Theorie und Praxis bei Augustin: Eine Verhältnisbestimmung 9783495860427, 9783495483602


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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Einleitung
1. Die Fragestellung
2. Stand der Forschung und Hauptthese
3. Gliederung der Arbeit
Erstes Kapitel: Theoretisches und praktisches Wissen
I. Platonische Einheit
A. Königliches Wissen
B. Einheit
II. Die Unterscheidung des Aristoteles
A. Die Tatsache der Unterscheidung
B. Kriterien der Unterscheidung
C. Phronêsis und sophia
III. Stoische Einheit
A. Die Einheit des hêgemonikon
B. Die Einteilung der Wissenschaften
C. Die Definition der Weisheit
IV. Die Position Augustins
A. Ein philosophiegeschichtliches Kapitel in de civitate Dei
B. Die Einteilung der Wissenschaften
1. Die Wissenschaftseinteilung von de ordine
2. Der Übergang zu de doctrina christiana
3. Dialectica und arithmetica – Einheit und Weisheit
a) dialectica: unterscheiden, verknüpfen und urteilen
b) arithmetica und sapientia proprie
4. Die Ethik
a) Der Wert der praktischen Reflektion
b) Gesetz und Vorsehung
c) Die Form der ethischen Argumentation
5. Die Dreiteilung der Philosophie
C. Scientia und sapientia
1. Frühe Entwicklung der Weisheitsidee
2. Ratio inferior und superior
3.Scientia und sapientia in de Trinitate
4. Scientia
a) Der Gegenstand der scientia
b) Scientia, Tugend und Liebe
c) Die scientia bläht auf
5. Zusammenfassung der Position Augustins
Zweites Kapitel: Gott, Kosmos und menschliche Praxis
I. Die antiken Positionen
a) Platon
b) Aristoteles
c) Die Stoa
II. Augustin
A. Menschliche medietas, Gott und Kosmos
1. Gottesnähe, Gottesferne und Vermittlung
2. Kosmos
3. Menschliche medietas und Vergottung
a) medietas in Spannung
b) Gottebenbildlichkeit und Vergottung
B. Die Unterscheidung zwischen uti und frui
1. Die Freiheit als mittleres Gut
2. Allgemeine Charakterisierung der Unterscheidung
3. Formen des uti
4. Fruitio Dei, Gottesdienst und Weisheit
5. Uti-frui und scientia-sapientia
C. Die Hierarchie von Handlung und Betrachtung
1. sensibilia und intelligibilia
2. Das Wachstum der Seele
3. Zusammenfassung der Position Augustins
Drittes Kapitel: Aktives und kontemplatives Leben
I. Die antiken Positionen
a) Platon
b) Aristoteles
c) Die Stoa
II. Augustin
A. Die Frage nach der Seligkeit und den Lebensweisen in der frühen Reflektion
1. Der Begriff der Seligkeit
2. Die Lebensweisen
a) contra academicos und de beata vita
b) de ordine
B. Die reife Reflektion über die Lebensweisen
1. Die Seligkeit
2. Seligkeit und Lebensweisen
C. Das aktive Leben: Reinigung, Glaube und Handlung
1. Die Notwendigkeit von Reinigung
2. Glaube als Reinigung
3. Glaube, Handlung und necessitas
D. Das kontemplative Leben
1. Die Begründung
2. Die Möglichkeit der Gottesschau
E. Modelle der Lebensweisen
1. Abschied vom König-Philosophen
2. Zwei Lebensweisen
a) Martha und Maria
b) Lea und Rachel
c) Petrus und Johannes
3. Zusammenfassung der Position Augustins
Schlusswort
I. Abkürzungen
a) Abkürzungen für antike Philosophie
b) Abkürzungen für patristische Literatur
c) Abkürzungen für Augustins Werke (= Abkürzungen aus AL)
d) Andere verwendete Abkürzungen
II. Literaturverzeichnis
a) Benutzte Ausgaben von klassischen Werken
b) Benutzte Ausgaben von Augustins Schriften
c) Lexika
d) Sekundärliteratur
III. Register
a) Stellenregister
b) Personenregister
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Theorie und Praxis bei Augustin: Eine Verhältnisbestimmung
 9783495860427, 9783495483602

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https://doi.org/10.5771/9783495860427 .

Manfred Svensson Theorie und Praxis bei Augustin

ALBER THESEN

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https://doi.org/10.5771/9783495860427 © Verl

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Über dieses Buch: Dieses Buch stellt die Entwicklung dar, durch welche Augustin sich von einem einheitlichen Weisheitsbegriff in seinen Frühschriften, zu der späteren Unterscheidung zwischen scientia und sapientia bewegt. Gegenüber Deutungen, die diese scientia als epistêmê verstehen, wird sie hier scharf als equivalent zu aristotelischer phronêsis profiliert. Anhand von dieser Interpretation des augustinischen Verständnisses der Wissensformen, und der damit zusammenhängenden Frage nach aktivem und kontemplativem Leben, wird eine neue Gesamtsicht von Augustins praktischer Philosophie angeboten. Über den Autor: Dr. phil. Manfred Svensson, geb. 1978 in Jönköping (Schweden), lehrt Philosophie an der Universität Los Andes in Santiago (Chile). Veröffentlichungen zu Augustin, Melanchthon, Locke und Kierkegaard.

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Manfred Svensson

Theorie und Praxis bei Augustin Eine Verhältnisbestimmung

Verlag Karl Alber Freiburg / München

https://doi.org/10.5771/9783495860427 © Verl

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Alber-Reihe Thesen Band 36

Überarbeitete Fassung der Münchner Dissertation mit dem Titel »Das Theorie-Praxis-Problem bei Augustin vor dem Hintergrund der antiken Philosophie«. Gedruckt mit Unterstützung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes

Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier (säurefrei) Printed on acid-free paper Alle Rechte vorbehalten – Printed in Germany © Verlag Karl Alber GmbH Freiburg / München 2009 www.verlag-alber.de Originalausgabe Satz und Einbandgestaltung: SatzWeise, Föhren Einband gesetzt in der Rotis SansSerif von Otl Aicher Inhalt gesetzt in der Aldus und Gill Sans Druck und Bindung: Difo-Druck, Bamberg ISBN 978-3-495-48360-2 (Print)

ISBN 978-3-495-86042-7 (E-Book)

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Meiner Frau Carolina

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Vorwort

Dieses Buch präsentiert die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Sommersemester 2007 von der Fakultät für Philosophie, Wissenschaftstheorie und Religionswissenschaft der LudwigMaximilians-Universität in München angenommen wurde. Die Arbeit an der Dissertation wurde durch ein großzügiges Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) ermöglicht. Ein herzliches Wort des Dankes möchte ich zuallererst meinem Doktorvater Prof. Dr. Thomas Buchheim widmen, der den Fortgang der Untersuchung durch Zuspruch und vielfältige Förderung unterstützt hat. Für die Übernahme des zweiten Gutachtens bin ich auch Prof. Dr. Christian Schäfer sehr zu Dank verpflichtet. Anregung habe ich ebenfalls von den Teilnehmern am von Prof. Buchheim geleiteten Doktorandenkolloquium erfahren. Für sprachliche und nicht nur sprachliche Korrekturen möchte ich Dirk Jan van Ouwerkerk, Ephraim Kobler, PD Dr. Sven Grosse und Prof. em. Dr. David Marshall danken. Nicht zuletzt möchte ich gegenüber dem Verlag Karl Alber für die Aufnahme meiner Arbeit und dem Deutschen Akademischen Austauschdienst für den Druckkostenzuschuss meinen Dank zum Ausdruck bringen.

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Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stand der Forschung und Hauptthese . . . . . . . . . . 3. Gliederung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 13 16 20

Erstes Kapitel: Theoretisches und praktisches Wissen . . . .

23

I. Platonische Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Königliches Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Unterscheidung des Aristoteles . . . . . . . . . . . . A. Die Tatsache der Unterscheidung . . . . . . . . . . . . B. Kriterien der Unterscheidung . . . . . . . . . . . . . . C. Phronêsis und sophia . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Stoische Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die Einheit des hêgemonikon . . . . . . . . . . . . . . B. Die Einteilung der Wissenschaften . . . . . . . . . . . C. Die Definition der Weisheit . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Position Augustins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Ein philosophiegeschichtliches Kapitel in de civitate Dei B. Die Einteilung der Wissenschaften . . . . . . . . . . . 1. Die Wissenschaftseinteilung von de ordine . . . . . 2. Der Übergang zu de doctrina christiana . . . . . . . 3. Dialectica und arithmetica – Einheit und Weisheit . a) dialectica: unterscheiden, verknüpfen und urteilen b) arithmetica und sapientia proprie . . . . . . . . 4. Die Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Wert der praktischen Reflektion . . . . . . . b) Gesetz und Vorsehung . . . . . . . . . . . . . . c) Die Form der ethischen Argumentation . . . . .

23 23 25 28 28 30 33 36 37 37 39 41 41 47 48 56 61 62 66 71 71 72 76 A

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Inhalt

5. Die Dreiteilung der Philosophie . . . . C. Scientia und sapientia . . . . . . . . . . . . . 1. Frühe Entwicklung der Weisheitsidee . . . 2. Ratio inferior und superior . . . . . . . . 3. Scientia und sapientia in de Trinitate . . . 4. Scientia . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Gegenstand der scientia . . . . . . b) Scientia, Tugend und Liebe . . . . . . . c) Die scientia bläht auf . . . . . . . . . . 5. Zusammenfassung der Position Augustins

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78 82 82 88 94 102 102 107 113 115

Zweites Kapitel: Gott, Kosmos und menschliche Praxis . . . 121 I. Die antiken Positionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Platon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aristoteles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Stoa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Augustin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Menschliche medietas, Gott und Kosmos . . . . . . . 1. Gottesnähe, Gottesferne und Vermittlung . . . . 2. Kosmos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Menschliche medietas und Vergottung . . . . . . a) medietas in Spannung . . . . . . . . . . . . . b) Gottebenbildlichkeit und Vergottung . . . . . B. Die Unterscheidung zwischen uti und frui . . . . . . 1. Die Freiheit als mittleres Gut . . . . . . . . . . . 2. Allgemeine Charakterisierung der Unterscheidung 3. Formen des uti . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fruitio Dei, Gottesdienst und Weisheit . . . . . . 5. Uti-frui und scientia-sapientia . . . . . . . . . . C. Die Hierarchie von Handlung und Betrachtung . . . 1. sensibilia und intelligibilia . . . . . . . . . . . . 2. Das Wachstum der Seele . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung der Position Augustins . . . .

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121 121 123 125 125 126 127 131 135 135 138 143 143 147 149 156 159 162 162 166 170

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Inhalt

Drittes Kapitel: Aktives und kontemplatives Leben . . . . . . 172 I. Die antiken Positionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Platon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aristoteles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Stoa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Augustin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die Frage nach der Seligkeit und den Lebensweisen in der frühen Reflektion . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Begriff der Seligkeit . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Lebensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . a) contra academicos und de beata vita . . . . . . b) de ordine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die reife Reflektion über die Lebensweisen . . . . . 1. Die Seligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Seligkeit und Lebensweisen . . . . . . . . . . . . C. Das aktive Leben: Reinigung, Glaube und Handlung 1. Die Notwendigkeit von Reinigung . . . . . . . . 2. Glaube als Reinigung . . . . . . . . . . . . . . . 3. Glaube, Handlung und necessitas . . . . . . . . . D. Das kontemplative Leben . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Möglichkeit der Gottesschau . . . . . . . . . E. Modelle der Lebensweisen . . . . . . . . . . . . . . 1. Abschied vom König-Philosophen . . . . . . . . . 2. Zwei Lebensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . a) Martha und Maria . . . . . . . . . . . . . . . b) Lea und Rachel . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Petrus und Johannes . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung der Position Augustins . . . .

Schlusswort

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181 181 184 184 186 189 189 192 196 196 198 202 205 205 208 212 212 214 214 216 218 220

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Inhalt

I.

Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228

a) Abkürzungen für antike Philosophie . . b) Abkürzungen für patristische Literatur c) Abkürzungen für Augustins Werke (= Abkürzungen aus AL) . . . . . . . . d) Andere verwendete Abkürzungen . . .

. . . . . . . . . . 228 . . . . . . . . . . 229 . . . . . . . . . . 229 . . . . . . . . . . 231

II. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 a) b) c) d)

Benutzte Ausgaben von klassischen Werken Benutzte Ausgaben von Augustins Schriften Lexika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . .

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232 233 233 233

III. Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 a) Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 b) Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254

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Einleitung

1. Die Fragestellung Wie bekannt, gibt es bei Platon und Aristoteles unterschiedliche Berichte über Thales. Platon erzählt, wie Thales, der die Sterne betrachtet, deswegen in einen Brunnen fällt, und so das Lachen eines thrakischen Mädchens auslöst 1 . Aristoteles dagegen berichtet, dass Thales seine astronomischen Kenntnisse verwendet, um mit großem Gewinn eine gute Ernte vorauszusagen 2 : Die Philosophen könnten etwas Nützliches vollführen, wenn sie es wollten. Aber wollen sie es? Sollten sie es wollen? Die erste lateinische christliche Aussage über Thales befindet sich bei Tertullian, der die platonische Erzählung wiederholt und sie als ein Gleichnis für die törichte Neugier der naturphilosophischen Betrachtungen der heidnischen Philosophen verwendet, die sich auf die Natur statt auf den Schöpfer konzentrieren 3 . Aber derselbe Tertullian wird ein Werk de pallio schreiben, in dem er die Ansicht verteidigt, dass die Christen besondere Kleidung tragen sollen, nicht nur als Zeichen der Einfachheit, sondern weil sie ein besonderes Leben führen, ein Leben welches leicht zu erkennen sein sollte. Und der sonst gegen die heidnische Philosophie polemisch ausschreibende Verfasser benutzt hier das Wort Philosoph in positiver Weise: »Auf einen Philosophen wird man nur hören, wenn man ihn zuerst gesehen hat« 4 . Ähnliches gilt für einen Christen. Es wird hier nicht nur die Idee des philosophischen Lebens weitergetrieben. Was weiterlebt ist auch, dass die Wahl nicht zwischen dem philosophischen und irTht. 174a. polit. I 11, 1259a 6–23. 3 nat. II, 4, 19. itaque casus eius per figuram philosophos notat, scilicet eos, qui stupidam exerceant curiositatem, in res naturae quam prius in artificem eius et praesidem. 4 pall. 6, 1. sic denique auditur philosophus dum videtur. 1 2

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Einleitung

gendeinem anderen Leben besteht, sondern zwischen einem philosophischen und einem politischen Leben: Das ganze de pallio ist eine Polemik zugunsten des pallium und gegen die toga 5 . Die toga ist kompliziert, das pallium zeigt dagegen die Einfachheit des philosophischen Lebens 6. Die klassische Diskussion über die Wahl zwischen philosophischem und politischem Leben wird auf diese Weise seit den frühesten christlichen Texten, die uns überliefert sind, weitergeführt; und dies mit der Gewissheit, dass das Christentum etwas Neues zu dieser Debatte beiträgt: Das pallium ist jetzt durch eine »bessere Philosophie« 7 erhöht worden. Neben dieser Wahl zwischen philosophischem und politischem Leben begegnet uns eine andere Unterscheidung: die zwischen theoretischem und praktischem Wissen. Es sind verschiedene Wissensformen, die zur Gestaltung von verschiedenen Lebensweisen führen. Mit praktischem Wissen meinen wir nämlich nicht Theorien über die Praxis – also das, was wir »praktische Philosophie« nennen – sondern das handlungsleitende Wissen selbst, das ein »integrierendes Moment des Handelns« 8 ist. Wir denken aber nicht nur, um richtig handeln zu können – die Weise, wie sich die Vernunft daran betätigt, ist nur ein Teil des Theorie-Praxis-Problems. Wir denken auch, weil wir einfach verstehen möchten; und dieses theoretische Wissen hat natürlich den Anspruch, in sich selbst ein Zweck zu sein, und nicht in unmittelbarem Dienst der Praxis zu stehen. Handelt es sich dabei um zwei völlig verschiedene Wissensformen? Stehen sie dann in irgendwelcher Beziehung zueinander? Gibt es eine, die edler als die andere ist? Ist eine der beiden daraus gestalteten Lebensformen edler als die andere? Inwiefern kann der Mensch auch Gegenstand der höchsten Formen der theoretischen Philosophie sein? Fragen dieser Art bilden, was wir hier insgesamt »das Theorie-Praxis-Problem« nennen werden. Ziel dieser Arbeit ist es, diese zwei Themenkreise, theoretisches und praktisches Wissen einerseits, theoretisches und praktisches Leben andererseits, in ihren wichtigsten antiken Positionen darzulegen und ihre Verwandlung durch das Christentum zu erforschen. Von einem Theorie-Praxis-Problem zu sprechen kann allerdings unbepall. 6, 2. a toga ad pallium! pall. 1, 1. 7 pall. 6, 2. gaude pallium et exsulta! Melior iam te philosophia dignata est ex quo Christianum vestire coepisti. 8 Kuhn (1963:163). 5 6

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Die Fragestellung

gründet erscheinen. Es ist nämlich so – und darin könnten Aristoteles und Augustin eins sein –, dass wir sowohl im Wissen wie auch im Handeln auf anderes gerichtet sind, gleichzeitig aber dadurch so oder anders gestaltet werden: Unser Wissen und unser Handeln sind darin verbunden, dass sie über uns selbst entscheiden. Die Praxis handelt aber von dem, was auch anders sein kann; Gott dagegen ist unbeweglich: Ein Verhältnis (problematisches oder nicht) zwischen Ihm und der menschlichen Praxis ist folglich undenkbar. Aus dieser Sicht scheint es völlig adequat zu sein, praktisches und theoretisches Wissen wie bei Aristoteles zu trennen. Wo aber der Mensch primär im Lichte seiner Gottebenbildlichkeit betrachtet wird – wie schon im platonischen Programm einer homoiôsis theô, aber bei weitem zentraler bei Augustin –, wird eine solche Trennung problematisch. Das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis scheint so in durchaus problematischen Zusammenhängen eingegliedert zu sein. Zusammenhänge, in denen das Christentum manche für die vorchristliche Antike unvorstellbare Positionen eingeführt hat. So scheint es angemessen, diesem Buch die Form einer Konfrontation der Hauptpositionen der Antike mit den Werken Augustins zu geben. Dass gerade Augustin für diese Gegenüberstellung gewählt wurde, bedarf keiner langen Begründung, da uns bei ihm eine so wirkungsvolle Vereinigung von Christentum und philosophischer Bildung begegnet. Dennoch seien einige Gründe dafür genannt. a) Augustin ist nicht nur Vertreter eines christlichen Platonismus, sondern fast die Gesamtheit der spätantiken philosophischen Schulen, außer Aristoteles und Epikur, hinterlässt eine deutliche Spur in seinem Werk. Aber nicht nur die strikt philosophischen Schulen, sondern auch die religiösen Bewegungen mit denen er sich auseinandersetzt und an denen er früher teilgenommen hat. b) Während seines Lebens wird Augustin wichtige Wandlungen in seinem Denken erleben, die den Kern dieses Problems berühren, z. B. was die Möglichkeit einer Gottesschau in diesem Leben oder den Wert eines intellektuellen Aufstiegs betrifft. Er selbst deutet die meisten dieser Entwicklungen als eine Vertiefung in der christlichen Wahrheit, wie in den Retractationes leicht einzusehen ist. c) Er erlebt selbst eine Wandlung von einem »theoretischen« Leben (christianae vitae otium in Cassiciacum) zu einem praktischen Leben (Bischofsamt), beides als Etappen innerhalb seines Lebens als Christ. d) Seine Kritik an den ihm bekannten antiken Positionen geht von der Feststellung aus, ihnen mangelte es an Einheit zwischen Theorie und Praxis. »Wir A

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Einleitung

Christen glauben und lehren, und unser Heil hängt daran, dass Philosophie, das heißt Suche nach der Weisheit, und Religion nicht voneinander verschieden sind« 9 ; die Gegner dagegen »philosophieren weder über heilige Dinge, noch heiligen sie sich in der Philosophie« 10 . Dies mag ein Topos sein, den jede Schule gegen die andere ausspielen kann; auch dann ist aber die Frage berechtigt, ob der Topos in diesem Fall etwas auf sich hat. e) Schließlich sei als Grund für die Wahl auf Augustins Einfluss auf die spätere Geschichte der Philosophie verwiesen. Am Anfang von nahezu jedem Sentenzenkommentar der Scholastik begegnen uns zwei Fragen: die aristotelisch gestellte Frage, ob die Theologie eine theoretische oder praktische Wissenschaft ist, und die augustinisch geprägte, ob nur Gott genossen (frui) werden darf und alles andere nur »benutzt« (uti) werden sollte. Eine Klärung der augustinischen Position kann auch zu einem besseren Verständnis dieser späteren Geschichte verhelfen 11 .

2. Stand der Forschung und Hauptthese Schon 1940 hat Marie-Dominique Chenu darauf aufmerksam gemacht, dass in diesem Thema ein spezifisch christlicher Einfluss auf die Philosophie zu finden ist. Gegen eine Reduktion der mittelalterlichen Scholastik auf ausschließlich aristotelische philosophische Quellen, hat er darauf hingewiesen, dass die aristotelische Unterscheidung zwischen theoretischem und praktischem Wissen bei den Hauptvertretern der Scholastik sich nicht mit der Unterscheidung zwischen ratio inferior und superior deckt, sondern die zwei Unterscheidungen in den jeweiligen Autoren auf voneinander selbständige Weise überleben. In dieser Unterscheidung zwischen ratio inferior und superior, die er mit Recht auf Augustin zurückgeführt hat, wollte Chenu folglich einen vernachlässigten »cas de philosophie chrétienne« 12 sehen. Ich folge hier Chenus Hinweis, werde aber nicht von der Vorstellung einer christlichen Philosophie geleitet, sondern aus der einfachen Beobachtung, dass die christliche Doktrin die Gevera rel. 5, 8. vera rel. 7, 12. neque in sacris philosophantur neque in philosophia consecrantur. 11 Zu Augustins Einfluss auf die frühscholastische Systembildung vgl. Grillmeier (1962) und Mulligan (1955). 12 Chenu (1940:84). 9

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Stand der Forschung und Hauptthese

schichte der Philosophie in verschiedenen Etappen wesentlich beeinflusst hat und dass dieser Einfluss auch oft der Philosophie gut getan hat 13 . Dass es diesen Einfluss überhaupt gegeben hat, wird niemand bestreiten. Dass es sich aber um etwas Positives handelt, wird gelegentlich in Frage gestellt. Hannah Arendt ist z. B. der Ansicht, dass mit dem Christentum sich eine allzu strenge Abwertung des politischen Lebens ergeben hat. Bei den antiken Philosophen gilt zwar das kontemplative Leben als vorzüglicher, aber das aktive Leben, in der Form eines bios politikos, bleibt immer noch als eine Art von Leben, das in sich selbst wertvoll und deswegen erstrebenswert ist, was freilich nicht für jede Art von aktivem Leben gilt: Nicht z. B. für ein Leben unter dem Zwang der Notwendigkeit, wie es das Leben des Geschäftsmannes ist. Arendts Interpretation zufolge wird für das Christentum – und sie beruft sich hier auf Augustin – auch der bios politikos zu einem Leben von Notwendigkeit, zu etwas, das niemand für sich selbst freiwillig wählen würde, obwohl es durch die Nächstenliebe geboten wird und auf diese Weise erhalten bleibt. Nur das kontemplative Leben wird dann das freie Leben sein 14 . Aber auch hier, in der Interpretation des kontemplativen Lebens, gebe es eine Umdeutung des antiken Erbes, da es nicht mehr als das Privileg von einigen Wenigen, sondern als das Recht von allen verstanden wird. Arendt fährt fort, indem sie dies in Verbindung zur Stellung des Menschen im Kosmos stellt. Das Christentum bringt eine deutliche Abwertung des Kosmos im Vergleich zum einzelnen Menschen mit sich, dem jetzt ewiges Leben versprochen wird – also das Leben, das früher nur die Sterne hatten. Arendt sieht hier einen Sieg der Idee des »Ewigen« im Kampf mit der Idee der »Unsterblichkeit«, die früher im politischen Leben zu suchen war: Die Politik gehört jetzt zum Bereich des Vergänglichen, wo keine Unsterblichkeit mehr zu suchen ist. Damit ist der kosmologische Grund für eine totale Abwertung des täti13 Augustin ist zwar einer der ersten, den Begriff »philosophia christiana« zu verwenden (c. Iul. IV, 14, 72); damit meint er aber nicht etwas spezifisch und ausschließlich Philosophisches, sondern die Gesamtheit der christlichen Weltanschauung und Lebensweise. Wenn ich hier auf diesen Begriff verzichte ist es nicht, weil diese Weltanschauung und Lebensweise in der folgenden Arbeit nicht zur Sprache kommt – das geschieht vor allem im zweiten Kapitel –, sondern um ein durch die Diskussion des 20. Jahrhunderts mit verschiedenen Inhalten überladenen Begriff zu vermeiden. Zu dieser Diskussion vgl. Schmidinger (1990). 14 Arendt (1958:13–15).

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Einleitung

gen Lebens gegeben, oder für ein tätiges Leben, dessen einziger Wert darin besteht, im Dienst des kontemplativen Lebens zu stehen 15 . Arendts Bemerkungen haben viel, das wir als zutreffend bezeichnen müssen, und ihre Beobachtungen werden uns die ganze Arbeit hindurch begleiten. Sollte sich ihre Bewertung von Augustins Position letztendlich nicht in allen Punkten als beweiskräftig erweisen, so ist doch die Artikulierung der Themenkreise, die in dieser Frage involviert sind, auf richtige Weise aufgelistet. In ihrer Einschätzung von Augustins Position konzentriert sie sich aber völlig auf die Lebensweisen, und berührt nicht die Frage nach den verschiedenen Wissensformen. Dies ist in der Tat bemerkenswert, da bei den antiken Philosophen die Verbindung zwischen den Wissens- und Lebensformen auf der Hand liegt: Zwei Wissensformen, phronêsis und sophia, entsprechen bei Aristoteles zwei verschiedene Lebensweisen, politische und philosophische. Es gibt gute Gründe, um eine ähnliche Verbindung zwischen Wissensformen und Lebensweisen bei Augustin zu erwarten, weswegen eine eingehende Studie seiner Weisheitsvorstellung für das Verständnis der Lebensweisen hilfreich sein sollte. Studien über die praktische Philosophie Augustins stützen sich aber weitgehend auf seine Lehre über den Willen statt auf seine Weisheitsvorstellung. Dies ist leicht nachzuvollziehen, da in diesem Punkt Augustins große Originalität liegt 16 . Die hier vorliegende Arbeit will aber zeigen, dass, auch unabhängig von seiner Freiheitslehre, in Augustins Lehre über die Wissensformen eine gegenüber den klassischen antiken Positionen neue Lehre zu finden ist. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen aber einige falsche Auffassungen über Augustins Weisheits- und Erkenntnislehre korrigiert werden. Die Literatur zu Fragen der Erkenntnis bei Augustin beschäftigte sich im 20. Jahrhundert vor allem mit der Kontroverse über die Illuminationslehre; dieser Ausgangspunkt hat aber die Diskussion über scientia und sapientia bei Augustin eher entstellt, da scientia als aristotelische epistêmê verstanden wurde und nicht als praktisches Wissen 17 . Augustins technischer Terminus für das praktische Wissen ist auf diese Weise aus der Diskussion entfallen. Man hat folglich sein WeisArendt (1958:17–21 und 318–319). Zu Augustins »Entdeckung« des Willens vgl. Dihle (1982:123–144) und Horn (1996). 17 Zusammenfassung der Diskussion über die Illuminationslehre bei Schützinger (1962). Zu Hessens Entstellung der scientia vgl. infra Kap. 1, IV, C, 4, a: »Der Gegenstand der scientia«. 15 16

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Stand der Forschung und Hauptthese

heitsverständnis weitgehend auf die sapientia beschränkt, und dies durch fast alleinige Konzentration auf die frühen Schriften, bis zu den Confessiones 18. Für die Augustin-Forschung bedeutet dies eine zweifache Schwäche. Denn einerseits kommt Augustins Lehre über scientia-sapientia, die besonders in de Trinitate entwickelt wird, und die seine eigene reife Position darstellt, trotz der umfangreichen Literatur zu de Trinitate selten zur Sprache; andererseits wird auch die Tatsache nicht thematisiert, dass Augustin von dem frühen einheitlichen sapientia-Begriff zu dieser späteren Unterscheidung sich weiter entwickelt hat 19 . Dass eine solche Entwicklung stattgefunden hat, liegt aber auf der Hand. Die folgende Arbeit will nicht nur diese Entwicklung erläutern, sondern auch nach ihren Ursachen fragen, und den Beitrag einschätzen, den Augustin durch seine späte Lehre zu dieser philosophischen Problematik gemacht hat. Da ich auf eine Entwicklung verweise, muss ich aber ein diesbezügliches Wort sagen. »Entwicklung« ist in anderen Bereichen Kernwort der augustinischen Forschung geworden, so z. B. für die Gnadenlehre oder für Aspekte seines politischen Denkens. Dies hat aber teilweise zu extremen Auffassungen von einer Entwicklung bei Augustin geführt, etwa bei Kurt Flasch, der die Entstehung der Gnadenlehre als einen Bruch mit der philosophischen Weisheitstradition sieht 20 . Die Vorstellung von einem Weisen, der selbst die Initiative ergreift, um sein Leben rational zu gestalten, und auf diese Weise zu einem guten Ziel kommt, sei ab 396–7 für Augustin unhaltbar geworden 21 . Es ist nicht überraschend, dass solchen Thesen gegenüber heute eine Tendenz erkennbar ist, die Einheit von Augustins Denken zu betonen 22 . Dieser Tendenz schließt sich die folgende Arbeit im Großen und Ganzen an. Auch wenn man keinen Bruch annimmt, kann man aber über ein Wachsen von ursprünglichen Einsichten reden, und die sich daraus ergebende Entwicklung beschränkt sich keineswegs auf akzidentelle Aspekte. Augustin bewegt sich von einem frühen einheitlichen Vgl. z. B. Holte (1958), Bourke (1958) und Doull (1988). Bei Lorenz (1981:63) wird die späte Lehre über scientia-sapientia den frühen Schriften zugeschrieben, um so die Kontinuität zu behaupten. Für eine Kritik dieser Auffassung vgl. infra Kap. 1, IV, C, 1: »Frühe Entwicklung der Weisheitsidee«. 20 Vgl. z. B. Flasch (1994:225–226). 21 Vgl. Flasch (1990:37–42). 22 Bedeutende Beiträge in diese Richtung bilden die Arbeiten von Madec (1996) und Harrison (2006). 18 19

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Einleitung

Weisheitsverständnis, zu der später differenzierten Unterscheidung zwischen scientia und sapientia, sodass seine Lehre über theoretisches und praktisches Wissen sich gewissermaßen als ein mittlerer Weg zwischen Platon und Aristoteles beschreiben lässt. Mehrere Änderungen des Weltbilds hängen mit dieser Entwicklung zusammen und sie spiegelt sich in der Frage nach den Lebensweisen wider.

3. Gliederung der Arbeit Wie bereits erwähnt, findet man in den Werken Augustins Spuren von allen wichtigen antiken philosophischen Schulen. Er ist der Auffassung, dass sich in der Geschichte der heidnischen Philosophie, nach einem langen Prozess, »eine einzige Lehre der wahren Philosophie herauskristallisiert hat« 23 . Augustins eigene Zugehörigkeit zu dieser antiken Tradition kann durch die Aussage aus de civitate Dei veranschaulicht werden, nach welcher »alles was wir machen müssen sich in der Tugend zusammenfassen lässt, alles wonach wir streben müssen, in der Seligkeit« 24 . Diese antike philosophische Tradition wird aber in der hier vorliegenden Arbeit nicht als »herauskristallisierte« Einheit zur Sprache kommen, sondern die jeweiligen Positionen von Platon, Aristoteles und die Stoa werden in jedem Kapitel vor der Position Augustins behandelt, im ersten Kapitel besonders ausführlich. Was mich hier bewegt, ist nicht die Frage nach den Quellen Augustins, sondern eine Gegenüberstellung mit klassischen antiken Positionen. Auch wenn sie nicht immer direkten Einfluss auf Augustin hatten, kommt den genannten Philosophen eine zentrale Rolle zu, weil sie alle eine deutlich ausgearbeitete Position in dieser Frage hatten und die Position Augustins folglich, durch den Kontrast mit ihnen, markanter in ihrer Eigenart zu verstehen sein wird. Deswegen beschränke ich mich auf die wichtigsten antiken Positionen

23 Acad. III, 19, 42. eliquata est, ut opinor, una verissimae philosophiae disciplina. Es ist aber umstritten, ob Augustin mit diesem Satz eine »eklektische christliche Philosophie«, sogar das Christentum selbst, gemeint hat, wie Holte meint (1958:106–110), oder ob einfach das Beste des Neuplatonismus, mit dem das Christentum kompatibel aber nicht identisch ist, so du Roy (1966:116–7). Zusammenfassung der Diskussion und m. E. zutreffende Verteidigung der Position du Roys in Fuhrers Kommentar zu contra academicos (1997:451–453). 24 civ. IV, 21.

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Gliederung der Arbeit

und gehe weniger auf die Autoren ein, die einen direkten Einfluss auf Augustin ausübten (Plotin und Cicero), obwohl ich sie gelegentlich mit einbeziehen werde. Die Arbeit ist in drei Kapitel gegliedert. Das erste konzentriert sich auf die Möglichkeit von Unterscheidungen zwischen theoretischem und praktischem Wissen und die Kriterien, die dafür erforderlich sind, sowie auf die Rolle, die solche Unterscheidungen im gesamten System der jeweiligen Philosophen oder Schulen spielen. Der Teil, der Augustin gewidmet ist, fängt mit einem vorbereitenden Schritt an, nämlich einer Darstellung von Augustins Sicht der Geschichte des Theorie-Praxis-Problems (1, IV, A). Dem folgt dann die Darlegung seiner eigenen Wissenschaftseinteilungen (1, IV, B). Durch diese zwei Schritte gewinnen wir einen ersten Zugang zu den Themen, die im letzten Teil des Kapitels (1, IV, C) anhand der scientia-sapientia Lehre eingehend behandelt werden. Die zwei weiteren Kapitel befassen sich vor allem mit der Kongruenz dieser Lehre (von scientia–sapientia) mit anderen Aspekten des augustinischen Denkens. Das zweite Kapitel hat zwei Hauptanliegen. Einerseits werden Probleme der Ordnung behandelt, wie die Beziehung des Menschen zum Kosmos oder zu Gott (2, II, A); andererseits wird hier die uti-frui Unterscheidung behandelt (2, II, B), besonders anhand der Frage nach ihrer parallelen Struktur zur scientia-sapientia Unterscheidung. Dadurch komme ich zum letzten Kapitel, wo nicht mehr die Unterscheidung zwischen theoretischem und praktischem Wissen im Vordergrund steht, sondern die zwischen aktivem und betrachtendem Leben. Es wird durch eine Darstellung der verschiedenen Lehren über das höchste Glück eingeleitet (3, II, A und B), um von da aus die mit der Wahl zwischen vita activa und contemplativa zusammenhängenden Probleme zu bearbeiten, wie die Notwendigkeit einer Reinigung (3, II, C) oder die Möglichkeit einer diesseitigen Gottesschau (3, II, D). Abschließend wird Augustins allmähliche Entfernung vom Bild des Philosophen-Königs dargestellt und sein Verständnis der zwei Lebensweisen anhand von verschiedenen Paaren biblischer Gestalten untersucht (3, II, E). Anhand des Problemkreises von Theorie und Praxis wird also gewissermaßen der Versuch unternommen, eine Art Summe der praktischen Philosophie Augustins vorzulegen. Meine Arbeit ist auf die Gesamtheit von Augustins Schriften gegründet. Da ich gelegentlich auf Entwicklungen in diesem Schrifttum hinweise, seien einige allgemeinen Angaben zur Chronologie geA

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Einleitung

macht 25 . Innerhalb der frühen Schriften können wir eine erste Gruppe nennen, die die Schriften von Cassiciacum, de moribus, de libero arbitrio I und der antimanichäische Genesis-Kommentar einschließt (bis etwa 390). Eine zweite Gruppe würde vor allem aus de vera religione, de libero arbitrio II–III, und Augustins ersten Kommentaren zu Paulus (Römer- und Galaterbriefe) bestehen (bis 395). Zwischen 396 und 397 werden die ersten Werke nach der Bischofserhebung geschrieben, Confessiones I–IX, ad Simplicianum und de doctrina christiana I–III. Für die Großwerke, de Trinitate (399–426/7?), de Genesi ad litteram (404–415) und de civitate Dei (412–426), gebe ich, wenn notwendig, die Angaben zum jeweiligen Buch im Laufe der Arbeit.

Eine hilfreiche Zusammenfassung des Standes der Forschung im Hinblick auf die Chronologie findet sich bei Anoz (2002).

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Erstes Kapitel: Theoretisches und praktisches Wissen

Dieses Kapitel konzentriert sich auf die Formen, die die Einteilung in theoretisches und praktisches Wissen bei den wichtigsten Autoren der Antike und bei Augustin annimmt. Wir können zunächst die folgende grobe Beschreibung aufstellen: Sowohl die platonische als auch die stoische Auffassung der menschlichen Wissensformen tendiert allgemein – obwohl aufgrund teilweise verschiedener Kriterien – zu einer Einheit des theoretischen und praktischen Wissens (und Lebens). Die strenge aristotelische Unterscheidung zwischen theoretischem und praktischem Wissen bildet so die große Ausnahme in der Antike. Dies muss jetzt näher betrachtet werden, um dann zu Augustin überzugehen.

I.

Platonische Einheit

A. Königliches Wissen Platon unterscheidet mehrmals zwischen theoretischen und praktischen Kenntnissen 1 . Im Politikos, wo das Problem am ausführlichsten behandelt wird, wird zugleich die Unterscheidung und die Einheit des Unterschiedenen festgestellt: Der eleatische Fremde teilt sämtliche Erkenntnisse ein, und nennt die einen praktische, die anderen lediglich einsehende. Darauf antwortet Sokrates der Jüngere, dass diese »für uns als die zwei Arten der einen gesamten Erkenntnis gelten werden« 2 . Als Beispiel der lediglich einsehenden Kenntnisse wird die Rechenkunst genannt, und als Beispiel der praktischen, Tischlerei und andere Handwerksarten. Die gesuchte königliche Kunst wird nicht zu diesen praktischen (die wir heute mit Aristoteles als tech1 2

Als allgemeine Einführung dazu vgl. Kuhn (1970). pol. 258e. A

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Theoretisches und praktisches Wissen

nische bezeichnen würden), sondern zu den einsehenden Kenntnissen gerechnet, da der König mit seinem ganzen Leib und seinen Händen wenig kann im Vergleich mit der Einsicht und der Stärke der Seele 3 . Das Kriterium, nach welchem das königliche Wissen als lediglich einsehend oder theoretisch eingeteilt wird, ist also, dass der König durch seine Erkenntnis mehr als durch seine Kraft kann. Nicht verschiedene Gegenstandsbereiche bilden also zunächst das Kriterium für die Einteilung. Diese einsehenden Kenntnisse werden weiter geteilt, um den genauen Ort des königlichen Wissens bestimmen zu können. So wird es innerhalb der einsehenden Kenntnisse einerseits eine nur beurteilende und andererseits eine gebietende Kenntnis geben. Das königliche Wissen ist folglich ein Wissen, das gebietet (epitassei). Es ist also ein theoretisches Wissen, das durch das epitassein praktisch wirksam wird. Das praktische an diesem Wissen liegt also nicht in der Art der Erkenntnis selbst, sondern in der Verbindung mit dem Gebieten. Wenn es nicht diese Verbindung gäbe, würde diese Erkenntnis lediglich einsehend und beurteilend sein. Es gibt so kein eigenständiges praktisches Wissen, sondern eine einzige intellektuelle Tugend, die durch das Gebieten praktisch wirksam wird. Die Tatsache, dass die intellektuelle Tugend von Natur aus eine lediglich einsehende ist, und erst durch etwas Hinzukommendes, das Gebieten, praktisch wird, zeigt, dass uns hier das Praktische in der Form einer Zusammenarbeit von verschiedenen Seelenteilen begegnet. Diese Teilung der Seele wird uns sowohl bei Platon als auch bei Aristoteles als ein bedeutender Wesenszug der Erörterung der Struktur des praktischen Wissens begegnen – mit dem Unterschied, dass bei Aristoteles der rationale Teil der Seele wiederum geteilt wird. Diese Einheit des Theoretischen und Praktischen drückt sich nicht nur in der Idee eines königlichen Wissens aus und in der Tatsache, dass Platon, im Unterschied zu Aristoteles, keinen spezifischen Begriff für das praktische Wissen prägt, sondern auch darin, dass er seine Theorie, wie bekannt, in der Idee eines Philosophen-Königs gipfeln lässt. Dabei ist es wichtig zu betonen, dass die platonische Lösung für »die Übel in den Staaten« nicht nur darin besteht, dass die Philosophen Könige werden, oder dass die Könige gründlich philosophieren, sondern darin, dass »die politische Macht und die Philosophie zusammenfallen und dass notwendigerweise verboten wird, 3

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Platonische Einheit

dass die vielen Naturen derer, die auf jedem von beiden getrennt gehen, aufgrund von Zwang ausgeschlossen werden« 4 . Wir sprechen also nicht einfach von einem Herrscher, der diese verschiedenen Funktionen übernehmen kann, sondern von einem solchen, der in sich selbst sie so verschmilzt, dass die zwei Naturen nicht voneinander getrennt vorkommen. Die Radikalität der platonischen These hat man ferner kaum verstanden, wenn man darunter lediglich eine Hoffnung auf weise Herrscher sieht. Spezifisch platonisch ist nicht die Erwartung, die Herrscher sollten weise sein, sondern die Behauptung, es solle sich dabei um eine spezifisch philosophische Weisheit handeln, alle propädeutischen Wissenschaften mit eingeschlossen 5 . Es gibt nicht nur philosophisches Wissen, denn auch ein Handwerker weiß was er tut; aber es gibt nur philosophische Weisheit. Der Politiker kann keine Weisheit besitzen, die nicht die philosophische wäre. Trotz dieser Betonung der Einheit muss man aber nicht unbedingt die platonische Position als die einer »gänzlichen Vermittlungslosigkeit« 6 zwischen Theorie und Praxis bezeichnen. Ganz im Gegenteil, sowohl der Aufstieg zur Betrachtung des Guten, als die Anwendung dieser Erkenntnis (der Weg zurück in die Höhle), sind durch Übungen gekennzeichnet. Der Weg heraus aus der Höhle ist ein langer Weg der Einübung in verschiedene mathematische Disziplinen 7 , von Arithmetik bis Harmonie, die alle teils theoretisch und teils praktisch sind (je höher man kommt, desto theoretischer). Der Weg zurück, die Anwendung der Kenntnisse, ist auch durch eine technê gekennzeichnet: Die Einübung der Kunst des Herrschens, die, wie jede andere technê, »Zahl und Kalkulierung« impliziert 8 . B. Einheit Es bleibt aber die Tatsache bestehen, dass Einheit das für diese Position Kennzeichnende ist. Dies können wir in folgenden vier Punkten

rep. 473d. Vgl. Tim. 18a. 6 So Bien (1968–69:272). 7 rep. 522c-531c. 8 rep. 522c. Eine gute Studie zur Rolle der technê in beiden Richtungen (Aufstieg und Rückkehr zur Höhle) findet man bei Dorter (2001). Auf die vermittelnde Rolle der technê im Theorie-Praxis-Problem bei Platon weist schon Kuhn (1970:32–43) hin. 4 5

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zusammenfassen, die auf Aspekte hinweisen, die in der späteren Diskussion immer wieder thematisiert werden. 1) Erstens ist, wie erwähnt, für die intellektuelle Betrachtung eine praktische Übung nötig. Das heißt: Nicht nur für die Erlangung praktischer Kenntnisse ist die praktische Einübung notwendig, sondern auch für theoretische, insofern man überhaupt hier von rein theoretischen Kenntnissen reden darf. Die Notwendigkeit dieser praktischen Vorbereitung für die Betrachtung drückt sich am deutlichsten in der Tatsache aus, dass die Betrachtung nur für diejenigen möglich ist, die eine Umwendung oder Konversion (periagogê oder peristrophê) vollzogen haben 9 . Die damit verbundene Notwendigkeit einer Reinigung der Seele wird für die neuplatonische Tradition ein charakteristisches Merkmal sein. 2) Mit der Betrachtung des Guten geht eine unmittelbare praktische Einleuchtung einher. Das ist möglich, weil das in sich selbst Gute auch das Gute für die Menschen ist. Die Idee des Guten ist nicht nur »die größte Einsicht«, sondern die anderen Kenntnisse helfen nicht, wenn wir sie ohne das Gute haben 10 . Das vernünftige Handeln (emphronôs prassein), sowohl in privaten als öffentlichen Angelegenheiten, ist nur durch die Betrachtung der Idee möglich 11 . Diese beiden ersten Punkte können auch in einem zusammengefasst werden: Es gibt bei Platon keine reine Theorie. Die Betrachtung hat die praktische Einübung nötig und ist zugleich unmittelbar praktisch einleuchtend. 3) Das einheitliche Weisheitsverständnis zeigt sich am strengsten durch die These der Identität von Tugend und Wissen: »Oft habe ich dich sagen gehört, dass jeder von uns darin gut ist worin er weise (sophos) ist, schlecht aber worin er unfähig ist« 12 . Die Deutung dieser These ist umstritten 13 . Die Identität von Tugend und Wissen kann kaum besagen, dass das Wissen über eine Definition, z. B. der Gerechtigkeit, uns gerecht macht. Die Tugend leicht und schnell zu lehren wäre nämlich eher etwas Sophistisches 14. Die Identität von Tugend und Wissen kann nur dann vernünftig ausgelegt werden, wenn man auf die Sonderstellung der Idee des Guten, Platons megiston rep. 518c–d. rep. 505a. 11 rep. 517c. Wiederholt in 519c. 12 la. 194d. 13 Zu den möglichen Deutungen vgl. Bravo (2004). 14 Vgl. Euth. 273d. 9

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mathêma hinweist. Der Ambivalenz anderer Erkenntnisse ist sich Platon bewusst; mehr noch, die Einsicht in diese Ambivalenz ist ein Kernpunkt in der Auseinandersetzung mit der Sophistik 15 . Die Idee des Guten soll etwas sein, das nicht dieser Ambivalenz ausgesetzt ist, das sich nicht instrumentalisieren lässt, und so die Ambivalenz der anderen Erkenntnisse überwindet. So wird sie auch »jenseits des Seins« 16 verlegt, und sie wird nicht inhaltlich bestimmt. Sie ist so nicht irgendeine Erkenntnis unter anderen. Sie soll vielmehr dazu dienen, die Nützlichkeit der anderen Erkenntnisse deutlich zu machen 17 . Diese »Nützlichkeit« der Idee des Guten weist auf die markante Tendenz Platons hin, dem Gebrauchswissen eine Beaufsichtigungsrolle zu geben: Es ist die chrêsis, die die Leitung einer jeden technê hat. Es ist der Kitharaspieler, der das Werk des Kitharamachers gebraucht, und der deswegen auch dieses Werk am besten beurteilen kann; es ist der Steuermann, der am besten das Wissen des Schiffbauers bewertet und der Dialektiker am besten das Wissen desjenigen, der die Worte bildet 18 . »Das Urteil dessen, der eine Sache zu gebrauchen weiß, hat stets einen höheren Rang als das Urteil dessen, der sie herstellt« 19 . Wenn die Identität von Tugend und Wissen im Zusammenhang dieses Vorrangs des Gebrauchswissens und der leitenden Rolle der Idee des Guten verstanden wird, scheint sie weniger paradox zu sein: Die Identität von Tugend und Wissen gründet nicht auf einem beliebigen Wissen, sondern es geht um die Erkenntnis des Guten, welches darin besteht, die anderen Erkenntnisse in ihrer jeweiligen Güte beurteilen zu können. 4) Unser vierter Punkt ist eine natürliche Folge der vorigen: Platons Werke sind nicht in theoretische und praktische Werke eingeteilt. Die theoretischen und praktischen Aspekte bauen in den verschiedenen Werken aufeinander auf. Diese Besonderheit Platons wird besonders deutlich, wenn man an das spätere Urteil über Platons Philosophie denkt: Viele hellenistische Autoren schreiben Platon das Verdienst zu, die Philosophie in drei Teile gegliedert zu haben: Ethik, Dialektik und Physik 20 . Diese drei Teile bei Platon selbst differenziert Vgl. z. B. rep. 493a–c. rep. 509b. 17 Ich folge hier Wieland (1976). 18 cra. 390b–d. 19 Wieland (1982:17). 20 P. Hadot (1982:432) weist auf die verschiedenen Autoren hin, die Platon dies zugeschrieben haben. 15 16

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zu finden ist aber höchst schwierig. Eine solche Einteilung, die z. B. in verschiedenen Werken zu erfassen sei, findet man erst später in der Akademie 21 – also erst nachdem Aristoteles eine strengere Unterscheidung des Theoretischen und Praktischen vorgenommen hat. Dieses einheitliche Weisheitsverständnis Platons wurde auch treu unter den ersten christlichen Platonikern rezipiert. So hat Eusebius in der Praeparatio Evangelica die Beschreibung der platonischen Philosophie durch Aristokles von Messene wiedergegeben, nach welcher die Philosophie eine Wissenschaft (mia…epistêmê) der menschlichen und göttlichen Dinge sei 22 . Klemens von Alexandrien wird eben dies als Lehre des fleischgewordenen Logos darlegen: dass die eine Tugend gleichzeitig praktisch und theoretisch ist 23 .

II. Die Unterscheidung des Aristoteles A. Die Tatsache der Unterscheidung Den Kontrast zwischen Platon und Aristoteles kann man sich vergegenwärtigen, indem man das Folgende erwägt: Aristoteles’ Ethik endet mit einem Hinweis auf die Politik, weil er dort diesen Teil der Philosophie – die Philosophie über die menschlichen Dinge (peri ta anthrôpeia philosophia) – vollenden wird 24 . Auch mehrere Werke der theoretischen Philosophie enden oder beginnen mit Hinweisen aufeinander 25. Wenn es aber Hinweise von einem praktischen Werk zu einem theoretischen gibt 26 , dann kommt es nicht als Kontinuation derselben Sache vor, in der Weise wie die Politik die Ethik vollendet. Bei Aristoteles bekommen wir so durch die Trennung des Theoretischen und Praktischen nicht nur eine Einteilung der Wissenschaften, sondern auch eine Einteilung seiner Werke. Eine solche Trennung ist Vgl. P. Hadot (1982:427) für den Katalog der Werke des Xenokrates (DL IV, 11 ff.), wo man schon verschiedene Werke für jeden Gegenstandsbereich findet. 22 PE XI, 3, 6. Für Augustins Kenntnis der früheren Kirchenväter vgl. Altaner (1967), Bartelink (1987) und Bastiaenssen (1987). Seine Kenntnis der Praeparatio Evangelica ist umstritten. Vgl. dazu Bartelink (1987:18–19). 23 paid. I, 3, 9, 4. 24 NE X 9, 1181b 12–15. 25 Vgl. z. B. die ersten Zeilen von meteorologica (338a 20 ff.) oder von de sensu et sensibilibus (436a 1 ff.). 26 Z. B. die Hinweise auf anal. post. in NE VI 3, oder umgekehrt den Verweis auf NE VI in met. A 1, 981b 25. 21

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möglich, weil nach Aristoteles die zwei Gebiete auf verschiedene Prinzipien bauen, die in Unabhängigkeit voneinander erkannt und entwickelt werden können. Auch die anderen Punkte, in denen wir die platonische Position zusammengefasst haben, werden bei Aristoteles modifiziert. Die Notwendigkeit einer praktischen Einübung für die Erlangung von gewissen Kenntnissen wird bestehen bleiben, wird aber nur für praktische Kenntnisse gültig sein. Für diese gilt nämlich, dass die Jüngeren, die keine Erfahrung haben, keinen Nutzen aus den Vorlesungen gewinnen können 27 . Sie können aber zumindest gewisse theoretische Kenntnisse problemlos verfolgen, da es Fragen gibt, wie z. B. welche die Winkelsumme des Dreiecks sei, deren Urteil nicht durch Leidenschaften verdorben wird 28 . Als junger Mensch kann man also Geometer werden, aber schwerlich klug 29 . Was die unmittelbare praktische Bedeutung der Betrachtung des Guten betrifft, so bildet sie den Fall, in welchem man vielleicht am deutlichsten den Unterschied zu Platon sehen kann. Aristoteles nähert sich an diese Frage, nachdem er die Existenz der Idee des Guten, so wie Platon sie sich vorstellt, aus verschiedenen theoretischen Gründen abgelehnt hat. Er fragt sich dann trotzdem, ob es einen praktischen Unterschied machen würde, wenn diese Idee existierte 30. Die Antwort darauf ist, dass dies bei den Wissenschaften seine Widerlegung findet, da diese nicht ein allgemeines Gut suchen. Es scheint Aristoteles sonderbar, dass jemand z. B. ein besserer Arzt werde, weil er die Idee des Guten betrachtet hat 31 . Eine unmittelbare praktische Wirkung der Schau gibt es folglich bei Aristoteles – selbst wenn es eine Idee des Guten gäbe – nicht. Dies heißt aber nicht, dass die Betrachtung »bloße« Theorie sei. Sie bewirkt nämlich als Theorie eine Veränderung im Betrachtenden; sie leitet aber nicht die Handlung. Dies kann auch so formuliert werden: Das praktische Wissen muss auf seine eigenen Prinzipien bauen, da man in der Ethik das Gute für die Menschen sucht, welches nach Aristoteles nicht mit der Idee des Guten übereinstimmt. Wir müssen jetzt den Grund dieser Unterscheidung des Theoretischen und Praktischen näher betrach27 28 29 30 31

NE I 1, 1095a 2–4. NE VI 5, 1140b 13–16. NE VI 9, 1142a 11–13. NE I 4, 1096b 35–1097a 14. NE I 4, 1097a 10–11. A

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ten. Wir können aber schon sehen, von welcher Bedeutung die Trennung des theoretischen und praktischen Wissens für die Auseinandersetzung mit Platon ist. Aristoteles ist kritisiert worden, weil er Platon »nach Maßgabe der vorab festgelegten Trennung von theoretischer und praktischer Philosophie« kritisiert hat 32 . Vielmehr müsste man sagen, dass diese Trennung und die Ablehnung einer einheitlichen Wissenschaft des Guten die zwei Seiten einer selben Einsicht sind: Die Einsicht in den nach Aristoteles nicht menschlichen oder nicht praktizierbaren Charakter der Idee des Guten. B. Kriterien der Unterscheidung Aristoteles unterscheidet die verschiedenen Kenntnisse durch ein Zweifaches: Gegenstand und Zweck. Es ergibt sich dann, wie bekannt, eine dreifache Einteilung in theoretisches, praktisches und poietisches oder hervorbringendes Wissen 33 . Das theoretische Wissen bezieht sich auf unbewegliche Gegenstände und der Zweck wird folglich die Theorie selbst sein 34 , und nicht eine Neugestaltung oder Bewegung der Gegenstände. Es ergibt sich daraus auch eine Einteilung der verschiedenen Bereiche des theoretischen Wissens in Theologie, Mathematik und Physik 35 , gemäß ihrer verschiedenen Gegenstände. Sowohl praktisches als auch poietisches Wissen beziehen sich dagegen auf Bewegliches. Aber sie unterscheiden sich dadurch, dass der Zweck des praktischen Wissens nicht in einem externen Werk liegt, sondern in der Handlung selbst 36 ; das hervorbringende Wissen dagegen hat ein Produkt als seinen Zweck, ein Werk außerhalb des handelnden Subjektes 37. So kann Aristoteles die Klugheit (phronêsis) einerseits von der Wissenschaft (epistêmê) durch die Art des Gegenstandes und andererseits von der Kunst (technê) durch das Ziel unterscheiden 38 . Man kann hier von einem Primat des Gegenstandes vor dem Zweck sprechen. In Bezug auf theoretische Kenntnisse gilt dieser 32 33 34 35 36 37 38

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So Flashar (1995:81). met. K 7, 1064a 10–19; top. Z 6, 145a 15–18. met. a 993b 20–21. met. E 1, 1025b 7–1026a 16; K 7, 1064a 28–35. met. a 993b 20–21; NE I 1, 1095a 5–6. NE VI 5, 1140b 6–7. NE VI 5, 1140b 1–4.

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Die Unterscheidung des Aristoteles

Primat des Gegenstandes uneingeschränkt. Jede Wissenschaft wird kraft ihres Gegenstandes (kata to oikeion epistêton) besser oder schlechter genannt 39 . Da man innerhalb der theoretischen Wissenschaften immer mit Unbeweglichem oder mit unbeweglichen Aspekten zu tun hat, spielt die Intention oder der Zweck keine Rolle in der Einteilung dieser Wissenschaften, sondern nur Aspekte des Gegenstandes werden erwogen, wie z. B. inwiefern sie getrennt existieren können oder, ob sie das Prinzip der Bewegung in sich selbst haben 40 . Die Bedeutung der Art des Gegenstandes ist in dieser Hinsicht derart wichtig, dass Aristoteles, als er im NE VI 3 die Natur der epistêmê bestimmt, nicht ihr Ziel mit einbezieht, sondern nur auf die notwendige, ewige, ungezeugte und unvergängliche Natur ihrer Gegenstände hinweist 41 . Nun gibt es neben diesem streng theoretischen Wissen nicht nur unmittelbar praktische Weisheit, Klugheit, sondern auch Theorie über das Praktische, praktische Philosophie, also das, was z. B. Aristoteles in seiner Ethik macht 42 . Dieses Wissen ist auch ein theoretisches Unternehmen – es handelt sich um eine peri ta anthrôpeia philosophia –, aber in drei Hinsichten auf das Praktische bezogen: a) Es hat das Praktische als Voraussetzung: Man zieht nämlich keinen Vorteil aus den Ethikvorlesungen, wenn man keine Erfahrung hat; b) es hat das Praktische als Gegenstand; c) es hat das Praktische als Ziel: »Ziel ist nicht das Wissen, sondern das Handeln« 43 . Diese dreifache Beziehung auf das Praktische schließt ein, dass die Genauigkeit der praktischen Philosophie nicht dieselbe wie die Genauigkeit der theoretischen ist. Dies ist aber nicht als ein Mangel anzusehen, denn Aristoteles vertritt einen methodologischen Pluralismus: Wenn eine Darlegung den Grad von Genauigkeit erreicht hat, den der gegebene Stoff zulässt, muss man zufrieden sein 44 . Die Philosophie der menschlichen Dinge ist also eine Wissenschaft, die die Wahrheit »im Umriss« zu beschreiben versucht. Dies soll aber nicht so verstanden werden, dass die praktische Philosophie ungenau ist. »Die Differenz zwischen den Wissenschaften [ist] qualitativ aufzufassen; ein met. K 7, 1064b 5–6. met. E 1, 1025b 7–1026a 32; K 7, 1064a 30-b 6. 41 NE VI 3, 1139b 23–24. 42 Für die Bedeutung der Unterscheidung zwischen praktischem Wissen und praktischer Philosophie vgl. Wieland (1989:8–9). 43 NE I 1, 1095 a 5–6. 44 NE I 1, 1094b 11–12. 39 40

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Theoretisches und praktisches Wissen

bewertender Vergleich ist ausgeschlossen« 45 . Es geht also nicht darum, dass die praktische Philosophie ungenauer als etwa die Mathematik sei, sondern sie muss nur die ihrem Gegenstand entsprechende Genauigkeit suchen. Dadurch wird sie qua praktische Philosophie genau sein. Wie ersichtlich, bleibt die Art des Gegenstandes von hoher Bedeutung, aber je näher man an das Praktische kommt, wird der Zweck eine größere Rolle spielen. Sprechen wir jetzt nicht mehr über praktische Philosophie, sondern über das praktische Wissen selbst, so sind es Streben und Vernunft, die uns bewegen; aber nicht irgendeine Vernunft, sondern die Vernunft als praktische, die »sich durch das Ziel von der theoretischen unterscheidet« 46 . Diese allmählich wachsende Rolle des Zieles wird besonders deutlich, wenn man die Differenzierung zwischen praktischem und poietischem Wissen betrachtet, die beide mit Kontingentem, Beweglichem, zu tun haben. Wir haben schon erwähnt, dass Aristoteles diese beiden nicht durch den Gegenstand als unterschiedlich betrachtet, sondern durch das Ziel 47 . Der Unterschied besteht dann darin, dass die poiêsis nicht ein Ziel in sich selbst ist, sondern »es gibt neben dem Ablauf des Hervorbringens noch ein weiteres Ziel« 48 . Weder die Baukunst noch der Vorgang der Konstruktion des Hauses sind ein Ziel, sondern neben ihnen steht das Haus als eigentliches Ziel. Im Vergleich dazu ist das Ziel einer Praxis nicht etwas zusätzliches neben der Praxis selbst: Das Tanzen oder die Kultivierung einer Freundschaft sind in sich selbst die Ziele dieser Aktivitäten. Gerade weil der Unterschied im Ziel und nicht in einem unterschiedlichen Gegenstand liegt, ist es aber oft leicht eine praxis in eine poiêsis zu verwandeln: Wenn ich das Tanzen nicht um seiner selbst willen, sondern als Nachahmen eines Tanzenden mache, ist es nicht mehr eine praxis, sondern eine poiêsis. Nun muss aber erwogen werden, dass die Ziele der technê in der Hierarchie der Ziele des durch phronêsis gestalteten Lebens rein instrumentelle sind: Sie müssen sich den Zielen des höheren praktischen Wissens unterziehen 49 . Dadurch kann man sich erklären, wieso, wenn es theoria, praxis und poiêsis gibt, nur die sophia und die phronêsis als Höffe (1971:111); vgl. zu dieser Frage 108–113. an. III 10, 433a 14–15. 47 NE VI 5, 1140b 1–4. 48 MM I 35, 1197a 3–7. 49 Vgl. z. B. die ersten Zeilen der Nikomachischen Ethik: Dort wo es Pferdezeugung und Kriegswesen gibt, ist das erste dem zweiten untergeordnet. NE I 1, 1094a 14–16. 45 46

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miteinander vergleichbare Größen – Tugenden eines Seelenteils – behandelt werden 50 . C. Phronêsis und sophia Aus Aristoteles’ Trennung des theoretischen und praktischen Wissens ergeben sich mehrere Folgen. Nicht mehr das einheitliche Modell des Philosophen- Königs steht z. B. als Vorbild, sondern es wird zwischen dem Philosophen und dem Mann von praktischer Weisheit (phronimos), sowie zwischen ihren jeweiligen Wissensformen, unterschieden. Diese Tugenden sind die Weisheit (sophia) und die Klugheit (phronêsis) 51 . Sie haben nicht nur mit unterschiedlichen Bereichen des Seienden zu tun, sondern sind auch »Tugenden von verschiedenen Seelenteilen« 52 . Deswegen wird vor der Einteilung der Tugenden die Seele geteilt. So wie es einen rationalen und einen irrationalen Teil der Seele geben kann, mit ihren jeweiligen ethischen und dianoetischen Tugenden, kann auch der rationale Teil geteilt werden: Ein Teil betrachtet jene Formen des Seienden, dessen Prinzipien Veränderung nicht zulassen; mit dem anderen Teil betrachten wir veränderliches Sein. Den ersten Teil nennt Aristoteles das »Scientifische« (epistêmonikon), den anderen das »Kalkulierende« oder »Überlegende« (logistikon) 53 . Die phronêsis steht als Tugend des logistikon in enger Verbindung zum irrationalen Teil der Seele 54. Was aber das Irrationale betrifft, so macht Aristoteles eine Unterscheidung. Es gibt solches, das geläufig »Irrationales« genannt wird, wie etwa das Vegetative. Aristoteles unterscheidet aber dies von »einer anderen Natur der Seele, die ebenfalls irrational ist«, nämlich das Desiderative. Wenn dies als irrational bezeichnet wird, ist es nicht im Sinne des Unvernünftigen, 50 Für die Bedeutung der Unterscheidung zwischen praxis und poiêsis vgl. Wieland (2003). 51 Mit der Frage, welche der in EN VI behandelten Formen des Wissens als Tugenden gelten können, brauchen wir uns hier nicht zu befassen, da zumindest eines klar ist: sophia und phronêsis sind die Tugenden ihrer jeweiligen Seelenteile. Gesamtdarstellung der Aufgaben und des gegenseitigen Verhältnisses von sophia und phronêsis findet man bei Fink (1976); begrenzt auf NE VI vgl. auch Gigon (1975). 52 NE VI 12, 1143b 16. 53 NE VI 2, 1138b 35–1139a 15. 54 Zu folgendem vgl. Gottlieb (1994).

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sondern des Widervernünftigen und so in der Lage, sich nach der Vernunft zu richten 55 . In diesem Teil der Seele, der so an der Vernunft Teil haben kann, lokalisiert Aristoteles die ethischen Tugenden. Die ethischen Tugenden können so nicht epistêmai oder phronêseis sein. Sie sind aber auch nicht etwas völlig irrationales, sondern existieren notwendigerweise in Verbindung mit der phronêsis: »Die Klugheit ist mit der ethischen Tugend verbunden und diese mit der Klugheit, da die Prinzipien der Klugheit gemäß den ethischen Tugenden sind und die letzteren wieder gemäß der Klugheit richtig sind« 56 . Nicht also Identität von Tugend und Wissen wie bei Platon, sondern notwendige Verbindung derselben 57 . Die ethische Tugend ist ferner »nicht nur gemäß rechter Vernunft (kata ton orthon logon), sondern ein Habitus mit richtiger Vernunft (meta tou orthou logou)« 58 . Und das heißt in Verbindung mit phronêsis, die als Tugend des sich mit veränderlichem Sein befassenden kalkulierenden Teiles, »ein wahrer Habitus vernünftigen Handelns (meta logou) in Dingen, die für den Menschen Güter und Übel sind« 59 , ist. Daraus ergibt sich, dass die praktische Funktion der Vernunft ein komplexes Phänomen ist: Die Vernunft leitet nicht als reine Vernunft, sondern zusammen mit der ethischen Tugend, mit den richtigen Affekten und begleitet von der richtigen phantasia, also nicht als vom Faktischen autonome Vernunft. Das heißt, die Vernunft leitet als Vernunft eines Lebewesens, sodass die Vernunft als praktische sowohl den rationalen als auch den irrationalen Teil der Seele integriert. Diese mit einem irrationalen Teil, der »gehorcht«, aber gerade weil die Vernunft ihm in angemessener Weise entgegenarbeitet 60 . Die zwei intellektuellen Tugenden, sophia und phronêsis, unterscheiden sich streng nach ihren Gegenständen. Sophia muss eine Kenntnis sowohl der Prinzipien als auch der Folgerungen sein, »sodass sophia nous und epistêmê sein muss, eine Hauptwissenschaft der höchsten Gegenstände« 61 . Sie untersucht die ersten Prinzipien NE, I 13, 1102a 26 ff.. NE X 8, 1178a 16–19. 57 Vgl. die Bemerkung, dass Sokrates, indem er die Tugenden zu Wissenschaften machte, »den irrationalen Teil der Seele abschafft, und so auch pathos und êthos abschafft« (MM I 1, 1182a 20–23). 58 NE VI 13, 1144b 26–27. 59 NE VI 5, 1140b 5–6. 60 Vgl. dazu genauer Buchheim (2002:399–413); auch Gottlieb (1994:286). 61 NE VI 7, 1141a 18–20. 55 56

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und die Ursachen des Seienden 62 . Sie ist deswegen das exakteste (akribestatê) 63 und freieste Wissen: Das einzige Wissen, das um seiner selbst willen gesucht wird 64 . Die phronêsis dagegen hat es mit »menschlichen Dingen zu tun, die Gegenstand der Überlegung sind« 65 . Da sie auf menschliche Dinge bezogen ist, handelt sie »nicht nur von Universellem, sondern muss Einzelnes erkennen« 66 . Aber dieser Bezug auf Einzelnes heißt nicht, dass der phronimos nur Teilaspekte des Lebens weiß. Er ist vielmehr imstande, über solches zu überlegen, das für ihn gut und nützlich ist »nicht in einzelner Hinsicht«, sondern »in Bezug auf das, was das Leben gut macht« 67 . Die Unterscheidung der Tugenden ist also durchgehend, und es gibt keine allumfassende Wissensform, die beide integriert. Dies kommt nicht nur durch die Zugehörigkeit zu verschiedenen Teilen der rationalen Seele zum Ausdruck, sondern durch die Tatsache, dass beide Tugenden in Unabhängigkeit voneinander besessen werden können. Ein sophos ist nicht notwendigerweise ein phronimos. So beurteilt man, schreibt Aristoteles, dass Thales oder Anaxagoras solche Weisen sind, die »Ungewöhnliches, Wunderbares, Schweres, Göttliches« wissen und trotzdem nicht die »menschlichen Güter« suchen 68 . Diese Verbindung der Weisheit zum Göttlichen und Wunderbaren stellt uns vor die Frage nach der Hierarchisierung von sophia und phronêsis. Die phronêsis ist erstrebenswert, und kann gewissermaßen mit dem theoretischen Wissen konkurrieren, aber nicht als etwas, das um seiner selbst willen gesucht wird, sondern um der Praxis willen. In sich selbst ist zweifellos sophia besser als phronêsis, denn phronêsis gleicht eher Heilkunde als Gesundheit, und jene steht nicht über dieser 69. Andererseits lässt sich ihre Rangordnung auch darin erkennen, dass die phronêsis für die sophia arbeitet: »Sie gibt ihre Vorschriften nicht ihr, sondern ihretwegen« 70 . Funktion der phronêsis ist, so zu leiten, dass die für die Theorie notwendige Muße

62 63 64 65 66 67 68 69 70

met. A 2, 982b 9–10. NE VI 7, 1141a 16. Vgl. auch met. A 2, 982a 25–28. met. A 2, 982b 25–28. NE VI 8, 1141b 8–9. NE VI 8, 1141b 14–15. NE VI 5, 1140a 27–28. NE VI 7, 1141b 3–8. NE VI 13, 1145a 6–8. NE VI 13, 1145a 9. A

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erreicht werden kann. All dies führt zu der klaren Entscheidung zugunsten der sophia, die »als Haupt über die andere gestellt ist« 71 . Trotz dieser starken Trennung der Wissensformen gibt es dennoch einige Punkte, die sie gewissermaßen wieder vereinigen. Erstens, dass ein gewisser nous sowohl für die phronêsis als auch für die sophia notwendig ist (ob Aristoteles den gleichen nous meint, ist strittig, aber nicht ausgeschlossen). Zweitens, dass es »strukturelle Parallelen« zwischen beiden Wissensformen gibt. Sowohl sophia als auch phronêsis bestehen einerseits aus einer rechten Erfassung der jeweiligen ersten Prinzipien und andererseits aus der Fähigkeit, richtige Schlussfolgerungen aus diesen Prinzipien zu ziehen: »sophia ist nous plus epistêmê; phronêsis ist das korrekte Erfassen der Prinzipien plus euboulia« 72 . Drittens, dass sowohl theoretisches als auch praktisches Wissen, indem sie ein betrachtendes oder praktisches Leben gestalten, Wege zur eudaimonia sind 73 , sodass in diesem Sinn auch die streng theoretische Philosophie des Aristoteles Teil einer »Lebensweisheit« ist. Diese drei Punkte können zwar die Trennung zwischen dem theoretischen und praktischen Wissen milder machen. Auch in dieser milderen Form ist aber diese strenge Unterscheidung das für die aristotelische Auffassung Eigentümliche.

III. Stoische Einheit Die Stoa hat sich von Aristoteles in diesem Punkt entfernt. Diese Entfernung von Aristoteles wurde zugleich als eine Rückkehr zu Sokrates verstanden, also als eine Rückkehr zur Einheit von theoretischem und moralischem Wissen, zur Identität von Wissen und Tugend 74 . Diese Rückkehr werden wir von drei Seiten aus betrachten: Das einheitliche Verständnis der Vernunft, die Einteilung der Wissenschaften und die Definition der Weisheit.

71 72 73 74

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NE VI 7, 1141a 19–20. Taylor (2003:148). Vgl. vor allem NE X 6–9. Eine Zusammenfassung dieser Entwicklung bietet Dihle (1982:60–67) an.

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Stoische Einheit

A. Die Einheit des hêgemonikon Die Stoiker erkannten natürlich, dass es Unterschiede zwischen moralischem und wissenschaftlichem oder technischem Wissen gibt, aber wendeten sich gegen die Vorstellung, dass dies einen Ausdruck in verschiedenen Seelenvermögen habe. Auch die Einteilung der Seele in einen rationalen und einen irrationalen Teil wird folglich abgeschafft: Alle menschlichen Aktivitäten sind durch die Vernunft allein geleitet 75 . Dass die Vernunft allein das Leben leitet, kann man bei den Stoikern in den verschiedenen Teilen des Systems deutlich sehen. Diese Einheit des hegêmonikon, des leitenden logos, drückt sich aber besonders in der Beschreibung der Tugenden aus, die immer als Verfassungen der einzigen Tugend, der phronêsis, zu verstehen sind: »Gerechtigkeit ist phronêsis in Dingen, die verteilt werden müssen, Besonnenheit phronêsis in Dingen, die erreicht werden müssen, Tapferkeit phronêsis in Dingen, die man angreifen muss« 76 . Es handelt sich so nicht nur um eine enge Verbindung zwischen ethischer Tugend und phronêsis, wie sie bei Aristoteles vorkommt, sondern darum, dass Tugend immer nur phronêsis ist, die sich auf verschiedenen Gebieten ausdrückt. Hier macht sich die Rückkehr zu Sokrates besonders deutlich, der von Aristoteles kritisiert wurde, weil er sagt, dass die Tugenden phronêseis seien, wenn man eher sagen sollte, dass sie nicht ohne phronêsis vorkommen (ouk aneu phronêseôs) 77 . Wir begegnen so nach Aristoteles einer Rückkehr zu einem streng einheitlichen Verständnis der Vernunft, aber auf eine Weise, die sich von der platonischen durch die Ablehnung der Teilung der Seele unterscheidet. B. Die Einteilung der Wissenschaften Was der stoische Weise weiß, ist schwer festzustellen 78 . Aber er muss sich zumindest in drei Wissenschaften auskennen. Die stoische Einteilung der drei Wissenschaften Logik, Physik und Ethik gibt uns so 75 Eine allgemeine Darstellung findet man bei Colish (1985:27 ff.). Vgl. SVF II, 834– 849. 76 SVF I, 201. 77 NE VI 13, 1144b 17–21. 78 Vgl. die Fragestellung bei Kerferd (1978).

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einen zweiten Gesichtspunkt, von dem aus wir uns an unser Problem annähern können. Was uns interessiert, ist das Verhältnis der verschiedenen Wissenschaften zueinander. Und das wird in den stoischen Schriften besonders durch die Diskussion über die richtige Ordnung der Studien ersichtlich. Dabei ist besonders zu beachten, dass trotz der wechselnden Meinungen über jene Ordnung, eines als stoisches Allgemeingut bleibt: Die Idee einer inneren Beziehung der Disziplinen. Diese Beziehungen drücken sich oft in der Beschreibung der Philosophie als einen Organismus aus: »Sie verglichen die Philosophie einem Lebewesen, wobei die Logik den Knochen und Sehnen entspricht, die Ethik den fleischigen Teilen, die Physik der Seele. Auch einem Ei wurde sie verglichen, wobei die Logik das Äußere ist, die Ethik das darauffolgende, die Physik das Innerste. […] Und kein Teil ist von den anderen zu trennen – wie manche von ihnen sagen – sondern sie sind gemischt« 79 . Diese und andere »organische« Darstellungen der drei Disziplinen weisen auf etwas, das für das stoische Selbstverständnis typisch ist: sich als eine systematische Schule zu verstehen 80 . Dies bedeutet gleichzeitig, dass die Beziehung der verschiedenen Teile der Philosophie zueinander nicht so sehr als eine hierarchische, sondern vielmehr als eine »kontinuierlich-dynamische« 81 zu verstehen ist. Dies drückt sich vielleicht am besten nicht durch irgendein stoisches Zitat aus, sondern in einer Klage Plutarchs über den Stoizismus: Chrysipp meine zwar, dass die Physik nach der Ethik studiert werden muss; aber er könne es selbst nicht vermeiden, jede ethische Rede mit theologischen Aussagen anzufangen. »Und so steht nach Chrysipp die Physik (physikos logos) zugleich vor und nach der Ethik« 82 . Diese gegenseitige Durchdringung der Disziplinen heißt selbstverständlich, dass alle Disziplinen zusammen bestehen bleiben oder fallen. Es ist wieder ein wesentlicher Unterschied zu Aristoteles’ Auffassung der Autonomie der Wissenschaften. Es ist die systematische Einheit, die Cicero faszinierte und die zusammenbrechen würde, wie er sagt, wenn man einen einzigen Buchstaben änderte 83.

DL VII, 40. Eine gute Analyse der stoischen Einteilung der Philosophie findet man bei Ierodiakonou (1993). 81 So P. Hadot (1982:429–433). 82 St. rep. 1035. 83 fin. III, 22, 74. verum admirabilis compositio disciplinae incredibilisque me rerum 79 80

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C. Die Definition der Weisheit Die allgemein für stoisch gehaltene Definition der Weisheit bietet einen letzten Anhaltspunkt. Die berühmte Formel, nach der die Weisheit ein »Wissen von göttlichen und menschlichen Dingen« (divinorum et humanorum scientia 84 ) sei, steht ja im größtmöglichen Gegensatz zur aristotelischen Position, die gemäß so unterschiedlichen Gegenständen zwei verschiedene Wissenschaften fordern würde. Diese Formel findet man seit dem frühesten Stoizismus 85 und steht im Einklang mit dem Rest der stoischen Lehre. Sie hat aber ihren Ursprung nicht in der Stoa selbst sondern bei Platon, der die Philosophie auf diese Weise kennzeichnet 86 . Gerade die Tatsache, dass die Stoa eine solche platonische Formel als ihre eigene benutzen konnte, bezeugt, dass bei allen Unterschieden zwischen der platonischen und der stoischen Ontologie, beide Weisheitsverständnisse sich von der aristotelischen durch ihre Einheitlichkeit unterscheiden. Mit dieser Definition werden nicht so sehr zwei verschiedene und voneinander autonome Gegenstandsbereiche erwähnt, sondern vielmehr alles mit einbezogen, das als Gut der menschlichen Seele zugerechnet werden kann, weil es von dem einzigen logos durchdrungen ist. Die Philosophie wird folglich entweder als eine Bemühung um sittliche Vollkommenheit oder als Suche der richtigen Einsicht definiert, sodass in dieser Weisheit beide Momente der Erkenntnis und der Praxis nicht getrennt worden sind: Sie ist einfach eine Suche der recta ratio 87, obwohl im späteren Stoizismus immer stärker auf das Praktische bezogen 88 . Es gibt aber auch im Stoizismus eine Unterscheidung zwischen sophia und phronêsis. Neben der oben zitierten Definition der sophia steht die Definition der phronêsis, die ein »Wissen über die Dinge, die man tun soll, die man nicht tun soll, und die gleichgültig sind, ist oder ein Wissen über das für das politische Tier von Natur aus Gute, traxit ordo; […] Quid non sic aliud ex alio nectitur, ut, si ullam litteram moveris, labent omnia? Nec tamen quidquam est, quod moveri possit. 84 ep. mor. 89, 5. 85 SVF II, 35. 86 Vgl. rep. 486a. Zum platonischen Ursprung der Definition und der späteren Zuschreibung zur Stoa vgl. Männlein-Robert (2002). 87 ep. mor. 89, 5. alii studium illam virtutis esse dixerunt, alii studium corrigendae mentis; a quibusdam dicta est adpetitio rectae rationis. 88 Für die Wandlungen in der stoischen Einschätzung der Theorie vgl. Forschner (1999). A

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Schlechte und Gleichgültige« 89 . Aber diese Unterscheidung, auf eine andere Ontologie als die aristotelische gründend, kann nicht mit der aristotelischen Unterscheidung des theoretischen und praktischen Wissens identifiziert werden 90 . Der Unterschied zur aristotelischen Position kommt am deutlichsten dann zum Ausdruck, wenn Cicero die Unterscheidung der beiden Tugenden vornimmt. In de officiis spricht er über sapientia und prudentia, die die Griechen sophia und phronêsis nennen. Sapientia wird gemäß der traditionellen stoischen Definition verstanden und wird der prudentia vorangestellt 91 . Aber nicht weil sie ein Wissen über Göttliches ist, also nicht weil sie einen ehrwürdigeren Gegenstand erkennt, sondern weil sie ein Wissen über die Gemeinschaft des Göttlichen und Menschlichen ist. Das heißt aber zugleich, dass sie, als praktisches und soziales Wissen umgedeutet, einem anderen praktischen Wissen – der prudentia – vorangestellt wird. Obwohl die aristotelische Terminologie benutzt wird, dient sie nicht mehr zur Unterscheidung zwischen theoretischem und praktischem Wissen. Die aristotelische Unterscheidung wird in zwei wesentlichen Punkten verändert: die Überlegenheit des Theoretischen vor dem Praktischen wird umgekehrt, und die phronêsis wird, im Unterschied zur sophia, als ein rein individuelles Wissen umgedeutet 92 .

