Theologisch-politischer Traktat: Sämtliche Werke, Band 3 [2 ed.] 9783787322886, 9783787335084

Spinoza entwickelt in seinem Traktat die Grundlagen von Toleranz in der Religion und Liberalität in der Politik und pläd

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German Pages 388 [442] Year 2012

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Theologisch-politischer Traktat: Sämtliche Werke, Band 3 [2 ed.]
 9783787322886, 9783787335084

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BA RUCH DE SPI NOZA

Sämtliche Werke Band 3

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

BARUCH DE SPINOZA

Theologisch-politischer Traktat

Neu übersetzt, herausgegeben, mit Einleitung und Anmerkungen versehen von wolfga ng bart usch at

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 93

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-2287-9 ISBN E-Book: 978-3-7873-2288-6

© Felix Meiner Verlag, Hamburg 2012. Alle Rechte vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Satz: Type & Buch Kusel, Hamburg. Druck und Bindung: Druckerei C. H. Beck, Nördlingen. Werkdruckpapier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany. www.meiner.de

Inh a lt

Einleitung. Von Wolfgang Bartuschat . . . . . . . . . . . . . . .

ix

1. Geschichte und Charakter des Traktats ix | 2. Inhalt und Ziel des Traktats xx | 3. Zu dieser Ausgabe xxvi

Bibliographie (Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xxxix

baruch de spionza vorr ede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3

erstes k a pitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von der Prophetie

14

zw eites k a pitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von den Propheten

31

drit tes k a pitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

Von der Berufung der Hebräer. Und ob die Prophetengabe allein den Hebräern eigen gewesen ist viertes k a pitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

Vom göttlichen Gesetz fünf tes k a pitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

Von dem Grund, weshalb die Zeremonien eingesetzt worden sind, und vom Glauben an die Geschichten, aus welchem Grunde und für wen er nötig ist sechstes k a pitel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von den Wundern

98

vi

Inhalt

siebtes k a pitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Von der Interpretation der Schrift achtes k a pitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 In ihm wird gezeigt, daß der Pentateuch sowie die Bücher Josua, Richter, Ruth, Samuel und Könige nicht eigenhändig geschrieben sind. Des weiteren wird untersucht, ob sie mehrere Verfasser hatten oder nur einen, und welchen neuntes k a pitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Weitere Untersuchungen über dieselben Bücher; besonders ob Esra letzte Hand an sie gelegt hat; und ob die Randbemerkungen, die sich in den hebräischen Handschriften finden, verschiedene Lesarten gewesen sind zehntes k a pitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Die übrigen Bücher des Alten Testaments werden in der gleichen Weise untersucht wie die vorherigen elf tes k a pitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Es wird untersucht, ob die Apostel ihre Briefe als Apostel und Propheten oder eher als Lehrer geschrieben haben. Ferner wird das Amt der Apostel dargestellt zwölf tes k a pitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Von der wahren Urschrift des göttlichen Gesetzes, aus welchem Grunde die Schrift heilig heißt und aus welchem Grunde Wort Gottes; endlich wird gezeigt, daß sie, sofern sie das Wort Gottes enthält, unverderbt zu uns gekommen ist dr eizehntes k a pitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 Es wird gezeigt, daß die Schrift nur ganz einfache Dinge lehrt und auf nichts als den Gehorsam bedacht ist und daß sie über die göttliche Natur lediglich das lehrt, was

Inhalt

vii

die Menschen mit einer bestimmten Lebensführung nachahmen können vier zehntes k a pitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 Was der Glaube ist und wer die Gläubigen sind; bestimmt werden die Grundlagen des Glaubens und dieser schließlich von der Philosophie getrennt fünfzehntes k a pitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 Es wird gezeigt, daß weder die Theologie der Vernunft noch die Vernunft der Theologie dienstbar ist und aus welchem Grunde wir von der Autorität der Heiligen Schrift überzeugt sind sechzehntes k a pitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Über die Grundlagen des Staates, über das natürliche und das bürgerliche Recht eines jeden und über das Recht des Souveräns siebzehntes k a pitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 Es wird gezeigt, daß niemand alles dem Souverän übertragen kann und daß dies auch nicht nötig ist. Vom Staat der Hebräer, wie er zu Moses’ Lebzeiten gewesen ist und wie nach dessen Tod vor der Einsetzung von Königen; von seiner Vortrefflichkeit und schließlich von den Ursachen, warum ein von Gott errichteter Staat untergehen konnte und überhaupt immer Aufständen ausgesetzt war achtzehntes k a pitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 Aus dem Staat und der Geschichte der Hebräer lassen sich einige politische Lehren erschließen neunzehntes k a pitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 Es wird gezeigt, daß das Recht in geistlichen Dingen ausschließlich in Händen des Souveräns liegt und daß der

viii

Inhalt

äußere religiöse Kult sich nach dem Frieden im Staat richten muß, wenn wir Gott in rechter Weise gehorchen wollen zwa nzigstes k a pitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 Es wird gezeigt, daß in einem freien Staat es jedem erlaubt ist zu denken, was er will, und zu sagen, was er denkt a nmer kungen zum theologisch-politischen tr a ktat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319

Anmerkungen des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 Bibelstellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 Namen- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385

Einleit ung

1. Geschichte und Charakter des Traktats Der Tractatus theologico-politicus ist 1670, anonym und mit fingiertem Druckort sowie fingiertem Drucker (Hamburgi, apud Henricum Künraht), erschienen. Tatsächlich hat ihn Jan Rieuwertsz in Amsterdam herausgebracht, der Verleger, der 1663 Spinozas Schrift über „Descartes’ Prinzipien der Philosophie“ herausgegeben hatte und 1677 nach Spinozas Tod die „Opera posthuma“ verlegen wird. Schriften, die sich gegen die herrschende Meinung, insbesondere die der kirchlichen oder weltlichen Obrigkeit richten, anonym zu veröffentlichen war im Zeitalter behördlicher Repressionen durchaus üblich. Nicht nur der Autor, auch der Verleger war auf Anonymität bedacht, und beide, Spinoza wie Rieuwertsz, hatten angesichts der Radikalität der im Traktat vorgetragenen Thesen guten Grund dafür, weil ihnen klar war, daß Spinozas eher beiläufige Äußerung, er habe nicht in der Absicht geschrieben, „Neuerungen einzuführen, sondern um Entstelltes zu korrigieren“ (XIX , 14), kaum Resonanz finden würde, nicht zu reden von der zweimal vorgebrachten salvatorischen Klausel gegenüber der Autorität der höchsten Gewalten seines Vaterlandes (Vorrede 16; XX , 14). Spinoza wurde bald als Verfasser des Traktats identifiziert, und sehr schnell setzte eine heftige Kritik ein. Schon im Mai 1670 polemisierte der Leipziger Theologe Jacob Thomasius in einer akademischen Programmschrift gegen die Schrift1, und weniger gebildete Kirchenleute beschwerten sich in Holland über das „gotteslästerliche“, „schädliche und verderbli-

1

Wiederabdruck in Thomasius’ Dissertationes LXIII Varii Argumenti, Halle 1693.

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Einleitung

che“ Buch, das verboten werden müßte. 2 Es folgte eine ganze Reihe von Gegenschriften, die sich kaum durch sachliche Einwände auszeichneten, sondern vor allem Haß zum Ausdruck brachten, in Spinozas Augen den schädlichsten aller Affekte (vgl. Eth. IV, prop. 45), den er, allemal in seiner theologischen Form, mit seinem Traktat gerade niederhalten wollte. Eine kursierende holländische Übersetzung wollte Spinoza nicht publiziert wissen (sie ist erst 1697 erschienen), damit, wie er schreibt, nicht noch mehr inkompetente Leute sich über den Traktat ergehen und er verboten würde (Brief 44 vom Februar 1671). Zunächst wurde der lateinische Text in dem weitgehend liberalen Land nicht verboten, und der Absatz stieg. Auch Leibniz hat sehr früh das „ruchlose“ Buch gelesen.3 Nach dem politischen Umschwung in den Niederlanden (1672), der den liberalen Regenten De Witt zu Fall brachte und einer repressiven Obrigkeit zur Macht verhalf, wurde der Traktat 1674 in Holland verboten, zusammen mit Hobbes’ „Leviathan“, Meyers „Philosophie als Interpretin der Heiligen Schrift“ und der „Bibliothek der Unitarier genannten polnischen Brüder“, die allesamt und in einem Atemzug „für gotteslästerliche und seelenverderbliche Bücher“ erklärt wurden, „voll von grundlosen und gefährlichen Ansichten und Greueln zum Nachteil der wahren Religion und des wahren Gottesdienstes“.4 Rieuwertsz, ein nicht nur liberaler, sondern auch geschäftstüchtiger Verleger, druckte jedoch nach, jetzt, um das Verbot zu unterlaufen, unter Angabe des Erscheinungsjahres der editio princeps (1670), teilweise auch in anderem Format und sogar unter anderen Titeln. 5 Zunehmend wurde das Buch im 2

Texte bei Walther/Freudenthal, Die Lebensgeschichte Spinozas, Bd. 1, S. 286 ff. 3 U. Goldenbaum, Die Commentatiuncula de judice als Leibnizens erste philosophische Auseinandersetzung mit Spinoza. In: Studia Leibniziana Sonderheft 29 (1999), S. 61 – 98. 4 Text bei Walther/Freudenthal, Die Lebensgeschichte Spinozas, Bd. 1, S. 314. 5 Ausführlich dazu F. Bamberger, The Early Editions of Spinoza’s Tractatus Theologico-Politicus.

Wolfgang Bartuschat

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Ausland (England, Frankreich, Deutschland) verkauft; und die französische Übersetzung von Saint-Glain, 1678 in Amsterdam veröffentlicht (mit einer Reihe von späteren Anmerkungen aus einem Handexemplar Spinozas), machte das Werk schließlich einem breiteren Leserkreis bekannt. An Oldenburg, dem er einige Exemplare zur Weiterleitung an interessierte Gelehrte geschickt hatte, schrieb Spinoza (Brief 68), er möge ihm die Stellen angeben, „die bei den Gelehrten Zweifel erweckt haben“; denn er möchte „den Traktat mit einigen Anmerkungen erläutern und womöglich die herrschenden Vorurteile gegen ihn beseitigen“. Wir wissen nicht, ob er die Stellen bekommen hat, doch hat er sich später mit dem Traktat wahrscheinlich nicht mehr intensiv beschäftigt, weil er ihn für hinreichend begründet hielt und der Meinung war, das Werk spreche für sich selbst und bedürfe keiner weiteren Auseinandersetzung mit gegnerischen Positionen. Jedenfalls sind die uns überlieferten Anmerkungen aus der Feder Spinozas bestenfalls Ergänzungen, nicht aber weiter gefaßte Begründungen der Kernthesen. Spinoza konnte sich darauf stützen, daß er lange an dem Traktat gearbeitet hat, hebt er doch eigens hervor, daß er „hier nichts schreibe“, was er „nicht oft und lange durchdacht hätte“ (IX , 129). Er hat in der Tat fünf Jahre für die Ausarbeitung der Schrift gebraucht und dafür 1665 die Arbeit an seinem philosophischen Hauptwerk unterbrochen, das 1677 unter dem Titel „Ethik“ erscheinen wird und in den der Ontologie und der Theorie menschlichen Erkennens gewidmeten Teilen I und II schon weitgehend ausgearbeitet war. Er hat die Arbeit unterbrochen für eine Streitschrift, die er aus aktuellem Anlaß schreiben wollte und die außerhalb der zu schreibenden Philosophie ihren Platz haben sollte, aber sorgfältig durchdacht werden mußte. Zwei Bereiche thematisiert der Traktat, die sich im Kontext der zu entwikkelnden Philosophie nicht thematisieren lassen und in der schließlich fertiggestellten „Ethik“ auch keinen ihnen angemessenen Platz finden: Theologie und Politik. Im ersten Teil der „Ethik“, der von Gott als dem Prinzip alles dessen, was

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Einleitung

ist, handelt, ist von der Theologie keine Rede, und in den der Ethik im engeren Sinne gewidmeten Teilen findet die Politik nur Platz in einer Anmerkung (IV, prop. 37, schol. 2). Diese Themen in einer separaten Abhandlung zu erörtern war für Spinoza aber sicher keine Nebentätigkeit, sondern einem Anliegen gewidmet, das für die von ihm vertretene Philosophie bedeutsam ist. Spinoza sah seine Philosophie, die er nicht zufällig unter den Titel „Ethik“ bringen wird, in ihrem Grundanliegen gefährdet: zu zeigen, daß ein friedvolles und darin humanes Zusammenleben der Menschen allein in einer Vernunft gründen kann, von der der Mensch eigenständig Gebrauch macht, es also unabdingbar ist, daß den Menschen der freie Gebrauch der Vernunft zugestanden wird. Spinoza lebte in einem Gemeinwesen, der Vereinigten Republik der Niederlande, das sich vom Joch der spanischen Herrschaft befreit hatte, politisch selbständig geworden war, unter der Regentschaft Jan De Witts republikanische Prinzipien hochhielt, Immigranten, insbesondere Juden von der iberischen Halbinsel, aufnahm, ein friedvolles Nebeneinander diverser religiöser Sekten ermöglichte, den Weg zu ökonomischer Prosperität wies und nicht zuletzt ein Land war, in dem Wissenschaften und Künste zu einer einzigartigen Blüte gelangten. Es war ein Land, das unterschiedliche Ansichten tolerierte, ein, bezogen auf die damalige Zeit, durchaus liberaler Staat, ein Land, das Spinoza als sein Vaterland ansehen und auch verteidigen konnte. Doch war ihm klar, daß der Zustand des Landes nicht die interne Stabilität hatte, die ihm Dauerhaftigkeit garantiert hätte. Mehr noch, er sah im Jahr 1665 die liberale Verfassung seines Vaterlandes tatsächlich gefährdet, und das nicht ohne Grund. Es war ein unruhiges Jahr in den Niederlanden. Die Bevölkerung litt unter der sich ausbreitenden Pest; der zweite Seekrieg mit England brachte dem Land einige empfindliche Niederlagen und bremste die ökonomische Prosperität; De Witts Politik war einer starken Opposition der antirepublikanischen Anhänger des Oranienhauses ausgesetzt; ein falscher Messias aus Smyrna, Sabbatai Zevi, stürzte die Juden des Landes in ein Gebräu irrationaler Er-

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wartungen; und nicht zuletzt versuchten die calvinistischen Theologen als Vertreter der führenden Religionsgruppierung, die Unsicherheit der Bevölkerung ausnutzend, Einfluß auf die laizistische Politik De Witts zu nehmen. Die geistige Situation der Zeit war es, in die Spinoza unter einem theologischen wie politischen Aspekt mit seinem Traktat eingreifen wollte, der insofern eine Streitschrift ist, die sich an den zu bekämpfenden Gegnern orientiert, d. h. an einer verfehlten Auffassung, die es zu destruieren gilt, um die richtige in Geltung zu setzen. Weil der Traktat seiner Tendenz nach eine polemische Schrift ist, die das Falsche im Visier hat und gegen es das Wahre zur Geltung zu bringen sucht, gehört sein Inhalt nicht in die Philosophie. Sein methodisches Verfahren läuft der Entfaltung der Philosophie, wie Spinoza sie versteht, zuwider. Denn das Wahre läßt sich nicht über einen Bezug auf das Falsche gewinnen. Die Wahrheit ist die Norm ihrer selbst und des Falschen („veritas norma sui et falsi est“), heißt es in der „Ethik“ (II, prop. 43, schol.). Das Wahre ist als das richtig Begründete das Kriterium des Falschen und hebt dieses auf, sobald der Mensch des Wahren inne ist, d. h. seine Aussagen tatsächlich begründet hat. Die in der „Ethik“ entwickelte Philosophie sieht deshalb von aller Polemik ab. Ein Referat falscher Auffassungen ist allenfalls eine Interpretationshilfe für den Leser und kann nur in Anmerkungen seinen Ort haben, die außerhalb des Deduktionsganges stehen, der die Sache selbst entfaltet. Über den Anlaß, den Traktat zu verfassen, haben wir zwei Äußerungen Spinozas, einen Brief an Oldenburg aus dem Jahr 1665, zu dem Zeitpunkt also, als Spinoza sich an die Arbeit machte, und die Vorrede zum Traktat, die er wahrscheinlich nach Fertigstellung der Arbeit geschrieben hat. In dem Brief (Nr. 30) heißt es: „Ich bin dabei, eine Abhandlung über meine Auffassung der Schrift zu verfassen, wozu mich motivieren 1. die Vorurteile der Theologen […], 2. die Meinung, die das Volk von mir hat […], 3. die Freiheit zu philosophieren und zu sagen, was man denkt“. Alle drei Motive enthalten einen

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Einleitung

Bezug auf Falsches, die beiden ersten auf etwas, das es auszuräumen gilt, das dritte auf etwas, das es gegen Verfehltes zu verteidigen gilt. 1. Die Vorurteile (praejudicia) sind aufzudecken (patefacere) und aus dem Geist (mens) wenigstens der Klügeren zu entfernen (amoliori), weil, so erläutert Spinoza, vor allem sie es sind, die die Menschen daran hindern (impedire), sich der Philosophie zuzuwenden. 2. Die Meinung (opinio), allemal die des gewöhnlichen Volkes (vulgus), verfehlt als bloße Annahme die Sache und enthält in ihrem von Spinoza in diesem Kontext genannten Inhalt, er sei Atheist, eine Beschuldigung, die es abzuwenden (averruncare) gilt. 3. Die Freiheit zu philosophieren ist sicherzustellen (asserere), weil sie, so erläutert Spinoza, bei uns (hic [!]) von der allzu großen Autorität und Frechheit der Prediger unterdrückt wird (supprimitur). In dieser Briefstelle erwähnt Spinoza mit den Vorurteilen der Theologen, dem Atheismus-Verdacht und der Unterdrückung der Freiheit zu philosophieren durch Prediger nur den theologischen Bezug als Anlaß, den Traktat zu verfassen. In der Tat scheint der theologische Aspekt anfangs das stärkere, wenn nicht ausschließliche Motiv zum Verfassen des Traktats gewesen zu sein. Der an zweiter Stelle genannte persönliche Hintergrund6 tritt im ausgearbeiteten Werk freilich ganz zurück – der Atheismus-Vorwurf wird nur noch beiläufig als Ausdruck eines philosophischen Begründungen mißtrauenden Aberglaubens erörtert (II, 1). Man wird den Traktat deshalb auch nicht als eine persönliche Abrechnung mit der Amsterdamer jüdischen Gemeinde lesen können, die Spinoza 1656 exkommuniziert hatte. Daß der Traktat auf eine frühe, in spanischer Sprache verfaßte Schrift Spinozas mit dem Titel „Apologia“ zurückgehe, von der Pierre Bayle in dem Artikel Spinoza seines „Dictionnaire historique et critique“ (1697) be6

Bei der Besetzung einer Pfarrstelle in Voorburg 1665 hatten Bewohner der Stadt Spinoza von der Mitwirkung bei der Entscheidung ausschließen wollen, weil er „ein Atheist ist oder ein Mensch, der aller Religion spottet […], wie viele gelehrte Männer und Prediger […] und die, welche ihn kennen, bezeugen können“ (Text bei Walther / Freudenthal, Die Lebensgeschichte Spinozas, Bd. 1, S. 281).

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richtet 7, und daß diese Schrift als eine Art „Urtraktat“ sogar in große Teile des uns vorliegenden Traktats eingegangen sei, läßt sich nicht beweisen, weil sie uns nicht bekannt ist. Die Vorrede zum Traktat sieht jedenfalls von jeder persönlichen Betroffenheit ab, wenn sie auch, in aufwendiger Rhetorik, Spinozas Verwunderung über den Zustand der Religion in seinem Land artikuliert (Vorrede 9). Sie setzt ein mit einer Theorie des Aberglaubens, den Spinoza als Resultat menschlicher Affektivität versteht, aus der ihrerseits die Vorurteile, von denen der Brief an Oldenburg spricht, resultieren (Vorrede 9). Es sind die Vorurteile der Menschen und nicht nur der Theologen, die sich allerdings auf diese stützen, weil sie so über die Menschen leicht herrschen können, worin sie in der Tat leichtes Spiel haben, weil die Erwartungen der in Affekten befangenen Menschen ihnen entgegenkommen. Zugleich macht Spinoza deutlich, daß alle Menschen dem der Affektivität entspringenden Aberglauben von Natur aus unterworfen sind (Vorrede 5) und daß deshalb die Vernunft das Ansehen der Theologen beim Volk nicht so untergraben kann, daß sie das Volk zu belehren sucht. Das einfache Volk (vulgus) ist nicht der Adressat des Traktats, der „philosophische Leser“ ist es, wie Spinoza ausdrücklich sagt (Vorrede 15) , d. h. jemand, der auf die Vernunft setzt, ohne deshalb auch Spinozist sein zu müssen. Der Traktat wendet sich an Menschen, die schon philosophieren, aber die der Philosophie eigene Freiheit noch nicht hinreichend ergreifen, also nicht frei genug philosophieren, mit anderen Worten, die selbst noch einem Vorurteil unterliegen, daß sich nämlich die Philosophie nach der Theologie richten müsse, in traditionellem Vokabular formuliert, „Magd der Theologie“ (Vorrede 15) sein müsse. Dieses jegliche Philosophie belastende Verständnis kritisch zu destruieren setzt sich der Traktat zum Ziel. Um es zu erreichen, sind nicht vorurteilsbehaftete Volksmeinungen zu korrigieren, sondern die Vorurteile der Theo7

Wohl gestützt auf Salomon van Tils antispinozistisches Pamphlet „Het voor-hoof der heydenen …“ Dordrecht 1694, S. 5.

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Einleitung

logen am Gegenstand der Theologie, der Religion, als Vor urteile zu entlarven. Dafür zeigt Spinoza, daß die Repräsentanten der Theologie seiner Zeit, also die damaligen Theologen, ein falsches Verständnis von Religion haben, weil der genuine Gegenstand der Religion die Frömmigkeit (pietas) ist, der die von den Theologen bekämpfte Freiheit des Philosophierens nicht nur nicht im Wege steht, sondern selber dieser Freiheit bedarf. Der Untertitel des Traktats formuliert diesen Gesichtspunkt. In dem Traktat werde gezeigt, „daß die Freiheit zu philosophieren nicht nur ohne Schaden für die Frömmigkeit […] zugestanden werden kann, sondern auch nicht aufgehoben werden kann, ohne zugleich […] die Frömmigkeit aufzuheben“. Dies zu zeigen ist für Spinoza der zentrale Anlaß gewesen, den Traktat zu verfassen, also der dritte Punkt im Schreiben an Oldenburg, nur daß dieser Punkt jetzt über die theologische Dimension hinaus auf die politische erweitert wird, die der Untertitel ineins mit ihr im Blick hat. Auch für den Frieden im Staat (pax reipublicae) ist die Freiheit zu philosophieren nicht nur zuzugestehen, sondern eine nicht aufzuhebende Bedingung dieses Friedens. Beides nicht nur zu zeigen (ostendere), sondern auch zu beweisen (demonstrare), heißt es in der Vorrede (8), ist es vor allem (praecipium), „was ich mir in diesem Traktat vorgenommen habe“. Der theologische Aspekt mag bei der frühen Konzeption des Traktats im Vordergrund gestanden haben, da die theologische Repression in Spinozas Zeit gravierend war, so daß allein deshalb die Theologie auch einer längeren Erörterung bedurfte (15 der 20 Kapitel des Traktats sind ihr gewidmet), während der Staat, in dem Spinoza lebte, als liberal angesehen werden konnte und deshalb in seiner Liberalität nur zu sichern war. Aber auch der Staat ist durch ein falsches Religionsverständnis der Theologen gefährdet, die mit der Religion einen Rechtsanspruch verbinden, gestützt auf den, so formuliert es Spinoza drastisch (Vorrede 8), ihre Vertreter das staatliche Recht „mit dreister Willkür“ und „unter dem Deckmantel der Religion“ an sich reißen wollen, sich dabei auf den noch im „Aberglauben befangenen Sinn der Menge“ stützend,

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womit sie alles nur von neuem (iterum) in Knechtschaft (servitium) stürzen. So sind es die Vorurteile über die Religion (praejudicia circa religionem), die zugleich zu Vorurteilen über das Recht des Souveräns (praejudicia circa summarum potestatum jus) führen, die es auf beiden Feldern zu bekämpfen gilt und deren Erörterung die Einheit des „Theologischpolitischen Traktats“ ausmacht. Und beide Felder, auch das macht die Vorrede deutlich, werden im Hinblick auf die politische Situation der Niederlande in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erörtert (Vorrede 8). Weder geht es um die persönlichen Erlebnisse eines Mannes, der durch religiösen Druck schikaniert worden ist und sich an den Vorteilen eines liberalen Staates erfreuen darf, noch um die persönliche Existenz eines Philosophen, der unbehelligt philosophieren will und hierfür zu zeigen sucht, daß die eigene Philosophie harmlos für Religion und Politik ist und sich deshalb frei entfalten dürfe, frei von kirchlichem und staatlichen Druck. Spinoza will mit seinem Traktat vielmehr zeigen, daß Religion und Politik selber des freien Philosophierens bedürfen, weil ihre Domänen, Frömmigkeit und Frieden, seiner bedürfen. Um Spinozas Argument zu verstehen, muß man sehen, daß er mit der libertas philosophandi als der Bedingung von Frömmigkeit und Frieden nicht die Philosophie im strengen Sinne als eine Disziplin argumentativer Entfaltung und Begründung beweisfähiger Sachverhalte im Blick hat, also nicht in erster Linie seine eigene Philosophie, die sich dem Druck kirchlicher und staatlicher Autorität entziehen will. Nur die erste These des Untertitels („nicht nur“) könnte dem entsprechen, nicht aber die zweite („sondern auch“), die über ein verträgliches Nebeneinander hinaus die Freiheit zu philosophieren zur Bedingung von Frömmigkeit und Frieden macht. Das kann nicht bedeuten, daß die Philosophie (oder gar Spinozas eigene) Religion und Politik begründt, sondern nur, daß deren Basiselemente, Frömmigkeit und Frieden, für ihren eigenen Bestand etwas bedürfen, was auch konstitutiv für die Philosophie ist: daß die Menschen in ihrer Frömmigkeit und Friedenssuche frei und das heißt eigenständig urteilen, generell

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Einleitung

gesagt, daß sie eine eigene Meinung haben und diese äußern dürfen. Nicht daß diese Meinung richtig oder gar philosophisch haltbar ist, ist entscheidend, sondern daß es eine Meinung ist, in der sich ein eigenes Urteil artikuliert, mag es auch irrig und Ausdruck bloß privater Einschätzung sein, anders formuliert, daß der Mensch in Sachen Religion und Politik nicht Vorschriften oder gar Befehle zu befolgen hat, die ein anderer erläßt, insbesondere nicht eine vermeintliche oder tatsächliche Autorität. Das muß für alle diejenigen bedeutungslos sein, die gesagt bekommen wollen, was sie denken sollen, eine Haltung, die es, wie Kant sehr viel später, am Ende des Zeitalters der Aufklärung, schreiben wird, „anderen so leicht [macht], sich zu den Vormündern aufzuwerfen“8 . An sie richtet sich der Traktat deshalb nicht. Man wird dem Sachverhalt nicht gerecht, wenn man zwischen einer esoterischen und einer exoterischen Philosophie unterscheidet, zwischen der eigentlichen Philosophie Spinozas und einer sich verstellenden Form von Philosophie, die sich der Erwartung einer Leserschaft anpaßt, die schon ein bestimmtes Verständnis von Religion und Politik hat, dem es entgegenzukommen gilt9, wenn man also davon ausgeht, Spinoza habe in dem Traktat seine eigene Philosophie zurückgehalten, sei es um in seinem zeitbedingten Anliegen überhaupt verstanden zu werden, sei es um mit ihm dem Publikum nicht zu viel zuzumuten. Gewiß, wie die Bibel sich der beschränkten Fassungskraft derer, die sie erreichen will, angepaßt hat, wie Spinoza nicht müde wird zu betonen, so bedient sich auch Spinoza in seinem Traktat eines Stils, der nicht die argumentative Strenge und auch Nüchternheit der „Ethik“ hat. Er bedient sich über weite Strecken, nicht nur in der Vorrede, eines rhetorischen Stils, scheut nicht bloße Wiederholungen, um 8

Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“, Berlinische Monatszeitschrift Dezember 1784, S. 481. 9 Vgl. hierzu Leo Strauss, „Anweisung zum Studium von Spinozas Theologisch-politischem Traktat. In: N. Altwicker (Hg.), Texte zur Geschichte des Spinozismus.

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den Thesen Nachdruck zu verleihen, und läßt die eigene emotionale Betroffenheit anklingen, wenn es darum geht, Unsinn als Unsinn in den Blick zu bringen. Aber der Traktat richtet sich nicht an das unwissende Volk, sondern an den Gebildeten, an den philosophischen Leser (Vorrede 15), den Spinoza von einer letzten Befangenheit in Vorurteilen über religiöse und politische Verbindlichkeiten befreien will und dem er deshalb ein philosophisch stichhaltiges Konzept von Religion und Politik präsentieren muß. Diejenigen, die Spinoza mit seiner Grundthese, Religion und Politik bedürften einer Form des Philosophierens, überzeugen will, müssen somit davon überzeugt werden, daß diese These die Felder Religion und Politik wirklich trifft und nicht von sich her deformiert. Der eigentümliche Reiz des Traktats besteht in der Entfaltung eines Zusammenhangs von Philosophie, Religion und Politik, in dem die Philosophie den Anspruch erhebt, die ihr vorgegebenen, weil aus ihren Prinzipien nicht ableitbaren Gebiete der Religion und Politik sachgerecht zu traktieren, nicht dadurch, daß sie sie begründet und von ihren allgemeinen Prinzipien her versteht, sondern dadurch, daß sie ihnen zu einem Selbstverständnis verhilft, auf dessen Basis sie ihre Aufgaben erst erfüllen können. Von der Richtigkeit seiner These war Spinoza auf Grund seiner Philosophie zweifellos überzeugt. Doch ist damit nicht gesagt, daß auch der Leser des Traktats sie aus der Einsicht wird übernehmen können, daß sie ein wesentliches Element von Religion und Politik tatsächlich trifft. Die Obrigkeit seiner Zeit hat sie nicht übernehmen können, und vielleicht befand sie sich darin in Einklang mit vielen Lesern. Aber man sollte nicht nur den damaligen Leser im Auge haben und den Traktat unter dem Gesichtspunkt lesen, wie weit er damals hat akzeptiert werden können, d. h. nicht nur als eine Streitschrift, die ihrem eigenen Anspruch nach auf unmittelbare Wirkung aus ist.10 10

G. Gawlick betont in seiner Einleitung in die bisherige Ausgabe der Philosophischen Bibliothek (S. XXVII) diesen Aspekt und hebt zu Recht die damit verbundenen Schwierigkeiten hervor, insbesondere

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Einleitung

2. Inhalt und Ziel des Traktats A. Religion Spinoza beginnt seinen Traktat mit einer Deutung der in der Bibel dokumentierten Offenbarungsreligion. Um deren richtiges Verständnis von einem in seinen Augen weit verbreiteten falschen Verständnis abzuheben, entwickelt er später, im 7. Kapitel, eine Theorie der Interpretation der heiligen Schriften. Ihr Grundprinzip ist, die Schrift aus sich selbst heraus zu verstehen, ihr also nichts zuzuschreiben, was sich nicht ihr selbst entnehmen läßt. Hierfür sind die Entstehungsbedingungen der Schrift zu untersuchen, ihre Aussagen also historisch einzuordnen und aus dem historischen Kontext verständlich zu machen. Dabei ist die Mentalität der Verfasser ebenso wie die der Adressaten zu untersuchen, aber auch die Sprache der damaligen Zeit, aus deren Erforschung sich erst ergibt, was die Verfasser gemeint haben, was also der Sinn (sensus) biblischer Aussagen ist. Die in der historischen Orientierung der Wissenschaftlichkeit verpflichtete Methode könne diesen Sinn klar erfassen und die Beliebigkeit subjektiven und darin bibelfremden Hineindenkens ausschalten. Ihre Grenze hat sie nicht in der Methode selbst, sondern in der schlechten Überlieferung, die es uns nicht erlaubt, alles in der Bibel Enthaltene zur Klarheit rationalen Begreifens zu bringen. In den auf das Interpretations-Kapitel folgenden Kapiteln benutzt Spinoza seine Methode, um an den biblischen Büchern, vor allem denen des Alten Testaments, zu zeigen, daß sie kein einheitliches Werk sind, sondern das Werk vieler Verfasser, das zudem in seinen Aussagen voller interner Widersprüche ist und in der uns vorliegenden Form sich einem späteren Redakteur verdankt, der uns lediglich eine Materialsammlung hinterlassen hat, ohne sie in eine vernünftige Ordnung gebracht zu haben. Spinoza ist so zum Wegweiser einer historisch-kritischen Bibelden Versuch, mit Hilfe der Vernunft ein Vorurteil ausrotten zu wollen, das gerade darin besteht, der Vernunft wenig zuzutrauen.

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Exegese geworden, und er hat in seiner kritischen Analyse des Textes der Bibel vieles richtig erfaßt, vieles freilich auch nicht von dem, was die fortschreitende historische Forschung, gestützt auf weitaus umfangreicheres Quellenmaterial, besser hat deuten können. Die meisten der internen Widersprüche, die Spinoza hervorhebt, sind bei genauerer Betrachtung des Textes so offensichtlich, daß es nur des Mutes bedurfte, sie auszusprechen, und die These zu wagen, der Text einer Schrift, die als heilig gilt, sei verderbt überliefert. Seine Analyse der biblischen Bücher (Kap. VIII – XI) beschließt Spinoza mit einem die Bibel-Hermeneutik abschließenden Kapitel (XII), das untersucht, „aus welchen Grunde die Schrift heilig heißt (qua ratione sacra vocatur)“. In ihm macht er deutlich, daß das Verfahren einer historisch-kritischen Untersuchung nicht einer Destruktion der Bibel in ihrem wahren Gehalt dient, sondern der Trennung zwischen dem in ihr sich manifestierenden Wort Gottes und dem schriftlich fixierten Gewand, in dem es sich bekundet. Das Wort Gottes (verbum Dei) sei „die wahre Urschrift (verus syngraphus) des göttlichen Gesetzes“, die uns unverderbt überliefert ist und, nicht geschrieben auf Papier und mit Tinte (XII, 3), sondern von Gott den Herzen der Menschen eingeschrieben (XII, 1), den wahren Gehalt der Religion ausmache. Wenn die historisch-kritische Methode auch die Bedingungen untersucht, unter denen Religionen entstehen und ihre spezifische Gestalt annehmen (mit ihrer Hilfe hat Spinoza den Unterschied zwischen Altem und Neuem Testament charakterisiert), so unterscheidet sie doch zwischen Geltung und Genese, nämlich zwischen der wahren Form der Religion und der historisch bedingten Form ihrer Präsentation. Diese Differenz hat Spinoza in Kapiteln entwickelt, die der Interpretation der Schrift vorausgehen (I – VI) und in sie dann eingehen. Sie erörtern die Prophetie (Kap. I u. II), den Status des hebräischen Volkes (Kap. III), den Begriff des göttlichen Gesetzes und was von ihm fernzuhalten ist (Kap. IV u. V) sowie den Status des Wunders (Kap. VI) und stützen sich dabei auf rein philosophische Überlegungen, die Spinoza zwar durch Stel-

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len aus der Bibel zu bestätigen sucht, aber nicht aus ihnen gewinnt, die also Bibel-transzendent sind. Sie sind Grundlage der in Kapitel XII ausdrücklich gemachten These einer Unterscheidung zwischen der wahren Religion, die der Vernunft gemäß ist, und einer historisch bedingten Religion, die auf die unterschiedlich beschränkte Auffassungskraft der Adressaten der biblischen Botschaft zurückzuführen ist. Prophetie wird als „die sichere Erkenntnis einer den Menschen von Gott offenbarten Sache“ definiert (I, 1), die als sichere auch die natürliche, d. h. vernunftgeleitete Erkenntnis umfasse (I, 4), nur daß aus ihr das der Offenbarung Eigentümliche nicht erklärt werden könne. Offenbarung wird unter dieser Voraussetzung als ein Modus der Vermittlung definiert, der den Propheten zu einem Interpreten Gottes für diejenigen macht, die der vernünftigen Erkenntnis Gottes nicht fähig sind und sich deshalb auf den bloßen Glauben stützen (I, 3). Sie wird zu einer Form von Erkenntnis, die ihre Sicherheit bei den Propheten und ihre Akzeptanz bei den Glaubenden aus der moralischen Integrität der Propheten hat, die diese zu tauglichen Vermittlern einer vorbildlichen Form moralischen Lebens macht. Ist die biblische Lehre auf die Absicht einer solchen Vermittlung hin zu lesen, dann ist sie auf einen Sinn hin zu lesen und nicht auf einen Wahrheitsgehalt, den darzulegen die Propheten weder beabsichtigen noch befähigt sind. Denn Gott hat sich, wie das 2. Kapitel über die Propheten unterstreicht, in den Offenbarungen der dem bloßen Vorstellen (imaginatio) verpflichteten Vorstellungswelt der einzelnen Propheten anpassen müssen, wenn er in ihnen erfolgversprechende Vermittler haben will. Das dem hebräischen Volk gewidmete Kapitel entwickelt eingangs (III, 1) eine rein philosophische Theorie des Glücks und operiert sodann (III, 3) mit einem Begriff von innerem und äußerem Beistand Gottes, der die Religion, demonstriert am Begriff der Auserwählung, von der Partikularität eines besonderen Volkes löst und die prophetisch vermittelte Moralität universalisiert, die sich unabhängig von den besonderen historischen Umständen und sogar gegen sie in der Bibel aufzeigen lasse.

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Im Kapitel über das göttliche Gesetz stützt sich Spinoza einleitend wie selbstverständlich auf die eigene Philosophie, die die menschliche Glückseligkeit mit der geistigen Erkenntnis (cognitio intellectualis) Gottes zusammenfallen läßt, die als Akt des Erkennens keinem als Vorschrift erlassenen Gesetz unterliegt (IV, 3 u. 4), so daß Gott als Instanz unserer Glückseligkeit, theologisch gesprochen unseres Heils, nicht als Gesetzgeber verstanden werden kann. Alle Verordnungen Gottes, von denen die Bibel spricht, sind relativ auf die beschränkte Fassungskraft des Volkes (IV, 1) und als erlassene Gesetze in Wahrheit menschliche Gesetze von partikularer Bedeutung, mit denen die Propheten unter Berufung auf Gott die Menschen einer bestimmten Region zu disziplinieren suchen. Unter diesem Aspekt werden die Zeremonien und die die Einbildungskraft der Menschen einnehmenden heiligen Geschichten (5. Kapitel) zu einem dem göttlichen Gesetz äußeren Beiwerk, das in seinen Sonderbarkeiten historisch verständlich zu machen ist. Das Kapitel über die Wunder schließlich stützt sich am stärksten von allen Kapiteln auf Spinozas eigene Philosophie, nämlich auf das dort entwickelte Konzept Gottes und einer Natur, die der göttlichen Macht so unterliegt, daß das Durchbrechen der Kausalgesetzlichkeit natürlicher Abläufe durch ein übernatürliches göttliches Eingreifen der Natur Gottes zuwiderläuft, Wunder uns also die Allmacht Gottes gar nicht erkennen lassen ( VI, 2–9). Die biblischen Berichte über Wunder sind deshalb als bloße Illustrationen zu verstehen, die denen entgegenkommen, die so disponiert sind, daß sie sich durch Staunen und Sich-Wundern zu einer stärkeren Verehrung Gottes motivieren lassen. Am Ende des Wunder-Kapitels schreibt Spinoza ( VI, 21), daß er sich beim Wunder allein auf das natürliche Licht gestützt habe, also rein philosophisch vorgegangen sei, weil sich die Zurückweisung der Wunder als eines objektiven Tatbestandes aus der Vernunft zugänglichen Prinzipien begründen lasse. Gleichwohl zieht er unabhängig von ihr „einige“ Stellen der Schrift zur Begründung heran, worin er seinem generellen Verfahren folgt, philosophische Begründungen sich aus

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der Schrift bestätigen zu lassen. Doch sind die herangezogenen Stellen so beiläufig und treffen den Kern der biblischen Offenbarungsreligion so wenig, daß sie die philosophisch gehaltene These kaum bestätigen dürften oder gar an ihre Stelle treten könnten. Überhaupt ist die Auswahl der Bibelstellen, die Spinoza als Stütze seiner Interpretation heranzieht, äußerst willkürlich; er wählt aus, was ihm für seine Strategie am besten paßt. Und nicht zufällig wird sehr oft Salomo, der Weise, zu seinem Gewährsmann, wenn es darum geht, gegen das Bildhafte und Dunkle biblischer Aussagen die Kraft des Verstandes hochzuhalten, der den Kern der Religion vernunftkonform sein läßt und religiöses Beiwerk von der wahren Religion zu trennen erlaubt. Kann das Wunder in seiner Negativität aus philosophischen Prinzipien erklärt werden, so ist das bei der Prophetie und damit der Offenbarung in ihrer Positivität nicht möglich, da sie als ein wirkliches Ereignis „die menschliche Fassungskraft übersteigt“ (VI, 21) , das heißt nicht ursächlich erklärt werden kann. Darin ist impliziert, daß wir sie als göttliche Offenbarung nicht aus der Natur Gottes herleiten können, anders formuliert, nicht Gott als ihre Ursache begreifen können. Hält man an der Prophetie als einem wirklichen Ereignis fest, dann stehen wir vor einer rein theologischen Angelegenheit („quaestio mere theologica“, ebd.) und müssen deshalb die Prophetie aus den offenbarten Grundlagen („ex fundamentis relevatis“, ebd.) zu begreifen suchen, nämlich aus dem, was in der Bibel als grundlegend für die Offenbarung ausgegeben wird. Das ist der moralische Charakter der Propheten, der an kein Erkennen (intelligere) gebunden ist, sich vielmehr mit einem lebhaften Vorstellungsvermögen (imaginatio) paart, das die Propheten zu tauglichen Vermittler der göttlichen Botschaft macht, aber um den Preis, die Natur Gottes auf eine Moralität hin zu deformieren, die ihr nicht gemäß ist. Gott wird zu einer moralischen Instanz und seine Botschaft zu einem zu befolgenden Gebot, was unter philosophischem Wissen falsch ist. Die Prophetie ist deshalb philosophisch nur so zu retten, daß man sie in ihrer Funktionalität versteht und von ihr jeden An-

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spruch auf Wahrheit fernhält. Die Propheten, selbst Moses (II, 14), der größte aller Propheten, hatten überhaupt keinen richtigen Begriff von Gott; ihre Aufgabe bestand nicht darin, die Menschen klüger zu machen, sondern darin, sie durch als göttlich ausgegebene Vorschriften gehorsamer zu machen, d. h. sie gegen die Disziplinlosigkeit des Befolgens bloßer Neigungen, wenn auch mit auf Neigung zielenden Mitteln (Bestrafung und Belohnung), moralisch zu stabilisieren. Die „rein theologische Angelegenheit“ ist deshalb auch rein theologisch zu erörtern und in ihren Aussagen streng von der Philosophie zu trennen. Das den theologischen Teil des Traktats abschließende Kapitel XV ist, vorbereitet durch die auf die Bibel-Exegese folgenden Kapitel XIII und XIV, dieser Trennung gewidmet. Kapitel XIII zeigt, so in der Überschrift formuliert, daß die Schrift nur ganz einfache Dinge („simplicissima“) lehrt, nämlich den Gehorsam gegenüber Gott, der sich in der Nächstenliebe und der mit ihr verbundenen Gerechtigkeit äußert, Dinge, die einem jeden und nicht nur dem Wissenden zugänglich sind; sie lehrt deshalb, so ebenfalls in der Überschrift formuliert, über die göttliche Natur lediglich das, was die Menschen mit einer bestimmten Lebensführung nachahmen („imitari“) können. Dafür brauchen die Menschen nicht nur kein richtiges Wissen von Gott, sondern dürfen es auch gar nicht haben, weil das richtige Wissen gerade ausschließt, daß Gott sich nachahmen läßt und, anthropomorph gedacht, so etwas wie ein Vorbild für uns wäre. Die in dieser Weise Gott zugesprochenen Attribute, gerecht und in der Liebe zu den Menschen gütig zu sein, sind lediglich Aspekte, unter denen die Menschen dazu gebracht werden sollen, selber Gerechtigkeit und Nächstenliebe zu praktizieren. Philosophisch unbefriedigend, gehören sie zum Glauben, der davon befreit wird, die richtige Erkenntnis Gottes zu haben, in der „seine Natur, wie sie in sich ist, betrachtet [wird], d. h. als eine Natur, die die Menschen weder in einer bestimmten Lebensführung nachahmen noch zum Musterbild der wahren Lebensführung nehmen können“ (XIII, 8). Glaube, so zeigt Spinoza in Kapitel XIV, ist an den Gehorsam gebun-

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den (XIV, 5), der sich seinerseits allein in der praktizierten Form von Gerechtigkeit und Nächstenliebe bekundet, das heißt in den Werken. Und um die Menschen dazu zu motivieren, bedarf es nicht wahrer Dogmen, sondern allein frommer Dogmen, mögen sie auch „nicht den Schatten einer Wahrheit haben“ (XIV, 8). Mit dieser Bindung der Religion an eine wahrheitsneutrale Praxis ist die Trennung der Theologie von der Philosophie vollzogen. Damit ist nicht nur die Philosophie (auch die, die von Gott handelt) von aller Theologie befreit, sondern auch, und das ist im Kontext des Traktats das eigentliche Anliegen Spinozas, die Theologie von aller Philosophie. Denn ihr genuiner Inhalt, die in der Heiligen Schrift dokumentierte Religion, hat nichts mit Philosophie zu tun: „die Schrift [lehrt] nichts Philosophisches, sondern nur die Frömmigkeit“ (XV, 1). Weil aber die Frömmigkeit eine Form von Praxis ist, zu der die Menschen eigens motiviert werden müssen, gehört die Motivation, nicht beiläufig, sondern wesentlich, zu dem, was die Schrift lehrt: „ihr ganzer Inhalt [wurde] der Fassungskraft und den vorgefaßten Meinungen des damaligen Volkes angepaßt“ (ebd.). Ihr Inhalt muß deshalb relativ darauf bleiben und nicht unter die Perspektive von Wissen gebracht werden. Er darf nicht daraufhin befragt werden, inwieweit er mit Vernunftgründen in Einklang steht – das ist die Kritik Spinozas an Maimonides ( VII, 20 f.), der die Aussagen der Bibel so deuten wollte, daß sie der Vernunft entsprechen, und deshalb behaupten mußte, ihr Sinn lasse sich nur in einem philosophischen Zugriff erfassen. Er darf aber auch nicht, insbesondere in seiner Einkleidungsform, so gedacht werden, daß die dort dargelegten Aussagen über die Natur und Wirkungsweise Gottes tiefsinnige, aber geheimnisvolle Gedanken seien, in denen sich die Heiligkeit der Schrift manifestiere, und daß deshalb allein die Theologen einen angemessenen Zugang zur Schrift hätten – das ist die Kritik an Jehuda Alpachar (XV, 2 ff.), hinter der sich Spinozas Kritik an den vernunftskeptischen calvinistischen Theologen seiner Zeit verbirgt. Beide Positionen sind derselben Kritik ausge-

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setzt: Sie sind autoritär, weil sie einen privilegierten Zugang zur Schrifterklärung und damit zum Religionsverständnis in Anspruch nehmen, sei es daß er den Philosophen zukommt wegen der vermeintlichen Vernünftigkeit der biblischen Aussagen, sei es daß er den Theologen zukommt wegen der vermeintlichen Heiligkeit dieser Aussagen. Demgegenüber bringt Spinoza die Autonomie eines mündiges Lesers der Schrift ins Spiel, die zuzugestehen ist, soll die Religion in ihrem Anliegen, Frömmigkeit als moralische Praxis zu lehren, überhaupt Bestand haben. So wie die Lehre der Schrift der Fassungskraft des damaligen Volkes angepaßt war, so kann sie sich heute ein jeder seiner Fassungskraft anpassen, d. h. sich von Vorstellungen über Gott leiten lassen, von denen er meint, daß sie in besonderem Maße geeignet sind, ihn zur Frömmigkeit, d. h. zu einem durch Gerechtigkeit und Nächstenliebe gekennzeichneten Leben zu bringen. So ist die Trennung der Philosophie, sowohl in ihrer rationalen, auf den Verstand setzenden Form als auch in ihrer irrationalen, auf ein übernatürliches Licht setzenden Form, von der Theologie, so paradox es aussieht, die Voraussetzung dafür, daß die Philosophie einen Ort im Gegenstand der Theologie, der Religion, erhält. Die richtig verstandene Lehre der Religion befreit die Religion von einer auf Begründungen oder auf übernatürliches Wissen setzenden Philosophie und ermöglicht in diesem Freiraum ein Philosophieren, das keiner bestimmten Form von Philosophie verpflichtet ist, das als ein eigenständiges Meinen und darin auch Urteilen aber Voraussetzung aller Philosophie ist. Spinoza hat gewiß nicht geglaubt, daß sich diese Form rudimentären Philosophierens in die von ihm vertretene Philosophie überführen lasse und daß die Religion, wenn dies gelingt, integraler Bestandteil dieser Philosophie sein könnte, hegelisch gesprochen in ihr aufgehoben werde. Eine Lehre, die das menschliche Heil im bloßen Glauben gegründet sieht und nicht im Akt vernünftiger Einsicht, ist mit Spinozas Begriff von Philosophie unverträglich und aus ihm auch nicht verständlich zu machen. Ihre Integration in die Philosophie

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würde sie in einem negativen Sinne aufheben, nämlich vernichten. Man muß sie in ihrer niederen Form des Verzichts auf ausgewiesenes Wissen bewahren und als solche würdigen, nicht nur, um den fatalen Eindruck zu vermeiden, man müsse Philosoph sein, um ein tugendhaftes Leben führen zu können (vgl. XV, 10). An der Religion selber muß diese Möglichkeit aufgezeigt werden, allemal dann, wenn sie, richtig verstanden, beansprucht, die Lebensform tugendhaften Handelns zu ermöglichen. Wer Einsicht hat, wird die Praxis von Gerechtigkeit und Nächstenliebe aus Einsicht, d. h. von sich aus, befolgen. Weil Frömmigkeit im Glauben sich nicht auf Wissen stützt, hat Spinoza den Glauben in der Abgrenzung vom Wissen durchgängig im Gehorsam verankert und die biblische Lehre darauf reduziert, den Gehorsam gegenüber Gott zu lehren. Seine Definition der Offenbarungsreligion bezeichnet das Gehorchen geradezu als deren integralen Bestandteil (XV, 6), spricht dabei aber nicht nur von dem Grund (ratio), warum das so ist, sondern auch von der Form des Gehorchens (modus obediendi). Der Grund ist klar: Auf widerspenstige und nicht von Vernunft geleitete Menschen ist Zwang auszuüben. Mit Zwang ist aber eine äußere Instanz verbunden, ein Gebieter, als der Gott in der Bibel in der Tat gegen das, was er wirklich ist, vorgestellt wird. Indem Spinoza auf das eigenständige Urteilen (libertas philosophandi) setzt, auch darüber, wie dieser Gebieter zu verstehen ist, ob, beispielsweise, als Gesetze gebender Fürst oder als Lehrer ewiger Wahrheiten (vgl. XIV, 11), will er hervorheben, daß mit dem Selbsturteilen, unabhängig davon, ob es Wahres oder Falsches trifft, das Gehorchen verinnerlicht und der Äußerlichkeit einer fremden Autorität entzogen wird, die richtig verstandene Frömmigkeit also an eine geistige Haltung („ex vero animo“ obtemperare, XIV, 3) gebunden ist, ohne die sie sich selbst aufhöbe. Allein in dieser Form von Frömmigkeit hat die Religion die ihr gemäße Form, und nur in ihr ist jeder nicht nur „in Gott“, sondern auch Gott „in ihm“ (vgl. XIV, 8). Wenn Spinoza sich genötigt sieht, die Freiheit des Urteilens hinsichtlich der göttlichen Attribute durch bestimmte Glau-

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bensdogmen zu begrenzen, die der Beliebigkeit bloß subjektiven Urteilens entzogen sind (XIV, 9), dann ist das wohl zur Beruhigung der Theologen seiner Zeit gedacht, die die Freiheit des Urteilens nicht einem jeden zuzugestehen bereit sind, weil sie das Auslegungsmonopol der Schrift bei sich behalten wollen. Denn in der Perspektive der Urteilenden spielen nicht die unabdingbaren Voraussetzungen eine Rolle, unter denen man überhaupt gehorcht, sondern die Weise, in der man gehorcht, die nur dann fromm ist, wenn der Mensch sie vor sich selbst vertreten kann, ihm die Freiheit des Urteilens also zugestanden wird. Weil diese Freiheit kein Privileg einiger ist, sondern einem jeden zuzugestehen ist, ist darin gelegen, daß ein jeder sie auch den anderen zuzugestehen hat. Hält man sich daran, dann kann nur noch eine falsch verstandene Religion zu in Feindseligkeiten ausartende kirchliche Streitigkeiten führen, für Spinoza Grund genug, einen Traktat zu schreiben, der sie richtig zu verstehen sucht.

B. Politik Die im Feld der Religion aufgewiesene Freiheit erörtert Spinoza im politischen Feld im Hinblick auf den besten Staat („in optima republica“, XVI, 1), um zu zeigen, daß der Staat nur dann der beste ist, wenn er sich auf sie stützt. Das ist analog zu der Untersuchung im theologischen Bereich, in der Spinoza zeigt, daß die richtig verstandene Religion sich auf die Urteilsfreiheit der Glaubenden stützt. Doch unterscheiden sich Religion und Politik fundamental, weil der Bereich des Religiösen dem Privaten, der des Politischen aber ausschließlich dem Öffentlichen zuzuordnen ist. Deshalb läßt sich die Urteilsfreiheit im Glauben auch leichter begründen, weil der Glaube ein Gehorsam ist, der nicht von den Theologen als Repräsentanten einer Kirche vorgeschrieben wird, und die Kirche sich nicht als ein Recht setzender öffentlicher Gesetzgeber verstehen darf. Zu zeigen, daß alle Rechtsgesetzgebung ungeteilt den staatlichen Organen zugesprochen werden muß,

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ist ein wesentliches Anliegen des zweiten Teils des Traktats. Während die Vertreter der Kirche keinen Anspruch auf Interpretation der Glaubensdogmen haben, haben demgegenüber die Vertreter des Staates nicht nur das Recht, das öffentliche Leben regulierende Gesetze zu erlassen, sondern auch das alleinige Recht, diese Gesetze zu interpretieren ( VII, 22). Der eigenen Interpretation beraubt, haben die Untertanen die Gesetze strikt zu befolgen, ohne sie durch eine den eigenen Vorstellungen gemäße Interpretation zu ihren Gunsten auslegen zu dürfen. Angesichts dieses uneingeschränkten Rechts der staatlichen Organe und des daran geknüpften unbedingten Befolgens dieser Gesetze auf Seiten der Untertanen ist die auch hier immer noch unabdingbare Freiheit subjektiven Urteilens anders als im Feld von Glaubensfragen zu rechtfertigen. Der der Politik gewidmete Teil des Traktats gliedert sich in eine Abfolge von drei Stationen, die Spinozas Argumentation eher verschlungen als geradlinig sein läßt. Zunächst handelt er von den Grundlagen des Staates im allgemeinen (Kap. XVI), sodann von dem hebräischen Staat als einem Fall von Theokratie (Kap. XVII u. XVIII) und schließlich in einem dritten Schritt von dem Staat unter dem doppelten Gesichtspunkt der Zurückweisung aller Rechtsansprüche der Kirche in heiligen Dingen (jus sacrum), die ihn erst souverän sein läßt (Kap. XIX), und des Zugeständnisses der individuellen Urteilsfreiheit (libertas philosophandi), die ihn zu einem freien Staat macht (Kap. XX). Zwar ist deutlich, daß die Zurückweisung kirchlicher Rechtsbefugnisse eine Voraussetzung der internen Stabilität des Staates ist, ohne die der Staat nicht Garant des inneren Friedens sein könnte, doch wird daraus nicht ersichtlich, warum hierfür auch die Meinungsfreiheit seiner Bürger erforderlich wäre. Hinzu kommt, daß das letzte Kapitel, das diese Meinungsfreiheit hochhält, die Leistungskraft des Staates nicht aus der subjektiven Freiheit begründet, sondern sich auf ein bloßes Beispiel beruft, nämlich die blühende und weltweit geachtete Stadt Amsterdam, die diese Freiheit einschließlich der damit verbundenen

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unterschiedlichen Lebensformen gewährt und darin Vorbild eines gut geregelten und insofern in sich stabilen Gemeinwesens ist. Man gewinnt den Eindruck, daß Spinoza die gedeihliche Ordnung seiner Vaterstadt gegen sich abzeichnende Angriffe auf deren Liberalität mit eindringlicher Rhetorik zu beschwören sucht, ohne sie in dem Abschlußkapitel aus ihren Ursachen begründen zu wollen. Man muß die Begründung deshalb in dem einleitenden Kapitel XVI über den Staat im allgemeinen suchen. Der auf dieses Kapitel folgende Ausflug in die Beschreibung des Staates der Hebräer erörtert eine bestimmte Staatsform, die als ein Beispiel (und nicht etwa, wie die Calvinisten gerne hätten, als ein nachahmenswertes Modell) anzusehen ist. Merkmal des hebräischen Staates ist, was Spinoza auch für den modernen Staat nachdrücklich verlangt: daß es kein Nebeneinander, und schon gar nicht ein konkurrierendes, von priesterlicher und weltlicher Gesetzgebung gibt. Bei den Hebräern war das der Fall, weil die im Namen Gottes sprechenden religiösen Führer zugleich staatliche Gesetzgeber waren, von Spinoza paradigmatisch erläutert an Moses, dem größten Propheten und zugleich größten Staatsmann des hebräischen Volkes. Spinoza zeigt an vielen Punkten die Stärken einer solchen Theokratie auf (XVII, 8 ff.), insbesondere daß die Bürger als Kinder Gottes einen Staat, der als Reich Gottes angesehen wird, so akzeptieren können, daß er ihnen nicht als eine äußere Instanz erscheint, sondern als eine Institution, die von ihnen getragen und auch verteidigt wird. Spinoza sieht freilich auch, daß der interne Zusammenhalt über den Anspruch, ein auserwähltes Volk zu sein, ganz wesentlich von dem Haß auf andere Nationen getragen wird (XVII, 23), sich also einer Abgrenzung von einem äußeren Feind verdankt, die dann natürlich Gegenhaß provoziert und insofern eine latente Gefährdung impliziert, mag sie auch das Volk zusammenschweißen und es zu einer einheitlichen Gesinnung bringen. Spinoza konstatiert lediglich diesen Aspekt, ohne ihn als Gefahr für den Staat hinzustellen, er, der weiß, daß Haß niemals gut sein kann (Eth. IV, prop. 45). Denn für ihn liegt

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der eigentliche Grund des Zerfalls des hebräischen Staates darin, daß das religiöse Motiv dem Staat keine interne Stabilität verschaffen konnte, weil es selbst instabil ist. Ein falsches Verständnis von Religion, die Anbetung eines Götzen, privilegierte einen Stamm, der diesem Verständnis nicht erlegen war, den der Leviten, und brachte ihn vor den anderen in eine herausgehobene Position, was Neid hervorrief und zu einem internen Streit in der Bevölkerung führte (XVII, 26 f.). Weil Religiosität einen Staat nicht am Leben halten kann, muß, so wird Spinoza folgern ( XVIII, 6), dessen Verwaltung weltlichen Herrschern übertragen werden, die zugleich für die Organisation der geistlichen Angelegenheiten verantwortlich sind. Kapitel XVI handelt von den Grundlagen (fundamenta) des Staates, aus denen Spinoza das Recht, sowohl das der Individuen wie das des Souveräns, verständlich macht. Er beginnt mit einer Beschreibung der Konstitution natürlicher Dinge (XVI, 2), der auch die Menschen vor aller Staatlichkeit unterliegen (XVI, 3 u. 4). Jeder Mensch ist in seiner Betätigung durch die eigene Natur und die darin gelegene Macht (potentia) bestimmt, die keinen moralischen oder religiösen Bestimmungen unterliegt, sondern durch die Faktizität des Tuns, mag es affektgeleitet oder vernunftbestimmt sein, gerechtfertigt ist. Für uns Menschen ist es freilich, so zeigt Spinoza in einem zweiten Schritt (XVI, 6), viel nützlicher (utilius), das Zusammenleben nicht durch die je unterschiedliche Macht des einzelnen bestimmt sein zu lassen, sondern durch Gesetze, die unabhängig davon gelten. Solche Gesetze kommen zustande, wenn sich die Menschen, sei es auf Grund kluger Überlegung, sei es notgedrungen, in einem Pakt (pactum) entschließen, die eigene Macht einem staatlichen Souverän als Gesetzgeber zu übertragen (transferre). Mit dieser Übertragung verzichten sie darauf, gemäß der eigenen Macht zu handeln, und geben insofern das an diese Macht gebundene natürliche Recht (jus naturale) auf. Sofern sie dem Souverän ihre ganze Macht übertragen haben, erhält dieser ein unbeschränktes Recht (jus summarum potestatum), das nun-

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mehr bestimmt, was das bürgerliche Recht (jus civile) ist, was also die Individuen, nun nicht natürlicher Weise, sondern in rechtsförmig geregelter Weise als Recht in Anspruch nehmen können. Aus dem in dieser Weise erhaltenen absoluten Recht des Souveräns ist zu folgern, daß „alle ihm in allem gehorchen (parere) müssen“, d. h. gehalten sind, „alle Anordnungen des Souveräns unbedingt (absolute) auszuführen“, selbst wenn diese höchst widersinnig (absurdissima) sind (XVI, 8). Das bedeutet nicht so sehr, daß es vorteilhafter ist, überhaupt einen Staat zu haben als gar keinen, gemäß dem Ratschlag einer kalkulierenden Vernunft, „von zwei Übeln das kleinere zu wählen“ (ebd.). Spinozas Grundüberlegung stützt sich vielmehr auf die Eingangsthese, daß Recht und Macht zusammenfallen und der Staat deshalb nur dann ein höchstes Recht hat, wenn er auch höchste Macht ist. Das tragende Argument ist eher verdeckt, aber eindeutig zu identifizieren. Die Übertragung des individuellen (natürlichen) Rechts ist eine Vereinigung der Menschen („in unum conspirare“), durch die sie das individuelle Recht gemeinsam („collective“) haben, das als gemeinsames Recht von der Macht aller zusammen („omnium simul“) bestimmt ist. Mit der staatlichen Macht ist eine höchste Macht und damit eine Rechtsbefugnis, der sich alle unterwerfen müssen, also nur dann verbunden, wenn sie die gemeinsame Macht der Individuen ist. Daraus folgert Spinoza, daß die Individuen, wenn sie das nicht ist, sich ihr gar nicht unterwerfen können, weil sie nichts gegen die eigene Macht tun können. Eine Gewaltherrschaft (violenta imperia), die die höchste Gewalt (potestas) in Gewalttätigkeit (violentia) gegen die Untertanen kehrt, sagt Spinoza mit Seneca, hat niemand lange behauptet (XVI, 9). Denn sie ist durch ein Gegeneinander von Herrscher und Untertan bestimmt, das nicht zufälligerweise, sondern zwangsläufig zu einer Rebellion der Untertanen gegen die staatlichen Gesetze führen wird. Beseitigt ist diese latente Gefährdung erst in einer demokratischen Gesellschaft (XVI, 8), in der der Staat seine beste Form findet, und zwar deshalb, weil er, so argumentiert Spinoza, in der Demokratie der „natürlichste (maxime naturale)“ ist,

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nämlich „der Freiheit, die die Natur einem jeden gewährt, am nächsten kommt« (XVI, 11). Im Hintergrund dieser Überlegung steht: Der Mensch ist vor aller Staatlichkeit von Natur aus ein durch Macht gekennzeichnetes Wesen und als dieses unbeschadet aller faktischen Beschränkung seiner Macht durch äußere Dinge ein von sich aus tätiges und insofern freies Wesen. Weil diese Freiheit eine natürliche Eigenschaft ist, kann er sie gar nicht aufgeben. „Niemand wird jemals seine Macht und damit sein Recht einem anderen so übertragen können, daß er aufhörte, Mensch zu sein“ (XVII, 1). Übertragung der individuellen Macht auf einen anderen kann deshalb nicht Preisgabe dieser Macht zugunsten des anderen sein, sondern nur der Verzicht auf ein bloß durch die eigene Macht bestimmtes Handeln. Mit der Konstitution des Staates ist lediglich das individuelle Handeln dem eigenen Gutdünken entzogen und den das Handeln bestimmenden Anordnungen der staatlichen Gesetze strikt unterworfen, die sich deshalb auch nur auf das Handeln beziehen dürfen, nicht aber auf das Urteilen, das eigenständig ist und folglich den Individuen verbleibt, und zwar generell, also nicht nur in Angelegenheiten des Privaten, sondern auch im Hinblick auf die erlassenen Gesetze. Wer sagt, das Zugeständnis eines Urteilens, das sich grundsätzlich nicht in ein ihm entsprechendes Handeln umsetzen darf, sei zu wenig, dem wird Spinoza antworten, daß das sehr viel ist: Denn allein in dem Urteilen und nicht in dem einem bloßen Meinen entspringenden Handeln haben die Menschen eine tatsächliche Gemeinsamkeit, die die Macht des Souveräns eine gemeinsame Macht aller und zugleich eine den Individuen nicht fremde Macht sein läßt. Indem dem Menschen ein eigenes Erwägen (consultatio) verbleibt, ist ihm eine Autonomie verblieben, die ihn, unabhängig davon, inwieweit er am Gesetzgebungsverfahren faktisch beteiligt ist, sicher sein läßt, daß er sein Recht nicht einer von ihm abgehobenen und von außen gebietenden Institution übertragen hat, sondern einer Institution, deren Teil er selbst nicht nur ist, sondern auch ausmacht („facit“, XVI, 16).

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Wie sich Spinozas Theorie der wahren Religion einem philosophischen Zugriff verdankt, der die Religion von der Philosophie trennt und auf dieser Basis einem von aller theologischen Autorität befreiten subjektiven Urteilen Raum verschafft, so verdankt sich auch die Theorie der besten Staatsverfassung einem philosophischen Zugriff, der, stärker noch als im Feld der Religion, in Spinozas eigener Philosophie verankert ist, nämlich in dessen Ontologie der Macht. Die Natur des Menschen ist Macht, und Macht ist Aktivität, die im Handeln durch Äußeres vielfach beschränkt ist, im Urteilen aber frei, d. h. nicht beschränkt ist. In ihm erreicht sie eine Form, gegen die der Staat nicht als ein autoritärer Gebieter auftreten kann, die er vielmehr gewähren muß, will er selbst als gemeinsame Macht höchste Macht sein. In beiden Gebieten darf bezweifelt werden, daß dieser Zugriff die Wirkung entfalten konnte, auf die Spinoza mit seiner Streitschrift aus war. Zur Religion hat Spinoza kein weiteres Werk geschrieben, wohl aber zur Politik, den unvollendet gebliebenen „Politischen Traktat“ (erschienen 1677), verfaßt nach dem politischen Umsturz von 1672, bei dem eine aufgehetzte Meute den liberalen Staatsmann De Witt liquidiert hatte. Offenbar hatte das Volk von dem Staat etwas anderes erwartet als die Gewährung der Freiheit des Denkens, die Spinoza im TTP als unabdingbar für den Frieden im Staat zu sehr aus der Perspektive des theoretisierenden Philosophen entwickelt hatte, nicht aber aus der Perspektive einer Bevölkerung, von der bezweifelt werden darf, daß sie, von affektiven Erwartungen geleitet, an eigenständigem Denken überhaupt interessiert war. Die Stabilität des Staates bindet Spinoza im zweiten Traktat deshalb nicht primär an die individuelle Gedankenfreiheit, sondern an ein Geflecht von sich wechselseitig begrenzenden menschlichen Affekten als dem wirklichen Antrieb menschlichen Verlangens.11 Den Aspekt der Gedankenfreiheit hat er 11

Zum Unterschied der beiden Traktate vgl. die Einleitung in die von mir besorgte Ausgabe des „Politischen Traktats“ (Hamburg 22010, PhB 95 b).

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in dieser Perspektive zurückgedrängt, aber keineswegs fallengelassen. Denn er wußte, daß ohne diese Freiheit der Staat eine den Bürgern äußerliche Instanz bleibt, der es zu gehorchen gilt, die in diesem Gehorchen aber nicht von den Bürgern selbst getragen wird. So hat er mit seinem zweiten Traktat den ersten modifiziert, ohne darin dessen Grundeinsicht, daß die Gedankenfreiheit unabdingbar für das Gedeihen des Staates ist, aufgeben zu müssen. Denn er war, gestützt auf die eigene Philosophie, überzeugt, daß sie über den Kontext der damaligen Zeit hinaus Gültigkeit hat.

3. Zu dieser Ausgabe Die Übersetzung folgt der kritischen Ausgabe des lateinischen Textes durch F. Akkerman in „Spinoza. Œuvres III. Tractatus theologico-politicus“ (Paris 1999), die den bislang maßgeblichen Text in der Heidelberger Ausgabe von C. Gebhardt (1925) ersetzt. Ich habe Akkermans Gliederung der Kapitel in Abschnittsparagraphen übernommen, von der zu hoffen ist, daß sie als Hilfe zum leichteren Auffinden zitierter Stellen Eingang in die Spinoza-Literatur findet. Die späteren Anmerkungen (adnotationes) zum Traktat habe ich, wie schon Gebhardt und jetzt auch Akkerman, hinter den 1670 veröffentlichten Text gestellt, nicht nur, um sie von Spinozas Anmerkungen in der editio princeps zu unterscheiden, sondern weil auch sachliche Erwägungen dafür sprechen. Von den (nach Gebhardts Zählung) 39 Anmerkungen stammen nur fünf (Anm. 2, 6, 7, 13 und 14) mit Sicherheit von Spinoza; sie finden sich in einem Exemplar, das er 1676 dem uns nicht weiter bekannten Jacobus Statius Klefmann gewidmet hat. Einige Anmerkungen sind Spinoza gewiß nicht zuzuschreiben, und von einigen dürfte zweifelhaft sein, ob sie von ihm stammen. Überliefert sind uns neben lateinisch geschriebenen Anmerkungen auch französische und niederländische Übersetzungen, die teilweise nicht unerheblich voneinander abweichen und Anlaß zur Skepsis geben, ob sie als sekundäre Quellen

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die verlorengegangene Urschrift Spinozas wiedergeben.12 Ich habe mich in der Wiedergabe an den von Akkerman präsentierten Text der adnotationes gehalten. Für meine Übersetzung habe ich die vorzügliche französische Übersetzung von Lagrée/Moreau und die ebenso vorzügliche italienische von Totaro zu Rate gezogen. Lagrée/Moreau wie Totaro haben ihren Ausgaben einen umfangreichen Kommentar hinzugefügt. In meinen erläuternden Anmerkungen, auf die am Rande des Textes mit Sternchen verwiesen wird, habe ich auf beide Kommentare wie auch auf die Anmerkungen von Gebhardt/Gawlick in der bisherigen Ausgabe der „Philosophischen Bibliothek“ und Gebhardts Kommentar im 1987 erschienenen Band V der Heidelberger Ausgabe der Opera Spinoza zum Teil zurückgegriffen. Bei der Übersetzung des Traktats habe ich mich bemüht, den kritisch edierten lateinischen Text in möglichst genauer Wiedergabe dem Leser so zugänglich zu machen, daß er den Charakter einer sich an ein breiteres, jedoch vernünftiges13 Publikum wendenden Streitschrift nicht verliert – anders formuliert, daß das Buch nicht zu schnell zugeklappt wird. Die Schrift verdient es nämlich nicht, daß (in Spinozas Worten) „viele vielleicht weder Muße noch Lust haben werden, alles detailliert zu lesen“ (Vorrede, § 16). Manfred Walther sei für seine hilfreichen Bemerkungen zum 16. Kapitel des Traktats gedankt. Mein besonderer Dank gilt Annelore Engel, die die ganze Übersetzung sorgfältig durchgesehen und wertvolle Vorschläge zu deren Verbesserung oder wenigstens Veränderung gemacht hat. Hamburg, im September 2012

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Ausführlich zum Charakter der Anmerkungen Akkerman in seiner kritischen Ausgabe (S. 18 – 37). 13 Vgl. meine Anmerkung zu Seite 12, 36 (S. 337).

Bibliogr a phie (Auswa hl)

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[ BARUCH DE SPINOZA]

Theologisch-politischer Traktat Enthaltend

einige Abhandlungen, in denen gezeigt wird, daß die Freiheit zu philosophieren nicht nur ohne Schaden für die Frömmigkeit und den Frieden im Staat zugestanden werden kann, sondern auch nicht aufgehoben werden kann, ohne zugleich den Frieden im Staat und die Fröm migkeit aufzuheben. 1. Brief des Johannes 4, 13 Dadurch erkennen wir, daß wir in Gott bleiben und Gott in uns, daß er von seinem Geist uns gegeben hat.

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Wenn die Menschen alle ihre Angelegenheiten nach einem bestimmten Plan regeln könnten oder wenn das Glück ihnen jederzeit günstig wäre, stünden sie nie im Banne des Aberglaubens. Weil sie aber oft in solche Bedrängnisse geraten, daß sie keinen Plan ergreifen können und in ihrem maßlosen Verlangen nach ungewissen Glücksgütern meistens kläglich zwischen Hoffnung und Furcht schwanken, ist ihr Sinn in der Regel geneigt, alles Beliebige zu glauben. Sobald er im Zweifel befangen ist, genügt der geringste Anstoß, ihn leicht dahin oder dorthin zu treiben, und besonders leicht, wenn er zwischen Hoffnung und Furcht schwankt, während er sonst, prahlerisch und aufgeblasen, nur allzu zuversichtlich ist. [2] Dies verkennt meines Erachtens niemand, wenn auch die meisten, wie ich glaube, sich selbst nicht kennen. Niemand hat nämlich unter Menschen gelebt, ohne zu bemerken, daß die meisten, mögen sie auch noch so unerfahren sein, in glücklichen Umständen Weisheit in einem Überfluß haben, daß sie es für eine persönliche Beleidigung halten, ihnen einen Rat geben zu wollen; im Unglück hingegen wissen sie weder ein noch aus und flehen jeden um Rat an, den sie auch befolgen, mag er noch so unbrauchbar, unsinnig und leer sein. Schon die geringsten Ursachen lassen sie eine Besserung erhoffen oder eine Verschlechterung befürchten. Wenn ihnen, solange sie in Furcht schweben, etwas begegnet, was sie an ein vergangenes gutes oder schlechtes Ereignis erinnert, meinen sie, es kündige ihnen einen glücklichen oder unglücklichen Ausgang an, und nennen es deshalb, mag es sie auch schon hundertmal getäuscht haben, ein günstiges oder ungünstiges Omen. Und wenn sie mit großem Erstaunen etwas Ungewohntes sehen, halten sie es für ein Wunderzeichen, das den Zorn der Götter oder der höchsten Gottheit kundtut; es nicht mit Opfern und Gelübden zu besänftigen erscheint Menschen im Banne des

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Aberglaubens und fern der Religion als Frevel. So ersinnen sie unzählige Dinge und deuten die Natur, ganz als ob sie ihren eigenen Wahn teile, auf sonderbare Weise. Weil dem so ist, sehen wir, daß dem Aberglauben jeder Art vor allem diejenigen verfallen, die ohne Maß nach unsicheren Gütern verlangen, und daß alle, besonders wenn sie in Gefahr sind und ihr nicht aus eigener Kraft entkommen können, mit Gelübden und weibischen Tränen göttlichen Beistand erflehen, daß sie die Vernunft (die ja ihren eitlen Zielen keinen sicheren Weg weisen kann) blind nennen und die menschliche Weisheit eitel; in den Verrücktheiten der Phantasie, in Träumen und kindischen Narreteien glauben sie dagegen göttliche Antworten zu vernehmen, mehr noch, daß Gott sich von den Weisen abkehre und seine Beschlüsse nicht dem Geist, sondern den Eingeweiden der Tiere eingeschrieben habe, oder auch, daß Toren, Narren oder der Vogelflug sie kraft göttlichen Hauchs und Inspiration verkündeten. So sehr macht die Angst die Menschen wahnsinnig. Was den Aberglauben hervorbringt, nährt und erhält, ist also die Furcht. Wünscht jemand über das schon Gesagte hinaus dafür noch besondere Beispiele, so denke er an Alexander: Er fing erst an, aus Aberglaube Wahrsager zu befragen, als ihn am Engpaß von Susa das Geschick das Fürchten lehrte (siehe Curtius, Buch V, § 4). Nach dem Sieg über Darius befragte er Seher und Wahrsager nicht mehr, bis er, durch die Ungunst der Stunde erschreckt (die Baktrer waren abgefallen, die Skythen forderten ihn zum Kampf heraus, während er selbst aufgrund einer Verwundung untätig daniederlag), von neuem (mit den Worten von Curtius, Buch VII, § 7) dem Aberglauben, diesem Blendwerk des menschlichen Geistes, verfiel und Aristander, den Vertrauten seiner Leichtgläubigkeit, den Ausgang der Dinge über Opfer erkunden ließ. Beispiele dieser Art ließen sich in großer Zahl anführen, die aufs deutlichste zeigen, daß Menschen nur so lange vom Aberglauben heimgesucht werden, wie ihre Furcht währt: all das, was sie jemals in falscher Religiosität verehrt haben, war nichts weiter als Phantasiegebilde und Ausgeburt eines trübsinnigen und

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furchtsamen Gemüts, und nicht zuletzt haben die Wahrsager gerade dann, wenn die Not des Staates am größten war, das Volk mit größter Kraft beherrscht und ihren Königen den größten Schrecken eingeflößt. Da dies aber meines Erachtens allen zur Genüge bekannt ist, will ich mich darauf nicht weiter einlassen. [5] Aus dieser Ursache des Aberglaubens geht klar hervor, daß alle Menschen ihm von Natur aus unterworfen sind (was andere auch sagen mögen, die meinen, das komme daher, daß alle Sterblichen eine irgendwie verworrene Idee von der Gottheit haben). Weiter geht daraus hervor, daß er zwangsläufig sehr verschiedenartig und unbeständig ist, wie es alle Hirngespinste des Geistes und alle Antriebe der Raserei sind, und schließlich, daß er nur in Hoffnung, Haß, Zorn und Arglist seine Stütze findet, weil er ja nicht der Vernunft entspringt, sondern allein dem Affekt, und zwar dem allerwirksamsten. So leicht also Menschen jeder Art von Aberglauben verfallen, so schwer läßt sich erreichen, daß sie in ein und derselben Art verharren. Mehr noch: Weil das einfache Volk immer gleich elend bleibt, kann es nie lange ruhig bleiben, und am meisten gefällt ihm, was neu ist und es noch nicht getrogen hat. Diese Unbeständigkeit ist die Ursache vielen Aufruhrs und furchtbarer Kriege gewesen. Denn (wie aus dem Gesagten hervorgeht und wie Curtius Buch IV, § 10 sehr gut bemerkt hat) nichts regiert die Menge wirksamer als der Aberglaube. Daher kommt es, daß sie sich unter dem Schein der Religion leicht dazu bringen läßt, ihre Könige bald wie Götter zu verehren, bald zu verwünschen und wie eine Geißel der Menschheit zu verfluchen. [6] Um solchem Übel zu entgehen, hat man große Mühe darauf verwandt, die Religion, die wahre wie die unwahre, so mit Prunk und Pomp auszustatten, daß sie eine alles übertreffende Bedeutung erhält und ihr stets von allen höchste Ehrerbietung entgegengebracht wird. Am besten ist dies den Türken gelungen, die sogar die bloße Erörterung der Religion für Frevel halten und das Urteil eines jeden so vielen Vorurteilen unterwerfen, daß in seinem Geist kein Raum für die gesunde

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Vernunft verbleibt, ja nicht einmal für die Formulierung eines Zweifels. [7] Aber mag es auch das letzte Geheimnis einer monarchischen Regierung sein und ganz in ihrem Interesse liegen, die Menschen zu hintergehen und die Furcht, mit der sie in Zaum zu halten sind, mit dem schönen Namen Religion zu verbrämen, damit sie für ihre Knechtschaft kämpfen, als sei es für ihr Heil, und es nicht als eine Schande, sondern als die höchste Ehre erachten, ihr Blut und ihr Leben für das Großtun eines einzigen Menschen hinzugeben – in einem freien Staat kann im Gegenteil nichts Unheilvolleres ersonnen oder versucht werden; denn es widerstreitet dem Prinzip der Freiheit ganz und gar, das freie Urteil eines jeden Vorurteilen zu unterwerfen oder sonstwie zu beschränken. Was die unter religiösem Vorwand angezettelten Empörungen betrifft: Sie rühren sicherlich nur daher, daß man über spekulative Sachverhalte Gesetze erläßt und daß man Meinungen für Verbrechen hält und als Vergehen verdammt und ihre Verteidiger und Anhänger hinopfert und dabei nicht das öffentliche Wohl, sondern nur den Haß und die Wut ihrer Gegner berücksichtigt. Würden nach dem Recht des Staates nur Taten gerichtet, Worte aber straffrei bleiben, ließen sich derartige Empörungen nicht mit einem Schein von Recht beschönigen, und Kontroversen im Feld der Meinungen würden nicht in Empörungen ausarten. [8] Da uns nun das seltene Glück zuteil geworden ist, in einer Republik zu leben, in der jedem die volle Freiheit zugestanden wird, eigenständig zu urteilen und Gott nach eigener Sinnesart zu verehren, und in der die Freiheit als das teuerste und kostbarste Gut gilt, hielt ich es für kein unwillkommenes und unnützes Unternehmen zu zeigen, daß diese Freiheit nicht nur ohne Schaden für die Frömmigkeit und den Frieden im Staat zugestanden werden kann, sondern daß sie auch nicht aufgehoben werden kann, ohne zugleich den Frieden im Staat und die Frömmigkeit aufzuheben. Dies vor allem ist es, was zu beweisen ich mir in diesem Traktat vorgenommen habe. Dazu war es zunächst nötig, die verbreiteten Vorurteile über die Religion, d. h. die Spuren der alten Knechtschaft, aufzu-

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zeigen und dann auch die Vorurteile über das Recht des Souveräns, das viele zu einem großen Teil mit dreister Willkür an sich reißen wollen, indem sie unter dem Deckmantel der Religion den noch in heidnischem Aberglauben befangenen Sinn der Menge der staatlichen Gewalt abspenstig zu machen suchen, womit sie alles von neuem in Knechtschaft stürzen. In welcher Ordnung dies dargelegt wird, will ich hier kurz angeben, vorher aber die Gründe mitteilen, die mich zum Schreiben getrieben haben. [9] Ich habe mich oft verwundert gefragt, warum Menschen, die sich brüsten, sich zur christlichen Religion zu bekennen, d. h. zu Liebe, Freude, Frieden, Selbstbeherrschung und Treue gegen jedermann, gleichwohl in feindseligster Weise miteinander streiten und sich täglich in bitterstem Haß gegeneinander ergehen, so daß man den Glauben eines jeden leichter an diesem Haß und dieser Feindseligkeit als an jenen Tugenden erkennt. So weit ist die Sache mittlerweile gekommen, daß man, ob jemand Christ, Türke, Jude oder Heide ist, nur noch an der Äußerlichkeit seines Auftretens und seiner Kleidung erkennen kann, daran, welche Kirche er besucht, welcher Meinung er sich überlassen hat und auf die Worte welchen Meisters er zu schwören pflegt. Im übrigen ist der Lebenswandel bei allen gleich. Die Ursache dieses Übelstandes ist zweifellos darin zu suchen, daß sich die Religion für das Volk darauf reduziert hat, die Dienste der Kirche als Würden und ihre Ämter als Pfründe anzusehen und die Geistlichen hoch in Ehren zu halten. Seitdem dieser Mißbrauch in der Kirche aufgekommen ist, hat eine maßlose Gier, die geistlichen Ämter zu verwalten, gerade die Schlechtesten sofort ergriffen, und das Verlangen, die göttliche Religion auszubreiten, ist zu schmutziger Habgier und Ehrsucht herabgesunken. Das Gotteshaus selbst degenerierte zu einem Theater, in dem sich nicht mehr Kirchenlehrer, sondern Redner hören ließen, die allesamt darauf aus waren, das Volk nicht etwa zu unterrichten, sondern zur Bewunderung für sie selbst hinzureißen, andersdenkende Menschen öffentlich anzugreifen und ausschließlich das Neue und Ungewohnte zu lehren, das also, was das Volk am mei-

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sten bewundern würde. Daraus mußten natürlich großer Hader, Neid und Haß entstehen, die die Zeit nicht hat dämpfen können. Kein Wunder also, daß von der alten Religion nichts weiter geblieben ist als ihr äußerer Kultus (mit dem das Volk Gott eher zu schmeicheln als zu verehren scheint) und daß der Glaube nur noch Leichtgläubigkeit und vielfaches Vorurteil ist. Und was für Vorurteile! Solche, die Menschen aus vernünftigen Wesen zu bloßen Tieren machen, indem sie den einzelnen daran hindern, seine Urteilskraft frei zu gebrauchen und wahr und falsch zu unterscheiden, und die, so sieht es aus, eigens erfunden wurden, um das Licht des Verstandes völlig auszulöschen. Die Frömmigkeit, o unsterblicher Gott!, und die Religion sind zu widersinnigen Geheimnissen geworden, und wer die Vernunft von Grund aus verachtet und den Verstand als der Natur nach verderbt verwirft und verabscheut, genau der gilt (geradezu skandalös!) als gotterleuchtet. Hätten sie auch nur ein Fünkchen dieses göttlichen Lichtes, dann wären sie nicht so außer sich vor Hochmut, sondern verstünden es, Gott verständnisvoller zu verehren, und zeichneten sich gegenüber anderen Menschen durch Liebe aus und nicht wie heutzutage durch Haß; auch würden sie Andersdenkende nicht so feindselig verfolgen, sondern eher bedauern (dann wenigstens, wenn es ihnen um deren Heil und nicht um ihr eigenes Glück ginge). Im übrigen, wenn sie irgend etwas an göttlicher Erleuchtung besäßen, müßte das aus ihrer Lehre deutlich werden. Ich räume ein, daß sie für die tiefsten Mysterien der Schrift nie genug Bewunderung haben zeigen können, konstatiere aber, daß sie nichts weiter als die Spekulationen der Aristoteliker und Platoniker gelehrt haben, denen sie die Schrift angepaßt haben, um nicht den Eindruck zu erwecken, Anhänger der Heiden zu sein. Es hat ihnen dabei nicht gereicht, mit den Griechen Unsinn zu reden, auch die Propheten wollten sie mit ihnen wahnsinnig sein lassen, was klar zeigt, daß sie nicht einmal im Traum die Göttlichkeit der Schrift gesehen haben. Je inständiger sie diese Mysterien bewundern, desto mehr zeigen sie, daß sie an die Schrift nicht eigentlich glauben, sondern ihr nur huldigen. Das geht

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auch daraus hervor, daß die meisten als Grundsatz annehmen (nach welchem die Schrift zu verstehen und ihr wahrer Sinn zu ermitteln ist), die Schrift verkünde an allen Stellen einen wahren Sachverhalt und sei überall göttlich. Was sich erst aus ihrem Verständnis auf der Basis einer gründlichen Prüfung ergeben müßte und was wir weit besser aus ihr selbst, die menschlicher Erfindungen nicht bedarf, gewinnen würden, das stellen sie im vorhinein als Regel ihrer Interpretation auf. [10 ] Das waren also meine Erwägungen: Das natürliche Licht wird nicht nur gering geschätzt, sondern von vielen auch als eine Quelle der Gottlosigkeit verdammt; menschliche Erdichtungen werden für göttliche Aussagen gehalten; Leichtgläubigkeit wird als Glaube ausgegeben; Streitigkeiten, die den Philosophen eigen sind, werden mit aller Leidenschaft in Kirche und Senat ausgetragen. Und weil mir deutlich wurde, daß daraus wütender Haß und Zwist, die die Menschen leicht zu Empörungen verleiten, und noch viele andere Übel entspringen, die aufzuzählen hier zu weit führen würde, habe ich mit festem Vorsatz beschlossen, die Schrift von neuem mit unbefangenem und freiem Geist zu prüfen und nichts über sie zu behaupten und als ihre Aussage gelten zu lassen, was ich nicht mit voller Klarheit ihr selbst entnehmen könnte. Mit dieser Vorsicht habe ich eine Methode entwickelt, die heiligen Bücher zu interpretieren, und, von ihr geleitet, vor allem folgende Fragen erörtert: Was ist eine Prophetie? In welcher Weise hat Gott sich den Propheten offenbart? Warum waren sie Gott wohlgefällig, weil sie erhabene Gedanken über Gott und die Natur hatten oder eher wegen ihrer bloßen Frömmigkeit? Nach Klärung dieser Fragen konnte ich leicht bestimmen, daß die Autorität der Propheten nur dort von Gewicht ist, wo es um den Lebenswandel und die wahre Tugend geht, ihre Meinungen uns sonst aber wenig bedeuten. Dies erkannt, fragte ich weiter, aus welchem Grunde die Hebräer die Auserwählten Gottes genannt worden sind. Als ich gesehen hatte, daß es nur der war, daß Gott ihnen einen bestimmten Landstrich auserwählt hatte, wo sie sicher und bequem

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leben könnten, wurde mir auch klar, daß die Gesetze, die Gott Moses offenbart hat, nur die Rechtsgesetze des Staates der Hebräer waren, daß folglich außer ihnen niemand anders sie hat annehmen müssen und darüber hinaus auch die Hebräer nur für die Dauer ihres Staates an sie gebunden waren. Um ferner zu wissen, ob man aus der Schrift schließen könne, der menschliche Verstand sei von Natur aus verderbt, habe ich untersuchen wollen, ob die allgemeine Religion, verstanden als das durch die Propheten und Apostel der ganzen Menschheit offenbarte göttliche Gesetz, verschieden ist von derjenigen, die auch das natürliche Licht lehrt, ferner ob die Wunder sich gegen die Ordnung der Natur ereignet haben und ob sie die Existenz und die Vorsehung Gottes gewisser und klarer beweisen als die Dinge, die wir klar und deutlich durch ihre ersten Ursachen erkennen. In dem, was die Schrift ausdrücklich lehrt, fand ich jedoch nichts, was mit dem Verstand nicht in Einklang wäre oder ihm entgegenstünde, und außerdem sah ich, daß die Propheten nur ganz einfache Dinge gelehrt haben, die jeder leicht begreifen konnte, und sie mit einer Darstellung ausgeschmückt und mit solchen Gründen bekräftigt haben, die das Gemüt der Menge am ehesten zur Verehrung Gottes bewegen konnten. So kam ich zu der festen Überzeugung, daß die Schrift die Vernunft vollkommen frei läßt und mit der Philosophie nichts gemein hat, daß vielmehr beide auf je eigenen Füßen stehen. Um dies unwiderleglich zu beweisen und die Sache endgültig zu entscheiden, zeige ich, in welcher Weise die Schrift zu interpretieren ist und daß alle Erkentnis von ihr und den spirituellen Dingen allein ihr selbst entnommen werden muß und nicht dem, was wir mit dem natürlichen Licht erkennen. Fortfahrend zeige ich die Vorurteile auf, die daraus entstanden sind, daß das Volk (dem Aberglauben ergeben und mehr die Überreste einer vergangenen Zeit als die Ewigkeit selbst liebend) eher die Bücher der Schrift als Gottes Wort selbst verehrt. Danach zeige ich, daß das offenbarte Wort Gottes nicht in einer bestimmten Anzahl von Büchern besteht, sondern in einem einfachen Begriff des den Propheten offenbarten göttlichen Geistes: Gott von gan-

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zem Herzen gehorsam zu sein, indem man Gerechtigkeit und Nächstenliebe übt. Und ich zeige, daß dies in der Schrift nach der Fassungskraft und den Anschauungen derer gelehrt wird, denen die Propheten und Apostel dieses Wort Gottes zu predigen pflegten, geleitet von der Absicht, sie dazu zu bringen, es ohne Widerstreben und reinen Herzens anzunehmen. Die Grundlagen des Glaubens einmal dargetan, schließe ich endlich, daß die offenbarte Erkenntnis nichts als den Gehorsam zum Gegenstand hat und sich deshalb in ihrem Gegenstand wie in ihren Grundlagen und Darlegungsformen von der natürlichen Erkenntnis streng unterscheidet, daß sie also mit ihr nichts gemein hat, sondern jede ihr eigenes Reich innehat, ohne der anderen zu widersprechen und ohne ihr dienstbar sein zu müssen. Weil ferner die Sinnesart der Menschen sehr unterschiedlich ist und dem einen diese, dem anderen jene Ansicht mehr zusagt, so weit, daß das, was den einen zur Andacht stimmt, den anderen zum Lachen bringt, schließe ich daraus (zusammen mit dem oben Gesagten), daß einem jeden die Freiheit, selbst zu urteilen, und die Befugnis, die Grundlagen des Glaubens nach der eigenen Sinnesart auszulegen, gelassen werden muß und daß der Glaube eines jeden einzig nach dessen Werken zu beurteilen ist, ob diese nämlich fromm sind oder nicht. Nur so werden alle von ganzem Herzen und mit freiem Sinn Gott gehorchen können, und nur so werden Gerechtigkeit und Nächstenliebe bei allen ihren gehörigen Wert haben. Nachdem ich damit die Freiheit aufgezeigt habe, die das offenbarte göttliche Gesetz einem jedem zugesteht, gehe ich zum zweiten Teil der Untersuchung über, in dem ich zeige, daß diese Freiheit ohne Schaden für den Frieden im Staat und das Recht des Souveräns zugestanden werden kann und sogar muß und nicht unterdrückt werden kann, ohne den Frieden in große Gefahr zu bringen und den Staat im Ganzen sehr zu schädigen. Um meine These zu beweisen, gehe ich von dem natürlichen Recht eines jeden aus, das, so behaupte ich, so weit reicht, wie dessen Begierde und Macht reichen, so daß niemand vom Recht der Natur her gehalten ist, nach

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der Sinnesart eines anderen zu leben, sondern jeder der Verteidiger der eigenen Freiheit ist. Weiter zeige ich, daß dieses Recht nur derjenige tatsächlich aufgibt, der die Macht sich zu verteidigen einem anderen überträgt, und daß, notwendigerweise, dieses natürliche Recht derjenige uneingeschränkt in Händen hat, dem jeder einzelne mit seinem Recht, nach der eigenen Sinnesart zu leben, zugleich seine Macht sich zu verteidigen übertragen hat. Davon ausgehend zeige ich, daß die Inhaber der souveränen Regierungsgewalt das Recht haben, alles zu tun, was in ihrer Macht steht, und daß sie die alleinigen Verteidiger des Rechts und der Freiheit sind, während die anderen sich in allem nach deren Beschluß zu richten haben. Da jedoch niemand die Macht sich zu verteidigen so weit preisgeben kann, daß er aufhörte Mensch zu sein, schließe ich, daß niemand seines natürlichen Rechts uneingeschränkt beraubt werden kann, die Untertanen also manches, gleichsam naturrechtlich, behalten, was ihnen ohne große Gefahr für den Staat nicht genommen werden kann und ihnen deshalb zugestanden wird, entweder stillschweigend oder kraft einer ausdrücklichen Vereinbarung mit den Inhabern der Regierungsgewalt. [14] Nach diesen Betrachtungen gehe ich zum Staat der Hebräer über, den ich recht ausführlich beschreibe, um zu zeigen, in welcher Weise und durch wessen Beschluß die Religion dazu kam, Rechtskraft zu erhalten, und von dem ich beiläufig noch andere Sachverhalte berichte, die mir wissenswert zu sein schienen. Sodann zeige ich, daß die Inhaber der souveränen Regierungsgewalt die Verteidiger und Interpreten nicht nur des bürgerlichen, sondern auch des geistlichen Rechts sind und daß allein sie das Recht haben zu entscheiden, was gerecht und was ungerecht ist, was fromm und was ruchlos; und endlich schließe ich, daß sie dieses Recht am besten bewahren und darin die Regierungsgewalt sichern können, wenn einem jeden zugestanden wird zu denken, was er will, und zu sagen, was er denkt. [15] Das ist es, philosophischer Leser, was ich dir zur Prüfung vorlege, in dem Vertrauen, daß es dir nicht unwillkommen sein

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wird in Anbetracht der Wichtigkeit und Nützlichkeit des Gehalts des ganzen Werks wie auch der einzelnen Kapitel. Ich hätte hier noch mehr darüber zu sagen, möchte aber diese Vorrede nicht zu einem Buch anwachsen lassen, zumal das Wichtigste den Philosophen hinlänglich bekannt sein dürfte. Anderen möchte ich diesen Traktat nicht empfehlen, enthält er doch nichts, was ihnen in irgendeiner Hinsicht gefallen könnte. Ich weiß ja, wie hartnäckig dem Geist jene Vorurteile anhaften, die das Gemüt unter dem Schein einer frömmelnden Religion angenommen hat; ich weiß auch, daß dem Volk der Aberglaube so unmöglich zu nehmen ist wie die Furcht; und ich weiß endlich, daß die Beständigkeit des Volkes Halsstarrigkeit ist und daß es sich nicht von der Vernunft leiten, sondern von blindem Eifer zu Lob und Tadel fortreißen läßt. Das gemeine Volk, überhaupt alle, die mit ihm die gleichen Affekte teilen, lade ich also nicht ein, diese Seiten zu lesen. Lieber wünschte ich mir, sie beachteten dieses Buch überhaupt nicht, statt lästig zu werden, indem sie es, wie es ihre Art ist, verdreht auslegen, wovon sie selbst nichts haben und womit sie den anderen nur schaden, denen, die freier philosophierten, stünde ihnen nicht die Meinung im Wege, die Vernunft müsse die Magd der Theologie sein. Ihnen wird dieses Werk, dessen bin ich sicher, in der Tat von großem Nutzen sein. [16] Da übrigens viele vielleicht weder Muße noch Lust haben werden, alles detailliert zu lesen, sehe ich mich genötigt, schon hier wie auch am Schluß des Traktats hinzuzufügen, daß ich nichts schreibe, was ich nicht lange Zeit durchdacht hätte und nicht bereitwillig der Prüfung und dem Urteil der höchsten Gewalten meines Vaterlandes unterwerfe; urteilen sie, etwas von dem, was ich sage, widerstreite den Landesgesetzen oder schade dem Gemeinwohl, will ich es nicht gesagt haben. Ich weiß, daß ich ein Mensch bin und habe irren können; ich habe mich aber redlich bemüht, nicht zu irren und vor allem nichts zu schreiben, was mit den Gesetzen des Vaterlandes, der Frömmigkeit und den guten Sitten nicht völlig in Einklang stünde.

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Prophetie oder Offenbarung ist die sichere Erkenntnis einer den Menschen von Gott offenbarten Sache. Prophet ist derjenige, der das von Gott Offenbarte denen interpretiert, die nicht fähig sind, davon eine sichere Erkenntnis zu haben, und es deshalb nur durch einfachen Glauben erfassen können. Prophet heißt in der Tat bei den Hebräern nabi ,1 d. h. Redner und Interpret; in der Schrift wird das Wort aber immer im Sinne von Interpret Gottes gebraucht, wie man Exodus 7, 1 entnehmen kann, wo Gott zu Moses sagt: Hiermit mache ich dich für Pharao zum Gott, und Aaron, dein Bruder, wird dein Prophet sein, wie wenn er sagte: „Weil Aaron, der deine Worte dem Pharao interpretiert, darin die Rolle eines Propheten einnimmt, wirst du gleichsam der Gott des Pharao sein, d. h. der, der Gottes Stelle vertritt.“ [2] Von den Propheten wollen wir im folgenden Kapitel handeln, hier von der Prophetie. Aus der gerade gegebenen Definition folgt, daß man die natürliche Erkenntnis Prophetie nennen kann. Denn was wir kraft des natürlichen Lichts erkennen, hängt von der bloßen Erkenntnis Gottes und von seinen ewigen Beschlüssen ab. Weil diese natürliche Erkenntnis indes allen Menschen gemeinsam ist (denn sie beruht auf Grundlagen, die allen Menschen gemeinsam sind), schätzt das Volk, das ja immer auf das Seltene und der eigenen Natur Fremde erpicht ist und Gaben natürlicher Art mißachtet, sie nicht gerade hoch ein und möchte sie deshalb ausgeschlossen wissen, sobald von prophetischer Erkenntnis die Rede ist. Gleichwohl hat die natürliche Erkenntnis ein gleiches Recht, göttlich zu heißen, wie irgendeine andere, welche auch immer, da ja die Natur Gottes, insofern wir an ihr teilhaben, und somit seine Beschlüsse, sie uns sozusagen diktiert; von der, die gemeinhin

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göttlich genannt wird, unterscheidet sie sich nur darin, daß jene über die Grenzen der natürlichen hinausreicht und die Gesetze der menschlichen Natur, in sich betrachtet, nicht ihre Ursache sein können. Hinsichtlich der Gewißheit, die ihr innewohnt, und hinsichtlich der Quelle, aus der sie sich herleitet (nämlich Gott), steht sie der prophetischen Erkenntnis jedoch in nichts nach, es sei denn, jemand wollte es so verstehen oder besser sich so erträumen, daß die Propheten zwar einen menschlichen Körper, nicht aber einen menschlichen Geist gehabt hätten, ihre Empfindungen und ihr Bewußtsein mithin von völlig anderer Natur als die unsrige gewesen sind. [3] Obwohl das natürliche Wissen göttlich ist, können die, die sich darauf stützen, doch nicht Propheten genannt werden.1 Denn was sie lehren, können die übrigen Menschen mit der gleichen Gewißheit und dem gleichen Anspruch wie sie erfassen und aufnehmen, ohne sich hierfür auf den bloßen Glauben zu stützen. [4] Weil unser Geist allein daraus, daß er die Natur Gottes objektiv in sich enthält und an ihr teilhat, die Macht hat, bestimmte Begriffe zu bilden, die die Natur erklären und die lehren, wie unser Leben zu führen ist, können wir zu Recht annehmen, daß die Natur des Geistes, unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, die erste Ursache der göttlichen Offenbarung ist. Denn alles, was wir klar und deutlich einsehen, diktiert uns, wie wir soeben gesagt haben, die Idee Gottes und seine Natur, zwar nicht mit Worten, aber auf eine Weise, die weit erhabener ist und mit der Natur des Geistes aufs beste übereinstimmt, wie zweifellos jeder, der die Gewißheit des Verstandes gekostet hat, aus eigener Erfahrung weiß. [5] Weil es aber mein wesentliches Anliegen ist, lediglich von dem zu sprechen, was sich bloß auf die Schrift bezieht, mag das wenige genügen, was ich zum natürlichen Licht gesagt habe. Deshalb gehe ich zu den anderen Ursachen und Mitteln über, mit denen Gott den Menschen enthüllt, was über die Grenzen der natürlichen Erkenntnis hinausgeht und auch 1

[ Siehe Anmerkung 2 auf Seite 319.]

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nicht hinausgeht (denn nichts hindert Gott, das, was wir kraft des natürlichen Lichts erkennen können, den Menschen mit anderen Mitteln mitzuteilen); darüber will ich ausführlicher sprechen. [6] Auf jeden Fall muß alles, was darüber gesagt werden kann, allein der Schrift entnommen werden. Denn was können wir über Dinge, die über die Grenzen unseres Verstandes hinausgehen, aussagen, wenn nicht das, was uns von den Propheten selbst, mündlich oder schriftlich, mitgeteilt worden ist? Und weil wir heute, soviel ich weiß, keine Propheten mehr haben, bleibt uns nur übrig, die heiligen Bücher aufzuschlagen, die uns die Propheten hinterlassen haben, unter dem Vorbehalt, in dieser Materie nichts zu behaupten oder den Propheten zuzuschreiben, was sie nicht selbst klar ausgesprochen haben. Hier ist nun vor allem zu bemerken, daß die Juden niemals Mittel- oder Teilursachen erwähnen oder gar beachten, sondern aus Religiosität oder Frömmigkeit oder (wie man gewöhnlich sagt) aus Demut alles auf Gott beziehen. Wenn sie beispielsweise in einem Handel Geld verdient haben, sagen sie, Gott habe es ihnen gegeben; wenn sie irgend etwas wünschen, Gott habe ihr Herz darauf gelenkt; wenn sie etwas denken, Gott habe zu ihnen gesprochen. Deshalb hat nicht alles, von dem es in der Schrift heißt, Gott habe es jemandem gesagt, als Prophetie und übernatürliche Erkenntnis zu gelten, sondern bloß das, was die Schrift als Prophetie oder Offenbarung ausgibt, sei es daß sie es ausdrücklich sagt, sei es daß es aus den Umständen des Erzählten hervorgeht. [7] Wenn wir nun die heiligen Bücher durchgehen, werden wir sehen, daß alles, was Gott den Propheten offenbart hat, ihnen entweder mit Hilfe von Worten oder mit Hilfe von Gestalten offenbart worden ist oder auf beiderlei Weise, d. h. mit Hilfe von Worten und Gestalten zugleich. Diese Worte und Gestalten waren in einigen Fällen wirklich und außerhalb der Vorstellung des Propheten, der sie hörte oder sah, in anderen aber bloß eingebildet, sofern die Vorstellungskraft des Propheten, auch im Wachen, so disponiert war, daß es ihm deutlich vorkam, Worte zu hören oder etwas zu sehen.

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Mit einer wirklichen Stimme hat Gott Moses die Gesetze offenbart, die er den Hebräern vorschreiben wollte, wie aus Exodus 25, 22 hervorgeht, wo er sagt: Dort werde ich dir zugegen sein und mit dir von der Deckplatte der Lade, die zwischen den beiden Cherubim liegt, reden, was zeigt, daß Gott sich einer wirklichen Stimme bedient hat, da ja Moses, sooft er wollte, Gott bereit fand, mit ihm zu reden. Und nur diese Stimme, diejenige, mit der das Gesetz verkündet worden ist, war, wie ich gleich zeigen werde, eine wirkliche Stimme. [9] Die Stimme, mit der Gott Samuel rief, wäre ich geneigt für eine wirkliche Stimme zu halten, weil es in 1. Samuel 3, 19 heißt: Auch weiterhin erschien Gott Samuel in Schilo, denn Gott offenbarte sich Samuel in Schilo mit seinem Wort, als sollte es heißen, die Erscheinung Gottes vor Samuel bestand in nichts anderem, als daß Gott sich ihm durch das Wort offenbarte, d. h. einfach darin, daß Samuel Gott sprechen hörte. Weil wir aber einen Unterschied zwischen der Prophetie des Moses und derjenigen der anderen Propheten machen müssen, muß man diese von Samuel gehörte Stimme für eingebildet halten, was sich auch daraus folgern läßt, daß sie der Stimme des Eli gleichkam, die Samuel alle Tage hörte und deshalb sich auch am leichtesten vorstellen konnte. In der Tat, dreimal von Gott gerufen, meinte er, von Eli gerufen zu sein. [10 ] Die Stimme, die Abimelech hörte, war eingebildet, denn es heißt in Genesis 20, 6: Und Gott sprach zu ihm im Traum usw. Also nicht im Wachen, sondern bloß in seinen Träumen konnte er sich den Willen Gottes vorstellen (d. h. zu der Zeit, in der die Vorstellungskraft naturgemäß am fähigsten ist, von Dingen, die nicht sind, Bilder zu formen). [11] Nach Ansicht einiger Juden sind die Worte des Dekalogs nicht von Gott gesprochen worden; sie meinen vielmehr, die Israeliten hätten nur ein Getöse ohne irgendwelche Worte gehört und währenddessen die göttlichen Gesetze rein im Geiste vernommen. Auch ich habe dies einmal angenommen, weil ich fand, daß der Wortlaut des Dekalogs in Exodus von dem in Deuteronomium abweicht, woraus zu folgen scheint (da Gott ja nur ein einziges Mal gesprochen hat), daß der Deka[8]

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log nicht Gottes Worte selbst, sondern bloß ihren Sinn mitzuteilen sucht. Gleichwohl wird man, will man der Schrift nicht Gewalt antun, ohne weiteres zugeben müssen, daß die Israeliten eine wirkliche Stimme gehört haben; in der Tat sagt die Schrift ausdrücklich ( Deuteronomium 5, 4): Von Angesicht zu Angesicht hat Gott mit euch geredet usw., d. h. ganz so, wie zwei Menschen sich ihre Gedanken vermittels ihrer Körper mitzuteilen pflegen. Deshalb scheint in besserer Übereinstimmung mit dem Text der Schrift zu stehen, wenn man annimmt, Gott habe sich tatsächlich eine Art Stimme geschaffen, vermittels derer er selbst den Dekalog offenbart hat. Über den Grund, warum Wortlaut und Sinn an den beiden Textstellen voneinander abweichen, siehe Kapitel 8. Trotzdem ist damit noch nicht alle Schwierigkeit behoben. Arg unvernünftig scheint die Annahme zu sein, ein geschaffenes Ding, das wie alle anderen von Gott abhängt, könnte in eigenem Namen die Essenz oder auch Existenz Gottes, tatsächlich oder mit Worten, ausdrücken oder erklären, indem es in der ersten Person sagt: „Ich bin Jehova dein Gott“ usw. Wenn jemand sagt: „Ich habe verstanden“, und es mit dem Mund sagt, wird niemand glauben, der Mund und nicht der Geist des Sprechenden habe verstanden, weil ja der Mund zur Natur des Sprechenden gehört, und auch weil der, an den das Wort gerichtet ist, die Natur des Verstandes kennt und den Sinn des Sprechenden durch Vergleich mit sich selbst leicht versteht. Aber bei Menschen, die von Gott vorher nichts als den Namen kannten und mit ihm zu reden wünschten, um seiner Existenz gewiß zu werden, sehe ich nicht, wie ihr Verlangen durch ein Geschöpf (das Gott nicht näher steht als die anderen geschaffenen Dinge und nicht zu Gottes Natur gehört) hat befriedigt werden können, das zu ihnen sagt: „Ich bin Gott“. Wie, so frage ich, wenn Gott die Lippen des Moses – aber was sage ich „des Moses“, die irgendeines Tieres – bewegt hätte, um jene Worte auszusprechen und ihn sagen zu lassen: Ich bin Gott, hätten sie daraus gewußt, daß Gott existiert? Mehr noch, die Schrift scheint tatsächlich sagen zu wollen,

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daß Gott selbst gesprochen hat (und daß er zu diesem Zweck vom Himmel auf den Berg Sinai herabgestiegen ist) und daß nicht nur die Juden ihn reden gehört, sondern die Ältesten unter ihnen ihn auch gesehen hätten (siehe Exodus 24). Auch hat das Moses offenbarte Gesetz, dem nichts hinzugefügt oder weggenommen werden durfte und das als Landesgesetz verordnet worden war, niemals vorgeschrieben, man solle glauben, Gott sei unkörperlich und habe weder Bild noch Gestalt, sondern nur, man solle an Gott, der existiert, glauben und allein ihn verehren; damit die Gläubigen nicht von seiner Verehrung abweichen, hat es vorgeschrieben, sich von ihm kein Bild zu erdichten oder anzufertigen. In der Tat, weil sie niemals von Gott ein Bild gesehen hatten, konnten sie keines anfertigen, das Gott abbildet, sondern zwangsläufig nur eines, das irgendein Geschöpf, das sie gesehen haben, wiedergibt; Gott in einem solchen Bild anbetend, hätten sie nicht an Gott gedacht, sondern an das Ding, auf das sich das Bild bezog, hätten also diesem Ding die Ehre und Anbetung dargebracht, die Gott gebührt. Die Schrift sagt zudem deutlich, daß Gott eine Gestalt hat und Moses sie, als er Gott sprechen hörte, erblickte, wenn es ihm auch nur glückte, Gottes Rücken zu sehen. Ich zweifle daher nicht, daß sich hier ein Geheimnis verbirgt, von dem wir weiter unten ausführlicher reden wollen. Hier will ich nur die Stellen der Schrift weiter verfolgen, die die Mittel nennen, mit denen Gott seine Ratschlüsse den Menschen offenbart hat. [14] Daß eine Offenbarung durch bloße Bilder stattgefunden hat, ist aus 1. Chronik 21 evident, wo Gott David seinen Zorn mit Hilfe eines Engels kundtut, der ein Schwert in der Hand hält. In analoger Form wird es auch Bileam kundgetan. Maimonides und andere wollen diese Geschichte (und auch die anderen, die von der Erscheinung eines Engels berichten, wie die Manoahs oder Abrahams, als er glaubte seinen Sohn zu opfern, usw.) sich nur im Traum ereignen lassen, weil niemand mit offenen Augen einen Engel habe sehen können. Doch ist dies reines Geschwätz: Es war ihnen nur darum zu tun, die Schrift hin und her zu drehen, um aus ihr aristotelische Pos-

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sen und eigene Hirngespinste herauszuholen, ein meines Erachtens höchst lächerliches Unterfangen. [15] Mit Hilfe von Bildern, die nicht wirklich waren, sondern bloß in der Vorstellung des Propheten gründeten, hat Gott andererseits Joseph seine künftige Herrschaft offenbart. [16] Mit Bildern und Worten zugleich hat Gott Josua offenbart, daß er für die Hebräer kämpfen werde: Er zeigte ihm einen Engel mit einem Schwert, einen Heerführer gleichsam, und offenbarte ihm dies auch mit Worten, die Josua aus dem Mund des Engels hörte. Auch Jesaja wurde (wie im 6. Kap. erzählt wird) durch Gestalten vergegenwärtigt, daß die göttliche Vorsehung das Volk verlassen hat: Er stellte sich den dreimal heiligen Gott auf einem hoch erhabenen Thron vor und das Volk Israel befleckt von dem Schmutz seiner Sünden, wie in den Kot versunken und sehr weit von Gott entfernt; in dieser Weise verstand er, wie elend der gegenwärtige Zustand des Volkes war, während dessen künftige Notlage ihm mit Worten, wie von Gott gesprochen, offenbart wurde. Nach diesem Muster könnte ich noch viele Beispiele aus den heiligen Schriften hinzufügen, wenn ich nicht glaubte, daß sie jedermann hinreichend bekannt sind. [17] Eine noch klarere Bestätigung hierfür findet sich im Text von Numeri 12, 6 u. 7, wo es heißt: Wenn einer von euch ein Prophet Gottes sein wird, werde ich mich ihm in einer Vision offenbaren (d. h. mit Hilfe von Figuren und Symbolen, denn von der Prophetie des Moses sagt er, sie sei eine Vision ohne Symbole) und mit ihm im Traum reden (d. h. nicht mit tatsächlichen Worten und wirklicher Stimme). Aber nicht in dieser Weise (offenbare ich mich) Moses, mit ihm rede ich von Mund zu Mund, in einer Vision ohne Rätsel, und er sieht das Bild Gottes; d. h. er sieht mich wie einen Freund und redet mit mir ohne Furcht, wie es in Exodus 33, 11 heißt. Somit kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die übrigen Propheten keine wirkliche Stimme gehört haben, was noch stärker Deuteronomium 34, 10 bestätigt, wo es heißt: Niemals ist ein Prophet Israels aufgetreten (eigentlich auferstanden) wie Moses, den Gott von Angesicht zu Angesicht gekannt hätte, was indessen

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nur für die Stimme gilt; denn Gottes Angesicht hatte selbst Moses nie gesehen ( Exodus 33). [18] Außer diesen Mitteln finde ich in den heiligen Schriften keine anderen, mit denen sich Gott den Menschen mitgeteilt hätte; es dürfen also, wie oben gezeigt, auch keine weiteren erdacht oder zugestanden werden. Obwohl es uns nicht schwerfällt zu verstehen, daß Gott sich den Menschen unmittelbar mitzuteilen vermag (in der Tat teilt er, ohne körperliche Hilfsmittel zu gebrauchen, unserem Geist seine Essenz mit), ein Mensch indes müßte, wollte er etwas, was in den ersten Grundlagen unserer Erkenntnis nicht enthalten ist und sich aus ihnen nicht ableiten läßt, mit dem Geist allein begreifen, einen Geist haben, der vorzüglicher ist als der menschliche Geist und ihn erheblich überragt. Deshalb glaube ich nicht, daß irgend jemand zu einer solchen die anderen Menschen übertreffenden Vollkommenheit gelangt ist, ausgenommen Christus, dem die göttlichen Ratschlüsse, die die Menschen zum Heil führen, nicht mit Worten und Visionen, sondern unmittelbar offenbart worden sind, derart daß sich Gott den Aposteln durch Christi Geist bekundet hat, so wie einst dem Moses mit Hilfe einer Stimme aus der Luft. Mithin kann die Stimme Christi, gerade so wie jene, die Moses gehört hatte, Stimme Gottes genannt werden. Und in diesem Sinne können wir auch sagen, daß die Weisheit Gottes, eine übermenschliche Weisheit also, in Christus menschliche Natur angenommen hat und Christus der Weg des Heils gewesen ist. [19] Ich muß hier aber daran erinnern, daß ich keineswegs von dem rede, was einige Kirchen von Christus lehren, es aber auch nicht bestreite; denn ich gestehe offen, es nicht zu verstehen. Was ich soeben dargelegt habe, schließe ich aus der Schrift selbst. Denn nirgendwo habe ich dort gelesen, daß Gott Christus erschienen sei oder mit ihm gesprochen habe, sondern nur, daß Gott sich den Aposteln durch Christus offenbart hat und dieser der Weg des Heils ist, und schließlich, daß das alte Gesetz mit Hilfe eines Engels, nicht aber von Gott unmittelbar überliefert worden ist, usw. Deshalb gilt: Wenn Moses mit Gott von Angesicht zu Angesicht sprach,

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wie ein Mann es mit seinem Freund zu tun pflegt (d. h. vermittels ihrer beider Körper), so hat Christus sich mit Gott von Geist zu Geist verständigt. [20 ] Wir behaupten somit, daß außer Christus niemand ohne Hilfe der Vorstellungskraft, d. h. ohne Hilfe von Worten oder Bildern, Gottes Offenbarungen empfangen hat und daß zum Prophezeien nicht ein vollkommenerer Geist, sondern bloß eine lebhaftere Vorstellungskraft nötig ist, wie ich noch klarer im folgenden Kapitel zeigen werde. [21] Hier ist nur noch zu untersuchen, was die heiligen Schriften unter dem Geist Gottes verstehen, der den Propheten eingeflößt sei, was sie also meinen, wenn sie sagen, daß die Propheten aus dem Geist Gottes sprachen. Hierfür muß zunächst untersucht werden, was das hebräische Wort ruach bedeutet, das man gewöhnlich mit „Geist“ übersetzt. [22] Das Wort ruach bedeutet im ursprünglichen Sinne bekanntlich Wind, wird aber sehr häufig in mehreren anderen Bedeutungen gebraucht, die sich allerdings von der ersten Bedeutung herleiten. Es wird verstanden 1. im Sinn von Atem, wie im Psalm 135, 17: auch ist kein Geist in ihrem Mund; 2. im Sinn von Hauch oder Atmen, wie in 1. Samuel 30, 12: und der Geist kam ihm wieder, d. h. er atmete wieder; 3. als Willenskraft und Stärke, wie in Josua 2, 11: seitdem war kein Geist mehr in irgendeinem Mann, wie auch in Hesekiel 2, 2: da kam der Geist (d. h. die Kraft) in mich und stellte mich auf die Füße; 4. (davon abgeleitet) als Tüchtigkeit und Fähigkeit, wie in Hiob 32, 8: gewiß, der Geist selbst ist im Menschen, d. h. die Weisheit darf man nicht ausschließlich bei den Alten suchen, entdecke ich doch, daß sie von der besonderen Tüchtigkeit und Fähigkeit des Menschen abhängt, wie auch in Numeri 27, 18: der Mann, in dem der Geist ist; ferner 5. im Sinn von Denkweise, wie in Numeri 14, 24: weil ein anderer Geist in ihm war, d. h. eine andere Denkweise oder geistige Haltung, ebenso im Buch der Sprüche 1, 23: ich werde euch meinen Geist (d. h. meine Einstellung) sagen – in diesem Fall wird es in der Bedeutung von Wille oder Entschluß, Trieb oder Gemütsantrieb gebraucht, wie in Hesekiel 1, 12: wohin ihr Geist

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(d. h. ihr Wille) sie trieb, da gingen sie hin, ebenso in Jesaja 30, 1: um eine Mischung zu bereiten und nicht aus meinem Geist, und dort 29, 10: weil Gott den Geist (d. h. den Trieb) des Schlafes über euch ausgegossen hat, und in Richter 8, 3: da besänftigte sich ihr Geist (d. h. ihr Gemütsantrieb), und auch im Buch der Sprüche 16, 32: wer seinen Geist (d. h. seinen Trieb) beherrscht, ist besser als wer Städte gewinnt, ebenso dort 25, 28: ein Mann, der seinen Geist nicht bezähmen kann, und in Jesaja 33, 11: euer Geist ist ein Feuer, das euch verzehrt. Sofern das Wort ruach Seele bedeutet, gebraucht man es, um sämtliche Leidenschaften des Gemüts, aber auch seine Ausstattung auszudrücken, wie ein hoher Geist für Hochmut, ein niedriger Geist für Demut, ein böser Geist für Haß und Schwermut, ein guter Geist für Wohlwollen, ein Geist der Eifersucht, ein Geist (oder ein Trieb) der Unzucht, ein Geist der Weisheit, der Klugheit, der Tapferkeit, d. h. (wie man eben im Hebräischen häufiger Substantive als Adjektive gebraucht) eine weise, kluge, tapfere Seele oder auch die Tugend der Weisheit, der Klugheit, der Tapferkeit, Geist des Wohlwollens usw. Das Wort bedeutet 6. auch den Geist selbst oder die Lebenskraft, wie in Prediger 3, 19: alle haben einerlei Geist (oder Lebenskraft), und [in Prediger 12, 7]: der Geist kehrt wieder zu Gott zurück. Schließlich bezeichnet es 7. die Weltregionen (wegen der Winde, die von da her wehen) und sogar die Seiten eines jeden Dinges, die diesen Regionen zugewandt sind; siehe Hesekiel 37, 9 und 42, 16 – 19 usw. [23] Weiter ist zu bemerken, daß eine Sache auf Gott bezogen und Sache Gottes genannt wird, 1. weil sie zur Natur Gottes gehört und gleichsam ein Teil Gottes ist, etwa wenn es heißt Macht Gottes, Augen Gottes; 2. weil sie in der Gewalt Gottes steht und auf Anordnung Gottes geschieht. So werden in den heiligen Schriften die Himmel die Himmel Gottes genannt, weil sie Gottes Wagen und Wohnsitz sind; Assyrien heißt die Geißel Gottes und Nebukadnezar der Knecht Gottes usw.; 3. weil sie Gott geweiht ist, z. B. der Tempel Gottes, der Geweihte Gottes, das Brot Gottes usw.; 4. weil sie durch die Propheten überliefert und nicht vom natürlichen Licht offen-

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bart ist – so heißt das Gesetz des Moses Gesetz Gottes; 5. um den höchsten Grad einer Sache auszudrücken, z. B. die Berge Gottes, d. h. sehr hohe Berge, ein Schlaf Gottes, d. h. ein sehr tiefer Schlaf. In diesem Sinn ist auch Amos 4, 11 zu erklären, wo Gott selbst sagt: Ich habe euch zerstört, wie Gottes Zerstörung Sodom und Gomorra zerstört hat, d. h. wie jene denkwürdige Zerstörung, und weil Gott selbst redet, kann diese Stelle eigentlich nicht anders erklärt werden. Sogar die natürliche Weisheit Salomos wird Weisheit Gottes genannt, d. h. göttlich im Sinn von außergewöhnlich. In den Psalmen ist von den Zedern Gottes die Rede, um ihre ungewöhnliche Größe auszudrücken. Und in 1. Samuel 11, 7 heißt es, um eine sehr große Furcht zu bezeichnen: Eine Furcht Gottes fiel auf das Volk. In diesem Sinne pflegten die Juden alles das, was ihre Fassungskraft überstieg und dessen natürliche Ursachen sie damals nicht kannten, auf Gott zu beziehen. So wurden der Sturm ein Schelten Gottes, Donner und Blitz die Pfeile Gottes genannt; man meinte nämlich, er halte die Winde in Höhlen eingeschlossen, die man Schatzkammern Gottes nannte, eine Anschauung, die sich nur darin von der heidnischen unterschied, daß man nicht Aelos, sondern Gott für den Lenker der Winde hielt. Aus ebendiesem Grund heißen auch die Wunder Werke Gottes, d. h. Werke, die Staunen erregen (freilich sind alle natürlichen Dinge Werke Gottes, nämlich Dinge, die durch die bloße göttliche Macht sind und wirken). In diesem Sinne nennt der Psalmist die Wunder Ägyptens Machtwerke Gottes, weil sie den Hebräern, die nichts Derartiges erwarteten, in der äußersten Gefahr den Weg zur Rettung geöffnet haben und von ihnen deswegen im höchsten Maße bewundert wurden. [24] Wenn also ungewohnte Ereignisse der Natur Werke Gottes hießen und Bäume von ungewöhnlicher Größe Bäume Gottes, ist kaum verwunderlich, daß in der Genesis Menschen von großer Stärke und hoher Statur Söhne Gottes heißen, selbst wenn sie Räuber und gottlose Wüstlinge waren. Die Alten, nicht nur die Juden, sondern auch die Heiden, pflegten deshalb alles, womit jemand die anderen Menschen überragte,

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auf Gott zu beziehen. Als Pharao die Deutung seines Traums vernahm, sagte er, der Sinn der Götter sei in Joseph, und auch Nebukadnezar sagte zu Daniel, er habe den Sinn der heiligen Götter in sich. Selbst bei den Römern war das sehr gebräuchlich, denn von allem, was kunstvoll gemacht war, sagten sie, es sei von göttlicher Hand verfertigt; wollte man das ins Hebräische übersetzen, müßte man sagen von der Hand Gottes verfertigt, wie den Kennern des Hebräischen bekannt ist. [25] Auf dieser Basis lassen sich die Stellen der Schrift, in denen vom Geist Gottes die Rede ist, leicht verstehen und erklären. Beispielsweise bezeichnet Geist Gottes oder Geist Jehovas an manchen Stellen nichts weiter als einen sehr heftigen, trokkenen und verderblichen Wind, wie in Jesaja 40, 7: Ein Wind Jehovas bläst über ihn, d. h. ein sehr trockener und verderblicher Wind. So auch in Genesis 1, 2: Und der Wind Gottes (d. h. ein sehr starker Wind) bewegte sich über dem Wasser. Ferner bezeichnet er einen hohen Mut. Gideons und Simsons Gemüt heißen in den heiligen Schriften Geist Gottes, was ein Gemüt voller kühnen und zu allem bereiten Mutes meint. Ebenso heißt auch jede außergewöhnliche Tugend oder Kraft Geist oder Tugend Gottes, so in Exodus 31, 3: Ich werde ihn (den Bezaleel nämlich) erfüllen mit dem Geist Gottes, d. h., wie die Schrift selbst erklärt, mit Talent und Kunstfertigkeit über das gewöhnliche menschliche Maß hinaus. So heißt es auch in Jesaja 11, 2: Auf ihm wird der Geist Gottes ruhen, d. h. wie der Prophet nach dem in den heiligen Schriften geläufigen Muster anschließend detailliert erläutert, die Tugend der Weisheit, der Umsicht, der Tapferkeit usw. So heißt auch die Melancholie Sauls der böse Geist Gottes, weil sie eine sehr tiefe Melancholie war; wie denn auch die Diener Sauls, die seine Melancholie Melancholie Gottes nannten, ihn veranlaßten, einen Musiker zu sich kommen zu lassen, der ihn mit seinem Flötenspiel erheitern sollte, was gut zeigt, daß sie unter Melancholie Gottes eine natürliche Melancholie verstanden. Ferner wird mit Geist Gottes der Geist eines Menschen bezeichnet, wie in Hiob 27, 3: der Geist Gottes in meiner Nase, eine Anspielung auf die Worte in der Genesis, daß nämlich Gott

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dem Menschen ein Lebensprinzip in die Nase eingeblasen hat. Ebenso sagt Hesekiel, den Toten prophezeiend (37, 14): Ich werde euch meinen Geist geben und ihr werdet leben, d. h. ich werde euch das Leben wiedergeben. In diesem Sinne heißt es in Hiob 34, 14: Wenn er (nämlich Gott) will, wird er seinen Geist (d. h. den Geist, den er uns gegeben hat) und sein Lebensprinzip wieder zu sich nehmen. So ist auch Genesis 6, 3 zu verstehen: Mein Geist wird im Menschen nicht überlegen (oder entscheiden), weil er Fleisch ist, d. h. der Mensch wird fortan nach den Entscheidungen des Fleisches handeln und nicht des Geistes, den ich ihm zur Unterscheidung des Guten vom Schlechten gegeben habe. So auch Psalm 51, 12 u. 13: schaffe in mir, Gott, ein reines Herz und erneuere in mir einen geziemenden (d. h. maßvollen) Geist (d. h. Trieb), verwirf mich nicht aus deinem Angesicht, und nimm den Geist deiner Heiligkeit nicht von mir. Weil man glaubte, die Sünden hätten bloß im Fleisch ihren Ursprung, der Geist hingegen rate nur zum Guten, ruft der Psalmist gegen die Begierden des Fleisches die Hilfe Gottes an und bittet hinsichtlich des Geistes, den dieser heilige Gott ihm gegeben hat, lediglich, Gott möge ihn erhalten. Weil ferner die Schrift in der Regel Gott wie einen Menschen schildert und um der Schwachheit des Volkes willen ihm einen Geist, eine Seele, ein Gemüt und Affekte des Gemüts, aber auch einen Körper und einen Atem zuschreibt, wird Geist Gottes in den heiligen Schriften häufig auch gebraucht, um den Sinn, die Seele, den Affekt, die Kraft und den Atem Gottes zu bezeichnen. So sagt Jesaja 40, 13: Wer hat den Geist Gottes (d. h. seinen Sinn) gehörig bestimmt?, d. h. wer, wenn nicht Gott selbst, hat den Geist Gottes dazu bestimmt, etwas zu wollen? und Jesaja 63, 10: Mit Bitterkeit und Betrübnis haben sie den Geist seiner Heiligkeit erfüllt. So kommt es, daß dieses Wort gewöhnlich für das mosaische Gesetz gebraucht wird, weil es gewissermaßen den Sinn Gottes zum Ausdruck bringt, wie Jesaja selbst in 63, 11 sagt: Wo ist (der), der in sie den Geist seiner Heiligkeit gelegt hat, nämlich das mosaische Gesetz, wie sich aus dem ganzen Zusammenhang klar ergibt. Auch Nehemia 9, 20 sagt: Du hast ihnen deinen

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wohltätigen Geist (d. h. Sinn) gegeben, um sie verständig zu machen; in der Tat spricht er von der Zeit der Gesetzgebung. Darauf spielt auch Deuteronomium 4, 5 an, wo Moses sagt: weil es (nämlich das Gesetz) eure Weisheit und Klugheit ist usw. Ebenso auch Psalm 143, 10: Dein guter Geist leite mich auf ebener Bahn, d. h. dein Sinn, der uns offenbart ist, möge mich auf rechtem Wege führen. Geist Gottes bedeutet, wie gesagt, auch der Atem Gottes, der in der Schrift, gerade so wie Sinn, Seele und Körper, Gott uneigentlich zugeschrieben wird, wie in Psalm 33, 6. Ferner bezeichnet er die Macht, Kraft oder Tugend Gottes, wie in Hiob 33, 4: Der Geist Gottes hat mich gemacht, d. h. die Tugend oder die Macht oder, wenn man lieber will, der Ratschluß Gottes; denn auch der Psalmist sagt in poetischer Sprache, auf Anordnung Gottes seien die Himmel entstanden und durch den Geist (anders formuliert den Hauch) seines Mundes (d. h. durch seinen gleichsam mit einem Hauch ausgesprochenen Ratschluß) alle ihre Heerscharen. Ebenso Psalm 139, 7: Wohin (um zu sein) könnte ich fliehen vor deinem Geist und wohin (um zu sein) mich flüchten vor deinem Angesicht, d. h. (wie aus den weiteren Ausführungen des Psalmisten hervorgeht), wohin kann ich gehen, um fern von deiner Macht und deiner Gegenwart zu sein? Endlich wird Geist Gottes in den heiligen Schriften gebraucht, um die Affekte Gottes auszudrücken, nämlich Gottes Güte und Barmherzigkeit, wie in Micha 2, 7: Ist der Geist Gottes (d. h. Gottes Barmherzigkeit) klein geworden? Sind das (nämlich solche Gräuel) seine Werke? Ebenso in Sacharja 4, 6: weder mit meinem Heer noch mit Gewalttätigkeit, sondern mit meinem Geist allein, d. h. bloß mit meiner Barmherzigkeit. In diesem Sinne ist auch, wie ich glaube, Sacharja 7, 12 zu verstehen: Sie haben ihr Herz zu einem harten Fels gemacht, um nicht dem Gesetz und den Anordnungen, die Gott ihnen aus seinem Geist (d. h. aus seiner Barmherzigkeit) durch die ersten Propheten sandte, zu gehorchen. In diesem Sinne sagt auch Haggai 2, 5: Mein Geist (d. h. meine Gnade) bleibt unter euch; fürchtet euch nicht. Wenn aber Jesaja 48, 16 sagt: Jetzt hat der Herr Gott und sein Geist mich gesandt, dann kann

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das zwar von Gottes Seele und Barmherzigkeit verstanden werden, ebenso gut aber auch von seinem Sinn, der im Gesetz offenbart ist. Er sagt nämlich: Von Anfang an (d. h. als ich zum ersten Mal zu euch kam, um euch Gottes Zorn und sein Urteil über euch zu verkünden) habe ich nicht im Verborgenen geredet; von der Zeit an, als es (verhängt) wurde, bin ich da gewesen (wie er selbst in Kap. 7 bezeugt); jetzt aber bin ich ein froher Bote und von Gottes Barmherzigkeit gesandt, um eure Erneuerung zu verkünden. Man kann darunter aber auch den im Gesetz offenbarten Sinn Gottes verstehen, d. h. daß er gekommen ist, sie gemäß der Anordnung des Gesetzes (vgl. Levitikus 19, 17) zu ermahnen. Er ermahnt sie also unter den gleichen Bedingungen und auf die gleiche Art, wie Moses es zu tun pflegte, und endet damit, geradeso wie Moses, ihre Erneuerung vorherzusagen. Doch scheint mir die erste Erklärung treffender zu sein. [26] Aus all dem, um auf unser Ziel zurückzukommen, werden nun auch diese Ausdrücke der Schrift klar: Der Prophet hatte den Geist Gottes; Gott hat seinen Geist über die Menschen gegossen; die Menschen sind erfüllt vom Geist Gottes und vom heiligen Geist usw. Sie bedeuten nichts weiter, als daß die Propheten eine besondere und außergewöhnliche Tugend besaßen1 und die Frömmigkeit mit außerordentlicher Seelenstärke hochhielten. Ferner vernahmen sie Gottes Sinn, d. h. sein Urteil – wir haben nämlich gezeigt, daß Geist im Hebräischen sowohl den Sinn als auch das Urteil des Geistes bedeutet und daß deshalb auch das Gesetz selbst, weil es den Sinn Gottes ausdrückte, Geist oder eben Sinn Gottes genannt wurde. Mit gleichem Recht konnte deshalb auch die Vorstellung der Propheten, insofern durch sie die Ratschlüsse Gottes offenbart wurden, der Geist Gottes heißen, und von den Propheten konnte man sagen, sie besäßen den Geist Gottes. Und obwohl der Sinn oder Geist Gottes und seine ewigen Urteile auch unserem Geist eingeschrieben sind und folglich auch wir den Geist oder (um mit der Schrift zu reden) den 1

[ Siehe Anmerkung 3 auf Seite 319.]

