzw. welche Bodenbeschaffenheit die beste Eignung zur sicheren Lagerung aufweist. 806 So wurde ζ. B. die Einlagerung in das in einem stillgelegten Salzbergwerk bei Morsleben befindliche Endlager für radioaktive Abfälle der DDR wegen mangelnder Eignung und daraus folgenden Strahlengefahren stark kritisiert. 807 Der Arbeitskreis Endlager sieht die Belastungen in der Bauphase und während des Betriebes sowie die Risiken für die langfristige Entwicklungschance einer Region als Gründe für die Einordnung eines Endlagers als unerwünschte Umweltlast durch die Bevölkerung. 808

805

GAU bedeutet „größter anzunehmender Unfall". Mit Super-GAU wird der jenseits des Auslegungsstörfalls liegende atomare Unfall bezeichnet. 806 Zur Bewertung der verschiedenen Endlagerungsmethoden u. a. unter Sicherheitsaspekten s. AkEnd (FN 793), S. 11 ff. 807 Siehe z.B. Greenpeace unter , letzter Aufruf am 24. 11. 2005, wonach das Atommülllager Morsleben schon heute nicht mehr dicht von der Umwelt abgeschlossen ist. 808 Arbeitskreis Auswahlverfahren für Endlagerstandorte, Broschüre des AkEnd, 2002.

13*

196

6. Kap.: Umweltgerechtigkeit bei der Standortauswahl für Atomanlagen

IV. Anlagengenehmigungsrecht und Möglichkeiten der Berücksichtigung von Verteilungsaspekten 1. Verteilungsprinzipien bei der Standortauswahl von Atomanlagen und Zwischenlagern 411

Eine streng gleichmäßige Verteilung der Atomanlagen und Zwischenlager sowie der damit verbundenen Risiken zur Herstellung arithmetischer Gleichheit bei der Belastung der Bevölkerung ist allein wegen der begrenzten Zahl notwendiger Zwischenlager und geeigneter (da sicherer) Standorte kaum denkbar. Es gibt aber eine Reihe weiterer Verteilungskriterien, deren Einbeziehung in den Prozess der Standortauswahl denkbar ist.

412

Bei Anwendung des Kriteriums einer proportionalen Verteilung der Risiken wären beispielsweise im Rahmen der zu verteilenden Risiken weitere Umstände, wie etwa die Vorbelastung der Region und ihre Belastungskapazität zu berücksichtigen. Eine Vorbelastung wäre hier im Unterschied ζ. B. zum Abfallrecht nicht in erster Linie in den bisher bereits vorhandenen und hingenommenen ständigen Belastungen durch Luftschadstoffe, Geräusche, etc. zu sehen. Sie besteht hier vielmehr darin, dass eine bestimmte Region schon bisher durch das mit dem Anlagenbetrieb in Zusammenhang stehende Risiko belastet war. Eine zusätzliche Belastung durch Strahlenexpositionen im Normalbetrieb kommt möglicherweise hinzu, ist aber nicht abschließend wissenschaftlich erwiesen (dazu siehe oben III.2.). Man könnte im Sinne einer proportionalen Verteilung also berücksichtigen, inwiefern eine Region bereits mit den (potentiellen) Gefahren eines Atomkraftwerks belastet war und demnach von der weiteren Belastung ausgeschlossen sein soll. Bezüglich der Belastungskapazität ist zunächst davon auszugehen, dass eine potentielle Strahlenbelastung für sämtliche Gebiete problematisch wäre. Dem anthropozentrischen Konzept des Atomrechts folgend ist aber das Schutzkonzept in den Vordergrund zu stellen. 809 Danach könnten dicht besiedelte Regionen als schutzbedürftiger und damit weniger belastbar angesehen werden. Lässt man die Problematik der Eigenrechte der Natur außer Betracht, so wäre das mit dem Betrieb der Entsorgungsanlagen verbundene Restrisiko damit in erster Linie an wenig besiedelten Gebieten hinnehmbar. Eine proportionale Verteilung müsste damit einerseits berücksichtigen, inwieweit Gebiete bereits einer Belastung durch Atomanlagen ausgesetzt sind, sowie andererseits die Dichte der Besiedelung. Zumindest letztere Überlegung bei der Standortplanung begegnet allerdings schwerwiegenden ethischen Bedenken, nach denen im Bereich des Schutzes von Leben und Gesundheit eine Abwägung nach der Zahl der möglichen Opfer ausscheiden muss [näher dazu siehe unten (2)].

413

Auch das Konzept einer dezentralen Zwischenlagerung weist Probleme im Hinblick auf die Herstellung räumlicher Verteilungsgerechtigkeit auf. Zwar führt nach 809 Zur Kritik an der anthropozentrischen Ausrichtung des Atomgesetzes Bosselmann/ Schröter, Umwelt und Gerechtigkeit, 2001, S. 133.

IV. Anlagengenehmigungsrecht und Berücksichtigung von Verteilungsaspekten

197

Aussage des damaligen Bundesumweltministers Trittin der Bau dezentraler Zwischenlager zu einer gerechteren - da gleichmäßigen - Verteilung von Entsorgungslasten zwischen den Bundesländern. 810 Eine gerechte Verteilung standortnaher Zwischenlager ist allerdings eng an die gerechte Verteilung der Atomkraftwerke geknüpft. Auch hier bestanden aber bereits Defizite bei der Standortplanung. Schon bei der Genehmigung der Kraftwerke selbst war nämlich, wie zu zeigen sein wird, eine vergleichende Standortplanung und Standortbewertung unter Berücksichtigung räumlicher Verteilungsgerechtigkeit nicht möglich. Problematisch ist die Vereinbarkeit des Konzepts der standortnahen Zwischenlagerung mit der proportionalen Lastenverteilung auch unter Berücksichtigung bisheriger Belastungen. Eine erneute Belastung desjenigen Bevölkerungsteils, der bereits die Risiken des Betriebs der Kernanlagen zu tragen hatte, steht im Widerspruch zu diesem Prinzip. Möglicherweise ist diese Belastung aber aus anderen, ζ. B. unmittelbar umweltspezifischen Gründen gerechtfertigt. Hier ist zwischen der Notwendigkeit einer Herstellung räumlicher Verteilungsgerechtigkeit und damit einer Umverteilung der Belastungen einerseits und der Verringerung des Umwelt- und Gesundheitsrisikos insgesamt ζ. B. durch Vermeidung erneuter Transporte des zu entsorgenden Atommülls andererseits abzuwägen. Diese Frage nach dem Verhältnis von Entscheidungen zum Schutz der Umweltqualität zu umweltpolitischen Verteilungsentscheidungen wird in der entsprechenden politikwissenschaftlichen Forschung z.T. dahingehend beantwortet, dass eine Rechtfertigung ökologischer Ungleichheiten dann (d. h. aber auch nur dann) in Betracht käme, wenn sich infolge politischer Entscheidungen das Niveau der Umweltqualität insgesamt verbessern würde. 811 Welche Kriterien auch immer zur Entscheidung über die Frage der Herstellung 414 größtmöglicher Verteilungsgerechtigkeit der entsprechenden Umweltlasten herangezogen werden können und sollten - Grundvoraussetzung ist, dass das Genehmigungsrecht überhaupt erst einmal die Möglichkeit vergleichender Standortplanung vorsieht. Sofern dies nicht der Fall ist, kann auch eine entsprechende Abwägung unter Berücksichtigung von im Einzelfall für die Standortentscheidung relevanten Umständen nicht erfolgen. Bereits hier weist das Atomrecht jedoch, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, erhebliche Defizite auf.

2. Genehmigungspflichtige Anlagen nach §§ 5 ff. AtG a) Genehmigungspflichtige

Anlagen nach § 7 Abs. 1 AtG

Nach § 7 Abs. 1 AtG bedürfen die Errichtung, Betreibung, sonstige Innehabung 415 oder die wesentliche Änderung folgender Anlagen der atomrechtlichen Genehmigung: Anlagen zur Erzeugung von Kernbrennstoffen, Anlagen zur Bearbeitung 810 Vgl. den Artikel von Rubner, Erstes Zwischenlager bei Atomkraftwerk genehmigt, SZ v. 8. 11. 2002. su Decker, APuZ 1994, 22 (24).

198

6. Kap.: Umweltgerechtigkeit bei der Standortauswahl für Atomanlagen

oder Verarbeitung von Kernbrennstoffen, Anlagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen und Anlagen zur Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe. Die atomrechtliche Genehmigung schließt die immissionsschutzrechtliche Genehmigung ein (§ 8 Abs. 2 S. 1 AtG). In den übrigen Fällen tritt keine formelle Konzentration ein, so dass parallele Verfahren durchzuführen sind (dies gilt insbesondere für das baurechtliche Genehmigungsverfahren). 416

Bei dem ersten Anlagentypus handelt es sich um Anlagen, in der die sog. Ausgangsstoffe i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 AtG bearbeitet werden, woraus am Ende des Arbeitsprozesses Kernbrennstoffe entstehen (Urananreicherungsanlage). 812 Mit Anlagen zur Be- und Verarbeitung von Kernbrennstoffen (§ 7 Abs. 1 S. 1 2. Fall AtG) sind nur die Anlagen zur Herstellung von Brennelementen (sog. Brennelementfabriken) gemeint. 813 Bei dem dritten Anlagentypus handelt es sich um Anlagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen, d. h. letztlich zur Erzeugung elektrischer Energie. In der Bundesrepublik werden hauptsächlich Druck- und Siedewasserreaktoren betrieben. Zur Zeit sind an 14 Standorten 19 Kernkraftwerksblöcke in Betrieb. Dieser Anlagentyp ist aufgrund seiner relativ hohen Verteilungsdichte und seiner ungeklärten Risiken für die Umwelt und Gesundheit des Menschen unter dem Gesichtspunkt der Verteilungsgerechtigkeit - im Gegensatz zu den beiden erstgenannten Anlagentypen - im Prinzip von großem Interesse. Durch die Einfügung des § 7 Abs. 1 Satz 2 AtG durch das Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität vom 22. 4. 2002 wird die Genehmigung neuer Kernkraftwerke für die Zukunft verboten. Im Rahmen der Genehmigungsvoraussetzungen lassen sich möglicherweise interessante Anknüpfungspunkte für die Verwirklichung von Verteilungsgerechtigkeit finden. Außerdem spielt die Verteilung der Kernkraftwerke auch für das Problem der räumlichen Verteilung der Zwischenlager, die nunmehr standortnah errichtet werden sollen, eine wichtige Rolle. Deshalb soll an dieser Stelle trotzdem auf die Genehmigungsvoraussetzungen und die damit verbundenen Verteilungsaspekte eingegangen werden. Zudem ist anzumerken, dass die Genehmigung nach § 7 AtG Bedeutung für die während der langen Restlaufzeit von ca. 20 Jahren anfallenden wesentlichen Veränderungen an bestehenden Anlagen, für nachträgliche Auflagen seitens der Genehmigungsbehörden sowie für die Möglichkeit eines Widerrufs oder ein Rücknahme von (Teil-)Genehmigungen behält. 814

417

In diesem Rahmen finden sich im Wesentlichen zwei Anknüpfungspunkte für eine mögliche Berücksichtigung von Verteilungsaspekten. Zunächst enthält die Genehmigungsvoraussetzung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG u. a. den unbestimmten 812

Die einzige Urananreicherungsanlage in Deutschland befindet sich in Gronau. In Deutschland gibt es eine Brennelementfabrik in Lingen (seit 1979); bis zu ihrer Stilllegung im Jahr 1991 nach zwei Störfällen gab es außerdem eine weitere in Hanau (seit 1969). Vgl. auch Büdenbender/von Heinegg/Rosin (FN 789), S. 422 f. 814 Dazu Fehling, in: Schneider /Theobald (Hg.), Handbuch zum Recht der Energiewirtschaft (HB EnWR), 2003, § 7 Rn. 117. 813

IV. Anlagengenehmigungsrecht und Berücksichtigung von Verteilungsaspekten

199

Rechtsbegriff der „erforderlichen Vorsorge gegen Schäden". Darüber hinaus bietet (bzw. bot) § 7 Abs. 2 Nr. 6 AtG den entscheidenden Anknüpfungspunkt für die Berücksichtigung von Umweltauswirkungen und gibt bzw. gab die Möglichkeit, bei der Errichtung einer neuen Anlage vor allem aus Gründen der Umweltverträglichkeit gänzlich ungeeignete Standorte auszuschließen.815

b) Genehmigungspflichtige

Anlagen nach §§ 5, 6 AtG (Zwischenlager)

Bevor die ausgedienten Brennelemente entsorgt, d.h. der Wiederaufarbeitung 418 oder Endlagerung zugeführt werden können, müssen sie zwischengelagert werden. Für die Betreiber gewerblicher KKW begründet § 9a Abs. 2 S. 3 AtG nunmehr grundsätzlich die Pflicht zur Errichtung von standortnahen Zwischenlagern. Die Genehmigung richtet sich nach § 6 Abs. 3 i.V. m. Abs. 1 AtG. Grundlage für die nur befristet geltende Genehmigung von Interimslagern, die der vorübergehenden Aufnahme der bestrahlten Brennelemente dienen, ist § 6 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AtG. Ausnahmsweise kann die zuständige Behörde auf Antrag Ausnahmen von der Pflicht zur standortnahen Zwischenlagerung zulassen. Dies gilt aber nur dann, wenn der Betreiber verbindlich erklärt, dass das Kraftwerk zu einem bestimmten Zeitpunkt vor dem Ol. 07. 2005 stillgelegt wird (§ 9a Abs. 2 S. 4 u. 5 AtG). In diesem Fall bleibt der Transport in die Landessammelstellen Gorleben bzw. Ahaus für die Übergangszeit möglich. 816 Zwei wichtige zentrale Zwischenlager befinden sich derzeit in Gorleben und 419 Ahaus. Weitere Standorte für Zwischenlager sind Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern), Rosendorf (Sachsen), Jülich (Nordrhein-Westfalen), Karlsruhe (BadenWürttemberg) und Mitterteich (Bayern). Aufgrund der durch die Atomrechtsnovelle eingeführten Pflicht zur Errichtung und Nutzung von Zwischenlagern an den jeweiligen Kraftwerkstandorten wurden dem Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), der zuständigen atomrechtlichen Genehmigungsbehörde, Genehmigungsanträge nach § 6 AtG für 17 neue Zwischenlager vorgelegt. Geplant sind 11 sog. Standortzwischenlager (auch „dezentrales Zwischenlager" genannt), 817 die bis 2005 gebaut werden sollten. Daneben wurden bisher vier der fünf beantragten sog. Interimslager 818 genehmigt bzw. bereits gebaut. In den Standortzwischenlagern werden abgebrannte Brennelemente bis zur Verbringung in ein Endlager am Standort des AKWs in Transport- und Lagerbehältern aufbewahrt. Die Lagerdauer beträgt maximal 40 Jahre. In den Interimslagern werden abgebrannte Brennelemente am 815 Fehling, in: Schneider/Theobald (FN 814), § 7 Rn. 144. 816 Vgl. auch Fehling, in: Schneider/Theobald (FN 814), § 7 Rn. 206. 817 Und zwar an den Standorten Biblis, Grafenrheinfeld, Isar (Ohu), Neckarwestheim, Brokdorf, Grohnde, Krümmel, Philippsburg, Brunsbüttel, Grundremmingen, Lingen (Emsland), Unterweser. Der Antrag für den Standort Stade wurde zurückgezogen. 818 An den Standorten Biblis, Neckarwestheim, Philippsburg, Krümmel (genehmigt) und Brunsbüttel (in Bearbeitung).

200

6. Kap.: Umweltgerechtigkeit bei der Standortauswahl für Atomanlagen

Standort des AKW so lange aufbewahrt, bis ein dezentrales Standortzwischenlager zur Verfügung steht, längstens für 6 bis 8 Jahre. 819 Die Genehmigungen sollten nach Aussagen von Wolfram König, Präsident des BfS, spätestens im Jahr 2003 abgeschlossen sein. 820

3. Genehmigung von Anlagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen (§ 7 AtG) a) Übersicht über Genehmigungsverfahren und Umweltverträglichkeitsprüfung 420

Zuständig für die Genehmigungserteilung nach § 7 AtG sind die durch die Landesregierungen bestimmten obersten Landesbehörden, in aller Regel also die Landesumweltminister. 821 Die Genehmigung von Atomkraftwerken erfolgt nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 der 4. BImSchV in einem förmlichen Genehmigungsverfahren. Dies ist spezialgesetzlich in den §§7 Abs. 4, 7a Abs. 2 AtG i.V. m. der AtVfV geregelt. Sie sind zudem von Anlage 1 (Nr. 1.1) zu § 3 UVPG erfasst, weshalb ihre Errichtung und ihr Betrieb eine Umweltverträglichkeitsprüfung voraussetzt. Auch diese wird im Rahmen der AtVfV geregelt, welche dem UVP-Gesetz aufgrund der Subsidiaritätsklausel des § 4 UVPG vorgeht.

421

Das Genehmigungsverfahren beginnt mit der Beratung des Vorhabenträgers und einem Vorgespräch zwischen Vorhabenträger und Behörde bzgl. der durchzuführenden UVP (§§ 71c Abs. 2 VwVfG und § la und b AtVfV). 8 2 2 Anschließend muss ein schriftlicher Genehmigungsantrag gestellt werden (§§ 2, 3 AtVfV); es folgen die Öffentlichkeitsbeteiligung sowie die Beteiligung anderer Behörden, die von dem Vorhaben berührt sind (§§ 4 ff. AtVfV). 8 2 3 Bei UVP-pflichtigen Vorhaben findet die Behördenbeteiligung auch grenzüberschreitend statt, vgl. § 7a AtVfV. Die Genehmigung darf nur erteilt werden, wenn das Vorhaben sonstigen öffentlichrechtlichen Vorschriften nicht widerspricht (§14 AtG). Ausgenommen sind angesichts der formellen Konzentrationswirkung nach § 8 AtG allerdings die §§ 4 und 20 BImSchG, soweit es um den Schutz vor den Gefahren der Kernenergie oder der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlen geht.

422

Die im Verfahren rechtzeitig erhobenen Einwendungen hat die Behörde mit den Einwendern und den Antragstellern gem. §§ 88 ff. AtVfV in einem mündlichen 819 Siehe die Informationen des BfS zum Genehmigungsverfahren unter , letzter Aufruf am 5. 12. 2005. S20 Berliner Zeitung vom 5. 7. 2002. 821 Büdenbender/von Heinegg/Rosin (FN 789), S. 99. 822

Ausführlich zum Genehmigungsverfahren Büdenbender/von Heinegg/Rosin (FN 789), S. 99 f.; Fehling, in: Schneider/Theobald (FN 814), § 7 Rn. 64 ff. 823 Vgl. Hett, Öffentlichkeitsbeteiligung bei atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, 1994.

IV. Anlagengenehmigungsrecht und Berücksichtigung von Verteilungsaspekten

201

Erörterungstermin zu behandeln. Die atomrechtliche Genehmigungsbehörde erstellt sodann eine zusammenfassende Darstellung und Bewertung der zu erwartenden Umweltauswirkungen des Vorhabens (§ 14a AtVfV); d. h. es erfolgt eine Prüfung der Umweltverträglichkeit der nicht nuklearen Auswirkungen. 824 Dies geschieht auf der Grundlage der Antragsunterlagen, der behördlichen Stellungnahmen, der Ergebnisse der Öffentlichkeitsbeteiligung sowie ergänzender eigener Ermittlungen. Die Gesamtbewertung muss im Rahmen der Entscheidung über den Genehmigungsantrag „nach Maßgabe der hierfür geltenden Rechtsvorschriften" berücksichtigt werden (§ 14a Abs. 2 S. 4 AtVfV). Damit entscheidet letzten Endes das materielle, UVP-unabhängige Genehmigungsrecht darüber, in welchem Maße die Bewertung der Umweltauswirkungen ausschlaggebend für die Genehmigungsentscheidung ist (vgl. auch § 15 AtVfV). 8 2 5 Aufgrund der nur eingeschränkten Konzentrationswirkung (bzgl. der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung) sind grundsätzlich parallele Genehmigungsverfahren, insbesondere nach Baurecht, aber auch nach Wasser-, Forst- und Waldrecht durchzuführen.

b) Standortproblematik

im Rahmen der Raumordnung

Da eine planerisch-abwägende Prüfung von Standortalternativen im Rahmen der 423 Anlagengenehmigung nach dem AtG nicht stattfindet [dazu ausführlich siehe unten c)], ist eine Standortplanung nur im Vorfeld des Genehmigungsverfahrens entweder bei der Ausarbeitung landesrechtlicher Raumordnungspläne oder im Rahmen des Raumordnungsverfahrens vorstellbar. 826 Neben allgemeinen Vorschriften in Abschnitt 1 enthält das Raumordnungsgesetz 424 (ROG) des Bundes in Abschnitt 2 Vorgaben, die durch Landesgesetze im Wege der Landesplanung zu konkretisieren sind (Ausnahme: Berlin, Bremen, Hamburg, wo der Flächennutzungsplan die Funktion der besonderen Landesplanung übernimmt, vgl. § 8 Abs. 1 S. 2 ROG). Abschnitt 3 des ROG enthält Vorgaben für die Raumordnung im Bund, die aber aufgrund der mangelnden praktischen Relevanz vernachlässigbar sind. 827 Die Länder haben die Vorgaben des ROG in ihren Landesplanungsgesetzen umzusetzen. Die wichtigsten Instrumente der Landesregionalplanung sind jedoch die Programme (oft als Landesentwicklungsprogramm bezeichnet) und Pläne der Länder (vgl. § 8 Abs. 1 S. 1 ROG, der einen zusammenfassenden und übergeordneten Plan für jedes Land mit Ausnahme der Stadtstaaten verlangt). Die Programme enthalten eine Beschreibung der Planungsziele, während die Pläne detaillierte, insbesondere graphische Darstellungen und Festsetzungen enthalten. 824 Biidenbender/von Heinegg/Rosin (FN 789), S. 98. 825 Dazu Fehling, in: Schneider/Theobald (FN 814), § 7 Rn. 74. 826 Zu den Bindungen durch die Raumordnung ausführlich Hermes, in: Schneider/Theobald (FN 814), § 6 Rn. 51 ff., 90 ff. 827 Büdenbender/von Heinegg/Rosin (FN 789), S. 110.

202

6. Kap.: Umweltgerechtigkeit bei der Standortauswahl für Atomanlagen

425

Wichtig im Hinblick auf die Möglichkeit der Berücksichtigung von Belangen räumlicher Gerechtigkeit sind in erster Linie diese Raumordnungspläne der Länder. Problematisch ist hier jedoch die Tatsache, dass die Programme und Pläne gebietsbezogen und nicht fachspezifisch gehandhabt werden. Eine spezielle Standortvorsorge für Energieanlagen im Allgemeinen, und damit auch für Atomanlagen im Besonderen, fehlt daher. 828

426

In den Raumordnungsplänen werden die Ziele der Raumordnung festgelegt. Diese sind gemäß § 3 Nr. 2 ROG „verbindliche Vorgaben in Form von räumlich und sachlich bestimmten oder bestimmbaren, vom Träger der Landes- oder Regionalplanungen abschließend abgewogenen textlichen oder zeichnerischen Festlegungen in Raumordnungsplänen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raums". Wie oben bereits festgestellt wurde, enthalten diese Ziele zwar Ansatzpunkte für die Berücksichtigung verteilungspolitischer Aspekte, führen aber (mit Ausnahme des Bereichs des Schutzes von Luft und Klima vor Immissionen nach dem BImSchG) in der Praxis regelmäßig nicht zu einer konkreten Vorgabe räumlicher Verteilungskriterien und damit auch nicht zur Berücksichtigung von Gerechtigkeitsbelangen durch die Raumordnungspläne der Länder . 8 2 9

427

Für raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen legt § 15 ROG i.V. m. dem jeweiligen Landesplanungsgesetz zudem die Durchführung eines Raumordnungsverfahrens fest, das der Feststellung der Übereinstimmung der Maßnahme mit den Erfordernissen der Raumordnung einerseits und andererseits der Abstimmung der raumbedeutsamen Planungen untereinander dient. Solche Raumordnungsverfahren werden in der Regel für Kraftwerksvorhaben durchgeführt. 830 Das Verfahren wurde aber erst 1989 eingeführt, so dass es keine Anwendung auf die davor genehmigten Kernkraftwerke hatte. 831 Abgesehen davon kann das Verfahren zwar grundsätzlich gerade über die Abstimmungsfunktion eine Berücksichtigung einschlägiger Vorbelastungen am Standort und damit räumlicher Verteilungsfragen ermöglichen, mangels konkreter gesetzlicher Vorgaben in Bezug auf die Einbeziehung von Erwägungen zur räumlichen Verteilungsgerechtigkeit kommt dem Raumordnungsverfahren in dieser Hinsicht in der Praxis aber keine wesentliche Bedeutung zu.

c) Genehmigungsvoraussetzungen 428

und Verteilungsaspekte

Der Genehmigungstatbestand des § 7 AtG enthält sowohl personenbezogene (§7 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2 AtG) als auch anlagenbezogene Voraussetzungen (§ 7 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, 5 und 6 AtG). Zusätzliche Voraussetzung ist die Vorsorge für die 828 Büdenbender/von Heinegg/Rosin (FN 789), S. 110. 829 Zur grundsätzlichen Berücksichtigung des Aspekts der Umweltgerechtigkeit im Raumordnungsrecht siehe oben 3. Kapitel. 830 Büdenbender/von Heinegg/Rosin (FN 789), S. 111. 831 Vgl. zur früheren Situation Blümel, DVB1. 1977, 301 (306 ff.).

IV. Anlagengenehmigungsrecht und Berücksichtigung von Verteilungsaspekten

203

Erfüllung gesetzlicher Schadensersatzverpflichtungen nach § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AtG. Im Hinblick auf eine Überprüfung der Möglichkeit zur Berücksichtigung von Aspekten räumlicher Verteilungsgerechtigkeit sind allein die anlagenbezogenen Genehmigungsvoraussetzungen von Interesse. Als Genehmigungsvoraussetzung nennt § 7 Abs. 2 AtG neben der nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderlichen Vorsorge gegen Schäden durch die Errichtung und den Betrieb der Anlage (Nr. 3) und der Gewährleistung des erforderlichen Schutzes gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter (Nr. 5) insbesondere die Vereinbarkeit der Standortauswahl mit anderen öffentlichen Interessen, insbesondere im Hinblick auf die Umweltauswirkungen (Nr. 6).

aa) Schadensvorsorge i. S. d. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG In diesem Rahmen wird die Möglichkeit von Schäden durch die Errichtung oder 429 den späteren Betrieb der Anlage überprüft. Dies erfolgt entweder anhand des vorläufigen Gesamturteils über die Genehmigungsfähigkeit der Anlage, welches Voraussetzung jeder im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren erteilten Teilgenehmigung ist, oder aber im Hinblick auf einzelne Anlagenteile. 832 § 7 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AtG schützt dabei vor den durch Kernenergie oder ionisierende Strahlen entstehenden Schäden, d. h. vor nuklearspezifischen Schäden.833 Aufgrund ihrer Bedeutung für das Genehmigungsverfahren und der verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe gilt diese Voraussetzung als eine der meistdiskutierten Bestimmungen des Atomrechts. 834 Um dem „Stand von Wissenschaft und Technik" i. S. v. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG zu 430 genügen, muss diejenige Vorsorge gegen Schäden getroffen werden, die nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen für erforderlich gehalten wird. 8 3 5 Im Zweifelsfall gehen die wissenschaftlichen Kriterien dem technischen Standard vor. Lässt sich die nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen für erforderlich gehaltene Vorsorge „technisch noch nicht verwirklichen, darf die Genehmigung nicht erteilt werden; die erforderliche Vorsorge wird mithin nicht durch das technisch gegenwärtig Machbare begrenzt". 836 Die erforderliche Schadensvorsorge i. S. d. Nr. 3 verweist auf die Bereiche der Gefahrenabwehr und der Risikovorsorge. 837 832 Näher Haedrich (FN 779), § 7 Rn. 66. 833 Haedrich (FN 779), § 7 Rn. 65. 834 s. hierzu ausführlich Kloepfer (FN 779), § 15 Rn. 62 ff. 835 BVerfGE 49, 89 (137). 836 BVerfGE 49, 89 (136) unter Berufung auf BVerwG, DVB1. 1972, S. 678, 680 (Würgassen). 837 Wie das BVerwG im Wyhl-Urteil herausgestellt hat, unterscheidet sich die Schadensvorsorge von der klassischen Gefahrenabwehr vor allem dadurch, „dass auch solche Schadensmöglichkeiten in Betracht gezogen werden (müssen), die sich nur deshalb nicht ausschließen lassen, weil nach dem derzeitigen Wissensstand bestimmte Ursachenzusammen-

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6. Kap.: Umweltgerechtigkeit bei der Standortauswahl für Atomanlagen

Aufgrund der potentiellen Schadensfolgen von katastrophalem Ausmaß muss der Wahrscheinlichkeitsgrad für den Eintritt eines Schadens denkbar gering sein. Die auch dann noch vorhandene Schadensmöglichkeit stellt ein grundsätzlich hinzunehmendes sozialadäquates Restrisiko dar, dem die Bevölkerung insgesamt ausgesetzt ist. 8 3 8 Nach dem BVerfG kann ein vorstellbarer Geschehensablauf dann als nicht mehr gefährlich im Rechtssinne angesehen werden, wenn es aufgrund der getroffenen Vorsorgemaßnahmen nach dem Stand von Wissenschaft und Technik praktisch nicht vorstellbar ist, dass ein Schaden eintritt. 839 Der von § 7 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AtG verlangte praktische Ausschluss von Schäden ist damit unvermeidlich mit Wertungen verbunden, welche nach Auffassung von BVerfG und BVerwG durch die Verwaltung vorzunehmen und damit als gerichtlich nur begrenzt überprüfbarer Beurteilungsspielraum (Einschätzungsprärogative) anzusehen sind. 840 Nach dem BVerwG könne der Inhalt einer Risikoabschätzung „letztlich nur politisch verantwortet werden". 841 Das konkrete Ausmaß der Risikovorsorge und damit auch die Bestimmung des hinzunehmenden Restrisikos ergibt sich in erster Linie aus der Strahlenschutzverordnung. 842 Hierbei ist zwischen dem Normalbetrieb und außergewöhnlichen Umständen zu unterscheiden. In beiden Bereichen hat die Verwaltung u. U. die Möglichkeit zur Berücksichtigung von Erwägungen räumlicher Verteilungsgerechtigkeit im Rahmen des Genehmigungsverfahrens.

(1) Berücksichtigung 431

(radiologischer)

Vorbelastungen

Die Sicherheitsanforderungen an den bestimmungsgemäßen Betrieb {Normalbetrieb) werden durch Dosisgrenzwerte konkretisiert (s. insb. § 47 Abs. 1, 49 ff. StrlSchV). 843 Die in § 47 Abs. 1 StrlSchV fixierten Immissionsgrenzwerte gelten dabei als Höchstgrenze für den Normalbetrieb; geringere Radioaktivitätsabgaben werden als zumutbares Restrisiko verstanden. Nach § 47 Abs. 5 StrlSchV muss die hänge weder bejaht noch verneint werden können und daher insoweit noch keine Gefahr, sondern nur ein Gefahrenverdacht oder ein Besorgnispotential besteht"; vgl. BVerwGE 72, 300 (315). 838 BayVGH, DVB1. 1979, 673 (675). 839 BVerfG, NJW 1979, 359 (361 ff.); BVerfGE 49,47. 840 Sparwasser/Engel/Voßkuhle, Umweltrecht, 2003, S. 481, Rn. 124. 841 BVerwG E 106, 115 (122) (Mühlheim-Kärlich III). 842 BVerfGE 49, 89 (138); BVerwG, DVB1. 1981, 405 ff. (Stade). 843 Besondere Dosisgrenzwerte gelten allerdings für Personen, die sich innerhalb der betrieblichen und außerbetrieblichen Überwachungsbereiche aufhalten, also insbesondere für das Betriebspersonal (vgl. §§ 54 ff. StrlSchV). Für diesen Personenkreis ist durch § 12c AtG und die Verordnung zur Einrichtung eines Strahlenschutzregisters vom 3. 4. 1990 (BGBl. I S. 607) die entsprechende Bestimmungen in die Strahlenschutzverordnung und die Röntgenverordnung eingefügt hat, beim Bundesamt für Strahlenschutz ein Strahlenschutzregister eingeführt worden, in dem Daten zur Strahlenexposition zur Überwachung der Dosisgrenzwerte gesammelt werden.

IV. Anlagengenehmigungsrecht und Berücksichtigung von Verteilungsaspekten

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Behörde darauf hinwirken, dass die in § 47 Abs. 1 StrlSchV für den Normalbetrieb genannten Werte insgesamt nicht überschritten werden, sofern Ableitungen aus dem Betrieb anderer Anlagen oder früherer Tätigkeiten im Geltungsbereich der Strahlenschutzverordnung an diesen oder anderen Standorten zur Strahlenexposition an den ungünstigsten Einwirkungsstellen in der Nähe eines Anlagenstandortes (vgl. § 47 Abs. 2 S. 1 StrlSchV) beitragen. Das bedeutet, dass im Rahmen der Grenzwerte nicht nur die Emissionen der betreffenden Anlage, sondern auch die Vorbelastungen durch andere Anlagen oder Einrichtungen berücksichtigt werden müssen.844 Hier wird also insofern Gerechtigkeitsaspekten bereits durch die gesetzliche Regelung Rechnung getragen, als die Vorbelastung der Umgebung, an dem die Anlage errichtet werden soll, mit einzubeziehen ist. Es soll so einer räumlichen Konzentration von Umweltlasten in der Form radioaktiver Strahlungen vorgebeugt werden. Problematisch ist jedoch, in welchem Umfang genau Vorbelastungen bei der Be- 432 rechnung der effektiven Dosis zu berücksichtigen sind. 845 Nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl stellte sich insbesondere die Frage, inwiefern die Strahlenbelastung durch ausländische Kernkraftwerke wie auch die Strahlenbelastung durch Störoder Unfälle in die Berechnung mit einzubeziehen seien. 846 Es wird hierzu angenommen, dass weder Ableitungen aus dem Ausland noch Belastungen, die durch Störfälle oder Unfälle bedingt sind, zu berücksichtigen sind. 847 Das BVerwG hat für § 45 StrlSchV a.F. entschieden, dass bei der Anwendung der Dosisgrenzwerte zwar Ableitungen radioaktiver Stoffe aus dem Normalbetrieb anderer Anlagen, nicht jedoch Belastungen, die durch Störfälle oder Unfälle wie den TschernobylUnfall bedingt sind, mitzurechnen sind. 848 Das Gericht stützt sich dabei auf den (auch in der geltenden Fassung in § 47 Abs. 5 S. 1 StrlSchV bestehenden) Wortlaut des § 45 Abs. 1 StrlSchV a.F., der von der Belastung mit radioaktiven Stoffen durch die Ableitung aus Kernkraftwerken spricht und damit die Freisetzung beim genehmigten und störungsfreien Normalbetrieb meine. Von § 47 Abs. 5 S. 1 AtG sind daher wohl nur diejenigen Ableitungen erfasst gewesen, die durch Tätigkeiten nach §§ 7 f. und 11 f. StrlSchV bzw. §§ 6, 7, 9, 9b AtG verursacht werden. Das bedeutet einen geringeren Schutz für Bereiche an Standorten, die aufgrund eines Störfalls oder Unfalls oder aufgrund sonstiger Ableitungen aus dem Ausland vorbelastet sind. 844 Wenn also Vorbelastungen festgestellt werden, müssen sie von der Behörde vollständig in die Grenzwerte nach § 47 Abs. 1 StrlSchV eingerechnet werden. Es handelt sich folglich um Höchstwerte pro Standort, nicht pro Anlage. Vgl. BVerwG, NJW 1981, 1292 (1295); BVerwGE 61, 267; s. a. Büdenbender/von Heinegg/Rosin (FN 789), S. 481. 845 Zur prinzipiellen Notwendigkeit der Einbeziehung von Vorbelastungen BVerwGE 61, 256 (264). 846 Für die Einbeziehung derartiger Vorbelastungen VG Regensburg, NVwZ 1989, 1195 ff., dagegen OVG Lüneburg, NVwZ 1987, 75 ff.; RdE 1990, 61 f.; RdE 1990, 92 ff. w Büdenbender/von Heinegg/Rosin (FN 789), S. 469 f. 848 BVerwG, UPR 1991,440 f.

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433

6. Kap.: Umweltgerechtigkeit bei der Standortauswahl für Atomanlagen

Insgesamt gesehen enthält § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG mit der Einbeziehung von Vorbelastungen eines Standorts in die Genehmigungsentscheidung zwar einen wichtigen Anknüpfungspunkt für die Berücksichtigung von Belangen räumlicher Verteilungsgerechtigkeit. Dies gilt aber insofern nur sehr eingeschränkt, als - wie gesehen - weder Vorbelastungen aufgrund von Ableitungen aus dem Ausland, noch solche, die durch Störfälle oder Unfälle bedingt sind, mitzurechnen sind. Zudem ist natürlich auch eine Belastung durch andere, nicht-nuklearspezifische Umweltlasten für die Voraussetzung der Nr. 3 unerheblich. Im Rahmen der Voraussetzung einer ausreichenden Vorsorge gegen Schäden nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG ist damit eine Berücksichtigung von Vorbelastungen am konkreten Standort nicht hinreichend gewährleistet. Die gesetzlichen Vorgaben können daher diesbezüglich als unzureichend gelten und eröffnen auch der Verwaltung nicht die entsprechende Möglichkeit bzw. sogar Pflicht zur umfassenden Untersuchung und Einbeziehung einschlägiger Vorbelastungen im Rahmen der Anlagengenehmigung. Eine Berücksichtigung sämtlicher umweltrelevanter Vorbelastungen im Rahmen des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens wäre nur dann möglich, wenn das Gesetz die Möglichkeit einer vergleichenden Standortplanung vorsähe. 849 (2) Vorsorgeprinzip

und Bevölkerungsdichte

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Da geringfügige Radioaktivitätsabgaben im Normalbetrieb als hinzunehmendes Restrisiko angesehen werden, stellt sich die Frage, ob das Prinzip der Risikovorsorge bzw. des Vorsorgeprinzips eine Berücksichtigung der Bevölkerungsverteilung im Rahmen der Genehmigung einer Anlage gebietet.

435

Der Begriff des Risikos, der zwar in § 7 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AtG nicht ausdrücklich verwendet wird, aber eine wesentliche Rolle im Rahmen der Vorsorge spielt, umfasst zwei Komponenten: 850 erstens die „Eintrittswahrscheinlichkeit" in Bezug auf Störfallabläufe und das „potentielle Schadensausmaß" bezogen auf Schäden durch den Betrieb der Anlage bzw. durch Störfälle und zweitens die Bevölkerungsdichte in der Umgebung. Diese Bevölkerungsdichte beeinflusst das Risikopotential eines Kernkraftwerks im Normalbetrieb insofern, als das Bevölkerungsrisiko (ζ. B. in der Form des zusätzlichen Krebsrisikos) 851 mit zunehmender Bevölkerungsdichte steigt. Fraglich ist demnach, ob und inwiefern eine hinreichende Vorsorge gegen Schäden i. S. d. § 7 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AtG es gebietet, aufgrund der Annahme geringfügiger Radioaktivitätsabgaben im Normalbetrieb die Genehmigung einer Anlage von der Einwohnerdichte am Standort abhängig zu machen. 849 Die Standortbewertung findet im Rahmen des § 7 Abs. 2 S. 1 Nr. 6 AtG statt. Zur Frage, inwiefern hiervon eine vergleichende Standortbewertung erfasst ist siehe unten bb). 850 Genauer Bender, NJW 1979, 1425 ff. 851 Unter Bevölkerungsrisiko wird dabei eine zu bestimmende Wahrscheinlichkeit verstanden, mit der durch den bestimmungsgemäßen Betrieb oder durch Störfälle in der Bevölkerung die Häufigkeit von Tod, Krankheit oder Missbildungen vermehrt wird, weil radioaktive Emissionen rezessive oder akute Mutationen, späte oder akute somatische Schäden hervorrufen; vgl. Winter, NJW 1979, 393 ff.

IV. Anlagengenehmigungsrecht und Berücksichtigung von Verteilungsaspekten

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Vertreten wird hierzu u. a., dass die Anforderungen an die Herabsetzung der 436 Emissionsraten umso strenger sein müssten, je größer die Menge der Umgebungsbevölkerung wäre. 852 In diesem Sinne hat das OVG Lüneburg gefordert, dass bei der Standortwahl im Rahmen des Kriteriums radioaktiver Belastungen im Normalbetrieb auch das Bevölkerungsrisiko, für das die Einwohnerdichte in den belasteten Gebieten entscheidend sei, zu berücksichtigen sei. 853 Für Risiken unterhalb der Gefahrensch welle würde hier die Standortbewertung im Rahmen des § 7 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AtG somit an quantitative Gesichtspunkte geknüpft. 854 Solche Überlegungen müssen allerdings grundsätzlichen (auch ethischen) Bedenken begegnen.855 Wenn man von der Absolutheit der Rechtsgüter Leben und Gesundheit ausgeht, ist die Annahme eines geringeren Schadens auf Grund einer kleineren Anzahl der von den Restrisiken aus dem Normalbetrieb betroffenen Menschen problematisch. Im Bereich des Schutzes von Leben und Gesundheit kann nicht nach der Zahl der möglichen Opfer abgewogen werden. Da es kein höheres individuelles Rechtsgut als das Leben gibt, wird angenommen, dass mit dessen Bedrohung für den Gefahrenbegriff der höchste potentielle Schaden gekennzeichnet ist. 8 5 6 Auch bei Störfällen beeinflusst die Bevölkerungsdichte in der Umgebung des 437 Kraftwerks dessen Risikopotential - und zwar hinsichtlich der Betroffenen einerseits und andererseits im Hinblick auf die Durchführbarkeit von SchutzmaßnahFür außergewöhnliche, im Einzelfall zu beurteilende Umstände sieht § 58 438 StrlSchV einen erhöhten Dosisgrenzwert vor. Zu diesen außergewöhnlichen Umständen ist auch der Störfall (auch in Form des größten anzunehmenden Unfalls, sog. „ G A U " ) 8 5 8 zu zählen, der durch eine entsprechende Ausrüstung der Anlage noch als beherrschbar erscheinen muss, damit § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG erfüllt ist. Der jenseits des Auslegungsstörfalles liegende atomare Unfall (§ 3 Abs. 2 Nr. 35 852 Vgl. Winter, NJW 1979, 393 ff. 853 OVG Lüneburg, et 1979, 284, 288 f., 291; vgl. auch OVG Lüneburg, et 1978, 46 f., 50 f. 854 Degenhart, Kernenergierecht, 2. Aufl. 1982, S. 51. 855 Vgl. dazu VGH Mannheim, DVB1. 1976, 538, 544. Dazu kritisch Sellner, in: Salzwedel (Hg.), Grundzüge des Umweltrechts, S. 380. Zur Berücksichtigung der Bevölkerungsdichte bei der Risiko Vorsorge Degenhart (FN 854), S. 50 ff. m. w. N. 856 Damit könne die Möglichkeit gleichzeitiger Tötung oder Schädigung mehrerer oder vieler Menschen bis hin zu einer nationalen Katastrophe nur noch den Allgemeinschaden erweitern und damit die Gefahrenschwelle zum Zweck der Eingriffslegitimation gegenüber dem potentiellen Verursacher ermäßigen. Daraus wird z.T. gefolgert, dass der Schutzanspruch des Einzelnen durch das kumulierte Risiko einer Bevölkerung in ihrer Gesamtheit nicht verschärft wird. 857 Degenhart (FN 854), S. 50 f. 858 Nach § 3 Abs. 1 Nr. 28 StrlSchV liegt ein solcher bei einem Ereignisablauf vor, bei dessen Eintreten der Betrieb der Anlage oder die Tätigkeit aus sicherheitstechnischen Gründen nicht fortgeführt werden kann und für den die Anlage ausgelegt ist oder für den bei der Tätigkeit vorsorglich Schutzvorkehrungen vorgesehen sind.

208

6. Kap.: Umweltgerechtigkeit bei der Standortauswahl für Atomanlagen

StrlSchV, sog. „Super-GAU") kann tatsächlich nicht beherrscht werden. Er ist grundsätzlich atomrechtlich unbeachtlich im Sinne der Gefahrenabwehr, was mit der statistisch minimalen Eintrittswahrscheinlichkeit gerechtfertigt wird. Auch insoweit bleibt aber eine Risikovorsorge geboten. Die Notwendigkeit einer Risikovorsorge liegt bei Nuklearkatastrophen nationalen oder internationalen Ausmaßes auf der Hand. Da aber auch Ereignisabläufe für denkbar gehalten werden, die als Störfall gelten, aber geringere Folgen in der Form von Schäden für Gesundheit und Leben von Menschen erwarten lassen, wurden nach dem Schadensumfang gestufte Sicherheitskonzepte befürwortet. 859 Neben einer Abstufung im Hinblick auf den Sachgüterschutz, wurde insbesondere eine Differenzierung nach dem Bevölkerungsrisiko (Bevölkerungsdichte) diskutiert. Demzufolge würde ein KKW in unbebautem Gebiet nicht einen Sicherheitsstandard erfordern, der Störfälle praktisch ausschlösse.860 Andererseits müsse die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts um so geringer sein, je größer der zu erwartende Schaden wäre - d. h. bei dichter Umgebungsbevölkerung müsste die Eintrittswahrscheinlichkeit durch entsprechende Sicherheitsvorkehrungen besonders gering gehalten werden. 861 Das OVG Münster urteilt diesbezüglich: „Der Standort einer Kernenergieanlage kann das der Anlage allein innewohnende Gefährdungspotential verringern oder erhöhen [ . . . ] . Daraus ergibt sich weiter, dass sich aus dem Verhältnis zwischen Gefährdungs- und Schadenspotential auch die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtungsweise ergeben kann, wie relativ »unwahrscheinlich4 für eine Kernenergieanlage ein nicht beherrschbarer Störfall sein muss, um der gesetzlichen Anforderung der ,nach dem Stande von Wissenschaft und Technik4 erforderlichen Vorsorge gerecht zu werden." 862 439

Es wurde darüber hinaus diskutiert, inwiefern es zulässig sei, das Risiko dadurch zu mindern, dass man denjenigen unter mehreren Standorten auswählt, bei dem auf Grund einer geringeren Anzahl Betroffener der bei Risikoverwirklichung eintretende Schaden geringer ist* 63 Man mag hier ebenso wie bei der Berücksichtigung der Bevölkerungsdichte im Rahmen der Bestimmung des hinzunehmenden Restrisikos überlegen, inwiefern es auch unter Gerechtigkeitsaspekten sinnvoll ist, im Rahmen der Genehmigung einer Atomanlage darauf abzustellen, wie viele Menschen von einem eventuellen Schaden - auch geringen Ausmaßes - betroffen wären. So wurde vertreten, dass die Wahl eines - ζ. B. aufgrund hoher Bevölkerungsdichte - ungeeigneten Standorts zur Ablehnung des Genehmigungsantrags für ein Kraftwerk führen müsse. 864 Dem steht aber die Tatsache entgegen, dass das atomrechtliche Genehmigungsverfahren keine vergleichende Standortplanung er859 Vgl. Seilner, in: Salzwedel (FN 855), S. 380 m. w. N. 860 Bay VGH, DVB1. 1979, 673 (675). 861 Winter, NJW 1979, 393 ff. 862 OVG Münster, et 1975, 221, 228 r. Sp. und 229 r. Sp. 863 Degenhart (FN 854), S. 51 f. 864 Vgl. Winter, NJW 1979, 393 ff.

IV. Anlagengenehmigungsrecht und Berücksichtigung von Verteilungsaspekten

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möglicht (dazu ausführlich siehe unten bb)). Zudem stellt sich die Problematik eines unzulässigen örtlich differenzierten Grundrechtsschutzes. Dem wird zwar entgegengehalten, dass für jeden Einzelnen der betroffenen Grundrechtsträger die geschaffene Risikolage als tolerierbares Restrisiko und damit nicht als Grundrechtsbeeinträchtigung gewertet werde. 865 Insgesamt muss jedoch gelten, dass dort, wo Leben und Gesundheit von Menschen nach dem Stand von Wissenschaft und Forschung berührt sein können - und in der Bundesrepublik Deutschland ist ein Reaktorunfall in gänzlich unbewohntem Gebiet nicht denkbar - , eine Abstufung des vom BVerfG entwickelten Sicherheitsmaßstabes nicht in Frage kommt. Eine quantitative Bewertung hypothetischer Schadensfolgen, d. h. eine Risiko- 440 minimierung durch die Wahl eines Standorts in weniger dicht besiedelter Umgebung kann deshalb nur mit der erleichterten bzw. erschwerten Durchführbarkeit von Hilfs- und Katastrophenschutzmaßnahmen begründet werden. So stellt das VG Düsseldorf fest: Standpunkte in mäßig dichtbesiedelter Umgebung zu wählen, sei sachgerecht, nicht aus der Überlegung heraus, dass so Personenschäden auf wenige Menschen beschränkt bleiben, da im Bereich des Schutzes von Leben und Gesundheit nicht nach der Zahl der möglichen Opfer abgewogen werden könne; der Grund liege vielmehr „auch" in der Verhütung von Schäden durch geeignete Maßnahmen in Störfällen. 866 Ähnlich argumentieren das OVG Münster 867 und das VG Schleswig, das die Bevölkerungsdichte in der Umgebung von 20 km des KKW Geesthacht/Krümmel mit derjenigen an anderen Standorten vergleicht. 868 Dies stellt zwar einen Ansatz zur möglichst „schonenden" räumlichen Vertei- 441 lung von Umweltlasten und zu einer Abwägung verschiedener Standorte dar. Eine echte vergleichende planerische Standortbewertung ermöglicht die Vorschrift jedoch nicht. Daher können auch auf diesem Wege Gesichtspunkte räumlicher Verteilungsgerechtigkeit keine ausreichende Berücksichtigung finden. Fraglich ist, inwiefern dies durch § 7 Abs. 2 S. 1 Nr. 6 AtG, der eine Standortbewertung zur Voraussetzung einer atomrechtlichen Genehmigung macht, gewährleistet wird.

bb) Berücksichtigung überwiegender öffentlicher Interessen bei der Standortwahl (§ 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 AtG) Nach § 7 Abs. 2 S. 1 Nr. 6 AtG darf eine atomrechtliche Genehmigung nur er- 442 teilt werden, wenn überwiegende öffentliche Interessen, insbesondere im Hinblick auf die Umweltauswirkungen, der Wahl des Standorts der Anlage nicht entgegenstehen. Damit ist auch für das atomrechtliche Genehmigungsverfahren eine stand865 Vgl. VG Karlsruhe, et 1978, S. 606 (610); Degenhart (FN 854), S. 52 f.; a. A. OVG Lüneburg, et 1978,46, 51. 866 VG Düsseldorf, et 1974, 145 (149). 867 OVG Münster, et 1975, 220 (229). 868 VG Schleswig, et 1973, 321 (323). 14 Kloepfer

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6. Kap.: Umweltgerechtigkeit bei der Standortauswahl für Atomanlagen

ortbezogene Umweltverträglichkeitsprüfung vorgesehen. 869 Die im Rahmen von Nr. 6 zu berücksichtigenden Belange werden häufig durch andere Fachbehörden vertreten, wie ζ. B. der zuständigen Wasserbehörde in Bezug auf die durch den Kühlturmbetrieb bedingten Gewässerbelastungen. Im Rahmen der Nr. 6 sind deshalb Stellungnahmen darüber, ob der Anlage und ihrem Betrieb überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen, von sämtlichen anderen Behörden zu berücksichtigen, deren Zuständigkeiten berührt sind (vgl. § 7 Abs. 4 AtG). 443

Nach dem Wortlaut verlangt die Vorschrift eine besondere Prüfung der Eignung des Standorts für den Bau und den Betrieb der Anlage. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass zwischen dem Standort einer kerntechnischen Anlage und ihrer Sicherheit Wechselwirkungen bestehen. So können ζ. B. am Standort vorhandene meteorologische Faktoren zu einer unterschiedlichen Ausbreitung radioaktiver Emissionen führen. 870 Hier knüpft daher die Frage an, welche öffentlichen Interessen genau im Rahmen des § 7 Abs. 2 S. 1 Nr. 6 AtG zu berücksichtigen sind insbesondere ob nur nuklearspezifische Aspekte, oder auch bzw. gerade nicht nuklearspezifische Auswirkungen der Anlage eine Rolle spielen sollen. Der Prüfungsumfang der Behörde war lange umstritten. Teilweise wurde vertreten, dass in diesem Rahmen ausschließlich die nicht nuklearspezifischen Umweltauswirkungen Berücksichtigung finden müssen, die von den nuklearen Sicherheitserfordernissen der Nr. 1 - 5 nicht erfasst seien. Andere wollten nur nuklearspezifische öffentliche Interessen von Nr. 6 erfasst wissen. Herrschend war die vermittelnde Ansicht, wonach sich die Prüfung im Rahmen des § 7 Abs. 2 S. 1 Nr. 6 AtG auf alle durch die Standortwahl berührten öffentlichen Interessen erstreckt, mit Ausnahme der in § 7 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 - 5 AtG bereits geregelten sicherheitsrelevanten Standortfaktoren. 871 Diese Ansicht ist auch im Hinblick auf die mögliche Berücksichtigung gerechtigkeitsrelevanter Aspekte einer Standortwahl vorzugswürdig. Unter Umständen könnten hier nämlich auch Fragen einer vergleichsweise hohen Vorbelastung am betroffenen Standort u. ä. berücksichtigt werden.

444

Will man die gerechte Verteilung von den durch die Anlage zu erwartenden Umweltlasten in die Prüfung der Genehmigungsvoraussetzungen einbeziehen, so ergibt sich hieraus - da man eben von der Unvermeidbarkeit der Umweltlast und damit der verbundenen Erforderlichkeit einer distributiven Entscheidung ausgeht die Notwendigkeit eines Standortvergleichs. Von einer gerechten Standortwahl kann nur die Rede sein, wenn unter allen in Betracht kommenden Standorten derjenige ausgewählt wird, der entsprechend der relevanten Verteilungskriterien die geringsten Vorbelastungen, die besten meteorologischen und topographischen Voraussetzungen, etc. aufweist. Gerecht ist der Vorgang der Standortwahl also dann nicht, wenn keine vergleichende Suche nach dem optimalen Standort vor869 Kloepfer (FN 779), § 15 Rn. 49; Weber/Hellmann, NJW 1990, 1625 (1631). 870 Büdenbender/von Heinegg/Rosin (FN 789), S. 534. 871 Zum Streit siehe Büdenbender/von Heinegg/Rosin (FN 789), S. 534 f.; Haedrich (FN 779), § 7 Rn. 119; Lippert, Energiewirtschaftsrecht, 2002, S. 372 f., jeweils m. w. N.

IV. Anlagengenehmigungsrecht und Berücksichtigung von Verteilungsaspekten

211

genommen wird, sondern von vornherein nur ein - mehr oder weniger willkürlich ausgewählter Standort - auf seine Eignung hin überprüft wird. Fraglich ist daher, inwieweit die Voraussetzung des § 7 Abs. 2 S. 1 Nr. 6 AtG eine Handhabe für eine solche vergleichende Standortprüfung bietet. Gerade hier liegt jedoch ein vielgerügter Mangel des atomrechtlichen Genehmi- 445 gungsverfahrens. Es handelt sich bei der Genehmigung nach dem Atomgesetz um eine sog. Unternehmergenehmigung, in deren Rahmen auch der § 7 Abs. 2 S. 1 Nr. 6 AtG keine vergleichende Standortbewertung und auch keine staatliche Standortplanung für Kernkraftwerke ermöglicht. Prüfungsgegenstand ist vielmehr allein das Vorhaben des Antragstellers - nur das ganz konkrete Projekt, für das der Antragsteller den Standort selbst im Vorhinein ausgewählt hat, wird auf seine Eignung untersucht. Eine Einbeziehung von Alternativstandorten in die Prüfung ist nicht möglich. Im Rahmen der Prüfung der Voraussetzung des § 7 Abs. 2 S. 1 Nr. 6 AtG können also nur ungeeignete Standorte ausgeschlossen, nicht jedoch optimale Standorte festgelegt werden. Ein Vergleich mit eventuell in räumlicher Hinsicht besser geeigneten Standorten war der Behörde weder faktisch möglich, da sie nicht über Informationen über andere Standorte verfügte, noch wurde er für rechtlich zulässig gehalten.872 Diese mangelnde Einbeziehung planerischer Aufgaben wurde schon früh als prinzipielle Unzulänglichkeit des Genehmigungsverfahrens nach dem Atomgesetz angesehen.873 Daher wurde rechtspolitisch eine spezifische - administrative oder sogar gesetzliche - Standortplanung gefordert. 874 Dies hat sich jedoch nicht durchsetzen können, womit auch eine echte Verteilungsabwägung unter Berücksichtigung unterschiedlicher räumlicher Gegebenheiten im Rahmen des § 7 Abs. 2 S. 1 Nr. 6 AtG von vornherein ausgeschlossen war.

d) Landesrechtliche Bauvorschriften und Möglichkeiten alternativer Standortplanung Die Konzentrationswirkung des § 8 Abs. 2 AtG erstreckt sich nicht auf die ge- 446 mäß § 13 BImSchG von der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung erfassten Entscheidungen, weshalb im Rahmen der Anlagengenehmigung ein gesondertes Baugenehmigungsverfahren durchzuführen ist. Es gibt jedoch viele landesrechtliche Regelungen, die bestimmen, dass neben der atomrechtlichen Genehmigung keine baurechtliche Genehmigung mehr erforderlich ist (vgl. z. B. § 48 Abs. 3 S. 1 LBO BW; Art. 87 Abs. 1 Nr. 9 BayBauO; § 65 Abs. 1 Nr. 12 b BauO NRW). Dann gilt bezüglich der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens, dass diese eine atomrechtliche Genehmigungsvoraussetzung im Rahmen der zu prüfenden Vereinbarkeit mit „sonstigen öffentlichen Interessen" i. S. d. § 7 Abs. 2 S. 1 Nr. 6 872 y e Würzburg, et 1974, 587 (589); Wahl, DVB1. 1982, 51 (61). 873 Kloepfer (FN 779), § 15 Rn. 50 m. w. N. 874 Degenhart (FN 854), S. 123 ff. m. w. N.; Kröncke, Die Genehmigung von Kernkraftwerken, 1982, S. 111 ff. 14*

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6. Kap.: Umweltgerechtigkeit bei der Standortauswahl für Atomanlagen

AtG bildet. 875 Insgesamt erscheint eine Beeinflussung der gerechten Verteilung umweltbelastender Anlagen, und so auch von Kernkraftwerken, auf dieser Stufe des Genehmigungsverfahrens schwer möglich, da die Prüfung hier auf die örtliche Planung beschränkt ist und zudem nur das konkrete Vorhaben Gegenstand der Beurteilung ist und eine vergleichende Bewertung mit Standorten, die u. U. unter dem Aspekt der gerechten Verteilung der Umweltlasten besser geeignet wären, ausscheidet. e) Zwischenergebnis 447

Das atomrechtliche Genehmigungsrecht für Anlagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen enthält kein Instrument, das die Berücksichtigung distributiver Effekte und die Herstellung einer gerechten räumlichen Verteilung der entsprechenden Lasten ermöglicht. Insbesondere ermöglicht das Atomrecht innerhalb der sog. „Standortklausel" des § 7 Abs. 2 S. 1 Nr. 6 AtG keine Prüfung von Alternativstandorten. Auch das vorangestellte Planungsrecht muss im Hinblick auf die Berücksichtigungsmöglichkeiten von Aspekten der geographischen Umweltlastenverteilung als mangelhaft angesehen werden.

4. Genehmigung von Anlagen zur Aufbewahrung von Kernbrennstoffen nach §§ 5, 6 AtG (Zwischeniagerung) a) Verteilungsfragen 448

im Genehmigungsverfahren

Fraglich ist insbesondere, inwieweit das geltende Genehmigungsrecht für Zwischenlager die Berücksichtigung bereits vorhandener Belastungen im Rahmen des Genehmigungsverfahrens ermöglicht. Mit Abschaltung der Kernkraftwerke im Zuge des Atomausstiegs wird zwar das Risiko aus dem Normalbetrieb der Anlagen sowie das Störfallrisiko beendet. Allerdings erfolgt durch die Zwischenlagerung abgebrannter Brennelemente eine Fortsetzung der Belastung an den bisher durch die Risiken des Anlagenbetriebs betroffenen Standorten, welche unter Gerechtigkeitsaspekten problematisch ist. Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente sind sowohl nach Atomrecht als auch nach Baurecht genehmigungsbedürftig, da die Genehmigung nach § 6 Abs. 1 AtG keine Konzentrationswirkung hat. Die Genehmigungsverfahren für Standortzwischenlagern und Interimslagern entsprechen einander im Wesentlichen. Insgesamt beinhaltet das Genehmigungsverfahren drei Stufen: Das atomrechtliche und das baurechtliche Genehmigungsverfahren sowie die Umweltverträglichkeitsprüfung als unselbständiger Teil des Verfahrens. Die baurechtliche Genehmigung richtet sich nach der Landesbauordnung und ist bei der zuständigen Landesbehörde einzuholen. Die atomrechtliche Genehmigung nach § 6 AtG, für deren Erteilung nach § 23 Abs. 1 Nr. 4 AtG das Bundesamt für 875 Fehling, in: Schneider /Theobald (FN 814), § 7 Rn. 36.

IV. Anlagengenehmigungsrecht und Berücksichtigung von Verteilungsaspekten

213

Strahlenschutz zuständig ist, betrifft nur die Aufbewahrung der Brennelemente, d. h., es handelt sich um eine tätigkeitsbezogene Genehmigung. Da also die Genehmigung nach § 6 AtG keine Anlagengenehmigung ist, richtet sich die Genehmigung für die Errichtung der Anlage allein nach der Landesbauordnung. 876 Eine einheitliche atomrechtliche Errichtungs- und Betriebsgenehmigung gibt es nicht. Für die Möglichkeit der Berücksichtigung von Verteilungsaspekten im Rahmen 449 der Zwischenlagergenehmigung ergibt sich damit Folgendes: Anknüpfungspunkte für die Verteilungsfrage können sich nicht nur aus den Genehmigungsvoraussetzungen des § 6 AtG ergeben (dazu näher siehe unten c)), sondern bestehen darüber hinaus möglicherweise im Rahmen der Prüfung der landesrechtlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Baugenehmigung bzw. im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung. Es ist nach geltendem Recht hingegen keine Standortplanung im Vorfeld des atomrechtlichen Genehmigungsfahrens vorgesehen. Eine spezifische Fachplanung für die Errichtung von Zwischenlagern gibt es nicht.

b) Umweltverträglichkeitsprüfung und Möglichkeiten vergleichender Standortplanung Fraglich ist, inwiefern die Umweltverträglichkeitsprüfung eine Berücksichti- 450 gung von Gerechtigkeitsbelangen durch die Genehmigungsbehörden ermöglicht. Die UVP ist für die seit 1999 beantragten Standortzwischenlager und Interimslager durchzuführen, vgl. § 2a AtG. Als „unselbständiger Teil" des Genehmigungsverfahrens fließt die UVP in die Entscheidungen über die Genehmigungsanträge in das atom- sowie das baurechtliche Verfahren mit ein. Bei der Bewertung der möglichen Umweltauswirkungen des Vorhabens werden die möglichen Auswirkungen der Aufbewahrung der Brennelemente sowie des Baus des Lagergebäudes auf die Umwelt an den gesetzlichen Umweltanforderungen gemessen. Die Gesamtbewertung findet dann Berücksichtigung in der Genehmigungsentscheidung. Auch hier findet jedoch nur eine Bewertung des jeweils konkret beantragten Vorhabens statt. Es stellt sich damit wiederum das schon im Rahmen der Anlagengenehmigungsvoraussetzung nach § 7 Abs. 2 S. 1 Nr. 6 AtG festgestellte Problem der fehlenden Möglichkeit einer vergleichenden Standortplanung (siehe oben aa)). Ganz im Gegenteil ist die Standortwahl durch die gesetzgeberische Entscheidung für das Konzept der dezentralen und gegen eine zentrale Zwischenlagerung stark eingeschränkt; die Abwägung zwischen mehreren u. U. in Betracht kommenden Standorten tritt völlig in den Hintergrund.

876 Dazu ausführlich Büdenbender/von

Heinegg/Rosin (FN 789), S. 704 ff.

214

6. Kap.: Umweltgerechtigkeit bei der Standortauswahl für Atomanlagen

c) Möglichkeiten alternativer Standortplanung im Rahmen der atomrechtlichen Genehmigungsvoraussetzungen 450a

Rechtsgrundlage für die Genehmigung der standortnahen Zwischenlagerung bzw. Interimslagerung ist § 6 Abs. 1 AtG und nicht § 7 Abs. 1 AtG, was durch § 6 Abs. 3 S. 1 AtG klargestellt wird. 8 7 7 § 6 Abs. 2 AtG nennt die Genehmigungsvoraussetzungen, die kumulativ vorliegen müssen. Danach muss zunächst ein Bedürfnis für die Genehmigung einer weiteren Aufbewahrungsanlage bestehen. Weitere Bedingung ist die Zuverlässigkeit von Antragsteller und verantwortlichem Personal (§ 6 Abs. 2 Nr. 1 AtG). Dieser muss die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Aufbewahrung getroffen haben (§ 6 Abs. 2 Nr. 2 AtG), außerdem muss der Schutz der Anlage gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter gewährleistet sein (§6 Abs. 2 Nr. 4 AtG). Es ist zudem auf die Vorsorge im Fall von Schadensersatzverpflichtungen zu achten (§ 6 Abs. 2 Nr. 3 AtG). Liegen sämtliche Voraussetzungen vor, ist die Genehmigung zu erteilen.

451

Voraussetzung für die Erteilung der Genehmigung zur Zwischenlagerung ist also u. a., dass ein Bedürfnis für eine solche Aufbewahrung besteht. Ein solches wird dann angenommen, wenn die Aufbewahrung unter den gegebenen Umständen erforderlich, d. h. vernünftigerweise geboten ist. 8 7 8 Möglicherweise könnten hier Gerechtigkeitsbelange in der Weise zum Tragen kommen, dass ein solches Bedürfnis abzulehnen wäre, sofern andere - unter Gerechtigkeitsaspekten geeignetere Standorte - in Betracht kämen, an denen ebenfalls eine Zwischenlagerung möglich wäre. Eine solche Interpretation scheint im Rahmen des § 6 AtG jedoch ausgeschlossen. Ein Bedürfnis i. S. d. § 6 AtG wird vielmehr in bezug auf die Aufbewahrung radioaktiver Abfälle immer dann angenommen, wenn nach § 76 StrlSchV abzuliefernde radioaktive Abfälle bis zur Inbetriebnahme von Anlagen des Bundes zur Sicherstellung und Endlagerung zwischenzulagern sind und ausreichende Kapazitäten nicht gewährleistet erscheinen. Eine an Gerechtigkeitsaspekten orientierte räumliche Verteilungsentscheidung lässt sich daher im Rahmen der Bedürfnisprüfung nicht erreichen.

452

§ 6 Abs. 1 Nr. 3 AtG knüpft die Genehmigungserteilung daran, dass künftige Schadensereignisse nach dem Stand von Wissenschaft und Technik ausgeschlossen sind, d. h. an die bestmögliche Gefahrenabwehr und Risikovorsorge. Für § 6 Abs. 1 Nr. 3 AtG gelten dieselben Grundsätze wie bei § 7 Abs. 2 S. 1 Nr. 6 AtG bzgl. des Schutzmaßstabes, wobei hier das Gefahrenpotential der Aufbewahrung von Kernbrennstoffen in Behältern zu berücksichtigen ist. Es kann deshalb auch bzgl. der fehlenden Möglichkeit einer Berücksichtigung räumlicher Verteilungsaspekte auf das zu § 7 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 AtG Gesagte verwiesen werden [siehe oben 3.c)]. 877 Büdenbender/von Heinegg/Rosin (FN 789), S. 702 ff., insb. Rn. 1220 ff. Die Genehmigung von Landessammeistellen für die Zwischenlagerung radioaktiver Abfälle richtet sich hingegen nach §§ 9a Abs. 3 i.V. m. 9c AtG; vgl. a. a. O., Rn. 1229. 878 Hierzu und zum Folgenden Büdenbender/von Heinegg/Rosin (FN 789), S. 708 f.

