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German Pages 464 [466] Year 1952
THEOLOGIE DES NEUEN TESTAMENTS VON
PAUL FEINE
ACHTE, D U R C H G E S E H E N E AUFLAGE
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EVANGELISCHE VERLAGSANSTALT
BERLIN
Diese Lizenzausgabe erscheint mit Genehmigung der Firma J . C. Hinrichs Verlag, Leipzig Alle Rechte vorbehalten
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Copyright 1933 b y J . C. Hinrichs Verlag — Printed in Germany
Lizenz-Nr. 352 SMA - 1004/48-5/48 / Satz u . D r u c k : Wilhelm Hoppe, Borsdorf-Leipzig 111/13/12
Vorwort zur achten Auflage Am 31. August 1933 starb Paul Feine. Von seinen Werken haben sich zwei einen festen Platz im akademischen Unterricht und in der theologischen Arbeit erworben: Die „Einleitung in das Neue Testament" und die „Theologie des Neuen Testaments". Von beiden sind nach seinem Tode bereits mehrere neue Auflagen erschienen. Während die „Einleitung" durch J. Behm bei aller grundsätzlich verwandten Haltung eine wesentlich veränderte Gestalt angenommen hat, wurde die 6. Auflage der „Theologie" 1934 von E. Stauffer herausgegeben. Da es sich dabei um einen fotomechanischen Neudruck handelte, war er jedoch auf Fortführung der Literaturangaben und gelegentliche kleinere Textkorrekturen beschränkt. Die 7. Auflage von 1936 brachte lediglich einen unveränderten Nachdruck. Die jetzt endlich vorliegende 8. Auflage ist insofern eine „durchgesehene Auflage", als die Literaturangaben vervollständigt und bis zur Gegenwart fortgeführt, die Zitate überprüft und Druckfehler beseitigt sind, insofern aber mehr, als an nicht wenigen Stellen zum Teil bedeutsame Textänderungen vollzogen sind. Dennoch schien es dem Unterzeichneten untunlich, seinen Namen als Bearbeiter auf das Titelblatt zu setzen, ehe nicht die seit 1922 (dem Jahre, in welchem Paul Feine sein Werk zum letzten Mal durchgreifend bearbeitete) in mannigfacher Hinsicht veränderten Problemstellungen und die seitdem erzielten Fortschritte der neutestamentlich-theologischen Arbeit in vollem Umfang Berücksichtigung gefunden hätten. Der Verlag, auf dessen Wunsch die Betreuung des Werkes übernommen wurde, hatte das berechtigte Anliegen, den Studenten wie den Theologen im Amt möglichst schnell das langentbehrte Werk wieder zur Verfügung zu stellen. So geht es in der vorliegenden Form hinaus, in welcher es seine wesentlichste Aufgabe, das „heranwachsende Theologengeschlecht . . . in den Bestand der biblischen Lehre hineinwachsen zu lassen" (vgl. S. VI), hoffentlich wie früher erfüllen wird. Diesem Zweck dienen auch die gegenüber den vorigen Auflagen erheblich erweiterten Register, deren Bearbeitung, ebenso wie eine wesentliche Unterstützung bei den Korrekturarbeiten, Herrn Pastor R. Belan in BerlinSteglitz verdankt wird. H a l l e / S a a l e , den l.Dezember 1949
K. A l a n d
Aus den Vorreden Zur dritten Auflage: Wie aus der Vorrede zur ersten Auflage ersichtlich ist, beabsichtige ich, mit meiner Theologie des Neuen Testaments nicht lediglich, das Evangelium und seine religiöse und theologische Ausprägung innerhalb des Neuen Testaments so zur Darstellung zu bringen, wie ich sie als Christ und Theologe sehe, sondern ich will zugleich in den gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Forschung einführen. Der Leser soll die Probleme kennen lernen. Diese waren uns zum großen Teile aus der historisch-kritischen Forschung am Neuen Testament erwachsen. Dazu kam aber in den letzten Jahrzehnten mit einer bedeutsamen neuen Anregung die Religionsgeschichte, deren Hypothesen sich zwar nicht durchweg, aber doch vielfach mit denen der historischen Kritik verbanden. So entstand f ü r die neutestamentliche Forschung geradezu eine neue Situation. Die an das Neue Testament sich anschließenden großen wissenschaftlichen Fragen traten unter eine neue Beleuchtung. Daher h a t meine Neutestamentliche Theologie stark das Gepräge der Auseinandersetzung mit der religionsgeschichtlichen Problemstellung getragen. Ich glaubte damit dem heranwachsenden theologischen Geschlecht auch aus dem Grunde einen Dienst zu t u n , weil zu der Zeit, als ich diese Theologie schrieb, eine zusammenfassende Stellungnahme der Neutestamentlichen Theologie zu den Forschungen der Religionsgeschichte nicht vorhanden war. Gerade aber die kirchliche Theologie durfte sich dieser Aufgabe nicht entziehen. Denn nicht n u r behauptete die junge Religionsforschung selbst eine starke, zum Teil sehr starke Abhängigkeit des werdenden und sich ausgestaltenden Christentums von zeitgenössischen teils religiösen, teils kultischen, teils philosophischen Elementen, sondern es gab auch ernstgesinnte christliche Kreise, welche eine Unterhöhlung des christlichen Glaubens durch die religionsgeschichtliche Untersuchung fürchteten. Daher bedurften diejenigen, welche in diese Probleme eindringen wollten, der Beurteilung der religionsgeschichtlichen Hypothesen und der Führung durch dieselben, sowie der Herausarbeitung der unveräußerlich christlichen Gedanken und Wirkungen.
Vorwort zur achten Auflage Am 31. August 1933 starb Paul Feine. Von seinen Werken haben sich zwei einen festen Platz im akademischen Unterricht und in der theologischen Arbeit erworben: Die „Einleitung in das Neue Testament" und die „Theologie des Neuen Testaments". Von beiden sind nach seinem Tode bereits mehrere neue Auflagen erschienen. Während die „Einleitung" durch J. Behm bei aller grundsätzlich verwandten Haltung eine wesentlich veränderte Gestalt angenommen hat, wurde die 6. Auflage der „Theologie" 1934 von E. Stauffer herausgegeben. Da es sich dabei um einen fotomechanischen Neudruck handelte, war er jedoch auf Fortführung der Literaturangaben und gelegentliche kleinere Textkorrekturen beschränkt. Die 7. Auflage von 1936 brachte lediglich einen unveränderten Nachdruck. Die jetzt endlich vorliegende 8. Auflage ist insofern eine „durchgesehene Auflage", als die Literaturangaben vervollständigt und bis zur Gegenwart fortgeführt, die Zitate überprüft und Druckfehler beseitigt sind, insofern aber mehr, als an nicht wenigen Stellen zum Teil bedeutsame Textänderungen vollzogen sind. Dennoch schien es dem Unterzeichneten untunlich, seinen Namen als Bearbeiter auf das Titelblatt zu setzen, ehe nicht die seit 1922 (dem Jahre, in welchem Paul Feine sein Werk zum letzten Mal durchgreifend bearbeitete) in mannigfacher Hinsicht veränderten Problemstellungen und die seitdem erzielten Fortschritte der neutestamentlich-theologischen Arbeit in vollem Umfang Berücksichtigung gefunden hätten. Der Verlag, auf dessen Wunsch die Betreuung des Werkes übernommen wurde, hatte das berechtigte Anliegen, den Studenten wie den Theologen im Amt möglichst schnell das langentbehrte Werk wieder zur Verfügung zu stellen. So geht es in der vorliegenden Form hinaus, in welcher es seine wesentlichste Aufgabe, das „heranwachsende Theologengeschlecht . . . in den Bestand der biblischen Lehre hineinwachsen zu lassen" (vgl. S. VI), hoffentlich wie früher erfüllen wird. Diesem Zweck dienen auch die gegenüber den vorigen Auflagen erheblich erweiterten Register, deren Bearbeitung, ebenso wie eine wesentliche Unterstützung bei den Korrekturarbeiten, Herrn Pastor R. Belan in BerlinSteglitz verdankt wird. H a l l e / S a a l e , den l.Dezember 1949
K. A l a n d
Aus den Vorreden Zur dritten Auflage: Wie aus der Vorrede zur ersten Auflage ersichtlich ist, beabsichtige ich, mit meiner Theologie des Neuen Testaments nicht lediglich, das Evangelium und seine religiöse und theologische Ausprägung innerhalb des Neuen Testaments so zur Darstellung zu bringen, wie ich sie als Christ und Theologe sehe, sondern ich will zugleich in den gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Forschung einführen. Der Leser soll die Probleme kennen lernen. Diese waren uns zum großen Teile aus der historisch-kritischen Forschung am Neuen Testament erwachsen. Dazu kam aber in den letzten Jahrzehnten mit einer bedeutsamen neuen Anregung die Religionsgeschichte, deren Hypothesen sich zwar nicht durchweg, aber doch vielfach mit denen der historischen Kritik verbanden. So entstand f ü r die neutestamentliche Forschung geradezu eine neue Situation. Die an das Neue Testament sich anschließenden großen wissenschaftlichen Fragen traten unter eine neue Beleuchtung. Daher h a t meine Neutestamentliche Theologie stark das Gepräge der Auseinandersetzung mit der religionsgeschichtlichen Problemstellung getragen. Ich glaubte damit dem heranwachsenden theologischen Geschlecht auch aus dem Grunde einen Dienst zu t u n , weil zu der Zeit, als ich diese Theologie schrieb, eine zusammenfassende Stellungnahme der Neutestamentlichen Theologie zu den Forschungen der Religionsgeschichte nicht vorhanden war. Gerade aber die kirchliche Theologie durfte sich dieser Aufgabe nicht entziehen. Denn nicht n u r behauptete die junge Religionsforschung selbst eine starke, zum Teil sehr starke Abhängigkeit des werdenden und sich ausgestaltenden Christentums von zeitgenössischen teils religiösen, teils kultischen, teils philosophischen Elementen, sondern es gab auch ernstgesinnte christliche Kreise, welche eine Unterhöhlung des christlichen Glaubens durch die religionsgeschichtliche Untersuchung fürchteten. Daher bedurften diejenigen, welche in diese Probleme eindringen wollten, der Beurteilung der religionsgeschichtlichen Hypothesen und der Führung durch dieselben, sowie der Herausarbeitung der unveräußerlich christlichen Gedanken und Wirkungen.
IV
Aus der Vorrede zur dritten Auflage
Heute sind wir über den Scheitelpunkt der religionsgcschichtlichen Flutwelle hinaus. Diese Forschung h a t ausgesprochen, worin sie die Abhängigkeit des jungen Christentums erblickt, und man kann nicht sagen, daß sie die theologische Wissenschaft gezwungen hätte, ihre bisherige Anschauung von demjenigen, was Christentum ist, erheblich umzugestalten. Das Gleiche gilt aber auch von der historisch-kritischen Forschung, soweit sie sich gegenüber den religionsgeschichtlichen Theorien ganz oder überwiegend ablehnend verhält. Das Problem, welches der wissenschaftlichen Erklärung bedarf, ist ganz einfach dies: Wie kommt das Neue Testament zu den Aussagen über den göttlichen Charakter der Person und der Wirkung Jesu ? Überschaut m a n die Forschung etwa der letzten zwanzig Jahre, so gewahrt m a n ein merkwürdiges Verschieben der angeblichen Einbruchsstelle neuer glorifizierender Gedanken in das Bild Christi, wie es in der Jüngergemeinde gelebt habe. Man braucht n u r auf der einen Seite Wellhausen oder Schweitzer, auf der anderen Wrede, Reitzenstein, Wendland, JWeiß, Bousset oder Heitmüller zu nennen — von der Christusmythe schweige ich —, überall findet m a n verschiedene Antworten, und ein deutliches Empfinden bricht sich im Laufe dieser Untersuchung dafür Bahn, daß man die entscheidenden Behauptungen der jungen Christengemeinde über die Göttlichkeit des Herrn Jesus möglichst nahe an das geschichtliche Leben Jesu selbst heranrücken muß. Was f ü r Gewaltsamkeiten an der neutestamentlichen Überlieferung h a t man aber dabei von Wellhausens Untersuchungen über den Menschensohn an bis zu Boussets Kyrios Christos begehen müssen, oder was f ü r einen Strom von orientalisch-hellenistischen Gedanken h a t man dabei alsbald nach Jesu Tod in die Kreise jener schlichten galiläischen Fischer eingeflossen denken müssen! Uns scheint, alle jene Untersuchungen haben den biblischen Christus nicht von seinem Thron gestoßen. Eine biblische Theologie, wie ich verstehe, muß „biblizistischen" Charakter tragen. Bei aller persönlichen Aufgeschlossenheit f ü r die religionsgeschichtliche Fragestellung habe ich meinerseits eher eine rückläufige Entwicklung durchgemacht. Mein Bestreben ist es in meiner ganzen wissenschaftlichen Laufbahn gewesen, überall zu lernen, wo es etwas zu lernen gab, nicht zum wenigsten auch von der theologischen Linken — man h a t mir diese Eigenschaft auch zum Vorwurf gemacht —, und so habe ich mich auch von der religionsgeschichtlichen Betrachtung anregen lassen. Da ist es mir aber ergangen, wie es so leicht bei grundlegenden neuen Theorien geschieht: man r ä u m t zunächst eher zuviel ein und nimmt mehr an, alg richtig ist. So habe ich fast durchgehends in dieser Auflage Abstriche von dem religionsgeschichtlichen Einfluß auf neutestamentliche Gedanken zu machen mich veranlaßt gesehen, den ich noch in der ersten und zweiten Auflage zugestanden habe. Das Christentum ist und bleibt Eigenbau. Die direkten Einflüsse von außen her sind im Neuen Testament mehr formaler Natur. Der große Krieg hat aber der christlichen Theologie eine neue Aufgabe gestellt. Es gibt in unserem deutschen Volke viele Christen, welche die Last der Kriegsjahre nicht zu tragen vermocht hätten, hätten sie nicht einen festen Glaubensgrund gehabt und gelernt, das Zeitliche im Lichte des Ewigen zu sehen. So sind sie aber mit Macht hingewiesen worden zu Jesus Christus, der gestern und heute ist und derselbe in Ewigkeit. Es ist ihnen die Unüberbietbarkeit der biblischen Religion aufgegangen, die das Alte und das Neue Testament zur Einheit zusammenschließt, es ist im Reformationserinnerungsjahr etwas von Luthers Glaube wieder lebendig geworden, der j a auch an der Bibel erst satt wurde, als er Christus und sein Reich überall in der Heiligen Schrift finden gelernt hatte. Mit solcher religiösen und der daraus folgenden theologischen Stellung ist aber, wenn m a n eine Theologie des Neuen Testaments herauszugeben h a t , eine bestimmte Arbeitsmethode gegeben. Die Einführung in die Probleme m u ß bleiben. Wir stehen noch im Kampfe u m die Ergebnisse der Religionsgeschichte und mit vielen Hypothesen der historisch-kritischen Forschung. Der Lernende m u ß auch mit den entgegenstehenden Ansichten bekannt werden. Es besteht zwar bei einem Teile der kritischen und religionsgeschichtlichen Richtung die Gepflogenheit, die Arbeit der kirchlichen Theologie zu ignorieren. Unsere Schriften werden nicht gelesen, oder sie werden zwar sehr wohl gelesen, aber man setzt sich nicht mit ihnen auseinander. D a f ü r mag es mancherlei Gründe geben, die hier nicht erörtert werden sollen. Der entscheidende beruht doch wohl auf der auch von Wrede einmal anerkannten Tatsache, daß die Gründung auf die Überlieferung der Schrift, wie wir sie haben, eine feste und unangreifbare Stellung gibt. Dann ist aber unsere Haltung gegenüber solcher Ignorierung gegeben. Wir haben, selbst auf den Vorwurf hin, daß wir falsch handeln, wenn wir die an uns stolz Vorübergehenden zitieren und so doch auch f ü r ihre Theorien Propaganda machen, dennoch die Pflicht, den heranwachsenden Theologen Kenntnis auch von den gegenteiligen Ansichten zu geben. Denn wir sind viel zu sehr davon überzeugt, daß jene Hypothesen vergehen, die biblische Wahrheit aber immer wieder in ihrem Glänze aufstrahlt, und daß es Wissenschaft im Vollsinn ist, gerade in diese reichste Schatzkammer der Welt einzuführen. Unsere Arbeiten sind nicht Verteidigungen, sondern „Eroberungszüge" f ü r die Zeugnisse der Bibel. Haben wir doch auch keineswegs immer n u r dasselbe zu sagen, sondern die Herausarbeitung der biblischen Wahrheit ist eine von Geschlecht zu Geschlecht fortschreitende. Aber wenn wir, auf diesem Standpunkt stehend, eine Theologie des Neuen Testaments darzubieten haben, so gehört in den Mittelpunkt die Darstellung der neutestamentlichen Lehre, und dann erst haben wir zu sagen, wie andere diese Dinge verstehen und wissenschaftlich zu erklären versuchen.
y
Aus der Vorrede zur f ü n f t e n Auflage
Dementsprechend habe ich dies Buch umgestaltet. Ich wähle, wenigstens in der Regel, nicht mehr das Verfahren, meine Anschauungen in Auseinandersetzung mit anderen zu gewinnen, sondern schildere die biblischen Glaubenszeugnisse und gehe dann erst zu der verschiedenen theologischen Beurteilung über; oder ich führe das Problem vor Augen und entwickle dann meine Anschauung, ehe ich mich mit anderen auseinandersetze. Aber das betrifft n u r gewisse Partien des Buches. Denn glücklicherweise ist auch in der Neutestamentlichen Theologie vieles Gemeing u t der heutigen Forschung. Dann aber erheben sich wieder die Grundprobleme in derartig scharfer Umrissenheit, daß die theologische Forschung sich zu spalten scheint. Auch diese wissenschaftliche Erscheinung darf nicht verschleiert werden. I m Aufriß des Ganzen sind zwei größere Änderungen vorgenommen worden. I n der vorigen Auflage habe ich mir die Aufgabe gestellt, den Entwicklungsgang der neutestamentlichen Lehre von Jesus zu Paulus und Johannes vorzuführen. Dementsprechend habe ich die urchristlichen Glaubensanschauungen als Voraussetzung der paulinischen Verkündigung behandelt. Allein bei diesem Verfahren kommt nicht zur Geltung einmal, daß Johannes doch auch das Evangelium darbietet, welches man meist n u r aus der Synopse zu erheben pflegt, sodann, daß die urchristliche Verkündigung ihr eigenes Schwergewicht h a t , welches man ihr auch in der Darstellung nicht nehmen darf. So habe ich mich jetzt entschlossen, in den ersten Teil, die Verkündigung Jesu, dasjenige aus dem Johannesevangelium aufzunehmen, was der synoptischen Lehre parallel geht oder zu ihrer notwendigen Ergänzung dient. Die nähere Begründung f ü r dies Verfahren ist in dem einleitenden Kapitel § 4 gegeben. Man m u ß meines Erachtens mit der bisherigen Gewohnheit brechen, Johannes abseits von den Synoptikern zu stellen und von ihm erst am Schluß der Biblischen Theologie zu reden. Es ist j a sehr wohl verständlich, warum es so zu geschehen pflegt. Johannes ist zeitlich später als die Synoptiker, wenngleich der Unterschied n u r zwei oder drei Jahrzehnte beträgt und auch die Synoptiker in ihrer heutigen Gestalt nicht zu den ältesten neutestamentlichen Schriften gehören. Aber Johannes repräsentiert doch eben eine andere Zeit in der Entwicklung des neutestamentlichen Schrifttums. E r ist gewissermaßen der krönende Abschluß des Neuen Testaments. Indessen h a t Johannes eben doch auch das Evangelium. Stellt m a n dies n u r nach den Synoptikern dar, so gibt man ein einseitiges Bild. Das Johannesevangelium ist j a mit aus dem Grunde geschrieben, weil der Apostel Johannes die Darstellung des Evangeliums in den Synoptikern ergänzungsbedürftig f a n d . Dem m u ß aber in einer Theologie des Neuen Testaments Rechnung getragen werden. Eine zusammenhängende Darstellung der johanneischen Theologie ist freilich dann doch auch noch erforderlich. Ferner ist die Verkündigung der ältesten Gemeinde allerdings die Quelle, aus der der Apostel Paulus geschöpft hat. Aber ebenso wie von der Predigt der ältesten Apostel zu Paulus eine feste Verbindungslinie geht, f ü h r t sie auch zu den anderen neutestamentlichen Glaubensprägungen. Man könnte daher auch den Versuch machen, die gemeinchristlichen Anschauungen zusammenzufassen und erst hierauf dasjenige darzustellen, was bei Paulus und den anderen neutestamentlichen Schriftstellern individuell und charakteristisch gestaltet worden ist. Ich habe davon abgesehen, weil m a n in einem solchen Teil vielfach bei allgemeinen Sätzen stehenbleiben müßte und das Eigentümliche eben doch erst bei der Einzeldarstellung bringen könnte. Ohnedies habe ich auch im Schlußkapitel die gemeinsamen Gedanken und Anschauungen des Neuen Testaments in den wichtigsten Lehrpunkten zusammengestellt. Infolge dieses ganzen Verfahrens tritt der Gedanke der Entwicklung in der neutestamentlichen Lehre etwas zurück, und es kommt mehr zur Geltung die Darstellung des Evangeliums und seiner Ausprägung in den verschiedenen Typen der apostolischen Verkündigung. Das ist j a wohl auch ein fruchtbarer Gesichtspunkt. Ist es doch nicht einmal möglich, bei zwei so deutlich vor uns stehenden apostolischen Persönlichkeiten wie Paulus und Johannes von P u n k t zu P u n k t eine Entwicklung nachzuweisen, sondern in manchem, was wir als johanneisch kennen, scheint eben Paulus der Abhängige zu sein, weil Johannes das Evangelium wiedergibt. D a ß trotzdem der Gedanke einer Entwicklung des christlichen Glaubens im Neuen Testament auch von uns festgehalten und verfolgt wird, bedarf wohl keiner besonderen Betonung. [1919]
P. Feine
Zur fünften Auflage: Das Kennzeichen der heutigen Forschung auf dem Gebiete der Neutestamentlichen Theologie ist dies, daß positive theologische Elemente in viel stärkerem Maße zur Geltung gebracht werden als vor einem oder zwei Menschenaltern, j a m a n kann sagen, als seit dem Zeitalter des Rationalismus. Dabei handelt es sich nicht um einfache Wiedererneuerung der Theologie früherer Zeiten. Keine Zeit der Vergangenheit kann mit ihren Anschauungen einfach wieder ins Leben zurückgerufen werden. Mit dem heute vorliegenden, durch die religionsgeschichtliche Forschung stark erweiterten Material, mit der aus der Geschichte der Theologie, gerade auch aus ihren Fehlgängen gewonnenen Erkenntnis und mit starker persönlicher Erfahrung von der Unveräußer-
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Aus der Vorrede zur f ü n f t e n Auflage
Dementsprechend habe ich dies Buch umgestaltet. Ich wähle, wenigstens in der Regel, nicht mehr das Verfahren, meine Anschauungen in Auseinandersetzung mit anderen zu gewinnen, sondern schildere die biblischen Glaubenszeugnisse und gehe dann erst zu der verschiedenen theologischen Beurteilung über; oder ich führe das Problem vor Augen und entwickle dann meine Anschauung, ehe ich mich mit anderen auseinandersetze. Aber das betrifft n u r gewisse Partien des Buches. Denn glücklicherweise ist auch in der Neutestamentlichen Theologie vieles Gemeing u t der heutigen Forschung. Dann aber erheben sich wieder die Grundprobleme in derartig scharfer Umrissenheit, daß die theologische Forschung sich zu spalten scheint. Auch diese wissenschaftliche Erscheinung darf nicht verschleiert werden. I m Aufriß des Ganzen sind zwei größere Änderungen vorgenommen worden. I n der vorigen Auflage habe ich mir die Aufgabe gestellt, den Entwicklungsgang der neutestamentlichen Lehre von Jesus zu Paulus und Johannes vorzuführen. Dementsprechend habe ich die urchristlichen Glaubensanschauungen als Voraussetzung der paulinischen Verkündigung behandelt. Allein bei diesem Verfahren kommt nicht zur Geltung einmal, daß Johannes doch auch das Evangelium darbietet, welches man meist n u r aus der Synopse zu erheben pflegt, sodann, daß die urchristliche Verkündigung ihr eigenes Schwergewicht h a t , welches man ihr auch in der Darstellung nicht nehmen darf. So habe ich mich jetzt entschlossen, in den ersten Teil, die Verkündigung Jesu, dasjenige aus dem Johannesevangelium aufzunehmen, was der synoptischen Lehre parallel geht oder zu ihrer notwendigen Ergänzung dient. Die nähere Begründung f ü r dies Verfahren ist in dem einleitenden Kapitel § 4 gegeben. Man m u ß meines Erachtens mit der bisherigen Gewohnheit brechen, Johannes abseits von den Synoptikern zu stellen und von ihm erst am Schluß der Biblischen Theologie zu reden. Es ist j a sehr wohl verständlich, warum es so zu geschehen pflegt. Johannes ist zeitlich später als die Synoptiker, wenngleich der Unterschied n u r zwei oder drei Jahrzehnte beträgt und auch die Synoptiker in ihrer heutigen Gestalt nicht zu den ältesten neutestamentlichen Schriften gehören. Aber Johannes repräsentiert doch eben eine andere Zeit in der Entwicklung des neutestamentlichen Schrifttums. E r ist gewissermaßen der krönende Abschluß des Neuen Testaments. Indessen h a t Johannes eben doch auch das Evangelium. Stellt m a n dies n u r nach den Synoptikern dar, so gibt man ein einseitiges Bild. Das Johannesevangelium ist j a mit aus dem Grunde geschrieben, weil der Apostel Johannes die Darstellung des Evangeliums in den Synoptikern ergänzungsbedürftig f a n d . Dem m u ß aber in einer Theologie des Neuen Testaments Rechnung getragen werden. Eine zusammenhängende Darstellung der johanneischen Theologie ist freilich dann doch auch noch erforderlich. Ferner ist die Verkündigung der ältesten Gemeinde allerdings die Quelle, aus der der Apostel Paulus geschöpft hat. Aber ebenso wie von der Predigt der ältesten Apostel zu Paulus eine feste Verbindungslinie geht, f ü h r t sie auch zu den anderen neutestamentlichen Glaubensprägungen. Man könnte daher auch den Versuch machen, die gemeinchristlichen Anschauungen zusammenzufassen und erst hierauf dasjenige darzustellen, was bei Paulus und den anderen neutestamentlichen Schriftstellern individuell und charakteristisch gestaltet worden ist. Ich habe davon abgesehen, weil m a n in einem solchen Teil vielfach bei allgemeinen Sätzen stehenbleiben müßte und das Eigentümliche eben doch erst bei der Einzeldarstellung bringen könnte. Ohnedies habe ich auch im Schlußkapitel die gemeinsamen Gedanken und Anschauungen des Neuen Testaments in den wichtigsten Lehrpunkten zusammengestellt. Infolge dieses ganzen Verfahrens tritt der Gedanke der Entwicklung in der neutestamentlichen Lehre etwas zurück, und es kommt mehr zur Geltung die Darstellung des Evangeliums und seiner Ausprägung in den verschiedenen Typen der apostolischen Verkündigung. Das ist j a wohl auch ein fruchtbarer Gesichtspunkt. Ist es doch nicht einmal möglich, bei zwei so deutlich vor uns stehenden apostolischen Persönlichkeiten wie Paulus und Johannes von P u n k t zu P u n k t eine Entwicklung nachzuweisen, sondern in manchem, was wir als johanneisch kennen, scheint eben Paulus der Abhängige zu sein, weil Johannes das Evangelium wiedergibt. D a ß trotzdem der Gedanke einer Entwicklung des christlichen Glaubens im Neuen Testament auch von uns festgehalten und verfolgt wird, bedarf wohl keiner besonderen Betonung. [1919]
P. Feine
Zur fünften Auflage: Das Kennzeichen der heutigen Forschung auf dem Gebiete der Neutestamentlichen Theologie ist dies, daß positive theologische Elemente in viel stärkerem Maße zur Geltung gebracht werden als vor einem oder zwei Menschenaltern, j a m a n kann sagen, als seit dem Zeitalter des Rationalismus. Dabei handelt es sich nicht um einfache Wiedererneuerung der Theologie früherer Zeiten. Keine Zeit der Vergangenheit kann mit ihren Anschauungen einfach wieder ins Leben zurückgerufen werden. Mit dem heute vorliegenden, durch die religionsgeschichtliche Forschung stark erweiterten Material, mit der aus der Geschichte der Theologie, gerade auch aus ihren Fehlgängen gewonnenen Erkenntnis und mit starker persönlicher Erfahrung von der Unveräußer-
VI
Aus der Vorrede zur f ü n f t e n Auflage
licfakeit der Grundlagen der christlichen Religion arbeitet nicht n u r die Dogmatik, sondern auch die heutige biblische Theologie das im Neuen Testament vorliegende Glaubensbild heraus u n d zeichnet es damit in seiner Einzigartigkeit. Wir fangen an, uns von der Überschätzung der neuerschlossenen mandäischen und manich&ischen Quellen f ü r die Bedeutung des jungen Christentums, der ein Teil der neutestamentlichen Forscher zum Opfer gefallen ist, zu lösen. F ü r das geschichtliche Verständnis des Ursprungs der christlichen Religion werfen jene Quellen direkt wenig ab, weil sie die Fragen und Probleme bereits in entwickelterer oder gebrochener Form darbieten. Daher wird vieles, was in neuesten Kommentaren und Untersuchungen namentlich hinsichtlich des Johannesevangeliums b e h a u p t e t worden ist, sich als nicht haltbar erweisen. Nicht minder ebbt die Grundanschauung ab, nach der der Hellenismus in maßgebender Weise auf urchristliche Größen wie den Apostel Paulus u n d darüber hinaus auf den urchristlichen Glauben eingewirkt haben soll. Die Spuren des Hellenismus sind j a auch im Neuen Testament unverkennbar. Haben wir doch sämtliche Schriften des Neuen Testaments in griechischer Sprache, und Paulus h a t das Evangelium in die Heidenwelt in griechischer Sprache getragen. Aber der christliche Glaube war in seinen Grundlagen bereits geformt, ehe er sich die griechisch-denkende und sprechende Welt unterwarf. Die Substanz der urchristlichen wie der paulinischen Verkündigung ist nicht hellenistisch, mag Paulus auch zeitgeschichtliche Formen reichlich verwenden. Paulus selbst h a t es im ersten Korintherbrief unmißverständlich ausgesprochen, in wie starkem Gegensatz sein Evangelium, welches f ü r ihn j a doch d a s Evangelium ist, zur griechischen Weisheit steht. Die aber von M. Dibelius wieder vertretene Behauptung, daß das Christusbild des ältesten Evangeliums, des Markusevangeliums, eine Synthese des hellenistischen Christusmythus mit der Tradition über die Geschichte Jesu sei, darf als überholt gelten. Die neueste Wendung ist deutlich die, daß die starke Bodenständigkeit des Evangeliums erk a n n t wird, seine Verwurzelung im jüdisch-palästinischen Untergrund. Damit wächst zugleich die Erkenntnis, daß die urchristlichen Quellen geschichtlich zuverlässiger sind als bisher meist angenommen wurde. Eine starke Strömung, welche auf die Bedeutung der Mystik f ü r das Neue Testament hinweist, flutet gegenwärtig durch die theologische Forschung. Man braucht nur Namen wie A. Deißmann, H. E. Weber und A. Schweitzer zu nennen. Daß vieles im Neuen Testament vorhanden ist, was man Mystik nennen kann, steht außer allem Zweifel. Das Johannesevangelium ist ein klassischer Zeuge dafür. Die theologische Forschung h a t diese Dinge auch früher gekannt u n d hervorgehoben, n u r sind sie nicht immer Mystik genannt worden. Freilich, wenn man Paulus in der Hauptsache von der Mystik her erfaßt, so verbaut m a n sich sein geschichtliches Verständnis. Paulus als ganze Persönlichkeit genommen ist kein Mystiker. An Paulus kann man geschichtlich nur herankommen, wenn man seinen Zusammenhang mit der Urgemeinde, und Paulus und die Urgemeinde in ihrem unlöslichen geschichtlichen Zusammenhang mit Jesus erkennt. Nicht minder ist immer wieder auch gegen neueste Theorien, wie die A. Schweitzers, zu behaupten, daß die konsequente Eschatologie nicht den einzigen Schlüssel zum Verständnis des Evangeliums darbietet. Daß das Evangelium eschatologische Verkündigung ist, wird heute niemand bestreiten. Aber ebenso gewiß ist f ü r viele gerade auch Heutige, daß das Evangelium auch sehr wesentliche Bestandteile enthält, die eben nicht eschatologisch sind. Es handelt sich f ü r die wissenschaftliche Untersuchung darum, diese beiden im Evangelium unlöslich verbundenen Elemente in der richtigen Weise nebeneinander zu stellen. Lebhaft im Flusse ist auch die Jesusforschung, und auch hier wird u m Grundthesen gerungen wie die, von welcher Seite aus m a n an Jesus in der wissenschaftlichen Untersuchung heranzutreten h a t , ob wir bis zum Verständnis seines Berufs- und Selbstbewußtseins vordringen können und andere Fragen. Auch darin treten den skeptischen Betrachtungen positive mit Nachdruck entgegen. Femer ist das Kirchenproblem seit einigen Jahren Gegenstand lebhafter Erörterung, und auch diese Untersuchungen gehen in einer Weise traditionsfreundliche Wege, wie m a n es vor zehn bis zwanzig Jahren noch nicht geahnt hätte. Auf modernste Versuche, von eigenartiger philosophischer Begriffsbildung und Terminologie ausgehend oder auf dialektischem Wege an die neutestamentlichen Probleme heranzukommen, habe ich in diesem Buch, welches den biblischen Lehrstoff darzubieten hat, nicht einzugehen. Die geschilderte Lage gibt mir die Möglichkeit, diese Auflage unverändert hinausgehen zu lassen. I n der 3. und 4. Auflage ist es mein Bestreben gewesen, den Inhalt der neutestamentlichen Überlieferung in den Mittelpunkt der Darstellung zu rücken. Der biblische Stoff soll als solcher auf den Leser wirken, nicht in erster Linie die Probleme. Daher bin ich der Meinung, daß auch heute noch dies Buch seine Aufgabe h a t , wenn ich mich auch nicht mit den neuesten Hypothesen auseinandersetze und manches anders zurechtschleife. Denn diese Theologie des Neuen Testaments geht von der Anschauung aus, daß man dem heranwachsenden Theologengeschlecht keinen besseren Dienst t u n kann, als es erst einmal in den Bestand der biblischen Lehre hineinwachsen zu lassen. H a l l e a. S., den 31. März 1931
P. F e i n e
Inhaltsverzeichnis Seite
Einleitung
1
1. Begriff der Theologie des NTs 2. Geschichte der biblisch-theologischen Untersuchung 3. Religionsgeschichte und Theologie des NTs 1. Die historische Entwicklung der religionsgeschichtlichen Forschung 6. — 2. Die prinzipielle Beurteilung der modernen religionsgeschichtlichen Hypothesen 9. I. T e i l . Die Lehre Jesu nach der Darstellung der Evangelien
1 3 6
12
1. K a p i t e l . V o r b e m e r k u n g e n 1. Die Quellen 2. Der Ausgangspunkt der Untersuchung
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2. K a p i t e l . J e s u S t e l l u n g z u r R e l i g i o n d e s J u d e n t u m s 1. Jesu Gottes Verkündigung 2. Jesus und das Alte Testament 1. Jesu Stellung zum AT überhaupt 20. — 2. Jesu Stellung zum Gesetz 23.
15 15 20
3. K a p i t e l . J e s u R u f z u r B u ß e 1. Buße und Sündenvergebung im AT u n d im J u d e n t u m 2. Auch Jesus betrachtet alle Menschen als sündig 3. Die Unerfüllbarkeit der sittlichen Forderung Jesu 4. Jesus spricht unbefangen von Guten und Bösen und setzt auch die Erfüllbarkeit des Willens Gottes voraus 5. Die Lösung des geschilderten Widerspruchs
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4. K a p i t e l . J e s u B e r u f s b e w u ß t s e i n 1. Jesu Person 1. Jesu göttliche Beauftragung 33. — 2. Das Beten Jesu 38. 2. Der Christus 3. Der Sohn Gottes 1. Jesus spricht mehrfach von der Gottessohnschaft des Menschen überhaupt im religiösen Sinne 45. — 2. Die Gottessohnschaft Jesu im theokratischen oder messianischen Sinne 45. — 3. Die Gottessohnschaft Jesu in einem n u r ihm eignenden religiösen und wesenhaften Sinn 48. — 4. Jesu Gottessohnschaft im physischen Sinne 51. 4. Der Menschensohn 1. Der griechische und der zugrunde liegende aramäische Ausdruck 53. — 2. Die Geschichte des Verständnisses des Namens „Menschensohn" 54. — 3. Der Überlieferungsbestand in den synoptischen Evangelien 55. — 4. Der Gebrauch des Namens „Menschensohn" im Munde Jesu 60. — 5. Der Gebrauch des Namens bei Johannes 62. — 6. Der Gebrauch des Namens in der ältesten christlichen Literatur 64. 5. Der Davidssohn
32 33
5. K a p i t e l . D a s R e i c h G o t t e s 1. Der Gebrauch des Ausdrucks „Reich Gottes" bei den Synoptikern 2. Die atliche und jüdische Grundlage des Ausdrucks 3. Jesu Anknüpfung an die atliche Verkündigung vom Reiche Gottes 4. Das zukünftige und das gegenwärtige Reich 5. Das Reich Gottes als Gabe Gottes 6. Die Güter des Reiches Gottes
. . . . . . . .
29 30
40 44
52
65 68 69 70 71 72 76 77
VIII
Inhaltsverzeichnis 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.
Die Gotteskindschaft Die Bedingungen des Eintritts in das Reich Gottes 'Das Reich Gottes als Gemeinschaft Reich Gottes und Kirche Das Reich Gottes als werdendes und wachsendes Der Heilszustand im Reiche Gottes Das Reich Gottes in den übrigen ntlichen Schriften
79 79 81 82 84 85 88
6. K a p i t e l . D i e s i t t l i c h e F o r d e r u n g J e s u 1. Jesu Forderung u n d Jesu eigenes Handeln 2. Verschiedene Stellungnahme zu den sittlichen Forderungen Jesu 1. Die Apostel 92. — 2. Die katholische Kirche 92. — 3. Die Reformation 93. — 4. Zeitgeschichtliche Bedingtheit der sittlichen Gebote Jesu 93. — 5. Eschatologische Bedingtheit der sittlichen Gebote Jesu 93. — 6. Jesu ethische Forderung unter dem Gesichtspunkt der sozialen Reform 94. 3. Das Prinzip der Beurteilung 7. K a p i t e l . J e s u W i r k e n i n d e r K r a f t d e s G e i s t e s u n d J e s u V e r h e i ß u n g des Geistes 1. Die atlichen und jüdischen Voraussetzungen 2. Jesu Bewußtsein, seinen messianischen Beruf in der K r a f t des Geistes Gottes auszurichten 3. Die Verheißung des Geistes nach Jesu Vollendung 8. K a p i t e l . D i e V e r s ö h n u n g 1. Allgemeine Vorhersagungen des Todes Jesu 2. Die göttliche Notwendigkeit des Todesleidens Jesu 3. Die atliche Weissagung vom Leiden des Messias 4. Das Wort vom Lösegeld 5. Das Abendmahl 6. Die Bedeutung des Sühnopfergedankens in der Predigt Jesu 9. K a p i t e l . J e s u A u f e r s t e h u n g u n d W i e d e r k u n f t u n d d a s Gericht 1. Die Auferstehung 2. Die Wiederkunft 3. Das Gericht II. T e i l . Die theologischen Anschauungen der Urgemeinde 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.
Die Quellen Das Leben der ältesten Gemeinde Die Christusverkündigung Die Entstehung des Christusglaubens Der Schriftbeweis Der Tod Jesu Der Glaube an Jesus Der heilige Geist Taufe und Abendmahl Die theologische Bedeutung des Stephanus
HI. T e i l . Die Lehre des Paulus 1. K a p i t e l . V o r b e m e r k u n g e n z u r p a u l i n i s c h e n T h e o l o g i e 1. 2. 3. 4. 5.
89 89 92
95 100 100 101 104 104 105 105 106 107 109 116
messianische
118 118 120 121 124 125 125 127 129 133 134 136 137 139 143 145 145
Die Quellen 145 Das Prinzip des Verständnisses der paulinischen Theologie 147 Paulus als Persönlichkeit 149 Paulus und die Bildung seiner Zeit 153 Die Christuserfahrung vor Damaskus als Grundlage des paulinischen Wirkens und Denkens 160
2. K a p i t e l . D a s C h r i s t u s b i l d d e s P a u l u s 1. Paulus h a t Christus als gottheitliche Person erfahren 2. Die christologischen Aussagen der paulinischen Briefe
164 165 167
Inhaltsverzeichnis
IX
3. Die messianischen Titel Gottessohn, D a v i d s s o h n , Menschensohn 175 4. D a s geschichtliche V e r s t ä n d n i s der paulinischen Christologie 176 D e r Versuch, die paulinische Christologie als P r o d u k t eines logischen D e n k p r o zesses zu verstehen 177. Der Versuch, sie als Niederschlag religionsgeschichtlicher A n s c h a u u n g e n z u verstehen 177. 5. D e r Gottesglaube des P a u l u s 178 3. K a p i t e l . D i e B e d e u t u n g d e s T o d e s u n d d e r A u f e r s t e h u n g J e s u 1. E r s t T o d u n d A u f e r s t e h u n g J e s u z u s a m m e n g e n o m m e n ergeben die volle p a u linische A n s c h a u u n g 2. D a s Begriffsmaterial, m i t welchem P a u l u s diesen Gedankenkreis z u r D a r stellung b r i n g t 3. D e r I n h a l t der paulinischen Lehre von der B e d e u t u n g des Todes J e s u . . . . 1. Gesetz, Fleisch, Sünde sind im T o d e Christi e n t m ä c h t i g t worden 183. — 2. Gottes im T o d e Christi k u n d w e r d e n d e Gesinnung 185. — 3. Christi im Todesleiden k u n d w e r d e n d e Gesinnung 186. — 4. Die ethische W e r t u n g des Todes Christi 187. 4. K a p i t e l . D i e R e c h t f e r t i g u n g 1. Die allgemeine S ü n d h a f t i g k e i t der Menschen 2. D e r U r s p r u n g der Sünde 3. D e r Zorn Gottes 4. Die Stellung z u m Gesetz u n d zum J u d e n t u m 5. D a s Schriftprinzip 1. D a s christliche Schriftverständnis des P a u l u s 200. — 2. Die D e u t u n g der S c h r i f t auf die Gegenwart 201. — 3. D e r Z u s a m m e n h a n g m i t der zeitgeschichtlichen Exegese 202. 6. Die Gerechtigkeit 1. Die atlichen u n d jüdischen W u r z e l n des B e g r i f f s Gerechtigkeit 203. — 2. D a s Charakteristische der paulinischen Rechtfertigungslehre im Unterschied v o n der jüdischen Lehre 204. — 3. R e c h t f e r t i g e n R e c h t f e r t i g u n g , Gerechtigkeit Gottes 207. — 4. Die R e c h t f e r t i g u n g als Zueignung des ganzen Heils ( S ü n d e n vergebung, Gerechtigkeit, Leben) 213. — 5. D e r Z e i t p u n k t der R e c h t f e r t i g u n g 215. — 6. Der Glaube als Zueignung d e r R e c h t f e r t i g u n g 216. 7. Parallelbegriffe der R e c h t f e r t i g u n g 1. Die V e r s ö h n u n g 221. — 2. Die E r r e t t u n g 223. — 3. Die Heiligung 224. — 4. Die Erlösung 226. — 5. Die Befreiung 227. — 6. Die E i n s e t z u n g in d e n Sohness t a n d 227. — 7. Die E i n s e t z u n g in das E r b e 228. — 8. Die W i e d e r g e b u r t u n d N e u s c h ö p f u n g 228. — 9. R e c h t f e r t i g u n g u n d sittliche E r n e u e r u n g 231. 8. D a s Gericht n a c h den W e r k e n 9. Gottes A l l m a c h t u n d die Freiheit des Menschen
180 180 181 183
188 188 191 194 196 200
203
221
232 236
5. K a p i t e l . D e r h e i l i g e G e i s t 240 1. Die B e k e h r u n g des P a u l u s als grundlegende E r f a h r u n g des Geistes 240 2. D e r Geist als Geist Christi 241 3. Der Geist als Geist Gottes u n d als heiliger Geist 242 4. Der Geist als K r a f t neuer Sittlichkeit 243 5. Die trinitarischen Aussagen 244 6. Die A n t e i l n a h m e a m Auferstehungsleben Christi eine Parallele z u r Geistbcgabung 247 7. Die Lebensgemeinschaft m i t Christus eine Parallele z u r Geistbegabung . . . . 248 8. Die christlichen Charismen 249 9. Die V e r b i n d u n g des göttlichen Geistes m i t dem menschlichen Geist 253 10. Die paulinische Anthropologie . 254 11. Fleisch u n d Geist 259 12. P a u l u s d e n k t das P n e u m a nicht stofflich 260 13. Geist u n d K r a f t 261 14. Geist u n d W o r t 262 15. Geist u n d Glaube 263 16. Geist u n d L e b e n 263 6. K a p i t e l . D i e G n o s i s d e s P a u l u s 1. 2. 3. 4.
E r k e n n t n i s u n d Glaube Die Kirche Der W e l t p l a n Gottes u n d die P r ä d e s t i n a t i o n Die O f f e n b a r u n g Gottes
264 265 267 269 274
X
Inhaltsverzeichnis 7. K a p i t e l . D i e E s c h a t o l o g i e 278 1. Christus, der Auferstandene, der Grund aller Zukunftshoffnung des Apostels 278 2. Die Auferstehung von den Toten 279 3. Der Zustand der gestorbenen Christen bis zur Parusie 280 4. Die Wiederkunft Jesu und das Gericht 283 5. Die Endvollendung 285 8. K a p i t e l . D i e E t h i k 286 1. Christus ist die Norm der Ethik des Apostels 287 2. Paulus h a t keine eigentliche Ethik ausgebildet 289 3. Christentum und Welt 290 1. Christentum und Besitz 291. — 2. Christentum und Ehe 291. — 3. Christent u m und Gesellschaft 292. — 4. Christentum und Staat 293. 4. Parallelen zu außerchristlichen Gedanken 293 9. K a p i t e l . D i e S a k r a m e n t e 1. Die Taufe 2. D a s Abendmahl
294 294 297
Anhang: Die Lehre der Pastoralbriefe 1. Der theologische Charakter der Briefe 2. Gesetz und AT 3. Gott 4. Christus 5. Das Werk Christi 6. Taufe und Rechtfertigung 7. Das Christenleben 8. Glaube und Werke 9. Das Christentum als Lehre 10. Das Bekenntnis 11. Die Kirche
302 302 302 303 303 304 304 305 305 306 307 307
IV. T e i l . Die Lehre des Johannesevangeliums und der Johannesbriefe 1 . K a p i t e l . Die H a u p t e i g e n t ü m l i c h k e i t e n des j o h a n n e i s c h e n bildes 1. Jesus der Offenbarer Gottes 2. Das Glaubenszeugnis des vierten Evangeliums
309 Christus-
312 312 313
2. K a p i t e l . J o h a n n e s u n d P a u l u s 1. Die Christologie 2. Der Heilsweg 3. Der Universalismus 4. Die Stellung zum J u d e n t u m 5. Berührungen im Gedanken und Wortlaut mit Paulus
316 317 318 319 319 320
3. K a p i t e l . J o h a n n e s u n d d a s J u d e n t u m
321
4. K a p i t e l . J o h a n n e s u n d d i e R e l i g i o n s g e s c h i c h t e 1. Die Behauptung hellenistischen Einflusses auf das vierte Evangelium . . . . 2. Der Versuch rein biblischer Erklärung der johanneischen Logoslehre 3. Der Logos in den Johannesschriften 4. Johannes und Philo 5. Johannes und die Mysterienreligionen 6. Johannes und die Gnosis 1. Johannes und die hermetische Literatur 339. — 2. Johannes und die Mandäer 340.
323 325 325 327 327 337 339
5. K a p i t e l . D i e H e i l s l e h r e d e s J o h a n n e s im e i n z e l n e n 1. Der Ausgangspunkt der Vorstellung 2. Das Wort 3. Das Leben 4. Das Licht
342 342 343 344 346
Inhaltsverzeichnis 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14.
Die Liebe Die Wahrheit Der Geist Glaube und Erkenntnis Die Sünde der Welt und die Heilsbedeutung des Todes Jesu Der Christ und die Sünde Die Gotteskindschaft Die Gemeinschaft der Jünger Jesu Die Eschatologie Taufe und Abendmahl
V. Teil. Die theologischen Anschauungen der gememchristlichen Schriften 1. Die Apokalypse 1. Der Zweck der Apk 374. — 2. Die Christologie 375. — 3. Die Heilslehre 377. - 4. Die Endvollendung 378. 2. Der Hebräerbrief 1. Das Verhältnis des Briefes zum Alexandrinismus 379. — 2. Die Christologie 381. - 3. Das Heilswerk Christi 384. - 4. Der Heilsweg 387. 3. Der Jakobusbrief 1. Der Charakter des Briefes 389. — 2. Die Rechtfertigung aus Glauben und Werken 394. — 3. Sonstige theologische Gedanken 396. 4. Der erste Petrusbrief 5. Der Judasbrief 6. Der zweite Petrusbrief VI. Teil. Die Hauptgedanken der ntlichen Theologie 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
Das Evangelium und das urchristliche Bekenntnis Die Person Christi Der Tod Christi Der heilige Geist Der Heilsweg Reich Gottes und Kirche Taufe und Abendmahl Die Ethik des Neuen Testaments Die Lehre von den letzten Dingen 1. Der Zustand alsbald nach dem Tode 417. — 2. Keine Lehre von der Apokatastasis 417. — 3. Keine Lehre von der Seelenvernichtung 417. — 4. Der Zeitp u n k t des Eintritts des Endes 418. — 5. Die Aufeinanderfolge der Endereignisse 419. — 6. Der Zustand der Endvollendung 420.
Register Stellenregister Sachregister Namenregister
XI 348 349 353 356 359 362 364 365 367 369 373 373 379 389 396 399 399 402 402 405 407 408 410 411 412 413 416
421 421 441 446
Verzeichnis der Abkürzungen AT = Altes Testament, NT = Neues Testament, atlich = alttçstamentlich. ntlich = neutestamentlich. Die b i b l i s c h e n B ü c h e r werden nach den geläufigen Abkürzungen zitiert, die fünf Bücher Mose nach den durch die Septuagintaübersetzung (LXX) gebräuchlich gewordenen Namen: Gen == Genesis; Ex = Exodus; Lev = Leviticus; Num = Numeri; Deut - - Deuteronomium. Die drei ersten Evangelien (Synoptiker) werden als Mt Mk Lk zitiert; par = parallel gibt an, daß einer der anderen oder beide anderen Synoptiker eine Parallele haben. Apg = Apostelgeschichte; Apk = Apokalypse (Offenbarung des Johannes). A p o k r y p h e n und P s e u d e p i g r a p h e n werden abgekürzt: I - I V Makk -- I - I V Makkabäer — Das 4. Buch Esra (— Esraapo IV Esr Tob = Tobit (Tobias) kalypse) Jud = Judith = Buch Henoch, und zwar Hen Bar = Baruch = das äthiopische Henochbuch I Hen = Jesus Sirach (Jes) Sir das slav(on)ische Henochbuch II Hen = Weisheit Salomos Weish Sal Apk Bar Syr Bar die syrische Baruch-Apokalypse Jubil Buch der Jubiläen II Bar Ps Sal Psalmen Salomos Griech Bar = griechische Baruch-Apokalypse Sibyll = Die sibyllinischen Orakel Test XII Patr = Testamente der 12 PatriAss Mos = Himmelfahrt (Assumptio) d. Mose archen Did = Didache, Zwölfapostellehre ad Philad = an die Philadelphener I Klem = I Klemensbrief ad Smym = an die Smyrnäer II Klem = II Klemensbrief ad Polyc = an Polykarp Bam — Bamabasbrief Polyk = Polykarps Brief an die Philipper : Diogn = Brief an Diognet Herrn der Hirt des Hermas Ign — Ignatius Vis = Visiones ad Eph = an die Epheser Mand - Mandata ad Magn " an die Magnesier Sim = Similitudines ad Trall = an die Trallianer Pap - : Papias ad Rom = an die Römer Die Namen der Apologeten, Kirchenväter und anderer kirchlicher Schriften sind in der Regel ausgeschrieben worden. Sonstige Abkürzungen: AELKZ= Allgemeine Evangelisch-Lutherische RE = Realencykl. f. prot. Th. u. K. Kirchenzeitung RGG = Religion in Gesch. u. Gegenwart ARW = Archiv für Religionswissenschaft RgVb = Religionsgeschichtl. Volksbücher BFchrTh = Beitr. z. Förderg. christl. Theol. RHPhR = Revue d'histoire et de philosophie BSt = Biblische Studien (kath.) religieuses BZStrFr = Biblische Zeit- und Streitfragen RThPh = Revue de Théologie et de Philosophie ChrW = Christliche Welt SBA = Sitzungsber. d. Berl. Akad. DEvBl = Deutsch-Evangelische Blätter ThBl = Theologische Blätter DTh = Deutsche Theologie T h J B = Theologischer Jahresbericht EvTh = Evangelische Theologie ThG = Theologie der Gegenwart GGA = Göttingische gelehrte Anzeigen ThLBl = Theologisches Literaturblatt J B L = Journal of Biblical Literature ThLZ = Theologische Literaturzeitung JdTh = Jahrbücher für deutsche Theologie ThR = Theologische Rundschau JprTh = Jahrbücher f. Protestant. Theologie ThStKr = Theologische Studien u. Kritiken J R = Journal of Religion »' t- ffc. ThT = Theologisch Tijdschrift JThSt = Journal of Theological Studies ThW = Theologisches Wörterbuch.. .hrsg. von KIT = Kleine Texte G. Kittel MGkK = Monatsschrift für Gottesdienst und ThZ = Theologische Zeitschrift kirchliche Kunst TU = Texte u. Untersuchungen z. Geschichte MPTh = Monatsschrift für Pastoraltheologie der altchristlichen Literatur NachrGWG = Nachrichten der königlichen TübThJ = Tübinger Theolog. Jahrbücher Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen ZAW = Zeitschr. f. d. atliche Wissenschaft NJdTh = Neue Jahrb. f. deutsche Theologie ZNW = Zeitschr. f. d. atliche Wissenschaft NkZ = Neue kirchliche Zeitschrift ZKG = Zeitschrift für Kirchengeschichte OLZ = Orientalistische Literaturzeitung ZkTh = Zeitschrift f. katholische Theologie P r J = Preußische Jahrbücher ZSTh = Zeitschr. f. syst. Th. PrMH = Protestantische Monatshefte ZThK = Zeitschrift f. Theologie u. Kirche RB = Revue biblique ZwTh = Zeitschrift f. wissenschaftl. Theologie
Einleitung 1. Begriff der Theologie des NTs D i e Theologie d e s N T s i s t die D a r s t e l l u n g d e s I n h a l t s d e r V e r k ü n d i g u n g J e s u u n d d e s a u f dieser V e r k ü n d i g u n g f u ß e n d e n G l a u b e n s d e r A p o s t e l u n d ä l t e s t e n Chris t e n h e i t n a c h M a ß g a b e d e r S c h r i f t e n des N T s . I h r e A u f g a b e i s t also eine h i s t o r i s c h e . D e n n sie will d e n T a t b e s t a n d einer Ü b e r l i e f e r u n g d e r V e r g a n g e n h e i t m i t d e n M i t t e l n u n d M e t h o d e n d e r G e s c h i c h t s w i s s e n s c h a f t e r h e b e n . Diese U n t e r s u c h u n g stellen w i r a b e r a n als christliche T h e o l o g e n , i n d e r G l a u b e n s ü b e r z e u g u n g , d a ß d e r I n h a l t des N T s einzigartig u n d a u c h f ü r u n s H e u t i g e n o r m g e b e n d i s t . W i r e r b l i c k e n i m N T O f f e n b a r u n g G o t t e s , u n d z w a r die a b s c h l i e ß e n d e O f f e n b a r u n g , die G o t t d e r M e n s c h h e i t g e g e b e n h a t . Diese O f f e n b a r u n g b e s t e h t i n d e r P e r s o n J e s u . I n i h r t r i t t u n s G o t t selbst u n d G o t t e s Wille a n u n s so v o l l k o m m e n u n d a b s c h l i e ß e n d e n t g e g e n , d a ß wir u n s a n diese g ö t t l i c h e O f f e n b a r u n g g e b u n d e n f ü h l e n . Alle n t l i c h e n S c h r i f t e n , die E v a n g e l i e n eingeschlossen, s i n d G l a u b e n s z e u g n i s s e v o n d e r Person Jesu. I n den Evangelien berichten Apostel u n d Männer der apostolischen K i r c h e ü b e r J e s u W i r k e n , seine V e r k ü n d i g u n g u n d seine T a t e n , die sie i m L i c h t e i h r e r eigenen G l a u b e n s e r f a h r u n g schildern u n d a n d e r n d a r b i e t e n . I n d e n a n d e r n S c h r i f t e n d e s N T s i s t gleichfalls d a s B e d e u t u n g s v o l l e die W i r k u n g , w e l c h e J e s u s a u f 6eine J ü n g e r a u s g e ü b t h a t , u n d d e r W i d e r s c h e i n d e r P e r s o n J e s u , d e r a u s i h n e n uns entgegenstrahlt. U m dieses Zeugnisses v o n C h r i s t u s willen u n d w e g e n d e s a u s d e m G l a u b e n a n C h r i s t u s q u e l l e n d e n n e u e n L e b e n s , w o v o n sie K u n d e g e b e n , s i n d sie v o n d e r K i r c h e a u s d e r Z a h l d e r u r c h r i s t l i c h e n S c h r i f t e n a u s g e s o n d e r t u n d heilig g e h a l t e n w o r d e n . D a s N T e n t h ä l t d i e j e n i g e n S c h r i f t e n , d e n e n die c h r i s t l i c h e K i r c h e k i r c h e n b i l d e n d e u n d k i r c h e n e r h a l t e n d e K r a f t z u s c h r i e b . A u c h h e u t e h ä l t die c h r i s t l i c h e K i r c h e a n d i e s e m K a n o n heiliger S c h r i f t e n f e s t , weil sie i m Z u s a m m e n h a n g m i t der G e s c h i c h t e d e r c h r i s t l i c h e n K i r c h e b l e i b e n will, u n d weil a n d i e s e n S c h r i f t e n i m m e r w i e d e r , w e n n m a n a u f d a s G a n z e sieht, die gleiche E r f a h r u n g g e m a c h t w i r d , w e l c h e die K i r c h e z u r K a n o n i s i e r u n g dieser S c h r i f t e n v e r a n l a ß t h a t . D a h e r b e s t e h t G r u n d f ü r die christliche Theologie, diese S c h r i f t e n z u m Gegenstand besonderer U n t e r s u c h u n g ihres Inhalts u n d z u m Gegenstand besonderer D a r s t e l l u n g zu m a c h e n 1 . M a n k ö n n t e d e n V e r s u c h u n t e r n e h m e n , die e i n z e l n e n n t l i c h e n S c h r i f t e n als d a s M a t e r i a l zu b e h a n d e l n , m i t d e s s e n H i l f e d a s h i n t e r i h n e n l i e g e n d e ä l t e s t e C h r i s t e n t u m i n seiner E i g e n a r t zu e r f a s s e n u n d i n seiner g e s c h i c h t l i c h e n E n t w i c k l u n g zu v e r d e u t l i c h e n w ä r e . A u f diesem W e g e w ü r d e m a n j e d o c h n i c h t zu e i n e m h i n t e r d i e s e n S c h r i f t e n l i e g e n d e n C h r i s t e n t u m g e l a n g e n , es sei d e n n , d a ß m a n die h i e r n i e d e r g e l e g t e n Z e u g n i s s e n o c h n i c h t als vollgültige Ä u ß e r u n g e n des i n j e n e n u r christlichen M ä n n e r n oder Kreisen pulsierenden Lebens b e t r a c h t e n wollte. W o h l a b e r k a n n m a n i n d e n b i b l i s c h e n S c h r i f t e n die S t o f f e f i n d e n , m i t d e r e n H i l f e u n d a u f G r u n d d e r e n m a n eine D a r s t e l l u n g d e s u r c h r i s t l i c h e n G l a u b e n s i n seinen H a u p t z ü g e n g e b e n k ö n n t e , also des G o t t e s g l a u b e n s , d e r Christologie, d e r E r f a h r u n g d e s Geistes, d e r E t h i k , d e r T a u f e u n d des A b e n d m a h l s u s w . 1 WWrede, Über Aufgabe und Methode der sogenannten NTlichen Theologie, 1897, E.von Dobschütz, Das NT (D. ev. Theologie, ihr jetzig. Stand u. ihre Aufg. II) 1927. Feine: Theologie. 8. Aufl.
1
2
Einleitung
D a s ist ein W e g , den m a n für die Darstellung der NTlichen Theologie w o h l wählen kann. D a s nächstliegende Verfahren für uns ist aber, d a ß wir das E v a n g e l i u m v o r a n s t e l l e n u n d d a n a c h s c h i l d e r n , w i e es s i c h i n d e r U r g e m e i n d e , d e n f ü h r e n d e n Persönlichkeiten der ntlichen Zeit u n d in den einzelnen ntlichen Schriften darbietet. D e n n auf diese W e i s e g e w i n n e n wir die abgeschlossenen Bilder der g r o ß e n apostolischen Persönlichkeiten eines Pls und Joh, welche d a n n auch weiterhin, in wichtigen E p o c h e n der christlichen Kirche, e n t s c h e i d e n d e n E i n f l u ß a u s g e ü b t h a b e n . A u c h der in jeder einzelnen anderen ntlichen Schrift niedergelegte Glaube h a t charakteristische Züge, die einmal hervorzuheben u n d deutlich zu sehen v o n Wichtigkeit ist. I n der n e u e r e n Zeit wird m i t N a c h d r u c k eine E r w e i t e r u n g des R a h m e n s der NTlichen T h e o logie gefordert. Schon G K r ü g e r , D a s D o g m a v o m N T , 1896 u n d n o c h m e h r W W r e d e in d e r zitierten Schrift h a b e n dies getan. W r e d e will a n die Stelle der NTlichen Theologie die u r c h r i s t liche Religionsgeschichte oder die Geschichte der urchristlichen Religion u n d Theologie s e t z e n , P W e r n l e h a t diesen G e d a n k e n in die T a t umgesetzt u n d ein B u c h : Die A n f ä n g e unserer Religion, '1901, 2 1904 geschrieben, u n d H W e i n e l stellt den S a t z a u f , d a ß a n die Stelle der Theologie des N T s eine „ D a r s t e l l u n g der Religion des ältesten C h r i s t e n t u m s " zu t r e t e n h a b e , S. 3. A u c h er b e a n s t a n d e t d e n Ausschluß der n i c h t k a n o n i s c h gewordenen S c h r i f t e n aus d e n Biblischen T h e o logien, sowie die zeitliche B e s c h r ä n k u n g , die in der B e n u t z u n g n u r der biblischen S c h r i f t e n liege. E i n natürlicher geschichtlicher Abschluß werde n u r erzielt, w e n n m a n die E n t w i c k l u n g der urchristlichen Religion bis zu den n e u e n kirchlichen G e d a n k e n f o r t f ü h r e , die im a n t i g n o stischen K a m p f entwickelt worden seien. Bedingt m a c h t das gleiche Zugeständnis a u c h H H o I t z m a n n 2 I 1911 S. 22ff., vgl. a u c h W B o u s s e t , Kyrios Christos, '1913, S V f . N o c h weitere Gesichtspunkte werden hervorgehoben f ü r die D a r s t e l l u n g der NTlichen T h e o logie: die S t r u k t u r e i g e n t ü m l i c h k e i t e n des religiösen Lebensgebietes k l a r zu m a c h e n . D a s k ö n n e n u r d u r c h vergleichende B e t r a c h t u n g der Religionen geschehen. A u c h ein volles V e r s t ä n d n i s des U r c h r i s t e n t u m s setze eine K e n n t n i s der vorausgegangenen Religionsentwicklung v o r a u s , a u f deren U n t e r g r u n d die n e u e Religion e n t s t a n d e n sei, als E r b i n u n d Gegensatz, w e n n a u c h m i t eigenwüchsiger K r a f t 1 . E i n e Geschichte der urchristlichen Religion zu schreiben, ist ohne F r a g e eine A u f g a b e , welcher sich die christliche Theloogie n i c h t entziehen k a n n . D a s C h r i s t e n t u m ist eine geschichtliche Religion u n d b e d a r f d a h e r a u c h der wissenschaftlichen U n t e r s u c h u n g u n d D a r s t e l l u n g d e r einzelnen Perioden v o n ihren A n f ä n g e n a n , a u c h n a c h den Abgrenzungen, die sich aus dem E n t wicklungsgang des christlichen Glaubens ergeben. I n solchem Falle sind a u c h alle Quellen h e r a n zuziehen, welche E r t r a g abwerfen, u n d das Christentum ist hineinzustellen in die Religionsgeschichte jener Zeit, i n n e r h a l b deren es a u f t r a t . Eine solche Geschichte des U r c h r i s t e n t u m s gewinnt aber nichts Wesentliches a n Material aus den außerkanonischen Schriften. Die biblischen Bücher sind u n d bleiben a u c h in diesem Falle die H a u p t q u e l l e n , wie übrigens a u c h die B ü c h e r v o n Wernle u n d Weinel zeigen. Stellt m a n ferner das C h r i s t e n t u m in d e n S t r o m des d a m a l i g e n religiösen Lebens u n d D e n k e n s hinein, so ist bis j e t z t der Erfolg meist der gewesen, d a ß m a n , geblendet d u r c h d e n Gleichklang oder die V e r w a n d t s c h a f t der A u s d r ü c k e s a k r a m e n t a l e r , soteriologischer, christologischer, eschatologischer A r t die E i g e n a r t der christlichen Religion n i c h t ganz zu ihrem R e c h t e h a t k o m m e n lassen. W i r erkennen die Berechtigung u n d die V e r p f l i c h t u n g an, d a ß m a n die im N T begegnenden religiösen Vorstellungen u n d Begriffe auf ihre H e r k u n f t hin u n t e r s u c h e n m u ß . A b e r n i c h t m i n d e r ist d a n n sehr sorgfältig festzustellen, welches ihr christlicher I n h a l t ist. Bei solcher P r ü f u n g w ä c h s t u n s eigentlich i m m e r wieder v o n n e u e m das E r gebnis zu, d a ß das j u n g e Christentum die alten, landläufigen Begriffe m i t n e u e m , zum Teil f ü r die außerchristlichen Religionen u n e r h ö r t e m I n h a l t f ü l l t . D a s C h r i s t e n t u m ist u n d bleibt eigenartig allen vorchristlichen Religionen gegenüber. A u c h w a s Religion im Vollsinn ist, lernen wir nicht aus der U n t e r s u c h u n g außerchristlicher Religionen oder aus einem Z u s a m m e n a r b e i t e n außerchristlicher u n d christlicher E l e m e n t e , sondern n u r in der Religion, welche die volle O f f e n b a r u n g Gottes d a r b i e t e t . Die heutige kritische u n d religionsgeschichtliche Betrachtung sucht nach einem die n t l i c h e Theologie b e h e r r s c h e n d e n G r u n d g e d a n k e n u n d f i n d e t i h n n i c h t . Sie erk e n n t an, daß der B a u , den F C h r B a u r einst aufrichtete, h a t abgebrochen w e r d e n m ü s s e n . Aber zu e i n e m N e u b a u seien erst gewisse H a u p t m o t i v e fertiggestellt, die noch zu einem Organismus zusammengefügt werden m ü ß t e n . Als solche treten her1 Z u r neueren Problemlage vgl. a u c h W L ü t g e r t , D a s E n d e des I d e a l i s m u s im Zeitalter Bismarcks, 1930, S. 395 ff u n d Die Religionswissenschaft der G e g e n w a r t in S e l b s t d a r s t e l l u n g e n , ed. E S t a n g e , 1925ff ( D e i ß m a n n , Schlatter, Seeberg, Z a h n , D a l m a n , v o n D o b s c h ü t z , J ü l i c h e r , Dibelius, Feine, W e r n l e u . a.).
Begriff der Theologie des NTs
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aus die Christuslehre, die Sakramentslehre, die Eschatologie u n d das neue G e s e t z 1 . Man k a n n bezweifeln, daß es gelingen wird, den Lehrgehalt des N T s n a c h diesen Gesichtspunkten als eine Einheit zu erfassen u n d zu gestalten, w e n n m a n in den erstgenannten drei Motiven starke religionsgeschichtliche B e e i n f l u s s u n g e n der j u n g e n christlichen Religion glaubt a n n e h m e n zu müssen. D e n n es würde so ein altes Stück T u c h auf ein neues Kleid gesetzt. Solange m a n i m s y n o p t i s c h e n L e h r t y p u s J e s u s nur in der Peripherie stehen sieht oder zwischen Jesus u n d Paulus oder dem synoptischen u n d johanneischen Jesus eine tiefe K l u f t aufrichtet, sind die inneren Zus a m m e n h ä n g e der ntlichen Lehre n i c h t erkannt. D e r M i t t e l p u n k t aller N T l i c h e n Theologie ist die geschichtliche Person Jesu, die in aller ntlichen Überlieferung i m großen u n d ganzen eine Einheit, die alles z u s a m m e n h a l t e n d e E i n h e i t ist. D i e Kirche h a t auch recht getan, die ntlichen Schriften v o n den nichtkanonischen abzugrenzen, weil die Christusverkündigung v o n da an v o n ihrer zentralen Stelle u n d ihrer Reinheit verliert u n d i m 2. Jahrh. stärkere B e e i n f l u s s u n g der christlichen Religion durch andere Interessen u n d durch die griechische und auch die orientalische B i l d u n g s w e l t einsetzt.
2. Geschichte der biblisch-theologischen Untersuchung Es konnte von Biblischer Theologie keine Rede sein, solange die Kirche überzeugt war, daß ihre Glaubenslehre nichts anderes sei als die Lehre der apostolischen Christenheit. Dieser Überzeugung aber war die Kirche seit dem Anfang des 2. Jahrhunderts, seit der Auseinandersetzung mit der beginnenden Häresie. Auch die Reformation hat hieran nichts Wesentliches geändert. Denn Luther und Melanchthon wollten ja nichts anderes, als wieder zur Bibellehre zurückkehren. Ihr Protest gegen die römische Kirche geht von dem Grundgedanken aus, daß sich diese in ihrer Lehrüberlieferung von der Bibel als der alleinigen Norm des christlichen Glaubens entfernt habe. Ihre eigene Lehre suchen sie im Gegensatze dazu überall als die schriftgemäße nachzuweisen. Melanchthons Loci theologici 1521, die erste dogmatische Schrift des Reformationszeitalters, lehnen sich nach Form und Inhalt an den Römerbrief an, in der Überzeugung, daß dort die evangelische Lehre nach ihren wesentlichen Momenten in organischem Zusammenhang vorgetragen werde. Auch in Calvins Institutio christianae religionis 1536 ist das Schriftverständnis das Primäre, die Dogmatik das aus ihr als Erkenntnisquelle Abgeleitete. Im weiteren Verlauf der protestantischen Lehrentwicklung tritt aber das dogmatische System mehr und mehr als das Beherrschende hervor, dem die heilige Schrift Dienste zu leisten hat, indem ihre Aussagen die Beweise f ü r die Richtigkeit der dogmatischen Sätze zu liefern haben. Somit war der erste Schritt getan; Dogmatik und Schriftinhalt gesondert nebeneinander zu stellen. Dies geschah erstmalig in den Schriften, welche die sogenannten dicta probantia zusammenstellten und sie exegetisch-dogmatisch erläuterten. So SebSchmidt (Schmid) Collegium biblicum in quo dicta scripturae Veteris et Novi Testamenti juxta Seriem locorum communium theologicorum disposita dilucide explicantur, Straßburg 1671. Ähnlich die Werke von JHülsemann 1679, Baier 1716, Weißmann 1739. Der Pietismus versuchte, vom praktischen Bedürfnis des religiösen Menschen ausgehend, die dogmatischen Glaubenslehren unmittelbar aus der Bibel zu erheben. Nur die so gewonnene Dogmatik hat für diese Richtung göttliches Ansehen. Die christlichen Glaubenslehren müssen „bloß aus überzeugend-erweislichen Lehrsätzen der Heiligen Schrift bestehen". Ein solches pietistisches Werk ist AFBüsching, Epitome Theologiae e solis sacris literis concinnatae, Göttingen 1756, und als Erläuterung dazu: Gedanken von der Beschaffenheit und dem Vorzug der biblisch-dogmatischen Theologie vor der alten und neuen scholastischen, Lemgo 1758. Weiter führte der Rationalismus mit seinem Kampf gegen die Inspirationslehre und seiner Hervorhebung des zeitlich und individuell Bedingten in der Bibel. Von Bedeutung f ü r die Herausbildung der biblischen Theologie innerhalb dieser Richtung war die Altorfer akademische Rede Johann Philipp Gablers vom Jahre 1787, abgedruckt in Gablers kleineren theologischen Schriften, Bd I I 1831, S 179—198: De justo discrimine theologiae biblicae et dogmaticae regundisque recte utriusque finibus. Gabler bestimmt die biblische Theologie als historische Disziplin. Sie hat zu überliefern, was die heiligen Schriftsteller über die göttlichen Dinge gedacht 1 Vgl HWindisch, Zwei neue Darstellungen der NTlichen Theologie (Schlatter und Feine) ZwTh 52, S 193 — 231; Derselbe: Die neuesten Bearbeitungen der NTlichen Theologie (Feine, 2. Aufl., Holtzmann, 2. Aufl., Weinel, und Die zwei Leitmotive des Urchristentums, ZwTh 54, S 2 8 9 - 3 2 9 , Derselbe: Th Tijdschrift, 51, 1917, S 2 2 8 - 2 5 6 . Vgl auch ACPurdy, Das NT in der amerikanischen Theologie, ThR 1931, S 367 — 386; WGutbrod, Aus der neueren englischen Literatur zum NT, ThR 1939, S 2 6 3 - 2 7 7 ; 1940, S 1 - 2 3 , 7 3 - 8 4 ; KGrobel, Amerikanische Literatur zum NT seit 1938, ThR 1948, S 1 4 2 - 1 5 6 . l•
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Einleitung
h a b e n ; die dogmatische Theologie dagegen gehört dem Gebiete der Lehre an. Sie h a t darzustellen, was jeder Theolog nach der Art seines Geistes, seiner Zeit, seines Alters, seines Ortes, seiner Sekte, seiner Schule und ähnlicher Bestimmtheiten über die göttlichen Dinge philosophiere (S 183f). Daher kommt es ihm f ü r die Untersuchung des NTs hauptsächlich darauf an, welche Meinungen zur bleibenden christlichen Glaubensformel gehören, also auch uns angehen, und welche nur f ü r Menschen eines gewissen Zeitalters oder Bekenntnisses gesagt seien (S 191). Hier ist der wesentliche Fortschritt vollzogen, daß die Aufgabe der biblischen Theologie als historische erkannt ist im Unterschied und Gegensatz zur systematischen Darstellung der christlichen Glaubenslehre, mögen immerhin die rationalistischen Biblischen Theologien, welche nach dieser Erkenntnis gearbeitet sind, der Gefahr nicht entgangen sein, daß sie doch nur den Unterbau f ü r die dürftige Glaubenslehre dieser theologischen Richtung liefern. Einen neuen Anstoß erhielt die biblisch-theologische Forschung durch JohAugWilhNeanders Werk: Geschichte der Pflanzung und Leitung der christlichen Kirche durch die Apostel, H a m burg 1832, 5 1862. Neander weist hin auf die Mannigfaltigkeit und Individualität des religiösen Lebens, welches sich in den einzelnen apostolischen Persönlichkeiten ausprägt — es werden besonders Paulus, Jakobus und Johannes behandelt —, aber diese Verschiedenheiten sieht er doch überragt von der lebendigen Einheit des christlichen Glaubens, der sie alle erfüllt. In diese Entwicklungslinie gehören die biblisch-theologischen Werke von ChrFrSchmid, HMeßner, GVLechler, JlvanOosterzee, HThiersch, JPLange, KSchlottmann, CFRömheld. I n anderer Weise tief befruchtend wirkte FChrBaur, welcher das ganze ntliche Schrifttum entstanden dachte unter dem Einfluß der das apostolische Zeitalter erfüllenden Kämpfe zwischen dem schroff judenchristlichen, besonders in der Apk vertretenen und dem gesetzesfreien paulinischen Evangelium und der hieran sich anschließenden Kompromisse und Annäherungsversuche bis zu der in der Entstehung des vierten Evangeliums vollzogenen Synthese und der Entstehung der altkatholischen Kirche. Erstmalig h a t den Baurschen Gedanken durchgeführt ASchwegler. Das nachapostolische Zeitalter, 2 Bde. Tübingen 1846, der eine stufenweise erfolgende Entwicklung des Ebionitismus zum Katholizismus annimmt. Baurs Vorlesungen über NTliche Theologie sind erst nach seinem Tode, 1864, von seinem Sohne herausgegeben worden. E r h a t aber den Grundgedanken seiner Anschauungen auch in dem Werk : Das Christentum und die christliche Kirche der ersten drei Jahrhunderte, 1853, durchgeführt. Von Baur beeinflußt ist auch EdReuß, Histoire de la théologie chrétienne au siècle apostolique, 2 Bde 1852. Gleichfalls ging noch im wesentlichen von Baur aus: ARitschl, Die altkatholische Kirche, 1850. Doch h a t er in der zweiten Auflage dieses Werkes 1857 die Baursche Ansicht durchbrochen, indem ihm das katholische Christentum nicht mehr aus einer Versöhnung der Judenchristen und Heidenchristen hervorgegangen, sondern eine Stufe des Heidenchristentums allein zu sein schien (S 23), und indem er viel mannigfaltigere Faktoren im Urchristentum als wirksam erkannte, als den Gegensatz des Ebionitismus und Paulinismus. Damit aber war die Schranke aufgehoben, welche der Anschauung der Tübinger Schule anhaftete, und so würdigen CWeizsäcker, Das apostolische Zeitalter, »1886, 3 1902, OPfleiderer, Das Urchristentum, '1887, H902 2 Bände, R K n o p f , Das nachapostolische Zeitalter, 1905 und J H H o l t z m a n n , Lehrbuch der NTlichen Theologie '1897, 2 1911, die große Fülle der Einflüsse, welche zur Entstehung der ntlichen theologischen Anschauungen zusammengewirkt haben. Wiederum eine andere Gesamtauffassung vertreten BWeiß und WBeyschlag in ihren Biblischen Theologien, BWeiß auch in der Schrift: Die Religion des NTs, 1903, 2 1908, Sie stellen beide die Lehrauffassungen des NTs dar ohne Seitenblicke auf außerbiblische Einflüsse, da sie die ntliche Lehre nicht anders als am AT herangebildet denken. Dabei charakterisiert es die Arbeitsmethode von BWeiß, daß er glaubt, mehrere Lehrtropen im N T noch reinlich herausarbeiten zu können — der Gesichtspunkt des Lehrmäßigen tritt also bei ihm stark hervor — während Beyschlag in künstlerischer Weise die Gedankengebilde der ntlichen Schriftsteller vor uns hinzustellen sucht, dabei aber die subjektiv gestaltende K r a f t des modernen Forschers nicht ohne Anteil am Gesamtbilde bleibt. Von Bedeutung in der Geschichte der NTlichen Theologie ist weiterhin J C h r K H o f m a n n in Erlangen, und zwar weniger durch die nachgelassene Biblische Theologie des neuen Testaments, herausgegeben 1886 von WVolck als Teil X I des Hofmannschen Kommentarwerks über das NT, als durch den Grundgedanken seines dogmatischen Werkes „Der Schriftbeweis" 1852 — 1855, 2 2 Bände 1857 — 1859. Mag in Hofmanns Schriften viel Wunderliches mit unterlaufen, der Sinn f ü r das Einfache und Natürliche oft fehlen, die historisch-literarische Untersuchung allzu stiefmütterlich behandelt sein: H o f m a n n s genialer Erkenntnis, die an ABengel, Collenbusch und Menken a n k n ü p f t , verdanken wir den fruchtbarsten theologischen Gedanken des 19. Jahrhunderts, die lebensvolle Anschauung von der Offenbarungsreligion, der Selbsterschließung des lebendigen Gottes in der geschichtlichen Offenbarung, welche in der Person Jesu Christi ihren einheitlichen Inhalt hat. Wie dieser Gedanke in der dogmatischen Arbeit seit H o f m a n n als Sauerteig wirkt, so scheint er sich auch in der biblischen Forschung allmählich mehr durchzusetzen. E r liegt zugrunde der Biblischen Theologie des NTs, welche R F G r a u in Zöcklers Handbuch der theologischen Wissenschaften veröffentlichte, '1882, 3 1889 und in eigenartiger Weise sowohl einerseits bei CFNösgen, B d l : Geschichte Jesu Christi, 1891, B d l l : Geschichte der
G e s c h i c h t e d e r biblisch-theologischen U n t e r s u c h u n g
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a p o s t o l i s c h e n V e r k ü n d i g u n g , 1893, wie a n d e r e r s e i t s bei A S c h l a t t e r , D i e Theologie d e s N T s , I 1909, 1921 u m g e a r b e i t e t z u r D a r s t e l l u n g d e r „ G e s c h i c h t e des C h r i s t u s " , I I 1910. H i e r h e r w i r d a u c h z u r e c h n e n sein H C r e m e r m i t seinem B i b l i s c h - t h e o l o g i s c h e n W ö r t e r b u c h d e r N T l i c h e n G r ä z i t ä t , seit 1866, 11. A u s g a b e , b e a r b e i t e t v o n J K ö g e l , 1923. A n seine Stelle r ü c k t n u n m e h r , d a s a l t e Ziel m i t n e u e n M i t t e l n u n d F r a g e s t e l l u n g e n v e r f o l g e n d , d a s T h e o l o g i s c h e W ö r t e r b u c h z u m N T , in V e r b i n d u n g m i t z a h l r e i c h e n F a c h g e n o s s e n h e r a u s g e g e b e n v o n G K i t t e l , 1 9 3 2 f f . Seit e i n e m M e n s c h e n a l t e r ist ein s t a r k e r E i n f l u ß d e r Religionsgeschichte a u f die b i b l i s c h - t h e o logische F o r s c h u n g z u b e o b a c h t e n . N a c h P f l e i d e r e r u n d W e r n l e ist h i e r n a m e n t l i c h H W e i n e l h e r v o r g e t r e t e n m i t seiner B i b l i s c h e n Theologie des N T , '1911, 4 1928. F e r n e r E M e y e r , U r s p r u n g u n d A n f ä n g e des C h r i s t e n t u m s I I 4 , 6 1925. W i c h t i g e A r b e i t e n d e r religionsgeschichtlichen S c h u l e e r s c h e i n e n seit 1903 in d e r S a m m l u n g : F o r s c h u n g e n z u r Religion u n d L i t e r a t u r d e s A u n d N T s , b e g r ü n d e t v o n H G u n k e l u n d W B o u s s e t , weitergeführt v o n R B u l t m a n n . Aus der gleichen Schule h e r v o r g e g a n g e n i s t d a s H a n d w ö r t e r b u c h : D i e R e l i g i o n i n G e s c h i c h t e u n d G e g e n w a r t , 2. A u f l . , e d . H G u n k e l u n d L Z s c h a r n a c k , 1 9 2 6 f f . D a s n o t w e n d i g s t e religionsgeschichtliche M a t e r i a l b i e t e t H L i e t z m a n n , H a n d b u c h z u m N T , seit 1906, die m e i s t e n B ä n d e j e t z t in 3. A u f l a g e . I n s c h r i f t e n u n d P a p y r i bei A D e i ß m a n n , L i c h t v o m O s t e n , 4 1923. Hellenistisches bei CClemen, R e l i g i o n s geschichtliche E r k l ä r u n g des N T , 2 1924. R a b b i n i s c h e s bei ( H L S t r a c k u n d ) P B i l l e r b e c k , K o m m e n t a r z u m N T a u s T a l m u d u n d M i d r a s c h , I - I V , 1922 — 1928 (Billerbeck). V o n d e n n e u e s t e n B e a r b e i t u n g e n d e r N e u t e s t a m e n t l i c h e n Theologie b r a u c h e n n u r g e n a n n t z u w e r d e n die v o n F B ü c h s e l , Theologie des N e u e n T e s t a m e n t s . G e s c h i c h t e des W o r t e s G o t t e s i m N e u e n T e s t a m e n t , 2 1937, sowie die v o n O K u ß , D i e Theologie d e s N e u e n T e s t a m e n t s , 2 1937 ( k a t h ) . D i e Theologie d e s N e u e n T e s t a m e n t s v o n E S t a u f f e r , 1941 ( 3 1947) will in „ t a c i t e i s c h e r K ü r z e " u n d in „ m a t h e m a t i s c h e r P r ä g n a n z " d e r B e g r i f f s b i l d u n g die N T l i c h e Theologie i n n e u a r t i g e m A u f r i ß d a r s t e l l e n . I h r M i t t e l p u n k t ist die „ C h r i s t o z e n t r i s c h e G e s c h i c h t s t h e o l o g i e des N e u e n T e s t a m e n t s " , ein V e r s u c h , d e r in seiner g r u n d s ä t z l i c h e n A n l a g e wie i n d e n E i n z e l h e i t e n seiner D u r c h f ü h r u n g z u m a n c h e r K r i t i k A n l a ß g i b t (vgl. OMichel in D T h 1942, S 2 0 — 3 0 u n d E F u c h s in V e r k ü n d i g u n g u n d F o r s c h u n g 1942/46 S 1 6 8 - 1 8 2 ) . Die Theologie des N T v o n R B u l t m a n n , 1. L f g 1948, w e n d e t die E r k e n n t n i s s e d e r T r a d i t i o n s g e s c h i c h t e k o n s e q u e n t a u f d i e N T l i c h e Theologie a n . D i e V e r k ü n d i g u n g J e s u g e h ö r t n i c h t in sie h i n e i n , sie g e h ö r t v i e l m e h r z u i h r e n V o r a u s s e t z u n g e n . D e n n eine N T l i c h e Theologie g i b t es e r s t , seit es ein christliches K e r y g m a g i b t , d . h . seit d e r christliche G l a u b e sich seiner selbst z u v e r g e w i s s e r n b e g i n n t . J e s u s g e h ö r t z w a r h i n e i n in die g e s c h i c h t l i c h e n V o r a u s s e t z u n g e n , a b e r „ e r s t m i t d e m K e r y g m a d e r U r g e m e i n d e b e g i n n t d a s theologische D e n k e n , b e g i n n t die Theologie d e s N T " ( S 2). D a s W e r k B u l t m a n n s , welches A b s c h l u ß u n d K r ö n u n g seiner A r b e i t d a r s t e l l t , w i r d m i t d e r F ü l l e seiner E r k e n n t n i s s e wie m i t s e i n e m G r u n d a n s a t z d e n M i t t e l p u n k t d e r g e g e n w ä r t i g e n D i s k u s s i o n z u b i l d e n h a b e n , welche m i t d e r A u s e i n a n d e r s e t z u n g u m seine „ E n t m y t h o l o g i s i e r u n g " n u r e r s t b e g o n n e n h a t . D e n n t r o t z aller B e s t r e i t u n g e n d e r F o r m - u n d T r a d i t i o n s g e s c h i c h t e h a t eine h i n r e i c h e n d e A u s e i n a n d e r s e t z u n g d a m i t n o c h k e i n e s w e g s s t a t t g e f u n d e n . D i e bisherigen „ W i d e r l e g u n g e n " sind b e s t e n f a l l s V e r s u c h e d a z u , welche z w a r eine G e g e n b e h a u p t u n g a b e r k e i n e n G e g e n b e w e i s gel i e f e r t h a b e n . W e n n a u c h als sicher a n z u n e h m e n ist, d a ß die r a d i k a l e S k e p s i s d e r T r a d i t i o n s g e s c h i c h t e n i c h t b e r e c h t i g t ist, so h a t m a n sich die A u s e i n a n d e r s e t z u n g m i t i h r zu l e i c h t gem a c h t , u n d d e r H e b e l , m i t w e l c h e m die in sich f e s t g e f ü g t e T h e o r i e a u s d e n A n g e l n g e h o b e n w e r d e n k a n n , ist n o c h n i c h t g e f u n d e n . — Die „ B o t s c h a f t des N e u e n T e s t a m e n t s " (1. H a l b b a n d : Die E n t s t e h u n g des E v a n g e l i u m s , 1946) v o n M A l b e r t z h a t z w a r h i s t o r i s c h e A b s i c h t e n , g e h ö r t also eigentlich z u d e n E i n l e i t u n g e n in d a s N T , g e h t a b e r d o c h i n s o f e r n ü b e r sie h i n a u s , als sie — v o n d e r F o r m g e s c h i c h t e a u s g e h e n d — m i t einer U n t e r s u c h u n g d e r E n t s t e h u n g des C h r i s t u s zeugnisses i m e i n z e l n e n a u c h dessen D a r s t e l l u n g v e r b i n d e t . H v S o d e n h a t i n f o l g e seines f r ü h e n T o d e s die v o n i h m b e g o n n e n e N T l i c h e Theologie n i c h t zu E n d e f ü h r e n k ö n n e n . E i n e A r t b i b l i s c h e r T h e o l o g i e s i n d : J W e i ß , D a s U r c h r i s t e n t u m , 1917. A S c h l a t t e r , D i e G e s c h i c h t e d e r e r s t e n C h r i s t e n h e i t , 2 1926. D e r s . , D e r G l a u b e i m N T , 4 1927. D e r s . , Die T h e o l o g i e d e r A p o s t e l , ' 1 9 2 2 . P F e i n e , D i e Religion des N T , 1921. A v H a r n a c k , D i e E n t s t e h u n g d e r c h r i s t l i c h e n Theologie u n d des k i r c h l i c h e n D o g m a s , 1927. E L o h m e y e r , D a s U r c h r i s t e n t u m , I , 1932. H L i e t z m a n n , G e s c h i c h t e d e r a l t e n K i r c h e , 1, 2 1937. V o n M o n o g r a p h i e n ü b e r einzelne B e g r i f f e o d e r P r o b l e m e des N T n e n n e n w i r : A P o t t , D a s H o f f e n i m N T in seiner B e z i e h u n g z u m G l a u b e n , 1915. A F r i d r i c h s e n , H a g i o s - Q a d o s c h , 1916. R B u l t m a n n , D e r Begriff d e r O f f e n b a r u n g i m N T , 1929. E F a s c h e r , neoi xaioov) abließ Lk 413. In des Petrus Zureden, sich dem Leidensweg zu entziehen, erblickte Jesus eine satanische Versuchung Mk 833, und in Gethsemane hat er heftig gerungen, ehe er das Zagen angesichts des Todeskelches niederkämpfte Mt 2637 ff par. Noch stärker bringt Hebr 57 diesen Todeskampf Jesu aus offenbar treuer geschichtlicher Überlieferung zur Geltung. Aber das NT weiß es nicht anders, als daß Jesus in allen an ihn herangetretenen Versuchungen siegreich geblieben und ohne Sünde ist. Joh 846: „Wer unter euch vermag mich einer Sünde zu überführen" nimmt Jesus selbst Sündlosigkeit für sich in Anspruch. Johannes will ihn nicht taufen, weil er vielmehr bedürfte, von Jesus getauft zu werden Mt 314. Die Dämonischen Mk 124 bekennen ihn als den „Heiligen Gottes", Petrus wiederholt dies Bekenntnis namens der Jünger Joh 669, Paulus weiß von ihm, daß er keine Sünde kannte II Kor 521. Ihm Fernstehende Mt 2719 24 Lk 23 47 und Jünger nennen ihn „den Gerechten" Apg 2214 I Petr 318 I Joh 2l 37, den „Heiligen" Apg 314 427 I Joh 220 Apk 37, den „Wahrhaftigen" Apk 37 14 19ll. W i e a b e r i s t die V e r s u c h l i c h k e i t J e s u zu e r k l ä r e n ? W a c h s e n die v e r s u c h l i c h e n G e d a n k e n a u s s e i n e m I n n e r n h e r v o r o d e r w e r d e n sie a n i h n h e r a n g e b r a c h t ? L i e g t die V e r s u c h l i c h k e i t i n seiner m e n s c h l i c h e n N a t u r , u n d ist es d e r B e s i t z d e s G o t t e s geistes, d e r i h n d a v o r b e w a h r t , s ü n d i g e n G e d a n k e n Folge zu g e b e n ? A u s u n s e r n E v a n g e l i e n g e w i n n e n w i r a u f solche F r a g e n k e i n e A n t w o r t . A b e r wir k ö n n e n bis
Jesu Person
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zu einem gewissen Grade verstehend in diese inneren Vorgänge des Lebens J e s u eindringen. Unsere Quellen geben uns keinen A n l a ß , eine wenn auch n u r als Kleinstes denkbare Naturreizung zur Sünde bei J e s u s a n z u n e h m e n 1 . J e s u s selbst h a t , namentlich in der Versuchungsgeschichte, v g l aber auch Mt I623, auch 1229, einen andern W e g des Verständnisses gewiesen. D a n a c h sind die Versuchungen Einwirkungen des Satans auf sein Innenleben gewesen. E s werden in ihm Gedanken und Möglichkeiten wachgerufen, mit denen er sich auseinanderzusetzen h a t und zwar v o n demjenigen, welcher die widergöttliche Macht in seiner Person verkörpert. E s gilt E r n s t damit zu machen, daß J e s u s den S a t a n und die Dämonen als persönliche gottfeindliche Mächte betrachtet hat. Gerade diese Auseinandersetzungen aber verraten, daß in J e s u eigener B r u s t kein Antrieb zu irgendetwas lebendig w a r , was ihn in Zwiespalt mit Gottes Willen gebracht hätte. D a s N a t u r h a f t e bei ihm ist vielmehr das sichere Bewußtsein der vollen Harmonie seines Seins mit Gott. Daher fühlt er stark die Verpflichtung, seine E i n h e i t mit G o t t aufrechtzuerhalten. V o m Sohnesverhältnis aus und aus dem Liebes- und Gehorsamsverhältnis zu Gott wird J e s u Verhalten verständlich. E s handelt sich im Bestehen der an ihn herantretenden Versuchung nicht um A k t e des Verstandes, sondern des Willens. J e s u s weist alles v o n sich, w a s er als Widerspruch zu dem v o n ihm als Grundlage des Lebens und Wirkens erfaßten Gotteswillen erkennt. E r könnte die i h m zu Gebote stehende Macht benutzen, um seinen Hunger zu stillen. A b e r er erkennt es als Gottes Willen, auch Hunger zu erleiden und sich der N o t des natürlichen Lebens zu unterwerfen. E r könnte an der Stätte der israelitischen Gottesverehrung ein Schauwunder t u n , welches die Berechtigung seines Anspruchs v o r den A u g e n des Volkes dartäte und ihm die Volksmassen zuwendete. A b e r er würde darin eine Versuchung Gottes ererblicken, ihm eine Hilfe in seinem W e r k zu geben, die dem Willen Gottes betreffend den Gang seines Wirkens vielleicht nicht entspräche. Denn Gott konnte ihn auch auf dem Wege scheinbaren äußeren Mißerfolgs zum Ziele führen. E r könnte alle Reiche der Welt gewinnen und so seine königliche Gewalt ausüben. A b e r dies würde geschehen müssen durch den A k t der Anbetung des S a t a n s , dem die Reiche gehören, und J e s u Gehorsam gilt allein und ausschließlich Gott. So ist in dieser dreiteiligen Versuchung erstmalig und grundlegend abgeschlagen, w a s das ganze weitere Wirken J e s u in ähnlicher Weise zeigt: nichts Widergöttliches k a n n auf ihn E i n f l u ß gewinnen. Sein ganzes Sein ist an Gott gebunden. D e r Sohn k a n n n u r dem V a t e r gehorsam sein, aus dem Wesensverhältnis heraus, welches sie eint, m a g dieser Gehorsam ihn auch zur V e r w e r f u n g durch die Welt und zu dem Tode f ü h r e n , welcher die Sünde der Welt auf ihn legt. Allzeit ist das außerordentliche, durchdringende Vermögen J e s u , die menschliche Sünde zu erkennen, bemerkt worden. Sein A u g e sieht sofort den verborgenen Schaden der Seele und liest auf dem Grund des Herzens das Sehnen, v o n der L a s t der Sünde frei zu werden. W o dem äußern Anschein sich nur K r a n k e i t darbietet, erkennt er, daß ein noch schlimmeres Übel beschwert, die Sünde. U n d gerade der menschlichen Sünde gegenüber hat er unendliches E r b a r m e n . Sie zu beseitigen, „ z u suchen und zu retten, w a s verloren i s t " L k 19io, weiß er sich als Menschensohn berufen. I s t dieser K a m p f mit der Sünde nicht aus dem beseligenden Bewußtsein der eigenen ungetrübten Gottesgemeinschaft und der Erkenntnis der Größe des Mangels und der Hilfsbedürftigkeit der Schuldbeladenen voll zu erklären ? Liegen nicht in seiner Versuchlichkeit die psychologischen A n k n ü p f u n g s p u n k t e f ü r dies Verständnis ? Noch ein weiteres unterscheidendes Kennzeichen der Person J e s u muß geltend gemacht werden. Geschichtliche Größen pflanzen das Neue an ihrem Ort in die Menschheit ein, und so, in ihrer zeitgeschichtlichen Bedingtheit und E i g e n a r t wirken sie als F e r m e n t innerhalb der Geschichte der Menschheit weiter. Ihre W i r k u n g unterliegt daher auch den Bedingungen anderer Zeiten und Verhältnisse u n d wird unter Umständen eine sehr mittelbare. E i n e solche Bedeutung h a t J e s u s auch gehabt u n d hat sie noch. Denn er ist j a auch an einem bestimmten P u n k t in die Geschichte eingetreten; seine Schöpfung, die christliche K i r c h e , trug bei ihrer Gründung die Merkmale ihrer Zeit an sich, sie hat Wandlungen durchgemacht und e r f ä h r t sie noch 1 So ThKeim, Geschichte Jesu I S 449.
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Die Lehre Jesu nach der Darstellung der Evangelien
entsprechend der wechselnden Eigenart der Völker u n d Zeiten u n d den veränderten E i n r i c h t u n g e n u n d K u l t u r b e d i n g u n g e n , i n n e r h a l b d e r e n sie i h r e n E i n f l u ß a u s ü b t . I n d e m G e s a g t e n e r s c h ö p f t sich a b e r die W i r k u n g J e s u n i c h t . J a , d a s E i g e n a r t i g e d e s W i r k e n s J e s u a u f d e n M e n s c h e n i s t d a m i t n o c h g a r n i c h t a u s g e s p r o c h e n . D e n n es ist ein solches v o n P e r s o n z u P e r s o n o h n e z e i t g e s c h i c h t l i c h e S c h r a n k e . D a m i t t u t sich e i n e n e u e F r a g e a u f . I s t die W i r k u n g J e s u a n a l o g d e r a n d e r e r geschichtlicher Persönlichkeiten ? P e r s o n e n , w e l c h e d u r c h die Ü b e r l i e f e r u n g ü b e r sie o d e r d u r c h i h r e S c h r i f t e n n o c h heute lebendig vor uns hintreten, u n d mit denen wir dadurch lebendige Beziehungen h e r s t e l l e n k ö n n e n , w i r k e n a u f u n s i n d e m M a ß e , als sie u n s n o c h h e u t e B e r ü h r e n d e s u n d A n e i g e n b a r e s i n sich t r a g e n . Diese W i r k u n g i s t a u c h v o n J e s u s zu b e h a u p t e n wie v o n a n d e r e n g e s c h i c h t l i c h e n G r ö ß e n . J e s u W i r k u n g a b e r ü b e r r a g t d a r i n j e d e a n d e r e geistige B e z i e h u n g , d a ß e r u n s i m M i t t e l p u n k t u n s e r e s Seins, i m religiösen L e b e n p a c k t u n d d e n A n s p r u c h e r h e b t , k r a f t d e s s e n , w a s e r als P e r s o n i s t , j e d e m M e n s c h e n z u r r e c h t e n religiösen S t e l l u n g u n d z u m r e c h t e n religiösen Besitz zu v e r helfen. Das h a t kein anderer Religionsstifter u n d keiner der Großen der Menschheit v o n sich a u s g e s a g t . J e s u s i s t i n z e i t g e s c h i c h t l i c h e m G e w a n d a u f g e t r e t e n . E r w a r J u d e u n d h a t die V o l l e n d u n g d e r a t l i c h e n G o t t e s o f f e n b a r u n g b r i n g e n w o l l e n . D e r K a m p f seines L e b e n s g a l t d e r V e r k e h r u n g d e r Religion u n d d e r S i t t l i c h k e i t , wie sie i h m i m P h a r i s ä i s m u s seiner Z e i t e n t g e g e n t r a t . U n d d o c h r i c h t e t sich seine F o r d e r u n g n i c h t a n d e n J u d e n , n i c h t a n eine b e s t i m m t e Z e i t , s o n d e r n a n d e n M e n s c h e n ü b e r h a u p t . D i e F o r d e r u n g d e r r e i n e n H e r z e n s g e s i n n u n g , V e r i n n e r l i c h u n g d e s Gesetzes, d a s Liebesg e b o t seiner V e r k ü n d i g u n g h a b e n ewige B e d e u t u n g f ü r die M e n s c h h e i t . E r s c h i l d e r t s e i n e r Z e i t die B e d i n g u n g e n d e s E i n t r i t t s i n d a s G o t t e s r e i c h i n d e n S e l i g p r e i s u n g e n , u n d n o c h h e u t e k o m m t k e i n e religiöse E t h i k ü b e r die d o r t a u s g e s p r o c h e n e n G r u n d g e d a n k e n h i n a u s . E r h a t seine J ü n g e r ein G e b e t b e t e n g e l e h r t , welches i n j e d e r B i t t e u n d i n seiner g a n z e n A n l a g e P a r a l l e l e n zu j ü d i s c h e n G e b e t e n h a t , u n d d o c h i s t d i e s Gebet das G r u n d g e b e t der Christenheit geworden. Obwohl der Christ innerhalb der c h r i s t l i c h e n K i r c h e , also a u f d e m W e g e g e s c h i c h t l i c h e r V e r m i t t l u n g die K e n n t n i s J e s u e r h ä l t , g e l a n g t er i n d e n r e c h t e n G l a u b e n s s t a n d d o c h n u r d u r c h ein p e r s ö n l i c h e s V e r h ä l t n i s zu J e s u s . U n d dies i s t s , w a s J e s u s a u c h b e a n s p r u c h t h a t , i n d e m er s e i n e r P e r s o n m i t t l e r i s c h e B e d e u t u n g z u s c h r i e b . D a s i s t a b e r eine n u r a n i h m zu m a c h e n d e E r f a h r u n g . A u c h w i r d die K r a f t d e r S ü n d e n v e r g e b u n g u n d d e s n e u e n L e b e n s a u s G o t t , w o sie voll e r f a ß t w i r d , ü b e r a l l als ein T u n J e s u a n u n s e r f a h r e n , eine W i r k u n g v o n P e r s o n zu P e r s o n , die e b e n f a l l s n i r g e n d w o a n d e r s b e o b a c h t e t w i r d . 2 . D a s B e t e n J e s u 1 . U n s e r e E v a n g e l i e n b i e t e n reiche Z e u g n i s s e d a f ü r , d a ß d a s Gebet in den E r d e n t a g e n J e s u einen breiten R a u m eingenommen hat. Betend ist Jesus zur Taufe gekommen Lk 321. Hatte er anstrengende Heilandswirksamkeit hinter sich, so war nicht Schlaf sein erstes Bedürfnis, sondern er zog sich in die Einsamkeit zurück und betete Mk 135, vgl Lk 5l6, ferner Mt 1423. Mehrfach wird berichtet, daß er in die Einsamkeit Lk 918, an einen besonderen Ort Lk I i i Mt 2636, auf die Berghöhe Lk 612 gegangen sei, um zu beten. An der letztgenannten Stelle wird erzählt, daß er dort die ganze Nacht im Gebet zugebracht habe. Darauf folgt aber die Apostelwahl, so daß die Meinung des Evangelisten gewesen zu sein scheint, Jesus habe sich im Gebet auf dies Berufshandeln vorbereitet. So erläutert denn auch Lk 928 f ausdrücklich den Bericht der beiden anderen Evangelisten, daß Jesus auf den Berg der Verklärung mit den drei vertrauten Jüngern „allein" gegangen sei, dahin, daß er das getan habe, um zu beten. Joh 17 enthält das große hohepriesterliche Gebet Jesu vor seinen Jüngern, betend hat er in Gethsemane die Kraft zum Todesgang gewonnen, am Kreuz betet er zu Gott in Todesqual und gebeugt unter der Last der menschlichen Sünde, und betend hat er seinen Geist in Gottes Hände befohlen. Daß Jesus, darin auch jüdischer Sitte folgend, die Mahlzeit mit Gebet eingeleitet und geschlossen hat Mt 1419 par 1536 par 2626 par 2630 par, sei nur im Vorübergehen angemerkt. Das war ihm selbstverständlich. Aber auch sein Heilandswirken hat er betend ausgerichtet, vgl die Auferweckung des Lazarus Joh 1141. Auch Mk 734 wird gelegentlich der Heilung des Taubstummen berichtet, Jesus habe gen Himmel geblickt und aufgeseufzt, ehe er das Befehlswort 1 Vgl ADeissmann, Der Beter Jesus, ChrW 1899,' S 701 ff. J Jeremias, !Das Gebetsleben Jesu, ZNW 1926, S 123ff. HGreeven, Gebet und Eschatologie im NT, 1931. ELohmeyer, Das Vaterunser, 1947.
Das Beten Jesu
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Hephatha sprach, und betreffend den epileptischen Knaben überliefert Mk 929 Jesu Wort: „diese Art fährt nur aus durch Gebet". Hier darf nun auch daran erinnert werden, daß Jesu Gebete bei der Speisung und beim Abendmahl zugleich Segnungen gewesen sind. E s ist v o n geringem Belang, d a ß nur bei w e n i g e n T a t e n J e s u ausdrücklich d a s G e b e t erwähnt wird. J e s u ganzes Wirken war n i c h t s anderes als Gebet. D e n n er h a t nur getan, w a s G o t t i h m auftrug. Ist aber das Gebet der Verkehr des Menschen m i t Gott, so stand J e s u s in unablässiger Gemeinschaft m i t seinem himmlischen Vater. D a s bringen z u m Ausdruck das schöne Bildwort v o n d e m g e ö f f n e t e n H i m m e l u n d -dem Hinauf- u n d Herabsteigen der Engel auf den Menschensohn J o h 151, W o r t e w i e : „Meine Speise ist, daß ich t u e den Willen des, der m i c h gesandt h a t u n d volle n d e sein W e r k " J o h 434, ferner J o h 5i9f 335, u n d das hohepriesterliche Gebet. A u f diesem W e g e sind auch die Schwierigkeiten des Verständnisses der Überlieferung betreffend J e s u Verhalten auf der H o c h z e i t z u K a n a J o h 2 i f f oder seinen B r ü d e r n gegenüber J o h 73ff zu erklären. So sind d e n n J e s u T a t e n „ Z e i c h e n " (arjfiela), i n d e n e n sich die E i n h e i t des Willens J e s u m i t d e m Willen Gottes dartut. Oder s e g n e t J e s u s die K i n d e r Mk 10i6, so ruht m i t seinem Segen zugleich Gottes S e g e n auf ihnen. T r o t z d e m Jesus w u ß t e , daß Gott i h n allezeit höre, h a t er doch B i t t g e b e t e a n i h n gerichtet. Er h a t für Petrus gebeten, daß sein Glaube nicht hinfalle Lk 2232. E r h a t den J ü n g e r n verheißen, daß er Gott u m die S e n d u n g des Geistes b i t t e n werde J o h 14ie 1526. I n eigener Gefahr k ö n n t e er Gott bitten, d a ß er i h m mehr als zwölf Legionen E n g e l zum Schutze schicke Mt 2653, v g l die drei Gänge der Vers u c h u n g . Aber eben Mt 2654 fährt er f o r t : „ W i e sollte dann die Schrift erfüllt werden, d a ß es also geschehen m u ß " . J e s u Gebet h a t seine Schranke a n Gottes Willen. U n d da er n i c h t s andres will als Gottes Willen erfüllen, so k e n n t er gottversucherisches Gebet nicht. Daher k a n n er aber auch b e t e n : „Vater, ich will, d a ß w o ich bin, auch j e n e m i t mir seien" J o h 1724. Seine Selbstbejahung ist zugleich B e j a h u n g Gottes. Diese innere Einheit seines Wirkens m i t Gottes Wirken gewährleistet den Erfolg seines Eintretens zugunsten derer, die i h n b e k e n n e n , vor d e m Vater Mt 1032 J o h 17i5 2off. D a s Gleiche gilt v o n der Forderung Jesu, d a ß die J ü n g e r in seinem N a m e n b i t t e n sollen u n d er diesem Gebet Erhörung v e r h e i ß t J o h 1413. Jesus will d a m i t n i c h t sagen, d a ß G o t t selbst nicht gebeten sein wolle. A u c h das ist n i c h t der Sinn, 7i oder, nur dialektisch verschieden, bar enäTT ~ ' ' scha (NT133N sprachlichen U n t e r s u c h u n g e n 2 zeigen, daß barnascha m i t „ d e r M e n s c h " zu übersetzen ist. Es heißt wörtlich wiedergegeben zwar „der Menschensohn"; aber im Aramäischen wie im Syrischen dienen die Zusammensetzungen mit bar, „Sohn", dazu, um eine Eigenschaft auszudrücken: „Sohn des Wissens" = klug, oder eine gewisse Zugehörigkeit des Genetivbegriffs zu „Sohn" zu bezeichnen: „Sohn des Brautgemachs" Mt 915 par = Freund des Bräutigams, Brautführer, „Sohn des Feldes" = Landmann, „Sohn der Freiheit" = freier Mann, so daß „ S o h n " bei Bezeichnungen von Personen häufig pleonastisch steht: „Sohn des Gottlosen" = Gottloser 3 . Daher ist „Menschensohn" einer, der zur Menschheit gehört, der Mensch ist. Auch nasch, artikuliert: näscha a>nos) wieder. Hiernach wird die in den synoptischen Evangelien durchgängig begegnende Wiedergabe des hebräischen ben a d a m oder des aramäischen barnascha m i t „der Sohn des Menschen" d u r c h den Sprachgebrauch der L X X nicht erklärt.
2. Die Geschichte des Verständnisses des Namens „Menschensohn". Der N a m e „Menschensohn" ist im L a u f e der J a h r h u n d e r t e in sehr verschiedener Weise verstanden worden. Schon seit dem zweiten J a h r h u n d e r t haben die griechischen u n d lateinischen Väter ihn als Hinweis auf die menschliche A b s t a m m u n g J e s u gefaßt. E r bedeutete ihnen also nicht ein messianisches P r ä d i k a t J e s u . N a c h T h von Beza zu M t 820 ist er entsprechend der bei den J u d e n üblichen Redeweise, v o n sich in der 3. Person zu sprechen, in der evangelischen Geschichte als Personalpronomen der ersten Person zu verstehen. Diese A u f f a s s u n g , seitdem m e h r f a c h ausgesprochen, ist f ü r eine Reihe v o n synoptischen Stellen (z. B. M t 820 1118 19 Mk 210) in unserer Zeit von AMeyer 1 erneuert worden 2 . F C h r B a u r begründete die Meinung, Jesus habe sich im Gegensatz zur jüdischen u n d politisch-nationalen Messiasauffassung „Menschensohn" im emphatisch niedrigen Sinne genannt, den Menschen, der nichts Menschliches v o n sich f r e m d erachte. H e r d e r 3 u n d Schleiermacher 4 sprachen erstmalig die seitdem vielfach u n d m i t mannigf a c h e n Schattierungen vertretene Ansicht aus, Menschensohn sei im emphatisch hohen Sinn, als „ I d e a l m e n s c h " zu deuten, während andere, wie Weizsäcker 5 , LThSchulze 6 , B W e i ß ' , CHols t e n 8 , WBaldensperger*, so verschiedene Wege sie im einzelnen g e h e n , darin übereinstimmten, d a ß der Terminus als messianischer zu fassen sei, in welchen Jesus sein eigentliches Berufsbewußtsein lege. Ganz dogmatisch erscheint das Ergebnis Bards 1 0 , der in den beiden Teilen des griechischen Terminus „der Sohn des Menschen" den Menschen des Verderbens u n d zugleich der Messiashoffnung, u n d den einzigartigen Sohn dieses Menschen als Träger der Messiashoffn u n g f i n d e t . Schlatter, Theologie des N T , I , S 464, f a ß t die N a m e n „ S o h n G o t t e s " u n d „ S o h n des Menschen" als Parallelen. Mit „ S o h n G o t t e s " sage Jesus, d a ß er sein Leben aus Gott u n d f ü r Gott habe, m i t „ S o h n des Menschen", d a ß er vom Menschen u n d f ü r ihn sein Leben habe u n d haben wolle. Neuerdings aber ist von einer Reihe v o n Forschern die B e h a u p t u n g v e r t r e t e n worden, J e s u s habe diesen N a m e n gar nicht gebraucht. E r s t die christliche Gemeinde habe dies P r ä d i k a t auf Jesus angewendet. An der Spitze dieser Reihe steht GVolkmar 1 1 . Markus, „der Nachbildner der Apokalypse", der Darsteller der diesseitigen Herrlichkeitserscheinung J e s u , h a b e den Ausd r u c k gebildet in der B e d e u t u n g : der Eine Mensch, der Erfüller der Danielhoffnung, der z u r H e r r s c h a f t bestimmte Menschliche, der auferstandene J e s u s als Weltbeherrscher. U n t e r Volkm a r s E i n f l u ß stehen W B r a n d t 1 2 u n d H L O o r t 1 3 . Von der Bedeutung des aramäischen barnasch ausgehend, kamen zur Unechtheitserklärung Lietzmann und Wellhausen in den schon erwähnten Schriften. Lietzmann geht davon aus, daß das aramäische barnasch nichts anderes heiße als „Mensch". Ein solches tonloses Wort könne nicht zur Bezeichnung des ersten aller Menschen verwendet werden. In L X X und der hellenistischen Literatur bedeute die unartikulierte Übersetzung (vios av&qmnov) auch einfach „Mensch" wie das hebräische ben adam. Die Selbstbezeichnung Jesu in den griechischen Evangelien „der Sohn des Menschen" sei der paulinischen wie nachpaulinischen Literatur noch fremd, ebenso sämtlichen apostolischen Vätern außer Ignatius (ad Eph 202), den Test X I I Patr und
1 Jesu Muttersprache, 1896. 2 „Die Bedeutung des Ausdruckes 6 vios tov dv&yaijtov" in ZwTh 1860, S 274—292 und NTliche Theologie herausgeg. von FFBaur, 1864, S 7 5 - 8 2 . 3 Christliche Schriften II 5 6 (Suphan X I X S 242). 4 Der christliche Glaube 5 II S 90 f. 5 Untersuchungen über die evangelische Geschichte, 1864, S 416—438. 6 Vom Menschensohn und vom Logos, 1868. 7 Lehrbuch der Biblischen Theologie § 16. 8 Die Bedeutung der Ausdrucksform o vios tov av&QWTiov im Bewußtsein Jesu, ZwTh 1891, S 1 - 7 9 . 9 Das Selbstbewußtsein Jesu im Lichte der messianischen Hoffnungen seiner Zeit 2 1892. 10 Der Sohn des Menschen, 1908. 11 Die Evangelien, oder Markus und die Synopsis, 1869, S 197 ff. 12 Die evangelische Geschichte, 1893, S 562—568. 1 3 De uitdrukking o vios tov av&odmov in het nieuwe Testament, Leiden 1893.
Der Menschensohn
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Did, begegne vielmehr erst in dem von Marcion benutzten Evangelium, femer bei den gnostischen Sekten der Ophiten und der Yalentinianer, bei Justin und Hegesipp, und dann seit Irenaus. Aus den Evangelien sei nun gleichfalls ersichtlich, daß das messianische „der Sohn des Menschen" erst später in den Text gedrungen sei. So gewinnt Lietzmann das Resultat, Jesus könne sich nicht „Menschensohn" oder „Mensch" genannt haben. Die griechische Formel „der Sohn des Menschen" erklärt er als einen Terminus hellenistischer Theologie, welcher möglicherweise schon in jüdischen Kreisen geschaffen und von der griechischen Urgemeinde bereitwillig übernommen und zur Bezeichnung Jesu gestempelt wurde. Das erste datierbare Evangelium, welches die Formel durchgehends verwerte, sei die kleinasiatische Vorlage Marcions gewesen. Wellhausen hat Lietzmann unsanft kritisiert, und doch ist seine Anschauung in wesentlichen Punkten die gleiche wie die Lietzmanns. Auch nach Wellhausen ist „Menschensohn" Übersetzung von barnascha, was nichts weiter als Mensch bedeutet. Im Munde Jesu aber bezeichne es den Messias. Dazu habe den Anlaß Dan 713 gegeben. Während aber die Apokalypsen Henochs und Esras und überhaupt das Judentum niemals über die Bildlichkeit der Darstellung des im Danielbuch erstmalig genannten Repräsentanten des messianischen Reiches hinausgegangen seien, begegne der Menschensohn in den Evangelien ohne weiteres, unbedürftig der Erklärung. Und doch lasse sich der Name im Munde Jesu kaum begreifen. Untersucht Wellhausen daher die einzelnen Stellen der Evangelien, wo der Name Menschensohn gebraucht wird, so erklärt er doch ganz offen, das allgemeine negative Resultat stehe zum voraus fest und sei von dem Gelingen seiner positiven Untersuchung unabhängig. Auch er urteilt, der Name sei erst in der Gemeinde in Aufnahme gekommen, und zwar gleichzeitig mit der Erwartung der Parusie Jesu. Der Gemeinde habe es festgestanden, daß Jesus die Parusie angekündigt haben müsse. Aber man habe sich doch gescheut, ihn unumwunden sagen zu lassen: ich werde demnächst als Messias in Kraft und Herrlichkeit erscheinen. So ließ man ihn zunächst nur sagen: der danielische Mensch wird in den Wolken des Himmels erscheinen. Die christliche Interpretation bezog das bald auf Jesus direkt. Dann schritt man dazu fort, Jesus, den Menschensohn, auch in den Weissagungen über die Passion und die Auferstehung zum Subjekt zu machen, und zuletzt wurde der Ausdruck zum einfachen Äquivalent der 1. Person Singularis im Munde Jesu. In diese Reihe gehört auch Bousset, und zwar ist er, wie er selbst ausspricht, in seiner Anschauung stark von Wellhausen beeinflußt. Er hält es f ü r möglich, daß diese oder jene Menschensohnsteile aus dem Munde Jesu stamme, aber in dem Gros der Menschensohnworte sei der Niederschlag der Theologie der Urgemeinde zu erblicken. Die Menschensohnaussagen unserer Evangelien seien die erste Dogmatik der Urgemeinde. Erst seit der Auferstehung sei ihr Jesus der auf den Wolken kommende danielische Menschensohn geworden, und so habe sie sich das Rätsel seines Kreuzestodes gelöst. Der Menschensohn war es, der sterben und am dritten Tage auferstehen mußte. Völter knüpft an Ez 23ff an, „Menschenkind". Jesus habe diese prophetische Bezeichnung auf sich bezogen und sich als Retter Israels gefühlt, aber Jes 53, den leidenden Gottesknecht, mit dieser Vorstellung verbunden. Die in den Evangelien auftretende apokalyptische Menschensohn-Messias-Vorstellung sei späteren Ursprungs. Reitzenstein erblickt in der aus dem Judentum aufgenommenen Bezeichnung Menschensohn Nachklang iranischer Anschauung. Er glaubt, aus Überlieferungen des rechten Ginza eine Apokalypse aus der Zeit um 70 n. Chr. herausheben zu können (vgl S 43), in der das Erscheinen des Urmenschen Enosch-Uthra und der baldige Untergang der Welt vorausgesagt werde. Diese iranische Vorstellung von „dem Menschen", dem barnascha, sei schon von der urchristlichen Täufersekte und von da von Jesus aufgenommen worden. Die evangelischen Überlieferungen zeigen nach Reitzenstein, daß Jesus als Johannesjünger von der jüdischen Obrigkeit verurteilt worden sei. Das ist, wie man sieht, eine sehr kühne Hypothese. Die versuchte Rekonstruktion scheint mir nicht geglückt. Wie im Poimandres scheint mir auch hier Reitzenstein jüngere Überlieferungen in ältere Zeit zurückzudatieren. Ein sicheres Urteil wird jedenfalls erst dann zu fällen sein, wenn die manichäischen Überlieferungen, was übrigens Reitzenstein selbst auch fordert und erhofft, der wissenschaftlichen Untersuchung voll erschlossen sind, bzw. wenn die dringend erforderliche Quellenscheidung in den mandäischen Schriften einwandfrei durchgeführt ist. 3. Der Überlieferungsbestand in den synoptischen Evangelien. D i e E v a n g e l i s t e n g e b e n keine Belehrung darüber, in welchem Sinne Jesus sich den Menschensohn g e n a n n t habe. A u c h J e s u s selbst spricht sich nicht darüber aus. D e r N a m e t r i t t auf, ohne daß die Jünger nach seiner B e d e u t u n g fragen, wie sie doch sonst hier u n d da J e s u s gefragt haben, w e n n sie etwas in seiner Lehre nicht verstanden Mk 4l0 7i7 M t 17io, v g l aber J o h 1234 u n d S 53. Als Ausgangspunkt der Untersuchung nach der Bedeutung der Bezeichnung „Menschensohn" könnte Mt 1613 dienen, die Frage Jesu an seine Jünger: „Für wen halten die Leute den Menschensohn?" 1 . Man kann diese Frage nicht dahin verstehen, daß Jesus mit der Selbstbezeich1 Die Lesart einer Reihe alter Textzeugen, darunter CL min it: „wofür halten mich die Leute, den Menschensohn", oder D : „wofür halten mich die Leute als Menschensohn" (ohne tov vor vlöv), ist eine Vermischung von Mk 827 Lk 918 mit unserer Stelle. Das gleiche gilt von der Lesart des sy B : „was sagen über mich die Leute, nämlich, wer ist dieser Menschensohn".