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Sinn Gottes vernehmen, steht die natürliche Erkenntnis, weil sie allen gemeinsam ist, bei den Menschen doch nicht in großem Ansehen, wie wir schon gesagt haben, namentlich nicht bei den Hebräern, die sich über alle anderen Menschen erhaben dünkten, mehr noch, die alle anderen und damit auch das allen Menschen gemeinsame Wissen zu verachten pflegten. Schließlich sagte man, die Propheten hätten den Geist Gottes, weil die Menschen die prophetische Erkenntnis in Unkenntnis ihrer Ursachen bestaunten und sie, wie alles Wunderliche, gemäß ihrer Gepflogenheit deshalb auf Gott zurückführten und Erkenntnis Gottes nannten. [27] Wir können jetzt also ohne Bedenken behaupten, daß die Propheten die Offenbarungen Gottes nur mit Hilfe der Vorstellungskraft empfangen haben, d. h. im Medium von Worten oder Bildern, wirklichen oder eingebildeten. Weil wir in der Schrift außer diesen keine anderen Mittel finden, ist es uns, wie schon gezeigt, auch nicht erlaubt, andere zu erdichten. Kraft welcher Gesetze der Natur dies geschehen ist, gestehe ich nicht zu wissen. Ich könnte zwar, wie andere, sagen, es sei dank der Macht Gottes vonstatten gegangen, aber das wäre bloß leeres Geschwätz. Denn es wäre gerade so, als wollte ich die Form eines Einzeldinges mit Hilfe eines sogenannten transzendentalen Begriffs erklären. Alle Dinge sind ja durch die Macht Gottes hervorgebracht; mehr noch, weil die Macht der Natur nichts anderes als Gottes Macht selbst ist, ist unbestreitbar, daß wir die Macht Gottes in dem Maße nicht erkennen, wie wir die natürlichen Ursachen nicht kennen. Darum wäre es töricht, zu ebendieser Macht Gottes seine Zuflucht zu nehmen, wenn wir die natürliche Ursache eines Dinges und damit gerade Gottes Macht nicht kennen. Wir brauchen aber von der Ursache der prophetischen Erkenntnis gar nichts zu wissen; denn wir sind, wie schon bemerkt, hier lediglich darauf aus, die Lehren der Schrift aufzudecken, um aus ihnen wie aus Daten der Natur unsere Schlüsse zu ziehen, ohne uns um die Ursachen dieser Lehren zu kümmern. [28] Weil die Propheten die Offenbarungen Gottes mit Hilfe der Vorstellungskraft empfangen haben, haben sie zweifel-

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los auch viele Dinge über die Grenzen des Verstandes hinaus empfangen können; in der Tat, aus Worten und Bildern lassen sich viel mehr Ideen zusammenfügen als bloß aus denjenigen Grundsätzen und Begriffen, auf denen sich unsere natürliche Erkenntnis durchgängig aufbaut. [29] Es ist nun klar, warum die Propheten fast alles in Gleichnissen und Rätseln vernommen und gelehrt haben und alles Spirituelle mit materiellen Wendungen ausgedrückt haben; all das steht nämlich mit der Natur der Vorstellungskraft mehr in Einklang. Wir werden uns also nicht mehr wundern, daß die Schrift oder die Propheten so uneigentlich und dunkel von dem Geist Gottes oder seinem Sinn reden, wie in Numeri 11, 17 und in 1. Könige 22, 21 usw., noch daß Micha Gott sitzend sah und Daniel als Greis in weißen Gewändern, Hesekiel aber wie ein Feuer, daß die Jünger Christi den heiligen Geist wie eine Taube herabsteigen sahen, die Apostel wie feurige Zungen und endlich Paulus vor seiner Bekehrung als ein großes Licht. All das steht mit den gewöhnlichen Vorstellungen von Gott und spirituellen Dingen durchaus in Einklang. [30 ] Schließlich, weil die Vorstellungskraft unbestimmt und schwankend ist, hielt sich die Fähigkeit zu prophezeien nicht lange bei den Propheten; auch war sie nicht häufig, sondern ziemlich selten, nämlich bei nur sehr wenigen Menschen anzutreffen und auch bei diesen noch selten. [31] Da dem so ist, müssen wir jetzt untersuchen, woher die Propheten Gewißheit von dem haben bekommen können, was sie nur im Medium der Vorstellung und nicht kraft unbestreitbarer Grundsätze des Denkens erfaßten. Alles, was hierüber gesagt werden kann, muß aber der Schrift entnommen werden, weil wir, wie schon gesagt, von diesem Tatbestand nicht wahres Wissen haben, d. h. nicht in der Lage sind, ihn durch seine ersten Ursachen zu erklären. Was die Schrift über die prophetische Gewißheit lehrt, werde ich im folgenden Kapitel zeigen, in dem ich von den Propheten handeln will.

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Aus dem vorigen Kapitel geht, wie schon angedeutet, hervor, daß die Propheten nicht mit einem vollkommeneren Geist ausgestattet waren, sondern mit der Macht lebhafteren Vorstellens, was die Erzählungen der Schrift auch zur Genüge dartun. Von Salomo steht in der Tat fest, daß er die anderen an Weisheit, nicht aber an Prophetengabe übertroffen hat. Menschen voller Weisheit wie Heman, Darda und Kalchol waren nicht Propheten. Dagegen waren Bauersleute ohne jede Bildung, ja sogar einfache Frauen wie Hagar, die Magd Abrahams, im Besitz der Prophetengabe. Das steht im übrigen mit der Erfahrung wie mit der Vernunft völlig in Einklang. In der Tat, wer über eine stark ausgeprägte Vorstellungskraft verfügt, ist kaum zu reiner Einsicht fähig, und umgekehrt, bei wem der Verstand vorherrscht und stark zur Geltung gelangt, der hat eine maßvollere und stärker beherrschte Vorstellungskraft, die er gleichsam zügelt, damit sie sich nicht mit dem Verstand vermischt. Wer also Weisheit in Form einer Erkenntnis natürlicher und spiritueller Dinge in den Büchern der Propheten ausfindig machen will, ist auf ganz falschem Wege. Weil mein gegenwärtiges Anliegen, aber auch die Philosophie und schließlich die Sache selbst es erfordern, will ich dies hier ausführlich darlegen, ohne mich darum zu kümmern, was der Aberglaube zetern mag, der diejenigen am meisten haßt, die sich um wahre Wissenschaft und wahre Lebensführung bemühen. Aber ach, leider ist es schon so weit gekommen, daß Leute, die offen bekennen, von Gott keine Idee zu haben und ihn nur durch die geschaffenen Dinge (deren Ursachen ihnen unbekannt sind) zu erkennen, sich nicht schämen, die Philosophen des Atheismus zu beschuldigen. [2] Um meinen Gegenstand der Ordnung nach zu behandeln, will ich darlegen, daß die Prophezeiungen nicht nur nach Maßgabe der Vorstellungskraft und des Temperaments der

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einzelnen Propheten variierten, sondern auch nach Maßgabe der Ansichten, die sich bei ihnen verfestigt hatten, daß also die Prophetie die Propheten niemals wissender gemacht hat, wie ich bald ausführlicher zeigen werde. Zunächst ist jedoch noch von der Gewißheit der Propheten zu handeln, einmal weil es mit dem Thema dieses Kapitels zu tun hat, zum anderen weil es dem Beweis, den ich führen will, von Nutzen ist. [3] Da die einfache Vorstellung ihrer Natur nach, anders als jede klare und deutliche Idee, nicht Gewißheit in sich schließt, der Vorstellungskraft vielmehr, damit wir der vorgestellten Dinge gewiß sein können, notwendigerweise etwas hinzukommen muß (vernünftiges Denken nämlich), kann die Prophetie folglich aus sich heraus nicht Gewißheit einschließen, weil sie, wie schon gezeigt, von der bloßen Vorstellungskraft abhängt. Mithin waren die Propheten der Offenbarung Gottes nicht durch die Offenbarung selbst gewiß, sondern durch irgendein Zeichen. Evident ist dies bei Abraham (siehe Genesis 15, 8), der, nachdem er Gottes Verheißung gehört hatte, noch ein Zeichen forderte. Zwar glaubte er an Gott und forderte nicht etwa ein Zeichen, um an ihn zu glauben, wohl aber, um zu wissen, daß ihm diese Verheißung von Gott gekommen war. Klarer ist dies noch bei Gideon, der zu Gott sagt: Gib mir ein Zeichen (damit ich weiß), daß du es bist, der zu mir gesprochen hat (siehe Richter 6, 17). Auch zu Moses sagt Gott: Das (sei) dir das Zeichen, daß ich es bin, der dich gesandt hat [ Exodus 3, 12]. Ezechias, der seit langem wußte, daß Jesaja Prophet war, verlangte ein Zeichen der Prophetie, die ihm seine Genesung voraussagte. Dies zeigt, daß die Propheten immer irgendein Zeichen gehabt haben, das ihnen Gewißheit von den Dingen gab, die sie sich bei ihrem Prophezeien vorstellten; deshalb mahnt Moses die Juden (siehe Deuteronomium 18, 22), sich vom Propheten ein Zeichen zu erbitten, z. B. das Eintreffen eines künftigen Ereignisses. In dieser Hinsicht bleibt die Prophetie also hinter der natürlichen Erkenntnis zurück, die keines Zeichens bedarf, sondern ihrer Natur nach Gewißheit in sich schließt. Und in der Tat war die prophetische Gewißheit nicht mathematisch, sondern nur moralisch. Auch aus der

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Schrift selbst geht das hervor; in Deuteronomium (Kap. 13) verkündet Moses, ein Prophet sei, wenn er neue Götter einführen will, selbst dann zum Tode zu verurteilen, wenn er seine Lehre mit Hilfe von Zeichen und Wundern bekräftigt; denn, so fährt Moses fort, Gott tut auch Zeichen und Wunder, um das Volk in Versuchung zu führen; und auch Christus hat seine Jünger in ähnlicher Weise ermahnt, wie aus Mat thäus 24, 24 hervorgeht. Hesekiel 14, 9 läßt klar wissen, daß Gott die Menschen bisweilen mit falschen Offenbarungen irreleitet, denn er sagt: Wenn ein Prophet (ein falscher nämlich) sich verleiten läßt, etwas zu verkünden, dann bin ich es, Gott, der diesen Propheten verleitet hat, was gleichermaßen Micha (siehe 1. Könige 22, 23) von Ahabs Propheten bezeugt. [4] Obwohl dies zu zeigen scheint, daß die prophetische Offenbarung eine sehr zweifelhafte Sache ist, hatte sie dennoch, wie gesagt, einen hohen Grad an Gewißheit. In der Tat hintergeht Gott niemals die Frommen und Auserwählten, sondern bedient sich, einem alten Sprichwort zufolge (siehe 1. Samuel 24, 14) und wie aus der Geschichte der Abigail und ihrer Rede feststeht, der Frommen als Werkzeug seiner Gnade und der Gottlosen als Mittel und Vollstrecker seines Zorns. Ersichtlich ist das auch aus dem soeben erwähnten Fall Michas. Denn obwohl Gott beschlossen hatte, Ahab mit Hilfe von Propheten zu hintergehen, bediente er sich doch nur falscher Propheten, während er dem frommen Menschen die Sache, wie sie war, offenbarte und ihm nicht verwehrte, wahre Dinge vorherzusagen. Gleichwohl war, wie gesagt, die Gewißheit der Propheten nur moralisch, weil niemand vor Gott sich rechtfertigen noch brüsten kann, ein Werkzeug der göttlichen Gnade zu sein, wie gerade die Schrift darlegt und wie auch von selbst klar ist. So wurde David vom Zorn Gottes verleitet, das Volk zählen zu lassen, ein Mann, dessen Frömmigkeit die Schrift gleichwohl zur Genüge bezeugt. [5] Alle prophetische Gewißheit beruhte also auf folgenden drei Momenten: 1. darauf, daß die Propheten die offenbarten Dinge sich aufs lebhafteste vorstellten, so wie wir es gewöhnlich tun, wenn wir im Wachsein von Gegenständen affiziert

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werden; 2. auf einem Zeichen; 3. und hauptsächlich darauf, daß sie einen allein dem Gerechten und Guten zugewandten Sinn hatten. Wenn die Schrift auch nicht immer Zeichen erwähnt, so ist doch anzunehmen, daß die Propheten immer ein Zeichen hatten; denn in der Regel erzählt die Schrift nicht ständig alle Bedingungen und Umstände eines Ereignisses (wie schon viele bemerkt haben), sondern setzt manches als bekannt voraus. Man kann übrigens zugeben, daß die Propheten, die gegenüber dem mosaischen Gesetz nichts Neues verkündeten, keines Zeichens bedurften, weil ja das Gesetz ihnen die Bestätigung war. So wurde beispielsweise die die Zerstörung Jerusalems betreffende Prophezeiung des Jeremia in den Prophezeiungen anderer Propheten und den Drohungen des Gesetzes bestätigt und bedurfte mithin keines Zeichens, während Hananja, der gegen alle Propheten die baldige Wiederherstellung der Stadt prophezeite, durchaus eines Zeichens bedurfte, weil er sonst an seiner Prophezeiung hätte zweifeln müssen, bis das Eintreffen des von ihm vorhergesagten Ereignisses sie bestätigt hätte. Siehe Jeremia 28, 9. [6] Weil die Gewißheit, die die Propheten in den Zeichen fanden, nicht mathematisch war (d. h. nicht eine Gewißheit, die aus der Notwendigkeit der Wahrnehmung des Dinges folgt, das man wahrnimmt oder sieht), sondern nur moralisch, und die Zeichen nur gegeben wurden, um den Propheten zu überzeugen, läßt sich folgern, daß die Zeichen relativ auf die Ansichten und die Fähigkeit des Propheten gegeben wurden, derart daß ein Zeichen, das den einen Propheten seiner Prophetie gewiß sein ließ, einen anderen, der von ganz anderen Ansichten beherrscht war, keineswegs überzeugen konnte; und deshalb waren die Zeichen bei den einzelnen Propheten verschieden. [7] So variierte auch die Offenbarung selbst, wie schon gesagt, bei jedem Propheten, je nach der Anlage seines Temperaments und seiner Vorstellungskraft und je nach den Ansichten, die sich bei ihm herausgebildet hatten. Hinsichtlich des Temperaments war der Unterschied dieser: War der Prophet heiteren Gemüts, wurden ihm Siege, Frieden oder was sonst noch Menschen freudig stimmt, offenbart, pflegen sich solche Men-

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schen doch Ereignisse dieser Art häufiger vorzustellen; war der Prophet hingegen traurigen Gemüts, wurden ihm Kriege, Strafgerichte und Unheil aller Art offenbart; so nahm der Prophet, je nachdem er mitleidig, freundlich, zornig, streng usw. war, besser diese als jene Offenbarung auf. Hinsichtlich der Vorstellungskraft war der Unterschied dieser: War der Prophet ein Mann von Geschmack, dann faßte er den Sinn Gottes in geschmackvollem Stil auf, in unklarem aber, wenn er ein unklarer Kopf war. Dasselbe gilt für die im Medium von Bildern vorgestellten Offenbarungen: War der Prophet Bauer, dann sah er Ochsen, Kühe usw., war er Soldat, dann sah er Heerführer und Heerscharen, lebte er am Hof, dann sah er den Königsthron und ähnliche Dinge. Schließlich variierte die Prophetie je nach den Ansichten der Propheten: Die Magier (siehe Matthäus 2), die an die Possen der Astrologie glaubten, empfingen die Offenbarung der Geburt Christi durch die Vorstellung eines im Osten aufgegangenen Sterns. Den Auguren des Nebukadnezar (siehe Hesekiel 21, 26) offenbarte sich die Zerstörung Jerusalems in den Eingeweiden der Opfertiere, während der König sie aus Orakeln und aus der Richtung der Pfeile, die er aufwärts in die Luft schoß, erkannte. Den Propheten endlich, die glaubten, Menschen handelten aus freier Wahl und eigener Macht, offenbarte sich Gott so, als ob er auf das Handeln der Menschen keinen Einfluß nähme und ihre zukünftigen Handlungen nicht kenne. Das alles wollen wir jetzt Punkt für Punkt aus der Schrift selbst beweisen. [8] Der erste Punkt geht aus dem hervor, was mit Elisa geschah (siehe 2. Könige 3, 15). Er verlangte, um Joram zu prophezeien, nach einem Musikinstrument und konnte den Sinn Gottes erst erfahren, als er sich an der Musik erfreut hatte; dann erst prophezeite er Joram und seinen Gefährten freudige Ereignisse, was er bis dahin nicht gekonnt hatte, weil er dem König zürnte, und wer jemandem zürnt, der kann sich in bezug auf ihn Schlechtes, aber nicht Gutes vorstellen. Wenn andere behaupten wollen, Gott offenbare sich den Erzürnten und Betrübten überhaupt nicht, dann träumen sie wohl; denn

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Gott hat Moses, der Pharao zürnte, das schreckliche Massaker der Neugeborenen offenbart (siehe Exodus 11, 8), ohne dabei ein Hilfsmittel zur Aufmunterung zu gebrauchen. Auch dem rasenden Kain hat sich Gott offenbart. Dem vor Zorn ungeduldigen Hesekiel wurden das Elend und die Widerspenstigkeit der Juden offenbart (siehe Hesekiel 3, 14); und Jeremia, tiefbetrübt und in größtem Lebensüberdruß, prophezeite das Unglück der Juden, so daß Josia nicht ihn befragen wollte, sondern sich lieber an eine Frau seiner Zeit wandte, in der Annahme, ihr weiblicher Sinn sei eher geeignet, ihm Gottes Barmherzigkeit zu offenbaren (siehe 2. Chronik 34). Micha prophezeite Ahab niemals etwas Gutes, wie es doch andere wahre Propheten taten (wie aus 1. Könige 20 hervorgeht), sondern sein ganzes Leben lang nur Schlechtes (siehe 1. Könige 22, 8 und noch klarer 2. Chronik 18, 7). Die Propheten waren also entsprechend der Verschiedenheit ihres natürlichen Temperaments mehr für diese als für eine andere Offenbarung geeignet. [9] Ferner variierte der Stil der Propheten je nach der Eloquenz des Propheten. Die Prophezeiungen des Hesekiel und Amos sind nicht wie die des Jesaja und Nahum in einem eleganten, sondern eher groben Stil verfaßt. Wer gründlich Hebräisch versteht, kann dem noch weiter nachgehen, wenn er bestimmte Kapitel der verschiedenen Propheten gleichen Inhalts miteinander vergleicht; er wird dann einen erheblichen Unterschied im Stil finden. Man vergleiche z. B. das 1. Kapitel des Höflings Jesaja (11 – 20) mit dem 5. Kapitel des Bauern Amos (21 – 24). Sodann vergleiche man Anordnung und Argumentation in den Prophezeiungen des Jeremia, die er in Kap. 49 über Edom schrieb, mit der Anordnung und Argumentation bei Obadja. Man vergleiche auch noch Jesaja 40, 19 u. 20 und 44, 8 ff. mit Hosea 8, 6 und 13, 2. Ebenso ist es mit allen übrigen Prophezeiungen. Geht man sie alle richtig durch, werden sie leicht zeigen, daß Gott keinen eigentümlichen Redestil hat, sondern relativ auf die Bildung und Fähigkeit des Propheten jeweils spricht, elegant, bündig, klar, grob, weitschweifig oder dunkel.

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Die prophetischen Veranschaulichungen und Symbole, auch sie, waren unterschiedlich, selbst wenn sie dasselbe bezeichneten. Denn die vom Tempel weichende Herrlichkeit Gottes wurde Jesaja anders als Hesekiel veranschaulicht. Die Rabbinen meinen zwar, die beiden Veranschaulichungen seien völlig gleich gewesen, nur daß Hesekiel als Bauer darüber höchst erstaunt gewesen sei und sie deshalb detailliert mit allen Umständen geschildert habe. Allein, wenn sie das nicht aus sicherer Überlieferung haben, was ich kaum glaube, dann haben sie es schlicht erfunden. In der Tat sah Jesaja Seraphim mit sechs Flügeln, Hesekiel aber Tiere mit vier; Jesaja sah Gott bekleidet und auf einem königlichen Thron sitzend, Hesekiel aber in Form eines Feuers. Der eine wie der andere hat zweifellos Gott gesehen, jeder wie er ihn sich vorzustellen gewohnt war. [11] Zudem variierten die Veranschaulichungen nicht nur ihrer Art nach, sondern auch im Grad ihrer Deutlichkeit. Was Sacharja erschien, war so dunkel, daß er es nicht ohne Erklärung verstehen konnte, wie seine Schilderung deutlich macht; auch was Daniel erschien, konnte der Prophet, selbst als es einmal erklärt war, nicht verstehen. Das lag nicht an der Schwierigkeit der zu offenbarenden Sache (es ging ja allein um menschliche Dinge, die über die Grenzen der menschlichen Fassungskraft nicht hinausgehen, es sei denn hinsichtlich künftiger Ereignisse); der Grund war allein der, daß Daniels Vorstellungskraft im Wachen nicht die gleiche Kraft zum Prophezeien hatte wie im Schlaf; das zeigt sich schon daran, daß er gleich zu Beginn der Offenbarung so bestürzt war, daß er an seinen Kräften nahezu verzweifelte. Wegen der Schwäche seiner Vorstellungskraft und seiner körperlichen Kräfte also stellten sich ihm die Dinge so ungemein dunkel dar, und er konnte sie, selbst wenn sie einmal erklärt waren, nicht verstehen. Hier ist zu bemerken, daß (wie oben gezeigt) die von Daniel gehörten Worte bloß eingebildet waren und es deshalb nicht erstaunlich ist, wenn er in der Bestürzung jenes Augenblicks alle diese Worte sich so verworren und dunkel vorgestellt hat, daß er später aus ihnen nichts Verständliches gewinnen konnte. [10 ]

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Diejenigen hingegen, die meinen, Gott habe Daniel die Sache nicht klar offenbaren wollen, scheinen die Worte des Engels nicht gelesen zu haben, der ausdrücklich sagt (siehe Daniel 10, 14): Er ist gekommen, um Daniel wissen zu lassen, was seinem Volk in künftigen Tagen geschehen werde. Dunkel bleiben diese Dinge also deshalb, weil es damals niemanden gab, der für eine klarere Offenbarung eine genügend starke Vorstellungskraft hatte. Die Propheten endlich, denen offenbart wurde, Gott werde Elias entrücken, wollten Elisa überzeugen, daß Elias an einen anderen Ort gebracht worden sei, wo sie ihn noch finden könnten, auch dies ein klarer Beleg dafür, daß sie Gottes Offenbarung nicht richtig verstanden hatten. [12] Es ist nicht nötig, dies noch weitläufiger auszuführen, denn nichts geht aus der Schrift klarer hervor, als daß Gott dem einen Propheten eine weit größere Prophetengabe verliehen hat als dem anderen. Sorgfältiger und eingehender will ich aber zeigen, daß die Prophezeiungen, d. h. die Veranschaulichungen, auch je nach den Ansichten, von denen die Propheten beherrscht waren, verschieden waren und daß die Propheten unterschiedliche, ja geradezu entgegengesetzte Ansichten wie auch Vorurteile hatten (ich rede nur von den rein spekulativen Sachverhalten, denn was die Rechtschaffenheit und die guten Sitten angeht, ist ganz anders zu urteilen). Diesem Thema möchte ich größtes Gewicht beilegen, weil ich daraus folgern werde, daß die Prophetie die Propheten niemals klüger gemacht, sondern in ihren vorgefaßten Ansichten belassen hat und daß wir deshalb nicht gehalten sind, ihren Aussagen über rein spekulative Sachverhalte Glauben zu schenken. [13] Mit merkwürdiger Übereilung haben sich alle eingeredet, die Propheten hätten alles gewußt, was dem menschlichen Verstand überhaupt zugänglich ist. Obwohl mehrere Schriftstellen aufs deutlichste zeigen, daß die Propheten manches nicht gewußt haben, wollen alle lieber behaupten, man verstünde die Schrift an diesen Stellen nicht, statt zugeben, die Propheten hätten etwas nicht gewußt; oder sie versuchen die Schrift hin und her zu drehen, um sie sagen zu lassen, was sie offensichtlich nicht sagen will. Wahrlich, ist das eine oder das

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andere erlaubt, dann ist es um die ganze Schrift geschehen. Denn vergeblich wäre es, etwas aus der Schrift beweisen zu wollen, wenn es erlaubt ist, Stellen, die völlig klar sind, in solche, die dunkel und unerforschlich sind, einzureihen oder sie nach Gutdünken auszulegen. Zum Beispiel ist in der Schrift ganz klar, daß Josua und vielleicht auch der Verfasser seiner Geschichte glaubte, die Sonne bewege sich um die Erde, die Erde ruhe und die Sonne habe eine Zeitlang stillgestanden. Gleichwohl erklären viele, die nicht anerkennen wollen, daß in den Himmeln eine Veränderung geschehen könne, diese Stelle so, als ob sie nichts dergleichen sagte. Andere, die richtiger nachzudenken gelernt haben, weil sie ja wissen, daß die Erde sich bewegt, die Sonne hingegen ruht, also nicht um die Erde kreist, versuchen genau dies mit aller Gewalt aus der Schrift herauszudeuten, obwohl es dem dort Gesagten offen widerspricht. Über deren Strategie kann ich nur staunen. Sind wir etwa gehalten zu glauben, daß der Kriegsmann Josua sich auf Astronomie verstand und daß das Wunder ihm nur hätte offenbart werden können oder das Sonnenlicht länger als gewöhnlich über dem Horizont nur hätte bleiben können, wenn er auch die Ursache davon begriffen hätte? Beides scheint mir lächerlich zu sein. Deshalb ziehe ich es vor, unverhohlen zu sagen: Josua hat die wirkliche Ursache der längeren Tagesdauer nicht gekannt, er selbst und seine ganze Schar haben geglaubt, die Sonne bewege sich im täglichen Kreislauf um die Erde und habe an jenem Tag eine Zeitlang stillgestanden; das haben sie für die Ursache der längeren Tagesdauer gehalten und nicht beachtet, daß das viele Eis, das damals in der Luft war (siehe Josua 10, 11), eine ungewöhnlich starke Lichtbrechung bewirken konnte oder daß ein analoges Phänomen es konnte, was wir hier nicht weiter untersuchen wollen. So wurde auch Jesaja das Zeichen des zurückweichenden Schattens gemäß seiner Fassungskraft offenbart, nämlich als Rückwärtsbewegung der Sonne, glaubte er doch, daß die Sonne sich bewegt und die Erde stillsteht – an Nebensonnen hat er wahrscheinlich nicht einmal im Traum gedacht. Das dürfen wir ohne Bedenken annehmen, denn ein Zeichen konnte

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tatsächlich auftauchen und dem König von Jesaja prophezeit werden, auch wenn der Prophet die wahre Ursache des Sachverhalts nicht kannte. Vom Tempelbau Salomos ist dasselbe zu sagen, wenn er ihm denn von Gott offenbart worden ist: daß ihm nämlich alle Maße gemäß seiner Fassungskraft und seinen Ansichten offenbart wurden. Weil wir nicht anzunehmen brauchen, Salomo sei Mathematiker gewesen, dürfen wir behaupten, daß er das Verhältnis zwischen Umfang und Durchmesser eines Kreises nicht kannte und, ganz wie das Volk der Arbeiter, meinte, es sei wie drei zu eins. Wäre es erlaubt zu sagen, wir verstünden jene Textstelle in 1. Könige 7, 23 nicht, dann weiß ich wahrhaftig nicht mehr, was wir von der Schrift überhaupt noch verstehen können, wird doch dort vom Tempelbau einfach und rein historisch berichtet. Mehr noch, sollte es erlaubt sein anzunehmen, die Schrift habe es anders gemeint, aber aus einem uns unbekannten Grund so schreiben wollen, dann heißt das nichts anderes als die ganze Schrift auf den Kopf stellen. Denn jeder könnte dies dann mit gleichem Recht von allen Schriftstellen sagen, und damit ließe sich alles Widersinnige und Lasterhafte, das menschliche Schlechtigkeit nur erdenken kann, unter dem Deckmantel der Autorität der Schrift verteidigen und auch ausführen. Dagegen enthält meine Behauptung nichts Gottloses, denn Salomo, Jesaja, Josua und die anderen waren zwar Propheten, aber doch Menschen, so daß wir annehmen dürfen, daß nichts Menschliches ihnen fremd war. Seiner Fassungskraft gemäß wurde auch Noah offenbart, daß Gott die Menschheit vertilge, glaubte er doch, die Welt außerhalb von Palästina sei unbewohnt. Nicht nur in derartigen Dingen, sondern auch in anderen von größerer Wichtigkeit konnten die Propheten unwissend sein und waren es auch wirklich, ohne daß dies ihrer Frömmigkeit Abbruch getan hätte. Über die Attribute Gottes haben sie nämlich nichts Originelles gelehrt, vielmehr hatten sie von Gott ganz gewöhnliche Ansichten, denen auch ihre Offenbarungen angepaßt waren, wie ich jetzt aus vielen Stellen der Schrift zeigen werde. Man wird daraus leicht sehen, daß die Propheten nicht wegen der Erhabenheit oder Vorzüg-

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lichkeit ihrer Geisteskraft, sondern wegen ihrer Frömmigkeit und Charakterstärke gelobt und hochgeschätzt wurden. [14] Adam, der erste, dem Gott sich offenbart hat, wußte nicht, daß Gott allgegenwärtig und allwissend ist; denn er verbarg sich vor Gott und suchte seine Sünde vor Gott wie vor einem Menschen zu entschuldigen. Deshalb hat Gott sich ihm auch gemäß seiner Fassungskraft offenbart als jemand, der nicht überall ist und den Ort nicht kennt, an dem sich Adam samt seiner Sünde aufhält. Denn Adam hörte oder glaubte zu hören, daß Gott im Garten Eden wandelt, nach ihm ruft und ihn fragt, wo er sei, und dann, als Adam seine Scham zeigte, wissen will, ob er von dem verbotenen Baum gegessen habe. Adam kannte also kein anderes Attribut Gottes, als daß Gott der Schöpfer aller Dinge war. Auch Kain offenbarte sich Gott gemäß seiner Fassungskraft, nämlich als jemand, dem die menschlichen Handlungen unbekannt sind; und Kain brauchte, um seine Sünden zu bereuen, auch keine höhere Erkenntnis Gottes. Laban offenbarte sich Gott als der Gott Abrahams, weil jener glaubte, jedes Volk habe seinen besonderen Gott (siehe Genesis 31, 29). Auch Abraham wußte nicht, daß Gott allgegenwärtig ist und alle Dinge im voraus kennt; als er nämlich das Urteil gegen die Sodomiter vernahm, bat er Gott, es nicht zu vollstrecken, bevor er nicht wüßte, ob sie alle diese Strafe auch verdient hätten; er sagte nämlich (Genesis 18, 24): Vielleicht werden sich fünfzig Gerechte in dieser Stadt finden lassen. Und Gott hat sich ihm auch gar nicht anders offenbart, sprach er doch in Abrahams Vorstellung so: Ich will nun hinabsteigen, um zu sehen, ob sie alles entsprechend dem großen Geschrei, das zu mir gedrungen ist, getan haben, wenn nicht, werde ich (es) wissen. Auch das göttliche Zeugnis über Abraham (siehe hierzu Genesis 18, 19) spricht nur von dessen Gehorsam und davon, daß er die Seinen zum Rechten und Guten ermahnen sollte, nicht aber daß er erhabene Gedanken über Gott gehabt hätte. Moses begriff ebenfalls nicht hinreichend, daß Gott allwissend ist und nach seinem Ratschluß alle menschlichen Handlungen lenkt. Denn obwohl Gott ihm gesagt hatte (siehe Exodus 3, 18), die Israeliten würden ihm

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gehorchen, zieht er die Sache in Zweifel und entgegnet (siehe Exodus 4, 1): wie aber, wenn sie mir nicht glauben und mir nicht gehorchen? Mithin hat sich Gott auch ihm als jemand offenbart, der auf das Handeln der Menschen keinen Einfluß nimmt und ihre künftigen Handlungen nicht kennt. Er gab ihm in der Tat zwei Zeichen und sagte ( Exodus 4, 8): Wenn sie nicht dem ersten Zeichen glauben sollten, werden sie doch dem zweiten glauben, wenn aber auch diesem nicht, dann nimm etwas Wasser aus dem Strom usw. Fürwahr, wer bereit ist, Moses’ Äußerungen vorurteilslos zu erwägen, wird klar entdecken, daß er Gott für ein Wesen hielt, das immer existiert hat, existiert und existieren wird; und deshalb nannte er ihn mit dem Namen Jehova, der im Hebräischen die drei Zeiten des Verbs „existieren“ ausdrückt. Hinsichtlich der Natur Gottes lehrte er hingegen nichts anderes, als daß Gott barmherzig, gnädig usw. und im höchsten Maße eifersüchtig ist, wie aus zahlreichen Stellen des Pentateuch hervorgeht. Ferner glaubte und lehrte er, daß dieses Wesen sich von allen anderen dadurch unterscheidet, daß es mit keinem Bild eines sichtbaren Dinges dargestellt, ja überhaupt nicht gesehen werden kann, nicht so sehr, weil die Sache es nicht zuließe, sondern wegen der menschlichen Schwachheit, und außerdem daß es hinsichtlich seiner Macht einzigartig ist, es also nur ein Wesen dieser Art gibt. Er räumte zwar ein, daß es Wesen gibt, die (ohne Zweifel auf Gottes Anordnung und Befehl) im Namen Gottes handeln, d. h. Wesen, denen Gott die Autorität, das Recht und die Macht verliehen hat, die Völker zu leiten, für sie zu sorgen und sie zu beschützen; doch von dem Wesen, das zu verehren sie gehalten waren, lehrte er, daß es der höchste und oberste Gott ist oder (wie man im Hebräischen sagt) der Gott der Götter. Deshalb sagt er im Lied ( Exodus 15, 11): Wer unter den Göttern ist dir ähnlich, Jehova?, und Jetro ( Exodus 18, 11): Jetzt weiß ich, daß Jehova größer ist als alle Götter, d. h. ich muß jetzt Moses zugeben, daß Jehova größer ist als alle Götter und von einzigartiger Macht. Man kann allerdings bezweifeln, daß Moses wirklich glaubte, jene Wesen, die im Namen Gottes handeln, seien von Gott geschaffen worden, weil

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er, soweit wir wissen, über ihre Erschaffung und Herkunft nichts gesagt hat. Moses lehrte weiter, daß dieses Wesen die sichtbare Welt aus dem Chaos in eine Ordnung gebracht hat (siehe Genesis 1, 2), daß er der Natur den Samen eingepflanzt hat und deshalb über alle Dinge höchstes Recht und höchste Macht hat und (vgl. Deuteronomium 10, 14 u. 15) kraft eines solchen höchsten Rechts und einer solchen Macht das hebräische Volk für sich allein auserwählt und ihm eine bestimmte Gegend der Erde zugewiesen hat (siehe ebenda 4, 19 und 32, 8 u. 9), während er die anderen Völker und Regionen der Sorge der von ihm eingesetzten anderen Götter überlassen hat. Deshalb hieß dieses Wesen Gott Israels und Gott Jerusalems (siehe 2. Chronik 32, 19), während die anderen Götter Götter der anderen Nationen genannt wurden. Aus diesem Grund auch glaubten die Juden, daß jener Landstrich, den Gott sich auserwählt hatte, einen einzigartigen Gottesdienst erfordere, ganz verschieden von dem in den anderen Regionen praktizierten, mehr noch, daß sie den Kultus anderer Götter, der anderen Regionen eigen ist, nicht dulden könnten. In der Tat glaubte man, daß die Völker, die der König von Assyrien in das Land der Juden geführt hatte, von den Löwen zerrissen wurden, weil sie den Gottesdienst dieses Landes nicht kannten (siehe 2. Könige 17, 25 ff.). Deshalb sagte auch Jakob nach Ansicht des Ibn Esra zu seinen Söhnen, als er sich aufmachte, in sein Vaterland zurückzukehren, sie sollten sich auf einen neuen Gottesdienst vorbereiten und die fremden Götter, d. h. die Götter des Landes, in dem sie bis dahin lebten, von sich tun (siehe Genesis 35, 2 u. 3). Als David zu Saul sagte, er sei wegen seiner Verfolgung gezwungen, fern von seinem Vaterland zu leben, sagte er, er sei aus dem Erbe Gottes vertrieben und zur Verehrung anderer Götter gesandt (siehe 1. Samuel 26, 19). Und Moses glaubte, daß dieses Wesen, also Gott, seinen Wohnsitz in den Himmeln habe (siehe Deuteronomium 33, 27), eine bei den Heiden sehr verbreitete Ansicht. [15] Wenn wir jetzt unsere Aufmerksamkeit auf die Offenbarungen des Moses richten, finden wir, daß sie diesen Ansichten angepaßt waren. Denn weil er glaubte, die Natur Gottes sei

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den genannten Merkmalen, also Barmherzigkeit, Gnade usw. unterworfen, offenbarte sich ihm Gott dieser Ansicht gemäß und unter diesen Attributen (siehe Exodus 34, 6 u. 7, wo erzählt wird, in welcher Weise Gott Moses erschien, und Deka log [in Exodus 20], 4 u. 5). Ferner wird in Exodus 33, 18 berichtet, Moses habe sich von Gott erbeten, ihn sehen zu dürfen; aber weil Moses, wie schon gesagt, im Hirn kein Bild von Gott geformt hatte und Gott (wie bereits gezeigt) sich den Propheten nur nach der Disposition ihrer Vorstellungskraft offenbart, ist ihm Gott nicht in Gestalt eines Bildes erschienen, allein deshalb, meine ich, weil es mit dem, was Moses sich vorstellte, unverträglich war, bekunden doch andere Propheten, Gott gesehen zu haben, nämlich Jesaja, Hesekiel, Daniel und andere. Aus diesem Grund antwortete Gott Moses: Du wirst mein Angesicht nicht sehen können [ Exodus 33, 20]; und weil Moses glaubte, daß Gott sichtbar ist, d. h. daß dies nicht im Widerspruch zur göttlichen Natur steht – sonst hätte er ja nicht um dergleichen gebeten – , fügte Gott hinzu: Denn niemand wird mich sehen und am Leben bleiben. Er gibt so einen Grund an, der mit Moses’ Ansicht übereinkommt; er sagt nämlich nicht, daß Sichtbarkeit im Widerspruch zur göttlichen Natur steht, wie es in Wirklichkeit ist, sondern daß es wegen der menschlichen Schwachheit unmöglich ist. Und als Gott später Moses offenbart, daß die Israeliten durch die Anbetung eines Kalbes den übrigen Völkerschaften ähnlich geworden sind, sagt er (33, 2 u. 3), daß er einen Engel senden werde, d. h. ein Wesen, das an Stelle des obersten Wesens für die Israeliten sorgen wird, und daß er selbst nicht mehr unter ihnen sein wolle. So konnte für Moses nicht mehr ausgemacht sein, daß die Israeliten Gott lieber wären als die anderen Nationen – die Gott ja ebenfalls der Obhut anderer Wesen oder Engel übergeben hatte – , wie aus 33, 16 hervorgeht. Endlich offenbarte sich Gott, weil man glaubte, er wohne in den Himmeln, als jemand, der vom Himmel auf einen Berg herabsteigt, und Moses stieg auf den Berg, um mit Gott zu reden, was nicht nötig gewesen wäre, wenn er sich ebenso leicht hätte vorstellen können, daß Gott sich überall befindet. Die Israeliten haben

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von Gott so gut wie nichts gewußt, obwohl er sich ihnen offenbart hatte; mehr als genug haben sie das gezeigt, als sie, wenige Tage danach, seine Verehrung und mit ihr den Gottesdienst auf das Kalb übertrugen und in ihm die Götter sahen, die sie aus Ägypten herausgeführt hatten. Weshalb sollte man auch glauben, daß Menschen, dem Aberglauben der Ägypter verfallen, roh und durch elendste Knechtschaft verkommen, eine richtige Erkenntnis von Gott gehabt hätten oder daß Moses sie etwas anderes gelehrt hätte als eine bestimmte Form der Lebensführung, wenn auch nicht als Philosoph, der ihre Geistesfreiheit im Blick hat, sondern als ein Gesetzgeber, der sie mit der Autorität des Gesetzes zu einem guten Leben zu zwingen sucht. Die rechte Lebensweise, d. h. das wahre Leben, die Verehrung Gottes und die Liebe zu ihm, waren für sie daher mehr Knechtschaft als wahre Freiheit, Gnade und Geschenk Gottes. Er befahl ihnen nämlich, Gott zu lieben und sein Gesetz zu befolgen, um sich für frühere Wohltaten (die Befreiung aus der ägyptischen Knechtschaft usw.) dankbar zu zeigen; er schüchterte sie außerdem mit Drohungen ein, falls sie seine Vorschriften überträten, und versprach ihnen andererseits viel Gutes, falls sie sie einhielten. Er belehrte sie also gerade so, wie Eltern ihre noch unvernünftigen Kinder zu belehren pflegen. Deshalb ist sicher, daß ihnen die Vortrefflichkeit der Tugend und die wahre Glückseligkeit unbekannt waren. Jona hatte geglaubt, aus dem Gesichtskreis Gottes fliehen zu können, was offenbar zeigt, daß auch er glaubte, Gott habe die Sorge für die anderen Regionen außerhalb Judäas anderen Mächten übertragen, die dort als seine Stellvertreter regierten. [16] Niemand im Alten Testament hat in vernünftigerer Weise von Gott gesprochen als Salomo, der mit seinem natürlichen Licht alle Menschen seiner Zeit übertroffen hat. Deshalb hielt er sich auch für über dem Gesetz stehend (denn dieses sei nur denen weitergegeben worden, die der Vernunft und der Belehrung durch den natürlichen Verstand entbehren) und mißachtete alle Vorschriften, die den König betrafen und hauptsächlich aus dreien bestanden (siehe Deuteronomium 17, 16 u. 17), mehr noch, verletzte sie sogar offen (worin er sicherlich fehlte

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und etwas tat, was eines Philosophen unwürdig ist, indem er sich den Lüsten hingab); er lehrte, daß alle Glücksgüter dieser Welt eitel sind (siehe Prediger), daß die Menschen nichts Wertvolleres haben als den Verstand und mit keiner schlimmeren Strafe bestraft werden können als mit der Dummheit (siehe Sprüche 16, 22). [17] Doch kehren wir zu den Propheten zurück, deren divergierende Ansichten wir ja noch anführen wollen. Die Rabbinen, die uns die noch vorhandenen Bücher der Propheten hinterlassen haben, fanden (wie im Traktat Sabbath Kap. 1, Bl. 13, S. 2 berichtet wird), daß die Ansichten des Hesekiel denen des Moses derart widersprechen, daß sie geneigt waren, sein Buch nicht unter die kanonischen Schriften aufzunehmen, und es wohl ganz verborgen gehalten hätten, wenn nicht ein gewisser Hananja bereit gewesen wäre, hier Licht hineinzubringen, was er auch, wie in diesem Traktat berichtet wird, mit viel Fleiß und Mühe getan haben soll. Auf welche Weise er es tat, ist nicht ganz sicher: ob er einen Kommentar schrieb, der vielleicht verloren gegangen ist, oder gar die Kühnheit hatte, Hesekiels Worte und Reden zu ändern und nach seinem Sinn umzugestalten; wie dem auch sei, jedenfalls stimmt Kap. 18 offenbar weder mit Exodus 34, 7 noch mit Jeremia 32, 18 ff. überein. [18] Samuel glaubte, daß Gott einen einmal gefaßten Beschluß niemals bereue (siehe 1. Samuel 15, 29); denn zu Saul, der seine Sünde bereute und zu Gott beten und um Vergebung flehen wollte, sagte er, Gott werde seinen Beschluß gegen ihn niemals ändern. Jeremia wurde im Gegenteil offenbart (siehe 18, 8 u. 19), daß Gott, ob er nun Schlechtes oder Gutes für ein Volk beschlossen hatte, seinen Beschluß für den Fall bereuen könne, daß die Menschen sich später ändern, sei es zum Guten, sei es zum Schlechten hin. Joel dagegen lehrte, Gott bereue nur das Schlechte (siehe 2, 13). Endlich geht aus Genesis 4, 7 ganz klar hervor, daß der Mensch die Versuchungen der Sünde beherrschen und gut handeln kann; dies wird nämlich Kain gesagt, der sie freilich, wie aus der Schrift selbst und aus Josephus Flavius hervorgeht, nie beherrscht hat. Dasselbe

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ergibt sich ganz offensichtlich aus dem gerade angeführten Kapitel des Jeremia, sagt dieser doch, Gott bereue den Beschluß, den er zum Heil oder Unheil der Menschen gefällt hat, je nachdem, ob sie ihre Sitten und Lebensweise ändern wollen. Paulus lehrt dagegen nichts deutlicher, als daß die Menschen die Herrschaft über die Versuchungen des Fleisches nur kraft der besonderen Erwählung und einzigartigen Gnade Gottes haben. Siehe Römerbrief 9, 10 ff. und die Stelle (3, 5 und 6, 19), an der er Gott Gerechtigkeit zuschreibt, aber präzisiert, daß er sich in menschlicher Weise und wegen der Schwachheit des Fleisches so ausdrücke. [19] Hieraus ergibt sich zur Genüge, was zu zeigen wir uns vorgenommen haben, daß nämlich Gott seine Offenbarungen der Fassungskraft und den Ansichten der Propheten angepaßt hat, daß die Propheten von Dingen, welche die reine Spekulation und nicht die Nächstenliebe und Lebensführung betreffen, nichts zu wissen brauchten und daß sie, weil sie davon tatsächlich nichts wußten, entgegengesetzte Auffassungen hatten. Kein Gedanke also, daß von ihnen eine Erkenntnis von Dingen, natürlicher wie spiritueller, zu erwarten sei. Wir schließen deshalb, daß wir den Propheten nur das zu glauben gehalten sind, was Zweck und Kern der Offenbarung ausmacht; in allem übrigen steht es jedem frei zu glauben, was ihm beliebt. Kains Offenbarung z. B. lehrt uns nur, daß Gott Kain zum wahren Leben ermahnt hat; denn allein dies ist Absicht und Kern der Offenbarung, nicht jedoch eine Belehrung über Willensfreiheit oder irgendwelche philosophische Sachverhalte. Wenn daher jene Ermahnung im Wortlaut wie in der Argumentation offensichtlich die Willensfreiheit vertritt, dürfen wir trotzdem das Gegenteil annehmen, weil die hier gebrauchten Worte und Argumente eigens Kains Fassungskraft angepaßt sind. Ebenso will Michas Offenbarung nur lehren, daß Gott Micha den wahren Ausgang des Kampfes von Ahab gegen Aram offenbart hat, weshalb wir auch nur das zu glauben gehalten sind. Was außerdem noch in dieser Offenbarung steht, über den wahren und falschen Geist Gottes, über die himmlischen Heerscharen zu beiden Seiten Got-

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tes und die übrigen Nebenumstände dieser Offenbarung, alles das geht uns nichts an, und jeder mag von diesen Themen halten, was ihm am ehesten mit seiner Vernunft in Einklang zu sein scheint. Dasselbe ist von den Argumenten zu sagen, mit denen Gott Hiob seine Allmacht beweist, einmal unterstellt, daß dies Hiob wirklich offenbart wurde und daß der Verfasser eine wirkliche Begebenheit erzählen und nicht, wie manche glauben, bloß die eigenen Gedanken illustrieren wollte; sie sind Hiobs Fassungskraft angepaßt und allein vorgebracht, um ihn zu überzeugen, nicht aber sind es allgemeingültige Begründungen, die geeignet wären, alle Menschen zu überzeugen. Ganz dasselbe ist von den Argumenten zu halten, mit denen Christus die Pharisäer der Unwissenheit und Widerspenstigkeit überführt und seine Jünger zum wahren Leben ermahnt, daß er nämlich seine Argumente den Ansichten und Grundannahmen eines jeden angepaßt hat. Wenn er z. B. zu den Pharisäern sagte ( Matthäus 12, 26): Wenn Satan den Satan austreibt, dann liegt er mit sich selbst im Streit – wie mag dann sein Reich bestehen?, dann wollte er die Pharisäer nur aus ihren eigenen Grundannahmen heraus überzeugen, nicht aber lehren, daß es Dämonen oder so etwas wie ein Dämonenreich gibt. Ebenso wenn er zu seinen Jüngern sagte ( Matthäus 18, 10): Hütet euch, auch nur einen von diesen Kleinen zu verachten, denn ich sage euch: ihre Engel im Himmel usw., dann wollte er einfach lehren, daß sie nicht hochmütig sein und niemanden verachten sollen, nicht aber das andere in seiner Rede, das nur dazu dient, seine Jünger besser zu überzeugen. Dasselbe ist schließlich auch uneingeschränkt von den Argumenten und Zeichen der Apostel zu sagen, doch ist es nicht nötig, davon ausführlicher zu reden. Denn wollte ich alle die Schriftstellen aufzählen, die nur ad hominem, nämlich für die Fassungskraft des einzelnen, geschrieben sind und die sich nur unter Mißachtung der Philosophie als göttliche Lehre verteidigen lassen, müßte ich der Kürze, der ich mich befleißige, entsagen. Es mag daher genügen, einige wenige Beispiele von allgemeinem Wert beigebracht zu haben; das übrige möge der wißbegierige Leser bei sich selbst erwägen.

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Obwohl im wesentlichen eigentlich nur das, was ich hier von den Propheten und der Prophetie gesagt habe, dem von mir verfolgten Ziel dient, nämlich die Philosophie von der Theologie zu trennen, möchte ich, weil ich mich nun einmal mit dieser Frage im allgemeinen beschäftigt habe, doch noch untersuchen, ob die Prophetengabe ausschließlich den Hebräern eigen oder im Gegenteil allen Völkern gemeinsam gewesen ist, und auch, was von der Berufung der Hebräer zu denken ist. Das wird Gegenstand des folgenden Kapitels sein.

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Drit tes K a pitel Von der Berufung der Hebräer. Und ob die Prophetengabe allein den Hebräern eigen gewesen ist [1]

Das wahre Glück und mit ihm die Glückseligkeit besteht für jeden allein darin, sich des Guten zu erfreuen, nicht aber in jenem eitlen Ruhm, sich des Guten unter Ausschluß der anderen allein zu erfreuen. Wer sich glücklicher wähnt, weil allein ihm es gut geht und nicht auch den anderen oder weil er mehr vom Schicksal begünstigt und deshalb glücklicher ist als die anderen, der weiß nicht, was das wahre Glück und die Glückseligkeit sind; die Freude, die er daraus zieht, entspringt, wenn sie nicht kindisch ist, nur aus Neid und böser Gesinnung. So bestehen das wahre Glück und die Glückseligkeit eines Menschen in der Weisheit und der Erkenntnis des Wahren, aber gewiß nicht darin, weiser zu sein als die anderen, oder darin, daß andere der wahren Erkenntnis entbeh ren. Dies vermehrt nämlich um nichts seine Weisheit, d. h. sein wahres Glück. Wer sich darüber freut, freut sich über das Unglück eines anderen; er ist also neidisch und bösartig und kennt weder die wahre Weisheit noch den Frieden des wahren Lebens. Wenn also die Schrift in der Absicht, die Hebräer zum Gesetzesgehorsam zu ermahnen, sagt, Gott habe sie vor den anderen Völkern sich auserwählt (siehe Deuteronomium 10, 15), er sei ihnen nahe und nicht ebenso den anderen (4, 4 u. 7), er habe bloß ihnen gerechte Gesetze vorgeschrieben (4, 8), und endlich, er habe sich nur ihnen kundgetan und nicht den anderen (4, 32) usw., dann redet sie nur nach der Fassungskraft der Hebräer, die, wie wir im vorigen Kapitel gezeigt haben und wie auch Moses bezeugt (siehe Deuteronomium 9, 6 u. 7), die wahre Glückseligkeit nicht kannten. Sie wären sicher nicht minder glücklich gewesen, wenn Gott alle Menschen ohne Unterschied zum Heil berufen hätte, und Gott wäre ihnen nicht minder zugetan gewesen, wenn er auch den anderen so nahe gewesen wäre wie ihnen; die Gesetze wären nicht weniger gerecht und sie selbst nicht weniger weise ge-

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wesen, wenn sie allen vorgeschrieben wären; die Wunder hätten Gottes Macht nicht weniger dargetan, wenn sie auch um der anderen Völker willen geschehen wären; und schließlich wären die Hebräer nicht weniger gehalten gewesen, Gott zu verehren, wenn Gott alle diese Gaben allen gleichermaßen geschenkt hätte. Wenn Gott zu Salomo sagt (siehe 1. Könige 3, 12), keiner nach ihm werde so weise sein wie er, dann ist das wohl nur eine Redensart, um eine außerordentliche Weisheit zum Ausdruck zu bringen. Wie dem auch sei, man darf keinesfalls annehmen, Gott habe Salomo, um ihn glücklicher zu machen, versprochen, er werde fortan niemanden mit einer solchen Weisheit beschenken; denn dies hätte Salomos Verstand um nichts vermehrt, und ein so kluger König hätte Gott für eine so große Gabe nicht minder gedankt, wenn Gott ihm gesagt hätte, er würde dieselbe Weisheit allen geben. [2] Indessen, wenn wir sagen, daß Moses in den zitierten Stellen des Pentateuch sich entsprechend der Fassungskraft der Hebräer ausgedrückt hat, dann wollen wir nicht bestreiten, daß Gott nur ihnen die Gesetze des Pentateuch vorgeschrieben hat, daß er nur zu ihnen gesprochen hat, und schließlich, daß die Hebräer so viel Wunderbares schauen durften wie kein anderes Volk. Wir wollen nur sagen, daß Moses in dieser Weise und vor allem mit den genannten Argumenten die Hebräer, eingehend auf ihre kindische Fassungskraft, dazu bringen wollte, sich der Verehrung Gottes stärker hinzugeben. Ferner haben wir zeigen wollen, daß die Hebräer die anderen Völker weder an Wissen noch an Frömmigkeit übertroffen haben, sondern in einer ganz anderen Hinsicht: um mit der Schrift nach ihrer Fassungskraft zu reden, die Hebräer sind nicht zum wahren Leben und zu erhabenen Spekulationen (obwohl häufig auch dazu ermahnt) vor den anderen Völkern von Gott auserwählt worden, sondern zu etwas ganz anderem. Was das war, will ich hier der Ordnung nach dartun. [3] Zuvor will ich jedoch kurz erläutern, was ich auf den folgenden Seiten unter Leitung Gottes, unter äußerem und innerem Beistand Gottes, unter göttlicher Auserwählung und schließlich unter Schicksal verstehe. Unter Leitung Gottes

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verstehe ich die feste und unveränderliche Ordnung der Natur, d. h. die Verkettung der natürlichen Dinge. Weiter oben haben wir nämlich gesagt und an anderer Stelle schon bewiesen, daß die allgemeingültigen Gesetze der Natur, nach denen alles geschieht und bestimmt wird, nichts anderes sind als Gottes ewige Ratschlüsse, die von jeher ewige Wahrheit und Notwendigkeit in sich schließen. Ob wir nun sagen, alles geschieht nach den Gesetzen der Natur oder alles wird nach dem Ratschluß und der Leitung Gottes geordnet, wir sagen damit dasselbe. Weil ferner die Macht aller natürlichen Dinge nichts anderes ist als eben Gottes Macht, durch die allein alles geschieht und bestimmt wird, wird folglich alles, was der Mensch (der auch ein Teil der Natur ist) an Maßnahmen zu seiner Selbsterhaltung ergreift oder was ihm die Natur hierfür ohne sein Zutun darbietet, ihm allein von der göttlichen Macht dargebracht, insofern sie es ist, die handelt, sei es in der menschlichen Natur, sei es außerhalb von ihr. Deshalb können wir zu Recht alles das inneren Beistand Gottes nennen, was die menschliche Natur bloß aus eigener Macht für die Selbsterhaltung zu leisten vermag, und äußeren Beistand Gottes, was darüber hinaus aus der Macht äußerer Ursachen zum Nutzen des Menschen vonstatten geht. Daraus läßt sich leicht folgern, was unter göttlicher Auserwählung zu verstehen ist. Da niemand etwas außerhalb der vorbestimmten Ordnung der Natur tut, d. h. unabhängig von der ewigen Leitung und dem ewigen Ratschluß Gottes, gilt, daß niemand sich eine Lebensweise wählt oder irgend etwas ausführt ohne einen besonderen Ruf Gottes, der diesen Menschen zu gerade diesem Werk oder zu gerade dieser Lebensweise vor anderen auserwählt. Unter Schicksal schließlich verstehe ich nichts anderes als die Leitung Gottes, soweit sie die menschlichen Angelegenheiten durch äußere und unvermutete Ursachen lenkt. [4] Dies vorausgeschickt, wollen wir zu unserem Vorhaben zurückkehren, um zu sehen, weshalb von dem hebräischen Volk gesagt worden ist, es sei von Gott vor den anderen Völkern auserwählt worden. Um dies zu zeigen, gehe ich folgendermaßen vor.

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Alles, was wir ehrenhaft begehren, läßt sich in der Hauptsache auf diese drei Sachverhalte zurückführen: die Dinge durch ihre ersten Ursachen begreifen; die Leidenschaften zähmen, d. h. zu einer tugendhaften Haltung gelangen; in Sicherheit und bei gesundem Körper leben. Die Mittel, die dem ersten und zweiten direkt dienen und als deren nächste und bewirkende Ursachen angesehen werden können, sind in der menschlichen Natur selbst enthalten, so daß das Erlangen dieser Ziele im wesentlichen allein von unserer Macht, d. h. allein von den Gesetzen der menschlichen Natur, abhängt. Aus diesem Grund ist vorbehaltlos anzunehmen, daß diese Gaben keinem Volk eigen sind, sondern stets der ganzen Menschheit gemeinsam waren, wollen wir nicht in den Traum verfallen, die Natur habe einst verschiedene Arten von Menschen hervorgebracht. Die Mittel hingegen, die der Sicherheit des Lebens und der Erhaltung unseres Körpers dienen, sind vornehmlich in den äußeren Dingen gelegen und werden Glücksgüter genannt, weil sie vor allem von einer Steuerung abhängen, die in äußeren Ursachen liegt und wir nicht kennen, so daß in diesem Feld der Einfältige in der Regel gerade so am Glück oder Unglück partizipiert wie der Kluge. Dennoch kann zur Sicherheit des Lebens und zum Schutz vor den Angriffen der anderen Menschen, aber auch der Tiere, die menschliche Leitung und Wachsamkeit viel beitragen. Das sicherste Mittel, das Vernunft wie Erfahrung hierfür beigebracht haben, ist, eine Gesellschaft mit Hilfe genau bestimmter Gesetze zu bilden, einen bestimmten Landstrich in Besitz zu nehmen und die Kräfte aller in gleichsam einen einzigen Körper zu versetzen – den der Gesellschaft. Um eine Gesellschaft zu bilden und zu erhalten, sind aber nicht wenig Geisteskraft und Wachsamkeit erforderlich; deshalb wird diejenige Gesellschaft sicherer, intern stabiler und dem Schicksal weniger ausgesetzt sein, die im höchsten Maße von klugen und wachsamen Menschen gegründet und geleitet wird, dagegen diejenige, die sich aus Menschen von ungebildetem Geist zusammensetzt, größtenteils vom Schicksal abhängt und weniger lange Bestand hat. Hat sie trotzdem lange bestanden, verdankt sie dies der Lei-

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tung eines anderen und nicht der eigenen. Hat sie sogar große Gefahren überwunden und haben ihre Angelegenheiten einen günstigen Verlauf genommen, wird sie gar nicht umhin können, als Leiter Gott (nämlich insofern er durch verborgene äußere Ursachen und nicht durch die menschliche Natur und den Geist des Menschen wirksam ist) zu bewundern und zu verehren, da ihr ja etwas völlig Unerwartetes und Unvermutetes widerfahren ist, das man tatsächlich für ein Wunder halten kann. [6] Allein darin unterscheiden sich also Völker voneinander: in Ansehung der Gesellschaft und der Gesetze, unter denen sie leben und regiert werden. Mithin ist das hebräische Volk von Gott vor den anderen Völkern nicht mit Blick auf den Verstand und die Seelenruhe auserwählt worden, sondern mit Blick auf seine Gesellschaft und das Schicksal, mit dessen Hilfe es einen Staat errichtet und so viele Jahre hindurch erhalten hat. Auch aus der Schrift selbst geht das in aller Deutlichkeit hervor. Wer sie auch nur oberflächlich durchgeht, sieht klar, daß die Hebräer die anderen Völker allein darin überragt haben, daß sie ihre Angelegenheiten, was die Sicherheit des Lebens anbelangt, erfolgreich betrieben und dabei große Gefahren überwunden haben, und dies vor allem allein dank des äußeren göttlichen Beistandes, daß sie aber in den übrigen Dingen den anderen Völkern gleich waren, wie auch Gott allen gleichermaßen wohlgesonnen war. Was ihren Verstand angeht, steht fest, daß sie (wie wir im vorigen Kapitel gezeigt haben) über Gott und die Natur in der Tat ganz gewöhnliche Gedanken hatten; sie sind also von Gott vor den anderen nicht unter dem Gesichtspunkt des Verstandes auserwählt worden, aber ebensowenig unter dem der Tugend und des wahren Lebens, denn hierin waren sie den anderen Völkerschaften gleich, und auserwählt waren zudem nur sehr wenige Hebräer. Ihre Auserwählung und Berufung betraf also bloß das zeitliche Glück und die günstigen Verhältnisse ihres Staates; wir sehen auch nicht, daß Gott den Erzvätern1 oder ihren Nachfolgern etwas 1

[ Siehe Anmerkung 4 auf Seite 320.]

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anderes verheißen hätte. Vielmehr wird ihnen im Gesetz für ihren Gehorsam nichts anderes verheißen als das beständige Glück ihres Staates und die übrigen Annehmlichkeiten dieses Lebens und andererseits für ihre Widerspenstigkeit und den Bruch des Bundes der Untergang des Staates und eine Fülle größten Unglücks. Nicht verwunderlich, denn der Zweck einer jeden staatlich geformten Gesellschaft ist (wie aus dem soeben Gesagten hervorgeht und wie wir im folgenden ausführlicher zeigen werden) ein sicheres und bequemes Leben. Nun kann ein Staat nur auf Grund von Gesetzen Bestand haben, an die jeder gebunden ist. Wenn sich alle Glieder ein und derselben Gesellschaft von den Gesetzen lossagen wollen, werden sie ebendamit die Gesellschaft auflösen und den Staat vernichten. Der hebräischen Gesellschaft hat also für ihre beharrliche Gesetzestreue nur die Sicherheit und die damit verbundene Bequemlichkeit des Lebens verheißen werden können1 und andererseits für ihre Widerspenstigkeit keine entschiedenere Strafe vorhergesagt werden können als der Untergang des Staates mit all den Übeln, die gemeinhin daraus folgen (aber auch mit Übeln, die aus dem Untergang gerade ihres Staates sie besonders treffen würden, worüber jedoch hier nicht eingehender gesprochen zu werden braucht). Hinzu füge ich nur, daß die Gesetze des Alten Testaments nur den Juden offenbart und vorgeschrieben worden sind, denn weil Gott sie, und allein sie, zur Gründung einer besonderen staatlichen Gesellschaft auserwählt hatte, mußten sie notwendigerweise auch nur für sie geltende Gesetze haben. [7] Ob Gott auch anderen Völkern besondere Gesetze vorgeschrieben und sich deren Gesetzgebern in prophetischer Weise, d. h. unter den Attributen, mit denen sie sich Gott vorzustellen pflegten, offenbart hat, scheint mir nicht hinreichend sicher zu sein. Immerhin geht aus der Schrift hervor, daß auch andere Völker durch Gottes äußere Leitung einen Staat und nur für sie geltende Gesetze hatten. Zum Beweis will ich nur zwei Schriftstellen anführen. In Genesis 14, 18 – 20 wird be1

[ Siehe Anmerkung 5 auf Seite 320.]

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richtet, daß Melchisedek König von Jerusalem und Oberpriester des höchsten Gottes war, daß er Abraham kraft Priesterrecht (siehe Numeri 6, 23) segnete und schließlich, daß Abraham, der Liebling Gottes, diesem Priester Gottes den zehnten Teil seiner Kriegsbeute gab. Das beweist zur Genüge, daß Gott, bevor er das israelitische Volk gründete, schon Könige und Priester in Jerusalem eingesetzt und ihnen Riten und Gesetze vorgeschrieben hatte; ob freilich im Wege der Prophetie, steht, wie gesagt, nicht hinreichend fest. Auf jeden Fall bin ich überzeugt, daß Abraham, während er dort lebte, sich gottesfürchtig an diese Gesetze hielt; denn Abraham hat von Gott keine Riten speziell für sich empfangen, und doch heißt es in Genesis 26, 5, daß er den Dienst, die Vorschriften, die Einrichtungen und die Gesetze Gottes einhielt, wobei es sich zweifellos um König Melchisedeks Dienst, Vorschriften, Einrichtungen und Gesetze handelte. Maleachi (1, 10 u. 11) schmäht die Juden mit folgenden Worten: Wer unter euch wird die Türen (des Tempels) verschließen, damit das Feuer meines Altars nicht vergeblich angezündet ist? Ich habe kein Gefallen an euch usw. Denn vom Aufgang der Sonne bis zu ihren Untergang ist mein Name herrlich unter den Völkern, und überall wird mir ein Rauchopfer und eine reine Opfergabe dargebracht; mein Name ist nämlich herrlich unter den Völkerschaften, spricht der Gott der Heerscharen. Diese Worte (die sich, will man ihnen nicht Gewalt antun, nur auf die damalige Zeit beziehen können), bezeugen zur Genüge, daß damals die Juden von Gott nicht mehr geliebt wurden als die anderen Völker, ja sogar, daß sich Gott mit Wundern mehr den anderen Völkern als den Juden, die zu dieser Zeit ihren Staat zum Teil ohne Wunder wiedererlangt hatten, kundtat; sie bezeugen des weiteren, daß jene Völker Riten und Zeremonien hatten, mit denen sie Gott wohlgefällig waren. Ich lasse dies jedoch auf sich beruhen, denn für mein Vorhaben genügt der Nachweis, daß die Auserwählung der Juden sich auf nichts anderes bezog als auf das zeitliche Glück leiblichen Wohlergehens und die diesbezügliche Freiheit, d. h. auf den Staat, die Weise, in der sie ihn errichtet, und die Mit-

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tel, die sie hierfür eingesetzt haben, und folglich auch auf die Gesetze, soweit sie zur Stabilität dieses besonderen Staates nötig waren, und schließlich auf die Weise, in der sie offenbart wurden. In allem anderen und gerade in dem, was das wahre Glück des Menschen ausmacht, waren sie den anderen Völkern gleich. Wenn es also in der Schrift ( Deuteronomium 4, 7) heißt, kein Volk habe Götter, die ihm so nahe gewesen sind wie Gott den Juden, dann ist das nur im Hinblick auf den Staat zu verstehen und auf die Zeit, in der ihnen so viele Wunder geschahen. Denn was den Verstand und die Tugend angeht, d. h. die Glückseligkeit, ist Gott allen gleichermaßen zugetan, wie wir schon gesagt und aus der Vernunft selbst bewiesen haben, was aber auch aus der Schrift zur Genüge hervorgeht. So sagt der Psalmist (145, 18): Gott ist all denen nahe, die ihn anrufen, allen, die ihn aufrichtig anrufen. Ebenso in demselben Psalm (9): Gott ist gütig zu allen und sein Erbarmen (ist) über allem, was er geschaffen hat. In Psalm 33, 15 heißt es ganz klar, daß Gott allen den gleichen Verstand gegeben hat, in folgenden Worten nämlich: er, der ihnen das Herz auf gleiche Weise formt. Das Herz galt nämlich den Hebräern als der Sitz der Seele und des Verstandes, wie wohl allgemein bekannt ist. Ferner geht aus Hiob 28, 28 hervor, daß Gott der ganzen Menschheit dieses Gesetz vorgeschrieben hat: Gott zu verehren und sich böser Taten zu enthalten, d. h. gut zu handeln; und Hiob, obwohl Heide, war Gott von allen Menschen am wohlgefälligsten, weil er alle an Frömmigkeit und Gottesfurcht übertraf. Weiter geht aus Jona 4, 2 aufs deutlichste hervor, daß nicht nur für die Juden, sondern für alle Menschen gilt, daß Gott gnädig, barmherzig, nachsichtig und voller Güte ist und das Schlechte ihn verdrießt; denn Jona sagt: Ich habe zuvor nach Tarsis fliehen wollen, weil ich wußte (nämlich aus Moses’ Worten, die sich in Exodus 34, 6 finden), daß du ein gnädiger, barmherziger usw. Gott bist und somit den Heiden von Ninive vergeben wirst. [8] Wir schließen somit (da ja Gott allen gleichermaßen zugetan ist und die Hebräer nur hinsichtlich ihrer Gesellschaft und ihres Staates von Gott auserwählt waren), daß ein Jude

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für sich betrachtet, also außerhalb von Gesellschaft und Staat, keine Gabe Gottes vor den anderen voraus hat, zwischen ihm und einem Heiden also kein Unterschied besteht. Weil Gott in Wahrheit allen Menschen gleichermaßen gütig, barmherzig usw. ist und weil das Amt der Propheten darin bestand, nicht besondere Landesgesetze, sondern die wahre Tugend zu lehren und in ihr die Menschen zu unterrichten, steht außer Zweifel, daß alle Völker Propheten hatten und die Prophetengabe nicht ausschließlich den Juden eigen gewesen ist. Dies bezeugt die profane wie die heilige Geschichte; und wenn auch aus den heiligen Erzählungen des Alten Testaments nicht hervorgeht, daß die anderen Völker so viele Propheten hatten wie die Hebräer, ja nicht einmal, daß den Völkern ein heidnischer Prophet von Gott ausdrücklich gesandt wurde, so ist das doch ohne Bedeutung, weil die Hebräer auf die Aufzeichnung bloß ihrer eigenen Geschichte und nicht auch der anderer Völkerschaften bedacht waren. Es genügt also, im Alten Testament zu lesen, daß Heiden und Unbeschnittene wie Noah, Hanoch, Abimelech, Bileam und andere prophezeit haben, und des weiteren, daß hebräische Propheten nicht nur zu ihrem eigenen Volk, sondern auch zu vielen anderen von Gott gesandt wurden. Hesekiel hat seine Weissagungen allen damals bekannten Völkerschaften kundgetan, Obadja dagegen, soviel wir wissen, nur den Idumäern, und Jona vor allem den Niniviten. Jesaja beklagt und verkündet nicht nur die Leiden der Juden und besingt nicht nur deren Restauration, sondern auch die anderer Völkerschaften; er sagt nämlich (16, 9): Deshalb will ich Tränen weinen um Jaser, und verkündet in 19, 19 – 21 u. 25 zunächst die Leiden und dann die Restauration der Ägypter: Gott wird ihnen einen Erlöser senden, der sie befreien wird, Gott wird sich ihnen kundtun, die Ägypter werden Gott mit Opfern und Gaben verehren; und zum Schluß nennt er dieses Volk das von Gott gesegnete ägyptische Volk – all das sollte wahrlich beachtet werden. Jeremia endlich heißt nicht bloß Prophet des hebräischen Volkes, sondern Prophet der Völkerschaften schlechthin (siehe 1, 5). Auch er beweint in seinen Weissagungen die Leiden der Völ-

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ker und weissagt ihre Restauration, denn von den Moabitern sagt er in 48, 31: Deshalb werde ich wegen Moab heulen und über das ganze Moab schreien usw., und in 48, 36: Deshalb ertönt wegen Moab mein Herz wie eine Pauke; und schließlich weissagt er auch ihre Restauration wie schon die der Ägypter, Ammoniter und Elamiter. Es kann also kein Zweifel bestehen, daß auch andere Völkerschaften wie die Juden ihre Propheten hatten, die ihnen und den Juden prophezeit haben. [9] Wenn auch die Schrift nur den einen Bileam erwähnt, dem die Zukunft der Juden und der anderen Völker offenbart wurde, so ist doch nicht anzunehmen, daß Bileam nur bei dieser einen Gelegenheit prophezeit hat. Aus dem, was von ihm erzählt wird, geht ja klar genug hervor, daß er schon lange vorher wegen seiner Prophetie und anderer göttlicher Gaben zu Ansehen gekommen war. Denn als Balak ihn zu sich befahl, sagte er ( Numeri 22, 6): weil ich weiß, daß der, den du segnest, gesegnet ist, und der, den du verfluchst, verflucht ist. Er besaß demnach dieselbe Tugend, mit der Gott Abraham beschenkt hatte (siehe Genesis 12, 3). Bileam antwortete denn auch, an Prophezeiungen gewöhnt, den Gesandten, sie mögen bei ihm bleiben, bis ihm Gottes Wille offenbart sei. Wenn er prophezeite, d. h. den wahren Sinn Gottes übermittelte, pflegte er zu sagen: das Wort dessen, der die Worte Gottes hört und die Weisheit (oder den Sinn und das Vorherwissen) des Allerhöchsten kennt, der die Erscheinung des Allmächtigen sieht, niederfallend, doch offenen Auges. Nachdem er schließlich die Hebräer auf Geheiß Gottes gesegnet hatte (und zwar wie er es gewohnt war), begann er den anderen Völkerschaften zu prophezeien und ihnen die Zukunft vorherzusagen. All das zeigt genug und übergenug, daß er immer Prophet war oder zumindest häufig genug prophezeit hatte und daß er (was hier auch noch zu beachten ist) das besaß, was vor allem die Propheten der Wahrheit ihrer Prophetie gewiß sein ließ, einen allein dem Rechten und Guten zugewandten Sinn. Denn nicht wen er wollte, segnete und verfluchte er, wie Balak glaubte, sondern nur diejenigen, die Gott gesegnet oder verflucht sehen wollte; so antwortete er Balak: Selbst wenn Balak mir so

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viel Gold und Silber gäbe, daß er damit sein Haus anfüllen könnte, werde ich nicht das Gebot Gottes überschreiten können und Gutes oder Böses nach meinem Gutdünken tun; was Gott sagen wird, werde ich sagen. Was Gottes Zorn gegen ihn, als er unterwegs war, angeht, dasselbe widerfuhr Moses, als er auf Gottes Geheiß nach Ägypten aufbrach (siehe Exodus 4, 24); und was das Geld, das er für seine Prophezeiungen annahm, angeht, dasselbe machte Samuel (siehe 1. Samuel 9, 7 u. 8), und wenn er irgendwie sündigte (siehe 2. Petrusbrief 2, 15 u. 16 und Judasbrief 11), dann gilt auch für ihn: Kein Mensch ist so gerecht, daß er immer Gutes tut und niemals sündigt (siehe Prediger 7, 20). Zweifellos müssen seine Worte vor Gott immer viel gegolten haben, und seine Kraft zu verfluchen war sicher sehr groß, denn in der Schrift wird zum Zeugnis für Gottes große Barmherzigkeit gegen die Israeliten jedes Mal angeführt, daß Gott auf Bileam nicht hat hören wollen und dessen Fluch in Segen verwandelt hat (siehe Deuteronomium 23, 6; Josua 24, 10; Nehemia 13, 2). Es steht also außer Zweifel, daß er Gott sehr willkommen war, denn Reden und Verfluchungen von Gottlosen bewegen Gott nicht. Wenn dieser Mann also ein wahrer Prophet war und Josua (13, 2) ihn gleichwohl Wahrsager oder Augur nennt, dann ist diese Bezeichnung sicher in gutem Sinne zu nehmen, und sicherlich waren diejenigen, die die Heiden gewöhnlich Auguren und Wahrsager nannten, wahre Propheten, während diejenigen, die die Schrift oft anklagt und verdammt, falsche Wahrsager waren, die die Heiden ebenso betrogen haben wie die falschen Propheten die Juden – wie auch aus anderen Schriftstellen klar hervorgeht. Daraus schließen wir, daß die Prophetengabe nicht allein den Juden eigen gewesen ist, sondern allen Völkern gemeinsam war. [10 ] Die Pharisäer behaupten freilich im Gegenteil mit aller Entschiedenheit, diese göttliche Gabe sei nur ihrem Volk eigen gewesen und die anderen Völker hätten die Zukunft kraft irgendeiner teuflischen Fertigkeit (was erfindet der Aberglaube nicht alles!) vorhergesagt. Die Hauptstelle, die sie aus dem Alten Testament beibringen, um mit seiner Autorität ihre Mei-

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nung zu stützen, ist der Text in Exodus 33, 16, wo Moses zu Gott sagt: Denn wie wird man erkennen, daß ich und dein Volk Gnade gefunden haben vor deinen Augen? Sicher dann, wenn du mit uns gehen wirst und wir, ich und dein Volk, uns absondern werden von jedem Volk, das auf dem Erdboden ist. Dieser Stelle, sage ich, wollen sie entnehmen, Moses habe Gott gebeten, den Juden gegenwärtig zu sein und ihnen sich prophetisch zu offenbaren, und weiter, diese Gnade keinem anderen Volk zu vergönnen. Ganz lächerlich ist es anzunehmen, Moses hätte die Gegenwart Gottes anderen Völkerschaften mißgönnt oder gewagt, dergleichen von Gott zu erbitten. So ist es vielmehr: Moses war sich in Kenntnis des widerspenstigen Sinnes und Geistes seines Volkes darüber im klaren, daß er sein Unternehmen ohne größte Wunder und einen einzigartigen äußeren Beistand Gottes nicht vollbringen könne, ja daß sie ohne einen solchen Beistand unfehlbar zugrunde gingen; damit klar werde, daß Gott sie erhalten wolle, bat er also Gott um diesen einzigartigen äußeren Beistand. So sagt er auch in 34, 9: Habe ich Gnade gefunden vor deinen Augen, Herr, so bitte ich dich, gehe mit uns; denn dieses Volk ist widerspenstig usw. In dieser Widerspenstigkeit des Volkes lag also der Grund, warum er Gott um einen einzigartigen äußeren Beistand bittet. Daß Moses um nichts anderes als diesen äußeren Beistand Gottes bat, zeigt noch klarer Gottes Antwort, die lautet (34, 10): Hiermit schließe ich einen Bund; vor deinem ganzen Volk will ich außergewöhnliche Dinge tun, wie sie auf der ganzen Erde und unter allen Völkern niemals getan worden sind, usw. Moses geht es hier also nur um die Auserwählung der Hebräer, wie ich sie erklärt habe, und anderes hat er von Gott nicht erbeten. Indessen finde ich in dem Brief des Paulus an die Römer eine andere Textstelle, die mir mehr zu denken gibt. In 3, 1 u. 2 scheint Paulus etwas anderes zu lehren als wir; er sagt nämlich: Was ist denn die Vorzüglichkeit des Juden und was der Nutzen der Beschneidung? Viel bedeutet es in jeder Hinsicht, vor allem, daß ihm die Worte Gottes anvertraut sind. Beachten wir jedoch die Lehre, die Paulus vor allem darlegen will, finden wir keinen Widerspruch zu unserer

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eigenen Auffassung, sondern im Gegenteil, daß sie dasselbe vertritt wie wir hier; er sagt nämlich in 3, 29, daß Gott der Gott der Juden wie der Heiden ist, und in 2, 25 u. 26: Übertritt der Beschnittene das Gesetz, wird die Beschneidung zur Vorhaut werden; beachtet umgekehrt der Nicht-Beschnittene das Gebot des Gesetzes, wird seine Vorhaut als Beschneidung erachtet werden. Ferner sagt er [in 3, 9 und 4, 15], daß alle, Juden wie Heiden, unter der Sünde gestanden haben, es aber Sünde ohne Gebot und Gesetz nicht gibt. Daraus geht ganz offensichtlich hervor, daß das Gesetz uneingeschränkt allen offenbart wurde (wie wir schon oben nach Hiob 28, 28 gezeigt haben) und alle unter ihm gelebt haben, das Gesetz meine ich, das allein die wahre Tugend im Blick hat, nicht aber dasjenige, das den Verhältnissen eines einzelnen Staates Rechnung trägt und sich der Sinnesart nur eines Volkes anpaßt. Endlich zieht Paulus folgenden Schluß: Weil Gott der Gott aller Völker ist, d. h. ein Gott, der allen in gleicher Weise zugetan ist, und weil alle gleichermaßen dem Gesetz und der Sünde unterworfen waren, hat Gott seinen Christus allen Völkern gesandt, um alle von der Knechtschaft des Gesetzes zu befreien, damit sie hinfort nicht mehr auf Befehl des Gesetzes, sondern aus festem Entschluß des Willens gut handeln. Paulus lehrt also genau das, was wir wollen. Wenn er sagt Allein den Juden sind die Worte Gottes anvertraut worden, dann ist das entweder so zu verstehen, daß allein ihnen die Gesetze in Schriftform, den anderen Völkern hingegen nur durch Offenbarung und inneres Verstehen anvertraut wurden, oder daß Paulus (im Bestreben, einen Einwand zu entkräften, den nur die Juden formulieren konnten) nach der Fassungskraft und gemäß den damals herrschenden Ansichten der Juden geantwortet hat; denn um das, was er teils selbst gesehen, teils von anderen gehört hatte, zu lehren, war er mit den Juden Jude, wie er mit den Griechen Grieche war. [11] Nun bleibt nur noch auf die Argumente zu antworten, mit denen einige Leute sich einreden wollen, die Auserwählung der Hebräer sei nicht auf Zeit und allein im Hinblick auf ihren Staat, sondern ewig gewesen. Wir sehen ja, sagen sie,

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daß die Juden nach dem Verlust ihres Staates, überallhin verstreut und so viele Jahre hindurch von allen Völkern getrennt, doch überlebt haben, was für kein anderes Volk gilt; ferner, daß die heiligen Schriften an vielen Stellen zu lehren scheinen, Gott habe sich die Juden in Ewigkeit auserwählt und sie deshalb, auch wenn sie keinen Staat mehr haben, doch die Auserwählten Gottes blieben. Die Stellen, die diese ewige Auserwählung ihrer Meinung nach aufs klarste lehren, sind hauptsächlich: einmal Jeremia 31, 36, wo der Prophet bekundet, der Same Israels werde in Ewigkeit das Volk Gottes bleiben, und ihn schlicht der festen Ordnung der Himmel und der Natur gleichstellt; zum anderen Hesekiel 20, 32 ff., wo der Prophet zu meinen scheint, Gott werde die Juden, wie geflissentlich sie sich auch vom Gottesdienst lossagen wollen, dennoch aus allen Gegenden, in die sie zerstreut wurden, wieder sammeln und in die Wüste der Völkerscharen führen, so wie er ihre Vorfahren in die Wüste Ägyptens geführt hat, und von dort, nachdem er sie von den Aufrührern und Abtrünnigen getrennt hat, schließlich zum Berg seiner Heiligkeit geleiten, wo das ganze Haus Israels ihm dienen werde. Noch andere Stellen werden gewöhnlich angeführt, besonders von den Pharisäern, aber ich denke auf alle hinreichend zu antworten, wenn ich auf diese beiden eingehe. Das wird mir nicht schwer fallen, wenn ich aus der Schrift bewiesen habe, daß Gott die Hebräer nicht in Ewigkeit auserwählt hat, sondern nur unter derselben Bedingung wie vorher die Kanaaniter, die auch, wie oben gezeigt, Oberpriester gehabt hatten, die Gott fromm verehrten und die Gott dennoch wegen ihrer Verschwenderei, Nachlässigkeit und Abgötterei von sich gewiesen hat. Moses ermahnt nämlich in Levitikus 18, 27 u. 28 die Israeliten, sich nicht mit Blutschande zu beflecken wie die Kanaaniter, damit das Land sie nicht ausspeie wie einst die Völkerschaften, die jene Gegenden bewohnt hatten. Und in Deuteronomium 8, 19 u. 20 droht er ihnen ausdrücklich den völligen Untergang an, indem er sagt: Heute bezeuge ich euch, daß ihr ganz und gar umkommen werdet; wie die Völkerscharen, die Gott vor eurem Angesicht umkommen läßt, so werdet ihr umkommen.

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Noch andere Stellen dieser Art finden sich im Gesetz, die ausdrücklich formulieren, daß Gott das hebräische Volk weder schlechthin noch in Ewigkeit auserwählt hat. Wenn die Propheten ihnen also einen neuen und ewigen Bund vorhergesagt haben, einen Bund der Erkenntnis, der Liebe und der Gnade Gottes, dann haben sie ihn, wie man leicht dartun kann, nur den Frommen verheißen; denn in dem soeben angeführten Hesekiel-Kapitel heißt es ausdrücklich, daß Gott von ihnen die Aufrührer und Abtrünnigen trennen wird, und Zefanja (3, 12 u. 13) sagt, Gott werde die Hochmütigen aus ihrer Mitte nehmen und die Armen übrig lassen. Weil diese Auserwählung die wahre Tugend im Blick hat, ist nicht anzunehmen, sie sei unter Ausschluß aller anderen nur den Frommen unter den Juden verheißen worden, sondern vielmehr zu glauben, daß die wahren Propheten der Heiden (wir haben oben gezeigt, daß alle Völker sie gehabt haben) dieselbe Verheißung auch den Gläubigen ihres Volkes machten und ihnen denselben Trost versprachen. Dieser ewige Bund der Erkenntnis und der Liebe Gottes ist deshalb universell, wie auch aus Zefanja 3, 10 u. 11 ganz offensichtlich hervorgeht, und somit kann in diesem Punkt kein Unterschied zwischen Juden und Heiden zugelassen werden und somit auch keine allein den Juden eigene Auserwählung außer derjenigen, die wir schon beschrieben haben. Daß die Propheten, wenn sie von dieser Auserwählung sprechen, also von der, die bloß die wahre Tugend betrifft, mancherlei von Opfern und anderen Zeremonien sowie vom Wiederaufbau des Tempels und der Stadt darein mischen, ist darauf zurückzuführen, daß sie (wie es Art und Natur der Prophetie ist) spirituelle Dinge unter solchen Figuren erläutern wollten, die den Juden, deren Propheten sie waren, zugleich die für die Zeit des Cyrus zu erwartende Wiederherstellung des Staates und des Tempels anzeigten. [12] Heutigentags haben die Juden daher nichts mehr, was sie sich vor anderen Völkern als Privileg zuschreiben könnten. Daß sie sich so viele Jahre hindurch, zerstreut und ohne Staat, erhalten haben, ist nicht weiter erstaunlich, nachdem sie sich einmal von allen Völkern in einer Weise abgesondert hatten,

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die ihnen den Haß aller zuzog, eine Absonderung nicht nur durch die den Riten aller anderen Völker entgegengesetzten äußeren Riten, sondern auch durch das Zeichen der Beschneidung, an das sie sich mit größtem religiösen Eifer halten. Daß es der Haß ist, der ein Volk zusammenhält, hat schon die Erfahrung gelehrt. Als einst der König von Spanien die Juden zwang, entweder die Landesreligion anzunehmen oder in die Verbannung zu gehen, nahmen die meisten Juden die papistische Religion an. Da den Konvertiten aber alle Privilegien der gebürtigen Spanier eingeräumt wurden und sie aller öffentlicher Ämter für würdig befunden wurden, vermischten sie sich sogleich so mit den Spaniern, daß binnen kurzem von ihnen keine Spur und kein Andenken übrigblieben. Ganz das Gegenteil war bei denen der Fall, die der König von Portugal die Religion seines Staates anzunehmen zwang. Obwohl zu dieser Religion konvertiert, lebten sie stets von allen abgesondert, weil man sie aller öffentlicher Ämter für unwürdig erklärt hatte. Das Zeichen der Beschneidung halte ich dabei für so wichtig, daß ich überzeugt bin, es allein werde dieses Volk für immer erhalten können. Mehr noch, wenn die Grundsätze ihrer Religion ihr Herz nicht verweichlichen, hielte ich es durchaus für wahrscheinlich, daß die Juden eines Tages bei gegebener Gelegenheit (die menschlichen Dinge sind ja dem Wandel unterworfen) ihren Staat wieder errichten werden und Gott sie von neuem auserwählen wird. Ein augenfälliges Beispiel haben wir bei den Chinesen; sie bewahren mit größten religiösen Eifer ein gewisses Zeichen auf dem Kopf, das sie von anderen absondert, und so abgesondert haben sie sich so viele Jahrtausende hindurch erhalten, daß sie dem Alter nach alle übrigen Nationen weit hinter sich lassen. Auch sie haben ihren Staat nicht immer behauptet, ihn nach seinem Verlust aber immer wiedererlangt, und ohne Zweifel werden sie ihn wiedererlangen, sobald das Gemüt der Tataren unter geistiger Bequemlichkeit und dem Wohlleben des Reichtums zu erschlaffen beginnt. [13] Wollte schließlich jemand die Meinung verteidigen, daß aus diesem oder jenem Grund die Juden von Gott in Ewigkeit

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auserwählt worden sind, würde ich ihm nicht widersprechen, wenn er nur daran festhält, daß diese Auserwählung, sei sie nun zeitlich oder ewig, als eine, die allein den Juden eigen ist, nur den Staat und das leibliche Wohlergehen betrifft (denn nur hierin kann ein Volk sich von einem anderen unterscheiden), daß im Hinblick auf den Verstand und die wahre Tugend jedoch kein Volk sich von einem anderen unterscheidet und somit in dieser Hinsicht von Gott kein Volk vor einem anderen auserwählt ist.

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Der Ausdruck Gesetz, in absoluter Bedeutung betrachtet, bezeichnet das, dem gemäß jedes Individuum (sei es jedes überhaupt oder nur eine bestimmte Anzahl derselben Art) auf ein und dieselbe wohlbestimmte Weise handelt, die entweder von der Notwendigkeit der Natur oder von der Entscheidung der Menschen abhängt. Das Gesetz, das von der Notwendigkeit der Natur abhängt, ist dasjenige, das aus der Natur der Sache selbst, d. h. aus ihrer Definition, notwendigerweise folgt; das Gesetz, das von der Entscheidung der Menschen abhängt und zutreffender Rechtsgesetz heißt, ist dasjenige, das die Menschen zur größeren Sicherheit und Bequemlichkeit des Lebens oder auch aus anderen Gründen sich und anderen vorschreiben. Zum Beispiel, daß alle Körper, sobald sie auf andere kleinere stoßen, so viel von ihrer eigenen Bewegung verlieren, wie sie den anderen mitteilen, ist ein allgemeingültiges Gesetz aller Körper, das aus der Notwendigkeit ihrer Natur folgt. Ebenso, daß der Mensch, sobald er sich einer Sache erinnert, sich auf der Stelle einer anderen Sache erinnert, die ihr ähnlich ist oder die er zugleich mit ihr wahrgenommen hat, ist ein Gesetz, das aus der menschlichen Natur notwendigerweise folgt. Hingegen, daß die Menschen von ihrem Recht, das sie von Natur aus haben, etwas aufgeben oder aufzugeben gezwungen werden und sich an eine bestimmte Lebensregel binden, das hängt von einer menschlichen Entscheidung ab. Wenn ich auch uneingeschränkt daran festhalte, daß alle Dinge nach den allgemeingültigen Gesetzen der Natur auf wohlbestimmte Weise zum Existieren und Wirken bestimmt sind, so sage ich dennoch, daß die zuletzt genannten Gesetze von der Entscheidung der Menschen abhängen: 1. weil der Mensch, sofern er ein Teil der Natur ist, auch einen Teil der Macht der Natur bildet; was also aus der Notwendigkeit der menschlichen Natur folgt, d. h. aus der Natur selbst, in-

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sofern wir sie als durch die menschliche Natur bestimmt auffassen, das folgt, wenn auch mit Notwendigkeit, dennoch aus der menschlichen Macht; daher kann man sehr wohl sagen, daß der Erlaß solcher Gesetze von der Entscheidung der Menschen abhängt, weil er vor allem von der Macht des menschlichen Geistes abhängt, wenn auch so, daß der menschliche Geist (sofern er die Dinge unter dem Gesichtspunkt von wahr und falsch erkennt) ohne diese Gesetze völlig klar begriffen werden kann, nicht jedoch ohne ein notwendiges Gesetz, wie wir es gerade definiert haben. 2. Daß diese Gesetze von einer Entscheidung der Menschen abhängen, habe ich auch gesagt, weil wir die Dinge durch ihre nächsten Ursachen definieren und erklären müssen und eine solche allgemeine Betrachtung des Verlaufs der Dinge und der Verkettung der Ursachen uns nicht dazu dienen kann, unsere auf die besonderen Dinge gerichteten Überlegungen zu gestalten und in eine gehörige Ordnung zu bringen. Hinzu kommt, daß die wirkliche Ordnung und Verkettung der Dinge, d. h. in welcher Weise die Dinge der Sache nach geordnet und verkettet sind, uns ganz unbekannt ist und es deshalb für unsere Lebenspraxis besser, ja unerläßlich ist, die Dinge als möglich anzusehen. So viel über das Gesetz in absoluter Bedeutung betrachtet. [2] Doch ist es damit nicht getan, denn der Ausdruck Gesetz ist auf die natürlichen Dinge offenbar in einem übertragenen Sinne angewendet worden; gewöhnlich versteht man dann unter Gesetz nichts anderes als eine Anordnung, die die Menschen ebenso ausführen wie mißachten können, weil sie der menschlichen Macht bestimmte Grenzen setzt, über die diese an sich hinausgeht, weil also nichts über deren Kräfte hinaus angeordnet wird. Unter diesem Gesichtspunkt scheint das Gesetz eine spezifischere Definition zu erfordern: Es ist eine Lebensregel, die der Mensch sich und anderen um irgendeines Zweckes willen vorschreibt. Weil der mit solchen Gesetzen beabsichtige Zweck in der Regel jedoch nur einer kleinen Anzahl von Menschen vor Augen liegt und die meisten kaum fähig sind, ihn zu begreifen, also weit davon entfernt sind, ihr Leben vernünftig zu regeln, haben die Gesetzgeber in der

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Absicht, alle gleichermaßen zu binden, mit den Gesetzen klugerweise einen anderen Zweck verbunden, der sehr verschieden ist von dem, was aus ihrer Natur notwendigerweise folgt. Denen, die die Gesetze respektieren, haben sie versprochen, was das gewöhnliche Volk am meisten liebt, denen, die sie verletzten, dagegen angedroht, was es am meisten fürchtet. Auf diese Weise waren sie bestrebt, das Volk, wie ein Pferd durch den Zügel, so gut es ging im Zaum zu halten. So ist es gekommen, daß unter „Gesetz“ vor allem eine Lebensregel verstanden wird, die den Menschen auf Befehl anderer vorgeschrieben wird, und folglich von denen, die den Gesetzen gehorchen, gesagt wird, daß sie unter dem Gesetz leben und ihm zu dienen scheinen. In der Tat, wer jedem das Seine gibt, weil er den Galgen fürchtet, handelt auf fremden Befehl und unter dem Druck einer Strafandrohung und kann nicht gerecht heißen; wer hingegen jedem das Seine gibt, weil er den wahren Grund der Gesetze und ihre Notwendigkeit kennt, handelt festen Sinnes und nach eigener, nicht fremder Entscheidung und verdient gerecht zu heißen. Dies hat meiner Meinung nach auch Paulus lehren wollen, als er sagte, daß die, die unter dem Gesetz lebten, nicht durch das Gesetz gerechtfertigt werden konnten. Nach der geläufigen Definition ist ja Gerechtigkeit der feste und beständige Wille, jedem sein Recht zu gewähren. So sagt auch Salomo ( Sprüche 21, 15), dem Gerechten sei es eine Freude, wenn das Gericht naht, die Ungerechten aber bebten vor Furcht. [3] Weil das Gesetz also nichts anderes ist als die Lebensregel, die die Menschen sich selbst oder anderen zu irgendeinem Zweck vorschreiben, scheint es erforderlich, das Gesetz in menschliches Gesetz und göttliches Gesetz zu unterteilen. Unter menschlichem Gesetz verstehe ich die Lebensregel, die lediglich der Sicherung des Lebens und des Staates dient; unter göttlichem Gesetz diejenige, die ausschließlich das höchste Gut im Blick hat, d. h. die wahre Erkenntnis und Liebe Gottes. Daß ich dieses Gesetz göttlich nenne, hat seinen Grund in der Natur des höchsten Gutes, die ich hier mit wenigen Worten und so klar wie möglich darlegen will.

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Weil der bessere Teil unseres Seins der Verstand ist, müssen wir, wenn wir das uns Förderliche wirklich suchen wollen, gewiß vor allem danach streben, ihn so vollkommen wie möglich zu machen; in der Vollkommenheit des Verstandes nämlich muß unser höchstes Gut bestehen. Da nun alle unsere Erkenntnis und Gewißheit, diejenige, die allen Zweifel wirklich behebt, allein von der Erkenntnis Gottes abhängt, zum einen, weil ohne Gott nichts sein noch begriffen werden kann, und zum anderen, weil wir an allem zweifeln können, solange wir von Gott keine klare und deutliche Idee haben, ergibt sich, daß unser höchstes Gut und unsere Vollkommenheit allein von der Erkenntnis Gottes abhängen usw. Ferner, weil ohne Gott nichts sein noch begriffen werden kann, ist gewiß, daß alles, was in der Natur existiert, den Begriff Gottes, entsprechend der eigenen Essenz und Vollkommenheit, in sich schließt und ausdrückt. Je mehr wir die natürlichen Dinge erkennen, um so größer, d. h. vollkommener, wird mithin unsere Erkenntnis Gottes; anders formuliert (weil ja die Erkenntnis einer Wirkung durch ihre Ursache nichts anderes ist als die Erkenntnis einer Eigenschaft dieser Ursache), je mehr wir die natürlichen Dinge erkennen, um so vollkommener erkennen wir die Essenz Gottes (die die Ursache aller Dinge ist). Somit hängt unsere ganze Erkenntnis, d. h. unser höchstes Gut, nicht nur von der Erkenntnis Gottes ab, sondern besteht ganz und gar in ihr. Dies ergibt sich auch daraus, daß der Mensch seine Vollkommenheit entsprechend der Natur und Vollkommenheit des Dinges steigert, das er mehr als andere Dinge liebt, und umgekehrt. Also ist notwendigerweise am vollkommensten und der höchsten Glückseligkeit am meisten teilhaftig, wer die geistige Erkenntnis Gottes, des vollkommensten Seienden, über alles liebt und sich ihrer im höchsten Maße erfreut. Darauf läuft also unser höchstes Gut, d. h. unsere Glückseligkeit, hinaus: auf die Erkenntnis und Liebe Gottes. Die Mittel, die für diesen Zweck aller menschlichen Handlungen (nämlich Gott selbst, insofern seine Idee in uns ist) erforderlich sind, können somit Verordnungen Gottes genannt werden, weil sie gleichsam von Gott selbst, insofern er in unserem Geist präsent ist,

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uns vorgeschrieben werden; mithin heißt die Lebensregel, die den genannten Zweck im Blick hat, nicht ohne Grund göttliches Gesetz. Was das für Mittel sind, wie die für diesen Zweck erforderliche Lebensregel beschaffen ist, wie sich daraus die Grundlagen des besten Staates und die Lebensregel der Menschen untereinander ergeben, das gehört in eine allumfassende Ethik. Im folgenden will ich lediglich generell vom göttlichen Gesetz handeln. [5] Weil also die Liebe Gottes das höchste Glück des Menschen ist, seine Glückseligkeit und sein letzter Zweck und das Ziel aller menschlichen Handlungen, ergibt sich, daß das göttliche Gesetz allein der befolgt, der danach trachtet Gott zu lieben, nicht aus Furcht vor Strafe noch wegen der Liebe zu etwas anderem wie Vergnügungen, Ansehen usw., sondern allein deshalb, weil er Gott kennt und somit weiß, daß die Erkenntnis und Liebe Gottes das höchste Gut ist. Der Hauptinhalt des göttlichen Gesetzes und seine oberste Vorschrift ist demnach, Gott zu lieben als das höchste Gut, nämlich, wie schon gesagt, nicht aus Furcht vor Züchtigung und Bestrafung noch wegen der Liebe zu etwas anderem, an dem wir uns erfreuen möchten. Das nämlich ist es, was uns die Idee Gottes diktiert: Gott ist unser höchstes Gut, d. h. die Erkenntnis und Liebe Gottes ist der letzte Zweck, auf den alle unsere Handlungen zu richten sind. Der dem Fleisch ergebene Mensch kann das freilich nicht verstehen, und es erscheint ihm eitel, weil er eine allzu dürftige Erkenntnis Gottes hat und auch weil er in diesem höchsten Gut nichts findet, was er ergreifen oder zu sich nehmen könnte oder was sein Fleisch, dem er die meisten seiner Freuden verdankt, affiziert, besteht doch dieses Gut in der bloßen Spekulation, also in purem Denken. Wer aber weiß, nichts Vorzüglicheres zu haben als den Verstand und einen gesunden Geist, wird dies zweifellos für das Reellste halten. Wir haben somit erläutert, worin der Hauptsache nach das göttliche Gesetz besteht, und gezeigt, was menschliche Gesetze sind; es sind all die, die ein anderes Ziel ins Auge fassen, es sei denn, sie haben ihre Weihe aus der Offenbarung; denn auch in diesem Fall sind Sachverhalte (wie wir oben gezeigt

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haben) auf Gott beziehbar. So verstanden kann das mosaische Gesetz, obwohl es nicht allgemeingültig, sondern ganz und gar der Sinnesart eines einzigen Volkes und den Umständen seiner Erhaltung angepaßt war, dennoch Gesetz Gottes oder göttliches Gesetz genannt werden, weil wir ja glauben, daß es von dem prophetischen Licht sanktioniert ist. [6] Wenn wir nun die Natur des natürlichen göttlichen Gesetzes, wie wir sie gerade erläutert haben, aufmerksam betrachten, werden wir sehen: 1. Es ist allgemeingültig, d. h. allen Menschen gemeinsam; denn wir haben es aus der für alle geltenden Natur des Menschen hergeleitet. 2. Es erfordert nicht den Glauben an Geschichten, von welcher Art sie auch sein mögen; denn weil dieses natürliche göttliche Gesetz sich allein aus der Betrachtung der menschlichen Natur verstehen läßt, können wir es sicherlich gerade so gut in Adam begreifen wie in jedem anderen Menschen, in einem, der unter Menschen lebt, wie in einem, der als Einsiedler lebt. Der Glaube an Geschichten, wie fest er auch sein mag, kann uns nicht die Erkenntnis Gottes und folglich auch nicht die Liebe zu ihm verschaffen. Die Liebe Gottes entspringt nämlich seiner Erkenntnis, und diese muß aus Gemeinbegriffen geschöpft werden, die durch sich selbst gewiß und bekannt sind, so daß die Annahme abwegig ist, der Glaube an historische Erzählungen sei eine notwendige Voraussetzung, unser höchstes Gut zu erlangen. Obwohl dieser Glaube uns nicht die Erkenntnis und Liebe Gottes zu geben vermag, wollen wir jedoch nicht bestreiten, daß das Lesen solcher Erzählungen für unser Zusammenleben von großem Nutzen ist. Je mehr wir nämlich die Sitten und Verhältnisse der Menschen, die sich am besten ihren Taten entnehmen lassen, beobachtet haben, je besser wir sie also kennen, um so achtsamer können wir unter ihnen leben und um so besser unsere Handlungen und unser Leben ihrer Sinnesart, soweit die Vernunft es erlaubt, anpassen. 3. Dieses natürliche göttliche Gesetz erfordert keine Zeremonien, d. h. keine Handlungen, die, an sich indifferent, nur aus institutionellen Gründen gut heißen oder irgendein zum Heil notwendiges Gut veranschaulichen, oder

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auch, wenn man lieber will, keine Handlungen, deren Rechtfertigung die menschliche Fassungskraft übersteigt. Das natürliche Licht fordert nämlich nichts, was nicht zu ihm selbst gehört, sondern nur das, was es uns mit völliger Klarheit als ein Gut, d. h. als ein Mittel zu unserer Glückseligkeit, zu zeigen vermag. Was nur gut ist auf Grund von Anordnung und Satzung oder als Veranschaulichung irgendeines Gutes, kann unseren Verstand nicht vervollkommnen; es ist nichts als ein bloßer Schatten und kann nicht zu dem gezählt werden, was gleichsam Sprößling oder Frucht des Verstandes und eines gesunden Geistes ist und insofern erst eine Handlung. Ich brauche hier nicht weiter darauf einzugehen. 4. Der höchste Lohn des göttlichen Gesetzes ist das Gesetz selbst, nämlich Gott zu erkennen und ihn aus wahrer Freiheit und reinen und beständigen Sinnes zu lieben; die Strafe besteht in dem Mangel dieser Güter, der Knechtschaft des Fleisches und einem unbeständigen und schwankenden Gemüt. [7] Dies vorausgesetzt, gilt es jetzt zu untersuchen: 1. Ob wir, gestützt auf das natürliche Licht, Gott als einen Gesetzgeber oder Fürsten, der den Menschen Gesetze vorschreibt, begreifen können. 2. Was die Heilige Schrift über das natürliche Licht und das natürliche Gesetz lehrt. 3. Zu welchem Zweck die Zeremonien einst eingeführt wurden. 4. Wofür es wichtig ist, die heiligen Geschichten zu kennen und an sie zu glauben. Die beiden ersten Punkte will ich noch in diesem Kapitel, die beiden anderen im nächsten behandeln. [8] Was vom ersten Punkt zu sagen ist, ergibt sich leicht aus der Natur des göttlichen Willens, der sich vom göttlichen Verstand nur in unserer Betrachtungsweise unterscheidet; anders formuliert: In sich sind Wille und Verstand Gottes in Wirklichkeit ein und dasselbe und unterscheiden sich nur relativ auf die Gedanken, die wir uns vom Verstand Gottes bilden. Zum Beispiel, wenn wir nur darauf achten, daß die Natur des Dreiecks von Ewigkeit her in der göttlichen Natur als ewige Wahrheit enthalten ist, dann sagen wir, daß Gott die Idee des Dreiecks hat, d. h. die Natur des Dreiecks begreift. Doch wenn wir dann darauf achten, daß die Natur des Dreiecks

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allein kraft der Notwendigkeit der göttlichen Natur und nicht kraft der Notwendigkeit der Essenz und Natur des Dreiecks in dieser Weise in der göttlichen Natur enthalten ist, mehr noch, daß die Notwendigkeit der Essenz und der Eigenschaften des Dreiecks, selbst wenn man sie als ewige Wahrheiten begreift, allein von der Notwendigkeit der Natur Gottes und seines Verstandes, nicht aber von der Natur des Dreiecks abhängt, dann nennen wir genau das, was wir Verstand Gottes genannt haben, Wille oder Ratschluß Gottes. Deshalb behaupten wir im Hinblick auf Gott ein und dasselbe, ob wir nun sagen, daß er von Ewigkeit her beschlossen und gewollt hat, daß die Winkelsumme des Dreiecks gleich zwei rechten ist, oder daß er dies begriffen hat. Daraus folgt, daß die Äußerungen Gottes, positive wie negative, immer eine Notwendigkeit und damit eine ewige Wahrheit einschließen. [9] Wenn also beispielsweise Gott zu Adam gesagt hat, er wolle nicht, daß er vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen ißt, dann wäre es widersprüchlich, daß Adam von diesem Baum hätte essen können, also unmöglich, daß er davon aß; denn dieser göttliche Beschluß hätte eine ewige Notwendigkeit und Wahrheit einschließen müssen. Weil die Schrift indes berichtet, daß Gott diese Anweisung Adam gab und Adam trotzdem von dem Baum aß, muß man zwangsläufig sagen, Gott habe Adam nur das Übel offenbart, das ihn unausweichlich treffen wird, wenn er von diesem Baum ißt, nicht aber die Notwendigkeit seines Eintretens. So kam es, daß Adam jene Offenbarung nicht als ewige und notwendige Wahrheit auffaßte, sondern als Gesetz, d. h. als eine erlassene Anordnung, die Gewinn oder Verlust mit sich bringt, nicht auf Grund der Natur und der Notwendigkeit der vollbrachten Handlung, sondern auf Grund der Willkür und unbedingten Herrschaft eines Fürsten. Deshalb ist jene Offenbarung allein im Hinblick auf Adam und dessen mangelhafte Erkenntnis ein Gesetz gewesen und Gott so etwas wie ein Gesetzgeber oder Fürst. Aus demselben Grunde, einer mangelhaften Erkenntnis, ist auch der Dekalog nur im Hinblick auf die Hebräer ein Gesetz gewesen. Gottes Existenz nicht als ewige Wahr-

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heit kennend, mußten sie als Gesetz auffassen, was ihnen im Dekalog offenbart worden ist: daß Gott existiert und allein er anzubeten ist. Hätte Gott, ohne Anwendung körperlicher Mittel, unmittelbar zu ihnen gesprochen, würden sie den Dekalog nicht als Gesetz, sondern als ewige Wahrheit aufgefaßt haben. Was wir hier von den Israeliten und von Adam sagen, muß von allen Propheten gesagt werden, die Gesetze im Namen Gottes aufgezeichnet haben, weil auch sie Gottes Ratschlüsse nicht adäquat (als ewige Wahrheiten) auffaßten. Nehmen wir als Beispiel Moses selbst. Er hat aus der Offenbarung oder aus den ihm offenbarten Grundsätzen die Weise vernommen, in der das israelitische Volk in einem bestimmten Landstrich am besten vereinigt werden könnte, wie es also eine in sich stabile Gesellschaft bilden, d. h. einen Staat errichten könnte; dann aber auch, wie dieses Volk am besten zum Gehorsam gezwungen werden könnte. Er hat aber nicht begriffen und auch nicht offenbart bekommen, daß jene Weise die beste war, und ebenso wenig, daß aus dem gemeinschaftlichen Gehorsam des Volkes sich in einem solchen Landstrich das angestrebte Ziel notwendigerweise ergeben würde. Und weil er alle diese Dinge nicht als ewige Wahrheiten verstand, sondern als Vorschriften und Anweisungen, hat er sie als Gesetze Gottes vorgeschrieben. So ist es gekommen, daß man sich Gott als Regenten, Gesetzgeber, König, als mitleidig, gerecht usw. vorstellte, während alle diese Merkmale doch nur der menschlichen Natur zukommen und von der göttlichen ganz fernzuhalten sind. [10 ] Doch gilt dies, sage ich noch einmal, bloß von den Propheten, die die Gesetze im Namen Gottes niedergeschrieben haben, nicht jedoch von Christus. Von Christus ist nämlich, obwohl auch er offenbar im Namen Gottes Gesetze schriftlich festgehalten hat, anzunehmen, daß er die Dinge wahrhaft und adäquat erfaßt hat. Denn Christus war nicht so sehr ein Prophet als vielmehr der Mund Gottes. Gott hat nämlich durch den Geist Christi (wie wir im 1. Kapitel gezeigt haben), wie vorher durch die Engel mit einer geschaffenen Stimme und mit Visionen usw., der Menschheit Offenbarungen zuteil werden

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lassen. Zu meinen, daß Gott seine Offenbarungen den Ansichten Christi angepaßt habe, wäre deshalb ebenso gegen alle Vernunft, wie daß er seine Offenbarungen ehedem den Ansichten der Engel, d. h. einer geschaffenen Stimme und Visionen, angepaßt hätte, um sie den Propheten mitzuteilen – die wohl widersinnigste Annahme der Welt. Dies um so mehr, als Christus nicht nur zu den Juden, sondern zur ganzen Menschheit als Lehrer gesandt worden ist und deshalb seine Lehre sich nicht nur nach den Ansichten bloß der Juden hätte richten müssen, sondern nach den der menschlichen Gattung gemeinsamen Ansichten und Überzeugungen, d. h. nach den wahren Gemeinbegriffen. Und wahrlich, daß Gott sich Christus (nämlich seinem Geist) unmittelbar offenbart hat und nicht wie den Propheten mit Worten und Bildern, können wir nicht anders verstehen als so, daß Christus die offenbarten Dinge wahrhaft erfaßt, d. h. begriffen hat. Eine Sache begreifen heißt nämlich sie mit dem Geist allein, ohne Worte und Bilder, erfassen. Noch einmal: Christus hat die offenbarten Sachverhalte wahrhaft und adäquat erfaßt. Wenn er sie also manchmal als Gesetze vorgeschrieben hat, dann wegen der Unkenntnis und Widerspenstigkeit des Volkes. Deshalb hat er in diesem Punkt stellvertretend für Gott gesprochen; denn er hat sich der Sinnesart des Volkes angepaßt und somit seine Offenbarungen, wenn er auch um einiges klarer gesprochen hat als die übrigen Propheten, doch verdunkelt und recht häufig mit Hilfe von Gleichnissen vorgebracht, besonders wenn er zu Menschen sprach, denen es noch nicht gegeben war, das Himmelreich zu erkennen (siehe Matthäus 13, 10 ff.). Denen es gegeben war, die himmlischen Geheimnisse zu kennen, ihnen hat er die Dinge zweifellos als ewige Wahrheiten gelehrt und nicht als Gesetze vorgeschrieben. Auf diese Weise hat er sie von der Knechtschaft des Gesetzes befreit und gleichwohl das Gesetz bekräftigt und tief in ihre Herzen eingeschrieben. Auch Paulus scheint an einigen Stellen darauf zu verweisen, etwa im Römerbrief 7, 6 und 3, 28, will aber nicht offen darüber reden, sondern, wie er in diesem Brief (3, 5 und 6, 19) selbst sagt, nach Menschenart; ausdrücklich sagt er es, wenn

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er Gott gerecht nennt, und zweifellos ist es die Schwachheit des Fleisches, deretwegen er Gott Barmherzigkeit, Gnade, Zorn usw. andichtet und seine Worte der Sinnesart des Pöbels anpaßt, worunter er (wie er im 1. Korintherbrief 3,1 u. 2 selbst sagt) Menschen versteht, die dem Fleisch ergeben sind. In der Tat lehrt er in Römerbrief 9, 18 mit Entschiedenheit erstens, daß der Zorn Gottes und seine Barmherzigkeit nicht von den menschlichen Werken abhängen, sondern allein von der Berufung Gottes, d. h. von seinem Willen, sodann, daß nicht die Gesetzeswerke jemanden gerecht machen, sondern der bloße Glaube (siehe Römerbrief 3, 28), worunter er gewiß nichts anderes versteht als die vorbehaltlose Zustimmung des Gemüts, und schließlich, daß niemand glückselig wird, ohne in sich den Geist Christi zu haben (siehe Römerbrief 8, 9), durch den er die Gesetze Gottes als ewige Wahrheiten erfaßt. So können wir schließen: Nur im Hinblick auf die Fassungskraft des Volkes und dessen mangelhafte Erkenntnis wird Gott als Gesetzgeber oder Fürst geschildert und gerecht, barmherzig usw. genannt. Der Sache nach handelt Gott aus der bloßen Notwendigkeit seiner Natur und Vollkommenheit, aus der heraus er alles lenkt, so daß seine Ratschlüsse und Willensentscheidungen ewige Wahrheiten sind und von jeher eine Notwendigkeit einschließen. Dies ist es, was ich mir vorgenommen hatte, an erster Stelle zu zeigen und zu erläutern. [11] Gehen wir also zum zweiten Punkt über und durchlaufen die Heilige Schrift, um zu sehen, was sie von dem natürlichen Licht und dem beschriebenen göttlichen Gesetz lehrt. Das erste, worauf wir stoßen, ist die Geschichte vom ersten Menschen, in der uns erzählt wird, Gott habe Adam verboten, von der Frucht des Baumes der Erkenntnis des Guten und Bösen zu essen. Das bedeutet offenbar, daß Gott Adam befohlen hat, gut zu handeln und das Gute um des Guten willen zu suchen und nicht, insofern es dem Bösen entgegengesetzt ist, d. h. das Gute aus Liebe zum Guten und nicht aus Furcht vor dem Schlechten. Wer nämlich, wie wir gezeigt haben, das Gute auf Grund wahrer Erkenntnis und aus Liebe zu ihm

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tut, handelt frei und beständigen Sinnes, wer es hingegen aus Furcht vor dem Schlechten tut, handelt unter dem Zwang des Schlechten, also knechtisch, und lebt unter der Herrschaft eines anderen. Diese eine Vorschrift, die Gott Adam erteilt hat, umfaßt mithin das ganze natürliche göttliche Gesetz und stimmt mit dem Gebot des natürlichen Lichts völlig überein; und es wäre nicht schwer, die ganze Geschichte oder Parabel des ersten Menschen aus diesem Grundgedanken zu erläutern. Doch lasse ich dies lieber beiseite, weil ich nicht völlig sicher sein kann, daß meine Erläuterung der Auffassung des Schreibers entspricht, und auch, weil die meisten nicht zugeben, daß diese Geschichte eine Parabel ist, sondern einhellig behaupten, sie sei eine treuherzige Erzählung. [12] Es wird deshalb besser sein, andere Schriftstellen heranzuziehen, vornehmlich solche, die von einem Mann diktiert sind, der seine Reden auf das natürliche Licht gestützt hat, worin er alle klugen Leute seines Zeitalters übertraf, und dessen Sprüche das Volk mit gleicher Verehrung hochgehalten hat wie die der Propheten. Ich meine Salomo, an dem die heiligen Bücher nicht so sehr Prophetengabe und Frömmigkeit als vielmehr Klugheit und Weisheit hervorheben. In seinen Sprüchen nennt er den menschlichen Verstand die Quelle des wahren Lebens und führt das Unglück auf bloße Torheit zurück. So sagt er in 16, 22: Die Quelle des Lebens ist seinem Herrn1 der Verstand, und die Strafe der Toren ist ihre Torheit. Zu bemerken ist, daß man im Hebräischen unter Leben schlechthin das wahre Leben versteht, wie Deuteronomium 30, 19 zu entnehmen ist. Den Ertrag des Verstandes legt er also allein in das wahre Leben und die Strafe allein in die Entbehrung dieses Lebens, was völlig mit dem übereinstimmt, was wir hinsichtlich des göttlichen Gesetzes an vierter Stelle hervorgehoben haben. Daß andererseits diese Quelle des Lebens, d. h., wie wir auch schon 1

Ein Hebraismus. Wer eine Sache besitzt oder in seiner Natur enthält, heißt Herr dieser Sache. So heißt der Vogel im Hebräischen „Herr der Flügel“, weil er Flügel besitzt, der intelligente Mensch „Herr des Verstandes“, weil er einen Verstand besitzt.

