Theorie der Rechtsprinzipien [1 ed.] 9783428520800, 9783428120802

Eigenschaften sind, die ihnen im Vergleich mit anderen Normen der Rechtsordnung zukommen. Drittens werden die Anwendungs

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Theorie der Rechtsprinzipien [1 ed.]
 9783428520800, 9783428120802

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Schriften zur Rechtstheorie Heft 228

Theorie der Rechtsprinzipien Von Humberto Bergmann Ávila

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

HUMBERTO BERGMANN ÁVILA

Theorie der Rechtsprinzipien

Schriften zur Rechtstheorie Heft 228

Theorie der Rechtsprinzipien Von Humberto Bergmann Ávila

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0472 ISBN 3-428-12080-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meiner Mutter Teresinha Bergmann Ávila in Liebe gewidmet

Geleitwort I. Seit einigen Jahrzehnten kommen auf den Gebieten der Rechtsphilosophie und der Rechtstheorie die wichtigsten Impulse überwiegend aus dem angloamerikanischen Rechtskreis. Dies gilt in besonderem Maße für die Thematik der allgemeinen Rechtsprinzipien, wo im Anschluss an die Arbeiten von Ronald Dworkin die Unterscheidung zwischen Regeln und Prinzipien auch im deutschsprachigen Rechtskreis Epoche gemacht und, bei mancherlei Varianten und Weiterentwicklungen im einzelnen, vielfältige Gefolgschaft gefunden hat. Dass es im iberoamerikanischen Rechtskreis ebenfalls eine intensive Diskussion über diese Thematik gibt, ist hierzulande noch nicht hinreichend ins Bewusstsein gedrungen. So ist es ein Glücksfall, dass Humberto Bergmann Ávila, der mit der deutschen Rechtswissenschaft bestens vertraut ist und die deutsche Sprache vorzüglich beherrscht, eine Version seiner „Theorie der Rechtsprinzipien“ auch als deutschsprachige Monographie vorlegt. Der im Jahre 1970 geborene Autor ist Professor für Steuer-, Finanz-, Wirtschafts- und Verfassungsrecht an der Bundesuniversität Rio Grande do Sul und Rechtsanwalt in Porto Allegre in Brasilien. Der deutschen Rechtswissenschaft ist er vor allem dadurch verbunden, dass er im Jahre 2002 an der Ludwig-Maximilians-Universität München mit einer Dissertation über „Materiell verfassungsrechtliche Beschränkungen der Besteuerungsgewalt in der brasilianischen Verfassung und im deutschen Grundgesetz“ (Baden-Baden, 2002) promoviert hat. II. Bei aller Aufgeschlossenheit des Autors für die bisher entwickelten Positionen und bei aller Bereitschaft zur Übernahme und Bewahrung fruchtbarer Ansätze anderer Autoren zeichnet sich das vorliegende Werk durch scharfes eigenes Profil und konzeptionelle Eigenständigkeit aus. Eine zentrale Ausgangsthese geht dabei dahin, dass der Gegensatz zwischen Regel und Prinzip, die der Autor beide gleichermaßen als Normen versteht, nicht im Sinne kontradiktorischer Exklusivität verstanden werden darf, sondern dass ein und dieselbe Rechtsnorm sowohl als Regel wie auch als Prinzip fungieren kann. Darüber hinaus sieht der Autor es nicht als Spezifikum der Prinzipien an, dass sie der Abwägung fähig und bedürftig sind und dass sie eine Gewichtsdimension besit-

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Geleitwort

zen, sondern erbringt den Nachweis, dass gleiches grundsätzlich auch für die Regeln gilt. Demgemäß sucht er den Unterschied zwischen Regeln und Prinzipien in anderer Richtung und findet ihn in erster Linie darin, dass Regeln unmittelbar die Beschreibung eines Verhaltens oder die Zuerkennung einer Kompetenz zum Gegenstand haben und nur mittelbar auf die Erreichung eines Zweckes gerichtet sind, wohingegen Prinzipien genau umgekehrt unmittelbar auf die Erreichung eines Zweckes abzielen und nur mittelbar die dazu erforderlichen Verhaltensweisen oder Kompetenzzuweisungen beeinflussen. Vor diesem Hintergrund entwickelt der Autor unter Anreicherung durch weitere Kriterien einen eigenen differenziert ausgearbeiteten Vorschlag für die Unterscheidung von Regeln und Prinzipien. Sodann erweitert er seine Konzeption um eine weitere Ebene, indem er zu den Regeln und Prinzipien die Postulate hinzufügt. Es geht ihm dabei um Kriterien wie Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit, Effizienz und Rechtssicherheit, die üblicherweise und oft ziemlich unreflektiert ebenfalls als Prinzipien bezeichnet werden. Diesem Sprachgebrauch und dieser Sichtweise tritt der Autor mit dem Argument entgegen, dass diese Postulate nicht wie die Prinzipien i. e. Sinne unmittelbar auf die Erreichung eines Zweckes gerichtet sind, sondern vielmehr die andersartige Funktion erfüllen, bestimmte Denk- und Argumentationsweisen vorzuschreiben und zu leiten und dadurch die Anwendungsweise der Regeln und Prinzipien zu strukturieren. Die Postulate stehen daher nicht auf derselben Ebene wie diese, sondern sind auf einer Metaebene angesiedelt, weshalb der Autor sie als Normen zweiter Stufe oder Anwendungsnormen qualifiziert. So abstrakt und hochgespannt Sprache und Gedankenführung des Autors über weite Strecken sind, so anschaulich wird seine Darstellung immer wieder durch praktische Beispiele bereichert. Diese sind sowohl aus dem brasilianischen als auch aus dem deutschen Recht entnommen und entstammen vorwiegend dem Verfassungs- und dem Steuerrecht, wie es den materiellrechtlichen Schwerpunkten der wissenschaftlichen Arbeit des Autors entspricht. Zugleich zeigt sich daran, dass dessen rechtstheoretisches Interesse sich mit einem breiten dogmatischen Fundament verbindet – eine Kombination, die sich auch in diesem Werk einmal mehr als fruchtbar erweist. So wünsche ich dem Buch, dass es in der deutschen rechtstheoretischen Diskussion mit Interesse aufgenommen werden und die gebührende Resonanz finden möge. München, im August 2005

Claus-Wilhelm Canaris

Danksagung Unbeschadet ihrer geringen Ausdehnung und ihres großen Ehrgeizes, ist jede Arbeit auf die Hilfe und Anregungen vieler Menschen angewiesen. Diese Untersuchung ist von dieser Regel ebenfalls nicht ausgenommen. Ich habe also das Bedürfnis und die Genugtuung, mich zu bedanken – bei meiner Frau Ana Paula, sowohl für die ständige Unterstützung bei meiner akademischen Tätigkeit als auch, insbesondere, für die aufmerksame und kritische Lektüre der Originalfassungen dieser Studie; – bei meinem Freund und Meister José Souto Maior Borges, einem Juristen von großer Statur, der seine Unabhängigkeit und seine Überzeugungen nicht dem billigen und oberflächlichen Erfolg opfert, für die ersten und bis heute anhaltenden Anregungen; – bei meinen kleinen Kindern Georgia und André, diesen wunderbaren Stöpseln, die mich grenzenlos glücklich machen, da sie meiner Bemühung einen Sinn geben; – bei den Professoren Almiro do Couto e Silva und Ricardo Lobo Torres, Meister aufgrund ihres Wissens, nicht aufgrund ihres Status, und wahre Vorbilder in Gelehrsamkeit, Menschlichkeit und Großzügigkeit, denen die brasilianische Ausgabe gewidmet ist; – bei Prof. Claus-Wilhelm Canaris, den ich nicht nur als brillanten Juristen, sondern als großherzigen Menschen kennenlernen durfte, für wichtige Anregungen in der Wissenschaft, wertvolle Empfehlungen zum Ausbau und zur Korrektur dieser Arbeit und für die sofortige Empfehlung zur Publikation – ohne seine Hilfe und Beratung wäre diese Arbeit nicht in deutscher Sprache erschienen; – bei Prof. Eros Roberto Grau, der nicht nur das Geleitwort der brasilianischen Auflage dieser Arbeit geschrieben, sondern mir auch durch ihre akademische Unterstützung eine unschätzbare Hilfe gegeben hat. Das Original dieser ursprünglich auf Portugiesisch geschriebenen Arbeit wurde von Peter Naumann übersetzt, dem ich für seine vorzügliche Arbeit meinen Dank ausspreche. Einige marginale redaktionelle Änderungen habe ich selbst vorgenommen. Außerdem hat Prof. Claus-Wilhelm Canaris, bei dem ich mich hier noch einmal bedanke, mehrere Änderungen inhaltlicher und formaler Art vorgeschlagen. Humberto Bergmann Ávila

Inhaltsverzeichnis A. Einleitende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Normen erster Stufe: Anzuwendende Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I.

Einleitende Unterscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Text und Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beschreibung, Konstruktion und Rekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20 20 21

II. Kurzer Rückblick auf die Entwicklung der Unterscheidung von Prinzipien und Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

III. Kriterien der Unterscheidung zwischen Prinzipien und Regeln . . . . . . . . . . 1. Kriterium des hypothetisch-konditionalen Charakters . . . . . . . . . . . . . . . a) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kritische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kriterium des finalen Anwendungsmodus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kritische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kriterium des normativen Konflikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kritische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29 29 29 30 33 33 34 41 41 42

IV. Vorschlag zur Dissoziierung von Prinzipien und Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtfertigende Dissoziierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abstrakte Dissoziierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Heuristische Dissoziierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Dissoziierung in inklusiven Alternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dissoziierungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kriterium der Natur des vorgeschriebenen Verhaltens . . . . . . . . . . . . b) Kriterium der Natur der geforderten Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . c) Kriterium des Maßes des Beitrags zur Entscheidung . . . . . . . . . . . . . d) Schematische Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Konzeptueller Vorschlag für Regeln und Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Richtlinien zur Analyse der Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Maximale Spezifizierung der Zwecke: Je weniger spezifisch der Zweck, desto weniger wird seine Erreichung kontrollierbar sein . .

55 55 55 56 59 59 62 62 64 67 69 69 75 75

12

Inhaltsverzeichnis b) Erforschung paradigmatischer Fälle, die diesen Prozess der Aufklärung der Bedingungen, die den durch zwecknotwendige Verhaltensweisen zu erreichenden Idealzustand ausmachen, einleiten könnten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

c) Untersuchung der Ähnlichkeiten zwischen diesen Fällen zwecks Bildung von Fallgruppen, die sich ihrerseits mit der Lösung eines zentralen Poblems befassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

d) Feststellung des Vorliegens von Kriterien, die in der Lage sind, eine Abgrenzung vorzunehmen: Aus welchen Rechtsgütern setzt sich der Idealzustand zusammen und welches sind die Verhaltensweisen, die zu seiner Verwirklichung als notwendig erachtet werden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

e) Zurücklegung des umgekehrten Wegs: Nachdem der Zustand und die zu seiner Förderung notwendigen Verhaltensweisen ermittelt sind, müssen andere Fälle ermittelt werden, die auf der Grundlage des untersuchten Prinzips hätten entschieden werden müssen . . . . .

77

5. Beispiel des Prinzips der Moralität der staatlichen Verwaltung . . . . . . .

77

6. Wirkungsweise der Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

a) Interne Wirkungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

aa) Gehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

bb) Unmittelbare interne Wirkungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

cc) Mittelbare interne Wirkungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

b) Externe Wirkungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

aa) Objektive externe Wirkungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

bb) Subjektive externe Wirkungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

7. Wirkungsweise der Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

a) Interne Wirkungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

aa) Unmittelbare interne Wirkungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

bb) Mittelbare interne Wirkungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

b) Externe Wirkungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

C. Normen zweiter Stufe: Anwendungsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

I.

Definition des normativen Anwendungspostulats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

II. Richtlinien für die Untersuchung der normativen Anwendungspostulate . .

92

1. Notwendigkeit der Erfassung der Fälle, deren Lösung aufgrund eines normativen Postulats ausgearbeitet worden ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

2. Untersuchung der Begründung der Entscheidungen, um festzustellen, welche Elemente geordnet worden sind und welches die Art und Weise ihrer wechselseitigen Beziehung ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

3. Feststellung der Normen, die Gegenstand der Anwendung waren, und der bei der Wahl einer bestimmten Anwendung verwendeten Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

Inhaltsverzeichnis 4. Zurücklegung des umgekehrten Weges: Ermittlung der bei der Anwendung des Postulats geforderten Struktur, Feststellung des Vorliegens anderer Fälle, die auf deren Grundlage hätten entschieden werden müssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Arten der Anwendungsnormen (Postulate) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unspezifische Postulate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Praktische Konkordanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Übermaßverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Spezifische Postulate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zumutbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Typologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zumutbarkeit als Billigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zumutbarkeit als Kongruenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zumutbarkeit als Äquivalenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Unterscheidung von Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeine Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Beziehung zwischen Mittel und Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Interne und externe Zwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verhältnismäßigkeitsimmanente Prüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Intensität der Kontrolle anderer Gewalten durch die Judikative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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94 94 94 95 95 97 98 102 102 104 104 105 105 108 110 111 113 113 115 115 116 118 118 123 126 126

D. Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138

A. Einleitende Bemerkungen Die Anregung zur Abfassung der vorliegenden Arbeit verdankt sich dem Echo der Veröffentlichung von einigen Arbeiten über Rechtsprinzipien in der Fachwelt.1 Hinzu kam ein weiterer Grund: die ständige Hervorhebung der Unterscheidung zwischen Prinzipien und Regeln in der Diskussion, in der Wissenschaft wie in der Rechtsprechung. Die staatsrechtliche Forschung hat, ganz besonders im Bereich des Verfassungsrechts, signifikante Fortschritte in der Auslegung und Anwendung der Verfassungsnormen erzielt. Heute kommt es mehr denn je auf die Konstruktion der Bedeutung und die Begrenzung der Funktion der Rechtsprinzipien als derjenigen Normen, die über die Setzung von zu erreichenden Zwecken hinaus die Grundlage für die Anwendung der Verfassungsordnung bilden, an. Es ist sogar plausibel, zu behaupten, dass die Verfassungslehre sich heute in einem euphorischen Zustand, der schon als prinzipienbegründeter Staat bezeichnet worden ist, befindet. Hervorzuheben ist jedoch, dass bemerkenswerte Ausnahmen die Regel bestätigen, derzufolge die Euphorie des Neuen schließlich zu einigen Übertreibungen und theoretischen Problemen führt, welche die Rechtsordnung in ihrer Effektivität selbst behindern. Es handelt sich insbesondere und paradoxerweise um die Effektivität der Elemente, die grundlegend genannt werden, nämlich der Rechtsprinzipien. In diesem Zusammenhang sorgen einige Probleme für Ratlosigkeit. Das erste bezieht sich auf die Unterscheidung von Prinzipien und Regeln. Einerseits verstehen die Unterscheidungen, die Prinzipien von Regeln aufgrund der Struktur und der Anwendungs- und Kollisionsmodi trennen, diejenigen Eigenschaften als notwendig, die in den jeweiligen Normarten nur kontingent sind. Außerdem unterstreichen diese Unterscheidungen die Bedeutung der Prinzipien, was zu einer Vernachlässigung der Funktion der Regeln führt. Andererseits haben diese Unterscheidungen den Prinzipien den Status von Normen zugeschrieben. Da diese auf Werte bezogen sind, die vom Anwender subjektive Evaluierungen verlangen, sind sie nicht in der Lage, intersubjektiv kontrollierbar erforscht zu werden. Im Ergebnis weicht die unverzichtbare Entdeckung der 1 Ávila, Humberto Bergmann, A distinção entre princípios e regras e a redefinição do dever de proporcionalidade. Revista de Direito Administrativo (215):151–179, Rio de Janeiro, Renovar, Januar/März 1999; ders., Repensando o princípio da supremacia do interesse público sobre o particular. Revista Trimestral de Direito Público (24):159–180, São Paulo, Malheiros, 1999.

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A. Einleitende Bemerkungen

für die Konkretisierung der Prinzipien zu wählenden Verhaltensweisen einer Forschung, die auf die bloße, zuweilen verzweifelte und nicht konsequente Behauptung ihrer Bedeutung beschränkt bleibt. Man huldigt den Prinzipien als Grundlagen oder Säulen der Rechtsordnung, ohne dieser Verehrung Elemente hinzuzufügen, die sie besser zu verstehen und anzuwenden erlauben. Die zweite Frage, welche zur Kritik herausfordert, ist der Mangel an einer wünschenswerten begrifflichen Klarheit bei der Handhabung der Normarten. Dies erfolgt nicht nur deswegen, weil verschiedene, eigentlich unterschiedliche Kategorien synonym verwendet werden, wie im Fall der unkritischen Bezugnahme auf Prinzipien, die hier und da mit Regeln, Axiomen, Postulaten, Ideen, Maßnahmen, Maximen und Kriterien vermengt werden, sondern auch, weil mehrere Postulate unterschiedlicher Art (wie zu zeigen sein wird) so verwendet werden, als ob sie vom Interpreten dieselbe Prüfung erfordern, wie im Fall der unkritischen Anspielung auf die Verhältnismäßigkeit, die nicht selten mit der gerechten Proportion, mit der Pflicht zur Billigkeit, mit dem Übermaßverbot, mit der Äquivalenzbeziehung, mit der Forderung der Abwägung, mit der Pflicht zur praktischen Konkordanz oder selbst mit der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn verwechselt wird. Natürlich kommt es nicht darauf an, die korrekteste Bezeichnung dieses oder jenes Prinzips zu kennen. Entscheidend ist, welches die sicherste Weise der Gewährleistung seiner Anwendung und Geltung ist. Die Anwendung im Recht hängt jedoch von diskursiven und institutionellen Prozessen ab, ohne welche sie nicht Wirklichkeit wird. Der vom Interpreten benutzte Rohstoff – der Normtext – stellt eine bloße Möglichkeit des Rechts dar. Die Verwandlung normativer Texte in Rechtsnormen hängt von der Konstruktion der Sinngehalte durch den Interpreten selbst ab. Die Begründungspflicht erfordert, dass diese Sinngehalte von denen, die mit ihnen umgehen, verstanden werden, schon weil sie anders nicht von ihren Adressaten verstanden werden können. Eben deshalb gewinnt die Unterscheidung der vom Rechtsanwender benutzten Kategorien an Bedeutung. Die maßlose Verwendung von Kategorien widerstrebt nicht nur dem wissenschaftlichen Gebot der Klarheit, ohne die sich keine diesen Namen verdienende Wissenschaft begründen lässt, sondern kompromittiert auch zwei unverzichtbare Bestandteile des Rechtsstaatsprinzips, die Klarheit und Vorhersehbarkeit des Rechts. Es ist leicht ersichtlich, dass hier nicht der bloßen analytischen Forderung der Dissoziierung nur zum Zweck der Trennung das Wort geredet wird. Wie die Kategorien vom Interpreten benannt werden, ist von sekundärer Bedeutung. Die Notwendigkeit der Unterscheidung entsteht nicht wegen des Nichtvorliegens unterschiedlicher Bezeichnungen für zahlreiche Kategorien. Sie entspringt vielmehr der Notwendigkeit verschiedener Bezeichnungen für unterschiedliche Phänomene.2 Es handelt sich also nicht nur um eine rein terminologische Unter-

A. Einleitende Bemerkungen

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scheidung, sondern um eine Forderung nach begrifflicher Klarheit: wenn mehrere Untersuchungsweisen auf der konkreten Ebene existieren, empfiehlt sich, dass sie auch unterschiedlich gekennzeichnet werden.3 Die Verfassungsdogmatik muss sich auch deswegen um Klarheit bemühen, da sie stärkere Mittel zur Kontrolle der staatlichen Aktivität bereithält.4 Die vorliegende Arbeit versucht also einen Beitrag zu einer besseren Bestimmung und Anwendung von Prinzipien und Regeln zu leisten. Ihre Zielsetzung ist klar: es geht darum, die Unterscheidung zwischen Prinzipien und Regeln aufrechtzuerhalten, sie jedoch im Hinblick auf die gemeinhin von der Rechtslehre gewählten abweichenden Grundlagen anders zu strukturieren. Einerseits wird bewiesen werden, dass die Prinzipien nicht nur Werte explizieren, sondern mittelbar auch bestimmte Arten von Verhaltensweisen; andererseits wird der Nachweis erbracht, dass die Einführung von Verhaltensweisen durch Regeln auch Gegenstand der Abwägung sein kann, obwohl das eingangs vorgesehene Verhalten von der Erfüllung einiger Bedingungen zu seiner Überwindung abhängt. Damit wird sowohl die bloße Lobpreisung von Werten ohne die Setzung von Verhaltensweisen als auch die automatische Anwendung von Regeln überwunden. Vorgeschlagen wird ein Modell der Erklärung der Normarten, das über die Einfügung einer strukturierten Abwägung in den Anwendungsprozess hinaus noch materiale Gerechtigkeitskriterien in die Argumentation aufnimmt, vermittels der analytischen Rekonstruktion der konkreten Verwendung der normativen Postulate, besonders des Postulats der Zumutbarkeit und der Verhältnismäßigkeit, all dies natürlich ohne die Aufgabe der Fähigkeit zur intersubjektiven Kontrolle der Argumentation, die gewöhnlich in einen kapriziösen Dezisionismus verfällt. Die Unterscheidung zwischen Prinzipien und Regeln ist heutzutage Mode geworden. Von seltenen Ausnahmen abgesehen bedienen sich staatsrechtliche Arbeiten ihrer, als ob sie aufgrund ihrer Selbstverständlichkeit von jeder eindringlicheren Behandlung dispensiert seien. Die Trennung zwischen den Normarten scheint sich allgemeiner Übereinstimmung zu erfreuen. Und diese Übereinstimmung verbreitet am Ende nicht mehr das kritische Wissen von den Normarten, sondern den Glauben, dass diese einfach so sind, wie man üblicherweise annimmt.

2 Ávila, Humberto Bergmann, A distinção entre princípios e regras e a redefinição do dever de proporcionalidade. RDA (215):151–2, Rio de Janeiro, Renovar, Januar/ März 1999. 3 Huster, Stefan, Rechte und Ziele: Zur Dogmatik des allgemeinen Gleichheitssatzes. Berlin, Duncker & Humblot, 1993, S. 134, 144 und 145. 4 Vogel, Klaus/Waldhoff, Christian, Grundlagen des Finanzverfassungsrechts, in: Sonderausgabe des Bonner Kommentars zum Grundgesetz (Vorbemerkungen zu Art. 104a bis 115 GG). Heidelberg, Müller, 1999, Rdnr. 342, S. 232.

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A. Einleitende Bemerkungen

Kategorische Behauptungen über die Unterscheidung zwischen Prinzipien und Regeln sind schon zu Gemeinplätzen verkommen: Normen sind entweder Prinzipien oder Regeln. Regeln können nicht Gegenstand von Abwägungen sein; Prinzipien sind dagegen auf die Abwägung angewiesen, müssen abgewogen werden. Regeln statuieren definitive Pflichten, unabhängig von den faktischen und normativen Möglichkeiten; Prinzipien statuieren vorläufige Pflichten, abhängig von den faktischen und normativen Möglichkeiten zu ihrer Erfüllung. Wenn zwei Regeln kollidieren, ist eine ungültig oder muss eine Ausnahme eingeführt werden, um den Konflikt zu überwinden; wenn dagegen zwei Prinzipien kollidieren, behalten beide bei der Lösung des Konflikts ihre Geltung und der Anwender muss dann entscheiden, welchem Prinzip das größere Gewicht zukommt. Die Analyse dieser Behauptungen gibt jedoch zu einigen Zweifeln Anlass. Verhalten sich wirklich alle Normarten wie Prinzipien oder Regeln? Können Regeln wirklich nicht Gegenstand von Abwägungen sein? Statuieren Regeln wirklich immer definitive Gebote? Wird der Konflikt zwischen Regeln wirklich nur durch die Erklärung der Ungültigkeit einer Regel oder durch die Einführung einer Ausnahme für eine der beiden Regeln gelöst? Die vorliegende Arbeit erteilt nicht nur eine Antwort auf diese und viele andere Fragen, die sich im Lauf der Analyse der Unterscheidung zwischen Prinzipien und Regeln stellen, sondern präsentiert ein neues Paradigma zur Dissoziierung und Anwendung der Normarten. Während die Rechtslehre im allgemeinen davon ausgeht, dass Regeln auszulegen und Prinzipien abzuwägen sind, wird diese Unterscheidung in der vorliegenden Arbeit kritisiert und der Versuch unternommen, Abwägungsfähigkeit auch der Regeln nachzuweisen. Während die Rechtslehre behauptet, dass im Fall der Erfüllung des Tatbestands einer Regel die Folge implementiert werden muss, unterscheidet die vorliegende Studie das Greifen [incidência] der Regeln von ihrer Anwendbarkeit, um den Nachweis zu führen, dass die Anwendungseignung einer Regel von der Abwägung anderer Faktoren, die über die schlichte Feststellung des Eintretens der vorgängig tatbestandsmäßig erfassten Sachverhalte hinausgehen, abhängt. Während die Rechtslehre behauptet, dass ein Normtext aufgrund einer Entscheidung zwischen sich wechselseitig ausschließenden Optionen entweder eine Regel oder ein Prinzip ist, werden in der nachfolgenden Untersuchung inkludierende Alternativen zwischen den manchmal aus einem einzigen Normtext hervorgebrachten Spezies vertreten. Während sich die Rechtslehre auf die Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit mal als Prinzipien, mal als Regeln bezieht, kritisiert die vorliegende Arbeit diese Konzeptionen und schlägt in Vertiefung einer älteren Arbeit eine neue Kategorie vor, die Kategorie der normativen Anwendungspostulate genannt wird. Während die Rechtslehre Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit gleichsetzt, kritisiert die vorliegende Untersuchung dieses Modell und erklärt, warum es sich nicht halten

A. Einleitende Bemerkungen

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lässt. Während die Rechtslehre Zumutbarkeit als einen Topos ohne normative Struktur und Grundlage versteht, rekonstruiert diese Untersuchung Urteile, um ihnen eine dogmatische Dignität zuzuschreiben. Während die Rechtslehre das Übermaßverbot und die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn gleichsetzt, dissoziiert diese Studie die beiden Begriffe und erklärt dabei, warum beide unterschiedliche Arten der argumentativen Kontrolle darstellen. Dies alles erfolgt mit Hilfe der Präsentation von Beispielen im Verlauf der Argumentation. Bei diesem Vorgehen werden Bedingungen geschaffen, um die Gerechtigkeit in die juristische Diskussion einzuführen, ohne die argumentative Rationalität zu beeinträchtigen. Um dieses Desiderat zu erfüllen, wird erstens das Phänomen der Interpretation im Recht untersucht mit dem Ziel, verständlich zu machen, dass die Zuschreibung der Kennzeichnung als Prinzipien oder Regeln zu bestimmten Normarten vor allem von werttheoretischen Zusammenhängen abhängt, die vor dem sie aufdeckenden Auslegungsprozess noch nicht fertig sind. Zweitens wird eine Definition von Prinzipien vorgeschlagen mit dem Ziel zu verstehen, welches die Eigenschaften sind, die ihnen im Vergleich mit anderen Normen der Rechtsordnung zukommen. Drittens werden die Anwendungsbedingungen von Prinzipien und Regeln untersucht, d.h. die normativen Anwendungspostulate.

B. Normen erster Stufe: Anzuwendende Normen I. Einleitende Unterscheidungen 1. Text und Norm Normen sind keine Texte und auch keine Textmengen, sondern die aus der Auslegung normativer Texte konstruierten Bedeutungen. Deswegen wird behauptet, dass die Normtexte der Gegenstand der Auslegung und die Normen deren Ergebnis sind.1 Wichtig ist, dass keine Entsprechung von Norm und Normtext in dem Sinn besteht, dass auch eine Norm vorhanden ist, wo immer es einen Normtext gibt, bzw. dass, wo immer es eine Norm gibt, auch ein ihr als Träger dienender Normtext vorhanden sein muss. In einigen Fällen gibt es Normen, aber keinen Normtext. Welche Normtexte sehen die Grundsätze der Rechtssicherheit vor? Keine. Es gibt also Normen, selbst ohne spezifische Normtexte, die sie physisch abstützen. In anderen Fällen gibt es Normtexte, aber keine Norm. Welche Norm lässt sich im Ausgang von dem Verfassungssatz, der den Schutz Gottes vorsieht, konstruieren? Keine. Es gibt also Normtexte, von denen ausgehend keine einzige Norm konstruiert wird. In wieder anderen Fällen gibt es einen Normtext, von dem aus mehr als eine Norm konstruiert wird. Ein gutes Beispiel ist die Vorschrift, die ein Gesetz für die Einführung oder Erhöhung von Abgaben fordert, von der ausgehend man zum Prinzip der Legalität gelangen kann, zum Prinzip der Tatbestandsmäßigkeit, zum Verbot unabhängiger Regelungen und zum Verbot der normativen Delegierung. Ein anderes anschauliches Beispiel ist die Erklärung der partiellen Verfassungswidrigkeit ohne Textreduktion: Das STF (Supremo Tribunal Federal) untersucht bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Normen die verschiedenen Sinngehalte, aus denen sich die Bedeutung eines bestimmten Normtexts zusammensetzt, und erklärt, ohne den Text zu verändern, die Verfassungswidrigkeit derjenigen, die mit der Bundesverfassung unvereinbar sind. Der Normtext bleibt erhalten, aber die auf seiner Grundlage konstruierten Normen, die mit der Bundesverfassung unvereinbar sind, werden für nichtig erklärt. Es gibt also Normtexte, von denen ausgehend mehr als eine Norm konstruiert werden kann. 1 Guastini, Riccardo, Teoria e dogmatica delle fonti. Mailand, Giuffrè, 1998, S. 16; ders., Dalle fonti alle norme. Turin, Giappichelli, 1992, S. 20 ff.

I. Einleitende Unterscheidungen

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In anderen Fällen gibt es mehr als einen Normtext, aber nur eine Norm wird im Ausgang von ihm konstruiert. Bei der Analyse der die Legalität, das Rückwirkungsverbot und die Vorzeitigkeit gewährleistenden Normtexte gelangt man zum Prinzip der Rechtssicherheit. Es ist also möglich, dass mehr als ein Normtext vorliegt und trotzdem nur eine Norm konstruiert wird. Was soll das alles bedeuten? Es heisst, dass es keine in beiden Richtungen eindeutige Entsprechung von Normtext und Norm gibt: Wo das eine vorliegt, muss nicht zwingend auch das andere vorliegen. 2. Beschreibung, Konstruktion und Rekonstruktion Diese auf die Trennung des Texts von seinen Sinngehalten verweisenden Bemerkungen legen den Schluss nahe, dass die Funktion der Rechtswissenschaft nicht in der bloßen Beschreibung der Bedeutung gesehen werden kann, sei es unter der Perspektive der Mitteilung einer Information über einen oder des Wissens von einem Text, sei es unter der Perspektive der Absicht seines Autors. Einerseits setzt das Verständnis der Bedeutung als begrifflichen Textinhalt die Existenz einer von seinem Gebrauch oder seiner Auslegung unabhängigen inneren Bedeutung voraus. Dies ist aber nicht der Fall, da die Bedeutung nicht etwas dem Inhalt der Wörter Einverleibtes wäre, sondern etwas präzise von seinem Gebrauch und seiner Auslegung Abhängendes, wie die Bedeutungsveränderungen der Begriffe im Raum und in der Zeit und die Kontroversen der Rechtslehre über den angemessensten, einem Text zuzuschreibenden Sinn beweisen. Andererseits setzt die Konzeption, welche die Bedeutung der Absicht des Gesetzgebers annähert, die Existenz eines bestimmten Autors und eines eindeutigen textbegründenden Willens voraus. Dies ist jedoch auch nicht der Fall, da das gesetzgeberische Verfahren sich als komplexer Prozess darstellt, der sich weder einem einzelnen Autor noch einem spezifischen Willen fügt. Wenn dem so ist, ist die Interpretation nicht ein Akt der Beschreibung einer vorgegebenen Bedeutung, sondern ein Akt der Entscheidung, der die Bedeutung und die unterschiedlichen Sinngehalte eines Texts konstituiert.2 Das Kernproblem all dessen liegt in der Tatsache, dass der Interpret den Rechtsbegriffen nicht „die“ richtige Bedeutung zuschreibt. Er konstruiert nur Beispiele des Sprachgebrauchs oder Versionen der Bedeutung – der Sinngehalte –, da die Sprache nie etwas Vorgegebenes ist, sondern sich im Gebrauch oder, besser, als Gebrauch konkretisiert.3

2 Guastini, Riccardo, Interprétation et description de normes, in: Paul Amselek (Hrsg.), Interpretation et Droit. Brüssel, Bruylant, 1995, S. 97–8. 3 Müller, Friedrich, Warum Rechtslinguistik? Gemeinsame Probleme von Sprachwissenschaft und Rechtstheorie, in: Wilfried Erbguth/Friedrich Müller/Volker Neumann (Hrsg.), Rechtstheorie und Rechtsdogmatik im Austausch. Gedächtnisschrift für Bernd Jeand’Heur. Berlin, Duncker & Humblot, 1999, S. 40; Herbert, Manfred,

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B. Normen erster Stufe: Anzuwendende Normen

Diese Erwägungen führen zu dem Verständnis, dass die Tätigkeit des Interpreten – sei er nun Richter oder Wissenschaftler – nicht darin besteht, bloß die im Voraus existierende Bedeutung der Normtexte zu beschreiben. Seine Aktivität besteht darin, diese Bedeutungen zu konstituieren.4 Aus diesem Grund ist die Vorstellung, dass die Rechtsanwendung eine Subsumtionstätigkeit zwischen fertigen Begriffen noch vor dem Anwendungsprozess impliziert, nicht plausibel.5 Die Feststellung, dass die Sinngehalte vom Interpreten im Auslegungsprozess konstruiert werden, darf allerdings nicht zum Schluss führen, dass vor dem Ende dieses Auslegungsprozesses überhaupt keine Bedeutung existiert. Die Behauptung, dass die Bedeutung vom Gebrauch abhängt, ist nicht gleichbedeutend mit der Behauptung, dass sie nur durch den spezifischen und individuellen Gebrauch entsteht, weil es minimale Bedeutungsspuren gibt, die dem alltäglichen oder technischen Gebrauch der Sprache einverleibt sind. Es lässt sich also nur behaupten, dass der gemeinschaftliche Gebrauch der Sprache einige der Gebrauchsbedingungen von Sprache selbst konstituiert. Aarnio erinnert daran, dass Termini wie Leben, Tod, Mutter, vorher, nachher intersubjektivierte Bedeutungen darstellen, die nicht in jeder neuen Situation begründungsbedürftig sind. Es ist hier nicht der Ort, den Streit zwischen Objektivismus und Konstruktivismus oder Realismus und Nominalismus zu diskutieren.6 Es ist aber wichtig zu sagen, dass die Gebrauchsbedingungen von Sprache als gegebene Bedingungen der Kommunikation funktionieren.7 „Expressions acquire their meaning when language is used“, erklärt Aarnio.8 Bydlinsky vertritt eine ähnliche Meinung: „Praktisch ist die sprachliche menschliche Kommunikation darauf aufgebaut, dass in gewissen Grenzen mit bestimmten Worten von den Mitgliedern der betreffenden Sprachgemeinschaft gleiche Vorstellungen verbunden werden“.9 Rechtstheorie als Sprachkritik. Zum Einfluß Wittgensteins auf die Rechtstheorie. Baden-Baden, Nomos, 1995, S. 290. 4 Grau, Eros Roberto, Interpretação/Aplicação do Direito. São Paulo, Malheiros, 2002, S. 20, 54, 69, 71, 73; Carvalho, Paulo de Barros, Curso de Direito Tributário. 14. Aufl. São Paulo, Malheiros, 2002, S. 8. 5 Grau, Eros Roberto, Interpretação/Aplicação do Direito. São Paulo, Malheiros, 2002. S. 73 und ff.; Kaufmann, Arthur, Analogie und ,Natur der Sache‘. 2. Aufl. Heidelberg, Müller, 1982, S. 37 und ff.; ders., Die ipsa res iusta, in: Beiträge zur Juristischen Hermeneutik. 2. Aufl. Köln, Carl Heymanns, 1993, S. 58. 6 Vgl. dazu statt aller: Stegmüller, Wolfgang, Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie. 7. Aufl. Bd. 1, Stuttgart, Alfred Kröner, 1989. S. 56 ff. 7 Aarnio, Aulis, Denkweisen der Rechtswissenschaft. Wien, Springer, 1979, S. 159. 8 Aarnio, Aulis, Reason and Authority. Alderhot: Ashgate, 1997. S. 161. Vgl. über das Verhältnis zwischen Bedeutung und Gebrauch Stegmüller, Wolfgang, Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie. 7. Aufl. Bd. 1, Stuttgart, Alfred Kröner, 1989. S. 576 ff. 9 Bydlinsky, Franz, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff. 2. Aufl. Wien, Springer, 1991, S. 43.

I. Einleitende Unterscheidungen

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Wir können also sagen, dass der Interpret den Sinn nicht konstruiert, sondern rekonstruiert, angesichts des Vorliegens von dem Sprachgebrauch einverleibten und in der Diskursgemeinschaft konstruierten Bedeutungen. Obwohl Ausdrücke wie einstweilig oder umfassend unbestimmte Bedeutungen haben, verfügen sie über Sinnkerne, die zumindest die Angabe erlauben, auf welche Situationen sie mit Sicherheit keine Anwendung finden: provisorisch ist nicht die Maßnahme, die irreversible Wirkungen in der Zeit hervorruft; und umfassend ist nicht die Verteidigung, die nicht über die alle für ihre minimale Umsetzung unerlässlichen Instrumente verfügt, usw. Deswegen sagen wir, dass Auslegen gleichbedeutend ist mit etwas von etwas ausgehend zu konstruieren, also mit rekonstruieren: erstens, weil die Auslegung mit Normtexten, die der Sinnkonstruktion Grenzen ziehen, arbeitet; zweitens, weil die Interpretation die Sprache manipuliert, der Sinnkerne einverleibt werden, die ihrerseits sozusagen durch ihren Gebrauch konstituiert werden und dem einzelnen Interpretationsprozess vorausliegen. Der triviale Schluss lautet, dass die rechtsprechende Gewalt und die Rechtswissenschaft Bedeutungen konstruieren, jedoch auf Grenzen stoßen, deren Nichtbeachtung das Verhältnis von verfassungsrechtlicher Voraussicht und konkretisiertem Verfassungsrecht aus dem Takt bringt. Provisorisch als ständig, dreißig Tage als mehr als dreißig Tage, alle Rechtsmittel als einige Rechtsmittel, umfassende Verteidigung als eingeschränkte Verteidigung, konkrete Manifestation der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit als wahrscheinliche Manifestation der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu verstehen ist nicht gleichbedeutend mit einer Konkretisierung des Verfassungstexts, sondern läuft, unter dem Vorwand seiner Konkretisierung, auf eine Missachtung seiner minimalen Bedeutungen hinaus. Diese Feststellung erklärt auch, warum die Rechtslehre so ausgiebig einige Entscheidungen des Supremo Tribunal Federal gerügt hat. Das hier Dargelegte führt nicht nur zu den genannten Schlüssen, sondern fordert auch die Ersetzung einiger traditioneller Glaubensinhalte durch solidere Erkenntnisse: Die Überzeugung, dass der Normtext mit der Norm identisch ist, muss durch die Feststellung ersetzt werden, dass der Normtext den Ausgangspunkt der Interpretation bildet. Zu überwinden ist der Köhlerglaube, dass die Funktion des Interpreten bloß in der Beschreibung von Bedeutungen besteht, zugunsten der Einsicht, dass er Bedeutungen rekonstruiert, sei es als Wissenschaftler durch die Konstruktion syntaktischer und semantischer Verbindungen, sei es als Rechtsanwender, der diesen Verbindungen die Umstände des zu entscheidenden Falls hinzufügt. Es kommt darauf an, die Meinung zu verabschieden, dass die Judikative nur die Funktion eines negativen Gesetzgebers ausübt, um zu verstehen, dass sie die Rechtsordnung angesichts des konkreten Falls konkretisiert.10

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B. Normen erster Stufe: Anzuwendende Normen

Um es kurz zu sagen: gerade weil die Normen vom Interpreten im Ausgang von Normtexten konstruiert werden, darf man nicht darauf schließen, dass dieser oder jener Normtext eine Regel oder ein Prinzip enthält. Diese normative Kennzeichnung hängt von werttheoretischen Verbindungen ab, die weder dem Text einverleibt noch ihm zugehörig sind, sondern vielmehr vom Interpreten selbst konstruiert werden. Wie schon ausgeführt, will das nicht besagen, dass der Interpret frei ist, um seine Verbindungen zwischen den Normen und den Zwecken, zu deren Verwirklichung die Normen dienen, herzustellen. Die Rechtsordnung legt die Verwirklichung der Zwecke fest, die Festlegung von Werten und die Erhaltung von oder Suche nach bestimmten für die Verwirklichung dieser Zwecke und die Erhaltung für diese Werte wesentlicher Rechtsgüter. Der Interpret darf diese Ausgangspunkte nicht missachten. Eben deshalb wird die Interpretationstätigkeit am sinnfälligsten durch eine rekonstruktive Tätigkeit wiedergegeben: der Interpret muss die verfassungsrechtlichen Normtexte so auslegen, dass er seine Versionen der Bedeutung entsprechend den in der Sprache der Verfassung durchscheinenden Zwecken und Werten expliziert. Einstweilen kommt es entscheidend darauf an zu wissen, dass die Qualifikation bestimmter Normen als Prinzipien oder als Regeln von der konstitutiven Mitarbeit des Interpreten abhängt. Zu klären bleibt die Frage, wie die Prinzipien zu definieren sind und welcher Vorschlag hier vertreten wird.

II. Kurzer Rückblick auf die Entwicklung der Unterscheidung von Prinzipien und Regeln Mehrere Autoren haben Definitionen für die Normarten vorgeschlagen. Einige von ihnen haben ein starkes Echo in der Rechtslehre gefunden. Ziel der vorliegenden Untersuchung ist nicht die Erforschung aller Konzeptionen der Unterscheidung von Prinzipien und Regeln, nicht einmal die Untersuchung des Gesamtwerks ihrer bedeutendsten Vertreter.11 Ziel dieser Arbeit ist erstens die Beschreibung der Grundlagen der wichtigsten Arbeiten zu diesem Thema und, zweitens, die objektive und kritische Analyse der gewählten Kriterien.

10 Zu dieser Frage vgl. im Einzelnen: Ávila, Humberto Bergmann, Estatuto do Contribuinte: conteúdo e alcance, in: Revista da Associação Brasileira de Direito Tributário (07), S. 73–104, Belo Horizonte, Del Rey, September–Dezember 2000. 11 s. zu dieser Frage im brasilianischen Recht vor allem: Grau, Eros Roberto, Interpretação/Aplicação do Direito. São Paulo, Malheiros, 2002; Rothenburg, Walter Claudius, Princípios constitucionais. Porto Alegre, Fabris, 1999. In Bezug auf ausländisches Recht s. Canotilho, J. J. Gomes, Direito Constitucional e Teoria da Constituição. 3. Aufl. Coimbra, Almedina, 1999, S. 1086 ff.; Figueroa, Alfonso García, Principios y positivismo jurídico. Madrid, Centro de Estudios Políticos y Constitucionales, 1998.

II. Entwicklung der Unterscheidung von Prinzipien und Regeln

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Für Esser sind Prinzipien diejenigen Normen, welche die Grundlagen abgeben, um ein bestimmtes Gebot zu finden.12 Mehr noch als eine auf den Abstraktionsgrad der normativen Vorschrift gegründete Unterscheidung wäre die Differenz zwischen Prinzipien und Regeln eine qualitative Unterscheidung.13 Dem Unterscheidungsmerkmal der Prinzipien in Bezug auf die Regeln käme demnach die Funktion der normativen Grundlage der Entscheidungsfindung zu. Auf dem gleichen Weg definiert Larenz die Prinzipien als Normen hoher Relevanz für die Rechtsordnung, insofern sie normative Grundlagen für die Auslegung und Anwendung des Rechts festlegen und sich aus ihnen mittelbar Verhaltensnormen ergeben.14 Für diesen Autor wären die Prinzipien leitende Gedanken einer vorhandenen oder möglichen rechtlichen Regelung, die aber noch nicht anwendungsfähige Regeln sind, da ihnen der formale Charakter von Rechtssätzen, d.h. die Verbindung zwischen Tatbestand und Rechtsfolge, abgeht. Deswegen würden die Prinzipien nur die Richtung vorgeben, in der die aufzufindende Regel ihren Ort hat, als ob sie einen ersten, weitere Schritte für die Findung der Regel ausrichtenden Schritt festlegen würden.15 Das die Prinzipien von Regeln unterscheidende Kriterium wäre auch die Funktion der normativen Grundlage für die Entscheidung. Diese Qualität würde sich aus dem hypothetischen Modus der Formulierung der normativen Vorschrift ergeben. Nach Canaris trennen zwei Eigenschaften die Prinzipien von den Regeln. Erstens der werttheoretische Inhalt: anders als die Regeln haben die Prinzipien einen expliziten werttheoretischen Inhalt und bedürfen somit der Regeln zu ihrer Konkretisierung. Zweitens ist der Interaktionsmodus mit anderen Normen zu berücksichtigen: anders als den Regeln, wächst den Prinzipien ihr Sinngehalt erst durch einen dialektischen Prozess der Ergänzung und Begrenzung zu.16 Somit gesellen sich neue Elemente zu den vorher genannten Unterscheidungskriterien, insofern die von den Prinzipien ausgeübte Grundlegung als werttheoretisch gekennzeichnet und ihr Interaktionsmodus als unterscheidend prädiziert wird. Die angelsächsische Tradition hat zur Definition von Prinzipien einen entscheidenden Beitrag geliefert.17 Der Zweck der Studie von Dworkin war ein Generalangriff auf den Positivismus (general attack on positivism), vor allem in Bezug auf den offenen Argumentationsmodus, den die Anwendung dessen, was 12 Esser, Josef, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 4. Aufl. Tübingen, Mohr Siebeck, 1990, S. 51. 13 Ebd. S. 51. 14 Larenz, Karl, Richtiges Recht. München, Beck, 1979, S. 26; Larenz, Karl, Methodenlehre der Rechtswissenschaft. 6. Aufl. München, Beck, 1991, S. 474. 15 Larenz, Karl, Richtiges Recht. München, Beck, 1979, S. 23. 16 Canaris, Claus-Wilhelm, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz. Berlin, Duncker & Humblot, 1983, S. 50, 53 und 55. 17 Dworkin, Ronald, The Model of Rules. University of Chicago Law Review 35 (1967), S. 14 ff.