IV. Anlagengenehmigungsrecht und Berücksichtigung von Verteilungsaspekten

215

Daneben enthält § 6 AtG insbesondere auch keine dem § 7 Abs. 2 Nr. 6 AtG 453 entsprechende Voraussetzung der Berücksichtigung öffentlicher Interessen bei der Standortauswahl Zwar ermöglicht diese Vorschrift, wie dargestellt, keine vergleichende Standortbewertung oder gar Standortplanung. Zumindest könnte die Regelung eine Berücksichtigung nuklearer Sicherheitsaspekte, d. h. insbesondere vorhandener Vorbelastungen der Bevölkerung, und damit spezifischer Standortaspekte ermöglichen. 879 Da ein dem § 7 Abs. 2 Nr. 6 AtG entsprechender Tatbestand hier jedoch fehlt, muss diese Möglichkeit ausscheiden. Auch im Übrigen enthält § 6 AtG keine Berücksichtigungsmöglichkeiten von Verteilungsaspekten.

d) Landesrechtliche Bauvorschriften und Möglichkeiten alternativer Standortplanung Der Regelungsgehalt einer Baugenehmigung für Zwischenlager ist begrenzt. So 454 darf die Behörde durch die Baugenehmigung insbesondere nicht abschließend oder für Dritte verbindlich darüber entscheiden, ob das geplante Gebäude in Bezug auf die beabsichtigte Nutzung in nuklearspezifischer Hinsicht unbedenklich ist. Die Genehmigungserteilung, d. h. auch die Entscheidung über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 35 Abs. 1 Nr. 7 BauGB, geschieht unter dem Vorbehalt der atomrechtlichen Prüfung der beabsichtigten Nutzung. Im Übrigen gilt hier bzgl. der Möglichkeit der Berücksichtigung räumlicher Verteilungsaspekte ähnliches wie für die Anlagengenehmigung nach § 7 AtG [siehe oben 3.d)]. Auch im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens ist eine Berücksichtigung gerechtigkeitsrelevanter Belange nicht mehr zu erwarten.

e) Zwischenergebnis Durch die Atomrechtsreform von 2002 ist die Umstellung auf die dezentrale 455 Zwischenlagerung erfolgt. Dies wird von vielen insofern begrüßt, als es zur Beendigung der als nicht risikolos erachteten Atomtransporte führt und damit nicht nur Umweltschutzaspekten dient, sondern auch eine Reaktion auf die starken Proteste in der Bevölkerung darstellt. Die Entscheidung für die Standortzwischenlagerung ist aber gleichzeitig eine Entscheidung für eine fortgesetzte Belastung (von bis zu vierzig Jahren) der bereits mit den Risiken der Kernkraftwerke belasteten Standorte. Gleichzeitig ist sie eine Entscheidung gegen eine u. U. aus Gründen räumlicher Verteilungsgerechtigkeit vorzugswürdige vergleichende Standortplanung im Rahmen einer spezifischen Fachplanung.

879 Zudem zu § 7 Abs. 2 Nr. 6 AtG geführten Streit vgl. Haedrich (FN 779), § 7 Rn. 119 f.

216

6. Kap.: Umweltgerechtigkeit bei der Standortauswahl für Atomanlagen

V. Umweltgerechtigkeit bei der Endlager-Standortauswahl 1. Derzeitiger Stand der Endlagerung in Deutschland 456

Ab dem Ol. 07. 2005 bildet die Endlagerung wegen des Verbots der Wiederaufarbeitung (§ 9a Abs. 1 S. 2 AtG) den einzigen Entsorgungsweg. Unter Endlagerung wird die endgültige Verbringung radioaktiver Abfälle in eine hierfür geschaffene oder vorbereitete Lagerstätte verstanden. 880 Zur Zeit befindet sich kein Endlager in Betrieb. Die ehemaligen Endlager Morsleben (Sachsen-Anhalt) und Wolfenbüttel (Salzbergwerk Asse II, Niedersachsen) sind außer Betrieb, d. h. es erfolgt keine neue Einlagerung mehr. 881 Die Planung eines neuen Endlagers befindet sich derzeit in einer Phase der Neuorientierung. Bisher waren Endlager an den Standorten Gorleben und Salzgitter (Schacht Konrad, Niedersachsen) geplant. Der Standort Gorleben wird zur Zeit jedoch aufgrund eines Moratoriums des Bundesumweltministers zunächst nicht weiter auf seine Eignung als Endlager untersucht. 882

457

Wie berichtet gehen sowohl der AkEnd als auch das BMU heute davon aus, dass in Deutschland nur ein Endlager gebaut wird. Nach Ansicht der Wissenschaftler dürfen bei der Auswahl des Endlagerstandorts keine Vorfestlegungen stattfinden, vielmehr müsse die gesamte Räche Deutschlands in das Verfahren einbezogen werden; alle Gebiete seien gleich zu behandeln.883 So müsse die Genehmigung für das bestehende Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle in Salzgitter (Schacht Konrad), dessen Inbetriebnahme durch eine Klage von Bürgern verhindert wurde (dazu siehe oben II.3.), aufgehoben werden. Auch der von den Energieversorgern bevorzugte Standort Gorleben könne dann nur als eine Alternative unter vielen betrachtet werden. 884 Ein betriebsbereites Endlager wird frühestens 2030 fertiggestellt sein; über dessen Standort kann heute noch keine abschließende Aussage getroffen werden.

880 Menzer, Privatisierung der atomaren Endlagerung, 1997, S. 6. 881 Näher Lippert (FN 871), S. 395. 882 in der Vereinbarung vom 14. 6. 2000 zwischen der Bundesregierung und Industrieunternehmen wurde bestimmt, dass die Erkundung des Salzstocks in Gorleben mindestens drei, längstens jedoch zehn Jahre unterbrochen wird (Abschn. IV Nr. 4 Abs. 1 der Vereinbarung), vgl. Lippert (FN 871), S. 395. 883 AkEnd (FN 793), S. 70. 884 Nach Ansicht vom früheren Bundesumweltminister Trittin ist Gorleben sogar „voraussichtlich als Standort verbrannt", da es bei der Entscheidung für diesen Standort an Transparenz und an Akzeptanz in der Bevölkerung gefehlt habe; vgl. Süddeutsche Zeitung vom 18. 12. 2002, S. 5. Das wird aber von vielen angesichts der fortgeschrittenen Erkundungen bezweifelt.

V. Umweltgerechtigkeit bei der Endlager-Standortauswahl

217

2. Planfeststellung insbes. von Endlagerungsanlagen gem. § 9b AtG Die Errichtung, der Betrieb und die wesentliche Änderung von Anlagen zur 458 Sicherstellung und zur Endlagerung radioaktiver Abfälle stellen insofern eine Besonderheit im Rahmen des atomrechtlichen Genehmigungsrechts dar, als sie als raumbedeutsame Vorhaben dem Anwendungsbereich der Planfeststellung unterfallen. Rechtsgrundlagen für die Errichtung und den Betrieb eines Endlagers sowie seiner wesentlichen Veränderung durch Planfeststellung sind §§ 9b Abs. 1 S. 1 i.V. m. 9a Abs. 3 S. 1, 2. HS AtG. Der Bund ist gem. § 9a Abs. 3 S. 1, 2. HS AtG zur Einrichtung von Anlagen zur Sicherstellung und zur Endlagerung radioaktiver Abfälle verpflichtet. Diese ausdrückliche Übernahme der Verantwortung für die Endlagerung durch den Bund im Bereich der Entsorgung geht auf die 4. Novelle des AtG von 1976 zurück. 885 Der Bund kann sich zur Erfüllung seiner Pflichten jedoch gem. § 9a Abs. 3 S. 2 AtG Dritter, d. h. eines Verwaltungshelfers, bedienen. Der Bund hat für den Bau von Endlagerstätten von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und die „Deutsche Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe mbH" (DBE) gegründet. Die Planfeststellung wird gem. § 24 Abs. 1 AtG i.V. m. Art. 87 c GG in Form 459 der Bundesauftragsverwaltung von weisungsabhängigen Länderbehörden ausgeführt; für das Verwaltungsverfahren sind nach Maßgabe des § 9b Abs. 5 AtG die Vorschriften des VwVfG (§§ 72-75, 77, 78 VwVfG) anzuwenden. Planfeststellungsbehörde kann nur eine durch die jeweilige Landesregierung bestimmte oberste Landesbehörde sein (§ 24 Abs. 2 AtG); Anhörungsbehörde kann hingegen jede landesrechtlich bestimmte Landesbehörde des Standortbundeslandes sein. 886

3. Grundprobleme einer gerechten Endlagerstandortauswahl Ein Mindestmaß an räumlicher Verteilungsgerechtigkeit setzt zunächst einmal 460 voraus, dass die Endlagerung des in Deutschland anfallenden Atommülls tatsächlich auch hier erfolgt und keine Verlagerung des Problems auf ausländische Staaten erfolgt. Weiterhin ist eine Lösung für die Lagerung bis jetzt angefallener radioaktiver Stoffe sofort zu finden und darf nicht auf spätere Generationen verschoben werden. Die intergenerationelle Gerechtigkeit muss zudem dadurch gewahrt werden, dass die sog. Nachsorgefreiheit gewährleistet wird, d. h., dass unzumutbare Lasten und Verpflichtungen für zukünftige Generationen vermieden werden. 887 Die Endlagerproblematik ist unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten im Übrigen 461 nur zum Teil ein Problem der gerechten räumlichen Verteilung von Umweltlasten. Sofern in der Bundesrepublik Deutschland die Entscheidung tatsächlich für das 885 Büdenbender/von Heinegg/Rosin (FN 789), S. 654 ff. 886 Steinberg/Berg/Wickel, Fachplanung, 3. Aufl. 2000, S. 78, Rn. 103. 887 AkEnd (FN 793), S. 11 f.

218

6. Kap.: Umweltgerechtigkeit bei der Standortauswahl für Atomanlagen

sog. Ein-Endlager-Konzept fallen wird, was wahrscheinlich ist, stellt sich die Frage einer gerechten Aufteilung der damit verbundenen Umweltrisiken und Lasten nicht mehr in derselben Form. Das Verfahren zur Endlagerstandortauswahl ist trotzdem unter dem Aspekt räumlicher Gerechtigkeit interessant, weil es im Vorfeld der Standortauswahl entscheidend darauf ankommt, inwiefern im Rahmen der Standortentscheidung eine grundsätzliche Gleichbehandlung aller unter geologischen Kriterien geeigneter Standorte gewährleistet wird. So betont der Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte ganz ausdrücklich die Notwendigkeit der Wahrung der „erforderlichen Gerechtigkeit" bei der Standortauswahl und versucht, entsprechende Kriterien hierfür aufzustellen. 888 462

Da der Bund derzeit keine Alternative zur Endlagerung in tiefen geologischen Formationen für die langfristig sichere Entsorgung radioaktiver Abfälle sieht, steht fest, dass es sich hierbei um eine nicht vermeidbare Umweltlast handelt, deren Anlastung an einen Bevölkerungsteil Gegenstand distributiver bzw. - sofern es tatsächlich nur zu einem Standort kommt - zumindest prozeduraler Gerechtigkeitserwägungen sein muss. Aufgrund der Tatsache, dass nur bestimmte Gesteinsformationen für eine Endlagerung in Betracht kommen, steht von vornherein nur eine begrenzte Auswahl an Standorten für die Platzierung des Endlagers zur Verfügung. Sobald die gleiche Eignung mehrerer Standorte aus naturwissenschaftlicher Sicht feststeht (diese Feststellung ist Teil der Phase II der Arbeit des Arbeitskreises Auswahlverfahren Endlagerstandorte), muss eine politische Platzierungsentscheidung getroffen werden. Da für diese Entscheidung naturwissenschaftliche Kriterien nicht mehr herangezogen werden, ist sie an anderen Kriterien auszurichten. Spätestens an dieser Stelle wird das Entscheidungsverfahren relevant: Will man das Gefühl einer ungerechten Belastung bei den Bewohnern der ausgewählten Gemeinde vermeiden, so muss es an den Grundsätzen für die Gewährleistung optimaler Verfahrensgerechtigkeit ausgerichtet werden. Im Folgenden soll es daher wesentlich auch um die Frage nach der Verfahrensgerechtigkeit und deren Beitrag zur sozialen Akzeptanz der letztlich getroffenen Verteilungsentscheidung gehen. Mit dieser Frage befasst sich auch der AkEnd, der davon ausgeht, dass die Akzeptanz der Verteilungsentscheidung durch die betroffenen Bevölkerungsteile nur durch die Beachtung bestimmter sozialer Kriterien bei der Standortsuche gewährleistet werden kann. 889 Neben der Frage, wie die geologische Beschaffenheit für ein sicheres Endlager sein muss und wie die sozialwissenschaftlichen, planungswissenschaftlichen und soziökonomischen Kriterien zur Auswahl des Standortes auszusehen haben, wurde der AkEnd ausdrücklich mit der Frage befasst, wie eine größtmögliche Akzeptanz der Platzierungsentscheidung in der Öffentlichkeit gewährleistet werden könne.

463

Dieser Ansatz dürfte nicht zuletzt zurückgehen auf Ergebnisse der (rechts-)soziologischen bzw. sozialpsychologischen Forschung zur Verfahrensgerechtigkeit. 888 AkEnd (FN 793), S. 69. 889 Vgl. hierzu AkEnd (FN 793). Dazu z. B. SZ vom 18. 12. 2002, S. 5.

V. Umweltgerechtigkeit bei der Endlager-Standortauswahl

219

Danach ist die Gerechtigkeit eines Verfahrens von erheblicher Bedeutung für die Frage, ob die am Ende des Verfahrens stehende Verteilungsentscheidung als gerecht empfunden wird. In der Literatur zur Verfahrensgerechtigkeit wurde dabei bereits auf das Interesse der Rechtswissenschaft und der Rechtsetzungslehre an empirischen Forschungen zur Verfahrensgerechtigkeit hingewiesen.890 Dabei wird die Endlagerung von Atommüll als Beispiel dafür genannt, wo sich in besonderer Weise Fragen der Verfahrensgerechtigkeit stellen. Hier bestehe wenig Raum für Equity-Forschung, aber ein großes Interesse an der sozialpsychologischen Forschung zu der Frage, ob bzw. welche kollektiven Instrumente der betroffenen Bevölkerung den größten Gewinn brächten. Diese verfahrensbezogenen Forderungen resultieren aus der Tatsache, dass es 464 sich bei der Errichtung nuklearer Endlager um ein hochsensibles gesellschaftliches Problem handelt. 891 Der Widerstand in der Bevölkerung gegen die Errichtung eines Endlagers in Wohnortnähe ist - nicht nur in Deutschland - sehr stark. Dieser Widerstand wird als wesentliche Ursache dafür angesehen, dass bislang weltweit kein einziges Endlager in Betrieb genommen worden ist. 8 9 2 Die starken Proteste in Deutschland sind ein Grund für die Entscheidung der damaligen Bundesregierung für die Einrichtung des AkEnd und damit für die Schaffung eines Diskussionsforums zur Endlagerung, welches eine stärkere Beteiligung der Bevölkerung an dem Verfahren der Standortsuche ermöglichen soll. Es ist allerdings fraglich, inwieweit dies zu einer erhöhten Akzeptanz der bei der Endlagerung nicht auszuschließenden Umwelt- und Gesundheitsrisiken führen kann. In Deutschland scheint eine solche Akzeptanz selbst unter der Voraussetzung von Kompensationen sehr schwer erreichbar. Es ist unwahrscheinlich, dass hier eine Gemeinde der Errichtung eines Endlagers freiwillig zustimmen wird. Anders in Schweden: Dort wurden zuletzt zwei Standorte für ein Endlager verglichen, die sich freiwillig gemeldet hatten. Die Städte Oskarsham und Forsmark leben ohnehin von der Atomwirtschaft. Auch in Finnland haben die Einwohner dem Bau eines Endlagers am Standort Olkiluoto zugestimmt. Zwar hatte sich hier die Gemeinde nicht freiwillig gemeldet, gab aber nach der Zahlung von sieben Millionen Euro sowie dem Bau eines Altenheimes ihre Zustimmung. 893 Insgesamt zeigt sich im Rahmen der Diskussion um die Endlagerstandortaus- 465 wähl ebenso wie in anderen Bereichen, dass dort, wo eine Festlegung materieller Gerechtigkeitskriterien bzw. eine Einigung hierüber nicht möglich ist, der Schwerpunkt auf die Ausgestaltung des Verfahrens gelegt wird. Wenn die Verständigung über allgemeine Kriterien für die räumlich gerechte Platzierung einer umweltbelas890 Vgl. hierzu und zum Folgenden Richli, in: Bierbrauer/Gottwald/Birnbreier-Stahlberger (Hg.), Verfahrensgerechtigkeit, 1995, S. 41 (47 f.). 891 Richli, in: Bierbrauer/Gottwald/Birnbreier-Stahlberger (FN 890), S. 41 (47 f.). 892

Unter anderem ist allerdings geplant, ein Endlager in Yucca Mountain/Nevada, USA, das hochradioaktiven Müll aus 131 Atomkraftwerken aufnehmen soll, trotz anhaltenden Widerstandes bis 2010 in Betrieb zu nehmen. S93 Berliner Zeitung vom 13. 11. 2002.

220

6. Kap.: Umweltgerechtigkeit bei der Standortauswahl für Atomanlagen

tenden Anlage nicht erreicht werden kann oder derartige Kriterien vernachlässigt werden, so bleibt zumindest die Möglichkeit zur Herstellung subjektiver Gerechtigkeit durch die Ausgestaltung des Verfahrens, das zur Auswahl eines Standortes angewendet wird. Es bleibt festzuhalten, dass die Berücksichtigung von räumlichen und sozialen Belangen und dabei die Herausarbeitung und Anwendung von Kriterien der distributiven Gerechtigkeit bei der Planung eines Standorts für umweltbelastende Anlagen zwar eigentlich Vorrang im Rahmen der umweltpolitischen Verteilungsentscheidungen bzgl. unvermeidbarer Umweltlasten genießen müssen. Sofern dies aufgrund der Problematik einer Einigung auf die Kriterien zur Herstellung gerechter Umweltlastenverteilung nicht möglich ist, bleibt als Mindestanforderung an eine gerechte Verteilungsentscheidung die entsprechende Verfahrensausgestaltung mit umfassender Information der Bevölkerung und der Möglichkeit der Einflussnahme auf die Entscheidung. Neben dem Gesichtspunkt der Gewährleistung größtmöglicher Verfahrensgerechtigkeit ist die Frage finanzieller o. a. Kompensationen für die betroffene Standortregion ein zentraler Problemaspekt im Rahmen der Gewährleistung einer gerechten Endlagerstandortauswahl. Da ein gerechtes Verfahren zwar eine notwendige, jedoch keine hinreichende Bedingung dafür darstellt, dass die Bevölkerung die Belastung mit einer umweit- und gesundheitsgefährdenden Anlage als gerechte Entscheidung akzeptiert, bleibt also auch die Frage nach der Herstellung distributiver Gerechtigkeit relevant, welche angesichts der Beschränkung auf einen Standort nicht im Sinne einer gleichmäßigen Verteilung der Umweltlasten gewährleistet werden kann, sondern im Wege einer Kompensation erreicht werden muss.

4. Verteilungs- und Verfahrensgerechtigkeit bei der Standortauswahl a) Reform des Verfahrens

zur Standortsuche

466

Bei seiner Aufgabe der Einrichtung von Anlagen zur Endlagerung radioaktiver Abfälle nach § 9a Abs. 3 AtG lässt sich das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit seit Februar 1999 vom Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte (AkEnd) beraten, und zwar insbesondere hinsichtlich der Frage, wie die Standortauswahl ausgestaltet werden kann, so dass nicht nur eine sichere Endlagerung gewährleistet wird, sondern gleichzeitig eine weitgehende Akzeptanz in der Öffentlichkeit erreicht wird.

467

Eine Besonderheit des neuen Auswahlverfahrens, das der AkEnd erarbeitet hat, ist die weit reichende Öffentlichkeitsbeteiligung. Bereits die erste Phase des Auswahlverfahrens, die in der Entwicklung des später anzuwendenden Auswahlverfahrens durch den AkEnd besteht und mit Vorlage des Abschlussberichts zur Endlagerstandortsuche beendet wurde, war dementsprechend gekennzeichnet durch eine vom AkEnd durchgefühlte Diskussionen und breit angelegte Information der Fachöffentlichkeit und sonstigen interessierten Öffentlichkeit. Auch in Phase II des

V. Umweltgerechtigkeit bei der Endlager-Standortauswahl

221

Auswahlverfahrens, das der politischen und rechtlichen Verankerung des Auswahlverfahrens, d. h. der Verfahrensfestlegung dient, wird die Herstellung eines breiten gesellschaftlichen Konsenses über das weitere Vorgehen bei der Standortauswahl für wesentlich erachtet. Der Abschlussbericht des AkEnd sieht diesbezüglich vor, dass die vom AkEnd entwickelten Kriterien und Verfahrensvorschläge in der Fachöffentlichkeit und mit Akteuren u. a. aus UmWeltorganisationen, Energiewirtschaft, Behörden und Politik „in einem Rahmen erörtert wird, der Kriterien fachlicher, gesellschaftlicher und politischer Repräsentativität und Legitimität" genügt. 894 Es soll so ein „faires, gerechtes und effizientes Verfahren mit Beteiligung relevanter Interessengruppen und der interessierten Öffentlichkeit" festgelegt werden. 895 Die dritte Phase besteht in der Anwendung des in diesem Prozedere gefundenen Auswahlverfahrens und endet mit der Entscheidung für denjenigen Endlagerstandort, für welchen das eigentliche atomrechtliche Genehmigungsverfahren durchgeführt werden soll. Im Rahmen dieser Phase sollen geeignete Standorte durch geowissenschaftliche Ausschlusskriterien gefunden und gegeneinander abgewogen werden, die Bereitschaft der Bevölkerung ermittelt sowie über- und untertägige Erkundungen der Standorte durchgeführt werden. Der AkEnd betritt mit der Idee der Partizipation der Bevölkerung bereits im Stadium der Festlegung des Auswahlverfahrens Neuland auch in internationaler Hinsicht, da bisher - wenn überhaupt - eine Beteiligung erst bei der Prüfung eines geeigneten Standortes stattfand. 896 Der AkEnd empfiehlt hierzu, zunächst mindestens drei, besser fünf Standort- 468 regionen für die Durchführung übertägiger Untersuchungen auszuwählen.897 Nach einer hinreichenden Information aller Verfahrensbeteiligten mittels einer Informationsplattform soll eine Abstimmung der Bevölkerung der Standortregion darüber erfolgen, ob die übertägigen Standortuntersuchungen zugelassen werden sollen. 898 Die Beteiligungsbereitschaft der Bevölkerung soll dabei verfahrensleitend sein, d. h. es soll eine Region gefunden werden, deren Bevölkerung sich als Standortregion versteht und sich deshalb freiwillig zur Hinnahme von Untersuchungen auf ihrem Gebiet bereit erklärt. Die einmal erklärte Beteiligungsbereitschaft soll im Verlauf der übertägigen Erkundung wieder zurückgezogen werden können. In Regionen, die Beteiligungsbereitschaft zeigen, sollen mittels sozioökonomischer Potenzialanalysen der Regionen die möglichen positiven und negativen Auswirkungen eines Endlagers auf die sozialen und ökonomischen Verhältnisse und die langfristigen Entwicklungschancen der Standortregionen ermittelt werden. Zusätzlich sollen regionale Entwicklungskonzepte für die betreffende Region unter Be894 AkEnd (FN 793), S. 63 f. 895 AkEnd (FN 793), S. 233 f. 896 AkEnd (FN 793), S. 233. 897 Zum Folgenden AkEnd (FN 793), S. 73 ff. 898 Die Beteiligung der Öffentlichkeit soll neben der Information u. a. auch durch Einrichtung eines Kontrollgremiums erfolgen, das auf die regelkonforme Umsetzung des Verfahrens achtet.

222

6. Kap.: Umweltgerechtigkeit bei der Standortauswahl für Atomanlagen

teiligung der Bevölkerung erarbeitet werden. Sofern mindestens drei Standortregionen ihre Beteiligungsbereitschaft erklärt haben (bei weniger als dreien soll das Verfahren vorerst ausgesetzt werden), soll die genaue räumliche Festlegung der potenziellen Endlagerstandorte innerhalb jeder dieser Standortregionen im Rahmen eines Abwägungsprozesses erfolgen. Hier würden vorrangig planungswissenschaftliche, daneben auch wiederum sozioökonomische und bergbauliche Abwägungskriterien eine Rolle spielen. Anschließend soll eine untertägige Erkundung mindestens zweier Standorte erfolgen, von denen dann derjenige ausgewählt wird, der den geologischen und sozialwissenschaftlichen Kriterien am ehesten entspricht. 469

Im Anschluss an die in dieser Phase gefundene Entscheidung für einen Endlagerstandort erfolgt das Genehmigungsverfahren nach § 9b AtG in der Form eines Planfeststellungsverfahrens. Aus der Sicht des AkEnd ist es jedoch wichtig, die Vorstellungen der Genehmigungsbehörde in Bezug auf die technischen und wissenschaftlichen Aspekte von Anfang an in das Standortauswahlverfahren zu integrieren und den fachlichen Dialog zwischen Verfahrensbetreiber und Genehmigungsbehörde zu ermöglichen. Hierzu wird die frühzeitige Einbeziehung der Genehmigungsbehörde schon in die Phase 3 des Aus wähl Verfahrens empfohlen. 899

b) Kriterien

der Gebietsauswahl

470

Sofern das dem BMU vorgeschlagene Verfahren tatsächlich übernommen werden sollte, wird die Endlagerstandortwahl insofern eine Besonderheit darstellen, als eine echte vergleichende Standortwahl angestrebt wird. 9 0 0 Der AkEnd selbst stellt die Notwendigkeit fest, im Auswahlverfahren an geeigneter Stelle Standortalternativen vergleichend zu bewerten. Eine Abwägung zwischen den verschiedenen Standorten sei im Sinne der Rechtssicherheit wie zur Wahrung der erforderlichen Gerechtigkeit notwendig. 901 Dabei werden neben geowissenschaftlichen Kriterien auch sozialwissenschaftliche, insbesondere planungswissenschaftliche und sozioökonomische Kriterien vorgeschlagen. Vorrang vor allen weiteren Bewertungskriterien soll aber die langfristige und größtmögliche Sicherheit haben.

471

Die vom AkEnd erarbeiteten und in seiner Ende 2002 fertiggestellten Studie veröffentlichten geowissenschaftlichen Kriterien gehen ζ. T. über das bisher Geforderte hinaus. So müsse das Endlager in mindestens 300 und höchstens 1500 Metern Tiefe liegen. Die Gegend müsse eine sichere Lagerung für eine Million Jahre ermög899 AkEnd (FN 793), S. 208. 900 Es werden allerdings starke Zweifel daran geäußert, ob und inwieweit die Ergebnisse des AkEnd tatsächlich im Rahmen der politischen Entscheidung Berücksichtigung finden. So wird beispielsweise von Greenpeace-Seiten geäußert, der AkEnd erfülle nur eine „Feigenblattfunktion"; vgl. Edler, Atommüllendlager, unter , letzter Aufruf am 12. 5. 2004. 90AkEnd (FN 793), S. 9.

V. Umweltgerechtigkeit bei der Endlager-Standortauswahl

223

liehen, und es müsse gewährleistet sein, dass die Abfälle nicht an die Oberfläche zurückgeholt werden können, damit jeglicher Missbrauch ausgeschlossen sei. 9 0 2 Interessant für die Frage nach der sozial und räumlichen Gerechtigkeit der Ver- 472 teilungsentscheidung bzw. der entsprechenden Verfahrensausgestaltung ist aber in erster Linie die daneben geplante Berücksichtigung sozialwissenschaftlicher Kriterien. Da für diesen Bereich keine spezifischen sozialwissenschaftlichen Daten existieren, hat der AkEnd einerseits Umfragen zur Einstellung der Bevölkerung zu Fragen der Partizipation, dem Regionsbezug und der Endlagerung und Studien zur Öffentlichkeitsbeteiligung und zur Regionalentwicklung in Auftrag gegeben und andererseits Erfahrungen zur Entwicklung von Beteiligungsmodellen bei Altlasten, Abfalldeponien und sonstigen Großprojekten ausgewertet. Zwei Ziele werden mit der Heranziehung sozialwissenschaftlicher Kriterien verfolgt: Zum einen soll sichergestellt werden, dass durch ein Endlager die Entwicklungspotenziale einer Region möglichst positiv beeinflusst werden und zum anderen soll die Bereitschaft der Bevölkerung, sich bei der Suche nach der Eignung eines Standortes für ein Endlager zu beteiligen, hoch sein. 903 Dabei werden jeweils zwei Kriteriengruppen für jede dieser beiden sozialwissenschaftlichen Anforderungen aufgestellt. So werden die Entwicklungspotenziale einer Region erstens mit Hilfe planungs- 473 wissenschaftlicher und zweitens mittels sozioökonomischer Kriterien bestimmt. Die Einbeziehung planungswissenschaftlicher Kriterien bedeutet, dass eine Orientierung daran stattfinden soll, welche Gebiete gesetzlich als besonders schutzwürdig angesehen oder für eine bestimmte Nutzung vorgesehen sind. So sollen etwa Natur- und Landschaftsschutzgebiete, Wasserschutzgebiete o. ä. als entweder gar nicht oder weniger geeignet für einen Endlagerstandort eingestuft werden. 904 Die sozioökonomischen Kriterien beziehen sich nicht auf eine Berücksichtigung rechtlicher Unterschutzstellungen, sondern auf die kulturellen, sozialen, ökonomischen und natürlichen Entwicklungspotenziale einer Region. Ihre Anwendung soll gewährleisten, dass die langfristige Entwicklung einer Standortregion durch die Platzierungsentscheidung keinen Schaden nimmt. Es geht einmal um die Erforschung regionalspezifischer Besonderheiten (z. B. die Konsequenzen eines Endlagerbaus für spezielle Wirtschaftsbranchen einer Region, wie etwa den Tourismus) und einmal um Folgen, die alle Regionen gleichermaßen betreffen (z. B. für den Wohnungsmarkt). Die gutachterliche Bewertung des Entwicklungspotenzials einer Region soll mittels qualitativer und, soweit möglich, auch quantitativer Faktoren erfolgen und gewährleisten, dass die Entwicklung und Lebensqualität einer Region durch ein potenzielles Endlager möglichst positiv, keinesfalls aber negativ beeinflusst werden. Standardisierte Entwicklungspotenziale sind u. a.: in Bezug auf den Arbeitsmarkt die erwartete Entwicklung der Arbeitslosigkeit, der erwartete 902 Näher AkEnd (FN 793), S. 11 ff. und 83 ff.; vgl. dazu Berliner Zeitung vom 21. 10.

2002.

903 AkEnd (FN 793), S. 189 ff. 904 Näher AkEnd (FN 793), S. 192 ff.

224

6. Kap.: Umweltgerechtigkeit bei der Standortauswahl für Atomanlagen

Wanderungssaldo und die erwartete Kaufkraftentwicklung; in Bezug auf die Investitionen die erwartete Entwicklung der Investitionen und die erwartete Strukturstärkung oder -Schwächung durch die Entwicklung wichtiger Branchen; in Bezug auf den Wohnungsmarkt die erwartete Belegung der Wohnungen und die erwartete Entwicklung der Baulandpreise bzw. Pachtpreise. 474

Daneben stellt die hohe Beteiligungsbereitschaft der betroffenen Bevölkerung nach dem AkEnd eine sozialwissenschaftliche Voraussetzung für die sachgerechte Standortauswahl dar. Die Bereitschaft zur Beteiligung an dem Standortauswahlverfahren soll ein entscheidendes Auswahlkriterium darstellen. Sie soll anhand einer Abstimmung der Bevölkerung einerseits und eines Beschlusses der Gemeinderäte andererseits festgestellt werden. Die Entscheidung des AkEnd für das Konzept der Beteiligungsbereitschaft knüpft an die Vorgehensweise in Schweden und Finnland an, wo das Prinzip der freiwilligen Bewerbung von Regionen ein wesentliches Element der Standortsuche darstellt. Sofern sich in keiner potenziellen Standortregion die Bevölkerung zur Beteiligung an den einzelnen Verfahrensschritten bereit erklärt, hält der AkEnd eine Abstimmung des Bundestages über das weitere Vorgehen für notwendig, wobei aber die grundsätzliche Vorgehensweise im Auswahlverfahren beibehalten werden solle. 905

c) Procedural Justice-Forschung und Konsequenzen für die Ausgestaltung des Verfahrens zur Standortauswahl 475

Einleitend wurde die Wichtigkeit nicht nur der Durchführung eines als gerecht empfundenen Verfahrens, sondern auch der Beteiligung bereits an der Ausgestaltung des Verfahrens für die spätere Akzeptanz der Verteilungsentscheidung dargestellt. Durch die Teilnahme an der Verfahrensgestaltung lassen sich die Betroffenen darauf ein und wirken im Verfahren mit. Dies trägt zur Akzeptanz des Ergebnisses bei und führt dazu, dass die Entscheidung eher als legitim bzw. gerecht empfunden wird (siehe oben 1. Kapitel III.2.). In aller Regel ist eine Beteiligung bereits an der Verfahrensausgestaltung nicht durchführbar, da die umweltrechtlichen Genehmigungsverfahren gesetzlich festgeschrieben sind. Das Verfahren zur Endlagerstandortauswahl stellt insoweit jedoch eine Besonderheit dar. Hier befindet man sich zur Zeit erst in dem Stadium der Entwicklung eines geeigneten Verfahrens, nach dem die spätere Endlagerstandortauswahl dann erfolgen soll; erst im Anschluss daran soll für das in diesem Vorgang gefundene Vorhaben das atomrechtliche Genehmigungsverfahren durchgeführt werden. Sofern die Verfahrensbeteiligten eine Rolle einnehmen und sich auf ein Verfahren einlassen, welches sie als gerecht empfinden, würde das Ergebnis - d. h. hier die endgültige Entscheidung über die Platzierung des Endlagers - eher auf Akzeptanz bei den Betroffenen stoßen. Damit erhalten die konkreten Voraussetzungen dafür Relevanz, ob ein Verfahren von den Beteiligten als gerecht empfunden wird. Die geltenden und in Vor905 AkEnd (FN 793), S. 191.

V. Umweltgerechtigkeit bei der Endlager-Standortauswahl

225

bereitung befindlichen Verfahrensregelungen zur Auswahl eines Endlagerstandortes für Atommüll berücksichtigen diese Kriterien in hohem Maße. Eine wesentliche Voraussetzung für ein faires Verfahren wird von der Procedural 476 Justice-Forschung zunächst in der Unparteilichkeit bzw. Unvoreingenommenheit der am Verfahren entscheidend beteiligten Personen gesehen. Dem will der AkEnd dadurch Rechnung tragen, dass er tendenziell ein sehr breit gefächeltes und viele gesellschaftliche und politische Gruppen und Institutionen umfassendes Beteiligungsgremium entwickelt, das in einer an die jeweilige Phase der Standortsuche angepassten Form zur Stellungnahme oder Entscheidung befugt ist. Im späteren Verfahrensverlauf, d. h. bei der Durchführung des Auswahlverfahrens, soll ein neutrales Kontrollgremium eingerichtet werden, das darauf achtet, dass das in den Phasen 1 und 2 ausgearbeitete Verfahren regelkonform umgesetzt wird und die Ergebnisse der einzelnen Verfahrensschritte überprüft und bewertet. Wesentlich ist nach Ansicht des AkEnd dabei, dass die Mitglieder des Gremiums, die sich durch wissenschaftliche Kompetenz und hohes Ansehen in der Öffentlichkeit auszeichnen sollen, von einer neutralen wissenschaftlichen oder technischen Institution berufen werden. Anschließend soll eine Ernennung durch die Bundesregierung erfolgen. 906 Sehr viel Wert wird zudem auf das gelegt, was in der Forschung zur Verfahrens- 477 gerechtigkeit als Genauigkeitsregel bezeichnet wird [siehe oben 1. Kapitel III.2.a)]. Danach wird ein Verfahren von den Beteiligten dann als gerecht angesehen, wenn die zugrundeliegenden Informationen optimal sind und eine größtmögliche Transparenz , ζ. B. bzgl. der zugrundegelegten Bewertungskriterien, gewährleistet ist. Der Abschlussbericht misst diesem Kriterium große Bedeutung bei und verweist an mehreren Stellen auf die Wichtigkeit einer genauen Information und Aufklärung aller Beteiligten. Neben dem Vorrang der Sicherheit, der Beteiligung der Bevölkerung in allen Verfahrensschritten und der Einbindung des Endlagers in die Regionalentwicklung ist die Transparenz ein leitendes Prinzip für die Entwicklung des Verfahrens. Dies bedeutet, dass alle Informationen von Beginn an für alle Betroffenen zugänglich sein müssen, die Kriterien und jeder Verfahrensschritt vor ihrer Umsetzung bekannt sein müssen und Änderungen rechtzeitig kommuniziert werden müssen.907 Das Auswahlverfahren müsse also nicht nur die fachlichen Rahmenbedingungen erfüllen, sondern es müssten vorab grundsätzliche Festlegungen bzw. Regelungen für die Bewertung der Untersuchungsbefunde gefunden werden - anders könnten die Entscheidungen nicht wirklich von der betroffenen fachlichen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit nachvollzogen werden. Es müsse vorab feststehen, welche geowissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Kriterien genau Anwendung fänden, wie sie gewichtet würden und welcher methodische Ansatz für die vergleichende Bewertung von Gebieten, Regionen und Standorten gewählt würde. Der AkEnd sieht die Gefahr, dass ohne eine Festlegung definitiver Regeln vor der Durchführung des Standortauswahlverfahrens unaus906 AkEnd (FN 793), S. 207. 907 AkEnd (FN 793), S. 1, 54 ff., 214. 15 Kloepfer

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6. Kap.: Umweltgerechtigkeit bei der Standortauswahl für Atomanlagen

weichlich Zweifel in der Bevölkerung an der objektiven Durchführung des Verfahrens entstehen würden. Entsprechend dem genauen Informationsbedarf müssten dabei die zur Durchführung des jeweiligen Verfahrens- und Bewertungsschrittes noch notwendigen Untersuchungen vorgenommen werden. 908 Zur Gewährleistung der umfassenden Information aller Beteiligten und Kontrolle des Verfahrensablaufs sollen eine Informationsplattform für alle Verfahrensbeteiligten und ein Kontrollgremium, das auf die regelkonforme Umsetzung des Verfahrens achtet, eingerichtet werden. 909 478

479

Damit ist auch ein weiteres Kriterium angesprochen, nämlich das der Korrigierbarkeit und Kontrolle bzw. der Gewährleistung von Berufungsmöglichkeiten einem Verfahren. Dem soll im Verfahren zur Endlagerstandortauswahl wie gesehen u. a. durch die Einrichtung des Kontrollgremiums, das sich aus unabhängigen Experten und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zusammensetzt, Rechnung getragen werden. 910 Dieses Gremium verfolgt die Arbeit des Verfahrensbetreibers und soll auf die regelkonforme Umsetzung des Auswahlverfahrens achten. Da es die Ergebnisse der einzelnen Verfahrensschritte prüft und bewertet, hat es Einsicht in sämtliche Unterlagen. Besonders angesichts der Tatsache, dass das gesamte Vorhaben einen Zeitraum von 30 Jahren umfasst und Änderungen der gesellschaftlichen und technologischen Rahmenbedingungen somit zu erwarten seien, sei es ratsam, das Verfahren offen für Korrekturen zu halten. Dazu sei eine Kontrolle jedes Schrittes und eine rechtzeitige Rückkopplung der Ergebnisse unerlässlich. 911 Als weiteres Element der Korrigierbarkeit soll bis zum Ende der Phase I I des Auswahlverfahrens, d. h. der Phase der Verfahrensfestlegung, eine Evaluierung des vom AkEnd vorgeschlagenen Verfahrensablaufs durch eine internationale Expertengruppe, ζ. B. der OECD, stattfinden, damit abgesichert wird, dass die Vorschläge die international etablierten Anforderungen erfüllen. Einen starken Akzent legt der AkEnd zudem auf die Einhaltung des Gedankens einer hinreichenden Repräsentativität der betroffenen Gruppen. Danach sollen die Interessen und Meinungen aller betroffenen Gruppen in allen Verfahrensstadien gehört werden. 912 Dem soll das vom AkEnd entwickelte stark ausdifferenzierte System der Öffentlichkeitsbeteiligung dienen. 913 Dabei wird Beteiligung nicht mehr nur im Sinne von Information und Gewährleistung von Einspruchsmöglichkeiten verstanden, sondern soll zu einer kooperativen Gestaltung und Konfliktlösung durch eine an Mediationsverfahren u. ä. Mechanismen angelehnte neue Be908 AkEnd (FN 793), S. 67 ff. u. 233. 909 AkEnd (FN 793), S. 73. 910 Hierzu AkEnd (FN 793), S. 207 ff. 911 AkEnd (FN 793), S. 61 f. 912 Bei Thibaut und Walker wird dies als „Process Control" bezeichnet [siehe oben 1. Kapitel III.2.a)]. 913 AkEnd (FN 793), insb. S. 54 ff. sowie zu den verschiedenen Formen der Beteiligung im Laufe des Verfahrens S. 77 und 209 ff.

in

V. Umweltgerechtigkeit bei der Endlager-Standortauswahl

227

teiligungsform führen. Für alle Verfahrensschritte sind verschiedene Formen der Bürgerbeteiligung vorgesehen, wie ζ. B. die Einrichtung eines Bürgerforums oder die Übertragung der abschließenden Entscheidungsmöglichkeit an den Gemeinderat bzw. die Gemeindevertreter mit anschließendem orientierten Votum der Bevölkerung und Gemeinderäte am Standort am Ende der Verfahrensdurchführung. Während der Verfahrensdurchführung (Phase III) soll eine Abfragung der Beteiligungsbereitschaft der Bevölkerung, d. h. das Interesse der Anwohner, sich an einer übertägigen Erkundung zu beteiligen und damit die Einschätzung als Standortregion zu akzeptieren, erfolgen. 914 Die Informationen bzgl. des abschließenden Votums sollen dann dem Deutschen Bundestag zur Orientierung bei seiner abschließenden Standortentscheidung dienen. 915 Damit wird deutlich, dass die Empfehlungen des AkEnd an das Bundesumwelt- 480 ministerium in weiten Teilen an die Kriterien einer gerechten Verfahrensausgestaltung anknüpfen und diesen Rechnung zu tragen versuchen. Mit dem Abstellen auf „Repräsentativität, Glaubwürdigkeit, Fairness, Kompetenz und Transparenz" 916 als wesentliche Verfahrensanforderungen finden die von der rechtssoziologischen und sozialpsychologischen Forschung entwickelten Grundsätze der Verfahrensgerechtigkeit Eingang in das Verfahren zur Endlagerstandortauswahl.

d) Zwischenergebnis Sofern das Auswahlverfahren tatsächlich den ehrgeizigen Zielen und Grund- 481 sätzen entsprechen wird, die der AkEnd in seinem Abschlussbericht formuliert hat (was allerdings fraglich sein dürfte), kann es im Hinblick auf die Einbeziehung sozialer Belange und die Wahrung größtmöglicher Gerechtigkeit bei der Platzierung unerwünschter Anlagen als durchaus vorbildlich gelten. Zum einen kann nur die Einbeziehung planerisch-abwägender Elemente im Rahmen einer vergleichenden Standortbewertung, wie sie vorliegend im Gegensatz zu den bisher untersuchten vorhabenbezogenen Anlagengenehmigungen stattfinden wird, eine möglichst gerechte Platzierungsentscheidung gewährleisten. Positiv zu beurteilen ist in dieser Hinsicht zudem, dass versucht wird, das Verfahren möglichst so auszugestalten, dass es den Grundsätzen u. a. der optimalen Information und Transparenz, der umfassenden Öffentlichkeitsbeteiligung und der Unvoreingenommenheit der daran beteiligten Personen weitgehend entspricht, um auch in dieser Hinsicht dem Gefühl ungerechter Behandlung bei dem von der Umweltlast betroffenen Bevölkerungsteil bestmöglich entgegenzuwirken. Da die Belastung mit den umweit- und gesundheitsrelevanten Sicherheitsrisiken 482 jedoch einseitig zu Lasten des dann betroffenen Bevölkerungsteils gehen wird, 914 Dazu genauer AkEnd (FN 793), S. 212 ff. 915 AkEnd (FN 793), S. 75 ff. 916 AkEnd (FN 793), S. 238. 15'

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6. Kap.: Umweltgerechtigkeit bei der Standortauswahl für Atomanlagen

würde die Herstellung materieller Umweltgerechtigkeit allerdings zumindest kompensatorische Maßnahmen erfordern. Die Forderungen des AkEnd gehen dabei in die Richtung einer sog. „perspektivischen", also langfristigen Kompensation anstatt eines nur kurzfristigen finanziellen Ausgleichs für die von der Standortentscheidung betroffene Region. 917 Literatur Bender, Gefahrenabwehr und Risikovorsorge als Gegenstand nukleartechnischen Sicherheitsrechts, NJW 1979, 1425 ff.; Sparwasser/Engel/Voßkuhle, Umweltrecht, 2003; Bierbrauer / Gottwald/ Birnbreier-Stahlberger (Hg.), Verfahrensgerechtigkeit, 1995; Bliimel, Die Standortvorsorgeplanung für Kernkraftwerke und andere umweltrelevante Großvorhaben in der Bundesrepublik Deutschland, DVB1. 1977, 301 ff.; Bosselmann/Schröter, Umwelt und Gerechtigkeit, 2001; Büdenbender/von Heinegg/Rosin, Energierecht I, 1999; Decker, Ökolog und Verteilung - Eine Analyse der sozialen Folgen des Umweltschutzes, ApuZ 1994, 22 ff.; Degenhart, Kernenergierecht, 2. Aufl. 1982; Dieckmann, Häufung von Leukämieerkrankungen in der Elbmarsch, Gesundheitswesen 1992, Heft 10, 592 ff.; Forschungsverbände in der Deutschen Gesellschaft für Public Health e.V. (Hg.), Public Health-Forschung in Deutschland, 1999; Haedrich, Atomgesetz, 1986; Hett, Öffentlichkeitsbeteiligung bei atom- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, 1994; Keller/Haaf/ Kaatsch/Michaelis, Untersuchungen zur Häufigkeit von Krebserkrankungen im Kindesalter in der Umgebung westdeutscher kerntechnischer Anlagen 1980-1990, 1992; Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004; Koch, Der Atomausstieg und der verfassungsrechtliche Schutz des Eigentums, NJW 2000, 1529 ff.; Körblein /Hoffmann, Medicine+Global Survival, 1999; Kröncke, Die Genehmigung von Kernkraftwerken, 1982; Leidinger, Das Genehmigungsverfahren für standortnahe Zwischenlager, RdE 2001, 103 ff.; Lippert, Energiewirtschaftsrecht, 2002; Maschewsky, Umweltgerechtigkeit, Public Health und soziale Stadt, 2001; M enzer, Privatisierung der atomaren Endlagerung, 1997; Posser/Schmans/Müller-Dehn (Hg.), Atomgesetz, 2003; Roßnagel, Die Rechtslage der Kernkraftwerke in der ehemaligen DDR, LKV 1991, 90 ff.; Salzwedel (Hg.), Grundzüge des Umweltrechts, 1997; Schneider/Theobald (Hg.), Handbuch zum Recht der Energiewirtschaft (HB EnWR), 2003; Stein, Krebsmortalität, 1988; Steinberg/Berg/Wickel, Fachplanung, 3. Aufl. 2000; Wahl, Genehmigung und Planungsentscheidung - Überlegungen zu zwei Grundmodellen des Verwaltungsrechts und zu ihrer Kombination, DVB1. 1982, 51 ff.; Weber/Hellmann, Das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP-Gesetz), NJW 1990, 1625 ff.; Winter, Bevölkerungsrisiko und subjektives öffentliches Recht im Atomrecht, NJW 1979, 393 ff.

917 Broschüre des AkEnd, S. 38, unter , letzter Aufruf am 29. 11. 2005; dazu auch AkEnd (FN 793), S. 219.

7. Kapitel

Umweltgerechtigkeit bei der Abfallentsorgung I . Einführung Die abfallwirtschaftliche Lage in der Bundesrepublik Deutschland entwickelte 483 sich nach dem Zweiten Weltkrieg in mehreren Phasen.918 Bis zum Inkrafttreten des Abfallbeseitigungsgesetzes des Bundes im Jahre 1972 gab es keine bundeseinheitliche Regelung der Abfallentsorgung. Es war nicht verboten, sondern vielmehr üblich, ausgebeutete Kiesgruben, Bombentrichter oder kleinere natürliche Vertiefungen des Bodens mit Abfällen aufzufüllen. 919 Die Anzahl der Müllkippen wurde 1970 auf dem Gebiet der alten Bundesländer auf über 50.000 geschätzt.920 Im Zuge des Wirtschaftswachstums und des steigenden Konsums hatte sich allein der Hausm ü l l 9 2 1 von 1950 bis 1961 verdoppelt. 922 Die für die Abfallentsorgung zuständigen Gemeinden fühlten sich zunehmend nicht mehr in der Lage, diese Aufgabe und die damit verbundenen Gesundheits- und Umweltgefahren zu bewältigen. Eine durchgreifende Umorganisation der Abfallbeseitigung wurde 1972 mit 484 dem Abfallbeseitigungsgesetz des Bundes angegangen, dessen Hauptinhalt eine Überlassungspflicht der Abfallbesitzer, eine Entsorgungspflicht für öffentlichrechtliche Körperschaften und eine Anlagenbenutzungspflicht war. Die Landesgesetzgeber haben die Abfallentsorgungspflicht regelmäßig den Kreisen und kreisfreien Städten übertragen. Damit wurde das Ende privater und kommunaler Müllkippen eingeleitet und gleichzeitig eine Entwicklung angestoßen, die zu einer Konzentration der Abfallbeseitigung auf größere und umwelttechnisch höheren Anforderungen entsprechenden Anlagen führte. 923 So reduzierte sich die Anzahl der Hausmülldeponien in den alten Ländern auf 4415 im Jahr 1974, bis zum Jahr 1990 auf 290 und weiter auf 239 im Jahr 1999; in den neuen Bundesländern ver918 Ausführliche Darstellung im „Sondergutachten des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen vom September 1990, Abfallwirtschaft", BT-Drs. 11/8493, S. 39 ff. 919 Versteyl, in: Kunig / Paetow / Versteyl, KrW-/AbfG. Kommentar, 2. Aufl. 2003, Einl. Rn. 13. 920 BT-Drs. VI/2401, S. 7.

921 Hausmüll macht nach wie vor mit 53 % den größten Anteil am Siedlungsabfall aus, gefolgt von Gewerbeabfällen (37 %) und Klärschlamm (10 %). 922 v. Lersner, in: Kimminich/v. Lersner/Strom, Handwörterbuch des Umweltrechts (HdUR) Bd. I, 2. Aufl. 1994, Sp. 1. 923 BT-Drs. VI/2401, S. 12.

230

7. Kap.: Umweltgerechtigkeit bei der Abfallentsorgung

ringerte sich die Anzahl der Hausmülldeponien von 7983 im Jahr 1990 auf 137 im Jahr 1999. 924 Für die Genehmigung von Abfallbeseitigungsanlagen wurde das Planfeststellungsverfahren eingeführt, in dessen Rahmen sowohl die Notwendigkeit von Anlagen als auch ihre Unschädlichkeit nachzuweisen war. In Verbindung mit dem Anhörungsverfahren und der Einspruchsmöglichkeit von Betroffenen (ζ. B. Anwohnern, aber auch Wasserbehörden) wurde darin die Voraussetzung zur sozial- und umweltverträglichen Umgestaltung der Abfallentsorgung gesehen. Die daran geknüpfte Erwartung, Betroffene würden auf der Basis von Partizipation, Information und wissenschaftlich-technischer Expertise eher bereit sein, ein Opfer für die Gemeinschaft zu erbringen, wurde allerdings schnell enttäuscht. 485

Angestoßen durch die Ölkrise von 1973 rückte in den folgenden Jahren der Gedanke der Nutzbarmachung von Abfällen als Sekundärrohstoff immer mehr in den Vordergrund. Das Ziel, Abfälle vorrangig zu vermeiden oder einer stofflichen oder energetischen Verwertung zuzuführen, führte 1986 zur Ablösung des Abfallbeseitigungsgesetzes durch das „ Gesetz über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen (.Abfallgesetz Γ vom 27. 8. 1986. 925 Auf der Grundlage des Abfallgesetzes wurde versucht, durch eine Reihe untergesetzlicher Regelungen den sich aus immer knapper werdenden Entsorgungskapazitäten, der Verbringung von Abfällen ins Ausland und den neuartigen, teils schwer abbaubaren Schadstoffen ergebenden Problemen zu begegnen.926

486

Die grenzüberschreitende Verbringung von Abfällen wird seit November 1988 durch die Abfallverbringungsverordnung und, nachdem die Bundesrepublik Deutschland im Oktober 1989 zusammen mit weiteren 120 Staaten die sogenannte „Baseler Konvention " der Vereinten Nationen unterzeichnet hat, vor allem durch das Abfallverbringungsgesetz vom 30. 9. 1994 927 geregelt. 928

487

In der Verordnung über Verbrennungsanlagen für Abfälle und ähnliche brennbare Stoffe (77. BImSchV) vom 23. 11. 1990 929 sind strenge Immissionsgrenzwerte für Dioxine und andere Schadstoffe festgelegt.

488

Seit der Verabschiedung der Verpackungsverordnung 930 am 12. 6. 1991 werden Hersteller und Vertreiber von Verpackungen verpflichtet, diese zurückzunehmen 924 Umweltbundesamt (UBA), „Daten zur Umwelt 2000", S. 82, Tab. 6.25. 925 BGBl. I S. 1410, zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. 4. 1993 (BGBl. IS. 466). 926 Siehe dazu die tabellarische Übersicht im „Umweltgutachten 1994 des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen", BT-Drs. 12/6995, S. 195 f. 927 Kloepfer, Umweltschutz, Nr. 350. 928 Das Abfallverbringungsgesetz wurde vom BVerfG mit Urteil v. 6. 7. 2005, Az. 2 BvR 2335/95 und 2 BvR 2391/95, NVwZ 2005, 1171 für (teilweise) verfassungswidirg erklärt, da die darin statuierte Abfallverbringungsabgabe weder als Steuer noch als nicht-steuerliche Abgabe gerechtfertigt werden konnte; vgl. dazu eingehend auch m. w. N. Kloepfer, ZUR 2005,479 ff. 929 Kloepfer, 930 Kloepfer,

Umweltschutz, Nr. 670. Umweltschutz, Nr. 330.

I. Einführung

231

und einer erneuten Verwendung oder stofflichen Verwertung außerhalb der öffentlichen Abfallentsorgung zuzuführen. Zu diesem Zweck wurde am 28. 9. 1990 von der Verpackungsindustrie die heute als Aktiengesellschaft strukturierte Duales System Deutschland GmbH gegründet. Die Technische Anleitung Siedlungsabfall (TA Siedlungsabfall) 931 vom 1.6.1993 489 soll ebenfalls die Hausmülldeponien entlasten. Nach ihr darf nunmehr nur noch vorbehandelter Hausmüll auf Deponien abgelagert werden. Als Hauptkriterium zur Beurteilung der Vorbehandlung dient der zulässige organische Anteil des zu deponierenden Mülls, da dieser einen Großteil der im Müll enthaltenen Schadstoffe bindet und wesentlich die Deponieemissionen (Deponiesickerwasser, Deponiegas) verursacht. Der Grenzwert liegt bei maximal 5 % (gerechnet als Glühverlust). Kritiker sehen in diesem Grenzwert die Festschreibung der Müllverbrennung, da ein Glühverlust von 5 % durch andere Verfahren wie ζ. B. Kompostierung kaum zu erreichen ist. Durch das Gesetz zur Erleichterung von Investitionen und der Ausweisung und 490 Bereitstellung von Wohnbauland (Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz) vom 22. 4. 1993 932 wurde das Zulassungsverfahren für Abfallentsorgungsanlagen zur Lagerung oder Behandlung von Abfällen, d. h. für alle Anlagen bis auf Deponien, zum Zwecke der Beschleunigung des dringend erforderlichen Aufbaus einer der Entsorgungsinfrastruktur in den neuen Bundesländern auf eine neue Grundlage gestellt. 933 Wurden derartige Abfallentsorgungsanlagen bis dahin in gleicher Weise wie Deponien im Wege der abfallrechtlichen Planfeststellung zugelassen, ist seitdem für die Abfallentsorgungsanlagen das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsrecht einschlägig. Damit ist es zu einer Aufspaltung des Zulassungsrechts für Abfallentsorgungsanlagen gekommen, der zum Teil als umweltrechtlicher Rückschritt angesehen wird. 9 3 4 Die zunehmende Knappheit der Beseitigungskapazitäten in den späten achtziger 491 und frühen neunziger Jahren, die kontrovers diskutierte energetischen Verwertung in Form der Abfallverbrennung und der zusätzliche Handlungsbedarf nach der Wiedervereinigung veranlasste den Bundesrat 1991, einen Gesetzesentwurf zur Novellierung des Abfallgesetzes einzubringen. 935 Damit regte er ein Gesetzgebungsverfahren an, das am 27. 9. 1994 mit der Verkündung des Gesetzes zur Vermeidung, Verwertung und Beseitigung von Abfallen endete, dessen Art. 1 das Kreislauf wirtschafts- und Abfallgesetz (KrW-/AbfG) beinhaltete.936 931 Kloepfer, Umweltschutz, Nr. 303. 932 BGBl. IS. 466 (482). 933 So die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 12/3944, S. 26. 934 Vgl. etwa Eberhardt, ZAU 1993, 105 (112), der von einem „Rückbau des Umweltrechts" spricht, und Rahner, ZUR 1993, 200, der eine „schleichende Unterminierung des Umweltrechts" beklagt. 935 BT-Drs. 12/631. 936 BGBl. IS. 2705, zuletzt geändert durch Gesetz v. 21. 6. 2005, BGBl. I S. 1666.

232

7. Kap.: Umweltgerechtigkeit bei der Abfallentsorgung

492

Aus § 4 Abs. 1 KrW-/AbfG ergibt sich nun klar der Vorrang der Abfallvermeidung vor der Abfallverwertung, jedoch stehen innerhalb der Verwertung die stoffliche und die energetische Verwertung gesetzessystematisch auf gleicher Stufe. Die Verwertung von Abfällen wiederum hat gem. § 5 Abs. 2 S. 2 KrW-/AbfG Vorrang vor der Beseitigung, wenn nicht die Beseitigung ausnahmsweise die umweltverträglichere Lösung darstellt (§ 5 Abs. 5 KrW-/AbfG).

493

Vor allem die in § 22 KrW- / AbfG normierte, der Abfall Vermeidung und wiederverwertung dienende Produktverantwortung der Hersteller und Vertreiber von Erzeugnissen und ihre Ausgestaltung durch die Etablierung eines Dualen Systems auf der Grundlage der Verpackungsverordnung Anfang der neunziger Jahre haben zu einem kontinuierlichen Rückgang der durch die öffentliche Müllabfuhr eingesammelten Restmüllmengen geführt. Wurden noch 1990 130 Millionen Tonnen Abfälle auf öffentliche Deponien verbracht, so ging die Deponierung bis 1997 um fast 60% auf 53,2 Millionen Tonnen zurück. 937 Allerdings nahm das Aufkommen an Abfällen aus privaten Haushalten ab Mitte der neunziger Jahre nicht mehr so deutlich wie am Anfang ab, jedoch wurde ein zunehmend wachsender Anteil dieser Abfälle der Verwertung zugeführt (1996 waren es 35 %, 1997 rd. 41 %). 9 3 8 Im Jahr 2001 wurden allein 5,3 Millionen Tonnen Verpackungen aus Glas, Papier, Pappe, Karton, Kunststoffen, Weißblech, Aluminium und Verbunden über das Duale System entsogt, was einer Sammelmenge von durchschnittlich 76,6 kg pro Bundesbürger entspricht. Die Situation der Abfallwirtschaft Ende der achtziger Jahre hat sich durch den Trend rückläufiger Abfallmengen ins Gegenteil verkehrt und an die Stelle der Entsorgungsengpässe sind Überkapazitäten bei Müllverbrennungsanlagen und Deponien getreten. Um die kostenintensiven Müllverbrennungsanlagen auszulasten, haben einzelne Bundesländer bereits damit begonnen, Müll aus anderen europäischen Staaten zu importieren. So wurden 2001 knapp 100.000 Tonnen Hausmüll aus Neapel zur Verbrennung nach Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen transportiert; für das Jahr 2002 waren 110.000 Tonnen geplant. 939

494

Die abfallwirtschaftliche Lage wird sich in den kommenden Jahren durch die seit 1.3.2002 in Kraft befindliche Abfallablagerungsverordnung (AbfAblV) 9 4 0 nocheinmal grundlegend wandeln. Die Verordnung dient der stärkeren Verrechtlichung der Maßgaben der TA Siedlungsabfall (TASI) sowie der Umsetzung der Regelungen der EG-Deponierichtlinie zur Schließung ökologisch unzulänglicher Deponien. Bis spätestens zum 31.5.2005 müssen danach sämtliche Siedlungsabfälle und Abfälle, die wie Siedlungsabfälle entsorgt werden (Klärschlämme, 937 Der Grüne Punkt - Duales System Deutschland Aktiengesellschaft (Hg.), DS-Dokumente Ausgabe 2: „Zukunft der Deponierung von Siedlungsabfällen in Deutschland", Oktober 2002, S. 7. 938 UBA (FN 924). 939 „die tageszeitung" v. 27. 2. 2002. 90 Kloepfer, Umweltschutz, Nr. 3 0 .

I. Einführung

233

Fäkalien, Bauabfälle etc.), vor ihrer Ablagerung einer thermischen oder mechanisch-biologischen Vorbehandlung unterzogen werden 941 , denn seit dem 1. 6. 2005 dürfen nur noch solche Siedlungsabfälle auf Deponien der Klassen I und Π abgelagert werden, welche die entsprechenden Zuordnungskriterien des Anhangs Β der TA Siedlungsabfall erfüllen. Die technischen Anforderungen an Standort und Abdichtung einer Deponie der Klasse II sind höher als bei der Deponieklasse I, so dass der dort abzulagernde Abfall einen höheren organischen Anteil und höhere Schadstoffkonzentrationen aufweisen darf. 942 Trotz dieser Unterscheidung gab es nach Aussage der letzten Bundesregierung zum damaligen Zeitpunkt keine Deponien, die geeignet sind, in vollem Umfang Abfälle mit den Kriterien des Anhangs Β aufzunehmen. 943 Ende 2005 existieren inzwischen Deponien, diese haben jedoch keine ausreichende Kapazität. Aufgrund der strengen Anforderungen der Abfallablagerungsverordnung an die Vorbehandlung von Abfällen ist bei den erforderlichen Vorbehandlungsanlagen ab 2005 wieder wie in den achtziger Jahren mit Engpässen zu rechnen. Man rechnet für das Jahr 2005 mit einem Defizit von 1,2 bis 5,9 Millionen Tonnen. 944 Nach Auskunft der letzten Bundesregierung ist in den Bundesländern bis 2005 die Errichtung von 14 neuen thermischen Behandlungsanlagen geplant. 945 Derzeit existieren etwa 60 Abfallverbrennungsanlagen. Auf der anderen Seite sind infolge der stark reduzierten Menge der abzulagernden Abfälle durch thermische oder mechanisch-biologische Vorbehandlung erhebliche Überkapazitäten an Deponievolumina zu erwarten. Die letzte Bundesregierung ging davon aus, dass sich die abzulagernden Siedlungsabfallmengen in der Masse um 65 bis 80% verringern werden und in Einzelfällen eine Ablagerung sogar ganz wegfallen wird. 9 4 6 Die klassische Siedlungsabfalldeponie wurde vor diesem Hintergrund als ein Auslaufmodell angesehen.947 Viele der bis dahin betriebenen Deponien werden nicht zu einem wirtschaftlich vertretbaren Aufwand nachgerüstet werden können, so dass sie stillgelegt und in die Nachsorgephase überführt werden müssen. Die Pflicht zur Nachsorge wird durch § 13 der am 1.8. 2002 in Kraft getretenen Deponieverordnung 948 geregelt. Für die stillzulegenden Deponien müssen Rückstellungen gebildet werden, die innerhalb des verbleibenden Nutzungszeitraumes auf die reduzierte Ablagerungsmenge umgelegt werden müssen. Die Bundesländer befürchten eine von ihren 941 Derzeit werden noch über 50 % der Siedlungsabfälle unbehandelt abgelagert. Von den ca. 30 Mio. t Restabfällen wurden 1998 nur ca. 12 Mio. t thermisch und ca. 2 Mio. t mechanisch-biologisch vorbehandelt (Quelle: UBA, „Daten zur Umwelt 2000"). 942 Die Anforderungen der Deponieklassen I und II sind in § 2 Nr. 8 und 9 AbfAblV sowie in Nr. 10 der TA Siedlungsabfall definiert. BT-Drs. 14/7274, S. 4. 944 Dohmann, zitiert von Klöck, UPR 2002, 61 (63). 94 5 BT-Drs. 14/7274, S. 3. 94

* BT-Drs. 14/7274, S. 1. Ebenso die Einschätzung von Schnurer, MüllMagazin 2001, 38 ff. 948 Kloepfer, Umweltschutz, Nr. 306. 947

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7. Kap.: Umweltgerechtigkeit bei der Abfallentsorgung

Gemeinden nicht allein zu tragende Kostenbelastung und haben die Bundesregierung in einer Entschließung des Bundesrates gebeten, ein Deponieschließungsprogramm aufzulegen, dass die Stilllegungsfinanzierung sicherstellen soll. 9 4 9

II. Abfall und Abfallbeseitigungsanlagen als zu verteilende Umweltlasten 495

Menschliche Abfalle bergen Gefahren für die Gesundheit des Menschen und die Funktionsfähigkeit von Ökosystemen. Der organische Anteil ist Nährboden für Bakterien, Pilze, Sporen und andere Krankheits- und Fäulniserreger. Die im Abfall enthaltenen synthetisch hergestellten Materialien enthalten u. a. Schwermetalle und langlebige organische Verbindungen wie ζ. B. polychlorierte Biphenyle (PCB), Dioxine und Furane, die sich im Körperfett anreichern, sowie hormonell wirksame Substanzen wie die als Weichmacher im Plastik verwendeten Phtalate und Bisphenol A, das bei der Zinnbeschichtung von Konservendosen verwendet wird. Diese Substanzen werden bei der Abfallverbrennung freigesetzt, gelangen aber auch über ungenügend abgedichtete Deponien in die Umwelt. Da die von der TA Siedlungsabfall und der Abfallablagerungsverordnung festgesetzten Standards für Abfalldeponien nicht sofort umgesetzt werden mussten, fand bis zum Stichtag des 31.5.2005 ein fortgesetzter Betrieb technisch ungenügend ausgestatteter Deponien aus der Zeit vor dem 1. 6. 1993 statt, denen es an einer Basisabdichtung, einer Sickerwasser- oder einer Deponiegasbehandlung fehlen konnte. Für die Betreiber solcher Niedrigstandard-Deponien besteht kein Anreiz, diese möglichst schnell stillzulegen. Denn in diesem Fall kommen auf sie sofort die Kosten für eine Oberflächenabdichtung zu.

496

Inwiefern die von Abfallbeseitigungsanlagen ausgehenden Umwelteinwirkungen tatsächlich zu konkreten Schäden für Mensch und Natur führen, ist naturwissenschaftlich schwer zu beurteilen und dementsprechend umstritten. Jede Anlage stellt aufgrund ihres technischen Standards, ihrer Größe, ihrer Funktion und ihrer Lage einen Einzelfall dar, so dass eine pauschale toxikologische Bewertung nicht möglich ist. Selbst wenn in toxikologischen Gutachten Art und Konzentration der emittierten chemischen Verbindungen im Einzelfall beschrieben werden kann, gehen die Einschätzungen der Wissenschaftler hinsichtlich des daraus resultierenden Gefahrenpotentials für die menschliche Gesundheit und die natürliche Umwelt auseinander. 950 949 BR-Drs. 41/01. 950 Vgl. die Stellungnahmen des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer „Potentielle Gesundheitsgefahren durch Emissionen aus Müllverbrennungsanlagen", Dt. Ärztebl. 1993, 90 ff., und „Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung durch Mülldeponien (Siedlungsabfall)", Dt. Ärztebl. 1995, 92 ff., mit der Greenpeace-Studie von Allsopp/Costner/Johnston, Müll Verbrennung und Gesundheit, 2001.