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gezeigt haben, der bloße Verstand, den Weisen Gesetze vorschreibt, lehrt derselbe Weise ausdrücklich; er sagt nämlich in 13, 14: Das Gesetz des Weisen (ist) Quelle des Lebens, d. h., wie aus der soeben zitierten Textstelle hervorgeht, daß das Gesetz des Weisen der Verstand ist. Ferner lehrt er in 3, 13 ausdrücklich, daß der Verstand den Menschen glücklich und glückselig macht und ihm den wahren Frieden des Gemüts verschafft. Denn er sagt: Glücklich der Mensch, der die Weisheit gefunden, und der Sohn des Menschen, der zum Licht der Einsicht gelangt ist. Der Grund hierfür ist, fährt er in 3, 16 u. 17 fort, daß sie direkt die Länge der Tage1 und indirekt Reichtum und Ansehen verleiht. Ihre Wege (diejenigen, die die Weisheit aufzeigt) sind liebliche Wege und all ihre Pfade Frieden. Nach Salomo leben also nur die Weisen friedlichen und beständigen Sinnes, anders als die Ruchlosen, deren Gemüt von entgegengesetzten Affekten hin und her gerissen wird und die so (wie auch Jesaja 57, 20 sagt) weder Ruhe noch inneren Frieden haben. Schließlich ist in den Sprüchen Salomos eine Stelle im 2. Kapitel äußerst aufschlußreich für uns, weil sie unsere These sehr klar bestätigt. Er beginnt nämlich 2, 3 wie folgt: Ja, wenn du nach Klugheit rufst und deine Stimme für Einsicht erhebst usw., dann wirst du die Furcht Gottes vernehmen und Gottes Wissen (oder eher Liebe, denn das Wort jadah bedeutet beides) finden; denn (wohlgemerkt!) Gott gibt die Weisheit, aus seinem Mund (strömen) Wissen und Klugheit. Mit diesen Worten sagt er ganz klar, zunächst, daß nur die Weisheit, also der Verstand, uns lehrt, Gott mit Weisheit zu fürchten, d. h. ihn mit wahrer Religion zu verehren, und dann, daß Weisheit und Wissen aus Gottes Mund fließen, daß Gott sie also gibt, was weiter oben auch wir gezeigt haben, daß nämlich unser Verstand und unser Wissen allein auf der Idee oder Erkenntnis Gottes beruhen, ihr entspringen und in ihr sich vollenden. Fortfahrend lehrt er in 2, 9 ausdrücklich, daß dieses Wissen die wahre Ethik und Politik enthält, die sich aus ihm herleiten: Dann wirst du Gerechtigkeit und Richterspruch, die richtigen 1

Ein Hebraismus, der nichts anderes bedeutet als das Leben.

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Wege und jeden guten Pfad verstehen. Als wäre das nicht genug, fährt er fort: Wenn das Wissen in dein Herz dringen wird und die Weisheit dir lieblich sein wird, dann wird Vorsicht1 dich bewachen und Klugheit dich behüten. All das stimmt mit dem natürlichen Wissen völlig überein: Es unterweist uns in der Ethik und lehrt uns, wenn wir einmal die Kenntnis der Welt erlangt und die Vorzüglichkeit des Wissens genossen haben, die wahre Tugend. Deshalb hängen, ebenfalls nach Salomo, auch das Glück und der Friede desjenigen, der seinen natürlichen Verstand ausbildet, nicht von der Herrschaft des Schicksals (d. h. von einem äußeren Beistand Gottes) ab, sondern vornehmlich von der eigenen Tugend (anders formuliert von dem inneren Beistand Gottes), weil er mit Wachsamkeit, Tätigsein und trefflichem Überlegen sich selbst am besten erhält. Schließlich ist auch nicht jene Stelle bei Paulus außer acht zu lassen, die sich im Römerbrief 1, 20 findet, wo er (wie Tremellius nach der syrischen Version übersetzt) sagt: Was verborgen ist an Gott, wird seit der Erschaffung der Welt in seinen Geschöpfen durch den Verstand erblickt, wie auch seine Macht und seine Göttlichkeit, die in Ewigkeit ist, derart daß die Geschöpfe ohne Ausflucht sind. Damit sagt er deutlich genug, daß ein jeder mit dem natürlichen Licht die Macht Gottes und seine ewige Göttlichkeit klar einsieht und daraus herleiten und wissen kann, was zu suchen und was zu meiden ist. Paulus schließt daraus, daß alle ohne Ausflucht sind und niemand mit seiner Unwissenheit entschuldigt werden kann, was sicher der Fall wäre, wenn er vom übernatürlichen Licht, vom leiblichen Leiden Christi, von seiner Auferstehung usw. spräche. So fährt er denn auch wenig später in 1, 24 fort: Deshalb hat Gott sie den unreinen Gelüsten ihres Herzens preisgegeben usw., und bis zum Ende des Kapitels beschreibt er die Laster, die der Unwissenheit entspringen, und schildert sie als Strafen der Unwissenheit, was völlig übereinkommt mit Salomos schon zitiertem Spruch (16, 22): Die Strafe der 1

Mezima bedeutet im eigentlichen Sinn Gedanke, Überlegung, Wachsamkeit.

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Toren ist ihre Torheit. Nicht erstaunlich also, daß Paulus die Übeltäter für unentschuldbar erklärt. Denn wie einer sät, so erntet er; aus Schlechtem folgt zwangsläufig Schlechtes, wenn es nicht mit Weisheit gutgemacht wird, und aus Gutem Gutes, wenn es von der Beständigkeit des Gemüts begleitet wird. Die Schrift redet also dem natürlichen Licht und dem natürlichen göttlichen Gesetz uneingeschränkt das Wort; und damit habe ich erledigt, was in diesem Kapitel zu erörtern ich mir vorgenommen hatte.

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Fünf tes K a pitel Von dem Grund, weshalb die Zeremonien eingesetzt worden sind, und vom Glauben an die Geschichten, aus welchem Grunde und für wen er nötig ist Wir haben im vorigen Kapitel gezeigt, daß das göttliche Gesetz, das die Menschen wahrhaft glücklich macht und das wahre Leben lehrt, für alle Menschen gilt, also allgemeingültig ist; darüber hinaus haben wir es aus der menschlichen Natur so hergeleitet, daß es als dem menschlichen Geist eingeboren, ihm gleichsam eingeschrieben, anzusehen ist. Da nun die Zeremonien, wenigstens die, von denen im Alten Testament die Rede ist, nur für die Hebräer eingesetzt und auf ihren Staat so zugeschnitten waren, daß sie größtenteils nur von der ganzen Gesellschaft und nicht von jedem persönlich zelebriert werden konnten, ist gewiß, daß sie nicht zum göttlichen Gesetz gehören, also auch nichts zur Glückseligkeit und Tugend beitragen, sondern nur die Auserwählung der Hebräer betrafen, d. h. (nach dem, was wir im 3. Kapitel gezeigt haben) allein das zeitliche Glück des Körpers und den Frieden im Staat, und deshalb auch nur für die Dauer des hebräischen Staates irgendeinen Nutzen haben konnten. Wenn sie im Alten Testament auf das Gesetz Gottes zurückgeführt wurden, dann nur deshalb, weil sie mit Berufung auf die Offenbarung oder auf Grund offenbarter Grundsätze eingeführt worden sind. Weil aber eine noch so solide Begründung bei den gewöhnlichen Theologen nicht viel gilt, will ich das soeben Erwiesene noch mit der Autorität der Schrift bekräftigen und dann, um es noch deutlicher zu machen, darlegen, aus welchem Grunde und in welcher Weise die Zeremonien dazu dienten, den Staat der Juden zu stabilisieren und zu erhalten. [2] Jesaja lehrt nichts so klar, wie daß das göttliche Gesetz, in absoluter Bedeutung betrachtet, das allgemeingültige Gesetz bezeichnet, das in der wahren Lebensweise besteht, und nicht die Zeremonien. Denn in 1, 10 ruft der Prophet sein Volk auf, aus seinem Mund das göttliche Gesetz zu hören, von dem er [1]

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zunächst alle Arten von Opfern und alle Festlichkeiten ausschließt, um dann den Gehalt dieses Gesetzes zu lehren (siehe 1, 16 u. 17), ihn in diesen wenigen Punkten zusammenfassend: Reinigung des Gemüts, Vollbringung guter Taten aus tugendhafter Haltung und schließlich Unterstützung der Bedürftigen. Nicht weniger einleuchtend ist das Zeugnis des Psalmisten an der Stelle (40, 7 u. 9), wo er sich wie folgt an Gott wendet: Opfer und Gabe hast du nicht gewollt; die Ohren hast du mir durchbohrt1 ; weder Brandopfer noch Sühneopfer hast du verlangt; deinem Willen, mein Gott, bin ich gern gefolgt, denn dein Gesetz ist in meinem Innersten. Er nennt also Gesetz Gottes nur das Gesetz, das dem Inneren oder dem Geist eingeschrieben ist, und schließt von ihm die Zeremonien aus; denn sie sind nur kraft Satzung und nicht von Natur aus gut und somit auch nicht dem Geist der Menschen eingeschrieben. Noch weitere Stellen finden sich in der Schrift, die dasselbe bezeugen, doch reichen die beiden, die ich beigebracht habe. [3] Daß die Zeremonien nichts zur Glückseligkeit beitragen, sondern nur das zeitliche Glück des Staates im Blick haben, geht ebenfalls aus der Schrift selbst hervor, die für das Ausüben der Zeremonien bloß materielle Vorteile und körperliches Wohlergehen in Aussicht stellt und Glückseligkeit allein für das Befolgen des allgemeingültigen göttlichen Gesetzes. In den fünf Büchern, die Moses zugeschrieben werden, wird nämlich, wie oben bemerkt, nichts anderes in Aussicht gestellt als dieses zeitliche Wohlbefinden, nämlich Ehre oder Ansehen, Erfolge, Reichtum, Vergnügen und Gesundheit. Zwar enthalten jene fünf Bücher neben den Zeremonien auch viele moralische Bestimmungen, aber nicht als eine allgemeingültige Morallehre, sondern als Vorschriften, die ganz der Fassungskraft und dem Charakter bloß des hebräischen Volkes angepaßt sind und daher auch nur auf den Nutzen des hebräischen Staates zielen. So lehrt z. B. Moses nicht als Lehrer oder Prophet die Juden, sie sollten nicht töten und stehlen, sondern befiehlt es ihnen als Gesetzgeber oder Fürst; denn er 1

Das ist eine Redensart, um die Erkenntnis zu bezeichnen.

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rechtfertigt diese Lehren nicht mit Hilfe der Vernunft, sondern begleitet seine Anordnungen mit der Androhung einer Strafe, die nach der Sinnesart jedes einzelnen Volkes variieren kann und muß, wie die Erfahrung zur Genüge gelehrt hat. Ebenso hat auch das Verbot des Ehebruchs allein den Nutzen des staatlichen Gemeinwesens im Auge. Denn wenn er es als Morallehre hätte vorbringen wollen, die nicht nur das Wohlergehen des Gemeinwesens im Blick hatte, sondern den inneren Frieden und die wahre Glückseligkeit eines jeden, dann würde er nicht nur die äußere Handlung verdammt haben, sondern auch die innere Zustimmung, wie es Christus getan hat, der nur allgemeingültige Lehren ausgesprochen hat (siehe Matthäus 5, 28) und uns deshalb eine spirituelle Belohnung verheißt und nicht, wie einst Moses, eine materielle. Denn Christus ist, wie gesagt, nicht gesandt worden, um den Staat zu erhalten und Gesetze zu erlassen, sondern allein um das allgemeingültige Gesetz zu lehren; und so verstehen wir leicht, daß Christus keineswegs das mosaische Gesetz aufgehoben hat, weil er ja nicht neue Gesetze in den Staat einführen wollte, sondern nur darauf bedacht war, moralische Lehren vorzubringen und diese von den Staatsgesetzen zu unterscheiden. Dies tat er vor allem wegen der Unwissenheit der Pharisäer, die glaubten, glückselig sei das Leben desjenigen, der sich an die Rechtsgesetze des Staates, d. h. an das mosaische Gesetz, hielt, das aber ausschließlich, wie gesagt, eine politische Funktion hatte und nur dazu diente, die Hebräer im Zaum zu halten, nicht aber sie zu belehren. [4] Doch kommen wir zu unserem Vorhaben zurück und führen die anderen Schriftstellen an, die für das Ausüben der Zeremonien nur materielle Annehmlichkeiten in Aussicht stellen und allein für das Befolgen des allgemeingültigen göttlichen Gesetzes die Glückseligkeit. Unter den Propheten hat dies niemand klarer gelehrt als Jesaja. Er empfiehlt nämlich in Kapitel 58, nachdem er die Heuchelei verdammt hat, Freiheit und Liebe zu sich selbst und zum Nächsten, und verheißt Folgendes [58, 8 u. 9]: Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, deine Gesundheit wird schnell wachsen,

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deine Gerechtigkeit wird dir vorangehen und die Herrlichkeit Gottes wird sich dir beigesellen.1 Danach empfiehlt er auch den Sabbat, für dessen gewissenhafte Beachtung er verheißt [58, 14]: Du wirst dich mit Gott erfreuen 2 , ich werde dir auf den Höhen der Erde als Reiter dienen3 , und ich werde dich speisen aus dem Erbe deines Vaters Jakob, wie der Mund Jehovas es gesagt hat. Wir sehen also, daß der Prophet als Lohn der Freiheit und Nächstenliebe einen gesunden Geist in einem gesunden Körper und die Herrlichkeit Gottes auch nach dem Tod verheißt, für das Ausüben der Zeremonien aber nur die Sicherheit des Staates und das leibliche Glück und Wohlergehen. In den Psalmen 15 und 24 werden Zeremonien überhaupt nicht erwähnt, sondern nur Lehren der Moral, weil es in ihnen nur um die Glückseligkeit geht, die allein, wenn auch nur gleichnishaft, in Aussicht gestellt wird. Denn sicherlich ist hier unter dem Berg Gottes, seinen Zelten und dem Aufenthalt auf diesem Berg und unter diesen Zelten die Glückseligkeit und der innere Frieden zu verstehen und nicht der Berg von Jerusalem und Moses’ Hütte, wurden diese Orte doch von niemanden bewohnt, sondern nur von Leuten aus dem Stamm Levi verwaltet. Im übrigen stellen auch alle im vorigen Kapitel erwähnten Sprüche Salomos die wahre Glückseligkeit nur für die Kultivierung des Verstandes und der Weisheit in Aussicht, weil allein dadurch die Furcht vor Gott verstanden und das Wissen von Gott erlangt wird. [5] Daß die Hebräer nach der Vernichtung ihres Staates nicht mehr gehalten waren, ihre Zeremonien zu praktizieren, ist aus Jeremia ersichtlich, der, als er die Zerstörung der Stadt bevorstehen sieht und sie ankündigt, sagt: Gott liebt nur die, die wissen und einsehen, daß er es ist, der Barmherzigkeit, Gericht und Gerechtigkeit in der Welt übt; mithin sind fortan nur 1

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Ein Hebraismus, der den Zeitpunkt des Todes bezeichnet: „Seinem Volk sich beigesellen“ bedeutet sterben; siehe Genesis 49, 29 – 33. Das bedeutet „sich ehrenhaft erfreuen“, wie man auch im Niederländischen sagt „met Godt en met eere“ [mit Gott und mit Ehre]. Das bedeutet „die Herrschaft innehaben“, wie ein Pferd am Zügel halten.

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die, die dies wissen, des Lobes würdig zu erachten (siehe 9, 23), als ob er damit sagen wollte, daß Gott nach der Zerstörung der Stadt nichts Besonderes von den Juden fordert, sondern fortan von ihnen nur verlangt, das natürliche Gesetz, an das alle Sterblichen gebunden sind, zu befolgen. Auch das Neue Testament bestätigt dies vollauf; in ihm werden nämlich, wie gesagt, nur Morallehren vorgetragen und für deren Befolgung das himmlische Reich verheißen; und nachdem das Evangelium auch anderen Völkerschaften gepredigt worden war, die dem Recht eines anderen Staates unterstanden, haben die Apostel die Zeremonien fahrengelassen. Wenn die Pharisäer sie auch nach dem Untergang des hebräischen Staates, zum größten Teil wenigstens, beibehalten haben, taten sie es mehr, um sich den Christen zu widersetzen, als um Gott wohlgefällig zu sein. Denn als sie nach der ersten Zerstörung der Stadt nach Babylon in die Gefangenschaft geführt wurden, haben sie, meines Wissens noch nicht in Sekten zersplittert, die Zeremonien sofort unbeachtet gelassen; mehr noch, sie haben sich vom ganzen mosaischen Gesetz losgesagt, die Rechtsgesetze ihres Vaterlandes als völlig überflüssig der Vergessenheit anheimgegeben und sich mit den anderen Völkern zu vermischen begonnen, wie wir aus Esra und Nehemia zur Genüge wissen. Deshalb steht außer Zweifel, daß die Juden nach der Auflösung des Staates das mosaische Gesetz so wenig beachten mußten wie vor Beginn ihrer Gesellschaft und ihres Staates. Denn solange sie, vor ihrem Auszug aus Ägypten, inmitten anderer Völker lebten, hatten sie keine besonderen Gesetze gehabt und waren nur gehalten, das natürliche Recht zu beachten und zweifellos auch das Recht des Staates, in dem sie lebten, soweit es nicht dem natürlichen göttlichen Gesetz entgegenstand. Wenn die Erzväter Gott Opfer dargebracht haben, taten sie es meines Erachtens, um ein von Kindheit an daran gewöhntes Gemüt zu noch mehr Verehrung anzuspornen; alle Menschen waren nämlich seit der Zeit des Enos so sehr an Opfer gewöhnt, daß sie sich durch sie am stärksten zur Verehrung anspornen ließen. Die Erzväter brachten Gott also Opfer dar, nicht um irgendeinem göttlichen Rechtsgebot

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zu gehorchen oder in Kenntnis der allgemeingültigen Grundsätze des göttlichen Gesetzes, sondern weil sie die Gepflogenheiten ihrer Zeit übernahmen; und wenn sie es auf Anordnung von jemandem taten, dann gehörte diese Anordnung zur Rechtsordnung des Staates, in dem sie lebten und dem sie unterstanden (wie ich schon hier und auch im 3. Kapitel bei der Erwähnung von Melchisedek vermerkt habe). Ich glaube so meine These mit der Autorität der Schrift bestätigt zu haben. Es bleibt noch zu zeigen, in welcher Weise und aus welchem Grunde die Zeremonien dazu dienten, den Staat der Hebräer zu erhalten und zu stabilisieren. Das will ich so kurz wie möglich im Rückgriff auf allgemeingültige Prinzipien zeigen. Die Gesellschaft ist nicht nur, um vor feindlichen Angriffen in Sicherheit zu leben, sondern auch, um sich in vielen Dingen unnützen Aufwand zu ersparen, überaus nützlich und sogar unerläßlich. Denn wenn die Menschen sich nicht wechselseitig Hilfe leisteten, fehlte es ihnen an Fertigkeit wie an Zeit, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln sich zu erhalten und zu überleben. Freilich sind nicht alle gleichermaßen zu allem befähigt, und einer allein wäre nicht imstande, sich das zu beschaffen, was er am nötigsten braucht. Kraft und Zeit, sage ich, fehlten einem jeden, wenn er allein ackern, säen, ernten, mahlen, kochen, weben, nähen und andere Tätigkeiten verrichten müßte, die zur Lebenserhaltung unerläßlich sind, ganz zu schweigen von Kunst und Wissenschaft, die außerdem zur Vervollkommnung der menschlichen Natur und zur Glückseligkeit des Menschen im höchsten Maße erforderlich sind. Wir sehen in der Tat, daß die, die wie Barbaren ohne politische Ordnung leben, ein ärmliches, nahezu tierisches Leben führen und sich selbst das Wenige, das sie haben, ärmlich und roh wie es ist, nur mit wechselseitiger Hilfe, welcher Art sie auch sein mag, verschaffen. Wären die Menschen von Natur aus so beschaffen, daß sie nur begehrten, was wahre Vernunft ihnen zeigt, dann bedürfte die menschliche Gesellschaft keiner Gesetze; es genügte vollauf, den Menschen die wahren Lehren der Moral zu vermitteln,

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damit sie von sich aus freien und ganzen Herzens tun, was ihnen wirklich nützlich ist. Tatsächlich sind die Menschen aber von ganz anderer Natur; ihren Nutzen suchen zwar alle, aber keineswegs nach einem Gebot der gesunden Vernunft; in der Regel ist es bloß sinnliches Verlangen, aus dem heraus und darin mitgenommen von den Affekten des Gemüts (die der Zukunft und anderen Sachverhalten nicht Rechnung tragen) sie Dinge begehren und für nützlich halten. Deshalb kann keine Gesellschaft ohne eine Regierung und deren Amtsgewalt überleben und folglich auch nicht ohne Gesetze, die das sinnliche Verlangen der Menschen und ihren zügellosen Drang mäßigen und zurückhalten. Allerdings duldet die menschliche Natur nicht, daß uneingeschränkter Zwang auf sie ausgeübt wird, und, wie der tragische Seneca sagt, niemand hat eine gewalttätige Herrschaft lange behauptet, von Dauer sind nur die gemäßigten. Solange die Menschen nämlich aus bloßer Furcht handeln, tun sie das Gegenteil von dem, was sie wollen; sie bedenken nicht die Nützlichkeit und Notwendigkeit dessen, was zu tun ist, sondern sind nur darauf bedacht, ihren Kopf zu retten und einer Bestrafung zu entgehen. Mehr noch, sie können nicht umhin, sich über ein Mißgeschick oder einen Schaden des Herrschenden zu freuen, selbst wenn der Schaden auch sie träfe, ja sogar dem Herrscher alles nur Üble zu wünschen und, soweit sie können, auch zuzufügen. Ferner können die Menschen nichts so wenig ertragen, wie ihresgleichen unterworfen zu sein und von ihnen kommandiert zu werden, und schließlich ist nichts so schwer, wie den Menschen eine einmal zugestandene Freiheit wieder zu nehmen. [9] Hieraus folgt: 1. Entweder muß die ganze Gesellschaft, wenn dies möglich ist, die Gewalt gemeinschaftlich in Händen haben, damit in dieser Weise jeder gehalten ist, sich selbst zu gehorchen, und niemand seinesgleichen; oder im Falle, daß einige wenige oder einer allein die Gewalt innehaben, muß der Inhaber der Gewalt der gewöhnlichen Menschennatur etwas voraus haben oder zumindest sich mit aller Kraft bemühen, dies dem Volk einzureden. 2. Unter jeder Regierungsform müssen die Gesetze so verfaßt sein, daß die Menschen nicht

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von der Furcht in Schranken gehalten werden, sondern eher von der Hoffnung auf ein Gut, das sie heiß begehren, weil dann jeder seine Pflicht begierig tun wird. 3. Weil der Gehorsam darin besteht, Anordnungen allein auf Grund der Autorität dessen, der sie erläßt, auszuführen, gibt es ihn, strenggenommen, in einer Gesellschaft, in der die Gewalt in den Händen aller liegt und die Gesetze aus gemeinsamer Übereinstimmung heraus Rechtskraft haben, nicht. In einer solchen Gesellschaft bleibt das Volk, ob nun die Anzahl der Gesetze vermehrt oder vermindert wird, in gleichem Maße frei, weil es sich nicht unter der Autorität eines anderen betätigt, sondern kraft eigener Zustimmung. Das Gegenteil ist dort der Fall, wo einer allein die Gewalt uneingeschränkt in Händen hat; denn dort führen alle die Anordnungen einer solchen Gewalt ausschließlich auf Grund der Autorität eines einzigen Menschen aus, und wenn sie nicht von Anfang an dazu erzogen sind, ihm blind zu gehorchen, wird es ihm schwerfallen, nötigenfalls neue Gesetze zu erlassen und dem Volk eine ihm einmal zugestandene Freiheit zu nehmen. [10 ] Nach diesen Betrachtungen allgemeinen Charakters wollen wir zur hebräischen Gesellschaft übergehen. Als sie Ägypten verlassen hatten, unterstanden die Hebräer nicht mehr dem Recht einer anderen Nation und durften sich deshalb nach Belieben neue Gesetze geben, d. h. neue Rechtsgesetze erlassen, ihre Amtsgewalt, wo immer sie wollten, errichten und Ländereien, die ihnen zusagten, in Besitz nehmen. Weniger befähigt waren sie indessen, sich Rechtsgesetze mit Weisheit zu geben und die Regierungsgewalt gemeinschaftlich auszuüben, waren sie doch alle nahezu ungebildeten Geistes und durch elende Knechtschaft heruntergekommen. Die Regierungsgewalt mußte deshalb in den Händen eines einzigen Mannes bleiben, dem es zukam, den übrigen Befehle zu erteilen, sie mit seiner Kraft zu zwingen, ihnen Gesetze vorzuschreiben und diese später auszulegen. Moses konnte diese Gewalt leicht in Händen behalten, weil er mit göttlicher Tugend die anderen übertraf und das Volk davon überzeugte, indem er sie mit zahlreichen Zeugnissen bekundete (vgl. Exodus 14, 31

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und 19, 9). Kraft der göttlichen Tugend, die ihm Macht verlieh, erließ er also Rechtsgesetze und schrieb sie dem Volk vor, wobei er jedoch größten Wert darauf legte, daß das Volk seine Pflicht nicht aus Furcht, sondern von sich aus erbrachte. Vor allem zwei Umstände haben ihn dazu getrieben, zum einen die aufmüpfige Sinnesart des Volkes (die nicht erträgt, von bloßer Gewalt gezwungen zu werden) und zum anderen der bevorstehende Krieg, für dessen günstigen Ausgang es die Soldaten zu ermuntern, nicht aber mit Drohungen und Bestrafungen einzuschüchtern galt; so wünscht nämlich jeder, sich mit Tüchtigkeit und Heldenmut hervorzutun, statt nur einfach der Bestrafung zu entgehen. [11] Moses hat also, kraft göttlicher Tugend und gestützt auf göttlichen Befehl, die Religion in den Staat eingeführt, damit das Volk seine Pflicht nicht aus Furcht, sondern aus Verehrung erfülle. Dann hat er es durch Wohltaten verpflichtet, ihm für die Zukunft im Namen Gottes viele Dinge verheißen und keine zu strengen Gesetze verordnet – was jeder, der sie sich näher angesehen hat, ohne weiteres zugeben wird, allemal wenn er die Rahmenbedingungen im Blick hat, die für die Verurteilung eines Angeklagten zu berücksichtigen waren. Damit das Volk, das nicht imstande war, eigenverantwortlich zu leben, sich strikt an das Wort seines Herrschers hielt, gestattete er schließlich den an Knechtschaft gewöhnten Menschen nicht, nach eigenem Belieben zu handeln. Das Volk konnte nichts tun, ohne zugleich gehalten zu sein, das Gesetz zu beherzigen und Anordnungen zu befolgen, die allein auf dem Gutdünken des Herrschers beruhten. Es durfte sich nicht nach eigenem Belieben betätigen, sondern nur nach strikter Vorschrift des Gesetzes ackern, säen und ernten; ja nicht einmal etwas essen und anziehen, sich Haar und Bart schneiden, noch sich an etwas erfreuen oder überhaupt irgend etwas tun, wenn nicht nach den in den Gesetzen präzise beschriebenen Vorschriften und Anordnungen; und damit nicht genug, sie waren auch gehalten, an den Türpfosten, an den Händen und zwischen den Augen gewisse Zeichen zu haben, die sie ständig zum Gehorsam mahnten.

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Das also war das Ziel der Zeremonien: daß die Menschen nichts aus eigenem Willen tun, sondern alles auf Anordnung eines anderen, und in ihren Handlungen wie ihren Erwägungen fortwährend bekennen, in nichts Herr ihrer selbst zu sein, sondern in allem unter dem Recht eines anderen zu stehen. Aus alledem geht sonnenklar hervor, daß Zeremonien nichts zur Glückseligkeit beitragen und daß die des Alten Testaments, ja das ganze mosaische Gesetz, nur den Staat der Hebräer und folglich nichts anderes als materielle Annehmlichkeiten im Blick hatten. [13] Was die Zeremonien der Christen angeht, also Taufe, Abendmahl, Feierlichkeiten, öffentliche Gebete und was sonst noch der ganzen Christenheit zu aller Zeit gemeinsam war, sie sind, falls sie überhaupt von Christus oder den Aposteln eingesetzt worden sind (was mir bislang nicht hinreichend sicher ist), nur als äußere Zeichen der universellen Kirche eingesetzt worden, nicht aber als Praktiken, die etwas zur Glückseligkeit beitragen oder in sich selbst etwas Heiliges haben. Wenn solche Zeremonien auch nicht in politischer Absicht eingesetzt wurden, so doch mit Rücksicht auf die Integrität der Gesellschaft. Wer allein lebt, ist deshalb nicht an sie gebunden, und wer in einem Staat lebt, in dem die christliche Religion verboten ist, hat sich dieser Zeremonien zu enthalten und wird doch in Glückseligkeit leben können. Ein Beispiel dafür gibt uns das Reich der Japaner; in ihm ist die christliche Religion verboten, und die dort lebenden Niederländer müssen sich auf Anordnung der Ostindischen Gesellschaft jedes äußeren Gottesdienstes enthalten. Ich muß das wohl nicht noch mit einer anderen Autorität bekräftigen, und obwohl es nicht schwer wäre, es auch aus den Grundlagen des Neuen Testaments herzuleiten und vielleicht mit weiteren klaren Zeugnissen zu belegen, möchte ich es sein lassen, weil es mich zu anderem drängt. Ich gehe deshalb zu dem über, was ich in diesem Kapitel an zweiter Stelle erörtern wollte: Für wen und aus welchem Grunde ist der Glaube an die in der Heiligen Schrift enthaltenen Geschichten nötig. Um diese Frage mit Hilfe des natürlichen Lichts zu erforschen, ist, denke ich, wie folgt vorzugehen. [12]

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Will jemand die Menschen zu etwas überreden oder von etwas abbringen, was nicht durch sich selbst bekannt ist, muß er sein Anliegen, soll es akzeptiert werden, aus zugestandenen Sachverhalten ableiten und die Leute mit Hilfe der Erfahrung oder der Vernunft überzeugen, d. h. entweder im Ausgang von Tatbeständen der Natur, die von den Sinnen erfaßt werden, oder im Ausgang von Axiomen des Verstandes, die durch sich selbst bekannt sind. Nun wird eine Erfahrung, die nicht von einer klaren und deutlichen Einsicht in die Fakten begleitet ist, zwar den Menschen überzeugen, aber nicht den Verstand berühren können, und sie wird die der Erfahrung eigenen Dunkelheiten nicht ebenso gut zerstreuen können, wie wenn das zu Lehrende aus bloßen Verstandesaxiomen hergeleitet wird, d. h. allein aus der Trefflichkeit des Verstandes und der Ordnung seines Begreifens – allemal dann, wenn es um einen spirituellen Sachverhalt geht, der überhaupt nicht unter die Sinne fällt. Um etwas allein aus Begriffen des Verstandes herzuleiten, ist jedoch in der Regel eine lange Verknüpfung von Wahrnehmungen erforderlich, verbunden mit höchster Vorsicht, also ein sehr umsichtiges und diszipliniertes Gemüt, alles Dinge, die man sehr selten bei den Menschen findet; deshalb wollen sich die Menschen lieber von der Erfahrung belehren lassen als alle ihre Wahrnehmungen auf wenige Axiome zurückzuführen und so zu verknüpfen. Will also jemand einem ganzen Volk, um nicht zu sagen der ganzen Menschheit, irgendeine Lehre vermitteln und will er von allen in allen Punkten verstanden werden, ist er genötigt, seinen Gegenstand mit Hilfe bloßer Erfahrung zu bekräftigen und seine Argumente einschließlich der Definitionen seiner Lehre der Fassungskraft des gewöhnlichen Volkes (das den größten Teil der Menschheit ausmacht) so gut es geht anzupassen, statt ihn logisch zu entwickeln oder sich auf Definitionen zu stützen, die geeignet sind, die Argumente besser zu verknüpfen. Andernfalls wird er nur für Gelehrte schreiben, d. h. er könnte nur von sehr wenigen Menschen verstanden werden. [15] Da die ganze Schrift zum Wohl zunächst eines für sich bestehenden Volkes und schließlich der Menschheit im Ganzen [14]

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offenbart worden ist, mußte ihr Inhalt also im hohen Maße der Fassungskraft des gewöhnlichen Volkes angepaßt und mit Hilfe der bloßen Erfahrung als wahr dargetan werden. [16] Wir wollen die Sache klarer erläutern. Die Lehren der Schrift rein spekulativen Inhalts sind hauptsächlich folgende: Es gibt einen Gott, d. h. ein Seiendes, das alle Dinge geschaffen hat, sie mit höchster Weisheit lenkt und erhält und im höchsten Maße für die Menschen Sorge trägt, natürlich für die, die fromm und ehrbar leben, während es die anderen vielfach bestraft und von den guten Menschen trennt. Dies legt die Schrift allein mit Hilfe der Erfahrung dar, nämlich mit den Geschichten, die sie erzählt; sie gibt keine Definitionen von dem, was sie erzählt, sondern paßt alle Worte und Argumente der Fassungskraft des gewöhnlichen Volkes an. Obwohl auf diesem Gebiet die Erfahrung keine klare Erkenntnis liefern kann, also nicht lehren kann, was Gott ist und in welcher Weise er alle Dinge lenkt und erhält und für die Menschen Sorge trägt, kann sie die Menschen doch in einem Maße belehren und erleuchten, das ausreicht, ihren Herzen Gehorsam und Demut einzuprägen. Daraus ist klar ersichtlich, denke ich, für wen und aus welchem Grunde der Glaube an die in den heiligen Schriften enthaltenen Geschichten nötig ist. Aus dem soeben Gezeigten folgt nämlich ganz offensichtlich, daß für das gewöhnliche Volk, dessen Geisteskraft nicht ausreicht, die Dinge klar und deutlich zu erfassen, die Kenntnis dieser Geschichten und der Glaube daran im höchsten Maße nötig sind. Ferner folgt daraus: Wer sie in Abrede stellt, weil er nicht glaubt, daß Gott existiert und für die Dinge und die Menschen Sorge trägt, ist ein gottloser Mensch; wer sie aber unbeachtet läßt und trotzdem kraft des natürlichen Lichts die Existenz Gottes und die oben erwähnten anderen Dogmen kennt und zudem in rechter Weise lebt, ist vollkommen glückselig, und zwar in höherem Maß als das gewöhnliche Volk, weil er nicht nur wahre Ansichten hat, sondern auch noch einen klaren und deutlichen Begriff. Schließlich folgt daraus: Wer diese Geschichten der Schrift unbeachtet läßt und auch kraft des natürlichen Lichts nichts weiß, ist, wenn

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nicht lieblos oder widerspenstig, doch kein rechter Mensch, fast ein Tier und ohne jede Gabe Gottes. [17] Doch ist hier noch darauf hinzuweisen, daß wir, wenn wir sagen, die Kenntnis dieser Geschichten sei für das Volk im höchsten Maße nötig, damit nicht die Kenntnis aller Berichte meinen, die in den heiligen Schriften enthalten sind, sondern nur der einschlägigen, die aus sich heraus, d. h. ohne die anderen, die Lehre, von der wir gesprochen haben, augenfällig darlegen und deshalb am besten in der Lage sind, das Gemüt der Menschen zu rühren. Denn wären alle Berichte der Schrift erforderlich, um deren Lehre darzutun, könnte man Schlüsse nur aus dem Gesamt aller dort enthaltenen Erzählungen ziehen, und dann überstiege ein beweiskräftiges Erschließen ihrer Lehre natürlich nicht nur die Fassungskraft des gewöhnlichen Volkes, sondern die menschlichen Kräfte generell. Wer könnte in der Tat einer so großen Zahl von Erzählungen mit allen ihren Nebenumständen gleichzeitig Aufmerksamkeit schenken und aus so vielen verschiedenen Geschichten die Lehrgehalte gewinnen, die daraus zu ziehen sind? Ich wenigstens kann mich nicht davon überzeugen, daß die Männer, die uns die Schrift so, wie wir sie haben, hinterlassen haben, eine so große Intelligenz besaßen, daß sie einen solchen Beweis hätten erbringen können, und noch weniger, daß man, um die Lehre der Schrift zu begreifen, über die Streitereien Isaaks, über Achitophels Ratschläge an Abraham, über den Bürgerkrieg zwischen Juda und Israel und über andere Berichte dieser Art Bescheid wissen müßte oder daß den ersten Juden zur Zeit Moses’ diese Lehre aus den historischen Berichten nicht ebenso leicht hätte unterbreitet werden können wie den Zeitgenossen Esras. Doch darüber später ausführlicher. [18] Das Volk braucht also nur diejenigen Erzählungen zu kennen, die im besonderen Maße geeignet sind, sein Gemüt zu Gehorsam und Demut zu bewegen. Doch ist es selbst nicht hinreichend befähigt, sich darüber ein Urteil zu bilden, weil es ja mehr an der Erzählweise und an dem sonderbaren und unerwarteten Ausgang der Dinge Gefallen findet als an dem darin enthaltenen Lehrgehalt. Deshalb reicht es nicht, wenn

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das Volk die Erzählungen nur liest; es braucht auch noch Pastoren oder Kirchendiener, die ihm unter Berücksichtigung seiner schwächlichen Auffassungskraft Unterricht erteilen. [19] Um indessen von unserem Vorhaben nicht abzukommen und um zu zeigen, was darzulegen wir uns vor allem vorgenommen haben, ziehen wir diesen Schluß: Der Glaube an Geschichten, welche es am Ende auch sein mögen, gehört nicht zum göttlichen Gesetz, führt die Menschen nicht durch sich selbst zur Glückseligkeit und nützt nur im Hinblick auf den Lehrgehalt, der allein bestimmte Berichte wichtiger sein läßt als andere. Die Berichte im Alten und Neuen Testament sind also unter dem Aspekt vortrefflicher als die der profanen Geschichte, und unter ihnen einige vortrefflicher als andere, daß sich aus ihnen heilsame Ansichten ziehen lassen. Wenn also jemand die Heilige Schrift liest und ihr in allen Einzelheiten Glauben schenkt, ohne dabei auf die Lehre zu achten, die die Schrift mit ihren Erzählungen zu vermitteln sucht, und ohne sein Leben zu bessern, dann brächte ihm das so viel, wie wenn er mit der im Volk üblichen Aufmerksamkeit den Koran oder die Theaterstücke der Dichter oder auch gewöhnliche Chroniken lesen würde. Dagegen ist, wie gesagt, der, der die biblischen Erzählungen überhaupt nicht kennt und dennoch heilsame Ansichten hat und der wahren Lebensregel folgt, vollkommen glückselig und hat den Geist Christi wahrhaft in sich. Die Juden sind jedoch ganz entgegengesetzter Ansicht; sie behaupten nämlich, wahre Ansichten und wahrer Lebenswandel trügen so lange nichts zur Glückseligkeit bei, wie die Menschen sie bloß dem natürlichen Licht verdanken und nicht den Lehren, die Moses prophetisch offenbart worden sind. Maimonides wagt dies in Kapitel 8 der Könige (Gesetz 11) unverhüllt mit folgenden Worten zu behaupten: Jeder, der die sieben Gebote 1 angenommen und gewissenhaft 1

Die Juden glauben, daß Gott Noah sieben Gebote gegeben hat und alle Völker nur an diese gebunden sind; nur den Hebräern habe er noch viele andere gegeben, um sie glücklicher als die anderen Völker zu machen.

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befolgt hat, gehört zu den Frommen der Völker und wird Erbe der künftigen Welt sein, unter der Voraussetzung jedoch, sie angenommen und befolgt zu haben, weil Gott sie im Gesetz vorgeschrieben hat und, vermittelt durch Moses, uns offenbart hat, daß sie schon vorher Noahs Söhnen vorgeschrieben waren; wenn er sie aber nur vernunftgeleitet befolgt, dann wohnt er nicht unter uns und gehört weder zu den Frommen noch zu den Weisen der Völker. Das sind die Worte des Maimonides, denen R. Joseph, Sohn des Shem Tob, in seinem Kebod Elohim oder Herrlichkeit Gottes genannten Buch hinzufügt: Obwohl Aristoteles (den er für den besten Moraltheoretiker hält und mehr als alle anderen schätzt) nichts von dem, was die wahre Ethik betrifft und er in seiner Ethik auch dargelegt hat, außer acht ließ, sondern alles sorgfältig ausführte, hat ihm dies zu seinem Heil nichts nützen können, weil er das, was er lehrte, nicht als durch Prophetie offenbarte göttliche Lehren auffaßte, sondern aus einer bloßen Vorschrift der Vernunft gewann. Jeder aufmerksame Leser wird klar genug erkennen, denke ich, daß das alles reine Erfindung ist, die sich weder auf die Vernunft noch die Autorität der Schrift stützt; um diese Auffassung zurückzuweisen, genügt es, sie referiert zu haben. Ich habe auch nicht die Absicht, hier die These derer zurückzuweisen, die strikt behaupten, das natürliche Licht könne für das wahre Heil nichts Brauchbares lehren. Denn die, die sich selbst keine gesunde Vernunft zugestehen, können auch nichts mit der Vernunft beweisen; und wenn sie sich rühmen, etwas über die Vernunft hinaus zu besitzen, ist das schlicht eine Erfindung und weit unterhalb der Vernunft, wie schon ihr gewöhnlicher Lebenswandel zur Genüge gezeigt hat. Doch ist es nicht nötig, davon offener zu sprechen. [20 ] Hinzufügen will ich nur noch Folgendes: Erkennen läßt sich jemand nur aus seinen Werken. Wer deshalb reich an Früchten wie Nächstenliebe, Freude, Friedfertigkeit, Geduld, Wohlwollen, Güte, Glaube, Sanftmut, Selbstbeherrschung ist, gegen die (wie Paulus im Galaterbrief 5, 22 sagt) das Gesetz nicht erlassen ist, der ist, mag ihn die bloße Vernunft oder

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allein die Schrift belehrt haben, in Wahrheit von Gott belehrt und vollkommen glückselig. Hiermit ist alles, was ich über das göttliche Gesetz habe sagen wollen, erledigt.

Sechstes K a pitel Von den Wundern

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Wie die Menschen ein Wissen, das die menschliche Fassungskraft übersteigt, göttlich zu nennen pflegen, so pflegen sie auch ein Werk, dessen Ursache man gewöhnlich nicht kennt, göttliches Werk oder „Werk Gottes“ zu nennen. Das gewöhnliche Volk glaubt in der Tat, Gottes Macht und Vorsehung lasse sich am klarsten erkennen, wenn es in der Natur etwas Ungewohntes sich ereignen sieht, das der Ansicht zuwiderläuft, die es üblicherweise von der Natur hat, besonders dann, wenn ihm daraus Gewinn oder Vorteil zugefallen ist. Es denkt, Gottes Existenz könne aus nichts besser erwiesen werden als daraus, daß die Natur ihre Ordnung, so meint es, nicht einhält. Deshalb glaubt es, alle, die Ereignisse und Wunder durch natürliche Ursachen erklären und zu begreifen suchen, würden Gott oder zumindest Gottes Vorsehung aufheben, in der irrigen Annahme, Gott handle so lange nicht, wie die Natur in gewohnter Ordnung wirksam ist, und die Macht der Natur mit ihren natürlichen Ursachen sei andererseits so lange außer Kraft gesetzt, wie Gott handelt. Sie stellen sich so zwei dem Rang nach verschiedene Mächte vor, die Macht Gottes und die Macht der natürlichen Dinge, die freilich von Gott in gewisser Weise bestimmt oder (wie man heute meistens sagt) geschaffen sei. Was sie aber unter diesen beiden Mächten und was unter Gott und unter Natur verstehen, wissen sie selbst nicht, wenn es nicht gar so ist, daß sie sich die Macht Gottes als die Herrschaft einer königlichen Majestät und die Macht der Natur als so etwas wie Kraft und Stoß vorstellen. Das Volk nennt also „Wunder“ oder „Werke Gottes“ die ungewohnten Vorgänge der Natur und will, teils aus Verehrung Gottes, teils aus Lust, den Naturwissenschaftlern zu widersprechen, von den natürlichen Ursachen der Dinge nichts wissen und nur das gesagt bekommen, was es am wenigsten kennt und deshalb am meisten bestaunt. Offenbar kann es Gott nur

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so verehren und alles auf seine Herrschaft und seinen Willen zurückführen, daß es die natürlichen Ursachen aufhebt und sich die Dinge losgelöst von der Ordnung der Natur vorstellt, und die Macht Gottes nur dann richtig bewundern, wenn es sich die Macht der Natur als Gott unterworfen denkt. Dieses Verständnis scheint von den alten Juden herzukommen: Um die Heiden ihrer Zeit, die sichtbare Gottheiten wie die Sonne, den Mond, die Erde, das Wasser, die Luft und dergleichen anbeteten, für sich zu gewinnen und ihnen zu zeigen, daß diese Gottheiten, kraftlos, unbeständig und veränderlich wie sie sind, unter der Herrschaft des unsichtbaren Gottes stehen, erzählten sie ihre Wunder, mit denen sie darüber hinaus darzulegen suchten, daß die ganze Natur kraft der Herrschaft des von ihnen angebeteten Gottes zu ihrem eigenen Vorteil gelenkt werde. Das gefiel den Menschen so sehr, daß sie bis heute nicht müde geworden sind, Wunder zu erdichten, damit man sie für die Lieblinge Gottes halte und für den Endzweck, auf den hin Gott alles geschaffen hat und fortwährend lenkt. Was maßt sich die Dummheit des Volkes nicht alles an, das weder von Gott noch von der Natur einen richtigen Begriff hat, das göttliche Beschlüsse mit menschlichen vermengt und am Ende sich eine so beschränkte Natur ausdenkt, daß es glaubt, der Mensch sei deren herausgehobener Teil! [2] Damit habe ich die gewöhnlichen Ansichten und Vorurteile des Volkes über die Natur und die Wunder ausführlich genug referiert. Für die gehörige Explikation der Sache will ich aber noch folgende Punkte hervorheben. 1. Nichts ereignet sich gegen die Natur, die vielmehr eine ewige, feste und unveränderliche Ordnung einhält, im Hinblick worauf ich erläutere, was unter Wunder zu verstehen ist. 2. Aus Wundern können wir weder die Essenz noch die Existenz Gottes erkennen und folglich auch nicht seine Vorsehung, lauter Bestimmungen, die sich weit besser der festen und unveränderlichen Ordnung der Natur entnehmen lassen. 3. Ich will an einigen Stellen der Schrift exemplarisch zeigen, daß auch die Schrift unter Ratschlüssen und Willensakten Gottes und folglich unter Vorsehung nichts anderes versteht als eben diese Ordnung

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der Natur, die aus deren ewigen Gesetzen mit Notwendigkeit folgt. 4. Schließlich will ich davon handeln, wie die in der Schrift erwähnten Wunder zu interpretieren sind, und von anderen Punkten, die bei der Erörterung der Wundererzählungen hervorzuheben sind. Das sind die Hauptpunkte der Argumentation in diesem Kapitel, die meines Erachtens auch für das Vorhaben des ganzen Werkes von nicht geringer Wichtigkeit sind. [3] Der erste Punkt läßt sich leicht aus dem erläutern, was wir im 4. Kapitel über das göttliche Gesetz aufgezeigt haben, daß nämlich alles, was Gott will oder bestimmt, Notwendigkeit und ewige Wahrheit einschließt. Daraus, daß Gottes Verstand von Gottes Willen nicht verschieden ist, haben wir nämlich gezeigt, daß wir dasselbe behaupten, ob wir nun sagen, Gott wolle irgend etwas oder erkenne es. Mit derselben Notwendigkeit, mit der aus der göttlichen Natur und Vollkommenheit folgt, daß Gott eine Sache, so wie sie ist, erkennt, folgt, daß Gott sie, so wie sie ist, will. Weil nun alles allein kraft göttlichen Ratschlusses notwendigerweise wahr ist, folgt ganz klar, daß die allgemeingültigen Gesetze der Natur nichts weiter sind als Ratschlüsse Gottes, die aus der Notwendigkeit und Vollkommenheit der göttlichen Natur folgen. Ereignete sich also etwas in der Natur, was ihren allgemeingültigen Gesetzen zuwiderläuft, liefe das notwendigerweise dem Ratschluß und dem Verstand Gottes und damit seiner Natur zuwider; oder, wenn jemand behauptete, Gott tue etwas gegen die Gesetze der Natur, müßte er unausweichlich zugleich behaupten, Gott handle gegen seine eigene Natur – eine höchst widersinnige Behauptung. Dasselbe ließe sich auch leicht daraus beweisen, daß die Macht der Natur genau Gottes Macht und Tatkraft ist und die göttliche Macht mit Gottes Essenz identisch ist; doch will ich dies im Moment beiseite lassen. [4] Nichts geschieht also in der Natur1 , was ihren allgemeingültigen Gesetzen zuwiderliefe, aber auch nichts, was nicht mit 1

Ich verstehe hier unter Natur nicht nur die Materie und deren Einwirkungen, sondern außer der Materie unendlich viele andere Dinge.

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ihnen übereinstimmte oder nicht aus ihnen folgte. Denn was auch immer sich ereignet, ereignet sich durch Gottes Willen und ewigen Ratschluß, d. h., wie schon gesagt, was immer sich ereignet, ereignet sich nach Gesetzen und Regeln, die Notwendigkeit und ewige Wahrheit einschließen. Die Natur hält deshalb stets Gesetze und Regeln ein, die Notwendigkeit und ewige Wahrheit einschließen, wenn uns auch nicht alle bekannt sind, und damit auch eine feste und unveränderliche Ordnung. Keine gesunde Vernunft wird sich dazu versteigen, der Natur eine begrenzte Macht und Wirkungskraft beizulegen und zu behaupten, ihre Gesetze hätten nur für einige Dinge und nicht für alle Gültigkeit. Denn weil die Kraft und Macht der Natur genau Gottes Kraft und Macht sind und die Gesetze und Regeln der Natur genau Gottes Ratschlüsse, ist vorbehaltlos anzunehmen, daß die Macht der Natur unbeschränkt ist, ihre Gesetze also so umfassend sind, daß sie sich auf alles erstrecken, was von dem göttlichen Verstand begriffen wird. Wird etwas anderes behauptet, hieße das, Gott habe eine so ohnmächtige Natur geschaffen und ihr so wenig wirksame Gesetze und Regeln gegeben, daß er ihr häufig erneut zu Hilfe kommen müßte, wenn er will, daß sie sich erhält und die Dinge nach seinem Wunsch vonstatten gehen – eine wohl kaum vernünftige Behauptung. [5] Daraus, daß in der Natur sich nichts ereignet, was aus ihren Gesetzen nicht folgte, daß des weiteren ihre Gesetze sich auf alles erstrecken, was von dem göttlichen Verstand begriffen wird, und daß schließlich die Natur eine feste und unveränderliche Ordnung einhält, folgt ganz klar, daß der Ausdruck Wunder sich nur relativ auf die Ansichten der Menschen verstehen läßt und nichts anderes bezeichnet als ein Werk, dessen natürliche Ursache wir nicht nach dem Modell eines anderen uns geläufigen Sachverhalts erklären können oder zumindest derjenige nicht kann, der von einem Wunder schreibt oder berichtet. Ich könnte zwar sagen, das Wunder sei etwas, dessen Ursache nicht aus den Prinzipien natürlicher Vorgänge erklärt werden kann, also nicht aus Prinzipien, die durch das natürliche Licht bekannt sind; weil aber die Wunder gemäß

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der Fassungskraft des Volkes vonstatten gegangen sind, das diese Prinzipien überhaupt nicht kannte, ist sicher, daß die Alten das für ein Wunder gehalten haben, was sie nicht in der Weise erklären konnten, in der das Volk die natürlichen Dinge gewöhnlich erklärt (nämlich im Rückgriff auf das Gedächtnis, um sich einer anderen ähnlichen Sache zu erinnern, die es sich ohne Erstaunen vorzustellen pflegt). Nach gewöhnlicher Auffassung wird nämlich dann eine Sache hinreichend verstanden, wenn man über sie nicht mehr staunt. Die Alten und nahezu alle anderen bis in unsere Tage hatten also keine andere Richtschnur für das Wunder als diesen Aspekt. Deshalb ist nicht daran zu zweifeln, daß in der Heiligen Schrift als Wunder viele Ereignisse geschildert werden, deren Ursachen sich leicht aus den bekannten Prinzipien der natürlichen Ereignisse erklären ließen, wie wir schon weiter oben im 2. Kapitel hervorgehoben haben, als wir vom Stillstand der Sonne zu Josuas Zeiten und deren Zurückweichen zu Ahas’ Zeiten gesprochen haben. Doch werden wir darüber bald, noch in diesem Kapitel, ausführlicher handeln, bei der Interpretation der Wunder nämlich. [6] Es ist nun an der Zeit, zum zweiten Punkt überzugehen und zu zeigen, daß Wunder uns weder die Essenz noch die Existenz und auch nicht die Vorsehung Gottes begreifen lassen, daß diese Merkmale sich vielmehr weit besser aus der festen und unveränderlichen Ordnung der Natur erfassen lassen. Um dies zu beweisen, gehe ich wie folgt vor. Weil Gottes Existenz nicht durch sich selbst bekannt ist,1 muß sie notwendigerweise aus Begriffen geschlossen werden, deren Wahrheit so fest und unerschütterlich ist, daß keine Macht existieren und begriffen werden kann, von der sie verändert werden könnten. Wenigstens müssen sie uns von dem Augenblick an, in dem wir Gottes Existenz aus ihnen erschließen, so erscheinen, wenn unser Schluß frei von allem Zweifel sein soll. Denn wenn sich denken ließe, die Begriffe könnten von irgendeiner Macht, welcher auch immer, verändert werden, würden wir 1

[ Siehe Anmerkung 6 auf Seite 320.]

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an ihrer Wahrheit zweifeln und folglich auch an dem, was wir aus ihnen geschlossen haben, d. h. an der Existenz Gottes, und könnten von nichts jemals Gewißheit erlangen. Ferner wissen wir, daß nur das mit der Natur übereinstimmt oder ihr zuwiderläuft, was, wie wir gezeigt haben, mit diesen grundlegenden Begriffen übereinstimmt oder ihnen zuwiderläuft. Ließe sich also denken, daß in der Natur irgendeine Macht (welche auch immer) etwas hervorbringen könnte, was der Natur zuwiderläuft, liefe das diesen ersten Begriffen zuwider; es wäre mithin entweder als widersinnig zurückzuweisen, oder wir müßten, wie gerade gezeigt, an den ersten Begriffen zweifeln und folglich an Gott und allen Formen des Wissens überhaupt. Weit entfernt davon, daß die Wunder, sofern wir darunter ein Ereignis gegen die Ordnung der Natur verstehen, uns die Existenz Gottes beweisen, ließen sie uns im Gegenteil an ihr zweifeln, während wir ohne sie ihrer absolut gewiß sein können, sobald wir nur wissen, daß alles in der Natur einer bestimmten und unveränderlichen Ordnung folgt. [7] Einmal unterstellt, ein Wunder sei etwas, was durch natürliche Ursachen nicht erklärt werden kann, dann läßt sich dies auf zweierlei Weise verstehen: entweder, daß es zwar natürliche Ursachen hat, der menschliche Verstand sie aber nicht entschlüsseln kann, oder aber, daß es keine andere Ursache zuläßt als Gott oder Gottes Willen. Weil aber alles, was durch natürliche Ursachen geschieht, auch auf Grund der bloßen Macht Gottes und seines Willens geschieht, muß es doch wieder darauf hinauslaufen: Das Wunder, mag es nun natürliche Ursachen haben oder nicht, ist ein Werk, das sich nicht ursächlich erklären läßt, d. h. ein Werk, das die menschliche Fassungskraft übersteigt. Aus einem Werk, generell aus etwas, was unsere Fassungskraft übersteigt, können wir aber nichts begreifen; denn was wir klar und deutlich begreifen, muß uns durch sich selbst einleuchten oder durch etwas anderes, was durch sich klar und deutlich begriffen wird. Deshalb läßt ein Wunder als ein Werk, das unsere Fassungskraft übersteigt, uns weder die Essenz Gottes noch seine Existenz, generell gesprochen kein bestimmtes Merkmal Gottes und der Na-

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tur, begreifen. Im Gegenteil, weil wir wissen, daß alle Dinge von Gott bestimmt und festgesetzt sind und die Vorgänge der Natur aus der Essenz Gottes folgen, daß die Gesetze der Natur mithin Gottes ewige Ratschlüsse und Willensakte sind, ist daraus uneingeschränkt zu schließen, daß wir Gott und seinen Willen um so besser erkennen, je besser wir die natürlichen Dinge erkennen und je klarer wir einsehen, in welcher Weise sie von ihrer ersten Ursache abhängen und in welcher Weise sie nach den ewigen Gesetzen der Natur etwas bewirken. Unter dem Gesichtspunkt unseres Verstandes sind daher mit weitaus größerem Recht diejenigen Werke, die wir klar und deutlich begreifen, „Werke Gottes“ zu nennen und auf seinen Willen zu beziehen als diejenigen, die sich unserer Erkenntnis entziehen. Mögen diese auch noch so sehr die Vorstellungskraft einnehmen und die Menschen zur Bewunderung hinreißen, nur die Ereignisse der Natur, die wir klar und deutlich begreifen, steigern unsere Erkenntnis Gottes und zeigen uns Gottes Willen und seine Ratschlüsse so klar wie möglich. Völliger Unsinn ist es also, bei Unkenntnis einer Sache auf den Willen Gottes zurückzugreifen – eine ganz lächerliche Art, seine Unwissenheit publik zu machen. [8] Weiter, selbst wenn wir aus Wundern irgend etwas folgern könnten, die Existenz Gottes ließe sich aus ihnen keinesfalls folgern. Denn weil das Wunder ein begrenztes Ereignis ist und immer nur eine bestimmte und begrenzte Macht ausdrückt, können wir aus einer solchen Wirkung natürlich nicht auf die Existenz einer Ursache schließen, deren Macht unendlich ist, sondern bestenfalls auf die einer Ursache von größerer Macht; ich sage „bestenfalls“, weil auch aus vielen zusammenwirkenden Ursachen ein Ereignis erfolgen kann, dessen Kraft und Macht sicherlich kleiner wäre als die Macht aller dieser Ursachen zusammengenommen, aber weitaus größer als die jeder einzelnen Ursache. Weil aber die Gesetze der Natur (wie schon gezeigt) sich ins Unendliche erstrecken und unter einem bestimmten Aspekt der Ewigkeit von uns begriffen werden und weil die Natur ihnen gemäß in einer bestimmten und unveränderlichen Ordnung abläuft, sind es diese Gesetze,

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die uns unter diesem Aspekt Gottes Unendlichkeit, Ewigkeit und Unveränderlichkeit anzeigen. Wir schließen also, daß wir durch Wunder Gott in seiner Existenz und seiner Vorsehung nicht erkennen können, daß diese Merkmale sich vielmehr weit besser aus der festen und unveränderlichen Ordnung der Natur folgern lassen. Ich spreche in diesem Schluß von Wunder, insofern darunter ausschließlich ein Werk verstanden wird, das die Fassungskraft der Menschen, tatsächlich oder vermeintlich, übersteigt; denn unter der Annahme, ein Wunder zerstöre oder unterbreche die Ordnung der Natur oder liefe gar ihren Gesetzen zuwider, könnte das Wunder (wie schon gezeigt) uns nicht nur keine Erkenntnis Gottes gewähren, sondern würde im Gegenteil jene, die wir auf natürlichem Wege haben, aufheben und uns an Gott und allem anderen zweifeln lassen. [9] Ich erkenne hier auch keinen Unterschied an zwischen einem widernatürlichen und übernatürlichen Werk (oder, wie einige sagen, einem Werk, das zwar nicht der Natur zuwiderläuft, aber von ihr nicht hervorgebracht oder bewirkt werden kann); denn weil das Wunder sich nicht außerhalb der Natur, sondern gerade in ihr ereignet, müßte es, auch wenn man es für übernatürlich erklärt, die Ordnung der Natur zwangsläufig durchbrechen, die wir sonst kraft der Ratschlüsse Gottes als fest und unveränderlich begreifen. Wenn sich also in der Natur etwas ereignete, was nicht aus ihren Gesetzen folgt, liefe dies unausweichlich der Ordnung zuwider, die Gott in der Natur durch die allgemeingültigen Gesetze der Natur für alle Ewigkeit festgelegt hat; es wäre somit ein Ereignis gegen die Natur und deren Gesetze, an das zu glauben uns an allem zweifeln ließe und zum Atheismus führte. Damit glaube ich mit hinlänglich starken Gründen bewiesen zu haben, was ich an zweiter Stelle zeigen wollte, woraus wir erneut schließen können, daß das Wunder, mag es nun widernatürlich oder übernatürlich sein, der reine Unsinn ist und deshalb in der Heiligen Schrift unter Wunder nichts anderes verstanden werden kann als, wie schon gesagt, ein Werk der Natur, das die menschliche Fassungskraft, tatsächlich oder vermeintlich, übersteigt.

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Bevor ich zum dritten Punkt komme, gilt es noch unsere These, daß aus Wundern Gott nicht erkannt werden kann, mit der Autorität der Schrift zu bekräftigen. Obwohl die Schrift diese These nirgendwo ausdrücklich vertritt, läßt sie sich doch leicht aus ihr erschließen. Erstens: Moses ordnet in Deuteronomium 13 an, einen betrügerischen Propheten zum Tode zu verurteilen, selbst wenn er Wunder tut. Er sagt nämlich [13, 1 – 5]: (Selbst wenn) ein Zeichen und Wunderzeichen gekommen war, das er dir vorhergesagt hat usw., sollst du (dennoch) den Worten dieses Propheten keinen Glauben schenken usw., weil der Herr euer Gott euch in Versuchung führt usw. Jener Prophet werde (also) zum Tode verurteilt usw. Daraus geht klar hervor, daß Wunder auch von falschen Propheten vollbracht werden können und daß Menschen, die nicht durch die wahre Erkenntnis Gottes und eine aufrichtige Liebe zu ihm gefestigt sind, auf Grund von Wundern ebenso gut falschen Göttern wie dem wahren Gott huldigen können. Denn er fügt hinzu: weil Jehova euer Gott euch in Versuchung führt, um zu erfahren, ob ihr ihn von ganzem Herzen und mit ganzer Seele liebt. Zweitens: Die Israeliten haben sich aus so vielen Wundern keinen richtigen Begriff von Gott bilden können, was auch die Erfahrung bezeugt. Denn als sie sich einredeten, Moses habe sie verlassen, verlangten sie von Aaron sichtbare Gottheiten; und ein Kalb (oh Schande!) wurde ihnen schließlich zu der Gott repräsentierenden Idee, die sie sich aus so vielen Wundern zusammengebastelt hatten. Asaph zweifelte trotz der vielen Wunder, die er vernommen hatte, an Gottes Vorsehung und wäre beinahe vom rechten Weg abgekommen, hätte er am Ende nicht doch Einsicht in die wahre Glückseligkeit gehabt (siehe Psalm 73). Auch Salomo, zu dessen Zeit die Angelegenheiten der Juden in höchster Blüte standen, vermutete, das sei alles durch Zufall herbeigeführt (siehe Prediger 3, 19 – 21 und 9, 2 ff.). Drittens: Beinahe allen Propheten war äußerst dunkel, wie die Ordnung der Natur und der Verlauf des menschlichen Lebens mit ihrem Begriff der Vorsehung Gottes in Einklang gebracht werden konnten, während dies den Philosophen, die darauf aus waren, nicht

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aus Wundern, sondern aus klaren Begriffen Einsicht in die Dinge zu haben, immer völlig klar war, denen wenigstens, die das wahre Glück allein in die Tugend und den inneren Frieden des Gemüts setzen und darauf aus sind, der Natur Folge zu leisten, nicht aber wollen, daß sie nach ihnen sich richte. Denn sie wissen mit Bestimmtheit, daß Gott die Natur nach deren allgemeingültigen Gesetzen und nicht den besonderen Gesetzen der menschlichen Natur lenkt, daß Gott also nicht nur der menschlichen Gattung, sondern der Natur im Ganzen Rechnung trägt. [11] Auch aus der Schrift selbst geht also hervor, daß die Wunder nicht die wahre Erkenntnis Gottes gewähren und nicht seine Vorsehung klar bekunden. Wenn man auch häufig in der Schrift liest, Gott habe Wunderzeichen gewirkt, um sich den Menschen kundzutun, etwa ( Exodus 10, 2) er habe die Ägypter getäuscht und Zeichen von sich selbst gegeben, damit die Israeliten erkennen, daß er Gott ist, so folgt daraus nicht, daß die Wunder dies tatsächlich lehren, sondern nur, daß die Juden Ansichten der Art hatten, daß solche Wunder sie leicht überzeugen konnten. Weiter oben, im 2. Kapitel, haben wir nämlich klar gezeigt, daß prophetische Behauptungen, d. h. solche, die sich auf eine Offenbarung stützen, nicht den allgemeingültigen und allen Menschen gemeinsamen Begriffen entnommen sind, sondern den zugestandenen, wenn auch widersinnigen Ansichten der Adressaten dieser Offenbarung, d. h. derer, die der Heilige Geist überzeugen will. An vielen Beispielen haben wir dies illustriert, sogar am Zeugnis des Paulus, der mit den Griechen Grieche und mit den Juden Jude war. Wenn jene Wunder die Ägypter und Juden auf der Basis ihrer Vormeinungen auch überzeugen konnten, sie konnten ihnen nicht eine wahre Idee und eine wahre Erkenntnis Gottes gewähren, sondern sie nur zur Anerkennung einer Gottheit bringen, die mächtiger ist als alles, was sie kannten, und dann auch, daß sie für die Hebräer (ihnen glückte ja damals wider Erwarten alles bestens) sogar mehr als für jedes andere Volk Sorge trug, nicht aber, daß Gott für alle gleichermaßen Sorge tragen würde; denn das kann allein die Philosophie leh-

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ren. Die Juden und alle, die Gottes Vorsehung nur aus dem unterschiedlichen Stand der menschlichen Angelegenheiten und dem ungleichen Schicksal der Menschen kannten, redeten sich deshalb ein, daß die Juden Gott lieber gewesen seien als die übrigen Menschen, obwohl sie, wie wir im 3. Kapitel gezeigt haben, den übrigen an wahrer menschlicher Vollkommenheit keineswegs überlegen waren. [12] Ich gehe also zum dritten Punkt über und will aus der Schrift zeigen, daß die Ratschlüsse und Anordnungen Gottes und folglich seine Vorsehung in Wirklichkeit nur die Ordnung der Natur sind. Ich will damit sagen: Wenn die Schrift sagt, dies oder jenes sei von Gott oder kraft Gottes Willen zustande gebracht, ist der Sache nach darunter nur zu verstehen, daß dies nach den Gesetzen und der Ordnung der Natur geschehen ist – und nicht daß die Natur gemäß gewöhnlicher Auffassung während dieser Zeit aufgehört habe zu wirken oder ihre Ordnung für einige Zeit unterbrochen worden sei. Was nicht zu ihrer Lehre gehört, vertritt die Schrift freilich nicht direkt, denn es ist nicht ihre Sache (wie wir bei der Erörterung des göttlichen Gesetzes gezeigt haben), die Dinge durch ihre natürlichen Ursachen zu erklären oder sich über rein spekulative Sachverhalte zu verbreiten. Was wir hier zeigen wollen, ist deshalb aus bestimmten Erzählungen der Schrift, die zufällig länger sind und von mehr Nebenumständen berichten, indirekt zu erschließen. Einige will ich hier präsentieren. [13] In 1. Samuel 9, 15 u. 16 wird erzählt, Gott habe Samuel offenbart, er werde Saul zu ihm schicken. Doch schickte Gott ihn nicht so zu Samuel, wie Menschen jemanden zu einem anderen zu schicken pflegen; vielmehr war diese göttliche Sendung nichts weiter als die Ordnung der Natur selbst. Saul suchte nämlich (wie in dem genannten Kapitel erzählt wird) Eselinnen, die er verloren hatte, und als er schon überlegte, ohne sie nach Hause zurückzukehren, ging er doch auf Rat seines Dieners zum Propheten Samuel, um von ihm zu erfahren, wo er sie finden könne, und aus der Erzählung geht nirgendwo hervor, daß Saul von Gott eine andere Anordnung, Samuel aufzusuchen, empfangen hat als diese Ordnung der

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Natur. In Psalm 105, 24 wird gesagt, Gott habe die Ägypter umgestimmt, um sie die Israeliten hassen zu lassen, was ein völlig natürlicher Umschwung war, wie aus Exodus (Kap.1) hervorgeht, wo der gewichtige Grund genannt wird, der die Ägypter dazu trieb, die Israeliten in die Sklaverei zu zwingen. In Genesis 9, 13 sagt Gott zu Noah, er werde den Regenbogen in die Wolken setzen, und diese Handlung Gottes ist auch nichts weiter als die Brechung und Biegung der Sonnenstrahlen in den Wassertropfen. In Psalm 147, 18 heißt die natürliche Tätigkeit und Wärme des Windes, die Reif und Schnee schmelzen lassen, Wort Gottes, und in 147, 15 heißen Wind und Kälte Spruch und Wort Gottes. Wind und Feuer werden in Psalm 104, 4 Boten und Diener Gottes genannt, und viele andere Stellen dieser Art finden sich in der Schrift, die sehr klar zeigen, daß Gottes Ratschluß, Geheiß, Spruch und Wort nichts anderes sind als die Tätigkeit und Ordnung der Natur selbst. Deshalb besteht kein Zweifel, daß alle in der Schrift erzählten Ereignisse sich auf natürlichem Wege zugetragen haben; und doch werden sie auf Gott bezogen, weil es, wie schon gezeigt, nicht Sache der Schrift ist, Dinge durch ihre natürlichen Ursachen zu erklären, sondern allein Ereignisse zu erzählen, die die Vorstellungskraft stark beeindrucken, und zwar mit der Methode und in dem Stil, die am besten geeignet sind, Bewunderung zu erwecken und dem Gemüt des Volkes Verehrung einzuflößen. [14] Wenn man also in den heiligen Büchern von Ereignissen liest, deren Ursachen wir nicht anzugeben wissen und die sich außerhalb der Ordnung der Natur, ja sogar gegen sie, zu ereignen scheinen, müssen wir uns dabei nicht aufhalten, sondern ohne weiteres annehmen, daß das, was tatsächlich geschehen ist, auf natürlichem Wege geschehen ist. Bestätigt wird dies auch dadurch, daß mit den Wundern viele Nebenumstände verbunden waren, mag von ihnen, besonders wenn die Erzählung in poetischem Stil gehalten ist, auch nicht immer berichtet werden; diese Nebenumstände der Wunder, sage ich, zeigen klar, daß das Ereignis selbst natürliche Ursachen erforderte. So mußte Moses Asche über sich in die Luft streuen,

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damit die Ägypter von Ausschlag befallen werden (siehe Exodus 9, 10). Die Heuschrecken überfielen das Land der Ägypter ebenfalls auf eine natürliche Weisung Gottes hin, nämlich auf Grund eines Tag und Nacht wehenden Ostwindes, und sie verließen es auf Grund eines sehr heftigen Westwindes (siehe Exodus 10, 14 u. 19). Dieselbe göttliche Anordnung war es auch, die den Juden den Weg über das Meer öffnete (siehe Exodus 14, 21); es geschah nämlich unter der Wirkung des Südostwindes, der die ganze Nacht hindurch sehr heftig wehte. Ferner, um den Knaben, den man für tot hielt, wieder zu erwecken, mußte Elisa sich mehrmals auf ihn legen, bis er wieder warm wurde und schließlich die Augen öffnete (siehe 2. Könige 4, 34 u. 35). Auch im Johannesevangelium (Kap. 9) werden einige besondere Umstände erzählt, auf die sich Christus stützte, um einen Blinden zu heilen, und es finden sich in der Schrift manche andere Begebenheiten, die alle hinreichend zeigen, daß die Wunder etwas anderes erforderten als eine unbedingte (wie sie sagen) Anordnung Gottes. Deshalb ist anzunehmen, daß die Wunder sich nicht ohne diese besonderen Umstände zugetragen haben, auch wenn von ihnen und ihren natürlichen Ursachen nicht immer und nicht vollständig berichtet wird. Aus Exodus 14, 27 wird dies deutlich, wo lediglich erzählt wird, das Meer sei auf Moses’ bloßen Wink hin angeschwollen, ohne daß dabei der Wind erwähnt wird. Doch im Lied (15, 10) heißt es, es sei geschehen, weil Gott seinen Wind wehen ließ, d. h. weil ein sehr heftiger Wind wehte. In der Erzählung ist dieser Umstand also übergangen, und daß er weggelassen ist, läßt das Wunder um so größer erscheinen. [15] Vielleicht wird jemand darauf bestehen, daß sich in der Schrift vieles findet, was sich durch natürliche Ursachen offenbar überhaupt nicht erklären läßt, etwa daß die Sünden der Menschen und ihre Gebete Ursache von Regen und Fruchtbarkeit der Erde sein können oder daß der Glaube Blinde zu heilen vermag und anderes dieser Art, wovon die Bibel erzählt. Doch glaube ich darauf schon mit dem Hinweis geantwortet zu haben, daß die Schrift die Dinge nicht durch ihre nächsten Ursachen darlegt, sondern sich darauf beschränkt,

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sie in der Anordnung und dem Stil zu erzählen, die am ehesten die Menschen und besonders das gewöhnliche Volk zur Verehrung anhalten; aus diesem Grunde redet sie von Gott und von den Dingen sehr uneigentlich, denn sie will nicht die Vernunft überzeugen, sondern die Phantasie und Vorstellungskraft der Menschen berühren und einnehmen. Wollte die Schrift die Zerstörung eines Staates so erzählen, wie es politische Geschichtsschreiber zu tun pflegen, würde das auf das Volk überhaupt keinen Eindruck machen, einen viel größeren hingegen, wenn sie alles in ihrer Weise poetisch ausmalt und auf Gott zurückführt. Wenn die Schrift also erzählt, daß die Erde auf Grund der Sünden der Menschen unfruchtbar ist oder daß der Glaube Blinde heilt, muß uns das nicht mehr bewegen, als wenn sie erzählt, daß Gott wegen der Sünden der Menschen zornig oder traurig ist, daß er eine verheißene Wohltat bereut oder sich an seine Verheißung auf Grund eines Zeichens erinnert und vieles andere mehr, das entweder poetisch ausgedrückt oder gemäß den Ansichten und Vorurteilen des Schreibers wiedergegeben ist. Wir kommen deshalb hier zu dem zweifelsfreien Schluß, daß alle Ereignisse, die die Schrift als wirklich geschehen hinstellt, sich, wie überhaupt alles, nach den Gesetzen der Natur mit Notwendigkeit ereignet haben. Findet sich in ihr etwas, von dem sich unumstößlich beweisen läßt, daß es den Gesetzen der Natur zuwiderläuft oder aus ihnen nicht herleitbar ist, ist ohne weiteres anzunehmen, daß Frevlerhand dies den heiligen Schriften hinzugefügt hat. Was nämlich gegen die Natur ist, ist gegen die Vernunft, und was gegen die Vernunft ist, ist widersinnig und daher auch zu verwerfen. [16] Es bleibt noch einiges wenige über die Interpretation der Wunder zu bemerken, besser gesagt zusammenzufassen (denn das Wichtigste ist schon gesagt worden) und an ein oder zwei Beispielen zu illustrieren, was an vierter Stelle zu tun ich in Aussicht gestellt habe. Ich will es tun, damit niemand durch die falsche Interpretation eines Wunders voreilig meint, in der Schrift etwas gefunden zu haben, was dem natürlichen Licht widerspricht.

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Es geschieht sehr selten, daß Menschen eine Sache einfach erzählen, wie sie geschehen ist, und ihrer Erzählung nichts von ihrem eigenen Urteil beimischen. Mehr noch, wenn sie etwas Neues sehen oder hören, besonders dann, wenn sie nicht vor ihren vorgefaßten Meinungen auf der Hut sind, sind sie von ihren Vorurteilen meistens so eingenommen, daß sie etwas ganz anderes wahrnehmen, als was sie sehen oder hören; besonders ist das der Fall, wenn das Ereignis die Fassungskraft des Erzählers oder Hörers übersteigt, und noch mehr, wenn er daran interessiert ist, daß das Ereignis in einer bestimmten Weise abläuft. Daher kommt es, daß die Menschen in ihren Chroniken und Geschichtsbüchern mehr ihre eigenen Ansichten als das tatsächliche Geschehen erzählen und daß ein und dasselbe Ereignis von zwei Menschen mit verschiedenen Ansichten so verschieden erzählt wird, daß es ein Bericht von zwei verschiedenen Ereignissen zu sein scheint; und daher kommt es auch, daß es oft gar nicht so schwer ist, aus der bloßen Erzählung einer Geschichte die Ansichten des Chronisten oder Historikers zu ermitteln. Zur Bestätigung könnte ich viele Beispiele beibringen, von Philosophen, die Ereignisse der Natur niedergeschrieben haben, wie auch von Chronisten; doch halte ich dies für überflüssig und will aus der Heiligen Schrift nur einen Fall anführen und das Urteil über die anderen dem Leser selbst überlassen. [18] Zur Zeit Josuas waren die Hebräer, wie oben erwähnt, der verbreiteten Ansicht, daß die Sonne sich in einem sogenannten Tagesablauf bewegt und die Erde ruht; dieser vorgefaßten Meinung paßten sie ein Wunder an, das ihnen bei ihrem Kampf gegen die fünf Könige geschah. Sie erzählten nicht nur einfach, jener Tag sei ungewöhnlich lang gewesen, sondern die Sonne und der Mond hätten stillgestanden, d. h. mit ihrem Lauf ausgesetzt – das konnte ihnen damals gut dazu dienen, die Heiden, die die Sonne anbeteten, für sich zu gewinnen und ihnen im Rückgriff auf diese Erfahrung zu beweisen, daß die Sonne unter der Herrschaft einer anderen Gottheit stand, auf deren Wink hin sie ihre natürliche Ordnung ändern mußte. Teils aus einem religiösen Motiv, teils nach ihren [17]

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vorgefaßten Meinungen haben sie die Sache also ganz anders aufgefaßt und auch erzählt, als sie sich hatte tatsächlich zutragen können. [19] Um die in der Schrift erzählten Wunder zu interpretieren und aus ihrer Darstellung den wirklichen Verlauf der Ereignisse zu ermitteln, ist es also nötig, die Ansichten derer zu kennen, die sie zuerst erzählt und uns schriftlich hinterlassen haben, und diese Ansichten von dem zu unterscheiden, was ihnen die Sinne haben präsentieren können. Sonst werfen wir ihre Ansichten und Urteile mit dem Wunder selbst, wie es sich tatsächlich zugetragen hat, durcheinander. Doch nicht nur dafür muß man ihre Ansichten kennen, sondern auch dafür, daß man Dinge, die sich tatsächlich zugetragen haben, nicht mit eingebildeten Dingen verwechselt, mit Dingen also, die nur prophetische Veranschaulichungen waren. Denn in der Schrift werden viele Dinge als Tatsachen dargestellt und auch für Tatsachen gehalten, die doch nur Vorstellungen und eingebildete Dinge waren, etwa daß Gott (das höchste Seiende) vom Himmel herabgestiegen sei ( Exodus 19, 18 und Deuteronomium 5, 19) und der Berg Sinai geraucht habe, weil Gott, umgeben von Feuer, auf ihm herabgestiegen war, oder auch, daß Elias auf einem Wagen mit feurigen Pferden zum Himmel hinaufgefahren sei, alles Dinge, die sicherlich nur Veranschaulichungen waren, angepaßt den Ansichten derer, die uns diese Dinge so, wie sie sich ihnen dargestellt haben, als wirkliche Begebenheiten überliefert haben. Alle, die über die Volksmeinungen hinaus ein wenig mehr wissen, wissen nämlich, daß Gott keine rechte und linke Hand hat, weder sich bewegt noch ruht oder an einem Ort ist, sondern unbedingt unendlich ist und in ihm alle Vollkommenheiten enthalten sind. Das, sage ich, wissen diejenigen, die die Dinge gestützt auf die Begriffe des reinen Verstandes beurteilen und nicht nach der Weise, in der die Vorstellungskraft von äußeren Sinnen affiziert wird, also nicht wie in der Regel das Volk, das sich einen körperlichen Gott vorstellt, der wie ein königlicher Machthaber herrscht, dessen Thron es sich auf dem Himmelsgewölbe gelegen denkt, über den Sternen, die, so meint es, von der Erde nicht sehr

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weit entfernt sind. Diesen und ähnlichen Ansichten sind, wie gesagt, sehr viele Vorkommnisse in der Schrift angepaßt, die von Philosophen nicht als wirklich hingenommen werden müssen. [20 ] Um zu verstehen, wie die Wunder sich wirklich zugetragen haben, kommt es schließlich darauf an, Diktion und Redewendungen der Hebräer zu kennen. Wer nämlich darauf nicht genügend achtet, wird der Schrift vieles als Wunder andichten, woran die Schreiber in ihrer Erzählung niemals gedacht haben, mit der Folge, daß er nicht nur über die Tatbestände, also die Wunder, wie sie sich wirklich zugetragen haben, sondern auch über die Absicht der Verfasser der heiligen Texte völlig im unklaren bleibt. So sagt Sacharja in 14, 7, von einem zukünftigen Krieg redend: Es wird ein einzigartiger Tag sein, nur Gott bekannt, (denn es wird sein) weder Tag noch Nacht, aber am Abend wird Licht sein. Mit diesen Worten scheint er ein großes Wunder anzukündigen, und doch will er nur sagen, daß der Kampf den ganzen Tag über unentschieden bleibt, nur Gott seinen Ausgang kennt und sie am Abend den Sieg erringen werden. Mit solchen Wendungen pflegten die Propheten nämlich Siege und Niederlagen der Völker vorherzusagen und zu beschreiben. So etwas sehen wir auch bei Jesaja, der in 13, [10] die Zerstörung Babylons wie folgt ausmalt: Die Sterne und Gestirne des Himmels werden mit ihrem Licht nicht mehr leuchten, die Sonne wird in ihrem Aufgang dunkel sein, der Mond wird den Glanz seines Lichtes nicht mehr ausstrahlen. Niemand hat wohl jemals geglaubt, daß sich dies bei der Zerstörung jenes Staates wirklich ereignet hat, ebensowenig wie das, was er dann hinzufügt [13, 13]: Deshalb werde ich die Himmel erzittern lassen, und die Erde wird sich von ihrem Platz wegbewegen. So sagt auch Jesaja in 48, 21, um den Juden kundzutun, daß sie aus Babylon in Sicherheit nach Jerusalem zurückkehren und unterwegs nicht an Durst leiden würden: Sie haben keinen Durst erlitten, er hat sie durch die Wüste geleitet, er hat Wasser für sie aus dem Felsen sprudeln lassen, er hat den Felsen gespalten, und Wasser ist herausgeflossen. Er will, sage ich, damit nur zu erkennen geben, daß die Juden,

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wie es ja vorkommt, in der Wüste Quellen finden werden, die ihren Durst löschen. Denn als sie mit Einwilligung des Cyrus nach Jerusalem zogen, sind ihnen, wie feststeht, derartige Wunder nicht geschehen. Sehr vieles dieser Art findet sich in den heiligen Büchern, was nur eine den Juden eigene Ausdrucksweise war, und es ist nicht nötig, alles im einzelnen anzuführen. Nur das möchte ich ganz allgemein bemerken: Diese den Hebräern geläufigen Wendungen sind nicht nur literarische Ausschmückungen, sondern auch und vor allem Zeichen der Verehrung Gottes. Aus diesem Grunde findet man in den heiligen Büchern Gott segnen für fluchen (siehe 1. Könige 21, 10 und Hiob 2, 9), und aus demselben Grunde bezogen sie alles auf Gott. Und deshalb sieht es so aus, als ob die Schrift von Wundern spricht, wenn sie von vollkommen natürlichen Dingen redet, wofür wir vorhin schon einige Beispiele angeführt haben. Wenn die Schrift sagt, Gott habe Pharaos Herz verhärtet, ist also anzunehmen, daß das einfach bedeutet, daß Pharao widerspenstig gewesen ist. Und wenn es heißt, Gott habe die Fenster des Himmels geöffnet, meint das nur, daß es sehr stark geregnet hat, und dergleichen mehr. Wenn man dies recht im Auge behält und bedenkt, daß vieles kurz, ohne Nebenumstände und nahezu verstümmelt erzählt wird, wird man fast nichts in der Schrift finden, von dem sich mit Sicherheit sagen ließe, daß es dem natürlichen Licht widerspricht. Im Gegenteil, vieles anscheinend äußerst Dunkle wird mit ein wenig Nachdenken verständlich und sich leicht interpretieren lassen. Damit meine ich deutlich genug gezeigt zu haben, was ich darlegen wollte. [21] Doch möchte ich, bevor ich dieses Kapitel abschließe, noch eine Bemerkung machen, daß ich mich nämlich bei der Erörterung der Wunder auf eine ganz andere Methode gestützt habe als bei der Erörterung der Prophetie. Über die Prophetie habe ich nämlich nur das behauptet, was ich aus den in den heiligen Büchern offenbarten Grundlagen habe folgern können; hier habe ich die Hauptpunkte jedoch allein aus den Prinzipien abgeleitet, die uns durch das natürliche Licht bekannt sind, und das mit Bedacht. Denn weil die Prophetie die

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menschliche Fassungskraft übersteigt und eine rein theologische Angelegenheit ist, konnte ich über sie nichts behaupten und nicht einmal wissen, worin sie überhaupt besteht, wenn ich mich nicht auf die offenbarten Grundlagen stützte. Ich war deshalb gezwungen, die Berichte über die Prophetie zusammenzustellen und daraus einige Grundsätze zu gewinnen, die es mir erlaubten, ihre Natur und ihre Eigenschaften, so weit wie möglich, zu verstehen. Hier jedoch, bei den Wundern, ist der Gegenstand unserer Untersuchung (ob wir nämlich anerkennen können, daß sich in der Natur etwas ereignet, was deren Gesetzen zuwiderläuft oder aus ihnen nicht folgen kann) rein philosophisch, so daß ich dergleichen nicht benötigte. Vielmehr hielt ich es für passender, diese Frage im Ausgang von durch das natürliche Licht erkannten und insofern allbekannten Grundlagen aufzulösen. Ich sage, daß ich es für passender hielt, denn ich hätte sie auch leicht aus den bloßen Dogmen und Grundlagen der Schrift auflösen können, was ich hier kurz zeigen möchte, damit es jedermann klar ist. [22] Die Schrift versichert an einigen Stellen, daß die Natur im allgemeinen eine feste und unveränderliche Ordnung einhält, wie in Psalm 148, 6 und in Jeremia 31, 35 u. 36. Der Philosoph lehrt überdies in Prediger 1, 10 ganz klar, daß nichts Neues in der Natur geschieht, und in 1, 11 u. 12 verdeutlicht er diese Behauptung, indem er sagt: Wenn auch manchmal etwas sich ereignet, was neu aussieht, so ist es doch nichts Neues, sondern etwas, was in früheren Jahrhunderten sich schon ereignet hat und heute nur vergessen ist. Denn, so sagt er, bei denen von heute ist keine Erinnerung mehr an die Alten, und bei denen von morgen wird keine Erinnerung mehr sein an die von heute. Ferner sagt er in 3, 11, Gott habe alle Dinge zu ihrer Zeit richtig geordnet, und in 3, 14, er wisse, daß alle von Gott gemachten Dinge in Ewigkeit bleiben und ihnen weder etwas hinzugefügt noch etwas genommen werden kann. All das lehrt mit größter Klarheit, daß die Natur eine feste und unveränderliche Ordnung einhält, daß Gott in allen Zeitaltern, uns bekannten wie unbekannten, derselbe ist, daß die Gesetze der Natur so vollkommen und ergiebig sind, daß man ihnen

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nichts hinzufügen oder nehmen kann, und schließlich, daß die Wunder nur wegen der Unwissenheit der Menschen als etwas Neues erscheinen. Das also wird in der Schrift ausdrücklich gelehrt, nirgendwo aber, daß sich in der Natur etwas ereignet, was ihren Gesetzen entgegenliefe oder aus ihnen nicht folgen könnte, und deshalb ist dergleichen der Schrift auch nicht anzudichten. Hinzu kommt, daß die Wunder für ihr Auftreten, wie schon gesagt, Ursachen und Bedingungen erfordern und nicht aus einem, ich weiß nicht welchem, königlichen Oberbefehl erfolgen, den das Volk Gott andichtet, sondern aus göttlicher Macht und göttlichem Ratschluß, d. h. (wie wir auch schon aus der Schrift gezeigt haben) aus den Gesetzen der Natur und ihrer Ordnung, und schließlich, daß Wunder auch von Betrügern verrichtet werden können, wie man sich aus Deuteronomium 13 und Matthäus 24, 24 überzeugen kann. Daraus folgt ganz offensichtlich, daß die Wunder natürliche Phänomene gewesen sind und daher so zu erklären sind, daß sie weder als neu (um mit Salomo zu reden) noch als der Natur zuwiderlaufend erscheinen, sondern, wenn möglich, als den natürlichen Abläufen sehr nahe kommend. Damit das einem jeden leichter fällt, habe ich einige Regeln aufgestellt, die allein der Schrift entnommen sind. [23] Wenn ich auch sage, daß die Schrift dies lehre, meine ich damit indessen nicht, daß sie es als Lehren vorbringt, die für das Heil unerläßlich wären, sondern nur, daß die Propheten diesen Punkt so wie wir verstanden haben. Jedem steht es deshalb frei, darüber zu denken, wie es für ihn am besten zu sein scheint, sich der Verehrung Gottes und der Religion von ganzem Herzen hinzugeben. Das meint auch Josephus, wenn er am Schluß des 2. Buchs der Altertümer schreibt: Niemand nehme Anstoß an dem Wort Wunder, wenn die arglosen Leute von früher glaubten, der Weg zum Heil sei durch das Meer verlaufen, ob er nun vom Willen Gottes oder von sich aus freigelegt wurde; auch vor den Soldaten des Mazedonier-Königs Alexander hat sich einst das pamphylische Meer geteilt, was ihnen, weil kein anderer Weg frei war, einen Durchgang gewährte, mit dem Gott die Hegemonie der Perser beseitigen

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wollte, und alle, die die Taten Alexanders beschrieben haben, stimmen in diesem Punkt überein. Jeder möge also darüber denken, wie es ihm beliebt. Dies sind die Worte des Josephus und sein Urteil über den Wunderglauben.

Siebtes K a pitel Von der Interpretation der Schrift

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Es ist zwar in aller Munde, daß die Heilige Schrift das Wort Gottes ist, das die Menschen die wahre Glückseligkeit oder den Weg des Heils lehrt; tatsächlich präsentieren sich die Leute aber ganz anderes. Denn das gewöhnliche Volk scheint um nichts weniger besorgt, als nach den Lehren der Heiligen Schrift zu leben; nahezu alle, so sehen wir, geben ihre Hirngespinste für das Wort Gottes aus und sind einzig darauf bedacht, die anderen unter dem Vorwand der Religion zu nötigen, mit ihnen einer Meinung zu sein. Wir sehen, sage ich, daß die Theologen sich meistens darum gekümmert haben, wie sich die eigenen Erfindungen und Einfälle möglichst gut aus den heiligen Büchern herauspressen und mit Hilfe der göttlichen Autorität unanfechtbar machen lassen; nichts gibt es, was sie mit weniger Skrupeln und größerer Leichtfertigkeit verrichten, als die Schriften zu interpretieren, d. h. die Gedanken des Heiligen Geistes; und wenn sie etwas beunruhigt, dann nicht die Furcht, dem Heiligen Geist einen Irrtum anzudichten und vom Weg des Heils abzukommen, sondern die Besorgnis, von anderen eines Irrtums überführt zu werden, also zu sehen, daß die eigene Autorität zu Fall kommt und sie von anderen verachtet werden. Würden die Menschen aufrichtigen Herzens meinen, was sie von der Schrift feierlich mit Worten versichern, hätten sie eine ganz andere Lebensweise: Nicht so viele Zwistigkeiten plagten ihr Gemüt; sie bekämpften sich nicht mit so viel Haß; sie hielten sich davon fern, die Schrift mit blindem und unbesonnenem Eifer zu interpretieren und Neues in die Religion hineinzusinnen; vielmehr wagten sie gar nicht, als Lehre der Schrift auszugeben, was nicht so klar wie möglich von ihr gelehrt wird; und schließlich hätten jene Frevler, die sich nicht gescheut haben, die Schrift an vielen Stellen zu verfälschen, sich vor einem solchen Verbrechen sehr wohl gehütet und ihre Frevlerhand davon gelassen.

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Aber Ehrgeiz und Frevelmut haben es so weit bringen können, daß nicht mehr der Lehre des Heiligen Geistes Folge zu leisten, sondern menschliche Hirngespinste zu verteidigen als Religion gilt, mehr noch, daß die Religion nicht mehr in der Nächstenliebe besteht, sondern im Säen von Zwietracht unter den Menschen und im Verbreiten wütenden Hasses, verdeckt unter dem falschen Namen göttlichen Eifers und glühender Hingabe. Zu diesen Übeln hat sich der Aberglaube gesellt, der den Menschen weismachen will, sie müßten Vernunft und Natur verachten und nur das bewundern und verehren, was beiden zuwiderläuft; kein Wunder also, daß die Menschen, um die Schrift noch mehr zu bewundern und zu verehren, sie so zu erläutern suchen, daß sie der Vernunft und der Natur im höchsten Maße zu widersprechen scheint; deshalb erträumen sie sich in den heiligen Schriften tiefste Geheimnisse und werden nicht müde, sie, also den größten Unsinn, zu ergründen, während sie das andere in ihr, das nützlich ist, vernachlässigen. Was auch immer sie so in ihrem Wahn erfinden, alles das schreiben sie dem Heiligen Geist zu und suchen es mit der ganzen Kraft und Stärke der Affekte zu verteidigen. So ist es nun einmal mit den Menschen bestellt: Was sie mit dem reinen Verstand begreifen, verteidigen sie allein mit ihm, also in vernünftiger Weise; was sie dagegen aus den Affekten des Gemüts heraus bloß meinen, verteidigen sie auch mit diesen. [2] Um diesem Durcheinander zu entkommen und den Geist von theologischen Vorurteilen zu befreien, also nicht menschliche Erfindungen leichtfertig als göttliche Lehren hinzunehmen, müssen wir von der wahren Methode der Schriftinterpretation handeln und sie argumentativ entfalten; denn wenn wir sie nicht kennen, können wir keine Gewißheit darüber haben, was die Schrift oder der Heilige Geist lehren will. Um es hier in wenigen Worten zu formulieren, sage ich, daß die Methode der Schriftinterpretation sich von der Methode der Interpretation der Natur nicht unterscheidet, sondern mit ihr völlig übereinstimmt. In der Tat, wie die Methode der Naturinterpretation hauptsächlich darin besteht, eine Geschichte der Natur zusammenzustellen, aus der wir, wie aus sicheren

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Daten, die Definitionen der natürlichen Dinge erschließen, so ist es auch für die Interpretation der Schrift nötig, sich ihre unverfälschte Geschichte zu erarbeiten und aus ihr als sicheren Daten und Prinzipien in richtiger Folgerung den Geist der Verfasser der Schrift zu erschließen. So wird in der Tat jeder (vorausgesetzt, er läßt keine anderen Prinzipien oder Daten für die Interpretation der Schrift und die Darlegung ihres Inhalts zu als die, die sich der Schrift selbst und ihrer Geschichte entnehmen lassen) ohne Gefahr eines Irrtums jederzeit weiterkommen und das, was unsere Fassungskraft übersteigt, genau so sicher erörtern können wie das, was wir kraft des natürlichen Lichts erkennen. [3] Damit klar ist, daß dieser Weg nicht nur sicher, sondern auch der einzige ist und daß er mit der Methode, die Natur zu interpretieren, übereinstimmt, ist zu bemerken, daß die Schrift sehr oft von Dingen handelt, die sich aus den Prinzipien des natürlichen Lichts nicht herleiten lassen: Geschichten und Offenbarungen bilden nämlich den größten Teil der Schrift. Diese Geschichten enthalten aber hauptsächlich Wunder, d. h. (wie wir im vorigen Kapitel gezeigt haben) Berichte über ungewohnte Naturereignisse, angepaßt den Meinungen und Urteilen der Historiker, die sie geschrieben haben; und auch die Offenbarungen richten sich, wie wir im 2. Kapitel gezeigt haben, nach den Meinungen der Propheten und übersteigen in ihrem Gehalt die menschliche Fassungskraft. Deshalb muß die Erkenntnis dieser Dinge, d. h. nahezu von allem, was in der Schrift enthalten ist, allein der Schrift selbst entnommen werden, ganz so wie die Erkenntnis der Natur der Natur selbst. [4] Was die Lehren moralischen Inhalts, die sich auch in der Bibel finden, angeht, sie können zwar aus den Gemeinbegriffen bewiesen werden; daß die Schrift sie aber lehrt, das kann nicht aus ihnen bewiesen werden, sondern nur aus der Schrift selbst sich ergeben. Gerade wenn wir die Göttlichkeit der Schrift ohne Vorurteil bezeugen wollen, müssen wir aus ihr allein deutlich machen, daß sie die wahre Sittenlehre übermittelt. Denn nur das kann ihre Göttlichkeit beweisen, ha-

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ben wir doch gezeigt, daß die Gewißheit der Propheten vor allem darauf beruhte, daß sie einen dem Gerechten und Guten zugewandten Sinn hatten, was auch für uns ausgemacht sein muß, um ihnen Glauben schenken zu können. Daß die Wunder die Göttlichkeit Gottes nicht beweisen können, haben wir auch schon gezeigt, ganz zu schweigen davon, daß Wunder auch von einem falschen Propheten vollbracht werden konnten. Deshalb muß die Göttlichkeit der Schrift sich allein daraus ergeben, daß sie die wahre Tugend lehrt, und das kann aus der Schrift allein hervorgehen. Wäre das nicht möglich, würden wir sie nicht ohne großes Vorurteil hochschätzen und ihr Göttlichkeit zusprechen. Die ganze Erkenntnis der Schrift muß also ihr allein entnommen werden. Schließlich ist zu beachten, daß die Schrift keine Definitionen der Dinge gibt, von denen sie spricht, so wenig wie die Natur es tut. Wie die Definitionen der natürlichen Dinge aus den verschiedenen Vorgängen in der Natur zu erschließen sind, so sind sie auch hier aus den verschiedenen Berichten, die sich zum jeweiligen Thema in der Schrift finden, herauszuholen. [5] Die generelle Regel der Schriftinterpretation ist also, der Schrift nichts als ihre Lehre zuzuschreiben, was wir nicht im Lichte ihrer Geschichte, soweit es möglich ist, untersucht hätten. Wie eine solche Untersuchung der Schrift beschaffen sein muß und was sie vor allem darzulegen hat, davon soll jetzt die Rede sein. 1. Sie muß auf die Natur und Eigentümlichkeiten der Sprache eingehen, in der die Bücher der Schrift geschrieben sind und in der ihre Verfasser gewöhnlich sprachen. So werden wir imstande sein, jeglichen Sinn ausfindig zu machen, den eine Rede nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch zulassen kann. Und weil die Schreiber des Alten wie des Neuen Testaments allesamt Hebräer waren, ist natürlich vor allem eine Kenntnis der hebräischen Sprache erforderlich, nicht nur für das Verständnis der Bücher des Alten Testaments, die in dieser Sprache geschrieben worden sind, sondern auch für die des Neuen Testaments, die zwar in anderen Sprachen verbreitet sind, aber doch hebräische Bücher sind.

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2. Sie muß die Aussagen jedes Buches zusammenstellen und nach Hauptpunkten ordnen, um so alles, was von demselben Gegenstand handelt, schnell zur Hand zu haben, sodann alle Aussagen vermerken, die zweideutig oder dunkel sind oder sich zu widersprechen scheinen. Klar oder dunkel nenne ich hier die Aussagen, deren Sinn sich aus dem Zusammenhang leicht oder schwer ermitteln läßt, nicht aber diejenigen, deren Wahrheit sich mit der Vernunft leicht oder schwer erfassen läßt. Denn allein mit dem Sinn der Reden, nicht aber mit ihrer Wahrheit haben wir es hier zu tun. Mehr noch, wir müssen uns, wenn es um den Sinn der Schrift geht, davor hüten, durch eine Argumentation voreingenommen zu sein, die sich auf Prinzipien der natürlichen Erkenntnis stützt (von den Vorurteilen ganz zu schweigen). Damit wir den wahren Sinn des Textes nicht mit der Wahrheit der Sache verwechseln, ist er allein im Rückgriff auf den Sprachgebrauch oder gestützt auf eine Argumentation, die als Grundlage nur die Schrift anerkennt, zu erforschen. Damit das alles besser verständlich wird, will ich es durch ein Beispiel erläutern. Moses’ Aussagen Gott ist ein Feuer; Gott ist eifersüchtig sind äußerst klar, solange wir nur auf die Wortbedeutung achten; deshalb zähle ich sie zu den klaren Aussagen, mögen sie auch unter dem Aspekt von Wahrheit und Vernunft völlig dunkel sein; mehr noch, obwohl ihr buchstäblicher Sinn dem natürlichen Licht widerspricht, ist es doch dieser Sinn, der buchstäbliche, den es festzuhalten gilt, wenigstens wenn er nicht den aus der historischen Erforschung der Schrift gewonnenen Prinzipien und Grundlagen klar zuwiderläuft. Wenn umgekehrt diese Aussagen in ihrer buchstäblichen Interpretation den der Schrift entnommenen Prinzipien widersprechen, sind sie selbst dann, wenn sie der Vernunft völlig gemäß sind, anders zu interpretieren (metaphorisch nämlich). Um zu wissen, ob Moses wirklich der Ansicht war, daß Gott ein Feuer ist, darf man sich also nicht darauf stützen, inwieweit diese Ansicht der Vernunft gemäß ist oder nicht, sondern nur auf andere Aussagen Moses’. Da nun Moses an zahlreichen Stellen auch klar zu verstehen gibt, daß Gott keinerlei Ähnlichkeit mit den

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sichtbaren Dingen in den Himmeln, auf der Erde und im Wasser hat, ist daraus zu folgern, daß entweder diese Aussage oder alle anderen metaphorisch zu deuten sind. Weil man jedoch vom buchstäblichen Sinn so wenig wie möglich abgehen sollte, ist zunächst zu untersuchen, ob diese eine Aussage Gott ist ein Feuer einen anderen Sinn neben dem buchstäblichen zuläßt, d. h. ob das Wort Feuer noch etwas anderes bezeichnet als ein natürliches Feuer. Ergäbe sich aus dem Sprachgebrauch keine andere Bedeutung, wäre diese Aussage auch nicht anders zu interpretieren, wie sehr sie auch der Vernunft widersprechen mag; vielmehr müßten umgekehrt alle anderen, mögen sie auch der Vernunft gemäß sein, ihr angeglichen werden. Sollte der Sprachgebrauch dies nicht zulassen, blieben diese Aussagen unvereinbar, und man müßte sich darüber des Urteils enthalten. Da aber das Wort Feuer auch für Zorn und Eifersucht gebraucht wird (siehe Hiob 31, 12), lassen sich Moses’ Aussagen leicht vereinbaren, und wir dürfen schließen, daß die beiden Aussagen Gott ist ein Feuer und Gott ist eifersüchtig ein und dieselbe Aussage sind. Weil Moses zudem eindeutig lehrt, Gott sei eifersüchtig, nirgendwo aber, Gott sei frei von Leidenschaften, d. h. von Gemütsbewegungen, in denen er leidet, ist ohne weiteres zu folgern, daß Moses dieser Ansicht war oder sie zumindest hat verbreiten wollen, wie sehr wir auch glauben, daß sie der Vernunft widerspricht. Denn es ist uns, wie bereits gezeigt, nicht erlaubt, den Sinn der Schrift auf die Gebote unserer Vernunft und auf unsere vorgefaßten Ansichten hin zu verdrehen; vielmehr ist die ganze Erkenntnis der Bibel ihr allein zu entnehmen. 3. Schließlich muß diese historisch orientierte Untersuchung für alle Bücher der Propheten die damaligen Gegebenheiten aufzeichnen, soweit wir von ihnen noch Kenntnis haben: Leben, Sitten und Interessen des Verfassers eines jeden Buches, wer er gewesen ist, bei welcher Gelegenheit, zu welcher Zeit, für wen und in welcher Sprache er geschrieben hat. Ferner ist das Schicksal eines jeden Buches zu untersuchen: wie man es erstmals erhalten hat, in wessen Hände es gefallen ist, wie viele unterschiedliche Lesarten es gibt und wer ent-

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schieden hat, es unter die heiligen Bücher aufzunehmen, und schließlich, wie alle diese Bücher, die heute als heilig gelten, in ein einziges Werk zusammengebracht wurden. Das alles, sage ich, muß die Untersuchung der Schrift umfassen. Denn um zu wissen, welche Aussagen den Charakter von Gesetzen haben und welche den Charakter einer Sittenlehre, ist es wichtig, das Leben, die Sitten und die Interessen des Verfassers zu kennen, abgesehen davon, daß man die Worte eines Menschen um so leichter deuten kann, je besser man seine geistigen Anlagen und sein Naturell kennt. Um ferner nicht Lehren, die Ewiges zum Gegenstand haben, mit solchen zu vermengen, die nur zu einer bestimmten Zeit oder bloß für wenige Leute von Nutzen sein konnten, ist es wichtig zu wissen, bei welcher Gelegenheit, zu welcher Zeit und für welches Volk oder welches Jahrhundert alle diese Lehren geschrieben wurden. Auch ist es wichtig, mit den übrigen von uns genannten Punkten vertraut zu sein, um nicht nur die Authentizität eines jeden Buches zu kennen, sondern auch zu wissen, ob es von unreinen Händen hat beschmutzt werden können oder nicht, ob sich Irrtümer eingeschlichen haben und ob sie von hinreichend kompetenten und vertrauenswürdigen Männern korrigiert worden sind. Das alles zu wissen ist unabdingbar, um nicht blindlings alles gutzuheißen, was wir zu lesen bekommen, sondern nur das, was gewiß und zweifelsfrei ist. [6] Erst wenn wir eine solche historische Kenntnis der Schrift erlangt haben und fest entschlossen sind, nur das als unbestreitbare prophetische Lehre anzunehmen, was sich aus dieser Kenntnis ergibt oder mit größter Klarheit aus ihr herausgeholt ist, können wir darangehen, die Gedanken der Propheten und des Heiligen Geistes näher zu erforschen. Aber auch hierfür ist eine Methode und Ordnung erforderlich, ähnlich derjenigen, die wir, ausgehend von sicheren Daten, für die Interpretation der Natur anwenden. Bei unserer Erforschung der natürlichen Dinge sind wir darauf aus, die Untersuchung mit den höchst allgemeinen und allen Dingen der Natur gemeinsamen Bestimmungen zu beginnen, nämlich Bewegung und Ruhe und deren Gesetze und Regeln, die die Natur stets

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einhält und nach denen sie beständig wirksam ist, und schreiten von ihnen Schritt für Schritt zu dem fort, was weniger allgemein ist. Und ebenso muß, gestützt auf die historische Kenntnis der Schrift, zuerst erforscht werden, was das höchst Allgemeine ist, was die Basis und Grundlage der ganzen Schrift ist, und schließlich, was in ihr von allen Propheten als ewige und allen Sterblichen gleichermaßen zuträgliche Lehre empfohlen wird, zum Beispiel daß ein einziger und allmächtiger Gott existiert, der allein anzubeten ist, der für alle Sorge trägt und vornehmlich diejenigen liebt, die ihn anbeten und ihren Nächsten lieben wie sich selbst usw. Dies und ähnliches, sage ich, lehrt die Schrift überall so klar und so ausdrücklich, daß in diesen Punkten wohl niemand über den Sinn der Schrift jemals im Zweifel gewesen ist. Aber was Gott ist, in welcher Weise er alle Dinge sieht und alles im voraus besorgt, dies und ähnliches lehrt die Schrift nicht ausdrücklich und als ewige Lehre. Daß im Gegenteil sogar die Propheten in diesen Punkten niemals einer Meinung waren, haben wir oben schon gezeigt. Mithin ist in Fragen dieser Art nichts als Lehre des Heiligen Geistes anzunehmen, obwohl es sich mit Hilfe des natürlichen Lichts sehr wohl bestimmen ließe. [7] Hat man einmal die allgemeine Lehre der Schrift richtig erkannt, muß man zu anderen Punkten fortschreiten, die weniger allgemein sind, aber doch die überall übliche Lebensführung betreffen und wie Bäche aus der allgemeinen Lehre hervorgehen, so alle besonderen äußeren Handlungen der wahren Tugend, die sich nur von Fall zu Fall vollbringen lassen. Was sich hierbei an Dunklem und Zweideutigem in der Schrift findet, muß von ihrer allgemeinen Lehre her erklärt und bestimmt werden; sollten sich hier Widersprüche finden, ist zu berücksichtigen, aus welchem Anlaß, zu welcher Zeit und für wen die diesbezüglichen Passagen geschrieben wurden. Wenn etwa Christus sagt [ Matthäus 5, 4], selig sind, die trauern, denn sie werden Trost empfangen, dann wissen wir aus dieser Textstelle nicht, wen er damit meint; weil er aber später lehrt, wir sollten ausschließlich um das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, die er als das höchste Gut empfiehlt,

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besorgt sein (vgl. Matthäus 6, 33), läßt sich folgern, daß er unter den Trauernden nur diejenigen versteht, die darüber traurig sind, daß die Menschen das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit preisgegeben haben. Darüber können nämlich nur diejenigen trauern, die nichts als das göttliche Reich lieben, d. h. die Gleichheit vor dem Gesetz, und das Übrige als dem Schicksal unterworfen gänzlich verachten. Ebenso auch, wenn er sagt Halte aber dem, der dir auf die rechte Wange schlägt, auch die linke hin usw. [ Matthäus 5, 39]. Hätte Christus das den Richtern als Gesetzgeber befohlen, würde er mit einer solchen Vorschrift das mosaische Gesetz umgestoßen haben, wovor er jedoch ausdrücklich warnt (siehe Matthäus 5, 17); deshalb ist zu berücksichtigen, wer dies gesagt hat, zu wem und zu welcher Zeit. Christus hat es nämlich nicht als ein Gesetzgeber gesagt, der Gesetze erläßt, sondern als ein Lehrer, der Lehren verkündet, denn er hat, wie oben gezeigt, nicht die äußeren menschlichen Handlungen korrigieren, sondern die innere Haltung der Menschen bessern wollen. Schließlich ist zu sehen, daß er diese Worte zu unterdrückten Menschen gesprochen hat, die in einem korrupten Staat lebten, in dem die Gerechtigkeit grob mißachtet wurde und dessen Untergang er bevorstehen sah. Dasselbe, was Christus hier angesichts des bevorstehenden Untergangs der Stadt lehrt, sehen wir (vgl. Klagelieder 3, Buchstaben Tet und Jod) auch Jeremia bei der ersten Zerstörung der Stadt lehren, also in einer ganz ähnlichen Situation. Weil die Propheten dies nur in einer Zeit der Unterdrückung gelehrt haben, ohne es jemals als Gesetz zu erlassen, und weil im Unterschied dazu Moses (der nicht zur Zeit einer Unterdrückung schrieb, sondern, wohlgemerkt, daran arbeitete, einen wohlgeordneten Staat zu errichten), obwohl er Rache und Haß gegen den Nächsten verdammte, dennoch anordnete, Auge um Auge zu sühnen, ergibt sich allein vor diesem Hintergrund der Schrift ganz klar, daß die von Christus und Jeremia vorgetragene Lehre (Unrecht zu ertragen und den Gottlosen in allem nachzugeben) nur dort gilt, wo die Gerechtigkeit mißachtet wird, also zu Zeiten von Unterdrückung, nicht aber in einem wohlgeordneten Staat.