SVF III, 262. Vgl. Aubenque (1964:291): »Aucun des traits spécifiques de la prudence aristotélicienne ne se retrouve ici: ni l’opposition de la phronêsis, qui est pour Aristote de l’ordre de la doxa, à la sophia, qui seule est selon lui epistêmê; ni la division de l’ame raisonnable en une partie ›scientifique‹ et une partie ›opinative‹ ou ›délibérative‹, dont la prudence serait la vertu propre; ni la distinction entre un bien absolu, objet de la sagesse, et un bien pour l’homme, objet de la prudence; ni l’attribution à la prudence d’un champ distinct de celui de la sagesse, et qui était chez Aristote le contingent«. Für die Unterschiede zu Aristoteles vgl. auch Aubenque (1963:37–39 und 89). 91 off. I, 153. 92 Selbstverständlich braucht auch der aristotelische sophos die polis; aber der Gegenstand der sophia ist nicht eine »Gemeinschaft«. Eine gute Analyse des problematischen Charakters von Ciceros Passus findet man bei Dyck (1996:340–344) und Forschner (1999:168–170). 89 90

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IV. Die Position Augustins A. Ein philosophiegeschichtliches Kapitel in de civitate Dei Nachdem wir eine geschichtliche Zusammenfassung gemacht haben, werden wir Augustins Deutung der Geschichte dieses Problems als Ausgangspunkt für seine eigene Problemstellung nehmen. Es interessiert uns dabei nicht der externe Vergleich mit der heutigen Sicht der Geschichte der antiken Philosophie, sondern der interne Vergleich mit Augustins eigener Lehre: Welchen Platz will er in der Geschichte der Philosophie, so wie er sie kennt, einnehmen? Der bedeutendste Text in dieser Hinsicht ist de civitate Dei VIII, 1–4. Dort schließt sich Augustin der Tradition an, die ein ionicum und ein italicum genus der Philosophie unterscheidet. Das italicum wird durch Pythagoras dargestellt, aus dem nicht nur die Vollendung der theoretischen Philosophie stammen soll, sondern auch das Wort philosophia. Das ionicum genus wird durch die Kette, die von Thales bis Sokrates geht, vertreten. Platon, der nicht mit seinen eigenen Kenntnissen und der sokratischen Disziplin allein zufrieden sein konnte, wird die Vereinigung der beiden Traditionen zugeschrieben: Nun kreist das Streben nach Weisheit [studium sapientiae] um die beiden Pole des Handelns und Betrachtens [in actione et contemplatione], die man den aktiven und betrachtenden Teil desselben Strebens nennen kann. Dieser aktive Teil betrifft die Lebensführung [ad agendam vitam], also die Einrichtung der Sitten; der betrachtende dagegen die Wahrnehmung der Ursachen der Natur und die Gewinnung der lautersten Wahrheit. Sokrates hat sich bekanntlich in dem aktiven Teil ausgezeichnet, während sich Pythagoras mit allen ihm zu Gebote stehenden Geisteskräften mehr auf den betrachtenden verlegt hat. Deswegen lobt man Platon, weil er, indem er beide vereinigt hat, die Philosophie vervollkommnete 93 .

Auch in anderen Schriften stellt Augustin Pythagoras und Sokrates als Beispiele für theoretisches und praktisches Wissen dar 94. Aber nur in de civitate Dei tritt Platon als die Vereinigung der beiden hervor, und Augustin bezeichnet diesen Aspekt der platonischen Philosophie – Einheit des aktiven und betrachtenden Teiles der Philosophie – als Vervollkommnung des Strebens nach Weisheit. Für unsere Fragestellung ist aber auch die Frage wichtig, wie Augustin diese Ge93 94

civ. VIII, 4. Vgl. cons. ev. I, 7, 12. A

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schichte erzählt: Welche Rolle die vorplatonische Philosophie spielt, warum er bei Platon aufhört. Denn er benutzt offensichtlich verschiedene doxographische Quellen 95 , aber keiner dieser Quellen folgt er sklavisch als Autorität, sondern er hat sie für seine eigenen Ziele in diesem Kapitel zusammengebracht und verwandelt. Die Freiheit, mit der er seine Quellen behandelt, zeigt sich gerade darin, dass er bei Platon aufhört und nichts zu Aristoteles und der Stoa sagt. Augustin kann mehrere Gründe gehabt haben, um dies auszulassen, wie z. B. die Tatsache, dass er durch diese Geschichte der Philosophie eine Auseinandersetzung mit den Platonikern vorbereitet, oder die Behauptung einer wesentlichen Übereinstimmung Aristoteles’ und Platons, die auch eine Wiedergabe der aristotelischen Position überflüssig machen würde 96. Diese Gründe muss man aber mit einem bedeutenderen Grund, der sie umfasst, in Beziehung setzen: Augustins teleologischer Sicht der Geschichte der Philosophie. Wie schon in der Einführung erwähnt, glaubt er nicht, dass die Geschichte der Philosophie lediglich eine Sammlung von aufeinanderfolgenden wahren und falschen Lehren ist, sondern ihre Geschichte ist die Geschichte eines Wachsens und einer Reinigung: Falsche Lehren fallen langsam aus und die besten Philosophen vereinigen die Wahrheiten, die in den früheren isoliert vorgekommen sind. So hat sich »eine einzige Lehre der wahren Philosophie herauskristallisiert« 97 . Wie alle seine philosophiegeschichtlichen Exkurse belegen 98 , erreicht diese teleologisch wachsende Geschichte der Philosophie bei Platon ihr Ziel. Der Exkurs in de civitate Dei ist bedeutend, weil er einen der Inhalte dieser wahren Philosophie deutlich macht. Durch Platon hat die Geschichte der Philosophie nicht nur ihr Ziel erreicht, indem die intelligible Welt entdeckt wurde – wie Augustins andere philosophiegeschichtlichen Exkurse betonen –, sondern indem die zwei genera der ethischen und naturphilosophischen Reflektion vereinigt worden sind. Nur bis dahin ist es notwendig, die Geschichte der Philosophie

Augustins Quellen in diesem Kapitel sind vielfältig diskutiert worden. Vgl. Solignac (1958:138–148), P. Hadot (1979:275–276), Regen (1983) und O’Daly (2004:109–112). 96 Dies nimmt er in Acad. III, 19, 42 an: non defuerunt acutissimi et solertissimi viri, qui docerent disputationibus suis Aristotelem ac Platonem ita sibi concinere, ut imperitis minusque attentis dissentire videantur. [Im Original nicht kursiv – Dies gilt im Folgenden für alle kursiven Texte in den Fußnoten]. 97 Acad. III, 19, 42. 98 Neben civ. VIII müssen Acad. III, 17–20, vera rel. 1–3 und ep. 118 genannt werden. 95

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zu erzählen. Ab dort befindet sich das Wachstum nicht mehr in der Philosophiegeschichte, sondern in der Heilsgeschichte 99. Damit ist aber noch nicht gesagt, wie Augustin diese platonische Einheit versteht. Bevor wir das erwägen, muss ein Teil von Augustins Bericht näher betrachtet werden. Das italicum genus ist nicht problematisch: Pythagoras gilt nach Augustin als einziger explizit zu nennender Vertreter. Das ionicum genus dagegen geht von Thales bis zu Sokrates, und innerhalb dieser Geschichte gibt es Wandlungen. Am interessantesten ist dabei Thales’ Fall zu betrachten, der uns m. E. in diesem Bericht mehr als Pythagoras über das theoretische Wissen lernen lässt. Er war, berichtet Augustin, einer der sieben Weisen. Was ihn aber von den anderen sechs Weisen unterschieden hat, ist, dass die anderen sich nur den Lebensregeln und der Lebensführung widmeten, und sich durch ihre besondere Lebensweise auszeichneten 100 – sie waren aber keine Philosophen 101 . Thales dagegen hat sich um die Natur der Dinge gekümmert. So hat er sogar Sonnen- und Mondfinsternisse vorausgesagt. Obwohl er sich der Theorie zuwendete, wird also die technische Leistung dieser Kenntnisse – das Voraussagen von Naturphänomenen – hervorgehoben. Diese Kenntnisse scheinen sich durch schriftliche Fixierbarkeit auszuzeichnen. Und das ist das zweite Kennzeichen von Thales gegenüber den anderen sechs Weisen: Er hat (Augustin zufolge) Schriften nachgelassen 102 . Augustin schreibt sogar ausdrücklich, dass Thales Schriften nachgelassen hat, weil er ein Wissenschaftler (physicus) war 103. Diese Hinwendung zur schriftlich fixierbaren Theorie, zur rerum natura, zeigt schließlich nach Augustin die Tatsache, dass Thales auch Nachfolger heranziehen wollte (ut successores etiam propagaret). Damit wird, obwohl auf äußerst indirekte Weise, auf einen Unterschied des Theoretischen und Praktischen in Bezug auf ihre Systematisierbarkeit hingewiesen: Es scheint nicht so leicht zu sein, ethische Traktate zu schreiben und eine moralphilosophische Schule zu bilden – Pytha99 Dem entspricht, dass man sich seitdem nicht mit den Philosophen, sondern mit den Ketzern auseinandersetzen soll, vgl. ep. 118, 2, 12. 100 civ. VIII, 2. sed illi sex vitae genere distinguebantur et quibusdam praeceptis ad bene vivendum accommodatis. 101 So ausdrücklich in civ. XVIII, 37. qui nondum philosophi vocabantur. 102 civ. VIII, 2. iste autem Thales, ut successores etiam propagaret, rerum naturam scrutatus suasque disputationes litteris mandans eminuit. 103 civ. XVIII, 25. Thales vero – wiederum in Kontrast zu den anderen sechs Weisen – physicus fuit et suorum dogmatum libros reliquit.

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goras, der als Beispiel der Gründung einer solchen Schule hätte dienen können, wird ja von Augustin als Vertreter der Naturphilosophie behandelt. Diesen Bemerkungen folgt die Geschichte der Nachfolger des Thales von Anaximander bis Archelaus. Danach kommt Archelaus’ angeblicher Schüler, Sokrates, dessentwegen die Entwicklung dargelegt wurde. Augustin berichtet, dass Sokrates als erster die ganze Philosophie auf die Ethik richtete 104. Dabei handelt es sich nicht um eine einfache Rückkehr zur Position der anderen sechs Weisen, da ja inzwischen die Philosophie entstanden ist: Auch die mores werden nach Thales auf einem anderen Niveau behandelt. Aber warum hat Sokrates diese Wende vollzogen? Augustin nennt zwei Möglichkeiten. Die eine ist, dass er ein Gebiet sicheren Erkennens suchte und sich deswegen den praktischen Fragen zuwandte. Die andere Alternative ist, dass man nicht mit unreinem Geist die göttlichen Dingen erforschen sollte und deswegen mit der Ethik anfangen muss 105. Augustin neigt zu der zweiten Lösung, die er als »wohlwollender« bezeichnet; sie ist jedenfalls »augustinischer«, indem sie die Notwendigkeit einer Reinigung für die höheren Erkenntnisse hervorhebt, und darin die Rolle der Ethik sieht. Jedenfalls versteht Augustin die sokratische Frage als die Frage nach dem guten Leben, welches die spekulativen Fragen auszuschließen scheint. Die umfangreichere Formulierung der sokratischen Frage – nicht nur de beata vita, sondern de summo bono –, die Platz für theoretische Fragen gibt, bezieht Augustin nämlich nicht direkt auf Sokrates, sondern erst auf seine Nachfolger. Jene Frage de summo bono, obwohl direkt auf das Gute für die Menschen bezogen, ist nicht nur eine Frage nach einem menschlichen Gut. Sie kann also sowohl für die platonische Philosophie als auch für die anderen mannigfaltigen Nachfolger des Sokrates verwendet werden. Diese Mannigfaltigkeit führt uns zu einem in der Literatur bisher nicht beachteten Merkmal dieser philosophiegeschichtlichen Überlegungen Augustins: Der subtile Kontrast, der 104 civ. VIII, 3: Socrates ergo, primus universam philosophiam ad corrigendos componendosque mores flexisse memoratur, cum ante illum omnes magis physicis, id est naturalibus, rebus perscrutandis operam maximam inpenderent. Augustin folgt sicherlich Ciceros berühmtem Lob des Sokrates in tusc. V, 4. Ähnlich in civ. XVIII, 37, wo Sokrates Moralphilosoph genannt wird: tenens in ea parte, quae moralis vel activa dicitur. 105 civ. VIII, 3. taedio rerum obscurarum et incertarum ad aliquid apertum et certum reperiendum animum intenderit, quod esset beatae vitae necessarium, […] an vero, […] nolebat inmundos terrenis cupiditatibus animos se extendere in divina conari.

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zwischen den Schülern des Thales (VIII, 2) und denen des Sokrates (VIII, 3) aufgezeigt wird. Thales folgt einer langen Kette, in der es Wandlungen gibt, aber die durchaus als eine bestimmte Tradition gekennzeichnet werden kann. Über die Nachfolger des Sokrates meint Augustin dagegen, dass man kaum glauben kann, dass sie denselben Lehrer hatten 106 . Das bestätigt was wir vorher über die Unterschiede zwischen der Systematisierbarkeit des theoretischen und des praktischen Wissens geschrieben haben. Kehren wir nun zu dem oben zitierten Text zurück, so ist es bemerkenswert, dass dort der aktive und der betrachtende Teil zwar in gewisser Hinsicht vereinigt sind – indem sie Teile desselben studium sapientiae sind –, aber durch eine Verbindung die rein äußerlich zu sein scheint: Beide Teile werden durch ihre jeweiligen Aufgaben gekennzeichnet – Lebensführung und Wahrnehmung der Ursachen der Natur –, aber diese Aufgaben werden hier nicht in ihrer gegenseitigen Bedeutung dargelegt, sondern als eigenständige Wissensbereiche. Die Leistung Platons erkennt man nämlich nach Augustin einfach an der Tatsache, dass er die Philosophie in drei Teile gegliedert hat 107 . Diese drei Teile stehen in einer wechselseitigen Beziehung und bilden so eine Einheit. Aber diese Einheit und wechselseitige Beziehung drückt sich nicht in einer Einheit des Theoretischen und Praktischen aus, sondern nur in der Tatsache, dass die Logik, der dritte Teil der Philosophie, für die beiden anderen, Moral- und Naturphilosophie, notwendig ist. So kann Augustin auch sagen, dass diese Dreigliederung im Einklang mit der Zweiteilung in Aktives und Kontemplatives steht 108 ; eine These, die wir als Ausdruck der behaupteten Übereinstimmung der Akademie und des Peripatos verstehen können. Eine direkte Beziehung zwischen dem kontemplativen und dem aktiven Teil beschreibt er aber hier nicht, und eine genauere Erörterung der Art, wie Augustin diese Dreigliederung bei Platon versteht, haben wir nicht. Die Einheit des aktiven und kontemplativen Teiles können wir hier also als eine äußerliche Einheit bezeichnen: Nur darin bestehend, dass beide die Logik verwenden und einen Teil des studium sapientiae bilden. Dieser äußeren Einheit entspricht 106 civ. VIII, 3. sic autem diversas inter se Socratici de isto fine sententias habuerunt, ut (quod vix credibile est unius magistri potuisse facere sectatores) quidam summum bonum esse dicerent voluptatem, sicut Aristippus; quidam virtutem, sicut Antisthenes. 107 civ. VIII, 4. unam moralem, quae maxime in actione versatur, alteram naturalem, quae contemplationi deputata est; tertiam rationalem, qua verum determinatur a falso. 108 civ. VIII, 4.

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auch der Umstand, dass manche, wie Sokrates, in einem Teil sich auszeichnen konnten, ohne Kenntnisse des anderen Teiles zu besitzen. So scheint die platonische Einheit, wie Augustin sie versteht, nicht mit der echten platonischen Einheit in allen Punkten übereinzustimmen. Vielmehr würde eine solche Autonomie der praktischen und theoretischen Wissensbereiche einem aristotelischen Modell nahe stehen. Die Art der Einheit, die Augustin hier Platon zuschreibt, könnte von Aristoteles ohne Schaden für seine Trennung von praktischem und theoretischem Wissen vertreten werden. Damit möchte ich keine zu weit gehende These aufstellen. In meister Hinsicht bleibt Augustin natürlich ein Platoniker. Aber er wird sich aus einem ursprünglich völlig einheitlichen Verständnis von Weisheit allmählich zu einer Unterscheidung zwischen sapientia und scientia entwickeln. Innerhalb seines Platonismus ist das eine wichtige Entwicklung, die schon in dieser Würdigung der Philosophiegeschichte ersichtlich wird, indem er den Gipfel der Philosophiegeschichte dort sieht, wo Platon die kontemplative Seite der Weisheit mit der praktischen Seite vereinigt hat – ohne aber damit die Autonomie der zwei Bereiche völlig aufzuheben. Diese philosophiegeschichtliche Darstellung endet mit einer Verankerung der Dreigliederung der Philosophie in der Natur Gottes, »sodass in Gott sowohl die Ursache des Bestehens als der Grund des Erkennens und die Ordnung des Lebens gefunden werden«, die jeweils einer verschiedenen Disziplin entsprechen 109 . Bezüglich der Begründung der Einheit des Theoretischen und Praktischen geht er damit ein Stück weiter als seine Interpretation der Philosophiegeschichte führen konnte. Das wird aber hier von ihm nicht weiter entfaltet 110 . Aus Augustins philosophiegeschichtlichen Betrachtungen können wir zumindest Folgendes schließen: a) Eine Einteilung der Philosophie in praktische und theoretische Teile hat er als Allgemeingut der philosophischen Tradition anerkannt – ein dermaßen wichtiges Thema, dass er die Geschichte der Philosophie um dieses Problem herum darstellt. In der Gegenüberstellung von den Schülern von Thales und Sokrates kommen manche Unterschiede zwischen 109 civ. VIII, 4. ut in illo inveniatur et causa subsistendi et ratio intelligendi et ordo vivendi; quorum trium unum ad naturalem, alterum ad rationalem, tertium ad moralem partem intelligitur pertinere. 110 Wir kommen später, im Zusammenhang der Dreiteilung der Philosophie, darauf zurück.

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diesen Teilen der Philosophie, z. B. bezüglich ihrer Systematisierbarkeit, deutlich zutage. b) Eine Einheit derselben sieht er als die Vervollkommnung der Philosophie. c) Die Form, die diese Einheit bei Platon einnimmt, preist Augustin, obwohl sein Verständnis der platonischen Auffassung in diesem Punkt einer Tradition folgt, die nicht genau der Position von Platon selbst entspricht, da in Augustins Bild der platonischen Auffassung die Einheit äußerlich bleibt. d) Aus der christlichen Lehre scheint er aber andere Gründe für diese Einheit schöpfen zu können. Inwiefern das Christentum mit seinem Gottesgedanken tatsächlich die Behandlung dieses Problems bei Augustin beeinflusst hat, muss jetzt näher bestimmt werden. Wir werden es in mehreren Schritten tun, indem wir uns zuerst (B) auf die Einteilung der Wissenschaften und dann (C) auf ihre anthropologischen Grundlagen – in der Unterscheidung zwischen scientia und sapientia gipfelnd – konzentrieren. B. Die Einteilung der Wissenschaften Einen ersten Zugang zu Augustins Position können wir durch seine Wissenschaftseinteilung gewinnen. Außer den im ganzen corpus zerstreuten Bemerkungen dazu, befasst sich Augustin in zwei Werken, de ordine und de doctrina christiana, eingehend mit der Einteilung der Wissenschaften 111 . Wir werden hier zuerst diese Einteilung der Wissenschaften behandeln (1. und 2.). Dann gehen wir auf zwei Wissenschaften, dialectica und arithmetica 112 , besonders ein (3.). Im Anschluss daran kommen verschiedene Fragen in Bezug auf die Ethik als philosophische Disziplin (4.), um schließlich alles durch die Frage nach der Dreiteilung der Philosophie abzuschließen (5.). Als Charakteristikum von Augustins Position wird uns ständig die Tatsache begegnen, dass er nicht so sehr zwischen theoretischen und praktischen Wissenschaften unterscheidet, sondern vielmehr zwischen theoretischen und praktischen Seiten ein und derselben Wissenschaft.

Für eine Übersicht der zwei Einteilungen vgl. Lorenz (1955–56:30–45). Augustin selbst benutzt nicht das Wort arithmetica sondern potentia numerorum oder einfach numerus.

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1. Die Wissenschaftseinteilung von de ordine Den Wissenschaftseinteilungen von de ordine und de doctrina christiana liegen verschiedene Ansichten darüber zugrunde, was die Menschen durch die Wissenschaften erreichen können. Während in de ordine und den anderen frühen Dialogen eine Konzeption des Aufstiegs vom Körperlichen zum Unkörperlichen das zugrundeliegende Kriterium ist 113 , wird in de doctrina christiana die Nützlichkeit der verschiedenen Wissenschaften für die Deutung der heiligen Schrift das Maßgebende sein. Zwei unterschiedliche Einordnungen der Wissenschaften entstehen daraus, da das zweite Modell nicht direkt philosophische Kriterien für die Unterscheidung und Einordnung von Wissenschaften gibt. Die Aufstiegskonzeption impliziert dagegen ein direkt philosophisches Kriterium für Wissenschaftseinteilung. Es gilt nämlich die Wissenschaften zu meistern, und nicht von den sinnlichen Aspekten der Wissenschaften gemeistert zu werden. Sonst können die Wissenschaften unmöglich für den Aufstieg behilflich sein. Erst die Ordnung macht dieses Meistern möglich, denn ein Studium ohne Ordnung ist eher curiositas 114. Das für die curiositas Kennzeichnende ist also hier nicht ein anderer Gegenstand als die wahre Philosophie, sondern ihr Enzyklopädismus, der Informationen ohne Ordnung sammelt. Der wahre eruditus ist im Gegenteil jemand, der diese Ordnung kennt und ihr folgt, und deswegen nicht von den Disziplinen verführt wird, sondern »sie auf etwas eines, einfaches und wahres zurückführt« 115 . Die Ordnung impliziert so nicht nur Einteilung, sondern eine Einteilung, die auf Einheit zielt. Dies kommt auch in Augustins Beobachtung zum Ausdruck, dass die Vernunft, wenn der Aufstieg nicht geordnet ist, aus der Höhe fallen kann. Wegen dieser Einsicht baut sich die Vernunft selbst eine Leiter, indem sie ihren eigenen Besitz – die Wissenschaften – verarbeitet 116 . Für de ordine gilt so im allgemeinen, dass ein seelsorgerliches Inte113 Die Aufstiegskonzeption beschreibt Augustin als das für das gesamte Projekt der libri disciplinarum Kennzeichnende. retr. I, 6. disciplinarum libros conatus sum scribere, […] per corporalia cupiens ad incorporalia quibusdam quasi passibus certibus vel pervenire vel ducere. Vgl. auch den Rückblick in ep. 101, 3. Zu den Quellen von Augustins früher Aufstiegskonzeption vgl. van Fleteren (1995). Für den Aufstieg in den anderen Dialogen van Fleteren (1978). 114 ord. II, 5, 17. 115 ord. II, 16, 44. ad unum quiddam simplex, verum certumque redegerit. 116 ord. II, 14, 39. ne de alto caderet, quaesivit gradus atque ipsa sibi viam per suas possessiones ordinemque molita est. Ähnlich in an. quant. 15, 25 und vera rel. 29, 52.

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resse die Wissenschaftseinteilung leitet. Der Aufstieg endet folglich auch jenseits der Wissenschaften: in der Philosophie, die sich um die Seele kümmert 117 . Wie sieht die Wissenschaftseinteilung aber aus? In einem bedeutenden Aufsatz hat Rudolf Lorenz die These aufgestellt, dass die ganze Einteilung der Wissenschaften bei Augustin von der Unterscheidung zwischen actio und contemplatio abhängig ist. Die Dreiteilung in Ethik, Logik und Physik komme zwar oft vor, werde aber immer der Unterscheidung zwischen actio und contemplatio unterstellt 118 . Vieles scheint für diese Deutung zu sprechen. So kann man in de civitate Dei, wie schon gesehen, feststellen, dass Augustin, nachdem er die Dreiteilung erwähnt hat, darauf hinweist, dass diese der Zweiteilung nicht widerspricht, da der rationale Teil, die Logik, für die beiden anderen, Ethik und Physik, notwendig ist. Die zwei Einteilungsprinzipien stimmen so überein: Die Ethik (+ Logik) ist für die actio zuständig, und die Physik (+ Logik) für die contemplatio 119. Soweit stimme ich der These von Lorenz zu. Aber die Übereinstimmung dieser zwei Einteilungsprinzipien heißt ja noch nicht, dass die Zweiteilung als die entscheidende angesehen werden muss. Augustin schwankt vielmehr zwischen einer grundlegenden Rolle einerseits für actio und contemplatio, andererseits für die auf natura–usus– doctrina (und ihre trinitarische Implikationen) begründete Dreiteilung der Philosophie. Zwei solche Einteilungstypen als übereinstimmend anzusehen, passt zu der Freiheit, mit der sich Augustin gegenüber seinen eigenen Einteilungen und Einteilungsprinzipien verhält. Es sollte uns nicht wundernehmen, schreibt er, wenn die Vermögen der Seele und ihre jeweiligen Aktivitäten auf verschiedene Weise genannt und eingeteilt werden: Man kann dasselbe auf unendlich verschiedene Weisen nennen und einteilen 120 . Fangen wir aber konkret bei de ordine an, so muss man gegen ord. II, 18, 48. hunc igitur ordinem tenens anima iam philosophiae tradita primo se ipsam inspicit. 118 Lorenz (1955:30 und 45). 119 civ. VIII, 4. quae (d. h. der rationale Teil, die Logik), licet utrique, id est actioni et contemplationi, sit necessaria, maxime tamen contemplatio perspectionem sibi vindicat ueritatis. ideo haec tripertitio non est contraria illi distinctioni, qua intellegitur omne studium sapientiae in actione et contemplatione consistere. Also nicht, dass Logik und Physik den theoretischen Teil ausmachen, und Ethik den praktischen, wie es bei Krieger (1994:89) und Moreschini (2003:201) zu finden ist. 120 an. quant. 35, 79. 117

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Lorenz sagen, dass die Einteilung der Wissenschaften in de ordine nicht auf die Unterscheidung von actio und contemplatio beruht121 . Es gibt zwar vor der Einteilung der Wissenschaften in diesem Werk eine solche Zweigliederung, aber Augustin behandelt dort (II, 8, 25) nicht ein Kriterium für die Einteilung der verschiedenen Wissenschaften, sondern es handelt sich um die zwei Aspekte der höchsten Wissenschaft, das Gesetz Gottes, das eine pars vitae hat, und eine andere pars eruditionis 122. Dies hat gewiss eine Bedeutung für diejenigen, die die Weisheit suchen, aber nicht in dem Sinn, dass hier auf praktische und theoretische Wissenschaften hingewiesen wird. Die pars vitae bezieht sich nämlich nicht auf so etwas wie eine praktische Philosophie, sondern direkt auf die Lebensführung. Deswegen gibt Augustin unmittelbar danach eine lange Reihe von moralischen Vorschriften, denen die jungen Leute folgen müssen, die nach der Weisheit suchen: das ist die pars vitae. Über die Weisen, wie man die pars eruditionis, also die Wissenschaften, gliedern kann, ist damit noch nichts gesagt. Jene Einteilung der Wissenschaften, der pars eruditionis, beruht nicht auf einer Einteilung in actio und contemplatio, sondern auf einer Gliederung in drei Arten von Dingen, in denen das rationabile sich ausdrückt. Dieser Gliederung geht die Unterscheidung zwischen rationale und rationabile voran. Als rationale gilt, wer die Vernunft gebrauchen kann; also Menschen, Engel, oder Gott. Rationabile dagegen ist das, was auf vernünftige Weise gemacht oder gesagt wird 123 . Solche rationabilia sind also die verschiedenen Wissenschaften, die nicht von sich selbst aus rationalia sind, sondern vernünftig sind, weil sie aus einem rationale kommen – Augustin spricht hier von einer personifizierten Vernunft, die die Wissenschaften entdeckt und entwickelt. Es gibt in diesen Wissenschaften, wie erwähnt, drei genera von solchen rationabilia: »Das eine ergibt sich in Sachen, die auf ein Ziel bezogen sind, das zweite in den Wissenschaften des Sprechens (in dicendo) 124 , das dritte im Genießen (in delectando). Das erste mahnt uns, nichts unüberlegt zu tun, das zweite, richtig zu reLorenz (1955:31 ff.). ord. II, 8, 25. haec igitur disciplina eis qui illam nosse desiderant, simul geminum ordinem sequi iubet, cuius una pars vitae, altera eruditionis est. 123 ord. II, 11, 31. rationale esse dixerunt quod ratione uteretur vel uti posset, rationabile autem, quod ratione factum esset aut dictum. 124 Die Lesart ist umstritten. Vgl. Hübner (1994:327) für die Argumente, die discendo statt dicendo stützen. Für dicendo dagegen Cutino (1998:87). 121 122

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den, das letzte, mit Freude zu betrachten (beate contemplari)« 125 . Das erste bezieht sich also auf die Sitten, das zweite und dritte auf die Wissenschaften, die Augustin im Folgenden einordnen wird. Dies heißt, dass es nach Augustin ein moralisches und in diesem Maß praktisches Wissen gibt, das nicht einfach identisch mit der handlungsleitenden menschlichen Rationalität ist, sondern eher eine Reflexion über das Praktische ist; denn es wird als Teil der pars eruditionis, nicht der pars vitae, behandelt. Das scheint zu bedeuten, dass es sich um ein Wissen handelt, das zumindest grob systematisiert werden könnte. Dennoch wird es hier nur genannt, ohne seine Beziehung zu den anderen Kenntnissen weiter zu erläutern. Daraus darf man schließen, dass, obwohl die Reinigung der Seele gewiss eine praktische Seite hat, diese sich ausschließlich im praktischen Handeln vollzieht, und nicht im praktischen Wissen, einem Wissen, das keine Rolle im Aufstieg der Seele zur Betrachtung spielt. Obwohl Augustin eine Reinigung der Seele als eine Notwendigkeit für die Betrachtung ansieht, beschränkt sich also der epistemische Teil dieser Reinigung auf die artes liberales, auf die Wissenschaften, die unter den rationabilia in dicendo und in delectando gezählt werden. Deswegen braucht die Struktur des praktischen Wissens hier von ihm nicht entfaltet zu werden. Cutinos Behauptung, dass dieses Schweigen als ein Argument zugunsten der Überlegenheit der eruditio gegenüber den mores gedeutet werden muss 126, scheint mir also nicht gerechtfertigt zu sein: Es weist nur auf eine Überlegenheit der anderen Teile der eruditio vor einer »Philosophie der Praxis« hin, nicht vor der Praxis selbst. Die richtige Praxis ist vielmehr der »sicherste Schritt zur Gottesliebe« 127 , den es geben kann. Texte, die die bevorzugte Rolle der Praxis, besonders in Form der Nächstenliebe, im Aufstieg der Seele, zeigen, sind zahlreich 128 . Die entscheidende Bedeutung der pars vitae hat Augustin selbst kurz zuvor in de ordine II, 8, 25 betont. Aber die theoretische Erörterung von solchen praktischen 125 ord. II, 12, 35. Cutino (1998) will hier auch die Dreiteilung der Philosophie sehen; m. E. zu Unrecht, da Augustin diese disciplinae von der Philosophie unterscheidet. Vgl. ord. II, 18, 47–48. 126 Cutino (1998:87). 127 mor. I, 26, 48. nullus certior gradus. Auch die Wissenschaften suchen einen gradus (ord. II, 14, 39). 128 Auch für die philosophisch Begabten ist der sicherste Aufstieg zur Gott, Rücksicht auf die Gemeinschaft der Menschen zu nehmen. Vgl. util.cred. 10, 24. quo gradu nihil firmius in caelum reperiri potest.

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Problemen ist, wie bei Aristoteles, von geringerem Wert als die theoretische Philosophie. Es sind also nur die Wissenschaften in dicendo und in delectando, die eingeteilt werden sollen, und diese stimmen mit den sieben artes liberales überein 129 . Unter den Wissenschaften des Sprechens – das Trivium (II, 12, 35–13, 38) – befinden sich die grammatica (mit der historia als Teilgebiet), die rhetorica und die dialectica. Dem Quadrivium (in delectando) gehören musica, geometria, astrologia und arithmetica. Wie steht es nun mit dem Theoriecharakter dieser sieben Wissenschaften, die alle unter dem Begriff der eruditio zusammengefasst sind? Wenn man die Liste dieser artes betrachtet, wird leicht ersichtlich, dass alle eine praktische Anwendung haben, aber auch rein theoretisch betrieben werden können. Wenden wir uns zunächst dem ersten Teil zu, ergibt sich das Folgende: Diese Wissenschaften scheinen eine praktische Natur zu haben, zumindest was ihren Ursprung betrifft. Die Wissenschaften, die mit dem dicere zu tun haben, entstehen nämlich aus den Bedürfnissen des Zusammenlebens. Daraus erklärt sich die grammatica. Die grammatica entsteht in verschiedenen Schritten und aus verschiedenen Bedürfnissen: Zunächst, weil die unmittelbare Kommunikation der Geister unmöglich ist, und deswegen die Dinge einen Namen brauchen. Da diese Zeichen aber nicht auf Distanz nützlich sind, musste man die schriftlichen Zeichen hinzufügen 130 . Dem wird dann weiteres hinzugefügt, wie die Untersuchungen über die Länge der Silben 131 . Wie Augustin selbst betont, sind solche Untersuchungen sehr spezifisch (perite subtiliterque distincta sunt). Obwohl die grammatica also ursprünglich sozialen Bedürfnissen entstammt, wird vieles in ihr nachgeforscht, das nicht notwendigerweise nützlich sein wird. Wenden wir uns der rhetorica zu, so wird ihr eine ermahnende Aufgabe zugeschrieben. Ihr Wert liegt so vollständig in ihrer Anwendung, welche nicht nur aus dem Lehren besteht, sondern auch aus dem Bewegen 132 . Es kommt ihr also vor allem die Funktion zu, diejenigen zu bewegen, die sich nicht von der Vernunft führen lassen. Mit der dialectica wird die Behandlung des Triviums vervollständigt. Es ist bedeutend, dass 129 Für die Ordnung der Disziplinen vgl. Hübner (1994). Die Ausdrücke Trivium und Quadrivium, die ich hier verwende, werden von Augustin nicht benutzt. 130 ord. II, 12, 35. 131 ord. II, 12, 36. 132 ord. II, 13, 38. oportebat eos (den Vielen, die sich nicht von der Vernunft leiten lassen) non doceri solum, sed saepe et maxime commoveri.

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es in diesem Ort geschieht. Es geschieht nämlich gerade vor dem Übergang von den rationabilia in dicendo zu den rationabilia in delectando. Diese Ordnung hält Augustin für notwendig, da die Vernunft nicht weiter arbeiten kann, wenn sie nicht ihre eigenen Fähigkeiten vorher kennt 133 . »Hier beweist die ratio sich selbst und zeigt was sie ist, was sie will und was sie kann« 134 . Wie könnte die Vernunft weiter arbeiten, wenn sie ihre eigenen Fähigkeiten, ihr eigenes Instrument, nicht zuerst richtig kennt?, fragt sich Augustin quasi kantisch 135 . Die durch diese Klärung der Fähigkeiten der Vernunft begründete dialectica bezeichnet Augustin als disciplina disciplinarum. Zur Zeit von de ordine schreibt Augustin dieser Wissenschaft die Möglichkeit von sehr hohen Leistungen zu. Sie lehrt uns zu lernen und zu lehren; sie allein kann die Menschen wissend machen 136 . Sie liefert die Sicherheit für die anderen Wissenschaften, und der Weise wird durch diese Kenntnisse Gott näher stehen. Es ist aber bemerkenswert, dass diese disciplina disciplinarum, der so wichtige Aufgaben zukommt, in die erste Gruppe gestellt wird. Sie wird also nicht als Teil der Wissenschaften des Quadriviums gerechnet, die der Seele zum Aufstieg verhelfen. Dies wäre möglich gewesen, da Augustin zu dieser Zeit aus der dialectica nicht nur die technische Fähigkeit erwartet, Wahres von Falschem zu unterscheiden, sondern sie vielmehr für die Wahrheit hält, »durch welche alles andere wahr ist« 137 . Sie erkennt, wie bereits gesehen, nicht nur Regeln des Denkens, sondern was sie selbst ist, will und kann. Ihre Stellung in der ersten Gruppe lässt sich aber vielleicht dadurch erklären, dass sie eine Art von Selbsterkenntnis ist; und Selbsterkenntnis gilt nicht, auch nicht für den frühen Augustin, als Teil der höchsten Kenntnisse 138. Nach seiner Behandlung von rhetorica und dialectica kann Augustin weiter zu den betrachtenden Wissenschaften gehen. Erst hier, und

ord. II, 13, 38. ord. II, 13, 38. in hac se ipsa ratio demonstrat atque aperit, quae sit, quid velit, quid valeat. 135 ord. II, 13, 38. quando ergo transiret ad alia fabricanda, nisi ipsa prius quasi quaedam machinamenta et instrumenta distingueret, notaret, digereret? 136 ord. II, 13, 38. sola scientes facere non solum vult, sed etiam potest. 137 sol. II, 11, 21. illam potius existimo esse veritatem, qua et ista ipsa ratio vera est. 138 Selbsterkenntnis ist nicht für die Weisen, sondern für die Lernenden (discentibus). ord. II, 18, 47. Gegen die Überschätzung der Selbsterkenntnis vgl. auch trin. XV, 23, 44. non enim ait apostolus: ›Videmus nunc speculum‹, sed: ›Videmus per speculum‹. 133 134

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nicht im Trivium, fängt der Aufstieg der Seele an 139 ; also erst nach der Behandlung der Wissenschaften in dicendo, dialectica einschließlich. »Von hier aus will die Vernunft zur Kontemplation der göttlichen Dinge aufsteigen« 140 . So wie im Aufstieg aus der platonischen Höhle wird dies durch abgestufte Entfernung aus dem Materiellen geschehen. So ist die erste dieser Wissenschaften die Musik, die sowohl sinnlich als intellektuell ist (sensus intellectusque particeps) 141 , und die deswegen als Bindeglied zwischen Trivium und Quadrivium betrachtet werden kann. Auf den ersten Blick scheint der platonische Aufstieg viel subtiler in seiner Abstufung zu sein. Die Konzeption Augustins gewinnt aber an Differenzierung, wenn man andere Werke des Zyklus der disciplinae liberales mit einbezieht, die auf eine Abstufung innerhalb einer jeden Wissenschaft hinweisen. So besteht de musica aus einem abgestuften Aufstieg durch verschiedene Arten von Zahlen: sonantes numeri, occursores numeri, iudiciales numeri 142 , usw. Nach der Musik steigt die Vernunft weiter auf zur geometria und astrologia 143 , um schließlich zu entdecken, dass ihre ganze Kraft in den Zahlen, der letzten Stufe, liegt 144 . Damit ist das Quadrivium abgeschlossen. Die Einteilung der höchsten Wissenschaft, des göttlichen Gesetzes, kann also folgendermaßen dargestellt werden: Lex Dei

Pars eruditionis – in aufsteigender Richtung

Pars vitae

De factis ad aliquem finem relatis (philosophia practica)

Rationabilia in delectando

Dialectica

Arithmetica Ascensus

Rhetorica

Astrologia

Grammatica (inklusive historia)

Geometria Musica

!

Rationabilia in dicendo

139 Eine Tatsache, die Hübner (1994:322–323) mit Recht gegen I. Hadot (1984), die die sieben artes als einen Aufstieg sieht, betont. 140 ord. II, 14, 39. 141 ord. II, 14, 41. 142 Vgl. die Analyse bei du Roy (1966:285), Horn (1994:401–405) und Schmitt (1990). 143 ord. II, 15, 42. 144 ord. II, 15, 43.

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Alle diese artes liberales, schreibt schließlich Augustin, haben sowohl einen aktiven als auch einen kontemplativen Teil 145 . Was dies konkret heißt, kann m. E. folgendermaßen zusammengefasst werden: Das Trivium ist eine Gruppe von Wissenschaften, die praktisch in Bezug auf ihren Ursprung sind und die auch primär von praktischer Bedeutung wegen ihrer Anwendung sind. Das bedeutet aber nicht, dass sie nur um der Praxis willen betrieben werden. Wie erwähnt, gibt es in der Grammatik Fragen, die von keinem Nutzen sind; und die dialectica unterrichtet auch über solches, das nicht für die Praxis nützlich ist, sondern für den Aufstieg des Quadriviums. Die in diesem Quadrivium enthaltenen Wissenschaften kann man dagegen als primär theoretisch bezeichnen. Augustin schreibt nämlich, dass sie partim ad usum vitae, partim ad cognitionem rerum contemplationemque existieren, aber seine ganze Beschreibung dieser Wissenschaften (II, 14, 39–15, 43) beschränkt sich auf den zweiten Aspekt, die cognitio rerum et contemplatio. So wird z. B. die astrologia einfach als ein magnum religiosis argumentum bezeichnet, ohne irgendeinen Hinweis auf ihre mögliche technische Anwendung (Weissagung). Die artes des Triviums sind also ihrem Ursprung nach praktisch, aber sie erstrecken sich nach oben, zu einer nicht praktischen Funktion, und sind auf diese Weise auch für das Quadrivium notwendig, können sogar in gewissen Fällen über eine ars des Quadriviums urteilen, wie ein grammaticus über die in der Musik enthaltenen Dichtung urteilt 146 ; die artes des Quadrivimus sind dagegen in erster Linie theoretisch, können sich aber nach unten durch ihre Anwendung erstrecken. Die zwei Gruppen von Wissenschaften sind folglich nicht als aufeinanderfolgende Reihen zu denken, so als ob die musica eine Stufe höher als die dialectica stünde, weil sie schon Teil des Quadriviums ist – vielmehr sind dialectica und arithmetica Gipfel des Ganzen 147 , auch wenn die dialectica nicht Teil des Aufstiegs ist. Es handelt sich so beim Trivium und Quadrivium um zwei voneinander relativ unabhängige Reihen, mit gewissen gegenseitigen Verhältnissen, wobei die erste Reihe prinzipiell für den Gebrauch ist (ad usum vitae), die zweite dagegen für die Betrachtung (ad cognitionem rerum contemplationemque). Theoretische und praktische 145 ord. II, 16, 44. cum enim artes illae omnes liberales, partim ad usum vitae, partim ad cognitionem rerum contemplationemque discantur. 146 ord. II, 14, 40. 147 Wie es in ord. II, 18, 47 ausdrücklich steht.

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Seiten haben wir also im Schema von de ordine bei jeder Wissenschaft. Eine saubere Trennung zwischen theoretischen und praktischen Wissenschaften gibt es nicht. Es gibt nicht etwa eine Gruppe von Wissenschaften, die von jungen Leuten gelernt werden könnte und eine andere, für welche die Erfahrung notwendig ist. Vielmehr betont Augustin, dass sie alle ab der Kindheit gelernt werden müssen 148 . Dies heißt aber natürlich nicht, wie wir gesehen haben, dass theoretische und praktische Aspekte einer Wissenschaft nicht unterschieden werden. Sie werden unterschieden und dies hat auch Folgen, wie die Tatsache, dass die artes des Triviums für den Aufstieg nicht nützlich sind. Dieses Schema, mit Unterscheidung von theoretischen und praktischen Seiten einer Wissenschaft aber ohne saubere Trennung von theoretischen und praktischen Wissenschaften, werden wir auch in anderen Gebieten von Augustins Werk wiederfinden, besonders in seiner Behandlung von scientia und sapientia. 2. Der Übergang zu de doctrina christiana Nach Meinung Augustins zur Zeit von de ordine können die Wissenschaften viel für uns leisten: Sie können die Seele reinigen und sie auf diese Weise für die Betrachtung vorbereiten. Der Weise steht demnach Gott näher 149. Aber diese Hoffnungen, die er auf die freien Künste gesetzt hatte, wird er später teilweise nicht beibehalten: Es gibt ja viele Heilige, die die artes liberales nicht kennen, und viele, die sie kennen, aber keine Heilige sind 150 . Auch dann gibt es natürlich eine Rolle für die Wissenschaften im Christentum. Aber während das Programm von de ordine elitär gedacht war, für die wenigen, die durch Philosophie befreit werden können 151 , ist das Programm von de doctrina christiana für die vielen geschrieben, die die Heilige Schrift interpretieren müssen. Man könnte wohl sagen, dass auf diese Weise in de doctrina christiana keine Wissenschaft als theoretisch 148 ord. II, 16, 44. usum earum assequi difficillimum est nisi ei qui ab ipsa pueritia ingeniosissimus instantissime atque constantissime operam dederit. 149 ord. II, 2, 5. sapiens prorsus cum deo est, nam et seipsum intelligit sapiens. 150 Vgl. retr. I, 3, 2. verum et his libris displicet mihi […] quod multum tribui liberalibus disciplinis, quas multi sancti multum nesciunt, quidam etiam sciunt et sancti non sunt. Andere abwertende Kommentare über die artes liberales findet man in util. cred. 7, 16, Simpl. I, 2, 22 und civ. VI, 2. 151 ord. II, 5, 16. philosophia paucissimos liberat. Ebd: mysteria, quae fide sincera et inconcussa populos liberant.

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verstanden wird. Aber auch nicht als praktisch, sondern lediglich als instrumentell. Sie leiten selbst nicht das Leben, sondern dienen nur der Schriftauslegung, deren Ergebnis das Leben leiten wird. Es muss aber gesagt werden, dass Augustin selbst diesem vermeintlichen Instrumentalismus nicht treu bleibt. In der Einteilung der Wissenschaften wird er oft nicht nur die Nützlichkeit der jeweiligen Wissenschaft für die Bibelauslegung betonen, sondern auch die Eigenart einer jeden Wissenschaft. Dies hat eine viel breitere Einschätzung zur Folge. Das ist z. B. sehr deutlich in der Einschätzung der Geschichte oder der Naturwissenschaften. Medizinische Kenntnisse dienen auch für die Heilung, und die Geschichte auch für die Apologetik: Sie werden nicht nur für die Schriftauslegung gebraucht 152 . Die dialectica hilft uns nicht nur, richtige Schlüsse zu ziehen, sondern gibt uns auch die Freude, ihre unwandelbaren Regeln erkennen zu können 153 . Dass es aber überhaupt eine Änderung in Bezug auf de ordine gegeben hat, wird durch zwei Aspekte von de doctrina christiana hinreichend bezeugt: a) Augustin muss jetzt beweisen, dass die Wissenschaften überhaupt notwendig sind, und das macht er in ausführlicher Weise. Der Prolog des Werkes beschäftigt sich fast ausschließlich damit 154 : Auch diejenigen, die ohne Hilfe von Regeln die Schrift auslegen wollen, haben die Sprache von anderen Menschen lernen müssen 155 . Diese Bereitschaft, von anderen Menschen lernen zu wollen, muss als ein Akt der Demut bewahrt werden 156 . Dadurch hat Gott nämlich seine Einschätzung der humana condicio gezeigt, da er auch jegliche Belehrung durch Engel hätte bewerkstelligen können, aber die Menschen dazu gewählt hat 157 ; und die Liebe unter den Menschen wird nur dadurch bewahrt, dass sie von einander zu lernen bereit sind. Diese Argumentationslinie des Prologes erweitert er im zweiten Buch des Werkes. Die Christen sollten alles Wahre und Gute als

doctr. chr. II, 28, 43 und 29, 45. doctr. chr. II, 37, 55. 154 Über die Wichtigkeit dieses Prologes vgl. Kannengiesser (1995:6–7) und Brunner (1955). 155 doctr. chr. prol. 4. 156 doctr. chr. prol. 5. immo vero et quod per hominem discendum est, sine superbia discat. 157 doctr. chr. prol. 6. 152 153

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ihren eigenen Besitz betrachten 158 , wie sie auch alle nützlichen menschlichen Einrichtungen (instituta) akzeptieren müssen 159 . b) Eine Aufstiegskonzeption bleibt bestehen, wird aber nicht mehr anhand der Wissenschaften dargelegt. Die Trennung des Aufstiegs der Seele von einer Leiter der Wissenschaften ist deutlich, da Augustin den Aufstieg gerade vor der Wissenschaftseinteilung darlegt, und zwar als einen Aufstieg durch die verschiedenen Gaben des heiligen Geistes 160. Und obwohl es eine Hierarchie der Kenntnisse gibt, ist der Gipfel dieser Kenntnisse nicht identisch mit dem Gipfel eines religiösen Aufstiegs: Deswegen muss Augustin hier eine Unterscheidung zwischen doctus und sapiens machen, die in de ordine nicht notwendig war. Der doctus kann dieselben Kenntnisse wie der sapiens haben, aber er hat nicht das Entscheidende des sapiens: »alles zur Ehre und Liebe des einen Gottes zu leiten, von dem er weiß, dass alles kommt« 161 . Die Unterscheidung zwischen curiosus und eruditus, die in de ordine vorhanden war, reicht nicht mehr aus, sondern der eruditus kann entweder nur doctus sein, oder auch sapiens. Dieser Unterschied zu de ordine ist wegweisend für Augustins zukünftige Entwicklung, nicht nur im Hinblick auf sein Weisheitsverständnis, sondern auch in Bezug auf die Verbindung von Philosophie und Gottesverehrung 162 . Wie fern liegt die daraus entstehende Einteilung der Wissenschaften von der uns aus de ordine bekannten? Die Idee eines Aufstiegs und die daraus folgende Notwendigkeit eines geordneten Studiums, wird keine entscheidende Rolle mehr spielen. Aber eine bestimmte Ordnung der Wissenschaften ist trotzdem erforderlich, weil nicht alle Wissenschaften für die Schriftauslegung gleich nützlich sind, noch für die Seligkeit erforderlich. Junge Leute, die Gott fürchten und die Seligkeit suchen, sollten folglich nicht »Lehren, die außerhalb der Kirche Christi ausgeübt werden, als etwas nützliches für 158 doctr. chr. II, 18, 28. immo vero quisquis bonus verusque christianus est, domini sui esse intellegat. In II, 40, 60 wird dasselbe vorgeführt (ab eis tamquam ab iniustis possessoribus in usum nostrum vindicanda) anhand der üblichen patristischen Deutung des Stehlens des ägyptischen Goldes seitens der Hebräer. Vgl. Altaner (1967:199) für dieselbe Deutung bei anderen Kirchenvätern. 159 doctr. chr. II, 25, 39. 160 doctr. chr. II, 7, 9–11. 161 doctr.chr. II, 38, 57. ad unius dei laudem atque dilectionem cuncta convertere, a quo cuncta esse cognoscit. 162 Vgl. dazu infra Kap. 2, II, B, 4: »Fruitio Dei, Gottesdienst und Weisheit«.

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das selige Leben zu folgen wagen; sie sollten vielmehr über diese Lehren nüchtern und fleißig urteilen« 163 . Der Christ macht nicht mehr seinen Aufstieg durch die Wissenschaften, sondern er urteilt über diese 164 ; auch dann muss man aber diese Wissenschaften kennen. Augustin bespricht tatsächlich in de doctrina christiana im Grunde dieselben Wissenschaften wie in de ordine. Und aus den auffindbaren Unterschieden sind die folgenden drei für unser Vorhaben von Bedeutung: a) Zunächst kann man konstatieren, dass in de doctrina christiana keine eindeutige Zwei- oder Dreiteilung der Philosophie vorgenommen wird. Die philosophisch relevanteste Unterscheidung hier ist, dass es Wissenschaften des Sinnlichen und Wissenschaften des Intelligiblen gibt. Die meisten dort behandelten Wissenschaften werden als dem Bereich des Sinnlichen zugehörig verstanden. Das ist der Fall bei der Geschichte, den Naturwissenschaften und den Sprachen. Als intellektuelle Wissenschaften werden dialectica, rhetorica und arithmetica bezeichnet, von denen die höchsten dialectica und arithmetica sind, und zwischen denen unterschieden wird, obwohl sie als eine einzige Disziplin genannt werden 165 . Darauf werden wir im folgenden Abschnitt zurückkommen. Es muss aber schon hier betont werden, dass der Bereich des Sinnlichen nicht undifferenziert als minderwertig abgetan wird. Augustin entwirft ein Bild des Sinnlichen, in welchem die Möglichkeiten des Zusammenwirkens von Menschen und Gott deutlich hervortreten. Das möchte ich in den folgenden zwei Punkten hervorheben. b) Der strenge Unterschied zwischen Geschichte und Naturwissenschaften wird folgendermaßen aufgehoben. Die historia wird hauptsächlich als eine Erzählung des Vergangenen beschrieben. Nachdem Augustin für die Beschreibung der historia dieses narrare hervorgehoben hat 166 , fährt er zur nächsten Sektion fort, wo er über eine Art von narratio schreibt, die der demonstratio ähnlich ist. Damit ist die Naturwissenschaft der »sublunarischen Welt« 167 gemeint. Sie ist, wie die historia, eine Erzählung, aber nicht des Vergangenen, sondoctr. chr. II, 39, 58. In mus. VI, 17, 59 schreibt Augustin sogar, dass Christen einen solchen intellektuellen Aufstieg nicht brauchen. 165 doctr. chr. II, 31, 48. ubi disciplina regnat disputationis et numeri. 166 doctr. chr. II, 28, 44. narratione autem historica … aliud est enim facta narrare, aliud docere facienda. … historia facta narrat. 167 Augustin selbst verwendet nicht diesen Ausdruck. 163 164

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dern des Gegenwärtigen. Erst recht die Naturwissenschaft, die sich mit der supralunarischen Welt befasst, die astrologia, gilt als demonstratio schlechthin, ohne Verwandtschaft mit der narratio. Vergleicht man mit der Abwertung der historia in de ordine (dort lediglich ein Teil der grammatica und dem Aberglauben gefährlich nah) 168 , ist die Entwicklung auffallend: Die historia gehört jetzt zu demselben Genus wie die Naturwissenschaft, die die Werke Gottes untersucht. In der sublunarischen Welt ist alles narratio, und je nachdem, ob wir von göttlichen oder menschlichen Werken reden, ist diese narratio Naturwissenschaft oder Geschichte. Bemerkenswert ist aber auch, dass Augustin, während er in de ordine die astrologia als besonders für die religiosi statthaft ansah, jetzt diese Wissenschaft, wegen ihrer Verwandtschaft mit dem Aberglauben, lieber verurteilt sehen will 169 . Man kann den Wandel zwischen de ordine und de doctrina christiana gerade in Bezug auf den Aberglauben am deutlichsten erkennen: in de ordine war er im Bereich der historia, jetzt in dem der astrologia. Die Stabilität des Gegenstandes ist also nicht ein hinreichendes Kriterium für die Vorzüglichkeit einer Wissenschaft. Es ist zumindest dann nicht ein hinreichendes Kriterium, wenn man einen solch erhabenen Gegenstand zu gebrauchen statt zu genießen versucht. c) Augustin kennt eine Unterscheidung zwischen praktischem und poietischem Wissen; zwischen Wissenschaften, die mit agere, und denen, die mit facere, zu tun haben. Aber er fügt ein drittes hinzu: Wissenschaften, in denen wir mit Gott zusammenarbeiten, sodass es drei Arten von Wissen im praktischen Gebiet gibt. So haben wir hervorbringende Künste, die ein äußerliches Werk als Ziel haben, wie der Hausbau, dann andere ministeria, in welchen man mit Gott zusammenwirkt, wie Medizin, Ackerbau und Regierung, und schließlich die Künste, deren einzigen Ziel die Handlung selbst ist, wie das Tanzen 170 . Die Rede von Handlungsbereichen, in denen Mensch und 168 ord. II, 12, 37. Die historia wird als curarum plenior quam iucunditatis aut veritatis bezeichnet. 169 doctr. chr. II, 29, 46. quae per se ipsa cognitio, quamquam superstitione non alliget, non multum tamen ac prope nihil adiuvat tractationem divinarum scripturarum, et infructuosa intentione plus impedit, et quia familiaris est perniciosissimo errori fatua fata cantantium, commodius honestiusque contemnitur. 170 doctr. chr. II, 30, 47. artium etiam ceterarum, quibus aliquid fabricatur vel quod remaneat post operationem artificis ab illo effectum, sicut domus et scamnum et vas aliquod atque alia huiuscemodi, vel quae ministerium quoddam exhibent operanti deo

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Gott zusammenarbeiten bleibt in anderen Werken erhalten, mit Ackerbau als dem beliebtesten Beispiel 171 . Und es muss hervorgehoben werden, dass die wichtigsten Aktivitäten hier nicht als Beispiele von actio gezählt werden, sondern gerade zur Gruppe der »Kooperation« zwischen Gott und Menschen. Dies stimmt mit dem überein, was wir über die narratio gesagt haben, die sich auf menschliche und göttliche Werke erstreckt: Gott und die Menschen wirken in der Geschichte; sowohl göttliche als menschliche Werke können folglich durch eine narratio beschrieben werden, wenngleich mit dem Unterschied, dass die narratio des Göttlichen der demonstratio näher liegt. Abschließend möchte ich auf ein Teil des Prologes zurückkommen. Dort schreibt Augustin, wie gesehen, dass die condicio humana verworfen wäre, wenn wir für das Lernen nicht auf andere Menschen angewiesen wären 172 . Karla Pollmann hat den von der Forschung übersehenen anthropologischen Optimismus hervorgehoben, der in diesem Text zur Sprache kommt 173 : Die condicio humana wäre in einem solchen Fall abiecta; dies ist aber nicht der Fall, denn wir sind tatsächlich auf andere Menschen angewiesen. Wenn nun Augustin, zu derselben Zeit als er in ad Simplicianum den gefallenen Zustand des Menschen eindrucksvoll beschreibt, solche positive Aussagen über die condicio humana machen kann, ist es wichtig, ein pauschaler Urteil zu vermeiden, nach welchem die Abwertung der artes liberales einfach die Kehrseite einer Abwertung des Menschenbildes wäre: Sowohl die Einschätzung der Wissenschaften als auch die Einschätzung des Menschen weisen bei Augustin eine kompliziertere Form auf, wie sich in der Durchführung dieser Arbeit zeigen wird. 3. Dialectica und arithmetica – Einheit und Weisheit Nachdem der Aufstieg durch die Wissenschaften in de ordine abgeschlossen ist, fragt sich Augustin, ob man dieses lange Verfahren verkürzen könnte. Falls die ganze Reihe der dort vorgeschriebenen Wissenschaften zu harte Arbeit impliziert, schlägt er vor, könne man sich

sicut medicina et agricultura et gubernatio, vel quarum omnis effectus est actio sicut saltationum et cursionum et luctaminum. 171 Vgl. z. B. Gn. litt. IX, 15, 26. 172 doctr. chr. prol. 6. poterant utique omnia per angelum fieri, sed abiecta esset humana condicio, si per homines hominibus deus verbum suum ministrare nolle videretur. 173 Vgl. Pollmann (1996:87–89). A

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mit der dialectica oder der Erkenntnis der potentia numerorum begnügen 174 . Trotz der Wandlungen, die Augustins Einteilung der Wissenschaften erfährt, kann man also feststellen, dass eines festbleibt: diese Einschätzung der dialectica und arithmetica als die höchsten Formen des Wissens. In de ordine gipfeln Trivium und Quadrivium tatsächlich jeweils in dialectica und arithmetica, und in de doctrina christiana sind sie neben der rhetorica die einzigen »Wissenschaften des Intelligiblen«. Sie sind ferner nicht nur eine Zusammenfassung von anderen Kenntnissen, sondern bilden selbst eine Art Einheit. Sie sind nach de ordine eine quasi duplici scientia, und de doctrina christiana sagt, dass im Geist »die Disziplin des Disputierens und der Zahl regiert« 175 . Ziel ist also weder die Bildung des Mathematikers, noch des Dialektikers, sondern etwas, das durch beide Wissenschaften erreicht werden kann: Es geht in beiden Fällen um die Einübung der Seele in der Suche nach der Einheit. Man muss sich aber fragen, nach welcher Art Einheit. Suchen wir nach einer monistischen Einheit, oder nach einer diskreten Einheit, die der Gesamtheit des Existierenden gerecht zu werden versucht? Wir fangen bei der dialectica an. a) dialectica: unterscheiden, verknüpfen und urteilen In Bezug auf die Abwertung der artes liberales ist besonders die dialectica in der Forschung Gegenstand der Diskussion gewesen 176 . Über die Definition der dialectica gibt es jedoch bei Augustin Kontinuität: Sie ist die Kunst des Denkens, des Lehrens und Lernens, der Lehre und der Definition. Das Ziel dieses Wissens ist, wie bei der Arithmetik, die Erfassung der Einheit. So kann man sagen, dass die jeweiligen Gegenstände der dialectica und der arithmetica austauschbar sind 177 . Wie soll aber dann der Unterschied zwischen beiden verstanden werden? Augustin scheint die dialectica vor allem an zwei Funktionen zu knüpfen: einerseits das Urteilen (iudicare), andererseits das Unterscheiden und Verknüpfen (discernere et connectere). Dieses discernere et connectere ist gerade die Funktion, durch welche er die ratio definiert. Auch in den frühen soliloquia heißt es, dass es diese Funktion ist, dieses »Vermögen des Definierens und Unterord. II, 18, 47. ord. II, 18, 47. doctr. chr. II, 31, 48. 176 Zusammenfassung der Diskussion seit Pépin bei Heßbrüggen-Walter (2005:184– 185). 177 So Horn (1994:392). 174 175

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teilens« 178 , welche eine Wissenschaft als solche konstituiert. Beide Vorgänge, sowohl die Unterscheidung als auch die Verknüpfung, die Analyse und die Synthese, werden um der Einheit willen vollzogen: »Sowohl wenn ich unterscheide als auch wenn ich verknüpfe will ich und liebe ich das Eine« 179 . Der einzige Unterschied zwischen beiden Vorgängen ist, dass man in der Analyse die gereinigte Einheit sucht und bei der Synthese die ganze (integrum) Einheit. Das Ziel des Denkens bleibt dasselbe: Das Erreichen der Einheit (man denke auch an Augustins Verknüpfung von cogito und cogo 180 ). Gerade hier haben wir aber die Antwort zu unserer Frage nach der Art Einheit. Es wird eine Erkenntnis des Ganzen (integrum) angestrebt, aber auch eine des Einzelnen. Augustin geht in dieser Hinsicht noch weiter und bezeichnet gerade diese Erkenntnis des Einzelnen, die Ergebnis der Analyse ist, als die gereinigte Einheit (purgatum) 181 . Diese Art Einheit, die durch Analyse des Einzelnen gereinigte, ist das Ziel der dialectica. Das andere Merkmal, das Augustin immer wieder in Verbindung mit der dialectica – und der ratio überhaupt – stellt, ist die Fähigkeit zu urteilen. Was Platon der sokratisch-praktischen und der pythagoreisch-theoretischen Philosophie hinzugefügt hat, ist die dialectica, die die zwei anderen Teile zugleich bildet und beurteilt 182 . So wird auch das gerechte Leben mit der Fähigkeit in Verbindung gestellt, die Dinge unversehrt zu beurteilen 183 . Will man die hohe Stellung des Menschen im Kosmos verstehen, ist diese Fähigkeit des Urteilens entscheidender als die Fähigkeit, einen Gegenstand zu erfassen (in178 sol. II, 11, 21. nam dixisti vereque dixisti nullam disciplinam tibi occurrere, in qua non definiendi vis atque distribuendi id ipsum, ut disciplina sit, fecerit. 179 lib. arb. II, 18, 48. ego quodam meo motu interiore et occulto, et quae discenda sunt possum discernere et connectere, et haec vis mea ratio vocatur. quid autem discernendum est, nisi quod aut unum putatur et non est, aut certe non tam unum est quam putatur? item, cur quid connectendum est, nisi ut unum fiat quantum potest? ergo et in discernendo et in connectendo unum volo, et unum amo. sed cum discerno, purgatum, cum connecto, integrum volo. 180 conf. X, 11, 18. 181 Zum Problem der Einheit in Augustins frühen Schriften vgl. Trelenberg (2004). Vgl. auch infra Kap 3, II, E, 3: »Zusammenfassung der Position Augustins«. 182 Acad. III, 17, 37. igitur Plato adiciens lepori subtilitatique Socraticae, quam in moralibus habuit, naturalium divinarumque rerum peritiam, quam ab eis quos memoravi diligenter acceperat, subiungensque quasi formatricem illarum partium iudicemque dialecticam. Vgl. auch den Appell in doctr. chr. II, 39, 58, die profane Wissenschaften zu beurteilen. 183 doctr. chr. I, 27, 28. ille autem iuste et sancte vivit, qui rerum integer aestimator est.

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telligere): Denn »der Mensch erfasst die Weisheit, aber er ist nicht besser als diese« 184 ; wo aber außer dem Erfassen auch ein Urteil ist, lässt sich dadurch die Überlegenheit des Urteilenden feststellen 185 . Auf diese Weise lässt sich die Überlegenheit der Sinne vor dem Sinnlichen, die des sensus interior vor dem sensus corporis und der ratio vor dem sensus interior zeigen 186 . Augustin sucht aber nicht nur diese Überlegenheit der ratio zu verteidigen, sondern er sucht jemanden, »der nicht nur gemäß seinem Vergnügen urteilt, sondern sein Vergnügen selbst beurteilt« 187 . Das zu diesem Zweck Gesuchte ist eine Wahrheit, »gemäß welcher wir auch unsere Geister beurteilen, während wir über jene Wahrheit überhaupt nicht beurteilen können« 188 . Die Urteilsfähigkeit der dialectica gründet sich so auf ihre Erkenntnis der intelligiblen Welt. Nur wer diese Welt kennt, kann die sensible Welt beurteilen; und nur wer über die sensible Welt urteilen kann, kann sich frei in dieser Welt verhalten. Die Unmöglichkeit, über Gott (= die intelligible Welt) zu urteilen, ist selbstverständlich nicht die Unmöglichkeit, einen rationalen Diskurs über Gott zu halten: Nur das iudicare über Gott wird in Frage gestellt, nicht das intelligere. Wäre dieses intelligere unmöglich, könnte Gott auch nicht Maß für unsere anderen Urteile sein. Die iniudicabilitas besagt einfach, dass man Gott nicht an dem Maßstab eines noch höheren Wesens messen kann. Dies spiegelt sich ferner in der Unterscheidung zwischen Genießen und Gebrauchen (frui und uti). Nicht das frui ist das den Menschen eigentümliche, obwohl das Ziel der Menschheit schließlich das frui Deo ist. Vielmehr können Tiere auch etwas genießen, während sie eigentlich nichts gebrauchen können, weil sie nicht das rationale Vermögen haben, etwas als Mittel für etwas anderes zu setzen 189 . Weil der Mensch aber Gott kennt, kann er alles andere beurteilen, und deswegen auch gebrauchen 190 . Nur die

lib. arb. II, 5, 12. lib. arb. II, 5, 12. nulli autem dubium est eum qui iudicat, eo de quo iudicat esse meliorem. 186 lib.arb. II, 3, 8 – 6, 13. 187 vera rel. 32, 59. ut iudex esse audeat ipsius delectationis humanae. ita enim superfertur illi nec ab ea tenetur, dum non secundum ipsam sed ipsam iudicat. 188 lib. arb. II, 12, 34. 189 div. qu. 30. 190 div. qu. 30. iudicat autem de omnibus quibus utitur; de solo deo non iudicat, quia secundum deum de ceteris iudicat. 184 185

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Erkenntnis des höchsten Guten eröffnet so die Möglichkeit eines freien Verhaltens. Diese Erkenntnis wird aber durch die dialectica erreicht 191 . In Augustins späterem Urteil über die dialectica bleibt viel von diesem erhalten, aber sein dialectica-Verständnis wird formalisiert: Er betont, dass man die dialectica als Methode beherrschen kann, und trotzdem nicht Gott als Gegenstand der Erkenntnis haben. Die »Wahrheit der logischen Schlüsse« kann man auch außerhalb der christlichen Kirche finden, aber sie ist nicht identisch mit der »Wahrheit der Lehren« 192 . Denn »es ist eine Sache, die Regeln der Verknüpfung zu kennen, und eine andere, die Wahrheit der Meinungen« 193 . Wenn hier über eine Wende Augustins die Rede sein soll, muss es aber mit gewissem Vorbehalt sein 194 . Denn gewiss betont Augustin jetzt, wie früher nicht, dass die dialectica eine formale Disziplin ist. Man sollte aber dann erstens beachten, dass, auch wenn die dialectica nicht mehr die dafür zuständige Disziplin ist, die Philosophie gemäß Augustin weiterhin einen Anspruch auf Erkenntnis materieller Wahrheit hat. Ferner sollte erwogen werden, dass die dialectica sich auch in de ordine nicht unter den Wissenschaften befindet, die Teil des Aufstiegs der Seele sind. Wenngleich eine Akzentverschiebung in seiner Beurteilung der dialectica unverkennbar ist, hat er also auch in den frühen Schriften nicht eine naive Position vertreten: die dialectica war wichtig genug, um als disciplina disciplinarum zu gelten, war aber trotzdem nicht Teil des Aufstiegs. In contra academicos konnte er schreiben, er wisse nicht, ob die dialectica selbst die Weisheit ist oder ob nur ein Weg zur Weisheit 195 . Jetzt weiß er: Sie hat nicht alle für die Weisheit notwendigen Merkmale. Mit diesem Ergebnis können wir uns der Erkenntnis der Zahlen zuwenden.

Vgl. dazu Acad. III, 17, 37 und Cutinos Analyse (1998:83) desselben Textes. doctr. chr. II, 31, 49. cum ergo sint verae conexiones non solum verarum, sed etiam falsarum sententiarum, facile est veritatem conexionum etiam in scholis illis discere, quae praeter ecclesiam sunt. 193 doctr. chr. II, 34, 52. quapropter aliud est nosse regulas conexionum, aliud sententiarum veritatem. 194 Der Verfall der dialectica wird besonders von Brachtendorf (2001) betont, der eine Wende zur Zeit von de magistro vertritt. 195 Acad. III, 17, 37. quae aut ipsa esset aut sine qua omnino sapientia esse non posset. 191 192

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b) arithmetica und sapientia proprie Wir können jetzt zur arithmetica übergehen und uns fragen, welche Leistungen Augustin ihr zuschreibt 196 . Zunächst ist sie der deutlichste Grund für die Gewissheit 197 . Die rein epistemologische Seite dessen kann man in der antiskeptischen Argumentation in contra academicos sehen, jedoch nur als Bestätigung einer Gewissheit, die durch die dialectica schon erreicht ist 198 . In den verschiedenen Disziplinen kommt alles als zahlhaft (numerosa) vor, schreibt er in de ordine. So wird alles leichter zu greifen; und wenn der Geist diese Ergebnisse in sich selbst anschaut, erscheinen sie als das Wahrhaftigste 199. Diese Eminenz der Zahl begründet Augustin in de libero arbitrio II aus verschiedenen Seiten. Einerseits aus der Unveränderlichkeit der mathematischen Relationen: 3 + 7 wird immer 10 sein, eine Erkenntnis, die jedem rationalen Wesen gemeinsam ist 200 . Auch wenn die Zahlen aus dem Bereich des Sinnlichen kämen, würde das nicht für die mathematischen Relationen gelten 201 . Und eigentlich können die Zahlen selbst nicht aus dem Sinnlichen kommen: Wir brauchen nämlich die Idee der Einheit, um Körper zählen zu können, bekommen aber diese Idee nicht aus den Körpern, denn diese sind nicht durch Einheit gekennzeichnet, sondern durch das Zusammengesetzt-Sein (corpus habet innumerabiles partes) 202 . Die Zahlen dagegen, zeichnen sich dadurch aus, ihren Namen danach bekommen zu haben, wie viele Male sie die Eins in sich haben 203 . So gehören also die Relationen und Wahrheiten der Zahlen »nicht zum Bereich des Sinnlichen, sondern sie sind unveränderlich und wahr, und sie sind als etwas Gemeinsames der Sicht von jedem Vernunftbegabten zugänglich« 204 . Die ganze Argumentation zielt darauf hin: Die Zahlen als dem Intelligiblen zugehörig zu zeigen. Und in diesem Gedanken196 Die beste Gesamtdarstellung der augustinischen Zahlenphilosophie findet man bei Horn (1994). 197 Augustin hat es selbst in seiner Suche erlebt, als er die »mathematische Methode« der Philosophen mit dem Manichäismus verglich. Vgl. conf. V, 3, 6. 198 Acad. III, 11, 25. nam ter terna novem esse et quadratum intelligibilium numerorum necesse est vel genere humano stertente sit verum. In III, 10, 23 findet man die Widerlegung des Skeptizismus anhand der dialectica. 199 ord. II, 15, 43. 200 lib. arb. II, 8, 21. 201 lib. arb. II, 8, 21. 202 lib. arb. II, 8, 22–24. 203 lib. arb. II, 8, 22. 204 lib. arb. II, 8, 24.

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gang geschieht es auf ausschließlich theoretische Weise, ohne dass diese Einsicht zu einem Aufstieg zur intelligiblen Welt führt. Aus diesem Grund, ihrer Gewissheit und Unveränderlichkeit, können die Zahlen für die Klärung der zwei augustinischen Hauptanliegen, der Erkenntnis Gottes und der Seele, dienen. Die Unsterblichkeit der Seele gilt durch die unveränderliche Natur der Zahlen, die in einer lebendigen Seele verbleiben müssen, als bewiesen 205 . Die Existenz Gottes wird auch durch diese Unveränderlichkeit der Zahlen dargelegt: Der berühmte »Gottesbeweis« in de libero arbitrio kreist nämlich um diesen Punkt, dass es etwas Unveränderliches gibt, das höher steht als die ratio, nämlich die Zahlen. Die nach Augustin dringendsten Fragen der Philosophie können also durch die Zahlenerkenntnis gelöst werden. Das leisten die Zahlen im Bereich der »reinen« Erkenntnis. Neben diesen Leistungen kommt der Zahl auch eine praktische Funktion zu, indem sie zum Aufstieg einlädt 206 . Die vestigia, die die Weisheit in der Welt gelassen hat, sind zahlhaft: »So mögest du sehen, dass was auch immer dich in den Körpern und durch die körperlichen Sinne erfreut, zahlhaft ist; und du wirst dich fragen, woher es kommt« 207 . Die Verfolgung dieser vestigia führt zum inneren Selbst, wo man entdeckt, dass man die äußere vestigia nicht beurteilen könnte, wenn man nicht einige innerliche Normen der Schönheit (pulchritudinis leges) hätte. Das Ziel ist dasselbe, das vorher auf theoretischem Weg verfolgt wurde: die Erkenntnis des Einen. Die Argumentationsweise bleibt dieselbe, aber man könnte jetzt von einem »erlebten« Beweis sprechen: Die Rückkehr durch die vestigia zum inneren Menschen, wo die Maßstäbe für die Beurteilung des Äußeren liegen. Wiederum können wir so von einer Wissenschaft sprechen, die sowohl eine theoretische als auch eine praktische Seite hat. Aber die beiden Seiten haben hier nicht verschiedene Ziele (so wie sich z. B. die praktischen und theoretischen Ziele der grammatica unterscheiden), sondern zielen beide auf die Erkenntnis der Einheit. Dem kann hinzugefügt werden, dass die arithmetica eine wichtigere Wissenschaft als etwa die grammatica ist, sodass man vorläufig die 205 imm. an. 4, 5. si enim manet aliquid inmutabile in animo, quod sine vita esse non possit, animo etiam vita sempiterna maneat necesse est. Vgl. auch die ganze Argumentation in imm. an. 1, 1. 206 Vgl. Horn (1994:398–399). 207 lib. arb. II, 16, 41.

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These aufstellen könnte, dass je erhabener eine Wissenschaft ist, desto stärker sich in ihr die Verbindung des Praktischen und Theoretischen ausdrückt. So lässt sich erklären, dass es Augustin in de libero arbitrio so schwer fällt, Zahl und Weisheit zu trennen. Sein Gesprächspartner, Evodius, will wissen, ob beide zu einem selben Genus gehören. Grund für diese Frage ist einerseits, dass Augustin selbst hervorgehoben hat, sie haben beide wahre und unveränderliche Normen 208 ; andererseits, dass die Heilige Schrift beide in Verbindung setzt: »Ich ging umher und beugte mein Herz, um zu erkennen, zu betrachten und zu erforschen die Weisheit und die Zahl« (Pred 7, 26) 209 . Evodius fällt es schwer, sich die Art dieser Einheit zu verdeutlichen, da es so viele Mathematiker gibt, die keine Weisen sind. Augustin antwortet mit einer Differenzierung zwischen Zahl und Weisheit, die aber letztlich ihre Einheit betont. Obwohl er die Zahl gegenüber Evodius’ Kritik verteidigt, will er z. B. nicht die Weisheit als geringer ansehen, da sie dasselbe wie die Zahl ist 210 . Sie sind also eine Weisheit, die einerseits in Zahl und andererseits in der Weisheit im eigentlichen Sinn besteht (numerus und sapientia proprie). Sowie ihre Verbindung sich auf einen biblischen Text (Pred 7, 26) gründete, wird ihre Unterscheidung auch der biblischen Weisheitsliteratur entnommen. Weish 8, 1, ein Text, den Augustin sonst oft auf Christus als die Weisheit Gottes bezieht 211 , sagt nämlich: »Sie [d. h. die Weisheit] erstreckt sich mit Macht (fortiter) von einem Ende zum anderen und ordnet das All voll Güte (suaviter)«. Augustin deutet den Text so, dass der Teil der Weisheit, der sich auf alles erstreckt, die Zahl ist. Dem anderen Teil, der eigentlichen Weisheit, kommt die gütige Durchwaltung zu 212 . Es handelt sich um einen Vers, der in der früheren christlichen Tradition sehr wenig kommentiert wurde, dem aber lib. arb. II, 10, 29. lib. arb. II, 8, 24. non enim frustra in sanctis libris sapientiae coniunctus est numerus, ubi dictum est: circui ego et cor meum et ut scirem et considerarem et quaererem sapientiam et numerum. 210 lib. arb. II, 11, 32. quamquam sapientia absit ut in comparatione numeri inveniatur inferior, cum eadem sit. 211 Vgl. z. B. Gn. litt. III, 12, 18 und III, 14, 22. 212 lib. arb. II, 11, 30. verumtamen, quoniam nihilominus in divinis libris sapientia dicitur quod adtingit a fine usque ad finem fortiter et disponit omnia suaviter (Sap 8,1), ea potentia, qua fortiter a fine usque ad finem adtingit, numerus fortasse dicitur, ea vero, qua disponit omnia suaviter, sapientia proprie iam vocatur, cum sit utrumque unius eiusdemque sapientiae. 208 209

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Augustin eine große Bedeutung gibt. Der Text dient bei ihm meistens dazu, die Allgegenwart der Weisheit Gottes in der Welt deutlich zu machen, und wird von Augustin nie wieder in der Weise ausgelegt, wie er es in de libero arbitrio macht 213 , also durch die Beschreibung von zwei Modi dieser allgegenwärtigen Weisheit. Es gibt aber eine verwandte Auslegung in de moribus, wo in Verbindung mit der Auslegung des paulinischen Ausdrucks »Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit« (1. Kor 1, 24) – auch ein wichtiger Text für Augustin 214 –, das fortiter attingere der Kraft Gottes, und das suaviter disponere seiner Weisheit zugeschrieben wird 215 . In diesen beiden ungefähr gleichzeitig geschriebenen Werken deutet Augustin also den einen Teil der Weisheit, das fortiter attingere, als die allumfassende Ordnung, die durch göttliche Kraft oder Zahl hergestellt wird, das suaviter disponere dagegen als die gütige Weisheit, die sich auf alles erstreckt, aber ihren Sitz nur in den vernünftigen Wesen findet, die die Durchwaltung als Aufgabe haben. Wie ist nun dieser Unterschied innerhalb der einzigen Weisheit zu verstehen? Augustin drückt sich folgendermaßen aus: »Das Wissen hat sie [die Weisheit = Gott] nicht den Körpern gegeben, nicht einmal allen Seelen, sondern nur den Vernünftigen, in denen sie sich wie ein Sitz aufrichtet, aus dem sie alles verwaltet, auch das untere und zahlhafte, welchem sie Zahlen gegeben hat« 216 . Die Zahl ist so verbreitet, dass auch die Törichten rechnen können. So erklärt sich, dass die Weisen, die als etwas sonderliches erscheinen, mehr als die Mathematiker bewundert werden. Diese Verbreitung der Zahl, die allem Ordnung verleiht, während die Weisheit sich intensiv auf die Menschen beschränkt, drückt Augustin schließlich in einer schönen Metapher aus: Sowie in einem Feuer Licht und Wärme sozusagen ein selbes Wesen haben und nicht voneinander getrennt werden können, die Wärme aber nur diejenigen berührt, die ihr nahe stehen, während das Licht sich ferner und weiter erstreckt, so brennen auch diejenigen, die der Weisheit am nächsten stehen, durch die Macht der Intelligenz, die ihr innewohnt; diejenigen aber, die wei-

213 La Bonnardière (1970:170–183) gibt einen guten Überblick der verschiedenen Deutungen des Verses. 214 Vgl. La Bonnardière (1986a:45). 215 mor. I, 16, 27. namque attingere fortiter, magis virtutem significat: disponere autem suaviter, quasi artem ipsam et rationem. 216 lib. arb. II, 11, 31.