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Die Lehre Jesu nach der Darstellung der Evangelien
nung „Mengchensohn" bisher zwar eine höhere Würde beansprucht habe, ohne sie noch näher zu charakterisieren, und daß er nun die messianische Bedeutung dieses Namens feststellen wolle. Denn Mt hat an mehreren vorangehenden Stellen, die er zum Teil allein von den Synoptikern bietet, „Menschensohn" bereits deutlich im messianischen Sinn gebraucht: 96 1023 1119 128 1341. Ferner ist nach 1433 die verehrende Anerkennung Jesu durch die Jünger, die Insassen des Schiffes, „wahrhaftig bist du Sohn Gottes" — auch ein Wort, das Mt allein hat — ein zu deutliches Zeugnis dafür, daß Mt schon vor Caesarea Philippi Jesus den Seinen als Messias bekannt vorstellt. Wie die Frage 1613 verstanden werden soll, zeigt der offenbar beabsichtigte Gegensatz, in den auf Jesu weitere Frage, wofür die J ü n g e r ihn halten, die Antwort des Petrus tritt: „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes" 16 (vgl S 52). Es ist die Absicht des Evangelisten zu zeigen, daß Jesus, der sich Menschensohn nennt, in Wahrheit der Sohn des lebendigen Gottes ist. Es soll also von der das eigentliche Wesen Jesu nicht deutlich ausdrückenden Bezeichnung „Menschensohn" zu der höheren und entsprechenden „Gottessohn" übergeleitet werden. Dann ist aber diese Stelle die erste in der Reihe dogmatischer Gegenüberstellungen dieser beiden Prädikate, wie diese bei Barn 129 10, Ign ad Eph 202, vgl 72, Irenäus III 193 (Harvey II S 100) III 212 (II S 107) III 193 (II S 97) und seitdem bei den Vätern begegnen, um die menschliche und die göttliche Natur Jesu zu unterscheiden. Seit Justin Dialogus 76 100 und Irenäus wird mit der Formel „Menschensohn" ausnahmslos die menschliche Natur und Abstammung Jesu ausgedrückt. Daß wir Mt 1613—16 die messianische Dogmatik einer schon späteren Zeit haben, lehrt auch die Vergleichung der Parallelen Mk 827 Lk 918, welche beide Jesus einfach sagen lassen: „Wofür halten mich die Leute", und welche beide auch den Gegensatz „der Sohn des lebendigen Gottes" nicht haben (vgl S 52 f). Trotzdem aber verdeutlicht auch Lukas in der Verhandlung vor dem Hohen Rat 2269 70 das Bekenntnis Jesu, der Menschensohn werde von nun an zur Rechten der Kraft Gottes sitzen, mit der Frage der Richter: „Also bist du der Sohn Gottes?" Einen festen Anhalt für die Deutung bieten aber Mt 2430 (Mk 1326 L k 2 l 2 7 ) : „Und sie (alle Geschlechter der Erde) werden sehen den Menschensohn kommen auf den Wolken des Himmels mit Kraft und vieler Herrlichkeit" und Mt 2664 (Mk 1462 Lk 2269): „Von jetzt an werdet ihr sehen den Menschensohn sitzen zur Rechten der Kraft und kommen auf den Wolken des Himmels". Beide Worte sind offensichtlich geformt in Anlehnung an Dan 7i3 14. Dort wird nach dem Gericht über die vier dem Meere entstiegenen, vier Weltreiche verkörpernden Tiere erzählt: „Ich schaute weiter hin in den Nachtgesichten: da kam mit den Wolken des Himmels ein Menschensohnähnlicher (kebarenäsch) heran, und er gelangte zu dem Hochbetagten, und er wurde vor sein Angesicht gebracht. Und diesem wurde Machte Ehre und Herrschaft verliehen; alle Völker, Nationen und Zungen müssen ihm dienen, und sein Reich wird niemals zerstört werden". Es ist hier und dort dieselbe Szene, der Thron Gottes, der barnasch, der auf den Wolken des Himmels 1 kommt und Gott zugesellt wird, und die Übertragung der Herrschaft an den barnasch. Die Annahme der Entlehnung aus Daniel findet auch darin eine Stütze, daß der Begriff des Reiches Gottes in der Verkündigung Jesu gleichfalls auf das Danielbuch zurückzuführen ist. Das Danielbuch gibt eine Deutung sowohl der vier Tiere, welche nacheinander vom Meer entsteigen, wie des Menschenähnlichen. Die vier Tiere symbolisieren nach 717 vier Königreiche, die auf Erden entstehen werden. Hierauf fährt 18 fort: „Aber die Heiligen des Höchsten werden die Herrschaft erhalten und die Herrschaft auf immer und in alle Ewigkeit besitzen". Ebenso lassen die ähnlich lautenden 22 27 keinen Zweifel, daß der Verfasser den Menschenähnlichen auf das Volk der Heiligen des Höchsten, also nicht auf einen persönlichen Messias deutet. Es ist aber die Frage, ob wir bei dieser Erklärung stehen zu bleiben haben. Bild und Deutung decken sich nicht. Es bleibt unerklärt, warum der Menschenähnliche mit den Wolken des Himmels, also vom Himmel herab auf die Erde kommt, wo wir die vier Tiere zu denken haben, und wo daher auch das Gericht abgehalten wird. Das Volk der Heiligen des Höchsten hat doch seinen Ursprung nicht im Himmel. Das Kommen auf den Wolken des Himmels ist aber ein göttliches Prädikat. Wird doch dem König von Babel Jes 1414 das Wort in den Mund gelegt: „Ich 1 Die Schwankung der griechischen Überlieferung zwischen enl rmv vtLtptk&v Mt 2430 2664 Mk 1326 D Apk 1414 16 (ini rijs vetpeXrjs) Hegesipp bei Eusebius Kirchengesch. II 25 und Did 168 sowie Justin Apol I 51 (indvca) und fierd Mk 1462 Apk 17 IV Esr 133 oder sv Mk 1326 Lk 2127 scheint schon auf die aramäische Überlieferung zurückzugehen, da LXX Dan 713 ini rcöv vttptXäiv tov ovQavov ¡ zurückgeht. Doch ist die Differenz von keiner Bedeutung, da in beiden Fällen die Wolken als Mittel des Kommens gedacht sind.
Der Menschensohn
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will zu WolkerLhöhen emporsteigen, dem Höchsten mich gleichstellen". Auch widerspricht sich der Darsteller in dem Bild und in der Deutung. Nach Dan 79—14 tritt der Menschenähnliche erst auf, nachdem das vierte Tier getötet, sein Leichnam vernichtet und dem Feuer zur Verbrennung überliefert, und nachdem auch an den übrigen Tieren das Gericht vollzogen worden ist. Das gleiche setzen 17 18 voraus. I9ff wollen aber dann „sichere Auskunft" über das schreckliche Tier geben, und zu diesem Zweck wird 21 f noch einmal auf die Vision zurückgegriffen und ein Zug eingeführt, der zu der vorigen Darstellung nicht paßt: „Ich hatte auch gesehen: jenes Horn führte Krieg mit den Heiligen und überwältigte sie. Schließlich aber kam der Hochbetagte, und den Heiligen des Höchsten wurde Recht verschafft, und die Zeit brach an, da die Heiligen die Herrschaft in Besitz nahmen". Hiernach ist das Volk der Heiligen ein irdisches Volk (Israel), welches unter der Bedrängnis durch ein anderes Volk (die Syrer) so lange leidet, bis Gott mit dem Gerichte eingreift. Der Verfasser hat daher wohl einen überlieferten Stoff aufgenommen und zuerst (17 f ) allgemein, aber dann 21—27 so gedeutet, wie es ihm seine eigenen Zeitverhältnisse nahelegten, ohne zu bemerken, daß der verwendete Stoff s e i n e r Deutung widerstrebt. Der Menschenähnliche ist eigentlich das Bild einer göttlichen Person, ein mit göttlicher Macht umkleidetes Engelwesen, und der Verfasser des Danielbuches hat durch seine Auslegung den ursprünglichen Sinn verwischt 1 . Zu dieser Annahme sind wir um so mehr berechtigt, als es heute ziemlich allgemein anerkannt ist, daß die Apokalyptiker ihre Stoffe oft nicht selbst bilden, sondern überliefertes Gut aufnehmen, es ihren Zwecken entsprechend teilweise umgestalten und auf ihre Zeitverhältnisse anwenden. Das gilt für die vier Tiergestalten des Daniel wie auch für den Menschenähnlichen 2 . Das Bild des Menschensohnes begegnet in der ntlichen Zeit noch in zwei weiteren jüdischen Apokalypsen, den Bilderreden des Henochbuches (Kap 37—71) und im I V Esrabuche. Daß die Bilderreden des Henochbuches in vorchristlicher Zeit entstanden sind, kann nicht bewiesen werden, ist aber immerhin nicht unwahrscheinlich, da sie keinerlei Anspielungen auf den irdischen Menschensohn und sein Todesleiden haben. Die Esra-Apokalypse ist nach der Zerstörung Jerusalems geschrieben. Beide Apokalypsen scheinen das Danielbuch gekannt zu haben; doch überliefern sie auch so selbständige Züge, daß man die Benutzung der gleichen apokalyptischen Tradition, aus welcher schon Daniel schöpfte, bei ihnen nicht ausschließen darf. Auch in Hen und I V Esr ist „Menschensohn" oder „Mensch" kein messianischer Titel; aber beide Schriften gebrauchen diesen Ausdruck offensichtlich zur Kennzeichnung der messianischen Persönlichkeit. Aus dem Gesagten geht hervor, daß der Name „der Mensch" oder „der Menschensohn" im Judentum zwar nicht ein messianischer Titel, aber ein Bild gewesen ist, unter dem man bisweilen den Messias vorstellig gemacht hat. Das spätere Judentum hat j a auch wegen der „ W o l k e " ('anän) in Dan 713 den am Schluß der Davididenlinie stehenden 'Anäni 1 Chron 324 als den Messias gedeutet 3 , und ähnlich ist der gerechte „ S p r o ß " (zemach) — „Fürwahr, es wird die Zeit kommen, ist der Spruch Jahwes, da will ich David einen rechten Sproß erwecken, der soll als König herrschen" — J e r 235 3315 im nachexilischen Sach 38 6l2 als Messiastitel gebraucht 4 . In der späteren jüdischen Literatur findet sich der Name „Menschensohn" nur sehr selten, z. B . in dem Wort des um 280 in Caesarea lebenden Rabbi Abbahu: „Wenn jemand zu dir sagt: ,ich bin Gott', so lügt er; ,ich bin Menschensohn', so wird er es schließlich bereuen; ,ich fahre gen Himmel', der hat es gesagt, wird es aber nicht ausführen". In diesem Ausspruch — Rabbi Abbahu hatte Verkehr mit Christen — haben wir offenbar Polemik gegen Jesus, der als Menschensohn göttliche Würde beanspruchte. Daß dieser Ausdruck in der jüdischen Theologie zurücktrat, nachdem er von der christlichen Gemeinde in Anspruch genommen war, ist selbstverständlich. I m Gegensatz zum Christentum hat ihn die Synagoge als Messiasbezeichnung vermieden. 1 HGreßmann, Der Messias, 1929, S 341ff, macht mit Recht darauf aufmerksam, daß auch dort im Danielbuch Engel als menschenähnlich dargestellt werden. So steht Dan 8isff dem Daniel jemand gegenüber, „der das Aussehen eines Menschen" hatte und dann als Gabriel angeredet wird. 921 aber wird Gabriel nicht mit einem Menschen verglichen, sondern geradezu „der Mann Gabriel' ' (btr-ina uä^sn) genannt. 1016 18 ist der, „der das Aussehen eines Menschen h a t t e " , wohl auch wieder als Gabriel, der angelus interpres, zu denken. Der „Menschenähnliche" Dan 713 ist jedoch nicht mit Gabriel, noch auch mit Michael, dem Schutzpatron Israels (Dan lOlo 12l), zu identifizieren, denn beide bedürfen nach Dan 10l3ff der gegenseitigen Hilfe und des gegenseitigen Schutzes, während der Mensch 713 mit den Wolken des Himmels vor den Hochbetagten gebracht und ihm die Weltherrschaft übertragen wird. Also er ist das höchste Engelwesen. 2 Der mythische Charakter des danielschen Menschensohnes wird bestritten von EKönig, NkZ Dezemberheft 1905, und Ders., Geschichte der ATlichen Religion 2 1915, S 592ff, EHertlein, Der Daniel der Römerzeit, 1908, S 87, und Ders., Die Menschensohnfrage, 1911, S 6 1 f f 174ff. Dort ist auch weitere Literatur besprochen. 3 Dalmann, S 201. 4 Tillmann, S 104.
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Die Lehre Jesu nach der Darstellung der Evangelien
H i e r n a c h w i r d , rein a b s t r a k t gesprochen, die Möglichkeit n i c h t zu b e s t r e i t e n sein, d a ß J e s u s sich ,,den M e n s c h e n " n e n n e n k o n n t e , n ä m l i c h — w e n n er a u c h auf die a u ß e r k a n o n i s c h e T r a d i t i o n k e i n e n Bezug g e n o m m e n h a t — d e n im Daniel geweissagten M e n s c h e n ' . „ D e r M e n s c h e n s o h n " w ä r e d a n n Z i t a t , geprägter T e r m i n u s , wie es in der a p o k a l y p t i s c h e n L i t e r a t u r auch a n d e r e ähnlich a b g e k ü r z t e A u s d r ü c k e g i b t 2 , z. B. „ d a s E n d e " , „die T r ü b s a l " , „die W e h e n " , „ d a s L a m m " f ü r „ d a s E n d e d e r W e l t " , „ d i e letzte T r ü b s a l " , „ d i e W e h e n des Messias", „ d a s L a m m G o t t e s " . Die Doppelseitigkeit der Niedrigkeit u n d der H o h e i t des Menschensohnes ist i n d e r a p o k a l y p t i s c h e n L i t e r a t u r des J u d e n t u m s n i c h t n a c h w e i s b a r , sondern d o r t ist d e r Menschensohn als höheres Engelwesen, oder m i t M a c h t u n d W ü r d e u m k l e i d e t e P e r s o n vorgestellt. Die auf d e n e r s t e n Blick a u f f a l l e n d e E r s c h e i n u n g , d a ß J e s u s v o n sich s t a t t i n d e r ersten in d e r d r i t t e n P e r s o n , u n d d a ß er v o n sich als d e m „ M e n s c h e n " gesprochen h a b e n soll, verliert n a c h d e m Gesagten ihre Seltsamkeit, d a er d e n H ö r e r n wird n a h e l e g e n wollen, d a ß sie in i h m die E r f ü l l u n g der danielischen Weissagung erblicken sollen. G e b r a u c h t er d e n A u s d r u c k doch n i c h t n u r v o r d e n J ü n g e r n , d e n e n g e g e n ü b e r er a u c h sonst v o n der in seiner P e r s o n verwirklichten atlichen H o f f n u n g gesprochen h a t , s o n d e r n a u c h v o r S c h r i f t g e l e h r t e n u n d P h a r i s ä e r n Mt 93—6 L k 1130 M t 128 32 u n d d e m H o h e n R a t Mt 2664. A u c h hier wie so o f t spricht er in h a l b v e r h ü l l t e r Weise, in d e r E r w a r t u n g , d a ß , wer O h r e n h a t , h ö r e n wird. Unsre E v a n g e l i e n h a b e n jedenfalls eine solche Selbstbezeichnung n i c h t seltsam g e f u n d e n . Besonders m ü s s e n wir dies A r g u m e n t geltend m a c h e n gegen H y p o t h e s e n , d e n e n zufolge u n r s e E v a n g e l i s t e n oder die v o n i h n e n v e r a r b e i t e t e christliche T r a d i t i o n diesen N a m e n e r s t in die E v a n g e l i e n e i n g e f ü h r t h a b e n sollen. E i n e Analogie zu der Selbstbezeichn u n g Menschensohn b i e t e t j a a u c h die v e r w a n d t e „ d e r S o h n " , welche gleichfalls v o n allen vier E v a n g e l i s t e n v e r b ü r g t wird. A u c h d a n a c h h a t sich J e s u s in seiner b e r u f l i c h e n W ü r d e m i t einem A u s d r u c k in der d r i t t e n P e r s o n bezeichnet. H i e r h e r g e h ö r t a u c h L k 2426: „ M u ß t e n i c h t dies d e r Christus leiden u n d eingehen in seine Herrlichkeit?" E i n Beweis, d a ß die E v a n g e l i e n d a r i n t r e u e Überlieferung b i e t e n , ist a u c h dies, d a ß sie diese Selbstbezeichnung n u r J e s u s selbst v o n sich g e b r a u c h e n lassen, n i c h t a b e r v o n i h m als d e m Menschensohn oder d e m S o h n sprechen. E r k o n n t e sich so n e n n e n ; doch w a r e n diese b e i d e n Titel n i c h t so geläufige Messiasbezeichnungen, d a ß sie i n der B e r i c h t e r s t a t t u n g ü b e r i h n b r a u c h b a r gewesen w ä r e n . F e r n e r ist zu b e a c h t e n , wie g u t u n s r e E v a n g e l i e n zu u n t e r s c h e i d e n wissen zwischen „ M e n s c h e n s o h n " im messianischen Sinne u n d „ M e n s c h " im gewöhnlichen Sinne, obwohl d a s aramäische „ M e n s c h e n s o h n " j a a u c h n i c h t s anderes h e i ß t als „ M e n s c h " . M e h r f a c h s t e h t „ M e n s c h e n s o h n " u n d „ M e n s c h " d i c h t beieinander, so d a ß eine V e r t a u s c h u n g beider Begriffe n a h e g e n u g gelegen h ä t t e . Sie ist a b e r n i c h t v o r g e n o m m e n w o r d e n . Z. B. t r i t t in der Überlieferung v o n d e m W o r t J e s u Mk 227f: „ D e r S a b b a t ist u m des Menschen willen g e m a c h t , u n d n i c h t d e r Mensch u m des S a b b a t s willen. D a h e r ist d e r Menschensohn H e r r a u c h ü b e r d e n S a b b a t " , die volle 1 Ohne Belang aber ist für die NTliche Theologie die Frage, woher Daniel die Gestalt des Menschensohnes habe. Denn wir haben in diesen Untersuchungen nur die Tatsache festzustellen, daß die synoptischen Evangelien bzw. Jesus mit dem N a m e n „Menschensohn" an Daniel anknüpfen. Nach den einen stammt der Menschensohn aus der Fremde, wie die ganze apokalyptische Eschatologie aus der Fremde in das Judentum eingedrungen sei. Man nimmt an, daß er ursprünglich eine Parallelfigur zum Messias war, sofern beide eschatologische Bedeutung haben, daß aber der Messias eine irdische, der Menschensohn dagegen eine himmlische Gestalt war (z. B . Greßmann, S 334—365, besonders S 361). Nach ESellin, Die israelitisch-jüdische Heilandserwartung, 1909, S 7 2 f f dagegen liegt es näher, den Menschensohn zu erklären durch Zurückgreifen auf uraltes jüdisches apokalyptisches Gut, denn in der altisraelitischen Erwartung, bei Jesaja, im Deuterojesaja und bei Micha trage bereits der erwartete Retter oder Herrscher oder Gottesknecht Züge eines übermenschlichen, aus der göttlichen Sphäre kommenden Wesens. EHertlein, Die Menschensohnfrage 1911, S 62 findet einen Vorgänger des danielischen Menschensohns in Ps 8018, wo das Volk Israel verglichen werde mit „einem Manne zur Rechten Gottes und einem Menschensohn, den Jahwe sich kräftig aufgezogen hat". Reitzenstein denkt an iranische Einflüsse und Übernahme der Barnascha-Vorstellung durch Jesus aus der Täufersekte. 2 Gunkel, ZwTh 1899, S 5 8 2 - 5 9 0 .
Der Menschensohn
59
Form „Menschensohn" erst an der Stelle ein, wo v o n Jesus in seinem beruflichen Handeln, nicht aber von sonstigen Menschen gesprochen wird. Mt l l i 9 wird wieder richtig gesagt: „ E s kam der Menschensohn, aß und trank", aber nicht fortgefahren: „siehe ein Menschensohn, der Esser und Trinker ist", sondern: „siehe ein Mensch". Mt 98 heißt es als Abschluß der Heilung des Gichtbrüchigen, nachdem Jesus als „Menschensohn" die Vollmacht beansprucht hatte, auch Sündern zu vergeben: „die Yolksmassen priesen Gott, der solche Vollmacht den Menschen gegeben hatte". Selbstverständlich wird hier nicht gesagt, daß diese Vollmacht den Menschen überhaupt fortan verliehen worden sei — diese Vollmacht hat und behält nur Gott und der, der ist wie Gott, der Menschensohn. Wir sehen hier vielmehr in die Schwierigkeit hinein, die auch für die Evangelisten bestand, v o n Jesus als dem Menschensohn zu sprechen. Daher sagt Mt „den Menschen" und meint den e i n e n , der als Mensch i n ihrer Mitte steht. Auf der anderen Seite sind die Evangelisten nicht der Versuchung erlegen, auch an charakteristischen Stellen v o n anderen Personen den Ausdruck „Menschensohn" statt „Mensch" zu gebrauchen, wie z. B. Mt I i s : „ W a s seid ihr hinausgegangen, zu sehen ? einen Menschen in weichen Kleidern ?" oder Mt 8s»1. N u n ist es ja freilich eine Tatsache, daß die Überlieferung hinsichtlich des Gebrauchs des Namens „Menschensohn" durch Jesus nicht ganz einheitlich ist. Die Synoptiker wechseln auch zwischen dem Gebrauch von „ich" und „Menschensohn" und schwanken an parallelen Stellen zwischen diesen beiden Ausdrücken. Auf ein charakteristisches Beispiel, Mt 16i3 = Mk 827 Lk 9i8 ist schon S 56 verwiesen worden. Umgekehrt ist in der ersten Leidensweissagung Mk 831 Lk 922 „der Menschensohn" Subjekt der Aussage, in der Parallele Mt I621 wird das Pronomen der dritten Person angewendet. Wiederum hat Mt 1628 „Menschensohn", wo Mk 9i und Lk 927 d e n Ausdruck vermeiden. Mt 5 n schreibt „meinetwegen", Lk 622 „wegen des Menschensohnes". Mt 1032 lautet: „Jeder nun, der mich bekennt vor den Menschen, den werde ich bekennen vor meinem Vater im Himmel", Lk aber schreibt in der Parallele 12s: „Jeder, der mich bekennt vor den Menschen, den wird der Menschensohn bekennen vor den Engeln Gottes". Dieser Ü b e r l i e f e r u n g s b e s t a n d wird v o n B o u s s e t z u m A u s g a n g s p u n k t der H y p o t h e s e g e m a c h t , d a ß sich J e s u s dieser S e l b s t b e z e i c h n u n g ü b e r h a u p t n i c h t oder n u r in b e s c h r ä n k t e m U m f a n g bed i e n t h a b e u n d d a ß die h ä u f i g e V e r w e n d u n g dieses N a m e n s D o g m a t i k d e r U r g e m e i n d e sei. I n s b e s o n d e r e soll die j e r u s a l e m i s c h e G e m e i n d e im U n t e r s c h i e d e v o n d e r a n t i o c h e n i s c h e n , wo die V e r e h r u n g J e s u als des „ H e r r n " (xvgtos) P l a t z g e g r i f f e n h a b e , S c h ö p f e r i n u n d V e r t r e t e r i n d e r M e n s c h e n s o k n d o g m a t i k sein. Dieser H y p o t h e s e s t e h e n die g r ö ß t e n B e d e n k e n e n t g e g e n . W i r h a b e n in der e r s t e n H ä l f t e d e r A p g Ü b e r l i e f e r u n g e n , welche a u s der U r g e m e i n d e k o m m e n . Die P e t r u s r e d e n , die u n s d o r t e r h a l t e n sind, lassen u n s einen g u t e n E i n b l i c k in die d a m a l i g e „ G e m e i n d e d o g m a t i k " t u n . D o r t ist a b e r a u c h a n k e i n e r einzigen Stelle e t w a s v o n d e n M e n s c h e n s o h n - G e d a n k e n g e s a g t . M a n f ü h l t a n j e n e n R e d e n d a s T a s t e n d e r ä l t e s t e n G e m e i n d e . E s w e r d e n verschied e n a r t i g e A n s ä t z e z u theologischen G e d a n k e n b i l d u n g e n g e m a c h t , a b e r d a b e i w i r d n i c h t v o n J e s u s als d e m a u f d e n W o l k e n des H i m m e l s k o m m e n d e n M e n s c h e n s o h n g e s p r o c h e n , abgesehen v o n A p g 7 5 5 , w o g e r a d e d e r Hellenist S t e p h a n u s es ist, der in der V e r z ü c k u n g die H i m m e l g e ö f f n e t u n d d e n M e n s c h e n s o h n z u r R e c h t e n G o t t e s s t e h e n sieht. D a a b e r , wo P e t r u s d a s e n t s c h e i d e n d e W o r t p r ä g t , w a s der G e m e i n d e J e s u s ist u n d als w e n die A p o s t e l i h n d e m V o l k v e r k ü n d i g e n , a m S c h l u ß der P f i n g s t r e d e , d a s a g t e r : „ S i c h e r n u n wisse d a s g a n z e H a u s Israel, d a ß i h n Gott z u m H e r r n u n d z u m C h r i s t u s g e m a c h t h a t , diesen J e s u s , w e l c h e n ihr g e k r e u z i g t h a b t " A p g 236. Z u m h i m m l i s c h e n H e r r n u n d Gebieter also u n d z u m Messias im Vollsinn, n i c h t a b e r z u d e m a u f d e n W o l k e n k o m m e n d e n M e n s c h e n s o h n h a t G o t t J e s u s f ü r die ä l t e s t e G e m e i n d e g e m a c h t . N o c h ein w e i t e r e r G r u n d spricht gegen die A n n a h m e , d a ß die L e h r e , J e s u s sei d e r in H e r r l i c h k e i t k o m m e n d e danielische M e n s c h e n s o h n , erst v o n d e r G e m e i n d e i n die ä l t e s t e Ü b e r l i e f e r u n g d e r E v a n g e l i e n z u r ü c k g e t r a g e n w o r d e n sei. I n diesem Falle bliebe u n e r k l ä r l i c h , wie m a n d a z u gek o m m e n sein soll, diesen N a m e n in d e n j e n i g e n Stellen d e r E v a n g e l i e n e i n z u t r a g e n , i n d e n e n e r im allgemeinen messianischen Sinne o h n e a p o k a l y p t i s c h e B e d e u t u n g g e b r a u c h t w i r d .
1 D a b e i b l e i b t i m m e r n o c h die Möglichkeit, a u c h eine Stelle wie d a s Z i t a t a u s D e u t 83 ( h a a d a m ) in M t 44 L k 44 u n t e r die Menschensohnstellen z u r e c h n e n . K B o r n h ä u s e r , D a s W i r k e n des C h r i s t u s d u r c h T a t e n u n d W o r t e 1921, S 3 0 f , o h n e d a ß d a d u r c h die A b l e i t u n g des B e g r i f f e s M e n s c h e n s o h n a u s D a n 713 in F r a g e gestellt w ü r d e u n d z u b e h a u p t e n w ä r e , d a ß J e s u s als P r o p h e t n u r f ü r seine E r d e n t a g e , diese S e l b s t b e z e i c h n u n g g e w ä h l t h a b e .
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Die Lehre Jesu nach der Darstellung der Evangelien
4. Der Gebrauch des Namens „Menschensohn" im Munde Jesu. Wir nehmen es nach dem Dargelegten in Anspruch, daß Jesus selbst von sich als dem Menschensohn gesprochen hat. In welchem Sinne aber ist das geschehen ? A n d e n b e i d e n s y n o p t i s c h e n S t e l l e n , v o n d e n e n w i r a u s g e g a n g e n s i n d , M t 2430 p a r u n d M t 2684 p a r , w i r d v o n d e m e s c h a t o l o g i s c h - a p o k a l y p t i s c h e n K o m m e n J e s u g e h a n d e l t . D i e gleiche B e d e u t u n g l i e g t i n e i n e r R e i h e w e i t e r e r S t e l l e n v o r . D e r M e n s c h e n s o h n w i r d k o m m e n M t 1023 i n d e r H e r r l i c h k e i t seines V a t e r s m i t s e i n e n E n g e l n M t 1627 M k 838 L k 926, i n s e i n e m R e i c h M t 1628 u n d w i r d sich a u f d e n T h r o n s e i n e r H e r r l i c h k e i t s e t z e n M t 2531 1928, u m d a s G e r i c h t z u h a l t e n L k 2136 12s, u n d seine E n g e l w e r d e n i h m d a b e i d i e n e n M t 1341. U n v e r m u t e t w i r d d i e P a r u s i e d e s M e n s c h e n s o h n e s e i n t r e t e n M t 2437 39 44 L k 1726 31 1240, wie d e r B l i t z a m H i m m e l v o n O s t e n n a c h W e s t e n z u c k t L k 1724 M t 2427. I n d i e s e R e i h e g e h ö r e n a u c h L k 1722 1 8s. D a s i s t a b e r n o c h n i c h t die H ä l f t e d e r s y n o p t i s c h e n M e n s c h e n s o h n s t e l l e n . V i e l f a c h t r i t t b e i a l l e n d r e i S y n o p t i k e r n seit d e r M e s s i a s p r o k l a m a t i o n v o r C a e s a r e a P h i l i p p i d e r N a m e a u c h a u f in V e r b i n d u n g m i t der Leidensweissagung, u n d z w a r entweder, i n d e m auf die A u f e r s t e h u n g n a c h d e m T o d e s l e i d e n h i n g e w i e s e n w i r d M k 831 L k 922 M t 179 12 M k 99 12 M t 1722 M k 931 ( L k 944) M t 2018 M k 1033 L k 1831 247 o d e r n u r d a s L e i d e n allein E r w ä h n u n g f i n d e t M t 2028 M k 1045 M t 262 24 M k 1421 L k 2222 M t 2645 M k 1441. M e h r f a c h w i r d i n d i e s e n S t e l l e n a u s g e s p r o c h e n , d a ß d i e s e r L e i d e n s w e g d e s M e n s c h e n s o h n e s i m A T g e w e i s s a g t sei M t 2624 M k 1421 L k 2222 L k 1831 M k 912, d e r M e n s c h e n s o h n „ m u ß " (Set) l e i d e n M t 1621 M k 831 L k 922 1725 2 4 7 ; a b e r a u f b e s t i m m t e atliche Stellen wird nirgends ausdrücklich Bezug g e n o m m e n . A n den n u n noch übrigen Stellen wird der N a m e einfach im messianischen Sinne g e b r a u c h t : M t 96 = M k 2io = L k 524 M t 128 = M k 228 = L k 65 L k 622 M t 1119 = L k 734 M t 1240 L k 1130 ( Z e i c h e n d e s J o n a ) M t 1337 L k 1910 L k 2248, b i s w e i l e n m i t H e r v o r k e h r u n g seiner i r d i s c h e n N i e d r i g k e i t M t 820 L k 958 M t 1232 L k 128. Die meisten Menschensohnstellen begegnen seit d e n T a g e n v o n Caesarea Philippi. A m d e u t l i c h s t e n t r i t t d i e s b e i M a r k u s z u t a g e , d e r n u r 210 28 v o r C a e s a r e a P h i l i p p i J e s u s d i e s e S e l b s t bezeichnung in den M u n d legt. L u k a s u n d n a m e n t l i c h M a t t h ä u s (vgl S 59) h a b e n eine Reihe v o n Menschensohnstellen a u c h vorher. I m m e r h i n ist j e d o c h die H y p o t h e s e n a c h z u p r ü f e n , d a ß M a r k u s h i e r d i e Ü b e r l i e f e r u n g n o c h e t w a s b e s s e r b e w a h r t h a b e , J e s u s sich a b e r i n W a h r h e i t e r s t s e i t jener Messiasproklamation vor den Jüngern „Menschensohn" genannt habe1. B e i M t 820 = L k 958, sowie M t 1023 m u ß m i t d e r A n n a h m e g e r e c h n e t w e r d e n , d a ß d i e s e W o r t e a u s e i n e r s p ä t e r e n P e r i o d e d e r W i r k s a m k e i t J e s u s t a m m e n . Sie s i n d z e i t l i c h n i c h t m i t W a h r s c h e i n l i c h k e i t a n z u s e t z e n . L k 622 m a g d i e M ö g l i c h k e i t b e s t e h e n , d a ß d e r E v a n g e l i s t d e n i h m g e l ä u f i g e n A u s d r u c k e i n g e s e t z t h a t , weil die P a r a l l e l e M t 5 l l i h n n i c h t h a t . F r e i l i c h k a n n j a a u c h L k u r s p r ü n g l i c h e r s e i n . M t 1337 41 i s t es s c h o n s c h w i e r i g e r , die U r s p r ü n g l i c h k e i t a b z u l e h n e n . D e n n i s t d a s G l e i c h n i s v o m U n k r a u t u n t e r d e m W e i z e n v o n J e s u s g e s p r o c h e n w o r d e n , so w i r d e r e b e n s o wie b e i m G l e i c h n i s v o m v i e r e r l e i A c k e r s e l b s t die D e u t u n g g e g e b e n h a b e n . A b e r d a n n b l e i b e n d o c h n o c h f ü n f S t e l l e n ü b r i g , d r e i a u s d e r R e d e n q u e l l e M t 1119 = L k 734, M t 1232 = L k 1210 u n d M t 1240 = L k 1130, sowie a u s d e r M a r k u s ü b e r l i e f e r u n g , M t 96 = M k 210 = L k 524 u n d M t 128 = M k 228 = L k 65, w e l c h e n i c h t i n e i n e s p ä t e P e r i o d e d e s L e b e n s J e s u f a l l e n . A n k e i n e r d i e s e r S t e l l e n a b e r h a b e n w i r V e r a n l a s s u n g , es f ü r u n w a h r s c h e i n l i c h z u e r k l ä r e n , d a ß J e s u s d o r t diese S e l b s t b e z e i c h n u n g g e b r a u c h t h a b e . D e r j e n i g e , d e r sich M t l l l 8 f d e m T ä u f e r , d e m „ B o t e n " 10, d e m „ E l i a s " d e m W e g e b e r e i t e r 14 g e g e n ü b e r s t e l l t e , d e r e b e n d i e G e g e n w a r t als die Z e i t d e s R e i c h e s G o t t e s g e s c h i l d e r t h a t t e , k a n n k e i n a n d e r e r sein, als d e r B r i n g e r d e s G o t t e s r e i c h e s . D i e s sein B e r u f s b e w u ß t s e i n l e g t J e s u s i n den N a m e n Menschensohn, „es k a m der Messias-Menschensohn a ß u n d t r a n k " usw. M t 123lf l a u t e t : „ J e d e S ü n d e u n d L ä s t e r u n g w i r d d e n M e n s c h e n v e r g e b e n w e r d e n , d i e L ä s t e r u n g d e s G e i s t e s a b e r w i r d n i c h t v e r g e b e n w e r d e n (32): U n d w e r e i n W o r t s a g t g e g e n d e n M e n s c h e n s o h n , es w i r d i h m v e r g e b e n w e r d e n ; w e r a b e r r e d e t w i d e r d e n h e i l i g e n G e i s t , d e m w i r d n i c h t vergeben werden, weder in diesem n o c h im z u k ü n f t i g e n A e o n " . L u k a s h a t keine Parallele z u M t 31, a b e r 1210 i s t b e i i h m p a r a l l e l M t 32. M k 328 — 30 l a u t e n : „ A l l e V e r f e h l u n g e n u n d L ä s t e r u n g e n w e r d e n d e n M e n s c h e n s ö h n e n v e r g e b e n w e r d e n , so v i e l sie l ä s t e r n . (29): W e r a b e r l ä s t e r t g e g e n d e n heiligen Geist, h a t keine V e r g e b u n g in E w i g k e i t , s o n d e r n er ist v e r h a f t e t ewiger V e r f e h l u n g (30): D e n n sie s a g t e n : e r h a t e i n e n u n r e i n e n G e i s t " . M a r k u s ist h i e r als s e k u n d ä r z u b e t r a c h t e n . D i e L ä s t e r u n g g e g e n d e n h e i l i g e n G e i s t , v o n w e l c h e r e r 29 s p r i c h t , s c h l i e ß t n a c h 30 f ü r i h n d i e L ä s t e r u n g d e r S c h r i f t g e l e h r t e n g e g e n J e s u s m i t e i n . E r e r k l ä r t sie f ü r u n v e r g e b b a r . E s i s t a b e r u n d e n k b a r , d a ß in einer späteren S t u f e der E n t w i c k l u n g innerhalb der christlichen Gemeinde Lästerung v sich die A n s c h a u u n g g e b i l d e t h ä t t e , e i n e L ä s t e r u n g J e s u sei i m U n t e r s c h i e d e z u r d e s G e i s t e s v e r g e b b a r . A l l e i n J e s u s s e l b s t s t a n d a u f solcher H ö h e , d a ß e r d a s W o r t M t 1232 = L k 1210 s p r e c h e n k o n n t e . S c h o n M a r k u s , d e r es a u s d e r R e d e n q u e l l e k a n n t e , h a t es n i c h t a u f g e n o m m e n , s o n d e r n s e i n e m V 29 d i e F a s s u n g g e g e b e n , w e l c h e a u c h e i n e L ä s t e r u n g J e s u f ü r u n vergebbar erklärt.
1 WBrückner, ZprTh 1886, S 254—278. HJHoltzmann, Das messsianische Bewußtsein Jesu, S 86.
Der Menschensohn
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I n der Parallele Mt 1240 = Lk 1130 hat Lk den besseren Text erhalten. D e n n geht Mt 40 auf d e n descensus ad inferos, wie der Wortlaut anzunehmen gebietet, so ist das kein Zeichen für das damalige israelitische Geschlecht. Den Spruch auf die Auferstehung Jesu zu beziehen, empfiehlt der Wortlaut nicht. Wohl aber liegt es in der Richtung der sonstigen Verkündigung Jesu, wenn hier ausgesprochen wird, wie Lk 30 überliefert, die Bußpredigt des Menschensohnes solle dem gegenwärtigen Geschlecht ein Zeichen sein, wie die Bußpredigt des Jona es den Nineviten war. Sagt doch Jesus dann indirekt, daß er gerade als Menschensohn-Messias mehr ist als Jona. Man m u ß durch seine äußere Niedrigkeit hindurch seine hohe Würde erkennen. Das kann Jesus sehr wohl gesagt haben, auch nach Mt 1232. D e n n auch Mt 96 Mk 210 Lk 524 sagt er: „Macht hat der Menschensohn auf der Erde, Sünden zu vergeben". Diese Macht ist, wie das gesamte Judentum wußte und weiß, ein göttliches Vorrecht. Sie steht auch dem Messias nicht zu. Daher will Jesus vor den Schriftgelehrten, die das verstehen können, einen Beweis seiner göttlichen Macht geben, die er hat. Er will nicht als der Messias im Sinne der Volkserwartung gelten, sondern das Göttliche in seiner Person ihnen fühlbar machen. Daher nennt er sich auch den „Menschensohn", die den Hörern als Schriftgelehrten aus Daniel bekannte Person göttlichen Charakters, und sagt von sich, daß er als Menschensohn „schon auf der Erde", ehe er die himmlische Person wird, diese Vollmacht besitzt. In der Stelle Mt 128 Mk 227f Lk 65 ist es für die Entscheidung gleichgültig, ob m a n Mk 27 mit dem gewöhnlichen Text liest: „Der Sabbat ist u m des Menschen willen gemacht, und nicht der Mensch u m des Sabbats willen", oder diesen Vers mit cod. D und einigen altlateinischen Zeugen ausläßt. Jesus kann das Wort sehr wohl gesprochen haben. Behält man es bei, so ist der Sinn: weil der Sabbat u m des Menschen willen gemacht ist, ist der Menschensohn wie über andere gesetzliche Bestimmungen auch Herr über den Sabbat. Also eine offenkundige Bezeugung seiner messianischen Berufsaufgabe, wie er sie verstand. Fast noch majestätischer wirkt das Wort bei Mt und Lk, denn nach der dortigen Fassung tritt Jesus auch hier einfach als Menschensohn als göttlicher Gesetzgeber auf, der über atliche Gebote souverän verfügt. Das entspricht j a aber doch wohl auch dem Bilde, welches wir bisher v o n Jesus zu entwerfen hatten.
D a n a c h k a n n die Überlieferung der E v a n g e l i s t e n ohne G e w a l t s a m k e i t n i c h t so v e r s t a n d e n w e r d e n , d a ß er diese Selbstbezeichnung erst seit seiner Messiasproklam a t i o n vor Caesarea Philippi a n g e w e n d e t h a b e . E r n e n n t sich v o r d e m Volk u n d v o r seinen pharisäischen Gegnern auch in der f r ü h e r e n Zeit seiner W i r k s a m k e i t d e n Menschensohn, u n d d a m i t e r h e b t er den h ö c h s t e n beruflichen A n s p r u c h , der v o n d e n H ö r e r n , w e n n sie i h n v e r s t a n d e n , als messianisch a u f g e f a ß t w e r d e n m u ß t e . A b e r M k 8 3 i f zufolge b e l e h r t er frei h e r a u s (naggrioia) seine J ü n g e r ü b e r d a s i h m als Menschensohn b e v o r s t e h e n d e Todesleiden. E s liegt J e s u s also in dieser Zeit d a r a n , die J ü n g e r in d a s n ä h e r e V e r s t ä n d n i s seines messianischen A n s p r u c h s als Menschensohn e i n z u f ü h r e n . D e n n a u c h sie h a b e n die E i g e n a r t dieser seiner Messiasvorstellung noch n i c h t begriffen. Hinsichtlich des I n h a l t s , d e n J e s u s i n diese Selbstbezeichnung gelegt h a t , sind f ü r u n s eine Reihe v o n E r k l ä r u n g e n ausgeschlossen. N a m e n t l i c h k a n n er sich n i c h t d e n Menschen im e m p h a t i s c h h o h e n oder e m p h a t i s c h niedrigen Sinn g e n a n n t h a b e n . „ E r w a r kein griechischer Philosoph u n d kein m o d e r n e r H u m a n i s t , u n d er r e d e t e n i c h t zu Philosophen u n d zu H u m a n i s t e n . " E r h a t d e n A n s p r u c h e r h o b e n , d a ß in seiner P e r s o n die Gestalt des danielischen Menschen verwirklicht werde. D a s Zeichen des Menschensohnes soll bald a m H i m m e l erscheinen, der Menschensohn auf d e n W o l k e n des H i m m e l s m i t M a c h t u n d vieler Herrlichkeit k o m m e n , u m d a s Weltgericht a b z u h a l t e n Mt 2430 f. H i e r liegt ganz deutlich — e n t s p r e c h e n d d e m danielischen Vorbild — die B e h a u p t u n g seiner u n i v e r s a l e n B e d e u t u n g u n d universalen H e r r s c h a f t v o r . D e r P a r t i k u l a r i s m u s des J u d e n t u m s h a t a u c h in dieser Vorstellung keine S t ä t t e . D e r Menschensohn richtet d a s n e u e Weltreich a u f . Aber es liegt n o c h e i n zweites M o m e n t in dieser Selbstbezeichnung J e s u . D a s ist seine G ö t t l i c h k e i t . D e n n d e m Menschensohn wird ewige u n d unvergängliche H e r r s c h a f t verliehen, u n d er wird Gottes Throngenosse. Feierlich h a t J e s u s v o r d e m H o h e n R a t M t 2664 diese göttliche W ü r d e f ü r sich a u c h in A n s p r u c h g e n o m m e n , u n d der j ü d i s c h e Gerichtshof h a t seinen A n s p r u c h v e r s t a n d e n , d e n n er h a t J e s u s z u m T o d e v e r u r t e i l t . D a ß J e s u s in der Synopse n i c h t s v o n P r ä e x i s t e n z sagt, die i h m als Menschensohn z u k o m m e , w ä h r e n d doch diese Vorstellung bereits in der j ü d i s c h e n A p o k a l y p t i k a n die P e r s o n des Menschensohnes g e k n ü p f t ist, H e n 483 ff, h a t keine besondere B e d e u t u n g . D a sich J e s u s als gottheitliche Person g e w u ß t h a t , h a t er selbstverständlich auch d a s P r ä e x i s t e n z b e w u ß t s e i n g e h a b t , wie seine Ä u ß e r u n g e n im vierten E v a n g e l i u m , J o h 858 175 24, zeigen. Unsere evangelische Uberlieferung e n t h ä l t j a menschlich ge-
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Die Lehre Jesu nach der Darstellung der Evangelien
s p r a c h e n , viel Zufälliges. A u s d e m F e h l e n dieses Z u g e s bei d e n S y n o p t i k e r n s i n d k e i n e d o g m a t i s c h e n Schlüsse zu z i e h e n . B e m e r k e n s w e r t a b e r ist es, d a ß J e s u s n i c h t n u r d e r d a n i e l i s c h e n W e i s s a g u n g e n t s p r e c h e n d e eschatologische M e n s c h e n s o h n a u s s a g e n m a c h t , s o n d e r n a u c h als d e r M e s s i a s - M e n s c h e n s o h n v e r s t a n d e n sein will, w e l c h e r d u r c h L e i d e n z u r H e r r l i c h k e i t eingehen oder nach dem Tode auferstehen wird. D e n n in dem eschatologischen Bilde d e s D a n i e l i s t d a f ü r k e i n A n h a l t , w e n n m a n n i c h t i n D a n 721 25 eine H i n d e u t u n g d a r a u f f i n d e n will. D i e g ö t t l i c h e G e s t a l t d e s d a n i e l i s c h e n M e n s c h e n s c h e i n t e i n e solche W e n d u n g n i c h t n a h e zu legen. M k 9i2 s a g t J e s u s , es sei ü b e r d e n M e n s c h e n s o h n g e s c h r i e b e n , d a ß er viel leide u n d zu n i c h t e g e m a c h t w e r d e (Iva nolXa nä&y xai ¿¡ovöevrj&rj). D a s s c h e i n t A n s p i e l u n g zu sein a u f d e n l e i d e n d e n K n e c h t G o t t e s J e s 533, d e r v e r u n e h r t u n d f ü r n i c h t s g e a c h t e t w i r d (fßi[iäo&r] xai ovx iXoyia&ri). A u c h i n d e r Stelle v o m Lösegeld M t 2028 M k 1045, i n d e r sich J e s u s gleichfalls M e n s c h e n s o h n n e n n t u n d v o n seiner H i n g a b e in d e n T o d s p r i c h t , f i n d e n sich A n s p i e l u n g e n a u f d e n l e i d e n d e n G o t t e s k n e c h t (der A u s d r u c k „ v i e l e " , die W e n d u n g „ s e i n L e b e n zu g e b e n " , u n d d a s „ D i e n e n " , d a s a u f d e n Begriff K n e c h t anspielt). So w i r d m a n schließen m ü s s e n , d a ß J e s u s i n seine V o r s t e l l u n g v o m danielischen M e n s c h e n s o h n die des l e i d e n d e n u n d d o c h m i t E r f o l g g e k r ö n t e n G o t t e s k n e c h t s m i t a u f g e n o m m e n h a t 1 , u n d d a ß er es sich h a t a n g e l e g e n sein l a s s e n , seit d e m T a g e v o n C a e s a r e a P h i lippi seine J ü n g e r i n die E i g e n a r t g e r a d e dieser A u f f a s s u n g seines m e s s i a n i s c h e n B e r u f s e i n z u f ü h r e n . D e n n v o n d a a n b e g i n n e n seine B e l e h r u n g e n ü b e r sein T o d e s l e i d e n u n d die d a r a u f f o l g e n d e H e r r l i c h k e i t . H a t e r sich v o r h e r a u c h M e n s c h e n s o h n i m m e s s i a n i s c h e n S i n n e g e n a n n t , so h a t e r d e n v o l l e n I n h a l t dessen, w a s diese S e l b s t b e z c i c h n u n g f ü r i h n i n sich schloß, n o c h n i c h t d e u t l i c h z u m A u s d r u c k g e b r a c h t . E i n e gewisse E r g ä n z u n g e r f ä h r t J e s u M e n s c h e n s o h n v o r s t e l l u n g , w e n n wir b e r e c h t i g t sind, die m e s s i a n i s c h e D e u t u n g v o n P s 8 i n M t 21ie h i e r e i n z u b e z i e h e n . . D e n n d a n n k o m m t auch der Gedanke der Weltbeherrschung in Betracht. Allerdings liegt dieser G e d a n k e b e r e i t s D a n 7 m i t z u g r u n d e , w e n n er a u c h n i c h t d i r e k t a u s g e s p r o c h e n ist. D a J e s u s diesen P s a l m selbst m e s s i a n i s c h a n g e s e h e n u n d a u c h die a p o s t o l i s c h e Z e i t , P a u l u s I K o r 1527 u n d H e b r 2ßf, die D e u t u n g a u f J e s u s d e n M e n s c h e n s o h n a u f g e n o m m e n h a t , w i r d zu u r t e i l e n sein, d a ß J e s u s i h n i n V e r b i n d u n g m i t seiner M e n s c h e n s o h n v o r s t e l l u n g g e b r a c h t h a t . Wir fassen zusammen. Jesus h a t den N a m e n Menschensohn aus Daniel entlehnt,, vgl a u c h P s 8, u n d d a m i t d e n A n s p r u c h a u f G ö t t l i c h k e i t u n d a u f H e r r s c h e r s t e l l u n g e r h o b e n . D i e volle V e r w i r k l i c h u n g dieses A n s p r u c h s e r w a r t e t er v o n d e r Z u k u n f t ; , a b e r s c h o n i n d e r G e g e n w a r t , u n d wie es s c h e i n t v o n d e r f r ü h e s t e n Z e i t seines W i r k e n s a n h a t er u n t e r A n w e n d u n g d e r S e l b s t b e z e i c h n u n g M e n s c h e n s o h n T a t e n u n d Ä u ß e r u n g e n g e t a n , w e l c h e seine A n w a r t s c h a f t auf diese W ü r d e s e h e n d e n A u g e n zeigen k o n n t e n . Z w i s c h e n seinem g e g e n w ä r t i g e n W i r k e n u n d d e r vollen z u k ü n f t i g e n M a c h t e n t f a l t u n g liegt sein S t e r b e n , u n d a u c h d e r G e d a n k e d a r a n w i r d v o n i h m m i t i n d e n N a m e n M e n s c h e n s o h n e i n b e z o g e n , i n d e m e r die V o r s t e l l u n g d e s l e i d e n d e n G o t t e s k n e c h t s u n d die d e s M e n s c h e n s o h n s z u s a m m e n f a ß t e . 5. D e r G e b r a u c h des N a m e n s bei J o h a n n e s . D e r A u s d r u c k „ d e r M e n s c h e n s o h n " (o VLOQ TOV äv&Qamov) b e g e g n e t i m v i e r t e n E v a n g e l i u m 11 m a l . D a z u k o m m t als 12. Stelle 527. H i e r s i n d b e i d e S u b s t a n t i v a a r t i k e l l o s . A u c h diese Stelle h a n d e l t v o n J e s u s als d e m m e s s i a n i s c h e n M e n s c h e n s o h n , wie j a a u c h i n d e r A p o k a l y p s e z w e i m a l d e r danielische M e n s c h e n s o h n viog äv&Qibnov h e i ß t , also d e r A u s d r u c k a r t i k e l l o s g e b r a u c h t w i r d A p k l i 3 14i4. E s liegt d e r d i r e k t a n D a n i e l a n k n ü p f e n d e G e d a n k e ' z u g r u n d e , d a ß d e m , d e r die V e r w i r k l i c h u n g j e n e s v o r d e n H o c h b e t a g t e n g e b r a c h t e n göttlichen Menschensohnes ist, auch wie d o r t das Gericht ü b e r t r a g e n wird. 313 sagt Jesus von sich: „Niemand ist in den Himmel hinaufgestiegen außer dem, der vom Himmel herabgestiegen ist, der Menschensohn, der im Himmel ist". Die letzten Worte (o mv 1 Es ist sehr beachtenswert, daß bereits in den doch wohl vorchristlichen Bilderreden des Henochbuches Kombinationen des „Menschensohnes" mit dem Gottesknecht des Deuterojesaja vorliegen. Hen 464 = Jes 5215, Hen 484 = Jes 426 496, aber auch mit weiteren atlich messianischen Aussagen, Hen 463 = Jes 96 l l 3 f f Jer 235 3315 Sach 99 Ps 72. Hat Jesus die Bilderreden gekannt ? Liegen derartige Kombinationen bei einem bestimmten messianischen Verständnis nahe? S. auch Feine, Jesus, S 183ff.
D e r Menschensohn
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lv tu} otyavoj) gehören der abendländischen Überlieferung a n u n d f e h l e n in den ägyptischen T e x t zeugen. I m inneren Gefüge der johanneischen Überlieferung h a b e n sie t r o t z d e m eine feste Stelle, d e n n sie korrespondieren m i t 118 (o cor eis tov xoXnov rov Tiarooe) u n d sprechen d e n G e d a n k e n aus, d a ß der Menschensohn d a u e r n d im H i m m e l ist, in welcher E x i s t e n z f o r m er sich a u c h bef i n d e . J e s u s spricht hier v o n himmlischen Dingen, die v o n d e n J u d e n n i c h t g e g l a u b t w e r d e n , u n d die er doch k u n d zu m a c h e n f ä h i g ist, d a n i e m a n d a u ß e r i h m , d e m Menschensohn, d e r j a a u c h v o m H i m m e l herabgestiegen ist, in den H i m m e l hinaufgestiegen ist u n d bleibend ein Sein im H i m m e l f ü h r t . I s t S u b j e k t der Aussage hier der Menschensohn, so ist es in der P a rallele 1628 der S o h n : „ I c h b i n v o m V a t e r ausgegangen u n d in die W e l t g e k o m m e n ; w i e d e r u m verlasse ich die W e l t u n d gehe z u m V a t e r " . Mit der Selbstbezeichnung „ M e n s c h e n s o h n " im Unterschiede v o n „ S o h n " will J o h 313 sagen, d a ß er der einzige Mensch ist, der in dieser d a u e r n den V e r b i n d u n g m i t dem H i m m e l steht, d a ß er also als Menschensohn göttliches Wesen h a t . Diesen G e d a n k e n f ü h r t 14 w e i t e r : „ U n d gleichwie Mose die Schlange in der W ü s t e e r h ö h t h a t , also m u ß der Menschensohn e r h ö h t w e r d e n " {byujd-rjvca Sei). „ E r h ö h e n " ist hier in dem D o p p e l sinn der E r h ö h u n g ans K r e u z u n d der E r h ö h u n g in d e n H i m m e l g e b r a u c h t . J e s u s h a t als Menschensohn die A u f g a b e , d u r c h d a s Kreuzesleiden z u r himmlischen E r h ö h u n g d u r c h z u d r i n g e n , d a m i t er allen a n ihn Gläubigen das ewige Leben geben k a n n . Hier t r i t t die messianische B e d e u t u n g des A u s d r u c k s zutage, a u c h dies, d a ß der Begriff des Menschensohns Niedrigkeit u n d E r h ö h u n g seines Trägers in sich schließt. E s ist gewiß n i c h t zufällig, d a ß im vierten E v a n g e l i u m d a s W o r t „ e r h ö h e n " (ixpovv) n u r im Z u s a m m e n h a n g v o n Stellen g e b r a u c h t wird, wo v o m Menschensohn die R e d e i s t ; so 828 u n d 1232. Der eben angegebene Doppelsinn des W o r t e s „ e r h ö h e n " d ü r f t e a u c h 828 zu seiner A n w e n d u n g g e f ü h r t h a b e n . Aber der G e d a n k e der himmlischen E r h ö h u n g ist doch der durchschlagende, wie schon 314, f e r n e r 1232 u n d weiterhin d a r a u s ersichtlichwird, d a ß n a c h 1223: „Die S t u n d e ist gekommen, d a ß der Menschensohn v e r k l ä r t w e r d e " u n d 1331: „ J e t z t ist der Menschensohn v e r k l ä r t " das „ e r h ö h t w e r d e n " Parallelbegriff v o n „ v e r k l ä r t w e r d e n " (So^ao&rjvai) ist. 1234 ist n o c h deutlicher e r k e n n b a r , d a ß „ M e n s c h e n s o h n " irgendwie als messianische W ü r d e b e z e i c h n u n g J e s u angewendet wird. N u r v e r s t e h t das Volk n i c h t , wie d e m Messias-Menschensohn erst n o c h eine E r h ö h u n g zuteil w e r d e n müsse. N a c h 935 v e r l a n g t J e s u s v o n dem Blindgeborenen — vorausgesetzt, d a ß hier wirklich „Mens c h e n s o h n " u n d n i c h t : „ S o h n G o t t e s " zu lesen ist — G l a u b e n a n sich als den MenschensohnMessias. A u c h 627: „ W i r k e t n i c h t die vergängliche Speise, sondern die Speise, die d a bleibt i n das ewige L e b e n hinein, welche e u c h der Menschensohn geben w i r d " e r h e b t J e s u s m i t der Selbstbezeichnung „ M e n s c h e n s o h n " d e n messianischen A n s p r u c h , im Unterschied v o n der S u c h t des Volkes n a c h Irdisch-Materiellem eine göttliche Speise zu geben. A b e r er t u t das im A u f t r a g des Vaters, als messianisches W e r k , als einer, der wirklich solche ins ewige L e b e n reichende Speise d a r z u b i e t e n h a t . W i r d 653 g e f o r d e r t : „ W e n n ihr n i c h t esset das Fleisch des Menschensohnes u n d t r i n k e t sein B l u t , so h a b t ihr n i c h t Leben in euch s e l b s t " , so s t e h t einerseits hier gewiß n i c h t ohne Absicht die Selbstbezeichnung „Menschensohn", wo es sich u m ein Essen v o n e t w a s I r dischem (Fleisch u n d B l u t ) h a n d e l t . Die irdisch-menschliche P e r s o n J e s u m u ß angeeignet w e r d e n . U n d doch ist das Heilsgut, welches d u r c h solches Essen u n d T r i n k e n v e r m i t t e l t wird, göttliches Leben. Also k a n n die Aneignung des irdischen J e s u s doch n i c h t der eigentliche G e d a n k e sein. D e n Schlüssel bietet der Evangelist aber auch selbst, 662 f, u n d hier g e b r a u c h t er a u c h den Ausd r u c k „ M e n s c h e n s o h n " n o c h einmal. D e m Anstoß, den die Z u h ö r e r a n der F o r d e r u n g des E s s e n s u n d T r i n k e n s seines Fleisches u n d Blutes g e n o m m e n h a b e n , begegnet er m i t der F r a g e : „ W e n n ihr n u n d e n Menschensohn sehet hinaufsteigen, wo er f r ü h e r w a r ? " U n d n u n e r k l ä r t er, d a ß d e r Geist das Lebenspendende sei, das Fleisch nichts n ü t z e . Seine W o r t e sind Geist u n d L e b e n , u n d die Speise, die er d a r b i e t e t , sein Fleisch u n d B l u t , ist r e c h t v e r s t a n d e n a u c h Geist u n d L e b e n . So bleibt n o c h eine Stelle übrig, 151: „ I h r werdet d e n H i m m e l g e ö f f n e t sehen, u n d die E n g e l Gottes h i n a u f - u n d herabsteigen auf den M e n s c h e n s o h n " 1 . Der G e d a n k e ist, d a ß J e s u s als d e r Menschensohn in d a u e r n d e r V e r b i n d u n g m i t G o t t s t e h t , u n d die Engel diese V e r b i n d u n g v e r m i t t e l n . D a s Doppelseitige t r i t t also zutage, die Menschheit J e s u u n d seine innere E i n h e i t m i t G o t t , welche d u r c h sein Menschsein nicht u n t e r b r o c h e n w i r d .
Nach dem Gesagten versteht Johannes den N a m e n Menschensohn nicht wie Barn 12io Ign ad Eph 202 und seitdem die Kirchenväter als Bezeichnung der Menschheit Jesu im Gegensatz zu seiner Gottheit (s. S 56) 2 , sondern auch bei ihm liegt in demselben die Doppelseitigkeit der irdischen, menschlichen Niedrigkeit und der zukünftigen himmlischen Macht und Herrlichkeit. Bei Johannes wird 3i3 6 62 auch 1 S. j e t z t Windisch, Z N W 1931, S 215ff. . 2 Ähnlich W L ü t g e r t , Die johanneische Christologie, ' S 7 3 : „ D i e beiden parallelen N a m e n : Sohn Gottes u n d Sohn des Menschen werden in ganz paralleler A r t im J o h a n n e s e v g e b r a u c h t . Wie J o h m i t der einen messianischen Bezeichnung die A b k u n f t J e s u v o n G o t t a u s d r ü c k t , so sucht er in der a n d e r n einen Hinweis auf seine A b s t a m m u n g v o m M e n s c h e n " , u n d a u s f ü h r l i c h e r b e g r ü n d e t 2 S 127.
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Die L e h r e J e s u n a c h der D a r s t e l l u n g der Evangelien
die Präexistenzvorstellung m i t einbezogen. D e r N a m e ist in Beziehung gesetzt z u m Todesleiden u n d der darauffolgenden Erhöhung, u n d i m m e r schlägt durch der gottheitliche A n s p r u c h , d e n J e s u s m i t dieser B e z e i c h n u n g e r h e b t . E s begegnet bei J o h a n n e s ein weniger mannigfaltiger G e b r a u c h dieser Selbstbezeichnung J e s u . I n dessen ist die A n k n ü p f u n g a n die danielische W e i s s a g u n g a u c h hier deutlich. 6. D e r G e b r a u c h des N a m e n s in der ältesten chrisllichcn L i t e r a t u r . Die Bezeichn u n g J e s u als M e n s c h e n s o h n k o m m t i m N T a u ß e r in d e n s y n o p t i s c h e n E v a n g e l i e n u n d d e m J o h a n n e s e v a n g e l i u m n u r noch an einer Stelle v o r . S t e p h a n u s r u f t i m Zus t a n d e d e r V e r z ü c k u n g v o r d e m H o h e n R a t a u s : „ S i e h e , ich sehe die H i m m e l o f f e n u n d d e n M e n s c h e n s o h n s t e h e n z u r R e c h t e n G o t t e s " A p g 755. H i e r w i r d o f f e n b a r a u f d a s W o r t J e s u v o r d e m H o h e n R a t M t 2664 M k 1462 L k 2269 B e z u g g e n o m m e n . S t e p h a n u s s i e h t Jesus in d e m M o m e n t , w o e r s e i n e V e r u r t e i l u n g z u e r w a r t e n h a t , als W e l t r i c h t e r u n d W e l t h e r r s c h e r , wie er zu k o m m e n v e r h e i ß e n h a t 1 . Aber zu den direkten Zeugnissen der Evangelien u n d der Apostelgeschichte f ü r J e s u B e n e n n u n g „ M e n s c h e n s o h n " t r e t e n indirekte hinzu. A u c h die A p o k a l y p s e , der Hebräerbrief u n d Paulus h a b e n Jesus u n t e r diesem N a m e n gekannt2. Apk 113 u n d 1414 heißt J e s u s zwar nicht der Menschensohn, aber es wird v o n ihm u n t e r dem Bilde des Menschensohnes gesprochen. Auch diese christliche Apokalypse bietet also einen Beweis d a f ü r , d a ß die A n w e n d u n g des danielischen „Menschen" auf die Person des Messias n a h e genug lag. Die Anlehnung an Daniel ist offensichtlich. Denn 1414 sieht der Seher eine weiße Wolke u n d auf dieser einen Ähnlichen einem Menschensohn (S/u,oiov v'iov äv&gwTtov) sitzen; 113 sieht er i n m i t t e n der sieben Leuchter einen Ähnlichen einem Menschensohn (6/ioiov v'iov avd'^cinov). Dieser Menschensohn wird aber d a n n geschildert m i t Zügen, die u n s bei dem H o c h b e t a g t e n des Daniel begegneten: das H a u p t u n d die H a a r e weiß wie weiße Wolle, wie Schnee, u n d seine Augen wie eine F e u e r f l a m m e , u n d seine Füße gleichwie im Ofen geglühtes Erz. E s wird also hier der Menschensohn gleichgesetzt m i t dem H o c h b e t a g t e n , oder besser: der Menschensohn wird auf die gleiche S t u f e m i t dem H o c h b e t a g t e n gestellt, seine volle Gottheit wird b e t o n t . D a s geschieht vielleicht in Anlehnung an den L X X - T e x t . W ä h r e n d nämlich hier der T e x t des Theodotion m i t dem hebräischen Texte geht, h a t L X X : „ I c h sah in d e m Nachtgesichte, u n d siehe, auf den Wolken des Himmels k a m wie ein Menschensohn, u n d wie der Alte der Tage war er, u n d die dabeistehenden (Engel) waren bei i h m " 3 . Der Hebräerbrief zitiert 2eff z u m Beweise, d a ß G o t t dem Sohn die z u k ü n f t i g e W e l t u n t e r worfen habe, P s 85—7: „ W a s ist der Mensch (äv&gconog), d a ß d u seiner gedenkest, oder der Menschensohn (yiös äv&ffioTcov), d a ß d u auf ihn achtest ? D u h a s t ihn eine kurze Zeit u n t e r die Engel erniedrigt; m i t Herrlichkeit u n d Ehre h a s t d u i h n gekrönt, alles h a s t d u u n t e r seine F ü ß e g e t a n " . Diese Stelle wendet der Hebräerbrief 2sf auf J e s u Todesleiden sowie seine gegenwärtige u n d z u k ü n f t i g e Herrlichkeit an. I n der messianischen D e u t u n g v o n Ps 8 ist er aber n i c h t original, sondern h a t darin P a u l u s in einer gleich zu besprechenden Stelle als Vorgänger, j a sogar J e s u s selbst, Mt 21i5f, vgl S 6 2 f . I m Hebräerbrief d ü r f e n wir aber einen Schritt weiter gehen als dies betreffend die messianische D e u t u n g dieses P s a l m s auf die eigne Person bei J e s u s möglich war, denn dieser Brief h a t a u c h die N a m e n „ M e n s c h " u n d „Menschensohn" offensichtlich messianisch auf J e s u s gedeutet. P a u l u s b e h a u p t e t I K o r 1525, Christus müsse herrschen, bis er alle Feinde niedergeworfen habe. Diesen, P s 1101 e n t n o m m e n e n Gedanken beweist er 27 m i t dem Z i t a t P s 8 7 : „ G o t t h a t alles u n t e r seine F ü ß e g e t a n " , u n d erläutert dies P s a l m w o r t in d e m Midrasch 27f. A u c h er l ä ß t also P s 8 an den Messias gerichtet sein, k e n n t also J e s u messianische H e r r s c h a f t als „ M e n s c h " u n d „Menschensohn". I n demselben K a p i t e l aber ist noch eine weitere Stelle, welche als Anspielung auf J e s u s als „ d e n M e n s c h e n " v e r s t a n d e n werden m u ß 4 . Der Apostel sagt I K o r 1545 bis 47: „ E s w u r d e der erste Mensch A d a m zur lebendigen Seele, der letzte A d a m z u m lebenspendenden Geist. Aber nicht ist das erste das P n e u m a t i s c h e , sondern däs Psychische; d a n n d a s Pneumatische. D e r erste Mensch ist von der E r d e , irdisch, der zweite Mensch v o m H i m m e l " . E r polemisiert also gegen die A n s c h a u u n g , d a ß der erste Mensch der pneumatische sei. D a m i t 1 Ein ähnliches Zeugnis legte n a c h Hegesipp bei Eusebius K G 1125 J a k o b u s der Gerechte v o r dem Volk a b : „ W a s f r a g t ihr m i c h über Jesus, den Sohn des Menschen? Sitzt er doch im Himmel zur R e c h t e n der großen K r a f t , u n d wird k o m m e n auf den Wolken des H i m m e l s " . A u c h er wird infolge dieses Bekenntnisses v o n den P h a r i s ä e r n u n d Schriftgelehrten getötet. 2 Vgl hierzu P W S c h m i e d e l , P r M h 1898, S 260ff. 3 e&tuigovv EV ¿)ndfiaiL rfje vvxiösy xat lSov eizi x&v vefpeXcöv rov oroajoi: tbs viös av&gcbTiov i.oytio, xai tbs 7raXaibs 7j/u£(.wv n a n f v 1 xal oi TiageorrjxoTes Tictcroai' ar kü. Siehe Baldensperger, D a s Selbstbewußtsein J e s u im Lichte der messianischen H o f f n u n g e n seiner Zeit, 2 1892, S 134ff. 4 Vgl Clemen, Religionsgesch. E r k l . 2 S 6 8 f f , Billerbeck I I I , S 477ff.
Der Menschensohn
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weist er doch wohl die Lehre vom himmlischen Urmenschen ab, welche zu seiner Zeit und auch ihm selbst bekannt gewesen sein muß. Stellt er dagegen die These auf: „der zweite Mensch ist vom Himmel", und versteht er unter diesem zweiten Menschen den pneumatischen Christus, so gibt er dem Messias das Prädikat „zweiter Mensch". Im Judentum begegnet „zweiter Mensch" als Messiasbezeichnung erst in späteren rabbinischen Schriften. Da sie aber bereits von Paulus, und im zweiten Jahrhundert auch von den Ophiten verwendet wird, ist sie wohl altes, bereits vorchristliches Theologumenon der Rabbinen. Nennt Paulus nun diesen zweiten Menschen „vom Himmel kommend" 47, oder „den himmlischen Menschen" 48, so liegt in der Tat eine Bezugnahme auf den danielischen, auf den Wolken des Himmels kommenden, also himmlischen Menschen nahe 1 . Daher wird man aber auch die beiden weiteren Stellen, in denen der Apostel Adam und Christus als die beiden Menschheitshäupter einander gegenüberstellt, nicht ohne Bezug auf die Menschensohnvorstellung denken können. Nach I Kor 1520—22 ist durch einen Menschen, Adam, der Tod, durch einen Menschen, Christus, Auferstehung der Toten gekommen. Im Verfolg dieser Stelle begegnet aber gerade die Anwendung des Zitats Ps 87, wonach Gott alles unter die Füße des Menschenkindes getan hat, auf Christus. Das ist schwerlich zufällig. Auch in der Parallele zwischen Adam und Christus Rom 5 1 2 — 1 9 heißt Adam 14 „Typus des zukünftigen" (Menschen), und 15 wird die MenschUeit Jesu stark hervorgehoben. Auch hier ist Christus wie I Kor 1 5 4 5 — 4 7 f f das zweite, nicht das erste Haupt der Menschheit. Indessen, Paulus hat in seinen Briefen den Namen „Menschensohn" in der Anwendung auf Jesus direkt nicht gebraucht. Dafür hatte er freilich sehr triftige Gründe. Er schrieb für Griechen, und diese hätten in dem Ausdruck „der Sohn des Menschen" oder auch „Menschensohn" das „Sohn" als betont gehört. Dieser Name hätte also für ihr Ohr die menschliche Abstammung Jesu hervorgehoben, während Paulus die menschliche Seite Jesu nur als Durchgangsstufe zum Zweck der Erlösung der Menschheit wertet. Ihm ist Christus zuerst und hauptsächlich „Sohn Gottes", und zwar schon vor seinem Erdendasein Rom 13 4. Jesus aber im Zustand der Erhöhung „Menschensohn" zu nennen, konnte dem Apostel nicht zutreffend erscheinen; aber gerade für diese Existenzform Christi brauchte Paulus eine Bezeichnung, da in seiner Christologie die Postexistenz Christi im Vordergrund stand. Daher nennt er ihn so häufig „den Herrn" (o XVQIOQ) 2. Der gleiche Grund wie für Paulus war auch für die weitere griechisch-christliche Literatur ein Hindernis des Gebrauchs des Namens Menschensohn. Der Name wäre mißverstanden worden. Die Kirche arbeitete, von Paulus und Johannes angefangen, viel stärker die göttliche als die menschliche Seite an der Person Jesu heraus. Daher ist es aber von Belang, daß doch Barn 12io, Ign ad Eph 202, Marcion, Justin, die Ophiten, die Yalentinianer, Hegesipp, Irenäus usw. Jesus als Menschensohn kennen. Es schließt sich somit der Ring des Beweises, daß die älteste Kirche in den ntlichen und an das NT angrenzenden Zeiten diesen messianischen Namen gekannt hat. Nehmen doch auch solche Personen des apostolischen und nachapostolischen Zeitalters Bezug auf ihn, denen ihr theologisches Verständnis Christi hinderlich war, sich dieses Namens Christi zu bedienen. 5. Der Davidssohn GDalman, S 260—266. WWrede, Jesus als Davidssohn, Vorträge und Studien, 1907, S 147 bis 177. JLeipoldt, War Jesus Jude? 1923. HGreßmann, Der Messias, 1929, S 232ff. Billerbeck I S 6ff. ThW s. v. Z/AVÜS. In der Erzählung von der Blindenheilung Mt 2029—34 Mk 1046—52 Lk 1835—43 berichten alle drei Synoptiker, daß der am Wege sitzende Blinde Jesus als „Sohn Davids" um Hilfe angerufen habe Mt 30 Mk 47 f Lk 38 f. Beim Einzug in Jerusalem 1 Tülmann, S 173. 2 In gewisser Hinsicht analog ist das Verhalten des Apostels dem synoptischen Begriff „Gottesreich" gegenüber. In der Synopse ist derselbe einer der Zentralbegriffe, in der paulinischen Literatur begegnet er nur etwa ein Dutzend mal, und nicht in zentralen Aussagen. So wenig man nun aus diesem spärlichen Gebrauch bei Paulus einen Beweisgrund gegen die Geschichtlichkeit dieses Begriffs in der synoptischen Verkündigung Jesu schmieden darf, so wenig gilt das von der Stellung des Paulus zu Jesus, dem Menschensohn. F e i n e : Theologie, 8. Aufl.
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Die Lehre Jesu nach der Darstellung der Evangelien
Mt 21i—11 Mk Iii—11 L k 1929—38 begrüßen die Yolksmassen J e s u s nach Mt 9 mit dem Jubelruf: „ H o s a n n a dem Sohne Davids! Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn, Hosanna in der H ö h e ! " Mk »f überliefert zwar nicht die Anrede J e s u als „ S o h n D a v i d s " , aber auch er spricht mit Anlehnnug an I I S a m 7is von dem mit J e s u s gekommenen davidischen Reich. Bei Lukas lautet der Zuruf allgemeiner 38: „Gepriesen sei der König im Namen des Herrn. Im Himmel sei Friede, und Ehre in der H ö h e ! " In Stoffen, -wo die andern Synoptiker keine Parallele bieten, läßt Matthäus Jesus als Davidssohn begrüßen auch durch die beiden Blinden 927, durch das kananäische Weib 1522, durch die Kinder im Tempel 21is, und nach 1223 fragen die Volksmassen: „Dieser ist doch nicht der Sohn Davids ? " Auch wenn uns nichts anderes als diese evangelische Überlieferung zu Gebote stände, würden wir aus ihr erschließen müssen, daß „ D a v i d s S o h n " ein Prädikat des Messias gewesen ist. Denn die J e s u s beim Einzüge in Jerusalem zujubelnden Volksmassen huldigen ihm als dem Messias, und damit ist für sie selbstverständlich, daß er aus Davids Stamm ist. Auch der Blinde vor Jericho erwartet Heilung von J e s u s nicht als dem Nachkommen Davids, sondern'als dem Messias. Ebenso liegt in dem Anruf des kananäischen Weibes Mt 1522 jegliche Anspielung auf J e s u Genealogie fern, und auch die Frage der Volksmassen, ob J e s u s nicht der Sohn Davids sei, gilt ohne Zweifel der Messianität J e s u . Die synoptischen Evangelien bestätigen also auch ihrerseits die jüdische Erwartung eines Davididen als Messias. Diese Erwartung geht zurück auf die II Sam 7l6 dem davidischen Hause gegebene Verheißung: „Dein Königshaus soll für immer vor mir Bestand haben, dein Thron soll für alle Zeiten feststehen", und liegt den messianischen Weissagungen der Propheten Jesaja, Micha, Jeremia, Ezechiel und Sacharja zugrunde. So findet sich in der ntlichen Zeit erstmalig in den Psalmen Salomos 1723 „Sohn Davids" als messianische Bezeichnung, die seitdem in der jüdischen Literatur häufig begegnet, besonders in der Wendung „der Sohn Davids k o m m t " D i e jüdische Theologie zweifelte natürlich nicht daran, daß der Messias tatsächlich aus keinem andern als dem davidischen Geschlecht hervorgehe; das ist ihr ein Dogma, nicht Gegenstand historischer Untersuchung. Als die Weisen aus dem Morgenland den König Herodes nach dem neugeborenen König der Juden fragen, läßt Herodes nicht in seinem Reiche nachforschen, wo das Messiaskind geboren sei, sondern er versammelt die Schriftgelehrten und legt ihnen die Frage vor: „Wo wird der Christus geboren ? " , und auf Grund von Mich 5l geben die Schriftgelehrten die Antwort. Auch Joh 742 wird die Messianität Jesu von Nazareth bestritten durch den Einwand: „ H a t nicht die Schrift gesagt: aus dem Samen Davids und aus dem Flecken Bethlehem, wo David war, kommt der Messias ? "
Wie steht es nun mit J e s u Davidssohnschaft ? Die biblisch-theologische Untersuchung über diese Frage muß von der evangelischen Erzählung Mt 2241—46 Mk 1235 bis 37 L k 2041 —44 ausgehen. Denn hier hat Jesus diese Frage vor seinen hierarchischen Gegnern zum Gegenstand der Erörterung gemacht. Nirgends sonst geht er auf diese Frage ein 2 . J e s u s will in dieser Auseinandersetzung die Gegner auf das Unzureichende der Erwartung eines davidischen Messias hinweisen und ihnen zeigen, daß schon das A T einen Messias verkündige, dem höhere Würde zukomme als Davidssohnschaft, nämlich Gottheit. Denn Gott läßt dem Messias durch David Anteil an der Weltherrschaft weissagen. Zugleich ist von Jesus abgelehnt worden die Erwartung eines Königs an der Spitze eines irdischen Reiches, wie die Pharisäer den Messias dachten. Denn die Psalmstelle spricht von dem apokalyptischen Kommen des Reiches nach Niederwerfung aller feindlichen Mächte auf Erden. E s scheint auch, daß die Schriftgelehrten Jesus verstanden haben, aber daß sie ihm nicht antworten w o l l t e n . Denn sie kannten J e s u messianische Ansprüche. Hier aber hat er ihnen seine Auffassung von der messianischen Würde zwar deutlich vor Augen geführt,, aber in Form einer von ihnen zu beantwortenden Frage. Sie selbst hätten sagen müssen, daß allerdings auch nach ihrer Dogmatik der Davidssohn den König David 1 Dalman, S 260f. FWeber, Jüdische Theologie 2 S 354ff. 2 Auch nicht J o h 742, wo die Rede einiger aus dem Volke: „ H a t nicht die Schrift gesagt, daß aus dem Samen Davids und von Bethlehem, dem Flecken, wo David war, der Christus, k o m m t ? " Veranlassung hätte geben können.
Der Davidssohn
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a n W ü r d e w e i t überrage; aber diese Hoheitsprädikate wollten sie auch indirekt J e s u s nicht zugestehen. A u f andere Weise ist ihr Schweigen schwerlich zu erklären 1 . W i e h a t sich also J e s u s zur D a v i d s s o h n s c h a f t des Messias g e s t e l l t ? H ä l t er sich selbst für einen D a v i d i d e n ? A u f die zweite Frage gibt er ü b e r h a u p t keine A n t w o r t , u n d die erste Frage scheint für i h n v o n geringer B e d e u t u n g gewesen z u sein, da sie das eigentliche Wesen des Messias, wie er es verstand, nicht zum Ausdruck brachte. Jesus h a t sich beim E i n z u g in Jerusalem die H u l d i g u n g des Volkes als D a v i d s s o h n öhne Widerspruch gefallen lassen. A u c h in unserer Erzählung sagt er nicht, d a ß er nicht D a v i d s s o h n sei. D a h e r scheint mir die Schlußfolgerung aus unserer Stelle, Jesus lehne die D a v i d s s o h n s c h a f t ab, über das Ziel hinaus zu schießen. Andererseits unterscheidet Jesus doch auch nicht so: der Messias ist D a v i d s Sohn, also i h m unterstehend, w e n n er in diesem A e o n wirkt, aus irdischem Geschlecht geboren, aber D a v i d s Herr beim Anbruch des z u k ü n f t i g e n Aeons. D e n n an unserer Stelle ist v o n diesem Gegensatz der beiden A e o n e überhaupt nicht die Rede. W o h l aber ist zu urteilen, d a ß die atliche Weissagung v o m Messias als D a v i d s s o h n für Jesus zurücktritt hinter der v o m danielischen Menschensohn u n d v o m leidenden G o t t e s k n e c h t des Jesaja. D a h e r ist es auch gewiß unrichtig zu v e r m u t e n , d a ß das B e w u ß t s e i n der D a vidssohnschaft i h m bei der E n t w i c k l u n g seines Selbstbewusßteins die w i c h t i g s t e n Führerdienste geleistet h a b e n w e r d e 2 . J e s u messianisches B e w u ß t s e i n h a t seine Wurzeln allein in seinem einzigartigen religiös-ethischen Verhältnis zu Gott. Die evangelische Perikope vom Davidssohn ist alsbald in der christlichen Theologie bedeutungsvoll geworden und klingt vielleicht auch in der jüdischen Theologie nach. Die älteste Bezugnahme auf sie finden wir in der Petrusrede am Pfingstfest Apg 234f. Dort wird Ps 1101 auf den erhöhten Christus angewendet, und zwar im Gegensatz zu David, der doch nicht zum Himmel emporgestiegen sei. Aber diese Rede des Petrus ist f ü r unsere Frage auch noch in anderer Hinsicht bemerkenswert. In ihr wird Jesus Davids leiblicher Nachkomme genannt 30, ohne daß es Petrus die geringste Schwierigkeit machte, Jesus den Davididen nunmehr als den Gott gleichen Herrn und Herrscher zu betrachten. Ferner hat Petrus die Frage Jesu an die Schriftgelehrten betreffend die Davidssohnschaft des Messias nicht so verstanden, als ob Jesus die Abstammung von David ablehne, sondern er kombiniert Jesu Davidssohnschaft und die Herrscherstellung des erhöhten Jesus auch über David. Anders ist das Verständnis von Ps 1101 in Iiebr 113. Hier wird, ebenso wie I Klem 365 in der Nachfolge des Hebräerbriefes, das Wort: „Setze dich zu meiner Rechten" usw. als Anrede an den „Sohn", d. h. den Sohn Gottes gefaßt. Hebr und I Klem haben also die Stelle im gleichen Sinne verstanden wie Matthäus. Auch nach Barn 1210 f drückt Ps 1101 einen Gegensatz gegen die Davidssohnschaft Jesu aus. So heißt Jesus denn in Did 106 Vielleicht kann man auch folgende Stelle einfach: „der Gott Davids" ( w o a v v ä rq> i Jecö Javib). im Jalkut Schimeoni als Anspielung auf Mt 2241—46 par deuten: „Künftig wird Gott den Messias zu seiner Rechten sitzen lassen, wie geschrieben steht: ,Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten!' Abraham aber wird sitzen zu seiner Linken. Da wird Abrahams Angesicht erblassen in Scham, und er wird sagen: Der Sohn meines Sohnes sitzt zu deiner Rechten, und ich sitze zu deiner Linken. Gott aber wird ihn besänftigen und zu ihm sagen: Der Sohn deines Sohnes sitzt zu meiner Rechten, und ich sitze zu deiner Rechten". Denn es wird auch hier der Einwand behandelt, daß der Messias über den Ahn erhöht wird. Aus dem Gesagten ist ersichtlich, daß Ps 11 Ol vielfach auf den Messias gedeutet, aber keineswegs einheitlich verstanden worden ist. Die Davidssohnschaft des Messias ist nach den einen mit Ps 1101 wohl verträglich, nach andern weist die Stelle vielmehr auf Jesu Gottessohnschaft. D i e ganze apostolische Kirche lehrt Jesu D a v i d s s o h n s c h a f t : Mt I i 20 Lk I27 32 69 24 11 A p g 230 1323 R o m 13 I I T i m 2s Hebr 7i4 A p k 5s 22ie, u n d ausdrücklich stellen die beiden S t a m m b ä u m e Jesu Mt Ii—17 u n d Lk 323—38 die A b k u n f t J e s u v o n D a v i d durch die Manneslinie, durch Josef fest. D a b e i ist es v o n geringer B e d e u t u n g , d a ß Mt l i 6 w i e Lk 323 den fleischlichen Zusammenhang J e s u m i t Josef ausschließen. D e n n i n d e m Josef Maria heiratete, n a h m er den Jungfrauensohn i n sein Geschlechts1 Daß der Sohn Davids nämlich über seinen Vater David erhöht sei, ist der jüdischen Theologie weder unbekannt, noch ist es f ü r sie eine Schwierigkeit. Kolbo, Ausgabe Venedig 1547 f 137 a sagt: „Es kommen die Väter der Welt (die Patriarchen) und alle zehn Stämme Israels, wie auch Noah, Mose, Ahron, D a v i d und Salomo, samt allen Königen von Israel und von dem Hause Davids, an jedem zweiten und fünften Tage der Woche, sowie an jedem Sabbat und Feiertage zu ihm (dem Messias) und weinen mit ihm und sprechen zu ihm: Schweige still und verlasse dich auf deinen Schöpfer, denn das Ende ist nahe" Weber, S 355. Also auch David ist nach diesen Rabhinen des Mittelalters unter den Vätern, welche zum Messias als dem Höheren kommen. 2 FSpitta, Streitfragen der Geschichte Jesu, 1907, S. 171. 6*
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Die Lehre Jesu nach der Darstellung der Evangelien
register auf. D a n a c h hat J e s u s rechtlich als D a v i d i d e zu gelten, w e n n Josef d e m königlichen Geschlecht e n t s t a m m t e 1 . D i e S t a m m b ä u m e des M a t t h ä u s u n d L u k a s w e i c h e n aber stark voneinander ab. Matthäus h a t v o n Abraham bis Jesus 42 Generationen ( 3 x 1 4 ) , Lukas 56; Matthäus leitet das Geschlecht J e s u v o n D a v i d über Salomo u n d die königliche Linie, während Lukas den S t a m m b a u m über eine Seitenlinie, D a v i d s S o h n N a t h a n , f ü h r t ; schon der Großvater J e s u ist bei beiden verschieden, n a c h M a t t h ä u s hieß er J a k o b , nach Lukas Eli. Eine feste Genealogie h a t in B e zug auf die Familie J e s u also jedenfalls nicht bestanden, wohl aber die Uberlieferung ihrer d a v i d i s c h e n A b s t a m m u n g . I m zweiten Jahrhundert ist n a c h H e g e s i p p bei Eusebius, Kirchengeschichte I I I 19 2 0 i f die davidische A b s t a m m u n g der V e r w a n d t e n des Herrn (äeojioavvoi) bei i h n e n wie ihren F e i n d e n anerkannt. A u c h Julius Afrik a n u s bei E u s e b i u s I 7 u erzählt v o n genealogischen Traditionen in B e z u g auf die Familie Jesu. Alles in allem g e n o m m e n ist nach dem Gesagten doch das wahrscheinlichste, d a ß J e s u s durch seine A u f n a h m e in das Geschlecht Josefs als D a v i d i d e gerechnet w e r d e n m u ß . D i e Gemeinde h a t es b e h a u p t e t , u n d Widerspruch wird i m Bereich des N T s n i c h t erhoben. A u c h Paulus h a t in seiner vorchristlichen E p o c h e , w o er das j u n g e Christentum u n d seinen Stifter auf das bitterste verfolgte, diese christliche Überlieferung, wie es scheint, n i c h t beanstandet. D i e Auseinandersetzung J e s u aber m i t d e n Schriftgelehrten, ob der Messias der Sohn D a v i d s sei, ist gegen die leibliche A b s t a m m u n g gleichgültig. Sie h a n d e l t nur v o n d e m messianischen Titel u n d beabsichtigt nachzuweisen, daß dieser Titel den I n h a l t des persönlichen u n d Berufsbewußtseins J e s u n i c h t wiedergebe.
5. K a p i t e l
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Bei Matthäus begegnet sie nur einige Male, er sagt m e i s t e n s „das R e i c h der H i m m e l " oder „ H i m m e l r e i c h " (tj ßaaiXela rœv ovoavdjv). D a n e b e n k e n n e n die E v a n gelien einige v e r w a n d t e Bildungen mit dem Begriff „ R e i c h " , oder sie gebrauchen denselben absolut. Markus gebraucht 14 mal den Ausdruck „das Reich Gottes". 1110 in der Erzählung vom Einzug Jesu in Jerusalem spricht er in einem Wort ohne Parallele bei Mt und Lk von dem „kommenden Reich unseres Vaters David". Auch Lk sagt fast immer, „das Reich Gottes". Nur zweimal gebraucht er den verkürzten Begriff „Reich", 1232 und 222». In Lk 2230 und 2342 wird von Jesu Reich gesprochen. Im Vaterunser lehrt Jesus beten: „Dein Reich komme" Lk 112, ebenso Mt 610. Bei Mt begegnet der Ausdruck „Das Reich Gottes" nur 1228 1 924 2131 43, dagegen 32 mal „das Reich der Himmel". 2629 sagt Jesus: „in dem Reiche meines Vaters"; 1343 wird von dem Reiche des Vaters der Söhne Gottes gesprochen, 2021 vom Reiche Jesu ( = Mk 1037 „in deiner Herrlichkeit"), 1341 und 1628 vom Reiche des Menschensohnes. Häufiger ist hier auch der absolute Gebrauch: „Sucht zuerst das Reich und seine (Gottes) Gerechtigkeit" 633, „das euch bereitete Reich" 2534, „die Söhne des Reichs" 812 1338, „das Evangelium vom Reiche" 423 935 2414 und „das Wort vom Reiche" 1319. Mit diesen Ausdrücken wird die atliche und jüdische Vorstellung von Gott als König und Gottes Königsherrschaft aufgenommen. Wenn vom „Reich" bisweilen ohne nähere Bestimmung gesprochen wird, so haben wir den Ausdruck wohl meist bereits als terminus technicus. „Das Evangelium vom Reiche", „das WoTt vom Reiche", „die Söhne des Reiches" sind schon abgeschliffene Bildungen. Jesus hat aber vom Reiche ohne Näherbestimmungen doch wohl auch sprechen können, wenn der Zusammenhang den Sinn außer Frage stellte, wie Mt 2534 Lk 2229f. In Mt 633 ist der Text unsicher. Auch von „seinem" Reiche konnte Jesus sprechen, da er sich zur messianischen Königsherrschaft berufen wußte. Und das jüdische Volk konnte das „Kommen des Reiches unseres Vaters David" verwirklicht sehen, wenn es in Jesu Einzug in Jerusalem den Anfang des von Jesus aufzurichtenden messianischen Reiches erblickte. Wie aber ist die Differenz des Ausdruckes „Reich Gottes" und „Reich der Himmel" zu erklären ? Die Markusüberlieferung gebraucht, wie wir sahen, durchgängig den Ausdruck „das Reich Gottes". Aus ihr ist er auch Mt 1924 ( = Mk 1025 Lk 1825) stehen geblieben. Aber auch die Redenquelle hat so überliefert. Dafür ist Mt 1228 = Lk 1120 Zeuge, auch Lk 620 728 1720f. Man kann „Himmelreich" aber auch nicht als Spezialität des ersten Evangelisten erklären. Denn nicht nur in dem von Mt allein überlieferten Gleichnis von den ungleichen Söhnen schreibt der Evangelist 2131 „das Reich Gottes", sondern ebenso 2143 in einem nach Ausweis der Parallelen Mk 12ll Lk 2017 erst von ihm herrührenden Zusatz. Andererseits ist aber auch Joh 35 „das Reich der Himmel" so stark bezeugt 1 , daß Tischendorf es in den Text aufgenommen hat, und das Hebräerevangelium hat im Wort vom Nadelöhr Mt 1924 auch „Himmelreich" (in regnum coelorum), wo bei Mt die Bezeugung f ü r „Reich Gottes" überwiegt. Wie in Jesu Anrede Gottes „mein 1 Durch N *, Justin, Doketen des 2. Jahrh., die dement. Homilien, Irenäus, Origenes, Tertullian u. a.
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himmlischer Vater" (s. S 18f 48), liegt in der Wendung „Himmelreich" bei Mt ein zeitgenössischer Sprachgebrauch vor. Begegnet doch dieser Ausdruck ziemlich häufig in der talmudischen Literatur, die ihn natürlich nicht aus christlichen Quellen entlehnt hat, vgl ESchürer, J p r T h 1876, S 166 — 187, Dalman, S 75ff. „Himmel" ist im späteren Judentum ein gebräuchlicher Ersatz f ü r „Gott", dessen Name man sich auszusprechen scheute (vgl auch Lk 1518 2l). Daher redete man von einer „Königsherrschaft des Himmels" oder genauer „der Himmel" 1 . An eine Mehrzahl der sich übereinander aufbauenden Himmel dachte man dabei nicht. Das hebräische schamajim hat keinen Singular. Mt hat nun jedenfalls diesen Sprachgebrauch seiner Zeit aufgenommen, und darin kann er sich in der Nachfolge Jesu befinden. Mk und Lk hätten dann nur die gewöhnliche Ausdrucksweise erhalten. War doch auch der Ausdruck „Herrschaft der Himmel" nicht ohne weiteres f ü r griechische Leser deutlich. 2 . Die ätliche und jüdische Grundlage des Ausdrucks 2 . D a ß Gott K ö n i g u n d Herr ist, ist durchgehende A n s c h a u u n g i m A T . E i n ideales Reich unter einem D a v i d i d e n in der K r a f t J a h w e s ist altprophetische H o f f n u n g . A u c h die Erwartung wird v o n d e n P r o p h e t e n ausgesprochen, daß J a h w e in der E n d z e i t K ö n i g sein u n d über alle Völker herrschen wird. Aber die abstrakte B i l d u n g „Königsherrschaft G o t t e s " (malk u t jabwe) begegnet erst in späteren atlichen Schriften. D e r J u d e denkt die Königsherrschaft Gottes als etwas, was er auf sich n i m m t , i n d e m er sich dem Willen Gottes unterwirft. I m J u d e n t u m entwickelt sich aber auch mehr u n d mehr die Erwartung apokalyptischen Eingreifens Gottes zur Herstellung seiner Herrschaft. So ist i m Danielbuche „ R e i c h G o t t e s " ein apokalyptischer Begriff. A u s Daniel h a t J e s u s d e n Ausdruck „ R e i c h G o t t e s " entlehnt. Er ist zu J e s u Zeit i m J u d e n t u m ein b e k a n n t e r u n d geläufiger. Die Geschichte Israels und das ganze AT sind erfüllt von dem Glauben, daß Jahwe König und Herr Israels ist, und weiterhin, daß Jahwe über die ganze Welt gebietet, mag er seine Macht über die Völker auch noch nicht zur Durchführung gebracht haben. Als König wird Gott aber vorerst nur in Israel anerkannt, das er erwählt und dem er seinen Willen kundgemacht hat. Diese Vorstellung, daß Jahwe König ist, bewirkt die seit den Zeiten der Chronik stärker hervortretende Abstraktbildung vom „Königtum" oder der „Königsherrschaft" Gottes Obadja 21 Ps 10319 14511 ff Dan 244 Tob 132 Weish Sal 65 Ps Sal 174. Die Targume ersetzen häufig die atlichen Ausdrücke von Gott, dem König Israels, durch solche abstrakte Wendungen von Gottes Königsherrschaft. Indem Israel sich dem Willen Gottes unterwirft, nimmt es die Herrschaft Gottes auf sich. Das kommt in der jüdischen Literatur in sehr charakteristischer Weise zum Ausdruck. Der Proselyt, welcher das Gesetz annimmt, nimmt dadurch die Himmelsherrschaft auf sich. Das tägliche Lesen des Sch'ma, der Ermahnung zum Halten der göttlichen Gebote Deut .1113—21, mit der Rezitation von Deut 64—9 („Jahwe ist unser Gott", „Du sollst Jahwe, deinen Gott lieben von ganzem Herzen" usw) wird als ein stets wiederholtes „Aufsichnehmen des Joches der Gottesherrschaft" betrachtet 3 . Die Gottesherrschaft gehört also diesem Aeon an. Sie ist beschränkt dadurch, daß Israel unter Fremdherrschaft steht und die Völker die Gottesherrschaft nicht anerkennen. Aber beide Schranken werden nach Israels Erwartung fallen, und dann gilt nach Jehoschua ben Chananja (um 100 n. Chr.): „Es wird Gott einzig sein in der Welt, und seine Herrschaft wird währen immer und ewig". Das Gebet Kaddisch schließt mit dem Wunsch: „Gott richte auf seine Königsherrschaft bei eurem Leben und in euren Tagen und bei dem Leben des ganzen Hauses Israel in Eile und in naher Zeit". Also auf dieser Erde gebietet Gott als Herrscher. Von Transzendenz und Präexistenz der Gottesherrschaft ist in diesem Gedankenkreis nicht die Rede. Und das Königtum Gottes wird hier überall als sein Königsregiment, seine Königsherrschaft verstanden, nicht aber wird an ein Reich in unserem Sinne gedacht, in dessen räumlicher Ausdehnung der Wille Gottes herrscht. In den eben dargestellten Anschauungen tritt mehr die Seite hervor, daß der Mensch die Gottesherrschaft auf sich nehmen muß. Daneben kommt aber im AT und im Judentum zu breiter Entfaltung der Gedanke, daß Gott seine Macht kundtun wird und muß, um seine Herrschaft in Israel und auf der ganzen Welt zu verwirklichen. Deuterojesaja kündigt Jahwes siegreichen Zug durch die Wüste an. In Zion und Jerusalem wird der Freudenruf erschallen: Da ist euer Gott Jes 40lff. Jahwes Herrschaft wird also aufgerichtet mit seiner Rückkehr nach Jerusalem. Er wird seine Macht kundtun vor allen Völkern Jes 52i>f. In verschiedenen Abwandlungen kehrt der Gedanke bei den Propheten wieder, daß Jahwe in der Endzeit König sein und über alle Völker herrschen wird Micha 212f 42f Obadja 21 Zeph 39 Sach 149 16. „Finsternis bedeckt die Erde und tiefes Dunkel die Völker; doch über dir wird Jahwe aufstrahlen, und seine Herrlich1 Aramäisch: N'niZH NrflDba. hebräisch: D^Ott) reiba, Belege f ü r diesen Sprachgebrauch bei Dalman, S 75ffl 2 Vgl hierzu auch Bousset- Greßmann, Die Religion des Judentums, 31926. 3 Dalman, S 79f.
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keit wird über dir erscheinen. Und die Völker werden hinwallen zu deinem Lichte, und Könige zu dem Glänze, der über dir aufgestrahlt ist" Jes 602f. Hier also macht Gott selbst sich auf, um seine Herrschaft aufzurichten. Der transzendente Gott offenbart sich in der Welt. Im Danielbuche tritt zunächst die gleiche Vorstellung entgegen, die wir entwickelt haben, wenn 333 431 Gottes Reich ein ewiges Reich heißt, und Gottes Herrschaft feststehen soll bis in die spätesten Geschlechter. Aber die Idee der Gottesherrschaft bekommt dadurch eine neue Wendung, daß der Begriff des Herrschaftsgebietes, also eines Reiches in unserem Sinne, aufgenommen wird. Denn im 2. und 7. Kapitel soll an die Stelle der vorangegangenen Weltreiche das Reich — nicht Gottes, sondern — der Heiligen des Höchsten treten, und von diesem Reiche wird dann ausgesagt, es solle ein ewiges sein und alle Mächte sollen ihm dienen und Untertan sein 727 244 f. In den jüdischen Apokalypsen spielt der Gedanke des Gottesreiches keine Rolle, sondern «s werden andere, verwandte Vorstellungen verfolgt. Hen 924 ist das Sitzen auf dem Ehrenthron die Herrschaft, die Gott den Gerechten geben wird. In den Bilderreden wird von der Gemeinde der Heiligen und Auserwählten gesprochen, die gesät werden soll Hen 62a 38if. IV Esr und Apk Bar sprechen von den zwei Aeonen, die Gott geschaffen hat IV Esr 428, der Stätte der bösen Saat und dem Acker, in den das Gute gesät ist IV Esr 429 Syr Bar 449 12 15 2119. In dem apokalyptischen Stück Jes 24—27 und in Ass Mos lOlff begegnet der Gedanke, daß Gottes Königsherrschaft aufgerichtet wird auch über die widergöttlichen Geistermächte. Aber die salomonischen Psalmen sind ein Beweis dafür, daß zur Zeit Jesu die Vorstellung von Gottes Königsherrschaft im Volke lebendig war, auch wenn in den uns erhaltenen Apokalypsen jener Zeit der Begriff nicht verwendet worden ist. Der Lobgesang des Zacharias Lk 168—79 erwartet gleichfalls die Herstellung des davidischen Königtums durch Gott. Auch die evangelische Überlieferung setzt diese Anschauung als bekannt voraus. Denn der Täufer wie Jesus sind mit dem Ruf aufgetreten: „Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen". Jesus wird von den Pharisäern gefragt, wann das Reich Gottes komme Lk 1720, und Josef von Arimathäa wird zu denen gerechnet, welche das Reich Gottes erwarteten Mk 1543.
3. Jesu Anknüpfung an die atliche Verkündigung vom Reiche Gottes. Jesus ist mit dem Anspruch aufgetreten, daß in seiner Person und mit seiner Verkündigung die im A T geweissagte Zeit des Heils und der Vollendung beginne. Das hat er zum Ausdruck gebracht, indem er die Predigt des Täufers: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen" Mt 32 an die Spitze seiner Verkündigung stellte Mt 417. Denn das Wort des Täufers bekommt in seinem Munde eine andere Bedeutung, da in seiner Person die Erfüllung die Weissagung ablöst. Sagt der Täufer, daß das Reich nahe herbeigekommen ist, so heißt das: der Bringer des Reiches wird bald auftreten. Sagt Jesus, daß das Reich nahe herbeigekommen ist, so will er verstanden sein: in meinem Auftreten beginnt das Kommen des Gottesreiches. Hat der Täufer vom Reiche Gottes gesprochen, so Jesus auch. Dieser Ausdruck ist im Munde Jesu um so sicherer nicht ohne Beziehung auf das Danielbuch und das dortige Kommen des Endreiches, als Jesus von da her und im Zusammenhang mit der Reichspredigt auch den messianischen Titel „Menschensohn" entlehnt hat. Jesus hat sich also als den König jenes ewigen, nie zerstörbaren Reiches gewußt und hat gewußt, daß ihm bei der Aufrichtung dieses Reiches Macht, Ehre und Herrschaft werde verliehen weiden, und alle Völker, Nationen und Zungen ihm werden dienen müssen, Dan 7i4. I m Zusammenhang damit ist zu behaupten, daß Jesus die soeben geschilderte Seite der prophetischen Erwartung aufgenommen hat, wonach Gott verheißen hat, daß er selbst sich aufmachen werde, um seine Herrschaft aufzurichten. Nach Mal 328 sollte der wiederkehrende Elias dem großen Tag Gottes vorausgehen. Jahwe wollte seinen Boten senden, daß er den Weg vor ihm bahne, wenn er in seinem Tempel eintreffen werde Mal 3i. Dies Wort des Maleachi aber hat Jesus Mt l l i o auf den Täufer und sein eigenes Auftreten gedeutet und Mt l l i 4 ausdrücklich den Täufer den geweissagten Elias genannt. Und zwar dies alles mit Rücksicht auf das Reich Gottes und dessen Aufrichtung durch sein Wirken Mt l l n f f . Noch ein weiterer atlicher Gedanke ist in die Verkündigung Jesu vom Reiche Gottes mit aufgenommen worden, der des Herrschaftsbereiches, in welchem Gottes Wille geschieht. Denn Jesus war j a gekommen, das Reich Gottes auf Erden aufzurichten. Dagegen tritt die abstrakte Bedeutung der Malkut Jahwe in der Verkündigung Jesu zurück. Wohl aber ist der Kampf, den er zum Zweck der Aufrichtung des Reiches auszuführen hatte, für Jesus auch K a m p f gegen Satan und die widergöttlichen Mächte gewesen. Schon die Versuchung hat Jesus als Auseinandersetzung mit dem Satan und Zurückweisung des Ansinnens desselben verstanden, ihn auf
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falsche messianische B a h n e n zu lenken. Die in der K r a f t des Geistes Gottes vollzogene Austreibung der D ä m o n e n h a t er als E i n b r u c h in das Herrschaftsbereich des Satans u n d E r r i c h t u n g des Reiches Gottes auf diesem dem S a t a n abgewonnenen Gebiete erklärt Mt 1228ff. Ähnliche Bedeutung h a t das W o r t an die J ü n g e r : „ I c h sah den Satan wie einen Blitz v o m H i m m e l f a l l e n " L k 10is. I n einem wichtigen P u n k t aber weicht Jesus v o n der atlichen H o f f n u n g a b . E r h a t das ideale Davidsreich, welches die Sehnsucht der älteren Prophetie u n d auch pharisäischer Kreise seiner Zeit war, aus seiner messianischen E r w a r t u n g ausgeschaltet u n d an die Stelle des politischen ein rein religiöses Reich gesetzt. A u c h alle sonstigen partikularistischen u n d eudämonistischen Züge der messianischen H o f f n u n g sind getilgt. E r h a t seine J ü n g e r beten gelehrt: „ E s geschehe dein Wille wie im H i m m e l , so auch auf der E r d e " Mt 610. Das ist die weitere E n t f a l t u n g der beiden vorhergehenden B i t t e n u m Heiligung des N a m e n s Gottes u n d namentlich der u m das K o m m e n seines Reiches. Das Reich Gottes k o m m t d a n n , u n d es k o m m t in dem Maße, als der Wille Gottes, den j e t z t schon die Engel im Himmel, Gottes Diener, vollziehen P s 1032of, auch auf der E r d e erfüllt wird. A n dem Fortschreiten des Reiches Gottes auf E r d e n , der Bekehrung der Sünder, n e h m e n daher die Engel des Himmels freudigen Anteil Lk 157 10. Den S a n f t m ü t i g e n verheißt Jesus, sie sollen die E r d e in Besitz n e h m e n Mt 55. Das Gottesreich ist also ein Himmel u n d E r d e u m s p a n n e n d e s Reich, die himmlische O r d n u n g der Dinge, die auch auf dieser E r d e P l a t z greifen soll. D a h e r ist es aber nicht richtig, das Reich Gottes im Sinne J e s u als Erdenreich zu bezeichnen. D e n n Jesus e r m a h n t , Schätze im H i m m e l zu sammeln Mt 620 L k 1233, u n d es wird von dem L o h n gesprochen, den die F r o m m e n im Himmel h a b e n werden Mt 5i2 L k 623 Mt 61 Mk IO21. So wird es auch begreiflich, d a ß Jesus J o h 142ff d a v o n spricht, d a ß er zum Vater geht, u m dort die W o h n u n g e n f ü r die Seinigen zu bereiten. D e r Himmel bleibt n a c h J e s u Lehre als der Ort der Vollendung bestehen. E r k a n n sagen, d a ß sein Reich n i c h t von dieser Welt ist J o h 1836. 4. Das zukünftige und das gegenwärtige Reich E s ist im letzten Jahrzehnt des abgelaufenen Jahrhunderts lebhaft darüber verhandelt worden, ob das Reich Gottes im Sinne Jesu eine rein oder ganz überwiegend eschatologische oder eine religiös-ethische Größe sei, ob der Schwerpunkt in der supranaturalistischen oder in der geistigen Erfassung des Reiches Gottes liege. Doch ist der Streit hierüber jetzt abgeflaut, mit Recht. Beide Gruppen von Aussagen liegen in den Evangelien vor, und keine darf zugunsten der andern verkürzt werden. Daher kann aber auch die Hypothese Schweitzers, wonach Jesus das Reich Gottes rein als überirdischen Weltverlauf gedacht haben soll, der nach dem natürlichen einsetze und die Verwandlung Jesu, des natürlichen Menschen und Davididen, zum göttlichen Menschensohn bringen soll, als unsern Quellen zuwiderlaufend nur abgelehnt werden 1 .
I n den synoptischen Evangelien liegt die eschatologisch-apokalyptische E r w a r t u n g des Reiches Gottes sehr deutlich zutage. J e s u s h a t mit seiner Zeit v o n einer göttlichen A l l m a c h t s t a t , von einem machtvollen Eingreifen Gottes in den Weltlauf, von einem A b b r u c h des gegenwärtigen Weltbestandes, einer scharfen Scheidung zwischen Gegenwart u n d Z u k u n f t das K o m m e n des Reiches abhängig gedacht. Das apokalyptische Gemälde Mt 24 Mk 13 L k 2 1 s t ä n d e nicht in unseren Evangelien, wenn Jesus nicht vor seinen J ü n g e r n derartige Aussagen gemacht h ä t t e . D o r t lesen wir aber, daß zum Schrecken der Erdbewohner die Himmelsgestirne nicht l e u c h t e n u n d die K r ä f t e des Himmels bewegt werden sollen, u n d d a ß d a n n das Zeichen des Menschensohnes a m H i m m e l erscheinen u n d das Gericht eintreten wird, Mt 2429—31 par. Wie der Blitz ü b e r den ganzen Himmel hin v o n Osten bis Westen l e u c h t e t , so plötzlich soll die Parusie des Menschensohnes sein. Der Ausdruck Gottesreich fehlt hier, aber die Sache ist da. Von seinem apokalyptischen K o m m e n v o m H i m m e l her spricht Jesus auch vor dem Hohenpriester Mt 2664, u n d vor seinen J ü n g e r n n a c h dem Tage von Caesarea Philippi, hier auch u n t e r direkter A n w e n d u n g der Vor1 Schweitzer ist außerstande, die große Antithese zu würdigen, in der Jesu Reich-GottesPredigt zur pharisäischen Reichserwartung steht. Sie ist aber von wesentlicher Bedeutung. Denn Jesus hat gesagt, daß die Menschen nicht in das Reich eingehen werden, wenn ihre Gerechtigkeit nicht besser ist als die der Pharisäer und Schriftgelehrten. Zahlreich sind die Stellen, w o er direkt oder indirekt sein Reichsideal dem pharisäischen gegenüberstellt.
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Stellung vom Reiche: „ E s werden einige der hier Stellenden den Tod nicht schmecken, bis d a ß sie sehen das Reich Gottes k o m m e n in K r a f t " Mk 9i oder „ b i s d a ß sie sehen den Menschensohn k o m m e n in seinem Reiche" Mt 1628. D a n a c h ist unzweideutig vorausgesetzt, d a ß J e s u s selbst das machtvolle K o m m e n des Reiches bald, noch i n n e r h a l b des zu seiner Zeit lebenden Geschlechtes erwartet h a t . A u c h n a c h Mt IO23 sollen die J ü n g e r , d. h . doch die zwölf Apostel, mit der Verkündigung an die S t ä d t e Israels beim E i n t r e t e n der Parusie noch nicht fertig sein. Der ganze Glaube der Urchristenheit an die baldige Verwirklichung des Gottesreiches wäre j a a u c h unerklärlich, w e n n er n i c h t in b e s t i m m t e n W o r t e n Jesu seinen H a l t h ä t t e . E s gibt freilich auch W o r t e J e s u , wonach die Zeit des E i n t r i t t s des Reiches w e i t e r in die Z u k u n f t hinaus geschoben wird. Der böse H a u s v e r w a l t e r m i ß h a n d e l t die K n e c h t e u n d vergeudet mit Schlemmen die i h m a n v e r t r a u t e H a b e u n t e r dem Vorw a n d „ m e i n H e r r bleibt a u s " ( X Q O V I & I fiov 6 XVQIOQ) Mt 2448, ähnlich 25s. I n beiden Gleichnissen ist so wenig Veranlassung, diesen Zug als spätere F o r t b i l d u n g der auf die Parusie w a r t e n d e n Gemeinde zu fassen wie die Angabe Mt 25i» „ n a c h langer Zeit k a m der H e r r z u r ü c k " . Ähnlich müssen m a n c h e A u s f ü h r u n g e n der eschatologischen Rede v e r s t a n d e n werden, von dem K o m m e n vieler in Jesu N a m e n , v o n Kriegen u n d Kriegsgeschrei, dem A u f t r e t e n der Völker u n d Reiche gegeneinander, den H u n g e r s n ö t e n u n d E r d b e b e n Mt 245—8 par, was doch erst der A n f a n g der messianischen Wehen sein soll; von dem H a ß aller Völker gegen die Christen, dem A u f t r e t e n vieler P s e u d o p r o p h e t e n u n d der Ankündigung, d a ß das Evangelium in der ganzen Welt zum Zeugnis f ü r alle Völker v e r k ü n d i g t werden m u ß , ehe das E n d e k o m m e n k a n n Mt 249—14 p a r , d e r S a m m l u n g aller Auserwählten u m d e n Messias, die in allen vier Himmelsgegenden, von einem E n d e des Himmels bis z u m a n d e r n v o r h a n d e n gedacht werden Mt 2431. Das alles sind Ereignisse, welche sich in der Zeitfolge a b lösen sollen. I n der E r z ä h l u n g v o n der Salbung J e s u in B e t h a n i e n berichten Mt 26i3 Mk 14a das W o r t J e s u , d a ß die T a t des Weibes b e k a n n t werden soll, wo das E v a n gelium „ i n der ganzen W e l t " (iv ä).q> rc5 xdoficp) v e r k ü n d i g t werden» wird. D a ß die Urgemeinde sich in diesen Fragen n i c h t auf einem sicheren B o d e n gefühlt h a t , weil widersprechende Aussagen J e s u v o r h a n d e n waren, beweist Mt 2434—3«. D e n n hier stehen f a s t nebeneinander die W o r t e : „Dies Geschlecht wird n i c h t vergehen, bis d a ß dies alles geschieht" u n d „ V o n j e n e m Tage u n d der S t u n d e weiß n i e m a n d , weder die Engel des Himmels, noch der Sohn, sondern der Vater allein". Auch der auferstandene J e s u s lehnt es ab, auf die Frage der J ü n g e r zu a n t w o r t e n , ob er in dieser Zeit (EV rQ> XQOVÜ) rovToj) das Reich in Israel a u f r i c h t e n werde, u n d verweist sie einerseits ähnlich wie Mt 2436 d a r a u f , d a ß Gott die B e s t i m m u n g d a r ü b e r seiner eigenen Vollm a c h t v o r b e h a l t e n h a b e , andererseits, d a ß sie d a r n a c h n i c h t zu f r a g e n b r a u c h e n , d a sie die K r a f t des heiligen Geistes empfangen werden u n d seine Zeugen bis ans E n d e der E r d e werden sollen A p g l7f. Und Mt 28i9f richtet er gleichfalls den Blick auf die Missionierung aller Völker u n d verheißt seine Gnadengegenwart alle T a g e bis zur Vollendung der Weltzeit. D e m vorgeführten Tatbestande zufolge hat man zu urteilen, daß Jesus beides gesagt hat, er werde bald kommen zur Aufrichtung des Reiches, und auch der Sohn wisse diesen Zeitpunkt nicht, sondern Gott allein. Das Ende werde lange auf sich warten lassen. Begreiflicherweise hat in der Urgemeinde die erste Form der Erwartung die Gemüter am meisten bewegt. Aber sie hat die Überlieferung doch treu erhalten und auch den entgegenstehenden Worten Raum gegeben. Die eigentliche Schwierigkeit ist die, wie in Jesu Geiste beide Formen der Erwartung nebeneinander haben bestehen können. D a hat m a n wohl auf die Eigenart der biblischen Prophetie aufmerksam zu machen, welche auch in Jesu prophetischen Aussagen erkennbar wird. Das K o m m e n des Reiches Gottes durch seine Berufswirksamkeit ist ihm sicher gewesen. Daher schaut er die volle Verwirklichung das eine Mal greifbar, unmittelbar vor sich liegen und denkt an baldige Erfüllung, wie ja auch die atliche Prophetie das Heil meist für die nächste Gegenwart erhofft; dann aber sieht er in prophetischem Geiste wiederum Gottes Heilsabsicht in anderem Lichte. Gottes Wege können bis zur Vollendung auch in ferne Zeiten und in die Weite der Völkerwelt führen. Auch solchem Gang der Heilsgeschichte ordnet er sich als König des Gottesreiches ein. Das aber ist ihm sicher gewesen, daß mit der Erfüllung und Vollendung seiner irdischen Berufsaufgabe die Zeit auch seines machtvollen Wirkens für das K o m m e n des Reiches Gottes beginne.