III. Probleme der Verteilungsgerechtigkeit in der Abfallentsorgung

235

Für die hier untersuchte Frage der gerechten Verteilung von Umweltbelastungen 497 ist letztlich ein naturwissenschaftlich-medizinischer Nachweis von konkreten Krankheitsfallen und Gesundheitsbeeinträchtigungen nicht erforderlich. Vielmehr reicht es aus, wenn mit der Platzierung von Abfallbeseitigungsanlagen überhaupt Nachteile für die Bewohner der betroffenen Umgebung verbunden sind, die sie ohne die Anlage nicht zu tragen hätten. Solche Nachteile sind unstreitig vorhanden. Sie umfassen ein breites Spektrum. Dieses kann von den Gefahren, die sich aus einer Grundwasserkontamination durch undichte Deponien oder einem unvermeidbaren Restrisiko an Störfällen ergeben können, über Gas-, Staub- und Lärmemissionen selbst bis hin zu einem erhöhten Verkehrsaufkommen durch den betriebsbedingten An- und Abfahrtsverkehr reichen. Selbst wenn mit steigendem Stand der Technik die von diesen Anlagen ausgehenden Gesundheits- und Umweltgefahren weitestgehend minimiert werden, bleibt ein unvermeidbarer Rest an zusätzlichen Belastungen und Risiken für die betroffene Umgebung bestehen. Insbesondere das Risiko von Störfällen wie ζ. B. Deponiebränden und Bunkerbränden stellt ein Gefahrenpotential dar, das die Umgebung solcher Anlagen latent belastet. Angesichts der mit der Errichtung und dem Betrieb der Anlage verbundenen Ge- 498 fahren und tatsächlichen Nachteile stellen die betroffenen Anwohner die berechtigte Frage, warum gerade sie diese Lasten tragen sollen. Das Akzeptanzproblem ist umso größer, je weiträumiger der Einzugsbereich einer Abfallbeseitigungsanlage und damit der Anteil ortsfremder Abfälle ist.

I I I . Probleme der Verteilungsgerechtigkeit in der Abfallentsorgung Abfallpolitik ist immer auch Politik im und mit dem Raum, weil abfallpoliti- 499 sehe Entscheidungen sich bei der Schaffung von Entsorgungsinfrastrukturen notwendig auf einen bestimmten Raum beziehen bzw. durch Raumverfügbarkeit bei der Standortauswahl von Abfallbeseitigungsanlagen vielschichtig beeinflusst werden. Die sich im Zusammenhang mit Abfallentsorgungsmaßnahmen stellenden Probleme der Verteilungsgerechtigkeit betreffen damit in erster Linie räumliche Verteilungsfragen. 1. Räumliche Verteilung der Abfallströme Die unterschiedliche technische Ausstattung der Deponien führt zu unterschied- 500 liehen Entsorgungspreisen. Nach Ansicht des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen korreliert der durchschnittlich niedrige Standard der Deponien in den neuen Bundesländern mit den dort besonders niedrigen Deponierungspreisen. 951 951

Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, Umweltgutachten 2002, S. 570, Tz. 761 a. E.

236

7. Kap.: Umweltgerechtigkeit bei der Abfallentsorgung

Da nach § 13 Abs. 1 S. 2 KrW-/AbfG zur Verwertung geeignete Abfälle insbesondere aus dem Gewerbebereich nicht den entsorgungspflichtigen Körperschaften überlassen werden müssen, sind sie auf dem Entsorgungsmarkt frei beweglich, und es ist den Abfallbesitzern möglich, sich den Entsorgungsort unter Kostengesichtspunkten auszusuchen. Aufgrund der gesetzlich nicht eindeutigen fixierten Abgrenzung zwischen „Abfällen zur Beseitigung" und „Abfällen zur Verwertung" und der uneinheitlichen Rechtsprechung zur Qualifikation von Mischabfällen 952 besteht die Möglichkeit, dass auch nicht voll verwertungsfähige Abfälle dem Zugriff der entsorgungspflichtigen Körperschaften entzogen und einer kostengünstigen und wenig ökologischen „Scheinverwertung" zugeführt werden. Eine sog. Scheinverwertung liegt dann vor, wenn gewerbliche Mischabfälle, von denen nur ein geringer Teil verwertbar ist, als Verwertungsabfall deklariert, der für Beseitigungsabfälle geltenden Pflicht zur Überlassung an die jeweilige entsorgungspflichtige Körperschaft entzogen, nur zum geringen Teil verwertet und zum größeren Teil auf kostengünstige Deponien verbracht werden. Nach Einschätzung des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen gibt es deutliche Indizien dafür, dass von den Gewerbeabfällen, die nicht den anspruchsvoll ausgerüsteten kommunalen Entsorgungsanlagen überlassen werden, ein beträchtlicher Teil auf derzeit noch als Deponien betriebene, jedoch künftig als Altlasten zu behandelnde Anlagen in den neuen Bundesländern verbracht werden. 953 Diese Verteilungsströme werden durch das Bestreben der Deponiebetreiber in den aufnehmenden Bundesländern verstärkt, ihre Niedrigstandard-Deponien möglichst schnell bis zum verfügbaren Deponievolumen zu verfüllen, um auf diese Weise bis zum 31.5. 2003 die Kosten für die bei der Stilllegung erforderliche Oberflächenabdichtung, Deponieentgasung und Deponiegasverwertung erwirtschaften zu können 9 5 4 501

Mit der Erweiterung der EU nach Osteuropa erhöht sich die Gefahr der Scheinverwertung von Abfällen im europäischen Ausland, wodurch sich das Problem der abfallwirtschaftlichen Verteilungsungerechtigkeit auf europäischer Ebene verschärfen kann. Nach dem Beitritt von Estland, Lettland, Litauen, Polen, der Tschechischen Republik, der Slowakei, Ungarn, Slowenien, Malta und Zypern am 1.5. 2004 darf es unter dem Deckmantel der Waren Verkehrsfreiheit nach Art. 23 f. EG-Vertrag nicht zu einer Sogwirkung auf Abfallströme aus Deutschland und anderen Mitgliedstaaten mit höheren Entsorgungsstandards in die Beitrittsländer kommen. Abfallexporte dürfen nicht als Abfalltransport zur Verwertung deklariert werden, während sie tatsächlich nur billig deponiert werden. Die Gefahr der Scheinverwertung droht insbesondere dort, wo ausreichende Verwertungskapazitäten noch nicht existieren, es aber billige Deponien gibt. 952 Frenz, Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz. Kommentar, 3. Aufl. 2002, § 4 Rn. 55. 953 Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen (FN 951), S. 575, Tz. 765. 954 Stief in: Stief/ Engelmann (Hg.): Geforderte Maßnahmen bei der Stillegung von Altdeponien: Kostentreibende Willkür oder Notwendigkeit?, 1998, S. 24.

III. Probleme der Verteilungsgerechtigkeit in der Abfallentsorgung

237

Die freie Beweglichkeit von Abfällen auf dem Markt führt ferner zu Umwelt- 502 belastungen, die aus dem Transport quer durch Europa und die Bundesrepublik Deutschland resultieren. Neben der erschwerten Kontrolle der Abfallströme und der Gefahr des Abhandenkommens gefährlicher Abfälle erhöhen längere Transportwege den Energieverbrauch und den Ausstoß schädlicher Emissionen.955 Die geschilderte Tendenz zur Verfüllung von Niedrigstandard-Deponien, die 503 nach dem 31.5.2005 stillgelegt werden müssen, führt in großen Bereichen zu einer rein an Kostengesichtspunkten orientierten Verteilung der Abfallströme. Ökologische Belange wie eine technisch möglichst hochwertige Entsorgung und eine Verkürzung von Transportwegen fallen den ökonomischen Interessen zum Opfer. Eine Entsorgung an entfernten Orten bedeutet eine Verlagerung der eigenen Umweltprobleme auf andere. Dies wird als „unmoralisch" angesehen.956 Ein freier Warenaustausch auf dem Entsorgungsmarkt führt aus den dargelegten Gründen weder zu einer für den Menschen gerechten noch zu einer für die Umwelt sachgerechten Verteilung der Abfallströme.

2. Räumliche Verteilung von Abfallentsorgungsanlagen Die Entwicklung der Environmental Justice-Bewegung in den USA zeigt dass 504 sich dort der Streit um eine gerechte Verteilung von Umweltlasten und -nutzen vor allem um die Platzierung von Abfallbeseitigungsanlagen entzündet hat (siehe oben Kapitel 2). Vertreter der Environmental Justice-Bewegung kritisieren u. a. das Zusammenwirken von Investoren und Bauträgern mit den politischen Entscheidungsträgern bei der Flächennutzung und Baulandentwicklung.957 Auch in Deutschland nähren Meldungen wie die Anfang März 2002 an die Öffentlichkeit gelangten Schmiergeldzahlung in zweistelliger Millionenhöhe an die Kölner SPD im Zusammenhang mit dem Bau einer Müllverbrennungsanlage 958 die Vermutung, dass auch hierzulande Planungsentscheidungen technischer Großvorhaben nicht allein an sachgerechten Kriterien ausgerichtet werden. Indem am 31. 5. 2005 die für die Ablagerung von Siedlungsabfällen geltenden 505 Übergangsregelungen für die Anforderungen der Abfallablagerungsverordnung und der TA Siedlungsabfall endeten, wird sich die Anzahl der Deponien aufgrund der Schließung technisch ungenügender Anlagen noch einmal deutlich reduzieren. Gleichzeitig wird es zu einem Aus- und Neubau zahlreicher Müllverbrennungsanlagen zur thermischen Vorbehandlung kommen. Anders als noch bei den kleinen kommunalen Deponien aus der Zeit vor 1972 ist bei den heutigen zentralen Abfalles Vgl. Frenz (FN 952), § 10 Rn. 42. 956 Schmitt-Tegge, in: Johnke / Schmitt-Tegge (Hg.), Akzeptanzprobleme bei Maßnahmen zur Abfallentsorgung, 1993, S. 10. 9 57 Gelobter, Fordham Urban Law Journal 21 (Spring 1994), 841 (845 ff.), es Siehe „Die Welt" v. 5. 3. 2002.

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7. Kap.: Umweltgerechtigkeit bei der Abfallentsorgung

entsorgungs- und Abfallbehandlungsanlagen ein direkter lokaler Bezug zu Abfallaufkommen nicht mehr gegeben. Die zunehmende Konzentration der Abfallentsorgung auf größere Anlagen mit einem notwendigerweise erheblich erweiterten Einzugsbereich führt zu einem stärkerem räumlichen Auseinanderfallen von Nutznießern und betroffenen Anwohnern, welche die negativen Auswirkungen der Abfallentsorgungsanlage zu tragen haben. 959 Umweltlasten und -nutzen werden damit unterschiedlich verteilt und die Verteilung wird von den Betroffenen als ungerecht empfunden. Darin liegt ein wesentlicher Grund für die vielfältigen Widerstände gegen die Platzierung solcher Anlagen. 960 Die zahlenmäßige Reduzierung der Deponien und die parallel geplante Errichtung zusätzlicher Müllverbrennungsanlagen wird das Problem der gerechten räumlichen Verteilung solcher umweltbelastender Anlagen nicht verringern, sondern weiter verschärfen. Neuplanung und Standortsuche für Abfallbeseitigungsanlagen bleiben daher über den 1. 6. 2005 hinaus eine notwendige Aufgabe der Abfallpolitik. Die räumliche Verteilung der Abfallbeseitigungsanlagen stellt damit wegen seiner ökologischen und moralischen Dimension das zentrale Problem der Umweltgerechtigkeit im Bereich der Abfallpolitik dar.

IV. Verteilungsfragen bei der Planung und Genehmigung von Abfallbeseitigungsanlagen 506

Die Entwicklung von Lösungsmöglichkeiten für die aufgezeigten Probleme der Umweltgerechtigkeit im Bereich der Abfallentsorgung muss von den rechtlichen Regelungen der Planungs- und Genehmigungsverfahrens für Abfallentsorgungsanlagen ausgehen. Hier sind sowohl die materiellen Kriterien der Standortauswahl als auch die Partizipation der Betroffenen am Entscheidungsprozess festgeschrieben. Wie bei allen technischen Großvorhaben ist auch bei Abfallentsorgungsanlagen die richtige Wahl des Standortes von zentraler Bedeutung für die Akzeptanz. Denn ist der Standort einmal festgelegt, können die Auswirkungen auf die Umgebung allenfalls gemindert werden. Eine angemessene Verarbeitung der bei der Standortentscheidung zu berücksichtigenden Belange dürfte am ehesten durch einen gestuften Entscheidungsprozess zu erreichen sein. 961 Demgemäß hat der Gesetzgeber für die Planung von Abfallentsorgungsanlagen ein zweistufiges Planungsverfahren mit abschichtender Problemlösung vorgesehen. 962 In einem ersten Schritt erfolgt die vorbereitende Grobplanung in Gestalt der Abfallentsorgungs959 Hoppe/Beckmann, Planfeststellung und Plangenehmigung im Abfallrecht. Rechtsgutachten im Auftrag des Umweltbundesamtes, 1990, S. 1, 17. 960 Vgl. zu den Konflikten Müller/Holst, Raumordnung und Abfallbeseitigung. Empirische Untersuchung zu Standortwahl und -durchsetzung von Abfallbeseitigungsverfahren, 1987; Wiedemann /Femer/Hennen, Bürgerbeteiligung bei entsorgungswirtschaftlichen Vorhaben, 1991; Johnke/Schmitt-Tegge (FN 956). 961 Hoppe/Beckmann (FN 959), S. 43. 962 BVerwG, DVB1. 1989, 512 (514) m. w. N.

IV. Verteilungsfragen bei der Planung und Genehmigung

239

pläne mit ihren Standortausweisungen. Der dadurch gezogene Rahmen wird in einem zweiten Schritt durch die Planfeststellung oder Genehmigung der einzelnen Anlage ausgeführt und konkretisiert. Die rechtlichen Vorgaben für die Planung und Genehmigung von Abfallent- 507 sorgungsanlagen ergeben sich in erster Linie aus dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz sowie aus dem Bundes-Immissionsschutzgesetz. Im Folgenden sollen daher nach einer kurzen Darstellung des Planungs- und Zulassungsverfahrens für Abfallbeseitigungsanlagen dessen rechtliche Regelungen daraufhin untersucht werden, ob und inwieweit im Tatbestand bzw. auf der Rechtsfolgenseite eine Berücksichtigung von Verteilungsaspekten vorgesehen oder zumindest möglich ist. Bei negativem Befund ist nach Möglichkeiten zu suchen, um Verteilungsaspekte in die Platzierungsentscheidung einfließen zu lassen.

1. Planung und Genehmigung von Abfallbeseitigungsanlagen a) Erste Stufe: Abfallwirtschaftsplanung Die erste Stufe des Planungsverfahrens bilden die Abfallwirtschaftspläne, die 508 nach § 29 Abs. 1 KrW-/AbfG von den Bundesländern für ihr Landesgebiet aufgestellt werden. Die Länder können dieser Verpflichtung durch das Aufstellen eines einheitlichen Planes oder aber durch Teilpläne nachkommen, die einen räumlichen oder sachlichen Teilabschnitt des Landes gesondert behandeln.963 Zweck der Abfallwirtschaftsplanung ist die längerfristige, überörtliche Koordinierung des Abfallaufkommens und der Abfallentsorgung. Diese Koordinierung soll nicht durch die Gebietsgrenzen der entsorgungspflichtigen Körperschaften behindert werden. In diesem Rahmen sind die für die Abfallentsorgung überörtlichen Gesichtspunkte wie etwa das Abfallaufkommen, die Art der Abfälle, die Transportwege, Entsorgungstechnik, Kapazität, Größe, Ausstattung und Wirtschaftlichkeit der Anlagen festzulegen. 964 Insbesondere müssen nach § 29 Abs. 1 S. 3 KrW-/AbfG in den Abfallwirtschaftsplänen die bereits zugelassenen Abfallbeseitigungsanlagen sowie geeignete Flächen für neu zu errichtende Abfallbeseitigungsanlagen ausgewiesen werden. Diese Flächenausweisung kann nach § 29 Abs. 4 KrW-/AbfG für verbindlich erklärt werden, was überwiegend durch Rechtsverordnungen der Länder erfolgt. Die Abfallwirtschaftspläne haben für die Festlegung geeigneter Standorte nur 509 rahmensetzende Bedeutung. Ihr Charakter ist primär informativ und richtungsweisend. Potentiell geeignete Standorte müssen nicht parzellenscharf und metergenau festgelegt werden, sondern es genügt, lediglich das Gebiet einer Gemeinde zu benennen.965 Die Abfallwirtschaftspläne sind auf den Vollzug durch die nach963 Frenz (FN 952), § 29 Rn. 4. 964 BVerwG, DVB1. 1989, 512 (513). 965 Paetow, in: Kunig/Paetow/Versteyl (FN 919), § 29 Rn. 32; Schink, DVB1. 1994, 245 (247).

240

7. Kap.: Umweltgerechtigkeit bei der Abfallentsorgung

geordneten Behörden ausgerichtet und haben grundsätzlich nur verwaltungsinterne Bedeutung. 510

Die Anlagenzulassung erfolgt erst in einem weiteren Verfahrensschritt, nämlich der Planfeststellung nach den §§ 30 ff. KrW-/AbfG bzw. der Genehmigung nach den §§ 4 ff. BImSchG. § 29 Abs. 3 S. 2 KrW-/AbfG stellt klar, dass die Flächenausweisung nicht Voraussetzung für die Planfeststellung oder Genehmigung einer Anlage ist. Umgekehrt erübrigt die Standortausweisung im Abfallentsorgungsplan weder die ergänzende Ermittlung von Standortalternativen noch die planerische Abwägung im nachfolgenden Zulassungsverfahren. 966 Es gibt keine dahingehende Sperrwirkung, dass im Abfallentsorgungsplan nicht vorgesehene Standorte für ein abfallrechtliches Zulassungsverfahren ausscheiden.967 Im Gegenteil würde es regelmäßig ein Abwägungsdefizit bedeuten, wenn sich die Planfeststellungs- bzw. Genehmigungsbehörde bei der Prüfung der Standortfrage auf einen Verweis auf den Abfallentsorgungsplan beschränkte. 968

511

Nicht für verbindlich erklärte Festsetzungen sind im Rahmen der planerischen Abwägung oder des Ermessens bei der Plangenehmigung lediglich zu berücksichtigen. Nur bei Verbindlichkeitserklärung gem. § 29 Abs. 4 KrW- / AbfG stellt die Nichtbeachtung der Ausweisung geeigneter Standortflächen für Deponien einen zwingenden Versagungsgrund dar. Deponien können nach § 32 Abs. 1 Nr. 5 KrW- / AbfG bzw. § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG nicht zugelassen werden, wenn sie der verbindlichen Feststellung im Abfallwirtschaftsplan entgegenstehen. Dem „Entgegenstehen" wird ζ. T. eine geringere Sperrwirkung als dem früher in § 8 Abs. 3 S. 1 AbfG verwendeten Ausdruck „zuwiderlaufen" entnommen,969 teilweise werden die Begriffe identisch ausgelegt.970 Doch auch bei identischer Auslegung ist keine vollständige Übereinstimmung mit den Festsetzungen des Abfallentsorgungsplans geboten, denn auch der Begriff „zuwiderlaufen" setzt nach dem Wortlaut keine vollständige Übereinstimmung voraus. 971 Auch der für verbindlich erklärte Abfallentsorgungsplan kann die Standortauswahl einschließlich der Alternativenberücksichtigung nicht ersetzen, aber stärker beeinflussen. 972

512

Insgesamt kommt den Abfallentsorgungsplänen eine Entlastungsfunktion für das nachfolgende Zulassungsverfahren zu. Er kann Gründe für die Gewichtigkeit des Vorhabens im Rahmen der planerischen Abwägung oder der Ermessensentscheidung bei der Plangenehmigung liefern. Ferner müssen die von der Planung insgesamt aufgeworfenen Fragen, die bereits auf der Stufe der Planaufstellung behan966 967 968 969 970

Bender/Pfaff, DVB1. 1992, 181 (182). Hoppe/Beckmann, DÖV 1990, 769 (773). Hoppe/Beckmann, DÖV 1990, 769 (773). Erbguth, UPR 1997, 65 f. Paetow, in: Kunig/Paetow/Versteyl (FN 919), § 29 Rn. 71.

971 Hoppe/Beckmann, DÖV 1990, 769 (773). 972 Bender/Pfaff, DVB1. 1992, 181 (182).

IV. Verteilungsfragen bei der Planung und Genehmigung

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delt und gelöst wurden, nicht mehr Gegenstand des späteren Zulassungsverfahrens sein. 973 Die Entlastungsfunktion hängt einerseits ab von dem Grad der Verbindlichkeit seiner Festsetzungen und andererseits von ihrer Konkretheit. Für die Frage der Standortauswahl ist sie begrenzt. Denn je konkreter der Standort im Abfallentsorgungsplan festgelegt wird, desto mehr Anlass besteht, die entgegenstehenden privaten Belange bereits bei der Planaufstellung zu berücksichtigen. Durch einen rechtssatzmäßig für verbindlich erklärten Abfallwirtschaftsplan 513 können benachbarte Grundstückseigentümer in einem abwägungserheblichen Interesse negativ betroffen werden, wenn die Festlegungen des Plans ein solches Maß an Konkretisierung und Individualisierung erreichen, dass sich bestimmte nachteilige Wirkungen schon auf dieser vorgelagerten Planstufe absehen lassen.974 In diesem Fall entfalten die für verbindlich erklärten Festlegungen eines Abfallwirtschaftsplans gegenüber den von den Umweltauswirkungen einer geplanten Abfallbeseitigungsanlage betroffenen Nachbarn eine begrenzte rechtliche Außenwirkung, so dass diese zur Erhebung einer Normenkontrollklage gem. § 47 VwGO befugt sein können. 975 Da die Platzierungsentscheidung jedoch nicht endgültig auf der Ebene der Ab- 514 fallentsorgungsplanung fällt, wird der Streit um die Standorteignung u. U. zweimal geführt: auf der Ebene der Entsorgungsplanung und des Planfeststellungs- oder Genehmigungsverfahrens. Bei einer konkreten, möglicherweise sogar parzellenscharfen Standortfestlegung im Abfallentsorgungsplan erhöht sich der Planungsaufwand nochmals, wenn zur vorsorgenden Standortsicherung Alternativstandorte ausgewiesen werden. In diesem Fall wird eine Auseinandersetzung mit den Betroffenen an verschiedenen Standorten geführt und der Rechtsstreit multipliziert. Bei einer parzellenscharfen Ausweisung wird in den Ländern, in denen gem. § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO die Möglichkeit einer verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle gegen untergesetzliche Landesvorschriften eröffnet ist, ein gegen die Standortausweisung gerichtetes Rechtsschutzinstrument zusätzlich zur Anfechtungsmöglichkeit des Planfeststellungsbeschlusses bzw. Genehmigung eröffnet. Aus diesen Gründen wird von einer parzellenscharfen Ausweisung von Standorten im Abfallentsorgungsplan abgeraten. 976 Schließlich ordnet § 29 Abs. 7 KrW-/ AbfG an, dass die Gemeinden bei der AufStellung der Abfallwirtschaftspläne zu beteiligen sind. Das Verfahren der Planaufstellung ist gem. § 29 Abs. 8 KrW-/AbfG der Regelung durch die Länder überlassen.

973 974 975 976

BVerwG, DVB1. 1989,512(514). BVerwG, DVB1. 1989, 512 (513) = BVerwGE 81,128 (134). BVerwG, DVB1. 1989, 512 (512 f) = BVerwGE 81, 128 (130, 135, 137). Hoppe /Beckmann (FN 959), S. 7, 61.

16 Kloepfer

515

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7. Kap.: Umweltgerechtigkeit bei der Abfallentsorgung

b) Zweite Stufe: Planfeststellung 516

und Genehmigung

Die zweite Stufe des Zulassungsverfahrens bildet die Genehmigung bzw. Planfeststellung der konkreten Anlage nach § 31 KrW-/AbfG. § 31 KrW-/AbfG unterscheidet zwei Anlagenarten und drei Zulassungsarten. Bei den Anlagen wird zwischen immissionschutzrechtlich genehmigungspflichtigen Anlagen zur Lagerung und Behandlung von Abfällen (ζ. B. Müllverbrennungsanlagen, Kompostwerke, Anlagen zur biologischen, chemischen oder mechanischen Behandlung) einerseits und planfeststellungs- bzw. plangenehmigungspflichtigen Anlagen zur Endablagerung von Abfällen (Deponien) andererseits differenziert. Die Genehmigungs- bzw. Planfeststellungspflicht für Abfallbeseitigungsanlagen erfüllt drei Funktionen: Erstens stellt sie sicher, dass die Anlagen nur nach vorheriger staatlicher Prüfung errichtet und betrieben werden, zweitens gibt die bestandskräftige Zulassungsentscheidung dem Vorhabenträger Planungs- und Investitionssicherheit und drittens dient die Zulassungspflicht dem Schutz der Rechte Drittbetroffener. 977

aa) Immissionsschutzrechtliche Genehmigung 517

Die erstgenannten, den Produktionsanlagen des BImSchG vergleichbaren Anlagen bedürfen seit der Änderung durch das Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz vom 22. 4. 1993 978 nach § 31 Abs. 1 KrW-/AbfG nur noch einer immissions schutzrechtlichen Genehmigung. Es handelt sich dabei um eine Rechtsgrundverweisung, so dass sich sowohl die Genehmigungspflichtigkeit als auch die Voraussetzungen der Genehmigungserteilung ausschließlich nach dem BImSchG richten.979 Der Gesetzgeber wollte damit eine Beschleunigung des Zulassungsverfahrens erreichen, nachdem diese zum Teil eine Zeitdauer von zehn bis 15 Jahren erforderten. 980 Die immissionsschutzrechtliche Genehmigung ist eine gebundene Kontrollerlaubnis, 981 d. h. bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen an Errichtung und Betrieb besteht ein Genehmigungsanspruch des Antragstellers. 982 bb) Abfallrechtliche Planfeststellung oder Plangenehmigung

518

Für die regelmäßig einen überörtlichen Koordinierungsbedarf auslösenden Deponien wurde die bisherige Planfeststellungs- bzw. Plangenehmigungspflicht nach Maßgabe des KrW- / AbfG beibehalten, um die Möglichkeit zur planerischen Ab977 978 979 980

Paetow, in: Kunig/Paetow/Versteyl (FN 919), § 31 Rn. 13. BGBl. I S. 466. Paetow, in: Kunig / Paetow / Versteyl (FN 919), § 31 Rn. 18. Schink, DVB1. 1994, 245.

981 Näheres zu diesem Rechtsinstrument bei Kloepfer, Rn. 55. 982 Weidemann, DVB1. 1994, 263.

Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 5

IV. Verteilungsfragen bei der Planung und Genehmigung

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wägung zwischen Alternativstandorten zu erhalten. 983 Der Regelfall ist hier die Planfeststellung unter Einschluss einer Umweltverträglichkeitsprüfung gem. § 31 Abs. 2 KrW-/AbfG. Für weniger bedeutsame Deponien kann an die Stelle der Planfeststellung gem. § 31 Abs. 3 KrW-/AbfG eine Plangenehmigung treten. Im Gegensatz zur immissionsschutzrechtlichen Genehmigung besteht bei der abfallrechtlichen Planfeststellung bzw. Plangenehmigung aufgrund der planerischen Gestaltungsfreiheit kein Zulassungsanspruch. Wenn das Vorhaben den zwingenden Zulassungsvoraussetzungen entspricht, besteht nur ein Anspruch auf die fehlerfreie Ausübung des Planungsermessens.984

2. Verteilungsgerechtigkeit bei der Abfallwirtschaftsplanung In den Abfallentsorgungsplänen werden nach § 29 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 KrW-/AbfG 519 die für die Platzierung einer Abfallbeseitigungsanlage geeigneten Standortflächen ausgewiesen. Welche Kriterien für die Bestimmung der Geeignetheit einer Fläche zu berücksichtigen sind, wird in § 29 Abs. 3 S. 1 KrW-/AbfG näher umschrieben. Die Fläche muss nach Lage, Größe und Beschaffenheit mit den abfallwirtschaftlichen Zielsetzungen im Plangebiet übereinstimmen und Belange des Wohls der Allgemeinheit dürfen ihr nicht offensichtlich entgegenstehen. Die Merkmale der Lage, Größe und Beschaffenheit beziehen sich auf die natur- 520 wissenschaftliche (geografische und geologische) Eignung der Fläche für die vorgesehene Nutzung, ζ. B. als Deponie, ausschließlich mit Blick auf die abfallwirtschaftlichen Zielsetzungen nach § 29 Abs. 1 S. 2 KrW-/AbfG im Plangebiet. Die Frage der Vorbelastung, der Schutzbedürftigkeit von Natur und Menschen und der gerechten Verteilung der umweltbelastenden Anlagen in ihrer Gesamtheit in diesem Gebiet sind dabei ohne Bedeutung. Diese Aspekte können daher nur als Belange des Wohls der Allgemeinheit Be- 521 rücksichtigung finden. Welche Schutzgüter der unbestimmte Rechtsbegriff „Wohl der Allgemeinheit" umfasst, wird durch § 10 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 bis 6 KrW-/AbfG konkretisiert. Diese Regelbeispiele erläutern den Begriff des Wohls der Allgemeinheit nicht abschließend. Auch dort nicht ausdrücklich genannte öffentliche Interessen können einzubeziehen sein. 985 Außerdem ergibt sich aus dem Wesen der Abfallwirtschaftsplanung, dass eine 522 Abwägung stattfindet, in der alle von dem Plan betroffenen und häufig divergierenden öffentlichen und privaten Belange zu berücksichtigen und nach Möglichkeit zu einem gerechten Ausgleich zu bringen sind. 986 Dabei entspricht es der ständi983 BT-Drs. 12/3944, S. 53. 984 Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 18 Rn. 202; Paetow, in: Kunig /Paetow/Versteyl (FN 919), § 32 Rn. 9. 985 Kunig, in: Kunig / Paetow / Versteyl (FN 919), § 10 Rn. 34. 986 Paetow, in: Kunig/Paetow/Versteyl (FN 919), § 29 Rn. 44 ff. 16*

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7. Kap.: Umweltgerechtigkeit bei der Abfallentsorgung

gen Rechtsprechung im Fachplanungsrecht, dass sich die Anforderungen des Abwägungsgebotes auch an das Berücksichtigen von planerischen Alternativen richten. 9 8 7 Allerdings steht dem Planungsträger bei der Abwägung eine planerische Gestaltungsfreiheit, das sog. Planungsermessen, zu. 9 8 8 Deswegen ist er nicht verpflichtet, die Alternativenprüfung bis zuletzt offenzuhalten und alle in Betracht kommenden Alternativen gleichermaßen umfassend zu berücksichtigen. 989 Der Planungsträger überschreitet die Grenzen seiner planerischen Gestaltungsfreiheit erst, wenn sich eine bessere Lösung an einem anderen Standort aufdrängt. 990 Jedenfalls bedarf es bei der Standortauswahl einer Gesamtbetrachtung der in § 10 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 bis 6 KrW-/AbfG genannten Belange, wobei einzelne Belange gegenüber anderen in der vorzunehmenden Abwägung zurückgestellt werden können. Dies gilt allerdings nicht für die Ziele der Raumordnung nach § 10 Abs. 4 S. 2 Nr. 5 KrW-/AbfG, da bei ihren bereits eine Abwägung bei Aufstellung des Raumordnungsplanes stattgefunden hat. 9 9 1 523

Im Folgenden sollen zunächst die in § 10 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 bis 6 KrW-/AbfG exemplarisch genannten Rechtsgüter daraufhin untersucht werden, ob und inwieweit sie bei der planerischen Standortentscheidung die Berücksichtigung einer gerechten Verteilung umweltbelastender Anlagen vorschreiben oder zumindest ermöglichen. Falls dies nicht oder nur unzureichend der Fall ist, stellt sich die Frage, ob inwieweit der Aspekt der räumlichen Umweltgerechtigkeit als eigenständiger öffentlicher Belang im Rahmen der Platzierungsentscheidung einfließen sollte.

a) Gesundheit der Menschen 524

Nach § 10 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 KrW-/AbfG ist ein in die Abwägung einzustellender Gemeinwohlbelang der Schutz der menschlichen Gesundheit. Zwar setzt die Beeinträchtigung dieses Schutzgutes keine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung voraus, sondern kann auch schon bei einer konkreten Gefährdungslage gegeben sein, 992 doch dürfte der Nachweis, dass die von der Abfallentsorgungsanlage ausgehenden Emissionen an sich oder in Summation mit den Vorbelastungen des Gebietes die Schwelle zu einer konkreten Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens überschreitet, kaum gelingen. So hat die Technik der Abgasreinigung in den letzen Jahren einen immer höheren Entwicklungsstand erreicht, so dass partikel- und gasförmige Schadstoffe wie Schwermetalktäube und Dioxine weitestgehend zurückgehalten werden. Die Luftbelastung durch Dioxine und Fu987 988 989 990

Siehe nur BVerwG, DVB1. 1989, 512 (514) m. w. N. Frenz (FN 952), § 29 Rn. 23. BVerwGE 101, 166, (173 f.). Paetow, in: Kunig / Paetow / Versteyl (FN 919), § 29 Rn. 48.

991 Frenz (FN 952), § 10 Rn. 32. 992 Frenz (FN 952), § 10 Rn. 25; Kunig, in: Kunig/Paetow/Versteyl (FN 919), § 10 Rn. 36.

IV. Verteilungsfragen bei der Planung und Genehmigung

245

rane aus einer modernen Abfallverbrennungsanlage fallt mit maximal zehn Prozent der bereits vorhandenen Hintergrundbelastung in ländlichen Regionen und weniger als ein Hunderstel der Grundbelastung in Industriegebieten kaum ins Gewicht. Ähnlich gering ist die Zusatzbelastung über Nahrungsmittel aus der direkten Umgebung einer neu genehmigten Abfallverbrennungsanlage. 993 Nicht erfasst von § 10 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 KrW-/AbfG wird das reine psychische 525 und soziale Wohlbefinden. 994 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus einer verfassungskonformen Auslegung des § 10 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 KrW-/AbfG im Lichte des Art. 2 Abs. 2 GG. Selbst nach der Entscheidung des BVerfG zur Fluglärmbekämpfung vom 14. 1. 1981, in der das BVerfG bei der Auslegung des Begriffes der körperlichen Unversehrtheit in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG auch das psychische und das soziale Wohlbefinden der staatlichen Schutzpflicht unterstellt, sollen nichtkörperliche Einwirkungen erst dann von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG erfasst werden, wenn sie das Befinden einer Person in einer Weise verändern, die der Zufügung von Schmerzen entspricht. 995 Das BVerfG knüpft bei der weiten Auslegung an den Gesundheitsbegriff aus der Präambel der Satzung der Weltgesundheitsorganisation vom 22. 6. 1946 996 an, nach der unter Gesundheit „ein Zustand völligen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit oder Gerbrechen" zu verstehen ist. Damit zählen zum gebotenen Schutz der menschlichen Gesundheit nicht nur Körperverletzungen, sondern auch solche nichtkörperliche Einwirkungen, die in ihrer Wirkung körperlichen Eingriffen gleichzusetzen sind. Bis allerdings durch die Errichtung und den Betrieb einer Abfallentsorgungsanlage die Lebensbedingungen, die als wesentlich empfunden werden, in ihrer Qualität so gestört werden, dass eine Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens angenommen werden kann, bedarf es erheblicher Belastungen durch Gerüche, Staubverwehungen oder Lärm, die vor dem Hintergrund des geltenden Anlagenzulassungsrechts regelmäßig als seltene Ausnahme anzusehen sind. Damit enthält das Regelbeispiel des § 10 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 KrW-/AbfG zu hohe Hürden, um eine Platzierungsentscheidung im Fall einer Steigerung der Geruchs· und Lärmbelastung im Vergleich zu anderen Gebieten, die im Hinblick auf eine gerechte Verteilung von Umweltbelastungen als ungerecht zu bewerten ist, aber unterhalb der Schwelle einer Gesundheitsgefahr für die Betroffenen bleibt, zu beeinflussen. Ebenso wird das nach dem Stand der Technik unvermeidbare Restrisiko einer Gesundheitsgefährdung durch Störfälle von § 10 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 KrW-/AbfG als sozial-adäquat toleriert.

993 Ministenum fur Arbeit, Gesundheit, Familie und Frauen von Baden-Württemberg, derabfallverbrennung und gesundheitliche Risiken, 1991, S. 17. 994 Frenz (FN 952), § 10 Rn. 25.

995 BVerfGE 56, 54 (73 ff.). 996 BGBl. I I 1974, S. 45.

Son-

246

7. Kap.: Umweltgerechtigkeit bei der Abfallentsorgung

b) Tiere und Pflanzen 526

Nach § 10 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 KrW-/AbfG liegt weiterhin eine Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit und damit ein Versagungsgrund vor, wenn durch die Errichtung und den Betrieb einer Abfallentsorgungsanlage Tiere und Pflanzen gefährdet werden. § 10 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 KrW-/AbfG ergänzt den in Nr. 5 angesprochenen Naturschutz. Diese Versagungsgründe dienen unmittelbar dem Schutz ökologischer Belange. Tiere und Pflanzen sind hier ein Wert an sich und nicht als Teil der Nahrungskette des Menschen vor einer Schadstoffbelastung zu schützen. Bei der Umweltgerechtigkeitsbewegung geht es aber im Unterschied zur reinen Umweltschutzbewegung nicht um den Schutz der Pflanzen und Tiere an sich, sondern primär um die Wohnumwelt der Menschen. Die Frage einer gerechten Verteilung von Umweltlasten und -nutzen zielt in erster Linie auf die gesundheitlichen und sozialen Bedürfnisse des Menschen ab und lässt sich von daher typischerweise nicht über das Schutzgut „Tiere und Pflanzen" berücksichtigen.

c) Gewässer und Boden 527

Etwas anders sieht es beim Versagungsgrund der schädlichen Beeinflussung von Gewässer und Boden i.S.d. § 10 Abs. 4 S. 2 Nr. 3 KrW-/AbfG aus. Mit diesem Umweltgütern kommt der Mensch in seinem Wohnumfeld ständig und unmittelbar in Berührung. Verteilungsfragen finden hier insofern eine Berücksichtigung, als Vorbelastungen dieser Umweltgüter durch andere umweltbelastende Anlagen die Belastungsgrenze bereits herabsetzen. Bei der Auswahl von Standorten für Abfallentsorgungsanlagen kann kraft des Planungsermessens der Behörde die Vorbelastung potentiell geeigneter Gebiete berücksichtigt werden, indem überdurchschnittlich vorbelastete Gebiete als Standortflächen ausscheiden.

d) Schutz vor Verunreinigungen 528

und Lärm

Die Vorbelastung eines potentiellen Standortes wird auch beim Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen oder Lärm nach § 10 Abs. 4 S. 2 Nr. 4 KrW-/AbfG berücksichtigt. § 10 Abs. 4 S. 2 Nr. 4 KrW-/ AbfG knüpft an die Begriffsbestimmungen von § 3 Abs. 1, 2 und 4 BImSchG und die Immissionswerte der TA Luft und TA Lärm an. Danach sind schädliche Umwelteinwirkungen Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Der Begriff bildet eine Konkretisierung des Gebots der Rücksichtnahme, weswegen er im Bau- und Planungsrecht generelle Bedeutung hat. 9 9 7 997 Vgl. BVerwGE 52, 122 (126).

IV. Verteilungsfragen bei der Planung und Genehmigung

247

Luftverunreinigungen definiert § 3 Abs. 4 BImSchG als Veränderungen der natür- 529 liehen Zusammensetzung der Luft, insbesondere durch Rauch, Ruß, Staub, Gase, Aerosole, Dämpfe oder Geruchsstoffe. Erfasst werden auch Keime, Bazillen, Pollen usw. 998 Nach dem in der TA Luft geregelten Verfahren wird über einen Zeitraum von einem Jahr die vorhandene Immissionsbelastung im Einwirkungsgebiet (Vorbelastung) sowie die von der Abfallentsorgungsanlage zu erwartenden Immissionen (Zusatzbelastung) ermittelt und daraus die Gesamtbelastung im Einwirkungsbereich der Anlage errechnet. Der Schutz vor Gesundheitsgefahren, erheblichen Nachteilen und erheblichen Belästigungen durch Schadstoffe ist sichergestellt, wenn die Gesamtbelastung bestimmte Werte nach der TA Luft nicht überschreitet. Lärm bezeichnet die Immissionen, die in § 3 Abs. 2 BImSchG mit dem Begriff 530 „Geräusche" erfasst sind. 999 Die TA Lärm enthält sog. Immissionsrichtwerte für die Geräuschimmissionen. Die Richtwerte werden nach Gebietsarten und nach Tages- und Nachtzeiten differenziert. 1000 Der Verkehrslärm, der durch die Abfalltransporte und auf Deponien durch den An- und Abtransport von Boden verursacht wird, ist nach Nr. 7.4 TA Lärm der zu beurteilenden Anlage zuzurechnen. Die Prüfung auf schädliche Umwelteinwirkungen berücksichtigt sowohl bei 531 Schadstoffen als auch bei Lärm die Vorbelastung und entfaltet insofern eine Verteilungswirkung, als dass bei bereits hoher Vorbelastung eines Gebietes eine Anlage wegen ihrer Zusatzbelastung nicht mehr zulässig ist und somit nur in einem weniger vorbelasteten Gebiet platziert werden kann. Im Rahmen der Aufstellung von Abfallwirtschaftsplänen kann auch hier mittels des Planungsermessens bewusst auf die Herstellung von Umweltgerechtigkeit hingewirkt werden.

e) Ziele, Grundsätze und sonstige Erfordernisse

der Raumordnung

Die in die Zukunft gerichtete Koordination von Einzelmaßnahmen, die auf die 532 Standortqualität im Raum wirken und die Verteilung von Standortqualitäten regeln, sowie deren Integration in ein Gesamtkonzept ist Aufgabe und Ziel der Raumordnung. § 10 Abs. 4 S. 2 Nr. 5 KrW-/AbfG nennt die Ziele, Grundsätze und sonstigen Erfordernisse der Raumordnung als zu beachtende bzw. zu berücksichtigende abwägungserhebliche Belange. Damit wird die Abfallbeseitigung unmittelbar den Erfordernissen der Raumordnung im Sinne des Raumordnungsgesetzes (vgl. § 3 Nr. 1 ROG) unterstellt. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 ROG gehört das Streben nach ausgeglichenen ökolo- 533 gischen Verhältnissen in allen Teilräumen der Bundesrepublik Deutschland zu den Grundsätzen der Raumordnung. Er verlangt, dass bei raumbedeutsamen Planungen umweltrelevanter Vorhaben der unterschiedlichen Umweltqualität im Planungs998

Jarass, Bundesimmissionsschutzgesetz, 6. Aufl. 2005, § 3 Rn. 2. Frenz (FN 952), § 10 Rn. 31'. 1000 Vgl. Nr. 6.1 TA Lärm.

999

248

7. Kap.: Umweltgerechtigkeit bei der Abfallentsorgung

räum in der Weise Rechnung getragen wird, dass sich bestehende Disparitäten nicht weiter verschärfen. Damit kann dieser Raumordnungsgrundsatz als Manifestation des Umweltgerechtigkeitsgedankens angesehen werden (siehe oben 3. Kapitel ΠΙ.2.). 534

Die Grundsätze des § 2 Abs. 2 ROG werden in den Planungsgesetzen und Raumordnungsplänen der Länder teilweise gemäß § 2 Abs. 3 ROG ergänzt und durch Ziele präzisiert. So haben einige Bundesländer in ihren Raumordnungsplänen das Prinzip der gebietsbezogenen und ortsnahen Abfallbeseitigung als Grundsatz oder Ziel der Raumordnung festgeschrieben. 1001 Der Landesentwicklungsplan Hessen 2000 enthält den Raumordnungsgrundsatz, dass bei der Bestimmung der Abfallbeseitigungsanlage, derer sich die Beseitigungspflichtigen zu bedienen haben (Einzugsgebiet), die Grundsätze der ortsnahen Beseitigung zu beachten sind. 1 0 0 2 Das Landesraumordnungsprogramm Niedersachsen besagt, dass sich die Standortplanung von Anlagen zur Verwertung, Behandlung und Ablagerung von Abfällen zur Minimierung der Transportwege an den Abfallschwerpunkten orientieren soll. 1 0 0 3 Auch wenn zur Begründung dieser Zielfestlegung auf die Verkürzung der Transportwege und nicht auf eine gerechte Verteilung der mit der Abfallentsorgung verbundenen Umweltlasten abgestellt wird, bedeutet eine Orientierung an den Abfallschwerpunkten letztlich eine Verteilung der umweltbelastenden Anlagen nach dem Verursacherprinzip, das als ein allgemeines Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit herausgearbeitet wurde [siehe oben 1. Kapitel III.l.b)bb)(2)]. Der Landesentwicklungsplan Sachsen 1994 legt für die Vermeidung und Verwertung von Abfällen das Ziel fest, dass „rechtzeitig in ausreichendem Maße und in sachgerechter räumlicher Verteilung Anlagen zur Verwertung von Siedlungsabfällen geschaffen werden." 1004 Sachgerechte räumliche Verteilung der Anlagen meint allerdings eine der Sache, d. h. der Verbrennung oder Ablagerung vorzuziehenden stofflichen oder energetischen Verwertung der Abfälle dienende Anlagenverteilung, und keine der Herstellung von räumlicher Umweltgerechtigkeit. Dies ergibt sich aus den sich anschließenden Zielfestlegungen für Anlagen zur Behandlung und Ablagerung von nicht verwertbaren Abfällen. Bei diesen umweltbelastenden Anlagen fordert der Landesentwicklungsplan nur die Schaffung ausreichender Kapazitäten und spricht Verteilungsfragen nicht an. 1 0 0 5

535

Auch einzelne Abfallwirtschaftspläne greifen den Gedanken der ortsnahen, verursacherbezogenen Abfallbeseitigung in programmatischer Form auf. So heißt es im Abfallwirtschaftsplan Berlin, dass die Abfallentsorgung zunächst vom „Territo1001 Vgl. Landesentwicklungsplan Hessen v. 13. 12. 2000, S. 54, Nr. 13.2.; Landesentwicklungsplan Sachsen 1994, S. Z-73, Nr. 18.1. (Grundsatz); Landes-Raumordnungsprogramm Niedersachsen - Teil I I - v. 2. 3. 1994, C 3. 10. 02., S. 56 (Ziel). 1002 Landesentwicklungsplan Hessen v. 13. 12. 2000, S. 54. 1003 Landes-Raumordnungsprogramm Niedersachsen - Teil I I - v. 2. 3. 1994, C 3.10.02., S. 56. 1004 Landesentwicklungsplan Sachsen 1994, S. Z-74, Punkt 18.1.3.3. 1005 Vgl. Landesentwicklungsplan Sachsen 1994, S. Z-74 f., Punkt 18.1.4.

IV. Verteilungsfragen bei der Planung und Genehmigung

249

rialprinzip" ausgehen müsse, auch wenn das Land Berlin nicht in der Lage sei, die Abfallentsorgung vollständig im eigenen Land vorzunehmen. 1006 Der Abfallwirtschaftsplan Bayern legt als ein übergeordnetes Ziel die Beseitigungsautarkie fest, wobei das „Näheprinzip" zu berücksichtigen sei. 1 0 0 7 Auch nach dem Abfallwirtschaftsplan für den Regierungsbezirk Dessau ist maßgebliches Kriterium bei der Standortwahl der geplanten Abfallentsorgungsanlagen die Nähe zum jeweiligen Abfallschwerpunkt, um die Transportwege auf ein Minimum zu reduzieren. 1008 Auch wenn das Prinzip der ortsnahen Abfallbeseitigung (Näheprinzip, Territo- 536 rialprinzip) häufig mit der Begründung einer Reduzierung der Transportbelastungen versehen ist, kann es darüber hinaus als ein Kriterium zur Herstellung von Umweltgerechtigkeit im Bereich der Abfallentsorgung angesehen werden. Denn das Näheprinzip bewirkt, dass die ökologischen Lasten der Abfallentsorgung schwerpunktmäßig von den Verursachern getragen und nicht auf andere abgewälzt werden. Außer dem Prinzip der ortsnahen Abfallbeseitigung entfalten andere Zielfest- 537 legungen in den Raumordnungs- und Landesentwicklungsplänen insbesondere in den Bereichen Luftreinhaltung/Lärmschutz und Gewässer- / Grundwasserschutz, die den Gedanken des Belastungsausgleichs enthalten, für die Standortauswahl von Abfallbeseitigungsanlagen insofern Bedeutung, als dass besonders belastete oder schutzwürdige Gebiete als Standortflächen ausscheiden, sofern die Anlagen dem Ziel einer Belastungsminderung dieser Umweltmedien in diesen Gebieten zuwider laufen. Die Grundsätze der Raumordnung wirken auf Grund ihrer Abstraktheit nur als 538 richtungsweisende Vorgaben für nachfolgende Abwägungs- und Ermessensentscheidungen. Da sie im Unterschied zu den Zielen der Raumordnung nur zu berücksichtigen und nicht zu beachten sind, können sie im Rahmen der Abwägung bei der Aufstellung eines Abfallwirtschaftsplans durch andere Belange relativiert werden. Im Gegensatz dazu können die textlich oder zeichnerisch in den Raumordnungs· und Regionalplänen der Länder festgelegten Ziele der Raumordnung von den öffentlichen Stellen bei ihren Planungen und sonstigen Maßnahmen nicht mehr weggewogen werden, da bei ihnen bereits eine Abwägung stattgefunden hat.

f) Belange des Naturschutzes, der Landschaftspflege und des Städtebaus Welche Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege durch § 10 Abs. 4 539 Nr. 5 KrW-/AbfG im Einzelnen einbezogenen werden, kann der Auflistung in § 1 BNatSchG entnommen werden. Auch der in § 1 Nr. 4 BNatSchG angesprochene 1006 Abfallwirtschaftsplan Berlin - Teilplan Siedlungsabfall - v. 15. 2. 2001, Abi. 2001, S. 1117(1121). 1007 Anlage zur Verordnung über den Abfallwirtschaftsplan Bayern v. 18. 12. 2001,1.1.7.2. 1008 Abfallwirtschaftlplan für den Regierungsbezirk Dessau v. 29. 12. 2000, S. 50.

250

7. Kap.: Umweltgerechtigkeit bei der Abfallentsorgung

Erholungswert von Natur und Landschaft stellt ein Umweltgut dar, zu dem alle Bürger grundsätzlich gleichberechtigten Zugang haben müssen. Allerdings bezweckt § 10 Abs. 4 Nr. 5 KrW-/AbfG nur den Schutz und nicht die gerechte Verteilung der angesprochenen Umweltgüter. 540

Die Belange des Städtebaus sind vornehmlich in den §§29 bis 37 BauGB geregelt. Bei Planfeststellungen und Plangenehmigungen von Deponien sowie Genehmigungen von Abfallbeseitigungsanlagen nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz kommt die Kollisionsregel des § 38 BauGB für das Zusammentreffen von Fach- und Bauleitplanung zum Tragen, wonach die §§29 bis 37 BauGB und damit insbesondere das Einvernehmenserfordernis mit der betroffenen Gemeinde gem. § 36 BauGB nicht anzuwenden, die dort geregelten Belange aber als Orientierungshilfen in der fachplanerischen Abwägung zu berücksichtigen sind, wenn an den Verfahren die Gemeinde beteiligt wird. 1 0 0 9 Dies bedeutet, dass für die Standortwahl von Abfallbeseitigungsanlagen in der Regel nur solche Flächen in Betracht kommen, die bereits in einem Flächennutzungsplan nach § 5 Abs. 2 Nr. 4 BauGB oder in einem Bebauungsplan nach § 9 Abs. 1 Nr. 14 BauGB dafür ausgewiesen sind. Ziel der Verlagerung der Entscheidungskompetenz über die Zulässigkeit eines Bauvorhabens von der Gemeinde auf den Fachplanungsträger ist es, überörtlich bedeutsame Vorhaben aus dem Verantwortungsbereich der Gemeinde herauszunehmen, um einerseits die Durchführung des - oftmals politisch schwer durchsetzbaren - Vorhabens sicherzustellen und andererseits eine rechtliche oder politische Überforderung der Gemeinde zu vermeiden. Im Zweifelsfall kann sich die Fachplanungsbehörde daher auch gegen entgegenstehende Festsetzungen eines Bebauungsplans durchsetzen. 1010

541

Neben § 38 BauGB betrifft § 7 BauGB das Verhältnis von Fach- und Bauleitplanung Danach ist die Fachplanungsbehörde bei ihrer Standortauswahl insoweit an die Festlegungen in einem Flächennutzungsplan gebunden, als sie den Festlegungen nicht widersprochen hat. 1 0 1 1

3. Verteilungskriterien bei der Planfeststellung und Genehmigung a) Vorschriften 542

des Bundes-Immissionsschutzgesetzes

Nach der Rechtsgrundverweisung des § 31 Abs. 1 KrW-/AbfG bedürfen gem. § 4 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BImSchG i.V. m. Nr. 8.1 ff. des Anhangs zur 4. BImSchV die Errichtung und der Betrieb von ortsfesten Abfallbeseitigungsanlagen zur Lagerung oder Behandlung von Abfällen zur Beseitigung sowie von Abfallverwertungs1009 Schmaltz , in: Schröter, Baugesetzbuch, 6. Aufl. 1998, § 38 Rn. 11. 1010 Lohr, in: Battis/Krautzberger/Lohr, BauGB, 9. Aufl. 2005, § 38 Rn. 7. ion Siehe zu den Widerspruchsmöglichkeiten: Stüber, Standortauswahl für Großvorhaben, 2001, S. 267.

IV. Verteilungsfragen bei der Planung und Genehmigung

251

anlagen einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung. Nach § 6 BImSchG ist die Genehmigung zu erteilen, „wenn 1. sichergestellt ist, dass die sich aus § 5 und einer auf Grund des § 7 erlassenen Rechtsverordnung ergebenden Pflichten erfüllt werden, und 2. andere öffentlich-rechtliche Vorschriften und Belange des Arbeitsschutzes [ . . . ] nicht entgegenstehen." Die Genehmigung stellt damit eine gebundene Zulassungsentscheidung dar. 543 Eine solche räumt der Genehmigungsbehörde keinerlei Ermessen oder planerische Gestaltungsmacht ein. Aus diesem Grunde ist die Berücksichtigung von Verteilungsaspekten nur möglich, wenn dies im Tatbestand explizit vorgesehen ist. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG dürfen von der Errichtung und dem Betrieb 544 der Anlage keine schädlichen Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft ausgehen. Anders als § 10 Abs. 4 S. 2 Nr. 4 KrW-/AbfG werden damit nicht nur Luftverunreinigungen und Lärm erfasst, sondern alle Einwirkungen auf die menschliche Gesundheit. Auch die Verbreitung von Krankheiten durch Tiere (ζ. B. Ratten oder Fliegen) fallen darunter. 1012 Nicht erfasst werden Beeinträchtigungen nicht physikalischer Art, die allein durch die Existenz der Anlage verursacht werden, wie der Entzug von Licht, die Verschlechterung der Verkehrslage, Umsatzrückgänge oder die Gefahr einer nachträglichen Anordnung nach § 17 BImSchG gegenüber einem bereits vorhandenen Betrieb wegen Überschreitung eines zulässigen „Lärmkontingents". 1013 Solche Einbußen können aber möglicherweise teilweise auf finanzieller Ebene kompensiert werden (siehe dazu unten 10. Kapitel). Anders als die übrigen Tatbestandsmerkmale des § 5 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 545 BImSchG entfaltet § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG insofern eine begrenzte Verteilungswirkung, als dass bei bereits hoher Vorbelastung eines Gebietes eine Anlage wegen ihrer Zusatzbelastung nicht mehr zulässig ist und somit nur in einem weniger vorbelasteten Gebiet platziert werden kann. 1 0 1 4 Im Unterschied zur Aufstellung von Abfallwirtschaftsplänen kann allerdings im Rahmen der gebundenen Zulassungsentscheidung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz keine übergeordnete Steuerung der Verteilungsaspekte stattfinden. Vielmehr besteht die Gefahr von unkoordinierten Verdrängungs- und Verlagerungseffekten.

1012 Jarass (FN 14), § 5 Rn. 29. ion OVG Münster, UPR 2001, 230; Roßnagel, in: Koch/Scheuning/Pache (Hg.), GKBlmSchG, § 5 Rn. 224. 1014 Vgl. OVG Münster, UPR 2001, 230.

252

7. Kap.: Umweltgerechtigkeit bei der Abfallentsorgung

b) Planfeststellung 546

und Genehmigung von Deponien

Entscheidend für die konkrete Platzierungsentscheidung einer Deponie ist das Planfeststellungsverfahren und der abschließende Planfeststellungsbeschluss nach § 31 Abs. 2 KrW-/AbfG bzw. die Plangenehmigung nach § 31 Abs. 3 KrW-/AbfG. Wichtigste Zulassungsvoraussetzung für die Errichtung und den Betrieb einer Deponie ist nach § 32 Abs. 1 Nr. 1 KrW-/AbfG, dass das Wohl der Allgemeinheit und dabei insbesondere die in § 10 Abs. 4 KrW-/AbfG genannten Schutzgüter nicht beeinträchtigt werden. Damit sind im Prinzip die gleichen Kriterien wie bei der Aufstellung des Abfallwirtschaftsplans auf der ersten Stufe des Planungsverfahrens zu prüfen, so dass der raumordnerische Grundsatz der Herstellung ausgeglichener ökologischer Verhältnisse (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 ROG) unmittelbar bei der konkreten Zulassungsentscheidung zu berücksichtigen ist. Doch da es sich bei der abfallrechtlichen Planfeststellung bzw. Plangenehmigung im Gegensatz zur immissionsschutzrechtlichen Genehmigung um eine planerische Ermessensentscheidung handelt, 1015 kann dieser Belang im Rahmen der Abwägung überwunden werden. 4. Maßgebliche Prinzipien

547

Die Regeln, nach denen die Verteilung von Gütern und Lasten vorgenommen werden, sind überwiegend keine naturgegebenen Tatsachen, sondern Ergebnisse menschlichen Planens und Handelns. 1016 Die Verteilung von Umweltlasten und -nutzen bei der Abfallentsorgung wird vor allem durch das Kreislaufwirtschaftsund Abfallrecht sowie das Immissionsschutzrecht bestimmt. Die aufgezeigten Verteilungsprobleme im Bereich der Abfallentsorgung stellen exponierte Beispiele dar, die zu der Frage Anlass geben, mit welchen materiell-rechtlichen Kriterien der oftmals als ungerecht empfundenen Platzierung von Abfallentsorgungsanlagen und der Verteilung von Abfallströmen entgegengewirkt werden kann.

a) Prinzip der Nachhaltigkeit 548

Das Prinzip der Nachhaltigkeit betrifft die intergenerationelle Gerechtigkeit und hält es für ungerecht, Umweltbelastungen statt sie in der Gegenwart zu bewältigen, in die Zukunft zu verschieben. Der Bundesrat hat 1993 eine zwölfjährige Übergangsfrist für die Umsetzung der Standards für die Deponierung von Siedlungsabfällen in den Nr. 11 und 12 der TA Siedlungsabfall durchgesetzt, wonach die Ablagerung von Abfällen, welche die Zuordnungswerte nach Anhang Β nicht einhalten, auf Altdeponien und gesonderten Abschnitten von Deponien der Klassen I und II zugelassen werden kann. Die aus diesem Grund betriebene Verfüllung von Nied1015 Paetow, in: Kunig/Paetow/Versteyl (FN 919), § 31 Rn. 38. 1016 Schmidt, ZfRSoz 1993, 80 (83).

IV. Verteilungsfragen bei der Planung und Genehmigung

253

rigstandard-Deponien sparte zwar in der Vergangenheit Umrüstungs- und Beseitigungskosten, erhöht aber die zukünftigen Umweltgefahren durch Deponiesickerwasser und -gase sowie die Kosten der Nachsorge. Ausnahmeregelungen und Übergangsfristen bei der Verschärfung von Umweltstandards können vornehmlich in Widerspruch zum Prinzip der Nachhaltigkeit geraten.

b) Proportionale

Gleichheit und Verursacherprinzip

Verteilungsgerechtigkeit ist verwirklicht, wenn alle den im Wesentlichen glei- 549 chen Anteil an den gesellschaftlichen Gütern erhalten und keiner - ohne sachlichen Grund - mehr Lasten zu tragen hat als die anderen. Dabei ist jedoch das Kriterium der strikten arithmetischen Gleichheit - wie bereits dargelegt - für eine gerechte Verteilung von Umweltlasten nicht geeignet, weil damit eine Vorbelastung oder eine besondere Schutzbedürftigkeit bestimmter Gebiete nicht berücksichtigt werden kann. Außerdem produzieren die Abfallverursacher Umweltlasten in unterschiedlicher Menge und Schädlichkeit, so dass auch aus diesem Grund eine strikte Gleichbehandlung bei der Lastentragung nicht als gerecht angesehen werden kann. Gerechter ist eine Verteilung des Abfallaufkommens nach dem Kriterium der Proportionalität in der Weise, dass jeder Verursacher eine seinem Anteil entsprechend große Belastung zu tragen hat. Damit wird zugleich dem Verursacherprinzip entsprochen, welches ebenfalls als materielles Kriterium für eine gerechten Verteilung von Umweltlasten herangezogen werden kann. In tatsächlicher Hinsicht ist einer proportionalen Verteilung von Entsorgungs- 550 anlagen und Abfallmengen nach der mengenmäßigen Verursachung des Abfallaufkommens nur begrenzt realisierbar. Denn gesundheits- und umweltpolitische Vorgaben und wirtschaftliche Erfordernisse führen zu einer Konzentration der Abfallentsorgung auf immer weniger, aber größere Anlagen. Die Verteilungskriterien der Proportionalität und Verursachungsverantwortlichkeit behalten aber insoweit Bedeutung, als es den theoretischen Idealzustand vorgibt, der, sofern er tatsächlich nicht erreicht werden kann, dennoch den Maßstab für eventuell zu erwägende Kompensationsleistungen an die von der konzentrierten Abfallentsorgung überproportional Belasteten Anwohner und Gemeinden bildet.

c) Prinzip der ortsnahen Abfallbeseitigung Die derzeit in Deutschland praktizierte Verbringung von Abfällen in räumlich 551 weit von den Entstehungsorten entfernte Anlagen wird verständlicher Weise als unökologisch und ungerecht kritisiert und führt zu der Forderung, Abfälle möglichst in der Nähe ihrer Entstehung zu entsorgen. 1017 Das Prinzip der ortsnahen Abfallbeseitigung hat seinen normativen Ursprung im europäischen Abfallrecht. ιοί 7 Schmitt-Tegge, in: Johnke / Schmitt-Tegge (FN 956), S. 10.

254

7. Kap.: Umweltgerechtigkeit bei der Abfallentsorgung

552

Art. 5 Abs. 1 der EG-Abfallrahmenrichtlinie von 1972 verpflichtet die Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass ein „Netz von Beseitigungsanlagen" zur Verfügung steht, das dem einzelnen Mitgliedstaat und der Gemeinschaft insgesamt ermöglicht, die Entsorgungsautarkie zu erreichen (Grundsatz der Beseitigungsautarkie). Nach Art. 5 Abs. 2 EG-AbfRL muss diese Infrastruktur gestatten, „dass die Abfälle in einer der am nächsten gelegenen geeigneten Entsorgungsanlagen unter Einsatz von Methoden und Technologien beseitigt werden, die am geeignetsten sind, um ein hohes Niveau des Gesundheits- und Umweltschutzes zu gewährleisten" (sog. Näheprinzip). Das Näheprinzip findet seine primärrechtliche Grundlage im Ursprungsprinzip des Art. 174 Abs. 2 S. 2 EG-Vertrag. 1018 Außerdem bewirkt eine Beseitigung der Abfälle in der Nähe ihrer Entstehung, dass die damit verbundenen Belastungen von den Verursachern getragen werden. Damit lässt sich das Prinzip der ortsnahen Beseitigung auch als Ausprägung des Verursacherprinzips (Art. 174 Abs. 2 S. 2 EG-Vertrag) einstufen, das zu einer gerechten Verteilung von Umweltlasten im Sinne proportionaler Gleichheit führt. Außerdem bedeutet in ökologischer Hinsicht eine ortsnahe Beseitigung eine Reduzierung der Stoff- und Verkehrsströme.

553

Das europarechtliche Näheprinzip beschränkt sich nicht darauf, Umweltbelastungen zu vermeiden, die aus dem Transport von Abfällen entstehen können, sondern besteht in einer Optimierung der Abfallentsorgung, indem es für die Lenkung der Abfallverbringung nicht nur auf die Entfernung, sondern auch auf die Qualität der Anlage ankommt. Beide Anforderungen, die technische Geeignetheit und die geographische Nähe, geraten in Konflikt miteinander, wenn die geographisch nächste Anlage nicht die technisch beste ist und umgekehrt. In diesen Fällen ist eine Abwägung erforderlich, wobei sich die Frage stellt, ob der Qualität der Anlage oder der Nähe zum Abfallentstehungsort der Vorrang gebührt. Aus Gesundheitsund Umweltschutzgründen wird überwiegend der Qualität der Anlage der Vorrang eingeräumt. 1019 Aus Sicht der Umweltgerechtigkeit kann dem allerdings nicht uneingeschränkt gefolgt werden. Eine vorrangige Orientierung am Eignungskriterium würde letztlich bedeuten, dass sich die Abfallentsorgung bundes- oder sogar europaweit auf die wenigen jeweils technisch modernsten Anlagen konzentrieren müsste, was zu einer Verschärfung des Verteilungsproblems führen würde, weil die Umgebung der technisch modernsten Anlagen zum größten Teil Umweltlasten fremder Verursacher zu tragen hätte. Deshalb nennt auch Art. 5 Abs. 2 EG-AbfRRL die geografische Komponente vor der Eignungskomponente. Die Eignungskomponente verlangt ferner als Ergebnis der Wahl der Abfallentsorgungsanlage mit der geeignesten Technik nur, dass ein hohes, nicht aber das höchste Gesundheits- und Umweltschutzniveau erreicht wird. Die zu wählende Anlage muss folglich nicht dem neuesten Stand der Technik entsprechen und damit zum besten Anlagentyp lois Frenz (FN 952, § 10 Rn. 42. 1019 Frenz (FN 952), § 10 Rn. 43; Hoppe/Beckmann, DVB1. 1995, 817 (823); Wilmowsky, NVwZ 1999, 597 (598), der bei der Beurteilung des besseren Umweltstandards eine ÖkoBilanz verlangt, in welche die Transportemissionen berücksichtigt werden.

IV. Verteilungsfragen bei der Planung und Genehmigung

255

gehören. 1020 Aus diesem Grund ist die Lenkung der Abfallverbringung vorrangig nach dem Näheprinzip auszurichten und aus Umweltschutzgesichtspunkten nur in Ausnahmefällen davon abzuweichen, wenn die Beseitigung in der geografisch nächsten Anlage auf Grund von Übergangsregelungen und Ausnahmebestimmungen eine dem Stand der Technik nicht mehr entsprechende Entsorgung bedeutet. In diesem Fall gebietet das Prinzip der Nachhaltigkeit ein Abweichen vom Näheprinzip. Von der Einhaltung des Näheprinzips ist eine Autarkie zu unterscheiden, die weder sinnvoll noch möglich ist, wenn ζ. B. in einem Bundesland die geologischen Voraussetzungen für die Errichtung einer Deponie fehlen. Außerdem ist es wirtschaftlich nicht sinnvoll, auch bei kleinsten Mengen spezieller Abfälle eigene Entsorgungseinrichtungen vorzuhalten. Unter Umweltgerechtigkeitsgesichtspunkten ist durchaus eine länderübergreifende Kooperation möglich und sinnvoll, wenn für Ausgleichsmechanismen gesorgt ist und sie nicht zu Transporten großer Mengen von Sonderabfallen über die Grenzen von Bundesländern hinweg führen. Das Nähe- oder Territorialprinzip gilt schließlich nur für Abfälle zur Beseitigung. Im Bereich der Abfallverwertung gelten grundsätzlich keine territorialen Beschränkungen. Das Näheprinzip des Art. 5 Abs. 2 EG-AbfRRL ermächtigt die Mitgliedstaaten 554 zu einer entsprechenden Lenkung der Abfallverbringung, verpflichtet sie jedoch nicht dazu. 102 1 Während in Deutschland auf Bundesebene keine normativen Festlegungen hinsichtlich einer ortsnahen Abfallbeseitigung existieren, haben einige Bundesländer in ihren Raumordnungsplänen das Prinzip der ortsnahen Beseitigung ausdrücklich als Grundsatz oder Ziel der Raumordnung festgeschrieben. 1022 Entsprechend greifen die Abfallwirtschaftspläne den Grundsatz in programmatischer Form auf. 1 0 2 3 Brandenburg, das in seiner Verfassung dem Umweltschutz die stärkste Stellung unter allen Verfassungen in Bund und Ländern einräumt, hat das Territorialprinzip als Grundsatz der Abfallwirtschaftspolitik in Art. 39 Abs. 6 seiner Verfassung festgeschrieben: „Die Entsorgung von Abfällen, die nicht im Gebiet des Landes Brandenburg entstanden sind, ist unter Berücksichtigung der Besonderheiten Berlins nur in Ausnahmefällen zulässig und auszuschließen, sofern sie nach ihrer Beschaffenheit in besonderem Maße gesundheits- und umweltgefährdend sind". Die Landesverfassung geht damit von dem Grundsatz der Entsorgung von Abfällen möglichst in der Nähe ihrer Entstehung und von der Vermeidung unnötiger Transporte als Leitlinie aller behördlichen Entscheidungen und Planungen aus. 1020 a . A. Wilmowsky, NVwZ 1999, 597 ff. 1021 Wilmowsky, NVwZ 1999, 597 (598); David, DÖV 1992, 697 (701). 1022 Vgl. Landesentwicklungsplan Hessen v. 13. 12. 2000, S. 54, Nr. 13.2.; Landesentwicklungsplan Sachsen 1994, S. Z-73, Nr. 18.1. (Grundsatz); Landes-Raumordnungsprogramm Niedersachsen - Teil II - v. 2. 3. 1994, C 3. 10. 02., S. 56 (Ziel). 1023 Abfallwirtschaftsplan Berlin - Teilplan Siedlungsabfall - v. 15. 2. 2001, Abi. 2001, S. 1117(1121); Anlage zur Verordnung über den Abfallwirtschaftsplan Bayern v. 18.12. 2001, 1.1.7.2.