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ter weg sind, wie die Körper, erreicht sie nicht durch die Wärme des Wissens, sondern sie berührt sie durch das Licht der Zahlen 217 .

Es ist also eine göttliche Weisheit, die sich extensiv (Licht) durch Zahlen in der ganzen Welt ausdrückt, und in den Menschen intensiv (Wärme) durch Weisheit – die praktischen Fragen sind ja in der Tat »brennender«. Aber die Menschen, die wirklich weise sein möchten, werden nicht nur die Weisheit im engeren Sinn suchen: Sie suchen die ganze Weisheit, die die Zahlen einschließt. Zahlhaft ist nämlich nicht nur die Welt unter uns, sondern auch die mathematischen Relationen, die über unserer Vernunft liegen, weil sie im Unterschied zu ihr völlig unwandelbar sind. »Je mehr sich die Wissenden und Suchenden vom irdischen Schmutz entfernen, desto mehr beobachten sie sowohl die Zahl als auch die Weisheit in der Wahrheit selbst, und sie lieben beides« 218 . Der Weise sucht also sowohl Erkenntnis der Zahl als auch »eigentliche« Weisheit. Es muss aber betont werden, dass die sapientia proprie nicht einfach ein Teil der göttlichen Weisheit ist, durch welche Gott die vernünftigen Geschöpfe regiert. Augustin schreibt vielmehr, dass Gott in den vernünftigen Geschöpfen »einen Sitz aufrichtet« von dem aus die Weisheit alles verwaltet. Der Mensch nimmt dadurch selbstverständlich an dieser Weisheit und dieser Verwaltung teil. Er schaut nicht nur auf die Wunder der göttlichen Weisheit, sondern wirkt auch, entflammt durch die Wärme dieser Weisheit. Gerade darin zeigt sich der Unterschied zu den Zahlen: Diese sind durch Erkenntnis allein schon erreicht worden und bilden so einen Besitz, während die eigentliche Weisheit nie einfach ein Besitz ist, der uns zur Verfügung steht: »Wer Zahlen kennt, sucht nicht weiter um sie zu erwerben; das selige Leben dagegen kennen wir, und deswegen lieben wir es auch, aber dennoch suchen wir weiter nach ihr« 219 . Dieser Unterschied zwischen Zahlen und Weisheit drückt sich schließlich in der 217 lib. arb. II, 11, 32. sed quem ad modum in uno igne consubstantialis, ut ita dicam, sentitur fulgor et calor nec separari ab invicem possunt, calor tamen ad ea pervenit quae prope admoventur, fulgor vero etiam longius latiusque diffunditur, sic intellegentiae potentia quae inest sapientiae propinquiora fervescunt, sicuti sunt animae rationales, ea vero quae remotiora sunt sicuti corpora non adtingit calore sapiendi, sed perfundit lumine numerorum. 218 lib. arb. II, 11, 31. 219 conf. X, 21, 30. hos enim qui habet in notitia, non adhuc quaerit adipisci, vitam vero beatam habemus in notitia ideoque amamus et tamen adhuc adipisci eam volumus, ut beati simus.

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Unveränderlichkeit ihrer regulae aus: »Genauso wahr und unveränderlich wie die Regeln der Zahlen […] sind auch die Regeln der Weisheit« 220 . Aber diese Regeln, obgleich ewig und unveränderlich, werden weder auf dieselbe Weise erkannt, noch zeigt sich ihre Unveränderlichkeit mit derselben Evidenz wie die der regulae numerorum: Wir streiten uns deswegen über die Regeln der Weisheit, und werden uns weiterhin streiten. Unsere Darstellung von dialectica und arithmetica fing mit Augustins Charakterisierung derselben durch ihre Suche nach Einheit an. Im Laufe der Darstellung hat sich aber erwiesen, dass nicht nur Einheit das Ziel ist, sondern dass gerade hier Augustins erster Versuch zu finden ist, zwischen verschiedenen Formen der Weisheit zu unterscheiden. Indem wir uns jetzt der Ethik zuwenden, werden wir die Folgen sehen, die dies für seine praktische Philosophie hat. 4. Die Ethik a) Der Wert der praktischen Reflektion Die Verwaltung der Schöpfung, die Teil der sapientia proprie ist, führt uns zur Behandlung der Ethik. Man begegnet in der Literatur zu Augustin oft der Behauptung, dass der Kern seiner Philosophie hier zu finden sei 221 . Als Beleg für diese Konzentration auf die Ethik verweist man auf de civitate Dei XIX: »Der Mensch hat keinen anderen Grund zu philosophieren, außer um selig zu sein« 222 . Einen solchen Text sollte man aber nicht voreilig als eine Konzentration auf die Ethik deuten. Selig zu sein ist hier gerade eine causa philosophandi, und menschliches Handeln ist bei weitem nicht der einzige Gegenstand des Philosophierens, vielleicht auch nicht der bedeutendste. Die Tatsache, dass der Grund des Philosophierens das Streben nach Seligkeit ist, zeigt nicht, dass die Philosophie in der Ethik gipfelt, sondern dass jedes Philosophieren, auch wenn der Gegenstand nicht der Mensch ist, ein Moment des Selbstbezugs hat. Außerdem gibt es vieles, was bei Augustin gegen einen solchen Primat der Ethik spricht. Wir können die Gegenargumente, die wir 220 lib. arb. II, 10, 29. quam ergo verae atque incommutabiles sunt regulae numerorum, quorum rationem atque veritatem incommutabiliter atque communiter omnibus eam cernentibus praesto esse dixisti, tam sunt verae atque incommutabiles regulae sapientiae. 221 Vgl. z. B. Holte (1958:17) und Noronha Galvao in Art. ›beatitudo‹, AL I, 626. 222 civ. XIX, 1. nulla est homini causa philosophandi nisi ut beatus sit.

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schon behandelt haben, in folgenden zwei Punkten zusammenfassen: a) Die Ethik war der Kern der Philosophie für Sokrates; aber Sokrates selbst ist nicht ein Vertreter der vollkommenen Philosophie, sondern erst Platon; b) Betrachtet man die Rolle der verschiedenen Wissenschaften im Aufstieg der Seele, sieht man, dass dieser Aufstieg erst dort anfängt, wo die Wissenschaften streng theoretisch werden, sodass nicht einmal die dialectica, wo das Moment der Selbsterkenntnis liegt, Teil dieses Aufstiegs ist. Wenn die Ethik im Zusammenhang der Wissenschaften erwähnt wird, wie im Fall von de ordine, dann nur um eine vollständige Auflistung zu haben, aber ohne ihren Wert als Theorie überhaupt zu diskutieren. Die Ethik scheint so eine theoretisch eher bescheidene Sache zu sein. Was die Bedeutung der Reflexion über ethische Fragen in Augustins Werk betrifft, schließe ich mich also im Allgemeinen Marrou an: »Es ist erstaunlich, welchen geringen Raum die Moral in Augustins eigentlich philosophischer Spekulation einnimmt. […] Er stellt ein bestimmtes moralisches Ideal vor uns hin, hält sich aber nicht damit auf, es genau zu prüfen. Für ihn ist dies eine Sache, die sich von selbst versteht, und er hat es eilig, weiter voranzukommen. […] Auf diese Weise steht Augustin zu der Richtung beinahe des gesamten hellenistischen Denkens in Widerspruch« 223 . Nicht nur in dieser Hinsicht steht er aber in Widerspruch zu seinen Zeitgenossen. Die gesamte Tendenz der spätantiken Philosophie läuft in diesem Punkt darauf hinaus, die Ethik aus ihrer Zuordnung zur politischen Praxis herauszulösen, und sie durch den alles vernünftig umgreifenden Kosmos (Stoa) oder durch die Metaphysik (Neuplatonismus) begründen zu lassen. Augustin wird zumeist als Teil einer solchen stoisch-neuplatonischen Tradition angesehen und seine Position wird dann einer aristotelischen Auffassung des praktischen Wissens entgegengestellt 224 . Es gibt aber gute Gründe, dies in Frage zu stellen. Das möchte ich in zwei Schritten darlegen. b) Gesetz und Vorsehung Woher kommt die Erkenntnis der praktischen Normen, der regulae sapientiae? Nicht nur aus der Heiligen Schrift, da auch die Heiden, wie Augustin in vielerlei Hinsicht zugesteht, Teile der Weisheit kennen. »Auch die Gottlosen denken an die Ewigkeit und tadeln und 223 224

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Marrou (1981:157). In ausdrücklichem Kontrast zu Aristoteles z. B. bei Fortin (1972:157).

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loben mit Recht viele Handlungen der Menschen« 225 . Woher entnehmen sie aber die dafür erforderlichen Kenntnisse? Obwohl diese ethischen Kenntnisse von Augustin nicht als etwas spezifisch Christliches verstanden werden, stehen sie zumindest mit der Tatsache in Beziehung, dass die Gottlosen auch »an die Ewigkeit denken«. Die ethischen Erkenntnisse werden also von Augustin nicht als von der Gotteserkenntnis völlig autonom verstanden. Die Frage muss aber gestellt werden, ob man zumindest von einer relativen Autonomie des moralischen Wissens reden kann. Die Möglichkeit eines solchen relativ autonomen praktischen Wissens könnte sich in einer Naturrechtslehre befinden. Obwohl Augustin aber eine häufig vorkommende Quelle für die Naturrechtslehre in der Scholastik gewesen ist, entspricht diese Wirkungsgeschichte kaum der geringen Bedeutung, die der Naturrechtsgedanke in den eigenen Werken Augustins spielt 226 . Es ist wahr, dass er gelegentlich über die lex naturae, in der goldenen Regel zusammengefasst, redet. Aber seine Behandlung des Problems des Gesetzes (von der paulinischen Problematik von Gesetz und Gnade abgesehen) kreist eher um die lex temporalis und die lex aeterna. Weder menschliche noch göttliche Gesetze sind aber mit dem Naturgesetz identisch 227 . Was die Beziehung zwischen der temporalis und der aeterna betrifft, gibt es bei Augustin eine bedeutende Entwicklung. Er wird im Laufe der Zeit zwischen einer lex temporalis für die Menschen und einer anderen lex temporalis für den Rest der Schöpfung unterscheiden, sodass beide auf verschiedene Weise mit der lex aeterna in Beziehung stehen werden. Das ist aber nicht seine anfängliche Lehre 228 . In seiner ersten 225 trin. XIV, 15, 21. etiam impii cogitant aeternitatem et multa recte reprehendunt recteque laudant in hominum moribus. 226 Augustin schließt sich z. B. der klassischen theologischen Begründung des Naturrechts durch Hinweis auf Röm 2, 14–15 nicht an, obgleich er eine Naturrechtslehre als eine »akzeptable« Deutung dieses Textes ansieht (spir. et litt. 28, 48–49) – »akzeptable«, aber nicht die seine. Er selbst deutet nämlich Paulus’ Rede über Leute, die »von Natur tun, was das Gesetz verlangt«, obwohl sie kein Gesetz haben, nicht als einen Hinweis auf Heiden, sondern als einen Hinweis auf Christen nicht jüdischer Abstammung (spir. et litt. 21, 36–27, 48): Also nicht als einen Hinweis auf ethische Kenntnisse von nicht Gläubigen. Diese Texte aus spir. et litt. werden von den meisten Autoren, die den Naturrechtsgedanken bei Augustin überschätzen, übersehen – wie z. B. Schubert (1924) und Chroust (1944 und 1973). Bei Deane (1963:93–95) richtigeres Verständnis. 227 Vgl. Girardet (1995:280): »Nirgends, wenn ich richtig sehe, hat Augustinus terminologisch je einen Bezug der lex temporalis zur lex naturalis hergestellt«. 228 Über die Verbindung zwischen der Entwicklung der lex aeterna- und der providentia-Lehre baue ich auf den Ansichten von Markus (1970:86–93).

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Behandlung des Problems des Gesetzes, in de libero arbitrio, wird die lex temporalis besonders im Hinblick auf ihre Abhängigkeit von der lex aeterna erklärt: »Nichts ist in der lex temporalis gerecht und gültig, was nicht von den Menschen aus der lex aeterna abgeleitet worden ist (derivaverint)« 229 . Die Gültigkeit einer lex temporalis hängt hier streng von ihrer Übereinstimmung mit der lex aeterna ab. Es ist eine selbe und einzige lex, die aber als temporalis sich an verschiedene Bedingungen anpasst, z. B. durch verschiedene Regierungsformen für verschiedene Arten von Völkern. Schon aus dieser Notwendigkeit der Anpassung an verschiedene Bedingungen folgt natürlich, dass ein bedeutender Teil menschlicher Reflexion in der Entstehung einer bestimmten lex temporalis mitwirkt. Aber sie ist hier ein »Abbild« des ewigen Gesetzes, das zuerst erkannt werden muss, soll überhaupt eine lex temporalis verfasst werden. Dies kommt deutlicher in de vera religione zum Ausdruck, wo es heißt, dass der Verfasser von zeitlichen Gesetzen, »wenn er ein guter und weiser Mann ist, jenes ewige Gesetz befragt« 230 . Ab Contra Faustum wird Augustin aber eine andere Definition der lex aeterna bevorzugen. Die lex aeterna ist die »göttliche Vernunft oder der Wille Gottes, die die natürliche Ordnung zu bewahren gebietet und zu verletzen verbietet« 231 . Lex aeterna und temporalis stehen auf diese Weise in einer etwas anderen Beziehung: Die aeterna ist nicht mehr unbedingt oder immer Vorbild der temporalis, sondern eher Schutz derselben. Dies mutet eher nach einer relativen Autonomie des praktischen Bereichs an: Derjenige, der ein Gesetz verfassen muss, wird vielleicht auf kein ewiges »Vorbild« schauen, sondern auf die Weise, wie die menschlichen Angelegenheiten funktionieren. Die lex aeterna wird diesen Prozess schützen. Der Schutz der temporalis zu sein ist aber nicht die einzige Funktion der lex aeterna, sondern sie verwaltet vielmehr das All. Dem entspricht, dass Augustin in seinem großen Genesis-Kommentar eine Unterscheidung innerhalb der providentia (= lex aeterna) trifft. Die Vorsehung ist teils natürlich und teils willensmäßig (partim naturalis, partim voluntaria) 232 . Durch die natürliche Vorsehung wird lib. arb. I, 6, 15. vera rel. 31, 58. 231 c. Faust. XII, 27. lex vero aeterna est ratio divina vel voluntas dei ordinem naturalem conservari iubens, perturbari vetans. 232 Gn. litt. VIII, 9, 17. 229 230

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das All verwaltet, Bäume und Pflanzen gedeihen. Durch die willensmäßige Vorsehung werden dagegen die rationalen Geschöpfe, Menschen und Engel, regiert. Durch diese zweite Form der Vorsehung wird gelehrt und gelernt, Felder werden kultiviert, Gesellschaften werden verwaltet und Künste ausgeübt. Während das Ergebnis der natürlichen Vorsehung das Bleiben im Sein ist, ist das Ergebnis der willensmäßigen die Handlung: »Und so steht Gott vor jedem seiner Geschöpfe durch dieses zweiteilige Wirken seiner Vorsehung. Den Naturen, damit sie sind, den Willen aber, damit sie ohne seinen Befehl oder seine Erlaubnis nichts tun« 233 . So fällt alles unter das göttliche Gesetz, aber auf unterschiedliche Weise. Für diese Unterscheidung zwischen zwei Formen der Vorsehung, die Augustin für bedeutend hält 234 , fällt es nicht schwer eine Vorbereitung in der Auslegung von Weish 8, 1 zu sehen, auf die wir schon eingegangen sind: Die Weisheit Gottes ordnet die ganze Schöpfung durch die Zahlen und ist durch die eigentliche Weisheit in besonderer Weise in seinen rationalen Geschöpfen gegenwärtig. Die Idee dieser zweiseitigen Lenkung der Welt war also früher schon Teil des Weltbildes Augustins und wird jetzt nur an ihren dogmatisch richtigen Ort gestellt: Die Vorsehungslehre. Diese Unterscheidung innerhalb der providentia, zusammen mit der neuen Definition der lex aeterna in contra Faustum bilden den Raum, in dem sich eine relative Autonomie des praktischen Wissens finden lässt: Der Mensch fällt nicht unter der providentia naturalis, die den Kosmos regiert, sondern er muss dem spezifisch menschlichen Gut Rechnung tragen. Dieses ist aber auch nicht von Gott unabhängig, sondern fällt unter die providentia voluntaria. So wird die Erkenntnis der regulae sapientiae als eine Spur der Gegenwart Gottes erklärt. Das Licht Gottes erreicht uns und zeigt auch denen, die nicht gut handeln und Ihn nicht kennen, wie man handeln sollte 235 . Ein platonisches Schema bleibt bestehen, in dem Sinn, dass das Gute für die Menschen und das an sich Gute identisch sind. Aber dies heißt nicht, dass Gott zuerst erkannt werden muss, um daraus die Erkenntnis des konkreten Guten abzuleiten. Es geht darum, dass wir von Gottes Licht erreicht werden, auch vor unserer Zuwendung zu Gn. litt. VIII, 24, 45. Vgl. die Rückblicke in Gn. litt. IX. 235 trin. XIV, 15, 21. qui vero non operatur et tamen videt quid operandum sit, ipse est qui ab illa luce avertitur, a qua tamen tangitur. 233 234

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Gott. Gerade weil dieses Licht letztendlich aus Gott kommt, muss aber das praktische Wissen, in seiner relativen Autonomie, ein durchsichtiges Wissen sein, welches für Licht von Außen offen ist. c) Die Form der ethischen Argumentation Obwohl Augustin also wie jeder Platoniker das höchste Gut und das menschliche Gut identifiziert, wiederholt er nicht einfach die platonische Position: Erkenntnis der praktischen regulae haben wir, indem wir vom Licht Gottes erreicht werden; aber aus der richtigen Gotteserkenntnis folgt nicht die richtige praktische Einsicht unmittelbar: Es gibt eine Kluft zwischen Gotteserkenntnis und richtiger Praxis. Diese Erkenntnis hat Augustin mit Aristoteles gemeinsam, und sie trennt ihn von anderen Formen des antiken ethischen Intellektualismus. Dieses Merkmal Augustins spiegelt sich auch in der Weise, wie die praktischen Argumentationen bei ihm tatsächlich aussehen. Augustin unterscheidet die Art und Weise, wie eine praktische und eine theoretische Argumentation aussehen soll. Man kann es früh in einer beiläufigen Bemerkung in de moribus sehen: Falls es jemand gäbe, der nicht an Gottes Existenz glaubt, könnte man vielleicht mit ihm darüber disputieren, schreibt Augustin; dazu würde man aber »ganz andere Prinzipien, andere Vernunftgründe und einen anderen Anfang« brauchen, als diejenigen, die er in diesem ethischen Werk benutzt 236 . Und Augustin denkt hier ausdrücklich an eine Unterscheidung zwischen verschiedenen philosophischen Disziplinen 237 . Obwohl er also eine Verknüpfung zwischen Gotteserkenntnis und Kenntnis der ethischen regulae sieht, können die zwei Themenbereiche unterschiedliche Darstellungsweisen brauchen. In einem anderen antimanichäischen Werk, de duabus animabus, äußert sich Augustin auf ähnliche Weise. Er schreibt, dass er darauf verzichten wird, die Unterscheidung zwischen Intelligiblem und Sensiblem zu gebrauchen, damit niemand ihm vorwerfen kann, dass er die einfachen Leute verwirrt 238 . Er kann darauf verzichten – also auf eine metaphysische Begründung der Ethik verzichten –, weil die 236 mor. I, 6, 10. quem si qui esse negant, quid ego cogitem quo illis sermone suadendum sit, cum quibus utrum omnino sermocinandum sit, nescio? quod tamen si videbitur, longe aliud principium, alia ratio, alius ingressus ineundus est, quam impraesentiarum suscepimus. 237 So in mor. II, 1, 1. hoc genus quaestionis ad moralem pertinere disciplinam, in qua isto sermone versamur. 238 duab. an. 10, 13.

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Ethik durch die Reflexion über Fragen, die praktisch sind, wie die Definition des Willens oder der Sünde, entwickelt wird, also nicht von außerhalb des moralischen Bereichs begründet. Wird uns dieses alltägliche, vorphilosophische moralische Bewusstsein weggenommen, schreibt er, gibt es kein anderes Fundament, auf dem die Ethik begründet werden könnte 239. Und solche Erkenntnisse, wie die Definition des Willens oder der Sünde, sind dem ganzen Menschengeschlecht eigen, »nicht durch Lehre, sondern von Natur aus« 240 . Jeder kann in ethischen Fragen Irrtümer entdecken 241 . In menschlichen Angelegenheiten müssen wir nämlich nicht immer exakte Erkenntnisse erreichen, sondern dürfen oft der Gewohnheit Vertrauen schenken 242 . Augustin schenkt also der Gewohnheit, den geläufigen Meinungen, dem vorphilosophischen moralischen Wissen Vertrauen. Durch die Analyse dieses vorphilosophischen moralischen Wissens wird zwischen den geläufigen Meinungen diskriminiert: so wird Ethik begründet. Augustin kommt in solchen Aussagen dem methodologischen Pluralismus des Aristoteles sehr nahe. Die Ethik wird nicht durch theologische oder kosmologische Argumente begründet, noch überhaupt von außerhalb des Gebietes des Praktischen. Augustin beruft sich dagegen auf Erfahrung und »natürliche Vernunft«, aber mit dem Wissen, dass wir auch diese »von der Fülle unseres Schöpfers empfangen haben« 243 . Es scheint ferner von Bedeutung zu sein, dass die beiden Werke, in denen dies am deutlichsten zum Ausdruck kommt, de moribus und de duabus animabus, antimanichäische Werke sind. Augustin setzt sich nicht mit einer kosmologischen Begründung der Ethik auseinander, so wie diese in manchen antiken philosophischen Schulen zu finden war; aber er ist einem ähnlichen Phänomen bei den Manichäern begegnet. Bei ihnen ist nämlich die Ethik grundsätzlich Teil eines 239 duab. an. 13, 21. illa potius, quae de voluntate atque peccato dicta sunt, illa inquam, quae summa iustitia neminem ratione utentem ignorare permittit, illa quae si auferentur nobis, nihil est, unde disciplina virtutis inchoetur. 240 duab. an. 10, 14. 241 Gn. litt. XII, 14, 28. Dämonen sind meistens schwer zu erkennen, außer wenn sie etwas contra bonos mores tun: tunc enim a multis discernitur. 242 mor. I, 7, 11. hactenus potuit ratio perduci. Versabatur namque non veritate certior sed consuetudine securior in rebus humanis. 243 agon. 8, 9. Soweit ich sehen kann, der einzige Beleg für einen Ausdruck wie »ratio naturalis« bei Augustin. Ähnliche Ausführung in en. Ps. 145, 13–14. Für eine Analyse von praktischen Überlegungen bei Augustin in politischen Fragen, vgl. von Heyking (2001:110–149), der Augustin hier eine Art von aristotelischer phronêsis zuschreibt.

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kosmischen Erlösungsdramas: Ziel der Askese der electi ist die Befreiung der Lichtsubstanz, das in ihnen und in der Welt zu finden ist 244 . Die Auseinandersetzung mit dieser Position ist sehr wahrscheinlich eine treibende Kraft für Augustins eigene Entdeckung der Bedeutung und der relativen Eigenständigkeit des praktischen Wissens gewesen. Auch dadurch ergibt sich natürlich eine Nähe zu Aristoteles, der in der Antike eine große Ausnahme darstellt, weil er die Ethik nicht durch die Kosmologie begründen lässt 245 . Es ist ferner die hier beschriebene Vorgehensweise, die Augustin selbst benutzt als er über ethische Fragen urteilen muss. Selten, vielleicht nie, sieht man ihn bei einer allgemeinen Idee des Guten anfangen, um von dort aus eine praktische Norm oder Entscheidung abzuleiten – vielmehr argumentiert er in diesen Fällen immer durch Vergleiche mit anderen praktischen Fragen: Auf die Frage z. B., ob wir lügen dürfen, um etwas Gutes zu erreichen, wird mit einer Verneinung geantwortet, weil man dann aus denselben Gründen auch Ehebruch, Diebstahl usw. zulassen müsste, um das Gute zu erreichen 246 . Nicht von außerhalb der praktischen Sphäre wird argumentiert, nicht durch Verweis auf Zusammenhänge mit der theoretischen Philosophie, sondern durch den Verweis auf den Zusammenhang zwischen den verschiedenen praktischen Problemen: ea conexa sunt, schreibt er diesbezüglich 247 . Solche Ideen mögen bei Augustin nicht immer völlig ausgereift sein, da seine ethischen Traktate fast immer Gelegenheitsschriften sind; insgesamt weisen sie aber auf die Anerkennung einer gewissen Eigenständigkeit des praktischen Wissens hin, der wir später in der Diskussion über die scientia begegnen werden. 5. Die Dreiteilung der Philosophie Das ganze Problem der Wissenschaftseinteilungen, das wir bisher behandelt haben, wird in der Problematik der Dreiteilung der Philosophie rekapituliert, indem hier die Frage nach den gegenseitigen Beziehungen und der jeweiligen Bedeutung der Wissenschaften diZur Ethik des Manichäismus vgl. Jonas (1988:312–320). Auf diesen Aspekt komme ich besonders in Kap. 2, I »Die antiken Positionen« und II, 2 »Kosmos« zurück. 246 mend. 5, 9 und 12, 19; c. mend. 20, 40. 247 mend. 12, 19. 244 245

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rekter gestellt wird. Bei den Stoikern sind wir schon dieser Dreiteilung der Philosophie in Logik, Physik und Ethik begegnet und wir haben gesehen, wie Augustin diese Einteilung auch Platon zuschreibt. Auch unter früheren christlichen Platonikern spielt diese Dreiteilung eine bedeutende Rolle in der Auseinandersetzung mit der antiken Philosophie, und Isabelle Bochet hat in mehreren Veröffentlichungen etwas ähnliches für Augustin geltend gemacht 248 . Augustin erwähnt oft beiläufig die Dreiteilung 249 . Wir haben in einem früheren Abschnitt schon gesehen, wie Augustin diese Dreiteilung der Philosophie in Verbindung mit der Trinitätslehre setzt. Eine solche Annahme fällt um so leichter, da er die Trinität – im Unterschied zur Inkarnation – nicht für einen reinen Glaubensartikel hält, sondern für etwas, das auch die Philosophen, d. h. die Platoniker, erkannt haben 250 . Der Text von de civitate Dei VIII setzt folglich die Dreiteilung der Philosophie in Verbindung mit Gott als »Ursache des Bestehens, Grund des Erkennens und Ordnung des Lebens« 251 . Im Buch XI desselben Werkes drückt sich aber Augustin vorsichtiger aus, und weist die Annahme zurück, dass die Philosophen, als sie die Dreiteilung der Philosophie behandelten, etwas Gottgemäßes über die Trinität gesagt hätten 252 . Man kann also Parallelen und Verknüpfungen zwischen der Trinitätslehre und der Dreiteilung der Philosophie finden, aber dies heißt weder, dass die Dreiteilung eine angemessene Gotteserkenntnis eröffnet, noch dass die Dreiteilung aus der Erkenntnis der Trinität begründet wird. Diese Einschränkung besagt aber nicht, dass die Philosophen dabei eine willkürliche Einteilung eingeführt hätten. Augustin schreibt, dass die Philosophen die Dreiteilung der Philosophie nicht erfunden haben, sondern sie haben 248 Zu den früheren Kirchenvätern vgl. Kobusch (2006:58–63). Zu Augustin vgl. Bochet (2004:331–500). 249 Neben den Texten, die wir hier erläutern, seien die folgenden beiläufigen Behandlungen genannt: Acad. III, 17, 37, ep. 118, 3, 17–19, ep. 137, 5, 17 und civ. II, 7. 250 Vgl. u. a. ord. II, 5, 16, civ. X, 29 und conf. VII, 9. Für die zeitliche Priorität der Erkenntnis der Trinität vor der Erkenntnis der Inkarnation und die Bedeutung dieses Punktes für die Struktur von Augustins Denken vgl. du Roy (1966:88–106; besonders 97–103). 251 civ. VIII, 4. causa subsistendi et ratio intelligendi et ordo vivendi. 252 civ. XI, 25. non quo sit consequens, ut isti in his tribus aliquid secundum Deum de trinitate cogitaverint. Er sagt es in ausdrücklicher Erinnerung an die frühere Diskussion: quas etiam in octavo libro strinximus. Cutino (1998) unterlässt es, diese Bemerkung Augustins zu kommentieren, und sieht folglich in de civitate eine stärkere trinitarische Begründung der Dreiteilung als ich es sehen kann.

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diese Dreiteilung bemerkt (animadvertere) 253 . Sie hat nämlich eine Begründung in der Triade von natura, doctrina und usus, von der wir bei Augustin frühe Belege haben 254 . Die Dreiteilung ist also nichts Beliebiges, da die ganze Intention der Philosophen sich auf die in diesen drei Disziplinen behandelten Fragen zurückführen lässt: Wie viel Diskrepanz über die Inhalte es auch geben mag, niemand bestreitet, dass es eine Ursache der Natur, eine Form der Wissenschaft und ein höchstes Ziel des Lebens gibt. Augustin versucht dies dann nicht in Bezug auf Gott, sondern durch menschliche Kunst zu zeigen. Wenn ein Künstler etwas macht, findet man dabei immer Natur, Lehre und Gebrauch (natura, doctrina und usus). Mit Natur besagt Augustin aber hier nicht die Natur des verwendeten Stoffes, sondern die Natur des wirkenden Menschen: »Die Natur wird im Talent nachgeprüft, die Lehre in der Wissenschaft, der Gebrauch an der Frucht«255 . Natura wird also nicht auf philosophia naturalis im weiteren Sinn bezogen, sondern auf die Natur des Menschen beschränkt. Wenn schon im Stoizismus die drei Disziplinen »ineinanderfließend« waren, wird das jetzt noch stärker vorkommen, einerseits durch diese Reduktion von natura auf die Natur des Menschen, andererseits durch die Verknüpfung mit den Personen der Trinität, die ja Eins sind. So sagt Augustin, dass natura, usus und doctrina in der Seele ein einziges Element sind 256 . Weiter als diese bloße Begründung in der Natur des Menschen und die Verknüpfung mit der Trinität, von der ja auch die Philosophen eine Ahnung haben, geht de vera religione, der früheste Text, der die Dreiteilung der Philosophie ausführlich behandelt, und der einzige, der diese Dreiteilung direkt in Verbindung mit Christus setzt, indem sein Erscheinen als eine Vervollkommnung der drei Disziplinen verstanden wird. Sein ganzes Leben wird so als eine disciplina morum bezeichnet 257 . Die Tatsache, dass auch sein Leib auferstanden ist, zeigt, dass kein Teil der menschlichen Natur schlecht ist, also dass keine Substanz böse ist – eine antimanichäische Lehre, die für die Christen den Hauptbestand der disciplina naturalis ausmacht 258 . Es civ. XI, 25. Vgl. div. qu. 38. 255 civ. XI, 25. 256 div. qu. 38. cum aliud sit natura aliud disciplina aliud usus, et haec in una anima intellegantur nulla diversitate substantiae. 257 vera rel. 16, 32. 258 vera rel. 16, 32. 253 254

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ist schließlich die ganze Art der christlichen Lehre (ipse totius doctrinae modus), die sie als eine disciplina rationalis zeigt 259 . So wie in de civitate Dei VIII, bildet also wiederum die logica oder disciplina rationalis nicht eine dritte, eigenständige Disziplin, sondern sie umfasst alles andere. Dies bedeutet also, dass es im Grunde zwei Seiten der Erkenntnis gibt, eine disciplina morum und eine disciplina naturalis, praktische und theoretische Kenntnisse. Das Rationale (disciplina rationalis) ist in beiden zu finden. Es ist ferner wichtig zu bemerken, dass die disciplina naturalis durch eine Lehre veranschaulicht wird – Christi Auferstehung –, während die disciplina morum durch keine besondere Lehre vertreten wird, sondern durch den Hinweis auf das ganze Leben Christi: Keine bestimmte Lehre Christi bietet sich für eine Darstellung der disciplina morum an, sondern sein ganzes Leben muss betrachtet werden. So wird auch hier der Unterschied der zwei Disziplinen, was ihre Systematisierbarkeit betrifft, wieder auf subtile Weise deutlich gemacht. Was bedeutet aber, dass es die ganze Art der christlichen Lehre (ipse totius doctrinae modus) ist, die sie als eine disciplina rationalis zeigt? Augustin weist auf die Tatsache hin, dass diese Lehre sowohl ganz unverhüllt als auch durch Gleichnisse, Taten und Sakramente lehrt 260 . Man könnte behaupten, dass diese verschiedenen Arten der Lehre auf die verschiedenen Disziplinen zu beziehen sind, sodass Gleichnisse und Taten eine geeignete Methode für die disciplina morum bilden und andererseits die unverhüllte Lehre (modus apertissimus) die Methode der disciplina naturalis sein könnte. Dies würde unsere Deutung im vorigen Absatz bestätigen. Ferner müsste man aber darauf hinweisen, dass Augustin über den modus der ganzen Lehre spricht. Dies könnte man so deuten: Was das Christentum in dieser Hinsicht als eigenen Beitrag anbietet, ist nicht einfach die Tatsache – von den Philosophen bereits erkannt –, dass sowohl die disciplina morum als auch die disciplina naturalis rational sind und jeweils spezifische Methoden haben, sondern das Christentum bietet eine besondere Weise an, die Beziehung zwischen den zwei Zweigen des Wissens zu verstehen: Das ist der totius doctrinae modus. Welche diese Beziehung sei, darauf geht Augustin in de vera religione nicht vera rel. 17, 33. vera rel. 17, 33. iam vero ipse totius doctrinae modus, partim apertissimus, partim similitudinibus in dictis, in factis, in sacramentis ad omnem animae instructionem exercitationemque adcommodatus quid aliud quam rationalis disciplinae regulam implevit?

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ein. Aber diese Deutung scheint mir akzeptabel im Lichte der Tatsache, dass dies tatsächlich der spezifische Beitrag Augustins sein wird, wenn er später in de Trinitate die Beziehungen zwischen scientia und sapientia erläutert, eine Aufgabe, die er dann als einen Versuch einer »rationalen Ehe zwischen Betrachtung und Handlung« bezeichnen wird 261 . De civitate Dei bietet so durch die Verknüpfung mit der den Philosophen zugänglichen Trinitätslehre lediglich eine Intensivierung des Ineinanderfließens der Disziplinen. De vera religione dagegen, das auf die Inkarnation eingeht, würde so auf einen christlichen Beitrag hinweisen. Diesem Beitrag, der bisher nur indirekt angedeutet und vorbereitet worden ist, wenden wir uns jetzt zu. C. Scientia und sapientia 1. Frühe Entwicklung der Weisheitsidee Die Termini scientia und sapientia kommen früh in der augustinischen Produktion vor, aber am Anfang nicht als Begriffspaar, sondern jedes für sich, sodass sowohl sapientia als scientia in verschiedenen Kontexten die Gesamtheit des Wissens bezeichnen können. Das Wissen über das Zeitliche – welches praktisches Wissen einschließt – wird Augustin im reifen de Trinitate scientia nennen; wenn scientia dagegen in den frühen Werken gebraucht wird, dann ist es oft eher als Substantiv von scire, um jegliche Erkenntnis zu bezeichnen. Dieses scire wird folglich schlicht als »etwas durch die Vernunft erfasst zu haben« definiert 262 . Dieses Wissen ist etwas Gutes: Augustin wird in den frühen Werken scientia und experientia gegenüberstellen, da diese letzte, im Unterschied zur scientia, auch vom Bösen sein kann 263 . Sapientia und scientia kommen ferner auch in den frühen Werken zusammen vor 264 ; dies ist aber dann nicht als eine Untrin. XII, 12, 19. quoddam rationale coniugium contemplationis et actionis. lib. arb. I, 7, 16. id quod scire dicimus nihil esse aliud quam ratione habere perceptum. 263 Es kommt in mehreren frühen Werken vor. lib. arb. I, 7, 17. experiri enim non semper bonum est, sicut experiri supplicia. illa vero quae proprie ac pure scientia nominatur, quia ratione atque intelligentia paratur, mala esse qui potest? Vgl. Auch mag. 9, 28. Nur Gott, in seiner sapientia, kennt das Böse ohne Erfahrung desselben zu haben: Gn. adv. Man. II, 22, 33. ad scientiam scilicet boni et mali, ut iste [also der Mensch] per experimentum disceret, dum sentit malum, quod deus per sapientiam novit. 264 Acad. I, 6, 16. 261 262

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terscheidung zwischen den beiden zu verstehen, sondern als ein synonymer Gebrauch 265 . Im Fall der prudentia ist das Schillern noch größer, da sie für Augustin kein technischer Begriff ist. So kann prudentia manchmal stoisch definiert werden 266 , manchmal eine einzelne Tugend bezeichnen, die für die Wahl der richtigen Mittel zuständig ist 267 , aber auch in anderen Werken die kontemplative Vernunft 268 benennen – und das alles innerhalb derselben Periode seines Lebens. Im Anschluss an Paulus kann Augustin auch über die prudentia carnis sprechen, um ein Wissen zu bezeichnen, das sich nur nach »irdischen Gütern« richtet 269 . In späteren Werken wird prudentia gelegentlich nicht einmal die Klugheit bezeichnen, sondern die Schlauheit: In den locutiones in Heptateuchum meint er, man sollte die Schlange für klug, aber nicht für weise halten: phronimôtatos enim in graeco scriptum est, non sophôtatos 270. In einem anderen Werk wird er wegen dieser Frage genauer zwischen Weisheit, Klugheit und Schlauheit unterscheiden: Philosophisch wäre es genauer, die Schlange nur als schlau zu bezeichnen, aber die Heilige Schrift lässt es anscheinend zu, dass man über Weisheit im Bösen spricht 271 , solange diese Unterscheidungen deutlich sind und es klar ist, was gemeint ist: »Es ist ja nur ein Missbrauch des Wortes, wenn man von Weisheit im Bösen spricht, gleichwie von Schlauheit (astutia) im Guten, da man meistens, zumindest in der lateinischen Sprache, unter Weisen lobwürdige Männer ver265 Dies ist gegen Lorenz (1981:63) zu halten, der die spätere Unterscheidung aus de Trinitate schon in Acad. I, 6, 16 sehen will und folglich keine bedeutende Entwicklung Augustins in dieser Lehre anerkennt. Der bloß synonyme Gebrauch ist aber gerade in diesem Werk deutlich zu sehen, vgl. Acad. III, 3, 5. Eine solch frühe Unterscheidung zwischen scientia und sapientia würde außerdem der Entwicklung von Augustins Psychologie, wie ich sie im folgenden Abschnitt bespreche, widersprechen. 266 lib. arb. I, 13, 27. Ag.- considera nunc utrum tibi videatur esse prudentia adpetendarum et vitandarum rerum scientia. Ev.– videtur. 267 mor. I, 15, 25. prudentia, amor ea quibus adiuvatur ab eis quibus impeditur, sagaciter seligens. 268 Gn. adv. Man. II, 10, 14. Es handelt sich um die allegorische Deutung der Flüsse in Eden. Mit ihnen sind nach Augustin die vier Tugenden genannt. Über die prudentia schreibt er, dass sie »significat ipsam contemplationem veritatis ab omni ore humano alienam«. Dennoch sind ihre Teile nicht nur »veritatem, quam nulla falsitas vincit« und »vitam aeternam«, sondern auch »disciplinam vivendi«. 269 exp. prop. Rm. 40–41 und 49. 270 loc. I, 8. 271 Gn. litt. XI, 2, 4, unter Berufung auf Lk.16, 8, wo über die Weisheit der Kinder dieser Welt geschrieben wird.

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steht, Schlaue aber jene nennt, die ihren Verstand auf bösartige Weise benützen« 272 . Wenn sie von der Schlauheit unterschieden wird, hat also die Weisheit eine klassische Eigenschaft einer jeden Tugend inne: Wegen ihrer unauflöslichen Verbindung zum Guten kann sie nicht missbraucht werden. Sowohl scientia als auch prudentia können andererseits in anderen Kontexten eine »gute Schlauheit« bezeichnen, um Übel zu vermeiden 273 . Augustins Terminologie erweist sich so als relativ schillernd, aber sapientia kann als leitender Terminus benutzt werden, um die Evolution von Augustins Weisheitsverständnis zu verfolgen. Und in diesem Begriff der sapientia ist das Gute mit einbezogen – nicht nur das Vermeiden des Bösen, wie im Fall der prudentia oder scientia –, sodass die sapientia nie eine reine Theorie bezeichnet. Die Suche nach dieser Weisheit ist Thema des Denkens Augustins seit seiner Lektüre von Ciceros Hortensius. Dieses Werk steht in der Tradition der protreptischen Einladungen zur Philosophie, die, an ein nicht philosophisches Publikum gerichtet, die Einheit des Theoretischen und Praktischen, oder deutlicher gesagt: die Nützlichkeit der Philosophie betont 274 . Auch wenn Aristoteles in seinem Protreptikos z. B. für die reine Betrachtung als die höchste Aktivität Werbung macht, muss er die Nützlichkeit der Philosophie für das Leben auch betonen 275 . Das ist das Weisheitsideal, welchem Augustin zuerst begegnet und welches ihn tief berührt: »Dieses Buch veränderte mein Herz (mutavit affectum meum)« 276 . Augustin schließt sich dank dieser Lektüre nicht irgendeiner bestimmten philosophischen Sekte an, sondern er versteht das Werk als eine Ermahnung, »die Weisheit selbst, was sie auch sei, zu lieben und suchen und erstreben und festhalten« 277 . Er wird aber dadurch an das Christentum seiner Kindheit

272 Gn. litt. XI, 2, 4. Er lässt die Frage offen, ob es in der hebräischen Sprache zulässig wäre, über Weisheit im Bösen zu sprechen. 273 So in en. Ps. 135, 8. abstinere autem a malo, quod dixit esse scientiam, quid est aliud, quam in medio nationis tortuosae et perversae, tamquam in nocte huius saeculi, caute prudenterque versari. 274 Die bei Augustin erhaltenen Fragmente des Hortensius findet man bei Hagendahl (1967:I, 80–94). 275 Für die Erhabenheit der Kontemplation vgl. Fr. B 18–B 27; für den praktischen Nutzen der Philosophie Fr. B 46. 276 conf. III, 4, 7. 277 conf. III, 4, 8. quod non illam aut illam sectam, sed ipsam quaecumque esset sapientiam ut diligerem et quaererem et adsequerer et tenerem.

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erinnert 278 . Er meint (im Rückblick), er wisse, diese Weisheit werde notwendigerweise mit Christus zu tun haben 279 . Nach der Erinnerung an diese Lektüre sind folglich seine ersten Worte in den Confessiones die Folgenden: »So beschloss ich, meinen Geist auf die Heiligen Schriften zu richten« 280 . Diese Lektüre der Schrift und die Schwierigkeiten, die er dort fand, führten ihn aber bald zum Manichäismus. Nach der langen manichäischen Phase sind wir schon bei seinen ersten Schriften nach der Bekehrung, die unter ihren markantesten Themen diese Synthese von philosophischer Weisheit und christlichem Glauben haben 281 . Die Weisheitsidee dieser frühesten Dialoge ist eher unbestimmt, und wird nur fortschreitend entwickelt und differenziert. In contra academicos werden eine Reihe von verschiedenen Definitionen der sapientia diskutiert. So kommt nicht nur die bekannte rerum humanarum divinarumque scientia 282 hier vor, sondern auch sapientia als recta via vitae 283 oder als via recta, quae ad veritatem ducat 284 . Diese Definitionen sind aber nicht voreilig als Belege für Augustins eigenes Verständnis der Weisheit zu zitieren, denn in diesem Teil des Dialogs haben wir es vor allem mit einer Einübung in die Kunst der Definition zu tun, weswegen diese drei Definitionen auch der Kritik unterzogen werden 285 . In den Soliloquia weist er die Idee, dass das Wissen über Gott von unseren anderen Kenntnissen völlig verschieden sein könnte, mit dem Argument zurück, dass wir den Himmel genau so erkennen, wie wir auch die Erde erkennen 286 . Ein Wissen, welches nur Wissen über das Göttliche ist, sich völlig von anderen Formen des Wissens unterscheidet und so für diese nichts beiträgt, scheint 278 Ein Christentum, das gewiss stärker eingeprägt worden war als meistens angenommen wird. Vgl. dazu La Bonnardière (1986a:27–32). 279 Er berichtet in conf. III, 4, 8, der Hortensius habe ihn nicht völlig überzeugt, da der Name Christi im Buch nicht vorkam. nomen Christi non erat ibi […], et quidquid sine hoc nomine fuisset, quamvis litteratum et expolitum et veridicum, non totum me rapiebat. Schon in den frühesten Werken wird Augustin deutlich die Weisheit mit der zweiten Person der Trinität verbinden (beata v. 4, 35), welches später durch die Aussage Christus, scientia et sapientia nostra stärker vertreten wird. 280 conf. III, 5, 9. 281 Über diese Paragraphen der confessiones vgl. du Roy (1966:25–33). 282 Acad. I, 6, 16. 283 Acad. I, 5, 13. 284 Acad. I, 5, 14. 285 Vgl. Schlapbach (2003:132–159). 286 sol. I, 5, 11.

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also nicht denkbar zu sein. In de beata vita wird die Weisheit ferner mit einer gewissen plenitudo gleichgestellt 287 . Sie wird streng an den Besitz von Tugenden gebunden, aber die Frage inwiefern sie in der Betrachtung besteht oder die Handlung leitet, wird nicht ausdrücklich gestellt. Klar ist jedenfalls, dass hier mit sapientia nicht eine ausschließlich praktische Lebensführung gemeint ist: Augustin benutzt in dem ganzen Dialog eine bestimmte Gruppe von Begriffen – zu denen vor allem sapientia und modus gehören – zunächst in ausschließlich praktischer Bedeutung, um sie dann, gegen Ende des Dialoges, als metaphysische Begriffe zu verwenden, um Gott zu bezeichnen und so zur Kontemplation hinzuführen 288 . In de moribus führt Augustin eine Reihe von biblischen Texten an, die einen Unterschied zwischen actio und contemplatio zeigen sollen. Es geht dabei um den Nachweis, dass diese zwei Seiten der Weisheit nicht nur neutestamentliches Gut sind, sondern dieselbe Lehre sich im alten Testament befinde 289 . In de genesi adversus manicheos wird schließlich auch dieses zweiseitige Weisheitsideal dargestellt: Wenn man die unwandelbare Wahrheit erkannt hat, kann es zur Folge haben, dass man kräftiger in der Welt wirkt, aber auch, dass man geistige Frucht bringt und aus der Kraft dieser Frucht die ganze Seele beherrscht 290 , sodass es erst dann wahre imago et similitudo dei gibt. Hier werden ferner zum ersten Mal Mann und Frau als Bild für intellectus bzw. contemplatio und actio benutzt 291 , eine Auslegung, die später folgenreich sein wird. Die meisten Aspekte dieses Bildes, die wir später in de Trinitate finden werden, sind im frühen antimanichäischen Werk schon präsentiert worden. Es besteht aber ein wichtiger Unterschied: Die Frau, die in de Trinitate die ratio inferior darstellt, repräsentiert hier die animalische Seite des Menschen – eine bedeutende Entwicklung seiner Psychologie, auf welche ich zurückbeata v. 4, 31. et si egestas est ipsa stultitia, plenitudo erit sapientia. Vgl. die zutreffende Analyse bei Thimme (1973:94). 289 mor. I, 16, 27. 290 Gn. adv. Man. I, 24, 42. Es geht um die allegorische Deutung der sieben Tage der Schöpfung als verschiedene Arten von Handlungen. Am vierten Tag »in illo firmamento disciplinae spirituales intelligentias operatur atque distinguit«. Am fünften Tag folgt daraus ein »fortior effectus … propter utilitatem fraternae societatis«. Am sechsten Tag »de ipsa stabilitate mentis suae ubi spirituales habet fructus, id est bonas cogitationes, motus omnes animi sui regat«. 291 Gn. adv. Man. I, 24, 42. Ita fiat etiam homo ad imaginem et similitudinem Dei, masculus et femina, intellectus et actio. 287 288

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kommen werde 292 . Als Bilanz kann man sagen, dass in allen diesen frühen Werken die zwei Seiten der Weisheit, die praktische Lebensführung und die Betrachtung der erhabensten Gegenstände, zumindest indirekt erwähnt werden; aber ihre gegenseitige Beziehung wird nicht behandelt. Wie früher schon gesehen, wird aber zwischen den theoretischen und praktischen Aspekten der Weisheit in de libero arbitrio sorgfältiger als in den anderen frühen Werken unterschieden. In der Tat stellt der Text von de libero arbitrio II einen markanten Wendepunkt in Richtung auf die spätere Lehre dar. In diesem Text ist die Position Augustins, dass die sapientia wohl mit der Zahl gleich ist, aber dass man trotzdem zwischen einer eigentlichen Weisheit und der Arithmetik unterscheiden kann. Sie stammen beide aus der göttlichen Weisheit, die dem All durch die Zahl Ordnung verliehen hat. Nur vernünftige Wesen haben dagegen die eigentliche Weisheit, die intensiver ist. Durch die Zahl hat die göttliche Weisheit der Welt ihre passive Ordnung verliehen, die sapientia proprie die der Mensch hat, bedeutet dagegen ein Engagement für Weisheit. Dies bedeutet gewiss nicht eine im Gegensatz zur Arithmetik ausschließlich praktische Weisheit. Sie sollte wahrscheinlich nicht als weniger kontemplativ als die Arithmetik verstanden werden. Das sie Kennzeichnende ist ja ihre Nähe zu Gott: Die Intensität besteht in der Wärme, die aus der Nähe zum Feuer, nicht aus der Nähe zur Handlung herrührt. Sie ist aber keineswegs passiv. Denn obschon die Wärme nicht aus der Handlung herrührt, so führt sie zur Handlung. Andererseits werden Menschen, wenn sie wirkliche Weise sind, sich nicht mit dieser Weisheit allein begnügen, sondern auch die Spuren des Göttlichen im All, die Zahlen, suchen. Die Kenntnis dieser Zahlen können wir als eine kontemplative Wahrheit bezeichnen, die zwar nicht direkt handlungsleitend ist, aber zum Aufstieg einlädt und in diesem Sinn praktisch ist. Diese sapientia von de libero arbitrio sollte aber weder in Form der Zahl noch als sapientia proprie, obwohl sie eine Rolle in der Handlung spielt, mit der scientia von de Trinitate gleichgestellt werden, da, wie erwähnt, die Idee einer höheren und niederen Vernunft erst nach de libero arbitrio entwickelt wird. In den frühen Werken wird Augustin also immer wieder ein rela292 Gn. adv. Man. II, 11, 15–II, 18, 27. Die Frau wird hier als Bild des appetitus animae (11, 15), aliud animale quod regitur (11, 16), allgemein als affectus (14, 20–21) und animalis pars (18, 27) bezeichnet.

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tiv einheitliches Modell von Weisheit verteidigen, also eine Weisheit, die sowohl aus Erkenntnis als auch aus Lebensweisheit und tugendhafter Handlung besteht, aber bisher ohne zwei voneinander verschiedene Weisheitsformen 293 . Obwohl es Variationen gibt, wie die Version von de libero arbitrio, ist es immer so, dass das Genießen der höchsten Dinge unmittelbar Ordnung in der Seele schafft 294 . Dieses Weisheitsverständnis wird aber von Augustin später stark modifiziert, eine Entwicklung, die, wie wir schon bemerkt haben, in der Literatur zu Augustin bisher nicht thematisiert worden ist. Dem wenden wir uns jetzt zu. 2. Ratio inferior und superior In der Literatur ist die Behandlung von Augustins Unterscheidung zwischen scientia und sapientia meistens auf einen einzigen Punkt konzentriert: Die Darstellung ihrer strengen Verschiedenartigkeit, die sich auf den radikalen Unterschied zwischen ihren Gegenständen gründet, sowie die daraus folgende Überlegenheit der sapientia: »les caractères de ces deux modes de connaissances se contredisent point par point«, heißt es bei Gilson, der dadurch die allgemeine Stimmung der Literatur wiedergibt 295 . Nun gibt es tatsächlich bei Augustin Aussagen, die die Meinung unterstützen könnten, dies sei der alleinige Hauptpunkt: »Die Handlung, durch welche wir die zeitlichen Dingen benutzen, unterscheidet (distat) sich von der Betrachtung der ewigen Dinge; und diese gehört der sapientia, jene der scientia« 296 , schreibt er im Buch XII von de Trinitate. Die Unterscheidung zwischen scientia und sapientia scheint in solchen Texten genauso streng wie die aristotelische Trennung zwischen sophia und phronêsis durchgeführt zu sein. Im Unterschied zum einheitlichen Modell des Wissens, das uns bei Augustin früher begegnet ist, gibt es hier aufgrund des Un293 Eine Ausnahme würde die Behandlung von scientia und sapientia als Gaben des heiligen Geistes in doctr. chr. II, 7, 10–11 darstellen. Scientia ist dort die Erkenntnis des Gebotes der Liebe gegen Gott und Mitmenschen, während sapientia völlig der jenseitigen Welt gehört, wo es nicht mehr Mühe sondern nur tranquillitas und fruitio gibt. 294 mus. VI, 11, 29. delectatio quippe quasi pondus est animae. delectatio ergo ordinat animam. 295 Gilson (1949:156). Ähnlich, obwohl weniger präzise, Morán (1966) und Campelo (1981:147–148). 296 trin. XII, 14, 22. distat tamen ab aeternorum contemplatione actio qua bene utimur temporalibus rebus, et illa sapientiae, haec scientiae deputatur.

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terschiedes zwischen Zeitlichem und Ewigem zwei verschiedene Wissensformen. Texte mit einem solchen Inhalt sind nicht nur zahlreich, sondern diese Struktur hat eine Parallele auch in der Unterscheidung zwischen uti und frui 297 : Man soll nur Ewiges genießen, und Zeitliches so gebrauchen, dass man zum Genuss des Ewigen gelangen kann. Mehr noch, sapientia und scientia werden jeweils als betrachtende und diskursive Vernunft dargestellt: »Die richtige Unterscheidung zwischen sapientia und scientia ist, dass intellektuelle Erkenntnis von ewigen Dingen der sapientia zugehört, der scientia aber die rationale Erkenntnis von zeitlichen Dingen« 298 . Dieses Muster kann man also erweitern: Das uti, das um Zeitliches kreist, wird durch Handlung vollzogen, von der scientia geleitet, die eine cognitio rationalis ist; frui bezieht sich dagegen auf Ewiges, und wird durch die sapientia erreicht, welche eine cognitio intellectualis ist. Bezeichnenderweise hat die »Strenge des Schemas« 299 viel Polemik über die uti– frui Unterscheidung angerichtet, aber kaum über scientia und sapientia. Vielleicht kann eine Klärung der Struktur dieser letzten Begriffe auch für das Verständnis von uti und frui hilfreich sein. Wir können mit der folgenden Feststellung anfangen: Scientia und sapientia sind nicht nur Antworten auf verschiedene Arten von Gegenständen, sondern sie sind auch Tugenden von verschiedenen »Teilen« der Vernunft, die in der Literatur als ratio inferior und ratio superior bezeichnet werden – eine allerdings bei Augustin nicht vorlägige Terminologie 300 . Man wird hier an Aristoteles erinnert: Es handelt sich nämlich nicht mehr um eine Unterscheidung zwischen 297 Vgl. z. B. civ. XI, 25. unde temporalibus magis utendum est, quam fruendum, ut frui mereamur. 298 trin. XII, 15, 25. ergo haec est sapientiae et scientiae recta distinctio ut ad sapientiam pertineat aeternarum rerum cognitio intellectualis, ad scientiam vero temporalium rerum cognitio rationalis. 299 Flasch (1994:145). Bei Blumenberg (1961:39) findet man dieselbe Kritik an dieser »strengen Differenz«. 300 Augustin verweist eher durch indirekte Bezeichnungen auf die Teilung der Vernunft, vermutlich um die Teilung nicht übermäßig zu akzentuieren. Gelegentlich findet man die Bezeichnung partes, um beide Teile zu bezeichnen, aliquid derivatum als Bezeichnung der niederen Vernunft oder sublimior ratio als die der höheren. Soweit ich sehen kann, befindet sich erst bei Lombard ein Ansatz für die im XIII. Jahrhundert schon traditionell gewordene Terminologie von ratio inferior und superior. Bei ihm findet man nämlich in Sent. II, dist. XXIV, c. 5 pars superior und portio inferior. Diese Einteilung macht er zwar unter Berufung auf Augustin, es handelt sich aber nicht um ein wörtliches Zitat, sondern um eine Paraphrase von trin. XII, 7, 12. Zu den ersten Kommentaren zu dieser Stelle Lombards vgl. Mulligan (1955:23–28).

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einem rationalen und einem nicht rationalen Teil der Seele, sondern innerhalb des Rationalen zwischen einem Teil, der jene Formen des Seienden betrachtet, dessen Prinzipien Veränderung nicht zulassen, und einem anderen rationalen Teil, mit dem wir veränderliches Sein betrachten. Bei Aristoteles handelt es sich dabei nicht um echte »Teile« (merê), die die Einfachheit der Seele in Frage stellen könnten, sondern um eine Einteilung in verschiedene Vermögen (kata dynameis) 301 , eine funktionelle Teilung. Augustin kommt in de Trinitate zu einer ähnlichen Lösung und entfernt sich dadurch von seiner ursprünglichen Position. Für eine solche funktionelle Teilung des rationalen Teiles der Seele könnte einen Einfluss Tertullians angenommen werden, obwohl Augustin sich in diesem Kontext nicht ausdrücklich auf ihn beruft. Augustin kannte schon zu dieser Zeit Tertullians de anima (zitiert in Gn. litt. IX, 25, 41), ein Werk, in welchem Tertullian die Rede über partes animae kritisiert und, unter ausdrücklicher Berufung auf Aristoteles, vires et efficaciae et operae bevorzugt 302 . Aristotelisches Gedankengut könnte so indirekt durch Tertullian zu Augustin gekommen sein – eine Annäherung Augustins zu einer aristotelischen Position, die die ihr gebührende Aufmerksamkeit nicht bekommen hat 303 . Jedenfalls gibt es eine deutliche Wende bei Augustin. Seine frühe Psychologie – am deutlichsten im antimanichäischen Genesis-Kommentar entwickelt – war einfacher: Dieselbe kontemplative ratio, die durch Adam repräsentiert ist, gibt dem durch Eva dargestellten animalischen Teil seine Befehle; darauf folgt die Handlung, ohne dass eine Teilung des rationalen Teiles nötig zu sein schiene. Augustin betont sogar, dass es leicht ist, einen Unterschied zwischen Mensch und Tier zu bemerken, aber schwer (obwohl notwendig), innerhalb des Menschen wiederum dieselbe Unterscheidung zu treffen: Zwischen einem rationalen Teil, der befiehlt, und einem animalischen, Vgl. an. III 10, 433b 1–2 und supra II, B-C. de an. 14, 3. Tertullian dürfte die Diskussion aus der doxographischen Literatur bekannt sein. Efficaciae ist laut Waszink (ad loc.) als Übersetzung für energeiai zu verstehen. 303 Schneider, dessen Thema die Parallelen zwischen Augustin und Aristoteles ist, erarbeitet über dieses ganze Thema (ratio superior und inferior – scientia und sapientia) eine nicht besonders aufschlussreiche Darstellung (1957:41–48). Mulligan (1955:8 und 14) scheint auf den Unterschied zwischen einer Teilung der Seele und einer Teilung der Vernunft nicht zu achten und hält folglich die platonische Teilung der Seele für die Quelle von Augustins reifer Lehre. 301 302

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der gehorcht304 . Noch eine Unterscheidung innerhalb des rationalen Vermögens zu treffen, kommt für ihn damals nicht einmal in Frage, sondern es gibt nur den Unterschied zwischen Rationalem und nicht Rationalem: »Während er Befehle gibt, gehorcht sie; er wird von der Weisheit regiert, sie von dem Mann. Christus ist nämlich Haupt des Mannes, und der Mann Haupt der Frau« 305 . Diesem einzigen rationalen Teil, der hier durch den Mann repräsentiert ist, entspricht die Tatsache, dass es in den frühen Werken, wie gesehen, eine einzige intellektuelle Tugend, nämlich sapientia, gibt. Diese Psychologie dient in diesem frühen Werk dazu, den Vorgang der Versuchung erklären zu können. Während Eva die cupiditas darstellt, die direkt von der Schlange versucht wird, stellt Adam die Vernunft dar, die auf diese cupiditas reagiert 306 . Auf diese Weise kann Augustin an verschiedene Elemente der Genesis-Erzählung anknüpfen: z. B. daran, dass es Feindschaft nur zwischen der Schlange und der Frau gibt, und nicht zwischen Schlange und Mann 307 . Mit dieser Psychologie arbeitet Augustin bis irgendwann um 405, wo wir zum letzten Mal einen Vergleich zwischen der Frau und dem animalischen Teil (hier concupiscentia) der Seele finden, in de opere monachorum, wo die bisherige Lehre wiederholt wird: »Was in einem Menschen Geist und sinnlicher Trieb sind – jener regiert, dieser wird regiert; jener herrscht, dieser unterwirft sich – das wird durch zwei Menschen, Mann und Frau, gemäß ihren körperlichen Geschlecht dargestellt 308 . Der bloß allegorische Charakter dieser Bemerkungen über Mann und Frau kommt deutlich im großen Genesis-Kommentar zum Ausdruck, aber schon im antimanichäischen Genesiskommentar schreibt Augustin, dass dies alles auch in einem einzelnen Menschen gezeigt werden könnte. Die Frau wurde aber erschaffen, um es deutlicher an zwei Menschen zeigen zu können. Mit diesen Auslegungen steht Gn. adv. Man. II, 11, 16. haec facilis ratio est; cito enim homo intelligit se meliorem esse pecoribus: illa est difficilis ratio, qua intelligit in seipso aliud esse rationale quod regit, aliud animale quod regitur. 305 Gn. adv. Man. II, 11, 15. 306 Gn. adv. Man. II, 14, 21. 307 Darüber, ob es eine direkte Versuchung der ratio geben kann, oder diese immer durch den animalischen Teil vermittelt werden muss, scheint Augustin hier keine dezidierte Auffassung zu vertreten. So heißt es in Gn. adv. Man. II, 18, 28, dass hic manifeste ostenditur non posse nos a diabolo tentari, nisi per illam animalem partem; aber in II, 14, 21 schreibt er, dass fit suggestio sive per cogitationem, sive per sensus corporis. 308 op. mon. 32, 40. 304

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Augustin in einer langen Tradition, die er aber ständig weiter verarbeitet hat. Philo ist der erste, der eine allegorische Auslegung der Genesis-Erzählung in diesem Sinn gemacht hat. Aber er spricht nicht von einem rationalen und einem animalischen Teil, sondern von Vernunft und Sinnen 309 . Diesem Bild folgt Ambrosius in de paradiso 310 , einem Text, den Augustin mit aller Wahrscheinlichkeit gekannt hat. Schon im frühen antimanichäischen Kommentar hatte Augustin diese Position hinter sich gelassen, indem er die Sinne durch den animalischen Teil ersetzte – er steht so Origenes näher, der homo mit spiritus und femina mit anima verglichen hatte 311 . Aber was Augustin hier bewegt, ist nicht die Frage nach einer gerechten Einschätzung der Frau, da ja die Gottebenbildlichkeit sowieso ausschließlich in der mens liegt, also dort, wo es keine Geschlechtsdifferenzierung gibt (ubi sexus nullus est) 312 . Die Frage ist nur die nach einem richtigen Bild für die komplexe menschliche Psychologie. Als er in de Trinitate und im großen Genesis-Kommentar auf dieses Problem zurückkommt, wird Augustin tatsächlich, ohne seine frühere Position zu erwähnen, nicht mehr durch Mann und Frau eine Teilung zwischen vernünftigen und animalischen Teilen repräsentieren, sondern eine Teilung allein des vernünftigen Teiles der Seele (mens hominis) 313 . Er sieht jetzt eher die Schlange als geeignetes Bild 309 In opif. mundi LIX, 165 ist der Mann nous und die Frau aisthêsis. Augustin könnte dies nicht nur aus Ambrosius, sondern auch aus dem ihm bekannten Philo-Text Quaestiones et solutiones in Genesin I, 47, kennen. Zu Augustins Kenntnisse von Philo vgl. Altaner (1967:181–193). 310 parad. II, 11. in figura mulieris sensum animi mentisque constituens, quam aisthêsin vocant Graeci. Ähnlich in XV, 73. 311 So in den Homiliae in Genesim (Hom. Gn. I, 15; PG 12, 158–159). Eine Kenntnis dieser Predigt seitens Augustins wurde erstmals von Altaner (1967:224–252) behauptet. Sowohl Teske (1992:179–185) als auch Heidl (2003: 75–218) tragen dazu bei, diese Meinung zu unterstützen. 312 trin. XII, 7, 12. Vgl. auch Gn. litt. III, 22, 34. tamen et femina, quia corpore femina est, renovatur etiam ipsa in spiritu mentis suae in agnitionem dei secundum imaginem eius, qui creavit, ubi non est masculus et femina. Dass Augustin nur durch eine höhere Schätzung der Frau sich zu diesen Positionen bewegt habe, wie van Bavel (1989:286) meint, halte ich nicht für wahrscheinlich, da Augustin dann nicht in Gn. litt. den bloß allegorischen Charakter der Auslegung weiter betonen würde – und mehr noch als früher. Dass die Frau auch Bild Gottes ist, steht für Augustin nie in Zweifel: qua adiutorium ist sie aber kein Bild Gottes und deswegen muss Augustin, wenn er diese bildliche Auslegung macht, sagen, dass sie nur in Verbindung mit dem Mann Bild Gottes ist. 313 O’Dalys (1987:4) Behauptung, dass »a chronological approach reveals no substantial development« in Augustins Philosophie des Geistes trifft also nicht zu. Bisher hatte die Forschung (O’Daly 1987:12–13) betont, dass bei Augustin die platonische Dreiteilung

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für die Sinne, da diese etwas sind, das wir mit den anderen Tieren gemeinsam haben. Die Frau muss dagegen ein Bild für etwas spezifisch Menschliches sein, und in diesem Punkt grenzt sich Augustin bewusst von seinen Vorgängern ab 314. Es bleibt die Rede von einem Teil, der Befehle gibt, und einem, der gehorcht (illa parte consulente, hac obtemperante), aber beide sind Teile eines gewissen vernünftigen Lebens (quaedam rationalis vita) die teils in der Betrachtung des Ewigen, teils in der Verwaltung des Zeitlichen besteht 315 . So wird er eine dem Aristoteles sehr nahe stehende Position erreichen. Aber es wird im Unterschied zu Aristoteles deutlich gemacht, dass die Verwaltung des Zeitlichen, die uns obliegt, gemäß den Ewigen regulae des Guten durchgeführt werden soll. Diese neue Sichtweise wird aber Augustin in de Genesi ad litteram nur wenig benutzen. Es ist dennoch bemerkenswert, dass er in einem Werk, das so streng den Primat des wörtlichen oder historischen Sinnes betont, trotzdem diese allegorische Auslegung der Geschlechtsdifferenzierung einräumt. Es könnte ein Zeichen dafür sein, wie bewusst er sich der Bedeutung dieser Entwicklung seines Denkens ist. Es ist eine in der Tat langsame Entwicklung: Zumindest ab 388–90 bis 405–6 hat er an der ersten Position festgehalten. Teske hat m. E. recht überzeugend gezeigt, dass der erste Versuch eines wortwörtlichen Kommentars zu Genesis – um 393 – gerade deswegen unterbrochen wird, weil Augustin nicht wusste, was er in einem wortwörtlichen Kommentar mit der Geschlechtsdifferenzierung machen konnte 316 . De Genesi ad litteram wird zwischen 401 und 414 verfasst. Wann genau das dritte Buch, wo dieses Problem zu finden ist, geder Seele zwar vorkomme, aber dass die aristotelische Zweiteilung in Rationales und Irrationales üblicher sei. Dass er aber wie Aristoteles wiederum den rationalen Teil teilt, ist übersehen oder für unbedeutend gehalten worden. 314 trin. XII, 13, 20. egregii defensores catholicae fidei et divini eloquii tractatores […], virum mentem, mulierem vero dixisse corporis sensum. […] Propter quod ego non putavi pro muliere sensum corporis esse ponendum quem videmus nobis et bestiis esse communem, sed aliquid volui quod bestiae non haberent. 315 Gn. litt. III, 22, 34. licet enim subtilissime disseratur ipsam mentem hominis, in qua factus est ad imaginem dei, quandam scilicet rationalem vitam, distribui in aeternae contemplationis veritatem et in rerum temporalium administrationem, atque ita fieri quasi masculum et feminam illa parte consulente, hac obtemperante: in hac tamen distributione non recte dicitur imago dei, nisi illud, quod inhaeret contemplandae incommutabili veritati. Hills (2001) Vorschlag, dass Tychonius die Quelle für diese Idee sei, scheint mir nicht begründet zu sein. 316 Teske (1990). A

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schrieben wurde, ist schwer einzuschätzen, aber die letzte gründliche Untersuchung weist auf 411–412 hin 317 . Erst im XII. Buch von de Trinitate wird aber Augustin mit Vertrauen diese Unterscheidung zwischen zwei Teilen der Vernunft gebrauchen und sie mit seiner Unterscheidung zwischen scientia und sapientia in Verbindung bringen. Auch dieses XII. Buch, dem wir uns im folgenden zuwenden, ist aber in zwei Phasen entstanden. 3. Scientia und sapientia in de Trinitate Wie schon mehrmals erwähnt, ist de Trinitate das Hauptwerk für unser Problem. Aber Augustin unterscheidet schon vorher zwischen scientia und sapientia. Er hat die Unterscheidung zum ersten Mal 396 in den Antworten an Simplicianus 318 und 403 im letzten Buch der Confessiones verwendet 319 . Dabei unterscheidet er aber noch nicht zwischen verschiedenen Teilen der Vernunft, sondern macht seine Unterscheidung sozusagen ohne anthropologische Basis. Nur eine sich im Werden befindende Theorie ist dort zu erkennen 320 . Der Entwicklung kann teilweise anhand des platonischen Bildes der Sonne, das Augustin auch benutzt, verfolgt werden, denn es lässt sich eine gewisse Unsicherheit in seinem Gebrauch des Bildes feststellen. Der Mond, ein kleineres Licht als die Sonne, wird schon in den Confessiones mit einbezogen und mit der scientia identifiziert. Im Gegensatz zur Sonne (sapientia) passt sich diese kleinere Leuchte (luminare) an das wandelbare Irdische an 321 . Trotz dieser auf seine zukünftige Lehre weisenden Beobachtung kann Augustin aber im selben Jahr (403) im Brief 55 die zwei Leuchten unterscheiden, den Mond aber mit stultitia identifizierend 322 . Erst ein Jahrzehnt später, als seine reife Position fertig ist, wird er in der Enarratio zu Psalm Hombert (2000:145). Simpl. II, 2, 3. 319 conf. XIII, 18, 23. 320 Zu Augustins Weisheitsverständnis zur Zeit von conf. vgl. Somers (1963) und Doull (1988). 321 conf. XIII, 18, 23. alii datur per spiritum sermo sapientiae tamquam luminare maius propter eos qui perspicuae veritatis luce delectantur tamquam in principio diei, alii autem sermo scientiae secundum eundem spiritum tamquam luminare minus. […] sermo autem scientiae, qua continentur omnia sacramenta quae variantur temporibus tamquam luna, et ceterae notitiae donorum […] tantum in principio noctis sunt. 322 ep. 55, 5, 8. quis est ergo ille stultus, qui tanquam luna mutatur, nisi Adam in quo omnes peccaverunt? Ähnliches in en. Ps. 73, 19. 317 318

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135, in einer Zusammenfassung seiner ganzen diesbezüglichen Lehre, den Mond wieder qua scientia als ein Licht für die Finsternis dieser Welt (in potestatem noctis) beschreiben 323 . Uns de Trinitate zuwendend können wir zunächst mit einer allgemeinen Charakterisierung der zwei Wissensformen beginnen. Die zwei in der vorigen Sektion zitierten Texte, die sapientia und scientia gemäß ihren jeweils ewigen und zeitlichen Gegenständen als betrachtende und diskursive Vernunft unterscheiden, stammen aus der zweiten redaktionellen Phase von de Trinitate XII, die mit 14, 22 anfängt. Das ganze Werk, einschließlich des ersten Teiles von Buch XII, in dem Augustin mit der Behandlung von scientia-sapientia angefangen hatte, ist ihm frühestens 415 gestohlen worden. Es ist nicht möglich, die Wiederaufnahme der Arbeit mit Sicherheit zu datieren, sie findet aber auf jeden Fall nach 417 statt 324 . Dieser zweite Anfang des XII. Buches zeichnet sich durch den Versuch einer biblischen Begründung der Unterscheidung aus 325. Bei Paulus findet Augustin, dass die Wissensformen unterschieden werden müssen, denn »einige haben vom Geist einen sermo scientiae bekommen, andere einen sermo sapientiae gemäß demselben Geist« (1. Kor 12, 8). Worin diese Unterscheidung besteht, findet er aber nicht bei Paulus, sondern, nach umfangreicher Suche, bei Hiob 326 : »Siehe, die Gottesverehrung (pietas) ist sapientia und das Weichen vom Bösen ist scientia« (Hiob 28, 28). Der scientia wird so diesem Text zufolge eine richtige Lebensführung zugeschrieben, welche wesentlich im Vermeiden von Übel besteht: »Hiob sagt, dass sich vom Bösen enthalten der scientia zugehört, welches gewiss auf die zeitlichen Dinge zu beziehen ist, da wir zeitlich unter den Übeln sind, von denen wir uns enthalten müssen, um zu den ewigen Gütern zu gelangen« 327 . en. Ps. 135, 8. Zur Chronologie von De Trinitate vgl. Kany (2007:31–46). 325 Zur Rolle der biblischen Literatur in der Entwicklung von Augustins Weisheitsverständnis vgl. Marin (1990). Diese biblische Begründung soll aber nicht im Gegensatz zur antiken Philosophie gesehen werden, denn auch diese – die in den ersten zwölf Büchern durch ein einziges Platon-Zitat vertreten war – wird in den letzten Büchern von de Trinitate massiver vorkommen, vor allem durch viele Hortensius-Fragmente. Vgl. dazu Hagendahl (1967:451). 326 trin. XII, 14, 22. licet non ibi explicet quid intersit, et unde possit utrumque dignosci. Verum Scripturarum sanctarum multiplicem copiam scrutatus, invenio scriptum esse in libro Iob. 327 trin. XII, 14, 22. Dieselbe Deutung des Textes in ep. 167, 3, 11; trin. XIV, 1, 1; en. Ps. 135, 1 und in den anderen bei Hombert (2000: 125) zusammengestellten Texten. 323 324

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Die scientia sieht Augustin also unter dem Zeichen der Notwendigkeit. Sie ist notwendig, um dieses Leben zu führen 328 . Es werden nicht so sehr die positiven Möglichkeiten einer guten Lebensführung betont, sondern das Vermeiden des Bösen; eine Akzentverlagerung, die Augustin in eine gewisse Spannung zum antiken Perfektionismus zu stellen scheint 329 . Demgegenüber steht die sapientia, deren Rolle ausschließlich in der Betrachtung der ewigen Dinge zu bestehen scheint. Die Einfachheit ihres Gegenstandes bedeutet auch, dass ihre Beschreibung leichter als die der scientia zu sein scheint 330 . Aber diese Einfachheit sollte nicht übermäßig betont werden, denn, wie gesehen, stellt sie Hiob nicht ausschließlich mit Erkenntnis des Ewigen in Verbindung, sondern mit pietas – eine Verbindung, auf die wir später zurück kommen müssen 331 . Dieser Beschreibung der jeweiligen Gegenstände und Aufgaben von scientia und sapientia muss die Beschreibung ihrer gegenseitigen Beziehung hinzugefügt werden. Es steht für Augustin außer Zweifel, dass die ratio eine Einheit ist, die nur von den Notwendigkeiten des Lebens gedrängt, sich in verschiedene Aufgaben teilt, sodass »ein Teil von unserer Vernunft ausgesondert wird, nicht um diese Einheit zu trennen, sondern zu seiner Aufgabe abgeleitet, um der Gesellschaft [der ganzen ratio] Hilfe zu leisten« 332 . Ursprünglich sind sie eins. Und diese Einheit ist die der sapientia oder ratio superior. Es ist die scientia, die die sozusagen abgeleitete ist, um die Aufgabe eines Gehilfen zu erfüllen, ad auxilium societatis, sowie auch Eva ad auxilium aus Adams Rippe geschaffen worden ist. »Dieser Teil von uns, der in der Handlung körperliche und zeitliche Dinge so benutzt, dass er uns nicht gemeinsam mit den Tieren ist, ist zwar vernünftig, aber er ist aus jener rationalen Substanz unseres Geistes, 328 trin. XII, 13, 21. in usum mutabilium corporaliumque rerum sine quo haec vita non agitur. 329 Den Kontrast zum antiken Perfektionismus hat vor allem Markus (1970) hervorgehoben. Die gegenteilige Auffassung vertritt von Heyking (2001). 330 Vgl. Marrou (1981:313): »Nur das antithetische Verhältnis der beiden Ausdrücke wird deutlich herausgestellt, und nur dieses bleibt konstant. Wesen und Definition der scientia sind dagegen veränderlich«. Agasse und Moingt schreiben: »Le mot sapientia a un sens tellement riche et le mot scientia un sens tellement fluent qu’il est impossible, en quelques lignes, d’analyser les différentes acceptions de ces deux termes« BA 16 (1991:621). 331 Vgl. infra Kap. 2, II, B, 4: »Fruitio Dei, Gottesdienst und Weisheit«. 332 trin. XII, 3, 3. et ideo quiddam rationale nostrum non ad unitatis divortium separatum sed in auxilium societatis quasi derivatum in sui operis dispertitur officio.