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B. Normen erster Stufe: Anzuwendende Normen

er später als Prinzipien (principles) definieren würde, erlaubt.18 Für ihn werden die Regeln auf den Modus Alles oder Nichts (all-or-nothing) angewandt, in dem Sinn, dass, falls der Tatbestand einer Regel eintritt, entweder die Regel Geltung hat und die normative Konsequenz zu akzeptieren ist oder die Regel als ungültig angesehen wird. Im Fall der Regelkollision muss eine Regel für ungültig erkannt werden. Demgegenüber determinieren die Prinzipien die Entscheidung durchaus nicht, sondern enthalten nur Grundlagen, die mit anderen aus anderen Prinzipien herrührenden Grundlagen zusammengebracht werden müssen.19 Daher die Behauptung, dass die Prinzipien, im Gegensatz zu den Regeln, eine Gewichtsdimension (dimension of weight) haben, nachweisbar im Fall der Prinzipienkollision, wenn das relativ gewichtigere Prinzip das andere überwiegt, ohne das dieses seine Geltung verliert.20 In dieser Richtung besteht die von Dworkin entwickelte Unterscheidung nicht in einem graduellen Unterschied, sondern in einer Differenzierung bezüglich der logischen Struktur, die sich auf klassifikatorische statt auf vergleichende Prinzipien stützt, wie Alexy behauptet.21 Die von ihm vorgeschlagene Unterscheidung weicht von den vorherigen Unterscheidungen ab, weil sie intensiver auf den Anwendungsmodus und die normative Beziehung gegründet ist. Ausgehend von den Erwägungen Dworkins, hat Alexy den Prinzipienbegriff noch schärfer präzisiert. Für ihn bestehen die Rechtsprinzipien nur aus einer Art von Rechtsnormen, vermittels welcher in unterschiedlichen Graden, je nach den normativen und faktischen Möglichkeiten, anwendbare Optimierungspflichten statuiert werden.22 Mit Bezug auf die Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichts weist Alexy das im Fall der Prinzipienkollision eintretende Spannungsverhältnis nach: Hier ergibt sich die Lösung nicht aus der unmittelbaren Bestimmung des Vorrangs eines Prinzips vor dem anderen, sondern wird nach Maßgabe der Abwägung kollidierender Prinzipien getroffen, wonach eines dieser Prinzipien unter bestimmten konkreten Umständen den Vorrang er18 Dworkin, Ronald, The Model of Rules. University of Chicago Law Review 35 (1967), S. 22; ders., Is law a system of rules? in: The Philosophy of Law, ed. by R. M. Dworkin. Oxford, Oxford University Press, 1977, S. 43. 19 Dworkin, Ronald, Taking Rights Seriously. 6. Aufl. London, Duckworth, 1991, S. 26; ders., Is law a system of rules? in: R. M. Dworkin (ed.), The Philosophy of Law, Oxford, Oxford University Press, 1977, S. 45. 20 Ders., Taking Rights Seriously. 6. Aufl. London, Duckworth, 1991, S. 26. 21 Alexy, Robert, Zum Begriff des Rechtsprinzips, in: Argumentation und Hermeneutik in der Jurisprudenz. RECHTSTHEORIE, Beiheft 1, Duncker & Humblot, Berlin, (1979), S. 65. 22 Alexy, Robert, Zum Begriff des Rechtsprinzips. RECHTSTHEORIE, Beiheft 1 (1979), S. 59 ff.; ders., Recht, Vernunft, Diskurs. Suhrkamp, Frankfurt, 1995, S. 177; ders., Rechtsregeln und Rechtsprinzipien. Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Beiheft 25 (1985), S. 19 ff.; ders., Rechtssystem und praktische Vernunft, in: Recht, Vernunft, Diskurs. Frankfurt am Main, 1995, S. 216–217; ders., Theorie der Grundrechte. 2. Aufl. Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1994, S. 77 ff.

II. Entwicklung der Unterscheidung von Prinzipien und Regeln

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hält.23 Im Gegensatz zu den Regeln, haben die Prinzipien also nur eine Gewichtsdimension und bestimmen nicht unmittelbar die normativen Folgen.24 Erst die Anwendung der Prinzipien angesichts der konkreten Fälle konkretisiert sie mit Hilfe von Kollisionsregeln. Deshalb muss die Anwendung eines Prinzips immer mit einer wie folgt zu formulierenden Reserveklausel versehen werden: „falls im konkreten Fall kein anderes Prinzip das Übergewicht erhält“.25 Man kann dies auch folgendermaßen ausdrücken: Die Abwägung konfligierender Prinzipien wird vermittels der Aufstellung von Vorrangsregeln durchgeführt, was dazu führt, dass die Prinzipien auf diese Weise auch auf den Modus Allesoder-Nichts angewandt werden.26 Diese Art der Spannung und die Weise, auf welche sie gelöst wird, unterscheidet die Prinzipien von den Regeln: Während im Konflikt zwischen Regeln festgestellt werden muss, ob die Regel sich inneroder außerhalb einer bestimmten Rechtsordnung (Problem des Drinnen oder Draußen) befindet, liegt der Konflikt zwischen Prinzipien schon innerhalb dieser Ordnung (Kollisionstheorem).27 Daraus folgt die Definition von Prinzipien als Optimierungsgebote, die in verschiedenen Graden, je nach den normativen und faktischen Möglichkeiten, anwendbar sind: nach den normativen Möglichkeiten, da die Anwendung der Prinzipien von ihnen widerstrebenden Prinzipien und Regeln abhängt, nach den faktischen Möglichkeiten, da der Inhalt der Prinzipien als Verhaltensnormen nur dann feststellbar ist, wenn sie Fakten gegenüberstehen. Mit Regeln ereignet sich etwas anderes: „Demgegenüber sind Regeln Normen, die stets nur entweder erfüllt oder nicht erfüllt werden können. Wenn eine Regel gilt und anwendbar ist, dann ist es geboten, genau das zu tun, was sie verlangt, nicht mehr und nicht weniger“.28 Rechtsregeln wie diese sind Normen, deren Prämissen unmittelbar erfüllt oder nicht erfüllt werden. Im Kollisionsfall wird der Widerspruch gelöst, sei es durch die Einführung einer Ausnahme von der Regel, um den Konflikt auszuschließen, sei es durch die Statuierung der Ungültigkeit einer der betroffenen Regeln.29

23 Alexy, Robert. Rechtsregeln und Rechtsprinzipien. Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Beiheft 25 (1985), S. 17. 24 Ebd. S. 18. 25 Ebd. S. 18. 26 Ders., Theorie der Grundrechte. 2. Aufl. Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1994, S. 80 und 83; ders., Zum Begriff des Rechtsprinzips, in: Argumentation und Hermeneutik in der Jurisprudenz. RECHTSTHEORIE, Beiheft 1, Duncker & Humblot, Berlin (1979), S. 70. 27 Ders., Rechtsregeln und Rechtsprinzipien. Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Beiheft 25 (1985), S. 19; ders., Zum Begriff des Rechtsprinzips, in: Argumentation und Hermeneutik in der Jurisprudenz. RECHTSTHEORIE, Beiheft 1, Duncker & Humblot, Berlin (1979), S. 70. 28 Alexy, Robert, Rechtssystem und praktische Vernunft, in: Recht, Vernunft, Diskurs. Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1995, S. 216.

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B. Normen erster Stufe: Anzuwendende Normen

Nach Alexy darf die Unterscheidung zwischen Prinzipien und Regeln nicht auf den von Dworkin vorgeschlagenen Modus Alles-oder-Nichts gegründet werden, sondern muss sich vor allem auf zwei Faktoren beschränken: erstens den Unterschied hinsichtlich der Kollision, insofern die kollidierenden Prinzipien in ihrer normativen Umsetzung nur wechselseitig begrenzt werden, anders als bei den Regeln, deren Kollision mit der Behauptung der Ungültigkeit einer der Regeln oder mit der Einführung einer die Antinomie ausschließenden Ausnahme gelöst wird, und zweitens den Unterschied hinsichtlich der Verpflichtung, die sie einführen, zumal die Regeln absolute, nicht durch entgegengesetzte Normen überwindbare Verpflichtungen statuieren, während die Prinzipien prima-facieVerpflichtungen statuieren, insofern sie nach Maßgabe anderer kollidierender Prinzipien überwunden werden können.30 Diese Evolution der Rechtslehre zeigt nicht nur, dass es schwache (Esser, Larenz, Canaris) und starke (Dworkin, Alexy) Unterscheidungen zwischen Prinzipien und Regeln gibt, sondern auch, dass die gemeinhin verwendeten Unterscheidungskriterien folgende sind: – Erstens gibt es das Kriterium des hypothetisch-konditionalen Charakters, begründet in der Tatsache, dass die Regeln einen Tatbestand und eine Folge haben, die eine Entscheidung im Voraus bestimmen und damit nach dem Modus Wenn-dann angewandt werden, während die Prinzipien nur die vom Anwender zu verwendende Grundlage angeben, um zukünftig die Regel für den konkreten Fall zu finden. Dworkin behauptet: „Falls die durch eine Regel angegebenen Tatsachen eintreten, ist entweder die Regel gültig und muss dann die von ihr bereitgestellte Antwort angenommen werden, oder ist sie nicht gültig und leistet dann keinen Beitrag zur Entscheidung“.31 Alexy schlägt einen nicht allzu unterschiedlichen Weg ein, wenn er Regeln als Normen, deren Prämissen unmittelbar oder mittelbar erfüllt werden, definiert.32 – Zweitens gibt es das Kriterium des finalen Anwendungsmodus, das sich darauf gründet, dass die Regeln auf absolute Weise, Alles-oder-Nichts, angewandt werden, während die Prinzipien auf graduelle Weise, Mehr-oder-Weniger, zur Anwendung gelangen.

29 Alexy, Robert, Rechtssystem und praktische Vernunft, in: Recht, Vernunft, Diskurs. Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1995. S. 216–217; ders., Theorie der Grundrechte. 2. Aufl. Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1994, S. 77. 30 Alexy, Robert, Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Beiheft 25 (1985), S. 20. 31 Alexy, Robert, Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Beiheft 25 (1985), S. 20. 32 Alexy, Robert, Rechtssystem und praktische Vernunft, in: Recht, Vernunft, Diskurs. Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1995, S. 216–217; ders., Theorie der Grundrechte. 2. Aufl. Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1994, S. 77.

III. Kriterien der Unterscheidung zwischen Prinzipien und Regeln

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– Drittens gibt es das Kriterium der normativen Beziehung, gegründet auf die Vorstellung, dass die Antinomie zwischen den Regeln zu einem echten Konflikt führt, der durch die Erklärung der Ungültigkeit einer der Regeln oder die Einführung einer Ausnahme zu lösen ist, während die Beziehung zwischen Prinzipien in einer Verschränkung besteht, die durch eine Abwägung, die einem jeden von ihnen eine Gewichtsdimension zuschreibt, auflösbar ist. – Viertens gibt es das Kriterium des werttheoretischen Fundaments, wonach die Prinzipien, anders als die Regeln, als werttheoretische Fundamente für die zu treffende Entscheidung anzusehen sind. Alle diese Unterscheidungskriterien sind wichtig, da sie auf Eigenschaften verweisen, die eine rechtswissenschaftliche Untersuchung verdienen. Dies hindert uns jedoch nicht daran, nach Möglichkeiten zu ihrer Verbesserung zu suchen, nicht im Sinne einer Verkennung ihrer Bedeutung und noch viel weniger im Sinne einer Leugnung der Verdienste der Werke, in denen sie untersucht worden sind, sondern, statt dessen, im Sinne einer Bestätigung ihres Werts durch die angemessenste wissenschaftliche Form des Zeigens von Achtung und Respekt: durch die Kritik.

III. Kriterien der Unterscheidung zwischen Prinzipien und Regeln 1. Kriterium des hypothetisch-konditionalen Charakters a) Inhalt Einigen Autoren zufolge lassen sich Prinzipien von Regeln durch ihren hypothetisch-konditionalen Charakter unterscheiden, da für diese Autoren die Regeln einen die Entscheidung im Voraus bestimmenden Tatbestand und eine Folge haben und auf den Modus Wenn-Dann angewandt werden, wohingegen die Prinzipien nur die vom Rechtsanwender zu benutzende Grundlage angeben, um zukünftig die auf den konkreten Fall anwendbare Regel zu finden. Esser bestimmt die Prinzipien als Normen, welche die Fundamente statuieren, damit ein bestimmtes Gebot gefunden wird, während für ihn die Regeln die Entscheidung selbst bestimmen.33 Larenz definiert die Prinzipien als Normen hoher Relevanz für die Rechtsordnung, insofern sie normative Fundamente für die Auslegung und Anwendung des Rechts statuieren und von ihnen Verhaltensnormen ausgehen.34 33 Esser, Josef, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts. 4. Aufl. Tübingen, Mohr Siebeck, 1990, S. 51. 34 Larenz, Karl, Richtiges Recht. München, Beck, 1979, S. 26; ders., Karl, Methodenlehre der Rechtswissenschaft. 6. Aufl. München, Beck, 1991, S. 474.

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B. Normen erster Stufe: Anzuwendende Normen

b) Kritische Analyse Das auf den hypothetisch-konditionalen Charakter bezogene Unterscheidungskriterium ist insofern relevant, als es die Feststellung erlaubt, dass die Regeln ein prima facie deskriptives Element haben, während die Prinzipien nur eine Richtlinie angeben. Dieses Kriterium ist jedoch nicht frei von Kritik. Erstens ist das Kriterium ungenau. Obwohl die Behauptung, dass Prinzipien einen ersten Schritt angeben, der weitere Schritte zur späteren Regelfindung ausrichtet, korrekt ist, stellt diese Unterscheidung keine Gründe bereit, die angeben, was es denn bedeutet, einen ersten Schritt zur Findung einer Regel zu tun. So formuliert, trägt dieses Unterscheidungskriterium dazu bei, dass der Anwender die Regel als von vornherein den letzten Schritt zur Findung des Normgehalts vorgebend versteht. Dies ist jedoch nicht zutreffend, da der Gehalt einer jeden Norm, sei es einer Regel oder eines Prinzips, von den im Anwendungsprozess selbst festzustellenden normativen und faktischen Möglichkeiten abhängt. Insofern wird der letzte Schritt nicht vom Normtext und auch nicht von der vorgängigen Normbedeutung bestimmt, sondern von der Interpretationsentscheidung, wie später noch darzulegen ist. Zweitens ist das Vorliegen eines Tatbestands eine Sache der sprachlichen Formulierung und kann somit nicht das Unterscheidungselement einer Normart sein. In der Tat sind einige Normen, die nach diesem Kriterium als Prinzipien gekennzeichnet werden können, auf hypothetische Weise umformulierbar, wie folgende Beispiele zeigen: „Wenn die staatliche Gewalt ausgeübt wird, dann muss die demokratische Beteiligung gewährleistet sein“ (demokratisches Prinzip); „Wenn die Forderung nach Bestimmtheit des Tatbestands von Verpflichtungen statuierenden Normen nicht eingehalten wird, dann wird der Staatsakt als ungültig angesehen werden“ (Prinzip der Tatbestandsmäßigkeit).35 Diese Beispiele zeigen, dass das Vorliegen eines Tatbestands mehr von der Formulierungsweise als im eigentlichen Sinn von einer nur einer Normkategorie empirisch zuschreibbaren Eigenschaft abhängt. Außerdem beruht das Kriterium des hypothetisch-konditionalen Charakters auf der Voraussetzung, dass die Normart und ihre Normeigenschaften notwendig von der Formulierungsweise des Normtexts abhängen, der Gegenstand der Auslegung ist, als ob die Form der Äußerung des Normtexts (als Auslegungsgegenstand) die Weise, wie die Norm (als Auslegungsergebnis) das menschliche Verhalten regelt oder anzuwenden ist, vollständig bestimmen würde. Hier ist eine augenfällige Konfusion von Normtext und Norm und eine evidente Übertragung von Eigenschaften der vom

35 Sobota, Katharina, Das Prinzip Rechtsstaat. Tübingen, Mohr Siebeck, 1997, S. 415; Stelzer, Manfred, Das Wesensgehaltsargument und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Wien, Springer, 1991, S. 215.

III. Kriterien der Unterscheidung zwischen Prinzipien und Regeln

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Gesetzgeber formulierten Rechtssätze auf die vom Ausleger formulierten Rechtssätze festzustellen. Drittens: Selbst wenn ein bestimmter Normtext von der Legislative hypothetisch formuliert ist, bedeutet das noch nicht, dass er vom Ausleger als ein Prinzip verstanden werden kann. Die Beziehung zwischen Verfassungsnormen und den Zwecken und Werten, deren Verwirklichung sie dienen, ist nicht vor der Auslegung abgeschlossen und wird auch nicht dem Verfassungstext selbst vor der Auslegung einverleibt. Sie ist innerhalb der Text- und Kontextgrenzen vom Interpreten selbst stimmig zu konstruieren. Aus diesem Grund ist die Behauptung, dass ein verfassungsrechtlicher Normtext ein Prinzip oder eine Regel enthält bzw. ist oder dass ein bestimmter Normtext, nur weil er auf diese oder jene Weise formuliert ist, als ein Prinzip oder eine Regel anzuerkennen ist, unrichtig. Da dem Interpreten die Messung und Spezifizierung der Intensität der Beziehung zwischen dem interpretierten Normtext und den ihm potentiell und werttheoretisch übergeordneten Zwecken und Werten obliegt, kann er die juristische Auslegung eines hypothetisch als Regel oder Prinzip formulierten Normtexts vornehmen. Alles hängt von den Wertbezügen ab, die der Ausleger vermittels der Argumentation intensiviert oder nicht intensiviert, und vom seines Erachtens zu erreichenden Zweck. Dazu genügt die einfache Sichtung einiger Beispiele von hypothetisch formulierten Normtexten, die mal den Anschein von Regeln, mal den von Prinzipien erwecken. Der verfassungsrechtliche Normtext, nach dem, wenn eine Steuer eingeführt oder erhöht wird, dann die Einführung oder Erhöhung durch Gesetz erfolgen muss, wird als Regel angewandt, wenn der Anwender, im Hinblick auf den unmittelbaren Verhaltensaspekt, ihn als bloße prozedurale Anforderung für die Gültigkeit der Einführung oder Erhöhung von Abgaben versteht; ebenso kann er als Prinzip angewandt werden, wenn der Anwender unter Absehung des im Gesetzgebungsverfahren zu befolgenden Verhaltens auf den teleologischen Aspekt abstellt und den Normtext als Instrument der Verwirklichung des Werts Freiheit konkretisiert, um die Steuerplanung zu ermöglichen und die Besteuerung per analogiam zu untersagen, und als Mittel zur Verwirklichung des Werts Sicherheit, um die Vorhersehbarkeit durch die gesetzliche Bestimmung der Elemente steuerrechtlicher Pflichten zu gewährleisten und den Erlass von Regelungen, die über die gesetzlich vorgezeichneten Grenzen hinausgehen, zu verbieten. Der verfassungsrechtliche Normtext, nach dem, wenn Abgaben eingeführt oder erhöht werden, dann nur steuerlich relevante Tatbestände, die vor Beginn der Geltung des Gesetzes, durch das sie eingeführt oder erhöht wurden, eingetreten sind, erfasst werden können, wird als Regel angewandt, wenn der Anwender den Normtext als bloße Forderung der Veröffentlichung eines Gesetzes vor Eintritt des steuerlich relevanten Tatbestands versteht, und kann als Prinzip angewandt werden, wenn der Anwender ihn mit dem Zweck der Verwirklichung

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B. Normen erster Stufe: Anzuwendende Normen

des Werts Sicherheit zum Verbot der Abgabenerhöhung während des Jahres, in dem der Eintritt des steuerrechtlich relevanten Tatbestands schon begonnen hat, konkretisiert, oder mit dem Ziel der Verwirklichung des Werts Vertrauen, um die individuelle Anhebung von Steuersätzen zu verbieten, wenn die Exekutive eine vorherige Verfügung mit dem Versprechen ihrer Senkung erlassen hat. Der verfassungsrechtliche Normtext, nach dem, wenn Abgaben eingeführt oder erhöht werden, diese dann nur im Jahr nach der Veröffentlichung des sie einführenden oder erhöhenden Gesetzes eingezogen werden können, wird als Regel verstanden, wenn der Anwender ihn als bloße Anforderung der Veröffentlichung des Gesetzes vor Beginn des Jahres der Einziehung versteht, oder als Prinzip, wenn der Anwender ihn im Hinblick auf den Zweck konkretisiert, den Wert Vorhersehbarkeit zu verwirklichen, um die Anhebung von Abgaben zu einem Zeitpunkt, an dem der Steuerzahler nicht über die minimalen objektiven Bedingungen der Kenntnis der zu befolgenden Normen verfügt, zu verbieten, oder um die erneute Einziehung von Abgaben, deren Freistellung im Lauf des Jahres widerrufen worden ist, aufzuschieben. Die vorher genannten Beispiele belegen, dass das entscheidende Merkmal für die Kennzeichnung einer Norm als Prinzip nicht darin besteht, dass diese Norm im Ausgang von einem durch einen vorgeblich bestimmten normativen Tatbestand geäußerten Normtext konstruiert wird. Einerseits kann jede Norm so umformuliert werden, dass sie einen Tatbestand mit einer Folge aufweist.36 Andererseits kann in jeder Norm, selbst wenn sie einen Tatbestand mit einer Folge aufweist, ein Hinweis auf Zwecke vorliegen. Anders formuliert: die Kennzeichnung als Prinzip oder Regel hängt vom Argumentationsgebrauch und nicht von der hypothetischen Struktur ab.37 Außerdem trifft die Behauptung nicht zu, dass die Prinzipien, im Gegensatz zu den Regeln, weder normative Folgen noch Tatbestände haben. Prinzipien haben ebenfalls normative Folgen. Einerseits muss der Grund (Zweck, Aufgabe), auf den das Prinzip sich bezieht, als angesichts des konkreten Falls relevant beurteilt werden.38 Andererseits muss das für die Verwirklichung oder Erhaltung eines bestimmten Idealzustands der Dinge notwendige Verhalten übernommen werden.39 Die Pflichten der Relevanzzuschreibung zum zu suchenden Zweck und der Wahl der für seine Verwirklichung notwendigen Verhaltenswei36 Schauer, Frederick, Playing by the rules. A philosophical Examination of RuleBased Decision-Making in Law and in Life. Oxford, Clarendon, 1991, S. 23; Guastini, Riccardo, Distinguendo: studi dei teoria e metateoria del diritto. Turin, Giappichelli, 1996, S. 120. 37 Stelzer, Manfred, Das Wesensgehaltsargument und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Wien, Springer, 1991, S. 215. 38 Eckhoff, Torstein, Legal Principles, in: Prescriptive Formality and Normative Rationality in Modern Legal Systems. Festschrift for Robert S. Summers. Berlin, Duncker & Humblot, 1994, S. 38.

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sen sind äußerst wichtige normative Folgen. Außerdem lässt sich, obwohl die Prinzipien prima facie keinen deskriptiven Verhaltenscharakter haben, nicht leugnen, dass ihre Auslegung selbst auf einer abstrakten Ebene die zu wählenden Verhaltensarten angeben kann, besonders bei einer Rekonstruktion der wichtigsten Fälle. Der springende Punkt ist also nicht die Abwesenheit der Verhaltensvorschrift und der Folgen im Fall der Prinzipien, sondern der Typ der Verhaltensvorschriften und Folgen, was etwas anderes ist. 2. Kriterium des finalen Anwendungsmodus a) Gehalt Nach einigen Autoren könnten die Prinzipien von den Regeln durch das Kriterium des finalen Anwendungsmodus unterschieden werden, da für sie die Regeln abstrakt nach dem Modus Alles-oder-Nichts angewandt werden, während die Prinzipien graduell nach dem Modus Mehr-oder-Weniger zur Anwendung kommen. Dworkin behauptet, dass die Regeln nach dem Modus Alles-oder-Nichts (allor-nothing) in dem Sinn angewandt werden, dass bei Eintritt des Tatbestands einer Regel entweder die Regel gültig und die normative Folge anzunehmen ist oder die Regel als nicht gültig angesehen wird. Anders die Prinzipien: Sie bestimmen die Entscheidung nicht absolut, sondern enthalten nur Grundlagen, die mit anderen aus anderen Prinzipien herrührenden Grundlagen zusammengebracht werden müssen.40 Wenn nach Dworkin die durch eine Regel bestimmten Tatsachen eintreten, ist entweder die Regel gültig und dann die von ihr gegebene Antwort anzunehmen, oder es muss eine Ausnahme von dieser Regel gefunden werden.41 Alexy bestimmt Regeln als Normen, deren Prämissen mittel- oder unmittelbar vorliegen.42 Nach ihm statuieren Regeln definitive Verpflichtungen, da sie nicht durch entgegengesetzte Normen überwunden werden können, wohingegen die Prinzipien Prima-facie-Verpflichtungen statuieren, insofern sie in Abhängig39 Wright, Georg Henrik von, Sein und Sollen, in: Normen, Werte und Handlungen. Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1994, S. 36. 40 Dworkin, Ronald, Taking Rights Seriously. 6. Aufl. London, Duckworth, 1991, S. 26; ders., Is law a system of rules? in: The Philosophy of Law, ed. by R. M. Dworkin. Oxford, Oxford University Press, 1977, S. 45. 41 Dworkin, Ronald, Takings Rights Seriously. 6. Aufl. London, Duckworth, 1991, S. 24. 42 Alexy, Robert, Rechtssystem und praktische Vernunft, in: Recht, Vernunft, Diskurs. Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1995. S. 216–217; ders., Theorie der Grundrechte. 2. Aufl. Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1994, S. 77.

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B. Normen erster Stufe: Anzuwendende Normen

keit von anderen kollidierenden Prinzipien überwunden oder widerrufen werden können.43 b) Kritische Analyse Obwohl das Kriterium finaler Anwendungsmodus die Aufmerksamkeit auf wichtige Aspekte der Rechtsnormen gelenkt hat, kann es teilweise umformuliert werden, und zwar aus folgenden Gründen: Zu Beginn ist der Nachweis zu erbringen, dass der Anwendungsmodus nicht durch den Text bestimmt ist, der Gegenstand der Auslegung ist, sondern sich aus werttheoretischen, vom Interpreten konstruierten (oder zumindest intensivierten) Bezügen ergibt. Dieser kann den anfangs für elementar gehaltenen Modus umkehren. Tatsächlich wird der absolute Charakter der Regel oftmals vollständig nach der Erwägung aller Fallumstände geändert. Man muss nur einige Beispiele von Normen ansehen, die vorab einen absoluten Anwendungsmodus angeben, jedoch nach der Berücksichtigung aller Umstände letztendlich ein komplexes Verfahren von Abwägungen von Gründen und Gegengründen erfordern. Einerseits gibt es Normen, deren vorgängiger normativer Gehalt (vgl. dazu S. 56 unten) objektive Grenzen zieht, deren Nichteinhaltung die Durchsetzung der Folge auf absolute Weise zu erzwingen scheint. Diese definitiv genannte Gebote verhindert jedoch nicht, dass andere Gegengründe in bestimmten Fällen überwiegen. Sehen wir uns einige Beispiele an. In der deutschen Rechtsordnung kann man Beispiele finden, wo eine Regel zurückgedrängt oder in Frage gestellt wird, vor allem durch den Zumutbarkeitsgedanken, der die Grenzen individueller Verantwortlichkeit im Strafrecht bestimmt. Exemplarisch zeigt sich dies am Beispiel des Gewissenstäters, der aus religiöser Überzeugung jeden Versuch unterlässt, seinen Ehepartner zur Einwilligung in eine Blutttransfusion zu bewegen. In diesem Fall den Täter zu bestrafen hieße, ihn in eine innere Lage zu treiben, die ihn unter Umständen als Person mit Selbstachtung brechen würde.44 43 Alexy, Robert, Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Beiheft 25 (1985), S. 20. Obwohl Alexy die Regeln so definiert („Demgegenüber sind Regeln Normen, die stets nur entweder erfüllt oder nicht erfüllt werden können. Wenn eine Regel gilt und anwendbar ist, dann ist geboten, genau das zu tun, was sie verlangt, nicht mehr und nicht weniger. (. . .) Ihre Anwendung ist eine Alles-oder-Nichts-Angelegenheit. Sie sind weder abwägungsfähig noch – bedürftig. Die für sie charakteristische Form der Rechtsanwendung ist die Subsumtion.“ – Rechtssystem und praktische Vernunft, in: Recht, Vernunft, Diskurs. Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1995. S. 216–217), hat er die Prima-facie-Charakter etwa widersprüchlich den Regeln auch zugeschrieben (Theorie der Grundrechte. 2. Aufl. Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1994, S. 89 und Zum Begriff des Rechtsprinzips, in: Recht, Vernunft, Diskurs. Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1995. S. 201).

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In anderen Fällen werden Ermessensermächtigungen in der Absicht eingeräumt, konfligierende Ziele fallgruppenbezogenen zum Ausgleich zu bringen. Exemplarisch ist die Regel, die eine Ermessensermächtigung hinsichtlich der Gewährung von Sondernutzungserlaubnissen enthält, damit die Gewährleistung des Gemeingebrauchs an Straßen zu einem fallgruppenspezifischen Ausgleich mit weitergehenden Nutzungsansprüchen gebracht werden kann.45 Auch in der brasilianischen Rechtsordnung kann man Beispiele finden, wo eine Regel zurückgedrängt ist, vor allem durch den Zumutbarkeitsgedanken, der als Einzelfallkorrektiv der allgemeinen Rechtsregel funktioniert. Die ausgehend von Art. 224 des brasilianischen Strafgesetzbuchs konstruierte Norm sieht bei der Definition des Verbrechens der Vergewaltigung eine unbedingte Gewaltvermutung vor, falls das Opfer weniger als 14 Jahre alt ist. Wenn Geschlechtsverkehr mit einer minderjährigen Person unter 14 Jahren erfolgt, dann ist seitens des Täters Gewalt zu vermuten. Die Norm sieht keinerlei Ausnahme vor. Innerhalb des hier untersuchten Klassifikationsstandards wäre die genannte Norm eine Regel und würde als solche eine definitive Verpflichtung statuieren: Falls das Opfer weniger als 14 Jahre alt ist und die Regel gültig ist, ist Vergewaltigung mit Gewalt zu vermuten. Gleichwohl hat das Supremo Tribunal Federal bei der Entscheidung über einen Fall, in dem das Opfer 12 Jahre alt war, besonderen von der Norm nicht vorhergesehenen Umständen, wie dem Einverständnis des Opfers oder dem physischen und intellektuellen Anschein höheren Alters, eine derartige Relevanz zugeschrieben, dass es das Nichtvorliegen des Straftatbestands verneinte, obwohl die normativen Voraussetzungen vorlagen.46 Diese Anwendung zeigt also, dass diese Verpflichtung, die als absolut galt, durch entgegenstehende nicht von der Regel selbst oder einer anderen Regel vorgesehene Gründe überwunden wurde. Die ausgehend von Art. 37 Satz II der brasilianischen Bundesverfassung konstruierte Norm statuiert, dass die Einführung in ein Amt oder eine öffentliche Stelle vom vorgängigen Bestehen eines öffentlich ausgeschriebenem Examens oder eines Examens mit gleichzeitiger Prüfung von Diplomen und Qualifikationsnachweisen abhängt. Wenn ein Beamter eingestellt wird, dann hat dieser Einstellung eine öffentliche Ausschreibung voranzugehen; andernfalls ist die Einstellung als ungültig zu annullieren. Außerdem hat sich in diesem Fall nach dem Gesetz der für die Einstellung Verantwortliche einer unredlichen Handlung in der öffentlichen Verwaltung schuldig gemacht, woraus sich mehrere Folgen, auch die in diesem Fall angebrachte strafrechtliche Klage ergeben. Trotzdem 44 BVerfGE 32, 109. Albrecht, Rüdiger Konradin, Zumutbarkeit als Verfassungsmaßstab. Berlin, Duncker & Humblot, 1995, S. 32. 45 Koch, Hans-Joachim, Die normtheoretische Basis der Abwägung, in: Wilfried Erbguth u. a. (Hrsg.), Abwägung im Recht. Köln, Carl Heymanns, 1996, S. 12. 46 Habeas Corpus Nr. 73662-9. Zweiter Senat, Berichterstatter: Richter Marco Aurélio de Mello. Justizanzeiger vom 20.09.96.

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B. Normen erster Stufe: Anzuwendende Normen

hat das Supremo Tribunal Federal den Fortgang dieser Klage abgebrochen, als es über einen Fall entschied, in dem die Bürgermeisterin einer Gemeinde angezeigt worden war, weil sie während ihrer Amtszeit eine Person ohne die öffentliche Stellenausschreibung für den Zeitraum von neun Monaten für Dienstleistungen in der städtischen Müllabfuhr eingestellt hatte. Bei der Entscheidung über den Habeas-Corpus-Antrag wurde berücksichtigt, dass die Gemeinde infolge dieses einzelnen Falls keinen Schaden genommen hatte. Außerdem wurde es als der natürlichen Ordnung der Dinge widerstrebend und damit dem Zumutbarkeitsprinzip widersprechend angesehen, eine öffentliche Ausschreibung für eine einzige Stelle bei der Ausübung einer untergeordneten Tätigkeit zu verlangen.47 In diesem Fall wurde die Regel, nach welcher eine öffentliche Ausschreibung zur Einstellung eines Beamten notwendig ist, zwar anerkannt, aber die Folge ihrer Nichteinhaltung (Ungültigkeit der Einstellung und, aufgrund einer anderen Norm, Verübung einer unredlichen Handlung) kam nicht zur Anwendung, da das Ausbleiben des von der Regel vorgesehenen Verhaltens die Förderung des sie rechtfertigenden Zwecks (Schutz des öffentlichen Eigentums) nicht behindern würde. Anders gewendet: Nach der Entscheidung nimmt das Eigentum der öffentlichen Hand nicht durch die bloße zeitlich befristete Einstellung eines Mitarbeiters der städtischen Müllabfuhr Schaden. Die Bundessteuergesetzgebung sah voraus, dass die Teilnahme an einem Programm der vereinfachten Zahlung von Bundessteuern das Verbot der Einfuhr von ausländischen Erzeugnissen implizierte. Wenn die Einfuhr stattfände, dann würde das Unternehmen aus dem Programm der vereinfachten Zahlung ausgeschlossen. Eine Sofafabrik, die als Kleinbetrieb klassifiziert worden war, um die Bundessteuern pauschal zu zahlen, wurde aus diesem Mechanismus ausgeschlossen, da sie die gesetzliche Bedingung des Einfuhrverbots ausländischer Waren nicht eingehalten hatte. Die Firma hatte tatsächlich eine Einfuhr getätigt. Sie hatte aber nur vier Sofastützen für ein einziges Sofa ein einziges Mal importiert. Als sie gegen die Entscheidung Berufung einlegte, wurde der Ausschluss rückgängig gemacht, weil eine Auslegung in den Grenzen des Vernünftigen ergibt, dass die Auslegung „in Übereinstimmung mit dem, was für den gesunden Menschenverstand vor dem Gesetz annehmbar wäre“, zu erfolgen hat.48 In diesem Fall wurde die Regel, nach welcher die Einfuhr für Firmen, die innerhalb des Sondersteuerregimes bleiben wollen, anerkannt, die Folge ihrer Nichteinhaltung (Ausschluss aus dem Sondersteuerregime) jedoch nicht angewandt, da das ausgebliebene, von der Regel vorgesehene Verhalten der Förderung des die Regel rechtfertigenden Zwecks (Anreiz der nationalen Produktion durch kleine Betriebe) keinen Abbruch tat. Anders gewendet: Nach der genann47 Habeas Corpus Nr. 77.003-4. Zweiter Senat, Berichterstatter: Richter Marco Aurélio de Mello. Justizanzeiger vom 20.09.96. 48 Verfahren Nr. 13003.000021/99-14, Zweite Kammer des Zweiten Steuerzahlergremiums. Sitzung vom 18.10.2000.

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ten Entscheidung würde der Anreiz zur nationalen Produktion durch die bloße Einfuhr einiger Sofastützen keinen Schaden nehmen. Die oben genannten Fälle, denen weitere hinzugefügt werden könnten, zeigen, dass die prima facie von der Norm statuierte Folge infolge substantieller vom Rechtsanwender berücksichtigter Gründe nicht angewandt werden kann. Erforderlich ist jedoch eine schlüssige Begründung, nach der diese Gründe höherrangig zu den die Regel selbst rechtfertigenden Gründen sind. Entweder wird der Grund, der die Regel selbst begründet (rule’s purpose), untersucht, um den Sinngehalt des normativen Tatbestands zu verstehen, einzuschränken oder auszuweiten, oder man rekurriert auf andere Gründe, die sich auf andere Normen stützen, um die Nichteinhaltung dieser Regel zu rechtfertigen (overruling). Diese Erwägungen mögen genügen, um zu zeigen, dass die Behauptung, Regeln „besäßen“ einen definitiven Anwendungsmodus („Alles oder Nichts“), nicht angemessen ist. Auch die Normen, welche einen unbedingten Anwendungsmodus vorzugeben scheinen, können aus vom Gesetzgeber für die normalen Fälle nicht vorgestellten Gründen überwunden werden. Die Berücksichtigung konkreter und einzelner Umstände bezieht sich nicht auf die Struktur der Norm, sondern auf ihre Anwendung; sowohl Prinzipien als auch Regeln können die Berücksichtigung spezifischer Aspekte erfordern, die bei der abstrakten Erwägung nicht erwogen werden.49 Andererseits gibt es Regeln, die Ausdrücke enthalten, deren Anwendungsbereich nicht (völlig und vorab) begrenzt ist, weshalb der Interpret gehalten ist, über die Einschlägigkeit oder Nichteinschlägigkeit der Norm im konkreten Fall zu entscheiden. In diesen Fällen geht der absolute Charakter der Regel zugunsten eines Mehr-oder-Weniger der Anwendung verloren. In der deutschen Rechtsordnung findet man viele Beispiele dafür, dass die Abwägung ein im Recht ubiquitärer Entscheidungsmodus ist, der auch im Bereich der Gesetzesauslegung regelmäßig erforderlich ist. Im Planungsrecht muss der Rechtsanwender nach § 1 Abs. 5 BauGB Bodennutzungsansprüche koordinieren, so dass man wissen kann, ob den Anforderungen des Natur- und Landschaftsschutzes Vorrang vor den Interessen an einer Gewerbeansiedlung zu geben ist oder umgekehrt.50 Wichtig ist, dass es zahlreiche Beispiele gibt, die sich wegen Vagheit oder Mehrdeutigkeit der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale nicht ohne Rückgriff auf die Zielvorstellungen des Gesetzgebers und auf die ratio des Gesetzes entscheiden lassen.51

49 Günther, Klaus, Der Sinn für Angemessenheit. Anwendungsdiskurse in Moral und Recht. Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1988, S. 270. 50 Koch, Hans-Joachim, Die normtheoretische Basis der Abwägung, in: Wilfried Erbguth u. a. (Hrsg.), Abwägung im Recht. Köln, Carl Heymanns, 1996, S. 11.

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B. Normen erster Stufe: Anzuwendende Normen

In der brasilianischen Rechtsordnung ist das elektronisch gespeicherte Buch ein gutes Beispiel dafür, dass nur ein komplexes Verfahren der Abwägung der Argumente für und gegen seine Aufnahme in den Bereich der Immunitätsregel für die relative Steuerfreiheit zu entscheiden erlaubt.52 All diese Erwägungen beweisen, dass die Behauptung, Regeln werden nach dem Modus Alles-oder-Nichts angewandt, nur dann sinnvoll ist, wenn alle auf die Gültigkeit, den Sinn und die finale Subsumtion der Fakten bezogenen Fragen schon überwunden sind.53 Selbst im Fall von Regeln sind diese Fragen nicht leicht lösbar, weil die Vagheit kein Unterscheidungsmerkmal von Prinzipien ist, aber ein gemeinsames Element jeglicher Vorschrift, sei diese ein Prinzip oder eine Regel.54 In dieser Richtung muss gesagt werden, dass die spezifische Eigenschaft von Regeln (Umsetzung einer im Voraus bestimmten Folge) nur nach ihrer Auslegung sichtbar werden kann. Nur dann können wir verstehen, ob es Folgen gibt und welche Folgen angeblich im Fall ihrer Anwendung auf einen konkreten Fall umgesetzt werden. Die Unterscheidung zwischen Prinzipien und Regeln kann also nicht auf die angebliche Methode Alles-oder-Nichts der Regelanwendung gegründet werden, da auch die Regeln zwecks Umsetzung ihrer Folgen eines zuweilen wie bei den Prinzipien langen und komplexen vorgängigen Auslegungsverfahrens bedürfen, das nachweist, welche Folgen umgesetzt werden. Und selbst so wird nur die Anwendung auf den konkreten Fall die vorher als automatisch angesehenen Hypothesen erhärten. In diesem Sinn nähern sich nach der Auslegung angesichts spezifischer Umstände (Anwendungsakt) sowohl die Regeln als auch die Prinzipien einander an, statt sich von einander zu entfernen.55 Der einzige feststellbare Unterschied ist weiterhin der der Auslegung vorausliegende Abstraktionsgrad (dessen Verifizierung auch von einer vorgängigen Auslegung abhängig ist): Im Fall der Prinzipien ist der Abstraktionsgrad bezüglich der zu bestimmenden Norm höher, da sie sich nicht abstrakt an eine spezifische Situation binden (z. B. demokratisches Prinzip, Rechtsstaat); im Fall der Regeln können die Folgen sofort festgestellt werden, obwohl sie der Erhärtung durch den Anwendungsakt bedürfen. Dieses Kriterium zur Unterscheidung 51 Koch, Hans-Joachim, Die normtheoretische Basis der Abwägung, in: Wilfried Erbguth u. a. (Hrsg.), Abwägung im Recht. Köln, Carl Heymanns, 1996, S. 13. 52 Ávila, Humberto Bergmann, Argumentação jurídica e a imunidade dos livros eletrônicos. Revista de Direito Tributário (79):163–183, São Paulo, Malheiros, 2001. 53 Zu diesem Vorbehalt s. auch Alexy, Robert, Zum Begriff des Rechtsprinzips, in: Argumentation und Hermeneutik in der Jurisprudenz. RECHTSTHEORIE, Beiheft 1, Berlin, Duncker & Humblot (1979), S. 71. 54 Guastini, Riccardo, Distinguendo: studi dei teoria e metateoria del diritto. Turin, Giappichelli, 1996, S. 120; Figueroa, Alfonso García, Principios y positivismo jurídico. Madrid, Centro de Estudios Políticos y Constitucionales, 1998, S. 140. 55 s. zu diesem Thema Figueroa, Alfonso García, Principios y positivismo jurídico. Madrid, Centro de Estudios Políticos y Constitucionales, 1998, S. 152.

III. Kriterien der Unterscheidung zwischen Prinzipien und Regeln

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zwischen Prinzipien und Regeln verliert jedoch einen Teil seiner Bedeutung, wenn man einerseits feststellt, dass die Anwendung der Regeln ebenfalls von der gemeinsamen Auslegung der sie betreffenden Prinzipien abhängig ist (z. B. Regeln des gesetzgeberischen Verfahrens in Korrelation zum demokratischen Prinzip) und, andererseits, dass die Prinzipien normalerweise die Ergänzung durch die Regeln erfordern, um angewandt zu werden. Wichtig ist, dass sowohl die Prinzipien als auch die Regeln die Berücksichtigung von konkreten und individuellen Aspekten erlauben. Im Fall der Prinzipien erfolgt diese Berücksichtigung konkreter und individueller Aspekte ohne institutionelle Hindernisse, da die Prinzipien einen zu fördernden Zustand statuieren, ohne direkt das gebotene Verhalten zu beschreiben. Interessant ist, dass der Zweck unabhängig von der Autorität den wesentlichen Grund abgibt, um die zu seiner Förderung notwendigen Verhaltensweisen zu wählen. Gewählt wird eine Verhaltensweise, weil ihre Wirkungen zur Förderung des Zwecks beitragen. Die Prinzipien könnten in die Eigenschaft der Normen einbezogen werden, die wesentliche Gründe (substantive reasons) oder zweckorientierte Gründe (goal reasons) für die Argumentation erzeugen.56 So indiziert die Interpretation des Moralitätsprinzips beispielsweise, dass Ernsthaftigkeit, Motivation und Loyalität den Sachverhalt bilden und dass ernsthafte, aufklärende und loyale Verhaltensweisen notwendig sind. Das Prinzip indiziert jedoch nicht, worin genau diese Verhaltensweisen bestehen. Schon im Fall der Regeln kann die Berücksichtigung der konkreten und individuellen Aspekte nur mit einer Begründung geleistet werden, die imstande ist, den sich aus der Konzeption, dass Regeln einzuhalten sind, ergebenden Graben zu überspringen.57 Die Regel selbst fungiert als Grund zur Wahl der Verhaltensweise. Eine Verhaltensweise wird deswegen gewählt, weil sie unabhängig von ihren Folgen richtig ist. Die aus der Setzung und Geltung der Regel sich ergebende Autorität funktioniert als Handlungsgrund. Regeln könnten in die Eigenschaft der Normen einbezogen werden, die für die Argumentation Richtigkeitsgründe (rightness reasons) oder Autoritätsgründe (authority reasons) erzeugen. Um das schon erwähnte Beispiel wiederaufzunehmen, können wir behaupten, dass sexuelle Gewalt nur dann nicht vermutet wird, wenn außerordentliche Anlässe mit starkem Rechtfertigungsappell vorliegen, wie etwa die offensichtliche Einwilligung des Opfers oder seine den Anschein höheren Alters erweckende körperliche und intellektuelle Erscheinung. Schließlich kann im Fall 56 Summers, Robert, Two Types of Substantive Reasons: The Core of a Theory of Common-Law Justification. The Jurisprudence of Law’s Form and Substance (Collected Essays in Law), Alderhot, Ashgate, 2000, S. 155–236 (224); MacCormick, Neil, Argumentation and Interpretation in Law. Ratio Juris Bd. 6. Nr. 1, S. 17. London, Blackwell, 1993. 57 Schauer, Frederick, Playing by the rules. A philosophical Examination of RuleBased Decision-Making in Law and in Life. Oxford, Clarendon, 1991, S. 38 ff.

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B. Normen erster Stufe: Anzuwendende Normen

der Regelanwendung der Anwender auch spezifische Elemente einer jeden Situation berücksichtigen, obwohl ihre Verwendung von einer Argumentationslast abhängt, welche die Gründe zur Einhaltung der Regel überwiegen kann. Folglich ist eine Abwägung vonnöten. Das bedeutet, dass das Unterscheidungsmerkmal nicht im absoluten oder relativen Typ der von der konditionalen Normstruktur statuierten Verpflichtung, der diese in die eine oder andere Kategorie von Normarten einbezieht, liegt. Unterscheidungsmerkmal ist die Art und Weise, auf welche der Interpret die Anwendung der vorgängigen Normtextbedeutungen rechtfertigt (formell zweckorientiert oder verhaltensorientiert) und welche die Einbeziehung in die eine oder die andere Normart erlaubt. Hervorzuheben ist auch, dass es nicht folgerichtig ist, wie Dworkin oder Alexy, jeder auf seine Weise, zu behaupten, dass die normative Folge unmittelbar umgesetzt werden muss, falls der von einer Regel vorgesehene Tatbestand tatsächlich eintritt.58 Einerseits gibt es Fälle, in denen die Regeln anwendbar sind, ohne dass ihre Bedingungen erfüllt würden. Dies trifft für die Anwendung von Regeln per analogiam zu: in diesen Fällen werden die Regelanwendbarkeitsbedingungen nicht umgesetzt, die Regeln jedoch angewandt, da die nicht geregelten Fälle den in der normativen Hypothese vorgesehenen Fällen ähneln und somit die Anwendung der Regel gerechtfertigt ist. Und es gibt auch Fälle, in denen die Regeln nicht zur Anwendung gelangen, obwohl ihre Bedingungen erfüllt worden sind. Dies gilt bei der Aufhebung des Rechtfertigungsgrunds der Regel aus Gründen, die vom Regelanwender angesichts des konkreten Falls für höherrangiger gehalten werden.59 Mal werden also die Regelanwendungsbedingungen nicht erfüllt und die Regel gelangt trotzdem zur Anwendung, mal werden sie erfüllt und die Regel gelangt trotzdem nicht zur Anwendung. Es ist also im strengen Sinn nicht plausibel zu behaupten, dass Regeln Normen sind, deren Anwendung dann gesichert ist, wenn ihre Prämissen vorliegen. Man pflegt auch zu behaupten, dass Regeln zur Gänze angewandt oder nicht angewandt werden, während Prinzipien mehr oder weniger angewandt werden können. Dieser Vorschlag ist interessant, aber verbesserungsfähig. Wenn behauptet wird, dass die Regeln zur Gänze angewandt werden, wird das beschriebene Verhalten als einhaltbar oder nicht einhaltbar angesehen; wenn man den Standpunkt vertritt, dass Prinzipien mehr oder weniger angewandt werden können, konzentriert sich die Analyse infolge der nicht erfolgten Beschreibung des gebotenen Verhaltens auf den mehr oder weniger erreichbaren Zustand. Das bedeutet jedoch, dass nicht die Prinzipien schrittweise mehr oder weniger zur An58 Dworkin, Ronald, Takings Rights Seriously. 6. Aufl. London, Duckworth, 1991, S. 24; Alexy, Robert, Rechtssystem und praktische Vernunft, in: Recht, Vernunft, Diskurs. Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1995, S. 216–7; ders., Theorie der Grundrechte. 2. Aufl. Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1994, S. 77. 59 Hage, Jaap C., Reasoning with Rules. An Essay on Legal Reasoning and Its Underlying Logic. Dordrecht, Kluwer, 1997, S. 5 und 118.