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7. Kap.: Umweltgerechtigkeit bei der Abfallentsorgung

555

Die gegenwärtige Entwicklung der abfallwirtschaftlichen Lage in der Bundesrepublik Deutschland läuft allerdings dem Nähe- bzw. Territorialprinzip und damit einer proportionalen Lastenverteilung zuwider. Seit Inkrafttreten des ersten Abfallgesetzes auf Bundesebene wird die Anzahl der Deponien immer weiter reduziert. Auch bei der Verbrennung und sonstigen Behandlung von Abfällen führen fortschreitende Technisierung, Spezialisierung und wirtschaftliche Rationalisierung zu einer Zentralisierung auf immer weniger und immer größere Anlagen, wodurch sich der jeweilige Einzugsbereich entsprechend ausweitet. Dementsprechend hält ζ. B. das Landesraumordnungsprogramm Niedersachsen 1994 - Teil I - der Abfallwirtschaftsplanung die Möglichkeit offen, Anlagen zur Verwertung, Behandlung und Ablagerung von Abfallen gegebenenfalls über den Zuständigkeitsbereich der entsorgungspflichtigen Körperschaften hinaus zu planen, wobei sich die Anlagenplatzierung aber zumindest zur Minimierung der Transportwege an den Abfallschwerpunkten orientieren soll. 1 0 2 4 Mit einer Reduzierung der Anlagen geht eine Verschärfung des Verteilungsproblems einher, da jeweils verhältnismäßig wenige die Nachteile der von vielen verursachten Abfälle tragen müssen. Allein (!) unter dem Gesichtspunkt der Verteilungsgerechtigkeit betrachtet, erscheint der Zustand von vor 1972 mit über 50 000 über das Bundesgebiet verteilten Müllkippen als vorzugswürdig, als jede Gemeinde den in ihrem Gebiet erzeugten Müll in eigenen Gruben entsorgte. Das Prinzip der ortsnahen Abfallbeseitigung bedeutet in der praktischen Umsetzung, dass die zukünftige Abfallpolitik verstärkt auf kleinräumige, dezentrale Lösungen hinwirken sollte. Um allerdings der ökologischen Komponente der Umweltgerechtigkeit zu entsprechen, muss gewährleistet sein, dass eine Dezentralisierung der Abfallentsorgung nicht zu einem Absinken des Umwelt- und Gesundheitsschutzniveaus führt.

556

Inwieweit technische und wirtschaftliche Zwänge der Realisierung einer kleinräumigen Abfallentsorgung derzeit oder überhaupt Grenzen setzen, bedarf einer weiteren Untersuchung. Allerdings zeigt das Beispiel der Abwasserbeseitigung, dass kleinräumige Lösungen technisch realisierbar und sogar sowohl unter ökologischen als auch unter ökonomischen Gesichtspunkten für die einzelne Gemeinde vorteilhafter sein können: Seit einigen Jahren sind dezentrale Abwasserbeseitigungsanlagen als dauerhafte Lösung zur Abwasserbehandlung anerkannt (vgl. § 18a Abs. 1 S. 2 WHG) und können mittlerweile zu Preisen angeboten werden, die für noch nicht erschlossene Gemeinden zu günstigeren Abwassergebühren führen als ein Anschluss an eine zentrale Anlage. Der ökonomische Vorteil einer dezentralen Lösung liegt für die Gemeinde vor allem darin, dass die Investition im eigenen Gebiet entsteht, was Arbeitsplätze schafft und Steuern einbringt. Zum anderen bleibt das verbrauchte Wasser in der Region und wird nicht über viele Kilometer transportiert. Im Bereich der Energieversorgung geht die technische Entwicklung sogar hin bis zu Anlagen für einzelne Wohnhäuser. Was im Bereich 1024 Landes-Raumordnungsprogramm Niedersachsen - Teil I - v. 2. 3. 1994, S. 56, Nr. 3.10.02.

V. Verfahrensgerechtigkeit in der Abfallentsorgungsplanung

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der Abwasserbeseitigung und Energieversorgung bereits erreichbar ist, sollte zumindest teilweise auch im Bereich der Abfallentsorgung möglich sein.

d) Grundsatz der Herstellung gleichwertiger ökologischer Lebensverhältnisse Über den raumordnerischen Grundsatz der Herstellung gleichwertiger ökolo- 557 gischer Lebensverhältnisse in allen Teilräumen der Bundesrepublik Deutschland (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 ROG) findet der Gedanke einer gerechten räumlichen Verteilung von Umweltlasten und -nutzen auch bei der Aufstellung von Abfallwirtschaftsplänen nach § 29 KrW-/AbfG als der ersten Stufe der Standortauswahl für Abfallbeseitigungsanlagen Berücksichtigung. Allerdings handelt es sich bei den Grundsätzen der Raumordnung nicht um verbindliche Letztentscheidungen, vielmehr gehen sie mit anderen Belangen in die Abwägung der Abfallwirtschaftplanung ein und können unter Beachtung der Abwägungsfehlerlehre bei Kollision mit überwiegenden Belangen zurückgestellt werden. Damit kommt dem Gesichtspunkt einer gerechten räumlichen Verteilung von Umweltbelastungen bei der Standortauswahl für Abfallentsorgungsanlagen ein relativ schwaches Gewicht zu. Um der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 ROG versteckten Forderung nach einem Aus- 558 gleich der ökologischen Verhältnisse mehr Gewicht zu verleihen, wäre es wünschenswert, die Forderung nach einer gerechten Verteilung von Umweltgütern und -lasten in Zukunft ausdrücklich als Ziel der Raumordnung in den Raumordnungsplänen der Länder aufzunehmen. Ein solches Ziel könnte folgendermaßen formuliert werden: „Der Abbau ungleicher ökologischer Lebensbedingungen soll durch geeignete raumstrukturelle Maßnahmen gefördert und somit eine gerechte Verteilung von Umweltgütern und -lasten erreicht werden. Zu diesem Zweck ist bei raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen die Vorbelastung und Belastungsfähigkeit der Umwelt im betroffenen Einwirkungsgebiet zu berücksichtigen."

V. Verfahrensgerechtigkeit in der Abfallentsorgungsplanung Obwohl die Anforderungen an die Abfallentsorgung durch die 17. BImSchV, die 559 TA Siedlungsabfall, die Abfallablagerungsverordnung, die Deponieverordnung etc. immer weiter verschärft worden sind und die Umweltbelastungen im Bereich der Abfallentsorgung tendenziell zurückgehen, nehmen die Widerstände von Anwohnern, Bürgerinitiativen und Umweltschutzverbänden gegen Aus- und Neubauvorhaben von Abfallbeseitigungsanlagen nicht ab, sondern eher z u . 1 0 2 5 Nach wie vor 1025 Schmitt-Tegge, in: Johnke/Schmitt-Tegge (FN 956), S. 10 f. 17 Kloepfer

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7. Kap.: Umweltgerechtigkeit bei der Abfallentsorgung

ist es in der Bundesrepublik Deutschland nahezu unmöglich, einen Standort für eine Deponie oder eine Verbrennungsanlage auszuwählen, ohne nicht den massiven Protest der Umgebungsbevölkerung sowie der Gebiets- und Nachbargemeinden hervorzurufen. 1026 Dabei ist das Phänomen zu beobachten, dass sich selbst dann Widerstände gegen den Ausbau einer schon lange in Betrieb befindlichen Verbrennungsanlage regen, wenn im Rahmen der Kapazitätserweiterung eine technische Aufrüstung erfolgt, so dass am Ende weniger Schadstoffe emittiert werden als vor dem Ausbau. 1027 Gleichwohl verschärft sich bei einer Kapazitätserweiterung durch die Anlieferung größerer Mengen ortsfremder Umweltlasten das Problem der Verteilungsgerechtigkeit und es steigen trotz schärferer Umweltstandards der Anlage die mittelbar verursachten Umweltbelastungen ζ. B. durch den zunehmenden Anlieferungsverkehr. 560

Der regelmäßige und oftmals hartnäckige Widerstand der Öffentlichkeit gegen technische Großvorhaben hat neben dem Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit weitere, allgemein gesellschaftliche Ursachen: Das demokratische Selbstbewusstsein und das gestiegene Bildungsniveau der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland hat zu einer wachsenden Partizipationsfähigkeit und -hereitschaft breiter Schichten geführt. Gleichzeitig ist ein zunehmender Vertrauensverlust in die Gestaltungsfähigkeit und -Willigkeit der politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Eliten zu verzeichnen. 1028 Dieses Misstrauen resultiert aus der zunehmend komplexer werdenden und immer schwieriger zu durchschauenden Lebensumwelt sowie aus den Fehlern, die in der Vergangenheit bei der politischen und technischen Planung gemacht worden sind. Zu diesen Fehlern zählen u. a. korruptes Zusammenwirken von Politikern und Investoren sowie unzureichende, teilweise falsche oder zumindest beschönigende Information der Öffentlichkeit. Nicht zuletzt verschärfen die unterschiedlichen Wertvorstellungen und Interessenlagen in einer pluralistischen Gesellschaft das Konfliktpotential. Dass trotz zunehmender rechtlicher und technischer Anforderungen an Planung, Genehmigung und Betrieb umweltbelastender Anlagen die Akzeptanz sich nicht verbessert, sondern eher ab1026 Geulen, in: Johnke / Schmitt-Tegge (FN 956), S. 86; vgl. aus jüngerer Zeit allein in Berlin und Umgebung die Proteste gegen den Ausbau der Müllverbrennungsanlage in BerlinRuhleben (Berliner Zeitung v. 21. 11. 2002, S. 24) und den Neubau einer Müllverbrennungsanlage im Landkreis Oberhavel (Berliner Zeitung v. 22. 11. 2002, S. 24). 1027 Dies zeigte sich in der Diskussionssendung „VOR ORT" des ORB vom 7. 11. 2002, bei der die Bürger von Kirchmöser bei Brandenburg sich nicht von den Argumenten für den Umrüstung des dortigen Heizkraftwerkes zur Verbrennung von Altholz (u. a. lackierte Möbeln, Fenster, Türen) überzeugen ließen.

1028 Im Rahmen einer Sondererhebung des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP), das vom Deutschen Institut für Wirtschaftsförderung in Berlin durchgeführt wird, wurden im Sommer 2003 etwa 850 Erwachsene zu ihrem Vertrauen in Institutionen und im privaten Bereich befragt. Während ein hohes Vertrauen in die eigene Familie (85 % der Befragten) und die Nachbarn (75 %) gesetzt wird, schenken nur die Hälfte Schule, Bildungswesen und Gerichten ein hohes Vertrauen. Den Gewerkschaften und Unternehmen (25%) sowie dem Bundestag (20 %) bringen die wenigsten Deutschen ein hohes Vertrauen entgegen. (Berliner Zeitung v. 1.6. 2004, S. 3).

V. Verfahrensgerechtigkeit in der Abfallentsorgungsplanung

259

nimmt, hat eine weitere, tiefergehende Ursache darin, dass nach Habermas die Zunahme rechtlicher Normen zu einer Entfremdung des Subjekts von der Lebenswelt führt. 1 0 2 9 Das Misstrauen der betroffenen Bürger gegenüber staatlichen Planungsentschei- 561 düngen lassen sich in einer aufgeklärten, demokratischen, pluralistischen Gesellschaft nicht mehr allein dadurch beheben, dass Anlagen mit dem Hinweis auf die Einhaltung von neuen rechtlichen Regelungen, die Unterschreitung von strengen Emissionsgrenzwerten, die Vermeidung von Altlasten oder die Gewinnung von Energie aus Abfall genehmigt werden. Wie bei allen Gerechtigkeitsfragen, so gilt auch für Probleme der räumlichen Umweltgerechtigkeit, dass sie eine materiale und eine prozedurale Seite haben. Die massiven, häufig emotionsgeladenen Widerstände der Öffentlichkeit gegen technische Großvorhaben mit potentiell umweltbelastender Wirkung haben ihre Ursache nicht ausschließlich in einem Defizit der materiellen Verteilungsgerechtigkeit, sondern in einem Mangel an Verfahrensgerechtigkeit. Das bedeutet nach der Procedural /wsf/ce-Forschung, dass Maßnahmen zur gerechten Verteilung insbesondere von Umweltlasten nicht nur auf das Ergebnis abzielen dürfen, sondern in gleicher Weise bei einer Verbesserung des Verfahrens ansetzen müssen.

1. Verfahrensdefizite bei der Standortauswahl von Entsorgungsanlagen Zur Herstellung von Umweltgerechtigkeit ist eine umfassende Verbesserung des 562 Dialogs und eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Planern und betroffenen Bürgern bei öffentlichen Beteiligungen erforderlich. 1030 Dazu müssen die Planungen der Behörden so frühzeitig wie möglich offengelegt, die Bürger beteiligt und der Abwägungsprozess transparent gemacht werden. Eine umfassende Öffentlichkeitsbeteiligung im Entscheidungsverfahren wird gemeinhin als eine wesentliche Voraussetzung für die Akzeptanz von Verwaltungsentscheidungen angesehen.1031 Die Beteiligung der Öffentlichkeit im Zulassungsverfahren für Abfallbeseiti- 563 gungsanlagen wird durch § 10 BImSchG i.V.m. den §§ 8 ff. der 9. BImSchV und durch § 34 KrW-/AbfG i.V.m. § 73 VwVfG geregelt. Während im immissionsschutzrechtlichen Zulassungsverfahren jedermann berechtigt ist, Einwendungen zu erheben (Jedermann- oder Popularbeteiligung), erkennt § 73 Abs. 4 S. 1 VwVfG im Planfeststellungsverfahren nicht jedem eine Einwendungsbefugnis zu, sondern nur denjenigen, deren eigene Belange durch das Vorhaben berührt werden (Inte1029 Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns. Bd. 2, 1981, S. 522 ff. 1030 Vgl. Schmitt-Tegge, in: Johnke/Schmitt-Tegge (FN 956), S. 101. 1031 Zur akzeptanzsteigernden Wirkung der Öffentlichkeitsbeteiligung im Verwaltungsverfahren: Würtenberger, Die Akzeptanz von Verwaltungsentscheidungen, Baden-Baden 1996, S. 80 ff.; Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S. 214 ff. 17*

260

7. Kap.: Umweltgerechtigkeit bei der Abfallentsorgung

ressen- oder Betroffenenbeteiligung). 1032 Zwar werden von den Belangen im Sinne des § 73 Abs. 4 S. 1 VwVfG nicht nur subjektive Rechte, sondern alle wirtschaftlichen, ökologischen, sozialen, kulturellen, ideellen und sonstigen Interessen erfasst. 1033 Trotzdem bleibt der Umfang der Öffentlichkeitsbeteiligung hinter der Popularbeteiligung im immissionsschutzrechtlichen Verfahren zurück, was insofern widersprüchlich ist, als dass das Planfeststellungsverfahren gerade für die einen überörtlichen Koordinationsbedarf auslösenden Deponien vorgesehen ist (siehe oben IV.l.b)bb)). Die Verknüpfung des Beteiligungsrechts mit einer Betroffenheit in eigenen Belangen zwingt die Bürger dazu, nach dem sog. Floriansprinzip oder NIMBY-Syndrom 1034 vorzugehen, was ihnen dann aber häufig von Seiten der Behörden und Planern vorgeworfen wird. 1 0 3 5 Problematisch ist auch, dass es im Falle einer Plangenehmigung nach § 31 Abs. 3 KrW-/AbfG wegen § 74 Abs. 6 S. 2 HS. 2 VwVfG keiner Beteiligung der Öffentlichkeit bedarf, was zu Konflikten mit den auf Information, Transparenz und Partizipation ausgerichteten europarechtlichen Vorgaben führen kann. 1 0 3 6 564

In der Praxis holen die Planungsträger vor Aufstellung eines Abfallwirtschaftsplans bzw. vor Einleitung des abfallrechtlichen Zulassungsverfahrens regelmäßig Standortgutachten privater Sachverständiger ein, welche die in Betracht kommenden Standorte nach bestimmten Kriterien untersuchen und bewerten und auf eine kleine, im förmlichen Verwaltungsverfahren zu berücksichtigenden Anzahl reduzieren. 1037 Man erhofft sich von der Einschaltung privater Gutachter eine Akzeptanzverbesserung und Förderung der Rationalität der späteren Entscheidung, da die politisch brisante Standortauswahl von einer neutralen Instanz vorbereitet oder gar vorgenommen wird. 1 0 3 8 Allerdings weisen die von den Sachverständigen meist selbst entwickelten Bewertungsschemata keine einheitlichen Kriterien auf und haben keine normative oder wenigstens verwaltungsinterne Bindungswirkung. Diesem Problem treten die Länder zunehmend dadurch entgegen, dass sie in Form von Verwaltungsvorschriften den Planungsträgern Hinweise für die Auswahl von Standorten für Deponien an die Hand geben. 1039 Es bleibt jedoch das Problem, 1032 Allgemein zu den unterschiedlichen Formen der Öffentlichkeitsbeteiligung: Kloepfer (FN 984), § 5 Rn. 82; Sparwasser/Engel/Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Auf. 2003, § 4 Rn. 114. 1033 Bonk/ Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hg.), VwVfG, 6. Aufl. 2001, § 73 Rn. 67. 1034 Das „Floriansprinzip" leitet sich von dem volkstümlichen Spruch ab: „Heiliger St. Florian, schütz unser Haus, zünd' andere an!" Die anglo-amerikanische Entsprechung ist das sog. NIMBY-Prinzip: Not In My Backyard. 1035 Vgl. Schmitt-Tegge, in Johnke/ Schmitt-Tegge (FN 956), S. 12 ff.; Geulen, in: Johnke/Schmitt-Tegge (FN 956), S. 86 ff.; Herbold/Krohn/Timmermeister/Vorwerk (Hg.): Von der Müllkippe zur Abfall Wirtschaft. Stationen des Entsorgungsproblems; S. 7 f. chttp: // www.uni-bielefeld.de/iwt/general/iwtpapers/paper22.pd >, zuletzt abgerufen am 5.12.2005. 1036 Frenz (FN 952), § 31 Rn. 12. 1037 Bender/Pfajf, DVB1. 1992, 181 (183); Hoppe, DVB1. 1994, 255 ff. 1038 Bleicher, Standortauswahl verfahren bei der Planung von Abfallentsorgungsanlagen durch private Gutachter, 1996, S. 53. 1039 Näher dazu: Stüber, Standortauswahl für Großvorhaben, 2001, S. 33 ff.

V. Verfahrensgerechtigkeit in der Abfallentsorgungsplanung

261

dass mit der Standorterkundung durch private Planungsgruppen u. U. in Betracht kommende Alternativlösungen vor Einleitung des förmlichen Verwaltungsverfahrens ausgeschieden und die verfahrensrechtlich vorgesehenen Mitwirkungsmöglichkeiten von Bürgern, Organisationen, fachlich betroffenen Behörden und Gemeinden faktisch beschnitten werden. 1040 Schließlich war eine Beteiligung der Öffentlichkeit bundesrechtlich bis vor kurzem nur auf der zweiten Stufe des Planungsverfahrens, der konkreten Planfeststellung oder Genehmigung, gefordert. § 29 KrW-/AbfG verlangte bislang keine Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Aufstellung der Abfällwirtschaftspläne. Allerdings sollen die Gemeinden oder deren Zusammenschlüsse beteiligt werden. Die Vorschriften über die Planaufstellung in den Landesabfallgesetzen sehen ebenfalls keine Bürgerbeteiligung vor, dafür aber überwiegend eine Beteiligung der vom Bundesumweltministerium oder den Ländern anerkannten Umweltschutzverbände und vereinzelt auch der Verbraucherschutzverbände. Auf der zweiten Stufe des Zulassungsverfahrens sind bereits eine Vielzahl fachplanerischer und behördlicher Vorentscheidungen getroffen. Je weiter die Planungen vorgeprägt und vorangeschritten sind, desto schwieriger ist die Berücksichtigung von Einwänden. Zu einem späteren Zeitpunkt führen Änderungen in der Planung zu verhältnismäßig mehr Aufwand und zeitlicher Verzögerung. Das Fehlen jeglicher Form der Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Aufstellung der Abfallwirtschaftspläne widersprach damit den Vorgaben der „Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. 6. 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme" 1041 , die bis zum 21. 7. 2004 umzusetzen war und eine Umweltprüfung mit umfassender Öffentlichkeitsbeteiligung schon auf der räumlichen Planungsebene und nicht erst bei der Projektzulassung verlangt. Auch Art. 7 der Arhus-Konvention 1042 schreibt eine Öffentlichkeitsbeteiligung bei umweltbezogenen Plänen, Programmen und Politiken vor. Zwar hat die Bundesrepublik Deutschland die Arhus-Konvention bislang noch nicht ratifiziert, wohl aber die Europäische Gemeinschaft, welche die Ziele des Konvention bezüglich der Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren in Umweltangelegenheiten (sog. zweite Säule) mit der „Richtlinie 2003 / 35 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. 5. 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG in Bezug auf Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten" 1043 in europäisches Gemeinschaftsrecht überführt hat. Die Umsetzungsfrist für die Mitgliedstaaten beträgt zwei Jahre (bis 25. 6. 2005). Durch das Gesetz zur Einführung einer Strategischen Umweltprüfung 1040 Bender/Pfaff, DVB1. 1992, 181 (184); Stüber, Standortauswahl für Großvorhaben, 2001, S. 32 m. w.N. 1041 ABl. EG Nr. L 197 v. 21. 7. 2001, S. 30. 1042 Die Arhus-Konvention ist mit der Ratifizierung des 16. Unterzeichnerstaates am 30. 10. 2001 in Kraft treten. 1043 ABl. EG Nr. L 156 v. 25. 6. 2003, S. 17.

262

7. Kap.: Umweltgerechtigkeit bei der Abfallentsorgung

und zur Umsetzung der Richtlinie 2001 /42/EG (SUPG) vom 25. 6. 2005 1 0 4 4 wird jedoch durch den neu geschaffenen § 14b Abs. 1 Nr. 2 i.V. m. Anlage 3 Nr. 2.5 UVPG eine Pflicht zur Durchführung einer Strategischen Umweltprüfung aufgestellt, sofern der Abfallwirtschaftsplan einen Rahmen für eine nach § 31 KrW- / AbfG zu genehmigende bzw. planfestzustellende Anlage setzt, welche selbst einer UVP-Pflicht nach Anlage 1 zum UVPG unterliegt; sog. konditionale Strategische Umweltprüfung. 1045 Durch § 14i UVPG wurde auch die „Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. 5. 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61 /EG in Bezug auf Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten" 1046 zumindest teilweise umgesetzt. 1047 566

Die Zulassung von Abfallentsorgungsanlagen ist nicht von der Zustimmung der Standortgemeinde abhängig. Weder aus dem BImSchG noch aus dem KrW-/AbfG ergibt sich ein Zustimmungserfordernis. Ferner kommt auch nicht die Einvernehmensregelung des § 36 BauGB zur Anwendung, weil die Errichtung von Abfallbeseitigungsanlagen zum Kreis der privilegierten Fachplanungen i. S. d. § 38 BauGB gehört, der die Anlagen von den Anforderungen der §§29 bis 27 BauGB ausnimmt. 1048 2. Zwischenergebnis

567

Planungs- und Entscheidungsprozesse bzw. die Integration unterschiedlicher Maßnahmen in ein abfallwirtschaftliches Gesamtkonzept gestalten sich in der Praxis konfliktreich und langwierig. Die Proteste von Anwohnern, Bürgerinitiativen, Umweltschutzverbänden und Nachbargemeinden gegen Neu- und Ausbaupläne von Abfallbeseitigungsanlagen sind nicht nur für die Investoren und Betreiber durch den zusätzlichen Zeit- und Kostenaufwand belastend, sondern sie können sich auch für den Umweltschutz als kontraproduktiv erweisen, wenn dadurch verhindert wird, dass neue, umweltfreundlichere Entsorgungskonzepte verwirklicht werden. Um die Akzeptanz einer Platzierungsentscheidung in der Öffentlichkeit zu fördern, ist neben ihrer materiellen Gerechtigkeit eine faire Verfahrensgestaltung notwendig. In einer demokratischen Gesellschaft setzt dies eine Mitwirkungsmöglichkeit zumindest der betroffenen Bürger voraus.

568

Es stellt eine kurzsichtige Kirchturmpolitik dar zu glauben, dass beispielsweise mit der erfolgreichen Verhinderung einer neuen Müllverbrennungsanlage im eigenen Gemeindegebiet ein ökologischer Erfolg errungen sei. Vielmehr kommt es nur 1044 1045 1046 1047 1048

BGBl. I, 1746; das Gesetz ist am 29. 6. 2005 in Kraft getreten. Vgl. dazu Hendler, NVwZ 2005, 977 (979). ABl. EG Nr. L 156 v. 25. 6. 2003, S. 17. Vgl. dazu BT-DrS 15/3441, S. 12. s. Kloepfer (FN 984), § 20 Rn. 260 ff.

V. Verfahrensgerechtigkeit in der Abfallentsorgungsplanung

263

zu Verdrängungseffekten. Der Müll wird dann in andere Kreise oder Bundesländer exportiert oder länger in technisch veralterten Anlagen entsorgt. Um den Florianoder NIMBY-Effekt zu entschärfen, sollte die Öffentlichkeitsbeteiligung nicht an die Geltendmachung eigener Interessen gekoppelt werden und zu einem möglichst frühen Zeitpunkt stattfinden, zu dem noch alle Optionen für die Standortauswahl offen sind (vgl. Art. 6 Abs. 4 der Arhus-Konvention). Die zumindest teilweise Umsetzung in § 14i UVPG trägt dem bereits Rechnung. Eine Öffentlichkeitsbeteiligung dient auch der Kontrolle und Transparenz der 569 Verwaltungsentscheidung. Um die Transparenz und Verfahrensgerechtigkeit gegenüber den potentiell Standortbetroffenen zu erhöhen sollten die Kriterienkataloge der privaten Gutachter für die Standortauswahl zumindest in Verwaltungsvorschriften überführt werden. 1049 Schließlich sollte die Öffentlichkeitsbeteiligung in Planungs- und Genehmi- 570 gungsverfahren so weiterentwickelt werden, dass die Behörden, Projektbetreiber und Betroffenen als gleichberechtigte Partner miteinander verkehren. 1050 Von der Sozialwissenschaft sind angesichts der Zunahme und Verschärfung von Umweltkonflikten im Zusammenhang mit der Planung umweltbelastender Anlagen verhandlungsorientierte und partizipative Verfahren der Entscheidungsvorbereitung und Konfliktbewältigung entwickelt worden, mit denen die Akzeptanz und Glaubwürdigkeit verbessert werden soll. An erster Stelle ist das bereits in der Praxis erprobte Mediationsverfahren zu nennen. Mediation in der Umweltpolitik wird in Deutschland seit Ende der achtziger Jahre angewendet1051 und hat es seither auf etwa zehn Verfahren im engeren und 20 weitere mit Mediationselementen gebracht, davon die Hälfte im Bereich der Abfallwirtschaft, ein Viertel im Bereich der Altlasten und ein letztes Viertel in den Bereichen Naturschutz, Verkehr, Chemie. Ein anderes Verfahren ist die vor 30 Jahren von der Forschungsstelle Bürgerbeteiligung & Planungsverfahren der Bergischen Gesamtuniversität Wuppertal unter Leitung von Dienel entwickelte sog. Planungszelle 1052, die ebenfalls bereits in der Praxis eingesetzt wird. In diesem Verfahren der Bürgerbeteiligung werden durch Zufall etwa 25 Bürger ausgewählt, die für eine begrenzte Zeit (3 bis 7 Tage) von ihren alltäglichen Verpflichtungen freigestellt werden, um Lösungsmöglichkeiten für vorgegebene Planungs- und Entscheidungsprobleme zu erarbeiten. Für diese Tätigkeit wird eine angemessene Aufwandsentschädigung gezahlt. Vorbereitung und Durchführung wird durch eine neutrale, weder dem Auftraggeber noch bestimmten Interessengruppen zuzurechnende Instanz realisiert. Die Diskussion 1049 Bender/Pfaff DVB1. 1992, 181 (187 f.); Hoppe, DVB1. 1994, 255 (263). 1050 Johnke, in: Johnke / Schmitt-Tegge (FN 956), S. 101. 1051 Das Vermittlungsverfahren zum Abfallwirtschaftskonzept im Kreis Neuss in den Jahren 1991 bis 1993 gilt als das erste Mediationsverfahren in der deutschen Umweltpolitik. Allerdings hatte schon 1990 ein Mediationsverfahren zur Sanierung der Sonderabfalldeponie Münchehagen begonnen, das aber erst im Dezember 1997 beendet wurde. 1052 Dienel, Die Planungszelle. Der Bürger als Chance, 5. Aufl. 2002.

264

7. Kap.: Umweltgerechtigkeit bei der Abfallentsorgung

erfolgt unter Beteiligung von Experten und Entscheidungsträgern. Bei Interessenskonflikten haben die Vertreter der unterschiedlichen Interessen Gelegenheit, ihre spezifische Sichtweise zu formulieren. Der erforderliche Meinungsaustausch und das Bewerten von Lösungsvorschlägen erfolgt in Kleingruppen. Die erarbeiteten Problemlösungsvorschläge und Entscheidungsanregungen werden als Bürgergutachten zusammengefasst und veröffentlicht.

Literatur Allsopp/Costner/Johnston, Müll Verbrennung und Gesundheit, 2001; Battis / Krautzberger/Löhr (Hg.), BauGB, 9. Aufl. 2005; Bender/Pfaff, Zur Standortproblematik im Recht der Abfallentsorgungsanlagen, DVB1. 1992, 181 ff.; Bleicher, Standortauswahlverfahren bei der Planung von Abfallentsorgungsanlagen durch private Gutachter, 1996; Bosselmann/Schröter, Umwelt und Gerechtigkeit, 2001; David, Zur Umsetzung eines gemeinschaftsrechtlichen Grundsatzes entstehungsortnaher Abfallentsorgung ins deutsche Planungsrecht, DÖV 1992, 697 ff.; Dienel, Die Planungszelle. Der Bürger als Chance, 5. Aufl. 2002; Eberhardt, Das Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz - ein Rückbau des Umweltrechts, ZAU 1993, 105 ff.; Epp, Divergierende Konzepte von „Verfahrensgerechtigkeit". Eine Kritik der Procedural Justice Forschung, 1998; Erbguth, Aspekte der Abfall Wirtschaftsplanung und ihre Auswirkungen auf die Zulassung von Abfallanlagen, UPR 1997, 60 ff.; Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, Tübingen 2002; Frenz, Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz. Kommentar, 3. Aufl. 2002; Gelobter, The Meaning of urban environmental justice, in: 21 Fordham Urban Law Journal, Spring 1994, 841 ff.; Johnke/Schmitt-Tegge (Hg.), Akzeptanzprobleme bei Maßnahmen zur Abfallentsorgung, 1993; Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns. Bd. 2, Frankfurt/M. 1981; Herbold/Krohn/Timmermeister/Vorwerk (Hg.), Von der Müllkippe zur Abfallwirtschaft. Stationen des Entsorgungsproblems (ITW Paper 22), Juli 1998; Hoppe, Rechtsprobleme bei Standortauswahlverfahren für Abfallentsorgungsanlagen durch private Auftragnehmer, DVB1. 1994, 255 ff.; Hoppe/Beckmann, Zur Berücksichtigung von Standortalternativen bei der Zulassung von Abfallentsorgungsanlagen, DÖV 1990, 769 ff.; Hoppe/Beckmann, Rechtliche Möglichkeiten des internationalen Austausches von Abfällen und Recycling-Produkten, DVB1. 1995, 817 ff.; Hoppe/Beckmann, Planfeststellung und Plangenehmigung im Abfallrecht. Rechtsgutachten im Auftrag des Umweltbundesamtes, Berlin 1990; Jarass, Bundes-Immissionsschutzgesetz, 6. Aufl. 2005; Johnke / Schmitt-Tegge (Hg.), Akzeptanzprobleme bei Maßnahmen zur Abfallentsorgung, 1993; Kimminich /v. Lersner/Strom, Handwörterbuch des Umweltrechts (HdUR) Bd. I, 2. Aufl. 1994; Klöck, Quo vadis Abfall - Daseinsvorsorge durch mehr Staat oder Wirtschaft, UPR 2002, 61 ff.; Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004; Kuchler, Keine Privilegierung von Abfallbeseitigungsanlagen ohne überörtliche Bedeutung gemäß § 38 BauGB, NuR 1999, 259 ff.; Kunig/Paetow/Versteyl, KrW-/AbfG, 2. Aufl. 2003; Müller/Holst, Raumordnung und Abfallbeseitigung. Empirische Untersuchung zu Standortwahl und -durchsetzung von Abfallbeseitigungsverfahren, 1987; Rahner, Investitionserleichterung durch Deregulierung des Abfall- und Immissionsschutzrechts?, ZUR 1993, 200 ff.; Koch/Scheuning/ Pache (Hg.), GK-BImSchG; Schink, Rechtsnormative Anforderungen an Standorte für Abfallentsorgungsanlagen, DVB1. 1994, 245 ff.; Schmidt, Zum Verhältnis prozeduraler und distributiver Gerechtigkeit - Am Beispiel „lokaler" Verteilungsprobleme, ZfRSoz 1993, 80 ff.; Schnurer, Abfallrecht, Abfall Wirtschaftsplanung, Abfallentsorgung, MüllMagazin 2001, 38 ff.; Schröter (Hg.), Baugesetzbuch, 6. Aufl. 1998; Simonis, Verfahren und verfahrensäquivalente Rechts-

V. Verfahrensgerechtigkeit in der Abfallentsorgungsplanung

265

formen im Sozialrecht, Baden-Baden 1985; Sparwasser/Engel/Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003; Stief/Engelmann (Hg.), Geforderte Maßnahmen bei der Stillegung von Altdeponien: Kostentreibende Willkür oder Notwendigkeit?, 1998; Stelkens/Bonk/Sachs (Hg.), VwVfG, 6. Aufl. 2001; Stüber, Standortauswahl für Großvorhaben, 2001; Weidemann, Kontrollerlaubnis mit Abwägungsvorbehalt?, DVB1. 1994, 263 ff.; Wiedemann/ Femer/Hennen, Bürgerbeteiligung bei entsorgungswirtschaftlichen Vorhaben, 1991; Wilmowsky, Das Näheoder Optimierungsprinzip des europäischen Abfallrechts, NVwZ 1999, 597 ff.; Würtenberger, Die Akzeptanz von Verwaltungsentscheidungen, 1996.

. Kapitel

Umweltgerechtigkeit und ortsfeste Mobilfunkanlagen I. Einführung 571

In Deutschland wurden mittlerweile weit mehr als 50 Mio. Handys verkauft. Die Handydichte ist innerhalb fast aller Altersschichten der Bevölkerung sehr hoch und wächst stetig. Der jüngst erfolgte Start des UMTS-Systems 1053 macht dabei deutlich, dass die Entwicklung des Mobilfunkmarkts längst noch nicht abgeschlossen ist.

572

Gleichzeitig jedoch führt die Errichtung, der für ein flächendenkendes Handynetz notwendigen ortsfesten Mobilfunkanlagen 1054 immer wieder zu Protesten aus der betroffenen Nachbarschaft und zu öffentlichen Diskussionen über die Risiken des von solchen Anlagen verursachten Elektrosmogs für die Gesundheit der Bevölkerung. 1055 Alleine die Einführung der UMTS-Technik macht aber die Errichtung von insgesamt 10.000 bis 15.000 weiteren Mobilfunkanlagen notwendig, da die aufgrund UMTS nun möglichen große Datenraten kleinere Sendebereiche zwischen den Mobilfunkanlagen benötigen als bisher erforderlich waren. 1056

573

Wie auch der Luftverkehr ist der Mobilfunk daher ein typischen Beispiel für den in der heutigen Gesellschaft oft anzutreffenden Widerspruch, dass einerseits der Großteil der Bevölkerung am technischen Fortschritt teilnehmen möchte, andererseits aber kaum jemand bereit ist, die damit tatsächlich verbundenen Umweltbelastungen zu tragen. Im Bereich des Mobilfunks ist zudem zu beachten, dass die tatsächlichen Gesundheitsfolgen von Elektrosmog zwar teilweise nachgewiesen werden konnten, es aber noch erhebliche Kenntnislücken gibt und daher bisher unbekannte Gesundheitsrisiken nicht ausgeschlossen werden können.

1053 Das Universal Mobile Telecommunications System soll das bisher bestehende Mobilfunksystem mit GSM-Standard (Global System for Mobile Communication) ablösen. 1054 in Rechtsprechung und Literatur wird für ortsfeste Mobilfunkanlagen kein einheitlicher Begriff verwendet, man spricht auch von Mobilfunkbasisstationen, Mobilfunksendeanlagen oder Mobilfunksendetürmen. Davon zu unterscheiden sind die Mobilfunksendegeräte, die sog. Handys. Vgl. Wahlfels, NVwZ 2003, 653. 1055 Dazu Maaß, ZUR 2003, 29 (30) m. w. N. 1056 siehe Schuster, VB1BW 2003, 177; Bromm, UPR 2003, 57; dazu auch Deutscher Städte- und Gemeindebund (Hg.), Mobilfunk und Kommunen, Technik - Gesundheit - Baurecht, S. 6.

II. Mobilfunkanlagen und Immissionsschutzrecht

267

II. Mobilfunkanlagen und Immissionsschutzrecht 1. Grenzwerte der 26. BImSchV Die Strahlung, die Mobilfunkanlagen empfangen und aussenden, ist hoch- 574 frequente elektromagnetische Strahlung (sog. Elektrosmog). 1057 Um die Bevölkerung vor den schädlichen Wirkungen dieser Strahlung zu schützen, wurden mit der sechsundzwanzigsten Verordnung zur Durchführung des BImSchG (Verordnung über elektromagnetische Felder, 26. BImSchV) im Jahr 1996 Grenzwerte für die elektrische Feldstärke und magnetische Flussdichte der Mobilfunkanlagen festgelegt. 1058 Die geltende BImSchV berücksichtigt die wissenschaftlich nachgewiesenen, gesundheitlich relevanten Wirkungen der elektromagnetischen Strahlung, die auf den sog. thermischen Wirkungen, d. h. auf einer Erhöhung der Körpertemperatur beruhen. 1059 Die Grenzwerte der 26. BImSchV reichen aus, diese nachteiligen Wirkungen der Strahlung auszuschließen.1060

2. Nicht wissenschaftlich nachgewiesene Gesundheitsrisiken Allerdings wird in einigen wissenschaftlichen Publikationen zudem über sog. 575 athermische Wirkung der elektromagnetischen Strahlung diskutiert, ohne dass es jedoch bisher gelungen ist, eine entsprechende nachteilige Wirkung der Strahlung tatsächlich nachzuweisen.1061 Aufgrund des bisher fehlenden wissenschaftlichen Nachweises enthält die 26. BImSchV keine Vorsorgeanforderungen an Mobilfunkanlagen zur Berücksichtigung eventueller athermischer Wirkungen. 1062 Die Politik 1057 Die gleiche Strahlung geht von den Handys selbst aus, allerdings haben diese aufgrund fehlender Ortsfestigkeit keine Relevanz für die Frage der räumlichen Verteilungswirkung der zugrundeliegenden Rechtsvorschriften. Siehe hinsichtlich der technischen und physikalischen Grundlagen umfassend Pützenbacher, Schädliche Umwelteinwirkungen durch Elektrosmog, 1998, S. 27 ff. 1058 v o vom 16. 12. 1996, BGBl. I 1996, 1966. Die Grenzwerte beruhen auf einer Empfehlung der International Commission on Non-Ionizing Radiation Protection (ICNIRP). Allerdings haben einige Staaten, u. a. Österreich, Italien und die Schweiz aus Vorsicht vor den noch unbekannten Gefahren des Elektrosmogs niedrigere Grenzwerte festgesetzt. Siehe dazu ausführlich Kniep, DWW 2001, 322 (322 f.). 1059 Davon sind die sog. athermischen Effekte der Strahlung zu unterscheiden. Darunter versteht man die nicht auf Erwärmung beruhenden biologischen Wirkungen elektromagnetischer Felder, die insbesondere bei der Amplitudenmodulation einer hochfrequenten Strahlung durch eine andere Strahlung beobachtet worden sind. Siehe VGH BW, Archiv PT 1998, 65 (65) m. w. N. Dazu auch Ossenbühl/Di Fabio, Rechtliche Kontrolle ortsfester Mobilfunkanlagen, 1995, S. 5 ff. 1060 siehe Wahlfels, NVwZ 2003, 653 (654) m. w. N. insbesondere hinsichtlich der wissenschaftlichen Grundlage der Grenzwertfestsetzung. 1061 Siehe dazu abermals Wahlfels, NVwZ 2003, 653 (654) m. w. N. 1062 Die 26. BImSchV ist trotz dieser Einschränkung verfassungsgemäß. Die verfassungsrechtliche Schutzpflicht nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gebietet nämlich nach Auffassung des

268

8. Kap.: Umweltgerechtigkeit und ortsfeste Mobilfunkanlagen

ist sich dieser bestehenden Ungewissheit bewusst. So hat das damalige BMU im September 2003 das „Deutsche Mobilfunk-Forschungsprogramm" ( D M F ) 1 0 6 3 ins Leben gerufen, ein Forschungsprogramm, mit dem bestehende Wissenslücken und offene Fragen zu möglichen gesundheitlichen Risiken des Mobilfunks geschlossen werden sollen. 1064 Zudem führt das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) 1 0 6 5 im Auftrag des BMU ein Forschungsprogramm durch, das zum Ziel hat, die wichtigsten für den Strahlenschutz relevanten Fragen zur Wirkung elektromagnetischer Felder des Mobilfunks zu klären. 1 0 6 6

3. Aufstellungsverfahren und Überwachung der Grenzwerte a) Standortbescheinigung 576

der Bundesnetzagentur

Mobilfunkanlagen dürfen grundsätzlich nur betrieben werden, wenn die Grenzwerte der 26. BImSchV eingehalten werden und eine dementsprechende sog. Standortbescheinigung iSv § 4 Abs. 1 S. 1 der Verordnung über das Nachweisverfahren zur Begrenzung elektromagnetischer Felder (BEMFV) vom 20. 8. 2002 1 0 6 7 vorliegt. Zuständig für die Ausstellung einer Standortbescheinigung ist die Bundesnetzagentur. b) Immissionsschutzbehörden

577

Mobilfunkanlagen sind Anlagen gem. § 3 Abs. 5 Nr. 1, Alt. 2 BImSchG. 1068 Sie sind nicht im Anhang zur 4. BImSchV aufgeführt, so dass es sich bei ihnen um nicht genehmigungsbedürftige Anlagen gem. § 22 BImSchG handelt. 1069

BVerfG nicht, alle nur denkbaren Schutzmaßnahmen zu treffen. Es besteht daher keine Pflicht des Staates zur Vorsorge gegen rein hypothetische Gefährdungen; BVerfG, EuGRZ 2002, 276 (277). Siehe auch Wagner, IBR 2002, 572. Kritisch dazu Kniep, WuM 2004, 654 (654 f.), der eine entsprechende Schutzpflicht für Exekutive und Judikative u. a. aus Art. 20a GG entwickelt. 1063 Ausführliche Informationen unter , zuletzt abgerufen am 2. 12. 2005. 1064 siehe Pressenmitteilung des BMU vom 25. 9. 2003 unter , zuletzt abgerufen am 2. 12. 2005. 1065 Das BfS ist im Bereich der nichtionisierenden Strahlung, wie sie von Mobilfunkanlagen ausgeht, keine Vollzugsbehörde; vgl. Wahlfels, NVwZ 2003, 653 (655). 1066 Wahlfels, NVwZ 2003, 653 (655). 1067 BGBl. I S. 3366; zuletzt geändert durch Gesetz vom 7. 7. 2005 (BGBl. I S. 1970). 1068 Vgl. etwa OVG Bautzen, NVwZ 2004, 352 ff.; VGH Mannheim, NuR 2005, 279 f. 1069 Die in § 22 BImSchG festgelegten Betreiberpflichten wurden für Mobilfunkanlagen gem. § 23 Abs. 1 BImSchG in der 26. BImSchV konkretisiert.

II. Mobilfunkanlagen und Immissionsschutzrecht

269

c) Untere Baubehörden Bei der Aufstellung von Mobilfunkanlagen stellen sich stets die Fragen der bau- 578 rechtlichen Genehmigungsbedürftigkeit und -fähigkeit. Handelt es sich um eine genehmigungsbedürftige Anlage, haben die unteren Baubehörden die Vereinbarkeit der Anlage mit dem öffentlichen Baurecht zu überprüfen. Dabei kommt es auch stets zu einer Überprüfung der Einhaltung der Vorgaben der 26. BImSchV, sei es als „sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften" bei der Erteilung der Baugenehmigung oder im Rahmen des sog. Rücksichtnahmegebots.1070 Nach der Rechtsprechung kann die untere Baubehörde jedoch bei Vorlage der Standortbescheinigung der bzw. Bundesnetzagentur davon ausgehen, dass die Grenzwerte der 26. BImSchV eingehalten werden. 1071 Liegt also eine Standortbescheinigung vor, bleibt den von der Planung betroffenen Anwohnern nur der Rückgriff auf die Verletzung sonstiger nachbarschützender Vorschriften des Bauplanungs- und Bauordnungsrechts.

d) Freiwillige

Selbstverpflichtungen

der Mobilfunkbetreiber

Am 9. 7. 2001 haben die Mobilfunkbetreiber mit den kommunalen Spitzenver- 579 bänden auf Bundesebene eine freiwillige Vereinbarung geschlossen, wonach die Mobilfunkbetreiber die jeweilig betroffene Kommune über ihre Pläne für den Bau neuer Mobilfunkanlagen informieren. 1072 Der Zeitpunkt der Information soll dabei so gewählt sein, dass die Standortentscheidung noch offen ist und der Kommune hinreichend Zeit für eine Stellungnahme verbleibt, in der diese insbesondere Aiternati vstandorte vorschlagen kann. Am 6. 12. 2001 haben die Mobilfunkbetreiber zudem eine freiwillige Selbstverpflichtung unterzeichnet, nach der sie die Information der betroffenen Kommunen weiter verbessern wollen. 1 0 7 3

1070 Das BImSchG und die entsprechenden Rechtsverordnungen konkretisieren die gebotene Rücksichtnahme auf die Nachbarschaft allgemein und damit auch für das Baurecht; VGH Kassel, NVwZ 2000, 694 (695); OVG Koblenz, NVwZ-RR 2002, 17. Siehe auch Wahlfels, NVwZ 2003, 653 (655). 1071 Für die Verwaltungsgerichte besteht keine Pflicht zur Beweisaufnahme hinsichtlich eventueller Gesundheitsgefährdungen, wenn die Anlage eine Standortbescheinigung hat und dadurch die Einhaltung der Grenzwerte der 26. BImSchV sichergestellt ist; BVerfG, EuGRZ 2002, 276 (277 f.). Eine ΒindungsWirkung kommt der Standortbescheinigung allerdings nicht zu; vgl. Wahlfels, NVwZ 2003, 653 (655) m. w. N. 1072 Die „Vereinbarung über den Informationsaustausch und die Beteiligung der Kommunen beim Ausbau der Mobilfunknetze" vom 09. 07. 2001 (unterzeichnet am 05. 07. 2001) zwischen den kommunalen Spitzenverbänden und den Mobilfunknetzbetreibern kann auf den Websites des Deutschen Städte- und Gemeindebundes () heruntergeladen werden. 1073 Die Selbstverpflichtung der Mobilfunkbetreiber vom 05. 12. 2001 „Maßnahmen zur Verbesserung von Sicherheit und Verbraucher-, Umwelt- und Gesundheitsschutz, Information und vertrauensbildende Maßnahmen beim Ausbau der Mobilfunknetze" kann auf den Websites des BMU () heruntergeladen werden.

270

8. Kap.: Umweltgerechtigkeit und ortsfeste Mobilfunkanlagen

e) Zivilrechtliche

Abwehransprüche

580

Dem BGH zufolge tritt bei Einhaltung der in Gesetzen oder Rechtsverordnungen iSv § 906 Abs. 1 S. 2 BGB festgelegten Grenz- oder Richtwerte eine Indizwirkung dahingehend ein, dass eine nur unwesentliche Beeinträchtigung durch eine Anlage vorliegt.

581

Für den Fall der Errichtung einer Mobilfunkanlage bedeutet dies, dass bei Einhaltung der Grenzwerte der 26. BImSchV grundsätzlich kein zivilrechtlicher Abwehranspruch besteht. 1074 Grundsätzlich wird es dem Betroffenen nicht möglich sein, einen Gegenbeweis zu führen, wenn und soweit wissenschaftliche Erkenntnisse fehlen, welche Gesundheitsbeeinträchtigungen auch unterhalb der Grenzwerte der 26. BImSchV bestehen. Insoweit haben die Betroffenen faktisch keine zivilrechtlichen Gegenansprüche gegen die Errichtung von Mobilfunkanlagen mit Standortbescheinigung. In diesem Fall ist ein Vorbringen von Gesundheitsproblemen ohne Aussicht auf Erfolg, da der derzeitige wissenschaftliche Kenntnisstand insoweit keinen Kausalzusammenhang zwischen Mobilfunkanlagen und Gesundheitsbeeinträchtigungen bestätigen kann. Weder zivilrechtlich noch immissionsrechtlich haben die Betroffenen dann eine Handhabe, gegen eine Anlage vorzugehen.

I I I . Mobilfunkanlagen und Baurecht 1. Baurechtliche Genehmigung 582

Aus der einschlägigen Rechtsprechung wird deutlich, dass sich insbesondere Nachbarschaftsklagen 1015, in denen die Nichteinhaltung nachbarschützender Vorschriften des öffentlichen Baurechts gerügt wurden, als Mittel für Betroffene anbieten, gegen die Errichtung einer Anlage vorzugehen. 1076

1074 BGH, WuM 2004, 217; im Ergebnis ebenso OLG Düsseldorf, MMR 2002, 235; OVG Lüneburg, GuG 2002, 189. Kritisch zu dieser Rechtsprechung Kniep, WuM 2004, 654. Siehe hinsichtlich der einzelnen in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen Wahlfels, NVwZ 2003, 653 (659 f.). 1075 Nachbar im Sinne des Baurechts ist grundsätzlich nur der Eigentümer oder sonst dinglich Berechtigte. Obligatorisch Berechtigte, wie insbesondere der Mieter, können sich dagegen nur ausnahmsweise auf Art. 2 Abs. 2 GG berufen, wenn mit dem Vorhaben gesundheitsschädliche Auswirkungen verbunden sind. Im Bereich des Mobilfunks hat ein solches Vorbringen aber keinen Erfolg, wenn die Anlage die Grenzwerte der 26. BImSchV einhält; vgl. Wahlfels, NVwZ 2003, 653 (656). 1076 Siehe u. a. OVG Münster, ZUR 2003, 420; VGH München, ZUR 2004, 51; VGH Mannheim, VB1BW 1998, 218; VGH Kassel, BauR 2000, 712.

I I . Mobilfunkanlagen und

a) Genehmigungsbedürftigkeit

urecht

271

von Mobilfunkanlagen

In den meisten Landesbauordnungen werden Antennen bzw. Anlagen, die dem 583 Fernmeldewesen dienen, ausdrücklich als bauliche Anlagen i. S. d. Landesbauordnung genannt, sind dabei aber regelmäßig bis zu einer Höhe von 10,0 m genehmigungsfrei. 1077 Mobilfunkanlagen sind zumeist kleiner als 10,0 m und somit an sich keine genehmigungsbedürftige bauliche Anlage. 1 0 7 8 Allerdings stellt die Errichtung einer Mobilfunkanlage auf einer bereits beste- 584 henden baulichen Anlage nach der neueren Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte grundsätzlich eine genehmigungsbedürftige Nutzungsänderung dar: 1 0 7 9 Die Errichtung einer gewerblichen 1080 Antennenanlage, welche die Höhe eines Hauses mitbenutzt, beinhaltet gleichzeitig eine Nutzungsänderung des Gebäudes und bildet durch die Ausnutzung der Höhe des Gebäudes mit diesem eine funktional untrennbare Einheit. 1081 Die sich durch den Betrieb der Mobilfunkanlage ergebende gewerbliche Nutzung ist von der bisher genehmigten Nutzung nicht umfasst. 1082 Zudem unterscheiden sich die bisherige von der neuen Nutzung dergestalt, dass sie anderen oder weitergehenden Anforderungen bauordnungsrechtlicher oder bauplanungsrechtlicher Art unterworfen sein kann. 1 0 8 3

b) Bauordnungsrechtliche Genehmigungsfähigkeit von Mobilfunkanlagen Bauordnungsrechtlich müssen u.a. die landesrechtlich vorgeschriebenen Ab- 585 standsflächen, sowie die Anforderungen an Standsicherheit und Brandschutz erfüllt sein. 1 0 8 4 Verteilungserhebliche Rechtsfragen werden insoweit nicht aufgeworfen.

c) Bauplanungsrechtliche Genehmigungsfähigkeit von Mobilfunkanlagen Von größerer Relevanz für die vorliegende Untersuchung ist dagegen die bau- 586 planungsrechtliche Zulässigkeit von Mobilfunkanlagen. Bei Mobilfunkanlagen 1077 siehe z. B. § 65 Abs. 1 Nr. 18 BauO NRW, wonach eine Obergrenze von 10,0 m gilt. 1078 Vgl. Bromm, UPR 2003, 57. 1079 OVG Münster, ZUR 2003, 28; VGH Kassel, BauR 2000, 712; VGH Mannheim, DÖV

2000, 82.

1080 i m Unterschied zu der Errichtung einer privaten Antennenanlage eines Amateurfunkers, die lediglich eine Erweiterung der Wohnnutzung darstellt; siehe Wahlfels, NVwZ 2003, 653 (658). 1081 OVG Münster, ZUR 2003, 28 (29). 1082 VGH Mannheim, DÖV 2000, 82. iosa VGH Kassel, BauR 2000, 712. 1084 Dazu Bromm, UPR 2003, 57 (60 f.).

272

8. Kap.: Umweltgerechtigkeit und ortsfeste Mobilfunkanlagen

handelt es sich um bauliche Vorhaben mit städtebaulicher Relevanz 1085 und damit um solche i. S. v. § 29 BauGB. Die bauplanungsrechtliche Genehmigungssituation hängt somit in erster Linie - vorausgesetzt es gibt keine konkrete Standortsteuerung durch den Bebauungsplan - von dem jeweiligen Baugebiet ab. Dabei ist aus Verteilungsgesichtspunkten insbesondere der (beplante oder unbeplante 1086 ) Innenbereich von Belang. 1087 aa) Reine Wohngebiete 587

Soll die Mobilfunkanlage in einem reinen Wohngebiet im Sinne der BauNVO errichtet werden, findet § 3 BauNVO Anwendung. Eine gewerblich genutzte Mobilfunkanlage ist in einem reinen Wohngebiet weder gem. § 3 Abs. 2 BauNVO allgemein zulässig noch eine der in § 3 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO genannten gewerblichen Nutzungen, die ausnahmsweise zugelassen werden könnten. Daher kommt in einem reinen Wohngebiet der Differenzierung nach Haupt- und Nebenanlagen gem. § 14 BauNVO besondere Bedeutung zu, da im Falle der Einstufung als untergeordnete Nebenanlage deren Zulassung bauplanungsrechtlich doch noch allgemein (§ 14 Abs. 1 BauNVO) bzw. als Ausnahme (§ 14 Abs. 2 BauNVO) möglich ist.

588

Allerdings ist nach der Rechtsprechung des BVerwG eine Mobilfunkanlage nicht als eine Nebenanlage i. S. v. § 14 Abs. 1 BauNVO einzustufen, da eine Mobilfunkanlage im Gegensatz zu den gesetzlichen Anforderungen an eine Nebenanlage i. S. v. § 14 Abs. 1 BauNVO nicht nur dem Nutzungszweck des Baugebiets, sondern der Versorgung des gesamten bzw. eines größeren Stadtgebiets dient, da sie ein Teil eines übergreifenden, aus vielen Waben bestehenden Mobilfunknetzes ist. 1 0 8 8 Möglich ist es jedoch, dass eine Mobilfunkanlage eine „fernmeldetechnische Nebenanlage" i. S. v. § 14 Abs. 2 S. 2 BauNVO darstellt. Bei der Einstufung 1085 Die Errichtung einer Mobilfunkanlage ruft das Bedürfnis nach einer ihre Zulässigkeit regelnde Bauleitplanung auf, da die Anlagen zumindest Auswirkungen auf die Gestaltung des Orts- und Landschaftsbildes haben können (§ 1 Abs. 5 Satz 2 BauGB). Auswirkungen auf die in § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB genannten gesunden Wohn- und Arbeitsverhältnisse kommen dagegen bei Vorliegen einer Standortbescheinigung nicht in Betracht; vgl. Bromm, UPR 2003, 57 (58); Maaß, ZUR 2003, 29 (31). 1086 in diesem Fall richtet sich die Zulässigkeit gem. § 34 Abs. 2 BauGB ebenfalls nach den Vorschriften der BauNVO, wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem der in der BauNVO genannten Gebiete entspricht. Ist dies nicht der Fall kann lediglich ein Verstoß gegen das in § 34 Abs. 1 BauGB im Begriff des „Einfügens" enthaltende Rücksichtnahmegebot geltend gemacht werden. Da wie bereits festgestellt jedoch die 26. BImSchG gerade eine Ausprägung dieses Gebotes ist, haben derartige Nachbarklagen keine Aussicht auf Erfolg. 1087 Im Außenbereich ist die Privilegierung des § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB einschlägig, setzt jedoch voraus, dass der konkrete Standort ζ. B. für die Errichtung eines flächendeckenden Netzes notwendig ist. Die Anlage muss also einen spezifischen Standortbezug haben; vgl. VGH Mannheim, NVwZ-RR 1998, 715, wonach eine „kleinliche Prüfung" insoweit aber nicht angebracht ist. 1088 BVerwG, UPR 2000, 225; so auch VGH Kassel, VA 2001, 90; siehe auch die Anmerkung von Maser, IBR 2001, 455.

III. Mobilfunkanlagen und Baurecht

273

als Haupt- oder Nebenanlage ist auf die Größe der konkret zu beurteilenden Anlage abzustellen. Das BVerwG hat eine Mobilfunkanlage mit einer Höhe von knapp unter 5 m, installiert auf einen Wohnhaus, als Nebenanlage eingestuft. 1089 Ist eine Mobilfunkanlage danach als Nebenanlage einzustufen, kann sie gem. § 14 Abs. 2 S. 2 BauNVO ausnahmsweise zugelassen werden. Die Gewährung der Ausnahme steht dabei im Ermessen der Baugenehmigungsbehörde.

bb) Allgemeine Wohngebiete Auch im Falle der Errichtung von Mobilfunkanlagen in allgemeinen Wohngebie- 589 ten ist zwischen Haupt- und Nebenanlagen zu differenzieren. In einem allgemeinen Wohngebiet kann eine Mobilfunkanlage, die ob ihrer Größe als Hauptanlage eingestuft werden muss, gem. § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO ausnahmsweise zugelassen werden, da eine Mobilfunkanlage einen sonstigen nicht störenden Gewerbebetrieb im Sinne der Vorschrift darstellt. 1090 Ist die Mobilfunkanlage dagegen als Nebenanlage einzustufen, gelten die vorstehenden Ausführungen für Nebenanlagen i. S. d. § 14 Abs. 2 S. 2 BauNVO entsprechend. Die Gewährung einer Ausnahme steht auch hier im Ermessen der Baugenehmigungsbehörde. 1091

cc) Sonstige Baugebiete In besonderen Wohngebieten und insbesondere in Kern- und Mischgebieten sind 590 Mobilfunkanlagen als „sonstige Gewerbebetriebe" allgemein zulässig. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich bei den Mobilfunkanlagen um Haupt- oder Nebenanlagen i. S. v. § 14 BauNVO handelt, denn wenn sie als Hauptanlagen zulässig sind, muss dies erst recht für Nebenanlagen gelten. 1092

1089 BVerwG, UPR 2000, 225; ebenso VGH München, NVwZ 1998. 419. 1090 Siehe ausführlich Wahlfels, NVwZ 2003, 653 (658 f.) m. w. N., insbesondere über die Frage, ob Mobilfunkanlagen tatsächlich Gewerbebetriebe i. S. d. BauNVO sind. 1091 Umstritten ist im Rahmen der Ermessensentscheidung für Anlagen vorhaben in allgemeinen Wohngebieten allerdings, ob in dem Fall, dass es keinen geeigneten Standort außerhalb von reinen und allgemeinen Wohngebieten für eine Mobilfunkanlage gibt, eine Ermessenreduzierung auf Null eintritt und die Errichtung daher genehmigt werden muss; siehe Schuster, VB1BW 2003, 177 (178) m. w. N. 1092 Siehe Bromm, UPR 2003, 57 (59); Wahlfels, NVwZ 2003, 653 (659 f.). 18 Kloepfer

274

8. Kap.: Umweltgerechtigkeit und ortsfeste Mobilfunkanlagen

2. Steuerungsmöglichkeiten durch die Festsetzung von Bebauungsplänen a) Reine und allgemeine Wohngebiete 591

In reinen und allgemeinen Wohngebieten sind erhebliche Steuerungsmöglichkeiten hinsichtlich möglicher Standorte für Mobilfunkanlagen durch die Festsetzung von Bebauungsplänen vorhanden. Zunächst ist danach zu differenzieren, ob es sich bei der jeweiligen Mobilfunkanlage um eine Hauptanlage oder eine bloße Nebenanlage handelt. Ist ersteres der Fall kommt eine Errichtung im reinen Wohngebiet ohnehin nur nach Erteilung einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB in Betracht. Bei der Entscheidung über die Befreiung ist zwar zugunsten der Befreiung zu berücksichtigen, dass Gründe des Wohls der Allgemeinheit für eine flächendeckende Versorgung durch ein Mobilfunknetz sprechen und zudem nicht auf die Gefahren des Elektrosmogs abgestellt werden kann, da die Grenzwerte der 26. BImSchG eingehalten werden. 1093 Allerdings ist nach dem BVerwG die Ablehnung einer Befreiung zumindest dann zulässig, wenn für ein reines Wohngebiet die nach § 3 Abs. 3 S. 1 BauNVO ausnahmsweise zulässigen Gewerbebetriebe sowie alle Antennen und Freileitungen ausgeschlossen worden waren. 1 0 9 4 Im allgemeinen Wohngebiet sind Mobilfunkanlagen, die Hauptanlagen darstellen, zwar zudem auch ausnahmsweise zulässig, jedoch kann festgesetzt werden, dass die Ausnahme nach § 4 Abs. 3 Ziff. 2 BauNVO gem. § 1 Abs. 6 Ziff. 1 BauNVO generell nicht Bestandteil des Bebauungsplans wird. 1 0 9 5

b) Sonstige Baugebiete 592

In den sonstige Baugebieten nach den §§ 2, 4 bis 9 BauNVO ist es ohne spezielle städtebauliche Gründe nur schwer möglich, Mobilfunkanlagen planerisch auszuschließen. Zwar können für diese Baugebiete im Bebauungsplan bestimmte Arten bzw. sonstige Anlagen für nicht zulässig erklärt werden, wenn besondere städtebauliche Gründe dies rechtfertigen, § 1 Abs. 9 i.V. m. § 1 Abs. 5 BauNVO. Im Bereich der Mobilfunkanlagen kommt jedoch als besonderer Grund zumeist nur der Vorsorgegedanke zur Abwehr bisher noch nicht erkannter Gefahren des Elektrosmogs in Betracht. 1096 Allerdings verlangt das BVerwG, dass es auch bezüglich der Möglichkeit, entsprechend dem Vorsorgegrundsatz des § 5 Abs. 1 Nr. 2 1093 Schuster, VB1BW2003, 177 (178). 1094 BVerwG, UPR 2000, 225. Ein solcher genereller Ausschluss muss jedoch stets mit dem Interesse der Netzbetreiber auf eine flächendenkende Versorgung abgewogen werden und - wie im Falle des BVerwG Urteils geschehen - vergleichbare Anlagen, wie Antennenund Satellitenanlagen ausgeschlossen werden; siehe dazu ausführlich Schuster, VB1BW 2003, 177(180). 1095 Zu den Voraussetzungen im Einzelnen siehe Schuster, VB1BW 2003,177 (180). 1096 Schuster, VB1BW 2003, 177 (179).

III. Mobilfunkanlagen und Baurecht

275

BImSchG vorbeugenden Umweltschutz zu betreiben, eines rechtfertigenden Anlasses, also eines städtebaulichen Grundes, bedarf. 1097 In Industrie- und Gewerbegebieten wird man praktisch keine Gründe finden, Mobilfunkanlagen aus städtebaulichen Gründen auszuschließen. Dies gilt im Regelfall auch für Dorf-, Mischund Kerngebiete. 1098

3. Errichtung von Mobilfunkanlagen und der Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit Bei reinen und allgemeinen Wohngebieten haben die Betroffenen gute Erfolgs- 593 aussiebten, sich gegen die Errichtung einer Mobilfunkanlage zur Wehr zu setzen. Soll sie in einem reinen Wohngebiet errichtet werden, besteht für den Mobilfunkbetreiber vor der Errichtung die Hürde, dass ihm je nach Größe der Anlage entweder eine Ausnahme gem. § 31 Abs. 1 BauGB i.V. m § 14 Abs. 2 S. 2 BauNVO gewährt oder eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB erteilt wird. Zudem kann die Errichtung von Mobilfunkanlagen nach dem zugrundeliegenden Bebauungsplan unter bestimmten Voraussetzungen sogar generell ausgeschlossen werden. Auch in allgemeinen Wohngebieten sind Mobilfunkanlagen lediglich ausnahmsweise zulässig und können generell durch die Festsetzungen des Bebauungsplans ausgeschlossen werden. Dagegen gibt es in den anderen Baugebieten, die wie insbesondere Misch- und Kerngebiete, auch noch dem Wohnen dienen, kaum Möglichkeiten, sich gegen die Errichtung einer Mobilfunkanlage zur Wehr zu setzen. Vielmehr sind Mobilfunkanlagen in diesen Gebieten allgemein zulässige bauliche Anlagen. Im Ergebnis hat die bauplanungsrechtliche Rechts- und Gesetzeslage im Falle 594 der Errichtung von Mobilfunkanlagen eine Ungleichverteilung der Umweltbelastung Elektrosmog zur Folge: In reinen und allgemeinen Wohngebieten kann die Errichtung von Mobilfunkanlagen mittels Berufung auf den besonders schützenswerten Gebietscharakter unter Umständen auch dann verhindert werden, wenn die geplante Anlage die Grenzwerte der 26. BImSchV einhält, da in diesen Gebieten gewerbliche Anlagen planerisch nicht allgemein zulässig sind. Zudem stehen bei reinen und allgemeinen Wohngebieten auch noch planerische Mittel zur Verfügung, die es ermöglichen, die Errichtung von Mobilfunkanlagen in einem bestimmten Baugebiet völlig auszuschließen. Da die Mobilfunkanlagen jedoch zur Aufrechterhaltung flächendeckender Mobilfunknetze erforderlich sind, werden die Anlagen in benachbarten, durch die Vorschriften der BauNVO weniger geschützten Baugebieten, wie ζ. B. Misch- und Kerngebiete errichtet. Solche Planungs1097 BVerwG, DVB1. 2002, 1121. In erster Linie greift der Vorsorgegedanke dabei aber in Bereichen, in denen es gerade keine normativ festgelegten Grenzwerte gibt. Dies ist aber im Bereich von Mobilfunkanlagen durch die 26. BImSchG geschehen. 1098 Schuster, VB1BW 2003, 177 (180). Eine Ausnahme bilden insofern Baugebiete, die einen gestalterischen Schutz verdienen, ζ. B. denkmalgeschützte Bereiche. 18*

276

8. Kap.: Umweltgerechtigkeit und ortsfeste Mobilfunkanlagen

Verschiebungen sind eine logische Konsequenz daraus, dass in reinen und allgemeinen Wohngebieten die Errichtung von Mobilfunkanlagen zumindest - und gerade dann - verhindert werden kann, wenn geeignete Standorte in anderen Baugebieten, wie eben in benachbarten Kern- und Mischgebieten, zur Verfügung stehen. Dadurch verlieren diese Gebiete weiter an Wohnqualität, was wiederum in der unmittelbaren Umgebung von Mobilfunkanlagen eine Verringerung der Grundstücks- und Wohnungspreise bedeuten und letztendlich den verstärkten Zuzug vermögensschwacher Bevölkerungsteile in die betroffenen Baugebiete zur Folge haben kann. 595

Allerdings ist hinsichtlich der Umweltbelastung Elektrosmog zu beachten, dass es bisher keinerlei wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse dafür gibt, dass neben den thermischen Effekten der Strahlung, vor denen die Bevölkerung durch die 26. BImSchV effektiv geschützt wird, noch athermische Wirkungen für die menschliche Gesundheit bestehen. Daher ist jedwede Beurteilung der Verteilungsgerechtigkeit im Bereich des Mobilfunks mit der Unsicherheit verbunden, wie stark die Ungleichverteilung tatsächlich ist.

