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German Pages 157 Year 1971
Struktur und Wachstum Reihe Industrie
Heft 1
Textilindustrie
Von
Michael Breitenacher
Duncker & Humblot · Berlin
I F O - I N S T I T U T FÜR
WIRTSCHAFTSFORSCHUNG
STRUKTUR U N D W A C H S T U M REIHE INDUSTRIE
Heft 1
I F O - I N S T I T U T FÜR WIRTSCHAFTSFORSCHUNG
Textilindustrie Von
Michael Breitenacher
Zweite, völlig neu bearbeitete Auflage
DUNCKER
&HUMBLOT/BERLIN-MÜNCHEN
Alle Rechte vorbehalten © 1971 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1971 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3 428 02562 8
Vorwort Das Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung sieht seine Aufgabe auch darin, den strukturellen Umschichtungen innerhalb einer wachsenden Wirtschaft nachzugehen. Es hat deshalb die Schriftenreihe „Struktur und Wachstum" ins Leben gerufen. In zwangloser Folge erscheinen Berichte über strukturelle Probleme im letzten Jahrzehnt, aber auch über die sich daraus ergebenden Wachstumschancen dieser Bereiche. Die vorliegende „Reihe Industrie" vermittelt einen Einblick in Strukturwandlungen und deren Ursachen in einundzwanzig Industriegruppen der Bundesrepublik. Die Untersuchungen werden in den Branchenreferaten der Abteilung Industrie, die unter Leitung von Dr. Karl-Heinrich Oppenländer, stellvertretendes Vorstandsmitglied, steht, durchgeführt. Die hier vorliegende Studie schließt an eine vor mehreren Jahren in dieser Reihe erschienene Untersuchung gleichen Titels an. Seither haben sich in diesem Bereich grundlegende Strukturänderungen vollzogen, die es angezeigt erscheinen ließen, sich erneut mit diesem für die Volkswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland bedeutsamen Industriezweig zu beschäftigen. Die Arbeit wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft und Finanzen, Abteilung Wirtschaft, finanziell unterstützt. München, Sommer 1971 Prof. Dr. Karl-M. Hettlage Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, München
Inhaltsverzeichnis
I. Bedeutung der Textilindustrie
13
II. Aufbau der Textilwirtschaft
22
1. Branchengliederung der Textilindustrie 22 2. Aufbau des textilwirtschaftlichen Produktions- und Verteilungsprozesses 24 a) Textilindustrieller Produktionsprozeß 24 b) Textilwirtschaftlicher Verteilungsprozeß 27 c) Input-Struktur der Textilindustrie 30 d) Zusammenfassung 31 3. Marktstrukturen a) Textilindustrie b) Abnehmer der Textilindustrie c) Lieferanten der Textilindustrie d) Zusammenfassung III. Marktverhalten
31 31 33 35 35
und Wettbewerbssituation
1. Dispositionsgewohnheiten und Konjunkturzyklus 2. Preispolitik 3. Produktpolitik IV. Strukturverschiebungen
37 37 43 44
innerhalb der Textilindustrie
49
1. Entwicklungstendenzen in einzelnen Branchen und Produktgruppen 49 2. Einfluß von Angebots- und Nachfragefaktoren auf die Produktionsstruktur 56 V. Textilindustrie
im internationalen
Wettbewerb
1. Aspekte der WelttextilWirtschaft a) Strukturelle Verlagerungen im Welthandel mit Textilien b) Aufbau von Textilindustrien in Entwicklungsländern 2. Außenhandel der Bundesrepublik mit Textilien a) Entwicklung der textilen Handelsbilanz b) Einfuhren aus Niedrigpreis-, Entwicklungs- und Staatshandelsländern c) Innergemeinschaftlicher Handel d) Spezielle Probleme des Textilaußenhandels
58 58 58 63 70 70 72 75 80
8
Inhaltsverzeichnis
VI. Wandlungen in der Produktionstechnik
und im Rohstoffeinsatz
1. Technische Veränderungen in der Textilindustrie a) Veränderungen bei den Produktionsverfahren und Betriebsmitteln b) Veränderungen im Rohstoffeinsatz 2. Entwicklung der Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit a) Realkapitaleinsatz b) Arbeitseinsatz c) Kapitalintensität 3. Entwicklung der Produktivität und ihrer Erklärungskomponenten a) Faktorbezogene Produktivität b) Globalproduktivität c) „Volkswirtschaftliche Produktivität" nach Gesamttextil d) Produktivitätsreserven e) Rentabilität der Textilindustrie 4. Technische Veränderungen und ihre Auswirkungen auf die Betriebs» und Unternehmensgröße a) Betriebsgrößenstruktur b) Unternehmensgrößenstruktur 5. Problem der Strukturschwäche VII. Langfristige 1. 2. 3. 4. 5.
Entwicklung
83 83 95 100 100 107 111 112 112 116 118 119 125 127 127 130 132
des Textilverbrauchs
Strukturwandel in der Nachfrage Bestimmungsgründe des Textilverbrauchs Einkommensabhängigkeit des Textilverbrauchs Vorausschätzung des privaten Textilverbrauchs Vorausschätzung der Produktion der Textilindustrie a) Produktionsentwicklung im gesamten Industriezweig b) Rohstoffverbrauch in Spinnerei und Garnverarbeitung
6. Kontrolle der Schätzergebnisse
83
134 134 134 137 145 147 147 149 152
Verzeichnis der Tabellen Tab. 1: Entwicklung der Produktion in der Textilindustrie
15
Tab. 2: Stellung und Entwicklung der Textilindustrie im Rahmen der Gesamtindustrie 16 Tab. 3: Bedeutung der wichtigsten Fachzweige der Textilindustrie der Bundesrepublik im Jahre 1969 23 Tab. 4: Wäscheherstellung der Textil- und Bekleidungsindustrie im Jahre 1969 27 Tab. 5: Struktur des Inlandsabsatzes der Textilindustrie
28
Tab. 6: Struktur des Inlandsabsatzes des Textil- und Bekleidungsgewerbes 30 Tab. 7: Struktur der Vorleistungen der Textilindustrie nach Wirtschaftsbereichen im Jahre 1964 30 Tab. 8: Herkunft der Bruttoanlageinvestitionen der Textilindustrie nach Wirtschaftsbereichen im Jahre 1964 31 Tab. 9: Unternehmen und Umsatz nach Umsatzgrößenklassen in der Textilindustrie 32 Tab. 10: Aufgliederung des Einzelhandelsumsatzes mit Textilien nach Betriebsformen 34 Tab. 11: Entwicklung der Erzeugerpreise (Inlandsabsatz) für Textilien und Industrieerzeugnisse insgesamt
44
Tab. 12: Umsatzstruktur der Textilindustrie
49
Tab. 13: Entwicklung der Versandwerte in der Textilindustrie
50
Tab. 14: Gewebeproduktion nach ausgewählten Erzeugnissen
54
Tab. 15: Produktionsstruktur der Maschenindustrie
56
Tab. 16: Entwicklung und regionale Verteilung der Weltproduktion von Baumwoll- und Chemiefasergeweben Tab. 17: Entwicklung des Welthandels mit Baumwolltextilien
59 60
Tab. 18: Importe von Textilien in die EWG- und EFTA-Länder 63 Tab. 19: Exporte und Importe von Textilien und Bekleidung ausgewählter Entwicklungsländer 65 Tab. 20: Salden des Textilaußenhandels der Bundesrepublik nach Ländergruppen 72 Tab. 21: Regionale Struktur des Textilaußenhandels der Bundesrepublik 73 Tab. 22: Außenhandel der EWG-Länder mit Textilien
75
10
Verzeichnis der Tabellen
Tab. 23: Textilexporte der EWG-Staaten in den EWG- und EFTA-Raum 77 Tab. 24: Textilimporte der EWG-Staaten aus dem EWG- und EFTARaum 78 Tab. 25: Zielsetzung und Anlaß der Investitionstätigkeit in der Textilindustrie 102 Tab. 26: Entwicklung des Bestandes an Webmaschinen und des Automationsgrades in ausgewählten Betriebsarten der Weberei 105 Tab. 27: Maschinenlaufzeit je Produkteinheit in ausgewählten Betriebsarten der Textilindustrie im Jahre 1969 106 Tab. 28: Verteilung der Betriebe und Beschäftigten der Textilindustrie auf Stadt- und Landkreise
108
Tab. 29: Beschäftigte der Textilindustrie nach der Stellung im Betrieb 110 Tab. 30: Wachstum und Erklärungskomponenten des Nettoproduktionswertes 113 Tab. 31: Wachstum der Arbeitsproduktivität in ausgewählten Betriebsarten der Textilindustrie von 1954 bis 1969 115 Tab. 32: Entwicklung von Produktion, Beschäftigten und Produktivität in der Textilindustrie ausgewählter Länder 116 Tab. 33: Erklärungskomponenten des Produktivitätsfortschritts
117
Tab. 34: Entwicklung der Arbeitsschichten in ausgewählten Betriebsarten der Textilindustrie 122 Tab. 35: Rentabilität des Sachvermögens auf verschiedenen Produktionsstufen der westdeutschen Textilindustrie 126 Tab. 36: Veränderung der Zahl der Betriebe in ausgewählten Betriebsarten der Textilindustrie von 1954 bis 1969 128 Tab. 37: Veränderung der durchschnittlichen Betriebsgrößen in ausgewählten Betriebsarten der Textilindustrie von 1954 bis 1969 129 Tab. 38: Regressionsgleichungen für den Zusammenhang zwischen Einkommen und Textilverbrauch 139 Tab. 39: Entwicklung von Bruttosozialprodukt, Einkommen und Bevölkerung 145 Tab. 40: Entwicklung von persönlich verfügbarem Einkommen und Textilumsätzen des Einzelhandels 146 Tab. 41: Regressionsgleichungen für die Berechnung von Produktion und Export der Textilindustrie
149
Tab. 42: Entwicklung von Produktion und Export der Textilindustrie .. 151 Tab. 43: Rohstoffverbrauch in der Spinnerei
151
Tab. 44: Rohstoffverbrauch in der Garnverarbeitung
152
Verzeichnis der Abbildungen Abb. 1: Die Baumwollindustrie in der Welt nach der Zahl der Spindeln und Webstühle 14 Abb. 2: Produktionsentwicklung in der Textil-, Bekleidungs- und Chemiefaserindustrie 17 Abb. 3: Produktionswachstum und Branchenkoeffizient der Textilindustrie 19 Abb. 4: ProduktionsentWicklung im gewerblichen Bereich und in der Herstellung von Textilien und Bekleidung 20 Abb. 5: Die wichtigsten Produktions- und Verteilungsstufen der Textilwirtschaft 26 Abb. 6: Entwicklung von Auftragseingang, Umsatz und Produktion in der Textil- und Bekleidungsindustrie 38 Abb. 7: Produktionsentwicklung in der Gesamtindustrie sowie in der Textil- und Bekleidungsindustrie 41 Abb. 8: Entwicklung der Endnachfrage nach Textilien und der Produktion der Textilindustrie 42 Abb. 9: Struktur der Textilindustrie nach Fachzweigen
52
Abb. 10: Entwicklung des Saldos des Außenhandels mit Textilien
71
Abb. 11: Struktureller Wandel im Außenhandel mit Textilien
81
Abb. 12: Vor- und Nachteile der schützenlosen Webmaschinen nach dem Urteil von dreizehn Verwendern 90 Abb. 13: Einteilung der Textilfasern
95
Abb. 14: Strukturverschiebungen im Materialeinsatz der Textilindustrie 97 Abb. 15: Entwicklung des Automationsgrades in der Weberei
104
Abb. 16: Zusammenhang zwischen Einkommen und privatem Textilverbrauch 136 Abb. 17: Elastizität der Textilumsätze des Einzelhandels pro Kopf in bezug auf das persönlich verfügbare Einkommen pro Kopf 138 Abb. 18: Typisierter Zusammenhang zwischen Einkommen und Ausgaben für Bekleidung 141 Abb. 19: Zusammenhang zwischen Einkommen und Ausgaben für Bekleidung (einschl. Schuhe) 143
12
Verzeichnis der Abbildungen
Abb. 20: Einkommen und Textilumsätze des Einzelhandels
144
Abb. 21: Textilumsätze des Einzelhandels und Produktion der Textilindustrie für den inländischen Verbrauch 148 Abb. 22: Bruttosozialprodukt der OECD-Länder und Exporte von Textilien 150 Abb. 23: Zusammenhang zwischen Einkommen und Gesamtverbrauch von Textilfasern 153 Abb. 24: Zusammenhang zwischen Einkommen und Verbrauch einzelner Textilfasern 154 Abb. 25: Vorausschätzung des Textilverbrauchs und der Produktion der Textilindustrie 156
I. Bedeutung der Textilindustrie Die Textilindustrie 1 der Bundesrepublik hat ein bedeutendes Gewicht innerhalb der Welttextilwirtschaft. Gemessen an der Zahl der Beschäftigten ist sie in der Europäischen Gemeinschaft führend. Hinter der UdSSR, der VR China, Japan, Indien, den USA und dem Vereinigten Königreich liegt sie in der Rangfolge der Textilindustrien der Welt an siebenter Stelle 2 . Die Baumwollindustrie der Bundesrepublik, wie in den meisten anderen Ländern umsatzstärkster Zweig der Textilindustrie, zählt zu den größten Baumwollverarbeitern der Welt (vgl. Abbildung 1). Gemessen an den Kapazitäten und der Erzeugung nimmt sie in der Welt noch vor dem Vereinigten Königreich die sechste Position ein. Am Bestand von Spindeln und Webstühlen der Baumwollindustrie der EWG ist die Bundesrepublik mit 32 bzw. 2 5 % beteiligt. Nach dem Produktionswachstum wurde die Textilindustrie der Bundesrepublik, vergleicht man einige wichtige Textilproduzenten, nur von Japan übertroffen (vgl. Tabelle 1). I m Jahre 1969 rangierte die Textilindustrie unter den Industriezweigen der Bundesrepublik nach der Zahl der Beschäftigten (507 403) an fünfter, nach der Höhe des Umsatzes3 (23,4 Mrd. DM) und nach dem Nettoproduktionswert (10,9 Mrd. D M zu Preisen von 1962) an siebenter Stelle. Die Textilindustrie hat allerdings viel von ihrer einst führenden Position in der Bundesrepublik verloren. Noch zu Anfang der fünfziger Jahre war sie mit fast 600 000 Beschäftigten nach dem Bergbau der größte industrielle Arbeitgeber. Seitdem wurden in der Textilindustrie zahlreiche Arbeitskräfte freigesetzt, während die gesamte Industrie einen zusätzlichen Arbeitskräftebedarf hatte. Der Anteil der Beschäftigten der Textilindustrie an den gesamten Industriebeschäftigten war daher in der Nachkriegszeit rückläufig (vgl. Tabelle 2). 1
Zur Textilindustrie zählen die Spinnstoffaufbereitung und -bearbeitung (Sab-Gruppe), die Spinnstoffverarbeitung (Sv-Gruppe), die Garnverarbeitung (Gv-Gruppe) und die Textilveredlung (Tv-Gruppe); ausgeschlossen sind die Gewinnung von natürlichen Textilrohstoffen, die Chemiefaser- und die Bekleidungsindustrie. 2 Wegen des unterschiedlichen Produktivitätsniveaus und der verschiedenartigen Zusammensetzung der Produktionsprogramme kann die Zahl der Beschäftigten der Textilindustrie von Land zu Land nicht unmittelbar miteinander verglichen werden. 3 Ohne Mehrwertsteuer.
IFO -1N STITUT für WirtKhafefbndiung München
Í6S/70
14 I. Bedeutung der Textilindustrie Abbildung 1
I. Bedeutung der Textilindustrie
15
Auch hinsichtlich des Leistungsvolumens hat die Textilindustrie innerhalb der Gesamtindustrie an Bedeutung verloren. Eine wichtige Ursache für dieses Zurückbleiben der Textilindustrie waren die Veränderungen im Welttextilhandel. Sie fanden ihren Ausdruck in einem raschen Tabelle 1 Entwicklung der Produktion in der Textilindustrie (1963 = 100)
Länder Bundesrepublik Frankreich Italien Vereinigtes Königreich USA Japan Indien Ostblock (Europa) Welt
..
1950
1955
1960
1965
1969
45 75 68 107 81 24 66 36 57
69 75 69 103 85 50 76 63 72
92 91 92 100 90 82 91 90 90
107 90 83 108 115 119 105 112 107
128 104 98 123 132 166 98
. •
Quelle: Arbeitgeberkreis Gesamttextil: Die Textilindustrie i n Europa u n d der Welt, Internationaler sozialstatistischer Vergleich, 8. Jahrgang, F r a n k f u r t 1970, 13. Produktion; Arbeitgeberkreis Gesamttextil: Die Textilindustrie i m Ostblock, E i n West-Ost-Vergleich, Frankfurt 1967, Tabellenanhang A , 7. Produktionsentwicklung der Textilindustrie.
Ansteigen der Importquote. Wegen der zunehmenden Auslandskonkurrenz und der Veränderungen im Bereich der Produktionstechnik und des Rohstoffeinsatzes waren die Textilunternehmen zu erheblichen Investitionsanstrengungen gezwungen. Gleichwohl war — im Vergleich zur Gesamtindustrie — der Investitionsaufwand im Verhältnis zum Umsatz und je Beschäftigten gering (vgl. Tabelle 2). Dies ist u. a. dadurch bedingt, daß sich wegen der durch die Mode erforderlichen Flexibilität automatische Fertigungsverfahren nicht für alle Bereiche der Textilindustrie eignen. Dies drückt sich auch darin aus, daß der Umsatz je Beschäftigten unter dem Durchschnitt der Gesamtindustrie liegt und der Anteil am Umsatz der Gesamtindustrie geringer ist als der Beschäftigtenanteil. Das Produktionswachstum der Textilindustrie der Bundesrepublik wurde in den ersten Nachkriegs jähren durch Sonderfaktoren günstig beeinflußt. Die Phase bis 1957 war durch relativ starke Expansionstendenzen gekennzeichnet, die wesentlich von dem aufgestauten Nachholbedarf der Kriegs- und Nachkriegsjahre getragen wurden. Daneben wirkten sich in dieser Zeit die Folgen der Zonentrennung positiv auf das Wachstum der Textilindustrie aus. Der Textilindustrie der Bundes-
Einheit
Zeit
Maß
1953
Textilindustrie1» 1960
1969
1953
Industrie insgesamt
o/0
DM
DM
35
1,36 6>2
165
19,8
51
2,37
191
26,7
6,7
4,91
216
46,2
6,0
1,64
185
21,9
56,5
2,75
189
33,0
92,5
5,92
85^0
82,9
1969
I. Bedeutung der Textilindustrie 96,9
81,6 101,1
80,9
86,2
89,2
90,4
82,9
223
56,6
J 1000 DM 0,700 1,665 2,360 1,375 2,230 3,455 50,9 74,7 68,3 J °/o 7,0 8,2 13,3 12,1 15,3 19,8 57,9 53,6 67^2 J % . 15,6 23,3 10,6 16,8 . 147,2 138,7
j
MD
J 1 000 DM
Gesamtindustrie = 100
1960
6,1 6,2 5,0 6,7 5,4 3,3 3^4 6,3 4,8 7,7 6,2 5,7 4,3
1953
a) Ohne öffentliche Energiewirtschaft und ohne Bauindustrie; Bundesgebiet einschließlich Saarland und Berlin (West), 1953 ohne Saarland und Berlin (West). — b) Beschäftigte, Umsatz, Inlands- und Auslandsumsatz und Umsatz je Beschäftigten für beteiligte Industriegruppe. — c) Umsatz 1969 ohne Mehrwertsteuer. — d) Investitionen in % des Umsatzes. — e) Investitionen je Beschäftigten. — f) Auslandsumsatz in % des Gesamtumsatzes. — g) Anteil der eingeführten Konkurrenzerzeugnisse an der Inlandsverfügbarkeit (Gesamtumsatz von Industrie, Kleingewerbe und Handwerk + Import einschl. Bezüge im Interzonenhandel % Export einschl. Lieferungen im Interzonenhandel = Inlandsverfügbarkeit.) Quelle: Statistisches Bundesamt: Fachserie D, Reihe 1 (I.), Reihe 4, Reihe 7, Fachserie G, Reihe 1, Fachserie F, Reihe 6; IfoInvestitionstest; eigene Berechnungen.
Investitionsintensitäte) Exportquote*) Importquotee)
Investitionsquotec) d)
Umsatz je Beschäftigten^ Löhne und Gehälter je 1000 DM Umsätze) Lohnkosten je geleistete Arbeiterstunde MD
Kennzahlen
1969
10,4 7,7 470,54 9,4 377,57 9,9 92,97 5,4 104,96 8,4 11,946 10,5 27,605 5,3
1960
Textilindustrie in °/o der Industrie insges.
Beschäftigte MD 1 000 597,1 619,5 507,4 5751,1 8080,9 8308,3 Umsätze) J Mrd. DM 11,83 16,51 23,42 126,16 266,37 davon: Inlandsumsatz J Mrd. DM 11,01 15,16 20,30 110,89 225,62 Auslandsumsatz J Mrd. DM 0,82 1,35 3,12 15,27 40,76 Löhne und Gehälter J Mrd. DM 1,97 3,17 5,05 23,34 50,32 Geleistete Arbeiterstunden .. J Mrd. Std. 1,147 1,030 0,744 10,885 13,393 Bruttoanlageinvestitionen .. J Mrd. DM 0,420 1,030 1,200 7,870 17,970
Merkmal
Tabelle 2: Stellung und Entwicklung der Textilindustrie im Rahmen der Gesamtindustriea) (MD = Monatsdurchschnitt, J = Jahr)
16
I. Bedeutung der Textilindustrie
17
republik sind zwar durch die Zonentrennung Absatzgebiete verlorengegangen, andererseits hatten zahlreiche wichtige Zweige der Textilindustrie vor dem Krieg ihren Schwerpunkt außerhalb der Grenzen des heutigen Bundesgebiets4; in diesen Branchen waren daher die Produktionskapazitäten, gemessen an den Absatzmöglichkeiten, zu klein, so daß sich für sie günstige Produktionsmöglichkeiten ergaben. Pnoduktionsentwicklung in denTextil-,Bekleidungsund Chemiefaserindustrie Index den Nettoppoduktion11
/
3 4 0
f
3 2 0
//
//
Textilindustrie Chemiefaserindustrie
3 0 0
//
— ~ Gesarr rtindustrie 2)
2 8 0
/
2 6 0 2 4 0
1 1 1 I
f
/
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2 2 0
1
2 0 0
1
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1 6 0
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1 4 0
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00
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6 0 4 0
1
2 0 1950 51
*
1 1 52
53
54
2 0
100
7
8 0
8 0
4 0
1
1 1
55 56
2' )®
57
58
Von Halendenunnegelmaß/gkeiten " ^Ohneö. Ohne öffentliche Fnengiew/ntschaft Oue/fe: Statistisches Bundesamt.
1
59
1 1 60
61
bene/nigt. und offne
62
1
63
1 1 64
65
66
1
67
1 1 68
69
1 ..
2 0
f 78/70
70
71
Baumcfustr/e.
tFO-INSTITUT für Writsdtoftsforsdu i ng Münchn . Abbildung 2
4 Vgl. I f o - I n s t i t u t f ü r Wirtschaftsforschung (Herausgeber): Deutsches B r a n chenhandbuch f ü r Industrie u n d Handel, T e x t i l u n d Bekleidung, B e r l i n und München 1954, S. 5 f.
2 Breitenacher
18
I . Bedeutung der Textilindustrie
Das Jahr 1958 bedeutete für die Textilindustrie in mancher Hinsicht einen Wendepunkt. I n diesem Jahr machte sich erstmalig die Importkonkurrenz in voller Schärfe bemerkbar. Seit 1958 ist auch das Produktionswachstum der Textilindustrie zunehmend hinter dem der Gesamtindustrie zurückgeblieben (vgl. Abbildung 2). Als Maß für diese Wachstumsdifferenzen können die sog. Branchenkoeffizienten 5 herangezogen werden. Ihre Entwicklung zeigt, daß sie in der Mehrzahl der Jahre seit 1951 unter 1 liegen, d. h., daß die Textilindustrie in diesen Jahren das Wachstum der Gesamtindustrie nicht erreichte (vgl. Abbildung 3). Das strukturelle Zurückbleiben der Textilproduktion kann — neben dem Ansteigen der Einfuhren — zunächst dadurch erklärt werden, daß die Textilindustrie in der Bundesrepublik zu den ältesten Industriezweigen zählt. Der Prozeß der Industrialisierung begann nämlich im Bereich der Verbrauchsgüterindustrie und hier vor allem in der Textilindustrie. Das Produktionswachstum der Textilindustrie hat sich daher längst normalisiert und ist infolgedessen wesentlich geringer als in den jüngeren Wachstumsindustrien. Diese Erklärung des unterdurchschnittlichen Wachstums der Textilindustrie gilt indes nur für Länder, in denen der Prozeß der Industrialisierung bereits weit fortgeschritten ist. Aus der Tatsache, daß auch in den Entwicklungsländern das Produktionswachstum der Textilindustrie relativ niedrig ist, folgt, daß dem strukturellen Zurückbleiben der Textilproduktion allgemeine Gültigkeit zukommt (vgl. Abbildung 4). Die Wachstumsdifferenz zwischen Textil- und Gesamtindustrie ist im wesentlichen dadurch bedingt, daß die Ausgaben für Textilien und Bekleidung, von einem bestimmten Niveau ab, mit dem Wachstum der Einkommen nicht mehr Schritt halten. Besonders auffällig ist, daß der der Textilindustrie vorgelagerte Industriezweig, nämlich die Chemiefaserindustrie, die Produktion seit 1950 wesentlich stärker erhöhen konnte (vgl. Abbildung 2). Diese relativ günstige Entwicklung der Chemiefaserindustrie (übrigens auch im Vergleich zur Bekleidungsindustrie) deutet darauf hin, daß das Zurückbleiben der Textilindustrie nicht nur ein Problem einer langsamer zunehmenden Endnachfrage und der Veränderungen im Welttextilhandel, sondern auch ein Problem des Wandels in der Produktionstechnik und der Rohstoffbasis ist. Von diesem Strukturwandel ist nicht nur die Textilindustrie der Bundesrepublik, sondern sind auch sämtliche Textilindustrien in den Industrieländern betroffen. 5 Vergleich des jährlichen Produktionswachstums der Textilindustrie m i t dem der Gesamtindustrie.
I . Bedeutung der Textilindustrie
Produktionswachstum und Branchenkoeffizient der Textilindustrie Veränderung der Produktion gegenüber Vorjahr % 2 0
10
+ 0
1o
Branchenkoeffizient
2
. . 1 . L_ : 1951 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 * )jahrfiche Pnodukt/onsvenanderung der Textilindustrie Pnoduktionsreränderung den Gesamtindustnie.
IFO-INSTITUT für Wirtsdiafoforschung München
zur Jährlichen
163/70 Abbildung 3
2»
im Verha/tnis
. B e d e u n g der Textilindustrie
20
Produktionsentwicklung u n d in der Herstellung
i m g e w e r b l i c h e n Bereich v o n Textilien u n d Bekleidung
— — — Gewerblicher Bereich — — - Herstellung von Textilien Herstellung von Bekleidung
1936/38-100
1 4 00
4 00
Welt*'
40 0
— West-IEuropa
3 5 0
3 5 0
/ 3 00
25 0 2 0 0
/
/ /
/
1
15 0
5 0 1900
i //
20
30
40
/ /
200
/
1 50
60
— N o r d - Amerika
70
1 50
j/ , , 100 1
1900
10
20
1
30
40
50
60
1 Entwidklungsländ er
//
3 5 0
/
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4
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/
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/ T 7
1 5 0
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50 1900
i
10
20
1
30
40
i
50
60
70
50
19U8 ohne UdSSR, Ost-Europa undVRCh/na. QueHe: Genera/ Agreement on Tanrffs and ThadefHnsg.) : A Study on Cbtton Texti/es. IFO-INSTITUT fOr Wirtochafoforadiung München
16W70
Abbildung 4
^ ^
Genf 1966,
. Bedeung der Textilindustrie
21
Die Textilindustrie befindet sich daher sowohl von der Nachfrageseite als auch von der Angebotsseite her gesehen i n einem tiefgreifenden Strukturwandel. A u f der Nachfrageseite w i r d der Absatz von Textilien und dessen Zusammensetzung von den Veränderungen i n der gesamtwirtschaftlichen Bedarfsstruktur beeinflußt. A u f der Angebotsseite vollzieht sich der Strukturwandel i n erster Linie i n Veränderungen der Produktionstechnik, i m Rohstoffeinsatz und i m internationalen Handel m i t Textilien. I n der Bundesrepublik w i r d i m Zusammenhang m i t den Wandlungen i n der Textilindustrie gelegentlich von einer „Strukturkrise" gesprochen. Diese Bezeichnung dürfte zwar übertrieben sein. Andererseits ist es jedoch eine Tatsache, daß die Veränderungen, „die das B i l d der Textilwirtschaft seit einigen Jahrzehnten verwandeln, . . . i n ihrer Intensität, Schnelligkeit und ihrem Ausmaß über das hinausgehen, was man nach gewohnter Erfahrung auf das Konto des zeitlichen Wandels zu buchen pflegt" 6 .
• Wunden, Wilfried: Die Textilindustrie der Bundesrepublik Deutschland im Strukturwandel, Basel—Tübingen 1969, S. 4.
I I . Aufbau der Textilwirtschaft 1. Branchengliederung der Textilindustrie Die Wandlungen i n der Textilindustrie müssen vor dem Hintergrund des strukturellen Aufbaus der gesamten Textilwirtschaft gesehen werden. Zahlreiche Probleme, m i t denen die Textilindustrie konfrontiert ist, lassen sich nur bei genauer Kenntnis des Produktions- und Verteilungsprozesses sowie der Marktstruktur der Textilwirtschaft analysieren. Dies gilt insbesondere für das Problem der Betriebs- und Unternehmensgröße, für die Produktpolitik und den Konjunkturzyklus. Es ist deshalb notwendig, sich zunächst einen Uberblick über den Aufbau der Textilwirtschaft zu verschaffen. Die Textilindustrie ist ein sehr heterogener Industriezweig, der eine Vielzahl von Branchen umfaßt, von denen manche ein sehr breites und differenziertes Produktionsprogramm aufweisen. Die Heterogenität kommt vor allem i n der A r t der verwendeten Textilfasern, i m Endverwendungszweck sowie i n den Herstellungs- und Bearbeitungsverfahren zum Ausdruck. I m allgemeinen w i r d die Textilindustrie nach der A r t des vorwiegend verarbeiteten Rohstoffes bzw. nach der A r t des vorwiegend hergestellten Erzeugnisses untergliedert 1 . Man unterscheidet dann zwischen Baumwollindustrie, Wollindustrie, Seiden- und Samtindustrie, Leinenindustrie, Bastfaserindustrien bzw. die zur Heimtextilienindustrie zusammengefaßten Zweige, wie die Teppichweberei, Möbel- und Dekorationsstoffweberei sowie die Gardinenstoffherstellung. Weiter zählen zu den wichtigsten Fachzweigen die Maschenindustrie sowie die Textilveredelungsindustrie (vgl. Tabelle 3). Sodann ist noch eine Reihe von Spezialsparten zu erwähnen, wie z. B. die Reißspinnstoffherstellung, die Haargarnspinnerei, die Filzindustrie, die Hutindustrie, die Schmalweberei und Flechterei, die Spitzen- und Stickerei-Industrie, die einstufige Zwirnerei usw. Die Gliederung nach der A r t des Rohstoffs bzw. der hergestellten Erzeugnisse entspricht heute vielfach nicht mehr den Tatsachen und ist nur noch traditionell bedingt. So verarbeitet beispielsweise die Baum1
Vgl. Lösch, Hans Peter: Die Textilkonjunktur im Rahmen des allgemeinen Wirtschaftsablaufs, Ausmaß und Ursachen der erhöhten konjunkturellen Instabilität der Textilindustrie, Köln und Opladen 1969, S. 68.
1. Branchengliederung der Textilindustrie
23
Tabelle 3 Bedeutung der wichtigsten Fachzweige der Textilindustrie der Bundesrepublik im Jahre 1969 Fachzweig
Beschäftigte®)
Versandwertk) Mill. DM
°/o
Anzahl
°/o
Baumwollindustriec) Wollindustrie Seiden- und Samtweberei Leinenindustrie«1) Juteindustrie Sonstige BastfaserindustrieO Teppichweberei Möbel- u. Dekorationsstoffweberei Gardinenstoffherstellung Masdienindustrie Textilveredlung Sonstige Fachzweige
114 768 49 083 25 449 4 820 5 428 3 450 15 574 10 735 6 520 142 847 38 916 82 257
23,0 9,8 5,1 1,0 1,1 0,7 3,1 2,1 1,3 28,6 7,8 16,4
6147 2 864 1646 197 287 113 1226 589 385 5 457 1672 4 210
24,8 11,5 6,6 0,8 1,2 0,5 4,9 2,4 1,6 22,0 6,7 17,0
Textilindustrie insgesamt
499 847
100
24 793
100
a) Ende September 1969. — b) Einschließlich Entgelt für Lohnarbeiten. — c) Einschließlich Grobgarnindustrie. — d) Flachspinnerei und Leinenweberei. — e) Hanf- und Hartfaserspinnerei, Kokosweberei. Quelle: Gesamtverband der Textilindustrie in der Bundesrepublik Deutschland — Gesamttextil-e.V.; eigene Berechnungen.
Wollindustrie neben Baumwolle i n zunehmendem Maße Chemiefasern*, i n der Seiden- und Samtindustrie kommt nur noch i n geringem Umfang Seidengarn zum Einsatz. Die Grenzen zwischen den traditionellen Fachzweigen verwischen sich immer mehr; das Produktionsprogramm und damit die Branchenzugehörigkeit überschneiden sich vielfach. Durch die zunehmende Verarbeitung von Chemiefasern sowie durch die Kreierung neuer Produkte und den Einsatz neuer Produktionsverfahren hat der Endverwendungszweck als Einteilungskriterium für die Textilindustrie an Bedeutung gewonnen. „ I n Anbetracht der technischen Ähnlichkeiten k ö n n e n . . . die gleichen Unternehmen und sogar die gleichen Produktionsanlagen für verschiedene Endverwendungszwecke produzieren oder ihre Produktion zumindest ohne große Schwierigkeiten auf benachbarte Endverwendungszwecke umstellen*." Man unterscheidet dann — i n der Weberei — zwischen Rohgewebe, Fertiggewebe für 2 Der Verband der Deutschen Baumwollspinnerei hat aus dieser Tatsache die Konsequenzen gezogen und sich in „Industrieverband Garne (aus Naturund Chemiefasern)" umbenannt. 8 Vgl. J. de Bandt: Die Textilindustrie der EWG, Analyse und Aussichten (1975), Bericht für die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Paris, Januar 1969, S. 28.
24
II. Aufbau der Textilwirtschaft
Bekleidung und Leibwäsche, Haus-, Bett- und Tischwäschestoff, Heimtextilien und Gewebe für technische und andere Zwecke 4 .
2. Aufbau des textilwirtschaftlichen Produktionsund Verteilungsprozesses a) Textilindustrieller
Produktionsprozeß
Der textilindustrielle Produktionsprozeß gliedert sich i n fünf Hauptgruppen 5 : — — — — —
Spinnstoffaufbereitung Spinnstoffverarbeitung Gespinstverarbeitung Textilveredlung Konfektion
I n der Spinnstoffaufbereitung werden die natürlichen Textilfasern m i t Ausnahme der Baumwolle, also Rohwolle, Flachs, Hanf und andere Bastfasern sowie Heißmaterialien, Wollabgänge und -fäden für den Spinnprozeß vorbereitet. Die wichtigsten Zweige der Spinnstoffaufbereitung sind die Wollwäscherei und -kämmerei sowie die Reißspinnstoffherstellung. Die Spinnstoffaufbereitung ist hauptsächlich als Vorstufe für die Wollspinnerei (Kammgarn- und Streichgarnspinnerei) von Bedeutung. Die Spinnstoffverarbeitung bezieht etwa 25 % ihres Rohstoffeinsatzes von der Spinnstoff aufbereitung. I n der Spinnstoffverarbeitung werden die von der Vorstufe bzw. vom Rohstoffmarkt bezogenen Textilfasern zum weitaus überwiegenden Teil zu Garnen versponnen; ein geringer Prozentsatz w i r d i m Walk verfahren zu Haar- und Wollfilz verarbeitet. Die wichtigsten Branchen der Spinnstoffverarbeitung sind die Baumwollspinnereien (Drei- und Vierzylinderspinnerei, Zweizylinder- und Vigognespinnerei, Grobgarnspinnerei), die Wollspinnereien (Kammgarn-, Streichgarn- und Haargarnspinnerei), die Hanfspinnerei, die Flachs- und Ramiespinnerei, die Hartfaserspinnerei und die Jutespinnerei. Der überwiegende Teil der Produktion der Spinnstoffverarbeitung w i r d von der nachgelagerten Stufe, der Gespinstverarbeitung, abgenommen. Der Rest geht i n den Export, an industrielle Abnehmer und i n Form von handelsfertig aufgemachten Garnen i n die Bekleidungsindustrie und i n den Einzelhandel. 4 Im Rahmen des Kapitels IV (Strukturveränderungen innerhalb der Textilindustrie) wird auf diese Einteilung zurückgegriffen werden. 5 Vgl. zum folgenden Lösch, Hans Peter: Die Textilkonjunktur im Rahmen des allgemeinen Wirtschaftsablaufs, a. a. O., S. 133 ff.
2. Aufbau des Produktions- und Verteilungsprozesses
25
Eine Zwischenstellung zwischen Spinnstoff- und Garnverarbeitung nehmen Zwirnerei und Texturiererei ein (vgl. Abbildung 5). Sie beziehen die zu verarbeitenden Fäden von der Chemiefaserindustrie und von der Spinnerei und liefern diese an Weberei und Maschenindustrie. I n der Gespinstverarbeitung , der wichtigsten Stufe des textilindustriellen Produktionsprozesses, werden i n erster Linie Garne zu Geweben sowie zu gewirkten und gestrickten Stoffen verarbeitet. Die wichtigsten Webereisparten sind die Baumwollweberei, die Tuch- und Kleiderstoffweberei, die Seiden- und Samtweberei, die Möbel- und Dekorationsstoffweberei, die Teppichweberei, die Gardinenstoffherstellung, die Leinenweberei, die Schwerweberei und die Juteweberei. Die Maschenindustrie nimmt innerhalb der Gespinstverarbeitung eine Sonderstellung ein, da die Herstellung der gewirkten und gestrickten Stoffe i m allgemeinen m i t deren Konfektionierung verbunden ist. Etwa drei Viertel des Garneinsatzes bezieht die Gespinstverarbeitung von der vorgelagerten Stufe, der Spinnerei. Der Rest w i r d durch Garnimporte und durch den Einsatz von synthetischen und zellulosischen Endlosgarnen gedeckt. Die Produktion der Gespinstverarbeitung geht zu etwa einem D r i t t e l über die Veredlungsstufe als Meterware oder konfektionierte Ware an den Groß- und Einzelhandel, zu einem weiteren D r i t t e l nach der Veredlung zur Weiterverarbeitung an die Konfektion. Der Rest fließt i n den Export oder w i r d an sonstige industrielle A b nehmer abgesetzt. A u f derselben Stufe wie Weberei und Maschenindustrie steht die Herstellung von Textilverbundstoffen (z. B. Vliesstoffe), die ihre Rohstoffe von den Naturfaserproduzenten bzw. von der Chemiefaserindustrie bezieht. Die Textilveredlung w i r d i m allgemeinen als vierte Stufe des textilen Produktionsprozesses bezeichnet. Dies gilt insofern, als es sich u m die Veredlung von Geweben, Wirkstoffen, undichten Vorhangstoffen usw. handelt. Die Textilveredlung befaßt sich jedoch auch m i t der Veredlung von textilen Roh- und Spinnstoffen sowie von Garnen; allerdings entfällt auf diesen Bereich nur etwa ein Zehntel des Gesamtumsatzes der Textilveredlung. I n der Textilveredlung w i r d zwischen drei Organisationsformen unterschieden. Die Eigenveredler veredeln auf eigene Rechnung gekaufte textile Waren oder Rohstoffe, die sie anschließend weiterverkaufen. Die Lohnveredler führen die Veredlungsarbeiten von fremden Materialien i m Lohnauftrag durch. Die Betriebsveredler veredeln selbsterzeugte Garne, Gewebe oder selbst aufbereitete Spinnstoffe i n einer eigenen Abteilung des Betriebs. Gemessen an den Beschäftigten entfällt etwa ein D r i t t e l der Textilveredlung auf die Betriebsveredlung, zwei
26
II. Aufbau der Textilwirtschaft
Die wichtigsten Produktions-und Verteilungsstufen der Textilwirtschaft
Quelle: Gesamtvenband den Textilindustrie
in den Bundesrepublik Deutschland-Gesamttextii
IF O -1N STITUT för Wirtahafofondiung MOncfon
171/70
Abbildung 5
^ ^
e.-V.
2. Aufbau des Produktions- und Verteilungsprozesses
27
D r i t t e l auf Lohn- und Eigenveredlung (davon etwa zwei Fünftel Eigenveredlung). Der Produktionsprozeß der Textilindustrie endet i m allgemeinen bei der Herstellung veredelter Gewebe. I n einzelnen Fachzweigen findet jedoch eine Konfektionierung statt, so insbesondere i n der Maschenindustrie, i n der Wolldeckenweberei, i n der Teppichweberei, i n der Leinenweberei und i n der Baumwollweberei. Dadurch ergeben sich Überschneidungen m i t der Bekleidungsindustrie, vor allem i m Wäschesektor (vgl. Tabelle 4), weniger i n der Herstellung von Oberbekleidung 8 . Tabelle 4 Wäscheherstellung der Textil- und Bekleidungsindustrie im Jahre 1969a)
Erzeugnis
Textilindustrie Mili. DM W »
Leibwäsche für Männer und Knaben Leibwäsche für Frauen, Mädchen und Kinder.. Taschentücher Miederwaren Haushaltswäsche Bettwäsche Haus- und Tischwäsche Insgesamt
Bekleidungsindustrie Mill.DM
%b)
446,3
40.8
648,8
59,2
672,3 9,2
60,5 18,4
455,9 (307,9) (148,0)
68.9 (63,5) (83,9)
438,2 40,7 606,6 205,4 (177,0) ( 28,4)
39.5 81.6 100,0 31,1 (36,5) (16,1)
1 583,7
44,9
1 939,7
55,1
Insgesamt MÍ11.DM W » 1 095,1
100
1110,5 100 49,9 100 606,6 100 661,3 100 (484,9) (100) (176,4) (100) 3 523,4
100
a) Produktion für eigene und fremde Rechnung. — b) Jeweilige Produktgruppe gleich 100 gesetzt. Quelle: Gesamtverband der Textilindustrie in der Bundesrepublik Deutschland— Gesamttextil-e.V.; Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen. b) Textilwirtschaftlicher
Verteilungsprozeß
Die Nachfrage nach Gütern der Textilindustrie setzt sich aus vier Komponenten zusammen 7 : • Es erhebt sich die Frage, ob unter diesem Gesichtspunkt die herkömmliche Trennung zwischen Textil- und Bekleidungsindustrie überhaupt noch sinnvoll ist. Für eine Aufhebung dieser Trennung spricht — neben der teilweisen Überschneidung der Produktionsprogramme — die Tatsache, daß die Bekleidungsindustrie der wichtigste Absatzmarkt der Textilindustrie ist und diese vor allem über die Bekleidungsindustrie Verbindung zum Endverbrauchermarkt hat. Bestimmte Probleme, wie z. B. das Außenhandelsproblem oder die Konjunkturschwankungen, lassen sich nur analysieren, wenn man sowohl den Textil- als auch den Bekleidungssektor in die Betrachtung einbezieht. 7 Die Betrachtung beschränkt sich auf den Absatz von Gütern, welche den Bereich der Textilindustrie endgültig verlassen.
II. Aufbau der Textilwirtschaft
28 — — — —
Nachfrage der privaten Verbraucher Nachfrage der verschiedenen gewerblichen Abnehmer Nachfrage sonstiger nicht-gewerblicher Abnehmer Nachfrage des Auslandes.