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wendung kommen, sondern der Zustand mehr oder weniger erreicht werden kann, je nach dem als Mittel gewählten Verhalten. Selbst in diesem Fall wird jedoch das Prinzip angewandt oder nicht angewandt: das für die Verwirklichung oder Bewahrung des Zustands notwendige Verhalten wird entweder gewählt oder nicht gewählt. Deswegen kommt die Verteidigung der graduellen Anwendung der Prinzipien der Vermengung der Norm mit äußeren, für ihre Anwendung notwendigen Aspekten gleich. Der springende Punkt ist also nicht der unterstellte definitive Charakter der von Regeln statuierten Gebote, sondern die Art und Weise, auf welche die Gründe, welche die Implementierung ihrer Folgen erzwingen, gültig überwunden werden können, desgleichen nicht die mangelnde Berücksichtigung konkreter und individueller Aspekte durch die Regeln, sondern die Art und Weise, auf welche diese Berücksichtigung gültig begründet werden muss, was etwas durchaus Anderes ist. 3. Kriterium des normativen Konflikts a) Inhalt Nach einigen Autoren könnten die Prinzipien von den Regeln nach Maßgabe ihrer Funktionsweise im Fall eines Normenkonflikts unterschieden werden, da für sie die Antinomie der Regeln einen echten Konflikt darstellt, der durch die Ungültigkeitserklärung einer der Regeln oder durch die Einführung einer Ausnahme zu lösen wäre, während die Beziehung zwischen Prinzipien in einer Verschränkung besteht, die vermittels einer jedem einzelnen Grundsatz eine Gewichtsdimension zuschreibenden Abwägung zu entscheiden ist. Canaris stellt nicht nur den werttheoretischen Charakter der Prinzipien heraus, sondern unterscheidet Prinzipien von Regeln aufgrund der Interaktion mit anderen Normen: Anders als Regeln erhielten die Prinzipien ihren Sinngehalt nur vermittels eines dialektischen Ergänzungs- und Beschränkungsprozesses.60 Dworkin vertritt den Standpunkt, dass Prinzipien, anders als Regeln, eine Gewichtsdimension haben, die sich im Kollisionsfall äußert, wenn das relativ höhergewichtige Prinzip sich über das andere Prinzip stellt, ohne dass dieses jedoch seine Gültigkeit verliert.61 Alexy behauptet, dass Rechtsprinzipien nur aus einer Art von Rechtsnorm bestehen, vermittels welcher je nach den normativen und faktischen Möglichkeiten in verschiedenen Graden anwendbare Optimierungsgebote statuiert wer60 Canaris, Claus-Wilhelm, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz. Berlin, Duncker & Humblot, 1983, S. 50, 53 und 55. 61 Dworkin, Ronald, Taking Rights Seriously. 6. Aufl. London, Duckworth, 1991, S. 26.

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B. Normen erster Stufe: Anzuwendende Normen

den.62 Im Fall der Kollision von Prinzipien erfolgt die Lösung nicht durch die unmittelbare Bestimmung des Vorrangs eines Prinzips vor dem anderen, sondern nach Maßgabe der Abwägung der kollidierenden Prinzipien, im Rahmen derer jedes unter bestimmten konkreten Umständen den Vorrang erhält.63 Diese Art der Spannung und der Weise ihrer Auflösung unterscheidet Prinzipien von Regeln: während im Regelkonflikt festgestellt werden muss, ob die Regel sich inner- oder außerhalb einer bestimmten Rechtsordnung befindet, ist der Prinzipienkonflikt schon im Innern derselben Rechtsordnung angesiedelt.64 b) Kritische Analyse Die Analyse des Modus des normativen Konflikts ist ein entscheidender Schritt zur Verbesserung der Analyse der Normarten. Trotzdem muss er verbessert werden, weil die Behauptung, dass die Abwägung eine nur der Prinzipienanwendung vorbehaltene Methode ist, ebensowenig angemessen ist wie die Behauptung, dass Prinzipien eine Gewichtsdimension besitzen. Die Abwägung ist tatsächlich keine der Prinzipienanwendung vorbehaltene Methode. Wie aus der Analyse einiger Beispiele ersichtlich wird, kann Abwägung (weighing and balancing) als Gewichtung der Gründe und Gegengründe, die in der Interpretationsentscheidung gipfelt, auch im Fall der hypothetisch formulierten Normtexte, deren Anwendung vorab für automatisch gehalten wird (im Fall der Regeln, nach dem hier untersuchten Kriterium), vorliegen. Erstens erfolgt die abwägende Tätigkeit im Fall von abstrakt nebeneinander bestehenden Regeln, die jedoch konkret in Konflikt geraten können. Man pflegt zu behaupten, dass im Fall des Konflikts zwischen zwei Regeln zwei sich gegenseitig ausschließende Alternativen bestehen: Entweder wird die Ungültigkeit einer der Regeln erklärt oder eine Ausnahme für eine Regel eingeführt, um die Unvereinbarkeit zwischen beiden Regeln zu umgehen. Aus diesem Grund wird behauptet, dass die Regeln auf abstrakter Ebene in Konflikt geraten und die Lösung dieses Konflikts sich der Problematik der Normgeltung einfügt. Wenn dagegen zwei Prinzipien in Konflikt geraten, muss einem von ihnen eine hö62 Alexy, Robert, Zum Begriff des Rechtsprinzips. RECHTSTHEORIE, Beiheft 1 (1979), S. 59 ff.; ders., Recht, Vernunft, Diskurs. Frankfurt, Suhrkamp, 1995. S. 177; ders., Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Beiheft 25 (1985), S. 19 ff.; ders., Rechtssystem und praktische Vernunft, in: Recht, Vernunft, Diskurs. Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1995, S. 216–7; ders., Theorie der Grundrechte. 2. Aufl. Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1994, S. 77 ff. 63 Alexy, Robert, Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Beiheft 25 (1985), S. 17. 64 Alexy, Robert, Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Beiheft 25 (1985), S. 19; ders., Zum Begriff des Rechtsprinzips, in: Argumentation und Hermeneutik in der Jurisprudenz. RECHTSTHEORIE, Beiheft 1, Duncker & Humblot, Berlin (1979), S. 70.

III. Kriterien der Unterscheidung zwischen Prinzipien und Regeln

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here Gewichtsdimension zugeschrieben werden. Deshalb wird behauptet, dass die Prinzipien auf konkreter Ebene in Konflikt geraten und dass die Lösung dieses Konflikts in der Anwendungsproblematik verortet ist. Obwohl dieses Verständnis bestechend und weit verbreitet ist, verdient es eine erneute Betrachtung, zumal in einigen Fällen Regeln in Konflikt geraten, ohne ihre Geltung zu verlieren, und dann die Konfliktlösung von der Zuschreibung eines höheren Gewichts an eine abhängt. Einige Beispiele mögen dies verdeutlichen. Nach einer hypothetischen Regel der medizischen Standesethik muss der Arzt seinem Patienten die volle Wahrheit über dessen Krankheit sagen, während nach einer anderen Regel der Arzt alle verfügbaren Mittel zur Heilung seines Patienten einsetzen muss. Welche Entscheidung soll nun in dem Fall getroffen werden, in dem die Mitteilung der Wahrheit die Heilungschancen des Patienten mindert, infolge des sich daraus ergebenden emotionalen Schocks? Soll der Arzt die Wahrheit sagen oder verschweigen? Fälle wie dieser beweisen nicht nur, dass der Regelkonflikt nicht notwendigerweise auf abstrakter Ebene ausbricht, sondern sich auch in einem konkreten Fall ergeben kann, wie es normalerweise bei den Prinzipien der Fall ist. Derartige Fälle weisen auch darauf hin, dass die Entscheidung eine Gewichtung von Gründen einschließt.65 In der deutschen Rechtsordnung kann man Beispiele finden, die zeigen, dass die Regeln auf konkreter Ebene in Konflikt geraten und dass die Lösung dieses Konflikts in der Anwendungsproblematik verortet ist. Die Regel des § 495a Abs. 1 S. 1 ZPO erlaubt, dass das Amtsgericht sein Verfahren nach billigem Ermessen bestimmt, wenn der Streitwert eine bestimmte Höhe nicht übersteigt. Eine andere Regel bestimmt jedoch, dass das Amtsgericht auf Antrag gemäß S. 2 mündlich verhandeln muss. Andere Vorschriften betreffen die Frage, ob eine mündliche Verhandlung stattzufinden hat oder die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergehen kann. So ist eine fakultative mündliche Verhandlung vergesehen in § 46 ZPO für die Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch, im Verfahren bei Aussetzung nach § 248 Abs. 2 ZPO oder Verweisung nach § 281 Abs. 2 S. 2 ZPO. Immerhin ist auch hier beiden Parteien das Recht auf rechtliches Gehör zu gewähren. Fast dasselbe gilt in den Fällen des Arrests: Dabei ist zugunsten des Gläubigers sein Anspruch auf schnellen Rechtschutz, also ohne Anspruch auf Justizgewährung in einem förmlichen Erkenntnisverfahren, zugunsten des Schuldners aber sein Anspruch auf Justizgewährung in einem förmlichen und erschöpfenden Erkenntnisverfahren mit mündlicher Verhandlung und so weiter zum Ausgleich zu bringen.66 Obwohl diese Regeln widersprüchliche 65

Peczenik, Aleksander, On Law and Reason. Dordrecht, Kluwer, 1989, S. 61. Schilken, Eberhard, Abwägung im Verfahrensrecht, insbesondere im Zivilprozessrecht, in: Wilfried Erbguth u. a. (Hrsg.), Abwägung im Recht. Köln, Carl Heymanns, 1996, S. 59 und 64. 66

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B. Normen erster Stufe: Anzuwendende Normen

Verhaltensweisen festlegen, indem eine anordnet, was die andere nach billigem Ermessen erlaubt, transzendieren sie den abstrakten Konflikt, indem sie ihre Geltung behalten. In der brasilianischen Rechtsordnung findet man dieselbe Anwendungsproblematik. Eine Regel verbietet die Gewährung einer einstweiligen Verfügung gegen die staatliche Finanzverwaltung, die den Streitgegenstand erschöpft (Art. 1 des Gesetzes Nr. 9.494/97). Diese Regel verbietet dem Richter, durch einstweilige Verfügung die Lieferung von Arzneimitteln durch das Öffentliche Gesundheitsvorsorgesystem an diejenigen, die auf sie lebensnotwendig angewiesen sind, anzuordnen. Eine andere Regel bestimmt jedoch, dass der Staat kostenlos besondere Arzneimittel an diejenigen Personen, welche die Kosten für diese Arzneimittel nicht aufbringen können, liefern muss (Art. 1 des Gesetzes Nr. 9.908/93). Diese Regel verpflichtet den Richter, auch durch einstweilige Verfügung die Lieferung von Arzneimitteln seitens des Öffentlichen Gesundheitsvorsorgesystems an diejenigen Personen, die ihrer zum Leben bedürfen, anzuordnen.67 Obwohl diese Regeln widersprüchliche Verhaltensweisen festlegen, transzendieren sie den abstrakten Konflikt, indem sie ihre Geltung behalten. Es ist nicht notwendig, die Nichtigkeit einer der Regeln zu erklären, ebenso nicht, eine Ausnahme für eine einzuführen. Es besteht keine Notwendigkeit, eine Regel innerhalb und die andere außerhalb der Rechtsordnung anzusiedeln. Vielmehr bricht ein konkreter Regelkonflikt aus, so dass der Richter einer der beiden Regeln aufgrund des von jeder zu bewahrenden Zwecks ein stärkeres Gewicht zusprechen muss: Entweder behält der Zweck der Wahrung des Lebens des Bürgers die Oberhand, oder der Zweck der Gewährleistung der Unveränderlichkeit der von der öffentlichen Hand schon beschlossenen Verwendung ihrer Einnahmen. Unabhängig von der zu treffenden Lösung, deren Analyse hier nicht erforderlich ist, handelt es sich um einen konkreten Regelkonflikt, dessen Lösung, da sie nicht auf der Ebene der Geltung, sondern auf der der Anwendung angesiedelt ist, von einer Abwägung der im Spiel befindlichen Zwecke abhängt. Vonnöten ist also die Verbesserung des Verständnisses, dass der Regelkonflikt notwendig abstrakt ist und dass im Fall des Konflikts zwischen zwei Regeln die Ungültigkeit der einen zu erklären oder eine Ausnahme einzuführen ist. Es handelt sich um eine kontingente, nicht um eine notwendige Eigenschaft. Zweitens kann der vorgängige Inhalt von Regeln auch aus gegensätzlichen Gründen vermittels eines Prozesses der Abwägung von Gründen überwunden werden.68 Dies passiert in Fällen von Beziehungen zwischen der Regel und ih67 s. zu diesem Problem das meisterhafte Votum des Richters am Oberlandesgericht Araken De Assis, Berichterstatter der sofortigen Beschwerde Nr. 598.398.600, 4. Kammer für zivilrechtliche Angelegenheiten am Oberlandesgericht von Rio Grande do Sul, Sitzung des 25.11.98, in: Jurisprudência Administrativa, Síntese Trabalhista, Nr. 121, Juli 1999, Porto Alegre, Síntese, S. 115 bis 119.

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ren Ausnahmen. Die Ausnahme kann in der Rechtsordnung selbst vorgesehen sein. In diesem Fall muss der Rechtsanwender durch Abwägung der Gründe entscheiden, ob mehr Gründe für die Anwendung der normativen Regelhypothese oder für die Anwendung der Ausnahme vorliegen. So z. B., wenn ein Kommunalgesetz bei der Aufstellung von Verkehrsregeln festlegt, dass die Höchstgeschwindigkeit im Stadtbereich 60 Stundenkilometer beträgt. Falls ein Fahrzeug durch Mechanismen elektronischer Messung mit einer diese Grenze übersteigenden Geschwindigkeit photographiert wird, wird sein Fahrer mit einem Bußgeld belegt. Im Rahmen der hier untersuchten Typologie wäre die genannte Norm eine Regel und würde als solche eine absolute Verpflichtung statuieren, die von einer Abwägung von Gründen für oder gegen ihre Anwendung unabhängig ist: falls das Fahrzeug die Höchstgeschwindigkeit überschreitet und die Regel gilt, ist das Bußgeld zu verhängen. Trotzdem kann das Straßenverkehrsamt auf die Auferlegung des Bußgelds verzichten, vor allem bei Taxifahrern, die durch Vorlage des entsprechenden Meldungsprotokolls nachweisen, dass sie im Augenblick der Regelverletzung die Höchstgeschwindigkeitsgrenze deswegen überschritten haben, weil sie einen Schwerverletzten in eine Klinik beförderten. Obwohl in diesem Fall die normative Hypothese konkretisiert ist, greift der Rechtsanwender auf andere Gründe zurück, die sich auf andere Normen stützen, um die Nichteinhaltung dieser Regel (overruling) zu rechtfertigen. Andere Gründe, die als im Vergleich zum Regeleinhaltungsgrund höherrangig angesehen werden, geben dann die Grundlage für die Nichteinhaltung der Regel ab. Das bedeutet also für das hier untersuchte Problem, dass der Regelanwendungsmodus nicht vollständig durch die Beschreibung des Verhaltens bedingt ist, sondern von der Gewichtung der Umstände und der einschlägigen Argumente abhängt. Die Ausnahme kann auch nicht in der Rechtsordnung vorgesehen sein. In dieser Situation wird der Rechtsanwender die Bedeutung der Gründe gegen die Anwendung der Regel bewerten, indem er die Argumente für und gegen die Einführung einer Ausnahme angesichts des konkreten Falls gegeneinander abwägt. Der vorher genannte Vergewaltigungsfall ist ein Beispiel für eine derartige Abwägung. Wichtig ist, dass das Verfahren, vermittels dessen die Ausnahmen eingeführt werden, ebenfalls ein Gründebewertungsverfahren ist: nach Maßgabe des Vorliegens eines Gegengrunds, der werttheoretisch höherrangig als der regelbegründende Grund ist, wird eine Ausnahme eingeführt. Es handelt sich um dasselbe Verfahren der Bewertung von Argumenten und Gegenargumenten, d.h. um eine Abwägung. Gegen dieses Verständnis ließe sich einwenden, dass die Beziehung zwischen den Regeln und ihren Ausnahmen nicht mit der zwischen den sich verschrän68 Schauer, Frederick, Playing by the rules. A philosophical Examination of RuleBased Decision-Making in Law and in Life. Oxford, Clarendon, 1991, S. 14.

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kenden Prinzipien identisch ist und zwar aus zwei Gründen: erstens, da die Regeln ausgelegt und die Prinzipien gegeneinander abgewogen würden, d. h. während die Beziehung zwischen der Regel und ihren Ausnahmen schon durch die Rechtsordnung entschieden wäre, der Rechtsanwender sie also nur auslegen müsste, wäre die Lösung einer Kollision von Prinzipien nicht vorgängig entschieden, müsste also der Rechtsanwender die Kollisionsregeln angesichts des konkreten Falls durch Abwägung der einschlägigen Gründe konstruieren; und zweitens, da die Beziehung zwischen der Regel und ihrer Ausnahme nicht aus einem Konflikt bestehen würde, da nur eine Bestimmung, die Regel oder ihre Ausnahme, zur Anwendung gelangen würde, während die Beziehung zwischen zwei Prinzipien einen veritablen Konflikt ergäbe, weil beide zur Anwendung kämen, obwohl das eine ein höheres Gewicht als das andere erhielte. Diese Gründe sind nicht überzeugend. Erstens, weil die Auslegung von der Abwägung nicht klar unterschieden werden kann. Die Entscheidung über die Anwendbarkeit der Regeln hängt von der Bewertung der Gründe ab, die den Einschluss des Tatsachenbegriffs in den in der Regel vorgesehenen Begriff untermauern bzw. ablehnen. Wenn man am Ende behaupten kann, dass die Entscheidung eine reine Subsumtion von Begriffen ist, kann man nicht bestreiten, dass das Verfahren, vermittels dessen diese Begriffe für die finale Entsprechung vorbereitet worden sind, ein Verfahren der Abwägung von Gründen ist. Zweitens überzeugen diese Gründe nicht, weil die Behauptung, dass im Fall der Regeln und ihrer Ausnahmen nur eine Norm zur Anwendung kommt und im Fall der Verschränkung von Prinzipien beide zur Anwendung kommen, nicht konsistent ist. Denn wenn der Rechtsanwender eine stärkere Gewichtsdimension einem der Prinzipien zuschreibt, entscheidet er sich für die Existenz von stärkeren Gründen für die Anwendung eines Prinzips zu Lasten des anderen, das dann unter Umständen keine Folgen auf den Fall, der Gegenstand der Entscheidung ist, ausstrahlt. Dasselbe geschieht im Fall der Ausnahme von der Regel: der Rechtsanwender entscheidet, dass stärkere Gründe für die Anwendung der Ausnahme zu Lasten der Regel vorliegen. Das zeigt, dass im Fall eines Prinzipienkonflikts das Prinzip, dem ein schwächeres Gewicht zugeschrieben wird, tatsächlich unter Umständen nicht angewandt wird, so wie in der Beziehung zwischen Regel und Ausnahme, zumal die Regel oder die Ausnahme nicht zur Anwendung kommen. Abgesehen von den Erklärungsmodi interessiert uns hier der Umstand, dass sowohl in einem als auch im anderen Fall Gründe und Gegengründe gewichtet werden. Behaupten lässt sich etwas anderes: Die Beziehung zwischen allgemeinen und Ausnahmeregeln und zwischen Prinzipien, die sich verschränken, unterscheidet sich nicht hinsichtlich des Vorliegens der Abwägung von Gründen, sondern hinsichtlich der Intensität des institutionellen Beitrags des Rechtsanwenders bei der konkreten Bestimmung dieser Beziehung und hinsichtlich des Abwägungsmodus. Im Fall der Beziehung zwischen allgemeinen Regeln und

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Ausnahmeregeln hat der Rechtsanwender, da die normativen Hypothesen durch die vorgängige Bedeutung des Normtexts suggeriert werden, einen geringeren und anderen Bewertungsspielraum, da er den normativen Gehalt der Hypothese begrenzen muss, falls und sofern dieser mit dem ihm als Fundament dienenden Zweck vereinbar ist; im Fall der Verschränkung von Prinzipien hat der Rechtsanwender – da, statt einer Beschreibung, ein zu erreichender Zustand gesetzt wird – mehr Bewertungsspielraum, sofern er das für die Verwirklichung oder Erhaltung des Zustands notwendige Verhalten begrenzen muss. Hervorzuheben ist außerdem, dass die Beziehung zwischen Regeln und Prinzipien nicht nur auf eine einzige Weise erfolgt. Im Fall der Beziehung zwischen Prinzipien, wenn beide Prinzipien die Verwirklichung von voneinander abweichenden Zwecken bestimmen, muss eines zu Lasten des anderen gewählt werden, um den Fall zu lösen. Und selbst wenn beide Prinzipien dieselben Zwecke als geboten statuieren, steht nichts einem Vorgehen im Wege, nach unterschiedlichen Mitteln zu ihrer Erreichung zu suchen. In diesem Fall ist der Vorrang eines Prinzips vor dem anderen mit der folgenden Nichtanwendung eines der Prinzipien auf diesen konkreten Fall zu erklären. Die Lösung ist identisch mit der für den Konflikt zwischen Regeln mit Bestimmung einer Ausnahme: beide Normen überdauern den Konflikt, indem sie ihre Geltung bewahren. Im Fall der Beziehung zwischen Regeln bedeutet dies, selbst wenn der Rechtsanwender entscheidet, dass eine der Regeln auf den konkreten Fall nicht anwendbar ist, nicht, dass sie überhaupt keinen Beitrag zum Zustandekommen der Entscheidung leistet.69 Selbst wenn sie nicht zur Anwendung kommt, kann eine Regel als wertender Kontrapunkt für die Auslegung der anwendbaren Regel selbst fungieren. In diesem Fall ist sie weit entfernt davon, keinen Beitrag zum Zustandekommen der Entscheidung zu leisten, sondern trägt als nicht angewandte Regel zur Konstruktion der Bedeutung der angewandten Regel bei, vermittels des Verfahrens der Annäherung und Entfernung. Drittens wird die Aktivität der Abwägung von Regeln bei der Begrenzung von semantisch offenen normativen Hypothesen oder rechtspolitischen Begriffen wie Rechtsstaat, Rechtssicherheit, Demokratie festgestellt. In diesen Fällen muss der Interpret mehrere Gründe für und gegen die Anwendung der Regel analysieren, um zu entscheiden, welche Elemente die rechtspolitischen Begriffe konstituieren.70 Da die hypothetisch konstruierten Normtexte Ergebnis gesetzgeberischer Verallgemeinerungen sind, ist selbst die präziseste Formulierung potentiell unpräzise, insofern ursprünglich nicht vorhergesehene Situationen ein69 Cf. Dworkin, Ronald, Takings Rights Seriously. 6. Aufl. London, Duckworth, S. 24. 70 Peczenik, Aleksander, On Law and Reason. Dordrecht, Kluwer, 1989, S. 63, 80, 412 und 420; ders., The passion for reason, in: Luc J. Wintgens (ed.), The Law in Philosophical Perspectives. Dordrecht, Kluwer, 1999, S. 183.

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treten können.71 In diesem Fall muss der Rechtsanwender den Zweck der Regel untersuchen und kann dann nur im Ausgang von einer Abwägung aller Fallumstände entscheiden, welches Element tatsächlich vorrangig bei der Bestimmung des normativen Zwecks ist.72 Eben infolge der Verallgemeinerungen werden einige Fälle nicht erwähnt (under inclusiveness) und werden einige fälschlich eingeschlossen (over inclusiveness). Das Verbot des Eintritts von Hunden in Speiselokale verdankt sich der Tatsache, dass die Bürger normalerweise Hunde besitzen und diese in der Regel die Kunden belästigen. Jedem Hund ist der Eintritt untersagt. Wie aber, wenn es sich um einen gerade geborenen Welpen handelt, der von der Halterin auf dem Arm in einem Shawl getragen wird? Oder um einen ausgestopften Hund? Oder einen Hund, der von der Polizei zur Aufspürung von Drogen oder einer Person, die des Drogenhandels verdächtig ist, benutzt wird? In diesen Fällen muss der Rechtsanwender, statt nur unter den Begriff „Hund“ zu subsumieren, den Rechtfertigungsgrund der Regel bewerten, um über die Tatbestandsmäßigkeit zu entscheiden. Wenn der die Regel des Hundeverbots rechtfertigende Grund der Schutz der Ruhe und Sicherheit der Kunden ist, kann er gegen die Anwendung der Regel in den genannten Fällen entscheiden. Aber da es möglich ist, von der Regelhypothese zum Regelrechtfertigungsgrund überzugehen, entsteht für den Rechtsanwender die Möglichkeit, den Eintritt von Personen zu verbieten, welche die Ruhe der Kunden stören, wie etwa weinende Kleinkinder, oder den Eintritt von Tieren zu erlauben, welche die Sicherheit der Kunden nicht gefährden, wie etwa Bärenjungen oder gar zahme oder chloroformierte Hunde.73 Entscheidend ist nicht die Bestimmung der durch die normative Hypothese beschriebenen Elemente, sondern zu wissen, in welchen Fällen der Rechtsanwender auf den Regelrechtfertigungsgrund zurückgreifen kann (rule’s purpose), um die Elemente der Hypothese als bloße Indikatoren für die zu treffende Entscheidung zu verstehen, und in welchen Fällen er sich an die in der normativen Hypothese beschriebenen Elemente halten muss, um sie als eigentlichen Entscheidungsgrund zu verstehen, unabhängig vom Vorliegen gegenteiliger Gründe. Diese Entscheidung hängt jedoch von der Abwägung der Gründe, welche die unbedingte Einhaltung der Regel rechtfertigen, ab: als Gründe, die mit der Rechtssicherheit und der Vorhersehbarkeit des Rechts zusammenhängen, oder als Gründe, welche die Nichteinhaltung der Regel zugunsten der Untersuchung von ihren mehr oder weniger entfernten Fundamenten rechtfertigen. Diese Ent-

71 Schauer, Frederick, Playing by the rules. A philosophical Examination of RuleBased Decision-Making in Law and in Life. Oxford, Clarendon, 1991, S. 35. 72 Peczenik, Aleksander, The passion for reason, in: Luc J. Wintgens (ed.), The Law in Philosophical Perspectives. Dordrecht, Kluwer, 1999, S. 181. 73 Schauer, Frederick, Playing by the rules. A philosophical Examination of RuleBased Decision-Making in Law and in Life. Oxford, Clarendon, 1991, S. 47 und 59.

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scheidung – und dies steht hier zur Diskussion – hängt von einer Abwägung ab. Nur vermittels der Abwägung von Gründen lässt sich entscheiden, ob der Rechtsanwender die Elemente der Tatbestandsmäßigkeit der Regel auf der Suche nach ihrem Fundament vernachlässigen kann in den Fällen, in welchen eine Diskrepanz besteht.74 Viertens wird die Tätigkeit der Abwägung von Regeln bei der Entscheidung im Hinblick auf die Anwendbarkeit eines Präjudizes zum jeweils vorliegenden Fall festgestellt. Nach Summers sind die Präjudizien nicht selbstdefinierend (self-defining) und auch nicht selbstanwendend (self-applying).75 Das bedeutet, dass die Entfernung einer neuen Entscheidung von den schon stabilisierten Präjudizien von der Abwägung von Gründen abhängig ist. Fünftens wird die Aktivität der Abwägung von Regeln bei der Verwendung von argumentativen Formen wie analogia und argumentum e contrario festgestellt. Jede dieser Formen stützt sich auf unterschiedliche Mengen von zu gewichtenden Gründen.76 Alle diese Erwägungen beweisen, dass die Abwägung von Gründen nicht nur der Anwendung von Prinzipien vorbehalten ist, sondern eine Eigenschaft jeder Normanwendung ist.77 Es ist also nicht zutreffend, zu behaupten, dass die Prinzipien, im Gegensatz zu den Regeln, abwägungsbedürftig sind. Die Abwägung bezieht sich sowohl auf Prinzipien als auch auf Regeln, insofern jede Norm eine provisorische Qualität hat, die aus Gründen, die der Rechtsanwender angesichts des konkreten Falls für relevanter gehalten hat, überholt werden kann.78 Unterschiedlich ist nur der Typus der Abwägung. Nicht konsequent ist auch die Behauptung, dass nur die Prinzipien eine Gewichtsdimension haben. Erstens ist es unrichtig, wenn man darauf besteht, dass nur die Prinzipien eine Gewichtsdimension haben. Wie die vorher herangezogenen Beispiele zeigen, erfordert die Anwendung von Regeln die Gewichtung von Gründen, deren Bedeutung vom Rechtsanwender zugeschrieben (oder folgerichtig intensiviert) wird. Die werttheoretische Dimension existiert nicht nur bei den 74 Schauer, Frederick, Playing by the rules. A philosophical Examination of RuleBased Decision-Making in Law and in Life. Oxford, Clarendon, 1991, S. 94 ff. 75 Summers, Robert, Two Types of Substantive Reasons: The Core of a Theory of Common-Law Justification. The Jurisprudence of Law’s Form and Substance (Collected Essays in Law). Alderhot, Ashgate, 2000, S. 155–236 (231); Alexy, Robert, Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Beiheft 25 (1985), S. 28. 76 Peczenik, Aleksander, The passion for reason, in: Luc J. Wintgens (ed.), The Law in Philosophical Perspectives. Dordrecht, Kluwer, 1999, S. 181; Canaris, Claus-Wilhelm, Die Feststellung von Lücken im Gesetz. 2. Aufl. Berlin, Duncker & Humblot, 1983, S. 88 ff. 77 Peczenik, Aleksander, On Law and Reason. Dordrecht, Kluwer, 1989, S. 80. 78 Peczenik, Aleksander, On Law and Reason. Dordrecht, Kluwer, 1989, S. 81.

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Prinzipien, sondern ist fester Bestandteil jeder Rechtsnorm, wie die Anwendungsmethoden zeigen, die den Sinn der Regeln nach Maßgabe der Werte und Zwecke, die sie erhalten wollen, erweitern oder einschränken. Beispiele dafür sind die extensive und die einschränkende Auslegung.79 Zweitens ist es unrichtig, wenn man darauf besteht, dass die Prinzipien eine Gewichtsdimension haben. Die Gewichtsdimension ist nicht etwas, was einem Normtypus schon einverleibt wäre. Normen regeln nicht ihre eigene Anwendung. Also sind es nicht die Prinzipien, die eine Gewichtsdimension haben, vielmehr muss den Gründen und den Zwecken, auf die sie sich beziehen, eine Bedeutungsdimension zugeschrieben werden. Die Mehrzahl der Prinzipien sagt nichts über das Gewicht der Gründe aus. Die Entscheidung schreibt den Prinzipien ein Gewicht nach Maßgabe der Umstände des konkreten Falls zu. Die genannte Gewichtsdimension (dimension of weight) ist somit nicht ein abstraktes Attribut der Prinzipien, sondern eine Eigenschaft der Gründe und Zwecke, auf die diese sich beziehen und deren konkrete Bedeutung durch den Rechtsanwender zugeschrieben wird. Anders gesagt: Die Gewichtsdimension ist kein empirisches Attribut der Prinzipien, das eine logische Differenz bezüglich der Regeln rechtfertigt, sondern ein Ergebnis der Werturteile des Rechtsanwenders.80 Einige Beispiele mögen zeigen, dass der Rechtsanwender angesichts des zu untersuchenden Falls bestimmten Elementen zu Lasten anderer eine Gewichtsdimension zuschreibt. In der deutschen Rechtsordnung findet man in § 287 ZPO eine Ermächtigung zur Herabsetzung des Beweismaßes hinsichtlich der schadensbegründenden wie der schadenshindernden Umstände. Das Gericht kann den Streit zwischen den Parteien „unter Würdigung aller Umstände“ durch Schadensschätzung entscheiden, dabei wird aber eine nachvollziehbar begründete Abwägung verlangt, welche Tatsachen für den schadensbejahenden Sachvortrag des Klägers einerseits, für das schadenverneinende Vorbringen des Beklagten andererseits sprechen.81 Dasselbe findet man in der brasilianischen Rechtsordnung. Das Supremo Tribunal Federal hat einen Fall untersucht, in dem die Exekutive, nachdem sie durch Verordnung beschlossen hatte, den Satz der Importsteuer zu senken, einfach die Anhebung dieses Steuersatzes beschloss. Die Steuerzahler, welche Geschäfte auf der Grundlage des Versprechens der Senkung des Steuersatzes abgeschlossen hatten, protestierten gegen die Verzollung der Waren zum erhöhten 79 Günther, Klaus, Der Sinn für Angemessenheit. Anwendungsdiskurse in Moral und Recht. Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1988, S. 272; Canaris, Claus-Wilhelm, Die Feststellung von Lücken im Gesetz. 2. Aufl. Berlin, Duncker & Humblot, 1982. 80 Hage, Jaap C., Reasoning with Rules. An Essay on Legal Reasoning and Its Underlying Logic. Dordrecht, Kluwer, 1997, S. 116. 81 Schilken, Eberhard, Abwägung im Verfahrensrecht, insbesondere im Zivilprozessrecht, in: Wilfried Erbguth u. a. (Hrsg.), Abwägung im Recht. Köln, Carl Heymanns, 1996, S. 63.

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Steuersatz und machten geltend, dass der Grundsatz der Rechtssicherheit verletzt worden sei. Das dem Gericht vorgelegte Problem konnte auf zwei Wegen gelöst werden: Erstens, indem man dem Prinzip der Rechtssicherheit größere Bedeutung zuschreibt, um das Vertrauen der Bürger in die Amtshandlungen der öffentlichen Hand zu gewährleisten, und folglich die Anwendung höherer Sätze für diejenigen Steuerzahler, die Geschäfte in der Erwartung der Einhaltung des Versprechens abgeschlossen hatten, verbietet; zweitens, indem man nur dem der Einfuhrbesteuerung zugrundeliegenden Steuertatbestand, der dann anfällt, wenn die Ware verzollt wird, Bedeutung zuschreibt, da der Steuersatz im Rahmen der Befugnisse der Exekutive vor dem Datum des Eintretens dieses Sachverhalts erhöht worden sei und somit keine Verletzung der vollendeten Rechtshandlung vorliege. Das Gericht hat sich für die zweite Lösungsmöglichkeit entschieden.82 Was bedeutet dies nun für die hier diskutierte Frage? Die Gewichtsdimension dieses oder jenes Elements ist nicht durch die normative Struktur vorentschieden, sondern wird vom Rechtsanwender angesichts des konkreten Falls zugeschrieben. Wäre die Gewichtsdimension ein empirisches Attribut der Prinzipien, hätte der hier untersuchte Fall notwendig auf der Grundlage des Prinzips der Rechtssicherheit und der Gewährleistung des Schuzes der vollendeten Rechtshandlung gelöst werden müssen, was jedoch nicht erfolgte. Der Grund ist darin zu suchen, dass Rechtsnormen durchaus nicht bestimmen, welche Elemente zu Lasten von welchen anderen zu bevorzugen sind; diese Entscheidung wird vielmehr von den Rechtsanwendern unter Berücksichtigung des konkreten Falls getroffen. Das Supremo Tribunal Federal hat den Fall untersucht, in dem der Bundesanzeiger, der nach der Verfassungsnorm bis zum Ende des Jahres hätte veröffentlicht werden müssen, der Öffentlichkeit am Abend des 31. Dezembers zur Verfügung gestellt, die Exemplare jedoch erst am 2. Januar des folgenden Jahres verschickt worden waren. Die Steuerzahler protestierten gegen diese Maßnahme und behaupteten, dass das Prinzip der Vorzeitigkeit verletzt worden sei, zumal eine Verfassungsnorm die Veröffentlichung des Gesetzes bis zum Ende des Jahres verlangt, um die Vorhersehbarkeit der staatlichen Akte zu gewährleisten. Prima facie müsste dieser Fall dadurch entschieden werden, dass man dem Prinzip der Vorzeitigkeit vorrangige Bedeutung zuschreibt, und zwar in seinen beiden Aspekten: Gewährleistung der Vorhersehbarkeit und Erfordernis der Veröffentlichung des neuen Gesetzes vor Ablauf des Jahres. Statt den Wert Vorhersehbarkeit oder gar das Erfordernis der Veröffentlichung des neuen Gesetzes vor Ablauf des Jahres zu betonen, hat das Gericht jedoch eine im vorgängigen Bedeutungsgehalt des untersuchten Normtexts nicht enthaltene Unterscheidung von Veröffentlichung und Verteilung entwickelt. Es hat den Standpunkt vertreten, 82 Außerordentliche Berufung Nr. 216.541-7, Erster Senat. Berichterstatter: Richter Sepúlveda Pertence, DJ 15.05.98.

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dass der Umstand, dass der Bundesanzeiger nicht vor Ablauf des Jahres in Umlauf gewesen sei – und hier liegt das Paradox – die Kenntnis des Gesetzes nicht behinderte, zumal er schon vor Ablauf des Jahres dem Steuerzahler zur Verfügung stand.83 Was bedeutet das für die hier diskutierte Frage? Es bedeutet, wie hier wiederholt wird, dass die Gewichtsdimension dieses oder jenen Elements nicht durch die normative Struktur vorentschieden ist, sondern von Rechtsanwender angesichts des konkreten Falls zugeschrieben wird. Wäre die Gewichtsdimension ein empirisches Attribut der Prinzipien, hätte der hier untersuchte Fall notwendig auf der Grundlage des von der Rechtslehre sogenannten Prinzips der Vorzeitigkeit gelöst werden müssen oder auf der Grundlage der Regel, nach welcher die Veröffentlichung eines neuen Gesetzes vor Ablauf des Jahres, ab dem die Steuer erhoben wird, zu erfolgen hat. Dies war jedoch nicht der Fall. Der Grund liegt noch einmal darin, dass die Rechtsnormen durchaus nicht bestimmen, welche Elemente zu Lasten von welchen anderen zu bevorzugen sind, sondern diese Entscheidung von den Rechtsanwendern angesichts des konkreten Falls getroffen wird. Die hier genannten Beispiele zeigen, dass die bloße Kennzeichnung als Prinzip seitens der Rechtslehre oder der Rechtsprechung keine Gewichtsaussage beinhaltet, im Sinn des Verständnisses einer bestimmten Vorschrift als eines gegenüber anderen Werten abzuwägenden Werts. Die Judikative kann die Textgrenzen überschreiten oder den üblichen Sinn eines Normtexts einschränken. Sie kann bis dahin unbekannte Bedeutungsunterschiede einführen. Die Verbindung zwischen der Norm und dem ihr vorgängig zugrundeliegenden Wert hängt nicht von der Norm als solcher oder von im Normtext unmittelbar vorfindlichen Eigenschaften, von denen aus sie als hypothetische Struktur konstruiert wird, ab. Sie hängt sowohl von den vom Rechtsanwender in Bezug auf die angewandte Norm verwendeten Gründen als auch von den im Anwendungsprozess selbst bewerteten Umständen ab. Die Gewichtsdimension ist also nicht normbezogen, sondern anwender- und fallbezogen. Sie hängt überdies von dem vom Betrachter gewählten Standpunkt ab: Nach Maßgabe der Fakten und der Perspektive, in der sie untersucht werden, kann eine Norm mehr oder weniger Gewicht oder gar überhaupt kein Gewicht für eine Entscheidung haben. Wie Hage richtig bemerkt, Weight ist case-related.84 Die Berücksichtigung spezifischer Umstände ist nicht durch die Normstruktur vorherbestimmt, sondern hängt vom Gebrauch ab, den man von ihr macht.85 Die Rechtsnormen – Prinzipien oder 83 Beschwerde gegen Entscheidung des Vorsitzenden an Kammerplenum bei Obergerichten bei Agravo de Petição Nr 282522. Erster Senat. Berichterstatter: Richter Moreira Alves, DJ 31.08.01. 84 Hage, Jaap C., Reasoning with Rules. An Essay on Legal Reasoning and Its Underlying Logic. Dordrecht, Kluwer, 1997, S. 34 und 116. 85 Günther, Klaus, Der Sinn für Angemessenheit. Anwendungsdiskurse in Moral und Recht. Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1988, S. 273.

III. Kriterien der Unterscheidung zwischen Prinzipien und Regeln

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Regeln – können Kriterien für die Gestaltung dieses Gewichts enthalten. Diese Kriterien muss man aber durch die gesamte Rechtsordnung konstruieren. Bezogen auf die Kennzeichnung der Prinzipien gemäß ihrer Gewichtsdimension ist ihre Bestimmung als Optimierungsgebote. Sie werden so gesehen, da ihr Gehalt im höchsten Maß anzuwenden sei.86 Dies ist aber nicht immer der Fall. Um dies zu zeigen, muss festgestellt werden, welche Kollisionsarten zwischen Prinzipien bestehen. Sie beziehen sich nicht nur auf eine Weise aufeinander. Prinzipien legen zu erreichende Zwecke fest, ohne im Voraus zu bestimmen, welche Mittel zu wählen sind. Bei einer Relation von zwei Prinzipien sind verschiedene Hypothesen möglich. Die erste bezieht sich auf die Fallgestaltung, dass die Verwirklichung des von einem Prinzip gesetzten Zwecks immer zur Verwirklichung des von einem anderen Prinzip gesetzten Zwecks führt. Dies ist bei wechselseitig abhängigen Prinzipien der Fall. So statuiert beispielsweise das Prinzip der Rechtssicherheit als zu fördernden Idealzustand die Stabilität. Gleiches tut das Rechtsstaatsprinzip. In diesem Fall besteht keine wechselseitige Beschränkung, sondern vielmehr eine wechselseitige Verstärkung der Prinzipien. Wenn jedoch die Verwirklichung eines von einem Prinzip gesetzten Zwecks immer zur Verwirklichung des von einem anderen Prinzip gesetzten Zwecks führt, besteht nicht die Pflicht der Verwirklichung im höchsten Maß, sondern die Pflicht der für die Umsetzung des vom anderen Prinzip gesetzten Zwecks strikt notwendigen Verwirklichung, d.h. die Pflicht der Verwirklichung im notwendigen Maß. Die zweite Hypothese bezieht sich auf die Möglichkeit, dass die Verwirklichung des von einem Prinzip gesetzten Zwecks die Verwirklichung des von einem anderen Prinzip gesetzten Zwecks ausschließt. Dies ist der Fall bei Prinzipien, die auf sich gegenseitig ausschließende alternative Zwecke verweisen. Während beispielsweise das Prinzip der Informationsfreiheit die Veröffentlichung von Nachrichten über Personen gestattet, verbietet das Prinzip des Schutzes der Privatsphäre die Veröffentlichung anderer Materien, welche sich auf den Intimbereich von Personen beziehen. Wenn also die Verwirklichung des von einem Prinzip gesetzten Zwecks die Verwirklichung des von einem anderen Prinzip gesetzten Zwecks ausschließt, wird die genannte wechselseitige Beschränkung und Ergänzung des Sinns nicht festgestellt. Beide Prinzipien sind in ihrem vollen Sinn anzuwenden. Die Kollision kann jedoch nur durch die Zurückweisung eines der Prinzipien gelöst werden.87 Diese Situation ähnelt also der der Kollision von Regeln. Die dritte Hypothese bezieht sich auf die Konstellation, dass die Verwirklichung des von einem Prinzip gesetzten Zwecks nur zur Verwirklichung eines 86 Alexy, Robert, Rechtsregeln und Rechtsprinzipien. Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Beiheft 25 (1985), S. 19: „möglichst hohen Maße realisiert wird“. 87 Pensky, Ulrich, Rechtsgrundsätze und Rechtsregeln. Juristen-Zeitung, 1989, S. 109.

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B. Normen erster Stufe: Anzuwendende Normen

Teils des von einem anderen Prinzip gesetzten Zwecks führt. Dies ist der Fall bei teilweise miteinander verschränkten Prinzipien. In diesem Fall erfolgt die wechselseitige Begrenzung und Ergänzung des Sinns in dem Teil, der Gegenstand der Verschränkung ist. Die vierte und letzte Hypothese bezieht sich auf die Möglichkeit, dass die Verwirklichung des von einem Prinzip gesetzten Zwecks nicht in die Verwirklichung des von einem anderen Prinzip gesetzten Zwecks eingreift.88 Sie wird im Fall von Prinzipien festgestellt, welche die Förderung von untereinander indifferenten Zwecken bestimmen. Zweck dieser Erwägungen ist der Nachweis, dass der Unterschied zwischen Prinzipien und Regeln nicht darin zu sehen ist, dass Regeln zur Gänze und Prinzipien nur im maximalen Maß anzuwenden sind. Beide Arten von Normen sind so anzuwenden, dass ihr Sollgehalt vollständig verwirklicht wird. Sowohl Regeln als auch Prinzipien haben denselben Sollgehalt.89 Die einzige Unterscheidung bezieht sich auf die Bestimmung der sich aus der Auslegung ergebenden Verhaltensvorschrift: Prinzipien bestimmen nicht unmittelbar (also prima facie) das zu befolgende Verhalten, sondern statuieren nur normativ relevante Zwecke, deren Konkretisierung intensiver von einem institutionellen Anwendungsakt abhängt, der das zur Förderung des Zwecks notwendige Verhalten bestimmen muss; Regeln hängen weniger intensiv von einem institutionellen Anwendungsakt in den Normalfällen ab, da das Verhalten schon prima facie von der Norm vorgesehen ist. Zu erinnern ist noch daran, dass die Prinzipien selbst nicht Optimierungsgebote sind. Aarnio erinnert mit Recht daran, dass das Gebot aus einer normativen Aussage über Prinzipien besteht und in dieser Eigenschaft als Regel (hypothetisch-konditionale Norm) fungiert: es wird bzw. wird nicht eingehalten. Ein Optimierungsgebot kann nicht mehr oder weniger angewandt werden. Entweder wird optimiert oder nicht. Das Optimierungsgebot bezieht sich also auf den Gebrauch eines Prinzips: der Gehalt eines Prinzips muss im Abwägungsverfahren optimiert werden.90 Alexy selbst akzeptiert die Unterscheidung zwischen Optimierungsgeboten und zu optimierenden Geboten.91 Der entscheidende Punkt ist also nicht das Ausbleiben von Abwägung bei der Anwendung von Regeln, sondern der Typus der vorgenommenen Abwägung und die Art und Weise, wie sie gültig zu begründen ist, was eine ganz andere Sache ist. 88

Pensky, Ulrich, Rechtsgrundsätze und Rechtsregeln. Juristen-Zeitung, 1989, S. 109. Ebd. S. 110. 90 Aarnio, Aulis, Reason and Authority. Alderhot, Ashgate, 1997, S. 181. 91 Alexy, Robert, My Philosophy of Law: The Institutionalisation of Reason, in: The Law in Philosophical Perspectives. Ed. Luc Wintgens. Dordrecht, Kluwer, 1999, S. 39; ders., On the structure of legal principles. Ratio Juris (13), 300, Oxford, Blackwell, 2000. 89

IV. Vorschlag zur Dissoziierung von Prinzipien und Regeln

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Nachdem die vorherrschenden Konzeptionen bezüglich der Definition von Prinzipien untersucht worden sind, kann auf der Grundlage anderer Elemente eine Definition vorgeschlagen werden, wie nachfolgend geschehen wird.

IV. Vorschlag zur Dissoziierung von Prinzipien und Regeln 1. Grundlagen a) Rechtfertigende Dissoziierung Prinzipien verweisen den Interpreten auf Werte und unterschiedliche Modi der Erreichung von Ergebnissen. Man pflegt zu behaupten, dass die Werte von einer vornehmlich subjektiven Evaluierung abhängen. Sie beinhalten ein Geschmacksproblem (matter of taste). Einige Subjekte akzeptieren einen Wert, den andere zurückweisen. Einige bezeichnen als vorrangig einen Wert, den andere für überflüssig ansehen. Anders gesagt: Da von subjektiver Einschätzung abhängig, wären die Werte untheoretisch, ohne Wahrheitswert, ohne objektive Bedeutung. Wright bemerkt ergänzend, dass das Verständnis, Werte seien von subjektiver Einschätzung abhängig, ernstzunehmen ist.92 Aber daraus ergibt sich nicht – und hier beginnt unsere Arbeit – die Unmöglichkeit, Verhaltensweisen zu finden, die infolge der Positivierung von Werten verpflichtend sind, noch die Unfähigkeit, zwischen rationaler Anwendung und irrationaler Verwendung dieser Werte zu unterscheiden. Bei der Diskussion dieser Frage wird die Art und Weise, wie die Prinzipien untersucht werden, sichtbar. Dabei ist es leicht, zwei gegensätzliche Untersuchungsmodi der Rechtsprinzipien zu finden. Einerseits können die Prinzipien so analysiert werden, dass die von ihnen geschützten Werte hervorgehoben werden, ohne dass man untersucht, welche Verhaltensweisen denn für die Verwirklichung dieser Werte unverzichtbar sind und welches die wesentlichen methodischen Instrumente für eine kontrollierbare Begründung ihrer Anwendung sind. In diesem Fall wird der Erklärung der Bedeutung der Prinzipien der Vorrang gegeben; diese werden als Grundsteine oder Pfeiler der Rechtsordnung bezeichnet. Wesentlich mehr wird über sie nicht ausgesagt. Andererseits können die Prinzipien so untersucht werden, dass die Analyse ihrer Struktur den Vorrang erhält, besonders um in ihr ein rationales Begründungsverfahren zu finden, das sowohl die Spezifizierung der für die Verwirklichung der von ihnen bevorzugten Werte notwendigen Verhaltensweisen als auch die Rechtfertigung und Kontrolle ihrer Anwendung vermittels einer rationalen Rekonstruktion rechtswissenschaftlicher Aussagen und gerichtlicher Entschei92 Wright, Georg Henrik von, Sein und Sollen, in: Normen, Werte und Handlungen. Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1994, S. 36.