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durch die wir der ewigen und unwandelbaren Wahrheit anhängen, gleichsam gelenkt und abgesondert zur Benutzung und Regierung der niedrigeren Dingen« 333 . Obwohl die scientia handlungsleitend ist, wird also ihre Herkunft in der sapientia gestellt. Diese ursprüngliche Einheit zeigt die Distanz, die, trotz der Existenz dieser Unterscheidung zwischen theoretischem und praktischem Wissen, zwischen Augustin und Aristoteles besteht, da Aristoteles ja kaum von einem Ursprung der phronêsis in der sophia reden könnte (es sei denn man sehe im nous eine Verbindung und einheitliche Abstammung zwischen sophia und phronêsis). Auf jeden Fall werden bei Augustin diese Wissensformen, wegen dieser deutlich erkennbaren ursprünglichen Einheit, in vielfältiger Beziehung zueinander gesetzt. So ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die sapientia für die scientia regula ist. Die sapientia ist seit dem wichtigen Text in de libero arbitrio in Verbindung mit dem Gedanken einer regula gebracht worden 334 . Das ist aber noch nicht eine unmittelbar praktische Rolle, sondern eine indirekte praktische Rolle der sapientia, die in der Literatur immer beachtet worden ist 335 . Was in der Literatur aber fast nie ersichtlich wird, ist, dass Augustin der sapientia auch eine weitere – direktere – Rolle in der Handlung zu geben scheint. Um dies näher zu zeigen und zu erklären, müssen wir auf die Bilder eingehen, mit denen Augustin das Verhältnis zwischen scientia und sapientia beleuchtet. Das von Augustin am meisten verwendete Bild, um die Beziehungen zwischen scientia und sapientia als Tugenden der ratio inferior und superior zu beleuchten, ist das Bild Adams und Evas. Dies dient zunächst dafür, die Einheit der mens zu bestätigen, also die Tatsache, dass die Einteilung nur propter officia gemacht wird 336 . Wie gesehen, lehnt er mit Aristoteles eine Teilung, die nicht funktional wäre, ab. So wie Mann und Frau ein Fleisch sind, so ist auch die mens in ihren verschiedenen Funktionen eine 337 . Dieser funktionelle 333 trin. XII, 3, 3. illud vero nostrum quod in actione corporalium atque temporalium tractandorum ita versatur ut non sit nobis commune cum pecore rationale est quidem, sed ex illa rationali nostrae mentis substantia qua subhaeremus intelligibili atque incommutabili veritati tamquam ductum et inferioribus tractandis gubernandisque deputatum est. 334 lib. arb. II, 10, 29. 335 Besonders betont bei Morán (1966). 336 Vgl. trin. XII, 12, 19. officiis per quaedam singula distributis, tamen in utroque mentis unitate servata. 337 trin. XII, 3, 3. et sicut una caro est duorum in masculo et femina, sic intellectum nostrum et actionem, vel consilium et exsecutionem, vel rationem et appetitum ratio-

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Unterschied zwischen dem Mann und der Frau drückt sich u. a. darin aus, dass die Frau und nicht der Mann ihr Haupt überdecken muss: Nicht die Betrachtung des Ewigen, sondern die Handlung ist es, die Beaufsichtigung und Konstriktion braucht 338 . Diese Aufgabe der Beaufsichtigung hat aber die sapientia inne. Die Position von Augustin scheint die folgende zu sein: Solange die Handlung die richtige ist, wird die sapientia eine latente Rolle gegenüber der Handlung haben: Sie bleibt als regula bestehen, aber wird nicht zur Handlung abgelenkt, sondern bleibt in ihrer eigenen Funktion. Erst wenn es sich um eine verkehrte Handlung handelt, also erst wenn man anfängt, sich von der imago dei durch ein übermäßiges Fortschreiten zum Äußerlichen zu entfernen 339 , scheint sich die sapientia eine andere Rolle anzueignen. Der Abfall geschieht nämlich nicht durch die scientia allein. Es geschieht, wenn die scientia sich übermäßig mit Zustimmung der ratio superior 340 zum Äußeren erstreckt (consentiente sibi capite suo), eine Ausdrucksweise, die deutlich auf eine aktive Beteiligung der sapientia hinweist. Was im Hintergrund dieser Vorstellung steht, ist sehr wahrscheinlich die stoische These der Notwendigkeit von Zustimmung (synkatathesis) für die Handlung: Eine Vorstellung (phantasia) wird erst dann für das Erkennen oder die Handlung wirksam, wenn der Mensch ein Urteil fällt, dieser Vorstellung seine Zustimmung gebend. Augustin scheint diese Auffassung geteilt zu haben. So heißt es im frühesten Versuch einer Paulus-Exegese, dass »wir nicht im bösen Wunsch sündigen, sondern in unserer Zustimmung« 341 , eine Vorstellung, die sich in mehreren Werken wiederholt: Die Zustimmung ist notwendiger und hinreichender Grund, um von Sünde zu reden 342 . Dies kommt auch in seiner frühen antiskeptischen Argumentation zum Ausdruck: Verisimile nennen nalem, vel si quo alio modo significatius dici possunt, una mentis natura complectitur ut quemadmodum de illis dictum est: erunt duo in carne una, sic de his dici possit: ›duo in mente una‹. 338 trin. XII, 7, 10. quia vero illi rationali actioni quae in rebus corporalibus temporalibusque versatur periculosa est nimia in inferiora progressio, debet habere potestatem super caput, quod indicat velamentum quo significatur esse cohibenda. Das velamentum wird auf diese Weise auch in Gn. adv. Man. II, 18, 27 gerechtfertigt. 339 trin. XII, 7, 10: nimia in inferiora progressio; XII, 8, 13: immoderatu progressu nimis in exteriora prolabitur. 340 trin. XII, 8, 13. 341 exp. prop. Rm. 12. non enim in ipso desiderio pravo, sed in nostra consensione peccamus. 342 Vgl. besonders cont. 2, 3–5 und s. dom. m. I, 12, 34. Bei Mann (1999) findet man eine

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die Akademiker das, was uns auch dann in Bewegung setzt, wenn wir uns der Zustimmung enthalten 343 . Demgegenüber hält sich Augustin an die Stoiker bezüglich der Notwendigkeit der Zustimmung, und wendet folglich seine Argumentation hauptsächlich dem Beweis der These zu, dass man sich der Zustimmung nicht immer enthalten muss 344. Spezifisch für unseren Text aus de Trinitate ist aber die Auffassung, dass diese Zustimmung Werk der sapientia sei. In diesem Kontext wird die sapientia in der Tat nicht nur als portio virilis bezeichnet, sondern Augustin schreibt, dass sie im »Wachtturm des Rates die Oberaufsicht hat« 345 . Die sapientia nimmt also hier die Funktion des Gewissens ein 346 . Die Literatur zum Problem des Gewissens bei Augustin hat diesem Text keine Aufmerksamkeit geschenkt 347 . Er scheint aber von höchster Bedeutung zu sein, da das Gewissen mit der sapientia verbunden wird 348 . Ferner kommt hier die Bedeutung, die Augustin dem Urteilen gibt, wiederum deutlich zutage: Die Funktion des Gewissens kommt deswegen der sapientia zu, weil sie, nicht die scientia, im Wachtturm sitzt (Zugang zur intelligiblen Welt hat), aus dem ein Urteil (hier intentio mentis) ermöglicht wird 349 . Diese Zustimmung der sapientia zum Bösen hat zur Folge, dass sowohl die sapientia als auch die scientia verdorben werden, also, dass auch die sapientia die Betrachtung der ewigen Wahrheiten verliert und so auch keine regula für die scientia mehr m. E. zutreffende Beschreibung von Augustins Position bis ca. 401, also ohne unseren Text aus trin. XII mit einzubeziehen. 343 Acad. II, 11, 26. id probabile vel verisimile Academici vocant, quod nos ad agendum sine assensione potest invitare. Zu Augustins möglichen Quellen vgl. Fuhrer (1997:218). 344 Vgl. die Diskussion ab Acad. III, 14, 30. 345 trin. XII, 8, 13. illa quae in specula consilii praesidet quasi virili portione. 346 Die ausdrückliche Verbindung mit dem Gewissen scheint mir im Rückgriff auf Gn. adv. Man. II, 14, 21 gerechtfertigt zu sein: rea tenetur in consensione conscientia. 347 Ich beziehe mich auf Stelzenberger (1959) und Mayers Art. ›Conscientia‹ in AL I, 1218–1228. 348 Diese Verbindung von höherer Vernunft und synderesis wird auch ausdrücklich in den ersten Sentenzenkommentaren thematisiert. Mulligan (1955:24–26) hält dies für eine völlig neue Entwicklung der Lehre von ratio inferior-ratio superior, die dem Einfluss des Hieronymus zu verdanken sei. Angesichts unserer Darstellung der Position Augustins ist aber diese These zu verwerfen: Die von Mulligan behandelten Sentenzenkommentatoren haben vielmehr Augustin in diesem Punkt besser als die moderne Forschung verstanden und sind als völlig augustinisch anzusehen. 349 trin. XII, 12, 17. Vgl. auch trin. XII, 2, 2. sublimioris rationis est iudicare de istis corporalibus secundum rationes incorporales et sempiternas. A

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sein kann: Weder die eine noch die andere verfügt jetzt über einen Zugang zur Wahrheit 350 . Beide Wissensformen sind als coniuges dermaßen im Vollzug einer bösen Handlung verwickelt, dass sie zusammen das Licht der Wahrheit verlieren. Das Bild Adams und Evas gibt Anlass zu einer weiteren Analogie: Nicht nur hat Eva von der verbotenen Frucht gegessen, sondern sie hat sie auch ihrem Mann gegeben. Die scientia wird leicht verführt, denn sie steht in direkter Beziehung zum appetitus 351. Sie kann aber auf das Sinnliche auf verschiedene Weisen reagieren. Wenn die Idee vorkommt, ein bestimmtes Gut als etwas privates zu genießen, dann ist es, als ob die Schlange nur mit Eva spreche. Wenn Eva dieser Idee zustimmt, diese Zustimmung aber im bloß gedanklichen Spiel mit der Idee bleibt, dann ist es schon eine Sünde, aber eine in die nur die scientia verwickelt ist und die leicht vergeben werden kann 352 . Kommt es zu einem externen Werk, kann man sagen, dass Eva auch Adam zu essen gegeben hat. Es ist nämlich unmöglich für eine Sünde, mehr als gedanklich zu sein, wenn nicht auch die höhere Vernunft zustimmt und die Sünde auf diese Weise als externes Werk vollbringt. Das vollziehen eines externen Werkes, die summa potestas membra in opus movendi, liegt also in der Macht der sapientia 353 , ohne die es keine Handlung gibt. Der Text, mit dem dies verglichen werden muss, um die Entwicklung nachzuvollziehen, ist Gn. adv. Man. II, 14, 21. Dort wird derselbe Vorgang beschrieben, aber die consentio der ratio (noch nicht in Funktionen unterschieden) wird der cupiditas zugeschrieben, nicht einem Gedanken; dies ist dann auch unmittelbar Sünde, auch wenn keine äußere Tat folgt 354 . Die 350 trin. XII, 8, 13. aeternorumque illa visio ab ipso etiam capite cum coniuge vetitum manducante subtrahitur ut lumen oculorum eius non sit cum illo, ac sic ab illa inlustratione veritatis ambo nudati. 351 trin. XII, 12, 17. rationi autem scientiae appetitus vicinus est quandoquidem de ipsis corporalibus quae sensu corporis sentiuntur ratiocinatur ea quae scientia dicitur actionis. 352 trin. XII, 12, 17. sed iste consensus si sola cogitationis delectatione contentus est, superioris vero auctoritate consilii ita membra retinentur ut non exhibeantur iniquitatis arma peccato, sic habendum existimo velut cibum mulier sola comederit. 353 trin. XII, 12, 17. neque enim potest peccatum non solum cogitandum suaviter verum etiam efficaciter perpetrandum mente dicerni nisi et illa mentis intentio penes quam summa potestas membra cohibendi malae actioni cedat et serviat. Diesem doppelten consensus entsprechend, wird auch der Ausdruck intentio mentis in diesem Absatz sowohl für die Zustimmung gebraucht, die die scientia der suggestio erteilt, als auch um die Zustimmung der sapientia zu bezeichnen. 354 Gn. adv. Man. II, 14, 21. suggestio cum facta fuerit, si cupiditas nostra non movebitur ad peccandum, excludetur serpentis astutia; si autem mota fuerit, quasi mulieri iam

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neue Erklärung der Versuchung in trin. XII und die daraus folgende Möglichkeit von verschiedenen Stufen der Sünde zeigt, inwiefern Augustin mit der Teilung des vernünftigen Teiles, die er im de Genesi ad litteram vorgenommen hat, an Subtilität gewonnen hat. In der Tat könnte die These aufgestellt werden, dass die treibende Kraft in dieser ganzen Entwicklung die Suche nach einer Psychologie ist, die den Vorgang der Versuchung zutreffender beschreiben lässt: In Gn adv. Man. II, 14, 21 sind nämlich die drei Stufen der Versuchung suggestio, cupiditas und consentio; diese cupiditas ist aber keine rationale Reaktion auf die suggestio, sondern eine animalische 355. Als er später in trin. XII den Vorgang der Versuchung in suggestio, delectatio und consentio einteilt, ist die delectatio ein rationales Genießen der Möglichkeit der Sünde: delectatio und consentio müssen dann verschiedenen Funktionen der Vernunft zugeschrieben werden und dann müssen eben diese verschiedene Funktionen oder »Teile« der Vernunft thematisiert werden 356 . Zwei Seiten der sapientia sind uns so bekannt geworden: Einerseits wird sie als eine intellektuelle Schau verstanden, die ausschließlich die ewigen Dinge betrachtet. Als Haupt der ratio ist sie aber gleichzeitig Ursprung der niederen Vernunft, die sich mit dem Zeitlichem befasst. Sie bleibt aber nicht bloß als Ursprung im Hintergrund, sondern sie ist selbst in der Handlung dermaßen verwickelt, dass es ohne ihre Zustimmung keine große Sünde geben kann. Die scientia scheint so nicht alleine die direkt für Äußeres Zuständige zu sein, sondern eher das Bindeglied zur externen Welt zu sein, während die sapientia die eigentliche Leitung der Handlung innehat. Im gefallepersuasum erit. sed aliquando ratio viriliter etiam commotam cupiditatem refrenat atque compescit. quod cum fit, non labimur in peccatum, sed cum aliquanta luctatione coronamur. Si autem ratio consentiat, et quod libido commoverit, faciendum esse decernat, ab omni vita beata tamquam de paradiso expellitur homo. iam enim peccatum imputatur, etiamsi non subsequatur factum; quoniam rea tenetur in consensione conscientia. 355 Daran hält Augustin zumindest bis zum Jahr 394, in s. dom. m. I, 12, 34, fest. 356 Auch diese Entwicklung Augustins ist m. W. von der Forschung übersehen worden. TeSelle (1993) sieht trin. XII in Kontinuität mit der Auffassung von suggestio-cupiditas-consentio der früheren Werke. Thomas von Aquin hat die Entwicklung aber nicht übersehen: dicendum, quod Augustinus in Lib. contra Manichaeum non eodem modo exponit illa tria, sicut in libro de Trinit. In XII de Trinitate enim serpentem attribuit sensualitati, mulierem inferiori rationi, virum superiori; sed in Lib. contra Manichaeum, serpentem sensui, mulierem concupiscentiae sive sensualitati, virum rationi (Ver. q.15, a.4, ad7). A

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nen Zustand der Menschen ist nicht nur die scientia, sondern auch die sapientia für Aktivitäten des Führens und Zügelns zuständig. Die scientia kann Vorteile und Nachteile abwägen, aber die sapientia, die mit dem Guten notwendig verbunden ist, erteilt die ausschlaggebende Zustimmung, sie hat die summa potestas. Damit das von der scientia Erkannte wirksam wird, muss nicht lediglich ein Akt des Willens hinzukommen, sondern eine Abdikation der Weisheit. Um das gegenseitige Verhältnis zwischen scientia und sapientia noch näher bestimmen zu können, müssen wir uns jetzt auf die scientia konzentrieren. 4. Scientia Was die scientia ist und welche ihre Beziehung zu sapientia, möchten wir jetzt in drei Schritten feststellen, indem wir zuerst eine allgemeine Charakterisierung der scientia treffen, dann ihr Verhältnis zur Tugend erforschen, und uns schließlich an Augustins Deutung von 1. Kor 8, 1, »die scientia bläht auf, aber die Liebe erbaut«, wenden. a) Der Gegenstand der scientia Als Augustin das XII. Buch von de Trinitate anfängt, kritisiert er seine eigene frühe Position aus Gn. adv. Man. Er erwähnt zwar nicht, dass es seine eigene frühe Theorie ist, die der Kritik unterzogen wird, aber die These ist unverkennbar: Das adiutorium, das die kontemplative Vernunft braucht, um das Zeitliche zu verwalten, muss selbst etwas spezifisch Menschliches sein, nicht etwas, das wir mit den anderen Tieren gemeinsam haben. Die Frau, die als adiutorium für den Mann erschaffen worden ist, kann folglich nicht die animalis pars repräsentieren, sondern muss Bild für etwas rationales sein 357 . Für den Mann konnte nämlich unter allen Tieren kein Beistand (adiutorium) gefunden werden, der ihm gleich wäre, sondern er musste aus ihm selbst genommen und zur Gattin geformt werden. So konnte auch für unseren Verstand, durch welchen wir die höhere und innere Wahrheit betrachten, keine ihm ähnliche Hilfe unter den Teilen der Seele gefunden werden, die uns mit

357 Die kritisierte Vorstellung findet man in Gn. adv. Man. II, 11, 15. ut non solum anima corpori dominaretur (…), sed etiam virilis ratio subiugaret sibi animalem partem suam, per quod adiutorium imperat corpori. Augustins indirekte Kritik am eigenen Werk, ohne es ausdrücklich zu erwähnen, sollte uns nicht wundernehmen, da er dasselbe gerade in Bezug auf Gn. adv. Man., in civ. XIII, 21 macht.

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den anderen Tieren gemeinsam sind, welche für den Gebrauch der körperlichen Dinge auf eine dem Menschen genügende Weise angemessen wäre 358 .

Augustin sucht also in seinem reifen Werk ein adiutorium für die betrachtende Seite der ratio, ein adiutorium aber, das selbst rational sein muss, um das Zeitliche auf eine genügend menschliche Weise zu gebrauchen. Der richtige Umgang mit dem Zeitlichen fordert eine eigene Weise »gehorchender« Vernunft – wie es auch Aristoteles gesehen hat –, eine Rationalität die unter Bedingungen der Zeitlichkeit Vorteil und Ordnung realisiert. Diese Entwicklung in Bezug auf seine frühere Psychologie drückt sich auch in einem zweiten Punkt aus, nämlich der Erweiterung der Aufgaben dieses niederen Teiles: Während im antimanichäischen Genesis-Kommentar, das adiutorium für die Regierung des eigenen Körpers zuständig war, wird im großen Genesis-Kommentar seine Aufgabe als »Verwaltung der zeitlichen Dinge« beschrieben 359 . Diese Sorge um das Zeitliche hat aber zur Folge, dass die scientia eine kompliziertere Struktur als die sapientia hat, denn unter den zeitlichen Dingen gibt es Unterschiede. Während Augustin im Buch XII von de Trinitate die scientia schlechthin in Bezug auf zeitliche Gegenstände definiert, wird er in den zwei folgenden Büchern mehrere Variationen des Gegenstandes der scientia durchgehen, um schließlich im Buch XIV festzustellen, dass die scientia sich natürlich nicht mit allen zeitlichen Dingen befasst, »unter denen es so viel überflüssige Eitelkeit und schädliche Neugierde gibt« 360 . Nicht alles Zeitliche fällt also unter die Beaufsichtigung der scientia. Nicht einmal alle Arten von Handlungen. Augustin hatte schon im Kommentar zur Bergpredigt zwischen verschiedenen Arten von zeitlichen Handlungen unterschieden: Augen und Hände, Betrachtung und Handlung, sind notwendig; aber die Bibel nennt ausdrücklich die rechte und die linke Hand, weswegen man zwischen verschiedenen Arten von Handlungen unterscheiden muss, die obwohl alle in der Zeit vollzogen, sich dadurch voneinander unterscheiden, dass man358 trin. XII, 3, 3. sicut enim in omnibus pecoribus non inventum est viro adiutorium simile illi nisi de illo detractum in coniugium formaretur, ita menti nostrae qua supernam et internam consulimus veritatem nullum est ad usum rerum corporalium quantum naturae hominis sat est simile adiutorium ex animae partibus quas communes cum pecoribus habemus. 359 Gn. litt. III, 22, 34. quandam rationalem vitam, distribui in aetarnae contemplationis veritatem et in rerum temporalium administrationem. 360 trin. XIV, 1, 3.

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che gewissermaßen »göttlich« sind, und andere, von der linken Hand vollzogen, sich mit bloß Zeitlichem beschäftigen, also mit solchem, das sich nicht in unsere Beziehung zum Göttlichen integrieren lässt. Die scientia, müsste man dann sagen, ist ein Wissen, das die Handlungen der rechten, nicht der linken Hand leitet – sie hat nicht die Beaufsichtigung dessen inne, was wir eine actio mere temporalis nennen können. Gegenstand der scientia sind zeitliche Dinge, die sich in unsere Beziehung zum Ewigen integrieren lassen, die in diesem Leben als eine Mischung von Zeitlichem und Ewigem vorkommen 361 : die rechte Hand wird adiutor genannt, dem adiutorium der scientia entsprechend 362 . Bevor wir zu einer genaueren Beschreibung der tatsächlichen Aufgaben der scientia fortschreiten, muss aber ein in der Literatur verbreitetes Missverständnis ausgeschlossen werden, nämlich dass die scientia als Naturwissenschaft zu verstehen sei. Zu diesem falschen Ergebnis ist vor allem J. Hessen gekommen, der in seinen Untersuchungen zur Illuminationslehre die sapientia als apriorisches Wissen der intelligiblen Welt verstanden hat und scientia dagegen als eine Naturwissenschaft, die durch Abstraktion und Induktion operiert 363 . Obwohl es in Augustins Theorie kaum einen Anhaltspunkt für diese Interpretation der scientia gibt, ist sie in vielen Forschungen über Augustins Erkenntnislehre wirksam geblieben 364 . Dieser Irrtum ist teilweise auf Augustins Terminologie zurückzuführen: Denn auch heute würden wir kaum das praktische Wissen als scientia bezeichnen, und in anderen Kontexten – also außerhalb des scientia-sapientrin. XIII, 1, 2. permixta cum temporalibus commemorantur aeterna. s. dom. m. I, 13, 38. ergo et dextra manus accipitur dilectus adiutor et minister in divinis operibus – nam quemadmodum in oculo contemplatio, sic in manu actio recte intellegitur – ut sinistra manus intellegatur in operibus quae huic vitae et corpori sunt necessaria. Vgl. auch en. Ps. 136, 15 für Handlungen der rechten Hand. 363 Hessen (1916:38–47). Ähnliches findet man bei Ritter (1937:89) und Campelo (1981:141–152), um nur einige Beispiele eines verbreiteten Missverständnisses zu geben. 364 Vgl. z. B. Nash (1969:8), der die scientia als eine Naturwissenschaft versteht, die zwar ein praktisches Ziel hat, aber auf technisches reduziert: »Scientia enables man to harvest better crops, construct better buildings, or wage war more effectively« (ähnlich Campelo 1981:147–148). Solche Aktivitäten würde aber Augustin als Handlungen der »linken Hand« bezeichnen, die nicht von der scientia geleitet werden. Auf diese Weise wird selbstverständlich die ganze augustinische Lehre verstellt: Nicht beide Wissensformen werden z. B. durch die Sünde blind (wie Augustin in trin. XII, 8, 13 ausdrücklich lehrt), sondern bloß die sapientia, während die scientia als wertneutrales Wissen verstanden wird (Nash 1969:36). 361 362

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tia Paares – benutzt sie Augustin eher für »Wissenschaft«. Augustin ist sich ferner dessen bewusst, dass scientia eher Übersetzung für epistêmê ist 365 . Augustinische scientia ist aber eher aristotelische phronêsis als aristotelische epistêmê 366 . Dass phronêsis aber in der Regel mit prudentia übersetzt wird sowie sophia mit sapientia, weiß er auch 367 . Die Wahl des Terminus scientia, um das praktische Wissen zu bezeichnen, ist m. E. durch die Terminologie in 1. Kor 12, 8, Hiob 28, 28 und Kol 2, 3, an die sich Augustin hält, zu erklären. Wie missverständlich auch immer der Terminus scientia für sich allein genommen sein mag, ist er aber im konkreten Gebrauch Augustins in de Trinitate zweifellos als praktisches Wissen zu verstehen 368 . Dennoch ist dieses praktische Wissen in zwei verschiedene Richtungen auf theoretische Kenntnisse verwiesen. Erstens ist die scientia ein Teil der cognitio historica 369 . Schon in Bezug auf de doctrina christiana haben wir gesehen, wie Augustin das Risiko des Aberglaubens vom Feld der Geschichte – wo er es ursprünglich lokalisiert hatte – zum Feld der astrologia versetzt. Aber nicht jede Art von geschichtlicher Erkenntnis wird deswegen gepriesen. Es geht auch nicht lediglich um eine Suche nach vergangener exempla. Die scientia wird nicht durch Wissen über beliebige vergangene Geschichten konstituiert, sondern von heilsverkündenden Geschehnissen. Als Teil der scientia gelten nämlich nur die Aspekte des historischen Wissens, die »den heilsamen Glauben, der zur wahren Seligkeit führt, erzeugen, nähren, verteidigen und stärken« 370 . Ein mehrfacher trin. XIV, 1, 1. ut nonnulli de Graeco epistêmê interpretati sunt. Bei Albertus Magnus findet man schon eine ausdrückliche Unterscheidung zwischen aristotelischer und augustinischer scientia. Vgl. S. Th. II, tract. XV, qu. 93, m. 4, ad 2. Aristoteles loquitur de scientia secundum quod est ex primis, veris, et immediatis: et hoc modo non loquitur Augustinus de scientia, sed secundum quod est ex conjecturis humanorum ad gubernationem vitae humanae pertinentiam; – wie aristotelische phronêsis. 367 en. Ps. 104, 14. sophistai autem, quod uno verbo latine dici non potest, a sapientia dictum est, quae sophia graece dicitur, non a prudentia, quae phronêsis appellatur. 368 trin. XII, 3, 3. quod in actione corporalium atque temporalium tractandorum versatur; XII, 12, 17. cognitio rerum temporalium atque mutabilium navandis vitae huius actionibus necessaria; XII,14, 22. ad actionem scientiam pertinere. 369 trin. XIII, 1, 2. So heißt es z. B. in Bezug auf Johannes der Täufer: hoc iam temporaliter gestum est et ad scientiam pertinet quae cognitione historica continetur. Dies ist also keine Aussage über den wissenschaftlichen Charakter der Geschichte, wie Müller (1993:100–101 und in Art. ›Historia‹ in AL III:370) es deutet. 370 trin. XIV, 1, 3. illud tantummodo quo fides saluberrima quae ad veram beatitudinem ducit gignitur, nutritur, defenditur, roboratur. Für die Rolle der Geschichte im augustinischen Glauben vgl. Studer (1996 und 1997). 365 366

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Filter wird so aufgestellt, um der Zerstreutheit des zeitlichen Wissens entgegenzuwirken. Gesucht wird so ein Wissen, das »theoretische« Inhalte hat (historische Infomationen z. B.), aber dessen Ziel das Heil ist. Was den heilsamen Glauben nährt und verteidigt, ist nicht das Ewige, nicht die Trinität, von der auch die Heiden eine Ahnung haben können, sondern die Inkarnation, das, was Gott in der Zeit gemacht hat. Während in anderen Werken scientia und fides einander entgegengesetzt werden, bezieht sich also hier die scientia auf dieselben Gegenstände wie der Glaube 371. Zweitens kann als scientia auch die Systematisierung des Betrachteten bezeichnet werden. Dies ist auch ein Verweis auf theoretische Inhalte, die aber nicht aus der Geschichte gewonnen werden, sondern aus der Erfahrung der sapientia. Die Gegenstände der sapientia – obwohl sie für den geistlichen Sinn so vorhanden liegen wie sinnliche Gegenstände dem sinnlichen Sinn 372 – können nur wenige mit dem Blick des Verstandes (mentis acies) erkennen. Und selbst die können nur kurze Zeit in der Betrachtung aushalten, denn »wenn jemand es tut, insofern es möglich ist, kann auch er nicht dort bleiben, sondern er wird gleichsam durch das Zurückschlagen des Blickes selbst abgestoßen (veluti acies ipsa reverberata repellitur), und so haben wir nur ein vergängliches Denken von etwas Unvergänglichem« 373 . Aber das heißt nicht, dass das dort Betrachtete verloren geht. Man kann es in der memoria bewahren, »damit es einen Ort gibt, zu dem das Denken, welches hinüberzugehen gezwungen wurde, zurückkehren kann« 374 . Dieses Hinübergehen (transire), zu welchem man gezwungen wird, kann man als einen Hinweis auf den Dimensionswechsel zwischen scientia und sapientia deuten. Auch in der Dimension des Zeitlichen kann man also auf das in der Schau Erlebte zurückkommen, darüber reiflich nachdenken (quodam modo ruminare) und es so in eine Disziplin verwandeln (in disciplinam traicere) 375 . Kurz vor371 Auf diesen Zusammenhang zwischen scientia, Handlung und Glaube komme ich zurück im Kap. 3, II, C, 3: »Glaube, Handlung und necessitas«. 372 trin. XII, 14, 23. sic intelligibilia praesto sunt mentis aspectibus sicut ista in locis visibilia vel contrectabilia corporis sensibus. 373 trin. XII, 14, 23. 374 trin. XII, 14, 23. quae tamen cogitatio transiens per disciplinas quibus eruditur animus, memoriae commendatur ut sit quo redire possit, quae cogitur inde transire. 375 trin. XII, 14, 23. quod inde rapuerit etsi transiens mentis aspectus et quasi glutiens in ventre ita in memoria reposuerit, poterit recordando quodam modo ruminare et in disciplinam quod sic didicerit traicere. Vgl. auch en. Ps. 141, 1 zum ruminare als Eigenschaft des Weisen.

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her hat Augustin disciplina und scientia als austauschbare Synonyme verwendet 376 , und im Buch XIV wird er sie ausdrücklich für Synonyme erklären 377 . Das von der sapientia Betrachtete wird also in der memoria bewahrt und nach dem reifen Überlegen in eine scientia (= disciplina) verwandelt. In diesem zweiten Sinn ist scientia Systematisierung der sapientia. Etwas ähnliches gilt auch in anderen Bereichen: Wenn Augustin z. B. die Vision von Ostia beschreibt, sagt er, dass er und seine Mutter mit dem Geist die Weisheit lediglich berührt haben (attingimus) 378 . In dem hier genannten Fall wird man ferner leicht an den Aufstieg aus der platonischen Höhle erinnert. Auch dort wird der Anblick der Sonne als etwas für die Augen Schmerzhaftes verstanden 379 . Und obwohl Platon, im Unterschied zu Augustin, eine Gewöhnung des Auges an das Ewige für möglich zu halten scheint, wird auch bei ihm der Philosoph zurück zur Höhle gezwungen 380 . Dieser Zwang wird aber weder bei Platon noch bei Augustin als ein Verlust des Betrachteten (sapientia) verstanden, sondern vielmehr wird dadurch eine Festigung desselben in der empirischen, vergänglichen Wirklichkeit bewirkt – bei Augustin auch als eine Festigung in eine zweite Form des Wissens zu verstehen. Die scientia ist also vor allem als praktisches Wissen zu verstehen, diese praktische Funktion hat sie aber erst dadurch inne, dass sie sowohl cognitio historica als auch Systematisierung und Festigung des in der sapientia Betrachteten ist, sich also in zwei Richtungen theoretisch verhält. Die aus dieser doppelten Durchsichtigkeit entstandene scientia werden wir jetzt durch ihre Verbindung zur Tugend in ihrer praktischen Funktion zu verstehen versuchen. b) Scientia, Tugend und Liebe Man kann zunächst feststellen, dass sich Augustins Entwicklung aus einem einheitlichen Begriff der Weisheit zur Lehre über scientia und sapientia auch in diesem Punkt deutlich verfolgen lässt. Während er nämlich in de libero arbitrio schreibt, dass die Tugenden zur sapientrin. XII, 14, 22 scientia sive disciplina. trin. XIV, 1, 1. disciplina, quae utique a discendo nomen accepit, unde et scientia dici potest. 378 conf. IX, 10, 24. attingimus eam modice toto ictu cordis. 379 rep. 515e-516a. 380 Die Möglichkeit der Gewöhnung wird in rep. 516a–b erwogen, der erzwungene Abstieg in rep. 519d. Zu Augustins Entwicklung in Bezug auf die Möglichkeit einer habituellen Schau vgl. infra Kap. 3, II, D, 2: »Die Möglichkeit der Gottesschau«. 376 377

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tia gehören, werden sie in de Trinitate in Bezug auf die scientia gebracht 381 . Mit welcher Terminologie auch immer steht aber fest, dass er seit seinen frühesten Werken an eine enge Verbindung zwischen Weisheit und Tugend denkt, eine Verbindung die aber am Anfang so vage wie der frühe Weisheitsbegriff selbst ist. So wird in de beata vita die Weisheit als plenitudo gekennzeichnet; aber nicht als irgendeine Fülle, sondern als Fülle der Tugenden 382 . Dadurch werden wir vor ein Problem gestellt, das Augustin für lange Zeit beschäftigen wird: Die Einheit der Tugenden und die Weise, wie diese Einheit gewährleistet wird. An irgendeiner Form der Einheit der Tugenden wird er seine ganze philosophische Produktion hindurch festhalten, aber die Weise der Zugehörigkeit der Tugenden zum Wissen wird allmählich präzisiert werden. Eine reife Erklärung seiner Position zu diesem Thema gibt uns Augustin in einem Brief an Hieronymus, dem Brief 167 aus dem Jahr 415 383 . Es geht in diesem Brief um die Deutung eines Textes des Jakobusbriefes: »Wer das ganze Gesetz hält und nur gegen ein einziges Gebot verstößt, der hat gegen alle verfehlt« (Jak 2, 10). Der Text muss so gedeutet werden, dass nicht die absurde Meinung folgt, dass wenn jemand stiehlt, er sofort auch für einen Ehebrecher und Mörder gehalten wird. Um eine solche Deutung zu vermeiden, greift Augustin zur philosophischen Diskussion über die Einheit der Tugenden. Das Festhalten an der Untrennbarkeit (inseparabilitas), schreibt er, ist Gemeingut der ganzen philosophischen Tradition: Alle die glauben, dass Tugend notwendig für die Lebensführung ist, glauben auch an die Untrennbarkeit der Tugenden, was den Text des Jakobusbriefes zu unterstützen scheint. Nur die Stoiker halten aber an der Parallelaussage fest, dass alle Laster gleich sind, welches der erwähnten absurden Deutung des Jakobusbriefes nahe zu kommen scheint 384 . Augustin wird sich um den Nachweis bemühen, dass man lib. arb. II, 10, 29. sed sane quaero utrum haec tibi videantur ad sapientiam pertinere. Vgl. trin. XII, 14, 22. ad eam pertinet scientiam. 382 beata v. 4, 30–33. Die Einheit der Tugenden wird auch in lib. arb. I, 13, 27 und II, 10, 29 vertreten. 383 Vgl. zu diesem Brief Langan (1979). Allgemeine Darstellung der augustinischen Tugendlehre bei Hök (1960) und m. E. zutreffender bei Horn (1999). 384 ep. 167, 2, 4. nam illud de inseparabilitate virtutum, etsi fortisan fallor, tamen, si verum memini, quod vix memini, omnibus philosophis placuit, qui easdem virtutes agendae vitae necessarias esse dixerunt. Hoc autem de parilitate peccatorum soli Stoici ausi sunt disputare contra omnem sensum generis humani. 381

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an dem Gemeingut der Tradition festhalten und gleichzeitig die stoische Position verwerfen kann 385 . Es ist wichtig, den Angelpunkt von Augustins antistoischer Polemik zu verstehen: Er will versichern, dass es, trotz des Festhaltens an der Untrennbarkeit der Tugenden, moralischen Fortschritt und Rückschritt geben kann. So wird Augustin in dieser Diskussion über die Einheit der Tugenden auch betonen, dass diese untrennbar vorkommenden Tugenden in einer Person unterschiedlich ausgeprägt sein können: Die These der Untrennbarkeit der Tugenden will nur besagen, dass sie gegenseitig bedingt sind, nicht dass sie im vollkommenen Maß besetzt werden müssen 386 . Wegen dieser Sorge um die Möglichkeit moralischen Fortschritts, ist auch die Ablehnung der strengen stoischen Trennung von Weisen und Toren, an der Augustin selbst früher festgehalten hat, Teil der Diskussion 387 . Nach einem stoischen Bild, welches Augustin kritisiert, ist Weisheit gleich Luft und Torheit gleich Wasser, sodass wie wenig Wasser man auch immer über dem Kopf hat, man unter allen Umständen ertrinken wird. Es gibt nur einen entscheidenden Unterschied im Leben: Den Kopf über oder unter Wasser zu haben, ein Weiser oder ein Tor zu sein. Dem stellt Augustin ein anderes Bild entgegen, welches genauer die Natur der Weisheit darstellen soll: Nicht Luft und Wasser, sondern Licht und Dunkelheit – ein Bild, das natürlich sowohl christliche als auch platonische Tradition hat. Der Mensch ist wie in einer Höhle, er kann sich dem Ausweg nähern und wird so immer mehr Licht sehen, oder auch zurücktreten und immer mehr im Dunkeln sein 388 . Die kritisierte These der Gleichheit der Laster und die damit zusammenhängende strenge Trennung von Toren und Weisen hängt ferner mit der Identität von Tugend und Wissen zusammen, von der sich Augustin folglich auch entfernen muss 389. Ein erster Versuch in diese Richtung findet man in de moribus. Dort stellt Augustin näm385 Nicht wie bei Verbeke (1958:71), nach welchem Augustin hier die Einheit der Tugenden verwirft. 386 ep. 167, 4, 17. Man könnte vermuten, dass Augustin in dieser stoischen Position jetzt eine Analogie zum Manichäismus erkennt, wo er auch keine Möglichkeit für geistigen Fortschritt sieht (vgl. dazu mor. II, 11, 22). 387 Vgl. z. B. beata v. 3, 28; lib. arb. II, 15, 40 und util. cred. 12, 27. 388 ep. 167, 3, 12–13. 389 Der Zusammenhang zwischen den zwei Lehren kommt deutlich bei Augustin selbst in de utilitate credendi zum Ausdruck, wo er in demselben Absatz beides gelehrt hat: 12, 27. Nam nemini dubium est omnes homines aut stultos aut sapientes esse […]. porro recta ratio est ipsa virtus.

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lich die These auf, dass alle Tugenden Ausdruck für dasselbe sind. Seine Position ist, dass Tugend immer Liebe ist, aber auf verschiedene Gegenstände gerichtet, »sodass Besonnenheit eine Liebe ist, die sich gänzlich ihrem Gegenstand gibt, Tapferkeit Liebe, die wegen des Geliebten alles leicht aushält, Gerechtigkeit eine Liebe, die nur dem Geliebten dient und dessentwegen aufrichtig Herrschaft ausübt, und Klugheit eine Liebe, die scharfsinnig die Mittel, um Hindernisse zu vermeiden, auswählt« 390 . Dies erinnert natürlich an die stoische Erklärung der Tugenden als Formen der einen phronêsis 391, die sich in verschiedenen Bereichen ausdrückt. Nur dass wir jetzt amor statt phronêsis haben, in einer sonst fast wortwörtlichen Wiederholung der stoischen Erklärung der Tugend. Wendet man sich an Aristoteles, so hält er auch an der Einheit der eigentlichen Tugenden fest: Dass eine Tugend alleine vorkommt, kann bei der »natürlichen Tugend« möglich sein, aber nicht bei der ethischen Tugend, da diese an die phronêsis, die selbst eine ist, gebunden ist 392 . Augustin schreibt aber genau so knapp wie Aristoteles; so wie dieser die Einheit durch die Verbindung mit phronêsis geleistet sieht, liegt für Augustin das Bindeglied in der Gottesliebe 393. Wie ist aber dann die Verbindung zwischen Wissen (phronêsis oder augustinischer scientia) und Gottesliebe zu denken? Die Gottesliebe kann selbstverständlich nicht das Wissen einfach ersetzen in dem Sinn, dass sie es überflüssig macht 394 . Amor ist eine rationale Tendenz, und Augustin wird folglich die Tugend weiterhin durch ihre Teilhabe an der Vernunft definieren – auch in der Zeit nach de moribus, also nach der Beschreibung der Tugenden als Formen der Liebe. Er wird sich aber vorsichtiger ausdrücken, um diese Identität von Tugend und Wissen zu vermeiden, denn Identität gibt es lediglich zwischen Tugend und Gottesliebe. So wird er in de Trinitate nicht von Identität, sondern nur von Notwendigkeit des Wissens für den mor. I, 15, 25. namque illud quod quadripartita dicitur virtus, ex ipsius amoris vario quodam affectu, quantum intellego, dicitur. Itaque illas quatuor virtutes […] sic etiam definire non dubitem, ut temperantia sit amor integrum se praebens ei quod amatur; fortitudo, amor facile tolerans omnia propter quod amatur; iustitia, amor soli amato serviens, et propterea recte dominans; prudentia, amor ea quibus adiuvatur ab eis quibus impeditur, sagaciter seligens. 391 SVF I, 201. Vgl. supra III, A: »Die Einheit des hêgemonikon«. 392 NE VI 13, 1144b 17 – 1145a 5. Vgl. oben II, C. 393 Für einen allgemeineren Vergleich mit Aristoteles’ Tugendlehre, vgl. Davis (1987). 394 So etwa die Deutung Höks (1960:118–129). 390

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Besitz von Tugenden schreiben: »Ohne scientia wird man nicht einmal die Tugenden haben, mit denen man gerecht leben kann und durch welche dieses elende Leben so regiert wird, dass wir zum wirklich glücklichen ewigen Leben gelangen« 395 . Die menschliche Handlung ist als Integration dieser verschiedenen Elemente zu verstehen: Die Gottesliebe brauchen wir als Grund aller Tugenden, durch dessen Verletzung sie alle verloren gehen, die scientia dagegen als etwas, das die Tugend notwendigerweise begleitet, aber nicht ihr Grund ist. Neben ihnen kommt auch der richtige Affekt hinzu, was ihn weiter von der stoischen Position entfernt 396 . Diese Identifizierung der Tugenden mit Liebe statt mit Wissen wird eine wichtige Rolle in der Diskussion über die Untrennbarkeit der Tugenden spielen. Die Einheit der Tugenden scheint prima facie schwer zu verteidigen zu sein, da manche z. B. tapfer aber nicht gerecht sind. Catilina scheint z. B. tapfer gewesen zu sein, da er Hunger, Durst und Kälte aushalten konnte; diese Tapferkeit war aber weder mit Klugheit noch Besonnenheit verbunden, da er nicht das Gute suchte 397 . Das lässt sich aber durch Scheintugenden erklären: Wenn jemand Klugheit ohne Gerechtigkeit oder Besonnenheit besitzt, ist es eigentlich nicht Klugheit, sondern Schlauheit, die der Klugheit ähnlich sein kann, aber keine eigentliche Tugend ist 398 . Wenn es aber um echte Tugenden geht, sind sie gegenseitig bedingt: »So kann es keine Gerechtigkeit geben, wenn sie nicht klug, tapfer und besonnen ist. Sodass dort, wo es irgendwelche von diesen in Wahrheit gibt, auch die anderen vorkommen werden; wo aber die anderen abwesend sind, gibt es dort keine wahre, obwohl sie gleich zu sein scheint« 399 . Gerade die Liebe ist es aber, die Tugend und Scheintugend unterscheidet. Augustin schreibt, dass nicht das, was zu tun ist (officium) darüber entscheidet, ob etwas Tugend oder Scheintugend ist, sonder erst das Endziel 400 . Mit dieser Betonung des Zieles als das entscheidende trin. XII, 14, 21. Im Bezug auf die Rolle der passiones vgl. Augustins Kritik der Stoa in civ. IX, 5. 397 ep. 167, 2, 7. 398 ep. 167, 2, 6. sunt autem quaedam tantum, quia vitia sunt, ideo contraria, quadam tamen specie fallaci similia, ut eidem prudentiae non inprudentia, sed astutia. 399 ep. 167, 2, 5. ita ubi vera est aliqua earum, et aliae similiter sunt; ubi autem aliae desunt, vera illa non est, etiamsi aliquo modo similis esse videatur. Diese Lehre der Einheit der Tugenden bleibt auch später bestehen. Vgl. trin. VI, 4, 6. 400 c. Iul. IV, 3, 21. non officiis, sed finibus a vitiis discernendas esse virtutes. officium est autem quod faciendum est: finis vero propter quod faciendum est. 395 396

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Merkmal der Tugend meint er aber natürlich nicht die bloße Berufung auf ein gutes Vorhaben, sondern die zugrundeliegende Gottesliebe 401 . Und diese durch die Gottesliebe geleistete Untrennbarkeit der Tugenden gibt Augustin die Möglichkeit, den Text des Jakobusbriefes zu verteidigen: Wer gegen ein Gebot verstößt, hat gegen alle verstoßen, weil jedes Gebot auf die Liebe gegründet ist. Es wird so immer gegen die Liebe, Grund von allen Tugenden, verstoßen. Mit Recht wird es so gesagt, dass man sich aller Laster schuldig gemacht hat 402 . So kann Augustin behaupten, dass er die für sein antistoisches Anliegen notwendige Unterscheidung gefunden hat: Es wird in jeder Sünde gegen das ganze Gesetz verstoßen, aber das ist nicht mit einer materiellen Identität oder Gleichheit der Laster synonym. Dabei hat er aber höchstwahrscheinlich die stoische Position gar nicht verstanden, denn auch diese geht ja nicht von einer materiellen Gleichheit der Laster aus, sondern davon, dass jedes Laster gleich ist, in dem Sinn, dass in jedem Laster gegen den Grund der Tugend, die Vernunft, verstoßen wird, und alle Laster auf dieser Ebene – der fundamentalen Ebene – gleich sind. Mit seinem Brief an Hieronymus wiederholt Augustin in diesem Punkt die stoische Position, aber den Grund der Tugend ändernd: amor statt phronêsis. Wird der Grund verletzt, ist alles verletzt worden. Obgleich er aber seine Argumentation gegen die Stoa in dieser Hinsicht kaum zutreffend geführt hat, hat er durch diese Erklärung an Hieronymus Klarheit in anderen Punkten erreicht, indem er seine eigene Position in Bezug auf die Beziehung zwischen Liebe, Wissen und Tugend erreicht hat: In dem stoischen Schema von Tugenden als Formen von phronêsis, ist diese durch Liebe ersetzt worden; es ist diese als Liebe verstandene Ausrichtung auf das Endziel, die die Einheit der Tugenden gewährleistet. Augustin entfernt sich dadurch von der Stoa, kommt aber der aristotelischen Position näher, indem die Vernunft nicht mit der Tugend gleich ist, aber für diese notwendig ist, sich von dieser aristotelischen Position lediglich darin unterscheidend, dass die Vernunft nicht die Einheit der Tugenden leistet, sondern erst die Gottesliebe. Welche die genaue Beziehung zwischen Liebe und Wissen in diesem Schema ist,

401 en. Ps. 118, 12, 2. officium quippe nostrum, non officio, sed fine pensandum est. […] non ergo sit finis boni operis in laudibus hominum, sed ipsas laudes hominum corrigamus, et ad Dei laudes omnia referamus. 402 ep. 167, 5, 16.

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Die Position Augustins

müssen wir in einem letzten Schritt darlegen, der uns zurück zum Verhältnis zwischen scientia und sapientia führen wird. c) Die scientia bläht auf Wir haben gesehen, dass sowohl Gottesliebe als auch Wissen die Tugend begleiten. Dabei haben wir aber nur die jeweilige Beziehung von Liebe und scientia zur Tugend erläutert, die Liebe als Grund, die scientia lediglich als Begleiterin der Tugend. Wir sind aber noch nicht auf die Beziehung zwischen Liebe und scientia selbst eingegangen. Diese ist nun nicht unproblematisch, denn Augustin kennt 1. Kor 8, 1, »die scientia bläht auf (inflat), aber die Liebe erbaut«, ein paulinischer Text, der nicht nur die Liebe vorzieht, sondern die Liebe gerade im Gegensatz zur scientia zu loben scheint. Augustin wird in mehreren Texten dies zu klären versuchen: Den paulinischen Text immer zitierend, wird er darauf hinweisen, dass die scientia, die aufbläht, nur die scientia ohne Liebe sein kann 403 . Mit Liebe bläht sie nicht auf 404 . Augustin geht in anderen Texten noch einen Schritt weiter und stellt fest, dass nicht nur die scientia durch die caritas verteidigt wird, sondern auch umgekehrt die scientia die caritas vorbereiten und stärken kann: »Mit Liebe bläht die scientia nicht nur nicht auf, sondern sie stärkt« 405 . Mehr noch, die scientia kann explizit dazu gebraucht werden, um die Liebe vorzubereiten 406 . Alle diese Texte sind aber vor der Zeit geschrieben, in der Augustin zwischen scientia und sapientia unterscheidet. Sobald Augustin diese Unterscheidung macht, wird sich die gegenseitige Beziehung zwischen Liebe und scientia mit der Beziehung zwischen sapientia und scientia decken: Die Liebe wird immer noch die scientia vor dem Aufblasen bewahren, aber nicht irgendeine Liebe, sondern diejenige, die Bestandteil der sapientia ist, und so auch Teil einer Erkenntnis ist. 403 Der Etymologie des Chratylos (398b) folgend wird er z. B. den Ursprung des Wortes »daemones« in der scientia sehen: Es ist folglich die dämonische Erkenntnis, ohne Liebe, die aufbläht. civ. IX, 20. 404 civ. IX, 20. scientiam tunc prodesse, cum caritas inest. Io. ev. tr. 27, 5. Adde ergo scientiae caritatem, et utilis erit scientia. gr. et pecc. or. I, 26, 27. tunc scientia non inflat, quando caritas aedificat. ep. 167, 3, 11. huic [sc. caritati] subservit scientia, cum est utilis; nam sine illa inflat; quod vero illa aedificando impleverit, nihil ibi ista inane, quod inflet, inveniet. Vgl. auch s. 354, 6, 6. 405 c. Faust. XV, 8. cum caritate non solum non inflat scientia, sed etiam firmat. 406 ep. 55, 21, 39. sic itaque adhibeatur scientia tamquam machina quaedam, per quam structura caritatis adsurgat. Vgl. auch spir. et litt. 36, 64. quanto maior notitia tanto erit maior dilectio.

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Die aufblähende Erkenntnis ist dann die von der sapientia und der ihr eigentümlichen Liebe losgelöste scientia 407 . Eine scientia, die an der sapientia und ihrer Liebe der göttlichen Dinge festhält, bläht nicht auf, sondern sie hat ihren richtigen modus: »Auch die scientia hat einen guten Modus, wenn das, was in ihr aufbläht oder aufblähen kann, durch die Liebe der göttlichen Dinge besiegt wird« 408 . Eine aufgeblasene scientia ist eine, die ihre Abhängigkeit von dieser sapientia und ihre Liebe nicht erkennt. Dies zeigt wiederum, wie stark diese differenzierten scientia und sapientia eigentlich bei Augustin wieder vereinigt werden 409 . Andererseits lässt sich so erklären, dass nur die scientia als mögliches Opfer einer Entartung betrachtet wird. Eine solche Entartung wird nie als eine Möglichkeit für die sapientia vorgeschlagen. Sie wird nie inflata sein, weil sie dann nicht mehr sapientia sein würde – sie hätte dann die ihr eigentümliche Liebe zu den ewigen Dingen verloren; die scientia kann aber wohl aufgeblasen sein, und dennoch als scientia weiter bestehen. Augustin ist seiner Bemerkung über die lateinische Sprache in De Genesi ad litteram gefolgt: Man kann nicht von Weisheit im Bösen sprechen. Die sapientia ist nicht nur eine Wissensform, sondern sie ist auch eine Tugend und hat folglich das Charakteristikum einer Tugend, dass sie nicht missbraucht werden kann. Die scientia hat dagegen nicht diese Eigenschaft der Tugenden: Sie kann missbraucht werden, sie kann sich entarten. Sie ist eine Wissensform, die gewiss einen guten Modus haben kann, aber sie ist nicht dieser Modus. Sie ist für die Tugenden notwendig, aber im trin. XII, 11, 16. cum enim neglecta caritate sapientiae quae semper eodem modo manet concupiscitur scientia ex mutabilium temporaliumque experimento, inflat non aedificat. 408 trin. XII, 14, 21. habet enim et scientia modum suum bonum si quod in ea inflat vel inflare assolet aeternorum caritate vincatur, quae non inflat sed, ut scimus, aedificat. 409 Diese Beziehung zwischen Tugend und Liebe, in der scientia und sapientia mit einbegriffen sind, gipfelt in der Tat in einer Lehre, die wie kein anderer Punkt zeigt, wie stark Augustin die Wissensformen wieder vereinigt: Augustins Lehre von den sog. vitia splendida, nach welcher die Tugenden der Heiden keine echte Tugenden sind, da ihnen die Gottesliebe als Grund fehlt und sie deswegen gerade als inflatae beschrieben werden. Vgl. civ. XIX, 25. Das Gegenteil von dieser Auffassung findet man im Pelagianismus, der, Augustins Darstellung desselben zufolge, Liebe und Wissen so trennt, dass die scientia von Gott kommt, die Liebe aber (die die Erfüllung des Gesetzes möglich macht) von uns. Dadurch wird aber Gott dasjenige zugeschrieben, was aufbläht, uns aber das, was aufbaut! gr. et lib. arb. 19, 40. Quid est amentius, et ab ipsa sanctitate caritatis alienius, quam confiteri ex Deo esse scientiam, quae sine caritate inflat, et ex nobis esse caritatem, quae facit ut scientia inflare non possit? Vgl. auch gr. et pecc. or. I, 26, 27. 407

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Die Position Augustins

Unterschied zur sapientia ist sie nicht selbst eine Tugend 410 . Weil sie selbst keine Tugend ist, muss sie – im Gegensatz zur aristotelischen Unabhängigkeit der phronêsis in Bezug auf sophia – zusammen mit der sapientia vorkommen. 5. Zusammenfassung der Position Augustins Die scientia ist nach Augustin, wenn sie nicht in einer entarteten Form erscheint, nicht nur gleich mit der Erkenntnis der zeitlichen Dinge, sondern auch mit der Herstellung der richtigen Beziehung zu diesen zeitlichen Dingen: ihre richtige Einordnung in der Seinshierarchie und in unserem Tun. So wird die scientia auch usus rationalis oder scientia actionis genannt 411 . Die Tatsache, dass sie ferner notwendige Begleiterin der Tugend ist, soll klar machen, dass mit scientia nicht eine praktische Philosophie gemeint ist (die ja für das Handeln entbehrlich sein könnte), sondern ein praktisches Wissen 412 . Das Entscheidende, soll ein Fall des Wissens als scientia eingeordnet werden, ist andererseits nicht nur, dass der Gegenstand etwas Zeitliches sei, sondern dass er sich in die Beziehung zum Ewigen integrieren lässt. Wegen dieses Verhältnisses zum Ewigen kann die scientia ihre praktische Funktion nur erfüllen, wenn sie sich einerseits auf betrachtende Weise gegenüber den Inhalten der sapientia, die in der memoria bewahrt sind, verhält, andererseits, indem sie auch als cognitio historica für andere »theoretische« Erkenntnisse offen ist, die aus der menschlichen Geschichte zu entnehmen sind 413 . Das heißt, sie kann handlungsleitend sein, wenn sie nicht durch ihren zeitlichen Gegenstand absorbiert wird, sondern in zweifacher Richtung, im Hinblick auf die sapientia und auf die (Heils-)Geschichte, ein durchsichtiges Wissen bleibt. Ein zweifaches Filter bewahrt so die scientia von der Zerstreuung. Die sapientia dagegen ist ein primär betrachtendes Wissen, das sich aber in ihrem Verhältnis zur scientia aktiv verhält. Sie leitet zwar selbst nicht die Handlung, übt aber wohl eine Ein Einfluss des Laktanz scheint nicht unwahrscheinlich zu sein, der auch scientia als Wissen von Gut und Böse versteht, aber erst sapientia als Tugend versteht. Vgl. div. inst. III, 8. 411 trin. XIII, 1, 4 und trin. XII, 12, 17. 412 Gemäß der Unterscheidung, die wir in der Einleitung, 1, gemacht haben. 413 trin. XII, 14, 22. quidquid propter exempla vel cavenda vel imitanda et propter quarumque rerum quae nostris adcommodata sunt usibus necessaria documenta historica cognitione colligimus. 410

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Leitungsfunktion gegenüber der scientia aus. Auch dies geschieht in einem zweifachen Sinn: Einerseits, indem sie die Funktion des Gewissens einnimmt und die für die Handlung notwendige Zustimmung erteilt, andererseits indem sie durch die ihr eigentümliche Liebe der ewigen Dinge – d. h. in ihrer eigenen Funktion beharrend –, der scientia ihren richtigen modus gibt. Die primär betrachtende sapientia verhält sich also aktiv gegenüber der scientia, und diese primär handlungsleitende scientia verhält sich betrachtend gegenüber der sapientia. Es sind zwei Wissensformen, aber nicht die eine lediglich praktisch und die andere lediglich theoretisch, wie die aristotelische phronêsis und sophia, sondern beide mit theoretischen und praktischen Bestandteilen. Dieselbe Lösung, die wir hier in Bezug auf die Wissensformen sehen, hatte Augustin früher, als er immer noch an einem einheitlichen Weisheitsbegriff festhielt, in Bezug auf seine Klassifikation der Wissenschaften, insbesondere das Verhältnis zwischen Trivium und Quadrivium, erreicht, wie wir in Bezug auf de ordine gesehen haben 414 . Besser als die gesamte heutige Sekundärliteratur scheint dieses Verhältnis zwischen scientia und sapientia Thomas von Aquin verstanden zu haben, der zwar anfangs scientia mit praktischer und sapientia mit spekulativer Vernunft in Verbindung setzte 415 , in einem späteren Text aber schreibt, dass sowohl sapientia als auch scientia als spekulativ und praktisch bezeichnet werden müssen 416 . Vergleichen wir jetzt mit den uns bekannten antiken Autoren, so kann man mit Klarheit sehen, dass wir nicht vor einer einfachen Wiederholung irgendeiner dieser Positionen stehen. Dass Augustin mit seiner ganzen Philosophie eine Position vertritt, die man als Platonismus oder Neuplatonismus betrachten kann, steht gewiss fest. Aber die Frage ist, welche Art von Platonismus, mit welchen spezifischen Zügen. Es gehört zum Wesen der platonischen Position, dass die Erkenntnis von dem, was für die Menschen gut ist, nur durch die Betrachtung des Ewigen möglich ist. Eine Unterscheidung zwischen Vgl. supra IV, B, 1: »Die Wissenschaftseinteilung von de ordine«. S. Th. I-II, q.68, a.4. ad recte autem iudicandum, speculativa [ratio] quidem per sapientiam, practica vero per scientiam perficitur. 416 S. Th. II-II, q.8, a.6. diligenter intuenti, donum intellectus non solum se habet circa speculanda, sed etiam circa operanda, ut dictum est: et similiter etiam donum scientiae circa utrumque se habet. Dass beide Wissensformen diese zwei Seiten haben, kommt in der neueren Literatur nur bei Brachtendorf (2000:199–202) zum Ausdruck. 414 415

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Die Position Augustins

verschiedenen intellektuellen habitus um Ewiges und Zeitliches zu erkennen, ist in diesem Schema nicht notwendig. In den frühesten Dialogen Augustins begegnete uns ein solcher Wissensbegriff, in dem diese Einheit des Theoretischen und des Praktischen streng betont wurde, wo alles unter den Begriff der sapientia fallen konnte. Augustin bleibt auch dieser Tradition lange Zeit treu: Wir haben die Definition der Weisheit als ein »Wissen von göttlichen und menschlichen Dingen« als etwas für Platonismus und Stoa gemeinsames gesehen, welches als ein Zeugnis für das (trotz aller Unterschiede) für diese Schulen gemeinsame einheitliche Weisheitsverständnis verstanden werden kann; mit seinem programmatischen Satz Deum et animam scire cupio 417 – der als eine persönliche Variante dieser Definition angesehen werden kann – hat Augustin seine Zugehörigkeit zu dieser Tradition zum Ausdruck gebracht. Die spätere Entwicklung, auf die wir uns besonders konzentriert haben, gibt aber ein viel differenzierteres Bild. Manche Aussagen Augustins in de Trinitate weisen auf eine so strenge Unterscheidung zwischen scientia und sapientia hin, wie die aristotelische zwischen phronêsis und sophia. Vergleicht man Augustin mit anderen christlichen Platonikern, wie Eusebius oder Klemens 418, kann man deutlich sehen, wie weit sich Augustin von ihrer Position – früher seine eigene – entfernt hat. Augustin selbst deutet diese Wandlung in seinem Denken als eine Präzisierung der genannten Definition der Weisheit. In de Trinitate wird Augustin seiner Unterscheidung zwischen scientia und sapientia folgend, die stoische Definition in ihre Bestandteile zerlegen, sodass es sapientia über göttliche Dinge und scientia über menschliche Dinge gibt 419 . Aber dies bedeutet gewiss nicht einen Übergang zu einer völlig aristotelischen Position mit stoischer Terminologie. Es bleibt immer noch die Tatsache bestehen, dass Augustin das an sich Gute und das Gute für die Menschen nicht wie Aristoteles unterscheidet 420 . Die Erkenntnisse, die die scientia bilden, sind, wie wir gesehen haben, nicht Kenntnisse, die die scientia in völliger Unabhängigkeit von der sapientia gewinnt, sondern teilweise Ergebnis einer Reflektion über das in der sapientia Erlebte. Es kann hier also, sol. I, 2, 7. Vgl. supra I, B: »Einheit«. 419 trin. XIV, 1, 3. ista definitio dividenda est ut rerum divinarum scientia sapientia proprie nuncupetur, humanarum autem proprie scientiae nomen obtineat. 420 Deutlichstes Zeugnis in mor. I, 5, 7 – 7, 12. 417 418

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im Unterschied zu Aristoteles, keine Rede von zwei voneinander unabhängigen Wissensformen oder Gebieten der Philosophie sein. Auch für die sapientia bleibt ja im ganzen die Forderung einer Reinigung der Seele, also einer praktischen Einübung, erhalten. Den Unterschied zwischen Augustin und Aristoteles kann man durch zwei beiläufige Bemerkungen von beiden verdeutlichen: In der Nikomachischen Ethik schreibt Aristoteles, dass auch die Eintracht (homonoia) eine Art von Freundschaft ist, aber dass sie nicht mit bloßer Gleichheit der Ansichten verwechselt werden darf, denn die homonoia ist nicht die Übereinstimmung in etwas Beliebigem, etwa in Bezug auf die Himmelskörper, sondern die Übereinstimmung in praktischen Dingen 421 . Augustin wird dagegen, Cicero zitierend, die Freundschaft als eine Übereinstimmung in menschlichen und göttlichen Dingen bezeichnen 422 . Man kann eine scientia des Menschlichen von einer sapientia des Göttlichen unterscheiden: Aber Übereinstimmung in beiden ist erforderlich für Freundschaft. Die zwei Wissensformen werden also bei Augustin, im Unterschied zu Platon, unterschieden, aber sie stehen, im Unterschied zu Aristoteles, in enger wechselseitiger Beziehung, sodass man die Position Augustins hier als einen Mittelweg zwischen der platonischen und der aristotelischen Lösung sehen kann. Dieser Mittelweg ist aber ein Mittelweg, der sich nicht nur im Kreis der antiken Philosophie bewegt. Genau dort, wo Augustin zwischen sapientia als Wissen über Göttliches von scientia als Wissen über Menschliches unterscheidet, fügt er unmittelbar hinzu, dass er beides in Christus findet 423 . Bei Paulus hat Augustin gelernt, sowohl einen sermo scientiae von einem sermo sapientiae zu unterscheiden (1. Kor 12, 8), als auch beide in Christus, »in welchem alle Schätze der sapientia und der scientia verborgen sind« (Kol 2, 3) zu vereinigen. So schreibt Augustin, nachdem er die leitenden Aspekte seiner Unterscheidung zwischen scientia und sapientia vorgetragen hat: Christus ist unsere scientia und derselbe Christus ist auch unsere sapientia. Er bringt uns den Glauben über zeitliche Dinge bei; er zeigt die Wahrheit der

NE IX 6, 1167a 22–28. ep. 258, 1. amicitia est rerum humanarum et divinarum cum benevolentia et caritate consensio. Cic. Lael. 6, 20. 423 trin. XIII, 19, 24. si ita inter se distant haec duo ut sapientia divinis, scientia humanis attributa sit rebus, utrumque agnosco in Christo. 421 422

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Die Position Augustins

ewigen Dinge. Durch Ihn gehen wir zu Ihm, durch die scientia zielen wir auf die sapientia ab. 424

Es geht in diesem Text nicht um unsere Wissensformen, sondern um Christus selbst als denjenigen, der uns zur scientia und sapientia führt. Er bringt uns zugleich ein Wissen über Zeitliches bei und zeigt das Ewige. Er ist der Ewige, und die Erkenntnis über seine Taten auf Erden ist das heilsbringende Wissen. Deswegen gehen wir durch Ihn zu Ihm 425 . Wenn wir aber in diesem Sinn über Christus als unsere scientia und sapientia sprechen, weist diese Unterscheidung nicht auf eine so starke Trennung wie bei uns hin. Während Augustin über Christus als unsere sapientia und scientia schreibt, kann er gleichzeitig über ihre Unterscheidung bei den Menschen und ihre vollkommene Einheit in Gott sprechen, sodass die abgestufte Ordnung der Wirklichkeit auch hier zum Ausdruck kommt: »Bei den Menschen ist es üblich zwischen scientia und sapientia zu unterscheiden, wie es der Apostel auch tut; […] Aber bei Gott sind sie keineswegs zwei verschiedene Sachen, sondern eine«, schreibt er 396 an Simplicianus 426. Es ist ferner eine bemerkenswerte Tatsache, dass diese erste Erwähnung einer Unterscheidung zwischen sapientia und scientia gerade in diesem Werk auftaucht, das die erste Version der späteren Sünden- und Gnadenlehre beinhaltet. Was ab 396 geschehen ist, ist eine immer stärkere Betonung der Distanz zwischen den Menschen und Gott, eine Distanz, die nur durch die Gnade überbrückt wird. Diese Distanz drückt sich nicht nur in der starken Prädestinationslehre, die für Ad Simplicianum eigentümlich ist, sondern auch in der Tatsache aus, dass Augustin sonst nirgendwo in seinen früheren Werken die Unzulänglichkeit der Analogie für die Gotteserkenntnis dermaßen betont 427 . Dies hat aber nicht zu einem Bruch mit der antiken philosophischen Tradition geführt noch mit dem spezifisch Platonischen, sondern es entsteht gleichzeitig mit der Entwicklung der Unterscheidung zwischen scientia und sapientia. Die in dieser Schrift 424 trin. XIII, 19, 24. scientia ergo nostra Christus est, sapientia quoque nostra idem Christus est. ipse nobis fidem de rebus temporalibus inserit; ipse de sempiternis exhibet veritatem. per ipsum pergimus ad ipsum, tendimus per scientiam ad sapientiam. 425 Es ist eine bei Augustin übliche Redeweise, vgl. Io. ev. tr. 13, 4 und 69, 2. 426 Simpl. II, 2, 3. in deo autem nimirum non sunt haec duo sed unum. Ähnlich in trin. XV, 7, 13. 427 Besonders in Simpl. II, 2. Im II, 2, 2 schreibt er z. B. cum enim scientia dei longe distet ab humana scientia, ita ut inridenda sit conparatio. Im darauffolgenden Absatz kommt die Unterscheidung zwischen scientia und sapientia.

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vorgestellte Gnadenlehre als einen Wendepunkt zu bezeichnen, mag in gewissen Hinsichten berechtigt sein. Aber die Wende besteht dann nicht darin, dass das Weisheitsideal verschwindet oder auf das ewige Leben beschränkt wird 428 . Die wahre sapientia und Gottesschau wird zwar jetzt auf das Jenseits verschoben. Aber gerade darin kann ein Impuls gesehen werden für die Erarbeitung einer zweiten Weisheitsform, an den Zustand dieses Lebens angepasst, die scientia. So kann man eine Beziehung zwischen dem Bewusstsein der Distanz zwischen Gott und Menschen und der Abkehr von einem einheitlichen Wissensmodell annehmen. Die Entwicklung der späten Gnadenlehre führt nicht zur Abschaffung des antiken Weisheitsideals, sondern zu einer verfeinerten Version desselben. Andererseits ist aber zu betonen, dass Augustin – auch in der Zeit nach Ad Simplicianum – keineswegs ausschließlich die Distanz zwischen Gott und Menschen betont, sondern auch ihre Nähe 429. Indem wir uns jetzt solchen Aspekten von Augustins Weltbild zuwenden, hoffe ich, dass dieses Verhältnis desselben zu der hier dargelegten Lehre von scientia und sapientia deutlicher zutage kommt.

Dies gegen Flasch (1990:37–42). Vgl. in dieser Hinsicht auch die Ausführungen zu conditio humana supra IV, B, 2: »Der Übergang zu de doctrina christiana«. 428 429

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Zweites Kapitel: Gott, Kosmos und menschliche Praxis

I.

Die antiken Positionen

a) Platon Anhand von Arendts Kritik an Augustin haben wir schon auf die Bedeutung hingewiesen, die die Lehren der Philosophen über die Stellung des Menschen im Kosmos für ihre jeweiligen Auffassungen des Theorie-Praxis-Problems haben. Der Wert von theoretischem und praktischem Wissen bzw. Leben wird nicht nur durch unterschiedliche Erkenntnistheorien bestimmt, sondern auch durch verschiedene Lehren über die Stellung des Menschen in Bezug auf die Himmelskörper und Gott, über die Beziehung des Menschen zu den anderen Gütern und über die Frage, ob der Mensch selbst ein würdiger Gegenstand des Philosophierens sei. So kann das einheitliche Wissensideal Platons auch hier erkannt werden: Der Philosoph mag von seinem Nachbarn nichts wissen, »was aber der Mensch sein mag, und was einer solchen Natur, im Unterschied zu anderen, ziemt zu tun und leiden, das untersucht er« 1 . Die Betrachtung dessen, was der Mensch an sich ist, bleibt nicht ohne Wirkung auf das Praktische, sondern die Kenntnis der Ziele der menschlichen Natur geht mit der Erkenntnis dieser Natur einher. Nicht einer aristotelischen phronêsis, die Erkenntnis des Einzelnen ist, wird die Erkenntnis dieser Ziele zugerechnet, sondern sie wird gerade durch Erkenntnis dessen, was der Mensch an sich ist, erreicht. Diese Natur zu kennen heißt aber auch, ihren Ort im Kosmos zu kennen. Denn nur so kann die für die Handlung notwendige Besonnenheit erreicht werden. Der Mensch ist nämlich durch seine Vernunft das hervorragendste Wesen in der sublunarischen Welt, er ist aber nicht das vernünftigste Wesen überhaupt. Auch die Himmelskörper sind nämlich göttlich und vernünftig. Für die platonische 1

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Gott, Kosmos und menschliche Praxis

Position eigentümlich ist nun nicht nur diese hohe Einschätzung der Himmelskörper, die Platon mit den anderen antiken Philosophen teilt, sondern ein besonderes Verhältnis, das der Mensch zu diesen Himmelskörpern hat. In einem wirkungsvollen Text im Timaios, finden wir den Appell, die Bewegungen des Alls nachzuahmen. Es wird nicht eine direkte homoiôsis theô vorgeschlagen, sondern die Angleichung der Kreisläufe der Himmelskörper durch Nachahmung derselben. Dies ist deswegen möglich, weil es unter den Menschen und den Himmelskörpern eine Wesensverwandtschaft gibt. Die Kreisbewegungen des Alls sind mit »dem Göttlichen in uns« – dem höchsten Teil der Seele – verwandt 2 . Die Seele ist also kein autonomes Prinzip, das in sich selbst das Gute ist oder aus sich selbst eine Begründung der Ethik möglich macht. Sie hat zwar etwas Göttliches in sich, muss aber dem noch Göttlicheren angeglichen werden, um dadurch ihr wahres Leben zu erreichen. Die Seele wird also nicht durch irgendein praktisches Wissen geleitet, welches von theoretischer Erkenntnis autonom sein könnte, sondern durch ein »integrales« Wissen 3 . Die platonische Position unterscheidet sich so von der aristotelischen nicht nur durch die Einheit des theoretischen und praktischen Wissens, sondern dadurch, dass sie die Ethik gerade mit der Kosmologie in Verbindung setzt. Eine Seele, die nach einem solchen integralen Wissen strebt, sucht immer nach dem Ganzen und Vollständigen, welches in zwei Bereiche zusammengefasst wird: Göttliches und Menschliches 4. Damit ist nicht eine Unterscheidung zwischen Theoretischem und Praktischem gemeint, sondern auf eine Rangordnung innerhalb dieses Ganzen hingewiesen. Nun sind aber die göttlichen Himmelskörper in dieser Rangordnung auch nicht das Höchste, sondern man muss weiter nach oben zielen. Man erreicht so die Idee des Guten, deren Betrachtung als eine theia theôria bezeichnet wird 5 , auf diese Weise die Theorie und das Göttliche im höchsten Gegenstand der Betrachtung vereiniTim. 90c–d. Zur Rezeption des Timaios in der Stoa vgl. Betegh (2003). Vgl. Ferrari (2004:132): »The ethics of the late Plato is able to repropone some Socratic themes only at a very high price, a substantial de-Socratisation of the theoretical framework into which they are being fitted. The ontological and axiological diversity of the soul-demon with respect to the world fades, because it becomes an integral part of the world’s order. Ethics is not and cannot be an autonomous subject; a ›practical reason‹, independent of the ›theoretical reason‹, does not and cannot exist. The only possible ethics is by force of circumstances an ›integral ethics‹«. 4 rep. 486a. Vgl. auch 475b. 5 rep. 517d. 2 3

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Die antiken Positionen

gend. Auch im Phaidros werden Theorie und Göttlichkeit in Verbindung gesetzt, indem gesagt wird, dass der göttliche Verstand sich von Vernunft und Wissenschaft (nous und epistêmê) nährt. In der Tat nährt sich jede vernünftige Seele davon: Exklusiv für die Götter ist lediglich, dass sie sich von unvermischter Vernunft nähren 6 . Folglich wird die Weisheit schlechthin nur den Göttern zugeschrieben, während Menschen nur Liebhaber oder Freunde dieser Weisheit, also Philosophen, sein können 7 . Diese Verbindung zwischen Theorie und Göttlichkeit sollte aber nicht den Eindruck einer unmittelbaren Nähe des Menschen zum Göttlichen erwecken. Eine solche Nähe und Ähnlichkeit ist zwar Ziel: Der Mensch muss von hier »fliehen«, und dies geschieht durch eine Verähnlichung mit Gott, die in Gerechtigkeit mit Einsicht besteht 8 ; aber der Mensch kann dies nicht durch eine direkte Beziehung zu Gott erreichen. Die Götter verkehren nämlich nicht mit Menschen 9 . In der Nachahmung der Himmelskörper haben wir eine Folge davon gesehen. Die andere Folge wird die Vermittlung durch Dämonen sein, um den Verkehr zwischen Göttern und Menschen möglich zu machen. Beides zeigt, dass trotz der Verwandschaft zwischen Menschen und Göttern, trotz der Möglichkeit der Angleichung, eine Vermittlung notwendig ist, also dass der Mensch unterhalb von den Himmelskörpern und den Dämonen gestellt ist. b) Aristoteles Wenden wir uns Aristoteles zu, so hat er eine nicht nur oft von Platon abweichende Lehre, sondern er stellt für die ganze Antike eine Ausnahme dar, da er die Ethik von der Kosmologie loslöst 10 . Das heißt, er schlägt die Nachahmung der Himmelskörper als Regel und Maß nicht vor. Auch er hält die Himmelskörper für göttlich 11 , aber ihre Nachahmung wird nicht als Grundlage für die Ethik angesehen. Höchstens in den Kreisläufen der Elemente findet man eine solche Nachahmung der himmlischen Bewegungen 12 . Der Mensch ahmt daPhdr. 247c–d. Phdr. 278d. 8 Tht. 176a–b. Vgl. auch rep. 496d–e. Der Gedanke dürfte Augustin durch Enn. I, 2 bekannt sein. 9 Smp. 203a. 10 Vgl. dazu Brague (2003:152). 11 Vgl. Phy. II 4, 196a 32–34 und Cae. II 12, 292b 32. 12 Vgl. Brisson (2004:92), der für solche Nachahmung seitens der Elemente auf GC II 10, 336b 25–337a 7 und met. Q 8, 1050b 28 – 29 verweist. 6 7

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gegen auch nach, aber nicht den Kosmos, sondern den Weisen. Sowohl für die Bestimmung dessen, was die Tugend ist, als auch dessen, was die phronêsis ist, werden wir auf vorbildliche Männer verwiesen 13 . Dementsprechend wird nicht der Mensch schlechthin, aber auch nicht Gott oder der Himmel, sondern der tugendbewährte Mensch (spoudaios) als »Regel und Maß« bezeichnet 14 . Dem entspricht ferner die Tatsache, dass ein apodiktischer Beweis in praktischen Fragen nicht als notwendig gesehen wird: In solchen Fragen darf man die geläufigen Meinungen (endoxa) folgen und als Grundlage für die Diskussion benutzen 15 . Diese endoxa sind aber nicht die Meinungen irgendwelcher Bürger, sondern Meinungen, die durch die Diskussion unter den Weisen geprüft worden sind. Diese Berufung auf Meinungen der Weisen heißt ferner nicht, dass die Meinungen der Philosophen über praktische Fragen unbedingt und immer für gültig gehalten werden sollten: In solchen Fragen muss man vielmehr zuerst sehen, ob ihre Lehren mit ihrem Leben übereinstimmen. Wenn nicht, darf man sie einfach als »leere Worte« ansehen 16 , denn im praktischen Bereich wird die Wahrheit »durch die Werke und das Leben geprüft« (ek tôn ergôn kai ek tou biou) 17 . Diese Bedeutung, die vorbildliche Männer haben, soll aber nicht als ein Hinweis auf eine ehrwürdigere Stellung des Menschen im Kosmos gedeutet werden. Es gibt zwar Texte, die einen Unterschied zu Platon erkennen lassen, so z. B. die Tatsache, dass Aristoteles die Freundschaft zwischen Menschen und Göttern mit der Freundschaft zwischen Eltern und Kinder vergleichen kann 18 . Die Gegenseitigkeit dieser Freundschaft wird aber abgelehnt, sodass sie nur seitens des Menschen besteht 19 . Der Mensch ist kein Gegenstand, für den ein Gott sich interessieren könnte. Und die niedrige Stellung des Menschen im Kosmos kommt deutlich in Zusammenhang der Diskussion über die phronêsis zum Ausdruck: Diese ist zwar sehr wertvoll, kann aber nicht als die vorzüglichste Wissensform gelten, denn sie handelt von menschlichen Gütern; und obgleich der Mensch das beste irdi-

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NE II 6, 1106b 36 – 1107a 2 und VI 5, 1140a 27–28. NE III 6, 1113a 29–34. Vgl. Top. I 1, 100a 25 – 100b 23. NE X 9, 1179a 21–22. NE X 9, 1179a 18–19. NE VIII 14, 1162a 5. Vgl. EE VII 3, 1238b 16 – 19 und 1239a 17 – 19.