Eine Vorstellung über die quantitative Bedeutung der Komponenten des Absatzes von Gütern der Textilindustrie vermitteln die Input-Output-Studien von Oberhauser und des Ifo-Instituts 8 . Nach diesen Studien setzt die Textilindustrie etwa ein D r i t t e l ihrer Erzeugung® an private Verbraucher ab (vgl. Tabelle 5), und zwar zum überwiegenden Teil über den Einzelhandel. Es handelt sich hierbei i n erster Linie u m Gewebe der verschiedensten A r t — angefangen von Stoffen für Oberbekleidung und Wäsche bis h i n zu Teppichen — sowie u m eine Vielzahl anderer Erzeugnisse, wie W i r k - und Strickwaren usw. Tabelle 5 Struktur des Inlandsabsatzes der Textilindustrie**) (in °/o) Absatzbereich Absatz an private Abnehmer^ davon: Textileinzelhandel Sonstiger Einzelhandel Direktabsatz an Private Absatz an nicht-private Abnehmer davon: Bekleidungsgewerbe Sonstiges Gewerbe Sonstige nicht-private Abnehmer Inlandsabsatz insgesamt
1954 37,8 (30,9) ( 6,4) ( 0,5) 62,2 (41,9) d) (13,2) ( 7,1) 100
1964b) 43,1
56,9 (39,2) ( 8,9) ( 8,8) 100
a) Ohne interne Umsätze der Textilindustrie. — b) Einschließlich Absatz von Importen. — c) Endabsatz, also Zwischenumsätze über den Textilgroßhandel ausgeschaltet. — d) Einschließlich Textilhandwerk. Quelle: Oberhauser, Alois: Die innere und äußere Verflechtung der Textilwirtschaft, Eine Input-Output-Studie, Schriften zur Textilwirtschaft, Band 3, Münster 1959, S. 40; Gehrig, Gerhard und Mitarbeiter: Input-Output-Studien Nr. 9/1, Ergebnisse der Input-Output-Rechnung 1964, herausgegeben vom IfoInstitut für Wirtschaftsforschung, München 1969. I n den vergangenen Jahren haben sich insbesondere die Großbetriebsformen des Einzelhandels (Kauf- und Warenhäuser, Versandhandel, Textil-Großfilialisten sowie Verbrauchermärkte) als Abnehmer der Tex8 Vgl. Oberhauser, Alois: Die innere und äußere Verflechtung der Textilwirtschaft, Eine Input-Output-Studie, Schriften zur Textilwirtschaft, Band 3, Münster 1959; Gehrig, Gerhard und Mitarbeiter: Input-Output-Studien, herausgegeben vom Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung, München 1969. 9 Ohne interne Umsätze.
2. Aufbau des Produktions- und Verteilungsprozesses
29
tilindustrie i n den Vordergrund geschoben. Der Großhandel übt dagegen nur i n wenigen Bereichen eine nennenswerte Verteilerfunktion aus; die Textilindustrie dürfte insgesamt nicht mehr als ein Sechstel ihres Umsatzes m i t dem Großhandel tätigen. Der Textilgroßhandel setzt seinerseits zum überwiegenden Teil an den Einzelhandel ab, der Rest geht hauptsächlich an das Schneiderhandwerk. Der Absatz an verschiedene gewerbliche Bereiche beläuft sich auf über die Hälfte des Gesamtabsatzes. Wichtiger Abnehmer ist das Bekleidungsgewerbe, das von der Textilindustrie hauptsächlich Gewebe und Gewirke sowie Garne bezieht. Von den sonstigen gewerblichen Abnehmern sind i n erster Linie zu erwähnen die Holzverarbeitung (Herstellung von Polstermöbeln), die Gummi- und Asbestverarbeitung, der Straßenfahrzeugbau, die Schuhherstellung, die chemische Industrie und die Elektrotechnik. Der Textilverbrauch dieser Bereiche setzt sich hauptsächlich aus Textilerzeugnissen zusammen, die als Roh- oder Hilfsmaterialien Verwendung finden. Unter den sonstigen nicht-privaten Abnehmern von Erzeugnissen der Textilindustrie dominieren die öffentliche Hand, die Bundesbahn und Bundespost, die Gesundheitsfürsorge und Wohlfahrtspflege sowie das Beherbergungs- und Gaststättengewerbe. I n der Hauptsache handelt es sich beim Textilverbrauch dieser Abnehmer u m Erzeugnisse, die auch und i n erster Linie von den privaten Haushalten gekauft werden: Haus-, Bett- und Tischwäsche sowie Heimtextilien. Geringere Bedeutung haben dagegen Verbandmittel sowie Textilien für technische Zwecke 10 . Der Auslandsabsatz der Textilindustrie belief sich i m Jahre 1964 auf etwa ein Viertel des gesamten Absatzes von Textilerzeugnissen 11 . Die Textilindustrie exportiert sämtliche Arten von textilen Halb- und Fertigerzeugnissen; das Schwergewicht liegt bei Geweben. Die dargelegte Absatzstruktur der Textilindustrie läßt — abgesehen vom Absatz an die privaten Verbraucher — nur die unmittelbaren Lieferungen an nachgelagerte Wirtschaftsbereiche erkennen. W i l l man dagegen Kenntnis über die endgültige Verwendung von Erzeugnissen der Textilindustrie erlangen, so muß der Zwischenverbrauch von Textilien, die als Roh- und Hilfsstoffe (in erster Linie i n der Bekleidungsindustrie) eingesetzt werden, ausgeschaltet werden. Aus der Studie von Oberhauser und aus der Input-Output-Tabelle des Ifo-Instituts läßt sich eine quantitative Vorstellung über die zusammengefaßte Absatzstruktur der 10 Vgl. Oberhauser, Alois: Die innere und äußere Verflechtung der Textilwirtschaft, a. a. O., S. 53. 11 Diese Quote ist nicht vergleichbar mit der Exportquote von Tabelle 2; während bei der Berechnung der zuerst genannten Quote die internen Umsätze ausgeschaltet sind, sind diese in den Umsätzen enthalten, die der Ermittlung der Exportquote zugrunde liegen.
30
II. Aufbau der Textilwirtschaft
Textil- und Bekleidungsindustrie (ohne interne Umsätze) gewinnen. Beide Untersuchungen zeigen deutlich den überragenden A n t e i l der Nachfrage der privaten Haushalte an der Nachfrage nach Textilien (vgl. Tabelle 6). Tabelle 6 Struktur des Inlandsabsatzes des Textil- und Bekleidungsgewerbes^) (in °/o) Absatzbereich
1954
1964b)
Absatz an private Abnehmer«*) Absatz an nicht-private Abnehmer
82,9 17,1
85,2 14,8
Inlandsabsatz insgesamt
100
100
a) Ohne interne Umsätze. — b) Einschließlich Absatz von Importen. — c) Endabsatz. Quelle: Oberhauser, Alois: Die innere und äußere Verflechtung der Textilwirtschaft, Eine Input-Output-Studie, Schriften zur Textilwirtschaft, Band 3, Münster 1959, S. 39; Gehrig, Gerhard und Mitarbeiter: Input-Output-Studien Nr. 9/1, Ergebnisse der Input-Output-Rechnung 1964, herausgegeben vom IfoInstitut für Wirtschaftsforschung, München 1969. c) Input-Struktur
der Textilindustrie
Der überwiegende Teil der Vorleistungen der Textilindustrie stammt aus der Land- und Forstwirtschaft sowie aus der chemischen Industrie (vgl. Tabelle 7). Hierbei handelt es sich einmal u m Naturfasern, also Baumwolle, Wolle, Bastfasern usw., die i n erster Linie aus dem Ausland Tabelle 7 Struktur der Vorleistungen der Textilindustrie nach Wirtschaf tsbereichen&) im Jahre 1964 (in °/o) Chemische Industrie Land- und Forstwirtschaft Großhandel Dienstleistungen Papier- und Pappeverarbeitung Elektrizitätserzeugung und -Verteilung
42,7 16,9 8,7 5,7 4,6 3,4
Sonstige Bereiche 18,0 a) Ohne interne Lieferungen. Quelle: Gehrig, Gerhard und Mitarbeiter: Input-Output-Studien Nr. 9/1, Ergebnisse der Input-Output-Rechnung 1964, herausgegeben vom Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung, München 1969. bezogen werden. Die chemische Industrie liefert an die Textilindustrie Chemiefasern und Chemikalien (davon sind die Hälfte Farbstoffe). Darüber hinaus kommen Textilhilfsstoffe, wie Appreturmittel, Schlichte und sonstige Chemikalien, hauptsächlich Säuren, zum Einsatz. Der Verbrauch
3. Marktstrukturen
31
sonstiger Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe ist relativ gering. Darunter fallen beispielsweise Textilhülsen und -spulen, Nähgarnrollen, Knöpfe und Reißverschlüsse. Tabelle 8 vermittelt einen quantitativen Überblick über die wichtigsten Wirtschaftsbereiche, aus denen die Textilindustrie ihre Investitionsgüter bezieht. Von den Gesamtinvestitionen entfällt der größte Teil naturgemäß auf Maschinen und Bauten. Tabelle 8 Herkunft der Bruttoanlageinvestitionen der TextiUndustrie nach Wirtschaftsbereichen im Jahre 1964 (in %>) Maschinenbau 71,7 Bauhauptgewerbe 7,7 Elektrotechnik 3,8 Straßenfahrzeugbau 3,4 Stahl- und Leichtmetallbau 2,6 Sonstige Bereiche 10,8 Quelle: Gehrig, Gerhard und Mitarbeiter: Input-Output-Studien Nr. 9/1, Ergebnisse der Input-Output-Rechnung 1964, herausgegeben vom Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung, München 1969. d) Zusammenfassung Der textilwirtschaftliche Produktions- und Verteilungsprozeß ist ein Netz vielfältiger und unterschiedlicher Beziehungen. I m allgemeinen sind die einzelnen Stufen eng verflochten. V o n anderen Wirtschaftsbereichen ist die Textilindustrie verhältnismäßig stark isoliert. Verbindungen zur übrigen Industrie bestehen — wenn man von der Faserproduktion absieht — i m wesentlichen nur m i t dem Maschinenbau, den Herstellern von Chemikalien und der Energiewirtschaft. Berücksichtigt man ferner die Tatsache, daß die verschiedenen Faserarten, die Produkte und die Herstellverfahren i n weiten Grenzen austauschbar sind, so kann die Textilindustrie als Ganzes betrachtet werden, freilich nicht als homogenes Ganzes, sondern als eine Folge zahlreicher, ineinander verflochtener Herstellungsvorgänge 12 . 3. Marktstrukturen a) Textilindustrie Infolge des breiten und differenzierten Produktionsprogramms betätigen sich i n der Textilindustrie zahlreiche Firmen; i m Jahre 1966 zählte man 3 300 Unternehmen 13 . Diese Unternehmen verteilen sich zwar 12 Vgl. J. de Bandt: Die Textilindustrie der EWG: a.a.O., S.44f. Eine Ausnahme bildet lediglich die Verarbeitung von Hartfasern, deren Erzeugnisse für ganz spezielle Verwendungszwecke bestimmt sind. 18 Neuere Zahlen liegen noch nicht vor.
II. Aufbau der Textilwirtschaft
32
auf eine Vielzahl von Branchen; i m allgemeinen sind jedoch die Umsatzanteile der Firmen — auch der größeren — relativ gering. Nur wenige Unternehmen erzielen einen Umsatz von mehr als 100 M i l l i o nen D M (vgl. Tabelle 9). Über die Unternehmenskonzentration und damit über die Marktmacht sagt nun allerdings die amtliche Statistik, i n der das Unternehmen als „kleinste rechtliche Einheit" definiert ist, nichts aus. Unter dem Gesichtspunkt der Marktmacht interessiert i n erster Linie die Frage, inwieweit die i m allgemeinen relativ kleinen Unternehmen der Textilindustrie finanziell miteinander verflochten sind. Es zeigt sich, daß lediglich i n der Baumwoll- und i n der Seidenindustrie einige größere Unternehmensgruppen anzutreffen sind. Auch i n der Zwirnerei und Nähfadenherstellung, i n der Maschenindustrie und i m Teppich- und Bodenbelagsektor sind einige Unternehmen vertreten, die Umsätze von mehr als 100 Millionen D M i m Jahr erzielen 14 . I m großen und ganzen ist jedoch die Textilindustrie der Bundesrepublik relativ wenig konzentriert. Tabelle 9 Unternehmen und Umsatz nach Umsatzgrößenklassen in der Textilindustrie (in %)
Umsatz m i t . . . bis unter Mül. DM
unter 1 Mill. 1— 2 2— 5 5— 10 10— 25 25— 50 50—100 100—250 250 Mill. und mehr
Anteile der Unternehmen in den Größenklassen an der Gesamtzahl der Unternehmen
Anteile des Umsatzes in den Größenklassen am Gesamtumsatz
1963
1966
1963
1966
36,6 18,9 20,1 12,0 8,3 2,8 1,0 0,3
31,0 18,3 22,5 12,8 9,7 3,9 1,4 0,4 0,0
3,5 5,0 12,1 15,9 24,3 18,6 12,5 8,0
2,5 3,9 11,0 13,9 22,6 20,4
100
100
—
100 Insgesamt
Anzahl 3 512
! 11,6 !!'«
/
—
100 Mrd. DM
3 293
18 734
21 681
Quelle: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen. Eine Fusionsbewegung großen Ausmaßes ist bisher i n der Textilindustrie nicht anzutreffen. A u f verschiedenen Gebieten hat sich jedoch 14
Vgl. Wunden, Wilfried: Die Textilindustrie . . a . a. O., S. 72 ff.
3. Marktstrukturen
33
die Kooperation von Textilfirmen i n letzter Zeit erheblich verstärkt, insbesondere i m Bereich von Werbung und Marketing. Bei einer ins einzelne gehenden Analyse der Marktstruktur der Textilindustrie sind die speziellen Gegebenheiten der verschiedenen Branchen und Teilmärkte zu berücksichtigen 15 . Bei bestimmten A r t i k e l n bzw. Artikelgruppen können sich einige Hersteller quasimonopolistische Marktstellungen schaffen. Auch durch A r t und Ausmaß der vertikalen Integration der einzelnen Produktionsstufen der Textilindustrie kann die Marktstruktur beeinflußt werden. Die am häufigsten anzutreffenden Integrationsformen sind jene zwischen Spinnerei und Weberei (insbesondere i n der Baumwollindustrie und Juteindustrie) sowie zwischen Weberei und Gewebeveredlung (vor allem i n der Baumwollweberei und Tuch- und Kleiderstoffindustrie). Allerdings ist die Marktstellung der zwei- und mehrstufigen Unternehmen der Textilindustrie keineswegs so stark, wie es den Anschein hat. Lösch weist m i t Recht darauf hin, daß „ i n den zwei- oder mehrstufigen Unternehmen... eine vollständige A b stimmung der verschiedenen Fertigungsstufen fast niemals erreicht (wird), was ebensosehr an der branchentypischen Vielfalt von Sorten wie an den häufigen Umstellungserfordernissen liegt, die sich z. B. i m Zuge saison- und modebedingter oder auch witterungsbedingter Nachfrageänderungen ergeben. Die Folge ist, daß auch die integrierten Unternehmen meistens darauf angewiesen sind, einen mehr oder weniger großen Teil ihres Bedarfs an Halbfabrikaten auf dem entsprechenden Zwischenmarkt zu decken bzw. einen Teil ihrer Produktion an Vorerzeugnissen dort abzusetzen, anstatt diese selbst weiterzuverarbeiten 4 ' 18 . Die außergewöhnliche Vielfalt der A r t i k e l und die i m Produktionsprogramm erforderliche Flexibilität stehen einer auf Spezialisierung angewiesenen Massenfertigung und damit dem Aufbau einer starken Marktstellung i n der Textilindustrie ebenso entgegen wie die Substitutionsbeziehung zwischen den einzelnen Branchen. So besteht beispielsweise auf dem Oberstoffsektor eine äußerst scharfe Konkurrenz zwischen Firmen der Tuch- und Kleiderstoffindustrie, der Baumwollweberei und der Herstellung von Maschenware. Darüber hinaus w i r d i n den meisten Branchen die Marktstellung der westdeutschen Produzenten durch hohe Importe geschwächt. b) Abnehmer der Textilindustrie Als Abnehmer der Textilindustrie kommen i n erster Linie die Bekleidungsindustrie sowie der Textilhandel i n Betracht (vgl. Kapitel II.2.b). 15
Vgl. Wellenreuther, Helmut: Marktform und Marktverhalten in der Textilwirtschaft, in: Textilwirtschaft im Strukturwandel, herausgegeben von W. G. Hoffmann, Tübingen 1966, S. 42 f. 16 Lösch, Hans Peter: Die Textilkonjunktur..., a. a. O., S. 139 f. 3 Breitenacher
II. Aufbau der Textilwirtschaft
34
Die Bekleidungsindustrie ist i m großen und ganzen polypolistisch strukturiert. Lediglich i n der Miederindustrie besitzt eine Firma einen dominierenden Marktanteil. A u f der Handelsseite steht die Textilindustrie einer Vielzahl von Abnehmern gegenüber: Waren- und Kaufhäuser, Versender, Textilfachhandel, Lebensmittelgeschäfte, Konsumgenossenschaften usw. Wichtigster Abnehmer von Textilien und Bekleidung ist nach wie vor der mittelständische Textileinzelhandel (vgl. Tabelle 10). Allerdings hat sich i n der Vergangenheit der A n t e i l des selbständigen Fachhandels am Gesamtabsatz von Textilien verringert. Dies gilt insbesondere für den nichtkooperierten Fachhandel; die Anschlußfirmen der Textileinkaufsverbände konnten ihren Marktanteil i n etwa halten. Während der nichtkooperierte Textilfachhandel polypolistisch strukturiert ist, stellen die Einkaufsverbände eine ziemlich homogene Gruppe dar; sie sind von der Textilindustrie her gesehen ein Nachfrageoligopol 17 . Tabelle 10 Aufgliederung des Einzelhandelsumsatzes mit Textilien nach Betriebsformen (Anteile in*/o) Betriebsform Großbetriebsformen davon: Warenhauskonzerne und Kleinpreisunternehmena) Textil-Großfllialunternehmen Verbrauchermärkte Versandhandel^) Mittelständischer Textileinzelhandelc) davon: Kooperierter Facheinzelhandel Nichtkooperierter Facheinzelhandel Sonstiger mittelständischer Einzelhandel Insgesamt
1962
1969
31,6
41,5
(18,1) ( 7,0) ( 6,5) 62,4
(18,4) ( 9,4) ( 5,7) ( 8,0) 53,0
(24,9) (37,5) 6,0
(23,5) (29,5) 5,5
100
100
a) Einschließlich Textilumsatz der Firma Neckermann. — b) Einschließlich Textilumsatz der Firma Quelle. — c) Ohne SpezialVersender. Quelle: Batzer,E., Geml,R., Greipl,E., Laumer,H., u. Meyerhöf er, W.: Marktstrukturen und Wettbewerbsverhältnisse im westdeutschen Einzelhandel, Schriftenreihe Struktur und Wachstum des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, Reihe Absatzwirtschaft, Heft 3, Berlin 1971, S. 216; die Zahlen für 1969 wurden nach der in der zitierten Untersuchung angewandten Methode berechnet. Die Großbetriebsformen haben i n den vergangenen Jahren als A b nehmer von Textilien ständig an Bedeutung gewonnen. A l l e i n sechs Warenhausgruppen tätigten 1969 fast ein Fünftel des gesamten Textil17
Vgl. Wellenreuther, Helmut: Marktform..a. a. O., S. 45.
3. Marktstrukturen
35
einzelhandelsumsatzes (vgl. Tab. 10). Faßt man die Warenhauskonzerne und Kleinpreisunternehmen, die Großfilialunternehmen und die Versender als eine mehr oder weniger i n sich geschlossene Gruppe hinsichtlich des Genres, der Betriebsmethoden und der Preisstrategie auf, so t r i t t die Gesamtheit dieser Unternehmen der Textilindustrie als Nachfrageoligopol gegenüber. Die sonstigen Abnehmer von Textilien und Bekleidung wie Lebensmittel-, Möbel- und Sportartikelhandel sowie Verbrauchermärkte spielen eine relativ geringe Rolle. Die Verbrauchermärkte konnten jedoch i n den letzten Jahren ihren Marktanteil am stärksten erhöhen. Der Trend i m Textileinzelhandel geht also eindeutig zu den Großbetriebsformen. Das Kräfteverhältnis auf dem Textilmarkt hat sich daher i n der Vergangenheit zugunsten des Handels verschoben. c) Lieferanten der Textilindustrie A u f der Seite der Beschaffungsmärkte stehen die Firmen der Textilindustrie i n erster Linie den Rohstofflieferanten gegenüber. A u f dem Baumwollmarkt sieht sich die Textilindustrie, trotz vieler kleiner Baumwollpflanzer und eines polypolistisch strukturierten Handels, einer monopolartigen Situation gegenüber 18 . Der amerikanische Baumwollpreis, an dem sich die Baumwollpreise der übrigen Erzeugerländer weitgehend orientieren, w i r d nämlich durch staatliche Intervention gestützt, so daß Differenzierungen meist nur noch hinsichtlich der Baumwollqualitäten möglich sind. A u f dem Wollmarkt ist dagegen das freie Spiel von Angebot und Nachfrage wirksam, so daß die Textilindustrie einem Polypol gegenübersteht. Demgegenüber w i r d der Chemiefasermarkt von einigen wenigen A n bietern beherrscht. Da ein Chemiefaserhandel praktisch nicht existiert, ist die Textilindustrie auf diesem Markt m i t einem Angebotsoligopol konfrontiert. U m ihre Marktstellung zu verbessern, versuchen die Chemiefaserproduzenten Einfluß auf die ihnen nachgelagerten Wirtschaftsbereiche zu gewinnen, und zwar über gemeinsame Werbung, Forschung und Entwicklung. Einige Faserproduzenten haben sich deshalb bereits i n der textilen Weiterverarbeitung engagiert 10 . d) Zusammenfassung Der Konzentrationsgrad und die absolute Größe der Unternehmen sind i n der Textilindustrie durchweg kleiner als bei ihren Marktpartnern. I m Vergleich zu ihren Abnehmern und Lieferanten ist die Wett18 19
3«
Vgl. Wellenreuther, Helmut: Marktform..., a. a. O., S. 37. Wunden, Wilfried: Die Textilindustrie ..., a. a. O., S. 82 ff.
36
II. Aufbau der Textilwirtschaft
bewerbsintensität i n der Textilindustrie außergewöhnlich hoch. Wellenreuther hat dies am Beispiel der Tuch- und Kleiderstoffweberei, dem Textileinzelhandel und der Bekleidungsindustrie nachgewiesen. Die Textilindustrie „kommt damit der idealtypischen Vorstellung von der marktwirtschaftlichen Konkurrenz am nächsten und hat die geringste relative Marktmacht" 2 0 . Dies ist bis zu einem gewissen Grad auf die Produktvielfalt und den i n eine Reihe aufeinanderfolgender Stufen untergliederten Fertigungsprozeß zurückzuführen.
20 Vgl. Wellenreuther, Helmut: Gruppen wirtschaftliche Untersuchung in der deutschen Tuch- und Kleiderstoffindustrie, durchgeführt im Auftrag des Verbandes der deutschen Tuch- und Kleiderstoffindustrie, Münster 1969, S. 36.
I I I . Marktverhalten und Wettbewerbssituation 1. Dispositionsgewohnheiten und Konjunkturzyklus 1 Die Mehrstufigkeit des textilwirtschaftlichen Produktions- und Verteilungsprozesses hat zur Folge, daß mehrere Dispositionsebenen entstehen, d. h. auf jeder Stufe werden von den Firmen Beschaffungs- und Absatzdispositionen getroffen. Durch eine vertikale Integration kann die Bedeutung der zahlreichen Zwischenmärkte verringert werden, jedoch — wie gezeigt — wegen der Vielfalt der A r t i k e l nur bis zu einem gewissen Grade. Die Dispositionen der einzelnen Stufen der Textilwirtschaft sind je nach dem Grad der Mode- und Saisonabhängigkeit der A r t i k e l unterschiedlich. Bei mode- und saisongebundenen Textilwaren 2 muß der Handel 60 bis 80 °/o seines voraussichtlichen Bedarfs bereits ein halbes Jahr vor Beginn der Verkaufssaison innerhalb eines Zeitraumes von 4 bis 8 Wochen bei der Bekleidungsindustrie bzw. bei den Herstellern von textilen Enderzeugnissen ordern. So findet beispielsweise die Hauptmusterung für die Frühjahrs-/Sommersaison vorwiegend i n den Monaten September/Oktober (Haka) bzw. Oktober/November (Dob) statt. Nachbestellungen i m Rahmen der Nachmusterung bzw. während der Verkaufssaison sind i m allgemeinen wegen des saisonalen Wechsels i m Produktionsprogramm nur i n beschränktem Umfang möglich. Für Sommerware bestehen die letzten Nachordermöglichkeiten i m Februar (Haka) bzw. März (Dob). Über diesen Zeitpunkt hinaus kann der Handel normalerweise nicht damit rechnen, daß die Bekleidungsindustrie (sowie die Hersteller textiler Enderzeugnisse) noch Aufträge für die betreffende Saison annimmt. Die Bekleidungsindustrie ist nämlich zu diesem Zeitpunkt damit beschäftigt, die Nachorders abzuwickeln sowie die Kollektion für die neue Saison zusammenzustellen; i n den Spinnereien und Webereien w i r d bereits für die nächste Saison produziert und die Kollektion der übernächsten Saison entworfen. Der Handel, die Bekleidungsindustrie, die Hersteller textiler Enderzeugnisse sowie die Webereien und Spinnereien haben also bereits Monate vor der eigentlichen 1 Vgl. zu den folgenden Ausführungen Lösch, Hans Peter: Die Textilkonjunktur..., a. a. O. f Auf diese Artikel entfällt ungefähr die Hälfte des Sortiments des Textileinzelhandels.
38
I I I . Marktverhalten und Wettbewerbssituation Entwicklung von Auftragseingang, Umsatz und Produktion in der Textil-und Bekleidungsindustrie 1962 * 100, gleitende Zwölfmonatsdurchschnitte
aut/to: Sfetütischee Bunctosmmt und eigene Berechnungen. »TO IHlUTUTIPrWl*i Mi i U l i 4 in 20t/70 Abbildung 6
1. Dispositionsgewohnheiten und Konjunkturzyklus
39
Verkaufssaison ihre Aufträge zu vergeben. Dies ist i n erster Linie eine Folge davon, daß die Hersteller mode- und saisongebundener A r t i k e l das Risiko einer Fertigung auf Lager nur ungern eingehen bzw. A u f tragsfertigung durchführen. Daraus folgt, daß für einen großen Teil der Textilwaren die Voraussetzungen für eine Lagerpolitik, soweit sie die Fertigwaren betrifft, nicht gegeben sind. Bei nicht mode- und saisongebundenen A r t i k e l n w i r d die Auftragsvergabe dagegen durch die B i l dung von Fertigwarenlagern beeinflußt. Die Auftragsvergabe, die einige Monte vor der Verkaufssaison auf sämtlichen Stufen des textilen Produktions- und Verteilungsprozesses zu erfolgen hat, ist naturgemäß m i t erheblichen Unsicherheiten behaftet. Die Folge ist, daß die Auftragsvergabe der Unternehmen regelmäßig stärkeren Schwankungen unterliegt als Produktion und Absatz (vgl. Abb. 6). Symptomatisch dafür ist die prozyklische Entwicklung der Material- bzw. Eingangslagerbestände i m Vergleich zur Produktion. Von den Produktions- bzw. Fertigwarenlagerdispositionen gehen dagegen i m allgemeinen keine Verstärkereffekte aus, da — wie erwähnt — bei modeund saisonabhängigen A r t i k e l n vielfach Auftragsfertigung vorliegt und sich bei zahlreichen anderen A r t i k e l n der Vorlauf der Produktion vor dem Absatz i n relativ engen Grenzen hält. Nennenswerte Diskrepanzen zwischen Produktion und Absatz können daher nur beim kleineren Teil der Erzeugnisse der Textil- und Bekleidungsindustrie auftreten. Für die regelmäßig überproportionalen Veränderungen der Beschaffungsdispositionen i m Vergleich zur Absatz- bzw. Produktionsentwicklung führt Lösch zusammenfassend folgende Gründe an 8 : 1. Die Auftragsvergabe wird, je nach Marktlage, von den Erwartungen über Veränderungen der Beschaffungspreise und der Lieferfristen beeinflußt. 2. Es besteht die Neigung zur Übersteigerung der Auftragsvergabe i m Aufschwung und zu übertriebener Zurückhaltung i m Abschwung. 3. Bei bestimmten nicht mode- und saisonabhängigen A r t i k e l n orientieren sich die Dispositionen an der Höhe des Fertigwaren- bzw. Eingangslagers. 4. Die Absatzerwartungen sind oft unrealistisch; i n manchen Bereichen w i r d die Absatzentwicklung i n der Vergangenheit einfach i n die Zukunft extrapoliert. 5. I m übrigen ist gerade i n der Textilwirtschaft eine Bedarfsvorausschätzung wegen spezifischer Unsicherheitsfaktoren (modischer Wandel, Witterung) äußerst schwierig. 8
Vgl. Lösch, Hans Peter: Die Textilkonjunktur..., a. a. O., S. 267 fit.
40
III. Marktverhalten und Wettbewerbssituation
6. I m Falle mode- und saisongebundener A r t i k e l besteht die Notwendigkeit, den Hauptbedarf einer ganzen Saison innerhalb begrenzter Orderzeiten vorauszudisponieren. 7. Je nach Marktlage ändert sich das Verhältnis von Stamm- zu Nachorder. Die überproportionalen Veränderungen der Beschaffungsdispositionen des Handels und der Firmen der Textil- und Bekleidungsindustrie führen — wegen , der vielstufigen textilwirtschaftlichen Produktionsund Verteilungsstruktur — zu einem stufenweisen Akzelerationsprozeß, m i t dem Ergebnis, daß die Textilindustrie i m Vergleich zur Gesamtwirtschaft wesentlich konjunkturanfälliger ist (vgl. Abb. 7)4. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, daß diese Konjunkturanfälligkeit i m wesentlichen nicht endabsatzbedingt ist, d. h. die Konjunkturschwankungen der Textilindustrie sind wesentlich ausgeprägter als jene der Endnachfrage nach Textilien, die weitgehend m i t den gesamtwirtschaftlichen Schwankungen übereinstimmen (vgl. Abb. 8). Hinzu kommt, daß der textilindustrielle Konjunkturverlauf verschiedentlich zusätzliche Schwankungen aufweist, denen keine Schwankungen i m Endabsatz entsprechen. Damit dürfte erwiesen sein, daß die Konjunkturanfälligkeit der Textilindustrie ein internes Problem der Branche ist, das auf eine Reihe von Dispositionsunsicherheiten zurückzuführen ist, die letztlich zu kollektiven Fehlanpassungen führen 5 . Es stellt sich die Frage, wie diese Dispositionsunsicherheiten, die sich i m übrigen m i t der Beschleunigung des modischen Wandels verstärken, vermindert werden können. Es ist einleuchtend, daß einzelbetriebliche Maßnahmen wenig zur Lösung des Problems beitragen können. A u f alle Fälle wäre zwischen den einzelnen Stufen des textilwirtschaftlichen Produktions- und Verteilungsprozesses eine bessere überbetriebliche Zusammenarbeit als bisher erforderlich. Die Kooperation könnte sich auf die Gestaltung der Modelle und der Stoffe, auf Werbung usw. erstrecken. Es ist allerdings zweifelhaft, ob durch diese Maßnahmen die Dispositionsunsicherheit entscheidend verringert werden kann. Unseres Erachtens kommt es darauf an, das Problem an seiner Wurzel, nämlich der Vielstufigkeit der Textilwirtschaft, zu lösen. Dies bedeutet, daß die Länge des Produktionsprozesses verkürzt, seine Diskontinuität vermindert und die Anpassungsgeschwindigkeit an Nachfrageschwankungen 4 Die Konjunkturanfälligkeit nimmt mit der Konsumferne und der Saisonund Modeabhängigkeit zu. Im übrigen tritt der Textilzyklus vorzugsweise in jenen Bereichen zutage, die für den privaten Endverbrauch bestimmte Textilien herstellen. 5 Die Zurückführung der Konjunkturanfälligkeit der Textilindustrie auf Beschaffungsdispositionen bedeutet, daß der vielzitierte „Lagerzyklus" nicht Ursache, sondern Folge der Konjunkturschwankungen ist.
41
1. Dispositionsgewohnheiten und Konjunkturzyklus Produktionsentwicklung in den Gesamtindustrie
OutUc:Stttistischn
irO-INtTITUT Mr WbkAaMendwn« MOnchM
Bundesamt und tigent Bancfinurigtn. 200/70
Abbildung 7
42
III. Marktverhalten und Wettbewerbssituation
Entwicklung den Endnachfrage nach Textilien und der Produktion der Textilindustrie 1962 - 100; gleitende Zwölfmonatsdurchschnitte
J
/ 9 2 I
Umsatz des Textileinzelh;sndels
100
fl • 7
e
Produktion der Textilindu«>tnie
UIUIl'IijIiHIMI'I •lIllllllllLuIl'luiil iiinli'iiliii'il'iiii I.1..I.II..I..I..I..I.. iiIiiIiiIiiImIiiImIii iiliiln'ii 1954 1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970
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Qua//*: statistisches Bundesamt und eigene Berechnungen.
IFOINSTITUTtorWritKfcaMoruJu in« MOnchan
Abbildung 8 erhöht werden müssen. Diese Forderung ist durch vertikale Integration zu erfüllen. Zwar w i r d verschiedentlich eingewendet, daß der vertikalen Integration durch die außergewöhnliche Vielfalt der Sorten Grenzen gesetzt sind 8 . Auch Gesamttextil ist der Auffassung, daß m i t stärkerer vertikaler Konzentration nur i n wenigen Bereichen eine Strukturverbesserung zu erzielen ist. Viel wichtiger sei dagegen die horizontale Konzentration. Gesamttextil begründet dies m i t dem differenzierten Textilangebot auf allen Stufen. Aus Gründen der modischen Anpassungsfähigkeit müsse das Unternehmen jederzeit auf die gesamte Angebotspalette der Vorstufen zurückgreifen können. Die vertikale Konzentration verleite jedoch dazu, sich i n erster Linie auf die eigenen Vorstufen zu stützen. De Bandt weist jedoch m i t Recht darauf hin, daß die ver• Vgl. Lösch, Hans Peter: Die Textükonjunktur..., a. a. O., S. 142.
. Prpolitik
43
tikale Integration der Unternehmen der Textilindustrie durchaus m i t einer Diversifikation vereinbar ist; Voraussetzung ist jedoch eine gewisse Unternehmensgröße, die es erlaubt, Produktvielfalt und die unter Kostengesichtspunkten erforderliche Massenfertigung i n Einklang zu bringen 7 . Eine zunehmende vertikale Integration würde nicht nur die Dispositionsunsicherheit vermindern, sondern gleichzeitig zu einem Abbau der zahlreichen Zwischenläger i n der Textilindustrie führen. I n der Textilindustrie betrug 1966 das Verhältnis zwischen Lagerbeständen und Umsatz 22%, i m Durchschnitt der gesamten Industrie jedoch nur 17%. De Bandt spricht i n diesem Zusammenhang von einer „erdrückenden Belastung" für die Unternehmen der Textilindustrie 8 . 2. Preispolitik Der Markt für zahlreiche Erzeugnisse der Textilindustrie ist — wie in Kapitel II.3. gezeigt — dadurch gekennzeichnet, daß viele Anbieter einer relativ kleinen Zahl von Abnehmern gegenüberstehen. Unter bestimmten Voraussetzungen spielt sich auf derartigen Märkten strukturbedingt ein verschärfter Preiswettbewerb ab, und zwar dann, wenn die angebotenen Güter relativ homogen sind. Hierzu zählen große Teile der Haus-, Bett- und Tischwäsche, der Heimtextilien, der Leibwäsche sowie Gewebe i m Stapelgenre (in erster Linie für Bekleidung). Typische Stapelware sind z. B. Rohgewebe und Uniformtuche, die i n der Baumwollweberei bzw. i n der Tuch- und Kleiderstoffindustrie hergestellt werden. A u f diesen Märkten sind die zu erzielenden Preise mitunter derart niedrig, daß sich viele Unternehmen zurückgezogen haben. Dies gilt interessanterweise auch für den Markt für Uniformstoffe, der, i m Gegensatz zu anderen Märkten für Stapelware, von der Auslandskonkurrenz kaum berührt wird®. Damit dürfte erwiesen sein, daß der harte Preiswettbewerb i n der Textilindustrie keineswegs nur durch die Auslandskonkurrenz, sondern zu einem erheblichen Teil auch durch die Marktstruktur bedingt ist. Bis Anfang der sechziger Jahre konnte die Textilindustrie kaum Preiserhöhungen durchsetzen. Seitdem sind die Erzeugerpreise für Textilien etwa i m selben Ausmaß angestiegen wie i m Durchschnitt der gesamten Industrie (vgl. Tabelle 11). Dies ist um so überraschender, als sich i n den sechziger Jahren der Druck auf die Preise durch die Auslandskon7 8
Vgl. De Bandt: Die Textilindustrie der EWG, a. a. O., S. 149. De Bandt: Die Textilindustrie der EWG, a. a. O., S. 148. 9 Vgl. Wellenreuther, Helmut: Gruppenwirtschaftliche Untersuchung..., a. a. O., S. 40.
III. Marktverhalten und Wettbewerbssituation
44
kurrenz erheblich verstärkt hat. I m Jahre 1970 konnten die Preise für Textilien allerdings weit weniger stark heraufgesetzt werden als i n der gesamten Industrie, da die konjunkturelle Entwicklung i n der Textilindustrie — i m Gegensatz zu anderen Industriezweigen — nur geringe Möglichkeiten zu Preiserhöhungen bot. Tabelle 11 Entwicklung der Erzeugerpreise (Inlandsabsatz) für Textilien und Industrieerzeugnisse insgesamt Bereich
1954 1956 1958 1960 1962 1964 1966 1968») 1969a) 1970a)
Textilien Industrieerzeugnisse insgesamt
103,7 103,2 100,9 101,0 100 105,4 106,3 100,3 102,3 103,8 92,6 95,8 97,0 97,2 100 101,6 105,9
99,0 101,4 107,6
a) Ohne Mehrwertsteuer. Quelle: Statistisches Bundesamt.
3. Produktpolitik Für die i n den sechziger Jahren zu verzeichnende relativ günstige Entwicklung der Erzeugerpreise können verschiedene Gründe angeführt werden. Zunächst ist auf den Anstieg der Kosten zu verweisen, der jedoch nicht überbewertet werden darf, da beispielsweise die Rohstoffpreise — langfristig gesehen — einen sinkenden Trend zeigen. Die Ursache für die, von den Firmen aus gesehen, relativ verbesserte Preissituation dürfte auch darin liegen, daß die Unternehmen i n den letzten Jahren i n verstärktem Maße versucht haben, den Wettbewerb von der Preis- auf die Produktebene zu verlagern, was sich i n einer größeren Freiheit i n der Preisgestaltung auswirkt. Die Firmen der Textilindustrie versuchen also, einen polypolistischen Markt zu entwickeln, d.h. sich durch Produktdifferenzierung eigene Teilmärkte zu schaffen, auf denen sie eine quasimonopolistische Marktstellung besitzen. Die Möglichkeiten der Produktdifferenzierung sind mannigfaltig. Beispielhaft seien hier erwähnt die Differenzierung nach Qualität, Form, Dessin, Farbe und Rohstoffen. Die Unternehmen der Textilindustrie versuchen, durch die Kreierung eines neuen Dessins oder einer neuen Form einen Vorsprung vor den Wettbewerbern zu erlangen. Während die Entwicklung eines neuen Dessins oder einer neuen Farbe i n sämtlichen Sparten der Textilindustrie anzutreffen ist, beschränkt sich das Herausbringen einer neuen
3. Produktpolitik
45
Form i m allgemeinen auf die Endprodukte herstellenden Fachzweige, und hier wiederum i n erster Linie auf W i r k - und Strickwaren. Die Kreierung neuer Dessins, Farben und Formen ist aufs engste m i t den jeweils herrschenden Modetendenzen verbunden. Der Mode kommt i m Textilbereich eine u m so größere Bedeutung zu, je mehr sich die Nachfrage nach Textilien einer gewissen Sättigungsgrenze nähert. „Mode bedeutet Wechsel, M u t zu immer neuem Ausdruck der Persönlichkeit. Alle anderen Faktoren i m Textilbereich, wie Pflegebequemlichkeit, Formbeständigkeit, Wegwerfbarkeit (non-wovens, Papierkleidung) sind zwar wichtige, letztlich aber nur unterstützende Faktoren der Nachfrageproduktion. Vielfach machen sie den modischen Wechsel und seine Beschleunigung erst möglich. Extrem bei Non-wovens und technisch bei Chemiefasern. Jedenfalls w i r d der Dessinateur, der Schöpfer neuer Modefarben und Texturen, zum entscheidenden Agenten der Nachfrageproduktion 1 0 ." Eine quantitative Vorstellung über den zunehmenden Einfluß der Mode auf den Bekleidungsverbrauch läßt sich aus einer Untersuchung von Clever gewinnen 11 . Dieser Untersuchung zufolge ist die untere Grenze des Modeeinflusses auf den Bekleidungsverbraucti durch die Differenz zwischen den Ausgaben der Männer und jener der Frauen für Bekleidung gegeben. Diese Differenz stellt jedoch nur den Einfluß der Damenmode, nicht dagegen den Einfluß der Herrenmode auf den Bekleidungsverbrauch dar. U m den Gesamteinfluß der Mode auf den Bekleidungsverbrauch feststellen zu können, geht Clever von der Uberlegung aus, daß alle Aufwendungen für Bekleidung, die einen gewissen Grundstock übersteigen, letztlich durch die Mode verursacht sind. A u f dieser These basierend läßt sich eine Obergrenze für den Einfluß der Mode auf den Bekleidungsverbrauch ermitteln. Die obere Grenze ist m i t dem Betrag erreicht, der über die Ausgaben (von Männern und Frauen) zur Erfüllung der Schutzfunktion hinaus für Bekleidung aufgewendet wird. Als Ergebnis der Untersuchung kann festgehalten werden, daß die Ober- und Untergrenzen für den Einfluß der Mode auf den Bekleidungsverbrauch seit 1952 erheblich angestiegen sind. Der w i r k liche Einfluß der Mode dürfte sich von der Untergrenze i n den Anfangsjahren des Untersuchungszeitraums zur Obergrenze i n den Endjähren bewegt haben. Was den Einfluß der Mode auf den Verbrauch von Erzeugnissen der Textilindustrie betrifft, so dürfte er i n der Vergangenheit tendenziell denselben Verlauf wie beim Bekleidungsverbrauch genommen haben. 10
Gross, Herbert: Vom Börsendenken zum gemachten Markt, Gedanken zur modernen Strategie der Markenfaser, Schriftenreihe Handelsblatt, Düsseldorf, ohne Jahresangabe, S. 14. 11 Clever, Peter: Mode und Bekleidungsverbrauch, in: Zeitschrift für allgemeine und textile Marktwirtschaft, Jahrgang 1968, Heft 1, S. 9 ff.