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B. Normen erster Stufe: Anzuwendende Normen

dungen erlaubt. In diesem Fall wird dem Rechtfertigungscharakter der Prinzipien und ihrem rational kontrollierten Gebrauch Priorität eingeräumt. Die Crux ist nicht mehr die Verifizierung der Werte, die im Spiel sind, sondern die Legitimierung von Kriterien, die eine rationale Anwendung eben dieser Werte erlauben.93 Eben darin besteht der in dieser Studie eingeschlagene Weg. b) Abstrakte Dissoziierung Die Unterscheidung zwischen normativen Kategorien, besonders zwischen Prinzipien und Regeln, verfolgt zwei grundlegende Zwecke. Erstens beabsichtigt sie, Eigenschaften der Normarten vorwegzunehmen, so dass der Interpret oder Anwender, indem er sie findet, den Prozess der Interpretation und Anwendung des Rechts vereinfachen kann. Infolge dieser Vorwegnahme bemüht sich diese Unterscheidung zweitens um eine Erleichterung der Argumentationslast des Rechtsanwenders durch ihre Strukturierung, insofern eine Kennzeichnung der Normarten die Notwendigkeit der Begründung mindern – wenngleich niemals eliminieren – kann, indem sie zumindest angibt, was zu rechtfertigen ist.94 Offensichtlich wird jegliche Klassifizierung der Normarten unangemessen sein, wenn sie nicht minimal sichere Kriterien der Vorwegnahme der Normeigenschaften liefert und nicht die übermäßige Argumentationslast des Rechtsanwenders mindert. Eine aufmerksamere Analyse der genannten Unterscheidungen zwischen Prinzipien und Regeln beweist, dass die von der Rechtslehre herangezogenen Kriterien oft für eine abstrakte Norminterpretation Elemente manipulieren, die nur auf der konkreten Ebene der Normanwendung bewertet werden können. Indem sie dies tun, wählen sie abstrakte Unterscheidungskriterien, die jedoch bei der konkreten Anwendung nicht bestätigt werden können – und oftmals auch nicht bestätigt werden. Damit endet die Klassifizierung, statt Hilfestellung bei der Rechtsanwendung zu geben, mit einer Behinderung der Anwendung. Statt die Argumentationslast des Rechtsanwenders zu mindern, schafft sie sie aus der Welt. Folglich muss die vorgängige Ebene der abstrakten Normenanalyse, die normalerweise Bedeutungsebene prima facie genannt wird, von der abschließenden Ebene der konkreten Normenanalyse, die üblicherweise Bedeutungsebene all things considered genannt wird, unterschieden werden. Diese Unterscheidung ist hilfreich bei der Feststellung, warum einige Kriterien für die erste Ebene wichtig, für die zweite jedoch unangemessen sind und umgekehrt. 93

Aarnio, Aulis, Denkweisen der Rechtswissenschaft. Wien, Springer, 1979, S. 158. Zur Entlastungsfunktion der Dogmatik s. Alexy, Robert, Theorie der juristischen Argumentation. 2. Aufl. Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1991, S. 329. 94

IV. Vorschlag zur Dissoziierung von Prinzipien und Regeln

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Das Kriterium des hypothetisch-konditionalen Charakters ist sowohl auf der anfänglichen als auch auf der abschließenden Ebene inkonsistent. Auf der anfänglichen Ebene ist es deswegen unangemessen, weil jeder Normtext, selbst wenn er vom Gesetzgeber nicht hypothetisch formuliert ist, so umformuliert werden kann, dass er einen Tatbestand und eine Folge aufweist. Auf der abschließenden Ebene ist es deswegen unangemessen, weil angesichts der Umstände des konkreten Falls der Rechtsanwender alle für die Anwendung einer bestimmten Norm notwendigen Aspekte spezifizieren muss, indem er Elemente für die Formulierung eines Obersatzes, eines Untersatzes und einer Folge vorbereitet. In anderen Worten, angesichts der Umstände des konkreten Falls endet jede Norm in der Übernahme einer hypothetischen Formulierung. Jede Norm wäre somit eine Regel. Das Kriterium der Anwendungsweise ist offensichtlich nur auf der abschließenden Bedeutungsebene sinnvoll. Wenn nun die Unterscheidung zwischen Prinzipien und Regeln die Anwendung der Normen durch die Vorwegnahme der Normeigenschaften und der argumentativen Entlastung zu erleichtern sucht, stellt sich dieses Kriterium als inkonsistent heraus, da es nur nach der Anwendung und nicht vorher verifizierbar ist. Bei dieser Sachlage wäre dieses Kriterium nur angebracht, wenn es erlauben würde, dass der Rechtsanwender schon bei der Analyse der Struktur einer Norm ihre Anwendungsweise mit Sicherheit vorwegnehmen könnte. Nach der Rechtslehre ist diese Struktur eine hypothetische. Und angesichts einer Norm mit hypothetischer Struktur müsste der Rechtsanwender die normative Folge unmittelbar umsetzen. Dies kann jedoch nicht vor der Analyse aller konkreten Fallumstände gewährleistet werden, da, wie schon festgestellt, Rechtfertigungsgründe vorliegen können, die nicht abstrakt vorgesehen sind und die Gründe für die Anwendung der Regel überwiegen. So erweist sich der Teufelskreis des Kriteriums der Anwendungsweise, das vorwegnehmend das zu beweisen beansprucht, was nur am Ende bewiesen werden kann.95 Das Kriterium des Normenkonflikts ist inkonsistent sowohl auf der einleitenden als auch auf der abschließenden Ebene. Auf der einleitenden Ebene ist die Behauptung richtig, dass zwei Regeln als Normen mit hypothetischer Struktur, wenn sie in Konflikt geraten, die Erklärung der Ungültigkeit einer der Regeln erfordern. Als Normen, die zu erreichende Ideale statuieren, geraten die Prinzipien nicht in direkten Konflikt. Sie verschränken sich nur abstrakt. Insoweit trifft die Behauptung zu, dass die Regeln sich von den Prinzipien unterscheiden. Während eine vollständige logische Unvereinbarkeit von Regeln analytisch und abstrakt denkbar ist, ist eine vollständige abstrakte Unvereinbarkeit von

95 Jestaedt, Matthias, Grundrechtsentfaltung im Gesetz. Tübingen, Mohr Siebeck, 1999, S. 231.

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Prinzipien ohne die Untersuchung der Eigentümlichkeiten des konkreten Falls undenkbar.96 In diesem Sinn ist das Kriterium des Normenkonflikts wichtig, aber mit zusätzlichen Kennzeichnungen. Man kann eben nicht kategorisch behaupten, dass Prinzipien nur auf der konkreten Ebene und Regeln nur auf der abstrakten Ebene in Konflikt geraten. Einerseits besteht ein abstrakter Konflikt zwischen Regeln, obwohl er nur partiell ist. Selbst auf der abstrakten Ebene lässt sich prima facie ein entfernter Bereich der Anwendung eines Prinzips durch die gleichzeitige Analyse eines anderen Prinzips (bzw. anderer Prinzipien) finden. Die Untersuchung der Beziehung zwischen dem Prinzip der Meinungsfreiheit und dem Prinzip des Schutzes der Privatsphäre zeigt, wenngleich auf abstrakter Ebene, dass die Meinungsfreiheit die Intimsphäre des Bürgers nicht übermäßig beeinträchtigen darf. Es ist sogar denkbar, Konflikthypothesen vorzusortieren. Andererseits gibt es Regeln, die abstrakt miteinander auskommen, jedoch auf der konkreten Ebene in Konflikt geraten. Der schon untersuchte Fall der Pflichten des Arztes, die Wahrheit zu sagen und alle Mittel zu benutzen, um seinen Patienten zu heilen, vertragen sich sehr gut in abstracto, obgleich sie angesichts eines konkreten Falls in Konflikt geraten können, wenn etwa die Mitteilung der Wahrheit den Gesundheitszustand des Patienten verschlechtern kann. Offen bleibt die Frage, welche Definition von Prinzipien und Regeln diese abstrakte Unterscheidung zwischen Normenkategorien im Hinblick auf die vollständige logische Unvereinbarkeit auf abstrakter Ebene umfasst. Das Kriterium des werttheoretischen Fundaments ist für beide Analyseebenen brauchbar. Das werttheoretische Fundament ist sowohl auf der anfänglichen als auch auf der abschließenden Ebene wichtig, obwohl es unangemessen ist, den Wert vorerst der Norm und nicht den in Ausgang von ihr vom Rechtsanwender benutzten Gründen zuzuschreiben. Eine Klassifizierung kann nicht unter dem Vorwand, normative Arten auf der anfänglichen Ebene zu definieren, auf Elemente zurückgreifen, die von der Berücksichtigung aller Umstände abhängen. Dies bedeutet folglich, dass die Kriterien des finalen Anwendungsmodus und des Normenkonflikts für eine abstrakte Klassifizierung unangemessen sind, insofern sie von Elementen abhängen, die nur unter Berücksichtigung aller Umstände erhärtet werden können. Statt als Modell zur Erleichterung der Anwendung zu dienen, kann ihre Verwendung als Klassifikationskriterien der Normarten für die Konstruktion des Normsinns selbst ein Hindernis darstellen, vor allem für die Konstruktion des Sinns der sogenannten Regeln, sei es, weil sie die Berücksichtigung von subs96

Peczenik, Aleksander, On Law and Reason. Dordrecht, Kluwer, 1989, S. 82.

IV. Vorschlag zur Dissoziierung von Prinzipien und Regeln

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tantiellen Rechtfertigungsgründen von Entscheidungen außerhalb des vorgängigen Sinngehalts der Normtexte ausschließen können, sei es, weil sie die Konstruktion von werttheoretischen Verbindungen, die in den Elementen des normativen Systems aufscheinen können, beschränken können. Obwohl Regeln normalerweise einen Tatbestand haben, automatisch angewandt werden und unmittelbar mit anderen Regeln in Konflikt geraten, sind diese Eigenschaften, statt notwendig und zureichend für ihre Kennzeichnung als Regeln, bloß kontingent. Wenn dem so ist, ist ein anderer Klassifikationsvorschlag anzuwenden, wie nachfolgend dargelegt werden soll. c) Heuristische Dissoziierung Der hier vertretene Vorschlag kann als heuristischer gekennzeichnet werden. Wie schon untersucht worden ist, werden die Normen vom Interpreten ausgehend von Normtexten und ihrer gewöhnlichen Bedeutung konstruiert. Diese normative Kennzeichnung hängt von werttheoretischen Zusammenhängen ab, die nicht dem Text einverleibt sind und ihm auch nicht zugehören, sondern vielmehr vom Interpreten konstruiert werden. Deshalb ist die Unterscheidung zwischen Prinzipien und Regeln nicht eine Unterscheidung sei es von empirischem Wert, die vom Gegenstand der Interpretation selbst gestützt wird, sei es von abschließendem Wert, die nicht eine vollständige Vorwegnahme des Normsinns und des Modus seiner Erreichung erlaubt. Statt dessen verwandelt sie sich in eine Unterscheidung, die den heuristischen Wert bevorzugt, insofern sie als Modell oder provisorische Arbeitshypothese im Hinblick auf eine spätere Rekonstruktion von Normgehalten fungiert, ohne jedoch irgendein strikt deduktives Begründungs- oder Entscheidungsverfahren in Bezug auf diese Gehalte zu gewährleisten.97 d) Dissoziierung in inklusiven Alternativen Der hier vertretene Vorschlag unterscheidet sich von den anderen, da er die Koexistenz unterschiedlicher Arten von Normen aufgrund eines und desselben Normtexts zulässt. Ein oder mehrere Normtexte können als Bezugspunkte für die Konstruktion von Regeln, Prinzipien und Postulaten fungieren. Statt exkludierender Alternativen zwischen den Normarten, bei denen die Existenz einer Art die der übrigen ausschließen würde, wird eine Klassifikation vorgeschlagen, 97 Über die Bedeutung von ,heuristischem Wert‘ s. Schepers, H., Heuristik, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1974. Bd. 3, Sp. 1119; Hage, Jaap C., Reasoning with Rules. An Essay on Legal Reasoning and Its Underlying Logic. Dordrecht, Kluwer, 1997, S. 121; Ferraz Jr., Tercio, Função social da dogmática jurídica. São Paulo, Max Limonad, 1997, S. 123.

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B. Normen erster Stufe: Anzuwendende Normen

die inklusive Alternativen zulässt, in dem Sinn, dass die Normtexte gleichzeitig mehr als eine Normart erzeugen können. Ein oder mehrere Normtexte oder selbst die sich aus ihnen ergebende logische Implikation können eine unmittelbare Verhaltensdimension (Regel), eine finalistische Dimension (Prinzip) und/ oder eine methodische Dimension (Postulat) aufweisen. Sehen wir uns den verfassungsrechtlichen Normtext, nach dem das Gesetz im formalen Sinn erforderlich ist, um Abgaben einzuführen oder zu erhöhen, näher an. Es ist plausibel, ihn als Regel, als Prinzip und als Postulat zu untersuchen. Als Regel, da er die Geltung der Einführung oder Erhöhung von Abgaben von der Einhaltung eines bestimmten Verfahrens abhängig macht, das in der Annahme einer spezifischen Normquelle – des Gesetzes – gipfelt. Als Prinzip, da er die Verwirklichung der Werte der Freiheit und der Rechtssicherheit als geboten statuiert. Und als Postulat, da er die Auslegung und Anwendung an das Gesetz und das Recht bindet und damit vorab die Verwendung von rechtsordnungsfremden Parametern ausschließt. Untersuchen wir den verfassungsrechtlichen Normtext, nach dem alle Menschen gleich zu behandeln sind. Es ist plausibel, ihn als Regel, als Prinzip und als Postulat anzuwenden. Als Regel, da er z. B. die Einführung oder Erhöhung von Abgaben verbietet, die nicht für alle Steuerzahler gleich sind. Als Prinzip, da er die Verwirklichung des Gleichheitswerts als geboten statuiert. Und als Postulat, da er ein Gebot der Vergleichung statuiert, das bei der Auslegung und Anwendung zu befolgen ist, und damit vorab Kriterien der Ungleichbehandlung ausschließt, die nicht in der Rechtsordnung selbst enthalten sind.98 Die vorstehenden Erwägungen sind deshalb wichtig, um zu beweisen, dass die Unterscheidungen, die exklusive Alternativen zwischen den normativen Arten vorschlagen, verbesserungsfähig sind. Einige Beispiele zeigen dies in Evidenz. Für einige ist das Rückwirkungsverbot eine objektive Regel.99 Für andere ist es ein Prinzip.100 Für einige sind Immunitäten Regeln.101 Für andere sind sie Prinzipien.102 Und so geht es weiter, wie bei den von Lessa beschriebenen Reitern, die sich aufeinander zubewegen, auf einer Esplanade, auf der eine mit einem auf der einen Seite goldenen, auf der anderen Seite silbernen Schild bewehrte Statue aufgestellt ist, und die heftig miteinander kämpfen, wobei jeder 98 Michael, Lothar, Der allgemeine Gleichheitssatz als Methodennorm komparativer Systeme. Berlin, Duncker & Humblot, 1997, S. 48. 99 Greco, Marco Aurélio, Contribuições (uma figura „sui generis“). São Paulo, Dialética, 2000, S. 168. 100 Mendonça, Maria Luiza Vianna Pessoa de, O princípio constitucional da irretroatividade da lei. Belo Horizonte, Del Rey, 1996, S. 59 ff. 101 Derzi, Misabel de Abreu Machado, Notas a Baleeiro, Aliomar, Limitações constitucionais ao Poder de Tributar. 7. Aufl. Rio de Janeiro, Forense, 1997, S. 228. 102 Pestana, Márcio, O princípio da imunidade tributária. São Paulo, Revista dos Tribunais, 2001, S. 63.

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behauptet, dass der Schild nur aus dem Metall, das er auf seiner Seite sehen kann, besteht.103 Nun darf allerdings nicht die Tatsache verkannt werden, dass die Normtexte, die den Ausgangspunkt für die normative Konstruktion abgeben, sowohl eine Regel erzeugen können, falls der Verhaltenscharakter vom Rechtsanwender zu Lasten des sie stützenden Zwecks bevorzugt wird, als auch ein Prinzip begründen können, falls der Wertaspekt verselbständigt wird, um auch in andere Kontexte eingebettete Verhaltensweisen zu erfassen. Ein Normtext, dessen vorgängige Bedeutung ein Verhalten zur Erhaltung eines Werts bestimmt und der somit als Regel klassifiziert würde, erlaubt, dass dieser Wert verselbständigt wird, um andere, nicht beschriebene und für seine Verwirklichung notwendige Verhaltensweisen zu fordern. So kann beispielsweise die Bedeutung des Normtexts, der bestimmt, dass Abgaben nur durch Gesetz eingeführt werden können, als Regel klassifiziert werden, insofern die Wahl eines parlamentarischen Verfahrens das prima facie vorgeschriebene Verhalten ist. Das will jedoch nicht besagen, dass dasselbe Verhalten, wenn wir das Problem in anderer Perspektive fokussieren, nicht auch in seiner finalistischen Bedeutung der Gewährleistung der Sicherheit und Stabilität der Tätigkeiten der Steuerzahler untersucht werden kann. In diesem Fall endet die Voraussicht des Verhaltens auf indirekte Weise und bewahrt einen Wert, der sich verselbständigt und die Übernahme anderer Verhaltensweisen auf unabhängige Weise verlangt. Man kann behaupten, dass bei der Bindung der Einführung von Abgaben an die Bedingung der Veröffentlichung eines Gesetzes (Art. 150 I) die Bundesverfassung einen Freiraum für freie Initiative statuiert hat, der vom Gesetzgeber durch die Zulassung von für seine Förderung notwendigen Verhaltensweisen gefördert werden muss, wie beispielsweise durch die Zulassung der Steuerplanung. In diesem Fall erzeugt der Normtext am Ende ein Prinzip. Diese Erwägungen zeigen, dass ein und derselbe Normtext Ausgangspunkt für die Konstruktion von Regeln und Prinzipien sein kann, sofern das vorgesehene Verhalten unter verschiedenen Perspektiven untersucht wird, da ein und derselbe Normtext nicht gleichzeitig und unter demselben Aspekt ein Prinzip und eine Regel sein kann. Vorgeschlagen wird hier genau die Überwindung dieser Fragestellung, die sich auf eine exklusive Alternative der Normarten stützt, zugunsten einer auf die mehrdimensionale Natur der Normsätze aufgrund der schon dargelegten Gründe.104 Diese Studie schlägt nicht nur die Überwindung eines dualen Modells der Trennung von Regeln und Prinzipien vor, das sich auf die Kriterien der Tatbestandsmäßigkeit und des Anwendungsmodus stützt und dessen Grundlage exklu103

Lessa, Pedro, Biblioteca Internacional de Obras Célebres. Bd. 11, S. 1049. Vgl. zu diesem Thema Figueroa, Alfonso García, Principios y positivismo jurídico. Madrid, Centro de Estudios Políticos y Constitucionales, 1998, S. 151. 104

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sive Alternativen sind. Es schlägt auch die Übernahme eines dreigliedrigen Modells der Dissoziierung von Regeln, Prinzipien und Postulaten vor, das neben der Dissoziierung von Regeln und Prinzipien im Hinblick auf die von ihnen statuierte Pflicht, die von ihnen geforderte Rechtfertigung und die Art ihres Beitrags zur Konfliktlösung diesen Normkategorien die Figur der Postulate hinzufügt, die als methodische normative Instrumente definiert werden, d.h. als Kategorien, die bei der Anwendung der Regeln und Prinzipien einzuhaltende Bedingungen durchsetzen und nicht mit Regeln und Prinzipien zu verwechseln sind.105 Auf Letztere gehen wir später noch ein. 2. Dissoziierungskriterien a) Kriterium der Natur des vorgeschriebenen Verhaltens Regeln lassen sich von Prinzipien im Hinblick auf die Art und Weise, auf welche sie ein Verhalten vorschreiben, dissoziieren. Während die Regeln unmittelbar deskriptive Normen sind, insofern sie Verpflichtungen, Erlaubnisse und Verbote vermittels der Beschreibung des zu wählenden Verhaltens statuieren, sind die Prinzipien unmittelbar finalistische Normen, da sie einen Zustand angeben, für dessen Verwirklichung die Wahl bestimmter Verhaltensweisen notwendig ist. Prinzipien sind Normen, deren sichtbare Eigenschaft genau die Bestimmung der Verwirklichung eines rechtlich relevanten Zwecks ist, während die vordergründige Eigenschaft von Regeln die Voraussicht des Verhaltens ist. Prinzipien etablieren in der Tat einen zu erreichenden Idealzustand (state of affairs), im Hinblick auf welchen der Rechtsanwender die Angemessenheit des zu wählenden oder schon gewählten Verhaltens festzustellen hat, um diesen Idealzustand zu schützen. Der Idealzustand kann als eine durch bestimmte Eigenschaften gekennzeichnete Situation verstanden werden. Er wird zu einem Zweck, wenn jemand die Eigenschaften, die in dieser Situation gegeben sind, erreichen, genießen oder besitzen will.106 So bestimmt etwa das Rechtsstaatsprinzip Idealzustände wie die Existenz der Verantwortlichkeit (des Staats), die Vorhersehbarkeit (der Gesetzgebung), das Gleichgewicht (zwischen öffentlichen und privaten Interessen) und den Schutz (der Rechte des Einzelnen), für deren Verwirklichung die Wahl von bestimmten Verhaltensweisen unverzichtbar ist, wie etwa die Einrichtung von Klageformen, die ermöglichen, den Staat zur Verantwortung zu ziehen, die Veröffentlichung der Gesetze vor ihrem Inkrafttreten, die Achtung der Privatsphäre und die Gleichbehandlung. Um es kurz zu sagen: 105 Ávila, Humberto Bergmann, A distinção entre princípios e regras e a redefinição do dever de proporcionalidade. RDA (215):151–2, Rio de Janeiro, Renovar, Januar–März 1999. 106 Wright, Georg von, Rationalität: Mittel und Zwecke, in: Normen, Werte und Handlungen. Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1994, S. 127.

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indem sie zu erreichende Zwecke festlegen, verlangen die Prinzipien nach der Förderung eines Zustands – von Rechtsgütern –, der notwendige Verhaltensweisen zu ihrer Bewahrung oder Verwirklichung voraussetzt. Deshalb sind sie deontisch-teleologischer Natur: deontisch, weil sie Gründe für die Existenz von Verpflichtungen, Genehmigungen oder Verboten angeben, teleologisch, weil diese Verpflichtungen, Genehmigungen oder Verbote aus den aus einem bestimmten Verhalten hervorgehenden Wirkungen erfolgen, die einen bestimmten Zustand bewahren oder fördern.107 Aus diesem Grund wird behauptet, dass die Prinzipien Normen des gesollten Seins (ought-to-be-norms) sind: ihr Gehalt bezieht sich auf einen Idealzustand (state of affairs).108 Aufgrund der vorhergehenden Erwägungen und auf der Grundlage der Schriften von Wright lässt sich behaupten, dass die Prinzipien eine Art praktischer Notwendigkeit statuieren. Sie schreiben einen Idealzustand vor, der nur dann verwirklicht werden kann, wenn eine bestimmte Verhaltensweise gewählt wird.109 Regeln können dagegen als mittelbar zweckbestimmte Normen definiert werden, d.h. als Normen, die indirekt Zwecke festlegen, für deren Konkretisierung sie mit größerer Exaktheit die gebotene Verhaltensweise festlegen, weshalb sie weniger intensiv von ihrer Beziehung zu anderen Normen und von institutionell legitimierten Interpretationsakten zur Bestimmung des gebotenen Verhaltens abhängen. Regeln sind also Vorschriften, deren sichtbares Element deskriptiver Natur ist. Deshalb sind sie deontisch-deontologischer Natur: deontisch, weil sie Gründe für das Vorliegen von Verpflichtungen, Genehmigungen oder Verboten angeben, deontologisch, weil die Verpflichtungen, Genehmigungen oder Verbote sich aus einer Norm herleiten, die angibt, „was“ zu tun ist.110 Aus diesem Grund wird behauptet, dass Regeln Normen des zu Tuenden (ought-to-donorms) sind: ihr Gehalt bezieht sich unmittelbar auf Handlungen (actions).111 Beide Normen können jedoch sowohl unter dem Gesichtspunkt des Verhaltens als auch unter dem finalistischen Gesichtspunkt untersucht werden: Regeln statuieren die Pflicht der Wahl des deskriptiv vorgeschriebenen Verhaltens, Prinzipien die Pflicht der Wahl des notwendigen Verhaltens zur Verwirklichung des Idealzustands. Regeln schreiben ein Verhalten vor, um einen bestimmten 107 Hage, Jaap C., Reasoning with Rules. An Essay on Legal Reasoning and Its Underlying Logic. Dordrecht, Kluwer, 1997, S. 67. 108 Aarnio, Aulis, Reason and Authority. A Treatise on the Dynamic Paradigm of Legal Dogmatics. Aldershot, Ashgate, 1997, S. 183; Peczenik, Aleksander, On Law and Reason. Dordrecht, Kluwer, 1989, S. 74. 109 Wright, Georg Henrik von, Sein und Sollen, in: Normen, Werte und Handlungen. Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1994, S. 36. 110 Hage, Jaap C., Reasoning with Rules. An Essay on Legal Reasoning and Its Underlying Logic. Dordrecht, Kluwer, 1997, S. 67. 111 Aarnio, Aulis, Reason and Authority. A Treatise on the Dynamic Paradigm of Legal Dogmatics. Aldershot, Ashgate, 1997, S. 181.

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Zweck zu erreichen, und Prinzipien statuieren die Pflicht, einen Idealzustand vermittels der dazu notwendigen Verhaltensweisen zu verwirklichen oder zu bewahren. Deshalb konzentriert sich die Unterscheidung auf die Nähe ihrer unmittelbaren oder mittelbaren Beziehung zu Zwecken, die zu erreichen, und Verhaltensweisen, die zu wählen sind. Dies ermöglicht dem Rechtsanwender, von vornherein zu wissen, dass sowohl Prinzipien als auch Regeln sich auf Zwecke und Verhaltensweisen beziehen: Regeln sehen Verhaltensweisen vor, die der Erreichung von gebotenen Zwecken dienen, während Prinzipien Zwecke vorsehen, deren Erreichung von notwendigen Verhaltensweisen abhängt. b) Kriterium der Natur der geforderten Rechtfertigung Regeln können von den Prinzipien nach der Rechtfertigung, die sie erfordern, dissoziiert werden. Die Auslegung und Anwendung von Regeln erfordert eine Bewertung der Entsprechung von begrifflicher Konstruktion der Fakten und begrifflicher Konstruktion der Norm und des sie stützenden Zwecks, während die Interpretation und Anwendung der Prinzipien eine Bewertung der Korrelation des als Zweck gesetzten Idealzustands mit den aus dem als notwendig unterstellten Verhalten sich ergebenden Wirkungen erfordert. Dieser Punkt ermöglicht die Feststellung, dass der Unterschied zwischen den Normkategorien nicht auf den Anwendungsmodus ,Alles oder Nichts‘ oder ,Mehr oder weniger‘ zentriert ist, sondern auf die zu seiner Anwendung notwendige Rechtfertigungsweise. Das gewählte Kriterium fokussiert nicht den finalen Anwendungsmodus, ob absolut oder relativ, da dieser sich nur am Ende bestätigen lässt. Das gewählte Kriterium untersucht die zur Anwendung notwendige Rechtfertigung, die vorab bewertet werden kann. Da bei Regeln eine stärkere Verhaltensbestimmung infolge der deskriptiven oder definitorischen Natur der präskriptiven Aussage gilt, muss der Anwender so argumentieren, dass er eine Bewertung der Entsprechung von Tatsachenkonstruktion, normativer Beschreibung und dem sie stützenden Zweck begründet.112 Die Prognose eines zukünftigen Zustands ist unmittelbar irrelevant. Deshalb sagt man, dass Regeln statt eines finalistischen ein deskriptives Element haben.113 Da die Entsprechung leicht nachzuweisen ist, ist die Argumentationslast geringer, insofern die normative Beschreibung schon rein als solche die Rechtfertigung abgibt. Wenn die begriffliche Konstruktion der Tatsache, obwohl sie der begrifflichen Konstruktion der normativen Beschreibung ent112 Summers, Robert, Two Types of Substantive Reasons: The Core of a Theory of Common-Law Justification. The Jurisprudence of Law’s Form and Substance (Collected Essays in Law). Alderhot, Ashgate, 2000, S. 155–236 (224). 113 Hage, Jaap C., Reasoning with Rules. An Essay on Legal Reasoning and Its Underlying Logic. Dordrecht, Kluwer, 1997, S. 116.

IV. Vorschlag zur Dissoziierung von Prinzipien und Regeln

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spricht, sich nicht dem sie stützenden Zweck anpasst oder aus anderen Gründen überwunden wird, wird die Argumentationslast viel größer sein. Das sind dann die sogenannten schwierigen Fälle. Stellen wir uns beispielsweise ein Gesetz vor, das den Taxi- und Kleinbusfahrern die Beförderung von Fahrgästen mit Tieren, insbesondere Hunden, verbietet. Falls ein Fahrzeug bei der Beförderung von Tieren erwischt wird, wird seinem Fahrer ein Bußgeld auferlegt. Die genannte Norm wäre im Rahmen des hier dargelegten Klassifikationsmodells eine Regel und würde als solche eine absolute Verpflichtung statuieren: Falls der Fahrer Tiere zulassen würde und die Regel gültig wäre, müsste die Strafe verhängt werden. Trotzdem kann das Straßenverkehrsamt von der Auferlegung des Bußgelds in den Fällen absehen, in denen die Fahrgäste blind und auf Blindenhunde angewiesen sind. Nochmals beschränkt sich die Anwendung der Regeln nicht auf die Definition des Tiers oder des Hundes. Im Fall einer Divergenz zwischen dem semantischen Gehalt einer Regel (z. B. Beförderung von Hunden in Transportfahrzeugen) und der sie stützenden Rechtfertigung (z. B. Förderung der Verkehrssicherheit) endet der Ausleger in Ausnahmefällen, die sich begründen lassen, bei der Untersuchung von Gründen, um den Inhalt der Regel selbst anzupassen. In diesem Fall erlaubt die Untersuchung des Zwecks der Norm selbst (rule’s purpose) die Absehung von der Subsumtion von vorgängig subsumierbaren Fällen unter die normative Hypothese. Für die uns hier interessierende Argumentation bedeutet dies, dass unter bestimmten Umständen der die Regel erzeugende Grund mit den wesentlichen Gründen ihrer Nichteinhaltung abzuwägen ist, aufgrund des Zwecks der Regel selbst oder anderer Prinzipien. Um dies vorzunehmen, bedarf es allerdings einer Begründung, welche die Bedeutung der die unbedingte Einhaltung der Regel stützenden Autoritätsgründe überwinden kann. Das Unterscheidungsmerkmal für eine Regel ist also auf keinen Fall die Einhaltung, sondern etwas ganz Anderes, nämlich die Art und Weise, wie von ihrer vollständigen Anwendung abzusehen ist. Im Fall der Prinzipien weicht das deskriptive Element dem finalistischen, weshalb der Anwender so argumentieren muss, dass er eine Bewertung der Korrelation zwischen den Wirkungen des zu wählenden Verhaltens und der graduellen Verwirklichung des geforderten Idealzustands begründet. Da es sich nicht um den Nachweis einer Entsprechung handelt, ist die Argumentationslast stabil, gibt es keine leichten und schwierigen Fälle. Und da es keine Beschreibung des Verhaltensinhalts gibt, hängt die Interpretation des normativen Gehalts der Prinzipien mit höherer Intensität von der problematischen Untersuchung ab. Die Motivationsprinzipien von Verwaltungsakten und der Moralität der öffentlichen Verwaltung lassen sich in der Tat nicht ohne die Untersuchung von Fällen konstruieren, in denen sie angewandt worden sind bzw. nicht angewandt sind, aber hätten angewandt werden müssen. Daher der größere Analysebedarf bei paradigmatischen Fällen der Erforschung des normativen Gehalts von Prinzipien: es müssen Fälle untersucht werden, deren Lösung, obgleich auf verallgemeine-

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B. Normen erster Stufe: Anzuwendende Normen

rungsfähige Werte gestützt, das Paradigma für andere ähnliche Fälle abgeben kann, wie später noch zu untersuchen sein wird.114 Wichtig ist der Umstand, dass die Unterscheidung von Regeln und Prinzipien auf vom Anwender unterschiedene Kenntnisse und Fähigkeiten bzw. des Gegenstands und der Rechtfertigungsart der Auslegungsentscheidung verweist.115 Die Regeln und Prinzipien unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Rechtfertigungskraft und ihres Bewertungsgegenstands. Da sie aus unmittelbar deskriptiven und mittelbar finalistischen Normen bestehen, wird die Entscheidungsrechtfertigung vermittels der Bewertung der Kongruenz von begrifflicher Konstruktion der Tatsachen und begrifflicher Konstruktion der Norm ausgearbeitet. Da die Prinzipien unmittelbar finalistische Normen und mittelbar Verhaltensnormen sind, wird die Rechtfertigung der Auslegungsentscheidung vermittels einer Bewertung der Wirkungen desjenigen Verhaltens ausgearbeitet, das als notwendiges Mittel zur Förderung eines von der Norm als zu erreichenden Ideals bestimmten Zustands angesehen wird. Man bemerke, dass der hier behandelte Punkt indiziert, dass die Prinzipien mit geringerer Bestimmtheit das für ihre Konkretisierung notwendige Verhalten angeben. Damit wird nicht behauptet, dass Prinzipien ein scheinbar deskriptives Element haben, wie im Fall der Regeln. Stattdessen soll unterstrichen werden, dass die Prinzipien, insofern sie die Suche nach einem Idealzustand oder seine Bewahrung durchsetzen, am Ende die Wahl der für seine Verwirklichung notwendigen Verhaltensweisen vorschreiben, selbst ohne die vorgängige Beschreibung dieser Verhaltensweisen. Anders gewendet: die Prinzipien bestimmen nicht unmittelbar den Verhaltensgegenstand, aber seine Art. Die vorhergehenden Erwägungen erlauben auch die Behauptung, dass die Regeln eine retrospektive Natur (past-regarding) annehmen, insofern sie eine dem Gesetzgeber bekannte Zustandssituation beschreiben, anders als die Prinzipien, die prospektiver (future-regarding) Natur sind, da sie den zu konstruierenden Zustand angeben.116 Diese Unterscheidung muss jedoch mit Vorbehalten versehen werden. Die Prognose der sich ereignenden Tatsachen berücksichtigt die in der Vergangenenheit angehäufte Erfahrung. Es ist nicht möglich zu bewerten, welches menschliche Verhalten zur Erreichung eines Idealzustands angemessen ist, ohne vergangene Verhaltensweisen und ihre Beziehung zu einem schon erreichten Zustand zu berücksichtigen. Es ist also nicht richtig, zu behaupten, 114 Canaris, Claus-Wilhelm, Funktion, Struktur und Falsifikation juristischer Theorien. JZ 1993, S. 380. 115 Summers, Robert, Two Types of Substantive Reasons: The Core of a Theory of Common-Law Justification. The Jurisprudence of Law’s Form and Substance (Collected Essays in Law). Alderhot, Ashgate, 2000, S. 155–236 (224). 116 Summers, Robert, Two Types of Substantive Reasons: The Core of a Theory of Common-Law Justification. The Jurisprudence of Law’s Form and Substance (Collected Essays in Law). Alderhot, Ashgate, 2000, S. 155–236 (169).

IV. Vorschlag zur Dissoziierung von Prinzipien und Regeln

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dass nur die Regeln eine wertende Kennzeichung vergangener Tatsachen vornehmen. Man kann dagegen behaupten, dass Regeln Normen primär retrospektiver Natur sind und Prinzipien Normen primär prospektiver Natur. Jedoch nicht mehr als dies.

c) Kriterium des Maßes des Beitrags zur Entscheidung Die Regeln lassen sich von den Prinzipien hinsichtlich der Art und Weise, auf welche sie zur Entscheidung beitragen, unterscheiden. Die Prinzipien bestehen aus primär ergänzenden und vorgängig partiellen Normen, insofern sie, zumal sie nur einen Teil der für eine Entscheidungsfindung relevanten Aspekte umfassen, nicht die Erzeugung einer spezifischen Lösung beanspruchen, sondern, neben anderen Gründen, einen Beitrag zur Entscheidungsfindung. So hat etwa das Prinzip des Verbraucherschutzes keinen Monopolanspruch im Sinn der Vorschrift aller und jedweder Verbraucherschutzmaßnahmen. Es zielt auf diejenigen Vorschriften, welche mit anderen zur Förderung anderer Zwecke notwendigen Maßnahmen harmonisiert werden können, wie die freie Initiative und das Eigentum. Regeln bestehen dagegen in vorab entscheidenden und umfassenden Normen, insofern sie trotz des Anspruchs auf Umfassung aller für die Entscheidungsfindung relevanten Aspekte die Absicht verfolgen, eine spezifische Lösung für den Konflikt zwischen Gründen zu erzeugen. So legt beispielsweise der Normtext, der die Kompetenz von Gebietskörperschaften zur Einführung von Steuern auf Bücher, Zeitungen und Zeitschriften ausschließt (Art. 150, VI, d der brasilianischen Verfassung) im Voraus fest, welche Gegenstände vorab von der Besteuerungsbefugnis ausgenommen sind und hinsichtlich dieses Aspekts des Ausschlusses von der Besteuerungsbefugnis in der Art Regeln klassifiziert werden können. In diesem Sinn beansprucht er zu bestimmen, dass nur Bücher, Zeitungen und Zeitschriften nicht Gegenstand der Besteuerung sein können und entfernt von vornherein jegliche Zweifel hinsichtlich des Einschlusses anderer Gegenstände, wie Bilder oder Skulpturen, in seinen Anwendungsbereich. Dies würde nicht geschehen, falls die Bundesverfassung, statt die durch die Steuerfreiheit umfassten Gegenstände im Voraus festzulegen, nur statuieren würde, dass aus der Besteuerung alle zur Äußerung der Meinungsfreiheit in Denken oder Kunst notwendigen Gegenstände ausgeschlossen werden. In diesem Fall würde die Lösung des Konflikts zwischen Pro- und Kontra-Gründen und zugunsten des Einschlusses bestimmter Gegenstände in den Normbereich offen bleiben. Dieser Punkt unterstreicht die stärkere Abhängigkeit zwischen Prinzipien. Deshalb wird auch das zwischen ihnen waltende Verschränkungsverhältnis hervorgehoben. Dies geschieht eben deswegen, weil die Prinzipien zu erreichende

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B. Normen erster Stufe: Anzuwendende Normen

Wertrichtlinien statuieren, ohne vorab zu beschreiben, welches das in Ansehung dieses Ziels notwendige Verhalten wäre. Diese Wertrichtlinien kreuzen sich auch wechselseitig in verschiedenen, nicht notwendig konfligierenden Richtungen. Prinzipien haben also einen Anspruch auf Komplementarität, insofern sie, da sie nur einen Teil der für eine Entscheidungsfindung relevanten Aspekte umfassen, nicht den Anspruch haben, eine spezifische Lösung zu erzeugen, sondern neben anderen Gründen zur Entscheidungsfindung beitragen wollen. Prinzipien sind also Normen mit einem Anspruch auf Komplementarität und Partialität. Stattdessen haben die Regeln einen Endgültigkeitsanspruch, insofern sie, da sie alle für die Entscheidungsfindung relevanten Aspekte umfassen wollen, den Anspruch anmelden, eine spezifische Lösung für das Problem zu erzeugen.117 Die Erfüllung der Anwendbarkeitsbedingungen ist der Regelanwendungsgrund selbst. Regeln sind also vorab entscheidende und umfassende Normen. Hervorzuheben ist, dass Regeln nur vorab entscheidend sind. Dies bedeutet, dass sie insofern nicht entscheidend sind, als ihre Anwendbarkeitsbedingungen erfüllt werden können und sie trotzdem nicht anwendbar sind, infolge der Berücksichtigung von Ausnahmegründen, welche den die normale Anwendung der Regel stützenden Grund selbst überwinden. Dieses Phänomen wird Fähigkeit zur Überwindung („defeasability“) genannt. Erinnert wird daran, dass dieser Punkt, wenn die intensivere Abhängigkeit der Prinzipien in Bezug auf andere Rechtsordnungsnormen genannt wird, weder die Abwägung von Gründen noch gar die Komplementarität im Fall der Regelanwendung ausschließt. Dieser Punkt hebt schließlich die konstitutive Mitarbeit der Rechtsanwender bei der Konkretisierung der Prinzipien hervor. Gerade weil die Prinzipien zu verwirklichende Zwecke statuieren, hängen die zu ihrer Verwirklichung angemessenen Verhaltensweisen und sogar die Begrenzung ihrer normativen Profile viel mehr als bei den Regeln von Akten der Judikative, der Legislative und der Exekutive ab, ohne welche die Prinzipien keine Normativität erlangen.

117 Hage, Jaap C., Reasoning with Rules. An Essay on Legal Reasoning and Its Underlying Logic. Dordrecht, Kluwer, 1997, S. 116.

IV. Vorschlag zur Dissoziierung von Prinzipien und Regeln

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d) Schematische Darstellung Prinzipien

Regeln

unmittelbare Pflicht

Förderung eines Idealzustands

Wahl des beschriebenen Verhaltens

mittelbare Pflicht

Wahl des notwendigen Verhaltens

Erhaltung der Treue gegenüber dem zugrundliegenden Zweck und den ranghöheren Prinzipien

Rechtfertigung

Korrelation von Verhaltenswirkungen und Idealzustand

Entsprechung von Normbegriff und Tatsachenbegriff

Entscheidbarkeitsanspruch

Wettbewerb und Partialität

Ausschließlichkeit und Komprehensivität (Umfassung)

3. Konzeptueller Vorschlag für Regeln und Prinzipien An diesem Punkt können wir zu einer Schlussfolgerung kommen und eine Konzeptualisierung von Regeln und Prinzipien vorschlagen: Regeln sind unmittelbar deskriptive, primär retrospektive und mit einem Entscheidbarkeits- und Umfassungsanspruch ausgestattete Normen, deren Anwendung die Bewertung der Entsprechung von begrifflicher Konstruktion der normativen Beschreibung und begrifflicher Konstruktion der Tatsachen erfordert. Diese Bewertung richtet sich immer am Zweck aus, der sie stützt, oder an den werttheoretisch höherrangigen Prinzipien. Diese Regeln sind Verhaltensregeln (behavioral rules, Handlungssätze) oder Kompetenzregeln (competence norms oder power conferring rules). Beide aber haben dieselben Elemente, weil auch die Kompetenzregel, wenn sie einem bestimmten Subjekt die Eigenschaft zuschreibt, die Kompetenz zur Durchführung eines bestimmten Rechtsatzes in einer gegebenen Materie zu besitzen, die Bewertung der Entsprechung von begrifflicher Konstruktion der normativen Beschreibung von materiellem Anwendungsbereich und begrifflicher Konstruktion der Tatsachen erfordert.118 Prinzipien sind unmittelbar finalistische, primär prospektive und mit einem Komplementaritäts- und Partialitätsanspruch ausgestattete Normen, zu deren Anwendung eine Bewertung der Korrelation von zu förderndem Zustand und den aus dem förderungsnotwendigen Verhalten sich ergebenden Wirkungen erforderlich ist.

118

Beltrán, Jordi Ferrer, Las normas de competencia. Madrid, 2000, S. 127.