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sche Lebewesen ist, gibt es Dinge, deren Natur viel göttlicher ist, wie eben die Himmelskörper 20. c) Die Stoa Diese strengen Unterschiede zwischen Mensch, Kosmos und Gott werden bei der Stoa aufgehoben. Der Kosmos ist mit Gott identisch, die Theologie so ein Teil der Physik. Der Mensch erreicht folglich sein telos, indem er in Übereinstimmung mit dieser Welt lebt, was gleichzeitig rational zu leben heißt, da ja auch die Welt rational ist. Dieses in-Übereinstimmung-Leben wird bei den Stoikern unterschiedlich erwähnt: Manchmal lediglich als »in Übereinstimmung«, sonst auch »in Übereinstimmung mit der Tugend« oder »in Übereinstimmung mit der Welt« 21 . Von Bedeutung für uns ist die Tatsache, dass dies wiederum eine Nachahmung des Kosmos verlangt: Das Geforderte ist nicht lediglich ein Leben gemäß der menschlichen Natur, sondern, wie es bei Chrysipp ausdrücklich heißt, gemäß der allgemeinen Natur 22. Dadurch wird, im Gegensatz zu Aristoteles, die Ethik wieder an die Kosmologie gebunden. Die Nachahmung beschränkt sich nicht auf eine Nachahmung des Weisen, sondern »der Mensch ist erschaffen, um das Weltall zu betrachten und nachzuahmen« 23 . Durch diese Nachahmung, die wesentlich in der Betrachtung besteht, erlangt der Mensch die Vollkommenheit, die er in sich selbst nicht hat. Das Problem des Gegenstandes der Nachahmung – ob Gott oder der Kosmos – wird man aber angesichts der Identifikation von Kosmos und Gott nicht wieder finden 24 .

II. Augustin Uns jetzt zu Augustin wendend, werden wir die erwähnten Probleme in folgender Ordnung behandeln: Zuerst wenden wir uns den verschiedenen Aspekten seiner Ordnungslehre zu (A); dann folgt die zu dieser Lehre in enger Beziehung stehende Lehre über die Liebe, insbesondere die Unterscheidung zwischen uti und frui (B). An drit20 21 22 23 24

NE VI 7, 1141a 33–b 2. Vgl. die Varianten in SVF III, 16. DL VII, 89. nat. deor. II, 37. Für diesen Unterschied der Stoa zu Aristoteles vgl. Brague (2003:121–122). A

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ter Stelle wenden wir uns der Hierarchie zwischen actio und contemplatio und ihrer Beziehung zu dieser Kosmologie zu (C). Durch dieses Kapitel wird auf diese Weise die Einbettung des im ersten Kapitel Erreichten in die Gesamtheit von Augustins Weltsicht gezeigt und die Kongruenz dieser Gedanken mit seiner Liebeskonzeption geprüft. A. Menschliche medietas, Gott und Kosmos Augustins Philosophie ist großenteils eine Philosophie der Ordnung. Das ewige Gesetz ist schlechthin das, »wodurch es gerecht ist, dass alles zuhöchst geordnet ist« 25 . Auch der Mensch erreicht folglich sein Ziel, indem er eine richtige Ordnung in seiner Seele findet. Diese Ordnung im Menschen kann aber erst dann zustande kommen, wenn eine richtige Beziehung zu anderen Gütern besteht: Zu dem, was über ihm steht, zu dem, was unter ihm liegt und zu denen, die seinesgleichen sind. Im 18. Brief wird diese Ordnung zusammenfassend dargestellt: Es gibt eine Art von Natur, die sowohl räumlich als auch zeitlich wandelbar ist, wie z. B. ein Körper; es gibt auch eine Natur, die lediglich zeitlich wandelbar ist, keineswegs aber räumlich, wie z. B. die Seele; und es gibt eine Natur, die weder räumlich noch zeitlich geändert werden kann, und dies ist Gott. Das, was ich als auf irgendeine Weise wandelbar bezeichnet habe, nennt man Schöpfung; das Unwandelbare dagegen Schöpfer. Nun bezeichnen wir etwas als seiend nur insofern es bleibt und insofern es etwas Eines ist, weswegen ich die Einheit als die Form jeglicher Schönheit betrachte. So siehst du in dieser Einteilung der Naturen was das Höchste ist, was das Niedrigste aber trotzdem Seiende ist, und was von mittlerer Stellung (quid medie), mehr als das Niedrigste und weniger als das Höchste ist. Jenes Höchste ist die Seligkeit selbst; das Niedrigste kann weder selig noch elendig sein; das Mittlere aber lebt entweder elendig durch die Neigung zum Niedrigsten, oder selig durch Bekehrung zum Höchsten 26 .

Dieser Text bietet eine gute Zusammenfassung von Augustins früher Ontologie an. Es wird wie in der gesamten platonischen Tradition nach dem Schönen gefragt. Kriterium um die Schönheit anzuerkennen, ist die Einheit und Dauerhaftigkeit eines Wesens. Was diese Dauerhaftigkeit betrifft, gibt es drei verschiedene Kategorien, je 25 26

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nachdem, ob etwas völlig unwandelbar ist, oder zeitlich bzw. zeitlich und räumlich wandelbar 27. Daraus ergibt sich eine mittlere Stellung der menschlichen Seele. Dies bedeutet schließlich, dass nur für sie die Frage nach der Seligkeit gestellt wird. Im folgenden werden wir uns den verschiedenen Aspekten dieser Philosophie der Ordnung zuwenden: Wir behandeln zuerst die Beziehung des Menschen zu Gott (1), dann das Verhältnis zum Kosmos (2), um abschließend das Problem der Nachahmung und Vergottung in Verbindung mit dieser Lehre der menschlichen medietas in Verbindung zu setzen (3). Wenn nämlich gesagt wird, dass Aristoteles seine Lehre über die phronêsis als eine zweite Weisheit entwickelt, an die Kontingenz dieser Welt angepasst, also als eine Weisheit für irdische Wesen 28 , so könnte man sagen, dass die augustinische Lehre von scientia und sapientia als eine Weisheitslehre für »mittlere Wesen« entwickelt worden ist. 1. Gottesnähe, Gottesferne und Vermittlung Zunächst kann man auf die deutliche Unterscheidung zwischen Geschöpf und Schöpfer hinweisen, die im zitierten 18. Brief zu finden ist, und die Augustin als Merkmal einer jeden Weisheitslehre bezeichnet 29 : Der ganze Bereich der Schöpfung ist in verschiedenem Maß durch Wandelbarkeit gekennzeichnet. Dieser Unterschied zum Schöpfer kann durch folgendes Beispiel veranschaulicht werden: Gott hat eine ihm ähnliche Seele erschaffen, die deswegen unsterblich ist; wenn diese Seele aber etwas ihr ähnliches machen will, entsteht nur sterbliches daraus 30. »Als Gott also den Menschen machte, hat er ihn nicht so gemacht wie er selbst ist, obwohl er ihn als das Beste (optimum) schuf« 31 . Dass Augustin schon früh zusammen mit der Betonung der Ähnlichkeit zwischen Gott und Seele auch ihre Ferne betonen musste, ist auf seine antimanichäische Polemik zurückzuführen. Augustin kämpft hier gegen die Vorstellung, nach der Gott und die 27 Vgl. Bourke (1964) für eine Darstellung der gesamten Ontologie Augustins anhand dieser Dreiteilung. Als Einführung zu den Hierarchien in Augustins Denken vgl. O’Daly (2001). 28 So etwa die Darstellung Aubenques (1963:169–177). 29 div. qu. 81, 1. omnis sapientiae disciplina, quae ad homines erudiendos pertinet, est creatorem creaturamque dinoscere, et illum colere dominantem istam subiectam fateri. 30 an. quant. 2, 3. 31 div. qu. 2. Zum Vergleich mit der natürlichen Göttlichkeit der Seele bei Plotin vgl. Armstrong (1967:3–9).

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Seele derselben Substanz teilhaftig sind. Die Polemik wird ständig mit dem Hinweis auf die Wandelbarkeit der Seele geführt: »Körper unterliegen dem Wandel sowohl zeitlich als auch räumlich, und selbst die rationale Seele unterliegt einem Wandel, da sie manchmal weise und manchmal töricht ist« 32 . Diese Wandlungen betreffen nicht die Substanz der Seele 33, stehen aber im scharfen Kontrast zur völligen Unwandelbarkeit Gottes. Eine substantielle Einheit von Gott und Seele, wie Augustin sie bei den Manichäern vertreten sieht, würde aber bedeuten, nicht dass die Seele unwandelbar ist – denn von dem Gegenteil dessen haben wir Erfahrung –, sondern dass Gott wandelbar ist 34 . Aus dieser Einsicht ist zu verstehen, dass Augustin, wie erwähnt, seit seinen frühesten Werken den Angelpunkt des Unterschieds zwischen Gott und Seele in die Wandelbarkeit legt. Trotz dieser Betonung des Unterschieds zwischen Gott und Seele bleibt aber die Behauptung bestehen, dass Gott und die Seele einander nahe liegen: »Genauso stark wie man betont, dass die Seele nicht das ist, was Gott ist, muss man auch behaupten, dass unter den geschaffenen Dingen nichts Gott näher liegt« 35 . So wird Gott gleichzeitig als »höher als mein Höchstes« und als »innerlicher als mein Innerstes« 36 erkannt. Die frühesten Aussagen Augustins über die Seele und Gott betonen tatsächlich eher ihre Verwandtschaft. Über die Seele schreibt er, sie sei »von allen Dingen, das einzige, das Gott nahe ist« 37 . Diese Verwandtschaft, diese Nähe, zeichnet sich dadurch aus, dass zwischen der Seele und Gott kein Geschöpf tritt, wie Augustin mehrmals schreibt 38 . Die Seele ist also nicht nur Gott ähnlich (deo similis) 39 , sondern dies hat als bedeutende Folge, dass eine Vermittlung durch eine andere Kreatur – wie Engel oder Himmelskörper – nicht notwendig zu sein scheint. 32 div. qu. 54. Vgl. auch vera rel. 10, 18. Für geistige Geschöpfe gilt immer, dass sie non quidem localiter, sed tamen temporaliter wandelbar sind. Idem in Gn. litt. VIII, 20, 39. 33 imm. an. 5, 8. 34 Gn. litt. VII, 2, 3. 35 an. quant. 34, 77. quemadmodum fatendum est animam humanam non esse, quod deus est, ita praesumendum nihil inter omnia, quae creavit, deo esse propinquius. 36 conf. III, 6, 11. tu autem eras interior intimo meo et superior summo meo. 37 beata v. 1, 4. unum in rebus proximum deo. 38 Vgl. u. a. lib. arb. III, 25, 76. non est quod deus et tamen aliquid est quod possit placere post deum. c. Fort. 13. Animam dico factam a Deo, ut caetera omnia quae a Deo facta sunt; et inter illa quae Deus omnipotens fecit, principalem locum datum esse animae. Vgl. auch c. ep. Man. 37, 43 und vera rel. 55, 113. 39 an. quant. 2, 3.

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Die besondere Nähe des Menschen zu Gott zeigt sich in der Tat gerade darin, dass eine Abwertung von anderen Kreaturen eingetreten ist. Augustin macht schon in de libero arbitrio eine Unterscheidung zwischen einem Urteil gemäß der Vernunft (ratio) und einem Urteil gemäß dem Nutzen (usus) 40 . In de civitate Dei wird er diese Unterscheidung zur Klärung unseres Problems heranziehen. Nachdem er die verschiedenen Stufen des Seienden (totes, lebendiges, empfindendes, vernünftiges, unsterbliches) genannt hat, bemerkt er, dass dies eine Einteilung gemäß der natürlichen Ordnung ist, während wir gemäß dem Nutzen oft etwas Niedriges dem Höheren vorziehen müssen 41 , manchmal etwa ein Baum vor einem Tier. Dies wird dann auf die Hierarchie zwischen Menschen und Engeln bezogen. Wir sind in diesem Leben noch in mancher Hinsicht geringer als die Engel, und werden erst in der Ewigkeit wie diese sein 42 . Aber trotz der Tatsache, dass wir jetzt in der Seinshierarchie unterhalb der Engel sind, polemisiert Augustin gegen die Auffassung – in dem mittleren Platonismus des Apuleius repräsentiert 43 –, dass wir deswegen die Dämonen als Mittler brauchen könnten. Dabei polemisiert er aber nicht nur gegen die Dämonen des Apuleius als Mittler, sondern auch gegen eine Vermittlung durch gute Engel oder irgendein Geschöpf. Sicherlich ohne es zu Wissen hat Augustin in dieser Auseinandersetzung mit Apuleius Platon selbst zitiert, da Apuleius den Satz des Symposion wiederholt, kein Gott verkehre mit Menschen 44 . Augustin wendet sich wie gesehen gegen diese Auffassung und die daraus folgende dämonische Vermittlung: Kein Geschöpf ist als Mittler notwendig oder geeignet, denn Gott verkehrt mit Menschen. An einer gewissen Vermittlungsfunktion der Engel hatte zwar Augustin selbst bis De Genesi ad Litteram festgehalten 45 . In de civitate Dei bedeutet aber ihre höhere Stellung nicht mehr, dass wir sie als Mittler brauchen, sondern als Vorbilder: Wenn die Engel uns lieben, dann wollen sie, dass wir aus demselben Ursprung selig werden, aus dem sie es

lib. arb. III, 5, 17. civ. XI, 16. sed ista praeponuntur naturae ordine; est autem alius atque alius pro suo cuiusque usu aestimationis modus. 42 Vgl. lib. arb. III, 9, 28; civ. XI, 9 und besonders Io. ev. tr. 110, 7, wo die gegenteilige Vorstellung (unsere Überlegenheit über die Engel) kritisiert wird. 43 civ. IX, 1. Der bedeutendste Teil der Polemik ist IX, 12–15. 44 civ. IX, 13. 45 Vgl. Gn. litt. VIII, 24, 45. 40 41

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auch sind 46 – Eine Entwicklung, die mit der Tatsache einhergehen dürfte, dass die Engel nicht mehr eine Stufe in einem neuplatonischen Aufstiegsschema sind, sondern Teil einer selben civitas Dei mit den Menschen 47 . Dies bedeutet gewiss nicht, dass der Mensch überhaupt keinen Mittler braucht, um eine Beziehung zu Gott haben zu können; Augustin kritisiert in der Tat einen Platonismus, der »ohne Mittler« philosophiert hat. Aber der damit gemeinte Mittler ist kein anderes Geschöpf, sondern »der Mensch Christus« 48 . Um dies zu begründen, zitiert Augustin wiederum Platon, diesmal aber wissend: »Was die Ewigkeit in Bezug auf das Entstehende ist, das ist die Wahrheit in Bezug auf den Glauben« 49 . Die Aussage Platons will natürlich auf eine Minderwertigkeit der doxa hinweisen, die dem Bereich des Werdens, nicht dem des Seins entspricht. Augustin, der dieses Zitat für »sicherlich wahr« 50 hält, deutet es aber als einen Hinweis auf die Notwendigkeit des Glaubens. Dann aber nicht als etwas minderwertiges, sondern als etwas diesem Leben völlig angemessenes. Durch diesen Text wird die Notwendigkeit der Vermittlung durch Inkarnation verteidigt: Der Mensch ist aus der aeterna iustitia in die temporalis iniquitas gefallen, und die Rückkehr kann nur durch »etwas mittleres« (per aliquid medium) erfolgen. Also nicht durch eine ewige, sondern durch eine zeitliche Gerechtigkeit 51 . Diese findet sich aber in Christus. »Derselbe ist uns Glaube in Bezug auf Entstehendes, der die Wahrheit ist in Ewigem« 52 . Die Auslegung des Textes aus dem Timaios zielt so nicht nur auf die Verteidigung Christi als unus mediator, andere Vermittlungen ausschließend, sondern sie bildet auch eine Erweiterung von Augustins Verständnis von Christus als unsere scientia und sapientia. Augustins Aussage, »Christus ist unciv. X, 1. vgl. auch VIII, 25 und en. Ps. 85, 12. Zur Entwicklung der Engellehre folge ich Lohse (1998:104). 47 Vgl. civ. X, 7. cum ipsis enim sumus una civitas Dei. Vgl. auch en. Ps. 36, 3, 4. 48 trin. XIII, 19, 24. sine mediatore, id est sine homine Christo philosophati sunt. Kontext ist wiederum eine Ausführung über scientia und sapientia. 49 cons. ev. I, 35, 53. Tim. 29c (in Ciceros Übersetzung): quantum ad id quod ortum est aeternitas valet, tantum ad fidem veritas. 50 trin. IV, 18, 24. profecto est vera sententia. Das Timaios-Zitat kommt nur in diesen zwei Stellen aus trin. und cons. ev. vor. Zu Augustins Übernahme desselben vgl. Camelot (1956). 51 cons. ev. I, 35, 53. opus ergo erat media iustitia temporali, quae medietas temporalis esset de imis, iusta de summis. 52 cons. ev. I, 35, 53. ipse est nobis fides in rebus ortis, qui est veritas in aeternis. 46

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sere scientia und unsere sapientia«, hat Madec so mit Recht als »le principe de cohérence de la doctrine augustinienne« bezeichnet 53 . Die Lehre Augustins über die Gottesnähe und Gottesferne des Menschen gibt uns so die Möglichkeit, die Unterscheidung zwischen scientia und sapientia besser zu verstehen: So wie bisher betont worden ist, dass die scientia als Antwort auf die zeitliche Natur des Menschen entwickelt worden ist, kann zugleich gesagt werden, dass die eigentümlich augustinische sapientia-Lehre von seiner Lehre über die Nähe des Menschen zu Gott herrührt: Denn gerade wegen dieser Nähe kann der Mensch ein würdiger Gegenstand der Philosophie sein und dieselbe sapientia, der die Gotteserkenntnis zukommt, eine praktische Funktion, wie die des Gewissens, einnehmen. Die Verbindung zwischen den Wissensformen erfolgt schließlich in Christus. Dies aber, weil er zugleich die Ferne überbrückt, die zwischen Menschen und Gott besteht. 2. Kosmos »Suchen wir etwas über der Seele, und nämlich etwas Wahres, dann ist es Gott, eine nicht geschaffene, sondern schöpferische Natur« 54 . So wie diese Abwesenheit von vermittelnden Kreaturen die Engel als Mittler ausschließt, so schließt sie auch eine neue Sicht der Welt, besonders der Himmelskörper, ein. Die Verwunderung, mit der ein Heide den christlichen Vorstellungen über den Kosmos begegnen konnte, kommt gut bei dem heidnischen Gesprächspartner in Minucius Felix’ Octavius zum Ausdruck: »Ist es nicht eine zweifache Bosheit und doppelte Torheit, dem Himmel und den Sternen, die wir so hinterlassen, wie wir sie vorgefunden haben, die Vernichtung anzukündigen, uns selbst dagegen, die wir geboren werden und vergehen, ewiges Leben nach dem Tod zu versprechen?« 55 . Abwertung des Kosmos und Aufwertung des Menschen sind so die zwei Seiten derselben durch das Christentum verursachten Wandlung des Weltbilds. Die Tatsache, dass die Gestirne im Vergleich zu uns unwandelbar zu sein scheinen, hat aber auch beim frühen Augustin eine Rolle gespielt, Madec (1975:77) trin. XV, 1, 1. 55 Oct. 11, 3. Allerdings wird unter den Christen dieser Umkehrung des Wertes der Himmelskörper und der Menschen nicht einstimmig gefolgt. Für die gegenteilige – also »heidnische« – Position, vgl. Origenes princ. I, 7, 2–5. 53 54

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obwohl ein Unterschied zu den antiken Vorstellungen sich schon in diesen frühen Werken erkennen lässt. Im zweiten Buch von de ordine geht er davon aus, dass alles Unbewegbare bei Gott sein muss – eine Behauptung, die vor allem auf den Himmel zuzutreffen scheint. Aber nur seine Schüler, nicht Augustin selbst, wagen diese strenge Verbindung zwischen Himmel und Gott 56 . Augustin schwächt diese Verbindung zwischen Gott und Unveränderlichem teilweise ab, indem er hinzufügt, dass eigentlich nichts ohne Gott besteht; und die Diskussion wechselt kurz darauf ihre Richtung: »Bei Gott ist derjenige, der Gott versteht« 57 . Unwandelbarkeit bleibt so als Kriterium bestehen, aber die Unwandelbarkeit des Weisen eher als die der Gestirne. So betont Augustin, im Anschluss an die platonisch-stoische Definition der Weisheit, dass in ihr mit »göttlichen Dingen« nicht die Gestirne, sondern Gott selbst gemeint sein muss. Als Kriterium, um Göttliches von Menschlichem zu unterscheiden, gebraucht Augustin das Vorhandensein, das Zur-Verfügung-Stehen: Die Gestirne und Gott können nicht unter demselben Begriff »göttliche Dinge« stehen, da die Gestirne uns gewissermaßen zur Verfügung stehen – wir können sie jederzeit betrachten – während Gott verborgen bleibt, selten erkennbar ist, und nie durch die Sinne 58. Nur Gott ist dermaßen erhaben, dass er keineswegs uns zur Verfügung steht. Der Vergleich mit Aristoteles ist interessant. Für ihn zeichnet sich das praktische Gut dadurch aus, dass es durch Handlung verwirklicht wird, sich folglich auch anders verhalten kann 59 – was natürlich Gestirne aus dem Gebiet des Praktischen ausschließt. Für Augustin dagegen ist nicht die Möglichkeit einer Verwandlung durch unser Eingreifen das für die Abgrenzung zwischen Menschlichem und Göttlichem Kennzeichnende, sondern das uns Zur-Verfügung-Stehen überhaupt, auch wenn wir das Betreffende nicht ändern können. Indem die Gestirne uns so zur Verfügung stehen, dass wir sie, wenn wir wollen, betrachten können, und zwar unabhängig von der Reinheit unseres Geistes, gehören sie gewissermaßen zu demselben Bereich des Seienden wie wir. Insofern die Himmelskörper möglicher Gegenstand der Betrachtung sind, sind sie entdivinisiert worden. Sie sind von den irdischen So Licentius in ord. II, 1, 3: quod coelum putem habere aliquid quod non movetur, quod vero aut Deus est aut cum Deo – ein Beispiel dessen, wie geläufig solche Vorstellungen noch in Augustins Kreis sind. 57 ord. II, 2, 4. 58 Acad. I, 8, 22. 59 an. III 10, 433a 29–30. 56

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Dingen nicht mehr radikal unterschieden: Die supralunarische Welt ist der sublunarischen ähnlich geworden und verliert so ihre leitende Funktion. Dies können wir in dreierlei Hinsicht bestätigen. 1) Augustin wird abwertend über astronomische Erkenntnisse schreiben. Manche Fragen lässt er offen, wie z. B. ob die Gestirne lebendig sind 60 , aber in den meisten Fällen kritisiert er Vorstellungen, die die Beständigkeit der Himmelskörper betonen: Der Himmel wird z. B. nicht deswegen firmamentum genannt, weil er sich nicht bewegt, sondern nur, weil er auf mächtige Weise die Gewässer halten konnte (1. Mose 1, 6) 61 . Das Gebot, sich von dieser Welt abzuwenden, heißt folglich nicht, sich den Gestirnen zuzuwenden 62 , da es auch in der Erkenntnis der Sterne Täuschung und Unbeständigkeit gibt 63 . Die Erkenntnis der Naturen (rerum natura) im Sinne der griechischen physici ist also nicht notwendig: Nicht diese Erkenntnis macht uns selig, sondern die Erkenntnis der Ursachen von Gut und Böse 64. 2) Der privilegierte Ort der Gestirne wird deutlich vom Menschen übernommen. Dies lässt sich besonders gut durch zwei Vergleiche mit älteren Autoren feststellen. Zunächst der Vergleich mit Aristoteles, der die astronomischen Kenntnisse als die Höchsten gepriesen hatte, sich aber eher auf die biologischen konzentrierte, da unsere Erkenntnis in diesem irdischen Bereich, obschon geringeren Wertes, von größerer Gewissheit ist 65 . Bei Augustin wird die Abwendung von den Gestirnen und die Zuwendung zum Menschen von der gegenteiligen Behauptung begleitet, nämlich dass die Selbsterkenntnis schwieriger als die Erkenntnis der Gestirne ist. Wir, nicht die Himmelskörper, sind es, die einen zu hohen Gegenstand für unser eigenes Erkenntnisvermögen bilden 66 . Dies wird gerade durch die Nähe zu 60 Gn. litt. II, 18, 38. In c. Prisc. 8, 11 neigt er zu einer negativen Antwort, lässt es aber offen. 61 Gn. litt. II, 10, 23. 62 div. qu. 29. ea quae sursum sunt sapere iubemur, spiritalia scilicet, quae non locis et partibus huius mundi sursum esse intellegenda sunt sed merito excellentiae suae. 63 div. qu. 9. ne quis dicat esse aliqua sensibilia eodem modo semper manentia, et quaestionem nobis de sole atque stellis adferat, in quibus facile convinci non potest. Gn. litt. II, 10, 23. multum subtilibus et laboriosis rationibus ista perquiri, ut vere percipiatur, utrum ita an ita sit. 64 ench. 5, 16. Eine an Platon, Chrm. 174c erinnende Aussage. Ähnliches in ench. 3, 9. 65 part. an. I 5, 644b 31 – 645a 4. 66 an. et or. IV, 6, 8. non est coelum coeli, non dimensio siderum, non modus maris atque terrarum, non infernus inferior: nos sumus, qui nos comprehendere non valemus.

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Gott begründet: Weil wir Bild Gottes sind, wird unsere Selbsterkenntnis immer begrenzt sein 67 . Der Vergleich mit einem anderen christlichen Autor, Origenes, wird diese Aufwertung des Menschen deutlicher zum Ausdruck bringen. Als Augustin auf die Fragen des Orosius in Bezug auf Origenes Stellung nehmen muss, ist Röm 8, 20–22, mit den Aussagen über das Seufzen der ganzen Schöpfung, einer der Haupttexte. Während Origenes darin ein Hinweis auf die Himmelskörper als lebendig und rational sieht 68 , wird Augustin als Antwort gerade diesen Text wählen, um die ganze Schöpfung auf den Menschen zu konzentrieren, »denn in jedem Menschen befindet sich die ganze Schöpfung; nicht wirklich, wie Himmel und Erde und alles, was wir in ihnen finden, aber doch in einer gewissen allgemeinen Weise: Denn im Menschen finden wir sowohl das Rationale, […], als auch das Sensitive […] und das Vegetative […]. Und auch die bloß körperliche Kreatur kommt deutlicher bei uns zum Ausdruck« 69 . Die Überlegenheit der Himmelskörper wird so nicht nur durch die Überlegenheit des Menschen ersetzt, sondern durch eine Theorie des Menschen als Mikrokosmos, des Menschen als Kurzfassung der ganzen Schöpfung. 3) Schließlich soll auf die Folgen eingegangen werden, die Augustin für die Ethik zieht. Wir haben schon im ersten Kapitel gesehen, wie er die Eigenständigkeit der praktischen Argumentationen versteht und dadurch die Ethik von den kosmischen Erlösungsmythen befreit 70 . Der Verknüpfung zwischen Abwertung des Kosmos und Aufwertung des Menschen ist er sich auch bewusst: Es ist besser die eigene Unbeständigkeit (infirmitas) zu kennen, als die Wege der Gestirne (vgl. firmamentum), die uns nichts über den Weg zur eigenen Beständigkeit (firmitas) sagen 71 . Diese Folge, dass die Gestirne uns symb. cat. 1, 2. ideo mens ipsa non potest comprehendi nec a se ipsa, ubi est imago Dei. 68 Vgl. princ. I, 7, 5 und Orosius’ Referat der originistischen Position in seinem Commonitorium, 3 in c. Prisc. 69 c. Prisc. 8, 11. quoniam in unoquoque homine est omnis creatura, non universaliter sicut est caelum et terra et omnia, quae in eis sunt, sed generatim quodam modo. Ähnliches findet man in civ. V, 11. 70 Vgl. supra Kap. 1, IV, B, 4, c: »Die Form der ethischen Argumentation«. 71 trin. IV, prol. meliores sunt qui huic scientiae [terrestrium caelestiumque] praeponunt nosse semetipsos, laudabiliorque est animus cui nota est vel infirmitas sua quam qui ea non respecta vias siderum scrutatur etiam cogniturus aut qui iam cognitas tenet ignorans ipse qua ingrediatur ad salutem ac firmitatem suam. Vgl. auch Gn. litt. II, 9, 20. multi enim multum disputant de his rebus, quas maiore prudentia nostri auctores omi67

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nichts über das gute Leben sagen, ist zentral: Sie weist auf die Notwendigkeit einer zweiten Erkenntnisweise hin – die scientia –, an diesem Leben angepasst, und eines anderen Maßes und einer anderen Regel, uns näher als die Gestirne stehend. Die vorige Sektion hat im Anschluss an Timaios gezeigt, welche Rolle der Glaube in der Vermittlung spielt. Dem muss hier die Heilige Schrift hinzugefügt werden, die von Augustin in den Confessiones bezeichnenderweise als ein firmamentum scripturae bezeichnet wird 72 . Im Unterschied zu den Gestirnen, ist es aber ein firmamentum, das uns etwas über die Wege zur eigenen firmitas sagt. Hier könnte wiederum an die Bedeutung des Urteilens geknüpft werden: In einer späteren Predigt redet Augustin über das firmamentum canonis, das »wie ein Himmel ist, in dem die Leuchten der Schriften errichtet sind«; Funktion dieser Leuchten ist es, uns das Urteilen zu lehren 73 . Christus nimmt den Ort der Vermittlung durch die Engel (oder Dämonen) ein, die Heilige Schrift, könnte man sagen, die wegweisende Funktion der Gestirne. Damit wird ferner an die in dieser Heiligen Schrift enthaltene cognitio historica angeknüpft, die sich schon als Teil der scientia erwiesen hatte. 3. Menschliche medietas und Vergottung a) medietas in Spannung Die Abwertung des Kosmos zugunsten des Menschen und die Abschaffung anderer Geschöpfe als Mittler sind verschiedene Aspekte der Lehre über die mittlere Stellung der Seele. Diese Lehre findet sich bei Augustin an mehreren Stellen 74 und sie ist Teil des neuplatonischen Erbes, das ihm auf verschiedenen Wegen, durch philosophische Lektüre oder durch andere kirchliche Autoren, bekannt sein serunt ad beatam vitam non profuturas discentibus et occupantes, quod peius est, multum pretiosa et rebus salubribus inpendenda temporum spatia. 72 conf. XIII, 18, 22. de ista inferiore fruge actionis in delicias contemplationis verbum vitae superius obtinentes appareamus sicut luminaria in mundo, cohaerentes firmamento scripturae tuae. 73 s. Dolbeau 10, 15. in scripturis sanctis iudicare discimus, in scripturis nostris iudicari non dedignamur. […] sed quoniam hoc implere difficile est, ideo aliud est firmamentum canonis, tamquam caelum ubi sunt constituta luminaria scripturarum. 74 Vgl. ep. 140, 2, 3. in quadam quippe medietate posita est infra se habens corporalem creaturam supra se autem sui et corporis creatorem. Vgl. im Allgemeinen zur medietas O’Daly (1987:38–40). A

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konnte 75 . Eigentümlich für den Menschen ist, dass er im Unterschied zum Höchsten und Niedrigsten, sich innerhalb dieser Hierarchie bewegen kann: Das Irrationale kann sich ja wandeln, aber dadurch steigt es nicht in der Hierarchie, sondern bleibt in seiner untersten Stufe. Diese Besonderheit des Menschen scheint bei Augustin sehr konkret an einen Punkt gebunden zu sein, nämlich dass die mittlere Stellung ein Regieren und ein Regiert-Werden bedeutet: »An einen gewissen mittleren Ort gestellt, erhielt die rationale Seele das Gebot, dem Höheren anzuhangen (haerere), das Niedrige zu regieren. Sie kann das Niedrige aber nicht regieren, wenn sie selbst durch das Bessere nicht regiert wird« 76 , denn »der Geist regiert nicht gut, wenn er nicht selbst regiert wird« 77 . Wenn die mens nur regiert, und nicht von Gott regiert wird, wird sie statt König ein Tyrann sein 78 . Die medietas ist so nicht lediglich ontologisch bestimmt, sondern auch ethisch, durch bestimmte Beziehungen zum Höheren und Niedrigeren. Entscheidend ist aber die Beziehung zum Höheren, Gott, denn die Vernunft wird sich erst dann gegen die irrationalen Seelenteile durchsetzen können, wenn sie selbst Gott unterworfen ist. Bedeutend ist dabei, dass das Gebotene nicht nur das Regieren über das Niedrige und das Sich-Regieren-Lassen durch das Höhere ist, sondern die Seele muss – so Augustins beliebte Formel für die Seligkeit – Gott anhangen (Deo haerere, cohaerere, inhaerere oder adhaerere) 79 . Die Seele bleibt also nicht einfach an ihrem Ort, um den Geboten des Höchsten zu folgen, sondern sie streckt sich aus zu ihm hin. Im antimanichäischen Genesiskommentar erklärt Augustin dies durch eine allegorische Deutung der zwei Bäume in Eden. Beide Bäume sind nämlich inmitten des Gartens eingepflanzt. Der Baum des Für die neuplatonischen Quellen vgl. Theiler (1970). Für mögliche patristische Einflüsse vgl. du Roy (1966:476–478). 76 en. Ps. 145, 5. in medio quodam loco rationalis anima constituta, legem accepit, haerere superiori, regere inferiorem. Regere non potest inferiorem, nisi regatur a meliore. Vgl. auch s. 128, 3, 5. Vis serviat caro tua animae tuae? Deo serviat anima tua. Debes regi, ut possis regere. 77 s. 169, 1, 1. Nec spiritus bene regit, si non regatur. Vgl. auch en. Ps. 143, 6. In lib. arb. I, 8, 18 kommt diese Forderung noch nicht vor. 78 s. 155, 2, 2. Bei Augustin kommt außerdem immer wieder die These vor, dass unserem Ungehorsam Gott gegenüber ein Ungehorsam seitens unseres Fleisches unserem Geist gegenüber entspricht. Besonders seitens der partes naturae. Vgl. besonders nupt. et conc. I, 6, 7 und civ. XIV, 15. 79 Grundlage für diese Formel ist Ps. 72, 28. Vgl. conf. VII, 11, 17. mihi autem inhaerere deo bonum est. Vgl. auch u. a. div. qu. 54; civ. X, 18 und 25; XII, 1. 75

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Lebens weist auf die reine Erkenntnis dieser mittleren Stellung der Seele hin: Der Baum »deutet auf die Weisheit hin, durch welche es für die Seele angemessen ist zu verstehen, dass sie gewissermaßen inmitten der Dinge hingestellt ist« 80 . Wichtig ist hier lediglich, dass die Seele erfasst, was sie ist. Der zweite Baum hingegen, der Baum des Wissens über Gut und Böse, deutet auch auf die medietas hin, aber jetzt praktisch und nicht lediglich auf Erkenntnis zielend: Er zeigt, dass die Seele vorwärts, nach Gott zielen muss, was dahinter ist vergessend. Denn das Essen von diesem Baum wurde von Gott verboten: Der Mensch muss nämlich diese medietas erkennen, aber er darf sie nicht genießen (essen), als ob er in seiner mittleren Stellung schon sein Ziel erreicht hätte 81. Dass Adam und Eva später neben diesem Baum Zuflucht suchen, deutet Augustin auch als ein statisches Beharren in der eigenen Position: »In sich selbst haben sie sich versteckt, um sich in ihren Irrtümer zu verwirren, da sie das Licht der Wahrheit verlassen hatten, welches sie nicht selbst waren« 82 . So kann man verstehen, dass obwohl die Stellung des Menschen eine mittlere ist, die superbia nicht unbedingt an das Streben nach dem Höheren gebunden wird, sondern im Gegenteil, an den Genuss der eigenen Position. Der 18. Brief endet nach der schon zitierten ontologischen Hierarchie gerade mit dieser ethisch-religiösen Ausrichtung, die dem Genuss der mittleren Position entgegengesetzt wird: »Wer an Christus glaubt, liebt nicht das Niedrige, ist nicht überheblich (superbit) wegen der Mitte, und so wird er geeignet, dem Höchsten anzuhangen« 83 . Dieses superbire in medio nennt er in De Trinitate ein experimentum medietatis 84. »Wie könnte man denn vom Höchsten bis zum Niedrigsten fallen, wenn nicht durch uns selbst als Zentrum?« 85 Medium, medietas, die sonst die Stellung des Menschen positiv bezeichnen, werden hier in einem zweiten Sinn verwendet, um diejenigen zu bezeichnen, die sich selbst als Zentrum 80 Gn. adv. Man. II, 9, 12. lignum autem vitae plantatum in medio paradisi sapientiam illam significat, qua oportet intellegat anima in medio quodam rerum se esse ordinatam. 81 Gn. adv. Man. II, 9, 12. ex ligno autem in quo est dinoscentia boni et mali non edat, id est non sic eo fruatur. 82 Gn. adv. Man. II, 16, 24. ad seipsos absconderunt se, ut conturbarentur miseris erroribus relicto lumine veritatis, quod ipsi non erant. 83 ep. 18, 2. qui Christo credit, non diligit infimum, non superbit in medio atque ita summo inhaerere fit idoneus. 84 trin. XII, 11, 16. 85 trin. XII, 11, 16. qua igitur tam longe transiret a summis ad infima, nisi per medium sui?

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verstehen: Das Verlangen, genau wie Gott nichts über uns zu haben, führt zu dem Versuch, unsere Macht zu erfahren: Dadurch fallen wir aber in uns selbst bzw. zum Niedrigen herunter 86. Die Fähigkeit das Niedrige zu regieren geht verloren, und wir bewegen uns von Gottebenbildlichkeit zum Ebenbild der Tiere 87. b) Gottebenbildlichkeit und Vergottung Diese Gottebenbildlichkeit ist also nicht ein fester Besitz, sondern etwas, das gewissermaßen ab- und zunimmt. Seit seiner Bekehrung sieht Augustin die Gottebenbildlichkeit eindeutig im Geist des Menschen. Er erkennt an, dass der Körper auch eine gewisse Ähnlichkeit (similitudo) mit Gott hat, da er lebendig ist. Als homo exterior unterscheidet sich der Mensch von den anderen Tieren ferner durch seine aufrechte Haltung: »So wie unser Körper zu den höchsten Dingen unter den körperlichen erhoben ist, d. h. zu den Himmelskörpern, so soll auch sein Geist, der eine geistige Substanz ist, sich zu den Höchsten unter den geistigen Substanzen erheben« 88 . Augustin betont aber, dass in der aufrechten Haltung keine sachliche Überlegenheit vor den Tieren zu sehen ist 89 , sondern nur ein Zeichen der Erinnerung, damit wir nicht im Geist wie die Tiere seien, von denen wir uns schon im homo exterior unterscheiden 90 . Erst der innere Mensch ist nicht nur similitudo, sondern auch ad imaginem, da er nicht nur lebt, sondern auch erkennt 91 . Diese unzerstörbare Gottebenbildlichkeit bedarf aber nach dem Sündenfall der Erneuerung. Eine solche progressive Gottebenbildlichkeit haben schon frühere Kirchenväter z. B. durch die Unterscheidung zwischen imago und similitudo vertreten. Augustin drückt sie aber nicht durch diese Unterscheidung aus 92. Er selbst macht den Versuch, wie R. Markus gezeigt trin. XII, 11, 16. ab ipsa sui medietate poenaliter ad ima propellitur. trin. XII, 11, 16. similitudinis dei pervenit ad similitudinem pecorum. 88 trin. XII, 1, 1. 89 So z. B. in Gn. adv. Man. I, 17, 28 und Gn. litt. VI, 12, 22. Vgl. Brague (2003:99–101) für den Vergleich mit der antiken Behandlung der aufrechten Haltung. 90 trin. XII, 1, 1. qua in re admonemur ab eo qui nos fecit ne meliore nostri parte, id est animo, similes pecoribus simus a quibus corporis erectione distamus. 91 div. qu. 51, 2. 92 Augustin meint, diese Unterscheidung wird von anderen Kirchenvätern nicht ganz ohne Grund (non frustra) vorgenommen, aber er empfindet es als Gefahr, dass man dadurch im Körperlichen die similitudo suchen wird. div. qu. 51, 4. cavendum in talibus ne quid nimis asseverandum putetur, illa re sane salubriter custodita, ne quoniam corpus quodlibet per localia spatia porrectum est, aliquid tale credatur esse substantia dei. 86 87

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hat, sich durch die Alltagssprache leiten zu lassen, und muss dann konstatieren, dass es nie ein Ebenbild geben kann, das nicht auch ähnlich ist. Sowohl imago als auch similitudo müssen folglich sowohl in der ersten Schöpfung als auch nach dem Sündenfall und im Endziel vorhanden sein: »Wo ein Ebenbild (imago) ist, ist unmittelbar Ähnlichkeit (similitudo) vorhanden, aber nicht unmittelbar Gleichheit (aequalitas). Wo Gleichheit ist, ergibt sich unmittelbar Ähnlichkeit, aber nicht unmittelbar ein Ebenbild. Wo Ähnlichkeit ist, gibt es unmittelbar weder ein Ebenbild noch eine Gleichheit« 93 . Um die progressive Gottebenbildlichkeit zu verteidigen, und um den Verlust durch die Sünde erklären zu können, hat Augustin also einen dritten Begriff hinzugefügt: aequalitas 94. Nicht durch die Unterscheidung zwischen imago und similitudo, sondern durch Gleichheit und Ungleichheit stellt Augustin die abgestufte Nähe und Ferne zwischen Gott und den Menschen dar: Christus ist nicht nur Ebenbild und Ähnlichkeit, sondern auch dem Vater gleich. Wir aber sind nicht gleich, sondern unsere Ähnlichkeit und Ebenbildlichkeit lassen Stufen zu, Stufen von Gleichheit. Auch wenn der Mensch schon das Ebenbild Gottes ist, bedarf er der Angleichung, Formung. Die volle Gottebenbildlichkeit wird nur dann bewahrt, wenn wir auf Gott gerichtet sind (non custoditur nisi ad ipsum a quo imprimitur) 95 und so steht wiederum die Spannung (ad) im Vordergrund. Die auf Gott gerichtete, mittlere Stellung des Menschen und die progressive Gottebenbildlichkeit führen uns zu der Frage nach der Nachahmung und Vergottung des Menschen. Die für die Antike kennzeichnende Verbindung von Kosmologie und Ethik gipfelt in der Idee einer Nachahmung der Himmelskörper, eine Tradition, die im platonischen Timaios ihren Haupttext hat. Sowohl Augustin als auch Aristoteles bilden hier eine Ausnahme, da bei ihnen Kosmologie und Ethik nicht miteinander verbunden sind. Dennoch spielt bei beiden Autoren, in der Frage nach dem gelungenen Leben, die Nachahmung eine Rolle. Bei Aristoteles spiegelt sich in dieser Lehre seine Trennung des Praktischen und Theoretischen: Höchstens die Elemente ahmen die Himmelskörper nach, die Menschen imitieren dagegen den spoudaios. Auf diese Weise hat er die Nachahmung von div. qu. 74. Zu imago, similitudo und aequalitas vgl. div. qu. 74 und Markus’ (1963) Analyse dieses Textes. 95 trin. XII, 11, 16. 93 94

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der Vergottung getrennt: Es gibt immer noch die Möglichkeit einer Vergottung, oder eines Lebens gemäß »dem Göttlichen in uns«, aber es ist nicht das Leben der Nachahmung eines spoudaios, sondern das der Theorie gewidmete Leben. Der mittlere Weg zwischen Platon und Aristoteles, durch den wir im ersten Kapitel Augustins Position gekennzeichnet haben, kommt hier wiederum zum Ausdruck. Denn Augustins Platonismus wird darin sichtbar, dass er Nachahmung und Vergottung im Gegensatz zu Aristoteles wieder vereinigt: Er stimmt nämlich Porphyrios’ Lehre zu, dass »die Nachahmung uns vergöttlicht, da sie bewirkt, dass unsere Liebe sich auf ihn [Gott] richtet« 96 ; aber von beiden Phänomenen, Nachahmung und Vergottung, wird er ein von den Platonikern teilweise abweichendes Verständnis entwickeln. Inwiefern man bei Augustin über eine Lehre der Vergottung reden darf, ist in der Tat eine strittige Frage gewesen 97 . Die Stellen, die direkt oder indirekt über eine Vergottung des Menschen im ewigen Leben sprechen, sind aber zahlreich. Augustins hauptsächliches Argument zugunsten der Möglichkeit einer Vergottung ist die Tatsache, dass Gott Mensch geworden ist – warum wäre es nicht denkbar, dass wir selbst dann wie Götter sein werden? 98 Aber Augustin wird, von der frühen Rede über deificari in otio absehend 99 , dieser Vergottung strenge Grenzen setzen. Denn wir werden nicht von Natur aus vergöttlicht, sondern durch Adoption 100 . So wird Augustin oft die Redeweise ändern, und sagen, dass wir wie Engel sein werden statt wie Götter 101. So könnte es angemessen sein, statt von Deifikation, von Angelifikation zu reden. Oder, wie er selbst es macht, von einer Vergottung »gemäß unserer Art« 102 . Gleichermaßen gibt es eine Veränderung in der Lehre der Nachciv. XIX, 23. imitatio deificat affectionem ad ipsum operando. Darstellung der beiden Positionen bei Bonner (1986:369). 98 Vgl. u. a. s. 342, 5; s. 344, 1. homo propter nos factus, qui nos homines fecit; et assumens hominem Deus, ut homines faceret deos. 99 Vgl. ep. 10, 2. Folliet (1962) hat gezeigt, dass damit vor allem die Einübung in der Tugend gemeint ist und nicht die Vergottung durch theoretische Betrachtung. Es besteht dennoch eine große Distanz zwischen diesem eindeutig diesseitigen deificari und der späteren Lehre. 100 s. 166, 4. 101 So z. B. in s. 77b, 7 und Io. ev. tr. 110, 7. 102 ep. Io. tr. 9, 3. non ad aequalitatem, sed pro modo nostro. Diese Stelle, und diejenigen, die eher über Angelifikation sprechen, werden von Bonner (1986) in seiner Gesamtdarstellung der augustinischen Deifikationslehre übersehen. Dadurch scheint bei 96 97

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ahmung. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Augustin das Problem unter völligem Ausschluss der kosmologischen Fragen behandelt. Nachahmung ist ein exklusiv anthropologisches Problem, denn nur der Mensch, in seiner medietas, wird durch Nachahmung verwandelt. Weder Gott, noch die Himmelskörper, noch die irdischen Dinge können solche Verwandlung durch Nachahmung erleben: Ein Mensch kann tierisch werden, aber nicht umgekehrt; denn ein Löwe, der sanftmütig auftritt, wird dadurch nicht den Menschen, sondern eher Hunden oder Schafen ähnlich 103 . Weder die Wesen, die unter dem Menschen sind, noch die Himmelskörper teilen also dieses besondere Merkmal des Menschen: Der Mond wäre nicht lobenswert, schreibt Augustin, wenn er die Sonne nachzuahmen versuchte104 . Der Mensch dagegen kann durch Nachahmung ein Sünder werden, aber auch ein Gerechter 105 : Wir werden dem Gesetz ähnlicher, wenn wir ihm folgen; wir werden geistlicher, wie das Gesetz geistlich ist, und folgen ihm dann auch leichter 106. Dies ist ferner nicht nur wesentliches Merkmal der Menschen, sondern daraus folgend auch ein wesentliches Merkmal der Religion. Augustin kann sie sogar durch die Verbindung von Anbetung und Nachahmung definieren: »Der Kern einer jeden Religion ist, den nachzuahmen, den du anbetest« 107 . So wird er auch Platon wegen seiner Konzeption des Philosophen als Nachahmer, Erkenner und Liebhaber Gottes loben 108 , denn »nur derjenige erreicht die Tugend, der Gott kennt und ihn nachahmt« 109 . Es kann gewiss auch eine verkehrte Nachahmung Gottes geben. Augustin selbst gibt uns einen Beispiel einer solchen perversa imitatio Gottes im Buch zwei der Confessiones, wo über den Birnendiebstahl berichtet wird, für den es keinen Grund gab. Gott wird da nachgeahmt, ihm der Unterschied zur platonischen Position allein im gnadenhaften Charakter der Deifikation zu liegen und nicht in der dieser Deifikation gesetzten Grenze. 103 Gn. litt. VII, 10, 15. cum mansuescunt leones, canibus vel etiam ovibus fiunt similiores quam hominibus. 104 duab. an. 13, 20. 105 Aber Augustin ist in diesem Punkt auch wachsam gegenüber der vereinfachten Anthropologie des Pelagianismus, demzufolge jeder Sünder lediglich ein Nachahmer Adams ist, jeder Gerechte ein Nachahmer Christi. Vgl. pecc. mer. I, 9, 10 und op. imp. II, 48; II, 52, und II, 190. 106 Simpl. I, 1, 7. 107 civ. VIII, 17. et religione colas, quem imitari nolis, cum religioni summa sit imitari quem colis? 108 civ. VIII, 5. Plato Dei huius imitatorem cognitorem amatorem dixit esse sapientem. 109 civ. VIII, 8. ei soli evenire posse, qui notitiam dei habeat et imitationem. A

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aber er wird nicht als Liebe verstanden, sondern lediglich in Hinblick auf seine Allmacht 110 . So kann die perversa imitatio auch dadurch definiert werden, dass man die Gottebenbildlichkeit ohne Gottesbezug, also autonom, behalten will 111 . Nun gibt es nicht nur das Problem der perversa imitatio, sondern Augustin ist sich auch dessen bewusst, dass die Vorstellung einer Nachahmung Gottes etwas merkwürdiges ist: »Wenn uns die Nachahmung Gottes vorgeschlagen wird, dann antwortet die menschliche Schwäche, dass dies zu viel ist: Dem nachzuahmen, mit dem sie sich nicht vergleichen kann« 112 . Und folglich knüpft er hier wiederum an die Menschwerdung Christi. Es ist zu beachten, schreibt er, dass sowohl der Sohn als der Heilige Geist in sichtbarer Form kommen, im Hinblick auf die leibhafte Natur des Menschen. Aber während der heilige Geist als Taube kommt, kommt der Sohn als Mensch, um uns ein Beispiel des Lebens vorzulegen 113 . Ähnlich wird er in de Trinitate schreiben, dass obwohl die ganze Trinität weise ist, nur der Sohn Weisheit Gottes genannt wird, weil er uns sichtbar geworden ist, um ein Beispiel zu geben 114 . Damit ist die Nachahmung wieder etwas irdisches geworden. Man könnte sogar sagen, dass sie der aristotelischen Nachahmung des spoudaios näher liegt als einer Nachahmung der für göttlich gehaltenen Himmelskörper. Die Kohärenz von Augustins Weltbild mit seiner Lehre über scientia und sapientia ist hier näher gezeigt worden. Der mittlere Weg zwischen Platon und Aristoteles und die Rolle, die das Christentum darin spielt, ist dadurch auch stärker zum Ausdruck gekommen. Indem wir uns jetzt der Frage nach der uti-frui Unterscheidung zuwenden, werden wir sehen, wie sich dieselben Gedanken in einem weiteren Bereich von Augustins Denken widerspiegeln. 110 conf. II, 6, 14. faciendo impune quod non liceret tenebrosa omnipotentiae similitudine. 111 Vgl. die in dieser Hinsicht sehr deutliche Stelle in en. Ps. 70, 2, 6–7. Ähnlich in conf. II, 6, 14; in c. Sec. 10 werden die drei concupiscentiae als verkehrte Nachahmungen der trinitarischen Personen erklärt. Zum Verhältnis zwischen dem Christentum, den drei Lastern und den drei Teilen der Philosophie vgl. Bochet (1997). 112 s. 325, 1. 113 div. qu. 43. 114 trin. VII, 3, 4–5. Sollte die Nachahmung Christi immer noch zu schwer fallen, gibt es Nachahmer Christi, Menschen wie wir, die man nachahmen kann. s. 325, 1. impar sum Deo? plane impar. impar sum Christo? etiam mortali Christo impar. Petrus hoc erat quod tu, Paulus hoc erat quod tu, apostoli et prophetae hoc erant quod tu. si piget imitari Dominum, imitare conservum.

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B. Die Unterscheidung zwischen uti und frui 1. Die Freiheit als mittleres Gut Wir können mit einem Hinweis auf das Gewicht, das der Wille in Augustins Philosophie einnimmt, beginnen. Dieses Gewicht kommt in Augustins Lehre über den Willen eben als »Gewicht« der Seele zum Ausdruck 115 . Dieses Gewicht des Willens und der Liebe drückt sich einerseits darin aus, dass »ein jeder so ist, wie seine Liebe ist« 116 . Andererseits drückt sich das Gewicht darin aus, dass es uns in verschiedene Richtungen in Bewegung setzen kann. Augustin hat nämlich diese Idee des Gewichts der Seele mit der Lehre über die mittlere Stellung des Menschen in Verbindung gesetzt. Die mittlere Stellung des Menschen ist, wie gesehen, nicht statisch, sondern kann sich zum Besseren oder Schlechteren wenden, was gerade durch die Liebe, durch das Gewicht des Willens, geschieht. »Es gibt für jeden ein Gewicht, das ihn dorthin treibt, wohin er soll; und das ist seine Liebe« 117 . So wie die Körper gemäß ihrem Gewicht sich zu ihrem Ort bewegen, so bewegt sich auch unsere Seele zu ihrem Ort kraft ihres eigenen Gewichts, welches die Liebe ist (pondus meum amor meus) 118 . Auch an die Vorstellung der Seligkeit als Ruhe kann dadurch angeknüpft werden, da das Gewicht einen Körper zu dem Ort treibt, in dem er Ruhe findet: Gerade das macht die Liebe für die Seele 119. Dementsprechend wird auch die Freiheit als ein mittleres Vermögen bezeichnet. Sie ist eine media vis 120, die sich an Glauben oder Unglauben orientieren kann und so der mittleren Stellung der Seele entspricht. Mit Freiheit als mittleres Vermögen oder mittleres Gut ist allerdings nicht die Freiheit der Seligen gemeint, die an dem ewigen Gesetz festhalten. Die Freiheit, die gemeint ist, ist die, »durch welche diejenigen, die keine Herren haben, sich für frei halten« 121 . Es ist diese Freiheit qua potentia animi – also nicht die Freiheit als Ziel, civ. XI, 16. quoddam veluti pondus voluntatis et amoris. ep. Io. tr. 2, 14. talis est quisque, qualis eius dilectio est. Vgl. auch ench. 31, 117. 117 s. 65a, 1. est unicuique ut feratur quo debet pondus proprium amor suus. 118 conf. XIII, 9, 10. corpus pondere suo nititur ad locum suum. pondus non ad ima tantum est, sed ad locum suum. Ignis sursum tendit, deorsum lapis; ponderibus suis aguntur, loca sua petunt. […] pondus meum amor meus; eo feror quocumque feror. 119 ep. 55, 10, 18. 120 spir. et litt. 33, 58. 121 lib. arb. I, 15, 32. 115 116

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die Autarkie –, die ein mittleres Gut ist. Die ausführlichsten Aussagen Augustins zur Freiheit als mittleres Gut befinden sich in de libero arbitrio, in dessen beiden ersten Büchern Gütereinteilungen zu finden sind. Von diesen ist die zweite für unseres Problem bedeutend 122 . Kontext ist die Unmöglichkeit des schlechten Gebrauchs einer Tugend: Niemand kann Gerechtigkeit oder Besonnenheit schlecht gebrauchen, da diese notwendigerweise von der recta ratio begleitet werden, welche per definitionem recta ist, also nicht missbrauchbar 123. Aus dieser traditionellen Beobachtung schließt Augustin, dass wir diese Art von Gütern, die nicht missbraucht werden können, als magna bona bezeichnen müssen. Neben diesen großen Gütern befinden sich zwei weitere Kategorien: media und minima bona: Mittlere sind die geistigen Kräfte unserer Seele, durch welche wir die höheren und geringeren Güter benutzen; geringe Güter sind dagegen die körperlichen. Beide unterscheiden sich darin von den großen Gütern, dass wir sie gut oder schlecht benutzen können; sie unterscheiden sich aber darin voneinander, dass die mittleren für das gute Leben notwendig sind, die geringen nicht 124 . Augustin rechnet so die Freiheit selbst unter die Güter, sodass wir nicht einfach äußere Güter, Güter des Leibes und Güter der Seele haben 125 , sondern zwei Arten von seelischen Gütern: magna bona, wie die Tugenden, und media bona, wie die Freiheit. Der Gesprächspartner Evodius fragt mit Recht, ob dieser Einschluss der Freiheit unter die Güter berechtigt ist, und Augustin antwortet mit dem Hinweis, dass wir die geistigen Kräfte der Seele als Güter bezeichnen können, weil sie selbst benutzt werden können: Genau wie die Vernunft nicht nur anderes erkennt, sondern auch sich selbst, so wird auch die Freiheit selbst benutzt, obwohl sie es ist, die anderes benutzt 126 . Man beachte, dass wir hier völlig innerhalb des Bereichs der menschlichen Güter sind: Magna bona sind hier nicht die ewigen Ideen oder Gott, sondern diejenigen von unseren Eigenschaften, die Die erste befindet sich in lib. arb. I, 15, 32. lib. arb. II, 18, 50. 124 lib. arb. II, 19, 50. virtutes igitur quibus recte vivitur magna bona sunt; species autem quorumlibet corporum, sine quibus recte vivi potest, minima bona sunt; potentiae vero animi, sine quibus recte vivi non potest, media bona sunt. virtutibus nemo male utitur; ceteris autem bonis, id est mediis et minimis, non solum bene sed etiam male quisque uti potest. 125 So z. B. bei Aristoteles NE I 8, 1098b 12–15. 126 lib. arb. II, 19, 51. 122 123

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nicht missbraucht werden können. Sie werden folglich nicht genossen, sondern lediglich gebraucht – aber mit einem Gebrauch, der nur gut sein kann. Dem entspricht die Tatsache, dass in diesem Kontext nicht von fruitio gesprochen wird. Fruitio ist schon Teil von Augustins Vokabular, um das Endziel zu bezeichnen, aber uti-frui werden noch nicht als rhetorisches Begriffspaar benutzt 127 . Folglich wird hier lediglich auf verschiedene Formen des Gebrauchs (uti) und Missbrauchs (abuti) hingewiesen, denn nur die menschlichen Güter werden behandelt. Diese Konzentration auf die menschlichen Güter gibt uns Gelegenheit, etwas zu Augustins Haltung ihnen gegenüber zu sagen. Er wird selbstverständlich als Teil der antimanichäischen Kritik ständig die Tatsache betonen, dass auch die geringsten Güter gut sind und dass sie aus dem höchsten Gut stammen. Neben solchen Bemerkungen wird er sich aber auch rhetorisch gegen die Wertschätzung solcher Güter wenden. Dies kann man aus verschiedenen Gründen verstehen. Einerseits kann es grob auf Augustins Platonismus zurückgeführt werden. Andererseits kann man es auf ein Argument zurückführen, das Augustin in mehreren Kontexten gebraucht: Solche Güter sind den Guten und Bösen gemeinsam, und dies legt sie bloß: Sie machen uns nicht gut 128 . Dies gilt ferner nicht nur für äußere Güter, sondern auch für geistliche Güter: Die rhetorische und literarische Tradition, in der Augustin aufgezogen worden ist, könnte als ein Beispiel solcher Güter angesehen werden. Davon ausgenommen ist ausschließlich die Liebe, die bei den Guten dasjenige gut macht, was ihnen mit den Bösen gemeinsam ist. Aber nicht nur, um die Wertschätzung äußerer Güter zu kritisieren, benutzt Augustin ein ihm eigentümliches Argument, sondern auch wenn er sie verteidigen und in seiner Erklärung der Liebe integrieren will. Statt nämlich zu betonen, dass die äußeren Güter für die Seligkeit manchmal notwendig sind, wird Augustin ihren Wert dadurch beschreiben, dass sie durch uns gut gemacht werden, ähnlich wie wir von anderen höheren Gütern besser gemacht werden. So schon in lib. arb. I: »Wer diese Güter auf rechte Weise gebraucht, zeigt, dass sie tatsächlich Güter sind, aber nicht für ihn; nicht wird

Zur chronologischen Entwicklung der Begriffe vgl. O’Donovan (1982:373–383). Verschiedene Variationen des Themas findet man u. a. in s. 90, 5; 95, 7; 311, 11; civ. XV, 22 und en. Ps. 103, 9.

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ja er durch diese besser gemacht, sondern eher sie durch ihn« 129 . Der sermo 61 kommt ebenfalls auf diese Idee zurück: Niemand zweifelt daran, dass äußere Güter tatsächlich Güter sind. Sie sind aber guten und bösen Menschen gemeinsam. Es sind also nicht sie, die uns gut oder schlecht machen können 130 : »Es gibt also Güter, die (uns) gut machen, und Güter, um das Gute zu machen« 131 . Dies kann man durch eine Aussage aus de spiritu et littera unterstützen, nämlich dass unsere Handlungen die bona bonorum sind 132 . Eine solche Aussage kann bei Augustin kaum bedeuten, dass unsere Handlungen »das Allerbeste« sind – und noch weniger in einer antipelagianischen Schrift. Bona bonorum heißt eher, dass unsere Handlungen das Gut sind, welches andere Güter gut macht. In der zitierten 61. Predigt ist aber das Gute, das uns gut macht, schon mit Gott identifiziert. Dieselbe Ausdrucksweise, die in de libero arbitrio für die magna bona benutzt wurde, wird also auf das summum bonum angewendet 133 . Dieses höchste Gut macht uns, die Mittleren, gut, sodass wir über das Geringe regieren können und es so gut machen. So stimmt diese Unterscheidung von zwei Arten von Gütern im sermo 61 mit derjenigen zwischen ewigen und zeitlichen Gütern überein: Die einen genießen wir (frui), um besser zu werden, die anderen gebrauchen wir (uti), um Gutes zu tun 134 . Versuchen wir dagegen in diesen letzteren unser Gut zu finden, ist die Handlung, um welche auch immer es sich handle, als verkehrt anzusehen 135 . In der reichlichen Literatur zur uti-frui Unterscheidung scheint mir diese im Hintergrund stehende Unterscheidung zwischen Gütern, die lib. arb. I, 15, 31. ille autem qui recte his utitur, ostendat quidem bona esse, sed non sibi; non enim eum bonum melioremque faciunt, sed ab eo potius fiunt. 130 s. 61, 2, 2. bona enim sunt et ista, quis dubitet? (…) sed ista omnia bona quae commemoravi, a bonis et malis haberi possunt; et cum bona sint, bonos tamen facere non possunt. 131 s. 61, 3, 3. est ergo bonum, quod faciat bonum: et est bonum unde facias bonum. 132 spir et litt. 11, 18. quae proprie sunt bona bonorum. Auch dort Kontrast mit Gütern, die Guten und Bösen gemeinsam sind. 133 In lib. arb. I, 8, 18 wird der Mensch schon dann für geordnet gehalten, wenn alles in ihm sich der Vernunft unterwirft, was Augustin später nicht schreiben würde ohne zugleich die Unterwerfung der Vernunft unter Gott mit einzubeziehen. Vgl. supra Kap. 2, II, A, 3, a: »medietas in Spannung«. 134 s. 61, 10, 11. ad fruendum aeterna, ad utendum temporalia; temporalia, tanquam viatoribus; aeterna, tanquam habitatoribus. temporalia unde bona faciamus; aeterna unde boni efficiamur. 135 trin. XII, 10, 15. … ut in his finem boni sui ponat aliquid agit, quidquid agit turpiter agit. 129

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uns gut machen, und Gütern, die wir gut machen, nicht beachtet worden zu sein. Deswegen nehme ich sie als Ausgangspunkt, denn sie klärt viele der Missverständnisse, die durch Augustins Gebrauch von uti entstanden sind. Dies können wir also als Ausgangspunkt nehmen: frui ist die Weise wie wir dem Gut anhängen, das uns gut macht; uti die Weise wie wir andere Güter gut oder besser machen: Durch die fruitio Dei nehmen wir den uns zugewiesenen Ort im Kosmos ein, durch das uti helfen wir, dass andere Dinge und Menschen ihren Ort finden. Unsere mittlere Stellung macht uns auf diese Weise zu einem Kanal der Güte. 2. Allgemeine Charakterisierung der Unterscheidung Es ist eine oft an Augustin geübte Kritik, dass die »strenge Differenz« zwischen uti und frui die Welt als bloßen Bereich der Instrumentalität, der utilitas, versteht, und damit den erfüllten Seinsbezug auf den Genuss Gottes beschränkt 136 : Die Welt müsste überwunden werden, indem man sie nur als Stufe für einen Aufstieg gebraucht, um zu Gott zu kommen 137 . Auf diese Kritik werden wir eingehen, indem wir zuerst eine allgemeine Charakterisierung der Unterscheidung machen, und uns dann besonders auf den Begriff des uti konzentrieren. Augustin behandelt die uti-frui Unterscheidung systematisch in zwei sehr unterschiedlichen Texten. Es handelt sich um div. qu. 30, sehr wahrscheinlich aus dem Jahr 391, und doctr. chr. I, aus dem Jahr 397 138 . Diese Texte stammen nicht nur aus verschiedenen Zeitpunkten, sondern antworten auch auf verschiedene Fragen. Der erste Text ist eine Antwort auf die Frage, »ob alles zum Nutzen des Menschen erschaffen worden ist«. Der zweite Text ist vor allem eine Behandlung des Problems der Nächstenliebe. Aus beiden Texten lässt sich eine wenn nicht in allen Punkten übereinstimmende, so doch systematisch recht klare Lehre bilden. Augustin unterscheidet zwischen solchem, das genossen (frui) werden muss und solchem, dass »gebraucht« (uti) werden muss, um das zu Genießende zu erreichen. So z. B. Blumenberg (1961:39). So Arendt (1929:22): »In dem propter ist die Zugehörigkeit des Menschen zur Welt aufgehoben – die Welt ist nunmehr nur die gebrauchte«. Eine Kritik, die sich durch Nygrens populäre Abhandlung (1955:395–402) verbreitet hat. 138 Zu den anderen Texten, in denen die Unterscheidung behandelt wird, vgl. O’Donovan (1982). 136 137

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Diese Beziehung des Menschen zum Höheren und Niedrigerem, die durch die Termini frui und uti erklärt wird, besteht nicht in einerselben Art von Liebe, die lediglich wegen der unterschiedlichen Gegenstände verschiedene Namen bekommt. In der Tat wendet sich Augustin gegen die Vorstellung, dass die Liebe je nach Gegenstand ihren Namen ändern müsste (etwa caritas, dilectio und amor) 139 . Frui und uti sind also unterschiedliche Bezeichnungen für unterschiedliche Arten zu Lieben, nicht derselben Art nur auf verschiedene Gegenstände gerichtet. Frui wird als ein »Anhängen mit Liebe« definiert 140 . Dies ist die Bezeichnung der optimalen Beziehung des Menschen zu Gott, es könnte aber auch die Beziehung eines Tieres zur Nahrung ausdrücken. Entscheidend ist das Anhängen an etwas um desselben willen. Uti dagegen ist nicht bloß durch eine Beziehung »nach unten« definiert, sondern dadurch, dass es eine Liebe ist, die den geliebten Gegenstand auf etwas anderes bezieht: Es ist ein Umgang mit etwas »zu« etwas. In diesem Zusammenhang ist vor einer alleinigen Übersetzung von uti mit »Gebrauchen« zu warnen. Uti kann auch einfach eine Begegnung besagen 141 und kann sogar für innertrinitarische Beziehungen verwendet werden 142 . Dieses uti wird manchmal einen Akt der Liebe besagen, manchmal einen Akt des Gebrauchs. Im Gegensatz zu den verschiedenen möglichen Gegenständen des uti, bindet Augustin das frui ausschließlich an Gott. Es ist die Trinität, die genossen werden soll 143 . Augustin weiß, dass man auch von einem Genießen des Zeitlichen reden kann und dass diese Redeweise üblich ist (Ursprung des frui in fructus); diesen weiten Begriff von frui grenzt er aber von seiner philosophischen Unterscheidung ab 144 . Ein Vergleich zwischen frui-uti und aristotelischer praxis-poiêsis, der sonst so vielversprechend aussehen könnte, scheint folglich aussichtslos: Nur Gott, der ja außerhalb des Bereichs unserer praxis 139 Er selbst hatte früher in div. qu. 35, 2 eine solche Unterscheidung vorgeschlagen, wendet sich aber in Io. ev. tr. 123, 5 dagegen: unum atque idem esse amorem et dilectionem. Er weicht aber selbst gelegentlich von dieser Regel ab; vgl. dazu AL I, 294–295. 140 f. et symb. 9, 19. dilectione cohaerere. doctr. chr. I, 4, 4. frui est enim amore inhaerere alicui rei propter se ipsam. Ähnlich zu honestum und utile in div. qu. 30, ln. 5–7. Zu den vielfältigen Definitionen von frui, die in Augustins Werk zu finden sind, vgl. Lorenz (1950/51:84–87). 141 Darauf hat schon Holte (1958:275) verwiesen. 142 trin. VI, 10, 11. illa ergo dilectio, delectatio, felicitas vel beatitudo, si tamen aliqua humana voce digne dicitur, usus ab illo [i. e. von Hilarius] apellatus est breviter. 143 doctr. chr. I, 5, 5. 144 civ. XI, 25.

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steht, darf genossen werden. Der bei Aristoteles in praxis und poiêsis differenzierte Bereich der Handlung scheint hier undifferenziert unter den Begriff des Gebrauchs (uti) zu fallen. Dass mehrere Kritiken der gegenwärtigen Philosophie an Augustin sich hierauf konzentrieren, scheint folglich nicht überraschend zu sein. Um darauf einzugehen, wenden wir uns zuerst ausführlich dem Begriff des uti zu. 3. Formen des uti Nach div. qu. 30 folgt die quaestio 31, die keinen Text von Augustin enthält, sondern lediglich die Wiedergabe eines ciceronischen Abschnitts über die Teilung der Seele und der seelischen Vermögen. Das Band zwischen den zwei quaestiones ist am Anfang der 30. ersichtlich: »Dem Unterschied zwischen gut (honestum) und nützlich (utile), entspricht der zwischen Genießen (fruendum) und Gebrauchen (utendum)« 145 . Von Ciceros Behandlung von honestum und utile ausgehend, hat Augustin also seine eigene Lehre entwickelt 146 . Er nimmt Ciceros Position, dass alles Gute nützlich und alles Nützliche gut ist, zur Kenntnis, entscheidet sich aber für eine genauere (magis proprie) Redeweise, nach welcher nur dasjenige als gut (honestum) bezeichnet wird, welches um seiner selbst willen gesucht wird, und als nützlich, was auf anderes bezogen wird 147 . Zu dieser ersten Charakterisierung von uti und frui kommt ihre ethische Anwendung hinzu. Jedes Laster beruht nämlich auf einer verkehrten Ordnung dieser Formen der Liebe: dass man das Gute gebraucht oder das Nützliche genießt (fruendis uti velle atque utendis frui). Tugend und Ordnung bestehen dagegen im Genuss des zu Genießenden und Gebrauch des zu Gebrauchenden (fruendis frui et utendis uti) 148 . Demgemäß wird Augustin in De doctrina christiana I das gerechte Leben als eine geordnete Liebe (dilectio ordinata) – die einem unversehrten (integer) Urteil entstammt – definieren 149 . Durch uti-frui 145 div. qu. 30, ln. 2–3. ut inter honestum et utile interest, ita et inter fruendum et utendum. Ich zitiere die kompakte q. 30 mit Linienangabe. 146 Für das Verhältnis zu Cicero in diesem Punkt vgl. Fontanier (2000). Zu Augustins anderen möglichen Quellen für diese Unterscheidung vgl. Pfligersdorffer (1987). 147 div. qu. 30, ln. 5–7. honestum dicitur quod propter se ipsum expetendum est, utile autem quod ad aliud aliquid referendum. 148 div. qu. 30. ln. 12–16. 149 doctr. chr. I, 27, 28. So auch die Definition der Tugend: civ. XV, 22. definitio brevis et vera virtutis ordo est amoris.

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wird so eine Ordnung der Liebe ausgedrückt, die der allgemeinen Seinsordnung entspricht, sodass wir diese Unterscheidung als den Kern der augustinischen Ethik ansehen können. In div. qu. 30 scheinen uti und frui zunächst eigenständige Formen der Liebe zu sein, die sich durch ihre jeweiligen Gegenstände unterscheiden, nämlich Gegenstände, die zu genießen sind und andere, die zu gebrauchen sind (fruendum est autem honestis, utendum vero utilibus) 150 . Unmittelbar nach dieser Aussage schreibt aber Augustin über die ontologische Begründung der Unterscheidung, wobei sich herausstellt, dass die utilitas und die honestas nicht verschiedene Gegenstände sind, sondern verschiedene Aspekte des einen göttlichen Wesens, auf die sich diese zwei unterschiedliche Liebesformen ausrichten können: Güte (honestas) nenne ich die intelligible Schönheit (pulchritudo), die wir genauer als spirituell bezeichnen; mit Nützlichkeit (utilitas) bezeichne ich dagegen die göttliche Vorsehung. Obwohl es mehrere sichtbare schöne Dinge gibt, die weniger genau »gut« genannt werden, ist die Schönheit selbst, aus derjenigen alles Schöne schön ist, keineswegs sichtbar. Ebenso gibt es viele sichtbare nützliche Dinge, aber die Nützlichkeit selbst, aus der alles Nützliche nützlich ist, und die wir göttliche Vorsehung nennen, ist keineswegs sichtbar 151.

Das göttliche Wesen wird in seiner zweifachen Erscheinungsform von Schönheit und Vorsehung als honestas und utilitas bezeichnet. Frui und uti beziehen sich auf diese honestas und utilitas, sowie möglicherweise auf die geringeren honestates und utilitates, die diesem göttlichen Wesen entstammen und die geringeren sichtbaren Dinge ausformen. Die verbreitete Tendenz, uti und frui hauptsächlich durch ihre unterschiedlichen Objekte zu kennzeichnen, scheint angesichts dieses Textes zu relativieren zu sein 152 . Es handelt sich hier wohl um verschiedene Gegenstandsbereiche, aber nicht in dem Sinn, dass einem göttlichen Objekt ein anderes Menschliches gegenübersteht, sondern im Sinn eines unterschiedlichen Formalobjekts. Es handelt sich um zwei Aspekte des göttlichen Wesens, Güte und Nützlichkeit, die sich in verschiedenem Maß in der Schöpfung wiederfinden. In div. qu. 30, ln. 15–16. div. qu. 30, ln. 17–22. 152 U. a. gegen Pfligersdorffer (1987:109), der schreibt, dass sie »im Sinn Augustins grundsätzlich und wesentlich verschiedene Objekte haben und in ihrer Begrifflichkeit an verschiedenen Objektbereichen sich konstituieren«. 150 151

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verschiedenem Maß, denn das uti dürfen wir auf die gesamte Schöpfung anwenden, während dies bei dem frui nicht eindeutig ist: »Es ziemt sich, die unsichtbaren Schönheiten, also die Güter, zu genießen; ob aber alle, das ist eine andere Frage, obwohl man vielleicht nur dasjenige als ein Gut (honestas) bezeichnen sollte, was man auch genießen soll. All das Nützliche soll dagegen gebraucht werden, wie es jedem einzelnen Ding entspricht« 153 . Auf den ersten Blick scheint Augustin hier, in seiner Einteilung von Dingen, auf die man sich mit uti-Liebe beziehen darf, keine weitere Unterscheidung zwischen dem uti von anderen Menschen und dem uti von materiellen Dingen zu treffen. Unter das uti fallen sowohl die eigene Vernunft des Menschen, als auch sein Leben, Dinge, von denen der Mensch sich enthält, um Mäßigkeit zu üben, andere leibliche Dinge, die er zur Wohltätigkeit erweckt, Dinge, die die Wahrheit bestätigen, usw 154. Wir dürfen uns mit allem durch uti-Liebe in Verbindung setzen, weil alles unter die Vorsehung fällt. Gerade diese Tatsache, dass sowohl der Gebrauch von materiellen Dingen als auch die Beziehung zu anderen Menschen unter den einen Begriff uti fällt (der Mensch »gebraucht so alles Sinnliche und Nichtsinnliche«) 155 , hat Kritik an Augustin hervorgerufen, da dies eine ausdrückliche Umkehrung der kantischen Maxime zu sein scheint, vernünftige Wesen nie als Mittel zu gebrauchen 156 . Im Lichte einer solchen Lesart ist die uti-frui Unterscheidung eben utilitaristisch zu verstehen, sodass um des Zieles der fruitio Dei Willen, die Welt und die Mitmenschen zu bloße Mittel hearbgewürdigt werden. M. E. hat aber hier Ragnar Holte Recht, der in diesem Text aus div. qu. 30 einen usus ascendens von einem usus descendens unterscheidet 157 . Augustin redet anscheinend undifferenziert von usus schlechthin, aber die Beispiele, die er gibt, lassen die Unterscheidung Holtes nicht nur zu, sondern sie können nur auf diese Weise verstanden werden. Usus ascendens, dass wir durch die uti-Liebe uns selbst und andere zu Gott führen, ist der in der Literatur zumeist allein beachtete Punkt: »Die 153 div. qu. 30, ln. 25–29. oportet ergo frui pulchris invisibilibus, id est honestis; utrum autem omnibus, alia quaestio est, quamquam fortasse honesta non nisi quibus fruendum est dici deceat. utilibus autem utendum est omnibus, ut quoquo eorum opus est. 154 div. qu. 30, ln. 40–54. 155 div. qu. 30, ln. 52. 156 GMS IV, 428. 157 Holte (1958:271–277). Für Holtes Identifikation des usus ascendens mit kontemplativem Leben und descendens mit aktivem sehe ich dagegen keinen Grund.