IV. Ergebnis 596

Mit dem Argument einer gesundheitlichen Gefährdung kann gegen ortsfeste Mobilfunkanlagen nicht vorgegangen werden, wenn diese die Strahlungsrichtwerte der 26. BImSchV einhalten [siehe oben unter Il.l.e)]. Dennoch haben die Anwohner in reinen und allgemeinen Wohngebieten gute Erfolgsaussichten, sich aus bauplanungsrechtlichen Gesichtspunkten gegen die Errichtung einer Mobilfunkanlage zur Wehr zu setzen. In diesen Baugebieten kann die Errichtung von Mobilfunkanlagen mittels Berufung auf den besonders schützenswerten Gebietscharakter unter Umständen auch dann verhindert werden, wenn die geplante Anlage die Grenzwerte der 26. BImSchV einhält, da in diesen Gebieten gewerbliche Anlagen planerisch nicht allgemein zulässig sind. Da die Mobilfunkanlagen jedoch zur Aufrechterhaltung flächendeckender Mobilfunknetze erforderlich sind, werden die Anlagen in benachbarten, durch die Vorschriften der BauNVO weniger geschützten Baugebieten, wie ζ. B. Misch- und Kerngebiete errichtet, so dass die bauplanungsrechtliche Rechts- und Gesetzeslage im Falle der Errichtung von Mobilfunkanlagen tendenziell zu einer Ungleichverteilung der Umweltbelastung Elektrosmog führen kann. Literatur Bromm, Die Errichtung von Mobilfunkanlagen im Bauplanungsrecht- und Bauordnungsrecht, UPR 2003, 57 ff.; Kniep, Mobilfunkantennen und Eigentum, DWW 2001, 322 ff.; Kniep, Abwehransprüche gegen den Betrieb von Mobilfunkanlagen, WuM 2004, 654 f.; Maaß, Anmerkung zu Beschluss des OVG Münster v. 2. Juli 2002 - 7 Β 924/02, ZUR 2003, 29 ff.; Maser, Sind Antennen für Mobilfunkanlagen genehmigungspflichtig?, IBR 2001,

IV. Ergebnis

277

455; Ossenbühl/Di Fabio, Rechtliche Kontrolle ortsfester Mobilfunkanlagen, 1995; Pützenbacher, Schädliche Umwelteinwirkungen durch Elektrosmog, 1998; Schuster Planungsrechtliche Steuerungsmöglichkeiten für Standorte von Mobilfunkanlagen, VB1BW 2003, 177 ff.; Wagner, Müssen Immissionsgrenzwerte für Mobilfunkanlagen herabgesetzt werden?, IBR 2002, 572; Wahlfels, Mobilfunkanlagen zwischen Rechtsstreit, Vorsorge und Selbstverpflichtung, NVwZ 2003, 653 ff.

. Kapitel

Umweltgerechtigkeit im Klimaschutz und Emissionshandel I. Einführung 597

Am Ol. Ol. 2005 begann der europaweite Handel mit Emissionszertifikaten, an dem in Deutschland die Betreiber von ca. 2300 Anlagen beteiligt sind. Der Emissionshandel wirft an verschiedenen Punkten Probleme der Verteilungsgerechtigkeit auf. Ein grundlegendes Verteilungsproblem ergibt sich aus dem Konzept des Emissionshandels selbst, das von einer vorgegebenen Menge ausgeht, die in Zertifikate gestückelt an verschiedene Empfänger verteilt wird, bevor diese gehandelt werden. Die aktuelle öffentliche Diskussion dreht sich zudem vor allem um die Verteilung der Kosten der Klimaschutzmaßnahmen.

597a

Indem Adressaten des Instruments des Zertifikathandeis nicht die Staaten selbst, sondern einzelne Anlagenbetreiber sind, leistet auch der Grundsatz der angemessenen Nutzung gemeinsamer Güter insoweit keinen Beitrag. Im Übrigen ist dieser Grundsatz aufgrund seiner fehlenden rechtlichen Verbindlichkeit im internationalen Klimaschutzrecht auch aus diesem Grund von geringer Bedeutung für den Handel mit Emissionszertifikaten [vgl. dazu oben 1.Kapitel, I I I 1. b) bb) (4)].

598

Der Emissionshandel ist ein vor allem von Ökonomen favorisiertes marktorientiertes Instrument umweltpolitischer Steuerung, das neben ökologischen Steuern die Instrumentendebatte der letzten Jahre dominierte. Dessen konkrete Ausgestaltung wurde und wird unter anderem mit verteilungspolitischen Argumenten heftig diskutiert. Emissionshandel gehört zu den Versuchen, angesichts der Steuerungsdefizite des regulativen Rechts 1099 Anreize für ein eigenverantwortliches umweltbewusstes Handeln der Bürger zu setzen, um deren eigennützige Interessen für den Schutz der Umwelt zu mobilisieren. „Grundgedanke des Emissionshandels ist, die Atmosphäre im Hinblick auf die Emission von Treibhausgasen in ein kostenpflichtiges Gut zu verwandeln." 1100 Im Ergebnis soll er damit aus ökonomischer Sicht effizienter sein als es das eher starre Ordnungsrecht sein kann. 1 1 0 1 1099 Grundlegend hierzu statt vieler Günther, in: Grimm (Hg.), Wachsende Staatsaufgaben - sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, 1990, S. 51 ff. 1100 Begründung des Entwurfs des TEHG, BT-Drs. 15/2328 v. 13. 1. 2004, S. 7. noi Die Literatur zur ökonomischen Betrachtung des Umweltrechts ist mittlerweile uferlos; s. zusammenfassend aus jüngerer Zeit statt vieler Lübbe-Wolff, NVwZ 2001,481 ff.

I. Einführung

279

Der Emissionshandel funktioniert über den Mengenansatz, indem er eine Ge- 599 samtmenge der insgesamt zulässigen Emissionen festlegt. 1102 Grundvoraussetzung des Emissionshandels ist, dass die Gesamtmenge der Emissionen verringert werden soll und diese festgelegt wird. Dann muss diese gewünschte Gesamtmenge in einzelne Einheiten aufgeteilt werden, die dem Recht entsprechen, diese Mengeneinheit zu emittieren. Wer emittieren will, muss Inhaber einer entsprechenden Anzahl von Emissionsrechten sein. Die Gesamtmenge der ausgegebenen Emissionsrechte muss geringer sein als die aktuellen Emissionen. Es muss deshalb also Emittenten geben, die weniger Emissionsrechte haben, als sie derzeit emittieren oder zu emittieren planen. Diese Unternehmen haben dann die Möglichkeit, entweder durch eigene Leistungen zur Emissionsminderung oder durch Zukauf von Emissionsberechtigungen für die von ihnen benötigte Menge an Emissionsberechtigungen zu sorgen. Jeder Emittent kann sich dann entscheiden, ob er seine Emissionen verringert, oder ob er neue Emissionsrechte hinzukauft. Genau genommen handelt es sich also um einen Emissionsrec/itehandel, d. h. nicht um Handel mit Emissionen, sondern mit Emissionsrechten. Dadurch belässt man den Emittenten die marktwirtschaftliche Entscheidungsfreiheit, indem die Erfüllung gesetzlicher Umweltziele primär als Frage der Nutzen-Kosten-Analyse des Einzelnen bestimmt wird. Der Emissionshandel setzt die Entscheidung über die Gesamtmenge als gegeben voraus. Die zu erreichende Umweltqualität bleibt eine politische Entscheidung und ist dem Emissionshandel als rechtliche Rahmenbedingung vorgegeben. 1 1 0 3 Der Emissionshandel betrifft damit nur die Frage, wie eine vorgegebene Gesamtmenge an Emissionen erreicht wird. Es gibt verschiedene Modelle einer mengenbezogenen Steuerung. 1104 Kompen- 600 sationsmodelle erlauben es, von ordnungsrechtlich vorgegebenen Standards und Grenzwerten abzuweichen, sofern dieses Minus durch ein überobligatorisches Plus (Guthaben) an anderer Stelle ausgeglichen wird. 1 1 0 5 Beim Klimaschutz auf internationaler Ebene basieren die sog. projektbezogenen Mechanismen 1106 auf der Idee der Kompensationsmodelle. Bei den Zertifikatmodellen wird das gewünschte Qualitätsziel verbindlich festgeschrieben und daraus die zulässige Höchstmenge aller Nutzungen abgeleitet, bei der das Qualitätsziel (noch) erreicht wird. 1 1 0 7 An1102 Ausführlich zum Mengen- und Preisansatz speziell beim Schutz des Klimas Klocke, Klimaschutz durch ökonomische Instrumente, 1995, S. 41 ff.; Koutstaal/Nentjes, JCMS 1995, S. 219 ff.; Wustlich, Die Atmosphäre als globales Umweltgut, 2003, S. 89 ff.; allgemein s. auch Stüer/Spreen, UPR 1999, 161 ff. nos Vgl. Begründung des Entwurfs des TEHG, BT-Drs. 15/2328 v. 13. 1. 2004, S. 7. 1104 Vgl. Mehrbrey, Verfassungsrechtliche Grenzen eines Marktes handelbarer Emissionsrechte, 2003, S. 32 ff.; Kloepfer, in: Hendler/Marburger/Reinhardt/Schröder (Hg.), Emissionszertifikate und Umweltrecht, 2004, S. 71 (78 ff.), nos Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 5 Rn. 306 ff. 1106 Gemeint sind die gemeinsame Umsetzung nach Art. 6 Kyoto-Protokoll und der Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung (CDM) nach Art. 12 Kyoto-Protokoll; einführend zu diesen Mechanismen statt vieler OberthürI Ott, Das Kyoto-Protokoll, 2000, S. 203 (217 ff.), und Frenz, NuR 2001, 301 ff.

280

9. Kap.: Umweltgerechtigkeit im Klimaschutz und Emissionshandel

schließend wird diese Gesamtnutzungsmenge aufgeteilt und in Form von Verfügungsrechten auf die einzelnen Nutzer verteilt. Da diese mit ihren - exklusiven Nutzungsrechten handeln dürfen, kann sich ein Markt für die Nutzungsrechte und damit ein echter Marktpreis für die Nutzung des Gutes bilden. Aus umweltökonomischer Sicht hat diese Lösung den Vorteil, dass die Emissionen dort reduziert werden können, wo die Reduktion am kostengünstigsten durchgeführt werden kann. 1 1 0 8 Im Einzelnen unterscheiden sich die verschiedenen Zertifikatmodelle, weil sich je nach Ausgestaltung und je nach betroffenem öffentlichen Gut unterschiedliche Märkte (mit unterschiedlichen Anbietern und Nachfragenden) bilden.

II. Emissionshandel in der EG und in Deutschland 601

In der Diskussion über Instrumente des deutschen Umweltrechts wurde dieses Instrument noch bis weit in die 1990er Jahre abgelehnt. 1109 Mittlerweile hat die EG mit der THG-RL den Emissionshandel für die Mitgliedstaaten verbindlich vorgeschrieben. 1. Völkerrechtlicher Hintergrund

602

Hintergrund des zukünftigen Emissionshandels als Instrument der europäischen und deutschen Klimaschutzpolitik ist das internationale Klimaschutzrecht und der jüngst durch die Ratifizierung Russlands in Kraft getretene Kyoto-Prozess. 1110 Bereits bei den Verhandlungen zur Klimarahmenkonvention 1111 und später bei den Verhandlungen über die Konkretisierung dieser Konvention durch ein Protokoll wurde diskutiert, ob Staaten ihre quantifizierten Reduktionsverpflichtungen dadurch erfüllen dürften, dass sie ungenutzte Emissionsrechte anderer Staaten aufkaufen. Die Verhandlungen wurden seinerzeit noch durch die ökonomischen Interessen der USA dominiert, also durch einen Staat, der sich später selbst aus dem Kyoto-Prozess zurückgezogen hat. Nach langen Verhandlungen um die sog. flexiblen Mechanismen („Flexmex") verständigte man sich in Art. 17 des Kyoto-Protokolls zur Klimarahmenkonvention vom 11. 12. 1997 1112 darauf, dass Staaten 1107 So auch statt vieler Hösch, in: Hendler/Marburger/Reinhardt/Schröder (Hg.), Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 2001 (UTR Bd. 58), 2001, S. 127 (130), und Huckestein, ZfU 1993, 1 ff.; allgemein zu Qualitätszielen im Umweltrecht Rehbinder, NuR 1997, 313 ff. nos statt vieler Bothe, NVwZ 1995, 937 (938).

1109 Siehe insbesondere die ausdrücklich ablehnende Haltung des Kommissions-Entwurfs zum Umweltgesetzbuch, UGB-KomE, Begründung vor § 202, S. 808. mo Das Kyoto-Protokoll bedarf einer komplizierten Kombination von Ratifikationen, um in Kraft zu treten, s. Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 17 Rn. 22. im ILM 1992, S. 851; BGBl. 1993 II, S. 1784. 1112 ILM 1998, S. 22; BGBl. 2002 II, S. 966.

II. Emissionshandel in der EG und in Deutschland

281

grundsätzlich auch mit ihren Emissionsrechten handeln können. 1113 Die Ausarbeitung der konkreten Voraussetzungen des internationalen Emissionshandels wurde der jährlich tagenden Vertragsstaatenkonferenz übertragen, die seither ein detailliertes Regelwerk zum Emissionshandel erarbeitet hat. 1 1 1 4 Schon bevor das Kyoto-Protokoll in Kraft getreten war, hat die EG als Vertrags603 partei 1115 schon mit der Umsetzung ihrer Reduktionspflicht von 8% gegenüber 1990 begonnen. Art. 4 des Kyoto-Protokolls ermöglicht Vertragsparteien, die im Rahmen oder zusammen mit einer Organisation der regionalen Wirtschaftsintegration gemeinsam handeln, eine gemeinsame Erfüllung der Verpflichtungen. Die EG erfüllt ihre Reduktionspflicht demnach gemeinsam mit den EG-Mitgliedstaaten. 1116 Die sog. Lastenteilungsvereinbarung („ burden- sharing agreement ") ist eine Entscheidung des Europäischen Rats, welche die von den EG-Mitgliedstaaten im Kyoto-Protokoll übernommene ReduktionsVerpflichtung von insgesamt 8% gegenüber 1990 auf die einzelnen Mitgliedstaaten verteilt. 1117 Deutschland trifft hiernach für die Periode 2008-2012 die Reduktionspflicht von 21%. Kriterien

für diese Verteilungsentscheidung waren das erwartete Wirtschafts- 604 der Energiemix und die Industriestruktur. 1118 Die Verteilung sollte somit die wirtschaftspolitischen Interessen der Mitgliedstaaten ausgleichen,1119 wobei sich die in den Kriterien implizierte Gerechtigkeit der Verteilung 1120 auf wirtschaftliche Kriterien bezieht. Zur Frage, wie diese Reduktionsziele zu erreichen sind, hat die EG außerdem ein System für den Emissionshandel (zunächst nur) für C02-Emissionen beschlossen. Wachstum,

"13 Grundlegend z. B. Grubb, RECIEL 1998, 140 ff.; Birnie/Boyle, International Law and the Environment, 2. Aufl. 2002, S. 527 ff.; OberthürIOtt, Das Kyoto-Protokoll, 2000, S. 243 ff.; Wolfrum, in: Rengeling (Hg.), Klimaschutz durch Emissionshandel, 2001, S. 189 ff. m 4 Zum gegenwärtigen Stand s. Klemm, Klimaschutz nach Marrakesch, 2002, S. 24 ff.; Graichen!Härders, ZUR 2002, 73 ff.; s. auch Sach/Reese, ZUR 2002, 65 (70). 1115 Die EG ist neben ihren Mitgliedstaaten Vertragspartei des Kyoto-Protokolls, so dass es sich bei diesem um ein sog. gemischtes Abkommen handelt. 1116 Vgl. Erklärung der EG bei der Unterzeichnung des Kyoto-Protokolls. 1117 Entscheidung 2002/358/EG des Rates vom 25. 4. 2002 über die Genehmigung des Protokolls von Kyoto zum Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen im Namen der Europäischen Gemeinschaft sowie die gemeinsame Erfüllung der daraus erwachsenden Verpflichtungen, ABl. EG Nr. L 130 v. 15. 5. 2002, S. 1; im Folgenden „Lastenteilungsvereinbarung"; vgl. hierzu statt vieler Wustlich, Die Atmosphäre als globales Umweltgut, 2003, S. 241 ff. Für bestimmte Treibhausgase gilt das Basisjahr 1995. ms Siehe Erwägungsgrund 12 der Lastenteilungsvereinbarung. 1119 Mehrbrey IReuter, Europäischer Emissionshandel, 2003, S. 13. 1120 Vgl. BUND (Hg.), Der EU-Emissionshandel mit Treibhausgasen, 2003, S. 4.

282

9. Kap.: Umweltgerechtigkeit im Klimaschutz und Emissionshandel 2. THG-Richtlinie der E G

605

Die EG hat zunächst i m März 2000 ein Grünbuch veröffentlicht. 1 1 2 1 Nach Eingang von 100 Stellungnahmen zum Grünbuch erarbeitete die Kommission einen Richtlinien-Entwurf, den sie i m Oktober 2001 präsentierte. 1 1 2 2 Dieser Vorschlag wurde nach der ersten Lesung i m Europäischen Parlament und einer Gegenäußerung der K o m m i s s i o n 1 1 2 3 vom Rat am 10. 12. 2002 in mehreren Punkten geändert und in Form eines Gemeinsamen Standpunkts offiziell am 18. 03. 2003 neu festg e l e g t . 1 1 2 4 A u f dieser Grundlage ist er i m Juni 2003 vom Parlament in zweiter Lesung (mit nur geringfügigen Änderungen) gebilligt und vom Rat i m Oktober 2003 als THG-Richtlinie angenommen w o r d e n . 1 1 2 5

606

Tätigkeiten, die in den sachlichen Anwendungsbereich der T H G - R L fallen, bestimmen sich nach Anhang I und können typischerweise nur durch näher bestimmte Anlagen erfolgen. Dies sind i m Wesentlichen die Tätigkeiten, die auch in den Anwendungsbereich der I V U - R i c h t l i n i e 1 1 2 6 f a l l e n . 1 1 2 7 Für diese Anlagen wird ein zweigleisiges System aus Emissionsgenehmigungen („permits") und Emissionszertifikaten („allowances") eingeführt. 1121

Grünbuch zum Handel mit Treibhausgasemissionen (vorgestellt von der Kommission), KOM 2000 (87) endg. vom 8. 3. 2000; s. hierzu Epiney, in: Rengeling (Hg.), Klimaschutz durch Emissionshandel, 2001, S. 207 ff.; Krämer, in: Rengeling (Hg.), a. a. Ο., S. 1 ff.; Rengeling, DVB1. 2000, 1725 ff.; Koch/Wieneke, DVB1. 2001, 1085 ff. 1122 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionsberechtigungen in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates (von der Kommission vorgelegt), KOM (2001) 581 endg. vom 23. 10. 2001; s. hierzu insbes. Ahlmann-Otto, RdE 2002, 303 ff.; Conno! Jones/Hawkes, EuZW 2002, 165 (166 ff.); Epiney, DVB1. 2002, 579 ff.; Frenz, RdE 2003, 32 ff.; Giesberts/Hilf, Handel mit Emissionszertifikaten, 2002, Rn. 90 ff.; Hohenstein, EWS 2002, 511 ff.; Rehbinder/Schmalholz, UPR 2002, 1 ff.; Schafhausen, et 2002, 563 ff.; Spieth, Europäischer Emissionshandel und deutsches Industrieanlagenrecht, 2002, S. 19 ff. "23 KOM (2002) 680 vom 27. 11. 2002. 1124 Gemeinsamer Standpunkt (EG) Nr. 28/2003, vom Rat festgelegt am 18. 3. 2003, ABl. EU Nr. C 125 Ε ν. 27. 5. 2003, S. 72; s. hierzu auch die Stellungnahme der Kommission, SEK (2003) 364 vom 25. 3.2003 und aus der Literatur die Besprechungen von Eispas, Euroheat & Power 2003, Heft 5, 26 ff.; Spieth, emw 2003, 26 ff., und Zenke!Fuhr, emw 2003, 22 ff. 1125 Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 13. 10. 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61 /EG des Rates, ABl. EU Nr. L 275 v. 25. 10. 2003, S. 32. 1126 Richtlinie 96/61 / EG des Rates vom 24. 9. 1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, ABl. EG Nr. L 257 v. 10. 10. 1996, S. 26, ber. ABL EG Nr. L 19 v. 24. 1. 1998, S. 83. 1127 Gegenüber der IVU-Richtlinie werden zusätzlich auch Anlagen zur Energie- und Wärmeerzeugung zwischen 20 und 50 MW (ausgenommen Anlagen für die Verbrennung von gefährlichen oder Siedlungsabfällen) erfasst; ausgenommen werden hingegen verschiedene Bereiche der chemischen Industrie und Abfallverbrennungsanlagen, vgl. im Einzelnen zur Begründung: KOM (2001) 581, S. 11; kritisch hierzu hingegen Rehbinder/Schmalholz, UPR 2002, 1 f.

II. Emissionshandel in der EG und in Deutschland

283

Emissionen dürfen aus den genannten Anlagen grundsätzlich 1128 nur dann freigesetzt werden, wenn der Anlagenbetreiber über eine entsprechende Emissionsgenehmigung verfügt. Diese Genehmigung ist zunächst noch nicht an materielle Kriterien gebunden, sondern wird bereits erteilt, wenn der Betreiber in der Lage ist, die Emissionen zu überwachen und zu melden.

607

Der eigentliche Kern des Emissionshandels sind die Emissionszertifikate. Der 608 Anlagenbetreiber muss aufgrund der Emissionsgenehmigung für jede Maßeinheit freigesetzten Kohlendioxids, gemessen in Tonnen Kohlendioxidäquivalenten, eine entsprechend umgerechnete Maßeinheit an Emissionszertifikaten nachweisen. Diese Emissionszertifikate 1129 sind übertragbar und bilden somit den Gegenstand des Emissionshandels. Allen betroffenen Anlagen wird eine bestimmte Menge solcher Emissionszertifikate zugeteilt. Seit dem Beginn der ersten Verpflichtungsperiode am 01. 01. 2005 können die Unternehmen mit den Emissionszertifikaten handeln. Grundlage für die Zuteilungsentscheidung der Emissionszertifikate an die Teil- 609 nehmer am Emissionshandel ist gem. Art. 9 THG-RL ein nationaler Zuteilungsplan (National Allocation Plan, im Folgenden NAP 2005 - 2007), den jeder Mitgliedstaat aufstellen muss. Der NAP bestimmt, welche Anlage wie viele Emissionsberechtigungen aus der Gesamtmenge erhält. Die Gesamtmenge der auszuteilenden Emissionsrechte bemisst sich nach den nationalen Reduktionszielen gemäß den Vorgaben des Kyoto-Protokolls, die für die EU-Mitgliedsstaaten in der vereinbarten EU-Lastenteilung festgeschrieben sind. Die NAP müssen der EU-Kommission notifiziert werden. Die Kommission kann den Plan innerhalb von 3 Monaten ablehnen. Die EU-Kommission hat der deutschen Verteilung der Emissionsberechtigungen laut Nationaler Zuteilungstabelle 2005-2007 am 10. März 2005 zugestimmt. 1130

3. Umsetzung in Deutschland In Deutschland werden die Vorgaben der EG durch verschiedene Normen umge- 610 setzt. Stammgesetz ist das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz (TEHG). Nachdem das damalige Bundeskabinett den TEHG-Ressortentwurf des B M U 1 1 3 1 am "28 Eine Ausnahme besteht für Anlage, die zeitlich befristet von dem Handelssystem ausgeschlossen sind (Art. 27 THG-RL). 1129 Die Emissionszertifikate werden folglich in Art. 3 lit. a) THG-RL definiert als „Zertifikat, das zur Emission von einer Tonne Kohlendioxidäquivalent in einem bestimmten Zeitraum". 1130 Siehe Presse-Information 015 / 2005 des BMU vom 11.3.2005, zu finden unter , letzter Aufruf am 2.12. 2005.

U31 BMU, Arbeitsgruppe Ζ ΠΙ 6: Gesetz über den Handel mit Berechtigungen zur Emission von Treibhausgasen (Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz-TEHG), Entwurf vom 3.9.2003.

284

9. Kap.: Umweltgerechtigkeit im Klimaschutz und Emissionshandel

17. 12. 2003 beschlossen hatte, 1132 brachten Bundesregierung und Regierungsfraktionen zwei textidentische Gesetzesvorlagen (TEHG-E) ein. 1 1 3 3 Der Bundestag verabschiedete das Gesetz am 12. 03. 2004. 1 1 3 4 Betreiber der erfassten Anlagen brauchen zunächst gem. § 4 Abs. 1 TEHG eine Basisgenehmigung für ihre Emissionen und müssen zur deren Überwachung geprüfte Berichte vorlegen. Diese besteht - anders als ursprünglich geplant - neben der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nach BImSchG und liegt in der Zuständigkeit des Umweltbundesamtes, bei der die „Deutsche Emissionshandelsstelle" eingerichtet wird. 1 1 3 5 Für die eigentlichen CCVEmissionen müssen sie Berechtigungen nachweisen, die ihnen nach Maßgabe eines Gesetzes über den nationalen Zuteilungsplan in einer gewissen Höhe zugeteilt werden und handelbar sind. 611

Am 21.02.2005 notifizierte die Bundesregierung gem. § 7 S. 1 TEHG der Kommission den NAP, 1 1 3 6 die ihn ohne Beanstandungen am 11. 03. 2005 bestätigte. 1 1 3 7 Der NAP legt gem. § 7 S. 3 TEHG fest, wie viele Emissionszertifikate für 2005-2007 insgesamt in Deutschland zugeteilt werden und nach welchen Regeln sie auf die Teilnehmer verteilt werden. Die Rechtsnatur des NAP ist bislang ungeklärt. Das Aufstellungsverfahren in § 8 TEHG ähnelt einer Planfeststellung mit Öffentlichkeitsbeteiligung. Der NAP wird gem. § 8 Abs. 1 TEHG vom BMU im Bundesanzeiger und im Internet veröffentlicht. Stellungnahmen der Öffentlichkeit sind gem. § 8 Abs. 1 S. 3 TEHG zu berücksichtigen. Der NAP ist Grundlage für ein „Gesetz über den Nationalen Zuteilungsplan", das parallel zum TEHG ergeht und nach dem gem. § 7 S. 2 TEHG die eigentliche Zuteilung erfolgt. 1138 Dies entspricht Forderungen, aufgrund der Grundrechtsrelevanz dieses Planes möglichst viele Bestimmungen des Planes bereits unmittelbar im Gesetz zu regeln. 1139 Das 1132 BMU, BMU-Hintergrundpapier zum Emissionshandel, Pressemitteilung 237-2003 v. 17. 12. 2003. Π33 BT-Drs. 15/2328 v. 13. 1. 2004 und 15/2540 v. 18. 2. 2004. 1134 SZ v. 12.3.2004, , letzter Aufruf am 2.12.2005. Grundlage war die Beschlussempfehlung in BT-Drs. 15/2681 v. 10. 3. 2004. 1135 § 20 TEHG. Dadurch liegt der Vollzug nicht bei den Immissionsschutzbehörden der Länder, sondern beim Bund, was schwierige kompetenzrechtliche und vor allem praktische Probleme mit sich bringt. Vgl. dagegen die Gesetzesentwürfe BT-Drs. 15/2328 v. 13. 1. 2004 und 15/2540 v. 18. 2. 2004. Die Anforderungen an die Erteilung einer Emissionsgenehmigung sollten ursprünglich durch eine gesondert zu erlassene Artikel-Verordnung in das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren integriert werden; vgl. dazu Kloepfer, in: Kloepfer (Hg.), Emissionszertifikate und Umweltrecht, 2004, S. 71 (89 ff.). 1136 Im Gesetz „Nationaler Zuteilungsplan" genannt, während der tatsächliche Plan den Titel „Nationaler Allokationsplan" trägt. 1137 Siehe Presse-Information 015/2005 des BMU vom 11. 3. 2005, zu finden unter , letzter Aufruf am 2. 12. 2005. 1138 Zu den Abweichungen des NAPG-E vom NAP siehe , letzter Aufruf am 2. 12. 2005. 1139 Vgl. Burgi, NJW 2003, 2486 (2491); ausführlicher Spieth, emw 2003, 26 ff.; Antrag der CDU/CSU Fraktion U.A., BT-Drs. 15/1791 v. 21. 10. 2003.

III. Verteilungsprobleme

285

Bundeskabinett hat den Entwurf dieses Gesetzes am 21. 04. 2004 beschlossen und in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht. 1140 Das sogenannte „Zuteilungsgesetz für die Handelsperiode 2005 bis 2007" (NAPG) ist schließlich am 31. 08. 2004 in Kraft getreten. 1141 Auch wenn der Plan gemäß der EU-Emissionshandelsrichtlinie bereits die ge- 612 planten Zuteilungsmengen für die einzelnen Anlagen in einer beigefügten Liste ausweist, wird die abschließende Zuteilung von Berechtigungen gem. § 10 Abs. 1 TEHG erst durch eine Verwaltungsentscheidung nach Antragsverfahren erfolgen. Dies schmälert aber nicht die zentrale Bedeutung des NAPG, 1 1 4 2 da die Anlagenbetreiber gemäß § 9 Abs. 1 TEHG „nach Maßgabe des Gesetzes über den nationalen Zuteilungsplan" einen gebundenen Anspruch auf Zuteilung nach dem NAPG haben. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen eine Zuteilungsentscheidung sind gem. § 12 TEHG vorgesehen, haben aber keine aufschiebende Wirkung. Das wird insbesondere bei Konkurrentenklagen von Bedeutung sein, sofern Unternehmen der Ansicht sind, ein Konkurrent hätte zu viele Emissionszertifikate erhalten. 1143

ΙΠ. Verteilungsprobleme Der Emissionshandel wirft an verschiedenen Punkten Probleme der Verteilungsgerechtigkeit auf. Ein grundlegendes Verteilungsproblem ergibt sich aus dem Konzept des Emissionshandels selbst, das von einer vorgegebenen Menge ausgeht, welche als Zertifikate gestückelt an verschiedene Empfänger verteilt wird, bevor diese gehandelt werden. Es gab bei Schaffung des TEHG in Deutschland keinen bestehenden Marktmechanismus für Emissionshandel. Der Markt muss vielmehr geschaffen, eingerichtet und ausgestaltet werden. Verteilungsprobleme stellen sich daher schon bei der Ausgangsgestaltung. Da Ziel des Emissionshandels die Reduzierung der Emissionen ist, ist die zuzuteilende Gesamtmenge kleiner als die derzeitigen Gesamtemissionen der Teilnehmer. Nach welchen Kriterien man das knappe Gut der Emissionsberechtigungen aufteilt, wirft Fragen der Verteilungsgerechtigkeit auf. In seiner Stellungnahme zum THG-Entwurf wies der Bundesrat auf die „erheblichen struktur- und regionalpolitischen Auswirkungen" hin, die sich aus der Verteilungsfunktion des NAP für die geldwerten Emissionsberechtigungen ergäben. 1144 Der Bundesrat hatte dabei in erster Linie die sich aus der räumlichen Π40 BT-Drs. 15/2966 v. 27. 4. 2004. 1141 Siehe Presseinformation Nr. 253/04 des BMU, zu finden unter , letzter Aufruf am 2. 12. 2005. 1142 Dies scheint die Gegenäußerung der Bundesregierung zu Nummer 17 der Stellungnahme des Bundesrates anzudeuten, BT-Drs. 15/2540, S. 17. 1143 Kloepfer, in: Hendler / Marburger / Reinhardt / Schröder (Hg.), Emissionszertifikate und Umweltrecht, 2004, S. 71 (92). 1144 BT-Drs. 15/2540 v. 18. 2. 2004, S. 10 Nr. 17 und 18.

613

286

9. Kap.: Umweltgerechtigkeit im Klimaschutz und Emissionshandel

Verteilung der Emissionsberechtigungen ergebenden unterschiedlichen Verwaltungskosten für die Länder im Auge. 1 1 4 5 614

Auf nationaler Ebene unterscheidet der deutsche NAP zwischen Mikro- und Makroebene. lU 6 Der Makroplan legt fest, welcher Anteil der gesamten Reduktionsverpflichtung Deutschlands mit welchen Treibhausgasen unter den Emissionshandel fällt und welche Makrosektoren am Emissionshandel teilnehmen. Er betrifft also die Verteilung der gesamten Reduktionspflicht Deutschlands auf den Emissionshandel einerseits und die restlichen Bereiche andererseits. Der Mikroplan bestimmt innerhalb dieses Rahmens für die Teilnehmer am Emissionshandel, nach welchen Regeln und Kriterien die Allokation vorgenommen wird und welche Berechtigungsmenge den einzelnen Anlagen demnach zusteht.

615

Die Verhandlungen um die Zuteilung der Emissionsrechte in Deutschland waren von heftigen Verteilungskämpfen um die Emissionsrechte geprägt. 1147 Dabei hatte auch die Wirtschaft keine einheitliche Position. 1148 U. a. war die Verteilung der Reduktionslasten zwischen den Tätigkeitsbereichen heftig umstritten.

1. Allgemeine Kriterien 616

Nach Art. 9 Abs. 1 S. 2 THG-RL muss der NAP die Zuteilung auf „objektive und transparente Kriterien" stützen. 1149 Diese Vorgabe lässt grundsätzlich die unterschiedliche Behandlung der potentiellen Empfänger zu. Die Vorschrift verweist auf Anhang III der Richtlinie, der den Mitgliedstaaten bereits einige obligatorische und fakultative Kriterien vorgibt. Die Kommission hat entsprechend ihrer Verpflichtung nach Art. 9 Abs. 1 S. 3 THG-RL zusätzlich Hinweise zu den Kriterien des NAP veröffentlicht. 1150 Die Kriterien betreffen in unterschiedlicher Weise die Gesamtmenge, Tätigkeiten und Sektoren sowie einzelne Anlagen. 1151 1145 BT-Drs. 15/2540 v. 18. 2. 2004, S. 10 Nr. 17. 1146 NAP 2005-2007, S. 7. 1147 Vgl. „Klima verpestet", SZ v. 3. 2. 2004, S. 21; „Industrie wehrt sich gegen Emissionsplan", SZ v. 6. 2. 2004, S. 17; „Industrie stellt Bedingungen für Kimaschutz-Runde", SZ v. 11.2. 2004, S. 17. 1148 Vgl. „Trittin legt Zahlen zum Emissionshandel vor", SZ v. 31. 1. 2004, S. 20. Π49 Die vorgeschriebene Berücksichtigung der Bemerkungen der Öffentlichkeit verwirklicht zudem einen Aspekt von Verfahrensgerechtigkeit. uso Mitteilung der Kommission über Hinweise zur Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Anwendung der in Anhang I I I der Richtlinie 2003 /87/EG über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61 / EG des Rates aufgelisteten Kriterien sowie über die Bedingungen für den Nachweis höherer Gewalt, KOM (2003) 830 endg. v. 7. 10. 2004, im Folgenden: Hinweise der Kommission. usi Vgl. die Übersicht in den Hinweisen der Kommission (FN 1150), S. 3.

III. Verteilungsprobleme

287

Als allgemeines Kriterium ist das in Anhang III Ziff. 4 THG-RL genannte Kohä- 617 renzkriterium interessant, weil es sich von den traditionellen Verteilungskriterien löst und einen neuen Blickwinkel eröffnet. Nach dieser Bestimmung muss der NAP mit den übrigen rechtlichen und politischen Instrumenten der Gemeinschaft in Einklang stehen. Durch dieses Kriterium soll verhindert werden, dass der Emissionshandel andere Instrumente überlagert, die ebenfalls die Reduktion von Emissionen zum Ziel haben, und diese ins Leere laufen lässt. Zertifikate sollen nicht zugeteilt werden, wenn erfasste Emissionen aufgrund anderer Rechtsvorschriften auch unabhängig von der Einführung des Systems für den Emissionshandel verringert werden mussten bzw. in Zukunft verringert werden müssen. 1152 Dieser wichtige Aspekt kommt in traditionellen Theorien der Verteilungsgerechtigkeit so nicht vor, weil sie immer nur ein Gut und einen Verteilungsvorgang betrachten. Die bekannten Proportionalitätskriterien der Würdigkeit und des Bedarfs können jedoch von der Verteilung anderer Güter abhängen. Das in der THG-RL genannte Kohärenzkriterium erkennt, dass die Verteilung der Reduktionslast auch durch andere Regeln bestimmt wird. Das Kriterium bezieht sich somit nicht eigentlich auf die Teilnehmer am Emissionshandel als Empfänger des zu verteilenden Gutes, sondern auf die Kohärenz verschiedener Verteilungsregeln. Dies ist ein Blickwinkel, der von den Theorien der Verteilungsgerechtigkeit bislang weitgehend außer Acht gelassen wurde. Hier müssten ζ. B. die Verteilungswirkungen der Ökosteuer berücksichtigt werden, 1153 etwa bei zusätzlichen Belastungen.

2. Gesamtmenge und Teilnehmer Da der europäische Emissionshandel die Reduktionsziele der EG aus dem 618 Kyoto-Protokoll verwirklichen soll, ist die Vorgabe gem. Art. 9 i.V.m. Anhang III Nr. 1 THG-RL, dass die Gesamtmenge der zu vergebenen Emissionsrechte mit den jeweiligen Reduktionszielen der Lastenteilungsvereinbarung in Einklang steht. Aus den Vorgaben des Kyoto-Protokolls und der THG-RL ergeben sich gem. § 4 NAPG die nationalen C0 2-Emissionsbudgets in Höhe von 859 Mio. t pro Jahr in der Periode 2005-2007 und 846 Mio. t pro Jahr in der Periode 2008-

2012. 1154

Das Reduktionsziel wird aber nicht allein durch die am Emissionshandel teil- 619 nehmenden Anlagen und Tätigkeiten erreicht. 1155 Es fallen nicht alle Tätigkeiten, die C 0 2 emittieren, unter das Emissionshandelssystem. Dieses umfasst daher nur einen Teil des gesamten nationalen Emissionsbudgets. Daher muss zusätzlich zu dieser die Gesamtmenge der Emissionen bestimmt werden, die unter das "52 Hinweise der Kommission (FN 1150), Ziff. 40. 1153 Vgl. SRU 2004, Ziff. 94. 1154 s. zu den zu Grunde liegenden Emissionswerten und zur Berechnung den NAP, S. 15 —

22.

1155 Vgl. SRU 2004, Ziff. 46.

288

9. Kap.: Umweltgerechtigkeit im Klimaschutz und Emissionshandel

Emissionshandelssystem fallen. Dies ist mit der Entscheidung verknüpft, wer Teilnehmer am Emissionshandel ist. Bei aller Flexibilität bleibt der Emissionshandel ein Instrument, das C02-Emissionen langfristig zielgenau verringert, indem die erlaubte Emissionsmenge festgesetzt und reduziert wird und Anreize für Verringerung geschaffen werden. Die Teilnahme am Emissionshandel bedeutet möglicherweise höhere Kosten, jedenfalls aber eine Benachteiligung gegenüber denjenigen, die nicht teilnehmen müssen. Die Gesamtmenge der zu handelnden Emissionen bestimmt daher, welche Bürde die teilnehmenden Sektoren im Verhältnis zu den nicht teilnehmenden Sektoren tragen. Für dieses Verhältnis gelten mehrere Verteilungskriterien. 620

Art. 11 Abs. 3 S. 1 sowie Anhang III Ziff. 5 THG-RL enthalten ein Diskriminierungsverbot nach den wettbewerbsrechtlichen Grundsätzen des Europarechts: Unternehmen oder Sektoren dürfen gemäß den Anforderungen des EGV, insbesondere der Artikel 87 und 88, nicht in einer Weise unterschiedlich behandelt werden, dass bestimmte Unternehmen oder Tätigkeiten ungerechtfertigt bevorzugt werden. Dies gilt für das Festlegen der Gesamtmenge, die Anfangszuteilung und die Zuteilung auf einzelne Anlagen innerhalb der teilnehmenden Sektoren. Das Kriterium bezieht die Grundsätze ein, die für staatliche Beihilfen entwickelt worden sind. 1 1 5 6 Nach der Erläuterung der Kommission sollten die Mitgliedstaaten im Prinzip an alle im Plan erfassten Betreiber gleiche, aber nicht zwangsläufig proportionale, jährliche Anteile ausgeben, um eine ungerechtfertigte Diskriminierung zu vermeiden. 1 1 5 7 Welche Zuteilung „gleich, aber nicht zwangsläufig proportional" ist, bleibt unklar. Die Zusammenfassung der Kommission empfiehlt den Mitgliedstaaten, jedes Jahr weitgehend proportionale Anteile auszugeben.

621

Anhang III Ziff. 3 S. 1 THG-RL bestimmt zudem zwingend, dass die Gesamtmenge mit dem Potenzial der vom Emissionshandel erfassten Tätigkeiten zur Verringerung von Emissionen in Einklang stehen muss. Ebenfalls zwingend ist die Bindung an die nationalen energiepolitischen Maßnahmen, fakultativ dagegen die Ausrichtung am nationalen Klimaschutzprogramm.

622

Am Emissionshandel nehmen gem. § 4 Abs. 2 NAPG nur die Sektoren Energie und Industrie teil, nicht aber die Sektoren Verkehr, Haushalte und Gewerbe/Handel / Dienstleistungen, die ebenfalls C 0 2 ausstoßen. Für diese grundlegende Verteilungsentscheidung in Deutschland wird zunächst auf deren Grundrechtsrelevanz hingewiesen. Die Ungleichbehandlung der teilnehmenden Sektoren müsse im Verhältnis zu den nicht teilnehmenden Sektoren sachlich gerechtfertigt sein. 1 1 5 8 Das entspricht auch dem Diskriminierungsverbot der THG-RL. Die RWE forderte für die Verteilung in Deutschland eine „gerechte Verteilung des Mindestbedarfs in usò Hinweise der Kommission (FN 1150), Ziff. 47. 1157 KOM (2003) 830 Ziff. 102, unter Hinweis auf Anhang III Nr. 5 der THG-RL. 1158 Spieth, Europäischer Emissionshandel und deutsches Industrieanlagenrecht, 2002, S. 79; zum europarechtlichen Gleichheitssatz Mehrbrey/Reuter, Europäischer Emissionshandel, 2003, S. 47 f.

III. Verteilungsprobleme

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allen Sektoren (Haushalte, Verkehr und Industrie), die für Kyoto-Gase verantwortlich sind." UmWeltorganisationen befürchteten erhöhte Emissionen für die teilnehmenden Industriesektoren. Damit werde die Last der Emissionsreduktion auf die „kleinen Leute", nämlich die Sektoren Verkehr und Haushalt abgewälzt. 1159 Der Bezug auf „kleine Leute" spielt auf die Leistungsfähigkeit der Betroffenen an und greift damit ein Kriterium der Verteilungsgerechtigkeit auf. Die Leistungsfähigkeit in Bezug auf die mögliche Emissionsreduktion ist auch das in Anhang III Ziff. 3 S. 1 THG-RL vorgegebene Kriterium für die Verteilung nach Reduktionspotenzial § 7 TEHG-E enthielt dazu ursprünglich keine Kriterien, sondern bestimmte nur, dass das NAPG die Gesamtmenge festlegt. Der Entwurf wurde aber im Gesetzgebungsverfahren ergänzt: Gem. § 7 S. 3 TEHG soll die Gesamtmenge der zuzuteilenden Berechtigungen in einem angemessenen Verhältnis zu Emissionen aus Sektoren stehen, die nicht am Emissionshandel teilnehmen. Aus Sicht der Verteilungsgerechtigkeit ist damit jedoch nur gesagt, dass es sich um proportionale Gleichheit handeln soll. Nach welchen Kriterien sich das „angemessene Verhältnis" bestimmt, bleibt unklar. Der NAP 2005 - 2007 nennt als weiteres Kriterium die tatsächlichen Energie- 623 bilanzen. Die Aufteilung gem. § 4 Abs. 2 NAPG-E ergibt demgemäss die im Emissionshandel zu verteilende Gesamtmenge von 503 Mio. t C 0 2 gegenüber 356 Mio. t für die nicht teilnehmenden Sektoren. Der Anteil der teilnehmenden Sektoren an der zu verteilenden Menge entspricht fast genau ihrem Anteil an den gesamten nationalen aktuellen Emissionen. 1160 Hier handelt es sich um ein Verdienstkriterium, bei dem die Beiträge zum Problem numerisch gleich erfasst, aber zunächst nicht nach Würdigkeit (etwa frühere Anstrengungen) gewertet werden. Nicht zuletzt deswegen ist in Deutschland das Verhältnis des Emissionshandels zu 624 bestehenden Vereinbarungen der Bundesregierung und der Wirtschaft über die C0 2 -Reduktion sehr umstritten. In der Klimavereinbarung zwischen der damaligen Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft vom 09. 11. 2000 1 1 6 1 hat sich die deutsche Wirtschaft 1162 branchenübergreifend verpflichtet, ihre C02-Emissionen bis zum Jahr 2005 um 28% gegenüber dem Basisjahr 1990 und die Emissionen aller sechs „Kyoto-Gase" bis zum Jahr 2012 um 35% gegenüber 1990 zu reduzieren. Die deutsche Regierung verpflichtete sich in dieser Vereinbarung dazu, keine regulatorischen Maßnahmen zum Klimaschutz zu erlassen. Für die davon ausgenommene Umsetzung von Europarecht 1163 muss die Vereinbarung so ausgelegt werden, dass 1159

„Umweltrat gegen neue Zugeständnisse für Emissionshandel", SZ v. 24. 2. 2004, S. 6. Π60 Vgl. NAP 2005-2007, S. 15. 1161 „Vereinbarung der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Wirtschaft zur globalen Klimavorsorge", abrufbar im Internet unter: , letzter Aufruf am 2. 12. 2005; s. hierzu aus der Literatur ζ. B. Schendel, NVwZ 2001, 494 (499); Bode, et 2002, 283 ff.; zur Ursprungsfassung vom 10. 3. 1995 s. Grohe, WiVerw 1999, 177 (184 f.); zu deren Aktualisierung vom 27. 3. 1996: Umwelt (BMU) 1997, S. 102 ff. 1162 Es handelt sich um 19 Wirtschaftsverbände. 19 Kloepfer

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9. Kap.: Umweltgerechtigkeit im Klimaschutz und Emissionshandel

Handlungsspielräume, die Deutschland bei der Richtlinientransformation verbleiben, im Sinne der Vereinbarung zu nutzen sind. 1 1 6 4 Daneben besteht die ergänzende KWK-Vereinbarung, n65 auf der die Minderungsziele des KWKG beruhen. 625

Wegen dieses Problems sind auf dem Umweltministerrat am 9. Dezember 2002 gleich zwei Lösungen in die TGH-Richtlinie aufgenommen worden, die sich insbesondere an die deutsche Wirtschaft wenden und dieser den Fortbestand der Vereinbarung ermöglichen: Zum einen der zeitlich befristete Ausschluss von Anlagen nach Art. 27 THG-RL („opting out") und zum anderen die Poollösung nach Art. 28 THG-RL. 1 1 6 6 Für den vorübergehenden Ausschluss fordert Art. 27 Abs. 2 lit. c) THG-RL einen der THG-RL gleichwertigen Sanktionsmechanismus, den es in der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft bislang jedoch nicht gibt. Anlagenpools sind in § 24 TEHG unter dem Begriff des Anlagenfonds vorgesehen. 1167 Demnach können mehrere Anlagenbetreiber ihre Emissionsberechtigungen in einem sog. Pool zusammenfassen, über den ein gemeinsamer Treuhänder verfügt. Diese Lösung kommt den Kompensationslösungen in Form des „Glockenprinzips" sehr nahe. 1168 Über die gemeinsame Verwaltung der Emissionsrechte kann an die bestehende Selbstverpflichtung angeknüpft werden. 1 1 6 9 Damit ermöglicht der Anlagefonds den Anlagenbetreibern, die Reduktionslasten branchenintern zu verteilen. 1170 Verteilungsgerechtigkeit besteht in diesem Fall darin, nicht zu verteilen, sondern die Empfänger selbst entscheiden zu lassen. Nach BMU und Begründung des TEHG soll sich die Gesamtmenge der deutschen Emissionszertifikate an der Selbstverpflichtung der Wirtschaft orientieren, um eine Verschärfung der insgesamt zu erbringenden Klimaschutzleistungen zu vermeiden. 1171 1163 Die Vereinbarung lautet in Ziff. II, dass „ ( . . . ) die Bundesregierung keine Initiative ergreifen (wird), um die klimaschutzpolitischen Ziele auf ordnungsrechtlichem Wege zu erreichen. Unberührt bleibt die Umsetzung von EU-Recht ( . . . )". 1164 Vgl. auch Kloepfer, in: Hendler/Marburger/Reinhardt/Schröder (Hg.), Emissionszertifikate und Umweltrecht, 2004, S. 71 (106 ff.). 116 5 „Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der deutschen Wirtschaft zur Minderung der C02-Emissionen und der Förderung der Kraft-WärmeKopplung in Ergänzung zur Klimavereinbarung vom 9. 11. 2000" paraphiert am 25. 6. 2001, unterzeichnet und in Kraft am 19. 12. 2003. H66 Dazu Kloepfer, in: Hendler /Marburger/ Reinhardt /Schröder (Hg.), Emissionszertifikate und Umweltrecht, 2004, S. 71 (108 ff.). 1167 Der Begriff ist auch in der deutschen Fassung von § 27 THG-RL missverständlich übersetzt. 1168 Vgl. Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 5 Rn. 300.

1169 Zenke/Fuhr, emw 2003, 22 (24). 1170 Begründung zu § 24 des TEHG-E, BT-Drs. 15/2328 v. 13. 1. 2004, S. 17. 1171 Vgl. die Begründung des TEHG-E vom 3. 9. 2003, S. 6; Begründung des TEHG-E, BT-Drs. 15/2328 v. 13. 1. 2004, S. 9; „Trittin legt Zahlen zum Emissionshandel vor", SZ v. 31.1. 2004, S. 20; „Industrie stellt Bedingungen für Klimaschutz-Runde", SZ v. 11. 2. 2004, S. 17; BMU PR 034-04 ν. 11. 2. 2004; „Emissions-Streit entschärft", SZ v. 25. 2. 2004, S. 5.

III. Verteilungsprobleme

291

Der NAP 2005-2007 geht zunächst von der nach der Lastenteilungsverein- 626 barung verbindlichen Zielvorgabe für die Periode 2008-2012 aus, in der nur noch 846 Mio. Tonnen C 0 2 emittiert werden dürfen. 1172 Im Vergleich zu den tatsächlichen durchschnittlichen Emissionen der Jahre 2000-2002 bedeutet dies eine Verringerung um 17 Mio t. Der NAP 2005-2007 legt die erste Etappe hin zu dieser Verringerung fest, in der lediglich 4 Mio. t weniger emittiert werden müssen, bevor 2008-2012 die restlichen 13 Mio. t einzusparen sind. Diese Vorüberlegung zur Gesamtmenge ergibt also keine lineare Verringerung um jeweils den gleichen Betrag pro Jahr. Das NAPG hat diese Zahlen in § 4 Abs. 2 und 3 übernommen.

3. Zuteilung auf Tätigkeitsbereiche Nachdem sowohl die Gesamtemissionsmenge als auch die Teilnehmer am Emis- 627 sionshandel definiert worden sind, muss eine Entscheidung darüber getroffen werden, wie die zulässige Gesamtmenge von 503 Mio. t. C 0 2 (§ 4 Abs. 2 NAPG) auf die Teilnehmer verteilt wird, d. h. wie viele Emissionsrechte aus dieser Gesamtmenge jeder Teilnehmer zu Beginn erhält. Da die zu verteilende Gesamtmenge kleiner ist als die derzeitigen gesamten Emissionen, bestimmt diese ursprüngliche Zuteilung von Emissionsrechten weitgehend, inwieweit ein Empfänger Emissionsrechte übrig haben wird, die er verkaufen kann - oder umgekehrt. Die späteren finanziellen Belastungen für einen Teilnehmer hängen zum großen Teil vom Verteilungsschlüssel ab. 1 1 7 3 Die erste Verteilungsfrage, nämlich die Kosten der Emissionsberechtigungen, ist 628 durch ein einfaches Kriterium für alle Teilnehmer gleich vorgegeben. Die Zuteilung muss in der ersten Handelsperiode jedenfalls für mindestens 95 % der Zertifikate kostenlos sein (Art. 10 THG-RL); in der Folgeperiode müssen mindestens 90% der Zertifikate kostenlos zugeteilt werden (Art. 10 S. 2 THG-RL). Für Deutschland ist die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten bis zum Jahre 2012 vorgesehen, um die Belastung für Unternehmen durch den Emissionshandel zu reduzieren. 1174 § 18 NAPG legt dies für die erste Zuteilungsperiode fest. Dieses Kriterium behandelt insofern alle Teilnehmer gleich. Bevor die Gesamtmenge auf die einzelnen Anlagen verteilt wird, könnte man 629 sie nach der THG-RL zunächst in Untermengen für einzelne Tätigkeitsbereiche 1172 NAP 2005-2007, S. 17. Diese Zahl ergibt sich als Differenz aus dem Reduktionsziel für alle Treibhausgase und den geschätzten Reduktionen für die restlichen Treibhausgase. 1173

Mehrbrey/Reuter, Europäischer Emissionshandel, 2003, S. 18. 1174 NAP 2005-2007, S. 32, gem. der früheren Ankündigung, vgl. BMU, BMU-Hintergrundpapier zum Emissionshandel, Pressemitteilung 23-03 v. 17. 12. 2003; Bundesregierung, Antwort auf die Frage 38 der Kleinen Anfrage BT Drs. 15/2201, , letzter Aufruf am 5.12.2005; der Sachverständigenrat für Umweltfragen empfiehlt aus EfFizienzgriinden für spätere Perioden eine Versteigerung, SRU 2004, Ziff. 96. 19*

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9. Kap.: Umweltgerechtigkeit im Klimaschutz und Emissionshandel

aufteilen. Für die Verteilung der Gesamtmenge zwischen den teilnehmenden Tätigkeitsbereichen ist die nationale Energiepolitik gem. Anhang III Nr. 1 THG-RL ausdrücklich ein obligatorisches 1175 Kriterium. Außerdem gilt fakultativ das Kriterium des Reduktionspotenzials gem. Anhang III Ziff. 3 THG-RL. Dabei ist jeweils das Emissionsverringerungspotenzial einzelner unter das System fallender Tätigkeitsbereiche zu vergleichen. Bei Tätigkeitsbereichen, bei denen eine kostengünstigere Verringerung möglich ist, kann mehr verlangt werden als in Bereichen, bei denen die entsprechenden Kosten höher liegen. 1176 Tätigkeiten mit größerem Reduktionspotenzial sollen daher eine im Verhältnis zu den Emissionen kleinere Menge von Emissionsrechten erhalten als Tätigkeiten mit niedrigerem Potenzial. Die Verteilung auf einzelne Anlagen wird nicht von diesem Kriterium erfasst, 1177 sondern von Anhang III Ziff. 8 THG-RL. 630

In Deutschland wird die Gesamtmenge nicht getrennt nach Tätigkeitsbereichen zugeteilt. Aber die Lenkungsabsicht des NAP im Hinblick auf Anreize für den Umstieg von Kohle auf Erdgas ist sehr umstritten. 1178 Zudem verlangte die Industrie im Zuge des Atomausstiegs einen Ausgleich an Emissionsrechten für Ersatzkapazitäten. 1179 Bei beiden kommt die nationale Energiepolitik als Verteilungskriterium zum Tragen. Die Lenkungsabsicht weg von Kohle lässt sich auch auf das Kriterium Reduktionspotential stützen. Für den Atomausstieg erkennt die Kommission an, dass er die Emissionen erhöhen kann, sieht dies aber nicht als Rechtfertigung für erhöhte Zuteilungen. 1180 § 15 NAPG kompensiert die Stilllegung zweier Atomkraftwerke, aber nur in der ersten Handelsperiode und nur in geringem Umfang von 1,5 Mio. t pro Jahr. 1181

4. Verteilung der Emissionsrechte auf einzelne Anlagen 631

Die Frage, wie viele Emissionsrechte jede einzelne Anlage erhalten soll, ist ein Verteilungsproblem. Für die Anzahl der Berechtigungen ist der einfachste Schlüssel die numerische Gleichheit: Jeder Teilnehmer bzw. jede Anlage bekommt die gleiche Anzahl von Emissionsrechten als Quotient von Gesamtmenge und Anzahl der Teilnehmer. Bei 1000 teilnehmenden Anlagen und 100 Tonnen Gesamtemis1175 So der Wortlaut, missverständlich dagegen die Hinweise der Kommission (FN 1150), Ziff. 11. 1176 Hinweise der Kommission (FN 1150), Ziff. 26, 32.

1177 Vgl. Hinweise der Kommission (FN 1150), Ziff. 34. H78 „Industrie zerstritten über Emissionsrechte", SZ v. 2. 2. 2004, S. 23; „Industrie wehrt sich gegen Emissionsplan", SZ v. 6. 2. 2004, S. 17; „Umweltrat gegen neue Zugeständnisse für Emissionshandel", SZ v. 24. 4. 2004, S. 6; „Emissions-Streit entschärft", SZ v. 25. 2. 2004, S. 5; vgl. SRU 2004, Ziff. 94. 1179 „Trittin legt Zahlen zum Emissionshandel vor", SZ v. 31. 1. 2004, S. 20. uso Hinweise der Kommission (FN 1150), Ziff. 11. usi Begründung NAPG-E, S. 7.

III. Verteilungsprobleme

293

sionsmenge erhielte jede Anlage danach Emissionsrechte für insgesamt 10 Tonnen. Auch ohne Kenntnisse von Gerechtigkeitstheorien liegt auf der Hand, dass diese Art der Gleichbehandlung für emittierende Industrieanlagen nicht geeignet ist. Verschiedene Argumente sprechen dagegen, alle emittierenden Anlagen unabhängig von ζ. B. ihrer Größe oder Art, mit der gleichen Anzahl von Emissionsrechten auszustatten. Es sind demnach Kriterien erforderlich, nach denen den Teilnehmern Emissionsrechte zugeteilt werden. Die daneben einfachste Möglichkeit besteht darin, jeder Anlage die Emissions- 632 rechte im Verhältnis zu ihren bisherigen Emissionen zuzuteilen. Mit diesem also sog. „grandfathering " bezeichneten historischen Ansatz der Zuteilung an bestehende Anlagen beginnt der Emissionshandel im Sinne von Besitzstandsschutz beim Status quo und wird deswegen teilweise als der „gerechteste" angesehen.1182 Das NAPG folgt in § 7 Abs. 1 hinsichtlich bestehender Anlagen grundsätzlich diesem Ansatz, in dem die Emissionsrecht auf Grundlage der Emissionen in der Basisperiode 2000-2002 zugeteilt werden. Da die Gesamtmenge der Emissionen verringert werden soll, werden die historischen Emissionen jeder Anlage durch Multiplikation mit einem „Erfüllungsfaktor" verringert, der die Reduzierung der Gesamtmenge im widerspiegelt. 1183 Da der Erfüllungsfaktor für alle gleich ist, handelt es sich aus Sicht der Verteilungsgerechtigkeit um Gleichheit gemessen an einem bestimmten Zeitpunkt, sofern man nicht den Status quo zu dem Basiszeitraum implizit als Ergebnis eigener Leistung der Anlagenbetreiber ansieht. Allerdings werden dabei einige Gesichtpunkte nicht berücksichtigt, die eine Verteilung allein auf Grundlage von historischen Emissionen als ungerecht erscheinen ließen. Das NAPG berücksichtigt mehrere Verteilungskriterien, die zu sehr differenzierten Sonderregeln geführt haben: Das wahrscheinlich einleuchtendste Gerechtigkeitskriterium ist die erhöhte 633 Zuteilung für sog. prozessbedingte Emissionen gem. § 13 NAPG. Bei einigen Produktionsprozessen gibt es sogenannte prozessbedingte Emissionen, die sich aus chemischen Gründen nicht verringern oder vermeiden lassen, sofern man nicht die Produktion einschränkt. Im Hinblick auf die fehlende Leistungsfähigkeit der Anlagenbetreiber werden diese in voller Höhe der tatsächlichen Emissionen der Basisperiode zugeteilt. Weiterhin wird durch grandfathering nicht berücksichtigt, ob Anlagen bereits 634 früher freiwillig Maßnahmen zur Emissionsverringerung getroffen haben. Anlagen, die in diesem Sinne Vorleistungen („early action") erbracht und ihre Emissionen reduziert haben, erhalten beim grandfathering weniger Emissionsrechte zu1182

So die Begründung für einen entsprechenden Änderungsantrag zu einem früheren Vorschlag für die THG-RL, Europäisches Parlament, Ausschuss für Recht und Binnenmarkt, Änderungsantrag 30 zur THG-RL, PE 316.178/17-63 v. 11. 4. 2002, S. 11. U83 Der Erfüllungsfaktor beträgt 0,9755, was einer Reduzierung um 2,45% entspricht, BMU, „Änderungen des Nationalen Allokationsplans durch das NAP-G", 27. 4. 2004, , letzter Aufruf am 5. 12. 2005.

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9. Kap.: Umweltgerechtigkeit im Klimaschutz und Emissionshandel

geteilt, als wenn sie keine Maßnahmen getroffen hätten. Wenn sich die zugeteilten Emissionsmengen an den derzeitigen Emissionsmengen orientierten, könnten die Vorleistungen den Unternehmen zum Nachteil gereichen. 1184 Nach Anhang III Ziff. 7 THG-RL ist es zulässig, Vorleistungen zu berücksichtigen. Die Kommission verweist dabei auf „Fairnessgründe". 1185 Daher erstaunt es, dass die Berücksichtigung von Vorleistungen nur fakultativ ist. Die Kommission erlaubt damit den Mitgliedstaaten, Zuteilungen zu treffen, die aus Sicht der Kommission unfair sind. Bei der Berücksichtigung von Vorleistungen akzeptiert die Kommission ζ. B. die Wahl eines früheren Zeitraums als Basis für eine Zuteilung nach früheren Emissionswerten. 1 1 8 6 Genau genommen handelt es sich um ein Variante des Verdienstkriteriums, die ein Korrektiv zum grandfathering darstellt: Wer bereits vor der Zuteilung freiwillig die erwünschte Leistung erbracht hat, soll durch Verweis auf den Status quo nicht benachteiligt werden. Da die THG-RL keine weiteren Vorgaben für die Berücksichtigung von Vorleistungen macht, 1187 haben die Mitgliedstaaten einen entsprechenden Handlungsspielraum. Das NAPG berücksichtigt Vorleistungen auf Grund dieser Option zum einen durch die Wahl der Basisperiode. 1188 Zum anderen erhalten Anlagen, die ab dem 1.1. 1994 Reduktionsmaßnahmen getroffen haben, einen höheren Erfüllungsfaktor und damit mehr Emissionsrechte. 1189 635

Die Berücksichtigung sauberer Technologien ist ein weiteres Kriterium der Zuteilungsentscheidung. Gem. Anhang III Ziff. 8 der THG-RL können die Mitgliedstaaten die Anwendung sauberer Technologien berücksichtigen. Diese Bestimmung ergänzt das Kriterium für die Zuteilung zwischen Tätigkeitsbereichen gem. Anhang ΠΙ Ziff. 3 THG-RL und wendet es auf die Ebene der einzelnen Anlage an. 1 1 9 0 Dies erscheint zunächst als Beispiel für die Anwendung des Verdienstkriteriums. Saubere Technologien belohnt das NAPG demnach durch Sonderregeln für Kraft-Wärme-Kopplung gem. § 14 NAPG. 1 1 9 1 Diese Technik der Energieerzeu"84 Zu diesem Problem auch Ahlmann-Otto, RdE 2002, 303 (308 f.), und Rehbinder ! Schmalholz, UPR 2002, 1 (3 f.). 1185 Hinweise der Kommission (FN 1150), Ziff. 65. 1186 Hinweise der Kommission (FN 1150), Ziff. 71. 1187 Vgl. aber die allgemeine Definition bzw. Umschreibung von „Vorleistungen" in den Hinweisen der Kommission (FN 1150), Ziff. 69. 1188 Begründung zu § 12 NAPG-E; Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage „EU-Emissionshandel", BT-Drs. 15/2201, Frage 2; „Trittin legt Zahlen zum Emissionshandel vor", SZ v. 31. 1. 2004, S. 20; BMU, PR 034-04 ν. 11. 2. 2004. Ursprünglich sollte 1990 das Basisjahr sein, vgl. die Pressemitteilung des BMU vom 4. 12. 2002, abrufbar im Internet unter: , letzter Aufruf am 5. 12. 2005; ebenso die Forderung des Bundesrates, BT-Drs. 15/2540 v. 18. 2. 2004, S. 11 Nr. 18 d) f. 1189 § 12 NAPG-E. Der Stichtag wurde vom Bundeskabinett nach der Meldung des NAP an die Kommission noch um zwei Jahre nach hinten verlegt und die Begünstigung früherer Anstrengungen ausgeweitet. 1190 Hinweise der Kommission (FN 1150), Ziff. 86. 1191 Begründung zu § 14 NAPG-E.