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B. Normen erster Stufe: Anzuwendende Normen

Wie man sieht, sind Prinzipien unmittelbar finalistische Normen. Sie statuieren einen zu erreichenden Zweck. Wie Weinberger zu Recht definiert, ist ein Zweck eine Idee, die eine praktische Orientierung ausdrückt. Das konstitutive Element des Zwecks ist die Fixierung eines Inhalts als einen gewollten. Diese Erklärung ist nur verständlich in Bezug auf die pragmatische Funktion von Zwecken: Sie stellen eine richtunggebende Funktion für die Bestimmung des Verhaltens dar. Gegenstand des Zwecks sind gewünschte Inhalte. Diese können ihrerseits die Reichweite einer Endsituation sein (an einen bestimmten Ort reisen), die Verwirklichung einer Situation oder eines Zustands (Gewährleistung der Voraussehbarkeit), die Bemühung um eine anhaltende Situation (Erhaltung des Wohlbefindens von Personen) oder das Engagement in einem langwierigen Prozess (Erlernung der deutschen Sprache). Der Zweck muss nicht notwendig irgendeinen Endzustand darstellen, sondern nur einen gewünschten Inhalt haben. Deshalb wird gesagt, dass der Zweck einen zu erreichenden Idealzustand festlegt, als allgemeine Form zur Ordnung der verschiedenen Inhalte eines Zwecks. Die Zwecksetzung ist der Ausgangspunkt der Suche nach den Mitteln. Diese können als Bedingungen (Gegenstände, Situationen) definiert werden, welche die graduelle Förderung des Zweckinhalts verursachen. Daher stammt die Vorstellung, dass die Mittel und Zwecke korrelate Begriffe sind.119 So erfordert beispielsweise das Prinzip der Verwaltungsmoralität die Verwirklichung oder Erhaltung eines in Loyalität, Seriosität, eifrigem Bemühen, exemplarischer Haltung, gutem Glauben, Aufrichtigkeit und Motivation sichtbaren Zustands.120 Zur Verwirklichung dieses Idealzustands sind bestimmte Verhaltensweisen notwendig. Um den Zustand der Loyalität und des guten Glaubens zu verwirklichen, muss das Versprochene eingehalten werden. Um einen Zustand der Seriosität zu verwirklichen, ist es von wesentlicher Bedeutung, aus seriösen Beweggründen heraus zu handeln. Um eine Situation des eifrigen Bemühens zu schaffen, ist es von grundlegender Bedeutung, mit dem Bürger zusammenzuarbeiten und ihn über seine Rechte und deren Schutzmöglichkeiten zu informieren. Um einen Zustand zu konkretisieren, in dem Aufrichtigkeit herrscht, ist es unerlässlich, die Wahrheit zu sagen. Um die Motivation zu gewährleisten, ist es notwendig, zu sagen, warum man handelt. Ohne diese Verhaltensweisen trägt man nicht zur Existenz des von der Norm statuierten Idealzustands bei und erreicht daher auch nicht den Zweck. Das Prinzip wird somit nicht konkretisiert. Wenn dieser Zustand anzustreben ist und sich nur vermittels bestimmter Verhaltensweisen verwirklicht, ist es wichtig, dass diese Verhaltensweisen praktische Notwendigkeiten sind, ohne deren Wirkungen die fortschreitende Förde119

Weinberger, Ota, Rechtslogik. 2. Aufl. Berlin, Duncker & Humblot, 1989, S. 283. Modesto, Paulo, Controle jurídico do comportamento ético da administração pública no Brasil. RDA (209):77, Rio de Janeiro, Renovar, 1997. 120

IV. Vorschlag zur Dissoziierung von Prinzipien und Regeln

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rung des Zwecks nicht erfolgt. Wie Weinberger behauptet, führt die MittelZweck-Relation zur Übertragung der Zweckintentionalität auf die Mittelintentionalität.121 In anderen Worten, die Positivierung von Prinzipien impliziert die Verbindlichkeit der Wahl der zu ihrer Verwirklichung notwendigen Verhaltensweisen. Diese Erwägungen zeigen, dass Prinzipien nicht nur Werte sind, deren Verwirklichung von rein persönlichen Präferenzen abhängt. Sie sind gleichzeitig mehr als dies und auch etwas Anderes. Prinzipien statuieren die Pflicht der Wahl der für die Verwirklichung eines Zustands notwendigen Verhaltensweisen oder, umgekehrt, die Pflicht der Verwirklichung eines Zustands durch die Wahl der dafür notwendigen Verhaltensweisen. Diese Untersuchungsperspektive stellt heraus, dass Prinzipien Verhaltensweisen implizieren, wenn auch auf indirektem und regressivem Weg. Darüber hinaus erlaubt diese Untersuchung auch noch die Feststellung, dass Prinzipien, obschon sie unbestimmt zu sein scheinen, dies durchaus nicht sind. Es mag sogar eine Ungewissheit bezüglich des Inhalts des zu wählenden Verhaltens geben, aber diese besteht nicht bezüglich seiner Art: Geboten ist, was zur Förderung des Zwecks notwendig ist. Man ersieht sofort, dass die Prinzipien, obwohl sie auf Werte bezogen sind, sich nicht mit diesen verwechseln lassen. Prinzipien beziehen sich insofern auf Werte, als die Setzung von Zwecken eine positive Kennzeichnung des Zustands, den man zu fördern wünscht, impliziert. Sie entfernen sich jedoch von ihnen, da, während die Prinzipien auf deontologischer Ebene angesiedelt sind und folglich die Verbindlichkeit der Wahl der für die graduelle Förderung eines Zustands notwendigen Verhaltensweisen statuieren, die Werte auf werttheoretischer oder rein teleologischer Ebene angesiedelt sind und folglich einem bestimmten Element nur eine positive Eigenschaft zuschreiben.122 Die Regeln werden in dieser Arbeit als unmittelbar deskriptive, primär retrospektive und Entscheidbarkeit und Umfang beanspruchende Normen definiert, für deren Anwendung die Bewertung der Korrespondenz zwischen begrifflicher Konstruktion der Normbeschreibung und begrifflicher Faktenkonstruktion erforderlich ist. Aus diesem Grund stellt sich die Frage, ob diese Definition mit den verschiedenen Regeltypen vereinbar ist, besonders mit den Kompetenzregeln (die einem Subjekt die Befugnis zum Erlass bestimmter Akte zuschreiben) und den definitorischen Regeln (die bestimmten Akten oder Fakten eine normative Bedeutung zuschreiben). Die Frage stellt sich deswegen, weil in diesen Normen kein beschriebenes Verhalten vorliegt, sondern nur die Zuschreibung einer Be121

Weinberger, Ota, Rechtslogik. 2. Aufl. Berlin, Duncker & Humblot, 1989, S. 287. Alexy, Robert, Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Beiheft 25 (1985), S. 24; Grau, Eros Roberto, Interpretação/Aplicação do Direito. São Paulo, Malheiros, 2002, S. 42. 122

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B. Normen erster Stufe: Anzuwendende Normen

fugnis oder die Definition einer Rechtsfolge. Die Antwort fällt positiv aus: Auch im Fall dieser Regeln liegen die allgemeinen regelbestimmenden Elemente vor, nämlich der deskriptive Charakter und die Forderung nach Bewertung der Korrespondenz zwischen faktischer Konstruktion und Normbeschreibung. Dies lässt sich ausgehend von der Untersuchung der verschiedenen Regeltypen beweisen. Es gibt selbstverständlich verschiedene Kriterien der Klassifizierung von Regeln. Hier ist nicht der Ort, sie alle zu untersuchen. Das wäre unangebracht, da die hier geführte Diskussion sich einzig auf die allgemeine Definition der Prinzipien und Regeln bezieht. Für unseren Zweck lassen sich die Regeln in zwei große Gruppen einteilen: die der Verhaltensregeln (regulative rules) und die der Konstitutivregeln (constitutive rules).123 Erstere beschreiben Verhaltensweisen als geboten, erlaubt oder verboten, Letztere schreiben bestimmten Akten, Fakten oder Situationen Rechtsfolgen zu und lassen sich im Ausgang von folgenden Normtexten rekonstruieren: (1) von auf Kompetenzzuschreibung bezogenen Normtexten: Sie schreiben einem bestimmten Subjekt eine Befugnis zu, einen bestimmten Akt zu erlassen, so beispielsweise der Normtext, demzufolge das Parlament befugt ist, Gesetze zu erlassen; (2) von auf die Kompetenzausübung bezogenen Normtexten: Sie regeln das Verfahren für die Ausübung einer bestimmten Kompetenz, so beispielsweise der Normtext, demzufolge beim Erlass von Gesetzen das parlamentarische Verfahren zu befolgen ist; (3) von auf die materielle Kompetenzbegrenzung bezogenen Normtexten: Sie umschreiben den Sachbereich der Kompetenz, beispielsweise der Normtext, demzufolge die Einführung von Steuern eine der Legislative vorbehaltene Materie ist; (4) von auf den Kompetenzvorbehalt bezogenen Normtexten: Sie behalten bestimmten Normquellen die Eignung zur Regelung bestimmter Materien vor, so beispielsweise der Normtext, demzufolge nur das Gesetz im formalen Sinn Steuern einführen darf; (5) von auf die substantielle Kompetenzbegrenzung bezogenen Normtexten: Sie begrenzen den Kompetenzinhalt, so beispielsweise der Normtext, demzufolge die Gesetze alle Bürger gleich, ohne jegliche Diskriminierung behandeln müssen.

123 Guastini, Riccardo, Il giudice e la legge. Turin, Giappichelli, 1995, S. 136 ff.; Aarnio, Aulis, Reason and Authority. Dartmouth, Ashgate, 1997, S. 160 ff.

IV. Vorschlag zur Dissoziierung von Prinzipien und Regeln

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Angesichts dieser Verschiedenheit von Normtexten ist die Frage zu wiederholen: Statuieren sie alle Verhaltensnormen und verlangen vom Rechtsanwender eine Untersuchung der Korrespondenz zwischen faktischer Konstruktion, Normbeschreibung und dem sie stützenden Zweck? Unter den hier allgemein vorgeschlagenen Bedingungen lautet die Antwort: ja. Im Fall der kompetenzzuschreibenden Normtexte kann der Rechtsanwender drei Normen zusammen rekonstruieren: eine Verhaltenserlaubnisregel, die einem Subjekt die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit erlaubt, eine Verhaltensverbotsregel, die anderen Subjekten die Ausübung derselben Tätigkeit untersagt, und eine definitorische Regel, die eine bestimmte Quelle als zur Hervorbringung bestimmter Wirkungen geeignet bestimmt. Im Fall der auf die Ausübung von Kompetenzen bezogenen Normtexten kann der Rechtsanwender zwei Normen zusammen rekonstruieren: eine Verhaltensgebotsregel, die ein bestimmtes Subjekt zur Wahl eines bestimmten Verhaltens verpflichtet, um rechtsgültig eine Befugnis wahrzunehmen, und eine definitorische Regel, die als Normquelle nur die nach einem bestimmten Verfahren produzierte Quelle bestimmt. Im Fall von auf die materielle Kompetenzbegrenzung bezogenen Normtexten kann der Rechtsanwender zwei Normen zusammen rekonstruieren: eine Verhaltensgebotsregel, die jemanden zur Wahrnehmung einer Befugnis nur in bestimmten Materien verpflichtet, und eine Verhaltensverbotsregel, die jemandem die Wahrnehmung von Befugnissen in anderen Materien verbietet. Im Fall von auf einen Kompetenzvorbehalt bezogenen Normtexten kann der Rechtsanwender drei Normen zusammen rekonstruieren: eine Verhaltenserlaubnisregel, die einem Subjekt die Befugnis zur Setzung einer bestimmten Normquelle zuschreibt, eine Verhaltensverbotsregel, die dem Subjekt den Erlass einer anderen Normquelle verbietet, und eine Verhaltensverbotsregel, die dem Subjekt verbietet, an ein anderes Subjekt die Befugnis zum Erlass einer bestimmten Quelle zu delegieren. Schließlich kann der Rechtsanwender im Fall von auf die substantielle Kompetenzbegrenzung bezogenen Normtexten drei Normen zusammen rekonstruieren: eine Verhaltensgebotsregel, die ein Subjekt zur Einfügung eines bestimmten Inhalts in den von ihm erlassenen normativen Akt verpflichtet, eine Verhaltensverbotsregel, die dem Subjekt die Einfügung eines anderen Inhalts in den normativen Akt verbietet, und eine Verhaltenserlaubnisregel, die dem Subjekt die Befugnis zur Durchführung eines bestimmten Akts erteilt. Im Hinblick auf das in dieser Arbeit diskutierte Thema ist es wichtig, dass in allen genannten Fällen die Normen Gegenstände beschreiben (Subjekte, Verhaltensweisen, Materien, Quellen, Rechtsfolgen, Inhalte) und vom Adressaten die Wahl eines mehr oder weniger bestimmten Verhaltens sowie vom Rechtsanwen-

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B. Normen erster Stufe: Anzuwendende Normen

der die Prüfung der Korrespondenz zwischen dem gewählten Verhalten und der Normbeschreibung dieses Gegenstands verlangen. Diese Korrespondenz kann sich im weiten Sinn sowohl auf ein Entsprechungserfordernis (Feststellung der Ableitbarkeit des gewählten Verhaltens aus der normativen Prognose) als auch auf das Kompatibilitätserfordernis (Feststellung, ob das gewählte Verhalten nicht der Normbeschreibung widerspricht) beziehen. Nun liegen im Fall der Prinzipien der deskriptive Charakter des Gegenstands – und das Verhalten, auf das er sich bezieht – und die Korrespondenzforderung nicht vor, weil diese nicht einen Gegenstand im weiten Sinn (Subjekte, Verhaltensweisen, Materien, Quellen, Rechtsfolgen, Inhalte) beschreiben, sondern stattdessen einen zu fördernden idealen Sachverhalt statuieren, weshalb sie vom Anwender nicht eine Korrespondenzprüfung verlangen, sondern stattdessen eine Prüfung der Korrelation zwischen dem zu fördernden Sachverhalt und den Folgen, die sich aus dem für seine Förderung als notwendig erachteten Verhalten ergeben. Trotz der Verschiedenartigkeit der Regelspezies lässt sich also weiterhin auf allgemeiner Ebene behaupten, dass die Regeln sich von den Prinzipien aufgrund folgender Kriterien unterscheiden: – Erstens unterscheiden sich Regeln von Prinzipien aufgrund der Natur der Normbeschreibung: Während Regeln bestimmbare Gegenstände beschreiben (Subjekte, Verhaltensweisen, Materien, Quellen, Rechtsfolgen, Inhalte), beschreiben Prinzipien einen zu fördernden idealen Sachverhalt. – Zweitens unterscheiden sich Regeln von Prinzipien aufgrund der Natur der Rechtfertigung, die zu ihrer Anwendung erforderlich ist: Während Regeln eine Prüfung der Korrespondenz zwischen der Normbeschreibung und den durchgeführten Akten oder vorgefallenen Fakten erfordern, verlangen Prinzipien nach einer Bewertung der positiven Korrelation zwischen den Folgen des gewählten Verhaltens und dem zu fördernden Sachverhalt. – Drittens unterscheiden sich Regeln von Prinzipien aufgrund der Natur des Beitrags zur Problemlösung: Während Regeln Entscheidbarkeit beanspruchen, da sie eine provisorische Lösung für ein bekanntes oder antizipierbares Problem zu liefern bezwecken, erheben Prinzipien Anspruch auf Komplementarität, da sie Gründe angeben, die mit anderen Gründen zur Lösung eines Problems zu verbinden sind. Die Abgrenzung der gebotenen Verhaltensweisen hängt jedoch von der Durchsetzung einiger Bedingungen ab. Wie soll man in der Tat wissen, welches die Bedingungen des anzustrebenden Idealzustands sind und welches Verhalten zu seiner Verwirklichung notwendig ist? Einige methodische Richtlinien erleichtern die Findung der Antworten auf diese Fragen.124 124 Canaris, Claus-Wilhelm, Funktion, Struktur und Falsifikation juristischer Theorien. Juristen Zeitung Nr. 8, S. 377–91, 1993.

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4. Richtlinien zur Analyse der Rechtsnormen Wenn wir die Definition der Prinzipien als finalistische Normen ansehen, die eine Eingrenzung eines vermittels notwendiger Verhaltensweisen anzustrebenden Idealzustands erfordern, bieten sich folgende Schritte zu einer Untersuchung der Prinzipien an. Diese Schritte muss man auch in den Fällen von Regeln tun, sofern Abwägungserfordernisse auch bei der Gesetzesauslegung wegen konfligierender Normzwecke notwendig sind.

a) Maximale Spezifizierung der Zwecke: Je weniger spezifisch der Zweck, desto weniger wird seine Erreichung kontrollierbar sein Der Beginn der fortschreitenden Eingrenzung des Zwecks liegt in der Konstruktion von Beziehungen zwischen den Verfassungsnormen selbst, so dass eine auf agglutinierende Prinzipien zentrierte Begründungskette strukturiert wird. Die Lektüre der Bundesverfassung mit der auf die Abgrenzung der Zwecke gerichteten Wahrnehmung ist unverzichtbar. So muss beispielsweise, statt einer Bindung der Verwaltung an die Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens ohne Angabe dessen, was das in jedem Kontext bedeutet, bewiesen werden, dass öffentliches Gesundheitswesen im Kontext der Untersuchung und gemäß bestimmten Normtexten der Bundesverfassung die Pflicht bedeutet, den Impfstoff „X“ bereitzustellen, um die Ausbreitung der Epidemie „Y“ aufzuhalten. In einem Wort, der vage Zweck ist durch einen spezifischen Zweck zu ersetzen. Ganz konkret bedeutet dies, (a) die Bundesverfassung zu lesen, mit spezifischem Augenmerk auf die auf das Prinzip, das Gegenstand der Untersuchung ist, bezogenen Normtexte; (b) Ermittlung der Normtexte nach Maßgabe der Grundprinzipien; (c) Versuch einer Reduktion der Vagheit der Zwecke vermittels der Analyse der Verfassungsnormen, die direkt oder indirekt den Anwendungsbereich des Prinzips einschränken können.

b) Erforschung paradigmatischer Fälle, die diesen Prozess der Aufklärung der Bedingungen, die den durch zwecknotwendige Verhaltensweisen zu erreichenden Idealzustand ausmachen, einleiten könnten Paradigmatisch sind diejenigen Fälle, deren Lösung für exemplarisch gehalten werden kann, wobei unter exemplarisch die Lösung zu verstehen ist, die als Modell zur Lösung anderer Fälle dank der Verallgemeinerungsfähigkeit ihres Wertgehalts dient. Statt beispielsweise nur zu behaupten, dass die staatliche Verwaltung ihre Tätigkeit nach Standards der Moralität auszurichten hat, muss angegeben werden, dass in bestimmten Fällen die Pflicht zur Verwaltungsmora-

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lität als Pflicht spezifiziert wurde, Erwartungen zu verwirklichen, die durch die Einhaltung der vorher gemachten Versprechungen aufgebaut worden sind, oder als Pflicht zur Verwirklichung der gesetzlichen Ziele durch die Wahl seriöser und begründeter Verhaltensweisen. In einem Wort, der vage Zweck muss durch für seine Erreichung notwendige Verhaltensweisen ersetzt werden. Ganz konkret bedeutet dies, (a) die Rechtsprechung, besonders der oberen Gerichte, nach paradigmatischen Fällen zu sichten, (b) die ausgewählten Urteile vollständig zu überprüfen, und (c) in jedem Fall festzustellen, welches die zur Verwirklichung des Prinzips, das Gegenstand der Untersuchung ist, als notwendig erachteten Verhaltensweisen waren. c) Untersuchung der Ähnlichkeiten zwischen diesen Fällen zwecks Bildung von Fallgruppen, die sich ihrerseits mit der Lösung eines zentralen Poblems befassen Bei der Erforschung einiger Fälle (z. B. des Falls eines Beamten, der gemäß einer internen Anweisung eines Bankhauses verfahren ist, welche dieses später nicht einhalten wollte; des Falls eines Studenten, dessen Antrag auf Hochschulwechsel angenommen wurde und bei dem Jahre später der Hochschulwechsel infolge eines Formfehlers für nichtig erklärt wurde oder des Falls einer Firma, welche eine steuerliche Vergünstigung Jahre hindurch erhielt, um ein unternehmerisches Projekt zu fördern, bis diese Vergünstigung infolge von Formfehlern für nichtig erklärt wurde) stellt man fest, dass in allen gerichtlichen Entscheidungen das Problem des Schutzes der legitimen Erwartung im Zentrum stand. Diese Erwartung war vom Staat selbst in der Rechtssphäre privater Personen geschaffen worden und verfestigte sich auf der Tatsachenebene im Lauf mehrerer Jahre. In einem Wort, die reine Katalogisierung ähnlicher Fälle ist zugunsten der Erforschung des ihnen zugrundeliegenden Rechtsproblems und der Werte, die bei seiner Lösung erhalten werden müssen, aufzugeben. Ganz konkret bedeutet dies, (a) das Vorliegen eines gemeinsamen Problems zu untersuchen, das die verschiedenen Fälle einander annähert, und (b) die für die Problemlösung zuständigen Werte festzustellen. d) Feststellung des Vorliegens von Kriterien, die in der Lage sind, eine Abgrenzung vorzunehmen: Aus welchen Rechtsgütern setzt sich der Idealzustand zusammen und welches sind die Verhaltensweisen, die zu seiner Verwirklichung als notwendig erachtet werden? Einige der bei der Untersuchung des Prinzips der Verwaltungsmoralität analysierten Fälle können einerseits die Pflicht der Verwirklichung des Loyalitätswerts und andererseits die Notwendigkeit der Wahl seriöser, begründeter und

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aufklärender Verhaltensweisen zur Verwirklichung dieses Werts darlegen. In einem Wort, die Suche nach einem Ideal wird durch die Verwirklichung eines konkretisierbaren Zwecks eingetauscht. Ganz konkret bedeutet dies, (a) die Untersuchung des Vorliegens von Kriterien, die auch für andere Fälle eine Bestimmung der zur Verwirklichung eines Prinzips notwendigen Verhaltensweisen zu erlauben, und (b) die Darlegung der verwendbaren Kriterien und der Gründe, die zu ihrer Übernahme führen. e) Zurücklegung des umgekehrten Wegs: Nachdem der Zustand und die zu seiner Förderung notwendigen Verhaltensweisen ermittelt sind, müssen andere Fälle ermittelt werden, die auf der Grundlage des untersuchten Prinzips hätten entschieden werden müssen Wie schon erwähnt, bezieht sich der zweite Schritt bei der Untersuchung der Prinzipien auf die Sichtung der Rechtsprechung, besonders der oberen Gerichte, um in jedem paradigmatischen Fall festzustellen, welche Verhaltensweisen als notwendig für die Verwirklichung des untersuchten Prinzips erachtet worden sind. Es gibt jedoch Fälle, in denen ein bestimmtes Prinzip ohne ausdrückliche Nennung verwendet wird. In anderen Fällen ist die Förderung des Zwecks zwar obligatorisch, wird aber das Prinzip nicht als Grundlage benutzt. Angesichts dieser Erwägungen muss nach der Aufdeckung der Hypothesen über die typische Anwendung des untersuchten Prinzips die Sichtung wieder aufgenommen werden, dieses Mal nicht durch die Suche nach dem Prinzip als eines Schlüsselworts, sondern durch die Suche nach dem Zustand und den zu seiner Verwirklichung als notwendig erachteten Verhaltensweisen. In anderen Worten, bedeutet dies, (a) eine Wiederaufnahme der Sichtung der Rechtsprechung mit Hilfe anderer Schlüsselwörter, und (b) die kritische Untersuchung der Entscheidungen durch ihre Rekonstruktion in Übereinstimmung mit dem untersuchten Prinzip, um seine Nichtanwendung herauszustellen. Diese Schritte zeigen, dass ein langer Weg zurückzulegen ist. Alle hierbei erforderlichen Anstrengungen verfolgen einen präzisen Zweck, nämlich die Überwindung der reinen Proklamation der Werte zugunsten einer fortschreitenden und rational vertretbaren Abgrenzung der notwendigen Verhaltensweisen zur Erreichung der von der Bundesverfassung gesetzten Zwecke. 5. Beispiel des Prinzips der Moralität der staatlichen Verwaltung Ein Beispiel für die Verwendung dieser Richtlinien ist die stichwortartige Untersuchung des Prinzips der Verwaltungsmoralität. Der als Ausgangspunkt für die Konstruktion des Moralitätsprinzips dienende Normtext befindet sich in

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Art. 37 der brasilianischen Bundesverfassung, in dem die Moralität als eines der grundlegenden Prinzipien der Verwaltungstätigkeit dargestellt wird. Weit entfernt davon, die Moralität isoliert zu betrachten, räumt ihr die Bundesverfassung eine große Bedeutung in mehreren ihrer Normtexte ein. Die summarische Systematisierung der vorgängigen Bedeutung dieser Normtexte beweist, dass die Bundesverfassung sich auf vielerlei Weise mit Verhaltensstandards befasst: Erstens, indem sie Grundwerte statuiert, wie Würde, Arbeit, freie Initiative (Art. 1), Gerechtigkeit (Art. 3), Gleichheit (Art. 5, Obersatz), Freiheit, Eigentum und Sicherheit (Art. 5, Obersatz), Stabilität der Beziehungen (Art. 5, Obersatz und XXXVI). Die Setzung dieser Werte impliziert nicht nur die Pflicht, sie bei der Ausübung der Verwaltungstätigkeit zu berücksichtigen, sondern auch das Verbot ihrer Einschränkung ohne eine plausible Rechtfertigung. Zweitens, indem sie eine objektive und unpersönliche Weise der Verwaltungstätigkeit statuiert, gegründet auf den Prinzipien des Rechtsstaats (Art. 1), der Gewaltentrennung (Art. 2), der Legalität und der Unpersönlichkeit (Art. 5 und 37). Die Setzung einer objektiven Tätigkeitsweise impliziert den Vorrang der unter dem Schutz des Rechts ausgeübten Regierungsakte zu Lasten der willkürlich begangenen. Drittens, indem sie Verfahren zur Verteidigung der Bürgerrechte einführt, vermittels der Universalisierung der Rechtsprechung (Art. 5, XXXV), des Verbots der Verwendung unerlaubter Beweismittel (Art. 5, LVI), der Kontrolle der Verwaltungstätigkeit durch einstweilige Verfügung (mandado de segurança) und Volksklage (ação popular), auch gegen moralitätsverletzende Regierungsakte (Art. 5, LXIX und LXXIII), und der Nichtigkeitserklärung von sittenwidrigem Verhalten (Art. 37 Abs. 4). Die Einrichtung von Verteidigungsverfahren erlaubt die Nichtigkeitserklärung von Regierungsakten, die vom rechtlich gewählten Verhaltensstandard abweichen. Viertens, indem sie Voraussetzungen für die Eintritt in die Beamtenlaufbahn schafft, vermittels der Forderung nach Durchführung eines öffentlichen Stellenwettbewerbs (Art. 37, II), des Verbots der Ämterhäufung (Art. 37, XVI) und der Reklame von Amtsträgern in eigener Sache (Art. 37, XXI, Abs. 1), der Notwendigkeit der Bezeugung moralischer Unbescholtenheit oder eines makellosen guten Rufs zur Wahrnehmung der Ämter des Mitglieds des Bundesrechnungshofs (Art. 73), des Obersten Bundesgerichts (Art. 101), des Bundesgerichtshofs (Art. 104), des Bundeswahlgerichts (Art. 119), des Regionalen Wahlgerichts (Art. 120), der Forderung nach moralischer Unbescholtenheit zur Erlangung der brasilianischen Staatsbürgerschaft (Art. 12) und des Verbots der Wiederwahl wegen Verletzung der Moralität (Art. 14). Die Festschreibung dieser Bedingungen für den Eintritt in die Beamtenlaufbahn impliziert die Wahl der Ernsthaftigkeit und der Unbescholtenheit als Voraussetzungen der Wahrnehmung öffentlicher Funktionen.

IV. Vorschlag zur Dissoziierung von Prinzipien und Regeln

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Fünftens, indem sie diverse Mechanismen der Kontrolle der Verwaltungstätigkeit einführt, u. a. vermittels der Kontrolle der Legitimität der Verwaltungsakte durch die Rechnungshöfe (Art. 70). Die Systematisierung der vorgängigen Bedeutung dieser Normtexte gipfelt im Nachweis, dass die Bundesverfassung einen rigorosen Verhaltensstandard für die Übernahme in und die Ausübung eines öffentlichen Amts statuiert hat, so dass bei Nichtvorliegen von Seriosität, Begründetheit und Objektivität die Regierungsakte durch interne und externe Kontrollmechanismen revidiert werden können. Um diesen rigiden Verhaltensstandard besser zu spezifizieren, müssen paradigmatische Fälle aufgefunden werden, welche die Bedeutung der Seriosität, der Begründetheit und der Objektivität als die gewünschte Moralität definierende Faktoren zu klären erlauben. Einige seien nachfolgend genannt: Ein Amtsträger hatte die Frist eines öffentlichen Wettbewerbs zur Ernennung von stellvertretenden Amtsrichtern auslaufen lassen und nur dreiunddreißig der fünfzig Kandidaten ernannt, nachdem die Namen aller Kandidaten, die das Examen bestanden hatten, bekanntgegeben worden waren. Der Amtsträger hatte daraufhin die Ausschreibung eines neuen Wettbewerbs mit der gleichen Zielsetzung veranlasst. Nach Vorladung zur Aufklärung der Gründe für die Versäumnis gab er zu erkennen, dass er die Geltungsfrist nicht verlängert hatte, weil er dies nicht gewollt hatte. In diesem Fall wurde die absichtliche Säumnis offenbar, die Umgehung von imperativen Normen, die grundlose Arglist, der Mangel an vorbildlicher Haltung und das Fehlen von ernsthaften Gründen. Derartige Verhaltensweisen sind mit der für die Förderung der Moralität der Staatsverwaltung notwendigen Seriosität und Ehrlichkeit unvereinbar.125 Ein Bürger beantragt den Wechsel von einer Bundesuniversität an eine andere. Dem Antrag wird stattgegeben, der Bürger wechselt die Hochschule und setzt sein Studium während eines langen Zeitraums fort. Später stellt die Verwaltungsbehörde fest, dass eine Formvorschrift nicht eingehalten worden ist, weshalb sie die vorherigen, den Wechsel ermöglichenden Verwaltungsakte für nichtig erklären will. In diesem Fall wurde die Nichteinhaltung eines bestimmten Versprechens nachgewiesen sowie eine von der Verwaltung selbst erzeugte Erwartung enttäuscht. Derartige Verhaltensweisen sind mit der für die Förderung der Moralität der Staatsverwaltung notwendigen Loyalität und dem guten Glauben unvereinbar.126

125 Außerordentlicher Revisionsantrag Nr. 192568-0, 2. Senat. Berichtserstatter: Richter Marco Aurélio de Mello, DJ 13.09.96. 126 Ávila, Humberto Bergmann, Benefícios fiscais inválidos e a legítima expectativa dos contribuintes. Revista Tributária (42):100–114, São Paulo, Revista dos Tribunais, 2002.

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B. Normen erster Stufe: Anzuwendende Normen

Es ist ersichtlich, dass das Prinzip der Verwaltungsmoralität seriöse, loyale, motivierte und aufklärende Verhaltensweisen erfordert, selbst wenn diese nicht im Gesetz vorgesehen sind. Die ohne objektive Parameter gewählte und auf den persönlichen Willen des einzelnen Handlungsträgers gegründete Verhaltensweise und der ohne Berücksichtigung der von der Verwaltung erzeugten Erwartung durchgeführte Verwaltungsakt stellen also eine Verletzung des Prinzips der Verwaltungsmoralität dar. Nachdem die Prinzipien und Regeln untersucht worden sind, bleibt noch die Untersuchung der Art und Weise, auf welche sie anzuwenden sind. Gehen wir also zu den normativen Anwendungspostulaten über.

6. Wirkungsweise der Prinzipien a) Interne Wirkungsweise aa) Gehalt Die Normen wirken auf andere Normen desselben Rechtssystems ein und bestimmen besonders ihren Sinn und ihren Wert. Da die Prinzipien unmittelbare Zwecknormen sind, statuieren sie einen zu erreichenden Idealzustand, der sich auf andere Normen desselben Systems bezieht, vor allem auf das Regelsystem. Wenn dem so ist, sind die Prinzipien wichtige Normen zum Verständnis des Regelsinns. Die Regeln der Steuerimmunität werden beispielsweise angemessen verstanden, wenn sie nach den ihnen übergeordneten Prinzipien ausgelegt werden, wie im Fall der Auslegung der wechselseitigen Steuerimmunität aufgrund des föderativen Prinzips. Diese Eignung zur Erzielung von Wirkungen auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Funktionen kann Wirkungsfunktion genannt werden.127 bb) Unmittelbare interne Wirkungsweise Prinzipien wirken auf andere Normen auf unmittelbare und mittelbare Weise ein. Die unmittelbare Wirkungsweise zeigt sich in der Wirkung ohne Vermittlung oder Zwischenschaltung eines anderen (Unter-)Prinzips oder einer anderen Regel. Im Bereich der Fähigkeit der Normen zur Erzielung von Wirkungen üben die Normen unterschiedliche Funktionen aus, unter welchen einige hervorstechen und eine eigene Untersuchung verdienen. 127 Über die Verwendung des Begriffs „Wirkungsfunktion“ s. Ferraz Jr., Tércio Sampaio, Introdução ao estudo do Direito. 3. Aufl. São Paulo, 2001, S. 196. Über den Gebrauch des Terminus „Funktion“ mit Bezug auf Prinzipien, s. Reale, Michel, Lições preliminares de Direito. 23. Aufl. São Paulo, 1996, S. 300.

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Auf der Ebene der unmittelbaren Wirkungsweise üben die Prinzipien insofern eine Integrationsfunktion aus, als sie die Bündelung von nicht vorgesehenen Elementen in Unterprinzipien oder Regeln rechtfertigen. Selbst wenn ein dem zu erreichenden Zweck innewohnendes Element nicht vorgesehen ist, wird das Prinzip ihn gewährleisten. Wenn es zum Beispiel keine ausdrückliche Regel gibt, welche die Verteidigung oder die Eröffnung einer Frist zur Stellungnahme der anderen Prozesspartei ermöglicht – und eine solche Regel ist notwendig –, muss sie aufgrund des Prinzips des due process of law (des ordnungsgemäßen Verfahrens) gewährleistet sein. Ein anderes Beispiel: Wenn es keine ausdrückliche Regel gibt, die den Vertrauensschutz gewährleistet – obwohl sie zur Herstellung des Vertrauens und der Stabilität für den Bürger nowendig ist –, muss er unmittelbar aufgrund des Rechtssicherheitsprinzips gewährleistet werden. In diesen Fällen gibt es unmittelbar wirkende Prinzipien.

cc) Mittelbare interne Wirkungsweise Die mittelbare Wirkungsweise zeigt sich in ihrer Wirkung durch die Vermittlung oder Zwischenschaltung eines anderen (Unter-)Prinzips oder einer Regel. Auf der Ebene der mittelbaren Wirkungsweise haben die Prinzipien mehrere Funktionen. Erstens, mit Bezug auf die umfassenderen Normen (Überprinzipien) üben die Prinzipien eine definitorische Funktion aus, sofern sie das vom werttheoretisch höherrangigen Überprinzip statuierte umfassendere Gebot spezifizierend beschränken. So müssen beispielsweise die Unterprinzipien des Vertrauensschutzes und der objektiv verstandenen Treu und Glauben für konkretere Situationen den umfassenden Charakter des Überprinzips der Rechtssicherheit spezifizieren. Zweitens, und jetzt in Bezug auf die weniger umfassenden Normen, üben die (Über-)Prinzipien eine Interpretationsfunktion aus, sofern sie dazu dienen, von ausdrücklichen Normtexten aus konstruierte Normen zu interpretieren, indem sie deren Sinngehalte einschränken oder erweitern. So erfordert z. B. das Prinzip des due process of law die Interpretation von Regeln, welche die Vorladung und die Verteidigung sicherstellen, um den effektiven Schutz der Interessen des Bürgers zu gewährleisten. Obwohl mehrere Unterelemente des Prinzips des due process of law schon in der Rechtsordnung selbst vorgesehen sind, ist dieses Prinzip nicht überflüssig, da es ermöglicht, dass jedes der Unterelemente „neu gelesen“ oder „ihm gemäß ausgelegt“ wird. Im Falle des Rechtsstaatsprinzips erfolgt das Gleiche: Obwohl mehrere seiner Unterelemente schon in der Rechtsordnung vorgesehen sind (Gewaltenteilung, Gesetzmäßigkeit, Individualrechte und -garantien), ist es insofern nicht unnötig, als jedes Element im Hinblick auf den höheren Zweck der Gewährleistung der Rechtmäßigkeit und Verantwortlichkeit staatlichen Handelns auszulegen ist. Diese Erwägungen kennzeichnen

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B. Normen erster Stufe: Anzuwendende Normen

die Prinzipien als objektive Wertentscheidungen mit erläuternder Funktion in den Fällen, in denen sie Maßstäbe für die Auslegung von Verfassungs- oder einfachgesetzlichen Normen bilden. Drittens üben die Prinzipien eine Blockierungsfunktion aus, da sie ausdrücklich vorgesehene, jedoch mit dem zu fördernden Idealzustand unvereinbare Elemente entfernen. Wenn es beispielsweise eine Regel gibt, die eine Fristsetzung vorsieht, die Frist jedoch für die Gewährleistung des tatsächlichen Schutzes der Rechte des Bürgers nicht ausreicht, muss aufgrund der Blockierungswirkung des Prinzips des due process of law eine angemessene Frist gewährleistet werden. Die Überprinzipien, wie beispielsweise die des Rechtsstaats, der Rechtssicherheit, der Menschenwürde und des due process of law üben wichtige Funktionen aus, selbst im – recht häufigen – Fall, in dem ihre Unterprinzipien schon ausdrücklich von der Rechtsordnung vorgesehen sind. In ihrer Eigenschaft als Prinzipien üben sie die typischen Funktionen der Prinzipien aus (Interpretation und Blockierung). Da sie jedoch gerade „über“ anderen Prinzipien wirken (daher der Begriff „Überprinzip“), üben sie weder die Integrationsfunktion (da diese die unmittelbare Wirksamkeit voraussetzt und Überprinzipien nur mittelbar wirken) noch die Definitionsfunktion aus (da sie, obwohl mittelbar, eine genauere Spezifizierung voraussetzt und die Überprinzipien wirken, um zu erweitern, statt zu spezifizieren). In Wahrheit ist die Funktion, welche die Überprinzipien ausschließlich ausüben, die neuartikulierende, da sie die Interaktion der verschiedenen, den anzustrebenden Idealzustand bildenden Elemente ermöglichen. So erlaubt beispielsweise das Überprinzip des due process of law die Herstellung einer Beziehung zwischen den Unterprinzipien der umfassenden Verteidigung und des Rechts auf Erwiderung mit der Vorladung, der Unterrichtung der Parteien, dem Verbot eines Ausnahmerichters und der Vorlage von Beweisen, so dass jedes Element aufgrund der Beziehung, die es mit anderen infolge des Überprinzips eingeht, eine neue Bedeutung erhält, die anders ist als diejenige, die es im Fall seiner isolierten Interpretation besessen hätte.

b) Externe Wirkungsweise aa) Objektive externe Wirkungsweise Rechtsnormen wirken jedoch nicht nur auf das Verständnis anderer Normen, sondern auf das der Tatsachen und Beweise selbst ein. Bei jeder Anwendung einer Rechtsnorm muss nämlich entschieden werden, welche der vorgefallenen Tatsachen relevant sind (Relevanzprüfung). Und unter allen Standpunkten ist zu entscheiden, welche für die Interpretation der Tatsachen angemessen sind (Bewertungsprüfung).128

IV. Vorschlag zur Dissoziierung von Prinzipien und Regeln

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An dieser Stelle tritt der Gedanke der externen Wirkungsweise auf den Plan: Rechtsnormen sind entscheidend für die Interpretation der Tatsachen selbst. Man legt nicht eine Norm aus und später eine Tatsache, sondern gleichzeitig die Tatsache nach der Norm und die Norm nach der Tatsache.129 Am wichtigsten ist hier die Hervorhebung der externen Wirkungsweise der Prinzipien: Da sie mittelbar einen Wert über die Herstellung eines anzustrebenden Idealzustands statuieren, liefern sie mittelbar einen Parameter für die Durchführung der Relevanz- und Bewertungsprüfungen. So statuiert beispielsweise das Prinzip der Rechtssicherheit ein Ideal der Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns, der Messbarkeit der Verpflichtungen, der Kontinuität und Stabilität der Beziehungen zwischen Bürger und Staat. Daher muss die Interpretation der Tatsachen so erfolgen, dass sie alle Tatsachen auswählt, welche die Vorhersehbarkeit, Messbarkeit, Kontinuität und Stabilität ändern könnten. Wenn beispielsweise ein Prinzip die Vorhersehbarkeit statuiert, darf der Interpret die Tatsachen, die nachweisen, dass der Bürger in seiner wirtschaftlichen Tätigkeit überrascht worden ist, nicht vernachlässigen. Dies ist die selektive Wirkungsweise der Prinzipien. Sie gründet auf der Feststellung, dass der Interpret nicht mit rohen, sondern mit konstruierten Fakten arbeitet. Die Tatsachen werden durch die Vermittlung des Interpretendiskurses konstruiert. Die Existenz selbst der Tatsache hängt nicht von der Erfahrung, sondern von der Argumentation ab.130 Tatsachen werden nicht fertig vorgefunden, sind keine ready-mades.131 In anderen Worten: der Interpret selbst entscheidet weitgehend, welche Tatsache für die Lösung einer Kontroverse im Lauf ihrer eigenen Erkenntnis relevant ist. Um zu entscheiden, welches Ereignis relevant ist, muss der Interpret auf die von den Verfasssungsprinzipien angebotenen werttheoretischen Parameter zurückgreifen, um alle Ereignisse auszuwählen, die sich im Mittelpunkt der von den Rechtsnormen geschützten Interessen befinden. Relevant ist dann das Ereignis, dessen faktenmäßige Darstellung für die Ermittlung eines von einem Verfassungsprinzip geschützten Rechtsguts notwendig ist. Die Prinzipien schützen in der Tat bestimmte Rechtsgüter (Handlungen, Zustände oder Situationen, deren Erhaltung oder Bemühung geschuldet ist) und erlauben eine Bewertung der ihnen wichtig erscheinenden Tatsachenelemente. Wie man sieht, handelt es sich um ein rückwirkendes Verfah128 Ivainer, Théodore, L’Interprétation des faits em droit. Paris, LGDJ, 1988, S. 188 ff. 129 Kaufmann, Arthur, Analogie und Natur der Sache. Zugleich ein Beitrag zur Lehre vom Typus. 2. Aufl. Heidelberg, Müller, 1982, S. 37 ff. 130 Habermas, Jürgen, Wahrheitstheorien, in: Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns. Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1995, S. 135. 131 Varga, Csaba, The Non-cognitive Character of the Judicial Establishment of Facts, in: H.-J. Koch/Ulfried Neumann (Hrsg.), Praktische Vernunft und Rechtsanwendung. Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 53, Stuttgart, 1994, S. 232; Ivainer, Thédore, L’Interprétation des faits en droit. Paris, LGDJ, 1988, S. 119.

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B. Normen erster Stufe: Anzuwendende Normen

ren: die Prinzipien bestimmen nämlich, welche Tatsachen relevant sind, vermittels einer werttheoretischen Neuinterpretation des Tatsachenmaterials. Das Recht wählt nicht die Tatsachen aus, sondern bietet Kriterien an, die später auf die Ereignisse zur Konstruktion der Tatsachen projiziert werden können.132 Nachdem (logischerweise) die relevanten Tatsachen gewählt worden sind, sind sie zu bewerten, um diejenigen Standpunkte zu bevorzugen, die zur Bewertung der Aspekte ebenderselben Tatsachen, welche letztendlich diese Rechtsgüter schützen, führen. Innerhalb ein und derselben Tatsachenkategorie hat der Interpret den Winkel bzw. Standpunkt zu suchen, dessen Bewertung von den Verfassungsprinzipien gestützt wird.133 Man muss gewissermaßen die Situation aufgrund der Rechtsgüter konzeptualisieren.134 Dies ist die bewertende Wirkungsfunktion. Es gibt auch die argumentative Wirkungsweise. Da die Verfassungsprinzipien bestimmte Rechtsgüter und -interessen schützen, muss, je größer die mitteloder unmittelbare Wirkung beim Schutz oder der Verwirklichung dieser Güter ist, die Rechtfertigung für diese Einschränkung seitens des Staats umso stärker sein (Postulat der zunehmenden Vertretbarkeit). Es ist ersichtlich, dass Prinzipien auch eine nicht nur interpretative, sondern auch argumentative Wirkungsweise haben: Falls der Staat eine irgendein von ihm zu förderndes Prinzip einschränkende Maßnahme ergreift, muss er die Rechtfertigungsgründe für diese Einschränkung anführen, und zwar desto weiter gehend, je größer die Einschränkung ist. bb) Subjektive externe Wirkungsweise Bezüglich der von der Wirkungsweise der Prinzipien berührten Subjekte ist zu vermerken, dass Rechtsprinzipien wie subjektive Rechte funktionieren, wenn sie die staatlichen Eingriffe in die Freiheitsrechte verbieten, die auch Abwehrfunktion oder Abwehrrechte genannt werden. Die Prinzipien gebieten auch, Maßnahmen zum Schutz der Freiheitsrechte zu ergreifen. Dieser Schutz wird auch als Schutzfunktion bezeichnet. Dem Staat obliegt nicht nur die Achtung der Grundrechte, sondern auch die Pflicht ihrer

132 Varga, Csaba, The Non-cognitive Character of the Judicial Establishment of Facts, in: H.-J. Koch/Ulfried Neumann (Hrsg.), Praktische Vernunft und Rechtsanwendung. Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 53, Stuttgart, 1994, S. 235; Carvalho, Paulo de Barros, Direito Tributário: Fundamentos jurídicos da incidência. São Paulo, Malheiros, 1998, S. 10. 133 Ivainer, Thédore, L’Interprétation des faits en droit. Paris, LGDJ, 1988, S. 135. 134 Varga, Csaba, The Non-cognitive Character of the Judicial Establishment of Facts, in: H.-J. Koch/Ulfried Neumann (Hrsg.), Praktische Vernunft und Rechtsanwendung. Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 53, Stuttgart, 1994, S. 232.

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Förderung vermittels der Wahl von Maßnahmen, die sie auf die bestmögliche Weise verwirklichen. 7. Wirkungsweise der Regeln a) Interne Wirkungsweise aa) Unmittelbare interne Wirkungsweise Wie schon dargelegt, besitzen Regeln insofern eine von vornherein entscheidende Wirkungsweise, als sie eine provisorische Lösung für einen bestimmten, von der Legislative schon erkannten Interessenkonflikt anbieten wollen. Deshalb schließen sie von vornherein die prinzipielle Abwägung aus und erfordern den Nachweis, dass die jeweilige Behörde sich bei der Ausübung ihrer Kompetenz an ihren Sachbereich gehalten hat. bb) Mittelbare interne Wirkungsweise Hinsichtlich der umfassenderen Normen (Prinzipien) üben die Regeln eine definitorische Funktion aus (Konkretisierung), sofern sie das zu wählende Verhalten für die Konkretisierung der von den Prinzipien statuierten Zwecken begrenzen. So müssen z. B. die gesetzlichen Regeln des parlamentarischen Verfahrens für konkretere Situationen die Reichweite des Demokratieprinzips spezifizieren. Wie schon erwähnt, sind Regeln rigider, sofern ihre Überwindung nur bei Vorlage von zureichenden Gründen zulässig ist, sei es im der Regel zugrundeliegenden Zweck selbst, sei es in den ihr übergeordneten Prinzipien. Aus diesem Grund sind Regeln nur überwindbar (defeasability of rules), wenn außerordentliche Gründe dazu vorliegen, deren Bewertung das später zu untersuchende Zumutbarkeitspostulat durchdringt. Der Ausdruck „Schützengraben“ zeigt sehr gut das Hindernis, das Regeln zu ihrer Überwindung aufstellen; es ist um vieles größer als das von einem Prinzip aufgestellte Hindernis. Aus diesem Grund hat auch im Fall eines realen Konflikts zwischen einem Prinzip und einer gleichrangigen Regel die Regel den Vorrang zu behalten, nicht das Prinzip, da der Regel eine entscheidende Funktion zukommt. Die Regel ist eine Art vorweggenommener parlamentarischer Entscheidung eines Interessenkonflikts. Aus eben diesem Grund gebührt ihr der Vorrang im Falle eines Konflikts mit einer unmittelbar ergänzenden Norm, wie bei den Prinzipien. Daher auch die Wirkungsfunktion der Regeln als Schützengraben. Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Hinweis auf die Revisionsbedürftigkeit der weitverbreiteten öffentlichrechtlichen Konzeption, derzufolge die Verletzung eines Prinzips viel gravierender ist als die Überschreitung einer Re-

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B. Normen erster Stufe: Anzuwendende Normen

gel, da diese Konzeption darauf hinausläuft, dass mehrere Gebote verletzt und Grundwerte des Rechtssystems umgestürzt werden.135 Diese Konzeption geht von zwei Voraussetzungen aus: erstens, dass ein Prinzip mehr als eine Regel gilt, obwohl beide in Wahrheit verschiedene Funktionen haben und verschiedene Zwecke verfolgen; zweitens, dass die Regel keine Werte enthält, obwohl sie sie in Wahrheit kristallisiert. Außerdem muss die zugrundeliegende Idee der Verwerflichkeit neu bedacht werden. Da die Regeln einen unmittelbar deskriptiven Charakter haben, ist ihr Befehlsinhalt leichter verständlich als das Gebot von Prinzipien, deren unmittelbarer Charakter nur auf die Verwirklichung eines idealen Zustands gerichtet ist. Wenn dem so ist, ist es verwerflicher, das nicht einzuhalten, was einhalten zu müssen man „wusste“. Je höher der Grad der vorausgegangenen Pflichterkenntnis ist, desto größer ist auch die Verwerflichkeit der Überschreitung. Andererseits ist es verwerflicher, die definitorische Konkretisierung des Werts in der Regel als den definitions- und ergänzungsbedürftigen Wert von anderen Elemente zu verletzen, wie dies bei den Prinzipien der Fall ist. Wie man sieht, muss die Verwerflichkeit – und dieser Gedanke wird in der vorliegenden Arbeit vertreten – erstens an den Grad der Kenntnis des Gebots und zweitens an den Grad des Entscheidbarkeitsanspruchs gebunden sein. Im Fall der Regeln ist der Grad der Kenntnis der zu erfüllenden Pflicht viel höher als im Fall der Prinzipien, infolge der unmittelbar deskriptiven und verhaltensmäßigen Natur der Regeln. Man beachte, dass die Kenntnis des zu beachtenden Norminhalts von der Rechtsordnung selbst durch die Prinzipien der Gesetzmäßigkeit und der Öffentlichkeit positiv bewertet wird, um nur ein Beispiel zu nennen. Nicht zu erfüllen, was man erfüllen zu müssen weiß, ist schwerwiegender als die Nichteinhaltung einer Norm, deren Gehalt noch einer näheren Ergänzung bedarf. Oder, direkt ausgedrückt: Die Nichteinhaltung einer Regel ist schwerwiegender als die Nichteinhaltung eines Prinzips. Im Fall der Regeln ist der Grad des Entscheidbarkeitsanspruchs viel höher als im Fall der Prinzipien, da ja die Regel eine Art Lösungsvorschlag für einen der Legislative bekannten oder antizipierbaren Interessenkonflikt ist. Man beachte, dass der Respekt vor schon getroffenen Entscheidungen auch von der Rechtsordnung im Schutz der wohlerworbenen Rechte, des wirksamen Rechtsgeschäfte und der rechtskräftigen Urteile positiv bewertet wird. Nicht einzuhalten, was schon Gegenstand einer Entscheidung gewesen ist, ist viel gravierender als die Nichteinhaltung einer Norm, deren Funktion darin besteht, neben anderen Gründen als ergänzender Grund bei der Fällung einer zukünftigen Entscheidung zu dienen. Oder, direkt ausgedrückt: Die Nichteinhaltung einer Regel ist schwerwiegender als die 135 Bandeira de Mello, Celso Antônio, Curso de Direito Administrativo. 12. Aufl. 1. Nachdruck. São Paulo, 2000, S. 748. Zu dieser Definition s. den ausgezeichneten Aufsatz von Barcellos, Ana Paula, Alguns parâmetros normativos para a ponderação constitucional, in: Luís Roberto Barroso (ed.), A nova interpretação constitucional. Rio de Janeiro, 2003, S. 49 ff.