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vollkommene menschliche Vernunft, die auch Tugend genannt wird, gebraucht zuerst sich selbst um Gott zu erkennen (ad intelligendum deum), um den zu genießen, von dem sie erschaffen worden ist« 158 . Der usus descendens, durch den wir eine besondere Teilhabe an der Verwaltung der Schöpfung haben, ist aber was Augustin hier am meisten betont: Die Seele begegnet auch »den anderen rationalen Wesen um des Gemeinwesens willen (ad societatem), und den irrationalen, um sie zur Perfektion zu führen (ad eminentiam)« 159 . Dieses utitur irrationalibus ad eminentiam wird von verschiedenen Übersetzern so verstanden, dass der Mensch die irrationalen Wesen benutzt, um seine eigene Überlegenheit zu zeigen 160 . Was dieser Text m. E. zum Ausdruck bringen will – und was der usus descendens überhaupt bedeuten soll – ist aber, dass man anderen Dingen zu ihrer eigenen Vollkommenheit verhilft. Dies scheinen auch die meisten Beispiele, die Augustin gibt, zu bestätigen: »Er führt manche der zu belebenden Körper zur Wohltätigkeit (ad beneficentiam); so macht er es in der Tat mit seinem eigenen Körper« 161 . Hier ist usus nicht das Beziehen auf das fruendum (Gott), sondern das Hinzuführen zum jeweiligen Ziel, das die providentia (= utilitas) festgelegt hat. In diesem Sinn kann man mit Holte sagen, dass Augustin hier relative Ziele anerkennt, wie die mehreren ad bezeugen (ad societatem, ad eminentiam, ad beneficentiam, usw.). Durch unsere Teilhabe im usus descendens helfen wir, dass andere Teile der Schöpfung ihre relativen Ziele erreichen; durch unsere Teilhabe im usus ascendens helfen wir, dass manche von ihnen zu Gott geführt werden. Für die darin implizierte Unterscheidung zwischen einem usus ascendens und einem usus descendens findet man aber nur im Text von div. qu. 30 Gründe. Die Interpretation Holtes ist deswegen von O’Donovan als nur für div. qu. 30 gültig angesehen worden, während div. qu. 30, ln. 40–42. div. qu. 30, ln. 40–43. 160 So z. B. Perl: »um sich ihrer eigenen Überlegenheit bewusst zu werden« (S. 33). Ähnlich in BA 10:87: »elle se sert des autres animaux raisonnables comme d’une société, et des irrationnels pour sa suprématie«. So versteht es auch Canning (1983:172): »in relation to irrational creation, the intention of divine providence ist that the human person should shine out above it«. 161 div. qu. 30. l. 46–52. utitur etiam corporibus quibusdam vivificandis ad beneficentiam – sic enim utitur suo corpore –, quibusdam assumendis vel respuendis ad valitudinem, quibusdam tolerandis ad patientiam, quibusdam ordinandis ad iustitiam, quibusdam considerandis ad aliquod veritatis documentum; utitur etiam his a quibus se abstinet ad temperantiam. 158 159

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er in de doctrina christiana die uti-frui Unterscheidung im engeren Sinn vertreten sieht 162 . Dieser Verengung von Augustins Denken in de doctrina christiana glaube ich aber widersprechen zu müssen. Im Text von de doctrina christiana gibt es in der Tat keinen Anlass zu der Unterscheidung, die Holte in div. qu. 30 macht, man findet aber dort eine parallele Unterscheidung, die die Kontinuität von Augustins Gedanken zeigt. Die Lehre, dass alles zu gebrauchen ist, wird in diesem Werk nicht verändert. Aber sie wird präziser gemacht indem Augustin schreibt, dass nicht jeder usus auch als eine Form der Liebe zu verstehen ist 163 . Das heißt, es gibt nicht nur abusus und usus schlechthin, sondern neben dem Missbrauch gibt es zwei Formen von usus, von denen der eine rein instrumenteller Natur ist, während der andere gleichzeitig eine Form der Liebe ist. Und uti im Sinn von Liebe ist ein uti nur auf Dinge bezogen, die uns entweder zu Gott führen (wie ein anderer Mensch oder ein Engel), oder die etwas von Gott durch uns bekommen (wie unser Körper) 164 . Die uti-Liebe ist so nicht das Benutzen von Instrumenten, sondern eine Liebe zu Dingen, die in unsere Beziehung zu Gott integriert sind. Wir haben so insgesamt drei Arten von uti. Ansteigende uti-Liebe (1) zu denen, die uns mit Gott verbinden oder durch uns zu Gott geführt werden; absteigende uti-Liebe (2), zu den Dingen, die durch uns etwas von Gott bekommen; uti schlechtin (3) als instrumentelles Benutzen von Dingen. Auf diese Weise wird die Forderung aus div. qu. 30, das uti solle so sein wie es jedem einzelnen Ding entspricht, erfüllt. Die Kritik, nach welcher die Welt und die Menschen hier lediglich Gegenstand des Gebrauchs seien, ist also angesichts der verschiedenen Formen des uti nicht differenziert genug. Denn hinter der Unterscheidung steht nicht einfach ein Gott, der genossen werden muss und eine Welt, die zu überwinden ist, sondern die subtilere Unterscheidung zwischen Arten von Gütern, auf die wir vorhin hingewiesen haben: Güter, die uns gut machen und Güter, die wir gut machen. In De doctrina christiana fragt sich Augustin, wie die Nächstenliebe in dieses Schema einzureihen ist, denn »wir, die wir manche Dinge benutzen und andere genießen, sind selbst gewisse Dinge« 165 . Es ist O’Donovan (1982:370–371). doctr. chr. I, 23, 22. non autem omnia, quibus utendum est, diligenda sunt. 164 doctr. chr. I, 23, 22. aut nobiscum societate quadam referuntur in deum, sicut est homo, vel angelus, aut ad nos relata, beneficio dei per nos indigent, sicuti est corpus. 165 doctr. chr. I, 22, 20. nos itaque, qui fruimur et utimur aliis rebus, res aliquae sumus. 162 163

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also wiederum die mittlere Stellung des Menschen, die eine leitende Rolle in der Fragestellung einnimmt. Gott wird nur genossen, nichtrationale Wesen sind nur Gegenstand des uti; unsere mittlere Stellung besteht nun nicht darin, dass wir Gegenstand des uti und des frui sind, sondern dass wir Subjekt dieser beiden Arten von Liebe sind. Wie ist aber dann die Nächstenliebe, die Liebe zu einem anderen mittleren Wesen, zu verstehen? Augustin bezeichnet diese Frage als eine magna quaestio: Er will nicht einfach sagen, dass der Mensch um seiner selbst willen zu lieben ist, denn solche res, die um ihrer selbst willen zu lieben sind, sind diejenigen, in welchen man eine beständige Glückseligkeit findet 166 . Dies kann aber ein unbeständiges Wesen nicht für uns leisten. Der Mensch, schließt er nach einer langen Diskussion, soll nicht um seiner selbst willen geliebt werden, sondern um Gottes willen 167 . Grund für diese Konzeption ist nicht ein negatives Menschenbild, denn gerade in diesem Zusammenhang betont Augustin, dass »der Mensch etwas Großes ist, zum Bild und Ähnlichkeit Gottes erschaffen« 168 . Was Augustin vermeiden will, ist die Vorstellung, dass wir im Menschen ruhen können. Dasselbe gilt in diesem Sinn für die Liebe zu sich selbst: »Wenn der Mensch sich um seiner selbst willen liebt, dann richtet (refert) er sich nicht auf Gott, sondern, zu sich selbst bekehrt, bekehrt er sich nicht auf etwas Unveränderliches, und deswegen genießt er sich selbst auf eine defektive Weise« 169 . Der Mensch soll seine medietas als eine auf das unwandelbare Gut gerichtete leben. Erst wenn der Mensch in dieser medietas in Spannung lebt, befindet er sich in seiner besten Beschaffenheit 170 . Wenn das nicht geschieht, entspannt er sich, schreibt Augustin (ad se ipsum relaxatur) 171 . Er kehrt zu sich selbst zurück und die Spannung, die die menschliche medietas kennzeichnet, wird aufgegeben. Deswegen stellt das frui kein adäquates Verständnis der Nächstenliebe dar. Dennoch betont Augustin zugleich, dass das uti, durch welches die Nächstenliebe gekennzeichnet wird, dem frui bedoctr. chr. I, 22, 20. doctr. chr. I, 22, 21. 168 doctr. chr. I, 22, 20. magna enim quaedam res est homo, factus ad imaginem et similitudinem Dei. 169 doctr. chr. I, 22, 21. cum defectu aliquo se fruitur. 170 doctr. chr. I, 22, 21. tunc est quippe optimus homo, cum tota vita sua pergit in incommutabilem vitam et toto affectu inhaeret illi. 171 doctr. chr. I, 22, 21. melior est cum totus haeret atque constringitur incommutabili bono, quam cum inde vel ad se ipsum relaxatur. 166 167

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sonders nahe liegt. So kann in einem weiten Sinn von einem frui von anderen Dingen als Gott die Rede sein, denn wenn das Geliebte gegenwärtig ist, dann wird es notwendigerweise auch Genuss bewirken 172 . Dann wird aber Augustin dieses frui nicht durch das Anhängen an etwas um dessen selbst willen definieren, sondern als ein uti mit Liebe 173. Gemäß einer solchen Definition kann man dann den Nächsten und die verschiedenen honesta genießen, aber es ist eine Definition des frui, welche nicht mehr auf Gott bezogen werden kann: So bleibt auch hier die Einzigartigkeit der Beziehung zu Gott bewahrt. Die Kritiken an Augustin, die wir genannt haben, scheinen auf diese Weise entkräftigt zu sein. Sie würden in der Tat eher auf das stoische Verständnis der Beziehung zwischen dem summum bonum und dem Rest der Wirklichkeit zutreffen. Denn für die Stoa ist das, was nicht mit dem summum bonum identisch ist, unmittelbar ein adiaphoron, sodass das Gute nicht als etwas graduelles verstanden wird. Gradunterschiede gibt es, aber im Bereich der adiaphora, und dieser ist der Bereich der utilitas 174. Augustin grenzt sich aber von einer solchen Position ab: »Das honestum und das utile werden manchmal auf unerfahrene und vulgäre Weise als entgegengesetzt verstanden« 175 . Bezeichnenderweise grenzt er sich aber nicht nur von dieser Position ab, die die Bereiche von honestum und utile trennt, sondern auch von der Identifizierung beider, die er in Cicero findet 176 . So kommt auch hier Augustins Bemühung um eine mittlere Position zum Ausdruck. Er sucht eine Integration des uti im frui, die im Bereich des uti relative Ziele anerkennt, manche von diesen Zielen im frui integriert, gleichzeitig aber das frui in seiner Spezifität bewahrt, wie wir im Folgenden sehen werden 177 .

172 doctr. chr. I, 33, 37. cum enim adest, quod diligitur, etiam delectationem secum necesse est gerat. 173 doctr. chr. I, 33, 37 vicinissime dicitur frui cum dilectione uti. 174 Vgl. dazu Forschner (1995:165–171). 175 div. qu. 30, ln. 9–10. adversari enim haec sibi aliquando imperite ac vulgariter existimantur. Zum Problem der adiaphora bei Augustin vgl. Torchia (2000). 176 Vgl. Cicero, off. III, 34. nihil vero utile, quod non idem honestum, nihil honestum, quod non idem utile sit. Augustins Kritik in div. qu. 30, ln. 2–7. 177 Wenngleich durch andere Argumente, kommt auch Burchill-Limb (2006) zu einem ähnlich »integrierenden« Verständnis dieser Unterscheidung.

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4. Fruitio Dei, Gottesdienst und Weisheit Augustin kommt in div. qu. 30 schnell zu dem Schluss, dass alles Nützliche zu gebrauchen ist. Was das frui aller honesta betrifft, ist er aber von Anfang an zurückhaltender. Der Sprachgebrauch scheint, wie Augustin bemerkt, in eine positive Richtung zu weisen: Wenn etwas als honestum bezeichnet wird, sollte es auch genossen werden können, obwohl die geringeren honesta, die mit Gott nicht identisch sind, »weniger genau gut (honestum) genannt werden«. Dieser Bemerkung ist Augustin aber selbst kaum gefolgt. In de doctrina christiana kommt der alleinige Bezug des frui auf Gott markanter als in div. qu. 30 zum Ausdruck, was mit einer neuen Definition des frui zu tun hat. Während in div. qu. 30 das frui auf Dinge bezogen ist, in welchen wir Vergnügen finden 178 , wird es in de doctrina christiana durch das Anhängen an etwas um dessen selbst willen strenger gemacht 179 . Dass nur Gott im strengen Sinn zu genießen ist, wird auch Augustins bleibende Lehre sein. Dieser alleinige Bezug des frui auf Gott hängt natürlich mit dem allgemeinen Theozentrismus in Augustins Werk zusammen. Darauf zielt Augustin oft, wenn er über den Dienst schreibt, den wir Gott erweisen müssen. Die menschliche Weisheit besteht in der pietas (ecce pietas est sapientia, Hiob 28, 28). Was ist aber pietas? »Unter pietas verstehe ich, was die Griechen theosebeia nennen« 180 . Augustin, der sonst kaum philologische Bemerkungen macht, wird ständig in der Erklärung dieses Textes Hiobs auf die griechischen Worte hinweisen, die hinter pietas stehen. Er klagt über die Zweideutigkeit von mehreren lateinischen Termini wie cultus, religio und servitus, die, im Unterschied zu den griechischen Termini, die sie übersetzen, nicht auf Gott allein bezogen sind. Der griechische Text von Hiob benutzt nämlich nicht eusebeia, sondern das spezifischere theosebeia. Eusebeia könnte man nämlich mit einem Wort, pietas, übersetzen, aber theosebeia kann auf Latein unmöglich mit einem Wort wiedergegeben werden, und muss folglich als dei cultus übersetzt werden 181 . Also nicht nur »guter Dienst«, sondern »Gottesdienst«, sodass der

div. qu. 30, ln. 10–11. frui ergo dicimur ea re de qua capimus voluptatem. doctr. chr. I, 4, 4. amore inhaerere alicui rei propter se ipsam. 180 spir. et litt. 11, 18. 181 trin. XIV, 1, 1. Ähnliches gilt für latreia; vgl. civ. V, 15; VI, 1 und X, 1, sowie c. Faust. XV, 19 und XX, 21. 178 179

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exklusive Bezug auf Gott deutlich zutage kommt 182 . Augustin zielt dadurch auf zwei Punkte. Erstens wird auf die Verbindung zwischen Philosophie und Gottesdienst verwiesen. Es ist eine bei Augustin in verschiedenen Formen immer wieder zurückkehrende These, dass die Philosophen zwar richtige Erkenntnis über Gott erreicht haben, aber unfähig waren, ein dementsprechendes Verständnis des Gottesdienstes zu entwickeln (Röm 1, 21: »Sie haben Gott erkannt, aber haben ihn nicht gepriesen noch ihm gedankt«) 183 . Sie verfallen folglich einerseits in dieselben Fehler wie das Volk – sie verehren jemand, der kein Gott ist, erweisen ferner eine Verehrung, die weder für wahre noch falsche Götter würdig ist 184 , – bieten andererseits eine Weisheit an, die dem Volk nicht zugänglich ist. So kritisiert Augustin auch die römische Religion, deren Mangel an ethischer Lehre er darin verkörpert sieht, dass ihre Götter keine Gebote (praecepta) für das Leben gegeben haben 185 . Dort gibt es nur Kultus, ohne Weisheit. Demgegenüber vertritt er die Identität von Weisheit und Religion 186 . Zweitens weisen diese Überlegungen zum Begriff des Kultus darauf hin, dass die Beziehung zu Gott als etwas qualitativ anderes als unsere anderen Beziehungen zu verstehen ist, sodass der Gottesdienst deswegen durch einen eigenen terminus technicus, theosebeia, bezeichnet wird, genau wie es im Bereich der Liebe mit dem frui geschieht. Diese ausschließlich auf Gott bezogene Terminologie wird nur partiell verstanden, wenn man das Verhältnis zwischen uti und frui bloß als ein Verhältnis zwischen Mittel und Ziel versteht 187 . Denn Gott ist nicht nur Ziel, sondern auch Quelle. Nicht nur Quelle unseres Seins, sondern auch der Liebe, mit der wir den anderen Geschöpfen begegnen. Als solcher ist er das Gut, das uns gut macht, im Unterschied zu den Gütern, die durch unser uti gut gemacht werden. So schreibt Augustin in einer Diskussion über den Kultus, dass kei182 ench. 1, 2. nihil est commodius illo nomine, quo evidenter dei cultus expressus est cum quid esset hominis sapientia diceretur. 183 Vgl. dazu die Arbeiten von Madec (1962), Kobusch (1983), Loessl (1993) und Speigl (1995/6). 184 civ. VII, 27. 185 civ. II, 22. 186 vera rel. 5, 8 und 7, 12. Ähnlich schreibt Laktanz, sein apologetisches Programm zusammenfassend: div. inst. I, 25. ut neque religio ulla sine sapientia suscipienda sit nec ulla sine religione probanda sapientia. 187 Wie z. B. ausdrücklich bei Nygren (1955:396).

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ner, der aus einer Quelle trinkt, sagen würde, er habe der Quelle etwas Gutes getan 188 . Statt einer Quelle etwas Gutes zu tun, genießen wir sie: wir bekommen etwas Gutes aus ihr. Die Folgen dieses ausschließlichen Bezugs des frui auf Gott für die anderen Lebensbereiche lassen sich veranschaulichen, indem wir uns wieder der Bedeutung zuwenden, die Augustin dem Urteilen gibt. »Der Mensch urteilt über alles, was er gebraucht« 189 . Auch Tiere können etwas genießen, denn darin ist kein Urteil impliziert; sie können aber nichts gebrauchen, da sie nichts in Verbindung zu etwas anderem setzen können 190 . Frui ist also sowohl Ziel des Menschen als auch der Tiere, erst das uti ist dagegen das den Menschen Eigentümliche. Das dazu notwendige Urteilen ist aber auf Gotteserkenntnis gegründet und hat nie Gott selbst als Gegenstand: »Nur über Gott urteilt der Mensch nicht, denn gemäß Gott urteilt er über alles andere« 191 . Die Fähigkeit des Urteilens wäre nämlich nicht möglich, »wenn wir nicht einen eingeborenen Begriff der Güte selbst hätten, gemäß welchem wir etwas gutheißen können oder das eine dem anderen vorziehen. So sollen wir Gott lieben, nicht wie dieses oder jenes Gut, sondern als das Gute selbst. Wir suchen nämlich nach einem Gut der Seele, welches sie nicht durch das Urteilen überfliegen, sondern dem sie durch Liebe anhängen soll. Und welches könnte es sein wenn nicht Gott?« 192 Erst dank der fruitio Dei, dank diesem »durch Liebe anhängen«, wird die Möglichkeit des Urteilens über anderes eröffnet, und erst durch dieses Urteilen kann es ein uti geben. Darin muss man den Grund suchen, weswegen das frui trotz der Existenz anderer honesta auf Gott beschränkt bleibt. Augustin ist sich dieses qualitativen Unterschiedes zwischen Gott und den Geschöpfen bewusst und fasst Gott nicht bloß als einen höchsten Gegenstand auf, der als Ziel nur genossen statt gebraucht werden soll. Er ist nicht nur civ. X, 25. neque enim fonti se quisquam dixerit consuluisse, si biberit. div. qu. 30, l 53–4. 190 div. qu. 30 l 29–32 et frui quidem cibo et qualibet corporali voluptate non adeo absurde existimantur et bestiae; uti autem aliqua re non potest nisi animal quod rationis est particeps. scire namque quo quidque referendum sit, non datum est rationis expertibus neque ipsis rationalibus stultis. 191 div. qu. 30, l 54–5. de solo deo non iudicat, quia secundum deum de ceteris iudicat. nec eo utitur, sed fruitur; neque enim ad aliquid aliud deus referendus est, quoniam omne quod ad aliud referendum est inferius est quam id ad quod referendum est. 192 trin. VIII, 3, 4. sic amandus est deus, non hoc et illud bonum, sed ipsum bonum; quarendum enim bonum animae, non cui supervolitet iudicando, sed cui haerat amando, et quid hoc nisi deus? 188 189

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Ziel, sondern auch Quelle und Maß. So zielt die Lehre des alleinigen Bezugs des frui auf Gott nicht auf eine Überwindung der Welt, sondern auf ein frui, das die Möglichkeit des uti eröffnet. So wie es für das Urteilen und Gebrauchen den Raum eröffnet, ist es ferner auch dieses frui, welches wahre Gemeinschaft in der Nächstenliebe erst ermöglicht: Dadurch, dass der Nächste nicht in sich selbst ein Ziel ist, dem wir anhängen sollen, sondern immer auf etwas anderes bezogen wird, wird Gemeinschaft gestiftet, Teilhabe an einem bestimmten Gut. Würde dagegen die Nächstenliebe als ein frui aufgefasst werden, hätten wir nicht Gemeinschaft sondern verschiedene Beziehungskästchen, je nachdem, wem wir anhängen. Das frui von etwas Höherem befreit für wahre Gemeinschaft: Ein homo spiritalis »geht um so besser mit denen um, die der Zeit ergeben sind, je weniger er selbst an die Zeit gebunden ist« 193 . 5. Uti-frui und scientia-sapientia Im Folgenden wird der Versuch unternommen, die Parallelen aufzuzeigen, die zwischen der uti-frui und der scientia-sapientia Unterscheidung bestehen. Dadurch wird einerseits in einem letzten Schritt gezeigt, wie einseitig die übliche Kritik an die uti-frui Unterscheidung ist, da die ihr im Bereich des Wissens entsprechende Unterscheidung zwischen scientia und sapientia keine ähnliche Kritik hervorgerufen hat. Andererseits kommt dadurch auch der systematische Charakter von Augustins Denken deutlich zum Ausdruck. Es soll aber keine perfekte Deckung zwischen beiden Begriffspaaren erwartet werden, denn sie entstehen, wie gesehen, durch eine langsame Entwicklung, aber ohne, dass sich die beiden Entwicklungen zeitlich noch inhaltlich decken. Die Unterscheidung zwischen uti und frui bekommt ihre letzte systematische Behandlung in de doctrina christiana (397), während die Lehre von scientia und sapientia erst in den letzten Büchern von de Trinitate vollständig formuliert wird. Die Entwicklung scheint ferner in beinahe entgegengesetzter Richtung zu geschehen: scientia und sapientia entstehen aus einer zunehmenden Differenzierung des ursprünglich einheitlichen sapientia-Begriffs, während im Fall von uti und frui die Entwicklung nicht in einer zunehmenden Differenzierung besteht, sondern darin, dass die 193 vera rel. 47, 91. tractat enim tempori deditos tanto melius quanto ipse minus obligatus est tempore.

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zwei am Anfang in Unabhängigkeit voneinander vorkommenden Begriffe zu einem technischen Begriffspaar entwickelt werden. Dennoch sind die Parallelen auffallend, und eine Gegenüberstellung von beiden Begriffspaaren wird uns helfen, ihre jeweiligen Konturen schärfer aufzufassen, zumal die bisherige Forschung m. E. beide Begriffspaare übermäßig durch ihre unterschiedlichen Gegenstände gekennzeichnet hat und ich eine davon in einigen Punkten abweichende Meinung vertreten habe 194. Richten wir uns zuerst auf sapientia und frui. Die Richtung auf das ewige Gut ist für beide kennzeichnend: Sowohl frui als sapientia haben Gott, die Trinität, als Gegenstand. Durch diese Zuwendung zum Ewigen spielen sie aber auch eine Rolle in der Handlung. Wie wir gesehen haben, sündigt die scientia mit Zustimmung der sapientia, und sie wird dagegen zum Guten geleitet, indem die sapientia ihre eigene Aufgabe der Erkenntnis des Ewigen erfüllt. Gleichermaßen hat die fruitio, auf ihren eigenen Gegenstand konzentriert, eine leitende Rolle für die ganze Seele, da der Genuss des richtigen Gegenstandes in der Seele Ordnung bewirkt 195 . Wie wir gesehen haben, hängt diese Entwicklung von eigenen Termini für die Beziehung zu Gott im Bereich der Erkenntnis und der Liebe mit dem allgemeineren Theozentrismus von Augustins Werk, mit dem Problem des Kultus, mit der Identität von Weisheit und Religion, zusammen. Diese Richtung auf ein ewiges Gut hat ferner für frui und sapientia die Folge, dass ihre Beschreibung wesentlich einfacher als die von uti und scientia ist, die auf Zeitliches bezogen sind, und dadurch auf mehr als eine Art von Gegenstand. Scientia und uti werden nämlich am Anfang so beschrieben, dass sie sich auf beliebig Zeitliches zu richten zu können scheinen. Aber Augustin präzisiert später, dass scientia nicht mit den Handlungen »der linken Hand« zu tun hat, sondern lediglich mit denjenigen Handlungen, die sich in unsere Beziehung zum Göttlichen integrieren lassen. Bei der scientia besteht so die Präzisierung darin, dass nicht jedes Wissen über Zeitliches als scientia verstanden werden darf. Bei dem uti wird die Präzisierung dagegen darin bestehen, dass jede Beziehung zum Zeitlichen (die dieses Zeitliche weiter auf ein drittes bezieht) als ein uti bezeichnet wird, aber es werden dann mehrere Arten von uti unterschieden: 194 Vgl. die Zitate von Gilson (Kap. 1 Fußnote 295) für scientia-sapientia und Pfligersdorffer (Kap. 2 Fußnote 152) für uti-frui. 195 mus. VI, 11, 29. delectatio ergo ordinat animam.

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Manchmal heißt usus etwas auf Gott zu beziehen, manchmal heißt es, etwas zum jeweiligen (relativen) Ziel zu führen (div. qu. 30); ferner ist usus manchmal lediglich ein Gebrauchen, manchmal eine Form der Liebe – und auch als Liebe kann es zu denjenigen sein, die uns zu Gott führen und zu Gott von uns geführt werden, oder es kann die Liebe zu den Dingen sein, die durch uns etwas von Gott bekommen (doctr. chr.). In seiner strengsten Form entspricht also das uti der scientia: Durch scientia und uti werden die zeitlichen Dinge und die Mitmenschen in unsere Beziehung zu Gott integriert. Diese Ähnlichkeiten zwischen beiden Begriffspaaren lassen sich durch einen Vergleich zwischen ihren möglichen Entstellungen erweitern. Für die sapientia besteht nämlich die Möglichkeit einer solchen Entstellung nicht: Es kann selbstverständlich geschehen, dass man überhaupt kein sapiens ist; man kann aber keine entstellte sapientia besitzen, da sie gleichzeitig eine Wissensform und eine Tugend ist – eine Wissensform, die die Gottesliebe als Bestandteil ihres Wesens hat. Dasselbe gilt, aber in geringerem Maß, für das frui. Für die sapientia gilt nämlich uneingeschränkt, dass Gott ihr Gegenstand ist. Für das frui gilt dagegen, dass die Seligkeit für die Menschen tatsächlich in der fruitio Dei besteht, aber dass die fruitio von etwas anderem nicht unmöglich ist: der Mensch kann etwas anderes genießen, ja das ganze Ziel seines Lebens in den Genuss von etwas anderem legen; auch der Genuss des falschen Gegenstandes ist aber wahrer Genuss, wenngleich geringer als der Genuss des Höchsten. Der Mensch genießt dann z. B. »sich selbt auf defektive Weise« 196 . Eine solche fruitio ist also nicht in dem Sinn entstellt, dass sie nicht als fruitio zu betrachten wäre, sondern in dem Sinn, dass sie die Entstellung der Ordnung in der Seele bewirkt. Im Gegenteil dazu – besonders im Gegenteil zu der Unmöglichkeit einer entstellten sapientia – besteht bei uti und scientia nicht nur die Möglichkeit einer Entstellung, sondern Augustin hat sogar feste Redewendungen um diese zu bezeichnen, sodass man sie fast als technische Begriffe anwenden kann: Die Verwandlung des uti in abuti und die Beschreibung der scientia als inflata. Diese beiden Entartungen werden nur dadurch vermieden, dass scientia und uti in den größeren Umfang von sapientia und frui integriert werden: Indem das frui des Höchsten einen Freiheitsraum für den Umgang mit dem Geringeren eröffnet und indem die der sapientia eigentümliche Liebe der höchsten Dinge 196

doctr. chr. I, 22, 21. A

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der scientia ihren richtigen Modus verleiht. Das einseitige Bild von uti-frui, das in der Forschung des frühen XX. Jahrhunderts verbreitet wurde, ist schon in mehreren Arbeiten korrigiert worden 197 . Durch die Orientierung dieses Begriffspaares an Augustins Gütereinteilung, an die dynamische medietas des Menschen und an die Parallelen zur scientia-sapientia Unterscheidung, hoffe ich einen weiteren Beitrag in diese Richtung gemacht zu haben. C. Die Hierarchie von Handlung und Betrachtung Als letzter Schritt dieses Kapitels und als Vorbereitung für die Behandlung der Lebensweisen im letzten Kapitel, gehen wir hier auf die ontologischen Bedingungen für die Hierarchisierung von actio und contemplatio ein. Es ist eine übliche Kritik an Augustin und am Platonismus insgesamt, dass seine ontologischen Voraussetzungen zu einer Abwertung des aktiven Lebens führen, zu einer alleinigen Konzentration auf das kontemplative Leben. Wenngleich diese Kritik wesentliche Züge der platonischen Philosophie verkennt, ist behauptet worden, dass sie für Augustin gelten könnte, da er die politische Seite von Platons Denken nicht rezipiert habe 198 . Einer vollständigeren Antwort darauf wird unser letztes Kapitel gewidmet sein. In Annäherung wird aber die Frage hier behandelt, indem wir uns zuerst der Unterscheidung zwischen sensibilia und intelligibilia zuwenden und anschließend der Frage nach den »Seelenstufen«. 1. sensibilia und intelligibilia Für die Unterscheidung zwischen sensibilia und intelligibilia findet Augustin seit seinen frühesten Schriften biblische Belege. Die Worte Jesu »Mein Reich ist nicht von dieser Welt« (Joh 18, 36) deutet er platonisch als eine Unterscheidung zwischen einer intelligiblen und einer sensiblen Welt 199 . Und obwohl er diese Schriftdeutung später ablehnt, bleibt diese Unterscheidung als der große Beitrag des Platonismus für Augustin bestehen 200 . Der Intellekt nützt uns nichts, 197 198 199 200

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Vgl. besonders Holte (1958), Canning (1983) und Verheijen (1987). So z. B. Flasch (1994:40 und 70). ord. I, 11, 32. Zur zwei-Welten-Lehre bei Augustin vgl. Ritter (1937:33–39). retr. I, 3, 2. Die platonische Lehre selbst wird emphatisch auch in den Retractationes

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wenn wir nicht die Fähigkeit haben, sensibilia und intelligibilia zu unterscheiden201 . »Sensibilia nennen wir, was durch körperliches Sehen oder Berühren empfunden werden kann; intelligibilia, was durch Anschauung des Geistes erkannt wird« 202 . Die Frage, ob dies als Grundlage für eine Abwertung des tätigen Lebens anzusehen ist, können wir beantworten, indem wir uns zunächst dem Bereich der sinnlichen Erkenntnis zuwenden. Augustin unterscheidet hier zwischen communia und propria. Die Unterscheidung trennt nicht das, was durch die Sinne, von dem, was durch die Vernunft erkannt wird. Vielmehr trennt sie das durch die Sinne Verwandelte 203 – wie z. B. Nahrung – von dem, was durch Sinne ohne Verwandlung erkannt wird, sodass es auch für den Mitmenschen zur Verfügung steht 204 . Beides, sowohl die communia als auch die propria, wird also durch die Sinne erkannt. Aber nicht durch beliebige Sinne. Denn die Unterscheidung trifft mit einer Hierarchisierung der Sinne zusammen: Was wir essen und atmen wird durch die Sinne transformiert, was wir sehen oder hören bleibt dagegen erhalten und steht auf diese Weise jedem zur Verfügung 205 . Den Tastsinn könnte man als einen zwischen beiden stehenden Fall bezeichnen, da er nicht unbedingt seine Gegenstände transformiert, aber nichts gleichzeitig an demselben Ort von verschiedenen Menschen angetastet werden kann 206 . Es handelt sich also bei dieser Unterscheidung zwischen communia und propria um eine Hierarchisierung der Sinne. Das Kriterium für die Hierarchisierung ist, ob ein Sinnesorgan seinen Gegenstand aufbraucht oder ihn frei für weitere Aktivität lässt 207 . Das hier Bekämpfte ist das Risiko eines Sich-Einschließens im Bereich der propria entweder dadurch, dass man nur im Bereich der propria lebt, oder dadurch, dass man die communia als propria behandelt.

als Teil der christlichen Lehre verteidigt – wenn man sie leugnet, schreibt Augustin, lehrt man, dass Gott auf unvernünftige Weise die Schöpfung gemacht hat. Vgl. dazu auch div. qu. 46 ›de ideis‹. 201 duab. an. 5, 4. 202 civ. VIII, 6. 203 lib. arb. II, 19, 72. ita fit nostrum ut hoc in nos vertere et commutare possimus. 204 lib. arb. II, 19, 76. possumus ea sive uno tempore sive singulis vicissim temporibus ambo sentire, […] qualia sunt sive lux sive sonus sive corpora quae attingimus, non tamen laedimus. 205 lib. arb. II, 7, 17. 206 Beispiele in lib. arb. II, 7, 18–19. 207 Für einen allgemeinen Überblick vgl. Torchia (1989). A

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Die ethische Anwendung dieser Lehre versteht man am deutlichsten, wenn man sich der Triade von superbia, curiositas und concupiscentia zuwendet 208 . Diese Sündentriade entnimmt Augustin 1. Joh 2, 16, und sie stellt für ihn verschiedene Möglichkeiten dar, sich auf Eigenes, Äußeres oder Niedriges zu beschränken, wo das eigentliche Leben nicht zu finden ist 209 . Das Beispiel der curiositas, die sich für Wissen ausgibt 210 , wirft Licht auf Augustins Position. Kennzeichnend für die curiositas ist nämlich nicht, dass sie eine Kenntnis über etwas Verbotenes, Unnutzes oder Sinnliches ist 211 . Nicht Gegenstandsbereichen sind es, die das wahre Wissen von der curiositas unterscheiden, sondern selbst die Gotteserkenntnis kann bloße Neugier sein: »Selbst in der Religion wird Gott versucht, wenn man von ihm Wunder und Zeichen verlangt, nicht um des Heils willen, sondern nur um das Gewünschte zu erleben« 212 . Auch das Wissen über Gott kann zu curiositas degradiert werden, indem es auf Eigennutz gerichtet ist, d. h. indem diese Erkenntnis nicht als dem Bereich der communia zugehörig anerkannt wird, sondern als ein proprium behandelt wird: Gott erkennen, nur um das Gewünschte zu erleben. Gerade Erkenntnis des höchsten Gegenstandes kann eigentlich ein Abfall sein, weil es nicht in der gerechten Ordnung – in diesem Fall Suche nach Wundern um des Heils willen – geschehen ist. Die Hierarchisierung der Gegenstände, die Erkenntnis, dass die communia höher als die propria stehen, die intelligibilia höher als die sensibilia, die Kritik an superbia, curiositas und concupiscentia, heißt also keine Abwertung des Praktischen, sondern gerade eine Befreiung aus dem Sich-Einschließen in einer privaten Sphäre, die keine gelungene Praxis zulässt. Augustin wird oft die communia gerade damit in Verbindung bringen, dass sie nicht nur eine höhere Erkenntnis bieten und folglich von mehreren gleichzeitig erkannt werden können, sondern dass ihr Teilen keinen Verlust bedeutet: Eine ge-

208 Für diese häufig vorkommende Triade vgl. die Analyse bei du Roy (1966:343–363); in 351–352 eine Tabelle mit allen Vorkommnissen der Triade in den Werken Augustins. 209 lib. arb. II, 19, 53. atque ita homo superbus et curiosus et lascivus effectus excipitur ab alia vita, quae in comparatione superioris vitae mors est. 210 conf. X, 35, 54. vana et curiosa cupiditas nomine cognitionis et scientiae palliata. 211 Zur Nichtbindung an einen Gegenstandsbereich vgl. Blumenberg (1961:38). 212 conf. X, 35, 55. in ipsa religione deus tentatur, cum signa et prodigia flagitantur, non ad aliquam salutem, sed ad solam experientiam desideratam.

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meinsame Freude macht für jeden die Freude größer als eine bloß individuelle Freude sein könnte 213. Die communio beschränkt sich also nicht auf die Betrachtung, sondern bezieht sich auf alles Tugendhafte: So wie »die ratio sich keinem Betrachtenden entziehen wird, auch wenn alle Anderen gleichzeitig betrachten« 214 , gilt auch, dass »das durch das gute Leben Erreichte für alle das Gleiche ist, und es nicht weniger wird, wenn viele es haben« 215 . Was Zwiespalt, Zerstreuung, Verkehrtheit mit sich bringt, ist also nicht die Aktivität, sondern das vernunftwidrige Leben (divisio inrationalis vitae), »von Dir, dem Einen, abgewendet« 216 . Die Hierarchisierung von Handlung und Betrachtung ist also nicht Ergebnis der Unterscheidung zwischen der intelligiblen und der sensiblen Welt, sondern sowohl gelungene Handlung als auch Betrachtung sind erst durch die Erkenntnis des Intelligiblen möglich geworden. Erst von hier aus stellt sich die Frage nach der Hierarchisierung. Schon hier finden wir aber einen ersten Hinweis auf Augustins Position. Obwohl die communio in besonderem Maß für die zwei Bereiche der Betrachtung und der guten Praxis hervorgehoben wird, gibt es einen Rangunterschied: Denn obwohl die Tugenden magna bona sind, die nicht missbraucht werden können, und die deswegen notwendigerweise Teil des seligen Lebens sind, so sind sie doch im gewissen Sinn etwas Privates, das wir nicht in derselben Weise als etwas Gemeinsames genießen können, wie wir es mit der Wahrheit tun 217 . Dieselbe relative Bevorzugung der Betrachtung werden wir auch im nächsten Schritt finden.

213 conf. VIII, 4, 9. quando enim cum multis gaudetur, et in singulis uberius est gaudium, quia fervefaciunt se et inflammantur ex alterutro. deinde, quod multis noti, multis sunt auctoritati ad salutem et multis praeeunt secuturis, ideoque multum de illis et qui eos praecesserunt laetantur, quia non de solis laetantur. Ähnliches in imm. an. 6, 11 und en. Ps. 75, 17, aber bezüglich Erkenntnis statt Freude. Solche Güter besitzt man nur auf die richtige Weise, wenn man sie teilt; doctr. chr. I, 1, 1. omnis enim res, quae dando non deficit, dum habetur et non datur, nondum habetur, quomodo habenda est. 214 imm. an. 6, 11. at neque ratio cuiquam contemplanti defuerit, si omnes contemplentur. 215 vera rel. 47, 90. quo enim perveniunt bene viventes, tantundem est omnibus nec minus fit cum plures habuerint. 216 conf. IV, 15, 24. 217 lib. arb. II, 19, 52. in eo [incommutabili bono] sunt etiam virtutes omnes, quibus male uti nemo potest. nam haec quamvis magna in nomine et prima sint, propria tamen esse unius cuiusque hominis, non communia satis intellegitur.

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2. Das Wachstum der Seele In de quantitate animae stellt uns Augustin vor sieben Seelenstufen, in denen der Mensch leben kann 218 . In ihren Lehren über die Seele als Prinzip des Lebens hatten die antiken Philosophen üblicherweise drei Stufen unterschieden: vegetative, animalische und intellektuelle Seele. Augustin schließt sich dieser Tradition an 219 , teilt aber die dritte Stufe, die der intellektuellen Seele, in fünf Teile, sodass er eine Stufe für die vegetative, eine für die animalische und fünf Stufen für die verschiedenen Möglichkeiten der intellektuellen Seele auseinanderlegt 220 . Mit den ersten zwei Stufen brauchen wir uns hier nicht zu beschäftigen. Die dritte zeichnet sich aus durch den Gebrauch von Vernunft, Gedächtnis und andere Fähigkeiten im Gebiet der Künste, Politik usw., aber ohne eine besondere ethische Ausrichtung. »Das alles ist großartig und völlig menschlich. Aber Gelehrte wie Ungelehrte nehmen daran teil, und es ist guten und bösen Seelen gemeinsam« 221 . Die darauffolgenden vier Stufen unterscheiden sich von der dritten gerade darin, dass sie lobenswert sind – bonitas incipit et omnis vera laudatio. Die artes stehen so außerhalb der bonitas; lediglich Theorie und Praxis, nicht die Produktion, können eine vera laudatio verdienen. Dieses Urteil über die Produktion kann m. E. darauf zurückgeführt werden, dass es bei Gott keine Produktion gibt: Die Schöpfung ist nämlich nach Augustin nicht als poiêsis, sondern als praxis zu verstehen, denn sie besteht nur solange, wie sie bei Gott (bzw. er bei ihr) ist: »Nicht hat er die Dinge geschaffen und ist davon weggegangen, sondern sie sind aus ihm in ihm« 222 . Der Vergleich mit einer Produktion wird explizit gemacht: »Wenn ein Architekt fertig gebaut hat, zieht er ab; und wenn er fertig geworden und abgezogen ist, bleibt sein Werk bestehen. Nicht so aber die Welt, die nicht einen Augenblick bestehen könnte, wenn Gott ihr seine Regierung entziehen würde« 223 . Nicht Produktion, sondern nur Praxis und Konteman. quant. 33, 70 – 35, 79. Holte (1958:250–270) hat z. B. ausführlich nachgewiesen, wie Augustin einen Text wie »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben vom ganzen Herzen, ganzer Seele, ganzem Verstand« (Mk. 12:33) anhand dieser klassischen Psychologie der Seelenteile deutet, und diese Deutung eine zentrale Bedeutung in seinem Denken bekommt. 220 Für die Parallelen mit den klassischen antiken Positionen vgl. O’Daly (1987:12–15). 221 an. quant. 33, 72. magna haec et omnino humana. sed est adhuc ista partim doctis atque indoctis, partim bonis ac malis animis copia communis. 222 conf. IV, 12, 18. non enim fecit atque abiit, sed ex illo in illo sunt. 223 Gn. litt. IV, 12, 22. Ähnliche Analyse der Rechtfertigung in Gn. litt. VIII, 12, 26. 218 219

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plation können als Nachahmung Gottes gelten. Von den vier letzten Stufen beziehen sich folglich die ersten zwei auf die Handlung, also auf den moralischen Fortschritt und die Reinigung der Seele, und die letzten zwei auf die Gotteserkenntnis, wobei Handlung im Bereich des Menschlichen (anima, pulchrum) bleibt, während Betrachtung mit dem Göttlichen (Deus, pulchritudo) in Verbindung steht. Von den jeweils zwei Stufen steht eine erste für die Bemühung, eine zweite für den Erfolg. Es sieht also folgendermaßen aus: Stufe 4: praktische Anstrengung, »immer noch mit Mühe verbunden« 224 ; Stufe 5: moralische Reinheit; erst hier erfasst die Seele »wie groß sie ist« 225 und schreitet darauf zur Betrachtung Gottes; Stufe 6: intellektuelle Anstrengung; Stufe 7: Betrachtung. Es bietet sich schließlich das folgende Gesamtbild an 226 : Animatio

De corpore

Pulchre de alio

Sensus

Per corpus

Pulchre per aliud

Ars

Circa corpus Pulchre circa aliud

Virtus

Ad seipsam Pulchre ad pulchrum

Tranquillitas In seipsa

Pulchre in pulchro

Ingressio

Pulchre ad pulchritudinem

Ad deum

Contemplatio Apud deum Pulchre apud pulchritudinem

Ein Blick auf die dritte Kolumne zeigt, dass die drei ersten Stufen, animatio, sensus und ars, immer durch einen Bezug auf anderes als die Seele gekennzeichnet sind, aber außerdem von Präpositionen begleitet sind, die auf einen Ursprung oder ein Mittel hinweisen (de alio, per aliud, circa aliud). Die ersten zwei sind Stufen der nicht rationalen Beziehung zu etwas anderem, während die dritte Stufe (iam homini proprius) sich auf anderes auf rationale Weise bezieht und so auch rationale Verwandlungen in den Dingen verursacht. Es begegnet uns hier die uns schon bekannte Weite des frühen uti-Begriffs, denn unter diesen Begriff der ars fällt eine lange Reihe von möglichen Handlungen, die sich von der Landwirtschaft bis zur Kunst oder Politik erstrecken 227 . Dies alles wird, wie erwähnt, als 224 225 226 227

an. quant. 33, 73. an. quant. 33, 74. Die Tabelle strukturiert die Aussagen Augustins in an. quant. 35, 79. Vgl. die Auflistung in an. quant. 33, 72. A

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»großartig und völlig menschlich« bezeichnet. Nach O’Connell ist dies von der Beobachtung begleitet, dass in diesem Bereich nichts wertvolles zu finden sei (also ein Beleg für die vermeintliche Abwertung der Praxis) 228 . Augustins Beobachtung richtet sich aber nicht darauf, sondern auf die Tatsache, dass dieser Bereich der Ambivalenz nicht entzogen ist; er ist »bösen und guten Seelen gemeinsam«. Er ist nicht wertlos, sondern ambivalent. Augustins Zurückhaltung ist also nicht als Weltflucht zu erklären, sondern als eine Suche nach Bereichen menschlicher Aktivität, die dieser Ambivalenz nicht in demselben Maß ausgesetzt sind. Wo er das zu finden behauptet, dort fängt die bonitas und vera laudatio an, durch welche er sowohl das tugendhafte als auch das kontemplative Leben bezeichnet. Mit der vierten Stufe stehen wir vor diesem neuen Bereich: Hier entscheidet die Seele welche ihre eigene Stellung ist. Sie wagt es, sich selbst vor den Körper zu stellen, sie entdeckt, dass sie mehr wert ist als die weltlichen Güter, die sie »beurteilt und verachtet« 229 . Ab der vierten Stufe wird so nicht mehr aliud das Ziel sein, sondern alles wird konzentriert, zunächst in Bezug auf das, was pulchrum ist, dann in Bezug auf die pulchritudo selbst. Neben diesem Wechsel des Ziels (aliud–pulcher–pulchritudo), kann man einen Wechsel der Präpositionen feststellen. Die Präpositionen, durch welche die Beziehung zu etwas anderem beschrieben wurde, waren Präpositionen des Umgebens, aber nicht des Hineingehens oder des Zugehörens; die Stufen vier bis sieben werden dagegen mit ad und in gekennzeichnet: Es gibt in einem Moment Bemühung (ad), und in der nächsten Stufe die Ruhe nicht des etwas Habens oder Umgebens, sondern des In-etwasSein (in). Dieses Erreichen eines Ziels geschieht zweimal, zuerst in Bezug auf die Handlung, dann in Bezug auf die Betrachtung. Dies muss zusammen mit einer Beobachtung über die fünfte Stufe erwogen werden, nämlich dass dort die Seele entdeckt, wie groß sie ist (quanta sit) 230 . Dem entspricht m. E. die Tatsache, dass die sechste Stufe (ingressio) nicht als eine Stufe des Wachstums, sondern als einen gradus actionis 231 bezeichnet wird. Das Wachstum der Seele scheint also in

228 229 230 231

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O’Connell (1972:45). an. quant. 33, 73. an. quant. 33, 74. an. quant. 33, 75.

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der fünften Stufe schon zu einem entscheidenden Punkt gekommen zu sein, und die sechste Stufe ist demnach nicht mehr ein Wachstum, sondern ein Sich-auf-anderes-Erstrecken der schon gewachsenen Seele. Man könnte sogar sagen: Da die Seele weiß quanta sit, ist das Ziel der Schrift, de quantitate animae, erreicht worden. Diese in der fünften Stufe schon erreichte Größe zeigt wie verfehlt O’Connells These einer Abwertung des tätigen Lebens in Augustins frühen Schriften ist 232 . Das Leben des tugendhaften Menschen kann als schon »gewachsen« gelten. Gleichzeitig werden wir aber daran erinnert, dass dies nicht die höchste Stufe ist. Denn wenn auch eine gewisse tranquillitas in der fünften Stufe schon erreicht ist, so kann eine tranquillitas immer noch die Möglichkeit des Bösen in sich tragen. Dieses Böse würde darin bestehen, in sich selbst zu bleiben. Gott kann selig bei sich selbst sein, aber für den Menschen ist das einfache Bei-sich-selbst-Sein eher ein Verloren-Sein 233 . Es wird hier also zweifellos die Überlegenheit der Betrachtung vertreten. Aber diese wird nur dann richtig eingeschätzt, wenn zugleich beachtet wird, dass dies nicht lediglich als eine Bevorzugung der Theorie vor der Praxis zu verstehen ist, sondern indem damit eine Ausrichtung des Menschen auf Gott gemeint ist. Nicht allein, weil sie Betrachtung ist, steht diese Aktivität höher als die virtus, sondern weil der Mensch hier nicht mehr allein bei sich selbst bleibt. Diese Bevorzugung der Kontemplation durch ihre Bindung an unser Verhältnis zu Gott kommt auch in contra Faustum zum Ausdruck, hier durch ihre Bindung an die Gottebenbildlichkeit. In der Vernunft selbst, die teils kontemplativ und teils aktiv ist (ipsa ratione, quae partim contemplativa, partim activa), zeichnet sich zweifellos die Kontemplation aus. In dieser liegt nämlich die Gottebenbildlichkeit, zu der wir durch Glauben auf die Schau hin umgestaltet werden (per fidem ad speciem reformamur). Die rationale Handlung (actio rationalis) muss folglich der rationalen Kontemplation (contemplatio rationalis) gehorchen, entweder durch Glauben handelnd, wie es ist während wir zum Herrn wandeln (peregrinamur), oder durch Schauen (species), wie es sein wird, wenn wir ihm gleich sein werden 234 .

Vgl. O’Connell (1972:40–46). s. 134, 1. absit autem ab homine, ut maneat in se, qui perdidit se. Vgl. auch s. 96, 2, 2. sicut enim cadendo a se, remansit in se: sic redeundo ad se, non debet remanere in se, ne iterum exeat a se. 234 c. Faust. XXII, 27. 232 233

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Gott, Kosmos und menschliche Praxis

Gerade in diesem Text scheint aber die Überlegenheit der Kontemplation in zwei Modi begriffen zu werden: Es gibt einen Vorrang des kontemplativen Teils im diesseitigen Leben, einen anderen im ewigen Leben. Der Erörterung dieses Problems und der damit zusammenhängenden Frage nach den Lebensweisen ist unser letztes Kapitel gewidmet. 3. Zusammenfassung der Position Augustins Am Ende dieses Kapitels haben wir uns auf die Kritik an curiositas, concupiscenta und superbia konzentriert. Durch diese Kritik unternimmt Augustin den Versuch, sich von der divisio inrationalis vitae zu entfernen. Ein rationales Leben wird nur dann geführt, wenn man sich nicht auf Eigenes, Äusseres oder Niedriges beschränkt. Der Kampf gegen eine solche Verengung öffnet das Leben für Handlung und Betrachtung, wodurch wir auch ein Leben verlassen, das bloß in dem Bereich bleibt, der Guten und Bösen gemeinsam ist. Hier fängt die bonitas an. Wir haben die Weise gesehen, wie dies mit Augustins Verständnis von Gott, Kosmos und menschlicher Ordnung zusammenhängt. Eine Zusammenfassung wird uns wieder der systematische Charakter von Augustins Denken vor Augen führen. Indem er die Ethik von der Kosmologie losgelöst hat, hatte sich schon Aristoteles von Platon und der Stoa entfernt. Dennoch ist er eins mit Ihnen in seiner Würdigung der Himmelskörper und der Menschen: die Stellung der phronêsis unter die sophia entspricht der nicht besonders hohen Stellung des Menschen im Kosmos. Bei Augustin haben wir aber nicht nur eine Trennung von Ethik und Kosmologie gefunden, sondern eine Änderung in der Würdigung der Menschen und des Kosmos. Seine Lehre von scientia-sapientia ist eine Lehre über dasjenige Wissen, das Menschen in einer gespannten mittleren Stellung brauchen. Der göttliche Charakter der Himmelskörper, die niedrige Stellung der Menschen, das Nicht-Verkehren der Götter mit den Menschen und die daraus resultierende Vermittlung durch Dämonen – all dies löst sich bei Augustin durch die Lehre auf, dass nichts Gott näher steht als die menschliche Seele. Diese Seele ist zwar gefallen, und dieser gefallene Zustand hat sich als bedeutend für die Entwicklung von Augustins Verständnis der scientia herausgestellt; es gibt aber ein firmamentum scripturae und eine »mittlere zeitliche Gerechtigkeit« Christi, die die Rückkehr der Seele zu der ihr gebührenden Gottesnähe möglich machen. Indem 170

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der Mensch Jesus Christus diese Mittlerschaft erfüllt, werden ferner die Menschen zu geeigneten Mittlern zwischen dem Höchsten und dem Niedrigsten. Die Nähe des Menschen zum Höchsten kann aber nun nur unter der Bedingung einer gewissen Spannung bestehen. Ein bloßes Bleiben in der Mitte wird als ein »sich in sich selbst Verstecken« beschrieben, als ein superbire in medio, ein experimentum medietatis, ein Genießen (frui) der eigenen Position. Es ist aber an Gott, dass man adhaerere muss. Mit diesem Hinweis auf das frui, werden wir ferner zur Unterscheidung zwischen uti und frui geführt. In dieser haben wir nicht nur eine wichtige Parallele zur scientia-sapientia gefunden, sondern auch eine Einbettung der Unterscheidung in Augustins Gütereinteilungen, wo wir als besonders prominent die Unterscheidung zwischen Gütern, die uns gut machen, und Gütern, die wir gut machen, hervorgehoben haben. Dadurch wird besonders deutlich, dass die uti-frui Unterscheidung nicht konsequentialistisch gelesen werden kann, etwa als ein Befehl, um das Ziel der fruitio Dei willen, alles andere als Mittel zu betrachten. Es gibt vielmehr mehrere Varianten des uti, und nur ein geringer Teil kann als instrumentell verstanden werden. Die meisten Formen des uti sind, wie sich herausgestellt hat, eher Handlungen durch welche der Mensch seine mittlere Funktion eines »Kanals der Güte« erfüllt, indem er Niedriges gut macht und andere mittlere Wesen in sein in Richtung auf das Höchste gespannte Leben integriert. Es ist dieses Verständnis der Stellung des Menschen im Kosmos, welches der scientia-sapientia Unterscheidung ihren Sinn gibt. Es ist nämlich so, dass für Augustin weder, wie für Platon, der Kosmos göttliches Vorbild tugendhafter Praxis ist, noch, wie für Aristoteles, die menschliche Praxis prinzipiell getrennt gehalten werden muss von jeder göttlichen Realität. Vielmehr ist es eben der Mensch, der nach Agustin aufgrund seiner besonderen Gottesnähe und Ebenbildlichkeit, das Privileg besitzt, die göttlichen Regeln der Weisheit unter Bedingungen der zeitlichen Existenz zu realisieren, sodass sozusagen von den Handlungsweisen der Menschen die Geschicke der Welt abhängig sind – eine für die vorchristliche Antike völlig undenkbare Vorstellung. Indem dieses Verhältnis zwischen Augustins Sicht der Zusammenhänge zwischen Gott, Kosmos und menschlicher Praxis einerseits und seinem Verständnis der Wissensformen andererseits dargestellt worden ist, können wir uns jetzt der auch damit zusammenhängenden Frage nach den Lebensweisen zuwenden. A

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Drittes Kapitel: Aktives und kontemplatives Leben

I.

Die antiken Positionen

Seit dem Anfang des Philosophierens haben sich die Griechen mit der Klassifizierung von Lebensweisen beschäftigt: Ein Leben des Vergnügens, des Ruhmes, des Wissens – das finden wir schon bei Pythagoras. Diese Dreiteilung wird auch, oft auf die Alternative zwischen politischem und philosophischem Leben reduziert, die vorherrschende sein 1 . Die Geschichte des antiken Denkens über die Lebensweisen hat Robert Joly so zusammengefasst, dass sie als eine homogene Entwicklung gelesen werden kann: Nach einer frühen grundlegenden Entwicklung und den voneinander abweichenden Modellen von Platon und Aristoteles kommt die hellenistische Phase, in der – von Außenseitern wie Epikureer und Kyniker abgesehen, die sich vom politischen Leben entfernen – die vorherrschende Richtung die Verteidigung einer vita mixta wäre, die zunächst im Stoizismus vertreten wird, dann aber bei Plotin ihren endgültigen Sieg erreicht hätte. Dieses Ideal der vita mixta wäre dann vom Christentum übernommen und weiter vertreten worden, »notamment sous la plume de saint Augustin« 2 . Dieser Geschichte werden wir jetzt im Einzelnen nachgehen, um dann besonders diese letzte Bemerkung zu überprüfen. a) Platon In der Apologie sagt Sokrates, dass sein daimon ihm immer von der politischen Aktivität abgeraten habe. Grund ist, dass niemand das Gerechte gegen das Volk verteidigen kann und gleichzeitig überleben; die Gerechtigkeit muss folglich privat verteidigt werden 3 . Es Zur frühen Entwicklung des Problems vgl. Boll (1920), Snell (1951), Joly (1956) und Jaeger (1960:347–352). 2 Joly (1956:175). 3 ap. 31d–e. 1

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Die antiken Positionen

ist ein Zeugnis der hohen Sensibilität Platons gegenüber der Korruption durch Politik: Sie verschmutzt die Seele 4, weswegen man sich eher damit begnügen sollte, von diesem Leben rein auszuscheiden 5 . Derselbe Platon wird aber in den Mund des Sokrates die Aussage legen, dass er, Sokrates, der einzige ist, der wirklich Politik betreibt 6 . Um diesen scheinbaren Widerspruch zu verstehen, muss man beachten, dass Platon hier die Philosophie mit korrumpierten Varianten der Politik konfrontiert; und die Philosophie wird ihrerseits nicht mit einem rein kontemplativen Leben gleichgesetzt, sondern mit der Erziehung zum Guten, die die wahre Politik ausmacht. Im Gegensatz zu diesem philosophischen Leben steht die Figur des Kallikles, in dem das Genussleben und das politische Leben zusammengefasst sind. So kann man dieses Genussleben als antisozial bezeichnen – obwohl ein Politiker sie verkörpert – und das philosophische Leben als par excellence politisch 7 . Angesichts dieser Gegenüberstellung wird die Wahl zwischen diesen zwei Lebensweisen im Gorgias als das Allerdringlichste dargestellt 8 . Im Theaitetos wird diese Gegenüberstellung der zwei Lebensweisen weiterverfolgt. Das philosophische Leben zeichnet sich durch seine Freiheit aus: Der Philosoph ist nicht wie der Politiker durch das Wohlgefallen eines Publikums versklavt 9 . Der Politiker, der profesionelle Redner, ist dagegen durch die Dringlichkeit dominiert; er ist scharfsinnig und weiß, wie man schmeicheln kann: so redet er immer nur »über irgendeinen Mitsklaven« 10 . Über den Philosophen urteilt dagegen weder ein Richter noch ein Publikum: Ein entscheidender Punkt, denn es unterscheidet den Philosophen nicht nur vom Politiker, sondern auch von anderen geistigen Lebensweisen, wie die der Dichter, die auch durch ein Publikum bestimmt werden 11 . Wie erwähnt, ist dies eine Gegenüberstellung mit korrumpierter Politik. Folglich finden wir bei Platon neben dieser scharfen Gegenüberstellung von politischem und philosophischem Leben auch das Ideal eines Philosophen-Königs. Platon kann sich vorstellen, dass die Tht. 173a. rep. 496d–e. 6 Grg. 521d. 7 Darin folge ich Joly (1956:71). 8 Grg. 500c–d. 9 Tht. 172d-173b. 10 Tht. 172e. 11 Tht. 173c. 4 5

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Aktives und kontemplatives Leben

zwei Lebensweisen unter besseren Verhältnissen in eine einzige verschmolzen werden – oder eher, dass diese besseren Verhältnisse nur dadurch zustande kommen werden. Diese Einheit von politischem und philosophischem Leben ist aber nicht eine beliebige. Der Euthydemos schließt gerade mit der Kritik einer Variante eines politischphilosophischen Lebens ab: Sokrates kritisiert diejenigen, die Prodikos – der erste Vertreter einer vita mixta 12 – als Grenzfälle zwischen dem Politiker und dem Philosophen bezeichnet hatte 13. Diese »Intellektuellen« sind nicht mit dem platonischen Philosophen-König zu verwechseln, denn was jenen kennzeichnet ist, dass »sie sich für Leute halten, die sich maßvoll der Philosophie und maßvoll der Politik widmen« 14 . Was Platon darin kritisiert ist gerade diese Vorstellung, dass man sich mit der Philosophie in einem bestimmten Maß beschäftigen kann (etwa bis zu einem bestimmten Alter), eine Vorstellung, die auch in anderen platonischen Dialogen der Kritik unterzogen wird 15 . Im Gegensatz dazu muss der Philosoph-König als durch und durch philosophisch betrachtet werden. Er widmet sich der Philosophie nicht »maßvoll«. Wenn wir in ihm eine Einheit der zwei Lebensweisen finden, so sollte diese also nicht als eine vita mixta bezeichnet werden, die eher der im Euthydemos kritisierten Vorstellung nahe kommt. Der Philosoph-König ist kein »halb-Philosoph«, sondern er übertrifft die anderen Lebensweisen gerade indem er Philosoph ist, und auf diese Weise mehr Ehre und mehr Vergnügen als ein politisches oder ein Genußleben hat 16 . Bei Platon ist so das philosophische Leben zweifellos das ehrwürdigste Leben. Wenn der Philosoph dann trotzdem zur Politik gezwungen werden muss, so deswegen, weil wir noch nicht auf der Insel der Seligen sind 17 und weil das Glück des Einzelnen vom Glück des Gemeinwesens übertroffen wird 18 . b) Aristoteles Wenden wir uns jetzt Aristoteles zu. Es ist wichtig, dass er die Frage nach den Lebensweisen explizit an seine eudaimonia-Lehre knüpft: 12 13 14 15 16 17 18

174

Vgl. dazu Joly (1956:68). Euth. 305c. Euth. 305d–e. Vgl. Grg. 485a; rep. 498a. rep. 581c-583b. rep. 519c. rep. 519e.

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Die antiken Positionen

Man versucht nicht zu Unrecht, schreibt er, die Idee des Guten und der Seligkeit anhand der Lebensweisen zu verstehen 19 . Diese Bindung der Seligkeit an die Lebensweisen ist besonders stark, weil das gute Leben nicht als ein Prozeß verstanden wird, dessen Ziel außerhalb seiner selbst liegt. Das gute Leben ist im Gegenteil mit der eudaimonia identisch: Obwohl die Menge und die Weisen der eudaimonia unterschiedliche Inhalte zuschreiben, schreibt Aristoteles, sind sie darin einig, dass sie Seligkeit mit Gut-Leben (eu zên) und Sich-Gut-Verhalten (eu prattein) als eins sehen 20 . Die Seligkeit ist also nicht einfach das durch eine bestimmte Art von Leben Erreichte, sondern ist dieses Leben selbst, und wird so deutlich anhand der Lebensweisen erkannt. Um den Inhalt dieser Seligkeit genauer bestimmen zu können, fragt Aristoteles nach einer bestimmten Leistung (ergon) des Menschen. So wie es eigentümliche Leistungen des Künstlers und Flötenspielers gibt, muss es eine eigentümliche Leistung des Menschen als solchem geben. Diese kann aber nicht bloß das Leben sein, die wir gemeinsam mit den Pflanzen haben, sondern muss aus etwas uns Spezifischem bestehen 21 . Das Gesuchte (das menschliche Gut, anthrôpinon agathon) muss also »eine Tätigkeit (energeia) der Seele gemäß der Tugend sein, und wenn es mehrere Tugenden gibt, dann gemäß der besten und vollkommensten; und dies ein ganzes Leben hindurch«22 . Es geht also um eine Aktivität: Der Bestiz der Tugend reicht nicht aus, sondern sie muss ausgeübt werden 23 . Nun gibt es wie bekannt zwei Teile der Seele mit ihren jeweiligen Tugenden; zwei Weisen, in denen ein vernunftgemäßes Leben geführt werden kann. So wie die Politik mit der Feststellung anfängt, dass wir politischer Natur sind 24 , fängt die Metaphysik mit der Feststellung an, dass alle Menschen von Natur aus nach Wissen streben 25 . Für die zwei besten Lebensweisen gibt es so eine ontologische Begründung in der Natur des Menschen. Diese ontologische Begründung ist insofern von Bedeutung, als das philosophische Leben dann nicht einer besonderen NE I 3, 1095b 15. NE I 2, 1095a 19. 21 NE I 6, 1097b 22–1098a 4. 22 NE I 6, 1098a 16–18. Vgl. auch MM I 4, 1185a 1–5. 23 NE I 3, 1095b 34–35 und X 6, 1176a 33 – 1176b 5; polit. VII 3, 1325a 31–32. 24 polit. I 2, 1253a 2–3. 25 met. A 1, 980a 1. Für diese doppelte anthropologische Begründung der zwei Lebensweisen vgl. Kullmann (1995:261–275). 19 20

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Aktives und kontemplatives Leben

Verteidigung bedarf: Es ist natürlich, dass der Mensch dem ihm Angeborenen folgt. Diese für beide Lebensweisen ähnliche Begründung weist auf einen bedeutenden Unterschied zu Platon hin: Die Tatsache, dass Aristoteles das philosophische Leben nicht mit einem korrumpierten politischen Leben vergleicht, sondern mit einem gelungenen. Viele Schritte der aristotelischen Argumentation können in diesem Sinn als eine Rehabilitierung des politischen Lebens gesehen werden. Dieser Unterschied zu Platon wird z. B. dann ersichtlich, wenn man über Freiheit und Sklaverei spricht. Während Platon das politische Leben als sklavisch gekennzeichnet hatte, und nur in der Philosophie Freiheit finden konnte, wird Aristoteles Formen der Autarkie in beiden Lebensweisen finden. Das philosophische Leben ist zwar autark in dem Sinn, dass die Philosophie befreit und eigentümlich für freie Menschen ist 26 . Aber das politische Leben strebt auch nach Autarkie: »Ein Haushalt ist autarker als der Einzelmensch, aber die Polis ist autarker als der Haushalt« 27 . Nur im Verbund mit anderen wird die Freiheit erreicht. Freiheit grenzt also nicht das philosophische vom politischen Leben ab, sondern sowohl das politische als auch das philosophische Leben von anderen Lebensweisen 28 . Ähnliche Versuche zur Rehabilitierung des Politischen kann man in anderen Punkten feststellen. So die Tatsache, dass Aristoteles das Ziel dieses Lebens nicht nur in die Ehre setzt, denn das wäre etwas Äußerliches, das mehr in dem Ehrenden als in dem Geehrten liegt 29 – ein Argument, welches darauf zielt, dass das politische Leben uns auch zur Vervollkommnung hilft. Neben dieser Rehabilitierung des politischen Lebens kann man aber auch eine Verteidigung des philosophischen Lebens erkennen, indem der Vorzug des praktischen Lebens – eben eine praxis zu sein – auch als Merkmal des philosophischen Lebens gesehen wird. Aristoteles stellt fest, dass nicht alle Handlungen (praxeis im weitesten Sinn) praxeis im vollendeten Sinn sind, sondern manche bloß Bewegungen (kinêseis) sind 30 . Nur eine vollendete praxis gilt als tätige Wirklichkeit (energeia) 31 . Aber gerade dies, tätige Wirklichkeit, ist die reine Theorie auch 32 . Die zwei Lebensweisen 26 27 28 29 30 31 32

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Vgl. met. A 2, 982b 27–28. polit. II 2, 1261b 10–15. Vgl. NE I 3, 1095b 19–22 und 1096a 5–6. NE I 3, 1095b 24–25. Vgl. met. Q 6, 1048b 18–36. met. Q 6, 1048b 28 und 34–35. NE X 8, 1178b 7–8.

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treten also auf recht gleichem Boden auf: Beide sind moralisch, sie können als praxeis im höchsten Sinn gelten, als energeiai, keine ist auf Ehre beschränkt, sie sind durch Freiheit gekennzeichnet. Die Gründe, die zu einer Wahl zwischen diesen zwei Lebensweisen führen, werden folglich alle durch bevorzugende und nicht durch ausschließende Kriterien unterstützt sein. Die Beste wird lediglich besser als die andere sein. Diese Kriterien, die zur Bevorzugung des philosophischen Lebens führen, sind bekanntlich im Buch X der Nikomachischen Ethik zusammengefasst. Zuerst wird auf die ontologische Rangordnung hingewiesen: Die theoria ist das Vornehmste in zweifacher Hinsicht: Einerseits weil die Vernunft das Vornehmste in uns ist, andererseits weil die theoretische Philosophie sich auf die vornehmsten Objekte im ganzen Feld der Erkenntnis richtet 33 . Zweitens wird auf diese Tätigkeit als die anhaltendste hingewiesen. Drittens ist diese Tätigkeit mit Lust verbunden. Das Genussleben in seiner vulgären Form ist schon zurückgewiesen worden, Aristoteles hält aber daran fest, dass Lust, als etwas hinzukommendes, Teil der eudaimonia ist, und die theoria bietet die reinste und beständigste Lust, wobei er nicht an die Lust des Suchens und Findens denkt, sondern an die größere Lust der Betrachtung des schon Gewussten 34 . Viertens ist diese Lebensweise durch das höchste Maß von Autarkie gekennzeichnet. Der Weise braucht weniger Güter als der Mann von ethischer Tugend, und braucht auch die Mitmenschen weniger. Dies schließt aber nicht aus, dass er möglicherweise besser betrachten wird, wenn er Mitarbeiter hat, denn mit Freunden »sind wir zum Denken und Tun fähiger« 35 . Schließlich ist nur die Betrachtung eindeutig in sich selbst ein Ziel 36 , denn »nicht lediglich diejenigen Gedanken sind praktisch, die in einer Handlung ihr Ziel erreichen, sondern praktisch sind vielmehr die Betrachtungen und Gedanken, die ihr Ziel und ihre Ursache in sich selbst haben« 37 . Das philosophische Leben ist so das glückseligste, während das Leben gemäß sonstiger Tugend als »an zweiter Stelle glückselig« bezeichnet wird 38 . Bedeutend ist die Tatsache, dass das Lob des philosophischen Le33 34 35 36 37 38

NE X 7, 1177a 19–21. NE X 7, 1177a 21–27. NE VIII 1, 1155a 15–16. NE X 7, 1177b 1–26. polit. VII 3, 1325b 17–21. NE X 8, 1178a 9. A

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Aktives und kontemplatives Leben

bens mit Aristoteles’ Zugeständnis endet, dass ein solches Leben, in dem sich diese Bedingungen erfüllen, uns qua Menschen nicht zukommt, sondern nur, indem wir etwas Göttliches in uns haben 39 – die Götter, die keine ethischen Handlungen ausführen, sind kurz zuvor als Modelle der größten eudaimonia dargestellt worden 40 . Dies ist aber nicht als eine Preisgabe der gerade von Aristoteles verteidigten Position zu verstehen. Denn kurz darauf wird er schreiben, dass dieses Göttliche in uns »unser wahres Selbst ist« 41 . Diese Spannung zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen in uns begleitet die ganze Diskussion über die Lebensweisen 42 . Das politische Leben ist ein Leben von Tätigkeiten menschlicher Art (energeiai anthrôpikai) 43 , und auch der Philosoph will gemäß ihnen leben, um so als Mensch zu leben (anthrôpeuesthai) 44 . Gegenüber dieser »Vermenschlichung« steht aber die Bemühung, »unsterblich zu sein« (athanatizein), wie die Götter zu sein, die kurz zuvor dem Philosophen als Ziel vorgelegt worden ist 45 . Grund dieser Spannung ist die Tatsache, dass der Mensch etwas Zusammengesetzes ist. Ein einfaches Wesen wie Gott bedarf nicht der Abwechslung, sondern erreicht durch ein und dieselbe Handlung (praxis) immer die höchste Lust, eine Handlung die eben nicht in Bewegung, sondern in Freiheit von derselben besteht, in der Ruhe 46. c) Die Stoa Diese Bevorzugung des kontemplativen Lebens wird in der Stoa kritisiert: Epikureer und Peripatetiker gleichzeitig kritisierend, hat Chrysipp dieses rein theoretische Leben mit dem Genussleben gleichgestellt 47 . Welche Position demgegenüber die Stoiker vertreten, erfahren wir bei Diogenes Laertios: »Von den drei möglichen Lebensweisen, der theoretischen, der praktischen und der rationalen, sagen sie, dass man die dritte wählen muss; denn die Natur habe absichtlich das rationale Lebewesen zur Theorie und Praxis geeignet 39 40 41 42 43 44 45 46 47

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NE X 7, 1177b 26–28. NE X 8, 1178b 8 ff.. Vgl. auch met. L 6–7 für den Gottesbegriff. NE X 7, 1178a 2. Vgl. dazu Gastaldi (2003:114–131). NE X 8, 1178a 10. NE X 8, 1178b 7. NE X 7, 1177b 33. NE VII 15, 1154b 24–28. St. rep. 1033d.

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Die antiken Positionen

gemacht« 48 . Weder rein theoretisches noch praktisches Leben scheint also vorgeschrieben zu sein, sondern vernunftgemäßes (logikos). Aber es wird nicht weiter erklärt, worin sich ein logikos Leben von dem theoretischen oder praktischen Leben unterscheiden würde oder unter welchen Umständen ein logikos sich der Theorie widmen würde 49. Soll es ein »gemischtes Leben«, teils aus Theorie, teils aus Praxis bestehend, sein? Dies scheint nicht der Fall zu sein. Von den stoischen Weisen haben manche ein theoretisches und manche ein praktisches Leben geführt. Dies ist nicht eine Mischung, sondern der Weise tut nur das, was der Situation angemessen ist, sich manchmal theoretisch, manchmal praktisch betätigend. Für die Entscheidung in der konkreten Situation kann auf die Nützlichkeit als Kriterium verwiesen werden. Aber diese Nützlichkeit, wie Seneca es deutlich macht, ist nicht unbedingt als ausschlaggebendes Argument zugunsten des aktiven Lebens anzusehen: »Dies nämlich wird von dem Menschen verlangt, dass er anderen nützlich sei: Wenn möglich, vielen; wenn nicht, wenigen; wenn nicht, den nächsten; wenn nicht, sich selbst« 50 . Aber es kann sogar eine Betrachtung der Werke Gottes verlangt werden, die nicht einmal uns selbst in erster Linie nützt. »Wer das betrachtet, was leistet er für Gott? Dass seine großen Werke nicht ohne Zeugen bleiben« 51 . Die Frage nach den Lebensweisen wird so in der Stoa relativiert: Die alten Stoiker haben betont, dass der Weise sich in der Politik beteiligen muss, aber gerade der stoische Kosmopolitismus kann einen Ausweg aus dieser Notwendigkeit anbieten, wenn res publica im weitesten Sinn verstanden wird: Man kann für sich selbst, für andere oder für Gott nützlich sein, und die Nützlichkeit ist dann an keine bestimmte polis gebunden, sondern kann auch in der Betrachtung der Werke Gottes bestehen. Beide Lebensweisen können gemäß der Natur sein, aber keine ausschlaggebenden Argumente werden für die jeweilige Wahl angegeben. Die stoische Position sollte so nicht vor allem als Verteidigung einer vita mixta gekennzeichnet werden, sondern durch die relative Indifferenz gegenüber der Wahl der Lebensweise.

48 49 50 51

DL VII, 130; ähnlich Seneca in ot. IV, 2. Vgl. Forschner (1999:185–6). ot. III, 5. ot. IV, 2. A

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Aktives und kontemplatives Leben

II. Augustin Das Problem der Lebensweisen begleitet Augustin in allen seinen Lebensphasen, obwohl er diesbezüglich nicht eine feste Terminologie gebraucht, wie er es im Bereich der Wissensformen mit scientiasapientia gemacht hatte. Er wurde für ein aktives Leben erzogen, das er durch Suche nach weltlichem Ruhm kennzeichnet 52 . Diese Erziehung ist auch erfolgreich gewesen: Durch seinen Wechsel nach Rom und Mailand wird er bald magister rhetoricae im kaiserlichen Hof und muss auch eine Lobrede auf den Kaiser halten 53 . Unzufrieden fragt er sich aber nach dem besten modus vitae 54 und erwägt auch vor der Bekehrung, dem Impuls des Hortensius folgend, die Idee einer vita communis 55. Nach der Bekehrung wird dies durch den Rückzug der Freunde nach Cassiciacum verwirklicht, eine Periode die Augustin als christianae vitae otium bezeichnet 56 . Mit dem Wunsch dies weiterzutreiben, kehren die Freunde zurück nach Afrika, wo das Programm des deificari in otio auch eine Zeit lang in Thagaste gelebt wird 57 . Die Donatisten werden ihm tatsächlich später den Vorwurf machen, diese fremde Lebensweise des Mönchtums in Afrika eingeführt zu haben 58 . Eine starke Wende kommt, als Augustin in Hippo gezwungen wird, Presbyter zu werden und später auch Bischof 59. In beiden Fällen wird dies aber durch die Einrichtung von Häusern für die vita communis begleitet 60 . Ab diesem Moment wird er also die zwei Lebensweisen gewissermaßen nebeneinander erleben: Er wäre lieber ein Mönch 61 und flieht sobald er kann zur Kontemplation 62 . »Ich lerne lieber als ich unterrichte« 63 und »ich Vgl. u. a. conf. I, 9, 14; I, 12, 19; VI, 10, 16 und IV, 14, 23. illum in amore laudantium magis amaveram quam in rebus ipsis, de quibus laudabatur. 53 conf. V, 13, 23 und VI, 6, 9. 54 conf. VI, 10, 16. 55 conf. VI, 14, 24. 56 retr. I, 1, 1. 57 Vgl. ep. 10, 2. 58 c. litt. Pet. III, 40, 48. deinceps perrexit ore maledico in vituperationem monasteriorum et monachorum, arguens etiam me, quod hoc genus vitae a me fuerit institutum. Dies wird von Augustin nicht zurückgewiesen. 59 Vgl. dazu Possidius, vita Augustini 4, 1 und ep. 34, 1. maiorem mihi coepiscopatus sarcinam imponeret. 60 s. 355, 2. 61 op. mon. 29, 37. 62 conf. X, 40, 65. 63 ep. 193, 4, 13. 52

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lese lieber als ich schreibe« 64 . »Niemand übertrifft mich, was das Verlangen nach müßiger Betrachtung betrifft. Nichts ist besser als die göttlichen Dinge zu durchforschen; es ist süß und gut – aber zu predigen, ermahnen, die Not eines jeden lieb zu haben, das ist eine große Last und große Arbeit. Wer würde von dieser Last nicht fliehen?« 65 Aber er flieht nicht. So sollte es uns vielleicht nicht wundernehmen, dass man Augustin sehr unterschiedliche Positionen zugeschrieben hat – eine Entwertung des Politischen, eine Verteidigung der vita mixta oder eine Konzentration auf das Praktische durch die Beschränkung des kontemplativen Lebens auf die Ewigkeit. Uns zuerst der Frage nach der Seligkeit zuwendend, werden wir jetzt dieses Problem erörtern. A. Die Frage nach der Seligkeit und den Lebensweisen in der frühen Reflektion 1. Der Begriff der Seligkeit Auf die Tatsache, dass alle Menschen selig sein wollen, beruft sich Augustin immer wieder 66. Worin diese Seligkeit besteht, darüber sind sich aber die Menschen nicht einig, wie er auch weiß. Seine ersten Schriften, de beata vita und contra academicos, befassen sich eingehend mit diesem Problem. Die Teilnehmer des Gespräches in contra academicos sind sich darin einig, dass das selige Leben ein Leben gemäß dem Besten in uns sein muss, welches mens oder ratio genannt wird 67 . Im ersten Buch des Werkes bleibt aber die Frage strittig, ob die Aktivität der Suche nach der Wahrheit genügt, oder ob die Wahrheit auch gefunden werden muss, um ein Leben als selig zu kennzeichnen. Dieses erste Buch des Werkes ist in der Tat noch nicht der im Titel versprochenen Widerlegung des Skeptizismus gewidmet, die erst in den Büchern II und III stattfindet, sondern der

trin. III, prol. s. 339, 4. 66 Vgl. u. a. beata v. 2, 10; conf. X, 21, 31; civ. X, 1; s. 150, 4, 5 und 306, 3, 3. 67 Acad. I, 2, 5. quid censes, inquam, esse aliud beate vivere nisi secundum id quod in homine optimum est vivere? (…) haec autem, ne aliam postules definitionem, mens aut ratio dici potest. 64 65

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Einübung in die Grundregeln des Philosophierens 68. Das philosophische Leben tritt so in den Vordergrund: Sollten wir ohne Erkenntnis – also nur durch Suche derselben – selig sein können, schreibt Augustin, könnten wir die Erkenntnis entbehren 69 . Diese Alternative zwischen Wahrheitssuche und Wahrheitsfindung als hinreichende Bedingung für Glück wird bis zum Ende des ersten Buches offen gehalten 70 . Erst in de beata vita, zwischen den ersten zwei Büchern von contra academicos geschrieben, vertritt Augustin, dass die Wahrheit auch gefunden werden muss, denn niemand ist glücklich, wenn er nicht hat, was er begehrt 71 . Und erst auf dieser Basis findet die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Skepsis in Acad. II–III statt. In de beata vita wird die Seligkeit ins Zentrum der Diskussion gestellt und als »Gott haben« definiert 72 . Der Weg zu dieser Antwort ist durch folgende Überlegungen vorbereitet worden: Selig kann nur der sein, der das hat, was er will. Es zu haben genügt aber nicht: Da es nämlich weggenommen werden könnte, werden wir fürchten, es zu verlieren; und in einem Zustand der Furcht kann niemand selig sein. Das selige Leben muss also ein »intelligentes Leben ohne Furcht« sein 73 . Dieser Wunsch nach einem Leben ohne Furcht ist in der Tat allen gemeinsam. Gute und Böse unterscheidet aber die Strategie, dies zu erreichen: Während die Bösen bloß Hindernisse zu beseitigen versuchen, um das Unbeständige genießen zu können, suchen die Guten solche Güter, die prinzipiell nicht weggenommen werden können 74 . Es handelt sich um einen bedeutenden Gedankengang, auf den Augustin ab jetzt immer wieder zurückkommen wird 75 : Die Seligkeit muss im Besitz von etwas bestehen, dass wir haben wollen und dass uns nicht weggenommen werden kann 76 . Das selige Leben, schreibt Augustin dementsprechend, ist nichts anderes als sich an wahren und

Die Einsicht in Protreptik und Propädeutik als die entscheidenden Aspekte von Acad. I ist Schlapbach (2003:4–13 und 66–72) zu verdanken. 69 Acad. I, 2, 5. si ad hanc rem possumus absque veritate pervenire, quaerenda nobis veritas non est. 70 Acad. I, 9, 25. 71 beata v. 2, 14 und 3, 21. 72 beata v. 2, 11. Deum igitur, inquam, qui habet, beatus est. 73 div. qu. 35, 1. amandum est sine metu cum intellectu vivere. 74 lib. arb. I, 4, 10. 75 Vgl. div. qu. 35, 2; mor. I, 3, 5; s. 306, 8, 7. 76 beata v. 2, 11. ergo nullo modo dubitamus, si quis beatus esse statuit, id eum sibi conparare debere, quod semper manet nec ulla saeviente fortuna eripi potest. 68

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sicheren Gütern zu freuen 77 . Die stoische Idee, dass die Menschen deswegen die Seligkeit nicht erreichen, weil sie sich solches wünschen, das außerhalb des Bereichs ihrer prohairesis steht, bietet sich für einen Vergleich an 78 . Nach dieser Vorstellung muss man sich nach solchem sehnen, das in unserer Macht liegt, wie etwa die Tugend. Augustin nimmt diesen Ausgangspunkt auf, modifiziert ihn aber, weil er auch unsere Tugend für wandelbar hält, und nur etwas Unwandelbares die gestellte Forderung erfüllen könnte. So wird die stoische Lehre verändert: Das was gesucht werden muss ist etwas, das uns nicht weggenommen werden kann, aber das dennoch nicht völlig in unserer Macht liegt. Ein solches Gut, das nicht von Unsicherheit oder Ambivalenz angesteckt ist, können aber die Teilnehmer des Gesprächs in de beata vita nicht unter den irdischen Gütern finden. Also muss die Seligkeit »Gott haben« sein. Was heißt aber »Gott haben«? In div. qu. 35 wird die Antwort darauf »Erkenntnis des Ewigen« lauten. Darin liegt nämlich das Besondere am Ewigen: Es zu haben heißt es zu kennen, denn man kann es auf keine andere Weise haben; ein solcher Besitz aber, also Erkenntnis, kann nicht weggenommen werden 79 . Die Teilnehmer des Dialoges de beata vita antworten aber zunächst nicht durch einen Hinweis auf die Betrachtung, sondern geben eine Reihe von verschiedenen Antworten, die die Weite des Begriffs »Gott haben« bezeugen, der sich nicht ausschließlich in Erkenntnis erschöpft 80 : »Derjenige hat Gott, der gut lebt« (Licentius), »Derjenige hat Gott, der das macht, was Gott will« (Trygetius), »Der hat Gott, der keinen unreinen Geist hat« (Adeodatus). Augustins Mutter dagegen, die die einfache christliche Pietät im Dialog darstellt, erklärt sich mit allen diesen Antworten zufrieden, aber besonders mit der letzten 81 . Die Argumentation wird sich dann von Augustin geleitet weiterentwickeln. Er betrachtet alle diese Antworten als möglicherweise synonym82 , ersetzt aber »Gott haben« mit »einen gnädigen Gott haben« (Deum propitium); denn alle, auch die Unseligen, haben 77 lib. arb. I, 13, 29. nisi tu putas aliud esse beate vivere quam veris bonis certisque gaudere. 78 Vgl. z. B. Epiktet, diat. IV, 4, 23. 79 div. qu. 35, 2. quid est aliud beate vivere nisi aeternum aliquid cognoscendo habere? aeternum est enim, de quo solo recte fiditur, quod amanti auferri non potest. 80 Zu diesem integralen Charakter des »Gott haben« vgl. Beierwaltes (1981:41). 81 beata v. 2, 12. 82 beata v. 3, 17–18.