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Denn in einem solchen Staat, in dem die Gerechtigkeit hochgehalten wird, ist jeder gehalten, will er als gerecht angesehen werden, erlittenes Unrecht vor den Richter zu bringen (vgl. Levitikus 5, 1), nicht aus Rache (vgl. Levitikus 19, 17 u. 18), sondern zum Schutz der Gerechtigkeit und der Gesetze des Vaterlandes und damit nicht Schlechtigkeit den Schlechten zum Vorteil gereiche. All das stimmt vollkommen mit der natürlichen Vernunft überein. Noch viele Beispiele dieser Art könnte ich hinzufügen, doch reichen wohl diese beiden, um meine Sicht der Dinge und den Nutzen der skizzierten Methode zu verdeutlichen, worum es mir für jetzt allein geht. [8] Bisher haben wir nur auseinandergesetzt, wie die Schriftstellen zu entschlüsseln sind, die die Lebensführung betreffen und sich deshalb auch leichter entschlüsseln lassen; in der Tat gab es darüber nie wirkliche Uneinigkeit unter den Verfassern der biblischen Bücher. Bei anderen in der Schrift sich findenden Punkten, solchen, die rein spekulativen Charakters sind, ist die Klärung nicht so leicht. Der Weg zu ihnen ist enger; weil die Propheten sich nämlich in spekulativen Fragen, wie wir gezeigt haben, nicht einig waren und ihre Berichte den Vorurteilen der jeweiligen Epoche stark angepaßt sind, ist es uns nicht erlaubt, den Gedanken des einen Propheten aus klareren Stellen eines anderen zu erklären oder gar zu erschließen, wenn nicht ganz offensichtlich ist, daß beide dieselbe Ansicht vertreten haben. Ich will deshalb kurz erläutern, wie man in solchen Fällen den Gedanken der Propheten auf der Basis einer historischen Untersuchung der Schrift ermitteln kann. Auch hierfür ist mit dem höchst Allgemeinen zu beginnen, indem man vor allem aus den völlig klaren Aussagen der Schrift ermittelt, was Prophetie oder Offenbarung ist und worin sie hauptsächlich besteht, sodann, was ein Wunder ist und so weiter bis zu den gewöhnlichsten Dingen. Von da gilt es zu den Ansichten eines jeden Propheten herabzusteigen, um am Ende zum Sinn der einzelnen Offenbarung oder Prophetie, des einzelnen Berichts und des einzelnen Wunders zu gelangen. Weiter oben haben wir an gehöriger Stelle anhand zahlreicher Beispiele schon gezeigt, mit welcher Vorsicht zu

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verfahren ist, um hierbei nicht die Gedanken der Propheten und Geschichtenerzähler mit den Gedanken des Heiligen Geistes und mit der Wahrheit der Sache zu vermengen, so daß ich hierauf nicht weiter bestehen muß. Nur dies ist hinsichtlich des Sinnes der Offenbarungen noch zu bemerken: Aufgabe meiner Methode ist nur, zu erforschen, was die Propheten tatsächlich gesehen und gehört haben, nicht aber, was sie mit ihren rätselhaften Bildern haben bezeichnen oder veranschaulichen wollen; das können wir nämlich bloß vermuten, nicht aber aus den Grundlagen der Schrift mit Sicherheit erschließen. [9] Wir haben somit die Methode, die Schrift zu interpretieren, dargelegt und zugleich bewiesen, daß sie der einzig sichere Weg ist, den wahren Sinn der Schrift zu ermitteln. Ich gebe zu, daß hinsichtlich dieses Sinnes eine noch größere Gewißheit diejenigen haben, falls es solche Leute gibt, die im Besitz einer von den Propheten herkommenden sicheren Tradition und insofern wahren Erklärung sind, wie es die Pharisäer für sich beanspruchen oder auch die Papisten, deren Papst, wie sich die römischen Katholiken brüsten, in der Interpretation der Schrift unfehlbar sei. Weil wir aber weder jener Tradition noch der Autorität des Papstes sicher sein können, können wir darauf auch nichts Sicheres gründen; die Autorität haben schon die ältesten Christen geleugnet und die Tradition die ältesten jüdischen Sekten. Ziehen wir noch die Chronologie (um von anderem zu schweigen) in Betracht, die die Pharisäer von ihren Rabbinen übernommen haben und mit der sie diese Tradition bis auf Moses zurückführen, werden wir finden, daß sie falsch ist, wie ich an anderer Stelle nachweise. Deshalb muß uns eine solche Tradition äußerst verdächtig sein. Auch wir sind zwar genötigt, bei unserer Methode eine bestimmte Tradition der Juden als unversehrt vorauszusetzen, nämlich die uns überlieferte Bedeutung der Wörter der hebräischen Sprache, doch können wir die eine Tradition bezweifeln, ohne die andere in Zweifel zu ziehen. Denn niemand konnte jemals ein Interesse daran haben, die Bedeutung eines Wortes zu verändern, wohl aber nicht selten den Sinn

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einer Rede. Das erste zu tun, wäre ja auch sehr schwer: Wer die Bedeutung eines Wortes verändern wollte, wäre zugleich genötigt, alle Autoren, die in dieser Sprache geschrieben und dieses Wort in der überlieferten Bedeutung gebraucht haben, nach der Sinnesart oder geistigen Einstellung des jeweiligen Autors zu erläutern oder sie sehr behutsam zu verfälschen. Zudem wird die Sprache nicht nur von den Gelehrten erhalten, sondern auch vom Volk, der Sinn der Reden und der Bücher aber nur von den Gelehrten; somit ist durchaus denkbar, daß die Gelehrten den Sinn einer Rede in einem sehr seltenen Buch, das sie in Händen hatten, verändern oder verfälschen konnten, nicht aber die Bedeutung der Wörter. Hinzu kommt, daß jemand, der die Bedeutung eines ihm geläufigen Wortes verändern wollte, es nur schwer fertig brächte, diese Veränderung in seinem weiteren Sprechen wie Schreiben ständig beizubehalten. Aus diesen und anderen Gründen dürfen wir also überzeugt sein, daß es niemandem hat in den Sinn kommen können, eine Sprache zu verfälschen, wohl aber oft den Gedanken eines Autors, indem er dessen Worte verändert oder verkehrt auslegt. [10 ] Wenn also unsere Methode (die ihr Prinzip darin hat, die Erkenntnis der Schrift ihr allein zu entnehmen) die einzig wahre ist, muß man überall dort, wo sie uns eine vollständige Erkenntnis der Schrift nicht bieten kann, die Hoffnung, eine solche jemals zu erlangen, gänzlich aufgeben. Welche Schwierigkeiten diese Methode mit sich bringt und was ihr für das Erreichen einer vollständigen und sicheren Erkenntnis der heiligen Texte fehlt, ist jetzt darzulegen. [11] Die erste große Schwierigkeit dieser Methode rührt daher, daß sie eine vollständige Kenntnis der hebräischen Sprache verlangt. Aber woher sie nehmen? Die einst hebräisch sprachen, haben der Nachwelt nichts über die Grundlagen und die Struktur dieser Sprache hinterlassen; wenigstens ist uns davon nicht das Geringste geblieben: kein Wörterbuch, keine Grammatik, keine Stilkunde. Das hebräische Volk hat seinen ganzen Schmuck und seine ganze Zierde verloren (kein Wunder nach dem Leid so vieler Desaster und Verfolgungen);

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nur einige wenige Fragmente seiner Sprache in ein paar Büchern hat es behalten. Fast alle Namen von Früchten, Vögeln und Fischen sind mit vielen anderen durch die Ungunst der Zeiten verlorengegangen. Ferner ist die Bedeutung vieler in der Bibel vorkommender Namen und Wörter entweder völlig unbekannt oder zumindest strittig. Aber nicht nur dies fehlt uns, sondern vor allem auch eine Phraseologie dieser Sprache: Fast alle der hebräischen Sprache eigenen Ausdrücke und Redewendungen hat die zerstörerische Zeit aus dem Gedächtnis der Menschen getilgt. Deshalb werden wir nicht immer, wie wir möchten, den ganzen Sinn einer Rede, den der Sprachgebrauch zuläßt, ermitteln können und viele Stellen antreffen, die zwar mit wohlbekannten Wörtern formuliert sind, deren Sinn aber ganz dunkel ist und völlig unverständlich bleibt. [12] Verschärft wird dieser Umstand (auf Grund der Überlieferung keine vollständige Kenntnis des Hebräischen haben zu können) durch die Beschaffenheit und Natur dieser Sprache, die so viele Doppeldeutigkeiten in sich birgt, daß es unmöglich ist, eine Methode1 zu finden, gestützt auf die sich der wahre Sinn aller Aussagen der Bibel mit Sicherheit ermitteln ließe. Denn außer den allen Sprachen gemeinsamen Ursachen von Doppeldeutigkeit gibt es in dieser Sprache noch weitere, denen zahlreiche Doppeldeutigkeiten entspringen. Ich glaube, es ist der Mühe Wert, sie hier kenntlich zu machen. – Erstens entsteht in der Bibel die Doppeldeutigkeit und Dunkelheit einer Rede oft daraus, daß die von demselben Organ ausgesprochenen Buchstaben sich vertauschen lassen. Die Hebräer teilen alle Buchstaben des Alphabets nach den fünf der Aussprache dienenden Organen des Mundes in fünf Klassen, nämlich Lippen, Zunge, Zähne, Gaumen und Kehle. Zum Beispiel heißen aleph, heth, ajin und he Gutturale und werden ohne jeden Unterschied, wenigstens unserer Kenntnis nach, einer für den anderen gebraucht. So wird el, das zu bedeutet, oft für al genommen, das über bedeutet, und umgekehrt. Das macht häufig alle Partien einer Rede entweder doppeldeutig oder zu 1

[ Siehe Anmerkung 7 auf Seite 321.]

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Worten ohne Bedeutung. – Die zweite Quelle der Doppeldeutigkeit von Reden ist, daß Konjunktionen und Adverbien eine vielfache Bedeutung haben. Vav dient zum Beispiel unterschiedslos zur Verbindung und Trennung und bedeutet: und, aber, weil, nun, alsdann. Ki hat sieben oder acht Bedeutungen: weil, obgleich, falls, wenn, ebenso, was, Verbrennung, usw., und so ist es bei nahezu allen Partikeln. – Die dritte Doppeldeutigkeit, Quelle vieler anderer, rührt daher, daß die Verben im Indikativ kein Präsens, Imperfekt, Plusquamperfekt, Futur II haben und auch nicht andere, in anderen Sprachen durchaus geläufige Zeitformen; im Imperativ und Infinitiv haben sie nur das Präsens und im Konjunktiv überhaupt keine. Obwohl man das Fehlen der Tempus- und Modusformen nach bestimmten aus den Grundlagen der Sprache abgeleiteten Regeln leicht und sogar recht elegant ergänzen kann, haben die ältesten Schreiber sie überhaupt nicht berücksichtigt und unterschiedslos das Futur für das Präsens und Präteritum und umgekehrt das Präteritum für das Futur gebraucht, ebenso wie den Indikativ für den Imperativ und Konjunktiv, was natürlich die Reden äußerst mehrdeutig machte. [13] Außer diesen drei Ursachen von Doppeldeutigkeit im Hebräischen sind noch zwei weitere hervorzuheben, die beide von noch größerer Wichtigkeit sind. Die erste ist, daß die Hebräer keine Buchstaben für Vokale haben, die zweite, daß sie nicht gewohnt waren, die Sätze durch Interpunktionszeichen zu trennen, um deren Sinn auszudrücken oder gar hervorzuheben. Wenn sie auch beides, Vokale wie Interpunktionen, in der Regel durch Punkte und Akzente ersetzen, können wir uns darauf doch nicht verlassen, weil sie ja erst von Leuten einer viel späteren Zeit erdacht und eingeführt wurden, deren Autorität für uns keine Geltung haben muß. Die Alten jedenfalls haben ohne Punkte geschrieben (d. h. ohne Vokale und Akzente), wie vielfach bezeugt ist. Erst die Späteren haben sie hinzugefügt, und zwar so, wie sie die Bibel gerade deuten wollten. Die Punkte und Akzente, die wir heute haben, sind also rein moderne Entscheidungen, die nicht mehr Zutrauen und Glaubwürdigkeit verdienen als die anderen Er-

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läuterungen dieser Autoren. Wem das unbekannt ist, der weiß nicht, wie der Verfasser des Hebräerbriefs zu entschuldigen ist, daß er in 11, 21 den Text von Genesis 47, 31 ganz anders interpretiert hat, als man ihn im punktierten hebräischen Text findet, ganz so, als ob der Apostel den Sinn der Schrift von denen, die punktiert haben, hätte lernen sollen! Mir scheint der Fehler eher bei den Punktisten zu liegen. Damit dies jeder sieht und zugleich sieht, daß diese Diskrepanz bloß vom Fehlen der Vokale herrührt, will ich die beiden Deutungen hier anführen. Die Punktisten haben mit ihrer Vokalisierung den Text so gelesen: Und Israel beugte sich über oder (ain in aleph ändernd, also in einen Buchstaben desselben Organs) gegen den Kopf des Bettes, während der Verfasser des Briefes liest: Und Israel beugte sich über den Kopf des Stabes, indem er mate liest, wo die anderen mita lesen, ein Unterschied, der nur von den Vokalen herrührt. Weil es in jener Erzählung aber nur um Jakobs Alter geht, nicht wie im folgenden Kapitel um seine Krankheit, scheint mehr dafür zu sprechen, daß der Erzähler hat sagen wollen, Jakob habe sich über den Kopf seines Stabes (den ja Greise im vorgerückten Alter als Stütze benötigen) gebeugt und nicht über den Kopf seines Bettes, um so mehr, als man so keine Ersetzung von Buchstaben anzunehmen braucht. Mit diesem Beispiel habe ich nicht nur die Stelle im Hebräerbrief mit dem Text von Genesis verträglich machen, sondern vor allem zeigen wollen, wie wenig den modernen Punkten und Akzenten zu trauen ist; wer die Schrift vorurteilslos interpretieren will, sollte hier also mißtrauisch sein und den Text unparteiisch prüfen. [14] Aus dieser Natur und Beschaffenheit des Hebräischen (um auf unser Vorhaben zurückzukommen) müssen, wie sich jeder leicht denken kann, so viele Doppeldeutigkeiten entstehen, daß es gar keine Methode geben kann, die geeignet wäre, sie alle zu beheben. Denn wir dürfen nicht hoffen, durch Vergleichen der Reden (der einzige Weg, wie wir gezeigt haben, den wahren Sinn aus dem vielfachen Sinn, den jede Rede nach dem Sprachgebrauch zulassen kann, zu ermitteln) hier zu uneingeschränktem Erfolg zu kommen. Ein Vergleichen der Reden

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kann in der Tat nur zufällig Licht in eine Rede bringen, weil ja kein Prophet in der Absicht geschrieben hat, die eigenen Ausdrücke oder die eines anderen Propheten seiner Leserschaft zu erklären; dann aber auch, weil wir die Gedanken eines Propheten, Apostels usw. nicht aus den Gedanken eines anderen erschließen können, es sei denn, wie wir schon klar gezeigt haben, in Dingen der Lebensführung, unmöglich aber wenn sie spekulative Fragen behandeln oder von Wundern und geschichtlichen Ereignissen erzählen. Daß sich in den heiligen Schriften zahlreiche unerklärbare Stellen finden, könnte ich im übrigen anhand mancher Beispiele zeigen, doch will ich im Moment davon absehen und mich jetzt lieber den anderen Schwierigkeiten und auch Mängeln zuwenden, die unsere wahre Methode der Schriftinterpretation noch enthält. [15] Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich bei dieser Methode daraus, daß sie die Kenntnis der historischen Umstände aller Bücher der Schrift erfordert, die wir jedoch in den meisten Fällen nicht haben. Von zahlreichen Büchern sind uns nämlich die Verfasser oder, wenn man lieber will, die Redakteure entweder völlig unbekannt oder, wie ich in den folgenden Kapiteln ausführlich zeigen werde, zumindest zweifelhaft. Ferner wissen wir auch nicht, bei welcher Gelegenheit und zu welcher Zeit die Bücher, deren Redakteure uns unbekannt sind, geschrieben wurden. Außerdem wissen wir nicht, in wessen Hände alle diese Bücher gefallen sind, wem die Exemplare mit so viel verschiedenen Lesarten gehört haben und ob es noch weitere Lesarten in anderen Exemplaren gegeben hat. Wie wichtig es ist, das alles zu wissen, habe ich an gehöriger Stelle kurz aufgezeigt; doch habe ich dort absichtlich einige Punkte weggelassen, die es jetzt zu betrachten gilt. Wenn wir ein Buch lesen, das unglaubliche oder unbegreifliche Dinge enthält oder in dunklen Ausdrücken geschrieben ist und von dem wir weder den Verfasser kennen noch wissen, zu welcher Zeit und bei welcher Gelegenheit es geschrieben wurde, dann werden wir uns vergeblich bemühen, über seinen wahren Sinn Gewißheit zu erlangen. Denn wenn uns das alles unbekannt ist, können wir schwerlich wissen, welche Absicht der Ver-

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fasser hatte oder haben konnte. Sind wir hingegen darüber gut informiert, dann präzisieren wir unsere Überlegungen so, daß wir keinem Vorurteil erliegen, also dem Verfasser – oder denen, für die er geschrieben hat – nicht mehr oder weniger zuschreiben, als sich geziemt, und nur das erwägen, was der Autor im Blick haben konnte oder was Zeit und Gelegenheit verlangten. Das dürfte jedem klar sein, denke ich. In der Tat kommt es sehr häufig vor, daß wir über ganz ähnliche Geschichten, die wir in verschiedenen Büchern gelesen haben, sehr unterschiedliche Urteile fällen, je nach den unterschiedlichen Ansichten, die wir von ihren Verfassern haben. Ich erinnere mich, einmal in einem Buch gelesen zu haben, daß ein Mann, rasender Roland genannt, auf einem geflügelten Ungeheuer durch die Luft zu reiten pflegte, alle Landstriche nach Belieben überflog, eine beträchtliche Zahl von Menschen und Riesen eigenhändig niederstreckte und andere Phantastereien dieser Art beging, die vom Standpunkt des Verstandes völlig unverständlich sind. Eine ähnliche Geschichte habe ich auch bei Ovid über Perseus gelesen und noch eine andere in den Büchern der Richter und der Könige über Samson (der allein und ohne Waffen Tausende von Menschen niederstreckte) und über Elias, der durch die Lüfte flog und schließlich auf einem Wagen mit feurigen Pferden zum Himmel gelangte. Das sind, ich wiederhole, ganz ähnliche Geschichten, und doch urteilen wir sehr unterschiedlich über sie, daß nämlich der erste Autor nur närrisches Zeug schreiben wollte, der zweite etwas zu politischen, der dritte zu heiligen Angelegenheiten, und das nehmen wir allein wegen der Ansichten an, die wir von den Verfassern dieser Geschichten haben. Es ist also klar, daß wir von den Autoren, die dunkle oder unverständliche Dinge geschrieben haben, eine solide Kenntnis haben müssen, wenn wir ihre Schriften interpretieren wollen. Aus denselben Gründen müssen wir, wollen wir bei dunklen Geschichten unter verschiedenen Lesarten die richtigen ermitteln, wissen, in welchen Exemplaren man diese Lesarten entdeckt hat und ob sich nicht noch andere mehr bei Männern von größerer Autorität gefunden haben.

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Eine letzte Schwierigkeit, bestimmte Bücher der Schrift nach dieser Methode zu interpretieren, entsteht daraus, daß wir sie nicht in ihrer Originalsprache haben. Das Evangelium nach Matthäus und zweifellos auch der Hebräerbrief sind nach allgemeiner Ansicht auf Hebräisch abgefaßt, doch nicht in ihrem Original erhalten. In welcher Sprache das Buch Hiob verfaßt wurde, ist strittig. Ibn Esra behauptet in seinen Kommentaren, es sei aus einer anderen Sprache ins Hebräische übersetzt worden und daß dies der Grund seiner Dunkelheit sei. Zu den apokryphen Büchern sage ich nichts, da sie ja von weit geringerer Autorität sind. [17] Dies sind also alle die Schwierigkeiten der Methode, die Schrift auf der Basis ihrer uns zugänglichen Geschichte zu interpretieren, die ich aufzählen wollte. Ich halte sie für so gravierend, daß ich keine Bedenken trage zu behaupten, daß wir für viele Stellen den wahren Sinn der Schrift entweder nicht kennen oder ihn, ohne Gewißheit, nur vermuten. Doch ist hier noch einmal darauf hinzuweisen: Alle diese Schwierigkeiten können nur verhindern, den Gedanken der Propheten zu erfassen, der sich auf unverständliche Dinge bezieht, die wir bloß vorstellen, nicht aber auf Dinge, die wir mit dem Verstand begreifen, von denen wir also einen klaren Begriff1 bilden können. Denn Dinge, die ihrer Natur nach leicht begriffen werden, können niemals so dunkel ausgedrückt werden, daß sie sich nicht leicht verstehen ließen, entsprechend dem Sprichwort „Dem Verständigen genügt ein Wort“. Euklid, der nur sehr einfache und in hohem Maße verständliche Dinge geschrieben hat, läßt sich von jedem in beliebiger Sprache leicht erklären. Um seine Gedanken zu erfassen und ihres wahren Sinnes gewiß zu sein, ist es nicht erforderlich, eine vollständige Kenntnis der Sprache zu haben, in der er geschrieben hat, sondern nur eine ganz gewöhnliche, fast schülerhafte; man braucht nicht das Leben, die Interessen und die moralische Haltung des Autors zu kennen, auch nicht in welcher Sprache, für wen und wann er geschrieben hat, weder das Schicksal des [16]

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Buches noch seine verschiedenen Lesarten, auch nicht wie und von welchem Ausschuß es gutgeheißen wurde. Was wir hier von Euklid sagen, ist von allen Autoren zu sagen, die über Sachverhalte geschrieben haben, die ihrer Natur nach leicht begreifbar sind. Mithin folgern wir, daß wir den Gehalt der Schrift in ihren moralischen Aussagen auf der Basis ihrer Geschichte, soweit sie uns zugänglich ist, leicht erfassen und seines wahren Sinnes gewiß sein können. In der Tat sind die Lehren wahrer Frömmigkeit in den gebräuchlichsten und insofern allgemein zugänglichen Worten ausgedrückt und in diesem Maße einfach und leicht zu verstehen. Und weil das wahre Heil und die wahre Glückseligkeit im wahren Frieden des Gemüts besteht und wir unseren inneren Frieden nur in dem finden, was wir vollkommen klar erkennen, läßt sich ganz unverkennbar folgern, daß wir über den Sinn der Schrift, der Dinge berührt, die zum Heil führen und für die Glückseligkeit unabdingbar sind, Gewißheit erlangen können. Insofern ist es nicht erforderlich, sich um den Rest in demselben Maße zu kümmern; bei ihm geht es mehr um Kuriositäten als um wirklich Nützliches, weil wir es ja zum größten Teil gar nicht in vernünftiger Weise, d. h. mit unserem Verstand, begreifen können. [18] Hiermit glaube ich die wahre Methode der Schriftinterpretation dargelegt und dazu meine Position hinreichend erläutert zu haben. Überdies bin ich sicher, daß jetzt jeder sieht, daß diese Methode kein anderes Licht verlangt als das natürliche. Natur und Vorzug dieses Lichtes bestehen in der Tat hauptsächlich darin, dunkle Sachverhalte aus bekannten oder als bekannt angesehenen Daten im Wege richtiger Folgerung herzuleiten und zu erschließen; und nichts anderes verlangt unsere Methode. Wir geben zu, daß sie nicht ausreicht, über alles, was sich in der Bibel findet, Gewißheit zu erlangen; doch ist das nicht auf einen Mangel dieser Methode zurückzuführen, sondern darauf, daß der Weg, den sie als wahr und richtig ausgibt, von den Menschen niemals gewartet oder gar begangen wurde und deshalb im Lauf der Zeit sehr beschwerlich, ja fast kein Weg mehr wurde, wie die von mir angeführten Schwierigkeiten, denke ich, klar genug zeigen.

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Es bleibt noch, die von uns abweichenden Positionen zu erörtern. Zuerst wollen wir die Auffassung derer untersuchen, die behaupten, das natürliche Licht habe nicht die Kraft, die Schrift zu interpretieren, weil hierfür ein übernatürliches Licht unabdingbar sei. Was das für ein Licht neben dem natürlichen sein soll, überlasse ich ihnen zu erläutern. Ich wenigstens kann nur vermuten, daß sie, nur mit dunkleren Ausdrücken, ebenfalls haben zugestehen wollen, in den meisten Fällen über den wahren Sinn der Schrift im Zweifel zu sein; sehen wir uns nämlich ihre Erläuterungen näher an, so finden wir, daß sie gar nichts Übernatürliches enthalten, sondern reine Vermutungen sind. Vergleicht man sie, wenn man will, mit den Erläuterungen derer, die unumwunden bekennen, kein anderes Licht als das natürliche zu haben, wird man sie ganz ähnlich finden, nämlich menschlich, lange durchdacht und mühsam erarbeitet. Wenn sie nun behaupten, das natürliche Licht reiche für diese Aufgabe nicht aus, ist das eindeutig falsch: einmal, weil, wie gezeigt, bei der Interpretation der Schrift alle Schwierigkeiten nicht einer unzureichenden Kraft des natürlichen Lichts entspringen, sondern allein einer Nachlässigkeit (um nicht zu sagen Böswilligkeit) der Menschen, die es versäumt haben, für die Schrift deren Geschichte zusammenzustellen, als sie es noch konnten; zum anderen, weil (wie alle, wenn ich nicht irre, einräumen) dieses übernatürliche Licht ein göttliches Geschenk ist, das allein den Gläubigen vergönnt ist. Nun haben die Propheten und Apostel in der Regel nicht nur zu den Gläubigen gepredigt, sondern vor allem zu den Ungläubigen und Gottlosen, die also wohl imstande waren zu verstehen, was die Propheten und Apostel meinten. Sonst sähe es so aus, als hätten sie Neugeborenen und Kindern gepredigt und nicht vernunftbegabten Erwachsenen; vergeblich hätte Moses die Gesetze vorgeschrieben, wenn sie nur von den Gläubigen, die ein Gesetz gar nicht brauchen, hätten verstanden werden können. Wer also ein übernatürliches Licht sucht, um die Gedanken der Propheten und Apostel zu verstehen, dem fehlt es offenbar an natürlichem Licht; so bin ich weit davon entfernt zu glauben,

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daß Leute dieses Schlages eine übernatürliche göttliche Gabe besitzen. [20 ] Ganz anders ist die Ansicht des Maimonides. Er meint nämlich, jede Stelle der Schrift lasse einen unterschiedlichen, ja sogar gegensätzlichen Sinn zu, und wir seien des wahren Sinnes einer jeden erst gewiß, wenn wir wüßten, daß diese Stelle, so wie wir sie interpretieren, nichts enthält, was mit der Vernunft nicht übereinstimmte oder ihr widerspräche. Zeigte sich, daß ihr buchstäblicher Sinn der Vernunft widerspricht, müßte diese Stelle, meint er, wie klar sie auch sein mag, anders interpretiert werden. Das ist seine ausdrückliche These in Kap. 25 des 2. Teils seines Buches Führer der Unschlüssigen, wo es heißt: Wisset, es sind nicht die Textstellen der Schrift über die Erschaffung der Welt, die uns davon abhalten zu sagen, daß die Welt ewig ist. Denn die Stellen, die lehren, die Welt sei geschaffen worden, sind nicht zahlreicher als die, die lehren, Gott sei körperlich; auch sind uns die Mittel und Wege zur Erklärung der Stellen, die von der Erschaffung der Welt handeln, weder schwer zugänglich noch gar versperrt; wir hätten sie erklären können, wie wir es bei der Zurückweisung der Körperlichkeit Gottes getan haben. Vielleicht wäre dies viel leichter gegangen, und wir hätten es mit ihrer Erklärung und der Behauptung der Ewigkeit der Welt weit bequemer haben können, als wir es, in unserer Erklärung der Schrift, bei der Zurückweisung der These der Körperlichkeit des gütigen Gottes hatten. Zwei Gründe bewegen mich jedoch, es nicht zu tun und es nicht zu glauben (daß die Welt ewig ist): 1. weil ein klarer Beweis zeigt, daß Gott nicht körperlich ist, und alle Stellen, deren buchstäblicher Sinn dem Beweis zuwiderläuft, erklärt werden müssen; denn es ist sicher, daß dann diese Stellen zwangsläufig einer Erklärung bedürfen (die von der buchstäblichen verschieden ist). Die Ewigkeit der Welt wird hingegen durch keinen Beweis dargetan; es ist also nicht nötig, den Schriften Gewalt anzutun und sie mit Rücksicht auf eine nur plausible Ansicht zu erklären, deren Gegenteil wir uns zuwenden könnten, sobald irgendein Grund dafür spricht. 2. weil zu glauben, Gott sei unkörperlich, nicht den

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Grundlagen des Gesetzes widerspricht, zu glauben, die Welt sei ewig, wie Aristoteles sich das vorgestellt hat, hingegen das Gesetz von Grund auf zerstört, usw. Das sind Maimonides’ Worte, aus denen klar hervorgeht, was wir gerade gesagt haben. Stünde für ihn aus Gründen der Vernunft fest, daß die Welt ewig ist, zögerte er nicht, die Schrift hin und her zu drehen und in einer Weise zu erklären, daß es am Ende so aussieht, als lehre sie ebendies. Mehr noch, er wäre sich, wenn ihm dies gelingt, sicher, daß die Schrift die Ewigkeit der Welt hat lehren wollen, obwohl sie ihm überall das Gegenteil geradezu entgegenschreit. Er bliebe also über den wahren Sinn der Schrift, wie klar er auch sein mag, im Ungewissen, solange er an der Wahrheit der Sache noch zweifeln kann oder solange sie für ihn noch nicht feststeht. Denn solange die Wahrheit einer Sache nicht feststeht, wissen wir nicht, ob die Sache mit der Vernunft übereinstimmt oder nicht, und folglich wissen wir auch nicht, ob der buchstäbliche Sinn wahr oder falsch ist. Wäre diese Auffassung richtig, würde ich ohne weiteres zugeben, daß wir für die Interpretation der Schrift ein anderes Licht benötigten als das natürliche. Denn nahezu alles, was sich in der Schrift findet, läßt sich nicht aus Prinzipien herleiten, die dank des natürlichen Lichts bekannt sind, wie wir schon gezeigt haben; von seiner Wahrheit können wir uns somit nicht kraft des natürlichen Lichts überzeugen und folglich auch nicht von dem wahren Sinn und dem Geist der Schrift, sondern benötigten hierfür unausweichlich irgendein anderes Licht. Wäre diese Auffassung richtig, ergäbe sich des weiteren, daß das einfache Volk, das in der Regel von Beweisen nichts versteht oder keine Zeit hat, sich ihnen zu widmen, Zugang zur Schrift allein unter der Autorität und Beglaubigung derer haben könnte, die philosophieren, und folglich annehmen müßte, die Philosophen könnten sich im Feld der Schriftinterpretation nicht irren – womit wir eine ganz neue Kirchenautorität und Priesterschaft hätten oder eine neue Art von Päpsten, die beim Volk wohl eher Spott als Verehrung hervorriefe. Obwohl auch unsere Methode eine Kenntnis verlangt, nämlich die des Hebräischen, mit dessen Studium das

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einfache Volk sich nicht befassen kann, kann man uns den Einwand doch nicht zurückgeben. Denn die einfachen Leute, für die die Propheten und Apostel einst gepredigt und geschrieben haben, Juden wie Heiden, verstanden deren Sprache und aus ihr heraus auch die Gedanken der Propheten, nicht aber die Gründe des Gehalts ihrer Prophezeiungen, die sie Maimonides zufolge auch hätten kennen müssen, um die Gedanken der Propheten erfassen zu können. Der Sache nach folgt aus unserer Methode also gerade nicht, daß sich das einfache Volk mit dem, was die Interpreten bekunden, zufrieden geben müßte; denn ich berufe mich auf ein Volk, das sich auf die Sprache der Propheten und Apostel verstand, während Maimonides kein Beispiel für ein Volk gibt, das die Ursachen von etwas begreift und aus ihnen die Gedanken derer, die zu ihnen sprechen, versteht. Was das Volk in unseren Tagen angeht, so haben wir schon gezeigt, daß es alles, was zum Heil nötig ist, in beliebiger Sprache leicht verstehen kann, auch wenn es seine Begründung nicht kennt, weil es hierbei um allgemeine und weithin übliche Dinge geht. Mit diesem Verständnis ist das einfache Volk zufrieden, gewiß aber nicht mit dem, was die Interpreten von sich geben; und was den Rest angeht, darin teilt es das Los der Gelehrten. [21] Doch kehren wir zur Ansicht des Maimonides zurück, um sie genauer zu prüfen. Sie unterstellt erstens, daß die Propheten in allen Dingen untereinander übereingestimmt haben und herausragende Philosophen und Theologen waren, denn er will sie ihre Schlüsse aus der Wahrheit der Sache ziehen lassen. Daß dies falsch ist, haben wir im 2. Kapitel gezeigt. Sie unterstellt zweitens, daß der Sinn der Schrift sich nicht aus der Schrift selbst ergeben kann, weil die Wahrheit einer Sache sich nicht aus der Schrift ergibt (die ja nichts beweist und die Dinge, über die sie spricht, nicht durch ihre Definitionen und ersten Ursachen expliziert). Daraus folgert Maimonides, daß sich der wahre Sinn der Schrift nicht aus ihr selbst ergeben kann und somit auch nicht ihr zu entnehmen ist. Aber auch das ist falsch, wie dieses Kapitel klar macht. Wir haben sowohl im Rückgriff auf die Vernunft als auch anhand von Beispielen

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gezeigt, daß der Sinn der Schrift sich allein aus der Schrift selbst ergibt und nur ihr zu entnehmen ist, selbst wenn sie von Dingen spricht, die kraft des natürlichen Lichts bekannt sind. Drittens unterstellt diese Auffassung, daß es uns erlaubt sei, die Worte der Schrift nach unseren vorgefaßten Meinungen zu deuten und zu verdrehen, den buchstäblichen Sinn, wie klar und eindeutig er auch sein mag, beiseite zu schieben und in irgendeinen anderen zu verkehren. Jeder sieht wohl gut, daß eine solche Ermächtigung, abgesehen davon, daß sie dem in diesem und in anderen Kapiteln Bewiesenen vollkommen widerspricht, maßlos und verwegen ist. Sei es, und gestehen wir ihm eine so große Willkür zu, was wird damit gewonnen? Gewiß nichts. Denn was unbeweisbar ist und den größten Teil der Schrift ausmacht, werden wir weder in dieser Weise ergründen noch nach dieser Norm erläutern und interpretieren können, während wir, wenn wir unserer Methode folgen, sehr viele Stellen dieser Art erläutern und sicher besprechen können, wie wir, gestützt auf Argument und Beispiel, schon gezeigt haben. Was seiner Natur nach begreifbar ist, dessen Sinn wird, wie ebenfalls schon gezeigt, leicht aus dem bloßen Zusammenhang, in dem eine Rede steht, ermittelt. Deshalb ist die Methode des Maimonides völlig unbrauchbar. Hinzu kommt, daß sie dem Volk bei seiner schlichten Lektüre wie auch allen, die die andere Methode konsequent verfolgen, alle Gewißheit, die sie vom Sinn der Schrift haben können, gänzlich nimmt. Deshalb verwerfen wir die Auffassung des Maimonides als schädlich, nutzlos und widersinnig. [22] Was die Tradition der Pharisäer angeht, so haben wir schon hervorgehoben, daß sie nicht standhält. Die Autorität der römischen Päpste hätte ein gewichtigeres Zeugnis nötig, und allein aus diesem Grund verwerfe ich sie. Denn könnten sie ihre Autorität mit gleicher Gewißheit aus der Schrift selbst erweisen, wie es ehedem die Hohepriester der Juden konnten, machte es mir nichts aus, daß unter den römischen Päpsten Ketzer und gottlose Gesellen anzutreffen waren – schließlich war es so auch einst bei den Hebräern, bei denen Leute dieser Art auf dubiose Weise ins Hohepriesteramt gelangten und

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dennoch, nach der Anordnung der Schrift, die höchste Befugnis zur Auslegung des Gesetzes in Händen hatten. Siehe Deuteronomium 17, 11 – 12 und 33, 10 sowie Maleachi 2, 8. Weil sie uns aber kein Zeugnis dieser Art zeigen, bleibt ihre Autorität äußerst suspekt. Damit nicht jemand, verführt durch das Beispiel des hebräischen Hohepriesters, meint, auch die allgemeingültige Religion brauche so etwas wie einen Hohepriester, sei darauf hingewiesen, daß Moses’ Gesetze, weil sie das öffentliche Recht des Vaterlandes konstituierten, zu ihrer Bewahrung notwendigerweise einer öffentlichen Autorität bedurften. Wäre es nämlich jedem einzelnen freigestellt, das öffentliche Recht nach seinem Gutdünken auszulegen, könnte kein Staat Bestand haben, sondern würde sich eben dadurch auf der Stelle auflösen und das öffentliche Recht zu einem Privatrecht machen. Ganz anders liegt die Sache jedoch bei der Religion. Denn weil sie weniger in äußeren Handlungen als in der Einfalt und Aufrichtigkeit der Gesinnung besteht, untersteht sie keinem öffentlichen Recht und keiner öffentlichen Autorität. Die Einfalt und Aufrichtigkeit der Gesinnung wird Menschen weder von der Herrschaft der Gesetze noch von einer öffentlichen Autorität eingeflößt, und schlechterdings niemand kann gewaltsam oder mit dem Zwang von Gesetzen dazu gebracht werden, glückselig zu werden; hierfür sind fromme und brüderliche Ermahnungen, eine gute Erziehung und vor allem ein freies und eigenständiges Urteilen erforderlich. Weil das unumschränkte Recht, frei zu denken, selbst über die Religion, einem jeden zukommt und es undenkbar ist, daß jemand dieses Recht preisgeben könnte, wird das höchste Recht und die höchste Autorität, frei über die Religion zu urteilen und folglich sie für sich zu erklären und zu interpretieren, auch einem jeden zukommen. Denn aus keinem anderen Grund liegen die uneingeschränkte Autorität der Gesetzesauslegung und das uneingeschränkte Urteil in öffentlichen Angelegenheiten in den Händen des Magistrats, als daß es sich hierbei um öffentliches Recht handelt; mithin wird aus demselben Grund die uneingeschränkte Autorität, die Religion zu erklären und somit über sie zu urteilen, in den

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Händen eines jeden liegen, daß dies nämlich zum Recht eines jeden gehört. Weit entfernt also, daß man von der Autorität des hebräischen Hohepriesters, die Landesgesetze auszulegen, auf die Autorität des römischen Papstes, die Religion zu interpretieren, schließen könnte, wird man im Gegenteil daraus leichter schließen, daß sie uneingeschränkt jedem einzelnen zukommt; auch hieran können wir zeigen, welchen großen Vorzug unsere Methode, die Schrift zu interpretieren, hat. Denn wenn die höchste Autorität der Schriftinterpretation jedem einzelnen zukommt, kann die Richtschnur für die Interpretation nur das allen gemeinsame natürliche Licht sein, nicht aber ein übernatürliches Licht oder eine äußere Autorität. Auch darf die Methode nicht so schwierig sein, daß nur die scharfsinnigsten Männer, die Philosophen, sie handhaben könnten, sie muß vielmehr der natürlichen Kapazität und gewöhnlichen Auffassungskraft der Menschen entsprechen, was, wie wir gezeigt haben, für die von uns konzipierte gilt. Wir haben nämlich gesehen, daß die Schwierigkeiten, die sie immer noch hat, von der Nachlässigkeit der Menschen herrühren und nicht der Natur der Methode entspringen.

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Achtes K a pitel In ihm wird gezeigt, daß der Pentateuch sowie die Bücher Josua, Richter, Ruth, Samuel und Könige nicht eigenhändig geschrieben sind. Des weiteren wird untersucht, ob sie mehrere Verfasser hatten oder nur einen, und welchen Im vorigen Kapitel haben wir von den Grundlagen und Prinzipien der Erkenntnis der Schrift gehandelt und gezeigt, daß sie in nichts anderem bestehen als in deren unverfälschter Geschichte. Um eine solche Geschichte haben sich, obwohl im höchsten Maße nötig, die Alten jedoch nicht gekümmert, oder aber, sollten sie eine geschrieben und überliefert haben, hat sie die Ungunst der Zeiten nicht überlebt, so daß die Grundlagen und Prinzipien dieser Erkenntnis größtenteils verlorengegangen sind. Dieser Verlust wäre noch zu ertragen, wenn die Späteren sich an die gebotenen Grenzen gehalten und das Wenige, was sie erhalten oder vorgefunden haben, ihren Nachkommen getreulich weitergegeben und nichts Neues in ihrem Kopf herausgesponnen hätten. So kam es, daß die Geschichte der Schrift nicht nur unvollständig geblieben, sondern auch sehr fehlerhaft überliefert ist, d. h. daß die Grundlagen der Erkenntnis der Schrift nicht nur zu dürftig sind, um daraus die Schrift unverkürzt zu rekonstruieren, sondern auch voller Fehler. [2] Zu meinem Vorhaben gehört es, sie zu verbessern und mit den gängigen Vorurteilen der Theologie aufzuräumen; es durchzuführen kommt jedoch, fürchte ich, zu spät. Denn es ist schon so weit gekommen, daß die Menschen in diesem Feld von einer Korrektur nichts mehr wissen wollen, sondern das, was sie unter der Pracht der Religion einmal gutgeheißen haben, hartnäckig verteidigen; Raum für die Vernunft scheint nur noch bei sehr wenigen geblieben zu sein – so weit haben die Vorurteile den Geist der Menschen bereits eingenommen. Trotzdem will ich mir Mühe geben und den Versuch nicht aufgeben, weil es doch keinen Grund gibt, an dieser Sache ganz zu verzweifeln.

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Um sachgerecht vorzugehen, will ich mich zunächst den Vorurteilen über die tatsächlichen Verfasser der heiligen Schriften zuwenden. Beginnen wir mit dem Verfasser des Pentateuch. Fast alle haben geglaubt, es sei Moses gewesen; die Pharisäer haben sogar so hartnäckig an ihm festgehalten, daß sie jeden für einen Ketzer hielten, der eine andere Meinung vertreten hat. Deshalb hat Ibn Esra, ein Mann von freierem Geist und nicht geringer Gelehrsamkeit, der unter allen, die ich gelesen habe, als erster dieses Vorurteil bemerkt hat, nicht gewagt, seine Einschätzung offen zu vertreten, sondern sich damit begnügt, sie in recht dunklen Wendungen nur anzudeuten; ich aber scheue mich nicht, seine Worte klarer zu machen und damit Licht in die Sache zu bringen, um die es hier geht. Die Worte des Ibn Esra, die sich in seinen Kommentaren zum Deuteronomium finden, lauten: Jenseits des Jordan usw.; vorausgesetzt, du verstehst das Geheimnis der Zwölf; und auch Moses hat das Gesetz geschrieben; und der Kanaaniter war damals im Lande; auf dem Berg Gottes wird es offenbart werden; und auch sein Bett hier, ein Bett aus Eisen; dann wirst du die Wahrheit erkennen. Mit diesen wenigen Worten bloßer Andeutung macht er doch deutlich, daß es nicht Moses war, der den Pentateuch geschrieben hat, sondern irgendein anderer, der viel später lebte, und daß das von Moses geschriebene Buch ein anderes Werk war. Um das zu beweisen, verweist er auf mehrere Punkte: 1. Die Vorrede des Deuteronomium konnte von Moses, der den Jordan nicht überschritt, nicht geschrieben werden. – 2. Moses’ ganzes Buch ist in gut lesbarer Form auf dem Umfang eines einzigen Altars niedergeschrieben (siehe Deuteronomium 27 und Josua 8, 31 ff.), der nach dem Bericht der Rabbinen aus nur 12 Steinen bestand, woraus sich ergibt, daß Moses’ Buch einen weit geringeren Umfang hatte als der Pentateuch. Das hat meiner Meinung nach unser Autor mit das Geheimnis der Zwölf zum Ausdruck bringen wollen, es sei denn, er hat darunter die zwölf Verwünschungen verstanden, die sich in jenem Kapitel des Deuteronomium finden und von denen er vermutlich glaubte, sie hätten nicht im Buch des Gesetzes gestanden (wohl deshalb, weil Moses

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nach der Niederschrift des Gesetzes den Leviten befahl, diese Verwünschungen vorzulesen, um das Volk durch Eidschwur zur Einhaltung der niedergeschriebenen Gesetze zu zwingen). Vielleicht hat er auch auf das letzte Kapitel des Deuteronomium über Moses’ Tod verweisen wollen, das aus zwölf Versen besteht. Doch ist es nicht nötig, dies und was andere dahergeredet haben, hier sorgfältiger zu prüfen. – 3. In Deuteronomium 31, 9 heißt es: Und Moses hat das Gesetz geschrieben, was nicht Moses’ Worte sein können, sondern die eines anderen Schreibers sein müssen, der über Moses’ Tun und Schreiben berichtet. – 4. In Genesis 12, 6 fügt der Erzähler bei dem Bericht über Abrahams Wanderung durch das Land der Kanaaniter hinzu: Der Kanaaniter war zu jener Zeit noch im Lande, was klarerweise ausschließt, daß es zu der Zeit, in der er dies schreibt, noch so war. Diese Worte müssen demnach nach Moses’ Tod geschrieben worden sein, d. h. als die Kana aniter, schon vertrieben, diesen Landstrich nicht mehr besaßen, was Ibn Esra in seinem Kommentar dieser Stelle auch zu verstehen gibt: Und der Kanaaniter war damals in jenem Land; offenbar hat Kanaan (der Enkel Noahs) das Land des Kanaaniter, das im Besitz eines anderen war, genommen; wenn das nicht wahr ist, liegt hierin ein Geheimnis; und schweigen möge, wer es erkannt hat. Das heißt: Wenn Kanaan diese Gegenden erobert hat, wird der Sinn sein: Der Kanaaniter war schon damals in diesem Land, im Gegensatz zu einer früheren Zeit, als es von einem anderen Volk bewohnt wurde. Wenn Kanaan aber der erste war, der diese Gegenden bewohnt hat (wie aus Genesis 10 hervorgeht), dann schließt der Text die gegenwärtige Zeit, d. h. die des Schreibers, aus, der somit nicht Moses war, weil die Kanaaniter zu seiner Zeit jene Gegenden noch in Besitz hatten. Das ist jenes Geheimnis, über das Ibn Esra zu schweigen empfiehlt. – 5. In Genesis 22, 14 heißt der Berg Morya Berg Gottes,1 welchen Namen er erst bekam, nachdem er für den Bau des Tempels geweiht worden war; dazu war er jedoch zur Zeit Moses’ noch nicht 1

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auserwählt, der in der Tat keinen von Gott auserwählten Ort nennt, sondern im Gegenteil verkündet, Gott werde eines Tages einen erwählen, dem man den Namen Gottes geben wird. – 6. In Deuteronomium 3 ist in die Erzählung von Og, dem König von Basan, folgende Stelle eingeschoben: Allein Og, König von Basan, war von den Riesen übriggeblieben1 , und siehe, sein Bett war ein Bett aus Eisen; es ist sicher (das Bett), das in Rabat ist bei den Kindern Ammons, neun Ellen lang, usw. Dieser Einschub zeigt ganz klar, daß der Schreiber dieser Bücher lange nach Moses gelebt hat; denn so zu sprechen ist nur dem eigen, der von längst vergangenen Dingen erzählt und für die Beglaubigung seiner Erzählung auf Überbleibsel aus jener Zeit verweist. Zweifellos wurde dieses Bett erst zur Zeit Davids wiedergefunden, der diese Stadt eroberte, wie in 2. Samuel 12, 30 berichtet wird. Aber nicht nur hier, sondern auch etwas weiter unten hat jener Historiker Moses’ Worten etwas hinzugefügt: Jair, Manasses Sohn, nahm den ganzen Gerichtsbezirk von Argob bis an die Grenzen der Gesuriter und Maachatiten und nannte jene Gegenden samt Basan nach seinem Namen Distrikte Jairs, den sie bis heute behalten haben. Das, sage ich, fügt der Historiker hinzu, um Moses’ Worte zu erklären, die er soeben angeführt hatte: Und das übrige Gilead und ganz Basan, das Königreich des Og, habe ich dem halben Stamm Manasse gegeben, den ganzen Gerichtsbezirk von Argob unterhalb von ganz Basan, das Land der Riesen heißt. Zweifellos wußten die Hebräer zur Zeit dieses Erzählers, welches die Distrikte Jairs (vom Stamm Juda) waren, kannten sie aber weder unter dem Namen des Gerichtsbezirks von Argob noch unter dem des Landes der Riesen. Er mußte deshalb erklären, welche Orte das sind, die früher so hießen, und zugleich den Grund angeben, warum sie damals den Namen von Jair trugen, der ja zum Stamm Juda und nicht zum Stamm Manasse gehörte (siehe 1. Chronik 2, 21 u. 22). 1

Man beachte: das hebräische Wort rephaim bedeutet Verdammte, scheint aber auch ein Eigenname gewesen zu sein (nach 1. Chronik 20), so daß ich glaube, daß das Wort hier eine Familie bezeichnet.

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Damit haben wir die Ansicht von Ibn Esra erläutert und zugleich auch die Stellen im Pentateuch, die er zu ihrer Bestätigung zitiert. Indessen hat er nicht alle und auch nicht die wichtigsten erwähnt; es ist noch auf weitere von großer Wichtigkeit in diesen Büchern zu verweisen. – 1. Der Schreiber dieser Bücher spricht nicht nur von Moses in der dritten Person, sondern macht darüber hinaus zahlreiche Aussagen über ihn. Ich nenne einige: Gott hat mit Moses gesprochen [( Exodus 30, 22)]; Gott sprach mit Moses von Angesicht zu Angesicht [( Exodus 33, 11)]; Moses war der demütigste aller Menschen (Numeri 12, 3); Moses war voller Zorn auf die Führer des Heeres ( Numeri 31, 14); Moses der Mann Gottes ( Deuteronomium 33, 1); Moses, der Knecht Gottes, ist gestorben; nie wieder erhob sich in Israel ein Prophet wie Moses [( Deuteronomium 34, 5 u. 10)] usw. In Deuteronomium dagegen, wo das Gesetz, das Moses geschrieben und dem Volk erklärt hatte, aufgeschrieben ist, spricht Moses selbst und erzählt seine Taten in der ersten Person, z. B.: Gott hat zu mir gesprochen ( Deuteronomium 2, 1 u. 17); ich habe Gott gebeten [( Deuteronomium 9, 26)] usw. Erst später, am Ende des Buches, setzt der Historiker, nachdem er von Moses’ Worten berichtet hat, seinen Bericht in der dritten Person fort und erzählt, wie Moses dem Volk das Gesetz, das er ihm erklärt hatte, schriftlich übergab, es von neuem ermahnte und wie er schließlich sein Leben beendete. Alles das – Ausdrucksweise, Zeugnis von außen, Kontext der ganzen Geschichte – läßt deutlich erkennen, daß diese Bücher von einem anderen und nicht vom Moses selbst zusammengestellt worden sind. – 2. In dieser Geschichte wird nicht nur erzählt, wie Moses starb und begraben wurde und wie die Hebräer dreißig Tage lang um ihn trauerten, sondern, ihn mit allen späteren Propheten vergleichend, auch gesagt, daß er alle übertroffen habe: Niemals erhob sich in Israel ein Prophet wie Moses, den Gott von Angesicht zu Angesicht gekannt hat. Ein solches Zeugnis hat natürlich nicht Moses selbst geben können, aber auch nicht einer seiner unmittelbaren Nachfolger, sondern nur jemand, der viele Jahrhunderte nach ihm lebte, zumal der Historiker von einer vergangenen

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Epoche spricht (niemals erhob sich ein Prophet usw.). Und von seiner Grabstätte sagt er: Niemand kennt sie bis zu diesem Tag. – 3. Einige Ortschaften werden nicht mit dem Namen bezeichnet, den sie zu Moses’ Lebzeiten trugen, sondern mit einem, den sie viel später erhalten haben, beispielsweise daß Abraham seine Feinde bis nach Dan verfolgt hat (siehe Genesis 14, 14), welchen Namen diese Stadt erst lange nach Josuas Tod erhalten hat (siehe Richter 18, 29). – 4. Die Berichte reichen manchmal auch über Moses’ Lebenszeit hinaus. So wird in Exodus 16, 34 berichtet, die Söhne Israels hätten vierzig Jahre lang Manna gegessen, bis sie, an den Grenzen von Kanaan, bewohntes Land erreichten, d. h. bis zu der Zeit, von der das Buch Josua (5, 12) spricht. Auch in Genesis 36, 31 heißt es: Dies sind die Könige, die in Edom geherrscht haben, bevor ein König über die Söhne Israels herrschte. Zweifellos erzählt der Historiker hier von den Königen, die die Edomiter hatten, bevor David sie unterwarf1 und Statthalter in Idumäa einsetzte (siehe 2. Samuel 8, 14). [5] Aus alledem geht klarer als das Sonnenlicht hervor, daß der Pentateuch nicht von Moses geschrieben wurde, sondern von irgendeinem anderen und daß dieser viele Jahrhunderte nach Moses gelebt hat. Doch wollen wir mit Verlaub auch die Bücher betrachten, die Moses selbst geschrieben hat und die im Pentateuch zitiert werden; diese Zitate werden nämlich deutlich machen, daß diese Bücher nicht mit dem Pentateuch identisch sind. – Zunächst geht aus Exodus 24, 4 u. 7 hervor, daß Moses auf Geheiß Gottes den Krieg gegen Amalek beschrieben hat, ohne daß aus diesem Kapitel hervorginge, in welchem Buch er es getan hat. Doch wird in Numeri 21, 14 ein Buch mit dem Titel Buch der Kriege Gottes zitiert, und zweifellos wird dort vom Krieg gegen Amalek berichtet wie auch von allen Stationen des Feldlagers (die, wie der Verfasser des Pentateuch in Numeri 33, 2 bezeugt, auch von Moses niedergeschrieben wurden). Aus Exodus 24, 4 u. 7 geht außerdem die Existenz eines anderen Buches mit dem Titel Buch 1

[ Siehe Anmerkung 10 auf Seite 321.]

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des Bundes1 hervor, das Moses den Israeliten vorlas, als sie ihren ersten Bund mit Gott geschlossen hatten. Dieses Buch oder dieser Brief war jedoch sehr kurz und enthielt nur die in Exodus 20, 22 – 24 angeführten Gesetze oder Gebote Gottes, was niemand, der dieses Kapitel mit gesundem Urteil unvoreingenommen gelesen hat, bestreiten wird. Dort wird nämlich berichtet, daß Moses, sobald er die Meinung des Volkes über den mit Gott zu schließenden Bund erfaßt hatte, die Worte Gottes mit den darin enthaltenen Rechtsgesetzen sofort aufschrieb und am nächsten Morgen, nach einigen Zeremonien, der ganzen Versammlung die Bedingungen des Bundes vorlas. Nachdem sie verlesen waren und selbst der ganze Pöbel sie zweifelsfrei verstanden hatte, gab ihnen das Volk seine volle Zustimmung. Aus der Kürze der Zeit, in der es niedergeschrieben wurde, wie auch daraus, daß es um den zu schließenden Bund ging, läßt sich folgern, daß dieses Buch nur das wenige von mir gerade Erwähnte enthalten hat. Schließlich steht fest, daß Moses vierzig Jahre nach dem Auszug aus Ägypten alle von ihm erlassenen Gesetze erklärte ( Deuteronomium 1, 5), daß er das Volk von neuem auf sie verpflichtete ( Deuteronomium 29, 14) und schließlich daß er ein Buch geschrieben hat, das die so erklärten Gesetze und den neuen Bund enthielt ( Deuteronomium 31, 9); dieses Buch wurde Buch des Gesetzes Gottes genannt, und Josua erweitert es später um den Bericht des Bundes, auf den sich das Volk zu seiner Zeit von neuem verpflichtete, ihn zum dritten Mal mit Gott schließend (siehe Josua 24, 25 – 26). Da wir nun kein Buch haben, das diesen Bund Moses’ zugleich mit dem Bund Josuas enthält, muß man ohne weiteres zugestehen, daß dieses Buch verlorengegangen ist, oder aber den Unsinn des chaldäischen Paraphrasten Jonathan teilen und die Worte der Schrift nach Belieben verdrehen. Jonathan hat nämlich, verwirrt von dieser Schwierigkeit, lieber die Schrift verfälschen als die eigene Unwissenheit eingestehen wollen. Die Stelle im Buch Josua (24, 26) Und Josua hat diese Worte in das Buch des 1

Sepher bedeutet im Hebräischen recht häufig Brief oder Schriftstück.

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Gesetzes Gottes geschrieben überträgt er so ins Chaldäische: Und Josua hat diese Worte geschrieben und sie mit dem Buch des Gesetzes Gottes aufbewahrt. Was soll man mit Leuten machen, die nur sehen, was sie sehen wollen? Was ist das anderes, sage ich, als die Schrift selbst leugnen und eine neue aus dem eigenen Hirn herausspinnen? Für uns schließen wir, daß dieses Buch des Gesetzes Gottes, geschrieben von Moses, nicht der Pentateuch war, sondern ein anderes Buch, das der Verfasser des Pentateuch seinem Werk an gehöriger Stelle eingefügt hat. Das geht aus dem Gesagten wie aus dem, was noch zu sagen ist, ganz offensichtlich hervor. In der angeführten Stelle des Deuteronomium, in der berichtet wird, Moses habe das Buch des Gesetzes geschrieben, fügt der Erzähler hinzu, Moses habe es den Priestern übergeben und ihnen dabei befohlen, es zu bestimmter Zeit dem ganzen Volk vorzulesen, was zeigt, daß dieses Buch von weit geringerem Umfang war als der Pentateuch, da es ja in einer einzigen Zusammenkunft so verlesen werden konnte, daß alle es verstanden. Nicht außer acht zu lassen ist auch, daß Moses anordnete, von allen Büchern, die er geschrieben hatte, nur das vom zweiten Bund und das Lied (das er später aufschrieb, um es dem ganzen Volk bekannt zu machen) gewissenhaft aufzubewahren und zu bewachen. Weil er in der Tat mit dem ersten Bund nur die damals Anwesenden verpflichtet hatte, mit dem zweiten aber auch alle ihre Nachkommen (siehe Deuteronomium 29, 14 – 15), ordnete er an, das Buch dieses zweiten Bundes für die kommenden Jahrhunderte sorgfältig aufzubewahren und außerdem, wie gesagt, das Lied weiterzugeben, das vornehmlich die kommenden Jahrhunderte im Blick hat. Weil also nicht feststeht, daß Moses außer diesen noch andere Bücher geschrieben hat, und weil er selbst keine Anweisung gab, neben dem Buch des Gesetzes und dem Lied noch ein anderes für die Nachwelt gewissenhaft aufzubewahren, und endlich, weil sich im Pentateuch viele Stellen finden, die von Moses nicht geschrieben sein konnten, folgt, daß niemand auf sicherer Basis, sondern nur völlig unbegründet behaupten kann, Moses sei der Verfasser des Pentateuch.

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Nun wird vielleicht jemand fragen, ob Moses außer diesen beiden Werken nicht auch die Gesetze, als sie ihm zum ersten Mal offenbart wurden, schriftlich niedergelegt hat, d. h. ob er in dem Zeitraum von vierzig Jahren keines der Gesetze, die er erlassen hat, niedergeschrieben hat, sondern nur die wenigen, die, wie gesagt, im Buch des ersten Bundes enthalten sind. Darauf antworte ich: Wenn ich auch einräume, daß die Annahme, Moses habe die Gesetze an dem Ort und zu der Zeit, als ihre Mitteilung geschah, auch schriftlich niedergelegt, durchaus vernünftig zu sein scheint, bestreite ich doch, daß es uns deshalb erlaubt wäre, dies zu behaupten. Weiter oben haben wir nämlich gezeigt, daß wir über Fragen dieser Art nur das behaupten dürfen, was aus der Schrift selbst hervorgeht oder sich in richtiger Folgerung allein aus ihren Grundlagen ergibt, nicht aber das, was sich daraus ergibt, daß es mit der Vernunft in Einklang zu stehen scheint. Zudem zwingt uns nicht einmal die Vernunft zu einer solchen Annahme. Denn vielleicht war es die Versammlung der Ältesten, die Moses’ Anordnungen dem Volk in Schriftform mitteilte und die der Historiker später zusammengestellt und in Moses’ Lebensgeschichte an der gehörigen Stelle eingefügt hat. Soviel zu den fünf Büchern Moses. Jetzt ist es an der Zeit, die anderen Bücher zu untersuchen. [7] Vom Buch Josua läßt sich mit ähnlichen Argumenten zeigen, daß nicht Josua sein Verfasser ist. Es ist in der Tat ein anderer, der von Josua bezeugt, daß sein Ansehen über die ganze Erde verbreitet war (siehe 6, 27), daß er nichts von dem unterließ, was Moses vorgeschrieben hatte (siehe 8, 35 und 11, 15), daß er alt wurde und alle zur Versammlung einberief und schließlich seinen Geist aufgab. Außerdem wird von Ereignissen berichtet, die sich nach seinem Tod zugetragen haben, beispielsweise daß nach seinem Tod die Isrealiten Gott so lange verehrt haben, wie die Ältesten, die ihn gekannt hatten, noch am Leben waren. Und in 16, 10 heißt es, daß Ephraim und Manasse die in Gaser wohnenden Kanaaniten nicht vertrieben haben, daß vielmehr (fügt er hinzu) die Kanaaniter bis auf diesen Tag unter Ephraim lebten und ihm Tribut entrichteten. Das ist das[ 6]

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selbe, was im ersten Kapitel des Buchs der Richter berichtet wird, und auch die Redeweise bis auf diesen Tag zeigt, daß der Verfasser von einem längst vergangenen Geschehnis berichtet. Dieser Stelle ähnlich ist die in 15, 63 über die Söhne Judas und die Geschichte von Kaleb in 15, 13 ff. Auch der in 22, 10 ff. berichtete Fall der zwei Stämme und des Halb-Stammes, die einen Altar jenseits des Jordan gebaut hatten, hat sich offenbar nach Josuas Tod ereignet, da ja Josua in der ganzen Erzählung keinmal erwähnt wird: nur das Volk berät, ob Krieg zu führen ist, schickt Gesandte, erwartet deren Antwort und billigt sie am Ende. Schließlich geht aus 10, 14 ganz offensichtlich hervor, daß dieses Buch viele Jahrhunderte nach Josua geschrieben wurde, aus dem Satz nämlich: es gab keinen anderen Tag wie diesen, weder vorher noch nachher, an dem Gott jemandem (so) gehorcht hätte. Wenn Josua also jemals ein Buch geschrieben hat, dann war es gewiß jenes, das in 10, 13 ebendieses Berichtes zitiert wird. Von dem Buch der Richter redet sich wohl niemand von gesundem Verstand ein, daß es von den Richtern selbst geschrieben wurde. Die Zusammenfassung der ganzen Geschichte, die sich im 2. Kapitel findet, zeigt nämlich klar, daß das ganze Buch von einem einzigen Historiker geschrieben wurde. Weil sein Autor zudem häufig darauf aufmerksam macht, daß es zur damaligen Zeit keinen König in Israel gab, steht außer Zweifel, daß es zu einer Zeit geschrieben wurde, als im Staat schon Könige herrschten. Auch mit den Büchern Samuel brauchen wir uns nicht lange aufzuhalten, wird doch die Erzählung weit über seine Lebenszeit hinaus fortgeführt. Bemerken möchte ich nur, daß dieses Buch ebenfalls viele Jahrhunderte nach Samuel geschrieben wurde. Denn in 1. 9, 9 ruft der Historiker beiläufig in Erinnerung: Vor Zeiten sagte in Israel jemand, der sich aufmachte, Gott um Rat zu fragen: Laßt uns zum Seher gehen, denn wen man heute Prophet nennt, nannte man vor Zeiten Seher. Die Bücher der Könige schließlich sind, wie aus ihnen selbst hervorgeht, Auszüge aus den Büchern der Taten Salomos

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(siehe 1. Könige 11, 47), der Chronik der Könige von Juda (ebd. 14, 19 u. 29) und der Chronik der Könige von Israel. [11] Wir kommen also zu dem Schluß, daß alle Bücher, die wir bisher geprüft haben, zu späterer Zeit verfaßt wurden und die darin enthaltenen Ereignisse als längst vergangen erzählt werden. Wenn wir den Zusammenhang und den Inhalt aller dieser Bücher ins Auge fassen, wird sich leicht folgern lassen, daß sie alle von ein und demselben Historiker zusammengestellt wurden, der die alte Geschichte der Juden von Beginn an bis zur ersten Zerstörung der Stadt hat schreiben wollen. Allein aus der Weise der Verknüpfung dieser Bücher können wir erkennen, daß sie nur den Bericht eines einzigen Historikers enthalten. In der Tat geht er, sobald er mit dem Bericht über Moses’ Leben fertig ist, zur Geschichte Josuas mit folgenden Worten über: Und es geschah, nachdem Moses, der Knecht Gottes, gestorben war, daß Gott zu Josua sagte, usw. Und als er nach Josuas Tod dessen Geschichte beendet hat, eröffnet er die Geschichte der Richter mit derselben Überleitung und Anknüpfung: Und es geschah, nachdem Josua gestorben war, daß die Söhne Israels Gott fragten, usw. So verknüpft er auch das Buch Ruth mit dem Buch der Richter, gleichsam als dessen Anhang, mit den Worten: Und es geschah in den Tagen, als die Richter ihre Urteile fällten, daß eine Hungersnot in jenem Land war. Auf dieselbe Weise verknüpft er mit diesem Buch das 1. Buch Samuel, schreitet an dessen Ende mit dem gewohnten Übergang zum 2. Buch fort und verbindet mit ihm, weil die Geschichte Davids noch nicht zu Ende ist, das erste Buch der Könige, an das er dann, mit der Geschichte Davids fortfahrend, das zweite Buch, wiederum mit demselben Übergang, anschließt. Ferner weisen Zusammenhang und Anordnung der Geschichten auch darauf hin, daß dieser eine Geschichtsschreiber sich ein bestimmtes Ziel gesetzt hat. Er beginnt in der Tat mit einem Bericht über den ersten Ursprung des Volksstamms der Hebräer, erzählt dann der Reihe nach, bei welcher Gelegenheit und zu welcher Zeit Moses seine Gesetze erlassen und seine zahlreichen Prophezeiungen formuliert hat; daraufhin, wie sie gemäß seinen

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Weissagungen das verheißene Land in Besitz genommen haben (siehe Deuteronomium 7), wie sie aber, einmal im Besitz des Landes, die Gesetze aufgaben ( Deuteronomium 31, 16), was ihnen viel Unheil brachte (ebenda 31, 17); weiter, wie sie sich Könige wählen wollten ( Deuteronomium 17, 14), denen es dann, je nachdem ob sie die Gesetze respektierten oder nicht, ebenfalls gut oder schlecht erging ( Deuteronomium 28, 36 u. 68), bis er am Ende vom Untergang des Staates, wie ihn Moses vorhergesagt hatte, berichtet. Das Übrige, das nicht zur Bestätigung des Gesetzes taugt, übergeht er entweder stillschweigend oder schiebt es mit Verweis auf andere Historiker beiseite. Alle diese Bücher laufen also auf das eine hinaus: Moses’ Worte und Erlasse zu lehren und durch den Verlauf der Ereignisse zu bestätigen. [12] Aus diesen drei Merkmalen (thematische Einheit aller Bücher, Art ihrer Verknüpfung, Zeitpunkt ihrer Abfassung viele Jahrhunderte nach den geschilderten Ereignissen), zusammengenommen betrachtet, schließen wir, wie schon gesagt, daß sie alle von einem einzigen Historiker verfaßt sind. Wer es gewesen ist, kann ich nicht mit gleicher Evidenz zeigen, vermute aber, daß es Esra war, und stütze mich für diese Vermutung auf einige triftige Anhaltspunkte. Weil dieser Historiker (von dem wir jetzt wissen, daß es nur einer war) die Geschichte bis zur Befreiung Jojachins fortführt und hinzufügt, daß dieser sein Leben lang am Tisch des Königs gesessen habe (ob Jojachins Leben oder das des Sohns von Nebukadnezar gemeint ist, ist nicht eindeutig), ergibt sich, daß er nicht vor Esra gelebt haben kann. Doch nur von Esra und von keinem anderen, der damals etwas zählte, bezeugt die Schrift (siehe Esra 7, 10), daß er eifrig darauf bedacht war, das Gesetz Gottes zu erforschen und zu illustrieren, und daß er sich als Schriftgelehrter (ebenda 7, 6) im Gesetz Moses’ auskannte. Deshalb wüßte ich keinen außer Esra, der diese Bücher hätte schreiben können. Ferner entnehmen wir diesem Zeugnis über Esra, daß er darauf bedacht war, das Gesetz Gottes nicht nur wissenschaftlich zu untersuchen, sondern ihm auch Glanz zu verleihen; und in Nehemia 8, 9 ist auch gesagt: Sie lasen das Buch des Ge-

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setzes Gottes mit seiner Erklärung, gebrauchten dafür ihren Verstand und verstanden die Schrift. Da nun das Buch Deuteronomium nicht nur Moses’ Gesetzbuch oder dessen größten Teil enthält, sondern darüber hinaus sich auch viele Zusätze zur näheren Erklärung darin finden, vermute ich, daß das Buch Deuteronomium das Buch des Gesetzes Gottes ist, das, von Esra geschrieben, illustriert und erklärt, sie damals lasen. Daß im Buch Deuteronomium zahlreiche Zusätze zur näheren Erklärung eingeschoben sind, haben wir schon an zwei Beispielen gezeigt, als wir die Auffassung des Ibn Esra darlegten. Es finden sich aber noch viele andere, beispielsweise in 2, 12: In Seir wohnten ehedem die Horiter, doch die Söhne Esaus vertrieben sie, löschten sie aus ihrem Angesicht und setzten sich an deren Stelle, so wie Israel es tat im Land seines Erbes, das ihm Gott gegeben hat. Dieser Vers erklärt Vers 3 und 4 desselben Kapitels, daß nämlich die Söhne Esaus den Berg Seir, den sie als Erbe erhalten hatten, nicht unbewohnt in Besitz genommen, sondern erobert haben, also die Horiter vertrieben und ausrotteten, wie es die Israeliten nach Moses’ Tod mit den Kanaanitern taten. Moses’ Worten eingefügt in Form einer Parenthese sind auch die Verse 6 – 9 des 10. Kapitels. Niemandem entgeht wohl, daß Vers 8, der mit Zu jener Zeit sonderte Gott den Stamm Levi aus beginnt, sich auf Vers 5 beziehen muß und nicht auf den Tod Aarons, auf den Esra hier allein deshalb zu verweisen scheint, weil Moses bei dem Bericht über die Anbetung des Kalbes gesagt hatte (siehe 9, 20), er habe um Aarons willen Gott angefleht. Er legt dann dar, daß Gott zu der Zeit, von der Moses an dieser Stelle spricht, sich den Stamm Levi auserwählt hat, um die Ursache dieser Wahl anzugeben, und warum die Leviten nicht berufen wurden, an dem Erbe teilzuhaben; danach nimmt er mit Moses’ Worten den Faden der Erzählung wieder auf. Hinzunehmen sollte man auch die Vorrede dieses Buches und alle Stellen, die von Moses in der dritten Person sprechen, und noch weitere Stellen, die wir heute nicht mehr auseinanderhalten können, zweifellos von Esra hinzugefügt oder in anderen Worten ausgedrückt, um den Menschen seiner Zeit die

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Erzählungen besser zugänglich zu machen. Hätten wir, sage ich, das von Moses geschriebene Buch des Gesetzes selbst, würden wir zweifellos sowohl im Wortlaut wie in der Anordnung und der Begründung der Gebote eine beträchtliche Abweichung finden. Schon ein Vergleich des Dekalogs dieses Buches mit dem Dekalog in Exodus (wo seine Geschichte eigens erzählt wird) macht ihre Verschiedenheit in allen diesen Punkten deutlich. In der Tat hat das vierte Gebot nicht nur einen anderen Wortlaut, sondern auch einen viel größeren Umfang; seine Begründung weicht von der in Exodus beigebrachten himmelweit ab; ferner ist auch die Anordnung, in der das zehnte Gebot hier erläutert wird, ganz anders als in Exodus. Diese Änderungen, hier wie an anderen Stellen, hat Esra wohl vorgenommen, weil er das Gesetz Gottes den Menschen seiner Zeit erklärte; und auf diesem Weg haben wir das Buch des Gesetzes Gottes, illustriert und erklärt von Esra. Von allen Büchern, die meiner Ansicht nach Esra geschrieben hat, ist dieses, glaube ich, das erste gewesen; meine Vermutung stützt sich darauf, daß es die Landesgesetze enthält, die das Volk am nötigsten hatte, aber auch darauf, daß dieses Buch, anders als alle anderen, mit dem vorhergehenden durch keine Überleitung verknüpft ist, sondern abrupt beginnt: Das sind Moses’ Worte, usw. Nachdem er dieses Buch fertiggestellt und die Gesetze dem Volk vermittelt hatte, machte Esra, so nehme ich an, sich daran, die vollständige Geschichte des hebräischen Volkes niederzuschreiben, vom Ursprung der Welt bis zur endgültigen Zerstörung der Stadt; und in sie hat er an passendem Ort dieses Buch Deuteronomium eingefügt. Vielleicht hat er Moses’ Namen den ersten fünf Büchern gegeben, weil sie vor allem über dessen Leben berichten und er den Titel nach ihrem Hauptinhalt ausgesucht hat. Aus demselben Grund nannte er das sechste nach Josua, das siebte nach den Richtern, das achte nach Ruth, das neunte und vielleicht auch das zehnte nach Samuel und schließlich das elfte und zwölfte nach den Königen. Ob aber Esra letzte Hand an dieses Werk gelegt und es so vollendet hat, wie er es wünschte, wird man im folgenden Kapitel sehen.

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Neuntes K a pitel Weitere Untersuchungen über dieselben Bücher; besonders ob Esra letzte Hand an sie gelegt hat; und ob die Randbemerkungen, die sich in den hebräischen Handschriften finden, verschiedene Lesarten gewesen sind Wieviel die obige Untersuchung über den wirklichen Bearbeiter dieser Bücher zu deren vollem Verständnis beiträgt, läßt sich leicht schon den Stellen entnehmen, die wir zur Bestätigung unserer diesbezüglichen Ansicht herangezogen haben und die ohne sie jedem als höchst dunkel erscheinen müßten. Doch abgesehen von der Frage nach dem Bearbeiter bleibt in diesen Büchern noch auf andere Punkte zu achten, die der herrschende Aberglaube dem Volk zu entdecken nicht erlaubt. Der wichtigste ist, daß Esra (ihn will ich für den Redakteur der genannten Bücher halten, bis man mit größerer Gewißheit einen anderen nachweist) an die in diesen Büchern enthaltenen Erzählungen nicht letzte Hand angelegt hat: Er hat nichts weiter getan, als die von verschiedenen Schreibern erzählten Geschichten zusammenzustellen und manchmal auch nur abzuschreiben, und sie dann ungeprüft und ungeordnet der Nachwelt hinterlassen. Welche Ursachen (wenn nicht vielleicht ein vorzeitiger Tod) ihn daran gehindert haben, diese Arbeit in allen Stücken zu Ende zu bringen, kann ich nicht erraten. Die Tatsache selbst ist jedoch, auch wenn uns die alten hebräischen Historiker nicht erhalten sind, aus den uns verbliebenen spärlichen Fragmenten absolut sicher. [2] In der Tat ist die Geschichte von Hiskia im 2. Buch der Könige (18, 17 ff.) aus Jesajas Bericht so, wie er sich in der Chronik der Könige von Juda geschrieben findet, abgeschrieben. Denn wir lesen sie vollständig in Jesajas Buch, das in den Chroniken der Könige von Juda enthalten war (siehe 2. Chronik 32, 32), und zwar dort wie hier mit nur wenigen Ausnahmen1 in den gleichen Worten; schließen kann man daraus jedoch nur, daß man

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von dieser Erzählung Jesajas verschiedene Lesarten gefunden hat, will man nicht auch hier Geheimnisse hineinträumen. Ferner ist das letzte Kapitel des 2. Buchs der Könige auch im letzten sowie im 39. und 40. Kapitel Jeremias enthalten. Außerdem finden wir Kapitel 7 des 2. Buchs Samuel in Kapitel 17 der 1. Chronik wieder, allerdings an mehreren Stellen mit erstaunlich1 verändertem Wortlaut, so daß unschwer zu erkennen ist, daß die beiden Kapitel zwei verschiedenen Exemplaren der Geschichte Nathans entnommen sind. Schließlich wird die Stammtafel der Könige von Idumäa, die sich in Genesis 36, 31 ff. findet, mit denselben Worten in 1. Chronik 1 angeführt, obwohl der Verfasser dieses Buches seinen Bericht sicher anderen Historikern entnommen hat und nicht den zwölf Büchern, die wir Esra zuschreiben. Wären diese historischen Texte noch in unserer Hand, ließe sich die Sache zweifellos direkt entscheiden; weil sie aber, wie gesagt, verlorengegangen sind, bleibt uns nur übrig, die Berichte selbst zu prüfen, d. h. ihre Anordnung und interne Verknüpfung, die Unterschiede in den Wiederholungen und schließlich die Diskrepanz in den Zeitangaben, um auf dieser Basis das Übrige zu beurteilen. Untersuchen wir also die Berichte oder wenigstens die wichtigsten. [3] Beginnen wir mit der Geschichte von Juda und Tamar, die der Historiker in Genesis 38 so zu erzählen beginnt: Es begab sich zu jener Zeit, daß Juda sich von seinen Brüdern trennte. Die Zeit, um die es hier geht, kann sich nur auf eine andere Zeit 2 beziehen, auf die, von der unmittelbar vorher die Rede war, aber keinesfalls auf die, um die es gerade vorher im Buch Genesis ging. Von dem Zeitpunkt an, als Joseph nach Ägypten geführt wurde, bis zu dem, als der Erzvater Jakob mit seinem ganzen Haus dorthin aufbrach, lassen sich nämlich nicht mehr als zweiundzwanzig Jahre zählen. Denn Joseph war siebzehn Jahre alt, als er von seinen Brüdern verkauft wurde, und dreißig, als Pharao ihn aus dem Gefängnis rufen ließ; rechnet man

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die sieben Jahre der Fruchtbarkeit und die zwei der Hungersnot hinzu, so kommt man auf zweiundzwanzig Jahre. Undenkbar ist jedoch, daß in so kurzer Zeit sich so viele Ereignisse zutragen konnten: daß Juda mit der einen Frau, die er damals heiratete, nacheinander drei Kinder zeugte, daß der Älteste von ihnen, sobald er alt genug war, Tamar zur Frau nahm, daß nach dessen Tod der zweite sie heiratete und dann auch starb und daß nach alledem Juda selbst sich mit Tamar, seiner Schwiegertochter, einließ, ohne zu wissen, wer sie ist, die ihm auch noch zwei Kinder schenkte, Zwillinge diesmal, von denen der eine wiederum Vater wurde, ebenfalls noch in der angegebenen Zeitspanne. Da sich alles dies nicht auf die Zeit beziehen kann, von der im Buch Genesis die Rede ist, kommt man nicht umhin, es auf eine andere unmittelbar vorangegangene Zeit zu beziehen, von der ein anderes Buch handelte. Mithin hat Esra auch diese Geschichte einfach abgeschrieben und ungeprüft den übrigen Erzählungen eingefügt. [4] Aber nicht nur dieses Kapitel, sondern die ganze Geschichte Josephs und Jakobs ist, wie man unausweichlich zugeben muß, von verschiedenen Historikern hergeholt und abgeschrieben, so wenig sehen wir darin eine innere Kohärenz. Genesis 47 erzählt, daß Jakob einhundertdreißig Jahre alt war, als er, von Joseph geführt, zum ersten Mal den Pharao begrüßte; zieht man davon die zweiundzwanzig Jahre ab, die er wegen Josephs Abwesenheit in Trauer verbrachte, die siebzehn, die Joseph alt war, als er verkauft wurde, und schließlich die sieben, die er wegen Rahel diente, wird man finden, daß er in sehr vorgerücktem Alter von vierundachtzig Jahren stand, als er Lea zur Frau nahm, während umgekehrt Dina kaum sieben Jahre als war,1 als Sichem sie vergewaltigte, Simeon und Levi kaum zwölf und elf, als sie diese ganze Stadt plünderten und alle ihre Bewohner mit dem Schwert niederstreckten. [5] Doch ist es nicht nötig, hier den ganzen Pentateuch durchzugehen. Wenn man nur darauf achtet, wie in diesen fünf Büchern alles, Vorschriften wie Geschichten, durcheinander 1

[ Siehe Anmerkung 14 auf Seite 323.]

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geht und ohne Ordnung und ohne Beachtung der zeitlichen Abfolge erzählt wird und daß ein und dieselbe Geschichte häufig und manchmal ganz verändert wiederkehrt, dann wird man leicht erkennen, daß dies alles zusammengetragen, ja zusammengestoppelt wurde, damit es später leichter überprüft und in Ordnung gebracht werde. [6] Nicht nur die Berichte in diesen fünf Büchern, sondern auch die anderen bis hin zur Zerstörung der Stadt in den sieben anderen Büchern sind in dieser Weise zusammengetragen. Wer sieht nicht, daß in Richter 2, 6 ff. ein neuer Geschichtsschreiber (der auch Josuas Taten beschrieben hat) zu Wort kommt und daß seine Worte einfach abgeschrieben sind? In der Tat, nachdem unser Historiker im letzten Kapitel von Buch Josua erzählt hat, daß Josua gestorben und begraben ist, und im ersten Kapitel der Richter versprochen hat, von Ereignissen nach dessen Tod zu berichten, wie hat er dann, wenn er dem Faden seiner Geschichte folgen wollte, an das Vorangehende dasjenige, was er jetzt über Josua selbst zu erzählen beginnt, anschließen können?1 Nicht anders sind die Kapitel 17, 18 usw. des ersten Buchs Samuel einem anderen Historiker entnommen, der einen anderen Grund annimmt, warum David sich anschickte, den Hof Sauls aufzusuchen, einen Grund, der von dem in Kapitel 16 desselben Buches angegebenen erheblich abweicht: David sei nicht auf Rat der Knechte von Saul berufen worden und zu ihm gegangen (wie es in Kapitel 16 heißt), sondern weil er von seinem Vater zu seinen Brüdern ins Lager geschickt worden sei und dort zufällig Saul aus Anlaß seines Sieges über den Philister Goliath kennengelernt habe, der ihn an seinem Hof behielt. Dasselbe vermute ich für Kapitel 26 dieses Buches, daß nämlich der Historiker hier dieselbe Geschichte wie in Kapitel 24 zu erzählen scheint und einer anderen Version folgt. [7] Aber ich lasse das auf sich beruhen und komme zur Überprüfung der Zeitrechnung. In 1. Könige 6 heißt es, Salomo habe den Tempel im Jahr 480 nach dem Auszug aus Ägypten 1

[ Siehe Anmerkung 15 auf Seite 324.]

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gebaut; aus den historischen Berichten selbst schließen wir jedoch auf eine weit höhere Zahl von Jahren. Denn: Moses regierte das Volk in der Wüste Josua, der 110 Jahre lang lebte, werden nach Ansicht des Josephus Flavius und anderer Historiker nicht mehr zugeschrieben als Kusan Rishgataim hielt das Volk in seiner Gewalt Othniel, Kenaz’ Sohn, war Richter1 Heglon, der König von Moab, herrschte über das Volk Ehud und Sangar waren Richter Jachim, der König von Kanaan, hielt das Volk von neuem in seiner Gewalt Das Volk lebte danach in Frieden Es stand dann unter der Herrschaft von Midjan Zur Zeit Gideons lebte es in Freiheit Unter der Herrschaft von Abimelech Tola, Sohn von Pua, war Richter Jair Das Volk stand erneut unter der Herrschaft der Philister und Ammoniter Jephta war Richter Absan von Bethlehem Elon vom Stamm Sebulon Abdan von Pirhaton Das Volk stand erneut unter der Herrschaft der Philister Samson war Richter 2 Heli Das Volk war erneut den Philistern unterworfen, bevor Samuel es befreite David regierte Salomo, bevor er den Tempel erbaute Gesamtzahl der Jahre 1 2

[ Siehe Anmerkung 16 auf Seite 324.] [ Siehe Anmerkung 17 auf Seite 325.]

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Ihnen sind noch die Jahre hinzuzufügen, in denen nach Josuas Tod der Staat der Hebräer in Blüte stand, bevor er unter das Joch Kusan Rishgataims fiel. Das müssen wohl viele Jahre gewesen sein, denn ich kann nicht glauben, daß sofort nach Josuas Tod alle, die seine Wundertaten gesehen hatten, augenblicks verstarben und ihre Nachkommen sich mit einem Schlag von den Gesetzen lossagten und von höchster Tugend zu tiefster Erschlaffung und Nichtswürdigkeit herabsanken, aber auch nicht, daß Kusan Rishgataim sie im Handumdrehen unterwarf. Weil vielmehr jedes dieser Ereignisse fast ein Menschenalter erfordert, steht außer Zweifel, daß die Schrift im Buch der Richter (2, 7 – 10) die Abläufe vieler Jahre zusammengefaßt und ihre Einzelheiten stillschweigend übergangen hat. Hinzuzufügen sind außerdem die Jahre, in denen Samuel Richter war, deren Anzahl die Schrift auch nicht angibt, und schließlich die Jahre der Regierung Sauls, die ich in der obigen Berechnung nicht mitgezählt habe, weil aus dem diesbezüglichen Bericht nicht klar genug hervorgeht, wie viele Jahre er regiert hat. [9] Zwar wird in 1. Samuel 13, 1 gesagt, er habe zwei Jahre regiert, aber zum einen ist der Text an dieser Stelle verstümmelt, und zum anderen können wir dem Bericht selbst eine größere Zahl entnehmen. Daß der Text verstümmelt ist, kann niemand, der die hebräische Sprache auch nur rudimentär kennt, in Zweifel ziehen. Er beginnt nämlich mit: Saul war Jahre alt, als er an die Regierung kam und regierte zwei Jahre über Israel. Wer sieht nicht, sage ich, daß das Alter Sauls, als er König wurde, ausgelassen ist? Und daß sich aus dem Bericht selbst eine größere Zahl von Jahren erschließen läßt, wird wohl auch niemand in Zweifel ziehen. Denn in 27, 7 dieses Buches heißt es, David habe sich bei den Philistern, zu denen er Sauls wegen geflohen war, ein Jahr und vier Monate aufgehalten; nach dieser Berechnung blieben für den Rest der Regierung acht Monate, was wohl niemand glauben wird. Josephus Flavius hat am Ende des sechsten Buches der Altertümer den Text so korrigiert: Saul regierte also zu Lebzeiten Samuels achtzehn Jahre und zwei weitere nach dessen Tod. Zudem stimmt der [8]

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ganze Bericht in Kapitel 13 mit den vorangehenden Kapiteln überhaupt nicht überein. Am Ende von Kapitel 7 wird erzählt, die Philister seien von den Hebräern so besiegt worden, daß sie zu Samuels Lebzeiten nicht mehr wagten, die Grenzen Israels zu überschreiten; hier jedoch, die Hebräer seien (zu Lebzeiten Samuels) von den Philistern überfallen und in solches Elend und solche Armut gestürzt worden, daß sie weder Waffen zu ihrer Verteidigung hatten noch Mittel, solche herzustellen. Schweiß genug würde es mich kosten, wollte ich daran gehen, alle diese Berichte im ersten Buch Samuel so miteinander verträglich zu machen, daß man annehmen könnte, sie seien von einem einzigen Historiker verfaßt und gehörig geordnet worden. Aber ich kehre zu meinem Vorhaben zurück. Die Jahre der Regierung Sauls sind also der obigen Rechnung hinzuzufügen. Dann habe ich auch nicht die Jahre der hebräischen Anarchie gezählt, weil deren Anzahl sich nicht aus der Schrift ergibt. Mir bleibt unklar, wie lange die Ereignisse dauerten, die im Buch der Richter von Kapitel 17 an bis zum Schluß erzählt werden. Hieraus folgt ganz klar, daß sich aus den Berichten eine richtige Zeitrechnung nicht aufstellen läßt, sie vielmehr in der Zeitrechnung gar nicht übereinstimmen, sondern große Unterschiede annehmen. Mithin ist einzugestehen, daß diese Berichte aus den Darlegungen verschiedener Schreiber zusammengestellt wurden, ohne vorher überprüft und in Ordnung gebracht zu sein. Nicht weniger groß scheint, was die Zeitrechnung angeht, die Abweichung zwischen der Chronik der Könige von Juda und der Chronik der Könige von Israel zu sein. In der Chronik der Könige von Israel steht nämlich, daß Joram, Ahabs Sohn, im zweiten Regierungsjahr von Joram, Josaphats Sohn, König wurde (siehe 2. Könige 1, 17), in der Chronik der Könige von Juda hingegen, daß Joram, Josaphats Sohn, im fünften Regierungsjahr von Jora, Ahabs Sohn, König wurde (siehe ebenda 8, 16). Wer außerdem die Berichte in den Büchern der Chronik mit denen in den Büchern der Könige vergleichen wollte, fände weitere Abweichungen dieser Art; es ist nicht nötig, sie

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hier durchzugehen, und noch weniger die Erfindungen von Autoren, mit denen diese Berichte miteinander in Einklang gebracht werden sollen. Die Rabbinen phantasieren hier völlig, und die Kommentatoren, die ich gelesen habe, ergehen sich in Träumereien und Erdichtungen und verfälschen am Ende geradezu die Sprache. Wenn es beispielsweise im 2. Buch der Chronik heißt: Zweiundvierzig Jahre war Ahasia alt, als er König wurde, machen sie daraus, daß diese Jahre mit Omris Regierung und nicht mit Ahasias Geburt beginnen würden. Könnten sie beweisen, daß dies der Verfasser der Bücher der Chronik sagen wollte, würde ich nicht zögern zu sagen, daß er sich nicht richtig hat ausdrücken können. Weiteres Zeug dieser Art erdichten sie, das, wenn es wahr wäre, mich ohne weiteres sagen ließe, daß die alten Hebräer weder von ihrer eigenen Sprache noch davon, wie man eine Erzählung verfaßt, eine Ahnung gehabt hätten; und ich würde für die Interpretation der Schrift keine Regel oder Norm anerkennen, weil auf diesem Gebiet alles dem bloßen Belieben überlassen wäre. [12] Sollte indessen jemand denken, ich redete zu allgemein und ohne hinreichende Grundlage, so bitte ich ihn, er möge sich selbst daran machen und uns eine bestimmte Ordnung in diesen Berichten aufzeigen, die Historiker sich ohne Schaden in ihren Chroniken zum Vorbild nehmen könnten, und er möge bei seiner Interpretation der Erzählungen und im Bemühen, sie miteinander in Einklang zu bringen, Ausdrücke und Redewendungen, Disposition und Zusammenhang der Reden genau beachten und so erklären, daß wir uns, gestützt auf seine Erklärung, beim Schreiben einer Erzählung daran halten könnten.1 Bringt er das fertig, gebe ich mich sofort geschlagen und achte ihn als Meister, groß wie Apollon. Denn ich muß gestehen, mir ist bei aller langen Mühe dergleichen nie geglückt. Es sei sogar gesagt, daß ich hier nichts schreibe, was ich nicht oft und lange durchdacht hätte; und obwohl mir von Kindheit an die gängigen Ansichten über die Schrift eingeflößt wurden, habe ich am Ende doch zu der Folgerung 1

[ Siehe Anmerkung 18 auf Seite 325.]

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kommen müssen, die ich hier darlege. Doch will ich den Leser nicht länger hierbei aufhalten und zu einem hoffnungslosen Unternehmen provozieren; nötig war nur, das Problem selbst zu schildern, um klarzumachen, worauf ich hinaus will. Ich gehe also zu dem Übrigen weiter, was ich zum Schicksal dieser Bücher zu bemerken mir vorgenommen habe. [13] Außer dem bereits Dargelegten ist zu bemerken, daß die Nachwelt diese Bücher nicht mit der Sorgfalt aufbewahrt hat, die das Einschleichen von Fehlern vermieden hätte. Schon die alten Schreiber haben zahlreiche zweifelhafte Lesarten bemerkt und darüber hinaus einige verstümmelte Stellen, wenn auch nicht alle. Ob diese Fehler den Leser tatsächlich behindern, will ich im Augenblick nicht erörtern; meines Erachtens sind sie aber nicht von Gewicht, für die wenigstens nicht, die die Schriften mit freiem Urteil lesen; und was die Sittenlehren angeht, kann ich mit Bestimmtheit behaupten, dort keinen Fehler und keine Unterschiede in den Lesarten gefunden zu haben, die sie dunkel oder zweifelhaft machen könnten. Doch geben die meisten nicht zu, daß sich in die anderen Textpartien irgendein Fehler einschleichen konnte, sondern glauben fest, Gott habe durch eine einzigartige Vorsehung die ganze Bibel unverfälscht aufbewahrt; die verschiedenen Lesarten, sagen sie, seien Zeichen tiefster Geheimnisse, was sie auch von den Asterisken behaupten, die man 28mal inmitten eines Paragraphen findet, und selbst von den Verzierungen der Buchstaben, die ihrer Ansicht nach große Geheimnisse enthalten. Ob sie das aus Dummheit und Altweiberfrömmigkeit gesagt haben oder aus Anmaßung und Hinterlist, damit man allein sie im Besitz der göttlichen Geheimnisse sein läßt, weiß ich nicht; ich weiß nur, daß ich bei ihnen nichts, was nach einem Geheimnis riecht, sondern nur kindische Einfälle gelesen habe. Gelesen und überdies kennengelernt habe ich auch einige kabbalistische Schwätzer, über deren Unsinn ich mich nicht genug habe wundern können. [14] Daß sich, wie gesagt, Fehler eingeschlichen haben, wird wohl niemand von gesundem Urteil in Zweifel ziehen, wenn er den schon erwähnten Text über Saul liest (1. Samuel 13, 1) und

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auch den in 2. Samuel 6, 2, wo es heißt: Und David und das ganze Volk von Juda, das mit ihm war, erhob sich und brach auf, um von dort die Lade Gottes wegzutragen. Jeder sieht wohl, daß hier der Ort nicht genannt wird, von dem sie aufbrachen, um die Lade wegzutragen, nämlich Kirjat Jearim.1 Ebensowenig läßt sich abstreiten, daß die Stelle in 2. Samuel 13, 37 durcheinander geraten und verstümmelt ist, die lautet: Und Absalom floh und ging zu Ptolemäus, dem Sohn von Ammihud und König von Gesur, und er beweinte seinen Sohn alle Tage, und Absalom floh und ging nach Gesur und blieb dort drei Jahre. 2 Ich weiß, daß ich mir weitere Fehler dieser Art früher notiert habe, die mir im Moment nicht gegenwärtig sind. [15] Daß die Randbemerkungen, die man überall in den hebräischen Manuskripten findet, zweifelhafte Lesarten sind, kann niemand verkennen, der beachtet, daß die meisten sich aus der großen Ähnlichkeit ergeben haben, die die hebräischen Buchstaben untereinander haben, so Kaf mit Be, Jod mit Vau, Dalet mit Res usw. Zum Beispiel heißt es in 2. Samuel 5, 24 in dem (Moment), da du hören wirst, und am Rand wenn du hören wirst; in Richter 21, 22 wenn ihre Väter und Brüder in Menge (d. h. häufig) zu uns kommen, und am Rand um zu streiten. Auf diese Weise haben sich viele Randbemerkungen auch aus dem Gebrauch der sogenannten quiescierenden Buchstaben ergeben, die meistens nicht ausgesprochen werden und von denen der eine unterschiedslos für den anderen genommen wird. Zum Beispiel heißt es in Levitikus 25, 30: Garantieren wird man den Besitz des Hauses, das in der Stadt ist, die keine Mauer hat, und am Rand: die eine Mauer hat usw. [16] Obwohl dies an sich klar genug ist, will ich doch auf die Argumente eingehen, mit denen einige Pharisäer uns glauben machen wollen, die Randbemerkungen seien, um irgendein Geheimnis anzudeuten, von den Verfassern der heiligen Bücher selbst beigefügt oder veranlaßt worden. Ihr erstes Argument, 1 2

[ Siehe Anmerkung 19 auf Seite 325.] [ Siehe Anmerkung 20 auf Seite 325.]

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auf das ich freilich nicht viel gebe, ziehen sie aus der üblichen Praxis, die Schrift vorzulesen. Wenn, sagen sie, diese Bemerkungen wegen der Verschiedenheit der Lesarten hinzugefügt wurden, über die die Späteren keine Entscheidung treffen konnten, wie konnte sich dann die Praxis durchsetzen, durchweg an dem am Rand vermerkten Sinn festzuhalten? Warum, fragen sie, den Sinn, an dem man festhalten wollte, am Rand vermerken? Man hätte im Gegenteil die Bücher so schreiben müssen, wie man wollte, daß sie gelesen werden, und nicht den Sinn und die Lesart, die man bevorzugte, am Rand vermerken. Das zweite Argument, für das einiges zu sprechen scheint, ist der Sache selbst entnommen, nämlich daß die Fehler nicht absichtlich gemacht wurden, sondern sich zufällig in die Handschriften eingeschlichen haben und daß das, was so entsteht, unterschiedlich ausfällt. Aber im Pentateuch ist mit einer einzigen Ausnahme das Wort Mädchen gegen die Regel der Grammatik immer unvollständig geschrieben, nämlich ohne den Buchstaben he, am Rand jedoch richtig nach der allgemeinen Grammatik-Regel. Sollte das auch daher kommen, daß sich die Hand beim Abschreiben geirrt hat? Welcher Zufall hat es fügen können, daß die Feder jedes Mal, wenn sie an dieses Wort kam, zu hastig war? Man hätte dieses Versehen zudem leicht und unbedenklich durch die regelkonforme Hinzufügung des he beheben können. Weil diese Lesarten also nicht zufällig entstanden sind und auch noch so offensichtliche Fehler nicht berichtigt wurden, kommen sie zu dem Schluß, daß das von den ersten Schreibern in wohlbestimmter Absicht gemacht wurde, daß sie nämlich damit irgend etwas andeuten wollten. [17] Darauf können wir leicht antworten. Bei dem Argument in bezug auf den bei ihnen geltenden Brauch halte ich mich nicht auf. Wer weiß, was der Aberglaube ihnen hat einreden können; vielleicht kommt es daher, daß sie beide Lesarten für gleich gut oder wenigstens annehmbar hielten und, um keine von ihnen beiseite zu schieben, die eine fürs Schreiben, die andere fürs Lesen haben wollten. Aus Furcht, in einer so wichtigen Frage ein entschiedenes Urteil zu fällen und aus

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Unwissenheit die falsche Lesart für die richtige zu nehmen, wollten sie keiner den Vorzug geben, was sie fraglos getan hätten, wenn sie bloß die eine hätten schreiben und lesen lassen, zumal sich in den heiligen Bänden die Randbemerkungen nicht geschrieben finden. Vielleicht ist es auch daher gekommen, daß sie bestimmte Wörter, obwohl sie richtig geschrieben waren, doch anders vorgelesen haben wollten, nämlich so, wie sie am Rand vermerkt waren, und deshalb als generelle Regel festlegten, die Bibel müßte nach den Randbemerkungen vorgelesen werden. [18] Den Grund, der die Schreiber dazu brachte, am Rand einige zum Lesen bestimmte Varianten ausdrücklich zu vermerken, will ich gleich nennen. Nicht alle Randbemerkungen sind nämlich zweifelhafte Lesarten; vermerkt sind auch Ausdrücke, die außer Gebrauch gekommen sind, veraltete Wörter und auch Wörter, die als unanständig galten und die öffentlich vorzutragen damals nicht gestattet war. In der Tat nannten die alten Schriftsteller, arglos wie sie waren, die Sachen beim Namen, ohne sich höflicher Umschreibungen zu bedienen. Als aber Bosheit und Zügellosigkeit zu herrschen begannen, galt als obszön, was die Alten ohne Obszönität gesagt hatten. Man brauchte deswegen die Schrift selbst nicht zu ändern, aber man führte mit Rücksicht auf die Haltlosigkeit des Pöbels den Brauch ein, bei öffentlichen Lesungen für Wörter wie Koitus und Exkremente anständigere Wörter zu gebrauchen, so wie man sie am Rand vermerkt hatte. Welches Motiv auch dazu geführt haben mag, die Schrift nach den Lesarten am Rand zu lesen und zu interpretieren, auf jeden Fall geschah es nicht, damit sich an ihnen die wahre Interpretation orientieren müßte. Denn abgesehen davon, daß die Rabbinen selbst im Talmud oft von den Masoreten abweichen und andere Lesarten bevorzugen, wie ich bald zeigen werde, findet man am Rand auch Lesarten, die offenbar nicht so gut zum Sprachgebrauch passen. Zum Beispiel heißt es in 2. Samuel 14, 22: weil der König nach der Ansicht seines Knechtes gehandelt hat, was eine ganz reguläre Konstruktion ist, die mit der Stelle in 14, 15 übereinstimmt, während die Formulierung am

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Rand (deines Knechtes) nicht mit der Person des Verbs übereinkommt. Ebenso heißt es im letzten Vers von Kapitel 16 desselben Buches: als wenn man befragt das Wort Gottes (d. h. als wenn es befragt wird), und am Rand ist jemand als Subjekt des Verbums hinzugefügt, was offenbar kein gut durchdachter Zusatz ist, erlaubt doch der übliche Sprachgebrauch, die unpersönlichen Verben in der dritten Person Singular zu gebrauchen, wie Kenner der Grammatik sehr wohl wissen. Nicht selten finden sich Randbemerkungen dieser Art, die auf keinen Fall dem geschriebenen Text vorgezogen werden können. [19] Auch auf das zweite Argument der Pharisäer läßt sich nach dem bisher Gesagten leicht antworten: Die Schreiber haben neben zweifelhaften Lesarten auch veraltete Wörter kenntlich gemacht. Denn zweifellos ist im Hebräischen, wie in allen anderen Sprachen, mit der Zeit vieles veraltet und nicht mehr gebräuchlich gewesen. Die späteren Schreiber, die dergleichen in der Bibel fanden, haben, wie gesagt, die zu ihrer Zeit geläufigen Ausdrücke vermerkt, damit nach ihnen der Text öffentlich vorgelesen werde. Deshalb ist überall das Wort nahgar vermerkt, weil es in alter Zeit für beide Geschlechter stand und dieselbe Bedeutung hatte wie das lateinische iuvenis (jung). So wurde bei den Alten auch die Hauptstadt der Hebräer in der Regel Jerusalem und nicht Jerusalaim genannt. Von dem Pronomen er und sie glaube ich dasselbe, daß nämlich die Späteren vav in yod geändert haben (eine häufige Veränderung im Hebräischen), um das weibliche Geschlecht zu bezeichnen, während die Alten die männliche und weibliche Form dieses Pronomens in der Regel nur durch die Vokale unterschieden. Unterschiede zwischen den Alten und den Neueren gab es auch bei den unregelmäßigen Verben, und schließlich sei darauf hingewiesen, daß die Alten die Zusatzbuchstaben he, aleph, mem, nun, tav, yod, vav mit einer ihrer Zeit eigenen Eleganz gebrauchten. Ich könnte all das an vielen Beispielen illustrieren, möchte aber den Leser nicht mit einer so langweiligen Lektüre aufhalten. Fragt mich jemand, woher ich das weiß, so ist meine Antwort, daß ich es weiß, weil ich

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es bei den ältesten Schriftstellern, in der Bibel nämlich, häufig gefunden habe und daß die Späteren sie doch nicht haben nachahmen wollen; das ist die einzige Basis, auf der man in anderen Sprachen, selbst den ausgestorbenen, von veralteten Wörtern Kenntnis erlangt. [20 ] Vielleicht wird man aber auf Folgendem bestehen: Wenn ich mit meiner Behauptung recht habe, daß die meisten dieser Randbemerkungen zweifelhafte Lesarten sind, warum finden sich dann für eine Stelle niemals mehr als zwei Lesarten, warum nicht drei oder mehr? Ferner darauf, daß manche Stellen im Text offensichtlich der Grammatik zuwiderlaufen, während am Rand das Richtige steht, so daß kaum anzunehmen ist, die Schreiber hätten hinsichtlich der richtigen Version schwanken können. Aber auch darauf läßt sich leicht antworten. Zum ersten sage ich, daß es mehr Lesarten gegeben hat, als wir in unseren Handschriften vermerkt finden. Im Talmud sind in der Tat viele vermerkt, die die Masoreten übergangen haben, an vielen Stellen mit so sichtbaren Abweichungen, daß der abergläubische Korrektor der Bombergischen Bibel sich schließlich gezwungen sah, in seinem Vorwort zu gestehen, nicht zu wissen, wie sie zu vereinigen seien. Wir wissen, sagt er, darauf keine andere Antwort als die, die wir schon oben gegeben haben, nämlich daß es eine Gewohnheit des Talmud ist, den Masoreten zu widersprechen. So gesehen können wir nicht zu Recht behaupten, daß es für eine Stelle niemals mehr als zwei Lesarten gegeben hat. Doch bereitet es mir keine Schwierigkeit zuzugeben und sogar zu glauben, daß sich für eine Stelle niemals mehr als zwei Lesarten gefunden haben, und das aus zwei Gründen. Erstens kann die Ursache, die die Verschiedenheit dieser Lesarten entspringen ließ, nicht mehr als zwei Lesarten zulassen, haben wir doch gezeigt, daß sie in den meisten Fällen der Ähnlichkeit bestimmter Buchstaben entsprungen sind. Der Zweifel kreiste deshalb fast immer um die Frage, welcher der beiden Buchstaben geschrieben werden müßte, Bet oder Kaf, Yod oder Vav, Dalet oder Res, Buchstaben, die sehr häufig vorkommen, so daß oft beide einen annehmbaren Sinn ergeben konnten. Weiter ging es darum, ob eine Silbe,

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deren Quantität durch die sogenannten quiescierenden Buchstaben bestimmt wird, kurz oder lang ist. Hinzu kommt, daß nicht alle Bemerkungen zweifelhafte Lesarten sind, wurden doch viele, wie gesagt, aus Gründen des Anstands oder zur Erläuterung veralteter und nicht mehr gebräuchlicher Wörter beigefügt. Der zweite Grund, der mich überzeugt sein läßt, daß für eine Stelle nicht mehr als zwei Lesarten zu finden sind, ist der, daß die Abschreiber wohl nur sehr wenige Exemplare vorgefunden haben, vielleicht nicht mehr als zwei oder drei. Im Traktat der Schreiber (Sopherim), Kapitel 6, werden nur drei erwähnt, die, so meinen seine Verfasser, zur Zeit Esras gefunden wurden, weil sie uns die Anmerkungen als von Esra selbst beigefügt anpreisen. Wie dem auch sei, bei nur drei Exemplaren läßt sich leicht denken, daß zwei an derselben Stelle immer übereinstimmten; mehr noch, es wäre erstaunlich, in nur drei Exemplaren drei verschiedene Lesarten einer einzigen Stelle zu finden. Welches Schicksal dazu geführt hat, daß es nach Esra so sehr an Exemplaren mangelte, darüber wird sich nicht länger wundern, wer Kapitel 1 des ersten Buchs der Makkabäer oder Kapitel 5 des 12. Buchs der Altertümer von Josephus Flavius gelesen hat. Ein Wunder scheint vielmehr zu sein, daß nach einer so großen und lang anhaltenden Verfolgung diese wenigen Exemplare überhaupt übrigbleiben konnten. Darüber wird, glaube ich, niemand im Zweifel sein, der diese Geschichte mit einiger Aufmerksamkeit gelesen hat. Wir sehen somit, warum sich nirgendwo mehr als zwei Lesarten finden lassen. Deshalb ist es abwegig anzunehmen, wir könnten daraus, daß es überall nicht mehr als zwei gibt, den Schluß ziehen, die Bibel sei an den vermerkten Stellen absichtlich fehlerhaft geschrieben, um damit irgendwelche Geheimnisse anzudeuten. Auch der zweite Einwand trifft mich kaum, der sich darauf stützt, daß es Stellen gibt, die in ihrer Fehlerhaftigkeit dem Schreibgebrauch aller Zeiten zweifellos widersprechen und die man somit einfach hätte verbessern, nicht aber am Rand vermerken müssen. Ich muß ja nicht wissen, welcher religiöse Skrupel die Schreiber motiviert hat, es nicht zu tun. Vielleicht haben sie es aus aufrichtiger Einfalt unter-

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lassen, weil sie der Nachwelt die Bibel so überliefern wollten, wie sie selbst sie in ihren wenigen Originalen gefunden hatten, und deshalb die dort anzutreffenden Abweichungen gewiß nicht als zweifelhafte, wohl aber als verschiedene Lesarten vermerkt haben. Ich habe sie zweifelhaft allein deshalb genannt, weil ich selbst nahezu alle so einschätze, so sehr, daß ich nicht weiß, welche der anderen vorzuziehen ist. [21] Außer diesen zweifelhaften Lesarten haben die Schreiber auch noch mehrere verstümmelte Stellen markiert (indem sie einen leeren Raum inmitten der Verse ließen), deren Zahl die Masoreten angeben: Achtundzwanzig Stellen zählen sie, bei denen inmitten des Abschnitts ein leerer Raum gelassen wird; ich weiß nicht, ob sie glauben, daß auch in dieser Zahl irgendein Geheimnis verborgen ist. Die Pharisäer andererseits achten gewissenhaft darauf, daß der Zwischenraum eine bestimmte Größe hatte. Ein Beispiel dafür (um nur eins anzuführen) findet sich in Genesis 4, 8, wo es heißt: Und es sprach Kain zu Abel, seinem Bruder … und es geschah, während sie auf dem Feld waren, daß Kain usw. Ein Raum ist dort leergelassen, wo wir gern wissen möchten, was denn Kain zu seinem Bruder gesagt hat. Dieser Art finden sich (außer den bereits zitierten) achtundzwanzig von den Schreibern ausgelassene Stellen. Viele von ihnen würden indes ohne einen dazwischengelegten Raum nicht verstümmelt erscheinen. Doch genug zu diesem Thema.

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Zehntes K a pitel Die übrigen Bücher des Alten Testaments werden in der gleichen Weise untersucht wie die vorherigen Ich komme jetzt zu den übrigen Büchern des Alten Testaments. Über die beiden Bücher der Chronik habe ich nichts Sicheres und Wichtiges zu bemerken, außer daß sie lange nach Esra und vielleicht sogar nach der Wiederherstellung des Tempels durch Judas Makkabäus1 geschrieben wurden. In der Tat erzählt der Historiker in Kapitel 9 des ersten Buches, welche Familien zuerst (d. h. zur Zeit Esras) in Jerusalem gewohnt hatten, und erwähnt dann in Vers 17 die Torhüter, von denen zwei auch in Nehemias 11, 19 vorkommen, was zeigt, daß diese Bücher lange nach dem Wiederaufbau der Stadt geschrieben wurden. Im übrigen ist mir über ihren wirklichen Verfasser, über ihre Autorität, ihren Nutzen und ihren Lehrgehalt nichts klar geworden. Ja, ich frage mich nicht wenig erstaunt, warum sie unter die heiligen Schriften von denen aufgenommen wurden, die das Buch der Weisheit, das Buch Tobias und die übrigen sogenannten apokryphen Bücher nicht als kanonisch angesehen haben. Doch will ich nicht an der Autorität dieser Bücher rütteln, sondern lasse sie, weil alle ihnen diesen Status nun einmal zugesprochen haben, so wie sie sind. [2] Auch die Psalmen wurden zur Zeit des zweiten Tempels gesammelt und in fünf Bücher unterteilt. Psalm 88 wurde in der Tat nach dem Zeugnis von Philon dem Juden veröffentlicht, als König Jojachin noch in Babylon eingekerkert war, und Psalm 89, als dieser König wieder in Freiheit war. Philo würde das wohl niemals gesagt haben, wenn es nicht eine herrschende Ansicht seiner Zeit gewesen wäre oder er es nicht von glaubwürdigen Leuten erfahren hätte. [3] Die Sprüche Salomos wurden wohl auch zu derselben Zeit gesammelt oder wenigstens zur Zeit von König Josia, denn in [1]

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25,1 heißt es: Das sind hier die Sprüche Salomos, die die Männer Hiskias, des Königs von Juda, überliefert haben. Doch kann ich die Anmaßung der Rabbinen hier nicht stillschweigend übergehen, die dieses Buch zusammen mit dem Prediger vom Kanon der heiligen Schriften ausschließen und mit den übrigen Büchern, die wir nicht mehr besitzen, geheimhalten wollten. Sie würden es auch ohne weiteres getan haben, hätten sie darin nicht einige Stellen gefunden, in denen das mosaische Gesetz empfohlen wird. Es ist wahrlich zu bedauern, daß heilige und vortreffliche Dinge von der Auswahl dieser Leute abhingen. Dennoch danke ich ihnen, daß sie sie mit uns haben teilen wollen, wenn ich auch stark bezweifle, daß sie sie getreulich überliefert haben, was ich hier aber nicht einer strengen Überprüfung unterwerfen möchte. [4] Ich gehe deshalb zu den Büchern der Propheten über. Bei aufmerksamer Betrachtung dieser Texte sehe ich, daß die dort enthaltenen Prophezeiungen aus anderen Büchern gesammelt und nicht immer in derselben Ordnung niedergeschrieben wurden, in der die Propheten selbst sie diktiert oder geschrieben hatten, und daß sie auch nicht alle Prophezeiungen enthalten, sondern nur diejenigen, die man da und dort hat finden können. So sind diese Bücher nur Fragmente der Propheten. In der Tat begann Jesaja unter der Regierung Usias zu prophezeien, wie der Redakteur selbst im ersten Vers bezeugt. Aber Jesaja hat in dieser Periode nicht nur prophezeit, sondern die ganze Geschichte dieses Königs erzählt (siehe 2. Chronik 26, 22), wovon uns heute nichts mehr geblieben ist. Was wir haben, ist, wie gezeigt, aus den Chroniken der Könige von Juda und Israel abgeschrieben. Hinzugefügt sei, daß die Rabbinen behaupten, dieser Prophet habe auch unter der Regierung von Manasse, der ihn schließlich ermorden ließ, prophezeit. Mag dies auch nur eine Legende sein, sie scheinen immerhin geglaubt zu haben, daß nicht alle seine Prophezeiungen erhalten sind. [5] Jeremias Prophezeiungen geschichtlichen Inhalts sind Exzerpte und Zusammenstellungen aus verschiedenen Chroniken. Denn abgesehen davon, daß sie ohne Ordnung und ohne

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Berücksichtigung der Zeitfolge angehäuft sind, erzählen sie ein und dieselbe Geschichte auf verschiedene Weise. Kapitel 21 nennt als Grund der Gefangennahme Jeremias, daß er Zedekia, der ihn um Rat fragte, den Untergang der Stadt vorhergesagt habe; Kapitel 22 unterbricht diese Geschichte und geht zu seiner Strafpredigt gegen Jojakim, der vor Zedekia regierte, über und zu seiner Vorhersage der Gefangenschaft des Königs; Kapitel 25 beschreibt, was dem Propheten vorher, nämlich im vierten Jahr der Regierung Jojakims, offenbart worden war. Dann kommen die Offenbarungen aus dem ersten Regierungsjahr dieses Königs dran, und so geht es ohne Rücksicht auf die Zeitfolge mit der Anhäufung von Prophezeiungen weiter, bis endlich Kapitel 38 (als ob diese fünfzehn Kapitel nur ein Einschub wären) zu dem zurückkehrt, was zu erzählen Kapitel 21 begonnen hatte. In der Tat bezieht sich die Überleitung am Anfang von Kapitel 38 auf die Verse 8 bis 10 von Kapitel 21, und dann wird die letzte Gefangennahme Jeremias ganz anders beschrieben und ein ganz anderer Grund für die lange Gefangenschaft im Vorhof des Gefängnisses angegeben als in Kapitel 37; daraus sieht man klar, daß alles aus verschiedenen Historikern zusammengestellt ist und nur dadurch in seinem Durcheinander entschuldigt werden kann. Die übrigen Prophezeiungen in den anderen Kapiteln, in denen Jeremia in der ersten Person spricht, sind offenbar aus dem Band abgeschrieben, den Baruch nach dem Diktat Jeremias schrieb; dieser Band enthielt nämlich (wie aus 36, 2 hervorgeht) nur diejenigen, die diesem Propheten von der Zeit Josias bis zum vierten Regierungsjahr Jojakims offenbart wurden, also bis zu dem Zeitpunkt, mit dem das genannte Buch beginnt. Schließlich ist aus demselben Band offenbar auch die Passage abgeschrieben, die von 45, 2 bis 51, 59 reicht. [6] Daß auch das Buch Hesekiel nur Fragment ist, machen schon seine ersten Verse ganz klar; denn wer sieht nicht, daß die Überleitung, mit der das Buch beginnt, sich auf schon Gesagtes bezieht und mit ihm verknüpft, was dann zu sagen ist? Aber nicht nur die Überleitung, sondern der ganze Kontext der Rede setzt andere Schriften voraus; das dreißigste Jahr,

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mit dem das Buch beginnt, zeigt uns den Propheten mitten im Erzählen und nicht an seinem Anfang, was auch der Schreiber selbst in Vers 3 in Parenthese bemerkt: Oft wurde Gottes Wort Hesekiel zuteil, Buzis Sohn, Priester im Land der Chaldäer, usw., als wollte er sagen, daß die bisher abgeschriebenen Worte Hesekiels sich auf andere Offenbarungen beziehen, die ihm vor seinem dreißigsten Jahr zuteil geworden waren. Ferner berichtet Josephus Flavius in Kapitel 9 des 10. Buches seiner Altertümer, Hesekiel hätte vorausgesagt, Zedekia werde Babylon nicht sehen – davon lesen wir in dem uns überlieferten Buch nichts; im Gegenteil liest man dort in Kapitel 17, er werde als Gefangener nach Babylon geführt werden.1 [7] Von Hosea können wir nicht mit Bestimmtheit sagen, daß er mehr geschrieben hat, als in dem nach ihm benannten Buch enthalten ist. Indessen wundere ich mich, daß wir nicht mehr von einem haben, der dem Schreiber zufolge mehr als vierundachtzig Jahre lang prophezeit hat. Soviel wissen wir wenigstens im allgemeinen, daß die Schreiber dieser Bücher weder die Prophezeiungen aller Propheten noch alle Prophezeiungen der uns bekannten Propheten zusammengestellt haben. So besitzen wir von denen, die unter der Regierung Manasses prophezeit haben und die in 2. Chronik 33, 10, 11 u. 18 in allgemein gehaltenen Wendungen erwähnt werden, überhaupt keine Prophezeiungen, und ebensowenig haben wir von den zwölf kanonischen Propheten sämtliche Prophezeiungen. Denn von Jona sind nur die die Niniviten betreffenden Prophezeiungen niedergeschrieben, während er doch auch den Israeliten prophezeit hatte (siehe dazu 2. Könige 14, 25). [8] Über das Buch Hiob und über Hiob selbst gab es unter denen, die sich zu ihm geäußert haben, große Meinungsverschiedenheiten. Manche glauben, Moses habe dieses Buch geschrieben und die ganze Erzählung sei nur eine Parabel; das sagen uns einige Rabbinen im Talmud, denen auch Maimonides in seinem Werk Führer der Unschlüssigen [III, 22] Beifall zollt. Andere haben darin eine wahre Geschichte gesehen und ei1

[ Siehe Anmerkung 22 auf Seite 327.]