III. Marktverhalten und Wettbewerbssituation
46
Strukturell bedingt liegt der Einfluß auf den Verbrauch von Erzeugnissen der Textilindustrie auf einem etwas niedrigeren Niveau, da die Ausdruckmittel der Mode i n der Textilindustrie nicht i m selben Maße angewendet werden können wie i n der Bekleidungsindustrie. So spielt beispielsweise die Formgebung i n der Textilindustrie — ausgenommen die Endprodukte erzeugenden Bereiche — nur eine unbedeutende Rolle. Die Mode, als Nachfrageproduzent ein Umsatzmotor i n der Textilindustrie, hat jedoch nicht nur positive Auswirkungen. Durch ihren produktdifferenzierenden Effekt w i r k t sie der Auflage großer Serien entgegen. Darunter kann die Wettbewerbsfähigkeit i n einem vergrößerten Markt, der durch die Bildung der EWG und die weltweiten Zollsenkungen i n den vergangenen Jahren zustande gekommen ist, leiden. I n diesem M a r k t können Firmen m i t breit gefächertem Produktionsprogramm und beschränkter Kapazität nicht mehr konkurrieren. Eine Lösung bietet nur eine Spezialisierung auf wenige Produkte, wobei diese Produkte dann durchaus i n modischer Form angeboten werden können. Durch die Hebung des Qualitätsniveaus der Erzeugnisse bietet sich den Firmen der Textilindustrie ebenfalls die Möglichkeit, sich positiv von den Mitwettbewerbern abzuheben. Qualitätsverbesserungen können erzielt werden durch Fortschritte i n der Fertigungstechnik (z.B. zunehmende Ausrüstung der Betriebsmittel m i t Meß-, Regel- und Steuergeräten), durch die Anwendung neuer Ausrüstungsverfahren (beispielsweise „Wash-and wear"-Ausrüstung) sowie durch Veränderungen i m Rohstoffbereich. Insbesondere das Vordringen der Chemiefasern war durchweg m i t einer Hebung des Qualitätsniveaus verbunden, und zwar sowohl hinsichtlich der Trageeigenschaften (Formbeständigkeit, Elastizität usw.) als auch hinsichtlich der Haltbarkeit. Besonders hochwertige Qualitäten konnten durch Mischungen von Naturfasern m i t Chemiefasern erzielt werden. Es ist nicht rein zufällig, daß gerade die Chemiefaserindustrie einen erheblichen Beitrag zur Qualitätsverbesserung der Textilien leistete. Die relativ wenigen Chemiefaserproduzenten stehen nämlich untereinander i n einem scharfen Konkurrenzkampf. I h r Ziel ist es, ihre Marktstellung zu festigen bzw. auszubauen, was einmal durch verstärkte Werbeanstrengungen, zum anderen durch die Entwicklung modifizierter oder neuer Produkte versucht wird. Es gehört zur Strategie der Chemiefaserproduzenten, neue Variationen ihrer Produkte m i t den entsprechenden chemischen und sonstigen Eigenschaften zu erfinden, u m i n sogenannten Substitutionslücken vorzustoßen, und nicht zuletzt u m den Konkurrenten möglichst wenig Gelegenheit zu geben, ihrerseits diese Produkte zu erfinden 18 . Andererseits haben die Anstrengungen der 12
S. 49.
Wellenreuther, Helmut: Marktform und Marktverhalten..., a. a. O.,
3. Produktpolitik
47
Chemiefaserhersteller dazu geführt, daß die Produzenten und Verarbeiter von Naturfasern gezwungen wurden, ihrerseits m i t intensiver Forschungs- und Entwicklungstätigkeit zu antworten. I m Gegensatz zur Chemiefaserindustrie ist die Entwicklung neuartiger Produkte i n der Textilindustrie relativ selten. Es fallen darunter beispielsweise die Vliesstoffe und die texturierten Garne, also Erzeugnisse, die gänzlich neue Eigenschaften besitzen. I m Jahre 1969 wurden bereits über 15 000 t Vliesstoffe und knapp 60 000 t texturierte Garne hergestellt; i m Jahre 1963 belief sich die Produktion von Vliesstoffen auf weniger als 3 0001 13 . Faßt man den Begriff der neuen Produkte etwas weiter, so w i r d man dazu auch Erzeugnisse rechnen, die nach relativ neuartigen Verfahren hergestellt werden (z. B. Jerseystoffe) sowie Erzeugnisse, deren Eigenschaften sich durch den zunehmenden Einsatz von Chemiefasern vollständig gewandelt haben. Die Dynamik der Entwicklung neuer Produkte zeigt sich beispielsweise i n der Herstellung von Jersey-Stoffen; während 1953 1461 und 1958 8541 produziert wurden, betrug die Produktion i m Jahre 1969 bereits 20 0291. Inwieweit die Firmen von den Möglichkeiten der Produktdifferenzierung Gebrauch machen, hat Wellenreuther am Beispiel der Tuch- und Kleiderstoffindustrie untersucht 14 . Er kam zu dem Ergebnis, daß sich zum einen die Kollektionen der Firmen noch zu ähnlich sind, und zum anderen i n den einzelnen Kollektionen noch zu viel Heterogenes angeboten wird. Dies bedeutet, daß die polypolistische Konkurrenz i n der Tuch- und Kleiderstoffindustrie nur i n geringem Umfang verwirklicht ist und beinhaltet nach Ansicht Wellreuthers eine Erklärung dafür, daß auch auf modischen Märkten ein Preiswettbewerb stattfindet. Man w i r d diese Aussagen auch auf die anderen Branchen der Textilindustrie übertragen können, wenngleich nicht zu übersehen ist, daß sich i n jüngster Zeit mehrere Unternehmen, beispielsweise aus der Baumwollindustrie, i n verstärktem Maße bemühen, m i t unverwechselbaren, gestrafften K o l lektionen an den M a r k t zu gehen. Dieses Straffen der Kollektion ist — worauf bereits i n Zusammenhang m i t der Mode hingewiesen wurde — nicht nur aus preispolitischen, sondern auch aus betriebswirtschaftlichen Gründen notwendig. Die breit gefächerten Produktionsprogramme dürften m i t ein Grund sein für die von zahlreichen Betrieben der Textilindustrie beklagte unzureichende Rentabilität. Voraussetzung für den Markterfolg der Kollektion eines Unternehmens ist ein gezieltes Marketing, das sich bewußt an eine ganz bestimmte Käufergruppe richtet. Dies würde, insbesondere bei den zahlreichen 18 Die Produktion von texturierten Garnen wurde 1967 zum ersten Mal veröffentlicht; sie betrug damals gut 30 0001. 14 Wellenreuther, Helmut: Gruppenwirtschaftliche Untersuchung.. a. a. O., S. 43 ff.
III. Marktverhalten und Wettbewerbssituation
48
kleineren Unternehmen der Textilindustrie, eine Zusammenarbeit i n horizontaler Richtung erforderlich machen. Diese müßte durch eine vertikale Kooperation über den gesamten Produktions- und Verteilungsprozeß der Textilwirtschaft ergänzt werden. Betrachtet man die Textilindustrie unter diesem Gesichtspunkt, so w i r d man feststellen, daß, abgesehen von einigen fortschrittlichen Unternehmen, ein gezieltes Marketing erst i n Ansätzen sichtbar ist 1 5 . Wellenreuther sieht i n dem weitgehenden Fehlen des Marketings i n der Tuch- und Kleiderstoffindustrie eine „wesentliche Schwachstelle i m Vertriebsbereich" 1 *. Auch de Bandt weist darauf hin, daß die Vertriebsprobleme i n der Textilindustrie nur ungenügend gelöst sind und macht dafür i n erster Linie die unzureichende Unternehmensstruktur sowie den durch zahlreiche Zwischenmärkte unterbrochenen Produktionsprozeß verantwortlich 1 7 .
15 18
S. 161. 7
Vgl. auch die Ausführungen zu Tabelle 24 in Kapitel VI. Wellenreuther, Helmut: Gruppenwirtschaftliche Untersuchung..., a. a. O., De Bandt: Die Textilindustrie der E W G . . a . a. O., S. 142.
I V . Strukturverschiebungen innerhalb der Textilindustrie 1. Entwicklungstendenzen in einzelnen Branchen und Produktgruppen I n der Umsatzstruktur der Textilindustrie ist deutlich eine Verlagerung zur Garnverarbeitung erkennbar (vgl. Tabelle 12). Darin kommt zunächst einmal die nachfragestimulierende W i r k u n g neuer Techniken i n der Herstellung textiler Flächengebilde zum Ausdruck. Der Anteilsgewinn der Garnverarbeitung ist daneben eine Folge der weitgehenden Stagnation i n der Spinnstoffaufbereitung und -Verarbeitung. Diese Stufen des textilindustriellen Produktionsprozesses haben wegen der seit Ende der fünfziger Jahre schnell zunehmenden Einfuhr von Haibund Fertigwaren die größten Absatzverluste hinnehmen müssen. Darüber hinaus haben die Vorstufen der Textilindustrie durch die vermehrte Verarbeitung endloser Chemiefäden eine Beeinträchtigung erfahren. Die Textilveredlung konnte dagegen infolge der steigenden Ansprüche der Verbraucher an die Ausrüstung der Textilien i n durchschnittlichem Maße expandieren. Tabelle 12 Umsatzstruktur der Textilindustrie (Anteile am Versandwert») der Textilindustrie in °/o) Betriebsart
1953
1960
1969
Spinnstoffaufbereitung Spinnstoffverarbeitung Garnverarbeitung Textilveredlung^)
2,9 28,4 61,9 6,8
2,1 23,4 67,1 7,4
1,4 17,1 74,8 6,7
a) Einschließlich Entgelt für Lohnarbeiten. — b) Eigen- und Lohnveredlung. Quelle: Gesamtverband der Textilindustrie in der Bundesrepublik Deutschland — Gesamttextil — e.V.
Die Stagnation, die die Lage der garnerzeugenden Stufe kennzeichnet, ist i n mehr oder minder starker Ausprägung i n fast allen Branchen anzutreffen (vgl. Tabelle 13). I n der Drei- und Vierzylinderspinnerei, die m i t einem Umsatzanteil von 50 °/o die weitaus bedeutendste Sparte der Garnerzeugung ist, erreichte die Produktion zu Anfang der sechziger 4 Breitenacher
50
IV. Strukturverschiebungen innerhalb der Textilindustrie
Jahre einen Höchststand. I n den folgenden Jahren konnte jedoch — von kurzfristigen Schwankungen abgesehen — angesichts der ständig zunehmenden Konkurrenz aus dem Ausland und dem Chemiefasersektor kein Produktionswachstum erzielt werden. Tabelle 13 Entwicklung der Versandwerte in der Textilindustrie^) (1958 = 100) Betriebsart Spinnstoffaufbereitung und-bearbeitung
1953 1958 1960 1962 1964 1966 1968 1969 112
118
148
127
112
105
96 100 107 Spinnstoffverarbeitung darunter: Kammgarnspinnerei 98 100 118 Streichgarnspinnerei 120 100 101 Drei- und Vierzylinderspinnerei 91 100 104 Jutespinnerei 99 100 105 80 100 118 Garnverarbeitung darunter: Tuch- und Kleiderstoffweberei 102 100 116 Teppichweberei 64 100 136 Möbel- und Dekorationsstoffweberei 69 100 103 Baumwollweberei 86 100 112 Gardinenstoffherstellung .. 44 100 150 Maschenindustrie 63 100 120 Leinenweberei 82 100 89 Schwerweberei 70 100 122 Juteweberei 112 100 101 Seiden- und Samtweberei.. 84 100 118 Textilveredlung 85 100 124
103
110
108
100
111
123 92
140 98
142 91
129 80
146 94
95 103 130
100 99 151
100 98 164
96 89 168
105 99 187
119 181
114 226
118 267
104 317
109 395
101 113 187 145 102 117 88 138 121
122 137 194 172 127 117 89 152 135
160 139 212 194 136 129 107 156 137
178 133 196 203 117 128 92 162 147
195 140 205 233 125 140 97 174 162
Textilindustrie insgesamt Milliarden DM
114
100
85 100 115 123 140 147 148 164 12,9 15,1 17,4 18,5 21,1 22,2 22,4 24,8
a) Bundesgebiet, ab 1960 einschließlich Saarland, ab 1964 einschließlich Berlin (West); Versandwerte einschließlich Entgelt für Lohnarbeiten. Quelle: Gesamtverband der Textilindustrie in der Bundesrepublik Deutschland — Gesamttextil — e. V.; eigene Berechnungen.
I n Teilen der Wollspinnerei zeigen sich sogar Kontraktionserscheinungen. Die Streichgarnspinnerei, deren Erzeugnisse sowohl einer modisch bedingten Substitution (durch leichtere und qualitativ hochwertigere Kammgarne) unterliegen als auch von billigen Einfuhren bedrängt werden, konnte sich seit Anfang der sechziger Jahre nur noch
1. Entwicklungstendenzen in einzelnen Branchen und Produktgruppen
51
auf einem niedrigeren Produktionsstand behaupten. Von dem Rückgang der Streichgarnproduktion hat die Kammgarnspinnerei teilweise profitiert. Immerhin zählt die Kammgarnspinnerei zu den Bereichen, die seit 1958 ihre Produktion erhöhen konnten. Auch einzelne Zweige der Bast- und Hartfaserspinnereien sind von einem Schrumpfungsprozeß nicht verschont geblieben. Der Rückschlag, den diese Bereiche hinnehmen mußten, ist neben der Importkonkurrenz auf die zunehmende Substitution von Erzeugnissen aus Hart- und Bastfasern (z.B. Verpackungsmaterialien, Teppiche) durch Produkte aus anderen Materialien (z.B. Kunststoffe, Papier, Chemiefasern) zurückzuführen. I n der Garnverarbeitung blieben absolute Produktionsrückgänge, wie sie i n der Spinnerei mehrfach zu beobachten waren, auf einzelne Bereiche beschränkt. Dazu gehört i n erster Linie die Juteweberei. Die Tuch- und Kleiderstoffweberei, die Baumwollweberei, die Leinenweberei und die Schwerweberei wiesen ein unterdurchschnittliches Wachstum auf bzw. stagnierten. Dies kann i n erster Linie m i t dem vermehrten Stoffeinkauf der Bekleidungsindustrie wie auch m i t dem direkten Kauf von Fertigerzeugnissen durch den Handel i m Ausland erklärt werden. Besonders expansiv waren die Bereiche der Garnverarbeitung, die Endprodukte herstellen (Heimtextilsparten und Maschenindustrie) (vgl. Abbildung 9). Die Entwicklung der einzelnen Branchen der Garnverarbeitung sagt nun — wegen der zunehmenden Überschneidung von Branchenzugehörigkeit und Produktionsprogrammen — immer weniger über die Entwicklung bei einzelnen Produkten aus. Dies gilt insbesondere für die Baumwollweberei, i n gewissem Maße auch für die Tuch- und Kleiderstoffindustrie. Die Bezeichnung Baumwollweberei ist heutzutage nicht mehr zutreffend, da die Unternehmen dieser Branche neben der Baumwolle zunehmend andere Naturfasern und vor allem Chemiefasern verwenden. Daneben haben die Baumwollweber ihre traditionelle Fertigung 1 unter dem Druck der Konkurrenz aus der Maschenindustrie durch den Aufbau von Kapazitäten für gewirkte oder gestrickte Stoffe ergänzt; einige Firmen sind sogar i n den Bereich der Tuchweber eingedrungen. Die Tuch- und Kleiderstoffweber, aus der klassischen Wollweberei hervorgegangen, stellen auch heute noch i n erster Linie Oberstoffe her. E i n Übergreifen auf andere Branchen ist bisher nur i n der Verarbeitung von Baumwolle sowie — vereinzelt — i n der Herstellung von Jersey zu beobachten. 1 Rohgewebe, Oberbekleidungs- und Leibwäschestoffe, Haus-, Bett- und Tischwäsche, Frottiergewebe, Inlett, Matratzendrell, Taschentuchstoff.
4*
52
IV. Strukturverschiebungen innerhalb der Textilindustrie
Struktur der Textilindustrie nach Fachzweigen Anteile der Verarbeitungsstufen am Vensandwert in%
] Spinnstoffaufbereitu ng Spinnstoffverarbeitung Baumwollspinnereien Wollspinnereien Übrige Bereiche
Gamverarbeitüng
Maschenindustrie
Baumwollweberei
Heimtextiiienindustrle Seiden-u. Samtweberei Tuch-u. Kleiderstoffweberei
Übrige Bereiche
Textilveredlung Quelle: Gesamtvenband den Textilindustrie
in den Bundesrepublik Deutschland-Gesamtfextihey.
IFO-INSTITUT för Wirtsdiafaforachung MOnchtn
16S/7Q
Abbildung 9
Die Tuch- und Kleiderstoffindustrie kann i m allgemeinen m i t den Produkten der Baumwollweber preislich nicht konkurrieren, da bei letzteren die Los- oder Auflagengröße meist erheblich höher liegt. Dies ist durch die weitgehend automatisierte Fertigung i n der Baumwollweberei
1. Entwicklungstendenzen in einzelnen Branchen und Produktgruppen
53
bedingt, wodurch diese Branche auch Schwierigkeiten hat, sich den modischen Tendenzen schnell anzupassen. I n der Tuch- und Kleiderstoffindustrie ist die Situation umgekehrt: i n dieser Sparte ist der Fertigungsprozeß noch relativ wenig automatisiert 2 , das Qualitätsdenken sowie das kreative und modische Element spielt dagegen eine bedeutende Rolle. Beiden Branchen gemeinsam ist jedoch das Fehlen einer echten Marktpflege und eines zielgerichteten Marketings 8 . Dies dürfte m i t dazu beigetragen haben, daß sowohl die Baumwollweber als auch insbesondere die Tuch- und Kleiderstoffindustrie nur wenig an der Ausdehnung des Textilmarktes partizipierten. Hinzu kam ein erheblicher Importdruck, der die Firmen vielfach i n bestimmten Qualitätsbereichen aus dem Markt drängte 4 . Aus dem oben Gesagten ergibt sich die Notwendigkeit, die Branchenbetrachtung durch eine Darstellung der Entwicklungstendenzen i n den einzelnen Produktgruppen zu ergänzen. Die Produktion von Rohgeweben, die i n der Baumwollweberei ungefähr ein D r i t t e l der Kapazitäten beansprucht, ist seit Anfang der sechziger Jahre rückläufig; i n den Jahren 1968 und 1969 partizipierte die Herstellung von Rohgeweben an der günstigen Textilkonjunktur, wenngleich das Produktionswachstum wesentlich geringer war als i m Durchschnitt der gesamten Branche (vgl. Tabelle 14). Der Grund für die — langfristig gesehen — ungünstige Entwicklung bei Rohgeweben ist darin zu sehen, daß auf dem M a r k t für dieses undifferenzierte Stapelprodukt ein äußerst scharfer Wettbewerb infolge der billigen Importe aus den sogenannten Niedrigpreis- und Entwicklungsländern herrscht. Etwas günstiger verlief i n der Vergangenheit die Produktion von Fertiggeweben für Bekleidung und Leibwäsche, was darauf zurückzuführen ist, daß i n diesem Bereich (vor allem bei Bekleidungsstoffen) die Möglichkeit besteht, durch bestimmte Gestaltung der Erzeugnisse (z. B. Form, Farbe, Dessin) zusätzliche Nachfrage zu schaffen. Die Produktionsentwicklung bei Fertiggeweben für Bekleidung und Leibwäsche stand jedoch i n einem deutlichen Gegensatz zur Expansion i m wichtigsten Abnehmerbereich, nämlich i n der Bekleidungsindustrie. Die Hersteller von Haus-, Bett- und Tischwäschestoff sahen sich ebenfalls erheblichen Absatzschwierigkeiten gegenüber, bedingt durch eine stagnierende Nachfrage der privaten Haushalte und die zunehmende Substitutionskonkurrenz durch Erzeugnisse aus Vliesstoffen. 2 Wellenreuther spricht von einer „unteren Grenze echt industrieller Fertigungsmöglichkeiten". Vgl. Wellenreuther, Helmut: Gruppenwirtschaftliche Untersuchung..a. a. O., S. 7. 5 Vgl. hierzu Kapitel III.3. 4 So haben beispielsweise die Hersteller von Streichgarngeweben die Produktion der unteren Qualitäten weitgehend aufgegeben.
Tabelle 14 Gewebeproduktion nach ausgewählten Erzeugnissen Erzeugnis
1969a)
1962 in 1000 qm
%
in 1000 qm
%
Rohgewebeb)
570 024
24,2
575 596
22,9
Fertiggewebe für Bekleidung und Wäsche insgesamt
872 751
37,0
939 367
37,4
179 001
7,6
181 607
7.2
258 586 18 907 209 619 37 880
11,0 0,3 8,9 1,6
207 447 43 669 312 074 47 139
8.3 1.7 12,4 1,9
145 417 10 740 12 601
6,2 0,5 0,5
121 038 9 650 16 743
4.8 0,4 0,7
682 315
29,0
754 556
30,0
319 358 43 804 28 623 29 529 16 214 5 841
13,6 1,9 1,2 1,3 0,7 0,2
232 963 60 538 24 178 25 016 11207 6 732
9.3 2.4 1,0 1,0 0,4 0,3
65 694 13 081 122 630
2,8 0,6 5,2
121 489 9 288 164 962
4.8 0,4 6.5
37 541
1,6
98 183
3.9
231 294
9,8
244 391
9,7
2 601
0,1
2 898
0,1
59 283 130 932e)
2.5 5.6
104 861 40 747
4,2 1,6
38 478
1,6
95 885
3,8
2 356 384
100,0
2 513 910
100,0
Stoff für Männer-, Burschen- und Knabenoberbekleidungc) Stoff für Frauen-, Mädchen- und Kinderoberbekleidungc) Samt und Plüsch für Bekleidung .. Futterstoff Einlagestoff für Bekleidung Leibwäschestoff einschl. Hemdenstoff Taschentuchstoff Krawatten- und Schalstoff Haus-, Bett- und Tischwäschestoff und Heimtextilien insgesamt Haus-, Bett- und Tischwäschestoff Frottiergewebe Inlett Matratzendrell und Markisenstoff Schlaf- und Reisedeckenstoff Steppdeckenoberstoff Möbel- und Dekorationsstoff (einschl. Samt und Plüsch) Schirmstoff Undichter Vorhangstoffd) Teppiche, Läufer, Fußbodenbelag (einschl. Tuftingware) Gewebe für technische und andere Zwecke insgesamt Schuhoberstoff, gewebt Cord- u. Wulstgewebe für Fahrradu. Kraftfahrzeugreifen u. ä Jutegewebe Sonstige anderweitig nicht genannte Gewebe Gewebeproduktion insgesamt
a) Bundesgebiet einschl. Berlin (West). — b) Nur Rohgewebe, die als solche abgesetzt werden bzw. deren Verwendung noch nicht feststeht. — c) Ohne Samt und Plüsch für Bekleidung. — d) Meterware einschl. Gardinen aus selbst hergestellter Meterware. — e) Schätzung. Quelle: Lösch, Hans Peter: Die Textilkonjunktur im Rahmen des allgemeinen Wirtschaftsablaufs, Köln und Opladen, 1969, S. 236; Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen.
1. Entwicklungstendenzen in einzelnen Branchen und Produktgruppen
55
M i t der Rohweberei und den Webereien, die Bekleidungsstoffe sowie Haustextilien herstellen, sind die wichtigsten Bereiche innerhalb der garnverarbeitenden Stufe genannt, deren Wachstum m i t dem der gesamten Textilindustrie nicht Schritt halten konnte. Wachstumsträger der Textilindustrie waren i n den vergangenen Jahren vor allem die Maschenindustrie, die Teppich-, Möbelstoff- und Gardinenindustrie sowie i n geringerem Maße die Seiden- und Samtindustrie. Die Entwicklung der Maschenindustrie empfing von den Fortschritten i n der Textiltechnik zahlreiche Impulse. Das Wirken und Stricken hat sich i m Vergleich zum Weben als die elegantere Technologie erwiesen, so daß gestrickte und gewirkte Stoffe i n steigendem Maße an die Stelle von Webwaren traten. Hinzu kommt, daß sich Maschenwaren durch äußerst vorteilhafte Trageeigenschaften auszeichnen. I n der Maschenindustrie hat sich das Umsatzvolumen zwischen 1953 und 1969 fast vervierfacht. Allerdings verlief die Entwicklung i n den einzelnen Fachzweigen recht differenziert. Den größten Aufschwung hat die Damenfeinstrumpfindustrie (einschließlich Herstellung von Strumpfhosen) genommen. Dieser Aufschwung steht i n ursächlichem Zusammenhang m i t der Kreierung eines billigen Verbrauchsstrumpfes und als Folge davon eines sprunghaften Anstiegs des Strumpfverbrauchs. I n jüngster Zeit hat sich die Nachfrage mehr auf Strumpfhosen verlagert. Einen beachtlichen Erfolg hat die Maschenindustrie i n den vergangenen Jahren auch auf dem Stoffsektor erzielen können (vgl. Tabelle 15). Ähnlich wie der nahtlose Feinstrumpf bzw. Strumpfhosen haben gewirkte und gestrickte Stoffe bei den Verbrauchern großen Anklang gefunden. Bei den Herstellern gewirkter und gestrickter Oberbekleidung und Wäsche ist die Entwicklung ruhiger verlaufen, wobei die modisch wandlungsfähigere Damenoberbekleidung bedeutend besser abschnitt als die Herrenoberbekleidung. Das tendenzielle Zurückbleiben der Produktion von Leibwäsche sollte keiner näheren Erläuterung bedürfen; es ist einsichtig, daß die Nachfrage nach diesen modisch weitgehend unabhängigen A r t i k e l n eine wesentlich geringere Elastizität aufweist als beispielsweise die nach Oberbekleidung. Die Entwicklung des Wohnungsbaus, der wachsende A n t e i l größerer Wohnungen, die steigende Nachfrage nach einem eigenen Haus und die erhöhten Ansprüche an die Ausstattung der Wohnungen spiegeln sich i n den Absatzzahlen der Heimtextilbranchen wider. Von 1953 bis 1969 hat sich der Umsatz der Teppich- und Möbelstoffweberei sowie der Gardinenstoffherstellung verfünffacht. Der A n t e i l dieser drei Branchen am Umsatz der Textilindustrie ist durch dieses überproportionale Umsatzwachstum von 3,9 °/o (1963) auf 8,8 %> (1969) gestiegen. Hervorzuheben ist
56
IV. Strukturverschiebungen innerhalb der Textilindustrie
i n der Heimtextilbranche das Vordringen der Tufting-Teppiche und der synthetischen Gardinen. Diese beiden Beispiele vermögen schlaglichtartig die positiven Wirkungen der Wandlungen i n der Textiltechnik und i m Rohstoffeinsatz auf die Produktion der Textilindustrie aufzuzeigen. Tabelle 15 Produktionsstruktur der Maschenindustriea> (Anteile am Produktionswert in °/o) Erzeugnisgruppe Gewirkter und gestrickter Stoff .. Oberbekleidung davon: für Männer und Knaben für Frauen, Mädchen und Kinder Leibwäsche davon: für Männer und Knaben für Frauen, Mädchen und Kinder Strumpfwaren darunter: rundgestrickte Damenstrümpfe (nahtlos, aus synthet. Material) .. Strumpfhosen Handschuhe Sonstige Wirk- und Strickwaren .. Insgesamt Millionen DM
1953
1958
1964
1969
1,3 28,7
2,2 35,4
10,2 31,6
18,3 31,5
( 8,1) (20,6) 34,6
( 8,5) (26,9) 31,3
( 6,5) (25,1) 26,0
( 5,4) (26,1) 19,4
(12,2) (22,4) 27,9
( 9,4) (21,9) 25,0
( 9,6) (16,4) 23,0
( 7,7) (11,7) 12,6
( 3,2)
( 7,1) 12,8 0,8 4,6 100 5 742
4,7
2,5 3,6
(13,8) 2,7 1,5 5,0
100 1492
100 2 313
100 4199
. 2,8
a) Bundesgebiet, ab 1964 einschließlich Saarland und Berlin (West). Quelle: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen.
2. Einfluß von Angebots- und Nachfragefaktoren auf die Produktionsstruktur Zusammenfassend läßt sich der Einfluß der von der Nachfrage- und Angebotsseite ausgehenden Wirkungen auf die Produktionsstruktur der Textilindustrie wie folgt kennzeichnen: — Die steigenden Einfuhren von Textilien begrenzten vor allem den Expansionsspielraum der Vorstufen der Textilindustrie, der Hersteller von Erzeugnissen aus Naturfasern sowie von Stapelware. — Die Veränderungen auf dem Gebiet der textilen Fertigungstechnik haben sich i n unterschiedlicher Weise auf das Produktionswachstum der Textilindustrie ausgewirkt. Die Einführung neuer Fertigungsverfahren (z.B. Texturieren, Tufting-Verfahren) hatte i n den betreffenden Branchen erhebliche Produktionssteigerungen zur Folge.
2. Einfluß auf die Produktionsstruktur
57
Die verschiedenen textilen Fertigungsverfahren stehen jedoch häufig i n einem gewissen Konkurrenzverhältnis zueinander, beispielsweise das Weben einerseits sowie das Wirken und Stricken andererseits. Die Expansion der Maschenindustrie ist nicht nur auf den maschinentechnischen Fortschritt zurückzuführen, sondern auch darauf, daß sich das Wirken und Stricken i m Vergleich zum Weben als die wesentlich elegantere Technologie erwiesen hat; dadurch kam es auf zahlreichen Gebieten zu einer Substitution von Webware durch Maschenware. Ähnliche Substitutionsbeziehungen bestehen auch zwischen Haustextilien und Vliesstoffen; das besondere Charakteristikum der Vliesstoffherstellung ist die Tatsache, daß die Produktion dieser Stoffe zum Teil auch außerhalb der Textilindustrie erfolgt, so daß der Textilindustrie durch das Aufkommen der Vliesstofftechnik effektive Absatzverluste entstanden sind. Die Änderungen i n der Fertigungstechnik sind eng m i t dem A u f kommen der Chemiefasern verbunden. Diese haben aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften die Nachfrage nach Textilien wesentlich erhöht. Die Vorstufen der Textilindustrie können durch das Aufkommen der Chemiefasern übersprungen werden. Es sollte allerdings nicht übersehen werden, daß wegen der erhöhten Strapazierfähigkeit der Chemiefasern nachfragemindernde Effekte möglich sind. I n diesem Zusammenhang ist auch auf die Substitution von Textilfasern durch andere Rohstoffe, beispielsweise Kunststoff und Papier, hinzuweisen, die i n der Textilindustrie einen Nachfrageausfall zur Folge hat. — Die Veränderungen i n der gesamtwirtschaftlichen Bedarfsstruktur hatten zur Folge, daß der Absatz von Textilien und damit die Produktion der gesamten Textilindustrie nur unterdurchschnittlich zunahm; für einzelne Branchen, namentlich für solche, die den veränderten Verbraucherwünschen entgegenkommen, bestanden jedoch durchaus gute Absatzchancen (Maschenindustrie, Hersteller von Heimtextilien, Hersteller von Waren aus Chemiefasern, Textilveredlung). Aus diesen Strukturverschiebungen ergeben sich für eine problemanalytische Studie über die Textilindustrie drei Problemkreise: — Textilindustrie i m internationalen Wettbewerb — Wandlungen i n der Produktionstechnik und i m Rohstoffeinsatz — Langfristige Entwicklung des Textilverbrauchs
V. Textilindustrie im internationalen Wettbewerb 1. Aspekte der Welttextilwirtschaft a) Strukturelle
Verlagerungen
im Welthandel mit Textilien
Von entscheidender Bedeutung und Tragweite für die bisherige Entwicklung der Textilindustrie der Bundesrepublik waren die Veränderungen i m internationalen Handel m i t Textilien. Diese waren i m wesentlichen durch zwei Faktoren verursacht: — Erstens durch den A u f - und Ausbau von Textilindustrien außerhalb der westlichen Industrieländer, also i n den Entwicklungsländern und i n den Ostblockländern. — Zweitens durch den Abbau von Handelshemmnissen und durch Integrationsvorgänge unter den Industrienationen. Bei der Industrialisierung Westeuropas und Nordamerikas i m vorigen Jahrhundert spielte der Aufbau einer Textilindustrie eine bedeutende Rolle. Ende des 19. Jahrhunderts war die Baumwollindustrie 1 Großbritanniens absolut führend i n der Welt. I n der Zeit bis zum ersten Weltkrieg entstand ihr dann durch die kontinentaleuropäischen Länder eine beträchtliche Konkurrenz 8 . A u f das gesamte Westeuropa entfiel 1912/13 über die Hälfte der Produktion der Weltbaumwollindustrie (vgl. Tabelle 16). Zwischen den beiden Weltkriegen mußte die Baumwollindustrie Westeuropas, insbesondere jene Großbritanniens, Einbußen hinnehmen, und zwar i n erster Linie zugunsten Japans und Indiens. Die USA konnten ihren A n t e i l an der Weltproduktion von Baumwoll- und Chemiefasergeweben i n etwa halten. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist die Bedeutung der Baumwollindustrie Westeuropas weiter gesunken. Neben 1 Die Darstellung der langfristigen Entwicklung muß sich aus Mangel an statistischem Material auf die Baumwollindustrie beschränken. Die Branche, in der neben Baumwolle in zunehmendem Maße auch Chemiefasern verarbeitet werden, ist in den meisten Ländern immer noch der bedeutendste Fachzweig der Textilindustrie. In der Bundesrepublik war die Baumwollindustrie 1969 am Versandwert der Textilindustrie mit etwa einem Viertel beteiligt (vgl. Tabelle 3). 1 Vgl. Reisewitz, Herbert: Die Situation des Textilweltmarktes und ihre Bedeutung für den Aufbau der Textilindustrie in Entwicklungsländern, in: Zeitschrift für allgemeine und textile Marktwirtschaft, Jahrgang 1969, Heft 1, S. 28 if.
1. Aspekte der Welttextilwirtschaft
59
Indien und Pakistan errichteten immer mehr Entwicklungsländer eigene Textilindustrien. I m Ostblock erreichte die Textilindustrie hohe Wachstumsraten. Tabelle 16 Entwicklung und regionale Verteilung der Weltproduktion von Baumwoll- und Chemiefasergeweben (Anteil an der Weltproduktion in °/o) Gebiet
1912/13
1929
1936/38
1955
1965
1968
Westeuropa . . . . USA Indien Japan Übrige Länder»)
58,6 27,4 4,9 4,2 4,8
45,8 29,9 9,0 9,8 5,5
36,0 28,4 12,1 15,4 8,1
28,5 33,3 12,7 11,0 14,5
25,1 30,5 11,6 13,6 19,0
24,7 31,4 10,3 13,4 20,2
Welt*) Mrd. sq. yds. ..
100 24 790
100 27 000
100 33 500
100 42 940
100 51 340
100 55 790
a) Ohne UdSSR, Osteuropa, VR China. Quelle: Wunden, Wilfried: Die Textilindustrie der Bundesrepublik Deutschland im Strukturwandel, Basel—Tübingen 1969, S. 161; Kroese, W. T.: Internationale Konsequenzen des Wettbewerbs zwischen Baumwolle und Chemiefasern, in: Zeitschrift für allgemeine und textile Marktwirtschaft, Jahrgang 1970, Heft 1, S. 6«; eigene Berechnungen.
Die breitere regionale Streuung der Produktionskapazitäten i n der Welt hatte zur Folge, daß die Textilrohstoffe immer mehr i n unmittelbarer Nähe der Rohstoffgewinnung bzw. -Produktion verarbeitet w u r den. So ist beispielsweise der A n t e i l der Baumwollausfuhr an der Weltproduktion von Baumwolle von 80 %> anfangs des zwanzigsten Jahrhunderts auf knapp 30 °/o i n den sechziger Jahren zurückgefallen 8 . Infolge der Verlagerung der Produktionskapazitäten hat der Welthandel m i t Textilien einen grundlegenden Wandel erfahren. Vor dem ersten Weltkrieg war der Export von Textilien nahezu ausschließlich eine Angelegenheit der westeuropäischen Textilindustrie gewesen, deren Hauptabsatzgebiete i n den Ländern Asiens, Ozeaniens, Südamerikas und Afrikas lagen. Die außereuropäischen Exportmärkte der westeuropäischen Industrieländer sind seit Anfang der zwanziger Jahre i n zunehmendem Maße verloren gegangen, und zwar einmal an die Konkurrenten aus Indien, Hongkong und anderen Niedrigpreisländern 4 , zum anderen an die i n den 5
Vgl. Wunden, Wilfried: Die Textilindustrie der Bundesrepublik Deutschland im Strukturwandel, a. a. O., S. 162. 4 Die wichtigsten Niedrigpreisländer sind Japan, Indien, Pakistan und Hongkong.
V. Textilindustrie im internationalen Wettbewerb
60
überseeischen Ländern inzwischen aufgebauten eigenen Textilindustrien. Da i n vielen dieser ehemaligen Importländer der Absatz von Textilien — trotz des hohen Inlandsbedarfs — infolge fehlender monetärer Nachfrage begrenzt blieb bzw. die errichteten Kapazitäten die Aufnahmefähigkeit des heimischen Marktes überstiegen, haben diese Länder den Export von Textilien erheblich forciert. I n den letzten Jahren schalteten sich auch die Staatshandelsländer stärker i n den Außenhandel m i t Textilien ein, so daß sich die Gewichte i m Weltexport von Textilien immer mehr zugunsten der Ostasien- und Staatshandelsländer verlagerten. Die westeuropäischen Länder haben nicht nur ihre führende Stellung als Textilexporteur verloren, sie mußten auch eine erhebliche Zunahme ihrer Einfuhren hinnehmen (vgl. Tabelle 17)5. Tabellen Entwicklung des Welthandels mit Baumwolltextilien&) (in 1000 Tonnen) 1950
Gebiet bzw. Land
Nord-Amerika Süd-Amerika West-Europa Ost-Europa UdSSR Asien und Ozeanien Afrika
1960
1968
281,6 1,0
67,8 1,4 352,4 51,1 23,7 461,4 14,1
51,5 1,0 352,5 73,5 38,0 416,8 25,9
734,2
971,9
959,2
52,9 14,6 145,9
161,4 6,3 396,4 1,1 14,6 237,1 125,8 942,7
Eocporte 93,8 —
330,0 27,8
.
Insgesamt Importe Nord-Amerika Süd-Amerika West-Europa Ost-Europa UdSSR Asien und Ozeanien Afrika
322,0 167,5
108,7 7,8 288,7 0,9 17,4 220,8 171,0
Insgesamt
702,9
815,3
.
a) Gewebe aus Baumwolle und Zellwolle. Quelle: International Cotton Advisory Committee, Washington D. C.: Cotton World Statistics, verschiedene Jahrgänge. 5 Tabelle 17 bezieht sich auf das wichtigste Gut des Welthandels mit Textilien, nämlich Gewebe aus Baumwolle und Zellwolle. Bei Einbeziehung der Gewebe aus Wolle und Synthetiks sowie des Garnsektors (insbesondere Chemiefasergarne) verschiebt sich das Bild etwas zugunsten der westeuropäischen Länder.
1. Aspekte der Welttextilirtschaft
61
Der Strukturwandel i n der Welttextilwirtschaft hat vor allem jene westlichen Industrieländer betroffen, deren Absatz sich stark auf Kolonialmärkte konzentrierte (z.B. Großbritannien, Frankreich, Italien, Niederlande). Der Export der deutschen Textilindustrie war dagegen von jeher überwiegend auf den europäischen Raum ausgerichtet und wurde daher i n geringerem Maße von den strukturellen Verlagerungen i n der Welttextilwirtschaft tangiert. Der A u f - und Ausbau von Produktionsstätten i n den ehemals wichtigsten Importländern leitete nicht nur die Handelsströme i n andere Richtungen, sondern führte auch wegen des wachsenden Selbstversorgungsgrades dieser Länder zu einem absoluten Rückgang des Welthandels m i t Baumwollerzeugnissen. Der Welthandel m i t sämtlichen Textilien steigt jedoch — langfristig betrachtet — seit Ende des Zweiten Weltkrieges an. Das Exportvolumen an Baumwoll- und Chemiefasergeweben zusammen war allerdings noch zu Ende der sechziger Jahre niedriger als zu Beginn dieses Jahrhunderts. Dementsprechend ist auch der A n t e i l des Welthandels m i t Geweben aus Baumwolle und Chemiefasern an der gesamten Produktion dieser Erzeugnisse von 40 % (1912/13) auf 15 °/o (1968) zurückgegangen 8 . Neben der Errichtung von Textilindustrien außerhalb der westlichen Industrieländer wurde der internationale Handel m i t Textilien seit Ende des Zweiten Weltkrieges auch durch den Abbau von Handelshemmnissen wesentlich beeinflußt. I m Rahmen des internationalen Zollund Handelsabkommens (GATT) war man bemüht, die während des Krieges aufgebauten Handelshemmnisse zu beseitigen. Diesen Bemühungen können zumindest Teilerfolge nicht abgesprochen werden. Insbesondere zwischen den westlichen Industrieländern wurden die mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen weitgehend abgebaut sowie die Zölle erheblich reduziert 7 . Dies hatte eine Intensivierung des Handelsaustausches zwischen diesen Ländern zur Folge, zumal sie auch an Absatz i n den Entwicklungsländern eingebüßt haben und daher bestrebt waren, dafür auf den Nachbarmärkten einen Ausgleich zu finden. Diese Ausführungen sollen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Welthandel m i t Textilien i n weit größerem Maße durch administrative Regelungen beeinflußt w i r d als der Handel m i t anderen Gütern. Zu erwähnen ist hier vor allem das i m Rahmen des GATT abgeschlossene internationale Baumwollwarenabkommen, dessen Ziel es ist, einerseits den Entwicklungsländern einen ausreichenden Absatz von 6
Vgl. Kroese, W. T.: Internationale Konsequenzen des Wettbewerbs zwischen Baumwolle und Chemiefasern, in: Zeitschrift für allgemeine und textile Marktwirtschaft, Jahrgang 1970, Heft 1, S. 70. 7 Im Vergleich zu anderen Gütergruppen war der Zollabbau bei Textilien allerdings geringer.
62
V. Textilindustrie im internationalen Wettbewerb
Textilien i n den Industrieländern zu garantieren, andererseits die Industrieländer vor übermäßigen, marktstörenden Einfuhren zu schützen (z.B. durch sog. Selbstbeschränkungsabkommen). Dieses Abkommen, das inzwischen bis zum Jahre 1973 verlängert wurde, hat zweifelsohne dazu beigetragen, den Welthandel m i t Textilien i n „geregelte Bahnen" zu lenken 8 . Die Schutzklauseln des Baumwollwarenabkommens sowie die sonstigen M i t t e l der Zoll- und Handelspolitik werden von den Industrieländern i n unterschiedlicher Weise angewendet. Während beispielsweise die Bundesrepublik die Textileinfuhren aus den Entwicklungsländern (wie übrigens auch aus den asiatischen Niedrigpreisländern und den Ostblockländern) relativ weitgehend liberalisiert hat, schützen die anderen Partnerländer des Gemeinsamen Marktes sowie die USA ihre Textilindustrie teilweise durch hohe Zölle oder Kontingente. Besondere Aufmerksamkeit beanspruchte i n jüngster Vergangenheit der Textilkonflikt zwischen den USA und Japan, der darauf zurückzuführen ist, daß sich Japan weigerte, seine Woll- und Chemiefaserexporte nach den USA freiwillig zu beschränken. Die USA drohten daraufhin m i t erheblichen Einfuhrrestriktionen für Textilien. Es ist zu hoffen, daß der amerikanische Kongreß das Gesetz über die Einfuhrbeschränkungen i n seiner jetzigen Form nicht annimmt, andernfalls ein Rückfall i n den Protektionismus, und zwar nicht nur i n den USA und auf dem Textilsektor, zu befürchten wäre. Mögliche Einfuhrrestriktionen der USA würden sich auf alle Fälle negativ auf die europäische Textilindustrie auswirken, da die Entwicklungsländer sowie die asiatischen Niedrigpreisländer ihre Textilexporte verstärkt nach Europa richten würden. Ein weiterer Faktor, der zu Veränderungen i m internationalen Handel m i t Textilien führte, sind die Integrationsvorgänge unter den Industrienationen. Die Bildung der Wirtschaftsblöcke EWG und EFTA hat die Handelsströme i n Europa umgelenkt: Zwar hat sich der Handelsaustausch zwischen den Integrationsgebieten erhöht, jedoch bei weitem nicht i n dem Maße wie der interne Handel i n EWG und EFTA (vgl. Tabelle 18). Da zudem der interne Handelsaustausch weit stärker angestiegen ist als die Produktion, hat sich der Wettbewerb zwischen den Mitgliedsländern der Wirtschaftsblöcke verschärft. 8 Angesichts der steigenden Verarbeitung von Chemiefasern in der Textilindustrie und der engen Substitutionsbeziehungen zwischen Textilien aus Natur- und Chemiefasern fordert die Textilindustrie eine Ausdehnung auf sämtliche Textilien; andernfalls bestünde die Gefahr, daß das Baumwollwarenabkommen — wie bereits geschehen — in zunehmendem Maße unterlaufen wird.