Ü b e r h a u p t z u k ü n f t i g wird das Reich oft in J e s u W o r t e n vorgestellt. So in d e r B i t t e : „ D e i n Reich k o m m e " Mt 610. E r spricht v o m E i n g e h e n in das Reich als von etwas Z u k ü n f t i g e m Mt 520 721 Mk 947 10i5 23ff Mt 2534. Noch bei der S t i f t u n g des
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Die Lehre Jesu nach der Darstellung der Evangelien
A b e n d m a h l s fällt das W o r t , d a ß J e s u s keinen W e i n m e h r trinken werde, „bis ich i h n m i t e u c h n e u t r i n k e i n d e m R e i c h m e i n e s V a t e r s " M t 2629 M k 1425. A u c h die Seligpreisungen d e r B e r g p r e d i g t k ö n n e n n i c h t a n d e r s g e d e u t e t w e r d e n , als d a ß d e r religiöse M a n g e l seine S ä t t i g u n g u n d die G o t t wohlgefällige H e r z e n s b e s c h a f f e n h e i t i h r e B e l o h n u n g f i n d e n soll, w e n n d a s G o t t e s r e i c h k o m m e n w i r d . A b e r u n z w e i d e u t i g e A u s s a g e n J e s u s e t z e n a u c h die G e g e n w a r t des R e i c h e s v o r a u s . J e s u s h a t i n seinen D ä m o n e n a u s t r e i b u n g e n d e n B e g i n n d e r N i e d e r w e r f u n g d e s S a t a n s , d a m i t a b e r d e n A n b r u c h des R e i c h e s e r b l i c k t . „ W e n n i c h i m Geiste G o t t e s die D ä m o n e n a u s t r e i b e , so i s t d o c h zu e u c h g e k o m m e n d a s R e i c h G o t t e s " M t 1228. I n d e m M a ß e , als die M a c h t d e s S a t a n s z u r ü c k g e d ä m m t w i r d u n d d e r Geist G o t t e s g e b i e t e t , g r e i f t d a s R e i c h G o t t e s P l a t z . Als die 70 J ü n g e r z u r ü c k k e h r t e n u n d J e s u s voll F r e u d e b e r i c h t e t e n , d a ß a u c h die D ä m o n e n i h n e n Untertan g e w o r d e n seien, a n t w o r t e t e J e s u s : „ I c h s a h d e n S a t a n wie e i n e n Blitz v o m H i m m e l f a l l e n " L k 10i7f. D i e M a c h t des S a t a n s s i e h t J e s u s d u r c h sein u n d seiner J ü n g e r T u n g e b r o c h e n . H i e r k a n n m a n auch nicht einmal v o m anbrechenden Morgenrot des Reiches Gottes s p r e c h e n , s o n d e r n d a s R e i c h i s t b e r e i t s eine R e a l i t ä t . M a c h t er d o c h a u c h die B o t e n d e s J o h a n n e s d u r c h d e n H i n w e i s a u f die E r f ü l l u n g d e r p r o p h e t i s c h e n W e i s s a g u n g J e s 35sf 61l d a r a u f a u f m e r k s a m , d a ß die Heilszeit i n s e i n e m W i r k e n — i n seinen W u n d e r t a t e n u n d seinem erlösenden H a n d e l n — bereits angebrochen ist Mt H ö f . Aber direkt spricht er d a n n in der darauffolgenden R e d e an das Volk Mt l l 7 f f L k 724ff v o n d e r G e g e n w a r t d e s R e i c h e s . U n t e r d e n W e i b g e b o r e n e n i s t d e r T ä u f e r d e r G r ö ß t e . „ A b e r d e r K l e i n s t e i m H i m m e l r e i c h i s t g r ö ß e r d e n n er. V o n d e n T a g e n J o h a n n e s des T ä u f e r s a b e r bis h i e r h e r erleidet d a s H i m m e l r e i c h G e w a l t ; u n d die G e w a l t b r a u c h e n , r e i ß e n es a n s i c h " M t H i l f . H i e r m a c h t J e s u s e i n e s c h a r f e Scheid u n g . Bis zu J o h a n n e s r e i c h t d a s A l t e , Gesetz u n d P r o p h e t e n , d. h . die Z e i t des A T s . V o n d e n T a g e n d e s T ä u f e r s a n a b e r ist die n e u e , die m e s s i a n i s c h e Z e i t , i s t d a s R e i c h a u f d e n P l a n g e t r e t e n , u n d ein K a m p f h a t sich u m d e n G e w i n n d e s R e i c h e s e n t s p o n n e n . E s g i b t solche, w e l c h e b e r e i t s Glieder d e s R e i c h e s g e w o r d e n s i n d . D e n T ä u f e r n e n n t er d e n G r ö ß t e n u n t e r d e n W e i b g e b o r e n e n , u n d d o c h i s t d e r K l e i n s t e i m H i m m e l r e i c h g r ö ß e r als d e r T ä u f e r . D a n n ist a b e r d a s U n t e r s c h e i d e n d e d e r S ö h n e d e s R e i c h e s d e r G e g e n s a t z zu d e r G e b u r t a u s d e m W e i b e , u n d dieser k a n n n u r i n d e m liegen, w a s die R e i c h s g e n o s s e n d u r c h G o t t u n d d u r c h i h n , d e n B r i n g e r d e s R e i c h e s , h a b e n . H i e r h e r g e h ö r t sachlich a u c h M t 1 3 i e f L k 1023f: „ S e l i g sind e u r e A u g e n , d a ß sie s e h e n u n d e u r e O h r e n , d a ß sie h ö r e n . D e n n w a h r l i c h , i c h sage e u c h : viele P r o p h e t e n u n d G e r e c h t e h a b e n b e g e h r t zu s e h e n , w a s i h r s e h t , u n d h a b e n es n i c h t g e s e h e n , u n d z u h ö r e n , w a s i h r h ö r t , u n d h a b e n es n i c h t g e h ö r t " . A u c h h i e r i s t d e r S i n n o f f e n b a r d e r , d a ß die J ü n g e r J e s u die b e s e l i g e n d e E r f a h r u n g d e r Heilszeit u n d i h r e r G ü t e r m a c h e n , w o n a c h sich die a t l i c h e n F r o m m e n v e r g e b l i c h g e s e h n t haben. E i n e d r i t t e Stelle f i n d e t sich L k 1720 f . J e s u s a n t w o r t e t a u f die F r a g e d e r P h a r i säer, w a n n das Reich Gottes k o m m e : „ N i c h t k o m m t das Reich Gottes sinnenfällig, n o c h w i r d m a n s a g e n : siehe, h i e r o d e r d o r t i s t es, d e n n siehe, d a s R e i c h G o t t e s i s t i n e u c h " , in c o r d i b u s v e s t r i s , o d e r n a c h a n d e r e r A u f f a s s u n g „ u n t e r e u c h " , i n t r a v o s , i n e u r e r M i t t e . D e r griechische A u s d r u c k , d e n L k g e b r a u c h t , erzog v/uwv, g e s t a t t e t b e i d e A u f f a s s u n g e n , w e n n g l e i c h L k f ü r „ u n t e r " ev fieocp z u s a g e n p f l e g t L k 246 87 103 u . ö. E s i s t u n s t a t t h a f t , 20 21 i n i n n e r e n Z u s a m m e n h a n g m i t d e r b e i L u k a s u n m i t t e l b a r f o l g e n d e n P a r u s i e r e d e zu b r i n g e n . L k h a t s e l b s t d u r c h die e i n f ü h r e n d e n W o r t e 22 d e r f o l g e n d e n R e d e S e l b s t ä n d i g k e i t g e g e b e n . W i r h a b e n h i e r d e n F a l l , wie so o f t i n d e n E v a n g e l i e n , d a ß n a c h d e r s t o f f l i c h e n Z u s a m m e n g e h ö r i g k e i t o d e r n a c h formellen Anklängen Überlieferungen zusammengeordnet worden sind. A n u n s e r e r Stelle h a t L k zwei P a r u s i e r e d e n z u s a m m e n g e f ü g t , w e l c h e ü b e r d i e s gleichk l i n g e n d e W o r t e h a b e n („siehe, h i e r o d e r d o r t ist e s " 21 u n d 23). D i e F r a g e d e r P h a r i s ä e r löst i n J e s u G e d a n k e n e i n e n s o l c h e n G e g e n s a t z a u s , d a ß e r h i e r g e g e n eine A r t d e r R e i c h s e r w a r t u n g S t e l l u n g n i m m t , die er a n d e r w ä r t s selbst i n d e n K r e i s seiner B e t r a c h t u n g z i e h t . M a n soll n i c h t a u f a p o k a l y p t i s c h e V o r z e i c h e n a c h t e n , a u c h n i c h t ein r ä u m l i c h e s K o m m e n d e s R e i c h e s e r h o f f e n , s o n d e r n d a s R e i c h G o t t e s i s t „ i n w e n d i g i n e u c h " , wie L u t h e r , o d e r i n „ e u r e n H e r z e n " , wie E p h r ä m d e r S y r e r a u s l e g t . N u r b e i dieser A u f f a s s u n g i s t die A n t i t h e s e k o r r e k t . W ä r e d a s R e i c h i n i h r e r M i t t e , so w ä r e es j a i n d e r T a t h i e r o d e r d a . D e r H a u p t e i n w a n d g e g e n dies Ver-
Das Reich Gottes
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ständnia ist der, d a ß Jesus zu den Pharisäern nicht sagen könne, das Reich Gottes sei i n i h r e n H e r z e n . A b e r vielleicht h a t er i h n e n g e r a d e s a g e n w o l l e n , d a s R e i c h sei n i c h t f ü r sie b e s t i m m t , w e i l es i m I n n e r n des M e n s c h e n v o r h a n d e n sei. „ W e n n es d a i s t , so i s t es in e u c h . " W e i t e r h i n w i r d die U n t e r r e d u n g zwischen J e s u s u n d N i k o d e m u s J o h 3 l f f a u f d e r Grundlage der A n s c h a u u n g geführt, d a ß das Reich Gottes eine schon in der G e g e n w a r t g r e i f b a r e u n d e r f a h r b a r e G r ö ß e ist. D i e s c h e i n b a r u n v e r m i t t e l t e A n t w o r t J e s u auf die A n r e d e d e s N i k o d e m u s 3 will i n W a h r h e i t die g a n z e p h a r i s ä i s c h e Reich- Gottes-Erwartung, von der der Oberste der Pharisäer ausgeht, mit einem S c h l a g e zu n i c h t e m a c h e n . S i n d es d o c h a u c h L k 1720 die P h a r i s ä e r gewesen, d e n e n J e s u s die A n t w o r t g a b : d a s R e i c h G o t t e s i s t i n e u e r n H e r z e n . So v e r l a n g t er N i k o d e m u s g e g e n ü b e r als B e d i n g u n g des E i n t r i t t s i n d a s R e i c h die W i e d e r g e b u r t , die E r n e u e r u n g des Herzens. U n d Jesus sagt dem Nikodemus, d a ß der W e g zum Reich i h m , d e m S c h r i f t g e l e h r t e n , b e k a n n t sein sollte, als ein solcher, d e r i n d e r messianischen Zeit gangbar werde. Auch weitere Stellen in den synoptischen Evangelien sprechen vom Reiche Gottes als von einem bereits in der Gegenwart erreichbaren Gut. Mk 1234 ist der Schriftgelehrte, der Jesus gut geantwortet hat, indem er die überragende Bedeutung des Liebesgottes erkannte, anders als die Frager Lk 1720f, nicht weit entfernt vom Reiche Gottes. Nach Mt 183 werden die Jünger, wenn sie nicht umkehren und werden wie die Kinder, d. h. wenn sie nicht den aufgeschlossenen, empfänglichen Sinn für göttliche Gaben und demütige Herzensgesinnung haben, nicht in das Himmelreich eingehen. Die Pharisäer gehen nicht ins Reich und lassen die, welche wollen, nicht hineingehen Mt 2313. Nach Lk 962 ist für das Reich Gottes ungeschickt, wer seine Hand an den Pflug legt und rückwärts auf irdische Bande und Interessen schaut. In besonderer Wendung tritt uns aber der Gedanke der Gegenwart des Reiches wieder in den Gleichnissen vom Säemann, von der selbstwachsenden Saat, vom Senfkorn und vom Sauerteig entgegen, in denen überall ein Entwicklungsgang des Reiches in der Gegenwart und auf Erden bis zu seiner Vollendung vorausgesetzt wird. Da wir auf diese Gleichnisse im folgenden näher einzugehen haben, verweisen wir hier nur im allgemeinen auf sie. W i e i s t diese D o p p e l s e i t i g k e i t i n d e r A n s c h a u u n g d e s R e i c h e s zu v e r s t e h e n ? E s g i b t v e r s c h i e d e n e L ö s u n g s v e r s u c h e . 1. M a n h a t a u f die A r t d e s I d e a l s h i n g e w i e s e n , w e l c h e s b e i d e S e i t e n in sich s c h l i e ß t : es i s t , u n d es i s t n o c h n i c h t . Allein, J e s u s w a r k e i n I d e a l i s t , dessen G e d a n k e n zwischen einer u n v o l l k o m m e n e n W i r k l i c h k e i t u n d d e r e r h o f f t e n V o l l e n d u n g i n d e r S c h w e b e gewesen w ä r e n . 2. A u c h d e r G e g e n s a t z v o n Wesen u n d Erscheinung, I n h a l t u n d F o r m p a ß t nicht auf unsere Frage. Das Reich G o t t e s i s t f ü r J e s u s eine G r ö ß e , die e r , w o e r sie g e g e n w ä r t i g s i e h t , als volle W i r k l i c h k e i t v e r s t e h t , als eine R e a l i t ä t , die freilich e r s t als Z u k u n f t s g u t v o l l e n d e t w i r d . 3. U n t e r s c h e i d e t m a n z u r E r k l ä r u n g d e r z w i e s p ä l t i g e n A u s s a g e n die Z e i t d e s H ö h e p u n k t e s des L e b e n s J e s u , die P e r i o d e d e r E r f o l g e u n d T r i u m p h e , v o n d e n Z e i t e n d e s K a m p f e s u n d U n t e r g a n g e s , so e r h e b e n die Quellen E i n s p r u c h . D e n n b e i d e S e i t e n d e r A u f f a s s u n g des R e i c h e s l a u f e n n e b e n e i n a n d e r h e r u n d k r e u z e n sich. N i c h t n u r a u f d e r H ö h e seines W i r k e n s i s t i h m d a s R e i c h g e g e n w ä r t i g , s o n d e r n a u c h n o c h gegen E n d e , w o h i n w o h l L k 1720 f g e h ö r t . 4. Die A n n a h m e , d a ß J e s u s d e n G e g e n s a t z d e r a l t p r o p h e t i s c h e n u n d d e r j ü d i s c h - a p o k a l y p t i s c h e n A u f f a s s u n g d e s R e i c h e s wiederh o l e , i s t z w a r r i c h t i g , a b e r sie b i e t e t n u r eine ä u ß e r l i c h e E r k l ä r u n g . E s bliebe d u n k e l , w i e J e s u s d a z u g e k o m m e n i s t , a u c h die V e r w i r k l i c h u n g i n d e r G e g e n w a r t i n seine Anschauung mit aufzunehmen. Beide Seiten finden ihre Einheit in der Person J e s u , in seinem Berufsbewußtsein u n d s e i n e m m e s s i a n i s c h e n W i r k e n . D a , w o er m i t d e n i n i h m w o h n e n d e n G o t t e s k r ä f t e n i s t , u n d w o er G o t t e s W i l l e n u n d G o t t e s K r a f t a u f d e r E r d e w i r k s a m m a c h t , d a i s t d a s R e i c h G o t t e s . E r i s t , wie Origenes s c h ö n s a g t , d a s R e i c h selbst (die airroßaaiXeia). A b e r n u r d e n A n f a n g dieser G ü t e r sieht J e s u s i n s e i n e m i r d i s c h e n T u n v e r w i r k l i c h t . E r w e i ß sich v o n G o t t die A u f g a b e gestellt, a u c h die V o l l e n d u n g h e r b e i z u f ü h r e n , u n d diese liegt i n d e r Z u k u n f t . O d e r a b e r , w e n n w i r eine a n d e r e i m E v a n g e l i u m J e s u a u c h v o r h a n d e n e G e d a n k e n r e i h e v e r f o l g e n : J e s u s ist b e r e i t s i n d a s R e i c h S a t a n s e i n g e b r o c h e n , er h a t i h n , d e n S t a r k e n , g e b u n d e n , er h a t i h n w i e einen Blitz v o m H i m m e l fallen sehen, u n d doch ist S a t a n s Reich noch nicht endgültig b e z w u n g e n , die f e i n d l i c h e n u n d s a t a n i s c h e n M ä c h t e m ü s s e n e r s t n o c h n i e d e r g e w o r f e n u n d vernichtet werden.
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Die Lehre Jesu nach der Darstellung der Evangelien
H i e r t r i t t z u m e r s t e n Male d a s P r o b l e m , welches d a n n i n d e r p a u l i n i s c h e n u n d johanneischen Theologie b r e n n e n d wird, an u n s heran : ob das Christentum Religion d e r H o f f n u n g o d e r a u c h d e s g e g e n w ä r t i g e n B e s i t z e s ist. S c h o n i n J e s u e i g e n e r V e r k ü n d i g u n g t r e t e n die b e i d e n L i n i e n h e r v o r , w e l c h e v o n d e n v e r s c h i e d e n e n V e r t r e t e r n d e r u r c h r i s t l i c h e n Theologie i n v e r s c h i e d e n e r W e i s e m a r k i e r t w o r d e n s i n d . D a s C h r i s t e n t u m w i r d n u r r e c h t v e r s t a n d e n , w e n n m a n b e i d e s i n i h m f i n d e t . D e r Christ s t e h t i m g e g e n w ä r t i g e n Heilsbesitz, u n d d o c h m u ß er d e r Z u k u n f t e n t g e g e n h a r r e n , die die Vollendung bringen wird. 5. D a s R e i c h Gottes als Gabe Gottes. A R i t s c h l 1 h a t i n J e s u A n s c h a u u n g v o m Reiche Gottes, einen kantischen Gedanken a u f n e h m e n d , den Begriff des höchsten G u t e s f i n d e n w o l l e n , welches er zugleich als G a b e u n d A u f g a b e , als religiösen Besitz, u n d E r t r a g m e n s c h l i c h e n T u n s b e z e i c h n e t . M a g dieser Begriff i n e i n e r p h i l o s o p h i s c h e n E t h i k seine volle B e r e c h t i g u n g h a b e n , i n J e s u D e n k w e i s e g e h ö r t er n i c h t h i n e i n . Sie i s t i n diesem H a u p t s t ü c k rein religiös. W o r t e wie „ a r b e i t e n a m R e i c h e G o t t e s " , es „ b a u e n u n d f ö r d e r n h e l f e n " u . a. f i n d e n w i r b e i i h m n i c h t , — w ä h r e n d P a u l u s w i r k l i c h ä h n liches g e s a g t h a t I K o r 3äff I T h e s s 32 ( M i t a r b e i t e r G o t t e s ) . D a s R e i c h G o t t e s i s t f ü r J e s u s n i c h t n u r die H e r s t e l l u n g d e r H e r r s c h a f t u n d H o h e i t G o t t e s i m H i m m e l u n d a u f E r d e n , s o n d e r n es i s t d e r selige E n d z w e c k G o t t e s m i t d e n M e n s c h e n , die V e r w i r k l i c h u n g aller g ö t t l i c h e n H e i l s a b s i c h t e n , u n d d a h e r d a s h ö c h s t e H e i l s g u t . A b e r dies G u t k a n n k e i n M e n s c h d u r c h eigne A r b e i t e r r i n g e n o d e r a u c h n u r f ö r d e r n , s o n d e r n es ist freies G e s c h e n k G o t t e s , die h ö c h s t e G a b e , die G o t t d e n M e n s c h e n g i b t . „ E s h a t d e m V a t e r Wohlgefallen, e u c h — die k l e i n e H e r d e ist a n g e r e d e t — d a s R e i c h zu g e b e n " L k 1232. D a s R e i c h w i r d v o n G o t t a n J e s u s , v o n J e s u s a n die J ü n g e r „ v e r m a c h t " (diaxtöefiai) L k 2229 f. S i n d d o c h die N a m e n d e r J ü n g e r i m H i m m e l , i n d a s B u c h des L e b e n s , e i n g e t r a g e n L k IO20. Als E r b e w i r d d a s R e i c h d e n e n zuteil, d e n e n es v o n A n f a n g d e r W e l t a n b e r e i t g e s t e l l t i s t M t 2534. A u c h die E h r e n p l ä t z e i m R e i c h e k o m m e n n u r d e n e n z u , d e n e n sie v o n J e s u V a t e r b e r e i t e t s i n d M t 2023. M a n m u ß das. R e i c h G o t t e s „ a n n e h m e n " M k 10i5, es v o n G o t t e r b i t t e n M t 610. D a h e r f ü g t d e r Evangelist hier ganz richtig das W o r t J e s u an, d a ß Gott das Reich den J u d e n n e h m e n u n d es a n d e r n V ö l k e r n g e b e n w i r d M t 2143. A l l e r d i n g s soll sich d e r M e n s c h z u diesem h ö c h s t e n G u t n i c h t p a s s i v v e r h a l t e n , s o n d e r n es soll G e g e n s t a n d seines g a n z e n u n d a u s s c h l i e ß l i c h e n S t r e b e n s sein. D e r Mensch soll es a n sich r e i ß e n , m i t G e w a l t a n sich r e i ß e n M t II12. A m e r s t e n soll d e r M e n s c h s t r e b e n (Crjreiv) n a c h d e m R e i c h u n d d e r R e c h t b e s c h a f f e n h e i t , wie sie G o t t e i g n e t M t 633 L k 1231. Alle a n d e r n G ü t e r u n d I n t e r e s s e n sollen h i n t e r d i e s e m S t r e b e n z u r ü c k t r e t e n . E s w i r d d e m M e n s c h e n , d e r n a c h G o t t e s R e i c h t r a c h t e t , alles a n d e r e v o n selbst z u f a l l e n . Dies S t r e b e n d e r M e n s c h e n i s t n i c h t in d e m S i n n e zu v e r s t e h e n , d a ß w i r e t w a s n o c h n i c h t V o r h a n d e n e s m ü h s a m zu s c h a f f e n h ä t t e n , s o n d e r n d a s R e i c h w i r d als e i n b e r e i t s e r r e i c h b a r e s G u t g e d a c h t , dessen B e s i t z w i r a n s t r e b e n sollen. Dies v e r a n s c h a u l i c h e n s c h ö n u n d t r e f f e n d die b e i d e n Gleichnisse v o m S c h a t z i m A c k e r u n d d e r k ö s t l i c h e n P e r l e M t 1344—46. H i e r ist d a s R e i c h ein o b j e k t i v e s , d e m M e n s c h e n e n t g e g e n t r e t e n d e s G u t , ein religiöser Besitz, u m d e s s e n willen alles a n d e r e , w a s d e r M e n s c h s o n s t h a t , willig g e o p f e r t w e r d e n m u ß . U m d e s R e i c h e s G o t t e s willen soll d e r Mensch H a u s , W e i b , B r ü d e r , E l t e r n , K i n d e r v e r l a s s e n L k I829, d a s A u g e a u s r e i ß e n , die H a n d a b h a c k e n , die u n s ä r g e r n M t 529f, j a es g i b t M e n s c h e n , die sich u m d e s R e i c h e s G o t t e s willen e n t m a n n e n M t 1912, ein W o r t , dessen b u c h stäbliches V e r s t ä n d n i s d u r c h O r i g e n e s b e k a n n t i s t . Im Widerspruch mit diesem Verständnis des Reiches Gottes als freie Gabe Gottes und höchstes Gut, dem das menschliche Streben zugewendet sein soll, scheinen diejenigen Stellen zu stehen,, in denen das Reich Gottes als L o h n erscheint. Nach der ersten Leidensweissagung hören wir das Wort: „Der Menschensohn wird kommen in der Herrlichkeit seines Vaters mit seinen Engeln, und dann wird er vergelten einem jeden nach seinem Tun" Mt I627. Im Gleichnis von den bösen Weingärtnern müssen die Hierarchen selbst die Antwort geben, daß der Herr die Winzer bestrafen und den Weinberg andern Winzern geben wird, welche ihm zu rechter Zeit die Früchte abliefern Mt 2141. Mt 512 Lk 623 nennt Jesus die Jünger selig, wenn sie Übles um seinetwillen erfahren: „Groß ist euer Lohn im Himmel". Dem Jünger, der in rechter Weise Almosen gibt, betet, fastet,. 1 Rechtfertigung und Versöhnung, "II, S 27ff 40, und Unterricht in der christlichen Religion, § 5.
Das Reich Gottes
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wird der Vater, der ins Verborgene sieht, vergelten Mt 64 6 18. Hier hebt also Jesus den Lohnbegriff an und f ü r sich keineswegs auf, er behält ihn vielmehr bei und tadelt n u r die heuchlerische, auf äußerliche Wirkung berechnete Frömmigkeitsübung der Pharisäer. Dem Reichen, welcher nach dem Weg des ewigen Lebens fragt, gibt Jesus die Antwort: „Eins noch fehlt dir. Geh hin, verkaufe, was du hast, und gibs den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel h a b e n " Mk 1021. Es wird gelegentlich sogar der Lohn qualitativ unterschieden und von dem Lohn eines Propheten, eines Gerechten, eines Jüngers gesprochen Mt 1041 f, wie es auch entsprechend dem irdischen Tun Rangstufen im Himmelreich geben wird Mt 519 1814 2023. Auch das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg Mt 201—16 beruht doch ganz auf der Vorstellung des Lohnes f ü r geleistete Arbeit. Denn der Herr wird am Morgen mit den Arbeitern um den zu zahlenden Lohn einig und läßt am Abend mit ihnen abrechnen. Zur Beurteilung dieses Tatbestandes ist zu sagen, daß die Bezugnahme auf den Lohngedanken hier pädagogisch und aus einer Anpassung an Sprachgebrauch und Vorstellungswelt der Angeredeten zu erklären ist, daß aber in der eigentlichen Lehre Jesu der Lohngedanke keine Stätte hat. Da gebraucht er wohl auch die Lohnvorstellung als gangbare Münze, aber er legt einen neuen Gehalt in diesen Begriff. Der Gott, welcher die sittlichen Aufgaben stellt, kann gegen ihre Durchf ü h r u n g nicht gleichgültig sein, und die Vergeltung, welche er dem Guten verheißt, ist zuletzt Anerkennung dieses Guten als des Guten. Der Lohn ist danach Vergeltung des von Gott gewollten Guten durch Gott. Wenn Jesus den recht Almosen Gebenden, Betenden, Fastenden die göttliche Vergeltung in Aussicht stellt, so ist das gerade ein menschliches Tun, welches ohne jeden Gedanken an Lohn geschehen ist, welches vielmehr aus einer Herzensgesinnung oder aus innerer Verbindung mit Gott hervorwächst. In dem Gerichtsgemälde Mt 2531 —46 erhalten Belohnung oder Strafe solche, welche gar nicht wissen, warum dies Urteil über sie gefällt wird. Denn die einen h a t der Drang ihres Herzens zur Übung der Barmherzigkeit geführt, während die andern hartherzig waren. Etwas anders gewendet ist der Gedanke in den Gleichnissen von den Talenten, vom ackernden Knecht und von den Arbeitern im Weinberg. Das Gleichnis von den Talenten Mt 2514—30 veranschaulicht den Gedanken, daß Gott die Menschen mit Gaben ausstattet, und der Mensch die Pflicht hat, mit diesem P f u n d zu wuchern. Die königliche Belohnung der beiden ersten Knechte ist daher freier göttlicher Wille, sie ist Gnade. Demnach findet das religiöse Verhältnis seinen zutreffenden Ausdruck in dem Gleichnis von dem ackernden Knecht, der nach des Tages Last und Arbeit auch noch dem zu Tische liegenden Herrn aufwarten m u ß L k 177—9. Aus diesem Gleichnis zieht Jesus die Folgerung: „Also auch ihr, wenn ihr alles getan h a b t , was euch geboten ist, so sprechet: Wir sind unnütze Knechte (SovÄoi ¿xpetoi); was wir schuldig waren zu t u n , haben wir g e t a n " 10. Somit bleibt kein R a u m mehr f ü r irgendwelchen Lohn, sondern n u r die Grundvorstellung des Verhältnisses Gottes zu den Menschen, die wir in dem biblischen Begriff der Gnade kennen. Es schlägt also die Lohnvorstellung schließlich in ihr Gegenteil u m . Der Lohn ist doch n u r freies Geschenk der Gnade Gottes. Charakteristisch hierfür ist Lk632 — 35, wo die Begriffe Gnade und Lohn einfach parallel angewendet werden. Ist doch auch der hundertfältige Lohn f ü r alle um des Reiches Gottes willen gebrachten Opfer Mk 1030 nicht mehr Lohn zu nennen, sondern Überschwang der Gnade Gottes. Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg Mt 201—16 aber zerstört den Lohnbegriff, indem es ihn anwendet. Der Herr h a t Macht, zu t u n mit dem Seinigen, was er will 15. Aber nicht zu willkürlichem und egoistischem T u n verleitet ihn seine Macht, sondern sie ist ihm Anlaß, seine Gnade zu zeigen — „siehest du scheel, daß ich gut (äya&ös) b i n ? " — und zu geben, wo er es nicht nötig h ä t t e : „ich will diesem Letzten geben wie auch d i r " 14. Gottes Barmherzigkeit wird bei der Errichtung des Reiches kundwerden, indem er es auch denen gibt, die kein Anrecht darauf haben, lohnsüchtiges Streben aber wird sich enttäuscht finden. Jesus h a t das rechte Verhältnis des Menschen zu Gott Gotteskindschaft genannt. Dann aber fallen die Kategorien des Rechts oder der Äquivalenz zwischen Lohn und Leistung in diesem Verhältnis dahin. Denn Vertrauen, Unterordnung, Hingabe und Gehorsam sind die Grundpfeiler der Kindschaft. Jesu Gedanken sind damit weit über die jüdische Lohnvorstellung hinweggewachsen 1 .
6. Die Güter des Reiches Gottes. Wir finden das Gesagte bestätigt, wenn wir nach den Gütern fragen, welche das Reich vermittelt. Das erste, was uns Jesu Wirken 1 Daher können wir der von Ehrhardt, Der Grundcharakter der Ethik Jesu, 1895, S 108ff vorgetragenen Ansicht nicht zustimmen, wonach Jesu Lohnbegriff sich zwar über den pharisäischen erhebe, immerhin aber seine ganze Lohnvorstellung zu den Zügen gehöre, in denen seine Verkündigung unter dem messianischen Charakter, den sie angenommen, gelitten habe. Nirgends f ü h r t uns der Gedanke des Lohnes bei Jesus in das Zentrum seiner Vorstellungen, er widerstrebt diesen sogar direkt. Eine gründliche Erörterung des Problems findet sich bei HSchultz, Der sittliche Begriff des Verdienstes und seine Anwendung auf das Verständnis des Werkes Christi, T h S t K r 1894, S 7ff, ferner LIhmels, Der Lohngedanke in der Ethik Jesu, 1908, OKirn, Die sittlichen Forderungen Jesu, BZStrFr VI. Serie, 4. H e f t , 1910, S 36ff, VKirchner, Der Lohn in der alten Philosophie, im bürgerlichen Recht, im NT, 1908. Vgl. auch unten vor K a p . 9 (S. 118).
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Die Lehre Jesu nach der Darstellung der Evangelien
vor Augen führt, ist die Sündenvergebung im Reiche Gottes. Indem Jesus „das angenehme J a h r des Herrn" mit seinem Auftreten angebrochen sieht, bringt er denen, die in sittlichem Elend und geistiger Gefangenschaft und Gebundenheit sind, Befreiung Lk 418 f. Als Menschensohn beansprucht er schon „auf der Erde", d . h . bereits im noch nicht vollendeten Reiche, das Recht der Sündenvergebung Mt 9» Lk 7 47 f . Das futurische: „ J e d e Sünde und Lästerung wird den Menschen vergeben werden" Mt 1231 weist auf die Zeit der Errichtung des Reiches. Das Gleichnis vom Schalksknecht Mt I821 —35, welches Matthäus 23 ausdrücklich in Beziehung zu den Ordnungen des Himmelreichs setzt, ist eine laute Predigt von der Bereitschaft Gottes, den Menschen ihre ganze, wenn auch noch so große Sündenschuld zu vergeben. Und Lk 15, das Kapitel mit den drei Gleichnissen, welche vom Verlorenen handeln, hat man das Evangelium im Evangelium genannt, weil Gottes Sünderliebe hier einen so ergreifenden Ausdruck findet. Alle diese vier Gleichnisse aber können nicht von der Person Jesu losgelöst werden oder, anders ausgedrückt, sie sind aus Jesu beruflichem Bewußtsein gesprochen. Denn die unbegrenzte Vergebungsbereitschaft Gottes, die suchende Sünderliebe Gottes und die freudige Aufnahme des reuig umkehrenden Sünders durch Gott ist erst in der Person und dem Wirken Jesu Wirklichkeit und Wahrheit geworden. Vor Jesus kannte die Welt Gott so nicht. Die Sündenvergebung ist aber die Herstellung des Zustandes der Gerechtigkeit. Jesus selbst hat die Bußforderung des Täufers den „Weg der Gerechtigkeit" genannt Mt 21sif. Daher gehen die Zöllner und Dirnen, welche sich der Bußpredigt erschließen, den Führern des Volkes voran in das Reich Gottes. Das Hungern und Dürsten nach der Gerechtigkeit Mt 5 s wächst aus dem Sündengefühl hervor. Diesen Hungernden wird in Aussicht gestellt, daß sie im Himmelreich gesättigt werden sollen. Das eigentliche Heilsgut des Reiches Gottes ist aber das ewige Leben. Die Vergebung der Sünden und der dadurch hergestellte Zustand der Gerechtigkeit ist nur die Voraussetzung des ewigen Lebens. Denn für den Glauben der Bibel gehören Sünde und Tod ebenso zusammen wie Gerechtigkeit und ewiges Leben. Mit der Vorstellung vom ewigen Leben knüpft Jesus wiederum an atliche und jüdische Ge danken an 1 . Das Danielbuch redet zuerst von dem „ewigen Leben" der Frommen 122; dann im ersten vorchristlichen Jahrhundert der PsSal3l2, ferner Hen 374 409 62iaff II Makk 714 36 IV Makk 15s. Im AT ist mit Ausdrücken wie „das Leben" Deut 3015 19, „Weg des Lebens" J e r 218, „Pfad des Lebens" Prov 2>9, irdisches Leben und Wohlsein gemeint. Ps 1 6 l l : „Du wirst mir den Lebenspfad kundtun" ist vielleicht schon an ein Leben nach dem Tode gedacht. Später wird der Gedanke an das „ewige Leben" der Auferstandenen auch mit den eben genannten atlichen Stellen verknüpft, so daß „Leben" für „ewiges Leben" gebraucht werden kann. Dies geschieht schon in Ps Sal 9J 14IO II Makk 714 und in der jüdischen Schrift „Weg des Lebens". Auch in den synoptischen Evangelien kommt indeterminiertes „Leben" in diesem Sinne vor Mt 714
18sf u. ö.
Was ist für Jesus ewiges Leben ? Alle eudämonistischen und chiliastischen Elemente sind für ihn in diesem Begriff ausgeschlossen. Das ewige Leben ist für ihn ein religiöser Begriff als Gabe Gottes; aber er ist ihm auch ethisch bestimmt, weil Gott für ihn der Inbegriff aller ethischen Vollkommenheit ist, Mt 548 Mk 10i8. Der Reiche, der ihn fragt, was er zu tun habe, um das ewige Leben zu ererben, hat auch seinerseits die sichere Empfindung, daß zur Erlangung dieses Zieles sittliche Vollkommenheit gehöre. Denn er redet Jesus „guter Meister" an Mk 10i7 und nimmt als selbstverständliche Voraussetzung zur Erlangung des ewigen Lebens das Halten der göttlichen Gebote hin. Die Gerechten gehen in das ewige Leben, die Bösen zur ewigen Bestrafung Mt 2546, auch Mt 1343. Der Weg, der zum Leben führt, verlangt ernstes sittliches Streben Mt 7i4. In den synoptischen Evangelien findet sich keine Stelle, in welcher Jesus direkt sagte, was ihm ewiges Leben ist. Aber der Sinn, den er damit verband, kann nach dem Gesagten und der Gesamtanschauung Jesu von Gott und seiner Berufsaufgabe nicht zweifelhaft sein. Ewiges Leben ist ihm das Leben im Reiche Gottes, in der vollen, ungetrübten Gemeinschaft Gottes, wie er sie schon auf der Erde genießt und als dasseligste Gut des Menschen kennt, ein Leben, in welchem alle Unvollkommenheit beseitigt ist, da Gottes vollkommener Wille unbedingt herrscht. Durchaus im Einklang mit der Synopse ist also die Begriffsbestimmung, welche 1 Vgl zum Folgenden Dalman, S 127ff.
Das Reich Gottes
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Jesus im vierten Evangelium im hohenpriesterlichen Gebet Joh 173, vgl auch I Joh 520, vom ewigen Leben gibt: „Darin besteht das ewige Leben, daß sie dich als den alleinigen wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus erkennen". Denn die hier ausgesagte und verlangte Erkenntnis Gottes und Christi schließt die volle Lebensgemeinschaft mit Gott und Christus samt deren Betätigung in sich. „Das Leben" kann ebensogut als ein Zustand oder ein Bereich gedacht werden wie „das Reich". Daher begegnen gleiche Ausdrücke, wie wir sie in Verbindung mit dem Reich hatten: „das Leben ererben" Mt 1929 Mk 10i7, „eingehen ins Leben" Mt 188f oder „fortgehen ins Leben" Mt 2546, wie auch Mk 9*5 47 „ins Leben" und „ins Reich Gottes eingehen" und Mt 19ief par „das ewige Leben erhalten" und „in das Reich Gottes eingehen" als gleichartige Begriffe gebraucht werden. 7. Die Gotteskindscbaft. Wir sprachen schon S 78 aus, daß Jesus das rechte Verhältnis des Menschen zu Gott Gotteskindschaft genannt hat. Diese Anschauung wächst naturhaft aus Jesu Verkündigung heraus, sie kann nicht anders sein. Denn Jesus will das Reich Gottes bringen. Gott ist ihm aber nicht nur Herr und Haupt dieses Reiches, sondern er ist der Vater. Gott der Vater, Jesus der Sohn. Und als Sohn des Vaters will er die Menschen in die Lebens- und Wesensgemeinschaft, in der er mit Gott steht, hineinziehen. Auch die Menschen sollen Söhne Gottes werden. Wir haben im Evangelium zwei Stellen, in denen Jesus das Wesen dieser Sohnschaft nach den wichtigsten Seiten entfaltet hat. Das Ziel wird gesteckt Mt 548: „Ihr sollt nun vollkommen (rekeiot) sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen i s t " . Mt 548 ist Höhepunkt und Abschluß des ganzen mit 520 eingeleiteten Redeabschnitts über die bessere Gerechtigkeit des Reichsgenossen. Jesus hatte gesagt, daß man Zornesgesinnung, sinnliche Gelüste, selbst die geringste Unwahrhaftigkeit, alles Widerstehen gegen das erfahrene Böse zu vermeiden habe. Er hatte Gott als das Urbild des freundlichen und gütigen, auch vor Bosheit und Sünde nicht Halt machenden sittlichen Verhaltens gezeigt. Nun faßt er die ganze sittliche Aufgabe des Menschen, also die wahre Gerechtigkeit der Glieder des Gottesreiches, in der Forderung der sittlichen Vollkommenheit zusammen, die ihre Norm an der Vollkommenheit Gottes hat. Nicht mehr ist wie in der atlichen Parallele Lev 192: „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig" Heiligkeit die Zentralforderung — Heiligkeit kann auch rituell und kultisch sein —, sondern die absolute sittliche Reinheit und Vollkommenheit. Lk 635 bietet aber hier die notwendige Ergänzung zum Mt-Text, indem er hinzufügt: „So werdet ihr Söhne des Höchsten sein". Es gilt nicht nur, was im Johannesevangelium klar hervortritt, z. B. Joh 5i9, qualis pater, talis filius, sondern auch qualis pater, tales filii. Der Gedanke des Gottesreiches ist für Jesus verknüpft gewesen mit dem Gedanken Gottes des Vaters, und erst in dieser Verbindung tritt die volle sittliche Verpflichtung des Menschen heraus. Indem nun aber Jesus so Großes und aus der eigenen Kraft Unerreichbares von uns fordert, unterläßt er es nicht, auch den Weg zu kennzeichnen, auf dem dies Ziel erreicht werden kann und vom Menschen erreicht werden muß. Jesus fordert die Geburt „von oben" (ävwftev), aus Gott, oder wie wohl besser wegen des „wiederum" (ÖEVTBQOV) 4 auszulegen ist, die Wiedergeburt Joh 33ff. Und zwar wird die Wiedergeburt hier sogar direkt als Bedingung des Eintritts in das Reich Gottes gefordert, worauf sogleich weiter einzugehen sein wird. Hier heben wir den Gedanken heraus, daß schon Jesus selbst die Erfüllung des Willens Gottes, oder anders ausgedrückt, die Erlangung der Gotteskindschaft an die Erfüllung mit dem Geiste Gottes geknüpft hat. Gottes Kind kann nur sein, wer sich nicht vom Fleisch und Fleischeswillen leiten läßt, sondern sein Leben ganz unter die Wirkungskraft desGottesgeistes stellt. Das kann aber nur durch eine Handlung Gottes am Menschen geschehen, welche als ein Von-neuem-geboren-werden gedacht wird, also als schöpferischer Akt Gottes Joh li3. 8. Die Bedingungen des Eintritts in das Reich Gottes. Gleich der erste Himmelreichsruf Jesu gibt die Bedingung des Eintritts in das Gottesreich a n : Buße Mt 4i7. In Jesu Bußmahnung tritt aber ein charakteristischer Unterschied von dem Täufer zutage. Denn diesen beschäftigt auch die Frage der Abrahamssohnschaft der sich für das Gottesreich Bereitenden, bei Jesus aber liegt der nationale und theokratische Anspruch Israels ganz außerhalb des Gesichtskreises. Jesus stellt seine religiös-sitt-
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Die Lehre Jesu nach der Darstellung der Evangelien
liehen Forderungen so allgemein, d a ß sie keine Beschränkung auf das auserwählte Y o l k Gottes leiden. Sie gelten der Menschheit überhaupt, wenn, sie auch innerhalb Israels ausgesprochen worden sind. E r h a t d a s i n d e n E v a n g e l i e n v o r l i e g e n d e g r i e c h i s c h e W o r t f ü r B u ß e ( f i e t d v o i a ) n i c h t geb r a u c h t , u n d d a h e r k a n n a u s d e r E t y m o l o g i e dieses W o r t s d i e B e d e u t u n g n i c h t e n t n o m m e n •werden, w e l c h e J e s u s d a m i t v e r b a n d . D a s j ü d i s c h e B u ß i n s t i t u t a b e r w a r e t w a s g a n z a n d e r e s , e t w a s äußerlich Zeremoniales; d a m i t h a t J e s u B u ß f o r d e r u n g nichts zu t u n . E s ist jedoch a u c h ziemlich gleichgültig, welches a r a m ä i s c h e W o r t er a n g e w e n d e t h a t . Mit solchen f o r m a l e n F r a g e n u n d aus denselben e n t n o m m e n e n Zweifeln an der Geschichtlichkeit unserer evangelischen Ü b e r lieferung 1 k a n n die T a t s a c h e n i c h t a u s der W e l t g e s c h a f f t w e r d e n , d a ß ein ganz b e s t i m m t e r Sachv e r h a l t E r k l ä r u n g f o r d e r t . J e s u s h a t t a t s ä c h l i c h e i n e volle Ä n d e r u n g d e s religiösen V e r h ä l t n i s s e s verlangt. E r h a t verlangt, was in d e m griechischen W o r t f ü r B u ß e angedeutet liegt, w e n n m a n seine B e z i e h u n g a u f d i e r e l i g i ö s - s i t t l i c h e S p h ä r e e i n s c h r ä n k t : „ U m s i n n u n g " , Ä n d e r u n g d e r religiösen Gesinnung u n d des bis d a h i n geübten Verhaltens, A b k e h r v o n den bisherigen Idealen u n d H i n w e n d u n g d e r g a n z e n P e r s o n z u G o t t u ü d seinem h e i l i g e n W i l l e n . U n d e r h a t seine F o r d e r u n g i n so u m f a s s e n d e m S i n n e g e s t e l l t , d e n G o t t e s w i l l e n i n solcher V o l l k o m m e n h e i t e r f a ß t , d a ß , a n s e i n e r F o r d e r u n g g e m e s s e n , j e d e r M e n s c h u n e n d l i c h w e i t h i n t e r d e m Ziel z u r ü c k b l e i b t . D e r B u ß r u f J e s u r i c h t e t sich also n i c h t n u r a n einzelne Volksklassen, e t w a a n die h o c h m ü t i g e n u n d selbstg e r e c h t e n P h a r i s ä e r , o d e r d i e Z ö l l n e r u n d D i r n e n als die S ü n d e r i m b e s o n d e r e n S i n n e , o d e r n u r a n I s r a e l , s o n d e r n e r g i l t j e d e m M e n s c h e n , d e r i n s R e i c h G o t t e s e i n t r e t e n will L k 1 3 l — 5 M t I I 20—24 1241, v g l . S 2 8 f . D i e s E r g e b n i s b e s t ä t i g t d a s v i e r t e E v a n g e l i u m , w e n n i m G e s p r ä c h m i t N i k o d e m u s als B e d i n g u n g des Eingehens in d a s R e i c h Gottes die W i e d e r g e b u r t v e r l a n g t wird J o h 33.
W i e schon S. 78 ausgeführt worden ist, steht m i t der Vorstellung v o n der B u ß e in engster Verbindung die Gerechtigkeit. D e n n die Sinnesänderung bedingt j a n u n ein ganz neues Verhalten des Menschen. Die E v a n g e l i e n sprechen auch klar u n d deutlich aus, daß in das R e i c h Gottes nur eingehen wird, wer den Willen Gottes wirklich erfüllt Mt 1 9 i e f f 2128—32 Lk 1325—27. Besonders aus der Bergpredigt ist dieser Gedanke zu erheben. D e r Jünger Licht soll vor den Menschen leuchten, damit diese ihre g u t e n Werke sehen u n d den Vater im H i m m e l preisen M t 5 i 6 . A u c h 721 wird gesagt, daß nur diejenigen ins H i m m e l r e i c h k o m m e n sollen, welche Gottes Willen t u n , u n d die beiden Schlußgleichnisse der Bergpredigt Mt 724—27 veranschaulichen den gleichen Gedanken. Ferner eröffnet Jesus die A n t i t h e s e n der atlichen u n d der ntlichen Sittlichkeit mit der feierlichen Aussage, daß die Menschen nicht ins Himmelreich eing e h e n werden, w e n n ihre Gerechtigkeit nicht besser ist als die der Schriftgelehrten u n d Pharisäer Mt 520. A b e r h i e r s c h l ä g t d i e F o r d e r u n g J e s u d o c h w i e d e r wie b e i m L o h n g e d a n k e n u m , t r ä g t d e r menschlichen S c h w a c h h e i t R e c h n u n g u n d stellt wieder Gottes allmächtigen Heils- u n d Liebesw i l l e n , d i e g ö t t l i c h e G n a d e i n d e n V o r d e r g r u n d . D e r G e d a n k e , d a s R e i c h G o t t e s sei E r f o l g u n d R e s u l t a t der Gerechtigkeitsübung der Menschen, h a t f ü r J e s u Anschauung keine besondere Bed e u t u n g . Z w a r f e h l t es n i c h t g a n z a n Ä u ß e r u n g e n J e s u , w o n a c h e r e i n e t a t s ä c h l i c h e m e n s c h l i c h e G e r e c h t i g k e i t a n e r k e n n t . E r p r e i s t selig d i e u m G e r e c h t i g k e i t w i l l e n V e r f o l g t e n u n d v e r h e i ß t i h n e n d a s H i m m e l r e i c h M t 5l0, v g l a u c h 11 f . A u c h soll d a s R e i c h e i n e m V o l k g e g e b e n w e r d e n , welches F r ü c h t e des Reiches bringt, d. h. welches t u t , was v o n Reichsgenossen verlangt wird M t 2143. A b e r m a n w i r d s o l c h e W o r t e n i c h t p r e s s e n d ü r f e n . I h r r e c h t e s V e r s t ä n d n i s l i e g t d o c h a u c h i m S i n n e d e s M t 2132 g e n a n n t e n „ W e g e s d e r G e r e c h t i g k e i t " , d e r e b e n d e r W e g d e r B u ß e i s t , u n d d e r Schriftgelehrte, d e r n i c h t weit e n t f e r n t v o m Reiche G o t t e s ist, weil er d a s Liebesgebot v o r d a s Z e r e m o n i a l e u n d K u l t i s c h e g e s t e l l t h a t M k 1232—34, h a t d o c h a u c h n u r e i n e religiöse E r k e n n t n i s a u s g e s p r o c h e n , n i c h t a b e r sie i n d i e T a t u m g e s e t z t . D i e J ü n g e r , w e l c h e M t 5l0 selig g e p r i e s e n w e r d e n , d a ß sie u m G e r e c h t i g k e i t w i l l e n v e r f o l g t w e r d e n , s i n d d o c h w o h l k e i n e a n d e r e n a l s d i e n a c h G e r e c h t i g k e i t H u n g e r n d e n u n d D ü r s t e n d e n 6.
D e r Mensch m u ß Gott u m seine Heilsgaben b i t t e n u n d in solcher B i t t e n i c h t m ü d e werden Lk 18i—8, d e n n Gott schenkt gern den vertrauensvoll B i t t e n d e n Mt 77—n Lk 1232. Er m u ß d e m ü t i g u n d m i t offenem Sinn das Reich als Gabe Gottes a n n e h m e n Mt 183. D e n ergreifendsten Ausdruck aber für die B e d i n g u n g e n des Eintritts in das Reich hat Jesus in den Seligpreisungen gefunden Mt 53—10. Gemeint sind nicht acht verschiedene Klassen v o n Menschen oder solche, welche sich in einer b e s t i m m t e n Stufenfolge religiös-sittlicher E n t w i c k l u n g vorwärts b e w e g e n , sondern i m m e r werden dieselben Menschen, ihre Gesinnung und ihr Verhalten in bezug auf Gott u n d die W e l t i n 1 Wrede, ZNW I S 6 6 - 6 9 .
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Das Reich Gottes
v e r s c h i e d e n e r W e i s e b e s c h r i e b e n . E s sind die „ A r m e n in i h r e m G e i s t e " , also die, w e l c h e h i n s i c h t l i c h i h r e s i n n e r e n L e b e n s i m G e f ü h l i h r e r U n f ä h i g k e i t sich selbst zu h e l f e n , v o r G o t t als B e t t l e r d a s t e h e n ; die, w e l c h e n , w a s i h n e n lieb w a r , g e n o m m e n i s t , so d a ß sie sich i n dieser W e l t n i c h t h e i m i s c h f ü h l e n ; die s c h l i c h t e n , g e r a d e n H e r z e n s s i n d ( n a c h P s 117), die S a n f t m ü t i g e n , B a r m h e r z i g e n , F r i e d e n s s t i f t e r u n d die, w e l c h e i m G e f ü h l i h r e s M a n g e l s sich d e m r e c h t e n religiös-sittlichen Z u s t a n d e n t g e g e n s e h n e n , d a f ü r a b e r a u c h V e r f o l g u n g e r d u l d e n . H e g e l h a t r e c h t : diese W o r t e s i n d v o m G r ö ß t e n , w a s j e g e s p r o c h e n w u r d e . K e i n e Religion d e r E r d e h a t d e n S e l i g p r e i s u n g e n e t w a s Ä h n l i c h e s a n die Seite zu s t e l l e n . H i e r s p r i c h t j e m a n d zu u n s , d e r d e n g a n z e n u n g e h e u r e n D r u c k d e s E r d e n l e i d s u n d M e n s c h e n e l e n d s , die t i e f e S e h n s u c h t d e r sich ihrer Unvollkommenheit b e w u ß t e n u n d n a c h Gott u n d seiner Gerechtigkeit schreiend e n Menschenseele k e n n t : j e m a n d , d e r w e i ß , d a ß n i c h t i r d i s c h e G r ö ß e u n d Ü b e r l e g e n h e i t d e s Geistes, s o n d e r n R e i n h e i t des H e r z e n s u n d s a n f t m ü t i g e G e s i n n u n g die g r ö ß t e n u n d e d e l s t e n G ü t e r s i n d . A b e r es i s t n o c h m e h r i n d i e s e n S e l i g p r e i s u n g e n . D e r sie g e s p r o c h e n h a t , h a t i n sich d a s B e w u ß t s e i n g e t r a g e n , d a ß alle S e h n s u c h t d e s M e n s c h e n h e r z e n s n a c h V o l l k o m m e n h e i t u n d R e i n h e i t i h r e E r f ü l l u n g f i n d e n soll. I m R e i c h e G o t t e s w i r d all dieser M a n g e l i n selige F ü l l e u m s c h l a g e n . 9. D a s R e i c h Gottes als G e m e i n s c h a f t . N a c h d e m K a n t 1 i n d e r I d e e v o m R e i c h e G o t t e s e i n e n a u c h f ü r u n s e r e Z e i t w e r t v o l l e n B e g r i f f e r k a n n t h a t t e , i n d e m e r d e n Ged a n k e n der sittlichen Gemeinschaft in ihr ausgedrückt f a n d , ist im abgelaufenen J a h r h u n d e r t d a s R e i c h G o t t e s ö f t e r s u n t e r d i e s e m G e s i c h t s p u n k t e d a r g e s t e l l t w o r d e n . So h a t L i p s i u s d a s R e i c h G o t t e s als d a s v o l l k o m m e n e , v o m W i l l e n G o t t e s völlig d u r c h w a l t e t e , v o n d e r I d e e d e r L i e b e b e h e r r s c h t e G e m e i n w e s e n g e f a ß t , R i t s e h l h a t es als die G e s a m t h e i t d e r d u r c h g e r e c h t e s H a n d e l n v e r b u n d e n e n U n t e r t a n e n G o t t e s , W e l l h a u s e n als die G e m e i n s c h a f t d e r n a c h d e r G e r e c h t i g k e i t G o t t e s t r a c h t e n d e n Seelen verstanden. Von den drei genannten Theologen h a t Wellhausen den aus den synopt i s c h e n E v a n g e l i e n zu e r h e b e n d e n T a t b e s t a n d a m r i c h t i g s t e n b e u r t e i l t . D e n n n a c h d e r g e g e b e n e n D a r s t e l l u n g v o m R e i c h e G o t t e s k a n n k e i n e R e d e d a v o n sein, d a ß d i e s y n o p t i s c h e n W o r t e , w e l c h e a u f d a s G e m e i n s c h a f t s v e r h ä l t n i s d e r Glieder d e s R e i c h e s G o t t e s zu b e z i e h e n sind, zu so u m f a s s e n d e n B e s t i m m u n g e n wie d e n j e n i g e n v o n L i p sius u n d R i t s e h l b e r e c h t i g t e n . J e s u s h a t seine m e s s i a n i s c h e A u f g a b e d a r i n g e s e h e n , sein S o h n e s b e w u ß t s e i n u n d seine G o t t e s g e m e i n s c h a f t a u c h in d e r M e n s c h e n w e l t w i r k s a m zu m a c h e n . W o e r also M e n s c h e n i n die G o t t e s k i n d s c h a f t u n d die G e m e i n s c h a f t m i t G o t t h i n e i n z o g , d a w a r f ü r i h n V e r w i r k l i c h u n g des R e i c h e s G o t t e s , u n d n a t u r g e m ä ß b i l d e t e n die f ü r d a s G o t t e s r e i c h G e w o n n e n e n eine G e m e i n s c h a f t , i n w e l c h e r d a s N e u e , w a s sie e r f ü l l t e , a u c h z u r A u s w i r k u n g k a m . D i e n ä h e r e B e s t i m m u n g a b e r z u n ä c h s t d e r zu d i e s e r Gem e i n s c h a f t G e h ö r i g e n k a n n n u r eine f l i e ß e n d e sein. D e n n d e r Begriff d e r J ü n g e r s c h a f t J e s u i s t k e i n f e s t e r . D i e zwölf A p o s t e l b i l d e n d e n G r u n d s t o c k , a n d e n sich e i n w e i t e r e r , n i c h t f e s t b e s t i m m b a r e r K r e i s a n s c h l o ß M k 4io, „ d i e u m i h n m i t d e n Z w ö l f e n " . N a c h L k 6i3 v g l J o h 670 w ä h l t e e r a u s d e r Z a h l seiner J ü n g e r d i e Zwölf A p o s t e l a u s . I n d e r d r i t t e n L e i d e n s w e i s s a g u n g b e r i c h t e t M t 2017, d a ß er die Zwölf besonders genommen habe, offenbar aus der Zahl der ihn begleitenden Jünger. Nach J o h 666 v e r l i e ß e n seit d e r B e l e h r u n g in d e r S y n a g o g e i n K a p e r n a u m J e s u m viele seiner J ü n g e r u n d w a n d e l t e n n i c h t m e h r m i t i h m . W e i t e r f ü h r t u n s die Ü b e r l i e f e r u n g v o n d e r „ N a c h f o l g e " (axokyv&etv) J e s u . J e s u s stellt ö f t e r s die F o r d e r u n g , i h m n a c h z u f o l g e n M t 822 9« 1038 1921, v g l M t 1927 ff, d . h . n i c h t n u r sich seiner B e g l e i t u n g a n z u s c h l i e ß e n , s o n d e r n a u c h die L e b e n s f ü h r u n g n a c h s e i n e m , des Meisters W i l l e n u n d V o r b i l d e i n z u r i c h t e n . A b e r a u c h hier ist k e i n e s c h a r f e G r e n z e zu z i e h e n . D e n n J e s u s w e h r t d e n J ü n g e r n , welche e i n e n , „ d e r u n s n i c h t n a c h f o l g t " , g e h i n d e r t h a b e n , T a t e n i n seinem N a m e n zu t u n M k 9 38 f f . Ä h n l i c h ist d e r a u s d e m J o h a n n e s e v a n g e l i u m zu e r h e b e n d e T a t b e s t a n d . D o r t t r e t e n u n s s e h r v e r s c h i e d e n e S t u f e n des G l a u b e n s a n J e s u s e n t g e g e n . A u f d e m e r s t e n P a s s a h f e s t e zu J e r u s a l e m w u r d e n viele J u d e n a n J e s u s g l ä u b i g J o h 223 f f , J e s u s a b e r v e r t r a u t e sich i h n e n n i c h t a n , weil er i h r I n n e r e s k a n n t e . D i e S t r e i t v e r h a n d l u n g 831 ff w e n d e t sich g e g e n die „ a n i h n g l ä u b i g g e w o r d e nen J u d e n " , u n d sofort bricht j a auch ihr Unglaube durch. Aber selbst mit d e n 1 Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, 1793, III, 3. Feine: Theologie. 8. Aufi.
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Die Lehre Jesu nach der Darstellung der Evangelien
J ü n g e r n h a t er zu ringen, weil ihr Glaube noch große Mängel h a t Ó66 149 f. D e r h i e r g e n a n n t e Glaube ist aber im G r u n d e nichts anderes als der Grad u n d die Energie des Anschlusses an die Person J e s u . Solange das Reich Gottes n i c h t in der Vollendung d a w a r , m u ß t e n seine J ü n g e r aus ihren Volksgenossen ausgewählt u n d von ihnen abgesondert werden. I n d e m Bek e n n t n i s zu Jesu Messianität u n d göttlicher Sendung liegt gemeindebildende K r a f t , u n d das wird in jener entscheidenden S t u n d e vor Caesarea Philippi, der S t u n d e desMessiasbekenntnisses, in J e s u Belehrung zum Ausdruck gekommen sein. Die S p u r e n davon sind in Mk 834—38 noch zu f i n d e n . D e n n Selbstverleugnung, A u f n a h m e des Kreuzes in J e s u Nachfolge, Einsetzung des Lebens u m J e s u u n d des Evangeliums willen sind F o r d e r u n g e n , die Jesus an die Seinen stellt u n d deren E r f ü l l u n g sie von andern Menschen unterscheidet. W e r sich seiner j e t z t s c h ä m t in diesem ehebrecherischen u n d sündigen Geschlecht, dessen wird sich der Menschensohn dereinst auch im Gericht schämen Mk 838. Auch bei J o h a n n e s b e t o n t P e t r u s im N a m e n der J ü n g e r : „ Z u wem sollen wir f o r t g e h e n ? D u h a s t W o r t e des ewigen L e b e n s " J o h 668. Somit sind J e s u J ü n g e r v o m J u d e n t u m u n d anderen religiösen Gemeinschaften abgegrenzt. 10. Beich Gottes u n d Kirche. Jesus g e b r a u c h t in zwei Stellen unserer E v a n g e l i e n den Ausdruck ¿xxhjala, den wir als „ G e m e i n d e " oder aber als „ K i r c h e " wiederzugeben h a b e n , Mt 16is u n d I817. Der Begriff Ekklesia stammt aus dem Griechentum. Aber erst in LXX hat er die religiöse Bedeutung erhalten, an welche dann das Christentum angeknüpft hat. Bei den Griechen, und zwar in den freien griechischen Stadt-Staaten ist Ekklesia die gesetzmäßig berufene Versammlung der freien Bürger, in der über die öffentlichen Angelegenheiten verhandelt wurde. In L X X begegnet Ekklesia als Übersetzung zweier Worte, und rnSJ, mit welchen die Versammlung der israelitischen Volksgemeinde bezeichnet wird. Beide hebräische Worte werden in LXX aber auch durch ovvaywyrj wiedergegeben. Das aramäische Äquivalent für txxXrjaia ist k'nischta. In den Apokryphen des ATs ist Ekklesia Gemeindeversammlung, Volksversammlung, Zusammenkunft, auch Volksgesamtheit. Wird im AT von der israelitischen Volksgemeinde und ihrer Versammlung gesprochen, so wird nicht an das Volkstum Israels nach seiner nationalen, sondern nach seiner heilsgeschichtlichen Besonderheit und Ausprägung gedacht.
Mt 16i8f sagt Jesus, n a c h d e m P e t r u s ihn als Messias b e k a n n t b a t t e : „ U n d ich sage dir aber, du bi6t P e t r u s , u n d auf diesen Felsen will ich meine Kirche b a u e n (ini Taétfl r f j TiéxQq. olxoöoftrjoa) ftou zrjv ixxXrjaiav), u n d die P f o r t e n des H a d e s sollen sie nicht überwältigen. Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben (öwaco aoi rag xAeióa; Tf/g ßaaiielag xmv ovgavwv), u n d was du auf der E r d e bindest, soll geb u n d e n sein im H i m m e l , u n d was d u lösest auf der E r d e , soll gelöst sein im H i m m e l " . E s h a t den Anschein, als ob hier „ K i r c h e " u n d „ R e i c h G o t t e s " als Parallelbegriffe g e b r a u c h t seien. A b e r es ist doch ein Unterschied. Die Kirche ist die G e meinde der auf der E r d e a n Christus Gläubigen, das Himmelreich ist, wie wir festgestellt h a b e n , der H i m m e l u n d E r d e umfassende Machtbereich Gottes. Himmelreich ist also der überragende Begriff, u n d es spielt in ihm m i t herein d e r Gedanke a n den E n d - u n d Vollendungszustand. Dem P e t r u s wird als dem irdischen Bevollmächtigten Jesu das R e c h t des Bindens u n d Lösens, d . h . n a c h der wahrscheinlichsten Auslegung das R e c h t des Vergebens u n d Nichtvergebens der Sünden e i n g e r ä u m t . D e n n was P e t r u s t u t , soll er im N a m e n u n d in der K r a f t Jesu t u n , u n d das soll im Reiche der Vollendung als zu R e c h t bestehend a n e r k a n n t werden. I n dieser Vorstellung v o m Wesen u n d der A r t des Reiches liegt nichts, was Jesus selbst abzusprechen w ä r e . A u c h h a t m a n es n i c h t nötig, die E c h t h e i t dieses Jesuswortes m i t der B e g r ü n d u n g anzuzweifeln, d a ß hier von einer Stellung des P e t r u s gesprochen werde, welche dieser erst innerhalb der Urkirche gewonnen h ä t t e . Vielmehr h a t j a eben P e t r u s diese Stellung dort gerade n i c h t g e h a b t (vgl Gal 2 u n d die sonstige B e z u g n a h m e des P a u l u s auf Petrus), j a nicht einmal in der judenchristlichen Urgemeinde, d e n n hier liegt die Leitung — wie die entscheidende A u t o r i t ä t — in der H a n d des J a k o b u s . A u c h an eine spätere Interpolation k a n n nicht gedacht werden, d a schon J o h 1*2 offensichtlich Mt 1618 zur Voraussetzung h a t . W e n n m a n die E n t s t e h u n g des Wortes sogar ins zweite J a h r h u n d e r t h a t hinabverlegen wollen, so ist d a m i t der Boden einer gesunden Behandlung des Textes verlassen worden, d e n n die ntliche Textgeschichte gibt keine H a n d h a b e f ü r eine solche Theorie. Nirgendwo in den H a n d s c h r i f t e n gibt es Indizien
Das Reich Gottes
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f ü r e i n e so späte E n t s t e h u n g b z w . für eine U n e i n h e i t l i c h k e i t des T e x t e s . O h n e Z w e i f e l h a t Mt 1 6 i s f v o n v o r n h e r e i n z u m B e s t a n d d e s E v a n g e l i u m s gehört. Bultmann ist f ü r eine von der Gemeinde selbständig geschaffene Gemeinderegel (Gesch. d. syn. Trad. S156), bzw. f ü r eine vorverlegte Ostergeschichte (Joh.kommentar S 522, Anm. 1), Stauffer meint (ZKG 1943, 26), das Wort sei in Polemik gegen Paulus an diese Stelle gerückt worden, u m dessen Apostolatsanspruch, der sich auf einen Auftrag des A u f e r s t a n d e n e n gründet, durch ein Wort Jesu aus der Zeit v o r seiner Auferstehung zu entkräften, um n u r die beiden neuesten Lösungsversuche anzuführen 1 . Tatsächlich ist Matth 1618 f nicht ohne Schwierigkeiten, vor allem ist auf den neben Matth 1817 f ü r die Evangelien singulären Gebrauch von ixxXrjaia hinzuweisen. (Mit Recht sind jedoch, vgl. z. B . Schniewind z. Stelle in N T - D e u t s c h 2, die Parallelen in A T und Hen betont worden.) Daß aber Petrus eine Vorrangstellung gegenüber den anderen Jüngern eingenommen hat, geht aus den Berichten der Evangelien immer wieder hervor, so daß in diesem Zusammenhang Matth 16l8f keine Schwierigkeiten bietet und sich das eine leicht aus dem anderen erklärt. Die Voraussetzung einer ursprünglich aramäischen Fassung des Wortes braucht zwar seine Formulierung durch Jesus nicht zu beweisen, wie vielfach behauptet, und könnte auch auf bestimmte Kreise der Gemeinde zutreffen. Dennoch aber ist diese Annahme im Hinblick auf den historischen Tatbestand unwahrscheinlich. Matth 1818 ist der Annahme Stauffers direkt entgegen. Und eine Formulierung von Mt 16l8f durch die Gemeinde (Bultmann) ist in Anbetracht der tatsächlichen Rolle des Petrus bereits in der Urgemeinde kaum denkbar. Denn neben der Vorrangstellung des Petrus, welche die Evangelien und Apg (in den ersten Kapiteln) zeichnen, wird doch — auch in Matth — immer wieder sein menschliches wie geistliches Versagen berichtet (z. B . Mt 1623; 1821 f ; 1927 ; 2633ff 40 usw; die Auferstehungsgeschichte usw), das eine ebenso unbestreitbar wie das andere. Wenn wir die Aussagen des Paulus dazu nehmen, die uns einen gelegentlichen direkten Einblick in die Zustände um die Mitte des 1. Jahrhunderts geben, ist uns die Ausflucht, Mt 1618f zum vaticinium ex eventu zu e r k l ä r e n , verwehrt. Die Historizität von Mt 1618f ist tatsächlich die lectio difficilior (vgl KLSchmidt in T h W I I I , 527) und somit die wahrscheinliche Lösung der — nicht zuletzt aus konfessionellen Gründen 2 — vielumstrittenen Frage. W i r b e t r a c h t e n also Mt 1 6 i 8 f als ein H e r r e n w o r t . J e s u s selbst h a t d a n a c h zwis c h e n „ K i r c h e " als der G e m e i n s c h a f t der a n i h n G l ä u b i g e n u n d „ R e i c h G o t t e s " als d e m H i m m e l u n d E r d e u m s p a n n e n d e n Gottesreich u n t e r s c h i e d e n . E r h a t g e w o l l t , d a ß die Seinigen sich auf E r d e n zu solcher G e m e i n s c h a f t z u s a m m e n s c h l i e ß e n sollen. U n d n o c h m e h r s a g t e r : er selbst will seine K i r c h e m i t i h r e n S e g n u n g e n auf P e t r u s b a u e n . E r h a t sie also s e l b s t gegründet u n d g e b a u t . D i e K i r c h e ist eine S t i f t u n g Christi. W i e , u n d z w a r durch w e l c h e s H a n d e l n er d i e S t i f t u n g der K i r c h e v o l l z i e h e n wird, s a g t er hier e b e n s o w e n i g , w i e wir i m v o r i g e n A b s c h n i t t d e n B e g r i f f der J ü n g e r s c h a f t J e s u f e s t u m g r e n z e n k o n n t e n . J e s u W e r k ist j a erst m i t s e i n e m K r e u z e s t o d e u n d seiner A u f e r s t e h u n g a b g e s c h l o s s e n . V o m Vollzug der K i r c h e n g r ü n d u n g w i r d m a n erst sprechen dürfen n a c h der E i n s e t z u n g d e s A b e n d m a h l s , n a c h J e s u Opfertod u n d der A u s g i e ß u n g des Geistes. N a c h d e n g e w o n n e n e n G e s i c h t s p u n k t e n ist a u c h M t 18i8 zu beurteilen. D i e s W o r t i s t n i c h t s anderes als eine spezielle A u s f ü h r u n g eines bereits 1619 a u s g e s p r o c h e n e n G e d a n k e n s , des R e c h t e s d e s Vergebens u n d B e h a l t e n s m e n s c h l i c h e r S ü n d e . E s z e i g t a u c h , d a ß dasjenige, w a s 16i9 P e t r u s v o n J e s u s z u g e s p r o c h e n w o r d e n ist, e b e n s o v o n 1 Aus der umfangreichen Literatur vgl etwa: AResch, Außerkanonische Paralleltexte zu den Evangelien 1894 z. S t ; ADell, Matth 1617—19, ZNW 15, 1914, l f f ; Ders., Zur Erklärung von M a t t h 1617-19, ZNW 17,1916, 27ff; Olmmisch, Matth 1618, E b d a 18ff; AvHarnack, SBA 1918, 637—654; KGGoetz, Zwei Beiträge zur synoptischen Quellenforschung, ZNW 20, 1921, 165ff; R . Bultmann, Die Frage nach dem messianischen Bewußtsein Jesu und das Petrusbekenntnis, ZNW 19, 1919/20, 165ff; Ders., Die Frage nach der Echtheit von M a t t h 1617-19, ThBl 20, 1941, 265 —279ff; EStauffer, Zur Vor- und Frühgeschichte des Primates Petri, Z K G 62, 1943, 3 - 3 4 . Weiteres bei den Kommentaren z. St. 2 Das Bemühen um Unechtheitserklärung von Mt 16l8f aus einer Polemik gegen die katholische Kirche heraus sollte der Vergangenheit angehören. Abgesehen von der Unmöglichkeit einer solchen Zweckforschung — mag sie sich ihrer Motive bewußt sein oder sie m i t Erfolg den anderen wie sich selbst verborgen halten — setzt dieses Bemühen am falschen Ort ein. Hier ist die Lektüre etwa von Melanchthons Tractatus de potestate papae anzuraten, wo m a n lernen kann, wo bei aller Anerkennung der Echtheit von Mt 16l8f dennoch die rechte Polemik gegen die Herleitung des römischen Primatanspruches vom „ P r i m a t " des Petrus beginnt, der in seinem Objektscharakter j a etwas ganz anderes ist, abgesehen davon, daß von einer Kontinuität zwischen Petrus und den römischen Bischöfen nicht die Rede sein kann, wie j a Rom selbst sich auch erst sehr spät auf Mt 1618 f zu berufen beginnt (vgl die Untersuchungen Caspars). 6
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den andern Aposteln gilt. Dem Petrus kam und kommt nur insofern ein Vorrang zu, als er der erste und der Führer der Apostel war. In zwei Gleichnissen begegnet bei Matthäus die Anschauung vom Reiche Gottes, nach der es dem Begriff der Kirche gleichzusetzen wäre, im Gleichnis vomUnkraut unter dem Weizen 1324—30 36—43 und vom Fischnetz 1347—50. Das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen veranschaulicht den Gedanken, daß — nicht im Reiche Gottes, sondern — in der von Jesus gestifteten Gemeinschaft, also der christlichen Kirche, durch die Wirkung des Satans auch solche Glieder sein werden, die nicht zu Jesus gehören, daß aber die Scheidung erst im Gericht erfolgen werde, vgl Mt 721—23 Lk 1325—27. Auch das Fischnetz Mt 1347—50 umspannt, nachdem es ins Meer zum Fang ausgeworfen ist, das Verschiedenartigste, alles, was gefangen worden ist, und erst nach der Bergung des Netzes tritt die Auslese ein. So wird auch erst am Ende der Welt die Scheidung der Bösen und Gerechten stattfinden. 11. Das Reich Gottes als werdendes und wachsendes. Ein dem eben besprochenen verwandter, aber auch doch wieder eigenartiger Gedankenkreis begegnet in vier synoptischen Parabeln, vom viererlei Acker Mt 13i—9 18—23 Mk 4i—9 13—20 Lk 84—8, 11—15, von der selbstwachsenden Saat Mk426—29, und in dem Doppelgleichnis vom Senfkorn und Sauerteig Mt 1331 f 33 Mk4so— 32 Lk 13isf 2of. Sie zeigen das Gegenteil der apokalyptischen Auffassung, nach welcher das Reich kommen soll wie der Dieb in der Nacht, wie der Blitz plötzlich den ganzen Himmel erleuchtet. Diesen Gleichnissen zufolge wird und wächst das Reich auf der Erde in der für das vollendete Reich Frucht tragenden Gemeinde der Jünger Jesu. Das Reich Gottes entsteht hiernach durch einen immanenten, langsam sich vollziehenden und verborgenen Entwicklungsprozeß, der nur einen apokalyptischen Abschluß findet. Das eschatologische Reich kommt durch eine plötzliche Weltkatastrophe, ein wunderbares Eingreifen Gottes; hier wird gelehrt, daß die christliche Verkündigung, als ein neues Ferment der Gerechtigkeit in die Menschenwelt eingepflanzt, allmählich alles durchdringen wird, und dann erst das Ende kommt. So stellen diese Parabeln neben die apokalyptische Auffassung vom Reich die immanente, neben die wunderhafte die ethische. Man wird sich in der T a t damit abfinden müssen, daß Jesus das Reich Gottes auch unter diesen Gesichtspunkt gestellt hat. In dem Gleichnis vom viererlei Acker wird der Gedanke veranschaulicht, daß der Erfolg der Verkündigung Jesu je nach der Beschaffenheit der Menschen ein sehr verschiedener ist. An dem Beispiel verschiedener Bodenbeschaffenheit macht Jesus klar, daß sein Wort entweder überhaupt nicht aufgenommen oder wohl aufgenommen wird, aber nicht zum Fruchttragen kommt, daß aber bei anderen Menschen wieder sein Wort, wie Lk sagt, in einem edlen und guten Herzen aufgenommen wird und Frucht bringt in Geduld. Die Deutung der Evangelisten trifft im großen und ganzen den Sinn des Gleichnisses richtig. Sie geht wahrscheinlich auf Jesu eigne Deutung zurück. Denn nach der Überlieferung haben j a die Jünger dies Gleichnis zunächst ebensowenig verstanden wie die Volksmassen. Pessimistisch ist die Stimmung des Gleichnisses nicht. Es liegt kein Nachdruck darauf, daß nur die vierte Art des Bodens Frucht trägt. Und könnte das Gleichnis diesen Eindruck doch hervorrufen, so würde er durch die Hervorhebung des unter Umständen sehr reichen Ertrags der Saat am Schluß des Gleichnisses aufgehoben. Auch das Gleichnis vom selbstwachsenden Samen Mk 426—29 handelt von dem Säemann und führt den Gedanken aus, daß der Säemann nichts anderes tun kann als den Samen ausstreuen. Dann muß er zuwarten. E r wird nicht ungeduldig, sondern wartet die Entwicklung und das Reifen der Saat ab, ehe er die Sichel anlegt. Neben diesen Gedanken tritt aber als zweiter, gleicherweise wichtiger der, daß die Saat automatisch wächst: Halm, Ähre, dann voller Weizen in der Ähre. Mit diesem Bild soll gesagt werden: Jesus verkündigt das Wort, und es geht in den Menschenherzen auf und entwickelt sich allmählich und aus sich selbst bis zur vollen Reife. Das „aus sich selbst", oder wie wir es auch wiedergeben können, „aus eigner K r a f t " , ist aber keineswegs ein Hinweis auf die Naturgesetze und die der Natur immanente Kraft, sondern für Jesus war es selbstverständlich, daß alles, was geschieht, von Gott direkt gewirkt wird. Aber ebendiesem von Gott verursachten allmählichen Werden und Wachsen des Gottesreichs auf Erden Ungeduld entgegenzubringen und auf das
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E n d e d e r D i n g e zu d r ä n g e n , l e h n t er a b . G o t t , o d e r , w e n n d a s S u b j e k t i n 29 d a s s e l b e i s t wie 26, J e s u s w i r d , w e n n die Z e i t d e r Vollreife e i n g e t r e t e n i s t , die E r n t e a u s f ü h r e n . D i e b e i d e n Gleichnisse v o m S e n f k o r n u n d S a u e r t e i g M t 1331 f 33 p a r stellen d e n G e d a n k e n des W a c h s t u m s d e s R e i c h e s G o t t e s a u s k l e i n e n A n f ä n g e n zu e i n e m m ä c h t i g e n Gebilde d a r , n a c h d e r e x t e n s i v e n ( S e n f k o r n ) wie d e r i n t e n s i v e n Seite ( S a u e r teig). A u c h i n diesen B i l d e r n w i r d also d a s R e i c h G o t t e s als ein bis zu seiner v o l l e n A u s g e s t a l t u n g auf E r d e n sich e n t w i c k e l n d e s u n d w a c h s e n d e s , g e d a c h t . 12. D e r H e i l s z u s t a n d i m R e i c h e Gottes. D i e A u s s a g e n J e s u ü b e r d e n H e i l s z u s t a n d im Reiche Gottes stehen in mannigfacher Hinsicht in Z u s a m m e n h a n g m i t den Ans c h a u u n g e n des A T s u n d des S p ä t j u d e n t u m s 1 . A b e r a u c h i n d i e s e m G e d a n k e n k r e i s e t r i t t u n s die J e s u g a n z e L e h r e c h a r a k t e r i s i e r e n d e B e s o n d e r h e i t e n t g e g e n . W i r h a b e n in seinen W e i s s a g u n g e n die f e s t e O r i e n t i e r u n g a n seiner P e r s o n als d e m O f f e n b a r e r Gottes u n d d e m Vollender des Gottesreiches. Das fehlt natürlich dem J u d e n t u m . W a s i n d e n j ü d i s c h e n S c h r i f t e n o f t als p h a n t a s t i s c h e H o f f n u n g , i n s i n n l i c h e n F a r b e n u n d n i c h t o h n e n a t i o n a l j ü d i s c h e u n d bisweilen b i z a r r e A u s p r ä g u n g e r s c h e i n t , w i r d i m M u n d e J e s u , d a er die Gesetze des R e i c h e s G o t t e s i n seiner P e r s o n v e r k ö r p e r t , zu e i n e r B e l e h r u n g , d e r e n E r f ü l l u n g seine G e m e i n d e d u r c h i h n e r w a r t e t . D i e V o l l e n d u n g w i r d e i n t r e t e n , w e n n J e s u s a u f die E r d e , v o n d e r er a b s c h e i d e t , w i e d e r k o m m e n w i r d . E r s p r i c h t z w a r e i n f a c h M t 2427 37 39 v o n s e i n e m „ K o m m e n " (naQovala) % a b e r in W a h r h e i t i s t es j a ein W i e d e r k o m m e n . Bis d a h i n t h r o n t J e s u s als d e r A u f e r s t a n d e n e z u r R e c h t e n G o t t e s M t 2664. M t 2338f s a g t e r d e n u n b u ß f e r t i g e n J e r u s a l e m i t e n , d a ß sie i h n v o n j e t z t a b n i c h t m e h r s e h e n w e r d e n , bis sie s p r e c h e n w e r d e n : G e l o b t sei, d e r d a k o m m t i m N a m e n d e s H e r r n . D e n A u s k u n f t b e gehrenden J ü n g e r n , w a n n er f ü r Israel das Reich a u f r i c h t e , a n t w o r t e t der Aufe r s t a n d e n e n i c h t , er w e r d e es n i c h t f ü r I s r a e l a u f r i c h t e n , s o n d e r n , die S t u n d e h a b e G o t t seiner B e s t i m m u n g v o r b e h a l t e n A p g l ß f . D a n n w i r d er k o m m e n in d e r H e r r l i c h k e i t seines V a t e r s m i t seinen E n g e l n Mt 1627 2 5 31. E s w e r d e n a l l e i n d e n G r ä b e r n R u h e n d e n seine S t i m m e h ö r e n , u n d es w e r d e n h e r v o r g e h e n , die d a s G u t e g e t a n h a b e n , z u r A u f e r s t e h u n g d e s L e b e n s , die d a s Böse g e t a n h a b e n , z u r A u f e r s t e h u n g d e s Ger i c h t s J o h 528 f . D e n n d e r M e n s c h e n s o h n w i r d sich auf d e n T h r o n seiner H e r r l i c h k e i t s e t z e n , es w e r d e n v o r i h m alle V ö l k e r v e r s a m m e l t w e r d e n , u n d so w i r d e r d a s Ger i c h t a b h a l t e n M t 2531 ff 1627, m i t H e r a n z i e h u n g d e r J ü n g e r M t 1928. D e r Z u s t a n d , d e r d a n n a u f dieser W e l t e i n t r e t e n w i r d , ist i m E v a n g e l i u m n i c h t g e r a d e als n e u e r H i m m e l u n d n e u e E r d e b e z e i c h n e t J e s 65i7 6622, a b e r J e s u s s p r i c h t d o c h M t 2435 5 i s , d a v o n , d a ß H i m m e l u n d E r d e v e r g e h e n w e r d e n , d . h . dieser H i m m e l u n d diese E r d e , u n d M t 1928 b e z e i c h n e t e r j e n e Z e i t als die d e r W i e d e r g e b u r t (nahyyeveaia), also d e r N e u g e s t a l t u n g d e r D i n g e . I n gleicher R i c h t u n g f ü h r t a u c h d a s W o r t M k 9i v o m K o m m e n d e s R e i c h e s G o t t e s ,,in K r a f t " (¿v 6wapei), d. h . i n g ö t t l i c h e r , h i m m l i s c h e r K r a f t , so d a ß alle i r d i s c h e U n v o l l k o m m e n h e i t a b g e s t r e i f t i s t . H a b e n w i r n u n A u s s a g e n J e s u ü b e r d e n Z u s t a n d dieser e r n e u e r t e n W e l t ? Diese F r a g e m u ß b e j a h t w e r d e n . U n d es sind i m m e r h i n n i c h t g a n z w e n i g e W o r t e . Die Sanftmütigen werden das Land Palästina (Ps 37ll) oder aber wohl besser das Erdreich erben Mt5s. Diese Seligpreisung bezieht sich wie die anderen Seligpreisungen auf die Zeit, da das Reich Gottes aufgerichtet werden wird. Seinen Jüngern verheißt er, daß er, wie der Vater ihm das Reich vermacht habe, so ihnen das Reich vermache (§iati&eu ßaoilf iav), damit sie essen und trinken an seinem Tisch in seinem Reich, und daß sie sitzen sollen auf Thronen, die zwölf Stämme Israels richtend Lk 2228 — 30 Mt 1928. In Mk 1029f Lk 1829f ist die hundertfältige Belohnung für das Aufgeben des Hauses, der Brüder, der Schwestern, der Eltern, der Kinder, der Äcker zwar für diese Weltzeit verheißen, aber nach Mt 1929 gehört sie in die Zeit des messianischen Reichs. Auch sonst begegnet die Vorstellung vom Freudenmahle der messianischen Zeit bei Jesus, zu dem die Teilnehmer von Ost und West, von Nord und Süd herzuströmen Lk 1329, und 1 Die Frage, ob die spätjüdische Eschatologie als rein jüdisch vorauszusetzen und nur aus ihr die christliche Eschatologie zu erklären ist, oder ob fremde, insbesondere iranische Elemente in dieselbe aufgenommen sind, ist zur Zeit noch umstritten. Das letztere wird von der religionsgeschichtlichen Untersuchung, z. B. von Gunkel, Bousset, Reitzenstein mit Zuversicht behauptet. 2 Die erste, in seinem Kommen als leidensfähiger Mensch geschehene, und die zweite Parusie, die in himmlischer Herrlichkeit erfolgte, unterscheiden erst Justin, Apologie I 52, vgl Dialogus c. Tryph. 40. 110. 121, Evangelium des Nicodemus 22.
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an dem die Reichsgenossen mit den Patriarchen zu Tische liegen werden Mt 811. Bemerkenswert sind die bei der Abendmahlsstiftung gesprochenen Worte, daß Jesus das Passah nicht essen werde, bis daß es im Reiche Gottes vollendet sein werde Lk 2216, oder wie Mt 2629 Mk 1425 überliefern: „Ich werde von jetzt ab von diesem Gewächs des Weinstocks nicht mehr trinken bis zu jenem Tage, da ich es mit euch neu trinke im Reiche meines Vaters". In diesen Anschauungskreis gehört auch das Gleichnis von den klugen und den törichten Jungfrauen Mt 25l—13. Als die Sadduzäer, die Auferstehungsleugner, ihm das Beispiel von dem Weib, welches nacheinander sieben Männer gehabt hatte, vorgetragen haben und ihn fragen, wem von den sieben Männern das Weib in der Auferstehung gehören werde Mt 2223—33 Mk 1218—27 Lk 2027 —40, antwortet er seinen Gegnern, sie kennen nicht die K r a f t Gottes. Denn in der Auferstehung heiraten die Menschen nicht, noch lassen sie sich freien, sondern sie sind wie die Engel Gottes im Himmel Mt 29f. Es werden also in der Zeit der Vollendung die geschlechtliche Verschiedenheit und alle darauf folgenden menschlichen Beziehungen aufgehoben sein. N u n t u t es der B e d e u t u n g dieser Worte k e i n e n Eintrag, d a ß sie zum Teil sich m i t A n s c h a u u n g e n des S p ä t j u d e n t u m s berühren. H e b e n sie sich andererseits d o c h auch in bemerkenswerter Weise v o n i h n e n ab. Am ersten können zur Vergleichung herangezogen werden die Schilderungen des Henochbuches über das messianische Gericht und die messianische Herrschaft. Gott wird an jenem Tage in der Mitte derer, die seinen herrlichen Namen angefleht haben, seinen Auserwählten wohnen lassen, die Erde verwandeln und sie zu einem Segen machen Hen 454f. Dann werden seine Auserwählten mit jenem Menschensohn essen, sich niederlegen und erheben bis in alle Ewigkeit Hen 6214. Hier wird also der Messias der Mittelpunkt jener Zeit voll irdischen Glücks und Segens sein. Aber auch ohne daß vom Messias geredet wird, erscheint in den spätjüdischen Schriften die Endzeit als eine Zeit irdischer Seligkeit. Es gibt dann keinen Satan und keinen Bösen. Krieg wird nicht mehr durch das Land der Frommen schreiten (Lev 266), die wilden Tiere werden ihre Wildheit aufgeben und zahm werden, Armut und Not werden fliehen, Eintracht, Liebe, Treue und Gerechtigkeit herrschen, Prozesse, Anklagen und Begierden werden der Verdammung anheimfallen, nicht mehr wird Dürre und Hagel auf der Erde sein Jubil 2329, Philo, De praemiis et poenis § 91ff CW, Sibyll I I I 371 ff 750ff, Syr Bar 7 3 1 - 4 . Reichtum und üppige Nahrung wird zuströmen Philo, a. a. O. § 98 f f . Die Tage der Menschen werden nahe kommen an tausend Jahre Jubil 2327, die Weiber ohne Schmerzen gebären Syr Bar 737, alle Sinnesorgane der Menschen werden gesund und kräftig sein, frei von Krankheiten Philo § 119f. Syr Bar 294—8 entwirft folgende sinnliche Schilderung: „Und offenbaren wird sich der Behemoth aus seinem Land, und der Leviathan wird emporsteigen aus dem Meere; und die beiden gewaltigen Seeungeheuer, die ich am fünften Tage des Schöpfungswerkes geschaffen und bis auf jene Zeit aufbehalten habe, werden alsdann zur Speise f ü r alle die sein, welche noch übrig sind. Auch wird die Erde ihre Frucht zehntausendfältig geben; und an einem Weinstock werden tausend Ranken sein, und eine Ranke wird tausend Trauben tragen, und eine Traube wird tausend Beeren tragen, und eine Beere wird ein Kor Wein (etwa 364 Liter) bringen. Und die, die gehungert haben, sollen reichlich genießen; weiter aber sollen sie auch an jedem Tage Wunder schauen. Denn Winde werden von mir ausgehen, um Morgen f ü r Morgen den D u f t der aromatischen Früchte mit sich zu führen, und am Ende des Tages Wolken, die heilungbringenden Tau herabträufeln. Und zu jener Zeit werden wieder die Mannavorräte von oben herabfallen; und sie werden davon in jenen Jahren essen, weil sie das Ende der Zeiten erlebt haben" 1 . Man sieht schon aus dieser kurzen Gegenüberstellung V e r w a n d t s c h a f t sowie A b stand der W o r t e J e s u . Er spricht in ähnlichen Bildern wie das zeitgenössische J u d e n t u m . Aber er v e r m e i d e t alle phantastischen Beschreibungen, j a er schildert eigentlich d e n Zustand der E n d v o l l e n d u n g überhaupt nicht. E i n R e i c h irdischen Glückes u n d physischen W o h l s t a n d e s richtet er nicht auf. W ä h r e n d das J u d e n t u m das geschlechtliche L e b e n u n d körperliche Stärke u n d Gesundheit ausdrücklich i n das Bild v o n der E n d v o l l e n d u n g mit a u f n i m m t , erklärt J e s u s , der geschlechtliche Unterschied falle dahin. R e d e t er v o m Erbe des Landes P a l ä s t i n a oder der Erde, so ist i h m in der 1 Das Wesentliche dieses Phantasiegebildes nimmt Papias auf, steigert es noch und behauptet trotzdem, die Presbyter, die Johannes den Jünger des Herrn gesehen haben, hätten diese Worte von Jesus gehört: „Es werden Tage kommen, an denen Weinstöcke wachsen, die 10000 Ranken haben, und jede Ranke hat 10000 Zweige, und jeder Zweig hat 10000 Sprossen, und jeder Sproß hat 10000 Triebe, und jeder Trieb hat 10000 Trauben, und an jeder Traube sind 10000 Beeren, und jede Beere gibt ausgepreßt 25 Quart Wein. Und wenn einer der Heiligen eine Traube anrührt, so wird eine andere Traube rufen: Ich bin besser, nimm mich; preise durch mich den Herrn!" Ebenso werde ein Weizenkorn 10000 Ähren hervorbringen, und jedes Korn werde fünf Doppelpfund reinen hellen Weizenmehls geben, Irenaus V 33-5 (II S 417 f Harvey). Älteres bei JJeremias, Jesus als Weltvollender, 1930, S 74ff.
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T a t nicht nur der Himmel, sondern auch diese E r d e in erneuerter Gestalt der Schauplatz des Gottesreiches. Aber auch er hat vom Essen und Trinken im Reiche Gottes gesprochen. Wie sollen wir das verstehen? Sind das nur Bilder, durch die er den Seinigen einen Gedanken veranschaulichen will, ohne daß eine konkrete Wirklichkeit hinter ihnen stände ? Haben wir sie zu vergeistigen, um J e s u wirkliche Meinung zu e r f a s s e n ? D a s Gleichnis von der königlichen Hochzeit Mt 222—14 L k 1416—24 ist allerdings ein B i l d ; auch das Gleichnis von den klugen und den törichten Jungfrauen Mt 2 5 i f f ist natürlich nicht buchstäblich zu nehmen. In der Stunde des Abendmahls hat er in Aussicht gestellt, daß er im Reiche Gottes Brot und Wein mit den Seinigen neu genießen werde; aber eben n e u , nicht mehr in der gegenwärtigen irdischen Stofflichkeit. Und das ist doch wohl das Richtunggebende. J e s u s setzt den Zustand im Reiche Gottes als einen körperlichen voraus. D a r a n sollen wir uns genügen lassen, wenn wir weiteres auch nicht feststellen können. Führt doch in die gleiche Richtung hin auch sein Wort vom Auferstehungsleib, der zwar nicht mehr männlich oder weiblich sein wird, aber doch ein Leib ist. Nicht anders spricht J e s u s Mt 2231 f von den Patriarchen Abraham, Isaak und J a k o b als Personen in leiblicher Gestalt, oder J o h 856 von Abraham, der doch auch als Auferstandener J e s u T a g gesehen und sich gefreut hat. In der Verklärung erscheinen Mose und Elia Mt 173 als Personen in einem Lichtleib oder Himmelsleib. Neben den auf die Vollendung des Reiches Gottes bezüglichen Worten hat J e s u s aber auch andere gesprochen, die einen unmittelbaren Übergang der Seele des Frommen zu Gott nach dem Tode betreffen. E r antwortet dem Schächer: „ H e u t e wirst du mit mir in dem Paradiese s e i n " L k 23 43, und im Gleichnis wird Lazarus nach seinem Tode von den Engeln in Abrahams Schoß getragen L k I622. Danach ist J e s u Lehre in diesem Punkte diese: die ihm Angehörigen schlummern nicht nach dem Tode bis zur Auferweckung aller Menschen am Gerichtstag beim K o m m e n des Reiches, sondern dies gilt nur vom Leib. Die Seele kommt an den Ort der Seligkeit, wie die der Bösen an einen Ort der Qual. Wo wir uns das Paradies und den Ort der Qual zu denken haben, bleibt offen. Am jüngsten T a g e aber werden alle Toten aus den Gräbern gerufen, es erfolgt das Gericht, und hierauf erst beginnt das volle Leben im Reiche Gottes in himmlischer Vollendung. E s wird von J e s u s als e w i g e s Leben bezeichnet, ist also nicht mehr dem Tode unterworfen. Wie es verläuft, und welches die Betätigungen in demselben sind, darüber hat J e s u s , bzw. die evangelische Überlieferung uns keine Belehrung hinterlassen. Wir wissen nur, daß es stete Gemeinschaft mit Gott und Christus und daher vollendete Seligkeit ist. D a s Evangelium läßt aber keinen Zweifel daran, daß die Entscheidung Gottes über den Menschen eine zwiefache sein wird, entweder eine rettende, zum ewigen Leben führende, oder eine verwerfende, die den Menschen ewiger Strafe unterwirft Mt 2546. J e s u s mahnt, wir sollen uns nicht fürchten vor Menschen, welche den Leib zu töten vermögen, nicht aber die Seele, sondern vor Gott, der Seele und Leib in der Gehenna verderben kann Mt IO28, vgl Mt II22—24 2624. Schon mit dem Tode tritt ein göttliches Urteil über den Menschen in K r a f t , welches über das Geschick der Seele bis zur Auferweckung und bis zum Gericht entscheidet. Während Lazarus nach seinem Tode in Abrahams Schoß k a m , wurde der Reiche an den Ort der Q u a l versetzt L k I622 ff. Die endgültige Entscheidung aber wird wiederum im letzten Gericht getroffen. Ist sie eine verwerfende, so werden die Menschen vom Reiche Gottes ausgestoßen, und J e s u s schildert die Äußerung der Verdammten als Heulen und Zähneklappen L k 1328. Sie werden gesandt in die feurige Gehenna Mt 522, wo unauslöschJisches Feuer brennt Mk 943, wo, wie mit Anspielung auf J e s 6624 gesagt wird, ihr Wurm nicht stirbt und ihr Feuer nicht verlöscht Mk 948, vgl Mt 2333. Die Gehenna, ursprünglich das Tal südlich von Jerusalem, wo die Israeliten dem Moloch ihre K i n d e r geopfert hatten, ist symbolischer Name für den Ort der Qual. E s wird also auch der Ort der Verdammten räumlich gedacht. Mit der Vorstellung des Feuers, durch welches die Verworfenen gequält werden, verhält es sich ähnlich wie mit der des Essens und Trinkens im Reiche Gottes. Sie darf nicht als rein symbolische betrachtet werden, doch entfällt auch hier die irdische Materialität. Die Verdammten werden nicht vernichtet, sondern sie führen an ihrem Ort ein ewiges qualvolles Dasein. H a t doch J e s u s Mt 1232 von einer Sünde gesprochen, die weder in diesem noch in jenem Aeon vergeben werden kann.
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Die Lehre Jesu nach der Darstellung der Evangelien
13. D a s R e i c h Gottes in d e n ü b r i g e n n t l i e h e n S c h r i f t e n . D i e P r e d i g t v o m R e i c h e G o t t e s b i l d e t in d e n a n d e r e n n t l i e h e n S c h r i f t e n n i c h t m e h r d e n M i t t e l p u n k t d e r Verk ü n d i g u n g . D a s k o n n t e a u c h n i c h t m e h r sein, als sich d e r v o m R e i c h e G o t t e s v e r s c h i e d e n e Begriff d e r K i r c h e h e r a u s b i l d e t e , d e r n u n m e h r a n die Stelle des i m m a n e n t e n u n d g e g e n w ä r t i g e n R e i c h e s t r a t . E s d e c k e n sich j a a u c h die B e d i n g u n g e n d e s E i n t r i t t s i n die K i r c h e n i c h t m i t d e n j e n i g e n des E i n t r i t t s in d a s R e i c h (s. S 82ff. u n d die c h a r a k t e r i s t i s c h e Stelle H e b r 6 i f ü b e r die G r u n d l a g e n d e r c h r i s t l i c h e n P r e d i g t ) . E s b l i e b s o m i t n u r n o c h R a u m f ü r die e s c h a t o l o g i s c h e F a s s u n g d e s R e i c h e s G o t t e s , f ü r deren Geltung u n d Beibehaltung innerhalb der apostolischen Kirche nicht gar w e n i g e S p u r e n v o r h a n d e n s i n d . D e r eschatologische Begriff v o m R e i c h e G o t t e s b e g e g n e t b e i P a u l u s I T h e s s 2i2 I I T h e s s 15 Gal 5 2 1 1 K o r 6» io 1550 E p h 5s I I T i m 4 i 18, f e r n e r A p g 16 1422 H e b r 1228 J a k 2s I I P e t r I i i u n d w i e d e r ö f t e r i n A p o k : I i i s 12io 196 204 6 22s. Vielleicht h a t die U r c h r i s t e n h e i t a u c h die S c h w i e r i g k e i t e m p f u n d e n , w e l c h e i n d e r s c h w a n k e n d e n C h a r a k t e r i s i e r u n g d e s R e i c h e s G o t t e s in J e s u V e r k ü n d i g u n g lag. F e r n e r a b e r t r e t e n b e r e i t s in d e n E v a n g e l i e n m e h r e r e A n s ä t z e z u t a g e , w e l c h e d e r P r e d i g t v o m R e i c h e p a r a l l e l g e h e n u n d n a t u r g e m ä ß i n d e r ä l t e s t e n Gemeinde auch ihre Entwicklung gefunden h a b e n . I n erster Linie erscheint in den apostolischen S c h r i f t e n die P e r s o n J e s u als I n h a l t aller c h r i s t l i c h e n V e r k ü n d i g u n g . D a s R e i c h G o t t e s i s t j a a u c h s c h o n f ü r J e s u s v o n seiner e i g n e n P e r s o n u n a b t r e n n b a r . E r b r i n g t es n i c h t n u r , er i s t a u c h d e r K ö n i g des R e i c h e s . D i e i n seiner P e r s o n b e schlossenen K r ä f t e s i n d die K r ä f t e d e s R e i c h e s G o t t e s . D a h e r i s t v o n v o r n h e r e i n d i e P r e d i g t v o m R e i c h e a u c h zugleich P r e d i g t v o n J e s u s , v g l S 75. I n d e r a p o s t o l i s c h e n Predigt treten eine Reihe Gesamtbezeichnungen auf, welche das zum Ausdruck b r i n g e n . D i e A p o s t e l g e s c h i c h t e u n d P a u l u s b i e t e n d a f ü r reiche Belege. D i e c h r i s t l i c h e V e r k ü n d i g u n g h e i ß t n i c h t n u r P r e d i g t v o m R e i c h e , s o n d e r n a u c h E v a n g e l i u m , die T ä t i g k e i t d e r A p o s t e l ist V e r k ü n d i g u n g des E v a n g e l i u m s (etiayyeJliCea&ai, sie ist xr/Qvaaeiv, ein R e d e n XaXelv u . ä.). E s w i r d a u c h v e r k ü n d i g t J e s u s d e r C h r i s t u s , d e r Gek r e u z i g t e , einzelne H e i l s t a t s a c h e n w e r d e n g e n a n n t , es w i r d v e r k ü n d i g t d a s W o r t G o t t e s , d a s W o r t d e s H e r r n , „ d e r W e g " , F r i e d e , d e r G l a u b e u . ä. Auch in den apostolischen Schriften finden wir aber doch noch beachtenswerte Nachwirkungen von Jesu Reichspredigt. Paulus steht hier in erster Linie. So sehr er Christus und den Geist in den Mittelpunkt all seines theologischen Denkens gestellt hat, kennt er doch die evangelische Überlieferung viel zu gut, um nicht auch hier und da die Reichsgottespredigt Jesu in seine Betrachtung zu ziehen. Die Stellen, in denen er das Reich als eschatologisches vorstellt, sind bereits genannt. In einer Stelle I Kor 69 f, mit welcher sachlich aber auch Gal 521 und Eph 5s zusammenhängen, scheint er sogar auf ein uns nicht direkt erhaltenes Herrenwort anzuspielen. Bedeutsam ist ferner, daß auch er für den präsentischen Gebrauch der Reich-Gottes-Vorstellung Jesu Belege bietet I Kor 420 Rom 1417 Kol 113. Die Apostelgeschichte hat eine Anzahl von Stellen, aus denen hervorgeht, daß die Missionspredigt des Paulus ganz im Sinne Jesu und der Urgemeinde 13 812 Predigt vom Reiche Gottes gewesen ist, Apg 198 2025 2823 31, auch 1422. Das gleiche zeigt indirekt I Kor Ö9f Gal 521 Eph 55. Die Apokalypse kennt 16 9 5l0 das gegenwärtige Reich. Ist Joh 35 die Geburt aus Wasser und Geist die notwendige Voraussetzung des Eingangs in das Reich, so wird eine Anspielung auf die christliche Taufe und der mit derselben verbundenen Geistesverleihung gemacht. Hier geht also der Begriff „Reich Gottes" in den der Kirche über. Joh 1836: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt" tritt uns der dem vierten Evangelium eigentümliche Gegensatz des Kosmos, der gottfeindlichen Menschenwelt gegen diejenigen entgegen, welche zu Jesus gehören. Damit hängt weiter zusammen, daß 37 das Reich Jesu echt johanneisch als Reich der Wahrheit gedacht wird. In I Kor 1524f Kol 113 Hebr 25 — 9 ist von der gegenwärtigen Herrschaftsübung des erhöhten Christus die Rede. Aber dies ist bei Paulus und im Hebräerbrief nur eine Vorstellung neben andern. Paulus veranschaulicht dies Verhältnis sonst durch das Bild von der Kirche als dem Leib Christi I Kor 1227, dessen Haupt Christus ist Eph l22f 412 — 16, oder durch das Bild der Unterordnung des Weibes unter den Mann Eph 524, der Hebräerbrief durch das Bild des geistlichen Hauses Christi, welches die Christen sind Hebr 36.
Die sittliche Forderung Jesu
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6. K a p i t e l
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Jesu Forderung und Jesu eigenes Handeln D e r I n h a l t d e r s i t t l i c h e n F o r d e r u n g J e s u s t e h t i n i n n i g e r B e z i e h u n g zu s e i n e r Predigt v o m Reiche Gottes. Das Reich Gottes ist f ü r Jesus der Zustand der unbed i n g t e n K ö n i g s h e r r s c h a f t G o t t e s , w i e i m H i m m e l , so a u c h a u f d e r E r d e . D a h e r f o r d e r t er v o n d e m M e n s c h e n , d e n W i l l e n G o t t e s i n V o l l k o m m e n h e i t zu e r f ü l l e n . „ I h r sollt v o l l k o m m e n sein, gleichwie e u e r h i m m l i s c h e r V a t e r v o l l k o m m e n i s t " M t 548. T h e o z e n t r i s c h i s t also J e s u s i t t l i c h e F o r d e r u n g . Sie h a t i h r e n U r s p r u n g i n G o t t e s W e s e n u n d W i l l e n u n d i h r Ziel i n d e r d e m S c h ö p f e r - u n d Heilswillen G o t t e s e n t s p r e c h e n d e n B e s c h a f f e n h e i t d e r M e n s c h e n . Dies Ziel ist a b e r e r s t e r r e i c h t , w e n n alle W i l l e n s ä u ß e r u n g e n d e n M e n s c h e n zu v o l l k o m m e n e m T u n t r e i b e n . M a n m a g d a h e r s a g e n , d a ß J e s u e t h i s c h e L e h r e n i m e i n z e l n e n g r o ß e n t e i l s n i c h t n e u sind u n d i n s b e s o n d e r e d a s L i e b e s g e b o t b e i e i n e r A n z a h l v o n V ö l k e r n b e g e g n e : die H ö h e d e r F o r d e r u n g i n i h r e r G e s a m t h e i t , wie J e s u s sie stellt, i s t u n e r r e i c h t u n d u n ü b e r b i e t b a r , d a es ü b e r G o t t e s V o l l k o m m e n h e i t h i n a u s n i c h t s g i b t . W a r er sich d a h e r b e w u ß t , eine n e u e , bessere S i t t l i c h k e i t zu b r i n g e n , so h a t e r sich n i c h t g e i r r t . A b e r d a s G r ö ß t e i s t d o c h dies, d a ß J e s u s diese e r h a b e n e F o r d e r u n g i n s e i n e r P e r s o n a u c h v e r w i r k l i c h t h a t . E r h a t die s i t t l i c h e n G e s e t z e des R e i c h e s G o t t e s i n seinem I n n e r n g e t r a g e n . E r h a t n u r d a s j e n i g e v o m M e n s c h e n g e f o r d e r t , w a s als W a h r h e i t seine eigene B r u s t e r f ü l l t e . Seine s i t t l i c h e n F o r d e r u n g e n h a t er als K ö n i g des G o t t e s r e i c h e s g e g e b e n . W i e er d a h e r als B r i n g e r u n d K ö n i g d e s R e i c h e s G o t t e s d e r O f f e n b a r e r G o t t e s i s t , so a u c h i n seiner s i t t l i c h e n F o r d e r u n g als d e r , w e l c h e r G o t t e s Willen i n V o l l k o m m e n h e i t v o r u n s h i n s t e l l t u n d i h n a u c h selbst v e r w i r k l i c h t . E b e n s o wie er sich i n s e i n e m L e b e n s b e s t a n d e u n d W i l l e n eins w u ß t e m i t G o t t u n d n i c h t s k a n n t e , w a s sich zwischen i h n u n d G o t t h ä t t e stellen k ö n n e n , sollen a u c h seine J ü n g e r sich m i t G o t t e s W i l l e n i n n e r l i c h v o l l k o m m e n g e e i n t w i s s e n . D e r heilige G o t t v e r l a n g t den Menschen ganz und ungeteilt. D e r e r s t e E i n d r u c k , d e n m a n g e w i n n t , w e n n m a n a u f sich w i r k e n l ä ß t , w a s i m E v a n g e l i u m als F o r d e r u n g J e s u u n s e n t g e g e n t r i t t , ist d e r , d a ß h i e r w i d e r s p r u c h s v o l l e A u s s a g e n g e m a c h t w e r d e n , sowie d e r w e i t e r e , d a ß u n s die E r f ü l l u n g m a n c h e r F o r derungen wie schon den ersten J ü n g e r n unmöglich erscheint, u n d d a ß Jesus u n s v o n vielem lösen zu wollen s c h e i n t , w a s wir als s i t t l i c h e P f l i c h t u n d als A u f g a b e u n s e r e s L e b e n s b e t r a c h t e n . E s ist die A u f g a b e der U n t e r s u c h u n g f e s t z u s t e l l e n , o b dieser E i n -
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Die Lehre J e s u nach der Darstellung der Evangelien
d r u c k r i c h t i g i s t , o d e r o b n i c h t die F o r d e r u n g J e s u d o c h als eine geschlossene v o r u n s s t e h t , w e n n w i r sie n u r r e c h t e r f a s s e n . Eine Anzahl von W o r t e n J e s u scheinen einen weitabgewandten, weltfeindlichen C h a r a k t e r z u h a b e n . W i r sollen u n s n i c h t S c h ä t z e s a m m e l n a u f E r d e n , s o n d e r n i m H i m m e l . D e n n wo unser Schatz ist, d a ist auch unser H e r z M t 6i9ff. E r w e r b , Besitz, i r d i s c h e V e r h ä l t n i s s e s i n d D i n g e , a n die d e r M e n s c h sein H e r z n i c h t h ä n g e n soll. E s i s t d e m M e n s c h e n u n m ö g l i c h , zwei H e r r e n zu d i e n e n . M a n k a n n n i c h t G o t t d i e n e n u n d d e m M a m m o n . D e r L a u f d e r D i n g e w i r d i m m e r sein, d a ß m a n sich d e m e i n e n a n s c h l i e ß t , v o m a n d e r n a b e r sich a b w e n d e t . D e r M a m m o n w i r d g e d a c h t als e i n e p e r sönliche M a c h t , als G e w a l t h e r r u n d G e b i e t e r aller d e r e r , die u n t e r s e i n e n E i n f l u ß t r e t e n , als d e r G o t t dieser E r d e . E s i s t s c h w e r l i c h eine V e r e n g e r u n g d e s d r i t t e n E v a n g e l i s t e n , s o n d e r n J e s u eignes U r t e i l , w e n n d e r R e i c h t u m als u n g e r e c h t e r M a m m o n o d e r M a m m o n d e r U n g e r e c h t i g k e i t (gen. q u a l i t a t i s ) g e b r a n d m a r k t w i r d L k 1 6 n 9. So s e h r i s t J e s u s v o n d e r W i d e r g ö t t l i c h k e i t u n d S e e l e n g e f ä h r l i c h k e i t des R e i c h t u m s d u r c h d r u n g e n , d a ß er v o n d e m r e i c h e n J ü n g l i n g f o r d e r t , sich u n b e d i n g t v o n s e i n e m B e s i t z zu l ö s e n : „ G e h h i n , v e r k a u f e d e i n e H a b e u n d g i b sie d e n A r m e n " M k IO21. D a m i t i s t n i c h t ein h ö h e r e r G r a d v o n V o l l k o m m e n h e i t e r r e i c h t (Mt 1921 reteios), s o n d e r n dies O p f e r i s t f ü r d e n J ü n g l i n g ü b e r h a u p t e r s t die V o r b e d i n g u n g z u m E i n t r i t t i n die N a c h f o l g e J e s u . W e r J e s u J ü n g e r w e r d e n will, m u ß sich v o n d e r W e l t u n d d e m B e s i t z d e r H a u p t m a c h t dieser W e l t z e i t lösen. D a r ü b e r e r s c h r e c k e n d o c h a u c h J e s u J ü n g e r bis i n d i e T i e f e i h r e r Seele. J e s u s a b e r p r ä g t i n dieser S i t u a t i o n d a s p a r a d o x e W o r t : „ E s i s t l e i c h t e r , d a ß e i n K a m e l d u r c h ein N a d e l ö h r g e h e , als d a ß e i n R e i c h e r i n d a s R e i c h G o t t e s e i n g e h e " . E s i s t n i c h t s als F u r c h t v o r J e s u S t r e n g e , w e n n m a n a u s d e m N a d e l ö h r e i n e n e n g e n G e b i r g s p a ß o d e r e i n enges P f ö r t c h e n n e b e n dem H a u p t t o r h a t m a c h e n wollen, oder aber, w e n n J e s u s nicht v o n e i n e m K a m e l , s o n d e r n v o n e i n e m A n k e r t a u g e s p r o c h e n h a b e n soll, d a s m a n n i c h t d u r c h ein N a d e l ö h r z w ä n g e n k ö n n e . N e i n , d a s W o r t ist g a n z eigentlich z u v e r s t e h e n . Gibt doch Jesus auch auf die Frage der J ü n g e r , wer d e n n d a n n gerettet werden k ö n n e , die r u n d e A n t w o r t : „ B e i d e n M e n s c h e n ist es u n m ö g l i c h " . D a s h e i ß t , k e i n M e n s c h k a n n diese seine F o r d e r u n g e r f ü l l e n . N u r G o t t e s n e u s c h a f f e n d e M a c h t k a n n h i e r h e l f e n . B e i dieser F o r d e r u n g liegt J e s u s d e r G e d a n k e o f f e n b a r f e r n , d a ß die i r d i s c h e n Z u s t ä n d e n i c h t v e r b e s s e r t w ü r d e n , w e n n alle sein G e b o t b u c h s t ä b l i c h erf ü l l t e n . D e n n a u c h e r h a t n a t ü r l i c h g e w u ß t , d a ß n i c h t s e r r e i c h t w ü r d e , w e n n alle i h r e H a b e wegschenkten u n d wir uns nicht von dem wenden würden, der uns abborgen will. D a s w ü r d e n u r e i n e V e r s c h i e b u n g d e r B e s i t z v e r h ä l t n i s s e h e r v o r r u f e n . I s t es a b e r a u c h eine w i r k l i c h s i t t l i c h e H a n d l u n g , sich all seines B e s i t z e s z u e n t ä u ß e r n ? T u n w i r d e m N ä c h s t e n d a m i t w i r k l i c h w o h l ? F ö r d e r n w i r i h n so i n s e i n e m s i t t l i c h e n L e b e n ? V e r l e t z e n w i r d a n n n i c h t P f l i c h t e n g e g e n die U n s r i g e n , d e n e n u n s e r B e s i t z d o c h a u c h m i t g e h ö r t , u n d die w i r a u s i h r e r b i s h e r i g e n L e b e n s h a l t u n g h i n a u s d r ä n g e n w ü r d e n ? I s t der Besitz n i c h t auch ein Mittel zu sittlicher B e t ä t i g u n g ? J e s u s h a t g e s a g t , w i r sollen n i c h t s o r g e n , w a s w i r essen u n d t r i n k e n , w o m i t w i r u n s k l e i d e n w e r d e n . W i r sollen u n s die Vögel d e s H i m m e l s z u m M u s t e r n e h m e n . Sie s ä e n n i c h t , sie e r n t e n n i c h t , sie s a m m e l n n i c h t i n die S c h e u n e n , u n d d e r h i m m l i s c h e V a t e r n ä h r t sie d o c h . S i n d w i r a b e r n i c h t v i e l m e h r d e n n s i e ? U n s e r h i m m l i s c h e r V a t e r w e i ß d o c h , d a ß w i r alle diese D i n g e z u u n s e r e r N o t d u r f t b r a u c h e n M t Ö25ff. A u c h d i e s e m G e b o t e g e g e n ü b e r b e f i n d e n w i r u n s in e i n e r s t e t e n S p a n n u n g . J e d e r p r a k t i s c h e V e r s u c h , es zu e r f ü l l e n , zeigt u n s die S c h r a n k e u n s e r e s K ö n n e n s . N i e m a n d v o n u n s k a n n e i n g e o r d n e t e s L e b e n f ü h r e n o h n e die F ü r s o r g e f ü r E s s e n , T r i n k e n , K l e i d u n g , W o h n u n g u n d die B e d ü r f n i s s e d e s t ä g l i c h e n L e b e n s . J e s u s h a t g e s a g t : „ W e n n d u ein G a s t m a h l m a c h s t , so l a d e die A r m e n , die K r ü p p e l , die L a h m e n , d i e B l i n d e n " L k 1413. U n d w a s t u n w i r ? — E r h a t g e b o t e n , w e n n u n s j e m a n d a u f die r e c h t e B a c k e s c h l ä g t , a u c h die a n d e r e d a r z u b i e t e n ; w e n n j e m a n d u n s als W e g w e i s e r e i n e Meile m i t n e h m e n will, zwei Meilen m i t z u g e h e n , w e n n j e m a n d u n s e i n K l e i d u n g s s t ü c k p f ä n d e n will, i h m die a n d e r n K l e i d e r a u c h zu g e b e n M t 5 39 f f . W i d e r s t e h e n w i r so d e m B ö s e n ? Ü b e r b i e t e n w i r m i t freiwilligen L e i s t u n g e n d a s v o n u n s G e f o r d e r t e ? H a t m a n u m d e r F o r d e r u n g d e r B e r g p r e d i g t willen i n d e n c h r i s t lichen V ö l k e r n die G e r i c h t e a b s c h a f f e n m ü s s e n ? D e m M a n n e , d e r J e s u s n a c h f o l g e n wollte, n u r a b e r u m die E r l a u b n i s b a t , v o r h e r s e i n e n V a t e r b e g r a b e n zu d ü r f e n , h a t J e s u s z u g e r u f e n : „ L a ß die T o t e n i h r e T o t e n
Die sittliche Forderung Jesu
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b e g r a b e n " M t 822. D a s W o r t k l i n g t u n s s e h r h a r t . W o h l w i s s e n w i r , J e s u s h a t d e m M a n n e d e n g a n z e n E r n s t d e r s i t t l i c h e n E n t s c h e i d u n g , d e n W e g z u m H e i l seiner Seele, z u m E i n t r i t t i n die Z a h l d e r R e i c h s g e n o s s e n v o r A u g e n f ü h r e n w o l l e n . A b e r i s t d a s v i e r t e G e b o t n i c h t ein heiliges G o t t e s g e b o t , d a s J e s u s g e w i ß n i c h t h a t a u ß e r K r a f t s e t z e n wollen ? N o c h v i e l s c h r o f f e r a b e r ist e i n w e i t e r e r B e f e h l : „ W e r zu m i r k o m m t u n d h a ß t n i c h t V a t e r , M u t t e r , W e i b , K i n d e r , B r ü d e r , S c h w e s t e r n , d a z u sein L e b e n , d e r k a n n n i c h t m e i n J ü n g e r s e i n " L k 1426. D i e F o r m d e s W o r t e s z e i g t : h i e r h a n d e l t es sich n i c h t u m ein s t r e n g e s G e b o t , i n einer b e s o n d e r e n S i t u a t i o n . E s gilt n i c h t e t w a n u r f ü r b e s o n d e r e P e r s o n e n u n d n u r u n t e r b e s t i m m t e n V e r h ä l t n i s s e n , es i s t a u c h k e i n „ S t i m m u n g s w o r t " , aus dem Augenblick geboren,in einem g r o ß e n M o m e n t gesprochen, s o n d e r n es s c h e i n t g a n z a l l g e m e i n f ü r j e d e n zu g e l t e n , d e r J e s u J ü n g e r sein will. U n d wir, h a n d e l n wir diesem W o r t e J e s u gemäß ? Ist u n s n i c h t vielmehr das Teuerste a u f d e r E r d e die F a m i l i e , f ü r die w i r s o r g e n m i t allen u n s e r n K r ä f t e n ? S i n d u n s n i c h t W e i b u n d K i n d e r die k o s t b a r s t e G o t t e s g a b e ? Sie sollen w i r h a s s e n u m J e s u willen ? J e s u s h a t die O r d n u n g , die i n seiner J ü n g e r g e m e i n d e h e r r s c h e n soll, i n b e w u ß t e n Gegensatz zum S t a a t u n d dessen Herrschaftsprinzip gestellt. „ D i e Herrscher d e r V ö l k e r g e b i e t e n ü b e r sie, u n d die G r o ß e n ü b e n G e w a l t ü b e r sie a u s . So soll es u n t e r e u c h n i c h t s e i n . " D i e G r ö ß e u n t e r d e n J ü n g e r n J e s u soll d a r i n b e s t e h e n , d a ß sie d i e n e n u n d sich d e n a n d e r n u n t e r o r d n e n M t 2Ü25ff. D u r c h dies W o r t s c h e i n t d e r S t a a t als eine O r d n u n g h i n g e s t e l l t zu w e r d e n , w e l c h e sich n i c h t m i t d e m D i e n s t a m G o t t e s r e i c h e v e r t r ä g t . D a n n h ä t t e j e d e r Christ die P f l i c h t , sich v o m S t a a t s l e b e n loszulösen. E r d ü r f t e nicht a n einer E i n r i c h t u n g teilhaben, deren Grundprinzipien Macht u n d Z w a n g s i n d , die i h n z u m K r i e g s d i e n s t m i t all d e m d a r a u s f o l g e n d e n S c h r e c k l i c h e n v e r p f l i c h t e t , u n d er d ü r f t e n i c h t d e n i m S t a a t e h e r r s c h e n d e n G r u n d s ä t z e n z u r A n e r k e n n u n g verhelfen. Mit diesem Gebot J e s u scheint auch j e d e Rechtsbildung in der K i r c h e ausgeschlossen zu sein, d a d a s gegenseitige V e r h a l t e n d e r C h r i s t e n u n t e r e i n a n d e r freiwillige U n t e r o r d n u n g sein soll. H a t d a n n die k a t h o l i s c h e K i r c h e n i c h t J e s u W i l l e n i n s Gegenteil v e r k e h r t , i n d e m sie e i n e H i e r a r c h i e s c h u f ? H a t n i c h t d e r K i r c h e n r e c h t s l e h r e r S o h m r e c h t m i t seiner B e h a u p t u n g , d a ß d e r Ü b e r g a n g v o n d e n a u f G e i s t b e g a b u n g r u h e n d e n , also c h a r i s m a t i s c h e n O r d n u n g e n u n d O r g a n i s a t i o n e n i n d e r K i r c h e zu R e c h t s b i l d u n g e n i n d e r n a c h a p o s t o l i s c h e n Z e i t ein S ü n d e n f a l l sei, eine A b k e h r v o m E v a n g e l i u m ? All dies i s t a b e r d o c h n u r e i n e Seite v o n d e m , w a s als Wille J e s u a n die S e i n i g e n h e r a n g e t r e t e n ist. D e r s e l b e J e s u s , d e r w e i t a b g e w a n d t g e w e s e n zu sein s c h e i n t , u n d d e s s e n W o r t e so k l i n g e n , als wolle e r seine J ü n g e r a u s d e n O r d n u n g e n d e r W e l t l ö s e n , h a t d o c h o f f e n e A u g e n f ü r d i e S c h ö n h e i t dieser W e l t , e i n e n k l a r e n , s c h a r f e n B l i c k f ü r i h r e E i n r i c h t u n g e n g e h a b t , u n d u n b e f a n g e n h a t e r i h r e G ü t e r g e b r a u c h t . E r h a t ges e h e n , w i e G o t t e s V a t e r g ü t e i h r e n r e i c h e n Segen ü b e r G e r e c h t e u n d U n g e r e c h t e a u s b r e i t e t M t 545. E r h a t sich a n d e r S c h ö n h e i t u n d P r a c h t d e r Lilien a u f d e m F e l d e g e f r e u t M t 628 f u n d die v e r w a n d t e G e s t a l t d e r D o r n e n u n d T r a u b e n , d e r D i s t e l n u n d F e i g e n g e s e h e n M t 7 i s . K e i n D i c h t e r u n d k e i n S e h e r k ö n n t e m i t g r ö ß e r e r Meisters c h a f t , als er es g e t a n , d i e N a t u r u n d d a s M e n s c h e n l e b e n als die S t o f f e b e h a n d e l n , a u s d e n e n er die B i l d e r u n d A n s c h a u u n g s f o r m e n f ü r die G e s e t z e d e s G o t t e s r e i c h e s gew a n n . E r h a t n i c h t n u r f ü r die Seele gesorgt, s o n d e r n a u c h f ü r d e n L e i b : e r h a t gel e h r t u n d geheilt, d e n J ü n g e r n e r l a u b t , a m S a b b a t z u r S t i l l u n g d e s H u n g e r s Ä h r e n zu r a u f e n , u n d die h u n g r i g e n V o l k s m a s s e n gespeist. Sein L e b e n i s t d e n F r o m m e n s e i n e r Z e i t w e l t f ö r m i g e r s c h i e n e n . E r m u ß sich z u r R e d e stellen l a s s e n , weil seine J ü n g e r n i c h t f a s t e n M t 9i4. E r h a t a n G a s t m a h l e n t e i l g e n o m m e n u n d es n i c h t v e r s c h m ä h t , sich m i t s e i n e n J ü n g e r n a n einer H o c h z e i t s f e i e r zu b e t e i l i g e n J o h 2 i f f . E i n e n F r e s s e r u n d W e i n s ä u f e r h a t e r sich s c h e l t e n l a s s e n m ü s s e n M t II19. G e r n k e h r t e r i n B e t h a n i e n i n e i n e m b e g ü t e r t e n H a u s e ein L k 1038, u n d w i r h ö r e n n i c h t , d a ß e r v o n s e i n e n G a s t f r e u n d e n v e r l a n g t h ä t t e , sie sollten sich i h r e s B e s i t z e s e n t ä u ß e r n u n d s i c h s e i n e m a r m e n L e b e n a n s c h l i e ß e n . D a h e r f e h l t es n i c h t a n s o l c h e n , die i h n s t a t t als w e l t f l ü c h t i g e n A s k e t e n v i e l m e h r als l e b e n s f r e u d i g e n , h e i t e r e n E r d e n s o h n b e t r a c h t e t w i s s e n wollen. D e r s e l b e J e s u s , d e r die E l t e r n v e r l ä ß t u n d sie zu v e r l a s s e n b e f i e h l t , t r i t t a u f als V e r t e i d i g e r d e s R e c h t s d e r E l t e r n a u f U n t e r s t ü t z u n g d u r c h die K i n d e r , e n t g e g e n d e r „ f r o m m e n " P r a x i s d e r P h a r i s ä e r M k 7a f f . E r , d e r V a t e r u n d M u t t e r , W e i b u n d K i n d e r zu h a s s e n b e f i e h l t , z i e h t die K i n d e r a n seine B r u s t , h e r z t u n d
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Die Lehre J e s u n a c h der Darstellung der Evangelien
s e g n e t sie M k 10x3—16; er s c h ü t z t d a s W e i b g e g e n d i e W i l l k ü r d e s M a n n e s i n d e r E h e s c h e i d u n g u n d p r o k l a m i e r t d i e E h e als e i n e h e i l i g e , u n a n t a s t b a r e S c h ö p f e r o r d n u n g Gottes Mk 10 5 ff. Er findet keinen treffenderen Ausdruck für das zwischen Gott u n d i h m b e s t e h e n d e L i e b e s v e r h ä l t n i s als „ V a t e r " u n d „ S o h n " . D a s S o r g e n v e r b i e t e t er» u n d d o c h h a t er n o c h v o m K r e u z e h e r a b f ü r s e i n e M u t t e r g e s o r g t , i n d e m er sie a n d e n L i e b l i n g s j ü n g e r v e r w i e s J o h 192«. N i c h t r e i c h t er, als i h n d e r K n e c h t d e s H o h e n priesters ins A n g e s i c h t schlug, seine B a c k e zu e i n e m zweiten Streich dar, sondern er f r a g t i h n , w a r u m er i h n s c h l a g e J o h 1823. D e r O b r i g k e i t , d i e i h n r i c h t e t e , o r d n e t e er sich w i l l i g u n t e r u n d s a g t e n i c h t , d a ß sie als w i d e r g ö t t l i c h k e i n e V o l l m a c h t ü b e r ihn habe. W i e l a s s e n sich diese b e i d e n s c h e i n b a r g a n z a u s e i n a n d e r f a l l e n d e n S e i t e n a n J e s u L e h r e u n d V e r h a l t e n als i n n e r e E i n h e i t v e r s t e h e n ? D e n n d a s w a r e n sie d o c h i n s e i n e r Person. W i e k a n n Gottes Wille a n uns in solch verschiedener Weise zum A u s d r u c k gelangen ? 2. Verschiedene Stellungnahme z u den sittliehcn Forderungen
Jesu
1. Die Apostel. Bei den Aposteln werden wir eine prinzipielle Erfassung der sittlichen F o r d e r u n g J e s u im Sinne unserer heutigen wissenschaftlichen B e t r a c h t u n g nicht erwarten dürfen, sondern n u r ein Umsetzen desjenigen, was sie als J e s u Willen e r k a n n t h a t t e n , in die T a t , u n d den Versuch, die Gemeinden u n d die Kirche im Sinn u n d Geist ihres H e r r n zu organisieren u n d zu leiten. Hier t r i t t uns n u n zunächst die Tatsache entgegen, daß Askese u n d Weltflucht jedenfalls nicht das Merkmal des apostolischen Zeitalters sind. Die Apostel haben nicht verlangt, d a ß der Christ seinen bürgerlichen Beruf aufgeben solle, j a , P a u l u s f i n d e t den Thessalonichern gegenüber, in deren Mitte müßiggängerische Strömungen a u f t r a t e n , sehr energische W o r t e : „ W e r nicht arbeitet, soll auch nicht essen" I I Thess 3l0. I h r e F r a u e n haben P e t r u s , die Apostel u n d die Brüder des H e r r n nicht fortgeschickt, sondern sie h a b e n sich von ihnen auf ihren Missionsreisen begleiten lassen I Kor 95. Vom Staatsleben haben sich die ältesten Christen ferngehalten. Hier haben sie eine Schwierigkeit empfunden, welche sich mannigfach durch die ganzen ersten Jahrhunderte der christlichen Kirche hindurch verfolgen läßt. Die Apokalypse betrachtet Rom als widergöttliche Macht. Rom ist die große Hure, mit welcher die Könige der Erde Unzucht getrieben haben, und es sind trunken geworden die Erdbewohner von dem Weine ihrer Unzucht Apk 172. Das ist aber auch in der apostolischen Zeit doch nur die eine Seite der Betrachtung. Dem Apostel Paulus ist I I Thess 2 die römische Staatsgewalt die das Hervorbrechen des Antichrists hemmende Macht. Noch m e h r aber würdigt er R o m 13 die weltliche Obrigkeit. Sie ist von G o t t gesetzt zur Belohnung der Guten, zur B e s t r a f u n g der Bösen. Wer ihr widerstrebt, widersteht Gottes O r d n u n g . Die Lukasschriften nehmen der römischen Staatsgewalt gegenüber eine verteidigende H a l t u n g ein. Die Apostelgeschichte weist in der Schilderung des Schicksals des P a u l u s immer wieder darauf hin, d a ß die römischen S t a a t s b e a m t e n an dem Verhalten des Apostels nichts gegen die Staatsgesetze Verstoßendes entdecken k o n n t e n . Der römische S t a a t u n d d a s Christentum erscheinen nicht als zwei feindliche, sich bekämpfende Mächte. I n der ganzen apostolischen Zeit u n d noch in den Johannesbriefen ist aber das eigentliche Kennzeichen der christlichen Kirche die Ordnung als B r u d e r b u n d , der sich gegen die ungläubige Welt, also auch gegen den S t a a t abgrenzt. Der S t a a t m i t seinen Rechtsordnungen gilt doch als einem andern Gebiet angehörig. Eine Spur aber haben wir, wonach das Evangelium in der apostolischen Zeit zu einer Art kommunistischer Bildung geführt hat. Das ist die Gütergemeinschaft, welche nach Apg 2-14 f 432 — 511 eine Zeitlang in der jerusalemischen Gemeinde geherrscht zu haben scheint. Die Überlieferung ist aber nicht ganz einheitlich. Zum Teil wird gesagt, daß die Gütergemeinschaft allgemein durchgeführt worden sei 2iif 432, nach 54 aber waren die Entäußerungen zugunsten der Allgemeinheit durchaus freiwillig. Das letztere erscheint als das Wahrscheinliche und dem Geist des Evangeliums allein Entsprechende. Gaben aber in Jerusalem Besitzende freiwillig ihr Vermögen zugunsten der Gemeinde her, so sehen wir darin eine Nachwirkung der gegen den Besitz gerichteten Worte Jesu. Jedoch das Episodenhafte dieser Einrichtung auch innerhalb der apostolischen Kirche steht unwiderleglich fest. I m ganzen genommen sehen wir also in der apostolischen Kirche verschiedene Ansätze u n d auch verschiedene Beurteilungen der irdischen Güter u n d Ordnungen, aber eine wirkliche Lösung der Frage ist nicht gefunden. Dagegen d ü r f t e n die Hauptlinien, die wir d o r t gezogen f i n d e n , auf ein richtiges, Abwege ausschaltendes Verständnis des Evangeliums Jesu z u r ü c k z u f ü h r e n sein. 2. Die katholische Kirche. Diese unterscheidet zwei A r t e n der Sittlichkeit, die Sittlichkeit derjenigen, welche in der Welt stehen, einen bürgerlichen u n d staatlichen Beruf h a b e n u n d d a r u m nicht in vollem Maße den Forderungen des Evangeliums entsprechen k ö n n e n , u n d die Sittlichkeit der Mönche, welche „die evangelischen R a t s c h l ä g e " befolgen u n d in der B e o b a c h t u n g der Gebote der A r m u t , der Keuschheit u n d des Gehorsams das Leben der „ V o l l k o m m e n e n " f ü h r e n .