IV. Vorschlag zur Dissoziierung von Prinzipien und Regeln

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Nichteinhaltung eines Prinzips, schon deshalb, weil ohne ein anderes diese Gleichung veränderndes Argument die Argumentationslast zur Überwindung einer Regel viel schwerer ist als die für die Überwindung eines Prinzips erforderliche.136 Entgegen dem gängigen Glauben verstärkt also die legislative Option für die Regel ihre vorgängige Unüberwindbarkeit. Diese Erwägungen zeigen also die unterschiedliche Funktionalität der Prinzipien und der Regeln an: Regeln bestehen in Normen mit dem Anspruch auf Lösung von Konflikten zwischen Gütern und Interessen, weshalb sie prima facie stark und schwerer überwindbar sind (d.h. die von Regeln generierten Gründe erfordern in der Konfrontation mit gegenteiligen Gründen eine höhere Argumentationslast zu ihrer Überwindung); die Prinzipien bestehen in Normen mit dem Ergänzungsanspruch, deshalb sind sie prima facie schwach und flexibler im Hinblick auf ihre Überwindung (d.h. die von Prinzipien generierten Gründe erfordern in der Konfrontation mit gegenteiligen Gründen eine geringere Argumentationslast zu ihrer Überwindung). Mit diesem Problem hängt der Konflikt zwischen Normen zusammen, vor allem zwischen Prinzipien und Regeln. Normalerweise wird behauptet, dass im Fall einer Kollision eines Prinzips mit einer Regel dem Prinzip der Vorrang gebührt. Die in der vorliegenden Arbeit vertretene Konzeption schlägt einen anderen Argumentationsweg ein. Erstens ist festzustellen, ob ein Rangunterschied zwischen den Normen vorliegt: Im Falle des Konflikts zwischen einer Verfassungsnorm und einer unterverfassungsrechtlichen Norm gebührt der Primat der ranghöheren Norm, wobei es wenig darauf ankommt, ob es sich um ein Prinzip oder eine Regel handelt. Wenn beispielsweise ein Konflikt zwischen einer Verfassungsregel und einem Gesetzesprinzip entsteht, muss Erstere den Vorrang behalten; und im Falle des Konflikts zwischen einer gesetzlichen Regel und einem Verfassungsprinzip muss Letzteres den Vorrang behalten. In diesen Fällen hängt also die Vorrangigkeit nicht von der Normart ab, sondern vom Rang. Bei ranggleichen Normen ist in einem echten Konflikt die Regel zu bevorzugen. Wenn beispielsweise ein Konflikt zwischen dem Prinzip der freien Meinungsäußerung und der Regel der Steuerimmunität von Büchern entsteht, muss der Immunitätsregel der Vorrang gegeben werden. Andernfalls ließe sich die Steuerimmunität von Kunstwerken begründen, da auch Kunstwerke der freien Meinungsäußerung als Vehikel dienen. Zu unterstreichen ist hier, dass es im genannten Beispiel besser wäre, von einem wesentlichen Zusammenhang zwischen den Normen statt von einem Konflikt zu sprechen. An Stelle der Gegensätzlichkeit finden wir hier ein Ergänzungsverhältnis. Es besteht ein wechselseitiger Rechtfertigungszusammenhang zwischen der Regel und dem Prinzip: Die Auslegung der Regel hängt von der gleichzeitigen Auslegung des Prinzips ab, und umgekehrt. 136 Alexy, Robert, Theorie der Grundrechte. 2. Aufl. Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1994, S. 89.

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B. Normen erster Stufe: Anzuwendende Normen

Die einzige scheinbar plausible Hypothese des Vorrangs eines Verfassungsprinzips vor einer Verfassungsregel wäre in dem Fall zu sehen, dass ein außerordentlicher Grund vorliegt, der die Anwendung der Regel verhindert, so beispielsweise bei einem Konflikt zwischen dem Prinzip der Menschenwürde und der Regel, die ein Zahlungsgebot im Falle einer im Haushaltsplan vorgesehenen Ausgabe statuiert. In diesem Fall würde jedoch die Regel nicht zur Anwendung kommen, da im Hinblick auf das Zumutbarkeitspostulat ein außerordentlicher Grund vorläge, der ihre Anwendung verhindern würde. Strenggenommen wäre es aber korrekter, von einem nichtexistenten Konflikt zu sprechen, da letztlich keine zwei anwendbaren Normen, sondern nur eine einzige Norm vorläge, anders als in einem echten Konflikt, in dem zwei anfangs anwendbare Normen bis zum Ende des Konflikts anwendbar bleiben und der Anwender sich im konkreten Fall für eine von beiden entscheiden muss. b) Externe Wirkungsweise Die externe Wirkungsweise der Regeln besteht vorwiegend darin, Verhaltensweisen (Verhaltensregeln, behavioral rules, Handlungssätze) zu statuieren und einem bestimmten Subjekt die Eigenschaft zuzuschreiben, die Kompetenz zur Durchführung eines bestimmten Rechtsatzes in einer gegebenen Materie zu besitzen (Kompetenzregeln, competence norms oder power conferring rules).137

137 Aarnio, Aulis, Reason and Authority. A Treatise on the Dynamic Paradigm of Legal Dogmatics. Aldershot, Ashgate, 1997, S. 160 ff.; Beltrán, Jordi Ferrer, Las normas de competencia. Madrid, Centro de Estudios Politicos y Constitucionales, 2000, S. 127.

C. Normen zweiter Stufe: Anwendungsnormen I. Definition des normativen Anwendungspostulats Bis zu diesem Punkt hat sich die vorliegende Studie auf die Untersuchung von Prinzipien konzentriert, die als solche anzustrebende Ziele statuieren. Von jetzt an wird nicht mehr die Pflicht zur Förderung der Verwirklichung eines Zustands untersucht, sondern die Art und Weise, auf welche diese Pflicht anzuwenden ist. Der Normbereich wird in Richtung des Bereichs der Metanormen verlassen. Diese Pflichten sind zweiten Grades und legen die Struktur der Anwendung anderer Normen, Prinzipien und Regeln fest. Als solche erlauben sie die Feststellung der Fälle, in denen Normen, deren Anwendung sie strukturieren, verletzt werden. Nur elliptisch lässt sich behaupten, dass z. B. die Postulate der Billigkeit, der Verhältnismäßigkeit oder der Effizienz verletzt werden. Verletzt werden eigentlich die Normen – die Prinzipien und Regeln –, die nicht ordnungsgemäß angewandt worden sind. Tatsächlich ist im Fall, in dem der Oberste Bundesgerichtshof ein Landesgesetz, das die Abwiegung von Gasflaschen vor dem Verbraucher verfügte, für verfassungswidrig erklärte, das Prinzip der freien Initiative als verletzt angesehen worden, da es auf nicht erforderliche und unverhältnismäßige Weise eingeschränkt worden war.1 Im strengen Sinn war jedoch nicht das Verhältnismäßigkeitsgebot verletzt worden, sondern das Prinzip der freien Initiative, in seiner horizontalen Beziehung zum nicht angemessen angewandten Verbraucherschutzprinzip. Ebenso wurde im Fall, in dem der Oberste Bundesgerichtshof die richterliche Anordnung der Durchführung eines DNA-Tests am Patienten verfügte, die Menschenwürde des Patienten als verletzt angesehen, da sie auf nicht erforderliche und unverhältnismäßige Weise eingeschränkt worden war.2 Im strengen Sinn war jedoch nicht das Verhältnismäßigkeitsgebot verletzt worden, sondern das Prinzip der Menschenwürde, in seiner horizontalen Beziehung zu den nicht angemessen angewandten Prinzipien der Selbstbestimmung der Person und der Rechtsschutz. Mit der Zumutbarkeit verhält es sich nicht anders, wie weiter unten nachzuweisen sein wird.

1 Klage auf Erklärung der Verfassungswidrigkeit Nr. 855-2. Berichterstatter: Richter Sepúlveda Pertence, DJU 01.10.93. 2 Habeas Corpus Nr. 76060-SC. Berichterstatter: Richter Sepúlveda Pertence. DJ 15.05.98, S. 44.

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C. Normen zweiter Stufe: Anwendungsnormen

Diese Erwägungen führen zum Schluss, dass die normativen Postulate auf einer anderen Ebene als die Normen, deren Anwendung sie strukturieren, angesiedelt sind. Ihre Verletzung besteht in der Nichtauslegung gemäß ihrer Strukturierung. Aus diesem Grund sind sie Metanormen oder Normen zweiten Grades. Ihre Kennzeichnung als Normen zweiten Grades soll jedoch nicht den Schluss nahelegen, dass sie wie irgendeine Norm, welche die Anwendung anderer Normen begründet, funktionieren, wie es beispielsweise bei den Überprinzipien wie dem Rechtsstaatsprinzip oder dem ordentlichen Gerichtsverfahren der Fall ist – weil diese Überprinzipien auf der Ebene der Normen, die Gegenstand der Anwendung sind, verortet sind, nicht auf der Ebene der Normen, welche die Anwendung anderer Normen strukturieren. Außerdem fungieren diese Überprinzipien als formale und materiale Grundlage der Setzung und Sinnzuschreibung von rangniedrigeren Normen, während die normativen Postulate als Anwendungsstruktur anderer Normen fungieren. Die Definition der normativen Anwendungspostulate als strukturierende Gebote zur Anwendung anderer Normen wirft die Frage auf, ob sie als Prinzipien oder Regeln angesehen werden können. Alexy ordnet die Verhältnismäßigkeit nicht direkt in eine spezifische Kategorie ein, da er für ihre Definition den Terminus Grundsatz verwendet, und lässt es dabei bewenden, in einer Fußnote zu vermerken, dass die partiellen Maximen in den Begriff der Regel aufgenommen werden können.3 Die Rechtslehre ordnet sie überwiegend ohne weitere Erklärungen in die Kategorie der Prinzipien ein. Die obigen Erwägungen weisen in eine andere Richtung. Da die Postulate auf einer anderen Ebene als der der Normen, die Gegenstand der Anwendung sind, angesiedelt sind, würde ihre Definition als Prinzipien oder Regeln mehr Verwirrung stiften als klären. Außerdem unterscheidet sich die Funktionsweise der Postulate sehr von der der Prinzipien und Regeln. Die Prinzipien werden in der Tat als unmittelbar finalistische Normen definiert, d.h. als Normen, welche die Förderung eines Idealzustands durch die indirekte Anordnung von als förderungsnotwendig angesehenen Verhaltensweisen durchsetzen. Anders als die Prinzipien setzen die Postulate einerseits nicht die Förderung eines Zwecks durch, aber strukturieren stattdessen die Anwendung der Pflicht der Förderung eines Zwecks; andererseits schreiben sie nicht indirekt Verhaltensweisen vor, sondern Denk- und Argumentationsweisen bezüglich auf indirekt Verhaltensweisen vorschreibende Normen. Strenggenommen sind also Prinzipien nicht mit Postulaten zu verwechseln. 3 Alexy, Robert, Theorie der Grundrechte. 2. Aufl. Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1994, S. 100. Zu diesem Thema s. Martin Borowsky, der eine klare Stellung Alexys zugunsten der Verhältnismäßigkeit als Regel zu erkennen glaubt: Grundrechte als Prinzipien. Baden-Baden, Nomos, 1998, S. 77; Clérico, Laura, Die Struktur der Verhältnismäßigkeit. Baden-Baden, Nomos, 2001, S. 21; Silva, Luis Virgílio Afonso da, O proporcional e o razoável. Revista dos Tribunais. RT, São Paulo, 2002, S. 27.

I. Definition des normativen Anwendungspostulats

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Regeln sind ihrerseits Normen, die unmittelbar Verhaltensweisen beschreiben, die geboten sind oder Macht zuschreiben. Anders als sie, beschreiben die Postulate keine Verhaltensweisen, strukturieren jedoch die Anwendung der Normen, die dies tun. Selbst wenn Regeln als Normen, die vorschreiben, verbieten oder erlauben was zu tun ist, beschrieben würden – wobei ihre Folge vermittels Subsumtion im Fall des Vorliegens ihres Tatbestands umzusetzen wäre, wie dies Dworkin und Alexy tun –, würde die Komplexität der Postulate sich von diesem dualen Modell entfernen. So ist z. B. die Analyse der Postulate der Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit weit davon entfernt, vom Anwender eine reine Subsumtionstätigkeit zu verlangen. Sie erfordern vielmehr die Anordnung und wechselseitige Beziehung verschiedener Elemente (Mittel und Zweck, Kriterium und Maßstab, allgemeine Regel und Einzelfall) und nicht eine schlichte Überprüfung der Entsprechung von normativer Hypothese und Tatsachenelementen. Die Möglichkeit, am Ende eine vollständige Anwendung zu beantragen, schafft den unterschiedlichen Gebrauch bei der Vorbereitung der Entscheidung nicht aus der Welt. Auch die Prinzipien erfordern am Ende des Anwendungsprozesses die volle Einhaltung. Und der Umstand, dass alle Normarten letztlich auf das menschliche Verhalten ausgerichtet sind, eliminiert nicht die Bedeutung der Erklärung der völlig andersartigen Verfahren, welche ihre Entdeckung vorbereiten und begründen. Die Schwierigkeiten der Einordnung der Verhältnismäßigkeit, so z. B. in die Kategorien der Regeln und Prinzipien, zeigen sich schon an den Konzeptionen selbst derjenigen, die sie in diese Kategorien einordnen. Selbst die Anhänger der Interpretation der hier so genannten normativen Anwendungspostulate als Regeln zweiten Grades geben zu, dass sie neben den Optimierungspflichten eine besondere Form von Regeln sind.4 Auch die Anhänger ihrer Interpretation als Prinzipien geben zu, dass sie als Maximen oder argumentative Topoi fungieren, welche die Natur von Regeln mit der von Prinzipien vermengen.5 Andere wiederum klassifizieren sie mit soliden Argumenten in der Kategorie der anderen Prinzipien, die Legitimationsprinzipien genannt werden.6 Schließlich gibt es noch diejenigen, die sie sich als Methodennormen vorstellen.7

4 Cf. Borowsky, Martin, Grundrechte als Prinzipien. Baden-Baden, Nomos, 1998, S. 91; Sieckmann, Jan-Reinard, Regelmodelle und Prinzipienmodelle des Rechtssystems. Baden-Baden, Nomos, 1990, S. 84. 5 Guerra Filho, Willis S., Teoria da Ciência Jurídica. São Paulo, Saraiva, 2001, S. 136 und 153. 6 Torres, Ricardo Lobo, A legitimação dos Direitos Humanos e os Princípios da Ponderação e da Razoabilidade, in: Ricardo Lobo Torres (ed.), Legitimação dos Direitos Humanos. Rio de Janeiro, Renovar, 2002, S. 432. 7 Michael, Lothar, Der allgemeine Gleichheitssatz als Methodennorm komparativer Systeme. Berlin, Duncker & Humblot, 1997, S. 42 ff.

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C. Normen zweiter Stufe: Anwendungsnormen

Diese Erwägungen legen nahe, dass diese Gebote eine besondere Kennzeichnung und folglich auch eine andere Bezeichnung verdienen. In dieser Arbeit werden sie normative Anwendungspostulate genannt. Die Bezeichnung ist nebensächlich. Entscheidend ist die Feststellung und Begründung ihrer unterschiedlichen Operationalität.

II. Richtlinien für die Untersuchung der normativen Anwendungspostulate Wenn wir die Definition der Postulate als strukturierende Normen der Anwendung von Prinzipien und Regeln auffassen, bieten sich folgende Schritte für ihre Untersuchung an: 1. Notwendigkeit der Erfassung der Fälle, deren Lösung aufgrund eines normativen Postulats ausgearbeitet worden ist Die Untersuchung der normativen Postulate beginnt mit der Analyse der Rechtsprechung. Es müssen Fälle gefunden werden, die vermittels der Anwendung der untersuchten Postulate gelöst worden sind. So nehmen beispielsweise die Bedeutung der Verhältnismäßigkeit und der Zumutbarkeit täglich in der brasilianischen Rechtsprechung zu. Nicht wenige Urteile der zweit- und letztinstanzlichen Gerichte greifen auf sie zurück. Ganz konkret bedeutet dies, (a) die Rechtsprechung der oberen Gerichte nach Entscheidungen zu sichten, welche den Rekurs auf normative Postulate erwähnt haben, und (b) den vollständigen Text dieser Entscheidungen, in denen auf diese Postulate verwiesen wird, zu erhalten. 2. Untersuchung der Begründung der Entscheidungen, um festzustellen, welche Elemente geordnet worden sind und welches die Art und Weise ihrer wechselseitigen Beziehung ist Anschließend ist die Begründung der Entscheidungen zu untersuchen, um zu ermitteln, welche Elemente geordnet und wie sie aufeinander bezogen worden sind. Wie schon erwähnt, strukturieren die normativen Postulate die Anwendung anderer Normen. Wenn dem so ist, ist es absolut unerlässlich, festzustellen, welche Normen angewandt und wie sie angewandt worden sind. So wird beispielsweise das Postulat der Zumutbarkeit bei der Anwendung der Gleichheit verwendet, um eine Kongruenzbeziehung zwischen dem Unterscheidungsmerkmal und der diskriminierenden Maßnahme zu fordern. Die Untersuchung der Entscheidung erlaubt die Feststellung, dass zwei Elemente analysiert worden

II. Richtlinien für die Untersuchung der Anwendungspostulate

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sind, das Merkmal und die Maßnahme, und das eine bestimmte Kongruenzbeziehung zwischen ihnen gefordert worden ist. Dies bedeutet, ganz spezifisch, (a) die Analyse der Entscheidungen und die Feststellung der manipulierten Elemente oder Größen, und (b) die Feststellung, welche Beziehungen als wesentlich zwischen ihnen festgestellt worden sind. 3. Feststellung der Normen, die Gegenstand der Anwendung waren, und der bei der Wahl einer bestimmten Anwendung verwendeten Grundlagen Da die Postulate Gebote sind, welche die Anwendung von Rechtsnormen strukturieren, ist die Feststellung nicht nur der Normen, die Gegenstand der Anwendung waren, sondern auch der Entscheidungsbegründung wichtig. So erfordert z. B. das Postulat der Verhältnismäßigkeit, dass die vom Staat durchgeführten Maßnahmen im engen Sinn geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sind. Im Fall, in dem der Oberste Bundesgerichtshof die Verfassungswidrigkeit eines Landesgesetzes feststellte, das die Verwendung einer besonderen Waage zur Abwiegung von Gasflaschen vor dem Verbraucher angeordnet hatte, hat das Gericht das verwendete Mittel (Anordnung der Verwendung von Waagen), den anvisierten Zweck (Prinzip des Verbraucherschutzes) und das kollateral eingeschränkte Prinzip (scil. der freien Initiative) untersucht. Wie man der Lektüre des gesamten Entscheidungstexts entnimmt, gab die Berufung einlegende Partei an, dass das Mittel nicht gänzlich zur Förderung des Zwecks angemessen wäre (nach einem Gutachten der Eichbehörde INMETRO seien die Waagen ungeeignet, um den Inhalt der Gasflaschen zu messen, da der Gebrauch der Manometer nicht die Erreichung des vorgeschlagenen Zwecks erlaube, zumal die Angabe des flüssigen Gases aus Erdöl in Masse und nicht in Druckeinheit erfolge). Andere weniger einschränkende Mittel könnten gewählt werden (Versiegelung, Verlötung, Kontrolle). Die Nachteile (Ausgaben beim Ankauf der Waagen, Abwälzung der Kosten auf den Preis der Gasflaschen, Notwendigkeit der Präsenz des Verbrauchers vor dem die Flaschen befördernden Lkw) würden gegenüber den Vorteilen (stärkere Kontrolle des Inhalts der Gasflaschen, Verbrauchervertrauensschutz) überwiegen.8 In einem Wort, die Untersuchung der Entscheidung erlaubt die Feststellung der analysierten Elemente und der zwischen ihnen geforderten Beziehung. Dies bedeutet näherhin (a) die Feststellung der benutzten Elemente oder Größen und (b) die Ermittlung der Gründe, welche die Richter dazu veranlasst haben, bestimmte Beziehungen zwischen ihnen für vorliegend oder nicht vorliegend zu halten. 8 Antrag auf Erklärung der Verfassungswidrigkeit Nr. 855-2; Berichterstatter: Richter Sepúlveda Pertence, DJU 01.10.93.

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C. Normen zweiter Stufe: Anwendungsnormen

4. Zurücklegung des umgekehrten Weges: Ermittlung der bei der Anwendung des Postulats geforderten Struktur, Feststellung des Vorliegens anderer Fälle, die auf deren Grundlage hätten entschieden werden müssen Wie schon erwähnt, ist der erste Schritt bei der Untersuchung der Postulate die Analyse der Entscheidungen, in denen auf sie ausdrücklich rekurriert wird. Es gibt jedoch Fälle, in denen ein bestimmtes Postulat ohne ausdrückliche Nennung verwendet wird. In anderen Fällen wiederum wird es nicht verwendet, obwohl die Elemente und die Verpflichtung, eine spezifische Weise der Beziehung zwischen ihnen festzustellen, vorliegen. In anderen Fällen wird ein bestimmtes Postulat auch noch ausdrücklich genannt, aber die Elemente und die Beziehung zwischen ihnen sind anders als die Elemente und deren Beziehungen in Fällen, die vorgeblich aufgrund desselben Postulats entschieden worden sind. Angesichts dieser Erwägungen ist also die Untersuchung nach der Aufdeckung der Hypothesen der typischen Anwendung der Postulate zu wiederholen, dieses Mal nicht über die Suche nach dem Postulat über ein Schlüsselwort, sondern über die Suche nach den Elementen und deren Beziehungen, die seiner Anwendung zugrundliegen. Vereinfacht gesagt, bedeutet dies (a) die Wiederaufnahme der Sichtung der Rechtsprechung durch die Suche nach anderen Schlüsselwörtern und (b) die kritische Untersuchung der gefundenen Entscheidungen, indem diese argumentativ gemäß des untersuchten Postulats rekonstruiert werden, um den nicht erfolgten oder unangemessenen Gebrauch herauszustellen.

III. Arten der Anwendungsnormen (Postulate) 1. Allgemeine Erwägungen Die normativen Postulate wurden als Strukturgebote definiert, d.h. als Gebote, welche die Verbindung zwischen Elementen statuieren und eine bestimmte Beziehung zwischen ihnen durchsetzen. In dieser Hinsicht können sie als formal angesehen werden, da sie vom Zusammenspiel materieller Gründe ihrer Anwendung abhängen. Nicht alle Postulate funktionieren auf gleiche Weise. Einige sind unabhängig von den Elementen, die Gegenstand der Beziehung sein werden, anwendbar. Wie später nachzuweisen sein wird, fordert die Abwägung eine Gewichtung von jeglichen Elementen (Gütern, Interessen, Werten, Rechten, Prinzipien, Gründen) und gibt nicht an, wie diese Gewichtung zu erfolgen hat. Die Elemente und Kriterien sind nicht spezifisch. Die praktische Konkordanz funktioniert auf ähnliche Weise: Verlangt wird die Harmonisierung von Elementen, ohne dass die Art dieser Elemente genannt wird. Die Elemente, die Gegenstand

III. Arten der Anwendungsnormen (Postulate)

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der Harmonisierung sind, sind unbestimmt. Das Übermaßverbot statuiert ebenfalls, dass die Verwirklichung eines Elements nicht die Vernichtung eines anderen zur Folge haben darf. Nicht genannt werden die Elemente, die Gegenstand der minimalen Erhaltung sind. Ebenso bestimmt das Optimierungspostulat die Maximierung bestimmter Elemente, ohne diese und die Art ihrer Maximierung anzugeben. In diesen Fällen erfordern die normativen Postulate die Inbeziehungsetzung von Elementen, ohne jedoch zu spezifizieren, welche Elemente und Kriterien die Beziehung zwischen ihnen ausrichten sollen. Es handelt sich um eminent formale normative Postulate. Sie sind also reine allgemeine Ideen ohne orientierende Anwendungskriterien9, weshalb sie in dieser Untersuchung auch unspezifische (oder unbedingte) Postulate genannt werden. Die Anwendung anderer Postulate hängt dagegen vom Vorliegen bestimmter Elemente ab und richtet sich nach bestimmten Kriterien. Die Gleichheit ist nur in Situationen anwendbar, in denen eine Beziehung zwischen zwei oder mehr Subjekten im Hinblick auf ein zweckorientiertes Unterscheidungskriterium vorliegt. Bedingung ihrer Anwendbarkeit ist das Vorliegen spezifischer Elemente (Subjekte, Unterscheidungskriterium und Zweck). Die Zumutbarkeit ist nur in Situationen anwendbar, in denen ein Konflikt zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen ausbricht, zwischen der Norm und der von ihr geregelten Wirklichkeit und zwischen einem Kriterium und einer Maßnahme. Bedingung ihrer Anwendbarkeit ist das Vorliegen spezifischer Elemente (Allgemeines und Besonderes, Norm und Wirklichkeit, Kriterium und Maßnahme). Die Verhältnismäßigkeit ist nur in Fällen anwendbar, in denen es eine Kausalitätsbeziehung zwischen einem Mittel und einem Zweck gibt. Bedingung ihrer Anwendbarkeit ist das Vorliegen spezifischer Elemente (Mittel und Zweck). In diesen Fällen erfordern die normativen Postulate eine Beziehung zwischen spezifischen Elementen, mit Kriterien, welche die Beziehung zwischen ihnen regeln sollen. Sie sind auch formale normative Postulate, jedoch bezogen auf Elemente mit bestimmten Arten, weshalb sie in dieser Untersuchung auch spezifische (oder bedingte) Postulate genannt werden. 2. Unspezifische Postulate a) Abwägung Die Güterabwägung besteht aus einer Methode, die dazu bestimmt ist, ineinander verflochtenen Elementen Gewichte zuzuschreiben, ohne Bezug auf materiale, diese Gewichtung ausrichtende Gesichtspunkte. Man spricht hier und 9 Peczenik, Aleksander, The passion for reason, in: Luc J. Wintgens (ed.), The Law in Philosophical Perspectives. Dordrecht, Kluwer, 1999, S. 184.

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C. Normen zweiter Stufe: Anwendungsnormen

da von Abwägung von Gütern, Werten, Prinzipien, Zwecken, Interessen. Für das Ziel dieser Arbeit ist es wichtig festzuhalten, dass die Abwägung, ohne eine Struktur und ohne materiale Kriterien, ein für die Rechtsanwendung wenig nützliches Instrument ist. Sie ist mit der Einfügung von Kriterien zu strukturieren.10 Dies wird dann evident, wenn man feststellt, dass die Untersuchungen der Abwägung unweigerlich diese mit den Postulaten der Zumutbarkeit und der Verhältnismäßigkeit zu strukturieren und die Abwägung durch die Verwendung von grundlegenden Verfassungsprinzipien zu lenken versuchen. In dieser Hinsicht ist die Abwägung als reine, formaler oder materialer Kriterien entkleidete Methode oder Idee viel umfassender als die Postulate der Zumutbarkeit und der Verhältnismäßigkeit.11 Wichtig ist auch, die Elemente zu dissoziieren, die Gegenstand der Abwägung sind. Obwohl sie aufeinander bezogen sind, lassen sie sich dissoziieren. Rechtsgüter sind für die Förderung der Rechtsprinzipien wesentliche Situationen, Zustände oder Eigentümer.12 So setzt beispielsweise das Prinzip der freien Initiative als Verwirklichungsbedingung die Freiheit der Wahl und Autonomie voraus. Freiheit und Autonomie sind durch das Prinzip der freien Initiative geschützte Rechtsgüter. Interessen sind die Rechtsgüter selbst in ihrer Bindung an ein Subjekt, das sie erlangen will. Da z. B. die Freiheit und Autonomie durch das Prinzip der freien Initiative geschützte Rechsgüter sind, kann ein Subjekt aufgrund bestimmter Umstände die Bedingungen erfüllen, diese Freiheit und Autonomie zu genießen. Freiheit und Autonomie gehören dann zur Interessensphäre dieses Subjekts. Werte sind der werttheoretische Aspekt der Normen, sofern sie angeben, dass etwas gut und aus diesem Fall erstrebens- oder erhaltenswert ist.13 So gesehen, ist die Freiheit ein Wert und daher erstrebens- oder erhaltenswert. Prinzipien sind der deontologische Aspekt der Werte, da sie nicht nur zeigen, das etwas erstrebenswert ist, sondern darüber hinaus diesen Zustand zu erreichen bestimmen. Wenn man den Ausdruck Abwägung benutzt, verdienen alle oben genannten Elemente Gegenstand der Gewichtung zu sein. Wichtig ist jedoch, um der Klarheit willen die subtile Differenz zwischen ihnen zu erfassen. Man kann aber, ganz gleich welche Elemente Gegenstand der Abwägung sind, eine intensiv strukturierte Gewichtung entwickeln, die dann bei der An-

10 Steinmetz, Wilson Antônio, Colisão de Direitos Fundamentais e o princípio da proporcionalidade. Porto Alegre, Livraria do Advogado, 2001, S. 143. 11 Santiago, José Mª. Rodríguez de, La ponderación de bienes e interesses en el Derecho Administrativo. Madrid, Marcial Pons, 2000, S. 111. 12 Marx, Michael, Zur Definition des Begriffs „Rechtsgut“: Prolegomena einer materialen Verbrechenslehre. Köln, Carl Heymanns, 1971, S. 68. 13 Alexy, Robert, Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Beiheft 25 (1985), S. 24.

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wendung der spezifischen Postulate benutzt werden kann. Um dieses Ziel zu erreichen, sind einige grundlegende Etappen zu durchlaufen.14 Die erste ist die Abwägungsvorbereitung. In dieser Phase sind alle Elemente und Argumente so erschöpfend wie möglich zu untersuchen.15 Gewöhnlich wird eine Abwägung durchgeführt, ohne dass man von vornherein angibt, was denn der genaue Gegenstand der Gewichtung sein wird. Dies verletzt offensichtlich das wissenschaftliche Postulat der Explizierung der Prämissen, sowie das vom Rechtsstaatsbegriff untrennbare Prinzip der Entscheidungsbegründung. Die zweite Etappe ist die Abwägung. In ihr wird die zwischen den Elementen, die Gegenstand der Gewichtung sind, etablierte Beziehung begründet. Im Fall der Abwägung von Prinzipien, muss sie die Vorrangsbeziehung zwischen dem einen und dem anderen Prinzip angeben. Die dritte Etappe ist die Rekonstruktion der Abwägung. In ihr wird über die Formulierung von Beziehungsregeln, einschließlich von Regeln über den Vorrang zwischen den Elementen, die Gegenstand der Gewichtung sind, mit dem Geltungsanspruch über den Fall hinausgegangen. Die Kriterien der Abwägung können unterschiedlich sein. Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Verfassungsprinzipien und die Argumentationsregeln, die von ihnen ausgehend konstruiert werden können, wie etwa die des notwendigen Vorrangs der sprachlichen und systematischen vor den historischen, genetischen und rein pragmatischen Argumenten.16 b) Praktische Konkordanz In diesem Kontext stellt sich auch die praktische Konkordanz als Zweck dar, an dem sich die Abwägung auszurichten hat: die Pflicht der maximalen Verwirklichung von sich verschränkenden Werten. Dieses Postulat ergibt sich aus der Koexistenz von Werten, die gänzlich oder teilweise in gegenteilige Richtungen weisen. Deshalb spricht man von der Pflicht zur Harmonisierung der Werte, um sie maximal zu schützen. Infolge des Spannungsverhältnisses zwischen den Prinzipien und den Verfassungsregeln, vor allem zwischen denen, welche die Bürger schützen und denen, welche dem Staat Befugnisse zuschreiben, ist ein 14 Clerico, Laura, Die Struktur der Verhältnismäßigkeit. Baden-Baden, Nomos, 2001. S. 165; Santiago, José Mª. Rodríguez de, La ponderación de bienes e interesses en el Derecho Administrativo. Madrid, Marcial Pons, 2000, S. 117 ff. 15 Habermas, Jürgen, Faktizität und Geltung. Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1992, S. 317. 16 Ávila, Humberto Bergmann, Argumentação jurídica e a imunidade do livro eletrônico. Revista de Direito Tributário Nr. 79. São Paulo, Malheiros, 2001; ders., Materiell verfassungsrechtliche Beschränkungen der Besteuerungsgewalt in der brasilianischen Verfassung und im deutschen Grundgesetz. Baden-Baden, Nomos, 2002, S. 375 ff.

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C. Normen zweiter Stufe: Anwendungsnormen

Gleichgewicht zwischen ihnen zu finden. Dürig spricht diesbezüglich von der Pflicht, sich um eine dialektische Synthese zwischen den verschränkten Normen mit dem Zweck einer Optimierung zwischen den konfligierenden Normen zu bemühen.17 Weder die Abwägung noch die praktische Konkordanz benennen jedoch die formalen oder materialen Kriterien, vermittels derer die Förderung der ineinander verschränkten Zwecke durchzuführen ist. Sie stellen Strukturen dar, die allzu formal und kriterienlos sind. Wie noch an passender Stelle zu untersuchen sein wird, haben die Postulate der Zumutbarkeit und der Verhältnismäßigkeit die Strukturierung der Verwirklichung der Verfassungsnormen ermöglicht. c) Übermaßverbot Die Förderung der verfassungsmäßig gesetzten Zwecke stößt allerdings an eine Grenze, die durch das Postulat des Übermaßverbots angegeben wird. Das Postulat des Übermaßverbots, oft vom Supremo Tribunal Federal als eine der Facetten des Verhältnismäßigkeitsprinzips bezeichnet, verbietet die übermäßige Einschränkung eines jeden Grundrechts. Das Übermaßverbot ist in jedem Kontext, in dem ein Grundrecht eingeschränkt wird, anwesend. Deswegen ist es getrennt vom Postulat der Verhältnismäßigkeit zu untersuchen: Seine Anwendung setzt nicht das Vorliegen einer Kausalitätsbeziehung zwischen einem Mittel und einem Zweck voraus. Das Postulat des Übermaßverbots hängt allein davon ab, dass ein Grundrecht übermäßig eingeschränkt wird. Die Durchführung einer Regel oder eines Verfassungsprinzips darf nicht zu einer solchen Einschränkung eines Grundrechts führen, dass diesem im Ergebnis nicht einmal mehr ein Minimum an Wirkungsweise zukommt. So darf die Besteuerungsbefugnis nicht zur Vernichtung der freien Initiative führen. In diesem Fall zeigt die Abwägung der Werte, dass die Anwendung einer Norm, einer Regel oder eines Prinzips (staatliche Befugnis der Einführung von Steuern) nicht die Unmöglichkeit der Anwendung einer anderen Norm, eines anderen Prinzips oder einer anderen Regel implizieren darf (Schutz des Privateigentums).18 Einige Fälle mögen dieses Problem besser veranschaulichen. Das Übermaßverbot wird vom Bundesverfassungsgericht angewendet: Wenn die Belastung so hoch ist, dass die Eigentumsgarantie z. B. keine minimale Wirkungsweise mehr hat, ist sie verfassungswidrig. In diesem Fall zeigt die Nor17 Dürig, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz Kommentar. Art. 3, Abs. I, Rdnr. 121 und 128. 18 Tipke, Klaus, Die Steuerrechtsordnung. Bd. I. Köln, Otto Schmidt, 1993, S. 232 und 423.

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menkollision, dass die Anwendung einer Rechtsnorm (Befugnis des Staates, Einnahmen zu erhalten) die Unmöglichkeit der Anwendung einer anderen impliziert (Gewährleistung des Eigentums für den Bürger). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schützt die Eigentumsgarantie einen Kernbestand des Erfolges eigener Betätigung im wirtschaftlichen Bereich in Gestalt der grundsätzlichen Privatnützlichkeit des Erworbenen und der grundsätzlichen Verfügungsbefugnis über die geschaffenen vermögenswertlichen Rechtspositionen.19 Die Eigentumsgarantie wird in Zusammenhang mit den Freiheitsrechten interpretiert (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. 14 GG). Aus der Abwehrfunktion der Eigentumsgarantie folgt das Verbot, Erdrosselungssteuern einzuführen: Die Privatnützigkeit des Erworbenen und die Verfügungsbefugnis über geschaffene vermögenswertliche Rechtspositionen müssen dem Steuerpflichtigen im Kern erhalten bleiben. Die Substanz des Vermögens soll durch das Zusammenwirken der Vermögenssteuer mit den sonstigen Steuerbelastungen unberührt gelassen werden.20 Wenn eine Steuer regelmäßig geeignet ist, einen Beruf als Grundlage der Lebensführung unmöglich zu machen, kann sie auch für verfassungswidrig erklärt werden.21 Der Steuerpflichtige darf seine wirtschaftliche Existenz nicht verlieren. Der Zweite Senat des Supremo Tribunal Federal lehnte einen Revisionsantrag ab, mit dem geltend gemacht worden war, dass die Erhöhung einer Steuer über die Genehmigung von Duschkabinen übermäßig und unverhältnismäßig sei. Der Antragsteller hatte vorgebracht, dass die Auferlegung dieser Steuer ihn in einer erlaubten Tätigkeit behindern könnte und so mit dem Prinzip der Berufsfreiheit kollidieren würde (Art. 141 § 14 der Verfassung von 1946).22 Das Votum des Richters Orozimbo Nonato bezieht sich auf die Entscheidung des US-amerikanischen Supreme Court, derzufolge „die Besteuerungsbefugnis nur innerhalb derjenigen Grenzen ausgeübt werden kann, die sich als mit dem Recht auf freie Arbeit, freien Handel und industrielle Tätigkeit und mit dem Eigentumsrecht vereinbar darstellen“. Daher erkannte der Richter die Zumutbarkeit der Steuer an, obwohl er diese für „unbescheiden“ erklärte, da sie letztlich „die privatwirtschaftliche Tätigkeit nicht zerstöre“. Das Vorliegen dieses letztgenannten Umstands wäre für die Anerkennung des Übermaßes der Steuererhöhung ausschlaggebend gewesen. In einem anderen Verfahren bestätigte das Plenum des Supremo Tribunal Federal eine einstweilige Verfügung, welche die Verfassungswidrigkeit eines Landesgesetzes, das die Gerichtskosten erhöht hatte, behauptete. Dieses Gesetz 19

BVerfGE 31, 8 (31). Beispielsweise: BVerfGE 93, 121. 21 BVerfGE 30, 8 (29). 22 Außerordentlicher Revisionsantrag Nr. 18.331/SP. Berichterstatter: Richter Orozimbo Nonato, DJ 21.09.1951. 20

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„habe die Art. 153 §§ 30 und 32, den Art. 19 I und den Art. XVII c“ [der damals geltenden Verfassung] verletzt.23 Die Tatsache, dass die Gerichtskosten um 827% angehoben worden seien, würde einen großen Teil der Bevölkerung am Zugang zu den Gerichten hindern. Der Berichterstatter nahm die Argumente des Klägers an und behauptete darüber hinaus noch die Notwendigkeit des Schutzes des Interesses der Öffentlichkeit (Anspruch auf Rechtsschutz durch staatliche Institutionen) und ebenso die Möglichkeit des Eintritts nicht wiedergutzumachender Schäden, falls die einstweilige Verfügung nicht angeordnet würde. In einem anderen Fall hat der Erste Senat des Supremo Tribunal Federal für die partielle Annahme eines Revisionsantrags entschieden, der gegen die Entscheidung eines erstinstanzlichen Gerichts gestellt worden war. Die Entscheidung des ursprünglichen Gerichtshofs hatte das Bußgeld (fünfzigfacher Betrag der Steuer) für die Nichtbezahlung der Steuer bestätigt. Das STF erkannte zwar das Recht auf Eintreibung der Stempelsteuer an, änderte jedoch die Bestimmung bezüglich des Bußgelds, die es für übermäßig hielt.24 In allen diesen Fällen hat das STF nicht die Legitimität des Zwecks untersucht, ebenso nicht die Erforderlichkeit der Maßnahmen, viel weniger noch das Vorliegen von gesamtgesellschaftlichen Zwecken, welche die getroffenen Maßnahmen rechtfertigen könnten. Es wurde keine Geeignetheits-, Erforderlichkeitsund Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinn, im Hinblick auf eine ZweckMittel-Beziehung, vorgenommen. Statt dessen stellte das STF nur fest, dass keine Maßnahme ein Grundrecht übermäßig einschränken darf, unabhängig von den ihr zugrundeliegenden Motivationen. Aus diesem Grund spricht man vom Übermaßverbot als Grenze, getrennt vom Postulat der Verhältnismäßigkeit.25 Außerdem ist es plausibel, sich Fälle vorzustellen, in denen die vom Staat getroffene Maßnahme als verhältnismäßig angesehen wird, ohne das der Wesenskern eines Grundrechts berührt und die Maßnahme infolgedessen für übermäßig gehalten wird. Nehmen wir ein Beispiel. Um die Verbraucher zu schützen, verpflichtet der Staat die Supermärkte einer bestimmten Region, alle zum Verkauf angebotenen Produkte mit einem detaillierten Etikett zu versehen. Die Maßnahme dient als 23 Representação Nr. 1.077-5/RJ. Berichterstatter: Richter Moreira Alves, DJ 26.02. 1981. 24 Außerordentlicher Revisionsantrag Nr. 47.937/Guanabara, DJ 19.11.1962. 25 Ávila, Humberto Bergmann, Estatuto do contribuinte: conteúdo e alcance. Revista da Associação Brasileira de Direito Tributário, (7):73–104, Belo Horizonte, Del Rey, 2001; ders., Materiell verfassungsrechtliche Beschränkungen der Besteuerungsgewalt in der brasilianischen Verfassung und im deutschen Grundgesetz. Baden-Baden, Nomos, 2002, S. 75. Kürzlich, in der wünschbaren Präzision: Silva, Luis Virgílio Afonso da, O proporcional e o razoável. Revista dos Tribunais. RT, São Paulo, 2002, S. 27.

III. Arten der Anwendungsnormen (Postulate)

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Mittel zur Förderung eines Zwecks, nämlich des Verbraucherschutzes. Sie schränkt das Recht der Supermärkte auf freie Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit ein. Da die Situation eine Kausalitätsbeziehung zwischen einem konkreten Mittel und einem konkreten Zweck beinhaltet, gelangt das Verhältnismäßigkeitspostulat zur Anwendung. Bei einer Angemessenheitsprüfung kann festgestellt werden, dass die Wirkungen der getroffenen Maßnahme zur graduellen Verwirklichung des Zwecks beitragen. Die Etikettierung der Produkte leistet einen Beitrag zum Verbraucherschutz. Bei einer Erforderlichkeitsprüfung ist der Schluss auf die Existenz eines alternativen Mittels plausibel, falls die verfügbaren Mittel nicht als für den Verbraucherschutz gleichermaßen angemessen erachtet werden. Die Einführung von Strichcodes schützt beispielsweise die Mehrheit der Verbraucher in geringerem Maße als die Verpflichtung zur detaillierten Etikettierung aller Produkte. Die Etikettierungspflicht ist also notwendig. Und bei einer Gegenüberstellung der Vor- und Nachteile der Maßnahme kann man zum Schluss kommen, dass trotz der Unverfügbarkeit eines anderen für den Verbraucherschutz gleichermaßen angemessenen Mittels der Grad der Einschränkung des Prinzips der freien Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit durch die Verpflichtung zur Etikettierung aller Produkte (Verwaltungsaufwand, menschliche Arbeit bei der Etikettierung und erneuten Etikettierung nach Preisänderungen, Abwälzung der Kosten auf die Produktpreise, Aufgabe des modernen Strichcodesystems) in keinem sinnvollen Verhältnis zum Grad der Förderung des Verbraucherschutzprinzips steht (Schutz einer nicht aufmerksamen Minderheit von Verbrauchern zu Lasten des Durchschnitts der schon durch andere Mittel geschützten Verbraucher). Mit einem Wort: Obwohl geeignet und notwendig, wird die Maßnahme als im engen Sinn unverhältnismäßig angesehen. Ohne auf die Begründetheit der im Beispiel vorgestellten Lösung einzugehen, hat das Beispiel den Vorteil, zu beweisen, dass die drei einschlägigen Untersuchungen der Verhältnismäßigkeit (Geeignetheit, Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn) durchgeführt worden sind, ohne dass irgendwann einmal an die Einschränkung des Wesenskerns des Prinzips der freien Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit gedacht worden wäre. Die Supermärkte werden nicht Bankrott gehen, ihre Freiheitsrechte werden nicht komplett aufgehoben werden, und trotzdem wurde die Maßnahme für unverhältnismäßig angesehen. Das bedeutet: Die Maßnahme wurde als unverhältnismäßig angesehen, ohne übermäßig im Sinn der Verletzung des unverletztlichen Kerns der Grundrechte zu sein. Dies bedeutet, in einem Wort, dass eine Untersuchung über das Verhältnismäßigkeitspostulat ohne jegliche Kontrolle durch das Postulat des Übermaßverbots erfolgen kann. Und es kann eine Kontrolle durch das Postulat des Übermaßverbots erfolgen, ohne dass eine Kontrolle anhand des Postulats der Verhältnismäßigkeit vorgenommen wird, wie beispielsweise in den oben genannten Fällen der Besteuerung mit fiskalischem Zweck, in denen keine Kausalitätsbeziehung zwischen einem Mittel und einem konkreten Zweck besteht

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und trotzdem die Übermäßigkeit der getroffenen Maßnahmen festgestellt wurde. Es handelt sich also um unterschiedliche Postulate, da sich ihre Anwendung ebenfalls unterscheidet. Um die Unterscheidung zwischen dem Postulat der Verhältnismäßigkeit und dem Postulat des Übermaßverbots zu verstehen, muss festgestellt werden, dass das erste in einen Bereich greift, von dem aus der Wesenskern des eingeschränkten Grundprinzips erhalten bleibt. Wir könnten uns einen großen Kreis vorstellen, der die Intensitätsgrade der Einschränkung veranschaulicht. In ihm befinden sich andere kleinere konzentrische Kreise, bis wir zum kleinsten im Mittelpunkt befindlichen Kreis kommen, dessen Rand den unverletzlichen Kern eingrenzt. Der öffentliche Zweck könnte eine Einschränkung im Bereich des äußersten bis zum innersten Kreis, dessen Überschreitung verboten ist, rechtfertigen. Das Postulat der Verhältnismäßigkeit im engen Sinn greift also im Bereich zwischen dem innersten und dem äußersten Kreis und vergleicht den Grad der Freiheitseinschränkung mit dem Grad der Förderung des Gemeinwohls, um die Erklärung der Ungültigkeit einer Maßnahme, die ein Zuviel an Einschränkung zum Zweck eines Zuwenig an Förderung verursacht, zu ermöglichen. Bildlich gesprochen würde das der Behauptung gleichkommen, dass die dem Grad 1 entsprechende Förderung eines Gemeinwohls nicht eine dem Grad 4 entsprechende Einschränkung eines Grundprinzips rechtfertigt. In diesem Fall wäre die Maßnahme unverhältnismäßig im engen Sinn. Das Übermaßverbot würde beispielsweise nur angeben, dass keine Einschränkung dem Grad 5 entsprechen darf, da eine solche den innersten nicht beeinträchtigungsfähigen Bereich verletzen würde, unabhängig von ihrem Rechtfertigungszweck und von ihrem Intensitätsgrad. Alle diese Erwägungen, deren Verständnis ein beträchtliches Maß an Phantasie erfordert, verfolgen den alleinigen Zweck, nachzuweisen, dass die vom Postulat des Übermaßverbots geforderte Kontrollmethode anders als die vom Postulat der Verhältnismäßigkeit angegebene Kontrolle ist. Da die Kontrollstruktur unterschiedlich ist, führt das Bedürfnis nach Klarheit zur Wahl einer gleichfalls unterschiedlichen Terminologie. Diese Strukturen – man kann dies nicht oft genug hervorheben – können auf unterschiedliche Weisen und mit übereinstimmenden Nomenklaturen erklärt werden. Unzulässig ist – wie man ebenfalls nicht oft genug hervorheben kann – ihre Vermengung durch die Wahl derselben Bezeichnung. 3. Spezifische Postulate a) Gleichheit Gleichheit kann als Regel fungieren, indem sie das Verbot diskriminierender Behandlung einführt; als Prinzip, indem sie einen egalitären Zustand als zu för-

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dernden Zweck vorsieht; und als Postulat, indem sie die Rechtsanwendung gemäß den Elementen (Differenzierungskriterium und Unterscheidungszweck) und der zwischen ihnen herrschenden Beziehung (zweckbezogene Kongruenz des Kriteriums) strukturiert. Die Konkretisierung des Gleichheitsprinzips hängt vom Maßstab, der Gegenstand der Differenzierung ist, ab,26 zumal das Gleichheitsprinzip selbst nichts über die Güter oder die Zwecke, derer sich die Gleichheit zur Differenzierung oder Angleichung der Menschen bedient, aussagt. Menschen oder Situationen sind gleich oder ungleich in Bezug auf ein Differenzierungskriterium. Zwei Menschen sind formal gleich oder anders in Bezug auf ihr Alter, ihre Geschlechtszugehörigkeit oder ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Diese Differenzierung wird materiell nur relevant, insofern ihr ein Zweck beigegeben wird, so dass die Menschen gleich oder unterschiedlich nach demselben Kriterium sind, je nach dem Zweck, auf welchen dieses verpflichtet ist. Zwei Personen können gleich oder unterschiedlich nach dem Alterskriterium sein: Sie sind ungleich zu behandeln, wenn es um die Wertung ihrer Stimme bei einer Wahl geht, falls eine die Mündigkeit erreicht und die andere sie noch nicht erreicht hat, sind jedoch gleich zu behandeln, um Steuern zu bezahlen, da die Konkretisierung dieses Zwecks altersindifferent ist. Zwei Personen können als gleich oder ungleich zur Gewährung des Mutterschaftsurlaubs angesehen werden, falls nur eine weiblichen Geschlechts ist; sie sind aber gleich zu behandeln, wenn es um ihre Stimme bei einer Wahl oder die Steuerpflicht geht, da die Konkretisierung dieses Zwecks geschlechtsindifferent ist. Ebenso können zwei Personen als gleiche oder ungleiche nach dem Kriterium der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verstanden werden: Sie sind zum Zweck der Steuerzahlung ungleich zu behandeln, falls eine einen stärkeren Beitrag erbringen kann; sie sind aber gleich zu behandeln im Hinblick auf die Gewährung des Vaterschaftsurlaubs, da die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit in Bezug auf die Konkretisierung dieser Zwecke neutral ist.27 Das bedeutet, dass die Anwendung der Gleichheit von einem Differenzierungskriterium und einem zu erreichenden Zweck abhängt. Aus dieser Feststellung ergibt sich eine so wichtige wie vernachlässigte Schlussfolgerung: Unterschiedliche Zwecke führen zur Anwendung unterschiedlicher Mittel, aus dem einfachen Grund, weil einige Kriterien der Erreichung bestimmter Zwecke angemessen und andere ihr nicht angemessen sind. Mehr noch: Unterschiedliche 26 Vgl. zu diesem Thema, stellvertretend für alle anderen Arbeiten, den ausgezeichneten Aufsatz von Bandeira de Mello, Celso Antônio, O conteúdo jurídico do princípio da igualdade. 3. Aufl. São Paulo, Malheiros, 2001. Vgl. auch Michael, Lothar, Der allgemeine Gleichheitssatz als Methodennorm komparativer Systeme. Berlin, Duncker & Humblot, 1997, S. 42 ff. 27 Kirchhof, Paul, Die Verschiedenheit der Menschen und die Gleichheit vor dem Gesetz. München, Siemens Stiftung, 1996, S. 8 ff.