1. Aspekte der Welttextilwirtschaft
63
Tabelle 18 Importe von Textilien*) in die EWG- und EFTA-Länder EFTA
EWG Jahr bzw. Zeitraum 1958 1969 Zunahme 1958/1969
Einheit
Interne Importe
EFTAImporte
Interne Importe
EWGImporte
Mill. US-ft Mill. US-$
454,4 2 495,7
185,3 291,1
149,6 761,0
360,8 660,7
°/o
449,2
57,2
408,7
83,2
a) Textilien ohne Rohstoffe und Bekleidung (SITC Nr. 65). Quelle: OECD: Statistics of foreign trade, Serie B, Trade by commodities, verschiedene Hefte. Zusammenfassend läßt sich die Situation auf dem Weltmarkt für Textilien durch folgende Fakten kennzeichnen®: — Die westlichen Industrieländer stehen seit Jahrzehnten i n einem scharfen gegenseitigen Konkurrenzkampf. — Die Textilindustrie der Ostblockländer bietet bei Handelsverhandlungen m i t westlichen Industrieländern zunehmend Textilien an. — Die Entwicklungsländer bauen eigene Textilindustrien auf, die sie teilweise durch Einfuhrzölle schützen müssen; die Textilimporte werden weitgehend durch die inländische Produktion substituiert. — Zahlreiche Entwicklungsländer exportieren Textilien. Aus all diesen Fakten folgt, daß der internationale Konkurrenzkampf auf dem Weltmarkt für Textilien zunehmend schärfer wird. Diese Tendenz w i r d dadurch verstärkt, daß das Angebot von Textilien schneller steigt als die Nachfrage. b) Aufbau von Textilindustrien
in Entwicklungsländern
A m Anfang der Industrialisierung eines Landes steht häufig der A u f bau einer Textilindustrie. Dies läßt sich i n der Gegenwart deutlich i n den Entwicklungsländern beobachten. Es erhebt sich die Frage, ob die Entwicklungsländer richtig handeln, wenn sie den Aufbau von Textilfabriken fördern, oder ob sie am Anfang der Industrialisierung andere Industriezweige errichten sollen. Die Entscheidung, i n welchen Industrien die Entwicklungsländer investieren sollen, hängt von zahlreichen Kriterien ab. Beim Aufbau von • Vgl. Reisewitz, Herbert: Die Situation des Textilweltmarktes..a. a. O., S. 34 f.
64
V. Textilindustrie im internationalen Wettbewerb
Textilindustrien sind i n erster Linie folgende Investitionskriterien zu berücksichtigen 10 : — Nachfragestruktur — Möglichkeiten der Importsubstitution und Weltmarktsituation — Modeabhängigkeit — Produktionstechnik — Sektorale Interdependenzen — Rohstoffversorgung Die Textilindustrie w i r d als Startindustrie deshalb als besonders geeignet angesehen, w e i l sie zu jenen Industriezweigen zählt, denen der heimische M a r k t einen relativ breiten Absatz bietet. I n den Entwicklungs- wie auch i n den Industrieländern sind die Ausgaben für Textilien einer der wichtigsten Ausgabeposten. Da das absolute Niveau des Textilverbrauchs i n den meisten Entwicklungsländern — gemessen an den Industrieländern — noch verhältnismäßig niedrig ist, ist auf lange Sicht m i t einem erheblichen Nachfrageanstieg zu rechnen. Die Errichtung von Textilfabriken i n Entwicklungsländern ist aber auch aus einem anderen Grunde i n Betracht zu ziehen. Für viele Entwicklungsländer eröffnet sich dadurch die Möglichkeit, Textilimporte durch inländische Produktion zu ersetzen, womit der Vorteil zusätzlicher Beschäftigung und Wertschöpfung i m industriellen Sektor 1 1 sowie Einsparungen an Devisen verbunden sind. Insbesondere i n einigen asiatischen und vor allem i n den afrikanischen Entwicklungsländern stellen die Textilimporte noch einen erheblichen A n t e i l der Gesamteinfuhren (vgl. Tabelle 19). Der Aufbau einer Textilindustrie i n Ostafrika ist „ein klassisches Beispiel für eine Industrie zur Substitution von Importen, denn sie ist auf den Exportmärkten der Konkurrenz von Japan, Indien und Hongkong nicht gewachsen. Als Absatzraum verbleibt lediglich der lokale Markt; er w i r d der heimischen Industrie durch die Drosselung der Importe garantiert" 1 2 . Die lateinamerikanischen Entwicklungsländer haben dagegen die Textilimporte schon weitgehend durch eine eigene Herstellung substituiert 1 8 . 10 Vgl. Reisewitz, Herbert: Nationale und regionale Nachfragestrukturen in Entwicklungsländern unter besonderer Berücksichtigung der Textilindustrie, in: Zeitschrift für allgemeine und textile Marktwirtschaft, Jahrgang 1968, Heft 3, S. 14 f. 11 Vgl. Helmschrott, Helmut: Probleme der Textilindustrie in Entwicklungsländern am Beispiel Ostafrikas, in: Ifo-Schnelldienst Nr. 49, 8.12.1967, S. 115. 8 Vgl. Helmschrott, Helmut: Probleme der Textilindustrie ..., a. a. O., S. 115 f. 8 Vgl. Reisewitz, Herbert: Nationale und regionale Nachfragestrukturen ..., a. a. O., S. 15 ff.
5 Breltenacher
Dinar Dollar Cedi Franc Pfund Pfund Pfund Pfund Pfund Escudo Pfund Pfund Schilling US-$ Pfund Leone
Textiliena)
Bekleidungb)
Absolute Werte o/o-
Anteile) (Mill.)
Einheit tüiena)
Texdungb)
0,9
Beklei-
Ausfuhr
166 92 6,4 Dinar 19 . 0,5 14 8,6 Dollar 32 2 10,9 Cedi 10149 1566 15,5 Franc 946 . 6 1 15,5 Pfund 10 2 16,1 Pfund 1 . 1,5 10 2 10,1 Pfund 0 . 0,3 20 5 12,9 Pfund 5 . 1,8 Pfund 48 3 19,1 523 309 12,3 Escudo 27 22 1,1 12 4 13,7 Pfund 3 6 5,5 3 1 13,4 Pfund 43 9 15,3 Schilling 9 3 11,5 US-$ 10 12 9,3 Pfund 11 3 19,0 Leone
23
Einheit (Mill.)
Absolute Werte
Entwicklungsländer
Algerien Äthiopien Ghana Elfenbeinküste Uganda Tanganjika Kenia Nigeria VAR Mosambik Rhodesien Malawi Somalia Liberia Libyen Sierra Leone
1. Afrikanische
,
Land
T
Einfuhr
(im Jahre 1968)
Tabelle 19: Exporte und Importe von Textilien und Bekleidung ausgewählter Entwicklungsländer
%>-
Anteile)
1. Aspekte der Welttextilwirtschaft
Bekleidung*»
°/o-
Anteile) (Mill.)
Einheit tiliena)
. 5',3
38,0
Texdung^)
Kyat 155 2 23,7 Kyat Rupie 159 1 7,3 Rupie Rupiah 320 . 4,9 Rupiah Dollar 164 30 6,9 Dollar 16 12 0^9 US-$ 103 . 7,0 US-$ 61 112 Dollar 8 7 4,5 Dollar 0 0 01 US-$ 75 2 6,4 US-$ 5 39 4^ Baht 1616 162 7,4 Baht 165 Dollar 592 92 13,5 Dollar 141 64
Textiliena)
Absolute Werte
Ausfuhr
12
Beklei-
%-
Anteile)
US-$ 19 . 0,9 US-S 15 . 0,8 Kolumbien US-$ 4 0 0,8 US-$ 9 17 Jamaika Dollar 9 2 7,0 Dollar 0 4 41 Mexüco Peso 183 206 1,6 Peso 277 58 2,1 Honduras Lempira 25 9 9,3 Lempira . 6 1,6 a) SITC-Nr. 65. — b) SITC-Nr. 841. — c) Anteil an der gesamten Ein- bzw.Ausfuhr. Quelle : United Nations: Yearbook of International Trade Statistics 1968,New York, 1970; eigene Berechnungen.
3. Lateinamerikanische Entwicklungsländer
Bumia Ceylon Indonesien Malaysia Sud-I^rea. Nord-Borneo (Sabah) Phüippinen Thailand Singapur
Einheit (Mill.)
Absolute Werte
2. Asiatische Entwicklungsländer
Land
Einfuhr
Tabelle 19 (Fortsetzung)
66 V. Textilindustrie im internationalen Wettbewerb
1. Aspekte der Welttextilwirtschaft
67
Die Entwicklungsländer verfolgen m i t der Industrialisierung ihres Landes nicht nur die Substitution von Importen (wie beispielsweise die ostafrikanischen Länder). Vielfach soll der Aufbau von Textilfabriken durch Steigerung des Exports auch der Devisenbeschaffung dienen. Diese Bestrebungen sind insbesondere i n asiatischen Entwicklungsländern vorhanden. Unter diesem Gesichtspunkt kann aber den Entwicklungsländern nicht empfohlen werden, i m Textilsektor zu investieren. Die Weltmarktsituation für Textilien ist nämlich durch einen äußerst scharfen Wettbewerb gekennzeichnet. Dies zeigt sich unter anderem daran, daß die Entwicklungsländer, die bereits eine Textilindustrie aufgebaut haben, diese vielfach durch Einfuhrrestriktionen schützen müssen. Andererseits müssen diese Länder ihre Exporte teilweise subventionieren, u m auf den Weltmärkten konkurrenzfähig zu sein. Ein Charakteristikum der Textilindustrie ist der starke Einfluß der Mode auf die Produktion. Neue Modetendenzen gehen ausschließlich von den Industrieländern aus. Die Entwicklungsländer haben es daher, sofern sie Textilien exportieren wollen, sehr schwer, rechtzeitig auf diese Änderungen zu reagieren. Aus diesem Grunde beschränken sie sich vielfach auf die Herstellung von Massenware und Stapelartikeln, wenn sie sich nicht ausschließlich auf die Versorgung des heimischen Marktes konzentrieren, wie es die meisten afrikanischen Entwicklungsländer tun. Unter dem Gesichtspunkt der Produktionstechnik w i r d vielfach empfohlen, die Industrialisierung der Entwicklungsländer solle m i t dem Aufbau arbeitsintensiver Industrien beginnen, da i n diesen Ländern ein erheblicher Uberschuß an Arbeitskräften vorhanden ist. Es ist zu prüfen, ob die Textilindustrie zu den arbeitsintensiven Industrien gerechnet werden und inwieweit das Theorem überhaupt Anspruch auf Gültigkeit erheben kann 1 4 . Eine Vielzahl von Fachleuten vertritt heute die Ansicht, daß sich die Textilindustrie i n der Nachkriegszeit von einer arbeitsintensiven zu einer ausgesprochen kapitalintensiven Branche gewandelt hat. Dies w i r d vielfach m i t dem Hinweis darauf belegt, daß sich die Kosten für die Errichtung eines neuen Arbeitsplatzes i n der Textilindustrie gegenwärtig auf 400 000 D M und mehr beliefen. Hierzu ist zu bemerken, daß diese Zahlen ohne einen Vergleich m i t anderen Industriezweigen wenig aussagefähig sind. Mißt man die Kapitalintensität an der Maßzahl „Bruttoanlagevermögen je Beschäftigen" 15 , so zeigt sich für die Bundesrepublik, daß die 14
Vgl. Reisewitz, Herbert: Produktionstechnik und sektorale Interdependenzen als Investitionskriterien für den Aufbau der Textilindustrie in Entwicklungsländern, in: Zeitschrift für allgemeine und textile Marktwirtschaft, Jahrgang 1968, Heft 4, S. 28 ff. 5*
68
V. Textilindustrie im internationalen Wettbewerb
Textilindustrie weder arbeits- noch kapitalintensiv ist; die Maßzahl liegt nämlich nahe beim Industriedurchschnitt 16 . Man muß sich allerdings vergegenwärtigen, daß derartige Zahlen nur die Verhältnisse i n den Industrieländern widerspiegeln. Für die Entwicklungsländer stellt sich das Problem der Kapitalintensität i n einer anderen Weise. I n der Textilindustrie besteht die Möglichkeit, den Produktionsprozeß i n gewissen Grenzen arbeitsintensiver zu gestalten, wodurch erheblich mehr Arbeitsplätze geschaffen werden können. Dies erscheint für die Entwicklungsländer insofern sinnvoll, als dort die Lohnsätze relativ niedrig sind und teilweise eine erhebliche Arbeitslosigkeit herrscht. Auch Tinbergen bejaht den Aufbau von Textilindustrien i n den Entwicklungsländern, wenn er sagt, daß diesen „diejenigen Industrien zugeführt werden (sollen), die i n arbeitsintensiver Weise betrieben werden können, auch wenn man tatsächlich mehr kapitalintensive Prozesse kennt" 1 7 . Andererseits ist jedoch zu berücksichtigen, daß die niedrigen Lohnsätze oft viel zu geringe Arbeitskosten vortäuschen; denn häufig w i r d übersehen, daß die Arbeitseffizienz der Arbeitskräfte i n den Entwicklungsländern sehr niedrig ist 1 8 . Unter Umständen können daher die Lohnkosten je Produkteinheit beim Einsatz arbeitsintensiver Verfahren höher sein als bei weniger arbeitsintensiven. Erweist es sich für die Entwicklungsländer hinsichtlich der Arbeitsintensität als zweckmäßig, Textilbetriebe zu errichten, so gilt dies m i t Einschränkungen auch unter dem Gesichtspunkt des Vorhandenseins von technischen Kenntnissen. Die vielzitierte textilindustrielle Erfahrung i n den Entwicklungsländern hat auch heute noch eine gewisse Bedeutung, und zwar bei der Herstellung der i n diesen Ländern verbrauchten relativ einfachen groben Gewebe. Für die Anwendung der modernen komplizierten Verfahren der Textiltechnik mangelt es aber vielfach an Fach15 Diese Maßzahl hat den Nachteil, daß sie die historischen Werte des Bruttoanlagevermögens aus unterschiedlichen Zeiträumen enthält, also nicht den heute erforderlichen Kapitaleinsatz je Arbeitsplatz angibt (vgl. hierzu Kapitel VI.2.C). 16 Im Zusammenhang mit dem Aufbau von Textilindustrien in Entwicklungsländern solle die Kapitalintensität der Textilindustrie (1969: 33 150 DM) nur mit der Kapitalintensität der produktionstechnisch ähnlich gelagerten Verbrauchsgüterindustrie (1969: 23 788 DM) und Investitionsgüterindustrie (1969: 26 863 DM) verglichen werden, wie einige Autoren fordern. Dies wird damit begründet, daß für die Investitionsentscheidungen der Entwicklungsländer alternativ zur Textilindustrie nur andere Verbrauchsgüter- bzw. Investitionsgüterindustrien infrage kämen. Wie jedoch weiter unten noch ausgeführt wird, gibt es auch einige Grundstoffindustrien, die für den Aufbau in Entwicklungsländern in Betracht zu ziehen sind. 17 Vgl. Tinbergen, Jan: Die künftige Arbeitsteilung zwischen armen und reichen Ländern, in: Zeitschrift für allgemeine und textile Marktwirtschaft, Jahrgang 1968,4. Heft, S. 19. 18 Vgl. Helmschrott, Helmut: Probleme der Textilindustrie..., a. a. O., S. 16.
1. Aspekte der Welttextilwirtschaft
69
arbeitern, Technikern und Ingenieuren, weshalb die modernsten Produktionstechniken nicht zur Anwendung gelangen. Aber andererseits braucht auch nicht auf die einfachen Produktionstechniken des 19. Jahrhunderts zurückgegriffen zu werden, da die Textilindustrie i n den Entwicklungsländern eine Reihe von technologischen Stufen überspringen und sofort ein höheres Ausgangsniveau erreichen kann 1 9 . Ein weiteres produktionstechnisches Kriterium, das für Investitionen der Entwicklungsländer i m Textilsektor spricht, ist die relativ kleine Mindestbetriebsgröße. Sie ermöglicht es den Entwicklungsländern, m i t dem Aufbau verhältnismäßig kleiner Betriebsstätten zu beginnen. I m Gegensatz zu anderen Branchen, wie beispielsweise der Stahlindustrie, ist es i n der Textilindustrie auch möglich, „additive" Investitionen vorzunehmen, d. h. die Betriebe sukzessiv zu vergrößern. Es ist allerdings nicht zu übersehen, daß i n der Textilindustrie die Mindestbetriebsgröße ständig zunimmt. Hinsichtlich der sektoralen Interdependenzen gehört die Textilindustrie zu jenen Branchen, die m i t anderen Wirtschaftsbereichen nicht allzu intensiv verflochten sind. Ihre Erzeugnisse gehen i n erster Linie i n den privaten Verbrauch (zum größten Teil über die Bekleidungsindustrie), aber auch i n andere Abnehmerbereiche 20 . Ihre Vorleistungen bezieht die Textilindustrie überwiegend vom Maschinenbau, von der chemischen Industrie (Chemikalien, Chemiefasern) sowie von der Landwirtschaft (Naturfasern) 21 . Die Verflechtung der Textilindustrie, vor allem m i t vorgelagerten Wirtschaftsbereichen, schafft daher nur i n wenigen Bereichen Nachfrage und damit die Möglichkeit zu weiteren Investitionen. Bei näherer Betrachtung zeigt sich auch, daß jene Güter, welche die Textilindustrie nachfragt, nur zum Teil i n Entwicklungsländern hergestellt werden können. Für die Produktion von Erzeugnissen des Maschinenbaus und der chemischen Industrie sind die Märkte i n den Entwicklungsländern vielfach zu klein, und darüber hinaus fehlen oft die erforderlichen technologischen Kenntnisse. Die Mehrzahl der Entwicklungsländer ist daher gezwungen, diese Produkte einzuführen. Auch Helmschrott hat am Beispiel der Textilindustrie Ostafrikas nachgewiesen, daß der A u f bau einer Textilindustrie nicht unbedingt stimulierende Wirkungen auf vor- und nachgelagerte Branchen haben muß 22 . Wegen der zunehmenden Verarbeitung von Chemiefasern verliert der natürliche Standortvorteil der Entwicklungsländer, nämlich die Gewinnung von natürlichen Tex19 Vgl. Helmschrott, Helmut: Struktur und Wachstum der Textil- und Bekleidungsindustrie in Ostafrika, Afrika-Studien Nr. 45, herausgegeben vom Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung, München 1969, S. 17. * Vgl. Kapitel II.3.b. «n Vgl. Kapitel II.3.C. Vgl. Helmschrott, Helmut: Struktur und Wachstum..a. a. O., S. 100 ff.
70
V. Textilindustrie im internationalen Wettbewerb
tilfasern i m eigenen Land, zunehmend an Bedeutung 23 . Es ist jedoch zu beachten, daß bei der Versorgung des heimischen Marktes, vor allem i n den Tropen, die Verarbeitung von Baumwolle auch i n Zukunft bei weitem überwiegen wird. Nur die Industrialisierung der Entwicklungsländer kann zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen ihrer Einwohner führen. Dies bedeutet, daß die Entwicklungsländer vor die Notwendigkeit gestellt sind, geeignete Investitionsobjekte auszuwählen. Untersucht man die Investitionsmöglichkeiten außerhalb des Textilsektors, so w i r d man schnell erkennen, daß der Aufbau vieler Industriezweige deshalb ausscheidet, w e i l die entsprechende Inlandsnachfrage fehlt, die Produktionstechnik zu kompliziert ist, zu hohe Anforderungen an das berufliche Können der Arbeitskräfte gestellt werden und der erforderliche Kapitalbedarf zu hoch ist. Es bleiben — außer der Textil- und Bekleidungsindustrie — nur die Nahrungs- und Genußmittelindustrien sowie einige Industriezweige übrig, welche begehrte Rohstoffe, die i m eigenen Lande vorkommen (z. B. Erdöl, Erze, Kautschuk), verarbeiten. Insofern erscheint der Aufbau von Textilindustrien i n Entwicklungsländern, soweit sie i n erster Linie der Deckung des Inlandsbedarfs dienen, durchaus verständlich und sogar notwendig. Man w i r d dabei i n Kauf nehmen müssen, daß die Einfuhren von Textilien erschwert werden, den Industrieländern also Absatzmöglichkeiten verloren gehen. Einige Textilfirmen haben daraus die Konsequenzen gezogen und Tochtergesellschaften i n den Entwicklungsländern gegründet 24 .
2. Außenhandel der Bundesrepublik mit Textilien a) Entwicklung
der textilen
Handelsbilanz
Die strukturellen Verlagerungen i n der Welttextilwirtschaft haben sich für die Textilindustrie der Bundesrepublik weniger i m Verlust wichtiger ausländischer Absatzmärkte ausgewirkt, als vielmehr i n einer Beeinträchtigung der Absatzmöglichkeiten am Inlandsmarkt. Bis zum Jahre 1956 war der Außenhandelssaldo m i t Textilien 2 5 positiv; seit 1957 23 In den letzten Jahren haben allerdings auch einige Entwicklungsländer Produktionsstätten für Chemiefasern errichtet. 24 De Bandt weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die Möglichkeit des Kapitalflusses in die Entwicklungsländer mit den wirtschaftlichen Interessen der Industrieländer verbunden werden könnte, vgl. de Bandt, Die Textilindustrie der EWG..., a. a. O., S. 113 f. 25 Garne, Gewebe und Fertigwaren (Maschenwaren, Bekleidung und sonstige Spinnstoff waren); die Einbeziehung von Bekleidungserzeugnissen ist deshalb berechtigt, weil diese Güter den Absatz von Erzeugnissen der Textilindustrie unmittelbar beeinflussen.
71
2. Außenhandel der Bundesrepublik mit Textilien
Entwicklung des Saldos des Außenhandels mit Textilienn Ausfuhrüberschuß Mnd. DM
11
0L
a2
Einfuhrüberschuß ö
o
0,2 0,4 0,6 0,8
1,0 1,2
u
1,6 i,e
2p
iz
2a 2j&
Ganne,Gewebe, Fertig wanen (einschl. Bekleidung).
Quelle: Gesdmtvertend
den Tbxtifindusfnie
IFO'INSTITUT fOr Wirfschafttfondtung MOnchm
in den Bundesnepubtik Deut$ch/and-Gesamtf 181/70
Abbildung 10
72
V. Textilindustrie im internationalen Wettbewerb
haben die Einfuhren ständig die Ausfuhren übertroffen (vgl. Abbildung 10). Die Exporte der deutschen Textilindustrie sind allerdings in den letzten Jahren relativ kontinuierlich und schneller gestiegen als die Importe von Textilien. Der Abbau des Einfuhrüberschusses in den Jahren ab 1966 ist bis zu einem gewissen Grad durch eine Besserung der internationalen Wettbewerbsposition der Textilindustrie der Bundesrepublik hervorgerufen worden. Der Textilaußenhandel der Bundesrepublik ist vor allem mit den Ländern der Europäischen Gemeinschaft sowie mit den asiatischen Ländern (ohne Ostblock) passiv. Mit den meisten anderen Ländergruppen, bemerkenswerterweise auch mit dem Ostblock (ohne DDR), konnte die Bundesrepublik im Jahre 1969 Ausfuhrüberschüsse erzielen (vgl. Tabelle 20).
Tabelle 20 Salden^) des Textilaußenhandelsb) der Bundesrepublik nach Ländergruppen
(in Mill. DM)
Ländergruppe Länder der EWG Länder der EFTA Übrige europäische Länder 0) Afrika USA und Kanada Übriges Amerika Asien«*) Australien Ostblocke) DDR
1960 1189,6 169,8 52,2 125,8 18,3 46,0 — 123,8 + 60,7 8,7 + — 67,1
+ + + + +
1969
+ —
+ + + —
+ + —
2 188,7 642,0 17,1 243,2 177,3 95,8 821,9 55,7 34,8 65,9
a) + Ausfuhrüberschuß, — Einfuhrüberschuß. — b) Textilien einschl. Bekleidung, ohne Rohstoffe. — c) Ohne Ostblock, einschl. Jugoslawien. — d) Ohne Ostblock. — e) Einschließlich VR China, ohne DDR. Quelle: Gesamtverband der Textilindustrie in der Bundesrepublik Deutschland — Gesamttextil-e.V.; eigene Berechnungen. b) Einfuhren aus Niedrigpreis-, Entwicklungsund Staatshandelsländern Die Einfuhrüberschüsse beinhalten für die Textilindustrie ohne Zweifel schwierige Probleme. Sie sind zu einem erheblichen Teil eine direkte Folge der strukturellen Verlagerungen in der Weltwirtschaft. Niedrigpreis- und Staatshandelsländer drängten auf den westdeutschen Textilmarkt (vgl. Tabelle 21). Die Einfuhren aus Niedrigpreis-, Entwicklungsund Staatshandelsländern waren 1969 bereits mit etwa einem Fünftel an der westdeutschen Gesamteinfuhr von Textilien beteiligt.
2. Außenhandel der Bundesrepublik mit Textilien
73
Tabelle 21 Regionale Struktur des Textilaußenhandelsa) der Bundesrepublik
(in °/o der Einfuhr- und Ausfuhrwerte) Einfuhr
j-ianaergruppe
Ausfuhr
1960
1969
1960
1969
Länder der EWG Länder der EFTA Übrige europäische Länder b) Afrika USA und Kanada Übriges Amerika Asien0) Australien Ostblock0) DDR
55,0 24,2 1,7 0,7 4,1 0,2 9,6 0,0 0,9 3,6
63,9 9,6 5,4 0,7 2,3 0,1 13,7 0,0 2,2 2,1
20,9 43,1 5,0 7,1 6,7 2,6 7,8 3,0 1,8 2,0
48,2 22,2 6,7 4,7 5,7 1,6 4,9 0,9 3,4 1,6
Insgesamt
100
100
100
100
a) Textilien einschließlich Bekleidung, ohne Rohstoffe. — b) Ohne Ostblock, einschließlich Jugoslawien. — c) Ohne Ostblock. — d) Einschließlich VR China, ohne DDR. Quelle: Gesamtverband der Textilindustrie in der Bundesrepublik Deutschland — Gesamttextil-e.V.; eigene Berechnungen. Niedrigpreis- wie Entwicklungsländer besitzen gegenüber der westdeutschen Textilindustrie häufig den Vorteil niedriger Löhne und Rohstoffkosten. Darüber hinaus genießen diese Länder Wettbewerbsvorteile, die in erster Linie auf staatlicher Einflußnahme begründet sind. I m einzelnen handelt es sich um folgende Wettbewerbsvorteile 28 : a) Teilweise sehr moderner Maschinenpark in einigen ostasiatischen Ländern. b) Intensive Nutzung der Produktionsanlagen. I n den asiatischen Niedrigpreisländern ist es beispielsweise ohne Schwierigkeiten möglich, die Anlagen im Drei-Schicht-Betrieb auszulasten, da Nachtarbeit für Frauen nicht verboten ist und kein Jugendschutz besteht. c) Spezielle Finanzierungsgesellschaften für den Textilsektor. d) Hohe vertikale und horizontale Integration der Unternehmen. e) Starker Schutz des heimischen Marktes, wodurch es ermöglicht wird, Exportgüter erheblich unter dem Inlandspreis zu verkaufen. f) Niedrige Gewinnsteuern. g) Relativ niedrige Kreditkosten h) Exportbeihilfen. i) Geringe soziale Belastungen. 26 Vgl. OECD: Modern Cotton Industry, a Capital Intensive Industry, Paris 1965, S. 66.
74
V. Textilindustrie im internationalen Wettbewerb
Die Staatshandelsländer schließlich haben keine marktwirtschaftliche Kosten- und Preisrechnung und wickeln das Ausfuhrgeschäft im wesentlichen über staatliche Außenhandelsstellen ab. Diese Länder exportieren Textil- und Bekleidungserzeugnisse zu Preisen, die unabhängig von den tatsächlichen Kosten festgesetzt werden 27 . Ähnlich wie die Niedrigpreisländer können jedoch auch die Ostblockländer gegenüber der europäischen Bekleidungsindustrie echte Kostenvorteile, etwa im Lohnbereich, besitzen28. Die Expansion der Textileinfuhren aus Niedrigpreis- und Staatshandelsländern ist u. a. dadurch bedingt, daß in der Bundesrepublik der Lebensstandard relativ hoch und der Handel äußerst leistungsfähig ist, aber auch dadurch, daß die Bundesrepublik im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, insbesondere den Partnerländern in der Europäischen Gemeinschaft, eine sehr liberale Handelspolitik betreibt 29 . Dies hat dazu geführt, daß sich der Importdruck zunehmend auf den deutschen Markt verlagerte. Die liberale Handelspolitik der Bundesrepublik in bezug auf die Niedrigpreis- und Staatshandelsländer wirkt sich indirekt auch auf die übrigen Partnerländer in der Europäischen Gemeinschaft aus, deren Ausfuhren in die Bundesrepublik dadurch beschnitten werden. Es ist daher verständlich, daß die Partnerländer der Bundesrepublik dieser Handelspolitik mit Skepsis gegenüberstehen. Sie würden es nicht ungern sehen, wenn die Bundesrepublik ihre Handelspolitik derjenigen der anderen EWG-Länder anpassen würde. Dies wurde bisher jedoch sowohl von der Bundesregierung als auch von Gesamttextil abgelehnt. Beide Institutionen fordern im Gegenteil, daß die EWG-Partnerländer ebenfalls ihre Handelspolitik liberalisieren sollen. Welche Position man nun in diesem Streit einnimmt, fest steht auf alle Fälle, daß die Verwirklichung eines Gemeinsamen Marktes eine Harmonisierung der Handelspolitik voraussetzt, damit gleiche Wettbewerbsvoraussetzungen geschaffen werden. Außerdem wird man davon auszugehen haben, daß die den Entwicklungsländern bisher gewährten Vergünstigungen nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Die asiatischen Niedrigpreisländer, die Entwicklungsländer sowie die Staatshandelsländer liefern in die Bundesrepublik in erster Linie Standardartikel. Diese Erzeugnisse bieten die genannten Länder zu Preisen 27 Vgl. hierzu Osteuropa-Institut an der Freien Universität Berlin: Die Bekleidungsindustrie in den Staatshandelsländern Europas, herausgegeben vom Bundesverband Bekleidungsindustrie, Berlin 1968. 28 Das niedrige Lohnniveau der Ostblockländer macht sich die westdeutsche Textil- und Bekleidungsindustrie dadurch zunutze, indem sie arbeitsintensive Fertigungsbereiche in diese Länder verlagert. M Der Textilmarkt der Bundesrepublik ist gegenüber den Ostblockländern formal besser geschützt als der französische und italienische Markt. In der Praxis werden jedoch die Textilimporte nach Frankreich und Italien wesentlich stärker behindert.
2. Außenhandel der Bundesrepublik mit Textilien
75
an, die oft erheblich unter den Erzeugerpreisen der westdeutschen Textilindustrie liegen. Dadurch ist es bisweilen zu einer empfindlichen Unruhe auf den Textilmärkten gekommen. Die niedrige Preisstellung zumindest eines Teils dieser Einfuhren hat einen Druck auf die Erzeugerpreise der westdeutschen Textilindustrie ausgeübt. c) Innergemeinschaftlicher
Handel
Das Vordringen der Niedrigpreis-, Entwicklungs- und Staatshandelsländer auf dem westdeutschen Textilmarkt sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Bundesrepublik traditionell einen großen Teil ihrer Textileinfuhren aus den benachbarten europäischen Ländern bezieht (vgl. Tabelle 21). Als Niedrigzolland importierte die Bundesrepublik bereits im Jahre 1958, als die Niedrigpreisimporte noch eine relativ unbedeutende Rolle spielten, fast so viele Textilien wie alle übrigen EWG-Länder zusammen (vgl. Tabelle 22). Bis in die jüngste Vergangenheit hat sich an dieser Situation im Prinzip nichts geändert.
Tabelle 22 Außenhandel der EWG-Länder mit Textilien»)
(in Mill. US-$)
Land Bundesrepublik Frankreich Italien Belgien Niederlande
Jahr
Ausfuhr
Einfuhr
Saldo*»
1958 1969 1958 1969 1958 1969 1958 1969 1958 1969
303 1261 399 824 299 877 292 850 237 680
370 1304 44 615 43 313 111 440 180 645
- 67 - 43 + 355 + 209 + 256 + 564 + 181 + 410 + 57 + 35
a) Ohne Rohstoffe und Bekleidung, SITC Nr. 65. — b) + Ausfuhrüberschuß, - Einfuhrüberschuß. Quelle: OECD: Statistics of foreign trade; Serie B, Trade by commodities, verschiedene Hefte.
Wichtigste Lieferländer sind nach wie vor die Partnerstaaten des Gemeinsamen Marktes. Der Anteil dieser Länder an der Gesamteinfuhr hat sich in der Vergangenheit erhöht; während die Bundesrepublik im Jahre 1960 erst gut die Hälfte ihrer Textilien aus den EWG-Ländern einführte, waren es im Jahre 1969 fast zwei Drittel. Es ist ohne weiteres ersichtlich, daß diese Entwicklung auf die Integrationsvorgänge unter
76
V. Textilindustrie im internationalen Wettbewerb
den europäischen Industrieländern zurückzuführen ist. In diesem Zusammenhang interessiert die Frage, ob der Textilaußenhandel der Bundesrepublik durch die europäische Integration stärker umgelenkt wurde als der Textilaußenhandel der anderen EWG-Partnerländer und sich dadurch möglicherweise besondere Schwierigkeiten für die westdeutsche Textilindustrie ergaben 30. Der Export der europäischen Industrieländer war im Jahre 1958, dem Gründungs jähr der EWG, mehr oder weniger stark auf jene Wirtschaftsblöcke, denen sie beitraten, ausgerichtet. Frankreich, Italien, Belgien und die Niederlande setzten bereits einen ansehnlichen Teil ihres Exports im EWG-Gebiet ab, während die Lieferungen in das EFTA-Gebiet wesentlich geringere Bedeutung hatten. Der Textilexport der Bundesrepublik war dagegen überwiegend in die EFTA-Länder orientiert (vgl. Tabelle 23). Beim Export in diese Länder kann im allgemeinen das deutsche Größensortiment zugrunde gelegt werden, die modischen und geschmacklichen Tendenzen in den EFTA-Ländern weichen von denjenigen in der Bundesrepublik wenig ab. Diese Vorteile verloren jedoch in dem Maße an Bedeutung, wie sich die Zolldiskrepanzen zwischen EWG- und EFTA-Ländern vergrößerten. I m Zuge der Verwirklichung der europäischen Wirtschaftsblöcke wurden daher die Handelsströme erheblich umgelenkt: Der Gemeinsame Markt wurde zum wichtigsten Exportgebiet der westdeutschen Textilindustrie. Dem Export in die Partnerländer des Gemeinsamen Marktes standen jedoch zahlreiche Hindernisse entgegen. In sämtlichen Partnerländern treffen die deutschen Hersteller auf eine bedeutende heimische Textilindustrie. Der Absatz in Frankreich wurde bis Ende 1967 durch unterschiedliche Steuersysteme beeinträchtigt. Mit der Einführung der Mehrwertsteuer in der Bundesrepublik am 1. 1. 1968 konnten die unterschiedlichen Steuerbelastungen zum Teil ausgeglichen werden. I n den Niederlanden und Belgien ist der Markt für Textilien relativ eng. Die Absatzchancen in Belgien werden darüber hinaus dadurch erschwert, daß sich dort die Absatzwege wesentlich von jenen in der Bundesrepublik unterscheiden. Besonders schwierig ist es, auf dem italienischen Textilmarkt Fuß zu fassen. Niedrige Kaufkraft, andere Verbrauchsgewohnheiten sowie andere modische und geschmackliche Vorstellungen erschweren das Geschäft. I m ganzen gesehen sind jedoch die Exportchancen im EWG-Raum keineswegs als schlecht zu beurteilen; der Lebensstandard ist — mit Ausnahme Italiens — relativ hoch, so daß gute Absatzchancen für hochwertige und modische Erzeugnisse bestehen. Die Erfahrung zeigt, daß in erster Linie spezialisierte Betriebe mit qualitativ hochwertigem Produktionsprogramm bedeutende Exporterfolge erzielen können. Der 80 Vgl. hierzu Wunden, Wilfried: Die Textilindustrie der Bundesrepublik im Strukturwandel, a. a. O.. S. 20.
2. Außenhandel der Bundesrepublik mit Textilien
77
deutschen Textilindustrie kommt dabei die Forschungsarbeit der Chemiefaserhersteller zugute, die ständig neue Faserkombinationen mit neuen Anwendungsmöglichkeiten entwickeln. Tabelle 23 Textilexportea) der EWG-Staaten in den E W G - und E F T A - R a u m
(in Mill. US-$)
Land
Jahr
BR Deutschland .. 1958 1969 Frankreich 1958 1969 Italien 1958 1969 Belgien 1958 1969 Niederlande 1958 1969
Ausfuhr insges.
303,4 1261,4 398,6 824,2 298,6 877,4 292,4 849,9 236,6 680,0
Ausfuhr nach EWG-Ländern
Ausfuhr nach EFTA-Ländern
in % der absolut Gesamtausfuhr
in °/o der absolut Gesamtausfuhr
52,3 567,3 82,1 423,7 73,7 420,4 156,9 654,1 88,1 461,7
17,3 45,0 20,6 51,4 24,7 47,9 53,7 77,0 37,2 67,9
124,5 308,9 51,5 101,8 61,5 105,7 54,0 70,3 42,4 84,6
41,0 24,5 12,9 12,4 20,6 12,0 18,5 8,3 17,9 12,4
a) Textilien ohne Rohstoffe und Bekleidung, SITC Nr. 65. Quelle: OECD: Statistics of foreign trade, Serie B, Trade by commodities, verschiedene Hefte.
Bei den Textileinfuhren der Bundesrepublik sind dieselben Entwicklungstendenzen wie bei den Ausfuhren zu beobachten. Die Einfuhren, haben sich sowohl aus den EWG-Ländern als auch aus den EFTA-Ländern erhöht, aus ersteren jedoch wesentlich stärker (vgl. Tabelle 24). I m Prinzip wurde der Textilaußenhandel der anderen EWG-Partner in gleicher Richtung umgelenkt. Allerdings haben sich im Textilexport der Bundesrepublik wesentlich stärkere Umschichtungen vollzogen. Dies ist einmal darauf zurückzuführen, daß der Export der Bundesrepublik stärker auf die EFTA-Länder ausgerichtet war. Es darf allerdings nicht übersehen werden, daß auch der Export in die EFTA-Länder erhöht werden konnte. Von der Importseite her betrachtet kann man nicht behaupten, daß die Textilindustrie der Bundesrepublik durch die Errichtung des Gemeinsamen Marktes besonders benachteiligt wurde. Wegen ihrer relativ niedrigen Einfuhrzölle deckte die Bundesrepublik bereits im Jahre 1958 einen erheblichen Teil ihres Textilbedarfs im EWG-Raum
V. Textilindustrie im internationalen Wettbewerb
78
(vgl. Tabelle 24). Von 1958 bis 1968 sind die Textileinfuhren der Bundesrepublik aus dem Gemeinsamen Markt um 274 °/o gestiegen, jene Frankreichs und Italiens dagegen um 1412 bzw. 901 °/o31. Tabelle 24 Textilimportea) der EWG-Staaten aus dem EWG- und E F T A - R a u m
(in Mill. US-$)
Einfuhr aus EWG-Ländern Land
Jahr
BR Deutschland .. 1958 1969 Frankreich 1958 1969 Italien 1958 1969 Belgien 1958 1969 Niederlande 1958 1969
Einfuhr insges.
369,6 1303,5 44,3 614,5 43,3 313,1 111,2 440,3 179,6 644,9
Einfuhr aus EFTA-Ländern
inVo der in °/o der absolut Gesamt- absolut Gesamteinfuhr einfuhr 198,0 902,9 21,7 487,8 16,4 207,0 82,0 360,7 136,2 537,4
53,6 69,3 49,0 79,4 37,9 66,1 73,7 81,9 75,8 83,3
116,8 146,8 11,8 44,1 19,1 45,8 16,4 21,3 21,3 33,1
31,6 11,3 26,6 7,2 44,1 14,6 14,8 4,8 11,9 5,1
a) Textilien ohne Rohstoffe und Bekleidung, SITC Nr. 65. Quelle: OECD: Statistics of foreign trade, Serie B, Trade by commodities, verschiedene Hefte. Lediglich in der ersten Hälfte der EWG-Ubergangszeit war die westdeutsche Textilindustrie einem erheblichen Einfuhrdruck aus den anderen Partnerländern ausgesetzt, da die Bundesrepublik bei Abschluß des EWG-Vertrages relativ niedrige Zollsätze hatte, während die Zölle Frankreichs und Italiens über dem EWG-Durchschnitt lagen. Mit zunehmendem Abbau der Zölle haben sich jedoch diese Differenzen vermindert. Die Wettbewerbsposition der deutschen Textilindustrie innerhalb der EWG hat sich dadurch wieder verbessert; die Zuwachsraten der deutschen Textilausfuhr in die EWG-Länder waren nämlich seit Anfang der sechziger Jahre größer als die Zuwachsraten der Einfuhr. Darüber hinaus hat sich — seit Beendigung der Übergangsphase — der Schutz der Textilindustrie der Bundesrepublik gegenüber Drittländern verbessert, da der gemeinsame Außenzoll der Europäischen Gemeinschaft über den zuvor geltenden Zöllen liegt. 51 Der Textilaußenhandel Belgiens und der Niederlande war schon von jeher stärker als jener der Bundesrepublik in die kontinentaleuropäischen Märkte integriert, was auf die Enge des Inlandsmarktes in diesen Ländern zurückzuführen ist.
2. Außenhandel der Bundesrepublik mit Textilien
79
Der hohe Einfuhrüberschuß der Bundesrepublik mit den EWG-Ländern (vgl. Tabelle 20) dürfte also nur zum geringen Teil auf die Integrationsvorgänge in Europa zurückzuführen sein, zumal bereits im Jahre 1958 der Textilaußenhandel mit den anderen Partnerländern passiv war. Eine nicht unbedeutende Rolle dürfte die Tatsache gespielt haben, daß zwischen den europäischen Textil- und Bekleidungsindustrien teilweise ungleiche Wettbewerbsvoraussetzungen bestanden bzw. bestehen. Andererseits erfährt die Textilindustrie in den EWG-Partnerländern infolge einer anderen wirtschaftspolitischen Einstellung auf verschiedene Art Unterstützung von staatlicher Seite, wie beispielsweise Exportförderung, Steuerermäßigungen, Förderung der Strukturverbesserung u. a. 32 . Die vorstehenden Ausführungen dürfen jedoch keineswegs den Eindruck erwecken, als ob der Anstieg der Importe aus den EWG-Ländern ausschließlich auf Wettbewerbsvorteile zurückzuführen ist. Die Textilindustrie der genannten Länder war von jeher sehr exportorientiert; durch den strukturellen Wandel in der Welttextilwirtschaft hat sie wichtige Exportmärkte eingebüßt, vor allem in den verlorenen oder aufgegebenen Kolonien. Diese Länder waren daher bestrebt, die Verluste auf anderen Märkten auszugleichen. Sie haben die Möglichkeit, welche die Errichtung des Gemeinsamen Marktes geboten hat, „rechtzeitig erkannt und für sich genutzt..., wenngleich es unbestreitbar ist, daß sie von ihren Regierungen mehr Unterstützung erfahren haben als die deutsche Textilindustrie, für die sich die allgemeinen zoll- und währungspolitischen Maßnahmen der Bundesregierung in der Regel besonders nachteilig ausgewirkt haben" 88 . Allerdings kann nicht übersehen werden, daß die Textilindustrie der Bundesrepublik ebenfalls von staatlicher Seite gefördert wird. Diese Förderung beruht nicht auf einem speziellen textilen Förderungsprogramm; die Textilindustrie der Bundesrepublik partizipiert jedoch an der Regionalförderung, an der Mittelstandsförderung, am ERP-Fonds usw. Für den Exporterfolg der EWG-Länder auf dem westdeutschen Markt dürfte auch die Tatsache entscheidend gewesen sein, daß es den ausländischen Anbietern gelungen ist, Erzeugnisse anzubieten, die hinsichtlich der Produktgestaltung bei den Verbrauchern vorzüglich ankamen. Zahlreiche ausländische Produzenten, übrigens auch außereuropäische, haben sich erfolgreich den höheren Qualitätsansprüchen des deutschen Verbrauchers angepaßt. Auch die Absatzstruktur von Textilien mit einem relativ hohen Anteil der Waren-, Kauf- sowie Versandhäuser kommt 32 33
Vgl. hierzu Wunden, Wilfried: a. a. O., S. 142 ff. Vgl. Meier, Rudolf-Christoph: Textilindustrie, Struktur und Wachstum, Reihe Industrie, Heft 1, herausgeg. vom Ifo-Institut, Berlin 1964, S. 59.