Die sittliche Forderung Jesu
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Diese Lösung der Frage kann nicht befriedigen. Denn die in der Welt Stehenden können kein ruhiges Gewissen haben, sobald ihnen klar wird, daß nach der Lehre ihrer eigenen Kirche ein anderer, auch ihnen möglicher Weg besser sei als der, den sie verfolgen. Ihr sittliches Tun kann ihnen dann nur als Halbheit erscheinen. Auf dem Gebiet des Sittlichen gibt es jedoch nur ein Entweder — Oder. Auch Jesu Worte können nur als absolute Forderungen verstanden werden. 3. Die Reformation. Weiter f ü h r t Luther mit seiner Unterscheidung zweier Reiche auf dieser E r d e , dem Reich Gottes und dem Reich der Welt, in die beide sich der Christ hineingestellt sieht. Zum Reiche Gottes gehören ihm alle Rechtgläubigen in Christus. Sie bedürfen keines weltlichen Schwertes noch Rechts. Aber um der Bösen willen hat Gott auch aufgerichtet das Regiment des Staates, der Obrigkeit, des Gesetzes und des Schwertes. Es gehe, sagt er, fein beieinander, daß man zugleich Gottes Reich und der Welt Reich genugtue, Unrecht leide und doch auch strafe. Aber gelingt uns dies wirklich? Oder bleibt nicht doch eine große Spannung, sei es, daß wir unsere Aufgabe als Glieder des Gottesreiches tun, von jedermann fröhlich und gern Unrecht, j a auch den Tod leiden, oder unsern „Gottesdienst" in der Betätigung in dieser Welt erblicken und f ü r den Staat auch das Schwert f ü h r e n ? 4. Zeitgeschichtliche Bedingtheit der sittlichen Gebote Jesu. Naumann betrachtet das Evangelium Jesu nicht mehr als einzige maßgebende Lebensnorm f ü r uns. Es sei das Evangelium f ü r die Fischer, Hirten und Kleinbauern in der galiläischen Ecke des römischen Reiches. Es sei im Unterschied von unserer geldwirtschaftlichen Ordnung naturalwirtschaftlich. Wir Heutigen fragen Jesus nicht, wenn es sich um Dinge der staatlichen oder volkswirtschaftlichen Konstruktion handle. Naumann hat nun zwar ganz recht, daß man die Gesetzgebung der Bergpredigt nicht auf unsere heutigen politischen und sozialen Verhältnisse übertragen kann. Aber wenn Jesus in Athen auf dem Areopag aufgetreten wäre, so hätte er angesichts eines Parterres von Philosophen das Wort: „Du hast dies den Weisen und Klugen verborgen und hast es den Unmündigen geoffenbart" Mt 1125 schwerlich anders formuliert. Er hätte in Rom über Herrscher und Herrschaft nicht anders zu sprechen brauchen, als er es gegenüber den um die Ehrenplätze im Reiche Gottes streitenden Jüngern getan hat. Er hätte auch in Alexandria angesichts des Welthandels sagen können: „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon". Ja, träte er heute in Berlin, London oder Paris auf, hätte dies Wort keine Gültigkeit mehr? Die sittlichen Worte Jesu treffen uns Heutige mit der gleichen Wucht wie seine Zeitgenossen. 5. Eschatologische Bedingtheit der sittlichen Gebote Jesu. Insbesondere von JWeiß ist die ethische Verkündigung Jesu eng mit der eschatologischen Erwartung in Verbindung gesetzt worden. Jesus fordere Gewaltiges, zum Teil Übermenschliches, Dinge, die unter gewöhnlichen Verhältnissen unmöglich wären, die aber verständlich würden angesichts der unmittelbar bevorstehenden Krisis des Weltgeschehens. Dahin rechnet Weiß den Bußruf, den Begriff der Gerechtigkeit mit seiner weitabgewandten, überirdischen Richtung, das Gebot der Feindesliebe, die Vorschrift, dem Bösen nicht zu widerstehen, die Forderung der Selbstverleugnung, der Aufgabe des irdischen Besitzes und des Familienlebens. Dagegen macht schon bedenklich, daß mit solcher Auffassung in Jesu Ethik ein gewisser Dualismus getragen würde. Jesus hat aber nur e i n Ziel gekannt, die Erfüllung des Willens Gottes. Eine „eschatologische Interimsethik" hat er nicht schaffen wollen. Aber man braucht auch nur diejenigen Forderungen, welche als heroische, übermenschliche Gesetze f ü r die letzte Stunde angesehen werden sollen, auf ihren Kern zu prüfen, um eine Einschränkung ihrer Bedeutung als ausgeschlossen zu erkennen. Kein Mensch kann zu irgendeiner Zeit und unter wie immer gearteten Umständen in das Reich Gottes eingehen, der nicht dem Bußruf Jesu folgt und die bessere Gerechtigkeit des Reiches Gottes erwirbt, s. S 79 f. Denn jeder Mensch, der vor den von Jesus verkündigten Gott gestellt wird, erkennt den Abstand, der ihn von Gottes Vollkommenheit trennt. Wie kann ein Mensch vor diesem Gott bestehen, wenn er noch nicht Herr geworden ist über den Zornaffekt oder das unreine sinnliche Gelüste ? Den Feind soll man nach Jesu Willen nicht überwinden, indem man sich ihm als von der untergehenden Welt innerlich gelöster Mensch in unerreichbarer Erhabenheit gegenüberstehen f ü h l t , sondern jederzeit und unter allen Umständen nur durchsuchende, überwindende, auch das Böse tragende Liebe, als Kind des himmlischen Vaters, der auch keinen Unterschied zwischen Freund und Feind macht, sondern allen seine reichen Gaben spendet, und der sittlich vollkommen ist. Selbstverleugnung wird wiederum von jedem und unbedingt gefordert, der in Jesu Nachfolge steht. Und man mache sich nur einmal klar, ob Jesus den Wert der Güter dieser Erde, Familie, Besitz, Kultur, den Staat und seine Ordnungen anders eingeschätzt hätte, wenn er die Weltkatastrophe, die alles vernichten werde, nicht in Kürze erwartet hätte. In Wahrheit sind das alles Dinge, welche f ü r Jesus keinen selbständigen Wert hatten angesichts des ihn allein beherrschenden Gutes des Reiches Gottes. „Trachtet am ersten nach dem Reich [Gottes] und seiner Gerechtigkeit, so wird euch dies alles zufallen" Mt 633. Dies Wort der Bergpredigt trifft vollkommen, was Jesus erfüllte und was er von seinen Jüngern verlangt. H a t er doch auch abgesehen von aller Eschatologie dem am Irdischen hängenden reichen Bauern zugerufen: „Du Narr, diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern" Lk 1220.
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6. Jesu ethische Forderung unter dem Gesichtspunkt der sozialen Reform. Eine soziale Botschaft ist das Evangelium nicht, und als sozialer Reformator ist Jesus nicht aufgetreten. Er hat den Gedanken weit von sich gewiesen, daß er zum Richter oder Erbschlichter in dieser Welt gesetzt sei, und im Anschluß daran hat er vor Habsucht gewarnt. Denn wahres Leben besteht nicht im Überfluß Lk 12l4ff. Er hat gesagt: „Arme habt ihr allezeitbei euch" Mt 26ll, da er die soziale Gliederung, die er vorfand, zu reformieren keinen Beruf verspürte. J a sogar das Almosengeben, das er selbst geübt und verlangt hat Joh 1329 Lk 1233 Mt 1921, zeigt, daß er sich in diesen Dingen der Sitte seiner Zeit angeschlossen hat, während gerade eine soziale Auffassung des Besitzes ihn die Erkenntnis hätte gewinnen lassen, daß Almosengeben nur augenblickliche Linderung der Not verursache, im Sinne eines normalen Gemeinschaftslebens aber die Besitzverhältnisse prinzipiell und neu zu regeln wären. Ein soziales Programm hat Jesus nicht aufgestellt. Er hat mit Reichen so gut verkehrt wie mit Armen. Wir hören nichts davon, daß er den anscheinend wohlhabenden Schwestern Martha und Maria ebenso wie dem reichen Jüngling um der Seelengefährlichkeit des Reichtums willen die Forderung gestellt habe, sie sollten sich von ihrem Besitz lösen. Die irdischen Dinge läßt Jesus ihren Lauf weitergehen. Wie es in den Tagen des Noah gewesen ist, so wird es, wie er weiß, bleiben bis zu dem Tage des Menschensohns, daß die Menschen essen, trinken, freien und sich freien lassen Lk 1726f. Er läßt das weite Gebiet des Weltlichen den Jüngern frei: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist" Mt 2221, um den Gegensatz um so schärfer hervorzukehren 1 . Ihr eigentliches Sinnen soll dem gelten, was Gottes ist. Herrschaft und Gewalt werden auf dieser Welt sein und bleiben. Aber im christlichen Bruderbund soll demütige Dienstbereitschaft herrschen. Er hat nicht nur die Not der Seele, sondern auch die des Leibes geheilt. Aber gewiß nicht, um die Arbeits- und Leistungsfähigkeit der Geheilten zu erhöhen, sondern um den schöpfungsmäßigen Zustand wiederherzustellen. Wenn er neben die Gottesliebe als gleichwertig die Nächstenliebe gestellt hat Mt 2237f, so hat er gewollt, daß eine Liebesgesinnung, wie sie Gott entgegengebracht werden muß, auch dem Nächsten zu beweisen ist. Hier wird eine neue Grundhaltung des Menschen gefordert, die unter a l l e n äußeren Voraussetzungen gilt und sich ohne Rücksicht auf sie zu bewähren hat. In dem großen Gerichtsgemälde Mt 2531 ff werden nur Barmherzigkeit genannt und deren Unterlassung, nicht aber prinzipielle Neuordnungen. Diese mögen die Folge christlicher Liebesgesinnung werden können, vielleicht müssen, bleiben aber immer etwas Abgeleitetes und sind niemals primär aus dem Evangelium zu entnehmen, welches keine neue Gesellschaftsordnung, sondern einen neuen Menschen fordert, also weit über die Forderungen jeder sozialen Reform hinausgeht. Denn eine Welt, die vom Evangelium beherrscht wird, wird keine sozialen Probleme mehr kennen. Mit d e m Gesagten sind eine Anzahl v o n D e u t u n g e n der E t h i k Jesu abgewiesen. Sie ist n i c h t p e s s i m i s t i s c h u n d d u a l i s t i s c h . D e n n die W e l t ist für Jesus Gottes W e l t . Mag i n ihr Gottes Ordnung durch satanische Mächte, welche die Menschen u n t e r ihre Herrschaft gebracht h a b e n , verkehrt sein u n d die S ü n d e d e m menschlichen Willen eine falsche R i c h t u n g gegeben h a b e n , Gott ist u n d bleibt der Herr der W e l t . Gerade deshalb weiß sich J e s u s v o n G o t t i n die Welt gesandt, d a ß er diese widergöttlichen Mächte b e k ä m p f e , sie ihrer Herrschaft beraube u n d Gottes Königsherrschaft auch in d e n Menschen zur Durchführung bringe. Angesichts dieser J e s u s erfüllenden Gottes Wirklichkeit verblaßt jeder Pessimismus u n d jeder D u a lismus . A u c h u n t e r den Begriff der A s k e s e fällt die sittliche Forderung J e s u n i c h t . Er h a t die Güter dieser W e l t unbefangen u n d m i t D a n k gegen Gott gebraucht u n d sich dieser W e l t gefreut. D i e asketisch klingenden Worte stellen d e n Menschen v o r die P f l i c h t , u m des alles überragenden Gutes des Reiches Gottes Willen alle geringeren, innerweltlichen Güter hinzugeben. G o t t will d e n ganzen Willen des Menschen. D a n n reicht aber keine irdische A u f g a b e an die d e m Menschen als Glied des Gottesreiches erwachsende P f l i c h t heran. D a m i t fallen aber auch E u d ä m o n i s m u s u n d E g o i s m u s zur Seite. D e n n es ist j a nicht Glücksbedürfnis u n d aufs höchste gesteigerte Selbstsucht, welche den Menschen b e s t i m m e n , alles aufzugeben, u m das Gottesreich zu gewinnen, sondern es ist die Erkenntnis, d a ß der Mensch nur durch v o l l k o m m e n e Unterordnung unter Gott u n d Gottes heiligen Willen das i h m schöpfungsgemäß gesetzte Ziel erreicht. D e r Mensch ist da zur Ehre Gottes u n d erreicht seine V o l l e n d u n g nur i m bedingungslosen D i e n s t Gottes. D a m i t löst sich auch die Frage n a c h der A u t o n o m i e o d e r H e t e r o n o m i e der E t h i k Jesu. Beide Formeln drücken n i c h t restlos den T a t b e s t a n d des Willens J e s u aus, da der Christ Gott gegenüber weder 1 Vgl NJHommes, God en Keizer in het Nieuwe Testament, 1941. HvdLoos, Jezus MessiasKoning. Een spezial onderzoek naar de vraag of Jezus van Nazaret politieke bedoelingen heeft nagestreefd, 1942. WSchweitzer, Die Herrschaft Christi und der Staat im NT, 1949.
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autonom sein kann, noch auch er sich heteronom bestimmt weiß, wenn Gottes Wille sein Wille geworden ist. Jesu Forderungen sind ferner nicht z e i t g e s c h i c h t l i c h und l o k a l bedingt, f ü r die einfachen ländlichen Verhältnisse des weltabgeschiedenen Galiläa, sondern sie haben ewige Gültigkeit. Die e s c h a t o l o g i s c h e E r w a r t u n g J e s u und der damaligen Zeit hat ihre Gestaltung auch nicht wesentlich bedingt, sondern auch die heroischen Gebote des Evangeliums verpflichten uns ebenso wie seine damaligen Hörer. 3. Das Prinzip der Beurteilung 1. Die größte Schwierigkeit des Verständnisses der sittlichen Forderungen Jesu liegt in der Bestimmung des Verhältnisses der Güter dieser Erde zu den Gütern des Reiches Gottes. Wie Jesus Gott ganz allein und ungeteilt in seinem Herzen trug, so stellt er auch den Menschen ganz und unbedingt Gott gegenüber. Das Reich Gottes mit seinen Gaben und Kräften soll das Ziel auch jedes Menschen werden, nichts anderes. Jesus will den Menschen loslösen von allem Vergänglichen und zeigt ihm darum das Ewige. Er weiß, daß diese Erde und ihre Aufgaben nicht das eigentliche Ziel des Menschen sind, sondern die jenseitige Welt, das Reich Gottes mit seinen ewigen Kräften. Daher wendet er sein Augenmerk nicht dem Relativen zu. Er lehrt uns, festen Blicks hinzuschauen auf das Eine, was not tut, und gerade darin liegt seine bleibende Bedeutung für alle Zeiten. Denn er bringt so jeden Menschen in ein besonderes Verhältnis zu Gott und der Welt. Von hier aus erhalten Worte ihr volles Licht wie: Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne und ginge doch seiner Seele verlustig, ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon, ihr sollt nicht Schätze sammeln auf Erden, sondern im Himmel. Aus dieser Stellungnahme folgt nun keineswegs Abkehr von allem Irdischen. Jesus hat sich in seiner Lebensführung durchaus an die Einrichtungen, Ordnungen und Gebräuche des jüdischen Volkes gehalten und sich ihnen eingefügt. Aus der volkstümlichen und nationalen Ausprägung des Lebens seiner Umgebung sich zu lösen, ist ihm auch von ferne nicht in den Sinn gekommen. Er erkennt also in Nation und Volkstum ein irdisches Gut, welches an sich mit den Forderungen des Reiches Gottes nicht in Widerspruch tritt. Er hat sieb der staatlichen und rechtlichen Ordnung seiner Zeit nicht etwa mit der Begründung entzogen, daß diese Ordnungen für das Reich Gottes keine Gültigkeit haben, sondern er hat sich gefangennehmen, den Prozeß machen und hinrichten lassen. Gelegentlich der Verhandlung vor dem römischen Prokurator, der auf seine Machtvollkommenheit hinwies, ihn frei zu geben oder zu kreuzigen, hat er geantwortet, daß diese Vollmacht dem Pilatus von oben, von Gott gegeben sei J o h 19n. Also die irdische Obrigkeit ist ihm Gottes Ordnung gewesen, der sich der Mensch und der auch er 6ich unterwerfen mußte. Als der Hohepriester ihm während der Gerichtsverhandlung einen Eid abnahm, hat er ihn ohne weiteres geleistet Mt 26asf. Ferner haben wir ein Wort aus Jesu Munde, welches zwar in einer bestimmten Situation gesprochen ist, und doch wie ein Scheinwerfer weite Strecken des irdischen Lebens mit Licht überflutet. Wir meinen das Wort: „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes i s t " Mt 2221, LvRanke hat einmal gesagt, keins von allen herrlichen Worten Jesu sei wichtiger und folgenreicher als dies. So ist es wirklich. Jesus hat hier nicht zwei Sphären gespalten, so daß sie nichts mehr miteinander zu tun hätten, wohl aber hat er mit wundervoller Klarheit jedem der beiden genannten Gebiete des irdischen Lebens, dem Staat und der Religion, seine selbständige Bedeutung gegeben, die sie bis dahin nicht gehabt hatten. Er hat mit jenem Wort die Religion losgelöst von der Umklammerung durch den Staat, die wir schon bei den antiken Völkern sehen, auch in den griechischen Stadtstaaten, im römischen Staat und in besonderer Weise im Volke Israel. Jesus trifft in dem Wort über die Zinsmünze eine prinzipielle Entscheidung. E r erkennt an, daß der Staat Forderungen an den Menschen zu stellen berechtigt ist, denen man sich aus religiösen Gründen nicht entziehen darf. Was aber vom Staate gilt, gilt ebenso von den natürlichen Ordnungen dieses Lebens überhaupt. Damit ist
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zugleich gesagt, d a ß diese s t a a t l i c h e n u n d irdischen Dinge ihre eigenen Gesetze in sich t r a g e n , welche a n d e r e sind als die des Reiches G o t t e s . Die s t a a t l i c h e n u n d die religiösen P f l i c h t e n t r e t e n zueinander in K o n f l i k t . J e s u s h a t aber die F r a g e r n i c h t angewiesen, die eine P f l i c h t h i n t e r die a n d e r e zurückzustellen, s o n d e r n so zu h a n d e l n , d a ß beide e r f ü l l t w e r d e n . D a s ist die große u n d neue Richtlinie, die er g i b t , u n d die L u t h e r wieder h e r a u s g e a r b e i t e t h a t . Von einer Z e r s p a l t u n g des menschlichen I c h k a n n keine R e d e sein. D e n n es ist j a dieselbe Persönlichkeit, welche d e m s t a a t lichen wie religiösen Interessenkreise gegenüber zu h a n d e l n h a t . E s wird a u c h n i c h t so zu scheiden sein, d a ß die eine H a n d l u n g religiös, die a n d e r e weltlich ist, s o n d e r n in der A r t u n s r e r Stellung z u m Weltlichen u n d S t a a t l i c h e n wird die religiöse H a l t u n g des Menschen ersichtlich w e r d e n . E s ist die A u f g a b e der Persönlichkeit, im eigenen I c h eine V e r b i n d u n g der verschiedenen Seiten menschlichen T u n s herzustellen. D e r eigentliche N a c h d r u c k liegt a b e r auf d e m zweiten Teile des W o r t e s . J e s u s will sagen: E r f ü l l t eure P f l i c h t e n allen irdischen O r d n u n g e n gegenüber t r e u u n d gew i s s e n h a f t , a b e r l a ß t d a r ü b e r nie aus d e m Auge, j a b e t r a c h t e t es als die eigentliche A u f g a b e eures Lebens, G o t t zu geben, was Gottes ist. N u n wir wissen j a , J e s u ganze W e l t b e t r a c h t u n g ist eine religiöse. Die W e l t u n d was in i h r ist, ist G o t t e s . D a h e r k a n n er den S t a a t u n d seine A u f g a b e n n i c h t aus i h r e r Zugehörigkeit zu G o t t h a b e n lösen wollen. D a n n ist a b e r die F o l g e r u n g unausweichlich, d a ß wir a u c h d e n Gehors a m gegen die irdische Obrigkeit als Gehorsam gegen G o t t ü b e n sollen. I s t der Geh o r s a m gegen G o t t die eigentliche A u f g a b e des Christen, so m u ß die U n t e r o r d n u n g u n t e r die staatliche O r d n u n g gleichfalls u n t e r diesen G e s i c h t s p u n k t gestellt w e r d e n . 2. E s f ä l l t a b e r d o c h a u f , d a ß derselbe J e s u s , welcher das ganze menschliche L e b e n in seinen Ä u ß e r u n g e n , B e t ä t i g u n g e n u n d O r d n u n g e n plastisch k l a r u n d deutlich gesehen h a t , zu d e n K u l t u r g ü t e r n seiner Zeit keine Stellung g e n o m m e n h a t . Wie er es ablehnte,, E r b s c h l i c h t e r zwischen d e n s t r e i t e n d e n B r ü d e r n zu sein, so h a t er sich a u c h n i c h t ü b e r d e n irdischen B e r u f , ü b e r wirtschaftliche, soziale u n d kulturelle A u f g a b e n geäußert, das E v a n g e l i u m e n t h ä l t kein W o r t ü b e r die W i s s e n s c h a f t , die K u n s t , die Philosophie, ü b e r d a s R e c h t als w o h l t ä t i g e O r d n u n g u. a. D e r G r u n d d a f ü r ist d e r , J e s u ganzes Interesse w a r d e m Reiche Gottes u n d seinen Gesetzen zugewendet, die K u l t u r a u f g a b e n a b e r s t a n d e n d a m i t n i c h t in d i r e k t e m Z u s a m m e n h a n g , j a J e s u s w ü r d e sie in gewissem Sinn als H i n d e r u n g f ü r d a s K o m m e n des Reiches Gottes bet r a c h t e t h a b e n . H i e r gilt wieder d a s W o r t : W a s h ü l f e es d e m Menschen, so er die ganze Welt gewönne. H ä t t e er d a s E v a n g e l i u m in V e r b i n d u n g m i t d e n K u l t u r a u f g a b e n seiner Zeit g e b r a c h t , so w ä r e es h e u t e v e r a l t e t . D a er es a b e r u n v e r w o r r e n m i t zeitgeschichtlichem Einschlag v e r k ü n d i g t h a t , b e h ä l t es seinen ewigen C h a r a k t e r . U n d doch k ö n n e n wir d a b e i n i c h t stehen bleiben. J e s u s h a t selbst k e i n e n irdischen Beruf a u s g e ü b t , u n d d a s u n t e r s c h e i d e t i h n v o n u n s . Sein B e r u f w a r rein religiös. E r wollte d e n Menschen v o r d e n ewigen G o t t , v o r G o t t e s V o l l k o m m e n h e i t stellen. Alles a n d e r e T u n lag i h m f e r n . D a h e r löste er sich aus der Familie, in d e r er s t a n d . F ü r u n s ist bis auf A u s n a h m e n der a n d e r e W e g d e r gegebene. W i r w u r z e l n in H a u s , Familie u n d irdischen Beruf ein. W i r h a b e n d a s im Sinne J e s u — „ G e b e t d e m Kaiser, was des Kaisers i s t " — zu t u n , i n d e m wir a u c h die irdischen A u f g a b e n a u s Gottes H a n d n e h m e n , in d e m B e w u ß t s e i n , d a ß dies n u r relativ wertvolle G ü t e r sind im Vergleich m i t d e m Reiche G o t t e s als a u c h u n s e r m eigentlichen Ziel. Wir h a b e n u n s dabei zu e r i n n e r n , d a ß d a s E v a n g e l i u m a u c h die G e d a n k e n r i c h t u n g auf eine innerweltliche E n t w i c k l u n g des Reiches G o t t e s e n t h ä l t , vgl die Gleichnisse v o m W a c h s t u m des Reiches, s. S 8 4 f . Dieses F o r t s c h r e i t e n des Reiches auf E r d e n k a n n J e s u s n i c h t g e d a c h t h a b e n , o h n e d a ß d a s gesamte irdische W i r k e n u n d T u n des Menschen in d e n D i e n s t des Reiches Gottes gestellt wird. A u c h hier d a r f freilich wieder n i c h t vergessen w e r d e n , d a ß dies n u r eine Linie in der V e r k ü n d i g u n g J e s u ist, a b e r sie ist da, m a g sie v o n J e s u s selbst a u c h n u r a n g e d e u t e t w o r d e n sein. 3. N u n a b e r m u ß w i e d e r u m ein a n d e r e r G e s i c h t s p u n k t zu seinem R e c h t e k o m m e n . Das ist der, welcher sich aus d e n F o r d e r u n g e n d e r B e r g p r e d i g t ergibt. W e n n wir keinen irdischen Besitz e r w e r b e n , n i c h t sorgen sollen, w a s wir essen, t r i n k e n , a n ziehen w e r d e n , w e r d e n d a n n n i c h t Grundgesetze u n s e r e r irdischen E x i s t e n z a u f gehoben ? W e n n w i r n i c h t schwören d ü r f e n , d e m Bösen n i c h t widerstehen, s o n d e r n d e m Angreifer n o c h m e h r bewilligen sollen, als er g e r f o r d e r t h a t , w e n n die u n b e d i n g t e Feindesliebe C h r i s t e n g e b o t ist, k a n n m a n sich d a n n ü b e r h a u p t noch gegen U n r e c h t
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-wehren, u n d w i r d es d a n n e i n e m c h r i s t l i c h e n V o l k e n i c h t u n t e r s a g t , seinen n a t i o n a l e n B e s t a n d a u c h g e g e n f r e v e l h a f t e u n d m u t w i l l i g e A n g r i f f e zu v e r t e i d i g e n ? L o c k e r n s i c h d a n n n i c h t alle B a n d e d e r m e n s c h l i c h e n O r d n u n g ? U n d wie ? H a t n i c h t J e s u s selbst vor dem Hohenpriester geschworen, u n d d e m K n e c h t e des Hohenpriesters, d e r i h n s c h l u g , n i c h t e t w a a u c h die a n d e r e B a c k e h i n g e h a l t e n , s o n d e r n i h n z u r e c h t gewiesen ? G e r a d e d a s V e r h a l t e n J e s u , d a s d o c h i n allen s e i n e n Ä u ß e r u n g e n , i n W o r t e n u n d T a t e n , als geschlossene E i n h e i t v o r u n s s t e h t , k a n n u n s e i n e W a r n u n g s t a f e l sein, n i c h t f a l s c h zu u r t e i l e n . D a s H a n d e l n J e s u i n s e i n e m P r o z e ß w a r k e i n W i d e r s p r u c h g e g e n seine L e h r e i n d e r B e r g p r e d i g t , weil es sich b e i d e m a l e u m e t w a s a n d e r e s h a n d e l t e . I n s e i n e m P r o z e ß stellte e r sich u n t e r die r e c h t l i c h e u n d o b r i g k e i t l i c h e O r d n u n g seines Volkes als g o t t g e w o l l t e r , i n d e n b e t r e f f e n d e n W o r t e n d e r B e r g p r e d i g t a b e r h a t er i n d e r H a u p t s a c h e seelsorgerische A n w e i s u n g e n ü b e r d a s V e r h a l t e n d e r J ü n g e r im Verkehr untereinander u n d in ihrer sündigen U m g e b u n g gegeben. E r h a t i n d e r B e r g p r e d i g t , i n d e m er d e n g e g e n w ä r t i g e n Z u s t a n d d e r W e l t u n d d e r M e n s c h e n als U n t e r l a g e u n d Folie b e n u t z t e , i n w e i s s a g e n d e r F o r m eine S c h i l d e r u n g i d e a l e n c h r i s t l i c h e n G e m e i n s c h a f t s l e b e n s e n t w o r f e n . E r i s t sich b e w u ß t gewesen, d a ß a u f d e r s ü n d i g e n E r d e ein solches V e r h a l t e n n i c h t d u r c h f ü h r b a r i s t ; d a a b e r a u c h diese s e i n e F o r d e r u n g e i n e ewige, v o n j e d e m H ö r e r i n n e r l i c h zu b e j a h e n d e i s t , v e r w e i s t sie a u f e i n e n t r a n s z e n d e n t e n Z u s t a n d d e r D i n g e , w o diese V o l l k o m m e n h e i t h e r r s c h e n wird. D a m i t k o m m e n w i r zu d e m E n t s c h e i d e n d e n , w a s ü b e r J e s u E t h i k zu s a g e n i s t . 4. A u c h n a c h d e r e t h i s c h e n Seite h i n i s t J e s u s d e r v o l l k o m m e n e O f f e n b a r e r Gottes. I n j e d e m W o r t Jesu werden wir d a h e r Gottes Willen an uns finden. Seine F o r d e r u n g e n s i n d o f t i n i n d i v i d u e l l e n L a g e n g e s t e l l t , u n d d o c h s a g e n sie a u c h u n s , w a s G o t t v o n u n s will. J e s u s b e d i e n t sich a b e r i n s e i n e n s i t t l i c h e n F o r d e r u n g e n ö f t e r s d e r P a r a d o x i e g e r a d e zu d e m Z w e c k , G o t t e s W i l l e n b e s o n d e r s e i n d r ü c k l i c h zu m a c h e n . I m Geld a n sich k a n n n i c h t s Böses liegen. D i e S ü n d e b e g i n n t e r s t d a n n , w e n n d e r M e n s c h die W a h l h a t zwischen G o t t u n d d e m Gelde. D a n n gilt es, u n b e d i n g t u n d o h n e E i n s c h r ä n k u n g sich a u f G o t t e s Seite zu stellen. D a s W o r t v o m K a m e l u n d N a d e l ö h r will n i c h t die a b s o l u t e S c h l e c h t i g k e i t d e s B e s i t z e s l e h r e n , s o n d e r n n u r d i e u n ü b e r w i n d l i c h e G e f a h r zeigen, welche i m R e i c h t u m f ü r d e n M e n s c h e n l i e g t . W i r e r f ü l l e n n i c h t b u c h s t ä b l i c h W o r t e w i e : L a ß t die T o t e n i h r e T o t e n b e g r a b e n , w i r h a s s e n n i c h t V a t e r u n d M u t t e r , w e n n wir zu J e s u s g e h e n , w i r l a d e n zu u n s e r n G a s t m ä h l e r n u n s e r e F r e u n d e , n i c h t die L a h m e n u n d K r ü p p e l , w i r lassen n i c h t d e m , d e r u n s d e n R o c k n i m m t , o b e n d r e i n a u c h u n s e r n M a n t e l , u n d d o c h s e n k e n diese W o r t e J e s u einen S t a c h e l i n u n s e r e Seele, d e n w i r n i c h t h e r a u s r e i ß e n k ö n n e n . D e n n J e s u W o r t e sind a b s o l u t e F o r d e r u n g e n . E r h a t sie als A u s d r u c k d e s ewigen G o t t e s w i l l e n s g e g e b e n , u n d k e i n M e n s c h , d e r dies i n n e r l i c h e r f a h r e n h a t , k a n n m e h r z u r R u h e k o m m e n , bis er die F o r d e r u n g G o t t e s a u c h e r f ü l l t . G a n z g e w i ß h a t J e s u s seine F o r d e r u n g a u f g e s t e l l t , d a m i t sie e r f ü l l t w e r d e n k a n n u n d soll. D a s i s t j a d e r Z u s t a n d d e s R e i c h e s G o t t e s , w e l c h e m J e s u s die W e l t e n t g e g e n f ü h r e n will. A b e r a u c h w o d e r s e l b e n o c h n i c h t v o l l s t ä n d i g e r r e i c h t i s t , i n dieser W e l t , b i n d e t G o t t e s Wille f o r t a n d e n a n Jesus Gläubigen. Die Gemeinschaft mit Gott m u ß d a n n der Regulator der Lebenss p a n n u n g s e i n ; i n d a s G e b e t zu G o t t m u ß d e r C h r i s t alles h i n e i n n e h m e n k ö n n e n ; alles, w a s er n u n m e h r a n s i t t l i c h e n E r f o l g e n e r r e i c h t , w e i ß er als a u s d e r V e r b i n d u n g m i t G o t t gewonnen, u n d wo er unterliegt, e r k e n n t er schmerzvoll das Zurückbleiben h i n t e r d e m Ziel, welches e r e r r e i c h e n m u ß . E s w ä r e u n r i c h t i g , w o l l t e m a n sich d a b e i b e r u h i g e n , d a ß dieser Z u s t a n d d e r D i n g e h i e n i e d e n d o c h n i c h t e r r e i c h t w e r d e n k a n n , sondern erst d a n n , w e n n das Reich Gottes wirklich da ist. D e n n Jesus h a t seine Ford e r u n g e n n i c h t i n f u t u r i s c h e r W e n d u n g e r h o b e n , e r g i b t sie v i e l m e h r i n I m p e r a t i v e n . Sie sollen als ewige W a h r h e i t e n ü b e r u n s e r m g a n z e n L e b e n s t e h e n . F ü r d i e s e W e l t h a t die E t h i k d e r B e r g p r e d i g t e t w a s zu s a g e n , i n d e r z u k ü n f t i g e n s i n d k e i n e F e i n d e m e h r d u r c h L i e b e zu ü b e r w i n d e n . W i r l a s s e n als J ü n g e r J e s u G o t t m i t u n s h a n d e l n , lassen i h n d e n f a l s c h e n W i l l e n v o n u n s n e h m e n u n d u n s die W e l t als n e u e s c h e n k e n . I m H e r z e n d e r e i n z e l n e n M e n s c h e n m u ß diese G o t t e s k i n d s c h a f t g e b o r e n w e r d e n . I n d e r I n d i v i d u a l e t h i k liegt die W u r z e l aller E r n e u e r u n g . D e r M e n s c h m u ß sich a n J e s u V o r b i l d o r i e n t i e r e n , d e r i n d e r W e l t s t a n d u n d die D i n g e dieser W e l t b r a u c h t e , o h n e sich v o n i h n e n k n e c h t e n o d e r a u c h n u r v e r s e h r e n zu l a s s e n . F r e i l i c h k ö n n e n w i r F e i n e : Theologie. 8. Aufl.
T
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Die L e h r e J e s u n a c h d e r D a r s t e l l u n g d e r E v a n g e l i e n
nie die gleiche Stellung zur Welt gewinnen, wie Jesus sie hatte. Wir stehen zu i h r in fortwährender Spannung; aber unser Glaube nimmt das Ziel vorweg, indem wir in der Gemeinschaft mit Gott und Christus gewiß werden, daß es uns gelingen muß, was uns noch bindet, in fortschreitendem Kampfe und Siege durch Gottes Kraft niederzuringen und uns v o n Gott dereinst die Vollkommenheit schenken zu lassen.. 5. W i r h a b e n a b e r n u n i n d i e s e m L e b e n A u f g a b e n , v o n d e n e n J e s u s selbst sich f e r n g e h a l t e n h a t , weil sie m i t d e m R e i c h e G o t t e s u n d dessen Ziel d i r e k t n i c h t z u s a m m e n h ä n g e n . W i r a b e r k ö n n e n u n s i h n e n n i c h t e n t z i e h e n . W i r schließen E h e n 1 u n d g r ü n d e n e i n e n H a u s s t a n d . W i r sorgen f ü r Nahrung u n d Kleidung, f ü r Gesundheit u n d Wohlergehen der Unsrigen. Wir halten darauf, d a ß u n s e r H a u s h a l t seinen r e g e l m ä ß i g e n , g e o r d n e t e n G a n g g e h e , d a m i t j e d e s einzelne Glied, u n s e r e h e r a n w a c h s e n d e n S ö h n e u n d T ö c h t e r u n d w i r selbst, u n s e r n P f l i c h t e n g e w i s s e n h a f t n a c h k o m m e n k ö n n e n . W i r a r b e i t e n in u n s e r e m B e r u f 2 , u m d e n U n t e r h a l t f ü r die U n s r i g e n z u erw e r b e n , u n d b e t r a c h t e n es n i c h t als u n c h r i s t l i c h , a u c h B e s i t z z u e r w e r b e n . D i e s e r B e r u f ist a b e r d o c h B e t ä t i g u n g a n i r d i s c h e n D i n g e n . W e n n d e r A r b e i t e r eine M a s c h i n e zu b e d i e n e n h a t , der K a u f m a n n Zucker u n d Reis v e r k a u f t , der J u r i s t das Bürgerliche Gesetzbuch handhabt,.
1 J e s u s h a t f ü r die a u s E h e u n d F a m i l i e n l e b e n e r w a c h s e n d e n s i t t l i c h e n G ü t e r volles V e r s t ä n d n i s g e h a b t , s. S 2 5 f . E r h a t d a s W e i b g l e i c h b e r e c h t i g t n e b e n d e n M a n n g e s t e l l t . G o t t e s S c h ö p f e r o r d n u n g , welche d e r M e n s c h n i c h t h ä t t e a n t a s t e n sollen, w e i s t M a n n u n d W e i b g e g e n seitig a u f e i n a n d e r a n u n d m a c h t sie z u r u n l ö s l i c h e n E i n h e i t M t 1 9 4 f f . D i e E h e s c h e i d u n g , die n a c h dem jüdischen Recht n u r dem Manne zustand, widerspricht Gottes ursprünglichem Willen. D a s W o r t v o n d e r U n l ö s b a r k e i t d e r E h e ist v o n J e s u s g e r a d e s o wie d i e a n d e r n s c h r o f f e n u n d h a r t e n W o r t e aus der ihn erfüllenden Vollkommenheit heraus gesprochen worden u n d würde dort unb e d i n g t e G e l t u n g b e a n s p r u c h e n , w o die M e n s c h e n s c h o n j e t z t die i n n e r e B e s c h a f f e n h e i t d e r Genossen des R e i c h e s G o t t e s b e s ä ß e n . D i e m e n s c h l i c h e „ H e r z e n s h ä r t i g k e i t " v e r h i n d e r t die D u r c h f ü h r u n g , dieser i d e a l e n G e b o t e J e s u . D i e geschlechtliche L i e b e h a t n a c h J e s u A n s c h a u u n g n u r in d e r E h e B e r e c h t i g u n g . W o die sinnliche E r r e g u n g w i d e r die eheliche P f l i c h t s t r e i t e t , d a g i l t : „ Ä r g e r t d i c h dein A u g e , so r e i ß es a u s u n d wirf es v o n d i r " M t 529. S c h o n d e r b e g e h r l i c h e B l i c k n a c h d e m W e i b e des N ä c h s t e n ist S ü n d e M t 528. H a t J e s u s d a s Liebes- u n d W e s e n s v e r h ä l t n i s , d a s i h n m i t G o t t v e r b a n d , m i t d e m V a t e r - u n d S o h n e s n a m e n c h a r a k t e r i s i e r t u n d die M e n s c h e n z u r K i n d s c h a f t G o t t e s b e r u f e n , so m u ß er in d i e s e m V e r h ä l t n i s die Quelle aller L i e b e u n d S i t t l i c h k e i t e r b l i c k t h a b e n . E r h a t g e w u ß t , d a ß die w e i c h e n u n d b i l d s a m e n G e m ü t e r d e r K l e i n e n b e s o n d e r e r Liebe u n d P f l e g e b e d ü r f e n , u n d h a t sie i h n e n g e s c h e n k t . D e n a u f e r w e c k t e n J ü n g l i n g v o n N a i n g a b e r seiner M u t t e r z u r ü c k L k 715, v g l J o h 1926. V g l F V o g t , D a s E h e g e s e t z J e s u , 1936. A O t t , Die E h e s c h e i d u n g i m M a t t h . - E v a n g e l i u m , 1939. 2 Zur Berufsarbeit der Menschen h a t Jesus keine direkte Stellung genommen. E r h a t P e t r u s u n d A n d r e a s v o n i h r e n N e t z e n w e g g e r u f e n u n d in seine N a c h f o l g e gezogen, u m sie z u M e n s c h e n f i s c h e r n z u m a c h e n M k 117. A b e r n a c h M t 1724—27 ( T e m p e l s t e u e r ) u n d J o h 21 h a t P e t r u s s p ä t e r sein F i s c h e r g e w e r b e w i e d e r b e t r i e b e n . A u c h P a u l u s h a t als A p o s t e l sein H a n d w e r k w e i t e r a u s g e ü b t u n d in T h e s s a l o n i c h die e s c h a t o l o g i s c h e n E n t h u s i a s t e n s e h r n a c h d r ü c k l i c h z u r E r f ü l l u n g ihrer täglichen Berufsarbeit e r m a h n t . Jesus h a t das T u n der Menschen in ihren verschiedenen B e r u f s a r t e n b e o b a c h t e t u n d in seinen Gleichnissen v e r w e n d e t , a b e r n i r g e n d s g e s a g t , d a ß w i r in d e r T r e u e i m i r d i s c h e n B e r u f u n d in d e n A u f g a b e n , welche u n s e r e Z e i t u n s stellt, a u c h R e i c h g o t t e s a r b e i t t u n . W i e sehr dies G e b i e t als weltliches, i r d i s c h e s T u n a b s e i t s v o n seiner G e d a n k e n r i c h t u n g s t a n d , zeigt d a s bei L u k a s i m A n s c h l u ß a n d a s Gleichnis v o m u n g e r e c h t e n H a u s h a l t e r ü b e r l i e f e r t e W o r t : „ W e r i m G e r i n g s t e n t r e u i s t , d e r ist a u c h i m G r o ß e n t r e u , u n d w e r i m G e r i n g s t e n u n g e r e c h t ist, ist a u c h i m G r o ß e n u n g e r e c h t " L k 16l0. I s t dieser Z u s a m m e n h a n g w i r k l i c h d e r u r s p r ü n g l i c h e , so v e r s t e h t J e s u s u n t e r d e m „ G r o ß e n " die P f l i c h t e n u n d A u f g a b e n des G o t t e s r e i c h e s , u n t e r d e m „ G e r i n g s t e n " d a g e g e n die A r b e i t in dieser W e l t . D a s W o r t k a n n a b e r a u c h ein G n o m e sein, die a u s sich s e l b s t v e r s t a n d e n w e r d e n m u ß . D a n u n d a s W o r t n i c h t e i g e n t l i c h v o m „ G r o ß e n " u n d v o m „ G e r i n g s t e n " , s o n d e r n n a c h d e m g r i e c h i s c h e n W o r t l a u t v o n „ s e h r W e n i g e m " ( i v ¿/.a.yiorq>) u n d v o n „ V i e l e m " (iv T I O X X C Ö ) s p r i c h t , d ü r f t e d a n n d e r S i n n sein, d a ß es sich u m viel o d e r w e n i g a n v e r t r a u t e s G u t h a n d e l t . D a n n f ü h r t dies W o r t i n d e n G e d a n k e n k r e i s des Gleichnisses v o n d e n a n v e r t r a u t e n T a l e n t e n M t 2514 — 30 m i t d e r e t w a s a b w e i c h e n d e n P a r a l l e l e L k 1911—27. M a n h a t w e n i g s t e n s dies Gleichnis d a h i n d e u t e n w o l l e n , d a ß die T r e u e i m B e r u f b e l o h n t , T r ä g h e i t a b e r b e s t r a f t w e r d e . Allein d a v o n ist in d i e s e m Gleichnis d o c h s c h w e r l i c h die R e d e , s o n d e r n J e s u s will e i n d r ü c k l i c h m a c h e n , d a ß w i r v o n G o t t z u r V e r a n t w o r t u n g gezogen w e r d e n sollen, wie w i r m i t u n s e r n K r ä f t e n i m D i e n s t e d e s G o t t e s r e i c h e s g e w u c h e r t h a b e n . D e n n o c h k o m m t n o c h e t w a s w e i t e r e s h i n z u . E r f ü l l e n wir n ä m l i c h die i r d i s c h e n A u f g a b e n in d e m B e w u ß t s e i n , , d a ß sie i m Vergleiche m i t d e m R e i c h e G o t t e s als u n s e r m e i g e n t l i c h e n Ziel n u r r e l a t i v e G ü t e r u n d A u f g a b e n sind, d a ß sie a b e r d o c h a u s G o t t e s H a n d k o m m e n , so b e z i e h t d e r G e d a n k e des Gleichnisses die irdische B e r u f s t r e u e d o c h a u c h i n s o f e r n m i t ein, als m i t u n s e r m b e r u f l i c h e n W i r k e n a u c h die Z w e c k e des R e i c h e s G o t t e s auf E r d e n g e f ö r d e r t w o r d e n s i n d . D a s gilt a u c h v o n W o r t e n . J e s u wie M t 12ä6f 50.
Die sittliche Forderung Jesu
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der Naturforscher die Welt der Erscheinungen durchforscht, t u n sie das im Namen des Evangeliums ? Den Zwecken des Reiches Gottes dienen diese Tätigkeiten direkt nicht. Die Dinge dieser Erde tragen ihre eigenen Gesetze in sich, und diesen gemäß haben wir in unserm Leben und Beruf zu handeln. Jesus war kein Landmann, kein Rechtsgelehrter, kein Soldat. Was also ein Mensch in diesen Berufen zu verrichten hat, können wir von ihm nicht lernen. Indem wir innerhalb des Kreises und der Ordnungen, in denen wir in dieser Welt stehen, unsere Aufgabe suchen, kommen wir in Konflikt mit Vorschriften des Evangeliums. Jeder Stand sucht seine Lage zu verbessern. Das kann nur auf Kosten des Rechts und der Interessen anderer geschehen. Indem der K a u f m a n n sein Geschäft erweitert, auf einem Gebiet den Handel in größerem Umfang an sich bringt, schädigt er die Konkurrenz. Nach einem berühmten Wort der Gegenwart ist das Eigentumsrecht weniger gefährdet durch die Sozialisten und Anarchisten als durch die „räuberischen Reichen" 1 . Die Technik schreitet unaufhaltsam vorwärts. Auf ihrem Triumphzug zerstört sie unzählige Existenzen, indem an die Stelle bisheriger Einrichtungen neue gesetzt werden. Die Nationen wollen stark und mächtig und dabei auch reich an idealen Gütern werden, im Wettbewerb mit andern Völkern. Kampf und Ringen der einzelnen Nationen untereinander ist das Merkmal unserer Zeit, nicht der Friede und der gegenseitige Dienst des Reiches Gottes. Was uns die letzten J a h r e und Jahrzehnte an Krieg unter den Völkern der Erde gebracht haben, findet seinesgleichen nicht in der Geschichte der Menschheit. Es sind aber f a s t lauter christliche Völker gewesen, welche die Waffen gegeneinander erhoben haben. Haben die nicht recht, welche darin einen Bankrott des Christentums haben erblicken wollen? Ist nicht der Widerspruch zwischen dem erbarmungslosen Töten von Millionen Menschen und dem Gebot der überwindenden Feindesliebe schreiend ? 6. Es verhält sich also schließlich mit den irdischen Gütern wie Beruf, Kultur, Nation folgendermaßen : Auch unser Beruf wird durch den Willen Jesu geadelt. Denn wir handeln in der T a t anders, wenn Jesus immer bei uns steht und auf uns schaut, in Haus, Beruf, Umgang mit den Menschen. Wir sind treuer in der Arbeit, wenn wir daran denken, wie wir ihm Wohlgefallen; wir können uns keiner Pflichtverletzung schuldig machen, wenn wir seine Jünger sein wollen. Steht sein Bild vor unserer Seele, so wird in unserm Verkehr mit den Menschen Härte, Ungerechtigkeit, Lieblosigkeit als Schuld empfunden. Denn er war anders, und an ihm gemessen können wir mit solchem Verhalten nicht bestehen. So begleitet der Einfluß Jesu uns überall hin, wie das Sonnenlicht den ganzen Erdball erleuchtet. Die Grundkraft, welche in jedem Christen wirksam wird als etwas Neues, Beherrschendes, Richtunggebendes, ist die Liebe. Die Liebe, die in Gott und Christus uns ergreift, ist zunächst als Gegenliebe Gottes- und Christusliebe. Aber sie m u ß sich dann, wenn sie lebendig ist, auch in die Nächstenliebe umsetzen. Denn dasjenige, was u n s Christus gegeben hat, ist j a nicht n u r etwas Religiöses, sondern es greift auf unser ganzes Leben über und wirkt unmittelbar auch ethisch. Alle Liebe, Gottesliebe wie Menschenliebe, ist T a t , und das m u ß in unserm Leben zur Erscheinung kommen, in Familie, Beruf und Arbeit. Und doch empfinden wir in all solchem Tun eine Schranke. Denn es ist darin vieles, was bloß mittelbar mit Jesus zusammenhängt, während unser eigentliches Sein hinstrebt zu einem Zu1 Über Jesu Stellung zu A r m u t und Reichtum kann m a n viel Falsches lesen. Wir haben schon ausgeführt, daß Jesus nicht eine soziale Botschaft gebracht und nicht im entferntesten daran gedacht h a t , den wirtschaftlich Gedrückten Besserung ihrer Lage zu bringen und Gleichheit u n t e r den Menschen herzustellen. Sein: „den Armen wird das Evangelium verkündigt" Mt 115 L k 722 ist aus Jes 61l entlehnt, und schon dort hat das Wort übertragene Bedeutung und handelt von derselben Herzensgesinnung und denselben Menschen, welche in den ersten Seligpreisungen der Bergpredigt bei Mt die Verheißung des Gottesreiches erhalten. Das sind aber nicht die Armen im materiellen Sinne, sondern diejenigen, welche ihre Mangelhaftigkeit und Hilfsbedürftigkeit in religiös-sittlicher Hinsicht fühlen. Die Dinge dieser Erde wollte Jesus nicht reformieren. E r h a t das Hängen am irdischen Besitz als einen Grundschaden der Menschheit betrachtet Mk 1021 f f , aber er h a t gewußt, wie schwer das im gegenwärtigen Zustand der Menschen zu ändern ist. Die A r m u t an sich aber h a t Jesus ganz gewiß auch nicht als wertvoll betrachtet. Denn f ü h r t sie zur Sorge um irdische Dinge, so zieht auch sie ab vom Trachten nach dem, was vor allem not t u t . Ein Armer kann in seinem Trachten nach dem Erwerb irdischen Besitzes ein größerer Mammonsknecht sein als einer, der vieles sein eigen nennt. Auch die sogenannten ebionitischen Stellen im dritten Evangelium vertreten im Grunde keinen anderen Gedanken. Wenn auch Lukas in den Seligpreisungen und Weherufen 620—25 die „Armen", „ j e t z t Hungernden", „ j e t z t Weinenden", den „Reichen", „Gesättigten" und „Lachenden" gegenüberstellt, so bleibt es sehr fraglich, ob er n u r von der äußeren Notlage und deren Gegenteil reden will. Sein Grundgedanke ist doch dem der Seligpreisung des Matthäus nahe verwandt. Auch in dem Gleichnis vom armen Lazarus L k 1619 — 31 steht dem Vers 25 gegenüber 19, wo der Reiche ähnlich geschildert wird wie der reiche Bauer Lk 1216—21. Beider Fehler ist es, daß sie ihren Sinn n u r auf irdische Güter richten, während Lazarus — der einzige Personname in Jesu Gleichnissen — durch die Bedeutung seines Namens: „Dem Gott h i l f t " religiös charakterisiert wird. Auch 30 zeigt, daß es sich um einen unbußfertigen Reichen handelt. Aber auch dies Gleichnis lehrt nicht eine dereinstige soziale Ausgleichung, sondern es hat einen religiösen Grundgedanken. 7
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Die Lehre Jesu nach der Darstellung der Evangelien
stand der Dinge, wo alles seine Beziehung auf Jesus und Gott hat, und wo uns auch nicht mehr hemmen wird, was hier durch unser Leben hindurchgeht, trotz aller erfahrenen Jesushilfe — die Sünde. Seit Jesus unsern Blick der Ewigkeit zugewendet und uns gelehrt hat, daß die innere Verbindung des Menschen mit Gott und Gottes Willen ein Gut ist, an das nichts Irdisches heranreicht, können wir von der Schönheit dieser Erde und ihrer Güter nicht mehr dauernd umstrickt werden. Gerade den weitabgewandten Worten Jesu verdankt auch unsere Kultur ein Salz, welches sie vor der Fäulnis der Weltseligkeit bewahrt. Denn die Kultur ist nur durch das Diesseits bestimmt. . Uns Christen ist schon diese Erde Gottes Erde, und die religiösen und sittlichen Autgaben liegen für uns im gegenwärtigen Leben. Jedoch teilen wir nicht die Hoffnungen, wie sie von Herolden menschlicher Kulturentwicklung so oft ausgesprochen worden sind, daß die Menschheit von den in ihr selbst liegenden Kräften und Interessen aus zu einem Zustand der allgemeinen Brüderlichkeit und des Völkerfriedens gelangen werde. Gerade unsre Zeit mit ihrer noch nie erreichten Höhe der Kulturentwicklung hat uns zwei Kriege mit unvorstellbaren Schrecken und Greueln gebracht. Ein vollständigerer Bankrott der Kultur kann kaum gedacht werden. Weit entfernt, die Menschen besser zu machen, drückt sie ihnen immer grausigere Waffen in die Hand. Wer seine Hoffnung auf die Kultur als Erzieherin des Menschengeschlechts setzt, verkennt die Macht der Sünde, gegen welche die Kultur gleichgültig ist. Und doch liegt in dem durch die menschliche Kultur herbeigeführten Ringen und Zusammenarbeiten aller menschlichen Kräfte und aller Nationen der Erde in der Hand Gottes ein Mittel, die Menschheit seinem Reiche näher zu bringen. Das Evangelium wirkt sich in den verschiedenen Völkern und Völkergruppen in gottgesetzter Verschiedenheit aus. In diesem Zusammenwirken, der daraus folgenden gegenseitigen Befruchtung und Vorwärtsbewegung liegt ein wichtiger Fortschritt des Reiches Gottes auf Erden begründet. Denn, was die Menschheit wirklich vorwärts bringt, sind doch nur die religiösen und sittlichen Kräfte, und diese sind berufen, mehr und mehr auch auf die politischen, nationalen, sozialen und wirtschaftlichen Zustände Einfluß zu gewinnen und sie in christlichem Sinne umzugestalten. Wir hoffen und glauben, daß gerade auch aus den Ereignissen der letzten Jahre Früchte erwachsen werden für die Durchdringung der Völker mit den erneuernden Kräften des Evangeliums. Es ist freilich nicht unsre Meinung, daß durch solche innerweltliche Entwicklung das Reich Gottes auf Erden zur Vollendung kommen wird. Denn die natürlichen Ordnungen dieses Lebens und die menschliche Sünde sind entscheidende Hinderungen. Das Reich Gottes findet seine Vollendung in einem transzendenten Sein, wie dies auch ganz überwiegend aus Jesu Verkündigung ersichtlich ist. Daher kann auch die volle Forderung Jesu an den Menschen erst im vollendeten Reiche Gottes erfüllt werden. Hienieden kommen wir aus der Spannung nicht heraus.
7. Kapitel
Jesu Wirken in der Kraft des Geistes und Jesu Verheißung des Geistes PVolz, Der Geist Gottes und die verwandten Erscheinungen im AT und im anschließenden Judentum, 1910. HLeisegang, Der heilige Geist I, 1; 1919. Ders., Pneuma Hagion. Der Ursprung des Geistbegriffs der synoptischen Evangelien aus der griechischen Mystik, 1922. HvBaer, Der Heilige Geist in den Lukasschriften, 1926. FBüchsel, Der Geist Gottes im NT, 1926. DAFroerig, Das Selbstbewußtsein Jesu als Lehrer und Wundertäter, 1918. Ders., Das Sendungsbewußtsein Jesu und der Geist, 1924. ;1. Die atlichen und jüdischen Voraussetzungen In der späteren Periode der israelitischen Religion ist die Prophetie das anerkannte Geistcharisma. Spezifischer Träger des Geistes ist der Prophet, die Wirkung des Geistes ist die Weissagung (nebuah). Insbesondere der Messias oder das messianische Amt erscheint als Träger des Geistes Jahwes. Nach Jes 112 wird sich auf den Messias niederlassen der Geist Jahwes, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Macht, der Geist der Erkenntnis und der Furcht Jahwes. Die Kraft und Wirkung dieses Geistes sind aber nicht äußere Wunder und Machttaten, sondern aller Nachdruck fällt auf die religiös-sittliche Seite. Ahnlich verheißt der Messiasspruch Jes 285f, Jahwe werde dem Rest des Volkes zum herrlichen Stirnreif werden, zum Geiste des Rechts dem, der zu Gericht sitzt. Auch Ps Sal spricht in den beiden messianischen Psalmen 17 18 vom Geiste des Messias. Nach Jes 112 286 sind die Messiassprüche Hen 493 622 geformt; auch die Testamente Levi 187 und Juda 242 enthalten ähnliche Gedanken.
Jesu Wirken in der K r a f t des Geistes
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Nicht aber nur an die Person des Messias knüpft die Hoffnung auf die Verleihung des Geistes an, sondern bereits das AT erwartet, daß in der messianischen Zeit Gott das Volk von Sünden reinigen und durch die K r a f t des Geistes zu neuem, ihm wohlgefälligen Wandel führen werde. Es soll, wie Jes 32l5ff in Aussicht stellt, ein Geist aus der Höhe ausgegossen werden, und durch ihn sollen Recht und Gerechtigkeit zur Herrschaft kommen. Ez 3625—27 verheißt: „Ich werde reines Wasser über euch sprengen, daß ihr rein werdet; von allen euero Unreinigkeiten und von allen euern Götzen werde ich euch reinigen. Und ich werde euch ein neues Herz verleihen und einen neuen Geist in euer Inneres legen, und werde das steinerne Herz aus euerm Leibe entfernen und euch ein fleischernes Herz verleihen. Und ich werde meinen Geist in euer Inneres legen und schaffen, daß ihr nach meinen Satzungen wandelt und meine Ordnungen beobachtet und danach t u t " . Ähnlich Ez 1119f Jer 3l33f. In diesen Zusammenhang gehört auch Joel 31 — 5. Diese Hoffnung ist weiterhin auch im Spätjudentum lebendig. Der Psalter Salomos erwartet vom Messiaskönig, daß er ein heiliges Volk zusammenbringen werde, das er mit Gerechtigkeit regiert Ps Sal 1726 183—9. Verwandt sind Test X I I Patr Levi 1811 Juda 242. Nach den Bilderreden des Henoch werden die Heilsgenossen an jenem Tag mit einer Stimme loben und erheben im Geiste des Glaubens, der Weisheit, der Geduld, der Barmherzigkeit, des Rechts, des Friedens und der Güte Hen 61ll, vgl 617. Der Lobgesang des Zacharias erwartet vom Volke Gottes, daß es in der messianischen Zeit Gott „diene in Heiligkeit und Gerechtigkeit" Lk l74f, ja nach Lk 117 wird sogar vom Täufer erwartet, daß er vor Gott einhergehen wird im Geiste und in der K r a f t des Elias, zu bekehren die Herzen der Väter zu den Kindern (Mal 324), und die Ungehorsamen zur Verständigkeit der Gerechten, zu rüsten f ü r den Herrn ein zubereitetes Volk. Der Täufer Johannes selbst weissagt, daß der nach ihm Kommende das Volk mit dem heiligen Geiste und mit Feuer taufen werde Mt 3ll Lk 3l6. In diesem Zusammenhange verdienen aber auch Erwähnung die Zeugnisse aus dem nachexilischen Judentum dafür, daß diese Zeit Pneumatiker und pneumatische Erscheinungen kennt. Als Geistbegabten fühlt sich der prophetische Dichter Jes 61l. Ebenso der Knecht Jahwes Jes 42i, vgl Jes 504 6 7. Pneumatisch ist der Weise, Elihu Hi 328 I8f, der Weise des Sirachbuchs Sir 396ff, der der Weish Sal Kap 6 - 9 , sowie auch Philo, De Gigantibus § 22 24 27 CW, De Plantatione § 23 f CW. Daher wird in dieser Zeit auch das sittliche Leben bisweilen pneumatisch gewertet. Weisheit und Tugend gehen ebenso f ü r Sir 396—8 wie f ü r Philo Leg alleg I § 34f. De Plant. § 24 ineinander über. Durch den heiligen Geist und die Weisheit werden die Pfade der Menschen recht gerichtet und die Menschen über das belehrt, was Gott gefällt Weish Sal 9l8 f. Nach Testament Benjamin 82 hat der Fromme keine Befleckung im Herzen, weil der Geist Gottes auf ihm ruht. Es ist zwar zu beachten, daß in diesen Stellen der Geist Gottes nicht immer oder wenigstens nicht immer so deutlich wie im NT als das beherrschende Prinzip und die K r a f t des gottwohlgefälligen Lebens erscheint, und doch kann kein Zweifel sein, daß bereits f ü r das AT diese innere Verbindung von Geistbegabung und religiös-sittlichem Wandel bestanden hat, Jes 6310 Ps 51l2f 14310. 2. Jesu Bewußtsein, seinen messianischen Beruf in der Kraft des Geistes Gottes auszurichten Lk redet häufiger vom Pneuma als die beiden ersten Evangelisten; so nicht nur in den Kindheitsgeschichten 115 17 41 67 80 225 26 27, sondern auch, indem er im Unterschied von den Seitenreferenten Jesus von der Jordantaufe voll heiligen Geistes zurückkehren 4l und nach der Versuchung in der K r a f t des Geistes nach Galiläa ziehen läßt 414, den Heilandsruf Mt 1125—27 = Lk IO21 22 als ein Frohlocken im heiligen Geist bezeichnet 21, und auch das Wort des Matthäus, daß der Vater im Himmel ganz gewiß den ihn Bittenden gute Gaben geben werde Mt7ll, in der Abwandlung darbietet: „wieviel mehr wird euer Vater, der vom Himmel her wirkt, den heiligen Geist denen geben, die ihn bitten" Lk 1113. Allein, das Bild, welches wir von der Sachlage aus den andern beiden Synoptikern gewinnen, wird durch solche Aussagen nicht wesentlich verändert. In den Aussagen über Jesu geistgewirkte Berufstätigkeit führt Lukas nur einen Überlieferungsbestand weiter aus, welchen wir sogleich auch bei den andern Evangelisten finden werden. Wir h a b e n an das S 46 f. über J e s u Taufe Gesagte a n z u k n ü p f e n . E s ist J e s u persönliche Erfahrung gewesen, d a ß in der Taufe seine B e g a b u n g m i t d e m heiligen Geiste erfolgt sei. Jesus h a t i n jener Stunde die Messiaserfahrung i m Sinne v o n J e s 4 2 i g e m a c h t . E i n Beruf wird i h m übertragen, den er n i c h t selbst w ä h l t , sondern i n den Gott i h n stellt. Aber m i t dieser Wahl s t a t t e t Gott i h n auch zugleich mit der erforderlichen K r a f t aus. Diese ist jedoch nichts anderes als Gottes eigener, Gottes heiliger Geist. „ I c h habe m e i n e n Geist auf ihn gelegt." E s ist eine geschichtliche T a t sache, daß J e s u s seinen messianischen Beruf in der J e s 4 2 i vorgezeichneten Weise ausgerichtet h a t . Für unsere jetzige Untersuchung folgt i m besonderen aus dieser Stelle, d a ß Jesus, w e n n sich i h m in ihr sein Berufsbewußtsein vergegenständlichte, überzeugt sein m u ß t e v o n der Notwendigkeit, sich alle Zeit durch Gottes Geist leiten
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Die Lehre Jesu nach der Darstellung der Evangelien
zu l a s s e n 1 . A u c h d a s H e b r ä e r e v a n g e l i u m h a t v o n d e r T a u f e J e s u b e r i c h t e t : „ E s stieg die g a n z e Quelle d e s heiligen Geistes a u f i h n h e r a b u n d b l i e b a u f i h m r u h e n " . W i r f ü r c h t e n n i c h t d e n V o r w u r f , zu viel a u s d e r A n l e h n u n g a n die P r o p h e t e n stelle e n t n o m m e n zu h a b e n . D e n n die v e r w a n d t e Stelle J e s 112 v o n d e m S i c h n i e d e r lassen d e s Geistes G o t t e s a u f d e n Messias s t e h t j a b e i d e r T a u f s t i m m e a u c h w o h l i m H i n t e r g r u n d , noch m e h r aber h a b e n wir u n s auf Jes 6I1 zu berufen. F ü r J e s u s h a t a u c h dies P r o p h e t e n w o r t h o h e B e d e u t u n g g e h a b t . D e n n w i r h a b e n zwei Ü b e r l i e f e r u n g e n i n d e n E v a n g e l i e n , d e n e n zufolge J e s u s sein m e s s i a n i s c h e s W i r k e n als E r f ü l l u n g dieser J e s a j a s t e l l e b e t r a c h t e t h a t . N a c h L k 4i7—19 h a t J e s u s i n d e r S y n a g o g e zu N a z a r e t h z u m G e g e n s t a n d seiner V e r k ü n d i g u n g die E r f ü l l u n g v o n J e s ó l i f gem a c h t : „ D e r Geist d e s H e r r n ist a u f m i r , w e s h a l b e r m i c h g e s a l b t h a t , d a s E v a n g e l i u m d e n A r m e n zu v e r k ü n d i g e n " . A u f die gleiche P r o p h e t e n s t e l l e n i m m t J e s u s i n d e r A n t w o r t a u f die T ä u f e r b o t s c h a f t M t 115 B e z u g . D a s P r o p h e t e n i d e a l a b e r J e s 6 1 i f ist d e m j e n i g e n v o n J e s 42i n a h e v e r w a n d t . Aus dem Gesagten geht hervor, d a ß Jesus nach der Auffassung der Evangelien seine B e r u f s a u s r ü s t u n g m i t d e m Geist, d a s K e n n z e i c h e n d e r m e s s i a n i s c h e n Z e i t , als Erfüllung der atlichen Verheißung von der Geistverleihung betrachtet h a t . Das gleiche i s t a u s J o h 3io v g l m i t 3ff e r s i c h t l i c h . D e n n J e s u s m a c h t d e m N i k o d e m u s d a r a u s e i n e n V o r w u r f , d a ß e r v o n d e r W i r k u n g d e s Geistes k e i n e V o r s t e l l u n g h a b e , w ä h r e n d e r d o c h als S c h r i f t g e l e h r t e r wissen sollte, d a ß die R e i c h s g e n o s s e n geistb e g a b t sein w e r d e n . H i e r i s t also a u c h d e r w e i t e r e a l t t e s t a m e n t l i c h e G e d a n k e a u f g e n o m m e n w o r d e n , d a ß n i c h t n u r d e r Messias, s o n d e r n a u c h die G e m e i n d e d e n Geist e r h a l t e n sollen. J e s u s i s t also seit d e r T a u f e v o n d e r Ü b e r z e u g u n g e r f ü l l t zu d e n k e n , d a ß G o t t in d e r K r a f t d e s Geistes allezeit bei i h m sei. D a s ist a b e r e i n s e h r b e d e u t s a m e s E r g e b n i s , w e n n w i r s c h o n d i e i r d i s c h e W i r k s a m k e i t J e s u als p n e u m a t i s c h e z u d e n k e n h a b e n . E s i s t d a n n die P f i n g s t g a b e n i c h t e t w a s s p e z i f i s c h N e u e s , s o n d e r n s c h o n i m V e r k e h r m i t d e m i r d i s c h e n J e s u s h a b e n die J ü n g e r u n t e r d e n W i r k u n g e n d e s Geistes g e s t a n d e n , u n d die m e s s i a n i s c h e Z e i t i s t seit J e s u A u f t r e t e n e i n e p n e u m a t i s c h e . D i e K r a f t d e s G e i s t e s i s t a b e r zugleich die K r a f t G o t t e s , u n d d a m i t g e w i n n t J e s u s a u c h zugleich A n t e i l a n G o t t e s H e r i s c h a f t . So s i e h t es j a J e s u s a u c h s e l b s t a n . I n d e r S e l b s t v e r t e i d i g u n g gegen die P h a r i s ä e r a u f die B e s c h u l d i g u n g , er t r e i b e i n B e e l z e b u l , d e m O b e r s t e n d e r T e u f e l , die D ä m o n e n a u s , s p r i c h t è r d a s W o r t : „ W e n n ich i m Geiste G o t t e s " (eV nvevfiaiL &eov Mt) o d e r „ m i t d e m F i n g e r G o t t e s (ev daxTvlm &eov L k ) die D ä m o n e n a u s t r e i b e , so i s t zu e u c h g e k o m m e n d a s R e i c h G o t t e s " M t 1228 L k II20. E s s t e h e n sich i m D e n k e n J e s u zwei supranaturale Reiche gegenüber, das Reich Gottes u n d das Satansreich. I n der K r a f t d e s Geistes G o t t e s b r i c h t e r i n d a s S a t a n s r e i c h e i n . W e r d e n d u r c h d e n g ö t t lichen Geist, i n w e l c h e m e r w i r k t , die d ä m o n i s c h e n G e i s t e r v e r t r i e b e n o d e r v e r n i c h t e t , so i s t d a m i t d a s G o t t e s r e i c h i n i h r e r M i t t e i n die E r s c h e i n u n g g e t r e t e n 2 . 1 Es ist vielfach behauptet worden und wird immer wieder von neuem behauptet, die Geistverleihung an Jesus in der Taufe stoße tödlich gegen die Lehre vom supranaturalen Wesen Jesu. Matthäus und Lukas haben so nicht empfunden, und das eben Ausgeführte zeigt ja auch, wo die feste Verbindungslinie zwischen beiden Vorstellungen liegt. Die Berufsausstattung ist das Neue, was in der Taufe zur wesenhaften Einheit Jesu mit Gott hinzutritt. Jesus steht seit jener Stunde da, betraut mit einer Aufgabe, zu der ihm die Kraft von Gott geschenkt werden muß, weil jede seiner messianischen Handlungen abhängig ist von dem Willen Gottes, in dieser bestimmten Weise seine Heilsabsicht ihrem Ziele entgegenzuführen. 2 Vgl die Variante zur zweiten Bitte Lk 112 bei Minuskel 700, 162, Gregor v. Nyssa, Maximus Confessor (ebenso die Thomasakten c. 27 und die Liturgie von Konstantinopel): eX&dtco ro äyiov Ttvcvfia aov e
i/iov. Vgl meine Schrift, Jesus Christus und Paulus, 1902, S 116.
Das Wort vom Lösegeld
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g e d a n k e liegt gleichfalls klar genug zutage. Aber rechtlicher Art sind die Jesus in solchem T u n leitenden Vorstellungen nicht, sondern dieser D i e n s t als A u s f l u ß der h ö c h s t e n Liebe weiß sich i m Einklang mit dem Liebesratschluß Gottes m i t d e m Menschen u n d als Ausführung dieser Liebe Gottes. Freilich k a n n dieses T u n Gottes u n d seines Messias v o n den Menschen nicht anders erfaßt w e r d e n d e n n zugleich als das schärfste Gericht, w a s über sie gefällt wird. Aber G o t t will das Gericht, dem die Menschen unterworfen wären, an den Menschen nicht vollziehen müssen. Daher opfert sich i m Einklang m i t seinem Willen der Menschensohn u n d beseitigt das Trennende. D e r Reine u n d Heilige gibt sich dahin a n der Stelle der Sünder. Dieser Grundzug geht durch die Leidensgeschichte. Jesus h a t also keinen A n s t o ß daran g e n o m m e n , d a ß G o t t diese Opferleistung verlangte. D i e S ü h n u n g der S ü n d e durch sein L e b e n h a t nicht i m Widerspruch m i t seiner Gotteserfahrung g e s t a n d e n , n i c h t i m Widerspruch m i t d e m , was i h m als höchste Sittlichkeit erschien. D e r G o t t Jesu ist der Gott der h ö c h s t e n Liebe, der d e n W e g findet, seiner richterlichen Gerechtigkeit n i c h t freien Lauf lassen zu müssen. Die neuere Kritik hat dem Wort vom Lösegeld mehrfach die Echtheit abgesprochen. Es soll paulinischen Klang haben, von dem Paulusschüler Markus geformt und aus Markus in das Mt.ev. übergegangen sein. Allein, läge hier Einfluß des Paulus vor, so wäre nicht der Ausdruck „Lösegeld" Q.vxuov) gewählt, denn Paulus gebraucht ihn niemals, auch I Tim 26 steht das Kompositum (dvriXvTgov), vielmehr wäre dann von „Erlösung" (onzoXvxQmms) I Kor 130 Rom. 324 Kol 114 Eph 17 gesprochen oder ein Wort wie „loskaufen" (egayopagctr), „Kaufpreis" ( i ^ j j ) oder „Fluch" (xardpa) gewählt. Es widerspräche ganz der Art solcher Anlehnungen, wenn Markus, um einen paulinischen Gedanken zum Ausdruck zu bringen, in das Arsenal des ATs statt der paulinischen Ausdrucksweise gegriffen hätte. Der Sühnopfergedanke ist auch f ü r Jesus selbst, der Jes 53 auf sich angewendet hat, etwas Naheliegendes. Nicht erst Paulus hat ihm Bedeutung beigelegt. Auch die Beanstandung des Wortes durch Wellhausen, Das Ev. Marci 2 S 847 kann nicht als glücklich betrachtet werden. Wellhausen sagt, unmittelbar vorher sei Jesus nicht f ü r die anderen und an ihrer Statt gestorben, sondern ihnen vorgestorben. Der Schritt vom Bedienen zum Hingeben des Lebens als Lösegeld sei eine fitxäßaois eis äXXo yevos und erkläre sich aus der Diakonie des Abendmahls. Allein wir sehen nicht die Diakonie des Abendmahls in diesem Wort, die j a wohl hier ein eingetragener Gedanke ist, sondern Anspielung Jesu auf das atliche Vorbild des leidenden Gottesknechts. Ferner scheint es uns nicht eine fieräßaais eis älko yevos, sondern der Höhepunkt des Dienens, wenn Jesus nicht nur v o r ihnen, sondern in der Hingabe seines Lebens an ihrer Statt f ü r sie gedient hat. Beruft man sich aber darauf, daß dies Wort in der Parallele Lk 2224ff nicht stehe und dort vielmehr der ursprüngliche Logientext überliefert worden sei (JWeiß, z. St., Bousset, Kyrios Christos 2 S 7f), so ist zu entgegnen, daß Lk 2224ff jedenfalls eine zusammengestückte Überlieferung ist, man also von einem ursprünglichen, festgeprägten Redestück nicht sprechen kann. Die Markusuberlieferung kann dem gegenüber sehr wohl ein weiteres ursprüngliches Wort Jesu enthalten. 5. D a s Abendmahl PLobstein, La doctrine de la Sainte Cene, 1889. AvHarnack, T U VII, 2, 1891, S 1 1 7 - 1 4 4 : Brot und Wasser: Die urchristlichen Elemente bei Justin. ThZahn, Brot und Wein im Abendmahl der alten Kirche, 1892. AJülicher, Theol. Abhandlungen, EvonWeizsäcker gewidmet, 1892, S 2 1 7 - 2 5 0 . 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Die Lehre J e s u nach der Darstellung der Evangelien
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NMicklem, 2 1938, S 68 —82 (vgl dort ü b e r h a u p t Teil I Biblical S t u d i e s , S 1 9 - 3 4 : H W R o b i n s o n , The Old T e s t a m e n t b a c k g r o u n d , S 3 5 - 4 9 : TWManson, T h e J e w i s h background, S 50—67: W H C a d m a n , The Word of God in the New T e s t a m e n t ) . FLCirlot, T h e Early Eucharist, 1939. HSasse, D a s Abendmahl im N T , in Vom S a k r a m e n t des Altars, 1941, S 26 — 78. E H a s e l o f f , Die Christologie der ntlichen Abendmahlstexte, Diss. Kiel 1943. E G a u g l e r , Das A b e n d m a h l im Neuen T e s t a m e n t , 1943. J J e r e m i a s , Zur Exegese der Abendmahlsworte J e s u E v T h 7, 1947/48, S. 6 0 - 6 2 . H L i e t z m a n n , E x k u r s zu I K o r 11. Abendmahl in R G G 2 . T h W s. v. àydnr], àçros, SeTitvov u . ä. Das N T bietet noch eine zweite Uberlieferung, in der Jesus sein Todesleiden deutlich als sühnendes bezeichnet: das ist der Bericht vom Abendmahl. Über die Einsetzung des Abendmahls haben wir im N T eine vierfache Überlieferung, Mt 2626—29 Mk 1422—25 L k 2215—20 I K o r 1123—25. (Das vierte E v a n g e l i u m berichtet sie nicht, es bietet aber in der Rede J o h 653 f f Abendmahlsgedanken.) Denn mit der Forderung des Essens des Fleisches und des Trinkens des Blutes des Menschensohns wird die Notwendigkeit der Aneignung der lebenspendenden K r a f t der Person J e s u zum Ausdruck gebracht. E s gehen im wesentlichen zusammen Matthäus und Markus einerseits, Paulus und L u k a s andererseits. Doch ist bei Lukas die Überlieferung nicht einheitlich. Der übliche T e x t , den wir in unseren Ausgaben des N T lesen, beruht im wesentlichen auf den bekannten Majuskeln ( s A B C usw) und bietet die alexandrinische Rezension. Bereits der erste Blick auf die Lesarten des textkritischen Apparates jedoch zeigt, daß die Verse eine verwickelte Textgeschichte hinter sich haben: D sowie die Itala lassen I9b. 20 aus, die Peschittho 17. 18, s y r c u r 20. Dazu kommt, daß hier der T e x t auf die verschiedenste Weise geordnet wird, b und e lesen: 19 a. 17. 18 (unter Weglassung von 19b. 20, s. o.), s y r c u r : i9a. 17. 18 (unter W e g lassung von 19 b. 20, s. o.), syr 8 i n : 19. + xal fiEràrò ôemvrjaat ôe£âfievoç nor^çiov ev/agiOTrioag slrcev laßere tovto xal ôia/ieoioare elç êavrovç, rovzó èanv rò aljia ftov, rj xaivi] ôia&rjxrj, 18. Diese Verschiedenheiten in der Anordnung wie im Wortlaut des Abschnittes zeigen deutlich, daß der T e x t der ägyptischen Handschriften nicht der ursprüngliche sein kann. D a ß er in seinem ersten Teil ( 1 5 — 1 8 ) von Markus abhängig ist, zeigt ein Vergleich sofort (dabei sind entscheidend die zunächst nebensächlich erscheinenden Ausdrücke wie bti ovxéti ov ftrj in 16, die aufweisen, daß L u k a s trotz freier Komposition der Elemente des M a r k u s t e x t e s diesen vorzuliegen h a t ) , ebenso wie 19 b. 20 eindeutig aus I K o r übernommen sind. Schwieriger aber ist die E r k l ä r u n g der verschiedenen uns überlieferten T e x t f o r m e n der altlateinischen u n d syrischen H a n d s c h r i f t e n sowie der von D . Hier k a n n , wie in allen parallelen Fällen, n u r die Lösung richtig sein, welche a l l e T e x t f o r m e n auseinander zu erklären vermag, D a s ist allein möglich bei der A n n a h m e folgender Reihenfolge: 1. it D . 2. b e. 3. s y r o u r . 4. s y r s i n . 5. ägyptische Rezension. 6. Peschittho. D a n a c h bieten die Italahandschriften (mit Ausnahme von b u n d e) sowie D den ursprünglichen T e x t (15—19 a ) , in welchem das Brot, ähnlich wie sonst bei L u k a s (vgl L k 2430 35 u n d Apg 246), im Vordergrund s t a n d . Dieser von den Überlieferungen bei Mk u n d Mt abweichende T e x t erschien anstößig bzw ungenügend. So stellte m a n in den Kreisen, aus denen b u n d e s t a m m e n , d u r c h Umstellung v o n 17 18 hinter 19a die bei Mk, Mt u n d P a u l u s überlieferte Reihenfolge wieder her. Die nächsten S t u f e n sind d a n n erreicht, sobald 19 a d u r c h eine Ü b e r n a h m e aus I K o r 11 abgerundet wird ( s y r c u r ) u n d diese Anlehnung an den P a u l u s t e x t auch auf das Weinwort 17 ausgedehnt wird (syr s i n ). Der alexandrinische T e x t (den außer D alle griechischen H a n d s c h r i f t e n bieten) stellt die ursprüngliche Reihenfolge des Lukastextes wieder her, n u n aber u n t e r Beibehaltung der aus I K o r eingedrungenen Bestandteile (mit A u s n a h m e des von syr 9 i n in 17 aus P a u l u s Aufgenommenen) u n d u n t e r Zufügung von tò ittkç vficöv ex/vvvöfievov a m Schluß von 20 (wobei sowohl Mk 1424 wie P a u l u s eingewirkt haben) zur Parallelisierung m i t 19. Die letzte Entwicklungsstufe des Textes wird d u r c h pesch dargestellt, welche den ursprünglichen T e x t d u r c h Streichung von 17. 18 nahezu in sein Gegenteil verkehrte, denn j e t z t blieb f a s t n u r das später Aufgenommene stehen. Aber auch hierfür ist der Grund d e u t -
Das Abendmahl
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lieh: das doppelte Kelchwort der ägyptischen Rezension wirkte störend, der Text sollte geglättet und „logischer" werden. Gleich n u n j e d o c h , wie m a n d a s P r o b l e m d e r T e x t g e s c h i c h t e v o n L k 22is—20 löst,, u n b e z w e i f e l b a r i s t , d a ß L k k e i n e eigene Ü b e r l i e f e r u n g b i e t e t , s o n d e r n v o n M k u n d P a u l u s a b h ä n g i g ist (15, d e r einzige V e r s o h n e P a r a l l e l e n z u b e i d e n , ist d e u t l i c h w i e d e r h o l e n d e A n k n ü p f u n g a n 227—13). D e s h a l b s c h e i d e t d e r L u k a s t e x t als s e l b s t ä n d i g e Ü b e r l i e f e r u n g d e r E i n s e t z u n g des A b e n d m a h l e s a u s , e b e n s o wie d e r M a t t h ä u s b e r i c h t n u r eine R e d a k t i o n v o n M k d a r s t e l l t (die V e r ä n d e r u n g e n e r k l ä r e n sich a u s d e n „ T e n d e n z e n l i t u r g i s c h e r T e x t g e s t a l t u n g " 1 u n d d e n sich d a r a u s als logischer F o l g e e r g e b e n d e n w e i t e r e n N o t w e n d i g k e i t e n . Lediglich d e r Z u s a t z i n 2638 e n t s p r i n g t e i g e n e r t h e o l o g i s c h e r R e f l e x i o n ) . A u c h e r s c h e i d e t also a u s , so d a ß als e i g e n t l i c h e Quellen f ü r die U n t e r s c h e i d u n g d e r A b e n d m a h l s e i n s e t z u n g lediglich M k u n d I K o r zu v e r wenden sind2. W a s h a t n u n J e s u s a n j e n e m l e t z t e n A b e n d g e s a g t u n d g e t a n ? E s i s t h e u t e allg e m e i n z u g e s t a n d e n , d a ß w i r d e n vollen W o r t l a u t d e r u r s p r ü n g l i c h e n A b e n d m a h l s w o r t e n i c h t m e h r e r m i t t e l n k ö n n e n . U n s e r e A b e n d m a h l s ü b e r l i e f e r u n g e n zeigen V e r schiedenheiten. P a u l u s h a t beim Brot nicht das „ n e h m e t " des M a r k u s oder d a s „ n e h m e t , esset" des Matthäus u n d beim Kelch nicht das „ t r i n k e t aus ihm alle" des M a t t h ä u s . D i e W o r t e „ z u r V e r g e b u n g d e r S ü n d e n " , die M a t t h ä u s a n d e n S a t z : „ d i e s i s t m e i n B u n d e s b l u t , d a s f ü r viele v e r g o s s e n w i r d " a n s c h l i e ß t , h a t k e i n a n d e r e r A b e n d m a h l s t e x t . P a u l u s h a t a n die W o r t e „ d i e s ist m e i n L e i b " n o c h a n g e s c h l o s s e n „ d e r f ü r e u c h " , s t e h t a b e r d a r i n gegen M a t t h ä u s u n d M a r k u s a l l e i n ; f e r n e r h a t er die K e l c h w o r t e i n e i n e r schwerlich u r s p r ü n g l i c h e n F o r m . D e n n d e r K e l c h i s t j a n i c h t d a s n e u e T e s t a m e n t o d e r d e r n e u e B u n d i n d e m B l u t e Christi, s o n d e r n d a s B l u t C h r i s t i v e r m i t t e l t d e n A b s c h l u ß d e s n e u e n B u n d e s 3 , u n d i n d e m K e l c h w i r d dies B u n d e s b l u t d a r g e b o t e n . A u c h die P a r a l l e l e m i t d e m z u m E s s e n d a r g e r e i c h t e n B r o t f o r d e r t i m z w e i t e n G a n g die D a r b i e t u n g d e s B l u t e s Christi als die G r u n d l a g e d e r H e i l s w i r k u n g d e s n e u e n B u n d e s . D a h e r i s t d e r T e x t des M a r k u s h i e r g e w i ß u r s p r ü n g l i c h e r . A b e r a u c h die F a s s u n g d e s M a r k u s : „ D i e s i s l m e i n B u n d e s b l u t , welches f ü r v i e l e vergossen w i r d " wird von m a n c h e n b e a n s t a n d e t 4 . Man m u ß nämlich wörtlich übers e t z e n : „ D i e s ist m e i n B l u t d e s B u n d e s " u s w (TOVTÖ eanv RO alfid fiov TFJG 6LA&RJXTJI; TO ixyvvvofievov VTIBQ 7ioi.Xwv). E s f ä l l t also a u f , d a ß die K e l c h w o r t e ü b e r d e n P a r a l l e l i s m u s d e r W o r t e : „ D i e s ist m e i n L e i b " h i n a u s g e h e n . U n d z w a r w i r d h i e r d e r O p f e r g e d a n k e h i n z u g e f ü g t ( „ d a s f ü r viele v e r g o s s e n w i r d " ) , u n d d a n n w e r d e n zwei v e r schiedene Gesichtspunkte: „dies ist mein B l u t " u n d „ m e i n Blut ist der B u n d " i n d e m s p r a c h l i c h schwierigen A u s d r u c k „ d i e s i s t m e i n B l u t des B u n d e s " i n e i n a n d e r
1 HLietzmann, Messe und Herrenmahl S 214. Dort eine ausführliche und instruktive B e handlung des ganzen Problems. 2 Justin hat Apol I, 66 einen noch kürzeren Abendmahlsbericht als die Evangelien und Paulus: oi azrooio/.oi tv tols yevofievois i>n avtmv (TTIO uvr{ioi> EV ixaaiv, d. xakettai evayyeXia, ovteoe 7ta^iSa>xav evtetdX&ai aitoZs" tbv ' Itjoovv laßövta äoxov tvyaoioxr^oavxa ehteTv tovro noielte eis trjv ävd/j.vrjoiv fiov, tovtö loti to oeöfid jiov xai to 7totr\(>iov ofioicos Xctßövxa xai ¿vya^it a xraai' Tiz elneZv' tovtö toxi to aiiid /nov xai /xövoie avrote uEXadoviai. Dieser Bericht ist aber um seiner Kürze willen nicht etwa ursprünglicher, sondern vielmehr von Justin wohl absichtlich auf die knappste Form gebracht worden, da das Abendmahl christliches Arcanum war. Auch beruft er sich direkt auf die Evangelien, er hat also keine Sonderüberlieferang. Auch die Überlieferung der Abendmahlsgebete in Did (Kap 9 10) ist keine urapostolische, sondern sie gehört in den Zusammenhang der Abendmahlsauffassung des Johannes, Ignatius und Justin. 3 Das in den Abendmahlsstellen gebrauchte Sia&ijxr; verstehen wir nicht im griechischen Sinn als „Testament", so daß Jesus hier von seiner letzten Willensverfügung an die Seinen spräche, vgl Lk 2229 xäyai Stati&efiai vfilv . . . ßaoiAeiav, sondern da Jesus aramäisch gesprochen hat, im Sinne des atlichen berith, welches gewöhnlich mit „Bund" übersetzt wird. Das ist insofern nicht ganz genau, als bei der atlichen Bundesschließung Gott der überragende, der gebende, Israel der empfangende Teil ist. Aber es ist doch immerhin.ein Bundesverhältnis, welches beide Teile verpflichtet. 4 Namentlich seit WWrede, ZNW 1900, S 6 9 - 7 4 , von einer Reihe von Gelehrten.
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Die Lehre Jesu nach der Darstellung der Evangelien
g e s c h o b e n 1 . D a s Schwergewicht f ä l l t n u n a b e r gerade auf d e n G e d a n k e n , d a ß J e s u vergossenes O p f e r b l u t ein B l u t des B u n d e s ist, also auf einen G e d a n k e n , der in der Parallele v o m B r o t n i c h t ausgesprochen w a r . Die B e o b a c h t u n g der sprachlichen H ä r t e ist richtig. Die beiden N ä h e r b e s t i m m u n g e n „des B u n d e s " u n d „ d a s vergossen wird f ü r v i e l e " v o n einem „ m e i n B l u t " ( i ^ n ) a b h ä n g i g sein zu lassen, d ü r f t e k a u m a n g e h e n . A b e r d a r a u s folgt n i c h t , d a ß die W o r t e „des B u n d e s " als u n h i s t o r i s c h zu streichen sind. D a s w ä r e eine sehr äußerliche, mechanische K r i t i k . A u c h d e r E i n w a n d , i m N T gebe es n u r zwei Schriftsteller, welche die B e d e u t u n g des C h r i s t e n t u m s als des n e u e n B u n d e s h e r v o r h e b e n , P a u l u s u n d der P a u l u s v o r a u s s e t z e n d e Verfasser des H e b r ä e r b r i e f e s , bei J e s u s dagegen f i n d e sich der B u n d e s g e d a n k e ü b e r h a u p t n i c h t , setzt als bewiesen v o r a u s , w a s e r s t nachgewiesen w e r d e n m ü ß t e , d a ß e b e n in d e r A b e n d m a h l s ü b e r l i e f e r u n g u r s p r ü n g l i c h v o n einer B u n d e s s c h l i e ß u n g n i c h t die R e d e gewesen ist. Allein, a u s der „ v e r z w i c k t e n " W e n d u n g des P a u l u s : „Dieser Kelch ist das n e u e T e s t a m e n t in m e i n e m B l u t " ist die viel einfachere F a s s u n g des W o r t e s bei M a r k u s gewiß n i c h t e n t s t a n d e n , s o n d e r n wir h a b e n in d e m K e l c h w o r t bei M a r k u s u n d bei P a u l u s zwei selbständige V a r i a n t e n , die e b e n d a r i n ü b e r e i n s t i m m e n , d a ß J e s u s d a m a l s v o n einer B u n d e s s c h l i e ß u n g gesprochen h a b e , welche sein B l u t v e r m i t t l e . Aber alles, w a s in d e n K e l c h w o r t e n ü b e r „dies mein B l u t " h i n a u s g e h t , g e h t a u c h ü b e r d e n Parallelismus m i t d e n W o r t e n bei d e r D a r r e i c h u n g des B r o t e s h i n a u s ! J a , schon V o l k m a r h a t g e u r t e i l t : als gesicherter A b e n d m a h l s t e x t u n d als t r e u e s t e A b e n d m a h l s ü b e r l i e f e r u n g h a b e n n u r die W o r t e : „dies ist m e i n Leib — dies ist m e i n B l u t " zu gelten. Man b r a u c h t j e d o c h die K o n s e q u e n z eines solchen Urteils ü b e r die ursprüngliche A b e n d m a h l s ü b e r l i e f e r u n g sich n u r einmal k l a r z u m a c h e n , u m ihre Ung e r e i m t h e i t einzusehen. W a s f ü r eine Vorstellung v o n J e s u s w ä r e das, w e n n m a n a n n ä h m e , er h a b e bei j e n e m l e t z t e n Mahl ein B r o t gebrochen, seinen J ü n g e r n die S t ü c k e z u m Essen gereicht u n d n i c h t s weiter gesagt als „dies ist m e i n L e i b " . D a n n h a b e er i h n e n einen Becher voll W e i n z u m T r i n k e n gereicht u n d g e s a g t : „dies ist m e i n B l u t " . E i n e völlig r ä t s e l h a f t e H a n d l u n g h ä t t e er vollzogen, v e r s t ä n d n i s l o s h ä t t e n die J ü n g e r solchem T u n g e g e n ü b e r g e s t a n d e n . W i e d a r a u s alsbald n a c h J e s u T o d e d a s christliche A b e n d m a h l e n t s t a n d e n w ä r e , bliebe völlig im D u n k e l . N e i n , m i t der bloßen S u b t r a k t i o n wird keine v e r s t ä n d i g e historische K r i t i k g e ü b t . W i e k a n n ei» B e r i c h t , d e m alles weggeschnitten w o r d e n ist, was d e m Ereignis L e b e n u n d F a r b e gibt, A n s p r u c h auf geschichtliche Zuverlässigkeit erheben ? W a s erforderlich w a r , u m d a s V e r s t ä n d n i s seines T u n s zu sichern — m a g es o f t a u c h erst viel s p ä t e r e r w a c h t sein —, d a s h a t J e s u s gesagt. J e n e H a n d l u n g a m letzten A b e n d , u n d w a s er zu i h r e r E r k l ä r u n g a u s s p r a c h , h a t a b e r g e r a d e einen unauslöschlichen E i n d r u c k auf die J ü n g e r g e m a c h t . I n d e m M a r k u s b e r i c h t ist n o c h e r h a l t e n , w a s bei P a u l u s verloren gegangen i s t : die Anspielung auf d e n leidenden G o t t e s k n e c h t , in d e n W o r t e n v o n d e m „ f ü r v i e l e " vergossenen B l u t (s. S 107). I m s y n o p t i s c h e n B e r i c h t wie bei P a u l u s liegt die Ü b e r l i e f e r u n g v o r , d a ß J e s u s seinen b e v o r s t e h e n d e n T o d als O p f e r t o d f ü r die Seinigen v e r s t a n d e n h a t , u n d d a ß i h m sein T o d eine — neue — B u n d e s s c h l i e ß u n g w a r , u n d diese Überlieferung zu b e a n s t a n d e n , sehen wir keinen A n l a ß . E i n e weitere Verschiedenheit zwischen d e m s y n o p t i s c h e n u n d d e m paulinischen A b e n d m a h l s b e r i c h t b e s t e h t d a r i n , d a ß P a u l u s sowohl n a c h d e r D a r r e i c h u n g des Brot e s wie d e r des Weines d e n B e f e h l zur W i e d e r h o l u n g überliefert, w ä h r e n d M a r k u s einen solchen n i c h t h a t . A u c h M a r k u s will o f f e n b a r die S t i f t u n g des Gemeindea b e n d m a h l s überliefern. I h m k a n n n i c h t e t w a ein Zweifel d a r a n zugeschoben w e r d e n , d a ß J e s u s die im B r a u c h s t e h e n d e W i e d e r h o l u n g selbst a n g e o r d n e t h a b e . Überliefert er also d e n Wiederholungsbefehl n i c h t ausdrücklich, so ist er i h m etwas Selbstverständliches gewesen. Bei P a u l u s ist er überdies a u c h d u r c h die a u s d r ü c k liche B e r u f u n g auf die „ v o m H e r r n h e r " i h m gewordene A b e n d m a h l s ü b e r l i e f e r u n g gedeckt. F e r n e r wissen wir aus A p g (242 46), d a ß alsbald n a c h J e s u T o d e die regelm ä ß i g e W i e d e r h o l u n g des A b e n d m a h l s christliche S i t t e gewesen ist. Desgleichen setzt I K o r II20 23f v o r a u s , d a ß bei j e d e r g e m e i n s a m e n Mahlzeit d a s A b e n d m a h l gefeiert w o r d e n ist. E s ist d a h e r ausgeschlossen, d a ß die J ü n g e r J e s u ohne a u s d r ü c k 1 Diese Schwierigkeit wird nicht behoben, wenn man mit ThZahn z. d. St. auf hebräisches T P ~ Q DT oder deutlicher r P ~ o n DT ''ET zurückgeht, denn das erstere behält die Schwierigkeit bei, das zweite steht nicht da.
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Das Abendmahl
liehen Befehl ihres H e r r n , n u r einem „inneren B e d ü r f n i s " folgend, jenes letzte m i t J e s u s g e m e i n s a m g e f e i e r t e M a h l v o n sich a u s w i e d e r h o l t h ä t t e n , d a ß sie d a n n b a l d d i e Ü b e r z e u g u n g g e w o n n e n h ä t t e n , d a m i t J e s u W i l l e n zu e r f ü l l e n , u n d so a l l m ä h l i c h d e r W i e d e r h o l u n g s b e f e h l e n t s t a n d e n w ä r e . D i e christliche A b e n d m a h l s f e i e r b e r u h t a u f J e s u eigener A n o r d n u n g . A b e r h a b e n w i r d e n n w i r k l i c h d a s R e c h t , die ä l t e s t e u n s e r k e n n b a r e Ü b e r l i e f e r u n g als d e m g e s c h i c h t l i c h e n V o r g a n g e n t s p r e c h e n d a n z u s e h e n ? D e r M a r k u s b e r i c h t s t i m m t in den wesentlichen P u n k t e n mit dem paulinischen Abendmahlsbericht übere i n , i m einzelnen a b e r e n t h ä l t er einiges, w a s n o c h t r e u e r bei i h m e r h a l t e n zu sein s c h e i n t ( K e l c h w o r t e ) , w ä h r e n d P a u l u s w i e d e r t r e u e r d a r i n i s t , d a ß er d e n B e f e h l d e r Wiederholung erhalten h a t . Aber beide Verschiedenheiten v e r ä n d e r n a m Charakter d e r Ü b e r l i e f e r u n g wie g e s a g t n i c h t s . P a u l u s h a t a b e r seine A b e n d m a h l s ü b e r l i e f e r u n g i n g a n z b e s o n d e r e r W e i s e e i n g e l e i t e t . I n feierlicher W e i s e b e g i n n t er I K o r 1123: „ D e n n ich h a b e v o m H e r r n h e r ü b e r k o m m e n , w a s ich e u c h a u c h ü b e r l i e f e r t h a b e , d a ß d e r H e r r J e s u s i n d e r N a c h t , d a er v e r r a t e n w a r d " u s w . N o c h e i n m a l g e b r a u c h t e r e i n e ä h n l i c h e s o l e n n e V e r s i c h e r u n g I K o r 153, w o es sich um. e i n a n d e r e s H a u p t s t ü c k u r c h r i s t l i c h e r Ü b e r l i e f e r u n g , die A u f e r s t e h u n g J e s u u n d J e s u E r s c h e i n u n g e n v o r d e n J ü n g e r n h a n d e l t . A b e r bei d e r W i e d e r h o l u n g u n d N e u e i n s c h ä r f u n g d e r A b e n d m a h l s s t i f t u n g zu N u t z d e r k o r i n t h i s c h e n G e m e i n d e s a g t e r n o c h m e h r : „ v o m H e r r n h e r " (amó TOV XVQÍOU — d a s h e i ß t n i c h t : „ d u r c h d i r e k t e M i t t e i l u n g J e s u " , d e n n d a s m ü ß t e d u r c h eine a n d e r e griechische P r ä p o s i t i o n [ N A Q A , VNÖ TOV XVQÍOV] a u s g e d r ü c k t w e r d e n ) h a b e er diese K u n d e . Diese W e n d u n g b e s a g t w a h r s c h e i n l i c h , d a ß P a u l u s seine h i s t o r i s c h e K u n d e ü b e r d a s A b e n d m a h l auf e i n e m W e g e e r m i t t e l t h a b e , d e r d i r e k t z u m H e r r n e i n m ü n d e t u n d v o n d o r t h e r k o m m t . E r ist d e r S a c h e a u f d e n G r u n d geg a n g e n . E r h a t a u s d e r b e s t e n h i s t o r i s c h e n Quelle d i r e k t g e s c h ö p f t , die es f ü r i h n ü b e r h a u p t g a b . E r s a g t a b e r n o c h m e h r , n ä m l i c h a u c h dies, d a ß er die A b e n d m a h l s t r a d i t i o n so, wie er sie ü b e r k o m m e n , a u c h seinen G e m e i n d e n ü b e r l i e f e r t h a t . Also e r h a t zu dieser Ü b e r l i e f e r u n g n i c h t E i g e n e s h i n z u g e t a n , die u n s u m s o w e r t v o l l e r sein m u ß , als sie u n s zeitlich r e l a t i v n a h e a n d e n T o d J e s u h e r a n f ü h r t . Heitmüller macht geltend, daß unsere ntlichen Quellen auch hinsichtlich des Abendmahls Überlieferungen bieten, nicht in eigentlich historischer Darstellung, sondern so, wie sie im Laufe der Zeit unter dem Einfluß des sich auch entwickelnden Glaubens und der sich entfaltenden Theologie der Gemeinde und einzelner sich gestaltet haben, und namentlich bei Paulus wird dann Berührung mit sakramentalen Anschauungen damaliger heidnischer Kulte behauptet, was Bousset weiter ausführt. Bei voller Berücksichtigung des Gewichtes des Zeugnisses des Paulus wird die Annahme einer solchen Beeinflussung jedoch als unwahrscheinlich anmuten, trotz aller von Heitmüller, Bousset u. a. angeführten Argumente und Parallelen. Wir wenden uns n u n m e h r der Frage zu: Was hat Jesus an jenem letzten Abend g e s a g t u n d g e t a n ? I n w e l c h e r W e i s e h a t er d a s A b e n d m a h l g e s t i f t e t ? W ä h r e n d d e r M a h l z e i t (oder, g e n a u e r g e s p r o c h e n , a m A n f a n g d e r s e l b e n ) 1 h a t er e i n B r o t e r g r i f f e n , d a s D a n k g e b e t d a r ü b e r g e s p r o c h e n , es i n S t ü c k e g e b r o c h e n u n d diese d e n J ü n g e r n z u m E s s e n g e r e i c h t , i n d e m er z u r E r k l ä r u n g s a g t e : „ D i e s i s t m e i n L e i b " . W a h r s c h e i n l i c h sind diese W o r t e reicher gewesen. J e s u s h a t vielleicht g e s a g t , d a ß dies B r o t sein f ü r sie i n d e n T o d d a h i n g e g e b e n e r L e i b sei. D o c h k ö n n e n w i r d a s w e i t e r e n i c h t m e h r sicher e r m i t t e l n . H i e r a u f h a t er ( a m E n d e d e r Mahlzeit) e i n e n m i t (rotem) Wein gefüllten Becher den J ü n g e r n zum Trinken gereicht, etwa m i t den b e g l e i t e n d e n W o r t e n : „ D i e s i s t inein B u n d e s b l u t , welches f ü r viele v e r g o s s e n w i r d " . J e d e n f a l l s h a t er d e n r o t e n W e i n als sein f ü r viele v e r g o s s e n e s B l u t b e z e i c h n e t u n d a u s g e s p r o c h e n , d a ß m i t d e m V e r g i e ß e n seines B l u t e s ein (neuer) B u n d m i t G o t t ge1 fietii To Semvfjocu IKor 1125 für denKelch, es sei denn,daß man Mkl422 ka&iovtcnv aircöv auf das Ende der Mahlzeit deuten lassen will, während es sich doch ohne weiteres wie bei Paulus angegeben auslegen läßt. Wenn man dagegen einwendet, daß durch diese Annahme die Handlung in zwei Teile zerrissen werde (PFeine in den früheren Auflagen dieses Buches), so ist darauf zu erwidern, daß die Agape in den paulinischen Gemeinden nach I Kor 11 offensichtlich diese Zweiteilung auch hatte, parallel der Chabura, der Festmahlzeit im engeren Kreis (vgl die von GLoeschke, ZwTh 54, 1912, S 200f und HLietzmann, Messe und Herrenmahl S 206ff beigebrachten Belegstellen). Aus Mk jedenfalls läßt sich eine Lokalisierung beider Handlungen am E n d e der Mahlzeit nicht herleiten, allenfalls ergibt sich daraus, daß sie w ä h r e n d der Mahlzeit, d. h. in ihrer Mitte ohne genauere Zeitangabe erfolgten. F e i n e : Theologie. 8. A u f l .
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Die Lehre Jesu nach der Darstellung der Evan gelien
schlössen werde. Zugleich hat er seine Jünger angewiesen, dies E s s e n u n d T r i n k e n , wie er es ihnen darbiete, zu seinem Gedächtnis zu wiederholen. Jesus h a t also offensichtlich eine symbolische H a n d l u n g vollzogen, ähnlich wie sie u n s v o n den P r o p h e t e n des A T s öfters überliefert werden, z. B . Jer 19 E z 5i—12. D a s in Stücke gebrochene Brot ist eine Darstellung seines i m Tode vernichteten Leibes, u n d der rote Wein eine Darstellung seines i m Tode vergossenen Blutes. Wir h a b e n also eine D o p p e l s y m b o l i k entsprechend den öfter in Jesu Parabellehren b e g e g n e n d e n Doppelgleichnissen Aber es liegt auf der H a n d : in d e m Brechen des Brotes und d e m Ergreifen des m i t rotem Wein gefüllten Kelchs liegt n i c h t der Nachdruck der H a n d l u n g , sondern darauf, daß er zerstückeltes Brot als seinen Leib den Jüngern zum Genießen darreicht u n d die Jünger das B r o t essen, u n d er darauf den Becher mit W e i n i h n e n darreicht m i t den begleitenden Worten, er gebe i h n e n damit sein für viele vergossenes B u n d e s blut, u n d die Jünger insgesamt auch v o n diesem K e l c h trinken. Welcher Art ist aber die in Jesu W o r t e n verheißene Segnung ? D i e die Darbietung des Kelches begleitenden Worte geben hierüber A u f s c h l u ß Mit d e m „ B l u t e Jesu, welches für viele vergossen wird", treten wir in den Bereich der Opfervorstellungen. Jesus h a t auch i m A b e n d m a h l seinen Tod als Opfertod z u g u n s t e n der Seinen hingestellt u n d den Gedanken der Stellvertretung klar und deutlich ausgesprochen. A u c h hier schwebt ihm, wie der Ausdruck „für viele" zeigt, der für die S ü n d e n des Volks leidende Gottesknecht des Jesaja vor (s. S 107f). E s ist also ein Sühnopfer, welches Jesus darbringt, dessen B e d e u t u n g u n d Wert auch in unserem Z u s a m m e n h a u g w o h l nur dahin verstanden werden kann, daß J e s u s durch seinen Opfertod die Seinen v o n der Sünde, der Schuldverhaftung vor Gott loskauft u n d d a m i t auch v o m Todesverhängnis befreit. D a ß ein solches Wort u n d eine solche H a n d l u n g mit J e s u Verhalten in Gethsemane in unlöslichem Widerspruch stehe,, m ü s s e n wir bestreiten. E i n e weitere Frage ist, ob nicht auch P a s s a h g e d a n k e n i m A b e n d m a h l mit a n klingen2. In die Entscheidung hierüber spielt mit herein das historische Problem, ob Jesu letztes Mahl mit den Jüngern ein Passahmahl gewesen ist, wie die Synoptiker berichten, oder ob Jesus an dem Tage, an welchem die Juden das Passah aßen, gekreuzigt worden ist, wie Johannes überliefert. Es scheint uns ausgeschlossen, daß Jesus in der Nacht nach dem Essen des Passahlammes gefangen genommen und sofort in gerichtlichem Verfahren verurteilt und am folgenden Tage hingerichtet worden sein soll. Denn an einem solchen hochheiligen Festtage wären die genannten Dinge unmöglich gewesen. Die johanneische Chronologie, welche Jesus einen Tag früher, am 14. Nisan, gekreuzigt werden läßt, ist meines Erachtens die richtige. Trotzdem läuft das Abendmahl nicht auf den Gedanken hinaus, daß Jesus als das wahre Passahlamm das atliche Passahmahl außer K r a f t setze. J o h 1936 findet in der Tatsache, daß Jesus am Kreuze die Beine nicht gebrochen sind, die Erfüllung des Passahrituales: „Ein Knochen soll ihm nicht gebrochen werden"' Ex 1246. Aber dann ist der Gedanke der, daß Jesus als das wahre Passahlamm g e s t o r b e n ist. Ebenso weist Paulus, wenn er I Kor 57 Christus das f ü r uns geopferte Passahlamm nennt, nicht auf das Abendmahl hin, sondern auf den Opfertod Jesu. Hätte sich Jesus im Abendmahl als da& wahre Passahlamm hinstellen wollen, so wäre eine Wiederholung dieser Feier ausgeschlossen. Ferner wären so nicht zu erklären Brot und Wein als Elemente der Mahlzeit, während zum Passahmahl das Lamm und ungesäuerte Mazzen (statt Brot) gehören. Vier Becher sind beim Passah zu trinken, während es beim Abendmahl nur einer ist. Schließlich wird beim Passah der Bericht über den Auszug aus Ägypten und die Wanderung durch die Wüste vorgetragen, wovon beim Abendmahl nicht die Rede ist. Und vor allem: die Urgemeinde hat n e b e n dem Abendmahl das Passah zunächst weiter gefeiert, woraus sich dann schließlich das christliche Osterfest e n t -
1 Die von KGoetz vorgetragene Deutung, Jesus habe im Abendmahl ursprünglich in einem Gleichnis zu den Jüngern gesprochen und ihnen gesagt, sein menschliches Wesen (Fleisch und Blut) sei Speise, Trank, Erquickung und Freude f ü r sie, ist nur möglich, wenn man mit ihm den Gedanken an den Opfertod und die Bundschließung aus der Abendmahlsüberlieferung ausscheidet. 2 Am weitesten in dieser Behauptung gehen AMerx, Die vier kanonischen Evangelien nach ihrem ältesten bekannten Texte II, 2. Hälfte, 1905, S 416 — 449 und FKFeigel, Der Einfluß des Weissagungsbeweises und anderer Motive auf die Leidensgeschichte, 1910, S 54ff. Vgl ferner PWSchmiedel, PrMH 1899, S 140 und ThZahn zu Mt 2617-29.
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D a s Abendmahl
wickelt hat. Danach bleiben, wenn das Passahmahl 1 Einfluß auf das christliche Abendmahl geübt haben soll, nur sekundäre Züge übrig. Solche konnten aber in das Abendmahl auch übergehen, selbst in dem Falle, daß Jesus seine letzte Mahlzeit mit den Jüngern bereits am 13. Nisan feierte (so Joh). Denn ganz Jerusalem stand an jenem Tage schon unter dem Eindruck der Zurüstungen zum Passah.
I n seinem T o d h a t J e s u s ferner, d e n E i n s e t z u n g s w o r t e n beim K e l c h zufolge, eine B u n d e s s c h l i e ß u n g erblickt. D a m i t setzt er seinen O p f e r t o d in Parallele zu d e r Bundesschließung a m Sinai E x 243—8. D o r t sprengte Mose die H ä l f t e des B l u t e s des d a r g e b r a c h t e n Heilsopfers a n den A l t a r , m i t der a n d e r e n b e s p r e n g t e er das Volk n a c h der V e r p f l i c h t u n g auf das Gesetz, i n d e m er s p r a c h : „ D a s ist n u n d a s B l u t des B u n d e s , d e n J a h w e m i t euch geschlossen h a t " . Sagt J e s u s im A b e n d m a h l : „ D a s ist mein B u n d e s b l u t " , so n i m m t er auf diese W o r t e des Mose Bezug u n d setzt d e n d u r c h seinen T o d geschlossenen B u n d a n die Stelle des mosaischen. Sachlich m i t R e c h t n e n n e n also P a u l u s I K o r 1125 I I K o r 3« u n d der H e b r ä e r b r i e f 8i3 9i5 diesen B u n d d e n „ n e u e n " . J e s u s h a t m i t diesem T u n a b e r a u c h die p r o p h e t i s c h e Weissagung erf ü l l t . N a c h J e r 3131 soll die Zeit k o m m e n , n a c h d e m S p r u c h J a h w e s , „ d a will ich m i t d e m H a u s e Israel u n d m i t d e m H a u s e J u d a einen n e u e n B u n d s c h l i e ß e n " . Als M e r k m a l dieses B u n d e s gibt J e r e m i a in diesem Z u s a m m e n h a n g a n : J a h w e will sein „ G e s e t z in ihr I n n e r e s legen u n d es i h n e n ins H e r z s c h r e i b e n " , u n d er will „ i h n e n ihre V e r s c h u l d u n g vergeben u n d ihrer S ü n d e n i c h t m e h r g e d e n k e n " 33 f. D e r G e d a n k e der S ü n d e n v e r g e b u n g erfüllt o f f e n b a r a u c h J e s u s bei dieser n e u e n B u n d e s s c h l i e ß u n g . D e n n er s a g t j a , d a ß sein B l u t f ü r viele vergossen w e r d e n soll, u n d d a s m u ß im Sinne der S ü n d e n v e r g e b u n g v e r s t a n d e n w e r d e n . D a n a c h sind im A b e n d m a h l v o n J e s u s drei verschiedene atliche Vorstellungen v e r w e n d e t u n d zu einer E i n h e i t z u s a m m e n g e f a ß t w o r d e n : die v o m S ü h n o p f e r (des leidenden G o t t e s k n e c h t s ) , v o m n e u e n , messianischen B u n d , sowie E l e m e n t e aus der Passahfeier. Die eigentliche Schwierigkeit liegt a b e r d a r i n , wie J e s u s B r o t u n d W e i n zu Rep r ä s e n t a n t e n seines i n d e n T o d dahingegebenen Leibes u n d B l u t e s m a c h e n , u n d wie er a n d e n G e n u ß der also c h a r a k t e r i s i e r t e n E l e m e n t e d e n Segen seines O p f e r t o d e s k n ü p f e n k o n n t e . D a m i t w e r d e n wir v o r das christologische P r o b l e m gestellt. W e r in J e s u s n u r einen eigentümlichen T y p u s großartiger menschlicher F r ö m m i g k e i t sieht, der wird eine solche Möglichkeit a b l e h n e n u n d G r ü n d e genug f i n d e n , u m h i n t e r h e r sein d o g m a t i s c h e s Urteil historisch zu s t ü t z e n . W e r a b e r in J e s u s d e n auf E r d e n erschienenen Sohn des V a t e r s e r k a n n t h a t , erblickt in der S t i f t u n g des A b e n d m a h l s ein v o n J e s u s selbst geordnetes Glied in der Reihe seiner H e i l s t a t e n . D e r göttliche Char a k t e r d e r P e r s o n J e s u k o m m t a u c h im A b e n d m a h l zur E r s c h e i n u n g . I m B r o t u n d W e i n des A b e n d m a h l s gibt J e s u s d e n J ü n g e r n den geistigen G e h a l t seiner P e r s o n z u m E s s e n u n d T r i n k e n . D a s A b e n d m a h l ist sowohl V e r g e b u n g der S ü n d e n in d e r A n e i g n u n g des im T o d e dahingegebenen Leibes u n d Blutes J e s u wie a u c h Mitteilung des göttlichen, in der P e r s o n J e s u beschlossenen Lebens. E s ist eine geist-leibliche V e r b i n d u n g des J ü n g e r s m i t d e m H e r r n , eine m y s t i s c h e L e b e n s b e z i e h u n g zu i h m . W a s J o h a n n e s i m sechsten K a p i t e l seines E v a n g e l i u m s scharf u n d b e s t i m m t z u m A u s d r u c k b r i n g t , der leiblich-geistige G e n u ß J e s u im A b e n d m a h l , u n d das, w o r a n P a u l u s I K o r 10 die K o r i n t h e r e r i n n e r t , das V e r s t ä n d n i s des A b e n d m a h l s als einer p n e u m a t i s c h e n Speise, ist n i c h t U m g e s t a l t u n g des u r s p r ü n g l i c h e n E v a n g e l i u m s , sond e r n es ist E n t f a l t u n g des E v a n g e l i u m s selbst. W i r k o m m e n z u m A b s c h l u ß . J e s u s h a t den J ü n g e r n im A b e n d m a h l B r o t u n d W e i n z u m Genießen gegeben m i t begleitenden W o r t e n des I n h a l t s , d a ß dasjenige, w a s sie essen u n d t r i n k e n , 6ein Leib u n d sein zu i h r e n G u n s t e n vergossenes B i u t ist, welches einen n e u e n B u n d m i t G o t t v e r m i t t e l t . Dies w a r keine v o m Augenblick eingegebene, s o n d e r n eine v o r b e d a c h t e H a n d l u n g . Die A b e n d m a h l s w o r t e s t e h e n j a n i c h t f ü r sich allein, s o n d e r n in innerer V e r w a n d t s c h a f t m i t Mt 2028 Mk 1045, u n d J o h 6 zeigt gleichfalls, d a ß die A b e n d m a h l s g e d a n k e n J e s u s längst vor d e r E i n s e t z u n g i n n e r 1 Eine eingehende wissenschaftliche Darstellung der Passahfeier bietet AMerx, Die vier kanonischen Evangelien nach ihrem ältesten bekannten Text, II, 2. Hälfte, 1905, S 416 — 426, vgl auch BWeiß in Meyers K o m m zu Mt 2625 und RSeeberg, Das Abendmahl im N T , S 9 f , sowie HLietzmann, Messe und Herrenmahl, S 211. 8»
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Die Lehre Jesu nach der Darstellung der Evangelien
lieh b e s c h ä f t i g t h a b e n . D i e A b e n d m a h l s w o r t e legen a u c h i h r e r s e i t s Z e u g n i s a b v o n d e m B e r u f s b e w u ß t s e i n J e s u , d u r c h seinen T o d eine S ü h n u n g d e r S ü n d e n z u b e w i r k e n . E i n e O p f e r s p e i s e g i b t J e s u s d e n J ü n g e r n , B r o t u n d W e i n , u n d in diese legt e r m i t s e i n e m W o r t e i n e n S e g e n : e r m a c h t m i t seinem W o r t die E l e m e n t e zu d e m j e n i g e n , als w a s er sie d a r r e i c h t , zu T r ä g e r n des I n h a l t s seiner P e r s o n . B r o t u n d W e i n „ b e d e u t e n " n i c h t L e i b u n d B l u t J e s u , s o n d e r n sie sind es d e m S i n n d e r H a n d l u n g u n d der Bedeutung der begleitenden W o r t e zufolge1. I m damaligen J u d e n t u m u n d H e i d e n t u m w a r der Gedanke einer realen V e r b i n d u n g der Gottheit mit d e m Menschen d u r c h d a s M i t t e l des O p f e r s j a a u c h eine g a n z g e l ä u f i g e , v g l a u c h I K o r 10i4—22. Mögen zeitgeschichtliche orientalische Erlöserreligionen K u l t m a h l mit Opferspeise g e h a b t h a b e n , die eine gewisse A n a l o g i e z u m c h r i s t l i c h e n A b e n d m a h l zeigen, so i s t d o c h die D a r b i e t u n g d e s Segens d e r P e r s o n C h r i s t i i m A b e n d m a h l d a s c h a r a k t e r i s t i s c h Unterscheidende. M i t d e m G e s a g t e n w i r d d e r v o n S p i t t a so s t a r k g e l t e n d g e m a c h t e u n d s e i t d e m so o f t w i e d e r h o l t e E i n w a n d d e r S c h a u e r l i c h k e i t eines solchen B l u t t r i n k e n s seines Gew i c h t s e n t k l e i d e t . D i e J ü n g e r h a b e n sich n i c h t v o r g e s t e l l t , d a ß sie d e n L e i b J e s u essen, d e r d e m n ä c h s t in d e n T o d g e g e b e n w e r d e , u n d d a s B l u t t r i n k e n , d a s i n s e i n e m K ö r p e r w a r u n d d e m n ä c h s t v e r g o s s e n w e r d e n sollte, o d e r d a ß sie s e i n e n g e t ö t e t e n i r d i s c h e n L e i b essen u n d sein v e r g o s s e n e s irdisches B l u t t r i n k e n , s o n d e r n i n d e n O p f e r v o r s t e l l u n g e n i h r e r Z e i t h a b e n sie A n k n ü p f u n g s p u n k t e f ü r die E r f a s s u n g d e r A b e n d m a h l s g a b e als e i n e r v o n J e s u s d a r g e b o t e n e n O p f e r s p e i s e g e h a b t . D a s volle V e r s t ä n d n i s w i r d i h n e n a u c h i n d i e s e m P u n k t e e r s t n a c h J e s u A u f e r s t e h u n g gek o m m e n sein. A b e r b e r e i t s d a s e r s t e A b e n d m a h l w a r s c h o n n i c h t b l o ß eine D a r s t e l l u n g des O p f e r g e d a n k e n s , s o n d e r n es w a r b e r e i t s S a k r a m e n t . S e i t d e m h a b e n d i e J ü n g e r i m m e r d a r i m A b e n d m a h l die L e b e n s g e m e i n s c h a f t m i t d e m H e r r n e r n e u e r t . S c h o n i n d e r S t i f t u n g J e s u e n t h ä l t d a s A b e n d m a h l d r e i G r u n d g e d a n k e n , 1) V e r g e b u n g d e r S ü n d e n , 2) A n e i g n u n g d e s geistigen I n h a l t s d e r P e r s o n J e s u , 3) es h a t gemeinschaftbildende K r a f t (Kultmahl). 6. D i e Bedeutung des Sühnopfergedankens in der Fredigt J e s u W i r h a b e n g e f u n d e n , d a ß i n d e r s y n o p t i s c h e n Ü b e r l i e f e r u n g eine A n z a h l v o n W o r t e n e r h a l t e n s i n d , i n d e n e n d a s B e w u ß t s e i n J e s u v o n d e r A u f g a b e seines s ü h n e n d e n T o d e s l e i d e n s k l a r a u s g e s p r o c h e n i s t , i n s b e s o n d e r e d a s W o r t v o m Lösegeld u n d d a s W o r t b e i d e r D a r b i e t u n g des A b e n d m a h l s k e l c h s . Dies E r g e b n i s w i r d d u r c h d a s v i e r t e E v a n g e l i u m b e s t ä t i g t , w o 6si 3ie l O i i f f 17i9 1930 J e s u s gleichfalls d e n G e d a n k e n d e r H i n g a b e seines L e b e n s f ü r die Seinigen a u s s p r i c h t . D i e Bez i e h u n g a u f J e s 53 t r i t t h i e r a b e r n i c h t so k l a r h e r v o r w i e i n d e r S y n o p s e ; a m d e u t l i c h s t e n w o h l i n d e m T ä u f e r w o r t v o m L a m m G o t t e s , welches d e r W e l t S ü n d e t r ä g t I29. E s m u ß a b e r ein M i ß v e r s t ä n d n i s d e r W o r t e J e s u v o n s e i n e m s ü h n e n d e n L e i d e n a b g e w i e s e n w e r d e n , welches i n d e r s p ä t e r e n k i r c h l i c h e n L e h r e s e i n e n G r u n d h a t , d e s s e n W u r z e l freilich a u f J e s 53 z u r ü c k r e i c h t . V i e l f a c h w i r d d a s S ü h n o p f e r J e s u i n d e m S i n n e v e r s t a n d e n , d a ß a u f J e s u s S t r a f e gelegt, d a ß G o t t e s S t r a f g e r e c h t i g k e i t 1 Auf den alten Streit der Konfessionen, in welchem Sinne Brot und Leib, Wein und Blut gleichgesetzt werden, einzugehen, haben wir keinen Grund, da die Frage falsch gestellt ist. Das Wort „ist" hat Jesus überhaupt nicht gebraucht, da er im Aramäischen nur gesagt haben kann: „dies mein Leib", „dies mein Blut". Die Identität von Subjekt und Prädikat ist in diesem Falle aber ausgeschlossen, denn Brot und Wein bleiben nach wie vor Brot und Wein. In ihnen steckte nicht der Leib und das Blut Jesu, als die Jünger aßen und tranken. Man verkennt ganz den Sinn orientalisch-symbolischer Handlungsweise, wenn man diese Gleichsetzung durch den Vortrag einer Verwandlungslehre erzwingen will. Brot und Wein waren, als sie von den Jüngern gegessen und getrunken wurden, Zeichen und Symbol des Leibes und Blutes Jesu. Daher ist aber auch fälschlich ausgelegt worden: sie „bedeuten" Leib und Blut Jesu. Denn diese Symbole sind nach antiker Auffassung doch wiederum wirkliche Träger und Vermittler des so Dargestellten, keineswegs liegt eine bloße Vergleichung im modernen Sinne in solcher Darbietung. Will man aber in dem Essen und Trinken das Sinnbild der Aneignung von Leib und Blut Jesu erblicken, so schneidet man gerade den Kern des Gedankens heraus, denn es ist unerfindlich, mit welchem Rechte man im Brot und Wein gerade den in den Tod dahingeopferten Leib und das vergossene Blut Jesu zu genießen vorgibt. Vgl RSeeberg, S 24f, ThZahn z. d. St.