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nige von ihnen geglaubt, Hiob habe zur Zeit Jakobs gelebt und dessen Tochter Dina geheiratet. Demgegenüber behauptet Ibn Esra, wie schon gesagt, in seinen Kommentaren zu diesem Buch, es sei aus einer anderen Sprache ins Hebräische übertragen, was er uns freilich überzeugender hätte dartun sollen, weil sich dann daraus schließen ließe, daß auch die Heiden heilige Bücher hatten. Ich lasse also die Sache dahingestellt, vermute allerdings, daß Hiob ein Heide von großer Charakterstärke war, dem das Schicksal zunächst günstig, dann ungünstig war und am Ende großes Glück brachte. Hesekiel (14, 14) erwähnt ihn in der Tat neben anderen, und dieses wechselvolle Schicksal zusammen mit der von ihm gezeigten Charakterstärke war wohl für viele Anlaß, über Gottes Vorsehung zu disputieren, oder wenigstens für den Verfasser jenes Buches, seinen Dialog zu schreiben. In der Tat passen Inhalt wie Stil nicht zu einem in der Asche sitzenden Schwerkranken, sondern eher zu einem Mann, der in seinem Studierzimmer geruhsam nachdenkt. Hier würde ich mit Ibn Esra glauben, daß das Buch aus einer anderen Sprache übersetzt wurde, weil es Spuren heidnischer Poesie zu zeigen scheint: Der Vater der Götter ruft zweimal zur Versammlung, und Momos, der hier Satan heißt, nimmt mit größter Freiheit die Worte Gottes auseinander usw. Doch das sind bloße Vermutungen, denen eine solide Basis fehlt. [9] Ich gehe weiter zum Buch Daniel. Zweifellos enthält es von Kapitel 8 an Daniels eigene Schriften. Woraus die sieben früheren Kapitel abgeschrieben sind, weiß ich nicht, vermutlich aus chaldäischen Chroniken, weil sie mit Ausnahme des ersten in dieser Sprache geschrieben sind. Wäre es völlig sicher, würde dies ein nicht zu übertreffendes Zeugnis dafür sein, daß die Schrift nur in dem Maße heilig ist, wie wir die in ihr zum Ausdruck gebrachten Dinge verstehen, nicht aber die Worte, d. h. die Sprache und die Reden, mit denen die Dinge ausgedrückt werden, und außerdem ein Zeugnis dafür, daß Bücher, die treffliche Dinge lehren und erzählen, in welcher Sprache und von welchem Volk sie auch geschrieben sein mögen, gleichermaßen heilig sind. Immerhin können wir

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festhalten, daß diese Kapitel auf Chaldäisch geschrieben sind und gleichwohl nicht weniger heilig sind als die anderen biblischen Texte. [10 ] Dem Buch Daniel schließt sich das erste Buch Esra in einer Weise an, die unschwer erkennen läßt, daß es derselbe Schreiber ist, der fortfährt, die Geschichte der Juden von ihrer ersten Gefangenschaft an der Reihe nach zu erzählen. Diesem Buch schließt sich zweifellos das Buch Esther an, weil die Überleitung, mit der es beginnt, sich auf kein anderes Buch beziehen läßt und nicht anzunehmen ist, daß es sich um das Buch handelt, das Mardochai verfaßt hat. Denn in 9, 20 – 22 erzählt ein anderer von diesem Mardochai, daß er Briefe geschrieben habe und was ihr Inhalt sei. Dann heißt es in 9, 31, daß Königin Esther die das Fest der Lose (Purim) betreffenden Riten durch ein Edikt bestätigt habe und daß dies in das Buch geschrieben worden sei, d. h. (wie es im Hebräischen lautet) in das Buch, das damals (zu der Zeit, als dies geschrieben wurde) alle kannten; und dieses Buch ist, wie Ibn Esra zu erkennen gibt und alle anerkennen müssen, mit noch anderen verlorengegangen. Für Mardochais weitere Taten bezieht sich der Erzähler schließlich auf die Chronik der Perserkönige. Deshalb steht außer Frage, daß dieses Buch von demselben Historiker geschrieben wurde, der die Geschichte Daniels und Esras verfaßt hat und darüber hinaus auch das Buch Nehemia,1 das ja das zweite Buch Esra genannt wird. Unsere These ist also, daß diese vier Bücher, Daniel, Esra, Esther und Nehemia, von ein und demselben Historiker verfaßt worden sind; wer es war, darüber habe ich nicht die geringste Vermutung. Um zu wissen, woher dieser Historiker, wer immer es gewesen sein mag, Kenntnis dieser Geschichten hatte und woraus er sie vielleicht auch zum größten Teil abgeschrieben hat, sei bemerkt, daß die Präfekten oder Fürsten zur Zeit des zweiten Tempels, wie die Könige zur Zeit des ersten, Schreiber oder Historiographen hatten, die ihre Annalen, d. h. ihre Chronologie, nach und nach aufzeichneten. Die Chroniken 1

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oder Annalen der Könige werden in den Büchern der Könige durchgängig zitiert, die der Fürsten oder Priester des zweiten Tempels aber zunächst im Buch Nehemia (12, 23) und dann im ersten Buch der Makkabäer (16, 24). Und das ist zweifellos das Buch (siehe Esther 9, 31), von dem wir gerade gesprochen haben, das Esthers Edikt und Mardochais Schriften enthielt und das wir mit Ibn Esra als verloren bezeichnet haben. Dieses Buch scheint es also zu sein, aus dem alles, was in diesen vier Büchern enthalten ist, herausgeholt oder abgeschrieben wurde; kein anderes wird nämlich von dem Redakteur dieser Bücher zitiert, und wir kennen kein anderes, dessen Autorität öffentlich anerkannt gewesen wäre. [11] Daß diese Bücher weder von Esra noch von Nehemia verfaßt sind, geht daraus hervor, daß Nehemia (12, 10 u. 11) die Genealogie des Hohepriesters Jesua bis zu Jadua entwickelt, d. h. dem sechsten Hohepriester, der Alexander dem Großen entgegenging, als das Perserreich schon nahezu besiegt war (siehe Josephus Flavius, Altertümer Buch 11, Kap. 8), oder, wie Philo der Jude in dem Buch der Zeiten sagt, dem sechsten und letzten Hohepriester unter den Persern. Sogar in dem genannten Kapitel Nehemias (Vers 22) ist dies klar gesagt: Die Leviten, sagt der Historiker, sind über die Herrschaft von Darius dem Perser hinaus1 zur Zeit von Eljasib, Jojada, Johanan und Jadua in die Chroniken eingetragen worden. Niemand wird wohl glauben, Esra 2 und Nehemia seien so alt geworden, daß sie vierzehn Perserkönige überlebt hätten. Denn Cyrus, der erste König, gab den Juden die Erlaubnis, den Tempel wieder aufzubauen, und von dieser Zeit bis zu Darius, dem vierzehnten und letzten persischen König, zählt man mehr als 230 Jahre. Deshalb bin ich sicher, daß diese Bücher erst lange, nachdem Judas Maccabäus den Tempeldienst wiederhergestellt hatte, geschrieben wurden, und zwar deshalb, weil 1

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Wenn dieses Wort nicht darüber hinaus bedeutet, dann war es ein Irrtum des Abschreibers, der al (über) statt ad (bis) geschrieben hat. [ Siehe Anmerkung 24 auf Seite 327.]

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zu jener Zeit falsche Bücher Daniel, Esra und Esther zirkulierten, veröffentlicht von übelgesinnten Leuten, die zweifellos der Sekte der Sadduzäer angehörten; denn die Pharisäer haben, soviel ich weiß, diese Bücher niemals angenommen. Obwohl sich in dem sogenannten vierten Buch Esra einige Legenden finden, die wir auch im Talmud lesen, darf man diese Bücher doch nicht den Pharisäern zuschreiben, denn unter ihnen, sieht man einmal von den Dümmsten ab, gibt es keinen, der nicht glaubte, daß solche Legenden von irgendeinem Fabulierer hinzugefügt worden sind, wobei ich sogar glaube, daß einige Leute sie erdichtet haben, um die Tradition der Pharisäer öffentlich lächerlich zu machen. Vielleicht sind auch jene Bücher gerade damals geschrieben und veröffentlicht worden, um das Volk wissen zu lassen, daß Daniels Prophezeiungen sich erfüllt haben, und es mit dem Hinweis darauf in der Religion zu bestärken, damit es in Zeiten einer solchen Not die Hoffnung auf bessere Zeiten und ein kommendes Glück nicht aufgibt. Obwohl diese Bücher allesamt neueren Datums sind, haben sich dennoch viele Fehler, wahrscheinlich bedingt durch die Hast der Abschreiber, eingeschlichen. Denn auch dort finden sich, wie in den anderen Büchern, viele dieser Randbemerkungen, von denen wir im vorigen Kapitel gehandelt haben, und außerdem auch einige Stellen, die sich anderswie gar nicht entschuldigen lassen, wie ich gleich zeigen werde. [12] Aber vorher möchte ich zu den Lesarten am Rand dieser Bücher noch bemerken: Wollte man den Pharisäern zugestehen, die Lesarten seien ebenso alt wie der seinerzeit geschriebene Text, müßte man zwangsläufig sagen, die Verfasser selbst, wenn es denn mehrere waren, hätten sie deshalb vermerkt, weil sie die Chroniken, aus denen sie abgeschrieben hatten, nicht sorgfältig genug abgefaßt fanden und nicht wagten, selbst wenn die Fehler offensichtlich waren, die Schriften der Alten und ihrer Vorfahren zu korrigieren. Ich habe nicht nötig, mich zu diesem Punkt hier nochmals ausführlich zu äußern, und gehe deshalb zu den Fehlern über, die nicht am Rand vermerkt sind.

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Es haben sich wer weiß wie viele Fehler in das 2. Kapitel des Buchs Esra eingeschlichen: In Vers 64 wird die Gesamtzahl derer angegeben, die im ganzen Kapitel nach Abteilungen aufgezählt sind, und mit 42 360 beziffert, während man bei Addition der Teilsummen nur 29 818 finden wird, ein Irrtum also entweder in der Gesamtzahl oder bei den Teilsummen. Doch ist wohl anzunehmen, daß die Gesamtzahl richtig angegeben ist, weil sie zweifellos jeder als einen denkwürdigen Umstand im Gedächtnis behalten hat, was für die Teilsumme nicht gelten dürfte. Ein Irrtum in der Gesamtzahl wäre mithin jedem sofort aufgefallen und ohne weiteres berichtigt worden. Voll bestätigt wird dies auch durch den Tatbestand, daß in Nehemia 7, wo, wie Vers 5 ausdrücklich sagt, dieses Esra-Kapitel (der sogenannte Brief der Genealogie) übernommen ist, die Gesamtzahl mit derjenigen in Buch Esra vollkommen übereinstimmt, die Teilsummen aber erheblich differieren; einige sind größer, andere kleiner als bei Esra, und alle zusammen ergeben 31089. Kein Zweifel also: Bei beiden, bei Esra wie bei Nehemia, haben sich Fehler bloß in den Teilsummen eingeschlichen. In ihrem Bemühen, so offensichtliche Widersprüche zu versöhnen, erfinden die Kommentatoren, was sie können, jeder nach seinen Kräften; damit machen sie im Anbeten der Buchstaben und Worte der Schrift nichts anderes, wie wir schon oben hervorgehoben haben, als die Verfasser der Bibel der Verachtung preiszugeben, ganz so, als hätten diese nicht gewußt, wie man sich ausdrückt und Ordnung in eine Erzählung hineinbringt. Schlimmer noch, tatsächlich machen sie damit nichts anderes als die Klarheit der Schrift völlig zu verdunkeln; denn wäre es erlaubt, die Schrift überall nach eigenem Gutdünken zu interpretieren, dann gäbe es in ihr wahrhaftig keinen Satz, über dessen wahren Sinn wir keinen Zweifel haben könnten. Doch gibt es keinen Grund, mich hierbei länger aufzuhalten, denn ich bin überzeugt, sie selbst würden den Historiker tausendfach auslachen, der so vorgehen wollte, wie sie es voller Andacht den Bibelschreibern erlauben. Und wenn sie den für einen Gotteslästerer halten, der die Schrift an irgendeiner Stelle für fehlerhaft erklärt, wie

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werde ich dann sie wohl nennen, die den Schriften andichten, was immer ihnen beliebt? Sie, die die Erzähler heiliger Dinge so zur Schau stellen, daß es aussieht, als stammelten diese nur und würfen alles durcheinander? Sie, die so weit gehen, die einleuchtenden und höchst evidenten Sinnzusammenhänge der Schrift zu leugnen? Denn was ist klarer in der Schrift als dies: Esra und seine Gefährten haben im Brief der Genealogie, der im 2. Kapitel des Esra zugeschriebenen Buches steht, die Zahl all derer, die nach Jerusalem zurückgingen, nach Abteilungen berechnet, weil nicht nur die Zahl derer, die ihren Stammbaum haben nachweisen können, angegeben wird, sondern auch derer, die es nicht konnten. Was ist aus Nehemia 7, 5 klarer, sage ich, als daß Nehemia diesen Brief einfach abgeschrieben hat? Wer diese Stellen anders erklärt, macht also nichts anderes, als den wahren Sinn der Schrift und folglich die Schrift selbst zu leugnen. Wenn diese Leute es für ein Werk der Frömmigkeit halten, bestimmte Stellen der Schrift anderen Stellen anzupassen, was für eine lächerliche Frömmigkeit ist das, die das Klare dem Dunklen, das Richtige dem Fehlerhaften anpaßt und das Unverdorbene durch das Faule zuschanden macht? Dennoch liegt mir fern, sie, die keine Absicht zu lästern haben, Gotteslästerer zu nennen – irren ist nun einmal menschlich. [14] Doch ich kehre zu meinem Vorhaben zurück. Außer den Fehlern in den Berechnungen, die in dem Brief der Genealogie, bei Esra wie bei Nehemia, zu konstatieren sind, bemerkt man noch mehrere andere in den Familiennamen, mehrere auch in den Stammbäumen, in den historischen Abläufen und, ich fürchte, in den Prophezeiungen selbst. So stimmt die Prophezeiung in Jeremia 22 über Jechonja mit dessen Geschichte offenbar überhaupt nicht überein (siehe den Schluß von 2. Könige, die Stelle bei Jeremia und 1. Chronik 3, 17 – 19), vor allem nicht in den Worten des letzten Verses dieses Kapitels. Ich sehe auch nicht, weshalb er von Zedekia, dem die Augen ausgestochen wurden, gleich nachdem er gesehen hatte, wie seine Söhne umgebracht wurden, hat sagen können: Du wirst in Frieden sterben usw. (siehe Jeremia 34, 5). Wenn die Pro-

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phezeiungen nach dem, was geschehen ist, zu interpretieren sind, müßte man die Namen austauschen und für Zedekia Jechonja setzen und umgekehrt. Doch scheint mir das zu paradox zu sein, und ich will die Sache lieber als unbegreiflich dahingestellt sein lassen, zumal hier der Irrtum, wenn es denn einer ist, dem redigierenden Historiker zuzuschreiben ist und nicht einem Fehler in den Originalen. [15] Was die übrigen Fehler betrifft, von denen ich gesprochen habe, glaube ich nicht, sie hier aufzählen zu sollen, denn ich könnte es nur zum großen Überdruß des Lesers tun, zumal sie schon von anderen bemerkt worden sind. So konnte R. Salomon angesichts der offensichtlichen Widersprüche, die er in den genannten Genealogien bemerkt hat, sich nicht enthalten, in folgende Worte auszubrechen (siehe seinen Kommentar zu 1. Chronik 8): Daß Esra (den er für den Verfasser der Bücher der Chronik hält) die Söhne Benjamins mit anderen Namen nennt und ihm eine andere Abstammung zuschreibt, als wir sie im Buch Genesis haben, und daß er schließlich die meisten Städte der Leviten anders als Josua benennt, kommt daher, daß er voneinander abweichende Urschriften vorgefunden hat. Und etwas später: Die Abstammung Gibeons und anderer ist zweimal und unterschiedlich niedergeschrieben, weil Esra mehrere und jeweils verschiedene Briefe der Genealogie vorgefunden und in der Abschrift sich an der größeren Zahl von Exemplaren orientiert hat, während er dort, wo es nur zwei Varianten gab, die Urschriften in beiden Versionen abgeschrieben hat. Damit gibt er ohne weiteres zu, daß diese Bücher aus nicht hinreichend korrekten und zuverlässigen Urschriften abgeschrieben sind. Die Kommentatoren selbst machen in ihrem Bemühen, voneinander abweichende Stellen in Einklang zu bringen, sogar sehr häufig nichts anderes, als die Ursachen der Irrtümer ans Licht zu bringen. Auch wird wohl kein Mensch von gesundem Urteil glauben, die heiligen Historiker hätten mit Bedacht so schreiben wollen, um den Eindruck zu erwecken, sie widersprächen sich überall. [16] Aber vielleicht wird man sagen, auf diese Weise untergrübe ich die Schrift von Grund auf, denn so kann jedermann die

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Schrift durchgängig für fehlerhaft halten. Ich habe jedoch ganz im Gegenteil dargelegt, daß ich in dieser Weise dafür sorge, daß die klaren und reinen Stellen der Schrift nicht den fehlerhaften angepaßt und durch diese verfälscht werden. Auch darf man, weil einige Stellen verderbt sind, nicht den ganzen Text verdächtigen. Niemals hat es nämlich ein Buch ohne Fehler gegeben; hat deshalb wohl jemand den Verdacht gehabt, Bücher seien durch und durch fehlerhaft? Niemand hat ihn je geäußert, besonders dann nicht, wenn die Sprache klar ist und die Absicht des Verfassers sich klar erkennen läßt. [17] Damit habe ich alles erledigt, was ich zur Geschichte der Bücher des Alten Testaments bemerken wollte. Dem können wir leicht entnehmen, daß es vor der Zeit der Makkabäer keinen Kanon der heiligen Bücher gegeben hat,1 daß vielmehr die Bücher, die wir jetzt besitzen, von den Pharisäern des zweiten Tempels, die auch die Gebetsformeln eingeführt haben, aus vielen anderen bevorzugt ausgewählt wurden und allein auf Grund ihrer Entscheidung in den Kanon eingegangen sind. Wer die Autorität der Heiligen Schrift beweisen will, ist also gehalten, die Autorität jedes einzelnen Buches darzutun, und es genügt nicht, den göttlichen Charakter nur eines dieser Bücher glaubhaft zu machen, um aus ihm auf alle anderen zu schließen; sonst müßte man behaupten, die Versammlung der Pharisäer habe bei der Auswahl der Bücher nicht irren können, was wohl niemand je wird beweisen könnnen. Der Grund, der mich unausweichlich annehmen läßt, daß allein die Pharisäer die Bücher des Alten Testaments gesichtet und in den Kanon der heiligen Schriften gesetzt haben, ist der, daß am Ende von Buch Daniel (14, 2) die Auferstehung der Toten vorhergesagt wird, die die Sadduzäer leugnen, aber auch, daß die Pharisäer selbst es im Talmud klar zum Ausdruck bringen; im Traktat Sabbath (Kap. 2, Blatt 30, Seite 2) heißt es: R. Jehuda hat im Namen von Rab gesagt: Die Weisen haben das Buch des Predigers verbergen wollen, weil seine Worte den Worten des 1

[ Siehe Anmerkung 25 auf Seite 327.]

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Gesetzes (dem Gesetzbuch Moses’ wohlgemerkt) widersprechen. Warum haben sie es aber nicht verborgen? Weil es dem Gesetz entsprechend beginnt und dem Gesetz entsprechend endet. Und wenig später: Auch das Buch der Sprüche haben sie verbergen wollen etc., und schließlich im 1. Kapitel des genannten Traktats (Blatt 13, Seite 2): Wahrlich, gedenke für seine Güte jenes Mannes namens Nehunja, Sohn des Hiskia; denn ohne ihn wäre das Buch Hesekiels verborgen geblieben, weil seine Worte den Worten des Gesetzes widersprachen usw. Daraus geht klar hervor, daß die Gesetzeskundigen sich einer Beratung darüber unterzogen haben, welche Bücher im Unterschied zu anderen als heilig aufzunehmen sind. Wer also über die Autorität aller Bücher Gewißheit haben will, muß erneut in die Beratung eintreten und für jedes einzelne Rechenschaft fordern. [18] Es wäre nun an der Zeit, in gleicher Weise auch die Bücher des Neuen Testaments zu untersuchen. Weil dies aber, wie ich höre, schon von sehr gelehrten und vor allem sprachkundigen Männern geschehen ist, und auch, weil meine Kenntnis der griechischen Sprache nicht gut genug ist, mich an eine solche Aufgabe heranzuwagen, und schließlich, weil wir diese auf hebräisch geschriebenen Bücher nicht mehr in ihrer Urschrift besitzen, möchte ich lieber von dieser Arbeit absehen. Trotzdem will ich die Punkte kenntlich machen, die für mein Unternehmen von besonderer Wichtigkeit sind. Darüber in den folgenden Kapiteln.

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Elf tes K a pitel Es wird untersucht, ob die Apostel ihre Briefe als Apostel und Propheten oder eher als Lehrer geschrieben haben. Ferner wird das Amt der Apostel dargestellt [1]

Kein Leser des Neuen Testaments kann bezweifeln, daß die Apostel Propheten waren. Weil aber die Propheten nicht immer aus Offenbarung sprachen, sondern, wie wir am Ende des 1. Kapitels gezeigt haben, nur sehr selten, können wir uns fragen, ob die Apostel ihre Briefe als Propheten aus Offenbarung und auf Grund ausdrücklicher Anweisung wie Moses, Jeremia und andere geschrieben haben oder eher als als Lehrer auftretende einfache Menschen, um so mehr, als Paulus im 1. Korintherbrief 14, 6 auf zwei Arten von Predigt verweist, eine aus Offenbarung, eine andere aus Erkenntnis. Deshalb, sage ich, kann man sich fragen, ob sie in den Briefen prophezeien oder eher lehren. Achten wir auf ihren Stil, werden wir ihn sehr verschieden von dem der Prophetie finden. Den Propheten war es in der Tat ganz geläufig, überall zu bekunden, daß sie auf Geheiß Gottes sprechen: So spricht Gott; der Gott der Heerscharen sagt; Geheiß Gottes. Das war offenbar nicht nur in ihren öffentlichen Reden der Fall, sondern auch in ihren Briefen, soweit sie Offenbarungen enthielten, deutlich in Elias’ Schreiben an Joram (siehe 2. Chronik 21, 12), das mit So spricht Gott beginnt. In den Briefen der Apostel lesen wir jedoch nichts dergleichen; Paulus spricht im Gegenteil im 1. Korintherbrief (7, 40) nach seiner eigenen Ansicht. An sehr vielen Stellen finden wir sogar Wendungen, die Zögern und Irritation zum Ausdruck bringen, etwa im Römerbrief (3, 28): Wir glauben1 also, und (8, 18): Ich meinerseits glaube nämlich, und auch anderswo. Auch andere Redewendungen passen gar nicht zur Autorität eines Propheten, zum Beispiel Solches sage ich euch als ein schwacher Mensch und nicht auf Geheiß (siehe 1. Korintherbrief 7, 6); ich gebe euch diesen Rat als ein Mann, 1

[ Siehe Anmerkung 26 auf Seite 328.]

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der dank der Gnade Gottes vertrauenswürdig ist (siehe dort 7, 25), und so noch viele weitere. [2] Bemerkt sei noch, daß Paulus, wenn er in dem zitierten Kapitel sagt, er habe einen Befehl oder einen Auftrag von Gott oder habe ihn nicht, darunter nicht einen ihm von Gott offenbarten Befehl oder Auftrag versteht, sondern nur die Lehren, die Christus seinen Jüngern auf dem Berg mitgeteilt hat. Achten wir außerdem auf die Weise, in der die Apostel in ihren Briefen das Evangelium übermitteln, werden wir auch hier einen großen Unterschied zu den Propheten finden. Die Apostel bedienen sich nämlich überall eines rationalen Schließens, so sehr, daß sie gar nicht zu prophezeien, sondern zu disputieren scheinen. Die Prophezeiungen enthalten dagegen pure Dogmen und Anordnungen, weil in ihnen ein gleichsam sprechender Gott auftritt, der nicht argumentiert, sondern aus der unumschränkten Herrschaft seiner Natur entscheidet, aber auch, weil es sich mit der Autorität eines Propheten nicht verträgt, Argumente anzuführen; denn wer seine Dogmen mit Hilfe der Vernunft darzulegen sucht, unterwirft sie eben damit dem subjektiven Urteil eines jeden. Paulus scheint das getan zu haben, weil er rational argumentiert, wenn er im 1. Korintherbrief (10, 15) sagt: Zu euch spreche ich wie zu weisen Leuten, beurteilt also selbst, was ich sage. Schließlich ist es so, weil die Propheten, wie wir im 1. Kapitel gezeigt haben, die offenbarten Dinge nicht kraft des natürlichen Lichts, also nicht im Medium der Vernunft, empfingen. [3] Obwohl auch im Pentateuch einige Aussagen auf einer Schlußfolgerung zu beruhen scheinen, wird man bei genauerem Hinsehen feststellen, daß es sich dabei keineswegs um strikte Folgerungen handelt. Wenn beispielsweise Moses ( Deuteronomium 31, 27) zu den Israeliten sagte: wenn ihr schon, als ich noch unter euch lebte, gegen Gott rebelliert habt, um wie viel mehr, wenn ich tot sein werde, dann ist das keineswegs so zu verstehen, daß Moses auf rationalem Wege die Israeliten überzeugen will, daß sie nach seinem Tod unausweichlich vom wahren Gottesdienst abfallen werden. Es wäre nämlich ein falsches Argument, wie man auch aus der Schrift selbst

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zeigen könnte, sind doch die Israeliten zu Lebzeiten Josuas und der Älteren standhaft geblieben und auch noch später zu Lebzeiten Samuels, Davids, Salomos und anderer. Diese Worte Moses’ sind also nur rhetorisch vorgebracht, eine bildhafte Wendung unter moralischem Aspekt, mit der er die kommende Abtrünnigkeit des Volkes so voraussagte, wie er sie sich am lebhaftesten vorstellen konnte. Daß ich nicht sage, Moses habe dies aus sich heraus gesprochen, um dem Volk seine Voraussage wahrscheinlich zu machen, und nicht als Prophet aus Offenbarung, stützt sich darauf, daß in Vers 21 des genannten Kapitels berichtet wird, Gott habe Moses dasselbe mit anderen Worten offenbart, wofür es sicher nicht nötig war, ihm mit Wahrscheinlichkeitsgründen eine größere Gewißheit über Gottes Voraussage und Ratschluß zu verschaffen, wohl aber, daß er selbst sich das Vorausgesagte in seiner Vorstellung lebhaft vergegenwärtigte, wie wir im 1. Kapitel gezeigt haben; und dies konnte kaum besser geschehen, als wenn er die gegenwärtige Widerspenstigkeit des Volkes, die er oft genug kennengelernt hatte, in die Zukunft projizierte. In dieser Weise ist Moses’ Argumentieren im Pentateuch durchgängig zu verstehen; es ist nicht dem Tresor der Vernunft entnommen, sondern nur eine rhetorische Form, mit deren Hilfe er die Ratschlüsse Gottes wirkungsvoller zum Ausdruck brachte und sich lebhafter vorstellte. [4] Dennoch will ich nicht völlig bestreiten, daß die Propheten von einer Offenbarung her auch argumentieren konnten, ich behaupte nur: Je mehr die Propheten korrekt argumentieren, desto mehr nähert sich ihre Erkenntnis einer offenbarten Sache der natürlichen Erkenntnis; und die übernatürliche Erkenntnis der Propheten läßt sich vor allem daran erkennen, daß sie sowohl in Ratschlüssen wie Sinnsprüchen reine Dogmen verkünden. Deshalb hat der größte aller Propheten, Moses, sich nie einer gültigen Beweisführung bedient. Dagegen bestreite ich, daß die langen Ableitungen und Begründungen des Paulus, wie wir sie im Römerbrief finden, auf eine übernatürliche Offenbarung zurückgehen. Die Art des Redens wie Argumentierens der Apostel in den Briefen verdeutlicht frag-

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los, daß diese nicht aus Offenbarung oder auf Grund göttlicher Anordnung geschrieben wurden, sondern allein kraft des natürlichen Urteils der Apostel; sie enthalten nur brüderliche Ermahnungen, geistreich zusammengetragen (ganz anders als bei den autoritär auftretenden Propheten), wie jene Entschuldigung des Paulus im Römerbrief 15, 15: Ich habe euch dies ein wenig zu freimütig geschrieben, Brüder. Wir können dies auch daraus schließen, daß wir nirgendwo lesen, den Aposteln sei angeordnet worden zu schreiben, sondern immer nur zu predigen, wohin sie auch gingen, und ihre Worte mit Zeichen zu bekräftigen. In der Tat war ihre Anwesenheit zusammen mit den Zeichen unbedingt erforderlich, um die Völkerschaften zur Religion zu bekehren und darin zu bestärken, wie derselbe Paulus im Römerbrief 1, 11 ausdrücklich hervorhebt: Denn mich verlangt sehr, sagt er, euch zu sehen, um euch die Gabe des Geistes zukommen zu lassen, damit ihr gestärkt werdet. [5] Nun ließe sich hier einwenden, wir könnten in derselben Weise darauf kommen, daß die Apostel auch nicht gepredigt hätten als Propheten; in der Tat, wenn sie hierhin und dorthin predigen gingen, taten sie es nicht wie ehedem die Propheten auf ausdrückliches Geheiß. Im Alten Testament lesen wir, daß Jona nach Ninive predigen ging, und zugleich, daß er ausdrücklich dorthin geschickt wurde und ihm offenbart wurde, was er dort predigen sollte. Ebenso wird von Moses ausführlich berichtet, daß er als Gesandter Gottes nach Ägypten aufbrach, und zugleich, was er dem israelitischen Volk und dem König Pharao sagen und welche Zeichen er vor ihnen ausbreiten sollte, um ihr Vertrauen zu erlangen. Jesaja, Jeremia und Hesekiel wird ausdrücklich befohlen, den Israeliten zu predigen. Und schließlich bezeugt die Schrift, daß die Propheten nur das gepredigt haben, was sie von Gott empfangen hatten. Von den Aposteln lesen wir, wenn sie hierhin oder dorthin predigen gingen, aber nichts dergleichen im Neuen Testament, allenfalls ganz selten. Vielmehr finden wir Stellen, die ausdrücklich darauf hinweisen, daß sich die Apostel die Orte ihrer Predigt nach eigenem Ermessen aussuchten; man lese etwa

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jene bis zur Entzweiung führende Rivalität zwischen Paulus und Barnabas in Apostelgeschichte 15, 37 ff., oder auch, daß sie häufig vergeblich versuchten, irgendwo hinzugehen, wie derselbe Paulus in Römerbrief 1, 13 bezeugt: Ich habe mehrmals zu euch kommen wollen und bin verhindert worden, und 15, 22: Deshalb bin ich mehrmals verhindert worden zu euch zu kommen; und im 1. Korintherbrief 16, 12: Meinen Bruder Apollo habe ich mehrmals inständig gebeten, mit den Brüdern zu euch zu kommen, aber er wollte nicht zu euch gehen; wenn es ihm aber gelegen sein wird usw. Aus dieser Art zu sprechen und aus dem Streit der Apostel, aber auch aus dem Umstand, daß die Schrift von ihnen, anders als von den alten Propheten, nicht bezeugt, es sei auf Geheiß Gottes geschehen, wenn sie irgendwohin predigen gingen, hätte ich schließen müssen, daß die Apostel auch gepredigt hätten als Lehrer und nicht als Propheten. Doch ist dieses Problem leicht zu lösen, wenn man nur den Unterschied zwischen der Berufung der Apostel und der der Propheten des Alten Testaments beachtet. Diese waren in der Tat nicht berufen, allen Völkern zu predigen und zu prophezeien, sondern nur einigen besonderen, und brauchten deshalb für jeden einzelnen Fall einen ausdrücklichen und besonderen Auftrag. Die Apostel hingegen waren berufen, allen Menschen ohne Ausnahme zu predigen und alle zur Religion zu bekehren. Wohin auch immer sie also gingen, führten sie den Auftrag Christi aus und brauchten als Jünger Christi, bevor sie aufbrachen, nicht offenbart zu bekommen, was sie predigen sollten; Christus selbst hatte ihnen gesagt: Wenn sie euch vor Gericht stellen, sorgt euch nicht, wie und was ihr sagen sollt; denn es wird euch zu jener Stunde gegeben werden, was ihr sagen sollt usw. (siehe Matthäus 10, 19 – 20). [6] Wir schließen also, daß die Apostel aus besonderer Offenbarung nur dasjenige hatten, was sie mündlich predigten und zugleich mit Zeichen bekräftigten (siehe unsere Ausführungen zu Beginn des 2. Kapitels), daß sie hingegen dasjenige, was sie einfach, mündlich oder schriftlich, lehrten, ohne es mit Zeichen zu bestätigen, auf Grund ihrer (natürlichen) Erkenntnis gesagt oder geschrieben haben; siehe dazu 1. Korintherbrief

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14, 6. Dabei muß uns nicht aufhalten, daß alle Briefe mit einer Bestätigung des Apostelamtes anheben; denn den Aposteln war, wie ich bald zeigen werde, nicht nur die Macht zu prophezeien, sondern auch die Autorität zu lehren verliehen. In diesem Sinne geben wir zu, daß sie ihre Briefe als Apostel geschrieben haben und deshalb jeder Brief mit einer Bestätigung des Apostelamtes anhebt; vielleicht wollten sie auch, um das Gemüt des Lesers leichter für sich zu gewinnen und ihn zur Aufmerksamkeit anzuspornen, zunächst bekunden, daß sie diejenigen seien, die von ihren Predigten her allen Gläubigen wohlbekannt waren und jetzt mit klaren Zeugnissen zeigten, daß sie die wahre Religion und den Weg des Heils lehrten. Denn alles, was ich in diesen Briefen über die Berufung der Apostel und ihren heiligen und göttlichen Geist gesagt finde, bezieht sich, denke ich, auf ihre Predigten, mit Ausnahme der Stellen, in denen „Geist Gottes“ und „Heiliger Geist“ für einen gesunden, glücklichen und gottgeweihten Geist stehen (worüber wir im 1. Kapitel gesprochen haben). Im 1. Korintherbrief 7, 40 sagt Paulus z. B.: Glücklich ist sie meiner Meinung nach, wenn sie so bleibt, ich meine aber auch, daß der Geist Gottes in mir ist, und versteht hier unter Geist Gottes seinen eigenen Geist, wie der Zusammenhang deutlich macht; denn er will sagen: Eine Witwe, die nicht ein zweites Mal heiraten will, schätze ich von meinem Standpunkt her als glücklich ein, ich, der ich ehelos zu leben beschlossen habe und mich für glücklich halte. Weitere Stellen dieser Art gibt es, die hier anzuführen ich für überflüssig halte. [7] Weil also anzunehmen ist, daß die Briefe der Apostel allein vom natürlichen Licht diktiert worden sind, ist jetzt zu sehen, wie die Apostel allein kraft natürlicher Erkenntnis Dinge lehren konnten, die gar nicht unter sie fallen. Achten wir auf das, was wir im 7. Kapitel dieses Traktats zur Interpretation der Schrift gesagt haben, wird uns das aber keine Schwierigkeit bereiten. Denn obwohl vieles, was in der Bibel steht, oft unsere Fassungskraft übersteigt, können wir doch unbesorgt darüber sprechen, vorausgesetzt, wir lassen nur solche Prinzipien gelten, die der Schrift selbst entnommen sind. In

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gleicher Weise konnten auch die Apostel aus dem, was sie gesehen, gehört und schließlich durch Offenbarung empfangen hatten, vieles folgern und erschließen und es die Menschen nach ihrem Belieben lehren. Und schließlich, obwohl die Religion, wie sie von den Aposteln im schlichten Erzählen der Geschichte Christi gepredigt wurde, nicht unter die Vernunft fällt, kann doch jedermann ihren wesentlichen Gehalt, der, wie die ganze Lehre Christi,1 hauptsächlich moralische Sätze umfaßt, mit dem natürlichen Licht leicht begreifen. Die Apostel brauchten also kein übernatürliches Licht, um eine Religion, die sie zuvor durch Zeichen bestätigt hatten, der gewöhnlichen Fassungskraft der Menschen so anzupassen, daß ein jeder sie ganzen Herzens leicht übernimmt; und erst recht brauchten sie es nicht, um den Menschen religiöse Ermahnungen zu erteilen; denn Zweck der Briefe ist, die Menschen in der Weise zu belehren und zu ermahnen, die nach Ansicht des einzelnen Apostels am besten geeignet ist, sie in der Religion zu bestärken. Noch einmal ist hier zu bemerken, was wir kurz zuvor gesagt haben: Den Aposteln war nicht nur die Macht verliehen, die Geschichte Christi wie Propheten zu predigen, indem sie sie mit Zeichen bekräftigten, sondern auch die Autorität, die Menschen in der Weise zu belehren und zu ermahnen, die der einzelne Prophet für die beste hielt. Paulus verweist klar im 2. Brief an Timotheus 1, 11 auf diese doppelte Gabe: wofür ich als Verkünder, Apostel und Lehrer der Völkerschaften eingesetzt bin, auch im 1. Brief an Timotheus 2, 7: als dessen Verkünder und Apostel ich eingesetzt bin (ich sage die Wahrheit durch Christus und lüge nicht), ein Lehrer der Völkerschaften im Glauben und (wohlgemerkt!) in der Wahrheit. Damit verweist er, sage ich, ohne Zweifel auf die Einsetzung in beide Ämter, in das Apostelamt und das Lehramt. Die Autorität, zu ermahnenn wen und wann er will, beschreibt er im Brief an Philemon (Vers 8) mit folgenden Worten: Obwohl ich eine große Freiheit in Christo habe, dir vorzuschreiben, was sich gehört, (will ich) doch usw. Hier ist 1

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zu bemerken: Hätte Paulus das, was Philemon vorzuschreiben tunlich war, als Prophet von Gott empfangen und als Prophet vorschreiben müssen, wäre ihm sicher nicht erlaubt gewesen, eine Vorschrift Gottes in eine Bitte umzuwandeln. Man muß diese Stelle deshalb so verstehen, daß er von der Freiheit des Ermahnens spricht, die ihm als Lehrer und nicht als Prophet zustand. [8] Trotzdem folgt daraus noch nicht klar genug, daß die Apostel die Lehrmethode, die jeder für die beste hielt, hätten wählen können, sondern nur, daß sie kraft des Apostelamts nicht nur Propheten, sondern auch Lehrer waren, wenigstens solange wir nicht die Vernunft zu Hilfe rufen wollen, der zufolge derjenige, der die Autorität zu lehren hat, natürlich auch die Autorität hat, seine Lehrmethode nach eigenem Ermessen zu wählen. Es wird aber besser sein, die ganze Sache aus der Schrift selbst zu beweisen; aus ihr geht nämlich klar hervor, daß jeder Apostel einen besonderen Weg gewählt hat, etwa aus diesen Worten des Paulus im Römerbrief 15, 20: Ich war besonders darauf bedacht, dort zu predigen, wo Christi Name nicht angerufen wurde, um nicht auf einem fremden Fundament zu bauen. Hätten alle dieselbe Lehrmethode gehabt und alle die christliche Religion auf derselben Grundlage erbaut, würde Paulus sicher keinen Grund gehabt haben, die Grundlagen eines anderen Apostels als fremd zu bezeichnen, weil sie die gleichen gewesen wären. Da er sie aber fremd nennt, ist zwangsläufig zu schließen, daß jeder die Religion auf einer jeweils anderen Grundlage erbaut hat und die Apostel es in ihrem Lehramt nicht anders gehalten haben als andere Lehrer, die ihrer eigenen Lehrmethode folgen und deshalb lieber immer diejenigen unterrichten wollen, die ganz ungebildet sind und in den Sprachen oder Wissenschaften von niemand anders schon Unterricht bekommen haben, selbst in den mathematischen nicht, an deren Wahrheit niemand zweifelt. [9] Schließlich werden wir bei aufmerksamer Lektüre ihrer Briefe finden, daß die Apostel zwar in der Religion selbst übereinstimmten, in deren Grundlagen aber sehr voneinander abwichen. Um die Menschen in der Religion zu bestärken und

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ihnen zu zeigen, daß das Heil allein von der Gnade Gottes abhängt, lehrte Paulus, daß niemand sich seiner Werke, sondern jeder allein seines Glaubens rühmen könne und daß niemand auf Grund der Werke gerechtfertigt werde (siehe Römerbrief 3, 27 f.) – wie überhaupt die ganze Lehre der Prädestination. Jakobus dagegen lehrt in seinem Brief, daß der Mensch auf Grund seiner Werke gerechtfertigt werde und nicht nur auf Grund des Glaubens (siehe Jakobusbrief 2, 24), und faßt die ganze Religionslehre, alle jene Erörterungen des Paulus beiseite schiebend, in diesen wenigen Punkten zusammen. [10 ] Und nicht zuletzt steht außer Zweifel, daß die Verschiedenheit der Grundlagen, auf denen die Apostel das Gebäude der Religion errichteten, die vielen Streitigkeiten und Schismata entstehen ließen, denen die Kirche seit den Zeiten der Apostel unaufhörlich ausgesetzt war und sicherlich für alle Zeiten bleiben wird, bis man endlich einmal die Religion von den philosophischen Spekulationen trennen und auf die wenigen und höchst einfachen Dogmen zurückführen wird, die Christus die Seinen gelehrt hat. Den Aposteln war dies nicht möglich, weil das Evangelium den Menschen noch nicht bekannt war; um ihren Ohren mit der Neuheit seiner Lehre nicht zu viel zuzumuten, haben sie diese Lehre deshalb, soweit es ging, der Fassungskraft der Menschen der damaligen Zeit angepaßt (siehe 1. Korintherbrief 9, 19 ff.) und das Gebäude auf den Fundamenten errichtet, die damals allgemein bekannt und weithin akzeptiert waren. Aus diesem Motiv heraus war niemand unter den Aposteln mehr Philosoph als Paulus, der berufen war, den Heiden zu predigen. Die anderen, die den Juden, die die Philosophie wenig schätzten, predigten, haben sich deren Sinnesart angepaßt (siehe dazu Galaterbrief 2, 11 ff.) und eine Religion frei von philosophischen Spekulationen gelehrt. Glücklich fürwahr wäre unser Zeitalter, sähen wir sie auch von allem Aberglauben befreit.

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Zwölf tes K a pitel Von der wahren Urschrift des göttlichen Gesetzes, aus welchem Grunde die Schrift heilig heißt und aus welchem Grunde Wort Gottes; endlich wird gezeigt, daß sie, sofern sie das Wort Gottes enthält, unverderbt zu uns gekommen ist Wer die Bibel, so wie sie ist, als eine Art Brief betrachtet, den Gott den Menschen vom Himmel gesandt hat, wird ohne Zweifel losschreien, ich hätte mich gegen den Heiligen Geist versündigt, weil ich erklärt habe, daß das Wort Gottes fehlerhaft, verstümmelt, verfälscht und in sich widerspruchsvoll sei, wir davon nur Fragmente hätten und die Urschrift des von Gott mit den Juden geschlossenen Bundes verlorengegangen sei. Doch bin ich sicher, daß diese Leute, wenn sie die Sache nur gehörig erwägen wollten, sofort verstummen würden. Denn die Vernunft wie die Aussprüche der Propheten und Apostel verkünden unverhüllt, daß das ewige Wort und der ewige Bund Gottes und die wahre Religion den Herzen der Menschen, d. h. dem menschlichen Geist, von Gott her eingeschrieben sind und daß dies die wahre Urschrift Gottes ist, die er selbst mit seinem Siegel, nämlich mit der Idee seiner selbst, als Bild seiner Göttlichkeit verbrieft hat. [2] Den ersten Juden ist die Religion schriftlich als Gesetz überbracht worden, zweifellos weil sie damals noch wie kleine Kinder behandelt wurden. Doch später verkünden ihnen Moses ( Deuteronomium 30, 6) und Jeremia (31, 33), daß eine Zeit kommen werde, in der Gott ihnen sein Gesetz in ihre Herzen einschreiben wird. So war es ehedem bloß Sache der Juden und besonders der Sadduzäer, für ein auf Tafeln geschriebenes Gesetz zu kämpfen, nicht aber derer, die es in ihrem Geist eingeschrieben haben. Wer dies zu beachten bereit ist, wird in dem oben Gesagten nichts finden, was dem Wort Gottes, d. h. der wahren Religion und dem wahren Glauben, zuwiderliefe oder den Glauben schwächen könnte, sondern im Gegenteil finden, daß wir ihn stärken, wie wir schon gegen Ende des 10. Kapitels dargelegt haben. Wäre das nicht der Fall, hätte

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ich mich entschlossen, dies mit Stillschweigen zu übergehen, ja sogar, um allen Schwierigkeiten zu entgehen, bereitwillig zugegeben, daß in den Schriften tiefste Geheimnisse verborgen liegen. Weil aber daraus ein unerträglicher Aberglaube hervorgegangen ist und mit ihm andere höchst verderbliche Übelstände, über die ich eingangs des 7. Kapitels gesprochen habe, glaubte ich mich dieser Aufgabe nicht entziehen zu dürfen, zumal die Religion keiner abergläubischen Ausschmükkung bedarf und ihren Glanz nur verliert, wenn sie sich mit Erfindungen dieser Art schmückt. [3] Aber, werden sie sagen, wenn das göttliche Gesetz auch den Herzen eingeschrieben ist, so ist die Schrift doch Gottes Wort, und man dürfe mithin von der Schrift so wenig wie von dem Wort Gottes sagen, sie sei verstümmelt und verderbt. Ich fürchte jedoch im Gegenteil, daß sie aus zu großem Verlangen nach Heiligkeit die Religion in Aberglauben verwandeln und, schlimmer noch, sich nicht scheuen, Bilder, überhaupt Nachbildungen, anzubeten, d. h. Papier und Tinte statt Gottes Wort. Das eine weiß ich, daß ich nichts Ungehöriges über die Schrift oder das Wort Gottes gesagt habe. Denn ich habe nichts behauptet, was ich nicht mit höchst einleuchtenden Gründen als wahr bewiesen hätte. Deshalb kann ich mit Bestimmtheit versichern, nichts gesagt zu haben, was gottlos wäre oder nach Gottlosigkeit röche. Ich gebe zu, daß Menschen von schändlicher Gesinnung, denen die Religion eine Last ist, daraus die Erlaubnis zu sündigen ziehen können und ohne jeden Grund, bloß um ihrer Lust zu frönen, auch schließen können, die Schrift sei durch und durch fehlerhaft und gefälscht und folglich bar jeder Autorität. Dergleichen zu verhindern ist nicht möglich, nach jenem bekannten Wort, nichts könne so richtig gesagt werden, daß es sich nicht durch üble Deutung deformieren ließe. Wer seinen Lüsten frönen will, findet dafür immer einen Vorwand; und einst waren auch diejenigen, die im Besitz der ursprünglichen Texte und der Bundeslade waren, ja sogar Propheten und Apostel hatten, weder besser noch gehorsamer; alle, Juden wie Heiden, waren immer dieselben, und zu allen Zeiten war die Tugend eine höchst seltene Sache.

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Um indes jedes Bedenken zu beseitigen, ist hier noch zu zeigen, aus welchem Grunde die Schrift oder überhaupt ein Ding, das stumm ist, heilig und göttlich zu nennen ist; sodann, was das Wort Gottes in Wahrheit ist und daß es nicht in einer bestimmten Anzahl von Büchern besteht; und schließlich, daß die Schrift, sofern sie das zum Gehorsam und zum Heil Nötige lehrt, nicht hat verderbt werden können. Daraus wird jeder leicht ermessen können, daß wir gegen das Wort Gottes nichts gesagt und der Gottlosigkeit keinen Raum gegeben haben. [5] Heilig und göttlich nennt man das, was zur Ausübung von Frömmigkeit und Religion bestimmt ist, und es bleibt nur so lange heilig, wie die Menschen dies in religiöser Weise tun; hören sie auf, fromm zu sein, ist es zugleich mit seiner Heiligkeit zu Ende; widmen sie es ruchlosen Handlungen, wird unrein und schändlich, was ehedem heilig war. Zum Beispiel wurde ein bestimmter Ort vom Erzvater Jakob Haus Gottes genannt, weil er dort den Gott verehrte, der sich ihm an dieser Stelle offenbart hatte; derselbe Ort wurde von den Propheten dagegen Haus der Ungerechtigkeit genannt (siehe Amos 5, 5 und Hosea 10, 5), weil die Israeliten dort nach einem von Jerobeam eingeführten Brauch den Götzen opferten. Ein anderes Beispiel zeigt dies sehr klar: Worte erhalten eine bestimmte Bedeutung bloß aus dem Gebrauch; werden sie ihm gemäß so gesetzt, daß sie den, der sie liest, zur Verehrung bringen, dann werden die Worte heilig sein und ebenso das nach einer solchen Anordnung der Worte geschriebene Buch. Wenn sich aber der Gebrauch später so weit verliert, daß diese Worte keine Bedeutung mehr haben, oder auch das Buch, sei es aus Böswilligkeit, sei es aus Gleichgültigkeit, ganz unbeachtet bleibt, dann werden Worte wie Buch weder Relevanz noch Heiligkeit haben; wenn schließlich diese Worte anders angeordnet werden oder ein Gebrauch sich durchgesetzt hat, der ihnen eine der ursprünglichen Bedeutung entgegengesetzte Bedeutung verleiht, dann werden Worte und Buch, die einst heilig waren, unrein und schändlich. Folglich ist nichts uneingeschränkt heilig oder schändlich und unrein außerhalb der geistigen Einstellung, sondern alles nur im Hinblick auf sie. [4 ]

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Viele Stellen der Schrift machen das auch hinreichend deutlich. Nehmen wir ein oder zwei Beispiele. Jeremia sagt (7, 4), die Juden seiner Zeit hätten den Tempel Salomos fälschlich „Tempel Gottes“ genannt, weil, so fügt er in demselben Kapitel hinzu, der Name Gottes jenem Tempel nur so lange eigen sein konnte, wie er von Menschen besucht wurde, die Gott ehrten und sich für Gerechtigkeit einsetzten; sobald er aber von Mördern, Dieben, Götzendienern und anderen Kriminellen besucht wurde, war er eher eine Räuberhöhle. Was aus der Bundeslade geworden ist, berichtet die Schrift zu meinem Erstaunen nicht; jedenfalls ist sie verlorengegangen oder mit dem Tempel verbrannt, und doch kannten die Hebräer nichts, was heiliger und Gegenstand größeren Respekts gewesen wäre. Deshalb ist auch die Schrift nur so lange heilig (und ihre Worte nur so lange göttlich), wie sie die Menschen zur Verehrung Gottes bringt; wird sie von ihnen ganz und gar vernachlässigt, wie einst bei den Juden, ist sie nichts als Papier und Tinte, durch und durch entheiligt und dem Verderben preisgegeben. Wenn sie also verderbt ist oder verlorengeht, ist es falsch zu sagen, das Wort Gottes sei verderbt oder verlorengegangen, ebenso wie es zur Zeit Jeremias falsch war zu sagen, daß mit dem damaligen Tempel der Tempel Gottes in den Flammen untergegangen sei. Das sagt Jeremia auch von dem Gesetz selbst; die Gottlosen seiner Zeit tadelt er nämlich so ([8, 8]): Warum sagt ihr, wir sind weise und das Gesetz Gottes ist mit uns; wahrlich, vergebens ist es angeordnet worden; die Feder der Schreiber ist vergebens (ergriffen worden). Das bedeutet: Mag auch die Schrift in euren Händen sein, ihr sagt zu Unrecht, das Gesetz zu besitzen, nachdem ihr es außer Kraft gesetzt habt. So hat auch Moses, als er die ersten Tafeln zerbrach, nur Steine aus seinen Händen fallen lassen und im Zorn zerbrochen und nicht das Wort Gottes (wer könnte das auch von Moses und dem Wort Gottes annehmen?), Steine, die zwar ehedem heilig waren, weil auf sie der Bund geschrieben war, in dem sich die Juden verpflichtet hatten, Gott zu gehorchen, die aber nichts Heiliges mehr an sich hatten, weil die Juden diesen Bund durch die Anbetung des Kalbes gebro-

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chen hatten. Aus demselben Grunde haben auch die zweiten Tafeln mit der Lade verlorengehen können. Nicht erstaunlich ist es also, daß die ersten Originalschriften Moses’ verlorengingen, und ebenso wenig, was mit den uns erhaltenen Büchern geschah, wovon wir oben gesprochen haben, wenn sogar die wahre Urschrift des göttlichen Bundes, das Heiligste von allem, hat gänzlich verlorengehen können. Man sollte also aufhören, uns, die wir nichts gegen das Wort Gottes gesagt noch es entweiht haben, der Gottlosigkeit zu bezichtigen, und stattdessen seinen Zorn, wenn er denn angebracht ist, gegen die Alten kehren, deren Böswilligkeit die Lade, den Tempel, das Gesetz Gottes und alle Heiligtümer entheiligt und dem Verderben preisgegeben hat. Wenn sie, wie der Apostel im 2. Korintherbrief (3, 3) sagt, den Brief Gottes in sich haben, nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist Gottes, und nicht auf Tafeln von Stein, sondern auf Tafeln von Fleisch ins Herz geschrieben, mögen sie aufhören, den Buchstaben anzubeten und um ihn so besorgt zu sein. Damit glaube ich hinreichend erläutert zu haben, aus welchem Grunde die Schrift als heilig und göttlich anzusehen ist. [7] Jetzt ist noch zu untersuchen, was im eigentlichen Sinne unter debar Jehova (Wort Gottes) zu verstehen ist. Dabar bedeutet Wort, Rede, Verordnung und Ding. Nun haben wir im 1. Kapitel gezeigt, aus welchen Gründen im Hebräischen von einem Ding gesagt wird, es sei ein Ding Gottes und werde auf Gott bezogen. Dem ist leicht zu entnehmen, was die Schrift mit Wort, Rede, Verordnung und Ding Gottes ausdrücken will. Das alles hier zu wiederholen, ist nicht nötig, auch nicht, was wir im 6. Kapitel an dritter Stelle über die Wunder gesagt haben. Für das Verständnis dessen, was wir hier sagen wollen, genügt ein kurzer Hinweis. Wird Wort Gottes von einem Subjekt ausgesagt, das nicht Gott selbst ist, dann bezeichnet es eigentlich jenes göttliche Gesetz, von dem wir im 4. Kapitel gehandelt haben, d. h. die Religion, die der ganzen Menschheit gemeinsam und insofern allgemeingültig ist; siehe hierzu Jesaja 1, 10 ff., wo der Prophet die wahre Lebensweise lehrt (die nicht in Zeremonien, sondern in der Nächstenliebe und der

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Aufrichtigkeit des Herzens besteht) und sie ohne Unterschied Gesetz und Wort Gottes nennt. Ferner wird der Ausdruck metaphorisch für die Ordnung der Natur und das Schicksal gebraucht (weil dieses in Wahrheit von dem ewigen Beschluß der göttlichen Natur abhängt und aus ihm folgt) und besonders für das, was die Propheten von dieser Ordnung vorausgesehen haben, die die zukünftigen Ereignisse ja nicht auf der Basis natürlicher Ursachen begriffen, sondern als Entscheidungen oder Ratschlüsse Gottes verstanden. Schließlich wird er auch gebraucht, um den Ausspruch eines jeden Propheten zu bezeichnen, sofern er ihn seiner persönlichen Tugend oder einer Prophetengabe verdankte und nicht dem allen gemeinsamen natürlichen Licht, und das vor allem, weil die Propheten Gott als Gesetzgeber aufzufassen pflegten, wie wir im 4. Kapitel gezeigt haben. Aus diesen drei Gründen wird die Schrift also Wort Gottes genannt: weil sie die wahre Religion lehrt, deren ewiger Urheber Gott ist; weil sie die Weissagung künftiger Ereignis als Ratschlüsse Gottes hinstellt; weil ihre tatsächlichen Verfasser in der Regel nicht auf der Basis des allen gemeinsamen natürlichen Lichts, sondern dank einer ihnen eigenen Erleuchtung gelehrt haben, d. h. unter Berufung auf einen Gott, der ihnen dies sagt. Mag die Schrift außerdem auch vieles enthalten, was rein historisch ist und sich vom natürlichen Licht erfassen läßt, ihren Namen hat sie doch von ihrem Hauptinhalt. [8] Daraus erfassen wir leicht, aus welchem Grunde Gott als der Urheber der Bibel zu verstehen ist, nämlich wegen der wahren Religion, die in ihr gelehrt wird, nicht aber, weil er den Menschen eine bestimmte Anzahl von Büchern hätte übermitteln wollen. Ferner können wir daraus auch verstehen, warum die Bibel in Bücher des Alten und des Neuen Testaments eingeteilt ist, weil nämlich die Propheten die Religion vor der Ankunft Christi als Landesgesetz und kraft des zu Moses’ Zeit geschlossenen Bundes zu predigen pflegten, die Apostel sie hingegen nach der Ankunft Christi als universelles Gesetz und allein gestützt auf das Leiden Christi allen Menschen gepredigt haben; nicht beruht die Einteilung jedoch darauf,

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daß diese Bücher in der Lehre verschieden wären, weder darauf, daß sie als Urschrift des Bundes geschrieben wären, noch darauf, daß die universelle Religion, die die natürlichste ist, neu wäre, es sei denn im Hinblick auf Menschen, die sie nicht kannten. Es war in der Welt, sagt der Evangelist Johannes (1, 10), und die Welt kannte es nicht. Selbst wenn wir vom Alten wie vom Neuen Testament weniger Bücher hätten, würde uns also nicht das Wort Gottes fehlen (worunter im eigentlichen Sinne, wie gesagt, die wahre Religion zu verstehen ist), wie wir auch nicht glauben, daß dieses Wort uns fehlt, weil wir viele andere einschlägige Schriften nicht haben, wie das Buch des Gesetzes, das als Urschrift des Bundes gewissenhaft im Tempel aufbewahrt war, und auch die Bücher der Kriege, die Chroniken und sehr viele andere, aus denen die uns erhaltenenen Bücher des Alten Testaments herausgeholt und zusammengestellt sind. [9] Unsere These wird durch zahlreiche zusätzliche Argumente untermauert: 1. Die Bücher beider Testamente sind nicht auf ausdrückliche Weisung zu ein und derselben Zeit und für alle Jahrhunderte geschrieben worden, sondern aus gegebenem Anlaß für bestimmte Menschen, wie die Zeit und die besonderen Verhältnisse dieser Menschen es gerade verlangten, wie die Berufungen der Propheten (die berufen wurden, um die Ungläubigen ihrer Zeit zu ermahnen) und auch die Briefe der Apostel offenkundig zeigen. 2. Die Schrift und den Geist der Propheten begreifen ist etwas anderes als den Geist Gottes begreifen, d. h. die Wahrheit selbst, wie aus unseren Erläuterungen zu den Propheten im 2. Kapitel hervorgeht. Daß dies auch für die historischen Berichte und für die Wunder gilt, haben wir im 6. Kapitel gezeigt. Von den Stellen, in denen es um die wahre Religion und die wahre Tugend geht, läßt sich das jedoch keinesfalls sagen. 3. Die Bücher des Alten Testaments wurden aus vielen anderen ausgewählt und schließlich von einer Versammlung von Pharisäern zusammengestellt und gebilligt, wie wir im 10. Kapitel gezeigt haben, und auch die des Neuen Testaments

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sind durch die Beschlüsse von Konzilen in den Kanon aufgenommen worden, während mehrere andere, von vielen als heilig angesehene Bücher von ihnen als nicht authentisch verworfen wurden. Wenn die Mitglieder dieser Konzile (der pharisäischen wie der christlichen) auch nicht Propheten waren, sondern nur Gelehrte und Sachverständige, ist doch anzunehmen, daß das Wort Gottes ihnen für diese Auswahl als Norm gedient hat; sie mußten also vor der Billigung aller Bücher schon Kenntnis vom Wort Gottes gehabt haben. 4. Die Apostel haben nicht als Propheten geschrieben, sondern (wie wir im vorigen Kapitel gesagt haben) als Lehrer und dabei die Lehrmethode gewählt, von der sie glaubten, sie sei den Schülern, die sie damals belehren wollten, am leichtesten zugänglich. Daraus folgt, daß ihre Schriften (wie wir schon am Ende des vorigen Kapitels gefolgert haben) vieles enthalten, was wir in Sachen Religion fortan unberücksichtigt lassen können. 5. Schließlich gibt es im Neuen Testament vier Evangelisten, und wer glaubt wohl, Gott habe die Geschichte Christi viermal erzählen und den Menschen viermal schriftlich mitteilen wollen? Obwohl man in dem einen Evangelium Dinge findet, die in dem anderen nicht anzutreffen sind, und das eine häufig das andere zu verstehen hilft, ist daraus doch nicht zu schließen, daß alles, was in diesen vier erzählt wird, zu kennen unerläßlich wäre und daß Gott die Evangelisten zum Schreiben erwählt habe, damit die Geschichte Christi besser verstanden werde. Jeder predigte nämlich sein Evangelium an einem anderen Ort, und jeder schrieb nieder, was er gerade gepredigt hatte, und dies einfach in der Absicht, die Geschichte Christi lichtvoll zu erzählen, und sicher nicht, um die anderen Evangelisten zu erklären. Wenn sie sich auch durch wechselseitigen Vergleich manchmal besser und leichter verstehen lassen, so ist das doch nur zufällig so und auch nur an wenigen Stellen, die nicht zu verstehen weder die Geschichte minder einleuchtend sein ließe noch die Menschen minder glückselig machte. [10 ] Damit haben wir gezeigt, daß die Schrift nur im Hinblick auf die Religion, d. h. das allgemeingültige göttliche Gesetz,

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im eigentlichen Sinne Wort Gottes heißt. Es bleibt noch zu zeigen, daß sie, sofern sie in diesem Sinne so heißt, nicht fehlerhaft, verfälscht und verstümmelt ist. Fehlerhaft, verfälscht und verstümmelt nenne ich einen Text, der so schlecht geschrieben und angeordnet ist, daß der Sinn der Rede nicht aus dem Sprachgebrauch erforscht und auch nicht der Schrift allein entnommen werden kann. Denn ich will nicht behaupten, daß die Schrift, soweit sie das göttliche Gesetz enthält, immer dieselben Zeichen, dieselben Buchstaben und dieselben Worte beibehalten hat (das zu beweisen überlasse ich den Masoreten und den abergläubischen Buchstabenanbetern), sondern nur, daß der Sinn, im Hinblick auf den allein eine Rede göttlich heißen kann, unverfälscht zu uns gekommen ist, selbst unter der Annahme, daß die Worte, mit denen er zuerst ausgedrückt wurde, nicht selten verändert wurden. Das nimmt, wie gesagt, der Schrift nichts von ihrer Göttlichkeit; denn die Schrift wäre gleichermaßen göttlich, wenn sie mit anderen Worten und in einer anderen Sprache geschrieben wäre. Unter diesem Aspekt ist das göttliche Gesetz also unverfälscht zu uns gekommen, niemand kann daran zweifeln. Denn aus der Schrift selbst erfassen wir ohne jede Schwierigkeit und Zweideutigkeit ihren Hauptinhalt: Gott über alles zu lieben und seinen Nächsten wie sich selbst. Und das kann weder verfälscht noch von einer übereilten und irrenden Feder geschrieben sein; denn hätte die Schrift in diesen Punkten jemals etwas anderes gelehrt, würde sie zwangsläufig auch alles andere anders gelehrt haben müssen, weil es ja die Grundlage der ganzen Religion ist, die aufzuheben das ganze Gebäude mit einem Schlag zusammenfallen ließe. Eine solche Schrift wäre nicht die, von der wir hier reden, sondern ein ganz anderes Buch. Es steht also unerschütterlich fest, daß die Schrift diese Punkte immer gelehrt hat; folglich hat sich hier kein den Sinn verdrehender Irrtum einschleichen können, der nicht sofort von jedem bemerkt worden wäre, und niemand hätte diese Lehre entstellen können, ohne daß seine Böswilligkeit auf der Stelle ans Licht gekommen wäre.

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Weil diese Grundlage als unverderbt anzunehmen ist, ist dasselbe notwendigerweise auch von alledem zu behaupten, was daraus unstrittig folgt und insofern ebenfalls von grundlegender Bedeutung ist: daß Gott existiert, daß er für alle Sorge trägt, daß er allmächtig ist, daß es nach seinem Ratschluß den Frommen gut und den Bösen schlecht geht und daß unser Heil allein von seiner Gnade abhängt. Alles dieses nämlich lehrt die Schrift überall deutlich und mußte sie immer lehren, sonst wäre alles übrige nichtig und ohne Grundlage; und auch die anderen moralischen Regeln muß man als unverderbt annehmen, da sie sich ganz offensichtlich aus dieser allgemeingültigen Grundlage ergeben: die Gerechtigkeit verteidigen, dem Bedürftigen helfen, niemanden töten, des anderen Gut nicht begehren usw. Von diesen elementaren Regeln, sage ich, hat weder die Böswilligkeit der Menschen etwas verfälschen noch die Zeit etwas auslöschen können. Was davon ausgelöscht worden wäre, hätte nämlich seine allgemeingültige Grundlage sofort wieder diktiert, im besonderen Maße die Lehre der Nächstenliebe, die beide Testamente allenthalben aufs höchste empfehlen. Hinzu kommt: Mag sich auch keine noch so verdammenswerte Schandtat denken lassen, die nicht schon einmal begangen wäre, so gibt es doch niemanden, der, um seine Taten zu entschuldigen, versuchte, die Gesetze aufzuheben oder etwas Ruchloses als ewige und heilsame Lehre zur Geltung zu bringen. Denn bekanntlich ist die menschliche Natur so beschaffen, daß jeder, König wie Untertan, wenn er etwas Schimpfliches getan hat, seine Tat durch solche Umstände zu beschönigen sucht, die uns glauben machen, er habe nichts gegen Recht und Anstand begangen. [12] Wir kommen also uneingeschränkt zu dem Schluß, daß das allgemeingültige göttliche Gesetz in seiner Gesamtheit, gelehrt von der Schrift, unverderbt in unsere Hände gekommen ist. Aber noch andere Sachverhalte gibt es, deren zuverlässige Überlieferung für uns außer Zweifel steht, so das Wesentliche der historischen Berichte der Schrift, weil es allen wohlbekannt war. Bei den Juden pflegte einst das Volk seine alte Geschichte in Psalmen zu besingen. Auch die wichtigsten Er[11]

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eignisse aus dem Leben Christi und seine Leidensgeschichte wurden sogleich im ganzen römischen Reich verbreitet. Deshalb ist kaum zu glauben, daß die Späteren das Wesentliche dieser Geschichten anders überliefert hätten, als sie es von den Früheren erhalten haben, es sei denn, die meisten Menschen seien sich in diesem Punkt einig gewesen – was nun gar nicht zu glauben ist. Verfälschtes und Fehlerhaftes konnte also nur in andere Dinge hineingelangen, etwa in diese oder jene Besonderheit einer Erzählung oder Prophezeiung, die dazu diente, das Volk zu größerer Verehrung zu bringen, oder in das eine oder andere Wunder, das dazu diente, den Philosophen Qual zu bereiten, oder schließlich in spekulative Sachverhalte, nachdem die Schismatiker ihnen zunehmend Raum in der Religion gegeben hatten, damit ein jeder unter Mißbrauch der göttlichen Autorität seine eigenen Erfindungen stützen konnte. Für das Heil ist es jedoch unerheblich, ob Stellen dieser Art verfälscht sind oder nicht, was ich im folgenden Kapitel eigens zeigen will, obwohl ich denke, daß es aus dem Gesagten, namentlich aus dem 2. Kapitel, schon hervorgeht.

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Dr eizehntes K a pitel Es wird gezeigt, daß die Schrift nur ganz einfache Dinge lehrt und auf nichts als den Gehorsam bedacht ist und daß sie über die göttliche Natur lediglich das lehrt, was die Menschen mit einer bestimmten Lebensführung nachahmen können Im 2. Kapitel dieses Traktats haben wir gezeigt, daß die Propheten nur eine einzigartige Macht des Vorstellens, nicht aber des Erkennens hatten und daß Gott ihnen keine philosophischen Geheimnisse, sondern nur ganz einfache Dinge offenbart und sich dabei nach ihren vorgefaßten Meinungen gerichtet hat. Wir haben des weiteren im 5. Kapitel gezeigt, daß die Schrift die Dinge so präsentiert, wie sie für jedermann am leichtesten verständlich sind, indem sie sie nicht aus Axiomen und Definitionen herleitet und miteinander verknüpft, sondern nur einfach vorträgt und das Vorgetragene zu seiner Beglaubigung mit bloßer Erfahrung bestätigt, nämlich mit Wundern und historischen Berichten, die überdies in einem Stil und mit Wendungen vorgetragen werden, die das Gemüt des einfachen Volkes am besten zu bewegen vermögen (siehe dazu das im 6. Kapitel an dritter Stelle Dargelegte). Schließlich haben wir im 7. Kapitel gezeigt, daß die Schwierigkeit, die Schrift zu verstehen, allein in der Sprache und nicht in dem erhabenen Charakter ihres Gegenstandes liegt. Dazu kommt, daß die Propheten nicht den Kundigen predigten, sondern uneingeschränkt allen Juden und daß die Apostel die Lehre des Evangeliums in der Regel in Kirchen, dem Versammlungsort aller, vortrugen. Aus alledem geht hervor, daß die Schrift nicht erhabene Spekulationen oder überhaupt philosophische Gedanken enthält, sondern nur ganz einfache Dinge, die selbst der langsamste Geist erfassen kann. [2] Ich kann mich deshalb nicht genug über den Erfindungsreichtum derer wundern, von denen ich oben gesprochen habe, die in der Schrift Mysterien von solcher Tiefe sehen, daß keine menschliche Sprache sie erklären könne, und die außerdem so viele Elemente philosophischer Spekulation in die Reli-

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gion eingeführt haben, daß die Kirche eine Akademie zu sein scheint und die Religion eine Wissenschaft oder, besser gesagt, ein Gezänk. Aber was wundere ich mich, wenn Menschen, die sich brüsten, ein übernatürliches Licht zu besitzen, den Philosophen, die sich mit dem natürlichen Licht begnügen müssen, im Feld der Erkenntnis nicht weichen wollen? Wundern würde mich eher, wenn sie etwas Neues lehrten, das sich bloßer Spekulation verdankt, und nicht nur das, was schon vor Zeiten bei den heidnischen Philosophen (die sie doch für blind halten) abgedroschenes Zeug war. Fragt man nämlich, was das wohl für Mysterien sind, die sie in der Schrift verborgen sehen, wird man mit Sicherheit nichts weiter finden als die Einfälle von Aristoteles, Platon oder einem anderen ihresgleichen, die wohl eher der letzte Dummkopf träumen könnte als der größte Gelehrte in der Schrift zu entdecken vermöchte. [3] Wir wollen indes nicht schlechthin behaupten, daß zur Lehre der Schrift überhaupt nichts rein Spekulatives gehört, denn im vorigen Kapitel haben wir einiges dieser Art als grundlegend für die Schrift angeführt; ich will nur sagen, daß derartige Aussagen sehr selten und sehr einfachen Inhalts sind. Welcher Art diese Aussagen sind und woraufhin begrenzt, will ich hier darlegen. Das wird uns jetzt, da wir wissen, daß die Schrift nicht darauf bedacht war, Wissenschaften zu lehren, nicht schwerfallen, denn daraus können wir leicht erschließen, daß sie von den Menschen nichts als den Gehorsam verlangt und lediglich den Ungehorsam, nicht die Unwissenheit verdammt. Da nun der Gehorsam gegen Gott bloß in der Liebe zum Nächsten besteht (denn wer den Nächsten liebt und darin den Gehorsam gegen Gott sich erfüllen sieht, der hat, wie Paulus im Römerbrief 13, 8 sagt, das Gesetz erfüllt), ergibt sich, daß in der Schrift keine andere Wissenschaft empfohlen wird als diejenige, die für alle Menschen nötig ist, um Gott nach dieser Vorschrift gehorchen zu können, und die nicht zu kennen die Menschen unausweichlich widerspenstig oder zumindest undiszipliniert machte. Die übrigen Spekulationen, die dieses nicht unmittelbar zum Ziel haben, mögen sie um die Erkenntnis Gottes oder die Erkenntnis der natür-

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lichen Dinge kreisen, berühren nicht die Schrift und sind deshalb von der offenbarten Religion zu trennen. [4] Obwohl das jeder, wie gesagt, leicht sehen kann, will ich, weil dieser Punkt für die ganze Religion entscheidend ist, den Sachverhalt insgesamt doch noch genauer darlegen und klarer erläutern. Hierfür ist vor allem zu zeigen, daß die geistige, d. h. tiefergehende Erkenntnis Gottes, anders als der Gehorsam, keine allen Gläubigen gemeinsame Gabe ist, und des weiteren, daß jene Erkenntnis, die Gott durch die Vermittlung der Propheten ausnahmslos von allen verlangt und die zu haben jeder gehalten ist, nichts weiter ist als eine Erkenntnis Gottes unter dem Aspekt seiner Gerechtigkeit und Nächstenliebe. Beide Punkte lassen sich leicht aus der Schrift selbst beweisen. [5] Der erste Punkt folgt ganz offensichtlich aus Exodus 6, 3, wo Gott, um Moses zu bedeuten, ihm sei eine einzigartige Gnade zuteil geworden, zu ihm sagt: Ich habe mich Abraham, Isaak und Jakob als der Gott Schaddai offenbart, unter meinem Namen Jehova bin ich ihnen aber nicht bekannt geworden. Für ein besseres Verständnis ist zu bemerken, daß El Schaddai im Hebräischen den Gott bezeichnet, der genügt, weil er jedem gibt, was ihm genügt. Obwohl Schaddai oft für Gott schlechthin gebraucht wird, hat man doch zweifellos immer den Namen El (Gott) mitzudenken. Ferner ist zu bemerken, daß sich in der Schrift der Name Jehova nur findet, wenn es darum geht, Gott in seiner unbedingten Essenz, also ohne Beziehung auf die geschaffenen Dinge, zu bezeichnen. Deshalb behaupten die Hebräer, allein dieser Name sei der eigentliche Name Gottes, während die anderen ihn in einer seiner Eigenschaften qualifizierten; in der Tat sind die anderen Namen, seien es Substantive, seien es Adjektive, Attribute, die Gott zukommen, insofern er in Beziehung auf die geschaffenen Dinge betrachtet wird oder sich durch sie offenbart. So bedeutet El (oder mit dem He paragogicum) Eloah bekanntlich nichts anderes als „der Mächtige“, und dieser Name kommt Gott nur zu, um seine Vorzüglichkeit zu bezeichnen, so wie wir Paulus „den Apostel“ nennen. Ansonsten werden

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damit die Merkmale seiner Macht erläutert, also El (mächtig) als groß, furchtbar, gerecht, barmherzig usw., oder der Name wird, um alle zusammenzufassen, im Plural in der Bedeutung eines Singulars gebraucht, was in der Schrift sehr häufig der Fall ist. Wenn also Gott zu Moses sagt, die Väter hätten ihn nicht unter dem Namen Jehova gekannt, dann heißt das, daß sie kein Attribut Gottes kannten, das seine unbedingte Essenz zum Ausdruck bringt, sondern nur solche, die ihn im Hinblick auf seine Wirkungen und Verheißungen beschreiben, d. h. im Hinblick auf seine Macht, insofern sie sich durch die sichtbaren Dinge offenbart. Gott sagt dies Moses nicht, um die Väter des Unglaubens zu beschuldigen, sondern im Gegenteil, um ihr Vertrauen hervorzuheben und den Glauben, der sie, ohne daß sie Moses’ einzigartige Gotteserkenntnis gehabt hätten, doch glauben ließ, daß Gottes Verheißungen bleibend und unverbrüchlich sind; Moses dagegen zweifelte trotz seiner höheren Gedanken über Gott an den göttlichen Verheißungen und hielt Gott vor, statt des versprochenen Heils die Lage der Juden verschlechtert zu haben. Wenn also die Väter den eigentlichen Namen Gottes nicht kannten und Gott diesen Tatbestand Moses mitteilt, um ihre Einfachheit im Glauben zu preisen und zugleich die einzigartige Gnade zu unterstreichen, die er ihm, Moses, hat zukommen lassen, folgt daraus ganz klar, was wir an erster Stelle behauptet haben: Die Menschen sind durch kein Gebot gehalten, die Attribute Gottes zu erkennen; vielmehr ist diese Erkenntnis eine nur einigen Gläubigen erteilte besondere Gabe. Es ist nicht nötig, die Zeugnisse der Schrift zu häufen, um das zu zeigen – wer sieht denn nicht, daß die Erkenntnis des Göttlichen nicht bei allen Gläubigen gleich war? Und daß niemand auf Anordnung weise sein kann, so wenig wie leben und existieren? Männer, Frauen, Kinder, alle können auf Anordnung zwar gleichermaßen gehorchen, aber nicht weise sein. [6] Wenn einer sagt, es sei gar nicht nötig, Gottes Attribute zu begreifen, vielmehr reiche es, einfach und ohne Beweis an sie zu glauben, dann redet er offensichtlich Unsinn. Denn Dinge, die unsichtbar sind und als diese der Gegenstand reinen Den-

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kens, können mit keinen anderen Augen gesehen werden als mit denen der Beweise; wer keine Beweise hat, sieht also von diesen Dingen überhaupt nichts; hält er sich an das, was er über Ähnliches gehört hat, berührt dies nicht sein Denken und verrät ihm nicht mehr als die Worte eines Papageien oder Automaten, die, weil ohne Geist, aller Bedeutung entbehren. [7] Bevor ich weitergehe, muß ich noch den Grund nennen, warum es in der Genesis oft heißt, die Erzväter hätten im Namen Jehovas gepredigt, was dem oben Gesagten deutlich zu widersprechen scheint. Achten wir jedoch auf das im 8. Kapitel Dargelegte, wird es sich leicht zusammenbringen lassen. In jenem Kapitel haben wir nämlich gezeigt, daß der Verfasser des Pentateuch in der Bezeichnung der Dinge und Örtlichkeiten nicht exakt die Namen gebraucht, die sie zu der Zeit, von der er spricht, trugen, sondern die zu seiner Zeit geläufigen. Wenn Gott also in der Genesis von den Erzvätern mit dem Namen Jehova bezeichnet wird, dann nicht, weil sie ihn unter diesem Namen gekannt hätten, sondern weil dieser Name bei den Juden Gegenstand höchster Achtung war. Dies muß man, sage ich, zwingend behaupten, weil es ja in dem zitierten Text von Exodus ausdrücklich heißt, daß Gott den Erzvätern unter diesem Namen nicht bekannt war, aber auch, weil in Exodus 3, 13 Moses den Namen Gottes zu erfahren begehrt; wäre dieser Name schon vorher bekannt gewesen, hätte zumindest auch Moses ihn gekannt. Man muß also schließen, wie wir es wollten: Die gläubigen Erzväter kannten Gott nicht unter diesem Namen, und Gott zu erkennen, ist eine Gabe Gottes und nicht eine Anordnung. [8] Gehen wir also zum zweiten Punkt über und zeigen, daß Gott durch die Vermittlung der Propheten von den Menschen keine andere Erkenntnis seiner selbst fordert als eine Erkenntnis unter dem Aspekt seiner Gerechtigkeit und Nächstenliebe, d. h. unter solchen Attributen, die die Menschen mit einer bestimmten Lebensführung nachahmen können. Ganz ausdrücklich lehrt das Jeremia, sagt er doch, von König Josia sprechend, in 22, 15 u. 16: Dein Vater hat gegessen und getrunken, aber vor Gericht für Gerechtigkeit gesorgt, und da lief

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alles gut für ihn; er hat dem Armen und Bedürftigen Recht zukommen lassen, und da lief alles gut für ihn; denn (wohlgemerkt!) das heißt mich erkennen, spricht Jehova. Ebenso klar ist die Stelle in 9, 23: Aber daß jeder sich nur dessen rühmt, daß er mich versteht und daran mich erkennt, daß ich, Jehova, die Nächstenliebe übe und vor Gericht die Gerechtigkeit auf Erden, denn das ist es, woran ich Wohlgefallen habe, spricht Jehova. Auch Exodus 34, 6 u. 7 ist das zu entnehmen, wo Gott Moses, der ihn zu sehen und zu erkennen begehrt, keine anderen Attribute offenbart als die, welche die göttliche Gerechtigkeit und Nächstenliebe zum Ausdruck bringen. Schließlich ist jene Passage bei Johannes, über die ich in den folgenden Kapiteln sprechen will, schon hier zu erwähnen, in der Johannes Gott allein durch die Nächstenliebe erklärt, weil niemand ihn jemals gesehen hat, und daraus schließt, daß derjenige Gott wahrhaft in sich hat und wahrhaft erkennt, der Nächstenliebe besitzt. Wir sehen also, daß Jeremia, Moses und Johannes die Erkenntnis Gottes, die jeder zu haben gehalten ist, in wenigen Worten zusammenfassen und sie, ganz wie wir, auf Folgendes beschränken: Gott ist im höchsten Maße gerecht und barmherzig, d. h. das unvergleichliche Musterbild des wahren Lebens. Dazu kommt noch, daß die Schrift von Gott keine ausdrückliche Definition gibt; weder schreibt sie vor, andere Attribute Gottes als die genannten anzunehmen, noch hebt sie andere als diese beiden eigens hervor. Aus alledem schließen wir, daß die geistige Erkenntnis Gottes, die seine Natur, wie sie in sich ist, betrachtet, d. h. als eine Natur, die die Menschen weder mit einer bestimmten Lebensführung nachahmen noch zum Musterbild der wahren Lebensführung nehmen können, zum Glauben und zur offenbarten Religion überhaupt nicht gehört, und folglich, daß die Menschen, ohne zu freveln, in diesem Punkt himmelweit irren können. [9] Es ist also keineswegs erstaunlich, daß Gott sich nach den Vorstellungen und vorgefaßten Meinungen der Propheten gerichtet hat und daß die Gläubigen sich unterschiedlichen Meinungen über Gott hingegeben haben, wie wir im 2. Kapitel

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an zahlreichen Beispielen gezeigt haben. Auch nicht weiter erstaunlich ist, daß die heiligen Texte überall so uneigentlich von Gott sprechen und ihm Hände, Füße, Augen, Ohren, Geist und Ortsbewegung zusprechen und außerdem noch Gemütsbewegungen, etwa eifersüchtig, barmherzig usw. zu sein, und ihn als einen Richter schildern, der auf einem königlichen Thron im Himmel sitzt mit Christus zu seiner Rechten. Diese Texte reden eben nach der Fassungskraft des Volkes, das die Schrift nicht klug, sondern gehorsam zu machen sucht. Trotzdem haben die Theologen gemeinhin behauptet, man müsse alles, was sie kraft des natürlichen Lichts als unvereinbar mit der göttlichen Natur ausgeben konnten, metaphorisch interpretieren und alles, was ihrer Fassungskraft entging, buchstäblich nehmen. Wenn jedoch alle Schriftstellen dieser Art metaphorisch interpretiert und verstanden werden müßten, wäre die Schrift nicht für das gemeine Volk, d. h. die Ungebildeten, geschrieben, sondern nur für sehr gebildete Leute, vor allem also für die Philosophen. Mehr noch, wenn es gottlos wäre, in frommer Einfalt das von uns soeben Gesagte von Gott zu glauben, dann hätten sich die Propheten wahrlich, allein schon wegen der geistigen Schwäche des gewöhnlichen Volkes, davor hüten müssen, solche Formulierungen zu gebrauchen, und stattdessen die Attribute Gottes in der Form, in der jedermann sie auffassen sollte, vor allem anderen ausdrücklich und klar lehren müssen, was aber nirgendwo geschehen ist. Man darf also keineswegs glauben, Meinungen als Meinungen, d. h. unbezüglich auf die Werke, hätten etwas an Frömmigkeit oder Gottlosigkeit an sich; vielmehr ist der Glaube eines Menschen nur in dem Maße fromm oder aber gottlos zu nennen, wie er von seinen Meinungen zum Gehorsam bewogen wird oder aber aus ihnen die Erlaubnis zu sündigen oder aufzubegehren zieht. Wenn somit jemand, der an Wahres glaubt, aufsässig wird, hat er in Wirklichkeit einen gottlosen Glauben; und umgekehrt, wenn er, an Falsches glaubend, gehorsam wird, ist sein Glaube fromm. Denn die wahre Gotteserkenntnis ist, wie wir gezeigt haben, keine Anordnung, sondern eine göttliche Gabe, und Gott hat von den

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Menschen allein gefordert, ihn unter dem Aspekt seiner Gerechtigkeit und Nächstenliebe zu erkennen, welche Erkenntnis nicht zur Wissenschaft, sondern nur zum Gehorsam nötig ist.

Vier zehntes K a pitel Was der Glaube ist und wer die Gläubigen sind; bestimmt werden die Grundlagen des Glaubens und dieser schließlich von der Philosophie getrennt [1]

Für eine richtige Theorie des Glaubens muß man vor allem wissen, daß die Schrift nicht nur der Fassungskraft der Propheten angepaßt ist, sondern auch der Fassungskraft des wankelmütigen und unbeständigen Volkes der Juden, was niemandem bei nur einiger Aufmerksamkeit entgehen kann. Wer den ganzen Inhalt der Schrift ohne Unterschied als allgemeingültige und unbedingte Lehre über Gott nimmt und nicht genau weiß, was der Fassungskraft des Volkes angepaßt ist, wird nicht vermeiden können, daß er populäre Meinungen und göttliche Lehre durcheinanderwirft, menschliche Einfälle und Beliebigkeiten als göttliche Lehren durchgehen läßt und die Autorität der Schrift mißbraucht. Wer sieht nicht, sage ich, daß hauptsächlich aus diesem Grunde die Anhänger von Sekten so viele und einander widersprechende Meinungen als Glaubenssätze verkünden und mit zahlreichen Beispielen aus der Schrift stützen, woher das seit langem kursierende niederländische Sprichwort kommt: „geen ketter sonder letter“ (kein Ketzer ohne Buchstaben). Denn die heiligen Bücher sind nicht von nur einem Autor und auch nicht für das Volk nur eines Zeitalters geschrieben, sondern das Werk vieler Männer von unterschiedlicher Geistesart und aus unterschiedlichen Epochen; wollte man die Zeit berechnen, die sie trennt, käme man auf nahezu zweitausend Jahre, vielleicht sogar auf mehr. Dennoch wollen wir diesen Sektierern nicht schon deshalb den Vorwurf der Gottlosigkeit machen, weil sie die Worte der Schrift den eigenen Meinungen anpassen; denn so wie sie einst der Fassungskraft des Volkes angepaßt wurde, so mag sie auch jeder seinen eigenen Meinungen anpassen, wenn er dies für ein geeignetes Mittel hält, in Dingen der Gerechtigkeit und Nächstenliebe Gott mit größerer Bereitwilligkeit zu gehorchen. Zum Vorwurf machen

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wir ihnen aber, daß sie eben diese Freiheit anderen nicht zugestehen wollen, sondern alle, die nicht denken wie sie, mögen sie auch noch so ehrenhaft und voller Tugend sein, als Feinde Gottes verfolgen und umgekehrt alle, die mit ihnen einer Meinung sind, mögen sie auch noch so ohnmächtigen Geistes sein, als Auserwählte Gottes hochschätzen. Wahrlich, Frevelhafteres und für den Staat Gefährlicheres läßt sich nicht denken. [2] Damit klar wird, wie weit sich in Fragen des Glaubens für jeden die Meinungsfreiheit erstreckt und wen wir trotz abweichender Ansicht als gläubig anzusehen gehalten sind, ist zu bestimmen, was der Glaube ist und was seine Grundlagen sind. Das ist das Programm dieses Kapitels, wie auch die Trennung des Glaubens von der Philosophie, die vorzunehmen das wesentliche Anliegen des ganzen Werkes ist. [3] Um dies ordnungsgemäß zu entwickeln, sei an die oberste Absicht der ganzen Schrift erinnert, denn das wird uns das richtige Kriterium für die Bestimmung des Glaubens an die Hand geben. Im vorigen Kapitel haben wir gesagt, daß alleinige Absicht der Schrift ist, den Gehorsam zu lehren; das kann wohl niemand in Abrede stellen. Wer sieht nicht, daß beide Testamente nichts anderes sind als ein Kompendium des Gehorsams? Daß beide nur darauf bedacht sind, daß die Menschen aufrichtigen Herzens gehorsam sind? Ohne alles aus dem vorigen Kapitel zu wiederholen, nur dies: Moses suchte die Isrealiten nicht mit Hilfe der Vernunft zu überzeugen, sondern durch einen Pakt, durch Eidesformeln und Wohltaten zu verpflichten; ferner hielt er das Volk unter Drohungen an, den Gesetzen zu gehorchen, und ermunterte es dazu mit Belohnungen, und das sind Mittel, die nicht zu den Wissenschaften gehören, sondern allein zum Gehorsam. Und die Lehre des Evangeliums enthält nichts als den einfachen Glauben: an Gott glauben und ihn verehren oder, was dasselbe ist, Gott gehorchen. Um eine so evidente Sache zu beweisen, muß ich also nicht noch mehr Stellen aus der Schrift heranziehen, die den Gehorsam empfehlen und sich in beiden Testamenten finden. Was jeder tun muß, um Gott zu gehorchen, lehrt die

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Schrift an vielen Stellen aufs klarste, besteht doch das ganze Gesetz in dem einen Gebot: der Liebe zum Nächsten. Deshalb kann auch niemand leugnen, daß, wer nach göttlichem Gebot den Nächsten liebt wie sich selbst, wahrhaft gehorsam ist und glückselig gemäß dem Gesetz, wer ihn hingegen haßt oder mißachtet, aufsässig und widerspenstig. Und nicht zuletzt ist allgemein anerkannt, daß die Schrift nicht allein für Gelehrte, sondern für alle Menschen jeden Alters und jeder Herkunft geschrieben ist und verbreitet wurde; allein daraus ergibt sich aufs deutlichste, daß wir auf Geheiß der Schrift nur das zu glauben gehalten sind, was zur Befolgung dieses Gebots unbedingt erforderlich ist. Deshalb ist genau dieses Gebot die einzige Norm des ganzen allgemeingültigen Glaubens, nach der allein alle Dogmen des Glaubens, die gutzuheißen jeder gehalten ist, zu bestimmen sind. [4] Da das ganz offensichtlich ist und allein aus dieser gut begründeten Grundlage sich alles einwandfrei herleiten läßt, urteile jeder selbst, wie es geschehen konnte, daß so viele Streitigkeiten in der Kirche entstanden sind, und ob sie andere Ursachen haben konnten als die zu Beginn des 7. Kapitels genannten! Diese Ursachen sind es also, die mich nötigen darzulegen, wie sich auf der gerade gewonnenen Grundlage die Dogmen des Glaubens bestimmen lassen. Täte ich das nicht und bestimmte ich die Sache nicht mit sicheren Regeln, würde man zu Recht glauben, ich sei bis jetzt kaum weitergekommen, da ja jeder unter dem Vorwand, es sei ein unentbehrliches Mittel zum Gehorsam, einführen könnte, was er nur wollte, besonders wenn es um die göttlichen Attribute geht. [5] Um die ganze Sache in rechter Ordnung zu entwickeln, will ich mit der Definition des Glaubens beginnen, der auf der Basis der dargelegten Grundlage so zu definieren ist: Glauben ist nichts anderes als von Gott solche Dinge denken, die zu ignorieren den Gehorsam gegen Gott aufhebt und die anzuerkennen in diesem Gehorsam notwendigerweise enthalten ist. Diese Definition ist so klar und folgt so offensichtlich aus dem soeben Bewiesenen, daß sie keiner Erläuterung bedarf.

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Was aus dieser Definition folgt, will ich jetzt kurz darlegen. 1. Der Glaube führt nicht an sich, sondern nur in Verbindung mit dem Gehorsam zum Heil, oder wie Jakobus in 2, 17 sagt: Der Glaube an sich, d. h. ohne die Werke, ist ein toter Glaube; siehe hierzu das genannte Kapitel dieses Apostels insgesamt. [7 ] 2. Daraus folgt: Wer wahrhaft gehorsam ist, hat notwendigerweise den wahren und heilbringenden Glauben, denn, so haben wir gesagt, mit dem Gehorsam ist notwendigerweise der Glaube gegeben, was auch derselbe Apostel (2, 18) ausdrücklich sagt: Zeige mir deinen Glauben ohne die Werke, ich werde dir aus meinen Werken meinen Glauben zeigen. Und Johannes im 1. Brief (4, 7 – 8): Wer auch immer (den Nächsten) liebt, ist von Gott geboren und kennt Gott; wer ihn nicht liebt, kennt Gott nicht, denn Gott ist Nächstenliebe. Daraus folgt wiederum, daß wir jemanden nur nach seinen Werken als gläubig oder ungläubig ansehen können; sind seine Werke gut, dann ist er, selbst wenn er in den Dogmen von anderen Gläubigen abweicht, gläubig; sind sie dagegen schlecht, dann ist er ungläubig, mag er auch den Worten nach mit jenen übereinstimmen. Denn mit dem Gehorsam ist notwendigerweise der Glaube gegeben, und der Glaube ohne die Werke ist tot. Das lehrt auch Johannes ausdrücklich in 4, 13 des genannten Briefes: Daran erkennen wir, daß wir in ihm bleiben und er in uns, daß er uns von seinem Geist gegeben hat, nämlich die Nächstenliebe. Vorher hatte er in der Tat gesagt, daß Gott Nächstenliebe ist, und daraus (aus seinen dort entwickelten Grundsätzen) schließt er, daß den Geist Gottes wahrhaft hat, wer die Nächstenliebe hat. Daraus, daß niemand Gott jemals gesehen hat, schließt er sogar, daß niemand Gott erfährt oder wahrnimmt, wenn nicht auf Grund der Liebe zum Nächsten, und daß deshalb auch niemand ein anderes Attribut Gottes kennen kann als diese Form der Liebe, insofern wir an ihr teilhaben. Mögen diese Argumente auch nicht das letzte Wort sein, sie erläutern doch Johannes’ Gedanken klar genug; weitaus klarer sind aber die, die man in 2, 3 u. 4 desselben Briefes findet, wo er mit ausdrücklichen Worten lehrt, was auch wir [ 6]

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vertreten. Dadurch wissen wir, sagt er, daß wir ihn kennen: wenn wir seine Gebote befolgen. Wer sagt, ich kenne ihn, und seine Gebote nicht befolgt, ist ein Lügner, und in ihm ist die Wahrheit nicht. Daraus folgt wiederum, daß die wirklichen Antichristen diejenigen sind, die ehrenwerte und gerechtigkeitsliebende Menschen verfolgen, weil diese anders denken als sie und nicht mit ihnen dieselben Glaubensdogmen verteidigen. Denn wir wissen: Wer Gerechtigkeit und Nächstenliebe hochschätzt, ist allein dadurch schon gläubig, und wer die Gläubigen verfolgt, ist ein Antichrist. [8] Schließlich folgt daraus, daß der Glaube nicht so sehr wahre als vielmehr fromme Dogmen erfordert, d. h. solche, die das Gemüt zum Gehorsam bewegen, selbst wenn viele darunter sind, die nicht den Schatten einer Wahrheit haben – freilich nur, wenn der, der sie übernimmt, von deren Falschheit nichts weiß, weil er sonst unausweichlich gegen sie aufbegehren würde. Wie könnte es auch sein, daß jemand, der die Gerechtigkeit zu lieben und Gott zu gehorchen trachtet, etwas als göttlich verehrt, von dem er weiß, daß es der göttlichen Natur fremd ist? In der Einfalt ihres Herzens können die Menschen allerdings irren, doch verdammt die Schrift nicht die Unwissenheit, sondern nur den Ungehorsam, wie wir gezeigt haben. Das folgt sogar mit Notwendigkeit aus der bloßen Definition des Glaubens, dessen Elemente insgesamt der dargelegten allgemeingültigen Grundlage und der einzigen Absicht der ganzen Schrift entnommen werden müssen, wenn wir nicht nach Belieben unsere persönlichen Ansichten hineinmischen wollen. Und der so definierte Glaube fordert ausdrücklich nicht wahre Dogmen, sondern solche, die zum Gehorsam nötig sind, d. h. Dogmen, die das Gemüt in der Liebe zum Nächsten bestärken, denn nur in diesem Maße ist jeder in Gott (um mit Johannes zu reden) und Gott in ihm. [9] Da der Glaube eines jeden also nur mit Rücksicht auf Gehorsam oder Ungehorsam und nicht mit Rücksicht auf Wahrheit oder Falschheit als fromm oder unfromm zu gelten hat und da, wie jeder weiß, die Sinnesart der Menschen in der Regel sehr unterschiedlich ist und nicht alle sich gleichermaßen mit

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allem zufrieden geben, die Menschen vielmehr von ihren Ansichten in unterschiedlicher Weise eingenommen werden (was bei einem Verehrung hervorruft, bringt den anderen nur zu Gelächter und Verachtung), so folgt daraus, daß zum allgemeinen Glauben im Sinne eines allgemeingültigen Glaubens keine Dogmen gehören, über die es unter rechtschaffenen Menschen Kontroversen geben kann. Denn Dogmen dieser Art können von dem einen als fromm, von dem anderen als nicht fromm angesehen werden, sobald gilt, daß sie allein nach den Werken zu beurteilen sind. Zum allgemeingültigen Glauben gehören also nur die Dogmen, die der Gehorsam gegen Gott unbedingt voraussetzt und deren Ignorieren den Gehorsam schlechterdings unmöglich macht. Mit den übrigen Dogmen soll es jeder, weil er sich ja selbst am besten kennt, so halten, wie es ihm zur Stärkung seiner Gerechtigkeitsliebe am besten zu sein scheint. Hält man sich daran, wird, so glaube ich, kein Raum für kirchliche Streitigkeiten gelassen. [10 ] Ich werde mich jetzt nicht mehr scheuen, die Dogmen des allgemeingültigen Glaubens, d. h. die für die Absicht der ganzen Schrift grundlegenden Punkte, aufzuzählen. Wie aus den Darlegungen der beiden letzten Kapitel in aller Klarheit hervorgeht, müssen alle darauf hinauslaufen: Es existiert ein höchstes Wesen, das Gerechtigkeit und Nächstenliebe schätzt; und, um gerettet zu sein, sind alle gehalten, ihm zu gehorchen und es durch die Ausübung von Gerechtigkeit und Nächstenliebe zu verehren. Daraus lassen sich leicht alle Dogmen bestimmen, und andere als diese gibt es nicht: 1. Es existiert ein Gott, d. h. ein höchstes Wesen, das im höchsten Maße gerecht und barmherzig ist und darin das Vorbild des wahren Lebens. Denn wer nicht weiß oder nicht glaubt, daß er existiert, kann ihm weder gehorchen noch ihn als Richter anerkennen. 2. Gott ist einzig. Auch das ist ohne Zweifel unerläßlich, damit ihm höchste Verehrung, Bewunderung und Liebe entgegengebracht werden. Denn nur ein Wesen, das alle anderen überragt, läßt Verehrung, Bewunderung und Liebe in diesem Ausmaß aufkommen.

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3. Er ist allgegenwärtig; oder ihm sind alle Dinge offenbar. Würde man glauben, ihm sei etwas verborgen, oder verkennen, daß er alle Dinge sieht, hieße das, das Gleichmaß seiner Gerechtigkeit, mit der er alle Dinge lenkt, in Frage zu stellen oder zu verkennen. 4. Er hat über alle Dinge höchstes Recht und höchste Gewalt und tut nichts unter dem Zwang eines Rechts, sondern alles nach freiem Ermessen und aus einzigartiger Gnade. Alle sind nämlich gehalten, ihm uneingeschränkt zu gehorchen, er aber niemandem. 5. Die Verehrung Gottes und der darin enthaltene Gehorsam bestehen allein in der Gerechtigkeit und einer Liebe, die Nächstenliebe ist. 6. Alle, die gemäß dieser Lebensführung Gott gehorchen, sind gerettet und nur sie, die anderen aber, die unter der Herrschaft der Lüste leben, verloren. Wenn die Menschen das nicht fest glaubten, hätten sie keine Veranlassung, Gott mehr zu gehorchen als ihren Lüsten. 7. Gott verzeiht denen ihre Sünden, die sie bereuen. Niemand ist nämlich ohne Sünde. Nähme man dieses Dogma nicht an, würden alle die Hoffnung auf ihr Heil verlieren und hätten keinen Grund, an Gottes Barmherzigkeit zu glauben; wer hingegen fest glaubt, daß Gott auf Grund seiner Barmherzigkeit und seiner Gnade, mit der er alle Dinge lenkt, die Sünden der Menschen vergibt, und darin einen noch größeren Ansporn findet, Gott zu lieben, der kennt wahrhaftig Christus dem Geiste nach, und Christus ist in ihm. [11] Niemand kann verkennen, daß diese Punkte vor allem zu wissen unerläßlich ist, damit die Menschen ohne Ausnahme Gott nach der oben erläuterten Vorschrift des Gesetzes gehorchen können; denn hebt man nur einen von ihnen auf, hebt man auch den Gehorsam auf. Zu wissen, was Gott, verstanden als Vorbild des wahren Lebens, der Sache nach ist, ob Feuer, Geist, Licht, Gedanke oder noch anderes, gehört nicht zum Glauben, so wenig wie zu wissen, aus welchem Grunde er das Vorbild des wahren Lebens ist, ob deshalb, weil er gerechten und barmherzigen Gemüts ist, oder deshalb, weil alle Dinge

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durch ihn sind und handeln und folglich auch wir durch ihn erkennen und sehen, was wahrhaft gerecht und gut ist; was ein jeder darüber denkt, ist nicht von Gewicht. Wichtig für den Glauben ist auch nicht, ob jemand annimmt, daß Gott seiner Essenz oder seiner Macht nach allgegenwärtig ist, daß er die Dinge aus Freiheit oder aus der Notwendigkeit seiner Natur lenkt, daß er die Gesetze wie ein Fürst vorschreibt oder als ewige Wahrheiten lehrt, daß der Mensch aus Freiheit des Willens oder kraft der Notwendigkeit eines göttlichen Ratschlusses Gott gehorcht, und schließlich, daß die Belohnung der Guten und die Bestrafung der Bösen auf natürlichem oder übernatürlichem Wege erfolgt. Wie ein jeder über diese und ähnliche Fragen denkt, spielt, sage ich, für den Glauben keine Rolle, so lange wenigstens, wie er daraus nicht den Schluß zieht, eine größere Erlaubnis zu sündigen zu haben oder Gott weniger gehorsam zu sein. Im Gegenteil, jeder ist, wie schon gesagt, gehalten, die genannten Dogmen des Glaubens sich seiner Fassungskraft anzupassen und sie für sich selbst in der Weise auszulegen, die ihm geeignet zu sein scheint, sie leichter, ohne Bedenken und von ganzem Herzen, zu übernehmen, um so, einig mit sich selbst, Gott aus ganzem Herzen zu gehorchen. Denn wie einst der Glaube, auch das haben wir schon hervorgehoben, entsprechend der Fassungskraft und den Ansichten der Propheten und des Volkes jener Zeit offenbart und schriftlich festgehalten wurde, so ist auch heute jeder gehalten, ihn den eigenen Ansichten anzupassen, um ihn ohne Widerstreben und inneres Schwanken sich zu eigen machen zu können. Denn wir haben gezeigt, daß für den Glauben nicht Wahrheit, sondern Frömmigkeit erforderlich ist, daß er nur in Form des Gehorsams fromm und heilbringend ist und daß folglich jeder nur auf Grund seines Gehorsams gläubig ist. Deshalb hat nicht der, der die besten Gründe für sich hat, zwangsläufig den besten Glauben, sondern der, der die besten Werke der Gerechtigkeit und Nächstenliebe aufweist. Wie heilsam dieses Verständnis des Glaubens ist und wie notwendig im Staat, damit die Menschen in Frieden und Eintracht leben, und wie viele und schwerwiegende Ursachen

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von politischen Wirren und verbrecherischen Handlungen es beseitigt, überlasse ich jedem selbst zu beurteilen. [12] Bevor ich weitergehe, ist hier noch zu bemerken, daß man auf der Basis des soeben Dargelegten leicht auf die im 1. Kapitel berührten Einwände antworten kann, als davon die Rede war, daß Gott vom Berg Sinai zu den Israeliten gesprochen habe. Obwohl die Stimme, die die Isrealiten hörten, diesen Menschen keine philosophische oder mathematische Gewißheit über die Existenz Gottes geben konnte, genügte sie doch, sie zur Bewunderung Gottes, so wie sie ihn zuvor gekannt hatten, hinzureißen und zum Gehorsam anzuspornen, was auch der Zweck dieses Spektakels war. Denn Gott wollte die Israeliten nicht die unbedingten Attribute seiner Essenz lehren (er hat in dem Augenblick überhaupt keine offenbart), sondern ihr widerspenstiges Gemüt brechen und sie zum Gehorsam bringen. Deshalb hat er sich ihnen nicht mit Argumenten bemerkbar gemacht, sondern mit Trompetenklang, Donner und Blitz (siehe Exodus 20, 20). [13] Nun bleibt noch zu zeigen, daß zwischen dem Glauben, d. h. der Theologie, und der Philosophie keine Gemeinschaft oder Verwandtschaft besteht, was niemand übersehen kann, der Ziel und Grundlage dieser beiden Disziplinen kennt, die wahrlich himmelweit verschieden sind. Denn das Ziel der Philosophie ist nichts als die Wahrheit, das des Glaubens aber, wie ausführlich gezeigt, nichts als der Gehorsam und die Frömmigkeit. Sodann hat die Philosophie Gemeinbegriffe zu ihrer Grundlage und muß ihre Aussagen allein aus der Natur gewinnen; der Glaube dagegen hat die historischen Berichte und die Sprache zu seiner Grundlage und muß sich, wie im 7. Kapitel gezeigt, allein auf die Schrift und die Offenbarung stützen. Der Glaube gesteht also jedem die volle Freiheit zu philosophieren in der Form zu, daß jeder, ohne eines Vergehens schuldig zu sein, über alle in der Bibel vorgetragenen Aussagen denken kann, wie immer er will; er verdammt nur diejenigen als Ketzer und Schismatiker, die Ansichten vertreten, die zu Ungehorsam, Haß, Streiterei und Zorn einladen, und hält, im Unterschied dazu, nur diejenigen für Gläubige,

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die entsprechend ihren Anlagen und den Kräften ihrer Vernunft für Gerechtigkeit und Nächstenliebe eintreten. [14] Weil das hier Dargelegte das wesentliche Anliegen dieses Traktats ausmacht, möchte ich schließlich, bevor ich weitergehe, den Leser inständig bitten, diese beiden Kapitel mit größter Aufmerksamkeit zu lesen; er möge sie würdigen, indem er sie immer wieder studiert, und zu der Überzeugung gelangen, daß wir sie nicht in der Absicht geschrieben haben, Neuerungen einzuführen, sondern um Entstelltes zu korrigieren, von dem wir hoffen, daß man es eines Tages endgültig korrigiert zu sehen bekommt.

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Fünfzehntes K a pitel Es wird gezeigt, daß weder die Theologie der Vernunft noch die Vernunft der Theologie dienstbar ist und aus welchem Grunde wir von der Autorität der Heiligen Schrift überzeugt sind Diejenigen, die nicht die Philosophie von der Theologie zu trennen wissen, ergehen sich in Debatten darüber, ob die Schrift der Vernunft oder umgekehrt die Vernunft der Schrift dienstbar sein müsse, d. h. ob der Sinn der Schrift der Vernunft oder aber die Vernunft der Schrift angepaßt werden müsse. Die zweite These wird von den Skeptikern, die die Gewißheit der Vernunft leugnen, vertreten, die erste von den Dogmatikern. Daß die einen wie die anderen himmelweit irren, geht freilich aus dem Vorangegangenen hervor. Denn der einen wie der anderen These folgen kann nur heißen, entweder die Vernunft oder die Schrift verderben. Wir haben nämlich gezeigt, daß die Schrift nichts Philosophisches, sondern nur die Frömmigkeit lehrt und daß ihr ganzer Inhalt der Fassungskraft und den vorgefaßten Meinungen des damaligen Volkes angepaßt wurde. Wer sie also der Philosophie anpassen will, wird den Propheten viele Gedanken, die sie nicht einmal im Traum hatten, andichten und das, was sie wirklich dachten, verkehrt auslegen. Wer umgekehrt die Vernunft und mit ihr die Philosophie zur Magd der Theologie macht, muß die Vorurteile eines alten Volkes als göttliche Dinge ausgeben und den Geist mit ihnen besetzen und verblenden. Beide wollen mithin Unsinn, der eine ohne die Vernunft, der andere mit der Vernunft. [2] Der erste, der unter den Pharisäern offen behauptete, die Schrift sei der Vernunft anzupassen, war Maimonides (seine Auffassung haben wir im 7. Kapitel referiert und mit einer Reihe von Argumenten zurückgewiesen); obwohl dieser Autor bei den Pharisäern in hohem Ansehen stand, sind die meisten in diesem Punkt doch von ihm abgerückt und der Auffassung eines gewissen R. Jehuda Alpachar gefolgt, der in seinem Bemühen, dem Irrtum des Maimonides zu entgehen, dem ent-

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gegengesetzten Irrtum verfiel. Er behauptete nämlich,1 die Vernunft müsse der Schrift dienstbar sein und ihr völlig unterworfen werden; eine Stelle der Schrift, so meinte er, sei metaphorisch zu deuten, nicht wenn ihr buchstäblicher Sinn der Vernunft widerstreitet, sondern nur, wenn er der Schrift selbst, d. h. ihren eindeutigen Dogmen, widerstreitet. Gestützt darauf formuliert er folgende allgemeinverbindliche Regel: Was immer die Schrift in Form eines Dogmas2 lehrt und ausdrücklich ausspricht, ist allein auf ihre Autorität hin als uneingeschränkt wahr anzunehmen; und man wird in der Bibel kein weiteres Dogma finden, das dieser Lehre direkt widerspricht, sondern nur Stellen, die ihr indirekt, nämlich im Wege der Folgerung, widersprechen, weil die Ausdrucksweise der Schrift oft etwas zu unterstellen scheint, was ihrer ausdrücklichen Lehre entgegengesetzt ist; nur Stellen dieser Art sind deshalb metaphorisch zu deuten. Beispielsweise lehrt die Schrift eindeutig, daß Gott einzig ist (siehe Deuteronomium 6, 4), und nirgendwo findet sich eine Stelle, die explizit behauptete, es gäbe mehrere Götter, wenn es auch recht viele Stellen gibt, in denen Gott von sich oder die Propheten von Gott in der Mehrzahl reden; nur die Ausdrucksweise unterstellt hier, daß es mehrere Götter gibt, ohne damit die tatsächliche Absicht der Rede wiederzugeben; mithin sind Stellen dieser Art durchgängig metaphorisch zu deuten, nicht weil eine Mehrzahl von Göttern der Vernunft widerspricht, sondern weil die Schrift selbst direkt behauptet, daß es nur einen Gott gibt. Ein anderes Beispiel: Weil die Schrift in Deuteronomium 4, 15 (seiner Meinung nach) direkt behauptet, daß Gott unkörperlich ist, haben wir allein auf die Autorität dieser Stelle hin, unabhängig von der Vernunft, zu glauben, daß Gott keinen Körper hat; allein auf die Autorität der Schrift hin haben wir folglich alle die Stellen metaphorisch zu deuten, 1

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Ich erinnere mich, dies einst in einem Brief gegen Maimonides gelesen zu haben, der sich in den sogenannten Maimonides-Briefen fi ndet. [ Siehe Anmerkung 28 auf Seite 329.]

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die Gott Hände, Füße usw. zuschreiben und in denen nur die Ausdrucksweise zu unterstellen scheint, Gott sei körperlich. [3] Das ist die Ansicht Alpachars, eines Autors, den ich, soweit er die Schrift durch die Schrift erklären will, lobe; doch bin ich erstaunt, daß ein Mann von Vernunft die Vernunft zunichte zu machen sucht. Gewiß ist die Schrift durch die Schrift zu erklären, solange wir uns lediglich um den Sinn der Reden und die Auffassung der Propheten bemühen; haben wir einmal den wahren Sinn ermittelt, ist es jedoch unerläßlich, Urteilskraft und Vernunft zu gebrauchen, um ihm unsere Zustimmung zu geben. Wenn die Vernunft trotz ihrer Einwände gegen die Schrift ihr immer noch bedingungslos unterzuordnen ist, dann frage ich, müssen wir eine solche Unterordnung mit der Vernunft oder ohne sie, gleichsam blind, hinnehmen? Im zweiten Fall handelten wir wie rechte Toren und ohne Urteilskraft, im ersten Fall akzeptieren wir die Schrift allein auf Anraten der Vernunft und würden sie nicht akzeptieren, widerspräche sie der Vernunft. Wer, frage ich, könnte etwas in seinem Geist akzeptieren, wenn die Vernunft ihm widerspricht? Etwas im Geist zurückweisen, was sollte das heißen, wenn nicht dies, daß die Vernunft ihm widerspricht? So kann ich mich in der Tat nicht genug wundern, daß man die Vernunft, diese kostbarste Gabe und dieses göttliche Licht, toten Buchstaben unterordnen will, die die menschliche Bosheit hat entstellen können, und daß man es nicht als ein Verbrechen ansieht, gegen das Denken, die wahre Urschrift des göttlichen Wortes, ausfällig zu werden und es für verderbt, blind und verworfen zu halten, als größtes Verbrechen dagegen, dergleichen von dem Buchstaben, dem bloßen Bild des göttlichen Wortes, zu denken. Wer so denkt, hält es für fromm, kein Zutrauen zur Vernunft und zur eigenen Urteilskraft zu haben, und für ruchlos, denen zu mißtrauen, die uns die heiligen Bücher überliefert haben; und das ist schlicht Torheit, nicht Frömmigkeit. Aber, frage ich mich, was beunruhigt diese Leute eigentlich, und was befürchten sie? Lassen sich Religion und Glaube nur verteidigen, wenn die Menschen aller geistigen Anstrengung entsagen und der Vernunft Lebewohl

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sagen? Wahrhaftig, das zu glauben heißt mehr Angst um die Schrift als Zutrauen zu ihr zu haben. Doch sei dem nicht so, daß Religion und Frömmigkeit die Vernunft oder die Vernunft die Religion sich dienstbar machen wollten und daß nicht beide ihr Reich in voller Harmonie behaupten könnten! Darüber will ich sogleich sprechen, vorher jedoch noch die Regel jenes Rabbinen prüfen. [4] Er will, wie gesagt, daß wir alles, was die Schrift behauptet, als wahr annehmen, und alles, was sie verneint, als falsch verwerfen sollen, und nimmt des weiteren an, daß die Schrift niemals etwas ausdrücklich behauptet oder verneint, was im Gegensatz zu dem stünde, was sie an anderer Stelle behauptet oder verneint hat. Daß beides sehr leichtfertig gesagt ist, kann niemand übersehen. Abgesehen davon, daß unser Autor nicht bemerkt hat, daß die Schrift sich aus verschiedenen Büchern zusammensetzt und zu verschiedenen Zeiten, für verschiedene Menschen und von verschiedenen Verfassern geschrieben wurde, bleibt als weiterer Einwand, daß er sich hierfür auf seine eigene Autorität beruft, jedoch weder die Vernunft noch die Schrift dergleichen besagen. Er hätte nämlich zeigen müssen, daß alle Stellen, die anderen nur indirekt widersprechen, nach der Natur der Sprache und unter Berücksichtigung des Zusammenhangs, in dem sie stehen, sich ohne Schwierigkeit metaphorisch deuten lassen, und dann, daß die Schrift unverderbt zu uns gekommen ist. Doch gehen wir der Reihe nach vor. Als erstes frage ich, ob wir, wenn die Vernunft widerspricht, trotzdem gehalten sind, als wahr anzunehmen, was die Schrift behauptet, und als falsch zu verwerfen, was sie verneint. Vielleicht wird er hinzufügen, in der Schrift lasse sich nichts finden, was der Vernunft widerstreitet. Ich aber halte fest, daß sie selbst ausdrücklich behauptet und lehrt, Gott sei eifersüchtig (z. B. im Dekalog selbst und in Exodus 34, 14, in Deuteronomium 4, 24 und an vielen anderen Stellen). Obwohl dies der Vernunft widerstreitet, müßte es dennoch für wahr genommen werden; mehr noch, Stellen in der Schrift, die vermuten lassen, Gott sei nicht eifersüchtig, müßten zwangsläufig metaphorisch verstanden werden, damit es so aussieht, als

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nähmen sie so etwas nicht an. Ausdrücklich sagt die Schrift auch, daß Gott auf den Berg Sinai herabgestiegen sei (siehe Exodus 19, 20 ff.), schreibt ihm noch weitere Ortsbewegungen zu und sagt nirgendwo ausdrücklich, daß Gott sich nicht bewegt, so daß alle Welt dies als wahr durchgehen lassen müßte. Wenn nun Salomo sagt, Gott sei in keinem Ort eingeschlossen (siehe 1. Könige 8, 27), müßte diese Stelle, da sie ja nur die Folgerung erlaubt, daß Gott sich nicht bewegt, es aber nicht ausdrücklich behauptet, notwendigerweise so erklärt werden, daß sie Gott die Ortsbewegung nicht abzusprechen scheint. Ebenso müßten die Himmel für Gottes Wohnung und Thron genommen werden, weil die Schrift dies ausdrücklich behauptet. Wenn dem so ist, müßte man unserem Autor zufolge viele Dinge, die nach den Ansichten der Propheten und des Volkes formuliert sind und die nur die Vernunft und die Philosophie, nicht aber die Schrift als falsch erweisen, dennoch als wahr annehmen, weil die Vernunft hierbei nicht zu befragen sei. [5] Falsch ist des weiteren Alpachars Behauptung, eine Stelle widerspreche einer anderen immer nur im Wege der Folgerung und niemals direkt. Denn Moses behauptet geradewegs, daß Gott ein Feuer ist (siehe Deuteronomium 4, 24), und verneint ausdrücklich, daß Gott irgendwelche Ähnlichkeit mit sichtbaren Dingen hat (siehe Deuteronomium 4, 12). Sollte er erwidern, die zweite Stelle verneine nicht direkt, sondern nur durch Folgerung, daß Gott ein Feuer ist, und man müsse sie deshalb der ersten anpassen, damit sie dies nicht zu verneinen scheint, dann bleibt uns nur, ihm zuzugestehen, daß Gott ein Feuer ist; oder besser, wir lassen dies, um nicht mit ihm Unsinn zu reden, beiseite und nehmen ein anderes Beispiel. Samuel1 bestreitet geradewegs, daß Gott ein Urteil bereut (siehe 1. Samuel 15, 29), während Jeremia im Gegenteil behauptet, daß Gott das von ihm beschlossene Gute und Schlechte bereut (siehe Jeremia 18, 8 – 10). Was nun? Sind diese Stellen nicht direkt einander entgegengesetzt? Welche der beiden will er dann metaphorisch verstehen? Jede ist allgemeingül1

[ Siehe Anmerkung 29 auf Seite 329.]