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Gott 83 . Nachdem am Ende des Dialogs das selige Leben mit der plenitudo zusammengebracht worden ist, definiert Augustin ein solches Leben folgendermaßen: »Pietätvoll und vollkommen zu erkennen, wer uns zur Wahrheit führt, was diese Wahrheit, die wir genießen, ist, und wodurch wir dem höchsten Maß verbunden sind« 84 . Seitens des Menschen haben wir also zwei Elemente: Nicht nur Erkenntnis, sondern mit einer bestimmten Einstellung: pie perfecteque cognoscere. Auf der anderen Seite sehen wir, dass Gott nicht lediglich Gegenstand dieser Erkenntnis ist, sondern die ganze Trinität mit einbezogen ist, indem Gott Gegenstand der Erkenntnis und des Genießens ist, aber zugleich als zweite Person zur Wahrheit führt und als dritte Person uns mit der Wahrheit in Verbindung bringt. Während die einfache Pietät der Mutter vor allem die Notwendigkeit einer Reinigung betont hatte, wird diese bei Augustin erhalten bleiben, aber es wird ein vollständigerer Katalog von zu behandelnden Problemen aufgelistet: die richtige Haltung (pie), die gesuchte Erkenntnis (perfecteque congnoscere), das Ziel (qua veritate perfruaris), der Weg (a quo inducaris in veritatem, per quid conectaris summo modo). Damit sind die wichtigsten Themen des Problemkreises angegeben und wir können uns den Lebensweisen zuwenden. 2. Die Lebensweisen a) contra academicos und de beata vita Augustin wird besonders in den Texten nach der Bekehrung über seine Wahl eines besseren genus vitae sprechen. Er lädt seinen Gönner Romanianus zu einer beata altera vita ein 85 , die nicht um vergängliche Güter kreist. Dieses neue Leben, das allein selige, ist das Leben der Philosophie 86, ein mehr als menschliches Leben 87 . Augustin beschreibt dieses Leben einerseits durch die der Philosophie eigentümliche Muße und Suche nach der Wahrheit, andererseits durch den Vergleich mit dem alten Leben, welchem er keinen Namen gibt, aber durch die Eigenschaft des politischen Lebens beschreibt: Suche beata v. 3, 21. beata v. 4, 35. illa est igitur plena satietas animorum, hoc est beata vita, pie perfecteque cognoscere, a quo inducaris in veritatem, qua veritate perfruaris, per quid conectaris summo modo. 85 Acad. I, 1, 2. 86 Acad. II, 2, 4. nulla beata vita, nisi qua in philosophia viveretur. 87 Acad. III, 17, 38. plus quam humana consuetudo. 83 84

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nach Ehre 88. Unmittelbar nach seiner Bekehrung scheint er also nur für eine Lebensweise positive Argumente zu sehen: die philosophische. In der Beschreibung dieser Lebensweise wird die Philosophie mit einem großen Hafen verglichen: Man ist vom Meer geschützt, aber auch der Hafen hat eine gewisse Größe und ist nicht frei von Gefahr 89. Sie wird ferner qua Liebe zur Weisheit als Schwester der Philokalie, der Liebe zur Schönheit, beschrieben. Von den beiden Schwestern ist aber nur die Philosophie frei, während die Philokalie in einem Käfig ist. Diese Freiheit der Philosophie ist darin begründet, dass sie den Ursprung von beiden kennt. So kann sie auch die Philokalie retten. Sie macht es aber selten 90 . Augustin scheint dieser Verbindung zwischen Freiheit und Philosophie große Bedeutung zu geben, aber er ist sich auch stets der Instabilität des Unternehmens bewusst: Die Philosophie befreit, aber selten und wenige 91. Die Faszination an der Philosophie ist also keineswegs eine blinde. Aber er ist in den frühesten Schriften dermaßen von diesem neuen Leben absorbiert, dass er nicht einmal einen Vergleich mit dem politischen Leben für notwendig hält: Alles kreist lediglich um das beschauliche Leben. Große Teile der frühesten Werken sind in der Tat vor allem als protreptische Einladungen zum philosophischen Leben zu lesen, wie man zumindest in Bezug auf die Proömien von contra academicos und de beata vita immer erkannt hat. Aber auch die dort verteidigte Theorie wird um gewisser praktischer Ziele willen gesucht, nämlich um das Unmoralische zu verhindern, das Augustin im Skeptizismus sieht 92 : »Wer keine Zustimmung erteilt, handelt nicht« – ein Argument, das Augustin als alt anerkennt, aber für gültig (validissimum) hält 93 und das, wie gesehen, in seiner späteren Lehre über die Bezie88 Acad. II, 2, 4 a superfluarum cupiditatium vinculis evolavi; Acad. II, 2, 5 quis me tunc honor, quae hominum pompa, quae inanis famae cupiditas? 89 beata v. 1, 5. Acad. II, 1, 1. Die Gefahr des Hafens kommt auch in en. Ps. 99, 11 vor. 90 Acad. II, 3, 7. raro liberat; non enim philocalia ista unde genus ducat, agnoscit nisi philosophia. 91 Zur Verbindung von Philosophie und Freiheit vgl. Acad. I, 1, 1; I, 1, 3 und I, 3, 9. Zur Befreiung durch die Weisheit vgl. auch ep. 26, 2. nam sapientia quos primo alligaverit, et exercitatoriis quibusdam laboribus edomuerit, solvet postea, liberatisque sese donat ad fruendum. Dasselbe gilt für die theologia naturalis, die im Vergleich mit der theologia civilis befreit, vgl. civ. VII, 23. Aber dies alles selten: ord. II, 5, 16. paucissimos liberat. So wird auch Seneca als ein fast befreiter Mensch beschrieben, civ. VI, 10. quem philosophi quasi liberum fecerunt. 92 Acad. III, 15, 33–16, 36. 93 Acad. III, 15, 33. qui nihil approbat, nihil agit. Vgl. auch Acad. II, 5, 12.

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hungen zwischen scientia und sapientia eine subtilere Form angenommen hat. b) de ordine In den darauffolgenden Schriften werden aber wieder die zwei Lebensweisen diskutiert. Uns ist schon die Teilung des göttlichen Gesetzes in de ordine bekannt, nach welcher dieses Gesetz aus einer pars eruditionis und einer pars vitae besteht, eine doppelte Ordnung (simul geminum ordinem), der zugleich gefolgt werden muss 94. Obwohl es kaum einen zeitlichen Abstand zwischen contra academicos und dem zweiten Buch von de ordine gibt, kann ein Unterschied zur ersten Faszination in Bezug auf das philosophische Leben darin gesehen werden, dass Augustin in de ordine auch das philosophische Leben von den Lastern bedroht sieht, durch welche das politische normalerweise gekennzeichnet wird. Seinen Schülern wirft er vor, dass sie »auch in die Philosophie und in dieses Leben, das ich endlich mit Freuden führe, das Gift des verzehrenden Wetteiferns und der eitlen Selbstverherrlichung einzuführen und auszubreiten versuchen«95 . Diese Erkenntnis, dass gerade das philosophische Leben durch superbia und Suche nach Ruhm gekennzeichnet werden kann, wird ihn sein ganzes Leben begleiten, des öfteren in der Form einer Gegenüberstellung mit der humilitas incarnationis. Hatte Aristoteles den moralischen Unterschied zwischen den zwei Lebensweisen durch seine Lehre relativiert, dass das politische Leben nicht lediglich um des Ruhmes willen geführt wird, wird Augustin dieselbe Relativierung auf umgekehrte Weise erreichen, indem er erkennt, dass auch das philosophische Leben durch die Suche nach Ruhm gekennzeichnet sein kann. Das kontemplative Leben kann immer noch vorzüglicher als das politische sein, aber beide sind in dieser Hinsicht derselben Gefahr ausgesetzt. Haben wir aber schon in de ordine zwei voneinander verschiedene Lebensweisen? Ich würde das verneinen. Augustin schreibt ganz präzise über eine »doppelte Ordnung« statt von »zwei Lebensweisen«, und den zwei Teilen dieser Ordnung, die pars vitae und die pars eruditionis, muss zugleich gefolgt werden, also durch eine bestimmte Lebensweise. Nach der ersten Faszination für ein lediglich philosophisches Leben plädiert Augustin also hier für eine platonisch ge94 95

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ord. II, 8, 25. ord. I, 10, 30.

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sinnte politisch-philosophische Lebensweise. Die pars vitae des Textes aus de ordine ist kurz. Sie enthält einige asketische Vorschriften, sowie einige Ratschläge für die Schüler, falls sie ein politisches Amt erreichen sollten: Sie sollen sich im Umgang mit Menschen durch die goldene Regel leiten lassen, sie sollen »so dienen, dass man sich schämt über sie zu herrschen, und so herrschen, dass man sich freut ihnen zu dienen« 96 . Einleuchtend ist aber das Gebot, nicht nach einem öffentlichen Amt zu streben, bis man vollkommen ist 97 . Die damit gemeinte Vollkommenheit hat aber offensichtlich nicht lediglich mit der genannten Askese zu tun, denn unmittelbar nach diesem Abschnitt kommt die lange Erklärung des Aufstiegs durch die artes liberales, die uns schon bekannt ist. Dieser Aufstieg ist ganz im Sinn des Aufstiegs aus der Höhle in der Politeia zu verstehen. Der Aufstieg wird durch die verschiedenen Wissenschaften vollzogen, ohne jeglichen Bezug auf das politische Leben. Aber am Ende des Werkes kommt der entscheidende Punkt, der unsere Deutung bestätigt. Augustin erinnert sich an etwas, das er sonst täglich über Pythagoras lobend hervorhebt, ihm aber hier entfallen war: »Dass er seine Schüler als letztes in die Disziplin des Regierens des Gemeinwesens eingeführt hat, da sie schon gelehrt, vollkommen, weise und selig waren« 98 . Dieser bedeutende letzte Abschnitt belehrt uns auf deutliche Weise über Augustins Position in dieser Periode: Ziel der ganzen Übung ist die Vorbereitung des Politikers. Dieser Politiker muss aber schon vollkommen sein, ja fast göttlich 99 , um die Instabilität des politischen Lebens aushalten zu können. Die Position ist völlig platonisch: Was man braucht ist ein Philosoph- König, der in die Wissenschaften eingeführt worden ist. Was das Theorie-Praxis-Problem betrifft, kann man folglich sagen, dass sowohl in Bezug auf das Problem der Wissensformen, das wir im ersten Kapitel behandelt haben, als auch in Bezug auf die Lebensweisen, de ordine sich als Augustins platonischstes Werk erweist. ord. II, 8, 25. ord. II, 8, 25. rempublicam nolint administrare, nisi perfecti. 98 ord. II, 20, 54. res enim multum necessaria mihi prorsus exciderat, quam in illo viro (…) mirari et paene cotidianis, ut scis, ecferre laudibus soleo, quod regendae rei publicae disciplinam suis auditoribus ultimam tradebat iam doctis iam perfectis iam sapientibus iam beatis. Vgl. die spätere Stelle aus civ. VIII, 4, wo Pythagoras als Typus des rein theoretischen dargestellt wird – noch ein Zeichen der Wandlungen in Augustins Position. 99 ord. II, 20, 54. qui et in regendo paene divine scopulos evitaret. 96 97

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In dem zwei Jahre später entstandenen und vermutlich später überarbeiteten de moribus finden wir dagegen einen ersten Hinweis auf seine später genauer entwickelte Lehre. Es handelt sich noch nicht um die definitive Ausformung seiner Position, aber der Vergleich mit de ordine ist bedeutend, da wir es in de moribus zum ersten Mal mit einer deutlich kirchlichen Schrift zu tun haben. Nachdem Augustin das mönchische Leben gepriesen hat, schreibt er, dass die Lebensführung (mores) der Kirche nicht so eng (anguste) ist, dass sie sich in einer Lebensweise, der mönchischen, erschöpfen sollte. Vielmehr gibt es in ihr auch Bischöfe, Priester, Diakone und andere, die durch eine andere (nicht abgesonderte) Art von Leben auch die Heiligkeit erreichen – obwohl kaum die Seelenruhe. Augustin drückt den Unterschied zwischen den Lebensweisen schließlich folgendermaßen aus: »Diese [Bischöfe] handeln (agunt) da, wo zu leben gelernt wird, jene [Mönche], wo gelebt wird« 100 . Manche leben schon ein wirklich seliges Leben, andere lernen es durch das aktive Leben 101 . Das Frühwerk kann also folgendermaßen zusammengefasst werden: de beata vita und contra academicos können als die Periode einer anfänglichen Faszination für das philosophische Leben bezeichnet werden, sodass ein politisches Leben nicht als eine moralische Alternative behandelt wird. In de ordine wird dagegen ein philosophisches Leben vorgeschlagen mit einem strengen Programm der Askese und der Einübung in den Wissenschaften, dessen Ziel aber die Ausbildung des Politikers ist, einer Figur also, die mit dem platonischen Philosophen-König verwandt ist. In de moribus dagegen wird zum ersten Mal die Möglichkeit von zwei verschiedenen Lebensweisen berührt, die beide sittlich gut sind, obwohl die eine gewissermaßen schon am Ziel ist, die andere lediglich in via. So könnten wir sagen, dass Augustin sich in diesen drei Phasen zuerst vom platonischen Gorgias zur platonischen Politeia bewegt hat, dann aus dieser zur aristotelischen Ethik. Was er immer noch präzisieren muss, um seine eigene Position zu erreichen, ist das Verhältnis zwischen diesen zwei unterschiedlichen Lebensweisen. Mit diesem vorläufigen Ergebnis können wir die Behandlung des Frühwerks abschließen, um uns dem reiferen Augustin zuzuwenden. mor. I, 32, 69. quippe, ut brevi explicem, hi agunt ubi vivere discitur, illi ubi vivitur. Zu Bischöfen und Mönchen als Repräsentanten des aktiven und kontemplativen Lebens (auch bei anderen Kirchenvätern) vgl. Chadwick (1993). 100 101

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B. Die reife Reflektion über die Lebensweisen 1. Die Seligkeit Als Augustin in den retractationes zu seinen frühen Werken Stellung nimmt, wendet er sich gegen eine Idee aus de beata vita, nämlich dass dort die Seligkeit als etwas für den Weisen in diesem Leben mögliches beschrieben wurde, ohne Rücksicht auf die Tatsache, dass »die vollkommene Gotteserkenntnis, die für den Menschen die größtmögliche Erkenntnis ist, vom Apostel nur für das zukünftige Leben erwartet wird, welches allein als seliges Leben bezeichnet werden soll (futura vita … quae sola beata vita dicenda est) 102 . Auch die Aussage aus contra academicos, man solle gemäß dem Besten im Menschen, der ratio, leben, zieht er zurück: Die ratio ist tatsächlich das Beste im Menschen, aber man soll nicht gemäß dem Menschen, sondern gemäß Gott leben 103 . Diese Aussagen sollten aber nicht voreilig als ein Bruch mit der philosophischen Suche nach dem Glück gedeutet werden. Denn de Trinitate XIII, der Text der am ausdrücklichsten für die notwendige Verbindung zwischen Seligkeit und Ewigkeit argumentiert, geht von derselben Feststellung der allgemeinen Suche nach Glück aus, und lebt aus denselben Gedanken des Hortensius, die in contra academicos zu finden sind 104 . Augustin liefert ferner dort ein gutes Argument, weswegen die Seligkeit notwendigerweise mit Unsterblichkeit verbunden werden muss: »Wie könnte man es ein seliges Leben nennen, wenn der Selige es nicht liebt? Und wie könnte er es lieben, wenn dessen Lebhaftigkeit oder Zugrundegehen ihm gleichgültig ist?« 105 Wir können nur selig sein, wenn dieses geliebte selige Leben ewig ist. Die Kehrseite dieser Lehre ist die Betonung der Unvollkommenheit des diesseitigen Lebens, die Augustins Spätwerk kennzeichnet: Die Betonung unserer Unfähigkeit, das Gute zu tun und die Seligkeit zu erreichen 106 . Er wird z. B. oft die Unterscheidung zwischen altem und neuem Testament als eine Unterscheidung zwischen irdischer und ewiger Seligkeit darstellen: Die Hebräer haben nur eine irdische Hoffnung gehabt, und nur retr. I, 2. retr. I, 1, 2. 104 Acad. und trin. XIII-XIV sind in der Tat die bedeutendsten augustinischen Quellen für die Rekonstruktion des Hortensius. 105 trin. XIII, 8, 11. 106 Außer den antipelagianischen Schriften vgl. vor allem civ. XIX, 4–8. 102 103

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diesbezüglich göttliche Verheißungen empfangen; demgegenüber muss das Christentum ausschließlich auf die ewige Seligkeit gerichtet sein 107 . Dieses Wissen über die ewige Seligkeit als Ziel des menschlichen Lebens hat das Christentum mit einigen wenigen Philosophen gemeinsam (gemeint sind natürlich die Platoniker), die dies erkannt haben, diese Erkenntnis aber durch das zyklische Zeitverständnis verdorben haben 108 . So hält Augustin diese Lehre über die ewige Seligkeit für eine im Grunde nur durch das Christentum in voller Reinheit erkannte Wahrheit. Dies könnte als ein radikaler Bruch mit seinem früheren Denken gedeutet werden. Man kann aber genauso gut die Kontinuität der Überlegungen Augustins betonen. In der Tat enthält auch der in den retractationes kritisierte Text aus de beata vita, wenngleich größere Hoffnungen als seine spätere Lehre in Bezug auf irdische Seligkeit, auch die Idee einer nur in der Ewigkeit zu erreichenden vollkommenen Seligkeit: Wir erreichen erst dann die plena satietas animorum und sind folglich, streng genommen, in diesem Leben weder weise noch glücklich 109 . Ferner ist darauf hinzuweisen, dass Augustin nicht in einem Modell völliger Diskontinuität zwischen diesem und dem nächsten Leben denkt. Die Elemente, die Augustin als Bestandteile der ewigen Seligkeit beschreibt, lassen sich teilweise schon in diesem Leben finden. Die Suche nach Ruhe in den Confessiones ist ein gutes Beispiel. Die Suche nach der ewigen Ruhe umfasst das ganze Werk 110 . Aber mehrere sekundäre Ruhen werden auch erreicht: Die Bekehrung, die vita communis in Cassiciacum, die Taufe – alle diese diesseitigen Ereignisse werden durch den Rückgriff auf die Idee der Ruhe beschrieben 111 . Um uns das zukünftige Leben als etwas Süßes vorzustellen, schreibt folglich Augustin, braucht Gott nichts anderes zu tun, als uns dasjenige zu versprechen, was wir schon haben: Leben. Leben, aber ohne die jetzigen Plagen 112 . So ist auch bei AuVgl. z. B. qu. IV, 33; en. Ps. 34, 1, 7 und die ganze en. Ps. 73. Diese Anspielung auf die Platoniker befindet sich in trin. XIII, 9, 12. Weitere Auseinandersetzung über das zyklische Zeitverständnis in civ. XXI, 17 und XXII, 12 und 25– 27. 109 Vgl. vor allem beata v. 4, 35. 110 Vgl. der Anfang in conf. I, 1, 1 inquietum est cor nostrum donec requiescat in te, und das Ende in XIII, 37, 52 tunc enim sic requiesces in nobis. 111 conf. VIII, 12, 29; IX, 3, 5; IX, 6, 14. 112 s. 127, 2, 3. hoc solum ergo nobis promitti potest, ut dulcescat nobis utcumque munus Dei, ex hoc quod habemus modo: (…) ponamus ergo nobis ante oculos talem vitam, cum promittitur aeterna, ut removeamus ab illa quidquid hic molestum patimur. 107 108

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gustin gelegentlich von einer irdischen Seligkeit oder einem irdischen Frieden die Rede: »Wenn wir den Frieden, insofern er hier möglich ist, durch ein gutes Leben erreichen, werden wir gewiss selig genannt, obwohl diese Seligkeit im Vergleich mit der letztendlichen eher Elend ist« 113 . Die Seligkeit, die hier erreicht wird, kann so vergleichsweise als Elend bezeichnet werden, aber sie ist nicht bloß Schein. Sie ist als ein Vorausbild der ewigen Seligkeit zu verstehen. Dies drückt Augustin selbstverständlich durch christliche Terminologie aus: Hier wird eine Seligkeit in spe erreicht. Vor allem die Stoa ist Gegenstand seiner Kritik, weil sie den Traum einer Seligkeit anbietet, die auch unter Folter bestehen bleibt 114 . Demgegenüber preist Augustin Platon und Aristoteles, weil diese zumindest die Übel dieser Welt als Übel anerkannt haben 115 . Sie seien aber kaum konsequent gewesen, da sie weiterhin an eine diesseitige Seligkeit geglaubt haben. Demgegenüber schreibt Augustin, dass die irdischen Güter für uns letztendlich wertlos werden (vilescunt), da die Seele nur von dem erfüllt werden kann, der sie erschaffen hat 116 . Jetzt sind wir aber von Übel umgeben: »Wir sind immer noch in der Nacht. Was ist die Nacht? Dass die Verdienste der Gerechten nicht sichtbar sind und dass die Seligkeit der Gottlosen fast namentlich erwähnt werden kann« 117 . Dieses Verständniss des diesseitigen Lebens als Nacht hat nun eine positive Rolle in Augustins Entwicklung der scientia-sapientia Lehre gespielt, denn dies führt zur Idee des Mondes als eines Lichts für die Nacht, ein beliebtes Bild für die scientia. Und von hier aus ist zu verstehen, dass die Aufgabe der scientia vor allem als Vermeiden des Übels beschrieben wird, wenngleich gelegentlich auch eine konstruktive Aufgabe genannt wird. Es wäre also ein Irrtum, sollten wir versuchen diesen »Pessimismus« und den damit zusammenhängenden jenseitigen Charakter der Seligkeit wegzuerklären, denn diese Einsicht Augustins ist für die Entciv. XIX, 10. trin. XIII, 7, 10. 115 civ. XIX, 4. qui mala ista esse confessi sunt, sicut Peripatetici, sicut veteres Academici. Auch hier vor allem Kritik an die Stoa. Vgl. auch ep. 118, 3, 15. nam cum se ipso sibi quasi suo bono animus gaudet, superbus est. (…) inter hos, qui ita sentiunt apud Graecos philosophos, et numero et disputandi subtilitate Stoici praevalerunt. 116 s. 125, 11. Daraus folgt auch die Gleichsetzung der Frage nach der Seligkeit mit der Frage nach Gott: conf. X, 20, 29. cum enim te, deum meum, quaero, vitam beatam quaero. 117 en. Ps. 48, 2, 3. 113 114

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wicklung seiner reifen philosophischen Position eine tragende Kraft gewesen. Dies lässt sich auch dort bestätigen, wo er über die diesseitige Vollkommenheit schreibt. In de Trinitate XIII wird der Selige folgendermaßen definiert: »Selig ist, wer alles, was er will, hat, und nichts auf böse Weise will« 118 . Der Teil dieser Seligkeit, der in diesem Leben erreichbar ist, ist der letzte Teil, nichts auf böse Weise zu wollen: »Derjenige ist fast selig, der alles, was er will, gut will« 119 . Dieser gute Wille, der hier erreichbar ist, ist nicht für etwas Geringes zu halten 120 , auch wenn das Gewollte hier nicht erreicht wird. Wer das hat, ist schon selig, wenngleich Augustin dann immer betonen wird, dass dies in spe ist, und nicht in re 121. Dies ist noch kein finis perfectionis, aber es ist die Möglichkeit des perfectus viator 122. So muss man auch zwischen einem rectus corde, der auf das richtige Ziel eingestellt ist, und einem mundus corde, der schon im Ziel ist, unterscheiden 123 . Alle diese Aussagen stammen aus der Zeit nach dem Anfang des antipelagianischen Streites und zeigen in welchem Maß er sich dadurch veranlasst sah, zwischen verschiedenen Formen der Perfektion zu unterscheiden. Ich habe schon die Bedeutung dieser Entwicklung in Augustins Lehre über die Seligkeit für die Unterscheidung zwischen scientia und sapientia genannt. Im Folgenden möchte ich die Konsequenzen derselben Lehre für das Problem der Lebensweisen herausarbeiten. 2. Seligkeit und Lebensweisen Im XIX. Buch von de civitate gibt uns Augustin seine deutlichste Erklärung der Weise, wie er die Verbindung zwischen der Frage nach der Seligkeit und der Frage nach den Lebensweisen sieht. Wir suchen 118 trin. XIII, 5, 8. beatus igitur non est nisi qui et habet omnia quae vult et nihil vult male. 119 trin. XIII, 6, 9. propinquat enim beato qui bene vult quaecumque vult. 120 trin. XIII, 6, 9. quorum bonorum habet aliquid iam idque non parvi aestimandum, eam ipsam scilicet voluntatem bonam. 121 trin. XIII, 7, 10. profecto spe beati sunt etiam cum sunt in transitoriis malis; civ. XIX, 20. non absurde dici etiam nunc beatus potest, spe illa potius quam re ista. 122 pecc. mer. II, 13, 20. Vgl. auch s. 306b, 3. est perfectus viator, qui nondum perfectus est perventor. 123 perf. iust. 15, 36. nam et rectus corde in ea quae ante sunt extenditur. Ea quae retro sunt obliviscens, ut recto cursu, id est, recta fide atque intentione perveniat, ubi habitet mundus corde.

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das höchste Gut für den Menschen, eine Seligkeit in nostro genere 124. Bedeutet dies, dass wir bei der Definition des Menschen anfangen müssen, um von dort aus sein Endziel zu bestimmen? Augustin berichtet über diese Möglichkeit, aber nicht als seine eigene, sondern als die Varros 125. Der Mensch ist gemäß dieser Überzeugung etwas Zusammengesetzes und daraus wird der Schluß gezogen, dass die Seligkeit in einer vita mixta bestehen muss – eine Lehre, die Varro der alten Akademie, präziser seinem eigenen Lehrer Antiochus von Askalon, einem vom Stoizismus beeinflussten Platoniker, zuschreibt, und der sich Varro auch selbst anschließt 126 . Gegen eine verbreitete Behauptung 127 muss aber betont werden, dass Augustin sich dieser Meinung nicht anschließt, sondern von ihr unmittelbar und ausdrücklich Distanz nimmt. Fragt man, schreibt er, den Gottesstaat über das höchste Gut, wird dieser unmittelbar antworten – ohne Rückgriff auf diese Definition des Menschen –, dass es im ewigen Leben besteht 128 . Im ewigen Leben wird es aber nicht verschiedene Lebensweisen geben, unter denen man wählen müsste. Also scheinen die Lebensweisen nicht in direkter Verbindung zur Seligkeit zu stehen. Aus der Beschränkung der Seligkeit auf das ewige Leben folgt so, dass die Wahl zwischen den Lebensweisen relativiert wird. Diese Relativierung stützt sich ferner auf einen zweiten Punkt. Denn nur eine Frage entscheidet laut Augustin darüber, ob man eine eigene philosophische Schule gebildet hat oder nicht: Die Frage nach dem höchsten Gut. Daraus ergibt sich, dass es nicht 288 unterschiedliche philosophische Schulen geben kann, wie es nach Varro der Fall wäre, wenn andere Kriterien, wie die Lebensweise, auch entscheidend wären. Nur die Frage nach dem höchsten Gut gibt eine Antwort auf die Frage nach der Seligkeit, und nur um dieser Seligkeit willen philosophieren wir 129. So kann man das Staunen verstehen, mit dem Augustin schreibt, dass die Schüler des Sokrates sich nicht nur in Bezug auf die Lokalisierung des höchsten Gutes getrennt haben, sonduab. an. 13, 20. civ. XIX, 3. quia summum bonum in philosophia non arboris, non pecoris, non Dei, sed hominis quaeritur, quid sit ipse homo, quaerendum putat. 126 civ. XIX, 3. quem sane Cicero in pluribus fuisse Stoicum quam veterem Academicum vult videri. 127 Z. B. bei Cayré (1943:448), Joly (1956:175) Haggerty (1992) und Bruning (2001:138– 139). 128 civ. XIX, 4. 129 civ. XIX, 1. 124 125

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dern auch in Bezug auf die Frage nach den Lebensweisen 130 : Die Frage nach den Lebensweisen ist für ihn keine Frage über das höchste Gut, sondern eine Frage nach den Mitteln, um dieses Gut zu erreichen. Sie kann folglich wichtig sein, aber unterschiedliche Antworten zu dieser Frage haben nicht die Bildung unterschiedlicher philosophischer Schulen zufolge 131. Es ist aber wichtig, nach dem Sinn dieser Relativierung zu fragen. Denn zum einen haben wir schon bei der Stoa von einer solchen gesprochen. Zum anderen haben wir gesagt, dass das jetzige Leben schon eine Antizipation der ewigen Seligkeit ist, und in diesem Sinne muss die Frage nach den Lebensweisen relevant bleiben. Bei der Stoa haben wir die Relativierung teilweise mit dem Kosmopolitismus verbunden. Bei Augustin könnte man sagen, dass das auch an einen gewissen Kosmopolitismus gebunden ist, nämlich den Kosmopolitismus der Kirche. Als Bischof, Repräsentant des aktiven Lebens, schreibt Augustin an die Mönche: »Wenn wir an eure Ruhe denken, die ihr in Christus habt, dann ruhen auch wir in eurer Liebe, obwohl wir in vielen und harten Arbeiten tätig sind. Wir sind nämlich ein Körper unter einem Haupt, sodass sowohl ihr in uns geschäftig seid als auch wir in euch müßig« 132 . Die Repräsentanten der zwei Lebensweisen erkennen sich in der civitas Dei als Mitglieder einer einzigen Kirche (bzw. einer einzigen philosophischen Schule). Die zwei Lebensweisen werden so als voneinander deutlich unterschiedlich konzipiert, und ihre Einheit wird durch die Teilhabe an demselben Körper vertreten, analog zu der Art von Einheit, die scientia und sapientia in Christus finden. Für jeden einzelnen bleibt aber die Frage nach der zu wählenden Lebensweise bestehen. Augustin nennt drei traditionelle Antworten auf diese Frage: Ein Leben der Muße, ein zweites in menschlichen Dingen betätigt und ein drittes, das aus einer Mischung aus den bei-

130 civ. XVIII, 41. duo philosophi nobiles et ambo Socratici, in tam diversis atque inter se contrariis finibus vitae summam locantes, quorum etiam ille fugiendam, iste administrandam sapienti dicebat esse rem publicam, ad suam quisque sectam sectandam discipulos congregabat. 131 civ. XIX, 2. cum quaeritur quid horum sit potius eligendum, non finis boni habet controversiam; sed quid horum trium difficultatem vel facilitatem adferat ad consequendum vel retinendum finem boni, id in ista quaestione versatur. 132 ep. 48, 1. ut et vos in nobis negotiosi et nos in vobis otiosi simus. Zu diesem Brief vgl. Bruning (2001). Vgl. auch ep. 145, 2.

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den ersten besteht 133 . Also die zwei Modi par excellence und eine Mischung aus beiden. Diese vita mixta wird aber sofort vollständig aus der Diskussion ausfallen. Sie war aus der Einteilung Varros übernommen, spielt aber, wie schon erwähnt, für Augustin keine Rolle. Wie ist aber unter den anderen zwei zu wählen? Augustin gibt zwei Kriterien, auf die man achten sollte: die Liebe zur Wahrheit und die Pflicht der Nächstenliebe 134 . Die Frage ist also, wie die zwei Lebensweisen gestaltet sein müssen, damit die Ansprüche der Wahrheit und die der Liebe erfüllt werden. Und darüber kann man nur sehr allgemeine Empfehlungen machen: Man soll nicht dermaßen müßig sein, dass man in dieser Muße den Nutzen des Nächsten vergisst, noch so geschäftig, dass man die Betrachtung Gottes nicht sucht. In der Muße soll nicht das leere Nichtstun uns ergötzen, sondern das Erforschen oder Auffinden der Wahrheit, sodass man in ihr voranschreitet und das Gefundene den anderen nicht vorenthält. Im tätigen Leben soll aber nicht die diesseitige Ehre oder Macht geliebt werden, denn alles unter der Sonne ist Eitelkeit. Die Sache selbst soll geliebt werden, die durch diese Ehre oder Macht gemacht wird 135 .

Die zwei Kriterien, um zwischen den Lebensweisen zu wählen, sind die Liebe zur Wahrheit (amor veritatis) einerseits und die Pflicht der Nächstenliebe (officium caritatis) andererseits. In beiden Fällen handelt es sich also um Formen der Liebe: »Die Liebe zur Wahrheit (caritas veritatis) sucht heilige Muße; die Notwendigkeit der Liebe (necessitas caritatis) nimmt eine gerechte Geschäftigkeit auf sich« 136 . Ein Grund, um ein gemischtes Leben auszuschliessen ist, dass die beiden anderen Lebensweisen offensichtlich gemischt genug sind. Man kann in diesem Schema von einer Bevorzugung des kontemplativen Lebens sprechen. Denn wenn man nicht zu einem bischöflichen Amt benötigt wird, dann darf man sich als für das müßige Leben frei halten 137 – und es gibt keine ähnliche Vorschrift in umgekehrter Richtung. Es gibt außerdem einen anderen Grund, um von civ. XIX, 2. civ. XIX, 19. ex tribus vero illis generibus, otioso, actuoso et ex utroque composito, quamvis salva fide quisque possit in quolibet eorum vitam ducere et ad sempiterna praemia pervenire, interest tamen quid amore teneat veritatis, quid officio caritatis inpendat. 135 civ. XIX, 19. 136 civ. XIX, 19. 137 civ. XIX, 19. quam sarcinam si nullus inponit, percipiendae atque intuendae vacandum est veritati. 133 134

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einer Bevorzugung des kontemplativen Lebens zu sprechen, ein Grund der tiefer mit dem Rest von Augustins Denken verbunden ist: Das politische und das kontemplative Leben mögen beide moralisch sein, aber die Lust nach einem wichtigen politischen Posten (locus superior), »ohne den man das Volk nicht regieren kann«, kann etwas Schlechtes sein, auch wenn dieser Posten gut gebraucht wird 138 . Diese Bevorzugung des kontemplativen Lebens wird aber aus mehreren Gründen relativ sein. Einerseits, weil sie von der necessitas caritatis unterbrochen werden kann. Andererseits, weil diese Lebensweise, obgleich sie eine echte Antizipation des ewigen Lebens ist, dennoch ihr Ziel in diesem Leben nicht erreicht: Das kontemplative Leben wird hier als ein »Erforschen oder Auffinden der Wahrheit« beschrieben (inquisitio aut inventio veritatis). Das aktive Leben scheint demgegenüber nur das Zweitbeste zu sein, aber mit dem Vorzug, dass es seine eigene Aufgabe besser erfüllen kann: es ist nicht in demselben Maß auf einer Suche, sondern es muss auf sein eigenes Werk, auf die Sache (opus), konzentriert sein. Dies werden wir jetzt durch eine deutlichere Erklärung der beiden Lebensweisen erläutern, sodass nicht nur ihr jeweiliger Wert zum Ausdruck kommt, sondern auch die Weise, wie sie bei Augustin verwandelt werden. C. Das aktive Leben: Reinigung, Glaube und Handlung 1. Die Notwendigkeit von Reinigung »Ein Teil der Stärke und Kraft des Wandelns im Wege der Weisheit besteht in den guten Sitten, die zur Reinigung und Einfachheit des Herzens führen« 139 , heißt es in de sermone Domini in monte. Diese Identifikation der praktischen Seite der Weisheit mit einer gewissen Reinigung kommt in Augustins Werken mehrfach vor. So unterscheidet er in de consensu Evangelistarum zwischen einer aktiven und einer kontemplativen Tugend, von denen die erste vor allem in der Reinigung der Seele besteht, um die kontemplative Tugend erst dann betätigen zu können, wenn wir schon rein geworden sind 140 . 138 civ. XIX, 19Locus vero superior, sine quo regi populus non potest, etsi ita teneatur atque administretur ut decet, tamen indecenter appetitur. 139 s. dom. m. II, 22, 74. 140 cons. ev. I, 5, 8. proinde cum duae virtutes propositae sint animae humanae, una activa, altera contemplativa, illa qua itur, ista quo pervenitur, illa qua laboratur, ut cor

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»Erkenntnis und Handlung machen den Menschen selig (…). Es irrt sich aber derjenige, der glaubt er könne die Wahrheit erkennen wenn er schlecht lebt« 141 . Eine reine Seele ist also sowohl Ziel des menschlichen Strebens 142, als auch Mittel um dieses Ziel zu erreichen, denn die höchsten Wahrheiten können mit schmutzigen Augen nicht betrachtet werden 143 . Auch im Bereich der Erkenntnis kommen wir folglich oft mehr durch das Leben als durch das Reden voran 144 , ja auch die Tugenden werden nur dann erkannt, wenn man sie auch lebt 145 . Mit solchen Aussagen steht Augustin ganz innerhalb der platonischen Tradition, für welche die katharsis den Anfang des Prozesses darstellt, welcher in der homoiôsis theô endet. Auch bei den Platonikern kann man so die katharsis gewissermaßen mit dem praktischen Teil der Weisheit identifizieren 146 . Innerhalb dieser Tradition stehend, möchten wir sehen, wie Augustin sie verwandelt hat. Auch bei ihm kann eine Reinigung auf vielerlei Art verschieden vollzogen werden: Die Suche nach Weisheit 147 oder das Gebet 148 gelten als Beispiele von Reinigungen. Ferner ist hier auf die philosophische exercitatio animae hinzuweisen: Augustins Dialoge enden meistens mit einer zusammenhängenden Darstellung des behandelten Problems, von Augustin selbst präsentiert, während der erste Teil, in dem die Gesprächspartner Gedanken austauschen, eine Einübung im Gebrauch der Vernunft ist und zur Klärung der behandelten Fragen eher wenig beiträgt 149 : »Was wir durch diese Umwege machen ist nichts anderes als deine Einübung (exercitatio), damit du mundetur ad videndum deum. […] illa est in purgatione peccatorum, ista in lumine purgatorum. 141 agon. 13, 14. 142 beata v. 2, 12. is habet deum, ait, qui spiritum inmundum non habet. 143 Die Notwendigkeit einer Reinigung der Seele für die Erkenntnis der höchsten Wahrheiten betont Augustin in jedem bedeutenden Werk. Vgl. z. B. beata v. 2, 12; ord. I, 2, 4 und I, 7, 20; div. qu. 46, 2; mor. II, 1, 1; f. et symb. 10, 25; doctr. chr. I, 10, 10- 11, 11; util. cred. 9, 21 und 16, 34; mus. VI, 14, 43; s. dom. m. II, 1, 1 und trin. I, 1, 1–3. 144 vid. deo 1, 1. mihi videtur plus valere in hac inquisitione [de videndo deo] vivendi quam loquendi modum. 145 s. 4, 6, 7. ibi enim est iustitia: praesto est iuste viventi […]. sicut iusti bene vivendo eam vident, ita et iniusti male vivendo non eam vident. 146 Zum Zusammenhang von Reinigung, Vergöttlichung und Handlung bei Plotin vgl. Beierwaltes (2002). 147 s. dom. m. II, 3, 11. 148 s. dom. m. II, 3, 14. 149 Für die Struktur der Dialoge in dieser Hinsicht vgl. Marrou (1981:255–280, besonders 263–268). De libero arbitrio ist in dieser Hinsicht eine Ausnahme. A

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für die Schau geeignet werdest«, sagt die ratio in den Soliloquia 150 . Im Frühwerk gibt es außerdem eine reinigende Erkenntnis: So kann die Erkenntnis der Zahlen – die »Zahlen der Gesundheit« 151 – in de musica als ein Teil der Reinigung gelten und die eruditio in de ordine in Verbindung zur purgatio gebracht werden 152 . Damit ist einfach die Einübung der Vernunft, das Fortschreiten durch die verschiedenen Wissenschaften gemeint, worin die Vernunft sich selbst helfen kann – »sie baut sich selbst einen Weg« 153 . Manchmal kann aber die Vernunft nicht selber fortschreiten, aber das Benötigte ist auch nicht eine moralische Reinigung, sondern eine Erkenntnis, die man direkt nicht erwerben kann. Darüber setzt sich Augustin mit dem Manichäismus in de utilitate credendi auseinander. Damit sind wir bei der Verbindung von Reinigung und Glaube, die für Augustin charakteristisch ist 154 . 2. Glaube als Reinigung Der Manichäismus will nach Augustin keine Kluft zwischen dem, was wir wissen möchten, und dem, was wir tatsächlich durch Vernunft allein erforschen können, sehen, und glaubt folglich, dass man den Anfang ohne Glauben machen kann: »Das Versprechen [der rationalen Einsicht] freut natürlich die Seele und, ohne an die eigenen Kräfte und ihren Gesundheitszustand zu denken, will sie die Speisen der Gesunden erhalten, die schlecht sind wenn man selbst nicht gesund ist« 155 . Demgegenüber betont Augustin die Notwendigkeit des Glaubens als Anfang. Einsicht ist immer noch das Ziel, aber dem Glauben muss nach Augustin zeitliche Priorität zugestanden werden 156 . Er will so nicht gegen die Vernunft polemisieren, sondern er verteidigt den Glauben als Anfangspunkt gegen diejenigen, die sich sol. II, 20, 34. Vgl. auch Acad. II, 7, 17. mus. VI, 11, 33. 152 ord. I, 2, 4. assequeris ergo ista, mihi crede, cum eruditioni operam dederis, qua purgatur et excolitur animus nullo modo ante idoneus. 153 ord. II, 14, 39. ipsa sibi viam […] molita est. 154 Die Beziehung zwischen Glaube und Reinigung ist gut bei Burnaby (1947:73–80) und Ratzinger (1970:555–560) dargestellt. 155 util. cred. 9, 21. Vgl. auch s. 4, 7. conamini ergo videre talem lucem. sed non potestis. palpitat mentis acies, purgetur ut videat. ut autem purgetur et videat, credat ut purgari mereatur. 156 Zur Vernunft, Glaube und Autorität bei Augustin vgl. van Fleteren (1973). 150 151

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der Vernunft rühmen 157 , gegen eine unreife Liebe zur Vernunft, von welcher manche sich betrügen lassen 158 und dadurch ihre eigene Vernunft blockieren 159 . Es ist die »reine Vernunft« (mera et simplex ratio) 160 , der er früher gefolgt ist, die Gegenstand seiner Kritik ist. »Vor dem rationalen Einsehen zu glauben, weil man noch nicht fähig ist, mit dem Verstand etwas zu verstehen, und gerade durch diesen Glauben den Verstand darauf vorzubereiten (animum excolere), die Samen der Wahrheit in sich aufzunehmen, ist nicht nur höchst heilsam, sondern ich halte es überhaupt für die einzige Möglichkeit, wie die Gesundheit zu den kranken Seelen zurückkehren kann« 161 . Dieses excolere (veredeln, verfeinern), das hier durch den Glauben geschieht, ist genau das, was in de ordine von der eruditio erwartet wurde 162. Jetzt hängt der Anfang der Reinigung des Geistes vom Glauben ab. Die Beziehung zwischen Glaube und Vernunft ist also nicht so gedacht, dass es einen Bereich der Glaubenswahrheiten gäbe und einen anderen der Vernunftwahrheiten, obwohl es natürlich Gradunterschiede geben kann, da in manchen Gegenstandsbereichen der Glaube besonders notwendig sein kann 163 . So kann Augustin auch schreiben, dass die Reinigung gemäß dem jeweiligen Gegenstand erfolgen muss 164. Aber in jedem Bereich ist sie notwendig. Dies macht Augustin deutlicher durch seine Auslegung der Texte, in denen Paulus die geistliche Nahrung von Kindern (Milch) und Erwachsenen (feste Speise) beschreibt. Augustin bemüht sich immer wieder um eine Deutung, die diese unterschliedlichen Speisen nicht als unterschiedliche Inhalte versteht. Es ist also dasselbe Glaubensbekenntnis, das »fleischlich ausgelegt, Milch für die Kinder ist, geistlich betrachtet und behandelt aber Essen für die Starken ist« 165 . Dasselbe Fleisch, das von Erwachsenen gegessen wird, wird in Milch util. cred. 9, 21. ut credant, se autem non iugum credendi imponere, sed docendi fontem aperire gloriantur. (…) ut aliquam concilient multitudinem nomine rationis. 158 trin. I, 1, 1. stilum nostrum adversus eorum vigilare calumnias qui fidei contemnentes initium immaturo et perverso rationis amore falluntur. 159 trin. I, 1, 1. intercludunt sibimet intelligentiae vias. 160 util. cred. 1, 2. 161 util. cred. 14, 31. 162 ord. I, 2, 4. purgatur et excolitur animus nullo modo ante idoneus. 163 util. cred. 12, 27. nam et res humanae promptiores ad dignoscendum sunt, quam divinae. Vgl. auch div. qu. 48. 164 s. dom. m. II, 1, 1. cuius simplicis habendi tantam curam esse oportet, quantam eius rei dignitas flagitat quae tali oculo conspici potest. 165 ench. 30, 114. 157

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transformiert, um Kinder zu ernähren 166 . Diese Bemerkung macht Augustin mehrmals 167 und sie kann für mehrere Auseinandersetzungen von Bedeutung gewesen sein. Denn dadurch nimmt er von einem Elitismus Abstand, der einerseits in der manichäischen Einteilung zwischen auditores und electi zu finden ist, aber auch in manchen Erscheinungen der heidnischen Philosophie 168 . Was Augustin diesem Elitismus entgegenstellt, ist die schlichte Tatsache, dass die Philosophie gewiss zu einem gründlicheren Verständnis von etwas gelangen kann, die den nicht-Philosophen vielleicht nicht zur Verfügung steht; dass es sich aber dabei nicht um ein grundsätzlich anderes Wissen handelt, als das Wissen, das der »Mann von der Strasse« besitzt 169 . Der Philosoph weiß sozusagen nichts besonderes, sondern weiß lediglich das normale auf eine besondere Weise 170 . Auch der Philosoph ist so auf einen ganz irdischen Anfang angewiesen, was die Notwendigkeit des Glaubens einschließt. Aber es ist dann auch die ratio die gezeigt hat, dass der Anfang nicht durch sie allein zu machen ist 171 . Warum muss aber diese Reinigung gerade im Glauben bestehen? Um das zu verstehen, müssen wir die Art der menschlichen Krankheit betrachten. Der Mensch lebt in einem Teufelskreis: Er kann ohne richtige Erkenntnis nicht gut handeln, aber ohne gerechtes Handeln erkennt er auch nicht die Wahrheit. Als Augustin dies erklären will, macht er es oft durch Berufung auf ein zweifaches: difficultas und ignorantia. Das sind seine technischen Begriffe, den Teufelskreis zu

Io. ev. tr. 98, 6. Vgl. persev. 16, 40; en. Ps. 33, 1, 6 und Io. ev. tr. 98, 2. ipse Christus crucifixus […] illis est lac, istis cibus. Diese Fähigkeit der heiligen Schrift sowohl die Masse als auch die Philosophen zu Gott zu führen, ist so auch für Augustin eines der bedeutenden Argumente zugunsten ihrer Autorität geworden. Vgl. dazu conf. VI, 5, 8 und VII, 18, 24. 168 Ich behandle in der nächsten Sektion die Auseinandersetzung mit Porphyrios. Auch für den antipelagianischen Streit kann dies von Bedeutung sein: Augustin wirft Julian eben dies vor, nicht wie die Masse sein zu wollen, c. Iul. VI, 11, 34. homo egregius, in grege non vis esse vulgari. 169 Nach dem Lob der Platoniker wird Augustin folglich in civ. VIII, 9–10 schreiben, dass ihre Lehren sich überall finden, auch unter Menschen, die kein philosophisches Buch gelesen haben. 170 Dies dient zur Abgrenzung der Philosophie gegenüber gnostischen Geheimlehren; Io. ev. tr. 98, 3. illi ut lactis alimentum, isti ut cibi solidamentum: nulla videtur esse necessitas, ut aliqua secreta doctrinae taceantur. Die tractatus 96–98 sind dieser Abgrenzung gegen Geheimlehren gewidmet. 171 ep. 120, 1, 3. ut fides praecedat rationem, rationabiliter iussum est. 166 167

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beschreiben 172 . Der Mensch ist nicht nur zu schwach, um die göttlichen Gebote durch seine eigenen Kräfte erfüllen zu können, er hat nicht nur diese difficultas, sondern er mangelt auch an Wissen: Das ist die gerechteste Strafe für die Sünde, dass jemand verliert, was er nicht gut gebrauchen wollte, da er es ohne Schwierigkeit konnte, wenn er es gewollt hätte. Das heißt aber, dass wenn jemand, der Wissen hatte, dennoch nicht gerecht handelt, er dieses Wissen über das Gerechte verliert; und dass jemand, der gerecht handeln kann, wenn er es nicht will, dieses Können, wenn er es später will, verliert. Denn es bestehen tatsächlich für jede sündige Seele diese zwei Strafen: Unwissenheit (ignorantia) und Unvermögen (difficultas) 173 .

Es ist diese komplexe Mischung von Unvermögen und Unwissenheit, die dazu führt, dass die Seele gereinigt werden muss, aber durch eine Reinigung, die sich weder auf das Praktische noch auf das Theoretische beschränkt. Gerade deswegen muss die Reinigung im Glauben, und nicht z. B. in gewissen Übungen noch in der bloßen eruditio, bestehen. Denn obwohl diese Reinigung durch den Glauben sich im Bereich der Erkenntnis ausdrückt und auf Einsicht zielt, hat der Glaube natürlich auch eine praktische Komponente, da er auch Unterwerfung bedeutet: »Denn die wahre Frömmigkeit kann nicht betreten werden, wenn man nicht zuerst das glaubt, was man erst später erfasst und einsieht, wenn man sich gut verhalten hat und würdig geworden ist – das kann aber ohne die gewichtige Herrschaft einer Autorität unmöglich geschehen« 174 . Glaube hat diese zwei Seiten: Er ist eine Unterwerfung und er liefert gleichzeitig Einsicht; und deswegen kann die Reinigung hauptsächlich an den Glauben geknüpft werden, der als Erkenntnis und Unterwerfung auf unsere Unwissenheit und unser Unvermögen zugleich antwortet.

172 Eine Terminologie, die möglicherweise auf errores et aerumnae im Ciceros Hortensius zurückzuführen ist. Vgl. dazu Doignon (1993). 173 lib. arb. III, 18, 52. Dies ist einer der ausführlichsten Texte zu difficultas und ignorantia. In der späteren Polemik werden beide Begriffe oft benutzt (vgl. z. B. ench. 22, 81 und pecc. mer. II, 17, 26), aber viel öfter jeder für sich statt als Begriffspaar. 174 util. cred. 9, 21. nam vera religio, nisi credantur ea quae quisque postea, si se bene gesserit dignusque fuerit, assequatur atque percipiat, et omnino sine quodam gravi auctoritatis imperio inire recte nullo pacto potest. Da es sich um ein antimanichäisches Werk handelt, ist m. E. unter Unterwerfung hauptsächlich eines zu verstehen: Die Annahme der von der Kirche vorgeschriebenen heiligen Bücher.

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3. Glaube, Handlung und necessitas Erst hier wird man dann gründlich verstehen, warum Augustin scientia mit dem Glauben in Verbindung gebracht hat. Denn nicht die sapientia, die schon ein Schauen des Ewigen ist, hat Augustin in de Trinitate mit dem Glauben verknüpft, sondern die scientia, die mit dem historischen Wissen zu tun hat. Erwägt man die Weise, auf die Augustin die Reinigung an den Glauben knüpft, wird jetzt ersichtlich, dass die Verbindung der scientia zur cognitio historica ein Teil ihres Wesens als praktisches Wissen ist. Cognitio historica (Glaube) und praktisches Wissen sind also nicht verschiedene Funktionen, die zufällig unter demselben Terminus scientia fallen. Augustin hat mehrere biblische Belege für seine Verbindung zwischen dem Glauben und der Handlung. Handlung kann es in der Tat aus prinzipiell zwei Beweggründen geben: Entweder aus dem Gesetz durch Furcht, oder als »Glaube, der durch die Liebe handelt« (Gal 5, 6b) 175 . Liebe steht hier als Beweggrund aller menschlichen Tätigkeit, Glaube als das spezifische für das aktive Leben; denn »wir wandeln durch Glauben, nicht durch Schauen« (2. Kor 5, 7). In De perfectione iustitiae hominis verbindet Augustin diesen Text ferner mit Hab 2, 4 (= Röm 1, 17), »der Gerechte lebt aus dem Glauben«. Die Gerechtigkeit, die dem diesseitigen Leben (peregrinatio) eigentümlich ist, wird durch diese Texte gekennzeichnet 176 und wird vom Schauen (also vom kontemplativen Leben) unterschieden, das nicht an den Glauben, sondern an die Hoffnung geknüpft wird (species – spes). Dem entspricht ferner, dass die Verbindung zwischen den Tugenden und der scientia, die wir im ersten Kapitel erläutert haben, von Augustin auch als eine Verbindung zwischen den Tugenden und dem Glauben dargestellt wird: »Der Gerechte lebt aus dem Glauben, ein Glaube der durch die Liebe handelt, sodass auch alle Tugenden, durch welche wir klug, tapfer, besonnen und gerecht leben, auf denselben Glauben bezogen werden« 177 . Wie früher bemerkt wurde, kann man beide Lebensweisen bei Augustin als Formen der Liebe deuten, gemäß der Unter-

exp. Gal. 42, 7. perf. iust. 8, 18. quamdiu ergo peregrinantes a Domino per fidem ambulamus, non per speciem – unde dictum est: iustus ex fide vivit – haec est nostra in ipsa peregrinatione iustitia, ut ad illam perfectionem plenitudinemque iustitiae, ubi in specie decoris eius iam plena et perfecta caritas erit. 177 trin. XIII, 20, 26. 175 176

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scheidung zwischen caritas veritatis und necessitas caritatis. Die caritas veritatis können wir jetzt ferner an die Hoffnung binden, die necessitas caritatis an den Glauben. Dies stellt uns aber vor die Verbindung zwischen aktivem Leben und necessitas, worin Hannah Arendt den Grund für eine Abwertung des aktiven Lebens bei Augustin sieht: Das politische Leben wäre demnach keine Betätigung für einen freien Menschen, sondern stünde unter demselben Zwang der Notwendigkeit wie jede andere Lebensweise, etwa die des Gelderwerbs. Die Beobachtung Arendts, dass Augustin das aktive Leben an die necessitas knüpft ist richtig: »Die Notwendigkeit ist in der Tat Mutter aller menschlichen Handlungen« 178 . Davon ist die Philosophie ausgenommen: »Es gibt zwei Lebensweisen: die eine betrifft das Vergnügen, die andere die Notwendigkeit« 179 . Man findet ferner auch Belege für eine dementsprechende Beziehung des frui zum Genuss und des uti zur Notwendigkeit 180 . Das enge Verhältnis des aktiven Lebens zur Notwendigkeit ist also bei Augustin nicht zu leugnen. Aber gegen die These, dass dies als eine Entwertung anzusehen ist, wäre Einiges einzuwenden. Erstens wäre zu bedenken, dass bei Augustin ein Leben, das den Notwendigkeiten dieses Lebens gewidmet ist, nicht aus diesem Grund vom Bereich des edlen und vollkommen Lebens ausgeschlossen wird 181 . Eher als Herabwürdigung des politischen Lebens zum Bereich der Notwendigkeit, müsste man von einer positiven Würdigung des ganzen Bereichs der necessitas sprechen, und dann eben nicht nur des politischen Lebens, sondern gleichzeitig von den anderen Aktivitäten, die für antike Menschen als servilia gegolten hätten. Der in dieser Hinsicht m. E. bedeutendste Text findet sich in den Quaestiones in Heptateuchum (419), wo wiederum an Furcht und Liebe als Motivationsgründe und an die sie begleitenden Erscheinungen der Mühe und der Ruhe angeknüpft wird. »Wo der Glaube durch die Liebe handelt, folgt auch die gute Handlung mit Ruhe« 182 . Die Werke, die aber aus Furcht vor dem Gesetz getan werden, sind mit en. Ps. 83, 8. omnium enim actionum humanarum mater necessitas. s. 255, 6, 6. duae sunt vitae: una pertinens ad delectationem, altera pertinens ad necessitatem. quae ad necessitatem, laboriosa est: quae ad delectationem, voluptuosa est. Vgl. auch s. 104, 3 und 179, 4. 180 en. Ps. 4, 8. ad necessitatem utendum, non ad gaudium perfruendum. 181 Richtiger Hinweis in diese Richtung bei Lobkowicz (1967:66). 182 qu. II, 172. tunc enim fiunt cum requie opera bona, cum fides per dilectionem operatur; timor autem tormentum habet et in tormento quae requies? 178 179

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Mühe verbunden, und das sind die Werke, die folglich als servilia zu bezeichnen sind 183 . Hier wird die Definition der opera servilia von Augustin vollständig umformuliert, sodass sie nicht mehr an einen bestimmten Bereich von Aktivitäten gebunden ist, sondern an eine bestimmte Motivation, die in jedem Bereich menschlicher Tätigkeit anwesend sein könnte. Servilia sind alle Aktivitäten oder Lebensweisen, die Furcht statt Liebe als Motivation haben. Man könnte dann teilweise mit Arendt von einer Entwertung des politischen Lebens sprechen, nicht aber wegen der Vorrangstellung des kontemplativen Lebens, sondern wegen Augustins positiver Schätzung der anderen Modi eines aktiven Lebens. So schreibt er in de civitate Dei, dass die ersten Gerechten des Alten Testaments »eher Schafhirten als Könige gewesen sind« 184 . Zweitens kann Augustins Einschätzung des aktiven Lebens durch den Vergleich mit einigen heidnischen Neuplatonikern gezeigt werden, insbesondere in Bezug auf die Unterscheidung zwischen politischen und höheren Tugenden. Augustin konnte diese Unterscheidung entweder durch Plotin (Enn. I, 2) oder Porphyrios (sent. 32) vertraut sein 185 . In den Tugendlehren dieser beiden Philosophen findet man eine Unterscheidung zwischen politischen Tugenden und höheren Tugenden des Betrachtens (bei Porphyrios in einem mehrstufigen Schema, mit Reinigungstugenden nach den politischen). Bedeutend ist die Tatsache, dass die Gleichwerdung mit Gott nur im Bereich der höheren Tugenden zu finden ist, während im Bereich der politischen Tugenden nur ein bestimmtes Maß und Ordnung erreicht wird 186 , sodass derjenige, der die höheren erreicht, nicht mehr die politischen braucht. Er besitzt sie zwar, aber nicht mehr aktual 187 . Diese Unterscheidung hat Augustin nicht nur gekannt, sondern er hat sie auch vertreten und offensichtlich für allgemeines platonisches Lehrgut gehalten – aber bloß in seiner ersten Schrift 188 . Diese Lehre, 183 qu. II, 172. cum timore, non cum dilectione, et ideo servilia sine requie. In en. Ps. 80, 3 (aus dem Jahr 403) befindet sich eine traditionelle Einteilung der opera servilia; schon in op. mon. 13, 14 eine positive Würdigung derselben, aber ohne die Begründung aus qu. II, 172. 184 civ. XIX, 15. primi iusti pastores pecorum magis quam reges hominum constituti sunt. 185 Zumindest Enn. I, 2 ist ihm mit Sicherheit bekannt gewesen. 186 Enn. I, 2, 2. 187 Enn. I, 2, 7. 188 Acad. III, 17, 37. quidquid tamen ageretur in hoc mundo per eas virtutes, quas civiles

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nach welcher die politischen Tugenden bloß Abbild der »wahren Tugenden« seien, wird nie wieder vertreten. Ganz im Gegenteil wird er die These vertreten, dass die diesseitigen moralischen Tugenden dermaßen die wirklichen Tugenden sind, dass sie im zukünftigen Leben weiter existieren werden – wenngleich gewissermaßen gegenstandslos (weil nichts ihnen widerstehen wird) und folglich alle in »Gott anhängen«, also in Liebe, transformiert 189 ; und dabei wird ausdrücklich gegen eine These des Hortensius polemisiert, gemäß welcher es in der Ewigkeit keine Tugenden geben wird, sondern eine Seligkeit, die nur in cognitione naturae et scientia besteht 190 . Zusammenfassend können wir sagen, dass die Forderung der Reinigung als der praktischen Seite der Weisheit Augustin mit der ganzen platonischen Tradition gemeinsam ist. Er bindet aber diese Reinigung an den Glauben, der allein imstande ist, gleichzeitig auf unsere difficultas und unsere ignorantia zu antworten. Der Glaube stellt so den Inbegriff des aktiven Lebens dar, woraus seine Identifizierung mit der scientia zu verstehen ist. Die Handlungen, die durch diesen Glauben geführt werden, haben zwar ihren Ursprung in der necessitas dieses Lebens, sind aber, indem sie die Liebe als Motivation haben, nicht als opera servilia zu betrachten. In einem zweiten Schritt werden wir jetzt die Entwicklung der Idee des philosophischen Lebens darlegen. D. Das kontemplative Leben 1. Die Begründung In den Confessiones kommt Augustin dem Anfang der aristotelischen Metaphysik nahe. Dies im Kontext einer Kritik der curiositas, welche uns zur nutzlosen Betrachtung der außermenschlichen Natur führt, wobei »die Menschen nichts anderes als Wissen wollen« (nihil aliud quam scire homines cupiunt) 191 . H. Blumenberg hält dies, we-

vocabat, aliarum verarum virtutum similes, quae, nisi paucis sapientibus, ignotae essent, non posse nisi veri simile nominari. 189 So in mus. VI, 16, 51–55; Gn. litt. XII, 26, 54 und ep. 155, 3, 12; in en. Ps. 83, 11 werden sie in Betrachtung verwandelt. 190 trin. XIV, 9, 12. 191 conf. X, 35, 55. A

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gen der »eindeutig negativen« Bedeutung des cupiunt in Augustins Sprache, für eine ausschließlich negative Aussage, also gegen das Verlangen nach Wissen 192 . Dem sei aber Augustins Bericht entgegengestellt, dass die Hortensius-Lektüre in ihm eine concupiscentia nach der Weisheit erweckte – Augustin kann durchaus die Liebe zur Weisheit mit den Termini der sinnlichen Liebe beschreiben 193 . Ferner kann die Verwandtschaft der scientia mit der curiositas auch als eine Bestätigung der Würde der Erkenntnis, statt als ihrer Kritik, aufgefasst werden, »denn was wird in allen Schauspielen und in all dem, was wir curiositas nennen, bezweckt, wenn nicht die Freude (laetitia) am Erkennen eines Sachverhalts?« 194 Augustin wird in der Tat eine dem Aristoteles sehr nahe stehende Begründung des philosophischen Lebens geben: Wir wollen alle Wissen, denn es bereitet uns Freude. Eine weitere Begründung scheint das philosophische Leben kaum zu benötigen. So wird in de civitate auch die Freude am Erkennen mit der Freude am Leben verglichen: Auch diejenigen, die sich selbst als unglücklich empfinden, ziehen diesen Zustand dem Tod vor und zeigen dadurch, dass das Sein selbst etwas erfreuliches oder anziehendes an sich hat (ipsum esse iucundum est); ähnlich ziehen wir das Wehklagen mit gesundem Geist der Freude im Wahnsinn vor 195. Solche Argumente, die auf das Wissen als Ziel in sich selbst verweisen, sind in Augustins Werk zahlreich: Das Wissen ist »eine Art Leben in der Vernunft des Erkennenden« 196 . »Verstehen ist durch das Licht des Verstandes edler und vollkommener zu leben« 197 . Das selige Leben ist identisch mit »Freude an der Wahrheit« 198 . Neben dieser Berufung auf das natürliche Verlangen nach Wissen, kann auf zwei andere Merkmale des seligen Lebens hingewiesen werden, die im kontemplativen Leben verwirklicht werden: Ruhe und Aktivität. Diese zwei Merkmale scheinen zunächst einander zu widersprechen. Wir haben aber schon gesehen, wie sie sich im Bereich

Blumenberg (1961:41). conf. III, 4, 7. immortalitatem sapientiae concupiscebam. In s. 255, 6, 6. wird das ewige selige Leben als voluptuosa genannt. 194 vera rel. 49, 94. 195 civ. XI, 27. 196 trin. IX, 4, 4. vita quaedam est in ratione cognoscentis. 197 lib. arb. I, 7, 17. intelligere autem quid est nisi ipsa luce mentis inlustrius perfectiusque vivere? 198 conf. X, 23, 33. beata quippe vita est gaudium de veritate. 192 193

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der Handlung ergänzen: Eine Handlung, die aus Liebe statt aus Furcht vollbracht wird, ist eine Aktivität mit Ruhe. Ähnlich bezeichnet Augustin das ruhige Leben der Mönche als eine Aktivität: Sie agunt, genau wie die Bischöfe 199. Diese Einheit von Ruhe und Aktivität wird aber vor allem in der ewigen Kontemplation erreicht: »Dort wird es Handlung geben. Unsere ganze Handlung wird ein Amen und Halleluja sein« 200 . Die Aktivität der Betrachtung in der Ewigkeit ist deswegen als eine Ruhe zu bezeichnen, weil diese Aktivität, ähnlich der aus Liebe vollbrachten Handlung, uns nicht mühsam sein wird: »Gott ruht und handelt gleichzeitig; denn jeder, der ohne Mühe handelt, ruht auch im Werk selbst« 201 . So beinhalten mehrere Texte, die auf unseren Zustand in der Ewigkeit Stellung nehmen, das Wort actio, während labor zurückgewiesen wird 202 . Am Ende von de vera religione wird ferner die ewige Ruhe mit der facilitas actionis verbunden und dem jetzigen Kampf entgegengestellt 203 . Die in diesem Zustand stattfindende Gottesschau ist also eine Aktivität, die nicht müde macht, die »sättigt aber nicht sättigt« und die ferner von Augustin nicht lediglich als eine Betrachtung des schon Gewussten verstanden wird, sondern – im Gegensatz zu Aristoteles – als ewig fortschreitende Gotteserkenntnis 204.

mor. I, 32, 69. hi agunt ubi vivere discitur, illi ubi vivitur. s. 362, 28, 29. ibi erit actio nostra. tota actio nostra, Amen et Alleluia erit. Es ist allerdings falsch, dass in diesem Verständnis der Ruhe als actio »die neuen christlichen Gedankengänge das der griechischen Philosophie entlehnte Begriffspaar contemplatio und actio zu sprengen drohen« (Zumkeller 1968:241), denn auch für Aristoteles ist die theoria eine energeia. 201 s. 125a, 1. Deus simul et requiescit et agit; omnis enim qui sine labore agit, et in ipso opere requiescit. Vgl. auch en. Ps. 92, 1. 202 cat. rud. 25, 47. ubi nec operosa erit actio, nec requies desidiosa: laus erit Dei sine fastidio, sine defectu: nullum in animo taedium, nullus labor in corpore. ep. 55, 9, 17. inest autem in illa requie non desidiosa segnitia, sed quaedam ineffabilis tranquillitas actionis otiosae. div. qu. 66, 7. restat ergo ut de ipsa pace dicat resurrectionis corporis, quae quarta est actio, si tamen ea actio dici potest, quae summa quies est. Vgl. auch en. Ps. 85, 24. 203 vera rel. 53, 102. Vgl. auch agendi facilitas in 52, 101 und actio in pace in 53, 103. 204 en. Ps. 85, 24. haec erit actio nostra, laus Dei. […] et satiat te, et non te satiat. Zur fortschreitenden Gotteserkenntnis vgl. Io. ev. tr. 63, 1. inmensus est, ut inventus quaeratur; auch trin. XV, 2, 2. In diesem Punkt folgt Augustin wahrscheinlich Gregor von Nyssa. Vgl. dazu von Stritzky (1974:180–185). 199 200

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2. Die Möglichkeit der Gottesschau »Diese Betrachtung, die uns verheißen worden ist, ist das Ziel aller Handlungen und die ewige Vollkommenheit der Freuden« 205 . Ziel unseres intellektuellen Strebens ist diese Gottesschau. Darin steht Augustin innerhalb der Tradition und seine diesbezügliche Meinung wechselt nicht. Augustin ändert aber im Laufe seines Lebens seine Auffassung über das, was in diesem Leben bezüglich dieser Gottesschau erreichbar ist. In den frühesten Werken wird gelegentlich die Position vertreten, dass eine Schau und Vereinigung mit Gott in diesem Leben möglich ist. In de moribus wird dies ausdrücklich mit dem beschaulichen Leben der Eremiten in Verbindung gebracht, die »das Gespräch mit Gott genießen, dem sie mit reinen Geistern anhängen, glückselig durch die Betrachtung seiner Schönheit« 206 . Diese Möglichkeit der habituellen Gottesschau wird aber in den Retractationes zurückgenommen 207 . Diese Änderung in Augustins Meinung dürfte im Jahr 394 stattgefunden haben und zwar dank der Bearbeitung der Römer- und Galaterbriefe 208. Die Position, die Augustin ab dann hält, kann anhand eines Textes aus de consensu Evangelistarum gezeigt werden: Wenn jemand glaubt, dass es dem Menschen immer noch in diesem Leben weilend widerfahren könnte, dass er, nachdem er jegliches Bild des Körperlichen und Fleischlichen niedergelegt und fallengelassen hat, und so aus dem heiteren Licht der unwandelbaren Wahrheit trinkt und Ihm folglich beständig und ungeschmälert anhängt, weil er durch den Geist sich aus der Gewohnheit dieses Lebens innerlich getrennt hat, dann versteht er weder was er sucht, noch wer es ist, der sucht. Eher sollte er der Autorität, die nicht irrt, glauben, die lehrt, dass während wir in diesem Körper sind, wir zum Herrn pilgern und durch Glauben, nicht durch Schauen wandeln (per fidem, nondum per speciem) 209 .

Die Möglichkeit einer Gottesschau wird dadurch nicht bestritten, aber ihre Beständigkeit wird in Frage gestellt. Augustin selbst be205 trin. I, 8, 17. haec enim nobis contemplatio promittitur actionum omnium finis atque aeterna perfectio gaudiorum. 206 mor. I, 31, 66. perfruentes colloquio dei, cui puris mentibus inhaeserunt et eius pulchritudinis contemplatione beatissimi. Weitere Texte, die eine solche Erwartung bezeugen,bei Teske (1994:288:292). 207 Vgl. u. a. retr. I, 4, 3. Eine ähnliche Entwicklung in dieser Frage ist bei Justinus zu finden. Vgl. dial. 3. 208 Vgl. van Fleteren (1977:besonders 13–14). 209 cons. ev. IV, 10, 20.

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schreibt solche Erfahrungen in den Confessiones 210. Die Tatsache, dass diese Erfahrungen nicht beständig sind, dass man zurück in die regio dissimilitudinis 211 fällt, ist nicht identisch mit einem Scheitern des Aufstiegs. Diese Aufstiege sind vielmehr genauso geglückt, wie eine Gottesschau nach Augustin in diesem Leben sein kann 212 . Das heißt aber eben, dass es keine habituelle Gottesschau gibt. Sie kann auf diese Weise nicht mehr den Inbegriff des philosophischen Lebens »in diesem Leben weilend« darstellen. So wird das kontemplative Leben »in diesem sterblichen Leben« nicht nur als etwas für Wenige dargestellt, sondern auch bei diesen existiert sie »im Spiegel, im Rätsel, und in einer partiellen Schau der unwandelbaren Wahrheit« 213 . Diese partielle Natur der menschlichen Erkenntnis wird nachdrücklich von Augustin betont, denn »wir erkennen stückweise« (1. Kor 13, 9) 214 . Neben dieser Entwicklung in Bezug auf die Möglichkeit der Gottesschau gibt es eine andere Entwicklung im Begriff des homo spiritalis und seines notwendigen Kampfes. Augustin deutet das menschliche Leben (der Einzelnen sowie der Menschheit) durch eine Gliederung in vier Stufen: ante legem, sub lege, sub gratia, in pace. Wo es kein Gesetz gibt, ante legem, gibt es keinen inneren Kampf, denn wir folgen lediglich die Begierde. Auch im Endzustand, in pace, gibt es keinen Kampf, denn es gibt keine Begierde mehr. Die zwei mittleren Zuständen sind dagegen solche des Kampfes. Das Gute wird unter dem Gesetz erkannt, aber nicht befolgt: »Unter dem Gesetz kämpfen wir, werden aber besiegt; denn wir bekennen, dass was wir tun böse ist« 215 . Auch unter der Gnade gibt es Kampf, aber wir

Vgl. conf. VII, 10, 16; VII, 17, 23 und IX, 10, 24–25. conf. VII, 10, 16. 212 Ich schließe mich so Kenneys (2001:211) Verständnis dieser Texte an: »The ascents of book seven are successful to the extent that any act of contemplation can be for Augustine; they offer epistemic surety and insight. But they fail to assure the sanctification of the soul«. 213 cons. ev. I, 5, 8. per speculum in enigmate et ex parte in aliqua visione incommutabilis veritatis. 214 Neben cons. ev. vgl. auch ep. 194, 23; s. 288, 5; Io. ev. tr. 96, 4. Die Berufung auf diesen paulinischen Text kommt auch in die entgegengesetzte Richtung vor, also gegen den Skeptizismus (civ. XIX, 18). Zu Augustins zunehmendem Gebrauch dieses Textes vgl. van Fleteren (1992). 215 exp. prop. Rm. 12. sub lege pugnamus, sed vincimur; fatemur enim mala esse quae facimus. Vgl. auch div. qu. 66. 210 211

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werden dann nicht mehr besiegt 216 . Dies wird auf diese Weise schon in den frühen Pauluskommentaren dargelegt. Aber die paulinischen Texte, die diesen Kampf besonders stark zum Ausdruck bringen, wie »das Gesetz ist geistlich, ich aber bin fleischlich« (Röm 7, 14), oder »ich sehe ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das dem Gesetz meines Geistes widerstreitet« (Röm 7, 23), werden in den Pauluskommentaren (aus 394–5) und in ad Simplicianum (396) dem gradus sub lege zugeschrieben 217 . »Erst viel später – schreibt Augustin fast am Ende seines Lebens – erkannte ich, dass diese Worte die eines geistlichen Menschen [also sub gratia] sein könnten, und dies mit größerer Wahrscheinlichkeit« 218 . Diese Auslegung von Röm 7, 14 findet man in Augustins Schriften in der Tat erst ab 419, inmitten des antipelagianischen Kampfes 219. Neben dem Ausschluss einer habituellen Gottesschau in diesem Leben wird auf diese Weise der Kampf zwischen Geist und Fleisch als etwas für den homo spiritalis Kennzeichnendes dargelegt: Er ist so demselben Zustand der Spannung ausgesetzt, in dem die anderen Menschen leben 220 . Indem wir uns dem schon behandelten Problem der Reinigung zuwenden, können wir diese Umwandlung der spätantiken Auffassungen über die Schau in einem dritten Punkt bestätigen. Für Porphyrios’ Lehre der Seelenreinigung, wie Augustin sie schildert, ist die Notwendigkeit einer gewissen Reinigung kennzeichnend, aber je einer anderen gemäß dem betreffenden Seelenteil. Porphyrios unterscheidet nämlich zwischen einer spirituellen und einer intellektuellen Seele. Für die erste gibt es Reinigung anhand der Theurgie, und diese Reinigung steht so auch der Masse zur Verfügung 221 . Aber jene spirituelle Seele ist nicht diejenige, durch welche Gott geschaut werden kann. Die für diese Tätigkeit zuständige intellektuelle Seele 216 exp. prop. Rm. 12. tametsi desideria quaedam carnis, dum in hac vita sumus, adversus spiritum nostrum pugnant, […] desinit peccare. 217 Simpl. I, 1, 7 (in Bezug auf Vers 14). in quo satis ostendit non posse impleri legem nisi ab spiritalibus, qui non fiunt nisi per gratiam. div. qu. 66, 5 (in Bezug auf Vers 23). huc usque sunt verba hominis sub lege constituti nondum sub gratia. 218 praed. sanct. 4, 8. 219 Vgl. dazu Mayer (1987:24–27). 220 Dieselbe Entwicklung kann in retr. I, 19, 1–2 in Bezug auf s. dom. m. I, 4, 11–12 festgestellt werden. 221 civ. X, 9. nam et Porphyrius quandam quasi purgationem animae per theurgian […] promittit. […] utilem dicit esse mundandae parti animae, non quidem intellectuali, qua rerum intellegibilium percipitur veritas, nullas habentium similitudines corporum; sed spiritali, qua corporalium rerum capiuntur imagines.