III. Verteilungsprobleme

295

gung emittiert weniger C 0 2 als getrennte Strom- und Wärmeerzeugung und soll deswegen durch Sonderzuteilungen gefördert werden. Man kann die Berücksichtigung aber auch wie bei der Verteilung auf Tätigkeitsbereiche als Kriterium der Leistungsfähigkeit sehen. Denn Anlagen, die nicht mit sauberen Technologien arbeiten, haben es von diesem hohen Emissionsniveau aus leichter, ihre Emissionen zu verringern. Das ist im Rahmen des mengenbasierten Emissionshandels ein Vorteil gegenüber Anlagen, die mit sauberen Technologien arbeiten und für die eine weitere Emissionsreduzierung mehr Kosten bedeutet. Vorleistungen und saubere Technologien sollen dabei nicht gleichzeitig berücksichtigt werden, da Vorleistungen meist saubere Technologien zum Gegenstand haben. 1192 Auch hier kommt das Verdienstkriterium zum Tragen: ein und dieselbe Handlung soll nicht zwei Mal belohnt werden. Ein praktisch sehr bedeutsames Problem der Mengensteuerung über Emissions- 636 handel werfen neue Marktteilnehmer („ newcomer ") auf. 1 1 9 3 Wenn die Gesamtmenge der zu vergebenden Emissionsrechte bereits am Anfang einer Zuteilungsperiode vollständig an die zu diesem Zeitpunkt existierenden Teilnehmer ausgegeben würde, würden später in dieser Periode hinzukommende Teilnehmer leer ausgehen. Faktisch würde dies dazu führen, dass Neuanlagenbetreiber ihre Anlage erst dann betreiben könnten, nachdem sie auf dem Markt zu den üblichen Marktpreisen eine entsprechende Menge an Emissionszertifikaten gekauft haben. Dagegen werden nicht zuletzt verfassungsrechtliche Bedenken vorgebracht, da dies je nach Einzelfall zu einer solchen Belastung führen könnte, dass die Grenze zu einer objektiven Berufswahlschranke erreicht sein könnte. 1194 Nach Ansicht der Kommission ist dies dann unbedenklich, wenn die Emissions- 637 rechte schon bei der Anfangszuteilung nicht kostenlos ausgegeben, sondern verkauft werden. Das Problem entstehe erst, wenn die Emissionsrechte bei der Ausgangszuteilung kostenlos zugeteilt wurden, neue Marktteilnehmer aber später alle benötigten Rechte kaufen müssten. 1195 Denn dann werden neue Marktteilnehmer gegenüber den Anfangsteilnehmern finanziell benachteiligt, ohne dass sie auf die Bedingungen der Benachteiligung Einfluss hätten. Auch dieses Problem findet sich in klassischen Verteilungstheorien nicht. Die THG-Richtlinie behandelt dieses Problem in Art. 11 Abs. 3 S. 2 und in Anhang III Ziff. 6, wonach aber lediglich im NAP Angaben über die Berücksichtigung neuer Marktteilnehmer anzugeben sind. 1192 Hinweise der Kommission (FN 1150), Ziff. 87. Falls dies nicht der Fall ist, spricht nichts gegen die doppelte Berücksichtigung. 1193 s. hierzu die Definition des „neuen Marktteilnehmers" in Art. 3 lit. h) THG-RL. Für Anlagen, die zwischen dem 1.1. 2003 und dem 31.12.2004 in Betrieb gehen, s. § 8 NAPG-E.

»W Sojedenfalls Burgi, NJW 2003, 2486 (2490 f.); ähnlich wohl auch Hösch, in: Hendler /Marburger/ Reinhardt /Schröder (Hg.), Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 2001 (UTR Bd. 58), 2001, S. 127 (142 ff.). »w Hinweise der Kommission (FN 1150), Ziff. 48.

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9. Kap.: Umweltgerechtigkeit im Klimaschutz und Emissionshandel

638

Nach den Hinweisen der Kommission sind für die Zuteilung an neue Marktteilnehmer nach dem Leitprinzip der Gleichbehandlung 1196 mehrere Optionen erlaubt, zu denen neben der kostenlosen Zuteilung und regelmäßigen Versteigerungen auch gehört, dass der neue Marktteilnehmer alle Zertifikate kaufen muss. 1197 Im Falle einer kostenlosen Zuteilung der Reserve empfiehlt die Kommission das Prinzip „wer zuerst kommt, mahlt zuerst". 1198 Dabei soll nicht nach Tätigkeitsbereichen oder ähnlichen Kriterien unterschieden werden. 1199 Anders als die Ausgangszuteilung soll für die Zuteilung der Reserve keine proportionale Gleichheit gelten. Für eine Versteigerung gilt das Gleichbehandlungsgebot, was sich mit den gleichen Chancen auf Zuteilung in einer Versteigerung erklären lässt. Falls neue Marktteilnehmer ihre Emissionsrechte kaufen müssen, sei das Leitprinzip der Gleichbehandlung ebenfalls gewahrt, da neue Marktteilnehmer zum einen wegen der Größe des EU-weiten Emissionshandels grundsätzlich Zugang zu Zertifikaten hätten, und zum anderen in einer anderen Position seien als die ursprünglichen Teilnehmer: Sie könnten ihre Investitionen bereits vor ihrer Teilnahme auf eine C02-Reduktion ausrichten und profitierten zudem vom dem begrenzten Zeitraum ihrer Teilnahme. 1200 Das erste Kriterium bezieht sich auf die Leistung der neuen Teilnehmer, das zweite auf deren Bedarf - zwei klassische Verteilungskriterien.

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In Deutschland sieht § 6 NAPG eine Reserve von 9 Mio. t vor, welche die bei der ersten Zuteilung vergebene Menge verringert. Neue Marktteilnehmer werden aus der Reserve kostenlos mit Emissionsrechten ausgestattet. 1 2 0 1 Das ist vielleicht nicht aus Sicht der Verteilungsgerechtigkeit, aber aus Sicht der Steuerungswirkung problematisch. Eine zu hoch bemessene Reserve kann zum Missbrauch einladen und die Effizienz verringern. 1202 Dieser Gefahr begegnet das NAPG mit der knappen Kalkulation der Reservemenge. Gem. § 11 Abs. 4 NAPG besteht nur solange ein Anspruch auf Zuteilung, wie Berechtigungen in der Reserve vorhanden sind. Dies zielt wiederum auf das Verdienstkriterium, weil sich damit nur moderne Neuanlagen lohnen sollen.

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Für nach dem Beginn des Emissionshandels errichtete Neuanlagen, die eine Altanlage ersetzen oder erweitern, greift das erwähnte Kriterium der Berücksichtigung sauberer Technologien gem. Anhang III Ziff. 8 THG-RL. In diesem Sinne berechnet sich die Menge der Imissionsberechtigungen für diese Neuanlagen gem. § 10 NAPG für vier Jahre auf Grundlage der Altanlage. Darüber hinaus erhalten diese Anlagen H96 Hinweise der Kommission (FN 1150), Ziff. 51. 1197 Hinweise der Kommission (FN 1150), Ziff. 55. 1198 Hinweise der Kommission (FN 1150), Ziff. 60. Der Wortlaut der deutschen Fassung „wer zuerst kommt, wird zuerst bedient", ist offensichtlich aus der Übersetzung des englischen Idioms „first come, first served" übernommen. 1199 Hinweise der Kommission (FN 1150), Ziff. 61. 1200 Hinweise der Kommission (FN 1150), Ziff. 56. 1201 Aus Gründen der Chancengleichheit, vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage „EU-Emissionshandel", BT-Drs. 15/2201, Frage 22. 1202 SRU 2004, Ziff. 96.

III. Verteilungsprobleme

297

weiter 14 Jahre lang den Erfüllungsfaktor 1, müssen also nicht weiter reduzieren. In diesem Anreiz 1 2 0 3 zeigt sich die Lenkungsabsicht dieser Verteilungsregel, die Modernisierung anstrebt und als Verdienst belohnt. Das gleiche gilt für Neuanlagen, die nicht Altanlagen ersetzen. Diese haben keine historischen Emissionen, nach denen man die Zuteilung berechnen kann. Diese zusätzlichen Neuanlagen erhalten ihre Zertifikate gem. § 11 NAPG anhand von Benchmarks. Die Benchmarks werden für Produktgruppen gebildet und orientieren sich an den klimaschonendsten verfügbaren Technologien. Wer Neuanlagen in Betrieb nimmt, die mehr emittieren als nach dem von Gesetz vorausgesetzten Stand der Technik möglich wäre, erhält weniger Emissionsberechtigungen als tatsächlich benötigt und muss diese auf dem Markt erwerben. Auch mit diesem Verdienstkriterium setzt sich die Lenkungsabsicht des NAPG gegenüber der Leistungsfähigkeit durch. Der Entwurf rechtfertigt diese Regelung unter Hinweis auf das Verfassungsziel in Art. 20a G G . 1 2 0 4

5. Folgeprobleme Anders als das herkömmliche Ordnungsrecht überlässt es der Emissionshandel 641 den Mechanismen des Marktes, zu bestimmen, wo wie viel emittiert wird und wo die Reduktion von Emissionen erfolgt. Es ist gerade das Prinzip des Emissionshandels, an unterschiedlichen Stellen unterschiedliche Emissionen zuzulassen. Die dem Emissionshandel zu Grunde liegende Idee, eine Anlage an einer Stelle mehr emittieren zu lassen, weil die Emissionsreduktion an anderer Stelle billiger ist, steht in Konflikt mit der ordnungsrechtlich für jede Anlage bestehende Pflicht zur Effizienz und Sparsamkeit gem. § 5 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG. Auch das auf Gemeinschaftsrecht bezogene Kohärenzkriterium in Anhang III Nr. 4 THG-RL könnte problematisch sein. Hier kommt eine Befreiung der Unternehmen, die am Emissionshandel teilnehmen, von dieser ordnungsrechtlichen Pflicht in Betracht. 1205 Zudem darf man über das Effizienzproblem nicht die Wirkungen der Emissions- 642 ansammlungen auf den Menschen aus den Augen verlieren. In der Diskussion um Zertifikatmodelle wurde schon in den 1980er Jahren befürchtet, dass aufgrund einer im Rahmen des Emissionshandels rechtmäßigen Emissionskumulation die unmittelbar angrenzende Umwelt geschädigt werden könnte. 1206 In tatsächlicher Hinsicht kann der Handel nämlich dazu führen, dass bestimmte Anlagen viele Emissionsrechte erwerben und daher viel emittieren dürfen. Wenn dies für mehrere Anlagen an einem Ort gilt, kommt es an diesem Ort zur Konzentration von Emissionen und zu mehr Emissionen in Verhältnis zu anderen Anlagen und Orten. Diese Konzentration durch das Ansammeln von Emissionsrechten nennt man „hot spots". 1203 1204 1205 1206

s. Begründung NAPG-E, S. 8. Vgl. BMU, PR 034-04 ν. 11. 2. 2004. Begründung zu § 11 NAPG-E. winkler, ZUR 2003, 395 (399). Hierzu statt vieler Bothe, NVwZ 1995, 937 ff.

298

9. Kap.: Umweltgerechtigkeit im Klimaschutz und Emissionshandel

643

Wenn eine Anlage ohne Obergrenze Emissionsrechte erwerben und benutzen darf, kann dieser hot spot je nach Art der Emission gefährlich für die Menschen im Wirkungsbereich der Emission werden. Es geht dann um das Verhältnis des Emissionshandels zum Schutzgrundsatz und den demnach bestehenden örtlichen Grenzwerten. Aus rechtlicher Sicht muss sich der echte Emissionshandel im Gegensatz zur theoretischen Modellierung insofern in bereits bestehende Normen einfügen. Das Ansammeln von Emissionsrechten an einzelnen Stellen könnte so hohe Immissionswerte ermöglichen, dass es hierdurch zu einer Verletzung des Schutzgrundsatzes kommen könnte. 1207 Das gilt allerdings nur, wenn der Emissionsstoff lokale Auswirkungen hat, die mit steigender Menge schlimmer werden. Anderenfalls ist es unerheblich, wo emittiert wird, solange die zulässige Gesamtmenge eingehalten wird, da es dann „nur" zu globalen Auswirkungen kommt, so dass sich keine diesbezüglichen Verteilungsprobleme stellen.

644

Derzeit wird der Emissionshandel zunächst nur für C 0 2 bzw. C0 2 -Äquivalent e 1 2 0 8 eingerichtet. C 0 2 ist ein Spurengas, das ein „ausschließlich global wirkender Schadstoff' 1209 ist. Auch massive Emissionen von C 0 2 an einer Stelle führen daher nicht zu erhöhter örtlicher Umweltverschmutzung. Auch das übermäßige Ansammeln von C02-Emissionsrechten verursacht daher keine hot spots, so dass auch keine Verletzung des Schutzgrundsatzes zu befürchten ist. Andererseits ist geplant, den Emissionshandel auch auf andere Gase, etwa Schwefeldioxid (S0 2 ) auszudehnen.1210 Im Gegensatz zum C 0 2 haben diese Gase negative örtliche Auswirkungen auf die Umwelt, die zudem mit der Emissionsmenge stärker werden. Bei diesen Gasen kommt es somit darauf an, ob die Ausgestaltung des Emissionshandels hot spots erlaubt.

645

Die Richtlinie sieht eine Bestimmung vor, die gegenwärtig das Problem jedoch eher verschleiert als tatsächlich löst. 1 2 1 1 Art. 26 THG-RL ändert die IVU-Richtlinie (siehe oben II.2.) dahingehend, dass Anlagengenehmigungen nach der IVURL grundsätzlich keine Emissionsgrenzwerte für direkte Emissionen mehr enthalten. Das gilt nur dann nicht, wenn Grenzwerte erforderlich sind, um erhebliche lokale Umweltverschmutzung zu vermeiden. Dadurch kann im Einzelfall die besondere örtliche Umweltverschmutzung verhindert und die verfassungsrechtliche Vorgabe in Bezug auf das Schutzprinzip an diesem Ort gewahrt werden. 1212 Das 1207 Vgl. Mehrbrey, Verfassungsrechtliche Grenzen eines Marktes handelbarer Emissionsrechte, 2003, S. 144 f. m. w. N. 1208 vgl. Art. 3 lit. a) und j) i.V. m. Anhang I I THG-RL. 1209

Bader, Europäische Treibhauspolitik mit handelbaren Emissionsrechten, 2000, S. 28. 1210 Fleming, Law Society's Gazette, 22. 1. 2004; vgl. THG-RL, Erwägungsgrund 15; für das TEHG vgl. BMU, BMU-Hintergrundpapier zum Emissionshandel, Pressemitteilung 237-2003 v. 17. 12. 2003. 1211 Kloepfer, in: Hendler / Marburger / Reinhardt / Schröder (Hg.), Emissionszertifikate und Umweltrecht, 2004, S. 71 (100 f.). 1212 Kloepfer, in: Hendler/Marburger/Reinhardt/ Schröder (Hg.), Emissionszertifikate und Umweltrecht, 2004, S. 71 (100 f. m. w. N). Diese Vorgabe soll dementsprechend in dem

IV. Ergebnis

299

Problem der Verteilungsgerechtigkeit stellt allerdings nicht allein darauf ab, ob die Verschmutzung an einem Ort einen bestimmten Grenzwert einhält, sondern auch auf die Verschmutzung im Verhältnis zu anderen Orten. In dieser Hinsicht ist das Merkmal y,erheblich" nicht klar bestimmt. Es besteht die Gefahr, dass durch sie die Mitgliedstaaten jeweils unterschiedlich festlegen, in welchen Fällen sie von dieser Ausnahmeregelung Gebrauch machen und welche Grenzwerte sie einführen werden. Nach dem Wortlaut von Art. 26 THG-RL könnte der Grenzwert sogar lokal unterschiedlich sein. Je nach Grenzwert wären unterschiedliche Ansammlungen von Emissionsrechten erlaubt. Ob diese potenzielle Ungleichheit in einem gemeinschaftsweiten Zertifikathandel gewollt sein kann, erscheint zweifelhaft. Ein einheitlicher Grenzwert im Rahmen des Schutzprinzips führt zur Gleichbehandlung der potentiell Betroffenen. Damit würde im Rahmen der Festsetzung eines Grenzwerts auch implizit das Verteilungskriterium der numerischen Gleichheit bestimmt. IV. Ergebnis Der Emissionshandel beruht auf einem künstlich geschaffenen Markt für das 646 staatlich definierte und mengenmäßig begrenzte Umweltgut „C0 2 -Emissionen" bei begrenztem Teilnehmerkreis. Schon die Ausgestaltung dieses Marktes wirft zahlreiche Verteilungsprobleme auf, die sich jedoch primär auf die Frage der gerechten Verteilung der Emissionsrechte beschränken und grundsätzlich keine Probleme hinsichtlich der räumlichen Verteilung der ausgestoßenen Schadstoffe auslösen. Beim Emissionshandel für CO2 entstehen nämlich zunächst keine räumlichen Verteilungsprobleme hinsichtlich der Umweltqualität, da C 0 2 erst in der Atmosphäre Auswirkungen zeitigt und sich daher in erster Linie global und nicht lokal negativ auswirkt. Probleme mit „hot spotsalso mit durch den Emissionshandel ausgelösten 647 Schadstoffkonzentrationen an einem Ort können erst dann entstehen, wenn der Emissionshandel auf weitere Treibhausgase ausgeweitet wird, die örtliche Umweltauswirkungen haben. Denn nur dann ist die Anrainerbevölkerung stärker von den ausgestoßenen Schadstoffen betroffen als die restliche Bevölkerung. Der derzeitige Emissionshandel betrifft daher nicht die Verteilung von Umwelt- 648 qualität, sondern der Kosten des Umweltschutzes. Verteilungsprobleme entstehen bei der Zuteilung der begrenzten Emissionsmenge, mit der man Marktchancen und Kosten beeinflusst. Die THG-RL und der NAPG sehen einige dieser Verteilungsbereits erwähnten § 2 Abs. 1 des Entwurfes zur 34. BImSchV in ähnlicher Form umgesetzt werden. § 2 Abs. 1 des Entwurfes der 34. BImSchV lautet vollständig: „Im Genehmigungsbescheid nach § 21 der 9. BImSchV sind Festlegungen zur Emissionsbegrenzung von Treibhausgasen nur zulässig, um zur Erfüllung der Pflichten nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG sicherzustellen, dass im Einwirkungsbereich der Anlage keine schädlichen Umwelteinwirkungen entstehen".

300

9. Kap.: Umweltgerechtigkeit im Klimaschutz und Emissionshandel

Probleme voraus und verwenden verschiedene Verteilungskriterien, die meist den klassischen Gerechtigkeitskriterien entsprechen. Grundsatz der Zuteilung sind die historischen Emissionen bzw. Benchmarks, die für alle Teilnehmer gleich gelten. Dieser Grundsatz wird erweitert durch sehr differenzierte Sonderregeln, zu denen noch weitere Einzelfall- und Härtefallregelungen k o m m e n . 1 2 1 3 Die differenzierten Zuteilungsregeln lassen sich zwar meist abstrakten klassischen Verteilungskriterien zuordnen. Es zeigt sich aber, dass die Kriterien jeweils erst aus Sicht der politischen Steuerungsziele beurteilt werden können.

Literatur Ahlmann-Otto, „Ringen um Luft" - Kampf und Kompromisse bei der Ausgestaltung eines Handels mit Treibhausgasen in der Europäischen Gemeinschaft, RdE 2002, 303 ff.; Bader, Europäische Treibhauspolitik mit handelbaren Emissionsrechten, 2000; Bader ! Rahmeyer, Das RECLAIM-Programm handelbarer Umweltlizenzen. Konzeption und Erfahrungen, ZfU 1996,43 ff.; Birnie/Boyle, International Law and the Environment, 2. Aufl. 2002; Bode, Emissionshandel und Selbstverpflichtung, et 2002, 283 ff.; Bothe, Rechtliche Voraussetzungen für ein Einsatz von handelbaren Emissionszertifikaten am Beispiel von S02, NVwZ 1995, 937 ff.; BUND (Hg.), Der EU-Emissionshandel mit Treibhausgasen, 2003; Burgi, Die Rechtsstellung der Unternehmen im Emissionshandelssystem, NJW 2003, 2486 ff.; Corinol Jones / Hawkes, Der Handel mit Treibhausgas-Emissionsrechten. Das Kyoto-Protokoll, die geplante EG-Richtlinie und das Handelssystem in Großbritannien, EuZW 2002, 165 ff.; Eispas, Grundzüge des Handels mit Emissionszertifikaten, Euroheat & Power 2003, Heft 5, 26 ff.; Epiney, Emissionshandel in der EU. Der Richtlinien Vorschlag der Kommission über einen Rahmen für den Handel mit Treibhausgasemissionen in der EG, DVB1. 2002, 579 ff.; Frenz, Klimaschutz und Instrumenten wähl. Zum Stand nach der Konferenz von Den Haag und vor der Konferenz in Bonn, NuR 2001, 301 ff.; ders., Emissionszertifikathandel und Immissionsschutzrecht, RdE 2003, 32 ff.; Giesberts/Hilf, Handel mit Emissionszertifikaten, 2002; Graichen / Härders, Die Ausgestaltung des internationalen Emissionshandels nach dem Kyoto-Protokoll und seine nationalen Umsetzungsvoraussetzungen, ZUR 2002, 73 ff.; Grimm (Hg.), Wachsende Staatsaufgaben - sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, 1990; Grohe, Selbstverpflichtungen und Vereinbarungen im Umweltschutz, WiVerw 1999, 177 ff.; Grubb, International Emissions Trading under the Kyoto Protocol: Core Issues in Implementation, RECIEL 1998, 140 ff.; Hendler/Marburger/Reinhardt/Schröder (Hg.), Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 2001 (UTR Bd. 58), 2001; Hendler/Marburger/Reinhardt/ Schröder (Hg.), Emissionszertifikate und Umweltrecht, 2004; Hohenstein, Rechtliche Aspekte des Emissionsrechtehandels, EWS 2002, 511 ff.; Huckestein, Umweltlizenzen - Anwendungsbedingungen einer ökonomisch effizienten Umweltpolitik durch Mengensteuerung, ZfU 1993, 1 ff.; Klemm, Klimaschutz nach Marrakesch, 2002; Klocke, Klimaschutz durch ökonomische Instrumente, 1995; ders., Umweltrecht, 3. Aufl. 2004; Koch/Wieneke, Klimaschutz durch Emissionshandel. Das europäische und deutsche Anlagengenehmigungsrecht als Ordnungsrahmen, DVB1. 2001, 1085 ff.; Koutstaal/Nentjes, Tradable Carbon Permits in Europe: Feasibility and Comparison with Taxes, JCMS 1995, 219 ff.; Lübbe-Wolff, Der britische Emissionshandel - ein Vorbild für Deutschland?, et 2001, 342 ff.; dies., Instrumente des 1213 V g l . e t w a

§ 7 Abs. 7

und

Abs. 10, §

8

NAPG-E.

IV. Ergebnis

301

Umweltrechts - Leistungsfähigkeit und Leistungsgrenzen, NVwZ 2001, 481 ff.; Mehrbrey; Verfassungsrechtliche Grenzen eines Marktes handelbarer Emissionsrechte, 2003; Mehrbrey/Reuter, Europäischer Emissionshandel, 2003; Oberthür ! Ott, Das Kyoto-Protokoll, 2000; Pedersen, The Danish C 0 2 Emissions Trading System, RECIEL 2000, 223 ff.; Rehbinder, Festlegung von Umweltzielen. Begründung, Begrenzung, instrumentelle Umsetzung, NuR 1997, 313 ff.; Rehbinder ! Schmalholz, Handel mit Emissionsrechten für Treibhausgase in der Europäischen Union, UPR 2002, 1 ff.; Rengeling, Handel mit Treibhausgasemissionen, DVB1. 2000, 1725 ff.; ders. (Hg.), Klimaschutz durch Emissionshandel, 2001; SachiReese, Das Kyoto-Protokoll nach Bonn und Marrakesch, ZUR 2002, 65 ff.; Schafliausen, Der Emissionshandel als klimaschutzpolitisches Instrument zwischen Ideologie und praktischem Einsatz, et 2002, 563 ff.; Schendel, Selbstverpflichtungen der Industrie als Steuerungsmittel im Umweltschutz, NVwZ 2001, 494 ff.; Spieth, Europäischer Emissionshandel und deutsches Industrieanlagenrecht, 2002; ders., Emissionshandel - Schaffung von rechtlichen Rahmenbedingungen für die Allokation von Emissionsberechtigungen und deren Auswirkungen auf die Anlagenbetreiber, emw 2003, 26 ff.; Stüer/ Spreen, Emissionszertifikate, Ein Plädoyer zur Einführung marktwirtschaftlicher Instrumente in die Umweltpolitik, UPR 1999, 161 ff.; Wasmeier, Marktfähige Emissionslizenzen - Das Zertifikatmodell und seine Umsetzung in den USA, NuR 1992, 219 ff.; Winkler, Die neue Betreiberpflicht, Klimaschutz und Emmissionshandel, ZUR 2003, 395 ff.; Wustlich, Die Atmosphäre als globales Umweltgut, 2003; Zenkef Fuhr, Die rechtlichen Rahmenbedingungen der Einführung eines Emissionszertifikatehandels in der Europäischen Gemeinschaft, emw 2003, 22 ff.

10. Kapitel

Umweltgerechtigkeit im Schadensersatz-, Steuer- und Finanzrecht I . Einführung 649

Der vor allem an Gerechtigkeitsvorstellungen orientierten gerechten räumlichen Verteilung von Umweltlasten und -nutzen sind durch vielfältige Sachzwänge in tatsächlicher Hinsicht Grenzen gesetzt. So wird die Entscheidung für die Platzierung einer Abfalldeponie oder einer Atomanlage weitgehend durch die geologischen Anforderungen an den Standort vorgeprägt und kann nur begrenzt, d. h. im Rahmen der Einhaltung geologischer Grundbedingungen, die Auswirkungen in sozialer Hinsicht berücksichtigen. Umweltbelastungen wie Lärm, Abgase oder Gewässerverunreinigungen lassen sich in einem dichtbesiedelten Industrieland wie der Bundesrepublik Deutschland letztlich nie ganz vermeiden. Wegen der in tatsächlicher Hinsicht nicht vollständig zu erreichenden Verteilungsgerechtigkeit, ist neben der räumlichen Steuerung der Lastenverteilung auf der Ebene des Raumordnungs- und Fachplanungsrechts an die Möglichkeit einer Kompensation auf finanzieller Ebene zu denken. Fürfinanzielle Zuwendungen zur Kompensation und Entschädigung einer ungleichen Umweltlasten- und Umweltnutzenverteilung kommen grundsätzlich zwei unterschiedliche Ansätze in Betracht: Sie können einerseits direkt an die individuell von den Nachteilen Betroffenen gezahlt werden, andererseits an die zuständigen Verwaltungsträger (ζ. B. Land, Gemeinde), die diese Mittel dann zum Ausgleich von Umweltlasten im Interesse einer Mehrzahl betroffener Individuen einsetzen.

I I . Individuelle finanzielle Kompensation ungleicher räumlicher Umweltlastenverteilung 650

Die Platzierung einer Mülldeponie, die Ansiedelung von Industrie- oder Gewerbebetrieben oder der Ausbau eines Flughafens oder einer Fernstraße sind häufig unmittelbar mit finanziellen Folgen für die von den Umweltbelastungen Betroffenen verbunden. Die von diesen Anlagen ausgehenden Emissionen können die Nutzbarkeit von Wohnungen (Loggia, Balkon), Gärten, Grünflächen und Spielplätzen beeinträchtigen und führen so zu finanziellen Einbußen in Form einer Wertminderung der Wohngrundstücke, geminderten Mieteinnahmen oder Kosten

II. Finanzielle Kompensation ungleicher räumlicher Umweltlastenverteilung

303

für die Heilung etwaiger lärmbedingter Erkrankungen. Bereits die planerische Entscheidung, wie ζ. B. der Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau einer Bundesfernstraße, die Ausweisung eines Gewerbegebietes oder die Umwandlung eines Wohngebietes in ein Mischgebiet, können zu einer Wertminderung der Wohngegend führen (aber auch zu Wertsteigerungen). Unter Gerechtigkeitsaspekten können und müssen solche unmittelbaren Ver- 651 mögenseinbußen finanziell ausgeglichen werden. Eine rechtliche Verpflichtung des Staates, für einen Ausgleich ökologischer Benachteiligungen zu sorgen, kann sich aus dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG i.V. m. dem Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 GG sowie aus Art. 14 GG ergeben. Zwar begründet das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG grundsätzlich keine umweltschützende Leistungspflicht des Staates, 1214 es zielt aber auf die Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums und den sozialen Ausgleich durch den Abbau von Wohlstandsdifferenzen ab. 1 2 1 5 Menschenwürdige Lebensbedingungen und Wohlstand hängen nicht nur von ökonomischen Faktoren ab. Auch der Zugang zu gesunden, natürlichen Umweltbedingungen ist für das physische und psychische Wohlbefinden des Menschen eine notwendige Voraussetzung. Art. 3 Abs. 1 GG gibt als subjektiv-öffentliches Recht einen Anspruch gegen den Staat auf Beseitigung einer sozialstaatswidrigen Ungleichbehandlung.1216 Sofern Umweltbelastungen zu einer Beeinträchtigung des Eigentums führen, kommt eine Schutzpflicht des Staates aus Art. 14 Abs. 1 GG in Betracht. Eine Entschädigung für Eigentumsbeeinträchtigungen aus zugelassenen Umweltbelastungen wird nach der geänderten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes dogmatisch nicht mehr auf Art. 14 Abs. 3 GG gestützt, sondern auf einen gewohnheitsrechtlichen Aufopferungsanspruch. 1217 Neben diesem richterrechtlich entwickelten Ausgleichsanspruch hat der Gesetzgeber im Bürgerlichen Recht, im öffentlichen Planungsrecht und im Steuerrecht Ansprüche auf Ausgleich von Vermögenseinbußen durch umweltbelastende Aktivitäten ausdrücklich geregelt.

1. Ausgleichsansprüche für sog. Planungsschäden § 74 Abs. 2 S. 2 und 3, § 75 Abs. 2 S. 4 VwVfG und die entsprechenden Vor- 652 Schriften der Landesverwaltungsverfahrensgesetze, § 40 Abs. 3 BauGB, § 32 Abs. 2 S. 3 KrW-/AbfG, § 42 BImSchG, § 8 a und 9 FStrG und § 31 Abs. 5 S. 2 WHG gewähren den von der hoheitlichen Planung meist umweltbelastender An1214 Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, S. 134. 1215 Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bonner Grundgesetz. Kommentar, Bd. 2, 4. Aufl. 2000, Art. 20 Rn. 98 f. 1216 Paehlke-Gärtner, in: Umbach / Clemens (Hg.), Grundgesetz. Mitarbeiterkommentar, Bd. 1, 2002, Art. 3 Rn. 151; Gubelt, in: v. Münch/Kunig (Hg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 5. Aufl. 2000, Art. 3 Rn. 2. 1217 BGHZ 90, 20 (28).

304

10. Kap.: Umweltgerechtigkeit im Schadensersatz-, Steuer- und Finanzrecht

lagen nachteilig Betroffenen einen Anspruch auf Entschädigung in Geld. Aus der Zusammenschau dieser Vorschriften hat das Bundesverwaltungsgericht einen allgemeinen Grundsatz des planerischen Nachteilsausgleichs zwischen störender und gestörter Nutzung in allen öffentlich-rechtlich gestalteten Nachbarschaftsverhältnissen entwickelt, wie sie durch die behördliche Zulassung öffentlicher Anlagen insbesondere mittels einer planerischen Entscheidung entstehen. 1218 Dieser Grundsatz gilt im gesamten öffentlichen Planungsrecht und besagt, dass unzumutbare Beeinträchtigungen durch ein der öffentlichen Planung unterliegendes Vorhaben im nachbarschaftlichen Austauschverhältnis vom Betroffenen nicht ohne Ausgleich hingenommen werden müssen. Ist ein Ausgleich der widerstreitenden Interessen durch tatsächliche Vorkehrungen nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich, so hat der in seinem nachbarlichen Schutzrecht nachteilig Betroffene zum Ausgleich der ihm auferlegten Duldungspflicht Anspruch auf eine angemessene Entschädigung in Geld. Dieser allgemeine Rechtssatz findet seine Entsprechung im privaten Nachbarrecht in § 906 Abs. 2 S. 2 BGB. Der Umfang des Entschädigungsanspruchs richtet sich nach den Kosten ζ. B. für die notwendigen Schallschutzmaßnahmen am Gebäude sowie anderen Gesichtspunkten wie etwa der Beeinträchtigung des Außenwohnbereichs. 1219 Der Ausgleichsanspruch ist öffentlich-rechtlicher Art und greift unabhängig davon ein, ob durch die von der geplanten Anlage ausgehenden Wirkungen die enteignungsrechtliche Zumutbarkeitsschwelle einer schweren und unerträglichen Betroffenheit des Anliegergrundstücks überschritten wird. 1 2 2 0

2. Ansprüche aus enteignungsgleichem und enteignendem Eingriff 653

Von dem planerischen Nachteilsausgleich wird der öffentlich-rechtliche Entschädigungsanspruch aus enteignungsgleichem bzw: enteignendem Eingriff nicht verdrängt. Diese beiden Haftungsinstitute, die aus dem allgemeinen Aufopferungsgedanken der §§ 74, 75 Einl. ALR hergeleitet werden, 1221 kommen neben dem öffentlich-rechtlichen Ausgleichsanspruch und darüber hinaus bei schon länger bestehenden und bei solchen Anlagen in Betracht, denen kein Planfeststellungsverfahren zugrunde gelegen hat. 1 2 2 2 Voraussetzung für die Ansprüche auf Enteignungsentschädigung ist immer ein unmittelbarer hoheitlicher Eingriff in das (Grundstücks-)Eigentum, der das Eigentum schwer und unerträglich trifft und nachhaltig beeinträchtigt und dem Betroffenen damit ein Sonderopfer auferlegt. 1223 Spe1218 BVerwGE 79, 254 (262 f.) und 80, 184 (190 ff.). 1219 BVerwGE 51, 15 (33); 80, 184 (192). 1220 BVerwGE 80, 184 (191 f.). 1221 BGH, NJW 1988,478 (479). 1222 BGH, UPR 1988, 143 und BVerwGE 80,184 (192). 1223 BGHZ 64, 220 (230).

II. Finanzielle Kompensation ungleicher räumlicher Umweltlastenverteilung

305

zifisches Kennzeichen eines enteignungsgleichen Eingriffs ist die Rechtswidrigkeit der hoheitlichen Maßnahme, während ein enteignender Eingriff vorliegt, wenn rechtmäßige hoheitliche Maßnahmen bei einem Betroffenen zu Nachteilen führen, die er aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen hinnehmen muss, die aber die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren übersteigen. 1224 Der Bundesgerichtshof (BGH) versteht den Anspruch aus enteignendem Eingriff bei der praktisch wohl bedeutsamsten Fallgruppe der Verkehrsimmissionen als das öffentlichrechtliche Pendant zum privatrechtlichen Ausgleichsanspruch des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, so dass ein schwerer und unerträglicher Eingriff durch den Straßenverkehr und damit ein Sonderopfer nur dann angenommen werden kann, wenn die Benutzung der Straße entweder nicht ortsüblich i s t 1 2 2 5 oder bei ortsüblicher Benutzung die Zumutbarkeitsgrenze des § 906 Abs. 2 S. 2 BGB überschritten wird. 1 2 2 6 Nach In-Kraft-Treten des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, das vor schädlichen Umwelteinwirkungen schützen und ihnen vorbeugen will, hat der BGH seine Rechtsprechung zur Entschädigung von Straßenanliegern dahin fortentwickelt, dass ein Entschädigungsanspruch nicht mehr nur ganz ausnahmsweise bei einer besonders schweren Einwirkung anzunehmen ist, 1 2 2 7 sondern bereits dann in Betracht kommt, wenn die in der Rechtsverordnung nach § 43 Abs. 1 S. 1 BImSchG festgelegten Immissionsgrenzwerte überschritten werden. 1228 Denn die Wertentscheidung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes für eine Verstärkung des Umweltschutzes im Bereich der Verkehrsimmissionen und für die Gewährleistung gesunder Wohnverhältnisse (vgl. § 50 BImSchG) wirke sich auf den Maßstab aus, an dem der Inhalt und die sozialen Schranken des Wohneigentums auszurichten seien. Das dem Eigentümer zumutbare Maß von Einwirkungen (§ 906 Abs. 2 S. 2 BGB) verringere sich in dem Umfang, in dem die Wohnfunktion des Eigentums rechtliche Anerkennung erfahre. 1229 Doch geht auch die geänderte Rechtsprechung des BGH davon aus, dass eine Entschädigung erst in Betracht komme, wenn dem Straßenanlieger eine Umweltbelastung aufgebürdet wird, die spürbar über das hinausgeht, was den Straßenanliegern der Nachbarschaft bei gebührender Berücksichtigung des insgesamt erheblich angewachsenen Verkehrs allgemein an Nachteilen und Belästigungen zugemutet wird („Sonderopfer"). 1230 Der zitierten Reuterstraßen-Entscheidung des BGH lag der Sachverhalt zugrunde, dass die Straße, an der das Grundstück des Klägers lag, zu einer innerstädtischen Schnellstraße mit autobahnähnlichem Zuschnitt umgewandelt wurde, auf der seitdem erhebliche Teile des die Stadt durchquerenden Fernverkehrs am Wohngrundstück vorbeiführten. 1224 OLG Hamm, NVwZ 2002, 379 (380). 1225 BGHZ 54, 384. 1226 BGH, NJW 1988, 900; NJW 1980, 770. 1227 BGHZ 64, 220 (223, 228) unter ausdrücklicher Einschränkung seiner vorangegangenen Rechtsprechung in BGHZ 49, 148 (152); 54, 384 (391). 1228 BGHZ 64, 220 (225). 1229 BGHZ 64, 220 (227). 1230 BGHZ 64, 220 (229). 20 Kloepfer

306

10. Kap.: Umweltgerechtigkeit im Schadensersatz-, Steuer- und Finanzrecht

654

Das Landgericht Bonn hat mit Urteil vom 29. 7. 2003 1 2 3 1 erstmals eine Schadensersatzforderung wegen Fluglärm von insgesamt 136.287 DM für Wertminderung eines Grundstücks sowie für Lärmschutzmaßnahmen dem Grunde, aber noch nicht der Höhe nach, anerkannt. Die Kläger hatten ausgeführt, dass sich der Fluglärm in einem gewachsenen Wohngebiet in der ländlichen, ansonsten ruhigen Gegend besonders stark bemerkbar mache. Das Gericht erkannte an, dass es zur Beurteilung von Wesentlichkeit von Lärm auch auf das subjektive Empfinden eines Menschen ankommt.

655

Auch ein nicht nutzbarer Balkon wird von der zivilgerichtlichen Rechtsprechung als ein wohnwertminderndes Merkmal angesehen. Nicht nutzbar ist ein Balkon, wenn ζ. B. aufgrund seiner nahen Lage zur Straße (erste Etage) die Immissionen von Straßenlärm und Abgasen verkehrsbedingt (Ampeln) in hohem Maße auf den Balkon dringen. 1232

3. Ermäßigung des Grundstückswertes gem. § 82 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BewG 656

Der Bundesgesetzgeber hat die vermögensschädigende Wirkung von Umweltbelastungen auf Grundstücke auch im Bewertungsgesetz (BewG) anerkannt: Nach § 82 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BewG führen „ungewöhnlich starke Beeinträchtigungen durch Lärm, Rauch oder Geräusche" im Rahmen der steuerlichen Bewertung eines Grundstücks zu einer Ermäßigung des Grundstückswertes. Ob eine Umweltbelastung eine „ungewöhnlich starke Beeinträchtigung" i. S. d. § 82 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BewG darstellt, muss nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles entschieden werden, wobei insbesondere auch die konkrete Nutzungsart des Grundstücks (ζ. B. Wohngrundstück, Bürogebäude, gewerblich genutzte Räume), die bauplanungsrechtliche Lage (ζ. B. Wohngebiet, Mischgebiet, Gewerbegebiet) und die sonstigen regionalen Verhältnisse (ζ. B. Lage des Grundstücks in einer Großstadt oder im ländlichen Raum) eine Rolle spielen. 1233 Eine ungewöhnlich starke Beeinträchtigung scheidet aus, wenn sie weite Teile des Bewertungsgebietes oder größere Teilregionen in mehr oder minder gleicher Weise betrifft und belastet. 1234 Ein Abschlag vom Grundstückswert wegen ungewöhnlich starker (Verkehrs-)Lärmbeeinträchtigung soll nur bei einzelnen, besonders intensiven Lärmbelastungen ausgesetzten Grundstücken bzw. einer kleinen, überschaubaren Gruppe extrem belasteter Grundstücke in Betracht kommen. Würden demgegenüber ganze Stadt- oder Ortsteile mit annähernd gleicher Intensität in Mitleidenschaft gezogen, so spreche dies für die Gegend1231 LG Bonn, Urt. v. 29. 7. 2003 - 10 Ο 505/99. 1232 AG Neukölln, M M 1989, 23. 1233 BFH, NJW 1994, 1551. 1234 BFH, NJW 1994, 1551.

II. Finanzielle Kompensation ungleicher räumlicher Umweltlastenverteilung

307

üblichkeit der Lärmimmissionen. 1235 Dementsprechend erkennt der BFH die Belastung durch den Verkehrslärm an einer Hauptausfallstraße in seinen typischen Schwankungsbreiten nicht als eine ungewöhnlich starke Beeinträchtigung an, da sie für Großstädte kennzeichnend und damit ortsüblich ist. 1 2 3 6 Ebenso fehlt es den Belastungen in einem militärischen Tieffluggebiet wegen ihrer Häufigkeit und Ortsüblichkeit am Charakter des Un- und Außergewöhnlichen. 1237 Selbst das Austreten giftiger Stoffe aus einer nahegelegenen Mülldeponie reicht für sich allein als wertmindernde Beeinträchtigung i. S. d. § 82 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BewG nicht aus. Vielmehr bedarf es der Feststellung, dass diese Emissionen in einer Menschen, Tiere, Pflanzen oder Sachen schädigenden Weise in das Grundstück eindringen oder eingedrungen sind und als Immissionen die bestimmungsgemäße ortsübliche Nutzung in erheblichem Maße beeinträchtigen. Bei einem Wohngrundstück bedeutet dies, dass die Bewohner gezwungen sein müssen, ihre Lebensgewohnheiten bezüglich der Nutzung des Grundstücks in einer Weise einzuschränken, die bei einer üblichen Benutzung des Grundstücks in seiner konkreten Beschaffenheit nicht mehr hingenommen würde, ζ. B. indem ein Aufenthalt im Garten oder das Öffnen der Fenster wegen der Immissionen nur unter Gesundheitsgefährdung möglich ist. 1 2 3 8 § 82 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BewG zielt damit nur auf einen (steuerlichen) Ausgleich von besonderen Härten im Einzelfall ab, hilft aber gerade nicht in den Fällen weiter, in denen ganze Gebiete oder Regionen überdurchschnittliche Belastungen zu tragen haben. Trotz der Ablehnung eines Abschlags nach § 82 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BewG bei Betroffenheit eines ganzen Gebietes oder einer ganzen Region stellt der BFH in der Fluglärm-Entscheidung vom 7. 7. 1993 fest, dass bestimmte Lärmquellen erhebliche, unter Umständen gesundheitsgefährdende Belästigungen und Beeinträchtigungen hervorrufen können, wie dies insbesondere beim großstädtischen Verkehrslärm und auch bei Tieffluglärm der Fall sein kann. 1 2 3 9 Bei seiner grundlegenden Entscheidung zum Straßenverkehrslärm vom 23. 9. 1977 hat sich der BFH ausdrücklich an der Rechtsprechung des BGH über Entschädigungsleistungen wegen erheblicher Lärmbeeinträchtigungen orientiert. 1240

4. Einzelfallbezogenheit der Ersatz- und Ermäßigungsansprüche Sowohl die staatshaftungsrechtlichen Ansprüche auf Ersatz von Planungsschä- 657 den und auf Enteignungsentschädigung als auch der steuerrechtliche Anspruch auf Ermäßigung des Grundstückswertes setzen voraus, dass die von Lärm, Rauch, 1235 1236 1237 1238

BFH, NJW 1994, 1551. BFHE 166, 382; BFH, Urt. v. 23. 9. 1977, BStBl. II 1978, 5. BFH, NJW 1994, 1551. BFHE 163, 229 (231).

1239 BFH, NJW 1994, 1551. 1240 BFH, BStBl. II 1978, 5 (6). 20*

308

10. Kap.: Umweltgerechtigkeit im Schadensersatz-, Steuer- und Finanzrecht

Gerüchen oder anderen Umweltbelastungen betroffenen Grundstücke eine außergewöhnlich starke Beeinträchtigung im Vergleich zur Nachbarschaft erleiden. Sofern eine größere Anzahl von Grundstücken in gleicher oder ähnlicher Weise betroffen ist oder das Ausmaß der Belästigung einen ganzen Stadtteil oder eine ganze Region betrifft, scheiden die dargestellten Ansprüche wegen der Ortsüblichkeit der Umweltbelastung aus. 658

Auch der Professorenentwurf des Umweltgesetzbuchs (UGB-ProfE) - Allgemeiner Teil setzt im achten Kapitel über „Umwelthaftung und Entschädigung für Umweltschäden" für eine Entschädigung die wesentliche Beeinträchtigung der ortsüblichen Benutzung des Grundstücks voraus (vgl. § 126 Abs. 2 UGB-ProfE AT). Zwar sieht § 130 Abs. 1 UGB-ProfE AT für die Fälle, in denen durch eine Luftverunreinigung, durch Lärm, durch den Betrieb von Abfallentsorgungsanlagen oder durch den Umgang mit gefährlichen Stoffen unzumutbare Umweltschäden verursacht worden sind, aber aus Rechtsgründen eine Schadensersatzpflicht nicht besteht, einen billigen Ausgleich seitens der Bundesländer vor. Doch soll nach der Entwurfsbegründung im Einklang mit dem Waldschadensurteil des B G H 1 2 4 1 ein solcher Ausgleich nur für echte Sonderopfer gewährt werden, die einen Ausnahmecharakter haben und über das mit der technisch-industriellen Zivilisation verbundene allgemeine Lebensrisiko hinausgehen.1242 Im Waldschadensurteil vom 10. 12. 1987 hat der BGH eine Haftung der Bundesrepublik Deutschland und des Landes Baden-Württemberg für neuartige Waldschäden aus dem richterrechtlichen Haftungsinstitut des enteignenden Eingriffs mit der Begründung abgelehnt, dass die Zubilligung von Entschädigungs- und Ausgleichsansprüchen für solche Globalphänome wegen der verschiedenen Lösungsmöglichkeiten sowie den weitreichenden Folgen für die Staatsfinanzen entsprechend dem Grundsatz der Gewaltenteilung und dem demokratischen Prinzip der Entscheidung des Parlamentsgesetzgebers vorbehalten bleiben muss. 1243

Π Ι . Kollektive Kompensation im Rahmen der föderalen Finanzordnung 659

Wie die Studie „Deutschland 2020 - Die demografische Zukunft der Nation" des Berlin-Instituts für Weltbevölkerung und globale Entwicklung im April 2004 medienwirksam festgestellt hat, werden insbesondere die Regionen, die in der Vergangenheit zu den wichtigsten Industrieregionen der beiden deutschen Staaten zählten, von Abwanderung und Bevölkerungsrückgang geprägt sein. 1 2 4 4 In diesen 1241 BGHZ 102, 350. 1242 Jarass/Kloepfer/Kunig/Papier/Rehbinder/Salzwedel/Schmidt-Aßmann, setzbuch - Besonderer Teil, 1994, S. 136 ff.

Umweltge-

1243 BGH, NJW 1988,478 (480 f.). 1244 Berlin-Institut für Weltbevölkerung und globale Entwicklung (Hg.), Deutschland 2020 - Die demografische Zukunft der Nation, 2004, S. 16 f.

. Kollektive Kompensation im Rahmen der föderalen Finanzordnung

309

alten Industrieregionen, die sich wie ein Gürtel von Sachsen und Thüringen über das Ruhrgebiet bis ins Saarland erstrecken, gehen strukturelle und ökologische Defizite regelmäßig miteinander einher. Auf der anderen Seite ist in den heute und in Zukunft wirtschaftlich prosperierenden Regionen im Süden Deutschlands auch die Umweltqualität überdurchschnittlich hoch, denn die großen umweltbelastenden Industriezweige wie Kohle, Stahl und Schiffbau haben hier keine Rolle gespielt. 1245 Aus dem Bundesstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG folgt das grundlegende 660 Gebot der rechtlichen Gleichbehandlung und sozialen Homogenität der Bundesländer. 1246 Das Gebot sozialer Homogenität ist auch in Art. 72 Abs. 2 GG als „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse" und in Art. 106 Abs. 3 S. 4 Nr. 2 GG als „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet" als Ziel der Verteilung des Steueraufkommens erwähnt. Aus dem Bundesstaatsprinzip i.V.m. der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG ergibt sich eine Pflicht des Staates, für einen Ausgleich auch von solchen Umweltbelastungen zu sorgen, die nach gegenwärtiger Rechtslage als allgemeines Lebensrisiko hingenommen werden müssen, weil sie einen überörtlichen Charakter aufweisen oder keinem bestimmten Emittenten individuell zurechenbar sind. Der räumlichen Ungleichverteilung von Umweltlasten und Umweltnutzen im 661 Bundesgebiet könnte im Rahmen der staatlichen Finanzpolitik entgegengewirkt werden. Die deutsche Finanzpolitik ist wesentlich durch den föderativen Staatsaufbau geprägt, in dem neben Bund und Ländern auch das Einnahme- und Ausgabeverhalten der Kommunen von Bedeutung ist. Sie umfasst alle politischen und gesetzgeberischen Maßnahmen, die der Ordnung und Gestaltung der öffentlichen Einnahmen und Ausgaben (Staatsfinanzen) dienen. Über die Beschaffung von Einnahmen hinaus verfolgt die Finanzpolitik übergreifende nichtfiskalische Ziele wie die Mehrung des (Volks-)Wohlstandes und die Förderung von Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit. Neben konjunktur- und wachstumspolitischen Zielen treten verteilungspolitische Ziele, d. h. die Finanzpolitik des Staates soll bestimmten gesellschaftlichen Gruppen Vorteile verschaffen, die andere Teile der Bevölkerung nicht bekommen, ggf. von diesen finanziert werden müssen (Umverteilung). Diese Umverteilungsfunktion der Finanzpolitik könnte zum Ausgleich einer ungleichen Verteilung von Umweltlasten und Umweltnutzen fruchtbar gemacht werden. Will man zusätzliche finanzielle Belastungen für die öffentliche Hand so weit wie möglich vermeiden, muss in erster Linie an eine ökologisch ausgerichtete Umlenkung staatlicher Finanzströme und erst an zweiter Stelle an die Schaffung neuer Ausgabenposten gedacht werden. Generell können staatliche Finanzströme unter dem Aspekt einer gerechten Umweltlasten- und -nutzenverteilung wirksamer und ge1245 Berlin-Institut für Weltbevölkerung und globale Entwicklung (FN 1244), S. 78 ff. („Baden-Würtenberg - Wo die Zukunft ein Zuhause hat") und S. 84 ff. („Bayern - Alpenpanorama und Wirtschaftswunder"). 1246 Roellecke, in: Umbach/Clemens (FN 1216), Art. 20 Rn. 34 f.

310

10. Kap.: Umweltgerechtigkeit im Schadensersatz-, Steuer- und Finanzrecht

rechter gestaltet werden. Dies erfordert ökologische Veränderungen in der Subventions- und Steuerpolitik. Darüber hinaus ist an einen grundlegenden ökologischen Umbau des bundesstaatlichen Finanzausgleichs zu denken.

1. Ökologische Finanzreform 662

SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hatten in ihrer Koalitionsvereinbarung vom 16. 10. 2002 die Ausweitung der 1999 begonnenen sog. Ökologischen Steuerreform zu einer sog. Ökologischen Finanzreform vorgesehen. 1247 Die ökologische Finanzreform umfasst verschiedene komplexe Themenbereiche. Im Wesentlichen sind das die umweltorientierte Reform bestehender Steuern, die umweltorientierte Gestaltung von Beiträgen und Gebühren, Subventionspolitik zur Unterstützung einer nachhaltigen Entwicklung sowie eine nachhaltig umweltgerechte Gestaltung der wirtschaftlichen Aktivitäten des Staates, insbesondere der öffentlichen Beschaffung und staatlichen Investitionen. Dadurch sollen einerseits der Ressourcenund Naturverbrauch sowie die Schadstoffemissionen durch Abgaben und Steuern verteuert werden, um den Umweltverbrauch zu reduzieren. Andererseits sollen durch Subventionen, steuerliche Entlastung und Förderprogramme ökologisch gewollte Entwicklungen unterstützt werden.

a) Ökologische Veränderung der staatlichen Subventionen 663

Wirtschaft und Bürger werden vom Staat mit den verschiedensten Subventionen gefördert. Sie bestehen auf der Ausgabenseite aus Finanzhilfen und auf der Einnahmenseite aus Steuervergünstigungen. Subventionen dienen u. a. dazu, übermäßige regionale Disparitäten vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht abzubauen. Dabei können sie einer ökologisch verträglichen Entwicklung entgegenwirken, wenn sie Fehlanreize zu einem übermäßigen Ressourcen- und Energieverbrauch setzen. 1248 Subventionen lassen sich aber auch zur Erreichung umweltpolitischer Ziele - etwa zur Reduzierung des Schadstoffausstoßes und der Treibhausgasemissionen - einsetzen. Die Untersuchung der mit der Subventionspolitik verbundenen Umweltwirkungen hat in den letzten Jahren verstärkt wissenschaftliches und politisches Interesse geweckt. Vor allem außerhalb Deutschlands (ζ. B. in den Niederlanden und in skandinavischen Ländern) sind mehr oder minder breit angelegte 1247 SPD/BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Koalitionsvertrag. Für ein wirtschaftlich starkes, soziales und ökologisches Deutschland. Für eine lebendige Demokratie, 2002, S. 21; Bundesministerium für Umwelt, Entwicklung und Reaktorsicherheit (Hg.), Die ökologische Steuerreform: Einstieg, Fortführung und Fortentwicklung zur Ökologischen Finanzreform, 2004, S. 18 f. 1248

Bundesministerium der Finanzen (Hg.), Neunzehnter Subventionsbericht. Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes und der Steuervergünstigungen für die Jahre 2001-2004, 2003, S. 11 f.

III. Kollektive Kompensation im Rahmen der föderalen Finanzordnung

311

politische Initiativen in Angriff genommen worden, Subventionen mit negativen Auswirkungen auf die Umwelt abzubauen oder umzugestalten; in Deutschland selbst werden Reformansätze dagegen noch relativ zögerlich aufgenommen. Zwar orientierte sich die Politik der früheren Bundesregierung nach eigenem Bekunden am Leitbild der Nachhaltigkeit mit dem Ziel einer wirtschaftlich leistungsfähigen, sozial gerechten und ökologisch verträglichen Entwicklung, wobei sie als ein wichtiges Element dieser Politik die Integration von Umweltbelangen in die Subventionspolitik ansah. 1249 Das zur Verringerung umweltschädlicher Subventionen 1 2 5 0 vom Bundestag Anfang 2003 mit rot-grüner Mehrheit verabschiedete Steuervergünstigungsgesetz, scheiterte jedoch wenig später im Bundesrat. Das Gesetz stellte eine umfassende Initiative dar, umweltschädliche Subventionen - insbesondere auf der Ausgabenseite - abzubauen. Der im Vermittlungsausschuss gefundene Kompromiss sieht nunmehr nur noch vor, dass Subventionen einheitlich um einen bestimmten Prozentsatz gekürzt werden, ohne sie im Einzelnen zu diskutieren oder politische Schwerpunkte zu setzen. Somit spielen Umweltaspekte im Rahmen der staatlichen Wirtschaftsförderung derzeit nur eine untergeordnete Rolle. Überdies tauchten speziell der Gedanke der Umweltgerechtigkeit weder in der Koalitionsvereinbarung noch in den Regierungsplänen zu einer Ökologischen Steuer- und Finanzreform auf. Vergelichbares gilt auch für die aktuelle große Koalition unter der Führung von Angela Merkel In Zukunft sollte daher beim Abbau und bei der Verteilung staatlicher Subven- 664 tionen für umweltbelastende Aktivitäten aus Überlegungen der Verteilungsgerechtigkeit den regional unterschiedlichen Umweltbelastungen Rechnung getragen werden. Dies kann im Sinne eines Ausschlussprinzips dergestalt erfolgen, dass zumindest bei Großprojekten nur solche gefördert werden, die auf ihre Umweltverträglichkeit hin geprüft sind. Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen schlägt in seinem Sondergutachten zur Landnutzung von 1996 vor, die regionalen Förderprogramme als solche einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen. 1 2 5 1 Schließlich kann dort, wo besondere Belastungssituationen bestehen, an eine umweltpolitische Spreizung der Fördersätze gedacht werden.

b) Ökologische Steuerreform Mit dem Gesetz zum Einstieg in die Ökologische Steuerreform 1252 wurde der 665 Energieverbrauch ab dem 1.4. 1999 teurer. So wurde die Mineralölsteuer auf Kraftstoffe um 6 Pfennige je Liter (3,07 Cent), auf leichtes Heizöl um 4 Pfennige 1249

Bundesministerium der Finanzen (FN 1248), S. 35. 1250 SPD/BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (FN 1247), S. 21. 1251 Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, Konzepte einer dauerhaft umweltgerechten Nutzung ländlicher Räume, Sondergutachten Landnutzung, 1996, BT-Drs. 13/ 4109, S. 66, 103. 1252 BGBl. I S. 378.

312

10. Kap.: Umweltgerechtigkeit im Schadensersatz-, Steuer- und Finanzrecht

je Liter (2,05 Cent) und auf Erdgas um 0,32 Pfennige je Kilowattstunde (0,164 Cent) erhöht. Zudem wurde eine Stromsteuer in Höhe von 2 Pfennigen je Kilowattstunde eingeführt (1,02 Cent). Das Gesetz zur Fortführung der Ökologischen Steuerreform regelte die ansteigende Besteuerung in vier weiteren Schritten ab dem Jahr 2000 bis zum Jahr 2003 (siehe Tabelle 1). Mit dem Gesetz zur Fortentwicklung der Ökologischen Steuerreform vom 23. 12. 2003 1 2 5 3 und der Steuerreform 2004 wurden einige umweltschädliche Steuerermäßigungen im Rahmen einer Ökologischen Finanzreform abgebaut, um die ökologische Lenkungseffizienz zu verstärken. Ökosteuer-Erhöhungsschritte Steuer bis 1998 1. 4. 1999 1. 1. 2000 1. 1. 2001 1. 1. 2002

1. 1. 2003

Normal- und Superbenzin

98 Pf./l

6 Pf./l

6 Pf./l

6 Pf./l

3 Cent/1

3 Cent/I

Diesel

62 Pf./l

6 Pf./l

6 Pf./l

6 Pf./l

3 Cent/I

3 Cent/I

Heizöl

8 Pf./l

4 Pf./l

Erdgas

0,36 Pf./ kWh

0,32 Pf./ kWh

Strom ÖkoSteuereinnahmen Rentenversicherungsbeitrag (Prozent vom Bruttolohn)

-

-

20,3

-

-

-

-

-

-

-

0,2Cent/ kWh

2 Pf./ kWh

0,5 Pf./ kWh

0,5 Pf./ kWh

0,26Cent / kWh

0,26Cent/ kWh

8,5 Mrd. DM

17,2 Mrd. DM

22,4 Mrd. DM

14,3 Mrd. Euro

18,6 Mrd. Euro

19,5

19,3

19,1

19,1

19,5

Abbildung 1: Die Stufen der Ökologischen Steuerreform

667

Mit der Ökologischen Steuerreform sollten der Energieverbrauch und die damit verbundenen Umweltbelastungen reduziert und insbesondere der externe Kosten verursachende Autoverkehr auf andere umweltfreundlichere Verkehrsmittel verlagert werden. 1254 Eine Reduzierung des Individual Verkehrs oder zumindest der davon ausgehenden umweit- und gesundheitsschädlichen Emissionen würde insbesondere den sozial schwächeren Teilen der Bevölkerung zugute kommen, die in den vom Straßenverkehr besonders belasteten Gebieten wohnen. In der Realität ist die Lenkungswirkung der Ökosteuer in ihrer derzeitigen Ausgestaltung in Bezug 1253 BGBl. I S. 4602. 1254 Bundesministerium für Umwelt, Entwicklung und Reaktorsicherheit

(FN 1247), S. 18.

III. Kollektive Kompensation im Rahmen der föderalen Finanzordnung

313

auf die Bekämpfung der Umwelt- und Gesundheitsrisiken des Straßenverkehrs eher gering. Außerdem wird das Aufkommen der Ökosteuer nur zu einem geringen Teil für ökologische Zwecke verwendet. Der allergrößte Teil der Einnahmen (rund 90%) in der Höhe von ca. 18,6 Milliarden Euro in 2003 diente der schrittweisen Absenkung der Rentenversicherungsbeiträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern von 20,3 Prozent in 1998 auf 19,1 Prozent in 200112 bzw. 19,5 Prozent in 2003. 1 2 5 5 Dies dient zwar der Sicherung der Sozialsysteme (und damit der sozialen Gerechtigkeit), nicht aber der Kompensation einer ungleichen räumlichen Umweltlastenund -güterverteilung. In Zukunft könnte zumindest ein Teil des Ökosteueraufkommens zur Kompensation der Ungleichverteilung von Umweltlasten eingesetzt werden. Die in Berlin aufgekommene Diskussion um die Erhebung von Gebühren für die Benutzung öffentlicher Parks macht deutlich, dass der Bedarf - insbesondere der Städte - an finanziellen Mitteln zur Pflege und Erhaltung einer gesunden Umwelt und zur Offenhaltung ihrer allgemeinen, d. h. auch sozial Schwächeren schrankenlos möglichen, Nutzbarkeit mit der Finanznot der Länder und Kommunen ständig zunimmt. Solchen Entwicklungen könnte mit einer umweltgerechten Verwendung des Aufkommens aus zukünftigen ökologisch motivierten Steuern und Abgaben entgegengewirkt werden. Denkbar ist ζ. B. ein Sonderfonds der Städte und Kommunen für die Anlage und Pflege von Parks und Naherholungsgebieten, für Straßenrückbauten und Lärmschutzmaßnahmen etc., sowie eine stärkere Förderung ökologischer und gleichzeitig sozialer Verkehrsmittel wie ζ. B. des ÖPNV (vgl. dazu Art. 106 a GG i.V. m. § 5 Regionalisierungsgesetz 1256). Eine Verwendung des Ökosteueraufkommens für derartige ökologische Ausgleichsmaßnahmen, die vor allem den sozial schwächeren Gliedern in der Gesellschaft zu Gute kämen, würde dann auch die Akzeptanz für die Verteuerung umweltbelastender Verhaltensweisen durch Steuern und Abgaben erhöhen. Die Menschen hätten nicht mehr das Gefühl, dass immer „der kleine Mann" zur Kasse gebeten würde, denn sie bekämen spürbare Gegenleistungen aus dem ÖkoSteueraufkommen.

c) Ökologische Finanzreform

und soziale (Umwelt-)Gerechtigkeit

Bei der Forderung nach einer Fortsetzung der ökologischen Steuerreform und 668 dem Abbau von Subventionen, die umweltschädliches Verhalten begünstigen, gilt es zu bedenken, dass Steuererleichterungen und staatliche Subventionen letztlich den Zweck verfolgen, die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland zu fördern und einer räumlichen und sozialen Polarisierung der Gesellschaft entgegenzuwirken. Das Prinzip der Wahrung einheitlicher Lebens1255 Bundesministerium für Umwelt, Entwicklung und Reaktorsicherheit (FN 1247), S. 15. 1256 Nach dem Gesetz zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs v. 27. 12. 1993 (BGBl. I S. 2378, 2395), zuletzt geändert durch Art. 25 des Gesetzes v. 29. 12. 2003 (BGBl. I S. 3076), wurde den Ländern in den Jahren 2002 bis 2004 aus dem Mineralölsteueraufkommen des Bundes für den öffentlichen Personennahverkehr ein jährlicher Betrag von ca. 6,7 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt.

314

10. Kap.: Umweltgerechtigkeit im Schadensersatz-, Steuer- und Finanzrecht

Verhältnisse im gesamten Bundesgebiet ist verfassungsrechtlich in Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 GG und Art. 106 Abs. 3 Nr. 2 GG verankert und seit 50 Jahren der Motor für den Ausgleich wirtschaftlicher und sozialer Unterschiede im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland. Die Formel von der Einheitlichkeit bzw. Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse will einen hohen Standard an gesellschaftlicher Wohlfahrt und sozialer Gerechtigkeit gewährleisten. Gesellschaftliche Wohlfahrt und soziale Gerechtigkeit sind ferner die Zielsetzungen des Sozialstaats. Das Sozialstaatsprinzip ist ebenfalls im Grundgesetz an zwei Stellen verankert: in Art. 20 Abs. 1GG, der den sozialen Bundesstaat fordert, und in Art. 28 GG, in dem die Bundesrepublik Deutschland als „sozialer Rechtsstaat" bezeichnet wird. 669

Es ist mithin verfassungsrechtlich geboten, bei jeder Verteuerung von umweltbelastenden Verhaltensweisen die sozialen Auswirkungen auf die sozial und wirtschaftlich schwächeren Gruppen der Bevölkerung (Familien, Alleinerziehende, Rentner, Arbeitslose, Migranten) zu bedenken. Ökologisch motivierte Steuererhöhungen und der Abbau umweltschädlicher Subventionen dürfen grundsätzlich nicht dazu führen, dass die sozial schwachen Bevölkerungsgruppen bzw. die förderungsbedürftigen, strukturschwachen Regionen in der Bundesrepublik Deutschland noch weiter vom durchschnittlichen Lebensstandard und der wirtschaftlichen Entwicklung abgehängt werden. Eine bessere Umweltqualität und eine gerechtere Verteilung von Umweltlasten dürfen nicht die wirtschaftliche Schwächung bestimmter Bevölkerungsgruppen oder Regionen und eine Verschärfung sozialer Ungleichheiten zur Folge haben. Nach dem Prinzip der nachhaltigen Entwicklung sind ökologische, ökonomische und soziale Belange gleichermaßen zu berücksichtigen und miteinander zu vereinbaren, indem sie nicht voneinander getrennt betrachtet oder gegeneinander ausgespielt werden. Schließlich ist die Forderung nach einer gerechten Verteilung von Umweltlasten und -gütern selbst Ausfluss des Strebens nach sozialer Gerechtigkeit. Deshalb würden negative Auswirkungen ökologisch motivierter Maßnahmen auf die wirtschaftlichen und sozialen Bedürfnisse der Menschen das Ziel der Umweltgerechtigkeit konterkarieren.

670

Freilich gibt es bei einer Ökologisierung der Steuer- und Subventionspolitik Möglichkeiten, wie sich die Belange der Wirtschaft, der sozialen Gerechtigkeit und des Umweltschutzes miteinander in Einklang bringen lassen. So wird bereits ein Teil der Einnahmen aus der Ökosteuer für eine Stabilisierung der Rentenversicherungsbeiträge verwendet. Dadurch wird der sog. Faktor Arbeit billiger, was zum Einen den Interessen der Wirtschaft entgegenkommt und zum Anderen auch die Bürger entlastet, die ihr Einkommen aus abhängigen Arbeitsverhältnissen beziehen. Trotz dieser positiven ökonomischen und sozialen Effekte der Ökosteuer sieht sich die ökologische Finanzreform vielseitigen Widerständen ausgesetzt. 1257 1257 Friedrich, DB 2003, 311; Meißner, BB 2003, 549. Aus volkswirtschaftlicher Sicht: Ahlheim, Ökosteuer - Idee und Wirtklichkeit, in: Rose (Hg.), Integriertes Steuer- und Sozialsystem 2003, S. 242 ff. In Bezug auf das Ökosteuerurteil des BVerfG, NVwZ 2004, 846,

III. Kollektive Kompensation im Rahmen der föderalen Finanzordnung

315

Das Akzeptanzproblem der Ökosteuer resultiert vor allem aus einer mangelnden 671 Transparenz ihrer Verwendungszwecke und der fehlenden Spürbarkeit der damit verbundenen Entlastungen und Vorteile auf Seiten der Wirtschaft und des Bürgers. Deshalb müsste eine ökologische Finanzreform in den Rahmen einer umfassenden Steuerreform und einer grundlegenden Reform der Sozialversicherungssysteme eingebettet werden. Erst wenn die systembedingte Unterfinanzierung der Sozialkassen gestoppt ist, können die positiven Effekte für die Wirtschaft und die Sozialsysteme spürbar werden. Außerdem sollten Widersprüche im bestehenden Steuerrecht wie ζ. B. die Mineralölsteuerfreiheit für Kerosin und die Umsatzsteuerfreiheit für Flugtickets im grenzüberschreitenden Flugverkehr beseitigt werden. 1258 Eine Verteuerung von Flugreisen würde sich auf die sozial schwächeren Bevölkerungsgruppen, die sich ohnehin nur selten bis gar nicht weite Auslandsreisen leisten können, deutlich weniger belastend wirken als die Erhöhung der Mineralölsteuer und der gleichzeitige stetige Preisanstieg bei der Bahn und im ÖPNV. Als Alternative zu einer pauschalen Erhöhung der Benzinpreise könnte in einer Weiterentwicklung der LKWMaut über eine generelle Schwerverkehrsabgabe nachgedacht werden, die für die Benutzung aller Straßen zur Internalisierung externer Kosten nach dem Verursacherprinzip erhoben und deren Erträge zumindest teilweise zur Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs sowie zum Ausgleich für Umwelt- und Gesundheitsschäden und zu deren zukünftiger Vermeidung eingesetzt werden. Die Akzeptanz der Ökosteuer ließe sich schließlich dadurch verbessern, dass Zahlen, Ergebnisse und Erfolge veröffentlicht werden. Bei Spenden ist es ähnlich. Für konkrete Maßnahmen besteht eine höhere Spendenbereitschaft als für undurchsichtige Verwendungszwecke. Transparenz und Nachvollziehbarkeit staatlicher Maßnahmen als Mittel zur Förderung der Akzeptanz sind die Teil der Verfahrensgerechtigkeit.