80
V. Textilindustrie im internationalen Wettbewerb
den Verkaufsbemühungen der Importeure entgegen; diese können sich auf eine relativ kleine Anzahl von Kunden konzentrieren. d) Spezielle Probleme des Textilaußenhandels Bei der Beurteilung der Einfuhrsituation sind — in Ergänzung zu den bisherigen Ausführungen über die Einfuhren aus Niedrigpreis-, Entwicklungs- und Staatshandelsländern sowie aus dem EWG-Raum — folgende Punkte in Betracht zu ziehen: — I n der Bundesrepublik genießen Textilien einen relativ stärkeren Schutz vor Einfuhren als andere Güter. In den fünfziger Jahren wurden Textilien von den aus konjunkturpolitischen Gründen vorgenommenen Zollsenkungen teilweise ausgenommen. Derzeit sind die Einfuhren aus Ostasien und den Staatshandelsländern noch nicht voll liberalisiert; der Warenverkehr mit den Ostblockländern wurde allerdings in jüngster Vergangenheit von zahlreichen Schranken befreit. Von den Warennummern der Außenhandelsstatistik, die zur Zeit in der Bundesrepublik noch kontingentiert sind, entfallen weitaus die meisten auf Textilien und Bekleidung. Auch das internationale Baumwollwarenabkommen bietet Möglichkeiten, die Einfuhren zu begrenzen. Allerdings ist dieses Abkommen auf Textilien aus Wolle und Chemiefasern nicht anwendbar, so daß diese Erzeugnisse, sofern keine Kontingente bestehen, unbeschränkt importiert werden können. — Ein beträchtlicher und steigender Teil der Einfuhren von textilen Fertigwaren entfällt auf den Veredlungsverkehr. Zahlreiche deutsche Unternehmen lassen im Ausland Gewebe zu Bekleidungserzeugnissen verarbeiten. Dies ist gleichbedeutend mit einer Verlagerung von Teilen der Textilproduktion ins Ausland. Neben großen Versandhäusern beteiligen sich auch Firmen der Textil- und Bekleidungsindustrie an diesem „passiven" Veredlungsverkehr. — In der Einfuhr sind auch Textilerzeugnisse enthalten, die in der Bundesrepublik nicht produziert werden (z. B. bestimmte Arten von Teppichen); diese Erzeugnisse stellen allerdings nur einen geringen Teil der Einfuhren. — Westdeutsche Textil- und Bekleidungshersteller, die mit ausländischen Firmen kooperieren, führen — zur Ergänzung und Vervollständigung ihres Sortiments — Textilien ein. Diese Form der Einfuhr ist jedoch bisher nur in seltenen Fällen anzutreffen. Die Probleme, die sich für die Textilindustrie aus dem Ansteigen der Fertigwarenimporte ergeben, lassen sich verdeutlichen, wenn man die Veränderungen in Betracht zieht, denen die textilen Einfuhren in der
2. Außenhandel der Bundesrepublik mit Textilien
81
Vergangenheit unterworfen waren. Das Schwergewicht der Importe hat sich zunehmend auf textile Enderzeugnisse (einschließlich Bekleidung) verlagert (vgl. Abbildung 11), worin sich u. a. der Aufbau eigener Textilbetriebe zu zahlreichen außereuropäischen Ländern widerspiegelt. Die
Struktureller Wandel im Außenhandel mit Textilien Anteile an der gesamten textilen Ein-bzw. Ausfuhr in%
1956
1969 Ausfuhr
Einfuhr
Einschließlich Bekleidung Quelle; Gesamtvenband den Textilindustrie Gesamttextil -e.V.
in den Bundesrepublik Deutschland1G8J70
IFO-INSTITUT für Wirtschafaforediung München Abbildung 11 8 Breitenacher
Gewebe
V. Textilindustrie im internationalen Wettbewerb
82
Verschiebungen in der Importstruktur mußten sich zwangsläufig in den Vorstufen der Textilindustrie am stärksten bemerkbar machen, zumal hier gleichfalls die Importkonkurrenz einen Teil der Nachfrage abgelenkt hat. Der strukturelle Wandel im Außenhandel mit Textilien zeigt deutlich die unzureichende Wettbewerbsfähigkeit der konsumnahen Stufen der Textilwirtschaft. Wunden wirft die Frage auf, ob die starke Zunahme der Fertigwareneinfuhr eine Folge der geringen vertikalen Konzentration im Textilsektor ist 34 . Ohne Zweifel könnten durch eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Produktionsstufen bzw. durch deren Integration die nachteiligen Auswirkungen der Fertigwareneinfuhren auf die Spinnerei- und Webereistufe begrenzt werden. Die erhöhte Integration des Textilsektors würde darüber hinaus einen positiven Nebeneffekt erbringen. Es ist allgemein bekannt, daß die größeren Firmen im Exportgeschäft am erfolgreichsten sind. Die Textil- und Bekleidungsindustrie könnte also durch vertikale Integration ihre Exportposition stärken. Dieselbe Auffassung wird von de Bandt vertreten 35 , der in diesem Zusammenhang auch auf die oft unzureichenden Verkaufs- und Exportanstrengungen der Textilindustrie hinweist. Allgemein kann festgestellt werden, daß den Absatzproblemen zu wenig Beachtung geschenkt wird. De Bandt spricht hier von den „größten Schwächen der Textilindustrie" 36 . Neben der vertikalen Integration könnte zur Steigerung der Exporte auch eine Kooperation mit ausländischen Herstellern beitragen. Diese Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg ist bisher nur in seltenen Fällen anzutreffen. Unter Umständen kann es auch vorteilhaft sein, einfachere Arbeiten im Ausland durchführen zu lassen (im Wege der Lohnveredlung) bzw. jenseits der deutschen Grenzen Fertigungsbetriebe zu errichten, um das bestehende Zoll- und Lohnkostengefälle zu überwinden. Dies bedeutet, daß der Textilsektor der Bundesrepublik nicht nur den Warenexport, sondern auch, wie andere Industriezweige, den Kapitalexport stärker in Betracht ziehen sollte. Die bisherigen Auslandsinvestitionen der Textilindustrie sind im Vergleich zu jenen anderer Industriezweige recht bescheiden. Keineswegs soll jedoch übersehen werden, daß die Errichtung von Zweigbetrieben im Ausland zahlreiche Probleme, vor allem organisatorischer Art, mit sich bringt.
34 85
Vgl. Wunden, Wilfried: a. a. O., S. 134. Vgl. De Bandt: Die Textilindustrie der EWG..., a. a. O., S. 102. * De Bandt: Die Textilindustrie der EWG . . a . a. O., S. 81.
VI. Wandlungen in der Produktionstechnik und im Rohstoffeinsatz 1. Technische Veränderungen in der Textilindustrie a) Veränderungen bei den Produktionsverfahren und Betriebsmitteln Auf dem Gebiet der textilen Fertigungstechnik war in der Vergangenheit ein grundlegender Wandel festzustellen. Die Textilherstellung, aus dem Handwerk hervorgegangen, war ursprünglich sehr arbeitsintensiv. Die technischen Veränderungen in der Textilindustrie sind daher gekennzeichnet von dem Bemühen, Arbeitskräfte einzusparen. Weitaus die meisten textilen Erzeugnisse werden auch heute noch nach den traditionellen Verfahren des Spinnens, Webens, Wirkens und Strikkens hergestellt. Völlig neuartige Verfahren sind im textilen Produktionsprozeß verhältnismäßig selten anzutreffen. Die technischen Veränderungen konzentrieren sich vielmehr in erster Linie auf die Verbesserung der klassischen Verfahren, und zwar durch Rationalisierungsmaßnahmen, durch Mechanisierung und Abkürzung von Arbeitsprozessen bis hin zur Automatisierung von Produktionsabläufen und Zusammenfassung einzelner Fertigungsstufen zu einem fortlaufenden Produktionsfluß 1. Die Automatisierung und Kontinuisierung der Fertigung vollzog sich Hand in Hand mit der Einführung der Elektronik, welche es ermöglichte, den Produktionsprozeß zu steuern und zu kontrollieren. Die Veränderungen in der Produktionstechnik wurden nicht zuletzt durch das von der Chemiefaserindustrie kommende große Angebot an neuen Faserstoffen gefördert. Es erweist sich als zweckmäßig, die Veränderungen bei den Produktionsverfahren und Betriebsmitteln getrennt für die einzelnen Produktionsstufen darzustellen, und zwar für die Spinnstoffaufbereitung, Spinnstoffverarbeitung, Herstellung textiler Flächen und Textilveredlung 2 . 1
Schubert, C.: Textiltechnik und Forschung: Wo stehen wir heute? Wohin führt der Weg? Vortrag, gehalten auf der Jahrestagung 1965 des Forschungskuratoriums Gesamttextil. 2 Zu technischen Veränderungen im Konfektionsbereich vgl. Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung u.a.: Gruppenwirtschaftliche Untersuchung in der Bekleidungsindustrie, Gutachten, erstellt im Auftrag des RKW, München 1970. 6*
84
VI. Wandlungen in der Produktionstechnik und im Rohstoffeinsatz
Die Spinnstoffaufbereitung ist vor allem als Vorstufe für die Wollspinnerei von Bedeutung. I n der Wollwäscherei wird die Rohwolle gereinigt, in der Kämmerei kurze Fasern ausgeschieden. Es kommt in dieser Produktionsstufe vor allem darauf an, die Rohwolle schonend zu behandeln und einen möglichst geringen Abfall zu erreichen. Diesen Forderungen konnte in der Vergangenheit durch die Entwicklung neuer Verfahren weitgehend Rechnung getragen werden 3 . Der technische Fortschritt in der Spinnstoffverarbeitung ist geprägt durch die Entwicklung im ältesten und bedeutendsten Fachzweig, nämlich in der Baumwollspinnerei. Der Spinnprozeß der Baumwolle besteht aus folgenden Arbeitsgängen4: — Mechanisches Reinigen des Baumwollmaterials in der Putzerei 5 — Auflösen des Materials bis zur Einzelfaser und Ordnen der Fasern in Bänder (Vliesbildung) mit Hilfe der Baumwollkarde — Strecken und Vorspinnen der Faserbänder (Flyer) — Verfeinern der Lunten, Drehen des Garnes und Aufwickeln (Spinnmaschine). I n den einzelnen Arbeitsgängen ergeben sich zahlreiche Ansatzpunkte für Rationalisierungsmaßnahmen. Die Grundtendenz des technischen Fortschritts in der Baumwollspinnerei ist gekennzeichnet durch®: — Vergrößerung der Faser- und Garnkörper — Ausschalten einzelner Arbeitsphasen — Erhöhung der Tourenzahl und damit der Leistungsfähigkeit pro Maschineneinheit — Mechanisierung gewisser Arbeitsvorgänge — elektrischen Einzelantrieb mit seiner großen Anpassungsfähigkeit. Nachstehend werden einige Beispiele für technische Verbesserungen in verschiedenen Arbeitsstufen der Spinnstoffverarbeitung erläutert. Zur Vorbereitung für das Baumwollspinnen müssen die Rohbaumwollballen auseinandergezupft und die aus einer großen Anzahl ver3 Vgl. Forschungsintensive Textiltechnik, in: Maschinenbau, Motor der Moderne, Beiheft zu Der Volkswirt Nr. 20 vom 17.5.1968, S. 36. 4 Koch, P., G. Satlow: Großes Textil-Lexikon, Band 2, Stuttgart 1966, S. 397. 5 Dieser Arbeitsprozeß kann auch der Spinnstoffaufbereitung zugerechnet werden. 6 Vgl. Fabian, Franz: Produktionstechnischer Fortschritt, Mindestbetriebsgröße und Konzentration in der Textilindustrie — untersucht am Beispiel der westdeutschen Baumwollspinnerei und -weberei, Schriften zur Textilwirtschaft, Band 12, Münster 1969, S. 125.
1. Technische Veränderungen in der Textilindustrie
85 7
schiedener Ballen stammenden „Flocken" gemischt werden . Dieser Vorgang wurde früher in mühsamer Handarbeit mit hoher Unzuverlässigkeit ausgeführt. Der Übergang zur vollautomatischen Mischung hat diesen Mangel beseitigt und zu einer höheren Gleichmäßigkeit der Rohstoffqualität geführt 8. I n den Arbeitsstufen Karderie, Streckerei und Flyerei konnte die Leistung der einzelnen Maschinen zum Teil erheblich erhöht werden. Die technischen Verbesserungen erlauben auch eine gleichmäßige Herstellung der Faserbänder. I n der Flyerei ist besonders auf die Entwicklung des Hochverzugsflyers hinzuweisen. Bei den Spinnmaschinen konnten die Arbeitsgeschwindigkeit und das Kopsformat wesentlich erhöht werden. Daneben galten die Bemühungen dem automatischen Abziehen der vollgesponnenen Kopse von den Endspinnmaschinen, den sogenannten Ringspinnmaschinen. Mit Hilfe von „Kopsabziehmaschinen" können die Garnkörper selbsttätig abgenommen werden. Bei einer besonders gelungenen Konstruktion ist diese Vorrichtung ein fester Bestandteil der Ringspinnmaschine geworden, die damit dem angestrebten Ziel des „Spinnautomaten" einen großen Schritt näher gekommen ist9. Während das Problem der Automatisierung bis zum Strecken im wesentlichen gelöst ist, stellt sich der Automatisierung bei der eigentlichen Herstellung von Gespinsten noch ein grundsätzliches Hindernis entgegen: der Bruch einzelner Fäden während des Spinnvorgangs 10. Bislang hat sich diese Erscheinung selbst bei Garnen von größter Festigkeit nicht völlig vermeiden lassen. Sie wirkt sich störend auf den Fertigungsvorgang aus, weil jeder Fadenbruch von Hand behoben werden muß. Erst wenn es gelänge, für die Spinnmaschinen, ähnlich wie für Spulmaschinen, Apparate zu entwickeln, welche den gebrochenen Faden selbsttätig zusammenknoten, wäre man der Vollautomatisierung einen erheblichen Schritt näher gekommen. I n Japan sind auf diesem Gebiet erfolgversprechende Versuche im Gang. Neben den Bemühungen um die Vollautomatisierung der einzelnen Maschinenaggregate sind auch Bestrebungen im Gange, die einzelnen Fertigungsstufen zu einem fortlaufenden Produktionsfluß zusammenzufassen. So ist es bereits möglich, Teilprozesse der Spinnstoffverarbeitung kontinuierlich und vollautomatisch ablaufen zu lassen, wobei einzelne 7 Das Mischen ist deshalb notwendig, weil die Qualität der einzelnen Baumwollballen innerhalb bestimmter Freiheitsgrade voneinander abweicht. 8 Forschungsintensive Textiltechnik, a. a. O., S. 36. 9 C. Schubert, Technologien und die Bedeutung der Automation, in: Der Mensch und die Technik, technisch-wissenschaftliche Blätter der Süddeutschen Zeitung, 9. Jahrgang, 124. Ausgabe, 27. 6.1967. 10 C. Schubert, Technologien und die Bedeutung der Automation, a. a. O.
86
VI. Wandlungen in der Produktionstechnik und im Rohstoffeinsatz
Produktionspassagen ganz ausgeschaltet, andere so miteinander verbunden werden, daß bereits von Fertigungsstraßen gesprochen werden kann. Der Transport des Faser- bzw. Spinngutes erfolgt pneumatisch, die Steuerung des Fertigungsprozesses kann mit Hilfe der Regeltechnik erfolgen; die Isotopen-Technik wird bei der automatischen Qualitätsprüfung der Produkte, beim Wiegen und Messen angewandt 11 . Ein Schritt in Richtung Continueprozeß ist die spindellose Spinnmaschine. Bei dieser Spinnmaschine wird das Spinnband, das aus der Strecke kommt, bis zur fertigen Kreuzspule kontinuierlich verarbeitet. Die Erkenntnisse über dieses neue Spinnverfahren in Japan und in England lassen den Schluß zu, daß dieses Verfahren schrittweise von der Praxis aufgenommen wird, da die Wirtschaftlichkeit für einige Artikel bereits gegeben ist und die weitere Lohnentwicklung die Diffusion beschleunigen wird 12 . Der Verarbeitungsprozeß von Wolle und Chemiefasern unterscheidet sich im Prinzip nicht von der Baumwollspinnerei. Es ist sogar möglich, sämtliche Textilfasern auf denselben Spinnanlagen zu verarbeiten, sofern die Betriebsmittel entsprechend ausgerichtet sind. Neuerdings hat man jedoch für das Verspinnen von Chemiefasern spezielle Verfahren und Anlagen entwickelt. Aber auch diese Neuentwicklungen ändern nichts an der Tatsache, daß sich das Grundprinzip des Spinnprozesses in der Vergangenheit nicht geändert hat 13 . Gleichwohl war der technische Fortschritt erheblich, wie sich folgenden Zahlen entnehmen läßt: „Eine Stundenproduktion von 200 Kilogramm Garn mittlerer Feinheit erforderte im Jahre 1900 nach Angaben des Textilinstituts an der E T H 12 000 Spindeln bei einem Einsatz von 128 Arbeitern. I m Jahre 1960 produzierten nur 29 Arbeiter dieses Quantum mit 9 000 Spindeln 14 ." Nach Angaben des Industrieverbandes Garne waren im Jahre 1970 für die Bedienung von 8000 Spindeln 20 Arbeiter erforderlich. Es hat jedoch den Anschein, als ob beim herkömmlichen Spinnverfahren eine weitere technische Verbesserung — im Gegensatz zum Open-End-Spinnen — nicht mehr möglich ist. Bei den bislang in der Spinnerei angewandten Verfahren für die Herstellung von Gespinsten wurden die Einzelfasern so geordnet, daß ein Garn entsteht. I m Zuge der fortschreitenden Entwicklung in der Chemie11 H. Wellenreuther: Wandlungen der Beschäftigtenstruktur und des Beschäftigtenvolumens in der westdeutschen Baumwollindustrie unter besonderer Berücksichtigung des technischen Fortschritts, Textildienst Nr. 2/3 — 1965, S. 99. 12 Forschungsprojekt „Offenendspinnen" (spindellose Spinnmaschine) des Industrieverbandes Garne e. V., Frankfurt. 13 Vgl. Wunden, Wilfried: a. a. O., S. 7. 14 Rudin, Hans: Was kostet ein Arbeitsplatz in der Textilindustrie?, in: Mitteilungen über Textilindustrie, Zürich 1967, S. 343.
1. Technische Veränderungen in der Textilindustrie
87
faserindustrie gelang es, Garne auch auf anderem Wege herzustellen 15. I n den letzten Jahren sind Verfahren zur Herstellung sogenannter „texturierter" Garne entwickelt worden. Bei diesem Prozeß erhalten endlose Fäden aus synthetischem Material, die ursprünglich glatt und nicht voluminös sind, eine Kräuselung und Elastizität, somit also textilen Charakter. Der Texturierprozeß erreicht in einer einzigen Fertigungsstufe, was in der herkömmlichen Spinnerei mehrere Arbeitsgänge beansprucht. Die texturierten Garne haben die gesponnenen Garne bereits aus vielen Einsatzgebieten verdrängt. Zur Herstellung textiler Flächen gibt es drei Möglichkeiten, nämlich das Weben, das Wirken und Stricken und die Fertigung unmittelbar aus Fasern (Vliese). Für das Weben sowie für das Wirken und Stricken müssen die Gespinste besonders vorbereitet werden. — WebereiWirkerei
- und Strickereivorbereitung
Die aus der Spinnerei kommenden Garne können nicht ohne weiteres in der Weberei sowie Wirkerei und Strickerei verarbeitet werden. Als Vorarbeiten sind das Spulen, Schären, Zetteln, Schlichten und Zwirnen zu nennen18. Die bedeutendsten technischen Veränderungen der Vorbereitung haben in der Kreuz- und Schußspulerei stattgefunden. Es wurden Spulautomaten entwickelt, die das Garn von den Spinnkopsen auf die großen Garnspulen vollkommen selbsttätig umspulen. Das Auswechseln von leeren Kopsen gegen volle und das Knoten von gerissenen Fäden erfolgt bei diesen Maschinen automatisch. I n der Schlichterei haben Schlichtmaschinen mit automatischen Trockenprüfern, Spannungsreglern, thermostatisch arbeitenden Zusatzgeräten und automatischen Schlichtekochern Eingang gefunden. I n der Andreherei wurden Fadenhinreich-, Kettenknüpf-, Blattstech- und Lamellensteckmaschinen entwickelt, welche die Handarbeit immer mehr ersetzen17. I n der Zwirnerei hat man versucht, bestimmte Arbeitsvorgänge abzukürzen oder ganz auszuschalten. — Weberei Beim Weben entsteht durch das Kreuzen von Garnen in der Längsund Querrichtung (Kett- und Schußrichtung) ein textiles Flächengebilde. Vier Arbeitsstufen lassen sich unterscheiden 18: 15 16 17
Schubert, C.: Textiltechnik und Forschung, a. a. O., S. 4. Die Garne können vor der Verarbeitung auch gefärbt werden. Wellenreuther, H.: Wandlungen der Beschäftigtenstruktur, a.a.O., S. 1101. 8 Vgl. Breitenadier, Michael: 9. Textilindustrie, Teil A, Technische Veränderungen und ihre ökonomischen Auswirkungen (Branchenbericht), Forschungsprojekt des Rationalisierungs-Kuratoriums der Deutschen Wirtschaft (RKW) e. V., München 1968, S. 96 ff.
88
VI. Wandlungen in der Produktionstechnik und im Rohstoffeinsatz — Fachbilden: Aufteilen der Kettfäden in gehobene und gesenkte Fäden. — Schußeintrag: form- oder kraftschüssiges Einziehen des Schußfadens in das Webfach — Schußanschlag: Anschlagen des eingetragenen Schußfadens an den Warenrand durch das Riet — Regulieren (Warenschaltung): Abziehen der Kette vom Kettbaum und Aufwickeln der gewebten Ware auf den Warenbaum I n der Weberei zeichnet sich eine zunehmende Mechanisierung und Automatisierung ab. Während bei den mechanischen Webstühlen der Schußspulenwechsel manuell erfolgt, vollzieht sich der Spulenwechsel bei den Webautomaten selbsttätig. Das bedeutet, daß der Schützen ununterbrochen mit Garn für den Schußeinzug versorgt wird und damit eine bessere Ausnutzung der Webstuhllaufzeit gegeben ist. Außerdem fallen mögliche Anwebfehler fort. Der Übergang von nichtautomatischer zu automatischer Fertigung ist stufenweise möglich. Nach der Ausrüstung der Webstühle mit Kettfadenwächter, Großraumschützen und einer Fühlervorrichtung kann der Wechselmechanismus der Schußspule angebaut werden (Abbauautomaten). Zusätzliche Einrichtungen wie Kettbaumregulator, Protektor, Schneidevorrichtung erlauben dann eine vollautomatische Fertigung. Bei den herkömmlichen Webverfahren erfolgt die Schußeinführung mit Hilfe des Webschützens, der den Garnkörper enthält. Während des Durchflugs durch das Fach wickelt sich der Schußfaden vom Garnkörper. Nach einem neuen System bleibt der Garnkörper außerhalb des Webfachs, nur ein Schußelement durcheilt das Fach, den Schußfaden vom feststehenden Garnkörper abziehend. Dabei entnimmt entweder ein Holzschützenelement von beiden Seiten Garn oder ein Luft- bzw. Wasserstrahl reißt den Schußfaden durch das Fach 19 . Weitere Systeme arbeiten mit Einschleppelementen wie Stanzen und perforierten Bändern mit Fadenbringer- und Fadennehmerköpfen 20. Diese schützenlosen Webmaschinen wurden entwickelt, um die Tourenzahl zu erhöhen und um eine Vereinfachung des Webverfahrens zu erzielen. Die neuen Techniken des Schußeintrags führten zu schneller laufenden und präziser arbeitenden Maschinen. Neue Bauweisen ermöglichen einen schnelleren Um- und Ausbau und damit kürzere Stillstandszeiten. Webmaschinen mit nicht konventionellem
1Ä
C. Brzesbiewicz, Sind die herkömmlichen Webverfahren leistungsmäßig noch zu verbessern? in: Textil-Praxis, Jahrgang 19, S. 755 f. 20 K. Weigel, Neuerungen an Webmaschinen mit nicht konventionellem Schußeintrag auf der Internationalen Textilmaschinen-Ausstellung 1967 in Basel, in: Melliand Textilberichte, Jahrgang 48.
1. Technische Veränderungen in der Textilindustrie
89
Schußeintrag haben zum großen Teil das Entwicklungsstadium überschritten und werden in Serie gebaut21. Weitere Fortschritte wurden durch die Einführung des mehrbahnigen Webens erzielt. Das Breit-Doppelweben setzte eine neue Lösung des Problems der Kantenfestigkeit voraus. Nach den herkömmlichen Verfahren zog der Webschützen den auslaufenden Schußfaden beim Neueintritt in das Webfach und um die Kantenkettfäden herum zurück, wobei sich eine feste Kante bildete. Nach neuen Erkenntnissen ist diese Kantenförm und -festigkeit für viele Gewebe nicht erforderlich. So werden beim „Greiferweben" die Schußfäden von den Kreuzspulen abgezogen und eingezogen, die überragenden Fadenenden werden umgelegt und bilden den seitlichen Abschluß der Bahn. Nach einer anderen Fertigungsweise läßt sich eine ausreichende Kantenfestigkeit der Gewebe durch Einziehen thermoplastischer Kettfäden und anschließendes Verschweißen mit den Schußfäden erreichen. Diese Entwicklung bildet die Grundlage für das mehrbahnige Weben, dessen wesentliche Vorteile Produktionssteigerung, leichtere Überwachung und Platzersparnis sind22. Für die Verwendung schützenloser Webmaschinen müssen bestimmte technische und ökonomische Voraussetzungen erfüllt sein23. Die wesentlichen technischen Voraussetzungen sind ausreichende Festigkeit der Garne und Begrenzung der Farben; außerdem können nur Gewebe ohne Musterung hergestellt werden. Unter den wirtschaftlichen Voraussetzungen sind zu nennen eine ausreichende Losgröße und die volle Auslastung der Maschinen. Darüber hinaus ist der Einsatz einer bestimmten Mindestmaschinenmenge erforderlich, damit der Arbeitskostenvorteil voll zur Geltung kommt. Die wichtigsten Vor- und Nachteile schützenloser Webmaschinen hat das Ifo-Institut im Rahmen einer Erhebung über neue Technologien festgestellt (vgl. Abbildung 12). Auffallend ist vor allem, daß trotz der erzielten Fortschritte das Kantenproblem immer noch als eindeutig nachteilig empfunden wird. Die Verbesserung in der Webtechnik konzentrierte sich in der Vergangenheit auf die Verfeinerung der Produktionsmethoden und die Konstruktion schneller laufender Maschinen. Es ist jedoch noch nicht gelungen, einen kontinuierlichen Produktionsfluß zu erreichen. Wie beim eigentlichen Spinnprozeß ist das Zerreißen einzelner Fäden 21 H. Kirchenberger, Überblick über den Stand neuer Webtechnologien, in:2Deutsche Textil-Technik, Jahrgang 17, S. 352. 2 H. Hasse, Das Breit-Doppelweben, in: Melliand-Textilberidite, Jahrgang 18, S. 1023 f. 25 Vgl. Schedl, Hans: Geringe Verbreitung schützenloser Webmaschinen in der Baumwollindustrie, in: Ifo-Schnelldienst, Nr. 40,5.10.1970, S. 13 ff.
90
V I . Wandlungen in der Produktionstechnik und im Rohstoffeinsatz
Vor-und Nachfeile der schützenlosen Webmaschinen nach dem Urteil von dreizehn Verwendern
I
Wesentlich« Vorteile
3 Spürbare J Vorteile
| Nachfeile 9
^SSSS* 10
11
12
13
Schußfadenbruch Kettfadenbruch Garnabfall Raumkosten /Prod. E Arbeitskosten/Prod. E Energiekosten/Prod. E Veränderung d.Qualität Lärm Einsatzmöglichkeit Kantenprobleme Quelle: Erhebungen des /fo-tnst/tuts. IFO-INSTITUT fOr Wirftchafoforichung MOnchtn
211/70
Abbildung 12
während des Fertigungsvorgangs ein wesentliches Hindernis für einen automatisch ablaufenden Continueprozeß, da Fadenbrüche i n der Längskette immer noch von Hand behoben werden müssen. Durch verbesserte Qualität des zu verarbeitenden Garnes ist es allerdings gelungen, die Fadenbrüche zu reduzieren, so daß der bei einem Fadenbruch automatisch eintretende Stillstand des Webstuhls nur noch relativ selten vorkommt. — Wirkerei
und Strickerei
I m letzten Jahrzehnt ist der Weberei durch die Wirkerei und Strikkerei ein ernsthafter Konkurrent entstanden. I n der Wirkerei und Strickerei werden textile Flächen durch Verarbeitung von Fäden zu Maschen hergestellt. Die Maschenbildung erfolgt beim Stricken i n
1. Technische Veränderungen in der Textilindustrie
91
einer Reihe nacheinander, beim Wirken in einer Reihe gleichzeitig. Das Prinzip des Wirkens und Strickens ist eine elegantere Technologie als das Weben. Auf den modernen Wirk- und Strickmaschinen können wesentlich höhere Produktionsleistungen erzielt werden als auf Webmaschinen; je nach dem Produkt beträgt die Leistungssteigerung 200 bis 600 %>. Obwohl die Stoffe, die in der Wirkerei und Strickerei hergestellt werden, große Ähnlichkeit mit Textilien der Webereien haben, dürfte das Weben auch in Zukunft einen wichtigen Platz innerhalb der Herstellung textiler Flächen behaupten. Zum einen bereitet es bei der Wirk- und Stricktechnik Schwierigkeiten, formstabile Gebilde herzustellen, zum anderen ist der Webstuhl wesentlich vielfältiger einsatzfähig und erlaubt eine beträchtlich größere Zahl von Musterungsmöglichkeiten als die Wirk- und Strickmaschinen. Der Wirk- und Strickmaschinenbau versucht jedoch, diese Nachteile gegenüber den Webmaschinen zu beheben24. So konnte die Formstabilität des Stoffes durch eine neue Anordnung der Fäden wesentlich erhöht werden. I m Gegensatz zur normalen Wirk- und Stricktechnik wird abwechselnd einer der Fäden nicht an der Bildung jeder Masche beteiligt. Der Faden liegt in diesem Falle immer wieder ein kurzes Stück gerade in der Ware (ähnlich dem Schuß im Gewebe) und trägt somit zur Formbeständigkeit des Stoffes bei. Bei einer anderen Methode, wenig dehnbare Stoffe zu wirken, wird außer dem maschenbildenden Faden noch ein zweiter Faden pro Maschenreihe eingezogen, der fast gerade verläuft und die Dehnung in seitlicher Richtung verhindert. Nach dieser Art werden JerseyStoffe fabriziert, die eine rasche Absatzausweitung auf dem Textilmarkt fanden. Für bestimmte Verwendungszwecke ist jedoch eine starke Dehnbarkeit des textilen Gebildes erwünscht. Die Wirk- und Stricktechnik kommt dieser Forderung sehr entgegen. Die Dehnbarkeit wird unterstützt durch Verwendung neuer Rohstoffe hoher Elastizität oder hoher Fadenglätte. Die Entwicklung im Wirk- und Strickmaschinenbau ist gekennzeichnet durch eine Erhöhung der Maschinenleistung bei gleichzeitiger Verminderung des Bedienungspersonals, eine Verminderung der Nebenzeiten, insbesondere der Rüstzeiten und eine Erhöhung der Musterungsmöglichkeiten 25. 24 25
Breitenacher, Michael: 9. Textilindustrie, a. a. O., S. 103 ff. Die folgenden Beispiele technischer Veränderungen sind entnommen: 9. Textilindustrie, Teil B: Technische Veränderungen und ihre Auswirkungen in untersuchten Betriebsteilen (Forschungsprojekt des Rationalisierungskuratoriums der Deutschen Wirtschaft: Rationeller Einsatz der menschlichen Arbeitskraft durch soziale und technische Anpassung der Arbeit an den Menschen bei technischer Umstellung), Juni 1968.
92
VI. Wandlungen in der Produktionstechnik und im Rohstoffeinsatz Ein eindrucksvolles Beispiel für die Erhöhung der Maschinenleistung ist die Entwicklung der Hundstrickmaschine. Beim Bremsen und Beschleunigen der hin- und hergehenden Schlitten der Flachstrickmaschine geht viel Energie verloren, die Umschaltvorgänge am Ende der Reihe benötigen bestimmte, nur mit hohem Aufwand reduzierbare Zeiten. Aus dem Bestreben heraus, diese Nachteile zu beseitigen, entstand die Rundstrickmaschine mit zunächst nur einer Strickstelle. Hierbei werden die an einer rotierenden Trommel angebrachten Nadeln an einem feststehenden Schloß vorbeigeführt. Der Vorteil liegt darin, daß eine größere Masse nur kontinuierliche Rotationsbewegungen ausführt; er wird zum Teil dadurch kompensiert, daß ausschließlich Stoffe in Schlauchform, also keine Strickteile, produziert werden können. Bis zum Jahre 1950 kannte man nur Flachstrickmaschinen und Rundstrickmaschinen mit einer Strickstelle. Dann kam die erste Doppelschloß-Flachstrickmaschine auf den Markt, bei welcher zwei in Bewegungsrichtung des Schlittens hintereinander versetzte Schlösser in einem Schlittenhub zwei Reihen übereinander stricken. Durch konsequente Übertragung dieses Prinzips auf die Rundstrickmaschine wurden Rundstrickmaschinen mit zwölf und mehr Strickstellen entwickelt. Die steigenden Ansprüche hinsichtlich Musterungsart sowie die laufende Verknappung der Arbeitskraft haben auch im Bau von Wirkund Strickmaschinen dazu gezwungen, den Fertigungsablauf zu automatisieren. Die Maschinen werden zunehmend mit Programmträgern, Schaltapparaten, Musterungstrommeln und Fadenüberwachungsgeräten ausgerüstet. Eine spürbare Verminderung der Nebenzeiten konnte bei den Rundstrickmaschinen durch die Einführung eines neuen Umrüstsystems erzielt werden. Die Zeitersparnis beträgt etwa 50 bis 75 °/o. Dadurch ist es möglich, auf den Rundstrickmaschinen ein flexibles Produktionsprogramm mit kleineren Losgrößen aufzulegen, ohne daß die Kosten durch häufiges Umrüsten spürbar ansteigen. Die neuesten Entwicklungen bei den Rundstrickmaschinen ermöglichen eine nahezu unbegrenzte Musterlänge. Mit enorm hohen Strickgeschwindigkeiten können Mustereffekte erzielt werden, die man bisher nur bei bedruckten Webstoffen kannte. Auch bei den Cotton-Wirkmaschinen führte die technische Entwicklung zu einer bedeutenden Verminderung der Nebenzeiten. Eine Programmvorwahl ermöglicht es, während des Auslaufens der letzten Serie eine neue Form mit Druckknopfschaltung vorzuwählen. Die augenfälligsten Veränderungen haben sich in der Vergangenheit im Bau von Maschinen für die Herstellung von Oberbekleidungs-
1. Technische Veränderungen in der Textilindustrie
93
Stoffen vollzogen, was auf den Einfluß der Mode und das reichhaltigere Rohstoffangebot zurückzuführen ist. Demgegenüber unterliegen Maschinen für die Herstellung von Unterwäschestoffen nur geringen Veränderungen; Maschinenmessen bestätigen, daß Neuentwicklungen selten sind 28 . Hier zeichnet sich eine zunehmende Spezialisierung im Bau von Wirk- und Strickmaschinen ab. — Textilverbundstoffe Eine neue Technik zur Herstellung textiler Flächen ist die Herstellung sogenannter Textilverbundstoffe (non-woven fabrics). Hierzu zählen Vliesstoffe, Näh-Verbundstoffe, Filze und Watten sowie verstärkte Papiere. Die wichtigsten Textilverbundstoffe sind die Vliesstoffe. Darunter versteht man flexible, poröse Flächengebilde aus Textilfasern, die gegebenenfalls nach Vorverfestigung auf mechanischem Wege (z. B. durch Nadeln) durch Verkleben mit Hilfe eines Bindemittels, durch Anlösen, durch Verschweißen oder durch eine Kombination dieser Verfahren untereinander verbunden sind. Die Vliesstoffe werden also unter Umgehung des Garnes und der klassischen Techniken der Textilindustrie hergestellt. Sie haben völlig neuartige Märkte erschlossen bzw. sind in Gebiete eingedrungen, die bisher den „klassischen" Textilien, aber auch Werkstoffen wie Leder, Papier u. ä., vorbehalten waren. Die Vliesstoffe erwiesen sich diesen Erzeugnissen vor allem aufgrund ihrer Eigenschaften als überlegen. Ihren entscheidenden Durchbruch in der Bundesrepublik erzielten die Vliesstoffe als Einlagematerial für die Bekleidungsindustrie nach dem zweiten Weltkrieg. Weitere Beispiele für Anwendungsmöglichkeiten sind: — Vliesstoffe für Hygiene und Medizin: Verbandstoffe, Bettwäsche, Operationstücher, Ärzte- und Laborkittel u. a. m. — Vliesstoffe für den Haushalt: Tisch-, Staub-, Trockentücher, Tapeten und Gardinen u. a. m. — Vliesstoffe als Schuh- und Trägermaterial — Vliesstoffe in der Industrie: Filter, Schallisolierung, Polsterungen, Schutzbekleidung u. a. m. — Vliesstoffe als Teppichboden: Nadelfilze und Nadelfilzteppichböden. Bekleidungsstücke aus Vliesstoffen („Wegwerf-Garderobe") spielen vorläufig noch eine unbedeutende Rolle. 28 R. Worm: Wirk- und Strickmaschinen auf der Internationalen Textilmaschinen-Ausstellung 1967 in Basel, in: Melliand-Textilberichte, Jahrg. 49, S. 57.
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VI. Wandlungen in der Produktionstechnik und im Rohstoffeinsatz Der Anteil der Textilverbundstoffe an der Gesamtproduktion von textilen Flächengebilden belief sich im Jahre 1969 auf etwa 13 °/o27. Es ist damit zu rechnen, daß in Zukunft die Bedeutung der Textilverbundstoffe, insbesondere der Vliesstoffe, weiter ansteigt und für einen Teil der Spinner und Weber zu einer ernsthaften Konkurrenz wird 28 . Zwar stehen derzeit einer weiteren Diffusion der Vliesstoffe noch zahlreiche hemmende Faktoren entgegen (z.B. psychologische Hemmnisse, hohe Preise, nicht adäquate Weiterverarbeitungsmethoden und -maschinen). Die Hersteller von Vliesstoffen sind jedoch bestrebt, diese Hemmnisse abzubauen. Der Einsatz von Vliesstoffen bietet noch eine Fülle neuartiger, rationeller und manchmal sogar revolutionärer Problemlösungen auf zahlreichen Gebieten. Als der Umfang der Vliesstoff-Produktion noch sehr gering war, wurden Vliesstoffe auf Maschinen der Papierindustrie nach dem Naßverfahren hergestellt. Als nachteilig erwies sich, daß die Faserlänge eine Grenze von 10 mm nicht überschreiten konnte. Zur Erzielung eines weichen Griffs der Vliesstoffe werden Fasern einer Länge von 12—25 mm benötigt29. Auf der 4. Internationalen Textilmaschinen-Ausstellung im Jahre 1963 wurden zum ersten Male speziell für die Herstellung von Textilverbundstoffen entwickelte Anlagen vorgeführt. Schon zu diesem Zeitpunkt arbeiteten die meisten Maschinen automatisch30. Die Leistungssteigerung gegenüber den herkömmlichen Webmaschinen ist enorm; je nach der Dichte des Stoffes liegt sie um bis zu fünfzehnmal höher.
Aufgabe der Textilveredlung ist es, textile Rohwaren gebrauchsfähig zu machen. Die wichtigsten Bearbeitungsprozesse sind: Bleichen, Färben, Bedrucken und Appretieren. Der Veredlungsprozeß kann in den verschiedenen Produktionsstufen einsetzen (Flocke, Garn, Gewebe bzw. Gewirke). Die Stückveredlung, bei der fertige Gewebe oder Gewirke behandelt werden, bildet den Schwerpunkt der Textilveredlung 81 . Die technische Entwicklung in der Textilveredlung ist gekennzeichnet durch den Übergang vom diskontinuierlichen zum kontinuierlichen Arbeitsablauf, durch eine Teil-Auto27 Vgl. Breitenacher, M. und K. Grefermann: Herstellungsverfahren und Anwendungsgebiete von Vliesstoffen in der BRD — Fördernde und hemmende Faktoren ihrer Diffusion, München 1970, S. 20. 28 Jörder, H.: Die zukünftige Rolle der nach neuen Technologien hergestellten nicht gewebten Textilien, in: Melliand Textilberichte 7/1969, S. 768. 29 P. W. Sherwood: Nichtgewebte Textilien — neuartige Produkte der Textil-8 0und Papierindustrie, in: Textil-Praxis, Jahrgang 17, S. 563. G. Bob: Anlage zur Herstellung von Textilverbundstoffen, in: TextilPraxis, Jahrgang 19, S. 727. 81 Großes Textil-Lexikon, a. a. O., Band 2, S. 483.
1. Technische Veränderungen in der Textilindustrie
95
matisierung von Arbeitsvorgängen und durch eine Erhöhung der Durchlaufgeschwindigkeiten 82. b) Ve ränderungen im Rohstoffeinsatz Der Rohstoffeinsatz in der Textilindustrie war von jeher durch eine außerordentlich große Vielfalt gekennzeichnet. Diese Vielfalt hat sich im 20. Jahrhundert noch erhöht, als neben die Naturfasern die Chemiefasern traten. Ohne die Verarbeitung von Chemiefasern in der Textilindustrie könnte der heutige textile Massenbedarf — und zwar sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht — nicht mehr erfüllt werden. Zu den Chemiefasern zählen sämtliche Textilfasern, die mit chemischen Hilfsmitteln aus natürlichen, synthetischen und anorganisch gewonnenen Ausgangsstoffen erzeugt werden (vgl. Abbildung 13).
Einteilung der Textilfasern
Baumwolle Flachs Hanf Jute Sisal
Wolle Naturseide
u.a.
/ Zellulosebasis (Zellulosische Fasern): Reyon Zellwolle u. a.