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C. Normen zweiter Stufe: Anwendungsnormen

Zwecke führen zu unterschiedlichen Kontrollmaßnahmen. Es gibt verschiedene Zwecke im Recht.28 Bei Postulaten führt ihre Verletzung wieder zur Verletzung einer Rechtsnorm. In Bezug auf Freiheit und Menschenwürde sind die Subjekte als gleich anzusehen. Die Verletzung ihrer Gleichheit impliziert die Verletzung eines Grundprinzips. b) Zumutbarkeit aa) Allgemeines Die Zumutbarkeit strukturiert die Anwendung anderer Normen, Prinzipien und Regeln, vornehmlich der Regeln. Sie wird in mehrfachem Sinn benutzt. Man spricht von Zumutbarkeit einer Vorbringung, Zumutbarkeit einer Auslegung, Zumutbarkeit einer Einschränkung, Zumutbarkeit eines gesetzlichen Zwecks, Zumutbarkeit der legislativen Funktion.29 Zumutbarkeit wird, in einem Wort, in mehreren Kontexten und mit mehreren Zwecksetzungen verwendet. Obwohl die Entscheidungen der obersten Gerichte terminologisch nicht einheitlich sind und auch keine ausdrücklichen und klaren Kriterien zur Begründung der Postulate der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit verwenden, ist es möglich – gerade auch weil dies zu den Zwecken der Rechtswissenschaft gehört – die Entscheidungen analytisch zu rekonstruieren und sie mit der gewünschten Klarheit auszustatten. Deshalb lässt sich nicht behaupten, dass der Mangel an ausdrücklicher Verwendung von Kriterien in der Verhältnismäßigkeits- und Zumutbarkeitsprüfung dem Rechtstheoretiker nicht über eine analytische Rekonstruktion der Entscheidungen herauszufinden erlaubt, welche Kriterien implizit von der Rechtsprechung des STF benutzt werden.30 Unter den vielen Bedeutungen von Billigkeit sind drei hervorzuheben. Erstens wird die Billigkeit als Richtlinie verwendet, die eine Bezugnahme der allgemeinen Normen auf die Einzelheiten des konkreten Falls erfordert, sei es durch die Aufweisung der Perspektive, in welcher die Norm anzuwenden ist, sei es durch Hinweis auf die Hypothesen, in welche der Einzelfall aufgrund seiner Spezifika sich in die allgemeine Norm einordnen lässt. Zweitens wird die 28 Vogel, Klaus/Waldhoff, Christian, Bonner Kommentar zum Grundgesetz. 81 Lfg. 1997, S. 388; Birk, Dieter, Steuerrecht I, Allgemeines Steuerrecht. 2. Aufl. München, Beck, 1994, S. 10–11; Huster, Stefan, Rechte und Ziele: Zur Dogmatik des allgemeinen Gleichheitssatzes. Berlin, Duncker & Humblot, 1993, S. 149, 166 f., 210. 29 Zur Bedeutungsvielfalt s. Scaccia, Gino, Gli ,strumenti‘ della ragionevolezza nel giudizio costituzionale. Mailand, Giuffrè, 2000. Vgl. zum Thema Zagrebelsky, Gustavo, Su tre aspetti della ragionevolleza, in: Il principio di ragionevolezza nella giurisprudenza della Corte Costituzionale. Mailand, Giuffrè, 1994, S. 179 ff.; Cerri, Augusto, Corso de Giustizia Costituzionale. 2. Aufl. Mailand, Giuffrè, 1997, S. 233 ff. 30 Vgl. für eine andere Sicht des Problems Silva, Luis Virgílio Afonso da, O proporcional e o razoável. Revista dos Tribunais, São Paulo, RT, 2002, S. 34.

III. Arten der Anwendungsnormen (Postulate)

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Billigkeit als Richtlinie verwendet, die eine Bindung der Rechtsnormen an die Welt, auf die sie sich beziehen, erfordert, sei es durch die Einforderung der Existenz eines empirischen, jedem Rechtsakt angemessenen Substrats, sei es durch die Forderung nach einer kongruenten Beziehung zwischen der getroffenen Maßnahme und dem Zweck, den zu erreichen sie beabsichtigt. Drittens wird die Billigkeit als Richtlinie verwendet, welche die Äquivalenzbeziehung zwischen zwei Größen erfordert. Diese drei Bedeutungen werden im Folgenden untersucht.

bb) Typologie (1) Zumutbarkeit als Billigkeit In der ersten Fallgruppe erfordert das Zumutbarkeitspostulat die Harmonisierung der allgemeinen Norm mit dem Einzelfall. Erstens erfordert die Zumutbarkeit bei der Anwendung von Rechtsnormen die Berücksichtigung des normalerweise Vorfallenden. Einige Fälle mögen diese Forderung veranschaulichen. Ein Rechtsanwalt beantragte die Vertagung des Urteils des Geschworenengerichts, da er Verteidiger in einem anderen aufsehenerregenden Fall war, der in demselben Zeitraum entschieden werden sollte. Dem ersten Antrag wurde stattgegeben. Nachdem er seinen Mandanten im anderen Verfahren verteidigt hatte, beantragte er eine erneute Vertagung des Urteils, um der Empfehlung nachzukommen, sich zwei Wochen auszuruhen. Dieses Mal gab der Richter jedoch dem Antrag nicht statt, da er die erneute Vertagung als Missachtung des Gerichts wertete und vermutete, dass der Anwalt arglistig das Urteil auf unzulässige Weise hinauszögern wollte. Nachdem am festgesetzten Tag der Angeklagte gesagt hatte, dass sein Anwalt nicht anwesend sei, ernannte der Richter einen Pflichtverteidiger, der sofort die Verteidigung übernahm. Unzufrieden mit der Ablehnung des Antrags und auch mit dem Ausgang des Verfahrens, reichte der Anwalt einen Habeas-corpus-Antrag ein. Bei der Entscheidung darüber wurde behauptet, dass es nicht unbillig sei, dass der Anwalt, der in gleichzeitigen Verfahren auftrete, deren Entscheidung oft nahezu zeitgleich erfolge, die Vertagung aufgrund der Ereignisse in einer vorherigen Urteilssitzung beantragen könne. Vertreten wurde, in einem Wort, die These, es sei billig zu vermuten, dass jemand die Wahrheit sage und in gutem Glauben handle, statt zu lügen oder böswillig zu handeln. Bei der Rechtsanwendung muss man unterstellen, was normalerweise vorfällt, nicht das Gegenteil. Die Verteidigung seitens des Pflichtverteidigers wurde für nichtig erklärt, da die Ablehnung des Antrags des Anwalts auf Vertagung der Urteilssitzung das Verteidigungsrecht des Angeklagten eingeschränkt habe.31

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C. Normen zweiter Stufe: Anwendungsnormen

Von einem Staatsanwalt, der beim Oberlandesgericht eine sofortige Beschwerde auf einem Blatt mit Briefkopf des Landesjustizministeriums eingereicht hatte, wurde der Nachweis seines Staatsanwaltsstatus durch die Beilegung der Ernennungsurkunde oder einer gleichwertigen, vom Generalanwalt des Landes ausgestellten Urkunde verlangt. Nach der Erklärung, dass diese Mandatsurkunde nicht vorliege, wurde das Problem dem Gericht zur Entscheidung vorgelegt. Behauptet wurde in diesem Zusammenhang, dass es billig sei, die Existenz eines Mandats zu vermuten, wenn ein Staatsanwalt ein legales Mandat habe. Bei der Auslegung der Rechtsnormen muss vermutet werden, was normalerweise erfolgt, nicht das Außerordentliche, wie etwa eine Situation, in welcher jemand als Staatsanwalt auftritt, ohne diese Qualifikation tatsächlich zu besitzen. Aus diesem Grund wurde die Annahme der sofortigen Beschwerde verfügt, da ihre Unwirksamkeit das Recht auf umfassende Verteidigung aufgrund einer reinen Förmelei einschränken würde.32 Eine Mandatsurkunde, die von jemandem unterschrieben ist, der sich als Vertreter eines Verwaltungsträgers ausgibt, mit Nennung seines Postens in der jeweiligen Verwaltung, kann nicht als regelwidrig oder falsch verstanden werden. Bei der Normauslegung muss vermutet werden, was im Alltag gewöhnlich vorfällt, nicht das Außergewöhnliche.33 In den oben genannten Fällen fungiert die Zumutbarkeit als Instrument zur Bestimmung, ob die Tatsachenumstände mit der Vermutung ihrer Normalität zu berücksichtigen sind. Die Zumutbarkeit greift bei der Interpretation der in Rechtsregeln beschriebenen Tatsachen. Sie verlangt eine bestimmte Auslegung als Mittel der Erhaltung von werttheoretisch höherrangigen Prinzipien. Eine anderslautende Interpretation der Umstände würde zur Einschränkung eines Verfassungsprinzips führen, wie beispielsweise des Prinzips des ordentlichen Gerichtsverfahrens in den untersuchten Fällen. Zweitens erfordert die Zumutbarkeit die Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls in den Konstellationen, in denen sie allzusehr durch die allgemeine Formulierung des Gesetzes missachtet wird. Aufgrund bestimmter Spezifika kann in bestimmten Fällen die allgemeine Norm nicht anwendbar sein, da es sich um einen abnormen Fall handelt. Ein schon erwähntes Beispiel veranschaulicht diese Pflicht. Eine kleine Sofafabrik, die als Kleinbetrieb klassifiziert worden war, um die Bundessteuern pauschal zu zahlen, wurde aus diesem Verfahren ausgeschlossen, 31 Habeas Corpus Nr. 71408-1. Zweiter Senat. Berichterstatter: Richter Marco Aurélio de Mello, DJ 29.10.99. 32 Außerordentlicher Revisionsantrag Nr. 192553-1. Zweiter Senat. Berichterstatter: Richter Marco Aurélio de Mello, DJ 16.04.99. 33 Embargos de Declaração em Recurso Extraordinário Nr. 199066-0. Zweiter Senat. Berichterstatter: Richter Marco Aurélio de Mello, DJ 01.08.97.

III. Arten der Anwendungsnormen (Postulate)

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da sie sich nicht an das Einfuhrverbot ausländischer Waren gehalten hatte, das Bedingung für die Anwendung des pauschalen Steuerverfahrens ist. Die Firma hatte tatsächlich eine Einfuhr getätigt. Sie hatte aber nur vier Sofastützen für ein einziges Sofa ein einziges Mal importiert. Als sie gegen die Entscheidung Berufung einlegte, wurde der Ausschluss rückgängig gemacht, da eine Auslegung in den Grenzen des Vernünftigen es gebiete, dass die Auslegung „in Übereinstimmung mit dem, was für den gesunden Menschenverstand vor dem Gesetz annehmbar wäre“, zu erfolgen hat.34 In diesem Fall wurde die Regel, nach welcher die Einfuhr für Firmen, die innerhalb des Sondersteuerregimes bleiben wollen, anerkannt, die Folge ihrer Nichteinhaltung (Ausschluss aus dem Sondersteuerregime) jedoch nicht angewandt, da die Abweichung von dem vorgeschriebenen Verhalten (Anreiz der nationalen Produktion durch kleine Betriebe) im Einzelfall den Regelungszweck nicht gefährdete. Anders gewendet: Das Gericht ging bei seiner Entscheidung davon aus, dass der Anreiz zur nationalen Produktion durch die bloße Einfuhr einiger Sofastützen keinen Schaden nehme. Im oben genannten Fall wurde die allgemeine, auf die Allgemeinheit der Fälle anwendbare Regel als unanwendbar in einem Einzelfall angesehen, nämlich infolge der abnormen Qualität des Falls. Nicht jede einschlägige Norm ist anwendbar. Die Anwendbarkeit einer Regel ist von der Erfüllung der in ihrer Tatbestandsbeschreibung vorgesehenen Bedingungen zu unterscheiden. Eine Regel ist nicht anwendbar, nur weil die in ihrer Tatbestandsbeschreibung vorgesehenen Bedingungen erfüllt sind. Sie ist auf einen Fall anwendbar, wenn – und nur wenn – ihre Bedingungen erfüllt sind und ihre Anwendung nicht vom die Regel selbst motivierenden Grund oder vom Vorliegen eines einen gegenteiligen Grund statuierenden Prinzips ausgeschlossen wird. In diesen Fällen sind die Regelanwendungsbedingungen erfüllt, aber die Regel gelangt trotzdem nicht zur Anwendung.35 In diesem Fall wurden die Bedingungen für die Anwendung der Regel, nach welcher der Steuerzahler aus einem Sonderzahlungsmechanismus ausgeschlossen werden muss, wenn er eine Einfuhr tätigt, erfüllt. Selbst so gelangte die Regel nicht zur Anwendung: der Steuerzahler wurde in diesem Fall nicht ausgeschlossen. Diese Konzeption der Zumutbarkeit entspricht der Lehre von Aristoteles, für den die Natur der Billigkeit (aequitas) darin besteht, als Korrektiv des Gesetzes zu fungieren, wenn und wo dieses aufgrund seiner Allgemeinheit einen Fall nicht regelt.36 Diese Erwägungen legen die Schlussfolgerung nahe, dass die Zumutbarkeit als methodisches Instrument dient, um zu sagen, dass die Einschlägigkeit der 34 Verfahren Nr. 13003.000021/99-14. Zweite Kammer des Zweiten Steuerzahlergremiums, Sitzung des 18.10.2000. 35 Hage, Jaap C., Reasoning with Rules. An Essay on Legal Reasoning and Its Underlying Logic. Dordrecht, Kluwer, 1997, S. 114. 36 Aristoteles, Etica Nicomachea. Übersetzung von Marcello Zanata. Mailand, Rizzoli, 1994, S. 381 (1137 a 19 ff.).

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C. Normen zweiter Stufe: Anwendungsnormen

Norm eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für ihre Anwendung ist. Um anwendbar zu sein, muss der konkrete Fall auf die Verallgemeinerung der allgemeinen Norm passen. Die Billigkeit greift bei der Auslegung allgemeiner Regeln als Ausfluss des Gerechtigkeitsprinzips (Präambel und Art. 3 der Bundesverfassung). (2) Zumutbarkeit als Kongruenz In der zweiten Fallgruppe erfordert das Zumutbarkeitspostulat die Harmonisierung der Normen mit ihren äußerlichen Anwendungsbedingungen. Erstens erfordert die Zumutbarkeit für jede Maßnahme den Rekurs auf ein vorhandenes empirisches Substrat,37 wie einige Beispiele belegen. Ein Landesgesetz hatte eine Urlaubsgehaltszulage in Höhe eines Drittels des Monatsgehalts bzw. der Pension der Beamten im Ruhestand eingeführt. Die Sache kam vor Gericht und die besagte Zulage wurde als unzulässig gewertet, da sie einen grundlosen Vorteil beinhalte und auch nicht den notwendigen Billigkeitskoeffizienten erreiche, da nur eine Urlaubsgehaltszulage bekommen muss, wer auch Urlaub erhält. Infolgedessen wurde die Einführung der Zulage für nichtig erklärt, da sie als Verstoß gegen das Verbot legislativer Akte willkürlichen oder unbilligen Inhalts gewertet wurde.38 Ein Landesgesetz hatte angeordnet, dass die Lehranstalten Schulabschlussbescheinigungen und Schulzeugnisse für diejenigen Schüler der dritten Klasse der Mittelschule [letzte Schulklasse], die das Bestehen der Aufnahmeprüfung an einer Hochschule nachwiesen, unabhängig von der Anzahl der besuchten Unterrichtsstunden ausstellten und dass diese Ausstellung rechtzeitig erfolge, damit der Schüler sich in dem Studiengang, für den er durch Bestehen der Aufnahmeprüfung angenommen worden war, immatrikulieren könne. Das STF erkannte auf Vorliegen der rechtlichen Relevanz der von der Klägerin behaupteten Verfassungswidrigkeit, weil sich das angefochtene Gesetz prima facie als unzumutbar herausstellte, da es die natürliche akademische Ordnung zur Zuerkennung des Rechts auf die Ausstellung der Sekundarschulabschlussbescheinigung an die Schüler, unabhängig von der Anzahl der besuchten Unterrichtsstunden und in Abhängigkeit von der bestandenen Aufnahmeprüfung an der Universität, umgekehrt hatte.39 37 Zancaner, Weida, Razoabilidade e moralidade: princípios concretizadores do perfil constitucional do Estado Social e Democrático de Direito. Revista Diálogo Jurídico, Salvador CAJ – Centro de Atualização Jurídica, Jahrgang I, Nr. 9, Dezember 2001, S. 4. Abrufbar in . 38 Direkte Klage auf Verfassungswidrigkeit, Einstweilige Verfügung. Plenarsitzung. Berichterstatter: Richter Celso de Mello, DJ 26.05.95. 39 Direkte Klage auf Verfassungswidrigkeit Nr. 2.667-DF, Einstweilige Verfügung. Berichterstatter: Richter Celso de Mello, 19.6.2002.

III. Arten der Anwendungsnormen (Postulate)

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Eine Landesverfassungsnorm ordnete an, dass die Auszahlung der Gehälter an die Landesbeamten spätestens bis zum 10. (zehnten) Werktag eines jeden Monats zu erfolgen habe. Das STF fand es unzumutbar, dass die angefochtene Norm, um eine Verzögerung der Bezahlung der Landesbeamten zu vermeiden, eine Vorwegnahme der Bezahlung für noch nicht geleistete Dienste statuierte.40 In diesen Fällen wählt der Gesetzgeber eine nichtexistierende oder unzureichende Sache für das Vorgehen des Staats. Indem er dies tut, verletzt er die Forderung der Bindung an die Wirklichkeit.41 Die Auslegung der Normen fordert die Konfrontation mit ihren äußerlichen Parametern. Deswegen spricht man von Kongruenzpflicht und Begründung in der Natur der Sache. Die verfassungsmäßigen Prinzipien des Rechtsstaats (Art. 1) und des ordentlichen Gerichtsverfahrens (Art. 5, LIV) verhindern den Rekurs auf willkürliche Gründe und die Umkehrung der benutzten institutionellen Verfahren. Die Abkoppelung von der Wirklichkeit kommt einer Verletzung der Prinzipien des Rechtsstaats und des ordentlichen Verfahrens gleich. Diese Forderung wird auch in den Fällen des legislativen Anachronismus relevant, d.h. in den Fällen, in denen kein Grund mehr zur Anwendung einer im Hinblick auf einen bestimmten sozio-ökonomischen Kontext konzipierte Norm besteht.42 Zweitens erfordert die Zumutbarkeit eine kongruente Beziehung zwischen dem gewählten Unterscheidungskriterium und der getroffenen Maßnahme,43 wie die Untersuchung einiger Fälle beweist. Die Exekutive erließ eine Verordnung mit Gesetzeskraft (medida provisória) mit dem Zweck der Ausweitung der Verfallfrist von zwei auf fünf Jahre, zur Einreichung einer Kündigungsklage durch den Bund, die Länder oder Gemeinden. Während der gerichtlichen Prüfung wurde behauptet, dass die öffentliche Hand einige Prärogativen besitze, die jedoch durch reale Differenzen zwischen den Parteien gerechtfertigt sein müssten und nicht nur die Erschwerung der Rechtsdurchsetzung durch den Einzelnen bewirken dürfe. Nur eine plausible und akzeptable raison d’être rechtfertige die Unterscheidung. Aus diesem und anderen Gründen wurde die Verfügung mit Gesetzeskraft für verfassungswidrig 40 Direkte Klage auf Verfassungswidrigkeit Nr. 247-RJ. Berichterstatter: Richter Ilmar Galvão, 17.6.2002. 41 Moreira Neto, Diogo de Figueiredo, Moralidade administrativa: do conceito à efetivação. RDA (190):13, Rio de Janeiro, Renovar, 1992. 42 Scaccia, Gino, Gli ,strumenti‘ della ragionevolezza nel giudizio costituzionale. Mailand, Giuffrè, 2000, S. 247. 43 Zancaner, Weida, Razoabilidade e moralidade: princípios concretizadores do perfil constitucional do Estado Social e Democrático de Direito. Revista Diálogo Jurídico, Salvador CAJ – Centro de Atualização Jurídica, Jahrgang I, Nr. 9, Dezember 2001, S. 4. Abrufbar in .

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C. Normen zweiter Stufe: Anwendungsnormen

erklärt, da die Einführung einer willkürlichen Diskriminierung den Gleichheitssatz und das Prinzip des ordentlichen Verfahrens verletze.44 Ein Landesgesetz ordnete an, dass die Arbeitszeit von Landesministern doppelt auf die zur Pensionierung notwendige Beitragszeit anzurechnen sei. Bei der gerichtlichen Prüfung wurde festgestellt, dass keine Zumutbarkeitsgründe vorlagen, um die Arbeitszeit eines Landesministers als doppelt so wertvoll wie die der anderen Beamten zu bewerten. Es handelte sich um eine willkürliche oder ungerechtfertigte Diskriminierung. Aus diesem Grund wurde die Unterscheidung für ungültig erklärt, da die Einführung einer Unterscheidung ohne konkrete Gründe den Gleichheitssatz verletze.45 Ein Gesetz statuierte eine Bindung der Anzahl der Kandidaten pro Partei an die Anzahl der Sitze im Abgeordnetenhaus. Die Anzahl der Kandidaten wurde als Kriterium der Diskriminierung bei Wahlen verwendet. Die Parteien protestierten gegen diese Maßnahme und machten ihre Unbilligkeit geltend. Bei der gerichtlichen Prüfung wurde jedoch die Kongruenz zwischen dem Unterscheidungskriterium und der getroffenen Maßnahme festgestellt, da die Bindung der Stellen an die Anzahl der Kandidaten zu einer besseren Vertretung der Bevölkerung im Parlament führen würde.46 In den beiden oben genannten Fällen erforderte das Zumutbarkeitspostulat eine Korrelation zwischen dem von der Norm benutzten Unterscheidungskriterium und der von ihr getroffenen Maßnahme. Hier wird nicht die Zweck-MittelBeziehung untersucht, sondern die Beziehung zwischen Kriterium und Maßnahme. Zur Wirksamkeit der Verfassungsprinzipien des Rechtsstaats (Art. 1) und des ordentlichen Verfahrens (Art. 5 LIV) tritt die Wirksamkeit des Gleichheitssatzes (Art. 5, Obersatz), der den Rekurs auf unangemessene Unterscheidungskriterien verhindert, hinzu. Eine grundlose Unterscheidung kommt einer Verletzung des Gleichheitssatzes gleich. (3) Zumutbarkeit als Äquivalenz Die Zumutbarkeit erfordert auch eine Äquivalenzbeziehung zwischen der getroffenen Maßnahme und dem sie ausgestaltenden Kriterium. Das STF erklärte die Einführung einer Gerichtsgebühr in Höhe eines festen Prozentsatzes für verfassungswidrig, da diese in einigen Fällen so hoch sei, dass sie die Ausübung eines Grundrechts – die Erlangung gerichtlichen Rechts44 Direkte Klage auf Verfassungswidrigkeit Nr. 1.753-2. Plenarsitzung. Berichterstatter: Richter Sepúlveda Pertence, DJ 12.06.98. 45 Direkte Klage auf Verfassungswidrigkeit. Einstweilige Verfügung. Plenarsitzung. Berichterstatter: Richter Sepúlveda Pertence, DJ 22.11.91. 46 Direkte Klage auf Verfassungswidrigkeit Nr. 1.813-5. Plenarsitzung. Berichterstatter: Richter Marco Aurélio de Mello, DJ 06.06.98.

III. Arten der Anwendungsnormen (Postulate)

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schutzes – unmöglich mache und außerdem nicht in billiger Weise den realen Kosten der Dienstleistungserbringung entspreche.47 In diesem Fall liegt die Begründung der Entscheidung, einmal abgesehen vom Übermaßverbot, in der Unverhältnismäßigkeit der berechneten Gebühr zur Dienstleistung. Die Gebühren sind gemäß dem zu leistenden oder dem Steuerzahler zur Verfügung zu stellenden Dienst festzulegen. In diesem Sinn dienen die Kosten der Dienstleistung als Kriterium zur Festlegung der Gebührensumme. Deshalb wird auch gesagt, dass die Gebühren dem geleisteten Dienst äquivalent sein müssen. Ein anderes Beispiel bezieht sich auf die gemäß der Schuld des Täters festzulegenden Strafen. In diesem Sinn dient die Schuld als Kriterium für die Festlegung des abzuleistenden Strafmaßes, wobei die Strafe der Schuld entsprechen muss. Das STF hat in einem schon genannten Fall die Aussetzung des strafrechtlichen Verfahrens wegen Fehlens eines wichtigen Grundes angeordnet, zumal die rechtliche Bedeutungslosigkeit der als Delikt gekennzeichneten Handlung festgestellt worden war. Die vereinzelte Einstellung eines Arbeitnehmers durch eine Gemeindeverwaltung zur Durchführung der Tätigkeit als Straßenkehrer wurde angesichts der sehr kurzen Dienstzeit als unbedeutender Rechtsakt gewertet. Der Antrag in einer arbeitsrechtlichen Klage wurde als unbegründet abgewiesen, da die Rechtsbeziehung infolge der unterbliebenen öffentlichen Stellenausschreibung nichtig war. Die Bestrafung sei dem Delikt nicht äquivalent.48 (4) Unterscheidung von Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit Das Verhältnismäßigkeitspostulat erfordert, dass die Legislative und die Exekutive für die Erreichung ihrer Zwecke angemessene, erforderliche und verhältnismäßige Mittel wählen. Ein Mittel ist angemessen, wenn es den Zweck fördert. Es ist erforderlich, wenn es unter allen gleichermaßen zur Förderung des Zwecks angemessenen Mitteln das am wenigsten grundrechtseinschränkende ist. Und es ist verhältnismäßig im engeren Sinn, wenn die Vorteile, die es hervorbringt, die von ihm ebenfalls hervorgerufenen Nachteile überwiegen. Die Anwendung der Verhältnismäßigkeit erfordert die Kausalitätsbeziehung von Mittel und Zweck, so dass mit der Wahl des Mittels der Zweck gefördert wird.49 Nun bezieht sich die Zumutbarkeit gemäß der hier vorgeschlagenen Rekonstruktion nicht auf eine Kausalitätsbeziehung zwischen einem Mittel und einem 47 Representação Nr. 1077, Revista Trimestral de Jurisprudência do Supremo Tribunal Federal 112/34-67. 48 Habeas Corpus Nr. 77003. Berichterstatter: Richter Marco Aurélio de Mello, DJ 11.09.98. 49 Ávila, Humberto Bergmann, A distinção entre princípios e regras e a redefinição do dever de proporcionalidade. RDA (215):151–79. Rio de Janeiro, Renovar, Januar– März 1999.

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C. Normen zweiter Stufe: Anwendungsnormen

Zweck, wie es beim Verhältnismäßigkeitspostulat der Fall ist und nachfolgend gezeigt werden wird. Die Zumutbarkeit als Pflicht zur Harmonisierung des Allgemeinen mit dem Besonderen (Fairnesspflicht) fungiert als Instrument zur Bestimmung, ob die tatsächlichen Umstände in der Vermutung, im Rahmen der Normalität zu sein oder zur Bekundung, dass die Anwendbarkeit der allgemeinen Regel von der Klassifizierung des konkreten Falls abhängt, berücksichtigt werden müssen. In diesen Fällen setzen die höherrangigen Verfassungsprinzipien vertikal eine bestimmte Auslegung durch. Es liegt jedoch weder eine horizontale Kreuzung von Prinzipien noch eine Kausalitätsbeziehung zwischen einem Mittel und einem Zweck vor. Man kann nicht behaupten, dass eine Handlung die Verwirklichung eines Zustands fördert. Die Zumutbarkeit als Pflicht zur Harmonisierung des Rechts mit den äußerlichen Bedingungen (Kongruenzpflicht) erfordert die Beziehung der Normen auf ihre äußeren Anwendungsbedingungen, sei es durch die Suche nach einem empirischen Substrat für die Durchführung einer Maßnahme, sei es durch die Forderung nach einer kongruenten Beziehung zwischen dem gewählten Unterscheidungskriterium und der getroffenen Maßnahme. Im ersten Fall setzen höherrangige Verfassungsprinzipien vertikal eine bestimmte Auslegung durch die Abwehr willkürlicher Motivationen durch. Es gibt keine horizontale Kreuzung von Prinzipien oder eine Kausalitätsbeziehung zwischen einem Mittel und einem Zweck. Im zweiten Fall wird eine Korrelation zwischen dem von der Norm verwendeten Unterscheidungskriterium und der von ihr getroffenen Maßnahme gefordert. Hier wird nicht die Beziehung zwischen Mittel und Zweck, sondern die zwischen Kriterium und Maßnahme untersucht. Das Verhältnismäßigkeitspostulat setzt in der Tat die Kausalitätsbeziehung zwischen der Auswirkung einer Handlung (Mittel) und der Förderung eines Zustands (Zweck) voraus. Wer das Mittel wählt, fördert den Zweck: Ersteres führt zu Letzterem. Beim Rekurs auf Zumutbarkeit als Forderung nach Kongruenz von gewähltem Unterscheidungskriterium und getroffener Maßnahme besteht jedoch eine Beziehung zwischen einer Eigenschaft und einer getroffenen Maßnahme: eine Eigenschaft führt nicht zur Maßnahme, ist aber ein ihr innewohnendes Kriterium. Ähnlich der Forderung nach Kongruenz, setzt die Zumutbarkeit als Pflicht zur Bindung zwischen zwei Größen (Äquivalenzpflicht) eine Äquivalenzbeziehung zwischen der getroffenen Maßnahme und dem sie ausgestaltenden Kriterium durch. In diesem Fall wird eine Beziehung zwischen Kriterium und Maßnahme, nicht zwischen Mittel und Zweck gefordert. Das geht so weit, dass man in den untersuchten Fällen nicht sagen kann, dass die Kosten der Dienstleistung die Gebühr fördern oder die Schuld zur Strafe führt. In diesen Fällen besteht keine Kausalitätsbeziehung zwischen zwei empirisch zu unterscheidenden Ele-

III. Arten der Anwendungsnormen (Postulate)

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menten, eines Mittels und eines Zwecks, wie im Fall der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Es besteht allerdings eine Entsprechungsbeziehung zwischen beiden Größen.50 Obwohl dies aus den schon dargelegten Gründen nicht der von der vorliegenden Studie gewählte Ansatz ist, ist es möglich, das Übermaßverbot und die Zumutbarkeit in die Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinn einzuordnen. Falls die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn als weitgefasste Pflicht zur Abwägung von Gütern, Prinzipien und Werten, bei denen die Förderung des einen nicht die Vernichtung des anderen impliziert, verstanden wird, wird das Übermaßverbot in die Untersuchung der Verhältnismäßigkeit aufgenommen.51 Falls die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn die Abwägung verschiedener konfligierender Interessen umfasst, und damit auch der persönlichen Interessen der Träger der eingeschränkten Grundrechte, wird die Zumutbarkeit als Billigkeit in die Untersuchung der Verhältnismäßigkeit aufgenommen.52 Das bedeutet, das ein und dasselbe theoretische Problem unter verschiedenen Blickwinkeln und mit verschiedenen Zwecken untersucht werden kann. Alle diese Blickwinkel haben dieselbe theoretische Berechtigung. Man kann also nicht behaupten, dass diese oder jene Weise der Erklärung der Verhältnismäßigkeit richtig und die anderen verfehlt sind.53 c) Verhältnismäßigkeit aa) Allgemeine Bemerkungen Das Verhältnismäßigkeitspostulat gewinnt im brasilianischen Recht an Bedeutung. Es wird immer mehr als Instrument zur Kontrolle der Akte der staatlichen Gewalt herangezogen.54 Seine Anwendung hat natürlich mehrere Probleme aufgeworfen.

50 Ávila, Humberto Bergmann, Materiell verfassungsrechtliche Beschränkungen der Besteuerungsgewalt in der brasilianischen Verfassung und im deutschen Grundgesetz. Baden-Baden, Nomos, 2002, S. 71. 51 Mendes, Gilmar Ferreira, O princípio da proporcionalidade na jurisprudência do Supremo Tribunal Federal. Direitos fundamentais e controle de constitucionalidade. São Paulo, Celso Bastos Editor, 1998, S. 67 ff. 52 Barroso, Luis Roberto, Interpretação e aplicação da Constituição. 4. Aufl. Rio de Janeiro, Renovar, 2001, S. 224 ff.; Bandeira de Mello, Celso Antônio, Curso de Direito Administrativo. 13. Aufl. São Paulo, Malheiros, 2001; Clerico, Laura, Die Struktur der Verhältnismäßigkeit. Baden-Baden, Nomos, 2001, S. 223 ff. 53 Vgl. zu einer anderen Sicht des Problems Silva, Luis Virgílio Afonso da, O proporcional e o razoável. Revista dos Tribunais. São Paulo, RT, 2002, S. 28 ff. 54 Vgl. zu diesem Thema Ávila, Humberto Bergmann, A distinção entre princípios e regras e a redefinição do dever de proporcionalidade. RDA (215):151–79. Rio de Janeiro, Renovar, Januar–März 1999.

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C. Normen zweiter Stufe: Anwendungsnormen

Das erste bezieht sich auf seine Anwendbarkeit. Sein Ursprung liegt in der Verwendung des Worts Verhältnis. Der Begriff Verhältnis erscheint immer wieder in der Rechtswissenschaft. In der Allgemeinen Rechtslehre spricht man vom Verhältnis als einem Element der unvordenklichen Idee des Rechts, das jedem sein Verhältnis (seinen Anteil) zuweist. Im Strafrecht bezieht man sich auf die Notwendigkeit des Verhältnisses von Schuld und Strafe bei der Bestimmung des Strafmaßes. Im Wahlrecht spricht man von Verhältnis zwischen der Anzahl der Kandidaten und der Anzahl der Stellen als Bedingung der Bewertbarkeit der Repräsentativität. Im Steuerrecht werden die Verbindlichkeit des Verhältnisses zwischen dem Wert der Abgabe und dem geleisteten öffentlichen Dienst und die Notwendigkeit eines Verhältnisses zwischen der Steuerlast und den vom Staat der Gesellschaft zur Verfügung gestellten Dienstleistungen genannt. Das Prozessrecht arbeitet mit der Idee des Verhältnisses zwischen der verursachten Belastung und dem Zweck des prozessualen Akts. Im Verfassungs- und Verwaltungsrecht wird auf die Idee des Verhältnisses zwischen der durch einen Akt der öffentlichen Hand verursachten Belastung und dem von ihr verfolgten Zweck rekurriert. Und bei der Bewertung der Intensität der verursachten Belastung spricht man von einem Verhältnis zwischen Vor- und Nachteilen, Gewinnen und Verlusten, Einschränkung eines Rechts und Förderung eines Zwecks usf. Der Begriff des Verhältnisses durchzieht alle Bereiche des Rechts, ohne Grenzen oder Kriterien. Beziehen wir uns aber in all diesen Bedeutungen auf das Postulat der Verhältnismäßigkeit? Die Antwort kann nur negativ ausfallen. Das Verhältnismäßigkeitspostulat ist nicht mit der Idee eines Verhältnisses in ihren verschiedensten Ausprägungen zu verwechseln. Es findet nur auf Situationen Anwendung, in denen eine Kausalitätsbeziehung zwischen zwei empirisch voneinander unterscheidbaren Elementen, einem Mittel und einem Zweck besteht, so dass man die drei grundlegenden Untersuchungen durchführen kann: die der Angemessenheit (fördert das Mittel den Zweck?), die der Erforderlichkeit (gibt es unter den verfügbaren und gleichermaßen angemessenen Mittel zur Förderung des Zwecks kein anderes, das berührte Grundrecht (die berührten Grundrechte) weniger einschränkendes Mittel?) und die der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn (entsprechen die durch die Förderung des Zwecks gebrachten Vorteile den durch die Wahl des Mittels provozierten Nachteilen?). In diesem Sinn ist die Verhältnismäßigkeit als strukturierendes Anwendungspostulat von Prinzipien, die sich um eine Kausalitätsbeziehung zwischen einem Mittel und einem Zweck herum verschränken, nicht uneingeschränkt anwendbar. Ihre Anwendung hängt von Elementen ab, ohne welche sie nicht anwendbar ist. Ohne ein konkretes Mittel, ohne ein konkretes Ziel und ohne eine Kausalitätsbeziehung zwischen ihnen gibt es keine Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitspostulats in seiner Dreiphasennatur.

III. Arten der Anwendungsnormen (Postulate)

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Das zweite Problem betrifft seine Funktionsweise. Es besteht eine scheinbare Klarheit darüber, dass das Verhältnismäßigkeitspostulat die Angemessenheits-, Erforderlichkeits- und Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinn erfordert. Die Mittel müssen für die Zielerreichung angemessen sein. Worin besteht aber genau die Angemessenheit? Die gewählten Mittel müssen unter den verfügbaren notwendig sein. Aber was bedeutet erforderlich? Die Vorteile der Verwendung des Mittels müssen die Nachteile überwiegen. Aber welches ist der Sinn von Vorteilen und bezüglich wessen und welcher Person sind sie zu prüfen? In einem Wort, die bei der Anwendung der Verhältnismäßigkeit durchgeführten drei Prüfungen sind nur vordergründig unstrittig. Ihre Untersuchung fördert Probleme ans Tageslicht, die einer Klärung bedürfen, wenn die Verhältnismäßigkeit, die zur Bekämpfung von willkürlichen Akten konzipiert worden ist, nicht paradoxerweise als Vorwand zur Durchführung dieser Akte dienen soll. bb) Anwendbarkeit (1) Beziehung zwischen Mittel und Zweck Die Verhältnismäßigkeit ist ein anwendungsbezogenes normatives Postulat, das sich aus der Haupteigenschaft der Normen und der distributiven Funktion des Rechts ergibt, dessen Anwendung jedoch von der Verschränkung von Rechtsgütern und dem Vorliegen einer intersubjektiv kontrollierbaren ZweckMittel-Beziehung abhängt.55 Falls es keine ordnungsgemäß strukturierte ZweckMittel-Beziehung gibt, fällt die Verhältnismäßigkeitsprüfung – in den Worten von Maurer – aus Mangel an Bezugspunkten ins Leere.56 Die Verhältnismäßigkeitsprüfung findet immer dann Anwendung, wenn eine konkrete Maßnahme vorliegt, die einen Zweck erreichen soll. In diesem Fall sind die Möglichkeiten der Erreichung des Zwecks durch die Maßnahme (Angemessenheitsprüfung) zu untersuchen, desgleichen die Möglichkeit, dass die Maßnahme unter denjenigen, die zur Erreichung des Zwecks verwendet hätten werden können, die betroffenen Grundrechte am wenigsten einschränkt (Erforderlichkeitsprüfung) und die Möglichkeit, dass der öffentliche Zweck so wertvoll ist, dass er eine so große Einschränkung rechtfertigt (Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinn). Ohne eine Zweck-Mittel-Beziehung kann die Prüfung des Verhältnismäßigkeitspostulats infolge des Fehlens der sie strukturierenden Elemente nicht durchgeführt werden. In diesem Sinn kommt es darauf an, die Bedeutung von

55 Jakobs, Michael Ch., Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Köln, Carl Heymanns, 1985, S. 96. 56 Maurer, Hartmut, Staatsrecht. München, Beck, 1999, S. 234 f.

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C. Normen zweiter Stufe: Anwendungsnormen

Zweck zu untersuchen. Der Zweck besteht aus einem gewollten konkreten (außerrechtlichen) Ergebnis: aus einem Ergebnis, das selbst im Fall der Abwesenheit von Rechtsnormen und Rechtsbegriffen vorstellbar ist, wie etwa die Erlangung, Erweiterung oder Vernichtung von Gütern, die Erreichung bestimmter Zustände, die Erfüllung bestimmter Bedingungen, die Verursachung von Handlungen oder die Verhinderung ihrer Durchführung.57 Wie man sieht, hängt die Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitspostulats von einer Kausalitätsbeziehung zwischen Mittel und Zweck ab. Wenn dem so ist, beruht ihre außerordentliche Kraft in der Form, in welcher die Auswirkungen der Verwendung des Mittels präzisiert werden können und wie der die Maßnahme rechtfertigende Zweck bestimmt wird. Ein Mittel mit unbestimmten Auswirkungen und ein Zweck mit unbestimmtem Profil schwächen gewiss ihre Kontrollmacht über die Akte der öffentlichen Hand, wenn sie schon die Anwendung des Verhältnismäßigkeitspostulats nicht verhindern. Zweck bedeutet gewünschter Zustand. Prinzipien statuieren gerade die Pflicht der Förderung von Zwecken. Um die Anwendung des Verhältnismäßigkeitspostulats zu strukturieren, ist die progressive Bestimmung des Zwecks unerlässlich. Ein vager und unbestimmter Zweck erlaubt kaum festzustellen, ob er schrittweise durch die Wahl eines Mittel gefördert wird oder nicht. Mehr noch: je nach der Bestimmung des Zwecks ändern sich die Prüfungen selbst; eine Maßnahme kann oder kann nicht angemessen sein, je nach der Bestimmbarkeit des Zwecks selbst. (2) Interne und externe Zwecke Es gibt unterschiedliche Zwecke im Recht. Sie erlauben eine Unterscheidung zwischen internen und externen Zwecken. Interne Zwecke legen ein zu erreichendes Ergebnis fest, das in der Person selbst oder in der Situation, die Gegenstand des Vergleichs und der Differenzierung ist, liegt.58 Der Vergleich von zwei Menschen aufgrund ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit beweist eine Beziehung, die in der Nähe der Maßnahme (wirtschaftliche Leistungsfähigkeit) und des gewünschten Zwecks (Eintreibung von Steuern) liegt. Dieselbe Beziehung liegt vor, wenn wir Schuld und Strafe oder Abgabe und Gegenleistung aufeinander beziehen: die Strafe muss der Schuld, die Abgabe der Gegenleistung entsprechen. Von entscheidender Bedeutung ist, dass interne Zwecke bestimmte Bewertungsmaßnahmen erfordern, die 57 Vogel, Klaus/Waldhoff, Christian, Grundlagen des Finanzverfassungsrechts: Sonderausgabe des Bonner Kommentars zum Grundgesetz (Vorbemerkungen zu Art. 104a bis 115 GG). Heidelberg, Müller, 1999, Rdnr. 480, S. 310. 58 Huster, Stefan, Rechte und Ziele: Zur Dogmatik des allgemeinen Gleichheitssatzes. Berlin, Duncker & Humblot, 1993, S. 166–7.

III. Arten der Anwendungsnormen (Postulate)

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sich auf Menschen oder Situationen beziehen, und dass sie eine Eigenschaft verwirklichen müssen, die für eine bestimmte Behandlung relevant ist. Aus diesem Grund spricht man von Gerechtigkeitsmaßnahmen oder Gerechtigkeitsurteilen: die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist sowohl Maßnahme, da sie ein Kriterium gerechter Besteuerung ist, als auch Zweck, da sie etwas statuiert, dessen Existenz die Verwirklichung der Gleichheit selbst begründet. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verursacht nicht die Steuergerechtigkeit; und das Mittel und der Zweck vermischen sich, da sie nicht konkret auseinandergehalten werden können.59 Infolgedessen erfordern die Gleichheitsprüfung aus der Sicht eines internen Zwecks und eine Gerechtigkeitsmaßnahme nur eine Entsprechungsprüfung. Externe Zwecke legen Ergebnisse fest, die keine Eigenschaften oder Merkmale der betroffenen Subjekte sind, sondern dem Staat zugeschriebene Zwecke, die eine außerrechtliche Dimension haben.60 Deswegen können sie zwei Wirklichkeiten trennen, die sich auf konkreter Ebene unterscheiden: die Zweck-Mittel-Beziehung ist eine Ursache-Folge-Beziehung.61 Externe Zwecke sind die empirisch gestaltbaren Zwecke, so dass man sagen kann, welche bestimmte Maßnahme ein Mittel zur Erreichung eines bestimmten Zwecks ist (Kausalbeziehung).62 Soziale und wirtschaftliche Zwecke können externe Zwecke genannt werden, wie auch die verwaltungstechnische Durchführbarkeit, die spezifische Wirtschaftsplanung und der Umweltschutz. Wenn ein spezifischer Zweck zu erreichen ist, kann das Mittel als Ursache der Erreichung des Zwecks angesehen werden. In diesem Fall erlaubt die Prüfung die Angemessenheits-, Erforderlichkeits- und Verhältnismäßigkeitskontrolle im engeren Sinn. Gerade in diesem Punkt muss die Verhältnismäßigkeit von anderen Postulaten oder hermeneutischen Prinzipien unterschieden werden. Das Verhältnismäßigkeitspostulat ist nicht mit dem Postulat des gerechten Anteils zu verwechseln: Während dieses eine verhältnismäßige Verwirklichung der sich in einer gegebenen Rechtslage verflechtenden Güter erfordert, und zwar unabhängig vom Vorliegen einer Einschränkung, die sich aus der zur Erreichung eines externen Zwecks gewählten Maßnahme ergibt, erfordert das Verhältnismäßigkeitspostulat die Angemessenheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn einer als Mittel zur Erreichung eines empirisch kontrollierbaren Zwecks ange59 Huster, Stefan, Rechte und Ziele: Zur Dogmatik des allgemeinen Gleichheitssatzes. Berlin, Duncker & Humblot, 1993, S. 210, 149. 60 Vogel, Klaus/Waldhoff, Christian, Grundlagen des Finanzverfassungsrechts: Sonderausgabe des Bonner Kommentars zum Grundgesetz (Vorbemerkungen zu Art. 104a bis 115 GG). Heidelberg, Müller, 1999, Rdnr. 480, S. 310. 61 Huster, Stefan, Rechte und Ziele: Zur Dogmatik des allgemeinen Gleichheitssatzes. Berlin, Duncker & Humblot, 1993, S. 148, 150. 62 Hirschberg, Lothar, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Göttingen, 1981, S. 43.