2. Ökologischer Umbau des bundesstaatlichen Finanzausgleichs Über die ökologische Veränderung der Subventions- und Steuerpolitik hinaus 672 enthält der bundesstaatliche Finanzausgleich Grundgedanken und Instrumente, die für einen Ausgleich der ungleichen Umweltlasten- und Umweltnutzenverteilung zwischen Bundesländern, Regionen und Gemeinden fruchtbar gemacht werden könnten. Unter dem Begriff des bundesstaatlichen Finanzausgleichs wird die Verteilung der öffentlichen Einnahmen auf die einzelnen Gebietskörperschaften verstanden. 1259 Der Finanzausgleich regelt die Verteilung öffentlicher Einnahmen das die Verfassungsmäßigkeit der Ökosteuer bestätigt: Frenz, NuR 2004, 429; Wernsmann, NVwZ 2004, 821. 1258 Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) gehen dem Fiskus durch die Steuerbefreiung von Kerosin und die Mehrwertsteuerbefreiung bei Flugreisen ins Ausland rund 2,7 Milliarden Euro im Jahr verloren (Berliner Zeitung vom 20.4. 2004). 1259 BVerfGE 72, 330 (383); Kloepfer, in: Evangelisches Staatslexikon, 3. Aufl. 1987, Sp. 878 (887); J.-P. Schneider, in: Denninger/Hoffmann-Riem/ Schneider /Stein (Hg.), Kom-

316

10. Kap.: Umweltgerechtigkeit im Schadensersatz-, Steuer- und Finanzrecht

(Steueraufkommen) zwischen Bund, Ländern und Kommunen entsprechend deren Aufgaben (Art. 104a Abs. 1, Art. 107 Abs. 2 GG). Zu unterscheiden ist zwischen vertikalem Finanzausgleich, der insbesondere zwischen Bund und Ländern zur Erfüllung verschiedener Aufgaben eingerichtet ist (Art. 106 GG), dem horizontalen oder Länderfinanzausgleich, der zwischen finanzschwachen und -starken Bundesländern stattfindet (Art. 107 GG), sowie dem kommunalen Finanzausgleich zwischen den Bundesländern und den Gemeinden bzw. Kreisen und den kreiszugehörigen Gemeinden. Hinzu kommt eine weitere Differenzierung, die für die Ertragsverteilung zwischen beiden Hoheitsträgern maßgeblich ist: Der sog. primäre (zuweisende) Finanzausgleich bestimmt, welcher Gebietskörperschaft welche Erträge zufließen. Ergänzt wird diese Zuteilung durch den sog. sekundären oder umverteilenden (korrigierenden) Finanzausgleich, der sich zeitlich und sachlich an die Ertragsverteilung anschließt, um die Ergebnisse der primären Ausgleichsstufen unter Bedarfsgesichtspunkten zu korrigieren.

a) Vertikaler

Finanzausgleich

673

Die primäre vertikale Verteilung des Steueraufkommens zwischen Bund und Ländern richtet sich nach Steuerarten, welche entweder als Trennsteuern einer einzelnen staatlichen Ebene zugeordnet (Art. 106 Abs. 1 und 2 GG) oder als Gemeinschaftssteuern quotenmäßig zwischen Bund und Ländern aufgeteilt werden (Art. 106 Abs. 3 GG). Hinzu kommt eine Ertragszuweisung an die Gemeinden und Gemeindeverbände (Art. 106 Abs. 6 GG). Um bereits auf dieser Stufe ein möglichst ausgewogenes finanzielles Gleichgewicht herzustellen, sind die aufkommensstärksten Steuern - Einkommens-, Körperschafts- und Umsatzsteuer - nach Art. 106 Abs. 3 S. 1 GG als Gemeinschaftssteuern ausgestaltet. Während das Grundgesetz die hälftige Verteilung der beiden erstgenannten Steuern festlegt, ist die Umsatzsteuerverteilung durch einfaches Bundesgesetz variabel gestaltbar. Bei der Festlegung der Anteile hat sich der Gesetzgeber an den Grundsätzen des Art. 106 Abs. 3 S. 4 Nr. 1 und 2 GG zu orientieren. Danach sind die Deckungsbedürfnisse des Bundes und der Länder so aufeinander abzustimmen, dass u. a. die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet gewahrt wird.

674

Die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse geht über die Konservierung des Status quo hinaus, denn wie bei Art. 72 Abs. 2 GG a. F. ist der Begriff der Wahrung nicht statisch als Bewahrung, sondern dynamisch als Herstellung der Einheitlichkeit zu verstehen. 1260 Im Unterschied zu Art. 72 Abs. 2 GG ist allermentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Loseblatt, Stand: 2001, Art. 107 Rn. 1; Vogel/Waldhoff, in: Dolzer/Vogel/Graßhof (Hg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Loseblatt, Stand: 1997, Vorbem. zu Art. 104a-115 Rn. 358: Finanzausgleich als Ertragsausgleich. 1260 Zur dynamischen Interpretation des Tatbestandsmerkmals in Art. 72 Abs. 2 GG a.F. vgl. BVerfGE 13, 230 (233).

III. Kollektive Kompensation im Rahmen der föderalen Finanzordnung

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dings im Rahmen der Grundgesetznovelle vom 27. 10. 1994 1 2 6 1 der Begriff der Einheitlichkeit in Art. 106 Abs. 3 S. 4 Nr. 2 GG nicht durch den der Gleichwertigkeit ersetzt worden. Jedoch kann daraus nicht der Schluss gezogen werden, dass strikte arithmetische Gleichheit das Ziel des Finanzausgleichs sein soll und jede Ungleichbehandlung ausgeschlossen ist. Vielmehr ist das Merkmal der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse so zu verstehen, dass der Finanzausgleich einen Beitrag zu dem sozialstaatlichen Postulat leisten soll, „regionale Unterschiede im öffentlichen Leistungsstandard, die nicht mit natürlichen (geografischen, siedlungsmäßigen oder ähnlichen) Gegebenheiten zu erklären sind, schrittweise abzubauen". 1262 Naturgegebene oder historisch gewachsene Unterschiede zwischen unterschiedlichen Regionen oder ländlichen Räumen und städtischen Ballungszentren können und dürfen nicht vollkommen aufgehoben werden. Gerade dem föderalistischen Staatsaufbau der Bundesrepublik Deutschland ist Vielfalt systemimmanent. Das Ziel, in etwa einheitliche Lebensbedingungen in allen Teilen Deutschlands herzustellen, verlangt keine Nivellierung jeglicher Unterschiede. Aufgabe und Ziel ist es aber, dass ein Grundgerüst von Chancengleichheit in der Bundesrepublik überall vorhanden sein muss. Sofern eine ungleiche Verteilung von Umweltlasten und -nutzen zu sozioökonomischen Disparitäten führt, gehört es auch zur Aufgabe des Finanzausgleichs ökologische Disparitäten auszugleichen. Denn die Lebensbedingungen und (wirtschaftlichen) Entwicklungschancen einer Region oder eines Landes hängen nicht ausschließlich von wirtschaftlichen und sozialen Faktoren ab wie ζ. B. der Gewerbeflächenerschließung, der Höhe von Steuern und Abgaben, der Verkehrs-, Gesundheits- und Bildungsinfrastruktur etc. Dass ζ. B. die Stadt München heute zu einem der attraktivsten Wirtschaftsstandorte Deutschlands geworden ist, die innovative Unternehmen und gut ausgebildete junge Menschen anzieht, liegt nicht zuletzt an einer Standortpolitik, die auch viel Wert auf Lebensqualität legt. Die Lebensqualität und damit die Zukunftsfähigkeit einer Region oder eines Stadtteils werden u. a. von kulturellen Angeboten und nicht zuletzt von ökologischen Faktoren bestimmt. Die Erholungs- und Erlebnisfunktionen von Natur und Landschaft spielen damit zumindest mittelbar für die Entwicklungschancen einer Region oder eines Stadtteils eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Die Bereitstellung finanzieller Mittel für die Wiederherstellung, die Sicherung und den Ausbau mangelhafter ökologischer Wohlfahrtsfunktionen sollte daher im Finanzausgleich Berücksichtigung finden. Aber selbst bei einer auch ökologischen Interpretation des Merkmals der Einheitlichkeit der Lebens Verhältnisse in Art. 106 Abs. 3 S. 4 Nr. 2 GG ist der primäre vertikale Finanzausgleich nach Art. 106 GG allerdings nur sehr begrenzt zur Kompensation einer ungleichen Umweltlasten- und Umweltnutzenverteilung im Bundesgebiet geeignet. Denn die primäre vertikale Umsatzsteuerverteilung kann nur mittelbar Rücksicht auf regionale Unterschiede nehmen, weil sich bei ihr der Bund 1261 BGBl. 1 1994, 3146. 1262 Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig (Hg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 3. Aufl. 1996, Art. 106 Rn. 26e.

675

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10. Kap.: Umweltgerechtigkeit im Schadensersatz-, Steuer- und Finanzrecht

und die regional nicht differenzierte Ländergesamtheit gegenüberstehen. 1263 Auch die Zuweisung des Aufkommens der Grund-, Gewerbe-, örtlichen Verbrauch- und Aufkommenssteuer an die Gemeinden und Gemeinde verbände nach Art. 106 Abs. 6 GG ermöglicht keine Umverteilung zur Kompensation einer ungleichen Umweltlasten- und Umweltnutzenverteilung.

b) Horizontaler

Finanzausgleich (Länderfinanzausgleich)

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Obwohl das Ziel, einheitliche Lebensverhältnisse im Bundesgebiet zu wahren, von Art. 106 Abs. 3 S. 4 Nr. 2 GG ausdrücklich nur dem primären vertikalen Finanzausgleich gesetzt ist, wird es in gleicher Weise auf den horizontalen und den sekundären Finanzausgleich erstreckt. 1264

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Weil sowohl Finanzkraft als auch Finanzbedarf der einzelnen Bundesländer und Regionen erheblich differieren, ist es das Ziel des primären horizontalen Finanzausgleichs nach Art. 107 Abs. 1 GG, unter den Ländern einen angemessenen Ausgleich herbeizuführen, um so einheitliche Lebensbedingungen im gesamten Bundesgebiet zu gewährleisten. Mit der Wiedervereinigung Deutschlands sind Finanzierungsausgleichsmaßnahmen noch dringlicher geworden, da die Finanzkraft der neuen Bundesländer auch heute immer noch weit hinter derjenigen der alten Länder zurückbleibt. Ihr Finanzbedarf ist in vielen Bereichen (ζ. B. Umweltlasten, Infrastruktur, Sozialausgaben, Wohnungsbau) überdurchschnittlich hoch. Den sich daraus ergebenden Umverteilungs- und Unterstützungsaufgaben wurde zugleich mit dem 1993 beschlossenen sog. „Solidarpakt" 1265 zur Unterstützung der neuen Länder Rechnung getragen.

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Art. 107 Abs. 1 S. 1 GG regelt, wie das Aufkommen der Landessteuern nach Art. 106 Abs. 2 GG sowie der Länderanteil an der Einkommens- und der Körperschaftssteuer auf die einzelnen Länder zu verteilen sind. Verteilungsprinzip ist das örtliche Aufkommen, so dass jedes Land den steuerlichen Ertrag der Leistungen bekommt, die auf seinem Gebiet erbracht worden sind. 1 2 6 6 Eine Umverteilung findet nach diesem Kriterium nicht statt.

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Der Ausgleich zwischen den Ländern findet dabei mit Hilfe zweier Instrumente statt: Erstens durch die Verteilung der Umsatzsteuer nach der Einwohnerzahl und über Ergänzungsanteile (Art. 107 Abs. 1 S. 4 GG) sowie zweitens mit einem Verfahren, bei dem die finanzielle Leistungskraft der Länder mit ihrem Finanzbedarf verglichen wird (Art. 107 Abs. 2 S. 1,2 GG). Hierbei spricht man vom sekundären horizontalen Finanzausgleich oder dem Länderfinanzausgleich im engeren Sinn. 1263 Heintzen, in: v. Münch/Kunig (Hg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 5. Aufl. 2003, Art. 106 Rn. 38. 1264 Heintzen, in: v. Münch/Kunig (FN 1263), Art. 107 Rn. 3. 1265 BGBl. I, S. 944. 1266 Heintzen, in: v. Münch/Kunig (FN 1263), Art. 107 Rn. 12.

III. Kollektive Kompensation im Rahmen der föderalen Finanzordnung

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Der Bund hat von seiner in Art. 107 Abs. 1 S. 4 GG vorgesehenen Kompetenz 680 Gebrauch gemacht, den Länderanteil an der Umsatzsteuer nicht vollständig nach der Einwohnerzahl zu verteilen, sondern einen Teil für sog. Ergänzungsanteile zur Ausstattung finanzschwacher Länder zu verwenden, vgl. § 2 Abs. 1 Finanzausgleichsgesetz. Bei diesem sog. Umsatzsteuervorwegausgleich werden maximal 25 Prozent des Länderanteils am Umsatzsteueraufkommen dazu verwendet, die Finanzkraft der finanzschwachen Bundesländer auf mindestens 92 Prozent des Durchschnitts anzuheben.1267 Nutznießer dieser Regelung waren in den letzten Jahren ausschließlich Berlin und die neuen Bundesländer. Der Umsatzsteuervorwegausgleich dient dem Ausgleich einer durch unterdurchschnittliche Steuerkraft entstehenden Finanzbedarf. Bei diesem Steuerkraftausgleich können andere Belastungen als steuerliche Ausfälle keine Berücksichtigung finden. Der sich an die Verteilung der Umsatzsteuer anschließende Länderfinanzaus- 681 gleich des Art. 107 Abs. 2 GG vergleicht in einem zweiten Schritt die allgemeine Finanzkraft der Länder mit ihrem Finanzbedarf. Daraus ergibt sich dann, ob ein Land tatsächlich ausgleichspflichtig oder -berechtigt ist. Kennzeichnend für den Länderfinanzausgleich ist, dass er einerseits ein freies Aushandeln des sekundären horizontalen Finanzausgleichs unter den Ländern ausschließt und stattdessen eine bundesgesetzliche Regelung verlangt 1268 sowie andererseits einen durch materiellrechtliche Vorgaben begrenzten legislativen Gestaltungsspielraum eröffnet 1269 (Art. 107 Abs. 2 S. 2 GG). Nach dem Gesetz über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern (Finanzausgleichsgesetz - F A G ) 1 2 7 0 werden die Steuereinnahmen der einzelnen Länder (sog. Finanzkraftmesszahl) mit den durchschnittlichen Steuereinnahmen aller Länder pro Einwohner multipliziert mit der Einwohnerzahl des betroffenen Landes (sog. Ausgleichsmesszahl) verglichen. Ist bei diesem Vergleich die errechnete Ausgleichsmesszahl größer als die Finanzkraftmesszahl, so ist das Bundesland ausgleichsberechtigt, und seine Finanzkraft wird auf mindestens 95 Prozent der durchschnittlichen Finanzkraft angehoben. Aufgrund ihrer Schlüsselrolle waren die Begriffe der Finanzkraft und des Finanzbedarfs in ihrer Ausgestaltung durch das FAG zwischen den Bundesländern umstritten. Nach dem ersten Finanzausgleichsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. 6. 1986 ist der Begriff der Finanzkraft umfassend zu verstehen; er darf nicht allein auf die Steuerkraft reduziert werden, so dass ζ. B. auch der Ertrag der bergrechtlichen Förderabgabe eine zu berücksichtigende Einnahme darstellt. 1271 Auf der anderen Seite 1267 Vgl. Die Dokumentation des Bundesfinanzministeriums zu den Bund-Länder Finanzbeziehungen auf der Grundlage der geltenden Finanzverfassungsordnung, S. 8. , zuletzt abgerufen am 4. 12. 2005. 1268 So schon Vogel/Kirchhof in: Dolzer/Vogel/Graßhof (FN 1259), Art. 107 Rn. 145. 1269 Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bonner Grundgesetz. Kommentar, Bd. 3, 4. Aufl. 2001, Art. 107 Rn.91. 1270 BGBl. I 2001, 3955. 1271 BVerfGE 72, 330 (397,410 ff.).

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müssen bei der Ermittlung des Finanzbedarfs die Sonderbedarfe der einzelnen Länder wie ζ. B. Hochschullasten, hohe Sozialhilfeausgaben der Stadtstaaten oder die Belastung durch Waldschäden oder militärische Einrichtungen grundsätzlich unberücksichtigt bleiben. 1272 Eine Ausnahme hat das Bundesverfassungsgericht nur für die Berücksichtigung von Sonderbelastungen aus der Unterhaltung und Erneuerung von Seehäfen nach § 7 Abs. 3 FAG aufgrund der historischen Tradition und der gesamtstaatlichen Bedeutung anerkannt. 1273 Mit dem ab 1. 1. 2005 geltenden Finanzausgleichsgesetz wird allerdings der Finanzkraftabzug für Seehäfen nicht mehr fortgeführt. Als eine zweite Ausnahme hat das BVerfG die Regelung des § 9 Abs. 2 FAG akzeptiert, 1274 wonach bei der Ermittlung der Ausgleichsmesszahl die Einwohnerzahlen der Länder Berlin, Bremen und Hamburg mit 135 Prozent und nicht mit 100 Prozent wie bei den übrigen Ländern gewertet werden, was die Steuerkraft geringer erscheinen lässt, als sie eigentlich ist. Diese Bevorzugung der Stadtstaaten rechtfertige sich aus dem aus ihrer strukturellen Eigenart resultierenden finanziellen Mehrbedarf gegenüber Flächenstaaten; Stadtstaaten müssen die Aufgaben eines Bundeslandes wahrnehmen und zugleich Hauptstadt- und Großstadtfunktionen erfüllen, wobei sie von ihrem Umland durch Staatsgrenzen getrennt sind und ihnen die Möglichkeit eines landesinternen Finanzausgleichs fehlt. 1 2 7 5 Nach der Argumentation Bremens und Hamburgs im ersten Finanzausgleichsurteil ergebe sich die Notwendigkeit einer höheren Einwohnerwertung der Stadtstaaten aus ihrer Eigenart als Ober- und Ballungszentren ohne Umland. Höhere Kosten träfen die Ballungszentren vor allem im Bereich der Polizei und des Rechtsschutzes, bei der Infrastruktur (Straßen mit ζ. B. Verkehrsampeln, Tunneln und Brücken, öffentlicher Nahverkehr, andere öffentliche Dienstleistungen), in den Bereichen des Gesundheitswesens, der Kultur und Bildung (Theater, Museen, Erwachsenenbildung, Hochschulen usw.) und des Umweltschutzes (Lärmschutz u. a.). 1 2 7 6 Im Gegensatz zu den Flächenländern, in deren Ballungszentren diese Kosten ebenfalls anfielen, hätten die Stadtstaaten keinen Kostenausgleich durch umliegendes weniger dicht besiedeltes Gebiet. Mit den erhöhten Umweltschutzkosten in Ballungsräumen ist das Problem der ungleichen ökologischen Lastenverteilung angesprochen. Der finanzielle Ausgleich im Rahmen des sekundären horizontalen Finanzausgleichs für überdurchschnittliche Umweltlasten von zentralen Orten und Ballungszentren erfolgt jedoch nur mittelbar und unter Beschränkung auf die Städte Berlin, Bremen und Hamburg. Ein finanzieller Ausgleich für ökologische Sonderbelastungen ist im FAG unmittelbar nicht vorgesehen. 682

Da wissenschaftliche Untersuchungen die bisherige Modifizierung des Einwohnermaßstabes bei den Landessteuern stützen, ist in dem ab 1.1. 2005 geltenden 1272 1273 1274 1275 1276

BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE

72, 330 (366 if., 413); BVerfGE 86, 148 (189 ff., 236, 238). 72, 330 (402,413), BVerfGE 86, 148 (236). 86, 148 (238 ff.). 86, 148 (240). 72, 330 (372).

III. Kollektive Kompensation im Rahmen der föderalen Finanzordnung

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Finanzausgleichsgesetz die Stadtstaatenwertung von 135 Prozent für Berlin, Hamburg und Bremen beibehalten. Hingegen wurde die kommunale Einwohnerwertung vollständig neu konzipiert. Sie ist auf die drei Stadtstaaten und die besonders dünn besiedelten Flächenländer Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und SachsenAnhalt beschränkt. Denn wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass sich nicht nur für dichtbesiedelte Stadtstaaten, sondern auch für besonders dünn besiedelte Flächenländer die Notwendigkeit für eine Berücksichtigung solcher abstrakter Mehrbedarfe ergibt.

c) Bundesergänzungszuweisungen Ein finanzverfassungsrechtliches Instrument zum Ausgleich von Sonderlasten bieten die Bundesergänzungszuweisungen gemäß Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG aus dem Bundeshaushalt. Vorraussetzung für die Gewährung von Bundesergänzungszuweisungen an ein Land ist dessen Leistungsschwäche, die sich aus der Relation des Finanzaufkommens des Landes zu seinen allgemeinen und besonderen Ausgabenlasten ergibt. 1277 Das bedeutet, dass der Bund bei der Vergabe von Bundesergänzungszuweisungen auch Sonderlasten einzelner Länder berücksichtigen darf. 1 2 7 8 Diese abschließende, vierte Stufe des finanzverfassungsrechtlichen Verteilungsund Ausgleichssystems gehört zum sekundären vertikalen Finanzausgleich und ist gegenüber dem Länderfinanzausgleich subsidiär. 1279 Die Subsidiarität der Ergänzungszuweisungen ergibt sich einerseits aus dem Wortlaut („ergänzenden") und der Stellung des Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG sowie andererseits aus seiner Ausgestaltung als Kann-Vorschrift. 1280 Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG geht grundsätzlich davon aus, dass die Ländergesamtheit bei der vertikalen Steuerertragsaufteilung mit ausreichenden Finanzmitteln ausgestattet und Finanzkraftunterschiede zwischen den einzelnen Ländern im Rahmen des Länderfinanzausgleichs im ausreichenden Maße behoben wurden. Nur soweit der Finanzbedarf einzelner Länder durch die vorgelagerten Ausgleichsstufen nicht gedeckt wird, kann der Bund gemäß § 11 Abs. 2 FAG durch allgemeine Ergänzungszuweisungen auf 77,5 Prozent des Fehlbetrages anheben. Neben den allgemeinen Bundesergänzungszuweisungen gibt es Bundesergänzungszuweisungen zum Ausgleich von Sonderlasten. Die ursprünglich fünf Typen 1 2 8 1 werden im neuen Finanzausgleichsgesetz auf drei Typen re1277 BVerfGE 72, 330 (403). 1278 BVerfGE 72, 330 (402). 1279 BVerfGE 72, 330 (402); 86, 148 (261); Heintzen, in: v. Münch/Kunig (FN 1263), Art. 107 Rn. 20. 1280 Schneider, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider/Stein (FN 1259), Art. 107 Rn. 12. 1281 Bei den fünf Typen handelt es sich um Fehlbetragszuweisungen zur ergänzenden Deckung eines allgemeinen Finanzbedarfs (§11 Abs. 2 FAG a.F.), Sonderbedarfszuweisungen zum Ausgleich überdurchschnittlich hoher Kosten politischer Führung und der zentralen Verwaltung (§ 11 Abs. 3 FAG a.F.), zum Abbau teilungsbedingter Sonderbelastungen und 21 Kloepfer

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duziert: Es gibt ab 1. 1. 2005 nur noch Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zum Abbau teilungsbedingter Sonderlasten aus dem bestehenden starken infrastrukturellen Nachholbedarf, zweitens zum Ausgleich von Sonderlasten durch strukturelle Arbeitslosigkeit und drittens zum Ausgleich für überdurchschnittlich hohe Kosten politischer Führung. Bundesergänzungszuweisungen sind weder nach alter noch nach neuer Rechtslage zum Ausgleich ökologischer Sonderlasten wie ζ. B. für die Platzierung eines atomaren Endlagers vorgesehen. Außerdem setzen Bundesergänzungszuweisungen voraus, dass das betreffende Bundesland im Rahmen des Länderfinanzausgleichs grundsätzlich ausgleichsberechtigt ist, so dass Ausgleichszahlungen für ökologische Sonderlasten der finanzstarken Länder Bayern, Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen in jedem Falle ausscheiden. d) Kommunaler Finanzausgleich 684

Die Auswirkungen einer ungleichen Umweltlasten- und Umweltnutzenverteilung machen sich in Deutschland vor allem auf örtlicher Ebene bemerkbar, und zwar im Umgebungsbereich der Hauptemissionsquellen (Industriebetriebe, Müllverbrennungsanlagen, Kraftwerke, Metallrecyclinganlagen, Kfz-Verkehr) und als Unterschiede zwischen städtischen Ballungsräumen und ländlichen Regionen oder zwischen dicht bewohnten Innenstadtbezirken und locker bebauten, grünen Außenbezirken und Vorstadtsiedlungen. Entsprechend zu dem Verhältnis von Stadtstaaten und Flächenstaaten beim Länderfinanzausgleich, tragen auch städtische Ballungszentren in Flächenstaaten im Vergleich zu ländlichen Gemeinden zusätzliche Kosten, die aus der Wahrnehmung ihrer Zentrumsfunktionen entstehen. Aus der Zentrumsfunktion resultieren auch ökologische Lasten (ζ. B. in Gestalt des erhöhten Verkehrsaufkommens durch Einpendler). Die ökologischen Lasten führen teilweise direkt zu einem erhöhtem Finanzbedarf (ζ. B. für Lärmschutzmaßnahmen), teilweise wirken sie sich nur indirekt auf die Finanzsituation der ökologisch belasteten Gemeinden und Gemeindeverbände aus ζ. B. durch Fortzug einkommensstarker Einwohner. Für das Ruhrgebiet wird in den kommenden Jahren ein überdurchschnittlicher Bevölkerungsrückgang prognostiziert. 1282 Die direkte Finanzmittelzuweisung an die Kommunen nach Art. 106 Abs. 5 bis 6 GG lässt keinen Spielraum für den Ausgleich einer ungleichen Umweltlasten- und Umweltnutzenverteilung auf kommunaler Ebene. Im Gegenteil führt ζ. B. die Abhängigkeit der Gemeinden von der Gewerbesteuer zu einem Wettbewerb um Industrieansiedlungen und damit um ökologische Lasten. Um diese Tendenz zu bremsen, wurde bereits in zum Ausgleich unterproportionaler kommunaler Finanzkraft (§11 Abs. 4 FAG a.F.), zum Ausgleich überproportionaler Belastungen durch die mit der Wiedervereinigung verbundenen Finanzkraftverschiebungen (§11 Abs. 5 FAG a.F.) und zum Zwecke der Haushaltssanierung (§ 11 Abs. 6 FAG a.F.). 1282 Siehe Berliner Zeitung vom 13. 4. 2004, S. 5: „Ruhrgebiet von Entvölkerung bedroht".

III. Kollektive Kompensation im Rahmen der föderalen Finanzordnung

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der Finanzreform von 1969 die direkte Beteiligung der Gemeinden an der ertragreichen Einkommensteuer eingeführt. 1283 Da sich der Anteil der Gemeinden an dem Aufkommen der Einkommenssteuer aber nach der Einkommensteuerleistung ihrer Einwohner richtet, führt der Wegzug einkommensstarker Einwohner aus ökologisch belasteten Gemeinden zu Einbußen auf der Einnahmeseite. Einer ökologisch motivierten Entvölkerung könnte mit Maßnahmen entgegengewirkt werden, welche die ökologische Qualität der betroffenen Regionen stärken (ζ. B. durch Anlage von Grünflächen). Die Kosten für diese Ausgleichsmaßnahmen müssten von den ökologisch bevorteilten Gemeinden im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs getragen werden. Beim kommunalen Finanzausgleich, der durch Landesrecht geregelt ist, aber 685 durch Art. 106 Abs. 7 GG einige Vorgaben erhält, handelt es sich - anders als beim Länderfinanzausgleich - nicht um einen horizontalen Ausgleich im Sinne eines direkten Finanzkraftausgleichs zwischen steuerstarken und steuerschwachen Kommunen, sondern um einen vertikalen Ausgleich mit horizontaler Wirkung: Das Land stellt seinen Kommunen zusätzliche Finanzmittel zur Verfügung, die so zwischen den Kommunen verteilt werden, dass bestehende Finanzkraftunterschiede unter ihnen abgemildert werden. Gemäß Art. 106 Abs. 7 S. 1 GG müssen die Länder ihren Kommunen einen vom Landesgesetzgeber zu bestimmenden Prozentsatz ihres Anteils an den Gemeinschaftsteuern zufließen lassen (obligatorischer Steuerverbund). Darüber hinaus können sie den Kommunen Anteile an den Landessteuern einräumen (fakultativer Steuerverbund). In den alten Bundesländern machen diese Finanzausgleichszuweisungen knapp ein Fünftel der kommunalen Gesamteinnahmen aus, in den neuen Bundesländern liegt dieser Prozentsatz sogar gut doppelt so hoch. Die exakte Ausgestaltung der Verteilungsregelungen wird in einem vom jeweiligen Landesgesetzgeber zu beschließenden kommunalen Finanzausgleichsgesetz geregelt, wobei er relativ frei darin ist, welche Instrumente des Finanzausgleichs er wählt. 1 2 8 4 Der kommunale Finanzausgleich dient in erster Linie der Aufstockung der kom- 686 munalen Einnahmen (fiskalische Funktion). Er verfolgt außerdem ausgleichspolitische Zielsetzungen (redistributive Funktion). Die Verteilung der Finanzausgleichsmittel erfolgt im Allgemeinen über drei verschiedene Zuweisungsarten: Der größte Teil wird in Form sog. Schlüsselzuweisungen vergeben. Es handelt sich dabei um von den Kommunen frei verfügbare Finanzmittel, deren Verteilung nach Maßgabe des Finanzbedarfs und der Finanzkraft der einzelnen Kommune erfolgt. Von geringerer Bedeutung sind die - ebenfalls frei verfügbaren - sonstigen allgemeinen Zuweisungen. Diese werden (meist als Pauschalbeträge) nur nach Bedarfsgesichtspunkten, nicht aber in Abhängigkeit von der Finanzkraft verteilt. Schließlich erhalten die Kommunen auch zweckgebundene Zuweisungen. Diese Finanzmittel werden mit detaillierten Verwendungsauflagen verknüpft und insbesondere zur 1283 Schuppert, in: Umbach / Clemens (FN 1216), Art. 106 Rn. 29. 1284 BVerfGE 23, 353 (369). 21*

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10. Kap.: Umweltgerechtigkeit im Schadensersatz-, Steuer- und Finanzrecht

Förderung in vesti ver Vorhaben der Kommunen (z. B. in den Bereichen ÖPNV, Krankenhäuser, Kindertagesstätten), aber auch zur Behebung von Umweltlasten eingesetzt. Während die meisten Finanzausgleichsgesetze bzw. Gemeindefinanzierungsgesetze der Länder nur finanzielle Ausgleichszahlungen für den Bau und die Unterhaltung von Theatern, Schulen, Straßen, sozialer Dienste u.s.w. vorsehen, finden sich im Gesetz zur Regelung der Zuweisungen des Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeinde verbände im Haushaltsjahr 2003 (Gemeindefinanzierungsgesetz - GFG 2003) zwei vorbildliche Bestimmungen zum Ausgleich ökologischer Lasten: „§ 27 Zuweisungen zur ökologischen Gestaltung im Emscher-Lippe-Raum Zur Förderung von Maßnahmen der ökologischen Gestaltung im Emscher-Lippe-Raum einschließlich von Pflegemaßnahmen zur endgültigen Herstellung geförderter Projekte werden den im Einzugsgebiet liegenden Gemeinden und Gemeindeverbänden 11.600.000 EUR zur Verfügung gestellt. § 28 Zuweisungen zur Gefährdungsabschätzung und Sanierung von Altablagerungen und Altstandorten Für Zuweisungen zur Förderung von Gefährdungsabschätzungen und Sanierungen von Altablagerungen und Altstandorten werden den Gemeinden und Gemeindeverbänden 7.507.000 EUR zur Verfügung gestellt." 1285

687

Dieses Beispiel zeigt, dass die Idee finanzieller Ausgleichsleistungen an überproportional unter Umweltlasten leidende Gemeinden im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs nicht nur theoretisch umsetzbar ist, sondern auch schon praktiziert wird. Die ausgleichspolitische Zielsetzung des kommunalen Finanzausgleichs lässt sich im Gegensatz zum Länderfinanzausgleich nicht auf die aus dem Bundesstaatsprinzip abgeleitete Verpflichtung des bündischen Einstehens füreinander stützen. 1286 Sie kann aber aus dem Sozialstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 1 GG i.V. m. Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG und aus dem verfassungsrechtlich verankerten Ziel der Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse (Art. 72 Abs. 2, Art. 106 Abs. 3 S. 4 Nr. 2 GG) abgeleitet werden. Diese beiden verfassungsrechtlich gebotenen Ziele setzten dem Umfang interkommunaler Transferleistungen zum Ausgleich raumordnungspolitischer und ökologischer Unterschiede jedoch auch Grenzen. Denn weder die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse noch das Sozialstaatsprinzip verlangen eine absolute Angleichung der äußerlichen Lebensbedingungen zwischen den unterschiedlichen Teilräumen der Bundesrepublik Deutschland.

1285 Vgl. Auf der Homepage des Innenministeriums Nordrhein-Westfalen: , zuletzt abgerufen am 4. 12. 2005. 1286 Vgl. BVerfGE 72, 330 (386).

III. Kollektive Kompensation im Rahmen der föderalen Finanzordnung

e) Sonderlastenausgleich

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nach Art. 106 Abs. 8 GG

Veranlasst der Bund in einzelnen Ländern, Gemeinden oder Gemeindeverbän- 688 den besondere Einrichtungen, die mit unzumutbaren Mehrausgaben oder Mindereinnahmen (Sonderbelastungen) verbunden sind, muss er nach Art. 106 Abs. 8 GG den erforderlichen Ausgleich leisten. Die Vorschrift zielt auf den Ausgleich von Mehrausgaben oder Mindereinnahmen und damit auf finanzielle Einbußen ab. Finanzielle Nachteile können sich aber auch aus der Platzierung umweltbelastender Einrichtungen zumindest mittelbar ergeben ζ. B. in Gestalt von Kosten für Ausgleichsmaßnamen oder von steuerlichen Mindereinnahmen durch den Fortzug einkommensstarker Einwohner. Umstritten ist, ob unter den Einrichtungen i. S. d. Art. 106 Abs. 8 S. 1 GG auch die Einrichtungen des Bundes selbst (ζ. B. Bundesbehörden, Kasernen, Truppenübungsplätze) subsumiert werden können, 1287 oder ob es sich um Einrichtungen, Anlagen oder Maßnahmen der Länder und Gemeinden handeln muss, die in Zusammenhang mit der Errichtung, Erweiterung oder Unterhaltung von Bundesbehörden oder -betrieben stehen. 1288 Dieser Meinungsstreit kann im Fall des Ausgleichs für umweltbelastende Einrichtungen des Bundes wie z.B. dem Betrieb des Luft-/Boden-Schießplatzes in Kyritz-Ruppiner Heide (sog. Bombodrom) dahinstehen. Denn da ein Ausgleich nur für finanzielle Sonderbelastungen gewährt wird, müssen die von einer Bundeseinrichtung ausgehenden Umweltbelastungen in jedem Falle erst durch Folgemaßnahmen der betroffenen Gebietskörperschaft unmittelbar in Belastungen finanzieller Art transformiert werden. Von der tatbestandlich geforderten Unmittelbarkeitsbeziehung ist auszugehen, wenn die betroffene Gebietskörperschaft nach pflichtgemäßen Ermessen keine Wahlmöglichkeit mehr hat, ob sie die Sonderbelastung eingehen will. Sie müssen eine „direkte und unausweichliche Folge der Einrichtung" darstellen. 1289 Darunter fallen z. B. Kosten für die Erschließung von Grundstücken für Bundeseinrichtungen, erhöhte Kosten für Straßenbaumaßnahmen infolge militärischer Inanspruchnahme 1 2 9 0 und auch Kosten für die Abmilderung von Umweltbelastungen. Einnahmeausfälle werden nur berücksichtigt, wenn sie von der Einrichtung unmittelbar verursacht werden und die Einnahmen ohne die Einrichtung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von der betroffenen Gebietskörperschaft erzielt worden wären. 1291 Als unmittelbare Mindereinnahmen werden die Grundsteuerausfälle angesehen, die aufgrund der Bewertungsabschläge für Grundstücke in der Nähe von umweltbelastenden Bundeseinrichtungen (ζ. B. Militärflughäfen) ent-

1287 So Heintzen, in: v. Münch/Kunig (FN 1263), Art. 106 Rn. 57. 1288 So Vogel/Walter, in: Dolzer/Vogel/Graßhof (FN 1259), Art. 106 Rn. 139 f.; KyrillA.Schwarz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (FN 1269), Art. 106 Rn. 151. 1289 Ruhe, in: Seifert/Hömig (Hg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Taschenkommentar, 7. Aufl. 2003, Art. 106 Rn. 24. 1290 Vogel/Walter, in: Dolzer /Vogel/Graßhof (FN 1259), Art. 106 Rn. 144. 1291 BVerwG, DVB1. 1994, 865; Maunz, in: Maunz/Dürig (Hg.), Grundgesetz. Kommentar, Art. 106 Rn. 104.

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10. Kap.: Umweltgerechtigkeit im Schadensersatz-, Steuer- und Finanzrecht

stehen, da gemäß § 82 BewG ein Anspruch der Grundsteuerpflichtigen auf die Abschläge besteht. 1292 Dagegen dürften Einkommenssteuerausfälle durch den Wegzug einkommensstarker Einwohner wohl nur als mittelbare Mindereinnahmen anzusehen sein, da der Fortzug noch von der freien Entscheidung der einzelnen Einwohner abhängt.

3. Honorierung ökologischer Ausgleichsfunktionen im bundesstaatlichen Finanzausgleich 689

Regionale strukturelle und ökologische Defizite gehen häufig, aber nicht notwendig miteinander einher. Es gibt in Deutschland auch das Phänomen, dass wirtschaftlich schwache Regionen ökologisch überdurchschnittliche Qualitäten aufweisen. So gehört beispielsweise Mecklenburg-Vorpommern zu den wirtschaftlich rückständigsten Regionen der Bundesrepublik. Das Bruttoinlandsprodukt lag hier 2001 mit 16.100 € nach Sachsen-Anhalt auf dem vorletzten Platz. Dafür weist dieses Bundesland den größten Anteil an Freiflächen mit Erholungswert auf (Ostseeküste, Mecklenburgische Seenplatte).1293 Bezogen auf die Landesfläche liegt Mecklenburg-Vorpommern beim prozentualen Anteil an Gebietsmeldungen nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 92/43/EWG (sog. Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie) für die Einrichtung des europaweiten zusammenhängenden Netzes von ökologischen Schutzgebieten mit der Bezeichnung Natura 2000 über dem Länderdurchschnitt und beispielsweise vor Bayern. 1294 Bei den Gebietsmeldungen gemäß Art. 4 der Richtlinie 79/409/EWG (sog. Vogelschutz-Richtlinie) liegt MecklenburgVorpommern mit 11,2 Prozent des Anteils an der Landesfläche sogar mehr als das Doppelte über dem Durchschnitt von 5,7 Prozent (Bayern: 5,3 Prozent, BadenWürttemberg: 4,9 Prozent). 1295 Mecklenburg-Vorpommern übernimmt damit wichtige ökologische Funktionen im gesamtstaatlichen Interesse. Eine vergleichbare Konstellation zeigt sich auf regionaler Ebene zwischen wirtschaftlich prosperierenden städtischen Ballungszentren und den ökologisch weniger belasteten, aber häufig strukturschwachen land- und forstwirtschaftlich geprägten Regionen. Im Falle ihrer überdurchschnittlichen Ausstattung mit intakten Umwelt-, Natur- und Landschaftsressourcen könnte eine besondere Förderungsbedürftigkeit strukturschwacher Länder und Kommunen unter dem Gesichtspunkt einer verteilungsgerechten Umweltlasten- und Umweltnutzenverteilung abzulehnen sein. 1292 Maunz, in: Maunz/Dürig (FN 1291), Art. 106 Rn. 106; dazu eingehend siehe oben II.3. 1293 Berlin-Institut für Weltbevölkerung und globale Entwicklung (FN 1244), S. 36 ff. („Mecklenburg-Vorpommern - Das wichtigste Kapital sind die Leere und die Landschaft"). 1294 Vgl. die „Übersicht über bereits gemeldete und zu Nachmeldung vorgesehene FFHGebiete getrennt nach Bundesländern und AWZ" des Bundesamtes für Naturschutz unter: , letzter Aufruf am 4. 12. 2004. 1295 Vgl. die „Übersicht über die Vogelschutzgebiete (SPA) in Deutschland": chttp:// www.bfn.de/03/meldestand_spa.pdf >, letzter Aufruf am 4. 12. 2004.

III. Kollektive Kompensation im Rahmen derföderalen Finanzordnung

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Die ländlichen Räume leisten für die Ballungszentren Erholungs- und Erlebnis- 690 funktionen und übernehmen ökologisch wichtige Ausgleichsfunktionen für die Erhaltung der biologischen Vielfalt, für die Sauerstoffproduktion und Luftreinhaltung, für die Funktionsfähigkeit des Wasserhaushaltes, insbesondere hinsichtlich der Grundwasserneubildung, usw. Von dieser Seite betrachtet stellt es ein Gebot der Umweltgerechtigkeit dar, dass die Wahrnehmung der ökologischen Wohlfahrts- und Ausgleichsfunktionen von den profitierenden Ballungsräumen nicht unentgeltlich in Anspruch genommen, sondern entsprechend entlohnt wird. Im Rahmen der bestehenden Wirtschafts- und Finanzpolitik besteht aus regionalpolitischer Sicht ein starker Anreiz zur gewerblich-infrastrukturellen Ausweisung und Nutzung von Gemeindeflächen, um materiellen und finanzpolitischen Zielsetzungen auf der kommunalen Ebenen entsprechen zu können (Schaffung von Arbeitsplätzen und Wohnraum, Budgeteinnahmen durch Einkommenssteueranteil sowie Gewerbe- und Grundsteuer). Solange selbst in den hochentwickelten Industrieländern Wohlstand und Lebensstandard noch schwerpunktmäßig vom Wachstum überwiegend umweltbelastender wirtschaftlicher Aktivitäten abhängen, besteht die Tendenz zu steigendem Umweltverbrauch durch zunehmende Bodenversiegelung, steigenden C02-Ausstoß, Gewässerverschmutzung etc. Um den Wettbewerb und die Ansiedlung umweltbelastender Industrien zu stoppen oder zumindest zu bremsen, sollte der bundesstaatliche Finanzausgleich eine dauerhaft umweltgerechte Landnutzung honorieren und umweltschonende Investitionen fördern. Regionen und Gemeinden, die im Rahmen einer nachhaltigen Entwicklung ökonomische Beschränkungen, ζ. B. durch Verzicht auf umweltbelastende Gewerbe- und Industrieansiedlung, hinnehmen, sollten die hierdurch entstehenden Opportunitätsverluste im Rahmen des bundesstaatlichen Finanzausgleichs ausgeglichen bekommen. Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen hat bereits 1996 in seinem Sondergutachten „Konzepte einer dauerhaft umweltgerechten Nutzung ländlicher Räume" angesichts der regional unterschiedlich verteilten Umweltleistungen und -lasten konkrete Vorschläge für eine ökologisch orientierte Erweiterung des Finanzausgleichs gemacht, um entsprechend zu den klassischen Kompensationsmechanismen für die sozioökonomischen Leistungen zentraler Orte auch die Umweltfunktionen und -leistungen der ländlichen Räume zu honorieren. 1296 Nach den Vorschlägen des Umweltrates könnte der Bund bei der Zuteilung von Finanzmitteln an die Länder auf die Vollzugsdefizite bei Umweltschutzgesetzen und -Verordnungen, die Fläche national und supranational bedeutender Schutzgebiete, die Landesgrenzen überschreitenden Schadstoffströme, die land- und forstwirtschaftliche Nutzfläche sowie die Einwohnerzahlen abstellen. Die Zuweisungen der Länder an die Gemeinden sollten sich nach sog. „Ökopunkte"-Katalogen richten. Zur Aufstellung dieser Kataloge würden ökologische Leistungen der Kommunen und kommunale Grenzen überschreitende Umweltbelastungen mit einer bestimmten Anzahl von Positv- bzw. Negativpunkten ver1296 Der Rat von Sachverständigenßr

Umweltfragen

(FN 1251), S. 100 ff.

328

10. Kap.: Umweltgerechtigkeit im Schadensersatz-, Steuer- und Finanzrecht

sehen. In regelmäßigen Abständen würde ein bestimmter Geldwert pro Punkt politisch festgelegt. Die Höhe der Finanzzuweisungen an eine Kommune soll sich dann nach der Summe der von ihr erzielten Punkte richten, wobei aber zumindest in der Anlaufphase eines ökologischen Finanzausgleichs keine Gemeinde zuzahlen müssen soll, falls die Ökobilanz negativ ausfallt. 1297 Nach Ansicht des Sachverständigenrates für Umweltfragen wird eine an ökologischen Kriterien ausgerichtete Finanzpolitik bei den Kommunen die Motivation hervorrufen, auf positive erfassbare Umweltveränderungen und auf den Schutz der Ressourcen im Gemeindegebiet aktiv hinzuwirken. 1298 Darüber hinaus würden die Umweltleistungen an Hand methodisch einheitlicher kommunaler Umweltbilanzen offengelegt. Diese gemeindebezogene Bestandsaufnahme und flächendeckende Erfassung der Umweltleistungen und -belastungen (kommunale Umweltbilanz) könnte nach Einschätzung des Sachverständigenrates eine wichtige Grundlage für Analysen (ζ. B. ökologische Gesamtrechnung), Planungen und für Erfolgskontrollen nicht nur auf Gemeindeebene darstellen. 1299 4. Ergebnis 691

Trotz der von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in ihrer Koalitionsvereinbarung vom 16. 10. 2002 verabredeten ökologischen Finanzreform, 1300 fördern nach wie vor viele Steuer- und subventionspolitische Maßnahmen umweltbelastende Aktivitäten und verschärfen damit die ungleiche Umweltlasten- und Umweltgüterverteilung im Gesamtraum der Bundesrepublik Deutschland. Es wäre daher erforderlich, umweltbelastende Güter und Verhaltensweisen noch stärker durch Abgaben und Steuern zu verteuern und umweltschädliche Subventionen und Steuervergünstigungen konsequenter abzubauen. Dies darf aber nicht dazu führen, dass sich die räumlich-strukturellen Gegensätze weiter verschärfen und insbesondere die sozial schwächeren Bevölkerungsteile noch weiter belastet werden. Umweltgerechtigkeit verlangt eine Politik, die sowohl ökologischen als auch sozialen Belangen gerecht wird. Darüber hinaus ist nach dem Prinzip der nachhaltigen Entwicklung auch ökonomischen Interessen Rechnung zu tragen. Die Verwendung des Ökosteueraufkommens für die Stabilisierung der Rentenversicherungsbeiträge weist in die richtige Richtung, greift aber in der aktuellen Ausgestaltung zu kurz.

692

In der gegenwärtigen Ausgestaltung der Finanzverfassung spielen ökologische Zielsetzungen nur eine periphere Rolle. Veranlasst der Bund umweltbelastende Anlagen und Investitionen können im Hinblick auf die damit verbundenen Kosten Zahlungen des Bundes aufgrund der Art. 104a Abs. 4, 106 Abs. 8 GG möglich werden. Entsprechend der unterschiedlichen Naturraumpotentiale und regionalen 1297 Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen (FN 1251), S. 101. 1298 Der Rat von Sachverständigenßr Umweltfragen (FN 1251), S. 102. 1299 Der Rat von Sachverständigen ßr Umweltfragen (FN 1251), S. 102. 1300 SPD/BÜNDNIS 90/DEE GRÜNEN (FN 1247), S. 21; Bundesministerium ßr Umwelt, Entwicklung und Reaktorsicherheit (FN 1247), S. 18 f.

III. Kollektive Kompensation im Rahmen der föderalen Finanzordnung

329

Entwicklungsunterschiede sind Umweltbelastungen und -leistungen in Deutschland vor allem regional unterschiedlich verteilt. Das Kernanliegen der Forderung nach Umweltgerechtigkeit besteht darin, einen Ausgleich bei der ungleichen Verteilung von Umweltlasten und -nutzen herbeizuführen. Auf verfassungsrechtlicher Ebene verlangt das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) und die Formel von der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Rahmen des bundesstaatlichen Finanzausgleichs (Art. 106 Abs. 3 S. 4 Nr. 2 GG) strukturelle und sozioökonomische Disparitäten im Gesamtraum der Bundesrepublik Deutschland auszugleichen. Allerdings setzt das ebenfalls verfassungsrechtlich verankerte Prinzip des föderalistischen Staatsaufbaus und das Umweltschutzgebot des Art. 20a GG einer Nivellierung der natürlich gegebenen und historisch gewachsenen regionalen Unterschiede in der naturräumlich-ökologischen Ausstattung Grenzen. Nach Ansicht des Rates der Sachverständigen für Umweltfragen werden unter Berücksichtigung der verschiedenen konkurrierenden Raumnutzungsansprüche Umwelt- und Naturschutzleistungen und wirtschaftliche Nutzungen gerade in dicht besiedelten Ländern wie der Bundesrepublik Deutschland in Abhängigkeit von den spezifischen regionalen Naturraumpotentialen und Entwicklungszielen entsprechend unterschiedliche Bedeutung in einzelnen Regionen haben müssen. 1301 Aus der Notwendigkeit zur differenzierten Landnutzung und der Nutzungskonkurrenz in jeder Einzelregion folge, dass sowohl Umweltbelastungen als auch Umweltleistungen regional unterschiedlich verteilt sind und auch zukünftig bleiben werden. 1302 Dies kann aber nicht bedeuten, dass bei einem kommunale Grenzen überschreitenden Auseinanderfallen von Nutzen und Lasten umweltbelastender Aktivitäten bzw. bei der Erbringung von Umweltleistungen kein finanzieller Ausgleich von Seiten der Nutznießer an die Lastenträger zu gewähren wäre. Vielmehr ist es ein Gebot ausgleichender Gerechtigkeit, die Lastentragung bzw. Leistungserbringung für andere ausgeglichen bzw. honoriert zu bekommen. Während im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs teilweise für den Ausgleich ökologischer Sonderlasten zweckgebundene Zuweisungen in den Finarizausgleichsgesetzen bzw. Gemeindefinanzierungsgesetzen der Länder vorgesehen sind, findet der Gedanke einer Honorierung ökologischer Leistungen überhaupt keine Berücksichtigung. Insgesamt bietet die geltende Finanzverfassung keine ausreichenden Möglichkeiten zur Kompensation einer ungleichen Umweltnutzen- und Umweltlastenverteilung. Vorstellbar wäre freilich eine Verfassungsänderung, die ökologische Belastungen bzw. Leistungen beziffert und in den Verteilungsmechanismus der Finanzverfassung inkorporiert. Die gegenwärtig diskutierte Reform des bundesdeutschen Föderalismus, in deren Rahmen auch die Finanzverfassung auf den Prüfstand gestellt wird, bietet die Chance zu einer behutsamen Ökologisierung der Finanzverfassung. Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen hat ein Ökopunkte-Modell vorgeschlagen, mit dem Gemeinden, die Umweltleistungen von überregionalem Nut1301 Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen (FN 1251), S. 100. 1302 Der Rat von Sachverständigenßr Umweltfragen (FN 1251), S. 100.

330

10. Kap.: Umweltgerechtigkeit im Schadensersatz-, Steuer- und Finanzrecht

zen erbringen, finanziell entschädigt und Gemeinden mit wirtschaftlichen Aktivitäten, deren Nutzen regional lokalisiert ist (Arbeitsplätze und Steuereinnahmen durch Industriebetriebe), die entstehenden Umweltbelastungen aber überregionalen Charakter haben (Luftverschmutzung, Gewässerverunreinigung), zum Ausgleich verpflichtet werden. 1303 Literatur Ahlheim, Ökosteuer - Idee und Wirklichkeit, in: Rose (Hg.), Integriertes Steuer- und Sozialsystem, 2003, S. 242 ff.; Berlin-Institut fiir Weltbevölkerung und globale Entwicklung (Hg.), Deutschland 2020 - Die demografische Zukunft der Nation, 2004; Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider/Stein (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Loseblatt, Stand: Aug. 2002; Bundesministerium der Finanzen (Hg.), Neunzehnter Subventionsbericht. Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes und der Steuervergünstigungen für die Jahre 2001 -2004, 2003; Bundesministerium für Umwelt, Entwicklung und Reaktorsicherheit (Hg.), Die ökologische Steuerreform: Einstieg, Fortführung und Fortentwicklung zur Ökologischen Finanzreform, 2004; Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, Konzepte einer dauerhaft-umweltgerechten Nutzung ländlicher Räume, Sondergutachten 1996, BT-Drs. 13/4109; Frenz, Das ÖkosteuerUrteil und seine Folgen für den Emissionshandel, NuR 2004, 429 ff.; Friedrich, Das Gesetz zur Fortentwicklung der ökologischen Steuerreform, DB 2003, 311 ff.; Jarass/Kloepfer/ Kunig/Papier/Rehbinder/Salzwedel/Schmidt-Aßmann, Umweltgesetzbuch - Besonderer Teil, 1994; Kloepfer, Finanzverfassung, Finanzausgleich, in: Evangelisches Staatslexikon, 3. Aufl. 1987; ders., Umweltrecht, 3. Auflage 2004; SPD/BÜNDNIS 90/Die Grünen, Koalitionsvertrag. Für ein wirtschaftlich starkes, soziales und ökologisches Deutschland. Für eine lebendige Demokratie, 2002; v. Mangoldt/Klein/Starck (Hg.), Bonner Grundgesetz. Kommentar, 4. Aufl. ab 2000; Maunz/Dürig (Hg.), Grundgesetz. Kommentar, Loseblatt, Stand: 43. EL Feb. 2004; Meißner, Die Änderungen des „Gesetzes zur Fortentwicklung der ökologischen Steuerreform" - Auswirkungen für Versorger und Verbraucher, BB 2003, S. 549 ff.; v. Münch/Kunig (Hg.), Grundgesetz-Kommentar, 5. Aufl. ab 2000; Schröter, Interessante Denkansätze - Perspektiven für die Zukunft der Raumplanung?, (letzter Aufruf am 5. 12.2005); Seifert/Hömig (Hg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Taschenkommentar, 7. Aufl. 2003; Dolzer/Vogel/Graßhof (Hg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Loseblatt, Stand: Dez. 2004; Umbach/Clemens (Hg.), Grundgesetz. Mitarbeiterkommentar, 2002; Wernsmann, Viel Lärm um nichts? - Die Ökosteuer ist verfassungsgemäß, NVwZ 2004, 821 ff.

1303 Der Rat von Sachverständigen ßr Umweltfragen

(FN 1251), S. 100 ff.

1.

Kapitel

Gesamtergebnisse I. Verteilungs- und Verfahrensgerechtigkeit im Umweltrecht Insgesamt ist die Festlegung allgemeiner materieller Gerechtigkeitskriterien wie 693 ζ. B. arithmetische oder proportionale Gleichheit, das Verursacherprinzip, das Prinzip der Leistungsfähigkeit sowie das der Nachhaltigkeit, für die Beurteilung einer gerechten Verteilung von Umweltlasten und -nutzen gerade in einer pluralistischen Gesellschaft wie in den USA oder der Bundesrepublik Deutschland schwierig. Wenn auch die allgemeine Festlegung von Kriterien zur Herstellung sowohl 694 räumlicher als auch sozialer Verteilungsgerechtigkeit von Umweltlasten aufgrund der jeweiligen bereichsspezifischen Besonderheiten schwer fällt, so muss - wenn wenigstens die Möglichkeit einer Berücksichtigung von Verteilungsaspekten im Einzelfall bestehen soll - zumindest eine den einschlägigen Kriterien entsprechende Verfahrensausgestaltung unter Beteiligung der betroffenen Bevölkerung gewährleistet werden. Verfahrensgerechtigkeit ist wesentliches Element einer Verteilungsentscheidung, da sie deren Akzeptanz steigern kann, auch wenn keine Einigung über materielle Gerechtigkeitskriterien besteht. Verfahrensgerechtigkeit kann auch dazu dienen, materielle Kriterien überhaupt erst zu ermitteln. Grundvoraussetzung für ein faires Verfahren ist eine umfassende Beteiligung der (betroffenen) Öffentlichkeit. Eine Öffentlichkeitsbeteiligung im Zulassungsverfahren und neuerdings auch bei der Aufstellung von Plänen und Programmen ist in Deutschland zumindest in Bezug auf die Umweltauswirkungen eines Projekts nicht zuletzt aufgrund europarechtlicher Vorgaben (UVP-Richtlinie, SUP-Richtlinie, Richtlinie 2003/35/EG) und deren jedenfalls teilweise erfolgte Umsetzung in nationales Recht (UVPG i. d. F. v. 25. Juni 2005, BGBl. I, S. 1757) gewährleistet. Im Rahmen des Standortauswahl Verfahrens für ein atomares Endlager, wie es 695 vom Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte (AkEnd) vorgeschlagen wird, finden Aspekte der Verfahrensgerechtigkeit weitgehende Berücksichtigung (vergleichende Standortauswahl unter Bestimmung von Entwicklungspotentialen einer Region mit Hilfe von planungswissenschaftlichen und sozioökonomischen Kriterien; Abstellen auf die Beteiligungsbereitschaft der Bevölkerung; hohe Anforderungen an die Verfahrensausgestaltung der Standortsuche selbst). Es ist jedoch unklar, ob und inwieweit das vom AkEnd vorgeschlagene, insoweit vorbildliche Verfahren tatsächlich umgesetzt wird.

332

11. Kap.: Gesamtergebnisse

II. Environmental Justice in den USA 696

Das Office of Environmental Justice der Environmental Protection Agency definiert Umweltgerechtigkeit als die faire Behandlung und die wirkungsvolle Einbeziehung aller Menschen unabhängig von Rasse, nationaler Herkunft, Einkommen und Bildungsstand bei der Entwicklung, Anwendung und Durchsetzung von Umweltgesetzen, Umweltverordnungen und Umweltpolitiken. Eine faire Behandlung setzt voraus, dass keine Bevölkerungsgruppe gezwungen sein soll, aus Mangel an politischer oder wirtschaftlicher Einflusskraft einen unverhältnismäßigen Anteil an Umweltlasten und -risiken auf sich zu nehmen. Wirkungsvolle Einbeziehung bedeutet, dass erstens potenziell betroffene Anwohner eine angemessene Teilhabemöglichkeit bei Entscheidungen über beantragte Aktivitäten haben, die ihre Umwelt oder Gesundheit beeinträchtigen können, zweitens die Mitwirkung der Öffentlichkeit die Entscheidung der Aufsichtsbehörde beeinflussen kann, drittens die Belange aller Beteiligten im Entscheidungsprozess berücksichtigt werden und viertens die Entscheidungsträger die potentiell Betroffenen herausfinden und deren Beteiligung an den Plan- oder sonstigen Verfahren ermöglichen.

697

Robert Bullard, eine der führenden Persönlichkeiten der Environmental JusticeBewegung in den USA, fordert neben der Subjektivierung des Rechts auch den Verzicht auf Diskriminierungsabsichten sowie eine Beweislastumkehr bei der Darlegung ungleicher Verteilungseffekte.

698

Im Mittelpunkt der Environmental Justice-Problematik steht die Berücksichtigung sozialer Belange bei der Anlagenplatzierung. Hier wird insbesondere vermehrt über die Berücksichtigung entsprechender Belange durch die Stärkung der Beteiligungsrechte der Bürger im Rahmen des Genehmigungsverfahrens nachgedacht.

699

Zunehmend werden Gerechtigkeitsaspekte aber darüber hinaus auch in anderen Bereichen relevant. Es geht nicht mehr nur um eine möglichst gerechte Platzierung von Anlagen, sondern auch um die Verteilung der Auswirkungen bereits errichteter Anlagen. Auch die entsprechende Ausgestaltung des Handels mit Emissionszertifikaten erlangt dabei Bedeutung für eine Verteilung von Umweltbelastungen. Zudem finden Environmental Justice-Belange Eingang in die Altlastenproblematik und die Diskussion um die Dekontaminierung von ehemals industriell genutzten Gebieten. Hier finden sich teilweise innovative Ansätze zur Regelung verschiedener Aspekte von Verteilungsgerechtigkeit.

700

Die rechtliche Durchsetzbarkeit von Environmental /wsf/ce-Forderungen in den USA ist begrenzt, da bestehende Ansatzmöglichkeiten restriktiv ausgelegt werden. Erfolge der betroffenen Bürger sind daher die Ausnahme. Das Urteil des Supreme Court im Fall Alexander v. Sandoval verdeutlicht die stark restriktive Tendenz der Rechtsprechung bei der Gewährung effektiven Rechtsschutzes für den Einzelnen.

701

Es wird außerdem deutlich, dass eine effektive Durchsetzung von Gerechtigkeitsbelangen über die allgemeinen Diskriminierungsvorschriften wie ζ. B. Title

III. Umweltgerechtigkeit in Deutschland

333

V I des Civil Rights Act nicht erreicht werden kann. Eine wesentliche Forderung der Environmental /wsf/ce-Bewegung ist deshalb die Aufnahme von Vorschriften zur Berücksichtigung von Gerechtigkeitsaspekten in die Umweltgesetze selbst, d. h. insbesondere in die für die Genehmigungsverfahren relevanten Vorschriften. Dabei kommen mehrere rechtliche Möglichkeiten in Betracht, um Environmen- 702 tal Justice-Belange zu berücksichtigen. Am häufigsten sind nach außen unverbindliche Verwaltungsvorschriften, die den Behörden in allgemeiner Form die Berücksichtigung vorschreiben. Am anderen Ende des Spektrums steht die rechtliche Vermutung gegen neue Anlagen in Arkansas. Daneben gibt es Ansätze, Environmental Justice über die verfahrensrechtliche Seite zu berücksichtigen.

I I I . Umweltgerechtigkeit in Deutschland 1. Generelle Feststellungen Vorweg ist festzuhalten, dass das wichtigste Ziel jeglicher Umweltpolitik eine 703 Reduktion der Umweltlasten und damit der umweltbedingten Erkrankungen bleiben muss. Entsprechende Erfolge des Einsatzes von Umweltinstrumenten hat es gerade auch in Gebieten, die hauptsächlich von Personen der unteren sozialen Schichten bewohnt werden, bereits gegeben - so z. B. im Hinblick auf die Verringerung der durch Schadstoffexpositionen in der Außenluft verursachten Gesundheitsschäden. Beispielsweise konnte infolge der Luftreinhaltepläne für besonders belastete Regionen der alten Bundesländer ein deutlicher Rückgang der Emissionen von S0 2 und Staub und deren Immissionen flächendeckend festgestellt werden. Trotzdem bleibt, solange Maßnahmen zum Schutz der Umwelt zwar zu einer 704 Verbesserung der Umweltsituation, nicht aber zu einer Lösung des Umweltproblems führen, das Verteilungsproblem in Bezug auf diese Lasten erhalten. Das Problem der gerechten Verteilung von Umweltlasten und -kosten wird in Deutschland dabei bisher weitaus weniger diskutiert als in den USA. Ein wesentlicher Grund dafür liegt darin, dass sich die Umweltbedingungen und auch die Auswirkungen umweltpolitischer Maßnahmen auf einzelne soziale Schichten in Deutschland und den USA wesentlich unterscheiden. In Deutschland wurde ein homogeneres, ziemlich flächendeckendes Netz von umweit- und gesundheitsbelastenden Anlagen wie Autobahnen, Deponien und Müllverbrennungsanlagen geschaffen. Zudem ist die sozialräumliche Entmischung der Bevölkerung hier geringer als in den USA. Ferner findet in Deutschland eine stärkere Stadt- und Regionalplanung statt, und auch darüber hinaus bestehen wesentliche umweit- und sozialpolitische Unterschiede. Insofern wäre die Behauptung einer massiven und bewussten Ungleichbehandlung, wie sie im Rahmen der Environmental Justice-Bewegung für die USA erhoben wird, für Deutschland nicht haltbar.

334

11. Kap. : Gesamtergebnisse

2. Deutsche Rechtsordnung und ökologische Verteilungsgerechtigkeit 705

Die Gerechtigkeit umweltpolitischer Verteilungsentscheidungen sowie der Verfahrensausgestaltung im Umweltbereich wird aber auch in Deutschland, und zwar besonders im Rahmen der Platzierung umweltbelastender punkt- oder linienförmiger Anlagen wie beispielsweise Abfallbeseitigungsanlagen, Atomanlagen oder Fernstraßen zunehmend zum Thema. Die auch hier bestehenden, insbesondere von der sozialmedizinischen Forschung festgestellten sozialen Ungleichheiten in Bezug auf umweltbedingte Erkrankungen und die Tatsache, dass die unteren sozialen Schichten einerseits in größerem Umfang im Umfeld von Verkehrswegen und umweltgefährdenden Anlagen wohnen und andererseits in geringerem Maße an der Umweltnutzung teil haben, bieten auch für Deutschland Anlass zu einer Untersuchung der rechtlichen Möglichkeiten einer Einbeziehung von sozialen Belangen bzw. Gerechtigkeitserwägungen bei der Standortauswahl für Großvorhaben.

706

Strikte arithmetische Gleichheit im Sinne der gleichen Belastung aller Räume und Menschen mit Umweltlasten ist nicht möglich und aus rechtlichen und ökologischen Gründen auch nicht erstrebenswert. In der Raumordnung steht zum Beispiel das grundlegende Konzept der zentralen Orte dagegen. Zudem hat Umweltschutz in letzter Zeit verstärkt die Definition besonders geschützter Räume zum Gegenstand, deren Zweck gerade darin besteht, bessere Umweltbedingungen als andere Räume zu haben.

707

in Deutschland sind die Standortentscheidungen für umweltbelastende Anlagen in ein abgestuftes und ausdifferenziertes System räumlicher Planung eingebettet. Insbesondere der Grundsatz der Raumordnung, ausgeglichene ökologische Verhältnisse herzustellen (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 ROG), zielt unmittelbar auf die Herstellung dieser ausgeglichenen ökologischen Verhältnisse ab und kann als Manifestation des Umweltgerechtigkeitsgedankens angesehen werden. Leider bleibt in der Praxis die Wirkkraft dieses Postulats aufgrund der Überwindbarkeit der Raumordnungsgrundsätze in nachfolgenden Abwägungs- und Ermessensentscheidungen gering.

708

Im Fernstraßenrecht besteht das Problem, dass die Platzierungsentscheidungen de facto bereits auf einer frühen Planungsstufe getroffen werden. Die räumliche Verteilung ergibt sich dabei vor allem aus der Methodik, mit der Projekte bewertet werden. Diese Methodik enthält entgegen der planerischen Rhetorik keine echten ökologischen Verteilungsgesichtspunkte.

709

Im Genehmigungsrecht für Atomanlagen (wobei es eine Genehmigung neuer Anlagen nach der Novelle des Atomgesetzes von 2002 nicht mehr geben wird) gibt es kaum Möglichkeiten einer vergleichenden Standortbewertung und einer Berücksichtigung von sozialräumlichen Gerechtigkeitsbelangen bei der Entscheidung darüber, wohin eine Anlage gebaut wird. Es handelte sich um eine sog. Unternehmergenehmigung, der keine staatliche vergleichende Standortplanung vorausging, son-

III. Umweltgerechtigkeit in Deutschland

335

dem für deren Erteilung nur das konkrete, vom Antragsteller ausgewählte Projekt auf seine Eignung überprüft wurde. Zudem war zweifelhaft und ungeklärt, inwiefern materielle Kriterien wie etwa die Bevölkerungsdichte, Vorbelastungen, etc. zulässigerweise Berücksichtigung im Rahmen des Genehmigungsverfahrens finden durften. Wegen der wachsenden Bedeutung des Flugverkehrs, der erheblichen Umweltauswirkungen insbesondere in Gestalt von Lärmemissionen und der massiven Bürgerproteste beim Aus- und Neubau von Flugplätzen stellt sich auch im Bereich des luftverkehrsrechtlichen Zulassungsrechts sowie bei der Festlegung der Flugrouten in besonderem Maße die Frage nach einer gerechten Verteilung des Fluglärms. Zwar ist bereits materiell-rechtlich im Rahmen der Abwägungsentscheidung stets der Gesichtspunkt der Verteilungsgerechtigkeit zu berücksichtigen, doch steht dieser Belang im Zweifelsfalle stets hinter den öffentlichen Belangen der Sicherheit und Flüssigkeit des Flugverkehrs zurück und entfaltet faktisch daher kaum substantielle Wirkung. Im Ergebnis findet daher eine substantielle Berücksichtigung des Gerechtigkeitsgedanken lediglich durch die Gewährung einer hinreichenden Verfahrensgerechtigkeit statt.