Proleinbasis (KaseinZeinArdelnFasern)
Polyvinylchlorid (Rhovyl u.a.) Polyamid (Perlon, Ney Ion) Polyacrylnitrll (Dralon u.a.) Polyester (Dioten, Trevlra)
IFO-INSTITUT für Wirftdrafofondiung MOndwn
179/70
(fr
Abbildung 13
Neben der Einteilung nach dem Ausgangsstoff ist bei den Chemiefasern noch eine weitere Gliederung von Bedeutung. Man unterscheidet zwischen zellulosischen und synthetischen Endlosgarnen (Reyon, Perlon usw.) und zellulosischen und synthetischen Spinnfasern (Zellwolle, Perlon-Faser usw.). Während letztere noch in der Spinnerei zu einem Garn 82
C. Schubert: Textiltechnik und Forschung, a. a. O., S. 5.
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VI. Wandlungen in der Produktionstechnik und im Rohstoffeinsatz
gesponnen werden müssen, können die Chemiefäden unmittelbar zu Geweben und Gewirken verarbeitet werden. Dadurch kann die Spinnereistufe übersprungen werden. I m Rohstoffeinsatz der Textilindustrie haben in der Vergangenheit tiefgreifende Veränderungen stattgefunden. Bereits zu jener Zeit, als die Chemiefasern noch nicht bekannt waren bzw. nur in geringen Mengen produziert wurden, hat sich ein scharfer Wettbewerb zwischen den Naturfasern abgespielt. So wurde beispielsweise Flachs in zunehmendem Maße durch Baumwolle verdrängt; das schnelle Vordringen der Baumwolle hatte seinerseits wiederum Auswirkungen auf den Wollverbrauch. I n ähnlicher Weise wurde die Verarbeitung von Hanf durch den ständig steigenden Einsatz von Jute tangiert. Wesentlich tiefgreifendere Veränderungen im Rohstoffeinsatz wurden jedoch durch das Auftreten der Chemiefasern ausgelöst. I n der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts waren die Zellulosefasern die Pioniere. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich die synthetischen Fasern immer mehr in den Vordergrund geschoben. Während Zellwolle und Reyon schon unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs einen bedeutenden Anteil an der Rohstoff- und Garnverarbeitung in Spinnerei, Weberei und Maschenindustrie erreicht hatten und diesen bis in die jüngste Zeit nur knapp behaupten konnten, sind die Synthetiks seit Beginn des vorigen Jahrzehnts in einer stürmischen Expansion begriffen. I n der Textilindustrie der Bundesrepublik beträgt derzeit der Anteil der synthetischen Chemiefasern am gesamten Rohstoffverbrauch 33 etwa ein Drittel (vgl. Abbildung 14). Trotz des Vordringens der Chemiefasern ist die Baumwolle immer noch der wichtigste textile Rohstoff. Allerdings ist nicht zu übersehen, daß die Baumwolle insbesondere in der Garnverarbeitung immer mehr durch die Chemiefasern verdrängt wird 34 . Etwas geringere Anteilsverluste hat die Wolle hinnehmen müssen. Die zunehmende Verarbeitung von Chemiefasern in der Textilindustrie hat nicht nur das Ausmaß des Mehrverbrauchs von Naturfasern beschränkt, sondern hat — und das gilt seit Anfang der sechziger Jahre — sogar zu einem absoluten Rückgang der verarbeiteten Naturfasermenge geführt. Die Gründe für das Vordringen der Chemiefasern sind vielfältiger Natur. Sie dürften zunächst darin liegen, daß die Chemiefasern zum Teil 88 Gewichtet mit Baumwolläquivalenzziffern (reziprokes spezifisches Gewicht der einzelnen Rohstoff arten, bezogen auf die Baumwolle); die Bereinigung des Rohstoffverbrauchs mit Baumwolläquivalenzziffern berücksichtigt die Tatsache, daß z. B. aus einer Tonne Chemiefasern eine größere Fadenlänge bzw. eine größere textile Fläche produziert werden kann als aus einer Tonne Baumwolle. 84 In der Spinnstoffverarbeitung ist der Anteilsverlust geringer, da ein großer Teil der Chemiefasern keinem Spinnprozeß unterworfen wird.
1. Technische Veränderungen in der Textilindustrie Sfrukturverschiebungen im Maierialeinsalz der Textilindustrie Anteile der einzelnen Rohstoffarten^an der gesamten Rohstoffverarbeitung in */•
a)Roh- und Spinnstoffverarbeitung %
90
Baumwolle
e o 7 0 6 0
Wolle und andere Tierhaare
50
Zellwolle 4 0 30
Synthetische Spinnfasern
2 0 1 0
Bast-und Hartfasern Sonstige Spinnstoffe
0
1960
1969
b) Garnverarbeitung 1% 0 0 9 0
Baumwolle
eo 7 0
Wolle und andere Tierhaare
6 0
Zellwolle
5 0
Synthetische Spinnfasern
k 0
Reyon (einschl. Cbrd-Reyon)
3 0
Synthetische Fäden
2 0
1 0 0
Bast-und Hartfasern
1960
Sonstiges Material
1969
^Mit Baumwof/äquiva/enzziffenn bene/n/gf. t Quelle: Gesamtrenband den Textilindustrie tn cfen Bundesrepublik Deufsehtond-Gesamttextu und eigene Berechnungen. 16G/70
IFO-INSTITUT fOr Wirtodiaftsfondiunfl MOnctwn
Abbildung 14 7 Breltenacher
98
VI. Wandlungen in der Produktionstechnik und im Rohstoffeinsatz
Eigenschaften wie längere Haltbarkeit, leichte Waschbarkeit, höhere Formbeständigkeit, Elastizität usw. brachten, die von den Naturfasern nicht erreicht wurden. Die große Variationsbreite und Anpassungsfähigkeit der Chemiefasern hat dazu geführt, daß es heute kaum noch ein textiles Gut gibt, zu dessen Herstellung nicht auch Chemiefasern verarbeitet werden. Häufig haben sich Mischungen m i t natürlichen Fasern und Mischungen verschiedener Chemiefasern bewährt. Dies hat es ermöglicht, die jeweiligen Vorteile der einzelnen Faserarten optimal auszunützen. Durch die Mischung der Chemiefasern m i t Naturfasern lassen sich neue und verbesserte Eigenschaften der Endprodukte erzielen sowie das Angebot an Textilien erheblich erweitern. Überhaupt richtet sich gegenwärtig das Interesse der Chemiefaserhersteller mehr auf die Verbesserung bereits vorhandener Fasern, weniger auf die Schaffung neuer Fasertypen 35 . Als Beispiel ist zu nennen das Texturieren von Synthetiks. Auch die Eigenschaften der zellulosischen Chemiefasern konnten erheblich verbessert werden. So hat ein vermehrtes Angebot an Spezialfasern der Zellwolle alte Einsatzgebiete erweitert bzw. neue erschlossen. Letzteres gilt insbesondere für die polynosischen Fasern, die erst i n den letzten Jahren zur Marktreife entwickelt wurden. Ein weiterer Vorzug der Chemiefasern gegenüber den natürlichen Textilfasern ist ihre gleichmäßige Beschaffenheit. Dem Verarbeiter von Chemiefasern w i r d ein Gut ohne Verschmutzung und Fremdstoffe geliefert, die Faserlänge ist sehr gleichmäßig. Daneben unterstützen die Chemiefaserhersteller die Verarbeiter ihrer Erzeugnisse durch technische Beratung. Der starke Anstieg des Verbrauchs von Chemiefasern i n der Vergangenheit, vor allem der Synthetiks, ist auch auf die großen Werbefeldzüge zurückzuführen. I n dieser Beziehung war die Chemiefaserindustrie den landwirtschaftlichen Erzeugern von Baumwolle und Wolle bei weitem überlegen. Die Chemiefaserindustrie hat durch den Einsatz moderner Marketing-Methoden Nachfrage nach ihren Erzeugnissen „produziert". Zum überdurchschnittlichen Verbrauchsanstieg der Chemiefasern hat auch deren relativ stabiles und langfristig sinkendes Preisniveau beigetragen. I m übrigen ist bei den Chemiefasern der Preis weniger eine Funktion von Angebot und Nachfrage, wie er es bei den Naturfasern weitgehend ist; vielmehr setzt die „Nachfrageproduktion" der Chemie85
W. T. Kroese, Der Wettbewerb der Textilfasern untereinander und seine Auswirkung auf die Textilwirtschaft der Welt, in: 25 Jahre Forschungsstelle für allgemeine und textile Marktwirtschaft an der Universität Münster, 1966, S. 47.
1. Technische Veränderungen in der Textilindustrie
99
faserhersteller den Preis voraus, woraus sich also die Kosten und nicht der Preis als abhängige Variable ergeben 39 . Diese Aufzählung positiver Eigenschaften der Chemiefasern soll jedoch nicht die Probleme verdecken, die ihre zunehmende Verarbeitung für die Textilindustrie m i t sich bringt. Die Chemiefasern erfordern vielfach eine Umstellung zahlreicher Maschinen. Teilweise müssen sogar neue entwickelte Apparate angeschafft werden. Infolge der vergrößerten Streubreite des Rohstoffbereichs erhebt sich also die Forderung, die Betriebsmittel so auszulegen, daß auf ihnen möglichst viele der stark unterschiedlichen Fasern verarbeitet werden können. Hinzu kommt, daß die Maschinen beispielsweise durch Synthetiks schneller abgenutzt werden als durch Naturfasern. Demgegenüber ist es jedoch bei Verarbeitung von Synthetiks möglich, die Lauflänge der Spulen und die Tourenzahl der Maschinen zu erhöhen. Es w i r d somit deutlich, daß das Vordringen der Chemiefasern m i t tiefgreifenden Umstellungsmaßnahmen der textilen Produktionsverfahren bis h i n zur Einführung neuer Fertigungsverfahren verbunden war. Hier sei besonders hingewiesen auf die Technik des nonwovens (Herstellung von Textilverbundstoffen) und auf das Texturieren, aber auch auf weniger revolutionäre Techniken, wie beispielsweise das Tufting-Verfahren, das erst m i t dem Aufkommen der Synthetiks einen bedeutenden A u f schwung nahm 8 7 . Es sei hier dahingestellt, ob erst das Vordringen der Chemiefasern Veränderungen i n der Produktionstechnik auslöste, oder ob vielmehr die Fortschritte i m Textilmaschinenbau zu Neuentwicklungen auf dem Gebiet der Fasertechnologie führten. Wesentlich ist allein, daß eine gegenseitige Beeinflussung von Produktions- und Fasertechnik vorliegt. Das Vordringen der Chemiefasern hat Gegenmaßnahmen bei den Verarbeiten! von Naturfasern hervorgerufen. Die baumwollverarbeitende Industrie hat auf die Konkurrenz der Chemiefasern m i t intensiver Forschungs- und Entwicklungstätigkeit geantwortet. E i n Beispiel dafür ist die Einführung bügelfreier Baumwollqualitäten, die an die Synthetiks verlorene Marktanteile teilweise wieder zurückerobern konnten. Die Gegenmaßnahmen der Wollproduzenten finden ihren Ausdruck i n einer globalen Gemeinschaftswerbung; das „Internationale Wollsiegel" garantiert eine bestimmte Qualität der verarbeiteten Wolle. So sehr sie zunehmende Verarbeitung von Chemiefasern i n der Textilindustrie m i t Fortschritten i n der Produktions- u n d Fasertechnologie verbunden war, so sollte doch nicht übersehen werden, daß die Vorstufen 86 H. Gross, Vom Börsendenken zum gemachten Markt, Gedanken zur modernen Strategie der Markenfaser, Schriftenreihe Handelsblatt, Düsseldorf, ohne Jahresangabe, S. 6. 37 W. T. Kroese, Der Wettbewerb der T e x t i l f a s e r n . . a . a. O., S. 49.
7*
100
VI. Wandlungen in der Produktionstechnik und im Rohstoffeinsatz
der Textilindustrie durch den fortschreitenden Einbruch der Chemiefasern i n alle Bereiche der textilen Verarbeitung eine erhebliche Beeinträchtigung erfahren haben. Da die von der Chemiefaserindustrie hergestellten Endlosgarne nicht mehr ausgesponnen werden müssen, w u r den durch diese Entwicklung die Spinnereien besonders hart betroffen. Insgesamt gesehen dürften jedoch die Chemiefasern, die durch ihre Knitterarmut, Elastizität, Pflegeleichtigkeit usw. echte Vorteile gegenüber den Naturfasern aufweisen, die Expansion der Textilindustrie eher gefördert als gehemmt haben.
2. Entwicklung der Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit a) Realkapitaleinsatz Der Anstieg der Produktionsleistung der Textilindustrie i n der Nachkriegszeit erforderte qualitative und quantitative Veränderungen bei den Produktionsfaktoren. Dabei kam dem Produktionsfaktor Realkapital angesichts der zunehmenden Verknappung der Arbeitskraft besondere Bedeutung zu. Von dieser Erscheinung w i r d die Textilindustrie i n der Bundesrepublik mehr als andere Branchen berührt, da sie zum einen als unterdurchschnittlich wachsender Industriezweig keine besondere Anziehungskraft auf die Beschäftigten ausübt, zum anderen ihre Arbeitskräfte i m allgemeinen schlechter bezahlt als andere Wirtschaftszweige. Trotzdem ist die Textilindustrie der Bundesrepublik i m internationalen Vergleich m i t relativ hohen Arbeitskosten belastet. Die Lohnkosten der Textilindustrie der Bundesrepublik sind i n der Vergangenheit i n erheblichem Maße angestiegen und nehmen i n Europa eine Spitzenstellung ein. Der Unterschied zwischen den Lohnsätzen der deutschen und den Lohnsätzen der französischen und italienischen Textilindustrie beträgt rund 30 °/o38. Neben der Verknappung der Arbeitskraft erforderten die i n den vorstehenden Abschnitten dargelegten Veränderungen i n der Produktionstechnik, i m Rohstoffeinsatz und i m internationalen Handel m i t Textilien von der Textilindustrie tiefgreifende Anpassungsmaßnahmen. Die Kräfte, welche die Investitionsentscheidungen der Unternehmen i n den vergangenen Jahren bestimmten, lassen sich anhand der Investitionserhebung des Ifo-Instituts aufzeigen. Die Jahre bis 1956 waren noch durch ein zunehmendes Arbeitskräfteangebot gekennzeichnet. Für die Unternehmen der Textilindustrie bestand daher i n diesem Zeitabschnitt kaum Veranlassung, arbeitsparende 38 Arbeitgeberkreis Gesamttextil, Die Textilindustrie in Europa und der Welt, 7. Jahrgang, 1966, Frankfurt 1967.
2. Entwicklung der Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit
101
Methoden einzuführen 39 . Die Investitionstätigkeit verfolgte vielmehr das Ziel, die veralteten und die durch Kriegseinwirkung zerstörten Maschinen durch moderne Aggregate zu ersetzen. Diese Aufbau- und Ersatzinvestitionen haben jedoch den Kapitalstock nicht wesentlich erhöht, was daraus hervorgeht, daß der Kapitalkoeffizient 4 0 bis Mitte der fünfziger Jahre zurückging. Die stark steigende Endnachfrage nach Textilien konnte durch intensivere Ausnutzung des modernisierten Produktionsapparates befriedigt werden. Die Verschärfung des internationalen Konkurrenzkampfes auf dem Textilmarkt hat die Textilindustrie seit 1956 gezwungen, Kostensenkungen herbeizuführen. Rationalisierungsinvestitionen standen daher i n den vergangenen 15 Jahren i m Vordergrund der Investitionstätigkeit der Textilindustrie (vgl. Tabelle 25), und zwar weitaus stärker als i m Durchschnitt der Gesamtindustrie 41 . Unmittelbarer Anlaß dieser Investitionen war die Einsparung der teurer und knapper werdenden Arbeitskräfte (vgl. Tabelle 25). Dieses Investitionsmotiv hat bis 1965 ständig an Bedeutung gewonnen. I n den folgenden Jahren ist dagegen die Dringlichkeit arbeitsparender Investitionen etwas gesunken. I m langfristigen Schnitt (1959 bis 1969) hatte dieses Investitionsmotiv i n der Textilindustrie wesentlich größeres Gewicht als i n der Gesamtindustrie. Die Rationalisierungsinvestitionen brachten i n der Regel eine Erhöhung der Kapazitäten m i t sich. So wachsen beispielsweise die Produktionsmöglichkeiten beim Ersatz mechanischer durch automatische Webstühle erheblich an. Vergegenwärtigt man sich weiterhin, daß sich seit Ende der fünfziger Jahre das Wachstum der Nachfrage nach Textilerzeugnissen abschwächte und die Kapazitätsauslastung einen sinkenden Trend aufzeigte, so ist es verständlich, daß i n der Textilindustrie Erweiterungsinvestitionen i n den vergangenen Jahren nur eine untergeordnete Rolle spielten (vgl. Tabelle 25). Lediglich i n Jahren günstiger Konjunkturlage (1960, 1965, 1968 und 1969) k a m dem Erweiterungsmotiv steigende Bedeutung zu. A u f lange Sicht gesehen dürften jedoch Investitionen, die i n erster Linie der Erweiterung dienen, i n den Hintergrund treten, da der internationale Wettbewerb eine durch mangelnde Ausnutzung des Kapitalstocks entstehende Aufblähung der fixen Kosten nicht zuläßt 42 .
89 Vaal, Jürgen: Die Wachstumskomponenten der westdeutschen Textilindustrie 1950—1965, in: Zeitschrift für allgemeine und textile Marktwirtschaft, Jahrgang 1968, Heft 2, S. 50. 40 Verhältnis von Bruttoanlagevermögen (von Auslastungsschwankungen unbereinigt) zu Nettoproduktionswert. 41 I m Durchschnitt der Jahre von 1956 bis 1969 nannten 71 °/o der Firmen der Textilindustrie die Rationalisierung als Hauptziel der Investitionstätigkeit; in der Gesamtindustrie waren es etwa 50 °/o der Firmen. 42 Grosser, Hans-Dietrich: Produktivität und technischer Fortschritt in der Textilindustrie, Frankfurt 1963, S. 60.
102
VI. Wandlungen in der Produktionstechnik und im Rohstoffeinsatz Tabelle 25 Zielsetzung und Anlaß der Investitionstätigkeit in der Textilindustrie Zielsetzung und Anlaß
1959 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969
Als Hauptziel iltirer I nvest;itioni¡tätig]keitn anntem . . Vo der• Firnien 20 12 14 14 23 17 10 15 11 10 59 70 70 72 80 80 66 81 76 78 21 18 16 5 10 6 8 17 9 12
Erweiterung Rationalisierung.. Ersatzbeschaffung
25 62 13
Als besonderen An][aß ihrer Inivesti tionst ätigk eit namntei1 . . . V oder;Firm«ma) Einsparung von Arbeitskräften . . Änderung des Produktionsprogramms Umstellung auf neue Produktionsverfahren
54
63
66
61
66
72
73
60
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62
66
19
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27
24
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36
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27
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10
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27
25
29
21
24
25
16
a) Die Summe der Prozentzahlen ergibt nicht 100, da die Antworten jeweils auf die Gesamtzahl der beteiligten Unternehmen bezogen sind und die Firmen keinen oder mehrere Investitionsanlässe benennen konnten. Quelle: Investitionserhebung des Ifo-Instituts.
Die zunehmende Verschärfung des Wettbewerbs hat jedoch nicht nur einen Zwang zur Kostensenkung ausgeübt. Neben die Preiskonkurrenz ist — wie i n Kapitel I I I . 3 erwähnt — die Konkurrenz i n der Erzeugnisu n d Sortimentsgestaltung getreten. Die Veränderungen auf dem A b satzmarkt, insbesondere die bei Stapelware auftretenden Absatzschwierigkeiten sowie gestiegene Ansprüche der Verbraucher hinsichtlich Qualität, Form und modischer Gestaltung 4 3 veranlaßten die Textilunternehmen zur Kreierung neuer Produkte oder zur Produktvariation. Diese Verhaltensweise der Unternehmen hat eine Ausweitung der Investitionen i n Richtung Forschung, Entwicklung und Einsatz neuartiger Materialien einerseits, Absatzorganisation u n d Werbung andererseits m i t sich gebracht. Anhaltspunkte über die A k t i v i t ä t der Textilfirmen i n bezug auf neue Produkte und/oder die Veränderung der Erzeugnis- u n d Sortimentsgestaltung liefert ebenfalls die Ifo-Investitionserhebung (vgl. Tabelle 25). Danach wurde i m Durchschnitt der Jahre 1959 bis 1969 von r u n d einem D r i t t e l der F i r m e n der Textilindustrie die Änderung des Produktionsprogramms als Anlaß für die Investitionstätigkeit genannt. 43 H. Kindermann, Bestimmungsgründe für das Verhalten der Unternehmer aus der Textilindustrie, insbesondere der Baumwollindustrie, bei Investitionsentscheidungen, Münster 1961, S. 181.
2. Entwicklung der Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit
103
Da dieser Anteilssatz wesentlich unter dem Durchschnitt der Gesamtindustrie liegt (über 50 °/o der Firmen), dürfte unsere i n Kapitel III.3 vertretene These, daß noch i n zahlreichen Unternehmen der Textilindustrie ein gezieltes Marketing fehlt, bestätigt sein; dies gilt u m so mehr, als die Möglichkeiten der Produktgestaltung i n der Textilindustrie i m Vergleich zu anderen Industriezweigen äußerst vielfältig sein können. Die Produktvariation und -kreierung kann den Einsatz neuer technsicher Verfahren erfordern. Dasselbe gilt bis zu einem gewissen Grade auch für Rationalisierungsinvestitionen, die i m vergangenen Jahrzehnt i n der Textilindustrie i n den Vordergrund gerückt sind. Der technologische Fortschritt ist also hier ein Hilfsmittel zur Durchführung derartiger Maßnahmen. Die ständigen Verbesserungen i n der Textiltechnik ermöglichten die Durchführung solcher Investitionen. I m Schnitt der Jahre von 1959 bis 1969 war bei 25 % der Firmen der Textilindustrie die Investitionstätigkeit durch Umstellung auf neue Produktionsverfahren veranlaßt; damit kam diesem Anlaß der Investitionstätigkeit eine etwas geringere Bedeutung als i m Durchschnitt der Gesamtindustrie zu (bei einem D r i t t e l der Firmen). Dies ist insofern verständlich, als völlig neuartige Verfahren i n der Textilindustrie relativ selten anzutreffen sind. Inwieweit sich die Veränderungen i n der textilen Produktionstechnik i m Realkapitaleinsatz niedergeschlagen haben, der i n der Textilindustrie von 1953 bis 1969 u m 100 °/o gestiegen ist 4 4 , läßt sich an der Entwicklung des Gütegrades ablesen. Aus einer Untersuchung von Grosser 45 geht hervor, daß sich diese Maßzahl 46 von 1953 bis 1962 von 61,6 auf 68,9 erhöht hat, d. h. das Gewicht der jüngeren Investitionsjahrgänge innerhalb des Bruttoanlagevermögens ist i m Zeitablauf größer geworden. E i n Anstieg des Gütegrades ist gleichzusetzen m i t einer verbesserten Altersstruktur des Bruttoanlagevermögens. Der Untersuchung von Grosser kann entnommen werden, daß i m Jahre 1955 44,5 °/o der Anlagen der Textilindustrie über fünfzehn Jahre alt waren; 1962 waren es nur noch 27,7 %>. Dieser zunehmende Ersatz alter durch neue Anlagen hat sich auch i n den folgenden Jahren fortgesetzt. A u f der Webereistufe läßt sich die Modernisierung des Maschinenparks indirekt aus der Entwicklung des Automationsgrades 47 ablesen (vgl. Abbildung 15). I n sämtlichen Branchen hat sich der A n t e i l der Automaten am gesamten Bestand von Webmaschinen erhöht, wenn auch i n unterschiedlichem Maße (vgl. Tabelle 26). Der Einsatz technisch ver44 Gemessen am Wachstum des realen Bruttoanlagevermögens, also des Neuwerts sämtlicher Anlagen zu konstanten Preisen. 45 Grosser, Hans-Dietrich: P r o d u k t i v i t ä t . . a . a. O., S. 44 ff. 46 Verhältnis von Nettoanlagevermögen (Zeitwert-Rechnung) zu Bruttoanlagevermögen (Neuwert-Rechnung). 47 Anteil der Webautomaten am gesamten Bestand von Webstühlen.
104
VI. Wandlungen in der Produktionstechnik und im Rohstoffeinsatz
besserter Webmaschinen hat es den Firmen i m allgemeinen erlaubt, überalterte Webstühle außer Dienst zu stellen, so daß der gesamte Bestand an Webmaschinen — bei gleichzeitig ansteigender Produktion 4 8 — abgebaut werden konnte. I n der Herstellung von Webteppichen wurde die Zahl der Webstühle erst seit 1966 reduziert; i n der Möbel- und Dekorationsstoffweberei blieb der Webstuhlbestand bei hohem Produktionswachstum i n etwa konstant.
Entwicklung des Automationsgnades in der Weberei Anteil der automatischen Webmaschinen am gesamten Bestand von Webmaschinen
% 100
r
90
6o
3o
2o
1958
1959 1960 1961
1962
1963
Quelle: Gesa mherband den Textilindustrie
1964
1965
1966 1967
in der Bundesrepublik
1968 1969
Deutschland-Gesamttextil-eX
175/70
IFO-INSTITUT für WirtKhafhforsdiung München
(¡ß
Abbildung 15
48 Produktionsrückgänge waren nur in der Juteweberei und in der Herstellung von Webteppichen zu verzeichnen.
2. Entwicklung der Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit
105
I n einigen Webereisparten w a r i n den letzten Jahren nicht n u r der B e s t a n d a n mechanischen, s o n d e r n auch a n a u t o m a t i s c h e n W e b s t ü h l e n r ü c k l ä u f i g 4 9 . D i e s ist n e b e n e i n e m I n d i z f ü r d i e z u n e h m e n d e S u b s t i t u t i o n v o n A n b a u a u t o m a t e n d u r c h V o l l a u t o m a t e n auch e i n H i n w e i s a u f das V o r d r i n g e n d e r schützenlosen W e b m a s c h i n e n . A m 30. S e p t e m b e r 1969 w a r e n i n d e r T e x t i l i n d u s t r i e d e r B u n d e s r e p u b l i k 5910 W e b m a s c h i n e n dieses T y p s i n B e t r i e b , das e n t s p r i c h t e t w a 6%> des gesamten W e b maschinenbestandes. R u n d 20 J a h r e , n a c h d e m d e r h e u t e m e i s t g e b r a u c h t e T y p a u f d e n M a r k t k a m , i s t also die V e r b r e i t u n g schützenloser W e b m a s c h i n e n noch r e l a t i v gering 50. E i n G r u n d d ü r f t e n die bei früheren Modellen häufig aufgetre-
Tabelle 26 Entwicklung des Bestandes an Webmaschinen und des Automationsgrades in ausgewählten Betriebsarten der Weberei^) Betriebsart Juteweberei Baumwollweberei Schwerweberei Seiden- und Samtweberei Leinenweberei Tuch- und Kleiderstoffweberei Grobgarnweberei Möbel- und Dekorationsstoffweberei Teppichweberei*»
Maschinenart
1954
1969
Webmaschinen insges. davon Automaten in °/o Webmaschinen insges. davon Automaten in °/o Webmaschinen insges. davon Automaten in °/o Webmaschinen insges. davon Automaten in % Webmaschinen insges. davon Automaten in °/o
5 229 76,8 131 485 35,6 3 726 27,4 34 500 8,7 6 950 20,8
2 610 94,6 58 257 91,9 1659 88,7 21 784 81,5 2 685 74,6
Webmaschinen insges. davon Automaten in °/o Webmaschinen insges. davon Automaten in %
18 825 6,5 1523 3,1
7162 61,1 896 60,6
Webmaschinen insges. davon Automaten in °/o Webmaschinen insges. davon Automaten in %
4157 5,1 1029 3,5
4168 44,2 1448 24,5
a) 1954 Jahresende, 1969 September. — b) Nur Herstellung gewebter Teppiche. Quelle : Gesamtverband der Textilindustrie in der Bundesrepublik Deutschland — Gesamttextil-e.V.; eigene Berechnungen. 49 Der Bestand an Webautomaten hat sich verringert in der Herstellung von Webteppichen seit 1968, in der Baumwollweberei seit 1961, in der Schwerweberei seit 1962, in der Seiden- und Samtweberei seit 1967; in der Juteweberei wurden Automaten wegen der schlechten Absatzlage bereits 1956 stillgelegt. 50 Der Anteil der Produktion, die auf schützenlosen Webmaschinen hergestellt wird, ist allerdings höher als 6 % , da die Bandbreite der schützenlosen Webmaschinen größer ist als jene der herkömmlichen Webstühle.
106
VI. Wandlungen in der Produktionstechnik und im Rohstoffeinsatz
tenen Störungen sein. I n der — bereits zitierten — Erhebung des IfoInstituts 5 1 über neue Technologien wurde von den Baumwollwebern weiter darauf hingewiesen, daß die schützenlosen Webmaschinen zu wenig flexibel seien und daß die Aktionsfreiheit für den Betrieb durch die steigende Kapitalkostenbelastung eingeschränkt würde. Die Verbreitung der Maschinen w i r d weiter gehemmt durch das geringe Fassungsvermögen des Marktes und die relativ große Zahl von Kleinbetrieben, die nicht i n der Lage sind, schützenlose Webmaschinen zu finanzieren. Schließlich dürfte auch eine Rolle spielen, daß bei vielen Baumwollverarbeitern nur eine geringe Neigung besteht, Risiken einzugehen. Da die neuen Anlagen i m Vergleich zu den alten Anlagen durchwegs technische Verbesserungen aufwiesen, bedeuteten die Verschiebungen zugunsten der modernen Maschinen eine Steigerung der Leistungsfähigkeit des Produktionsapparates. Diese kommt i n einer höheren Laufgeschwindigkeit der Maschinenaggregate zum Ausdruck, d. h. die durchschnittliche Maschinenlaufzeit je Produkteinheit ist gesunken (vgl. Tabelle 27).
Tabelle 27 Maschinenlaufzeit je Produkteinheit in ausgewählten Betriebsarten der Textilindustrie im Jahre 1969 Betriebsart Haargarnspinnerei Jutespinnerei Kammgarnspinnerei Drei- und Vierzylinderspinnerei Teppichweberei*) Grobgarnspinnerei Leinenweberei Baumwollweberei Juteweberei Tuch- und Kleiderstoffweberei Grobgarnweberei Hartfaserspinnerei Seiden- und Samtweberei Möbel- und Dekorationsstoffweberei Hanf- und Flachsspinnerei Streichgarnspinnerei Zweizylinderspinnerei Schwerweberei
1954 = 100 98.6 87.2
81,2
79.5 77.4 65,1 64,1
62,1
59,9 57.3 55.7 55.6 51,9 49.7 46,9 39.5 36.4
28.8
a) Nur Herstellung gewebter Teppiche. Quelle: Gesamtverband der Textilindustrie in der Bundesrepublik Deutschland — Gesamttextil-e.V.; eigene Berechnungen. 51 Vgl. Schedl, Hans: Geringe Verbreitung schützenloser Webmaschinen, a. a. O., S. 16 f.
2. Entwicklung der Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit
107
b) Arbeitseinsatz Die Steigerung der Maschinenleistung hat die Entwicklung des A r beitseinsatzes i n der Textilindustrie wesentlich beeinflußt. Sie trug dazu bei, daß seit 1958 die vormals positive Korrelation zwischen Produktions- und Beschäftigtenwachstum nicht mehr gegeben war. Von 1958 bis 1969 hat sich die Beschäftigtenzahl von 625 000 auf 507 000 ermäßigt, d.h. die Textilindustrie hat i n diesem Zeitraum 118 000 A r beitskräfte freigesetzt 52 , während gleichzeitig die Produktion u m 66 °/o angestiegen ist. Die Beschäftigtenentwicklung i n der Textilindustrie steht damit i m Gegensatz zur Entwicklung i n der Gesamtindustrie, i n der sich von 1958 bis Mitte der sechziger Jahre der Arbeitseinsatz erhöhte und seitdem i n etwa konstant blieb. Die Freisetzung von Beschäftigten war i m allgemeinen i n jenen Branchen am größten, i n denen die Produktion nur wenig zunahm bzw. rückläufig war. Hierzu zählen die Streichgarnspinnerei, die Drei- und Vierzylinderspinnerei, die Tuch- und Kleiderstoffindustrie sowie die Baumwollweberei. N u r wenige Branchen der Textilindustrie hatten einen zusätzlichen Arbeitskräftebedarf; es waren dies i n erster Linie die Teppichweberei (einschließlich Herstellung von Tufting- und Nadelfilzteppichen) und die Maschenindustrie, also Sparten, die ein überdurchschnittlich hohes Produktionswachstum erzielen konnten. Die Freisetzung von Arbeitskräften i n der Textilindustrie brachte i m allgemeinen keine schwerwiegenden sozialen Probleme m i t sich, da sich die Textilindustrie auf dem Arbeitsmarkt ohnehin einer starken Konkurrenz anderer Industriezweige ausgesetzt sah, die z. T. bessere Verdienstmöglichkeiten, sichere Arbeitsplätze und bessere Berufschancen bieten können. Die Textilunternehmen sahen sich deshalb sogar häufig gezwungen, Standorte zu nehmen, an denen sie wenig oder weniger Konkurrenz anderer Industriezweige zu fürchten haben. Die Textilindustrie war daher i n der Vergangenheit m i t einem relativ starken A n t e i l an der Gesamtheit der i n der Bundesrepublik verlagerten bzw. neu gegründeten Betriebe beteiligt. Daraus resultiert auch, daß i n allen Bundesländern die Zahl der i n den Landkreisen ansässigen Textilbetriebe wesentlich höher ist als die Zahl der Betriebe, die ihren Standort i n kreisfreien Städten haben. Die Zahl der Beschäftigten ist i n allen Ländern i n den Landkreisen höher als i n den Stadtkreisen (vgl. Tabelle 28). Da die Textilindustrie zu einem großen Teil weibliche Arbeitskräfte beschäftigt, w i r d diese Tendenz, i n ländlichen Gebieten bzw. kleineren 62 Diese Freisetzung beruhte nicht ausschließlich auf dem Ersatz menschlicher Arbeit durch bessere Technik, sondern beispielsweise auch auf Betriebsschließungen.
108
VI. Wandlungen in der Produktionstechnik und im Rohstoffeinsatz
Gemeinden zu produzieren, noch verstärkt durch die geringe Mobilität der weiblichen Arbeitskräfte 5 3 .
bekanntlich
Neben diesen Deglomerationstendenzen verlieren jene Faktoren an Bedeutung, die früher zur Zusammenballung zahlreicher Textilbetriebe an bestimmten Standorten geführt haben, wie das Vorhandensein von fachlich geschultem Personal, die Vorteile des engen räumlichen Kontakts mit vor- und nachgelagerten Produktionsstufen sowie die allgemeinen Standortvorteile industrialisierter Räume, wie z. B. günstige Transportbedingungen usw. 54 . Für die gesamte Textilindustrie lassen sich nur noch wenige Beispiele für Agglomerationen finden. Hierzu zählen beispielsweise die Konzentration von Textilfirmen i m Rhein-Ruhrgebiet sowie i n der Industriestadt Augsburg. Aber auch diese Agglomerationserscheinungen haben sich deutlich abgeschwächt.
Tabelle 28 Verteilung der Betriebe und Beschäftigten der Textilindustrie auf Stadt- und Landkreise (Stand: September 1966)
davon insgesamt Land
Kreisfreie Städte
Landkreise
Be- Beschäf- Be- Beschäf- Be- Beschäftriebe tigte triebe tigte triebe tigte Bayern Baden-Württemberg Schleswig-Holstein Hamburg Bremen Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Hessen Rheinland-Pfalz Saarland Berlin (West) Insgesamt
..
765 1206 60 29 11 229 1325 228 85 15 76
106 901 157 367 7 030 2 368 4 792 35 411 175 837 24 937 12 565 1306 5 312
243 52 22 29 11 53 628 35 13 76
5 312
4 029
533 826
1162
162 117
—
47 102 10 801 3 003 2 368 4 792 11574 66 222 7 723 3 220 —
522 1154 38 — —
176 697 193 72 15 —
2 867
59 799 146 566 4 027 — —
23 837 109 615 17 214 9 345 1306 —
371 709
Quelle: Statistisches Bundesamt: Regionale Verteilung der Industriebetriebe und deren Beschäftigten nach Industriegruppen; eigene Berechnungen.
63 Vgl. hierzu Schworm, Klaus: Die Agglomerations- und Deglomerationstendenzen in der Textilindustrie, in: Agglomerations- und Deglomerationstendenzen in der westdeutschen Industrie, herausgegeben vom Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung, München 1967, S. 236. 84 Vgl. Schworm, Klaus: a. a. O., S. 235.
2. Entwicklung der Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit
109
Der Einsatz moderner Fertigungsverfahren i n der Textilindustrie hatte einerseits eine Einsparung von Arbeitskräften zur Folge, andererseits mußte die Qualifikation der Beschäftigten den veränderten A n sprüchen angepaßt werden. Die Textilindustrie, die aus dem Handwerk hervorgewachsen ist, zählte ursprünglich zu jenen Industriezweigen, die einen hohen Facharbeiteranteil hatten. I m Zuge der Mechanisierung wurde jedoch der Facharbeiter weitgehend von Angelernten ersetzt, so daß die Textilindustrie heute, gemessen an der Gesamtindustrie, einen unterdurchschnittlichen Facharbeiteranteil aufweist 55 . So haben sich beispielsweise die Anforderungen an den Weber m i t dem Ubergang vom mechanischen zum automatischen Webstuhl beträchtlich verändert. Die notwendigen Fertigkeiten können auch von branchenfremden Arbeitskräften gelernt werden, wenngleich nicht zu übersehen ist, daß die Überwachungs- und Bedienungsfunktionen zum Teil umfangreicher geworden sind. Grundlegende Voraussetzung der Rationalisierung und Mechanisierung war der verstärkte Einsatz hochqualifizierter Fachkräfte (Meister, Einrichter, Einsteller, Maschinenschlosser, Elektriker). Sie haben i n erster Linie für das reibungslose Funktionieren des Produktionsprozesses Sorge zu tragen. Von den Meistern werden beispielsweise neben der reinen Handfertigkeit i n immer stärkerem Maße organisatorische und methodische Fähigkeiten sowie Verantwortungsgefühl und Initiative verlangt 5 6 . Die Veränderungen i n der Produktionstechnik und i m Rohstoffeinsatz erfordern darüber hinaus einen erweiterten Stab von Technikern und Ingenieuren, die das Zusammenspiel der Produktionsfaktoren ordnen und planen. Der Textilindustrie ist es i n der Vergangenheit nicht gelungen, ihren Bedarf an technischen Führungskräften vollständig zu decken. Seit eineinhalb Jahren versucht Gesamttextil (in Zusammenarbeit m i t der Industrievereinigung Chemiefaser), das drückende Nachwuchsproblem durch eine groß angelegte Werbekampagne für Textilingenieure und -techniker sowie den Hinweis zu lösen, daß die Textilingenieure und -techniker sowie durch den Hinweis zu lösen, daß die Textilindustrie zukunftssichere Arbeitsplätze bieten kann. Als erster Erfolg dieser Bemühungen ist die Zahl der Anmeldungen bei den Textilingenieurschulen gestiegen. Die erhöhten Anforderungen, die an die Beschäftigten der Textilindustrie gestellt werden (was i m übrigen nicht nur durch Veränderun55 I n den letzten Jahren hat die Bedeutung der Facharbeiter allerdings nicht mehr abgenommen. 56 Pauwels, Cl.: Technischer Fortschritt und Gemeinsamer Markt, Europäische Konferenz, Arbeitsgruppe Textilindustrie, Brüssel, Dezember 1960.
110
V I . Wandlungen in der Produktionstechnik und im Rohstoffeinsatz
g e n i n d e r M a s c h i n e n - u n d Fasertechnologie, s o n d e r n auch d u r c h die E i n f ü h r u n g m o d e r n e r M e t h o d e n d e r U n t e r n e h m e n s f ü h r u n g b e d i n g t ist), h a b e n d a z u g e f ü h r t , daß sich d e r A n t e i l d e r A n g e s t e l l t e n a n d e n gesamt e n B e s c h ä f t i g t e n der T e x t i l i n d u s t r i e i n d e r V e r g a n g e n h e i t e r h e b l i c h e r h ö h t e (vgl. T a b e l l e 29). H i n z u k o m m t d i e f o r t s c h r e i t e n d e D i f f e r e n z i e r u n g d e r K o n s u m e n t e n w ü n s c h e i n b e z u g a u f M o d e u n d Dessin, w o d u r c h m e h r Personal — meist Angestellte — i n den Musterungs- u n d E n t wurfsabteilungen benötigt w i r d . Daneben hat die Industrie viele F u n k t i o n e n des G r o ß h a n d e l s ü b e r n o m m e n , so daß auch aus diesem G r u n d d e r A n t e i l der A n g e s t e l l t e n a n s t e i g t 5 7 . Tabelle 29 Beschäftigte der Textilindustrie nach der Stellung i m Betrieb 3 ) (Anteile in % Beschäftigte
1960
1962
1964
1966
1968
Männer und Frauen insgesamt*1) Tätige Inhaber und Mitinhaber . . Angestellte zusammen davon: kaufm. und Verwaltungsangestellte technische Angestellte .. Arbeiter zusammen davon: Facharbeiter Sonstige Arbeiter Lehrlinge zusammen davon: kaufm. und technische •. gewerbliche
0,8 13,7
.
83,4
.
2,1 ( 1,1) ( 1,0)
0,8 14,6
0,8 15,5
0,8 16,3
0,8 17,2
( 8,6) ( 6,0) 82,5 (25,6) (56,9) 2,1 ( 1,2) ( 0,9)
( 9,0) ( 6,5) 81,6 (27,2) (54,4) 2,1 ( 1,2) ( 0,9)
( 9,4) ( 6,9) 80,8 (25,9) (54,9) 2,1 ( 1,3) ( 0,8)
(10,1) ( 7,1) 79,8 (26,6) (53,3) 2,2 ( 1,3) ( 0,9)
57,1 16,5 35,6
57,1 17,6 36,4
55,8 17,6 36,3
54,7 18,4 36,6
(51,6) (12,6) 61,6 (45,3) (68,9) 47,1 (58,7) (34,1)
(53,0) (13,4) 61,6 (47,8) (68,5) 52,6 (64,6) (36,5)
(52,8) (13,6) 60,2 (45,7) (67,1) 52,3 (64,1) (34,7)
(52,4) (14,1) 59,0 (45,7) (65,6) 52,1 (62,4) (37,1)
Frauenc) Frauen insgesamt Tätige Inhaber und Mitinhaber .. Angestellte zusammen davon: kaufm. und Verwaltungsangestellte technische Angestellte . . Arbeiterinnen zusammen davon: Facharbeiterinnen .... Sonstige Arbeiterinnen Lehrlinge Zusammen davon: kaufm. und technische .. gewerbliche
57,3 16,4 35,5
.
61,7 44^0 (58,2) (28,8)
a) Hauptbeteiligte Betriebe ab 10 Beschäftigte; jeweils Ende September; Bundesgebiet einschließlich Berlin (West). — b) Anteile an den Gesamtbeschäftigten in °/o. — c) I n °/o der entsprechenden Betriebsstellung von Männern und Frauen zusammen. Quelle:
Statistisches Bundesamt.
57 Wellenreuther, a. a. O., S. 55.
Helmut:
Wandlungen
der
Beschäftigtenstruktur . .
2. Entwicklung der Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit
111
Die Beschäftigung von Frauen spielt i n der Textilindustrie eine große Rolle (vgl. Tabelle 29). Außer i n der Verwaltung, wo die weiblichen A n gestellten naturgemäß überwiegen, sind Frauen vor allem i n Spinn-, Web-, W i r k - und Strickberufen sowie als Textilnäherinnen tätig. Es gibt i m Textilgewerbe zahlreiche Arbeiten, die keine höheren Anforderungen an die körperliche Leistungsfähigkeit stellen und daher besonders für Frauen geeignet sind. Viele weibliche Arbeitskräfte haben eine abgeschlossene Berufsausbildung und sind demzufolge als Facharbeiterinnen eingesetzt. Der Einsatz von Frauen i m Produktionsprozeß war allerdings i n der Vergangenheit rückläufig. Wie Untersuchungen des Ifo-Instituts über die sozialen Auswirkungen des technischen Fortschritts 58 gezeigt haben, sind nämlich von technischen Freisetzungen i m Bereich der Arbeiter i n erster Linie Frauen betroffen. Sie müssen bei technischen Umstellungen vielfach m i t niedriger qualifizierten Tätigkeiten vorlieb nehmen. Darüber hinaus muß bei einer Umstellung auf den Drei-Schicht-Betrieb auf längere Sicht ohnehin auf die Weiterbeschäftigung von Frauen verzichtet werden, da diese aus gesetzlichen Gründen nur i n der Früh- und Nachmittagsschicht beschäftigt werden dürfen, so daß die männlichen Kollegen übermäßig oft zur Nachtschicht eingeteilt werden müßten. Dieser teilweise Verzicht auf die Beschäftigung von Frauen ist für die Textilindustrie insofern nicht unproblematisch, als die männlichen Arbeitskräfte i m allgemeinen höher bezahlt werden als die weiblichen Arbeitskräfte.
c)
Kapitalintensität
Durch die Mechanisierung des Produktionsprozesses hat sich das pro Arbeitskraft investierte Realkapital erheblich erhöht. Wellenreuther bringt ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie sich i m Zuge des Modernisierungsprozesses die Zahl der von einem Weber bedienten Webstühle i n einer Rohweberei verändert hat 5 9 . Einem Weber können demnach zugeteilt werden: 6 bis 8 mechanische Webstühle oder 16 Anbauautomaten oder 30—50 Vollautomaten oder etwa 22 Webmaschinen (dreibahnig, entspricht 66 Webautomaten).