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C. Normen zweiter Stufe: Anwendungsnormen

sehenen Maßnahme. Das Verhältnismäßigkeitspostulat fällt nicht mit dem der Güterabwägung zusammen: Letzteres erfordert die Zuschreibung einer Bedeutungsdimension an sich verschränkende Werte, ohne irgendeine Bestimmung hinsichtlich der Art und Weise, auf welche diese Abwägung vorzunehmen ist, zu enthalten, während das Verhältnismäßigkeitspostulat präzise Anforderungen in Bezug auf die beim Anwendungsakt anzuwendende Denkstruktur enthält. Das Verhältnismäßigkeitspostulat ist nicht dem Postulat der praktischen Kongruenz gleichzusetzen: Letzteres erfordert die maximale Verwirklichung von sich verschränkenden Werten, auch ohne jegliche Bezugnahme auf die Weise der Umsetzung dieser Optimierung, während die Verhältnismäßigkeit nach Maßgabe einer rationalen Anwendungsstruktur das Mittel auf den Zweck bezieht. Das Verhältnismäßigkeitspostulat ist nicht mit dem Postulat des Übermaßverbots zu verwechseln: Letzteres untersagt die Einschränkung der minimalen Wirksamkeit von Prinzipien, selbst im Fall des Nichtvorliegens eines zu erreichenden externen Zwecks, während die Verhältnismäßigkeit eine proportionale Beziehung eines Mittels zu einem Zweck erfordert. Das Verhältnismäßigkeitspostulat fällt auch nicht mit dem der Billigkeit zusammen: Letzteres erfordert die Berücksichtigung der individuellen Eigentümlichkeiten der vom Akt der konkreten Rechtsanwendung betroffenen Subjekte, ohne jegliche Erwähnung eines Verhältnisses zwischen Mitteln und Zwecken. cc) Verhältnismäßigkeitsimmanente Prüfungen (1) Geeignetheit Die Angemessenheit erfordert eine empirische Beziehung zwischen Mittel und Zweck: das Mittel muss zur Erreichung des Zwecks führen. Dies erfordert vom Verwaltungsbeamten, ein Mittel zu verwenden, dessen Wirksamkeit (nicht: das Mittel selbst) zur graduellen Förderung des Zwecks führen kann. Das Verständnis der Zweck-Mittel-Beziehung erfordert Antworten auf drei Grundfragen: Was bedeutet es, dass ein Mittel der Erreichung eines Zwecks angemessen ist? Wie ist die Angemessenheitsbeziehung zu untersuchen? Wie intensiv muss die Kontrolle der von der öffentlichen Hand getroffenen Entscheidungen sein? Um die erste Frage zu beantworten (was bedeutet es, dass ein Mittel der Erreichung eines Zwecks angemessen ist?), sind die Arten der zwischen den verschiedenen verfügbaren Mitteln herrschenden Beziehungen und dem zu fördernden Zweck zu untersuchen. Diese Beziehung kann nach drei Aspekten geprüft werden: quantitativ (Intensität), qualitativ (Qualität) und probabilistisch (Wahrscheinlichkeit).63 63 Weinberger, Ota, Rechtslogik. 2. Aufl. Berlin, Duncker & Humblot, 1989, S. 287. Vgl. zur Verhältnismäßigkeit stellvertretend die bemerkenswerte Arbeit von Clerico, Laura, Die Struktur der Verhältnismäßigkeit. Baden-Baden, Nomos, 2001, S. 26 ff.

III. Arten der Anwendungsnormen (Postulate)

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In quantitativer Hinsicht kann ein Mittel den Zweck weniger, gleichermaßen oder mehr als ein anderes Mittel fördern. In qualitativer Hinsicht kann ein Mittel den Zweck schlechter, gleich gut oder besser als ein anderes Mittel fördern. Und in probabilistischer Hinsicht kann ein Mittel den Zweck mit größerer, gleicher oder geringerer Wahrscheinlichkeit als ein anderes Mittel fördern. Das bedeutet, dass der Vergleich zwischen den Mitteln, die der Gesetzgeber oder Verwaltungsbeamte zu wählen haben, nicht immer auf gleichem Niveau erfolgt (quantitativ, qualitativ oder probabilistisch), wie es beim Vergleich zwischen einem schwächeren und einem stärkeren, einem schlechteren und einem besseren oder einem weniger und einem mehr wahrscheinlichen Mittel zur Förderung des Zwecks der Fall ist. Die Wahl der öffentlichen Verwaltung beim Kauf von Impfstoffen zur Bekämpfung einer Epidemie kann den Vergleich zwischen einem Impfstoff, der alle Symptome der Krankheit eliminiert (höherwertig in quantitativer Hinsicht), aber nicht die nachweisbare Wirksamkeit für die Mehrheit der Bevölkerung aufweist (minderwertig in probabilistischer Hinsicht) und einem anderen Impfstoff, der zwar nur die wichtigsten Folgen der Krankheit kuriert (minderwertig in quantitativer Hinsicht), aber nachweisbare Wirksamkeit bei anderen Gelegenheiten entfaltet hat (höherwertig in probabilistischer Hinsicht) erfordern. Diese Erwägungen führen uns zu folgender wichtigen Frage: Haben die öffentliche Verwaltung und der Gesetzgeber die Pflicht, das intensivste, beste und sicherste Mittel zur Erreichung des Zwecks zu wählen, oder sind sie verpflichtet, ein Mittel zu wählen, das „einfach“ den Zweck fördert? Die Antwort lautet: Sie sind verpflichtet, ein Mittel zu wählen, das einfach den Zweck fördert. Verschiedene Gründe führen zu dieser Schlussfolgerung.64 Erstens ist es nicht immer möglich – oder nicht einmal plausibel – zu wissen, welches unter allen gleichermaßen angemessenen Mitteln das intensivste, beste und sicherste für die Erreichung des Zwecks ist. Das hängt von Informationen und Umständen ab, die der Verwaltung oftmals nicht zur Verfügung stehen. Die öffentliche Verwaltung würde unmöglich werden, desgleichen die befriedigende Förderung ihrer Zwecke, falls sie bei jeder Entscheidungsfindung, selbst der unbedeutendsten, alle möglichen und vorstellbaren Mittel zur Erreichung eines Zwecks bewerten müsste. Zweitens erfordert das Prinzip der Gewaltentrennung die Achtung des objektiven Willens der Legislative und der Exekutive. Die Freiheit der Verwaltung wäre von vornherein gemindert, wenn nach der Durchführung der Maßnahme der Anwender sagen könnte, dass das gewählte Mittel nicht das angemessenste gewesen sei. Ein Minimum an Wahlfreiheit ist dem funktionsteiligen System immanent. 64 Cf. Clerico, Laura, Die Struktur der Verhältnismäßigkeit. Baden-Baden, Nomos, 2001, S. 39.

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C. Normen zweiter Stufe: Anwendungsnormen

Drittens erzwingt die Forderung selbst nach Rationalität bei der Auslegung und Anwendung der Normen die Prüfung aller Umstände des konkreten Falls. Der sofortige Ausschluss eines Mittels, das nicht das intensivste, beste und sicherste zur Erreichung des Zwecks ist, verhindert die Berückschtigung anderer Argumente, welche die Wahl rechtfertigen könnten. Deswegen dürfen diese anderen Argumente nicht in der Angemessenheitsprüfung untersucht werden, müssen dagegen in der Verhältnismäßigkeitsprüfung untersucht werden, wie weiter unten bewiesen wird. Bis zu diesem Punkt genügt die Anerkennung, das die Exekutive und Legislative ein Mittel wählen müssen, das den Zweck minimal fördert, selbst wenn es nicht das intensivste, beste und sicherste ist. Um die zweite Frage zu beantworten (wie ist die Angemessenheitsbeziehung zu untersuchen?), ist vorab festzustellen, unter welchen Aspekten die Angemessenheit untersucht werden kann. Sie kann unter drei Aspekten geprüft werden: Abstraktion/Konkretheit, Allgemeinheit/Besonderheit, Vorherigkeit/Nachherigkeit. In der ersten Dimension (Abstraktion/Konkretheit) kann man die Wahl einer Maßnahme fordern, die abstrakt zur Förderung des Zwecks geeignet ist. Die Maßnahme ist geeignet, falls der Zweck möglicherweise infolge ihrer Durchführung erreicht wird. Falls der Zweck tatsächlich erreicht wird, ist er/sie nicht unwichtig. Oder kann man die Wahl einer Maßnahme fordern, die konkret zur Förderung des Zwecks geeignet ist? Sie wird nur angemessen sein, wenn der Zweck tatsächlich im konkreten Fall erreicht wird. In der zweiten Dimension (Allgemeinheit/Besonderheit) kann man die Wahl einer Maßnahme fordern, die allgemein für die Zielerreichung geeignet ist. Die Maßnahme wird angemessen sein, wenn der Zweck in der Mehrheit der Fälle bei ihrer Durchführung erreicht wird. Nur weil es eine nicht betroffene Fallgruppe oder Fälle, in denen der Zweck nicht mit dieser Maßnahme erreicht worden ist, gibt, wird die Maßnahme noch nicht als unangemessen gewertet werden. Man kann auch noch die Durchführung einer Maßnahme fordern, die individuell zur Förderung des Zwecks angemessen ist. Die Maßnahme wird nur angemessen sein, wenn alle Einzelfälle die Zielerreichung nachweisen. In der dritten Dimension (Vorherigkeit/Nachherigkeit) kann man die Wahl einer Maßnahme fordern, die im Augenblick, in dem sie getroffen wurde, angemessen war. Die Maßnahme wird angemessen sein, wenn der Entscheidungsträger die Förderung des Zwecks im Augenblick der Durchführung der Maßnahme gut bewertet und geplant hat. Falls die Bewertung des Entscheidungsträgers sich als irrtümlich herausstellt, zu einem späteren Zeitpunkt und aufgrund von Informationen, die erst später verfügbar waren, bleibt sie gültig. Man kann auch noch die Durchführung einer Maßnahme fordern, die im Augenblick ihrer Bewertung angemessen ist. Die Maßnahme wird angemessen sein, wenn der Be-

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werter im Augenblick der Entscheidung und nach ihrer Durchführung feststellt, dass sie den Zweck fördert. Falls die Bewertung des Entscheidungsträgers sich als irrtümlich herausstellt, zu einem späteren Zeitpunkt und aufgrund von Informationen, die erst später verfügbar sind, ist die Maßnahme zu annullieren. Angesichts dieser Erwägungen ist es notwendig zu wissen, was die Wahl einer Maßnahme bedeutet. Angesichts der Vielfalt der Handlungsweisen der öffentlichen Hand ist eine kategorische Antwort unmöglich. Trotzdem kann man eine Antwort vorschlagen, in welcher der heuristische Wert vorwiegt, d.h. eine Antwort, die als provisorische Arbeitshypothese für eine spätere Rekonstruktion normativer Inhalte fungiert, ohne jedoch irgendein strikt deduktives Begründungs- oder Entscheidungsverfahren bezüglich dieser Inhalte sicherzustellen.65 In diesem Sinn lässt sich behaupten, dass in den Fällen, in denen der Staat im Hinblick auf eine Allgemeinheit von Fällen handelt – beispielsweise beim Erlass normativer Akte – die Maßnahme angemessen sein wird, falls sie, abstrakt und allgemein, als Instrument zur Förderung des Zwecks dient. Da es sich aber um rein individuelle Akte handelt – beispielsweise um Verwaltungsakte –, wird die Maßnahme angemessen sein, wenn sie konkret und individuell als Mittel zur Förderung des Zwecks fungiert. In jedem dieser beiden Fälle ist die Angemessenheit im Augenblick der Wahl des Mittels durch die öffentliche Hand zu bewerten, nicht zu einem späteren Zeitpunkt, wenn diese Wahl vom Richter beurteilt wird, weil die Qualität der Bewertung und der Projektion, folglich das Vorgehen der Verwaltungsbehörde entsprechend den im Augenblick dieses Vorgehens vorhandenen Umständen festgestellt werden muss. Es ist absolut geboten, in diesem Zusammenhang daran zu erinnern, dass die Verhältnismäßigkeitsprüfung vom Anwender eine Analyse erfordert, in der Urteile probabilistischer und induktiver Art vorwiegen.66 Aus der Sicht der Praxis sind diese Erwägungen von außerordentlicher Relevanz. Untersuchen wir als Beispiel im Steuerrecht die Verwendung der Steuersubstitution in die Zukunft, einen Mechanismus, mit dem der Gesetzgeber denjenigen, der normalerweise der Steuerzahler wäre, durch einen anderen ersetzt, der dann das direkte passive Subjekt der Steuerpflicht ist. Dieses Verfahren weicht vom Besteuerungsmodell, das auf der Verwirklichung von Steuertatbeständen beruht, zugunsten außerfiskalischer Zwecke ab, wie etwa der Vereinfachung der Steuereintreibung und der Senkung der Verwaltungskosten der Steuerfahndung. Seine Struktur beruht auf der Annahme, dass der Steuertatbestand in bestimmten Dimensionen in der Zukunft eintreten wird. Falls die Legislative die Maßnahme für die Allgemeinheit der Fälle gut geplant und korrekt bewertet 65 Schepers, H., Heuristik, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 3. Wissenschaftliche Buchgesellschaft: Darmstadt, 1974, Sp. 1119. 66 Scaccia, Gino, Gli ,strumenti‘ della ragionevolezza nel giudizio costituzionale. Mailand, Giuffrè, 2000, S. 20.

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C. Normen zweiter Stufe: Anwendungsnormen

und den „zukünftigen Steuertatbestand“ einigermaßen für jeden betroffenen Sektor ausgestaltet hat, wird die individuelle Verwirklichung des Steuertatbestands aufgrund von Merkmalen, die von denen abweichen, die der Gesetzgeber ursprünglich im Sinn gehabt hatte, nichts an der Geltung des Steuersubstitutionsmechanismus als solchen ändern. In diesem Fall ist die gewählte Maßnahme angemessen, da die geforderte Angemessenheit, wie nochmals unterstrichen wird, nicht konkret, individuell und nachherig, sondern abstrakt, allgemein und vorherig ist. Die entscheidende Frage liegt also in der Untersuchung des gesetzlichen Steuersubstitutionsmechanismus im allgemeinen und seiner abstrakten allgemeinen und vorgängigen Angemessenheit für die meisten Fälle, nicht in der Untersuchung des Eintritts des Steuertatbestands in Konstellationen, die von den ursprünglich angenommenen abweichen oder in der Prüfung der sich im Einzelfall nicht ergebenden Senkung der Steuerkosten für die Aufsicht und Eintreibung der Abgaben. Bis zu diesem Punkt genügt es, zu registrieren, dass die Angemessenheit des vom Staat gewählten Mittels über die Berücksichtigung der zum Zeitpunkt der Wahl vorliegenden Umstände und entsprechend der Art und Weise, wie sie zur Förderung des Zwecks beiträgt, zu beurteilen ist. Um die dritte Frage zu beantworten (Wie intensiv muss die Kontrolle der von der öffentlichen Hand getroffenen Entscheidungen sein?), ist die Untersuchung von zwei Kontrollebenen, der starken und schwachen Kontrolle, unerlässlich. In einem starken Kontrollmodell ist jeder Nachweis, dass das Mittel nicht die Erreichung des Zwecks fördert, für die Erklärung der Ungültigkeit des Vorgehens der öffentlichen Verwaltung ausreichend. In einem schwachen Modell kann nur ein objektiver, evidenter und begründeter Nachweis zur Erklärung der Ungültigkeit des Verwaltungshandelns hinsichtlich der Wahl eines Mittels zur Erreichung eines Zwecks führen. Welches dieser Modelle entspricht nun plausibler der brasilianischen Rechtsordnung? Das schwache Kontrollmodell, und zwar aus folgenden Gründen. Erstens erfordert das Prinzip der Gewaltenteilung ein Mindestmaß an Autonomie und Unabhängigkeit bei der Ausübung der legislativen, administrativen und judikativen Funktion. Sofern dem Gesetzgeber und der verwaltenden Exekutive ein Mindestmaß an Freiheit gewährleistet ist, ist es dem Richter nicht gestattet, das beste Mittel zu wählen, sofern das von der Verwaltung gewählte zur Erreichung des Zwecks nicht offensichtlich unangemessen ist. Die Prüfung der Kreuzung der Pflicht zur Erhaltung der Freiheit des Gesetzgebers und der Pflicht zum Schutz der Grundrechte des Bürgers offenbart abstrakt einen Scheideweg, an dem ein minimaler Freiheitsraum für den Gesetzgeber und die Verwaltung geschützt wird. Nur ein unzweideutiger Nachweis der Unangemessen-

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heit erlaubt die Ungültigkeitserklärung der Wahl des Gesetzgebers oder der Verwaltung.67 Diese Erwägungen führen zum Schluss, dass die Angemessenheitsprüfung die Erklärung der Ungültigkeit der vom Staat gewählten Maßnahme nur in den Fällen, in denen die Unvereinbarkeit von Mittel und Zweck klar zutage tritt, zur Folge hat. Andernfalls muss die von der zuständigen Behörde gefundene Option den Vorrang behalten. So verstehen wir, warum das Bundesverfassungsgericht der Bundesrepublik Deutschland von Evidenz- und Vertretbarkeitskontrollen Gebrauch macht. Um die funktionale Prärogative der Legislative und der Exekutive zu erhalten, erklärt die Judikative die von anderen Gewalten getroffenen Maßnahmen nur dann für nichtig, falls die Unangemessenheit evident und auf keine plausible Weise zu rechtfertigen ist. Außer in diesen Fällen muss die von den anderen Gewalten getroffene Wahl im Hinblick auf das Prinzip der Gewaltentrennung geachtet werden. So führt eine schlechte Planung für sich genommen noch nicht zur Ungültigkeitserklärung des gewählten Mittels. Die Rechtsprechung des STF zeigt auf der einen Seite die Forderung nach Evidenz bei der Erklärung der Ungültigkeit einer Maßnahme aufgrund ihrer Unangemessenheit und, auf der anderen Seite, dass die Angemessenheitsprüfung, wie die eines jeden anderen Postulats, immer die Verletzung eines Verfassungsprinzips beinhaltet. Das STF hat den Fall eines Gesetzes untersucht, das für die gesetzliche Ausübung des Immobilienmaklerberufs den Nachweis von Befähigungsbedingungen verlangte. Das Gericht meinte jedoch, dass die Ausübung dieses Berufs nicht vom genannten Nachweis abhänge. Es erklärte also, dass das Mittel (Vorlage einer Befähigungsbescheinigung) nicht den Zweck fördere (Aufsicht der Ausübung des Berufs). Folglich verletze die Forderung des Gesetzes die freie Ausübung einer jeden Arbeitstätigkeit, eines jeden Amts oder Berufs.68 (2) Erforderlichkeit Die Erforderlichkeitsprüfung beinhaltet die Feststellung des Vorliegens von Mitteln, die Alternativen zu den anfangs von der Legislative und der Exekutive gewählten Mittel sind und gleichermaßen den Zweck fördern können, ohne die berührten Grundrechte in der gleichen Intensität einzuschränken. In diesem Sinn beinhaltet die Notwendigkeitsprüfung zwei Phasen: erstens die Prüfung der Gleichheit der Angemessenheit der Mittel, um festzustellen, ob die alternativen Mittel gleichermaßen den Zweck fördern; zweitens, die Prüfung des am wenigs67 Scaccia, Gino, Gli ,strumenti‘ della ragionevolezza nel giudizio costituzionale. Mailand, Giuffrè, 2000, S. 238. 68 Representação Nr. 930-DF. Plenarsitzung. Berichterstatter: Richter Cordeiro Guerra, DJ 02-09-77.

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ten einschränkenden Mittels, um festzustellen, ob die alternativen Mittel die kollateral berührten Grundrechte in geringerem Umfang einschränken. Die Prüfung der Gleichheit der Angemessenheit der Mittel beinhaltet den Vergleich der Auswirkungen der Verwendung der alternativen Mittel mit den Auswirkungen des Gebrauchs des von der Legislative oder Exekutive gewählten Mittels. Die Schwierigkeit dieser Prüfung liegt im Umstand begründet, dass die Mittel die Zwecke in mehrerer Hinsicht (quantitativ, qualitativ, probabilistisch) fördern. Kein Mittel gleicht in jeder Hinsicht dem anderen. In einem gewissen Maß und einer bestimmten Hinsicht unterscheiden sich die Mittel in Bezug auf die Förderung des Zwecks. Einige fördern ihn schneller, andere langsamer; einige zu geringeren, andere zu höheren Kosten; einige sind sicherer, andere unsicherer; einige einfacher, andere komplexer; einige leichter, andere schwieriger, und so weiter.69 Außerdem springt der Unterschied zwischen den Mitteln in einigen Fällen in die Augen; in anderen bleibt er im Dunkeln. Last not least: einige Mittel fördern mehr den zu prüfenden Zweck und auch andere, die mit ihm zusammenhängen, während andere Mittel in geringerer Intensität den zu prüfenden Zweck fördern werden, aber mit stärkerer Intensität andere Zwecke, deren Förderung ebenfalls durch die Rechtsordnung vorgegeben ist.70 Angesichts dessen stellt sich die Frage: sind die Mittel in allen Aspekten oder nur in einigen Aspekten miteinander zu vergleichen? Falls nur in einigen Aspekten, in welchen? Die Antwort auf diese Frage muss in den vorgenannten Grundlagen gesucht werden, vor allem im Prinzip der Gewaltentrennung. Wäre es der Judikative erlaubt, die Wahl des Mittels für nichtig zu erklären, weil es in irgendeinem Aspekt und von irgendeinem Gesichtspunkt aus den Zweck nicht in der gleichen Weise wie andere hypothetisch vorgestellte Mittel fördert, würde strenggenommen kein einziges Mittel der Erforderlichkeitsprüfung standhalten, da es immer möglich ist, sich induktiv und probabilistisch ein Mittel vorzustellen, das in irgendeinem Aspekt und irgendeinem Maß den Zweck besser fördert als das anfänglich gewählte Mittel. In diesem Sinn ist die Wahl der zuständigen Behörde zu respektieren. Das Mittel darf nur abgelehnt werden, wenn es offensichtlich weniger angemessen ist als ein anderes. Dies erfordern die Prinzipien der Legalität und der Gewaltentrennung. Die vorstehenden Erwägungen machen deutlich, dass die Feststellung des am wenigsten einschränkenden Mittels das Mittel anzugeben hat, das im allgemeinen und evident das sanfteste ist. Bei allgemeinen Normen ist notwendig dasjenige Mittel, das im Durchschnitt der Fälle die kollateralen Grundrechte am sanftesten oder am wenigsten belastet. Selbst bei allgemeinen Akten kann man 69 Wright, Georg von, Rationalität: Mittel und Zwecke, in: Normen, Werte und Handlungen. Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1994, S. 126. 70 Clerico, Laura, Die Struktur der Verhältnismäßigkeit. Baden-Baden, Nomos, 2001, S. 85.

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in Ausnahmefällen und auf der Grundlage des Billigkeitspostulats die allgemeine Regel für nichtig erklären, da sie gegen die Pflicht der minimalen Berücksichtigung der persönlichen Bedingungen der Betroffenen verstößt. Bei Einzelakten, in denen die persönlichen Eigentümlichkeiten und die Umstände des konkreten Falls zu berücksichtigen sind, wird das notwendige Mittel das des konkreten Falls sein. Das STF hat die Erforderlichkeitsprüfung durchgeführt. Der Erste Senat des Gerichts hat dem Habeas-corpus-Antrag eines Patienten stattgegeben, der vermuteter Vater eines während seiner Ehe geborenen Minderjährigen war. Der Antragsteller war Beklagter in einem ordentlichen Klageverfahren auf Anerkennung der Vaterschaft im Zusammenhang mit der standesamtlichen Berichtigung der Geburtsurkunde, die von einer Drittperson, die biologischer Vater des Kindes zu sein vorgab, angestrengt worden war. Er rekurrierte auf das Institut des Habeas corpus, um der Peinlichkeit eines DNA-Tests zu entgehen. Zur Begründung führte er an, dass die Feststellung der Vaterschaft ohne seine Beteiligung durchführbar sei, da sich der Kläger selbst dem DNA-Test unterwerfen könne.71 Das Gericht befand, dass das alternative Mittel (DNA-Test des Klägers der Vaterschaftsklage) weniger restriktiv sei als das vom erstinstanzlichen Richter gewählte Mittel (DNA-Test beim Beklagten in der Vaterschaftsklage). Das STF hat gleichermaßen ein Gesetz, das den Zwang zur Abwiegung von Gasflaschen vor dem Verbraucher eingeführt hatte, für verfassungswidrig erklärt, nicht nur weil dies die betroffenen Unternehmen ungebührlich belasten würde, da sie auf jedem Lkw eine Waage bereithalten müssten, sondern auch weil der Verbraucherschutz auf andere, weniger einschränkende Weise sichergestellt werden könnte.72 In diesem Fall wurde die Maßnahme für verfassungswidrig erklärt, weil es andere Maßnahmen gab, welche die betroffenen Grundrechte weniger stark einschränkten, wie etwa die Aufsichtsmaßnahmen oder Stichproben. Die Erforderlichkeitsprüfung ist jedoch in keinem Fall einfach. Wie schon gesagt, kann der Vergleich des Grads der Einschränkung der Grundrechte und des Grads der Förderung des angestrebten öffentlichen Zwecks eine gewisse Komplexität beinhalten. Beim Vergleich von Mitteln, die gleich intensiv den Zweck fördern und sich nur im Einschränkungsgrad unterscheiden, fällt die Wahl des am wenigsten einschränkenden Mittels leicht. Die Probleme stellen sich jedoch ein, wenn sich die Mittel nicht nur im Grad der Einschränkung der Grundrechte, sondern auch im Grad der Förderung des Zwecks unterscheiden. Die Abwägung zwischen dem Einschränkungs- und Förderungsgrad wird dann 71 Habeas Corpus Nr. 76060-SC. Erster Senat. Berichterstatter: Richter Sepúlveda Pertence, DJ 15.05.98. 72 Direktklage auf Verfassungswidrigkeit Nr. 855-2. Berichterstatter: Richter Octávio Galloti, DJ 01.10.93.

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unvermeidlich. Daher die Notwendigkeit, dass der Abwägungsprozess, wie schon behauptet, über seinen Gegenstand aufklärt, ebenso über die Abwägung als solche und ihre spätere Rekonstruktion. (3) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn Die Verhältnismäßigkeitsprüfung im engen Sinn erfordert den Vergleich zwischen der Bedeutung der Erreichung des Zwecks und der Intensität der Einschränkung der Grundrechte. Zu stellen ist hier folgende Frage: rechtfertigt der Grad der Bedeutung der Förderung des Zwecks den Grad der Einschränkung der Grundrechte? Oder, anders gewendet: stehen die aus der Förderung des Zwecks sich ergebenden Vorteile in einem sinnvollen Verhältnis zu den sich aus der Wahl der Mittels ergebenden Nachteilen? Entspricht der Wert der Zweckförderung dem Unwert der mittelverursachten Einschränkung? Wie man feststellen kann, handelt es sich um eine komplexe Prüfung, da das Urteil über den festgestellten Vorteil und das Urteil über den verbuchten Nachteil von einer stark subjektiven Bewertung abhängt. Normalerweise wird ein Mittel gewählt, um einen mit den Interessen der Allgemeinheit zusammenhängenden öffentlichen Zweck (Umweltschutz, Verbraucherschutz) zu erreichen, und seine Wahl verursacht als Nebenwirkung die Einschränkung von Grundrechten der Bürger. Das STF hat in der schon genannten Entscheidung über das Gesetz, das die Pflicht zur Abwiegung von Gasflaschen vor dem Käufer statuierte, die Maßnahme für unverhältnismäßig gehalten. Die Untersuchung des Urteils erlaubt die Feststellung, dass die Intensität der den Prinzipien der freien Initiative und des Privateigentums zugefügten Einschränkungen (übermäßige Belastung der Unternehmen, da sie für jeden Lkw eine Waage benötigen, womit sich ihre Betriebskosten erhöhen würden, was sich letztlich auf den Preis der Gasflaschen niederschlagen würde; gleichzeitig würden die Verbraucher gezwungen werden, sich bis zum Lkw zu begeben, um der Abwiegung beizuwohnen) die Bedeutung der Zweckförderung (Schutz der Verbraucher, die beim Kauf von Gasflaschen ohne den angegebenen Inhalt geprellt werden könnten) überstieg.73 dd) Intensität der Kontrolle anderer Gewalten durch die Judikative Eine der großen Unsicherheiten hinsichtlich der Anwendung des Verhältnismäßigkeitspostulats bezieht sich auf die Intensität der von der Judikative aus73 Direktklage auf Verfassungswidrigkeit Nr. 855-2. Berichterstatter: Richter Octávio Galloti, DJ 01.10.93.

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zuübenden Kontrolle über die Akte der Exekutive und der Legislative. Neben den Bemerkungen über die schwache Kontrolle in Bezug auf die Angemessenheitsprüfung ist noch zu unterstreichen, dass die Ausübung der sich aus dem Demokratieprinzip ergebenden Prärogativen der Kontrolle seitens der Judikative unterliegt, vor allem weil sie Grundrechte einschränkt. Statt die Nichtjustiziabilität dieser Entscheidungen zu behaupten, muss festgestellt werden, in welchem Maß diese Kompetenzen ausgeübt werden. In diesem Sinn ist es wichtig, Kriterien zu finden, welche die von der Judikative auszuübende materiale Kontrolle erweitern und einschränken. Einerseits müssen der Bereich der Kontrolle seitens der Judikative und die Forderung der Rechtfertigung der Einschränkung eines Grundrechts umso größer sein, (1) je stärker die Bedingung ist, dass die Judikative sich ein sicheres Urteil über die von der Legislative behandelte Materie bilden kann, (2) je größer die Evidenz einer von der Legislative falsch gewählten Prämisse ist, um die Einschränkung eines Grundrechts zu rechtfertigen, (3) je größer die Einschränkung des von der Verfassung geschützten Rechtsguts ist und (4) je größer die Bedeutung des von der Verfassung geschützten Rechtsguts ist, die nach ihrem begründenden Charakter oder nach ihrer Stützfunktion im Hinblick auf andere Güter (z. B. Leben und Gleichheit) und nach ihrer syntaktischen Hierarchie in der Verfassungsordnung (z. B. Grundprinzipien) zu bemessen ist. Sofern diese Faktoren vorliegen, muss die von der Judikative ausgeübte Kontrolle stärker sein, vor allem, wenn die von der Legislative verwendete Prämisse augenscheinlich falsch ist, weil der Judikative die „Bewertung der Bewertung“ der Legislative (oder Exekutive) hinsichtlich der gewählten Prämisse obliegt, gerade weil die Legislative das Demokratieprinzip nur dann maximal verwirklichen wird, wenn sie die konkrete Prämisse wählt, die den ihr Handeln veranlassenden öffentlichen Zweck besser fördert, oder wenn sie einen Rechtfertigungsgrund für ihre Abwendung von der Wahl der besten Prämisse angeben kann. Falls die Legislative (oder die Exekutive) ohne Erhöhung ihrer Ausgaben (also ohne drastische Änderung des Verwaltungsaufwands) die Daten und Fakten besser bewertet haben könnte, ist ihre Kompetenz nicht in Übereinstimmung mit dem Demokratieprinzip, das sie maximal verwirklichen soll, ausgeübt worden. Andererseits müssen der Bereich der Kontrolle seitens der Judikative und die Forderung der Rechtfertigung der Einschränkung eines Grundrechts umso geringer sein, (1) je zweifelhafter die zukünftigen Folgen des Gesetzes sind, (2) je schwieriger und technischer das für die Behandlung der Materie gewählte Beurteilungsverfahren ist und (3) je offener die von der Verfassung der Judikative übertragene Prärogative der Abwägung ist. Sofern diese Faktoren vorliegen, muss die von der Judikative ausgeübte Kontrolle geringer sein, da eine selbständige Entscheidung dieser Gewalt schwieri-

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C. Normen zweiter Stufe: Anwendungsnormen

ger wird. Jedenfalls – und das ist der entscheidende Punkt – obliegt der Judikative die Prüfung, ob der Gesetzgeber eine objektive und vertretbare Bewertung des verfügbaren faktenmäßigen und technischen Materials vorgenommen hat, ob er die Erkenntnisquellen zur möglichst sicheren Voraussage der Regelwirkungen ausgeschöpft und sich am gegenwärtigen Stand der Erkenntnis und der Erfahrung orientiert hat.74 Falls all dies erfolgt ist – aber nur in diesem Fall – ist die von der Legislative getroffene Entscheidung vertretbar und vermeidet, dass die Judikative einfach ihre Bewertung substituiert. Man beachte jedoch, dass die Entscheidung über die Vertretbarkeit der von der Legislative getroffenen Maßnahme das Endergebnis der von der Judikative durchgeführten Kontrolle ist, nicht eine rigide und dieser Kontrolle vorausgehender Befund. Ohne die Kontrolle der Judikative lässt sich nicht einmal die Vertretbarkeit der von einer anderen Gewalt getroffenen Maßnahme nachweisen. All diese Bemerkungen führen zu der Einsicht, dass die Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit stärker oder schwächer ausfallen kann, aber immer existieren muss. Damit entfällt von vornherein die unzulässig vereinfachende Lösung, derzufolge die Judikative infolge des Prinzips der Gewaltenteilung keine andere Gewalt kontrollieren kann. Das Demokratieprinzip wird nur dann verwirklicht, wenn die Legislative konkrete Prämissen wählt, die zur Verwirklichung der Grundrechte und der Staatszwecke führen. Je stärker die Grundrechte eingeschränkt und je wichtiger sie in der Verfassungsordnung werden, desto mehr bedarf ihre Verwirklichung der Kontrolle. Die mit simplen Argumenten vertretene These der Nichtjustiziabilität der Entscheidungen der Legislative ist eine Monstrosität, welche die dem Obersten Bundesgerichtshof zugeschriebene Funktion des Hüters der Verfassung, die volle Verwirklichung des Demokratieprinzips und der Grundrechte sowie die Konkretisierung des Prinzips der Allgemeinheit der Gerichtsbarkeit verletzt.

74 Rau, Christian, Selbst entwickelte Grenzen in der Rechtsprechung des United States Supreme Court und des Bundesverfassungsgerichts. Berlin, 1996, S. 192 ff.; Raabe, Marius, Grundrechtsschutz und gesetzgeberischer Einschätzungsspielraum – ein Konstruktionsvorschlag, in: Christoph Grabenwarter (Hrsg.), Allgemeinheit der Grundrechte und Vielfalt der Gesellschaft. Stuttgart, 1994, S. 94 ff.

D. Zusammenfassung der Ergebnisse 1. Über ihre Verwendung als Arbeitshypothese beim Anwendungsprozess hinaus kann die Dissoziierung der Normarten auch wegen ihrer prima-facieBedeutung benutzt werden. In diesem Sinn kann die vorgängige Bedeutung der Normtexte eine unmittelbar deskriptive Dimension (Regel), eine unmittelbar finalistische Dimension (Prinzip) und/oder eine unmittelbar methodische Dimension (Postulat) erhalten. 2. Regeln sind unmittelbar deskriptive, primär retrospektive und mit einem Entscheidbarkeits- und Umfassungsanspruch ausgestattete Normen, deren Anwendung die Bewertung der Entsprechung von begrifflicher Konstruktion der normativen Beschreibung und begrifflicher Konstruktion der Tatsachen erfordert. Diese Bewertung richtet sich immer am Zweck aus, der sie stützt, oder an den werttheoretisch höherrangigen Prinzipien. 3. Prinzipien sind unmittelbar finalistische, primär prospektive und mit einem Komplementaritäts- und Partialitätsanspruch ausgestattete Normen, zu deren Anwendung eine Bewertung der Korrelation von zu förderndem Zustand und den aus dem förderungsnotwendigen Verhalten sich ergebenden Wirkungen erforderlich ist. 4. Regeln lassen sich von Prinzipien nach dem Modus der Vorschrift des Verhaltens unterscheiden. Regeln sind unmittelbar deskriptive Normen, indem sie Verpflichtungen, Genehmigungen und Verbote durch Beschreibung des zu wählenden Verhaltens statuieren. Prinzipien sind unmittelbar finalistische Normen, da sie einen Zustand statuieren, dessen graduelle Förderung von den Wirkungen abhängt, die sich aus der Wahl der hierfür erforderlichen Verhaltensweisen ergeben. Prinzipien sind Normen, deren Qualität prima facie gerade die Bestimmung der Erreichung eines juristisch relevanten Zwecks ist, während das prima-facie-Merkmal der Regeln die Voraussage der Verhaltensweise ist. 5. Regeln lassen sich von Prinzipien nach der Rechtfertigung, die sie erfordern, unterscheiden. Ihre Auslegung und Anwendung erfordert eine Bewertung der Korrespondenz von begrifflicher Konstruktion der Fakten und begrifflicher Konstruktion der Norm und des sie stützenden Zwecks, während die Auslegung und Anwendung von Prinzipien nach einer Bewertung der Korrelation zwischen einem als Zweck gesetzten Idealzustand und den sich aus dem für notwendig erachteten Verhalten ergebenden Folgen verlangt.

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D. Zusammenfassung der Ergebnisse

6. Regeln lassen sich von Prinzipien nach dem Modus ihres Beitrags zur Entscheidungsfindung unterscheiden. Prinzipien bestehen aus primär ergänzenden und vorgängig partiellen Normen, indem sie, da sie nur einen Teil der für eine Entscheidungsfindung relevanten Aspekte umfassen, keinen Anspruch auf die Erzeugung einer spezifischen Lösung haben, aber neben anderen Gründen zur Entscheidungsfindung beitragen wollen. Regeln bestehen ihrerseits aus ex-ante entscheidenden und umfassenden Normen, indem sie trotz des Anspruchs, alle für die Entscheidungsfindung relevanten Aspekte zu erfassen, eine spezifische Lösung für den Konflikt zwischen Gründen erzeugen wollen. 7. Normative Postulate sind unmittelbar methodische Normen, welche die Auslegung und Anwendung von Prinzipien und Regeln durch die mehr oder weniger spezifische Forderung von Beziehungen zwischen Elementen aufgrund von Kriterien strukturieren. 8. Einige Postulate gelangen ohne die Voraussetzung des Vorliegens von spezifischen Elementen und Kriterien zur Anwendung: Die Abwägung der Güter besteht aus einer Methode, die dazu bestimmt ist, sich verschränkenden Elementen Gewichte zuzuschreiben, ohne Bezugnahme auf materiale Gesichtspunkte, welche dieser Gewichtung Orientierung geben; die praktische Konkordanz erfordert die maximale Verwirklichung von sich verschränkenden Werten; das Übermaßverbot untersagt, dass die Anwendung einer Regel oder eines Prinzips ein Grundrecht derart einschränkt, dass dieses seiner minimalen Wirksamkeit beraubt wird. 9. Die Anwendbarkeit anderer Postulate hängt von bestimmten Bedingungen ab. Das Gleichheitspostulat strukturiert die Anwendung des Rechts, wenn eine Beziehung zwischen zwei Subjekten im Hinblick auf Elemente (Differenzierungskriterium und Zweck der Unterscheidung) und im Hinblick auf die zwischen ihnen obwaltende Beziehung (Kongruenz des Kriteriums aufgrund des Zwecks) besteht. 10. Anwendung findet das Zumutbarkeitspostulat erstens als Richtlinie, welche die Beziehung zwischen allgemeinen Normen und individuellen Eigentümlichkeiten des konkreten Falls erfordert, sei es durch Aufzeigen der Perspektive, in welcher die Norm anzuwenden ist, sei es durch Angabe der Hypothesen, in welche sich der Einzelfall wegen seiner Spezifika der allgemeinen Norm nicht einfügt. Zweitens findet das Zumutbarkeitspostulat Anwendung als Richtlinie, die eine Bindung der Rechtsnormen an die Welt, auf die sie sich beziehen, erfordert, sei es durch Bestehen auf der Existenz eines empirischen und jedem Rechtsakt angemessenen Fundaments, sei es durch die Forderung nach einer kongruenten Beziehung zwischen der getroffenen Maßnahme und dem Zweck, den sie zu erreichen beabsichtigt.

D. Zusammenfassung der Ergebnisse

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Drittens findet das Zumutbarkeitspostulat Anwendung als Richtlinie, welche die Äquivalenzbeziehung von zwei Größen fordert. 11. Das Verhältnismäßigkeitspostulat gelangt zur Anwendung in den Fällen, in denen eine Kausalitätsbeziehung zwischen einem Mittel und einem konkret wahrnehmbaren Zweck besteht. Die Forderung nach Verwirklichung mehrerer Zwecke, die alle verfassungsmäßig legitimiert sind, beinhaltet die Wahl der angemessenen, notwendigen und verhältnismäßigen Maßnahmen im engeren Sinn. 12. Ein Mittel ist geeignet, wenn es den Zweck auch nur minimal fördert. Im Fall der allgemeinen Rechtsakte ist die Geeignetheit von einem abstrakten, allgemeinen ex-ante Standpunkt aus zu untersuchen. Im Fall der individuellen Rechtsakte ist die Geeignetheit auf der konkreten, individuellen ex-ante Ebene zu untersuchen. Die Geeignetheitskontrolle hat sich wegen des Prinzips der Gewaltentrennung auf die Nichtigkeitserklärung von offensichtlich unangemessenen Mitteln zu beschränken. 13. Ein Mittel ist erforderlich, wenn es keine alternativen Mittel gibt, die gleichermaßen den Zweck ohne gleich intensive Einschränkung der betroffenen Grundrechte fördern können. Die Kontrolle der Erforderlichkeit muss sich wegen des Prinzips der Gewaltentrennung auf die Nichtigkeitserklärung beschränken, wenn ein alternatives Mittel zur Verfügung steht, das im Hinblick auf grundlegende Aspekte den Zweck gleichermaßen fördert und dabei weniger Einschränkungen verursacht. 14. Ein Mittel ist verhältnismäßig, wenn der Wert der Zweckförderung dem Unwert der Einschränkung der Grundrechte nicht proportional ist. Seine Untersuchung erfordert den Vergleich des Grads der Zweckförderungsintensität mit dem Intensitätsgrad der Einschränkung der Grundrechte. Das Mittel ist unverhältnismäßig, wenn die Bedeutung des Zwecks nicht die Intensität der Einschränkung der Grundrechte rechtfertigt.

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Sachverzeichnis Abwägung 34, 42 ff. Analogia 40 Anwendungsnormen 89 ff. anzuwendende Normen 20 ff. Auslegung 48 – teleologische 48 – siehe auch Abwägung, Interpretation Autoritätsgründe (Authority Reasons) 39

Interesse 94, 96 Interpretation 21 – und Beschreibung 22 – und Rekonstruktion 23

begriffliche Korrespondenz 71 Begründung 64 ff. Bewertungsprüfung 82

Legalitätsprinzip 31, 60

definitive Gebote 34 demokratisches Prinzip 30, 47, 127, 128 Differenzierungskriterium 103 Erforderlichkeit siehe Geeignetheit Evidenzkontrolle 127 ff. Geeignetheit 118 – Dimensionen der Analyse 120 – Intensität der Beziehung 119 – Qualität der Beziehung 119 – Wahrscheinlichkeit der Beziehung 119 – Zweck-Mittel-Beziehung 118 Gewaltenteilung 119, 128 Gewichtsdimension 26, 51, 53 Gleichheit 102 Gründe 94, 96 – Richtigkeitsgründe 39 – wesentliche – 39 – zweckorientierte – 39 Güter 94, 96

Kompetenz 72 ff. Kontrolle 120, 127 ff. – Intensität der – 127

Mittel 115 ff. Moralität 70, 77 ff. Normen – als Argumentationsgebrauch 32 – erster Stufe 20 ff. (siehe auch anzuwendende Normen) – und Normtext 20 – Untersuchung 75 – zweiter Stufe 89 ff. (siehe auch Anwendungsnormen) Optimierungsgebote – Verwirklichung im – Verwirklichung im – Verwirklichung im 53

27 höchsten Maß 53 maximalen Maß 54 notwendigen Maß

Postulate 89 ff. – Arten 89 – spezifische 102 ff. – Gleichheit 102 – Verhältnismäßigkeit 113 – Zumutbarkeit 104 – unspezifische 95 ff.

Sachwortverzeichnis – Abwägung 95 – praktische Konkordanz 97 – Übermaßverbot 98 – Definition 89 – und Überprinzipien 90 – Untersuchung 90 – siehe auch Anwendungsnormen praktische Konkordanz 97 Prinzipien siehe Rechtsprinzipien Rechtsprinzipien – als Optimierungsgebote 27 – als unmittelbar zweckbestimmte Normen 62 – als zu optimierende Gebote 54 – Definition 69 – nach Alexy 27 – nach Canaris 25 – nach Dworkin 26 – nach Esser 25 – nach Larenz 25 – Natur (prospektive) 66 – Überprinzipien 90 – und Rechtsregeln 62 ff. – Unterscheidungskriterien – Anwendungsweise 57 – hypothetisch-konditionaler Charakter 57 – Maß des Beitrags zur Entscheidung 67, 74 – Natur der geforderten Rechtfertigung 64, 74 – Natur des vorgeschriebenen Verhaltens 62, 74 – Normenkonflitkt 57 – Untersuchung 75 – Wirkung 80 ff. – externe – objektive 82 – subjektive 84 – interne 80 – mittelbare 81 – unmittelbare 81

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Rechtsregeln – Abwägung von 42 ff. – als mittelbar zweckbestimmte Normen 62 – Arten 72 ff. – Kompetenzregeln 72, 88 – Verhaltensregeln 72, 88 – Ausnahme 44 – Charakter – Alles oder Nichts 28, 33 – prima facie 34 ff., 87 – Defeasibility von (Zurückdrängbarkeit) 34 ff., 37, 45, 68, 85, 87 – Definition 69 – Kollision (konkrete) 44 – Natur (retrospektive) 60 – over- und under-inclusiveness 48 – Rechtfertigungsgrund (rule’s purpose) 48 – und Rechtsprinzipien 62 ff. – Unterscheidungskriterien siehe Rechtsprinzipien – Untersuchung 75 – Wirkung 85 ff. – externe 88 – interne 85 – mittelbare 85 – unmittelbare 85 Rechtssicherheit 47, 48 Rechtsstaat 47, 62 Regeln siehe Rechtsregeln Relevanzprüfung 82 Rückwirkungsverbot 47, 60 Tatbestandsmäßigkeit 30 Übermaßverbot 98 – over und under inclusiveness 48 (siehe auch Rechtsregeln) Verhältnismäßigkeit 113 – Definition 113 – Kontrolle (Intensität der) 127

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Sachwortverzeichnis

– Prüfungen 118 – Geeignetheit 118 – Notwendigkeit 123 – Verhältnismäßigkeit i. e. S. 126 Vertretbarkeitskontrolle 127 ff. Werte 55, 94 – Verselbständigung von – 61 Wesensgehalt 102

Zumutbarkeit 104 – als Äquivalenz 110 – als Billigkeit 105 – als Kongruenz 108 – und Verhältnismäßigkeit 111 Zweck 62, 70, 115 – externe Zwecke 116 – interne Zwecke 116 – und Prinzipien 71