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tig und der anderen entgegengesetzt; was die eine geradewegs bejaht, verneint geradewegs die andere. Seiner eigenen Regel nach muß er mithin das, was er als wahr akzeptiert, zugleich als falsch verwerfen. Was soll dann aber der Unterschied, daß eine Stelle einer anderen nicht direkt, sondern nur im Wege der Folgerung widerspricht, wenn die Folgerung klar ist und der Charakter der Stelle und ihr Zusammenhang ein metaphorisches Verständnis nicht zulassen? Stellen dieser Art finden sich nicht selten in der Bibel; siehe dazu das 2. Kapitel (mit unserem Nachweis, wie unterschiedlich, ja entgegengesetzt die Meinungen der Propheten waren) und vor allem die Kapitel 9 und 10 mit all den Widersprüchen, die wir in den biblischen Geschichten aufgezeigt haben. [6] Ich brauche das alles hier nicht zu wiederholen. Das Gesagte genügt, um die aus jener Ansicht und jener Interpretationsregel sich ergebenden Widersprüche, ihre Falschheit und die Voreiligkeit ihres Autors an den Tag zu legen. Deshalb weisen wir jene Ansicht ebenso zurück wie die des Maimonides und vertreten die nicht zu erschütternde These, daß weder die Theologie der Vernunft noch die Vernunft der Theologie dienstbar zu sein hat, sondern jede in ihrem eigenen Reich herrscht, die Vernunft, wie gesagt, im Feld der Wahrheit und der Weisheit, die Theologie in dem der Frömmigkeit und des Gehorsams. In der Tat reicht die Macht der Vernunft, wie schon gezeigt, nicht so weit, bestimmen zu können, daß die Menschen mit bloßem Gehorsam und ohne Einsicht in die Dinge zur Glückseligkeit gelangen können. Die Theologie sagt aber durchweg genau dieses und gebietet nichts als den Gehorsam; gegen die Vernunft will sie nichts und kann sie nichts. Die Glaubensdogmen bestimmt sie in der Tat (wie wir im vorigen Kapitel gezeigt haben) nur in dem Maße, wie es für den Gehorsam ausreicht; wie sie im Hinblick auf die Wahrheit genau zu verstehen sind, das zu bestimmen überläßt sie der Vernunft, die in Wirklichkeit das Licht des Geistes ist, ohne das man nur Traumgestalten und Trugbilder sieht. Unter Theologie verstehe ich hier, kurz gesagt, die Offenbarung, soweit sie das Ziel benennt, das unseren Darlegungen

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zufolge die Schrift im Auge hat (nämlich den Grund und die Form des Gehorchens, anders formuliert: die Dogmen wahrer Frömmigkeit und wahren Glaubens), d. h. das, was im eigentlichen Sinne Wort Gottes heißt und nicht in einer bestimmten Anzahl von Büchern besteht (siehe hierüber das 12. Kapitel). Hält man sich an diesen Begriff von Theologie, wird man finden, daß sie in ihren Vorschriften und Lebenslehren mit der Vernunft übereinstimmt und in ihrer Absicht und ihrem Zweck der Vernunft in nichts widerspricht; und deshalb ist sie in allem allgemeingültig. Was die ganze Schrift generell angeht, so haben wir schon im 7. Kapitel gezeigt, daß ihr Sinn allein aus der ihr eigenen Geschichte zu bestimmen ist, nicht aber aus der allgemeingültigen Geschichte der Natur, die die Grundlage allein der Philosophie ist. Wenn wir ihren wahren Sinn in dieser Weise ermittelt haben und ab und an etwas in ihr finden, was der Vernunft widerspricht, soll uns das nicht aufhalten. Denn was auch immer sich dieser Art in der Bibel findet, alles, was die Menschen nicht zu wissen brauchen, ohne damit der Nächstenliebe etwas zu nehmen, von alledem wissen wir mit Sicherheit, daß es die Theologie oder das Wort Gottes nicht berührt und daß somit jeder über diese Dinge denken kann, wie er will, ohne eines Verbrechens schuldig zu sein. Uneingeschränkt kommen wir also zu dem Schluß, daß weder die Schrift der Vernunft noch die Vernunft der Schrift anzupassen ist. [7] Weil wir aber mit der Vernunft nicht beweisen können, daß die Grundlage der Theologie (daß die Menschen durch bloßen Gehorsam gerettet werden) wahr oder etwa falsch ist, kann man uns dann nicht in Form eines Einwands fragen, warum wir es denn glauben? Nehmen wir das ohne Vernunft, wie Blinde, an, dann handelten auch wir töricht und ohne Urteil. Wollen wir hingegen behaupten, diese Grundlage lasse sich rational als richtig erweisen, dann wäre die Theologie Teil der Philosophie und von ihr nicht zu trennen. Meine Antworte darauf ist: Vorbehaltlos behaupte ich, daß man dieses grund legende Dogma der Theologie nicht mit dem natürlichen Licht entschlüsseln kann, oder zumindest, daß noch

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niemand einen dahingehenden Beweis erbracht hat und daß hierfür deshalb unbestreitbar eine Offenbarung notwendig war. Trotzdem können wir aber von unserem Urteil Gebrauch machen, um das einmal Offenbarte mit einer wenigstens moralischen Gewißheit zu übernehmen. Mit einer moralischen Gewißheit, sage ich, denn darüber haben wir keine Gewißheit zu erwarten, die größer wäre als die der Propheten selbst, denen es zuerst offenbart wurde und deren Gewißheit gleichwohl eine nur moralische war, wie wir im 2. Kapitel dieses Traktats gezeigt haben. Wer die Autorität der Schrift mit mathematischen Beweisen darzutun sucht, ist also auf ganz falschem Wege. Denn die Autorität der Bibel beruht auf der Autorität der Propheten und kann deshalb nicht mit Argumenten bewiesen werden, die stärker wären als die, mit denen die Propheten einst das Volk von der eigenen Autorität zu überzeugen pflegten; mehr noch, unsere Gewißheit darüber kann keine andere Grundlage haben als die, auf welche die Propheten ihre Gewißheit und Autorität stützten. Denn die ganze Gewißheit der Propheten beruhte, so haben wir gezeigt, auf diesen drei Dingen: 1. einer deutlichen und lebhaften Vorstellungskraft, 2. einem Zeichen; 3. und hauptsächlich einem dem Rechten und Guten zugewandten Sinn. Auf irgendwelche anderen Gründe stützten sie sich nicht, und sie konnten deshalb ihre Autorität auch nicht mit anderen Gründen dartun, weder gegenüber dem Volk, zu dem sie einst mit lebendiger Stimme sprachen, noch gegenüber uns, an die sie sich mit ihren Schriften wenden. Der erste Punkt, das lebhafte Vorstellen der Dinge, konnte nur für die Propheten gelten, so daß unsere ganze Gewißheit im Feld der Offenbarung sich allein auf die beiden anderen Punkte stützen kann und muß, auf Zeichen und Lehre, was im übrigen auch Moses ausdrücklich lehrt. In Deuteronomium 18 [, 10 u. 11] weist er das Volk an, dem Propheten zu gehorchen, der im Namen Gottes ein wahres Zeichen gegeben hat, aber den zum Tode zu verurteilen, der etwas fälschlich, wenn auch im Namen Gottes, vorhergesagt hat, ganz wie einen, der das Volk von der wahren Religion hat abbringen wollen, auch wenn er seine

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Autorität durch Zeichen und Wundertaten bestätigt hatte; siehe dazu Deuteronomium 13. Daraus folgt, daß ein wahrer Prophet, im Unterschied zu einem falschen, sich an der Verbindung von Lehre und Wundertaten erkennen läßt; einen solchen Mann erklärt Moses nämlich zu einem wahren Propheten, dem ohne Furcht vor Betrug zu glauben er befiehlt, während er falsche Propheten und des Todes schuldig diejenigen nennt, die fälschlich, wenn auch im Namen Gottes, etwas vorhersagten oder falsche Götter lehrten, selbst wenn sie tatsächlich Wunder vollbrachten. Deshalb sind auch wir nur aus diesem Grunde gehalten, der Schrift, d. h. den Propheten selbst, zu glauben, auf Grund ihrer durch Zeichen bestätigten Lehre nämlich. Denn weil wir ja sehen, daß die Propheten Nächstenliebe und Gerechtigkeit über alles und ohne Blick auf anderes empfehlen, schließen wir, daß sie nicht in böser Absicht, sondern aufrichtigen Herzens lehrten, die Menschen würden durch Glaube und Gehorsam zur Glückseligkeit gelangen; und weil sie es überdies mit Zeichen bestätigten, dürfen wir überzeugt sein, daß sie es weder leichtfertig aussprachen noch beim Prophezeien von Sinnen waren. Bestärkt werden wir noch in dieser Überzeugung, wenn wir bedenken, daß sie keine Morallehre vorbrachten, die nicht mit der Vernunft vollkommen übereinstimmte: Es ist kein bloßer Zufall, daß das Wort Gottes in den Propheten mit dem Wort Gottes, das in uns spricht, gänzlich übereinstimmt. Und das, sage ich, schließen wir mit so viel Gewißheit aus der Bibel wie einst die Juden aus dem lebendigen Wort der Propheten. Denn wir haben oben, am Ende des 12. Kapitels, gezeigt, daß die Schrift in ihrer Lehre und in ihren wesentlichen Geschichten unverderbt zu uns gekommen ist. Bei vernünftigem Urteil können wir deshalb diese Grundlage der ganzen Theologie und der ganzen Schrift übernehmen, auch wenn sie sich mathematisch nicht beweisen läßt. Töricht wäre es, etwas, was durch das Zeugnis so vieler Propheten bekräftigt ist, was denen, die die Vernunft kaum gebrauchen, so großen Trost spendet, was dem Staat nicht geringen Nutzen verschafft und was wir ohne Gefahr oder Schaden uneingeschränkt glauben können, allein

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deshalb nicht anzuerkennen, weil es sich nicht mathematisch beweisen läßt. Als ob wir, um unser Leben weise zu gestalten, nur das als wahr gelten lassen dürften, dem kein Zweifel etwas anhaben kann, oder als ob die meisten unserer Handlungen nicht äußerst ungewiß und dem Zufall ausgesetzt wären! [8] Ich gebe indessen zu, daß diejenigen, die denken, Philosophie und Theologie widersprächen einander, und deshalb meinen, die jeweils andere müsse aus dem Gebiet, in dem die eine herrscht, vertrieben und verabschiedet werden, nicht ohne Grund daran arbeiten, der Theologie solide Grundlagen zu verschaffen, und sie mathematisch zu beweisen suchen. Denn wer, der nicht verzweifelt ist und kränkelt, wollte leichtfertig der Vernunft Lebewohl sagen oder die Künste und Wissenschaften verachten und die Gewißheit der Vernunft bestreiten? So einfach können wir sie indessen nicht in Schutz nehmen, da sie ja die Vernunft zu Hilfe rufen wollen, um die Vernunft zu verjagen, und nach einer gewissen Vernunft suchen, um die Vernunft ungewiß zu machen. Mehr noch, ihr Bemühen, die Wahrheit und Autorität der Theologie mit mathematischen Beweisen darzutun und der Vernunft und dem natürlichen Licht ihre Autorität zu nehmen, läuft darauf hinaus, die Theologie gerade unter die Herrschaft der Vernunft zu bringen: Offenbar setzen sie voraus, daß die Theologie selbst keinen Glanz hat, wenn sie nicht vom natürlichen Licht der Vernunft bestrahlt wird. Wenn sie sich andererseits brüsten, mit dem inneren Zeugnis des Heiligen Geistes völlig zufrieden zu sein und die Vernunft nur wegen der Ungläubigen, die es zu überzeugen gilt, zu Hilfe rufen, sollte man ihren Worten keinen Glauben schenken, denn es ließe sich unschwer zeigen, daß sie aus ihren Affekten heraus, wenn nicht gar aus eitler Ruhmsucht so reden. In der Tat folgt aus dem vorigen Kapitel mit aller Evidenz, daß der Heilige Geist sich nur in den guten Werken bezeugt, die Paulus im Galaterbrief 5, 22 deshalb auch Früchte des Heiligen Geistes nennt; und der Sache nach ist der Heilige Geist nichts anderes als der innere Frieden, den die guten Handlungen im Geiste hervor-

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rufen. Die Wahrheit und Gewißheit dessen, was sich bloßer Spekulation verdankt, bezeugt jedoch kein anderer Geist als die Vernunft, die allein, wie wir gezeigt haben, das Reich der Wahrheit für sich in Anspruch genommen hat. Wenn sie also vorgeben, außerdem noch einen anderen Geist zu haben, der sie der Wahrheit gewiß sein läßt, dann brüsten sie sich zu Unrecht und bringen nur das Vorurteil der Affekte zu Wort oder flüchten aus Furcht, von den Philosophen besiegt und öffentlichem Gelächter ausgesetzt zu werden, ins Heilige. Doch ist das verlorene Mühe, denn welchen Altar kann sich errichten, wer die Majestät der Vernunft beleidigt? [9] Doch lassen wir sie. Denn ich glaube meiner Aufgabe Genüge getan zu haben, nachdem ich gezeigt habe, aus welchem Grunde die Philosophie von der Theologie zu trennen ist und worin jede Disziplin im wesentlichen besteht, daß keine der anderen dienstbar sein muß, sondern jede in ihrem eigenen Reich ohne Widerspruch zur anderen herrscht, und nachdem ich schließlich, wo sich die Gelegenheit bot, auch die Widersinnigkeiten, Mißlichkeiten und Nachteile gezeigt habe, die daraus resultieren, daß die Menschen diese beiden Disziplinen in wunderlicher Weise durcheinander geworfen haben, weil sie nicht verstanden haben, sie sorgfältig zu unterscheiden und voneinander zu trennen. [10 ] Bevor ich zu anderem weitergehe, will ich hier ausdrücklich (auch wenn ich es schon getan habe), auf die Nützlichkeit und Notwendigkeit der Schrift, d. h. der Offenbarung, hinweisen,1 die ich für sehr groß halte. Denn weil wir nicht mit dem natürlichen Licht begreifen können, daß der einfache Gehorsam ein Weg des Heils ist, 2 sondern nur die Offenbarung uns lehrt, daß dies aus einzigartiger Gnade Gottes geschieht, einer Gnade, die unsere Vernunft nicht begreifen kann, so ergibt sich, daß die Schrift den Sterblichen überaus großen Trost gebracht hat. Da ausnahmslos alle gehorchen können und nur sehr wenige (verglichen mit der ganzen Menschheit) un-

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ter Leitung der Vernunft zu einer tugendhaften Lebensführung gelangen, würden wir, hätten wir nicht das Zeugnis der Schrift, am Heil nahezu aller Menschen zweifeln.

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Sechzehntes K a pitel Über die Grundlagen des Staates, über das natürliche und das bürgerliche Recht eines jeden und über das Recht des Souveräns Bisher waren wir bemüht, die Philosophie von der Theologie zu trennen und die Freiheit zu philosophieren aufzuzeigen, die die Theologie jedem gewährt. Jetzt ist es deshalb Zeit, zu untersuchen, wie weit diese Freiheit zu denken und zu sagen, was man denkt, sich in dem besten Staat erstreckt. Um dies der Ordnung nach zu erörtern, müssen wir von den Grundlagen des Staates handeln und zunächst vom natürlichen Recht eines jeden, ohne dabei schon auf Staat und Religion Rücksicht zu nehmen. [2] Unter Recht und Einrichtung der Natur verstehe ich einfach die Regeln der Natur jedes Individuums, nach denen wir ein jedes natürlicherweise bestimmt sehen, auf eine bestimmte Weise zu existieren und zu wirken. Die Fische beispielsweise sind von Natur aus bestimmt zu schwimmen, die großen die kleinen zu fressen, und somit herrschen die Fische mit höchstem natürlichen Recht im Wasser und fressen die großen die kleinen. Denn es ist gewiß, daß die Natur, uneingeschränkt betrachtet, ein höchstes Recht zu allem hat, was in ihrer Macht steht, d. h. daß das Recht der Natur sich so weit erstreckt, wie ihre Macht sich erstreckt. Denn die Macht der Natur ist eben die Macht Gottes, der ein höchstes Recht über alle Dinge hat. Weil die gesamte Macht der ganzen Natur aber nichts ist als die Macht aller Individuen zusammen, so folgt, daß jedes Individuum ein höchstes Recht zu allem hat, was in seiner Macht steht, anders formuliert, daß das Recht eines jeden sich so weit erstreckt, wie seine bestimmte Macht sich erstreckt. Und weil es oberstes Gesetz der Natur ist, daß jedes Ding gemäß seiner Natur danach strebt, in seinem Zustand zu verharren und dies nicht mit Rücksicht auf etwas anderes, sondern nur auf sich selbst, so folgt, daß jedes Individuum ein höchstes Recht dazu hat, d. h., wie ich gesagt habe, zu exi[1]

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stieren und zu wirken, wie es natürlicherweise bestimmt ist. Dabei lassen wir keinen Unterschied zwischen den Menschen und den übrigen Individuen der Natur gelten, auch nicht zwischen Menschen, die vernunftbegabt sind, und anderen, die die wahre Vernunft nicht kennen, noch zwischen Narren oder Wahnsinnigen und geistig Gesunden. Was nämlich jeder nach den Gesetzen seiner Natur tut, tut er mit höchstem Recht, weil er nämlich so handelt, wie er von der Natur bestimmt ist, und nicht anders handeln kann. Solange die Menschen als unter der Herrschaft bloß der Natur lebend betrachtet werden, lebt deshalb derjenige, der die Vernunft noch nicht kennt oder eine tugendhafte Haltung noch nicht angenommen hat, unter den Gesetzen bloß des Triebes mit dem gleichen höchsten Recht wie derjenige, der sein Leben nach den Gesetzen der Vernunft regelt. Das heißt also: Wie der Weise das höchste Recht zu allem hat, was die Vernunft diktiert, d. h. nach den Gesetzen der Vernunft zu leben, so hat auch der, der unwissend und ohnmächtigen Gemüts ist, das höchste Recht zu allem, was der Trieb ihm rät, d. h. nach den Gesetzen des Triebes zu leben. Das ist genau das, was Paulus lehrt, der vor dem Gesetz, d. h. solange die Menschen als unter der Herrschaft der Natur lebend betrachtet werden, keine Sünde gelten läßt. [3] Das natürliche Recht eines jeden Menschen wird also nicht von gesunder Vernunft, sondern von Begierde und Macht bestimmt. Nicht alle sind nämlich schon natürlicherweise bestimmt, sich nach den Regeln und Gesetzen der Vernunft zu betätigen; ganz im Gegenteil, alle werden völlig unwissend geboren. Ehe sie die wahre Lebensweise kennenlernen und sich eine tugendhafte Haltung aneignen können, vergeht selbst bei guter Erziehung ein großer Teil ihres Lebens; trotzdem müssen sie währenddessen leben und gemäß ihrer Natur sich erhalten, und dies unter dem Antrieb bloß des Triebes, weil die Natur ihnen nichts anderes gegeben und die wirkliche Macht, nach der gesunden Vernunft zu leben, vorenthalten hat. Deshalb sind sie so wenig gehalten, nach den Gesetzen eines gesunden Geistes zu leben, wie die Katze gehalten ist, nach den Gesetzen der Löwennatur zu leben. Was also jeder,

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als bloß der Herrschaft der Natur unterworfen betrachtet, als nützlich für sich selbst erachtet, sei es unter Leitung der gesunden Vernunft, sei es unter dem Antrieb der Affekte, nach dem darf er mit einem höchsten Recht der Natur greifen und es auf jede Weise, mit Gewalt, mit List, mit Bitten oder wie immer er es am leichtesten schafft, in seinen Besitz bringen und folglich den für seinen Feind halten, der ihn am Erreichen seiner Absicht hindern will. [4] Daraus folgt, daß das Recht und die Einrichtung der Natur, worunter alle geboren werden und die größte Zeit ihres Lebens verbringen, nichts verbietet als das, was niemand begehrt und niemand kann, also weder Streitereien noch Haß, weder Zorn noch Arglist, überhaupt nichts, wozu der Trieb rät, verwirft. Das ist nicht erstaunlich. Denn die Natur wird nicht von den Gesetzen der menschlichen Vernunft, die nur den wahren Nutzen der Menschen und deren Erhaltung im Blick haben, beschränkt, sondern unterliegt unendlich vielen anderen Gesetzen, die die ewige Ordnung der ganzen Natur, von der der Mensch nur ein kleiner Teil ist, betreffen und von deren bloßer Notwendigkeit alle Individuen bestimmt sind, auf bestimmte Weise zu existieren und zu wirken. Was auch immer in der Natur uns als lächerlich, widersinnig oder schlecht erscheint, es resultiert daraus, daß unsere Erkenntnis der Dinge Stückwerk ist und wir die Ordnung und den Zusammenhang der ganzen Natur zum größten Teil nicht kennen, alles aber nach dem Bedürfnis unserer Vernunft geleitet sehen wollen; was die Vernunft für schlecht erklärt, ist aber nicht im Hinblick auf die Ordnung und die Gesetze der gesamten Natur schlecht, sondern nur im Hinblick auf die Gesetze bloß unserer Natur. [5] Daß es indes für die Menschen viel nützlicher ist, nach den Gesetzen und verläßlichen Vorschriften unserer Vernunft zu leben, die, wie wir gesagt haben, nur den wahren Nutzen der Menschen im Blick haben, kann niemand ernsthaft bezweifeln. Zudem gibt es keinen Menschen, der nicht so weit wie möglich sicher und ohne Furcht zu leben wünschte. Das ist aber nahezu ausgeschlossen, solange jeder alles nach seinem

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Belieben tun darf und der Vernunft nicht mehr Recht eingeräumt wird als dem Haß und dem Zorn. Denn niemanden gibt es, der im Milieu von Feindschaft, Haß, Zorn und Arglist ohne Angst lebte und deshalb nicht versuchte, dem so weit wie möglich zu entgehen. Wenn wir zudem in Betracht ziehen, daß die Menschen ohne wechselseitige Hilfe höchst elend und ohne Möglichkeit, die Vernunft zu kultivieren, leben müßten, wie wir im 5. Kapitel gezeigt haben, wird uns völlig einleuchten, daß sie sich, um in Sicherheit und möglichst gut zu leben, notwendigerweise haben vereinigen müssen, wodurch sie bewirkten, daß sie das Recht, das jeder von Natur aus über alle Dinge hatte, nun gemeinsam haben und dieses nicht mehr von der Kraft und dem Trieb des einzelnen, sondern von der Macht und dem Willen aller zusammen bestimmt wird. Sie hätten es jedoch vergeblich versucht, wenn sie nur den Ratschlägen des Triebes hätten folgen wollen (von den Gesetzen des Triebes werden die einzelnen nämlich in verschiedene Richtungen gezogen). Sie mußten deshalb unverbrüchlich beschließen und übereinkommen, alles allein nach der Vorschrift der Vernunft zu leiten (der niemand offen zu widersprechen wagt, um nicht als geistlos zu erscheinen) und den Trieb, soweit er etwas zum Schaden des anderen rät, zu zügeln, niemandem etwas anzutun, was man nicht selbst erleiden will, und endlich das Recht des anderen wie das eigene zu verteidigen. [6] Auf welche Weise dieser Pakt geschlossen werden muß, um gültig und unveränderlich zu sein, wollen wir jetzt sehen. Es ist ein allgemeingültiges Gesetz der menschlichen Natur, daß niemand etwas, was er für gut hält, außer acht läßt, wenn nicht in der Hoffnung auf ein größeres Gut oder aus Furcht vor einem größeren Schaden, ferner, daß niemand einen Schaden erträgt, wenn nicht zur Vermeidung eines größeren Schadens oder in der Hoffnung auf ein größeres Gut. Das heißt, daß jeder unter zwei Gütern dasjenige wählt, das er für das größere hält, und unter zwei Übeln dasjenige, das ihm das kleinere zu sein scheint. Ich sage ausdrücklich, was ihm, dem Wählenden, in seinem Urteil größer oder kleiner zu sein scheint, nicht

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daß es in Wirklichkeit so ist. Dieses Gesetz ist der menschlichen Natur so fest eingeschrieben, daß man es zu den ewigen Wahrheiten zählen muß, die niemand verkennen kann. Es enthält in sich, daß niemand, wenn nicht aus List, versprechen wird,1 sich des Rechts, das er über alle Dinge hat, zu begeben, uneingeschränkt gesagt, daß niemand seine Versprechen halten wird, es sei denn aus Furcht vor einem größeren Schaden oder in der Hoffnung auf ein größeres Gut. Um das verständlicher zu machen, nehme man an, ein Räuber zwinge mich, ihm zu versprechen, mein Hab und Gut zu übergeben, sobald er es wolle. Da nun, wie schon gezeigt, mein natürliches Recht bloß von meiner Macht her bestimmt wird, darf ich sicherlich, wenn ich kann, mich mit List von diesem Räuber befreien, indem ich ihm verspreche, was immer er will; das Recht der Natur erlaubt mir, dies zu tun, d. h. einen Pakt arglistig zu schließen. Oder angenommen, ich hätte jemandem aufrichtig versprochen, zwanzig Tage lang keine Speise und überhaupt kein Nahrungsmittel zu mir zu nehmen, danach aber eingesehen, daß dieses Versprechen töricht ist und ich es nur mit größtem Schaden halten kann; da nun das natürliche Recht mich anhält, von zwei Übeln das kleinere zu wählen, kann ich mit höchstem Recht einen solchen Pakt brechen und mein Wort als nicht gegeben ansehen. Das, sage ich, ist mir nach dem natürlichen Recht erlaubt, gleichgültig ob ich aus einem wahren und wohlbestimmten Grund einsehe, es mir zum Schaden versprochen zu haben, oder ob mir dies bloß so erscheint. Denn mag ich den Sachverhalt richtig oder falsch einschätzen, ich fürchte ein sehr großes Übel, das zu vermeiden ich somit nach der Einrichtung der Natur mit allen Mitteln versuchen werde. [7] Daraus schließen wir, daß ein Pakt nur kraft seiner Nützlichkeit wirksam sein kann; fällt diese weg, wird zugleich der Pakt hinfällig und bleibt wirkungslos. Darum ist es töricht, von dem anderen fortwährende Treue zu fordern, ohne zugleich dafür zu sorgen, daß aus dem Bruch des Pakts dem, der 1

[ Siehe Anmerkung 32 auf Seite 329.]

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ihn bricht, mehr Schaden als Nutzen erwächst: und das muß im eminenten Maße bei der Errichtung eines Staates gelten. Wenn alle Menschen sich leicht von der Vernunft allein leiten ließen und den großen Vorteil und damit die Notwendigkeit des Staates einsehen könnten, gäbe es freilich niemanden, der nicht arglistiges Handeln zutiefst verabscheute; alle würden in höchster Treue aus einem Verlangen nach diesem höchsten Gut, der Erhaltung des Staates, in allen Punkten an dem Pakt festhalten und diese Treue, den besten Schutz des Staates, stets bewahren. Doch lassen sich keineswegs alle Menschen immer von der Vernunft allein leicht leiten; denn jeder läßt sich von seiner Lust hinreißen, und Habgier, Ruhmsucht, Neid, Zorn usw. nehmen den Geist oft so sehr ein, daß kein Raum bleibt für die Vernunft. Mögen die Menschen deshalb auch schön versprechen und mit unverdächtigen Zeichen aufrichtiger Gesinnung sich verpflichten, Wort zu halten, der Treue des anderen kann niemand sicher sein, wenn dem Versprechen nicht etwas anderes hinzukommt, weil ja jeder nach dem Recht der Natur mit Arglist handeln kann und sich nur durch die Hoffnung auf ein größeres Gut oder die Furcht vor einem größeren Schaden veranlaßt sieht, Übereinkünfte einzuhalten. Da wir nun schon gezeigt haben, daß das natürliche Recht eines jeden sich bloß von dessen Macht her bestimmt, ergibt sich: So viel jeder von der Macht, die er hat, dem anderen überträgt, sei es gezwungen, sei es freiwillig, so viel tritt er notwendigerweise von seinem Recht dem anderen ab; und das höchste Recht über alle hat derjenige, der die höchste Gewalt besitzt, kraft derer er sie alle zwingen und über die Furcht vor härtester Bestrafung, die alle gleichermaßen fürchten, im Zaum halten kann. Er wird dieses Recht allerdings nur so lange behaupten, wie er die Macht behält auszuführen, was er will. Andernfalls wird sein Befehl nur eine Bitte sein, und niemand, der stärker ist als er, wird gehalten sein ihm zu gehorchen, wenn er nicht will. [8] Auf diese Weise kann sich also ohne Widerspruch zum natürlichen Recht eine Gesellschaft bilden und jeder Pakt stets mit vollkommener Treue eingehalten werden: wenn nämlich

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jeder die ganze Macht, die er hat, der Gesellschaft überträgt, die damit allein das höchste Recht der Natur über alle Dinge innehat, d. h. die höchste Regierungsgewalt, der jeder aus freien Stücken oder aus Furcht vor härtester Bestrafung zu gehorchen gehalten ist. Das Recht einer Gesellschaft dieser Art heißt Demokratie, die sich demnach so definieren läßt: Sie ist die ungeteilte Versammlung von Menschen, die gemeinschaftlich ein höchstes Recht über alles, was in ihrer Macht steht, innehat. Daraus folgt, daß der Souverän an kein Gesetz gebunden ist, sondern alle ihm in allem gehorchen müssen. Denn genau das haben alle, stillschweigend oder ausdrücklich, vereinbaren müssen, als sie ihre ganze Macht sich zu verteidigen, d. h. ihr ganzes Recht, ihm übertragen haben. Denn hätten sie sich etwas vorbehalten wollen, hätten sie zugleich Vorsorge treffen müssen, es wirksam zu verteidigen. Da sie es aber nicht getan haben und es auch gar nicht haben tun können, ohne den Staat zu teilen und infolgedessen zu zerstören, haben sie sich eben damit dem Machtspruch des Souveräns uneingschränkt unterworfen. Indem sie dies uneingeschränkt getan haben, und zwar (wie schon gezeigt) sowohl unter dem Zwang der Notwendigkeit als auch auf Anraten der Vernunft, folgt, daß wir, wollen wir nicht Feinde des Staates sein und gegen die Vernunft handeln, die uns rät, den Staat mit allen Kräften zu verteidigen, gehalten sind, alle Anordnungen des Souveräns unbedingt auszuführen, mögen sie auch noch so widersinnig sein. Denn auch Anordnungen dieser Art heißt uns die Vernunft ausführen, um von zwei Übeln das kleinere zu wählen. [9] Hinzugefügt sei, daß jeder das Risiko, sich dem Befehl und Machtspruch des anderen unbedingt zu unterwerfen, leicht eingehen konnte; denn, wie wir gezeigt haben, steht dem Souverän das Recht, zu befehlen, was immer er will, nur so lange zu, wie er tatsächlich die höchste Gewalt hat. Geht er ihrer verlustig, verliert er zugleich das Recht, alles zu befehlen, das dann in die Hände dessen oder derer fällt, die es errungen haben und behaupten können. Deshalb kann es nur selten geschehen, daß der Souverän ganz widersinnige Befehle gibt,

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liegt ihm doch im eigenen Interesse und im Bemühen, seine Herrschaft zu behaupten, vor allem daran, für das Gemeinwohl zu sorgen und alles nach dem Gebot der Vernunft zu regeln. Eine Gewaltherrschaft, sagt Seneca, hat niemand lange behauptet. Hinzu kommt, daß in einem demokratischen Staat widersinnige Anordnungen kaum zu befürchten sind. Denn es ist nahezu unmöglich, daß in einer Versammlung, wenn sie nur groß genug ist, die Mehrheit sich zu ein und derselben Widersinnigkeit zusammenfindet; unmöglich aber auch wegen seiner Grundlage und seines Zwecks, der ja, wie schon gezeigt, darin besteht, die Widersinnigkeiten des Triebes auszuschalten und die Menschen so weit wie möglich in vernunftorientierten Grenzen zu halten, damit sie in Eintracht und Frieden leben; wird diese Grundlage beseitigt, stürzt leicht der ganze Bau zusammen. Dagegen Vorsorge zu treffen, obliegt allein dem Souverän, während die Untertanen, wie gesagt, seine Anordnungen auszuführen und nur das als Recht anzuerkennen haben, was der Souverän für Recht erklärt. [10 ] Aber vielleicht wird man denken, wir machten auf diese Weise die Untertanen zu Sklaven, weil man den für einen Sklaven hält, der auf Befehl handelt, und den für frei, der sein Leben nach seinem Sinn führt, was indessen nicht unbedingt richtig ist. Denn in Wirklichkeit ist im höchsten Maße Sklave, wer von seiner Lust so hin und her gerissen wird, daß er seinen Vorteil weder sehen noch ihm gemäß handeln kann, und allein frei, wer mit ganzem Herzen bloß nach der Leitung der Vernunft lebt. Das Handeln auf Befehl, d. h. der Gehorsam, hebt zwar die Freiheit in einem gewissen Sinne auf, macht aber einen nicht schon zum Sklaven; der Grund des Handelns macht es. Ist der Zweck einer Handlung nicht der Nutzen des Handelnden selbst, sondern der Nutzen des Befehlenden, dann ist der Handelnde ein Sklave und sich selbst unnütz. In einer Republik, in einem Staat also, in dem das Wohl des ganzen Volkes und nicht das Wohl des Herrschenden höchstes Gesetz ist, ist derjenige, der in allen Stücken dem Souverän gehorcht, nicht ein sich selbst unnützer Sklave zu nennen, sondern ein Untertan. Deshalb ist derjenige Staat im höchsten Maße frei,

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dessen Gesetze auf der gesunden Vernunft gegründet sind; denn in ihm kann jeder, wenn er will, frei sein,1 d. h. mit ganzem Herzen nach der Leitung der Vernunft leben. So sind auch die Kinder nicht Sklaven, obwohl sie allen Anweisungen der Eltern zu gehorchen haben, weil die Anordnungen der Eltern vor allem den Nutzen der Kinder im Auge haben. Wir sehen also einen großen Unterschied zwischen Sklave, Kind und Untertan und definieren so: Sklave ist, wer gehalten ist, den Befehlen eines Herrn zu gehorchen, die nur den Nutzen des Befehlenden im Auge haben; Kind ist, wer auf Anordnung seiner Eltern tut, was ihm selbst nützlich ist; Untertan endlich ist, wer auf Anordnung des Souveräns tut, was der Gemeinschaft und infolgedessen auch ihm selbst nützlich ist. [11] Damit glaube ich hinlänglich klar die Grundlagen des demokratischen Staates dargelegt zu haben, den ich vor allen anderen habe behandeln wollen, weil er, wie mir scheint, der natürlichste ist und der Freiheit, die die Natur einem jeden gewährt, am nächsten kommt. Denn in diesem Staat überträgt niemand sein natürliches Recht derart einem anderen, daß ihm fortan kein eigenes Erwägen verbleibt, sondern jeder überträgt es der Mehrheit der gesamten Gesellschaft, deren konstitutiver Teil er selbst ist. Auf diese Weise bleiben alle, wie vorher im Naturzustand, gleich. Außerdem habe ich ausdrücklich nur von diesem Staat handeln wollen, weil er meiner Absicht, vom Nutzen der Freiheit im Staat zu sprechen, am meisten entgegenkommt. Ich übergehe deshalb die Grundlagen der anderen Formen von Souveränität; um deren Recht kennenzulernen, ist es nicht nötig zu wissen, woraus sie entstanden sind und oft entstehen, läßt sich das doch hinreichend genug den bisherigen Darlegungen entnehmen. Denn wer auch immer die höchste Gewalt hat, mag es einer allein, mögen es einige wenige oder endlich alle sein, ihm kommt sicherlich das höchste Recht zu, anzuordnen, was immer er will; und wer die Gewalt, sich zu verteidigen, freiwillig oder gezwungen, einem anderen übertragen hat, er hat sein natürliches Recht vollständig 1

[ Siehe Anmerkung 33 auf Seite 329.]

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aufgegeben und folglich sich entschieden, dem anderen in allen Stücken uneingeschränkt zu gehorchen. Es ausnahmslos zu tun ist er so lange gehalten, wie der König, die Adligen oder das Volk die empfangene höchste Gewalt, die die Grundlage der Rechtsübertragung war, behaupten. Es ist nicht nötig, dem weiteres hinzuzufügen. Nach Darlegung der Grundlagen und des Rechts des Staates wird sich leicht bestimmen lassen, was in ihm, dem bürgerlichen Zustand, bürgerliches Privatrecht, Unrecht, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit ist, ferner was ein Bundesgenosse, ein Feind und endlich ein Majestätsverbrechen ist. Unter bürgerlichem Privatrecht können wir nichts anderes verstehen als die Freiheit eines jeden, sich in seinem Zustand zu erhalten, eine Freiheit, die von den Erlassen des Souveräns begrenzt und allein von seiner Autorität verteidigt wird. Denn nachdem jeder sein nur von der eigenen Gewalt begrenztes Recht, nach eigenem Gutdünken zu leben, d. h. seine Freiheit und die Macht, sich zu verteidigen, einem anderen übertragen hat, ist er hinfort gehalten, nach dem Beschluß dieses anderen zu leben und allein unter dessen Schutz sich zu verteidigen. Unrecht liegt dann vor, wenn ein Bürger (oder Untertan) von einem anderen einen Schaden entgegen dem bürgerlichen Recht, d. h. dem Erlaß des Souveräns, zu erleiden gezwungen wird. Unrecht ist nämlich nur im bürgerlichen Zustand denkbar, kann aber nicht von dem Souverän, dem von Rechts wegen alles erlaubt ist, den Untertanen zugefügt werden; es kann also nur zwischen Privatpersonen statthaben, die von Rechts wegen gehalten sind, sich nicht gegenseitig zu verletzen. Gerechtigkeit ist die beharrliche Bereitschaft, einem jeden das zuteil werden zu lassen, was ihm nach bürgerlichem Recht zukommt; Ungerechtigkeit dagegen, ihm unter einem Schein von Recht zu nehmen, was ihm bei richtiger Auslegung der Gesetze gebührt. Man nennt sie auch Billigkeit und Unbilligkeit, weil diejenigen, die zum Schlichten der Streitigkeiten eingesetzt sind, gehalten sind, niemanden mit Blick auf seine Person, sondern alle als Gleiche zu behandeln, also das Recht

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eines jeden in gleicher Weise zu schützen, ohne den Reichen zu beneiden noch den Armen zu mißachten. [16] Bundesgenossen sind Menschen zweier Gemeinwesen, die, um einer Kriegsgefahr zu entgehen oder um irgendeines anderen Vorteils willen, vertraglich übereinkommen, sich nicht gegenseitig zu verletzen, sondern im Gegenteil sich im Notfall zu helfen, wobei jedes Gemeinwesen seine Souveränität behält. Ein Vertrag dieser Art wird so lange in Kraft bleiben, wie seine Grundlage, der Gesichtspunkt von Gefährdung oder Nützlichkeit, bestehen bleibt; denn niemand geht einen Vertrag ein, noch ist er gehalten ihn zu respektieren, wenn nicht in der Hoffnung auf ein Gut oder aus Furcht vor einem Schaden. Entfällt diese Grundlage, ist die Übereinkunft ganz von selbst hinfällig, was auch die Erfahrung zur Genüge lehrt. Denn wenn zwei verschiedene Staaten auch vertraglich vereinbaren, sich keinen Schaden zuzufügen, sind sie doch nach Kräften darauf aus, zu verhindern, daß dabei einer der beiden mächtiger wird, und halten sich an Worte nur, wenn auf beiden Seiten Zweck und Nutzen des Vertrages klar genug zu Tage liegen. Andernfalls fürchten sie hintergangen zu werden, und nicht zu Unrecht. Denn wer wird sich auf die Worte und Versprechungen dessen verlassen, der das Recht und die uneingeschränkte Gewalt zu tun, was er will, behält und dem das Wohl und der Nutzen seines Staates das höchste Gesetz sein muß, wenn nicht ein Tor, der vom Recht des Souveräns nichts weiß? Wenn wir außerdem Frömmigkeit und Religion in Betracht ziehen, werden wir zudem finden, daß der Inhaber der Regierungsgewalt geradezu ein Verbrechen beginge, wollte er Versprechungen halten, die zu einer Schädigung seines Staates führen würden. Hat er etwas versprochen, von dem er sieht, daß es seinem Staat Schaden zufügt, kann er sich daran nicht halten, ohne die den Untertanen gelobte Treue zu brechen, zu der er doch in erster Linie verpflichtet ist und die einzuhalten Machthaber in der Regel höchst feierlich versprechen. [17] Feind sodann ist jeder, der außerhalb des Staates so lebt, daß er dessen Autorität weder als Bundesgenosse noch als Unter-

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tan anerkennt. Denn nicht der Haß, sondern das Recht macht jemanden zum Feind eines Staates, und das Recht des Staates gegenüber einem, der seine Autorität durch keine Form vertraglicher Übereinkunft anerkennt, ist dasselbe wie gegen einen, der ihm Schaden zugefügt hat; zu Recht kann es ihn also mit allen Mitteln zur Unterwerfung oder zur Bundesgenossenschaft zwingen. [18] Das Majestätsverbrechen schließlich betrifft nur Untertanen (oder Bürger), die durch einen stillschweigenden oder ausdrücklichen Pakt ihr ganzes Recht dem Staat übertragen haben. Ein Untertan wird eines solchen Verbrechens schuldig genannt, wenn er versucht hat, das Recht des Souveräns in irgendeiner Weise an sich zu reißen oder einem anderen zu übertragen. Ich sage „versucht hat“, denn sollte nur die vollbrachte Tat bestraft werden, würde der Staat meistens zu spät eingreifen, erst nach der Usurpation des Rechts oder seiner Übertragung auf einen anderen. Ich sage ferner uneingeschränkt „wer in irgendeiner Weise dies versucht“, weil ich keinen Unterschied gelten lasse, ob sich daraus auch noch so klar ein Schaden oder ein Nutzen für den ganzen Staat ergibt. Denn in welcher Weise er es auch versucht hat, er hat die Majestät verletzt und wird von Rechts wegen verurteilt. Im Krieg wird das von allen als völlig rechtmäßig anerkannt: Wenn jemand nicht auf seinem Posten bleibt und ohne Wissen seines Feldherrn den Feind angreift, wird er, selbst wenn er es gut überlegt, aber eigenmächtig getan und sogar den Feind geschlagen hat, dennoch zu Recht zum Tode verurteilt, weil er seinen Eid und das Recht seines Feldherrn verletzt hat. Daß dieser Rechtsregel aber ausnahmslos alle Bürger immer unterliegen, sehen nicht alle ebenso klar, obwohl der Grund ganz derselbe ist. Weil in der Tat der Staat bloß nach dem Beschluß des Souveräns geleitet und erhalten werden muß (und die Bürger vertraglich übereingekommen sind, dieses Recht ihm allein zu überlassen), hat derjenige, der bloß nach eigenem Gutdünken und ohne Wissen der höchsten Versammlung sich daran gemacht hat, eine öffentliche Angelegenheit zu besorgen, auch wenn sich daraus, wie gesagt, ein Vorteil

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für den Staat ergeben sollte, doch das Recht des Souveräns verletzt und die Majestät beleidigt, so daß er verdientermaßen von Rechts wegen verurteilt wird. [19] Um jedes Bedenken zu beseitigen, bleibt noch auf folgenden Einwand zu antworten: Widerspricht unsere Behauptung, daß im Naturzustand jeder, der die Vernunft nicht gebraucht, mit höchstem Recht der Natur nach den Gesetzen des Triebes lebt, nicht sichtlich dem offenbarten göttlichen Recht? Denn da alle uneingeschränkt (mögen sie die Vernunft gebrauchen oder nicht) nach göttlichem Gebot gleichermaßen gehalten sind, ihren Nächsten zu lieben wie sich selbst, können wir doch nicht, ohne ein Unrecht zu begehen, dem anderen einen Schaden zufügen und bloß nach den Gesetzen des Triebes leben. Auf diesen Einwand ist jedoch leicht zu antworten, wenn wir nur sorgfältig beachten, was der Naturzustand ist. Er ist nämlich, der Natur wie der Zeit nach, früher als die Religion; denn niemand weiß von Natur aus,1 daß er Gott Gehorsam schuldet; mehr noch, keine Vernunft kann ihn zu einem solchen Wissen bringen, sondern jeder kann es nur aus einer mit Zeichen bestätigten Offenbarung haben. Deshalb ist vor der Offenbarung niemand durch göttliches Recht, das er ja gar nicht kennen kann, zu etwas verpflichtet. Mithin darf der Zustand der Natur nicht mit dem der Religion verwechselt werden, sondern ist unabhängig von Religion und Gesetz und folglich ohne Sünde und Unrecht zu denken, wie wir es getan und mit der Autorität des Paulus bekräftigt haben. Aber nicht nur auf Grund dieser Unkenntnis haben wir den Naturzustand als dem offenbarten göttlichen Recht vorangehend und unabhängig von ihm konzipiert, sondern auch mit Blick auf die Freiheit, in der wir alle geboren werden. Wären die Menschen nämlich von Natur aus dem göttlichen Recht verpflichtet oder wäre das göttliche Recht von Natur aus ein Recht, dann war es überflüssig, daß Gott einen Vertrag mit den Menschen eingeht und sie durch einen Bund und Schwur verpflichtet. Deshalb ist ohne weiteres zuzugeben, daß das gött1

[ Siehe Anmerkung 34 auf Seite 330.]

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liche Recht zu dem Zeitpunkt seinen Anfang genommen hat, als die Menschen in einem ausdrücklichen Pakt Gott versprochen haben, ihm in allem zu gehorchen, als sie also ihre natürliche Freiheit gleichsam aufgegeben und ihr Recht Gott übertragen haben, ganz so wie es nach unseren Ausführungen im bürgerlichen Zustand geschieht. Doch darauf will ich in den folgenden Kapiteln noch eingehender zu sprechen kommen. [20 ] Man kann allerdings des weiteren einwenden, daß der Souverän, ganz wie der Untertan, an dieses göttliche Recht gebunden sei, während wir doch gesagt haben, daß er sein natürliches Recht behielte und ihm von Rechts wegen alles erlaubt sei. Um diese Schwierigkeit vollständig zu beseitigen, die sich nicht so sehr aus dem Begriff des Naturzustands wie aus dem des natürlichen Rechts ergibt, sage ich, daß im Naturzustand jeder aus demselben Grunde an das offenbarte Recht gebunden ist, aus dem er gehalten ist, nach der Vorschrift der gesunden Vernunft zu leben, weil es nämlich vorteilhafter für ihn ist und unerläßlich für sein Heil. Will er es nicht, mag er es auf seine Gefahr hin lassen. Jeder ist also gehalten, bloß nach seinem eigenen Beschluß und nicht nach dem eines anderen zu leben, ohne irgendeinen Sterblichen als Richter oder als Verteidiger des Rechts der Religion anerkennen zu müssen. Dieses Recht, behaupte ich, hat der Souverän sich vorbehalten; er kann zwar die Menschen um Rat fragen, ist aber nicht gehalten, neben sich einen anderen als Richter und auch keinen anderen Sterblichen als Verteidiger irgendeines Rechts anzuerkennen, es sei denn den Propheten, der ausdrücklich von Gott gesandt worden ist und dies mit unzweifelhaften Zeichen kundgetan hat. Aber nicht einmal dann ist er gezwungen, einen Menschen als Richter anzuerkennen, sondern nur Gott selbst. Wollte der Souverän Gott in seinem offenbarten Recht nicht gehorchen, könnte er es auf eigene Gefahr und zu eigenem Schaden tun, ohne gegen das bürgerliche oder natürliche Recht zu verstoßen. Denn das bürgerliche Recht hängt nur von seinem Beschluß ab, und was das natürliche Recht angeht, es hängt von den Gesetzen der Natur ab, die sich ohnehin nicht nach der Religion, die bloß den mensch lichen Nutzen

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im Auge hat, richten, sondern nach der Ordnung der ganzen Natur, d. h. nach dem ewigen Beschluß Gottes, der uns unbekannt ist. Dies scheinen auch andere, freilich arg dunkel, begriffen zu haben, wenn sie behaupten, der Mensch könne wohl gegen den offenbarten Willen Gottes sündigen, aber nicht gegen seinen ewigen Ratschluß, mit dem er alles vorherbestimmt hat. [21] Nun könnte man fragen: Was ist zu tun, wenn der Souverän etwas gegen die Religion und den Gehorsam, den wir Gott in einem ausdrücklichen Pakt gelobt haben, befiehlt? Ist dann dem göttlichen oder dem menschlichen Befehl zu gehorchen? Da ich darüber in den folgenden Kapiteln ausführlicher handeln will, möchte ich hier nur kurz sagen, daß Gott über alles zu gehorchen ist, sobald wir eine gewisse und unzweifelhafte Offenbarung haben. Weil die Menschen sich in Religionsdingen jedoch gewöhnlich sehr irren und entsprechend ihrer unterschiedlichen Sinnesart, miteinander wetteifernd, vielerlei erfinden, wie die Erfahrung übergenug bestätigt, würde, wenn niemand rechtlich gehalten wäre, in Dingen, die er selbst für religiös hält, dem Souverän zu gehorchen, das Recht des Staates sicherlich von dem je verschiedenen Urteil und Affekt des einzelnen abhängen. Denn niemand, der ein erlassenes Recht für unvereinbar mit seinem Glauben oder auch Aberglauben hält, wäre an ein solches Recht gebunden, und jeder könnte sich unter diesem Vorwand alles erlauben. Weil das Recht des Staates unter dieser Bedingung zutiefst verletzt wäre, ergibt sich, daß dem Souverän, dem es nach göttlichem wie nach natürlichem Recht allein zukommt, die Rechtsgesetze des Staates zu bewahren und zu schützen, das höchste Recht zukommt, für die Religion Regelungen zu treffen, wie er sie für gut hält. Und alle sind gehalten, seinen diesbezüglichen Beschlüssen und Anordnungen zu gehorchen, aus der Treue heraus, die sie ihm gelobt haben und die in allen Punkten einzuhalten Gott befiehlt. [22] Sind die Inhaber der höchsten Regierungsgewalt Heiden, dann ist mit ihnen entweder kein Vertrag zu schließen, sondern lieber das Äußerste zu erdulden, als ihnen sein Recht zu

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übertragen, oder man ist, wenn man mit ihnen einen Vertrag geschlossen und ihnen sein Recht übertragen hat, weil man ja dadurch sich der Macht beraubt hat, sich selbst und seine Religion zu verteidigen, gehalten, ihnen zu gehorchen, also an der Übereinkunft in Treue festzuhalten oder sich dazu zwingen zu lassen; ausgenommen ist davon nur derjenige, dem Gott mit einer unzweifelhaften Offenbarung seine besondere Hilfe gegen den Tyrannen verheißen hat oder den er ausdrücklich davon hat ausnehmen wollen. So sehen wir, daß unter den vielen Juden damals in Babylon nur drei junge Männer an Gottes Beistand nicht zweifelten und Nebukadnezar den Gehorsam verweigerten. Die anderen, mit Ausnahme von Daniel, den der König selbst verehrte, leisteten ihm, vom Recht gezwungen, ohne Zögern Gehorsam, vielleicht in der Annahme, sie seien kraft göttlichen Ratschlusses dem König untertan und der König besitze und behaupte unter göttlicher Leitung die höchste Regierungsgewalt. Eleasar hingegen wollte, weil das Vaterland noch irgendwie bestand, den Seinen ein Beispiel von Charakterstärke geben, damit sie, ihm folgend, lieber alles ertragen als zulassen, daß sein Recht und seine Gewalt den Griechen übertragen werde, und alles daran setzen, den Heiden nicht Treue schwören zu müssen. Auch die tägliche Erfahrung bestätigt dies: Die christlichen Herrscher tragen keine Bedenken, zur größeren Sicherheit ihrer Staaten Bündnisse mit den Türken und den Heiden zu schließen und ihren dort ansässigen Untertanen zu untersagen, in menschlichen wie göttlichen Angelegenheiten eine größere Freiheit zu beanspruchen, als der Vertrag ausdrücklich vorsieht oder jene Regierungen ihnen zugestehen. Das sieht man gut in dem Vertrag der Niederländer mit den Japanern, von dem wir oben gesprochen haben.

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Siebzehntes K a pitel Es wird gezeigt, daß niemand alles dem Souverän übertragen kann und daß dies auch nicht nötig ist. Vom Staat der Hebräer, wie er zu Moses’ Lebzeiten gewesen ist und wie nach dessen Tod vor der Einsetzung von Königen; von seiner Vortrefflichkeit und schließlich von den Ursachen, warum ein von Gott errichteter Staat untergehen konnte und überhaupt immer Aufständen ausgesetzt war [1]

Das vorige Kapitel hat das Recht des Souveräns über alle Dinge sowie die Übertragung des natürlichen Rechts eines jeden auf den Souverän betrachtet. Obwohl diese Betrachtung nicht schlecht mit der Praxis übereinstimmt, man zumindest die Praxis so gestalten kann, daß sie ihr immer näher kommt, wird sie doch in vielen Stücken reine Theorie bleiben. Denn niemand wird jemals seine Macht und folglich sein Recht einem anderen so übertragen können, daß er aufhörte, Mensch zu sein, und niemals wird es eine höchste Gewalt geben, die alles so ausführen könnte, wie sie will. Vergebens wird sie nämlich einem Untertan befehlen, zu hassen, wer ihm wohlgesonnen war, zu lieben, wer ihm Schaden zugefügt hat, von Beleidigungen sich nicht verletzt zu fühlen, von Furcht nicht befreit sein zu wollen und vieles andere dieser Art, das sich aus den Gesetzen der menschlichen Natur notwendigerweise ergibt. Auch die Erfahrung lehrt dies klar genug. In der Tat haben die Menschen sich ihres Rechts niemals so weit begeben und ihre Macht so weit einem anderen übertragen, daß sie von denen, die ihr Recht und ihre Macht erhalten haben, nicht gefürchtet worden wären und daß der Regierung von ihren Bürgern, mögen sie auch des eigenen Rechts beraubt sein, nicht mehr Gefahr gedroht hätte als von äußeren Feinden. Wenn die Menschen ihres natürlichen Rechts allerdings so weit beraubt werden könnten, daß sie fortan gegen den Willen derer, die das höchste Recht inne haben, nichts tun könnten,1 dann 1

[ Siehe Anmerkung 35 auf Seite 331.]

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dürften diese sicherlich ungefährdet mit höchster Gewalttätigkeit über die Untertanen herrschen, was wohl niemandem in den Sinn kommen wird. Daher ist nicht zu übersehen, daß ein jeder sich vieles von seinem Recht zurückbehält, das deshalb nicht von dem Beschluß eines anderen abhängt, sondern ausschließlich von seinem eigenen. [2] Um richtig zu verstehen, wie weit das Recht und die Gewalt des Staates sich erstreckt, ist indessen zu bemerken, daß diese Gewalt nicht in der Fähigkeit aufgeht, die Menschen durch Furcht zu zwingen, sondern uneingeschränkt alle Mittel umfaßt, mit denen sie dazu gebracht werden können, seinen Anordnungen zu gehorchen; nicht weshalb man gehorcht, sondern daß man gehorcht, macht nämlich einen zum Untertan. Denn aus welchem Grunde ein Mensch sich entschließt, die Anordnungen des Souveräns auszuführen, ob aus Furcht vor Strafe, aus Hoffnung auf Profit, aus Liebe zum Vaterland oder aus einem anderen affektiven Antrieb heraus, er handelt auf Anordnung des Souveräns, auch wenn er sich dazu nach eigenem Ermessen entschließt. Der Tatbestand, daß der Mensch etwas nach eigenem Ermessen tut, erlaubt also nicht schon den Schluß, daß er dabei nach eigenem Recht und nicht nach dem des Staates handelt. Weil er in der Tat, ob durch Liebe verpflichtet oder von Furcht vor einem Übel gezwungen, immer nach eigenem Ermessen und aus eigener Entscheidung handelt, gäbe es entweder überhaupt keine staatliche Autorität und damit überhaupt kein Recht über die Untertanen, oder dieses Recht muß sich auf alles erstrecken, was die Menschen dazu bringen kann, sich ihr unterzuordnen. Was immer der Untertan den Anordnungen des Souveräns entsprechend verrichtet, das tut er folglich nach dem Recht des Staates und nicht nach eigenem Recht, mag er dazu durch Liebe verpflichtet oder von Furcht genötigt sein, mag er (was am häufigsten ist) von Hoffnung und Furcht zugleich veranlaßt sein, mag er von Ehrfurcht, einer aus Furcht und Bewunderung zusammengesetzten Leidenschaft, oder von irgendeinem anderen Motiv geleitet sein. Klar genug geht das auch daraus hervor, daß es beim Gehorsam nicht eigentlich um die äußere Hand-

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lung geht, sondern um die innere Haltung des Gemüts; deshalb steht am meisten unter der Herrschaft eines anderen, wer sich mit ganzem Herzen entschließt, in allem die Anordnungen eines anderen zu befolgen, und folglich übt die größte Herrschaft aus, wer über die Herzen seiner Untertanen regiert. Hätte die größte Herrschaft in Händen, wer am meisten gefürchtet wird, dann hätten sie sicherlich die Untertanen von Tyrannen in Händen, weil sie am meisten gefürchtet werden, von ihren Tyrannen nämlich. Mag man auch über die Herzen nicht so herrschen können wie über die Zungen, so stehen die Herzen in gewisser Hinsicht doch unter der Herrschaft des Souveräns, der auf vielfältige Weise zuwege bringen kann, daß eine große Anzahl von Menschen glaubt, liebt, haßt usw., was er will. Wenn diese Emotionen auch nicht auf direkte Anweisung des Souveräns hervorgerufen werden, dann doch oft, wie die Erfahrung genug bezeugt, auf Grund der Autorität seiner Macht und Weisungsbefugnis, d. h. auf Grund seines Rechts; wir können uns deshalb, ohne den Verstand zu irritieren, Menschen denken, die allein nach staatlichem Recht glauben, lieben, hassen, verachten, allgemein gesprochen von einem Affekt ergriffen werden. [3] Wenn wir in dieser Weise das Recht und die Macht des Staates auch sehr weit fassen, wird es doch niemals dahin kommen, daß ihre Inhaber eine uneingeschränkte Macht zu allem haben, was sie wollen, wie ich hinreichend klar wohl schon gezeigt habe. Auf welche Weise ein Staat geformt werden kann, um sich trotz dieser Beschränkung jederzeit ungefährdet zu erhalten, das zu zeigen liegt, wie gesagt, nicht in meiner Absicht. Für das, was ich will, werde ich indes hervorheben, was einst die göttliche Offenbarung zu diesem Punkt Moses gelehrt hat, und danach die Geschichte der Hebräer in ihrem Verlauf durchgehen, woraus sich schließlich ergeben wird, was vor allem der Souverän den Untertanen für die größere Sicherheit des Staates und seine gedeihliche Entwicklung einräumen muß. [4] Daß die Erhaltung des Staates hauptsächlich von der Treue der Untertanen, ihrer Tüchtigkeit und ihrer Zuverlässigkeit

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im Ausführen der Anordnungen besteht, lehren Vernunft und Erfahrung so klar wie möglich. In welcher Weise diese Untertanen geleitet werden müssen, um Treue und Zuverlässigkeit dauerhaft zu bewahren, ist aber nicht so leicht zu sehen. Denn alle, Regierende wie Regierte, sind Menschen, d. h. Wesen, denen der Genuß lieber ist als die Arbeit. Schlimmer noch, wer erfahren hat, wie wankelmütig die Sinnesart der Menge ist, möchte an dieser Aufgabe nahezu verzweifeln; denn die Menge läßt sich nicht von der Vernunft, sondern bloß von den Affekten leiten und in ihrem blinden Begehren sehr leicht entweder von Habsucht oder von Schwelgerei verderben. Jeder glaubt, er allein wisse alles, will alles nach seiner Sinnesart regeln und hält etwas nur so weit für billig oder unbillig, für erlaubt oder unerlaubt, wie es ihm seiner Einschätzung nach Vorteil oder Nachteil bringt; aus Eitelkeit verachtet er seinesgleichen und erträgt nicht, von ihnen geleitet zu werden; aus Neid auf das größere Ansehen oder das Vermögen, das niemals für alle gleich ist, wünscht er dem anderen Unglück, über das er sich auch noch freut. Es ist nicht nötig, das alles hier aufzuzählen, weiß doch jedermann, zu welchen Verbrechen der Widerwille gegen das Bestehende und die Sucht nach Neuerungen, die Raserei des Jähzorns und das Wegsehen von der Armut oft die Menschen verleiten und wie sehr das alles ihr Gemüt einnimmt und nicht zur Ruhe kommen läßt. Alledem vorzubeugen, den Staat so einzurichten, daß er keinen Raum läßt für Betrügerei, und überhaupt alles so zu gestalten, daß alle, wie auch ihre Sinnesart sein mag, das öffentliche Recht über ihre privaten Interessen stellen, das ist die Aufgabe, das die Kunst. Die Dringlichkeit der Sache hat die Menschen manches erdenken lassen, doch nie ist erreicht worden, daß dem Staat nicht mehr Gefahr von seinen Bürgern als von den äußeren Feinden gedroht hätte und daß die Inhaber der Regierungsgewalt diese nicht mehr fürchteten als jene. [5] Ein Beispiel dafür ist der Staat der Römer, nie besiegt von seinen Feinden und so oft besiegt und in schlimmste Bedrängnis gebracht von seinen Bürgern, namentlich im Bürgerkrieg zwischen Vespasian und Vitellius. Man lese darüber Tacitus

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zu Beginn des 4. Buchs der Historien, wo er den so elenden Anblick der Stadt schildert. Alexander (so sagt Curtius am Ende von Buch VIII) kam mit dem Ansehen beim Feind besser zurecht als mit dem beim Bürger, weil er von den Seinen vermutete, sie könnten seine Größe zu Fall bringen. Sein Schicksal fürchtend, richtet er diese Bitte an seine Freunde: Wenn ihr mir nur gegen heimlichen Betrug und die Ränke meiner Umgebung Sicherheit garantiert, werde ich die Gefahr von Krieg und Kampf ohne Furcht auf mich nehmen. Philipp war im Feld in größerer Sicherheit als im Theater – den Händen der Feinde ist er oft entgangen, seinen Nächsten konnte er nicht entfliehen. Auch wenn ihr an das Ende anderer Könige denkt, werdet ihr unter ihnen mehr Opfer der eigenen Leute als des Feindes zählen (siehe Q. Curtius, Buch IX , Kap. 6). [6] Aus diesem Grunde haben die Könige, die einst die Herrschaft an sich gerissen hatten, um der eigenen Sicherheit willen die Meinung zu erwecken versucht, ihr Geschlecht leite sich von den unsterblichen Göttern her. Sie glaubten nämlich, wenn die Untertanen und alle anderen Menschen sie nicht als ihresgleichen ansähen, sondern für Götter hielten, würden sie ihre Regierung williger ertragen und sich ihnen leichter unterwerfen. So hat Augustus den Römern eingeredet, er stamme von Äneas ab, den man für den Sohn der Venus hielt und zu den Göttern zählte; er wollte auch mit Tempeln und durch Tempeldiener und Priester mit religiösen Bildern verehrt werden (Tacitus, Annalen, Buch I). Alexander wollte als Sohn Jupiters gegrüßt werden und das offenbar nicht aus Hochmut, sondern in bestimmter Absicht, wie seine Antwort auf den Vorwurf des Hermolaos deutlich macht: Es war nahezu lächerlich, sagt er, was Hermolaos von mir verlangte: Ich sollte mich von Jupiter, dessen Orakel mich anerkennt, abwenden. Als ob die Antwort der Götter in meiner Gewalt wäre? Er hat mir den Sohnestitel angeboten, und ihn anzunehmen (wohlgemerkt!) war den Taten, die wir vollbrachten, durchaus angemessen. Wollten nur auch die Inder mich für einen Gott halten! In Kriegen kommt alles auf das Ansehen an, und nicht selten hat ein falscher Glaube die Rolle des Wahren übernommen (Q. Curtius,

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Buch VIII, Kap. 8) Mit diesen wenigen Worten sucht er den Unerfahrenen seine Täuscherei in geschickter Weise glaubhaft zu machen und deutet zugleich den Grund der Täuscherei an. Auch Kleon hat das in der Rede getan, mit der er die Madezonier zu überreden suchte, dem König beizustimmen. Nachdem er Alexanders Heuchelei den Anschein des Wahren verliehen hat, indem er voller Bewunderung von dessen Ruhmestaten berichtet und dessen Verdienste aufzählt, kommt er auf die Nützlichkeit der Sache zu sprechen: Nicht nur aus Frömmigkeit, sondern auch aus Klugheit haben die Perser ihre Könige im Rang der Götter verehrt; denn deren Majestät ist der Schutzpatron staatlichen Wohlergehens; und endet damit: Er selbst werde sich, wenn der König das Bankett eröffnet hat, bis zum Boden niederwerfen; die anderen müßten das auch tun, vor allem die Weisen unter ihnen (siehe Q. Curtius, Buch VIII, Kap. 5). Doch waren die Mazedonier klug genug, es nicht zu tun; Menschen, wenn sie nicht ganz ungebildet sind, lassen sich nicht so offensichtlich hintergehen und aus Untertanen zu sich selbst unnützen Sklaven machen. Andere konnten freilich leichter zu dem Glauben gebracht werden, die Majestät sei heilig und vertrete die Stelle Gottes auf Erden, sie sei von Gott und nicht durch Wahl und Zustimmung von Menschen eingesetzt und werde durch eine einzigartige Vorsehung und mit göttlicher Hilfe erhalten und beschirmt. Noch andere Mittel dieser Art haben die Monarchen zur Sicherung ihrer Herrschaft ersonnen, auf die ich allesamt nicht eingehe, um zu meinem Anliegen zu kommen, nämlich, wie gesagt, nur das hervorzuheben und zu besprechen, was die göttliche Offenbarung einst Moses hierfür gelehrt hat. [7] Schon oben, im 5. Kapitel, haben wir gesagt, daß die Hebräer nach dem Auszug aus Ägypten nicht mehr an das Recht einer anderen Nation gebunden waren, sondern es ihnen frei stand, nach Belieben neue Rechtsgesetze zu erlassen und die Ländereien, die sie wollten, zu besetzen. Denn, einmal befreit von der unerträglichen Unterdrückung der Ägypter und an keinen Sterblichen durch irgendeinen Pakt gebunden, hatten sie wieder ihr natürliches Recht zu allem, was in ihrer

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Macht stand, erlangt, und ein jeder konnte von neuem entscheiden, ob er es behalten oder lieber aufgeben und einem anderen übertragen wollte. In diesen Naturzustand versetzt, entschieden sie also auf Moses’ Rat, zu dem sie volles Vertrauen hatten, ihr Recht keinem Sterblichen, sondern einzig Gott zu übertragen; ohne langes Zögern gelobten alle, wie aus einem Munde, allen Weisungen Gottes uneingeschränkt zu gehorchen und kein anderes Recht anzuerkennen als dasjenige, das er selbst mit Hilfe prophetischer Offenbarung als Recht verordnen werde. Dieses Gelöbnis oder diese Übertragung des Rechts auf Gott ist in der gleichen Weise vonstatten gegangen wie in einer gewöhnlichen Gesellschaft (deren Begriff wir oben bestimmt haben), wenn die Menschen sich entschließen, ihr natürliches Recht aufzugeben. In einem ausdrücklichen Pakt (siehe Exodus 24, 7) und mit Eidschwüren haben sie nämlich ihr natürliches Recht frei, nicht von außen gezwungen oder durch Drohungen eingeschüchtert, aufgegeben und Gott übertragen. Damit der Pakt gültig, dauerhaft und frei von arglistigen Vorbehalten ist, vereinbarte Gott mit ihnen nichts, ehe sie nicht seine bewundernswerte Macht erfahren hatten, durch die allein sie errettet wurden und auch künftighin errettet werden könnten (siehe Exodus 19, 4 u. 5). Denn einzig aus diesem Grunde, daß sie glaubten, allein die Macht Gottes könnte sie erretten, haben sie ihre ganze natürliche Macht sich selbst zu erhalten (die sie vielleicht früher in eigener Hand zu haben geglaubt hatten) Gott übertragen und folglich auch ihr ganzes Recht. [8] Herrscher über den Staat der Hebräer war also Gott allein; und nur dieser Staat wurde, kraft des Paktes, zu Recht „Reich Gottes“ genannt und Gott zu Recht „König der Hebräer“; und so war es nur konsequent, daß die Feinde dieses Staates Feinde Gottes hießen, daß die Bürger, die ihn in ihre Gewalt bringen wollten, sich der Beleidigung der göttlichen Majestät schuldig machten, und schließlich, daß die Rechtsgesetze des Staates Rechtsgesetze und Anordnungen Gottes waren. Bürgerliches Recht und Religion, die ja, wie gezeigt, nur im Gehorsam gegen Gott besteht, waren deshalb in diesem Staat ein

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und dasselbe. Insofern waren die Dogmen der Religion nicht Lehrstücke, sondern Anordnungen und Rechtsregeln; Frömmigkeit galt als Gerechtigkeit, Ruchlosigkeit als Ungerechtigkeit und Verbrechen. Wer von der Religion abfiel, war nicht mehr Bürger und wurde allein dadurch als Feind angesehen; wer für die Religion sein Leben hingab, starb für das Vaterland; mit einem Wort: Zwischen bürgerlichem Recht und Religion gab es nicht den geringsten Unterschied. Aus diesem Grunde hat man diesen Staat Theokratie nennen können, weil ja seine Bürger keinem anderen Recht unterworfen waren als dem von Gott offenbarten. Der Sache nach war all das jedoch eher Meinung als Wirklichkeit. Denn tatsächlich hatten die Hebräer das Recht des Staates vollständig sich selbst vorbehalten, wie sich aus meinen weiteren Darlegungen ergeben wird, in denen ich die Art und Weise erläutere, in der dieser Staat verwaltet wurde. [9] Weil die Hebräer ihr Recht niemandem anders übertrugen, sondern alle gleichmäßig, wie in einer Demokratie, ihr Recht aufgaben und wie aus einem Munde riefen: „Was auch immer Gott (ohne ausdrücklichen Vermittler) sagen wird, das wollen wir tun“, ergibt sich, daß alle kraft dieses Paktes völlig gleich geblieben sind und alle das gleiche Recht hatten, Gott zu befragen, die Gesetze anzunehmen und auszulegen, allgemein gesprochen, daß alle gleichermaßen die ganze Verwaltung des Staates in Händen hatten. Aus diesem Grunde traten beim ersten Mal alle zusammen vor Gott, um zu hören, was er ihnen anordnen wollte. Bei dieser ersten Aufwartung waren sie aber über Gottes Worte so bestürzt und entsetzt, daß sie ihr Ende nahe glaubten. Voller Furcht also wandten sie sich erneut an Moses: Siehe, wir haben Gott im Feuer reden gehört, und warum sollten wir sterben wollen? Sicherlich wird uns dieses gewaltige Feuer verzehren; wenn wir die Stimme Gottes von neuem hören müssen, werden wir sicherlich sterben. Komm du also hinzu und höre alle Worte unseres Gottes, und du wirst es sein (nicht Gott), der zu uns spricht: alles, was Gott sagen wird, ihm wollen wir gehorchen und es befolgen. Klarerweise haben sie damit den ersten Pakt aufgeho-

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ben und das eigene Recht, Gott zu befragen und seine Erlasse auszulegen, uneingeschränkt Moses übertragen. Denn jetzt hatten sie versprochen, nicht, wie zuvor, allem, was Gott ihnen, sondern allem, was Gott Moses sagen würde, zu gehorchen (siehe Deuteronomium 5 nach dem Dekalog und 18, 15 u. 16). Moses blieb also, er allein, der Verkünder und Interpret der göttlichen Gesetze und folglich auch der oberste Richter, den niemand richten konnte und der allein die Stelle Gottes bei den Hebräern einnahm, d. h. die souveräne Majestät war, denn nur er hatte das Recht, Gott zu befragen, dem Volk die Antworten Gottes zu überbringen und es zu ihrer Ausführung zu zwingen. Er allein, sage ich, denn wenn jemand zu Moses’ Lebzeiten etwas im Namen Gottes verkünden wollte, wurde er, selbst wenn er ein wahrer Prophet war, vor Gericht gebracht und beschuldigt, sich das höchste Recht anzumaßen (siehe Numeri 11, 28).1 [10 ] Hier ist zu bemerken, daß das Volk, obwohl es Moses gewählt hatte, nicht das Recht besaß, für ihn einen Nachfolger zu wählen. Denn in dem Augenblick, in dem sie ihr Recht, Gott zu befragen, Moses übertragen und vorbehaltlos versprochen hatten, ihn als göttliches Orakel anzuerkennen, hatten sie ihr ganzes Recht vollständig verloren und mußten den, den Moses als Nachfolger wählte, als von Gott erwählt akzeptieren. Hätte er einen gewählt, der wie er selbst die ganze Verwaltung des Staates in Händen hat, also das Recht, Gott in seinem Zelt allein zu befragen, und folglich die Befugnis, Gesetze zu erlassen und aufzuheben, über Krieg und Frieden zu entscheiden, Gesandte zu entsenden, Richter zu benennen, einen Nachfolger zu wählen, allgemein gesprochen, alle Aufgaben des Souveräns zu erledigen, dann wäre dieser Staat rein monarchisch gewesen. Der einzige Unterschied wäre gewesen, daß der monarchische Staat gewöhnlich nach einem göttlichen Ratschluß regiert wird, der selbst dem Monarchen verborgen ist, der Staat der Hebräer aber in bestimmter Weise nach einem nur dem Monarchen offenbarten göttlichen Rat1

[ Siehe Anmerkung 36 auf Seite 331.]

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schluß regiert wurde (oder hätte regiert werden müssen), ein Unterschied, der die Herrschergewalt des Monarchen und sein Recht über alle jedoch nicht mindert, sondern im Gegenteil steigert. Was das Volk angeht, es ist in dem einen wie dem anderen Staat bloßer Untertan und des göttlichen Ratschlusses unkundig. Denn in beiden Staaten ist es abhängig von den Lippen des Monarchen, von dem allein es erfährt, was Recht und was Unrecht ist; und wenn das Volk glaubt, der Monarch befehle aus einem nur ihm selbst offenbarten Ratschluß Gottes heraus, dann ist es ihm nicht weniger, sondern in Wirklichkeit mehr unterworfen. Doch wählte Moses einen solchen Nachfolger nicht, sondern hinterließ seinen Nachfolgern einen so zu verwaltenden Staat, daß man ihn weder volksregiert noch aristokratisch oder monarchisch nennen konnte, wohl aber theokratisch. Denn einer hatte das Recht, die Gesetze auszulegen und die Antworten Gottes mitzuteilen, und ein anderer das Recht und die Befugnis, den Staat nach den schon erläuterten Gesetzen und den bereits mitgeteilten Antworten zu verwalten. Zu diesem Punkt siehe Numeri 27, 21.1 Damit dies besser verständlich wird, will ich die Verwaltung aller Bereiche des Staates in gehöriger Form darlegen. [11] Als erstes erhielt das Volk den Befehl, ein Gebäude zu errichten, das gleichsam der Palast Gottes, d. h. der souveränen Majestät dieses Staates, sein sollte. Es war auf Kosten nicht eines einzelnen Menschen, sondern des ganzen Volkes zu erbauen, damit der Ort, an dem Gott zu befragen war, Ausdruck gemeinsamen Rechts war. Zu Hofdienern und Verwaltern dieser göttlichen Residenz wurden die Leviten erwählt; zu ihrem Chef und gleichsam Zweiten nach dem König Gott wurde Aaron, Moses’ Bruder, erwählt, dessen legitime Nachfolger seine Söhne wurden. Er also, als derjenige, der Gott am nächsten war, war der oberste Interpret der göttlichen Gesetze, derjenige, der dem Volk die Antworten des göttlichen Orakels übermittelte und der Gott um die Unterstützung des Volkes anrief. Wäre damit auch das Recht verbunden gewe1

[ Siehe Anmerkung 37 auf Seite 331.]

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sen, Befehle zu erteilen, hätte ihm nichts zu einem absoluten Monarchen gefehlt; dieses Recht hatte er aber nicht, und überhaupt war der ganze Stamm Levi so sehr von der politischen Gemeinschaft ausgeschlossen, daß er nicht einmal, wie die anderen Stämme, ein Teil des Staatsgebietes von Rechts wegen besaß, von dem er wenigstens hätte leben können. Es war vielmehr so geregelt, daß er von der übrigen Bevölkerung zu unterhalten war, damit ihm als dem einzig gottgeweihten Stamm von dem gemeinen Volk immer die größte Ehrerbietung erwiesen werde. [12] Aus den übrigen zwölf Stämmen wurde sodann ein Kriegsheer gebildet, das den Befehl erhielt, in den Staat der Kanaaniter einzufallen, ihn in zwölf Teile aufzuteilen und diese durch Los den Stämmen zuzuteilen. Für diese Aufgabe wurden zwölf Stammesfürsten gewählt, aus jedem Stamm einer, die, zugleich mit Josua und dem Hohepriester Eleasar, das Recht erhielten, die Ländereien in zwölf gleiche Teile zu teilen und durch Los zuzuteilen. Zum Oberbefehlshaber des Heeres wurde Josua gewählt, der allein das Recht hatte, bei neuen Ereignissen Gott zu befragen, aber nicht mehr, wie Moses, allein in seinem Zelt oder im Tabernakel, sondern durch Vermittlung des Hohepriesters, dem allein die Antworten Gottes zuteil wurden. Allein Josuas Entscheidung unterlag ferner das Recht, die vom Priester übermittelten Anordnungen Gottes zu verkünden, das Recht, das Volk zu deren Ausführung zu zwingen und die Mittel dafür ausfindig zu machen und einzusetzen, das Recht, im Heer so viele, wie er wollte, und diejenigen, die er wollte, zu befördern, das Recht, in seinem Namen Gesandte zu entsenden, kurz gesagt das ganze Kriegsrecht. In dieser Rolle rückte ihm jedoch niemand rechtmäßig nach; ein Nachfolger wurde nur unmittelbar von Gott erwählt, wenn eine das ganze Volk betreffende Not es erforderlich machte. Sonst wurden alle Angelegenheiten des Krieges und des Friedens, wie ich bald zeigen werde, von den Stammesfürsten geregelt. [13] Schließlich ordnete Moses an, daß alle, vom zwanzigsten bis zum sechzigsten Lebensjahr, die Waffen zum Militärdienst

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ergreifen und ein bloß aus dem Volk sich rekrutierendes Heer bilden, das weder dem Feldherrn noch dem Hohepriester, sondern der Religion, also Gott, den Treueeid schwor. Die Soldaten hießen deshalb Heerscharen oder Bataillone Gottes, und Gott seinerseits hieß bei den Hebräern „Gott der Heerscharen“; aus diesem Grunde ging bei großen Schlachten, von denen Sieg oder Niederlage des ganzen Volkes abhing, die Bundeslade inmitten des Heeres mit, damit das Volk, seinen König gleichsam in Person sehend, mit ganzer Kraft kämpfen möge. [14] Diesen von Moses seinen Nachfolgern hinterlassenen Vorschriften läßt sich leicht entnehmen, daß er sie zu Verwaltern und nicht zu Herrschern des Staates bestimmt hatte. Denn niemand erhielt das Recht, allein und wo er wollte Gott zu befragen, und folglich hatte niemand, anders als Moses noch, die Befugnis, Gesetze zu erlassen und aufzuheben, über Krieg und Frieden zu entscheiden und die Verwalter für religiöse wie zivile Angelegenheiten zu benennen, alles Aufgaben desjenigen, der die höchste Gewalt innehat. Der Hohepriester hatte zwar das Recht, die Gesetze auszulegen und die Antworten Gottes zu übermitteln, aber nicht, wie Moses, wann immer er wollte, sondern nur dann, wenn er von dem Feldherrn, von einer obersten Versammlung oder von anderen vergleichbaren Autoritäten darum gebeten wurde. Andererseits konnten der kommandierende Heereschef und die Versammlungen Gott zwar befragen, wann immer sie wollten, die göttlichen Antworten aber nur von dem Hohepriester empfangen; deshalb waren Gottes Aussprüche im Mund des Priesters, anders als im Mund des Moses, nicht Anordnungen, sondern nur Antworten; erst nachdem Josua und die Versammlungen sie empfangen hatten, hatten sie die Kraft von Anordnungen und Erlassen. Ferner hatte dieser Hohepriester, der von Gott dessen Antworten empfing, weder ein Heer noch eine rechtlich gestützte Autorität, und andererseits hatten diejenigen, die von Rechts wegen Ländereien besaßen, nicht das Recht, Gesetze zu erlassen. Schließlich, während der Hohepriester, Aaron wie sein Sohn Eleasar, noch von Moses erwählt war,

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hatte nach Moses’ Tod niemand das Recht, den Hohepriester zu wählen, sondern der Sohn war der rechtmäßige Nachfolger des Vaters. Auch der Oberbefehlshaber des Heeres war von Moses erwählt, bekleidete diesen Posten also nicht kraft priesterlichen Rechts, sondern kraft eines von Moses erhaltenen Rechts. Nach Josuas Tod ernannte der Hohepriester aber niemanden für diese Stelle, und die Stammesfürsten befragten nicht Gott wegen eines neuen Oberkommandierenden, sondern jeder behielt sich Josuas Recht für das Kriegsheer seines Stammes und alle zusammen für das gemeinsame Kriegsheer vor. Einen Oberbefehlshaber schienen sie überhaupt nur gebraucht zu haben, wenn es darum ging, mit vereinten Kräften gegen einen gemeinsamen Feind zu kämpfen, also vor allem zur Zeit Josuas, als sie noch keine festgelegten Ländereien besaßen und alles noch gemeinschaftlich war. Nachdem aber alle Stämme die nach Kriegsrecht erworbenen Ländereien und die, die sie sich noch aneignen wollten, unter sich aufgeteilt hatten und nicht mehr alles allen gehörte, entfiel von selbst der Grund, einen gemeinsamen Oberbefehlshaber zu haben, da ja durch diese Aufteilung die Mitglieder der verschiedenen Stämme nicht als Mitbürger, sondern eher als Verbündete anzusehen waren. Im Hinblick auf Gott und die Religion mußte man sie zwar als Mitbürger ansehen, im Hinblick auf die Rechtsbeziehungen der Stämme untereinander aber nur als Verbündete, beinahe vergleichbar (sieht man einmal von dem gemeinsamen Tempel ab) mit den autarken Provinzen des Staatenbundes der Niederländer. Die Aufteilung einer gemeinsamen Sache besteht in der Tat darin, daß jeder nunmehr seinen Teil allein besitzt und die anderen das Recht, das sie über ihn hatten, aufgeben. Aus diesem Grunde also entschied sich Moses für Stammesfürsten: Nach der Teilung des Staates sollte jeder für seinen Teil Sorge tragen, also Gott durch Vermittlung des Hohepriesters in den Angelegenheiten seines Stammes befragen, das eigene Heer befehligen, Städte gründen und befestigen, Richter in jeder Stadt einsetzen, den Feind des ihm unterstellten Staatsgebietes angreifen, kurz gesagt, alle Aufgaben des Krieges und des Friedens

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erledigen. Kein Stamm war gehalten,1 einen anderen Richter als Gott oder den von Gott ausdrücklich gesandten Propheten anzuerkennen. Wenn andererseits ein Stamm von Gott abfiel, mußten ihn die anderen Stämme nicht wie einen Untertanen richten, sondern wie einen vertragsbrüchigen Feind bekriegen. Beispiele dafür haben wir in der Schrift. Nach Josuas Tod waren es die Söhne Israels und nicht ein neuer Heereskommandant, die Gott befragten; als feststand, daß der Stamm Juda als erster von allen seinen Feind angreifen mußte, schloß dieser nur mit dem Stamm Simeon einen Vertrag, um mit vereinten Kräften einen jetzt gemeinsamen Feind anzugreifen; die übrigen Stämme traten diesem Vertrag nicht bei (siehe Richter 1, 1 – 3), sondern jeder bekämpfte getrennt seinen eigenen Feind (wie in dem genannten Kapitel berichtet wird) und nahm dabei von wem er wollte Unterwerfung und Beistand an, obwohl der Auftrag lautete, niemanden durch irgendwelches Paktieren zu schonen, sondern alle bedingungslos auszurotten. Der Verstoß gegen diesen Auftrag war zwar ein Grund, sie zu tadeln, aber nicht vor Gericht zu bringen; auch begannen sie deswegen nicht untereinander Krieg zu führen noch mischten sie sich in die Angelegenheiten der anderen ein; andererseits attackierten sie die Benjaminiten, die die anderen Stämme gekränkt und das Friedensband in einem Maße zerschnitten hatten, daß keiner der verbündeten Stämme bei ihnen des Gastrechts sicher sein konnte; nach drei Schlachten endlich siegreich, metzelten sie alle, Schuldige wie Unschuldige, nach Kriegsrecht nieder, was sie danach in später Reue beklagten. [15] Diese Beispiele bestätigen vollauf, was wir soeben über das Recht eines jeden Stammes gesagt haben. Vielleicht wird man fragen, wer denn den Nachfolger des jeweiligen Stammesfürsten gewählt hat. Darüber kann ich der Schrift nichts Sicheres entnehmen, doch vermute ich, weil ja jeder Stamm in Familien eingeteilt war, daß er sein Oberhaupt unter den Familienältesten auswählte und der Älteste dieser Häupter 1

[ Siehe Anmerkung 38 auf Seite 331.]

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der rechtmäßige Nachfolger des Stammesfürsten war; aus dem Kreis der Ältesten nämlich hat Moses die siebzig beigeordneten Unterbeamten ausgewählt, die mit ihm die oberste Versammlung bildeten; die, denen nach Josuas Tod die Verwaltung des Staates oblag, heißen in der Schrift die Ältesten, und schließlich war bei den Hebräern nichts geläufiger, als das Wort „Ältester“ im Sinne von „Richter“ zu verstehen, wie wohl allgemein bekannt ist. Das genau zu wissen ist für unser Vorhaben aber nicht von Belang; es genügt der Nachweis, daß nach Moses’ Tod niemand die Erledigung aller Aufgaben eines souveränen Herrschers in Händen hatte. Denn weil nicht alle Aufgaben dem Beschluß einer souveränen Instanz (sei es eines einzigen Menschen, sei es einer einzigen Versammlung, sei es des gesamten Volkes) unterlagen, sondern einige von nur einem Stamm erledigt wurden, andere bei gleichem Recht aller Stämme von anderen Stämmen, folgt ganz klar, was ich zeigen will und auch schon gesagt habe, daß nämlich nach Moses’ Tod der Staat weder monarchisch noch aristokratisch noch volksregiert war, sondern theokratisch: 1. weil der königliche Sitz des Staates der Tempel war und, wie gezeigt, allein dieser Tatbestand alle Stammesangehörigen zu Mitbürgern machte; 2. weil alle Bürger Gott als ihrem obersten Richter, dem allein in allem unbedingt zu gehorchen sie versprochen hatten, ihren Treueeid schwören mußten; und [3.] weil der Oberbefehlshaber aller Stämme im Falle der Not nur von Gott und von keinem anderen erwählt wurde. Moses verkündet dies dem Volk ausdrücklich im Namen Gottes in Deuteronomium 18, 15, und der Sache nach bestätigt es die Wahl Gideons, Samsons und Samuels; deshalb ist nicht zu bezweifeln, daß auch die anderen gottgläubigen Anführer in gleicher Weise gewählt wurden, auch wenn dies aus dem Bericht über ihr Leben nicht hervorgeht. [16] Nach diesen Feststellungen ist es nun Zeit zu untersuchen, inwieweit die beschriebene Verfassung des hebräischen Staates imstande war, die Herzen zu lenken und Regierende wie Regierte so zusammenzuhalten, daß die einen nicht Tyrannen und die anderen nicht Rebellen wurden.

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Wer den Staat verwaltet oder dessen Macht in Händen hat, sucht alle Verbrechen, die er begeht, stets mit einem Schein von Recht zu umgeben und dem Volk einzureden, ehrenhaft gehandelt zu haben; das fällt diesen Leuten auch leicht, weil sie es ja sind, die die Gesetze in allen Punkten auslegen. Denn zweifellos ziehen sie genau daraus die größte Freiheit zu tun, was sie gerade wollen und was ihr Verlangen ihnen suggeriert, während eine solche Freiheit ihnen größtenteils genommen ist, wenn das Recht der Gesetzesauslegung irgendeinem anderen zukommt und wenn zugleich die sachgerechte Auslegung der Gesetze für alle so klar ist, daß niemand darüber im Unsicheren bleibt. Das macht deutlich, daß den Stammesfürsten der Hebräer die Möglichkeit, so einfach Verbrechen zu begehen, dadurch genommen war, daß das Recht der Gesetzesauslegung ganz den Leviten übertragen war (siehe Deuteronomium 21, 5), Leuten also, die mit der Verwaltung des Staates nichts zu tun hatten und auch nicht wie die anderen Landbesitz hatten, deren Auskommen und Ansehen sich vielmehr auf die korrekte Auslegung der Gesetze stützte. Hinzu kam, daß dem gesamten Volk auferlegt war, sich alle sieben Jahre an einem bestimmten Ort zu versammeln, damit der Hohepriester sie dort mit den Gesetzen vertraut machte, und daß außerdem jeder seinerseits ständig und mit größter Aufmerksamkeit das Buch der Gesetze lesen und wieder lesen mußte (siehe Deuteronomium 31, 9 ff. und 6, 7). Den Stammesfürsten mußte deshalb schon in ihrem eigenen Interesse daran gelegen sein, alle Dinge nach den vorgeschriebenen und jedermann hinreichend bekannten Gesetzen zu verwalten, wenn sie beim Volk höchstes Ansehen genießen wollten, das sie dann als Instrumente der göttlichen Herrschaft und Stellvertreter Gottes verehren würde, während sie andernfalls dem Haß der Untertanen gar nicht entgehen konnten, und zwar dem stärksten, wie es nun einmal der theologische ist. [18] Hinzu kam, immer noch zur Mäßigung der zügellosen Willkür der Stammesfürsten, eine weitere Einrichtung von größter Wichtigkeit: Das Kriegsheer setzte sich aus allen Bürgern zusammen (keiner zwischen dem zwanzigsten und sechzigsten [17]

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Lebensjahr war davon ausgenommen), und den Fürsten war es verwehrt, einen ausländischen Soldaten in Sold zu nehmen. Dies, sage ich, war von entscheidender Wichtigkeit, denn es ist sicher, daß die Fürsten das Volk nur durch ein Heer, dem sie Sold zahlen, unterdrücken können und daß sie nichts so sehr fürchten wie die Freiheit eines Heeres, das sich aus Mitbürgern zusammensetzt, die durch Tüchtigkeit, Einsatz und Opferbereitschaft die Freiheit und den Ruhm des Staates geschaffen haben. Deshalb tadelte Alexander, als er ein zweites Mal gegen Darius kämpfen mußte und den Rat des Parmenion vernommen hatte, nicht ihn, den Ratgeber, sondern Polyperchon, der ihm zugestimmt hatte. Denn, wie Qu. Curtius (Buch IV, Kap. 13) sagt, er hatte Parmenion vor kurzem heftiger getadelt als beabsichtigt und wollte ihn nicht erneut zurechtweisen. Er konnte die Freiheit der Mazedonier, die er, wie gesagt, aufs äußerste fürchtete, erst unterdrücken, nachdem er die Zahl der aus den Gefangenen rekrutierten Soldaten weit über die der Mazedonier hinaus vermehrt hatte; erst dann konnte er sich seinem ungestümen Verlangen hingeben, das lange von der Freiheit der besten Bürger gebremst war. Wenn also schon die Freiheit der Soldaten eines Bürgerheeres die Fürsten eines weltlichen Staates, die in der Regel den ganzen Ruhm eines siegreichen Krieges nur für sich selbst in Anspruch nehmen, zurückhält, um wieviel mehr mußte sie die Stammesfürsten der Hebräer in Schranken halten, deren Soldaten nicht für ihre Fürsten, sondern für den Ruhm Gottes kämpften und ins Gefecht nur zogen, wenn sie Gottes Antwort erhalten hatten. [19] Zweitens kam hinzu, daß alle Stammesfürsten der Hebräer allein über das Band der Religion verbunden waren. Wenn einer von ihr abgefallen wäre und begonnen hätte, das göttliche Recht eines jeden zu verletzen, konnte er also auf Grund dieses Tatbestandes von den anderen Fürsten als Feind angesehen und von Rechts wegen niedergehalten werden. [20 ] Drittens kam die Furcht vor einem neuen Propheten hinzu; sobald nämlich ein Mann bewährten Lebenswandels mit bestimmten herkömmlichen Zeichen dartat, Prophet zu sein, hatte er eben dadurch das höchste Recht zu befehlen, ganz

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so wie Moses im Namen des sich ihm allein offenbarenden Gottes und nicht nur wie die Stammesfürsten im Namen des durch den Hohepriester befragten Gottes. Zweifellos konnten solche Leute ein unterdrücktes Volk leicht an sich ziehen und sogar mit schwachen Zeichen zu dem bringen, was sie wollten. Bei guter Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten konnte der Stammesfürst jedoch dem beizeiten vorbeugen: Wer sich als Prophet ausgab, mußte sich zunächst dem Gericht des Fürsten stellen, damit überprüft werde, ob sein Lebenswandel untadelig sei, ob er sichere und unbezweifelbare Zeichen für seine Sendung habe und schließlich ob das, was er im Namen Gottes verkünden wolle, mit der überkommenen Lehre und den gemeinsamen Landesgesetzen in Einklang ist. Gaben die Zeichen hierfür keine hinreichende Garantie oder war die Lehre neu, konnte er ihn von Rechts wegen zum Tode verurteilen; im anderen Fall wurde er allein auf die Autorität und Bekundung des Fürsten hin als Prophet anerkannt. [21] Dazu kam viertens, daß der Stammesfürst die anderen nicht durch adelige Geburt, ja überhaupt nicht durch ein auf Herkunft sich stützendes Recht übertraf, die Verwaltung des Staates ihm vielmehr allein auf Grund seines Alters und seiner Kompetenz anvertraut war. [22] Schließlich kam hinzu, daß die Stammesfürsten und das gesamte Heer den Krieg nicht mehr wünschen konnten als den Frieden. Denn das Heer bestand, wie gesagt, nur aus Bürgern; es waren also dieselben Männer, die die Angelegenheiten des Krieges wie des Friedens regelten. Der Soldat im Felde war Bürger in der Gemeinde, der Kommandant im Felde Richter im Gericht und der Oberkommandierende im Felde Oberhaupt im Staat. Deshalb konnte niemand nach dem Krieg um des Krieges willen verlangen, sondern nur um des Friedens willen und um die Freiheit zu schützen; und vermutlich hat der Fürst, um nicht den Hohepriester aufsuchen und gegen seine Würde vor ihm stehen zu müssen, so weit wie möglich von Neuerungen Abstand genommen. So viel zu den Umständen, die die Stammesfürsten innerhalb fest bestimmter Grenzen im Zaum hielten.

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Sehen wir jetzt, in welcher Weise das Volk in Schranken gehalten wurde. Die Grundlagen des Staates verdeutlichen auch das mit höchster Klarheit; schon bei oberflächlicher Betrachtung wird man sofort sehen, daß diese Grundlagen eine so einzigartige Liebe in den Herzen der Bürger hervorbringen mußten, daß es ihnen gar nicht in den Sinn kommen konnte, das Vaterland zu verraten oder verkommen zu lassen; alle mußten vielmehr emotional so eingenommen sein, daß sie lieber das Äußerste auf sich nehmen als eine Fremdherrschaft ertragen wollten. Denn nachdem sie ihr Recht Gott übertragen hatten, glaubten sie, daß ihr Reich das Reich Gottes ist, daß sie allein die Kinder Gottes sind, die anderen Völker aber die Feinde Gottes, denen sie deshalb erbittertsten Haß entgegenbrachten (das hielten sie nämlich für fromm, siehe Psalm 139, 21 u. 22). Deshalb konnte sie nichts stärker schaudern lassen als einem Fremden Treue zu schwören und Gehorsam zu geloben; sie konten sich nichts Schmachvolleres und Scheußlicheres denken, als das Vaterland zu verraten, d. h. das Reich des Gottes, den sie anbeteten; selbst auswandern galt als Frevel, weil der Gottesdienst, zu dem sie allezeit verpflichtet waren, nur auf dem Boden des Vaterlandes ausgeübt werden konnte und nur dieses Land als heiliges Land galt, der Rest aber als unrein und profan. So beklagte sich David, gezwungen außer Landes zu gehen, vor Saul: Wenn es Menschen sind, die dich gegen mich aufstacheln, so sind sie verflucht, weil sie mich verbannen, damit ich nicht im Erbe Gottes verbleibe, sondern sagen: Gehe hin und diene fremden Göttern. Aus diesem Grunde wurde, was hier besonders hervorzuheben ist, auch kein Bürger zur Verbannung verurteilt; denn wer sündigt, verdient zwar Strafe, aber keine Schmach. Die Liebe der Hebräer zum Vaterland war also nicht einfach Liebe, sondern Frömmigkeit, und sie wurde, zusammen mit dem Haß gegen die anderen Völker, durch den täglichen Kult so gehegt und gepflegt, daß ihnen diese beiden Gefühle zur zweiten Natur werden mußten: Denn der tägliche Kult unterschied sich nicht nur ganz und gar von dem Kult anderer Völker (was die Hebräer vereinzelte und von den anderen völlig trennte), sondern war ihm

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auch absolut entgegengesetzt. Dieser täglich kultivierten Abscheu mußte ein beständiger Haß entspringen, der sich in das Gemüt stärker als alles andere einfraß, denn es war ein Haß, den man, weil er großer Verehrung oder Frömmigkeit entsprang, für fromm hielt, und einen stärkeren und hartnäckigeren kann es nicht geben. Auch die gewöhnliche Ursache, die den Haß immer mehr entfacht, nämlich die Wechselseitigkeit, fehlte nicht, mußten doch die anderen Völker auch ihnen den stärksten Haß entgegenbringen. [24] Wie sehr das alles – das Freisein von menschlicher Herrschaft, das Gelöbnis gegenüber dem Vaterland, das unbeschränkte Recht gegenüber allen anderen und der nicht nur erlaubte, sondern auch als Frömmigkeit verstandene Haß gegen die anderen, der Tatbestand, alle zum Feind zu haben, die Besonderheit der Sitten und Riten – wie sehr das alles, sage ich, imstande war, das Gemüt der Hebräer zu stärken und sie dazu zu bringen, alles mit einzigartiger Standhaftigkeit und Tapferkeit für das Vaterland zu ertragen, das lehrt die Vernunft so klar wie möglich, und die Erfahrung selbst hat es bezeugt. Denn niemals haben sie, solange die Stadt bestand, es unter einer Fremdherrschaft aushalten können; und deshalb nannte man Jerusalem die Rebellenstadt (siehe Esra 4, 12 u. 15). Den zweiten Staat (der nur noch ein Schatten des ersten war, nachdem die Priester auch das Recht der Zivilverwaltung an sich gerissen hatten) zu zerstören, hatten die Römer größte Mühe, was sogar Tacitus im zweiten Buch seiner Historien bezeugt: Vespasian hatte den jüdischen Krieg siegreich beendet, mit Ausnahme der Belagerung Jerusalems, ein hartes und beschwerliches Unternehmen, mehr wegen der Sinnesart dieses Volkes und seines hartnäckigen Aberglaubens, als daß den Belagerten genug Kräfte verblieben wären, dem Ansturm standzuhalten. [25] Neben diesen Elementen, deren Wertschätzung wohl Ansichtssache ist, gab es in diesem Staat aber etwas anderes, ein sehr kraftvolles und einzigartiges Motiv, das die Bürger im besonderen Maße davor bewahren mußte, an Abtrünnigkeit zu denken und das Vaterland jemals verlassen zu wollen; es

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ist der Gesichtspunkt des Nutzens, der Kern und Seele aller menschlichen Handlungen ist und der, ich sage es noch einmal, in diesem Staat einzigartig war. Denn nirgendwo auf der Welt besaßen die Bürger ihre Güter mit größerem Recht als die Untertanen dieses Staates, die einen gleichen Anteil an Ländereien und Feldern hatten wie der Fürst, wobei jeder für immer Herr seines Anteils war; denn wenn jemand, durch Armut gezwungen, sein Grundstück oder sein Feld verkauft hatte, mußte man es ihm bei Eintritt des Jubeljahres vollständig zurückgeben, und weitere Einrichtungen dieser Art sorgten dafür, daß niemand seines festgelegten Anteils an Gütern verlustig gehen konnte. Auch konnte die Armut nirgendwo erträglicher sein als dort, wo man die Liebe zum Nächsten, d. h. zu dem Mitbürger, mit aller Hingabe üben mußte, um sich einen König, der Gott war, geneigt zu machen. Den hebräischen Bürgern konnte es also nur in ihrem Vaterland gut gehen, außerhalb davon war alles Unglück und Schande. Alles dieses trug nicht nur dazu bei, die Bürger auf dem Boden des Vaterlandes zurückzuhalten, sondern auch, Bürgerkriege zu verhindern und die Ursachen von Konflikten auszuschalten, wobei hierzu im besonderen Maße beitrug, daß niemand seinesgleichen unterworfen war, sondern jedermann nur Gott, und daß die Nächstenliebe als Liebe zum Mitbürger als höchste Form der Frömmigkeit galt, die zudem durch den gemeinsamen Haß gegen die anderen Völker und deren Haß gegen sie erheblich gefördert wurde. Sehr trug dazu auch die rigorose Disziplin ihres Gehorsams bei, zu der sie erzogen wurden; so mußten sie alles nach einer bestimmten Gesetzesvorschrift tun, sie durften nicht nach Belieben ihr Feld bestellen, sondern nur in bestimmten Zeiten und Jahren und gleichzeitig mit nur einer Tierrasse, auch säen und ernten durften sie nur in einer bestimmten Weise und zu einer bestimmten Zeit; kurz gesagt, ihr Leben war eine ständige Huldigung an den Gehorsam (siehe hierzu das 5. Kapitel über den Nutzen der Zeremonien). Deshalb mußte ihnen der Gehorsam, an den sie sich so sehr gewöhnt hatten, nicht mehr als Knechtschaft, sondern als Freiheit erscheinen, mit der unausweichlichen

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Folge, daß niemand nach dem Verbotenen verlangte, sondern jedermann nach dem Angeordneten. Nicht wenig hat dazu offenbar auch beigetragen, daß sie zu gewissen Zeiten des Jahres gehalten waren, sich der Muße und Freude hinzugeben, nicht um den Neigungen ihres Gemüts, sondern um Gott mit ganzem Herzen zu gehorchen. Dreimal im Jahr waren sie die Gäste Gottes (siehe Deuteronomium 16), am siebten Tag der Woche mußten sie sich aller Tätigkeit enthalten und sich Ruhe verschreiben, und außerdem waren andere Zeiten bestimmt, zu denen Vergnügungen anständiger Art und gesellige Gelage nicht etwa nur gestattet, sondern sogar angeordnet waren. Meines Erachtens läßt sich kein wirksameres Mittel erdenken, wenn es darum geht, das Gemüt der Menschen auf die rechte Bahn zu bringen. Denn nichts fesselt das Gemüt mehr als eine Freude, die der Verehrung, d. h. Liebe und Bewunderung zugleich, entspringt. Auch konnten sie der gewohnten Praxis kaum überdrüssig werden, denn der für die Festtage reservierte Gottesdienst war selten und abwechslungsreich. Dazu kam noch die sehr große Verehrung für den Tempel, an die sie sich wegen des einzigartigen Charakters des dortigen Gottesdienstes und der Riten, die vor Betreten des Tempels zu beachten waren, stets auf das gewissenhafteste hielten, so daß sie noch heute nur mit Grauen von dem Frevel Manasses lesen, der es wagte, gerade in diesem Tempel ein Götzenbild aufzustellen. Auch vor den Gesetzen, die im Allerheiligsten mit größter Gewissenhaftigkeit aufbewahrt wurden, hatte das Volk nicht minder Ehrfurcht. Hier waren deshalb die Gegenreden und Vorurteile des Volkes kaum zu fürchten (zumal über göttliche Dinge ohnehin niemand ein Urteil zu fällen wagte): Sie mußten gehorchen, ohne jemals die Vernunft heranzuziehen, in allem, was ihnen die Autorität, die sich in der im Tempel empfangenen göttlichen Antwort oder in dem von Gott gegebenen Gesetz bekundete, befahl. Damit glaube ich das grundlegende Prinzip dieses Staates zwar kurz, aber doch klar genug dargelegt zu haben. [26] Es bleibt noch zu untersuchen, aus welchem Grunde die Hebräer so oft vom Gesetz abgefallen sind, sie so oft unterjocht

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wurden und schließlich ihr Staat gänzlich zerstört werden konnte. Vielleicht wird hier jemand sagen, das sei wegen der Halsstarrigkeit dieses Volksstammes geschehen. Doch ist das ein kindisches Argument; denn warum war dieses Volk halsstarriger als andere Völker, etwa von Natur aus? Die Natur schafft jedoch nicht Völker, sondern Individuen, die zu verschiedenen Völkern nur durch die Verschiedenheit von Sprache, Gesetzen und angenommenen Sitten werden; und nur die beiden letzten Faktoren, Gesetze und Sitten, können bewirken, daß jedes Volk seinen besonderen Charakter hat, seine besonderen Zustände und schließlich auch seine besonderen Vorurteile. Wollte man also davon ausgehen, daß die Hebräer halsstarriger waren als andere Sterbliche, müßte man das einem Mangel in ihren Gesetzen oder in den angenommenen Sitten zuschreiben. Richtig ist gewiß dieses: Hätte Gott ihren Staat dauerhafter machen wollen, dann würde er auch das Recht und die Gesetze anders abgefaßt und eine andere Form der Verwaltung eingeführt haben. Was können wir deshalb anderes sagen, als daß sie ihren Gott erzürnt haben, nicht erst, wie Jeremia (32, 31) sagt, seit der Gründung der Stadt, sondern schon seit dem Erlaß der Gesetze. Hesekiel bezeugt es, wenn er sagt (20, 25): Auch habe ich ihnen Satzungen gegeben, die nicht gut waren, und Rechtsgesetze, die ihnen nicht zu leben erlaubten, ich habe sie unrein gemacht in ihren Opfergaben, indem ich jede Öffnung der Gebärmutter (d. h. jede Erstgeburt) von mir wies, um sie zu vernichten, damit sie wissen, daß ich Jehova bin. Um diese Worte und die Ursache der Zerstörung des Staates richtig zu verstehen, ist zu bemerken, daß zunächst die Absicht bestand, alle religiösen Verrichtungen den Erstgeborenen zu übertragen und nicht den Leviten (siehe Levitikus 8, 17). Nachdem aber alle, mit Ausnahme der Leviten, das Kalb angebetet hatten, wurden die Erstgeborenen verstoßen und als unrein angesehen und an ihrer Stelle die Leviten gewählt ( Deuteronomium 10, 8), eine Änderung, die mich, je mehr ich darüber nachdenke, unausweichlich in die Worte des Tacitus ausbrechen läßt: Zu jener Zeit ging es Gott nicht um ihre Sicherheit, sondern um seine Rache an ihnen.

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Ich kann mich nicht genug darüber wundern, daß in einem himmlischen Gemüt der Zorn so groß war, daß er Gesetze, die immer und ausschließlich auf die Ehre, das Wohlergehen und die Sicherheit des ganzen Volkes zielen, in der Absicht geschaffen hat, sich zu rächen und das Volk zu bestrafen, Gesetze also, die gar nicht mehr Gesetze zu sein scheinen, d. h. Einrichtungen zum Wohl des Volkes, sondern Strafen und Mittel der Züchtigung. Alle Gaben, die sie den Leviten und Priestern darzubringen hatten, wie auch die Verpflichtung, die Erstgeborenen loszukaufen und den Leviten ein Kopfgeld zu zahlen, und schließlich der Tatbestand, daß bloß den Leviten der Zutritt zu den Heiligtümern gestattet war, alles das hielt ihnen ständig ihre Unreinheit und Verstoßung vor Augen. Und auch die Leviten hatten etwas an sich, was sie ständigen Vorhaltungen aussetzte. Denn zweifellos gab es unter so viel tausend Leviten auch viele unselige Aftertheologen, was das Volk anstachelte, die Handlungen der Leviten, die natürlich auch Menschen waren, zu belauern und, wie das nun einmal ist, sie allesamt für das Vergehen eines einzelnen anzuklagen. Die Folge war eine ständige Unzufriedenheit bis hin zu dem Widerwillen, untätige und verhaßte Leute, nicht einmal aus dem eigenen Stamm, ernähren zu müssen, besonders wenn der Jahresertrag an Getreide nicht viel hergab. Nicht erstaunlich also, daß in Zeiten der Ruhe, wenn es keine Wunder mehr zu sehen gab und auch Männer von erlesener Autorität fehlten, das Volk, gereizten und habgierigen Gemüts, zu erschlaffen begann und schließlich von einem zwar göttlichen, es selbst aber entehrenden und zudem verdächtigen Kultus abfiel und nach einem neuen verlangte, und nicht erstaunlich, daß die Stammesfürsten, die in ihrem Verlangen, das höchste Recht des Staates allein in Händen zu haben, immer Wege suchen, das Volk an sich zu binden und dem Priester abspenstig zu machen, ihm alles zugestanden und neue Kulte einführten. [27] Wäre der Staat entsprechend der ursprünglichen Absicht organisiert worden, dann hätten alle Stämme immer gleiches Recht und gleiche Ehre gehabt, und überall hätte größte Sicherheit geherrscht; denn wer hätte das heilige Recht seiner

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Blutsverwandten verletzen wollen? Was hätte einer lieber wollen als seine Blutsverwandten, Brüder und Eltern, aus religiöser Hingabe zu unterhalten, von ihnen sich in der Auslegung der Gesetze unterrichten zu lassen und von ihnen die Antworten Gottes zu erwarten? Auf diese Weise wären auch alle Stämme viel enger vereinigt geblieben, wenn nämlich alle das gleiche Recht gehabt hätten, die geistlichen Angelegenheiten zu verrichten. Ja, sie hätten überhaupt nichts zu befürchten gehabt, wenn die Wahl der Leviten einen anderen Grund gehabt hätte als Zorn und Rache; aber sie hatten, wie gesagt, in ihrem Gott einen zürnenden Gott, der sie, noch einmal mit den Worten des Hesekiel, unrein werden ließ in ihren Opfern, indem er jede Öffnung der Gebärmutter verstieß, um sie zu zerstören. [28] Dies bestätigen auch die historischen Berichte. Sobald das Volk in der Wüste viel Zeit der Muße bekam, begannen viele Männer, nicht nur aus dem einfachen Volk, diese Wahl mit Unwillen aufzunehmen; es veranlaßte sie zu glauben, Moses habe nichts auf göttliche Anordnung, sondern alles nach eigenem Belieben eingerichtet, weil er nämlich seinen Stamm vor den übrigen auserwählt und das Recht des Hohepriesteramtes für alle Zeit seinen Brüdern gegeben hatte. Sie gingen deshalb in höchster Erregung zu ihm und riefen, daß sie alle gleichermaßen heilig seien und er sich widerrechtlich über andere erhoben hätte. Moses konnte sie mit keinem Argument beschwichtigen, vielmehr kamen im Zuge eines Wunders, das seine Glaubwürdigkeit bezeugte, alle um. Daraus entstand eine neue allgemeine Empörung des ganzen Volkes, das glaubte, jene Männer seien nicht durch ein Urteil Gottes, sondern durch Moses’ Kunstfertigkeit getötet worden. Erst nach einem großen Sterben, d. h. nach einer Epidemie, befriedete Moses das erschöpfte Volk, freilich so, daß alle lieber sterben als leben wollten. Das war dann eher das Ende einer Empörung als der Anfang von Eintracht. Dies bezeugt die Schrift in Deuteronomium 31, 21, wo Gott Moses vorhersagt, das Volk werde nach seinem Tod vom Gottesdienst abfallen, und hinzufügt: Ich kenne nämlich sein Verlangen und was es

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heute schon bewegt, noch ehe ich es in das Land geführt habe, das ich ihnen verheißen habe. Und bald darauf sagt Moses, sich an das Volk wendend: Denn ich kenne deinen aufrührerischen Geist und deine Halsstarrigkeit. Wenn ihr schon, während ich mit euch war, Rebellen gegen Gott gewesen seid, wieviel mehr werdet ihr es nach meinem Tod sein. [29] Man weiß, daß es tatsächlich so gekommen ist. Daraus erklären sich große Veränderungen, eine große Zügellosigkeit in allen Belangen, der Luxus und die Sorglosigkeit, die bewirkten, daß alles abwärts zu gehen begann, bis die Hebräer, oft unterjocht, mit dem göttlichen Recht völlig brachen und einen sterblichen König haben wollten, damit nicht mehr der Tempel, sondern ein Palast Regierungssitz wäre und die Mitglieder aller Stämme nicht mehr im Hinblick auf das göttliche Recht und das Hohepriestertum, sondern im Hinblick auf die Könige Mitbürger blieben. Das gab Stoff genug zu neuen Empörungen, die dann schließlich zum Untergang des ganzen Staates führten. Denn was wäre unerträglicher für Könige, als eine Herrschaft auf Widerruf und einen Staat im Staat zu dulden? Die ersten, die aus dem Kreis der einfachen Bürger gewählt wurden, gaben sich mit dem Grad an Würde, zu dem sie aufgestiegen waren, noch zufrieden. Nachdem aber ihre Söhne durch Erbfolgerecht zur Herrschaft gelangt waren, begannen diese nach und nach alles zu ändern, um das ganze Recht des Staates allein in Händen zu haben, dessen größter Teil ihnen allerdings entging, solange die rechtliche Herrschaft über die Gesetze nicht ihnen unterlag, sondern dem Hohepriester, der die Gesetze im Heiligtum aufbewahrte und dem Volk auslegte. Das ließ sie gleichsam Untertanen der Gesetze sein, die sie von Rechts wegen weder abschaffen noch durch andere von gleicher Autorität ersetzen konnten. Zudem schloß das Recht der Leviten die Könige, nicht anders als die Untertanen, als unheilig von einem Engagement in heiligen Angelegenheiten aus, und darüber hinaus hing die Sicherheit ihrer Regierung nur von dem Willen eines einzigen Menschen ab, desjenigen, der als Prophet galt. Beispiele dafür hat man gesehen: Mit welcher Freiheit hat Samuel Saul in allem befoh-

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len, und mit welcher Leichtigkeit hat er wegen eines einzigen Fehlers das Herrschaftsrecht David übertragen können! Deshalb hatten die Könige einen Staat im Staat und regierten auf Widerruf. Um darüber hinweg zu kommen, gestatteten sie, andere Tempel für andere Götter zu weihen, um nicht weiterhin die Leviten befragen zu müssen, und suchten zudem nach Leuten, die im Namen Gottes prophezeien sollten, um eigene Propheten zu haben und diese den wahren Propheten entgegenzustellen. Doch was sie auch versuchten, sie konnten nie durchsetzen, worauf sie aus waren. Denn die Propheten, zu allem entschlossen, warteten einen günstigen Zeitpunkt ab, nämlich eine neue Regierung, in der die Herrschaft des Nachfolgers unter der noch frischen Erinnerung an seinen Vorgänger nicht hinreichend gefestigt war. Dann konnten sie leicht, gestützt auf die göttliche Autorität, einen dem König feindlich gesonnenen und durch seine Tüchtigkeit bekannten Mann ins Feld führen, der das göttliche Recht schützen und das Recht zu regieren, wenigstens teilweise, in Händen haben sollte. Tatsächlich konnten auf diese Weise aber auch die Propheten nichts ausrichten; selbst wenn sie einen Tyrannen aus dem Weg räumten, blieben die Ursachen der Tyrannei doch bestehen. Was sie fertigbrachten, war deshalb nur, um den Preis von Bürgerblut einen neuen Tyrannen zu erkaufen. Kein Ende der Zwistigkeiten und Bürgerkriege also, die Ursachen, die zur Verletzung des göttlichen Rechts führten, blieben immer dieselben und ließen sich nur zusammen mit dem ganzen Staat aus der Welt schaffen. [30 ] Daraus wird deutlich, wie die Religion in den Staat der Hebräer eingeführt worden ist und auf welche Weise dieser Staat hätte immerwährend sein können, wenn der wohlverdiente Zorn des Gesetzgebers ihm gestattet hätte, in demselben Zustand zu verbleiben. Weil das aber nicht geschehen konnte, mußte er schließlich untergehen. Ich habe hier nur vom ersten Staat gesprochen, denn der zweite war kaum der Schatten des ersten, weil die Juden dem Recht der Perser unterstanden, deren Untertanen sie waren; und nachdem sie die Freiheit wiedererlangt hatten, rissen die Hohepriester das Fürstenrecht

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an sich, mit dem sie eine unumschränkte Herrschaft ausübten. Daher das heftige Verlangen der Priester nach Herrschermacht und Hohepriesteramt zugleich, so daß es nicht nötig ist, über diesen zweiten Staat mehr zu sagen. Ob aber der erste in der Stabilität, wie wir sie verstanden haben, nachahmenswert ist, oder ob es zur Frömmigkeit gehört, ihn so weit wie möglich zu imitieren, wird aus den folgenden Kapiteln hervorgehen. [31] Hier will ich zum Abschluß nur einen schon oben hervorgehobenen Punkt noch einmal betonen. Aus den Darlegungen dieses Kapitels ergibt sich, daß das göttliche Recht, d. h. das Recht der Religion, einem Pakt entspringt, ohne den es nur das natürliche Recht gäbe, und daß somit die Hebräer vom Gebot der Religion her keine Verpflichtung gegenüber den Völkern, die dem Pakt nicht beigetreten waren, hatten, sondern nur gegenüber ihren Mitbürgern.

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Achtzehntes K a pitel Aus dem Staat und der Geschichte der Hebräer lassen sich einige politische Lehren erschließen Obwohl der Staat der Hebräer, wie wir ihn im vorigen Kapitel dargestellt haben, immerwährend hätte sein können, kann sich heute doch niemand an ihm orientieren, noch wäre dies ratsam. Denn Menschen, die ihr Recht Gott übertragen wollten, müßten dies, wie einst die Hebräer, in einem ausdrücklichen Pakt mit Gott tun, und das würde nicht nur die Einwilligung derer, die ihr Recht übertragen, erfordern, sondern auch die Einwilligung dessen, dem das Recht zu übertragen wäre, also Gottes. Gott hat aber durch die Apostel offenbart, daß der göttliche Bund von nun an nicht mehr mit Tinte und auf Tafeln aus Stein, sondern mit dem Geist Gottes ins Herz geschrieben werde. Des weiteren könnte eine solche Staatsform allenfalls denen nützlich sein, die isoliert leben wollen, ohne Verkehr mit anderen Menschen, die sich also in ihre Grenzen einschließen und vom Rest der Welt absondern wollen, gewiß aber nicht denen, die auf den Verkehr mit anderen angewiesen sind. Nur sehr wenigen könnte diese Staatsform deshalb von Nutzen sein. Gleichwohl hatte sie, wenn sie auch nicht in allen Stücken nachgeahmt werden kann, eine Vielzahl äußerst bemerkenswerter Elemente, die nachzuahmen vielleicht doch zu erwägen wäre. [2] Doch habe ich, wie schon erwähnt, nicht die Absicht, eigens vom Staat zu handeln. Deshalb werde ich die meisten dieser Elemente außer acht lassen und nur diejenigen hervorheben, die mit meinem Ziel zu tun haben. Einmal: Es widerspricht nicht dem Reich Gottes, eine souveräne Majestät zu wählen, die das höchste Recht des Staates innehat. In der Tat übergaben die Hebräer, nachdem sie ihr Recht Gott übertragen hatten, Moses das höchste Recht, Befehle zu erteilen; er allein hatte somit die Befugnis, im Namen Gottes Gesetze zu erlassen und aufzuheben, Religionsverwalter zu ernennen, zu richten, zu lehren und zu bestrafen, kurz gesagt das Recht,

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allen alles zu befehlen. Zum anderen: Obwohl die Religionsverwalter die Interpreten der Gesetze waren, kam ihnen doch nicht zu, die Bürger zu richten oder jemanden aus der Gemeinschaft auszustoßen; dazu waren nur die vom Volk gewählten Richter und Fürsten befugt (siehe Josua 6, 26; Richter 21, 18; 1. Samuel 14, 24). [3] Betrachten wir den Ablauf der Geschichte der Hebräer, werden wir außer diesen beiden Gesichtspunkten noch andere bemerkenswerte Elemente finden. [4 ] 1. Es gab in ihrer Religion niemals Sekten, ehe nicht die Priester im zweiten Staat die Befugnis hatten, Entscheidungen zu treffen und die Regierungsgeschäfte zu führen, und, um diese Befugnis für immer zu haben, das Herrscherrecht an sich rissen und schließlich König genannt werden wollten. Der Grund hierfür liegt auf der Hand. Im ersten Staat konnte nichts im Namen der Hohepriester erlassen werden, weil diese kein Recht hatten, Entscheidungen zu treffen, sondern nur das Recht, auf Ersuchen der Fürsten oder der Versammlungen die Antworten Gottes mitzuteilen. Deshalb konnten sie gar nicht danach trachten, etwas Neues einzuführen; es ging ihnen nur darum, das Gewohnte und Tradierte zu verwalten und zu bewahren. In der Tat konnten sie ihre Freiheit auch gegen den Willen der Fürsten nur so aufrechterhalten, daß sie die Gesetze unverletzt bewahrten. Nachdem sie aber einmal die Befugnis erhalten hatten, auch die Regierungsgeschäfte zu führen und das Herrscherrecht mit dem Hohepriesteramt vereint hatten, wollte jeder den eigenen Namen berühmt machen, in der Religion wie in allen anderen Dingen, indem er alles kraft hohepriesterlicher Autorität bestimmte und über die Zeremonien, den Glauben und alle möglichen Dinge täglich neue Bestimmungen erließ, von denen er wollte, daß sie nicht weniger heilig und von nicht geringerer Autorität seien als die mosaischen Gesetze. Dies bewirkte, daß die Religion zu einem unheilvollen Aberglauben herabsank und der wahre Sinn und die richtige Auslegung der Gesetze verfälscht wurden. Hinzu kam noch, daß die Priester zu Beginn der Wiederherstellung des Staates, als sie sich den Weg zur

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Herrschaft bahnten, dem Pöbel in allem nach dem Mund redeten, um ihn für sich zu gewinnen; sie billigten seine Taten, selbst die ruchlosen, und paßten die Schrift seinen schlechten Sitten an. Maleachi bezeugt dies mit sehr eindringlichen Worten; nachdem er die Priester seiner Zeit hart angefahren und Verächter des Namens Gottes genannt hatte, fährt er fort, sie zu schelten [(2, 7 – 8)]: Des Priesters Lippen bewahren das Wissen, und man sucht das Gesetz aus seinem Mund, weil er von Gott gesandt ist. Ihr jedoch, ihr seid von diesem Weg abgewichen, ihr habt aus dem Gesetz ein Ärgernis für viele gemacht, ihr habt den Bund Levi zerbrochen, spricht der Gott der Heerscharen. Weiterhin beschuldigt er sie, die Gesetze willkürlich auszulegen und dabei nicht Gott Rechnung zu tragen, sondern nur auf Personen zu schielen. Freilich haben die Priester niemals so vorsichtig vorgehen können, daß sie von den Klügeren nicht entlarvt worden wären, die dann mit zunehmender Kühnheit behaupteten, man sei an keine anderen Gesetze als die schriftlich überlieferten gebunden, und die Verordnungen, die die irregeleiteten Pharisäer (die, wie Josephus Flavius in den Altertümern schreibt, zum größten Teil dem Pöbel entstammten) „Überlieferungen der Väter“ nannten, seien überhaupt nicht zu beachten. Wie dem auch sei, es steht außer Zweifel, daß die Kriecherei der Hohepriester, die Verdrehung der Religion und der Gesetze ineins mit deren unglaublicher Vermehrung großen und häufigen Anlaß zu Streitigkeiten und nicht enden wollenden Wortgefechten gaben. Denn wenn Menschen unter der Glut des Aberglaubens zu debattieren beginnen und dabei eine Partei noch von der Obrigkeit unterstützt wird, dann können sie niemals zur Ruhe gebracht werden, sondern spalten sich unausweichlich in Sekten. 2. Die Propheten, einfache Privatpersonen, haben durch die Unerschrockenheit, mit der sie ermahnten, tadelten und Vorhaltungen machten, die Menschen mehr erbittert als gebessert, dieselben Menschen, die sich von den sie ermahnenden oder bestrafenden Königen mühelos lenken ließen. Selbst den frommen Königen waren die Propheten oft unerträglich we-

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gen der ihnen zugestandenen Autorität, die Handlungen nach Frömmigkeit oder Ruchlosigkeit zu beurteilen und sogar die Könige zurechtzuweisen, wenn diese in einer öffentlichen oder privaten Angelegenheit etwas gegen ihr Urteil zu unternehmen wagten. König Asa, von dem die Schrift bezeugt, fromm regiert zu haben, ließ den Propheten Hananja (siehe 2. Chronik 16) in eine Stampfmühle bringen, weil er es gewagt hatte, ihn offen zurechtzuweisen und wegen des mit dem König von Aramäa geschlossenen Bundes zu tadeln. Es finden sich noch weitere Beispiele, die zeigen, daß die Religion von einer solchen Freizügigkeit mehr Schaden als Nutzen hatte, ganz zu schweigen davon, daß aus diesem von den Propheten beanspruchten Recht zahlreiche Bürgerkriege hervorgingen. 3. Solange das Volk die Regierung in Händen hatte, gab es nur einen Bürgerkrieg, der zudem friedlich endete und bei dem die Sieger den Besiegten so viel Entgegenkommen zeigten, daß sie ganz darauf bedacht waren, ihnen wieder zu ihrer früheren Würde und Macht zu verhelfen. Nachdem aber das Volk, an Könige kaum gewöhnt, die ursprüngliche Form des Staates in eine Monarchie verwandelt hatte, nahmen die Bürgerkriege nahezu kein Ende und brachten Schlachten von unerhörter, bislang nicht gekannter Grausamkeit mit sich. In einer einzigen Schlacht wurden (kaum zu glauben) fünfhunderttausend Krieger der Israeliten von denen aus Juda hingemetzelt, und in einer anderen töten die aus Israel eine große Zahl derer aus Juda (die Schrift sagt nicht, wie viele), nehmen deren König gefangen, zerstören fast vollständig die Mauer von Jerusalem und plündern sogar (damit man wisse, daß ihr Zorn grenzenlos war) den Tempel bis zum letzten; dann, beladen mit der ihren Brüdern genommenen Beute und von Blut gesättigt, mit Geiseln in den Händen und unter Zurücklassung des Königs in den Ruinen seines Reiches, legen sie die Waffen nieder, für ihre künftige Sicherheit nicht auf die Treue, sondern auf die Schwäche derer aus Juda bauend. Denn schon wenige Jahre später, als die von Juda wieder zu Kräften gekommen waren, beginnen sie einen neuen Kampf, in welchem die aus Israel siegreich sind, die einhundertzwanzigtausend

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Männer aus Juda hinschlachten, ihre Frauen und Kinder, beinahe zweihunderttausend, gefangen nehmen und wiederum große Beute machen. Durch diese und auch andere (in ihren Geschichten nur beiläufig erwähnte) Kriege aufgerieben, wurden sie schließlich ihren Feinden zur Beute. [5] Wenn wir dann noch die Zeiten betrachten, in denen sie sich vollkommenen Friedens erfreuen durften, werden wir einen großen Unterschied finden. Vor der Zeit der Könige lebten sie in der Tat häufig vierzig, einmal sogar achtzig (was freilich ungewöhnlich war) Jahre lang in Eintracht ohne jeden Krieg nach außen oder im Inneren. Nachdem aber die Könige Herrscher des Staates geworden waren, war nicht mehr, wie ehedem, für Frieden und Freiheit zu kämpfen, sondern um des Ruhmes willen; und deshalb führten alle, so lesen wir, Krieg, mit Ausnahme von Salomo (dessen Tugend, seine Weisheit nämlich, sich besser im Frieden als im Krieg bewähren konnte). Hinzu kam eine unheilvolle Herrschsucht, die den Weg zur Herrschaft für die meisten mit Blut beschmiert sein ließ. Und nicht zuletzt blieben die Gesetze während der Herrschaft des Volkes unverletzt und wurden streng beachtet. Denn in der Zeit vor den Königen gab es nur sehr wenige Propheten, die das Volk ermahnten, nach der Einsetzung eines Königs aber sehr viele zur gleichen Zeit. Obadja hat hundert vor dem Tod bewahrt und sie verborgen gehalten, damit man sie nicht mit den anderen tötet. Auch sehen wir nicht, daß das Volk jemals von falschen Propheten hintergangen wurde, wenigstens so lange nicht, wie es nicht den Staat den Königen anvertraute, denen die meisten dieser falschen Propheten nach dem Mund reden wollten. Fügen wir noch hinzu, daß das Volk, dessen Gemüt je nach den Umständen mal übermütig, mal verzagt ist, sich in Zeiten des Unglücks schnell besserte und zu Gott zurückkehrte, die Gesetze wiederherstellte und so jeder Gefährdung vorbeugte. Die Könige dagegen, deren Sinn immer gleich überheblich ist und sich ohne Entehrung nicht beugen läßt, beharrten halsstarrig auf ihren Lastern bis zum endgültigen Untergang der Stadt.