58
Soziale Auswirkungen des technischen Fortschritts, Untersuchung des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, Berlin 1962, Seite 239. 59 Wellenreuther, Helmut: Wandlungen der Beschäftigtenstruktur . . . , a. a. O., S. 93.
112
VI. Wandlungen in der Produktionstechnik und im Rohstoffeinsatz
I n einzelnen Fällen ist es bereits gelungen, auf Bedienungszahlen von 100 oder sogar 150 Webmaschinen pro Weber zu kommen 80 . Für die gesamte Textilindustrie gibt das Verhältnis von realem Bruttoanlagevermögen zu Beschäftigten Auskunft über die Kapitalintensität. I m Jahre 1969 erreichte die Kapitalintensität i n der Textilindustrie den Wert von 33 150 DM 6 1 , i n der verarbeitenden Industrie einen Wert von 37 949 DM 6 2 . Die Textilindustrie kann also, wenn man die verarbeitende Industrie als Bezugspunkt nimmt, nicht als kapitalintensiver Industriezweig bezeichnet werden. Allerdings ist i n den letzten Jahren die Kennzahl i n der Textilindustrie wesentlich schneller angestiegen als i m Durchschnitt der Gesamtindustrie 63 . Die Maßzahl „Realkapitaleinsatz je Beschäftigten" hat den Mangel, daß sie die historischen Werte des Bruttoanlagevermögens aus unterschiedlichen Zeiträumen enthält. Man kann diesen Mangel beseitigen, indem man den erforderlichen Kapitaleinsatz pro Arbeitsplatz i m Zeitablauf bestimmt, also fragt, was gegenwärtig eine optimal dimensionierte Textilfabrik (mit allen Nebenanlagen) kostet, die nach modernster Technik erbaut wird, und was eine gleichartige Anlage auf dem technischen Stand von damals, z. B. 1958, kostete 64 . Eine Textilberatungsgesellschaft beantwortete i m Jahre 1964 diese Frage. Danach betrugen die Kosten pro Arbeitsplatz je nach Schichtrhythmus 70 000 bis 200 000 DM. Die entsprechenden Angaben für 1958 lauteten 33 000 bis 100 000 DM. Seit 1964 sind die Anlagekosten für einen Arbeitsplatz weiter gestiegen. Es w i r d berichtet, daß sich die Kosten bereits auf 300 000 D M beliefen, i n einigen kürzlich errichteten Textilfabriken auf 750 000 D M und mehr 8 5 . 3. Entwicklung der Produktivität und ihrer Erklärungskomponenten a) Faktorbezogene
Produktivität
Der Anstieg der Kapitalintensität hat zweifelsohne dazu beigetragen, daß die Textilindustrie zu den Branchen zählt, die i m vergangenen Jahrzehnt ein überdurchschnittliches Wachstum der Arbeitsproduktivität 60
Schubert, C.: Textiltechnik und Forschung, a. a. O., S. 5. I n Preisen von 1962. 82 I n Preisen von 1962. 83 I n den einzelnen Industriehauptgruppen erreichte die Kapitalintensität 1969 folgende Werte: Grundstoff- und Produktionsgüterindustrie: 68 079 DM, Investitionsgüterindustrie: 26 863 DM, Verbrauchsgüterindustrie: 23 788 D M . 64 Vgl. hierzu Scheid, Rudolf: Wirtschaftliche Voraussetzungen und Folgen des technischen Fortschritts in der Textilindustrie, in: Zeitschrift für die gesamte Textilindustrie, 67. Jahrgang, Heft 5/1965. 65 Schubert, C.: Technologien und die Bedeutung der Automation, a. a. O. 61
3. Entwicklung der Produktivität und ihrer Erklärungskomponenten
113
aufwiesen. Das Tempo des Fortschritts der Arbeitsproduktivität der Jahre 1960 bis 1969 hat sich gegenüber den fünfziger Jahren beschleunigt (vgl. Tabelle 30). Die Produktivitätsfortschritte erwiesen sich i n der Textilindustrie von 1960 bis 1969 als die alleinige Erklärungskomponente des Produktionswachstums. I m Vergleich zum Durchschnitt der verarbeitenden Industrie und zur Investitions- und Verbrauchsgüterindustrie kommt i n der Textilindustrie der Steigerung der Arbeitsproduktivität als alleiniger Träger des Produktionswachstums wesentlich größere Bedeutung zu (vgl. Tabelle 30).
Tabelle 30 Wachstum und Erklärungskomponenten des Nettoproduktionswertes (in °/o)
Jahresdurchschnittliche Veränderungsraten Industriezweig bzw. -gruppe
Erklärungsanteile 0 )
NettoArproArProProbeitsdukdukti- beitsvo- duktivotionsvität»)) lumena) vitäti» lumena> wert 1950—1960d)
Textilindustrie Verbrauchsgüterindustrie Investitionsgüterindustrie Verarbeitende Industrie
+ 5,7 + 7,9 . . . . . . + 12,5 + 10,9
+ + + +
0,2 2,7 6,3 4,3
+ + + +
5,4 5,0 5,8 5,6
4 35 52 43
96 65 48 57
1960—1969e) Textilindustrie Verbrauchsgüterindustrie Investitionsgüterindustrie Verarbeitende Industrie
+ + + +
3,6 5,4 5,5 5,9
-3,1 - 1,1 + 0,8 -0,1
+ + + +
6,9 6,5 4,7 6,0
- 82 - 20 + 15 - 2
182 120 85 102
a) Gesamtzahl der von allen Beschäftigten geleisteten Arbeitsstunden. — b) Nettoproduktionswert je Arbeitsstunde. — c) Anteil an der Summe der jahresdurchschnittlichen Veränderungsraten des Arbeitsvolumens und der Produktivität. — d) Errechnet aus Werten in Preisen von 1958, Bundesgebiet ohne Saarland und Berlin (West). — e) Errechnet aus Werten in Preisen von 1962, Bundesgebiet einschließlich Saarland und Berlin (West). Quelle : Uhlmann, Luitpold: Technischer Fortschritt in den Industriebranchen, in: Ifo-Schnelldienst Nr. 24,12. 6.1970, S. 14 f; eigene Berechnungen.
Wie bereits mehrfach erwähnt, ist die Textilindustrie ein Konglomerat zahlreicher heterogener Branchen. Insofern sind natürlich Aussagen, die sich auf den gesamten Industriezweig beziehen, nur gewogene 8 Breitenacher
114
VI. Wandlungen in der Produktionstechnik und im Rohstoffeinsatz
Durchschnitte; sie verdecken die teilweise ganz erheblichen Unterschiede zwischen den einzelnen Branchen. Dies gilt auch für die Entwicklung der Produktivität. Es gibt i n der Textilindustrie zahlreiche Branchen, die seit 1954 die Arbeitsproduktivität nur u m 2 bis 3% pro Jahr erhöhen konnten (vgl. Tabelle 31). Hierzu zählen so bedeutende Bereiche wie die Baumwollweberei und die Maschenindustrie. Aber auch i n der Tuch- und Kleiderstoffweberei sowie i n der Drei- und Vierzylinderspinnerei blieb das Produktivitätswachstum unterdurchschnittlich. Es handelt sich hier — m i t Ausnahme der Maschenindustrie — durchwegs u m Branchen m i t geringem Produktionswachstum, bei denen die Einsparung von Arbeitskräften offensichtlich nicht i n vollem Umfang der Modernisierung des Produktionsapparates entsprochen hat. Der unterdurchschnittliche Produktivitätsfortschritt i n der Maschenindustrie kann durch den relativ großen A n t e i l der Konfektionsarbeit i n dieser Branche erklärt werden, der einer Mechanisierung nur schwer zugänglich ist. Spitzenreiter i m Produktivitätswachstum waren i m allgemeinen jene Sparten, die die Produktion überdurchschnittlich erhöhen konnten (wie beispielsweise Teppichweberei, Möbel- und Dekorationsstoffweberei, Seiden- und Samtweberei). E i n für die Textilindustrie weniger günstiges B i l d ergibt sich, wenn man den absoluten Wert der Arbeitsproduktivität einem intersektoralen Vergleich unterzieht. Zwar lag das Nettoproduktionsvolumen je Beschäftigten (zu Preisen von 1962) i m Jahre 1969 i n der Textilindustrie (21403 DM) etwa gleichauf m i t dem der Verbrauchsgüterindustrie (22 004 DM) und der Investitionsgüterindustrie (23 420 DM), jedoch deutlich unter dem der verarbeitenden Industrie (29 401 DM). Die Produktivitätsentwicklung i n der Textilindustrie wurde bisher m i t jener der Gesamtindustrie verglichen. Diese Gegenüberstellung kann für die sektorale Strukturpolitik eines Landes von Bedeutung sein; sie ist aber insofern problematisch, als i n den einzelnen Industriezweigen unterschiedliche Produktionsbedingungen vorgegeben sind, die dem Produktivitätsfortschritt mehr oder weniger enge Grenzen setzen. Wunden behauptet sogar, daß es i m Rahmen der technisch-mengenmäßigen Produktivitätsanalyse unsinnig wäre, verschiedene Produktionszweige miteinander zu vergleichen 66 . Der intersektorale Vergleich ist durch einen internationalen Vergleich zu ergänzen. Gemessen an der Produktivitätsentwicklung i n anderen europäischen Ländern schnitt die Textilindustrie der Bundesrepublik i m Zeitraum von 1961 bis 1968 relativ gut ab. I h r Produktivitätswachstum wurde nur
06
S. 38.
Wunden, Wilfried: Die Textilindustrie der Bundesrepublik . . a . a. O.,
3. Entwicklung der Produktivität und ihrer Erklärungskomponenten
115
Tabelle 31 Wachstum der Arbeitsproduktivität in ausgewählten Betriebsarten der Textilindustrie von 1954 bis 1969 Durchschn. Index Absoluter Wert jährliche 1969 der ArbeitsWachszur Basis produktivität tumsrate 1954 i m Jahre 1969 1954 bis 1969 in °/o
Betriebsart
Schwerweberei Spitzen- und Stickereiindustrie Teppichweberei Seiden- und Samtweberei Möbel- und Dekorationsstoffweberei .. Wollwäscherei und -kämmerei Schmalweberei und Flechterei Einstufige Zwirnerei
8,24 8,09 7,93 7,93 7,65 7,21 6,52 6,07
328,2 320,8 314,4 314,2 301,6 283,7 258,0 241,8
18 565 qm 35 208 D M 5 401 qm 19 959 qm 7 903 qm 18 631 kg 41 243 D M 6151 kg
Textilindustrie insgesamt
6,01
239,5
21 791 D M
Grobgarnweberei Tuch- und Kleiderstoffweberei Gardinenstoffherstellung Kammgarnspinnerei Hartfaserspinnerei Textilveredlung Flachs-, Ramie- und Hanfspinnerei Drei- und Vierzylinderspinnerei Juteweberei Verbandmittelherstellung Hutindustrie Leinenweberei Streichgarnspinnerei
5,89 5,62 5,36 5,33 4,87 4,66 4,19 3,96 3,88 3,80 3,60 3,39 3,31
235,7 226,5 219,0 217,5 204,0 198,3 185,1 178,6 177,4 175,4 169,7 164,6 162,9
53 499 D M 7 364 qm 25 559 qm 4 315 kg 29 673 kg 41 860 D M 5169 kg 8185 kg 21131 kg 29 440 D M 24 735 D M 9 354 qm 5 510 kg
Spinnereien insgesamt
3,18
159,7
7 596 kg
Maschenindustrie Baumwollweberei Zweizylinder- und Vigognespinnerei • • Reißspinnstoffherstellung Grobgarnspinnerei Haargarnspinnerei Jutespinnerei Herstellung handelsfertig aufgemachter Garne
3,10 2,79 1,50 1,28 1,28 1,28 1,17
158.1 151.2 125.0 121.1 120,8 120,5 119,2
1 061 kg 20 245 qm 5 849 kg 16194 kg 11113 kg 5 958 kg 17 982 kg
0,88
113,5
1 780 kg
..
Quelle: Fabian, Franz: Die Entwicklung der Produktion, der Anzahl der Beschäftigten, der Anzahl der Betriebe, der Arbeitsproduktivität und der durchschnittlichen Betriebsgröße in ausgewählten Betriebsarten der westdeutschen Textilindustrie von 1950 bis 1968, in: Zeitschrift für allgemeine und textile Marktwirtschaft, Jahrgang 1969, Heft 4, S. 322 ff; eigene Berechnungen.
8*
116
VI. Wandlungen in der Produktionstechnik und im Rohstoffeinsatz
noch von dem der niederländischen Textilindustrie übertroffen (vgl. Tabelle 32). Es ist bei einem derartigen Produktivitätsvergleich allerdings zu berücksichtigen, daß allein der deutsche Produktionsindex für die Textilindustrie m i t einem Qualitätsfaktor gewichtet ist 0 7 , m i t h i n also die Produktivitätsentwicklung i n den anderen Ländern etwas zu niedrig ausfällt. Tabelle 32 Entwicklung von Produktion, Beschäftigten und Produktivität in der Textilindustrie ausgewählter Länder (Index 1969 zur Basis 1963)
Land bzw. Gebiet
Produktion
Beschäftigte
Produktivität»)
128 112 113 104 98 123 132
89 86 75 86 82 88 113
144 131 151 121 120 139 117
Bundesrepublik Belgien Frankreich . • Italien Vereinigtes Königreich .. USA ....... a) Produktion je Beschäftigten.
Quelle: Arbeitgeberkreis Gesamttextil: Die Textilindustrie in Europa und der Welt, 8. Jahrgang, Frankfurt 1970.
Für einen Vergleich der Produktivitätsentwicklung i n der Textilindustrie verschiedener Länder gelten nun allerdings dieselben Einwände, die gegen die globale Betrachtung der Produktivitätsentwicklung der Textilindustrie der Bundesrepublik erhoben wurden. Auch hier wäre es erforderlich, die Textilindustrie i n ihre einzelnen Branchen aufzuspalten, u m einen einwandfreien Produktivitätsvergleich zu ermöglichen. Dies scheitert jedoch meist am statistischen Material. Soweit eine internationale Vergleichbarkeit der Daten gegeben ist, zeigt sich, daß das Produktivitätswachstum der Textilindustrie der Bundesrepub l i k keineswegs außergewöhnlich hoch ist 8 8 . b)
Globalproduktivität
M i t Hilfe einer linear-homogenen Produktionsfunktion vom Typ Cobb-Douglas 69 läßt sich das Wachstum der Arbeitsproduktivität durch 67 Scheid, Rudolf: Diskussionsbeitrag beim Internationalen Textilwirtschaftlichen Symposium, in: Zeitschrift für allgemeine und textile Marktwirtschaft, Sonderheft 1969, S. 39. 68 Vgl. z. B. OECD: Modern Cotton Industry, a. a. O., S. 113. 69 Wichtigste Prämissen: keine Skalenerträge, Preisbildung auf den (vollkommenen) Produkt- und Faktormärkten nach dem Grenzproduktivitätskonzept, ungebundener neutraler technischer Fortschritt als Residualgröße errechenbar.
3. Entwicklung der Produktivität und ihrer Erklärungskomponenten
117
die K a p i t a l i n t e n s i v i e r u n g ( v e r s t ä r k t e A u s s t a t t u n g d e r A r b e i t s k r ä f t e m i t E e a l k a p i t a l b e i gegebenem P r o d u k t i o n s n i v e a u , Mechanisierungseffekt) u n d d u r c h eine als „technischer F o r t s c h r i t t " ( R a t i o n a l i s i e r u n g s e f f e k t ) bezeichnete Restgröße, d i e a l l e n i c h t q u a n t i f i z i e r b a r e n V e r ä n d e r u n g e n i m Produktionsprozeß zum Ausdruck bringt, erklären 70. I n d e r T e x t i l i n d u s t r i e h a t sich i n d e n J a h r e n 1958 b i s 1966 gegenüber der P e r i o d e 1953 bis 1960 s o w o h l das R a t i o n a l i s i e r u n g s - als auch das M e c h a n i s i e r u n g s t e m p o e r h ö h t . D e r technische F o r t s c h r i t t a v a n c i e r t e z u m w i c h t i g s t e n T r ä g e r des P r o d u k t i v i t ä t s f o r t s c h r i t t s ; e r spielte d a m i t i n d e r T e x t i l i n d u s t r i e eine b e d e u t e n d e r e R o l l e als i m D u r c h s c h n i t t d e r g e s a m t e n I n d u s t r i e (vgl. T a b e l l e 33) 7 1 . Z u ä h n l i c h e n E r g e b n i s s e n g e l a n g t das I n s t i t u t f ü r a n g e w a n d t e W i r t schaftsforschung i n T ü b i n g e n 7 2 . A u c h nach d e n B e r e c h n u n g e n v o n Hesse Tabelle 33 Erklärungskomponenten des Produktivitätsfortschrittsa) (Jahresdurchschnitt in %)*>)
Industriezweig bzw. -gruppe
Technischer Fortschritt (Rationalisierungseffekt)
Mechanisierungseffekt
1953— 1958— 1953— 1958— 1960 1966 1960 1966
Textilindustrie Verarbeitende Industrie
Erklärungsanteile am Wachstum der Arbeitsproduktivität 0 )
1953—60
1958—66
M
R
M
R
1,9
4,3
3,4
3,8
64
36
47
53
2,6
2,7
3,1
3,4
54
46
56
44
a) Errechnet mit Hilfe einer linear-homogenen Cobb-Douglas-Funktion; Einkommensanteile als Produktionselastizität verwendet. — b) Bundesgebiet, 1953—1960 ohne, 1958—1966 einschließlich Saarland und Berlin (West). — c) Anteile aus der Summe aus Rationalisierungseffekt und Mechanisierungseffekt. M = Mechanisierungseffekt, R = Rationalisierungseffekt. Quelle: Uhlmann, Luitpold: Technischer Fortschritt in den Industriebranchen, in: Ifo-Schnelldienst Nr. 24,12. 6.1970, S. 17. 70 Uhlmann, Luitpold: Technischer Fortschritt in den Industriebranchen, in: Ifo-Schnelldienst, Nr. 24,12.6.1970, S. 18. 71 Zur Zeit wird im Ifo-Institut auf der Grundlage komplizierterer Ansätze eine Neuberechnung des technischen Fortschritts für die Periode 1958 bis 1968 durchgeführt. A u d i diesen Berechnungen zufolge liegt der technische Fortschritt in der Textilindustrie über dem Durchschnitt der verarbeitenden Industrie. 72 Institut für angewandte Wirtschaftsforschung: Theoretische und empirische Probleme des technischen Fortschritts, Tübingen 1968.
118
VI. Wandlungen in der Produktionstechnik und im Rohstoffeinsatz
ist der technische Fortschritt i n der Textilindustrie überaus hoch und beschleunigt sich i m Zeitablauf 7 3 . Der steigende Beitrag des technischen Fortschritts zum Wachstum der Nettoproduktion der Textilindustrie läßt sich auf folgende Tatbestände zurückführen: Seit dem Flautejahr 1958 war die Textilindustrie i n besonderem Maße dazu angehalten, Kostensenkungen zu erzielen; die wachsende Substitutionskonkurrenz anderer Produkte, die zunehmende Auslandskonkurrenz und das Arbeitskräfteproblem sind zu diesem Zeitpunkt i n voller Schärfe hervorgetreten. Das hatte zur Folge, daß die Unternehmen den Fertigungsablauf i n steigendem Maße rationeller organisierten und moderne technologische Verfahren bis h i n zur A n wendung der Elektronik einführten. Außerdem sind i n den letzten Jahren zahlreiche Grenzbetriebe aus dem Markt ausgeschieden. c) „Volkswirtschaftliche
Produktivität"
nach Gesamttextil
A u f der überdurchschnittlich gestiegenen Produktivität der Textilindustrie i m Vergleich zur Gesamtindustrie und einzelnen Industriegruppen baut der Gesamtverband der Textilindustrie i n der Bundesrepublik Deutschland — Gesamttextil — sein Produktivitätskonzept auf. Die statistisch meßbare Arbeitsproduktivität ist eine unter mehreren Komponenten, die nach Gesamttextil die „volkswirtschaftliche Produkt i v i t ä t " eines Sektors bestimmen. Hierzu zählen noch 74 : — Grad der sektoralen Wettbewerbsintensität — Intensitätsgrad der Eingliederung i n die internationale teilung
Arbeits-
— Beiträge zum räumlichen Gleichgewicht — Beiträge zur produktiven Nutzung der inländischen Ressourcen (z. B. A n t e i l weiblicher Arbeitskräfte) — Anpassungsflexibilität (Teilbarkeit der Anlagen) — langfristige Nachfrageentwicklung — Intensität der Substitutionsvorgänge usw. Es besteht kein Zweifel daran, daß die Textilindustrie unter vielen der hier angeführten Kriterien positiv zu beurteilen ist. Gesamttextil 78 Vgl. Hesse, Helmut: Die Meßbarkeit des technischen Fortschritts, dargestellt am Beispiel der Textilindustrie, in: Technischer Fortschritt — Wachstumschancen und Wachstumsprobleme der Textilindustrie in der Welt, Sonderheft 1969 der Zeitschrift für allgemeine und textile Marktwirtschaft, S. 7 ff. 74 Vgl. Scheid, Rudolf: Die wirtschaftspolitische Konzeption des Gesamtverbandes der Textilindustrie, in: Zeitschrift für allgemeine und textile Marktwirtschaft, Jahrgang 1969, Heft 4, S. 297 f.
3. Entwicklung der Produktivität und ihrer Erklärungskomponenten
119
stellt dieser hohen „volkswirtschaftlichen Produktivität" die seiner A n sicht nach unterdurchschnittliche Rentabilität der Branche gegenüber. Die Diskrepanz zwischen Produktivität und Rentabilität w i r d durch die überdurchschnittliche sektorale Wettbewerbsintensität erklärt. Gesamtt e x t i l folgert daraus, daß die sektorale Strukturpolitik die Aufgabe habe, eine annähernde Gleichheit der Wettbewerbsintensitäten i n den einzelnen Branchen der Wirtschaft herzustellen. Dies wäre notwendig, damit die global wirksamen Maßnahmen der Wirtschaftspolitik, z.B. der Geld-, Zins- und Kreditpolitik, sich nicht i n unterschiedlichem Maße auf einzelne Industriezweige auswirken könnten. Solange jedoch unterschiedliche sektorale Wettbewerbsintensitäten existieren, müßten „— sollen Fehlallokationen vermieden werden — die wirtschaftspolitischen Maßnahmen i n Kenntnis und unter Berücksichtigung der intersektoralen Intensitätsunterschiede des Wettbewerbs getroffen w e r d e n . . . Konkret heißt dies, zu versuchen, der differenzierten Wettbewerbssituation wirtschaftspolitisch dadurch zu entsprechen, daß für die überdurchschnittlich wettbewerbsintensiven Industrien eine mehr oder weniger weitgehende Kompensation ermöglicht w i r d " 7 5 . Die wirtschaftspolitische Konzeption von Gesamttextil beruht also auf zwei Säulen, nämlich auf der überdurchschnittlichen „volkswirtschaftlichen Produktivität" und der unterdurchschnittlichen Rentabilität der Textilindustrie. Gegen das Produktivitätskonzept lassen sich mehrere Einwände vorbringen, so insbesondere die Unmöglichkeit, die „volkswirtschaftliche Produktivität" zu quantifizieren. Außerdem kann die These von Gesamttextil, daß die branchenmäßigen Produktivitätsunterschiede m i t dem branchenmäßigen Rentabilitätsgefälle zusammenfallen, wenn die Wettbewerbsintensität auf allen Märkten der Volkswirtschaft annähernd gleich wäre, empirisch nicht belegt werden. Es ist an dieser Stelle nicht beabsichtigt, die Diskussion u m die w i r t schaftspolitische Konzeption von Gesamttextil durch einen weiteren Beitrag zu bereichern. Vielmehr soll i n diesem Zusammenhang zur K l ä rung von zwei wichtigen Fragen beigetragen werden: — Hat die Textilindustrie bisher alle sich bietenden Möglichkeiten ausgenutzt, u m die Produktivität zu steigern? — Ist die Rentabilität i n der Textilindustrie tatsächlich unterdurchschnittlich? d) Produktivitätsreserven Selbst von Vertretern von Gesamttextil w i r d zugegeben, daß die Textilindustrie die Möglichkeiten, die der technische Fortschritt bietet, noch 75 Vgl. Scheid, Rudolf: Die wirtschaftspolitische S. 290.
Konzeption..., a.a.O.,
120
VI. Wandlungen in der Produktionstechnik und im Rohstoffeinsatz
längst nicht ausgeschöpft hat. Als entscheidender Grund werden die unzureichenden Finanzierungsbedingungen angesehen, die i n erster Linie Ausdruck der hohen, durch Importe verstärkten Wettbewerbsintensität seien 76 . Dies mag i n manchen Fällen durchaus zutreffen, andererseits läßt es sich aber auch nicht leugnen, daß, wie i m folgenden zu zeigen sein wird, die Produktionsfaktoren nicht immer i n optimaler Weise eingesetzt werden. Produktivitätsreserven können sowohl beim Einsatz der Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit als auch i m Bereich der betrieblichen Organisation vorhanden sein. Inwieweit die Textilindustrie die Möglichkeiten des technischen Fortschritts noch nicht genutzt hat, läßt sich i n der Weberei an der Entwicklung des Automationsgrades ablesen. A n früherer Stelle (Kapitel VI.2.a) wurde bereits gezeigt, daß der Automationsgrad von Webereisparte zu Webereisparte unterschiedlich hoch ist (vgl. Tabelle 26); insbesondere i n der Möbel- und Dekorationsstoffweberei, i n der Grobgarnweberei und i n der Tuch- und Kleiderstoffindustrie könnten die Firmen durch den Einsatz moderner Maschinen noch erhebliche Produktivitätsgewinne erzielen. Aber auch i n jenen Bereichen, die 1969 einen relativ hohen (rechnerischen) Automationsgrad aufwiesen, wie beispielsweise die Baumwollweberei (92%), sind noch zahlreiche Webstühle älterer Bauart i n Betrieb, da zu den Automaten auch Anbauautomaten zählen, also nichtautomatische Webstühle, die durch Zusatzaggregate modernisiert wurden. I m internationalen Vergleich schneidet die Baumwollweberei der Bundesrepublik günstig ab, wenngleich i n einer Reihe von Ländern die Baumwollweberei ausschließlich m i t Automaten arbeitet, so i n den USA, i n Kanada und i n Schweden. Angesichts des zunehmenden Automationsgrades und dem damit verbundenen Anstieg der Kapitalintensität stehen die Firmen der Textilindustrie unter dem Zwang, ihren Maschinenpark möglichst voll, d. h. dreischichtig auszulasten. I m allgemeinen w i r d der Zwang zu höheren Schichtquoten u m so größer sein, je kapitalintensiver die Fertigung ist. I m Prinzip kommt es darauf an, die Minimalkostenkombination zu verwirklichen. Als Maß für die Kapazitätsauslastung kann die Zahl der Arbeitsschichten gelten. Eine dreischichtige Auslastung w i r d sich jedoch aus praktischen Gründen nie ganz erreichen lassen. Einer maximalen Auslastung des technischen Potentials stehen die nicht unerheblichen Umrüstzeiten, das Auftreten konjunktureller Schwankungen sowie die Tatsache entgegen, daß es den Firmen nicht immer gelingt, das für eine 76 Vgl. Scheid, Rudolf: Die wirtschaftspolitische Konzeption..., S. 296 f.
a.a.O.,
3. Entwicklung der Produktivität und ihrer Erklärungskomponenten
121
Dreischichtarbeit notwendige Personal zu beschaffen. Hinzu kommt, daß die einzelnen Fertigungsbereiche eines Betriebs i n ihrer Kapazität nie ganz genau aufeinander abgestimmt werden können. Auch ist es für die Unternehmen u . U . sinnvoll, Reservekapazitäten zu unterhalten. Man kann deshalb geteilter Ansicht darüber sein, welche Auslastung als normal bzw. als erstrebenswert zu bezeichnen ist. Wellenreuther 7 7 bezeichnet beispielsweise für die Tuch- und Kleiderstoffindustrie eine durchschnittliche Auslastungsquote von 2,5 Schichten als „Normalauslastung"; darunterliegende Auslastungsgrade würden unter den getroffenen Prämissen das Vorhandensein von Uberkapazitäten anzeigen. I m folgenden w i r d auf die Festlegung einer bestimmten Normalauslastung verzichtet, zumal diese — wegen der Unterschiedlichkeit der Fertigungsprozesse — sicherlich von Branche zu Branche verschieden hoch sein dürfte. Vielmehr kommt es bei der vorliegenden Analyse i n erster L i nie darauf an, die unterschiedliche Nutzung des technischen Potentials i n den einzelnen Sparten aufzuzeigen. Die Zahl der Arbeitsschichten wurde für die Spinnereisparten an der Laufzeit der Spinnspindeln, für die Webereisparten an der Laufzeit der Webstühle gemessen und nach folgender Formel berechnet: Geleistete Stunden je Maschineneinheit im Jahr Arbeitszeit pro Arbeiter und Jahr Die geleisteten Stunden je Maschineneinheit und Jahr können aus den Angaben i n der Textilfachstatistik berechnet werden. Die Arbeitszeit pro Arbeiter und Jahr errechnet sich, indem von der Summe der tariflichen Wochenstunden i m Jahr die bezahlten Feiertags- und Urlaubsstunden abgezogen werden 78 . Von den 42 Branchen der Textilindustrie (die Fachstatistik nennt sie Betriebsarten), erlaubt das statistische Material für 23 die Berechnung der durchschnittlichen Schichtenzahl. A u f diese Betriebsarten entfiel 1969 ungefähr die Hälfte der gesamten Beschäftigten der Textilindustrie. Bei den nicht erfaßten Branchen handelt es sich — m i t Ausnahme der Maschenindustrie und der Textilveredlungsindustrie — durchwegs um Sparten von geringer Bedeutung. Von den 23 untersuchten Betriebsarten der Textilindustrie konnte 1969 nur eine Sparte, nämlich die Seiden- und Samtweberei, eine Auslastung von 2,5 Schichten erreichen. I n den der Zahl der Beschäftigten 77 Wellenreuther, Helmut: Gruppenwirtschaftliche Untersuchung..., a. a. O., S. 105. 78 Nicht berücksichtigt sind also Abweichungen von der tariflichen Arbeitszeit durch Uberstunden oder Arbeitsausfall, beispielsweise durch Krankheit oder Kurzarbeit.
122
V I . Wandlungen in der Produktionstechnik und im Rohstoffeinsatz
nach b e d e u t s a m s t e n B e t r i e b s a r t e n , n ä m l i c h i n d e r B a u m w o l l w e b e r e i , Tuch- u n d Kleiderstoffindustrie, D r e i - u n d Vierzylinderspinnerei sowie K a m m g a r n s p i n n e r e i l a g d i e K a p a z i t ä t s a u s l a s t u n g zwischen 1,8 u n d 2,4 Schichten; sie w a r d a m i t i n diesen Z w e i g e n t e i l w e i s e e r h e b l i c h h ö h e r als i n z a h l r e i c h e n k l e i n e n B r a n c h e n (vgl. T a b e l l e 34) 7 9 . W e g e n d e r technischen U n t e r s c h i e d l i c h k e i t d e r Fertigungsprozesse s i n d z w a r D i f f e r e n zen i n d e r Schichtquote z w i s c h e n d e n e i n z e l n e n B r a n c h e n z u e r w a r t e n , die große S p a n n w e i t e i n d e r Schichtzahl (0,5 bis 2,5) d e u t e t jedoch d a r a u f h i n , daß diese D i f f e r e n z e n n i c h t a l l e i n technisch b e d i n g t , s o n d e r n auch a u f andere F a k t o r e n z u r ü c k z u f ü h r e n sein m ü s s e n 8 0 . Tabelle 34 Entwicklung der Arbeitsschichten in ausgewählten Betriebsarten der Textilindustrie Betriebsart Seiden- und Samtweberei Roßhaarstoff- und sonstige Weberei elastischer Einlagestoffe Kammgarnspinnerei Drei- und Vierzylinderspinnerei Baumwollweberei Grobgarnweberei Schwerweberei Tuch- und Kleiderstoffweberei Hartfaserspinnerei Möbel- und Dekorationsstoffweberei Grobgarnspinnerei Jutespinnerei Haargarnspinnerei Hanf- und Flachsspinnerei Streichgarnspinnerei Juteweberei Wolldecken- und Schuhoberstoffweberei Leinenweberei Zweizylinderspinnerei Teppichweberei*) Filztuchweberei Kokosweberei Schlauch-, Gurt-, Textilriemen- und Wollpreßtuchweberei
Zahl der Schichten 1969
Index 1969 zur Basis 1954
2,52
203,2
2,42 2,36 2,22 2,18 1,96 1,85 1,77 1,75 1,70 1,66 1,58 1,52 1,51 1,44 1,42 1,32 1,23 1,18 1,03 0,75 0,55
216,1 159,5 143,2 163,9 213,0 203,3 203,4 154,9 173,5 133,9 103,3 107,8 155,7 117,1 108,4 138,9 166,2 78,1 80,5 87,2 64,7
0,47
70,1
a) Nur Herstellung gewebter Teppiche, ohne Nadelflorteppiche und Teppiche aus Nadelfllz. Quelle: Die Textilindustrie der Bundesrepublik Deutschland, Ergebnisse der Fachstatistik, hrsg. vom Gesamtverband der Textilindustrie in der Bundesrepublik Deutschland — Gesamttextil-e. V.; eigene Berechnungen. 79 Die niedrige Kapazitätsauslastung in der Teppichweberei ist darauf zurückzuführen, daß sich diese nur auf die Herstellung von Webteppichen bezieht; in der Herstellung von Nadelflorteppichen und Teppichen aus Nadelfilz dürfte die Schichtzahl wesentlich höher sein.
3. Entwicklung der Produktivität und ihrer Erklärungskomponenten
123
Es stellt sich somit die Frage nach den Ursachen dieser ungenügenden Kapazitätsauslastung, die ja nichts anderes bedeutet als das Vorhandensein von Überkapazitäten. Diese können entstehen einmal durch eine überproportionale Ausdehnung der Kapazitäten i n bezug auf die Produktion, wozu auch eine Modernisierung des Produktionsapparates zu zählen ist. Zum anderen bilden sich Uberkapazitäten durch einen Rückgang der Nachfrage, der durch Marktsättigung, Geschmackswandel bei den Verbrauchern, durch das Auftreten von Substitutionsprodukten und neuen Anbietern sowie durch eine Zunahme der Importe bedingt sein kann. Die Textilindustrie hat i n den letzten 15 Jahren ihren Maschinenpark erheblich modernisiert. Dies läßt sich deutlich am Anstieg des Automationsgrades 81 i n der Weberei und dem Rückgang der durchschnittlichen Maschinenlaufzeit je Produkteinheit ablesen (vgl. Tabellen 26 und 27 i n Kapitel VI.2.a). U m die Entstehung von Überkapazitäten durch die Modernisierung des Produktionsapparates zu vermeiden, waren die Firmen bei der gegebenen Nachfrageentwicklung gezwungen, den Maschinenbestand zu reduzieren. Dies u m so mehr, als zwischen 1954 und 1969 i n zahlreichen Sparten sogar ein mengenmäßiger Produktionsrückgang zu verzeichnen war. Zu nennen sind hier vor allem die Bereiche Streichgarnspinnerei, Haargarnspinnerei, Zweizylinderspinnerei, Hanf- und Flachsspinnerei, Jutespinnerei, Leinenweberei, Juteweberei und die Herstellung von Webteppichen. Obwohl m i t Ausnahme der Teppichweberei i n allen diesen Branchen die Kapazitäten abgebaut wurden, ging der Prozeß der Außerdienststellung allem Anschein nach entschieden zu langsam vor sich. Die aufgezählten Branchen finden sich nämlich sämtlich i n der zweiten Hälfte von Tabelle 34, d. h. die Zahl der Schichten war i n diesen Branchen 1969 unterdurchschnittlich. Auch i n den Branchen, die zwischen 1954 und 1969 die Produktion erhöhen konnten 8 2 , wurde, m i t Ausnahme der Kammgarnspinnerei, die Zahl der Spinnspindeln bzw. Webstühle reduziert. Obgleich dadurch die Auslastung nicht unerheblich erhöht werden konnte, dürfte auch i n diesen Branchen noch ein beträchtlicher Kapazitätsspielraum vorhanden sein. Solange diese überschüssigen Kapazitäten bestehen, arbeiten die 80 Die vorgelegten Daten über die Zahl der Arbeitsschichten sind Durchschnittswerte für die einzelnen Betriebsarten. I m allgemeinen werden die modernen Maschinenaggregate, also beispielsweise in der Weberei die Webautomaten, zwei- oder gar dreischichtig ausgelastet. Dementsprechend niedriger ist der Auslastungsgrad der älteren Produktionseinheiten. 81 Anteil der Automaten am gesamten Bestand von Webmaschinen. 82 Darunter fallen insbesondere die Kammgarnspinnerei, die Grobgarnspinnerei, die Möbel- und Dekorationsstoffweberei, die Grobgarnweberei, die Schwerweberei sowie die Seiden- und Samtweberei.
124
VI. Wandlungen in der Produktionstechnik und im Rohstoffeinsatz
meisten Branchen der Textilindustrie nicht m i t der kostengünstigsten Kombination der Produktionsfaktoren. Neben der Forderung, die Minimalkostenkombination zu v e r w i r k lichen, spricht noch ein weiterer Grund für den Abbau dieser Kapazitätsüberhänge. I n der Textilindustrie sind — trotz des Anstiegs des Automationsgrades — zahlreiche veraltete Produktionsanlagen i n Betrieb, die schon seit Jahren völlig abgeschrieben sind. Die Fixkosten dieser Anlagen werden von jenen Firmen, die keine ausgebaute Kostenrechnung besitzen, i n der Kalkulation i m allgemeinen zu niedrig angesetzt. Häufig bieten dann diese Firmen ihre Produkte zu Preisen an, die unter den Preisen jener Firmen liegen, die m i t modernen Produktionsmitteln arbeiten und dementsprechend hohe Kapitalkosten berücksichtigen müssen. Besonders i n Zeiten des Konjunkturrückgangs geht von den Uberkapazitäten ein erheblicher Druck auf die Preise aus 83 . Dadurch w i r d eine weitere Modernisierung des Produktionsapparates behindert. Diese Zusammenhänge zeigen, daß der vielzitierte Preisdruck auf dem Textilmarkt nicht nur von der Auslandskonkurrenz herrührt, sondern auch ein internes Problem der Textilindustrie darstellt. Es soll keineswegs verkannt werden, daß die Stillegung von Kapazitäten und die gleichzeitige Erhöhung der Schichtquote m i t Schwierigkeiten verbunden ist, so z. B. durch das Verbot von Nachtarbeit für Frauen. Wenn aber die Textilindustrie der Bundesrepublik ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit erhalten w i l l , muß sie diesen Weg gehen. Ein internationaler Vergleich der Kapazitätsauslastung i n der Baumwollindustrie unterstreicht eindeutig diese Forderung. I m Jahre 1967 belief sich die durchschnittliche Laufzeit eines Webstuhls pro Jahr i n der Bundesrepublik auf 3028 Stunden, i n sämtlichen anderen Ländern m i t bedeutender Baumwollindustrie lag die Laufzeit teilweise wesentlich höher; der Höchstwert wurde i n Hongkong m i t 8400 Stunden erreicht 84 . U m eine als ausreichend anzusehende Kapazitätsauslastung i n der Textilindustrie der Bundesrepublik zu erreichen, w i r d es notwendig sein, den Fragen der betrieblichen Organisation größere Aufmerksamkeit als bisher zu schenken. Von besonderer Wichtigkeit ist i n diesem Zusammenhang das Problem der Vielstufigkeit. Der textilindustrielle Produktionsprozeß gliedert sich bekanntlich i n mehrere Stufen, die ihre Dispositionen weitgehend unabhängig voneinander treffen. Dadurch kommt es zu den regelmäßig wiederkehrenden heftigen Schwankungen der Textilkonjunktur und der Kapazitätsauslastung. Durch eine vertikale Integration der einzelnen Produktionsstufen ließe sich (wie i n Kapitel 88
Vgl. de Bandt: Die Textilindustrie der E W G . . a . a. O., S. 125. Vgl. I F C A T I : International Cotton Industry Statistics, Volume 10, Covering the calender year 1967, Zürich 1969. 84
3. Entwicklung der Produktivität und ihrer Erklärungskomponenten
125
U L I ausgeführt) der Konjunkturverlauf i n der Textilindustrie stabilisieren und das Niveau der Kapazitätsauslastung anheben. Zur Verstetigung des Produktionsflusses könnte auch eine Erhöhung der Los- oder Auflagengröße beitragen. Die Firmen der Textilindustrie haben die auf diesem Gebiet vorhandenen Rationalisierungsmöglichkeiten — trotz der Mode, die der Auflage größerer Serien entgegenwirkt — bei weitem noch nicht ausgeschöpft. I n der Textilindustrie dürften also noch erhebliche Standardisierungsmöglichkeiten brachliegen 85 . I m Bereich des Produktionsfaktors Arbeit treten die Produktivitätsreserven weniger offen zutage als beim Produktionsfaktor Kapital und i m Bereich der betrieblichen Organisation. Vieles spricht jedenfalls dafür, daß i n zahlreichen Firmen der Textilindustrie der Bundesrepublik Arbeitskräfte nicht i n dem Maße eingespart wurden, wie es der Zunahme der Leistungsfähigkeit des Produktionsapparates entsprochen hätte. Wunden weist darauf hin, daß „man offenbar i n weiten Kreisen der deutschen Textilindustrie dabei stehengeblieben (ist), alte Maschinen durch leistungsfähigere neue zu ersetzen, und hat weithin nicht die sich darüber hinaus bietenden Möglichkeiten zur Automation von Teilen des Produktionsprozesses oder gar zur Gesamtintegration genutzt" 8 6 . Und Stussig stellt fest, daß die deutsche Textilindustrie i n Einzelfällen für dieselbe Produktionseinheit zweimal soviel Menschen benötigt wie andere Länder 8 7 .
e) Rentabilität
der Textilindustrie
I n der Diskussion textilindustrieller Probleme w i r d vielfach behauptet, daß die Rentabilität der Textilindustrie unterdurchschnittlich sei. Diese Aussage w i r d meist damit begründet, daß der Textilmarkt unter einem beträchtlichen Preisdruck steht, der von den hohen Importen und den teils erheblichen Überkapazitäten ausgeht. Auch die Zersplitterung der Produktionsprogramme und -strukturen sowie die infolge der Vielstufigkeit des Produktionsprozesses vorhandenen außergewöhnlich hohen Lagerbestände würden erhebliche Kapitalbeträge binden und som i t auf die Rentabilität drücken. Obwohl diese Einzelaspekte durchaus richtig gesehen werden, so w i r d doch vielfach vergessen, daß es andererseits auch zahlreiche Faktoren gibt, welche die Rentabilität positiv beeinflussen, so beispielsweise das langfristig sinkende Preisniveau bei 85 86
S. 58.
Vgl. De Bandt: Die Textilindustrie der E W G . . . , a. a. O., S. 129. Wunden, Wilfried: Die Textilindustrie der Bundesrepublik..., a. a. O.,
87 Stussig, Herbert: Der technische Stand der deutschen Textilindustrie, in: Fortschritt-Berichte, VDI-Zeitschrift, Reihe 3, Nr. 3, Düsseldorf (ohne Jahresangabe), S. 46.