Der Sühnopfergedanke in der Predigt Jesu
117
d a d u r c h b e f r i e d i g t w o r d e n sei. J e s 534f lesen w i r a l l e r d i n g s : „ W i r a b e r h i e l t e n i h n f ü r (von G o t t ) g e s t r a f t " . . . „ S t r a f e u n s z u m H e i l e l a g auf i h m " . D o c h h a b e n die h i e r in Frage k o m m e n d e n hebräischen Worte u n d -iQina) n i c h t d e n h a r t e n K l a n g j e n e s d o g m a t i s c h e n Begriffes, s o n d e r n sie s p r e c h e n v o n Z ü c h t i g u n g , w i e sie d e r V a t e r d e m K i n d , G o t t seinem V o l k z u t e i l w e r d e n l ä ß t . E s k o m m t also h i e r a u c h d e r Liebes- u n d G n a d e n w i l l e G o t t e s i n B e t r a c h t , w ä h r e n d es sich d o r t u m die E r f ü l l u n g eines r e c h t l i c h e n A n s p r u c h s h a n d e l t . A n s e l m v o n C a n t e r b u r y (j" 1109) h a t die V e r s ö h n u n g s l e h r e u n t e r A n w e n d u n g v o n R e c h t s b e g r i f f e n d a r g e s t e l l t , die e r d e m g e r m a n i s c h e n V o l k s r e c h t e n t l e h n t e 1 . D i e einzige u n d v o l l k o m m e n e E h r e , w e l c h e d e r M e n s c h G o t t s c h u l d e t , ist die P f l i c h t , d e m W i l l e n G o t t e s G e h o r s a m zu l e i s t e n . D a h e r h a t die M e n s c h h e i t G o t t v e r u n e h r t , i n d e m sie s ü n d i g w u r d e . D a es a b e r f ü r G o t t n i c h t g e z i e m e n d w a r , die S c h u l d allein d u r c h seine B a r m h e r z i g k e i t a u f z u h e b e n , necesse e s t , u t o m n e p e c c a t u m s a t i s f a c t i o (eine d e r G r ö ß e u n d S c h w e r e d e r S c h u l d entsprechende Leistung) aut poena sequatur. Eine satisfactio secundum m e n s u r a m p e c c a t i i s t u n d e n k b a r . Diese G e n u g t u u n g k a n n n i e m a n d g e b e n a u ß e r G o t t . S c h u l d i g sie zu leisten i s t a b e r d e r M e n s c h . Also m u ß diese s a t i s f a c t i o l e i s t e n d e r d e u s h o m o . A b e r im N T ist nicht einmal in der paulinischen Theologie der Gedanke der göttlichen S t r a f g e r e c h t i g k e i t v o r h a n d e n , n o c h viel w e n i g e r i n J e s u e i g e n e r A n s c h a u u n g . V o n strafrechtlichen Begriffen u n d der beleidigten M a j e s t ä t Gottes finden wir i n J e s u S ü h n o p f e r g e d a n k e n n i c h t s . A b e r a u c h die V o r s t e l l u n g eines q u a n t i t a t i v e n Ä q u i v a l e n t s f ü r die S ü n d e d e r W e l t i m T o d e J e s u i s t a b z u w e i s e n . D e n n h ä t t e G o t t s e i n e n Sohn kein Schimpfwort, keine Verleumdung, keinen verräterischen K u ß , keinen B a c k e n s t r e i c h , k e i n e n Geißelhieb, k e i n e M i n u t e Q u a l a m K r e u z l ä n g e r e r d u l d e n lassen als u n b e d i n g t n ö t i g w a r , u m d e m Allgewissen d e r g e s c h a f f e n e n G e i s t e r g e n u g z u t u n 2 , so k o m m e n d e u t l i c h w i e d e r j u r i s t i s c h e G e d a n k e n v o m S t r a f v o l l z u g z u r Gelt u n g . Aber dazu geben Jesu W o r t e keine Veranlassung. J e s u s h a t v i e l m e h r i n seinem s ü h n e n d e n L e i d e n d e n A u s d r u c k d e s g ö t t l i c h e n Liebeswillens m i t d e r M e n s c h h e i t g e f u n d e n . D e n n sein T o d i s t B e r u f s a u f g a b e , w e l c h e die B e s e l i g u n g d e r M e n s c h e n z u m Z w e c k h a t . N u r s t e l l t dieser T o d n e b e n d e m ü b e r r a g e n d e n Liebeswillen G o t t e s n o c h die z w e i t e T a t s a c h e v o r aller A u g e n h i n , d a ß G o t t v o r d e r V e r g e b u n g d u r c h J e s u s die S ü n d e d e r W e l t i n J e s u K r e u z r i c h t e t . So m a c h t G o t t i n J e s u s , u n d so m a c h t J e s u s i n s e i n e r E i n h e i t m i t G o t t e s H e i l s a b s i c h t i n seinem T o d e s o p f e r k u n d , d a ß G o t t w o h l die L i e b e i s t , a b e r d a ß er als d e r H e i l i g e von der Verurteilung der Sünde nicht absehen k a n n . Der, welcher den Anspruch e r h o b , i n seiner P e r s o n w i r k u n g s k r ä f t i g f ü r „ d i e v i e l e n " zu sein, h a t die s i t t l i c h e W e l t o r d n u n g G o t t e s b e j a h t u n d i n f r e i e r g ö t t l i c h e r L i e b e sich s e l b s t a n Stelle d e r M e n s c h e n h i n g e o p f e r t u n d so zugleich die Ü b e r m a c h t d e r g ö t t l i c h e n L i e b e b e z e u g t , w i e die S ü n d e d e r W e l t i m U r t e i l G o t t e s g e t i l g t . A u f f a l l e n d i s t , d a ß i n diesen W o r t e n J e s u n i r g e n d s a u f die psychologische W i r k u n g dieses h e i l s m i t t l e r i s c h e n T u n s J e s u a u f die M e n s c h e n e i n g e g a n g e n i s t . E r k e n n e n wir d o c h u n s e r e S ü n d e g a n z e r s t i m H i n b l i c k a u f d e n T o d Christi, d e r u n s a b e r zugleich die B a r m h e r z i g k e i t G o t t e s g e w ä h r l e i s t e t ( „ f ü r u n s " ) . I n d e r E r k e n n t n i s d e r S ü n d e i m A u f b l i c k zu d e m f ü r u n s g e s t o r b e n e n C h r i s t u s liegt a b e r s o d a n n a u c h d e r s t ä r k s t e T r i e b z u r U m k e h r . E s u n t e r l i e g t w o h l k e i n e m Zweifel, d a ß J e s u s die W i r k u n g seines T o d e s a u f seine J ü n g e r s e l b s t i n s A u g e g e f a ß t h a t . D a s zeigt s c h o n d e r Z u s a m m e n h a n g , i n d e m er d a s W o r t v o m L ö s e g e l d g e s p r o c h e n h a t . V o n seiner d i e n e n d e n S e l b s t h i n g a b e soll j a d e r s t ä r k s t e A n s p o r n gegenseitiger D i e n s t b e r e i t s c h a f t a u f die S e i n e n a u s g e h e n . V o l l e n d s die T e i l n a h m e a m A b e n d m a h l s e t z t die s u b j e k t i v e A n e i g n u n g d e r v o n J e s u s i n s e i n e m T o d g e s p e n d e t e n Sündenvergebung u n d Teilnahme an den Segnungen des neuen B u n d e s u n b e d i n g t v o r a u s . D e r j e n i g e , d e m die B e d e u t u n g des „ f ü r v i e l e " u n d „ f ü r u n s " a u f g e g a n g e n i s t , s t e h t u n t e r d e r vollen p e r s ö n l i c h e n W i r k u n g des T o d e s J e s u . A b e r die b i b l i s c h e T h e o l o g i e h a t sich a u f d a s in J e s u W o r t e n b e s c h l o s s e n e T a t s ä c h l i c h e zu b e s c h r ä n k e n . I n diesem f e h l t a b e r d e r f r a g l i c h e H i n w e i s . 1 Vgl HCremer, ThStKr 1880, S 1 — 14. Diese Behauptung Cremers hat eine lebhafte dogmengeschichtliche Erörterung hervorgerufen, vgl FLoofs, Leitfaden zum Studium der Dogmengeschichte, 41906, S 508ff. Loofs selbst versteht Anselms Theorie als eine Würdigung des Werkes Christi mit dem Begriffsmaterial der Bußlehre, 2 LvGerdtell, S 36.
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Die Lehre Jesu nach der Darstellung der Evangelien
Z u m Schluß sei ausgesprochen, d a ß in den beiden W o r t e n v o m Lösegeld u n d v o m Abendmahlskelch kirchenbildende K r a f t liegt (vgl S 82 f ) . D i e christliche Kirche ist ein notwendiges P r o d u k t der Worte v o n der sühnenden K r a f t seines T o d e s für viele. D e n n die durch J e s u T o d Erlösten u n d Versöhnten m u ß t e n sich kraft dieser Heilsgabe zusammenschließen u n d gegen andere Gemeinschaften abgrenzen.
9. K a p i t e l
Jesu Auferstehung und Wiederkunft und das messianische Gericht WBousset, Der Antichrist, 1895. SAFries, Jesu Vorstellungen von der Auferstehung der Toten, ZNW 1, 1900, S 291ff. PVolz, Jüdische Eschatologie von Daniel bis Akiba, 1903. RHCharles, Eschatology, 21913. Bousset-Greßmann, Die Religion des Judentums, 31926. Bousset, Kyrios Christos, 2 S 22 — 26. EvDobschütz, Zur Eschatologie der Evangelien, ThStKr 1911, S 1—20. ASchweitzer, Geschichte der Leben-Jesu-Forschung 41926, S 296 — 305. JWeiß, Das Urchristentum I, 1914, S 6 0 - 9 8 . GKittel, Rabbinica, 1920, S 3 1 - 3 8 . JLeipoIdt, Sterbende und auferstehende Götter, 1923. LBrun, Die Auferstehung Jesu in der urchristlichen Überlieferung, 1925. EFascher, Die Auferstehung Jesu und ihr Verhältnis zur urchristlichen Verkündigung, ZNW 26, 1927, S 213ff. FWKarner, Der Vergeltungsgedanke in der Ethik Jesu, 1927. GSevenster, Ethiek en Eschatologie in de syn. Evangelien, 1929. HGreßmann, Der Messias, 1929, S 74ff. JJeremias, Jesus als Weltvollender, 1930. SVMcCasland, The Resurrection of Jesus, 1932. MGoguel, La foi à la résurrection de Jésus dans le Christianisme primitif, 1933. PVolz, Die Eschatologie der jüdischen Gemeinde, 21934. GBaldensperger, Le Tombeau vide. La légende et l'histoire, 1935. WGKümmel, Die Eschatologie der Evangelien, 1936 (vorher in ThBl). FMBraun, La sépulture de Jésus, Revue Biblique 45, 1936, S 34ff, 184ff, 346ff. GKittel, Die Auferstehung Jesu, DTh 1937, S 133 — 168. JduPlessis, Les derniers temps d'après l'histoire et la prophétie. I : Prophéties évangeliques, S. Pierre, S. Paul, 1937. FBusch, Zum Verständnis der synoptischen Eschatologie, 1938. EHirsch, Die Auferstehungsgeschichten und der christliche Glaube, 1940. PAlthaus, Die Wahrheit des christlichen Osterglaubens, 21941. CJCadoux, The historié mission of Jesus. A constructive re-examination of the eschatological teaching in the Synoptic Gospels, 1941. JMüller-Bardorf, Jesu Erscheinung auf dem See und die Topik der österlichen Erscheinungsberichte, Diss. Leipzig 1941. WMichaelis, Die Erscheinungen des Auferstandenen. Ders., Der Herr verzieht nicht die Verheißung. Die Aussagen Jesu über die Nähe des Jüngsten Tages, 1942. MRamsay, The resurrection of Christ, 1945. WGKümmel, Verheißung und Erfüllung. Untersuchungen zur eschatologischen Verkündigung Jesu, 1945. WEWilson, The Coming of the Son of Man, The Modern Churchman 36,1946, S. 56—66. RBultmann, Zur eschatologischen Verkündigung Jesu, ThLZ 72, 1947, S 271ff. JLeipoIdt, Zu den Auferstehungs-Geschichten, ThLZ 73, 1948, S 737ff. Billerbeck IV, S 484ff (Vergeltungslehre) und 799ff (Eschatologie). Zu diesem Kapitel ist zu vergleichen Kap 5: Das Reich Gottes, besonders § 5 und 12. 1. Die Auferstehung I n der synoptischen Überlieferung f i n d e t sich seit der Zeit der Leidensweissagungen u n d zum Teil in fester Verbindung m i t diesen eine A n z a h l v o n Worten J e s u , in d e n e n er seine Auferstehung voraussagt, während das J o h a n n e s e v a n g e l i u m eine parallele Überlieferung n i c h t bietet, v g l J o h 209 221 f. Jede der drei Leidensverkündigungen, 1) Mt I621 Mk 831 Lk 922, 2) Mt 1722f Mk 9si Lk 944, 3) Mt 2 0 i s f Mk 1033 f Lk 1831—33, m ü n d e t aus in die Weissagung, d a ß er nach seinem Tode, „ n a c h drei T a g e n " oder „ a m dritten T a g e " , auferstehen werde. Ferner verbietet J e s u s beim A b s t i e g v o m Berg der Verklärung den i h n begleitenden J ü n g e r n , etwas v o n d e m geschauten Gesicht zu sagen, „bis der Menschensohn v o n d e n T o t e n auferweckt sein wird" Mt 179 Mk 99f. A m l e t z t e n A b e n d , n a c h Beendigung des Mahles, auf d e m W e g zum ö l b e r g , sagt er seinen J ü n g e r n voraus, d a ß sie sich i n dieser N a c h t alle an i h m ärgern werden, d a ß der Hirt geschlagen u n d die Schafe zerstreut werden sollen (Sach 137), u n d er fährt darauf f o r t : „ N a c h d e m ich aber auferweckt bin, werde ich euch nach Galiläa v o r a n g e h e n " Mt 2632 Mk 1428. D i e Auferstehungsengel erinnern a m leeren Grab a n die Worte, die J e s u s i n Galiläa zu d e n Jüngern über seine Auferstehung am dritten T a g e gesagt habe Lk 24ef Mt 286. D e r auferstandene Jesus
Die Auferstehung Jesu
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ö f f n e t d e n J ü n g e r n d a s V e r s t ä n d n i s d e r S c h r i f t v o m L e i d e n des C h r i s t u s u n d seiner A u f e r s t e h u n g a m d r i t t e n T a g e L k 2445f. Schließlich e n t h ä l t eine A n s p i e l u n g a u f die A u f e r s t e h u n g J e s u a u c h d a s W o r t M t 1240. M a r k u s h a t i n allen d r e i L e i d e n s w e i s s a g u n g e n die V o r a u s s a g e d e r A u f e r s t e h u n g „ n a c h d r e i T a g e n " 1 , M t I621 = L k 922 M t 1723 M t 20i9 = L k 1833 d a g e g e n a m „ d r i t t e n T a g e " . A u c h M t 2764 L k 247 21 46 w i r d v o m „ d r i t t e n T a g e " als A u f e r s t e h u n g s t a g g e s p r o c h e n . N u n k ö n n t e m a n diese D i f f e r e n z als f ü r d a s B e w u ß t s e i n d e r E v a n g e l i s t e n b e l a n g l o s b e z e i c h n e n , weil M t 2763 64 „ n a c h d r e i T a g e n " u n d „ a m d r i t t e n T a g " p a r a l l e l u n d s y n o n y m g e b r a u c h t w e r d e n . I m m e r h i n j e d o c h b l e i b t es d a s Wahrscheinlichste, d a ß das „ a m dritten T a g e " auf den geschichtlichen Auferstehungstag Bezug n i m m t . D i e s e Ü b e r l i e f e r u n g b i e t e t gewisse S c h w i e r i g k e i t e n . W e n n J e s u s w i e d e r h o l t u n d i n so b e s t i m m t e r Weise seine A u f e r s t e h u n g a m d r i t t e n T a g e o d e r n a c h d r e i T a g e n gew e i s s a g t h a t , wie k o m m t es d a n n , d a ß die J ü n g e r n a c h J e s u T o d e so völlig m u t l o s w a r e n u n d die a n seine P e r s o n g e k n ü p f t e n m e s s i a n i s c h e n H o f f n u n g e n a u f g e b e n zu m ü s s e n g l a u b t e n ? L k 2421. W i e k o m m t es, d a ß die Z u r ü s t u n g e n zu s e i n e m B e g r ä b n i s v o n s e i n e n J ü n g e r n u n d F r e u n d i n n e n so g e t r o f f e n w u r d e n , als o b es sich u m ein B l e i b e n J e s u i m T o d e h a n d e l e ? M a n s o r g t f ü r sein G r a b , w ä l z t e i n e n S t e i n d a v o r , u n d die F r a u e n k a u f e n S p e z e r e i e n f ü r die B a l s a m i e r u n g . W a r u m sind die J ü n g e r so u n g l ä u b i g u n d v e r s t ä n d n i s l o s , als die K u n d e v o n J e s u A u f e r s t e h u n g a n i h r O h r d r i n g t ? W i e k o n n t e n sie Zweifel gegen die A u f e r s t e h u n g J e s u h e g e n M t 28i7 L k 2 4 u 37 41 J o h 2025, w e n n J e s u s sie so s o r g s a m a u f dies E r e i g n i s v o r b e r e i t e t h a t t e ? W a r n i c h t die A u f e r s t e h u n g i m d a m a l i g e n J u d e n t u m eine ziemlich allgemeine H o f f n u n g ? H a t t e n die J ü n g e r also n i c h t i n i h r e n V o r s t e l l u n g e n g e n ü g e n d e A n k n ü p f u n g s p u n k t e f ü r das Verständnis der Auferstehung ihres H e r r n ? Allein, w o l l t e n w i r b e i d i e s e n B e d e n k e n s t e h e n b l e i b e n , so w ü r d e n w i r n u r einseitig u r t e i l e n . D i e G e s c h i c h t l i c h k e i t d e r A u f e r s t e h u n g s w e i s s a g u n g e n s t e h t i m engs t e n Z u s a m m e n h a n g m i t d e r d e r L e i d e n s v e r k ü n d i g u n g e n . H a t J e s u s s e i n e n T o d gew e i s s a g t , so ist es u n d e n k b a r , d a ß er n i c h t a u c h v o n s e i n e m Sieg ü b e r d e n T o d ges p r o c h e n h a b e n sollte. Sein T o d k o n n t e v o n i h m n u r e n t w e d e r als e n d g ü l t i g e N i e d e r l a g e u n d d a s E n d e seines m e s s i a n i s c h e n A n s p r u c h e s b e t r a c h t e t w e r d e n , o d e r a b e r als D u r c h g a n g s p u n k t z u m e n t s c h e i d e n d e n Sieg d e s R e i c h e s G o t t e s u n d J e s u e i g e n e r S a c h e . D i e g a n z e e v a n g e l i s c h e Ü b e r l i e f e r u n g f o r d e r t die B e h a u p t u n g d e r z w e i t e n S e i t e dieser A l t e r n a t i v e . T o d u n d A u f e r s t e h u n g f o r d e r n sich gegenseitig i m B e w u ß t sein J e s u . J e s u s h a t a b e r diese W e i s s a g u n g n i c h t n u r a u s g e s p r o c h e n , s o n d e r n e r i s t t a t s ä c h l i c h a m d r i t t e n T a g e w i e d e r a u f e r s t a n d e n . So w e i ß es die u r c h r i s t l i c h e Ü b e r l i e f e r u n g M k I62 p a r J o h 2 0 i . A u s diesem G r u n d e i s t j a a u c h d e r S o n n t a g als F e i e r t a g a n die Stelle d e s j ü d i s c h e n S a b b a t s gestellt w o r d e n , I g n a d M a g n 9 i , B a r n 159. D i e a p o s t o l i s c h e G e m e i n d e h a t die A u f e r s t e h u n g J e s u a m d r i t t e n T a g e i n d e r S c h r i f t geweissagt g e s e h e n . D e n n P a u l u s s c h r e i b t d e n K o r i n t h e r n , er h a b e i h n e n gem ä ß der i h m gewordenen K u n d e überliefert, d a ß Christus „begraben wurde, u n d d a ß e r a u f e r w e c k t w o r d e n i s t a m d r i t t e n T a g e n a c h d e n S c h r i f t e n " I K o r 154. D a s h a t i h n e n a b e r n a c h L k 24 45f J e s u s selbst g e s a g t . D i e h a u p t s ä c h l i c h s t e in B e t r a c h t k o m m e n d e a t l i c h e Stelle i s t H o s 62: „ E r w i r d u n s n a c h zwei T a g e n n e u b e l e b e n , a m d r i t t e n T a g e u n s w i e d e r a u f r i c h t e n " . A u s H o s 62 I I K ö n 205 G e n 224 42i7, f e r n e r I S a m 30i2 u n d J o n 2 i i s t a b e r ersichtlich, d a ß „ d r e i T a g e " o d e r „ a m d r i t t e n T a g e " e i n e g e l ä u f i g e W e n d u n g z u r B e z e i c h n u n g einer k u r z e n F r i s t i s t 2 . A u c h J e s u s h a t sich i h r e r b e d i e n t , w i e a u s L k 1332 h e r v o r g e h t : „ S i e h e , i c h t r e i b e D ä m o n e n a u s u n d vollz i e h e H e i l u n g e n h e u t e u n d m o r g e n , u n d a m d r i t t e n T a g e w e r d e ich v o l l e n d e t " . M a n h a t also die W a h l zwischen d e n b e i d e n A n n a h m e n , d a ß J e s u s e n t w e d e r seine A u f e r s t e h u n g a m d r i t t e n T a g e b u c h s t ä b l i c h geweissagt h a t , o d e r d a ß e r g e s a g t h a t , 1 Die Handschriften schwanken in dieser Angabe vielfach. Die Texte sind frühzeitig konformiert und das „am dritten Tage" dementsprechend eingesetzt worden. 2 Die Hypothese von HGunkel, zum religionsgeschichtlichen Verständnis des NTs 21910, S 79 ff, daß die Zahl drei oder dreieinhalb eine typische, messianologische sei, die auch im Leben •des Sonnengottes vorkomme und in den Evangelien auf jüdisch-synkretistische Einflüsse hinführe, geht an der nächstliegenden Annahme vorbei und ist außerstande zu beweisen, daß es schon vor Jesus einen Glauben an Tod und Auferstehung des Christus gegeben habe.
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Die Lehre Jesu nach der Darstellung der Evangelien
sie w e r d e i n k ü r z e s t e r F r i s t e r f o l g e n . D a ß diese V o r h e r s a g e so w e n i g i m Geiste d e r J ü n g e r g e h a f t e t h a t u n d i n d e n T a g e n n a c h s e i n e m T o d e g a n z i n V e r g e s s e n h e i t geraten war, gehört in das Kapitel von den Mißverständnissen der J ü n g e r u n d ihrem mangelhaften Verständnis der Person u n d A u f g a b e ihres H e r r n bei seinen Lebzeiten. E s i s t u n d b l e i b t eine g e s c h i c h t l i c h e T a t s a c h e , d a ß die J ü n g e r die B e d e u t u n g J e s u u n d viele seiner W o r t e e r s t n a c h O s t e r n u n d P f i n g s t e n v e r s t a n d e n h a b e n . D i e E r i n n e r u n g h a t e r s t vieles w i e d e r l e b e n d i g m a c h e n m ü s s e n , w a s i n i h r e m H e r z e n als t o t e r Besitz g e r u h t h a t t e . D i e J ü n g e r g e m e i n d e s e l b s t a b e r h a t j a a u c h ü b e r l i e f e r t , d a ß die L e i d e n s - u n d A u f e r s t e h u n g s w e i s s a g u n g e n J e s u d a m a l s n i c h t v e r s t a n d e n w o r d e n sind M k 932 = L k 9 « L k 1834, f e r n e r M k 9io. P s y c h o l o g i s c h b e g r e i f l i c h i s t dies N i c h t v e r s t e h e n d o c h w o h l a u c h . D e n n d a s J u d e n t u m e r w a r t e t e die A u f e r s t e h u n g a m E n d e d e r T a g e m i t d e r A u f r i c h t u n g des m e s s i a n i s c h e n R e i c h e s J o h 1124. D e r O s t e r m o r g e n g i n g a b e r ü b e r J e r u s a l e m auf wie j e d e r a n d e r e M o r g e n . V o m K o m m e n des Messias u n d d e m B e g i n n des W e l t g e r i c h t s f ü h l t e n die J ü n g e r a n j e n e m T a g e n i c h t s . D a h e r g l a u b t e n sie d e r K u n d e v o n J e s u A u f e r s t e h u n g n i c h t . I n d e n Ged a n k e n seines T o d e s h a b e n sie sich e b e n f a l l s n o c h bis i n die l e t z t e n Z e i t e n des L e b e n s J e s u u n d bis n a c h seiner A u f e r s t e h u n g n i c h t zu f i n d e n v e r m o c h t , weil d a s B i l d d e s Messiaskönigs, wie es in i h n e n l e b t e , d a s volle G e g e n t e i l eines l e i d e n d e n u n d s t e r b e n d e n G o t t e s s o h n e s w a r . J e s u s h a t a b e r , w a s a m K a r f r e i t a g bis z u m O s t e r t a g m i t s e i n e n J ü n g e r n e i n t r e t e n w e r d e , a m A b e n d v o r seinem T o d e selbst v o r a u s g e s a g t i n d e m s c h o n z i t i e r t e n W o r t , d a ß sich i n dieser N a c h t alle a n i h m ä r g e r n w e r d e n , d a ß d e r H i r t ges c h l a g e n , die S c h a f e z e r s t r e u t w e r d e n sollen, e r a b e r d e n S e i n e n n a c h seiner A u f e r w e c k u n g n a c h Galiläa v o r a u s g e h e n w e r d e M t 2631 f M k 1427 f. D i e s W o r t z e i g t , d a ß J e s u s seine J ü n g e r a u c h i n i h r e r V e r s t ä n d n i s l o s i g k e i t r i c h t i g b e u r t e i l t h a t . T r o t z d e m h a t er i h n e n g e s a g t , w a s f ü r i h r e O r i e n t i e r u n g u n d f ü r i h r e z u k ü n f t i g e E r k e n n t n i s n o t wendig war.
2. Die Wiederkunft
N e b e n d e n W e i s s a g u n g e n J e s u v o n seiner A u f e r s t e h u n g , u n d z u m Teil m i t i h n e n v e r k n ü p f t , l a u f e n a b e r a u c h solche h e r v o n seiner W i e d e r k u n f t . U n t e r diesen s t e h t a m h e l l s t e n i m L i c h t e d e r G e s c h i c h t e d a s S e l b s t z e u g n i s J e s u v o r d e m T r i b u n a l des H o h e n R a t e s : „ I c h sage e u c h , v o n j e t z t a n w e r d e t i h r s e h e n d e n M e n s c h e n s o h n sitzen z u r R e c h t e n d e r K r a f t u n d k o m m e n auf d e n W o l k e n d e s H i m m e l s " M t 2064 M k 1462 L k 22 69. W i e i m m e r d e r S i n n dieses W o r t e s g e n a u e r zu f a s s e n sein m a g : J e s u s h a t v o r d e m j ü d i s c h e n G e r i c h t s h o f sein auf die A u f e r s t e h u n g f o l g e n d e s alsbaldiges T h r o n e n z u r R e c h t e n G o t t e s u n d w e i t e r h i n seine W i e d e r k u n f t i n h i m m l i s c h e r M a c h t geweissagt, u n d dies W o r t i s t z u r G r u n d l a g e seiner V e r u r t e i l u n g g e n o m m e n w o r d e n , n i c h t weil er sich d a r i n als Messias p r o k l a m i e r t e , s o n d e r n w e i l e r sich g o t t g l e i c h e W ü r d e beilegte. D i e s e m W o r t v o r d e m H o h e n R a t t r e t e n a n d e r e ä h n l i c h e z u r Seite. D a er seit C a e s a r e a P h i l i p p i die S e l b s t b e z e i c h n u n g „ M e n s c h e n s o h n " h ä u f i g a n g e w e n d e t h a t , f i n d e n sich seit dieser Zeit m e h r f a c h Ä u ß e r u n g e n ü b e r seine glorreiche W i e d e r k u n f t als M e n s c h e n s o h n . N a c h M t lÖ27f, v g l M k 838 9i L k 926f w i r d d e r M e n s c h e n s o h n i n d e r H e r r l i c h k e i t seines V a t e r s m i t s e i n e n E n g e l n z u m Ger i c h t k o m m e n , u n d z w a r w e r d e n n o c h Glieder d e r J e s u s u m g e b e n d e n G e n e r a t i o n d e n M e n s c h e n s o h n in seinem R e i c h e k o m m e n s e h e n . Alle G e s c h l e c h t e r d e r E r d e sollen d e n M e n s c h e n s o h n a u f d e n W o l k e n des H i m m e l s k o m m e n s e h e n m i t M a c h t u n d vieler H e r r l i c h k e i t , u m d a s G e r i c h t a b z u h a l t e n M t 243of M k 1326f L k 2127. H i e r zu t r e t e n m e h r e r e A u s s a g e n J e s u , die sich allein b e i m e r s t e n E v a n g e l i s t e n f i n d e n M t 2531—46 1023 1928 1337—46. O f f e n b a r i s t n u n die V o r s t e l l u n g d e r A u f e r s t e h u n g eine a n d e r e als die d e r W i e d e r k u n f t . D e n n b e i j e n e r h a n d e l t es sich u m eine N e u b e l e b u n g d e s i n d a s G r a b g e l e g t e n L e i c h n a m s J e s u , b e i dieser u m ein W i e d e r k o m m e n v o n o b e n h e r , v o m H i m m e l h e r a b . N u n h a t m a n i n b e i d e n V o r s t e l l u n g e n eine U n s t i m m i g k e i t f i n d e n w o l l e n u n d d a h e r v e r s u c h t , zu v e r m i t t e l n u n d zu k o m b i n i e r e n . N i c h t o h n e E i n f l u ß a u f d e r a r t i g e B e m ü h u n g e n w a r die s p i r i t u a l i s i e r e n d e Christologie S c h l e i e r m a c h e r s , w e l c h e d a r a u f v e r wies, d a ß J e s u s i n d e n T a g e n seiner A n f e c h t u n g V e r h e i ß u n g e n seiner W i e d e r k u n f t n i c h t w i e d e r h o l t , s o n d e r n n u n v o n s e i n e m E i n g e h e n i n seine H e r r l i c h k e i t g e s p r o c h e n u n d seine J ü n g e r a n seine geistige G e g e n w a r t gewiesen h a b e 1 . D a h e r k o n n t e a n d i e 1 Der christliche Glaube «II, S 484ff.
Die Wiederkunft Jesu und das Gericht
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Stelle der leiblichen Wiederkunft Jesu seine kräftige Wirksamkeit gesetzt, d. h. Auferstehung und Wiederkunft im wesentlichen identifiziert werden. Doch ist das nicht richtig, trotzdem in der johanneischen Abschiedsrede Joh 14isff Jesu Wiederkunft auch als in der Sendung des Geistes erfolgend gedacht wird. Auferstehung und Wiederkunft sind und bleiben zwei verschiedene Dinge, die in der Geschichte Jesu auch zeitlich auseinanderfallen. Kann doch Jesus auch erst auf den Wolken des Himmels wiederkommen, nachdem er aus dem Grabe wieder hervorgegangen und zu himmlischer Herrlichkeit erhoben worden ist, ganz wie er selbst es vor dem Hohenpriester ausgesprochen hat. Auch lehnt der auferstandene Jesus Apg la nicht etwa die Erwartung seiner Wiederkunft zur Aufrichtung des Reiches ab, sondern er verbietet das Fragen nach dem Zeitpunkt des Kommens des Reiches. Die Verheißung der Wiederkunft ist ein fester Bestandteil der Verkündigung Jesu. Ohne sie würde der volle Abschluß seines Wirkens fehlen, s. S 85. Hätte Jesus nur von seiner Auferstehung gesprochen, so wäre zwar die Vollendung seiner Person in Aussicht gestellt gewesen, nicht aber die Vollendung des Gottesreiches, welches er doch auf diese Erde bringen wollte. Die Wiederkunft ist die Zeit der Aufrichtung des Reiches auch auf der Erde. Erst dann werden die zweite und dritte Bitte des Vaterunsers erfüllt. Auf Erden war Jesus der Leidende und Dienende, dann kommt er als König und Richter, in Macht und Herrlichkeit. Dann nehmen auch die Jünger, welche auf der Erde das Kreuz ihres Meisters tragen müssen, und die hier noch nicht im Vollsinn Glieder des Reiches sind, Anteil an seiner göttlichen Würde und Hoheit, die christusfeindliche Welt aber wird gerichtet. Die Welt, welche dem Sohn gegenüber während seiner irdischen Wirksamkeit ein zwiespältiges Verhalten gezeigt hat, Glauben und Unglauben, erfährt, daß er wirklich der Inhaber der göttlichen Wahrheit und der Vollstrecker des göttlichen Willens ist. Jesus hat die Gedanken, wie sich dann die Welt gestalten wird, nicht ausgeführt. Er spricht nicht von der Erneuerung der Natur, oder welches die Lebens- und Gemeinschaftsformen und der Inhalt dieses neuen Lebens der Reichsgenossen sein werden, eine Schilderung des neuen Jerusalems entwirft er nicht. Er führt nur bis an die Schwelle des neuen Himmels und der neuen Erde. Auch die Aussagen über den Zeitpunkt der Parusie sind bereits in dem Kapitel über das Reich Gottes besprochen worden, s. S 72 ff. 3. Das Gericht' Schon in der jüdischen Apokalyptik ist der Gedanke des Gerichts fest mit der Erwartung des Tages Jahwes oder der messianischen Endvollendung verknüpft. In der älteren Zeit ist das Gericht Gottes, der Tag Jahwes, wesentlich ein Gericht über die in der Gegenwart vorhandenen Feinde Israels. Als aber die Anschauung vom Wechsel der Weltzeiten zur Herrschaft kam, wurde das Gericht Gottes zum Gericht über diesen ganzen Aeon und die in demselben herrschenden feindlichen Gewalten, über irdische und himmlische Mächte, über Vergangenes und Gegenwärtiges. Dies Gericht hält nach ziemlich allgemein herrschender jüdischer Anschauung nicht der Messias, sondern der allmächtige Schöpfer, der Himmel und Erde gemacht hat Dan 7äff. Aber daneben begegnet doch auch die Vorstellung, daß der Messias das Gericht vollzieht. In den Bilderreden des Henochbuchs tritt der Menschensohn in dem großen Gericht über die Könige der Erde und die bösen Engel als Weltrichter an die Seite Gottes und geradezu an Gottes Stelle Hen 513 6 1 s f f , ferner Hen 554 66if 63 485 IV Esr 13 Sibyll III 286f Syr Bar 722. So begegnet denn auch im NT beim Täufer die Erwartung, daß der kommende Messias die Worfschaufel in seine Hand nehmen wird, um seine Tenne zu fegen. Den Weizen wird er in seine Scheune sammeln, die Spreu aber mit unauslöschlichem Feuer verbrennen Mt 312 Lk 3l7, vgl auch Mt 3il Lk 3l6: „er wird euch mit heiligem Geist und Feuer taufen". In fester Verbindung mit dem Gedanken des Gerichts steht im späteren Judentum auch die Lehre von der Auferstehung. Auch hier gehen die Bilderreden des Henochbuchs voran Hen 511—3, vgl 45l—3 615. Ebenso bestimmt verbindet das IV Esrabuch Auferstehung der Toten und Gericht 732 f. Die gleiche Verbindung beider Vorstellungen findet sich Sibyll IV 1 8 0 f f , vgl Apk 2011 f f .
Jesu Gerichtserwartung ist im Zusammenhang mit den eben geschilderten jüdischen Vorstellungen zu verstehen. Wie in den Bilderreden des Henoch und im IVEsra der Messias-Menschensohn an der Stelle Gottes das Gericht ausübt, so hat auch Jesus kraft seines Messias- und Menschensohnbewußtseins das Gericht für sich in Anspruch genommen. Der vorzuführende Tatbestand zeigt allerdings, daß Matthäus diesen Anspruch Jesu besonders reich ausgeführt hat. Aber es steht keineswegs so, daß bei Markus Jesus sich selbst das Gericht noch nicht zuschreibe, sondern es Gott zustehe,
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Die Lehre Jesu nach der Darstellung der Evangelien
u n d d a ß d a r i n noch der u r s p r ü n g l i c h e B e f u n d z u t a g e t r e t e , w ä h r e n d M a t t h ä u s die A n s c h a u u n g der s p ä t e r e n Gemeinde zur Geltung b r i n g e . A u c h bei M a r k u s sind W o r t e J e s u e r h a l t e n , denen zufolge er als Menschensohn d a s messianische Gericht a b h a l t e n w i r d : „ U n d d a n n w e r d e n sie den Menschensohn k o m m e n sehen in den W o l k e n m i t v i e l e r M a c h t u n d H e r r l i c h k e i t . U n d d a n n w i r d er die E n g e l senden u n d z u s a m m e n f ü h r e n die A u s e r w ä h l t e n v o n den v i e r W i n d e n v o m E n d e d e r Erde a n bis z u m E n d e d e s H i m m e l s " M k 1326f. D a s ist eine P a r a l l e l e zu einer A u s s a g e i n H e n 6 1 s f f , d a s W o r t stellt also die Gerichtsentscheidung z u g u n s t e n der A u s e r w ä h l t e n d a r . M a t t h ä u s f ü g t h i n z u , d a ß alle Geschlechter k l a g e n w e r d e n , w e n n d a s Zeichen des Menschensohnes a m H i m m e l erscheinen w i r d Mt 2430. S a g t M k 838 = Mt 1627 L k 926 J e s u s : „ D e n n w e r sich m e i n e r u n d m e i n e r W o r t e i n diesem ehebrecherischen u n d s ü n d i g e n Geschlecht s c h ä m t , dessen w i r d sich a u c h d e r Menschensohn s c h ä m e n , w e n n er k o m m t i n der H e r r l i c h k e i t seines V a t e r s m i t den heiligen E n g e l n " , so liegt a u c h hier offenk u n d i g die Vorstellung des R i c h t e r a m t e s J e s u bei seinem a p o k a l y p t i s c h e n K o m m e n vor. W i r h a b e n k e i n R e c h t , diese S t e l l e d a h i n a b z u s c h w ä c h e n , d a ß J e s u s dies sein U r t e i l v o r Gott, d e m eigentlichen R i c h t e r , geltend m a c h e n w e r d e . Denn er erscheint i n der H e r r l i c h k e i t , d . h . i m A u f t r a g e seines V a t e r s , u m g e b e n von M y r i a d e n v o n E n g e l n . A u c h i n der R e d e n q u e l l e stellt sich J e s u s a l s W e l t r i c h t e r h i n , Mt 722 f L k 1325—27. D a h e r h a b e n w i r k e i n e n Grund, die F a r b e n des großen Gerichtsgemäldes M t 2531—4«, d a s k e i n e P a r a l l e l e i n der S y n o p s e h a t , a l s d e r P a l e t t e des M a t t h ä u s ents t a m m e n d zu b e t r a c h t e n . A u c h i n der D e u t u n g des Gleichnisses v o m U n k r a u t u n t e r d e m W e i z e n Mt 1337 —43 w i r d m a n d a h e r a p o k a l y p t i s c h e G e d a n k e n J e s u anzuerk e n n e n h a b e n . Mt 1928 v e r h e i ß t J e s u s denen, die i h m n a c h g e f o l g t sind, d a ß in der W i e d e r g e b u r t , w e n n sich der Menschensohn auf den T h r o n seiner H e r r l i c h k e i t setzt, a u c h die J ü n g e r a u f zwölf Thronen sitzen sollen, die zwölf S t ä m m e Israels r i c h t e n d . H i e r w i r d m i t d e m s i n g u l ä r e n , i m NT n u r noch T i t 3 s b e g e g n e n d e n A u s d r u c k „ W i e d e r g e b u r t " ( j i a h y y e v e a l a ) auf die Zeit d e r T o t e n a u f e r s t e h u n g u n d der E r n e u e r u n g flsr W e l t i m m e s s i a n i s c h e n Aeon hingewiesen u n d d e n J ü n g e r n A n t e i l a m Gericht zugesprochen, w i e a u c h i n der P a r a l l e l e L k 2230. D a s g e s c h ä h e n i c h t , w e n n J e s u s n i c h t selbst d a s Gericht f ü r sich b e a n s p r u c h t e . I n d e m a p o k a l y p t i s c h e n G e d a n k e n k r e i s begegnet a b e r a u c h die A n s c h a u u n g , d a ß J e s u s n i c h t selbst d a s Gericht vollzieht, sondern der V a t e r , a b e r a u f d a s Zeugnis d e s Sohnes h i n . So f i n d e n w i r es i n d e m W o r t a u s der R e d e n q u e l l e : „ J e d e r n u n , der m i c h b e k e n n e t v o r den Menschen, den w i l l ich v o r m e i n e m V a t e r i m H i m m e l bek e n n e n , w e r a b e r m i c h v e r l e u g n e t v o r den Menschen, den w e r d e a u c h ich v o r m e i n e m V a t e r i m H i m m e l v e r l e u g n e n " Mt 1032 f L k 128 f. D a , wo J e s u s i n n i c h t spezifisch messianischen A u s s a g e n auf d a s E n d g e r i c h t verw e i s t , n e n n t oder d e n k t er Gott als den W e l t r i c h t e r . So Mt 64 6 l4f 18 i n der B e k ä m p f u n g des p h a r i s ä i s c h e n Almosengebens, B e t e n s u n d F a s t e n s , a m A b s c h l u ß des Gleichnisses v o m S c h a l k s k n e c h t M t 1835 u n d i n der M a h n u n g , d e n zu f ü r c h t e n , d e r Seele u n d L e i b i n der Gehenna v e r n i c h t e n k a n n Mt 1028 L k 125. W e n n k e i n e s der u n s e r h a l t e n e n s y n o p t i s c h e n W o r t e J e s u v o m Gericht die Niederw e r f u n g d ä m o n i s c h e r u n d s a t a n i s c h e r E n g e l m ä c h t e i n A u s s i c h t stellt, obgleich doch J e s u s sein W i r k e n als K a m p f gegen den S a t a n g e d a c h t h a t Mt 4 i — n 1228 L k 10i7f, so b i e t e t hier J o h 1231: „ J e t z t w i r d der F ü r s t dieser W e l t h i n a u s g e w o r f e n w e r d e n " , J o h 1430 1 6 n die n o t w e n d i g e E r g ä n z u n g . A u c h bei P a u l u s u n d i n der A p o k a l y p s e w e r d e n w i r diesen G e d a n k e n e n t w i c k e l t f i n d e n . Der A n s p r u c h J e s u , z u m W e l t r i c h t e r a m t b e r u f e n zu sein, k a n n n u r d a d u r c h erk l ä r t w e r d e n , d a ß J e s u s i n voller E i n h e i t des W e s e n s m i t Gott s t a n d . E r t r u g die Norm alles Gotteswillens in sich selbst. Er w u ß t e , d a ß so, w i e er w a r , die Menschheit w e r d e n sollte, u n d d a ß er als Messiaskönig Gottes W i l l e n zur H e r r s c h a f t zu b r i n g e n u n d d u r c h z u f ü h r e n h a t t e . D a h e r k o n n t e er denen, die a u s ähnlicher L i e b e s g e s i n n u n g w i e er h a n d e l n , die A n n a h m e i m Gericht v e r h e i ß e n , a b e r a u c h d e m u n b u ß f e r t i g e n u n d h a r t h e r z i g e n S i n n V e r w e r f u n g u n d S t r a f e i n A u s s i c h t stellen. So i s t er in seinem W e s e n der M a ß s t a b des Gerichts, u n d d a s V e r h ä l t n i s der Menschen zu i h m ist e n t scheidend f ü r i h r e A n n a h m e oder V e r w e r f u n g . D a h e r l i e g t k e i n e sachliche Differenz v o r , m a g J e s u s sich selbst als W e l t r i c h t e r h i n s t e l l e n oder Gott als den R i c h t e r schlechthin, oder a b e r Gott, der d a s Urteil ü b e r d e n Menschen n a c h J e s u Zeugnis f ä l l t . A u c h i m Gericht ist J e s u s der Offenbarer Gottes. D a s sind a b e r G e d a n k e n ,
Das Gericht
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die wiederum klar und deutlich bei Johannes ausgesprochen werden. Joh 5i9ff sagt Jesus von sich, daß er nichts von sich selbst tun könne, wenn er es nicht den Vater tun sehe. Was jener tut, das tut auch der Sohn in gleicher Weise. Darum hat auch der Vater dem Sohn das ganze Gericht übertragen. Darum muß der Sohn geehrt werden wie der Vater geehrt wird. Darum ist sein Gericht gerecht, weil er nichts anderes als Gottes Willen sucht, vgl. Joh 3i7ff. Für Jesus ist es kein Anstoß — wie innerhalb der urchristlichen Gemeinde —, daß Menschen vor seiner Wiederkunft sterben. Um des Evangeliums willen wird der Bruder den Bruder, der Vater den Sohn, Kinder die Eltern töten Mt 1021, die Zeit der letzten Drangsal wird vielen den Tod bringen Mt 246ff 21 f, vgl auch Mt 1028 1624f. Das irdische Leben war für Jesus kein hochzuschätzendes Gut. In der Auferstehung und im Gericht wird über den Menschen entschieden. Es werden alle in den Gräbern die Stimme des Sohnes Gottes hören, und es werden hervorgehen, die das Gute getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die das Böse getan haben, zur Auferstehung des Gerichts Joh 528f 639f. Die einen werden eingehen ins Leben, die andern zu ewiger Bestrafung verdammt werden Mt 2546, in das ewige Feuer, das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist 41, „wo ihr Wurm nicht stirbt und ihr Feuer nicht verlöscht" Mk 948, vgl Mt 1122 24. Die Nineviten und die Königin des Südens werden auferstehen in der Gerichtszeit mit dem Geschlecht, welches Jesus verworfen hat, und werden wider dies Geschlecht zeugen Mt 1241 f.
II. T e i l
Die theologischen Anschauungen der Urgemeinde CWeizsäcker, Das apostolische Zeitalter der christlichen Kirche, 31901. EvDobschütz, Die u r christlichen Gemeinden, 1902. Ders., Probleme des apostolischen Zeitalters, 1904. RKnopf, Das nachapostolische Zeitalter, 1905. AvHarnack, Die Apostelgeschichte, 1908. Ders., Neue Untersuchungen zur Apostelgeschichte, 1911. GKlein, Der älteste christliche Katechismus und die jüdische Propagandaliteratur, 1909. ENorden, Agnostos Theos, 21929. JWeiß, Das Urchristentum I 1914, S 1 — 102. WBousset, Kyrios Christos, '1913, 41935 und dazu PAlthaus, Unser Herr Jesus, NkZ 1915, S 4 3 9 - 4 5 7 , 5 1 3 - 5 4 5 . PWernle, ZThK 1915, S 1 - 9 2 WHeitmüller, ebenda S 156 — 179. WBousset, Jesus der Herr, 1916. EMeyer, Ursprung und Anfänge des Christentums I I I , 1923. KLSchmidt, Die Stellung des Apostels Paulus im Urchristentum, 1924. WFoerster, Herr ist Jesus, 1924. KGGoetz, Petrus, 1927. GHoelscher, Urgemeinde und Spätjudentum, 1928. WMichaelis, Täufer, Jesus, Urgemeinde, 1928. ELohmeyer, Kyrios Jesus, 1928. CFabricius, Abba und Maranatha, Urbekenntnisse der Christenheit, Festschrift für RSeeberg, I, 1929. WGraf Baudissin, Kyrios als Gottesname im Judentum und seine Stellung in der Religionsgeschichte, I—IV, 1929. BHStreeter, The Primitive Church, 1929. KKundsin, Das Christentum im Licht der Evangelienforschung, 1929. EvDobschütz, XVQIOS 'Irjaovt, ZNW 30, 1931, S 97 — 123. FJackson und KLake, The Beginnings of Christianity I—V, 1920 — 1933. BHStreeter, The Rise of Christianity, Cambride Ancient History X I , 1936. MacKinley Helen, After Pentecost. A history of Cflristian ideas and institutions from Peter and Paul to Ignatius of Antioch, 1936. WStaerk, Der eschatologische Mythus in der altchristlichen Theologie, 35,1936, S 83ff. ELohmeyer, Galiläa und Jerusalem, 1936. JKMozley, The Beginnings of Christian Theology, 1936. HLietzmann, Geschichte der alten Kirche I, 21937. CHDodd, The Apostolic Preaching and its Developments, 1937, 21945. KKarner, Die Stellung des Apostels Paulus im Urchristentum, ZSTh 1937, S 142 bis 193. KWeiß, Urchristentum und Geschichte in der ntlichen Theologie seit der Jahrhundertwende, 1939. RAsting, Die Verkündigung des Wortes im Urchristentum, 1939. JGewieß, Die urapostolische Heilsverkündigung nach der Apostelgeschichte, 1939. EArnold, The early Christians, 1939. WKLClarke, The Störy of Christ and the early church, 1939. WGKümmel, Kirchenbegriff und Geschichtsbewußtsein in der Urgemeinde und bei Jesus, 1943. MBarth, Der Augenzeuge. Eine Untersuchung über die Wahrnehmung des Menschensohnes durch die Apostel, 1946. — Übersichten über den Stand der Diskussion und Forschungsberichte bei OLinton, Das Problem der Urkirche in der neuesten Forschung, 1932. HWindisch, Urchristentum ThR5, 1933, S 186 bis 200, 2 3 9 - 2 5 8 , 2 8 9 - 3 0 1 , 3 1 9 - 3 3 4 . WGKümmel, Das Urchristentum, ThR 14, 1942, S 61 bis 95, 1 5 5 - 1 7 3 ; 1948, S 103-142. Weitere Literatur s. o. S 44 (Sohn Gottes), 68 (Reich Gottes und Kirche), 100 (Geist). W e n n m a n auch v o n einer Theologie der urchristlichen Gemeinde n i c h t sprechen kann, so sind doch J e s u Jünger auch in den Anfangszeiten des christlichen Glaubens nicht ohne theologische Gedanken u n d A n s c h a u u n g e n gewesen. Als J u d e n u n d als Jünger J e s u h a b e n sie über G o t t u n d Gottes fordernden und Gottes Heilswillen m i t seinem Volke und der Menschheit, über J e s u Person u n d Jesus als Bringer des Heils und K ö n i g des Reiches Gottes, über den heiligen Geist, den sie a m P f i n g s t f e s t e m p fangen h a t t e n , über die A u f g a b e der Messiasgemeinde, das christliche Leben, die christlichen Sakramente, die Vollendung des Reiches Gottes u n d die l e t z t e n D i n g e bestimmte Vorstellungen gehabt, u n d m a n darf getrost behaupten, d a ß diese theologischen A n s c h a u u n g e n der ältesten Gemeinde nicht nur die Grundlage aller weiteren theologischen E n t w i c k l u n g gewesen sind, sondern d a ß ein Teil dieser Vorstellungen festes Gut des g e s a m t e n ntlichen Glaubens geworden ist. Man k ö n n t e daher versucht sein, an die Darstellung des E v a n g e l i u m s die Darstellung des urchristlichen Gemeindeglaubens anzuschließen u n d d a n n erst die charakteristischen Ausprägungen folgen zu lassen, wie sie uns in Personen wie Paulus,,
Die Quellen
125
d e m V e r f a s s e r d e s H e b r ä e r b r i e f e s , J o h a n n e s u n d a n d e r e n e n t g e g e n t r e t e n v g l S 2. A b e r h i e r g e g e n s p r e c h e n d o c h z u große B e d e n k e n . E s i s t n i c h t d a s C h a r i s m a d e r j e r u s a l e m i s c h e n G e m e i n d e i n i h r e m ä l t e s t e n B e s t a n d gewesen, d e m N e u e n , w a s i n d e r Person u n d dem Wirken Jesu in ihre Mitte getreten war, gedankliche u n d theologische A u s p r ä g u n g zu g e b e n . D i e S c h ä t z e , die sie b e s a ß e n , h a t t e n sie v o r d e r h a n d u n a u s g e m ü n z t . J a , sie sind sich n i c h t e i n m a l voll b e w u ß t gewesen, wie g r o ß u n d weitreichend das war, was Jesus ihnen gegeben h a t t e . E r s t im Verlauf der Auseina n d e r s e t z u n g m i t i h r e n u n g l ä u b i g e n V o l k s g e n o s s e n u n d u n t e r d e m Z w a n g e , d e n die D a r b i e t u n g d e s E v a n g e l i u m s a n die g e b i l d e t e H e i d e n w e l t a u s ü b t e , ist die t h e o l o g i s c h e A u s g e s t a l t u n g d e s I n h a l t s d e r c h r i s t l i c h e n R e l i g i o n e r f o l g t . W i r s e h e n in d e r ä l t e s t e n G e m e i n d e v e r s c h i e d e n e u n d a u c h v e r s c h i e d e n a r t i g e A n s ä t z e , a b e r sie w e r d e n z u n ä c h s t nicht ausgebildet. D a h e r i s t es f ü r u n s d e r g e b o t e n e W e g , d a ß w i r z u n ä c h s t die t h e o l o g i s c h e n Ged a n k e n der ältesten Gemeinde in ihren neuen Ansätzen u n d in ihrer Unfertigkeit zur D a r s t e l l u n g b r i n g e n u n d d a n n die u n s g r e i f b a r e n n t l i c h e n A u s p r ä g u n g e n f o l g e n l a s s e n . W i r e m p f i n d e n allerdings d a b e i e i n e n gewissen M a n g e l . D e n n wir f o l g e n d e n n t l i c h e n Quellen, diese a b e r b i e t e n n u r e i n e n A u s s c h n i t t a u s d e m j e n i g e n d a r , w a s d a s j u n g e E v a n g e l i u m a n religiösen u n d t h e o l o g i s c h e n G e s t a l t u n g e n s c h u f . W i r k e n n e n die T h e o l o g i e d e r j e r u s a l e m i s c h e n G e m e i n d e bis zu e i n e m gewissen G r a d e , a b e r ü b e r die E i g e n a r t des G l a u b e n s i n A n t i o c h i e n wissen w i r f a s t n i c h t s . G a n z i m D u n k e l n b l e i b e n w i r ü b e r C h r i s t e n t u m u n d Theologie in Ä g y p t e n , O s t s y r i e n , T e i l e n v o n K l e i n a s i e n u n d a n d e r e n G e g e n d e n , w o h i n d e r G l a u b e f r ü h z e i t i g k a m . E s h a t gewiß a u c h i n n e r h a l b des J u d e n c h r i s t e n t u m s ü b e r die u n s b e k a n n t e n A b s c h a t t i e r u n g e n h i n a u s n o c h w e i t e r e g e g e b e n . I s t u n s d o c h s o g a r ü b e r die t h e o l o g i s c h e E i g e n a r t des A p o l l o s n u r w e n i g , ü b e r die d e s B a r n a b a s so g u t wie n i c h t s b e k a n n t . U n d d a s H e i d e n c h r i s t e n t u m w i r d u n s g r e i f b a r erst in d e r h i s t o r i s c h e n G e s t a l t d e s P a u l u s , w ä h r e n d es d o c h s c h o n vor Paulus Heidenchristen gegeben h a t u n d der Glaube der ältesten Heidenchristen g e w i ß n a c h G e s c h i c h t e , religiöser E r z i e h u n g , B i l d u n g , V o l k s t u m u s w m a n n i g f a c h e Verschiedenheiten gehabt haben wird. W i r m ü s s e n u n s b e s c h e i d e n , in diesen D i n g e n n i c h t viel ü b e r die n t l i c h e Ü b e r l i e f e r u n g h i n a u s z u k o m m e n , k ö n n e n a b e r allerdings a u c h s c h o n b e i d i e s e m b e s c h r ä n k t e n geschichtlichen Material mancherlei feststellen.
1. Die Quellen D a s Q u e l l e n m a t e r i a l f ü r die A n s c h a u u n g e n d e r U r g e m e i n d e i s t z w a r n i c h t bes o n d e r s r e i c h h a l t i g , a b e r es i s t a u s r e i c h e n d , u m ein w a h r s c h e i n l i c h e s Bild zu z e i c h n e n . F r ü h e r h a t m a n den Jakobus- u n d ersten Petrusbrief in unsere Periode eingereiht. A b e r es b e s t e h e n die s c h w e r w i e g e n d s t e n G r ü n d e , w e l c h e z w i n g e n , diese S c h r i f t e n n i c h t v o r d e n sechziger J a h r e n ( u n d d e n J a k o b u s b r i e f w a h r s c h e i n l i c h w e s e n t l i c h s p ä t e r ) v e r f a ß t zu d e n k e n (vgl die E i n l e i t u n g e n i n d a s N T v o n J ü l i c h e r - F a s c h e r 7 u . a . z u m T h e m a , sowie z u l e t z t die K o n t r o v e r s e G K i t t e l - K A l a n d , Z N W 41, 1942, 7 1 f f ; T h L Z 69, 1944, 9 7 f f ) . W i r e n t n e h m e n d a s M a t e r i a l d e n e r s t e n zwölf K a p i t e l n d e r Apostelgeschichte, hauptsächlich den P e t r u s r e d e n u n d der Rede des S t e p h a n u s , f e r n e r d e n P a u l u s b r i e f e n , i n d e n e n a n m e h r e r e n Stellen a u f d e n G e m e i n d e g l a u b e n Bezug genommen wird, den Paulus vorfand, endlich den synoptischen Evangelien, a u s d e r e n Ü b e r l i e f e r u n g sich a u c h Schlüsse a u f die t h e o l o g i s c h e n G e d a n k e n d e r U r gemeinde ziehen lassen.
2. Das Leben der ältesten Gemeinde FKattenbusch, Die Vorzugsstellung des Petrus und der Charakter der Urgemeinde in Jerusalem, Festgabe für Karl Müller, 1922, S 322 — 351. WBauer, Der Wortgottesdienst der ältesten Christen, 1930. KHRengstorf, Apostolat und Predigtamt, 1934. WBauer, Rechtgläubigkeit und Ketzerei im ältesten Christentum, 1934. JLeipoldt, Der Gottesdienst der ältesten Kirche, 1937. JMNielen, Gebet und Gottesdienst im NT, 1937. ELohmeyer, Kultus und Evangelium, 1942. OCullmann, Urchristentum und Gottesdienst, 1944. CWDugmore, The Influence of the Synagogue upon the Divine Office, 1944. D i e P h a r i s ä e r u n d S c h r i f t g e l e h r t e n h a t t e n es b a l d g e f ü h l t , d a ß in J e s u P e r s o n u n d W i r k e n e t w a s N e u e s , d a s J u d e n t u m S p r e n g e n d e s l a g . D a r u m h a b e n sie J e s u s
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Die theologischen Anschauungen der Urgemeinde
v e r f o l g t u n d g e k r e u z i g t . D i e A p o s t e l h a b e n k e i n e n so s c h a r f e n Blick b e s e s s e n . A l s J ü n g e r i h r e s H e r r n h a b e n sie sich a u f d e m B o d e n d e s J u d e n t u m s n a c h wie v o r b e i misch gefühlt, u n d den Versuchen, das Christentum u n t e r B e r u f u n g auf J e s u s aus d e r Fessel d e s J u d e n t u m s zu lösen u n d i h m eine u n i v e r s a l i s t i s c h e G e s t a l t zu g e b e n , h a b e n sie e n e r g i s c h e n W i d e r s t a n d e n t g e g e n g e s e t z t . D i e J ü n g e r g e m e i n d e h a t sich n a c h J e s u T o d e als j ü d i s c h e S e k t e o r g a n i s i e r t . E s u n t e r s c h i e d sie i m G r u n d e v o n i h r e n V o l k s genossen n u r d e r G l a u b e , d a ß J e s u s d e r Messias sei. W i r w i s s e n e r s t a u s d e m J a k o b u s b r i e f , d a ß die F o r d e r u n g d e r G e r e c h t i g k e i t , w i e sie J e s u s e r h o b e n h a t t e , also die I n n e r l i c h k e i t d e r S t e l l u n g z u m Gesetz, i n d e r U r g e m e i n d e l e b e n d i g g e b l i e b e n i s t . I n d e r ä l t e s t e n Z e i t a b e r f i n d e n sich d a f ü r k e i n e f ü r u n s n a c h w e i s b a r e n S p u r e n . D e n n m i t d e r F o r d e r u n g dieser n e u e n , b e s s e r e n G e r e c h t i g k e i t g i n g b e i J e s u s H a n d i n H a n d eine gewisse G l e i c h g ü l t i g k e i t gegen die z e r e m o n i a l e u n d k u l t i s c h e Seite d e s G e s e t z e s . W i r s e h e n a b e r g e r a d e : als S t e p h a n u s u n d die H e l l e n i s t e n diese a n die P r o p h e t e n d e s A T s a n k n ü p f e n d e V e r k ü n d i g u n g J e s u i n d e n V o r d e r g r u n d s c h o b e n , e r h o b sich d a g e g e n v o n Seiten d e r H e b r ä e r , d . h . d e r a r a m ä i s c h r e d e n d e n J u d e n c h r i s t e n , W i d e r s p r u c h . D a s Bild, w e l c h e s die A p o s t e l g e s c h i c h t e v o n d e m religiösen L e b e n d e r U r g e m e i n d e e n t w i r f t , zeigt die J ü n g e r als s t r e n g e B e o b a c h t e r d e r gesetzlichen O r d n u n g . I n e i n e m S e i t e n g e b ä u d e des T e m p e l s f i n d e n w i r sie a m P f i n g s t t a g v e r s a m m e l t 22 v g l m i t 6, i m T e m p e l t r a t e n sie l e h r e n d a u f , 2 i * f f 52of 25 42, z u r v o r g e s c h r i e b e n e n j ü d i s c h e n G e b e t s s t u n d e g e h e n P e t r u s u n d J o h a n n e s z u m T e m p e l h i n a u f 3 l , a u c h s o n s t w i r d ber i c h t e t , d a ß P e t r u s die j ü d i s c h e n G e b e t s s t u n d e n e i n g e h a l t e n h a b e 109 30. A u s d r ü c k lich v e r w a h r t sich P e t r u s d a g e g e n , j e m a l s e t w a s U n r e i n e s u n d V e r b o t e n e s gegessen zu h a b e n 10i4. A u f d e m A p o s t e l k o n z i l k o m m t d e r j e r u s a l e m i s c h e n G e m e i n d e g a r n i c h t d e r G e d a n k e , d a ß die J u d e n c h r i s t e n v o n d e r B e s c h n e i d u n g u n d d e m m o s a i s c h e n Gesetz a b g e h e n k ö n n t e n , u n d w e n n u m die M i t t e d e r f ü n f z i g e r J a h r e J a k o b u s d e m P a u l u s g e g e n ü b e r d a r a u f v e r w e i s e n k o n n t e , d a ß alle J u d e n c h r i s t e n i n J e r u s a l e m E i f e r e r u m d a s Gesetz seien (navreg t,rjXanai rov vöfiov vndQyjjvoiv 2l2o), u n d P a u l u s m i t R ü c k s i c h t a u f diese E i f e r e r a u c h seinerseits l e v i t i s c h e O p f e r d a r z u b r i n g e n sich e n t s c h l i e ß t 2126, so l ä ß t sich d e r sichere S c h l u ß z i e h e n , d a ß die U r g e m e i n d e es v o n Anfang an nicht anders gehalten hat. Die ziemlich u n g e s t ö r t e D u l d u n g , d e r e n sich die J ü n g e r g e m e i n d e i n d e n e r s t e n J a h r e n i h r e s B e s t e h e n s zu e r f r e u e n h a t t e , e r f ä h r t eine j ä h e U n t e r b r e c h u n g , s o b a l d d e r V o r w u r f e r h o b e n w i r d , d a ß sich i n i h r e r M i t t e E l e m e n t e b e f i n d e n , w e l c h e d a s m o s a i s c h e Gesetz u n d d e n T e m p e l k u l t a n g r e i f e n K a p 6 7. H a b e n sich d o c h s o g a r e h e m a l i g e P h a r i s ä e r d e r c h r i s t l i c h e n G e m e i n d e a n g e s c h l o s s e n 155. U n d m a g i m m e r h i n d a s B i l d , welches H e g e s i p p bei E u s e b i u s K G I I 23 v o n J a k o b u s , d e m B r u d e r des H e r r n , e n t w i r f t , l e g e n d e n h a f t a u s g e s c h m ü c k t s e i n 1 , a u c h a u s Gal 2 u n d A p g 1 5 ist k l a r e r s i c h t l i c h , d a ß J a k o b u s , d e r f r ü h z e i t i g d a s H a u p t d e r j e r u s a l e m i s c h e n G e m e i n d e w u r d e , ein b e s o n d e r s gesetzeseifriger J u d e a u c h n a c h seiner B e k e h r u n g geb l i e b e n i s t . D a h e r h a b e n w i r u n s die ä l t e s t e J ü n g e r g e m e i n d e n a c h A r t a u c h a n d e r e r religiöser B r u d e r s c h a f t e n i n n e r h a l b d e s J u d e n t u m s , wie d e r E s s e n e r , - o d e r P a r t e i e n , , wie d e r Z e l o t e n , zu d e n k e n , die a u c h i m w e s e n t l i c h e n u n a n g e f o c h t e n i n d e r M i t t e i h r e s Volkes l e b t e n . N e b e n d e r s t r e n g e n G e s e t z l i c h k e i t c h a r a k t e r i s i e r t die ä l t e s t e G e m e i n d e a b e r n o c h ein Z w e i t e s , w a s u n s z e i g t , d a ß gesetzliches W e s e n e b e n d o c h n i c h t d a s e i g e n t l i c h e Merkmal der J ü n g e r gewesen ist: das ist der Glaubens- u n d B e k e n n e r m u t der J ü n g e r . D i e a r m e n galiläischen F i s c h e r e r f ü l l e n die H a u p t s t a d t d e s L a n d e s m i t e i n e r P r e d i g t , v o n d e r k e i n e M a c h t d e r E r d e sie a b b r i n g e n k a n n , u m d e r e n t w i l l e n sie a u c h willig Ver1 Hegesipp erzählt: „Es übernimmt aber die Kirche mit den Aposteln der Bruder des Herrn Jakobus, der von allen der Gerechte genannt wurde, von den Zeiten des Herrn bis auch auf uns. Denn es gab viele namens Jakobus. Dieser aber war von Mutterleibe an heilig. Wein und berauschende Getränke trank er nicht, und auch nicht aß er Beseeltes. Ein Schermesser kam nicht auf sein Haupt, mit Öl salbte er sich nicht, und ein Bad benutzte er nicht. Dieser allein durfte in das Heiligtum eintreten. Denn er trug auch nicht Wolle, sondern Leinen. Und allein ging er in den Tempel und wurde gefunden auf den Knien liegend und um Vergebung für das Volk bittend, so daß die Haut seiner Kniee wie Kamelshaut zusammengeschrumpft und verdickt war, weil er immer kniete, Gott bittend, und Vergebung für das Volk erflehte. Wegen des Übermaßes seiner Gerechtigkeit wurde er der Gerechte und Oblias genannt, was auf griechisch heißt Überschwang des Volkes und Gerechtigkeit, wie die Propheten über ihn kundtun".
D a s Leben der ältesten Gemeinde
127
folgung leiden und Märtyrer werden. Sie tragen eine neue Kraft in sich, die sich als Enthusiasmus in ihnen auswirkt und doch weit mehr ist als Enthusiasmus. Das begeisterte Reden am Pfingstfest, das ekstatische Beten 424—31 und ähnliche Erscheinungen auf die Verkündigung des Evangeliums hin, 1044 ff, sind doch nur eine Seite. Die Jünger bilden auch eine Bruderschaft, in welcher etwas v o m Geiste Jesu und der v o n ihm geforderten Herzensgesinnung fortlebt. Wir brauchen die Nachricht der Apostelgeschichte, daß das Volk eine gewisse Scheu und Verehrung vor der Jüngergemeinde gehabt habe 421 5i3 26, keineswegs in das Bereich der Legende zu verweisen. D e n n es geht aus der Darstellung dieses Buches deutlich hervor, daß in dem Leben und dem Zusammenleben der jungen Christenschar in der Tat etwas Neues, Unerhörtes in die Wirklichkeit getreten ist. Die Einmütigkeit, der Brudersinn, die Hilfsund Dienstbereitschaft, die Opferwilligkeit, der Zusammenschluß in Gebet und Liebesmahlen ist aus dem Geiste der Forderung Jesu geboren. Was in der Stellung der ältesten Jünger zum Gesetz zu vermissen war, das haben sie in ihrem christlichen Gemeinschaftsleben verwirklicht. Wir hören nicht ausdrücklich, daß Befehle und Gebote Jesu die Grundlage dieses Lebens gewesen seien. Die ganze Lebensgemeinschaft, in der die Jünger Jahre lang mit ihrem Herrn gestanden hatten, die lebendige Erinnerung an sein Lehren und Tun, wirkte sich nun in ihnen aus. Dies alles wurde erst jetzt in ihnen zur neuen Lebensmacht. Erst rückschauend erkannten sie ganz, wer ihr Herr und Meister gewesen war. Seine Göttlichkeit und die Hoheit seiner Willensforderung ging ihnen erst voll auf, als er persönlich nicht mehr in ihrer Mitte war. So ist die Person Jesu doch das eigentlich Treibende und Belebende innerhalb der ältesten Jüngerschaft gewesen. 3. Die Christusverkttndigung V g l d i e L i t e r a t u r a n g a b e n z u B e g i n n d e s I I . T e i l e s , S 124.
Dies neue Licht, der strahlende. Glanz fiel auf die Person Jesu v o n seiner Auferstehung aus. Die Darstellung der urapostolischen Christologie kann keinen andern Ausgangspunkt nehmen. Von der Auferstehung Jesu aus ordnen sich im Geiste der Jünger alle Erinnerungen an die Person und das messianische Wirken ihres Meisters, v o n hier aus gestaltet sich erst das Gesamtbild der Person Jesu, wie es seitdem in der Kirche überliefert und geglaubt wird. Alle P e t r u s r e d e n d e s e r s t e n T e i l e s d e r A p o s t e l g e s c h i c h t e (214—36 312—26 4s—12 529—32 1034 — 43) h e b e n i n g a n z v e r w a n d t e r W e i s e h e r v o r , d a ß J e s u s , d e r i m V o l k I s r a e l a u f g e t r e t e n w a r , v o n d e n J u d e n g e t ö t e t , v o n G o t t a b e r a u f e r w e c k t w o r d e n sei. G o t t h a t d i e W e h e n d e s T o d e s g e l ö s t u n d i h n a u f e r w e c k t , d a es n i c h t m ö g l i c h w a r , d a ß J e s u s v o m T o d e g e f e s s e l t w e r d e n k o n n t e 224. „ D e r G o t t A b r a h a m s , I s a a k s u n d J a k o b s , d e r G o t t u n s e r e r V ä t e r , h a t s e i n e n K n e c h t J e s u s v e r h e r r l i c h t , d e n i h r ü b e r g e b e n u n d v o r P i l a t u s v e r l e u g n e t h a b t " 313 v g l 4io 530 1040. F ü r diese T a t s a c h e t r e t e n die J ü n g e r i n s g e s a m t als Z e u g e n a u f 232 315 532, d e n n v o r i h n e n i s t e r als d e r A u f e r s t a n d e n e s i c h t b a r g e w o r d e n 1041. A b e r n i c h t diese v o n G o t t a n d e r P e r s o n J e s u v o l l z o g e n e M a c h t t a t a n sich ist f ü r die A p o s t e l v o n B e d e u t u n g , s o n d e r n d e r d a r i n l i e g e n d e E r w e i s , d a ß e r d o c h , u n d d a ß e r w i r k l i c h d e r Messias sei. S e i n e A u f e r s t e h u n g ist die o f f e n k u n d i g e E r k l ä r u n g G o t t e s , d a ß d i e s e r J e s u s i n a l l e m s e i n e m b i s h e r i g e n T u n e i n s c h l i e ß l i c h seines T o d e s G o t t e s W i l l e n v o l l z o g e n h a b e . D i e J u d e n h a b e n i h n v e r w o r f e n , v e r l e u g n e t u n d „ a n s H o l z geh ä n g t " 530 1 039. A b e r d i e s e r v o n d e n B a u l e u t e n v e r w o r f e n e S t e i n i s t z u m E c k s t e i n g e w o r d e n 4 i l . G o t t h a t J e s u s z u s e i n e r R e c h t e n e r h ö h t 2 i 3 f f 531 755f, a l s o i h n m i t g ö t t l i c h e r M a c h t u n d H e r r l i c h k e i t u m k l e i d e t . J e s u s ist d e r F ü r s t d e s L e b e n s 315, e r h a t v o n G o t t d i e M a c h t e r h a l t e n , d i e V e r h e i ß u n g des heiligen Geistes zu verwirklichen. D a h e r h a t er auf die Seinigen d e n Geist ausg e g o s s e n u n d sie so z u r f r e u d i g e n u n d m a c h t v o l l e n V e r k ü n d i g u n g d e s E v a n g e l i u m s f ä h i g gem a c h t 233. A u c h a n d e n M a c h t w i r k u n g e n , w e l c h e d u r c h seine J ü n g e r in s e i n e m N a m e n ges c h e h e n , i s t seine W ü r d e s t e l l u n g e r s i c h t l i c h 3 i 2 f f . D a s g a n z e H a u s I s r a e l k a n n d a h e r m i t S i c h e r h e i t e r k e n n e n , d a ß G o t t i h n z u m H e r r n u n d Messias g e m a c h t h a t (äo%ovtes vfiwp) 317. Sie sind Werkzeuge des göttlichen Ratschlusses gewesen, der es bestimmt u n d durch die Propheten vorherverkündigt hatte, daß Jesus durch die Hände Gottloser in deu Tod dahingegeben werden sollte 223 3l8. Dies aus der Apostelgeschichte gewonnene Bild von der ältesten Christusverkündigung wird durch Paulus bestätigt, ja, aus Paulus gewinnen wir sogar einzelne ergänzende Züge. Auch Paulus legt nach I Kor 15l —11 großen Nachdruck auf die Auferstehung Jesu als die Grundlage alles Christenglaubens. In diesem Zusammenhang überragt bei Paulus die Bedeutung der Auferstehung sogar die des Todes Jesu, der nur 3 erwähnt wird, während sich der Apostel ausführlich über die Erscheinungen des Auferstandenen ausspricht. Ferner sagt Paulus 14: „Ist Christus nicht auferweckt, so ist eitel unsere Verkündigung, eitel auch euer Glaube". Paulus beruft sich aber hier auch ausdrücklich auf seine Ubereinstimmung mit den Uraposteln in diesen „ H a u p t stücken" der evangelischen Überlieferung, die er ebenso weitergegeben, wie er sie empfangen hat 3. Er und jene, die Urapostel, verkündigen, wie er es 3—8 geschildert hat, und dies ist die Grundlage des christlichen Glaubens. Auch nach Paulus war Jesus Davidide Rom 13. Sein Leben war das eines Sündlosen I I Kor 521, der Geist der Heiligkeit erfüllte ihn Rom I i. Den Gehorsam gegen Gottes Willen in Jesu Berufserfüllung hebt Paulus mehrfach hervor, und zwar nicht nur im Todesleiden, sondern ausdrücklich auch in seinem irdischen Wirken Phil 28 „gehorsam bis zum Tode", ferner Rom 153 und gewiß auch Rom 515 I8f. Denn die Parallele zwischen Adam und Christus kann man sich nur unter der Voraussetzung vorstellen, daß auch in Christi Leben die aktive Gerechtigkeit, das Gegenteil des Handelns Adams, hervortrete. Das ganze Leben Christi, einschließlich seines Todes, wird hier von Paulus ähnlich wie Phil 28 als Gehorsamstat gedacht. Es tritt also ganz deutlich als vorbildliches heraus. Und die Worte Jesu erscheinen bereits bei Paulus als Richtschnur wie des apostolischen Glaubens I Thess 415, so auch des sittlichen Verhaltens I Kor 710 vgl 25 914. Christi Nachahmer zu werden, ist des Paulus Bestreben, und dazu fordert er auch seine Gemeinden auf I Kor I i i . In Christi Tun aber findet der Apostel Gottes T u n verwirklicht. Dies alles hat Paulus aus der Urgemeinde. Diese Bestandteile gehören zur ältesten Christusvorstellung.
4. Die Entstehung des Christusglaubcns D i e E n t s t e h u n g des Glaubens an den göttlichen Christus wird überall da als eins der schwierigsten theologischen Probleme e m p f u n d e n , w o m a n den historischen J e s u s — falls m a n seine Gestalt n i c h t i m Nebel mythischer oder soziologischer oder s y m b o listischer Ideen verschwinden läßt — nur m i t M e n s c h e n m a ß m i ß t . E s k a n n j a a u c h n i c h t anders sein. D e n n w i e soll es begreiflich g e m a c h t werden, daß i m Zeitraum v o n w e n i g e n Jahren ein Mensch, den äußerlich weder hohe Stellung, noch sonstige irdische Vorzüge ausgezeichnet h a t t e n , u n d der den Verbrechertod a m Kreuz gestorben w a r , v o n seinen Jüngern m i t göttlichen Prädikaten umkleidet worden ist ? H a b e n d o c h 1 Für hohes Alter und frühzeitigen liturgischen Gebrauch des messianischen Titels itats &eov legen auch Zeugnis ab die Abendmahlsgebete der Did 92 f 102 f, das römische Gemeindegebet I Klem 592 3 4, das Gebet im Martyrium des Polykarp 14l 3 und weitere Überlieferungen auch aus dem späteren Judenchristentum (Ebioniten und Nazaräer), Bousset, Kyrios Christos 2 S 56f. Dann werden wir aber den frühesten Gebrauch dieses Titels nicht in hellenistischen, sondern in der judenchristlich-palästinensischen Gemeinde zu suchen haben. F e i n e : Theologie. 8. Aufl.
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Die theologischen Anschauungen der Urgemeinde
die Christusgläubigen diesen Jesus, ihren Herrn, zur Rechten Gottes erhöht gedacht und Sündenvergebung, die K r a f t göttlichen Lebens und Errettung für Zeit und Ewigkeit von seiner Person abgeleitet. Die gesamte Geschichte der menschheitlichen Religionen bietet keine einzige Analogie zu diesem geschichtlichen Vorgang. Wrede hat, indem er an Gedanken aus der Baurschen Schule und der religionsgeschichtlichen Betrachtung anknüpft, Paulus als den eigentlichen Schöpfer der kirchlichen Christologie und Erlösungslehre betrachtet. Damit sprach er in scharf zugespitzter Weise Anschauungen aus, welche überall da irgendwie zugrunde liegen, wo man das geschichtliche Jesusbild für dasjenige eines einzigartigen Menschen hält, aber nicht für mehr. Unseres Erachtens fordert die ntliche Uberlieferung die Behauptung, daß die Jünger seit Pfingsten ihren Herrn als gottheitliche Person verehrt haben. Immerhin ist diese Schätzung klar und deutlich erst nach der Vollendung Jesu eingetreten. Daher hat man versucht, den Zeitpunkt, von dem an auf J e s u s gottheitliche Prädikate übertragen worden seien, anders zu bestimmen. Eine beliebte Lösung ist die, daß es doch die Christusmythologie des Paulus gewesen sei, welche das in seiner Einfachheit so große Jesusbild der drei ältesten Evangelien umgestaltet habe, wenn auch von der ältesten Gemeinde schon Ansätze nach dieser Richtung gemacht worden seien. Vorstellungen von Erlösergottheiten, wie sie in damaligen synkretistischen Religionen geherrscht hatten, seien auf Jesus übertragen worden. Das Christusbild des Paulus sei eine Zusammenlegung des geschichtlichen Jesus und zeitgeschichtlicher Mythenbildungen. Neuerdings werden auch die kultische Verehrung Jesu und die christliche Sakramentsmystik als beachtenswerte Momente angesehen. Christuskult und Sakramentslehre sollen Entlehnungen aus dem damaligen Synkretismus sein, und damit sei das Neue gegeben. Wenn man Paulus als den eigentlichen Schöpfer der kirchlichen Christologie betrachtete, so konnte man darauf verweisen, daß er hellenistischer J u d e und kein direkter Jünger J e s u war. Daraus folgerte man, daß eine gewisse Spannung zwischen seiner und der urapostolischen Christologie geschichtlich nicht unwahrscheinlich sei. Immerhin empfand man, daß man den Übergang von den christologischen Gedanken der jerusalemischen Gemeinde, wenn diese doch auch noch in Jesus eine menschliche Person gesehen hätte, zu Paulus nicht glaubhaft machen konnte. L a g es aber nicht nahe, noch ein weiteres Zwischenglied einzuschieben und so den Entwicklungsprozeß zu dehnen ? Gab es doch frühzeitig ein Zentrum des christlichen Glaubens, welches überwiegend hellenistisch gewesen zu sein scheint — Antiochien. Zwar übersah man dabei, daß dies Zwischenglied für die Entstehung des paulinischen Christusbildes nicht werde in Frage kommen können, da der paulinische Christusglaube feststand, ehe der Apostel mit Antiochia in Beziehung trat. Denn in Auseinandersetzung mit der jerusalemischen Gemeinde hat sich des Paulus Christusglaube gebildet. Trotzdem begann man zu konstruieren: Jesu Verkündigung — Urgemeinde — hellenistisches Christentum (Antiochia, Damaskus, Tarsus) — Paulus. In so viele Einzelstufen zerlegt, konnte die urchristliche Christologie eher eine reiche Entwicklung durchgemacht haben. Die genannten Elemente sind von Bousset in der zum Teil schon (S 8) besprochenen Hypothese zusammengefaßt worden. Die Verkündigung J e s u enthält nach Bousset noch nicht die Ansätze des späteren Christusglaubens, j a Bousset läßt es fraglich bleiben, ob Jesus als Messias hat gelten wollen. Die jerusalemische Gemeinde vielmehr sei die Schöpferin des urchristlichen Messianismus, und zwar sei die Menschensohndogmatik ihre hauptsächlichste Bildung, welche von ihr in die evangelische Überlieferung zurückgetragen wurde. Sodann hat eine zweite Neubildung in der Christologie in den ersten hellenistischen Gemeinden stattgefunden. Dort sei der christliche Glaube unter dem Einfluß der hellenistischen Kyrioskulte zum Kyriosglauben und Kyrioskult geworden. So sei „aus dem zukünftigen Messias Jesus der als Kyrios seiner Gemeinde gegenwärtige Kultheros" geworden (Bousset 2S 90). Auf das Ganze gesehen, kranken die Bousset'sche Hypothese sowie verwandte Theorien an dem schweren Fehler, daß in die urchristliche Gemeinde treibende Motive von allerhöchster religiöser und geistesgeschichtlicher Bedeutung verlegt werden, und daß Paulus, der nichts sein wollte als der Knecht des gekreuzigten und auferstandenen Jesus, zum eigentlichen Schöpfer des weltbeherrschend gewordenen christlichen Glaubens gemacht wird. Vor der Bousset'schen Hypothese steht ein großes geschichtliches Fragezeichen, während unseres Erachtens alle Wahrschein-
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Die E n t s t e h u n g des Christusglaubens
lichkeit dahin weist, d a ß eine Person wie der in den Evangelien geschilderte Jesus der U r s p r u n g der religiösen Bewegung ist, deren Niederschlag wir in der ältesten Gemeinde u n d in P a u l u s greifen. Treten wir in die Einzelkritik ein, so ist die entscheidende Frage die, seit w a n n v o n J e s u s in der christlichen Gemeinde als dem Kyrios, dem H e r r n , gesprochen wird. D a r a u f gibt A n t w o r t der Abschluß der Petrusrede a m P f i n g s t f e s t : „ G o t t h a t ihn z u m H e r r n u n d Christus gem a c h t , diesen Jesus, den ihr gekreuzigt h a b t " Apg 236. E s ist ein verzweifeltes U n t e r n e h m e n Boussets, d u r c h kritische Operationen in diesem Vers gerade die entscheidenden W o r t e xal xigiov wie das sie stützende Zitat aus P s l 101 in 34 als später eingefügt hinzustellen. Die Benennung Jesu als „ K y r i o s " an dieser Stelle, u n d zwar vor Xqiarov, zeigt vielmehr, d a ß f ü r P e t r u s gerade die Herrscherstellung des auferstandenen Jesus das entscheidende Merkmal gewesen ist, Herrscherstellung im Sinne gottgleicher Würde, was m i t X y i o t ö s nicht ohne weiteres gegeben gewesen wäre. E b e n so sagt P e t r u s 1036 von Jesus, dem Auferstandenen: „dieser ist aller H e r r " . Aber weiterhin, m i t der Anwendung v o n P s 1101 auf Jesus ist P e t r u s Apg 234 nicht original, sondern er folgt d a m i t J e s u s selbst, welcher M t 2244 die Pharisäer m i t diesem messianisch gedeuteten Psalm auf das U n gereimte ihrer Messiaserwartung a u f m e r k s a m gemacht h a t , s. S 66 f . E s ist von geringer sachlicher Bedeutung, ob hier auf den L X X - T e x t mit xvgioe oder den hebräischen T e x t m i t adoni hingegriffen wird. J e s u s n i m m t m i t dem Hinweis auf Ps 110 aus seinem Selbstbewußtsein heraus gottgleiche W ü r d e als Messias in Anspruch, u n d zwar im religiösen Sinn (ei ovv z/avlS xaXci aixov xvoior 45), u n d diesen Anspruch sieht Petrus in der Auferstehung u n d Geistausgießung erfüllt. Mt 2244 liegt aber keine „ G e m e i n d e d o g m a t i k " vor, sondern gute historische Überlieferung. Die Bezeichnung J e s u als des Kyrios ist nicht hellenistische Schöpfung, sondern sie s t a m m t aus der jerusalemischen Gemeinde, die darin den Spuren J e s u folgt 1 . Ähnlich ist auch die Anschauung, welche P a u l u s R o m 14 v e r r ä t . Ferner ist das M a r a n a t h a ( „ H e r r , k o m m ! " ) I K o r 1622 ein Zeugnis f ü r f r ü h e n , u n d zwar palästinensischen Gebrauch des auf Jesus angewendeten Herrentitels. Hier begegnet er auch schon nicht m e h r prädikativ, sondern als Anrede. Diese Formel ist aber nicht im hellenistischen Antiochien, sondern in der aramäisch sprechenden Gemeinde zu Jerusalem entstanden. T h Z a h n , Einl. 3 I § 18 A n m 12 u n d doch wohl in der Nachfolge Zahns zieht a u c h Bousset ' S 103, obwohl er Z a h n nicht zitiert, zum geschichtlichen Verständnis des M a r a n a t h a die griechische Übersetzung dieses aramäischen Wortes a m Schlüsse der Apk 2220 u n d seine Verwendung in den Abendmahlsgebeten Did 105f heran. Hier h a t aber wahrscheinlich Zahn recht. Diese Abendmahlsgebete ents t a m m e n einem L a n d e , in dessen Christengemeinde die aramäische u n d die griechische Sprache nebeneinander hergingen, also Palästina. I s t die Didache nicht in Palästina v e r f a ß t , so liegt die Tatsache vor, d a ß diese palästinensischen Gebete m i t ihrem hosanna, m a r a n a t h a , amen eine gewisse Verbreitung über die Grenzen der jüdischen Christenheit Palästinas hinaus gefunden h a b e n . Gebraucht Paulus, der diese liturgischen W o r t e nicht in seine Gemeinden eingeführt h a t , I K o r 1622 m a r a n a t h a , so wird ein bestimmter Grund vorliegen. P a u l u s d ü r f t e d a n n d u r c h die Anwendung dieser Formel aus ihrer heimischen Liturgie palästinischen Christen, die n a c h K o r i n t h gekommen waren, andeuten, d a ß seine W a r n u n g ihnen gelte. D e n n die V e r m u t u n g Boussets, 2 S 84, die m a r a n a t h a - F o r m e l könne in Antiochia, D a m a s k u s oder a u c h Tarsus e n t s t a n d e n sein, h a t alle Wahrscheinlichkeit gegen sich. Der Titel Kyrios war also bereits in der palästinischen Gemeinde in Gebrauch, vgl a u c h Apg 759, u n d ist von d a zu den hellenistischen Gemeinden übergegangen, u m d o r t im Gegensatz zu damaligen Kyrioskulten in reicherem Maße auf J e s u s angewendet zu werden. Auch die E n t s t e h u n g des H e r r e n n a m e n s in der urchristlichen Gemeinde k a n n d u r c h a u s wahrscheinlich gemacht werden. Wie J e s u s Rabbi angeredet worden ist, so wahrscheinlich auch Mari. E s gibt eine Anzahl Stellen in den Evangelien, wo das xvgie nicht dem Bedenken späterer D o g m a t i k unterliegt, sondern n u r respektvolle Anrede Jesu ist, z. B . M t 86 1525 1715 1821 2622 Mk 728 L k 76 1841 J o h 4ll 113. Bemerkenswert ist auch M t 7 2 l f gegenüber der wohl weniger ursprünglichen Parallele L k 1325f. R a b b i wird u n t e r Beiseitelassung des Suffixes in unseren Evangelien d u r c h StSdaxaios, exiotdrijs u. a. wiedergegeben. So ist auch das v e r w a n d t e Mar, Maran auf J e s u s angewendet worden. Diesen Gebrauch v e r r ä t zwar nicht M t 237 f f , wohl aber J o h 1313; Ifiele fmvelte fie" 6 SiSdoxaXog xal O XVQIOS. Man h a t eben auch von Jesus, zunächst ohne eigentliche religiöse Nebenbeziehung, als dem „ H e r r n " gesprochen, Mt 213 Mk 113, einer Bezeichnung, die d a n n bei L k u n d J o h in größerem U m f a n g a u f t r i t t . Aus der prädikativen Verwendung des Kyriosnamens h a t sich d a n n infolge des Glaubens an Jesus, den zur R e c h t e n Gottes erhöhten H e r r n , auch die spezifisch religiöse Anrede „ H e r r " ( X V Q I S ) entwickelt. Der Gebrauch v o n „Christus" bietet insofern eine gewisse Verwandtschaft, als dies P r ä d i k a t nicht n u r auf J e s u s angewendet worden ist, sondern m a n auch von ihm als dem Christus gesprochen h a t , vgl M t 1 1 2 Mk 941. 1 Auch RSeebergs (S 3 0 f f ) Unterscheidung eines jüdischen Sprachgebrauchs v o n &eos als Schöpfergott u n d xvgioe v o n Gott als Richter u n d Weltregent, a n welch letzteren Gebrauch P a u l u s a n g e k n ü p f t h ä t t e , ist nicht h a l t b a r . I n des Paulus Sprachgebrauch zeugt schon I K o r 86 dagegen. 9*
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Die theologischen Anschauungen der Urgemeinde
D a s besondere Merkmal der Christen ist v o n allem A n f a n g an gewesen, daß sie „ d e n N a m e n J e s u a n r u f e n " , u n d zwar J e s u s als ihren H e r r n I K o r 12 A p g 221 759 914 21 R o m 10l2ff u s w , wie der N a m e J e s u in der T a u f e über ihnen genannt worden ist J a k 27 oder bei der T a u f e der N a m e J e s u angerufen wird A p g 2216 oder die T a u f e im N a m e n oder auf den Namen J e s u Christi erfolgt A p g 238 1048 I K o r 6ll u s w . Diese A n r u f u n g ist nicht im Sinne einer kultischen Verehrung zu denken — Bousset nennt J e s u s sehr wenig passend „ K u l t h e r o s " — sondern sie f o l g t aus der Herrscherstellung J e s u . Weil die Christen in J e s u s den gottgleichen Herrn erblicken, r u f e n sie ihn an. Die W i r k u n g s k r a f t des Namens J e s u beginnt wiederum bereits in der Zeit der irdischen B e r u f s t ä t i g k e i t J e s u . Hier kommen namentlich die Stellen der E v a n g e l i e n in B e t r a c h t , wo J e s u s v o n Dingen spricht, die „ i n seinem N a m e n " v o n den J ü n g e r n getan werden oder v o n ihnen zu leiden sind. I m N a m e n J e s u treiben sie Dämonen aus u n d tun Wunderwirkungen L k 1017 M k 938 oder werden sie gehaßt und verfolgt werden M t 5ll 1022. D a s setzt sich f o r t u n d steigert sich unter dem E i n f l u ß der Erhöhung Christi zur Rechten Gottes u n d der Sendung des Geistes A p g 36 47 10. Dieser N a m e ist der Grund des christlichen Heils A p g 4l2 und der I n h a l t der apostolischen Verkündigung A p g 417 f 528 927. D a r i n liegt nichts Zauberisches, auch nichts aus anderen zeitgeschichtlichen Vorstellungen auf J e s u s Übertragenes, sondern dieser Gebrauch erklärt sich restlos aus jüdischen u n d urchristlichen Voraussetzungen. A u c h die Verehrung Gottes wird dadurch nicht angetastet. Gott ist und bleibt der H e r r und Gebieter, wie ganz besonders aus dem urchristlichen Gebet A p g 424—30 ersehen werden kann. J e s u s tritt nicht etwa als zweiter Gott neben den Herrn des Himmels u n d der E r d e , sondern er ist sein Christus, sein K n e c h t , der aber an der göttlichen Macht und Würde Anteil erhalten hat. Hieraus k a n n ersehen werden, daß die Dinge gewiß nicht richtig dargestellt werden, wenn m a n J e s u s als den im K u l t u s verehrten Herrn seiner Gemeinde mit dem Titel „ K y r i o s Christos" ausgestattet denkt. Der K u l t u s ist erst die Folge der Herrenstellung J e s u , welche schon die palästinische Gemeinde gekannt u n d v e r k ü n d e t hat, u n d „ C h r i s t u s k u l t u s " ist eine unrichtige Bezeichnung der ältesten Verehrung J e s u . N a c h dem Gesagten können wir aber auch die L ö s u n g R S e e b e r g s nicht annehmen, die dieser n a c h mehrfachen früheren Äußerungen über diese F r a g e zuletzt in der S c h r i f t : „ D e r Ursprung des Christusglaubens" vorgetragen hat. Seeberg zufolge ist nach unserer evangelischen Überlieferung zu unterscheiden zwischen dem Menschen J e s u s u n d dem ihm bei der T a u f e verliehenen Geist. I n der Entstehung des Christusglaubens handle es sich um die Vereinigung dieser beiden oder u m den Moment, in dem diese Einigung sich verwirklicht. Seeberg v e r f o l g t diesen Werdegang in mehreren Entwicklungsstufen. Diese gnostisierende Hypothese k a n n schwerlich als wahrscheinlich betrachtet werden. Schon die Evangelien schildern nicht den Menschen J e s u s , der m i t dem Geist ausgestattet worden ist, sondern eine Person, die m i t dem Inhalt ihres L e b e n s zu Gott gehört und der der Geist als Berufsausrüstung verliehen ist. D a h e r k a n n v o n einer eigentlichen E n t w i c k l u n g des Christusglaubens innerhalb der Urgemeinde nicht die R e d e sein, sondern n u r d a v o n , seit w a n n und in welchem Maße die Göttlichkeit dieser Person erkannt u n d herausgearbeitet wird. D a s hat grundlegend bereits die jerusalemische, die vorpaulinische Gemeinde getan. Alles weitere ist n u r Ausgestaltung dieses urchristlichen Glaubens. J ü d i s c h e m D e n k e n , welches fest i m Monotheismus wurzelte, ist jeder Heroenk u l t u n d j e d e r K y r i o s k u l t z u w i d e r . V e r g ö t t l i c h t e n diese g a l i l ä i s c h e n F i s c h e r , w e l c h e n o c h v o r k u r z e m m i t J e s u s gegessen u n d g e t r u n k e n h a t t e n u n d m i t i h m a u f d e m g a l i l ä i s c h e n S e e g e f a h r e n w a r e n , i h r e n M e i s t e r J e s u s , so h a b e n sie z w i n g e n d e G r ü n d e d a f ü r g e h a b t , d a s g ö t t l i c h e W e s e n u n d die g ö t t l i c h e W i r k u n g dieser P e r s o n . H ä t t e n die J ü n g e r i n J e s u s n u r e i n e p r o p h e t i s c h e o d e r a u c h e i n e ü b e r p r o p h e t i s c h e P e r s ö n lichkeit erblickt, w ä r e er ihnen n u r d e r gewesen, welcher a u f seine irdische Niedrigkeit g e f l i s s e n t l i c h h i n g e w i e s e n h ä t t e , wie h ä t t e n sie i h n n a c h seiner A u f e r s t e h u n g z u r R e c h t e n G o t t e s e r h ö h t d e n k e n k ö n n e n ? A u c h v o m T ä u f e r h a t m a n g e s a g t , e r sei v o n d e n T o t e n w i e d e r a u f e r s t a n d e n M t 142, a b e r n i e m a n d h a t d a r a n g e d a c h t , i h n als g o t t gleichen H e r r n erhöht vorzustellen. D e n ältesten J ü n g e r n ist der irdische J e s u s u n d der J e s u s , d e r sie d u r c h die K r a f t des h e i l i g e n G e i s t e s b e f ä h i g t e , seine t o d e s m u t i g e n B e k e n n e r z u sein u n d d e r v o n i h n e n als g ö t t l i c h e s W e s e n v e r k ü n d i g t w u r d e , d u r c h a u s e i n e u n d dieselbe P e r s o n . U n d d a s i s t g e r a d e d a s B e z e i c h n e n d e d e r P r e d i g t d e r A p o s t e l , d a ß sie seit P f i n g s t e n n i c h t n u r f ü r sich s e l b s t m i t B e w u ß t s e i n diese V e r b i n d u n g h e r s t e l l e n , sondern auch v o r dem Volk Israel m i t dieser Verkündigung auftreten u n d auffordern, d e n J e s u s v o n N a z a r e t h , d e n die J u d e n als e i n e n d u r c h g ö t t l i c h e Z e i c h e n u n d W u n d e r beglaubigten Mann gekannt, aber dennoch verworfen und gekreuzigt haben, nun auch i h r e r s e i t s als d e n g o t t g l e i c h e n H e r r n a n z u e r k e n n e n , d a d e r T o d d i e s e r P e r s o n , d e s F ü r s t e n d e s L e b e n s , n i c h t h a t m ä c h t i g w e r d e n k ö n n e n , A p g 2 2 2 f f 3 i 3 f f 4 i o f f 1037ff u n d in i h m d e n v o n G o t t b e s t i m m t e n R i c h t e r der Lebendigen u n d der T o t e n zu erb l i c k e n 1042. D a s alles i s t so u n j ü d i s c h u n d d o c h zugleich so s i c h e r a u s d e r j u d e n -
Christusglauben und Schriftbeweis
133
christlichen Gemeinde überliefert, d a ß es doch w o h l den Vorzug paradoxer Wahrheit für sich h a t . E s gibt nur e i n e Möglichkeit des Verständnisses der Person J e s u : es ist die, d a ß m a n sich auf d e n B o d e n des ntlichen Zeugnisses stellt. Zum Schluß sei noch darauf hingewiesen, daß mit dieser Beugung der Urgemeinde unter den Auferstandenen und zu Gott Erhöhten sich eine Wandlung in den messianischen Vorstellungen des Jüngerkreises vollzogen hat. Aus den Evangelien ist bekannt, daß noch am Ende des Wirkens Jesu die Jünger bis in die Zahl der Jesus am nächsten Stehenden hinein an dem politischen Messiasbild ihres Volkes festgehalten haben. Auch Apg 16 noch fragen sie: „Herr, richtest du in dieser Zeit f ü r Israel das Königreich a u f ? " Dagegen nunmehr vertreten auch die Jünger die rein religiöse Messiasvorstellung. Ihre Predigt verrät nichts mehr von nationalen Hoffnungen, sondern Buße, Sündenvergebung, Geistverleihung und Erwartung des baldigen Kommens des Reiches sind die Elemente ihrer Reich-Gottes-Hoffnung. 5. Der Schriftbeweis EdGrafe, Das Urchristentum und das AT, 1907. ThHaering, Das Alte Testament im Neuen, ZNW 17, 1916, S 213ff. HWenschkewitz, Die Spiritualisierung der Kultusbegriffe. Tempel, Priester und Opfer im NT, 1932. LGoppelt, Typos. Die typologische Deutung des Alten Testaments im Neuen, 1939. D i e geistliche Obrigkeit und die Führer des Volkes h a t t e n J e s u s verworfen. E r w a r verurteilt worden, gotteslästerliche Ansprüche erhoben zu h a b e n , und h a t t e d e n schmachvollen Kreuzestod erlitten. B e h a u p t e t e n also die J ü n g e r J e s u trotz a l l e m Geschehenen doch die Messianität u n d zugleich die Göttlichkeit ihres Meisters, so w a r innerhalb des J u d e n t u m s e i n Beweis für sie unerläßlich, der Schriftbeweis. U n d zwar ist es n i c h t so, daß erst i m Laufe v o n Jahren u n d Jahrzehnten die N o t w e n d i g k e i t des Schriftbeweises hervorgetreten wäre, sondern v o m ersten T a g e der christlichen Verk ü n d i g u n g an b e s t a n d sie. Angesichts dieser Tatsache sehen wir wiederum k e i n e n Grund, i n den hierhergehörigen Überlieferungen der Petrusreden spätere Gemeinded o g m a t i k zu erblicken, sondern wir n e h m e n sie als B e r i c h t e r s t a t t u n g über die Ged a n k e n der ältesten apostolischen Predigt. I s t auch i m M a t t h ä u s e v a n g e l i u m u n d in J u s t i n s Dialogus cum Tryphone J u d a e o (ganz zu schweigen v o m Barnabasbrief, der m i t seiner Allegorese das ganze Leben J e s u i m A T vorgebildet sieht) der Schriftbeweis in d e n Fragen der messianischen Lehre v o n hoher B e d e u t u n g , so ist daraus zu erkennen, d a ß die christliche Gemeinde auch weiterhin g e n ö t i g t war, sich a u f d e m B o d e n des A T s m i t d e m J u d e n t u m auseinanderzusetzen. In der Pfingstrede des Petrus wird hauptsächlich der Schriftbeweis f ü r Jesu Auferstehung, und nur im Zusammenhang damit auch der Beweis geführt, daß Jesus dem AT zufolge nicht im Tode habe bleiben und sein Fleisch nicht die Verwesung habe sehen können 225—35. Als Grundlage des Beweises muß dienen Ps 168—11, in sekundärer Weise treten dann hinzu Ps 894f I I Sam 7l2f Ps 13211, und zuletzt mündet der Beweis aus in die Stelle Ps 1101. Auf die atliche Weissagung Deut 18l5ff betreffend das Kommen Jesu wird 322 verwiesen, sowie allgemein auf die Vorherverkündigung der Propheten ohne Angabe von atlichen Stellen 752. 321 ging aber das Wort voraus, daß der Christus Jesus den Himmel einnehmen müsse bis zur Wiederherstellung aller Dinge, wie Gott durch den Mund seiner heiligen Propheten von Anfang an geredet habe. In dem Gemeindegebet 424 — 30 wird Ps 2lf die Versammlung der Könige und Fürsten „gegen den Herrn und seinen Christus" auf Jesu Todesgeschick bezogen. Es war aber direkt eines der Hauptanliegen der Gemeinde, die Schriftgemäßheit des Todes Jesu, oder allgemeiner seines Leidens, zu beweisen. Auch Paulus Apg 2623 sowie Justin, Apologie I 50 und Dialogus Kap. 13 32 36 39 89 beschäftigen sich mit dem Schriftbeweis, daß der Christus, d. h. der Messias, leiden müsse (ei na&rjrös 6 Xqiotös). Meist geben unsere Quellen keine bestimmten Stellen an, in denen vom Leiden des Messias gesprochen sei. Sie begnügen sich mit einem allgemeinen Hinweis auf alle Propheten oder das gesamte AT (Lk 2444). Wir haben aber schon gefunden, daß Ps 16l0 (vgl hierzu auch Apg 1335ff) auf Jesu Tod bezogen worden sind. Im Vordergrund hat jedoch gewiß Jes 53 gestanden, die Stelle, welche auch Jesus (vgl S 107f.) selbst auf sich bezogen hat. Einen direkten Beweis f ü r die Verwendung von Jes 53 in der Urgemeinde bietet die Predigt des Philippus an den Eunuchen der Königin Kandake Apg 830 f f . Hier sind Jes 537 8 nach L X X zitiert. Es ist bezeichnend, daß gerade diese Verse herausgehoben worden sind. Man wird auch den Sühnegedanken in den Bildern vom Schaf und Lamm ausgedrückt finden, denn er schließt sich in der Kirche traditionell an diese bildlichen Ausdrücke an. Auch läuft die Erzählung auf die Taufe des Eunuchen hinaus, und diese begreift die an den Tod Jesu gebundene Sündenvergebung in sich. Aber der hervortretende Gedanke ist
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Die theologischen Anschauungen der Urgemeinde
doch der, d a ß über J e s u s Erniedrigung u n d Gericht k o m m t , welches er willig u n d ohne Klage auf sich n i m m t , u n d d a ß d a d u r c h sein Geschlecht zahlreich wird. Also es ist etwa die Anschauung, welche wir im Evangelium m i t dem P r ä d i k a t „Menschensohn" v e r k n ü p f t sehen, der auch d u r c h Leiden zur Herrlichkeit eingehen m u ß . Als Grundlage des Schriftbeweises f ü r J e s u Tod „zugunsten unserer S ü n d e n " I K o r 153 innerhalb der Urgemeinde bietet sich jedenfalls keine andere Stelle als J e s 53. I s t doch diese Stelle auch in der Folgezeit die Hauptstelle f ü r das sühnende Leiden des Messias geblieben, wie z. B . aus J u s t i n Apologie I 50 u n d Dialogus 13 32 ersichtlich ist. Auch ist Apg 1043: „Diesem bezeugen alle Propheten, d a ß Vergebung der Sünden d u r c h seinen N a m e n empfange jeder, der an ihn g l a u b t " , wohl als Anspielung auf J e s 535 6 zu verstehen. Ferner beweist das S 129 über J e s u s als den „ K n e c h t G o t t e s " Gesagte die Anwendung v o n Jes 53 auf den H e r r n in der Urgemeinde. Aber hier ist n a c h Apg 313 = J e s 5213 53ll auch die Verherrlichung J e s u auf Grund dieser atlichen Weissagung einzubeziehen. 4ll wird in Anlehnung an Ps 11822 J e s u s der von den Bauleuten verworfene Stein, Eckstein g e n a n n t , in der Nachfolge von Mt 2142. Aber dies W o r t f ü h r t u n s noch weiter. Schon J e s u s h a t im Widerspruch m i t der Volkserwartung seiner Zeit seine messianische Berufsaufgabe in rein religiösem Sinne im AT vorgezeichnet gefunden. Aber auch die Urgemeinde h a t den Schriftbeweis angetreten, d a ß eine messianische Gesamterscheinung wie die J e s u von Gott vorher b e s t i m m t sei. Und auch diesen Beweis werden wir der geschichtlichen Situation zufolge als einen f ü r die Urgemeinde notwendigen anzuerkennen haben, wenn sie m i t ihrer Predigt auf ihre Volksgenossen Eindruck machen wollte. L k 2444f 27 wird erzählt, d a ß Jesus als Auferstandener den J ü n g e r n ein neues Schriftverständnis eröffnet habe, u n d das m u ß t e in der T a t geschehen, da das J u d e n t u m der damaligen Zeit einen leidenden u n d sterbenden Messias nicht k a n n t e vgl S 106 f, u n d auch die geschichtliche Erschein u n g J e s u dem landläufigen Messiasbilde s t a r k widersprach. So beweisen denn die Urapostel, d a ß alle Propheten v o n Samuel an u n d den folgenden gerade auf J e s u s vorausweisen 324 1043, u n d auch die Geschichte des Volkes Israel wird u n t e r dem Gesichtspunkt der Abzielung auf Jesus dargestellt 72—53 1317—23. Auf die das damalige J u d e n t u m beschäftigende Frage also, w a r u m Gott sein Volk dem menschlichen Verständnis so schwer begreifliche Wege geführt habe I V Esr 3, verm a g das junge Christentum eine A n t w o r t zu geben. 6. Der Tod Jesu I n bezug auf die Lehrgedanken der ältesten Gemeinde über den Tod Jesu haben wir an das eben Gesagte a n z u k n ü p f e n . Wir h a b e n g e f u n d e n , d a ß die A p o s t e l J e s u U n t e r w e i s u n g gefolgt sind, welcher auch schon seine Berufsaufgabe, u n d zwar besonders sein Todesleiden i m A T vorhergesagt fand. Wir h a t t e n auch schon auf Jes 53 h i n z u w e i s e n als d i e S t e l l e , 'welche f ü r d i e G e m e i n d e w i e v o r h e r f ü r J e s u s d e n H a u p t b e w e i s g e l i e f e r t h a b e n w i r d . N u n i s t es a l l e r d i n g s e i n e T a t s a c h e , d a ß d e r G e d a n k e des sühnenden Leidens J e s u in den Petrusreden nicht hervortritt, ja sogar nur andeutungsweise erkennbar wird. Es sind vielmehr andere Anschauungen, welche d i r e k t u n d a u s d r ü c k l i c h g e l t e n d g e m a c h t w e r d e n . A p g 322f w i r d d a s H e i l , w e l c h e s durch Jesus zu g e w i n n e n ist, g a n z allgemein an die B e d i n g u n g g e k n ü p f t , daß das Volk „ j e n e n P r o p h e t e n hört". Meist aber wird doch auf d e n T o d J e s u B e z u g gen o m m e n . So t r e f f e n w i r 1. a u f die g e s c h i c h t l i c h - r e l i g i ö s e W e r t u n g d e s T o d e s l e i d e n s J e s u . D i e J u d e n h a b e n d i e B e d e u t u n g J e s u n i c h t e r k a n n t . Sie h a b e n a u s U n w i s s e n h e i t (äyvoia) J e s u s v e r w o r f e n u n d g e t ö t e t 3i7. A u s a p o l o g e t i s c h e m I n t e r e s s e , u m die J u d e n f ü r J e s u s zu gewinnen, wird dieser Gesichtspunkt hervorgekehrt. An andern Stellen wird einfach die Tatsache hingestellt, daß J e s u s vom jüdischen Volk verworfen worden ist 236 4l0 530 1039. I n d e r Rede des Stephanus erscheint dieser Gedanke dahin verschärft, daß die T ö t u n g Jesu n u r die Fortsetzung des halsstarrigen Verhaltens der f r ü h e r e n Generationen des Volkes gegen die gottgesandten Propheten gewesen sei 752. Hier liegt wohl eine Bezugnahme auf J e s u antipharisäische Rede Mt 2331 vor. 2. M i t d i e s e m G e d a n k e n g a n g v e r b i n d e t s i c h a b e r m e h r f a c h d e r w e i t e r e , d a ß d i e J u d e n m i t der T ö t u n g J e s u W e r k z e u g e d e s g ö t t l i c h e n R a t s c h l u s s e s g e w e s e n s i n d . Die J u d e n h a b e n Jesus, der n a c h vorherbestimmtem R a t u n d Vorhererkenntnis Gottes ausgeliefert worden war, d u r c h die H ä n d e Gottloser angeheftet u n d getötet 223. Herodes, Pontius Pilatus, die Heiden u n d die Völker Israels h a b e n sich gegen Gottes heiligen K n e c h t Jesus versammelt, zu t u n , was Gottes H a n d u n d Wille vorherbestimmt h a t t e , d a ß es geschehe 427f. Gott h a t im Todesleiden seines Christus die Weissagungen aller seiner atlichen P r o p h e t e n erfüllt 318. Das ist ganz im Sinne des jüdischen Gottesglaubens gedacht, u n d entspricht ebenso J e s u Gottesverkündigung. Alles Geschehen, wie vielmehr die Geschicke des obersten Werkzeugs der Heils-
Der Tod J e s u
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plane Gottes, sind von Gott vorausbestimmt. E r s t v o n r ü c k w ä r t s gesehen enthüllt sich der Heilsplan Gottes ganz f ü r das menschliche E r k e n n e n . D a n n aber ist es u m so m e h r die Aufgabe des Menschen, dem also o f f e n b a r gewordenen Plane Gottes sich zu unterwerfen. Dieser schließt o f f e n b a r das Todesleiden des Gottesknechtes m i t ein, aber in welchem Sinne, wird nicht ausgeführt. 3. W e i t e r w e r d e n w i r g e f ü h r t , w o i n der P e t r u s v e r k ü n d i g u n g d i e B e g r i f f e B u ß e , B e k e h r u n g u n d S ü n d e n v e r g e b u n g b e g e g n e n . D e n n m a g es d e u t l i c h a u s g e s p r o c h e n w e r d e n o d e r n i c h t , es s t e h t d a b e i i m m e r d e r G e d a n k e a n d a s K r e u z Christi i m H i n t e r grund. 3l8ff wird aus der Erfüllung des von den Propheten geweissagten Todesschicksals des Christus die Mahnung a n das Volk abgeleitet (ovv 19), B u ß e zu t u n u n d umzukehren, d a m i t ihre Sünden ausgestrichen werden, u n d die Zeiten der E r q u i c k u n g k o m m e n können. Man wird in der Verk n ü p f u n g v o n 19 m i t 18 u n d in dem Ausdruck „die Sünden ausstreichen" (nobs tb e^ai.eup&ijvai ificöv ras äiiaoriag) 19, einer Parallele zu Kol 214 {k^akeiyme rö xa&' rjumv %ei(>6y(>a(pov), einen Hinweis auf die Sündentilgung durch die stellvertretende Leistung J e s u im Tode zu f i n d e n haben. I n der Pfingstrede des P e t r u s ist 238 v e r k n ü p f t die Aufforderung zur Buße u n d zur T a u f e auf den N a m e n J e s u Christi zur Vergebung der Sünden, u n d d a n n wird die Gabe des heiligen Geistes in Aussicht gestellt. Hier ist die Sündenvergebung allgemein an die Person Jesu geb u n d e n . Freilich würde m a n bei n ä h e r e m Fragen doch auf das K r e u z u n d den Tod J e s u als G r u n d der Sündenvergebung verwiesen werden. D e n n P e t r u s h a t t e j a vorher von der Kreuzigung gesprochen (txSorov Siä xu^os avdfimv n Q O a nrj^avr es avtiXaxe 23). Auch 1043 soll nach dem Zeugnis aller Propheten jeder Gläubige „ d u r c h seinen (Jesu) N a m e n " Vergebung der Sünden e m p f a n g e n . Aber dieser Vers ist der Abschluß der Rede, der den Hinweis auf die Kreuzigung 39 m i t einschließt u n d die Sündenvergebung doch auch n u r den Gläubigen verheißt. Ferner ist der „ F r i e d e " , der 36 d u r c h Jesus Christus den Söhnen Israels verkündigt wird, nicht ohne J e s u Todesciden geschlossen zu denken. 4 . A l l e i n , t r o t z d e m i s t z u b e h a u p t e n : z u m S i c h e r s t e n , w a s w i r ü b e r d a s Vers t ä n d n i s d e s T o d e s J e s u i n der U r g e m e i n d e w i s s e n , g e h ö r t d i e T a t s a c h e , d a ß a u c h sie die Lehre v o n der s ü h n e n d e n B e d e u t u n g des T o d e s J e s u g e h a b t hat. I m m e r wieder w e r d e n A b s c h w ä c h u n g e n dieser T a t s a c h e v e r s u c h t , aber d o c h i m m e r wieder vergeblich, d e n n nicht wegzudiskutieren ist das eindeutige Zeugnis des P a u l u s : ,,Ich h a b e euch u n t e r den H a u p t s t ü c k e n überliefert, w a s i c h a u c h e m p f a n g e n h a b e , d a ß C h r i s t u s g e s t o r b e n i s t f ü r u n s e r e S ü n d e n n a c h d e n S c h r i f t e n " I K o r 153. D a n a c h h a t P a u l u s d i e s e L e h r e als G r u n d ü b e r l i e f e r u n g v o n der U r g e m e i n d e ü b e r k o m m e n . A u c h n a c h Gal 2 i e s t i m m t Petrus, hinter d e m die U r g e m e i n d e stand, m i t P a u l u s in der Erk e n n t n i s überein, d a ß die Gerechtigkeit auch des J u d e n c h r i s t e n n i c h t aus W e r k e n des Gesetzes h e r k o m m e , sondern aus d e m Glauben an Christus. I n diesem Zus a m m e n h a n g e m u ß der G l a u b e a n C h r i s t u s g e d e u t e t w e r d e n als G l a u b e a n d i e erlösende K r a f t seines Sühnetodes. N u n fällt allerdings auf, welch hohe B e d e u t u n g P a u l u s I K o r 153, in der B e h a u p t u n g der U b e r e i n s t i m m u n g m i t der Urgemeinde, dem Gedanken des Sühnopfertodes Jesu beimißt, während d e r gleiche Sachverhalt aus den Reden der Apostelgeschichte nicht zu erheben ist. E s würde gewiß falsch sein, wollte m a n aus diesem Grunde doch eine Verschiedenheit zwischen P a u l u s u n d d e r Urgemeinde in dieser Lehre konstruieren. Vielmehr wird innerhalb der Urgemeinde die A u f f a s s u n g v o n J e s u Tod als Sühnopferleistung ein Glied neben andern in der Beweiskette gewesen sein, der scharfe Verstand des P a u l u s aber e r k a n n t e die hohe B e d e u t u n g dieser Lehre besser u n d m a c h t e sie zum Grundpfeiler seiner christlichen Theologie. Sah er doch in diesem T o d die Verurteilung des gesamten J u d e n t u m s . I K o r 153 bestätigt übrigens, d a ß schon die Christengemeinde in der vorpaulinischen Zeit J e s u O p f e r t o d aus atlichen Schriftstellen begründet h a t . Eine E r g ä n z u n g des gewonnenen Ergebnisses bieten Apg 530f u n d 1039. A n diesen beiden Stellen wird davon gesprochen, d a ß die J u d e n J e s u s getötet haben, „indem sie ihn an das Holz h ä n g t e n " (xoefidoavrts hn\ giiAov a n beiden Stellen). Das ist Bezugnahme auf D e u t 2l22f. P a u l u s h a t Gal 3l3 den Schluß dieses Zitats verwendet z u m Beweis, d a ß auf Christus im Tode der Fluch des Gesetzes gelegt worden ist, u n d er uns so von diesem Fluche befreit h a t . D a wir in d e n Reden des P e t r u s paulinischen E i n f l u ß nicht zu konstatieren haben, ist die A n n a h m e w a h r scheinlich, d a ß D e u t 2l22f zu den bereits frühzeitig in der Urgemeinde b e n u t z t e n Stellen g e h ö r t , die P a u l u s erst in ihrer Nachfolge auf den Sühnopfertod Jesu bezogen h a t . Auch Apg 1329 begegnet eine Anspielung auf D e u t 2122, u n d I P e t r 224 werden J e s 53 u n d D e u t 2123 k o m b i n i e r t . Diese B e n u t z u n g von D e u t 2l22f ist daher eine gemeinchristliche gewesen. Sie t r i t t neben J e s 53.