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Hieraus ersehen wir mit aller Klarheit: 1. wie verderblich es für Religion und Staat ist, den Religionsverwaltern das Recht einzuräumen, Entscheidungen zu treffen oder die Regierungsgeschäfte zu führen, daß alles vielmehr weitaus stabiler ist, wenn man ihre Befugnis so einschränkt, daß sie nur, wenn sie darum ersucht werden, Antworten erteilen und unterdessen nur das lehren und praktizieren, was herkömmlich und allseits gebräuchlich ist; 2. wie gefährlich es ist, rein spekulative Dinge dem göttlichen Recht zu unterstellen und Gesetze über Meinungen zu erlassen, d. h. über etwas, worüber die Menschen gewöhnlich streiten oder wenigstens streiten können. Dort wird nämlich am gewalttätigsten regiert, wo die Meinungen, die zum unaufgebbaren Recht eines jeden gehören, zu Verbrechen werden; mehr noch, wo das der Fall ist, da ist es die Wut des Pöbels, die in der Regel regiert. So ließ Pilatus, indem er sich der Wut der Pharisäer fügte, Christus, um dessen Unschuld er wußte, kreuzigen. Um die Reichen aus ihren Würden zu vertreiben, begannen die Pharisäer religiöse Streitfragen zur Sprache zu bringen und die Sadduzäer der Gottlosigkeit zu beschuldigen. Nach diesem Beispiel der Pharisäer haben die übelsten Heuchler, gepackt von derselben blinden Wut, die sie Eifer für das göttliche Recht nennen, überall die Männer verfolgt, die sich durch Rechtschaffenheit auszeichneten und durch Tüchtigkeit hervortaten und deshalb dem Pöbel ein Dorn im Auge waren, indem sie deren Meinungen öffentlich verwünschten und die vor Wut tobende Menge gegen sie aufbrachten. Eine Dreistigkeit von solcher Frechheit, die sich unter dem Mantel der Religion versteckt, kann nicht leicht gezügelt werden, allemal dort nicht, wo der Souverän eine Sekte hat einziehen lassen, die sich seiner Autorität entzieht; denn dann gilt er nicht als der Interpret des göttlichen Rechts, sondern als ein Mitglied der Sekte, d. h. als jemand, der die Sektenlehrer als Interpreten des göttlichen Rechts anerkennt. In diesen Fragen hat dann die Autorität des Magistrats kaum Auswirkungen auf den Pöbel, weit mehr aber die Autorität jener Lehrer, deren Auslegungen, so meint man, sich sogar die Könige unter-

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werfen müßten. Um diesen Mißstand zu vermeiden, läßt sich für den Staat nichts Sichereres erdenken, als die Frömmigkeit und den religiösen Kult allein in den Werken bestehen zu lassen, d. h. allein in der Ausübung von Nächstenliebe und Gerechtigkeit, und alles übrige dem freien Urteil des einzelnen zu überlassen. Doch mehr dazu später; 3. wie notwendig es für den Staat wie für die Religion ist, dem Souverän das Recht zuzusprechen, darüber zu entscheiden, was göttlich geboten ist und was nicht. Denn wenn das Recht, über die Qualität von Handlungen zu entscheiden, ohne großen Schaden für Staat und Religion selbst den Propheten Gottes nicht zugestanden werden konnte, um wieviel weniger wird es dann denen einzuräumen sein, die weder die Zukunft vorauszusagen wissen noch Wunder vollbringen können. Doch will ich davon im nächsten Kapitel eigens handeln; 4. wie unheilvoll es für ein Volk ist, das unter Königen zu leben nicht gewohnt ist und schon feststehende Gesetze hat, einen Monarchen zu wählen. Denn das Volk wird eine staatliche Herrschaft dieser Art nicht ertragen können, und die königliche Autorität wird die Gesetze und Volksrechte, die eine andere und geringer zu wertende Autorität verordnet hat, nicht dulden können, und noch weniger wird der König sich dazu durchringen können, diese Gesetze zu verteidigen, weil man ja bei deren Erlaß nicht auf einen König hat Rücksicht nehmen können, sondern nur auf das Volk oder auf eine Versammlung, die die Regierungsgewalt in Händen zu haben glaubte; verteidigte der König die alten Volksrechte, würde er eher als Sklave des Volkes denn als dessen Herr erscheinen. Ein neuer Monarch wird also mit allem Eifer daran gehen, neue Gesetze zu erlassen, das Recht des Staates zu seinen Gunsten umzugestalten und das Volk in einen Zustand zu versetzen, in dem es den Königen nicht so leicht ihre Würde nehmen wie geben kann. [7] Doch kann ich hier nicht verschweigen, daß es ebenso gefährlich ist, einen Monarchen zu stürzen, selbst wenn klar auf der Hand liegt, daß er ein Tyrann ist. Denn ein Volk, das an die

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königliche Autorität gewöhnt ist und allein von ihr sich im Zaum halten läßt, wird eine schwächere Autorität mißachten und zum besten haben. Wenn es einen Monarchen stürzt, wird es also einen anderen an seine Stelle setzen müssen, so wie die Propheten es einst mußten, und dieser wird nicht aus eigenem Antrieb, sondern zwangsläufig zu einem Tyrannen werden. Denn wie wird er wohl den Anblick von Bürgern ertragen können, deren Hände mit königlichem Blut beschmiert sind und die einen Königsmord als eine gute Tat glorifizieren, die sie doch nur begangen haben, um ihm ein Beispiel vor Augen zu führen? Fürwahr, will er König sein, will er nicht das Volk als Richter von Königen und als seinen Herrn anerkennen, d. h. will er nicht König auf Widerruf sein, muß er den Tod seines Vorgängers rächen und zu seiner eigenen Sicherheit seinerseits ein Exempel statuieren, das das Volk davon abhält, ein solches Verbrechen ein zweites Mal zu begehen. Es dürfte ihm aber schwerfallen, den Tod des Tyrannen durch die Hinrichtung von Bürgern zu rächen, ohne zugleich die Sache seines Vorgängers zu verteidigen, also dessen Taten zu billigen, und folglich ganz in dessen Fußstapfen zu treten. Deshalb hat das Volk den Tyrannen zwar häufig wechseln, aber niemals die Tyrannei beseitigen und den monarchischen Staat in eine andere Staatsform umwandeln können. [8] Ein verhängnisvolles Beispiel dafür hat das englische Volk gegeben. Es hat Gründe gesucht, um unter einem Anschein von Recht den Monarchen zu beseitigen, aber nach seiner Beseitigung nicht vermocht, die Form des Staates zu ändern; nach viel Blutvergießen lief es vielmehr auf einen neuen Monarchen hinaus, nur unter einem anderen Titel (ganz so, als ob es hier nur um einen Titel ginge). Dieser neue Monarch konnte sich nur so halten, daß er das königliche Haus vollkommen liquidierte, die Freunde des Königs, die tatsächlichen wie die vermeintlichen, töten ließ und schließlich dem Frieden mit seiner das öffentliche Gerede begünstigenden Ruhe durch einen Krieg ein Ende setzte, der das Gemüt des Pöbels mit neuen Dingen einnehmen und ihn vom Gedanken an einen Königsmord abhalten sollte. So bemerkte das Volk zu spät, daß es für

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das Wohl des Vaterlandes nichts anderes getan hatte, als das Recht des legitimen Königs zu verletzen und alles ins Schlimmere zu kehren. Es entschloß sich deshalb, sobald es ging, zum Schritt rückwärts und ruhte nicht, bis es alles in den ursprünglichen Zustand zurückversetzt sah. [9] Vielleicht wird man mir das Beispiel des römischen Volkes entgegenhalten, das einen Tyrannen ohne Mühe beseitigen konnte. Doch glaube ich, daß gerade dieses Beispiel meine Auffassung vollauf bestätigt. Dem römischen Volk war es weitaus leichter, einen Tyrannen zu beseitigen und die Form des Staates zu ändern, weil das Recht, den König und seinen Nachfolger zu wählen, in seinen Händen lag und weil dieses Volk (aus aufrührerischen und ehrlosen Individuen zusammengesetzt) noch nicht daran gewöhnt war, Königen zu gehorchen (von sechs Königen, die es vordem hatte, brachte es immerhin drei um). Indessen tat es nichts anderes, als an Stelle eines einzigen Tyrannen mehrere zu wählen, die das Volk durch Kriege nach innen und nach außen ständig in einen jämmerlichen Zustand versetzten, bis schließlich der Staat wieder zu einer Monarchie wurde, auch hier, wie in England, nur unter einem anderen Titel. [10 ] Was die Staaten von Holland angeht, sie haben, soweit wir wissen, niemals Könige gehabt, sondern nur Grafen, denen niemals die Regierungsgewalt übertragen war. Denn die eigenverantwortlichen Staaten Hollands haben sich, wie sie in einer öffentlichen Erklärung zur Zeit des Grafen Leicester kundtaten, immer die Befugnis vorbehalten, die Grafen an ihre Pflicht zu erinnern, und sich immer die Gewalt bewahrt, diese Befugnis und die Freiheit der Bürger zu verteidigen, die Grafen, sollten sie zu Tyrannen ausarten, zur Rechenschaft zu ziehen und in ihrer Macht so zu beschränken, daß sie ohne Bewilligung und Zustimmung der Staaten nichts verrichten konnten. Dem ist zu entnehmen, daß das Recht der souveränen Majestät immer in den Händen der Staaten geblieben ist, mag auch der letzte Graf versucht haben, es an sich zu reißen. Weit davon entfernt, dieses Recht aufgegeben zu haben, haben sie im Gegenteil die fast verlorengegangene ursprüngliche

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Verfassung ihres Staates wieder hergestellt. Diese Beispiele bestätigen vollauf unsere These, daß die Form des Staates, welche es auch sein mag, notwendigerweise beizubehalten ist und nicht verändert werden kann, ohne Gefahr zu laufen, den Staat von Grund auf zu zerstören. Das ist es, was ich hier zu bemerken für gut befunden habe.

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Neunzehntes K a pitel Es wird gezeigt, daß das Recht in geistlichen Dingen ausschließlich in Händen des Souveräns liegt und daß der äußere religiöse Kult sich nach dem Frieden im Staat richten muß, wenn wir Gott in rechter Weise gehorchen wollen Wenn ich oben gesagt habe, daß die Inhaber der Regierungsgewalt allein das Recht über alle Dinge haben und alles Recht allein von ihrem Beschluß abhängt, dann wollte ich darunter nicht nur das bürgerliche Recht, sondern auch das geistliche Recht verstanden wissen; denn auch dessen Interpreten und Verteidiger müssen sie sein. Diesen Punkt will ich hier ausdrücklich hervorheben und in diesem Kapitel eigens behandeln, weil es sehr viele gibt, die fortwährend bestreiten, daß dieses Recht – das Recht in geistlichen Dingen – dem Souverän zukommt, und ihn nicht als Interpreten des göttlichen Rechts anerkennen wollen; daraus maßen sie sich an, ihn anzuklagen und zu beschimpfen, ja sogar (wie ehedem Ambrosius den Kaiser Theodosius) aus der Gemeinschaft der Kirche auszuschließen. Doch werden wir im Verlauf dieses Kapitels sehen, daß sie mit einem solchen Verständnis den Staat teilen, ja sogar selbst nach der Herrschaft trachten. [2] Denn zunächst will ich zeigen, daß die Religion nur durch den Beschluß derer, denen das Recht zu befehlen zusteht, Rechtskraft erlangt und daß Gott kein besonderes Reich unter den Menschen hat, es sei denn durch die, welche die Regierungsgewalt innehaben, und des weiteren, daß der religiöse Kult und die Ausübung der Frömmigkeit sich nach dem Frieden und Interesse des Staates richten müssen und folglich allein von dem Souverän zu regeln sind, der mithin auch deren Interpret sein muß. [3] Ich spreche ausdrücklich von der Ausübung der Frömmigkeit und dem äußeren religiösen Kult, nicht aber von der Frömmigkeit selbst und dem inneren Gottesdienst, d. h. nicht von den Mitteln, die den Geist innerlich dazu bringen, Gott von ganzem Herzen zu verehren. Der innere Gottesdienst und die

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Frömmigkeit selbst gehören nämlich (wie wir am Ende des 7. Kapitels gezeigt haben) zum Recht jedes einzelnen, das einem anderen nicht übertragen werden kann. Was ich im übrigen unter dem Reich Gottes verstehe, geht, denke ich, zur Genüge aus dem 14. Kapitel hervor, in dem wir gezeigt haben, daß das Gesetz Gottes erfüllt, wer Gerechtigkeit und Nächstenliebe nach seinem Gebot ausübt, woraus sich ergibt, daß das Reich Gottes dort errichtet ist, wo Gerechtigkeit und Nächstenliebe Rechts- und Gesetzeskraft haben. Dabei gibt es für mich keinen Unterschied, ob Gott die wahre Ausübung der Gerechtigkeit und Nächstenliebe mit Hilfe des natürlichen Lichts oder der Offenbarung lehrt und befiehlt; denn wie diese Ausübung uns kundgetan wurde, spielt keine Rolle, wenn sie nur den Status eines höchsten Rechts erhält und den Menschen höchstes Gesetz ist. Wenn ich also jetzt zeige, daß Gerechtigkeit und Nächstenliebe Rechts- und Gesetzeskraft nur kraft staatlichen Rechts erlangen können, wird daraus leicht zu folgern sein (weil ja das Recht des Staates allein in Händen des Souveräns liegt), daß die Religion Rechtskraft allein durch den Beschluß derer erlangen kann, die das Recht zu befehlen haben, und daß Gott kein besonderes Reich unter den Menschen hat, es sei denn durch die Inhaber der Regierungsgewalt. [4] Daß die Ausübung der Gerechtigkeit und Nächstenliebe nur kraft staatlichen Rechts Rechtskraft erhält, ist aus den vorangehenden Kapiteln offensichtlich. Wir haben im 16. Kapitel gezeigt, daß im Naturzustand die Vernunft nicht mehr Recht hat als der Trieb und daß dort diejenigen, die nach den Gesetzen des Triebes leben, nicht anders als diejenigen, die nach den Gesetzen der Vernunft leben, ein Recht zu allem haben, was in ihrer Macht steht. Deshalb haben wir uns im Naturzustand keine Sünde denken können und auch nicht Gott als einen Richter, der die Menschen um ihrer Sünden willen bestrafen würde, sondern annehmen müssen, daß alles nach den allgemeinen Gesetzen der gesamten Natur geschieht und daß (um mit Salomo zu sprechen) den Gerechten wie den Ruchlosen, den Reinen wie den Unreinen usw. dort das glei-

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che Schicksal trifft, daß also Gerechtigkeit und Nächstenliebe dort keinen Platz haben. Damit nun die Lehren der wahren Vernunft – d. h. (wie wir im 4. Kapitel bei der Erörterung des göttlichen Gesetzes gezeigt haben) die göttlichen Lehren selbst – uneingeschränkt Rechtskraft erhalten, war es unbedingt erforderlich, daß jeder sein natürliches Recht aufgibt und alle es allen oder einigen oder nur einem übertragen; erst von da ab begann uns bekannt zu werden, was Gerechtigkeit, was Ungerechtigkeit, was Billigkeit und was Unbilligkeit ist. [5] Die Gerechtigkeit wie überhaupt alle Lehren der wahren Vernunft und folglich auch die Nächstenliebe erhalten also Rechts- und Gesetzeskraft allein durch das Recht des Staates, d. h. (wie wir in demselben Kapitel gezeigt haben) durch den Beschluß derer, die das Recht zu befehlen haben. Und weil (wie ich schon gezeigt habe), das Reich Gottes allein in dem Recht der Gerechtigkeit und Nächstenliebe, d. h. der wahren Religion, besteht, ergibt sich, daß Gott, wie wir behaupteten, kein Reich unter den Menschen hat, es sei denn durch die Inhaber der Regierungsgewalt. Nicht weiter wichtig ist dabei, sage ich noch einmal, ob wir die Religion als durch natürliches oder prophetisches Licht offenbart denken; denn der Beweis ist allgemeingültig, da ja die Religion immer dieselbe ist und als diese von Gott offenbart wurde, ob wir uns die Weise, in der sie den Menschen zur Kenntnis kommt, nun so oder so vorstellen. [ 6] Damit die prophetisch offenbarte Religion bei den Hebräern Rechtskraft erhielt, war es deshalb auch unabdingbar, daß jeder von ihnen zuvor sein natürliches Recht aufgibt und alle in gemeinsamer Übereinkunft festlegen, nur den Anordnungen zu gehorchen, die ihnen Gott in prophetischer Weise offenbaren würde, ganz so, wie es uns zufolge im demokratischen Staat geschieht, wo alle sich in gemeinsamer Übereinkunft dazu entschließen, allein nach der Vorschrift der Vernunft zu leben. Im übrigen ist zu sehen, daß die Hebräer zwar Gott ihr Recht übertragen haben, dies aber nur der Absicht nach und nicht in Wirklichkeit tun konnten. Denn tatsächlich haben sie (wie wir oben sahen) das Herrschaftsrecht uneinge-

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schränkt behalten, bis sie es Moses übertrugen, der von da ab unumschränkter König blieb und durch den allein Gott über die Hebräer herrschte. Aus demselben Grunde (daß die Religion nur kraft staatlichen Rechts Rechtskraft erhält) konnte Moses auch diejenigen nicht bestrafen, die vor dem Pakt und folglich zu einem Zeitpunkt, als sie noch im Besitz ihres eigenen Rechts waren, den Sabbat verletzten (siehe Exodus 16, 27), anders als nach dem Pakt, d. h. nachdem jeder sein natürliches Recht aufgegeben hatte und der Sabbat durch staatliches Recht die Kraft einer Anordnung erhielt. Schließlich hörte, immer noch aus demselben Grunde, die offenbarte Religion auf, nach der Zerstörung des Staates der Hebräer Rechtskraft zu haben; denn zweifellos bestanden in dem Augenblick, als die Hebräer ihr Recht dem König von Babylon übertrugen, auch das Reich Gottes und das göttliche Recht nicht weiter. Denn genau damit war der Pakt, mit dem sie versprochen hatten, allem, was Gott sagen würde, zu gehorchen, gänzlich aufgehoben, der Pakt also, der die Grundlage des Reichs Gottes ausgemacht hatte; sie konnten sich nicht mehr an ihn halten, weil sie seitdem nicht mehr ihr eigenes Recht besaßen (wie einst in der Wüste oder im Vaterland), sondern dem des Königs von Babylon unterstanden, dem sie in allem Gehorsam schuldeten (wie wir im 16. Kapitel gezeigt haben). Dazu ermahnt sie auch Jeremia ausdrücklich (29, 7): Wacht, sagt er, über den Frieden in dem Staat, in den ich euch als Gefangene geführt habe; denn sein Wohlergehen wird euer Wohlergehen sein. Freilich konnten sie über das Wohlergehen dieses Gemeinwesens nicht wie Staatsdiener wachen (denn sie waren Gefangene), sondern nur wie Sklaven es tun: sich von Aufruhr fernhalten, in allem sich als gehorsam erweisen, das Recht und die Gesetze des Staates beachten, auch wenn sie von den in ihrem Vaterland gebräuchlichen sehr abwichen, usw. Aus alledem geht deutlich hervor, daß die Religion bei den Hebräern allein kraft staatlichen Rechts Rechtskraft erlangte und nach der Zerstörung ihres Staates nicht länger als die Verordnung eines spezifischen Staates angesehen werden konnte, sondern nur noch als allgemeine Lehre der Vernunft; der Ver-

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nunft, sage ich, denn damals war die allgemeine Religion noch nicht aus Offenbarung bekannt. Hieraus folgern wir uneingeschränkt, daß die Religion, ob sie nun durch natürliches oder durch prophetisches Licht offenbart wurde, Gesetzeskraft allein durch den Beschluß derer erhält, die das Recht zu befehlen haben, und daß Gott kein besonderes Reich unter den Menschen hat, es sei denn durch die Inhaber der Regierungsgewalt. Dies folgt auch, und sogar noch klarer, aus dem im 4. Kapitel Gesagten. Dort haben wir nämlich gezeigt, daß alle Beschlüsse Gottes eine ewige Wahrheit und Notwendigkeit in sich schließen und man Gott nicht als einen Fürsten oder Gesetzgeber auffassen kann, der den Menschen Gesetze auferlegt. Deshalb erhalten die von natürlichem oder prophetischem Licht offenbarten göttlichen Lehren Gesetzeskraft nicht unmittelbar von Gott, sondern notwendigerweise von denen oder durch Vermittlung derer, die das Recht zu befehlen und zu beschließen haben. Ohne deren Vermittlung können wir mithin Gott nicht als über die Menschen herrschend und deren Angelegenheiten nach Gerechtigkeit und Billigkeit regelnd verstehen. Auch die Erfahrung bestätigt dies: die Spuren göttlicher Gerechtigkeit findet man in der Tat nur dort, wo gerechte Menschen regieren; andernfalls sehen wir (um noch einmal Salomo zu zitieren), daß den Gerechten wie den Ungerechten, den Reinen wie den Unreinen das gleiche Schicksal trifft, ein Umstand, der sehr viele dazu gebracht hat, an Gottes Vorsehung zu zweifeln, weil sie glaubten, Gott regiere unmittelbar über die Menschen und lenke die ganze Natur zu ihrem Nutzen. Weil also sowohl Erfahrung als auch Vernunft bestätigen, daß das göttliche Recht allein von dem Beschluß des Souveräns abhängt, ergibt sich, daß der Souverän auch der Interpret dieses Rechts ist; aus welchem Grunde, werden wir sogleich sehen; denn es gilt jetzt zu zeigen, daß der äußere religiöse Kult und alle Ausübung der Frömmigkeit, wollen wir Gott in rechter Weise gehorchen, sich nach dem Frieden und der Erhaltung des Staates richten müssen. Ist das erwiesen, wer-

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den wir leicht verstehen, aus welchem Grunde der Souverän der Interpret von Religion und Frömmigkeit ist. [10 ] Sicherlich ist die Liebe zum Vaterland die höchste Form von Frömmigkeit, die man bezeugen kann. Denn geht der Staat zugrunde, kann nichts Gutes bestehen bleiben, alles gerät in höchste Gefahr, nur noch Wut und Ruchlosigkeit regieren im Milieu der allgemeinen Furcht. Daraus folgt, daß eine für fromm gehaltene Tat gegenüber dem Nächsten ruchlos ist, wenn aus ihr ein Schaden für den ganzen Staat erwächst, und daß man umgekehrt eine ruchlose Tat gegenüber dem Nächsten als fromm ansehen muß, wenn sie der Erhaltung des Staates dient. Beispielsweise ist es eine fromme Tat, wenn ich dem, der mich angreift und mir meinen Rock nehmen will, auch noch meinen Mantel gebe. Dort, wo man dies als verderblich für die Erhaltung des Staates ansieht, ist es hingegen fromm, diesen Mann der Justiz zu übergeben, selbst wenn er die Todesstrafe zu erwarten hat. Deshalb wird Manlius Torquatus gefeiert, weil ihm das Wohl des Volkes mehr galt als die Liebe zum eigenen Sohn. Da dem so ist, ist das Wohl des Volkes das oberste Gesetz, dem alle anderen Gesetze, menschliche wie göttliche, entsprechen müssen. Und weil es allein dem Souverän obliegt zu bestimmen, was für das Wohl des ganzen Volkes und für die Sicherheit des Staates nötig ist, und das als nötig Erachtete anzuordnen, obliegt es folglich auch allein dem Souverän zu bestimmen, in welcher Weise jeder die Frömmigkeit gegenüber dem Nächsten auszuüben hat, d. h. in welcher Weise jeder Gott zu gehorchen gehalten ist. [11] Hieraus ist klar ersichtlich, aus welchem Grunde der Souverän der Interpret der Religion ist, aber auch, daß niemand Gott in rechter Weise gehorchen kann, wenn die Ausübung der Frömmigkeit, zu der er verpflichtet ist, nicht dem öffentlichen Wohl entspricht, wenn er also nicht allen Beschlüssen der höchsten Gewalt gehorcht. Denn weil wir alle, ohne Ausnahme, nach dem Gebot Gottes gehalten sind, Frömmigkeit auszuüben und niemandem einen Schaden zuzufügen, ist es folglich niemandem erlaubt, einem Menschen zum Schaden eines anderen Hilfe zu leisten, und noch viel weniger zum

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Schaden des ganzen Staates; und folglich kann niemand nach dem Gebot Gottes gegenüber dem Nächsten fromm handeln, wenn Frömmigkeit und Religion nicht dem öffentlichen Wohl entsprechen. Doch kann kein Privatmann wissen, was dem Staat von Nutzen ist, wenn er es nicht aus den Beschlüssen des Souveräns weiß, dem es allein obliegt, die öffentlichen Angelegenheiten zu besorgen. Also kann niemand in rechter Weise Frömmigkeit ausüben und Gott gehorchen, wenn er nicht allen Beschlüssen des Souveräns gehorcht. [12] Auch die Praxis selbst bestätigt dies. Wenn der Souverän jemanden, Bürger oder Ausländer, Privatmann oder Träger öffentlicher Funktionen, zum Tode verurteilt oder zum Feind erklärt hat, darf ihm kein Untertan Hilfe leisten. So waren auch die Hebräer, obwohl ihnen gesagt war, ein jeder solle seinen Nächsten lieben wie sich selbst (siehe Levitikus 19, 17 – 18), dennoch gehalten, denjenigen dem Richter anzuzeigen, der gegen das Gesetz verstieß (siehe Levitikus 5, 1 und Deuteronomium 17, 7). Ferner mußten die Hebräer (wie wir im 17. Kapitel gezeigt haben), um die Freiheit, die sie gewonnen hatten, bewahren und die Länder, die sie in Besitz genommen hatten, uneingeschränkt besitzen zu können, die Religion allein ihrem Staat anpassen und sich von den anderen Nationen absondern; und deshalb war ihnen gesagt worden: Liebe deinen Nächsten und hasse deinen Feind (siehe Matthäus 5, 43). Als sie aber ihren Staat verloren und nach Babylon in die Gefangenschaft geführt wurden, lehrte sie Jeremia, über das Wohl auch des Gemeinwesens, das sie gefangen hielt, zu wachen; und als Christus sie über die ganze Erde zerstreut sah, lehrte er sie, die Frömmigkeit ohne Ausnahme gegenüber allen auszuüben. Alles das zeigt ganz klar, daß die Religion sich immer nach dem öffentlichen Interesse gerichtet hat. [13] Sollte mich aber jemand fragen, nach welchem Recht die Jünger Christi, also Privatleute, die Religion predigen konnten, dann antworte ich ihm, nach dem Recht, das ihnen die Gewalt verlieh, die sie von Christus gegen die unreinen Geister empfangen hatten (siehe Matthäus 10,1). Oben, am Schluß des 16. Kapitels, habe ich nämlich eigens hervorgehoben, daß alle

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gehalten sind, sogar einem Tyrannen Treue zu bewahren, ausgenommen derjenige, dem Gott eine besondere Hilfe gegen den Tyrannen durch eine diesbezügliche Offenbarung verheißen hat. Als Beispiel darf sich dies deshalb niemand nehmen, wenn er nicht die Gewalt erhalten hat, Wunder zu vollbringen, was sich offensichtlich auch daraus ergibt, daß Christus seinen Jüngern sagte, sie sollten nicht diejenigen fürchten, die den Körper töten (siehe Matthäus 10, 28). Würden diese Worte für jedermann gelten, gäbe es keinen Grund, den Staat zu errichten, und jener Ausspruch Salomos ( Sprüche 24, 21) Mein Sohn, fürchte Gott und den König wäre ein gottloser Spruch, was er aber bei weitem nicht ist. Mithin ist unbedingt zuzugestehen, daß die Autorität, die Christus seinen Jüngern verlieh, nur ihnen persönlich verliehen wurde und dies sich nicht als Beispiel für andere nehmen läßt. [14] Im übrigen will ich mich nicht bei den Gründen aufhalten, mit denen unsere Gegner das geistliche Recht vom bürgerlichen Recht trennen wollen und nur das eine dem Souverän zugestehen, das andere aber der ungeteilten Kirche; sie sind so armselig, daß sie eine Widerlegung nicht verdienen. Nur einen Punkt kann ich nicht mit Stillschweigen übergehen, die jämmerliche Täuschung derer, die zur Bestätigung ihrer aufrührerischen Ansicht (man möge mir das harte Wort verzeihen) sich auf das Beispiel des hebräischen Hohepriesters berufen, in dessen Händen einst das Recht lag, die geistlichen Angelegenheiten zu verwalten. Als ob die Hohepriester dieses Recht nicht von Moses empfangen hätten (dem, wie oben gezeigt, alleinigen Inhaber der höchsten Regierungsgewalt), der es ihnen, wenn er wollte, auch wieder nehmen konnte. In der Tat war er es, der nicht nur Aaron, sondern auch Aarons Sohn Eleasar und Aarons Enkel Pinehas erwählte und ihnen die Autorität verlieh, das Hohepriesteramt zu verwalten, eine Autorität, die die späteren Hohepriester behielten und dabei immer noch als die Vertreter des Moses, d. h. des Souveräns, galten. In der Tat hat Moses, wie gezeigt, niemanden zu seinem Nachfolger an der Spitze des Staates gekürt, sondern alle Regierungsämter so verteilt, daß seine Nachfolger als seine

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Stellvertreter erschienen, die den Staat verwalteten, wie wenn der König nur abwesend und nicht gestorben wäre. Später, im zweiten Staat der Hebräer, hatten die Hohepriester dieses Recht uneingeschränkt in Händen, nachdem sie neben dem Hohepriesteramt auch das Herrscherrecht errungen hatten. So war das Recht des Hohepriesteramts immer von dem Erlaß des Souveräns abhängig, und die Hohepriester hatten es niemals inne, ohne zugleich die weltliche Herrschaft innezuhaben. Das Recht in geistlichen Dingen lag sogar ganz in den Händen der Könige (wie sich aus den Ausführungen am Ende dieses Kapitels klar ergeben wird), mit nur einer Ausnahme: Die Könige durften nicht die heiligen Handlungen im Tempel verrichten, weil alle, die nicht Abkömmlinge Aarons waren, als unheilig galten, eine Ausnahme, die in einem christlichen Staat natürlich nicht greift. [15] Deshalb unterliegt es keinem Zweifel, daß heute die heiligen Angelegenheiten (für ihre Verwaltung kommt es auf die sittliche Haltung des einzelnen und nicht seine Familie an, so daß sich die Inhaber der Regierungsgewalt davon nicht als unheilig ausschließen lassen) allein dem Recht des Souveräns unterliegen; und niemand hat, wenn nicht kraft seiner Autorität oder Erlaubnis, das Recht und die Befugnis, sie zu verwalten, die Religionsdiener zu ernennen, die Grundlagen der Kirche und ihre Lehre zu bestimmen und festzulegen, Sitten und Handlungen der Frömmigkeit zu beurteilen, jemanden aus der Kirche auszuschließen oder in sie aufzunehmen und schließlich sich um die Armenfürsorge zu kümmern. [16] Bewiesen wird damit nicht nur, daß alles dies wahr ist (was wir schon getan haben), sondern auch, daß es für die Religion selbst wie für die Erhaltung des Staates im hohen Maße notwendig ist. Jedermann weiß doch, wie wichtig das Recht und die Autorität in geistlichen Dingen in den Augen des Volkes sind und wie sehr ein jeder an den Lippen dessen hängt, dem diese Autorität zukommt, so sehr, daß man geradezu behaupten kann, diese Autorität haben heißt im höchsten Maße über die Herzen regieren. Wer sie dem Souverän entreißen will, sucht also den Staat zu teilen, woraus dann, wie einst bei den

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Hebräern zwischen den Königen und den Hohepriestern, unausweichlich Streit und Zwietracht entstehen müssen, die sich niemals beilegen lassen. Mehr noch, wer diese Autorität dem Souverän nehmen will, trachtet (wie wir schon gesagt haben) selbst nach der Herrschaft. Denn worüber kann der Souverän noch entscheiden, wenn man ihm dieses Recht abspricht? Wahrhaftig, über nichts, nicht über Krieg und nicht über Frieden noch über sonst eine Angelegenheit, wenn er gehalten ist, die Meinung eines anderen abzuwarten, der ihm sagt, ob das, was er selbst für nützlich hält, auch fromm ist und nicht ruchlos; alles wird im Gegenteil von der Entscheidung dessen abhängen, der das Recht hat, Urteile zu fällen und darüber zu entscheiden, was fromm ist und was nicht, was vor Gott erlaubt ist und was nicht. [17] Alle Zeitalter haben uns dafür Beispiele geliefert; ich will nur eines für alle anführen. Der römische Pontifex, dem das genannte Recht uneingeschränkt zugestanden war, brachte allmählich alle Könige unter seine Gewalt, bis er eines Tages den Gipfel der Herrschaft erreicht hatte. Was die Monarchen, und namentlich die deutschen Kaiser, später auch unternahmen, um seine Autorität wenigstens etwas herabzusetzen, sie haben nichts erreicht, sondern im Gegenteil sie gerade dadurch erheblich vergrößert. Was kein Monarch mit Schwert und Feuer hatte zustandebringen können, gelang indessen den Kirchenleuten mit bloßer Feder; allein daraus läßt sich die Kraft und die Macht dieses Rechts unschwer erschließen, aber auch, wie unerläßlich es für den Souverän ist, die damit verbundene Autorität sich selbst vorzubehalten. [18] Zieht man noch das im vorigen Kapitel Vorgebrachte in Betracht, wird man sehen, daß genau dies auch für die Religion und für die Frömmigkeit äußerst vorteilhaft ist. Wir haben in der Tat oben gesehen, daß die Propheten, obwohl selbst von göttlicher Tugendhaftigkeit, dennoch, weil sie ja einfache Privatleute waren, mit ihrer Freizügigkeit im Ermahnen, Tadeln und Zurechtweisen der Menschen diese mehr aufbrachten als besserten, dieselben Menschen, die sich, von den Königen ermahnt oder bestraft, leicht beugen ließen. Wir haben ferner

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gesehen, daß gerade die Könige, allein deshalb, weil sie dieses Recht nicht uneingeschränkt besaßen, sehr oft von der Religion abfielen und mit ihnen fast das ganze Volk; bekanntlich war das aus dem gleichen Grunde auch in den christlichen Staaten sehr oft der Fall. [19] Hier wird man mich vielleicht fragen: Wer wird denn, wenn die Inhaber der Regierungsgewalt gottlos sein wollen, die Frömmigkeit von Rechts wegen verteidigen, und müßte man sie auch dann immer noch als deren Interpreten ansehen? Ich meinerseits frage dagegen: Was ist, wenn die Kirchenmänner (die auch Menschen sind und Privatleute, die sich nur um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern haben) oder andere Leute, in deren Hände man das Recht in geistlichen Dingen legen will, gottlos sein wollen, sind sie auch dann noch als die Interpreten der Frömmigkeit anzusehen? Soviel ist sicher: Wenn die Inhaber der Regierungsgewalt ihrem Belieben folgen wollen, ist es einerlei, ob sie das Recht in geistlichen Dingen innehaben oder nicht; alles, Geistliches wie Weltliches, wird zugrundegehen, und weit schneller noch, wenn Privatleute das göttliche Recht in aufrührerischer Weise verteidigen wollen. Deshalb erreicht man überhaupt nichts, wenn man den weltlichen Herrschern dieses Recht verweigert, sondern macht das Übel nur größer; denn genau dadurch werden sie zwangsläufig (wie einst die Könige der Hebräer, denen dieses Recht nicht uneingeschränkt zugestanden war) gottlos, mit der Folge, daß der Staat im Ganzen einen verheerenden Schaden erleidet, der nicht bloß möglich und insofern ungewiß ist, sondern gewiß, nämlich unausweichlich. Ob wir nun die Wahrheit der Sache selbst, die Sicherheit des Staates oder endlich das Gedeihen der Frömmigkeit ins Auge fassen, wir kommen nicht umhin zu behaupten, daß auch das göttliche Recht, also das Recht in geistlichen Dingen, uneingeschränkt dem Beschluß des Souveräns unterliegt und dieser sein Interpret und Verteidiger ist. Daraus ergibt sich, daß Diener des göttlichen Worts diejenigen sind, die kraft der Autorität des Souveräns das Volk die Frömmigkeit lehren, wie sie nach dessen Beschluß dem öffentlichen Interesse entspricht.

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Es bleibt noch darzulegen, warum es in den christlichen Staaten immer Streit über dieses Recht gegeben hat, während doch die Hebräer, soviel ich weiß, darüber nie gestritten haben. Es könnte wahrhaft ungeheuerlich erscheinen, daß eine ebenso ausgemachte wie notwendige Sache immer in Frage stand und der Souverän dieses Rechts niemals ohne Rechtsstreit sicher sein konnte, ja sogar niemals ohne Gefahr zu laufen, Aufruhr und großen Schaden für die Religion hervorzurufen. In der Tat, ließe sich hierfür keine bestimmte Ursache angeben, wäre ich zu glauben bereit, daß alles in diesem Kapitel Dargelegte rein theoretisch ist, d. h. zu der Art von Spekulation gehört, die keinen praktischen Wert haben kann. Betrachtet man aber die Anfänge der christlichen Religion, wird uns die Ursache dieses Tatbestandes ganz klar. Die christliche Religion wurde anfangs nämlich nicht von Königen, sondern von Privatleuten gelehrt, und zwar gegen den Willen derer, die die Regierungsgewalt innehatten und deren Untertanen sie waren, als die sie sich über lange Zeit daran gewöhnt hatten, in privaten Kirchen zusammenzukommen, die geistlichen Aufgaben selber in Angriff zu nehmen und zu verwalten, alles also allein zu organisieren und zu entscheiden, ohne auf die Herrscher im Staat Rücksicht zu nehmen. Als dann, viele Jahre später, die Religion sich allmählich im Staat etablierte, mußten die Kirchenmänner sie den Kaisern in der Form beibringen, in der sie sie gefestigt hatten, womit sie leicht erreichen konnten, als Lehrer und Interpreten der Religion und darüber hinaus als Hirten der Kirche und sozusagen als Stellvertreter Gottes anerkannt zu werden. Auch sorgten die Kirchenmänner recht gut dafür, daß in der Folgezeit die christlichen Könige diese Autorität nicht für sich beanspruchen: Wer höchster Diener der Kirche und oberster Interpret der Religion sein wollte, durfte nicht heiraten. Hinzu kam noch, daß sie die Dogmen der Religion derart vermehrt und mit der Philosophie so sehr vermischt hatten, daß deren höchster Ausleger auch der größte Philosoph und Theologe sein mußte, der sich dann mit einer Vielzahl unnützer Spekulationen abzugeben hatte, was eben nur Privatleuten, die dafür genügend Muße haben, möglich ist.

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Bei den Hebräern lief es jedoch ganz anders, denn bei ihnen nahm die Kirche ihren Anfang zugleich mit dem Staat: Moses, der unumschränkte Inhaber der Regierungsgewalt, lehrte das Volk die Religion, organisierte die geistlichen Ämter und ernannte ihre Diener. Dadurch kam es, daß die königliche Autorität beim Volk größten Respekt erhielt und die Könige das Recht in geistlichen Dingen in größtem Maße innehatten. Denn wenn nach Moses’ Tod auch niemand die Regierungsgewalt unumschränkt in Händen hielt, blieb doch das Recht, Entscheidungen zu treffen, über geistliche wie über alle anderern Angelegenheiten, wie schon gezeigt, in den Händen des Stammesfürsten, der zudem, wollte er das Volk über Religion und Frömmigkeit belehren, gehalten war, sich eher an den obersten Richter als an den Hohepriester zu wenden (siehe Deuteronomium 17, 9 u. 11). Und schließlich hing von der Entscheidung der Könige, obwohl diese nicht das gleiche Recht hatten wie Moses, nahezu die ganze Organisation der geistlichen Einrichtungen mitsamt der Priesterernennung ab. In der Tat war es David, der in allen Punkten Anweisungen zum Bauplan des Tempels erteilte (siehe 1. Chronik 28, 11 ff.); er war es, der unter den Leviten vierundzwanzigtausend zum Gesang der Psalmen auswählte, ferner sechstausend, aus denen die Richter und Amtsverwalter zu wählen waren, viertausend als Türwächter und viertausend für das Spiel auf Musikinstrumenten (siehe ebenda 23, 4 u. 5). Er war es auch, der sie in Abteilungen (deren Oberhaupt er ebenfalls ernannte) einteilte, mit dem Ziel, daß sie der Reihe nach ihren Dienst täten (siehe ebenda 23, 5). Auch die Priester teilte er in so viele Abteilungen ein. Um diese Bestimmungen nicht alle einzeln anführen zu müssen, verweise ich den Leser auf 2. Chronik 8, 13: Der Dienst Gottes, wie ihn Moses festgesetzt hatte, wurde im Tempel nach der Anweisung Salomos verrichtet; und 8, 14: Er (Salomo) hat die Abteilungen der Priester in ihr Amt eingesetzt und ebenso die Leviten usw. nach der Anordnung von David, dem Mann Gottes. Und schließlich bezeugt der Historiker in 8, 15: Sie sind von der den Priestern und Leviten vom König auferlegten Vor-

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schrift in nichts abgewichen, auch nicht in der Verwaltung des Schatzes. [22] Aus allen diesen Zeugnissen und aus anderen Berichten über die Könige geht ganz offensichtlich hervor, daß die ganze Ausübung der Religion und das ganze geistliche Amt allein von den Anordnungen der Könige abhingen. Wenn ich oben sagte, daß diese Könige, anders als Moses, nicht das Recht hatten, den Hohepriester zu ernennen, Gott unmittelbar zu befragen und die Propheten ihrer Zeit zu verurteilen, dann habe ich es allein deshalb gesagt, weil die Propheten kraft ihrer Autorität sich einen neuen König aussuchen und den Königsmord vergeben konnten, nicht aber, weil es ihnen gestattet gewesen wäre, den König, wenn er sich gegen das Gesetz etwas herausgenommen hatte, vor Gericht zu bringen, also von Rechts wegen gegen ihn vorzugehen.1 Hätte es also keine Propheten gegeben, die auf Grund einer besonderen Offenbarung den Königsmord ungefährdet vergeben konnten, dann würden die Könige ein unumschränktes Recht über alle Dinge innegehabt haben, über geistliche wie über weltliche. Deshalb besitzen die souveränen Herrscher von heute, die weder Propheten haben noch solche anzuerkennen rechtlich verpflichtet sind (den Gesetzen der Hebräer sind sie weiß Gott nicht unterworfen), dieses Recht uneingeschränkt, auch wenn sie nicht im Zölibat leben – und sie werden es immer behalten, dann wenigstens, wenn sie nicht zulassen, daß die Dogmen der Religion in zu großer Zahl vermehrt und mit der Wissenschaft vermengt werden.

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[ Siehe Anmerkung 39 auf Seite 333.]

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Zwa nzigstes K a pitel Es wird gezeigt, daß in einem freien Staat es jedem erlaubt ist zu denken, was er will, und zu sagen, was er denkt Wäre es ebenso leicht, die Gemüter wie die Zungen zu beherrschen, würde jeder Herrscher in Sicherheit regieren, und es gäbe keine Gewaltherrschaft. Denn jeder würde nach dem Sinn der Regierenden leben und hinsichtlich des Wahren und Falschen, des Guten und Schlechten, des Gerechten und Ungerechten sein Urteil bloß nach deren Beschluß richten. Doch ist es, wie wir schon zu Beginn des 17. Kapitels bemerkt haben, unmöglich, daß das Gemüt eines Menschen dem Recht eines anderen völlig unterliegt. Niemand kann nämlich sein natürliches Recht, d. h. seine Fähigkeit, die Vernunft frei zu betätigen und über alles zu urteilen, einem anderen übertragen; und niemand kann dazu gezwungen werden. Das macht es, daß eine Regierung als gewalttätig angesehen wird, wenn sie sich auf das Gemüt der Menschen erstreckt, und daß die souveräne Majestät den Untertanen ein Unrecht zuzufügen und deren Recht an sich zu reißen scheint, wenn sie dem einzelnen vorschreiben will, was er als wahr anzunehmen und als falsch zu verwerfen habe und durch welche Ansichten sein Gemüt zur Ehrfurcht gegen Gott bewegt werden sollte; alles das gehört nämlich zum Recht eines jeden, das niemand, selbst wenn er wollte, aufgeben kann. [2] Gewiß, das Urteil eines Menschen kann auf viele und nahezu unglaubliche Weisen von außen eingenommen werden, etwa wenn er, ohne der Herrschaft eines anderen direkt zu unterstehen, von dem Mund des anderen derart abhängt, daß man aus gutem Grund von ihm sagen kann, er unterstehe dem Recht dieses anderen. Gleichwohl, was auch immer die Geschicklichkeit in diesem Feld zustandezubringen vermag, nie ist es so weit gekommen, die Menschen von dem schlichten Wissen abzubringen, daß ein jeder mit seiner eigenen Sinnesart zufrieden ist und die Ansichten der Menschen so unterschied[1]

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lich sind wie der Geschmack. Moses, der das Urteil seines Volkes im höchsten Maße beeinflußte, nicht durch Hinterlist, sondern kraft göttlicher Tugend, er, der als ein Mann Gottes angesehen wurde und der, so glaubte man, alles aus göttlicher Eingebung mitteilte und vollbrachte, auch er konnte der üblen Nachrede und den mißgünstigen Deutungen des Volkes nicht entgehen, und noch viel weniger konnten es die anderen Monarchen. Ließe sich überhaupt etwas dagegen erdenken, dann wäre dies am ehesten in einem monarchischen Staat möglich, keineswegs aber in dem demokratischen, der unteilbar in den Händen des ganzen Volkes oder seines größten Teils liegt. Warum dem so ist, dürfte jedermann klar sein. [3] Mag also der Souverän das Recht über alle Dinge haben und als Interpret von Recht und Frömmigkeit angesehen werden, er wird es niemals dahin bringen können, daß die Menschen nicht über alle möglichen Dinge nach ihrer eigenen Sinnesart urteilen und dabei sich bald diesem, bald jenem Affekt hingeben. Es ist zwar wahr, daß er jeden zu Recht als seinen Feind ansehen kann, der nicht in allem genau so denkt wie er, doch wir erörtern hier nicht, was sein Recht ist, sondern was vorteilhaft für ihn ist. Ich gebe zu, daß er das Recht hat, mit äußerster Gewalttätigkeit zu regieren und die Bürger aus geringfügigstem Anlaß hinrichten zu lassen, doch niemand wird glauben, daß dies dem Urteil der gesunden Vernunft gemäß sein könnte. Mehr noch, weil dies ohne große Gefahr für den ganzen Staat gar nicht geschehen kann, können wir sogar bestreiten, daß er die uneingeschränkte Macht zu solchen oder ähnlichen Handlungen hat und folglich das uneingeschränkte Recht dazu; denn das Recht des Souveräns, so haben wir gezeigt, ist von seiner Macht her bestimmt. [4] Wenn also niemand die Freiheit zu urteilen und zu denken, was er will, aufgeben kann, wenn vielmehr nach dem höchsten Recht der Natur jeder Herr seiner Gedanken ist, ergibt sich, daß man in keinem Staat versuchen kann (es sei denn ohne jeden Erfolg), die Menschen, die doch unterschiedliche und einander entgegengesetzte Meinungen haben, dazu zu bringen, nur nach der Vorschrift des Souveräns zu reden;

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denn selbst die Klügsten, vom Pöbel gar nicht zu reden, wissen nicht immer zu schweigen. Es ist ein bei allen Menschen anzutreffendes Gebrechen, anderen seine Ansichten anzuvertrauen, wenn Schweigen am Platz wäre. Derjenige Staat wird also der gewalttätigste sein, in dem einem jeden die Freiheit zu sagen und zu lehren, was er denkt, verweigert wird, und andererseits wird derjenige gut geleitet sein, in dem diese Freiheit einem jeden zugestanden wird. Freilich läßt sich nicht abstreiten, daß die Majestät auch mit Worten und nicht nur durch Taten verletzt werden kann, daß es also, wenn diese Freiheit den Untertanen auch nicht völlig genommen werden kann, doch höchst verderblich ist, sie ihnen uneingeschränkt zuzugestehen. Deshalb gilt es jetzt zu untersuchen, wieweit diese Freiheit ohne Gefahr für den Frieden im Staat und das Recht des Souveräns einem jeden zugestanden werden kann und muß, was, wie ich zu Beginn des 16. Kapitels angekündigt habe, hier mein wesentliches Vorhaben ist. Aus den oben entwickelten Grundlagen des Staates folgt mit äußerster Klarheit, daß sein höchster Zweck nicht darin besteht, die Menschen zu beherrschen, sie mit Hilfe der Furcht in Schranken zu halten und dem Recht eines anderen zu unterwerfen, sondern im Gegenteil darin, einen jeden von der Furcht zu befreien, damit er so weit wie möglich in Sicherheit lebt, d. h. damit er sein natürliches Recht zu existieren und zu wirken ohne Gefahr für sich und den anderen in bestmöglicher Weise behält. Nicht, sage ich, besteht der Zweck des Staates darin, die Menschen aus vernünftigen Wesen in Tiere oder Automaten zu verwandeln, sondern im Gegenteil darin, sicherzustellen, daß ihr Geist und ihr Körper ihre Funktionen ungefährdet verrichten, sie selbst ihre Vernunft, die frei ist, gebrauchen und sich nicht mit Haß, Zorn und Arglist bekämpfen noch einander feindselig gesinnt sind. Der Zweck des Staates ist also in Wahrheit die Freiheit. Ferner haben wir gesehen, daß zur Bildung des Staates dieses eine notwendig gewesen war: daß die Befugnis zu beschließen in allen Belangen in den Händen einer einzigen Instanz liegt,

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mag diese aus allen, aus einigen oder nur aus einem bestehen. Da nun das freie Urteil der Menschen sehr unterschiedlich ausfällt und jeder glaubt, er allein wisse alles, es also unmöglich ist, daß alle dieselbe Meinung teilen und wie aus einem Munde reden, könnten sie nicht friedlich miteinander leben, wenn nicht jeder das Recht, nach eigenem Beschluß zu handeln, aufgäbe. Aufgegeben hat damit jeder nur das Recht, nach eigenem Beschluß zu handeln, nicht aber das Recht, nachzudenken und zu urteilen. Mithin kann niemand gegen den Beschluß des Souveräns handeln, ohne dessen Recht zu gefährden; doch er kann ohne Einschränkung denken und urteilen und folglich auch sprechen, vorausgesetzt, daß er sich damit begnügt, einfach zu sprechen und zu lehren, und seine Ansichten allein mit der Vernunft verficht, nicht aber mit Arglist, Zorn und Haß oder in der Absicht, etwas auf den eigenen Beschluß hin in den Staat einzuführen. Wenn zum Beispiel jemand zeigt, daß ein Gesetz der gesunden Vernunft zuwiderläuft, und sich deshalb für dessen Aufhebung ausspricht und wenn er zugleich seine Ansicht dem Urteil des Souveräns (dem allein es obliegt, Gesetze zu erlassen und aufzuheben) unterwirft und zwischenzeitlich nichts gegen die Vorschrift dieses Gesetzes unternimmt, dann hat er sich gewiß um den Staat verdient gemacht als einer seiner besten Bürger. Wenn er dies dagegen tut, um die Obrigkeit der Unbilligkeit zu bezichtigen und sie beim Volk verhaßt zu machen, oder wenn er versucht, dieses Gesetz in aufrührerischer Weise, nämlich gegen den Willen der Obrigkeit, abzuschaffen, dann ist er zweifellos ein Störenfried und Rebell. [8] Wir sehen also, in welchem Sinne jeder sagen und lehren kann, was er will, ohne das Recht und die Autorität des Souveräns, d. h. den Frieden im Staat, in Gefahr zu bringen, unter der Voraussetzung nämlich, daß er es ihm überläßt, über alle Handlungen zu beschließen, und nichts gegen seinen Beschluß unternimmt, selbst wenn er dann oft gegen das, was er als gut beurteilt und öffentlich bekundet, handeln muß; das kann er ohne Schaden für die Gerechtigkeit und die Frömmigkeit tun und muß es sogar, wenn er gerecht und fromm

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sein will. Denn die Gerechtigkeit beruht, wie wir schon gezeigt haben, allein auf dem Beschluß des Souveräns; mithin kann niemand gerecht sein, wenn er nicht gemäß den von ihm erhaltenen Beschlüssen lebt. Und die Frömmigkeit hat (nach den Darlegungen des vorigen Kapitels) ihre höchste Form darin, mit Rücksicht auf den Frieden und die Ruhe im Staat ausgeübt zu werden, die sich nicht aufrecht erhalten lassen, wenn man jeden nach eigenem Gutdünken leben läßt. Es ist sogar ruchlos, nach eigenem Gutdünken gegen den Beschluß des Souveräns, dessen Untertan man ist, etwas zu tun, weil dies, wäre es einem jeden erlaubt, unausweichlich den Untergang des Staates zur Folge hätte. Mehr noch, solange er gemäß dem Beschluß des Souveräns handelt, kann er gar nicht gegen den Beschluß und das Gebot der eigenen Vernunft handeln; denn er hat gerade auf Anraten der Vernunft ein für allemal beschlossen, das Recht, gemäß eigenem Urteil zu leben, dem Souverän zu übertragen. Auch die Praxis kann uns dies bestätigen: In den Versammlungen der höchsten wie der untergeordneten Gewalten ist es in der Tat selten, daß ein einstimmiger Beschluß gefaßt wird, und trotzdem hat dort alles seine Gültigkeit kraft des gemeinsamen Beschlusses aller, sowohl derer, die dagegen, wie derer, die dafür gestimmt haben. [9] Doch ich komme auf mein Vorhaben zurück: Wir haben im Rückgriff auf die Grundlagen des Staates gesehen, in welchem Sinne der einzelne unbeschadet des Rechts des Souveräns von der Freiheit des Urteils Gebrauch machen kann. Im Rückgriff darauf können wir aber ebenso leicht bestimmen, welche Meinungen innerhalb des Staates aufrührerisch sind. Es sind diejenigen, die zu vertreten zugleich den Pakt hinfällig sein läßt, mit dem jeder sein Recht, nach eigenem Gutdünken zu handeln, aufgegeben hat. Wenn beispielsweise jemand meint, der Souverän stehe nicht unter eigenem Recht oder niemand müsse sein Versprechen halten oder jeder dürfe nach eigenem Gutdünken leben und anderes dieser Art, was dem genannten Pakt geradewegs widerspricht – wer so denkt, ist aufrührerisch, nicht weil er überhaupt urteilt und eine Meinung hat, sondern wegen der in solchen Urteilen enthaltenen Tat, daß er

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nämlich dadurch, daß er diese Meinung hat, die Treue bricht, die er dem Souverän, stillschweigend oder ausdrücklich, gelobt hat. Mithin sind die übrigen Meinungen, die eine Handlung wie Bruch des Paktes, Rache, Zorn usw. nicht enthalten, nicht aufrührerisch, ausgenommen vielleicht in einem irgendwie verderbten Staat, in dem abergläubische und ehrgeizige Menschen, die Menschen freimütigen Charakters nicht ertragen können, zu einem solchen Ansehen gekommen sind, daß ihre Autorität beim Pöbel mehr gilt als die des Souveräns. Gewiß bestreiten wir nicht, daß es auch bestimmte Ansichten gibt, die, obwohl sie sich nur um Wahr und Falsch zu drehen scheinen, dennoch in böser Absicht vorgebracht und verbreitet werden. Doch haben wir von ihnen schon im 15. Kapitel gesprochen und dabei gezeigt, wie die Vernunft ihre Freiheit gleichwohl behält. Beachten wir schließlich noch, daß die Loyalität des einzelnen gegenüber dem Staat, ebenso wie seine Treue gegenüber Gott, sich nur an den Werken erkennen läßt, d. h. an der Nächstenliebe, werden wir nicht daran zweifeln können, daß der beste Staat einem jedem dieselbe Freiheit zu philosophieren zugesteht, die, wie wir gezeigt haben, der Glaube einem jeden zugesteht. [10 ] Ich räume ein, daß einer solchen Freiheit zuweilen gewisse Mißstände entspringen können; aber hat es jemals eine so weise Institution gegeben, daß ihr überhaupt kein Ungemach hätte entspringen können? Wer alles mit Gesetzen bestimmen will, wird eher zu Lastern anstacheln als Laster korrigieren. Was sich nicht untersagen läßt, muß zwangsläufig zugelassen werden, mag es auch häufig Schaden mit sich bringen. Wie viele Übel erwachsen aus Luxus, Neid, Habgier, Trunksucht und ähnlichen Lastern! Gleichwohl duldet man sie, weil man sie durch gesetzliche Vorschriften nicht unterbinden kann, obwohl sie wirklich Laster sind; ist dem so, dann muß man erst recht die Freiheit des Urteils gewähren, die sicherlich eine Tugend ist und nicht unterdrücket werden kann. Hinzu kommt, daß ihr keine Mißstände entspringen, die sich nicht durch die Autorität der Obrigkeit (wie ich sogleich zeigen werde) vermeiden ließen, nicht zu reden davon, daß diese Freiheit für

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das Gedeihen der Wissenschaften und Künste unerläßlich ist, können diese doch erfolgreich nur von Menschen betrieben werden, deren Urteil frei und unvoreingenommen ist. [11] Gesetzt aber, diese Freiheit könnte unterdrückt und die Menschen so in Schranken gehalten werden, daß sie ohne Erlaubnis des Souveräns nicht einmal zu flüstern wagten, so wird es doch niemals dahin kommen, daß sie auch nur so denken, wie dieser will; die notwendige Folge wäre also, daß die Menschen jeden Tag eine Sache dächten und eine andere sagten, und folglich, daß die in einem Staat so nötige Loyalität zugrundeginge und Heuchelei und Unredlichkeit, abscheuliche Dinge, großgezogen würden, die Quelle von Betrug und Verderbnis aller guten Grundsätze. Alle Menschen dazu zu bringen, in vorgegebenen Grenzen zu sprechen, ist in Wirklichkeit aber gar nicht möglich; im Gegenteil, je mehr man ihnen die Redefreiheit zu nehmen sucht, desto hartnäckiger werden sie auf ihr bestehen, gewiß nicht die Habgierigen, die Heuchler und andere Menschen ohnmächtigen Gemüts, deren höchstes Glück darin besteht, das Geld im Kasten zu betrachten und den Bauch voll zu haben, wohl aber diejenigen, die gute Erziehung, moralische Integrität und tugendhaftes Verhalten zu freieren Menschen gemacht haben. Die meisten Menschen sind so beschaffen, daß sie nichts weniger ertragen können, als daß Ansichten, die sie für wahr halten, als Verbrechen gelten und daß ihnen als Frevelei angerechnet wird, was sie zur Frömmigkeit gegenüber Gott und den Menschen bewegt. Das bringt sie dazu, die Gesetze zu verabscheuen und sich gegen den Magistrat alles Mögliche zu erdreisten und zu meinen, es sei nicht schimpflich, sondern höchst ehrenhaft, deswegen Empörungen anzuzetteln und alle Arten von Unruhe zu provozieren. Weil die menschliche Natur zweifellos so beschaffen ist, dürfte klar sein, daß Gesetze über Meinungen nicht die Schurken treffen, sondern die Menschen edlen Charakters und nicht dazu führen, die Bösartigen im Zaum zu halten, sondern eher die Anständigen zu erbittern, und daß sie sich ohne große Gefahr für den Staat nicht aufrechterhalten lassen.

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Man nehme hinzu, daß derartige Gesetze völlig nutzlos sind. Denn diejenigen, die die per Gesetz verdammten Ansichten für richtig halten, werden den Gesetzen nicht gehorchen können, während umgekehrt diejenigen, die diese Ansichten als falsch verwerfen, die sie verdammenden Gesetze als ein Privileg aufnehmen und darüber so sehr frohlocken, daß die Obrigkeit sie später nicht mehr abschaffen kann, selbst wenn sie es wollte. Dazu kommt noch, was wir im 18. Kapitel aus der Geschichte der Hebräer als zweiten Punkt gefolgert haben. Und schließlich, wie viele Kirchenspaltungen sind gerade daraus entstanden, daß die Behörden die Streitigkeiten der Gelehrten durch Gesetze beilegen wollten? In der Tat, wenn die Menschen sich nicht der Hoffnung hingäben, Gesetze und Obrigkeit auf ihre Seite zu bringen, über ihre Gegner zu triumphieren und unter dem Beifall des gewöhnlichen Volkes zu Ehren zu gelangen, dann würden sie sich nicht mit so viel Bosheit bekämpfen und ihr Gemüt nicht mit so viel Raserei erfüllt werden. Nicht nur die Vernunft, sondern auch die Erfahrung lehrt mit täglich neuen Beispielen, daß Gesetze, die dem einzelnen vorschreiben, was er glauben soll, und ihm verwehren, gegen diese oder jene Meinung etwas zu sagen oder zu schreiben, häufig nur erlassen wurden, um dem Zorn derer entgegenzukommen oder besser nachzugeben, die Menschen freien Geistes nicht ertragen können und die es verstehen, mit finsterer Autorität die Frömmelei eines aufruhrbereiten Pöbels mühelos in Raserei zu verwandeln und gegen den aufzubringen, den sie gerade im Visier haben. [13] Wäre es aber nicht weitaus besser, den Zorn und die Wut des Volkes in Schranken zu halten, statt unnütze Gesetze zu erlassen, die nur diejenigen verletzen können, die Tugend und ehrenhaftes Verhalten lieben, und den Staat so einzuengen, daß er Menschen dieser Art nicht ertragen kann? Läßt sich ein größeres Unglück für den Staat erdenken, als ehrenhafte Männer, bloß weil sie eine abweichende Meinung haben und sich nicht zu verstellen wissen, wie Nichtswürdige des Landes zu verweisen? Was, sage ich, ist verderblicher, als daß Männer [12]

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nicht wegen einer Missetat oder eines Verbrechens, sondern weil sie freien Geistes sind, zu Feinden erklärt und zur Hinrichtung geführt werden, und daß das Schafott – Schreckbild der Bösen – zur herrlichsten Schaubühne wird, um allen ein eindringliches Beispiel von Duldsamkeit und Tugend, aller Majestät zum Hohn, vor Augen zu führen? Wer sich nämlich seiner Rechtschaffenheit bewußt ist, fürchtet nicht, wie der Verbrecher, den Tod und fleht nicht um Erlaß der Strafe; nicht Scham über eine verwerfliche Tat bedrückt sein Gemüt; im Gegenteil, als Ehre, nicht als Strafe erachtet er es, für eine gute Sache zu sterben, und als ruhmvoll, für die Freiheit den Tod zu erleiden. Wem kann denn eine solche Hinrichtung, deren Ursache die Trägen und moralisch Kraftlosen nicht kennen, die Aufrührer hassen und die Rechtschaffenen lieben, als Beispiel dienen? Niemand kann daraus eine andere Lektion ziehen als die Aufforderung zur Nachahmung oder wenigstens zur Kriecherei. [14] Damit nicht Beifallsgetöse, sondern Loyalität Anerkennung findet und der Souverän die Herrschaft über den Staat fest in Händen hat und nicht gezwungen wird, Aufrührern Platz zu machen, ist es deshalb unerläßlich, die Freiheit des Urteils zu gewähren, und erforderlich, die Menschen so zu regieren, daß sie bei aller Verschiedenheit, ja Gegensätzlichkeit der von ihnen geäußerten Meinungen in Eintracht miteinander leben können. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß eine solche Form des Regierens die beste ist und die wenigsten Mißstände mit sich bringt, weil sie der Natur der Menschen im höchsten Maße entspricht. Denn in einem demokratischen Staat (der dem natürlichen Zustand am nächsten kommt), kommen alle, wie wir gezeigt haben, darin überein, nach gemeinsamem Beschluß zu handeln, nicht aber zu urteilen und nachzudenken; und das bedeutet, daß sie, weil nicht alle Menschen die gleiche Ansicht haben können, übereingekommen sind, derjenigen Ansicht Gesetzeskraft zu verleihen, die die meisten Stimmen erhielt, unter dem Vorbehalt freilich, diese Beschlüsse aufzuheben, sobald sie etwas Besseres ausfindig machen. Je weniger man deshalb den Menschen die Urteilsfreiheit zugesteht,

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desto weiter entfernt man sich von dem Zustand, der der natürlichste ist, desto gewalttätiger regiert man also. [15] Um nun zu beweisen, daß sich aus dieser Freiheit keine Mißstände ergeben, die sich nicht durch die bloße Autorität des Souveräns vermeiden ließen, und daß nur sie die Menschen davon abhalten kann, auch bei offensichtlich entgegengesetzten Meinungen einander Schaden zuzufügen – dafür gibt es Beispiele, die auf der Hand liegen und die ich nicht weither holen muß. Nehmen wir als Beispiel die Stadt Amsterdam, die die Früchte dieser Freiheit in ihrem prächtigen Gedeihen und unter Bewunderung aller Völker erfährt. In diesem so blühenden Staat, in dieser so herrlichen Stadt leben alle Menschen, welchem Volk und welcher Sekte sie auch angehören, in vollkommener Eintracht; um jemandem sein Hab und Gut anzuvertrauen, braucht man nur zu wissen, ob er reich oder arm ist und ob er gewöhnlich redlich oder hinterlistig handelt; um die Religion oder die Sekte kümmert man sich nicht, weil sie für die richterliche Entscheidung über Recht und Unrecht einer Angelegenheit keine Rolle spielt. Keine Sekte gibt es, wie verhaßt sie auch sein mag, deren Mitglieder durch die öffentliche Autorität und Aufsicht der Behörden nicht geschützt wären (vorausgesetzt, sie schädigen niemanden, lassen jedem das Seine zukommen und leben selbst anständig). Als dagegen früher der Religionsstreit zwischen Remonstranten und Contraremonstranten sich anschickte, die Politiker und die Provinzstaaten zu plagen, mündete dies am Ende in ein Schisma, und viele Beispiele aus der damaligen Zeit belegen, daß Gesetze zu Fragen der Religion mit dem Ziel, Streitigkeiten beizulegen, die Menschen eher aufreizen als bessern, und auch, daß sich andere mit Berufung auf sie eine schrankenlose Willkür anmaßen, und schließlich, daß die Spaltungen ihren Ursprung nicht in einem besonders eifrigen Streben nach Wahrheit (der Quelle von Güte und Sanftmut) haben, sondern in einer allzugroßen Herrschsucht. Das verdeutlicht klarer als das Sonnenlicht, daß Schismatiker diejenigen sind, die die Schriften anderer verdammen und in aufrührerischer Weise das dreiste Volk gegen deren Verfasser aufhetzen, und

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nicht so sehr die Verfasser selbst, die meistens für die Gelehrten schreiben und ausschließlich die Vernunft zu Hilfe rufen, und nicht zuletzt, daß die wahren Friedensstörer diejenigen sind, die in einem freien Staat die Freiheit des Urteils, die sich gar nicht unterdrücken läßt, beseitigen wollen. [16] Hiermit haben wir Folgendes gezeigt: 1. Es ist unmöglich, den Menschen die Freiheit zu sagen, was sie denken, zu nehmen; 2. diese Freiheit kann jedem gelassen werden, ohne das Recht und die Autorität des Souveräns zu gefährden, und jeder kann sie unbeschadet dieses Rechts bewahren, sofern er sich daraus nicht die Erlaubnis nimmt, ein neues Recht in den Staat einzuführen oder etwas gegen die etablierten Gesetze zu unternehmen; 3. jeder kann diese Freiheit haben, ohne den Frieden im Staat zu gefährden, und sie wird keinen Mißstand hervorrufen, der sich nicht leicht beheben ließe; 4. jeder kann sie auch ohne Gefahr für die Frömmigkeit haben; 5. Gesetze über spekulative Dinge sind völlig nutzlos; 6. diese Freiheit, so haben wir gezeigt, kann nicht nur ohne Schaden für den Frieden im Staat, die Frömmigkeit und das Recht des Souveräns zugestanden werden, sondern sie muß auch zugestanden werden, wenn man den Frieden, die Frömmigkeit und das Recht des Souveräns erhalten will. In der Tat, wo man sich daranmacht, den Menschen diese Freiheit zu nehmen, und die Meinungen von Abweichlern vor Gericht zieht und nicht deren geistige Haltung, die allein der Verfehlung fähig ist, dort wird an rechtschaffenen Menschen ein Exempel statuiert, das eher nach einem Martyrium aussieht und die anderen mehr erbittert und zum Mitleid, wenn nicht gar zur Rache bewegt, als daß es sie abschreckt; die guten Sitten und Treu und Glaube werden so vernichtet, Kriecher und Unredliche großgezogen, und die Verächter der Rechtschaffenheit triumphieren, weil man ihrem Haß nachgegeben hat und sie die Inhaber der Regierungsgewalt zu Parteigängern der Lehre gemacht haben, als deren Interpreten sie selbst gelten; so kommt es, daß sie sich deren Recht und Autorität anzumaßen wagen und schamlos behaupten, sie seien unmittelbar von Gott erwählt und ihre Beschlüsse seien göttlich, die des

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Souveräns hingegen nur menschlich, die deshalb den göttlichen Beschlüssen, also ihren eigenen, weichen müßten – alles Dinge, niemand kann es leugnen, die dem Wohl des Staates ganz und gar zuwiderlaufen. [17] Daraus schließen wir, hier wie im 18. Kapitel, daß nichts die Sicherheit des Staates besser gewährleistet, als Frömmigkeit und Religion bloß in der Ausübung von Nächstenliebe und Billigkeit bestehen zu lassen und das Recht des Souveräns in heiligen wie weltlichen Angelegenheiten nur auf Handlungen zu beziehen, im übrigen aber jedem zuzugestehen zu denken, was er will, und zu sagen, was er denkt. [18] Damit habe ich erledigt, was ich in diesem Traktat zu behandeln mir vorgenommen hatte. Es bleibt mir nur noch, ausdrücklich daran zu erinnern, daß ich in ihm nichts geschrieben habe, was ich nicht lange durchdacht hätte und was ich nicht der Prüfung und dem Urteil der höchsten Gewalten meines Vaterlandes unterwerfe; urteilen sie, daß etwas von dem, was ich gesagt habe, den Landesgesetzen widerstreitet oder dem Gemeinwohl schadet, will ich es nicht gesagt haben. Ich weiß, daß ich ein Mensch bin und habe irren können; ich habe mich aber redlich bemüht, nicht zu irren und vor allem nichts zu schreiben, was mit den Gesetzen des Vaterlandes, der Frömmigkeit und den guten Sitten nicht völlig in Einklang stünde.

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Anmerkung 1: Wenn der dritte Wortstamm ein sogenannter Quiescens ist, läßt man ihn gewöhnlich weg und wiederholt an seiner Stelle den zweiten. So wird aus khila, unter Weglassung des quiescens hé, kholél und daraus khol, und aus nibab wird nobéb, woher sich nib sepataim (Gespräch oder Rede) herleitet; und ebenso aus baza bazaz oder buz (shagag, shug, mishgèh kommen von shagah; hamam von hamah; belial, balal von balah). R. Salomon Jarghi hat daher dieses Wort nabi sehr richtig interpretiert und wird zu Unrecht von Ibn Esra, der die hebräische Sprache nicht so genau kannte, getadelt. Ferner ist zu beachten, daß das Wort nebuah (Prophetie) eine allgemeine Bedeutung hat und jede Art des Prophezeiens umfaßt, während die anderen Wörter von spezieller Bedeutung sind und hauptsächlich eine bestimmte Art des Prophezeiens im Blick haben, was Kennern bekannt sein dürfte.

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Anmerkung 2: Das heißt Interpret Gottes. Denn Interpret Gottes ist, wer die Ratschlüsse Gottes anderen interpretiert, denen sie nicht offenbart wurden und die sich, um sie aufzunehmen, allein auf die Autorität des Propheten stützen. Denn wenn die Menschen, die die Propheten hören, zu Propheten würden, wie zu Philosophen diejenigen werden, die die Philosophen hören, dann wäre der Prophet nicht ein Interpret göttlicher Beschlüsse, weil seine Zuhörer sich nicht auf das Zeugnis und die Autorität dieses Propheten stützten, sondern auf die Offenbarung selbst und das eigene innere Zeugnis. Ebenso ist der Souverän der Interpret des Rechts seines Staates, weil die von ihm erlassenen Gesetze bloß von seiner Autorität verteidigt werden und allein auf seinem Zeugnis beruhen.

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Anmerkung 3: Wenn auch manche Menschen bestimmte Eigenschaften haben, welche die Natur den anderen nicht be-

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schieden hat, sagt man von ihnen doch nicht, sie überträfen die menschliche Natur, es sei denn, ihre besonderen Merkmale sind von der Art, daß sie sich aus der Defi nition der menschlichen Natur nicht verstehen lassen. Beispielsweise ist eine riesige Größe selten, aber doch menschlich. Es ist auch nur sehr wenigen Menschen gegeben, aus dem Stegreif Gedichte zu machen, und doch ist das menschlich; ebenso daß jemand mit offenen Augen etwas so lebhaft vorstellt, als ob er es vor sich hätte. Wenn es hingegen jemanden gäbe, der ein anderes Medium des Wahrnehmens und andere Prinzipien der Erkenntnis hätte, er würde fürwahr die der menschlichen Natur gesetzten Schranken übersteigen. Anmerkung 4: In Genesis 15 wird berichtet, Gott habe Abraham gesagt, er sei sein Beschützer und werde ihm eine reichliche Belohnung geben, worauf Abraham erwiderte, er habe für sich nichts von Belang zu erwarten, denn er war bei vorgerücktem Alter kinderlos. Anmerkung 5: Daß es für das ewige Leben nicht ausreicht, die Anordnungen des Alten Testaments einzuhalten, geht aus Markus 10, 21 hervor. Anmerkung 6: Wir zweifeln an der Existenz Gottes und folglich auch an allen Dingen so lange, wie wir von Gott selbst nicht eine klare und deutliche, sondern verworrene Idee haben. Denn wie der, der die Natur des Dreiecks nicht richtig kennt, nicht weiß, daß seine Winkel gleich zwei rechten sind, so sieht auch der, der die göttliche Natur verworren auffaßt, nicht, daß es zur Natur Gottes gehört zu existieren. Um aber die Natur Gottes klar und deutlich erfassen zu können, ist es nötig, an bestimmte sehr einfache Begriffe zu denken, die man Gemeinbegriffe nennt, und mit ihnen diejenigen, die der göttlichen Natur zukommen, zu verknüpfen. Dann wird uns klar, erstens, daß Gott notwendigerweise existiert und allgegenwärtig ist, ferner, daß alles, was wir begreifen, die Natur Gottes in sich einschließt und durch sie begriffen wird, und

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schließlich, daß alles, was wir adäquat begreifen, wahr ist. Siehe hierüber die Einleitung des Buches mit dem Titel Prinzipien der Philosophie in geometrischer Weise dargestellt.

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Anmerkung 7: Für uns nämlich, denen diese Sprache nicht geläufig ist und die nicht mehr ihre Redewendungen kennen.

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Anmerkung 8: Unter begreiflichen Dingen verstehe ich nicht nur solche, die sich streng beweisen lassen, sondern auch Dinge, die wir mit einer moralischen Gewißheit anzunehmen und ohne Verwunderung zu hören pflegen, obwohl sie überhaupt nicht bewiesen werden können. Die Lehrsätze des Euklid werden, ehe sie noch bewiesen sind, von einem jeden begriffen. So ist es auch mit Erzählungen von künftigen wie vergangenen Ereignissen, die das, was für Menschen glaubhaft ist, nicht überschreiten, wie auch mit Rechtsgesetzen, Satzungen und Sittenlehren, die ich begreiflich und klar nenne, obwohl sie sich nicht mathematisch beweisen lassen. Andererseits nenne ich die Symbole und die Erzählungen, die alle Glaubwürdigkeit zu überschreiten scheinen, unbegreifl ich; und dennoch gibt es darunter viele, die nach unserer Methode untersucht werden können, um den Gedanken des Autors zu begreifen. Anmerkung 9: Nämlich von dem Historiker und nicht von Abraham; denn er sagt: Der Ort, von dem es heute heißt Auf dem Berg Gottes wird offenbart werden, wurde von Abraham genannt Gott wird vorhersehen. Anmerkung 10: Von dieser Zeit an bis zur Regierung Jorams, unter der sie von ihm abfielen (siehe 2. Könige 8, 20), hatte Idumäa nicht Könige, sondern von den Juden eingesetzte Statthalter, die den König vertraten (siehe 1. Könige 22, 48), und deswegen wird der Statthalter von Idumäa (2. Könige 3, 9) König genannt. Ob aber der letzte dieser Könige seine Herrschaft schon angetreten hatte, bevor Saul zum König gewählt wurde, oder ob die Schrift in diesem Kapitel der Ge-

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nesis nur die Könige hat anführen wollen, die unbesiegt gestorben sind, mag strittig sein. Im übrigen reden diejenigen völligen Unsinn, die in die Liste der hebräischen Könige Moses aufnehmen wollen, der, von Gott inspiriert, einen hebräischen Staat errichtet hat, der mit einem monarchischen Staat nichts zu tun hatte. Anmerkung 11: Beispielsweise liest man in 2. Könige 18, 20 in der zweiten Person Du hast gesagt (amarta), aber nur mit dem Mund, bei Jesaja aber (36, 5) amarti, d. h. Ich habe gesagt – und gewiß sind das bloße Worte –, daß für den Krieg Umsicht und Standhaftigkeit nötig sind. Ferner liest man in Vers 22 veki tomrum, d. h. Vielleicht möchtet ihr aber sagen, im Plural also, während man in Jesajas Version den Singular findet. Außerdem liest man in Jesajas Text nicht folgende Worte, die in Vers 32 des angeführten Kapitels stehen: Ein Land voller Oliven und Honig, damit ihr lebt und nicht zu sterben braucht, hört also nicht auf Hiskia. Dieser Art findet man noch viele andere voneinander abweichende Lesarten, bei denen niemand wird bestimmen können, welcher jeweils der Vorzug zu geben ist. Anmerkung 12: Beispielsweise liest man in 2. Samuel 7, 6: Ich bin beständig mit einem Zelt und einer Hütte umhergestreift, in 1. Chronik 17, 5 aber: Ich ging von einem Zelt zu einem anderen und von einer Hütte …, also mithalek [beständig] in méohél [von einem Zelt], ohél [mit einem Zelt] in el-ohél [zu einem Zelt] und bemishkan [mit einer Hütte] in mimishkan [von einer Hütte] ändernd. Ferner liest man in 2. Samuel 7, 10: um es zu Boden zu werfen und in 1. Chronik 17, 9: um es zu zermalmen. Jeder, der nicht ganz blind und nicht völlig von Sinnen ist, wird noch mehr Abweichungen dieser Art und auch wichtigere konstatieren, wenn er diese Kapitel auch nur einmal gelesen hat. Anmerkung 13: Daß dieser Text hier keine andere Zeit im Auge hat als die, in der Joseph verkauft wurde, geht nicht nur aus dem Zusammenhang der Rede hervor, sondern läßt sich

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auch Judas Lebensalter entnehmen, der damals höchstens zweiundzwanzig Jahre alt war, wenn der Bericht in dem vorangehenden Kapitel eine Berechnung erlaubt. Denn aus Genesis 29, 35 geht hervor, daß Juda im zehnten Jahr, nachdem der Erzvater Jakob seinen Dienst bei Laban begonnen hatte, geboren wurde, Joseph aber im vierzehnten Jahr. Weil also Joseph siebzehn Jahre alt war, als er verkauft wurde, war folglich Juda damals einundzwanzig Jahre alt und nicht älter. Wer also glaubt, Judas lange Abwesenheit von Hause gehöre in die Zeit vor Josephs Verkauf, sucht sich selbst etwas vorzumachen und ist mehr um die Göttlichkeit der Schrift besorgt als ihrer sicher. Anmerkung 14: Daß manche glauben, Jakob sei acht oder zehn Jahre lang zwischen Mesopotamien und Bethel umhergezogen, riecht nach Torheit, sage ich, ohne damit Ibn Esra zu nahe treten zu wollen. Denn nicht nur aus Sehnsucht nach seinen Eltern, die ihn zweifellos erfüllte, sondern auch um sein Gelübde zu erfüllen (siehe Genesis 28, 20 und 31, 13), beeilte er sich, so gut er konnte. Wenn das wohl auch eher Vermutungen als sichere Gründe sind, wollen wir einmal zugeben, Jakob habe acht oder zehn, meinethalben auch noch mehr Jahre für diesen kurzen Weg gebraucht, von schlimmerem Schicksal getrieben als Odysseus. Man wird aber gewiß nicht abstreiten können, daß Benjamin im letzten Jahr dieser Wanderschaft geboren wurde, d. h. nach ihrer Hypothese ungefähr fünfzehn oder sechzehn Jahre nach Josephs Geburt; denn Jakob nahm Abschied von Laban im siebten Jahr nach Josephs Geburt. Von dem Jahr, als Joseph siebzehn war, bis zu dem Jahr, als der Erzvater selbst nach Ägypten auszog, lassen sich aber nicht mehr als zweiundzwanzig Jahre zählen, wie wir in diesem Kapitel gezeigt haben. Zu der Zeit, als er nach Ägypten zog, war Benjamin also höchstens dreiundzwanzig oder vierundzwanzig Jahre alt, in welcher jugendlichen Blüte er, wie feststeht, schon Enkelkinder hatte (siehe Genesis 46, 21 im Vergleich zu Numeri 26, 38 – 40 und 1. Chronik 8, 1 ff.). Das anzunehmen ist nun genauso aberwitzig wie die Annahme,

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Dina sei im Alter von sieben vergewaltigt worden, und alles andere, was wir aus der Anordnung dieser Geschichte als unplausibel aufgewiesen haben. Das zeigt, daß inkompetente Leute in ihrem Bemühen, Schwierigkeiten aufzulösen, sich nur in andere verstricken und die Sache noch mehr durcheinanderbringen und zerreißen.

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Anmerkung 15: [Das heißt mit anderen Worten und in einer anderen Anordnung, als man im Buch Josua findet.]

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Anmerkung 16: Rabbi Levi ben Gerson und andere meinen, diese der Schrift zufolge in Freiheit verbrachten 40 Jahre hätten mit Josuas Tod begonnen und umfaßten somit auch die acht Jahe davor (in denen das Volk Kusan Rishgataim unterworfen war), und die folgenden 18 Jahre seien zu den 80 Jahren zu rechnen, in denen Ehud und Samgar Richter waren, und so seien auch die übrigen Jahre der Knechtschaft immer in denen einbegriffen, die sie nach dem Zeugnis der Schrift in Freiheit verbracht haben. Da die Schrift jedoch ausdrücklich aufzählt, wie viele Jahre die Hebräer in Knechtschaft verbracht haben und wie viele in Freiheit, und sie in Richter 2, 18 ausdrücklich berichtet, daß es den Hebräern zu Lebzeiten der Richter immer gut erging, dürfte vollkommen klar sein, daß jener Rabbiner, sonst ein gelehrter Mann, und alle, die ihm folgten, in ihrem Bemühen, Schwierigkeiten dieser Art aufzulösen, die Schrift eher abändern als erklären. Das gilt auch für diejenigen, die behaupten, die Schrift habe bei dieser allgemeinen Jahresberechnung nur die Zeiten angeben wollen, in denen ein jüdischer Staat bestand, und die Zeiten der Anarchie und der Knechtschaft hätten als Zeiten des Unglücks, als Interregnum gleichsam, in die allgemeine Jahreszählung nicht mit aufgenommen werden können. Die Schrift pflegt in der Tat die Zeiten der Anarchie mit Stillschweigen zu übergehen, die der Knechtschaft aber nicht weniger als die der Freiheit anzugeben und nicht, wie man wähnt, aus den Annalen zu tilgen. Daß aber Esra in die allgemeine Jahresberechnung im 1. Buch der Könige alle Jahre insgesamt seit dem Auszug aus Ägypten

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aufnehmen wollte, ist so evident, daß kein Kenner der Schrift daran jemals gezweifelt hat. Denn, um die Worte des Textes selbst beiseite zu lassen, schon Davids Geschlechtsregister, das sich am Ende von Buch Ruth und in 1. Chronik 2 findet, läßt kaum eine so große Anzahl von Jahren zu. In der Tat war Naheson zwei Jahre nach dem Auszug aus Ägypten Oberhaupt des Stammes Juda (siehe Numeri 7, 11 – 12); er ist also in der Wüste gestorben, und sein Sohn Salma hat mit Josua den Jordan überschritten. Dieser Salmon war aber nach Davids Geschlechtsregister Davids Urgroßvater. Wenn man von dieser Summe von 480 Jahren die 4 der Regierung Salomos und die 70 von Davids Leben sowie die 40 Jahre Aufenthalt in der Wüste abzieht, wird man finden, daß David 366 Jahre nach der Überquerung des Jordans geboren wurde und somit sein Vater, sein Großvater, sein Urgroßvater und sein Ururgroßvater jeweils im Alter von 90 Jahren Kinder gezeugt haben müssen.

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Anmerkung 17: Samson ist geboren, nachdem die Philister die Hebräer unterworfen hatten. Anmerkung 18: Andernfalls werden die Worte der Schrift eher abgeändert als erklärt. Anmerkung 19: Kirjat Jearim wird auch Baal Juda genannt, weshalb Kimchi und andere glauben, Baale Juda, was ich hier mit aus dem Volk Juda übersetzt habe, sei ein Name der Stadt; doch irren sie sich, weil Baale Plural ist. Wenn man ferner diese Stelle bei Samuel mit der im 1. Buch der Chronik vergleicht, wird man sehen, daß David sich nicht erhob und aus Baal wegging, sondern daß er dort hinging. Hätte der Verfasser des 2. Buches Samuel den Ort angeben wollen, von dem David die Lade wegtrug, hätte er, in gutem Hebräisch, sagen müssen: David erhob sich und zog weg usw. von Baal Juda, und trug von da die Lade Gottes weg. Anmerkung 20: [Die Kommentatoren dieser Textstelle haben sie wie folgt korrigiert: Und Absalom fl oh und zog sich zu

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Ptolemäus zurück, dem Sohn des Ammihud, König von Gesur, wo er drei Jahre blieb, und David beweinte seinen Sohn die ganze Zeit, die er in Gesur verbrachte. Aber wenn man das interpretieren nennt und wenn es erlaubt ist, sich bei der Vorstellung der Schrift eine solche Freiheit zu gestatten und auf diese Weise ganze Sätze umzustellen, ihnen etwas hinzufügend oder auch wegnehmend, dann ist das in meinen Augen die Erlaubnis, die Schrift zu verfälschen und ihr wie einem Wachsstück so viel Formen zu geben, wie man will.] Anmerkung 21: Diese Vermutung, wenn man überhaupt Vermutung nennen darf, was gewiß ist, ergibt sich aus dem in 1. Chronik 3 überlieferten Geschlechtsregister des König Jechonja, das bis zu Eljoenais Söhnen reicht, die von ihm in dreizehnter Generation abstammen. Zu beachten ist, daß dieser Jechonja, als er in Ketten gelegt wurde, keine Kinder hatte, aber offenbar im Kerker Kinder zeugte, was man aus den Namen, die er ihnen gab, vermuten darf. Die Enkelkinder, soweit man auch dies aus ihren Namen vermuten darf, hat er offenbar erst bekommen, als er wieder frei war. Mithin ist der in diesem Kapitel als Serubabels Vater genannte Pedaja (das bedeutet Gott hat befreit) im 37. oder 38. Jahr der Gefangenschaft Jechonjas geboren, d. h. 33 Jahre bevor König Cyrus den Juden seine Gunst erwies. Folglich war der von Cyrus zum Anführer der Juden bestellte Serubabel höchstens dreizehn oder vierzehn Jahre alt. Das habe ich aber mit Stillschweigen übergehen wollen aus Gründen, die zu erläutern der Zeitdruck mir nicht erlaubt. Einsichtigen Leuten dürfte es genügen, auf die Sache bloß hinzuweisen. Wenn sie die ganze Nachkommenschaft Jechonjas, wie sie in 1. Chronik 3 von Vers 17 bis zum Ende angegeben wird, mit einiger Aufmerksamkeit durchgehen und diesen hebräischen Text mit der Version der sogenannten Septuaginta vergleichen wollen, werden sie mühelos sehen können, daß diese Bücher nach der durch Judas Makkabäus erfolgten zweiten Wiederherstellung der Stadt veröffentlicht wurden, zu einer Zeit also, als Jechonjas Nachfolger die Herrschaft verloren hatten, und nicht früher.

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Anmerkung 22: Und deshalb hätte niemand vermuten können, daß Hesekiels Prophezeiung Jesajas Vorhersage widerspricht, wie alle nach dem Bericht des Josephus vermutet haben, bis der tatsächliche Ausgang sie erkennen ließ, daß beide das Wahre vorhergesagt hatten. Anmerkung 23: Daß dieses Buch zum größten Teil dem Buch entnommen ist, das Nehemia geschrieben hat, bezeugt in 1, 1 derselbe Historiker. Daß aber das, was von Kapitel 8 an bis zu Kapitel 12, Vers 26 berichtet wird, wie auch die beiden letzten Verse von Kapitel 12, die Nehemias Worten in Parenthese eingefügt sind, von diesem nach Nehemia lebenden Historiker hinzugefügt sind, unterliegt keinem Zweifel. Anmerkung 24: Esra war der Onkel des ersten Hohepriesters Josua (siehe Esra 7, 1 und 1. Chronik 6, 13 – 15) und ist zur gleichen Zeit wie Serubabel von Babylon nach Jerusalem gezogen (siehe Nehemia 12, 1). Offenbar hat er sich aber, als er das Durcheinander der Juden sah, wieder auf den Weg nach Babylon gemacht, was auch andere taten, wie aus Nehemia 1, 2 hervorgeht. Dort blieb er bis zur Regierung des Artasasti, um dann nach Erledigung dessen, was er gewollt hatte, zum zweiten Mal Jerusalem aufzusuchen. Auch Nehemia reiste mit Serubabel zur Zeit des Cyrus nach Jerusalem (siehe Esra 2, 2 u. 63 und vergleiche mit Nehemia 10, 2 und 12,1). Denn wenn die Interpreten Atirschata mit Gesandter übersetzen, belegen sie dies durch kein Beispiel, während umgekehrt sicher ist, daß die Juden, die den Hof aufsuchen mußten, neue Namen erhielten. So hieß Daniel Belsazar, Serubabel Sesbazar (siehe Daniel 1, 7, Esra 12, 8 und 5, 14) und Nehemia Atirschata, der sich aber im Hinblick auf sein Amt in der Regel mit Prokurator oder Präses grüßen ließ (siehe Nehemia 5, 14 und 12, 26). Anmerkung 25: Die sogenannte große Synagoge nahm ihren Anfang erst nach der Unterwerfung Asiens durch die Mazedonier. Wenn Maimonides, R. Abraham ben David und andere behaupten, Esra, Daniel, Nehemia, Haggai, Sacharja usw.

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seien Vorsitzende dieser Versammlung gewesen, ist das eine lächerliche Erfindung, die sich auf nichts anderes stützt als auf die Tradition der Rabbinen, denen zufolge das Perserreich nur 34 Jahre und nicht länger bestanden habe. Nur so können sie zeigen, daß die Beschlüsse dieser großen Synagoge oder Synode, die sich bloß aus Pharisäern zusammensetzte, von den Propheten gekommen seien, die sie wiederum von anderen Propheten empfangen hätten und so weiter bis hin zu Moses, der sie unmittelbar von Gott empfangen und den Späteren mündlich, nicht schriftlich, weitergegeben habe. Mögen das die Pharisäer mit der ihnen eigenen Hartnäckigkeit auch glauben, einsichtige Leute, die über die Ursachen von Versammlungen und Synoden wie auch über die Streitigkeiten der Pharisäer und Sadduzäer Bescheid wissen, haben die Ursachen der Einberufung dieser großen Synagoge oder Versammlung leicht erraten können. Das eine ist sicher, daß in dieser Versammlung keine Propheten zugegen waren und daß die Beschlüsse der Pharisäer, die sie „Überlieferungen“ nennen, von dieser Versammlung ihre Autorität erhalten haben. Anmerkung 26: Logizomai übersetzen die Interpreten dieser Stelle mit concludo (ich schließe) und behaupten, das Verb sei von Paulus im Sinne von syllogizomai gebraucht worden, während das griechische logizomai doch dasselbe bedeutet wie das hebräische hashab (rechnen, denken, erachten), in welcher Bedeutung es mit dem syrischen Text bestens übereinstimmt. In der Tat gibt die syrische Übersetzung (wenn es überhaupt eine Übersetzung ist, woran man zweifeln kann, weil wir ja weder den Übersetzer kennen noch den Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung und weil die Muttersprache der Apostel keine andere war als eben das Syrische) den paulinischen Text so wieder: methrahgenan hachil, von Tremellius ausgezeichnet mit wir ermessen also übersetzt. Denn das aus diesem Verb gebildete Substantiv rehgjono bedeutet freies Ermessen; rehgjono ist nämlich im Hebräischen rehgutha (Wille), methrahgenan also wir wollen oder wir ermessen.

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Anmerkung 27: [Das nämlich, was Jesus Christus auf dem Berg gelehrt hat und wovon der heilige Matthäus in Kapitel 5 ff. berichtet.]

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Anmerkung 28: Über die Interpretation der Schrift, S. 75.

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Anmerkung 29: Über die Interpretation der Schrift, S. 76.

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Anmerkung 30: Über die Interpretation der Schrift, S. 115. Anmerkung 31: Das heißt, daß es zum Heil oder zur Glückseligkeit genüge, die göttlichen Ratschlüsse als Anordnungen oder Rechtsgesetze aufzunehmen, und nicht erforderlich sei, sie als ewige Wahrheiten zu begreifen, das kann nicht die Vernunft, aber die Offenbarung lehren, wie aus dem im 4. Kapitel Bewiesenen hervorgeht. Anmerkung 32: Im bürgerlichen Zustand, wo sich auf der Basis gemeinsamen Rechts entscheidet, was gut und was schlecht ist, ist es richtig, zwischen guter und schlechter Arglist zu unterscheiden. Im natürlichen Zustand jedoch, wo jeder sein eigener Richter ist und das höchste Recht hat, sich Gesetze vorzuschreiben und diese auszulegen, ja sogar abzuschaffen, wenn er es als vorteilhafter für sich selbst erachtet, dort läßt sich keineswegs denken, daß jemand mit einer Arglist handelt, die schlecht wäre. Anmerkung 33: In welchem Gemeinwesen auch immer ein Mensch sein mag, er kann frei sein. Denn sicherlich ist der Mensch in dem Maße frei, wie er sich von der Vernunft leiten läßt. Die Vernunft rät aber (anders als nach Hobbes, wohlgemerkt) durchaus zum Frieden, der jedoch nur unter der Bedingung aufrechterhalten werden kann, daß die gemeinsamen Rechtsgesetze des Gemeinwesens unverletzt bleiben. Je mehr also ein Mensch sich von der Vernunft leiten läßt, d. h. je freier er ist, desto beständiger wird er die Rechtsordnung des Gemeinwesens beachten und die Anordnungen des Souveräns, dessen Untertan er ist, befolgen.

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Anmerkung 34: Wenn Paulus sagt, die Menschen hätten keine Ausflucht, dann redet er in menschlicher Weise. Denn in Kapitel 9 [Vers 18] des Römerbriefes lehrt er ausdrücklich, daß Gott sich erbarmt, wessen er will, und verhärtet, wen er will, und daß die Menschen allein deshalb unentschuldbar sind, weil sie in Gottes Gewalt sind wie der Ton in der des Töpfers, der aus demselben Material Gefäße formt, die einen zur Ehre, die anderen zur Unehre, nicht aber weil sie zuvor ermahnt wurden. Was das göttliche natürliche Gesetz angeht, dessen oberste Vorschrift, wie gesagt, ist, Gott zu lieben, habe ich es Gesetz in dem Sinne genannt, in dem die Philosophen die allgemeinen Regeln der Natur, nach denen alles geschieht, Gesetze nennen. Die Liebe zu Gott ist nämlich nicht Gehorsam, sondern eine Tugend, die dem Menschen, der Gott richtig kennt, notwendigerweise innewohnt. Der Gehorsam hingegen hat den Willen des Befehlenden im Blick und nicht die Notwendigkeit der Sache und deren Wahrheit. Weil uns die Natur des göttlichen Willens aber unbekannt ist, während wir ganz sicher wissen, daß alles, was geschieht, aus der bloßen Macht Gottes heraus geschieht, können wir nicht wissen, es sei denn aus Offenbarung, ob Gott von den Menschen mit einer Ehrenbezeugung wie ein Fürst verehrt werden will. Hinzu kommt, daß die Formen göttlichen Rechts, wie wir gezeigt haben, uns nur so lange als Rechtsgesetze oder Erlasse erscheinen, wie wir ihre Ursache nicht kennen. Ist sie erkannt, hören sie sofort auf, Rechtsgesetze zu sein, und wir übernehmen sie als ewige Wahrheiten und nicht als Rechtsgesetze, das heißt, daß der Gehorsam auf der Stelle in diejenige Liebe übergeht, die der wahren Erkenntnis so notwendig entspringt wie der Sonne das Licht. Unter Leitung der Vernunft können wir also Gott wohl lieben, aber nicht gehorchen, weil wir ja weder die Formen göttlichen Rechts, solange wir ihre Ursache nicht kennen, als göttlich übernehmen noch vernünftigerweise Gott als jemand denken können, der wie ein Fürst Rechtsgesetze erläßt.

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Anmerkung 35: Zwei einfache Soldaten nahmen es auf sich, die Herrschaft des römischen Volkes zu übertragen, und sie übertrugen sie. Tacitus, 1. Buch der Historien. Anmerkung 36: In dieser Stelle werden zwei Männer angeklagt, in dem Lager prophezeit zu haben, und Josua meint, man müsse sie festnehmen, wozu er nicht geraten hätte, wenn es einem jeden erlaubt gewesen wäre, ohne Moses’ Anordnung dem Volk göttliche Antworten zu übermitteln. Moses aber hielt es für richtig, die Angeklagten freizusprechen, und tadelte Josua, ihm geraten zu haben, sein königliches Recht in einer Zeit auszuüben, in der er einen so großen Widerwillen zu herrschen hatte, daß er lieber sterben als allein regieren wollte, wie aus Numeri 11, 14 hervorgeht. Er antwortet nämlich Josua wie folgt: Ereiferst du dich um meinetwillen? Wäre doch nur das ganze Volk Gottes Prophet (d. h. wäre nur das Recht, Gott zu befragen, wieder zu dem Punkt gelangt, daß die Herrschaft in den Händen des Volkes selbst liegt). Josua verkannte also nicht das Recht, sondern die Zeitumstände und wurde deshalb von Moses getadelt, so wie Abisai von David getadelt wurde, als er den König dazu bringen wollte, Shimei, der sicher des Majestätsverbrechens schuldig war, zum Tode zu verurteilen (siehe 2. Samuel 19, 22 u. 23). Anmerkung 37: Die Verse 19 und 23 dieses Kapitels übersetzen die Interpreten (die mir zu Gesicht gekommen sind) schlecht. Denn die Verse 19 und 23 bedeuten nicht, daß Moses Josua Anweisungen gab oder mit Anweisungen versah, sondern daß er ihn zum Fürsten ernannte oder einsetzte, was in der Schrift häufig vorkommt, so in Exodus 18, 23, 1. Samuel 13, 14, Josua 1, 9 und 1. Samuel 25, 30 usw. Anmerkung 38: Die Rabbinen, und nicht nur sie, sondern auch nicht wenige Christen, die mit ihnen Unsinn reden, bilden sich ein, daß das sogenannte große Synedrium von Moses eingesetzt wurde. Gewiß, Moses hat sich 70 Gehilfen ausgesucht, die mit ihm die Geschäfte des Staates erledigen sollten,

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weil er allein nicht mehr die Last des ganzen Volkes tragen konnte, aber er hat niemals ein Gesetz für die Einsetzung einer Ratsversammlung aus 70 Männern erlassen; im Gegenteil, er ordnete an, daß jeder Stamm in den ihm von Gott zugesprochenen Städten Richter einsetze, die strittige Angelegenheiten nach den von ihm selbst erlassenen Gesetzen schlichten sollten; sollten die Richter selber einmal in einer Rechtsfrage unsicher sein, hatten sie den Hohepriester zu befragen (der ja der oberste Interpret der Gesetze war) oder den Richter, dem sie zu dieser Zeit gerade untergeordnet waren (weil dieser das Recht hatte, den Hohepriester zu befragen), damit der Streit gemäß hohepriesterlicher Erläuterung beigelegt werde. Sollte der untergeordnete Richter behaupten, er sei nicht verpflichtet, sein Urteil gemäß der ihm oder der übergeordneten Instanz bekannt gemachten Auffassung des Hohepriesters zu fällen, wurde er von dem gerade amtierenden obersten Richter, der den untergeordneten Richter eingesetzt hatte, zum Tode verurteilt (siehe Deuteronomium 17, 9). Das konnte ein Mann wie Josua sein, der Oberbefehlshaber des ganzen israelitischen Volkes, oder der Fürst eines einzelnen Stammes, dem, nach der Teilung, das Recht zustand, den Hohepriester in Angelegenheiten seines Stammes zu befragen, über Krieg und Frieden zu entscheiden, Städte zu befestigen und Richter einzusetzen, oder auch der König konnte es sein, dem alle oder einige Stämme ihr Recht übertragen hatten. Zur Bestätigung könnte ich mehrere Zeugnisse aus der Schrift beibringen, doch will ich aus den vielen dort sich findenden Berichten nur eins heranziehen, das vielleicht wichtigste. Als der Prophet von Shilo Jerobeam zum König erwählt hatte, verlieh er ihm damit auch das Recht, den Hohepriester zu befragen, Richter einzusetzen und überhaupt alles Recht, das Rehabeam für zwei Stämme behielt und Jerobeam dann für die anderen zehn innehatte. Deshalb konnte Jerobeam mit demselben Recht, das Josaphat in Jerusalem hatte (siehe 2. Chronik 19, 8 ff.), in seiner Residenz eine oberste Versammlung seines Staates einsetzen. Denn weil Jerobeam auf Geheiß Gottes König war, war er, und folglich auch seine Untertanen, gewiß

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nicht durch das mosaische Gesetz gehalten, vor Rehabeam, dessen Untertanen sie nicht waren, als ihrem Richter zu erscheinen, und noch viel weniger vor einem Gericht in Jerusalem, das Rehabeam eingesetzt hatte und ihm unterstand. So wie der Staat der Hebräer aufgeteilt war, ebenso viele oberste Versammlungen gab es also in ihm. Wer indes auf die wechselnde politische Situation der Hebräer nicht achtet und ihre unterschiedlichen Zustände zu einem vermengt, verwickelt sich in mancherlei Schwierigkeiten. Anmerkung 39: Hier ist besonders auf das zu achten, was wir im 16. Kapitel über das Recht gesagt haben.

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Anmer kungen des Her ausgebers

Seite 1 Spinoza zitiert das Neue Testament nach der lateinischen Übersetzung (1569) von Emmanuel Tremellius (1510 – 1580), einem zum Christentum konvertierten italienischen Juden, Professor des Hebräischen in Straßburg, Cambridge, Heidelberg und Sedan. In der Regel zitiert Spinoza die Übersetzung aus dem Aramäischen, so auch hier in dem Motto, ändert jedoch das „in hoc concipimus“ (darin erkennen wir) in ein „per hoc concipimus“ (dadurch erkennen wir). Darin folgt er seiner generellen These, daß die wahre Erkenntnis von etwas die Erkenntnis aus dessen bewirkender Ursache ist. Seite 3, Zeile 1 Die Vorrede ist wie folgt aufgebaut: Theorie des Aberglaubens (§ 1 – 6), Herleitung des Themas aus dieser Theorie (§ 7 – 8), Nennung der Umstände, die den Autor zum Schreiben veranlaßt haben (§ 9), Aufzählung der Argumente, die das Thema erläutern und begründen (§ 10 – 14), Hinwendung zur Leserschaft (§ 15 – 16). F. Akkerman, Le caracactère rhétorique du Traité theologico-politique. In: Les cahiers de Fontenay (1985, S. 381 – 390) hat gezeigt, daß Spinoza mit dieser Abfolge dem antiken Vorbild einer Einteilung in exordium (Einleitung), propositio (Thema), narratio (Bericht), divisio (Gliederung) und epilogus (Schlußwort) folgt. 3,11 Die Stelle „Sobald … treiben“ ist nahezu wörtlich aus Terenz, Andriae 266 übernommen. 4, 24 Qu. Curtius Rufus, Historia Alexandri Magni. Der römische Historiker, auf den sich Spinoza mehrfach bezieht, hat wohl auch wegen seiner skeptischen Haltung zum Wunderglauben Spinozas Anerkennung gefunden. 5, 7 In § 5 klingt das Leitmotiv des ganzen Traktats an. Der Aberglaube, bedingt durch die menschlichen Affekte, ist in der Natur des Menschen verankert und deshalb nicht auszurotten. An ihm findet auch die Kraft der Vernunft ihre Grenze; doch kann sie verhindern, daß weder Religion (§ 6) noch Politik (§ 7) ihm erliegen.

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5,19 Mit „das einfache Volk“ habe ich hier den Terminus vulgus übersetzt. Spinoza gebraucht ihn in der Regel zur Charakterisierung von Menschen, die „vulgäre“, d. h. weit verbreitete, aber dem Verstand widersprechende Ansichten der Dinge haben; manchmal spricht er, stärker abwertend, vom gewöhnlichen Volk als Pöbel (plebs); der im „Politischen Traktat“ vermehrt auftretende Terminus Menge (multitudo), mit dem Spinoza ein einheitliches Verlangen der Bevölkerung eines Staates zum Ausdruck bringen will, findet sich in unserem Traktat selten; der Terminus populus bezeichnet das Volk in ethnischer oder politischer Bedeutung als die Gesamtheit der Menschen einer Region oder auch Nation. Ich habe den Terminus vulgus häufig mit „Volk“ übersetzt, sofern sich seine Bedeutung aus dem Kontext ergibt. 6, 3 „arcana imperii“ (Geheimnisse des Staates) steht für den Aufgabenbereich der staatlichen Gewalt, etwa im Titel des Werkes De arcanis rerum publicarum libri six (Amsterdam 1641) von Arnold Clapmarius, das Spinoza in seiner Bibliothek hatte. 6, 22 Zitat nach Tacitus, Annales I, 72: facta arguebantur, dicta impune erant. 6, 26 Ich habe hier respublica mit „Republik“ übersetzt, weil Spinoza an dieser Stelle die Republik der Niederlanden im Blick hat, sonst aber diesen Terminus, der sich schon im Untertitel des Traktats findet, mit „Staat“ übersetzt (Lagrée/Moreau übersetzen ihn mit „république“, Shirley mit „commonwealth“, Totaro mit „Stato“, Gebhardt/Gawlick mit „Staat“). Zweifellos hat Spinoza, wenn er „respublica“ schreibt, eine öffentliche Einrichtung im Blick, die über bestimmte Strukturen von Herrschaft verfügt; sie ist jedoch nicht auf eine spezifische Staatsform beschränkt, so daß mir der neutrale Terminus „Staat“ angemessen zu sein scheint. Spinoza gebraucht an vielen Stellen für Staat allerdings auch den Terminus imperium. Vgl. hierzu F. Akkerman, Mots techniques, mots classiques dans le „Tractatus theologico-politicus“ de Spinoza. In : P. Totaro (Hg.), Spinoziana, Firenze 1997, S. 1 – 22. In der „Ethik“ (IV, prop. 37, schol. 2) gebraucht Spinoza für Staat den Terminus civitas (so auch meist in seinem späteren „Politischen Traktat“) und nennt, in hobbesscher Linie, den staatlichen Zustand, im Unterschied zu dem natürlichen, status civilis.

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12, 36 Mit „philosophischer Leser“ meint Spinoza zweifellos nicht nur den Philosophen im engeren Sinne, sondern denjenigen, der auf ein eigenständiges Urteilen setzt, das Spinoza mit seinem Traktat zu größerer Entfaltung bringen will („freier philosophieren“), indem er zeigt, daß eine richtig verstandene Religion und Politik von diesem Urteilen nur profitieren können. Adressat des Traktats ist deshalb derjenige, der offen ist für ein solches Verständnis, also bereit ist, den Weg des Abbaus von Vorurteilen mitzugehen. 13, 22 „Magd der Theologie“ ist ein tradiertes Theorem der Theologen. So heißt es bei Albertus Magnus: ad theologiam omnes aliae scientiae ancillantur (Summa theol. I, 6). Ein zeitgenössisches Werk von R. Baronius hat den Titel Philosophia theologiae ancillans (1649). Für Spinoza ist es ein tradiertes Vorurteil, das durch Argumente beseitigt werden kann, im Unterschied zu den affektgespeisten Vorurteilen des Volkes, die sich argumentativ nicht ausrotten lassen. Genau deshalb kann das Volk nicht Adressat dieses Traktats sein. 14, 2 Dieses Kapitel erörtert, was Prophetie ist und in welcher Weise sich Gott den Propheten offenbart hat. Hierfür definiert Spinoza zunächst die Prophetie in der Abgrenzung gegen die natürliche Erkenntnis (§ 1 – 5), erörtert sodann die Weisen der Offenbarung an Beispielen aus der Schrift (§ 6 – 20), analysiert die Bedeutung, die der Begriff „Geist“ und „Geist Gottes“ in der Bibel hat (§ 21 – 24), und kommt zu dem Schluß, daß sich die Prophetie allein der Vorstellungskraft verdankt (§ 25 – 29). 15,18 Unser Geist enthält die Natur Gottes „objektiv“ in sich, heißt, daß er Gott, so wie er ist, erkennt. Wie zu verstehen ist, daß Gott selbst uns diese Erkenntnis eingegeben hat, erläutert Spinoza in diesem Zusammenhang nicht, sondern begnügt sich mit dem Hinweis auf die Erfahrung dessen, der in streng rationaler Weise erkennt. Die Erläuterung müßte sich auf den in den Teilen I und II der „Ethik“ entwickelten Zusammenhang von Ontologie und Erkenntnistheorie stützen, den Spinoza hier nicht entwickeln kann. Klar macht er nur, daß die Natur Gottes in der prophetisch vermittelten Offenbarung nicht mit der Gewißheit erfaßt wird, die der rationalen Erkenntnis eigen ist, weil sie sich auf die moralische Integrität der Propheten stützt und darin die

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Natur Gottes unter einen Aspekt bringt, den moralischen, den die rationale Erkenntnis gerade verwirft. 18,13 In Kap. VIII, § 12 wird Spinoza aus der unterschiedlichen Zielsetzung des Deuteronomium und der anderen Bücher des Pentateuch auf die unterschiedliche Form der Präsentation der Gebote des Dekalogs schließen. 19, 31 Maimonides (1138 – 1204), der einflußreiche jüdische Religionsphilosoph und Verfasser des „Führer der Unschlüssigen“, wird in den Kapiteln über Prophetie und Propheten nur einmal namentlich erwähnt, ist jedoch in den von Spinoza gewählten Textbezügen und diskutierten Beispielen als impliziter Gegner ständig präsent. Auch der bissige Hinweis auf die aristotelischen Possen ist auf Maimonides bezogen, der Aristotelismus und jüdische Glaubenslehre vereinen wollte. 21, 26 Es ist nicht zu verkennen, daß Spinoza über Christus nicht in der Eindeutigkeit spricht wie über die Propheten, z. B. wie zu verstehen ist, daß die übermenschliche Weisheit Gottes in Christus hat menschliche Natur annehmen können. Vgl. dazu A. Matheron, Le Christ et le salut des ignorants, Paris 1969, S. 256 f. An Oldenburg schreibt Spinoza in Brief 73, der sich auf den TTP bezieht, die ewige Weisheit Gottes habe sich in allen Dingen manifestiert, vorzüglich (maxime) in dem menschlichen Geist und am vorzüglichsten (omnium maxime) in Jesus Christus, ohne daß klar würde, wie diese Steigerung der Manifestation Gottes zu verstehen ist. Vgl. aber die Ausführungen von Gebhardt, Kommentar S. 10 f. 21, 30 In dem genannten Brief an Oldenburg wird Spinoza, frei von Rücksichten auf die Öffentlichkeit, deutlicher. Er schreibt, die Passage aus dem TTP wiederholend, daß er nicht verstehe, was einige Kirchen meinen, wenn sie sagen, Gott habe menschliche Natur angenommen, und fügt überdies hinzu, gestehen zu müssen, daß das Gesagte ihm nicht weniger widersinnig erscheint, als wenn jemand ihm sagte, der Kreis habe die Natur des Quadrats angenommen. 22,15 Deutlich ist Spinozas Tendenz, dem Terminus „Geist Gottes“ (spiritus Dei) eine auf die Propheten anwendbare erkenntnistheoretische Bedeutung abzusprechen, gerichtet auch gegen Maimonides, der den Propheten einen vollkommeneren

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Geist zugespricht (Führer der Unschlüssigen I, 40). Die verschiedenen Bedeutungsgehalte von „ruach“ (Geist) beschreibt Spinoza im Rückgriff auf mehrere lateinische Termini (mens, animus, anima), die nicht immer scharf voneinander zu trennen sind. Lagrée/Moreau (Anmerkungen S. 705 f.) heben hervor, daß in der Regel mens Erkenntnis oder Absicht im Blick hat, animus den Komplex von Gefühlen oder Emotionen, und anima so etwas wie das Lebensprinzip. 29, 23 Transzendentale Begriffe wie Seiendes (ens), Ding (res) oder etwas (aliquid) sind abstrakte Termini, die die Natur eines Einzeldinges nicht zu erklären vermögen (vgl. Eth. II, prop. 40, schol. 1). Die raffinierte Pointe Spinozas ist hier, deutlich zu machen, daß die Macht Gottes zu einem leeren Allgemeinbegriff wird, wenn sie nicht als die natürliche Ursache von Einzelnem begriffen wird. Sofern von der prophetischen Erkenntnis aber keine natürliche Ursache angegeben werden kann, ist darin impliziert, daß Gott auch nicht deren Ursache sein kann. Um sie rational zu rekonstruieren, bleibt nur, prophetische Aussagen wie Daten der Natur anzusehen und, wie Spinoza im Vorgriff auf seine Theorie der Schriftinterpretation andeutet, sie genetisch aus den historischen Umständen zu erklären, in die sie jeweils eingelassen sind. 31, 2 Dieses Kapitel erörtert, ob die Propheten wegen ihrer erhabenen Gedanken über Gott und die Natur oder eher wegen ihrer bloßen Frömmigkeit Gott wohlgefällig waren. Hierfür handelt Spinoza zunächst von der Gewißheit der Propheten (§ 3 – 6) und dann von der durch Temperament, Vorstellungskraft und verfestigte Ansichten bedingte Verschiedenartigkeit ihrer Prophezeiungen (§ 8 – 19), die zeigen, daß die Propheten allein durch ihre Moralität, nicht aber durch Geisteskraft ausgezeichnet waren und ihre rein theoretischen Aussagen deshalb bedeutungslos sind. 31, 31 Eine solche Anschuldigung ist, wie Spinoza 1665 an Oldenburg schreibt (Brief 30), einer der Gründe gewesen, den Traktat zu verfassen. In einem Brief an Jacob Ostens nach Veröffentlichung des TTP (Brief 43) verteidigt er sich noch einmal gegen die Anschuldigung, Atheist zu sein. 32,17 „Zeichen“ (signum) hat, wie hier schon deutlich wird, eine doppelte Bedeutung, einmal als Instanz, die den Propheten ge-

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wiß sein läßt, daß Gott sich ihm zugewandt hat, zum anderen als Instanz, die die Menschen gewiß sein läßt, daß der Prophet tatsächlich von Gott gesandt worden ist. 32, 37 Moralisch, verstanden als „nur moralisch“ (tantum moralis), steht im Gegensatz zu „mathematisch“. Unabhängig davon hat der Terminus im TTP auch eine positive Bedeutung, die er in den anderen Werken Spinozas in dieser Form nicht hat, weil die Moral, sowohl diejenige universellen Charakters wie diejenige kulturbedingter Setzung, für das Verständnis der Bibel größtes Gewicht hat. 33, 35 Maimonides (Führer der Unschlüssigen II, 96) nennt ebenfalls drei Elemente: Vollkommenheit der Erkenntniskraft mit Hilfe des Studiums; Vollkommenheit der Vorstellungskraft kraft natürlicher Anlage; vollkommene Sittenreinheit. Spinoza tilgt das erste Element, akzeptiert sowohl das zweite, das seinem ersten entspricht, wie das dritte, das bei beiden dasselbe ist, und fügt das Zeichen hinzu. 35, 8 Mit „Sinn Gottes“ habe ich den Terminus mens Dei übersetzt, der als Variante von „Geist Gottes“ (spiritus Dei) zum Ausdruck bringt, was Gott in seinen Offenbarungen aus Sicht des Propheten hat sagen wollen. 37, 5 Talmud, Traktat Hagiga 13 b. 39, 6 Josua 10,12 – 14. Diese Stelle ist auf dem Hintergrund der neuen Lehre des Kopernikus und des Prozesses gegen Galilei ein zentraler Streitpunkt der reformatorischen Bibeldeutung gewesen. Vgl. dazu K. Schloder, Ursprünge und Probleme der Bibelkritik im 17. Jahrhundert, München 1966. 39,9 Zum Beispiel Maimonides, Führer der Unschlüssigen II, 35; nach Joel, Die Religionsphilosophie des Levi ben Gerson, Breslau 1862, S. 86, könnte Spinoza auch an den aristotelisierenden jüdischen Bibelkommentator Gersonides (1288 – 1344) gedacht haben. 39,12 Gebhardt (Kommentar S. 18 f.) verweist auf Lambert van Velthuysen, der in den Jahren vor Erscheinen des TTP (1655 – 58) in seiner Polemik gegen J. du Bois zeigen wollte, daß die Texte der Schrift mit der neuen Kosmologie verträglich sind, wenn man die Stellen, die der kopernikanischen Lehre zu widersprechen scheinen, als bloß bildliche Ausdrucksweise (figuratus loquendi modus) versteht.