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muss folglich anders gereinigt werden, nämlich durch Philosophie, durch Erfassung der Prinzipien (die Prinzipien, in welchen Augustin eine Trinitätslehre zu finden glaubt) 222 . Augustin kritisiert diese Auffassung nicht nur indem er auf den gnadenhaften Charakter der christlichen Reinigung hinweist 223 , sondern besonders indem er den für diese Aufteilung charakteristischen Elitismus kritisiert, als ob es eine Stufe der Reinigung gäbe, deren der Philosoph nicht bedarf: »Durch dieses intellektuelle Leben – schreibt er gegen Porphyrios – machst du dich höher als ›das Göttliche‹, sodass es dir scheint, du brauchst als Philosoph keine theurgische Reinigung. Anderen bürdest du sie aber auf« 224 . Diesem Elitismus in Bezug auf die Notwendigkeit der Reinigung stellt Augustin die vollständige Inkarnation Christi gegenüber: »Denn in ihm haben die Menschen eine gnadenvolle Reinigung ihres Intellekts, ihres Geistes und ihres Körpers. Gerade deswegen hat er den ganzen Menschen ohne Sünde übernommen, um die Ganzheit, aus der der Mensch besteht, von der Pest der Sünde zu reinigen« 225 . Die auch von Porphyrios gesuchte via universalis für die Befreiung der Seele wird also dadurch vom Christentum angeboten 226 , dass die Philosophen unter dieselben Bedingungen wie die anderen Menschen gestellt werden: Notwendigkeit der Reinigung des ganzen Menschen. Die drei genannten Punkte zeigen, wie sehr Augustin sich um eine Umdeutung des kontemplativen Lebens bemüht: Es gibt keine habituelle Gottesschau in diesem Leben, auch der Philosoph lebt in einem Kampf zwischen Geist und Fleisch, und auch er muss als ganzer Mensch gereinigt werden. Dies steht nicht immer im Gegensatz zum philosopischen Leben so wie es etwa Aristoteles konzipiert hat (auch bei ihm gibt es eine Spannung), aber es steht im Gegensatz zu den Augustin bekannten Modellen einer philosophischen Lebensweise. Angesichts dieser Tatsache muss wieder gegen H. Arendt gesagt werden, dass, soll überhaupt von einer Herabwürdigung des politischen Lebens bei Augustin die Rede sein, dies nicht im Gegensatz zu

civ. X, 23. civ. X, 22. 224 civ. X, 27. 225 civ. X, 27. in illo enim habent misericordissimam purgationem et mentis et spiritus et corporis sui. propterea quippe totum hominem sine peccato ille suscepit, ut totum, quo constat homo, a peccatorum peste sanaret. 226 civ. X, 32. haec est religio, quae universalem continet viam animae liberandae. 222 223

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einer enthusiastisch vertretenen kontemplativen Lebensweise geschieht, sondern dass beide Lebensweisen grundsätzlich verändert werden. Indem wir uns jetzt Augustins konkreten Modellen der Lebensweisen zuwenden, hoffen wir diese Beschreibung derselben vervollständigen zu können. E. Modelle der Lebensweisen 1. Abschied vom König-Philosophen Von der politischen Philosophie eines christlichen Platonismus kann erwartet werden, dass sie im christlichen Kaiser die Verwirklichung der Idee des Philosophen-Königs sieht. Für einen solchen Kaiser würde dann gelten, dass er, die Verwaltung Gottes im Himmel nachahmend, auf Erden die politische Ordnung verwaltet, wie es Eusebius in der Lobrede auf Konstantin schreibt 227 . Politische Ordnung wird dann als Teil der kosmischen Ordnung verstanden: Durch Betrachtung und Teilhabe an der kosmischen Ordnung wird die bestmögliche politische Ordnung verwirklicht. Eusebius stellt darin keine Ausnahme dar. Das Bild des Philosophen-Königs ist unter den heidnischen spätantiken Neuplatonikern wirksam geblieben 228 , und unter den Christen findet man Berufungen auf diese Idee von Justinus bis Boethius 229. Augustin bildet aber eine Ausnahme, da er als Platoniker diese Vorstellung nicht teilt. Ähnliche Vorstellungen kommen zwar in seinen frühesten Schriften vor: Wir haben gesehen, wie er in de ordine, sich auf Pythagoras berufend, die Bildung in den artes liberales als Vorbereitung für das politische Leben des Weisen sah. In derselben Schrift wird auch der Zusammenhang zwischen kosmischer und politischer Ordnung in der für die platonische Tradition kennzeichnenden Weise verstanden 230 . So gibt es auch in der

Laus Const. IV. Vgl. dazu O’Meara (1997). 229 Vgl. u. a. Justinus, I Apol. 3, 3 und Boethius, cons. I, 4, 5. 230 Zu Augustins Entwicklung im Verhältnis zwischen kosmischer und politischer Ordnung vgl. Markus (1970:72–104). Die Abkehr von der Vorstellung des Philosophen-Königs wird allerdings weder bei Markus, noch bei anderen bedeutenden Studien zur Entwicklung von Augustins politischem Denken berücksichtigt. In Bezug auf die Stelle von ord. II, 20, 54 bemerkt Cranz (1954:262) nur in einer Fußnote, dass hier »a somewhat cryptic reference to Pythagorean politics« zu finden sei. 227 228

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frühen zweiten Enarratio immer noch eine Verbindung zwischen der Idee des geistlichen Menschen und dem König 231 . Für eine Abkehr von diesem Modell sind uns aber mehrere Gründe schon bekannt geworden. Augustins Entwicklung der Idee von zwei verschiedenen Weisen der Vorsehung, weist auf einen wichtigen Unterschied zwischen politischer und kosmischer Ordnung hin, beide von einem selben Ursprung abhängig, aber unter relativ unterschiedlichen Regeln funktionierend. Wenn es ferner einen Zusammenhang zwischen dem Problem der Lebensweisen und dem der Wissensformen gibt, darf man erwarten, dass die Entwicklung vom einheitlichen sapientia-Begriff zur Unterscheidung zwischen scientia und sapientia sich im Problem der Lebensweisen widerspiegeln wird: Zumindest legt die paulinische Redeweise es nahe, dass manche einen sermo scientiae bekommen haben und andere einen sermo sapientiae 232. So wird Augustin allmählich zu zwei deutlich von einander unterschiedenen Lebensweisen kommen, was ihn definitiv von seinen Anschauungen in de ordine trennt. Schon in de moribus hatte er in Mönchen und Bischöfen zwei verschiedene Lebensweisen erkannt, die er als »wahres Leben« und »Vorbereitung für das wahre Leben« gekennzeichnet hat 233 . In welchem Maß Augustin sich dadurch von anderen christlichen Platonikern entfernt, kann anhand ihrer unterschiedlichen Würdigungen des Moses gesehen werden. Während Mose bei anderen Autoren als Prophet, Gesetzgeber und Philosoph gepriesen wird 234 , spielt er in de civitate Dei eine geringe Rolle, indem er zwar als verus theologus noster gelobt wird, aber nur seine Verkündigung des einen Gottes hervorgehoben wird, ohne dies mit seiner Rolle als Gesetzgeber in Verbindung zu setzen 235 . Am deutlichsten kommt dies aber zur Sprache, wenn man Augustins bescheidenes Lob der christlichen Kaiser mit der erwähnten Lobrede des Eusebius auf Konstantin vergleicht. Denn bei Augustin heißt es lediglich, dass wir die christlichen Kaiser für selig halten, wenn sie gerecht regieren und sich daran erinnern, dass sie nur Menschen sind; und auch diese Seligkeit der Kaiser besteht nur in spe 236 . en. Ps. 2, 8. So scheint es auch Augustin in cons. ev. IV, 10, 20 verstanden zu haben. 233 mor. I, 32, 69. 234 Vgl. strom. I, 24, 158 – 25, 166. Die bedeutendste Quelle für solche Auffassungen ist Philo. 235 Vgl. civ. XVIII, 37. Zu Mose in civ. vgl. Bochet (2006). 236 civ. V, 24. felices eos dicimus, si iuste imperant, si inter linguas sublimiter honoran231 232

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Genau wie im Bereich der Wissensformen lässt sich auf diese Weise eine Entwicklung in den Lebensweisen feststellen. Im sermo 179 kommt der Unterschied zwischen beiden mit Präzision zum Ausdruck: Man kann die zwei Lebensweisen vergleichen und das aktive für »geringer« halten, solange man damit nicht meint, es könnte durch irgendein Wachsen wie das Kontemplative werden: Denn es ist nicht nur geringer, sondern auch anderer Art 237 . Diese zwei Lebensweisen können auf verschiedene Weisen dargestellt werden, z. B. durch verschiedene Völker, wie Griechen und Römer 238. Augustin wird es aber vor allem anhand von Paaren biblischer Gestalten tun: Martha und Maria, Lea und Rachel, Petrus und Johannes. Die Forschung hat sich bisher fast ausschließlich mit dem ersten Paar beschäftigt, und ein unvollständiges Bild ist so zustande gekommen, nach welchem das kontemplative Leben zwar das Vorzüglichste ist, sich aber auf das Jenseits beschränkt 239 . 2. Zwei Lebensweisen a) Martha und Maria Die Schilderung der zwei Lebensweisen anhand von Martha und Maria – mit der Augustin sich einer langen Tradition anschließt 240 – kommt in mehreren Stellen vor 241. Martha klagt, weil ihre Schwester bei Jesus sitzt und ihr keine Hilfe leistet; dem antwortet Jesus »Martha, du kümmerst dich um vieles (circa multa es occupata), während nur eines notwendig ist (unum est necessarium). Maria hat das beste Teil gewählt, welches ihr nicht weggenommen werden kann« (Lk 10, tium et obsequia nimis humiliter salutantium non extolluntur, et se homines esse meminerunt. […] tales christianos imperatores dicimus esse felices interim in spe, postea re ipsa futuros, cum id quod expectamus advenerit. Vgl. dagegen ord. II, 20, 54, wo die Kunst des Regierens für die iam beati ist. 237 s. 179, 6, 6. quod enim dicis, minus est, quasi crescendo par erit. nolo dicere, minor: non comparo; alterius generis est, longe aliud est. Dies in Bezug auf Martha und Maria. 238 civ. XVIII, 2. Vgl. auch die etymologische Erklärungen zu Sion in en. Ps. 50, 22; 64, 3; 101, 2, 4. 239 Auf das erste paar beschränken sich u. a. Ritter (1937) und Ratzinger (1961). Ausnahme bildet Burnaby (1947:60–73), von dessen Schlussfolgerungen ich mich aber hier entferne. Näher stehe ich zu La Bonnardière (1986b), obwohl auch bei ihr Martha und Maria das maßgebende Paar ist. 240 Zu den früheren patristischen Deutungen vgl. Solignac und Donnat (1980:665–668). 241 Es wird besonders in s. 103; 104; 169, 17; 179, 255 behandelt. Gesamtheit der Stellen bei La Bonnardière (1986b:411).

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41–42). Diese Antwort Jesu gibt Augustin Anlass für mehrere Bemerkungen und Antithesen, durch welche das Verhältnis zwischen den zwei Lebensweisen dargestellt wird. Seine erste Bemerkung ist, dass es nicht um die Wahl zwischen etwas Gutem und etwas Schlechtem geht, sondern um die Wahl zwischen zwei guten Lebensweisen 242 . Jede dieser Lebensweisen stellt eine bestimmte Art von Güte dar, und sie haben eine ihnen eigentümliche Art von Risiko: Das aktive Leben soll sich davor hüten, verbrecherisch (facinorosa) zu sein, das kontemplative, faul (desidiosa) 243 . Obwohl beide gut sein können, gibt es eine, die besser als die andere ist 244 , sodass man diese Wahl für analog mit der Wahl zwischen Ehe und Enthaltsamkeit halten könnte 245. Welche die bessere ist, ist in den Worten Jesu schon angedeutet. Durch Hinweis auf diese Worte wird Augustin die Lebensweisen ontologisch verankern: »Warum ist die andere besser als du? Weil du um vieles kreisest, jene um eines. Das Eine wird aber dem Vielen vorangestellt: Denn nicht kommt das Eine aus dem Vielen, sondern das Viele aus dem Einen« 246 . Auf dieses Problem der Einheit kommen wir im abschließenden Teil zurück. Augustin findet ferner hier ein biblisches Zeugnis zugunsten der schon mehrmals ausgedrückten Auffassung, das höchste Gut müsse etwas sein, welches uns nicht weggenommen werden kann. Dem aktiven Leben wird aber sein Gut schließlich weggenommen werden: »Dein Gut wird dir weggenommen, aber um dir etwas besseres zu geben« 247 . Der Grund, weswegen es weggenommen wird ist, dass die ministeria des geschäftigen Lebens nicht notwendig sein werden, weil auch die Probleme, um deren Lösung diese Lebensweise sich kümmert, nicht mehr existieren werden 248 . Die Bindung des aktiven Lebens an die necessitas des jetzigen Lebens kommt so hier wiederum zum Ausdruck. s. 104, 4. ambae innocentes, ambae laudabiles. s. 104, 4. 244 s. 104, 3. non tu malam, sed ista meliorem. 245 Wie es z. B. in virg. 16 und 47 und b. coniug. 6, 6–7 vorkommt. 246 s. 104, 3. Es ist nicht nur ein platonisches Argument, sondern auch Aristoteles kann ähnlich in Bezug auf sophia und phronêsis argumentieren – es kann nur eine sophia geben, aber mehrere phronêseis. Vgl. NE VI 7, 1141a 20–33. 247 s. 104, 3. 248 s. 104, 3. in illo saeculo futuro non erunt ista mala: ergo nec ista ministeria. Ähnlich in s. 179, 4. 242 243

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Diese Gründe führen zum letzten Punkt: Diese zwei Lebensweisen schildern nicht nur zwei Modi des Lebens in dieser Welt, sondern besonders den Unterschied zwischen diesseitigem und jenseitigem Leben 249 : »Martha ist Bild des Gegenwärtigen, Maria dessen, was kommt. Was Martha tat, das sind wir hier; was Maria tat, darauf hoffen wir« 250 . Aufgrund dieser Feststellung wird sie Augustin folglich auch so kennzeichnen, dass Marthas Werk vergeht (transit), Marias aber wachsen wird 251 . Sie scheinen so zu verschiedenen Zeiten zu gehören; zumindest ein Keim der pars Mariae muss aber schon jetzt gegenwärtig sein, damit es wachsen kann. b) Lea und Rachel Neben den Ausführungen zu Martha und Maria finden wir in Contra Faustum eine ebenfalls detaillierte Behandlung der zwei Lebensweisen, diesmal durch die Frauen Jakobs, Rachel und Lea, dargestellt. Augustin gibt eine etymologische Begründung, die wohl aus Hieronymus stammt 252 , nach welcher Lea »die Arbeitende« (laborans) und Rachel »das gesehene Prinzip« (visum principium) bedeuten soll. So wird diese allegorische Auslegung gerechtfertigt, und dieselben Elemente, die wir bei Martha und Maria gefunden haben, kommen hier vor: »Denn zwei Lebensweisen werden uns in Christi Leib gepredigt. Eine zeitliche, in welcher wir arbeiten, eine ewige, in der wir Gott mit Genuss betrachten werden« 253 . Neben den Zügen der Lebensweisen, die wir schon bei Maria und Martha behandelt haben, sind folgende Aspekte zu betonen. 1) Rachel ist unser Ziel, ihretwegen arbeiten wir, aber »zuerst muss man Lea heiraten, dann Rachel« 254 . Dieser zeitliche Vorrang von Lea verbindet hier zwei verschiedene Aspekte von Augustins Lehre, die er durch zwei Bibelstellen veranschaulicht: »Du begehrst die Weisheit, befolge die Gebote« (Sir 1, 33) und »Wenn ihr nicht Vgl. s. 103, 5, 6; 104, 4. s. 104, 4. 251 s. 179, 4, 4. pars ergo Marthae transit: sed ut dixi, merces pro illa data non transit; 5, 5. pars Mariae vero non transit. 252 Obgleich Augustin nicht wie Hieronymus auf die Zweideutigkeit von Rachel achtet. Vgl. Hebr. nom. 8, 7. Lia laboriosa; 9, 25. Rachel ovis vel videns principium aut visio sceleris sive videns Deum. hoc autem secundum accentuum et litterarum evenit diversitatem, ut tam in contrarias significationes nomina conmutentur. 253 c. Faust. XXII, 52. 254 c. Faust. XXII, 53. 249 250

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glaubt, werdet ihr nicht verstehen« (Jes 7, 9). In beiden Fällen geht etwas dem Wissen voran, einmal die Befolgung der Gebote, ein anderes Mal der Glaube. Die verschiedenen Aspekte, durch welche wir das praktische Leben gekennzeichnet haben, Reinigung, Glaube und moralische Handlung, werden so in Lea verbunden 255 . 2) Die zwei Lebensweisen werden durch unterschiedliche Beständigkeit gekennzeichnet: Im aktiven Leben wird aus dem Glauben viel gewirkt, ohne aber des Ausgangs sicher zu sein: ob es denen Nutzen wird, für welche wir arbeiten, oder nicht 256 . Die Hoffnung auf die Betrachtung ist im Gegenteil etwas sicheres. Diese unterschiedliche Beständigkeit rührt von der Tatsache her, dass die zwei Lebensweisen auf verschiedenen Tugenden beruhen. Diese Verbindung mit unterschiedlichen Tugenden, die uns schon bekannt ist, wird hier ausdrücklich an diese Modelle der Lebensweisen gebunden. Beide Lebensweisen sind gewiss Ausdrücke der caritas, aber das aktive Leben ist eine caritas, die besonders an fides gebunden ist, und das kontemplative Leben eine caritas an spes gebunden. Gemeinsam für beide Lebensweisen ist die zugrundeliegende Liebe. 3) Neben diesen Ausführungen ist ein letzter Punkt zu nennen: Das aktive Leben ist Propaganda für das kontemplative. Es muss beachtet werden, dass Maria und Martha, Rachel und Lea, Johannes und Petrus, alle zum Volk Gottes gehören. Es geht um die Wahl einer Lebensweise innerhalb dieses Volkes – oder, wenn man es so ausdrücken will, innerhalb derselben philosophischen Schule. »Es ist aber angebracht, auch bei den Außenstehenden ein gutes Zeugnis zu haben« (1. Tim 3, 7). Diese Außenstehenden können zwar die Freude an der Kontemplation nicht verstehen, sind aber für das praktische Leben offen. So können die aktiven Menschen indirekt eine Weisheit verteidigen, die ihnen mit den kontemplativ Lebenden gemeinsam ist 257 . Denn das aktive Leben ist fruchtbar, während die Kontemplation kaum eigene Kinder bekommt 258 . Diejenigen Glieder des Volkes c. Faust. XXII, 53. c. Faust. XXII, 52. ex fide multa laboriosa facientes, incerti quo exitu proveniant ad utilitatem eorum, quibus consulere volumus. 257 c. Faust. XXII, 58. 258 c. Faust. XXII, 58. aliquando et ipsa praestante misericordia dei per se ipsam parit. Es handelt sich um eine Anspielung auf die Tatsache, dass Lea Jakob 10 Kinder gegeben hat, Rachel bloß zwei. Aber gerade diese letzten sind Jakobs meistgeliebte Söhne gewesen. Die Verbindung des praktischen Lebens mit der Fruchtbarkeit – und so vor allem mit der Frau als geeignetes Bild – findet man auch in trin. XII, 7, 11 und Gn. adv. Man. II, 18, 28. 255 256

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Gottes, die sich dem aktiven Leben widmen, und auf diese Weise anderen Menschen dienen, machen folglich nicht nur Werbung für die eigene Lebensweise, sondern auch für die kontemplative, die nicht imstande ist, sich selbst vor den Ungläubigen zu verteidigen 259 . Dies kommt auch indirekt bei Maria und Martha zum Ausdruck: Jesus selbst muss Maria verteidigen, denn sollte diese sich selbst vor der Vertreterin des aktiven Lebens verteidigen, hätte sie dadurch das kontemplative Leben schon verlassen 260 . Um ein aktives Leben als Propaganda für die Kontemplation führen zu können, kann es sich aber nicht um gewöhnliche Vertreter des aktiven Lebens handeln, sondern es müssen solche sein, die die Freuden der Betrachtung schon kennen. Zu diesem aktiven Leben, das auch eine indirekte Verteidigung des kontemplativen ist, müssen sie deswegen mit Gewalt gezwungen werden, denn sie wissen, dass es nicht das Seligste ist 261 – natürlich eine Anspielung Augustins an den eigenen Lebenslauf. c) Petrus und Johannes Chronologisch nach Contra Faustum und den Predigten zu Martha und Maria stehen die Traktate über das Johannesevangelium. Schon in früheren Werken hat Augustin das Johannesevangelium im Vergleich mit den anderen Evangelien als um die kontemplative Tugend kreisend dargestellt 262 . Dies wird auch in den tractatus wiederholt und als Zeichen der Überlegenheit des vierten Evangeliums genannt 263 . Das letzte dieser 124 Traktate befasst sich mit Petrus und Johannes als Repräsentanten des aktiven und kontemplativen Lebens. Der Text fängt mit einer Schilderung der zwei vitae an, die auf schon bekannte Aspekte hinweist und sie zusammenfasst: Die Kirche kennt zwei Lebensweisen, die ihr göttlich verkündet und anvertraut worden sind, von denen die eine im Glauben, die andere im Schauen besteht; eine in der zeitlichen Pilgerfahrt, die andere in der Ewigkeit der Wohnung; eine in Arbeit, die andere in Ruhe; eine im Weg, die andere im Vaterland; eine in der Mühe der Handlung, die andere im Preis der Betrachc. Faust. XXII, 56. s. 103, 2, 3. non respondente illa, sed tamen praesente, iudicat Dominus. Maria causam suam tamquam otiosa iudici maluit committere, nec in respondendo voluit laborare. 261 c. Faust. XXII, 58. sed plane ut hanc curam suscipiant, vi coguntur. 262 cons. ev. I, 4, 7–5, 8. Dort auch Rückblick auf die Behandlung von Rachel und Lea in c. Faust. 263 Io. ev. tr. 36, 1 und 5. 259 260

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tung; eine vermeidet das Böse und tut das Gute, die andere hat nichts Böses zu vermeiden und ein großes Gut zu genießen; […]. Eine unterscheidet (discernit) Gut und Böse, die andere nimmt nur Gutes wahr (cernit); also ist eine gut, aber immer noch unglücklich, die andere besser und selig. Die erste ist durch den Apostel Petrus repräsentiert, die andere durch Johannes 264.

Der erste Eindruck, den dieser Text erweckt, ist eine Wiederholung bekannter loci (Arbeit-Ruhe, Glaube-Schau, via-patria, miseriabeatitudo), und besonders der Vorstellung, nach welcher das aktive Leben diesseitig ist, das kontemplative aber jenseitig. Aber gerade dieser Punkt ist es, den dieser tractatus genauer behandelt. Den Grund für diese Darstellung durch Petrus und Johannes findet Augustin nämlich in den Worten Jesu an Petrus: »Wenn ich wolle, dass er so bleibt (sic manere) bis ich zurückkehre, was geht es dich an? Folge du mir nach« (Joh 21, 22). Diese Worte werden in diesem Traktat so gedeutet, dass Petrus das aktive Leben durch die Nachfolge Christi darstellt, Johannes aber schon ab jetzt, in diesem Leben, das kontemplative repräsentiert. Augustin zitiert den Text in diesem kurzen Traktat sieben Mal mit Betonung des sic manere 265. Die Frage ist also nicht wie lange Johannes weiter leben wird – das übliche Verständniss des Textes –, sondern es ist eine Frage nach der Weise, wie er leben wird. Und die Antwort ist sic: Er wird weiter ein Leben der Betrachtung führen. Beide Lebensweisen werden in diesem Leben verwirklicht 266 . Etwas davon ließ sich schon in den Aussagen über die anderen zwei Paare spüren, jetzt wird es aber ausdrücklich gesagt: Es gibt schon in diesem Leben einen Keim der Betrachtung, eine inchoata contemplatio, und nicht lediglich als ein Teilaspekt eines »gemischten« Lebens, sondern durch Menschen, die eine besondere Lebensweise führen, der Betrachtung gewidmet. Maria, Rachel und Johannes repräsentieren das ewige Leben, wie es die himmlische Kirche genießen wird, aber neben dieser Repräsentation sind sie schon in diesem Leben Menschen gewesen, die das Repräsentierte verwirklicht haben 267 . Io. ev. tr. 124, 5. In cons. ev. IV, 10, 20 findet man erste Überlegungen in diese Richtung. 265 In der Einführung des sic weicht der lateinische Text vom griechischen ab. 266 Die gegenteilige Deutung bei Burnaby (1947:52–53 und 63). 267 Richtig bei La Bonnardière (1986b:420–5). Die gegenteilige Auffassung bei Ratzinger (1961:156): »Maria und Martha bezeichnen nach Augustin nicht zwei Möglichkeiten dieses Lebens, sondern sie bezeichnen Ziel und Weg, Jenseits und Diesseits. Das Bild des Lebens in dieser Welt ist Martha – für alle. (…) Augustin negiert also durch seine 264

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Dies führt zum letzten Wort Augustins über die Hierarchisierung der zwei Lebensweisen, an der Tradition des Johannes als des geliebten Jüngers anknüpfend. Augustin schreibt, uns ist nur bekannt, dass Johannes mehr als die anderen Jünger geliebt war, nicht dass er selbst mehr geliebt hat. In diesem Leben ist es nämlich Johannes, der am meisten geliebt wird, während Petrus am meisten liebt 268 . Petrus liebt mehr, weil sein opus in diesem Leben auf vollständige Weise vollbracht wird; Johannes übt dagegen in diesem Leben nur eine contemplatio inchoata aus: »Dies könnte folgendermaßen deutlicher gesagt werden: Es soll mir die vollkommene Handlung (perfecta actio) folgen, durch mein Beispiel gebildet (informata); die angefangene Betrachtung (inchoata contemplatio) soll aber warten bis ich komme, um dann vervollkommnet zu werden« 269 . Warum wird dann Johannes mehr geliebt, wenn Petrus mehr liebt? Augustin beruft sich auf Gottes Prädestination. Durch diese weiß er, dass wir wie Johannes sein werden, aber nicht mit bloß inchoata, sondern mit vollkommener Betrachtung. 3. Zusammenfassung der Position Augustins Die Entwicklung von Augustins Überlegungen zum Problem der Lebensweisen können wir folgendermaßen zusammenfassen: Das anfängliche pythagoreisch-platonische Modell aus de ordine wird bald in de moribus durch zwei Lebensweisen ersetzt, wobei eine als Vorbereitung gedeutet wird und die andere als »schon am Ziel«. Dies wird sich allmählich ändern. Die zwei Lebensweisen werden dann durch eine wachsende Reihe von Antithesen dargestellt, die zu einem komplexeren Bild führen. Die Modelle, durch welche Augustin die Lebensweisen kennzeichnet, bezeugen die systematische Kohärenz seines Denkens über dieses Thema: Das eine Leben transit (Martha), folgt nach (Petrus); das andere bleibt so wie es ist, aber die Vorstellung, dass das kontemplative Leben schon am Ziel ist, wird durch die Idee einer contemplatio inchoata ersetzt. Beide Lebensweisen sind auf die Liebe gegründet, aber das eine auf ein officium caritatis, das Auslegung des Maria-Typs ausdrücklich die platonische Idee einer ausschließlichen Hingabe an die Beschauung«. Dagegen am deutlichsten c. Faust. XX, 53. simul habebitur in hoc saeculo. 268 Io. ev. tr. 124, 6. 269 Io. ev. tr. 124, 5.

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andere auf die caritas veritatis, sodass sie mit verschiedenen Tugenden in Verbindung treten: Das aktive Leben mit Glauben, das kontemplative mit Hoffnung. Glaube und Hoffnung sind ferner Tugenden, die, im Unterschied zur Liebe, im zukünftigen Leben nicht bestehen bleiben werden – welches wiederum die Zugehörigkeit dieser Lebensweisen zum jetzigen Leben zeigt. Aber durch den Hinweis auf die zugrundeliegenden Tugenden kann auch die Überlegenheit der kontemplativen Lebensweise verteidigt werden, nämlich durch die Überlegenheit der Hoffnung vor dem Glauben. Denn man kann auch an etwas Schlechtes Glauben. Hoffnung kann es dagegen lediglich in Bezug auf etwas Gutes geben 270 . Diese Beobachtung Augustins über die theologischen Tugenden kann philosophisch folgendermaßen ausgedrückt werden: Auch ein schlechtes Handeln ist immer noch Handeln; ein falsches Wissen dagegen ist nicht Wissen zu nennen 271 . In dieser Hinsicht gibt es weniger Ambivalenz bei dem Wissen. Beide Lebensweisen weisen aber eine gewisse Unvollständigkeit auf, und warten deswegen auf das ewige Leben. Ihre jeweilige Unvollständigkeit ist aber nicht dieselbe. Das kontemplative Leben erfüllt sich hier nur teilweise: Es ist eine contemplatio inchoata. Es hat aber den Vorzug, dass seine Hoffnung etwas sicheres ist, wie es Augustin in Bezug auf Rachel schreibt. Und die Sicherheit dieser Hoffnung beruht darauf, dass der Besitz des kontemplativen Lebens derselbe wie der Besitz des ewigen Lebens ist, wie viel auch immer er wachsen mag. Mit dem aktiven Leben verhält es sich genau umgekehrt. Der aktive Mensch vollbringt in diesem Leben seine ganze Tat. Der aktive Mensch konzentriert sich auf sein opus und dieses wird nicht nur stückweise vollbracht, sondern ein Werk kann abgeschlossen werden. Es kann eine actio perfecta geben. Dafür wird es aber für die actio ein Ende geben, und wir wissen außerdem nicht, ob sie denen nutzen wird, für welche wir arbeiten. Von diesen zwei Lebensweisen ist es die philosophische, die im reifen Werk die wichtigsten Wandlungen erfährt. Sie wird nicht mehr so gedeutet, als ob die kontemplativen Menschen das Ziel schon erreicht hätten, sondern diese Lebensweise wird gewissermaßen in 270 ench. 2, 8. est itaque fides et malarum rerum et bonarum: quia et bona creduntur, et mala; et hoc fide bona, non mala. […] spes autem non nisi bonarum rerum est. Zur Möglichkeit eines schlechten Glaubens vgl. auch trin. XIII, 1, 3. 271 Vgl. die Unmöglichkeit das Böse zu lernen, lib. arb. I, 1, 2.

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zwei Funktionen gegliedert. Einerseits stellen die kontemplativen Menschen das Leben dar, wie es in der Ewigkeit sein wird – dann repräsentieren sie es aber bloß, sind nicht wirklich am Ziel –, oder sie führen ein kontemplatives Leben gemäß dem Zustand dieses Lebens. Dass ein solches kontemplatives Leben von der jenseitigen Kontemplation sehr verschieden ist, kann deutlicher gefasst werden, wenn man einen Text mit einbezieht, den Augustin dreimal in der Auslegung der Geschichte von Maria und Martha benutzt 272 . Es handelt sich um die Worte des Paulus im Phillipperbrief: »Ich vergesse, was dahinter ist, und strecke mich aus nach dem (unum autem sequor), was vor mir ist, und jage (extensus) nach dem Ziel« (Phil 3, 14). Wie La Bonnardière gezeigt hat, findet Augustin anhand dieses Textes die Terminologie, um die Einheit eines diesseitigen kontemplativen Lebens zu beschreiben. Das aktive Leben ist nämlich durch distentio gekennzeichnet. Dies soll nicht unbedingt negativ als Zerstreuung verstanden werden, denn es kann auch heißen, dass das aktive Leben viel umfasst. Aber auch in dieser positiveren Deutung ist distentio nicht, was wir letztlich wollen: »Das Eine möge uns entfalten (extendat), nicht das Viele uns von dem Einen zerstreuen und trennen« 273 . Das kontemplative Leben zielt auf Einheit. Aber es ist nicht dieselbe Einheit, die wir in der Ewigkeit erfahren werden. Hier unterscheidet Augustin zwischen der collectio, die für die Ewigkeit kennzeichnend ist, und der extensio, die er diesem paulinischen Text entnimmt. Diese extensio ist nicht identisch mit einem Aufstieg, der uns aus diesem Leben herausholt, sondern sie ist eine Erfahrung der Einheit in Spannung 274 . Eine Spannung, die so lange dauert, wie wir in diesem Leben sind. Erst dann kommt die Erfahrung einer anderen Art Einheit, der collectio 275. Auch die Suche nach der Einheit wird so dem Zustand dieses Lebens angepasst. In den Modellen der kontemplativen Lebensweise kommt dies ständig vor: Von Maria heißt es, In s. 255, 6, 6; s. 169, 13, 16 und c. ep. Pel. 3, 7, 22. Ich folge und erweitere hier den Vorschlag von La Bonnardière (1986b:417). 273 s. 255, 6, 6. unum nos extendat, ne multa distendant et abrumpant ab uno. Ähnlich in conf. XI, 29, 39. Vgl. das damit zusammenhängende Verständnis der Zeit als distentio animi, conf. XI, 26, 33. 274 Zu Kampf und Spannung als das für dieses Leben Kennzeichnende vgl. s. 30, 4; 61a, 7; 94a, 6; 128, 10 und supra Kap 2, II, A, 3, a: »medietas in Spannung«. 275 s. 255, 6, 6. non distentus, sed extentus. unum enim extendit, non distendit. multa distendunt, unum extendit. et quamdiu extendit? quamdiu hic sumus. cum venerimus, colligit, non extendit. 272

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dass sie sich »zur Wahrheit ausstreckt (intenta), gemäß der Weise, wie es in diesem Leben möglich ist« 276 . So soll auch Johannes in der Funktion bleiben (sic manere), die er hat, »dies soll aber nicht so verstanden werden, als ob es um zurückbleiben (remanere) oder verbleiben (permanere) ginge, sondern um erwarten (exspectare)« 277 . Wir haben oben gesehen, wie in verschiedenen Instanzen – Verneinung der habituellen Gottesschau, Deutung des Kampfes zwischen Fleisch und Geist, Forderung der Reinigung der ganzen Seele, contemplatio inchoata statt perfecta – Augustin die Möglichkeit eines philosophischen Lebens unter strenge Grenzen setzt, sie aber gerade dadurch weiter als eine Möglichkeit für das jetzige Leben verteidigt. Dies findet in dieser Unterscheidung zwischen collectio und extensio seine definitive Form, denn es zeigt, dass das diesseitige kontemplative Leben nicht nur eine Repräsentation, ein schwaches Abbild des zukünftigen Lebens ist, sondern eigene Merkmale hat. Gerade die Kritik, die Augustin an den ihm bekannten Modellen eines philosophischen Lebens übt, ist in die Richtung zu deuten, dass er diese Lebensweise retten will. Statt die Kontemplation auf die Ewigkeit zu beschränken, zeigt er, unter welchen Umständen sie hier möglich sein kann 278 .

trin. I, 10, 20. quieta scilicet ab omni actione et intenta in veritatem secundum quendam modum cuius capax est ista vita. 277 Io. ev. tr. 124, 5. 278 Dies vor allem gegen Ritter (1937:139): »In dieser Entgegenstellung der jenseitigen christlichen und der diesseitigen philosophischen Seligkeit ist das ganze Schicksal des philosophischen Lebens auf christlichem Boden enthalten«; 142: »darum ist das ganze diesseitige Leben labor (…). Labor und sapientia stehen grundsätzlich so zueinander, dass sapientia das jenseitige Ziel der labor ist«. Ähnlich Snell (1951) in Bezug auf die mittelalterliche Rezeption des augustinischen Erbes. 276

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Was wir das »Theorie-Praxis-Problem« genannt haben, wird in Werken wie de beata vita und de ordine direkt thematisiert. Kein einziges Werk wird Augustin aber danach wieder diesem Problem widmen. Trotzdem haben wir in den späten Werken umfangreiches Material für eine zusammenhängende Darstellung gefunden. Gerade diese Tatsache, dass er das Problem weiter in Werken behandelte, die anderen Fragen gewidmet waren, zeigt, in welchem Maß er sich sein ganzes Leben hindurch damit beschäftigte. Diese Diskussion über Theorie und Praxis in Werken verschiedenster Natur ist ferner nicht lediglich eine Wiederholung der Positionen, die in seinen frühen Schriften dargestellt wurden, sondern Augustin geht in diesen Werken, wie gezeigt worden ist, durch eine langsame, aber tiefe und kohärente Entwicklung. Am eingehendsten haben wir dies in Bezug auf die Wissensformen zu zeigen versucht: Augustin geht in den frühen Schriften von einer einheitlichen sapientia aus, die praktische oder kontemplative Funktionen einnehmen kann, aber die eine Wissensform ist. Von dieser einheitlichen sapientia entfernt er sich allmählich und kommt, durch mehrere andere Entwicklungen seines Denkens (Teilung der Seele, Verständnis der providentia und des göttlichen Gesetzes, usw.), zu der Unterscheidung zwischen scientia und sapientia. Diese sind aber nicht dermaßen getrennt wie aristotelische phronêsis und sophia, sondern befinden sich in mehrfachen gegenseitigen Beziehungen zueinander. Dieser Entwicklung aus einer einheitlichen Wissensform zu der späteren Unterscheidung entspricht eine ähnliche Entwicklung im Problem der Lebensweisen. Auch hier haben wir die Auffassung einer einheitlichen pythagoreisch-platonischen Lebensweise als Ausgangsposition gefunden, die aber später verlassen wird, zugunsten einer Unterscheidung zwischen aktivem und kontemplativem Leben als mögliche Modi des Lebens in dieser Welt. Als letzten Beleg für die systematische Kohärenz von Augustins Denken kann schließlich auf die Parallelen hin224

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gewiesen werden, die wir zwischen scientia-sapientia und uti-frui gefunden haben. Die gesamte Entwicklung seines Denkens in Bezug auf das Theorie-Praxis-Problem hängt gleichzeitig mit einer Vertiefung seines Verständnisses des Christentums zusammen. Dies ist in zweierlei Hinsicht zu verstehen: Einerseits in Bezug auf die gesamte Wandlung des Weltbildes durch christlichen Einfluss, andererseits in Bezug auf die vielen biblischen Texte, die Augustin als Material dienen, um seine philosophische Position zu erreichen und erklären. Was den ersten Punkt betrifft, ist auf die Verbindung hinzuweisen, die zwischen seinem Weltbild und seiner Unterscheidung der Wissensformen besteht: Die Aussage Christus, scientia et sapientia nostra, welche die Ergebnisse des ersten Kapitels gewissermaßen zusammenfasst, hängt mit der Kritik der Mediation durch andere Geschöpfe zusammen. Neben diesem Ausschluss der anderen Mittler ist auch der Kosmos – wie bei Aristoteles – als Fundament der Ethik ausgeschieden. Die Rolle des firmamentum ist durch das firmamentum Scripturae übernommen worden, wo eine Weisheit zu finden ist, die den Weg zur eigenen firmitas zeigt. Die besondere Stellung des Menschen mitten im Kosmos, aber mit einer besonderen Nähe zu Gott, haben wir als eine medietas in Spannung beschrieben, welche in mehreren Punkten zum Ausdruck kommt: In der Idee einer progressiven Gottebenbildlichkeit, in einer Vergottung »gemäß unserer Art«, in der extensio als die Form der Einheit für dieses Leben, und in der allgemeinen Spannung, die dieses Leben kennzeichnet, und die in der Umgestaltung der zwei Lebensweisen, besonders der kontemplativen, deutlich zum Ausdruck gekommen ist. Was den zweiten Punkt betrifft, ist zunächst die Breite des biblischen Einflusses zu betonen. Für die Verbindung zwischen Zahl und Weisheit (Pred 7, 26 und Weish 8, 1), für die Auffassung des Menschen als Mikrokosmos (Röm 8, 20–22), für die Bestimmung des Lebens als Spannung, die auch für den homo spiritalis nicht endet (Röm 7, 14 und 23), für die Identität von Philosophie und Religion (Röm 1, 21), für die Begrenztheit unserer Erkenntnis (1. Kor 13, 9– 12), für die Einheit der Tugenden (Jak 2, 10), für die Möglichkeit einer Unterscheidung und Verknüpfung zwischen scientia und sapientia (1. Kor 12, 8 und Kol 2, 3) sowie für die Bestimmung des Inhalts dieser beiden Termini (Hiob 28, 28), für die Unterscheidung von zwei Lebensweisen und von den ihnen zugrundeliegenden Tugenden (2. Kor 5, 7; Gal 5, 6 und Röm 1, 17) – für alle diese entscheiA

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denden Schritte findet Augustin ein biblisches Fundament. Welche Bedeutung darf man diesen Texten für Augustins Entwicklung zuschreiben? Wir sollten uns die Sache natürlich nicht so vorstellen, als hätte Augustin etwa die Unterscheidung zwischen scientia und sapientia bei Paulus und Hiob fertig vorgefunden. Aber er wird durch solche Texte angeregt. Augustin geht mit dem Wortlaut dieser Texte mit großer Genauigkeit um: Scientia und sapientia werden weitgehend als Synonyme benutzt, schreibt er, aber »der Apostel hätte nicht geschrieben, dass manche einen sermo sapientiae und andere einen sermo scientiae bekommen haben, wenn mit diesen Worten nicht genau die Wirklichkeiten bezeichnet würden, um deren Unterscheidung wir uns jetzt bemühen« 1 . Die philosophische Interpretation von biblischen Texten hat immer eine wichtige Rolle in der Fortentwicklung seines Denkens gespielt und sie ist folglich auch für das Verständnis seiner Philosophie ernst zu nehmen. Und zumindest in dem hier behandelten Problemkreis hat es sich erwiesen, wie fruchtbar eine solche philosophische Interpretation der Bibel für die Entwicklung neuerer philosophischer Theorien sein kann. Dabei sind die biblischen Texte nie lediglich »Belege« für schon erreichte Positionen, sondern es handelt sich um ein langsames Zusammenziehen von verschiedenen Texten, deren frühere Auslegung manchmal völlig anders war. Anfangs wird Augustin nur schrittweise diese Texte miteinander verbinden, und indem er seine eigene Lehre genauer entwickelt, kann er auf entschiedenere Weise die Texte in Verbindung zu einander setzen, bis er zu dem Punkt kommt, in dem er sie alle in ein einheitliches Gebäude bringen kann 2 . Für eine Würdigung der christlichen Wirkung auf seine Behandlung des Problems ist ferner auf das Folgende hinzuweisen: Viele der genannten biblischen Texte können zwar als Beispiele biblischer »Lebensweisheit« gedeutet werden, die auch unabhängig vom Christentum anziehend wirken können; in unserer Darstellung sind aber auch Texte zitiert worden, die uns vor das Zentrum des christlichen Glaubens stellen und die nicht unbedingt als prima facie vernünftig gelten. Augustin schließt aber solche Lehren von seiner philosophischen Betrachtungen nicht aus, sondern fragt sich, ob die Vernunft sich auf solche Gegenstände auch erstrecken kann, ob die ratio unter dem trin. XIII, 19, 24. Zu scientia und sapientia vgl. die Tabelle und Analyse der Textgruppierung in La Bonnardière (1965:137–139). 1 2

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Schlusswort

Druck des Geglaubten sich ausdehnen kann und weiter als ihre scheinbaren Grenzen gehen kann. Dadurch erfährt Augustins Platonismus natürlich viele bedeutende Entwicklungen: sein großes Lob und seine Kritik des Platonismus – »sie haben das Wohin, aber nicht das Wodurch erkannt« 3 – ist leicht in mehreren Aspekten des hier behandelten Themas wiederzuerkennen. Um dies deutlich zu machen haben wir oft auf Lehren hingewiesen, die eine Annäherung Augustins an aristotelische Positionen zeigen. Augustin wird öfters als Anhänger einer Position beschrieben, die eher als eine Synthese von Neuplatonismus und Stoizismus aussehen würde. Das sind die philosophischen Schulen, von denen er tatsächlich eine größere eigenständige Kenntnis hatte und denen er sich oft anschließt. Um so wichtiger ist es folglich, dass er sich gerade von ihnen in bedeutenden Punkten trennt. Denn er unterscheidet sich von ihnen nicht nur durch die Tatsache, dass er Christ ist, sondern auch dadurch, dass er weiter als die anderen christlichen Platoniker gegangen ist. Seine Ontologie ist gewiss platonisch, aber innerhalb dieser Ontologie hat er Platz für eine Position gemacht, die Aristoteles auch nahe kommt. Dies ist um so bedeutender, da Augustins Kenntnis des Aristoteles sich auf die Kategorienschrift begrenzt. Diese Nähe stammt also nicht aus eigener Lektüre, noch kaum aus indirekter Transmission durch andere Autoren. Beide Autoren haben aber in anderen Punkten Gemeinsamkeiten, die diese Koinzidenz erklären könnten: Sie trennen nicht nur die Ethik von der Kosmologie, sondern sowohl Aristoteles als auch Augustin vertreten eine differenzierte Beziehung zwischen Wissen und Tugend. Diese stehen in notwendiger Beziehung zueinander, sind aber nicht identisch. Zwischen ihnen tritt die freie Entscheidung und die mit ihr zusammenhängenden Probleme wie die Willensschwäche: In diesen Fragen haben Aristoteles und Augustin viel gemeinsam, und dies kann teilweise ihre Nähe im Theorie-Praxis-Problem erklären. Nicht nur auf diese Ähnlichkeiten zu Aristoteles ist aber zu verweisen, da sich die Wege Augustins und des Aristoteles ja oft auch trennen. Vielmehr sei hier abschließend das Ausmaß von Augustins eigener Erschließung des Problems betont, die ich als einen mittleren Weg zwischen Platon und Aristoteles gekennzeichnet habe, und die nicht nur von historischem Interesse ist, sondern eine in vielerlei Hinsicht durchaus vertretbare Position darstellt. 3

conf. VII, 20, 26. videntes quo eundum sit nec videntes qua. A

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I. Abkürzungen

a)

Abkürzungen für antike Philosophie

an. anal. post. ap. Chrm. enn. ep. mor. cra. DL Euth. fin. Grg. La. met. MM nat. deor. NE off. opif. mundi or. ot. part. an. Phdr. pol. polit. quaest. in Gn. rep. ret. St. rep. SVF. Tim. Th. top.

228

Aristoteles, De anima Aristoteles, Analytica Posteriora Platon, Apologia Platon, Charmides Plotin, Enneades Seneca, Ad Lucilium epistulae morales Platon, Cratylos Diogenes Laertios, De vita et moribus philosophorum Platon, Euthydemos Cicero, De finibus bonorum et malorum Platon, Gorgias Platon, Laches Aristoteles, Metaphysica Aristoteles, Magna Moralia Cicero, De natura deorum Aristoteles, Ethica Nicomachea Cicero, De officiis Philo, De opificio mundi Cicero, De Oratore Seneca, De otio Aristoteles, De partibus animalium Platon, Phaidros Platon, Politikos Aristoteles, Politica Philo, Quaestiones in Genesin Platon, Politeia Aristoteles, Rhetorica Plutarch, De Stoichorum repugnantiis Stoicorum Veterum Fragmenta Platon, Timaios Platon, Theaitetos Aristoteles, Topica

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Abkürzungen

b)

Abkürzungen für patristische Literatur

I apol. cons. de an. dial. div. inst. Hebr. nom. hom. Gn. laus Const. nat. Oct. paid. pall. parad. PE princ. strom.

c)

Justinus, Apologia I Boethius, De consolatione philosophiae Tertullian, De anima Justinus, Dialogus cum Tryphone Laktanz, Divinae Institutiones Hieronymus, Liber interpretationis Hebraicorum nominum Origenes, Homiliae in Genesim Eusebius, Laus Constantini Tertullian, Ad nationes, libri II Minucius Felix, Octavius Klemens, Paidagogos Tertullian, De pallio Ambrosius, De paradiso Eusebius, Praeparatio Evangelica Origenes, De principiis Klemens, Stromata

Abkürzungen für Augustins Werke (= Abkürzungen aus AL)

Acad. adn. Iob agon. an. et or. an. quant. beata v. b. coniug. cat. rud. c. ep. Man. c. ep. Pel. c. Faust. c. Fort. c. Prisc. civ. c.litt. Pet. c. mend. conf. cons. ev. cont. c. Sec. disc. chr. div. qu.

Contra academicos Adnotaciones in Iob De agone christiano De anima et eius origine De quantitate animae De beata vita De bono coniugali De cathecizandis rudibus Contra epistulam fundamenti Contra duas epistolas Pelagianorum Contra Faustum Manicheum Acta contra Fortunatum Manicheum Contra Priscillianistas et Origenistas De civitate dei Contra litteras Petiliani Contra mendacium Confessiones De consensu evangelistarum De continentia Contra Secundinum Manicheum De disciplina christiana De diversis quaestionibus

CCSL 29 CSEL 28, 2 CSEL 41 CSEL 60 CSEL 89 CCSL 29 CSEL 41 CCSL 46 CSEL 25, 1 CSEL 60 CSEL 25, 1 CSEL 25, 1 CCSL 49 CCSL 47–48 CSEL 52 CSEL 41 O’Donnell CSEL 43 CSEL 41 CSEL 25, 2 CCSL 46 CCSL 44A A

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Abkürzungen doctr. chr. duab. an. ench. en. Ps. ep. ep. Io. tr. exp. Gal. exp. prop. Rm. f. et symb. Gn. litt. Gn. litt. inp. Gn. adv. Man. gr. et lib. arb. gr. et pecc. or. imm. an. Io. ev. tr. c. Iul. lib. arb. loc. mag. mend. mor. mus. nat. b. op. mon. ord. pecc. mer. perf. iust. persev. praed. sanct. qu. retr. s. s. dom. m. Simpl. sol. spir. et litt. symb. cat. trin. vera rel. vid. deo virg.

230

De doctrina christiana De duabus animabus De fide, spe et caritate Enarrationes in Psalmos Epistulae In epistolam Iohannis ad Parthos Expositio epistulae ad Galatas Expositio quarundam propositionum ex epistula apostoli ad Romanos De fide et symbolo De Genesi ad litteram De Genesi ad litteram liber unus inperfectus De Genesi adversus Manicheos De gratia et libero arbitrio De gratia Christi et de peccato originali De immortalitate animae In Iohannis Evangelium tractatus CXXIV Contra Iulianum De libero arbitrio Locutionum in Heptateuchum De magistro De mendacio De moribus ecclesiae catholicae et de moribus Manicheorum De musica De natura boni De opere monachorum De ordine De peccatorum meritis et remissione De perfectione iustitiae hominis De dono perseverantiae De praedestinatione sanctorum Quaestiones in Heptateuchum Retractationum Sermones De sermone domini in monte Ad Simplicianum Soliloquia De spiritu et littera De Symbolo ad catechumenos De Trinitate De vera religione De videndo deo De sancta virginitate

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Simonetti CSEL 25, 1 CCSL 46 CCSL 38–40 CSEL PL 35 CSEL 84 CSEL 84 CSEL 41 CSEL 28, 1 CSEL 28, 1 CSEL 91 PL 44 CSEL 42 CSEL 89 CCSL 36 PL 44 CCSL 29 CCSL 33 CCSL 29 CSEL 41 CSEL 90 PL 32 CSEL 25, 2 CSEL 41 CSEL 63 CSEL 60 CSEL 42 PL 45 PL 44 CCSL 33 CCSL 57 PL 38 CCSL 35 CCSL 44 CSEL 89 CSEL 60 CCSL 46 CCSL 50–51 CCSL 32 CSEL 44 CSEL 41 Manfred Svensson

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Abkürzungen util. cred.

d)

De utilitate credendi

CSEL 25, 1

Andere verwendete Abkürzungen

AL BA

Augustinus-Lexikon Bibliothèque augustinienne

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II. Literaturverzeichnis

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Literaturverzeichnis

b)

Benutzte Ausgaben von Augustins Schriften

Ich zitiere nach den jeweils letzten kritischen Ausgaben, die im Augustinus-Lexikon verzeichnet sind. In einigen Fällen wird aber die vollständigere Kapiteleinteilung der Patrologia Latina behalten, um die Hinweise präziser zu machen. Im Interesse eines einheitlichen Gesamtbildes ist in allen Zitaten die Schreibweise der heute üblichen angepasst worden (i statt j, v statt u). Bibliothèque Augustinienne (BA), Paris, 1949 ff. Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum (CSEL), Wien, 1887 ff. Corpus Christianorum, Series Latina (CCSL) 1954 ff. Dolbeau, F. Augustin d’Hippone, Vingt-six sermons au peuple d’Afrique Paris, 1996. Simonetti, M. Sant’Agostino, L’instruzione cristiana Mailand, 1994. O’Donnell, James (ed). Augustine. Confessions. Introduction, Text and Commentary 3 Bde. Oxford, 1992. Patrologia Latina (PL) Paris u. a. 1844 ff.

c)

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d)

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III. Register

a)

Stellenregister

Albertus Magnus S. Th. II, tract. XV, qu. 93, m. 4, ad 2 Ambrosius parad. II, 11 92 XV, 73 92 Boethius cons. I, 4, 5 212 Aristoteles an. III 10, 433a 14 –15 32 III 10, 433a 29–30 132 III 10, 433b 1–2 90 met. A 1, 980a 1 175 A 1, 981b 25 28 A 2, 982a 25–28 35 A 2, 982b 9–10 35 A 2, 982b 25–28 35 A 2, 982b 27–28 176 a 993b 20–21 30 E 1, 1025b 7–1026a 16 30 E 1, 1025b 7–1026a 32 31 Q 6, 1048b 18–36 176 Q 6, 1048b 28 und 34 –35 176 K 7, 1064a 10–19 30 K 7, 1064a 28–35 30 K 7, 1064a 30–b 6 31 K 7, 1064b 5–6 31

L 6–7 178 105

MM I 1, 1182a 20–23 34 I 4, 1185a 1–5 175 I 35, 1197a 3–7 32 NE I 1, 1094a 14 –16 32 I 1, 1094b 11–12 31 I 1, 1095a 2– 4 29 I 1, 1095a 5–6 30 I 2, 1095a 19 175 I 3, 1095b 19–22 176 I 3, 1095b 15 175 I 3, 1095b 24 –25 176 I 3, 1095b 34 –35 175 I 3, 1096a 5–6 176 I 6, 1096b 35–1097a 14 29 I 6, 1097a 10–11 29 I 6, 1097b 22–1098a 4 175 I 6, 1098a 16–18 175 I 8, 1098b 12–15 144 VI 2, 1138b 35–1139a 15 33 VI 3, 1139b 23–24 31 VI 5, 1140a 27–28 35; 124 VI 5, 1140b 1– 4 30; 32 VI 5, 1140b 5–6 34 VI 5, 1140b 6–7 30 VI 5, 1140b 13–16 29 VI 7, 1141a 16 35 VI 7, 1141a 18–20 34 VI 7, 1141a 19–20 36 VI 7, 1141a 20–33 215 VI 7, 1141b 3–8 35

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Register VI 8, 1141b 8–9 35 VI 8, 1141b 14 –15 35 VI 9, 1142a 11–13 29 VI 12, 1143b 16 33 VI 13, 1144b 17–21 37 VI 13, 1144b 17 – 1145a 5 110 VI 13, 1144b 26–27 34 VI 13, 1145a 6–8 35 VI 13, 1145a 9 35 VII 15, 1154b 24 –28 178 VIII 1, 1155a 15–16 177 X 6, 1176a 33 – 1176b 5 175 X 6–9 36 X 7, 1177a 19–21 177 X 7, 1177a 21–27 177 X 7, 1177b 1–26 177 X 7, 1177b 26–28 178 X 7, 1177b 33 178 X 7, 1178a 2 178 X 8, 1178a 9 177 X 8, 1178a 10 178 X 8, 1178a 16–19 34 X 8, 1178b 7 178 X 8, 1178b 7–8 176 X 8, 1178b 8 ff. 178 part. an. I 5, 644b 31 – 645a 4

Augustin Acad. I, 1, 1 185 I, 1, 2 184 I, 1, 3 185 I, 2, 5 181; 182 I, 3, 9 185 I, 5, 13 85 I, 5, 14 85

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agon. 8, 9 77 13, 14 197 an. et or. IV, 6, 8 133

133

polit. I 2, 1253a 2–3 175 I 11, 1259a 6–23 13 II 2, 1261b 10–15 176 VII 3, 1325a 31–32 175 VII 3, 1325b 17–21 177 top. Z 6, 145a 15–18 30

I, 6, 16 82; 83; 85 I, 8, 22 132 I, 9, 25 182 II, 1, 1 185 II, 2, 4 184; 185 II, 2, 5 185 II, 3, 7 185 II, 5, 12 185 II, 7, 17 198 II, 11, 26 99 III, 3, 5 83 III, 10, 23 66 III, 11, 25 66 III, 14, 30 99 III, 15, 33 185 III, 15,33–16, 36 185 III, 17–20 42 III, 17, 37 63; 65; 79; 204 III, 17, 38 184 III, 19, 42 20; 42

an. quant. 2, 3 127; 128 15, 25 48 33, 70 – 35, 79 166–168 34, 77 128 35, 79 49 b. coniug. 6, 6–7 215 beata v. 1, 4 128 1, 5 185 2, 10 181 2, 11 182 2, 12 183; 197 2, 14 182 3, 17–18 183 3, 28 109 3, 21 182; 184

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Register 4, 30–33 108 4, 31 86 4, 35 85; 184; 190

VIII, 3 44–45 VIII, 4 41; 45; 46; 49; 79; 187 VIII, 5 141 VIII, 6 163 VIII, 8 141 VIII, 9–10 200 VIII, 17 141 VIII, 25 130 IX, 1 129 IX, 5 111 IX, 12–15 129 IX, 13 129 IX, 20 113 X, 1 130; 181 X, 7 130 X, 9 210 X, 18 136 X, 22 211 X, 23 211 X, 25 136; 158 X, 27 211 X, 29 79 X, 32 211 XI, 9 129 XI, 16 129; 143 XI, 25 79; 80; 89; 148 XI, 27 206 XII, 1 136 XIII, 21 102 XIV, 15 136 XV, 22 145; 149 XVIII, 2 214 XVIII, 25 43 XVIII, 37 43–44; 213 XVIII, 41 194 XIX, 1 71; 193 XIX, 2 194–195 XIX, 3 193 XIX, 4 193 XIX, 4 –8 189 XIX, 10 191 XIX, 15 204 XIX, 18 209 XIX, 19 191–193; 195–196 XIX, 20 192 XIX, 23 140 XIX, 25 114 XXI, 17 190

cat. rud. 25, 47 207 c. ep. Man. 37, 43 128 c. ep. Pel. 3, 7, 22 222 c. Faust. XII, 27 74 XV, 8 113 XV, 19 156 XX, 21 156 XX, 53 220 XXII, 27 169 XXII, 52 216 XXII, 53 216; 220 XXII, 56 218 XXII, 58 217–218 c. Fort. 13 128 c. Iul. IV, 3, 21 111 IV, 14, 72 17 VI, 11, 34 200 c. mend. 20, 40 78 civ. II, 7 79 II, 22 157 IV, 21 20 V, 11 134 V, 15 156 V, 24 213 VI, 2 56 VI, 1 156 VI, 10 185 VII, 23 185 VII, 27 157 VIII, 2 43

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Register XXII, 12 190 XXII, 25–27 190 c. litt. Pet. III, 40, 48 180 conf. I, 1, 1 190 I, 9, 14 180 I, 12, 19 180 II, 6, 14 142 III, 4, 7 84; 206 III, 4, 8 84 III, 5, 9 85 III, 6, 11 128 IV, 12, 18 166 IV, 14, 23 180 IV, 15, 24 164 V, 3, 6 66 V, 13, 23 180 VI, 5, 8 200 VI, 6, 9 180 VI, 10, 16 180 VI, 14, 24 180 VII, 9 79 VII, 10, 16 209 VII, 11, 17 136 VII, 17, 23 209 VII, 18, 24 201 VII, 20, 26 227 VIII, 4, 9 165 VIII, 12, 29 190 IX, 3, 5 190 IX, 6, 14 190 IX, 10, 24 107; 209 X, 11, 18 63 X, 20, 29 191 X, 21, 30 70 X, 21, 31 181 X, 23, 33 206 X, 35, 54 164 X, 35, 55 164; 205 X, 40, 65 180 XI, 26, 33 222 XI, 29, 39 222 XIII, 9, 10 143 XIII, 18, 22 135 XIII, 18, 23 94

246

XIII, 37, 52 190 cons. ev. I, 4, 7–5, 8 218 I, 5, 8 196; 209 I, 7, 12 41 I, 35, 53 130 IV, 10, 20 208; 213; 219 cont. 2, 3–5 98 c. Prisc. 8, 11 132–134 c. Sec. 10 142 div. qu. 2 127 9 133 29 133 30 64; 149–159 35, 1 182 35, 2 148; 182–183 38 80 43 142 46 163 46, 2 197 48 199 51, 2 138 51, 4 138 54 128; 136 66 209 66, 5 210 66, 7 207 74 139 81, 1 127 doctr. chr. prol. 4 57 prol. 5 57 prol. 6 57; 61 I, 1, 1 165 I, 4, 4 148; 156 I, 5, 5 148 I, 10, 10- 11, 11 197 I, 22, 20 153

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Register I, 22, 21 154; 161 I, 23, 22 153 I, 27, 28 63; 149 I, 33, 37 155 II, 7, 9–11 58 II, 7, 10–11 88 II, 18, 28 58 II, 25, 39 58 II, 28, 43 57 II, 28, 44 59 II, 29, 45 57 II, 29, 46 60 II, 30, 47 60 II, 31, 48 59; 62 II, 31, 49 65 II, 34, 52 65 II, 37, 55 57 II, 38, 57 58 II, 39, 58 59; 63 II, 40, 60 58

73, 19 94 75, 17 165 80,3 204 83, 8 203 83, 11 205 85, 12 130 85, 24 207 92, 1 207 99, 11 185 101, 2, 4 214 103, 9 145 104, 14 105 118, 12, 2 112 135, 1 95 135, 8 84; 95 136, 15 104 141, 1 106 143, 6 136 145, 5 136 145, 13–14 77

duab. an. 5, 4 163 10, 13 76 10, 14 76 13, 20 141; 193 13, 21 77

ep. 10, 2 140; 180 18, 2 126; 137 26, 2 185 34, 1 180 48, 1 194 55, 5, 8 94 55, 9, 17 207 55, 10, 18 143 55, 21, 39 113 101, 3 48 118 42 118, 2 ,12 43 118, 3, 15 191 118, 3, 17–19 79 120, 1, 3 200 137, 5, 17 79 140, 2, 3 135 145, 2 194 155, 3, 12 205 167, 2, 4 108 167, 2, 5 111 167, 2, 6 111 167, 2, 7 111 167, 3, 11 95; 113 167, 3, 12–13 109 167, 4, 17 109

ench. 1, 2 157 2, 8 221 3, 9 133 5, 16 133 22, 81 201 30, 114 199 31, 117 143 en. Ps. 2, 8 213 4, 8 203 33, 1, 6 200 34, 1, 7 190 36, 3, 4 130 48, 2, 3 191 50, 22 214 64, 3 214 70, 2, 6–7 142 73 190

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Register 167, 5, 16 112 193, 4, 13 180 194, 23 209 258, 1 118 ep. Io. tr. 2, 14 143 9, 3 140 exp. Gal. 42, 7 202 exp. prop. Rm. 12 98; 209–210 40– 41 83 49 83 f. et symb. 9, 19 148 10, 25 197

248

VIII, 24, 45 75; 129 IX 75 IX, 15, 26 61 XI, 2, 4 83–84 XII, 14, 28 77 XII, 26, 54 205 gr. et lib. arb. 19, 40 114 gr. et pecc. or. I, 26, 27 113–114 imm. an. 1, 1 67 4, 5 67 5, 8 128 6, 11 165

Gn. adv. Man. I, 17, 28 138 I, 24, 42 86 II, 9, 12 137 II, 10, 14 83 II, 11, 15 91; 102 II, 11, 15–II, 18, 27 87 II, 11, 16 91 II, 14, 21 91; 99–101 II, 16, 24 137 II, 18, 27 98 II, 18, 28 91; 217 II, 22, 33 82

Io. ev. tr. 13, 4 119 27, 5 113 36, 1 218 36, 5 218 63, 1 207 69, 2 119 96, 4 209 98, 2 200 98, 3 200 98, 6 200 110, 7 129; 140 123, 5 148 124, 5 219–220; 223 124, 6 220

Gn. litt. II, 9, 20 134 II, 10, 23 133 II, 18, 38 133 III, 12, 18 68 III, 22, 34 92–93; 103 IV, 12, 22 166 VI, 12, 22 138 VII, 2, 3 128 VII, 10, 15 141 VIII, 9, 17 74 VIII, 12, 26 166 VIII, 20, 39 128

lib. arb. I, 1, 2 221 I, 4, 10 182 I, 6, 15 74; 126 I, 7, 16 82 I, 7, 17 82; 206 I, 8, 18 136; 146 I, 13, 27 83; 108 I, 13, 29 183 I, 15, 31 146 I, 15, 32 143–144 II, 3, 8 – 6, 13 64 II, 5, 12 64

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Manfred Svensson

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Register II, 7, 17 163 II, 7, 18–19 163 II, 8, 21 66 II, 8, 22 66 II, 8, 22–24 66 II, 8, 24 66–68 II, 10, 29 68; 71; 97; 108 II, 11, 30 68 II, 11, 31 69–70 II, 11, 32 68–70 II, 12, 34 64 II, 15, 40 94 II, 16, 41 67 II, 18, 48 63 II, 18, 50 144 II, 19, 50 144 II, 19, 51 144 II, 19, 52 165 II, 19, 53 164 II, 19, 72 163 II, 19, 76 146 III, 5, 17 129 III, 9, 28 129 III, 18, 52 201 III, 25, 76 128

mus. VI, 11, 29 88; 160 VI, 11, 33 198 VI, 14, 43 197 VI, 16, 51–55 205 VI, 17, 59 59 nupt. et conc. I, 6, 7 136 op. imp. II, 48 141 II, 52 141 II, 190 141 op. mon. 13, 14 204 29, 37 180 32, 40 91 ord. I, 2, 4 197–199 I, 7, 20 197 I, 10, 30 186 I, 11, 32 162 II, 1, 3 132 II, 2, 4 132 II, 2, 5 56 II, 5, 16 56; 79; 185 II, 5, 17 48 II, 8, 25 50; 186–187 II, 11, 31 50 II, 12, 35 51–52 II, 12, 36 52 II, 12, 37 60 II, 13, 38 52–53 II, 14, 39 48; 51; 54; 198 II, 14, 40 55 II, 14, 41 54 II, 15, 42 54 II, 15, 43 54; 66 II, 16, 44 48; 55–56 II, 18, 47 53; 55; 62 II, 18, 47– 48 51 II, 18, 48 49 II, 20, 54 187; 212–214

loc. I, 8 83 mag. 9, 28 82 mend. 5, 9 78 12, 19 78 mor. I, 3, 5 182 I, 5, 7 – 7, 12 117 I, 6, 10 76 I, 7, 11 77 I, 15, 25 83; 110 I, 16, 27 69; 86 I, 26, 48 51 I, 31, 66 208 I, 32, 69 188; 207; 213 II, 1, 1 76; 197 II, 11, 22 109

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Register pecc. mer. I, 9, 10 141 II, 13, 20 192 II, 17, 26 201 perf. iust. 8, 18 202 15, 36 192 persev. 16, 40 200 praed. sanct. 4, 8 210 qu. II, 172 203–204 IV, 33 190 retr. I, 1, 1 180 I, 1, 2 189 I, 2 189 I, 3, 2 56; 162 I, 4, 3 208 I, 6 48 I, 19, 1–2 210 s. 4, 6, 7 197 4, 7 198 30, 4 222 61, 2, 2 146 61, 3, 3 146 61, 10, 11 146 61a, 7 201 65a, 1 143 77b, 7 140 90, 5 145 94a, 6 201 95, 7 145 96, 2, 2 169 103 214–216 103, 2, 3 218 103, 5, 6 214–216 104 214–216 104, 3 203; 215 104, 4 214–216

250

125, 11 191 125a, 1 207 127, 2, 3 190 128, 3, 5 136 128, 10 201 134, 1 169 150, 4, 5 181 155, 2, 2 136 166, 4 140 169, 1, 1 136 169, 13, 16 222 169, 17 214 179 214 179, 4 182; 194; 203 179, 4, 4 215 179, 5, 5 215 179, 6, 6 214 255 214 255, 6, 6 203; 206; 222 288, 5 209 306, 3, 3 181 306, 8, 7 182 306b, 3 192 311, 11 145 325, 1 142 339, 4 181 342, 5 140 344, 1 140 354, 6, 6 113 355, 2 180 362, 28, 29 207 s. Dolbeau 10, 15 135 s. dom. m. I, 4, 11–12 210 I, 12, 34 98; 101 I, 13, 38 104 II, 1, 1 197; 199 II, 3, 11 197 II, 3, 14 197 II, 22, 74 196 Simpl. I, 1, 7 I, 2, 22 II, 2, 2 II, 2, 3

141; 210 56 119 94; 119

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Register XIII, 1, 4 115 XIII, 5, 8 192 XIII, 6, 9 192 XIII, 7, 10 191–192 XIII, 8, 11 189 XIII, 9, 12 190 XIII, 19, 24 118–119; 130; 226 XIII, 20, 26 202 XIV, 1, 1 95; 105; 107; 156 XIV, 1, 3 103; 105; 117 XIV, 9, 12 205 XIV, 15, 21 73; 75 XV, 1, 1 131 XV, 2, 2 207 XV, 7, 13 119 XV, 23, 44 53

sol. I, 2, 7 117 I, 5, 11 85 II, 11, 21 53; 63 II, 20, 34 198 spir. et litt. 11, 18 156 21, 36–27, 48 73 28, 48– 49 73 33, 58 143 36, 64 113 symb. cat. 1, 2 134 trin. I, 1, 1 199 I, 1, 1–3 197 I, 8, 17 208 I, 10, 20 223 III, prol. 181 IV, prol. 134 IV, 18, 24 130 VI, 4, 6 111 VI, 10, 11 148 VII, 3, 4 –5 142 VIII, 3, 4 158 IX, 4, 4 206 XII, 1, 1 138 XII, 2, 2 99 XII, 3, 3 96–97; 103; 105 XII, 7, 10 98 XII, 7, 11 217 XII, 7, 12 89; 92 XII, 8, 13 98–99; 100; 104 XII, 10, 15 146 XII, 11, 16 114; 137–138 XII, 12, 17 99–100; 115 XII, 12, 19 82; 97 XII, 13, 20 93 XII, 13, 21 96 XII, 14, 21 111; 114 XII, 14, 22 88; 95; 107; 108; 115 XII, 14, 23 106 XII, 15, 25 89 XIII, 1, 2 104–105 XIII, 1, 3 221

util. cred. 1, 2 199 7, 16 56 9, 21 197–198; 201 10, 24 51 12, 27 109; 199 14, 31 199 16, 34 197 vera rel. 1–3 42 5, 8 16; 157 7, 12 16; 157 10, 18 128 16, 32 80 17, 33 81 29, 52 48 31, 58 74 32, 59 64 47, 90 165 47, 91 159 49, 94 206 52, 101 207 53, 102 207 53, 103 207 55, 113 128 vid. deo 1, 1 197

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Register virg. 16 215 47 215

Klemens von Alexandrien paid. I, 3, 9, 4 28

Cicero fin. III, 22, 74 38

strom. I, 24, 158–25, 166 213

Hort. Fr. B 18–B 27 84 Fr. B 46 84

Laktanz div. inst. I, 25 157 III, 8 115

off. I, 153 40 III, 34 155

Lombardus Sent. II, dist. XXIV, c. 5 89

tusc. V, 4 44

Minucius Felix Oct. 11, 3 131

Diogenes Laertios DL IV, 11 28 VII, 40 38 VII, 89 125 VII, 130 179 Epiktet diat. IV, 4, 23 183 Eusebius Laus Const. IV 212 PE XI, 3, 6 28 Hieronymus Hebr. nom. 8, 7.; 9, 25 216 Justin I Apol. 3, 3 212 dial. 3 208

252

Origenes Hom. Gn. I, 15 92 princ. I, 7, 5 135 I, 7, 2–5 131 Philo opif. mundi LIX, 165 92 qu. in Gen. I, 47 92 Platon ap. 31d–e 172 cra. 390b–d 27 Chrm. 174c 133 Euth. 273d 26 305c 174

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Register 305d–e 174

174a 13 174b 121 176a–b 123

Grg. 485a 174 500c–d 173 521d 173

Plotin Enn. I, 2, 2 204 I, 2, 7 204

la. 194d 26

Plutarch St. rep. 1033d 178 1035 38

pol. 258e 23 259c 24 rep. 473d 25 475b 122 486a 39; 122 493a–c 27 496d–e 123; 173 498a 174 505a 26 509b 27 515e–516a 107 516a–b 107 517c 26 517d 122 518c–d 26 519c 26; 174 519d 107 519e 174 522c 25 522c–531c 25 581c–583b 174

Possidius vita Augustini 4, 1 180 Seneca ep. mor. 89, 5 39 ot. III, 5 179 IV, 2 179 Tertullian de an. 14, 3 90 nat. II, 4, 19 13 pall. 1, 1 14 6, 1 13 6, 2 14

Tim. 18a 25 29c 130 90c–d 122

Thomas von Aquin S. Th. I–II, q. 68, a. 4 116 II–II, q. 8, a. 6 116

Tht. 172d–173b 173 172e 173 173a 173 173c 173

Ver. q. 15, a. 4 101

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Register b)

Personenregister

Agasse, Paul 96 Altaner, Berthold 28; 58; 92 Anoz, José 22 Arendt, Hannah 17–18; 121; 147; 203; 211 Armstrong, Arthur 127 Aubenque, Pierre 40; 127 Bartelink, Gerard 28 Bastiaenssen, Antón 28 Bavel, Jan Tarsicius van 92 Beierwaltes, Werner 183; 197 Bien, Günther 25 Blumenberg, Hans 89; 147; 165; 205– 206 Bochet, Isabelle 79; 142; 213 Boll, Franz 172 Bonner, Gerald 140 Bourke, Vernon 19; 127 Brachtendorf, Johannes 65; 116 Brague, Rémi 123; 125; 138 Bravo, Francisco 26 Brisson, Luc 123 Bruning, Bernard 193–194 Brunner, Peter 57 Buchheim, Thomas 34 Burchill-Limb, K.-Y. 155 Burnaby, John 198; 214; 219 Camelot, Pierre-Thomas 130 Campelo, Moisés 88; 104 Canning, Raymond 152; 162 Cayré, Fulbert 193 Chadwick, Henry 188 Chenu, Marie-Dominique 16 Colish, Marcia 37 Cranz, Edward 212 Chroust, Anton-Hermann 73 Cutino, Michelle 50–51; 65; 79 Davis, Scott 110 Deane, Herbert 73 Dihle, Albrecht 18; 36 Doignon, Jean 201 Donnat, Lin 214 Dorter, Kenneth 25

254

Doull, James 19; 94 du Roy, Olivier 20; 54; 79; 85; 137; 164 Dyck, Andrew 40 Ferrari, Franco 122 Fink, Eugen 33 Flasch, Kurt 19; 89; 120; 162 Flashar, Hellmut 30 Fleteren, Frederick van 48; 198; 208–209 Folliet, Georges 140 Fontanier, Jean-Michel 149 Forschner, Maximilian 39; 40; 155; 179 Fortin, Ernest 72 Fuhrer, Therese 20; 99 Gastaldi, Silvia 178 Gigon, Olof 33 Gilson, Étienne 88; 160 Girardet, Klaus Martin 73 Gottlieb, Paula 33–34 Grillmeier, Alois 16 Hadot, Pierre 27–28; 38; 42 Hadot, Ilsetraut 54 Hagendahl, Harald 84; 95 Haggerty, William 193 Harrison, Carol 19 Heidl, György 92 Hessen, Johannes 18; 104 Heßbrüggen-Walter, Stefan 62 Heyking, John von 77; 96 Hill, Edmund 93 Höffe, Otfried 32 Hök, Gösta 108; 110 Holte, Ragnar 19; 20; 71; 148; 151–153; 162; 166 Hombert, Pierre-Marie 94–95 Horn, Christoph 18; 54; 62; 66; 67; 108 Hübner, Wolfgang 50; 52; 54 Ierodiakonou, Katerina 38 Jaeger, Werner 172 Joly, Robert 172–174; 193 Jonas, Hans 78

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Register Kannengiesser, Charles 57 Kany, Roland 95 Kenney, John Peter 209 Kerferd, George 37 Kobusch, Theo 79; 157 Krieger, Gerhard 49 Kuhn, Helmut 14; 23; 25 Kullmann, Wolfgang 175 La Bonnardière, Anne-Marie 69; 85; 214; 219; 222; 226 Langan, John 108 Lobkowicz, Nicholas 203 Loessl, Josef 157 Lohse, Bernhard 130 Lorenz, Rudolf 19; 47; 49; 50; 83; 148 Madec, Goulven 19; 131; 157 Mann, William 98 Männlein-Robert, Irmgard 39 Marin, Marcello 95 Markus, Robert 73; 98; 138; 212 Marrou, Henri-Irénée 72; 96; 197 Mayer, Cornelius 99; 210 Moingt, Joseph 96 Morán, José 88; 97 Moreschini, Claudio 49 Müller, Christof 105 Mulligan, Robert 16; 89–90; 99 Nash, Ronald 104 Noronha Galvao, Henrique de 71 Nygren, Anders 147; 157

Perl, Johann 152 Pfligersdorffer, Georg 149–150; 160 Pollmann, Karla 60 Ratzinger, Joseph 198; 214; 219 Regen, Frank 42 Ritter, Joachim 104; 162; 214; 223 Schlapbach, Karin 85; 182 Schmidinger, Heinrich 17 Schmitt, Arbogast 54 Schneider, Rudolf 90 Schubert, Alois 73 Schützinger, C.-E. 18 Snell, Bruno 172; 223 Solignac, Aimé 42; 214 Somers, Herman 94 Speigl, Jakob 157 Stelzenberger, Johannes 99 Stritzky, Maria-Barbara von 207 Studer, Basil 105 Taylor, Christopher 36 TeSelle, Eugene 101 Teske, Roland 92–93; 208 Theiler, Willy 136 Thimme, Wilhelm 86 Torchia, Joseph 155; 163 Trelenberg, Jörg 63 Verbeke, Gérard 109 Verheijen, Luc 162 Wieland, Wolfgang 27; 31; 33

O’Connell, Robert 168–169 O’Daly, Gerard 42; 92; 127; 135; 166 O’Donovan, Oliver 145; 147; 152–153 O’Meara, Dominic 212

Zumkeller, Adolar 207

A

Theorie und Praxis bei Augustin

https://doi.org/10.5771/9783495860427 © Verl

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