710

Zudem ist zu beachten, dass sich im Bereich der luftverkehrsrechtlichen Pia- 711 nung - wie im Übrigen auch bei der Planung von ortsfesten Mobilfunkanlagen eine vorhandene Vorbelastung von Baugebieten insoweit schutzmindernd auswirkt, dass im Ergebnis bereits lärm- oder anderweitig belastete Gebiete eher mit weiterem Lärm bzw. im Fall der Mobilfunkanlagen mit Elektrosmog belastet werden als weniger stark belastete Gebiete und es dadurch nicht zu einer Aufteilung der jeweiligen Umweltbelastung, sondern vielmehr zu deren Konzentration kommt. Im Bereich des Kreislauf wirtschafts- und Abfallrechts ermöglicht das Planfeststellungsverfahren bei der Errichtung von Deponien die Prüfung von Standortalternativen. Außerdem gibt es das Prinzip der ortsnahen Abfallentsorgung, das aber wegen der Größe moderner Abfallentsorgungsanlagen die Belastung der betroffenen Umgebung mit ortsfremden Umweltlasten nicht zu vermeiden vermag. Denkbar wäre ein Entsorgungskonzept, das den Begriff „ortsnah" auf die kommunale Ebene bezieht. Auch insoweit ist die fehlende faktische Wirkkraft des Raumordnungsgrundsatzes der Herstellung ausgeglichener ökologischer Verhältnisse zu nennen, der mit anderen Belangen in die Abwägung der Abfallwirtschaftplanung eingeht, aber unter Beachtung der Abwägungsfehlerlehre bei Kollision mit überwiegenden Belangen zurückgestellt werden kann. Damit kommt dem Gesichtspunkt einer gerechten räumlichen Verteilung von Umweltbelastungen bei der Standortauswahl für Abfallentsorgungsanlagen ein relativ schwaches Gewicht zu. Der Handel mit Emissionszertifikaten zum Zwecke des Klimaschutzes betrifft derzeit (noch) nicht die räumliche Verteilung von Umweltqualität, sondern die Verteilung der Kosten des Umweltschutzes. Das wird sich ändern, wenn der Emis-

713

712

336

11. Kap.: Gesamtergebnisse

sionshandel auch auf Gase ausgedehnt wird, die lokale Auswirkungen haben (ζ. B. S0 2 ), denn dann kann es zur Bildung von sog. „hot spots" kommen, Orten mit einer durch den Emissionshandel ausgelösten Schadstoffkonzentration. Die Anrainerbevölkerung eines hot spots wäre dann zwangsläufig stärker von den ausgestoßenen Schadstoffen betroffen als die restliche Bevölkerung. Wird der Emissionshandel dementsprechend erweitert, muss ein Instrumentarium aufgenommen werden, das es ermöglicht, derartigen Konzentrationen vorzubeugen. Dies könnte ζ. B. durch die Einführung von lokal geltenden Emissionsobergrenzen geschehen, in denen u. a. auch auf die Schutzwürdigkeit der einzelnen Gebiete Rücksicht genommen werden kann. 714

Einem konkreten Konzept von „Umweltverteilung" stehen auch methodische Probleme entgegen. Die Umweltqualität von Räumen ist abgesehen von einzelnen Umweltmedien allgemein kaum zu definieren. Die Entwicklung einheitlicher Indikatoren steht noch am Anfang. Ein brauchbarer Indikator könnte daher nicht bei Umweltdaten, sondern bei Menschen ansetzen und auf Gebiete mit mehr umweltbedingten Erkrankungen abstellen.

715

Kompensatorische Maßnahmen können dazu dienen, erkannte Ungleichheiten bei der Verteilung von Umweltbelastungen auszugleichen. Allerdings wäre dabei der Zusammenhang von wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und Umweltbelastung einer Region zu berücksichtigen. Es ist zu bedenken, inwieweitfinanzielle Kompensationsleistungen für umweltbelastenden Maßnahmen ζ. B. im Rahmen des Finanzausgleichs nicht schon durch die wirtschaftlichen Vorteile, die beispielsweise durch die Industrieansiedlung entstehen, anzurechnen sind. Jedenfalls sollten ökologische Leistungen einer Region oder Gemeinde, die einen Verzicht auf wirtschaftliche Entwicklungen bedeuten, finanziell honoriert werden. Eine ökologisch orientierte Erweiterung des Finanzausgleichs könnte solche Faktoren einbeziehen.

IV. Endergebnis 1. Kritische Würdigung der deutschen Rechtslage 716

Die deutsche Rechtslage kann hinsichtlich des Aspekts der Umweltgerechtigkeit nicht mit derjenigen verglichen werden, die zu Beginn der Environmental Justice Diskussion in den USA bestand. In Deutschland sind die Standortentscheidungen für umweltbelastende Anlagen generell in ein abgestuftes und ausdifferenziertes System räumlicher Planung eingebettet, so dass die deutsche Rechtsordnung hinreichende Mittel hat, den Aspekt der Umweltgerechtigkeit im gebührenden Maße zu berücksichtigen. Insbesondere der Grundsatz der Raumordnung, ausgeglichene ökologische Verhältnisse herzustellen (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 Satz 3 ROG), kann als Manifestation des Umweltgerechtigkeitsgedankens angesehen werden. Der Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit ist dabei planungsrechtlich primär im Rahmen von Abwägungs- und Ermessensentscheidungen zu berücksichtigen.

IV. Endergebnis

337

Allerdings stößt die Einstellung des Gerechtigkeitsbelangs innerhalb der vor- 717 zunehmenden Abwägung bzw. der Ermessenausübung auf ein doppeltes Hindernis, das dazu führt, dass die Wirkkraft dieses Postulats auf das Abwägungsergebnis eher gering ist: Zum einen steht der Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit in nachfolgenden Abwägungs- und Ermessensentscheidungen oftmals übergeordneten öffentlichen Belangen dergestalt gegenüber, dass eine Überwindung dieser öffentlichen Belange durch den Gerechtigkeitsaspekt nicht möglich ist. Ein sehr anschauliches Beispiel für eine derartige Konstellation findet sich im Rahmen der luftverkehrsrechtlichen Abwägungsentscheidung. Dort hat der Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit stets zumindest hinter dem öffentlichen Belang der Sicherheit des Luftverkehrs zurückzustehen, so dass Verteilungsfragen nur dann Einfluss auf das Abwägungsergebnis haben können, wenn zwei aus Sicherheitsgesichtspunkten gleichwertige Baugebiete für das Planungsvorhaben zur Verfügung stehen. Zum anderen ist zu beachten, dass die besondere Schutzwürdigkeit bestimmter 718 Baugebiete, wie insbesondere von reinen und allgemeinen Wohngebieten, innerhalb von Abwägungsentscheidungen tendenziell dazu führt, dass neue Umweltlasten in weniger schutzwürdige Baugebiete verschoben und somit bereits vorbelastete Gebiete noch stärker belastet werden, was im Ergebnis zu einer Konzentration von Umweltlasten in bestimmten bereits belasteten Baugebieten und somit zu einer verstärkten Ungleichverteilung dieser jeweiligen Last führt.

2. Schlussfolgerungen Das deutsche Fachplanungsrecht bedarf daher hinsichtlich des Aspekts der Um- 719 weltgerechtigkeit keiner grundlegenden Reform oder Neustrukturierung. Es ist jedoch zu überlegen, ob der Verteilungsgesichtspunkt innerhalb der vor- 720 zunehmenden Abwägungsentscheidungen nicht einen höheren bzw. überhaupt einen anerkannten Stellenwert erlangen sollte. Da eine solche Stärkung jedoch nicht dazu führen darf, dass unüberwindbare öffentliche Belange wie die Sicherheit von Atomanlagen oder des Luftverkehrs eingeschränkt werden, ist eine solche Stärkung zwar nur in engen Grenzen denkbar. Jedoch erscheint es dennoch notwendig, darüber nachzudenken, auf welche Weise der Stellenwert des Aspekts der Umweltgerechtigkeit innerhalb der jeweiligen Abwägungsentscheidungen gestärkt werden kann. Ein Ansatzpunkt ist dabei sicherlich eine Diskussion dahingehend anzustoßen, 721 inwieweit es möglich ist, den Aspekt der Vorbelastung eines bestimmten Baugebiets nicht zu ungunsten, sondern zu Gunsten des Gebiets in die Abwägung einzustellen. Doch sind auch insoweit einer Stärkung des Verteilungsaspekts dadurch Grenzen gesetzt, dass in jedem Fall die besondere Schutzwürdigkeit bestimmter Baugebiete gewahrt und als ein sachlicher Grund für die Besserbehandlung ζ. B. eines reinen Wohngebietes angesehen werden muss. So ist ein reines Wohngebiet hinsichtlich der Wohnqualität richtigerweise generell schutzwürdiger als ein Kern22 Kloepfer

338

11. Kap.: Gesamtergebnisse

oder Mischgebiet. Allerdings führt die momentan fehlende Berücksichtigung des Verteilungsgesichtspunkts dazu, dass diese erhöhte Schutzwürdigkeit dazu führt, dass das weniger schutzwürdige Gebiet weiter belastet wird, bis die Grenze der Zumutbarkeit der Umweltbelastung erreicht ist, während das schutzwürdigere Gebiet überhaupt nicht belastet wird. Insofern könnte ζ. B. neben dem Unzumutbarkeitskriterium ein zweites, vergleichendes Kriterium angewandt werden, was es ermöglicht, dass sich die Belastungsunterschiede zwischen schutzwürdigerem und weniger schutzwürdigen Baugebieten stets in einem bestimmten Rahmen unterhalb der Unzumutbarkeitsschwelle bewegen. Der Einführung eines solchen selbständigen „Verteilungskriteriums" steht aber die Schwierigkeit entgegen, dass zunächst abstrakt festgelegt werden müsste, wie viel schutzwürdiger ein bestimmtes Gebiet gegenüber einem anderen denn ist. Eine solche Entscheidung scheint aber nur im konkreten Einzelfall möglich zu sein, da es ansonsten an exakten Vergleichsparametern fehlt. Daher muss es für eine effektivere Berücksichtigung des Verteilungsaspekts genügen und könnte faktisch wohl auch genügen, wenn der Aspekt der Vorbelastung eines Baugebiets nicht nur rein negativ im Hinblick auf die Schutzwürdigkeit eines Gebietes betrachtet würde, sondern gleichzeitig auch positiv, d. h. für den Schutz des vorbelasteten Gebietes sprechend, in die Abwägungsentscheidung eingestellt würde. In der praktischen Anwendung hieße dies, dass der Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit umso stärker in die Abwägung eingestellt werden müsste umso größer die Diskrepanz zwischen der faktischen Belastung beider Gebiete ist. 722

Ein andere, generell im Planungsrecht anwendbare Reformmöglichkeit bestünde darin, der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 S. 3 ROG versteckten Forderung nach einem Ausgleich der ökologischen Verhältnisse im Rahmen von Abwägungs- und Ermessensentscheidungen in Planungsverfahren mehr Gewicht zu verleihen. Dies könnte dadurch geschehen, dass die Forderung nach einer gerechten Verteilung von Umweltgütern und -lasten in Zukunft ausdrücklich als Ziel der Raumordnung in den Raumordnungsplänen der Länder aufgenommen wird. Ein solches Ziel könnte folgendermaßen formuliert werden:

723

„Der Abbau ungleicher ökologischer Lebensbedingungen soll durch geeignete raumstrukturelle Maßnahmen gefördert und somit eine gerechte Verteilung von Umweltgütern und -lasten erreicht werden. Zu diesem Zweck ist bei raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen die Vorbelastung und Belastungsfähigkeit der Umwelt im betroffenen Einwirkungsgebiet zu berücksichtigen."

Sachverzeichnis (Die Zahlen beziehen sich auf die Randnummern)

Abfall - Endablagerung von - 516 - gefährlicher ~ 96, 502 - mittelradioaktiver - 457 - Nutzbarmachung von ~ 485 - örtlicher - 180 - radioaktiver ~ 399 f., 402, 410, 451, 456, 458, 462,466,475 - schwachradioaktiver ~ 457 - verwertungsfähiger - 500 Abfallbeseitigung 100, 484, 500, 532, 534 ff., 542, 551 - ortsnahe ~ 554 f. - Prinzip der ortsnahen ~ 534, 537, 551 Abfallbeseitigungsanlage 484, 495 f., 498, 505, 507,516,534., 559, 563, 566 f., 705 - Genehmigung von ~ 505,507,540 - geplante - 513 - ortsfeste ~ 542 - Planung von - 505,507 - Platzierung von ~ 497, 504, 519 - Standortauswahl von - 499, 537, 540, 557 - zugelassene ~ 507 Abfallentsorgung 58,77, 233,483, 499,506, 508, 534 ff., 547, 553, 556, 559, 712 - bundeseinheitliche Regelung der - 483 - Dezentralisierung der ~ 555 - Konzentration der ~ 505, 550 - öffentliche ~ 488 - Optimierung der ~ 553 - Umgestaltung der - 484 Abfallentsorgungsanlage 73, 409, 490, 503, 505 ff., 524ff., 534, 547, 557, 566, 658, 712 Abfallentsorgungspflicht für öffentlichrechtliche Körperschaften 484 22*

Abfallexport 501 Abfallpolitik s. Abfallwirtschaftspolitik Abfallrecht 412,712 - europäisches ~ 551 Abfall Verbrennung 491,495 Abfallverbrennungsanlage 487, 494, 504, 524, 568, 684,704 - kostenintensive ~ 493 - moderne ~ 524 - Überkapazitäten bei ~ 493 Abfallvermeidung 492 f. Abfallverwertung 492, 500, 553 Abfallwirtschaft 493, 570 Abfallwirtschaftsplan 508 f., 513, 515, 531, 535, 537, 545 f., 554, 557, 564 f., 578 - Bayern 535 ~ Berlin 535 Abfallwirtschaftsplanung 508,522, 555 - Zweck der ~ 508 Abfallwirtschaftspolitik 499, 505, 555 - Grundsatz der - 554 Abgasbelastung 260 Abgasreinigung - Technik der ~ 524 Abwägung - planungsrechtliche ~ 344 Abwägungsentscheidung 238, 304, 338, 341, 346, 352, 376, 382, 710, 718, 720 f. - luftverkehrsrechtliche - 717 Abwägungsfehlerlehre 552, 712 Abwägungsgebot 278, 280, 288, 305, 374 f., 522 - rechtsstaatliches ~ 344 Abwasserbeseitigung 556 Abwasserbeseitigungsanlage - dezentrale ~ 556 Abwehranspruch - zivilrechtlicher - 5 8 0

340 Aerosole 529 Agenda 21 22 Ahaus 403,418 f.

Sachverzeichnis

Assimilationskapazität 48 Atomanlage 391, 398, 411 f., 425, 439, 705, 709, 720 - Belastung durch ~ 412 AkEnd s. Arbeitskreis Auswahlverfahren - Standortauswahl für - 77 Endlagerstandorte Atomausstieg 398,405,458, 630 Alternativenprüfung 287, 295, 522 - Gesetz zum - 405 Alternativplanung Atomgemeinschaft - Gebot der - 339 - Europäische ~ 396 Alternativstandort 339, 445, 447, 454, 470, Atomkraftwerk 399,412 f., 416, 630 514,518, 579 Altlast 188, 229, 472, 500, 570 - Genehmigung von - 420 - Vermeidung von ~ 561 Atommüll s. Abfall, radioaktiver ~ Altlastensanierung 100,174,186 f., 189,191 Atomtransport 403,455 Angemessenheit 32, 35, 345 Atomwirtschaft 395,404,464 Aufkommenssteuer 675 - moralische - s. Leventhal-Kriterie Aufopferungsanspruch - Prinzip der - 36 f., 232 Angemessenheitsprinzip s. Angemessenheit, - gewohnheitsrechtlicher ~ 651 Ausbauplan 250,275,281, 567 Prinzip der ~ Ausbauplanung 274,277 Anhörungsverfahren 131, 368 f., 484 Ausführungsrichtlinie 270 Anlage Ausgleich - bauliche - 340,483 - angemessener -121, 677 - emissionsintensive ~ 409 - billiger ~ 658 - emittierende - 49, 631 - erforderlicher ~ 347 - existierende - 1 8 4 - finanzieller - 482 - Genehmigungsfähigkeit der - 429 - gerechter - 48, 129, 237, 522 - genehmigungspflichtige ~ 414, 417, 577 - ökologischer - 227 - gesundheitsgefährdende ~ 465 - schonender ~ 207 - gewerbliche - 594, 596 - sozialer - 39, 55, 651 - kerntechnische ~ 408,443 - steuerlicher - 656 - Platzierung von - s. Anlagenplatzierung - vollkommener ~ 240 - technisch ungenügende ~ 505 Ausgleichsanspruch 651 ff. - umweltbelastende ~ 5 f., 48, 61, 75, 85, - finanzieller - 309 88, 101, 107, 109, 111, 121, 126, 240, - privatrechtlicher ~ 653 394, 446, 465, 505, 520, 523, 534, 560, Ausgleichsmesszahl 681 570, 652, 692, 707 Ausschlussprinzip 664 - umweltgefährdende - 125, 134 Außenverbindlichkeit 284 Anlagenfond 625 Auswahlverfahren 10, 182, 406, 469 f., 474, Anlagengenehmigung 113, 125, 162, 187, 476 f., 478,481 423,433,446,448,454,481, 645 Ausweichraum 228 Anlagenplatzierung 178 f., 182 ff., 186, 188, 195, 197 f., 555, 698 f. Ballungsraum 232, 234, 266, 328 f., 681, Antidiskriminierungs Vorschrift 109 690 Aquin, Thomas von 26 Bau- und Planungsrecht 28, 528 Arbeitskreis Auswahlverfahren EndlagerBaugebiet 342, 352, 377, 389, 586, 588, standorte 10,402,461,466, 695 592 f. Aristoteles 26, 37 sonstiges ~ 590, 592 - Nikomachische Ethik 26

Sachverzeichnis Bauleitplan - verbindlicher - s. Bebauungsplan - vorbereitender - s. Flächennutzungsplan Bauleitplanung 209, 212, 217 f., 342, 387, 540 f. ~ auf der kommunalen Ebene 204, 212 Bauschutzbereich 322 - beschränkter - 322, 360, 363 Bauverbot 384 Bebauungsplan 217 f., 300, 308, 540, 586, 591 ff. Bedarfsfestlegung 246 - gesetzliche ~ 279 Bedarfsfeststellung 303 f. Bedarfskategorie 251, 255, 311 Bedarfsplan 250, 251, 271, 274 f., 281 ff., 302 ff. - gesetzlicher ~ 245 Bedürfniskriterium s. Bedürftigkeit Bedürfnisprinzip s. Bedürftigkeit Bedürfnisprüfung 451 Bedürftigkeit 19, 32, 35,39,46, 232 Bedürftigkeitsprinzip s. Bedürftigkeit Belastungsgrenze 497, 527 Belastungskapazität 412 Betriebsbeschränkung 320 - lärmbedingte ~ 320 Betriebsregelung 340 f., 344, 360 - einschränkende ~ 360 Betroffenenbeteiligung 563 Bevölkerungsdichte 434 f., 437 ff., 709 Bevölkerungsrisiko 435 f. - Differenzierung nach -438 Bevölkerungsrückgang 659, 684 Bewertungsmethodik 255, 257, 260, 263 ff., 271, 273, 277 Billigkeit 32, 35 f. 38,196 Billigkeitsprinzip s. Billigkeit Bindungswirkung 213, 279, 286 - rechtlich begrenzte - 280 - verwaltungsinterne - 564 Biphenyle - polychlorierte - 495 Bisphenol A 495 Brennelement 416,448,450 - abgebranntes - 403,419,448 - ausgedientes - 418 - bestrahltes - 404,418

Brennelementfabrik 416 Brownfields-Programme 91 Brundtland-Kommission 18 f., 22, 58 Bundesamt für Strahlenschutz 395, 419, 448, 575 Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe 401 Bundeseinrichtung - umweltbelastende - 688 Bundesergänzungszuweisung 683 - Sonderbedarfs- 683 Bundesfernstraßenausbauplan s. Bedarfsplan Bundesfernstraßenplanung 248,280, 293 Bundeshaushalt 250, 683 Bundesstaat 81, 83, 147, 167,177 ff. - sozialer - 668 Bundesstaatsprinzip 660, 687 Bundesverkehrswegeplan 250 f., 257, 270, 273,277 Bunkerbrand 497 Bürgerinitiative 559, 567 Bürgerrecht 85, 87, 147 Bürgerrechtsbewegung 82, 84 87 f., 236 Chancengleichheit 34, 59, 674 Charta von Athen 51 Civil Action for Deprivation of Rights 115 Civil Rights Act 112 f., 120, 139, 141, 147, 149, 157, 162,175, 200, 701 - § 602 - 112,- 114 f., 132 f., 150 f., 170 Clean Air Act 83, 118, 195 Clean Water Act 83, 118 C02-Äquivalente 644 C02-Emissionsbudget - nationales - 618 Commission for Racial Justice 91 Conservation-Bewegung 79 Dauerschallpegel 385 Dekontaminierung 198, 699 Deponie - kommunale - 505 Deponiebrand 497 Deponieemission 489 Deponieentgasung 500 Deponiegas 489 Deponiegasverwertung 500

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Sachverzeichnis

Deponieschließungsprogramm 494 Deponiesickerwasser 489, 548 Deregulierung 82 Differenzbetrachtung 351 Differenzprinzip s. Rawls, John Dimension - gegenwartsbezogene ~ 14 - globale - 102 - grenzüberschreitende ~ 13 - intergenerationelle ~ 12, 58 - interspezielle ~ 12 - intragenerationelle - 1 2 - räumliche - 3 f., 76 - soziale - 3-4, 76 - zeitliche - 3,12 Dioxin 487,495, 524 Diskriminierung 6, 100 f., 111, 113 f., 139, 145, 155, 157, 175 - faktische - 114, 133, 141, 145, 148, 157, 170 - intendierte - 114, 141, 152, 155, 157, 164, 170 - umgekehrte - 193 - ungerechtfertigte - 620 - unmittelbare - 141 - vorsätzliche - 175 Diskriminierungsabsicht 116, 164, 171, 196, 697 Diskriminierungsverbot 622 - nach den wettbewerbsrechtlichen Grundsätzen 620 Dosisgrenzwert - erhöhter-431 f. Due Process Clause 110 Eingriff - enteignender - 653 - enteignungsgleicher - 653 Einkommenssteuer 673, 678, 684, 688, 690 Einschätzungsprärogative 405, 430 Einwohnerwertung 681 - kommunale - 682 Elektrosmog 573 ff., 594 f., 596, 711 - Gefahren des - 591 f. Emission - von Luftschadstoffen 242 - aktuelle - 599, 623 - C0 2 -~ 604, 610, 619, 646

- direkte - 645 - durchschnittliche - 626 - erhöhte - 622 - gesundheitsschädliche - 667 - historische - 632, 640, 648 - prozessbedingte - 633 - radioaktive - 443 - Radionnuklid- 408 - schädliche - 502 - tatsächliche - 633 - umweltschädliche - 667 - zulässige - 599 Emissionsansammlung 642 Emissionsberechtigung 599, 609, 613, 625, 640 - Kosten der - 628 Emissionsgenehmigung 606 f., 608 Emissionsgrenzwert 561, 645 Emissionshandel 77, 195, 198, 597 ff., 601 ff., 700,713 - europäischer - 618 - Grundgedanke des - 598 - Teilnehmer am - 627 - Ziel des - 613 Emissionshandelsstelle - Deutsche - 610 Emissionskumulation - rechtmäßige - 642 Emissionsminderung 599, 621, 641 Emissionsrate 436 Emissionsrecht 599, 602, 615, 618, 627, 631 ff., 642 ff. - auszuteilendes - 609 - ungenutztes - 602 - Verteilung der - 631 - Verwaltung der - 625 - Zuteilung von - 627 Emissionszertifikat 198, 597, 606, 608 f., 611 f., 636, 699,713 - deutsches - 625 - Handel mit - s. Emissionshandel Emittent 599, 660 Endlager 395, 399, 401 f., 406, 410, 419, 456 f., 458, 461 f., 464 f., 468, 471 f., 477, 684 - atomares - 391,464, 695 - betriebsbereites - 457 - sicheres - 401 f., 462

Sachverzeichnis Endlagerstandort 402,406,456,467 ff., 473 Endlagerstandortauswahl 74, 393, 456, 460 f., 465 f., 470,475,478,480 Endverbraucher 55 Energieanlage, Standortvorsorge für ~ 425 Energiebilanz, tatsächliche - 623 Energiemix 604 Energiepolitik - nationale - 83, 629 f. Energieverbrauch 17, 502, 663, 655, 667 Energieversorgung 401, 556 Enteignungsgrundsatz - allgemeiner - 355 Entlastungsziel 264, 266,273 Entschädigung s. Kompensation Entschädigungsanspruch 652 - öffentlich-rechtlicher ~ 653 Entschädigungspflicht - staatliche ~ 125 Entsorgungsanlage 391, 398, 406, 412, 427, 552 - gefährliche - 3 9 1 - kommunale - 500 - Standortauswahl von - 562 Entsorgungspreis 500 Entwicklung - nachhaltige - 58 f., 220, 237, 662, 690 - umweltgerechte - 231 Entwicklungspotenzial 472 f. Environmental Equity Workgroup 93 Environmental High Impact Areas 97 Environmental Justice - Act 97, 119 - Act of 1992 97 - Anwälte 143 f. - Bewegung 4, 77, 78, 88, 92, 97, 101 f., 107, 109, 196, 200, 391, 504, 697, 701, 704 - Debatte 3, 5, 24, 192, 716 - Office o f - 9 8 f., 696 - Principles of - 96-97, 101 Environmental Protection Agency 80, 92, 113, 141,696 Environmental Racism 88, 93, 96, 100 EPA s. Environmental Protection Agency Equal Protection Clause 109 f. Equity 36, 74, 115, 196

Ergänzungsanteil 679 f. Ergebnisgerechtigkeit 62 f. Ergebniskontrolle 64 Erkrankung - lärmbedingte - 650 - umweltbedingte - 7, 703, 705, 710 Erlassverfahren 370,372 ff., 378, 380 ff. Errichtungsverbot 384 Evidenzkontrolle 280 Executive Order 12898 98, 108,129, 140 Existenzminimum - menschenwürdiges - 39, 651 Fachplanung 210, 214, 216, 248, 274, 296, 405,449,455 - luftverkehrsrechtliche - 339 - privilegierte - 566 - städtische - 218 Fachplanungsrecht 50, 77, 210, 292, 522, 649 - deutsches - 719 - raumbezogenes - 209 Feld - elektromagnetisches - 574 Feldstärke - elektrische - 574 Fernstraße 73, 228, 242, 246 f., 250, 273, 277, 297, 305, 352, 650, 705 - Neubau von - 296 FFH-Gebiet 269 FFH-Richtlinie 269 FFH-Verträglichkeit 268 FFH-Verträglichkeitseinschätzung 257, 269 FFH-Verträglichkeitsprüfung 269 Finanzausgleich 672, 681, 684, 690, 715 - bundesstaatlicher - 661, 672, 689 f., 692 - horizontaler - s. Länderfinanzausgleich - kommunaler - 394, 672,684 ff., 692 - korrigierender - s. Finanzausgleich, sekundärer - ökologischer - 690 - primärer - 672 - sekundärer - 672, 676 f. - umverteilender - s. Finanzausgleich, sekundärer - vertikaler - 672, 673, 675 f., 683

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Sachverzeichnis

- Ziel des - 674 - zuweisender ~ s. Finanzausgleich, primärer Finanzausgleichsurteil des Bundesverfassungsgerichts 681 Finanzkraftmesszahl 681 Finanzordnung - föderale - 78,659 Finanzreform 684 - ökologische - 57, 662 f., 665, 668, 670 f., 691 Flächennutzungsplan 202, 217 f., 286, 300, 424, 540 f. Flexmex ~ s. Mechanismen, flexible Floriansprinzip 563 Flugbewegung 332 Flugerwartungsgebiet 324, 326, 374 Flughafen 210, 215, 314, 315, 323, 325, 331, 335, 338, 348, 374, 389, 650 - Standortwahl für ~ 328 Flughafenbau 325, 328 Flughafenplanung 214, 321, 330, 334, 339, 360 Flughafenumfeld 331 Fluglärm 314 ff., 326, 341 f., 344, 348, 353ff., 380, 384,389, 654,710 - unerheblicher - 3 4 1 - zumutbarer - 346, 386 Fluglärmbelastung 340 Fluglärmschutz 318 f., 326, 344, 353, 384 Flugplatz 228, 314, 317, 321 f., 326 f., 335 f., 342, 357, 362, 388,710 - belastungsintensiver - 335 - bestehender ~ 357 - militärischer - 319, 384 Flugplatzanrainer 317 Flugplatzbetreiber 335 Flugsicherung 323, 371 - Deutsche - 373 Flugverfahren 323 f., 331, 372 f., 374, 381 - Festlegung von - 323, 330, 332, 372, 374 f., 380 ff. Flugverkehr 314, 317, 326, 329, 375, 710 - flüssiger ~ 352, 376, 390 - grenzüberschreitender - 6 7 1 - sicherer - 352 Flugverkehrslärm - s. Fluglärm Flugzeugemission 329

Flussdichte - magnetische - 574 Fristenlösungs-Urteil 45 Fühlbarkeitsschwelle 259 Funktionstrennung 52, 227 Furane 495, 524 Gebietsstruktur 347 Gebot - der Rücksichtnahme 349 Gefährdungspotential 409,438 Gefahrenabwehr 430,438,467 - bestmögliche - 452 Gemeinlastprinzip 1, 16, 54,65 f. Gemeinschaftssteuer 673 Genauigkeitsregel s. Leventhal-Kriterien Genehmigung - immissionsschutzrechtliche - 415, 422, 446, 517 f., 542, 546, 610 - luftrechtliche - 335, 362, 366 Genehmigungsrecht 10, 405, 414, 422, 447 f., 459,490, 709 Genehmigungsverfahren - atomrechtliches - 401 f., 429, 433, 439, 442,445,467, 475 - baurechtliches - 415,448 - förmliches - 420 - luftverkehrsrechtliches - 372 - umweltrechtliches - 475 Genehmigungsvoraussetzung 10, 134 f., 416 f., 428, 444,449 - anlagenbezogene - 428 - atomrechtliche - 392,446,450a Generalsiedlungsplan 202 Geräuschemission 259 Geräuschpegel - zulässiger - 297 Gerechtigkeit als Rechtsprinzip 22 gegenüber der Natur s. Gerechtigkeit, interspezielle staatlichen Rechts 28 - distributive - s. Verteilungsgerechtigkeit - intergenerationelle - 3, 18, 20, 60, 461, 548 - interspezielle - 21 ff. - intragenerationelle - 3,13 ff., 20, 22 - ökologische - 21 ff.

Sachverzeichnis - prozedurale ~ s. Verfahrensgerechtigkeit - räumliche - 4,405,425,461,472 - soziale - 15, 39, 59, 101, 196, 220, 231, 667 ff. Gerechtigkeitskonzept - umweltorientiertes - 1 8 Gerechtigkeitskriterium 46 f., 74, 240, 633, 648 - materielles - 73 ff., 465, 693 f. Gerechtigkeitsstandard 35 Gesamtbelastung 49, 259, 349, 351, 529 Gesamtentwicklungsplanung 251 Gesamtplanungsrecht - raumbezogenes - 209 Geschwindigkeitserhöhung 264 Gesellschaft - amerikanische - 105 - demokratische - 567 - hochindustrialisierte - 344 - pluralistische - 61, 70, 72, 76, 560 f., 693 Gestaltungsfreiheit 281 - gesetzgeberische - 281 - planerische - 280, 302, 305, 339, 518, 522 - weite - 382 Gesundheitsschutz 339, 363 Gewaltenteilung - Grundsatz der - 249, 658 Gewaltenteilungsprinzip - s. Gewaltenteilung, Grundsatz der Gewässerbelastung 442 Gewässerschutz 79, 538 Gewerbeabfall 500 Gewerbebetrieb 589, 591, 650 - sonstiger - 590 Gewerbesteuer 684, 690 Giftmülldeponie 88, 94 Gleichbehandlung 1, 36, 38, 53, 75, 93, 130, 631,638, 645,651 - Gebot der rechtlichen - 638, 660 - Grundsatz der - 36 - grundsätzliche - 461 - strikte-549 Gleichbehandlungsgrundsatz - s. Gleichbehandlung, Grundsatz der Gleichheit 19, 32, 34 ff., 43, 46, 103, 224, 632

- arithmetische - 46, 224, 232, 240, 411, 549, 622, 631, 645,674, 706 - formale - 224 - numerische - s. Gleichheit, arithmetische - proportionale - 48, 51, 53, 549, 622, 638, 693 - strikte - s. Gleichheit, arithmetische Gleichheitskriterium s. Gleichheitsprinzip Gleichheitsprinzip 19, 32, 36 Gleichheitssatz 109, 353 - allgemeiner - 36,44 - verfassungsrechtlicher - 111 Gleichwertigkeit 222 ff., 239, 668, 674 Globalisierungskritiker 102 Glockenprinzip 625 Gorleben 401,403,418 f., 379 f. Grenzwert - der 26. BImSchV 574, 576, 578, 580 ff., 591,594, 596 - der TA Lärm 342 - äußerster - 342 - örtlicher - 644 - Schutz durch - 297 Großverursacher 56 Group Value Model 65,70 Grundrecht 34,45, 379 Grundrechtsschranke 45 Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung s. Nachhaltigkeitsgrundsatz Grundsteuer 690 Grundstückswert, Ermäßigung des - 656 f. Grundwasserkontamination 497 Grundwasserschutz 537 Habermas, Jürgen 560 Handlungsmaxime 23 - ökologische - 96 Hausmüll 483,493 - vorbehandelter - 489 Hausmülldeponie 484,489 Homogenität - Gebot sozialer - 660 Ideallinie 324, 374 Immission 49, 52, 246, 426, 528 ff., 655 f., 703 Immissionsgrenzwert 431,487, 653

346

Sachverzeichnis

Immissionsrichtwert 530 Immissionsschutz 232f., 241, 297 Indizwirkung 278, 580 Industrieanlage 7, 83 - emittierende - 631 Instrumentenflugbetrieb 372 Interessenabwägung - umfassende - 374 Interimslager s. Zwischenlager Investitionsrahmenplan 251 f., 271 iustitia distributiva s. Verteilungsgerechtigkeit Kapazitätsbeschränkung 346 Karte - ökologische ~ 245 Kausalabgabe 55 Kernbrennstoff 400, 416 - Aufarbeitung bestrahlten ~ 415 - Aufbewahrung von ~ 448,452 - Bearbeitung von -415 - Erzeugung von - 415 - Spaltung von - 415 f., 420,447 - Verarbeitung von - 415 f. Kernenergie 429 - Entsorgung von - 407 - Erzeugung von - 407,410 - friedliche Nutzung der - 395 ff., 405, 407 - Gefahren der - 396,421 - Zukunft der - 398 Kernenergienutzung 400,405 ff. - Beendigung der - 393, 398,410,416 Kernkraftwerk 397, 405 f., 408, 416, 427, 432, 435,445 f., 455 - ausländisches - 432 - Risikostudien - 407 Kernreaktor - Explosion des - 397 Klimarahmenkonvention 602 Klimaschutzmaßnahme 597 Klimaschutzpolitik - deutsche - 602 - europäische - 602 Kohärenzkriterium 617,641 Kohlendioxid 608 Kohlendioxidäquivalent 608 Kohlenwasserstoff 329

Kompensation 121 f., 406, 464 f., 482, 649, 667, 675, 692 - angemessene - 347, 652 - finanzielle - 121, 356,465, 650 - individuelle - 78 - individuelle finanzielle - 650 - kollektive - 78, 659 Kompensationsmöglichkeit 5, 380 Kompensationsregel 182 Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung 59 Konsistenzregel s. Leventhal-Kriterien Kostenkalkulation 16 Kostenverteilung 16, 55 Kraftfahrzeug - schadstoffarmes - 234 - schadstofffreies - 234 - schadstoffreiches - 234 Kraft-Wärme-Kopplung 635 Krebsrisiko 435 Kyoto-Protokoll 60 f., 609, 618 Länderfinanzausgleich 672, 676, 679, 681, 683 ff. Landesentwicklungsplan 214 f.,5 34 - Hessen 232, 235, 534 - Sachsen 232, 235, 534 Landesentwicklungsprogramm - s. Landesentwicklungsplan Landesplanung 201, 212, 216, 231, 236,424 Landesplanungsgesetz 204, 209, 211 ff., 231,424, 427 Landesraumordnungsprogramm - Niedersachsen 231, 534, 555 Landessteuer 678, 682, 685 Landschaftspflege 295, 437, 539 Landschaftsschutz 330 Lärm 7, 232, 246, 258, 293, 296, 317, 326, 332, 340, 348, 377, 389, 393, 525, 528, 530 f., 544, 649, 656 ff., 711 - unzumutbarer - 341, 375 - vorhandener - 374 Lärmbelästigung 314, 325, 341, 355, 375 - bestehende - 351 - einzustellende - 344 - unzumutbare - 341, 346, 375

Sachverzeichnis Lärmbelastung 232 ff., 242, 259, 297, 323, 327, 331, 340, 342, 349 ff., 387, 390, 525, 656 - beträchtliche ~ 332 Lärmkontingent 544 Lärmpegel 259, 298 - unzumutbarer -317 Lärmreduzierung 229 Lärmschutz 232, 234, 339, 340 f., 346, 352, 357, 375ff., 385, 390, 537, 682 - aktiver ~ 340 - passiver - 319, 340 Lärmschutzkommission - örtliche ~ 373 Lärmschutzmaßnahme 259, 309, 346, 654, 667 - aktive - 327 - passive ~ 327 Lärmschutzpegel - absoluter - 259 - allgemeiner - 259 Lärmschutzverband 387 Lärmschutzzone 387 Lastenausgleich - gerechter-48 Lastengleichheit 307 f. - Gebot der -308, 310, 313 LastenteilungsVereinbarung 603,618, 626 Lebensbedingung 5, 7, 52, 229, 3239, 402, 651,674, 687 - gesunde ökologische - 59, 220 - gleichwertige - 231, 239, 674,677 - gleichwertige ökologische - 238, 241 - natürliche - 220, 237 Lebensgrundlage 3 - natürliche - 59, 221, 223 - Schutz der natürlichen - 3, 221, 231 Lebensqualität 44, 106, 220, 223,473, 674 Lebensverhältnisse 52,136, 223, 237 - Angleichung der - 262 - Einheitlichkeit der - 224, 660, 668, 673 ff., 687, 692 - gleichwertige - 222 ff., 237, 273, 668 - Herstellung gleichwertiger - 204, 221, 231, 239, 263, 660 - Herstellung gleichwertiger ökologischer 240 f., 557 Legislativplan 275, 279, 283

Leistung 32, 35,39,599, 632 f., 638, 678 - ökologische - 690,692, 715 - soziale - 223 - sozioökonomische - 690 - staatliche - 139 Leistungsfähigkeit 622, 633, 635,640, 693 - steuerrechtliche - 55 - wirtschaftliche - 46, 55, 715 Leistungsprinzip s. Leistung Lenkungseffizienz - ökologische - 665 Leukämie - akute - 408 Leventhal-Kriterien 66, 68, 70, 75 f., 368, 477 - Genauigkeitsregel 66, 68, 368,477 - Konsistenzregel 66 ff. - Korrigierbarkeitsregel 66- f., 368 - moralische Angemessenheit 66, 68 - Repräsentativregel 66, 369 - Unvoreingenommenheitsregel 66, 368, 476,481 Linienbestimmung 269, 271, 276, 278, 282, 284 ff., 295, 299, 304, 307, 309 - vorbereitende - 304 Linienführung 250, 284 f., 291, 296 LKW-Maut 671 Luftfahrt-Bundesamt 323, 373 Luftqualität 118,162, 229, 232, 234, 329 - Verbesserung der - 188 Luftreinhaltung 232, 234, 537, 690 Luftschadstoff 47,49, 234, 239, 242 - Belastung durch - 7, 335 Luftverkehr 315 f., 352, 375, 377, 390, 573, 720 - Ausbau des - 330 - Sicherheit des - 375, 717 Luftverkehrslenkung 371 Luftverkehrsnetz - internationales - 315 - nationales - 315 Luftverkehrs Wirtschaft 380 Luftverunreinigung 94, 232, 234, 242, 329, 528 f., 544, 658 - generelle - 356 - luftverkehrsbedingte - 325, 329 Luhmann, Niklas 62, 71 Lüth-Urteil 45

348

Sachverzeichnis

Makroplan 614 Marktgeschenen 28 f. Maßnahme - ausgleichende - 185, 308 f., 684 - bodenordnende - 308 - diskriminierende ~ 150, 163 - energiepolitische - 6 2 1 - flugplatzplanerische - 321 f. - hoheitliche - s. Maßnahme, staatliche - kompensatorische - 11, 17, 338,354,394, 482,715 - planerische - 322, 339, 346 - raumbedeutsame - 219, 240 f., 350, 558, 723 - regulatorische ~ 624 - staaliche - 15, 111,653,671 -

Steuer- u n d subventionspolitische - 6 9 1

- umweltpolitische ~ 16, 704 Maximalbelastung - zulässige - 351 Mechanismen - flexible - 602 - projektbezogene ~ 600 Mediationsverfahren 479, 570 Menschenwürde 45 Mikroplan 614 Minderheit - afroamerikanische ~ 84 - ethnische - 4, 6, 90, 93, 127, 130 - rassische ~ 4 Minderheitengemeinde 85, 89, 90 f., 93 f., 98, 111 Mindeststandard 173, 394 - gesellschaftlicher ~ 224 Mineralölsteuer 56, 665, 671 Minimierungsgebot - naturschutzrechtliches ~ 296 - ortsgebundenes ~ 296 Ministerkonferenz ~ für Raumordnung 213 Mischabfall 500 - gewerblicher ~ 500 Mitwelt, natürliche 12 Mitweltethik, ökologische 23 Mobilfunk 573, 595 Mobilfunkanlage 573 ff., 585 ff., 711 - Errichtung von ~ 574, 580 f., 584, 589, 593 f., 596

- Genehmigungsbedürftigkeit von ~ 583 - ortsfeste - 77,571 f., 596, 711 - Vorgehen gegen - 5 8 2 Mobilfunkbetreiber 579,593 Mobilfunk-Forschungsprogramm - Deutsches ~ 575 Mobilfunknetz - flächendeckendes - 594, 596 Mobilfunktelefon 316 Morsleben 410,456 Müllabfuhr - öffentliche - 493 Müllkippe 483, 555 - kommunale ~ 484 - private ~ 484 Müllverbrennungsanlagen s. Abfallverbrennungsanlage Nachhaltigkeit 22, 35, 208, 235, 663 Nachhaltigkeitsgrundsatz 18, 47, 58, 220, 237, 239, 548,553, 669 Nachhaltigkeitsprinzip s. Nachhaltigkeitsgrundsatz Nachteilsausgleich - planerischer ~ 652 f. Nachtflugverbot 327, 340 f., 344 Näheprinzip s. Territorialprinzip Naherholungsgebiet 331, 667 National Environmental Policy Act 80, 118 National People of Color Environmental Leadership Summit - First ~ 96, 100 - Second - lOOf. Natura 2000 689 Naturschutz 1, 79, 212, 227, 234, 296, 303, 328, 345, 466, 526, 539, 570 Netz - trans-europäisches - 270 NIMBY-Syndrom s. Floriansprinzip Normenkontrollklage 513 Northeast Community Action Group 87 Nuklearkatastrophe 438 Null-Variante 287, 304 Nutzen-Kosten-Analyse 287 f., 599 Nutzungsänderung - genehmigungsbedürftige - 584 Nutzungsbeschränkung 20, 125

Sachverzeichnis Nutzungskonflikt 208 Nutzungsmischung 52 Nutzungsmöglichkeit 208 Nutzungstrennung 52 Nutzungsverbot 190 Oberflächenabdichtung 495, 500 Öffentlichkeitsbeteiligung 402, 421 f., 467, 472, 479, 562 ff., 611, 694 Öffentlichkeitscharakter 29 - von Umweltgütern s. Umweltgut, öffentliches ~ Office of Civil Rights 138 Ökologie 208 Ökopunkte-Katalog 690 Ökosteuer 3, 5, 17, 56, 617, 667, 670 f. - Akzeptanzproblem der ~ 671 ~ Erhöhungsschritte 666 - Lenkungswirkung der ~ 667 ÖkoSteueraufkommen 667, 691 Ökosteuereinnahme 666 Ökosystem 21, 23,41, 495 Optimierungsgebot 287, 302, 306, 345 Orientierungsrahmen - raumordnungspolitischer ~ 213 Ort - zentraler ~ 215, 243, 262, 264, 273, 308, 681, 690, 706 Ortsumgehung 254, 285 Ostseeküste 689 Ozon 329 Parteiherrschaft 64 Partizipationsbereitschaft 561 Partizipationsfahigkeit 561 Phtalate 495 Planfeststellungsbeschluss 247, 250, 278 f., 286, 300f., 309, 337,514, 650 - abschließender ~ 546 Planfeststellungsverfahren 250, 280, 286, 300, 303, 322, 334ff., 346, 359 f., 362, 369, 372, 405, 469, 484, 546, 563, 653, 712 Planrechtfertigung s. Planungsrechtfertigung Planungsgemeinschaft - regionale ~ 215

Planungsrechtfertigung - Gebot der ~ 339 Planungsrechtsnorm 207 Planungsschaden 652,657 Planungssicherheit 288 Planungs verbot 384 Planungszelle 570 Platzierungsentscheidung 9, 88, 182, 462, 473, 481, 507, 514, 523, 525, 546, 568, 708 Popularbeteiligung 563 Potenzialanalyse - sozioökonomische ~ 468 Präklusionsvorschrift - materielle ~ 301 Prinzipienpluralismus s. Walzer, Michael Problembewältigung - Grundsatz der ~ 339 Procedural Justice s. Verfahrensgerechtigkeit Prognoseentscheidung 342 Proportionalität 22, 35 f., 49, 232, 549 f. - Grundsatz der ~ 37, 53 Proportionalitätsprinzip s. Proportionalität, Grundsatz der ~ Radioaktivitätsabgabe 431,434 f. Rahmenplanung - städtebauliche - 2 1 8 Rat von Sachverständigen für Umweltfragen 664, 690, 692 Raum - ländlicher - 226 ff., 239, 656, 674, 690 - strukturschwacher ~ 226, 229, 239 - verdichteter ~ 226 ff., 262 Raumentwicklung - nachhaltige ~ 211, 22 f. Raumkategorie 226 Raumnutzung 204, 208, 262 - Umweltverträglichkeit von ~ 208 Raumordnung 202 f., 206, 209, 211 f., 216 f., 222 ff., 233, 36, 238, 261 f., 281, 328,423 f., 427, 706 - Aufgabe der ~ 223 - Grundsätze der ~ 51, 223, 225, 229 ff., 241, 262, 532 f., 538, 557, 707,712, 716

350

Sachverzeichnis

- Leitvorstellung der - 219 - Ziele der - 214, 233, 241, 426, 522, 532, 524, 538, 558, 722 Raumordnungsplan 212, 214, 216, 225, 231 f., 233, 241,426, 522, 534, 554 - landesrechtlicher - 423,425, 534 Raumordnungsverfahren 216, 271, 288, 290 f., 423, 427 Raumplanung 51, 53, 202, 204, 206, 208, 210, 124, 223, 225, 238, 243 - bundesdeutsche - 237 - Struktur der ~ 205 Raumplanungsrecht 205 ff., 223 - vielgestaltiges und umfassendes - 207 Raumwirksamkeitsanalyse 253, 257, 260 f. Rawls, John 19, 23, 34 Reaktorunfall 432,439 Recht - auf Leben und körperliche Unversehrtheit 45 - auf Umweltinformation 183 - subjektives - 113, 151, 153, 157, 167, 175, 366, 563 Rechtsmittel 137, 145 Rechtspositivismus 38 Rechtssatz - Allgemeiner - 6 5 2 - zwingender ~ 438 Rechtsschutz 117, 142, 165, 283, 301, 358, 363, 366, 381,681 - Effektivität des - 140,199, 370, 700 - gerichtlicher - 146, 137 Rechtsstaat - demokratischer - 62 - sozialer ~ 668 Rechtsstaatsprinzip 280, 305 Reduktionslast 615, 617, 625 Reduktionspotenzial 622, 629 Regenerationsfähigkeit 48, 58 Regionalplanung 209, 212, 214 ff., 233,426, 704 Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post 576 Repräsentativregel s. Leventhal-Kriterien Ressource 7, 19, 26, 328, 690 - endliche - 5 8

- erneuerbare - 58 - natürliche - 1, 3, 21, 27,41, 52, 96 Ressourcenreservoir 55 Reststoff 400 - radioaktiver - 403 Richtlinientransformation 624 Risikoabschätzung 430 Risikopotential - schwer kalkulierbares - 407 Risikovorsorge 430,434,438,452 Roadless Area Conservation Rule 83 Rücksichtnahmegebot 578 Sachgüterschutz 438 Salzgitter 456 f. Schadensausmaß - potentielles - 435 Schadensersatz 96, 155 Schadensersatzforderung 654 Schadensersatzpflicht 658 Schadensersatzverpflichtung 450 - gesetzliche - 428 Schadensvorsorge 429 f. Schadstoff 8, 58, 166, 409, 487, 489, 529, 531,559, 644, 646 f., 713 - abbaubarer - 485 - in der Außenluft 7 - in der Innenluft 7 - partikel- und gasförmiger - 524 Schadstoffemission 8, 662 Schadstoffexposition 703 Schadstoffkonzentration 8,494, 647, 713 Schallschutz 342, 384, 386 - passiver - 385 Schallschutzmaßnahme - bauliche - 327 Schleier des Nichtwissens s. Rawls, John Schlüsselzuweisung 686 Schutzanlage 338 f., 346 - bauliche - 340 Schutzbedürftigkeit 342, 376, 520 - besondere - 232, 549 - relative - 343 Schutzgebiet - ökologisches - 689 Schutzmaßnahme 309, 346,437 - zusätzliche - 340

Sachverzeichnis Schutzpflicht 45,651 ~ von Entsorgungsanlagen s. Entsorgungsanlage, Standortauswahl von ~ - staatliche ~ 45, 525, 651 - von Zwischenlagern s. Zwischenlager, Schutzwürdigkeit 50, 79, 241, 342, 349, Standortauswahl von ~ 377, 713, 721 Standortauswahlverfahren 10, 48, 53, 394, - besondere ~ 718 469,474 f., 477, 695 - konkrete - 343 Standortfaktor - relative - 343 - weicher-223 Schwefeldioxid 644 Standortgutachten Schwermetallstaub 524 - privater Sachverständiger 564 Seenplatte Standortklausel 447 - Mecklenburgische ~ 689 Standortplanung Selbstverpflichtung 625 - vergleichende ~ s. Standortvergleich - freiwillige ~ 579 Standortvergleich 414,444,450 Selbstverwaltung Standortzwischenlager s. Zwischenlager, de- örtliche - 179 ff. zentrales ~ Sendemast 10 Staubverwehung 525 Siedewasserreaktor 408,416 Steuererhöhung Siedlungsabfall 494, 548 - ökologisch motivierte ~ 669 Solidarpakt 677 Steuergerechtigkeit 5 Sonderabfall 553 Steuerreform Sonderbelastung 681, 688 - ökologische ~ 662,665 ff. - finanzielle - 688 - umfassende ~ 671 - ökologische ~ 681 Steuerverbund Sonderlastenausgleich 688 - fakultativer ~ 685 Sondermülldeponie 89 - obligatorischer ~ 685 Sondermüllentsorgungsanlage 91, 94 f. Stickoxid 329 Sonderopfer 484,653,658 Stilllegungsfinanzierung 494 Sozialstaat 668 Störfallrisiko 448 Sozialstaatsprinzip 39, 651, 668, 687, 692 Strahlen Sozialsystem 671 - ionisierende ~ 396,421,429 - Sicherung des ~ 667 Strahlenbelastung 393,412,432 Sphäre s. Walzer, Michael Strahlenexposition 397,412,431 Staatsfinanzen 658, 661 Strahlengefahr 410 Staatsziel Umweltschutz s. Umweltschutz, Strahlung 574, 595 Staatsziel ~ - elektromagnetische s. Elektrosmog Städtebau 51 ff., 281, 342, 549 f. - radioaktive - 4 3 1 Stadtentwicklungsplanung 218 Straßenbaulast Standortattraktivität 223 - Träger der ~ 274 Standortauswahl 120, 406, 428, 453, 461, Straßenbauvorhaben 276 466 f., 474, 499, 511 f., 522, 537, 541, Straßenbedarfsplanung 557, 564, 568 f., 695, 705,712 - verkehrsträgerspezifische - 275 - von Abfallbeseitigungsanlagen s. Abfallbe- Straßenfachplanung 251 seitigungsanlage, Standortauswahl von ~Straßenkarte 245 ~ von Atomanlagen s. Atomanlagen, Stand- Straßenplanung 242, 281 ortauswahl von ~ Straßenverkehr 242, 267, 314, 653, 667 ~ von Endlagern s. Endlagerstandortaus- Subsidiaritätsklausel 420 wahl Suburbanisierung 243

352

Sachverzeichnis

Subvention 662 f., 668 - staatliche - 663 f. - umweltschädliche ~ 663, 669, 691 Subventionspolitik 661 ff., 670 Summationseffekt 246 f., 293 Suum Cuique 37 Systemreferenz 70 Takings Clause 123,180 Technikfolgenabschätzung 69 Technologie 1,401, 552, 635, 640 - saubere ~ 635, 640 Territorialprinzip 430 f., 553 ff. Trassenentscheidung 250, 286 Treibhausgas 598, 614, 647 Treibhausgasemission 663 Trennsteuer 673 Trennungsgebot 297 Trennwirkung 258-260 Trinkwasserversorgung 234 Tschernobyl 397,432 Umsatzsteuer 673, 679 ff. Umsatzsteuervorwegausgleich 680 Umverteilung 13, 21, 28, 47, 267, 405, 413, 661,675, 678 Umwelt - natürliche ~ 96,496 - Schutz der - 3, 220, 598, 704 Umweltausgleich 11 Umweltbelastung - anthropogen bedingte ~ 3 - Ausgleich von ~ 232 - erhöhte - 242 - Ertragen von ~ 59 - gleichmäßige ~ 273 - hohe ~184 - Konzentration von ~ 5, 333, 357 - luftfahrtbedingte -315, 329, 375 - Umverteilung der ~ 405 - Verringerung und Vermeidung von ~ 15 - Verteilung von - 48, 53, 198, 220, 234, 242, 310, 325, 329, 352, 497, 525, 557, 699, 712, 715 Umweltbericht 294 Umweltbewusstsein 205 Umweltbilanz - kommunale - 690

Umweltbundesamt 610 Umweltein W i r k u n g 345,496 - schädliche - 42, 49, 232, 297, 528, 531, 544, 653 Umweltethik 21 - anthropozentrische ~ 22 Umweltgerechtigkeit als Problem der Verteilungsgerechtigkeit 25 ~ bei der Abfallentsorgung 482 ~ bei der Standortauswahl für Atomanlagen 391 ~ durch Verfahrensgerechtigkeit 62 - im Klimaschutz und Emissionshandel 597 ~ im Luftverkehrsrecht 314, 330 ~ im Schadensersatz-, Steuer- und Finanzrecht 649 ~ in der Raumplanung 202 ~ in Deutschland 703 ~ und Fernstraßenplanung und -bau 242 ~ und ortsfeste Mobilfunkanlagen 571 - Definition der - 2, 696 - Dimensionen der ~ 2,12 - Forderung nach ~ 1, 692 - Herstellung von - 221, 230 f., 531, 536, 562 - Konzept der ~ 2, 3,76 - materielle ~ 482 - Mindesmaß der ~ 357 - Problem der - 3, 74, 505 f. - räumliche - 4 ff., 523, 534, 561 - soziale ~ 4,121 - Vergleichsmaßstab für - 224 - Verwirklichung von ~ 367 Umweltgerechtigkeitsbewegung 59, 100, 102, 104, 220, 526 Umweltgesetz 94, 98 f., 113, 117 f., 134, 136, 200, 696,701 - allgemeines - 1 4 7 Umweltgesetzgebung 107, 117 f. Umweltgut - gerechter Zugang zum - 1 0 9 - knappes - 27, 55 - öffentliches - 28,46 f. - Verteilung von - 3, 29, 35, 42 f., 230, 232, 558, 669, 722 - Zuteilung von - 29

Sachverzeichnis Umweltinformation 131, 183 Umweltinstitut ~ München 408 Umweltkompensation 227 Umweltkosten - Verteilung von - 16 f., 55, 73 Umweltlast - Ausgleich von ~ 649, 672 - Auswirkungen von ~ 82, 684 - Erzeugung von ~ 47 - geographisch und sozial ungleiche Verteilung von - 6 - Konzentration von - 431 - luftverkehrsbezogene - 358, 378 - nicht kompensierbare ~ 240 - nuklearspezifische - 4 3 3 - ortsfremde - 559, 712 - räumlich ungerechte Verteilung von ~ 236, 661, 667 - Reduktion der - 703 - unerwünschte - 4 1 0 - unverhältnismäßiger Anteil an ~ 99, 687, 696 - unvermeidbare - 1 f., 20, 27, 61, 444, 462, 465 - Zuteilung von ~ 10a Umweltministerrat 625 Umweltnutzen 11,41, 394,692 - Verteilung von - 3, 13, 24, 649, 661, 692 f. Umweltökonomie 41, 182 Umweltorganisation 90, 96,467, 622 Umweltplanung 405 - raumbezogene ~ 205 Umweltpolitik 16, 57 f., 62, 82 f., 90, 100, 570 - amerikanische ~ 82, 87 - aufkommende ~ 205 - deutsche - 392 - gerechte - 62, 75 - nationale ~ 80 - Ziel der - 703 Umweltprüfung 272, 291, 565 - planbezogene - 2 7 1 - projektbezogene - 271 - strategische - 272, 293 23 Kloepfer

353

Umweltqualität 42, 46, 48, 53, 60, 101, 223 f., 240, 254, 293, 413, 533, 599, 646, 648, 659, 669, 713 f. - Indikatoren von - 220 - Parameter der - 224 Umweltrecht 8, 22, 24, 28 f., 72, 79, 82, 174,405, 693 - bestehendes - 126 - deutsches - 27, 601 - geltendes - 107 f., 126 - Herausbildung des - 205 - mediales - 292 Umweltressource 11 Umweltrisikoeinschätzung 257,268 Umweltschutz 1, 4, 6, 17, 23, 45 f., 55, 79, 83 ff., 101, 151, 239, 241, 252, 280 f., 403, 554, 567, 653, 670, 681, 706 - Belange des - 231 - gerechte Verteilung der Kosten des - 15 - Kosten des - 648, 681, 713 - nachhaltiger - 20 - ökologisch verengter - 223 - ökonomische Instrumente des - 5 - sozial ungerechte Verteilung der Kosten des - 5,15 - Staatsziel - 3 - umfassender - 205 - Vermeidung von Benachteiligungen im 4 - vorsorgender - 20 Umweltschutzprogramm 16 Umweltschutzverband 559, 567 Umweltstandard 81, 101, 134 - schärferer - 548, 559 Umweltungerechtigkeit 14, 96 f., 101, 117 Umweltverschmutzung 122, 393, 645 - industrielle - 90 - örtliche - 644 Umweltverträglichkeitsprüfung 172, 184, 268, 290 f., 306,420,448 ff., 518, 664 - standortbezogene - 442 Umweltvorschrift 93 f., 126, 172 Unfall - atomarer - s. Reaktorunfall Ungerechtigkeit 2, 37, 121 - geografische - 317 - ökonomische - 101 - soziale-75,101, 106

354

Sachverzeichnis

Unternehmergenehmigung 335,445, 709 Unversehrtheit - körperliche ~ 44 f., 525 Unvoreingenommenheitsregel s. LeventhalKriterien Unzumutbarkeitsschwelle 353, 387, 721 Urananreicherungsanlage 416 Ursprungsprinzip 552 Urzustand s. Rawls , John Verantwortung 12,47,400,458 - für die Verteilung 28, 55 ~ gegenüber der Natur 23 - gesellschaftliche - 237 - staatliche ~ 237 Verbraucherschutzverband 565 Verbrauchssteuer 16 - örtliche ~ 675 Verfahren - gerechtes - 10, 70, 73, 75, 465 - normativ geregeltes ~ 62 Verfahrensablauf 63 f., 478 - Kontrolle des - 477 Verfahrensgerechtigkeit 2, 10, 25, 62, 66 ff., 356 ff., 367, 377 f., 379, 380 f., 387, 398, 406, 461 f., 477, 480, 561, 569, 671, 695, 710 ~ bei der Endlagerstandortauswahl 465 - im Luftverkehrsrecht 324 ~ im Umweltrecht 72, 693 ~ in der Abfallentsorgungsplanung 559 - größtmögliche ~ 465 - Procedural Justice-Forschung 62-63, 68, 72,474-476 Verfahrenskontrolle 64 Verfassungsgebot 263 Verfassungsprinzip 22 - unabänderliches ~ 39 Verfügungsbeschränkung 19o Verkehrsaufkommen 245, 267, 308 - erhöhtes ~ 393,497, 684 - hohes - 375 Verkehrsbaumaßnahme 252 Verkehrsbelastung 262 Verkehrsentlastung 254 Verkehrsflughafen 319, 329, 363, 384 - internationaler - 3 1 4 Verkehrshaushaltsplan 251

Verkehrsinfrastruktur 262 Verkehrskorridor 266 Verkehrslärm 290, 297, 530, 656 Verkehrsnachfrage 254 Verkehrsträger 250 f., 274, 298 Verkehrswegeplanung 244, 248, 252 Vermeidungsgebot 296,307,312 - naturschutzrechtliches ~ 296 Verteilung - arithmetisch gleiche - 48 - gerechte ~ 1-3, 13, 20, 30,40,73, 90, 221, 229, 237, 333, 352, 358, 413, 444, 504, 525, 534, 539, 549, 558, 622, 723 - proportionale - 43, 49,412, 550 - räumliche ~ 3, 48 f., 236, 242, 248, 257, 287, 310 f., 314, 393, 416, 441, 447, 461, 500, 505, 534, 557, 613, 646, 649, 708 712 f. - sozial gerechte ~ 8, 16, 20, 24, 220 - von Gütern und Lasten 26, 31, 43, 73, 547 - zeitliche und räumliche ~ 48 Verteilungsaspekt 103, 222, 234, 416, 422, 428, 507, 545, 721 - Berücksichtigung von ~ 10, 241, 367, 377, 380, 411, 417, 449, 452 ff., 507, 543, 694, 721 - umweit- und gesundheitsbezogener ~ 9 Verteilungsgerechtigkeit - bei der Abfallwirtschaftsplanung 519 ~ bei der Endlagerstandortauswahl 466 - bei der Errichtung von Mobilfunkanlagen 593 ~ bei der Linienbestimmung 287 ~ bei der Planung und Genehmigung von Abfallbeseitigungsanlagen 506 ~ bei der Standortauswahl von Atomanlagen 411 ~ beim Bedarfsplan und der Ausbauplanung 277 ~ beim Klimaschutz und Emissionshandel 613 ~ beim Planfeststellungsverfahren 302 ~ im Luftverkehrsrecht 325 ~ im Raumordnungs- und Landesplanungsrecht 219 ~ im Umweltrecht 693 ~ in der Abfallentsorgung 499

Sachverzeichnis - Begriff der ~ 26 - beim Bundesverkehrswegeplan 252 - materielle - 561 - Problem der - 26 f., 246, 298, 559, 597, 613, 645 - räumliche - 15, 20, 222, 290, 406, 413, 427 f., 433,441,455,460 Verteilungskriterium 33, 39, 46 f., 49, 62, 66, 232, 244, 247, 253, 270, 289, 313, 411, 444, 542, 550, 617, 619, 630, 632, 638, 645, 648, 721 - materielles - 10, 29,35,61,426 - räumliches - 426 Verteilungsprinzip 31 ff., 68,410, 678 - Angemessenheit s. Angemessenheit - Bedürftigkeit s. Bedürftigkeit - Billigkeit s. Billigkeit - Gleicheit s. Gleichheit - Leistung s. Leistung - Proportionalität s. Proportionalität Verteilungsprozess 33 - Verrechtlichung des ~ 28 Verteilungsregel s. Verteilungsprinzip Verteilungsunterschied 14 Verteilungswirkung 5 f., 14,16 f., 531, 617 ~ von Umweltlasten 6 - begrenzte - 545 - sozial ungerechte -117 - soziale - 1 6 - ungerechte - 117 Verträglichkeitsprüfung - naturschutzrechtliche - 296, 307 Vertragsstaatenkonferenz 602 Verursacherprinzip 1, 16, 47, 54 ff., 534, 549, 552, 671, 693 - normativ-rechtliche Bedeutung des - 55 - normativ-sozialethische Komponente des -55 - ökonomisch-zweckrationale Bedeutung des - 55 Verwaltungsentscheidung 116, 140, 151, 368, 562, 579, 612 - diskriminierende - 152 - selbständige - 336 - umweltrelevante - 126 Verwaltungsverfahren 69,459 - förmliches - 564 - mehrstufiges - 336, 359 23*

355

Vorbehandlungsanlage 494 Vorbelastung 47 ff., 232, 241, 246, 259, 298, 347, 349 ff., 377, 412, 427, 431 ff., 520, 524, 527 ff., 549, 558, 709, 711, 721 - hohe-531, 545 - plangegebene - 343 - radiologische - 431 - tatsächliche - 435,441 - umweltrelevante - 393 - vergleichsweise hohe - 443 - vorhandene - 376, 389,453 Vorbelastungsrechtsprechung 342, 348, 352 - des BVerwG 342, 347 ff., 387, 389 Vorleistung 634 f. Vornorm - DIN 18005 342 Vorsorgeprinzip 23, 35, 58,44 Walzer, Michael 32, 34 - Prinzipienpluralismus 32, 35 - Sphäre 32 Weltgesundheitsorganisation 45, 525 Wertgleichheit 224 Wettbewerbsfähigkeit - wirtschaftliche - 223 Wiederaufarbeitung 400,404,418,455 Wiederaufbau 204 Wiedervereinigung 677 Willkürschranke 382 Wirkung - athermische - 575 - thermische - 574 Wirkungszusammenhang - ökonomischer - 6, 9 Wirtschaftsförderung - staatliche - 663 Wirtschaftswachstum - erwartetes - 604 Wohlbefinden - körperliches - 524 f., 651 - seelisches - 525, 651 - soziales - 45, 525 Wohngebiet 234, 384, 590, 650, 654, 656 - allgemeines - 589,591, 593 f., 596, 718 - gemischtes - 52 - reines - 52, 587,591, 593, 721 Wolfenbüttel 456

356

Sachverzeichnis

Zulassungsentscheidung 292, 357 f., 363, 368, 377, 381

Zumutbarkeitsgrenze s. Zumutbarkeits-

- bestandskräftige ~ 516

Zumutbarkeitsschwelle 341 f., 376, 385 - enteignungsrechtliche ~ 652 Zusatzbelastung 524, 529, 531,545 Zuteilungsplan - nationaler ~ 609- ff. Zwischenlager 399, 403,405, 411, 413, 416, 418 f., 448 ff. - atomares - 3 9 1 - dezentrales - 413,419,450, 455 - standortnahes ~ 403,413,418,450a - zentrales - 403,419,450

- gebundene - 345, 543 - konkrete ~ 286, 546 Zulassungsverfahren 359, 369, 375, 378, 381, 490, 507, 510, 512, 516 f., 563, 565, 694 - abfallrechtliches ~ 564 - immissionsschutzrechtliches ~ 563 - luftverkehrsrechtliches ~ 359 - planfeststellungsbedürftiges ~ 334, 360

schwelle