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39, 35 Das Phänomen der Nebensonne als durch Reflektion hervorgebrachtes doppeltes Bild der Sonne ist im 17. Jahrhundert viel erörtert worden, etwa in Descartes’ Traktat Le monde und in Huyghens’ Abhandlung De coronis et parheliis. 40, 3 Das den Tempel beschreibende Buch des Rabbinen Jacob Jehuda Leon (J. Leonitius) Libellus effigiei Templi Salomonis (1650) hatte Spinoza in seiner Bibliothek. 40, 26 Vgl. Terenz, Heautontimoroumenos: homo sum; humani nil a me alienum puto. 42,14 Spinoza setzt den Gottesnamen der Verbalform „existieren“ gleich und folgt darin, gegen Maimonides, dem Kommentar Ibn Esras zu Exodus 3,15. 42,15 Daß Moses im Pentateuch etwas lehrte (docuit), kann Spinozas genereller These zufolge natürlich nicht bedeuten, daß Moses den Pentateuch verfaßt hat, sondern nur, daß der Redakteur etwas als Moses’ Lehre ausgibt. 43, 24 Ibn Esra in seinem Kommentar zu Deuteronomium 31,16. 46,11 Spinoza scheint die Talmud-Stelle nicht genau gelesen zu haben. Denn es heißt dort ausdrücklich, daß Hananja einen Kommentar geschrieben hat. Da Hananja zu einer Zeit lebte, als der Prophetenkanon schon etabliert war, kann „ein Buch verbergen“ zudem nicht den Sinn haben, es nicht in den Kanon aufzunehmen, sondern allein, es von der Verwendung im Gottesdienst auszuschließen (Gebhardt, Anmerkungen S. 319). 46, 37 Josephus Flavius (37 – 100) berichtet über Kain in seinen Antiquitates Judaici I, 2. 47,17 Gegen Maimonides, der (Führer der Unschlüssigen II, 38) das genaue Gegenteil sagt. 48, 23 Spinoza folgt hier Tremellius’ Übersetzung aus dem Aramäischen, die statt aliquem (irgendeinen) unum (nur einen) liest und darin die These verschärft. 50, 3 In diesem Kapitel reduziert Spinoza den Anspruch der Juden (hier genannt „Hebräer“), von Gott im Vorzug vor anderen Völkerschaften auserwählt (electi) zu sein, auf die Berufung (vocatio), unter Gottes äußerem Beistand (auxilium externum) einen bestimmten Landstrich zu besiedeln. Er zeigt, daß die auf Gott zurückzuführende „Auserwählung“ insofern eine bloß po-

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litische Bedeutung hat (§ 1 – 6), daß zudem auch andere Völkerschaften des äußeren göttlichen Beistandes gewiß sein konnten und ihre Propheten hatten (§ 7 – 8), um auf diesem Hintergrund zu erörtern, wie der Anspruch der Hebräer auf Exklusivität (§ 9) und Ewigkeit (§ 10 – 12) ihrer Erwählung zu verstehen ist. 50,11 Spinoza wird dies in seiner „Ethik“ (IV, prop. 36 – 37) aufgreifen und aus der Struktur menschlicher Rationalität herleiten. 52, 2 „Weiter oben“ bezieht sich auf Kap. I, § 27; worauf sich „an anderer Stelle“ bezieht, ist unklar: Gebhardt (Kommentar S. 22) meint, auf Spinozas „Cogitata metaphysica“ II, 9; doch hat Spinoza in einem anonym veröffentlichten Traktat kaum auf ein unter seinem Namen veröffentlichtes Werk verweisen wollen; eher denkt er wohl an das Manuskript seiner „Ethik“ mit der dort entwickelten Ontologie (I, prop. 16 ff.). 52,12 Was Spinoza hier wie selbstverständlich sagt, ist ein Grundtheorem seiner „Ethik“: jedes Ding ist essentiell Macht, weil sich in ihm die Essenz Gottes, die Macht ist, manifestiert. 52, 23 Spinoza treibt hier offensichtlich ein sophistisches Spiel mit Worten. Das lateinische eligere hat beim Menschen die Bedeutung von „sich wählen“ oder „aussuchen“, während es bei Gott hinsichtlich des Menschen die von Spinoza unterstellte, aber nicht wirklich gemeinte Bedeutung von „auserwählen vor anderen“ erhält. Die damit verbundene Berufung (vocatio) nennt Spinoza einzigartig (singularis), worin sie eine herausragende Bedeutung erhält, während sie der Sache nach (von mir mit „Ruf“ übersetzt) nur eine besondere (particularis) ist, in der ein Mensch von einem anderen unterschieden wird. Totaro übersetzt deshalb, Spinozas Sinn treffend wiedergebend, aber nicht den Text treffend, daß Gott mit seiner „Wahl“ jemanden nicht „vor“ anderen zu etwas auserwählt, sondern ihn „unter“ allen anderen zu etwas „bestimmt“ („destino fra tutti gli altri“). 53,13 Ein solcher Träumer war Isaac de la Peyrère, der in seinem Buch Praeadamitae (1655) eine doppelte Schöpfung annahm, einmal von Ewigkeit her die Schöpfung der Welt, zum anderen in der Geschichte die Schöpfung nur der Juden, beginnend mit Adam. 55,9 Als Zweck (fi nis) des Staates werden hier Sicherheit und Bequemlichkeit des Lebens angegeben, während nach Kap. XX ,

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§ 6 Zweck des Staates die Freiheit ist. Die unterschiedliche Akzentuierung ist wohl so zu interpretieren, daß an dieser Stelle die generelle Charakterisierung des Staates doch im Hinblick auf den Staat der Hebräer und die dort geltende Theokratie erfolgt, das 20. Kapitel aber allein den demokratischen Staat im Blick hat, für den, befreit von aller Theologie, das Fundament auch der Sicherheit die Geistesfreiheit und nicht der Gesetzesgehorsam ist. 55, 32 Spinozas Unsicherheit bezieht sich auf die Verknüpfung von Prophetie und Gesetzeserlaß, nicht aber darauf, daß andere Völker von Gott vorgeschriebene Gesetze und Propheten hatten. 56, 2 Spinoza stützt sich hierfür vermutlich auf Josephus Flavius, Antiquitates Judaici I, 180. Der vorisraelitische Melchisedek war jedoch nicht König von Jerusalem, sondern von Salem. 58, 22 Auch der Talmud hält dies immerhin für möglich. Der Traktat Baba bathra 15 b nennt sieben Propheten (Lagrée/Moreau, Anmerkungen S. 719). 60,4 Numeri 24,13. Spinoza will mit seiner langen Passage zu Bileam deutlich machen, daß nach dem Bericht der Bibel der Nicht-Hebräer Bileam ständig und nicht nur einmal prophezeit hat und zwar als „wahrer“ Prophet, nach Lagrée/Moreau (Anmerkungen S. 720) gerichtet gegen eine Tradition, die das Gegenteil behauptete. 60, 32 Mit „Pharisäern“ meint Spinoza hier die Vertreter der nachtalmudischen Literatur. Häufig gebraucht er den Ausdruck auch zur Kennzeichnung der traditionsgläubigen Juden generell. Vgl. N. Porges, Das Wort Pharisäer bei Spinoza. In: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 61 (1917), S. 150 – 163. 63,10 Der einflußreiche jüdische Gelehrte Saul Levi Mortera, hauptverantwortlich für Spinozas Ausschluß aus der Synagoge, hat in einer 1660 in Amsterdam veröffentlichten portugiesisch geschriebenen Abhandlung, von der auch eine spanische Übersetzung kursierte, die Ewigkeit der Erwählung der Juden behauptet und verteidigt. H. P. Salomon meint in seiner kritischen Edition der Abhandlung (Tratado da Verdade da leí de Moises, Coimbra 1988) im Kommentar, auf den Lagrée/Moreau verweisen (Anmerkungen S. 720), sie sei von direktem Einfluß auf Spinozas TTP gewesen (S. IX).

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65, 7 Königlicher Erlaß von 1492 nach der Vertreibung der letzten Mauren aus Spanien. 65,15 Dekret des Königs Manuel I. aus dem Jahre 1496. Zum Thema vgl. G. Nahon, Les Marranes espagnoles et portugais. In: Revue des Etudes Juives (1977), S. 197 – 367. 65, 25 Weit verbreitete Ansicht unter den Juden der damaligen Zeit, nicht nur bei dem Eiferer Sabbatai Zevi, der sich 1665 selbst als neuer Messias stilisierte, sondern auch bei seriösen Autoren wie Menasseh ben Israel in seinem Esperança de Israel (1650). Spinozas genereller These zufolge wird Gott die Juden, wenn überhaupt, nur relativ auf die historischen Bedingungen, unter denen sie gegenwärtig leben, auserwählen (vgl. hierzu Y. Yovel, Spinoza. The Marrano of Reason, Princeton 1989). 65, 33 Unter „Tartaren“ versteht Spinoza offenbar die Mandschu, die 1644 einen Großteil Chinas unterworfen hatten. Lagrée/Moreau (Anmerkungen S. 772) weisen darauf hin, daß jenes Merkmal auf dem Kopf, anders als Spinoza meint, auf eine Anordnung erst der neuen Herrscher zurückgeht. 67, 2 Dieses Kapitel erörtert, ob die allgemeine Religion als das der ganzen Menschheit offenbarte göttliche Gesetz von der Religion, die das natürliche Licht lehrt, verschieden ist. Spinoza definiert hierfür zunächst Gesetz, menschliches Gesetz und göttliches Gesetz (§ 1 – 6) und formuliert dann vier Problembereiche (§ 7), an denen er die Frage negativ beantworten wird, zwei von ihnen noch in diesem Kapitel: Gott kann auf der Basis des natürlichen Lichts nicht als ein Gesetzgeber verstanden werden, der den Menschen Gesetze vorschreibt (§ 8 – 10); die Aussagen der Schrift über das natürliche Licht und das natürliche Gesetz gehen mit der Vernunft konform (§ 11 – 12). 67,19 Vgl. „Descartes’ Prinzipien der Philosophie“ (II, 20). 67, 23 Vgl. Eth. II, prop. 18. 69,16 suum cuique tribuere (jedem das Seine geben) ist die klassische Formulierung, mit der die Gerechtigkeit defi niert wird. Spinoza übernimmt sie, ersetzt allerdings wenige Zeilen später suum (das Seine) durch jus suum (sein Recht) und betont damit ein Recht, das einem nicht gegeben, sondern nur garantiert werden kann. 69, 20 Römerbrief 3,20.

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69, 30 Auch Maimonides (Führer der Unschlüssigen II, 40) unterscheidet zwischen dem göttlichen Gesetz und einem Gesetz, das nur relativ auf die politischen Verhältnisse ist, behauptet aber, daß das göttliche das andere mitumfaßt. 70,10 Der erste Punkt erläutert einen ontologischen Zusammenhang (vgl. Eth. I, prop. 15), der zweite einen Kontext aus der Perspektive subjektiven Erkennens (vgl., in der Aufnahme Descartes’, Spinozas Vorbemerkung zu seiner Schrift „Descartes’ Prinzipien der Philosophie“). 70,16 Vgl. Eth. V, prop. 24. 70, 22 Spinozas Folgerung stützt sich auf ein weiteres Theorem seiner Philosophie, das er hier nicht ausdrücklich macht, die sogenannte immanente Kausalität Gottes, der zufolge Gott in den Dingen ist und insofern aus der natürlichen Verfaßtheit der Dinge erkannt werden kann. Vorbereitet ist mit dem hier angedeuteten Theorem die spätere Wunderkritik. 70, 31 Spinoza hebt hier auf die Liebe zur geistigen Erkenntnis Gottes ab und gewinnt aus ihr die Liebe Gottes, durchaus in Einklang mit dem 5. Teil der „Ethik“, dort aber nicht in dieser Abfolge entwickelt (vgl. Eth. V, prop. 32, coroll.). 70, 36 Ich habe das lateinische iussa mit Verordnungen übersetzt, einem neutralen Terminus, der weder den Zwang eines Befehls noch den religiösen Aspekt von Geheiß anklingen läßt. 71, 7 Spinoza denkt dabei wohl nicht an sein unter dem Titel „Ethik“ erschienenes Hauptwerk (mit der zweiten Hälfte des 4. Teils und den dort skizzierten Strategien zweckrationalen Handelns), eher an eine Ethik, die auf spezielle Fragen, die Menschen vorzubringen pflegen, eingeht, etwa solche, die ihm Blyenbergh gestellt hat (vgl. die Briefe 22 – 27 aus dem Jahr 1665). 72,5 Nach alledem, was Spinoza zuvor entwickelt hat, ist das mosaische Gesetz der Sache nach kein göttliches Gesetz. Mit der Formulierung (man „kann“ es so nennen) will Spinoza wohl denen entgegenkommen, denen er mit seinem Verständnis von göttlichem Gesetz allzuviel zugemutet hat. Vgl. auch S. James, Spinoza on Philosophy, Religion and Politics, Oxford 2012 (Teil 1: What Divine Law is not; what Divine Law is). 72, 21 Gemeinbegriffe (notiones communes) sind von allgemeinen Begriffen (notiones universales) zu unterscheiden (vgl. Eth. II,

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prop. 39, schol. 1). Die ersten sind allen Menschen tatsächlich gemeinsam und insofern allgemeingültig, die zweiten sind beliebige Abstraktionen je nach der Disposition der Menschen. Der „Ethik“ zufolge hat die Erkenntnis Gottes, die den Gemeinbegriffen entspringt, allerdings nicht die Gottesliebe (amor Dei) zur Folge, sondern bestenfalls eine Liebe zu Gott (amor erga Deum; Eth. V, prop. 20), was Spinoza hier aber offenbar nicht von Wichtigkeit ist. 73,13 Gebhardt (Kommentar S. 31) verweist auf den Traktat Pirke Aboth IV, 2: „Der Lohn des Gebotes ist das Gebot“. Doch ist das göttliche Gesetz gerade kein Gebot; eher ist an das berühmt gewordene „Glückseligkeit ist nicht der Lohn der Tugend, sondern genau Tugend“ aus dem Schluß der „Ethik“ (V, prop. 42) zu denken. Zum Status des göttlichen Gesetzes, in der Abgrenzung gegen die Argumentation in der „Ethik“, vgl. A. Matheron, La déduction de la loi divine et les stratégies discursives de Spinoza. In: Ders., Etudes sur Spinoza …, Lyon 2011, S. 367 – 388. 73, 31 Vgl. Eth. II, prop. 49, coroll. 74,16 Genesis 2,17. Auf Adam bezieht sich Spinoza auch in Brief 19 an Blyenbergh. 76, 35 Die Wendung „in die Herzen einschreiben“ gebraucht Paulus im 2. Korintherbrief 3,3, die Spinoza später (Kap. XII , § 6) zitieren wird. 78,12 Die Erzählung vom Sündenfall als Parabel zu deuten, findet sich schon im ersten nachchristlichen Jahrhundert bei Philo, Allegoriae Legum I, 100 – 108 und II, 19 – 52 u. 71 – 78, wiederaufgenommen von Spinozas Freund J. Jelles (Hinweis bei Lagrée/ Moreau, Anmerkungen S. 724). 79, 32 Im Hintergrund dieser Überlegung steht: Alle unsere adäquate Erkenntnis beruht auf der Erkenntnis Gottes, und daß wir von Gott eine adäquate Erkenntnis haben können, ist durch die Natur Gottes verbürgt. Deshalb kann Spinoza, mit Salomo, aber natürlich auf der Basis seiner eigenen Philosophie, sagen, daß Gott uns unsere adäquate Erkenntnis „gibt“. 82,4 Dieses Kapitel erörtert die beiden letzten in Kap. IV, § 7 genannten Problembereiche. Für den Bereich der Zeremonien trennt Spinoza strikt den Zweck der Zeremonien von dem Ziel des allgemeingültigen göttlichen Gesetzes (§ 1 – 6). Um zu zeigen,

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daß die Zeremonien im wesentlichen der Erhaltung des Staates dienen, entwickelt er zunächst eine generelle Theorie des Staates (§ 7 – 9), geht danach auf den Staat der Hebräer ein (§ 10 – 12) und endet mit einem Verweis auf die christlichen Zeremonien (§ 13). Für den Bereich des Glaubens an die heiligen Geschichten reflektiert Spinoza auf die Schwierigkeit einer Vermittlung rein vernünftiger Theoreme (§ 14 – 16) und zeigt, daß dieser Glaube für das einfache Volk zwar nötig ist (§ 17 – 18), aber nicht zu dem der bloßen Vernunft zugänglichen göttlichen Gesetz gehört (§ 19 – 20). 84, 35 Vielleicht ist mit Freiheit in diesem Zusammenhang eher „Freigebigkeit“ (liberalitas) gemeint oder aber das Freisein von den Bedürfnissen, denen die Zeremonien dienen. 87,14 Gesellschaft (societas) ist ein wenig gebrauchter Terminus in Spinozas politischer Theorie. Hier hat er die Bedeutung eines gemeinschaftlichen Zusammenlebens, ohne einen in späteren Theorien geläufig gewordenen Gegensatz zu „Staat“ zu bezeichnen. 88,4 Gebot der Vernunft (dictamen rationis) im Unterschied zu prophetisch offenbarten Lehren (documenta prophetice relevata, § 19); als „dictamen rectae rationis“ von Grotius (De jure belli ac pacis, I, 10) bei der Definition des natürlichen Rechts gebraucht. Zur philosophischen Begründung der dictamina rationis vgl. Eth. IV, prop. 18, schol. 88,14 Seneca, Troades 258 f., in Kap. XVI noch einmal von Spinoza zitiert. Spinoza kannte Senecas Tragödien schon aus dem Lateinunterricht bei F. van den Enden gegen Ende der 1650er Jahre; er besaß die Baseler Ausgabe der Tragödien von 1541. 89,19 A. Matheron (Anmerkungen in der kritischen Ausgabe des TTP, S. 727) verdeutlicht: Ein neues Gesetz nimmt den Menschen nicht „die“ (allgemein betrachtete) Freiheit, sondern „eine“ (einmal zugestandene) Freiheit im Sinne einer Erlaubnis zu etwas, die durch eine neue Gesetzesregelung aufgehoben wird. 90, 21 Man beachte, daß mehrere Zeugen (nach Deuteronomium 17,6 und 19,15 ff. mindestens zwei) für die Verurteilung eines jeden Angeklagten (ad aliquem reum damnandum) erforderlich waren und nicht nur desjenigen, der schwerer Vergehen beschuldigt wurde.

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90, 22 Wörtlich: „Herr seiner selbst zu sein“ (sui juris esse); vgl. Totaro in der italienischen Ausgabe, S. 567. 91, 28 Das Christentum wurde in Japan 1614 verboten. Die Holländer erhielten als einzige Europäer die Erlaubnis, Handel zu treiben. G. B. Stoppa, ein calvinistischer Hetzer, behauptet in seiner Streitschrift La Religion des Hollandais (1673), in der er auch auf diese Stelle im TTP Bezug nimmt, die Holländer hätten um des Profits willen das Christentum verraten, was nicht verwunderlich sei bei Menschen, die in ihrem Land Atheisten, darunter Spinoza, beherbergen. Jean Brun hat in einer Schrift gegen Stoppa (La veritable Religion des Hollandais, 1675) angegeben, wer jene Anordnung (mandatum) der Ostindischen Gesellschaft erlassen hatte und wie sie zu interpretieren sei. Ausführlich zu diesem Punkt Gebhardt, Anmerkungen S. 34 – 36. 92, 8 Zu diesem Gegensatz vgl. generell S. Ijsseling, Rhetoric and philosophy in confl ict, Den Haag 1976. 95, 3 Ein problematischer Punkt. Denn hierfür müßten erstens die Pastoren aufgeklärte Kirchendiener sein und zweitens das Volk bereit sein, ihnen Gehör zu schenken. Auf beides kann sich Spinoza nicht stützen; das erste kann er bestenfalls erhoffen, während er beim zweiten, hält man sich an den Schluß seiner Vorrede, wohl resigniert hat. 95, 31 Die Stelle findet sich in Maimonides’ hebräisch geschriebener großer Sammlung mosaischer und rabbinischer Gesetze Mischneh Torah (Hilkot Melakim 8,11). Spinoza zitiert aus einer Edition, die inzwischen als überholt gilt. Die bessere enthält (am Ende des Zitats) statt „weder – noch“, also statt einer zweimaligen Verneinung, einen Gegensatz: „nicht – sondern“. Spinoza hätte die richtige Version, die seiner Maimonides- Deutung zuwiderläuft, kennen müssen, zumal der von ihm unmittelbar danach erwähnte Kommentator dieser Stelle, R. Joseph, sie richtig zitiert. Zur diesbezüglichen Kontroverse im älteren (deutschen) Schrifttum vgl. Gebhardt, Kommentar S. 37, und Lagrée/Moreau, Anmerkungen S. 729. 96,9 Joseph ben Shem-Tob, ein jüdischer Gelehrter aus Spanien (gestorben 1480), vergleicht in seinem Hauptwerk Herrlichkeit Gottes (geschrieben 1442, gedruckt in Ferrara 1556, Nachdruck Tel Aviv 1966) die aristotelische Ethik kritisch mit der des Juden-

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tums. Über ihn: R. Birnbaum, An exposition of Joseph ibn Shem Tov’s „The Glory of God“, Lewiston 2001 (Kap. 2 über Aristoteles’ Einfluß). 96, 23 In Kap. VIII, § 19 wird Spinoza auf die Vertreter dieser These eingehen. 98, 2 Dieses Kapitel erörtert, ob die Wunder gegen die Ordnung der Natur geschehen und ob sie Gottes Existenz und Vorsehung deutlicher erkennen lassen als die vernünftige Erkenntnis, die die Dinge aus ihren ersten Ursachen erklärt. Nach einem Referat des gewöhnlichen Verständnisses der Wunder (§ 1) und des Plans seines Vorgehens (§ 2) zeigt Spinoza, 1. daß nichts gegen die Ordnung der Natur geschieht (§ 3 – 5), 2. daß die Erkenntnis Gottes nicht aus Wundern, sondern aus der Ordnung der Natur zu erlangen ist (§ 6 – 9), was auch die Schrift bestätige (§ 10 – 11), 3. daß die Schrift sich auf diese Ordnung stützt, wenn sie vom Ratschluß und Willen Gottes spricht (§ 12 – 15), 4. daß die biblischen Wundererzählungen einer Interpretation bedürfen, die die Mentalität und Absicht der Erzähler berücksichtigt (§ 16 – 20), und schließt mit dem Hinweis auf zwei verschiedene Methoden der Wundererklärung (§ 21 – 23). 98, 6 Unter diesem Aspekt ausführlich erörtert von Hobbes in seinem Leviathan (Kap. 27). 98, 21 „Dem Rang nach“ - lateinisch numero. Die Übersetzung „der Zahl nach“ ist nicht plausibel. 99, 23 Die Abgrenzung richtigen Wissens von der vulgären Auffassung kommt hier besonders drastisch zum Ausdruck. Kritisch dazu Leo Strauss, Die Religionskritik Spinozas als Grundlage seiner Bibelkritik, Berlin 1930. 100, 22 Spinoza stützt sich darauf, daß die Ratschlüsse Gottes (decreta Dei) aus der Notwendigkeit der göttlichen Natur folgen und damit in Gott jeder Form von Absicht oder wohlwollendem Willen entzogen sind, und daß Gottes Vollkommenheit nichts als diese Notwendigkeit ist. Das ist ein der Philosophie Spinozas eigenes Argument, dem nur die Leser folgen werden, die seiner Philosophie folgen. Er hat das Argument in seiner „Ethik“ (Eth. I, prop. 16) entwickelt, das im übrigen auch seine These der Identität von Verstand und Wille Gottes trägt (Eth. I, prop. 17, schol.).

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100, 32 Vgl. Eth. I, prop. 34: „Gottes Macht ist genau seine Essenz“ (Dei potentia est ipsa ipsius essentia). Offenbar will Spinoza die Erwägungen dieses Paragraphen nicht noch stärker mit seiner eigenen Philosophie belasten. 101, 23 Die Behauptung unterstellte nämlich Gott gerade Unvollkommenheit. Vgl. Eth. I, prop. 33, schol. 2. 101, 34 An Oldenburg (Brief 75) schreibt Spinoza, daß er Wunder und Unwissenheit für gleichbedeutend genommen habe („miracula et ignorantiam pro aequipollentibus sumpsi“). 102, 7 Vgl. Eth. II, prop. 18, schol. 104, 35 „unter einem bestimmten Aspekt der Ewigkeit“ (sub quadam specie aeternitatis) ist eine Formulierung, die Spinoza in Bezug auf die Erkenntnis der ratio gebraucht (vgl. Eth. II , prop. 44, coroll. 2). Gott wird darin nicht in unbedingter Weise erkannt, sondern nur, wie es wenig später heißt, „einigermaßen“ (aliquo modo). Die uneingeschränkte Erkenntnis sub specie aeternitatis ist der scientia intuitiva und der damit verknüpften Gottesliebe vorbehalten (vgl. Eth. V, prop. 36), von der hier, wo es um die Erkenntnis Gottes aus den Gesetzen der Natur geht, natürlich nicht die Rede ist. 105,19 Thomas von Aquin, Summa theologiae I a, 105, art. 6 – 8. 105, 37 Gebhardt (Kommentar S. 39) verweist in diesem Zusammenhang auf Juan de Prado, einen heterodoxen jüdischen Freigeist, den Spinoza in seiner Jugend in Amsterdam kennengelernt hatte und der dem Bericht seines Gegners Orobio de Castro zufolge die These vertrat, ähnlich wie später Spinoza, daß Wunder mit der Vollkommenheit Gottes unverträglich seien. Vgl. auch S. Revah, Spinoza et le Dr. Juan de Prado, Paris 1959. 107,10 Die Philosophen, die das wissen, können sich auf das Gedankengut der Stoa stützen, das hier deutlich anklingt. 109,9 Vgl. Descartes, Météores (Discours VIII). In der niederländisch verfaßten Schrift „Algebraische Berechnung des Regenbogens“ (veröffentlicht 1687), die man früher Spinoza zugeschrieben hat, die aber wohl nicht von ihm stammt, findet sich eine ähnliche Formulierung: „door de refractie en reflexie van den stralen van de Zon“ (S. 2). 116,18 Was Spinoza dazu im Folgenden anführt (§ 22), ist eher beiläufig Gesagtes, nicht aber ein grundlegendes biblisches

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Dogma. Deshalb ist Spinozas Behauptung, er habe den Status des Wunders zwar auf der Basis seiner Philosophie erörtert, hätte es aber auch auf der Basis der Schrift tun können, wenig überzeugend. 116, 21 Der Philosoph ist natürlich Salomo, den Spinoza nicht zufällig heranzieht, wenn er aus der Bibel Sentenzen der Vernunft herausholen will. 117, 35 In dem zitierten Text stehen nach olim (einst) noch die Wörter „antiquitus a resistentibus“, die ich, in Einklang mit anderen, nicht übersetzt habe, weil sie keinen rechten Sinn ergeben. Vermutlich gehen sie auf eine falsche Lesart im griechischen Text zurück, der die von Spinoza benutzte lateinische Übersetzung erlegen ist (hierzu Gawlick, Anmerkungen S. 324). 119, 2 In diesem Kapitel entwickelt Spinoza nach erläuternden Bemerkungen zur Struktur der Schriftinterpretation (§ 1 – 4) deren Hauptregel sowohl unter dem Aspekt der Geschichte der Bibel wie dem einer inhaltlichen Differenzierung ihres Gehalts (§ 5 – 8). Er nennt sodann die Schwierigkeiten seiner Interpretationsmethode, die aus einer mangelhaften Überlieferung der hebräischen Sprache wie auch aus internen Eigenarten dieser Sprache resultieren (§ 9 – 16), aber den eigenen Ansatz nicht wirklich gefährden (§ 17 – 18), und schließt mit einer Kritik dreier gegnerischer Positionen, die sich auf ein übernatürliches Licht, auf die Vernunft oder die Tradition stützen (§ 19 – 22). 120, 34 Interpretatio naturae ist ein zentraler Terminus bei Francis Bacon. Er nennt sein Werk Novum Organon (1620) im Untertitel „Indicia de interpretatione naturae“ (Weisungen zur Interpretation der Natur). 122, 23 Den lateinischen Terminus historia habe ich hier mit „Untersuchung“ übersetzt. „Historia“ als Untersuchung zu verstehen, ist seit Bacon geläufig; auch Spinoza hat in einem Brief an Bouwmeester (Brief 37) historia in dieser Bedeutung gebraucht, wo es heißt, er wolle, „wie Bacon es getan habe, eine kurze historia des Geistes oder der Wahrnehmungen präsentieren“. Spinoza gebraucht den Terminus allerdings auch in der Bedeutung von Geschichte, nicht nur wenn er von Geschichten, die in der Bibel erzählt werden, spricht, sondern auch (besonders in § 5), wenn er die historischen Bedingungen, unter denen die Bibel entstan-

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den ist, im Blick hat. Seine Argumentation bleibt unverständlich, wenn diese doppelte Bedeutung von historia nicht beachtet wird. 123,10 Auch wenn es darum geht, den „wahren“ Sinn prophetischer Aussagen zu erfassen und nicht irgendeinen, den wir gerne hineinlesen möchten, können wir uns hierfür nicht auf eine philosophisch begründete Wahrheit stützen. So hat es hingegen Lodewijk Meyer in seiner Schrift Philosophia Scripturae interpres (1666; Kap. 5, § 1) verstanden, die hier der latente Bezugspunkt Spinozas ist. 124, 26 „Unsere Vernunft“ ist die Vernunft eines fortgeschrittenen Zeitalters. Wird sie zur Deutung der Sentenzen eines rückständigen Volkes gebraucht, entartet sie zu „vorgefaßten Ansichten“, die Spinoza aber nicht „Vorurteile“ nennen will. 125, 22 Daß die Methode geeignet sei, Fälschungen zu korrigieren, übernimmt Spinoza offenbar von Meyer, der dies im Nachwort seiner bibelkritischen Schrift schreibt. Gebhardt (Kommentar, S. 45 f.) meint, Meyer habe das unter dem Einfluß Spinozas geschrieben, Lagrée/Moreau (Anmerkungen, S. 736) bestreiten diese Annahme mit guten Gründen. Totaro (Anmerkungen S. 590) weist darauf hin, daß sich R. Simon im Vorwort seiner Histoire critique du Vieux Testament (1685) in diesem Kontext kritisch auf Spinoza bezieht. 125, 36 Die höchst allgemeinen und allen Dingen der Natur gemeinsamen Bestimmungen nennt Spinoza in der „Ethik“ unendliche Modi (Eth. I, prop. 21 – 23), die er als Bestimmungen der körperlichen Natur in einem Brief an Schuller (Brief 64) als Ruhe und Bewegung bestimmt. Man beachte, daß die unendlichen Modi der körperlichen Natur nicht die Ursache besonderer Naturereignisse sind, diese sich also nicht aus ihnen ergeben. Vgl. meine Anmerkung zu Seite 126,4. 126,4 Spinozas Unterscheidung stützt sich nicht auf eine Erörterung der Geschichte der Schrift, sondern orientiert sich an der Unterscheidung zwischen allgemeinen und besonderen Gesetzen der Natur, ohne daß Spinoza in diesem Punkt die Analogie beider Bereiche festhielte. Denn er behauptet, daß die weniger allgemeinen Formen konkreter Praxis aus der allgemeinen Lehre der Schrift „wie Bäche hervorgehen“ (tamquam rivuli derivantur).

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Spinozas These ist, daß die Besonderheiten konkreter religiöser Praxis von der vernunftkonformen allgemeinen Moral der Bibel her zu interpretieren sind. Bei der Erkenntnis konkreter Naturvorgänge können wir uns hingegen nicht auf die höchst allgemeinen Gesetze der Natur stützen, weil diese eben zu allgemein sind. Vgl. Kap. IV, § 1. 126,11 Spinoza gibt hier einen Abriß fundamentaler Glaubenssätze, deren Sinn unstrittig sei und die deshalb, so wird er im 14. Kapitel ausführen, einer bloß subjektiven Interpretation entzogen sind. 127, 24 Die beiden von Spinoza zitierten Buchstaben entsprechen den Versen 25 – 27 und 28 – 30. 129, 25 Spinoza denkt bei den Juden wohl an die Sadduzäer, bei den Christen vielleicht an die Arianer. 129, 29 Kap. XII, § 9. 129, 34 M. Joel, Spinozas Theologisch-Politischer Traktat …. (Breslau 1870) verweist auf den talmudischen Traktat Sabbath 31 a, in dem gesagt wird, daß auch die Bedeutung von Worten einen Teil der Tradition ausmacht. 130, 22 Spinoza spricht durchgehend von der „Erkenntnis“ der Schrift (Scripturae cognitio), so auch schon in § 5 bei der Erläuterung der generellen Regel der Schriftinterpretation (Punkt 2: Bibliorum cognitio). Man sollte deshalb nicht den der neueren Hermeneutik vertrauten Begriff des Verstehens gebrauchen, der verdeckt, daß Spinozas Bibelinterpretation ganz dem Rationalismus verpfl ichtet ist. Konfuses Zeug, das historisch bedingt ist, soll nicht verstanden werden, sondern als konfus erkannt werden, und zwar aus der sprachlichen Gepflogenheit und aus der Erkenntnis des Kontextes, in dem es formuliert ist. Gelingt dies nicht, dann gibt es auch nichts zu verstehen – es bleibt nur die Urteilsenthaltung. 132, 27 Beide Aspekte, das Fehlen von Vokalen wie von Interpunktionen, sind zu Beginn der Neuzeit von zahlreichen Autoren vor Spinoza erörtert worden. Vgl. zu den Vokalen Lagrée/ Moreau, Anmerkungen S. 737, zur Interpunktion Gebhardt, Kom mentar S. 47. 135,13 Ariosto, Orlando furioso (1532) X, 66 f. Der phantastische Reiter ist Ruggiero, nicht Orlando.

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135,19 Ovid, Metamorphoses IV, 600 f. 135, 20 Richter 15,15 f.; 2. Könige 2,11. 136,10 Vgl. Kap. X, § 1. 136, 26 Terenz, Phormion III, 541 und Plautus, Persa V, 729: dictum sapienti sat est. 137, 5 Der dargelegte Sachverhalt mag schwer sein, aber er ist seiner Natur nach leicht begreifbar, weil er etwas darlegt, was unabhängig davon ist, welche Umstände den Autor dazu gebracht haben, ihn darzulegen, mit anderen Worten, leicht, weil keine historischen Kenntnisse erforderlich sind, um ihn adäquat zu begreifen. Spinoza selbst ist in dieser Weise, losgelöst vom historischen Kontext und so, daß kein dunkler Restbestand verbleibt, am eindringlichsten von Martial Gueroult, Spinoza Ethique I und Spinoza Ethique II (1968 u. 1974) interpretiert worden. 138, 5 In der Nachfolge von Calvin (Institutiones I, 7,4: „Das Zeugnis des Heiligen Geistes ist herrlicher als alle Vernunft“); vgl. Gebhardt, Kommentar S. 49 f. 139,13 Spinoza zitiert den arabisch geschriebenen Text nach der hebräischen Übersetzung von Ibn Tibbon, nach Gebhardt (Kommentar S. 50 f.) nicht immer ganz genau. 140, 3 Der letzte Satz ist mehr eine Zusammenfassung als eine wörtliche Übersetzung. 142, 24 Gebhardt/Gawlick und Lagrée/Moreau übersetzen mit „eine“ (bzw. „une“) andere Methode, richtig meines Erachtens dagegen Totaro („l’altro metodo“). Für Spinoza gibt es nur eine akzeptable Methode, seine nämlich, die er hier gegenüber den kritisierten als „die“ andere bezeichnet. 142, 27 Interessant ist, daß Spinoza die dem Rationalismus verpfl ichtete Interpretationsmethode des Maimonides nicht nur für unergiebig (nutzlos und widersinnig), sondern auch für schädlich hält. Schädlich ist sie, weil sie dem einfachen Volk (vulgus) die Möglichkeit einer unverfälschten Lektüre (sincera lectio) der Schrift nimmt, d. h. weil sie die Autonomie des Lesers, der Spinoza das Wort redet, unterdrückt. 144, 2 Sofern die Religion auch eine öffentliche Angelegenheit ist, unterliegt sie dem Recht des Staates. Dem Recht des einzelnen unterliegt sie, sofern sie eine innere Frömmigkeit ist, zu der, wie Spinoza deutlich macht, auch das eigenständige Urteil dar-

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über gehört, was Religion überhaupt ist. Vgl. zu diesem Komplex Spinozas Ausführungen im 19. Kapitel. 145, 6 Dieses Kapitel widmet sich der im 7. Kapitel genannten und für eine adäquate Erkenntnis der Schrift unerläßlichen Aufgabe, die unverfälschte Geschichte der Schrift zu rekonstruieren. Unter Verwendung der Ausdrücke autographus (geschrieben von der Hand dessen, der Akteur des biblischen Buches ist) und apographus (geschrieben nach dem Leben des jeweiligen Akteurs von einem anderen) zeigt Spinoza am Pentateuch (§ 3 – 6) und an den in der Überschrift genannten anderen Büchern (§ 7 – 10), daß sie apograph sind, und schließt aus der Struktur der Bücher, daß sie allesamt von nur einem Autor stammen, seiner Vermutung nach von Esra (§ 11 – 12). 146, 7 Der spanisch-jüdische Bibelkommentator Abraham Ben Meir Ibn Esra (um 1092 – 1167), dessen Kommentar zum Pentateuch in den rabbinischen Bibelausgaben mit gedruckt wurde, hat selber nicht an der Verfasserschaft des Moses gezweifelt. Vgl. zu Ibn Esra jetzt: Ibn Ezra. The Commentary of the Pentateuch: Deuteronomy. Translated and annotated by H. N. Strickman and A. M. Silver, New York 2001; in der Einleitung auch kritische Bemerkungen zu Spinoza. Freilich ist Spinoza nicht der erste, der die Verfasserschaft in Frage stellte. Hobbes hat in seinem Leviathan, Kap. 33 (1651) darauf hingewiesen, und de la Peyère bringt in seinem Systema Theologicum (1655) zahlreiche Belege dafür, daß Moses nicht der Verfasser des Pentateuch sein kann, Belege, die auch Spinoza anführt und möglicherweise von ihm hat (die Termini autographus und apographus stammen im übrigen von de la Peyère). Daß Spinoza mit seinem Nachweis so viel Aufsehen erregt hat, jedenfalls deutlich mehr als die anderen Autoren, liegt wohl daran, daß er ihn in eine radikale Kritik der tradierten Bibelauslegung integriert hat. 146, 30 Spinoza denkt wahrscheinlich an den talmudischen Traktat Sata. 151, 31 Jonathan ben Usiel (1. Jhd. n. Chr.) gilt als Übersetzer der prophetischen Bücher des Alten Testament ins Aramäische. Der von Spinoza gebrauchte Ausdruck „chaldäisch“ steht für „aramäisch“. 154, 3 Dies ist gegen die talmudische Tradition gerichtet, die die

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Einheitlichkeit des Werkes angesichts des Berichts über Josuas Tod wenigstens so retten wollte, daß sie behauptete, das Ende des Buches sei von einem unmittelbaren Nachfolger verfaßt. 156,19 Spinozas Überlegungen sind zwingend, sowohl auf nur einen Verfasser als auch auf die späte Zeit der Abfassung aller Bücher zu schließen: die Geschichte des hebräischen Volkes einheitlich auf eine Zeit hin zu beziehen, in der es darauf ankam, die politische Herrschaft mit Hilfe einer Überlieferung, die als groß gedeutet wird, zu stabilisieren. Daß dieser eine Verfasser Esra gewesen ist, ergibt sich allerdings nicht zwingend, wie auch Spinoza selbst weiß, denn er sagt: „ich vermute“ (suspicor). 156, 28 Der Text ist unklar, wenn nicht widersinnig. Der jüdische König Jojachin, 598 nach Babylon verbannt, wurde 561 begnadigt und freigelassen. Da Esra gut hundert Jahre später lebte, bleibt schleierhaft, was an diesem Beleg für eine Esra-Zuschreibung sprechen könnte. 156, 33 Esra, ein jüdischer Rückwanderer aus Persien in der Mitte des 5. Jahrhunderts, genoß wegen seiner Gelehrsamkeit großes Ansehen im jüdischen Reich. In der talmudischen Tradition wird ihm das Verdienst zugesprochen, mit Hilfe des Heiligen Geistes die verlorengegangenen Bücher des Alten Testaments wiederhergestellt zu haben. Gestützt auf eine im apokryphen 4. Buch Esra enthaltene Sage, sagte man von ihm auch, daß er, wenn Moses die Gesetze nicht geschrieben hätte, würdig gewesen wäre, es zu tun (Traktat Sanhedrin II, 4,216). 159, 6 In diesem Kapitel zeigt Spinoza unter dem Titel „weitere Untersuchungen“ zum einen, gestützt auf die chronologischen Inkohärenzen und den Tatbestand mehrerer Versionen bestimmter Erzählungen, daß der Verfasser der im vorigen Kapitel erörterten biblischen Bücher nicht letzte Hand an sie gelegt hat (§ 1 – 12), und setzt zum anderen die historische Untersuchung dieser Bücher fort unter den Aspekten von Fehlerhaftigkeit, zweifelhaften Lesarten, Randnotizen und verstümmelten Stellen (§ 13 – 21). 159, 22 Den im 8. Kapitel aufgezeigten Aspekt einer einheitlichen Konzeption der Schriften aus der Hand Esras verfolgt Spinoza nicht weiter, sondern hebt in erster Linie darauf ab, daß Esra sein Konzept nicht habe vollenden können und sich deshalb viele Unstimmigkeiten in ihm finden.

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164, 36 Antiquitates Judaici VI, 378. Spinoza zitiert nach der lateinischen Übersetzung von Gelenius; denn im griechischen Text steht „22 Jahre“ (vielleicht eine Fälschung aus christlicher Hand, um auf die im Neuen Testament genannten 40 Jahre Saulscher Herrschaft zu kommen). Vgl. dazu Lagrée/Moreau, Anmerkungen S. 747. 166, 3 „In Einklang bringen“ (conciliare); vielleicht Anspielung auf Menasseh ben Israels Werk Conciliador. Vgl. dazu O. Proietti, Spinoza et le „Conciliador“ de Menasseh ben Israel. In: Studia Spinozana XIII (1997), S. 48 – 53. 166, 30 Vergil, Bucolica III, 104. 167,1 Der anonyme Autor des TTP spricht hier über sich selbst und macht klar, daß er jemand ist, der die Tradition jüdischer Bibelinterpretation kennt und sich von ihr nicht aus Überheblichkeit, sondern auf Grund langer Forschung distanziert hat. 167, 32 In der sephardischen Gemeinde Amsterdams, in der Spinoza großgeworden ist, gab es zahlreiche Kabbalisten, von denen Spinoza sicher einige persönlich kannte. 168,13 Gawlick, Anmerkungen S. 329 bemerkt: Die Unbefangenheit, mit der Spinoza notiert, daß ihm Belege nicht gegenwärtig sind, und die Tatsache, daß er sie auch später nicht in einer Anmerkung nachgetragen hat, legen den Schluß nahe, daß es ihm nicht wie manchem späteren Aufklärer darum ging, möglichst viele Widersprüche in der Schrift nachzuweisen, um in dieser Weise ihre Autorität mindern zu können. 168,16 Nach Gebhardt (Anmerkungen S. 329) hat dies als erster Ludwig Cappellus in seiner Schrift Critica Sacra (Paris 1650) erkannt, auf die sich Spinoza aber nicht zu stützen scheint. 171, 21 Buxtorf hat in seiner Schrift Tiberias (Basel 1620), die Spinoza in seiner Bibliothek hatte, allein für „Mädchen“ 21 Fälle festgestellt (Gebhardt, Anmerkungen S. 329). 172,19 Biblia Rabbinica, herausgegeben von Daniel Bomberg (Venedig 1525 – 26). Die Vorrede, auf die sich Spinoza bezieht, ist in der von Spinoza benutzten Bibelausgabe von Buxtorf mit gedruckt. Der Korrektor ist R. Jacob ben Hayyim. 173,10 Ein Traktat, wahrscheinlich vor dem 8. Jhd. geschrieben, über die Herstellung biblischer Manuskripte (Kap. I – IX) und über die öffentliche Vorlesung des Gesetzes (Kap. X – XXI). Die

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hier vertretene Annahme, die Randnotizen seien von gleichem Alter wie der Bibeltext, teilt Spinoza nicht – daher der despektierliche Ton, in dem er diese Annahme erwähnt. 174,11 Masoreten wurden die jüdischen Gelehrten des 7. bis 10. Jhd. n. Chr. genannt, die um die Überlieferung (Masorah) eines zuverlässigem hebräischen Bibeltextes bemüht waren. 174,13 Gebhardt (Kommentar S. 64) verweist auf die Behauptung des Kabbalisten Joseph del Medigo aus Amsterdam, die Zahl der Buchstaben in der Schrift sei gleich der Zahl der Seelen in Israel. Deshalb vielleicht Spinozas „auch“ bei der Erwähnung der Zahl der verstümmelten Stellen. 174,16 Es geht bei den Pharisäern um die Größe (quantitas) der Zwischenräume, nicht, wie Lagrée/Moreau übersetzen, um deren zuvor erwähnte Zahl. 175,4 Dieses Kapitel handelt von Büchern des Alten Testaments, die später als die von Esra redigierten zusammengestellt wurden (§ 1 – 11). Spinoza zeigt an ihnen offensichtliche Fehler auf (§ 12 – 15) und rechtfertigt am Ende seine dahingehende Untersuchung der Heiligen Schrift (§ 16 – 18). 175, 26 Die Philo-Stelle findet sich in hebräischer Übersetzung bei Azariya dei Rossi, Meor Ennayim (Mantua 1573), woher sie Spinoza offensichtlich hat, worauf schon Joel, Spinozas Theologisch-Politischer Traktat … (S. 62) aufmerksam gemacht hat. Dei Rossi stützt sich dabei auf das Breviarium de Temporibus, das der Dominikanermönch Annius da Viterbo zusammengebastelt und als vermeintlichen Philo-Text in das 14. Buch seiner Antiquitatum Variarum Volumina XVII (Rom 1498) aufgenommen hatte. Die lateinische Version des Philo zugesprochenen Textes findet sich als De temporibus Lib. II in der Ausgabe von 1555, die Spinoza offenbar konsultiert hatte (er zitiert den lateinischen Titel in § 11 dieses Kapitels), ohne durchschaut zu haben, um welch dubiose Überlieferung es sich dabei handelt. 176,1 In Spinozas Text steht „Kap. 24, letzter Vers“. Spinoza hat sich wahrscheinlich auf eine Bibelausgabe mit anderer Kapitelabgrenzung gestützt. 176, 3 Traktat Sabbath 30 b. 176, 30 Traktat Jehamoth 49 b. 178, 30 Zum Beispiel Traktat Baba Bathra 15 a.

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179,15 Vgl. Hobbes, Leviathan Kap. 33. 180, 3 Es würde die in Kap. III (§ 9) formulierte These bekräftigen, daß die Prophetengabe nicht nur den Juden eigen war. 181, 7 Ibn Esra in seinem Kommentar zu Esther 9,32. 181, 23 Der Text von 1670 hat statt Johanan „Jonatan“, ein offensichtliches Versehen Spinozas. 182, 5 Ein nur in Übersetzung überlieferter und von den Juden wie Christen für apokryph gehaltener Text, dem verschiedene Zeitgenossen Spinozas (Menasseh, Pereyra) jedoch historische Bedeutsamkeit zugesprochen haben (Lagrée/Moreau, Anmerkungen S. 753). 184, 23 Eine sehr wohlwollende Berufung auf das bekannte Sprichwort, wenn man bedenkt, daß Spinoza es am Ende seiner Vorrede (§ 16) auf sich selbst bezogen hat. 185,12 R. Salomon ben Isaac (1040 – 1105), auch Rachi genannt, Gründer einer Rabbinerschule in Troyes, bedeutender Kommentator der Bibel und des Talmud. In Anmerkung 1 wird er unter dem im 17. Jahrhundert irrtümlich gebrauchten Namen Jarghi zitiert. 186, 33 R. Jehuda ben Samuel ben Shilath, ein im Talmud mehrfach zitierter babylonischer Gelehrter. Rab ist das Kürzel für einen anderen babylonischen Gelehrten (Abba Arikha), der vor Jehuda gelebt hat. In meiner Übersetzung folge ich Lagrée/Moreau (vgl. Anmerkungen S. 754), die die Form „Rabi“ als Genitiv lesen. 187,7 Spinoza schreibt „Nenunja“, den er zuvor „Hananja“ (Kap. II, § 17) genannt hatte und der so auch im Talmud heißt. Möglicherweise bloßer Schreibfehler Spinozas. 187,17 Es ist kaum anzunehmen, daß Spinoza glaubte, man würde ihm die Begründung für seine Zurückhaltung in der Untersuchung des Neuen Testaments, die auf die bessere Erforschung dieses Teils der Bibel verweist, abnehmen. Seine mangelnde Kenntnis des Griechischen mag ein Grund sein und natürlich der Tatbestand, daß er sich mit diesen Büchern weniger intensiv beschäftigt hatte. Was Spinoza in den folgenden Kapiteln (in sequentibus) entwickelt (Kap. XI – XV), gilt freilich für beide Testamente und destruiert auch den Anspruch des (in Holland herrschenden) orthodoxen Calvinismuus, den er ja schon in

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seiner Vorrede im Blick hatte. Wahrscheinlich wollte Spinoza nur verdecken, wie radikal er den Calvinismus kritisiert. 188,4 In diesem Kapitel untersucht Spinoza die Rolle der Apostel im Neuen Testament. Er zeigt zunächst, daß sie im Status eines Propheten zwar gepredigt, nicht aber geschrieben haben, und daß ihre Briefe deshalb als Schriften von Lehrern anzusehen sind, die sich auf das natürliche Licht stützen (§ 1 – 7). Er zeigt sodann, daß sie aus Respekt vor der Urteilsfähigkeit derer, an die sie sich wenden, unterschiedliche Lehrmethoden hatten und auch ein unterschiedliches Verständnis der Grundlagen der Religion (§ 8 – 10). 188, 32 An dieser Stelle des Korintherbriefs schreibt Paulus: das sage ich euch „als ein Zugeständnis“ (von Tremellius übersetzt mit tamquam infi rmis). Spinoza hat tamquam infi rmus gelesen und deshalb die Paulus-Stelle anders gedeutet (Hinweis bei Lagrée/Moreau, Anmerkungen S. 755). 189,1 Die Erstausgabe des Traktats hat: „weil die Gnade Gottes vertrauenswürdig ist“, was den paulinischen Sinn aber kaum wiedergeben dürfte. Ich folge in meiner Übersetzung der plausiblen Korrektur von Akkerman. 189, 20 Demnach kommen die Apostel, insofern sie argumentieren und nicht etwas autoritär behaupten, der Urteilsfreiheit des einzelnen, der Spinoza das Wort redet, entgegen, ohne daß Spinoza deshalb behaupten müßte, der Gehalt der Bibel sei argumentativ entfaltet. 194,9 Die schon für das Alte Testament aufgezeigte Differenz zwischen dem wesentlichen Gehalt der biblischen Lehre und den historischen Erzählungen, in die er eingekleidet ist, wird jetzt auf Christus erweitert: seine der Vernunft zugängliche Lehre ist von seinem der Vernunft verschlossen bleibenden Leben zu trennen. 194, 28 Man beachte, daß Spinoza, sicher wohlüberlegt, in seiner lateinischen Wiedergabe des Textes schreibt: ich sage die Wahrheit „durch“ Christus, und wenig später: ich bin frei „in“ Christo. 196,19 Spinozas diesbezüglicher Verweis scheint mir nicht zwingend zu sein. Denn wenn er in § 9 behauptet, daß die Apostel in der Religion selbst übereinstimmen und nur in deren Grundlagen voneinander abweichen, dann hat diese Abweichung ihren Grund in der zu berücksichtigenden unterschiedlichen Gei-

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steshaltung derer, an die sie sich damals wandten. Das hat aber nichts mit philosophischen Spekulationen zu tun, die insofern auch nicht die universelle Religion in (sich bekämpfende) Sekten aufgespalten haben – eher ist es der Aberglaube, den Spinoza im Schlußsatz erwähnt. 197, 6 In diesem Kapitel verteidigt Spinoza sein Vorgehen der Bibelkritik, indem er das Wort Gottes von den geschriebenen Büchern der Schrift trennt und als in die Herzen der Menschen eingeschrieben versteht (§ 1 – 3). Hierfür zeigt er, skizziert in § 4, aus welchem Grunde die Schrift heilig heißt (§ 5 – 6), weshalb sie den Namen verdient, Wort Gottes zu sein (§ 7 – 9), und daß sie als Wort Gottes unverderbt zu uns gekommen ist (§ 10 – 12). 198, 30 Terenz, Phormion 696. 199, 37 „Außerhalb der geistigen Einstellung“ (extra mentem). Der folgende § 6 macht deutlich, daß nicht nur der sich wandelnde Wortgebrauch den Worten Bedeutung verleiht, sondern auch die subjektive Einstellung, in der das Gesagte übernommen wird. 203, 3 In Kap. XVI, § 11 heißt es, daß der demokratische Staat der natürlichste ist, weil er der Natur des Menschen am nächsten kommt, die Spinoza dort als Freiheit im Sinne einer individuellen Eigenaktivität bestimmt. Hier nennt er die universelle Religion (religio catholica) die natürlichste (maxime naturalis), weil sie in ihren grundlegenden Dogmen vernunftgemäß ist und insofern der als Vernunft bestimmten Natur des Menschen am nächsten kommt. Das Selbsturteilen ist für die vernünftige Übernahme der zentralen religiösen Lehre unerläßlich (vgl. Kap. XIII, § 6), und darüber hinaus erforderlich für die freie Interpretation dessen, was als bloß subjektiver Motivationsgrund der allgemeinen Religion äußerlich bleibt. 204, 5 Konzil von Nicäa (321) und Synode von Rom (382). 204,9 So recht vermag Spinozas Annahme nicht zu überzeugen, scheint sie doch vorauszusetzen, daß die Konzilsleute die richtige Auswahl getroffen haben, was Spinoza gerade nicht annimmt. 205,19 Ist dem so, dann hätte die Schrift eine Gemeinsamkeit mit Euklid (vgl. Kap. VII, § 17), der über Sachverhalte geschrieben hat, die ewig sind.

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205, 34 Die These, daß ein die Grundlagen der Religion betreffender sinnentstellender Irrtum „von jedem“ (ab unoquoque) bemerkt worden wäre, ist merkwürdig. Denn daß diese Grundlage als verbindlich für die ganze Religion anzuerkennen ist, ist eine philosophische Interpretation, für die sich Spinoza nicht auf das Urteil eines jeden berufen kann. 206, 7 Vorgriff auf die in Kap. XIV, § 10 entwickelten grundlegenden Dogmen der Religion, die nicht in Frage zu stellen sind und von denen Spinoza hier behauptet, sie seien als Lehre der Schrift unverderbt zu uns gekommen. 206, 36 Das Zugeständnis an eine vom Volk ausgeübte Praxis macht Spinoza offenbar, um nicht den Anschein zu erwecken, nur die elementaren Grundsätze einer universellen Religion seien uns in der Bibel unverderbt überliefert. 208, 6 Dieses Kapitel zeigt, im Rückgriff auf schon Dargelegtes und in Vorbereitung der Trennung von Philosophie und Theologie, daß die Schrift nur ganz einfache Dinge lehrt, die keiner philosophischen Spekulation bedürfen (§ 1 – 4). Gott unter den Aspekten von Gerechtigkeit und Nächstenliebe, die Menschen nachahmen können, zu erkennen, ist eine von Gott allen Gläubigen verliehene Gabe, die geistige und darin allein wahre Erkenntnis Gottes hingegen nicht (§ 5 – 7). Gott verlangt von den Gläubigen nur die zuerst genannte Form von Erkenntnis, während die wahre Natur Gottes zu erkennen ein philosophisches Geschäft ist, das für den Glauben keine Rolle spielt (§ 8 – 9). 209,13 Der Verweis auf Aristoteles zielt zweifellos auf Maimonides, der auf Platon vielleicht auf Leone Ebreo, dessen platonisierende Dialoghi d’Amore (erschienen 1535) Spinoza in spanischer Übersetzung in seiner Bibliothek hatte. 209, 21 Ich habe determinari mit „begrenzt sein“ und nicht „bestimmt werden“ übersetzt, da es im Folgenden um die Abgrenzung der in der Bibel anzutreffenden Spekulation von anderen Formen der Spekulation geht. 210, 7 Die geistige Erkenntnis (cognitio intellectualis) Gottes wird als tiefer gehend (intellectualis sive accurata) bezeichnet, d. h. als die richtige, während die durch die Propheten vermittelte, generell die in der Bibel thematisierte, Gott unter Attributen vorstellt, die nicht zu seiner richtig verstandenen Natur

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gehören, aber für ein der Moralität verpfl ichtetes Leben höchst nützlich sind. Spinoza scheut sich freilich, die in der Bibel vertretene Erkenntnis als „nicht wahr“ oder auch nur „oberflächlich“ zu bezeichnen. Ich habe den hier exponierten Unterschied in der Erkenntnis Gottes bezüglich der Prädikate Gerechtigkeit und Nächstenliebe mit Hilfe des Terminus „Aspekt“ zum Ausdruck gebracht. 210, 35 Auch der philosophisch konzipierte Gott Spinozas ist wesentlich, d. h. in seiner unbedingten Essenz, Macht (Eth. I, prop. 34: Dei potentia est ipsa ipsius essentia). Diese Macht ist nichts für sich, sondern manifestiert sich immer auch in den Dingen, d. h. in ihren Wirkungen. Doch kann die Manifestation in unterschiedlicher Weise verstanden werden und darin Gott auch unter Prädikate gebracht werden, die nicht seine wesentlichen Attribute sind, und genau davon macht die Bibel Gebrauch. 211, 33 Mit „weise sein“ (sapere) ist die wahre Erkenntnis Gottes verbunden, die eine Eigenaktivität des Erkennenden voraussetzt, die nicht verordnet werden kann und deshalb auch nicht Gegenstand biblischer Gebote ist. Demgegenüber ist das Geboten unterliegende „gehorchen“ (obtemperare) der genuine Gegenstand der Bibel, in dem die unterschiedlichen menschlichen Vorstellungen von Gott ihre Einheit fi nden. 211, 36 Spinoza unterstreicht damit die Unerläßlichkeit einer philosophischen Konzeption Gottes, die die Bestimmung Gottes nicht dem Glauben allein überläßt. In Eth. V, prop. 23, schol. heißt es: „Mentis oculi […] sunt ipsae demonstrationes“. 213,11 Zu beachten ist, daß Spinoza von Attributen spricht, die zum Ausdruck bringen (explicant), was unter göttlicher Gerechtigkeit und Nächstenliebe zu verstehen ist, daß er aber nicht Gerechtigkeit und Nächstenliebe selbst als Attribute Gottes bezeichnet. In dieser Form sind sie das Musterbild (exemplum) einer wahren Lebensweise, das Menschen nachahmen (imitari) können. Von dieser Charakterisierung ist die Natur Gottes, wie sie in sich ist (prout in se est), zu unterscheiden, die weder Musterbild ist noch nachgeahmt werden kann, von Spinoza entwikkelt im 1. Teil der „Ethik“. 214, 8 „Die Schrift spricht die Sprachen der Menschen“ ist ein geläufiger Gedanke des Talmud (Jebamot 71a; Baba Mezia 31b);

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er fi ndet sich auch bei Maimonides, Führer der Unschlüssigen I, 33. 216,4 In diesem Kapitel erinnert Spinoza daran, daß die Autorität der Schrift mißbraucht wird, wenn in Unkenntnis ihrer Absicht ihr wesentliches Anliegen verkannt wird (§ 1 – 3). Aus ihrem richtigen Verständnis definiert er den Glauben als Gehorsam gegen Gott, der sich in den Werken der Gerechtigkeit und Nächstenliebe erfüllt und keiner Dogmen bedarf, die Wahrheit beanspruchen (§ 4 – 9). Im Anschluß daran formuliert er sieben Dogmen des allgemeingültigen Glaubens, die alle Menschen, um wahrhaft gläubig zu sein, anerkennen müssen, weil sie für die Stabilisierung des Gehorsams unerläßlich sind (§ 10 – 11). Der Unterscheidung zwischen der Wahrheit der Dogmen und ihrer Funktion korrespondiert die Trennung von Philosophie und Theologie (§ 12 – 14). 216, 22 Das heißt jeder mit seinem eigenen Text, ohne sich auf einen Text der Bibel zu stützen. 217, 8 Mit dem (hier unvermittelten) Bezug auf den Staat deutet Spinoza an, daß die im Feld der Religion zuzugestehende Freiheit des Meinens und Denkens vor allem eine politische Bedeutung hat. 218,14 Ich habe fi des catholica mit „allgemeingültiger Glaube“ übersetzt, den Spinoza hier zweifellos im Blick hat, wie er dann auch, erläuternd, in § 9 von fi des catholica sive universalis spricht und, die Dogmen einführend, in § 10 nur noch von fi des universalis. 219, 34 Spinoza hebt, mit Bezug auf Johannes, hervor, daß der Gehorsam nicht in der Passivität eines Gehorchens auf Befehl aufgeht, weil er untrennbar mit der Nächstenliebe verknüpft ist, die sich in den Werken äußert und darin eine Aktivität des Menschen bekundet. Doch gibt Spinoza keinen Hinweis darauf, daß es sich beim Vollbringen der Werke wie beim Selbstdenken um eine individuelle Aktivität handelt. Er qualifiziert, mit Johannes, die menschliche Nächstenliebe vielmehr von der Gott charakterisierenden Nächstenliebe her mit der Wendung, dieses göttlichen Merkmals inne zu sein, insofern „wir“ an ihm teilhaben (quatenus […] participamus), d. h. sofern sich Gott unter diesem Attribut der Menschheit offenbart hat. Gebhardt/Gawlick lesen

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in ihrer Übersetzung, die individuelle Handlung betonend: sofern „er“ daran teilhat – doch steht es so nicht in Spinozas Text. 220,10 Spinoza greift in die im 16. und 17. Jahrhundert verbreitete Debatte über den Antichrist unter einem rein moralischen Gesichtspunkt ein. Vgl. Lagrée/Moreau Anmerkungen S. 762. 221, 27 Die Dogmen des Glaubens dienen dazu, die subjektive Einschätzung der Grundlage des Glaubens nicht der Beliebigkeit eines bloßen Meinens auszusetzen, das den an Gehorsam gebundenen Glauben falsch versteht (§ 4). Deshalb haben sie ihre Bedeutung allein im Hinblick auf einen recht verstandenen Gehorsam. Insofern stützt sich Spinozas These, daß es nur sieben gibt und keine weiteren, auch nicht auf den Begriff Gottes, sondern darauf, daß Dogmen, die nicht der Festigung des Gehorsams dienen, nicht als Dogmen des allgemeingültigen Glaubens anzusehen sind. Die Dogmen 1 – 4 formulieren Merkmale (propria) Gottes im Hinblick auf den Gehorsam der Menschen, die Dogmen 5 – 6 beschreiben das Handeln dessen, der gehorcht. Sie sind kompatibel mit Grundaussagen der in der „Ethik“ entwikkelten Philosophie: Gott existiert (Eth. I, prop. 11); Gott ist einzig (Eth. I, prop. 13); Gott ist allgegenwärtig (Eth. I, prop. 15): Gott handelt unter keinem Zwang (Eth. I, prop. 17); vernünftiges Handeln aus der Erkenntnis Gottes ist kommunikativ und schließt die Mitmenschen ein (Eth. IV, prop. 37); das Heil des Menschen besteht in einem Handeln aus dieser Erkenntnis (Eth. V, prop. 36, schol.). Nur Dogma 7 ist durch eine spezifisch religiöse Bedeutung gekennzeichnet, die in der „Ethik“ kein Pendant hat. Zum Status des sogenannten „credo minimum“ vgl. die grundlegende Untersuchung von A. Matheron, Le Christ et le salut des ignorants, Paris 1971. 223, 22 Zu beachten ist, daß Spinoza nur die Dogmen für eine subjektive Interpretation offen sein läßt, die den Begriff Gottes, nicht aber das menschliche Handeln beschreiben. Weil der von der Philosophie erfaßte Begriff Gottes für den Glauben keine Rolle spielt, dürfen Menschen hier dilettieren, d. h. in den von Spinoza formulierten Alternativen auf das Falsche setzen, wenn sie darin ein Mittel zur Stabilisierung des Gehorsams sehen. Spinoza scheint nicht wahrhaben zu wollen, daß das falsche Verständnis Gottes zu einem falschen Verständnis von Gehorsam

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führen kann, das er gerade beseitigen will. Er setzt auf die schon vorhandene Bereitschaft des Menschen, sich an den richtig verstandenen Gehorsam zu halten. Im übrigen sind für Spinoza Essenz und Macht Gottes keine Alternativen, weil sie identisch sind (vgl. Eth. I, prop. 34); Spinoza hat an dieser Stelle den traditionellen Begriff einer von der göttlichen Macht verschiedenen Essenz Gottes im Blick. 225, 5 Ein solcher Hinweis an den Leser, der außerhalb der entwickelten Sache steht, gehört eigentlich in ein Vorwort, in dem der Autor Rechenschaft über sein Verfahren gibt. Daß Spinoza ihn an dieser Stelle bringt, zeigt, daß er um die Brisanz des von ihm Entwickelten wußte und einer Beschuldigung, ein Umstürzler zu sein, vorbeugen wollte. 226, 5 In diesem Kapitel kritisiert Spinoza zwei unterschiedliche Positionen, vertreten von den Dogmatikern (Maimonides), die den Glauben der Vernunft unterordnen wollen, und den Skeptikern (Alpachar), die die Vernunft dem Glauben unterordnen wollen (§ 1 – 5), und kommt zu der abschließenden These einer strikten Trennung von Philosophie und Theologie (§ 6). Er legt dann dar, weshalb die rational nicht beweisbaren Grundlagen des Glaubens von vernünftigen Menschen auch ohne strengen Beweis übernommen werden können (§ 7 – 9) und schließt mit einem Hinweis auf die Nützlichkeit der Religion für die Menschen (§ 10). 226, 35 Jehuda Alpachar (gest. 1235), ein Jude aus Toledo, war nach Gebhardt (Kommentar S. 83 f.) eher ein Wirrkopf. Auf ihn wie auch auf Maimonides bezieht sich Spinoza offenbar, weil er mit dem Bezug auf nichtchristliche Gelehrte vermeiden wollte, in die Debatte zeitgenössischer christlicher Theologen und den Konfl ikt zwischen Socianern (vernunftorientierte Dogmatiker) und Calvinisten (vernunftfeindliche Skeptiker) hineingezogen zu werden. 228,11 Die Vernunft ist eine Instanz der Beurteilung von Schriftstellen im Rückgriff auf Sprache und Kontext dieser Stellen und darin eine unerläßliche Instanz nicht nur für das Erfassen des Sinns der Bibel (sensum eruere), sondern auch dafür, ihm die Zustimmung zu geben (assensum praebere). Mit dieser Hochschätzung der Vernunft ist jedoch keine Dominierung des

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Glaubens verbunden. Die Vernunft ist lediglich die Instanz, die den überlieferten Text der Bibel nicht als heilig hinnimmt, sondern zwischen Buchstabe und Geist der Bibel zu unterscheiden weiß. 230, 20 Spinoza kann sich hierfür darauf berufen, daß die Bibel kein einheitliches Werk ist, sondern ein aus verschiedenen Verfassern unterschiedlicher Geisteshaltung zusammengestelltes Werk. 231, 33 Die Formulierung ist schief. Denn die Glaubensdogmen sind dem vorigen Kapitel zufolge gerade dadurch definiert, nicht auf Wahrheit bezogen (ratione veritatis) zu sein, so daß sie unter diesem Aspekt auch nicht erörtert werden können. Spinoza könnte nur behaupten, daß der in den Dogmen thematisierte Gott von der Philosophie anders (und richtig) begriffen wird, womit ihm aber die Einkleidung in ein Glaubensdogma genommen ist. 235, 6 Die mathematisch beweisbaren Prinzipien der Lebensführung sind viel zu allgemein und deshalb nicht geeignet, die konkrete Lebensführung in den komplexen Zusammenhängen der Welt von sich aus zu bestimmen. Angesichts der damit verbundenen Ungewißheit unserer Handlungen, d. h. ihrer natürlichen Sperrigkeit gegen alles exakte Planen und Voraussehen, ist die Religion nicht nur ein Zugeständnis an die geistig Unversierten, sondern auch eine Option derer, die sich der Vernunft bedienen. Diese Erwägungen sind mit den Darlegungen der „Ethik“ durchaus verträglich, deren Konzept einen Raum der Ungewißheit freigibt, den die reine Vernunft allein nicht zu gestalten vermag. Am Ende dieses Kapitels (in § 10) relativiert Spinoza diese These allerdings, indem er nicht auf die Ungewißheit menschlicher Handlungen abhebt, sondern auf den Unterschied zwischen den vielen, die kein wahres Wissen haben, und den wenigen, die es haben, worin er, nicht gerade glücklich, Religion und Philosophie einer unterschiedlichen geistigen Ausstattung der Menschen zuordnet. 237, 3 Mit „wir“, die sonst zweifelten, meint Spinoza sich selbst, nicht etwa die Sterblichen, von denen zuvor die Rede ist; eingeschlossen in das „wir“ sind allenfalls diejenigen, die Spinozas Standpunkt teilen, daß das Heil der Menschen in einer rein ra-

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tional vermittelten Liebe zu Gott besteht (vgl. Eth. V, prop. 36, schol.). 238,4 Mit diesem Kapitel beginnt der zweite Teil des Traktats, der der Politik gewidmet ist. Im Eröffnungskapitel handelt Spinoza von den Grundlagen des Staates und hierfür zunächst von dem natürlichen Recht eines jeden, das er mit dessen Macht gleichsetzt (§ 2 – 4). Auf der Basis dieses Rechts schließt er auf das Erfordernis eines die Menschen verbindenden Pakts und bestimmt dessen Wirksamkeit (§ 5 – 7); er beschreibt sodann das Recht der aus dem Pakt resultierenden höchsten Gewalt, also des Souveräns, und das durch ihn gesetzte bürgerliche Recht (§ 8 – 11). Es folgen Defi nitionen einiger politischer Grundbegriffe (§ 12 – 18) und abschließend eine Erörterung des Verhältnisses von bürgerlichem und offenbartem Recht (§ 19 – 21). 238,9 In Kap. XX , § 5 wird Spinoza zeigen, daß dies sein wesentliches Vorhaben in diesem Teil des Traktats ist, weil es darlegt, wie der Frieden im Staat gesichert werden kann. 238, 26 Daß mit der Macht Gottes ein Recht verbunden ist, ist keine These der „Ethik“, sondern wird von Spinoza hier, im Kontext der Politik, einfach versichert. Spinoza wird die These im „Politischen Traktat“ (II, 3) wiederholen, auch dort rein behauptend. 238, 33 Rückgriff auf die für Spinozas Anthropologie zentrale Theorie des conatus, der die essentielle Bestimmung jedes Einzeldings ist (vgl. Eth. III, prop. 6). 239, 20 Vgl. Römerbrief 7,7. 240,9 Was daraus folgt, hat Spinoza im „Politischen Traktat“ (II, 8) weitgehend wortgleich wiederholt. 241, 8 Kap. V, § 7. 241,18 „trahit sua quemque voluptas“ ,Vergil, Bucolica , 65. 241, 21 Ein eigenartiges und sonst von Spinoza nicht gebrauchtes Argument, das bei jedem Menschen eine zumindest latente Ausrichtung auf die Vernunft unterstellt. In der Affektenlehre der „Ethik“ findet es sich nicht. 241, 26 Zu beachten ist, daß Spinoza von einem Pakt (pactum), nicht von einem Vertrag (contractus) spricht. 243, 35 Die Weise macht deutlich, daß für Spinoza das natürliche Recht nicht als eine normative Instanz zu respektieren ist;

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These ist vielmehr, daß sich eine Gesellschaft nur im Einklang mit dem natürlichen Recht bilden kann. Das Übertragen (transferre) der Macht auf die Gesellschaft wird deshalb als ein natürlicher Akt verstanden, der keine ausdrückliche Vereinbarung sein muß, obwohl er auch als Akt der Vernunft verstanden werden kann: Zwang der Notwendigkeit und Anraten der Vernunft fallen zusammen. 244,9 Ich habe den vermutlich auf Grotius zurückgehenden lateinischen Terminus summa potestas (höchste Gewalt) oder auch summae potestates hier (und an anderen Stellen) mit dem heute geläufigen Wort „Souverän“ übersetzt. 245,4 Spinoza hat Senecas Sentenz schon in Kap. V, § 8 zitiert. 245, 35 Vgl. Cicero, De legibus III, 3: „Salus populi suprema lex esto“. 246, 8 Für Spinoza ist demnach das Verhältnis zwischen Herrscher und Untertan nicht nur von dem zwischen Herr und Sklave zu unterscheiden, sondern auch von dem zwischen Eltern und Kindern, womit er jede Form paternalistischer Staatsbetreuung zurückweist und auf die Mündigkeit der Untertanen verweist. Hobbes, De cive X, 5 hat hier nicht klar unterschieden, sondern eher einer Ineinssetzung das Wort geredet. 246, 20 „ut nulla sibi imposterum consultatio sit“. Ich habe consultatio mit „Erwägen“ übersetzt. Denn Spinoza will nicht sagen, daß im demokratischen Staat der einzelne zu Rate gezogen wird, sondern daß er in ihm die Urteilsfreiheit behält. Das Folgende verdeutlicht dies: Der demokratische Staat ist der natürlichste (maxime naturale) nicht, weil er die faktische Partizipation aller am politischen Entscheidungsprozeß garantiert, sondern weil er der Natur des Menschen am nächsten kommt, die, so Spinozas Grundüberlegung, durch eine Aktivität gekennzeichnet ist, die sich im höchsten Maße in der Freiheit eigenständigen Urteilens artikuliert. 247, 37 Mit dem Bezug der Gerechtigkeit auf Billigkeit macht Spinoza deutlich, daß es in der Gerechtigkeit um die Gleichbehandlung eines jeden durch das bürgerliche Recht geht: das lateinische aequitas enthält, anders als das deutsche Billigkeit, mit aequus den Verweis auf „gleich“. 248, 8 Man beachte, daß Spinoza hier nicht mehr von einem

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Pakt spricht, sondern von einem Vertrag (contractus), weil die Übereinkunft nicht von Individuen, sondern von Gemeinwesen getroffen wird, die schon dem positiven bürgerlichen Recht unterstehen. 251,1 Das göttliche Recht entspricht an dieser Stelle dem erlassenen göttlichen Gesetz, das Gott Moses übermittelt hat, und nicht dem universellen göttlichen Gesetz, von dem das 4. Kapitel gehandelt hat. 252, 37 „extrema pati“, Vergil, Aeneis I, 219. 254,9 Dieses, wie auch das nächste Kapitel, untersucht nach § 14 der Vorrede die Bedingungen, unter denen die Religion Rechtskraft erhalten hat. Im einzelnen thematisiert es hierfür, teilweise sehr ausführlich: das Recht und die Gewalt des Staates im allgemeinen einschließlich der Bedingungen der Erhaltung eines Staates (§ 1 – 6); den Staat der Hebräer nach dem Auszug aus Ägypten (§ 7 – 15): die Verwaltung dieses Staates (§ 11 – 15) und ihre Vorteile (§ 16 – 25); schließlich die Ursachen des Verfalls des hebräischen Staates (§ 26 – 31). 258, 26 Kap. 10,6. 259, 29 Spinoza beginnt hier mit seiner Analyse des Verhältnisses von Religion und Staat. Im Hintergrund steht eine implizite Auseinandersetzung mit Hobbes’ Erörterung dieses Problems im Leviathan (III. Teil). 259, 34 Exodus 19,8 und 24,3. 261,9 Josephus Flavius, Contra Apionem (II, 165) hat ihn so genannt. 261, 37 Deuteronomium 5,23 – 27. 263,19 Der eine war Eleasar, der andere Josua. 263, 23 Exodus 25,31. 263, 28 Deuteronomium 18; Numeri 3 und 4. 263, 33 Exodus 28,30; Numeri 27,21. 264, 7 Numeri 18,21; Deuteronomium 10,9. 264,12 Numeri 1 und 2. 264,15 Numeri 34. 264,19 Numeri 27,18 – 21. 265, 6 Deuteronomium 20,4. 265, 37 Exodus 28,41. 266, 27 Die Provinzen waren in den eigenen Angelegenheiten

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souverän und schickten in den Staatenbund Delegierte, wenn es um gemeinsame Angelegenheiten ging, insbesondere außenpolitischer Art. 267,19 Richter 2,1 – 5. 268, 3 Numeri 11,16; Exodus 18,17 – 2. 268, 29 Richter 6 und 13; 1. Samuel 3. 271,16 Deuteronomium 13,6. 272,14 Man beachte das (unheilvolle) Ineinandergreifen von Glauben und Realität: Die Hebräer glaubten (crediderent), die anderen Völker seien Feinde Gottes, und haßten sie tatsächlich (odio affecti erant). 272, 27 1. Samuel 26,19. 274,10 Levitikus 25,13. 274, 37 Zeremonien, die nützlich sind, aber ganz äußerlich bleiben, haben in ihrer stärksten Form doch eine das Innere bestimmende Kraft, insofern sie den ihnen Unterworfenen so etwas wie Freiheit vorgaukeln (libertas videri), womit Menschen sich häufig zufrieden geben. 275, 25 2. Könige 21,4. 276, 36 Historiae I, 3. 278, 28 In Numeri 16 wird von dieser Revolte berichtet. 279,19 Mit „Staat im Staat“ (imperium in imperio), einem vielgebrauchten Terminus in der Politiktheorie des 17. Jahrhunderts (etwa von Hobbes, De Cive, Kap. 13), meint Spinoza hier die rechtliche Unabhängigkeit einer religiösen Institution vom weltlichen Staat. Im „Politischen Traktat“ (II , 6) gebraucht er den Ausdruck, um eine falsche Vorstellung vom Menschen zu bezeichnen, der zufolge der Mensch unabhängig von den allgemeingültigen Gesetzen der Natur existiere und handle – in dieser Bedeutung auch in der „Ethik“ (III, praef.) verwendet. 280, 2 1. Samuel 16,13. 280, 5 Spinoza denkt wohl an das religiöse Schisma des Jeroboam, das in 1. Könige 12,26 ff. beschrieben wird. 282, 3 In diesem Kapitel verwirft Spinoza die Möglichkeit, sich heute am Staat der Hebräer orientieren zu können (§ 1). Er hebt am hebräischen Staat neben beachtenswerten Merkmalen (§ 2 – 4) vor allem verhängnisvolle Gefährdungen hervor (§ 5 – 6), die er zuletzt auch am Beispiel anderer Staaten erläutert (§ 7 – 10).

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282, 5 „immerwährend“ (aeternus) im Sinne einer den Staat erhaltenden internen Stabilität. Der von Spinoza oft zitierte Qu. Curtius spricht (Buch VIII, Kap. 8) von einem „stabile et aeternum imperium“. 282, 26 Im „Politischen Traktat“ hat Spinoza das hier nicht verfolgte Programm realisieren wollen. In unserem Traktat dient das Beispiel des hebräischen Staates dazu, den theokratischen Staat, trotz einer partiellen Stärke seiner Verfassung, als nicht nachahmenswert hinzustellen. 283,34 „unheilvoller Aberglaube“ (exitiabilis superstitio) findet sich bei Tacitus, Annales XV, 44, bei ihm bezogen auf das Christentum (Lagrée/Moreau, Anmerkungen S. 776). 284, 20 XVIII, 1, § 3. 285, 25 2. Chronik 13; für die unmittelbar folgenden Passagen 2. Chronik 25 und 28. 286,10 Richter 3. 287,4 Bellarmin, De potestate summi pontifi cis in rebus temporalibus (1610) hatte das gefordert. Schon Hobbes hatte sich im Leviathan (Kap. 42) dagegen gewandt (Lagrée/Moreau, Anmerkungen S. 776). 287,11 Nach Gebhardt/Gawlick (Anmerkungen S. 340) gegen Grotius, De imperio summarum potestatum gerichtet, der auch die wahre Religion durch das Recht des staatlichen Souveräns bestimmt sehen wollte. 287,14 Die Synode von Dordrecht (1619) hatte Abweichler zu Verbrechern erklärt, den Rechtslehrer Grotius ins Gefängnis werfen und den Politiker Oldenbarnevelt hinrichten lassen. 288, 6 Das 20. Kapitel wird diese Überlegung aufnehmen und vertiefen. 288,9 Mit „was göttlich geboten ist und was nicht“ habe ich quod fas nefasque sit übersetzt. 288, 37 Eine seit Bodin (De la république, 1576) viel erörterte Frage: an liceat manum inferre tyranno. 289, 25 Eine eigentümlich negative Einschätzung der neuesten Geschichte Englands, vielleicht bedingt durch die antienglische Stimmung in Holland (vgl. Gebhardt/Gawlick, Anmerkungen S. 340 f.). 289, 29 Oliver Cromwell unter dem Titel eines „Lord Protector“.

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290,4 Durch die Restauration der Stuarts 1660. 290, 21 Auch hier eine negative Einschätzung: im Unterschied zu dem Rom-Bewunderer Machiavelli zeichnet sich für Spinoza im römischen Reich eine Geschichte des Verfalls ab. 290, 26 Robert Dudley, Graf von Leicester (1533 – 1588), war 1585 als „General-Statthalter“ der Niederlande eingesetzt und 1587 verjagt worden, weil er deren Souveränität nicht anerkennen wollte. 290, 35 Der letzte Graf war der spanische König Philipp II., gegen den die Staaten der Niederlande ihre Souveränität erfolgreich behaupteten. Im „Politischen Traktat“ (IX , 14) schreibt Spinoza, nach dem Umsturz von 1672, Holland sei eine Grafschaft ohne Graf (comitatus sine comite) geblieben, weil das Land sich nur des Staatsoberhaupts entledigt, nicht aber auch das Fundament des Staates solide gestaltet habe. 292, 6 In diesem Kapitel entwickelt Spinoza die entschiedene These, daß der staatliche Souverän auch das Recht in geistlichen Dingen vollständig in Händen haben müsse (§ 1). Er zeigt, daß die Religion ihre Aufgabe, für ein friedvolles Zusammenleben der Menschen zu sorgen, nur erfüllen könne, wenn sie Rechtskraft durch die Beschlüsse der weltlich Regierenden erhält, die als die alleinigen Interpreten und Verteidiger der Religion anzusehen sind (§ 2 – 11); er bekräftigt sodann diese These aus der Geschichte der Hebräer, aber auch des Christentums (§ 12 – 18) und entkräftet schließlich Einwände, die für eine Trennung von Religion und Staatlichkeit sprechen könnten (§ 19 – 22). 292,19 Ambrosius, Bischof vom Mailand, exkommunizierte 390 den Kaiser Theodosius wegen eines Massakers an Aufständischen in Saloniki. Dadurch geriet der römische Staat erstmals unter die Macht der christlichen Kirche, von vielen Staatstheoretikern des 17. Jahrhunderts als ein Wendepunkt verstanden und teils positiv (Calvin), teils negativ (Hobbes) beurteilt. 293, 36 Prediger 9,2. 294, 34 In der Gegenüberstellung von prophetischer Offenbarung und vernünftiger Vorschrift ist das Argument in dieser Form mißverständlich. Der Entschluß der Bürger im demokratischen Staat ist zwar der Vorschrift der Vernunft gemäß, aber nicht von einer Orientierung an dieser Vorschrift geleitet. Daß

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für die Errichtung des Staates nicht die Vernünftigkeit der Menschen in Anspruch genommen werden kann, macht Spinoza in seinem späteren „Politischen Traktat“ vollends deutlich, während er diese These in unserem Traktat an verschiedenen Stellen, wie auch hier, nicht in solcher Entschiedenheit vertritt. 294, 37 Kap. XVII, § 8 ff. 296, 23 Dieses Argument, das auf die moralische Verfassung der Regierenden setzt, ist für die Begründung einer Unterordnung des jus sacrum unter das jus civile nicht von Belang. Spinoza gebraucht es hier wohl, um dem traditionellen Begriff der göttlichen Gerechtigkeit (divina justitia), einem für Spinoza Gott fremden Begriff, Bedeutung zu geben. 297,12 So schon Machiavelli, Discorsi III, 41. 297,14 Matthäus 5,40; Lucas 6,29. 297,17 Das Beispiel findet sich bei Titus Livius VIII, 7. 298,19 Kap. XVII, § 10. 298, 24 Matthäus spricht von dem, was den Hebräern gesagt worden ist. Der zweite Teil des Ausspruchs findet sich im Alten Testament nicht. Die Redakteure der dortigen Bücher waren wohl klug genug, Volksmundgerede nicht schriftlich zu fi xieren. 299,17 In Kap. XX , § 15 wird Spinoza die Gegner nennen. 299, 28 Kap. XVII, § 9 und 11. 299, 35 Kap. XVII, § 10 und 14. 300,15 So auch Hobbes, Leviathan Kap. 42. 301, 29 Kap. XVIII, § 3. 303,14 In ähnlicher Weise hat Lambert van Velthuysen, Munus pastorale (Kap. 8) die unterschiedliche Stellung der christlichen Kirche vor und nach ihrer staatlichen Anerkennung erörtert (Gebhardt, Anmerkungen S. 342 f.). 303, 23 Nach dem Übertritt Konstantins und dem Edikt von Mailand im Jahr 323. 304, 2 Spinoza übernimmt, wenn er im Hinblick auf die Hebräer von „Kirche“ spricht, die christliche Terminologie der Calvinisten. 306,4 Im Schlußkapitel verteidigt Spinoza vehement die Gedankenfreiheit als Bedingung staatlichen Gedeihens. Er zeigt, daß diese Freiheit gar nicht unterdrückt werden kann, weil sie zum natürlichen und daher unaufgebbaren Recht eines jeden gehört

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(§ 1 – 5), daß der Staat deshalb seine Befugnisse nicht auf Gedanken, sondern nur auf Handlungen erstrecken darf (§ 6 – 10), daß es für den Staat schädlich ist, diese Freiheit unterdrücken zu wollen (§ 11 – 14), und daß die Stadt Amsterdam ihr Gedeihen dem Zugeständnis dieser Freiheit verdankt (§ 15). Am Ende faßt Spinoza die grundlegenden Thesen des ganzen Traktats, auch mit Blick auf die politische Situation seiner Zeit, zusammen (§ 16 – 18). 306,16 Niemand kann es (potest), weil jeder nur das kann, was in seiner Natur gelegen ist, die Spinoza als Macht (potentia) und damit als eine Aktivität des Sichentfaltens bestimmt; sie ist zwar im Handeln durch äußere Gegebenheiten faktisch eingeschränkt, im Urteilen aber, unbeschadet aller trickreichen Manipulationen, eine Form eigenständiger Tätigkeit, die das Individuum unmöglich aufgeben kann, weil es nichts gegen die eigene Natur vermag. Ob das Urteil auch wahr ist, spielt dabei keine Rolle; entscheidend ist, daß es einer eigenen Sinnesart (suum ingenium) entspringt. 307,1 In der „Ethik“ (Eth. I, app.) bezieht sich Spinoza ebenfalls auf dieses alltägliche Wissen („einem jedem ist die eigene Meinung genug“), dort allerdings in abwertender Weise im Kontext einer Kritik der Vorurteile, die das richtige Wissen verdunkeln. Hier hebt er hingegen darauf ab, daß es eine eigene Meinung ist, über die andere, weil es eine eigene ist, nicht verfügen können. 307, 30 Diese These wird Spinoza in seinem „Politischen Traktat“ noch stärker betonen: das Recht eines jeden ist mit dessen Macht identisch („tantum juris […] quantum potentiae“, TP II, 3). Das Recht des Souveräns ist deshalb dort am höchsten, wo der Staat höchste Macht ist, und das heißt, wo er die gemeinsame Macht der Individuen ist. Demnach erfüllt der Staat seine Aufgaben am besten in einem demokratischen Staat, der, so hatte Spinoza im 16. Kapitel (§ 11) gesagt, der Natur der Individuen, nämlich ihrer Freiheit, am nächsten kommt; deshalb nennt Spinoza einen freien Staat eine Republik (libera respublica). 308, 8 Deutliche Kritik an Hobbes (Leviathan Kap. 18). 308, 34 Vgl. meinen Aufsatz „Freiheit als Ziel des Staates“. In: D. Bostrenghi (Hg.), The Proceedings of the Urbino Conference on Hobbes and Spinoza. Science and Politics, Neapel 1992, S. 115 – 142.

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309,14 Spinoza sieht, daß das zuzugestehende Äußern der eigenen Meinung auch eine Form des Handelns annehmen kann, das zu kontrollieren dem Staat zuzugestehen ist. Der (lästigen) Kontrolle durch den Staat kann der einzelne vorbeugen, wenn er die im Meinen enthaltene Aufforderung zum Handeln an ein vernünftiges Begründen bindet, das ein von schlechten Affekten geleitetes Agitieren unterbinden könne. 312, 22 Der sich hier findende Hinweis auf eine moralische Haltung des Menschen wird dann wichtig, wenn man fragt (was Spinoza aber unterläßt), ob die Menschen das, was der Staat ihnen zuzugestehen hat, auch ihrerseits von ihm erwarten. Offenbar müssen sie hierfür (durch Erziehung, vielleicht auch durch Philosophie) zu Menschen gemacht werden, die „freier“ (liberiores) sind als die gewöhnlichen Menschen. 313,10 Kap. XVIII, § 5. 314, 29 Der politische Zustand löst also, anders als bei Hobbes, nicht den natürlichen einfach ab, sondern gestaltet ihn, und in seiner besten Form, in der Demokratie, so, daß er an dem natürlichen Merkmal eines jeden, sich frei zu entfalten, festhält und sich darauf beschränkt, es gemeinverträglich zu regulieren. 315,11 K. O. Meinsma, Spinoza und sein Kreis (dt. Übersetzung Berlin 1909. S. 397) hat gemeint, dieses Loblied auf Amsterdam sei ironisch gemeint. Immerhin hat die Stadt Spinozas Freund Adriaan Koerbagh 1668 wegen einer religionskritischen Schrift ins Gefängnis geworfen und dort verenden lassen. Doch dürfte diese Einschätzung nicht richtig sein. Amsterdam war für die damalige Zeit eine durchaus tolerante Stadt; nicht zuletzt hat sie viele in ihrer Heimat verfolgte Juden aufgenommen, die die Stadt unbehelligt, wenn auch nur im Feld der Ökonomie, sich betätigen ließ. Spinozas Lob auf Amsterdam ist in erster Linie als eine Verteidigung gegen sich abzeichnende Angriffe auf die den inneren Frieden garantierende Liberalität dieser Stadt zu verstehen, Angriffe, die dann, 1672, tatsächlich erfolgten und erfolgreich waren. 315, 23 Spinoza nimmt hier die klassische Trias der Prinzipien des natürlichen Rechts auf, wie sie der römische Rechtslehrer Ulpian in anderer Reihenfolge zusammengestellt hat: „honeste vive“; „neminem laede“; „suum cuique tribue“.

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315, 27 Spinoza bezieht sich auf den religiösen Streit zwischen den Anhängern zweier Leidener Theologieprofessoren, Arminius und Gomarus. Die Arminianer setzten sich 1610 in einer „Remonstratie“ unter Betonung der Willensfreiheit für eine Revision der streng calvinistischen Prädestinationslehre ein; die Gomaristen antworteten darauf mit einer Calvin verteidigenden „Contra-Remonstratie“, die die Synode von Dordrecht 1619 guthieß. Die Arminianer wurden verfolgt (ihr Anhänger, der politische Regent Oldenbarneveld, sogar hingerichtet) und erst 1665 nach dem Tod des sie verfolgenden Statthalters Moritz von Nassau-Oranien wieder geduldet. Verhängnisvoll ist in Spinozas Augen, daß ein innerreligiöser Streit zu einem politischen Streit zwischen Statthalter und Regent geführt hatte. 317, 5 Kap. XVIII, § 5. 317,17 Das paßt nicht so recht mit Spinozas sonst vertretener These zusammen, daß Ansichten dann nicht schädlich sind, wenn sie einer Überprüfung durch die Vernunft und nicht durch die gerade herrschende staatliche Autorität unterzogen werden. Vielleicht darf man die Stelle so lesen, daß Spinoza, wohlwollend, den Autoritäten seines Vaterlandes den Gebrauch der Vernunft unterstellt. 319,10 Spinoza gebraucht den Namen „Jarghi“, wie oft im 17. Jahrhundert, für R. Salomon ben Issak (1040 – 1105), auch „Rachi“ genannt, den bedeutenden Kommentator des jüdischen Mittelalters. Der Bezug ist Rachis Kommentar zu Exodus 7,1, den Ibn Esra in seinem Kommentar kritisiert hatte. Beide Kommentare finden sich in der von Spinoza benutzten Bombergschen Bibel. 319,18 Das Niveau dieser Anmerkung läßt erkennen, daß sie, im Unterschied zu anderen Anmerkungen, von Spinoza selbst stammt. 321, 3 Spinoza verweist in dieser von ihm selbst stammenden Anmerkung auf das Werk, das er 1663 unter seinem Namen veröffentlichen ließ. 322, 3 Sehr viele haben diese Ansicht vertreten, schon Philon, De vita Mosis I, 60 – 64 und II, 1 – 7. 324, 7 Nur französisch überliefert bei Saint-Glain; wohl nicht authentisch. 324,9 In seinem Kommentar zu Richter 11,26.

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325,19 Offensichtlich Notiz eines Lesers und nicht von Spinoza selbst. 325, 32 Nur französisch überliefert bei Saint-Glain, wohl nicht authentisch. 328, 2 Eine weit verbreitete und auch zur Zeit Spinozas vertretene Ansicht, nicht nur von jüdischen, sondern auch christlichen Theologen. Gut denkbar, daß Spinoza deshalb im Text selbst nicht hat schreiben wollen, daß sie „lächerlich“ ist (ridiculum figmentum). 329,1 Nur in der französischen Übersetzung Saint-Glains überliefert, wohl nicht authentisch. 329,4 Gemeint ist Lodewijk Meyers 1666 anonym und ohne Seitenzahl veröffentlichte Schrift Philosophia S. Scripturae interpres, auf die, wie auch in den beiden folgenden Anmerkungen, bloß verwiesen wird, offensichtlich Randnotiz eines Lesers. Anders M. Walther, Biblische Hermeneutik und historische Erklärung. In: Studia Spinozana 11 (1995), der sie für authentisch hält (S. 269). 329,28 Wozu die Vernunft rät, findet sich, nahezu wortgleich, im „Politischen Traktat“ (III, 6). Offensichtlich Randnotiz eines Lesers. 331,1 Auch diese Anmerkung ist offensichtlich von einem Leser aus dem „Politischen Traktat“ abgeschrieben, in dem sich dasselbe Zitat findet (VII, 14). 331,29 Gebhardt/Gawlick haben in ihrer Ausgabe im Anschluß daran noch eine längere Passage wiedergegeben, die sich nur in der Übersetzung Saint-Glains fi ndet und die ich, Akkermans kritischer Edition folgend, nicht übernommen habe. 333,10 Randbemerkung wohl von fremder Hand.

B ibe l ste ll enr egister

a lt es t esta ment ■ Genesis 1,2 .................. 25, 43 4,7 ........................ 46 4,8 ....................... 174 6,3 ........................ 26 9,13 .................... 109 10 ........................ 147 12,3 ...................... 59 12,6 ..................... 147 14,14 .................. 150 14,18–20 ............. 55 15 ....................... 320 15,8 ...................... 32 18,19 ..................... 41 18,24 ..................... 41 20,6 ....................... 17 22,14 ................... 147 26,5 ...................... 56 28,20 ................. 323 29,35 .................. 323 31,13 .................. 323 31,29 ..................... 41 35,2 f. .................... 43 36,31 .................. 150 36,31 ff. ............. 160 38 ....................... 160 46,21 ................. 323 47 ........................ 161 47,31 .................. 133 49,29–33 ............. 85

■ Exodus 3,12 ...................... 32 3,13 .................... 212 3,18 ....................... 41 4,1 ........................ 42 4,8 ........................ 42 4,24 ...................... 60 6,3 ...................... 210 7,1 .......................... 14 9,10 ..................... 110 10,2 .................... 107 10,14 ................... 110 10,19 ................... 110 11,8 ...................... 36 14,21 ................... 110 14,27 ................... 110 14,31 .................... 89 15,10 ................... 110 15,11 .................... 42 16,27 .................. 295 16,34 .................. 150 18,11 .................... 42 18,23 ................... 331 19,4 f. ................. 260 19,9 ...................... 90 19,18 ................... 113 19,20 ff. ............. 230 20,4 f. ................... 44 20,20 ................. 224 20,22–24 ............ 151

24 .......................... 19 24,4 .................... 150 24,7 .................... 260 24,7 .................... 150 25,22 .................... 17 30,22 .................. 149 31,3 ...................... 25 33 .......................... 21 33,2 f. ................... 44 33,11 ............ 20, 149 33,16 .............. 44, 61 33,18 .................... 44 33,20 .................... 44 34,6 ....................... 57 34,6 f. ........... 44, 213 34,7 ...................... 46 34,9 ....................... 61 34,10 ..................... 61 34,14 .................. 229 ■ Levitikus 5,1 .............. 128, 298 8,17 .................... 276 18,27 f. ................. 63 19,17 .................... 28 19,17 f. ....... 128, 298 25,30 .................. 168 ■ Numeri 6,23 ...................... 56

380

7,11 f. .................. 325 11,14 ................... 331 11,17 .................... 30 11,28 .................. 262 12,6 f. ................... 20 14,24 .................... 22 21,14 .................. 150 22,6 ...................... 59 26,38–40 ........... 323 27,18 .................... 22 27,19 ................... 331 27,21 .................. 263 27,23 ................... 331 31,14 ................... 149 33,2 .................... 150 ■ Deuteronomium 1,5 ....................... 151 2,1 ....................... 149 2,3 f. ................... 157 2,12 .................... 157 2,17 ..................... 149 3 ......................... 148 4,4 ........................ 50 4,5 ........................ 27 4,7 ......................... 57 4,8 ........................ 50 4,12 .................... 230 4,15 .................... 227 4,19 ....................... 43 4,24 ................. 229 f. 5 ......................... 157 5,4 ......................... 18 5,19 ..................... 113 5,21 ff. ............... 262 6,4 ...................... 227 6,7 ...................... 269

Bibelstellenregister

6–9 ..................... 157 7 ................... 50, 156 8,19 f. ................... 63 9,6 f. ..................... 50 9,20 .................... 157 9,26 ..................... 149 10,8 .................... 276 10,14 f. .................. 43 10,15 .................... 50 13 ......... 33, 117, 234 13,1–5 ................ 106 16 ....................... 275 17,7 .................... 298 17,9 ............. 304, 332 17,11 ................... 304 17,11 f. ................. 143 17,14 ................... 156 17,16 f. .................. 45 18,10 f. ............... 233 18,15 .................. 268 18,15 f. ............... 262 18,22 .................... 32 21,5 .................... 269 23,6 ...................... 60 27 ....................... 146 28,36 .................. 156 28,68 .................. 156 29,14 ................... 151 29,14 f. ............... 152 30,6 .................... 197 30,19 .................... 78 31,9 ............. 147, 151 31,9 ff. ................ 269 31,16 .................. 156 31,17 .................. 156 31,21 .................. 278 31,21 .................. 190

31,27 .................. 189 32,8 f. .................... 43 33,1 ..................... 149 33,10 ................... 143 33,27 ..................... 43 34,5 ..................... 149 34,10 .................... 20 34,10 ................... 149 ■ Josua 1,9 ....................... 331 2,11 ...................... 22 5,12 .................... 150 6,26 .................... 283 6,27 .................... 153 8,31 ff. ............... 146 8,35 .................... 153 10,11 .................... 39 10,13 .................. 154 10,14 .................. 154 11,15 .................. 153 13,2 ...................... 60 15,13 ff. ............. 154 15,63 .................. 154 16,10 .................. 153 22,10 ff. ............. 154 24,10 .................... 60 24,25 f. ................ 151 24,26 ................... 151 ■ Richter 1,1–3 .................. 267 2,6 ff. ................. 162 2,7–10 ................ 164 2,18 .................... 324 6,17 ...................... 32 8,3 ........................ 23

17 ff. ................... 18,29 .................. 21,18 .................. 21,22 ..................

165 150 283 168

■ 1 Samuel 3,19 ....................... 17 9,7 f. ..................... 60 9,9 ...................... 154 9,15 f. ................. 108 11,7 ....................... 24 13 ....................... 165 13,1 ............ 164, 167 13 f. ..................... 331 14,24 .................. 283 15,29 ........... 46, 230 16 ....................... 162 17 ff. ................... 162 24 ....................... 162 24,14 ..................... 33 25,30 ................... 331 26 ....................... 162 26,19 ..................... 43 27,7 .................... 164 30,12 .................... 22 77 ....................... 165 ■ 2 Samuel 5,24 .................... 6,2 ...................... 7 ......................... 7,6 ...................... 7,10 ..................... 8,14 .................... 12,30 .................. 13,37 .................. 14,15 ..................

168 168 160 322 322 150 148 168 170

Bibelstellenregister

381

14,22 .................. 170 16 ....................... 171 19,22 f. ................ 331

2 ......................... 325 2,21 f. ................. 148 3 ......................... 326 3,17–19 .............. 184 3,17 ff. ................ 326 6,13–15 ............. 327 8 ......................... 185 8,1 ff. .................. 323 17 ....................... 160 17,5 .................... 322 17,9 ..................... 322 20 ....................... 148 21 .......................... 19 23,4 f. ................. 304 28,11 ff. ............. 304

■ 1 Könige 3,12 ....................... 51 6 ......................... 162 7,23 ...................... 40 8,27 .................... 230 11,47 .................. 155 14,19 .................. 155 14,29 .................. 155 20 ......................... 36 21,10 ................... 115 22,8 ...................... 36 22,21 .................... 30 22,23 .................... 33 22,48 .................. 321 ■ 2 Könige 1,17 .................... 165 3,9 ...................... 321 3,15 ...................... 35 4,34 f. .................. 110 8,16 .................... 165 8,20 .................... 321 14,25 .................. 178 17,25 ff. ................ 43 18,17 ff. ............. 159 18,20 .................. 322 18,22 .................. 322 18,32 .................. 322 25 ....................... 160 25,27 ff. ............. 184 ■ 1 Chronik 1 ......................... 160

■ 2 Chronik 8,13 .................... 304 8,14 .................... 304 8,15 .................... 304 16 ....................... 285 18,7 ...................... 36 19,8 ff. ................ 332 21,12 .................. 188 22,2 .................... 166 26,22 .................. 176 32,19 ..................... 43 32,32 .................. 159 33,10 f. ............... 178 33,18 .................. 178 34 ......................... 36 ■ Esra 2 ......................... 2,2 ...................... 2,63 .................... 2,64 ....................

184 327 327 183

Bibelstellenregister

382

4,12 .................... 4,15 .................... 5,14 .................... 7,1 ....................... 7,6 ...................... 7,10 ..................... 12,8 ....................

273 273 327 327 156 156 327

■ Nehemia 1,1 ...................... 327 1,2 ...................... 327 5,14 .................... 327 7,5 ...................... 184 7,5 ...................... 183 8,1 – 12,26 ......... 327 8,9 ...................... 156 9,20 ...................... 26 10,2 .................... 327 12,1 .................... 327 12,1 .................... 327 12,10 f. ............... 181 12,23 ................. 181 12,26 .................. 327 13,2 ...................... 60 22 ....................... 181 11,19 .................. 175 ■ Esther 9,20–22 ............. 180 9,31 .................... 180 ■ Hiob 2,9 ....................... 115 27,3 ...................... 25 28,28 ............. 57, 62 31,12 .................. 124 32,8 ...................... 22

33,4 ...................... 27 34,14 .................... 26

25,1 ..................... 176 25,28 .................... 23

■ Psalmen 9 ............................ 57 15 ......................... 85 24 ......................... 85 33,6 ...................... 27 33,15 ..................... 57 40,7 ...................... 83 40,9 ...................... 83 51,12 f. ................. 26 73 ....................... 106 88 ....................... 175 89 ....................... 175 104,4 .................. 109 105,24 ................ 109 135,17 .................. 22 139,7 .................... 27 139,21 f. ............. 272 143,10 .................. 27 145,18 ................... 57 147,15 ................. 109 147,18 ................. 109 148,6 ................... 116

■ Prediger 1,10 ..................... 116 1,11 f. .................. 116 3,11 ..................... 116 3,14 ..................... 116 3,19 ...................... 23 3,19–21 .............. 106 7,20 ...................... 60 9,2 ff. ................. 106 12,7 ...................... 23

■ Sprüche 1,23 ...................... 22 2,3 ........................ 79 2,9 ........................ 79 3,13 ...................... 79 3,16 f. ................... 79 13,14 .................... 79 16,22 ....... 46, 78, 80 16,32 .................... 23 21,15 .................... 69 24,21 .................. 299

■ Jesaja 1,10 ...................... 82 1,10 ff. ................ 201 1,16 f. ................... 83 6 ........................... 20 7 ........................... 28 11,2 ...................... 25 11–20 ................... 36 13,10 ................... 114 13,13 ................... 114 16,9 ...................... 58 19,19–21 .............. 58 30,1 ...................... 23 33,11 .................... 23 36,5 .................... 322 40,7 ...................... 25 40,13 .................... 26 40,19 f. ................. 36 44,8 ff. ................. 36 48,16 .................... 27 48,21 ................... 114 57,20 .................... 79 58,8 f. ................... 84

58,14 .................... 85 63,10 .................... 26 63,11 .................... 26 ■ Jeremia 1,5 ........................ 58 7,4 ...................... 200 8,8 ...................... 200 9,23 .............. 86, 213 18,8 ...................... 46 18,8–10 ............. 230 19 ......................... 46 22 ....................... 184 22,15 f. ............... 212 28,9 ...................... 34 29,7 .................... 295 31,33 .................. 197 31,35 f. ................ 116 31,36 .................... 63 32,18 ff. ............... 46 32,31 .................. 276 34,5 .................... 184 48,31 .................... 59 48,36 .................... 59 49 ......................... 36 21 ....................... 177 21,8–10 ............. 177 22 ....................... 177 25 ....................... 177 36,2 .................... 177 38 ....................... 177 39 f. .................... 160 45,2 – 51,59 ....... 177 3737 ................... 177

Bibelstellenregister

383

■ K lagel ieder 3 ......................... 127

■ A mos 4,11 ....................... 24 5,5 ...................... 199 21–24 ................... 36

■ Hesekiel 1,3 ...................... 178 1,12 ...................... 22 2,2 ........................ 22 3,10 f. ................... 64 3,12 f. ................... 64 3,14 ...................... 36 14,9 ....................... 33 14,14 .................. 179 17,12 .................. 178 18 ......................... 46 20,25 ................. 276 20,32 ff. ............... 63 21,26 .................... 35 37,9 ....................... 23 37,14 ..................... 26 42,16–19 .............. 23 ■ Daniel 1,7 ...................... 327 8 ff. ..................... 179 10,14 .................... 38 14,2 .................... 186 ■ Hosea 8,6 ........................ 36 10,5 .................... 199 13,2 ...................... 36 ■ Joel 2,13 ...................... 46

■ Obadja ............................... 36 ■ Jonas 4,2 ......................... 57 ■ M icha 2,7 ........................ 27 ■ Haggai 2,5 ........................ 27 ■ Sacharja 4,6 ........................ 27 7,12 ...................... 27 14,7 ..................... 114 ■ Ma leachi 1,10 ff. .................. 56 2,7 f. ................... 284 2,8 ....................... 143 ■ 1 Makkabäer 1,59 f. ................. 173 16,24 .................. 181

384

Bibelstellenregister

neues testa ment ■ Matthäus 2 ........................... 35 5,4 ...................... 126 5,17 .................... 127 5,28 ...................... 84 5,39 .................... 127 5,43 .................... 298 5 ff. ..................... 329 6,33 .................... 127 10,1 .................... 298 10,19 f. ............... 192 10,28 .................. 299 12,26 .................... 48 13,10 ff. ................. 76 18,10 .................... 48 24,24 ............ 33, 117 ■ Markus 10,21 .................. 320 ■ Johannes 1,10 .................... 203 9 .......................... 110 ■ Apostel 15,37 ff. ............. 192 ■ Römer 1,11 ..................... 191 1,13 .................... 192 1,20 ...................... 80 1,24 ...................... 80 2,25 f. ................... 62 3,1 f. ...................... 61 3,5 ................... 47, 76

3,9 ........................ 62 3,27 f. ................. 196 3,28 ........ 76, 77, 188 3,29 ...................... 62 4,15 ...................... 62 6,19 ................. 47, 76 7,6 ......................... 76 8,9 ........................ 77 8,18 .................... 188 9,10 ff. ................... 47 9,18 ...................... 77 9,18 .................... 330 13,8 .................... 209 15,15 ................... 191 15,20 .................. 195 ■ 1 Korinther 3,1 f. ..................... 77 7,6 ...................... 188 7,25 .................... 189 7,40 ............ 188, 193 9,19 ff. ................ 196 10,15 .................. 189 14,6 ............ 188, 192 16,12 .................. 192 ■ 2 Korinther 3,3 ...................... 201 ■ Galaterbrief 2,11 ff. ................ 196 5,22 .............. 96, 235 ■ 1 Timotheus 2,7 ...................... 194

■ 2 Timotheus 1,11 .................... 194 ■ Philemonbrief 8 ......................... 194 ■ 2. Petrusbrief 2,15 f. ................... 60 ■ 1. Johannesbrief 2,3 f. .................... 219 4,7 f. .................... 219 4,13 ..................... 219 ■ Hebräerbrief 11,21 .................. 133 ■ Jakobusbrief 2,17 ..................... 219 2,18 ..................... 219 2,24 .................... 196 ■ Judasbrief 11 ......................... 60

Namen- und Sachregister

Aberglaube (superstitio) 4, 7, 10, 13, 30, 45, 60, 120, 159, 169, 196, 252, 283 Affekt (affectus) 5, 13, 26 f., 79, 88, 120, 235 f., 252, 255 f., 307 Apostel 21, 30, 91, 141, 188 – 196, 203 f., 208, 282 Aristoteles 19, 96, 140, 209 Atheismus (atheismus) 31, 105 Auserwählung (electio) [der Hebräer] 51 – 55, 62 – 66, 82 Beschneidung (circumcisio) 61 f., 65 Bibel, Heilige Schrift (scriptura sancta) 14 – 237 Billigkeit (aequitas) 247, 294, 296, 317 Christus 21, 48, 75, 84, 91, 95, 127, 204, 222, 287, 298 f. Curtius 4 f., 258 f., 270 Demokratie (democratia) 244, 246, 261, 314 Dogmen (dogmata) [des Glaubens] 218 – 223 Erkenntnis (cognitio) 11, 14, 31, 47, 50, 64, 69 ff., 77, 104, 121 f., 130, 145, 209

Erfahrung (experientia) 53, 65, 84, 92 f., 112, 208, 248, 254, 256 f., 296, 313 Esra [als Redakteur] 156 – 160 Ethik (ethica) 71, 79 f., 96 Euklid 136 f., 321 Feind (hostis) 217, 244, 248 f., 254, 258 f., 270, 314 Freiheit (libertas) 6, 13, 26, 45, 56, 73, 85, 88 f., 143, 217, 224, 238, 240, 245 – 247, 250 f., 269, 283, 308, 314 Frieden (pax) 6, 11, 50, 79, 223, 271, 286, 292, 308 f., 316 Frömmigkeit (pietas) 6, 16, 28, 33, 40, 199, 214, 226, 231, 248, 261, 272, 288, 292, 296 – 298, 309 f., 316 f. Furcht (metus) 3, 6, 13, 20, 69, 71, 77 f., 88 f., 241 f., 248, 261, 254 f., 308 Geheimnis, Mysterium (mysterium) 8, 19, 98, 120, 167, 174, 208 Gehorsam (oboedientia) 11, 89 f., 93, 199, 209, 218 ff., 245, 252 – 255, 274 Geist (ruach) 22 ff. Gemeinbegriffe (notiones communes) 72, 76, 107, 121, 224

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Namen- und Sachregister

Gerechtigkeit (justitia) 11, 69, 126 ff., 202, 210, 216, 220 f., 247, 261, 293, 309 f. Geschichten (historiae) 72, 92 – 95, 121, 135, 207 Gesellschaft (societas) 53 ff., 82, 87 ff., 243, 246 Gesetz (lex) 10, 54, 67 – 84, 89 f., 197 ff., 206, 250 Gewißheit (certitudo) 15, 30 ff., 70, 103, 122, 129, 136 f., 142, 190, 224, 233 ff. Glaube (fides) 7, 14 f., 197, 214, 216 – 225, 234 Glückseligkeit (beatitudo) 45, 50, 57, 71, 73, 82 – 85, 106, 119, 137 Gnade (gratia) [Gottes] 33, 47, 61, 77, 206, 211, 222, 236 f. Gott (deus) [philosophisch] 14, 21, 29, 70, 73 f., 79, 100, 238 Gott (deus) [biblisch] 16 – 21, 36, 41 – 45, 57, 75, 93, 126, 206, 210, 212 – 214, 221 – 223 Haß (odium) 7 ff., 23, 65, 119, 218, 224, 228, 241, 249, 269, 273, 308 f. Hebräischer Staat 254 – 296, 293 – 300 Hebräische Sprache 23, 114, 122, 131 – 133, 171 Heil (salus) 21, 50, 96, 117, 127, 199, 207, 219, 222, 234, 237 Heiliger Geist (Spiritus Sanctus) 107, 119 f., 125, 129, 193, 197, 235

Hoffnung (spes) 5, 89, 241 f., 248, 255 Ibn Esra 43, 136, 146 – 149, 179 f., 323 Israeliten [als Volk] 20, 44 f., 63, 75, 190, 199, 217, 224, 285 Jehova 18, 25, 42, 210 f. Jehuda Alpachar 228 – 231 Josephus Flavius 46, 117, 164, 173, 284 Juden [in ihrer Mentalität] 16 ff., 47, 65, 95, 99, 115, 196, 206, 212, 216, 253 Ketzer (haeretici) 143, 216, 224 Licht, natürliches (lumen naturale) 9, 14 f., 45, 73, 91, 93, 95 f., 101, 115 f., 121, 123, 138, 142, 144, 189, 193, 202, 209, 232, 236, 293 f. Liebe (amor) 8, 64, 69 ff., 77, 207, 221, 255 Macht (potentia) 11 f., 29, 52 f., 67 f., 98, 100 f., 104, 211, 238, 243, 254, 307 Maimonides 19, 95 f., 139 – 142, 178, 216 f., 231, 327 Meinungen (opiniones) 287, 310 – 313 Methode (methodus) [der Interpretation] 120 – 130, 134 – 137, 141 – 144 Moses [als Gesetzgeber] 45,

Namen- und Sachregister

51, 61, 75, 83 f., 89 f., 127, 138, 189 f., 259, 268, 278, 304 Nächstenliebe (charitas) 11, 84 f., 96, 120, 201, 206, 209 f., 212 – 216, 218 – 223, 232, 234, 237, 317 Natur (natura) 52, 67, 98 – 105, 238 – 243 Naturgesetze (leges naturae) 29, 52 f., 67, 100 f., 105, 111, 117, 125 f. Naturzustand (status naturalis) 238 – 241, 250, 260, 293, 314 Offenbarung (relevatio) 14 – 22, 29 f., 34 – 48, 233, 236, 250 Pakt (pactum) 217, 241 f., 252, 281, 295, 310 f. Paulus [der Apostel] 47, 61 f., 69, 80 f., 107, 188 – 196, 210, 235, 239, 330 Philosophie (philosophia) 12, 31, 48 f., 107, 116, 196, 208, 217, 224, 226, 230, 235 f., 303 Platon 209 Propheten (prophetae) 31 – 49, 58 – 60, 176 – 178, 284 f. Prophetie (siehe Offenbarung) Randbemerkungen (notae marginales) [der Schrift] 168 – 174, 182

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Recht (jus) 11 f., 67, 69, 86, 91, 143, 222, 238 – 257 Recht, natürliches (jus naturale, jus naturae) 11, 238 ff., 246, 250 f. 306, 308 Rechtskraft (vis juris) 292 – 296 Religion (religio) 4 – 8, 90, 117, 119 f., 143, 145, 193 – 197, 201, 203, 205, 208 f., 228 f., 250 – 252, 280 f., 287 f., 292 – 305 Salomo [der Weise] 31, 45 f., 51, 78 – 80, 85, 117, 230, 286, 293, 296, 299 Schicksal (fortuna) 52 f., 80, 108, 127, 202 Seneca 88, 245 Souverän (summa potestas, summae potestates) 7, 244 – 252, 254 – 256, 296 – 298, 300 ff. Staat (respublica, imperium) 11, 54 – 57, 64 – 66, 83 ff., 217, 223, 234, 238 – 257, 306 – 317 Tacitus 257 f., 271, 276, 282, 331 Theologie (theologia) 13, 49, 145, 224, 226, 231 f., 236 Tradition (traditio) 129, 142 Tugend (virtus) 7, 23, 28, 53, 64, 80, 82, 122, 126, 198, 312 Untertan (subditus) 245 – 249, 254 – 256, 258, 303, 308 f.

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Namen- und Sachregister

Ursache (causa) 16, 29, 39 f., 52 f., 68, 70, 98, 101 – 104, 109 f., 117 Vernunft (ratio) 10, 13, 48, 53, 57, 72, 76, 87 f., 92, 96, 111, 120, 123 f., 141, 145, 190, 197, 225 – 237, 239 ff., 294 f., 308 – 311 Verstand (intellectus) 15, 38, 54, 57, 66, 70, 73, 78 f., 92, 104, 113, 135, 256 Vorstellung, Vorstellungskraft (imaginatio) 16 – 20, 23, 25 – 30, 32 – 34, 44, 113, 190, 208, 233 Vorurteil (praejudicium) 5 ff., 13, 38, 99, 111, 120 – 122, 128, 135, 145 f., 226, 276

Wahrheit, ewige [aeterna veritas) 52, 73 – 77, 101, 242, 296 Weisheit (sapientia) 21, 31, 50 f., 79 f., 93, 231 Wissenschaft (scientia) 31, 87, 98, 209, 215, 217, 235, 305, 312 Wort Gottes (verbum Dei) 119, 197 – 199, 201 – 205, 228, 232 Wunder (miraculum) 3, 24, 39, 54, 98 – 118, 121, 207, 234, 278 Zeichen (signum) 32, 34, 90 f., 94, 192, 233 f. Zeremonien (caeremoniae) 56, 72, 82 – 91

Baruch de Spinoza Sämtliche Werke

Kurze Abhandlung von Gott, d. Menschen und dessen Glück Korte Verhandeling von God, de Menschen des zelfs Welstant Auf der Grundlage der Übersetzung von Carl Gebhardt neu bearbeitet, eingeleitet und hrsg. von Wolfgang Bartuschat. PhB 91. 5., grundlegend revidierte Neuausgabe 1991. xlii, 141 Seiten. 978-3-7873-1039-5. Kartoniert Bd 1

Ethik in geometrischer Ordnung dargestellt Ethica Ordine Geometrico demonstrata et in quinque Partes distincta Lateinisch–deutsch Neu übersetzt, herausgegeben und mit einer Einleitung versehen von Wolfgang Bartuschat. PhB 92. 3., durchges. und verbesserte Auflage 2010. xxxiv, 612 Seiten. 978-3-7873-1970-1. Kartoniert Bd 2

Bd 3 Theologisch-politischer Traktat Tractatus theologico-politicus Neu übersetzt, herausgegeben und mit Einleitung und Anmerkungen versehen von Wolfgang Bartuschat. PhB 93. 2012. xlvi, 388 Seiten. 978-3-7873-2287-9. Kartoniert Descartes’ Prinzipien der Philosophie in geometrischer Weise dargestellt Des Cartes Principiorum Philosophiae Pars I et II, More Geometrico demonstratae Neu übersetzt, herausgegeben und mit einer Einleitung und Anmerkungen versehen von Wolfgang Bartuschat. Bd 4

Bd 5a Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes Tractatus de intellectus emendatione Lateinisch–deutsch Neu übersetzt, herausgegeben, mit Einleitung und mit Anmerkungen versehen von Wolfgang Bartuschat. PhB 95a. 2003. xliii, 122 Seiten. 978-3-7873-1643-4. Kartoniert Bd 5b Politischer Traktat Tractatus politicus Lateinisch–deutsch Neu übersetzt, herausgegeben, mit Einleitung und Anmerkungen versehen von Wolfgang Bartuschat. PhB 95b. 2., verb. Auflage 2010. lii, 248 S. 978-3-7873-1960-2. Kartoniert Bd 6 Briefwechsel Übersetzung u. Anm. von Carl Gebhardt. Ergänzt, neu eingeleitet und mit einer Bibliographie vers. von Manfred Walther. PhB 96a. 3. Aufl. 1986. lxvii, 466 Seiten. 978-3-7873-0672-5. Kartoniert Lebensbeschreibungen und Dokumente Mit Erläuterungen herausgegeben von Manfred Walther. Übersetzung der Lebensbeschreibungen von Carl Gebhardt. PhB 96b. Vermehrte Neuausgabe 1998. xv, 329 S. 978-3-7873-0699-2. Kartoniert Bd 7

Ergänzungsband Algebraische Berechnung des Regenbogens – Berechnung von Wahrscheinlichkeiten Stelkonstige Reeckening van den Regenboog – Reeckening van Kanssen Niederländisch–deutsch. Übersetzt und mit Einleitung hrsg. von Hans Christian Lucas und Michael John Petry. PhB 350. 1982. xlii, 83 Seiten. 978-3-7873-0563-6. Kartoniert

Chronik der philosophischen Werke Von der Erfindung des Buchdrucks bis ins 20. Jahrhundert Erarbeitet von Arnim Regenbogen. 2012. XX, 639 Seiten. 978-3-7873-2241-1. Kartoniert Diese Chronik verzeichnet und beschreibt die seit der Erfindung des Buchdrucks publizierten Hauptwerke der Philosophie – einschließlich der Erstdrucke der bis dahin nur handschriftlich überlieferten antiken und mittelalterlichen Texte. Sie eröffnet die Möglichkeit, getrennt erschienene aber evtl. in Wechselwirkung stehende Werke miteinander in Verbindung zu setzen. Die Chronik der philosophischen Werke bildet eine kongeniale Ergänzung zum Programm der »Philosophischen Bibliothek«. »Sehr nützliche Chronik ... Zum Glück wird es einem nicht leichter als möglich gemacht.« Süddeutsche Zeitung »Ungemein spannend ... gute Einleitungen« Philosophie Magazin »Man wird das Buch auch dann nützlich finden und zur schnellen Information konsultieren, wenn man nicht vorrangig an der zeitlichen Konstellation interessiert ist. Zwar gibt es, wie erwähnt, auch einige andere Werklexika, doch werden diese auf geschickte Weise von dem vorliegenden Werk ergänzt.« Informationsmittel (IFB) digitales Rezensionsorgan für Bibliothek und Wissenschaft Besondere Empfehlung des Norddeutschen Rundfunks und der Süddeutschen Zeitung auf der Sachbuchbestenliste im Januar 2012

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