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Die theologischen Anschauungen der Urgemeinde
D a s Kennzeichnende der ältesten A n s c h a u u n g ist nach d e m Dargelegten, d a ß sich mancherlei A n s ä t z e der S c h ä t z u n g des Todes Christi f i n d e n , aber eine theologische Lehre v o n der H e i l s b e d e u t u n g dieses Todes n i c h t vorgetragen wird. D a s W i c h t i g s t e ist für die älteste Gemeinde, d a ß das Todesleiden J e s u schon i m A T geweissagt ist u n d d a ß Gottes R a t s c h l u ß durch diesen T o d erfüllt wird. D i e nähere B e g r ü n d u n g dieses Ratschlusses wird nicht gegeben. A u c h die U n k e n n t n i s des Volkes erscheint als Grund der Kreuzigung, ein anderes Mal wird die Heilswirkung an die Verkündigung; J e s u gebunden, meist aber wird die Sündenvergebung durch J e s u s v e r m i t t e l t ged a c h t . Aber w i e sie m i t d e m Kreuz Christi z u s a m m e n h ä n g t , oder die F o r d e r u n g der B u ß e , oder der Friede, wird n i c h t gesagt. A u c h wird das A b e n d m a h l n i c h t f ü r u n s erkennbar m i t der Wirkung des Todes Christi in Verbindung gebracht. A u s allem ist ersichtlich, d a ß hier eine theologisch ordnende H a n d noch n i c h t g e w a l t e t h a t . Vielfach wird auf die Verwandtschaft dieser theologischen Gedankengänge mit denen des nachapostolischen Zeitalters verwiesen und daraus der Schluß gezogen, daß diese Petrusreden eben Produkte nachapostolischer Theologie seien, welche die harten und kantigen Theorien der paulinischen Versöhnungslehre zu erweichen begonnen habe, oder sie einfach nicht mehr verstand und daher beiseite ließ. Wiederum ist dagegen geltend zu machen, daß diese Betrachtung an einem zu späten Zeitpunkt einsetzt. Schon die älteste Gemeinde hat sich genötigt gesehen, den Tod Jesu vom göttlichen Heilsplan aus verständlich zu machen, und es spricht alle geschichtliche Wahrscheinlichkeit dafür, daß ihre Gedanken in der Folge Allgemeingut geworden sind. 7. Der Glaube a n Jesus Schon Jesus selbst h a t in seinem beruflichen Wirken die Forderung des Glaubens a n seine Person gestellt. D e n n er erhob den Anspruch, m i t Gott in einer Lebens- u n d W e s e n s v e r b i n d u n g zu stehen w i e kein anderer Mensch u n d daher v o n Gott m i t der D u r c h f ü h r u n g des Heilswillens m i t der Menschheit beauftragt zu sein. D i e s Ziel k o n n t e er aber n u r erreichen, w e n n die Menschen sich diesem Anspruch b e u g t e n u n d i n i h m den Bringer der i h n e n b e s t i m m t e n Heilsgaben Gottes sahen. N a c h der A u f erstehung tritt aber n a t u r g e m ä ß seine Person n o c h mehr in den Mittelpunkt. Seine J ü n g e r v e r k ü n d i g t e n i h n als d e n v o n Gott eingesetzten Herrn, der seine h i m m l i s c h e K r a f t schon j e t z t geltend mache, u n d sie v e r k ü n d i g t e n i h n als die Verwirklichung aller atlichen Gottesoffenbarung. D i e A n n a h m e dieser Predigt ist der geforderte Glaube. D i e Aufrichtung des Reiches Gottes stand auch für die älteste Christenheit n o c h aus. E s überwiegt bei ihr die eschatologische Auffassung v o m Reiche A p g 320 f 1042. Aber wer sich v o n seinen bisherigen messianischen H o f f n u n g e n loslöst u n d J e s u s als Messias anerkennt A p g 812, wer a n J e s u Auferstehung I K o r 1 5 n u n d Erh ö h u n g A p g 236 glaubt, der ist ein Gläubiger i m Sinne der Urgemeinde. D e r I n h a l t dieses Glaubens wird schön z u m Ausdruck gebracht in d e m W o r t : „ N i c h t ist i n irgendeinem andern die R e t t u n g , noch ist ein anderer N a m e u n t e r d e m H i m m e l in der Menschheit gegeben, i n d e m wir gerettet werden k ö n n e n " A p g 4i2. W e r diesen P r o p h e t e n n i c h t hört, soll ausgerottet werden aus d e m Volk 328 = D e u t 18i9. I m N a m e n dieses J e s u s geschehen Zeichen u n d W u n d e r 430, der Glaube an i h n b e f ä h i g t die A p o s t e l zu M a c h t t a t e n 3ie. A b e r schon der urchristliche Glaube e n t h ä l t doch noch mehr. Schon die T a u f e d e s J o h a n n e s heißt bei Mk 14 T a u f e der B u ß e zur Vergebung der S ü n d e n (ßöjtxiafia[isTavoicu; elg &peaiv äfiaQTiä)v), u n d auch Jesus selbst h a t die Verkündigung v o m G e k o m m e n s e i n des Reiches Gottes mit d e m Bußruf v e r k n ü p f t Mt 4i7 Mk l i 4 f . S o steht d e n n auch i n der urchristlichen Verkündigung v o n allem A n f a n g an die Predigt v o n J e s u s in i n n i g e m Z u s a m m e n h a n g mit der Aufforderung zu B u ß e u n d B e k e h r u n g . B u ß e ist der n e g a t i v e Begriff, B e k e h r u n g der positive der H i n k e h r u n g zu J e s u s als Messias u n d zu Gott. Beide Begriffe s t e h e n aber in engem Z u s a m m e n h a n g m i t d e m geforderten Glauben. Als P e t r u s am P f i n g s t f e s t die Einsetzung des g e t ö t e t e n u n d auferstandenen J e s u s z u m Messias proklamiert h a t t e u n d er v o n d e m V o l k gefragt wurde, w a s sie t u n sollten, antwortet er: „ T u t B u ß e , u n d lasse sich ein jeder v o n euch auf den N a m e n J e s u Christi t a u f e n zur Vergebung der S ü n d e n " 238. 3i9 sind B u ß e u n d Bekehrung z u s a m m e n geordnet (/ueravoijaare ovv xai ¿morgdyiare), u n d ganz, i m Sinne der urchristlichen Predigt sagt Paulus A p g 2021 zu d e n ephesinischen Presb y t e r n , er h a b e unter J u d e n u n d H e i d e n v e r k ü n d i g t „die B u ß e zu Gott (rrp> elg &eör
Der Glaube an Jesus
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fj.cndvoiav) u n d Glauben a n unsern Herrn J e s u s " . A u c h A p g 1324 194 h e i ß t die christliche T a u f e „ T a u f e der B u ß e " . Fragen wir, worin der Grund dieser u n s als Glaube oder B u ß e oder B e k e h r u n g entgegentretenden Forderung liegt, so k a n n die A n t w o r t nur die sein, d a ß die christliche Verkündigung die Menschen unter die W i r k u n g u n d Macht der P e r s o n J e s u stellen will, diese aber eben als göttliche z u d e n k e n ist, der gegenüber der Mensch seinen w e i t e n religiös-sittlichen A b s t a n d f ü h l t . A u c h diese E r k e n n t n i s ist i m G r u n d e nichts Neues, sondern nur reichere Ausführung der Erfahrung, die bereits a m irdischen J e s u s g e m a c h t w o r d e n war, und die der Grund seiner Glaubensforderung ist. D i e Urgemeinde h a t diese Seite des christlichen Glaubens, das Eintreten in die Machtsphäre dessen, w a s Jesus ist, nicht deutlich herausgearbeitet. D a s ist das W e r k d e s P a u l u s . Aber die Sache selbst ist auch bei ihr bereits vorhanden. 8. Der heilige Geist HWeinel, Die Wirkungen des Geistes und der Geister im nachapostolischen Zeitalter bis au Irenaus, 1899. HGunkel, Die Wirkungen des heiligen Geistes nach der populären Anschauung der apostolischen Zeit und der Lehre des Apostels Paulus, 3 1909. GHeinrici, Das Urchristentum 1902, S 4 3 - 5 0 . FBüchsel, Der Geist Gottes im NT, 1926. EPeterson, Das Buch von den Engeln, 1935. WMichaelis, Zur Engelchristologie im Urchristentum, 1942. Weiteres s. o. S. 100. E s ist der Glaube der Urchristenheit, d a ß der zu G o t t erhöhte J e s u s auf die Seinigen den heiligen Geist ausgegossen hat. Jesus von Nazareth, den Gott mit dem heiligen Geist und mit K r a f t gesalbt hatte Apg 1038 427, hat, „zur Rechten Gottes erhöht, vom Vater die Verheißung des heiligen Geistes empfangen und dies ausgegossen, was ihr seht und hört", sagt Petrus am Pfingstfest Apg 233, oder, wie es Tit 36 heißt: Gott hat den heiligen Geist über uns reichlich ausgegossen durch Jesus Christus, unsern Heiland. Als der Auferstandene verfügt Jesus über göttliche K r a f t , die er den Seinen mitteilt. Das wird J o h 2022 so ausgedrückt: Der auferstandene Jesus bläst die Jünger an und spricht zu ihnen: „Empfanget den heiligen Geist". Ob Gott (so auch J o h 1416 26) oder ob Jesus den Geist schickt (Joh 1526 167), trägt sachlich nicht viel aus. Immer, mag dies ausgesprochen sein Apg 232 Tit 36 J o h 1426 1526 oder nicht, ist Gott als der eigentliche Sender des Geistes gedacht, Jesus als der Vermittler. E i n weiteres Merkmal der urchristlichen A n s c h a u u n g v o m Geiste, w e l c h e s t r o t z einiger S c h w a n k u n g e n in der Uberlieferung festzuhalten sein wird, ist d i e s : alle Christen werden als geistbegabt gedacht. D e r Geist ist aber n i c h t e t w a Geist der Gemeinde, welcher innerhalb dieser wirkte u n d sich fortpflanzte, vielmehr wird er i m m e r als freie Gabe Gottes an die einzelnen Christen gedacht. G o t t s c h e n k t den Geist den an J e s u s Gläubigen. U n d jede Geistverleihung wird als A k t Gottes oder J e s u vorgestellt. Am Pfingstfest fordert Petrus auf zur Taufe auf den Namen Jesu: „so werdet ihr die Gabe des heiligen Geistes empfangen" 238. Gott hat den heiligen Geist gegeben denen, welche ihm gehorchen (tols nti&a(>xovotv avtcö) 532. Zu Paulus, dem vor Damaskus Erblindeten, wird Ananias geschickt, damit er sehend und mit dem heiligen Geist erfüllt werde. Diese Verheißung vollzieht sich alsbald an ihm, und er wird getauft 9l7f. Auf Kornelius und die Seinigen fällt während des Petrus Predigt der heilige Geist, worauf sie sofort getauft werden 1044ff. Paulus setzt es als selbstverständlich voraus, daß jeder Getaufte oder jeder Gläubige den heiligen Geist besitzt. Das geht aus seiner Erörterung über die Geistesgaben in Korinth I Kor 12 — 14 hervor, speziell aus 1213; femer aus Gal 32 Eph 44ff Tit 35. Das gleiche bezeugen Hebr 64 Joh 35 I J o h 56—8. In der Erzählung von der Predigt des Philippus in Samaria begegnet Apg 8l5ff die Vorstellung, daß den Aposteln die Vollmacht vorbehalten gewesen sei, durch Gebet über den Gläubigen die Geistverleihung hervorzurufen. Dieser Zug widerspricht aber der sonstigen urchristlichen Überlieferung. Da Gebet und Handauflegung 15 17 als die begleitenden Merkmale angegeben werden, haben wir wohl an den Einfluß der Vorstellung von Ausrüstung zu besonderen Dienst- und Amtsleistungen zu denken. Was es aber f ü r eine Bewandtnis mit den Jüngern hatte, die nur auf die Taufe des Johannes getauft waren und daher den heiligen Geist nicht hatten Apg 19l—7 vgl 1825, ist zu dunkel, als daß hieraus feste Schlüsse gezogen werden könnten. Handelt es sich hier um eine Frühstufe oder um eine Sonderentwicklung ? I n der Vorstellung v o n der Geistbegabung aller Christen tritt u n s n u n ein cnarakteristischer Unterschied der ntlichen Gemeinde v o m alten Israel u n d d e m J u d e n t u m entgegen. D e n n eine Geistbegabung aller Volksgenossen k e n n t das A T n i c h t . W o h l
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Die theologischen Anschauungen der Urgemeinde
a b e r l ä ß t sich (vgl S lOOf.) d u r c h die G e s c h i c h t e d e s j ü d i s c h e n Volkes h i n d u r c h b i s z u m A u f t r e t e n J e s u s e l b s t die E r w a r t u n g v e r f o l g e n , d a ß i n d e r m e s s i a n i s c h e n Z e i t d e r heilige Geist ü b e r d a s V o l k w e r d e a u s g e g o s s e n w e r d e n . Über die Anschauung der ältesten Gemeinde vom Geist und seinen Wirkungen ist eine Kontroverse entstanden. Gloel, Der Heilige Geist in der Heilsverkündigung des Paulus, 1888, S 239 f. hatte behauptet, nach der Darstellung der Apostelgeschichte erscheine, wenn auch der Geist vorwiegend in seiner charismatischen Wirkung gekennzeichnet werde, die Pfingstausgießung des Geistes als die grundlegende Tatsache, auf die der gesamte Bestand und der gesamte Charakter der christlichen Gemeinde zurückgehe. Gunkel, S 6 ff, dagegen, dem sich andere angeschlossen haben, sieht erst in Paulus den christlichen Theologen, welcher den Geist zum Prinpzip des christlichen religiös-sittlichen Wandels erhoben habe. In der Urgemeinde dagegen seien zwar die Wirkungen des Geistes dem Gebiete des Sittlich-Religiösen gegenüber nicht indifferent. Es gebe Geistesoffenbarungen, welche in dieses Gebiet fallen. Aber die gewöhnlichen religiösen Funktionen des einfachen Christen empfinde die Urgemeinde nicht als Gaben des heiligen Geistes, sie stehe hier vielmehr noch auf dem Boden der jüdischen Anschauung. Gunkel hat mit Recht die Begründung Gloels beanstandet. Denn durch die Berufung auf Apg 242 —47 431 f 65 1124 kann Gloels These nur mittelbar bewiesen werden. Und doch hat dieser in dem Hinweis auf die Ausgießung des heiligen Geistes am Pfingsttag das Richtige getroffen. Freilich gebührt Paulus das Verdienst, die Erkenntnis klar herausgearbeitet zu haben, daß der heilige Geist die Kraft des religiös-sittlichen Lebens der Christen ist; aber damit hat er nur einen schon vor ihm in der Gemeinde vorhandenen Tatbestand begrifflich erfaßt. Die Gemeinde hat sich im wesentlichen noch in den alten Formen bewegt, aber das Neue, welches in ihr wirkte, begann bereits, diese zu durchbrechen. Das Bedeutungsvolle und daher Charakteristische der Pfingstpredigt des Petrus ist nicht die Bezugnahme auf die ekstatischen Erscheinungen, sondern die kraftvolle Bezeugung des in der Person Christi von Gott dargebotenen Heils. Damit allein ist schon die eminent religiös-ethische Bedeutung der Geistbegabung im Sinne der ältesten Gemeinde erwiesen, und in diese Beleuchtung müssen Apg 242ff 431 f 65 1124 gestellt werden. F r e i l i c h die e k s t a t i s c h e n W i r k u n g e n d e s Geistes t r e t e n d e u t l i c h h e r a u s . D i e Geistb e g a b u n g a m P f i n g s t t a g ä u ß e r t sich n a c h d e r ä l t e s t e n Ü b e r l i e f e r u n g als e k s t a t i s c h e s R e d e n , als Z u n g e n r e d e n , L a l l e n , S t a m m e l n , v e r z ü c k t e s R e d e n u n d L o b p r e i s e n G o t t e s , d a s a u f die H ö r e r d e n E i n d r u c k m a c h t e , als o b die A p o s t e l t r u n k e n seien 2i3. N u r a u f d i e s e n V o r w u r f n i m m t die R e d e d e s P e t r u s B e z u g 2i5, n i c h t a b e r a u f ein R e d e n i n f r e m d e n S p r a c h e n . ( O f f e n b l e i b t d a b e i allerdings die F r a g e , wie es zu d e m o f f e n s i c h t l i c h e n M i ß v e r s t ä n d n i s d e s V e r f a s s e r s d e r A p g — b z w dieses Q u e l l e n s t ü c k e s — k o m m e n k o n n t e , wie es sich i m B e r i c h t v o n A p g 2 spiegelt. L u k a s i s t a u s d e n p a u l i n i s c h e n G e m e i n d e n — v g l I K o r 14 — o h n e Zweifel b e k a n n t gewesen, w a s yXcoaaaig AaXslv b e d e u t e t ) . A u c h 1044—46 I i i s , w o auf d a s P f i n g s t e r e i g n i s z u r ü c k g e b l i c k t w i r d , i s t d a s Z u n g e n r e d e n des K o r n e l i u s u n d d e r S e i n e n v e r z ü c k t e s R e d e n . I n d e r R e d e des P e t r u s a m P f i n g s t t a g w i r d diese p n e u m a t i s c h e E r s c h e i n u n g als E r f ü l l u n g v o n J o e l 31—5 e r k l ä r t , u n d als G e i s t e s w i r k u n g e n w e r d e n i n dieser P r o p h e t e n s t e l l e besonders herausgehoben Prophetie, Gesichte u n d T r ä u m e . Ekstatische Erscheinungen s i n d a u c h die E r f ü l l u n g m i t d e m h e i l i g e n G e i s t n a c h d e m g e m e i n s a m e n G e b e t 4 s i , d a s verzückte Schauen des S t e p h a n u s , der den H i m m e l offen sieht u n d J e s u s zur R e c h t e n G o t t e s s t e h e n d 755f, die E n t r ü c k u n g d e s P h i l i p p u s 839, d a s G e s i c h t d e s P e t r u s lOioff 115ff, d a s a u s d r ü c k l i c h als E k s t a s e b e z e i c h n e t w i r d . I n a l l d e m Gen a n n t e n , ferner w e n n „ d u r c h den Geist" v o n A g a b u s eine H u n g e r s n o t geweissagt w i r d 1128 o d e r die b e v o r s t e h e n d e G e f a n g e n s c h a f t d e s P a u l u s 2 1 l o f , h a b e n w i r Ä u ß e r u n g e n , i n w e l c h e n w i r n a c h d e r g e s a m t e n S a c h l a g e , a u s d e r sie h e r v o r w a c h s e n , gew i ß n i c h t b e r e c h t i g t s i n d , die religiös-sittliche Seite a u s z u s c h a l t e n , e b e n s o w e n i g wie i n d e r a t l i c h e n P r o p h e t i e . A b e r die ä u ß e r e n M e r k m a l e , u n t e r d e n e n diese Geistesä u ß e r u n g e n a u f t r e t e n , s i n d d o c h die gleichen o d e r s t e h e n i n A n a l o g i e z u E r s c h e i n u n g e n , welche auch in d e r griechisch-orientalischen M a n t i k , im Orakel- u n d Mysterienwesen, im thrakischen Dionysoskult begegnen1, wo wir nicht d a r a n denken, göttliche G e i s t w i r k u n g e n z u s u c h e n . T r o t z d i e s e r zweifellosen f o r m e l l e n B e r ü h r u n g i s t die W i r k u n g d e s G e i s t e s i n d e r U r c h r i s t e n h e i t eine g r u n d s ä t z l i c h v e r s c h i e d e n e . D e r U n t e r s c h i e d g e g e n ü b e r p n e u m a t i s c h e n E r s c h e i n u n g e n b e s o n d e r s i n d e r h e i d n i s c h e n W e l t ist d e r , d a ß J e s u s es i s t , d e r 1 Vgl hierüber namentlich ERohde, Psyche 2 II, 1898, S 15ff. GHölscher, Die Propheten, 1914. RReitzenstein, Mysterienreligionen, 31927, S 308ff. PFeine, „Zungenreden" RE 3 .
Der heilige Geist
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d e n Geist sendet. D e r i n der Christenheit wirkende Geist ist v o m W e s e n Jesu u n a b t r e n n b a r . D a h e r m u ß v o n u n s als d a s A u s s c h l a g g e b e n d e d e r W i r k u n g d e s G e i s t e s schon i n der Urgemeinde das betrachtet werden, w a s die J ü n g e r i n einer auch für ihr Bewußtsein neuen Weise m i t der Person und d e m Willen J e s u verknüpfte. Die Frage, a u f d i e es a n k o m m t , i s t d i e , o b b e r e i t s i n d e r U r c h r i s t e n h e i t W i r k u n g e n a u f t r e t e n , d i e w i r s e i t P a u l u s als p n e u m a t i s c h e z u b e t r a c h t e n g e w ö h n t s i n d . N u r s e k u n d ä r e B e d e u t u n g h a t d a n n die weitere Frage, ob bereits die Urgemeinde diese W i r k u n g e n als p n e u m a t i s c h e v e r s t a n d e n h a t . Die gestellte Hauptfrage ist nun, wie schon gesagt worden ist, mit Entschiedenheit zu bejahen. Man denke, w a s die Jünger vor d e m P f i n g s t t a g waren, u n d w a s nachher. N i c h t die Erinnerung an das, was Jesus ihnen in seinem Erdenwirken gewesen war, nicht die Auferstehung Jesu hat den Jüngern Mut und Kraft gegeben, mit dem E v a n g e l i u m vor das Volk zu treten, sondern die Macht des Geistes. D a s Zungenreden war eine begleitende Äußerung des Geistes. D i e Verkündigung selbst ist in ihrer A r t n i c h t a n d e r s z u d e n k e n , als w i e es P a u l u s I T h e s s l s I K o r 24 s c h i l d e r t : sie geschah i n Kraft u n d i m heiligen Geist u n d in großer Fülle. D i e Personen der Verkündiger traten zurück, nicht menschliche K u n s t u n d irdische Weisheit sprachen aus den Aposteln, sondern der Geist Jesu. Paulus hat den Geist in innere Beziehung z u m W o r t g e s e t z t , die S a c h e s e l b s t l i e g t a u c h s c h o n v o r i h m i n d e r U r g e m e i n d e v o r . Auch das Gemeindeleben der ältesten Christen, welches beherrscht war vom Geiste der Eint r a c h t , der Liebe, der Opferwilligkeit, ist im Grunde nichts anderes gewesen, als was P a u l u s I K o r 12 — 14 grundsätzlich fordert, wenngleich uns nicht überliefert ist, d a ß die älteste Gemeinde diese W i r k u n g e n als pneumatische verstanden habe. E r s t P a u l u s stellt, was der gegenseitigen Förder u n g u n d E r b a u u n g dient., im Zusammenhang der E r ö r t e r u n g über die christlichen Charismen in den Vordergrund. Die höchste Geis^esgabe, die er k e n n t , der beste Weg, den er zu zeigen verm a g , ist der der Liebe 1 . Die Sache war also auch schon vor P a u l u s da, aber er h a t ihr erst die theologische P r ä g u n g gegeben. Ferner, wie Paulus P r o p h e t e n u n d Lehrer als hervorragende Geistesträger k e n n t , so auch die Urgemeinde vor ihm. Nicht n u r die schon erwähnte Vorhersagung der Z u k u n f t , sondern auch die E r m a h n u n g u n d S t ä r k u n g der Gemeinde ist ihre A u f g a b e Apg 1532. I n Apg 13l werden Propheten u n d Lehrer zusammengeordnet wie I K o r 1228. Die Apostel aber sind Apg 815 wie I K o r 1228 E p h 220 die Geistesträger, welche an erster Stelle stehen u n d die a n d e r n überragen. Ü b e r das Verhältnis des Geistes zum Glauben m a c h t die Apostelgeschichte schwankende Aussagen. Bald gehen Glaube u n d T a u f e dem Geistesempfang voraus 238, bald ist der Bericht schwebend, so daß m a n keinen klaren Begriff von der Aufeinanderfolge der einzelnen A k t e bek o m m t 917 f, bald fällt die Geistbegabung vor die T a u f e u n d ist wahrscheinlich als Beginn des Glaubens zu denken 1044ff, u n d nach 931 beruhte das W a c h s t u m der Gemeinde auf der christlichen Predigt, in der die ermunternde, kraftgebende Zuspräche des heiligen Geistes zutage t r a t (so richtig W e n d t in Meyers K o m m z. d. St.). Apg 65 1124 begegnen Glaube u n d heiliger Geist als die K r a f t christlicher Persönlichkeiten — S t e p h a n u s u n d B a r n a b a s werden als Männer voll Glaubens u n d heiligen Geistes charakterisiert —, 63 10 werden heiliger Geist u n d Weisheit zusammengestellt. Die beiden erstgenannten Stellen wollen o f f e n b a r das ganze religiös-sittliche Leben des Stephanus u n d B a r n a b a s als W i r k u n g des Glaubens u n d Geistes schildern, die beiden a n d e r n weisen auf die besondere K r a f t christlicher E r k e n n t n i s u n d die Fähigkeit des christlichen Schriftverständnisses u n d stehen in Analogie zu I K o r 128, dem geistgewirkten W o r t der Weisheit u n d W o r t der Erkenntnis (loyos aoipias u n d loyos yvcooecog). Speziell die sittliche A r t des Geistes t r i t t heraus Apg 818—23 u n d 53 9. D e n n n u r der h a t Teil a n der christlichen Gabe des Geistes, der Buße t u t u n d sein H e r z vor G o t t l ä u t e r t , u n d die Sünde des Ananias u n d der Sapphira war es, d a ß sie sich in Widerspruch m i t dem Geist J e s u gesetzt u n d sich einer u n w a h r h a f t i g e n , heuchlerischen H a n d l u n g schuldig gemacht h a b e n . Schon in der Urgemeinde also ist die später von Paulus herausgearbeitete Anschauung zu konstatieren, d a ß d a kein heiliger Geist wirksam ist oder werden k a n n , wo Unsittlichkeit u n d gottwidriges Wesen sind. 9. T a u f e u n d A b e n d m a h l Zur T a u f e : PAlthaus, Die Heilsbedeutung der T a u f e im N T , 1897. FCConybeare, T h e Eusebian f o r m of t h e t e x t M t 2819, Z N W 1901, S 275—288. HCremer, T a u f e , Wiedergeburt u n d Kindert a u f e , 2 1901. ERiggenbach, Der trinitarische T a u f b e f e h l M t 2819, in B F c h r T h V I I , 1,1903. W H e i t 1 Richtig hebt auch WHadorn, Das Evangelium in der Apostelgeschichte, 1907, S 15 hervor, daß das Neue in der Pfingstgemeinde die sittlichen und religiösen Wirkungen des Geistes waren, die sich in der brüderlichen Gemeinschaft, im Gebetsleben und im Bleiben in der Apostellehre kundgaben.
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Die theologischen Anschauungen der Urgemeinde
müller, „Im Namen Jesu", Forschungen zur Religion und Literatur des A und NTs I, 2, 1903. Ders., Taufe und Abendmahl bei Paulus, 1903. Ders., Taufe und Abendmahl im Urchristentum, RgVb I, 22/23, 1911. EvDobschütz, Sakrament und Symbol im Urchristentum, ThStKr 1905, S l f f . WHeitmüller, Noch einmal „Sakrament und Symbol im Urchristentum", T h S t K r 1905, S 461ff. FRendtorff, Die Taufe im Urchristentum, 1905. ASeeberg, Der Katechismus der Urchristenheit, 1903. Ders., Die Taufe im NT, 1905, 21913. PFeine, Taufe. I Schriftlehre in R E 3 XIX, S 396ff. HWindisch, Taufe und Sünde, 1908, S 167ff. CClemen, Religionsgeschichtliche Erklärung des NT, 21924. GKittel, Die Wirkungen der christlichen Wassertaufe nach dem NT, ThStKr 1914, S 25 — 53. Ferner ADeißmann, Die NTliche Formel „in Christo Jesu", 1892. Ders., Bibelstudien 1895 und Neue Bibelstudien 1897. WBrandt, *övofia en de doopsformule in het nieuwe testament, ThT 1891, S 565ff. Ders., ebda, 1892, S 193ff und 1904, S 335ff. Ders., Die jüdischen Baptismen, 1910. JBöhmer, Das biblische „Im Namen", 1898. Ders., Zwei wichtige Kapitel aus der biblischen Hermeneutik, 1903. JLeipoldt, Die urchristliche Taufe im Licht der Religionsgeschichte, 1928. MMeinertz, Jesus und die Heidenmission, 21925. OMoë, H a t Paulus den trinitarischen Taufbefehl Mt 2819 und ein trinitarisches Taufbekenntnis gekannt? Festschrift f ü r RSeeberg, 1929. RReitzenstein, Die Vorgeschichte der christlichen Taufe, 1929. HLietzmann, Ein Beitrag zur Mandäerfrage, 1930. HWindisch, Zum Problem der Kindertaufe im Urchristentum, ZNW, 1929, S 118ff. AOepke, Urchristentum und Kindertaufe, ZNW 1930, S 81ff. JThomas, Le mouvement baptiste en Palestine et Syrie, 1935. VJacono, Il battesimo nella dottrina di S. Paolo, 1935. JKosnetter, Die Taufe Jesu, 1936. JJeremias, H a t die älteste Christenheit die Kindertaufe geübt? 1938. HSchlier, Die Taufe nach dem 6. Kapitel des Römerbriefes, EvTh 1938, S 335ff. GOngaro,L'autencità e integrità del comma trinitario in Mt 2819, Biblica 1938, 267—279. GBornkamm, Die ntliche Lehre von der Taufe, ThBl 17, 1938, S 42ff. Ders., Taufe und neues Leben bei Paulus, ThBl 18, 1939, S 223ff. JJeremias, Mc 1013-16, Parr. und die Übung der Kindertaufe in der Urkirche, ZNW 40, 1941, S 243ff. HGMarsh, The origin and significance of the New Testament Baptism, 1941. OCullmann, La signification du baptême dans le Nouveau Testament. Rev de Theol et de Phil 30,1942, S 121 - 1 3 4 . EStauffer, Taufe, in RGG 2 Y, S 1002ff. ThW s. v. ßanri^w.
Z u m Abendmahl s. S 109 f f . D i e U n t e r s u c h u n g ü b e r die u r c h r i s t l i c h e T a u f e i s t v o n e i n e r e i g e n t ü m l i c h e n S c h w i e r i g k e i t g e d r ü c k t . N a c h M t 2819 h a t d e r a u f e r s t a n d e n e J e s u s d e n J ü n g e r n d e n A u f t r a g g e g e b e n : „ G e h e t n u n h i n u n d m a c h e t zu J ü n g e r n alle Y ö l k e r , i n d e m i h r sie t a u f t a u f d e n N a m e n d e s V a t e r s u n d d e s S o h n e s u n d des heiligen Geistes, u n d sie l e h r e t , zu h a l t e n alles, w a s i c h e u c h g e b o t e n h a b e " . Diese W o r t e stellen sich d a r a l s die E i n s e t z u n g d e r c h r i s t l i c h e n T a u f e . A u c h M k 1 6 i e : „ W e r d a g l a u b e t u n d g e t a u f t w i r d , w i r d g e r e t t e t w e r d e n " , W o r t e d e s a u f e r s t a n d e n e n J e s u s , die L u t h e r i n d a s v i e r t e H a u p t s t ü c k a u f g e n o m m e n h a t , s e t z e n d i e T a u f e als f e s t s t e h e n d e c h r i s t l i c h e O r d n u n g v o r a u s . N u n g e h ö r t a b e r M k 16i6 z u m u n e c h t e n S c h l u ß d e s E v a n g e l i u m s u n d i s t i n h a l t l i c h N a c h k l a n g v o n M t 2819, d i e s e r T a u f b e f e h l i m M a t t h ä u s e v a n g e l i u m a b e r zeigt eine n i c h t zu l e u g n e n d e S p a n n u n g zu a n d e r n Ü b e r l i e f e r u n g e n a u s d e r a p o s t o l i s c h e n Z e i t . D e n n M t 28i9 s t e h t i m N T o h n e P a r a l l e l e d a 1 . A b g e s e h e n v o n dieser e i n e n Stelle k e n n t d a s N T n u r die T a u f e a u f J e s u s als d e n M e s s i a s : „ a u f C h r i s t u s " (eìg XQIOTÓV) Gal 327; „ a u f C h r i s t u s ( J e s u s ) " R o m 63; „ a u f d e n N a m e n («ti To Svo/xa) d e s H e r r n J e s u s " A p g 195 816, v g l I K o r Iis—15; „ i n d e m N a m e n (èv r m i t Genitiv g e t r e t e n ist 3 . A n einigen Stellen s c h w a n k t die Überlieferung zwischen „ w e g e n " (?teçi) u n d „ z u g u n s t e n " (vnéç) I Thess 5l0 Gal 14 I K o r 113. Ü b e r s c h a u t m a n die Stellen, wo P a u l u s v o m Tode Christi „ z u g u n s t e n " der Menschen spricht, so g e w i n n t m a n doch d e n E i n d r u c k , d a ß er den Stellvertretungsg e d a n k e n n i c h t ausschließen will. A u s Gal 220 h ö r e n wir d o c h wohl n i c h t unrichtigerweise h e r a u s , d a ß im Apostel die schrankenlose Liebe zu Christus d u r c h die Liebe Christi u n d die s t e l l v e r t r e t e n d e H i n g a b e a n seiner S t a t t a m K r e u z e ausgelöst w o r d e n ist. I n den gleichen G e d a n k e n k r e i s gehören a b e r a u c h die a n d e r e n Stellen, wo v o n der H i n g a b e Christi z u g u n s t e n der Christen die R e d e ist, Gal 14 R o m 832 5 6 — 8 E p h 52 25. Endlich ist eine d e m Apostel geläufige Vorstellung die der mystischen E i n v e r l e i b u n g in Leiden u n d T o d Christi. D e r Gläubige soll sich dergestalt in d a s Leiden u n d den T o d Christi v e r s e n k e n , d a ß er m i t diesen Erlebnissen Christi innerlich z u s a m m e n w ä c h s t u n d sie so s t a r k m i t e m p f i n d e t , als seien sie a u c h a n i h m vollzogen. Diese G e d a n k e n w e r d e n d u r c h W o r t b i l d u n g e n z u m A u s d r u c k g e b r a c h t , welche m i t der Präposition „ m i t " (avv) z u s a m m e n g e s e t z t sind, oder aber d u r c h das Bild der E i n g e s t a l t u n g in den T o d Christi. Besonders lehrreich in dieser Hinsicht ist R o m 6 i f f (ovvEtdyrjfiev 4, ovfj.gig egyojv vopov R o m 328). M a g e r a u c h o h n e s t ä r k e r e Zuspitzung des Gegensatzes einfach schreiben „ a u s G l a u b e n " , L u t h e r s Auslegung sola f i d e , „ a l l e i n a u s G l a u b e n " , ist sachlich d u r c h a u s z u t r e f f e n d . D e n n P a u l u s s t e l l t die W e r k e des Gesetzes u n d d e n G l a u b e n in k o n t r ä r e n G e g e n s a t z z u e i n a n d e r . D e r G l a u b e a b e r ist d a s G e g e n t e i l aller W e r k e . Die G e r e c h t i g k e i t , die a u s G l a u b e n k o m m t , sieht ganz v o m eigenen T u n ab. D e n n Glaube ist in diesem Z u s a m m e n h a n g d i e A n e r k e n n u n g d e r e i g e n e n S ü n d h a f t i g k e i t u n d U n g e r e c h t i g k e i t u n d die Z u e i g n u n g d e s v o n G o t t i m E r l ö s u n g s t o d e Christi f ü r j e d e n M e n s c h e n g e o r d n e t e n H e i l s . D e r M e n s c h , d e r a u s G l a u b e n die G e r e c h t i g k e i t e r l a n g e n will, e r k e n n t , d a ß er d u r c h sich s e l b s t n i m m e r m e h r g e r e c h t w e r d e n k ö n n t e , a b e r e r v e r l ä ß t sich d a r a u f , d a ß G o t t i h m die e r l ö s e n d e W i r k u n g des T o d e s Christi z u r e c h n e t u n d i h n als e i n e n solchen a n s i e h t , d e r d u r c h C h r i s t u s b e r e i t s i n d e n Besitz aller H e i l s g ü t e r g e l a n g t i s t . Die p a u linische R e c h t f e r t i g u n g i s t ein s y n t h e t i s c h e s U r t e i l . M i t dieser L e h r e t r a t P a u l u s i n d e n s c h n e i d e n d s t e n G e g e n s a t z gegen d a s J u d e n t u m . J a , sie w a r g e r a d e z u A u f h e b u n g des Charakteristischen der jüdischen Frömmigkeit. Noch immer ist es eine Streitfrage, ob Paulus m i t seiner Lehre von der Gerechtigkeit aus Glauben nicht an ein bereits in der Synagoge empfundenes Problem a n g e k n ü p f t habe. Sie steht besonders in Verhandlung bei der Feststellung der Zeitverhältnisse des Jakobusbriefes. Aber noch viel bedeutsamer ist die Frage f ü r die geschichtliche W ü r d i g u n g der Theologie des Paulus. Denn die Polemik des Apostels gegen das zeitgenössische J u d e n t u m verlöre viel von ihrer Schärfe, wenn schon vor P a u l u s die jüdische Werkgerechtigkeit durch energische Betonung des Glaubens gemildert worden wäre. P a u l u s h ä t t e d a n n n u r zur ausschließlichen Geltung zu bringen versucht, was schon vor ihm als f ü r das rechte Verhalten des Menschen wertvoll b e t r a c h t e t worden wäre. Zugleich m ü ß t e n wir a u f h ö r e n , die paulinische Rechtfertigungslehre als eine originale Schöpfung des Apostels zu b e t r a c h t e n . D a s Wesentliche derselben wäre schon vor ihm vorhanden gewesen. Der Glaube ist in der T a t im S p ä t j u d e n t u m von nicht geringer Bedeutung 1 . E r ist u n a b t r e n n b a r vom jüdischen Monotheismus. Die Anerkennung des einen w a h r e n Gottes, gegenüber dem alle anderen Götter Wahngebilde u n d Götzen sind, ist Glaube als persönliche Entscheidung f ü r diesen Gott. Mag auch das W o r t „ G l a u b e " fehlen, das Bekenntnis Weish Sal 153: „Dich kennen ist vollkommene Gerechtigkeit, u n d von deiner K r a f t wissen, ist die Wurzel der Unsterblichkeit", ist ein Glaubensurteil. In I V M a k k ist der Glaube der Aufblick u n d das Vertrauen zu Gott, dem Schöpfer u n d H e r r n des Alls, u m dessen willen m a n auch leiden m u ß , der eigentliche Adel der Seele. Die M u t t e r e r m a h n t e ihre sieben Söhne vor dem Märtyrertode z u m Festhalten des Glaubens a n Gott I V M a k k 1622, vgl a u c h 1524 172 Sibyll I I I , 584f 724. Brief des Aristeas 234. Philo 8 ist ein Herold des Glaubens, des Hindurchdringens des Menschen aus dieser irdischen, vergänglichen, ungewissen Welt zum wahren u n d unvergänglichen Sein, z u m unsichtbaren, ewigen G o t t . E r b e t o n t ausdrücklich, daß der Gläubige sich Gott allein ergibt. Dem Gläubigen gilt sein S t a n d p u n k t als der allergewisseste. H a t er sich einmal in Gott geborgen, so verlieren die sinnlichen E i n d r ü c k e ihren Reiz. Der Glaube ist ihm die vollkommenste der Tugenden 3 . I m palästinensischen 1 Bousset-Greßmann 3 , S 193ff, 362ff, 379ff, 382ff. ASchlatter, Der Glaube im N T , »1905. 2 Vgl HWindisch, Die Frömmigkeit Philos u n d ihre B e d e u t u n g f ü r das Christentum 1909, S 23-29. 3 Quis r e r u m divinarum heres sit 18, CW § 91: ti/v teXtioxatt^v aqtxäv, niattv Uber den Glauben handelt Philo auch eindrücklich De migratione A b r a h a m i 9 (CW § 43 f f ) im Anschluß an Gen 12l r]v aoi Seilet.
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D i e L e h r e des P a u l u s
J u d e n t u m t r i t t d e r G l a u b e n i c h t so s t a r k h e r v o r , d o c h i s t b e r e i t s i m H e n o c h b u c h e die H a u p t s ü n d e d e r K ö n i g e u n d M ä c h t i g e n i h r U n g l a u b e H e n 467 637 606 635, u n d i m I V E s r u n d I I B a r g e w i n n t er g r o ß e B e d e u t u n g . J a , I V E s r stellt b e r e i t s G l a u b e n u n d W e r k e n e b e n e i n a n d e r . G o t t w i r d die in D r a n g s a l G e f a l l e n e n b e w a h r e n , „ w e n n sie W e r k e h a b e n u n d G l a u b e n a n d e n Allerh ö c h s t e n u n d A l l m ä c h t i g e n " I V E s r 1323. E s b l e i b e n ü b r i g die, welche h a b e n e n t r i n n e n k ö n n e n „ u m i h r e r W e r k e willen o d e r des G l a u b e n s w e g e n , d e n sie b e w a h r t h a b e n " I V E s r 97. S y r B a r 54s s p r i c h t v o n solchen, „ d i e sich i m G l a u b e n dir u n d d e i n e m Gesetz u n t e r w o r f e n h a b e n " . I n j ü d i s c h e n S c h r i f t e n b e g e g n e t sogar A b r a h a m als e r s t e r G l a u b e n s z e u g e u n t e r H i n w e i s a u f die O p f e r u n g I s a a k s . I M a k k 252 s a g t M a t t a t h i a s : „ W u r d e n i c h t A b r a h a m in d e r V e r s u c h u n g t r e u e r f u n d e n ( n i a t o t eiqi&rj), u n d i h m solches als G e r e c h t i g k e i t z u g e r e c h n e t ? " I V M a k k 1620ff v e r w e i s t die H e l d e n m u t t e r i h r e S ö h n e z u e r s t a u f d a s Beispiel des A b r a h a m , d e r a u f g ö t t l i c h e n B e f e h l b e r e i t w a r , seinen S o h n z u s c h l a c h t e n u n d so seinen G l a u b e n bewies. I m B u c h d e r J u b i l ä e n ist A b r a h a m gleichfalls d e r „ G l ä u b i g e " . M a s t e m a v e r s u c h t d e n A b r a h a m in d e r O p f e r u n g I s a a k s , u n d n a c h ü b e r s t a n d e n e r V e r s u c h u n g h e i ß t e s : A b r a h a m „ w a r d als g l ä u b i g e r f u n d e n u n d w u r d e als F r e u n d G o t t e s a u f die h i m m l i s c h e n T a f e l n g e s c h r i e b e n " J u b i l 19a 1 . B e s o n d e r s a b e r ist f ü r P h i l o A b r a h a m d e r T y p u s des G l a u b e n s g e w o r d e n , u n d P h i l o h e b t a u c h die G l a u b e n s g e r e c h t i g k e i t des A b r a h a m n a c h G e n 156 a u s d r ü c k l i c h h e r v o r 2 . D a r a u s ist k l a r ersichtlich, d a ß P a u l u s f o r m e l l n i c h t original i s t , w e n n er d e n G l a u b e n b e t o n t , w e n n er G l a u b e n u n d W e r k e z u r R e c h t f e r t i g u n g i n B e z i e h u n g s e t z t u n d A b r a h a m als G l ä u b i g e n u n d T y p u s des G l a u b e n s g e h o r s a m s h i n s t e l l t . A b e r m a n d a r f sich n i c h t t ä u s c h e n l a s s e n . P a u l u s v e r s t e h t u n t e r G l a u b e n i m Z u s a m m e n h a n g d e r R e c h t f e r t i g u n g s l e h r e e t w a s g a n z a n d e r e s , er v e r steht d a r u n t e r etwas der jüdischen Auffassung vollständig Entgegengesetztes. I n den jüdischen S c h r i f t e n ist G l a u b e d o c h a u c h ein r e c h t f e r t i g e n d e s W e r k , e t w a s V e r d i e n s t l i c h e s . V e r h e r r l i c h t G o t t n a c h S y r B a r 5421 die G l ä u b i g e n e n t s p r e c h e n d i h r e m G l a u b e n , so s c h e n k t e r i h n e n n i c h t a u s f r e i e r G n a d e , s o n d e r n g i b t i h n e n , w a s i h n e n g e b ü h r t . H a t A b r a h a m in d e r V e r s u c h u n g G l a u b e n e r w i e s e n , so h a t er g e h a n d e l t , wie G o t t w o l l t e , u n d ist d a h e r a u s W e r k e n g e r e c h t f e r t i g t w o r d e n . E s gilt d a n n a u c h v o n i h m , w a s P a u l u s R o m 44f g e r a d e a u s s c h l i e ß e n will, d a ß i h m L o h n zuteil g e w o r d e n sei n a c h g ö t t l i c h e r S c h u l d i g k e i t ( x a t ä oipeiXyfia). I V E s r 97 s t e l l t s o g a r , wie wir s a h e n , d e n G l a u b e n als W e c h s e l b e g r i f f n e b e n die W e r k e . K ö n n e n die M e n s c h e n d e m V e r d e r b e n e n t r i n n e n u m i h r e r W e r k e o d e r ihres G l a u b e n s willen, so ist d e r G l a u b e seinem e i g e n t l i c h e n W e s e n n a c h n i c h t e r h e b l i c h v o n d e n W e r k e n v e r s c h i e d e n . E s b l e i b t also d o c h d a b e i , d a ß P a u l u s in d e n B e g r i f f seines r e c h t f e r t i g e n d e n G l a u b e n s e t w a s g a n z U n j ü d i s c h e s l e g t , d e n völligen V e r z i c h t auf alle V e r d i e n s t l i c h k e i t u n d die A n e r k e n n u n g , n i c h t so z u sein, wie w i r v o r G o t t sein sollten. I n d e r R e c h t f e r t i g u n g s l e h r e s p r e n g t P a u l u s d a s J u d e n t u m u n d p r o k l a m i e r t ein n e u e s religiöses V e r h ä l t n i s des M e n s c h e n .
Dennoch weiß es Paulus, daß er in seiner Rechtfertigungslehre einen Grundgedanken atlicher Frömmigkeit aufnimmt und fortsetzt. Man kann sich dafür auf R ö m 12 berufen, wo der Apostel v o n der Vorherverkündigung seines Evangeliums durch die Propheten des ATs spricht, oder auf Abraham als das atliche Glaubensbeispiel des Apostels. Noch deutlicher aber ist der R ö m 117 Gal 311 aus Hab 24 „der Gerechte wird aus Glauben leben" geführte Schriftbeweis. Mag der hebräische T e x t in dieser Prophetenstelle verderbt sein, der L X X - T e x t dunkel: das zitierte Wort ist dem Apostel für das religiöse Verständnis des ATs, wie er es an Christus gewonnen hat, ein leuchtender Stern geworden, wie später der ganze Vers Röm 117 für Luther im Kloster. D i e p a u l i n i s c h e R e c h t f e r t i g u n g s l e h r e b e g e g n e t b e s o n d e r s in G a l u n d R ö m u n d i s t w e g e n i h r e r e i g e n a r t i g e n G e g e n s ä t z l i c h k e i t gegen d a s J u d e n t u m als i n n e r e E i n h e i t z u v e r s t e h e n . D e n n o c h zeigen G a l u n d R ö m gewisse V e r s c h i e d e n h e i t e n dieser L e h r e . I n G a l w i r d sie ü b e r w i e g e n d v o n d e r Seite des v o m M e n s c h e n z u w ä h l e n d e n Heilswegs a u s g e s c h i l d e r t , e n t s p r e c h e n d d e m g e s c h i c h t lichen A n l a ß des B r i e f e s . W o h l e n t h ä l t G a l 3 a u c h e i n e n heilsgeschichtlichen U n t e r b a u , u n d ü b e r a l l ist f ü r P a u l u s die V o r a u s s e t z u n g s e l b s t v e r s t ä n d l i c h , d a ß G o t t diesen H e i l s w e g i n Christi K r e u z g e o r d n e t h a t . A b e r K a p 2, 3 A n f a n g u n d 5 t r i t t die A u f f o r d e r u n g d e u t l i c h h e r v o r , n i c h t v o n d e m r i c h t i g g e w ä h l t e n H e i l s w e g a b z u f a l l e n . I n R ö m d a g e g e n ü b e r w i e g t die heilsgeschichtliche B e t r a c h t u n g , welche die W e g e G o t t e s m i t d e r M e n s c h h e i t v e r s t e h e n l e h r e n will u n d d a h e r d e n S t a n d o r t bei G o t t e s H e i l s w a l t e n n i m m t , d e m sich d e r M e n s c h g l a u b e n s v o l l u n t e r w e r f e n m u ß . D a h e r w i r d die R e c h t f e r t i g u n g s l e h r e in R ö m a u c h t h e o l o g i s c h t i e f e r b e g r ü n d e t , wie d e n n in diesem B r i e f e die christliche Gnosis des A p o s t e l s b e r e i t s z u reicher E n t f a l t u n g g e l a n g t , u n d d a h e r R ö m in s p ä t e r e Z e i t als G a l g e s e t z t w e r d e n m u ß . I n s b e s o n d e r e e r s c h e i n t e r s t h i e r d a s in d e r R e c h t f e r t i g u n g s l e h r e b e g r ü n d e t e P r o b l e m gelöst, wie die G e r e c h t i g k e i t G o t t e s m i t s e i n e m H e i l s w a l t e n zu v e r e i n i g e n sei. Die L ö s u n g liegt in einer E r w e i t e r u n g u n d U m b i e g u n g d e s s e n , w a s d a s p h a r i s ä i s c h e J u d e n t u m u n t e r G e r e c h t i g k e i t v e r s t a n d . G e r e c h t i g k e i t G o t t e s ist d e m A p o s t e l in
1 Vgl FSpitta, Der Brief des Jakobus, 1896, S 81 f. 2 Quis rerum divinarum heres sit 18, CW § 90 94, vgl auch Qe Abrahamo 45, § 262 CW.
Die Eigenart der paulinischen Rechtfertigungslehre
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Rom nicht nur richterliche Gerechtigkeit, sondern auch das dem Wesen Gottes entsprechende gerechte Verhalten Gottes, welches aber nach Gottes Verheißungstreue (33 f f ) den Menschen im Evangelium, nämlich durch das Kreuz Christi, zugänglich wird, so daß sie an der Gerechtigkeit Gottes auch ihrerseits Anteil erhalten.
3. Rechtfertigen, Rechtfertigung, Gerechtigkeit Gottes. Wir h a b e n zunächst die B e d e u t u n g des v o n Paulus zur B e z e i c h n u n g der R e c h t fertigung v e r w e n d e t e n Terminus festzustellen. W a s h e i ß t óixaiovv 71 Ein Teil der Verba auf óa> hat faktitive Bedeutung: SovXovv „zum Sklaven machen", SrjXovv „kundmachen", ixarovv „tauglich machen". Ein anderer Teil wird transitiv, aber nicht faktitiv gebraucht, àpovv „pflügen", xaxovv „mißhandeln". Sind die Verba auf óco von Adjektiven abgeleitet, die ein sittliches Urteil aussprechen, wie àt-iovv, óatovv, Sixaiovv, so haben sie die Bedeutung „als würdig usw erachten, erweisen, hinstellen". So ist also die Grundbedeutung von Sixaiovv „ f ü r gerecht halten". Noch in keiner bisherigen Untersuchung ist nachgewiesen worden, daß in der außerbiblischen Gräzität Sixaiovv in der Bedeutung „gerecht machen" gebraucht worden wäre 2 . Das Verbum bedeutet „ f ü r gerecht halten" z.B. Thukydides I I 67, Herodot I 133, Aristoteles, Nikomachische Ethik V 9, Aeschylos, Agamemnon 391 f. Welches ist der biblische Gebrauch des Begriffs „rechtfertigen" ? I n den L X X wird „rechtfertigen" (Sixaiovv) etwa 45 mal gebraucht. Es ist Äquivalent von mehreren hebräischen Wörtern. I Sam 127 liegt zugrunde UDII), Ezech 2113 103, Mich 79 und Jes 117 S"0, Mich 6ll und Ps 7313 HDT. Die Bedeutung ist „richten", „Recht schaffen", „rein erhalten", im Passivum „als gerecht dastehen", „gerecht gesprochen werden". In allen anderen Stellen ist „rechtfertigen" Übersetzung des Kai, Piel, Hitpael oder Hifil von pTS „gerecht sein", und einmal, Jes 4221, des Substantivs p n ^ „Gerechtigkeit". Indem das Kai „gerecht sein" in den L X X durch Sixaiovv, Pass oder Akt, wiedergegeben wird (Gen 3826 Ps 1910 516 1432 Jes 439 26 4525 Ez 1652), sowie in der freien Übersetzung des hebräischen „um seiner Gerechtigkeit willen" Jes 4221 durch „damit er gerecht gesprochen werde" (iva Sixaico&fi), tritt zutage, daß mit „rechtfertigen" an ein richterliches Urteil gedacht wird, welches die Gerechterklärung ausspricht. Das griechische Verbum drückt also aus, daß eine Person kraft eines Urteils als gerecht dasteht. Diese Bedeutung ist auch erkennbar, wenn Hiob 1015 die L X X das Kai zadak übersetzen: „wenn ich gerecht bin" (ìàv Si OJ Sixaiog), Aquila aber „gerechtfertigt" (ßixaico&eis) übersetzt, und die gleiche Verschiedenheit Hiob 1514 zwischen L X X {Sixaioe) einerseits und Aquila und Theodotion (Sixaico&ljoerai) andererseits, Hiob 403 zwischen L X X (Sixatos) und Symmachus (Iva Sixaico&fjg), Hiob 915 zwischen L X X (Stxaios) und Theodotion (Sixaica&rjoofiai) Platz greift. In den Stellen, wo „rechtfertigen" Übersetzung des Piel (Hiob 3332 Jer 3ll Ez 1651 52) oder des Hitpael von zadak ist (Gen 4416), heißt es gleichfalls „als gerecht erklären", „als gerecht hinstellen". Wie stark gerade in den L X X die Vorstellung eines richterlichen Urteils vorschwebt, ist aus Hiob 3332 ersichtlich, wo Elihu zu Hiob sagt: „sprich nur, denn gern gebe ich dir recht", die L X X aber passivisch übersetzen: „denn ich möchte, daß du gerecht gesprochen werdest" (&éAco yàp Sixaico&ijvai ae). „Rechtfertigen" als Übersetzung des Hifil hizdlk heißt „gerecht erklären" Ex 237 Deut 25l I I Sam 154 Ps 823 Jes 523 508 53ll s (freie Wiedergabe des hebräischen Textes), I Kön 832 = II Chron 623 und Ps 823 bedeutet es „zum Recht verhelfen". In durchaus verwandter Weise wird „rechtfertigen" dann auch in den atlichen Apokryphen 1 Vgl ThW s. v. Godet, Kommentar zu dem Brief an die Römer, Exkurs zu Rom 117. Sanday und Headlam, The Epistle to the Romans, in: The international Critical Commentary on the Holy Scriptures of the Old and New Testament, Exkurs zu Rom 117. 2 RReitzenstein, Die hellenistischen Mysterienreligionen, ' S lOOff findet in dem hermetischen Wiedergeburtsmysterium Sixaim&rjvai in der Bedeutung „sündlos werden" gebraucht. Wenn hier die Vorstellung herrscht, daß die Sixaiooivr] &eov, als Eigenschaft und K r a f t gedacht, in uns herabsteige und die äSixia verjage, so liegt biblischer, speziell paulinischer Einfluß vor, in dessen Verfolg allerdings die Auffassung von Stxaiovo&ai als sündlos werden nahe genug lag. 3 Hier liegt es nahe, D^aSb "HDJ* P ^ X p"1"?^- zu übersetzen: „der Gerechte, mein Knecht, wird viele gerecht m a c h e n " ; aber auch dann geht der Sinn nicht über die Bedeutung hinaus: „er wird viele zur Gerechtigkeit f ü h r e n " . Auch die L X X mit ihrem: Sixaiwaai Sixaiov ti SovAevovta noiloTs spricht nicht von Gerechtmachung des Gerechten, sondern von seiner Gerechterklärung, sie hat also das Hifil nicht faktitiv verstanden. Dan 123: „Die Lehrer werden glänzen wie der Glanz der Himmelsfeste, und die zur Gerechtigkeit weisen die vielen wie die Sterne" (D"QD133 D^ann ""p^^H 9 ), ist gleichfalls nicht von eigentlicher Gerechtmachung die Rede. Theodotion hat hier nach seiner Übersetzung xal aito tmv Sixaieov tmv 7to%Xwv nicht das P a r t . Hif. gelesen, sondern d^p^SO oder ""p^SH. Die L X X übersetzen ganz frei: xai ol xatio%vovrte •tois Xoyovs fiov.
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Die Lehre des Paulus
und Pseudepigraphen gebraucht. In Sir, wo es elfmal vorkommt, heißt es zehnmal „gerecht erklären", einmal, Sir 75, „als gerecht (vor Gott) darstellen" (fir; Stxaiov evavn xvplov); ähnlich IV Esr 127. In Ps Sai dient es besonders (Ps Sai 2l5 35 48 826 27 93), Gottes Wege und Gerichte als richtig und gerecht zu bezeichnen, der Fromme erklärt Gott für gerecht. Wenn Esth 109 das Aktivuni in der abgeschwächten Bedeutung „sich entscheiden für" gebraucht wird und Tob 612 13 124 das Passivum in der Bedeutung „es gebührt", „es steht zu", so liegt beide Male gleichfalls der Gedanke einer richterlichen Erklärung zugrunde. IV Esr 418 1016 heißt es „Recht geben". D a n a c h liegt dem B e g r i f f „ r e c h t f e r t i g e n " ü b e r a l l die V o r s t e l l u n g e i n e r r i c h t e r l i c h e n E n t s c h e i d u n g ü b e r eine P e r s o n zugrunde und zwar d e r g e s t a l t , d a ß diese E n t scheidung zugunsten der P e r s o n erfolgt, wenn sie A n s p r u c h d a r a u f h a t , z u u n g u n s t e n , w e n n sie n i c h t r e c h t h a t . E r w e i t e r t wird der B e g r i f f i n s o f e r n , als er a u c h a u s d r ü c k e n k a n n , d a ß m a n d e m U r t e i l ü b e r eine P e r s o n die T a t folgen lassen soll, i n d e m m a n i h r zu i h r e m R e c h t e v e r h i l f t , oder d a ß m a n das eigene R e c h t in A n s p r u c h n i m m t . E s i s t f ü r das A T u n d das J u d e n t u m das N o r m a l e , d a ß der G e r e c h t e R e c h t , der U n g e r e c h t e Unrecht erhält. D e u t 251 spricht davon, daß Personen zum Gericht kommen, und m a n das G e r e c h t e g e r e c h t s p r i c h t , das G o t t l o s e v e r u r t e i l t (Sixaiwocooiv ràv òixaiov xaì xmayv&aiv TOV aoeßovc;). I K ö n 832 ( = I I Chron 623) b i t t e t S a l o m o bei der T e m p e l w e i h e , G o t t wolle sein V o l k I s r a e l r i c h t e n , d a ß der G o t t l o s e als gottlos e r k l ä r t werde (àvo/J.r]&fjvat ävofiov), u n d G o t t den G e r e c h t e n g e r e c h t s p r e c h e , i h m gebe n a c h seiner G e r e c h t i g k e i t (rov Sixai&aai òixaiov öovvai avrcö xarà trjv öixaioavvr]v avrov). D e n S ü n digen wird n i e m a n d gerecht sprechen S i r 1 0 3 2 ; u n d E x 2 3 7 u n d S i r 4 2 2 wird d a v o r g e w a r n t , den G o t t l o s e n gerecht zu s p r e c h e n (dixaiwaai rov aoeßrj). V o n e i n e r G e r e c h t m a c h u n g ist nirgends im A T die R e d e , j a , das i s t n a c h d e r geschilderten G e s a m t a n s c h a u u n g sogar u n m ö g l i c h . A u c h P s 73 13 h a t der griechische A u s d r u c k n i c h t diese B e d e u t u n g . D e n n d o r t ist die R e d e d a v o n , d a ß sich der F r o m m e v o n Versündigungen rein e r h a l t e n h a t , v o n der n o r m a l e n s i t t l i c h e n B e s c h a f f e n h e i t n i c h t abgewichen i s t . I m N T f i n d e n wir den gleichen B e g r i f f des R e c h t f e r t i g e n s bis a u f die paulinische u n d paulinisch b e e i n f l u ß t e L i t e r a t u r . D a s W o r t b e d e u t e t „ g e r e c h t e r k l ä r e n denj e n i g e n , welcher g e r e c h t i s t " M t 1 1 1 9 = L k 735 M t 1237 L k 1029 1 6 l 5 . I n Mt 1237 f e h l t sogar die A n t i t h e s e n i c h t : „ a u s deinen W o r t e n wirst du f ü r g e r e c h t e r k l ä r t w e r d e n , u n d aus deinen W o r t e n w i r s t du v e r u r t e i l t w e r d e n " . S e l b s t L k 1814, wo es v o m Zöllner h e i ß t , d a ß er „ g e r e c h t f e r t i g t e r " als der P h a r i s ä e r v o m T e m p e l h i n a b g i n g liegt der a t l i c h e , n i c h t der paulinische B e g r i f f v o r . D e n n es wird d o r t die religiöse R e c h t b e s c h a f f e n h e i t , wie sie v o r G o t t gilt, als eine h ö h e r e i m Zöllner g e d a c h t als i m P h a r i s ä e r . L k 7 2 9 ; das V o l k u n d die Zöllner „ p r i e s e n G o t t " (èSixaimoav xòv &£Óv) g e h t gleichfalls a u f die a t l i c h e W u r z e l zurück. J a k 221 24 25 i s t „ r e c h t f e r t i g e n " ganz i m j ü d i s c h e n S i n n e der G e r e c h t e r k l ä r u n g des G e r e c h t e n g e b r a u c h t , wie j a a u c h P a u l u s selbst n i c h t n u r in d e m a t l i c h e n Z i t a t R o m 3 4 , sondern a u c h R o m 213 320 42 6 7 I K o r 4 4 G a l 216 311 5 4 , sowie I T i m 316 den B e g r i f f i m l a n d l ä u f i g e n S i n n e verw e n d e t . A p k 2 2 n i s t wohl zu l e s e n : „ d e r G e r e c h t e t u e G e r e c h t i g k e i t " , n i c h t : „ d e r G e r e c h t e werde g e r e c h t f e r t i g t " , u n d A p g 1 3 3 8 f : „ u n d v o n allem, w o v o n i h r i m Gesetz des Mose n i c h t k o n n t e t g e r e c h t f e r t i g t werden, d a r i n wird j e d e r G l ä u b i g e gerechtf e r t i g t " i s t „ r e c h t f e r t i g e n " zwar n i c h t in der e c h t paulinischen B e d e u t u n g v e r w e n d e t , a b e r der A u s d r u c k s t e h t deutlich u n t e r d e m E i n f l u ß der paulinischen A n schauung. D i e S c h w i e r i g k e i t des V e r s t ä n d n i s s e s der paulinischen R e c h t f e r t i g u n g s l e h r e liegt d a r i n , d a ß P a u l u s i n n e r h a l b derselben verschiedene A u s g a n g s p u n k t e der B e t r a c h t u n g n i m m t . E r k a n n n ä m l i c h v o n G o t t a u s g e h e n , u n d das ist f ü r i h n als J u d e n u n d in der A u s e i n a n d e r s e t z u n g m i t gläubigen u n d u n g l ä u b i g e n J u d e n das n ä c h s t l i e g e n d e . I n diesem F a l l e s c h l ä g t f ü r i h n wie f ü r das J u d e n t u m das U r t e i l G o t t e s d u r c h , welches dieser u m Christi willen ü b e r den M e n s c h e n fällt. E i n U r t e i l G o t t e s k a n n n u n a b e r f ü r d e n A p o s t e l n i c h t u n w i r k s a m b l e i b e n . S p r i c h t G o t t e i n e m M e n s c h e n die Gerechtigk e i t zu, so b e k o m m t dieser sie a u c h , m a g sie einstweilen a u c h n u r zugesprochen sein o d e r n o c h n i c h t v o l l e n d e t . Andererseits k a n n P a u l u s a b e r a u c h v o m religiösen E r l e b nis ausgehen. E r w u ß t e sich seit seiner Christuserfahrung v o n G o t t a n g e n o m m e n u n d d r ü c k t das a u c h aus in der V o r s t e l l u n g der R e c h t f e r t i g u n g . D e r A k t des E r l e b e n s ist d e r G l a u b e n s a k t . D i e s e r ist f ü r P a u l u s die volle A n e r k e n n u n g der eigenen S ü n d i g k e i t u n d U n w ü r d i g k e i t v o r G o t t , a b e r zugleich das G e f ü h l des n e u e n L e b e n s , das v o n G o t t u n d Christus a u f den G l ä u b i g e n ü b e r s t r ö m t . W i e d e r u m liegt also i n d e r R e c h t -
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W a s heißt „rechtfertigen ? "
fertigung beides, das Gegenteil dessen, was der J u d e unter Rechtfertigung verstand, u n d zugleich der A n f a n g der aktiven, der Lebensgerechtigkeit. D i e durchschlagende A n s c h a u u n g des Apostels in der Rechtfertigungslehre ist aber doch die des göttlichen Urteils über d e n Menschen, nicht dasjenige, w a s i m M e n s c h e n vor sich geht. A m schärfsten tritt dies hervor R o m 45, w o v o n G o t t gesagt w i r d , d a ß e r „ d e n G o t t l o s e n g e r e c h t s p r i c h t " (ròv óixaiovvra ròv äaeßrf). D e r g l e i c h e G e d a n k e l i e g t a b e r a u c h v o r R o m 3 24 „ g e r e c h t g e s p r o c h e n g e s c h e n k w e i s e d u r c h s e i n e (Gottes) G n a d e " , sowie in der v e r w a n d t e n Aussage Tit 37, in d e n Stellen, w o die G e r e c h t s p r e c h u n g erfolgt g e d a c h t wird „ i n Christus" Gal 217, i m N a m e n unseres H e r r n J e s u Christi u n d i m Geist u n s e r e s G o t t e s I K o r 611, i n d e m B l u t e Christi R o m 59, sowie in allen Stellen, w o die Gerechtsprechung auf d e n G l a u b e n g e g r ü n d e t wird G a l 2 1 6 3 8 24 R o m 3 1 6 28 30 5 1 . D e n n ü b e r a l l i s t h i e r d i e M e i n u n g , d a ß d e r M e n s c h a u s sich selbst nicht die Gerechtsprechung erlangen k a n n , sondern Gott u m des s ü h n e n d e n T o d e s Christi willen u n d i n der K r a f t des die W i r k u n g dieses T o d e s a n e i g n e n d e n Glaubens gerecht spricht. In Analogie zu diesem Tatbestand ist v o n Gerechtsprechung des Sünders auch R o m 833f die R e d e . D e n n h e i ß t es hier: „ W e r wird die Auserw ä h l t e n Gottes tadeln ? Gott ist's, der gerecht spricht. W e r ist's, der verurteilt ? Christus J e s u s , der g e s t o r b e n i s t " u s w , so s t e h e n G o t t e s freisprechendes u n d G o t t e s v e r w e r f e n d e s Urteil in Parallele. D a g e g e n ist R o m 830 der o b e n a u c h a n g e d e u t e t e G e d a n k e n g a n g v o n der Gerechtmachung des Menschen durchgeführt. H a n d e l t Gott selbst in allen Stadien der Durchführung seines Heilswillens a m Menschen, so wird er h i e r d i e L i c h t h e r r l i c h k e i t e b e n s o n u r d e m j e n i g e n M e n s c h e n z u e r t e i l e n , w e l c h e r gerecht g e w o r d e n ist, w i e sie der sündige M e n s c h n a c h 323 n i c h t erhalten k o n n t e 1 . 1 H C r e m e r , Biblisch-theologisches W ö r t e r b u c h s. v . dixaiovv u n d Derselbe, P a u l i n i s c h e R e c h t f e r t i g u n g s l e h r e , 1899, S 3 2 9 f f v e r s t e h t P a u l u s f o l g e n d e r m a ß e n : G e r e c h t ist der, welcher d a s U r t e i l G o t t e s f ü r sich h a t . W e n n G o t t dixaioT, so stellt er d e n Menschen als g e r e c h t h i n R o m 519. D a h e r g e b r a u c h t P a u l u s a u c h d a s P a s s i v Sixaiovod'ai als „ g e r e c h t w e r d e n " (öixaios yiveodai) v o n d e m , d e r d a s U r t e i l , er sei ein G e r e c h t e r , e m p f a n g e n h a t ; d a s P e r f . P a s s . heiße bei i h m „ger e c h t s e i n " , d e r A o r . P a s s . „ g e r e c h t geworden s e i n " . H i e r k n ü p f t T h Z a h n a n , K o m m , zu Gal 2 1907, S 123—126 u n d zu R o m 1910, S 204—209, o h n e sich indessen auf C r e m e r z u beziehen. A u c h e r stellt f e s t , d a ß es sich bei dixaiovodai u n d Sixaiwois ü b e r a l l u m ein G e r e c h t w e r d e n u n d G e r e c h t sein in d e n A u g e n u n d n a c h d e m U r t e i l G o t t e s h a n d e l t . D e r f o r m a l e C h a r a k t e r v o n Sixaiovod'ai als P a s s i v w e r d e d a d u r c h gesichert, d a ß in e n t s c h e i d e n d e n Stellen G o t t als 6 Smaimv b e z e i c h n e t w e r d e R o m 326—30 4.5 830. N i c h t d e r Mensch schwinge sich d u r c h L e i s t u n g e n o d e r E i n b i l d u n g e n z u d e r S t e l l u n g eines v o r G o t t G e r e c h t e n e m p o r , s o n d e r n G o t t v e r h e l f e i h m z u dieser S t e l l u n g . A b e r d a r a u s folge n i c h t , d a ß Sixaiovodai ü b e r a l l im s t r e n g p a s s i v e n Sinne g e b r a u c h t w e r d e , es k ö n n e a u c h im i n t r a n s i t i v e n Sinne (gerecht w e r d e n ) g e m e i n t sein. I n dieser B e d e u t u n g f a ß t n u n Z a h n Sixaiovodai, wo es in d e n V e r b i n d u n g e n m i t ev rifiio, ex, Siä (rijs) niotewe, niorei, ev tto acaaIi rov XF)L(n:ovt ev XQIOTCÖ, bfuotav r f j ydoili rov deov, oia xr.^ aTzoXvt^cooetos y-tf. v o r k o m m t . H i e r b e d e u t e es „ G e r e c h t i g k e i t e r l a n g e n " ( x a r a i a f i ß d v e i v dixaioovvqv), „ e i n Ger e c h t e r w e r d e n " , u n d w e n n G o t t 6 Sixaicöv g e n a n n t w e r d e , so solle d a m i t n u r gesagt sein, d a ß er d e m s ü n d i g e n Menschen zu solcher S t e l l u n g v e r h e l f e . Sixaiovod'ai b e z e i c h n e einen V o r g a n g des religiösen L e b e n s des G l a u b e n d e n . D e n B e h a u p t u n g e n v o n Cremer u n d Z a h n liegt ein richtiges M o m e n t z u g r u n d e . Sixaiovod'ai k a n n in der T a t bei P a u l u s ein G e r e c h t w e r d e n , also einen i n n e r e n V o r g a n g im G l ä u b i g e n bezeichnen. Die d e u t l i c h s t e n Stellen h i e r f ü r sind diejenigen, wo d e r B e g r i f f vouos in V e r b i n d u n g m i t Sixaiovod'ai g e b r a u c h t w i r d . E s h a n d e l t sich u m t a t s ä c h liche G e r e c h t i g k e i t , w e n n P a u l u s in Analogie z u r j ü d i s c h e n R e c h t f e r t i g u n g s l e h r e v o n Sixaiovod'ai ev vofiep G a l 3 l l 53, oder ev Xpioriö Gal 217 s p r i c h t : in diesen A u s s a g e n s t e h t d e r G e d a n k e a n G o t t n i c h t im V o r d e r g r u n d . Ü b e r a l l a b e r , wo dies l e t z t e r e d e r F a l l ist, wird m a n zuerst a n d a s U r t e i l G o t t e s ü b e r d e n M e n s c h e n zu d e n k e n h a b e n . D a s D e k l a r a t o r i s c h e k a n n d a n n n i c h t a u s g e s c h a l t e t w e r d e n , m a g i m m e r h i n bei m a n c h e n Stellen die d e m U r t e i l G o t t e s f o l g e n d e t a t s ä c h l i c h e G e r e c h t i g k e i t m i t ins A u g e g e f a ß t w e r d e n . Gerade R o m 321 f f u n d 43 f f sind h i e r f ü r b e w e i s k r ä f t i g . 43 ff ist es g a n z d e u t l i c h , die G e r e c h t i g k e i t wird z u g e r e c h n e t (Xoyii^erai), sie ist S ü n d e n v e r g e b u n g . G o t t s p r i c h t d e n G o t t l o s e n g e r e c h t , der Gottlose wird n i c h t ein G e r e c h t e r , d e r G l a u b e ist ein A k t des M e n s c h e n gegen die H o f f n u n g auf H o f f n u n g h i n 418, auf G r u n d der S ü h n u n g d e r Ü b e r t r e t u n g e n e r f o l g t n i c h t die G e r e c h t m a c h u n g , s o n d e r n die G e r e c h t s p r e c h u n g 425. Dieser S c h r i f t beweis soll a b e r n u r die E r ö r t e r u n g 321 ff s t ü t z e n . E r v e r f o l g t k e i n e n a n d e r e n G e d a n k e n . Soll d o c h n a c h 21 g e h a n d e l t w e r d e n v o n d e r im Gesetz ( A b r a h a m ) u n d d e n P r o p h e t e n ( H a b 2i) b e z e u g t e n G e r e c h t i g k e i t G o t t e s . D a h e r b l e i b t es f r a g l i c h , ob m a n 323 ü b e r s e t z e n d a r f : „ i n d e m wir g e r e c h t w e r d e n " . D e r G e d a n k e a n G o t t u n d G o t t e s G a b e b e h e r r s c h t diesen A b s c h n i t t o f f e n s i c h t l i c h . Geschenkweise, a u f G r u n d d e r G n a d e G o t t e s , d u r c h die in C h r i s t u s d a r g e b o t e n e E r l ö s u n g w i r d u n s v o n G o t t die G e r e c h t i g k e i t z u g e s p r o c h e n , die w i r d a n n im Verfolg dieses U r t e i l s s p r u c h e s F e i n e : Theologie. 8.Autl.
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Die Lehre des Paulus
Das Substantivum „Gerechtsprechung" (Sixaiojcug) kommt bei Paulus zweimal vor, Rom 425 5 18. Die L X X haben es nur Lev 24 22 als Wiedergabe von USUJ'a „ R e c h t " . Sie übersetzen also s t a t t : „einerlei R e c h t " sachlich ganz zutreffend: „einerlei Rechtsprechung soll gelten für den Proselyten wie für den Landeseingeborenen". Wenn
Symmachus
P s 3523 l i e s t et; xr)v dmalwoiv
fiov1
s t a t t sig tj)j> ölxtjv ßov, s o
hat er das Wort in der Redeutung „Gerechtsprechung dessen, der gerecht i s t " gebraucht: Gott soll sich aufmachen und sich der Gerechtsprechung des Frommen zuwenden. Rei Paulus ist der Sinn Rom 425 „Gerechterklärung": „Christus ist auferweckt worden um unserer Gerechterklärung willen", damit wir um Christi willen, der wegen unserer Übertretungen dahingegeben worden, aber als der Auferweckte unser Herr geworden ist, gerecht erklärt würden. Rom 518 aber wird man die Bedeutung „Gerechtmachung" mit einbeziehen müssen. Der Parallelbegriff im gleichen Verse ist zwar der der göttlichen Verurteilung; aber da als Grundlage der öixaimaiQ Ctorjg die Rechttat Christi hingestellt wird, handelt es sich nicht nur um eine Gerechterklärung, welche das Leben im Gefolge hat, sondern um eine Gerechtmachung. Einmal, Rom 516, gebraucht Paulus nicht öinaicoaig, sondern Stxaico/ia, wahrscheinlich in Parallele zu dem vorangegangenen xardxgifia. Hier ist vom freisprechenden Urteil Gottes die Rede. G e r e c h t i g k e i t G o t t e s u n d a k t i v e G e r e c h t i g k e i t d e s M e n s c h e n . Schon die bisherige Erörterung hat gezeigt, daß in der Rechtfertigungslehre des Apostels der Übergang von der zugerechneten zur aktiven Gerechtigkeit ein fließender ist, insofern die zugerechnete Gerechtigkeit zur Lebensgerechtigkeit wird. Diese letztere tritt nun aber in der weiteren Ausgestaltung der Lehre noch deutlicher heraus, und zwar zunächst bei der Anschauung von der Gottesgerechtigkeit, obgleich auch diese teilweise als zugerechnet betrachtet werden muß. Der Ausdruck „Gerechtigkeit Gottes" begegnet bei Paulus Rom 117 35 21 22 25 26 103 I I Kor 521, auch I Kor 130 Phil 39. Der Ausgangspunkt der Behandlung des Begriffes „Gerechtigkeit Gottes" ist naturgemäß der Römerbrief, weil das Thema dieses ganzen Briefes j a die Gottesgerechtigkeit ist. Der Römerbrief ist Auseinandersetzung mit dem Judentum. Stellt Paulus in dieser sein Evangelium dar als Verkündigung der Gerechtigkeit Gottes, so wird er von dem Glauben geleitet, daß nicht das Judentum, sondern erst das Evangelium diese Gerechtigkeit Gottes den Menschen bringe. Aber das weitere ist sofort hinzuzufügen: Paulus wird die im Evangelium dargebotene Gerechtigkeit Gottes im Zusammenhang mit der atlichen Heilsgeschichte erfassen. Das ist auch wirklich der Fall. Das erste, was der Apostel 12 von seinem Evangelium aussagt, ist, daß Gott dasselbe durch seine Propheten im AT vorherverkündigt hat. Und an den entscheidenden Stellen des Römerbriefs, 117 34f 321—425 9 30-1015, bietet er für die Gottesgerechtigkeit den Schriftbeweis auf. Dabei zitiert er 34 sogar direkt eine jener atlichen Stellen, Ps 516, auf welche auch wir Heutigen hinzugreifen pflegen, wenn wir den Nachweis führen, daß bereits die Propheten und die Psalmen eine Gerechtigkeit Gottes kannten, welche das Heil der Menschen verwirklicht. Denn Paulus verwendet hier „Gerechtigkeit Gottes" als Parallelbegriff zur „Wahrheit Gottes". Also ist sie die Bürgschaft für die Erfüllung der Israel gegebenen Verheißungen trotz des Unglaubens des Volkes. Das Thema des Briefes formuliert Paulus 116 17. Das erste und Grundlegende, was er hier aussagt, ist dies, daß das von ihm verkündigte Evangelium unterschiedslos jedem Gläubigen die K r a f t Gottes vermittelt, die zur Rettung führt. K r a f t Gottes Gottes auch tatsächlich erhalten werden. Aber nur der Glaube ergreift diese zunächst uns nur zugesprochene Gerechtigkeit, und Gott ist derjenige, welcher sie dem Gläubigen z u s p r i c h t 326. Heißt es doch so- ausdrücklich futurisch: „er wird rechtfertigen". Auch Wendungen wie itagä ftö &eq> Gal 3ll, kvtomov aitov R o m 320 heben den richterlichen Charakter des Urteils heraus. Ebenso ist R o m 59 dixcuco&ivtes vvv iv tcö aifxati aitov gewiß nicht zu verstehen: „nachdem wir gerecht geworden", sondern „nachdem wir gerecht gesprochen worden sind". Luther hat also die Grundrichtung der paulinischen Rechtfertigungslehre doch besser verstanden als die beiden Lutheraner Cremer und Zahn. 1 FField, Origenis Hexaplorum quae supersunt Tom I I fasc. I Oxford 1877 zur Stelle vermutet, daß Symmachus dixaoiap oder diadixaoiav gelesen h a b e , d a Stxaicoaiv nicht passe. Doch gibt auch bixaimaiv einen guten Sinn, da nach dem Zusammenhang der Fromme von der göttlichen Gerechtigkeit seine Gerechtsprechung erwartet.
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Die Gerechtigkeit Gottes und die aktive Gerechtigkeit des Menschen
w i r d m a n v e r s t e h e n m ü s s e n als n e u e L e b e n s k r a f t , die a u s G o t t s t a m m t , also als e t w a s A k t i v e s , welches v o n G o t t aus in d e n Menschen eingeht. Dies v e r m i t t e l t d a s E v a n gelium a b e r a u s d e m G r u n d e , weil die Gerechtigkeit G o t t e s in i h m g e o f f e n b a r t wird. W i e d e r u m j e d o c h geschieht dies n u r d a , wo Glaube ist. U n d zwar ist d a s „ a u s G l a u b e n in G l a u b e n " (ix niaTscog et? niaziv) a u s z u l e g e n : der G l a u b e e r g r e i f t diese Gerechtigkeit G o t t e s , u n d ihre A n e i g n u n g f ü h r t i m m e r tiefer in d a s G l a u b e n s v e r h ä l t n i s zu G o t t hinein. A n f a n g u n d Ziel des E r g r e i f e n s dieser O f f e n b a r u n g G o t t e s ist der Glaube. S e l b s t v e r s t ä n d l i c h sind die Genetive in d e n P a r a l l e l a u s d r ü c k e n „ K r a f t G o t t e s " u n d „ G e r e c h t i g k e i t G o t t e s " Genetivi s u b j e c t i , des n ä h e r e n Genetivi a u c t o r i s . Also d ü r f e n wir n i c h t m i t L u t h e r ü b e r s e t z e n : „ G e r e c h t i g k e i t , die v o r G o t t g i l t " , sondern es ist „ G e r e c h t i g k e i t , die v o n G o t t k o m m t " . Diese Gerechtigkeit G o t t e s wird v o n G o t t d e n Menschen g e o f f e n b a r t , wie 118 zufolge a u c h der Z o r n G o t t e s a n die Menschheit geo f f e n b a r t wird. Sie soll a b e r v o n d e n Menschen ergriffen w e r d e n , u n d wo sie ergriffen w i r d , wird sie angeeignet. Freilich, w e n n dies der Glaube t u t , u n d w e n n es die A u f g a b e des Menschen ist, in diesen G l a u b e n i m m e r tiefer h i n e i n z u w a c h s e n , so liegt d a r i n a u c h die s t a r k e A n e r k e n n u n g , d a ß der Mensch i m m e r f o r t v o n sich a b s e h e n m u ß , d a der G l a u b e A b s e h e n v o m eigenen Besitz ist. Gemeint ist m i t d e r G l a u b e n s f o r d e r u n g , d a ß der Mensch n i c h t a u f h ö r e n d a r f , auf Christi K r e u z h i n z u s c h a u e n u n d Christus ins H e r z zu ziehen. A b e r d a s wird hier n o c h n i c h t gesagt. Stellt P a u l u s hier d o c h erst d a s T h e m a a u f . N u r dies h e b t er n a c h d r ü c k l i c h h e r v o r , d a ß diese V e r k ü n d i g u n g v o m Heil die richtige atliche, schon v o n den P r o p h e t e n v e r t r e t e n e sei. D e n n d a s P r o p h e t e n w o r t b r i n g t z u m A u s d r u c k , d a ß der Gerechte das L e b e n , die v o n G o t t g e o r d n e t e Folge der Gerechtigkeit, aus G l a u b e n d a v o n t r a g e n wird. W e i t e r f ü h r t R o m 321 f f , aber u n t e r deutlicher A n k n ü p f u n g a n d a s erste K a p i t e l des Briefes. D e n n w i e d e r u m spricht d e r Apostel hier v o n der K u n d m a c h u n g der Gerechtigkeit G o t t e s in der G e g e n w a r t d u r c h die O f f e n b a r u n g G o t t e s u n d v o n der B e z e u g u n g dieser Gerechtigkeit im A T . Neu ist a b e r der G e d a n k e , d a ß diese Gottesgerechtigkeit a u ß e r Beziehung z u m Gesetz s t e h t . F e r n e r wird hier w e i t e r a u s g e f ü h r t , was P a u l u s u n t e r G l a u b e n v e r s t e h t . Anteil a n dieser Gerechtigkeit e r h ä l t n u r d e r Glaube a n J e s u s Christus. A b e r w i e d e r u m j e d e r Gläubige wird i h r e r t e i l h a f t i g . D e r Gläubige m u ß a n e r k e n n e n , d a ß a u c h er gesündigt h a t , d a ß er d e r L i c h t h e r r l i c h k e i t G o t t e s e r m a n g e l t , d a ß G o t t , w e n n er i h m die Gerechtigkeit z u s p r i c h t , dies n u r t u t geschenkweise, gnadenweise, u m des Erlösungswerkes Christi willen. D a s alles ist gesagt in Gegensätzlichkeit zu dem S t r e b e n des J u d e n , d u r c h d a s Gesetz die Gerechtigkeit zu erlangen. D e r Glaube ist d a n a c h ein A b s e h e n v o n der eigenen L e i s t u n g u n d ein E r g r e i f e n der Gerechtigkeit, die n u r gnadenweise z u e r k a n n t w i r d . E i n Gerechtw e r d e n ist n i c h t d i r e k t ins Auge g e f a ß t . Auf dasjenige, w a s G o t t t u t , ist i n diesem Z u s a m m e n h a n g aller N a c h d r u c k gelegt; v o m Menschen w i r d v e r l a n g t , d a ß er zu diesem H a n d e l n G o t t e s die r e c h t e Stellung gewinnt. D a s zeigen a u c h die folgenden Verse, wo 25 26 n o c h zweimal v o n der Gerechtigkeit Gottes g e s p r o c h e n w i r d . Beidemale ist es hier die das Heil des Menschen s c h a f f e n d e Gerechtigkeit G o t t e s , also d a s d e n göttlichen V e r h e i ß u n g e n im A T e n t s p r e c h e n d e folgerichtige V e r h a l t e n , Gottes, welches freilich die A u f r i c h t u n g des blutigen Opfers Christi u n d die A n e r k e n n u n g des d a r i n liegenden göttlichen Gerichts in sich schließt. Die Gerechtigkeit G o t t e s wird o f f e n b a r i m K r e u z Christi. Diese Gerechtigkeit u n d dieser G l a u b e schließt alles menschliche, also a u c h j ü d i s c h e R ü h m e n aus 27 ff, ist n o c h keine a k t i v e Gerechtigkeit, sondern v i e l m e h r S ü n d e n v e r g e b u n g . Sie ist f e r n e r die F e s t s t e l l u n g der atlichen G o t t e s o f f e n b a r u n g 31 u n d ist i n e n t s c h e i d e n d e n Zügen bereits in d e m atlichen Glaub e n s t y p u s A b r a h a m vorbildlich dargestellt. D e r gleiche G e d a n k e v o n der z u g e r e c h n e t e n Gerechtigkeit G o t t e s begegnet i m 9. u n d 10. K a p i t e l , wo v o n i h r a b e r m a l s im Gegensatz zur j ü d i s c h e n Gerechtigkeit g e h a n d e l t w i r d . R o m 103 stellt der Apostel die Gerechtigkeit G o t t e s i n Gegensatz zu der eigenen Gerechtigkeit der Menschen. Die J u d e n , welche Gerechtigkeit zu erlangen 931, die eigene Gerechtigkeit „ h i n z u s t e l l e n " s t r e b t e n 103, n ä m l i c h v o r G o t t , d a m i t dieser sie a n e r k e n n e , h a b e n n i c h t e r k a n n t , d a ß G o t t i h n e n eine a n d e r e Gerechtigkeit a n b i e t e . Sie h a b e n sich dieser Gerechtigkeit Gottes n i c h t u n t e r w o r f e n 103, sie sind a n d e n Stein des Anstoßes u n d d e n Fels des Ärgernisses, Christus, a n g e s t o ß e n u n d d a h e r v o r G o t t zu s c h ä n d e n geworden 9 32 f. S o n a c h spricht P a u l u s a u c h hier v o n einer Gerechtigkeit a u s G l a u b e n 930, die er 105 6 d e r Gerechtigkeit a u s d e m Gesetz e n t 14»
212
Die Lehre des Paulus
gegenstellt 1 . A u c h hier wird diese Gerechtigkeit n i c h t als a k t i v e , s o n d e r n als zugerechnete g e d a c h t . D e n n 10 6 ff f ü h r t der Apostel den Nachweis, d a ß „ d i e Gerechtigkeit a u s G l a u b e n " n i c h t A n s t r e n g u n g e n m a c h t , u m Christus aus d e m H i m m e l h e r a b zuholen oder aus der U n t e r w e l t wieder h e r a u f z u f ü h r e n , s o n d e r n d a ß sie n u r Christus gläubig b e k e n n t , u n d d a ß in diesem Glauben die ganze Gerechtigkeit beschlossen liegt. Wir h a b e n bis j e t z t g e f u n d e n , d a ß in der Vorstellung des P a u l u s v o n der Gerechtigkeit Gottes der N a c h d r u c k auf der Z u r e c h n u n g d u r c h G o t t ü b e r a l l d a liegt, wo P a u l u s diese im E v a n g e l i u m g e o f f e n b a r t e Gerechtigkeit i n A u s e i n a n d e r s e t z u n g m i t d e m falschen Heilsstreben des J u d e n t u m s darstellt. N u n m u ß a b e r a u c h die zweite Seite der B e t r a c h t u n g zu i h r e m R e c h t k o m m e n , n ä m l i c h dies, d a ß diese Gerechtigkeit n u n d o c h a u c h b e s t i m m t ist, i m Menschen a k t i v e Gerechtigkeit zu w e r d e n . D a s ist schon 518 ersichtlich, s . S . 210, wo die R e c h t f e r t i g u n g , die z u m L e b e n f ü h r t , die sittliche R e c h t b e s c h a f f e n h e i t u n d ihre A u s w i r k u n g in sich schließt, d a ebenso die a k t i v e Gerechtigkeit die V o r a u s s e t z u n g des Lebens ist, vgl R o m 3 23, wie die S ü n d e in p a r allelem Z u s a m m e n h a n g m i t d e m T o d e s t e h t . F e r n e r g e h ö r t in diesen Z u s a m m e n h a n g R o m 6, wo P a u l u s n i c h t n u r n e g a t i v a u s f ü h r t , d a ß der Christ n i c h t bei der S ü n d e b e h a r r e n k ö n n e , s o n d e r n a u c h sehr n a c h d r ü c k l i c h zur G e r e c h t i g k e i t s ü b u n g a u f f o r d e r t . A u c h R o m 6 m u ß in die paulinische R e c h t f e r t i g u n g s l e h r e einbezogen w e r d e n . D e r G e d a n k e a n Christi A u f e r s t e h u n g s l e b e n b e h e r r s c h t hier d e n Apostel. W o dies a b e r w i r k s a m ist, d a ist a u c h Lebensgerechtigkeit. R o m 613 18 19 20 wird die Gerechtigkeit als Kriegsherrin oder Gebieterin vorgestellt, welcher die m i t Christus G e s t o r b e n e n u n d A u f e r s t a n d e n e n , also die bereits in einem n e u e n L e b e n S t e h e n d e n ihre P e r s o n e n zur V e r f ü g u n g stellen sollen, so d a ß diese H e r r i n s c h r a n k e n l o s ü b e r sie v e r f ü g t . E n t kleidet m a n diese Aussage ihres bildlichen C h a r a k t e r s , so ist der G e d a n k e der, d a ß die Christen einen n e u e n , gerechten L e b e n s w a n d e l f ü h r e n sollen, oder, wie es 616 h e i ß t , sie sollen G e h o r s a m leisten, welcher zur (aktiven) Gerechtigkeit f ü h r t . W e i t e r h i n k o m m t f ü r die R e c h t f e r t i g u n g s l e h r e R ö m 8 in B e t r a c h t , die Geistlehre des Apostels. W o övvafiig R ö m 116 oder 7tvev/xa ist, d a ist G o t t u n d d a ist Christus. W o Christus a b e r ist u n d L e b e n s g e m e i n s c h a f t m i t i h m , d a ist a k t i v e Gerechtigkeit. R ö m 84 zufolge wird die Gerechtigkeitsforderung des göttlichen Gesetzes t a t s ä c h l i c h i n d e n j e n i g e n e r f ü l l t , welche d e m Geiste g e m ä ß w a n d e l n , u n d n a c h R ö m 810 ist in d e n j e n i g e n , welche in Christus sind, der Leib zwar t o t u m der S ü n d e willen, der Geist a b e r Leben u m der Gerechtigkeit willen. E s ist n i c h t g a n z k l a r , wie das zweite Glied zu v e r s t e h e n ist. W e g e n des parallelen „ t o t " wird m a n „ L e b e n " im Sinne v o n „lebend i g " fassen d ü r f e n . Also ist v o n a k t i v e r B e t ä t i g u n g des Geistes, d. h . des Gottesgeistes d e r Christen die R e d e . D a n n k a n n das „ u m Gerechtigkeit w i l l e n " g e f a ß t w e r d e n i n d e m Sinne, d a ß die Christen d u r c h d e n Geist zur A u s ü b u n g der L e b e n s g e r e c h t i g k e i t b e f ä h i g t w e r d e n sollen, a b e r wegen des v o r a u f g e h e n d e n parallelen „ u m der S ü n d e w i l l e n " k a n n es a u c h besagen, d a ß der Gottesgeist im Menschen ganz L e b e n u n d A k t i v i t ä t ist, weil in solchem Menschen a k t i v e Gerechtigkeit v o r h a n d e n ist. H i e r s e t z t P a u l u s offensichtlich v o r a u s , d a ß der v o m Geiste E r f ü l l t e a k t i v e Gerechtigkeit bet ä t i g t . N i c h t m i n d e r ist R ö m 830 die R e c h t f e r t i g u n g des Menschen G e r e c h t m a c h u n g , d a n u r die G e r e c h t e n a n der Lichtherrlichkeit Gottes Anteil e r h a l t e n k ö n n e n , s. S 209. A b e r a u c h a n d e r e Aussagen des Apostels weisen in gleicher R i c h t u n g , I I K o r 521 I K o r 130 6 I i R ö m 1417 I I K o r 38f 67 14 P h i l I i i E p h 424 59 614. Schließlich ist a u c h auf Gal 5 hinzuweisen. H i e r folgt, wie R ö m 6 auf R ö m 321-521, n a c h der D a r l e g u n g der eigentlichen Glaubensgerechtigkeit im Gegensatz zur W e r k g e r e c h t i g k e i t die Mahn u n g z u m W a n d e l in der w a h r e n christlichen Gerechtigkeit, m a g a u c h dieser Ausd r u c k n i c h t g e b r a u c h t w e r d e n , sondern der Apostel d e n W a n d e l n a c h d e m Fleische d e m W a n d e l n a c h d e m Geiste gegenüberstellen. 1 D e n n o b P a u l u s s c h r e i b t öixaioovvrj
rijs itioTsios R ö m 4 l l 13 o d e r f} Se ex niatecos
Sixaio-
ovvrj Röm 100 oder tijv ix &eov Sixaioovvrjv im rfj Ttiaru Phil 39, macht sachlich keinen Unterschied. Auch f] ix 9eov Sixcuoovvr] Phil 39 ist gleichbedeutend mit dem sonst gebräuchlichen (jj) Sixaiaovvr] (rov) &eov, da durch die Präposition ix auch nur die Vorstellung zum Ausdruck kommt, die dem Genetivus auctoris zugrunde liegt, daß diese Gerechtigkeit in Gott ihren Ursprung hat. Auch hier aber ist ganz deutlich, daß beim Gebrauch von dixaiooii-vt] (ix) &sov der Nachdruck darauf liegt, daß sie nichts aus dem eigenen Innern des Menschen Hervorwachsendes ist, sondern daß sie etwas von Gott Geschenktes, durch Christus auf uns Überfließendes ist. Aber freilich, damit beginnt sie nun wieder auch, unsere Lebensgerechtigkeit zu werden.
Die Rechtfertigung als Zueignung des ganzen Heils
213
W i r fassen z u s a m m e n . Von einer eigentlichen Rechtfertigungs l e h r e des P a u l u s k a n n m a n n i c h t s p r e c h e n . D a z u sind die i n d i e s e m G e d a n k e n k r e i s a u f t r e t e n d e n A n s c h a u u n g e n d e s A p o s t e l s n i c h t s t r a f f g e n u g z u s a m m e n g e f a ß t . D e n n o c h l ä ß t sich s e h r w o h l s a g e n , w a s d e r A p o s t e l u n t e r R e c h t f e r t i g u n g v e r s t a n d e n h a t . R e c h t f e r t i g u n g ist i h m zunächst u n d hauptsächlich das Urteil Gottes über den Menschen, k r a f t dessen e r i h n u m des S ü h n o p f e r t o d e s C h r i s t i willen als e i n e n G e r e c h t e n a n s i e h t u n d b e h a n d e l t , w ä h r e n d d e r G e r e c h t f e r t i g t e d o c h e i n „ G o t t l o s e r " , R o m 45, e i n S ü n d e r ist u n d z u n ä c h s t b l e i b t . D e r G l a u b e ist die volle A n e r k e n n u n g dieses V e r h ä l t n i s s e s . A b e r d e r G l a u b e z i e h t zugleich C h r i s t u s i n s H e r z u n d stellt eine L e b e n s v e r b i n d u n g m i t C h r i s t u s h e r . D a h e r liegt i m G l a u b e n s a k t die B e g r ü n d u n g d e r s i t t l i c h e n E r n e u e r u n g . E s s t r ö m t auf d e n C h r i s t e n die L e b e n s g e r e c h t i g k e i t C h r i s t i ü b e r , u n d es i s t G o t t e s Wille, d a ß diese, die G o t t e s g e r e c h t i g k e i t , d e m G e r e c h t f e r t i g t e n völlig z u t e i l w e r d e . D i e R e c h t f e r t i g u n g b r i n g t die K r a f t G o t t e s , d a s L e b e n d e s A u f e r s t a n d e n e n , d e n G e i s t i n d a s H e r z d e s G l ä u b i g e n , u n d diese E r n e u e r u n g h a t die V e r h e i ß u n g d e r V o l l e n d u n g , weil G o t t i h r U r h e b e r ist. P a u l u s v e r w e i s t a u c h a u f d a s G e r i c h t n a c h d e n W e r k e n , als Missionar u n d Seelsorger h a n d h a b t er die e t h i s c h e F o r d e r u n g m i t N a c h d r u c k , g e g e n h e i d n i s c h e n L i b e r t i n i s m u s h a t er auf d a s e r n s t l i c h s t e a n g e k ä m p f t .
4. Die Rechtfertigung als Zueignung des ganzen Heils (Sündenvergebung, Gerechtigkeit, Leben). D i e R e c h t f e r t i g u n g ist d e m A p o s t e l n i c h t ein lediglich f o r m a l e r U r t e i l s s p r u c h G o t t e s , zu w e l c h e m n o c h a n d e r e A k t e G o t t e s a m M e n s c h e n h i n z u t r e t e n m ü ß t e n , u m den in der Rechtfertigung kundgegebenen Willen n u n auch wirklich d u r c h z u f ü h r e n . D i e R e c h t f e r t i g u n g i s t a u c h n i c h t ein a l l m ä h l i c h e r P r o z e ß , i n n e r h a l b d e s s e n es v e r s c h i e d e n e S t u f e n g ä b e ( H e i l i g u n g ) . S o n d e r n sie i s t ein e i n m a l i g e s U r t e i l G o t t e s ü b e r d e n M e n s c h e n , welches d a s g a n z e H e i l i n sich s c h l i e ß t . D i e R e c h t f e r t i g u n g w i r d v o m A p o s t e l als e n d g ü l t i g e s U r t e i l G o t t e s ü b e r d e n M e n s c h e n g e d a c h t . E i n g ö t t liches U r t e i l u n t e r l i e g t k e i n e r V e r ä n d e r u n g . D e r j e n i g e also, d e m G o t t die G e r e c h t i g k e i t z u g e s p r o c h e n h a t , i s t d a m i t i n die sichere A n w a r t s c h a f t a u f alle H e i l s g ü t e r eing e t r e t e n , die G o t t d e m M e n s c h e n b e s t i m m t h a t . D i e R e c h t f e r t i g u n g s l e h r e i s t bei P a u l u s wie v o r i h m i m J u d e n t u m v o m G o t t e s b e g r i f f g e t r a g e n . I s t die G o t t e s l e h r e des P a u l u s die V e r k ü n d i g u n g des i n C h r i s t u s d e r M e n s c h h e i t g n ä d i g e n G o t t e s , so i s t es s e l b s t v e r s t ä n d l i c h , d a ß G o t t a n d e m j e n i g e n , w e l c h e m er u m C h r i s t i willen die G e r e c h t i g k e i t z u e r t e i l t h a t , n u n m e h r seine volle G n a d e z u r D u r c h f ü h r u n g b r i n g t . Welche Güter vermittelt n u n die Rechtfertigung ? 1. D a n a c h p a u l i n i s c h e r L e h r e C h r i s t u s , u n d des n ä h e r e n C h r i s t i O p f e r t o d die G r u n d l a g e d e r G e r e c h t s p r e c h u n g des M e n s c h e n i s t , so w i r d die R e c h t f e r t i g u n g z u n ä c h s t m i t d e r S ü n d e n v e r g e b u n g i d e n t i s c h sein. Dieser G e d a n k e t r i t t a u c h w i r k l i c h i n n e r h a l b d e r R e c h t f e r t i g u n g s l e h r e i n v e r s c h i e d e n e r W e i s e h e r a u s . R o m 425 w i r d die R e c h t f e r t i g u n g a u f die S ü n d e n v e r g e b u n g g e g r ü n d e t . F o l g e r t d o c h a u c h s o f o r t 51 d e r Apostel aus der aus Glauben a n Christus erlangten Rechtfertigung, d a ß der Christ n u n m e h r F r i e d e n m i t G o t t h a b e (e/ofiev ist zu lesen, n i c h t excofiev) g e g e n ü b e r d e m f r ü h e r e n Z u s t a n d d e r F r i e d l o s i g k e i t . F e r n e r , s a g t P a u l u s R o m 59, d a ß w i r j e t z t g e r e c h t g e s p r o c h e n w o r d e n sind i m B e r e i c h e des B l u t e s C h r i s t i , so liegt gleichfalls d e r G e d a n k e d e r S ü n d e n v e r g e b u n g z u g r u n d e . D a s s e l b e gilt v o n R o m 3 24, sowie ü b e r a l l d a , w o P a u l u s die R e c h t f e r t i g u n g auf d e n G l a u b e n g r ü n d e t o d e r als „ i n C h r i s t u s " e r f o l g t d a r s t e l l t . D e n n d e r G l a u b e i s t die Ü b e r z e u g u n g , d a ß G o t t C h r i s t u s z u r S ü n d e g e m a c h t h a t , u m u n s A n t e i l a n C h r i s t i G e r e c h t i g k e i t zu g e b e n I I K o r 521. A b e r a n e i n e r Stelle h a t Paulus auch ausdrücklich von der Sündenvergebung im Z u s a m m e n h a n g der R e c h t f e r t i g u n g s l e h r e g e s p r o c h e n . N a c h R o m 4 5 - 8 w i r d d e m M e n s c h e n , w e l c h e r sich nicht auf W e r k e verläßt, sondern an Gott glaubt, der den Gottlosen gerecht spricht, dieser G l a u b e als G e r e c h t i g k e i t a n g e r e c h n e t . Dies U r t e i l e r h ä r t e t P a u l u s d u r c h d a s a t l i c h e Zita£ a u s P s 321 f. I n diesem Z i t a t w i r d n i c h t s v o n G e r e c h t i g k e i t u n d R e c h t fertigung gesagt, sondern n u r von der Sündenvergebung gesprochen; dennoch findet P a u l u s in i h m die Seligpreisung des M a n n e s , w e l c h e m G o t t G e r e c h t i g k e i t o h n e W e r k e a n r e c h n e t . D e m A p o s t e l ist d e m n a c h S ü n d e n v e r g e b u n g soviel wie G e r e c h t s p r e c h u n g . D i e S ü n d e n v e r g e b u n g i s t n i c h t n u r e t w a s N e g a t i v e s , s o n d e r n sie s c h l i e ß t zugleich die Z u r e c h n u n g des p o s i t i v e n H e i l s g u t e s der G e r e c h t i g k e i t m i t e i n . L u t h e r h a t P a u l u s r i c h t i g v e r s t a n d e n , w e n n e r die R e c h t f e r t i g u n g als S ü n d e n v e r g e b u n g f a ß t e .
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Die Lehre des Paulus
2. Aber dabei dürfen wir nicht stehen bleiben. Wo Sündenvergebung oder Gerechtigkeit ist, in welchem Umfang immer im einzelnen die Gerechtigkeit gefaßt werden mag, da ist auch endgültige Befreiung vom göttlichen Zorn oder die Errettung oder ewiges, göttliches Leben, mit einem Wort die Heilsvollendung dem Menschen sicher, Rom 5 und 8. Besonders eng ist für den Apostel die Verbindung von Gerechtigkeit und Leben. Röm 518 zufolge ist es zu allen Menschen durch Christi Rechttat „zur Gerechtsprechung des Lebens" (eig dixatmaiv Cofjg) gekommen. Der Genetivus ist Genetivus der Zugehörigkeit. Wo Gerechtsprechung ist, da ist die notwendige Folge „Leben" im vollkommenen Sinne. Röm 521 wird die Erörterung des fünften Kapitels dahin zusammengefaßt, daß in der Gegenwart die göttliche Gnade die Königsherrschaft führen solle „durch Gerechtigkeit zum ewigen Leben". Heißt es Röm 323f, daß wir alle gesündigt haben und daher der Lichtherrlichkeit Gottes ermangeln, so schwebt dem Apostel auch die Kehrseite vor, daß Gerechtigkeit uns dieser Lichtherrlichkeit teilhaftig gemacht hätte, wie er j a Röm 830 tatsächlich ausspricht, daß Gott die Gerechtfertigten auch mit seiner Lichtherrlichkeit begabt hat. II Kor 39 heißt der Dienst des Neuen Bundes Dienst der Gerechtigkeit. Als solcher aber ist er überreich an göttlicher Lichtherrlichkeit. Auch als „Dienst des Geistes" II Kor 38 bewegt sich dieser Dienst in dem Element des göttlichen Lichtglanzes, vom Geist aber sagt Paulus 6 aus, daß er göttliches Leben spendet. Hier tritt uns eine enggeschlossene Kette von Begriffen entgegen. Gerechtigkeit, Geist und Leben sind eine innere Einheit. In Gal 321 werden Leben und Gerechtigkeit als Wechselbegriffe gebraucht. Kol 213 überspringt Paulus das Zwischenglied der Gerechtigkeit und knüpft die Lebenspendung direkt an die Sündenvergebung an. Diese Gedanken sind reine Ausprägung des Evangeliums. Denn auch bei Jesus ist die Gerechtigkeit die Bedingung des Lebens, die Gerechtigkeit ist aber nur zu erlangen im Anschluß an Jesus und in der Befreiung von Sünde und Schuld durch den Tod Jesu. Zum Schlüsse ist hier die Frage zu erörtern, wie Paulus die in der Rechtfertigung geschenkte Sündenvergebung des näheren denkt. Diese Frage ist deshalb wichtig, weil, wie wir sahen (S 209), Paulus auch den Gerechtfertigten noch als Sünder betrachtet. Selbst wenn er im Christen die Lebensgerechtigkeit in der Gemeinschaft mit Christus und in der Kraft des Geistes als eine schon beginnende und teilweise sich verwirklichende vorstellt, so ist er doch viel zu nüchtern, um den Christen, der j a doch noch „Fleisch" bleibt, als von der Sünde gelöst anzusehen 1 . Also auch der Gerechtfertigte bedarf noch der Sündenvergebung. In welchem Verhältnis steht nun die Rechtfertigung zur Sünde des Christen ? Die aufgeworfene Frage ist von Paulus noch nicht als Problem erkannt worden, er gibt also auch keine direkte Antwort darauf. Wohl aber läßt sich feststellen, wie er geurteilt hätte, wenn ihm diese Schwierigkeit entgegengetreten wäre. Auch Paulus hätte mit der alten Kirche die Rechtfertigung als Eintritt in die Christengemeinde fassen können. In I Kor 611 sowie Tit 3 5 ff sind Rechtfertigung und Taufe als Parallelbegriffe gebraucht. Freilich reicht die paulinische Rechtfertigung viel weiter. Wie wir 1 PWernle, Der Christ und die Sünde bei Paulus 1897, hat versucht, den Apostel Paulus gegen den Vorwurf zu verteidigen, „daß durch ihn das Christentum Sündenreligion geworden sei." Paulus urteile vielmehr, der Christenstand habe mit der Sünde nichts mehr zu tun, der Christ sei ein sündenfreier Mensch und erscheine als solcher am nahen Gerichtstag vor Gott. So habe es Paulus erfahren, so postuliere er es in seinen Gemeinden, so verlange es seine Theorie. Fast allgemeiner Widerspruch erhob sich gegen diese Hypothese, und er blieb nicht ohne Einfluß auf Wernle. Inzwischen traten, nicht von wissenschaftlichem, sondern vom Interesse der praktischen Verwirklichung des vollen Christentums ausgehend, Theologen der Gemeinschaftskreise mit verwandten Anschauungen hervor. Unter Berufung nicht nur auf I Joh, sondern auch auf den Apostel Paulus verlangten sie eine völlige Lösung des „Bekehrten" von der Sünde und behaupteten die Möglichkeit der Ertötung des alten Menschen. Die eigentliche theologische Begründung lieferten Thjellinghaus, Das völlige gegenwärtige Heil durch Christum, und EPaul, Ihr werdet die Kraft des heiligen Geistes empfangen. Die Wernlesche Theorie hat wieder aufgenommen und vielfach neu beleuchtet und abgeleitet HWindisch, Taufe und Sünde im ältesten Christentum bis auf Origenes, 1908, S 98—320. Auch nach seiner Meinung beherrscht den Apostel das Idealbild des Christen, wonach die Lösung von der Sünde, das Verschwinden der Sünde das Christwerden charakterisiert. Der Eintritt in den Christenstand sei nach Paulus ein Entsündigungsprozeß. Vgl auch Jülicher, Sittlichkeit des Urchristentums, RGG 1 .
Der Zeitpunkt der Rechtfertigung
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i m f o l g e n d e n P a r a g r a p h e n f e s t z u s t e l l e n h a b e n , k a n n P a u l u s die R e c h t f e r t i g u n g d e s M e n s c h e n i n d e n e w i g e n R a t s c h l u ß G o t t e s o d e r d e n A k t d e s S ü h n e t o d e s Christi, a l s o in die Vergangenheit, ebenso aber auch in die Gegenwart, sowie a u c h i n die Z u k u n f t r ü c k e n . D e m n a c h d e n k t sie P a u l u s n i c h t a u f d e n T a u f a k t b e s c h r ä n k t . U n d w i e w i r s a h e n , i s t sie i h m G o t t e s e n d g ü l t i g e s U r t e i l ü b e r d e n M e n s c h e n . D a n n k a n n a b e r a u c h d i e S ü n d e d e s C h r i s t e n sie n i c h t g e f ä h r d e n , s o n d e r n sie b l e i b t b e s t e h e n t r o t z aller S c h w a n k u n g e n im Christenleben. D e n n Paulus h a t den festen Glauben, daß Gott s e i n e G n a d e , w e n n er sie e i n m a l g e s c h e n k t h a t , n i c h t w i e d e r a b w e n d e t . D e r G o t t e s glaube trägt u n d beherrscht die Rechtfertigungslehre. Nirgends spricht P a u l u s zwar a u s , d a ß d i e R e c h t f e r t i g u n g a u c h die t ä g l i c h e S ü n d e n v e r g e b u n g e i n s c h l i e ß e , a b e r i m Grunde ist das doch seine Meinung. D a s scheint mir n a m e n t l i c h aus dem Galaterbrief ersichtlich zu sein. I n diesem verweist der A p ostel die zur Ü b e r n a h m e des jüdischen Gesetzes geneigten Gemeinden auf ihr grundlegendes christliches Erlebnis 32ff, u n d hier gebraucht er auch ö f t e r den Begriff der Rechtfertigung 36 8 11 24 54. Die B e r u f u n g auf diese T a t s a c h e h a t den Sinn, d a ß die Galater nicht nötig h a b e n , als Christen sich noch n a c h einer weiteren Sicherung ihres G n a d e n s t a n d e s u m z u s e h e n , da sie im Glauben, im Geistesempfang, in der R e c h t f e r t i g u n g alles haben, wessen sie b e d ü r f e n . Sagt er Gal 54 : „ I h r seid v o n Christus losgekommen, die ihr im Gesetz gerecht zu werden t r a c h t e t (oirives èvvófico dixcuovo&e), ihr seid aus der Gnade gefallen", so spricht er v o n einer R e c h t f e r t i g u n g oder v o n einem Streben, gerecht zu werden w ä h r e n d des Verlaufes des Christenlebens. Dies Leben ist ein Z u s t a n d , in welchem der Mensch i m m e r n o c h Schutz u n d D e c k u n g b r a u c h t , die Gnade u n d die Gaben Christi. A u c h 5: „ D e n n wir erwarten d u r c h den Geist auf G r u n d des Glaubens die H o f f n u n g der Gerecht i g k e i t " setzt den gleichen G e d a n k e n noch f o r t . Der Geist ist hier n u r Angeld auf die Verwirklichung der Gerechtigkeit. W o Glaube ist, da ist noch n i c h t Vollbesitz, sondern stets v o n n e u e m N e h m e n aus der Fülle Christi. Die Richtigkeit dieses Verständnisses bestätigt R o m 83äf: „ W e r wird die Auserwählten Gottes tadeln ? Gott ist's, der da gerecht spricht (o Sixcuäv). W e r ist's, der verurteilt (ó xataxqiviov) ? " Hier sind die beiden griechischen Partizipia „ d e r d a gerecht s p r i c h t " u n d „ d e r da v e r u r t e i l t " o f f e n b a r als P r ä s e n t i a aufzulösen. Sie handeln, wie auch der Schlußsatz „welcher a u c h f ü r u n s e i n t r i t t " deutlich zeigt, v o n der christlichen Gegenwart. Der Christ f ü h l t , d a ß er i m m e r f o r t der Verurteilung unterliegen w ü r d e , d a ß er rings v o n feindlichen Mächten u m g e b e n sei, welche i h n aus der H a n d Gottes u n d Christi zu reißen beabsichtigen. Aber Gottes R e c h t f e r t i g u n g s s p r u c h gilt dauernd über i h m , u n d Christus t r i t t ebenso f o r t w ä h r e n d f ü r i h n ein, wo er des Beistandes b e d a r f . Auch wenn K o l 114 E p h 17 die Christen d a r a u f verwiesen werden, d a ß sie in Christus die Vergebung der Sünden h a b e n (e%o(iev Präsens), so ist d a s v o n d a u e r n d e r , auch innerhalb des Christenlebens f o r t l a u f e n d e r Sündenvergebung zu verstehen. 5 . D e r Z e i t p u n k t der R e c h t f e r t i g u n g . I m J u d e n t u m ist der Begriff der Rechtfertigung ein eschatologischer. Sie ist d a s Urteil Gottes über den Menschen im E n d g e r i c h t . D a aber dies Urteil n u r die S u m m e aus d e m Leben des Menschen zieht, oder, in der Sprache u n d der religiösen A n s c h a u u n g des J u d e n t u m s ausgedrückt, d a die himmlischen Gerichtsbücher, in denen die guten u n d die bösen T a t e n eines jeden verzeichnet sind, die Unterlage f ü r das richterliche Urteil Gottes bilden, so k a n n schon w ä h r e n d des E r d e n lebens, j a sogar täglich d a s Urteil festgestellt werden. D e r F r o m m e weiß, d a ß er v o r G o t t als Gerechter d a s t e h t , der Gottlose h a t Verurteilung zu e r w a r t e n . D a h e r reicht die R e c h t f e r t i g u n g doch a u c h schon in die Gegenwart herein Ps 7313. Zusätze z u E s t h 69 I V E s r 127 J u b i l 30l7ff L k l 8 l 4 . D i e p a u l i n i s c h e R e c h t f e r t i g u n g s l e h r e v e r l e u g n e t d i e s e n U r s p r u n g n i c h t . A u c h sie geht aus v o n der eschatologischen Beurteilung des Menschen. Die Rechtfertigung ist a u c h f ü r P a u l u s d a s f r e i s p r e c h e n d e U r t e i l G o t t e s i m E n d g e r i c h t G a l 216 5 5 R o m 117 2 1 3 3 2 0 30 5 1 9 . A b e r das Charakteristische der paulinischen Christenerfahrung ist das B e w u ß t s e i n , die Seligkeit der E r l ö s u n g s c h o n i n der G e g e n w a r t zu g e n i e ß e n , das ü b e r w ä l t i g e n d e Glücksgefühl, dem Gericht bereits e n t n o m m e n zu sein u n d Gottes Rechtfertigungsu r t e i l s c h o n f ü r s i c h z u h a b e n . P a u l u s w e i ß u n d l e h r t es d i e C h r i s t e n , z u e r k e n n e n u n d z u e r f a h r e n , d a ß G o t t sie s c h o n a u s der M a c h t d e r F i n s t e r n i s h e r a u s g e n o m m e n u n d i n d a s R e i c h s e i n e s l i e b e n S o h n e s v e r s e t z t h a t K o l 113. D a h e r i s t i h m die R e c h t f e r t i g u n g a u c h e i n e g e g e n w ä r t i g e G a l 216 (eiv) zu G o t t oder Christus. A b e r sie h a t n o c h keineswegs die feste d o g m a t i s c h e P r ä g u n g u n s e r e s „sich b e k e h r e n " , s o n d e r n ist n u r die christliche A n w e n d u n g des atlichen s c h ü b , L X X emoTQeqpeiv, welches die A b w e n d u n g v o n falschen G ö t t e r n u n d i h r e m D i e n s t u n d die H i n w e n d u n g zu J a h w e o d e r die A b k e h r v o n S ü n d e u n d U n g e h o r s a m gegen G o t t u n d die U n t e r w e r f u n g u n t e r G o t t e s Willen b e d e u t e t . „ B u ß e t u n " ( f i s r a v o e l v ) a b e r , d e r D o p p e l g ä n g e r des „sich b e k e h r e n " (emarodcpeiv), wie Mt 32 4i7, a u c h R o m 24 zeigt, wird v o n P a u l u s I I K o r 1 2 2 1 79f v o n der U m k e h r des i n S ü n d e gefallenen Christen g e b r a u c h t . 9. Rechtfertigung u n d sittliche E r n e u e r u n g . Vielfach b e g e g n e t die Vorstellung, d a ß d e r R e c h t f e r t i g u n g die Heiligung oder a u c h die D u r c h h e i l i g u n g folgen müsse. D e r artige d o g m a t i s c h e Terminologien k a n n m a n j a bilden, a b e r w e n n m a n feststellt, w a s m a n u n t e r d e n einzelnen Begriffen v e r s t e h t , so w i r d sich ergeben, d a ß m a n sich f ü r sie n i c h t m e h r auf d a s N T b e r u f e n k a n n . Die ntliche, speziell die paulinische Heiligung ist, wie wir s a h e n , eine Parallelvorstellung der R e c h t f e r t i g u n g . Derselbe V o r g a n g , welcher als R e c h t f e r t i g u n g c h a r a k t e r i s i e r t wird, k a n n a u c h als Heiligung v e r s t a n d e n w e r d e n . E s t r i t t d a n n d a s eine Mal d a s Urteil G o t t e s , welches d e m Menschen die R e c h t b e s c h a f f e n h e i t z u s p r i c h t , d a s a n d e r e Mal die V e r s e t z u n g des Menschen a u s d e r S p h ä r e d e s U n r e i n e n , W i d e r g ö t t l i c h e n , Sündigen in die göttliche S p h ä r e des R e i n e n u n d Heiligen in d e n V o r d e r g r u n d . Aber ist n i c h t die Meinung des P a u l u s die, d a ß zu d e r R e c h t f e r t i g u n g des Menschen als A k t G o t t e s n u n als weiterer P r o z e ß die sittliche U m w a n d l u n g des Menschen t r e t e n müsse, in welcher der Mensch selbst t ä t i g w e r d e u n t e r A n w e n d u n g der i h m v o n G o t t verliehenen G n a d e n k r ä f t e ? Mit einem einmaligen A k t , i n welchem u n s die G n a d e G o t t e s zuteil w i r d , ist es j a n i c h t g e t a n , s o n d e r n u n s e r gesamtes Christenleben m u ß ein u n a u f h ö r l i c h e r K a m p f m i t der S ü n d e u n d ein P r o z e ß stetiger E r n e u e r u n g sein, in w e l c h e m wir alle u n s e r e K r ä f t e a n z u s p a n n e n h a b e n . D e r a r t i g e G e d a n k e n begegnen n a t ü r l i c h a u c h bei P a u l u s . E r v e r s t e h t es, auf d a s n a c h d r ü c k l i c h s t e d e n Menschen die volle sittliche F o r d e r u n g des E v a n g e l i u m s ins Gewissen zu schieben. A b e r dies geschieht n i c h t i n der eigentlichen R e c h t f e r t i g u n g s l e h r e , s o n d e r n insb e s o n d e r e d a , wo er v o n der K r a f t des heiligen Geistes im Menschen spricht u n d v o n d e r V e r p f l i c h t u n g des Christen, schon j e t z t in d e r S p h ä r e des A u f e r s t e h u n g s l e b e n s Christi zu bewegen. N a c h u n s e r e r D a r s t e l l u n g der paulinischen R e c h t f e r t i g u n g s l e h r e w ä r e es eine grobe V e r f ä l s c h u n g , j a geradezu eine V e r n i c h t u n g des e i g e n t ü m l i c h P a u l i n i s c h e n , wollte m a n n e b e n die R e c h t f e r t i g u n g des Menschen n o c h e t w a s zweites stellen, w a s die R e c h t f e r t i g u n g erst zur vollen A u s g e s t a l t u n g b r ä c h t e . Die R e c h t f e r t i g u n g ist f ü r d e n A p o s t e l d a s ganze Heil. Sie u m s c h l i e ß t a u c h die sittliche E r n e u e r u n g . Der Mensch, welchen G o t t gerecht e r k l ä r t h a t , wird v o n G o t t a u c h z u m a k t i v Gerechten g e m a c h t . Die R e c h t f e r t i g u n g ist eine H a n d l u n g G o t t e s a m Menschen, welche G o t t n i c h t u n v o l l e n d e t l ä ß t . Gerade weil der Mensch in der R e c h t f e r t i g u n g ganz v o n sich a b s i e h t u n d sich alles v o n G o t t geben l ä ß t , k a n n er f r o h e r Z u v e r s i c h t sein. D e n n sein G l a u b e zeigt i h m einen G o t t , der d e n Willen u n d die volle M a c h t h a t , u m Christi willen u n d i n Christus d e n Menschen i n seine volle G e m e i n s c h a f t hineinzuziehen. Die d e m Christen n o c h a n h a f t e n d e S ü n d e s t ö r t den A p o s t e l n i c h t i n dieser Gewißheit, d e n n er weiß, d a ß i n Christi T o d die S ü n d e e n t m ä c h t i g t w o r d e n ist u n d dies Gericht sich i m m e r m e h r a u c h in die W i r k l i c h k e i t u m s e t z e n w i r d , bis es im E n d g e r i c h t g a n z z u m Vollzug k o m m t . D e r G o t t e s g l a u b e t r ä g t die R e c h t f e r t i g u n g s l e h r e .
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Die Lehre des Paulus
A b e r sie h a t a u c h eine d e n M e n s c h e n b e t r e f f e n d e Seite. P a u l u s d e n k t die d e m Menschen in der Rechtfertigung zugewendete Gnade Gottes durchaus ethisch. W e r der Rechtfertigung durch den Glauben an Christus teilhaftig wird, vollzieht in der A n e i g n u n g dieses g ö t t l i c h e n U r t e i l s ein v e r n i c h t e n d e s G e r i c h t ü b e r sein W e s e n u n d strebt f o r t a n n u r noch, Christi Leben in seinem Leben nachzubilden, in Christus aufz u g e h e n . So e m p f ä n g t d e r C h r i s t i n d e r R e c h t f e r t i g u n g n i c h t n u r die s t ä r k s t e n s i t t l i c h e n A n t r i e b e , s o n d e r n sein g a n z e s L e b e n i s t v o n d e m V e r l a n g e n e r f ü l l t , d a s h ö c h s t e s i t t l i c h e I d e a l zu v e r w i r k l i c h e n . D e r C h r i s t k a n n n u r C h r i s t b l e i b e n , w e n n er m i t C h r i s t u s die i n n e r e V e r b i n d u n g a u f r e c h t e r h ä l t , j a , er i s t n u r i n s o w e i t C h r i s t , als C h r i s t u s M a c h t ü b e r i h n h a t . D a s alles i s t i n d e r R e c h t f e r t i g u n g u n m i t t e l b a r g e g e b e n . So viel a u c h i n m o d e r n e n S c h r i f t e n v o n d e r D u r c h h e i l i g u n g g e s p r o c h e n w e r d e n m a g , ü b e r die H ö h e d e s s e n , w a s P a u l u s i n d e r R e c h t f e r t i g u n g b e s c h l o s s e n s i e h t , k ö n n e n wir nicht hinausgeführt werden. W i r h a b e n u n s n u n a b e r a u c h n o c h zu e r i n n e r n , d a ß i n n e r h a l b d e r R e c h t f e r t i g u n g s l e h r e u n s o f t die e t h i s c h e F o r d e r u n g o d e r die e t h i s c h e G a b e G o t t e s a n d e n M e n s c h e n e n t g e g e n g e t r e t e n i s t . D i e z u g e r e c h n e t e G e r e c h t i g k e i t i s t n i c h t die einzige, w e l c h e P a u l u s k e n n t , s o n d e r n die G e r e c h t i g k e i t , w e l c h e v o n G o t t k o m m t , i s t a u c h L e b e n s g e r e c h t i g k e i t . P a u l u s k e n n t s e h r w o h l a m C h r i s t e n a u c h die a k t i v e G e r e c h t i g k e i t . D i e H e i l i g u n g i s t n i c h t n u r d i e V e r s e t z u n g i n die religiöse S p h ä r e G o t t e s , s o n d e r n sie b e d i n g t a u c h ein e n t s p r e c h e n d e s e t h i s c h e s V e r h a l t e n . D i e B e f r e i u n g d e s C h r i s t e n i s t ü b e r w i e g e n d v o r g e s t e l l t als B e f r e i u n g zu r e c h t e m e t h i s c h e n V e r h a l t e n . D i e W i e d e r g e b u r t i s t n i c h t d e n k b a r , o h n e d a ß sie a u c h i n d e n L e b e n s ä u ß e r u n g e n d e s n e u e n M e n s c h e n e r k e n n b a r w i r d . D i e K i n d s c h a f t G o t t e s h a t als sicheres K e n n z e i c h e n die V e r l e i h u n g d e s heiligen Geistes. A u c h m i t d e r H e i l i g u n g , d e m E r b e , d e r F r e i h e i t , d e r W i e d e r g e b u r t i s t die G e i s t b e g a b u n g v e r k n ü p f t g e d a c h t . D e r heilige Geist a b e r i s t s e i n e m W e s e n n a c h z w a r religiöse K r a f t , die a b e r als v o n G o t t s t a m m e n d a u c h i n e m i n e n t e m S i n n e s i t t l i c h e K r a f t i s t . Schließlich ist d e r G l a u b e , w i e w i r s a h e n , e i n e m ä c h t i g e T r i e b f e d e r z u r E r f ü l l u n g des W i l l e n s G o t t e s , z u m D i e n s t d e r L i e b e . D a h e r k a n n sich P a u l u s d e n G e r e c h t f e r t i g t e n g a r n i c h t v o r s t e l l e n o h n e d a s S t r e b e n , s c h o n h i e r C h r i s t u s ä h n l i c h zu w e r d e n u n d d e r K r a f t d e s Geistes G o t t e s R a u m i n s e i n e m L e b e n zu g e b e n .
8. Das Gericht nach den Werken EKühl, Rechtfertigung auf Grund des Glaubens und Gericht nach den Werken bei Paulus, 1904. GPWetter, Der Vergeltungsgedanke bei Paulus, 1912. HBraun, Gerichtsgedanke und Rechtfertigung bei Paulus, 1930. RSchulz, Die Frage nach der Selbsttätigkeit d. Menschen im sittlichen Leben bei Paulus, 1940. I s t es die L e h r e d e s P a u l u s , d a ß G o t t d e n Mfenschen r e c h t f e r t i g t , d e r sich als S ü n d e r w e i ß , n i c h t s v o r G o t t zu b r i n g e n h a t als dies, d a ß e r sich a u f C h r i s t u s u n d die die d u r c h d i e s e n vollzogene E n t s ü h n u n g b e r u f t u n d i m G l a u b e n a n d e n g e s t o r b e n e n u n d a u f e r s t a n d e n e n C h r i s t u s a u f G o t t e s G n a d e v e r t r a u t , wie v e r t r ä g t sich d a m i t d e r p a u l i n i s c h e G e d a n k e d e r V e r g e l t u n g i m G e r i c h t , w o n a c h d a s s i t t l i c h e T u n d e s Mens c h e n als e n t s c h e i d e n d b e t r a c h t e t w i r d ? D i e A u s s a g e n d e s P a u l u s ü b e r d a s d o p p e l t e G e r i c h t s i n d z a h l r e i c h u n d b e g e g n e n n i c h t n u r in d e r p o l e m i s c h e n A u s e i n a n d e r s e t z u n g m i t d e m J u d e n t u m , s o n d e r n a u c h i n seiner eigenen H e i l s l e h r e . E r s p r i c h t v o n der Verwerfung der einen u n d der A n n a h m e oder E r r e t t u n g der a n d e r e n d u r c h G o t t i m G e r i c h t , u n d z w a r , i n d e m e r die c h r i s t l i c h e M e n s c h h e i t i m G e r i c h t d e r n i c h t c h r i s t l i c h e n g e g e n ü b e r s t e l l t I I T h e s s l ß f f 2 8 f f I K o r 118 513 1132 I I K o r 2 i 5 f 4 3 f R o m 2 l — 3 6 9f 59 P h i l 128 E p h 56, v g l a u c h S 195f die Stellen, i n d e n e n d e r Z o r n G o t t e s e s c h a t o l o g i s c h e B e d e u t u n g h a t . A b e r a u c h alle C h r i s t e n m ü s s e n v o r d e n R i c h t e r s t u h l G o t t e s R o m 1410 o d e r C h r i s t i t r e t e n , u n d d a n n w i r d ein j e d e r d a v o n t r a g e n , w a s e r sich i n seinem leiblich-irdischen L e b e n e r a r b e i t e t h a t , sei es G u t e s o d e r S c h l e c h t e s I I K o r 510. G r o b e S ü n d e r w e r d e n d a s R e i c h G o t t e s n i c h t e r e r b e n I K o r Ö9f Gal 521 E p h 55. D e m G e r i c h t v e r f a l l e n die I r r l e h r e r , w e l c h e d a s E v a n g e l i u m v e r f ä l s c h e n G a l l 8 f 510 I I K o r H l 5 u n d v i e l m e h r F e i n d e d e s K r e u z e s C h r i s t i s i n d P h i l 3 l 8 f . A u s d r ü c k l i c h b e r u f t sich P a u l u s I T h e s s 4 6 d a r a u f , d a ß er b e r e i t s i n s e i n e r
Das Gericht nach den Werken
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Missionsverkündigung in T h e s s a l o n i c h den G r u n d s a t z der doppelten V e r g e l t u n g , d e r a u c h a u f die C h r i s t e n A n w e n d u n g f i n d e n solle, e i n g e s c h ä r f t h a b e ; vgl a u c h A p g 1731. D a h e r ist es des P a u l u s eigenes S t r e b e n , i m G e r i c h t b e w ä h r t e r f u n d e n zu w e r d e n , u n d i n m a n n i g f a c h e n W e n d u n g e n r i c h t e t e r sich m i t d a h i n g e h e n d e n e r n s t e n M a h n u n g e n a n seine G e m e i n d e n I T h e s s 2 1 0 — 1 2 ; ä h n l i c h I K o r 924—27 P h i l 314 I I K o r 59 I T h e s s 2 4 . D i e Christen sollen l a u t e r und u n a n s t ö ß i g sein a m T a g e Christi, e r f ü l l t m i t der F r u c h t d e r G e r e c h t i g k e i t P h i l I i i , m i t F u r c h t u n d Z i t t e r n i h r e R e t t u n g s c h a f f e n , tadellos u n d ohne F a l s c h sein, u n b e f l e c k t e K i n d e r G o t t e s m i t t e n i n d e m v e r k e h r t e n u n d v e r d e r b t e n G e s c h l e c h t und also l e u c h t e n als helle L i c h t e r in der W e l t P h i l 2 1 2 — 1 5 . A r b e i t , M ü h e , L e i d e n u n d Verfolgung dürfen sie n i c h t s c h e u e n , d e n n d a m i t erwerben sie die h i m m l i s c h e H e r r l i c h k e i t I I K o r 417 R ö m 8 l 7 f I T h e s s 1 3 3 3 f I K o r 1530—32 58. P a u l u s h a t in der R e c h t f e r t i g u n g s l e h r e n a c h d r ü c k l i c h gegen die W e r k g e r e c h t i g k e i t als religiöses P r i n z i p a n g e k ä m p f t und i h r als d a s r e c h t e religiöse V e r h a l t e n den G l a u b e n als d a s G e g e n t e i l aller m e n s c h l i c h e n L e i s t u n g g e g e n ü b e r g e s t e l l t . A b e r w e n n er a u c h die „ W e r k e des G e s e t z e s " (sgya vó/iov) a b l e h n t , so v e r l a n g t er doch ein s i t t l i c h e s T u n des M e n s c h e n , das er öfters als „ W e r k " (egyov) b e z e i c h n e t , als e i n h e i t l i c h e , G o t t wohlgefällige u n d i m G e r i c h t erforderliche s i t t l i c h e L e b e n s l e i s t u n g I T h e s s 513 G a l 6 4 I K o r 313 f f 9 i R ö m 27 15 P h i l 122 E p h 4 i 2 , ä h n l i c h xmeQyä&oftai P h i l 2 1 2 E p h 613. E r p r i c h t d a v o n , d a ß i m G e r i c h t j e d e r seinen eigenen L o h n (p,ia§óq) e m p f a n g e n werde, e n t s p r e c h e n d d e r geleisteten A r b e i t I K o r 38 14. E s i s t i h m n i c h t zweifelhaft, d a ß e r L o h n h a b e n werde, wenn e r das E v a n g e l i u m freiwillig v e r k ü n d i g e I K o r 917. D e r G e d a n k e der Gleichheit v o n L o h n u n d L e i s t u n g f i n d e t sich m e h r f a c h b e i i h m . A u f I I K o r 5 1 0 h a b e n wir schon hingewiesen. Ä h n l i c h i s t E p h 68. A b e r diese Gleichheit b e s t e h t n i c h t n u r f ü r das a n e r k e n n e n d e G e r i c h t , sie k a n n a u c h zur V e r werfung führen G a l 6 7 — 9 . D e r A p o s t e l f i n d e t es „ g e r e c h t b e i G o t t " , d a ß dieser den B e d r ä n g e r n d e r Christen i m G e r i c h t m i t D r a n g s a l vergilt u n d den j e t z t B e d r ä n g t e n d a n n E r q u i c k u n g zuteil werden l ä ß t I I T h e s s l 6 f . D e n n d e r U n g e r e c h t e wird d a v o n t r a g e n , was e r U n g e r e c h t e s g e t a n h a t K o l 325. D i e F r u c h t der S ü n d e i s t d e r T o d . I m D i e n s t e G o t t e s u n d der G e r e c h t i g k e i t a b e r e r w ä c h s t F r u c h t zur Heiligung, deren Z i e l ewiges L e b e n i s t R ö m 6 2 1 f f . D a h e r spricht d e r A p o s t e l v o n g ö t t l i c h e m L o b , welches i m G e r i c h t zuteil werden soll I K o r 4 5 R ö m 2 2 9 , v o n e i n e m R e c h t f e r t i g u n g s s p r u c h , der a u f G r u n d des s i t t l i c h e n B e f u n d e s erfolgen soll I K o r 4 4 . M i t e i n e m gewissen G e f ü h l des S t o l z e s n e n n t der A p o s t e l seine G e m e i n d e n seine H o f f n u n g , seine F r e u d e u n d seinen R u h m e s k r a n z v o r J e s u s Christus in seiner P a r u s i e I T h e s s 2 i 9 f I K o r 1531 I I K o r 114 1015 P h i l 216 4 l . O f t b e g e g n e t in den p a u l i n i s c h e n B r i e f e n die W o r t g r u p p e „ s i c h r ü h m e n " (xavxäo&ai, xav"/rjoig, xavyrjfMi), j a , a b g e s e h e n v o n J a k 19 416 H e b r 3 6 h a t P a u l u s u n t e r den n t l i c h e n S c h r i f t s t e l l e r n sie allein g e b r a u c h t . Allein diese V o r s t e l l u n g h a t e r aus seiner pharisäischen V e r g a n g e n h e i t i n das C h r i s t e n t u m n u r m i t h e r ü b e r g e n o m m e n , u m sie, wie den B e g r i f f der R e c h t f e r t i g u n g , in das G e g e n t e i l u m z u b i e g e n . N a c h d e m er i m R ö m e r b r i e f die S c h u l d v e r h a f t u n g der g a n z e n W e l t v o r G o t t erwiesen u n d die E r l ö s u n g s t a t G o t t e s i n Christus als einzigen R e t t u n g s a n k e r der M e n s c h h e i t h i n g e s t e l l t h a t , f r a g t e er t r i u m p h i e r e n d den s e l b s t g e r e c h t e n J u d e n : „ W o bleibt nun das R ü h m e n ? " , und er antwortet selbst: „ E s ist ausgeschlossen" R ö m 327. D a s K r e u z Christi h a t allen M e n s c h e n r u h m v e r n i c h t e t , das K r e u z allein i s t der R u h m des Christen G a l 614, und das K r e u z Christi stellt d o c h j e d e n M e n s c h e n als todesverhafteten Sünder vor Gott hin. Auch A b r a h a m h a t vor Gott keinen Grund zum R ü h m e n R ö m 4 2 . V o r G o t t k a n n sich kein F l e i s c h r ü h m e n I K o r I 2 9 321. W e r sich r ü h m t , r ü h m e sich G o t t e s I K o r 131 I I K o r 1017, u n d zwar G o t t e s d u r c h d e n H e r r n J e s u s Christus, d u r c h welchen wir j e t z t die V e r s ö h n u n g e m p f a n g e n h a b e n R ö m 511. D a s S i c h r ü h m e n , a u f das er sich i m Vergleich m i t den Ü b e r a p o s t e l n e i n l ä ß t I I K o r 1 1 1 6 f f , n e n n t e r selbst ein t ö r i c h t e s U n t e r f a n g e n 17 1 2 1 , u n d schließlich s c h l ä g t es u m in den Nachweis, d a ß e r , w e n n irgendeiner S a c h e , sich seiner S c h w a c h h e i t zu r ü h m e n h a b e , d a m i t e r n i c h t a u f sich selbst stehe, sondern die K r a f t Christi i h n b e s c h a t t e , u n d e r Genüge f i n d e a n d e r g ö t t l i c h e n G n a d e I I K o r 1 2 9 f . R ü h m t e r sich d a h e r s e i n e r G e m e i n d e n , so s e t z t e r m e h r f a c h ausdrücklich h i n z u , d a ß dies „ i n C h r i s t u s " g e s c h i e h t P h i l 126 R ö m 1517 I K o r 1531, d . h . d a ß der R u h m Christus, n i c h t i h m g e b ü h r t . H a t e r sich seines reinen W a n d e l s in der W e l t g e r ü h m t , so h a t t e dieser seinen G r u n d d o c h
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Die Lehre des Paulus
in der Gnade Gottes I I Kor 112. Denn durch Gnade sind die Menschen gerettet, nicht durch sich selbst, damit sich niemand rühme Eph 28. So ist alles Rühmen des Apostels doch in der T a t kein Eigenlob, nicht die Feststellung der eigenen Gerechtigkeit, sondern ein Lobpreis dessen, was Gott und Christus an ihm getan haben.
Ähnlich ist es mit den Gedanken des Paulus vom Lohn. Was er I Kor 9l7 unter Lohn meint, erklärt er 18 selbst dahin, daß sein Lohn eben in der unentgeltlichen Verkündigung des Evangeliums bestehe, und er nicht einen ihm falsch erscheinenden Gebrauch von den Rechten des Verkündigers des Evangeliums mache. E r hebt also den Begriff des Lohns selbst auf. I Kor 34ff arbeiten Paulus und Apollos nur, wie einem jeden der Herr gegeben hat. Paulus, der Säende, ist nichts, noch Apollos, der pflegende, begießende Gärtner, sondern allein Gott, der das Wachstum gibt, der sein Haus erbaut. In solchem Zusammenhang mag Paulus von Lohn reden, den die Verkündiger des Evangeliums erhalten sollen, in Wahrheit ist er für ihn nichts als Gnadenerweisung Gottes. I Kor 44f deutet weder der göttliche Rechtfertigungsspruch noch das Lob, das einem jeden in der Parusie von Gott werden soll, auf werkgerechte Gesinnung. Das Gericht Christi ist ein Gnadengericht. Auch Rom 229 soll göttliches Lob der Herzensbeschneidung zuteil werden, die durch den Geist, also durch Gottes eigene Kraft, im Menschen gewirkt ist.
Auch in einigen der Stellen, welche von der Gleichheit zwischen Lohn und Leistung handeln, führt Paulus selbst den Gedanken auf ein anderes Gebiet hinüber. Von mechanischer und schematischer Auffassung der Vergeltung kann nicht mehr die Rede sein, wenn Paulus sich Leistung und Lohn als etwas sich naturgemäß E n t wickelndes oder organisch Zusammengehöriges vorstellt, wie dies unter dem Bilde der Saat und Ernte geschieht G a l 6 7 f . Zwischen fleischlichem Tun und Verderben einerseits und dem Gehorsam gegen die Wirkung des Geistes und ewigem Leben andererseits besteht ein innerer Zusammenhang. Diese Entwicklung vollzieht sich mit Notwendigkeit. Ebenso wächst Rom 621 f der Tod als Dienst der Sünde und Heiligung als Wirkung der Gerechtigkeitsübung folgerichtig als „ F r u c h t " hervor. In gleicher Richtung bewegt sich der Apostel an den Stellen, wo er das Lebenswerk des einzelnen als einheitliches „ W e r k " vorstellt, als etwas, das aus dem ganzen Streben des Menschen, seiner Herzensbeschaffenheit und dem Inhalt seines Lebens naturgemäß hervorgeht. Damit wendet er sich gleichfalls von der mechanischen Gegenüberstellung der einzelnen „ W e r k e " der Menschen, der guten und der bösen, ab. Das Geschick des Menschen entscheidet sich daher gemäß der ganzen Lebensrichtung, die entweder Gott zugewendet ist oder im Gegensatz zu Gott steht Rom 2 6 ff. Aus dem Gesagten ist bereits ersichtlich, worin die Eigenart der Gerichtsvorstellung des Apostels ihren Grund hat. Die Lehre vom Gericht nach den Werken ist von ihm gebildet worden in Ablehnung der jüdischen Werkgerechtigkeit, und zwar auf Grund der Erfahrung Christi. Was Gott ist und vom Menschen verlangt, ist ihm erst in Christus zum richtigen Verständnis gekommen. Daher stellt er als Apostel die höchsten sittlichen Forderungen. I n seinen Gemeinden tritt ihm freilich vieles entgegen, was sich nicht mit der Ethik des Evangeliums vereinigen läßt. Trotzdem sieht er auch dem Gericht nach den Werken nicht mutlos entgegen, sondern er hat den starken Glauben, daß das Gnadenwerk im Christen von Gott zum guten Ende geführt werden wird. Denn sein Gottesglaube gibt ihm die freudige Zuversicht auch auf den Tag des Gerichts. Fordert Paulus, daß die Christen lauter und unanstößig sein sollen am Tage Christi, erfüllt mit der Frucht der Gerechtigkeit Phil 110, so ist diese Frucht durch Jesus Christus vermittelt, zur Ehre und zum Lob Gottes Phil I i i , und seine Hoffnung ist darin begründet, daß Christus selbst sie bis zu Ende festmachen wird, so daß sie am Tage Christi untadelig dastehen werden. Denn Gott ist treu I Kor l 8 f . E r selbst, der Gott des Friedens, wird sie ganz heiligen, und unversehrt wird ihr Geist, Seele und Leib untadelig in der Parusie unseres Herrn Jesus Christus bewahrt werden. Vermöge seiner Treue wird Gott dies tun I T h e s s 523f, ähnlich I Thess 3 i 2 f I I Kor l 2 i f Kol I22 Eph 527. Der Mensch kann und soll mit Furcht und Zittern seine eigene Seligkeit schaffen, da Gott selbst es ist, welcher in ihm das Wollen und das Vollbringen nach seinem Willen wirkt Phil 2 i 2 f . Dies Wort gibt ganz die Meinung des Apostels wieder. Der Christ soll die höchsten sittlichen Anstrengungen machen, um vor Gott bewährt erfunden zu werden. Aber das kann er auch, da Gott selbst ihm alle Kraft dazu gibt. Der Christ ist allerdings Versuchungen ausgesetzt, die die Gefahr des Unterliegens i n sich tragen. Der Apostel verweist I Kor 101 ff auf die Israeliten in der Wüste, die
Das Gericht nach den Werken
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alle göttliche Gnadenerweisungen erfuhren, deren Mehrzahl jedoch von Gott dem Verderben anheimgegeben worden ist, und die ein T y p u s des jetzigen christlichen Geschlechts sind. Und doch schlägt 13 wiederum der Gedanke der göttlichen Gnade durch. Gott verhängt über die Christen nur „menschliche" Versuchung, d. h. nur eine solche, welche nicht das Maß des menschenmöglichen Widerstands überschreitet. Die Möglichkeit des Unterliegens und der Verdammung ist doch nur eine abstrakte. Rom 1 4 4 stellt der Apostel die Alternative auf, daß der Christ entweder steht oder fällt. Aber sofort fügt er hinzu: „ E r wird aber stehen, denn der Herr kann ihm Bestand geben". Die Krankheiten und Todesfälle in Korinth als Strafe f ü r Versündigungen am Leibe und Blute Christi in der Abendmahlsfeier sind doch nur Zuchtmittel in der Hand des Herrn, daß die Betreffenden beim Endgericht nicht mit der Welt verworfen werden müssen I K o r 1 1 2 7 f f . Hat Gott den Christen seinen Geist gegeben — und Paulus denkt jeden Christen als Geistbegabten —, so kann sich der Apostel nicht vorstellen, daß Gott seine Hand von ihnen abziehen werde. Sogar den Blutschänder, den er I K o r 55 dem Satan übergibt zum Verderben des Fleisches, denkt er seinem Pneuma nach gerettet am Tage des Herrn. Wieviel mehr hat er die sichere Hoffnung, daß Gott, mag auch unser Leib um der Sünde willen dem Tode verfallen sein R o m 810, doch unsere sterblichen Leiber um des in uns wohnenden Geistes willen lebendig machen wird Rom 8 1 1 . Wir fassen zusammen. E s ist allerdings ein formaler Widerspruch, wenn Paulus einmal das Heil auf die göttliche Rechtfertigung aus Gnaden gründet, welche durch Glauben angeeignet wird, dann aber wieder ein doppeltes Gericht proklamiert. Denn die Rechtfertigung im paulinischen Sinn stellt sich direkt in Gegensatz zu allem menschlichen Tun. Man kann auch sagen, daß der Gerichtsgedanke die Heilssicherheit, welche in der Rechtfertigungslehre zu so machtvollem Ausdruck kommt, in Frage stellt. Denn die Rechtfertigung als göttliches Urteil über den Menschen, mag man sie an den Anfang des Christenlebens stellen oder als Endurteil im definitiven Gericht verstehen, ist als göttlicher Richterspruch unwiderruflich. Und sie ist freisprechendes, rettendes Urteil. Dagegen der Gerichtsgedanke bringt ein gewisses Schwanken auch in die christliche Hoffnung, da der Mensch vor dem Gericht nicht wissen kann, wie es ausfallen wird. Allein sachlich besteht, wenigstens soweit es sich um das Gericht an den Christen handelt, kein Widerspruch gegen die Rechtfertigungslehre. Freilich nicht aus dem Grunde, weil das Gericht an den Christen nicht über die Teilnahme am ewigen Leben entscheide, sondern der Christ dieser gewiß sein dürfe, auch wenn der Gesamtertrag seiner sittlichen Lebensarbeit im Endgericht als wertlos beurteilt werde (so K ü h l und vorher Holsten), vielmehr hält der paulinische Gottesglaube beide Seiten zusammen. Der Richter ist Christus, der Erlöser und der mit seinen Gaben über seiner Gemeinde waltende Herr, oder Gott, der in Christus seinen Gnadenwillen kundgemacht hat und ihn sicher an der Menschheit durchführen wird. Daher denkt Paulus das Gericht schließlich doch als rettendes, wenngleich in seinen ethischen Mahnungen dieser Gedanke meist nicht ausgesprochen wird. E r stellt das Gericht aber nie als willkürliches oder mechanisches vor, sondern als erfolgend auf Grund der Gott wohlgefälligen Wesensbeschaffenheit der Menschen. Hier aber setzt wieder sein christlicher Gottesglaube entscheidend ein. Der Christ erfährt trotz aller Mängel und trotz der ihm anhaftenden Sünde doch ein freisprechendes Urteil um dessen willen, was Gott oder Christus in ihm gewirkt haben. Der Christ, welcher sich unter die göttliche Gnadenwirkung stellt, hat damit die Beschaffenheit, die Gott verlangt, und diese neuen Anfänge wird Gott zu herrlicher Vollendung führen. Somit ist bei Paulus der Gerichtsgedanke von seiner Gnadenlehre umrankt und überragt. Paulus hat aber von einem doppelten Gericht gesprochen. Wie steht es mit denen, welche dem verwerfenden Gericht anheimfallen ? Wird durch die Verdammung eines Teiles der Menschen nicht der Gnadengedanke durchbrochen ? Unzweideutig hat Paulus auch den Universalismus des göttlichen Heilswillens gelehrt I K o r 1 5 2 2 f f R ö m 5 1 8 1 1 3 2 Eph l i o K o l 120 Phil 2 1 0 I Tim 24 410. E r hat in diesen Stellen entweder die potentielle Wirkung Christi im Auge oder aber den Zustand am Ende der Dinge, wo jeder gottfeindliche Wille niedergeworfen und gebunden sein wird, so daß Christus wirklich als das Haupt des Alls dastehen wird, und daher auch gesagt werden kann, es werde Gott alles in allem sein. Denn daran kann kein Zweifel sein, daß auch nach des Apostels Lehre am Ende der Dinge nicht ein Dualis-
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Die Lehre des Paulus
m u s b e s t e h e n wird. D a n n erscheint aber nicht nur ein Reich des B ö s e n , sondern auch ein Reich v o n Gott verworfener W e s e n ausgeschlossen. Eine gewisse Spannung zwischen den beiden paulinischen Vorstellungen v o m doppelten Gericht u n d d e m Universalismus des Heils wird anzuerkennen sein. Ihre Lösung wird m a n aber in folgender R i c h t u n g suchen dürfen. Jesus hat m e h r f a c h , Mt 723 2 5 41 z u m Ausdruck gebracht, daß die i m Endgericht Verworfenen v o n i h m w e g entfernt werden sollen. A u c h Paulus schildert I I Thess l 8 f f , v g l R o m 2 8 f , d a s Endurteil über die d e m E v a n g e l i u m U n g e h o r s a m e n : sie werden als Strafe erfahren „ewiges Verderben, w e g v o n dem Angesichte des Herrn u n d v o n der Herrlichkeit seiner K r a f t " . Wie es Seligkeit ist, Gott zu schauen Matth 58 I J o h 3 2 f , so ist e s Strafe, aus Gottes u n d Christi N ä h e entfernt zu werden. D i e V e r d a m m u n g oder Verw e r f u n g ist danach als E n t f e r n u n g v o n Christus z u d e n k e n , u n d d a s ist die härteste Strafe (Höllenqualen) auch für die, die zwar in diesem Leben Christus widerstrebt haben, deren Widerstand gegen Christus j e d o c h bis zum Gericht gebrochen ist, so d a ß auch sie die Knie vor i h m beugen Phil 210. ARitschl 1 hat also offensichtlich fehlgegriffen, wenn er den paulinischen Vergeltungsgedanken nur dialektisch verstehen wollte. Er gehört als Teil in die Heilslehre des Apostels. Wir finden aber in dem Nebeneinander von Gerichtsgedanken und Rechtfertigungslehre bei Paulus auch nicht das Urteil Pfleiderers bestätigt, daß uns hier eine jener ungelösten Antinomien begegne, „jener durch die paulinische Dogmatik sich fortwährend hindurchziehende Gegensatz von christlicher Denkweise, welche das Verhältnis des Menschen zu Gott unter dem Gesichtspunkt der Gnade und Kindschaft auffaßt, und von jüdischen Voraussetzungen, welche in dem Rechtsverhältnis von Leistung und Lohn wurzeln" 2 . Später 3 hat er seine Ansicht ermäßigt, aber er findet doch immer noch mit Holtzmann 4 eine „Inkompatibilität beider Vorstellungsreihen". Der Gegensatz des religiösen Gedankens der göttlichen Gnade als des unbedingten Heilsgrundes auf der einen Seite und des sittlichen Gedankens der menschlichen Freiheit als der immer relativen Heilsvermittlung andererseits sei unvereinbar. Auch damit aber werden zwei Gedanken einander gleichgestellt, welche nach der religiösen Überzeugung des Apostels sehr verschieden einzuschätzen sind. Der Gedanke der göttlichen Wirkung überragt weitaus den anderen.
9. Gottes Allmacht und die Freiheit des Menschen HEWeber, Das Problem der Heilsgeschichte nach Rom 9—11, 1911. OSchmitz, Der Freiheitsgedanke bei Epiktet u. d. Freiheitszeugnis des Paulus, 1923. HJonas, Augustin u. d. paulinische Freiheitsproblem, 1930. WBrandt, Freiheit im NT, 1932. EGGulin, Die Freiheit in der Verkündigung des Paulus, ZSTh 18, 1941, S. 458—481. Gehen Gottes u n d Christi Allwirksamkeit so w e i t , wie es geschildert worden ist» so drängt sich m i t Macht die Frage auf, ob der A p o s t e l d a n n n i c h t die menschliche Freiheit vernichtet. Sind wir in unserem ganzen religiösen B e s i t z s t a n d n i c h t unser eigenes, sondern Gottes Werk, k ö n n e n wir d a n n n o c h den Anspruch erheben, sittliche Persönlichkeiten zu sein ? D e n n es gibt keine Sittlichkeit ohne die persönliche Freiheit der E n t s c h e i d u n g . D i e Frage, ob dies Problem n i c h t auch den A p o s t e l b e s c h ä f t i g t habe, wird u m so dringender, d a es ein in der späteren griechischen Philosophie, besonders in der stoischen Schule viel erörtertes war 5 , u n d wir aus Josephus u n d anderen zeitgenössischen Schriften wissen, d a ß das damalige J u d e n t u m es e m p f u n d e n und in seiner Weise b e a n t w o r t e t h a t . Die Darstellung des Josephus ist freilich tendenziös®. Danach hätten die Essener alles Geschehen, also auch alles menschliche Tun unbedingt von dem Fatum (der eljua^fievr]) abhängig gedacht. Die Sadduzäer hätten das Fatum geleugnet und Gott außerhalb der Frage nach der Ursache des menschlichen Tuns gestellt. In der Wahl der Menschen stehe vielmehr das Tun des Guten und des Bösen. Nach seiner persönlichen Entscheidung trete der Mensch an das eine wie 1 Rechtfertigung und Versöhnung, "II, S 319. 2 Der Paulinismus, 21890, S 281. 3 Das Urchristentum, 2 I 1902, S 258. 4 Ntliche Theologie, »II, S 201. 5 Reiche Belege darüber bei JvonArnim, Stoicorum veterum fragmenta, I I , f r . 974—1007: Fatum et liberum arbitrium. 6 De hello Judaico I I 814. Antiquitates X I I I 5»; X V I I I , Kap I. Schürer, 4 II, S 460ff. Bousset, S 465f. EKönig, Geschichte der atlichen Religion, 21915, S 619ff. K
Gottes A l l m a c h t u n d die Freiheit des Menschen
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d a s andere heran. D i e P h a r i s ä e r d a g e g e n h ä t t e n eine Mittelstellung eingenommen. N a c h J o s e p h u s r ä u m e n sie zwar d e m F a t u m u n d G o t t die H e r r s c h a f t ü b e r alles ein, aber sie meinen doch, nicht alles, sondern einiges sei d a s W e r k des F a t u m s . E s stehe doch m a n c h e s bei u n s , ob es geschehe o d e r nicht geschehe. Mit d e m F a t u m f ü h r t J o s e p h u s einen g a n z u n j ü d i s c h e n B e g r i f f ein. Wie er die genannten drei religiösen S e k t e n seinen römischen u n d griechischen L e s e r n als philosophische Schulen darstellt, so entlehnt er a u c h zur Charakterisierung ihrer L e h r e Vorstellungen a u s der zeitgenössischen griechischen Philosophie. Aber wenn wir d a s erborgte G e w a n d a b s t r e i f e n , so bleibt doch die Ü b e r l i e f e r u n g bestehen, d a ß die E s s e n e r alles v o n G o t t e s Willen a b h ä n g i g m a c h e n , also strenge D e t e r m i n i s t e n sind, die S a d d u z ä e r den älteren j ü d i s c h e n S t a n d p u n k t des individualisierenden M o r a l i s m u s einnehmen, während die P h a r i s ä e r zwischen beiden E x t r e m e n stehen. A u c h sonst h a b e n wir j ü d i s c h e Äußerungen ü b e r die Verantwortlichkeit des Menschen f ü r sein T u n . Sir 1511—21 (vgl S 191) polemisiert gegen die A u s r e d e , d a ß der M e n s c h d u r c h G o t t s ü n d i g geworden sei. G o t t schuf vielmehr im A n f a n g den Menschen u n d überließ ihn seiner Selbste n t s c h e i d u n g . V o r g e l e g t h a t er ihm W a s s e r u n d F e u e r . W o n a c h der Mensch will, k a n n er die H a n d a u s s t r e c k e n . K e i n e m h a t G o t t geboten, gottlos zu handeln, u n d keinem g a b er die E r l a u b n i s zu s ü n d i g e n . N a c h I V E s r 855ff h a b e n diejenigen, welche verloren gehen, a u s eigenem freien E n t schluß den H ö c h s t e n v e r a c h t e t , sein Gesetz verworfen, seine Wege verloren, obwohl sie sehr wohl wußten, d a ß sie sterben müßten. I n demselben B u c h wird K a p 771 f f a u f die V e r n u n f t (vovs) des Menschen verwiesen, die ihn d a v o r h ä t t e bewahren können, zu sündigen, so d a ß der S ü n d e r i m Gericht keine E n t s c h u l d i g u n g habe. Ähnlich H e n 984. D a s sind zwar keine im philosophischen Sinn befriedigenden A n t w o r t e n . A m wenigsten k a n n m a n sich dabei beruhigen, wenn entweder der göttliche oder der menschliche F a k t o r i m sittlichen H a n d e l n g a n z geleugnet wird. D e n n dem menschlichen Bewußtsein i m m a n e n t ist d a s G e f ü h l der sittlichen Verantwortlichkeit, u n d ebenso lebt der religiöse Mensch der Ü b e r z e u g u n g , w a s er i s t , a u s der K r a f t G o t t e s zu sein. E s k a n n sich also n u r d a r u m handeln, in welche innere V e r b i n d u n g m a n die beiden Seiten setzt, u n d d a z u begegnen i m m e r h i n bereits i m J u d e n t u m A n s ä t z e .
Beim Apostel Paulus finden wir keine theoretische Auseinandersetzung über dies Problem. Die Fragen des prinzipiellen philosophischen Welterkennens interessieren ihn nicht. Wohl aber macht er Aussagen, aus denen erkannt werden kann, wie er praktisch zu der gezeigten Alternative steht. Auch der Apostel führt die Sünde des Menschen wie die zeitgenössische jüdische Theologie auf freie Willensentschließung des Menschen zurück, s. S 191 ff. Auch in der Beurteilung der Heilsgeschichte begegnet beim Apostel ein Gedankenzug, wonach er in dem Widerstreben gegen Gottes kundgewordenen Willen menschliche Verschuldung erblickt. So sieht er Ungehorsam in der ganzen Geschichte Israels I T h e s s 2 i 5 f oder bei dem Wüstenvolk I Kor 10 6 ff, ferner erscheint ihm das Verhalten Israels unentschuldbar, welches das Gesetz besitzt und nicht hält Rom 2. Diejenigen, welche verloren gehen, tragen selbst die Schuld, weil sie der Liebe zur Wahrheit in ihrem Innern keinen Raum verstattet haben I I Thess 210. In allen diesen Gedanken begegnet keine Besonderheit im Vergleich mit den zeitgenössischen Anschauungen. Wie steht es aber um das Verhältnis der göttlichen und der menschlichen Seite in der Vorstellung des Apostels über die christliche Erfahrung ? Öfters erscheint bei ihm dasjenige, was Gott an den Menschen getan hat und tut, auch als Tun des Menschen. Die Versöhnung der Menschen ist nach I I K o r 5 l 8 f Gottes freie Tat. Die ganze Neuschöpfung der Menschen kommt von Gott her. Und doch schließt 20 unmittelbar die dringende Bitte des Apostels an, die er im Namen Gottes und zugunsten Christi ausspricht: „ L a ß t euch mit Gott versöhnen". E s wird doch auch ein Appell an den Willen des Menschen gerichtet. Die Heiligung ist das Werk Gottes I Thess 523 I K o r 6 n 130 Rom 17 Kol 122, und zugleich Forderung Gottes und Aufgabe der Menschen I Thess 43 I Kor 734 I I K o r 71 Rom 121. Gott erkennen und an ihn glauben können nur die, welche Gott erwählt und berufen hat, und doch will der Apostel die Mängel des Glaubens zurechtstellen I Thess 310, und er erklärt, daß der Glaube nicht jedermanns Sache sei I I Thess 32, er sieht im Unglauben Ungehorsam gegen Gott und führt Gottes Verstockungsgericht auf dies Widerstreben der Menschen zurück Rom l i s f f I I Thess 2 i 0 f f . Geduld und Hoffnung sind eine Gabe Gottes Rom 126 vgl mit 12 155 13, und doch wieder Aufgabe des Menschen I Thess 13 Rom 5 4 f. Paulus und die Diener am Evangelium sind von Gott berufen und arbeiten nur gemäß der ihnen verliehenen Gnade und K r a f t , so daß der Apostel sein Berufswirken als Zwang empfindet. Wiederum aber tritt in demselben eine innere Freiheit des Apostels zutagel Kor 9l5ff Kol 417. Der Dienst kann von dem Menschen auch aus eigenem Entschluß übernommen werden I Kor 1615. In der Aus-
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Die Lehre des Paulus
richtung desselben sagt Paulus v o n sich dasselbe aus, w a s sonst für i h n Gottes F u n k t i o n i s t , er „ r e t t e t " (W>£iv) d i e M e n s c h e n I K o r 922 R o m 1114, a u c h I K o r 716. V g l f e r n e r I I K o r 1 0 4 f f E p h 6 i 3 f f I T h e s s 5 s f f R o m 613 16 I I K o r 8 l 4 7 8 3 9 5 f f . W e i t e r f ü h r t die F o r d e r u n g des A p o s t e l s an d e n M e n s c h e n , die G n a d e n g ü t e r , welche Gott i h m schenkt, sich anzueignen. Gottes T a t e n in der Heilsgeschichte u n d a m Menschen verfolgen einen religiös-sittlichen Z w e c k , d e n der M e n s c h e n erkennen u n d auf d e n er e i n g e h e n m u ß . D a h e r h a n d e l t es sich i n d e r e v a n g e l i s c h e n V e r k ü n digung u m die W e c k u n g des Verständnisses u n d die A n e i g n u n g dessen, w a s eigentlich schon geschehen ist. G o t t e s G ü t e f ü h r t z u r B u ß e R o m 24. D e r Mensch m u ß sich, u m nicht v e r w o r f e n zu werden, a n Gottes F r e u n d l i c h k e i t h a l t e n R o m 1122. I n R o m 6 appelliert d e r Apostel auf d a s s t ä r k s t e a n das religiöse B e w u ß t s e i n der Christen. Die Christen w i s s e n , d a ß sie auf Christi T o d g e t a u f t sind 3, sie e r k e n n e n , d a ß der alte Mensch zu d e m Zweck m i t Christus gekreuzigt ist, d a m i t d e r S ü n d e n leib zunichte g e m a c h t werde 6. W i r g l a u b e n , d a ß wir als die m i t Christus Gestorbenen a u c h m i t i h m leben w e r d e n 8, d e n n wir w i s s e n , d a ß ü b e r d e n v o n d e n T o t e n a u f e r w e c k t e n Christus d e r T o d keine H e r r s c h a f t m e h r ü b t 9f. N u n a b e r springt der Apostel-in den I m p e r a t i v ü b e r : also sollen die Christen n u n m e h r sich als t o t f ü r die Sünde, aber lebendig f ü r G o t t e r a c h t e n 11. Die Christen sind m i t Christus gekreuzigt u n d gestorben, m i t i h m b e g r a b e n , sollen aber n u n m e h r a u c h m i t i h m leben R o m 63 5 6 8. E b e n s o Gal 219 K o l 212 13 31 E p h 25 6. Gal 2l9f 6l4ff R o m 147 — 9 I K o r 620 723 h a t er die Absicht, seine religiöse E r f a h r u n g u n d seine Reflexion a u c h in seinen Gemeinden zur G e l t u n g zu bringen. Besonders deutlich ist in dieser Hinsicht I I K o r 5l4f. Die Liebe Christi zwingt d e n Apostel in ihre Gewalt, d a er u r t e i l t (•xoivavias roiro), d a ß einer f ü r alle g e s t o r b e n sei. D a r a u s f o l g e r t er w i e d e r u m : also sind sie alle gestorben. N u n gilt es a b e r auch, die in solcher T a t k u n d w e r d e n d e Absicht Christi zu begreifen. E r wollte u n s zu d e m E n t s c h l u ß f ü h r e n , d a ß wir n i c h t m e h r u n s selbst leben, sondern i h m , der f ü r u n s gestorben u n d a u f e r w e c k t worden ist. Die gleichen G e d a n k e n begegnen K o l 3 l f f 5ff 9ff E p h 422ff. D e r G e d a n k e , d u r c h Christi T o d erlöst zu sein, f ü h r t zu dem S t r e b e n , n u n a u c h in seine L e b e n s g e m e i n s c h a f t hineinzuwachsen. D e r Christ soll es als ethische N o t w e n d i g k e i t e m p f i n d e n , in d a u e r n d e innere Beziehung zu Christus z u t r e t e n Gal 327 R o m 1314 I K o r 615 17 Phil 312 Gal 616 419 326 28 I K o r 130 I I K o r 5l7 R o m 8l 10. A u c h m i t d e m Hinweis auf das Vorbild Christi w e n d e t sich der Apostel a n d a s sittliche Urteil der Christen, u n d er h ä l t es f ü r selbstverständlich, d a ß dies Vorbild z u r N a c h a h m u n g anspornen müsse I K o r I i i R o m 1 5 l f f Phil 2öff E p h 432 5 l f , a u c h I I K o r 45 „ u m J e s u willen". I n seiner A u f f o r d e r u n g z u r Heiligung weist er bisweilen n a c h d r ü c k l i c h auf die sittliche V e r p f l i c h t u n g der Christen hin u n d d r o h t m i t der göttlichen S t r a f e I Thess 43ff R o m 6l9ff E p h 53ff. Überall blickt der G r u n d g e d a n k e d u r c h : der Christ soll, was er prinzipiell schon ist, a u c h wirklich werden, u n d das m u ß a u c h er selbst wollen. A u c h die B e g a b u n g m i t d e m Goist ist b e s t i m m t , ethischer A n t r i e b zu w e r d e n . D a s P n e u m a ist für den Apostel eine durchaus supranaturale Kraft, die den Menschen ergreift, erleuchtet, i h n die Tiefen der G o t t h e i t erkennen lehrt, in i h m seufzt u n d b e t e t , ohne d a ß der Mensch dies g a n z verstände, u n d die auch in i h m das rechte T u n wirkt. Aber der Mensch h a t die Freiheit, sich d e m Wirken des Geistes in i h m h i n z u g e b e n oder aber i h m Widerstand zu leisten. D e r Apostel f o r d e r t a u f , im Geiste zu w a n d e l n Gal 516, u n d e r i n n e r t d a r a n , d a ß wir S c h u l d n e r sind, n i c h t n a c h dem Fleisch zu w a n d e l n , s o n d e r n im Geist die B e t ä t i g u n g e n des Leibes z u e r t ö t e n R o m 813. Geist u n d Fleisch w e r d e n Gal 517 als zwei Mächte g e d a c h t , die im I n n e r n des Menschen gegeneinander K a m p f f ü h r e n , weil j e d e die Absicht h a t , sich den Willen des Menschen d i e n s t b a r zu m a c h e n . D e r Mensch a b e r h a t 18 die M a c h t , sich v o m Geist t r e i b e n zu lassen. E r k a n n , w e n n er in der S p h ä r e des Geistes l e b t , a u c h d e m e n t s p r e c h e n d w a n d e l n 25. Denselben G e d a n k e n zeigt I Thess 48. Die E r ö r t e r u n g ü b e r die Geistesgaben I K o r 12 — 14 g e h t gleichfalls d a v o n a u s , d a ß sie C h a r i s m a t a , göttliches Geschenk sind, z w a r verschieden n a c h F o r m , A r t u n d W i r k u n g , aber doch eben v o n G o t t verliehen, d e r alles in allen w i r k t I K o r 126. D e n n o c h b e r u h t die ganze B e l e h r u n g des Apostels auf d e r Voraussetzung, d a ß der Christ eine gewisse Selbständigkeit, freie Überlegung u n d sogar B e h e r r s c h u n g der Geistesgaben h a b e n müsse. D e m Z u n g e n r e d e n in der G e m e i n d e v e r s a m m l u n g d a r f n i c h t schrankenlose Freiheit e i n g e r ä u m t werden, sondern m a n soll es n u r soweit pflegen, als es z u r E r b a u u n g der Gemeinde dient I K o r 145ff 23ff 26ff. Sogar die viel höher stehende P r o p h e t e n g a b e m u ß sich u n t e r U m s t ä n d e n B e s c h r ä n k u n g e n auferlegen I K o r 1432. Der Mensch k a n n sogar n a c h der Geistbegabung streben. D a h e r r ä t der Apostel, n a c h den h ö h e r e n , d . h. den der Gemeinde besonders dienlichen G a b e n zu t r a c h t e n I K o r 14l 5 12, u n d w e n n er I K o r 1231 n a c h der g r ö ß t e n G n a d e n g a b e , der Liebe, zu streben a u f f o r d e r t , so zeigt er a u c h d e n W e g d a z u K a p 13. Diese A u s f ü h r u n g e n sind auf psychologische W i r k u n g b e r e c h n e t . Die hier gegebene Schilderung der Liebe soll zur Nacheiferung a n s p o r n e n .
Gottes Allmacht und die Freiheit des Menschen
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Weitere Motive, die der Apostel verwendet, um den Entschluß zu wahrem Gottesdienst hervorzurufen, sind Hoffnung auf die zukünftige Herrlichkeit, Dankbarkeit, die Hoheit des Christenstandes und die daraus fließende Verpflichtung, die zu unbedingtem Gehorsam gegen Gott und Christus treibt. Die Gewißheit des Erbes der unvergänglichen Güter muß die Christen fest und unerschütterlich machen, da sie wissen, daß ihre Arbeit im Herrn nicht vergeblich ist I Kor 1558. Der Christ leidet mit Christus, um auch seiner Herrlichkeit mit teilhaftig zu werden Rom 8l7f. Er erlahmt nicht, wenn auch der äußere Mensch verdirbt. Denn die Geringfügigkeit des gegenwärtigen Leidens wirkt einen übermäßigen ewigen Schatz von Herrlichkeit, da der Apostel den Blick nicht auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare gerichtet hält II Kor 4l6ff, auch 5 l f f . Paulus ist von inniger Dankbarkeit gegen Gott erfüllt, daß er ihm die Freude geschenkt hat, die Thessalonicher standhaft erfunden zu sehen I Thess 39 2l3. Der Wille Gottes in Christus Jesus an die Gläubigen ist, in allem zu danken I Thess 518. Das ganze Reden und Tun des Christen soll ein Dank an Gott sein Kol 3l7 Eph 520. Dankbare Gegenliebe ist es, die den Apostel entzündet, sein ganzes Leben dem zu weihen der ihn so unendlich geliebt hat, daß er sich für ihn dahingegeben hat Gal 220 II Kor 5l 4 f Eph 52 25. DieDankbarkeit muß sichnun aber auch imDienst desNächsten auswirken, vornehmlich an den christlichen Brüdern. Diesen Gedanken verwendet der Apostel mehrfach in Zusammenhängen, in denen er von der für die jerusalemischen Christen gesammelten Kollekte spricht II Kor 88f 14f 98 Rom 1526ff, auch Phil 418. Dankbarkeit für die empfangene Gnade muß zur Vergebung willfährig machen Kol 313 Eph 432 Gal 6lf. Der Wandel der Christen soll Gottes würdig sein, der die Christen berufen hat I Thess 212 Phil 127 Eph 4l, wie es sich für Heilige geziemt Rom 162. Aus der Erkenntnis, daß ihre Leiber Glieder Christi sind, muß die bewußte Abwendung von allem Unheiligen folgen. Die Glieder Christi dürfen nicht zu Gliedern der Hure gemacht werden I Kor 6l5f. Gemeinschaft ist ausgeschlossen zwischen Gerechtigkeit und Ungesetzlichkeit, Licht und Finsternis, Christus und Belial II Kor 6l4f. Die Christen als Söhne des Tages und des Lichts müssen dem für sie angebrochenen Lichte entsprechend wandeln I Thess 55—8 Rom 13l2f. Der Christ muß sich als Knecht Gottes fühlen, er muß Gott und dem Dienst der Gerechtigkeit unbedingt ergeben sein Rom 613 19 Eph 424. Der Apostel fühlt in sich den Zwang, jeden Gedanken unter den Gehorsam Christi zu stellen II Kor 105 Gal 220 Phil 121. Seine Predigt verfolgt das Ziel, Gehorsam zu wecken, d. h. Gehorsam gegen Gott, und dieser besteht im Glauben Rom 15 1626.
Aus dem vorgeführten Material wird ersichtlich, wie das Urteil des Paulus über die Willensfreiheit des Menschen lauten würde, wenn diese Frage theoretisch an ihn heranträte. Worauf er im Grunde all sein Vertrauen setzt, das ist Gott, der das alles, was er verlangt, in den Gläubigen wirken kann und wirken wird. Er denkt nicht daran, die Freiheit des Menschen auszulöschen. Aber er sieht in dem Ineinander von göttlicher Macht und menschlichem Willen auch keine Antinomie, weil der Mensch Geschöpf Gottes ist, und daher Gottes Wille und des Menschen Wille im Grunde nicht auseinander fallen können. Der Mensch, welcher Gottes Willen tut, erfüllt damit nur seine schöpfungsmäßige Bestimmung. Daher ist es auch nicht richtig, daß bei Paulus die objektiv theologische und die subjektiv anthropologische Betrachtungsweise, ohne miteinander vermittelt zu sein, nebeneinander parallel laufen 1 . Für Paulus liegt die Vermittlung darin, daß Gottes Wille auf den menschlichen übergreift und ihn sich und seinen Zwecken dienstbar macht, und dadurch erst auch der Mensch zur Entfaltung seines wahren Wesens gelangt. Rom 1125 ff zeigt deutlich, daß Unglaube wie Glaube für den Apostel im Grunde gottgewirkt sind, Gottes Wege mit der Menschheit aber, auch wenn er einen Teil verstockt, dem Ziel zustreben, daß das All, wie es von ihm und durch ihn ist, so auch sich zu ihm hinkehrt. Menschliche Freiheit im wahren Sinne des Wortes besteht für Paulus in der bewußten und vollen Einordnung in den Willen Gottes, und Mißbrauch der Freiheit war es, wenn die Menschheit sich von Gott, dem Schöpfer, abgewandt und ihm nicht die Ehre gegeben hat oder seinen Heilswegen sich nicht fügen wollte. Den Mißbrauch aber, den auch der Christ von seiner Freiheit macht, denkt der Apostel überragt von der Gnadenwirkung Gottes, so daß schließlich auch diese Rückstände von Gott beseitigt werden. Die Frage, ob der Nichtchrist frei sei, findet bei Paulus keine Beantwortung. Der Nichtchrist fühlt sich zwar in seinem Willen vollkommen frei. Aber der Apostel würde von seinem Standpunkt aus urteilen, daß dies Gefühl ein Selbstbetrug ist. Freiheit gibt es für ihn nur im Einklang mit dem Willen Gottes.
1 HEngelland, Vorherbestimmung, in Festschrift für KHeim, 1934, S 159ff.
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Die Lehre des Paulus
5. K a p i t e l
Der heilige Geist Außer der zum 2., 3. und 4. Kapitel genannten Literatur: JGloel, Der Heilige Geist in der Heilsverkündigung des Paulus, 1888. HWeinel, Die Wirkungen des Geistes und der Geister im nachapostolischen Zeitalter bis auf Irenaus, 1899. ThSchermann, Die Gottheit d. hl. Geistes, 1901. MSteffen, D a s Verhältnis von Geist und Glauben bei Paulus, Z N W 2, 1901, S l l S f f , 2 3 4 f f . ESokolowski, Die Begriffe Geist und Leben bei Paulus, 1903. MDibelius, Die Geisterwelt im Glauben des Paulus, 1909. HGunkel, Die Wirkungen d. hl. Geistes nach d. populären Anschauung d. Apostels Paulus, 3 1909. GVoß, The Eschatological Aspect of the Pauline Conception d. apost. Zeit und d. Lehre of the Spirit, in Biblical and Theological Studies b y the Members of the Faculty of Princeton Theol. Sem., 1912, S 209 — 259. H B S w e t e , The Holy Spirit in the Ancient Church, 1912. KDeißner, Auferstehungshoffnung und Pneumagedanke bei Paulus, 1912. HBertrams, Das Wesen des Geistes nach der Anschauung des Apostels Paulus, 1913. WReinhard, Das Wirken des Heiligen Geistes im Menschen nach den Briefen des Apostels Paulus, 1918. FrBüchsel, Der Geist Gottes in N T , 1926. RBirchHoyle, The holy spirit in St. Paul, 1927. EFuchs, Christus und der Geist bei Paulus, 1932. OSchmitz, Das Lebensgefühl des Paulus, 1922. ESommerlath, Der Ursprung des neuen Lebens nach Paulus, 1923. PSprenger, Vivificatio nach Paulus, 1925. WMundle, Das rel. Leben des Apostels Paulus, 1932. JMüller, Der Lebensbegriff d. hl. Paulus, 1940. ThSüß, Das Wunder d. neuen Lebens. Eine syst. Unters, auf Grund d. paul. Zeugnisses, Diss. 1944. ELerle, Diakrisis pneumaton bei Paulus, Diss. 1946. — Weiteres in den Anmerkungen zu den Unterabschnitten.
1. Die B e k e h r u n g des P a u l u s als grundlegende E r f a h r u n g des Geistes. I n der D a r stellung d e r urchristlichen A n s c h a u u n g v o m heiligen Geist (S 1 3 7 f f ) h a b e n wir n a c h gewiesen, d a ß die älteste Gemeinde d e n Geist als G a b e des zu G o t t e r h ö h t e n Christus a n die Gläubigen b e t r a c h t e t . Die gleiche G r u n d a n s c h a u u n g begegnet bei P a u l u s . D e r Apostel weiß sich seit seiner B e k e h r u n g v o m heiligen Geiste e r f ü l l t . A u c h er h ä l t , wie die U r c h r i s t e n h e i t , j e d e n Christen f ü r g e i s t b e g a b t . W e r d e n Geist Christi n i c h t h a t , ist n i c h t sein R o m 89. Das n t l i c h e P r e d i g t a m t ist „ D i e n s t des G e i s t e s " , es v e r m i t t e l t d e n Geist a n die Gläubigen I I K o r 3 3. Die christlichen Gemeinden n e n n t der A p o s t e l einen Brief Christi, der m i t d e m Geist des lebendigen G o t t e s in die H e r z e n d e r Menschen geschrieben wird I I K o r 38. Die zu j u d a i s i e r e n d e n A n s c h a u u n g e n geneigten Galater verweist d e r Apostel auf seine Missionspredigt bei i h n e n u n d f r a g t sie, ob sie d e n Geist a u s Gesetzeswerken e m p f a n g e n h a b e n oder aus d e m der christlichen Verk ü n d i g u n g e n t g e g e n g e b r a c h t e n G l a u b e n Gal 32. Die ganze Christenheit, J u d e n u n d H e i d e n , K n e c h t e u n d Freie, sind i n e i n e m Geiste zu e i n e m Leibe g e t a u f t , alle sind m i t einem Geiste g e t r ä n k t w o r d e n I K o r 1213. W i e die G n a d e des H e r r n J e s u s Christus u n d die Liebe G o t t e s , so wird die G e m e i n s c h a f t des heiligen Geistes allen C h r i s t e n g e w ü n s c h t I I K o r 1313. Es zieht sich d u r c h die Briefe des Apostels die A n s c h a u u n g h i n d u r c h , d a ß die Geistbegabung d a s c h a r a k t e r i s t i s c h e M e r k m a l der C h r i s t e n g e m e i n d e i m Unterschied v o n der n i c h t c h r i s t l i c h e n W e l t ist. N i c h t o h n e einen Seitenblick auf seine eigene j ü d i s c h e Vergangenheit schildert er I I K o r 3 l 4 f f , wie erst der „ G e i s t des H e r r n " die V e r s t o c k u n g Israels u n d die Decke h e b t , welche f ü r d e n u n g l ä u b i g e n J u d e n d a s V e r s t ä n d n i s des A T s unmöglich m a c h t . D a g e g e n e r f ä h r t der Gläubige die M a c h t w i r k u n g des H e r r n , welcher der Geist ist, u n d j e d e r Christ s c h a u t m i t a u f g e d e c k t e m Angesicht die L i c h t h e r r l i c h k e i t des H e r r n wie im Spiegel 1 . P a u l u s h a t sich seit seiner B e k e h r u n g in eine a n d e r e S p h ä r e des Lebens v e r s e t z t g e f ü h l t . I n d e r S t u n d e seiner B e k e h r u n g h a t i h n eine M a c h t ergriffen, welche er als t r a n s z e n d e n t , als göttliche M a c h t e m p f i n d e t . D a s n e u e Leben l ä ß t v o r i h m die W e l t v e r s i n k e n , löscht der S ü n d e M a c h t u n d des Todes Schrecken, t ö t e t sein bisheriges Sein u n d e r ö f f n e t i h m Seligkeiten, die einem Menschen u n f a ß b a r sind. W a s kein A u g e g e s c h a u t , kein O h r gehört h a t , w a s in eines Menschen H e r z n i c h t g e k o m m e n ist, d a s erlebt er. Menschen- u n d E n g e l z u n g e n reichen n i c h t zu, die W o n n e n dieses Selig1 Angesichts dieses Tatbestandes entfällt die Konstruktion Gunkels, die Wirkungen des hl. Geistes und Boussets, Kyrios Christos 2 S 104ff, der zufolge erst Paulus den Geist zur Grundtatsache des gesamten christlichen Lebens gemacht habe.
Der Geist als Geist Christi
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keitsgefühls zu schildern. Erkenntnisse eröffnen sich ihm, welche ihm die Tiefen der Gottheit erschließen. Wo seine Kraft versagt, da tritt diese Himmelskraft ein, stärkt ihn und hilft ihm, wirkt Wunder durch seine Hand und macht ihn, den gebrechlichen Mann, zu einem machtvollen Werkzeug Gottes, ja, auch zu neuem sittlichen Wollen und Können gibt sie ihm das Vermögen. Über seinen eigenen Geist und sein eigenes Verständnis greift die neue Lebensmacht hinaus. Sie seufzt und betet in ihm in den Stunden der Schwachheit, ruft in ihm Abba, Vater, und vergewissert ihn der Fülle der Herrlichkeit, die Gott denen bereitet hat, die ihn lieben. Was er heiligen Geist nennt, ist nichts Selbsterdachtes, nichts Selbstgeschaffenes, sondern etwas, das wie ein Starker über ihn kam und ihn zum Raub machte, vgl Joh 38. Der natürliche Mensch in ihm wird getötet oder doch zu Tode getroffen; an seiner Stelle wird lebendig und wächst heran ein neues Ich, welches aus der himmlischen Welt seine Kraft schöpft. So ist in dem Apostel ein doppeltes Lebensbewußtsein, der alte und der neue Mensch ringen in ihm, und er weiß, der Kampf endigt mit der völligen Besiegung und der endgültigen Vernichtung des alten Ich. Denn Gottes Kraft ist stärker als alles Gottfeindliche. Diese religiöse und sittliche Erneuerung ist ihm selbst das größte Wunder. Sie ist für seine eigene Vorstellung eine Neuschöpfung. Paulus hat Mühe, seine Vergangenheit auch nur einigermaßen in Beziehung zu seiner christlichen Erfahrung zu setzen. 2. Der Geist als Geist Christi. Diesen neuen, den heiligen Geist, hat Paulus als Geist Christi erfahren. Der himmlische Christus ist es gewesen, welcher sich ihm offenbarte und dessen Lebensfülle auf ihn überströmte 1 . Diesen göttlichen Christus nennt der Apostel wie Ebenbild Gottes II Kor 44 Kol 115 und Gottes Kraft I Kor 124 so auch „den Herrn der Herrlichkeit" (rov xvqiov trjg döSrjg) I Kor 28. Damit bezeichnet er die Erscheinungsform des himmlischen Christus. Denn in der Lichtherrlichkeit (rjtrjs, 1927.
Die christlichen Charismen
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(¿Xey%eiv, ävaxQiveiv) I K o r 1 4 2 4 f . S t e h t so der P r o p h e t i m D i e n s t e G o t t e s zur Gew i n n u n g der M e n s c h e n f ü r das E v a n g e l i u m , so h a t e r i n n e r h a l b d e r G e m e i n d e a u c h die A u f g a b e , zu e r b a u e n , T r o s t und Z u s p r u c h zu g e b e n ( o l x o d o f i i j , naQÖxlrjaig, naQafivßla) I K o r 1 4 3 31. E s t r i t t also n e b e n die i m engeren S i n n e p r o p h e t i s c h e T ä t i g k e i t als zweite die p r a k t i s c h e d e r christlichen E r m a h n u n g . A b e r n o c h eine d r i t t e müssen wir u n t e r s c h e i d e n , die L e h r b e f ä h i g u n g der P r o p h e t e n . D e n n I K o r 1431 i s t a u s g e s p r o c h e n , d a ß aus der p r o p h e t i s c h e n R e d e die G e m e i n d e n i c h t n u r T r ö s t u n g , s o n d e r n a u c h B e l e h r u n g s c h ö p f t , j a , d i r e k t v o n U n t e r w e i s u n g der P r o p h e t e n i s t die R e d e I K o r 1419. A u c h I K o r 1 4 6 zufolge i s t der U n t e r s c h i e d zwischen dem P r o p h e t e n u n d dem L e h r e r f l i e ß e n d . D a n a c h i s t d e r P r o p h e t f ü r P a u l u s a u c h d e r L e h r e r . D e r Christ s c h ö p f t als P r o p h e t seine E r k e n n t n i s s e d i r e k t aus der g ö t t l i c h e n O f f e n b a r u n g , a b e r b i e t e t d a n n als L e h r e r das G e o f f e n b a r t e a u f G r u n d der i n n e r e n V e r a r b e i t u n g u n d g e d a n k e n m ä ß i g e n Vertiefung dar. E i n e wichtige N ä h e r b e s t i m m u n g der p r o p h e t i s c h e n A u f g a b e e n t h ä l t R o m 1 2 6 . H i e r v e r l a n g t P a u l u s , d a ß die P r o p h e t i e g e ü b t w e r d e „ n a c h der Analogie des G l a u b e n s " (xara xrjv ävaloylav zfjg nlaXECog). G l a u b e i s t i n diesem Z u s a m m e n h a n g weder als subj e k t i v e B e s t i m m t h e i t des M e n s c h e n , n o c h a u c h als G l a u b e n s b e k e n n t n i s d e r Gem e i n d e zu fassen, sondern als der G l a u b e , w e l c h e r den Menschen in die r e c h t e V e r b i n d u n g m i t Christus b r i n g t , wie ihn die christliche P r e d i g t f o r d e r t u n d wie e r in der christlichen G e m e i n d e a u c h lebendig ist. D e n n in K o r i n t h w a r j a die E r f a h r u n g gem a c h t w o r d e n , d a ß a u c h die p r o p h e t i s c h e G a b e m i ß b r a u c h t werden k o n n t e I K o r 1 4 29-31. D a h e r fordert P a u l u s , d a ß der die G e m e i n d e beseelende G l a u b e d e r M a ß s t a b sein soll, an dem a u c h die prophetische W i r k s a m k e i t zu prüfen i s t . A n d e r e r s e i t s d a r f a b e r a u c h die G e m e i n d e den Geist u n d G e i s t e s a u s b r ü c h e n i c h t d ä m p f e n u n d p r o p h e t i s c h e R e d e n i c h t gering a c h t e n I T h e s s 519 f. E i n P r o p h e t k a n n u n d soll sich geg e b e n e n f a l l s d e m anderen u n t e r o r d n e n I K o r 14 32 f. W e n n ein D a s i t z e n d e r eine E n t hüllung b e k o m m t , so soll der, welcher bis d a h i n geredet h a t , schweigen 30. D e n n w e n n die P r o p h e t e n n a c h E m p f a n g g ö t t l i c h e r O f f e n b a r u n g e n d u r c h e i n a n d e r reden w o l l t e n , so e n t s t ä n d e U n o r d n u n g , die sich m i t dem W e s e n G o t t e s u n d seines Geistes n i c h t v e r t r ü g e . D a h e r o r d n e t P a u l u s a n , d a ß in den G e m e i n d e v e r s a m m l u n g e n n u r zwei oder drei P r o p h e t e n reden, die anderen a b e r sie b e u r t e i l e n sollen. Also a u c h die G a b e d e r B e u r t e i l u n g u n d W e r t u n g des als O f f e n b a r u n g D a r g e b o t e n e n i s t eine p r o p h e t i s c h e . D a h i n weist a u c h I K o r 12 7 f f . D e r P r o p h e t u n t e r s c h e i d e t w a h r e und falsche P r o p h e t i e . D e r Geist als G o t t e s g e i s t b e f ä h i g t i h n zu e r k e n n e n , ob G o t t wirklich aus dem P r o p h e t e n s p r i c h t oder ein L ü g e n g e i s t . D e r P r o p h e t s p r i c h t i m U n t e r s c h i e d v o m Z u n g e n r e d n e r b e i vollen S i n n e n . S e i n V e r s t a n d i s t n i c h t „ u n f r u c h t b a r " I K o r 1414, sondern er h a t die g ö t t l i c h e O f f e n b a r u n g in sein eigenes Geistesleben a u f g e n o m m e n u n d t r ä g t sie i n v e r s t ä n d i g e r R e d e vor. I n der A u f z ä h l u n g I K o r 12 28 n e n n t P a u l u s n u r A p o s t e l , P r o p h e t e n u n d L e h r e r als persönliche G e i s t e s t r ä g e r . H i e r a u f wechselt er i m A u s d r u c k u n d s p r i c h t v o n sachlichen L e i s t u n g e n : „ d a n n W u n d e r k r ä f t e , d a n n G n a d e n g a b e n der H e i l u n g e n , Hilfel e i s t u n g e n , V e r w a l t u n g e n , A r t e n v o n Z u n g e n " . A u s dieser A u s d r u c k s w e i s e i s t n i c h t zu schließen, d a ß die A p o s t e l - , P r o p h e t e n - und L e h r e r g a b e i m U n t e r s c h i e d v o n den a n d e r n m e h r wechselnden Geistesgaben b e r e i t s a n b e s t i m m t e P e r s o n e n g e b u n d e n w a r e n . D e n n E p h 411 werden als P e r s o n e n n e b e n den drei g e n a n n t e n E v a n g e l i s t e n u n d H i r t e n a u f g e z ä h l t . A u c h in den Hilfeleistungen u n d V e r w a l t u n g e n I K o r 12 28 sind T ä t i g k e i t e n der G e m e i n d e l e i t e r b e s c h r i e b e n , u n d „ d e r V o r s t e h e r " R o m 128 i s t d o c h wohl n i c h t s anderes als „ d e r H i r t " , vgl auch I T h e s s 512. I n b e s o n d e r e r W e i s e sieht sich P a u l u s a b e r v e r a n l a ß t , I K o r 12 u n d 14 v o m Z u n genreden oder d e r Glossolalie zu h a n d e l n . Das Zungenreden in Korinth war ein Reden in Verzückung, in der Ekstase, ein Seufzen, Stöhnen, Jauchzen, Lallen, ein Reden in zusammenhanglosen oder sinnlosen oder fremdartigen Worten (Abba, Hosanna, Halleluja, Maranatha), vielleicht auch ein Reden in seltsam klingenden jubelnden Worten, die den Eindruck des verzückten Gebets und psalmodischer Lobpreisung Gottes machten. Die Äußerungen des Paulus geben uns eine hinreichende Unterlage für dies Verständnis. Während des Zungenredens ist das eigentliche Seelenleben des Menschen passiv. DerGeist Gottes kommt über den Menschen und treibt ihn zu sprachlichen Äußerungen und Gebetslauten, welche für andere unverständlich sind I Kor 142 14 16. Auch der Zungenredner selbst erscheint
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Die L e h r e des P a u l u s
als willenloses W e r k z e u g des G o t t e s g e i s t e s , sein V e r s t a n d w i r d a u s g e s c h a l t e t u n d r u h t 1414 13 5. N u r w e n n der Z u n g e n r e d n e r selbst o d e r ein a n d e r e r die R e d e d o l m e t s c h t , k a n n sie f ü r die Gem e i n d e e r b a u e n d e K r a f t h a b e n 1210 30 145 13 27f. Dieses Z u n g e n r e d e n m a c h t a u f d e n H ö r e r d e n E i n d r u c k des G e h e i m n i s v o l l e n 142 o d e r a b e r d e r R a s e r e i 1423. So w u n d e r b a r ist es, d a ß ein U n g l ä u b i g e r d a r i n ein g ö t t l i c h e s Zeichen e r b l i c k e n m u ß 1422. P a u l u s w e n d e t drei Vergleiche a n , u m die W e r t l o s i g k e i t des Z u n g e n r e d e n s o h n e D e u t u n g zu v e r a n s c h a u l i c h e n . So w e n i g wie F l ö t e n o d e r Zitherspiel o h n e E i n h a l t e n d e r T ö n e u n d I n t e r v a l l e u n d d e r R h y t h m e n e t w a s w ä r e , o d e r so wenig m a n a u s d e m u n d e u t l i c h e n T o n einer T r o m p e t e e i n e n K r i e g s r u f h e r a u s h ö r e n w ü r d e , o d e r so w e n i g j e m a n d f r e m d e S p r a c h e n v e r s t e h e n k a n n , es sei d e n n , d a ß er eine K e n n t n i s d e r L a u t e u n d d e r A r t dieser S p r a c h e b e s i t z t , so w e n i g h a t die G e m e i n d e e t w a s d a v o n , w e n n in Z u n g e n ger e d e t w i r d o h n e D e u t u n g 147-11. Dieser l e t z t e Vergleich zeigt, d a ß d a s Z u n g e n r e d e n d e m R e d e n in einer f r e m d e n S p r a c h e n a h e s t e h t , d a es j a d a m i t v e r g l i c h e n w i r d . Diese A u f f a s s u n g b e s t ä t i g e n a n d e r e A u s s a g e n des A p o s t e l s . D a s Z u n g e n r e d e n m a c h t d e n E i n d r u c k d e r E n g e l s p r a c h e I K o r 13l, weil es ein v e r z ü c k t e s L o b p r e i s e n G o t t e s ist. Als S c h r i f t t e x t ü b e r d a s Z u n g e n r e d e n f ü h r t P a u l u s 1421 a n J e s 2 8 l l f : „ i n f r e m d e n Z u n g e n u n d m i t d e n L i p p e n F r e m d e r will ich z u diesem V o l k r e d e n " , u n d d a b e i v e r s c h ä r f t er d e n W o r t l a u t d e r L X X n a c h d e r R i c h t u n g des F r e m d s p r a c h i g e n h i n . A u c h d a r a u f ist h i n z u w e i s e n , d a ß f r e m d s p r a c h i g e A u s d r ü c k e , wie die o b e n g e n a n n t e n , Bes t a n d t e i l e des Z u n g e n r e d e n s gewesen sind. Z u d i e s e m B i l d e p a s s e n a u c h w e i t e r e A u s s a g e n des P a u l u s , die wir gleichfalls a u f d a s Z u n g e n r e d e n z u b e z i e h e n h a b e n . N a c h G a l 46 „ s c h r e i t " d e r Geist in d e n C h r i s t e n A b b a , V a t e r , u n d dieser Geist d e r S o h n s c h a f t , in w e l c h e m sie diesen G e b e t s r u f a u s s t o ß e n , ist e t w a s , w a s d e r A p o s t e l v o m eigenen Geiste u n t e r s c h e i d e t R o m 8 i s f . E s ist d e r G o t t e s g e i s t , d e r a u s d e m C h r i s t e n s p r i c h t . N o c h d e u t l i c h e r ist die S a c h e R o m 826 f . W e n n w i r n i c h t wissen, wie wir in g e z i e m e n d e r W e i s e b e t e n sollen, so n i m m t d e r Geist sich u n s e r e r S c h w a c h h e i t a n u n d t r i t t in u n s e r e m I n n e r n m i t u n a u s sprechlichem S e u f z e n f ü r u n s ein. H i e r liegt a u c h sogar d e r G e d a n k e d e r D e u t u n g v o r . D e n n d e r A p o s t e l f ä h r t f o r t , d a ß G o t t , d e r die H e r z e n d e r M e n s c h e n e r f o r s c h t , d a s S i n n e n des Geistes v e r s t e h t u n d weiß, d a ß d e r Geist m i t solchem S e u f z e n in g o t t g e m ä ß e r Weise f ü r die C h r i s t e n eint r i t t . D i e k l a r e , v e r n u n f t g e m ä ß e D e n k w e i s e des M e n s c h e n e r s c h e i n t a u c h h i e r a u s g e s c h a l t e t . I T h e s s 5 l 9 f : „ d e n Geist l ö s c h t n i c h t " ist w o h l a u c h v o m Z u n g e n r e d e n zu v e r s t e h e n . I I K o r 121 f f s p r i c h t P a u l u s v o n G e s i c h t e n u n d O f f e n b a r u n g e n des H e r r n , also v o n E k s t a s e n , a b e r n i c h t d i r e k t v o m Z u n g e n r e d e n . I I T h e s s 22 die M a h n u n g , d a ß sie sich n i c h t d u r c h e i n e n Geist in U n r u h e b r i n g e n o d e r v e r w i r r e n lassen sollen, b e z i e h t sich w o h l n i c h t a u f Glossolalie, s o n d e r n a u f p r o p h e t i s c h e R e d e . K o l 316 E p h 5l8f s t e h t d a s g e i s t g e w i r k t e L o b p r e i s e n G o t t e s i m G e g e n s a t z z u m „ T r u n k e n s e i n " , m i t h i n geschieht es i m Z u s t a n d voller V e r s t a n d e s t ä t i g k e i t , a b e r a u c h n a c h I K o r 213 r e d e t d e r C h r i s t e r k e n n t n i s m ä ß i g in W o r t e n , wie sie n i c h t m e n s c h l i c h e W e i s h e i t , s o n d e r n d e r Geist l e h r t . Abgesehen von den paulinischen Briefen wird das Zungenreden im N T n u r noch an vier Stellen a u s d r ü c k l i c h e r w ä h n t , M k 1617 i m u n e c h t e n S c h l u ß des E v a n g e l i u m s , A p g 1046 196 u n d in d e r P f i n g s t g e s c h i c h t e A p g 2l—13. I n dieser b e g e g n e t die V o r s t e l l u n g , d a ß d a s Z u n g e n r e d e n ein L o b p r e i s G o t t e s ist 11, die A p o s t e l m a c h e n d e n E i n d r u c k , als o b sie voll s ü ß e n W e i n s seien 13, v g l I K o r 1423. Ü b r i g e n s d a r f m a n n i c h t d a r a n v o r ü b e r g e h e n , d a ß gewisse V e r w a n d t s c h a f t e n z w i s c h e n d e m Z u n g e n r e d e n u n d d e r a t l i c h e n P r o p h e t i e b e s t e h e n , welche i h r e r s e i t s w i e d e r f o r m a l e P a r a l l e l e n zu E r s c h e i n u n g e n bei a n d e r n V ö l k e r n h a t . A u c h P a u l u s s c h e i n t diese B e z i e h u n g e n g e f ü h l t zu h a b e n , wie sein H i n w e i s a u f die A r t d e r p r o p h e t i s c h e n R e d e J e s 2 8 l l f f I K o r 1421 z e i g t . D i e atliclien P r o p h e t e n w a r e n g r o ß e n t e i l s E k s t a t i k e r , die e k s t a t i s c h e E r r e g u n g h a t sich a b e r i m einzelnen bei i h n e n in m a n n i g f a c h e r F o r m g e ä u ß e r t , bis h e r a b z u m S t o t t e r n , S t a m m e l n u n d a b g e b r o c h e n e r , unzusammenhängender Rede1.
Die religiöse Bedeutung des Zungenredens wird von Paulus, wie aus dem Gesagten bereits ersichtlich ist, gering eingeschätzt. In Korinth war das Gegenteil davon der Fall gewesen, ja, man scheint dort „Pneumatiker" speziell als „Zungenredner" verstanden zu haben. Wenigstens n i m m t Paulus gelegentlich der zusammenfassenden Schlußworte über die Geistesgaben I Kor 1437-39 den Parallelismus „Prophet oder Pneumatiker" alsbald durch den weiteren auf „prophezeien und in Zungen reden", wie er auch 1 4 l 5 f Pneuma im Gegensatz zu „Verstand" (vovg) als Kunstausdruck für die Glossolalie gebraucht. Paulus selbst verstand aber auch etwas v o m Zungenreden. Nach seiner eigenen Aussage redete er mehr als alle Korinther in Zungen und dankte Gott dafür I Kor 1418. Aber fünf vernünftige Worte stehen ihm in der Ge1 W e i t e r s ü b e r die Glossolalie in d e r P f i n g s t g e s c h i c h t e s. S 138. V g l a u c h m e i n e n A r t i k e l „ Z u n g e n r e d e n " R E 3 1908, X X I S 7 5 0 f , w o s e l b s t die einschlägige L i t e r a t u r a n g e g e b e n ist. D a z u v g l E L o m b a r d , D e l a Glossolalie chez les p r e m i e r s c h r é t i e n s e t des p h é n o m è n e s similaires, L a u s a n n e 1910. E M o s i m a n , D a s Z u n g e n r e d e n , geschichtlich u n d p s y c h o l o g i s c h u n t e r s u c h t , 1911. G H ö l s c h e r , Die P r o p h e t e n , 1914.
Die Verbindung des göttlichen Geistes mit dem menschlichen Geist
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m e i n d e v e r s a m m l u n g h ö h e r als 1 0 0 0 0 W o r t e in Glossolalie. D e r Christ r e d e t in Z u n g e n zu seiner eigenen E r b a u u n g I K o r 144, u n d so w ü n s c h t d e r A p o s t e l z w a r , d a ß sie alle in Z u n g e n zu r e d e n v e r m ö c h t e n , 5, a b e r in d e r G e m e i n d e v e r s a m m l u n g h a t n u r W e r t , w a s allen zu i h r e r E r b a u u n g d i e n t . U n d dies zu p f l e g e n stellt P a u l u s als die A u f g a b e h i n 14 5 f f . D a h e r o r d n e t e r a n , d a ß i n e i n e r V e r s a m m l u n g n u r zwei o d e r h ö c h s t e n s d r e i Z u n g e n r e d n e r a u f t r e t e n sollen, u n d z w a r n a c h e i n a n d e r . D a n n soll e i n e r dolm e t s c h e n . W e n n a b e r k e i n H e r m e n e u t d a sei, so solle d e r Z u n g e n r e d n e r i n d e r Gem e i n d e v e r s a m m l u n g s c h w e i g e n u n d f ü r sich u n d G o t t r e d e n , also p r i v a t i m seine E r b a u u n g i m Z u n g e n r e d e n s u c h e n I K o r 14 27 f. A u ß e r d e m w e r d e n I K o r 1228 W u n d e r k r ä f t e h e r v o r g e h o b e n , wie a u c h I K o r 1210. D a r u n t e r h a b e n wir w u n d e r b a r e T a t e n , a u c h a b g e s e h e n v o n K r a n k e n h e i l u n g e n , zu v e r s t e h e n , w i e d e n n P a u l u s I I K o r 1212 sich d a r a u f b e r u f t , d a ß er m i t Z e i c h e n , W u n d e r n u n d K r ä f t e n i n K o r i n t h „ Z e i c h e n des A p o s t e l s " g e t a n h a b e , vgl a u c h R o m 1519 Gal 35. F e r n e r g e l t e n K r a n k e n h e i l u n g e n I K o r 1228 u n d w u n d e r w i r k e n d e r G l a u b e I K o r 129 132 als c h a r i s m a t i s c h e B e g a b u n g , a u ß e r d e m die D i a k o n i e , A l m o s e n g e b e n u n d B a r m h e r z i g k e i t s ü b u n g . N i c h t also n u r d a s A u ß e r o r d e n t l i c h e ist G a b e d e s Geistes, sondern jede Betätigung, welche der Gemeinde dient, ist geistgewirkt. Wir w ü r d e n im einzelnen öfter an natürliche Veranlagung d e n k e n u n d L ä u t e r u n g oder Vertiefung d e r s e l b e n d u r c h d a s C h r i s t e n t u m . A b e r P a u l u s l e h r t u n s i n allem, w a s d e r e i n z e l n e z u r E r b a u u n g u n d F ö r d e r u n g d e r G e m e i n d e t u t , W i r k u n g e n G o t t e s o d e r des g ö t t l i c h e n Geistes zu e r b l i c k e n . 9. Die V e r b i n d u n g des göttlichen Geistes m i t d e m m e n s c h l i c h e n Geist 1 . D e r Geist w i r d v o m C h r i s t e n e m p f u n d e n als eine M a c h t , die ü b e r i h n k o m m t als e t w a s G e h e i m nisvolles, a b e r so G e w a l t i g e s , d a ß er es wie e i n e n Z w a n g ü b e r sich f ü h l t . W i r v e r weisen d a r a u f , d a ß d e r A p o s t e l — u n d die A p o s t e l s i n d j a die e r s t e n G e i s t t r ä g e r sein g a n z e s a p o s t o l i s c h e s W i r k e n als ein g ö t t l i c h e s M u ß b e t r a c h t e t I K o r 916. D e n G a l a t e r n r u f t er die Zeit i n die E r i n n e r u n g , d a sie d e n Geist auf G r u n d d e r g l ä u b i g a n g e e i g n e t e n P r e d i g t e r h a l t e n h a b e n , u n d f r a g t sie, o b sie so G r o ß e s v e r g e b l i c h „ e r l i t t e n " h a b e n Gal 34. M a n „ b e s i t z t " I K o r 6i9 u n d „ e m p f ä n g t " I K o r 212 d e n Geist G o t t e s , v g l J o h 38. F e r n e r stellt R o m 8 d e n s u p r a n a t u r a l e n C h a r a k t e r dieser c h r i s t l i c h e n L e b e n s m a c h t i n helles L i c h t . D e r Geist r u f t u n d b e t e t i n C h r i s t u s 15 26, er n i m m t sich d e r m e n s c h l i c h e n S c h w a c h h e i t G o t t g e g e n ü b e r a n 23 f , a b e r er k o m m t a u c h ü b e r d e n C h r i s t e n wie ein n e u e s Gesetz, welches i h n i n s e i n e n D i e n s t z w i n g t 2. E r t r e i b t i h n a n zu e i n e m W a n d e l e n t s p r e c h e n d d e n R e c h t s f o r d e r u n g e n G o t t e s 4, des Geistes „ S i n n e n " ist a u f „ L e b e n u n d F r i e d e n " g e r i c h t e t 6, d a s G e t r i e b e n w e r d e n (diyeo&ai) d u r c h d e n Geist G o t t e s i s t d e r T a t e r w e i s d e r G o t t e s s o h n s c h a f t d e r G l ä u b i g e n 14. Diesen G e d a n k e n , d a ß d e r C h r i s t sich v o m Geiste t r e i b e n lassen m u ß , v e r f o l g t d e r A p o s t e l a u c h Gal 518, u n d h i e r s c h i l d e r t er d a s C h r i s t e n l e b e n als e i n e n K a m p f des Geistes u n d d e s Fleisches u m die H e r r s c h a f t i m M e n s c h e n . J e d e dieser b e i d e n Gew a l t e n will d e n M e n s c h e n g a n z i n i h r e n D i e n s t z w i n g e n 17. Aber diese Stelle zeigt weiterhin, daß die Geisteswirkungen doch auch wieder über das Schema der supranaturalen Betrachtung hinauswachsen. Die Erörterung wird eingeleitet durch die Mahnung, im Geiste zu wandeln, dann werden sie gewißlich nicht die Begierden des Fleisches erfüllen. Der Geist aber ist nicht der eigene Geist der Christen im Gegensatz zu ihrem Fleisch, sondern der jedem Christen verliehene Gottesgeist. Dieser soll nunmehr ihre Lebenskraft sein und wie ehemals ihr eigenes geistiges Ich alle ihre Lebensäußerungen regieren. Wenn sie sich von diesem Geiste treiben lassen, werden die edelsten Tugenden in ihnen hervorwachsen. 25 faßt Paulus das Gesagte kohortativ zusammen: „Wenn wir im Geiste leben, laßt uns im Geiste auch wandeln". Er meint, daß der Christ, der in der Bekehrung des Lebens teilhaftig geworden ist, welches der dem Christen verliehene Gottesgeist wirkt, sich nunmehr immerdar auf dem Gebiete dieses Geistes auch zu bewegen hat. Somit ist klar, daß der Apostel zwar die supranaturale Anschauung des Geistes keineswegs fallen läßt, aber der Geist doch auch wieder als etwas Qualitatives gefaßt wird. Dasjenige, was der Geist ist, und was er will, muß so sehr von dem Christen angeeignet werden, daß Wesen und Wille des Geistes auch Wesen nnd Wille des Christen wird. Daher ist es schließlich der Christ selbst, welcher in der Sphäre des Geistes sich bewegt und wandelt. Seine eigene Beschaffenheit wird pneumatisch. Der Geist ist als etwas psychologisch Wirkendes zu verstehen. Hat doch der Christ „den Sinn Christi" (vovv Xoiatov) I Kor 216. Am deutlichsten ist 1) Vgl hierzu Titius S 230-235.
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Die Lehre des Paulus
diese psychologische Betrachtungsweise zu erkennen, wo Paulus von den Christen als Pneumatikern spricht, und zwar in Ansehung ihrer christlichen Lebensführung. Als Pneumatiker sollen die Christen einen fehlgegangenen Bruder zurechtbringen Gal 61, und mit dem Wesen eines Pneumatikers verträgt sich nicht Neid und Streit I Kor 3l ff. Aber selbst in diesen Stellen blickt die supranaturale Auffassung vom Geiste durch. Denn den Korinthern muß Paulus sagen, daß er noch nicht mit ihnen als Pneumatikern habe reden können, sondern sie noch fleischlich gesinnt seien, und Gal 61 sollen die Christen den gefallenen Bruder „im Geiste der S a n f t m u t " zurechtbringen. I I Kor 1218 fragt Paulus die Korinther, ob er und Titus nicht in demselben Geiste gewandelt seien und nicht in denselben Spuren, und Phil I27 ist es sein Wunsch, daß die Gemeinde in e i n e m Geiste stehe, indem sie einmütig f ü r den Glauben an das Evangelium kämpfe. Beide Male wird die supranaturale Vorstellung durch eine psychologische abgelöst. Die Verbindung ist auch hier so zu denken, daß das Wesen des Geistes von den Christen angeeignet und zu ihrem eigenen Wesen wird. Gleichfalls organisch ist das Verhältnis gedacht, wo das Bild der Frucht Gal 522 oder des Säens und Erntens angewendet wird Gal 68. Wenn der Mensch, welcher auf sein Fleisch sät, Verderben, dagegen der Mensch, welcher auf den Geist sät - hier vermeidet Paulus das Possessivpronomen —, aus dem Geiste ewiges Leben ernten wird, so handelt allerdings der Mensch. Er trifft die Wahl zwischen zwei Mächten, und dann entwickelt sich sein Geschick dementsprechend naturgemäß. Aber das Säen auf den Geist ist auch an dieser Stelle Bild f ü r den Gedanken, daß der Mensch den Gottesgeist, den er in sich trägt, das Bestimmende in seinem Leben sein läßt, und der Gottesgeist ihn darum zum ewigen Leben als Ziel führt. Die supranaturale K r a f t des Geistes wirkt im Menschen die rechte Beschaffenheit. 10. Die paulinische Anthropologie 1 . Die paulinische Lehre v o m Geist erfordert zu ihrem Verständnis eine Orientierung über die anthropologischen A n s c h a u u n g e n des Apostels. D i e Anthropologie p f l e g t aber in den Bereich derjenigen Vorstellungen z u zu gehören, welche n a t u r g e m ä ß aus der zeitgeschichtlichen U m g e b u n g a u f g e n o m m e n werden, es sei denn, daß ein philosophisches oder theologisches Interesse zu b e w u ß t e n Änderungen der ü b e r k o m m e n e n A n s c h a u u n g e n und Gedanken führt, oder aber eine besondere persönliche Erfahrung mit innerer N o t w e n d i g k e i t auf die Anthropologie umgestaltend wirkt. Daher ist der gegebene A u s g a n g s p u n k t dieser Untersuchung der, daß wir einerseits die Grundelemente der atlich-jüdischen, andererseits der hellenischhellenistischen Anthropologie skizzieren u n d erst auf dieser Grundlage die P s y c h o logie des P a u l u s zur Darstellung bringen. Die Grundstelle f ü r die atliche Anthropologie ist Gen 27: „Es bildete Jahwe Elohim den Menschen aus Staub von der Erde und blies in seine Nase Lebensodem nniD3, L X X nvorjv £a>rje); so wurde der Mensch zum belebten Wesen (iTH THBÄ, eis yv%T]v Jiöorä»')". Die atliche Anthropologie ist also zweigeteilt oder dichotomisch. Der Mensch besteht aus Erdenstoff und wird beseelt durch den göttlichen Lebensodem oder aber auch durch den Geist (rfi~l, nvev/xa) Gottes. Der Geist ist das Lebensprinzip des Menschen. Zieht Gott diesen Lebensodem oder Geist zurück, so stirbt der Mensch. Nephesch oder Psyche oder Seele ist der Mensch als belebtes Wesen, und zwar unter dem Gesichtspunkt, daß durch den belebenden Gottesgeist, die Ruach, der Mensch zu individuellem Leben gelangt, ein Einzelwesen wird. Die Begriffe Geist und Seele sind danach verwandt, von Haus aus aber keineswegs identisch. Allein, sie fließen bereits im AT ineinander über, und im Spätjudentum werden sie fast gleichbedeutend gebraucht. Nephesch und Ruach werden fast Wechselbegriffe. Man denkt den Menschen bestehend aus Leib (atöfta) und Geist oder Seele. Als Leib ist der Mensch Fleisch ("ITÜS Grc%g) oder Fleisch und Blut aä(>^ xai aifiä.), und diese fleischliche Existenz macht seinen Unterschied von Gott aus. Dem AT zufolge ist aber der Mensch als durch Gottes Geist belebtes Wesen nicht unsterblich, sondern Seele und Leib gelten als vergänglich. Höchstens ein schattenhaftes Dasein in der Scheol führen die Seelen. Der Geist 1 CHolsten, die Bedeutung des Wortes odçÇ im Lehrbegriff des Paulus, 1855. H H W e n d t , Die Begriffe Fleisch und Geist im biblischen Sprachgebrauch, 1878. HLüdemann, Die Anthropologie des Apostels Paulus, 1872. HLietzmann, Exkurs zu Rom 713 und 811. RReitzenstein, Die hellenistischen Mysterienreligionen, 31927. ERohde, Psyche 5 . «II 1910, S 3 0 1 - 3 2 6 . EvDobschütz, Exkurs zu I Thess 523f in Meyers Kommentar. WSchauf, Sarx, Der Begriff Fleisch beim Apostel Paulus, 1924. RBultmann, Paulus, RGG 2 . Ders., Römer 7 und die Anthropologie des Paulus, in Festschrift f ü r GKrüger, 1932. WGKümmel, Römer 7 und die Bekehrung des Paulus, 1929. GKuhlmann, Theologia naturalis bei Philon und Paulus, Eine Studie zur paul. Anthropologie, 1930. WGutbrod, Die Paulinische Anthropologie, 1934. PAlthaus, Paulus u. Luther über d. Menschen, 1938. FBüchsel, Zum Problem Paulus u. Luther, ThBl 17, 1938, S 306ff. EDelay, Une question d'anthropologie. Apropos de Rom VII, Rev. de Theol. et Philos. NS 28, S 335-349. GTMarcu, Antropologia Paulina, 1941. WGKümmel, Das Bild d. Menschen im NT, 1948. ThW s. v. èycô usw.
Die paulinische Anthropologie
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Gottes hat an diesem schattenhaften Leben keinen Anteil, er kehrt mit dem Tode des Menschen zu Gott zurück. Diese Anschauungen erfahren Veränderungen mit dem Aufkommen des Gedankens an eine zukünftige Vergeltung. Denn diese bedingt den Glauben an ein Fortleben oder Wiederaufleben des Menschen. Das palästinensische Judentum kennt, soweit es von fremden, und zwar griechischen Vorstellungen unbeeinflußt ist, diese Erwartung nur in der Form des Glaubens an die Auferstehung des irdischen Leibes zur Zeit des Endgerichts. Davon ist aber zu unterscheiden die im NT auftretende Anschauung von einem Zustand des Fortlebens nach dem Tode bis zur Endvollendung, der nicht körperlich oder leiblich gedacht wird, z. B. Mt 1028 Apk 69 I Petr 319 II Kor 53. Im Judentum entwickelt sich ferner mehr und mehr ein ausgesprochener ethischer Pessimismus, die Erkenntnis, daß die Beschaffenheit des Menschen hinter dem Willen Gottes zurückbleibt, nicht jedoch eine dualistische Betrachtung des Menschen. Die atliche Grundanschauung, wonach alles, also auch der Mensch, aus der Schöpferhand Gottes hervorgegangen ist, verhindert die Beurteilung der Welt und der materiellen Seite des Menschen als prinzipiell böse und widergöttlich. Wohl aber führt bereits das AT die Schwachheit, Sündigkeit und Verderbtheit des Menschen auf seine Fleischesnatur zurück Gen 612 L X X : „Und es sah der Herr, Gott, die Erde, daß sie verderbt war, denn es hatte verderbt alles Fleisch (jt &oa odpg) seinen Weg auf der Erde", ferner Jes 406 6616 Ps 7839 10314 Hi 417-21 1514-16 254-6. Doch wird ganz überwiegend im AT der Begriff Fleisch in der einfach stofflichen Bedeutung gebraucht ohne die eben erwähnte Nebenbeziehung. Anders liegt die Sache im hellenistischen Judentum. Bereits in der Weish Sal findet sich eine dualistisch gefärbte Aussage: „Der vergängliche Leib beschwert die Seele, und das irdische Zelt belastet den viel sinnenden Geist" 9l5. Aber andererseits ist dieser Schrift zufolge doch der unvergängliche Gottesgeist in der ganzen Schöpfung 12i. Die göttliche Weisheit kehrt nicht nur in die Seele des Menschen ein, sondern sie nimmt Wohnung auch in seinem Leibe 14. Der Beschaffenheit der Seele entspricht auch der Leib. „Da ich von guter Natur war, so war ich auch in einen unbefleckten Leib gekommen" sagt die präexistente Seele 820. In Weish Sal findet sich danach nur ein Ansatz zu dualistischer Betrachtung. Dagegen Philo wird beherrscht von dem platonischen Gegensatz zwischen Geist und Materie, Gott und Welt. Der Dualismus des philonischen Systems tritt in der Anthropologie sehr deutlich hervor 1 . Diese ist nicht ohne Widersprüche und Unausgeglichenheiten. Die Hauptzüge sind folgende 2 . Es gibt zwei Arten von Menschen, den himmlischen, nach dem Ebenbilde Gottes geschaffenen, der unteilhaftig des Vergänglichen und Irdischen ist, und den irdischen, der aus Staub gebildet ist. Der empirische Mensch hat Anteil an beiden Menschheitstypen. Er steht auf der Grenze zwischen der sterblichen und der unsterblichen Natur. Er ist zugleich sterblich und unsterblich geschaffen, sterblich hinsichtlich seines Körpers, unsterblich dagegen in Hinsicht auf seinen Geist. Denn Gott bildete den Menschen nach Gen 27, indem er Staub von der Erde nahm und ihm den göttlichen Hauch des Lebens ins Antlitz blies. Philo gebraucht zwar die Terminologien der griechischen Philosophen zur Bezeichnung der Seele und ihrer Teile. Bald lehnt er sich an Plato, bald an Aristoteles, bald an die Stoiker an. Er unterscheidet mit Plato und Aristoteles höhere und niedere Teile der Seele und sagt in Anlehnung an Plato, daß der Mensch nicht von Gott allein, sondern unter Mitwirkung dienstbarer Geister gebildet sei 3 . Nur dem leitenden Teil der Seele, dem Geist, hat Gott seinen Odem eingehaucht. Die andern Teile der Seele, die fünf Sinne, das Sprach- und Zeugungsorgan, werden dieser göttlichen Gabe nur durch Vermittlung des Geistes teilhaftig. Sie werden der vernunftlose Teil der Seele genannt (Leg. alleg. I § 39f). Aber nicht die Dreiteilung Geist, Seele, Leib entspricht seiner eigentlichen Anschauung, sondern seine Psychologie ist im Grunde dichotomisch. Dem obersten und herrschenden Teile der Seele, den er verschiedenfach benennt ( n v e v f i a , Xoyos, xb Xoymov, vovs, Sidvoia, yv^rj 1, kommt allein Unsterblichkeit zu, nicht aber dem vernunftlosen, an die Sinnlichkeit geketteten Teil der Seele. Der menschliche Geist muß in die Höhe wandern, sich in die Geheimnisse Gottes einweihen lassen, den Leib (owfia) aber hat er als tot und böse geartet zu beurteilen 8 . Jetzt, da wir leben, ist unsere Seele gestorben und im Leibe wie in einem Grabe eingeschlossen 8 . Die Sinnlichkeit der Seele ist dem Leibe verwandt und hat ihre Wurzeln 1 V g l EZeller, Die Philosophie der Griechen, ' I I I 2 S 3 9 3 f f . HLeisegang, D e r heilige Geist, I B d I Teil: Die vorchristlichen Anschauungen u n d Lehren v o m nvevfiä u n d der mystisch-int u i t i v e n Erkenntnis, 1 9 1 8 . Dagegen aber RReitzenstein, D a s iranische E r l ö s u n g s m y s t e r i u m , 19 21 S 1 0 4 f f . 2 De opificio mundi K a p 46, C W § 1 3 4 f . Legum allegoriae I § 3 1 f f . 8 8 f f . u . ö. 3 De p r o f u g i s K a p 13, S 556 M. 4 z. B . Quod deterius potiori insidiari soleat K a p 23, C W § 83. Quod deus sit immutabilis K a p 1 0 , C W § 4 5 f K a p 1 1 , § 55 u n d die voranstehende A n m . 5 Leg. alleg. K a p 22, C W I I I 7 1 . De gigantibus K a p 3, C W § 14. 6 Leg. alleg. K a p 33, C W I 108. Leg. alleg. K a p . 22 23, C W I I I 72 74. De migratione A b r a hami K a p 2 3, C W § 9 16. Quis r e r u m divinarum heres sit K a p 1 6 62, C W § 85 3 1 5 f . Quis r e r u m d i v i n a r u m heres sit K a p 4 9 , C W 239.
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Die Lehre des P a u l u s
i m Leibe, a b e r i h r e m r e i n e n W e s e n n a c h ist sie o h n e alle B e z i e h u n g z u r S i n n e n w e l t . E r s t n a c h d e r T r e n n u n g v o m L e i b e g e l a n g e n d i e j e n i g e n Seelen, w e l c h e sich v o n d e n F e s s e l n des L e i b e s f r e i g e m a c h t h a b e n , w i e d e r z u m r e i n e n G e n u ß des w a h r e n L e b e n s . W e n n w i r g e s t o r b e n s i n d , d a n n l e b t die Seele i h r eigenes L e b e n u n d ist v o n d e m b ö s e n u n d t o t e n M i t g e f a n g e n e n b e f r e i t 1 . I n solchen G e d a n k e n g ä n g e n s p r i c h t P h i l o n i c h t n u r v o m L e i b (ocöfiü.) des M e n s c h e n , s o n d e r n a u c h v o n s e i n e m F l e i s c h (odpg) 2 . D o c h m u ß diese E r s c h e i n u n g in einen g r ö ß e r e n Z u s a m m e n h a n g e i n g e r e i h t w e r d e n . Die l a n d l ä u f i g e griechische A n t h r o p o l o g i e u n t e r s c h e i d e t ocöfia u n d yiv^rj o d e r a u c h oäifia u n d nvevfta. Im Griechisch d e r hellenistischen Zeit h a t a b e r P n e u m a s e h r v e r s c h i e d e n a r t i g e B e d e u t u n g e n . I n s b e s o n d e r e b e g e g n e t in d e n hellenistischen M y s t e r i e n r e l i g i o n e n die A n s c h a u u n g , d a ß d e r M e n s c h d u r c h die S c h a u d e r G o t t h e i t selbst z u m P n e u m a w i r d , z u m g ö t t l i c h e n u n d p n e u m a t i s c h e n M e n schen, m a g er a u c h n o c h in irdischer L e i b l i c h k e i t w e i t e r l e b e n , u n d w e i t e r h i n , d a ß j e d e r V e r s t o r b e n e z u m P n e u m a w i r d . D e r z u g r u n d e liegende G e d a n k e ist d e r , d a ß d e r M e n s c h A n t e i l a m W e s e n d e r G o t t h e i t e r h ä l t , i n d e m er — d u r c h die M y s t e r i e n o d e r a u c h die M y s t e r i e n l i t e r a t u r — b e r e i t s i m irdischen L e b e n die Möglichkeit e r l a n g t , zu d e n r e i n e n S p h ä r e n d e r als P n e u m a v o r g e s t e l l t e n G o t t h e i t e m p o r g e h o b e n z u w e r d e n . A u s solcher A n s c h a u u n g h e r a u s f o l g e n d a n n n o t g e d r u n g e n A b ä n d e r u n g e n u n d S c h w a n k u n g e n in d e m B e g r i f f P s y c h e u n d p s y c h i s c h , welcher n u n a u c h d a s m e n s c h l i c h e Seelenleben, soweit es n i c h t p n e u m a t i s c h i s t , b e z e i c h n e n k a n n . E i n e spezielle B e d e u t u n g des B e g r i f f s „ F l e i s c h " (aceo|) im s p ä t e r e n G r i e c h e n t u m ist n o c h z u e r w ä h n e n . Zeller h a t in d e m e r w ä h n t e n A u f s a t z in d e n T ü b i n g e r T h e o l o g i s c h e n J a h r b ü c h e r n n a c h g e w i e s e n 3 , d a ß seit E p i k u r in d e r griechischen P h i l o s o p h i e „ F l e i s c h " i m Sinne v o n „ K ö r p e r " o d e r „ L e i b " g e b r a u c h t w i r d . Dieser S p r a c h g e b r a u c h b e g e g n e t d a n n bei E p i k u r ä e r n u n d S t o i k e r n u n d a u c h ü b e r diese S c h u l e n h i n a u s , so d a ß m a n a n n e h m e n d a r f , d a s d a s W o r t „ F l e i s c h " im 1. u n d 2. J a h r h u n d e r t n . Chr. n i c h t b l o ß im hellenistischen, s o n d e r n a u c h i m griechischen S p r a c h g e b r a u c h , n a m e n t l i c h in p h i l o s o p h i s c h e n K r e i s e n z u r B e z e i c h n u n g des L e i b e s g a n z g e w ö h n l i c h w a r . N a m e n t l i c h die s p ä t e r e n S t o i k e r bis a u f M a r k A u r e l u n d A n t o n i n h e r a b h a b e n es g e l i e b t , i h r e V e r a c h t u n g g e g e n d e n L e i b u n d d a s Leibliche d a d u r c h a u s z u d r ü c k e n , d a ß sie s t a t t L e i b „ F l e i s c h " s a g e n , s. S e n e c a E p i s t e l n 6522, E p i k t e t z. B . D i a t r i b e n I I 2321 I I I 73 I 298 I I I 725 I V 1104 I 35. F e r n e r s p r i c h t J o s e p h u s Bell J u d I I 8 l l in d e r S c h i l d e r u n g d e r U n s t e r b l i c h k e i t s l e h r e d e r E s s e n e r d a v o n , d a ß die Seelen sich voll F r e u d e zu d e n h i m m l i s c h e n R e g i o n e n e m p o r s c h w i n g e n , w e n n sie v o n d e n B a n d e n des Fleisches b e f r e i t w e r d e n (sjieiSäv äve&eöoi xä>v xdta odoxtx Seoitcov)4.
Die Anthropologie des Paulus ist vor seiner Bekehrung ohne Zweifel eine der auch uns bekannten jüdischen oder hellenistischen gewesen. Wir kennen aber nur seine christliche Anthropologie. Diese jedoch weist naturgemäß infolge der Bekehrung und deren Folgen gewisse Veränderungen auf. Im einzelnen sind die Grundzüge folgende. Vielfach verwendet der Apostel auch seinerseits einfach die atlichen Begriffe. „Alles Fleisch" ist ihm wie dem AT Bezeichnung der ganzen Menschheit Gal 2 16 I Kor 129 R o m 3 20, ähnlich „Fleisch und Blut" Gal 116 I Kor 1550 Eph 612. A u c h „ F l e i s c h " b e z e i c h n e t bei i h m d e n M e n s c h e n n a c h seiner k r e a t ü r l i c h e n B e s c h a f f e n h e i t o h n e j e d e n N e b e n s i n n , n i c h t n u r in d e m a t l i c h e n Z i t a t : „ d i e zwei w e r d e n sein ein F l e i s c h " I K o r 616 E p h 531, s o n d e r n a u c h s o n s t I K o r 1539 E p h 529 I T i m 3l6 ( v o n C h r i s t u s : ecpdveQcöfrri sv aäoxi). E b e n s o , w e n n P a u l u s seine j ü d i s c h e n S t a m m e s g e n o s s e n sein F l e i s c h n e n n t R o m 1114 u n d seine fleischliche Z u s a m m e n g e h ö r i g k e i t m i t i h n e n h e r v o r h e b t R o m 4l 93. S p r i c h t e r d o c h a u c h v o n C h r i s t i fleischlicher A b s t a m m u n g R o m 13 95. Als „ F l e i s c h " b e z e i c h n e t er f e r n e r d e n n a t ü r l i c h e n M e n s c h e n o d e r d e n M e n s c h e n in seiner i r d i s c h e n E x i s t e n z f o r m o h n e B e z i e h u n g a u f die S ü n d e I I K o r 75 I K o r 728 I I K o r 103 ( i v oägxi) G a l 4l3f P h i l I22 24 K o l 124 25, sowie K o l 223. A u c h w e n n es „ W e i s e n a c h d e m F l e i s c h e " g i b t I Kor 126, o d e r P a u l u s E n t s c h l ü s s e f a ß t „ n a c h d e m F l e i s c h e " I I K o r 117, so m e i n t er e i n f a c h d a s n a t ü r l i c h e L e b e n n a c h seinen e m p i r i s c h e n E r s c h e i n u n g e n u n d Ä u ß e r u n g e n . D i e n a t ü r l i c h e S c h w ä c h e des M e n s c h e n b r i n g t d a s W o r t „ F l e i s c h " z u m A u s d r u c k I I K o r 4 l l , d i e sittliche S c h w ä c h e ist R o m 619 m i t eingeschlossen. N e u t r a l d a g e g e n ist „ F l e i s c h " w i e d e r , w e n n P a u l u s I I K o r 7l v o r B e f l e c k u n g des Fleisches u n d Geistes w a r n t . N i c h t a n d e r s ist d e r S i n n in d e m A u s d r u c k „ f l e i s c h e s g e m ä ß " (xarä odoxa) K o l 322 E p h 65 u n d in d e m G e g e n s a t z „ i m F l e i s c h u n d i m H e r r n " ( i v aaqxi xai iv xv^iq>) P h l m 16. I n a l l e d e m g e h t P a u l u s n i c h t ü b e r die a t l i c h e Linie h i n a u s . D a s gleiche ist w e n i g s t e n s f ü r die m i t „ F l e i s c h " b e z e i c h n e t e S a c h e z u b e h a u p t e n , w e n n P a u l u s v o n „ I s r a e l n a c h d e m F l e i s c h e " I K o r 1018 ( G e g e n s a t z : I s r a e l G o t t e s G a l 616), v o n f l e i s c h l i c h e m R u h m e als I s r a e l i t I I K o r 1118 P h i l 33 f G a l 613, v o n B e s c h n e i d u n g i m Fleische R o m 228, 1 Leg. alleg. K a p 33, C W I 108. 2 D e gig. K a p 7 f , C W § 29 f f . 3 Vgl a b e r a u c h G H e i n r i c i in M e y e r s K o m m e n t a r z u I K o r 216, A n m 2 ü b e r nvevfict u n d ad(>£. 4 P l a t o i s t es gewesen, welcher z u e r s t die Seelen i m U r z u s t a n d wie n a c h d e r v o l l e n d e t e n R ü c k k e h r in d e n s e l b e n als d u r c h a u s k ö r p e r l o s d a r g e s t e l l t h a t , v g l Zeller, Die P h i l o s o p h i e d e r G r i e c h e n , 4 I I 1 S 841 f . Diese V o r s t e l l u n g a b e r h a t s e i t d e m im G r i e c h e n t u m f e s t e W u r z e l n geschlagen.
Die paulinische Anthropologie
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von dem Gegensatz der Abstammung dem Fleische und der Verheißung nach Gal 423 Rom 98 Eph 2ll, von Kenntnis Christi nach dem Fleische I I Kor 516, von Geld als etwas Fleischlichem, d. h. dieser Welt Angehörigem I Kor 911 Rom 1527 spricht. Aber P a u l u s kennt auch noch einen anderen Begriff des Fleisches. E r spricht v o n dem menschlichen Fleisch auch als t o t a l v o n der Sünde b e h e r r s c h t e m . Die gegenwärtige Menschheit ist ihm als „ F l e i s c h " sündig. Diese bei Paulus besonders in lehrmäßigen Abschnitten, hauptsächlich Gal 5 R o m 7 8 h e r v o r t r e t e n d e A n s c h a u u n g h a t zwar eine Anknüpfung im A T , erscheint aber bei ihm wesentlich v e r s c h ä r f t . Weil der Mensch seinem Wesen nach Fleisch ist, ist er im Zusammenhang mit Adam unter die Sünde verkauft Rom 714 {odyxivoe ist nicht mit Holsten in einen genetivus materiae aufzulösen, sondern wie oagxtxSs I Kor 3l 3 in einen genetivus qualitatis), vgl S190. In Christi Tod hat Gott über das gesamte Fleisch der Menschheit das Verdammungsurteil gesprochen Rom 83. In dem Fleische des Menschen wohnt nichts Gutes Rom 7l8, mit seinem Fleische dient der Mensch dem Gesetz der Sünde Rom 725 5 84—8 Kol 2l3 (oagxds Gen. epexegeticus). Die Sünde als objektive Macht hat das menschliche Fleisch zu ihrem Herrschaftsgebiete gemacht. Wo Fleisch ist, da ist auch Sünde. Der Christ darf sich nicht auf dem Gebiete des Fleisches bewegen Gal 33 513 Rom 812, nicht auf das Fleisch säen Gal 68, nicht die Begierden Gal 516 und Werke des Fleisches tun Gal 519 Eph 23, sondern er muß sein Fleisch mit den Affekten und Begierden kreuzigen Gal 524. Was er noch in diesem Fleische lebt, muß er im Dienst des himmlischen Christus leben Gal 220. Paulus k e n n t und gebraucht aber auch die gewöhnliche griechische Bezeichnung der irdisch-materiellen Seite des Menschen, Leib (awfia). W i e v o m sterblichen Fleische I I K o r 411 spricht er v o m sterblichen Leibe R o m 6 1 2 , wie v o n Christi Fleisch R o m 1 3 8 3 95, so R o m 7 4 v o n dem in den T o d dahingegebenen Leibe Christi. Daher ist in den Abendmahlsstellen I Kor 1124 27 29 1016 doch wohl auch diese gleiche Bedeutung anzunehmen. I Kor 616 wird der Gedanke, daß die Leiber der Christen sittlich rein gehalten werden müssen, da sie in innerer Verbindung mit Christus stehen, durch das Zitat Gen 224 begründet: „ E s werden die zwei ein Fleisch sein". Der Christ ist wie „im Fleische" I I Kor 103, so „im Leibe" I I Kor 56 122f. Paulus kann vom Sündenfleische Rom 83 wie vom Sündenleibe Rom 66 sprechen. I I Kor 4l0f Rom 813 Eph 528f wechseln die Ausdrücke „ L e i b " und „Fleisch", öfter steht daher auch sonst „Leib", wo Paulus auch „Fleisch" hätte sagen können, z. B . Gal 617 I Kor 734 (vgl I I Kor I i ) 927 1 33 Rom 124 4i9 810. Dennoch kennt Paulus den Begriff „Leib" auch in spezieller Bedeutung. E r ist ihm auch gleichbedeutend mit „Organismus". So in dem Bilde vom Leibe Christi, dessen Glieder die Christen zu werden bestimmt sind I Kor 12l2ff Rom 124f Kol 124 315 Eph 412 16 523ff, namentlich aber in der Unterscheidung eines irdischen und eines himmlischen Leibes I Kor 1535ff. Hier würde der Nerv der Beweisführung durchschnitten, wenn man leugnen wollte, daß der Auferstehungsleib der Christen in festem Zusammenhang mit dem Erdenleib stehe. Trotz der Wendung, daß Gott dem in die Erde geworfenen Samen einen Leib gebe, „wie er gewollt h a t " 38, drückt bereits dies Bild den Gedanken aus, daß aus demselben Samenkorn etwas sachlich Neues und doch mit dem Alten Zusammenhängendes hervoiwächst. Das gleiche will Paulus den Korinthern sagen, wenn er betreffend die Auferstehung lehrt: „Es wird gesät ein psychischer Leib, es wird auferweckt ein pneumatischer Leib" 44. Der Mensch wechselt die Form des Leibes. Fleisch und Blut kann das Reich nicht ererben. Die Menschen müssen umgewandelt werden (äXXayriaAfis&a) 51 f, wenn sie Anteil an des Reiches Herrlichkeit erlangen sollen. Sie müssen den gleichen Leib anziehen, wie ihn der erhöhte Christus schon jetzt trägt. Aber wie dieser als der irdische und als der himmlische eine und dieselbe Person ist, so sind es auch die Christen im Erdenleib und im himmlischen Leib. Christus wird unsern Niedrigkeitsleib umgestalten, gleichgestaltet seinem Herrlichkeitsleibe Phil 321. Dementsprechend ist auch der Ausdruck Fleischesleib (ocöfia rrjsoaQxAs) zu verstehen Kol 122 in Anwendung auf Christus und Kol 2ll in Anwendung auf die Christen. Es ist gemeint die Form des Leibes,welche Fleisch ist. Zur Bezeichnung der geistigen Seite des Menschen fehlt es bei Paulus an einer bes t i m m t e n Terminologie. Z u n ä c h s t k ä m e n in B e t r a c h t Seele (ipvxV) u n d Geist (nvevfia), welche i m Griechischen d e m Leib (ocöfia) gegenüberzustehen pflegen. Allein der Begriff „ G e i s t " h a t in der Lehrsprache des Paulus so fest und b e s t i m m t die B e d e u t u n g „heiliger G e i s t " , „ G o t t e s " oder „Christi G e i s t " , d a ß sich für den Apostel notgedrungen gewisse Schwierigkeiten ergeben m u ß t e n , wollte er auch v o m Seelenleben des Menschen als dem Geiste des Menschen sprechen. D a ß jedoch u n d inwieweit dieser S p r a c h g e b r a u c h bei ihm vorliegt, ist sofort des näheren zu zeigen. D e r Begriff P s y c h e spielt bei ihm keine wesentliche Rolle. I n populär atlichem Sinne ist ihm P s y c h e L e b e w e s e n , Einzelindividüum I K o r 1545 = Gen 2 7 R ö m 1 3 1 , gleichfalls atlich „ L e b e n " I Thess 28 I I K o r 123 R ö m 1 1 3 = I K ö n 1910 R ö m 1 6 4 Phil 2 30 und „ S e e l e " als die innere Seite des Menschen I I K o r 1215 R ö m 29 Phil I27 K o l 323 E p h 66. F e i n e : Theologie. 8 . Aufl.
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Die Lehre des P a u l u s
Singular in anthropologischer Hinsicht ist bei ihm I Thess 523: es möge u n v e r s e h r t in der Parusie erhalten werden „euer Geist u n d Seele u n d L e i b " (vficöv to nvtvfia xai rj y>v%7] xal to ocöfia). D a s klingt trichotomisch im Sinne des Aristoteles, insofern Geist das höhere u n d Seele das niedere geistige Wesen des Menschen bezeichnen zu sollen scheint. Aber wie wir sehen werden, ist die Psychologie des P a u l u s dichotomisch, u n d philosophische Einflüsse sind in ihr nicht zu konstatieren. Wohl aber charakterisiert der Apostel I K o r 2l4 1544 46 gleichfalls m i t dem Adjektiv „psychisch" den Menschen n a c h seiner irdisch bestimmten u n d daher ungöttlichen u n d vergänglichen Seite, u n d zwar im Gegensatz zu seinem pneumatischen Wesen. D e n geistigen I n h a l t des Menschen n e n n t der Apostel sein I c h R o m 715-21, d e n i n n e r e n M e n s c h e n (6 eaco av&Qumoq) R o m 722 I I K o r 416 E p h 316, a b e r i n d e n z w e i l e t z t g e n a n n t e n S t e l l e n d e n c h r i s t l i c h e r n e u e r t e n M e n s c h e n ; f e r n e r s p r i c h t er v o m V e r s t a n d (vovg) d e s M e n s c h e n . Dieser k a n n u n b e w ä h r t , töricht u n d v e r d e r b t sein R o m 128 Kol 218 E p h 417 I Tim 65 I I Tim 38 T i t 115. Auch im natürlichen, unerlösten Menschen streckt er sich dem Guten entgegen R o m 723 25. D a h e r k a n n er erneuert R ö m l 2 2 u n d der W i r k u n g des (heiligen) Geistes zugänglich werden E p h 423, wie denn der menschliche Verstand I K o r 1414 15 19 ausdrücklich von dem d e n Menschen inspirierenden, also im Menschen aktiven Gottesgeist unterschieden wird. Doch wird bald betreffend diese Aussagen noch eine Näherbestimmung zu geben sein. Phil 47 ist dieser Verstand ganz allgemein die geistige, vorwiegend erkennende Tätigkeit des Menschen. I m a l l g e m e i n s t e n S i n n e s p r i c h t P a u l u s a u c h v o m S i n n (vovg) — w i e w i r h i e r b e s s e r ü b e r s e t z e n a n s t a t t V e r s t a n d - d e s H e r r n u n d Christi I K o r 216 u n d R o m 1134 = J e s 4 0 1 3 v o m S i n n G o t t e s . I n d e n G e f a n g e n s c h a f t s b r i e f e n b e g e g n e t f e r n e r K o l 121 E p h 418, a u c h 2 3 d e r s p r a c h l i c h v e r w a n d t e A u s d r u c k öiavoia, d e n w i r g l e i c h f a l l s m i t „ S i n n " w i e d e r z u g e b e n h a b e n , a n a l l e n drei S t e l l e n als w i d e r g ö t t l i c h u n d s ü n d i g b e s t i m m t e r S i n n . H ä u f i g s p r i c h t P a u l u s , w i e d e r u m g u t a t l i c h , v o m H e r z e n ( x a q ö i a ) als d e m geistigen Zentrum des Menschen. D a s H e r z wird der äußeren Person des Menschen gegenübergestellt I Thess 2l7 I I K o r 512, das Herz des Menschen ist gleichbedeutend m i t dem n a c h seinem geistigen I n h a l t betrachteten Menschen I K o r 29, in ihm t r ä g t m a n die ungeschriebenen Gesetze Gottes R o m 215, es ist das Organ des Willens I K o r 45 I I K o r 97 R o m 617, es h a t verborgene Tiefen I K o r 1425, die Gott allein k e n n t I K o r 45 R o m 827, es k a n n unverständig, unbußfertig, verstockt sein R o m 121 25 I I K o r 315 E p h 418, aber in das Herz wird auch die B o t s c h a f t des Evangeliums geschrieben I I K o r 32 f, m i t dem Herzen wird sie geglaubt R o m 109, in den Herzen leuchtet die E r k e n n t n i s Gottes u n d Christi auf I I K o r 46, der heilige Geist wird in die Herzen der Menschen gegeben R o m 55, die Herzen müssen gestärkt I Thess 3l3 u n d getröstet werden I I Thess 2l7 K o l 22 48. Gott m u ß die Herzen der Christen bewahren Phil 47. D e r T ä t i g k e i t d e s H e r z e n s v e r w a n d t i s t d i e d e s G e w i s s e n s (aweiÖTjaig). D e n n dass e l b e b e g l e i t e t d i e S t i m m e d e s H e r z e n s R o m 215 9 i f , ä h n l i c h I I K o r 4 2 5 l i , e s k a n n b e f l e c k t w e r d e n I K o r 8 7 10 1 0 2 5 f f T i t 115 o d e r l a u t e r u n d r e i n s e i n I I K o r 112 I T i m 15 19 39 I I T i m 13. (s. u . S 2 7 5 , 1 . ) S c h w i e r i g e r a b e r i s t d i e F r a g e , w a s P a u l u s m e i n t , w e n n er i n b e z u g a u f d e n M e n s c h e n v o m G e i s t e (nvev/ia) s p r i c h t . K e n n t er a u c h d i e p o p u l ä r e A u s d r u c k s w e i s e , w o nach der menschliche Geist d e m Leib oder Fleisch gegenübersteht1, wie ja auch Jesu W o r t u n t e r s c h e i d e t : „ d e r G e i s t (TO nvevpa) i s t w i l l i g , d a s F l e i s c h (rj oagg) aber s c h w a c h " M k 1438 v g l a u c h M t 2 7 50 J o h 1930 J a k 226, o d e r a b e r i s t b e i i h m G e i s t stets der heilige Geist oder der durch d e n heiligen Geist erneuerte menschliche Geist ? I K o r 2ll h a t der Apostel im Sinne den Geist, der zur. natürlichen A u s s t a t t u n g des Menschen gehört; das W o r t ist also im gewöhnlichen Sinne gebraucht, ebenso I K o r 53f Kol 25. V e r w a n d t ist R o m 810. I n diesen Zusammenhang sind wohl auch einzureihen die Aussagen, d a ß sein Geist keine R u h e f i n d e I I K o r 2l3, erquickt wird I K o r 1618 I I K o r 713, d a ß der Christ v o r Befleckung nicht n u r des Leibes, sondern auch des Geistes bewahrt bleiben m u ß I Thess 523 I K o r 734 I I K o r 7l. Aber der Mensch h a t in seinem Geiste (Sinn, Gewissen, Herzen, Ich) ein Organ, welches f ü r die W i r k u n g des heiligen Geistes aufgeschlossen ist, u n d m i t dem sich der heilige Geist mehr oder weniger fest verbinden k a n n . N a c h R o m 816 legt der Geist selbst m i t unserem Geiste Mitzeugnis ab, daß wir Gottes K i n d e r sind. Hier wird der Gottesgeist neben den menschlichen Geist gestellt, aber der letztere k a n n n u r als v o m heiligen Geist erleuchteter zu der Gewißheit der Gotteskindschaft k o m m e n . D a s sagt P a u l u s selbst u n m i t t e l b a r v o r h e r : in der K r a f t des Geistes der Sohnschaft r u f e n wir A b b a , Vater. Die gleiche B e d e u t u n g v o n Geist: Zusammen1 In den hellenistischen Schriften, insbesondere den Zauberpapyri, ist nvev/ia Gegensatz zu am/na oder ad^,
Reitzenstein, Mysterienreligionen 1 S 136.
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Fleisch und Geist
fassung des den Menschen verliehenen Cottesgeistes und des also erleuchteten und erfüllten menschlichen Geistes, liegt in den Briefschlüssen Gal 618 Phil 423 Phlm 25 vor, nur daß hier eine Einheit ist, was Rom 816 unterschieden wurde. Wenn Paulus Gott Rom 19 zum Zeugen anruft, daß er am Evangelium seines Sohnes in seinem Geiste dient (cp Xargeito iv ttä nvevpaii fiov), so meint er natürlich ebenfalls nicht den ihm verliehenen Gottesgeist, sondern seinen eigenen, durch den heiligen Geist bestimmten Geist. Der Geist, dessen Sinnen Leben und Friede ist Rom 86, ist schwerlich etwas anderes als der Gottesgeist, dessen hier angegebene Wirkungen der geisterfüllte Christ an sich erfährt. Das Gewissen des Apostels legt ein Mitzeugnis zu seinem Tun ab, und zwar „im heiligen Geiste" Rom 91. Damit will er sagen, daß der heilige Geist sein eigenes Gewissen so läutert und schärft, daß es zu nichts anderem als der vollen Wahrheit seine Zustimmung gibt. Eigenartig ist die Mahnung zur Erneuerung „durch den Geist eures Sinnes" (rq> nveifiaxi rov voos v/umr) Eph 423, durch den heiligen Geist, welcher ihren Sinn, ihr Inneres durchdringt und so eine Erneuerung vollzieht.
Zusammenfassend werden wir folgendes zu sagen haben. Paulus kennt ein natürlich irdisches, und zwar durch die Sünde bestimmtes Seelenleben des Menschen, welches vergänglich ist wie die Beschaffenheit des Aeons, zu welchem es gehört. Dies vergängliche, gottwidrige, sündige Leben umfaßt den Menschen nach seiner physischen wie psychischen Seite. Nicht nur das Fleisch oder der irdische Leib, sondern auch der Mensch als Geist, Verstand, innerer Mensch verfällt mit dem Tode dem Schicksal alles Kreatürlichen, denn er steht nicht im Einklang mit dem allein bleibenden göttlichen Wesen. Allein sowohl Leib wie Seele des Menschen sind bestimmt, durch den Gottesgeist, welcher jedem Christen von Gott verliehen wird, des ewigen Lebens teilhaftig zu werden, der Leib, indem er aus einem irdischen in der Endvollendung ein himmlischer wird, also einer Umwandlung unterliegt, der Geist oder der innere Mensch, indem er durch die Kraft des ihm eingepflanzten göttlichen Geistes geläutert und selbst pneumatischen Wesens wird, also gleichfalls eine Umwandlung erfährt. 11. Fleisch und Geist. Nunmehr sind wir auch imstande, zu dem Problem Stellung zu nehmen, wie Paulus zu der schroffen Gegenüberstellung von Fleisch und Geist gekommen ist. Im J a h r e 1855 hat Holsten eine sehr eindringende Untersuchung veröffentlicht: „Über die Bedeutung des Wortes aäo'S, im Lehrbegriff des Paulus", welche er 1868 in der Schrift „Zum Evangelium des Paulus und des P e t r u s " S 365—447 wieder abdrucken ließ, und die Grundgedanken dieser Abhandlung tragen auch das Holstensche System der „Paulinischen Theologie". Folgendes ist die Anschauung Holstens. Die jüdisch-hellenistische Weltanschauung wird von dem Prinzip der Transzendenz beherrscht und von dem Dualismus des unendlichen Geistes und der endlichen Materie, einer transzendenten Welt der Ideen als der Urbilder aller Formen der materiellen Welt und dieser sinnlich-materiellen Welt als des Abbildes jener Ideenwelt. Dieser philosophische Dualismus tritt bei Paulus nicht in reiner Form auf — das verbot sein Monotheismus —, aber er liegt allen entscheidenden Gedankenelementen der paulinischen Weltanschauung zugrunde und begegnet namentlich in dem Gegensatz von Gott und Mensch, Gott und Welt, Geist Gottes und Fleisch des Menschen. Der scharfe Wesensgegensatz Gottes und des Menschen als Geist und Fleisch, der aus dem jüdischen Bewußtsein nicht zu erklären ist und doch die religiöse Gedankenwelt des Paulus beherrscht, muß aus dem Einfluß des geschilderten hellenistischen Dualismus auf das Denken des Paulus erklärt werden. Nur ist in Anschlag zu bringen, daß die religiöse Forderung der Notwendigkeit der Sünde den Apostel zu diesem Dualismus hindrängte.
Holsten hat damit Gedanken ausgesprochen, welche seitdem von vielen aufgenommen worden sind. Nur ist der Horizont durch die religionsgeschichtliche Forschung wesentlich erweitert worden. Man verweist heute auf das den Paulus umgebende religionsgeschichtliche Milieu, jene Mischbildungen, in denen sich Philosophie und orientalisch bestimmter Glaube, gedankliche Reflexion und antikes Mysterienwesen, Spekulation und religiös-ekstatische Mystik zu wundersamen neuen Gebilden verschlingen, nicht nur bei Philo, sondern auch im hermetischen Schriftenkreis, vielleicht im Neupythagoräismus, sodann in der christlichen Gnosis und der iranischen Religion. Allein alle Lehraussagen des Apostels, auch die schroff und fast dualistisch klingenden, lassen sich durchaus von der christlichen Lebenserfahrung des Apostels aus verstehen. Der aus diesem Erdenleben zu himmlischem Leben erhobene, der pneumatische Christus hat sich Paulus geoffenbart und ihn in sein Lebenselement hineingezogen. Aus diesem Erlebnis ergab sich für ihn notwendig ein vertiefter Sündenbegriff. E r folgt aus dem Doppelten, dem Verlangen, an dem himmlischen Leben Christi vollen Anteil zu erhalten, also den irdischen Leib abzulegen, und aus den theo17*
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Die L e h r e des P a u l u s
logischen F o l g e r u n g e n , die er aus d e m K r e u z e s t o d Christi als göttlicher H e i l s n o t wendigkeit zu ziehen sich gedrängt sah. W a r aber das himmlische u n d p n e u m a t i s c h e L e b e n das eigentliche Ziel des Christen, u n d erkannte Paulus, zu w e l c h e m Grade v o n Sündigkeit i h n sein eigenes Gerechtigkeitsstreben geführt h a t t e , so trat i h m fortan die B e d e u t u n g des eigenen menschlichen T u n s zurück. Es w a r Sünde, u n d ihn beseelte nunmehr das lebhafte Verlangen, schon in diesem Leben der Gotteskräfte teilhaftig zu werden, die das Erdenleben J e s u erfüllt h a t t e n , u n d die der himmlische Christus d e n Seinen gab. E s ist nur n a t u r g e m ä ß , d a ß Paulus, u m diese persönlichen Erfahrungen zu vergegenständlichen, sich bereits geprägter u n d zeitgeschichtlich bestimmter Begriffe b e d i e n t e . Sie b o t e n i h m die A n k n ü p f u n g e n , deren er b e d u r f t e , u m sich innerhalb seiner Zeit verständlich zu m a c h e n . D a s P n e u m a war ein j e d e m J u d e n geläufiger Begriff, die S t o a h a t t e i n der philosophischen u n d gebildeten W e l t die Lehre v o m Geist als der die W e l t durchwirkenden K r a f t geläufig g e m a c h t , u n d in d e n hellenistis c h e n Erlösungsreligionen w a r es gleichfalls d a s Ziel, d e n M e n s c h e n zu e i n e m p n e u matischen Sein zu erheben. Ebenso haben wir nachgewiesen, wie im J u d e n t u m und in den damaligen philosophisch beeinflußten Kreisen „Fleisch" in abschätziger Bed e u t u n g g e b r a u c h t wurde. W e d e r Geist n o c h Fleisch h a t P a u l u s i n der i h m solchergestalt ü b e r k o m m e n e n W e i s e angewendet, aber i n verwandter, unmittelbar verständlicher Bedeutung. A u c h dies ist gegen die B e h a u p t u n g philosophisch-dualistischer G e d a n k e n in der P n e u m a Sarx-Lehre des P a u l u s geltend z u m a c h e n , d a ß des Apostels Theologie n i c h t auf eine endgültige Scheidung v o n G o t t u n d Materie als zweier sich gegenüberstehender Prinzipien h i n a u s l ä u f t . Die W e l t wird a m E n d e der Dinge n i c h t v e r n i c h t e t oder G o t t dualistisch gegenübergestellt, sondern wieder in d e n G o t t wohlgefälligen Z u s t a n d z u r ü c k g e f ü h r t . Der Geist des Menschen ist n a c h P a u lus n i c h t e t w a s v o n H a u s aus Ungöttliches oder g a r Widergöttliches, sondern er ist d a s menschliche Organ, in welches der Gottesgeist eingehen k a n n . D e r Leib des Menschen ist in diesem u n d im z u k ü n f t i g e n L e b e n n i c h t e t w a s ganz Verschiedenes, sondern er wird n u r u m g e w a n d e l t . I n W a h r heit ist des P a u l u s Geist-Fleischlehre n i c h t dualistisch, sondern die persönliche E r f a h r u n g des Apostels h a t diesen bereits atlichen Gegensatz v e r t i e f t u n d v e r s c h ä r f t . W i r d h e u t e vielfach des P a u l u s Geistlehre in inneren Z u s a m m e n h a n g m i t d e n d a m a l i g e n hellenistischen Mysterienreligionen g e b r a c h t , so ü b e r s i e h t m a n ü b e r der offensichtlichen f o r m a l e n V e r w a n d t s c h a f t den grundlegenden Unterschied. P a u l u s redete eine j e n e n M y s t e n u n m i t t e l b a r verständliche Sprache, w e n n er G o t t u n d Christus als P n e u m a v e r k ü n d i g t e , w e n n er v e r l a n g t e , d a ß die Christen schon in diesem Leibe sich ganz in d e r S p h ä r e des P n e u m a bewegen müssen, u n d w e n n er d e n Christusgläubigen verhieß, d a ß sie im himmlischen Z u s t a n d , v o n der sarkischen B e s c h a f f e n h e i t b e f r e i t , einen p n e u m a t i s c h e n Leib e r h a l t e n w ü r d e n . A b e r P a u l u s t a t dies aus seiner f e s t e n V e r b i n d u n g m i t d e m geschichtlichen Christus h e r a u s , weil er selbst in solcher u m gestaltenden Weise als a n t i k e r Mensch Christi L e b e n s m a c h t e r f a h r e n h a t t e . Die G e d a n k e n der idealistischen Philosophie seiner Zeit h a t er d a m i t ganz gewiß n i c h t a u f n e h m e n wollen, u n d w a s er v o n d e n P o p u l a r p h i l o s o p h e n seiner Zeit oder v o n den Mysterien der d a m a l i g e n gnostischorientalischen Religionen g e h ö r t h a b e n m o c h t e , h ä t t e er vielleicht als d u n k l e S e h n s u c h t n a c h w a h r e m L e b e n oder als Theorie gelten lassen. E r selbst aber w u ß t e sich v o n der L e b e n s m a c h t des Gottesgeistes wirklich u n d t a t s ä c h l i c h ergriffen u n d spürte die K r ä f t e der himmlischen W e l t bereits als R e a l i t ä t , u n d als solche G o t t e s k r a f t ist seine P r e d i g t doch a u c h v o n seiner Zeit wirklich e r f a h r e n w o r d e n . 12. P a u l u s denkt das P n e u m a nicht stofflich. Die F r a g e , ob der Apostel d e n Geist stofflich g e d a c h t h a b e , ist streitig. E i n e große A n z a h l v o n Theologen b e j a h e n sie in der Nachfolge v o n H o l s t e n , H o l t z m a n n u n d Pfleiderer. A n d e r e aber wie W e n d t , Beyschlag u n d B e r t r a m s , erheben dagegen W i d e r s p r u c h . Die H a u p t s c h w i e r i g k e i t liegt in der F r a g e n a c h d e m Auferstehungsleib, der p n e u m a t i s c h g e d a c h t wird, aber doch eben n i c h t o h n e K ö r p e r l i c h k e i t . Ü b e r dies Problem wird in dem K a p i t e l ü b e r die paulinische E s c h a t o logie zu h a n d e l n sein. E n t g e g e n der f r ü h e r g e ä u ß e r t e n A n s c h a u u n g scheint mir j e t z t a u c h aus der paulinischen Auferstehungslehre die M a t e r i a l i t ä t des Geistes n i c h t abgeleitet w e r d e n zu d ü r f e n . H i e r b e s c h r ä n k e n wir u n s d a h e r auf die Aussagen des Apostels, abgesehen v o n seiner L e h r e v o n d e m p n e u m a t i s c h e n Leib der A u f e r s t a n d e n e n . W e n n P a u l u s in Bildern v o m Geist spricht, die denselben als Flüssigkeit oder als E l e m e n t erscheinen lassen, innerhalb dessen sich der Gläubige bewegt, so wird der a n die Bibelsprache G e w ö h n t e d a r a n nichts Materielles erblicken. I n I K o r 1213: „ W i r sind alle in e i n e m Geiste in e i n e n Leib g e t a u f t w o r d e n " ist z u vergleichen: „ E r h a t u n s g e t r ä n k t m i t dem Geiste der Vers t o c k u n g " J e s 2910, ähnlich P s 603, „ t r ä n k e n m i t dem Wasser des Z o r n s " J e r e m 915, „ m i t dem Wasser der W e i s h e i t " Sir 153. I s t doch a u c h n a c h R o m 55 die Liebe Gottes in u n s e r e H e r z e n
Geist und Kraft
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ausgegossen durch den uns verliehenen heiligen Geist. Die paulinische Wendung „im Geist" könnte man versucht sein, nach Analogie von „in Christus" lokal zu fassen. Aber das „in Christus" ist doch nur in einem Teil der Stellen lokal zu fassen, s S 220. Gar nicht durchführbar ist die lokale Auffassung der Wendung „in Gott". Auch widerraten die meisten Stellen, wo „im Geist" bei Paulus vorkommt, die lokale Bedeutung wie I Thess 15 Gal 61 I Kor 6ll 123 9 II Kor 6e Rom 91 1417 1516 usw. Wenig wahrscheinlich ist sie I Kor 1213, weil hier die lokale Vorstellung in den Worten „in einen Leib" liegt und daher „in einem Geist" nicht auch schon lokal gefaßt werden kann. Auch Rom 89 gewinnt der Gedanke nach den Worten: „ihr seid nicht im Fleisch, sondern im Geist" sofort eine Wendung, welche deutlich zeigt, der Geist wird als Kraft vorgestellt; vgl überhaupt den folgenden Abschnitt: „Geist und Kraft" S 261 f. Auch aus II Kor 34—46 wird die Stofflichkeit des Pneuma nicht abzuleiten sein. Den übernatürlichen Lichtglanz auf dem Antlitz des Mose hat Paulus gewiß ebensowenig stofflich gedacht wie die Juden den Lichtglanz Gottes (kabod, schechina) über der Bundeslade. Noch deutlicher aber wird die Vorstellung, wo der Apostel den atlichen Dienst schildert. Das „Aufleuchten der Erkenntnis der Lichtherrlichkeit Gottes im Angesicht Christi" 46 ist etwas, was in das Herz des Apostels hineingestrahlt ist und ihm die neue Erkenntnis gebracht hat. Das ist also etwas Innerliches. nichts Sinnenfälliges und Körperliches. Dies innere Licht nennt er 44 das Aufleuchten des Evangeliums von der Lichtherrlichkeit Christi. Das Licht wird danach geschaut, wenn das Evangelium, das volle Evangelium, erfaßt wird. Dies ist aber nach des Apostels Vorwurf gegen seine Gegner diesen verborgen. Daher ist in dem mit diesen Versen in engstem Zusammenhang stehenden — vgl Siä tovto, %%ovtee TTjv SiäMoviav tavrijv 4l — Vers 318 schwerlich die Rede von einem Auffangen der äußeren Lichtherrlichkeit Christi durch die Gläubigen und von einer bereits hier beginnenden auch hyperphysischen Verwandlung, durch welche der Auferstehungsleib vorgebildet werde, sondern von einer inneren Gleichgestaltung mit Christus, welche schon hier beginnt. Zieht man 44 mit zum Verständnis von 318 heran, so ist der Gedanke: das Evangelium vermittelt uns das Schauen Christi im Spiegel — xatont^t^ifisvoi „im Spiegel schauend", — noch nicht das volle Schauen Christi, vgl I Kor 1312, und so werden wir durch die immer neugeschaute Herrlichkeit Christi, die pneumatischer Art ist, in das Bild Christi umgestaltet, unserem innem Menschen nach. 13. Geist und Kraft. Für den Apostel sind „ K r a f t " und „Gottheit" Korrelatbegriffe Rom 120, wie es denn antike Vorstellung überhaupt ist, daß die Gottheit die Trägerin der K r a f t im spezifischen Sinne ist. In diesen Zusammenhang ist auch die Vorstellung einzureihen, daß höhere Engelmächte „Kräfte" ( d v v d p s i s ) heißen — bei Paulus Rom 838 I Kor 1524 Eph 121 - und daß auch der Satan als Träger gottheitlicher Kraft erscheint II Thess 29. Insbesondere aber ist dem Apostel die christliche Religion „ K r a f t Gottes" (övva/Mg ßeov). Rom 116 nennt er das Evangelium K r a f t Gottes zur Rettung für jeden Gläubigen, und ebenso heißt I Kor 118 24 das Kreuz Christi und der gekreuzigte Christus; ähnlich II Kor 47 67 Eph 320 Kol I i i . Was er damit sagen will, ist klar: in der Annahme des Evangeliums fühlt sich der Mensch von der K r a f t Gottes oder der K r a f t Christi II Kor 129 ergriffen und erfüllt. Diese Vorstellung von der göttlichen K r a f t steht nun in enger Verbindung mit der Lehre vom Geiste. Rom 14 zufolge ist Christus als Sohn Gottes in K r a f t eingesetzt worden seit der Auferstehung von den Toten. Das ist geschehen, weil heiliger Geist sein Wesen ausmachte und dieser heilige Geist nunmehr nicht ferner durch die irdischfleischliche Existenzform gehemmt ist. Daraus folgt aber, daß sich Paulus die gesamte Wirkung Christi „in K r a f t " als pneumatische vorgestellt hat. So haben wir also auch Stellen wie II Kor 129 Kol 129 zu verstehen, wo von Christi K r a f t die Rede ist. In den Zusammenhang dieser paulinischen Gedanken führt gut ein Eph 3i6f. Hier betet der Apostel, Gott möge den Christen verleihen, am inwendigen Menschen stark zu werden durch den göttlichen Geist. Hiernach ist der göttliche Geist die Kraftquelle der Christen. Aber sofort erläutert Paulus diesen Gedanken damit, Christus möge durch den Glauben in ihren Herzen wohnen. Die Meinung ist also: der Christ wird stark an K r a f t durch den göttlichen Geist, indem und wenn Christus in seinem Herzen wohnt. Wo Christus ist, oder wo Geist ist, da ist Kraft. Auch von anderer Seite her zeigt sich der enge Zusammenhang von Kraft und Geist als der Grundelemente christlicher Erfahrung. Das Evangelium des Paulus ist nicht nur Wortverkündigung, sondern Kraft und heiliger Geist und freudige Zuversicht I Thess 15, d. h. göttliche Kraft, heiliger Geist und freudige Zuversicht erfüllen nunmehr die Herzen der gläubigen Hörer. Dies sind für den Apostel offenbar zusammengehörige, ineinandergreifende Wirkungen. Ebenso schließt er I Kor 24f Geist und Kraft zu einem eng verbundenen Begriffspaar zusammen, seine Predigt ist Erweisung von Geist und Kraft. Und was 4 als Geist und Kraft auseinandergehalten wird, heißt 5 einfach Gotteskraft. So besteht denn nach I Kor 4l9f das Reich Gottes nicht in
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Die Lehre des Paulus
Worten, sondern in K r a f t . Daher könnte Paulus betreffend die Exkommunikation des Blutschänders I Kor 54f statt „indem ihr und mein Geist mit der K r a f t unseres Herrn Jesu versammelt sind" ebensogut schreiben „mit dem G e i s t e " . Spricht der Apostel von der K r a f t des heiligen Geistes Rom 1513 19, so meint er gleichfalls die göttliche K r a f t , wie sie der Geisterfüllte in sich spürt und die auch zu Wunderwirkungen f ü h r t I Kor 1210 28 f Rom l'5l9. Schließlich liegt auch die Vorstellung des pneumatischen Leibes vor, wenn dem Auferstehungsleib der Christen die Prädikate Unvergänglichkeit, Lichtherrlichkeit und K r a f t (atp&agoia, SöSa, Svrafiis) beigelegt werden.
14. Geist und Wort1. Es ist bereits feststehende atliche und jüdische Anschauung, daß der Geist im Worte wirksam ist. Hos 97 stehen synonym nebeneinander der Prophet (fcfasn) und der Geistbegabte ( r n i n 1ZTN). Mich 38 erklärt der Prophet, mit Kraft, nämlich dem Geiste Jahwes, erfüllt zu sein, um Jakob seinen Abfall und Israel seine Sünde kundzutun. Infolge der Inspiration durch den Geist Jahwes weissagt Ezechiel Ez l l 5 f f . Weil Gott seinen Geist auf Israel, seinen Knecht, gelegt hat, wird er den Völkern das Recht verkünden Jes 421, vgl Jes 4816 5921. Der Geist des Herrn, Jahwes, ruht auf dem Propheten, damit er den Elenden frohe Botschaft bringe Jes 61lff. Im AT erscheint aber nicht nur das berufsmäßige, sondern auch das fakultativ auftretende Prophetentum und das damit zusammenhängende ekstatische Reden als vom Geiste Gottes gewirkt Num 1125 f 242 I Sam 106 10 1920 f f . Auch sonst wird in besonderen Fällen das Reden auf den Geist Gottes zurückgeführt I I Sam 232 I Chron 1218 I I Chron 15i 2420. Die geschilderte Vorstellung herrscht auch im Judentum Sir 4824f Jubil 25l4f 3112 und Hen 91l. Die gleiche Betrachtungsweise finden wir bei Jesus. Die eben zitierte Stelle Jes 61lf wendet Jesus nach Luk 4l7ff in der Synagoge zu Nazareth auf seine Verkündigung an. Mt 2 243f Mk 1236f fragt Jesus die Pharisäer, wie es komme, daß David in dem Wort Ps 1101 den Messias im heiligen Geist „ H e r r n " nenne. Die zur Verurteilung geführten Jünger sollen nicht sorgen, was sie reden werden, sondern was in jener Stunde ihnen gegeben werden wird, das sollen sie reden. „Denn nicht seid ihr es, welche reden, sondern der heilige Geist" Mk 13ll Erzählungsquelle, Mt 10l9f Redenquelle. Der Geist, den Jesus nach seinem Heimgang zum Vater den Jüngern senden wird, wird sie durch seine Belehrung in alle Wahrheit führen J o h 16l3ff 1426. Der Grund dafür, daß Jesus als Sohn die Worte Gottes redet, liegt darin, daß Gott ihm den Geist ohne Beschränkung gegeben hat Joh 334. Seine Worte sind Geist und Leben J o h 663. In der K r a f t des heiligen Geistes, der über sie kommen soll, sind die Jünger berufen, Jesu Zeugen zu sein Apg 18. So r e d e n die A p o s t e l a m P f i n g s t f e s t A p g 2 4 f f , so r e d e t S t e p h a n u s i n d e r K r a f t d e s heiligen Geistes A p g 610, u n d so weiß es a u c h P a u l u s n i c h t a n d e r s , als d a ß seine Verk ü n d i g u n g g e i s t g e w i r k t i s t . W o r t u n d Geist g e h ö r e n a u c h i h m z u s a m m e n . P a u l u s verweist die Thessalonicher darauf, d a ß das Evangelium bei ihnen v e r k ü n d i g t worden i s t n i c h t m i t d e m W o r t allein, s o n d e r n a u c h i n K r a f t u n d i m heiligen Geist u n d i n Zuv e r s i c h t I T h e s s 15. D a s V e r h ä l t n i s z w i s c h e n W o r t u n d Geist i s t n a c h d e m i m l e t z t e n P a r a g r a p h e n G e s a g t e n n i c h t so zu d e n k e n , d a ß Geist u n d W o r t n e b e n e i n a n d e r s t ä n d e n , s o n d e r n die V e r k ü n d i g u n g des E v a n g e l i u m s i s t e i n e g e i s t e s m ä c h t i g e , d e r Geist e r w e i s t seine W i r k u n g s k r a f t i m W o r t . A u c h I K o r 2 i s t dieser G e d a n k e s e h r k l a r ausgesprochen. Des Apostels W o r t u n d V e r k ü n d i g u n g ist nicht erfolgt in überzeugenden W o r t e n m e n s c h l i c h e r W e i s h e i t , s o n d e r n i n E r w e i s u n g d e s Geistes u n d d e r K r a f t . E i n e g e h e i m n i s v o l l e , v e r b o r g e n e W e i s h e i t t r i t t i m E v a n g e l i u m a n die M e n s c h e n h e r a n . Sie w i r d d u r c h d e n Geist g e o f f e n b a r t u n d i n W o r t e n g e l e h r t vgl J o h 1 6 l 3 f , wie sie d e r Geist e i n g i b t , w i e sie a n d e r e r s e i t s a u c h n u r e r f a ß t u n d a n g e e i g n e t w i r d v o n d e n Mens c h e n , i n d e n e n d e r Geist w i r k s a m w i r d 4-15. D e r D i e n s t , m i t w e l c h e m P a u l u s b e t r a u t i s t , w i r d I I K o r 41 f f als W o r t v e r k ü n d i g u n g u n d K u n d m a c h u n g d e r W a h r h e i t geschild e r t , n a c h I I K o r 36 8 i s t d e r s e l b e D i e n s t a b e r e i n D i e n s t des Geistes. D i e V e r m i t t l u n g k a n n n u r so g e d a c h t w e r d e n , d a ß d a s W o r t d e r T r ä g e r des Geistes i s t , i m W o r t d e r Geist a n d e n M e n s c h e n h e r a n t r i t t . C h r i s t u s w i r k t d u r c h d e n A p o s t e l z u m G e h o r sam der Heiden in W o r t u n d Werk, in der K r a f t von Zeichen u n d W u n d e r n , in der K r a f t d e s heiligen Geistes, u n d also h a t P a u l u s d a s E v a n g e l i u m v o n J e r u s a l e m bis n a c h I l l y r i k u m g e t r a g e n R o m 1518 f. H i e r k a n n n a t ü r l i c h die W i r k u n g d e s heiligen Geistes n i c h t a u f die Z e i c h e n u n d W u n d e r b e s c h r ä n k t w e r d e n , s o n d e r n d i e g e s a m t e a p o s t o l i s c h e T ä t i g k e i t d e s P a u l u s , m a g sie i n W o r t e n o d e r T a t e n b e s t e h e n , h e i ß t eine g e i s t g e w i r k t e . D e r heilige Geist m u ß also m i t d e r W o r t v e r k ü n d i g u n g a u f die G l ä u bigen überfließend gedacht werden. Ferner wird E p h 6 l 7 das W o r t Gottes das 1 Vgl ESokolowski, Die Begriffe Geist und Leben bei Paulus, 1903, S 263-267 95-98.
Geist und Wort - Geist und Glaube - Geist und Leben
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S c h w e r t des Geistes g e n a n n t . E n d l i c h ist a u c h i n diesem Z u s a m m e n h a n g d a r a u f zu v e r w e i s e n , d a ß a u c h v o n P a u l u s d a s Zungenreden a l s sprachlich sich ä u ß e r n d e W i r k u n g des heiligen Geistes g e d a c h t w i r d . Es sei hier gleich angefügt, daß auch die andern ntlichen Schriften die gleiche Vorstellung von der Verbindung zwischen Wort und Geist darbieten. Der heilige Geist redet in der atlichen Schrift Apg 2825 Hebr 37 1015, er redet zu den Christen Apg 829 1019 1112 132 2023 21ll Apk 1413 2217, gibt Offenbarungen an die Gemeinden Apk 27 11 17 29 36 13 22, gibt Zeugnis ab für die christliche Wahrheit I Joh 56, leitet die Christen in der Erkenntnis jeglicher Wahrheit Joh 1613-15. 15. Geist u n d Glaube. Gal 314 zufolge e m p f a n g e n die Christen die V e r h e i ß u n g des Geistes d u r c h d e n G l a u b e n . H i e r erscheint der Glaube a l s d a s M i t t e l , u m , w i e sonst die R e c h t f e r t i g u n g , so d e n v e r h e i ß e n e n Geist zuzueignen. Der Glaube, u n d z w a r n a c h 13 d e r Glaube a n die S ü h n k r a f t Christi, ergreift d e n Geist. Geht m a n d e r d a b e i z u g r u n d e liegenden Vorstellung n a c h , so h a n d e l t es sich bei diesem W i r k s a m w e r d e n d e s Geistes u m die A n n a h m e einer V e r k ü n d i g u n g . D a s s a g t Gal 32 a u c h d i r e k t . Die G a l a t e r h a b e n d e n Geist n i c h t e m p f a n g e n d u r c h Gesetzeswerke, sondern d u r c h eine V e r k ü n d i g u n g , welche i n i n n e r e r B e z i e h u n g zum G l a u b e n s t e h t (ef äxofjg marecog). Also eine K u n d e , w e l c h e auf v e r t r a u e n s v o l l e A n e i g n u n g d u r c h d e n Menschen r e c h n e t , h a t i h n e n d e n Geist v e r m i t t e l t . Es besteht eine W e c h s e l b e z i e h u n g zwischen der christlichen P r e d i g t u n d d e m G l a u b e n , sie b e d i n g e n sich g e g e n s e i t i g . W o a b e r dies W e c h s e l v e r h ä l t n i s P l a t z g r e i f t , wo die P r e d i g t von Christus g l ä u b i g a n g e e i g n e t w i r d , d a e m p f ä n g t der Mensch den Geist. Ä h n l i c h i s t die V o r s t e l l u n g E p h 113. A u s a n d e r e n Stellen folgt indirekt, d a ß P a u l u s a u c h den Glauben selbst als Wirkung des heiligen Geistes angesehen h a t . D a s A p o s t e l a m t ist „ D i e n s t des G e i s t e s " I I Kor 36 8 als Dienst, welcher i n d e r K r a f t des Geistes a u s g e r i c h t e t w i r d u n d die K r a f t des Geistes v e r m i t t e l t . Diese w i r d a b e r w i r k s a m n u r i n d e m Menschen, w e l c h e r d a s christliche H e i l ergreift, also g l ä u b i g w i r d . D a n n m u ß aber d e r Geist diese U m s t i m m u n g i m Menschen h e r v o r r u f e n . Diese Vorstellung i s t a u s I Thess l 5 f noch d e u t l i c h e r zu ersehen. Denn P a u l u s s a g t hier, d a ß die Thessalonicher seine V e r k ü n d i g u n g a u f g e n o m m e n h a b e n „ m i t der F r e u d e des heiligen Geistes". I n d e r g l ä u b i g e n u n d f r e u d i g e n A n n a h m e ist b e r e i t s der heilige Geist w i r k s a m g e w o r d e n . So s a g t d e r Apostel a u c h I Kor 2 5 v o n d e m Glauben der K o r i n t h e r , er b e s t e h t auf Grund d e r g e i s t e r f ü l l t e n V e r k ü n d i g u n g des Apostels n i c h t i n W e i s h e i t der Menschen, sondern i n der K r a f t Gottes. D a n a c h ist die A n s c h a u u n g des Apostels d i e : w o d a s E v a n g e l i u m geistesm ä c h t i g v e r k ü n d i g t w i r d , f l i e ß t die K r a f t des Geistes auf die H ö r e n d e n ü b e r u n d w i r k t a u c h i n i h n e n einen Glauben, der von der K r a f t des heiligen Geistes g e t r a g e n ist, oder a b e r , wo christlicher Glaube i m Menschen l e b e n d i g w i r d , d a eignet sich der Mensch m i t d e m g l ä u b i g e n Ergreifen Christi zugleich die K r a f t d e s heiligen Geistes a n . M i t dieser A u f f a s s u n g stehen weitere A u s s a g e n des Apostels i n E i n k l a n g I Kor 123 I I K o r 33 413. 16. Geist u n d Leben. W i r h a b e n i n der R e c h t f e r t i g u n g s l e h r e ( S . 2 1 3 f f ) die enge V e r b i n d u n g von Gerechtigkeit u n d L e b e n k e n n e n g e l e r n t . H i e r h a b e n w i r auf den engen Z u s a m m e n s c h l u ß v o n Geist u n d L e b e n zu v e r w e i s e n . B e i d e G e d a n k e n sind b e i m Apostel g e m ä ß seiner atlichen u n d j ü d i s c h e n B i l d u n g fest i m G o t t e s g l a u b e n v e r a n k e r t . Denn d a s L e b e n , u m d a s es sich h a n d e l t , ist A n t e i l n a h m e a m göttlichen L e b e n . L e b e n a b e r , w i e es Gott eignet, ist n u r d a m ö g l i c h , wo d i e religiös-sittliche R e c h t b e s c h a f f e n h e i t i m S i n n e Gottes v o r h a n d e n ist, u n d wo d a s W e s e n des Menschen p n e u m a t i s c h geworden i s t . I I K o r 38 9 sind „ D i e n s t des G e i s t e s " u n d „ D i e n s t der Ger e c h t i g k e i t " P a r a l l e l a u s d r ü c k e . W o der Geist sein W e s e n e n t f a l t e t , d a greift die Ger e c h t i g k e i t P l a t z . Das ist a u c h der Gedanke von R o m 81 ff, u n d d a s ist d e r A p p e l l , den d e r Apostel hier a n die Christen r i c h t e t , d e m Zuge des Geistes zu folgen, welcher „ L e b e n ist u m der Gerechtigkeit w i l l e n " 10. „ W e r a u f den Geist s ä t , w i r d a u s d e m Geiste ewiges L e b e n e r n t e n " Gal 68, oder, wie d e r G e d a n k e R o m 813 g e w e n d e t w i r d : „ w e n n i h r d u r c h den Geist die B e t ä t i g u n g e n des Leibes t ö t e t , w e r d e t i h r l e b e n " . R o m 82 e r f ä h r t der G e d a n k e a b e r eine N ä h e r b e s t i m m u n g . Dort h e i ß t es, d a ß d a s Gesetz des Geistes des L e b e n s in Christus J e s u s frei g e m a c h t h a b e v o n d e m Gesetz d e r S ü n d e u n d des Todes. E s w i r d d a n a c h v o n einem Gesetz gesprochen, welches u n s d e r Geist a u f l e g t . Dieser Geist aber ist das L e b e n i n der G e m e i n s c h a f t m i t Christus J e s u s . Der Apostel w i l l s a g e n , d a ß der Mensch n i c h t m e h r d e r S ü n d e u n d d e m Tode
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Die Lehre des Paulus
v e r h a f t e t i s t , w e l c h e r sich v o n d e m L e b e n i n d e r G e m e i n s c h a f t m i t d e m h i m m l i s c h e n C h r i s t u s e r f ü l l e n l ä ß t . Dies L e b e n i s t a b e r i d e n t i s c h m i t d e r K r a f t d e s heiligen G e i s t e s . W i r k o m m e n also a u c h v o n dieser Seite w i e d e r a u f die G l e i c h u n g : „ d e r H e r r ist d e r G e i s t " I I K o r 317 u n d auf C h r i s t i h i m m l i s c h e s o d e r A u f e r s t e h u n g s l e b e n als P a r a l l e l e z u r G e i s t l e h r e (vgl S 247 f ) . I n d i e s e n G e d a n k e n g ä n g e n p f l e g t d a s L e b e n als e t w a s s c h o n G e g e n w ä r t i g e s b e t r a c h t e t z u w e r d e n . D e n n es i s t d a s L e b e n des h i m m l i s c h e n C h r i s t u s , welches i n d e m C h r i s t e n l e b e n z u r E r s c h e i n u n g u n d A u s g e s t a l t u n g k o m m e n soll. So i s t d e r G e d a n k e R o m 64, w o v o m C h r i s t e n w a n d e l „ i n N e u h e i t d e s L e b e n s " (sv xaiv6rr)Ti ^(orjg, v g l R o m 76 ev xaivoxrjxi Ttvev/mrog), die R e d e i s t , u n d K o l 3 3 f : „ D e n n i h r seid g e s t o r b e n , u n d e u e r L e b e n i s t v e r b o r g e n m i t C h r i s t u s i n G o t t " . D i e Christen f ü h r e n schon in der Gegenwart verborgen vor der Welt in ihrer Verbindung m i t d e m h i m m l i s c h e n C h r i s t u s ein i n G o t t v e r b o r g e n e s L e b e n . D a s gleiche ist zu b e h a u p t e n , w e n n die C h r i s t e n I I K o r 216 „ G e r u c h a u s L e b e n z u m L e b e n " g e n a n n t w e r d e n , u n d I I K o r 4 i 0 f f b e t r e f f e n d d a s L e b e n J e s u , welches a n d e m s t e r b l i c h e n F l e i s c h des A p o s t e l s o f f e n b a r w e r d e n soll, v g l a u c h I I K o r 515 69 R o m 1 4 7 f f . D o c h w i r d d a s L e b e n i m Geist n a t u r g e m ä ß e r s t m i t d e m E i n t r i t t d e r E n d v o l l e n d u n g ein i n v o l l e m U m f a n g p n e u m a t i s c h e s G a l 68 I I K o r 134 R o m 813 K o l 34, sowie I K o r 1542ff.
6. K a p i t e l
Die Gnosis des Paulus WBousset, Hauptprobleme der Gnosis, 1907. HLeisegang, Der Apostel Paulus als Denker, 1923. EWissmann, Das Verhältnis von nians und Christusfrömmigkeit bei Paulus, 1926. RReitzenstein, Die hellenistischen Mysterienreligionen, s1927. EStauffer, Grundbegriffe einer Morphologie des ntlichen Denkens, 1929. ELohmeyer, Grundlagen paulinischer Theologie, 1929. OMoe, Vernunft und Geist im NT, ZSTh 1933, S 351ff. EKäsemann, Leib und Leib Christi, 1933. Ders., Das wandernde Gottesvolk, 1933. HJonas, Gnosis und spätantiker Geist, I 1934. EBrücker, Tvmais &tov. Untersuchungen zur Bedeutung eines rel. Begriffs beim Apostel Paulus und bei seiner Umwelt, 1932. GBornkamm, Die Häresie des Kolosserbriefes, ThLZ 73, 1948, l l f f . ThW s. v. ytvdtoxetv. W i r h a b e n n u n m e h r diejenigen Gedankengänge des Apostels v o r z u f ü h r e n , in w e l c h e n e r , ü b e r d a s B e d ü r f n i s d e s Missionars u n d ü b e r die A u s e i n a n d e r s e t z u n g m i t G e g n e r n seines E v a n g e l i u m s h i n a u s g e h e n d , c h r i s t l i c h e P r o b l e m e u n d die c h r i s t l i c h e Religion z u s a m m e n f a s s e n d u n d u n t e r d e m G e s i c h t s p u n k t d e r W e l t e r k e n n t n i s zu erf a s s e n b e s t r e b t i s t . D i e c h a r a k t e r i s t i s c h e n A u s p r ä g u n g e n dieser A r t D u r c h d r i n g u n g d e r c h r i s t l i c h e n R e l i g i o n e n liegen i n K o l u n d E p h v o r . I n i h n e n ist die H ö h e d e r p a u l i n i s c h e n Gnosis e r r e i c h t . A b e r e r k e n n t n i s m ä ß i g e u n d z u s a m m e n g e f a ß t e B e t r a c h t u n - " gen t a u c h e n doch auch schon in f r ü h e r e n Briefen auf, insbesondere auch in R ö m . I m l e t z t e n A b s c h n i t t seines L e b e n s j e d o c h f i n d e n w i r e r s t die b e z e i c h n e n d e n F o r t b i l d u n g e n , d e r e n D o k u m e n t e K o l ( u n d E p h ) s i n d . Sie sind m i t v e r u r s a c h t d u r c h die N o t w e n d i g k e i t d e r A u s e i n a n d e r s e t z u n g m i t e i n e r „ f a l s c h e n G n o s i s " , a b e r n i c h t allein d u r c h sie b e d i n g t . S o n d e r n es w e r d e n hier n u r L i n i e n s t ä r k e r a u s g e z o g e n , die b e r e i t s f r ü h e r i n d e r T h e o l o g i e des P a u l u s zu b e o b a c h t e n s i n d . ADeißmann hat es in seinem „Paulus" bestritten, daß man den Apostel als „Denker" oder als „Dogmatiker" richtig erfasse. Er versteht Paulus als eine mystisch-prophetische Natur, als einen Klassiker der Mystik und meint, daß der Begriff der Kontemplation die Eigenart der religiösen Produktion des Paulus — wie auch des Johannes — besser treffe. In der mystischen Literatur der Folgezeit und insbesondere bei den mystischen Klassikern des Mittelalters fänden sich wertvolle Analogien. Anknüpfungen an Paulus in dieser Literatur liegen in der Tat vor, so daß eine gewisse geistige Verwandtschaft nicht geleugnet werden kann. Das Intuitive und Kontemplative liefert auch Züge zum Bilde der geistigen Persönlichkeit des Apostels, und gerade in den Gedankengängen, welche wir in diesem Kapitel vorzuführen haben, tritt diese Eigenart heraus. So wird in den von der Religionsgeschichte beeinflußten theologischen Kreisen heute vielfach der Apostel in den Zusammenhang der hellenistischen Mystik und Gnosis eingereiht. Besonders wir-
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kungsvoll in dieser Hinsicht ist das Buch von RReitzenstein, Die hellenistischen Mysterienreligionen gewesen. Es wird aber bei dieser Betrachtung in den Vordergrund gerückt, was im Gesamtbilde des Paulus nicht das Markante ist, und die Behauptung seiner theologischen Beeinflussung durch die Ideale hellenistischer Gnosis ist einfach zu bestreiten. So einseitig die Holstensche Konstruktion der paulinischen Theologie gewesen ist, weil Paulus danach ganz als Dialektiker erschien, der aus der von ihm gewonnenen Erkenntnis von der Messianität des gekreuzigten Jesus in einem fortschreitenden Gedankenprozeß sein ganzes „System" entwickelte, so liegt doch bei Holsten die richtige Erkenntnis vor, daß Paulus ein scharfer Denker mit dialektischer Veranlagung gewesen ist. Wir haben bei Paulus allerdings Theologie, theologische Durchdringung der ihm entgegentretenden religiösen Probleme. Wer dies verkennt, verzeichnet das Bild des Apostels. Aber der Denker und Dialektiker ist nicht der ganze Paulus. Die volle, ungeteilte Hingabe an seinen himmlischen Herrn ist nicht eine T a t seines Verstandes, sondern seines Herzens gewesen. Und auch damit ist noch nicht alles gesagt. Das Entscheidende war sein Wille, den er dem Christus untergab. Erst so wurde er umgeschaffen zu dem neuen Menschen, der allem Irdischen gestorben war und all sein Streben und Leben mit Christus zusammenschloß. Dies alles muß man berücksichtigen, wenn man des Paulus Stellung zur Mystik und Gnosis seiner Zeit richtig abschätzen will, vgl auch S 188 und 220. Paulus ist von der Gnosis seiner Zeit berührt gewesen. Gnostische Kunstausdrücke begegnen nicht erst in den Gefangenschaftsbriefen, sie finden sich auch schon in den Korintherbriefen. Doch ist die Stellungnahme des Apostels zur Gnosis, ihrer Anthropologie, Metaphysik, Schicksalsidee, eine gegensätzliche gewesen, wie es nicht anders sein konnte, wenn wir mit der eben gegebenen Schilderung der Motive des religiösen Umschwungs des Apostels recht haben. Reitzenstein l S 38f gibt eine gute Zusammenstellung der Grundgedanken jener hellenistischen Schriften. Danach soll der Mensch zum Schauen Gottes geführt werden. Diese höchste Schau (&ea) heißt „Gott erkennen" (yviävä.1 &cdv). Sie ist zugleich auch ein unmittelbares Schauen und Empfinden des Alls — ein Gedanke, der monistisch und naturalistisch, aber nimmermehr paulinisch ist. Durch diese Schau Gottes gewinnt der Mensch die Errettung (oairtjoia). Die Gnosis ist ein göttliches Gnadengeschenk (xdpiOfia), sie erleuchtet den Menschen (yom'J«) und ändert zugleich seine Substanz. Sie zieht ihn durch den Körper hinauf in die Welt des Übersinnlichen. Sie ist eine Art neuen Lebens, die Befreiung vom Leibe, der Weg zum Himmel, die wahre Gottesverehrung und Frömmigkeit. Wer diese Gnosis hat, ist schon als Mensch göttlich (&elos). Wer nicht der Meinung ist, daß in solchen Vorstellungen alte, bereits vorpaulinische Ideen vorliegen, empfängt den Eindruck, daß hier an biblische, insbesondere auch paulinische Ausdrücke angeknüpft und eine naturalistischmystische Theorie vorgetragen wird, welche vom biblischen Glauben, einschließlich der paulinischen Theologie weitab liegt. Es müßte erst noch erwiesen werden, daß diese Termini bereits vorpaulinisch sind. Eine mystische Schau Gottes lehrt und fordert Paulus nicht, um zur Errettung zu gelangen, die Gnosis ist ihm nicht unmittelbares Erfahren, er kennt keine Veränderung der Substanz durch solches Schauen, diese Schau ist ihm nicht Befreiung vom Leibe, höchste Vollkommenheit und der Weg zum Himmel. Dahin kommt man nach Paulus nur durch die Erlösung und den engen Anschluß an die geschichtliche Person Christi. Daher ist auch der Begriff der Gnosis bei ihm in den hauptsächlich von Reitzenstein ' S 126ff geltend gemachten Stellen, I Kor 128 146 13l 2 8 8lff Gal 49 Rom 220 829, nicht gnostisch oder mystisch zu verstehen. Paulus spricht von Gnosis, aber im christlichen Sinne, das Intuitive und Kontemplative seiner Natur kommt darin zum Ausdruck, aber er versenkt sich in die Geheimnisse des ihm in Christus offenbaren und in der K r a f t des heiligen Geistes erfahrenen Gottes. Die Erkenntnis Gottes ist ihm nicht ein Sichisolieren des Mysten von der ganzen Welt, um zur Schau Gottes zu gelangen, sondern die christliche Erkenntnis verbindet ihn mit der christlichen Gemeinde, in der ein Glied auf das andere angewiesen ist und jeder dem andern mit seiner Gnadengabe dient. Sie dient zur Erbauung (obto&oftij) und wirkt sich aus in der Liebe. Entscheidend spricht auch gegen die Konstruktion Reitzensteins, daß Paulus besonders in den Korintherbriefen, also gegenüber einer griechischen, von Mysterienluft geradezu umgebenen Gemeinde, scharf gegen Mißstände auftritt, die nicht ohne Mysterieneinflüsse entstanden sein werden, I Kor 8 und 12 — 14. Die Gnosis, welche Paulus in I Kor vom ersten Kapitel an vorträgt, ist nicht eine mystisch-enthusiastische Schau Gottes, sondern die Weisheit Gottes ist Eindringen in das Verständnis des Kreuzes Christi l i s f f , und die Erkenntnis der Tiefen Gottes 210 ist das verstehende Eindringen in den göttlichen Heilsplan zur Errettung der Menschen.
1. Erkenntnis und Glaube V o n vornherein h a t der Apostel d e n I n h a l t der christlichen Erfahrung als Erkenntnis erfaßt. A u f die Bekehrung hinblickend, spricht er I I Kor 46 v o n Gott, welcher in sein Herz hineingeleuchtet habe, u m anzuzünden die E r k e n n t n i s der Herrlichkeit Gottes, welche er vor D a m a s k u s auf dem Angesichte Christi erstrahlen sah. D a m a l s ist i h m m i t d e m Schauen des himmlischen Christus zugleich die Erkenntnis u n d die innere Erfahrung Christi, und damit auch Gottes selbst aufgegangen. Diese
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E r k e n n t n i s m u ß auf d a s t h e o r e t i s c h e G e b i e t h e r ü b e r r e i c h e n d v o r g e s t e l l t w e r d e n , verä n d e r t e sie d o c h z a h l r e i c h e d e r d a m a l s b e i P a u l u s v o r h a n d e n e n A n s c h a u u n g e n . A b e r i h r eigentliches W e s e n i s t n i c h t t h e o r e t i s c h e r , s o n d e r n p r a k t i s c h religiöser A r t , es ist die k r a f t - u n d w i r k u n g s v o l l e E r f a h r u n g G o t t e s u n d Christi, die d e n L e b e n s b e s t a n d d e s A p o s t e l s u m g e s t a l t e t h a t , i m U n t e r s c h i e d e v o n e i n e m E r k e n n e n G o t t e s , welches n i c h t z u r U n t e r o r d n u n g u n t e r i h n f ü h r t R o m 121. E r w i r f t d e r g r i e c h i s c h e n W e l t v o r , d a ß sie w e g e n i h r e r W e i s h e i t die W e i s h e i t G o t t e s n i c h t e r k a n n t h a b e I K o r 121, u n d d e n J u d e n , d a ß sie n i c h t in d e r r e c h t e n e r k e n n t n i s m ä ß i g e n W e i s e E i f e r u m G o t t h a b e n u n d d a h e r die G e r e c h t i g k e i t G o t t e s v e r k a n n t u n d sich i h r n i c h t u n t e r g e o r d n e t h a b e n R o m 10 2 f. D e n G l ä u b i g e n d a g e g e n i s t C h r i s t u s g e w o r d e n z u r W e i s h e i t v o n G o t t h e r I K o r 130. H i e r n a c h i s t die E r k e n n t n i s w e s e n t l i c h d a s s e l b e wie d e r G l a u b e . A b e r d a m i t ist der Begriff doch nicht ausgeschöpft, nicht einmal richtig umschrieben. D e r E r k e n n t n i s b l e i b t v i e l m e h r d a s t i e f e r e E i n d r i n g e n i n die i m c h r i s t l i c h e n G l a u b e n b e s c h l o s s e n e n W i r k u n g e n , O f f e n b a r u n g e n u n d G e h e i m n i s s e v o r b e h a l t e n . D a s ist n u n d e r P u n k t , a n d e m i m L a u f e d e r E n t w i c k l u n g ein s c h ä r f e r e s H e r a u s a r b e i t e n des B e g r i f f e s d e r E r k e n n t n i s u n a u s b l e i b l i c h w a r . W e n n d e r G l a u b e die c h r i s t l i c h e V e r k ü n d i g u n g erf a ß t e u n d a n e i g n e t e , so w a r es A u f g a b e d e r E r k e n n t n i s , d e n I n h a l t d e r s e l b e n ausz u s c h ö p f e n u n d zu e n t f a l t e n , sowie i h n g e g e n A n f e i n d u n g e n u n d f a l s c h e S t r ö m u n g e n s e i n e m W e s e n n a c h n ä h e r zu b e s t i m m e n . D i e s e r E n t w i c k l u n g s g a n g ist b e r e i t s i n d e n älteren Paulusbriefen angebahnt. S c h o n I K o r 1 - 3 8 1 2 - 1 4 R o m 9 - 1 1 s p i e l t die c h r i s t l i c h e E r k e n n t n i s e i n e bed e u t s a m e R o l l e . I K o r 2 lOff i s t sie d a s E i n d r i n g e n i n die T i e f e n G o t t e s , u m zu erf a s s e n , w a s G o t t z u m Z w e c k d e s Heils d e r M e n s c h e n g e o r d n e t h a t . P a u l u s w e i ß w o h l , d a ß d a s eine geheimnisvolle, v e r b o r g e n e W e i s h e i t i s t , w e l c h e n u r u n t e r d e n „Vollk o m m e n e n " a u f V e r s t ä n d n i s r e c h n e n k a n n I K o r 2 6 f 3 i f f , die S t ü c k w e r k i s t u n d i n d e r V o l l e n d u n g d e r C h r i s t e n z u n i c h t e w e r d e n w i r d I K o r 138-12, u n d d o c h i s t n a c h seiner Ü b e r z e u g u n g d i e w a h r e Gnosis, i n d e m sie z u r L i e b e G o t t e s f ü h r t , d e m C h r i s t e n n i c h t u n e r r e i c h b a r I K o r 81 f f 13. G o t t s c h e n k t d u r c h d e n Geist d e n C h r i s t e n a u c h d a s E i n d r i n g e n in d e n P l a n s e i n e r W e l t r e g i e r u n g , so d a ß d a s V e r s t ä n d n i s d e r w u n d e r b a r e n u n d u n b e g r e i f l i c h e n W e g e G o t t e s i n d e r F ü h r u n g I s r a e l s wie d e r H e i d e n v ö l k e r sich d e n e r l e u c h t e t e n S i n n e n a u f t u t R o m 9—11. I I K o r 104f i s t die c h r i s t l i c h e E r k e n n t n i s G o t t e s die F e s t u n g , i n d e r d e r A p o s t e l sich sicher f ü h l t , u n d v o n d e r a u s er alle V e r n u n f t k ü n s t e u n d B o l l w e r k e z e r s t ö r t . G e m e i n t ist h i e r sein V e r s t ä n d n i s des C h r i s t e n t u m s i m G e g e n s a t z zu d e m d e r J u d a i s t e n , also die Ü b e r z e u g u n g des A p o s t e l s , d a ß er a u c h e r k e n n t n i s m ä ß i g j e d e n v o n s e i n e n G e g n e r n u n t e r n o m m e n e n A n s t u r m g e g e n sein C h r i s t u s v e r s t ä n d n i s siegreich z u r ü c k s c h l a g e n w e r d e . Erkenntnis ist e t w a s dem griechischen Geiste unmittelbar Verständliches. Daher ist es gewiß n i c h t zufällig, daß i m I Kor öfters als i n anderen Paulusbriefen v o n ihr gesprochen wird. Eine v e r w a n d t e , gleichfalls d e m griechischen D e n k e n entgegenk o m m e n d e Vorstellung begegnet bei Paulus, die der „ W a h r h e i t " (Miföeia). Sie k a n n bezeichnen die Offenbarung Gottes ü b e r h a u p t R o m 118 25 28 37, ferner insbesondere den I n h a l t des E v a n g e l i u m s I I Thess 210 12 13 G a l 2 5 i 4 57 K o l 15 E p h l l 3 . D e r A p o s t e l steht i m D i e n s t e der K u n d m a c h u n g der Wahrheit I I K o r 42, er k a n n nichts gegen die Wahrheit, sondern k a n n nur für sie sein I I Kor 138, u n d A u f g a b e der christlichen Apostel, Lehrer u n d P r o p h e t e n ist es, die Gemeinde in die rechte christliche Erkenntnis u n d Wahrheit einzuführen. Sowohl der Begriff der Erkenntnis wie der der Wahrheit h a t aber bei Paulus auch atliche Wurzeln. Namentlich aber in den Gefangenscbaftsbriefen beginnt der Begriff der E r k e n n t nis sich h e r a u s z u h e b e n P h i l 19 38 10 K o l 16 9ff 2 2 f 310 E p h l 8 f 17-19 3 3 f f I8f 413 59-14, u n d z w a r , i n d e m m e i s t e n s H e i l s e r k e n n t n i s u n d G l a u b e n s s t e l l u n g o d e r sittliches Leben in innere Beziehung zueinander gesetzt werden. Einige der genannten Stellen müssen genauer betrachtet werden, weil in ihnen die bezeichnete Weiterbildung der christlichen Erkenntnis in Sicht tritt. Phil 38 ff ist zwar die Erkenntnis Christi nicht als theoretische zu denken, sondern als pneumatische Erfahrung Christi, wie ja auch die Kraft der Auferstehung und die Gemeinschaft der Leiden Christi nur als praktische, als Lebenserfahrung gedacht werden kann. Aber hier wird doch deutlicher als II Kor 46 die Loslösung vom Judentum unter den Begriff der Gnosis gestellt, und 9f hat der Glaube den Zweck, zur vollen Erkenntnis der Kraft Christi zu führen. Die Erkenntnis beginnt also sich vom Glauben
Erkenntnis und Glaube - Die Kirche
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loszulösen. Deutlicher noch ist Eph 413—15. Hier treten Glaube und Erkenntnis direkt nebeneinander. Der Glaube ist in Gefahr, von Irrlehrern verfälscht zu werden. Daher gilt es, wie im Glauben, so in der Erkenntnis zum Vollmaß heranzureifen. Es tritt bereits die Notwendigkeit schärferer Herausarbeitung desjenigen zutage, was wahres Christentum ist, und das ist Aufgabe der christlichen Gnosis. Auch hier ist der Inhalt der christlichen Erkenntnis die Fülle Christi, und dies gilt es eben festzuhalten im Glauben und im Wandel, und sich von diesem Heilsbesitze nicht abdrängen zu lassen. Ähnlich heißt Eph ll7ff der Geist Geist der Wahrheit und der Offenbarung, welche in der Erkenntnis Gottes bestehen, so daß die Augen des menschlichen Herzens erleuchtet werden, und der Mensch das ganze christliche Heil in der Gegenwart und in der Zukunft erkennt, wie es in der Person Christi beruht. Am stärksten aber zeigt der Kolosserbrief diesen Kampf des Apostels gegen eine falsche Gnosis, welcher Christus als Inhalt aller Schätze und als die Fülle der Gottheit gegenübergestellt wird. Die christologische Erörterung 115-20 hat den Zweck, den Lesern zu zeigen, daß sie nicht nötig haben, anderen Engelwesen einen heilsmittlerischen Vorzug vor Christus zu geben, da Christus der Versöhner des Alls ist. l24ff zieht die Folgerung f ü r das praktische Verhalten daraus, und auch Kap 2 ist von diesem Gegensatz beherrscht. Es ist dem Apostel ein großes Anliegen, daß die Herzen der Christen fest werden, und zwar, daß Liebe sie eng zusammenschließt, aber auch die Fülle christlicher Einsicht (avvsaecos), so daß sie zur vollen Erkenntnis (iniyvwoiv) des Geheimnisses Gottes, d. i. Christus, gelangen, ihn welchem alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis liegen, freilich in verborgener Weise, so daß sie erst gehoben werden müssen 22 f. Aus der nun folgenden Schilderung dessen, was Christus ist, und wovor sich die Christen hüten sollen, geht hervor, daß es eine falsche Lehre ist, welche sie mit überzeugenden Gründen gewinnen will, daß also auch volle verstandesmäßige Einsicht dazu gehört, um sich nicht in falsche Glaubensbahnen drängen zu lassen. Aber Paulus verfällt nicht in den Fehler, auf intellektualistischem Wege überzeugen zu wollen, sondern er legt den Nachdruck auf die Erfahrung dessen, was sie in der Gemeinschaft mit Christus erlebt haben, und was f ü r Heilstaten Gott in Christus ausgeführt hat. So kommt auch in solchen Gedankengängen der volle Inhalt der christlichen Predigt zu seinem Recht. Die Weiterentwicklung besteht darin, daß in diesem Stadium die Lebensgemeinschaft mit Christus auch eine vollentsprechende Erkenntnis Christi verlangt, der rechte Zusammenhang mit Christus nicht ohne eine Aneignung der auch geistig vermittelten Wahrheit besteht.
2. Die Kirche HEWeber, Die Beziehungen von Römer 1—3 zur Missionspraxis des Paulus, 1905. WKoester, Die Idee der Kirche beim Apostel Paulus, 1928. HSchlier, Christus und die Kirche im Epheserbrief, 1930. EPeterson, Die Kirche aus Juden und Heiden, 1933. GSaß, Apostelamt und Kirche. Eine theologisch-exegetische Untersuchung des paulinischen Apostelbegriffs, 1939. WLKnox, St. Paul and the Church of the Gentiles, 1939. AWikenhauser, Die Kirche als der mystische Leib Christi nach dem Apostel Paulus, 21940. AWagenführer, Die Bedeutung Christi f ü r Welt und Kirche, Studien zumKol. undEph., 1941. WGKümmel, Kirchenbegriff und Geschichtsbewußtsein in der Urgemeinde und bei Jesus, 1943. Weiteres s. o. S 68 f. D e r Begriff der Kirche ist ein durch die ganze paulinische Theologie hindurchgehender, aber auch er wird i m Laufe der apostolischen Wirksamkeit des P a u l u s ausgestaltet. D i e „ G n o s i s " des Apostels bewirkt auch eine Vertiefung seines Verständnisses der Kirche. Mit der Vorstellung v o n der Kirche (exxXrjaia) h a t Paulus direkt an J e s u s ang e k n ü p f t . Wir h a b e n S. 8 2 f festgestellt, d a ß J e s u s die Kirche gestiftet h a t als die G e m e i n s c h a f t der an i h n Gläubigen. Sie ist das seine Jünger auf Erden u m f a s s e n d e G e m e i n s c h a f t s b a n d i m Unterschiede zum R e i c h e Gottes als d e m H i m m e l u n d Erde u m f a s s e n d e n Zustand der Vollendung. D i e gleiche A n s c h a u u n g vertritt P a u l u s . I K o r 12 28 zufolge ist die Kirche die Einheit aller Einzelgemeinden. A n ihrer Spitze stehen als die Kirchengründenden die Apostel, u n d w o Kirche erwächst, da werden weiter P r o p h e t e n , Lehrer usw bestellt. Diese Kirche ist als „Kirche G o t t e s " I K o r 1032 unterschieden v o n anderen religiösen G e m e i n s c h a f t e n wie der jüdischen, oder v o n heidnischen Vereinigungen. E i n anderer, aber sachlich gleichbedeutender Ausdruck f ü r „ K i r c h e " ist Gal 616 „das Israel Gottes". Gal 113 I Kor 159, nach einigen Handschriften auch Phil 36 wendet Paulus das Ehrenprädikat Ekklesia auf die jerusalemische Gemeinde speziell an. Sie ist eben die von Jesus gegründete Gemeinde. Ähnlich ist ja auch der Gebrauch „Heilige" (äyioi) von den jerusalemischen Christen, s. S 226. Aber überall, wo an Jesus Gläubige gewonnen werden, und wo sie sich zur Gemeinde zusammenschließen, da ist ixxXrjaia. Daher gewinnt das Wort auch die Bedeutung „Einzelgemeinde". So spricht Paulus in den Briefeingängen von der Gemeinde der Thessalonicher, den Gemeinden Galatiens, ferner von Gemeinden Judäas, Asiens, Mazedoniens usw Gal 121 Kor 16l 19
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Die Lehre des Paulus
I I Kor 81, auch „Hausgemeinden" I Kor 1619 Rom 165 Kol 415 Phlm 2. Aber er verwendet auch: in den Briefeingängen nicht immer den Ausdruck IxxXtpia, sondern er schreibt auch „an alle, die da sind in Rom Geliebte Gottes, berufene Heilige" Rom 17, ähnlich Phil l l Kol 12 Eph l l , oder aber, er erläutert wie I Kor 12 in einer Apposition den Begriff éxxXijoia als „Geheiligte in Christus. Jesus, berufene Heilige". Denn nur die Zugehörigkeit der Menschen zu Christus macht sie zu Gliedern der Kirche. Der Blick des Apostels bleibt nicht an der Einzelgemeinde hängen. I und I I Kor lautet die Eingangswendung: „an die Gemeinde Gottes, die da ist in Korinth", und am Ende von I Kor 12 werden noch eingeschlossen „alle, die da anrufen den Namen unseres Herrn Jesus Christus an jedem Ort". Damit ist ebenso wie Rom 1616: „es grüßen euch alle Gemeinden Christi" an eine ideale Einheit der gesamten Gläubigen gedacht. Denn auch die Gemeinde Gottes, welche in Korinth ist, hat als stillschweigend vorausgesetztes Korrelat die Gemeinde Gottes, welche an anderen Orten ist. V o n v o r n h e r e i n i s t die religiöse E r f a h r u n g d e s A p o s t e l s auf d a s u n i v e r s a l i s t i s c h e V e r s t ä n d n i s des C h r i s t e n t u m s u n d die V o r s t e l l u n g v o n d e r E i n h e i t aller C h r i s t e n a n gelegt. N a c h G a l 3 26 ff sind alle d u r c h d e n G l a u b e n i n d e r G e m e i n s c h a f t m i t C h r i s t u s Gottes Söhne. F ü r diejenigen, welche im Glauben Christus angezogen h a b e n , sind alle t r e n n e n d e n U n t e r s c h i e d e h i n f ä l l i g g e w o r d e n , w i e sie V o l k s t u m , soziale S t e l l u n g u n d G e s c h l e c h t i n d e r n a t ü r l i c h e n O r d n u n g b e d i n g e n , alle sind eins i n C h r i s t u s Jesus.. I K o r 1 0 I 6 f f o l g e r t P a u l u s a u s d e m A b e n d m a h l s g e n u ß , d a ß die vielen C h r i s t e n , i n s o f e r n sie a n d e m e i n e n B r o t A n t e i l h a b e n , e i n B r o t u n d e i n L e i b s i n d . D i e s e r Ged a n k e w i r d d a n n I K o r 1212-27 b r e i t a u s g e f ü h r t . E r b e g e g n e t a u c h a n a n d e r e n S t e l l e n u n d i s t o f f e n b a r eine L i e b l i n g s v o r s t e l l u n g des A p o s t e l s 1 . Sie i s t a b e r bei i h m n i c h t b l o ß e i n B i l d , s o n d e r n e n t h ä l t f ü r i h n eine t i e f e W a h r h e i t . P a u l u s v e r k ö r p e r t i n i h r eine R e a l i t ä t seiner p e r s ö n l i c h e n G l a u b e n s e r f a h r u n g . I K o r 1212 w i r d C h r i s t u s g e d a c h t als d e r L e i b , d e s s e n Glieder die e i n z e l n e n C h r i s t e n s i n d . D e r l e b e n d i g e H e r r u n d die S u m m e aller e i n z e l n e n G l ä u b i g e n f l i e ß e n d e m A p o s t e l zu e i n e r i d e a l e n E i n h e i t z u s a m m e n , die e r e i n f a c h C h r i s t u s n e n n t . D e n G r u n d , w e s h a l b die C h r i s t e n e i n Leib,. Christi L e i b s i n d , e r b l i c k t d e r A p o s t e l d a r i n , d a ß sie alle, J u d e n u n d G r i e c h e n , S k l a v e n u n d F r e i e , i n e i n e m Geiste zu e i n e m L e i b e g e t a u f t u n d alle m i t e i n e m Geiste g e t r ä n k t w o r d e n s i n d . D e r G e i s t , w e l c h e n alle C h r i s t e n e m p f a n g e n h a b e n , f a ß t sie alle z u r E i n h e i t eines Leibes z u s a m m e n . E r m a g in d e n e i n z e l n e n G l ä u b i g e n s e h r v e r s c h i e d e n e G a b e n v e r m i t t e l n , e r h ä l t d e n n o c h alle als e i n h e i t l i c h e n O r g a n i s m u s zus a m m e n . Die Eigentümlichkeit der paulinischen Theologie, d a ß „ C h r i s t u s " , d. h . d e r h i m m l i s c h e C h r i s t u s , o d e r d a ß d e r heilige Geist als d a s eigentliche L e b e n s e l e m e n t i n allen G l ä u b i g e n i s t , t r i t t also a u c h i n d e r L e h r e v o n d e r K i r c h e ö f f e n t l i c h z u t a g e . D e r gleiche G e d a n k e wie I K o r 1212 w i r d s o d a n n a u c h R o m 124f a u s g e s p r o c h e n . I K o r 6 I5ff w i r d d a s B i l d v o m L e i b u n d d e n G l i e d e r n C h r i s t i ein w e n i g a b g e w a n d e l t . D i e G e m e i n s c h a f t m i t C h r i s t u s i s t eine so i n n i g e , d a ß sie m i t d e r d e r E h e u n d ü b e r h a u p t d e r G e s c h l e c h t s g e m e i n s c h a f t v e r g l i c h e n w e r d e n k a n n . W i e diese die M e n s c h e n z u r E i n h e i t v e r e i n i g t , so w i r d a u c h d e r d e m H e r r n G e h ö r i g e m i t i h m e i n G e i s t , so d a ß er sich n i c h t i n u n z ü c h t i g e m V e r k e h r m i t e i n e m W e i b e v e r b i n d e n d a r f , weil er d a d u r c h z u seiner p n e u m a t i s c h e n V e r b i n d u n g m i t C h r i s t u s i n W i d e r s p r u c h t r ä t e . 19 b e k o m m t dieser G e d a n k e d a n n die W e n d u n g , d a ß d e r L e i b d e r C h r i s t e n T e m p e l d e s h e i l i g e n Geistes i s t o d e r , I K o r 3 i 6 f I I K o r 616 zufolge, T e m p e l G o t t e s . N o c h ein w e i t e r e s B i l d g e b r a u c h t P a u l u s I K o r 3 loff z u r B e z e i c h n u n g d e r C h r i s t e n h e i t als eines e i n h e i t lichen O r g a n i s m u s , d a s eines g e i s t l i c h e n B a u e s , d e s s e n G r u n d J e s u s C h r i s t u s i s t . A u f diesem G r u n d e b a u e n die A p o s t e l u n d V e r k ü n d i g e r des E v a n g e l i u m s w e i t e r , i m e i n zelnen m i t v e r s c h i e d e n a r t i g e m M a t e r i a l . I m Kolosser- u n d i m E p h e s e r b r i e f s c h a u t d e r A p o s t e l h i n a u f die g r o ß e geistige E i n h e i t , zu w e l c h e r die G e s a m t h e i t d e r G l ä u b i g e n , d e s j u d e n c h r i s t l i c h e n u n d d e s h e i d e n c h r i s t l i c h e n Teils, z u s a m m e n g e w a c h s e n i s t . D i e K i r c h e w i r d a u c h h i e r als L e i b Christi g e f a ß t , weil C h r i s t u s die b e s e e l e n d e u n d z u s a m m e n h a l t e n d e K r a f t dieses g r o ß e n O r g a n i s m u s i s t , K o l 124 E p h 122 f. M i t g e r i n g e r W e n d u n g des G e d a n k e n s h e i ß t C h r i s t u s a u c h d a s H a u p t d e s L e i b e s , d e r K i r c h e K o l 118, f e r n e r K o l 219 d a s 1 Das Bild vom Leibe als einem aus vielen und verschiedenartigen Gliedern zusammengesetzten Organismus ist in der Literatur der Griechen und Römer vielfach angewendet worden. Am bekanntesten ist die Erzählung des Livius I I 32 über die Rede des Menenius Agrippa an die aus Rom ausgewanderte Plebs, und weiterhin haben die Stoiker häufig auf dies Bild hingegriffen. Sammlungen der betreffenden Stellen bei Wettstein, sowie bei Lietzmann zu I Kor 1212-31.
Die Kirche - Der Weltplan Gottes und die Prädestination
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H a u p t , v o n d e m aus d e r g a n z e L e i b d u r c h V e r b i n d u n g e n u n d B ä n d e r u n t e r s t ü t z t •und z u s a m m e n g e h a l t e n w i r d , sowie e i n f a c h d a s H a u p t der K i r c h e E p h I22 523. I n •der l e t z t g e n a n n t e n Stelle w i r d 23-32 d a s V e r h ä l t n i s Christi z u r K i r c h e als des H a u p t e s des L e i b e s a u f d a s eheliche V e r h ä l t n i s a n g e w e n d e t . W i e die K i r c h e d e r L e i b Christi i s t , so sollen die M ä n n e r die W e i b e r als ihre eigenen L e i b e r b e t r a c h t e n u n d sie demg e m ä ß lieben u n d p f l e g e n , w i e dies Christus m i t der K i r c h e g e t a n h a t . W ä h r e n d in d e n älteren B r i e f e n die V o r s t e l l u n g h e r r s c h t , d a ß d e r einzelne G l ä u b i g e d a s E r l ö s u n g s w e r k Christi a u f sich z u b e z i e h e n h a b e — d o c h v g l a u c h G a l 313 d a s a u f J u d e n u n d H e i d e n b e z ü g l i c h e rjfiäg u n d vneQ rmcöv — w i e E p h 525 g e s a g t , C h r i s t u s h a b e sich f ü r d i e K i r c h e d a h i n g e g e b e n , u n d E p h 215, e r h a b e die g e s a m t e M e n s c h h e i t in seinem T o d e z u e i n e m n e u e n M e n s c h e n g e m a c h t . D i e K i r c h e w ä c h s t h e r a n z u m L e i b e Christi E p h 415, u n d dieser e r b a u t sich in der organischen Z u s a m m e n f a s s u n g aller einzelnen C h r i s t e n , „ b i s w i r alle g e l a n g e n z u m M a ß e der V o l l g r ö ß e der F ü l l e des C h r i s t u s " E p h 413, bis C h r i s t u s „ d i e F ü l l e ist des das A l l in allem F ü l l e n d e n " E p h I23. D e n n es ist G o t t e s W i l l e , d a ß in Christus d a s A l l sein H a u p t f i n d e E p h 110 f f . D i e A r b e i t der A p o s t e l , P r o p h e t e n , E v a n g e l i s t e n , H i r t e n u n d L e h r e r ist es, die C h r i s t e n h e i t diesem Ziel e n t g e g e n z u f ü h r e n E p h 411 f. D i e K i r c h e soll w e r d e n e i n L e i b u n d e i n G e i s t , w i e j a a u c h e i n H e r r , e i n G l a u b e , e i n e T a u f e ist E p h 4 4 - 6 , oder a b e r , die J u d e n u n d H e i d e n w e r d e n in einem einheitlichen B a u zu einem heiligen T e m p e l i m H e r r n , zur B e h a u s u n g G o t t e s i m Geiste z u s a m m e n g e f ü g t , deren E c k s t e i n Jesus C h r i s t u s ist, u n d deren G r u n d die A p o s t e l u n d P r o p h e t e n sind E p h 220-22. H i e r stehen w i r b e w u n d e r n d v o r der Gnosis des A p o s t e l s . D a s Ziel j e d e s einzelnen Menschen u n d d a s Ziel d e r G e s c h i c h t e d e r Menschen- u n d Geisterwelt i s t dies, d a ß alles d u r c h d r u n g e n w e r d e v o n der K r a f t u n d d e m L e b e n Christi, u n d d a ß n i c h t s m e h r B e s t a n d b e h a l t e , w a s d e m W e s e n u n d W i l l e n Christi w i d e r s p r i c h t . D a s sind Ged a n k e n , w e l c h e aus der V e r s e n k u n g in G o t t e s H e i l s p l a n u n d d a s i m L a u f e der bisherigen Mission geschichtlich G e w o r d e n e e r w a c h s e n sind. Sie gehen z w a r ü b e r das i n d e n älteren B r i e f e n des A p o s t e l s G e s a g t e h i n a u s , lassen sich a b e r — u n t e r der V o r a u s s e t z u n g , d a ß K o l (und E p h ) a n das L e b e n s e n d e des P a u l u s gehören — i n die T h e o logie des P a u l u s d u r c h a u s organisch e i n f ü g e n .
3. Der Weltplan Gottes und die Prädestination JDalmer, Die Erwählung Israels nach der Heilsverkündung des Apostels Paulus, 1894. Ders., Zur paulinischen Erwählungslehre, in: Greifswalder Studien, 1895, S 183ff. EWeber, Das Problem der Heilsgeschichte nach Rom 9—11, 1911. RLichtenhan, Die göttliche Vorherbestimmung bei Paulus und in der Posidonianischen Philosophie, 1922. ThHoppe, Die Idee der Heilsgeschichte bei Paulus, 1926. FrWMaicr, Israel in der Heilsgeschichte nach Rom 9 - 1 1 , 1929. ESeeberg, Ideen zu einer Theologie der Geschichte des Christentums, 1929. EvDobschütz, Zeit und Raum im Denken des Urchristentums, JBL 1922. Ders., Die Paradoxie im NT, ZSTh 1930. EStauffer, "Iva und das Problem des teleologischen Denkens bei Paulus, ThStKr 1930. ESchlink, Zum Begriff des Teleologischen, ZSTh 1933. DAFrevig, Glaube und Geschichte bei Paulus, ZSTh 1936, S 355-402. OBauernfeind, Die Geschichtsauffassung des Urchristentums, ZSTh 15, 1938, S 347—378. RLöwe, Kosmos und Aion. Ein Beitrag zur heilsgeschichtl. Dialektik des urchristlichen Weltverständnisses, 1935. ARöder, Die Geschichtsphilosophie des Apostels Paulus, 1938. HDWendland, Geschichtsanschauung und Geschichtsbewußtsein im NT, 1938. GDelling, Das Zeitverständnis des NT, 1940. OCullmann, Christus und die Zeit. Die urchristliche Zeit- und Geschichtsauffassung. 1946. W i e P a u l u s n i c h t als P h i l o s o p h , sondern in j e d e m F a l l e als A p o s t e l a n die g r o ß e n F r a g e n der W e l t b e t r a c h t u n g u n d des m e n s c h l i c h e n G l a u b e n s h e r a n g e t r e t e n i s t , so sind a u c h seine A u s s a g e n ü b e r d e n W e l t p l a n G o t t e s allein v o n seiner G l a u b e n s stellung a u s z u erfassen. D a r a u s ergibt sich a b e r sofort, d a ß i h n w e i t m e h r d a s P r o b l e m des G l a u b e n s als d a s j e n i g e des U n g l a u b e n s interessiert, anders a u s g e d r ü c k t , d e r L i e b e s r a t s c h l u ß G o t t e s ü b e r w i e g t bei i h m d e n G e d a n k e n der g ö t t l i c h e n V e r w e r f u n g , o b w o h l , w i e w i r gesehen h a b e n , das d o p p e l t e G e r i c h t ein fester B e s t a n d t e i l seiner G l a u b e n s ü b e r z e u g u n g i s t . A b e r er ist der A p o s t e l Christi u n d e r b l i c k t in Christus d e n B ü r g e n f ü r d e n der g a n z e n W e l t z u g e w a n d t e n E r l ö s u n g s r a t s c h l u ß G o t t e s . D a s j e n i g e a b e r , w a s in d e r P e r s o n Christi in die G e s c h i c h t e d e r M e n s c h h e i t e i n g e t r e t e n ist u n d sich in i h r bis z u r V o l l e n d u n g des d a m i t g e s e t z t e n W i l l e n s G o t t e s a u s w i r k t , h a t d e r
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Apostel allerdings unter den Gesichtspunkt des Weltregiments Gottes, also auch einer göttlichen Vorherbestimmung, gestellt. Paulus ist überzeugt, daß überall, wo Glaube an das Evangelium ist, Gottes Gnadenratschluß und Gnadenwahl in die Erscheinung tritt, diese göttliche Erwählung aber die Vollendung des Heils verbürgt. Besonders an einer Stelle äußert sich der Apostel über die göttliche Gnadenwahl, „über die gemäß des göttlichen Vorsatzes (nQÖ&eoig) Berufenen", Rom 829 30. Es werden hier fünf Akte göttlichen Handelns unterschieden, die Vorhererkenntnis, die Vorherbestimmung, die Berufung, die Rechtfertigung, die Verherrlichung. Diese fünf Akte bilden eine fest geschlossene Kette, in der immer ein Glied in das andere greift. Innerhalb dieser Stufen verläuft der menschliche Heilsprozeß. An keiner Stelle ist dabei eines menschlichen Tuns gedacht. Von Anfang bis zu Ende erscheint der Mensch nur als Objekt göttlichen Handelns. BWeiß, Titius, Der Paulinismus, S 39 und die alten Dogmatiker (Calov: quos praevidit credituros esse) haben wenigstens an einer Stelle ein psychologisches Moment einschieben wollen, bei dem Vorhererkennen. Mit den Vorhererkannten sollen solche Menschen gemeint sein, welche Gott als ihn Liebende vorher erkannte, freilich nicht, weil sie schon solche waren, sondern er erkannte sie vorher, weil er, der Herzenskündiger, der die tiefste Grundrichtung des Herzens kennt, aus derselben ersah, daß seine Gnadenführungen in ihnen diese Liebe wirken würden. E s wäre für uns Moderne sympathisch, hätte diese Exegese recht, da wir uns religiöse Vorgänge nicht o h n e zureichende psychologische Begründung vorstellen können, aber wir müssen sie doch ablehnen; denn sie verfehlt die Meinung des Apostels. Nicht an den Gedanken der Gott Liebenden, sondern an den göttlichen Vorsatz 28 knüpft 29 an.
Die Erörterung von mindestens 818 an beruht auf der Voraussetzung der ganz überragenden Macht Gottes, der seinen Liebeswillen an uns bis zur Vollendung durchführen wird. Dessen soll der Mensch gewiß sein. Die certitudo fidei, die Heilsgewißheit, jubelt aus diesem Kapitel hervor. Auch in 29f wird dieser Gedanke ausgesprochen. Der Christ braucht nicht auf sich zu sehen, Gott hat ihn von Ewigkeit erwählt und führt ihn sicher zum Ziele. Ebenso ist I Kor 83 die Liebe zu Gott ein Erweis dafür, daß der Mensch von Gott erkannt ist, ohne daß der Apostel beide Glieder psychologisch vermittelte. Wir müssen „erkennen", „vorhererkennen" (yivcoaxsiv, ngoyivwoxeiv) Rom 829 I Kor 83 Gal 49 in der Bedeutung „auswählen" verstehen, aber nicht im Sinne des Vorherwissens der zukünftigen Beschaffenheit des Menschen, sondern im Sinne eines Willensaktes Gottes, der den Menschen aus einer größeren Zahl aussondert 1 . Die schwierige exegetische Frage, wie das Verhältnis der göttlichen Vorhererkenntnis zur göttlichen Vorherbestimmung zu fassen ist, entscheidet sich nach dem Gesagten für uns dabin, daß der erste der beiden Begriffe die Auswahl, der zweite die auf Grund der Auswahl verfügte Bestimmung zum Heil ausdrückt 2 . Der Gedanke, daß die Bestimmung des Menschen zur Errettung von Ewigkeit her von Gott getroffen ist, begegnet bei Paulus auch I I Thess 213 I Kor 27 Kol l 2 6 f f E p h 14 39ff I I Tim 19. Rom 8 schließt der Apostel mit dem triumphierenden Hinweis darauf, daß der in der Lebensgemeinschaft mit Christus der Rechtfertigung gewisse Christ sich in der Liebe Gottes für Zeit und Ewigkeit geborgen weiß. Damit hat er die im Eingang des Briefes aufgestellte Grundthese: „Das Evangelium ist Kraft Gottes zur Errettung für jeden Gläubigen" bewiesen. Aber das Verheißungsvolk Gottes steht in dieser Heilszeit, in der der Siegeszug des Evangeliums durch die ganze Welt geht, mit der Mehrzahl seiner Glieder dem Evangelium feindselig gegenüber. Worin hat das seinen 1 Vom menschlichen T u n beim göttlichen Vorhererkennen ist auch nicht die Rede A m 32: „ N u r euch habe ich erwählt O 1 ? ? ^ D^HN pT, L X X 'eyvoiv) von allen Völkern der E r d e " , J e r 15: „ E h e ich dich im Mutterleibe bildete, habe ich dich ausersehen ( T r i ? ! ? , L X X emarafiai oi), und ehe du aus dem Mutterschoße hervorgingst, habe ich dich geweiht". A u c h in diesen Stellen ist wie bei Paulus „Kenntnis nehmen v o n " soviel als „erwählen". 2 Reitzenstein, Mysterienreligionen ' S 9 9 f f 127 verweist darauf, daß auch Apulejus X I 19 21 in der gleichen zeitlichen Abfolge und Gegenüberstellung von Bestimmung und Berufung durch die Gottheit für das Mysterium spreche, und daß das hermetische Mysterium in dem heiligen Vorgang selbst unterscheide eSixcucb&rifiev und e&eco&rjficv, und folgert daraus eine Einwirkung hellenistischer Sprache auf Paulus. Doch ist das vorpaulinische Vorhandensein einer solchen hellenistischen Mysteriensprache nicht erweislich. Liegt Abhängigkeit vor, so ist sie a u f seiten der Mysteriensprache zu suchen, nicht auf Seiten des Paulus.
Der Weltplan Gottes und die Prädestination
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Grund ? Gott ist es doch, der die Geschichte lenkt, der dem Evangelium die Bahn freimacht und Glauben weckt. Hat Gott sich etwa von seinem Eigentumsvolke abgewendet ? Das sind Fragen, welche den Apostel tief bewegen, und zu denen er Rom 9 - 1 1 Stellung nimmt. Das Verständnis von Rom 9 - 1 1 ist überaus schwierig. Schon Beyschlag und Weber haben richtig herausgearbeitet, daß man vier Grundauffasssungen zu unterscheiden habe, die freilich bei den einzelnen Exegeten nicht immer reinlich voneinander geschieden auftreten; manche vereinigen auch verschiedene Gesichtpunkte. 1. Die p r ä d e s t i n a t i a n i s c h e oder c a l v i n i s c h e A u f f a s s u n g . Die oberste Ursache ist danach die arcana dei praedestinatio. Gottes Ratschluß gegenüber der sündigen Menschheit ist ein doppelter. Die einen sind Gegenstand seines Erbarmens, die andern verwirft er. Ein höherer Grundsatz als Gottes Wille besteht f ü r diese Entscheidung nicht. Es ist ein singulare Privilegium, ein beneplacitum Gottes, in dem der Erwählte einfach ausruhen soll. Diese Gedanken macht der Apostel Calvin zufolge gegenüber Anstößen geltend, welche man an dem Unglauben der J u d e n gegen die Verheißung Christi nehmen könnte. Allein damit wird unrichtigerweise ein dogmatischer Gesichtspunkt dem historischen übergeordnet. Paulus will allerdings den ewigen Heilsratschluß Gottes über das Verheißungsvolk und die Heidenwelt schildern, aber er t u t das Rom 9 — 11 durch die Schilderung des Ganges, welchen Gott die Heilsgeschichte f ü h r t . Der Nachdruck liegt nicht auf dem, was sich innerhalb dieser geschichtlichen Entwicklung vollzieht, sondern auf dem Anfang und dem Ende der Wege Gottes. Ist doch d$r Ausgangspunkt die Versicherung, daß Gottes Verheißung nicht hinfällig geworden sei 96 f f , und das Ziel, daß Gott sich aller erbarme 1132. Nicht, daß Gott schöpfungsgemäß die einen zum Bösen bestimmt, die andern erwählt habe, ist der Nerv des Gedankens, sondern das Überragen der göttlichen Erbarmung in der Leitung der Heilsgeschichte, schon 922f, dann siegreich K a p 11. Daher betet der Apostel auch f ü r die Errettung seiner ungläubigen Stammesgenossen 101 und rechnet l l l 3 f f mit der Wiedereinordnung der ungläubigen Israeliten in den edlen Ölbaum. Das wäre unbegreiflich, wenn von einem ewigen, unabänderlichen Verwerfungsratschluß Gottes die Rede wäre. 2. Die i n d e t e r m i n i s t i s c h e A u f f a s s u n g , nach der nicht alles göttlicher Bestimmung unterliegt, sondern die menschliche Willensentscheidung (Glaube und Unglaube) mit in Betracht gezogen wird, ist Anfang des 17. Jahrhunderts von dem holländischen Theologen Arminius begründet und im 19. Jahrhundert von zahlreichen Exegeten vertreten worden, z. B. Tholuck, Godet, BWeiß, sowie in der lutherischen Exegese. An der doppelten göttlichen Entscheidung über den Menschen, der Erwählung und der Verwerfung, wird festgehalten, aber Gott t r i f f t sie je nach der Empfänglichkeit oder Unempfänglichkeit des Menschen f ü r das Heil, auf Grund des von Ewigkeit vorhergesehenen Glaubens oder Unglaubens. Richtig an dieser Anschauung ist, daß sie den menschlichen Glauben mit in Rechnung stellt. Aber dieser wird von Gottes Ratschluß mit u m f a ß t , nicht aber hat er Einfluß auf die göttliche Entscheidung. Das widerspräche der ganzen Tendenz der Erörterung Rom 9 — 11. Paulus will gerade die absolute Souveränität Gottes in der Führung der Heilsgeschichte wie in der Bestimmung über den einzelnen nachweisen, der gegenüber der einzelne verstummen muß, die aber in ihrer Unergründlichkeit doch der Beseligung aller zustrebt. Vom menschlichen Glauben beginnt der Apostel erst von 930 an zu reden, um deutlicher und immer deutlicher zu zeigen, daß auch Israels und der Heidenwelt Glaube und Unglaube von Gott gewirkt wird. Jakob wird erwählt, Esau verworfen 9ll, ehe sie Gutes und Böses getan hatten. An Pharaos Beispiel wird gezeigt, daß Gott verstockt, wen er will. Das ist ganz eigentlich zu verstehen, ohne Abschwächung, n u r vorbehaltlich des Gedankens, daß auf dieser Stufe der Heilsgeschichte der Endwille Gottes noch nicht voll ersichtlich wird. 3. D i e T h e o r i e d e r d o p p e l t e n B e t r a c h t u n g , von den Kommentatoren DeWette und Meyer, weiterhin von Pfleiderer, Holtzmann u. a. vertreten. Danach wird geurteilt, daß Paulus K a p 9 prädestinarisch lehre, aber 930-1021 von der Höhe des absoluten Ratschlusses herabsteige auf den Standpunkt menschlicher Betrachtung, um zu zeigen, daß Israels Unglaube der Grund seiner Verwerfung sei. Es seien eben beide Betrachtungsweisen in seinem Geiste lebendig gewesen. Aber wie wir schon sahen, trägt Paulus in K a p 9 gar keine dogmatische Prädestinationslehre vor, und ein offensichtlicher Fehlgriff ist es, im Zusammenhang von K a p 9 — 11, wo von Gottes Führung der Heilsgeschichte die Rede ist, eine rein anthropologische Gedankenreihe K a p 10 eingefügt finden zu wollen. 930—1021 können n u r als notwendiges Glied der Beweisf ü h r u n g des Apostels betrachtet werden. Sie sind die Anwendung des K a p 9 über Gottes Erwählung und Verwerfung Gesagten auf den Unglauben Israels. Es wird K a p 10 die geschichtliche Tatsache des Unglaubens Israels vor Augen geführt, welche in dem Verhalten Israels dem Evangelium gegenüber, rein menschlich gesprochen, unbegreiflich ist, aber nach l l 7 f f deutlich als Wirkung der göttlichen Verstockung verstanden werden soll. 4. Die h e i l s g e s c h i c h t l i c h e A u s l e g u n g , von Beck und H o f m a n n angebahnt, in einseitiger Weise von Beyschlag vertreten, und jetzt von EWeber in klarer und zutreffender Weise herausgestellt. Diese Deutung hat ihr festes Fundament in den zwei Tatsachen, daß einmal K a p 9 auf den Boden der Heilsgeschichte f ü h r t , und auch K a p 11 das ganze Problem als heilsgeschichtliches
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behandelt. Damit ist aber die prädestinatianische Exegese von Kap 9 ausgeschlossen. Beyschlags Fehler war, daß er als selbstverständliche Voraussetzung einen modernen Gedanken mit einbezog: die Geschichte sei das Gebiet der menschlichen Freiheit, ein Handeln Gottes auf diesem Gebiet sei also selbstverständlich ein Operieren mit freien Faktoren. Paulus denkt aber hier nicht an die Freiheit des Menschen, sondern der beherrschende Gesichtspunkt ist, daß Gott, Gott allein, die Heilsgeschichte führt, und daß innerhalb dieser Geschichte dem Menschen diejenige Aufgabe zufällt, welche Gott ihm anweist. P a u l u s s u c h t A n t w o r t a u f die i h n i m I n n e r s t e n b e w e g e n d e F r a g e , w i e es k o m m e , d a ß i n d e r G e g e n w a r t , w o die G e r e c h t i g k e i t G o t t e s d e r g a n z e n W e l t v e r k ü n d i g t w e r d e u n d w o d e r Wille G o t t e s sich a n d e r M e n s c h h e i t v o l l e n d e , I s r a e l i m g a n z e n u n g l ä u b i g g e b l i e b e n sei. E r t u t d a s n a t ü r l i c h n i c h t so, d a ß er b e i m B e g i n n d e r E r ö r t e r u n g n o c h n i c h t w ü ß t e , w o h i n er zielt. D i e L ö s u n g , die e r z u b i e t e n h a t , s t e h t i h m f e s t . A b e r sein G e d a n k e n g a n g l ä ß t sich n i c h t i n ein p a a r S ä t z e f a s s e n , e r e n t w i c k e l t i h n K a p 9—11. E r will a u c h k e i n e n d o g m a t i s c h e n B e w e i s f ü h r e n u n d L e h r s ä t z e b e g r ü n d e n , s o n d e r n d e r I n h a l t dieser K a p i t e l i s t H e i l s g e s c h i c h t e . Diese W e g e G o t t e s s i n d w i e d e r u m n a t ü r l i c h f ü r d e n A p o s t e l k e i n e s c h w a n k e n d e n , s o n d e r n G o t t e s V e r h e i ß u n g e n sind f e s t u n d sicher, w e n n a u c h d e r A u g e n s c h e i n o d e r g e s c h i c h t l i c h e E r s c h e i n u n g e n d e m w i d e r s p r e c h e n . E r s t v o m Ziel a u s w i r d d a s r i c h t i g e A u g e n m a ß g e w o n n e n . J e d e a n n e h m b a r e E r k l ä r u n g m u ß also eine f o r t s c h r e i t e n d e E n t w i c k l u n g d i e s e r K a p i t e l i n d e r L ö s u n g des P r o b l e m s a u f w e i s e n . D e r A p o s t e l w e i s t v o n v o r n h e r e i n 9 6 ff d e n G e d a n k e n , d a ß e t w a die V e r h e i ß u n g G o t t e s a n I s r a e l h i n f ä l l i g g e w o r d e n sei, w e i t v o n sich. W o h l a b e r zeige die G e s c h i c h t e Israels, d a ß Gott auch in ihr nach seinem freien Ermessen erwähle u n d verwerfe, ohne d a ß es a u f m e n s c h l i c h e s T u n a n k o m m t . M i t N a c h d r u c k v e r t r i t t e r die a b s o l u t e F r e i h e i t G o t t e s d e m M e n s c h e n g e g e n ü b e r . D e r M e n s c h m u ß v o r G o t t v e r s t u m m e n , er h a t ü b e r h a u p t k e i n R e c h t i n s e i n e m V e r h ä l t n i s zu G o t t . D i e W e l t m ä c h t i g k e i t G o t t e s s t e h t d e m A p o s t e l a u ß e r j e d e m Zweifel. A b e r e r k o m m t a u f sie n u r zu s p r e c h e n i m Z u s a m m e n h a n g seiner D a r l e g u n g d e r G e s c h i c h t s m ä ß i g k e i t G o t t e s . Diese a b e r b e t r a c h t e t er nicht v o m n e u t r a l e n S t a n d p u n k t aus, auch ist nicht der Gerichtsgedanke d e r b e h e r r s c h e n d e , s o n d e r n es w i r d v o m E r w ä h l u n g s r a t s c h l u ß G o t t e s g e h a n d e l t . D i e s e m i s t d e r V e r w e r f u n g s g e d a n k e ein- u n d u n t e r g e o r d n e t . F r e i l i c h n i c h t so, d a ß die V e r w e r f u n g n u r eine z e i t l i c h e o d e r g e s c h i c h t l i c h e w ä r e , die i m w e i t e r e n V e r l a u f d e r H e i l s g e s c h i c h t e e i n e r A b ä n d e r u n g u n t e r l ä g e . P a u l u s v e r l a n g t v o n d e m M e n s c h e n die unbedingte Beugung auch vor dem endgültig verwerfenden Ratschluß Gottes und v o r d e r V e r w e n d u n g d e s M e n s c h e n i m H e i l s p l a n G o t t e s als G e f ä ß d e s Z o r n s . O h n e diese E r k e n n t n i s b l e i b t m a n , wie d a s Beispiel B e y s c h l a g s zeigt, h i n t e r d e r G r ö ß e u n d d e r S t r e n g e d e s G o t t e s g l a u b e n s d e s A p o s t e l s z u r ü c k . Allein es i s t , als o b i m H i n t e r g r u n d e d e r G e d a n k e a n d a s Gleichnis v o n d e n A r b e i t e r n i m W e i n b e r g s t ü n d e , w o d e r H a u s h e r r M a t t h 2015 a u c h z w a r z u e r s t s a g t , e r k ö n n e m i t d e m Seinigen t u n , w a s er wolle, u m d a n n f o r t z u f a h r e n : „ S i e h t d e i n A u g e scheel, w e i l i c h g u t b i n ? " G o t t h a t die u n u m s c h r ä n k t e M a c h t , a b e r er b e n u t z t sie, u m seine G ü t e zu zeigen. So will a u c h P a u l u s v o m g ö t t l i c h e n G n a d e n r a t s c h l u ß h a n d e l n . S c h o n 913 s t e h t d a s L i e b e n v o r d e m H a s s e n , 915 w i r d allein d a s E r b a r m e n b e t o n t , 918 s t e h t d a s E r b a r m e n v o r d e m V e r h ä r t e n . So g e w i n n t d e n n v o n 922 a n d e r G e d a n k e d e s G n a d e n w i l l e n s d e u t l i c h e r e G e s t a l t . E r f ä n g t a n , d i e V o r s t e l l u n g v o m Z o r n e s w a l t e n G o t t e s zu ü b e r r a g e n . Obw o h l G o t t die A b s i c h t h a t , s e i n e n Z o r n u n d seine M a c h t zu zeigen, h a t e r d i e v o n i h m bereiteten Gefäße des Zorns doch in großer L a n g m u t getragen, u m den R e i c h t u m seines G n a d e n w i l l e n s zu e n t f a l t e n , d e r die H e i d e n w e l t b e r u f t , a b e r a u c h e i n e n Teil Israels. N u n wird der Apostel wieder auf das im Unglauben Israels i h m entgegentretende P r o b l e m h i n g e f ü h r t , u n d so h a n d e l t er 930-1021 v o n d e r a b l e h n e n d e n H a l t u n g I s r a e l s z u m E v a n g e l i u m , die a b e r d o c h a u c h s c h o n i m A T g e w e i s s a g t i s t . D a s i s t d e r ges c h i c h t l i c h e T a t b e s t a n d , w e l c h e r d e r E r k l ä r u n g b e d a r f . P a u l u s f i n d e t sie n i c h t i n d e m U r t e i l , d a ß G o t t sein V o l k v e r w o r f e n h a b e I i i , s o n d e r n i n d e r w i e d e r u m i m A T v o r h e r g e s a g t e n T a t s a c h e d e r zeitweiligen V e r s t o c k u n g I s r a e l s d u r c h G o t t 117 f f , die a b e r schließlich z u r D u r c h f ü h r u n g d e r I s r a e l g e g e b e n e n V e r h e i ß u n g e n , also z u r B e s e l i g u n g aller f ü h r e n w i r d . „ D e n n G o t t h a t sie alle i n U n g e h o r s a m v e r s c h l o s s e n , d a m i t er sich aller e r b a r m e " 1132.
Der Weltplan Gottes und die Prädestination
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Wir dürfen hier nicht Zwischenfragen einwerfen: was wird aus den im L a u f e der Heilsgeschichte Verstockten ? Werden alle beseligt ? oder bleibt es bei der sonstigen Lehre des Apostels vom doppelten Gericht über den Menschen ? Paulus gibt a u f solche Fragen in diesem Zusammenhang keine Antwort. Sein B l i c k ist auf Israel als ganzes Volk gerichtet, und dies ist und bleibt ihm Träger der göttlichen Verheißung, die nicht unerfüllt bleiben wird. Auch hier gestaltet sich, wie schon in der R e c h t fertigungs- und Geistlehre und in den christologischen Anschauungen für den Apostel aus der persönlichen Erfahrung des Evangeliums die theologische Auseinandersetzung. Die Lösung ist nicht etwa theoretischer A r t , sondern, wie teilweise in der Christologie, intuitiv oder aber prophetisch. Sie leuchtet in des Apostels Darstellung anfangs in einzelnen Worten auf und wird dann als Mysterium ihrem I n h a l t e nach dargestellt. Der Apostel hat sie selbst in innerem Ringen gewonnen, im gläubigen Sinnen über das große R ä t s e l , das ihm der Gang des Evangeliums aufgab. I m Aufblick zu Gott, dem G o t t des Heils und der Geschichte, h a t er das Verständnis der dunklen Wege Gottes gesucht, und als Offenbarung des Geistes, der in die W a h r h e i t leitet, wird ihm die Lösung aufgegangen sein. Dies beides, das persönliche Sichversenken und das pneumatische Aufleuchten der wahren Erkenntnis vereinigt sich im Geiste des Apostels zu der Gewißheit der Überzeugung, als Prophet ein göttliches Geheimnis kundzutun. Was der Apostel I K o r 210 von dem geisterfüllten Christen ausspricht, daß er alles, auch die Tiefen Gottes durchforsche, hat er hier zur Ausführung gebracht, mag auch der Geist als K r a f t der Offenbarung nicht ausdrücklich genannt sein. E s ist aber nicht zufällig, daß diese Erörterung gerade im Römerbrief steht. Denn in diesem wird das Evangelium aufgefaßt als geschichtliche Offenbarung. Das ist es als die Gottesmacht zur Errettung für jeden Glaubenden, ein Verständnis, das den Apostel zur Darstellung einer heilsgeschichtlichen Theologie und ihrer Voraussetzung in der Geschichte der vorchristlichen Menschheit führt. I m Römerbrief t u t sich uns erst ganz die Bedeutung der prophetischen Erkenntnis des Apostels auf, daß A b r a h a m der Typus der Glaubensgerechtigkeit sei. Denn die weltgeschichtliche Bedeutung Abrahams ist und bleibt die, daß in ihm die unsichtbare Welt des Glaubens sicher und fest in die Menschheit hineingestellt worden ist. Und das h a t Paulus erkannt und R o m 4 ausgesprochen. D e r Römerbrief hat K a p 5 und 7 die großen Durchblicke von Adam her durch die Geschichte der Menschheit, aber erst K a p 9—11 werden wir auf die volle Höhe paulinischer Glaubenserkenntnis gehoben, die zum Ausblick auf das E n d e und das Ziel der Menschheitsgeschichte wird. Die Erörterung eines zeitgeschichtlichen Problems führt den Apostel dazu, das Evangelium in den großen R a h men des weltregierenden geschichtlichen Handelns Gottes hineinzustellen. E s ist der Gedanke der Welt- und Geschichtsmächigkeit Gottes, der in diesem Abschnitt überwältigend hervortritt. D e r Apostel zeigt uns den G o t t , der auch das Böse in seinen Weltplan mit aufnimmt und durch seine geschichtlichen Führungen überwindet. Danach kann man R o m 9—11 eine Theodizee nennen, nicht aber eine geschichtsphilosophische B e t r a c h t u n g . Denn nicht Philosophie, sondern der persönliche Glaube ist der Grund, aus dem die Erörterung erwächst. Der Gedanke der Universalität des Heilswillens Gottes findet sich auch zweimal in Past, I Tim 24 und Tit 2il. Aber auch in einem anderen Punkte bieten die Paulusbriefe Ergänzungen und Bestätigungen des Rom 9 — 11 eröffneten Heilsausblickes, in der Anwendung des Gedankens von dem im Evangelium erschlossenen Geheimnis des Willens und der Wege Gottes. Was die Person Christi in sich schließt, kann nur auf dem Wege prophetischen Schauens erkannt werden. Christus ist das Geheimnis Gottes, der wahrhaft Sehende schaut in ihm verborgen liegend alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis Kol 22 f. So ist der Apostel Verwalter der Geheimnisse Gottes I Kor 4l, er redet „Gottes Weisheit im Geheimnis, die verborgen war", aber von Ewigkeit vorherbestimmt ist I Kor 27, mehrfach, Rom 1625 Kol l28ff Eph 19 33ff II Tim 19; also wiederum überwiegend in späteren Briefen spricht er davon, daß ihm und den andern Aposteln das Geheimnis des göttlichen Ratschlusses, das von Ewigkeit her verborgen war, offenbart worden sei, daß sich nämlich nunmehr der Reichtum der göttlichen Gnade auch an den Heiden auswirke, somit die ganze Welt anfange, von den Kräften des Evangeliums durchdrungen zu werden.
F e i n e : Theologie. 8. Aufl.
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Die Lehre des Paulus
4. Die Offenbarung Gottes HSchulte, Der Begriff der Offenbarung im NT, Diss. 1947. Weitere Literatur s. o. S 269
Mit dem Glauben an das heilsgeschichtliche Walten Gottes ist notwendig verbunden der Begriff der Offenbarung. Paulus ist gewiß, daß von Gottes Wesen nur erkannt wird, was Gott kundmacht. Es sind aber verschiedene Stufen und Arten der Offenbarung bei Paulus zu unterscheiden. Paulus kennt, was wir natürliche Gottesoffenbarung nennen, d. h. die Offenbarung Gottes in der Schöpfung. Er berührt sie bezeichnenderweise jedoch nur in Rom (118 ff), wo er den Abfall des Heidentums von Gott schildert. (Ob er damit entsprechend I Kor 9 20 ff eine Anpassung an die Vorstellungswelt der römischen Gemeinde vollzieht ? Auch Apg 1 7 2 7 f und 1 4 1 5 f sind propädeutisch gemeint.) Auch dem Heiden hat Gott so ausreichende Offenbarung von seinem Wesen gegeben, daß er bei der wahren Gottesverehrung hätte bleiben können. Er besaß nicht nur im Anfang, sondern er besitzt auch jetzt noch - Paulus gebraucht das Präsens Rom 118-20 — „die Wahrheit", d. h. Kenntnis des wahren Wesens Gottes. Dasjenige, was von Gott erkennbar ist, ist auch der nichtjüdischen und nichterlösten Menschheit offenbar, weil Gott es der gesamten Menschheit kundgemacht hat. Denn wenn auch unsichtbaren Wesens, ist Gott doch von Erschaffung der Welt an erkennbar, der Mensch muß nur den Blick denkend auf die Werke der Schöpfung richten. Gottes Ewigkeit, Allmacht und göttliche Kraft zeigt sich in der plan- und zweckvollen Ordnung dieser Welt, aus der der Mensch auf den Schöpfer zurückzuschließen hat. Diese Offenbarung Gottes halten nun die Heiden in Ungerechtigkeit nieder 18. Das heißt, trotz ihrer Erkenntnis geben sie ihr nicht Raum, sondern verschließen sich derselben. Es liegt also nicht ein Fehler des Intellekts vor, sondern eine Verfehlung ihres Willens. Mögen ähnliche Gedanken auch in der Philosophie der damaligen Zeit, besonders in der Stoa gepflegt worden sein, vgl S 157ff, bei Paulus wachsen sie aus seiner christlichen Weltbetrachtung heraus. Denn er will hier ein düsteres Gemälde der Offenbarung des Zornes Gottes entwerfen, zu dem sich die verwendeten Farben so nur auf der christlichen Palette finden. Durch ihren Abfall von der richtigen Gotteserkenntnis sind die Heiden in Gottlosigkeit und damit weiterhin in Unsittlichkeit verfallen. Ihr Urteilsvermögen stumpfte sich ab, und so sind sie, die so hoch zu stehen meinten an Erkenntnis, in die schlimmsten Laster versunken, und Gott hat sie in diese Laster versinken lassen und auf diese Weise seinen Zorn an ihnen geoffenbart. So heißen die Heiden auch Eph 212 „Gottlose in der Welt" oder nach Ps 796 „Heiden, welche Gott nicht kennen" I Thess 45, vgl I Kor 84-6 122. Bei dieser Anschauung wird die Möglichkeit offengehalten, daß auch das gegenwärtige Heidentum zu der in der Natur ihm zugänglichen Gotteserkenntnis sich innerlich zurückwenden oder aber Gott suchen kann Apg 17 27 f 1415 f. Erkennt der Apostel doch auch nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Tatsächlichkeit von Fällen an, daß Heiden „von Natur die Werke des Gesetzes erfüllen" Rom 214. Sie erweisen damit, daß sie sich selbst „Gesetz" sind. Sie tragen in ihrem Herzen das Werk des Gesetzes geschrieben, d. h. ihre Herzensbeschaffenheit treibt sie zu einem vom geoffenbarten Gesetz geforderten und diesem entsprechenden Tun. Der Mensch kann also vermöge seiner ihm von Gott gegebenen natürlichen Beschaffenheit erkennen, was Gottes Wille ist, und aus sich selbst heraus in bestimmten Fällen diesen Willen erfüllen. Dieser innere Besitz, die natürliche Ausstattung des Menschen, ist gedacht als Ersatz der Offenbarung Gottes, welche das Judentum im Gesetz h^t. J a , unter Umständen erhebt sie den Heiden über den Juden, nämlich dann, wenn der Heide ihrem Zuge folgt und so Gottes Willen erfüllt, der Jude aber das Gesetz nicht hält 1 . An der 1 Auch in dieser Anschauung zeigt Paulus Berührung mit der griechischen Gedankenwelt, die gleichfalls „ungeschriebene Gesetze" im Menschenherzen kennt. Namentlich aber ist die Rom 2 l 4 f zugrunde liegende Gegenüberstellung von cpvais und V6/J.OS die Aufnahme eines Problems, welches die griechische Philosophie seit den Sophisten beschäftigt. Denn schon bei diesen begegnet die Auseinandersetzung zwischen cpvais und vöfios, indem das Naturrecht in Gegensatz zu den positiven Gesetzen des einzelnen Staates gestellt wird. Plato in seinem Nöfioi und Aristoteles in seiner ITohteta handeln gleichfalls vom Verhältnis der tpvois zum Gesetz und der staatlichen Ordnung. Ebenso die Kyniker, namentlich aber die Stoiker haben viel über dies Problem
Die Offenbarung Gottes
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Gesamtbeurteilung des H e i d e n t u m s , daß es tief in Sünde v e r s u n k e n sei u n d unter der Auswirkung des Zornes Gottes stehe, ändert aber der Hinblick auch auf g u t e T a t e n der H e i d e n nichts. Im Zusammenhang dieser Stelle gebraucht Paulus einen Begriff, welcher gleichfalls in das Gebiet der natürlichen Gottesoffenbarung fällt. Das ist das Gewissen (ovveiSrjocs)1. Wörtlich übersetzt heißt das griechische Wort „Mitbewußtsein". Es soll also ausgedrückt werden, daß ein Wissen sich mit den Handlungen verbindet. Man kann dabei an ein sich auf rein intellektuellem Gebiete bewegendes Bewußtsein denken (theoretisches, intellektuelles Gewissen), ohne daß ein sittliches Urteil einbegriffen ist. Aber meistens wird an diese ethische Funktion gedacht (ethisches Gewissen). Das Gewissen ist dann eine innere Stimme des Menschen, welche über die Handlungen ein sittliches Urteil fällt, also entweder zustimmt oder tadelt (conscientia consequens). In diesem Sinne verwendet auch Paulus, der nur das ethische Gewissen kennt, den Begriff besonders deutlich Rom 215, ferner I Kor 44 87 I I Kor 112, doch wohl auch I Kor 1025 27, ferner Tit 115 I Tim 15 19 3942. EbenfallsliegtdieseBedeutung vor Joh89Apg23l 2416 I Petr 3l6 Hebr 9l4 102 22 1318. In der Beurteilung desjenigen, was das Gewissen ist, kommt es zunächst nicht so auf den Bewußtseinsinhalt an, als darauf, daß die Stimme des Gewissens vom Menschen als unmittelbar verpflichtend empfunden wird. Sie ist etwas, was der Mensch in gewissem Sinne als außerhalb seiner Person stehende Instanz empfindet, mindestens aber als solche, über die er keine volle Gewalt hat, weil sie sich auch gegen seinen Willen geltend zu machen versteht. Daher kann I Petr 219 von einem „Gewissen zu Gott" (ovveiSrjOis &eov) sprechen, welches den Christen veranlaßt, auch ungerecht zu leiden. Denn der Mensch, insbesondere der Christ, erkennt in dieser Stimme Gottes Willen, der sich in seinem Innern zur Geltung bringt. Damit kommen wir aber erst auf die volle Entfaltung des Begriffs im NT. Das Gewissen bindet den Menschen an Gottes Willen und hört mit der richtenden Stimme erst auf, wenn das normale Verhältnis zu Gott hergestellt ist. Das Evangelium offenbart erst den vollen Gotteswillen. Daher ist erst das christliche Gewissen geläutert und normal Hebr 99 14 102 I I Kor 112. Stellt dies normale Verhältnis doch der den Christen verliehene heilige Geist her Rom 91. Das Gewissen richtet den Menschen, aber nicht nur hinsichtlich seines bereits abgeschlossenen Tuns und Willens, sondern spricht auch zustimmend oder abratend in betreff des zukünftigen Tuns zu ihm (conscientia antecedens). In dieser Bedeutung gebraucht auch Paulus das Wort Rom 135, auch I Kor 810 12. Aber r ä c h in einer weiteren Anwendung begegnet es bei ihm, nämlich es ist auch bisweilen das Gewissen der Mitmenschen, welches ein zustimmendes oder verwerfendes Urteil über unser Handeln ausspricht I I K o r 42 5 l l I K o r 1028f.
V o n der natürlichen Offenbarung treten wir zur übernatürlichen oder besser gesagt, heilsgeschichtlichen Offenbarung hinüber. D e m A p o s t e l ist w i e J e s u s u n d d e m J u d e n t u m das A T Offenbarung Gottes. Wer Gott k e n n e n u n d h a b e n will, m u ß i h n i m A T suchen, v g l S 1 9 6 f f , P a u l u s k a n n sich auch noch als Christ auf den S t a n d p u n k t stellen, d a ß das Gesetz der Mittelpunkt u n d H a u p t i n h a l t der S e l b s t b e k u n d u n g Gottes ist R o m 331 (vo/iog = A T ) 2 17—20 Gal 310. I s t doch das Gesetz als der unverbrüchliche Gotteswille heilig, gerecht u n d g u t R o m 712. Aber d e n i m Gesetz niedergelegten Gotteswillen v o l l k o m m e n zu erfüllen, w u ß t e sich J e s u s g e k o m m e n . D a h e r h a t schon J e s u s sich selbst, seine Person, als das Ziel des i m A T offenbarten Gotteswillens u n d des Heilswillens Gottes m i t der Menschheit b e t r a c h t e t . Diese Vorstellung v o n der göttlichen Offenbarung h a t P a u l u s a u f g e n o m m e n . I m A T ist e n t h a l t e n göttliche Wahrheit, die G o t t zuvor v e r k ü n d i g t h a t durch seine P r o p h e t e n in heiligen Schriften R o m 12. Ihr I n h a l t aber ist d a s E v a n g e l i u m , d . h . die P e r s o n Christi, u n d die i n seinem heilsmittlerischen T u n v o n G o t t der Menschheit d a r g e b o t e n e n Gaben. D a h e r stellt sich die christliche B o t s c h a f t dar als ein v o n ewigen Zeiten her verschwiegenes Mystenachgedacht. Die Stoa ist beherrscht von dem Gedanken, daß das Recht und die gesetzliche Ordnung nicht etwas Konventionelles, sondern in der Naturordnung begründet ist. Das ist aber der gleiche Gedanke, wie ihn Paulus hier ausspricht. Ich habe darüber in meinem „Römerbrief" gehandelt, S 93ff. Das stoische Material bietet JvArnim, Stoicorum veterum fragmenta I I I , f r . 308 f f . 1 Der Begriff „Gewissen" ist gleichfalls aus dem Hellenismus herübergenommen. Er begegnet zuerst bei Menander, einem Dichter der neueren attischen Komödie (342 bis 291 ,v Chr): in der Lehre der Stoiker gewinnt er Bedeutung. In der biblischen Literatur wird das Gewissen zuerst Weish Sal 17ll erwähnt. I m N T kennt den Begriff außer der paulinischen Literatur nur Joh 89 (Perikope von der Ehebrecherin), Apg, Hebr und I Petr. PEwald, De vocis awecSr/accoe apud scriptores Novi Testament! vi ac potestate, Lipsiae 1883. RSteinmetz, Das Gewissen bei Paulus, BZStrFr VI 8 1911. HBöhlig, Das Gewissen bei Seneca und Paulus, T h S t K r 1914, S 1-24. 18*
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Die Lehre des Paulus
rium, welches aber jetzt durch Deutung der prophetischen Schriften kundgemacht wird Rom 1626 (nach Eph 31 ff sind es die heiligen Apostel und die Propheten im Geiste, welchen diese Offenbarung zuteil geworden ist). Die Schrift erscheint Gal 38 wie eine Person, welche Gottes Heilsratschlüsse vorher erkannte und dementsprechend ihre Weissagungen gestaltete. Denn da sie, der Vorsehung vergleichbar, die Rechtfertigung der Heiden aus Glauben in der Person Christi vorhersah, hat sie dem Abraham die Verheißung gegeben, daß in ihm alle Völker gesegnet werden sollen. Ebenso hat die Schrift alles unter die Sünde verschlossen, damit die Verheißung aus Glauben an Christus zuteil werde Gal 3 22. Für den Apostel liegt also die besondere, die heilsgeschichtliche Offenbarung Gottes in dem Doppelten vor, im A T und in der geschichtlichen Person Jesu, oder wie wir von rückwärts sehend es auch ausdrücken können, im A T und NT. Das ist sein Evangelium, die frohe Botschaft, welche er sich beauftragt weiß, der Menschheit zu bringen. Aber der Mensch muß Gott und Gottes Willen an ihn auch richtig verstehen und muß begreifen, was Gott ihm in der Person Christi schenkt. Das kann er, weil Gott sich j a eben im A T und in Christus kundgemacht hat. Dies Kundmachen von Seiten G o t t e s u n d , passivisch, d a s G e o f f e n b a r t w e r d e n a n d e n Menschen bezeichnet
der Apostel mit den Ausdrücken „Offenbarung", „offenbaren" (ajtoxdXvtpig, anoxahmreiv), „kundmachen" (ioJiíva>s tpavegov/iévov eisxaivóttjta cübíov £