126
VI. Wandlungen in der Produktionstechnik und im Rohstoffeinsatz
Chemiefasern sowie die relativ hohen Verkaufspreise, die sich für ausgesprochene Spezialitäten bzw. hochmodische A r t i k e l erzielen lassen. Aus einer Untersuchung von Saß 88 geht hervor, daß die Rentabilität des Sachvermögens 89 i n der Textilindustrie — langfristig betrachtet — ungefähr auf dem Rentabilitätsniveau der gesamten Industrie liegt. I m Durchschnitt der Jahre 1960 bis 1969 belief sich die Rentabilität i n der Textilindustrie auf 15,8%, i n der Gesamtindustrie auf 16,2 °/o90. Zwar zeigt die Rentabilität der Textilindustrie i m Zeitraum 1960/69 stärkere Ausschläge als i n der Gesamtindustrie; an der interindustriellen Position der Textilindustrie hat sich jedoch nichts geändert. I n den einzelnen Fachzweigen der Textilindustrie ist die Rentabilität höchst unterschiedlich. Eine ausgesprochen hohe Verzinsung des Kapitals w i r d i n der Maschenindustrie und Textilveredlung erzielt, also i n Sparten, die einen nahen Kontakt zum Endverbraucher unterhalten. Von einer Rentabilitätsschwäche kann dagegen nur i m Bereich der Spinnereien und Spinnwebereien gesprochen werden (vgl. Tabelle 35). Dies sind bezeichnenderweise jene Bereiche, die von der Substitutionskonkurrenz der Chemiefasern und der Auslandskonkurrenz am stärksten betroffen sind und die i m allgemeinen die Marktpflege und das MarkeTabelle 35
Rentabilität des Sachvermögensa) auf verschiedenen Produktionsstufen der westdeutschen Textilindustrie (in °/o)
Jahr
Spinnereien und Spinnwebereien
Webereien
Maschenindustrie
Textilveredlung
Textilindustrie insgesamt
1954 1958 1962 1966
12,5 13,3 9,4 6,5
20,4 16,0 17,9 16,3
31,1 25,7 28,7 24,8
13,9 17,9 26,0 22,6
18,8 16,9 15,6 13,4
a) Quotient aus Besitzeinkommen und Netto-Sachvermögen. Quelle: Saß, Peter: Sachvermögens- und Eigenkapitalrentabilität der westdeutschen Gesamt- und Textilindustrie, in: Zeitschrift für allgemeine und textile Marktwirtschaft, Jahrgang 1969, Heft 3, S. 280. 88 Saß, Peter: Die Sachvermögensrentabilität von 1960 bis 1969 und das Besitzeinkommen des 1. Halbjahres 1970 in der westdeutschen Gesamt- und Textilindustrie, in: Zeitschrift für allgemeine und textile Marktwirtschaft, Jahrgang 1970, Heft 3, S. 289. 89 Quotient aus Besitzeinkommen und Netto-Sachvermögen. 00 Auch im internationalen Vergleich schneidet die Textilindustrie der Bundesrepublik durchaus günstig ab. Vgl. hierzu: Textilbilanzen in der Konjunktursonne — Deutsch-amerikanischer Bilanzvergleich für das Geschäftsjahr 1968, in: Textil-Wirtschaft, Nr. 26,4. 9.1969.
4. Technische Veränderungen und ihre Auswirkungen
127
ting vernachlässigen. Bei einigen Firmen der Spinnerei und Spinnweberei dürfte die unterdurchschnittliche Rentabilität auch dadurch bedingt sein, daß infolge der relativ unbedeutenden langfristigen Verschuldung (bzw. der hohen Selbstfinanzierungsquote) objektive Rentabilitätsmaßstäbe fehlen 91 . 4. Technische Veränderungen und ihre Auswirkungen auf die Betriebs- und Unternehmensgröße a) Betriebsgrößenstruktur Die modernen textilen Produktionstechniken erfordern recht hohe Jahresproduktionsmengen pro Betrieb. Fabian hat am Beispiel der Baumwollspinnerei und -Weberei nachgewiesen, daß ein großer Teil der Betriebe die modernen Techniken nicht wirtschaftlich einsetzen kann, da der Jahresoutput zu niedrig ist 9 2 . Diese Ansicht w i r d zwar von der Praxis nicht immer geteilt. Trotzdem w i r d man die Aussage Fabians auf einen großen Teil der Textilindustrie übertragen können, noch dazu, als die durchschnittliche Betriebsgröße (Jahresproduktion je Betrieb) i n der Baumwollspinnerei und -Weberei überdurchschnittlich hoch ist 9 3 . Als Folge dieser Unzulänglichkeit der Betriebsgrößen werden zahlreiche Betriebe ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren und stillgelegt werden müssen. Zumindest bei stagnierendem Produktionsvolumen muß die Zahl der Betriebe sinken. Dies war zwar i n sämtlichen Branchen der Textilindustrie, i n denen die Produktion zwischen 1954 und 1969 nicht zunahm, der Fall (vgl. Tabelle 36). Offenbar erfolgte aber die Stillegung der Betriebe vielfach zu langsam, was daraus ersichtlich ist, daß z. B. die Baumwollweberei zu jenen Branchen zählt, i n denen die durchschnittliche Betriebsgröße am wenigsten anstieg, obwohl i n dieser Sparte die Zahl der Betriebe überdurchschnittlich stark zurückging. Dagegen wurde i n den expansiven Sparten der Textilindustrie die Betriebsgrößenstruktur den Erfordernissen des technischen Fortschritts wesentlich besser angepaßt (vgl. Tabelle 37). Fragt man nach den Ursachen der unzureichenden Anpassung der Textilindustrie an die Erfordernisse der technischen Entwicklung, so w i r d vielfach das Argument vorgebracht, daß der Zwang zur Erhöhung 91
Vgl. De Bandt: Die Textilindustrie der E W G . . . , a. a. O., S. 135 f. Vgl. Fabian, Franz: Produktionstechnischer Fortschritt ..., a. a. O., S. 439 f. 98 U m Mißverständnisse zu vermeiden, sei darauf hingewiesen, daß hier keineswegs eine gleichläufige Entwicklung zwischen Betriebsgröße und Leistungsfähigkeit unterstellt wird. Ab einer bestimmten Betriebsgröße wird die Produktivität nur noch wenig oder gar nicht zunehmen; diese Betriebsgröße ist jedoch in der Textilindustrie der Bundesrepublik nur in den seltensten Fällen erreicht. 92
128
VI. Wandlungen in der Produktionstechnik und im Rohstoffeinsatz Tabelle 36 Veränderung der Zahl der Betriebe in ausgewählten Betriebsarten der Textilindustrie von 1954 bis 1969
Betriebsart
Durchschn. jährliche Veränderungsrate 1954—1969 in °/o
Teppichweberei Einstufige Zwirnerei Kammgarnspinnerei Verbandmittelherstellung Gardinenstoffherstellung Spitzen- und Stickereiindustrie Grobgarnspinnerei Maschenindustrie Schmalweberei und Flechterei Möbel- und Dekorationsstoffweberei Reißspinnstoffherstellung Schwerweberei Drei- und Vierzylinderspinnerei Grobgarnweberei Haargarnspinnerei
+ 4,6 + 2,2 + 1,7 + 1,4 + 0,9 + 0,8 + 0,5 - 0,1 - 0,8 - 1,3 -1,5 -1,5 -1,7 -1,7 - 1,9
Textilindustrie insgesamt
-
Spinnereien insgesamt Textilveredlung Jutespinnerei Hartfaserspinnerei Juteweberei Seiden- und Samtweberei Hutindustrie Leinenweberei Baumwollweberei Wollwäscherei und -kämmerei Herstellung handelsfertig aufgemachter Garne Streichgarnspinnerei Flachs-, Ramie- und Hanfspinnerei .. Tuch- und Kleiderstoffweberei Zweizylinder- und Vigognespinnerei
Index 1969 zur Basis 1954
Zahl der Betriebe i m Jahre 1969
197,1 137.5 129.0 123.1 113.6 112.7 108,0 98,6 88,3 82,2 80,0 80,0 77,8 77,1 75,0
67 77 80 32 92 62 27 1204 219 88 100 20 137 27 15
74,4
3 640
-2,2
71,5
510
-2,3 -2,4 -3,2 -3,4 - 3,5 - 3,7 - 3,8 -4,0 - 4,2
70,0 69.0 61.5 59,4 58,3 57.1 55,9 54.6 52.2
298 20 16 19 137 16 38 302 12
- 4,2 -4,5 -4,7 -5,4
52.1 50.2 48.1 43.2
50 131 13 186
-
34,9
30
1,9
6,8
Quelle: Fabian, Franz: Die Entwicklung der Produktion, der Anzahl der Beschäftigten, der Anzahl der Betriebe, der Arbeitsproduktivität und der durchschnittlichen Betriebsgröße in ausgewählten Betriebsarten der westdeutschen Textilindustrie von 1950 bis 1968, in: Zeitschrift für allgemeine und textile Marktwirtschaft, Jahrgang 1969, Heft 4, S. 322 ff.; eigene Berechnungen.
4. Technische Veränderungen und ihre Auswirkungen
129
d e r B e t r i e b s g r ö ß e i n d e r T e x t i l i n d u s t r i e r e l a t i v g e r i n g sei. D i e s w i r d m i t d e n h ä u f i g e n m o d i s c h e n S c h w a n k u n g e n b e g r ü n d e t , d e n e n sich d e r k l e i n e oder m i t t l e r e B e t r i e b besser anpassen k a n n . D i e s m a g b i s z u e i n e m gew i s s e n G r a d e r i c h t i g sein. V e r g e g e n w ä r t i g t m a n sich jedoch, daß u n g e f ä h r d i e H ä l f t e des P r o d u k t i o n s p r o g r a m m s
der Textilindustrie
nicht
Tabelle 37 Veränderung der durchschnittlichen Betriebsgrößen in ausgewählten Betriebsarten der Textilindustrie von 1954 bis 1969
Betriebsart
Einstufige Zwirnerei Spitzen- und Stickereiindustrie Möbel- und Dekorationsstoffweberei Seiden- und Samtweberei Teppichweberei Schwerweberei Verbandmittelherstellung Textilveredlung Textilindustrie insgesamt Schmalweberei und Flechterei Wollwäscherei und -kämmerei Gardinenstoffherstellung Tuch- und Kleiderstoffindustrie Maschenindustrie Grobgarnweberei Herstellung handelsfertig aufgemachter Garne .. Reißspinnstoffherstellung Streichgarnspinnerei Baumwollweberei Hartfaserspinnerei Kammgarnspinnerei Hutindustrie Grobgarnspinnerei — Spinnereien insgesamt . . 9 Breltenadier
Durchschn. jährliche Index 1969 Verändezur Basis rungsrate 1954 1954—1969 in °/o
Absoluter Wert der Betriebsgröße Einheit
1954
1969
10,56
450.6
t
282
1269
9,17
373,3
1000 D M
599
2 236
8,59
343,9
1 000 qm
280
964
8,56 8,31 8,04
343,3 331.2 318.7
1 000 qm 1 000 qm 1 000 qm
1080 379 1998
3 708 1255 6 368
7,11 6,85
280.3 270.4
1 000 D M 1 000 D M
1706 2 022
4 782 5 467
6,85
269,8
1 000 D M
1109
2 992
6,82
268,7
1 000 D M
918
2 467
6,52 6,41
258,0 253.6
t 1 000 qm
2 511 714
6 478 1811
6,33 5,98 5,83
251.0 238.7 233.8
1 000 qm t 1 000 D M
345 53 1310
865 126 3 063
4.87
104.1
t
183
373
4,55 3.88 3,72 3,48 3,27 3,23 2,65
194,3 176.5 172.9 166.6 161,8 161,3 147,7
t t 1 000 qm t t 1 000 D M t
564 201 2 608 1692 626 2 441 664
1096 355 4 508 2 819 1013 3 938 982
2,51
145,4
t
892
1297
130
VI. Wandlungen in der Produktionstechnik und im Rohstoffeinsatz Tabelle 37 (Fortsetzung) Durchschn. jährliche Index 1969 Verändezur Basis rungsrate 1954 1954—1969 in°/o
Betriebsart
Leinenweberei Drei- und Vierzylinderspinnerei Zweizylinder- und Vigognespinnerei Juteweberei Flachs-, Ramie- und Hanfspinnerei Jutespinnerei Haargarnspinnerei
Absoluter Wert der Betriebsgröße Einheit
1954
1969
608
884
2,51
145,4
1 000 qm
1,97
134,1
t
1836
2 462
1,82 1,33
131,4 122,3
t t
352 2162
463 2 644
0,82 - 1,2 - 1,7
112,6 83,3 77,3
t t t
793 3 292 670
893 2 743 518
Quelle: Fabian, Franz: Die Entwicklung der Produktion, der Anzahl der Beschäftigten, der Anzahl der Betriebe, der Arbeitsproduktivität und der durchschnittlichen Betriebsgröße in ausgewählten Betriebsarten der westdeutschen Textilindustrie von 1950 bis 1968, in: Zeitschrift für allgemeine und textile Marktwirtschaft, Jahrgang 1969, Heft 4, S. 322 ff.; eigene Berechnungen.
mode- und saisongebunden ist, dann ist zumindest für viele Betriebe dieses Teilbereichs der Textilindustrie die Produktionsmenge nicht erreicht, bei der die Stückkosten am niedrigsten sind. Aus der Erkenntnis heraus, daß der technische Fortschritt noch ungenutzte Möglichkeiten zur Kostensenkung i n der Textilindustrie bietet, folgt, daß die Stillegung von unmodernen Betriebsstätten gefördert werden sollte. Dies gilt um so mehr, als diese Grenzbetriebe aufgrund ihres ungenügenden Produktionsvolumens nichts zur Produktivitätssteigerung beitragen. b)
Unternehmensgrößenstruktur
Gelegentlich w i r d die Ansicht vertreten, den Erfordernissen des technischen Fortschritts sei Genüge getan, wenn der Produktionsapparat auf den neuesten technischen Stand gebracht ist. Vielfach produzieren dann die Betriebe zwar unter kostengünstigen Bedingungen, an der Struktur und Organisation der Unternehmen w i r d aber nichts geändert. Es w i r d häufig nicht erkannt, daß das erhöhte Produktionspotential, welches durch den Einsatz moderner Produktionsmittel geschaffen wird, auch eine entsprechende Anpassung i n finanzieller, kaufmännischer und organisatorischer Hinsicht erfordert. Dies bedeutet, daß sich für die Textilindustrie die Notwendigkeit stellt, größere Unternehmenseinheiten zu schaffen, sei es i m Wege der Fusion oder der Kooperation.
4. Technische Veränderungen und ihre Auswirkungen
131
I m einzelnen sprechen für eine Konzentration folgende allgemeine, nicht textilspezifische Gründe 9 4 : — Höhere A t t r a k t i v i t ä t größerer Textilunternehmen für qualifiziertes Management, — größere Möglichkeiten zur Werbung und zur Durchsetzung von Marken, — Intensivierung der Forschung i n den Unternehmen, — Verstärkung der Exportaktivität (Aufbau eigener Absatzorganisationen i m Ausland), — leichterer Zugang zum Kapitalmarkt. Wunden führt noch eine Reihe weiterer Vorteile auf, die speziell i n der Textilindustrie m i t einer verstärkten Konzentration verbunden sind 95 . Hier seien die wichtigsten Vorteile kurz aufgeführt. Durch eine vertikale Integration könnten die i n der Textilindustrie häufig auftretenden Konjunkturzyklen erheblich abgeschwächt werden. Eine horizontale Integration würde die Spezialisierung von Einzelbetrieben bei breiterem Sortiment erlauben und somit einen Risiko- und Beschäftigungsausgleich ermöglichen. Dadurch könnte auch das schwierige Problem, zwischen den Erfordernissen des Marktes (Flexibilität infolge der rasch wechselnden modischen Tendenzen) und der Produktion (Ubergang zur Serien- oder Massenproduktion infolge technischen Fortschritts) einen Ausgleich herzustellen, einer Lösung nahe gebracht werden. Eine horizontale Integration würde darüber hinaus den Abbau von Überkapazitäten erleichtern und damit eine Ursache des Preisdrucks auf den Textilmärkten beseitigen. Außerdem könnte sowohl durch eine vertikale als auch durch eine horizontale Konzentration die Marktmacht der Lieferanten und Abnehmer der Textilindustrie eingeschränkt werden. Angesichts dieser durchschlagenden Argumente für eine Konzentration ist es u m so überraschender, daß i n der Textilindustrie der Bundesrepublik eine Konzentrationsbewegung nur zögernd und i n kleinem Rahmen i n Gang kommt 9 6 . Erst i n einigen wenigen Branchen sind den heutigen Marktverhältnissen angepaßte Unternehmensgruppen zu finden (vgl. Kapitel II.3.a). I m Gegensatz dazu ist die Konzentration i n anderen europäischen Ländern bereits sehr viel weiter fortgeschritten. Daraus kann man die Notwendigkeit ableiten, daß eine Zunahme der 94 Vgl. Scheid, Rudolf: Die wirtschaftspolitische Konzeption des Gesamtverbandes der Textilindustrie, a. a. O., S. 302. 95 Vgl. Wunden, Wilfried: Die Textilindustrie der Bundesrepublik..., a. a. O., S. 118 ff. 96 Zwar hat die Zahl der Betriebe zwischen 1960 und 1970 von 4383 auf rund 3600 abgenommen. Diese Zahlen sagen jedoch nichts über die Unternehmenskonzentration aus. Die Abnahme der Zahl der Betriebe dürfte u. a. auf die Stillegung von Betriebsstätten zurückzuführen sein.
o*
132
VI. Wandlungen in der Produktionstechnik und im Rohstoffeinsatz
Unternehmenskonzentration i n der Textilindustrie der Bundesrepublik unerläßlich ist, w i l l sie nicht Gefahr laufen, ihre Wettbewerbsfähigkeit einzubüßen 97 . I m Hintergrund steht zweifelsohne auch die Drohung, daß die Chemiefaserindustrie ähnlich wie i n Großbritannien dazu übergehen könnte, Textilfirmen aufzukaufen, falls es die Textilindustrie versäumt, ihre Unternehmensstruktur i n eigener Regie zu bereinigen. Der Textilindustrie der Bundesrepublik ist allerdings zugute zu halten, daß i n der Vergangenheit der Zusammenschluß (wie auch die Liquidierung) von Unternehmen durch steuerliche und sonstige Vorschriften behindert wurde. Unter dem Gesichtspunkt, die Wettbewerbsintensität zu erhöhen, kann die Behinderung von Zusammenschlüssen i n gewisser Weise gerechtfertigt werden. Wenn jedoch die Bereinigung der Unternehmensgrößenstruktur daran scheitert, daß den Firmen das Ausscheiden aus dem M a r k t erschwert wird, so ist dies u m so unverständlicher, als die Bundesrepublik, aus welchen Gründen auch immer, die Grenzen für die Importe weit öffnet. 5. Problem der Strukturschwäche Versucht man, die Textilindustrie unter strukturpolitischen Gesichtspunkten einer Beurteilung zu unterziehen, so kommt man zu dem Ergebnis, daß die Textilindustrie i n der Vergangenheit positive Beiträge zum räumlichen Gleichgewicht der Industriestruktur und zur besseren Nutzung der inländischen Ressourcen (hoher A n t e i l weiblicher Arbeitskräfte) geleistet hat. Außerdem zählt die Textilindustrie zu jenen Industriezweigen, die soziale Zusatzkosten (z. B. L u f t - und Wasserverschmutzung) nur i n geringem Maße verursachen. Vielfach w i r d auch behauptet, die Textilindustrie besitze aufgrund der Teilbarkeit der Produktionsanlagen eine relativ große Anpassungsflexibilität 98 . Diese Aussage dürfte jedoch durch die rasch fortschreitende technische Entwicklung zunehmend i n Frage gestellt werden. Wie nämlich die Untersuchung gezeigt hat, erfordert der technische Fortschritt vielfach größere Betriebseinheiten. Zahlreiche, insbesondere die konsumfernen und unterdurchschnittlich expandierenden Branchen der Textilindustrie der Bundesrepublik haben sich diesen Erfordernissen nicht genügend angepaßt. Dies gilt auch für die Möglichkeiten der Automatisierung, die von vielen Betrieben der Textilindustrie nicht immer v o l l ausgeschöpft wurden. I n Zukunft werden sich die Möglichkeiten zur Automatisierung 97
Es soll hier keineswegs einer Konzentration ad infinitum das Wort geredet werden, denn es ist erwiesen, daß ab einem gewissen Konzentrationsgrad die Wettbewerbsfähigkeit wieder abnimmt. Dieser Grad ist jedoch in der Textilindustrie bei weitem noch nicht erreicht. 98 Vgl. Scheid, Rudolf: Die wirtschaftspolitische Konzeption..., a.a.O., S. 298.
5. Problem der Strukturschwäche
133
ganzer Produktionsvorgänge weiter erhöhen; diese Entwicklung sollte es der Textilindustrie erlauben, weiterhin Arbeitskräfte freizusetzen und so einen Beitrag zur Linderung der sicherlich noch zunehmenden Knappheit an Arbeitskräften zu leisten. Hinsichtlich der Intensität des Wettbewerbs ist die Textilindustrie positiv zu beurteilen. Der scharfe Wettbewerb ist zu einem wesentlichen Teil auf die hohen Importe zurückzuführen. Der Textilmarkt der Bundesrepublik ist tief i n die internationale Arbeitsteilung eingegliedert. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, daß diese Eingliederung etwas einseitiger Natur ist; dies liegt — abgesehen von der liberalen Einfuhrpolitik der Bundesrepublik — an den oft geringen Exportbemühungen (einschließlich der sehr niedrigen Auslandsinvestitionen). Hierin liegt eine wesentliche Schwäche der Textilindustrie, die letztlich ihre Ursache i n der unzureichenden Unternehmensstruktur hat. Der Aufbau von Vertriebs- und Produktionsstätten i m Ausland kann nämlich i m allgemeinen nur von kapitalkräftigen Unternehmen erfolgreich durchgeführt werden. Das gleiche gilt i m übrigen auch für die Realisierung des technischen Fortschritts, die i n Zukunft erheblich größere Finanzierungsmittel als bisher erfordern wird. Die Überwindung von Strukturschwächen i n einzelnen Bereichen der Textilindustrie setzt die Kenntnis über die zukünftige Entwicklung der Nachfrage nach den Erzeugnissen der Branche voraus. Für die Vergangenheit kann festgestellt werden, daß sich der gesamte Textilverbrauch erhöht hat, wobei selbstverständlich für einzelne spezielle Erzeugnisse ein Nachfragerückgang zu verzeichnen war. Dies gilt beispielsweise für die Nachfrage nach Garne, denen durch die endlosen Chemiefäden eine erhebliche Konkurrenz entstand. Es ist eine Ermessensfrage, ob man hier bereits von einer Strukturkrise sprechen kann. Für die Textilindustrie als Ganzes betrachtet kann man dies sicherlich so lange nicht, als die Nachfrage nach sämtlichen Textilien ansteigt. Ob dies auch i m nächsten Jahrzehnt der F a l l ist, soll i m folgenden Kapitel untersucht werden.
V I I . Langfristige Entwicklung des Textilverbrauchs 1. Strukturwandel in der Nachfrage Die Gesamtstruktur einer Volkswirtschaft befindet sich i n ständigem Wandel. Während der primäre Sektor (Urproduktion) laufend an Bedeutung verliert, schieben sich der sekundäre Sektor (verarbeitendes Gewerbe) sowie insbesondere der tertiäre Sektor (Dienstleistungsbereich) immer mehr i n den Vordergrund. Diese Verschiebungen sind letztlich darauf zurückzuführen, daß sich die Nachfrage der Konsumenten von nicht dauerhaften Konsumgütern zu dauerhaften Gütern und Dienstleistungen verlagert. Diese Verlagerungstendenzen sind u m so ausgeprägter, je höher das Wohlstandsniveau einer Volkswirtschaft liegt. Auch innerhalb einer Gütergruppe erfährt die Nachfrage Verschiebungen, und zwar von Gütern minderer Qualität zu solchen höherer Qualität 1 . I n der Textilindustrie kommt dieser Wandlungsprozeß deutlich zum Ausdruck. Dieser Industriezweig sieht sich einmal einer steigenden Konkurrenz anderer Branchen gegenüber. Z u m anderen verlagert sich innerhalb des Textilsektors die Nachfrage der Konsumenten von billiger Massenware immer mehr auf relativ teure und modische Artikel. Das kann dazu führen, daß bei stagnierender mengenmäßiger Nachfrage nach Textilien die wertmäßige Nachfrage auf Grund der wachsenden Ansprüche an die Qualität weiterhin steigt 2 . 2. Bestimmungsgründe des Textilverbrauchs Unter Textilverbrauch w i r d der Verbrauch der privaten Haushalte und der nichtprivaten Abnehmer von Erzeugnissen der T e x t i l - und Bekleidungsindustrie verstanden. Die internen Umsätze zwischen Text i l - und Bekleidungsindustrie sind ausgeschaltet. Der Textilverbrauch, wie er hier verwendet wird, umfaßt also Erzeugnisse, die die T e x t i l w i r t schaft endgültig verlassen. Die Input-Output-Tabelle des Ifo-Instituts für 1964 weist aus, daß dieser so verstandene Textilverbrauch zu etwa 85 °/o an private Abnehmer 1 Vgl. Pattis, Peter: Die Märkte für Textilien, Typische langfristige Entwicklungstendenzen als Grundlage für Prognosen, Zürich und St. Gallen 1969, S. 8. 8 Pattis, Peter: Die Märkte für T e x t i l i e n . . . , a. a. O., S. 8.
2. Bestimmungsgründe des Textilverbrauchs
135
und zu etwa 1 5 % an nicht-private Abnehmer ging (vgl. Tabelle 6 i n Kapitel II.3.6). Eine Vorausschätzung des Textilverbrauchs hat sich demnach vor allem m i t dem Textilverbrauch privater Abnehmer zu befassen 8. Als Maßstab für den privaten Textilverbrauch können die Textilumsätze des Einzelhandels herangezogen werden. Sie umfassen sämtliche von den privaten Haushalten gekauften Textilien, d. h. sowohl Bekleidungs- als auch Haushalts- und Heimtextilien. Nicht enthalten sind lediglich die Direktkäufe der privaten Verbraucher beim Großhandel und bei der Industrie. I h r A n t e i l an den Textilkäufen der privaten Verbraucher beträgt jedoch nur 4 %>. Schaltet man die Bevölkerungsentwicklung aus der Betrachtung aus, versucht also zunächst die Entwicklung des Pro-Kopf-Verbrauchs von Textilien zu ergründen, dann lassen sich drei Bestimmungsfaktoren anführen: — Das verfügbare Einkommen der Konsumenten — Die Bedarfsstruktur, d. h. die Rangordnung der i n den Begehrskreis der Haushalte fallenden Güter — Die relativen Preise, d. h. die Preisrelation, die zwischen Textilien und den anderen Gütern besteht. Die zwei letztgenannten Faktoren sind subsidiäre Bestimmungsfaktoren. Als wichtigster Faktor hat sich das verfügbare Einkommen herausgeschält. N u n ist die Beziehung zwischen Einkommen und Textilverbrauch „mitbestimmt durch alle übrigen Faktoren, die innerhalb der Zeitspanne, die der Berechnung der Konsumfunktion zugrunde liegt, den Pro-KopfVerbrauch an Textilien beeinflußt haben. Der Verlauf der Konsumfunktion bleibt von den nicht berücksichtigten Determinanten des Textilverbrauchs nur insoweit unberührt, als der Einfluß dieser Faktoren i n der betrachteten Zeitspanne insgesamt konstant geblieben ist. I m vorliegenden Fall steht jedoch außer Frage, daß sich die übrigen Determinanten des Textilverbrauchs, wie z. B. die Bedarfsstruktur und die relativen Preise, langfristig i n bestimmter Richtung verändert haben" 4 . Was die Preisentwicklung von Textilwaren betrifft, so ist diese durch ein Zurückbleiben hinter der allgemeinen Preisentwicklung gekenns Das Verhältnis zwischen dem Textilverbrauch privater und nicht-privater Abnehmer dürfte sich seit 1964 kaum verändert haben; für die Zukunft ist, legt man die Verhältnisse in den USA zugrunde, ebenfalls eine konstante Relation wahrscheinlich. 4 Vgl. Lösch, Hans Peter: Gegenwärtige und zukünftige Entwicklungstendenzen der inländischen Textilnachfrage, in: Textilwirtschaft im Strukturwandel, herausgeg. von Walther G. Hoffmann, Tübingen 1966, S. 230—307, S. 243.
136
VII. Langfristige Entwicklung des Textilerbrauchs
zeichnet. Es erscheint durchaus plausibel, daß die Textiipreise auch i n Zukunft weniger stark ansteigen werden als die Preise der übrigen Güter und Dienstleistungen. Angesichts der Überkapazitäten i n der Chemiefaserindustrie dürfte sich die rückläufige Tendenz der Preise für Textilrohstoffe i n den nächsten Jahren fortsetzen; zumindest ist ein A n steigen der Rohstoffpreise i n absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Hinzu kommt, daß auch i n Zukunft von den Textileinfuhren ein Druck auf die Preise ausgehen wird.
Zusammenhang zwischen Einkommen und privatem Textilverbrauch Privaten Textilverbrauch" * 100 DM (Logarithmischer Maßstab)
t = 1
L
45*
I.DM
7
JS1
e
9
10
Einkommen1*
b) ^f? EJmdterKfels pro Hopf in konstanten Preisen von 1354. w TfP^J™?!** Persönlich verfügbares Einkommen pno Kopf in konstanten Preisen von 195k
IFQ-IN5TITUTfer WwtKfioftjWn^ MOndwn
132/70
Abbildung 16
3. Einkommensabhängigkeit des Textilverbrauchs
137
Die Bedarfsstruktur hat sich i n der Weise geändert, daß Textilien innerhalb der Bedarfsskala der privaten Haushalte gegenüber Dienstleistungen und Gütern gehobeneren Bedarfs an Gewicht verloren haben. Die Einkommenselastizität der privaten Textilnachfrage ist ein Maßstab für die Stellung der Textilien innerhalb dieser Bedarfsskala. I n der Vergangenheit lag diese Elastizität unter 1, wie aus Abbildung 16 hervorgeht. Hier ist die Entwicklung der realen Textilumsätze des Einzelhandels pro Kopf m i t der Entwicklung des deflationierten persönlich verfügbaren Einkommens pro Kopf verglichen worden. Insbesondere seit Mitte der fünfziger Jahre ist das Wachstum der Textilumsätze immer mehr hinter dem Anstieg des Einkommens zurückgeblieben. Man w i r d davon ausgehen können, daß sich diese Entwicklung i n Zukunft weiter fortsetzen wird. Dafür spricht, daß wegen der zu erwartenden Zunahme des Pro-Kopf-Einkommens und der damit verbundenen Wohlstandssteigerung weitere nicht-textile Güter und Dienstleistungen, die heute noch bestimmten Einkommensschichten vorbehalten sind, zu Massenverbrauchsgütern werden. Auch i m nächsten Jahrzehnt dürfte damit die Einkommenselastizität des privaten Textilverbrauchs unter 1 liegen.
3. Einkommensabhängigkeit des Textilverbrauchs Neben der absoluten Höhe der Einkommenselastizität des Textilverbrauchs interessiert auch die Entwicklung i m Zeitablauf. Wie A b b i l dung 17 zeigt, unterliegt der Elastizitätskoeffizient starken jährlichen Schwankungen. U m die langfristigen Tendenzen sichtbar zu machen, wurden gleitende Fünf jahresdurchschnitte gebildet. Die auf diese Weise ermittelte Reihe läßt erkennen, daß die Einkommenselastizität i n der Phase des Nachholbedarfs, also bis zur Mitte der fünfziger Jahre, nahe bei 1 lag. Seit 1956 schwanken die gleitenden Fünf jahresdurchschnitte zwischen 0,5 und 0,7, m i t einem Einbruch i n den Jahren 1964 bis 1966. Ob der seit 1966 zu beobachtende Anstieg der Einkommenselastizität darauf hindeutet, daß Textilien i n der Gunst der Verbraucher wieder steigen, läßt sich aus den Zahlen nicht m i t Sicherheit ablesen. Zweifellos haben jedoch die Anstrengungen der Chemiefaser- sowie der T e x t i l - und Bekleidungsindustrie, die seit Jahren m i t Hilfe der Mode, der Werbung und anderer M i t t e l ständig darum bemüht sind, die Textilien i n der Kategorie der gehobeneren Bedarfsgüter anzusiedeln, dazu geführt, daß die Einkommenselastizität des Textilverbrauchs heute ungefähr so hoch ist wie i n der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre. Eine weitere Vergleichsrechnung, die angestellt wurde, u m die Frage der Konstanz der Einkommenselastizität i m Zeitablauf zu prüfen, benutzte drei verschiedene Funktionstypen:
138
VII. Langfristige Entwicklung des Textilverbrauchs
Elastizität den Textilumsälze des Einzelhandels8* pro Kopf in bezug auf das persönlich verfügbare Einkommen pro Kopf a)
Abbildung 17
— die lineare Funktion y = a + bx; — die doppel-logarithmische Funktion log y = a + blogx; — die halb-logarithmische Funktion y = a + b log x, wobei y die Textilumsätze des Einzelhandels pro Kopf zu konstanten Preisen und x das persönlich verfügbare Einkommen pro Kopf zu konstanten Preisen repräsentieren (vgl. Tab. 38). Für die Auswahl des „besten" Zusammenhangs zwischen Einkommen und Textilverbrauch wurden folgende Kriterien herangezogen: — die Strammheit des Zusammenhanges; — die statistische Zuverlässigkeit der geschätzten Koeffizienten; — die ökonomische Interpretierbarkeit der Funktion. Sämtliche für die einzelnen Funktionstypen errechneten Korrelationskoeffizienten r liegen nahe bei 1. Dies bedeutet, daß der Zusammenhang
3. Einkommensabhängigkeit des Textilverbrauchs
139
zwischen der unabhängigen und der abhängigen Variablen i n allen untersuchten Fällen relativ eng ist. Für die Periode von 1960 bis 1969 ist der Korrelationskoeffizient bei der doppel-logarithmischen und bei der linearen Funktion am höchsten. Sämtliche Parameter der getesteten Funktionen sind ausreichend gegen die Nullhypothese abgesichert. Wie aus Tabelle 38 hervorgeht, erhöht sich die Sicherung der Parameter (hier: t(b)) m i t zunehmender Länge des Untersuchungszeitraumes. Die doppel-logarithmische Funktion zeigt den höchsten Sicherheitsgrad. Auch vom ökonomischen Standpunkt aus scheint der doppel-logarithmische Ansatz sinnvoll zu sein. Denn bei der linearen Beziehung nimmt die Elastizität, je nach Vorzeichen und Größe des Parameters a, einen unterschiedlichen Verlauf. Ist a = 0, so ist die Elastizität auf jedem Punkt der Kurve gleich 1. Ist a positiv, so ist die Elastizität kleiner als 1 und nähert sich m i t wachsendem Einkommen dem Wert 1. Diese Konstellation erscheint ökonomisch wenig plausibel, da die Funktion dann Tabelle 38 Regressionsgleichungen für den Zusammenhang zwischen Einkommen und Textilverbrauch Funktion
Zeitraum
r
Sb
t(b)
- 0,193
+ 0,777 log x
1950—1969
0,993
0,0212
36,7
-
0,452 0,461 0,359 0,229 0,054 0,169 0,184 - 0,005 - 0,150 0,044 0,129
+ + + + + + + + + + +
1950—1959 1951—1960 1952—1961 1953—1962 1954—1963 1955—1964 1956—1965 1957—1966 1958—1967 1959—1968 1960—1969
0,984 0,982 0,979 0,977 0,973 0,972 0,971 0,981 0,988 0,982 0,981
0,0553 0,0583 0,0605 0,0606 0,0624 0,0573 0,0582 0,0509 0,0420 0,0485 0,0481
15,5 14,7 13,7 13,0 11,8 11,8 11,5 14,2 18,2 14,6 14,3
y= y=
- 1570 - 1750
+ 546 + 597
log x log x
1954—1969 1960—1969
0,989 0,978
y= y=
97,1 117
x x
1954—1969 1960—1969
0,989 0,981
logy logy logy logy logy logy logy logy logy logy logy logy
= —
= = = = = = = = = =
0,856 log x 0,858 log x 0,828 log x 0,790 log x 0,739 log x 0,675 log x 0,671 log x 0,725 log x 0,765 log x 0,710 log x 0,687 log x
+ 0,076 + 0,071
22,3 44,6 0,00307 0,00498
24,5 13,4 24,8 14,3
Erläuterungen: y:
Textilumsätze des Einzelhandels pro Kopf zu konstanten Preisen von 1954. x: Persönlich verfügbares Einkommen pro Kopf zu konstanten Preisen von 1954. r: Korrelationskoeffizient. Sb: Mittlere quadratische Abweichung von b. t(b): Sicherung des Parameters b gegen die Nullhypothese.
140
VII. Langfristige Entwicklung des Textilverbrauchs
implizieren würde, daß der A n t e i l der Ausgaben für Textilien an den gesamten Verbrauchsausgaben i n Zukunft ansteigt. Der größte Teil des Textilverbrauchs erfüllt aber immer noch einen Grundbedarf der menschlichen Existenz, wenngleich nicht zu übersehen ist, daß dieser Teil infolge erheblicher Anstrengungen der Produzenten allmählich kleiner wird. Bei der halb-logarithmischen Beziehung nimmt der Elastizitätskoeffizient m i t wachsendem Einkommen ab. Dieser Kurventyp eignet sich daher besonders für die Darstellung der Beziehung zwischen Einkommen und Verbrauch überwiegend lebensnotwendiger Güter. Die doppel-logarithmische Beziehung scheint deshalb, zumindest was die Entwicklung seit Mitte der fünfziger Jahre betrifft, dem Zusammenhang zwischen Einkommen und Textilverbrauch besser zu entsprechen. Der Elastizitätskoeffizient ist bei diesem Funktionstyp konstant; er entspricht dem Regressionskoeffizienten b. U m zu prüfen, ob die Einkommenselastizitäten i n der Vergangenheit konstant blieben, wurden gleitende Regressionen berechnet. Die elf Regressionsgleichungen weisen aus, daß die Regressionskoeffizienten b zunächst einen abnehmenden Verlauf zeigen. Beginnend m i t der Regression 1954—1963 lassen die Koeffizienten eine gewisse Stabilität erkennen. Damit w i r d erneut die Hypothese gestützt, die einen Zusammenhang zwischen Einkommen und Textilverbrauch i n der Form eines doppel-logarithmischen Ansatzes unterstellt. Die Berechnungen machen aber deutlich, daß der Regressionsanalyse erst Daten ab Mitte der fünfziger Jahre zugrunde gelegt werden sollten, da der Textilverbrauch i n den vorhergehenden Jahren zu sehr durch den Nachholbedarf beeinflußt wurde. Z u untersuchen ist aber nunmehr, ob der gewählte Funktionstyp auch den voraussichtlichen Zusammenhang zwischen Einkommen und Textilverbrauch richtig wiedergeben wird, d.h., ob auch i m nächsten Jahrzehnt die Einkommenselastizität des privaten Textilverbrauchs i n etwa konstant bleiben wird. Zunächst spricht für die Konstanz, „daß Textilien eine außerordentlich breite Skala verschiedener Güter umfassen, für die es immer wieder neue Gestaltungsmöglichkeiten gibt, w o r i n zugleich die Chance liegt, den Pro-Kopf-Verbrauch durch Bedarfsweckung auch bei hohem Einkommensniveau weiterhin anzuheben. Bei Ausschöpfung aller Möglichkeiten moderner Absatzwirtschaft, namentlich durch Produktgestaltung und Werbung ..., ist es daher durchaus nicht ausgeschlossen, daß die Einkommenselastizität des Textilverbrauchs pro Einwohner i n den nächsten Jahren nicht nennenswert weiter zurückgeht" 5 , sondern auf dem 5 Vgl. Lösch, Hans-Peter: Gegenwärtige und zukünftige Entwicklungstendenzen der inländischen Textilnachfrage, a. a. O., S. 282.
3. Einkommensabhängigkeit des Textilverbrauchs
141
durchschnittlichen Niveau des vergangenen Jahrzehnts gehalten werden kann. Diese relativ optimistische Einschätzung der zukünftigen Entwicklung des privaten Textilverbrauchs w i r d gestützt durch Untersuchungen von Pattis über den Zusammenhang zwischen Einkommen und Ausgaben für Bekleidung i n zahlreichen Ländern. Pattis stellte fest, daß die wertmäßige Nachfrage nach Bekleidung (zu konstanten Preisen) i m Laufe des wirtschaftlichen Wachstums gewissen Gesetzmäßigkeiten unterliegt (vgl. Abbildung 18)6.
Typisierten Zusammenhang zwischen Einkommen20 und Ausgaben für Bekleidung Ausgaben für Bekleidung pro Kopf zu konstanten Preisen (Loganithmischen Maßstab)
100
150
200
300
¿00
500 600
800
1000
1500
2000
3000
4000
Einkommen
Persön/ich verfügbares Einkommen pro Kopf in US-Ooffcn in Pn&sen von 1958 Quelle: Pattis, Peter: Die Märkte fün Textilien, a. a. O., S. 209. 128170
IFO-INSTITUTfor Wirtsdtofoforschung Mönchen
Abbildung 18 • Pattis, Peter: Die Märkte für T e x t i l i e n . . a . a. O., S. 208 f.
VßJ
142
VII. Langfristige Entwicklung des Textilverbrauchs
— I n Ländern m i t einem verfügbaren Einkommen pro Kopf von weniger als 400 US-Dollar (zu Preisen von 1958) weisen die Ausgaben für Bekleidung ein überproportionales Wachstum auf (Elastizität > 1). — I n Ländern m i t einem Pro-Kopf-Einkommen von 400 bis 900 USDollar verläuft das Wachstum der Bekleidungsausgaben ungefähr proportional zum Einkommenswachstum (Elastizität = 1). — I n den Ländern m i t einem Pro-Kopf-Einkommen von 1000 bis 2000 US-Dollar n i m m t das Wachstum der Bekleidungsausgaben nur noch unterproportional zum Wachstum des Einkommens zu (Elastizität < 1 ) . — I n fortgeschrittenen Ländern nähert sich die Einkommenselastizität der Ausgaben für Bekleidung wieder dem Wert 1. Dies gilt allerdings nur für Länder, i n denen die Textilverbrauchsquote 7 8,5 •/• bis 9,5 °/o beträgt. I n der Bundesrepublik beläuft sich dieser Prozentsatz heute auf etwa 11 Ä/o. Wenn man die Verhältnisse i n der Bundesrepublik auf Abbildung 17 überträgt, dann ist davon auszugehen, daß hier das persönlich verfügbare Pro-Kopf-Einkommen i m Jahre 1969 knapp 5000 D M (in Preisen von 1958) betrug; umgerechnet auf US-Dollar entspricht dies einer Kaufkraft von ca. 1600 US-Dollar 8 . Abbildung 18 zeigt, daß diesem Einkommen eine Elastizität entspricht, die unter 1 liegt; dieses Ergebnis stimmt m i t den festgestellten Elastizitätskoeffizienten des privaten Verbrauchs von Textilien überein. Es kann daher unterstellt werden, daß der dargestellte typisierte Zusammenhang zwischen Einkommen und Ausgaben für Bekleidung auch für die Bundesrepublik Gültigkeit besitzt. Dies würde bedeuten, daß sich auch i n den nächsten Jahren die Einkommenselastizität unter 1 bewegen wird. Ein weiteres Absinken der Einkommenselastizität erscheint dagegen für die nächsten zehn Jahre unwahrscheinlich, da i n der Bundesrepublik bereits Ende der siebziger Jahre das persönlich verfügbare Einkommen pro Kopf (zu Preisen von 1958) die 2000-Dollar-Schwelle überschreiten dürfte, also jene Schwelle, ab welcher die Einkommenselastizität sich wieder dem Wert 1 nähert. Allerdings dürfte die Textilverbrauchsquote i m Jahre 1980 bei etwa 10 °/o liegen, so daß die zweite Bedingung für das Ansteigen der Elastizität auf 1 noch nicht erfüllt wäre. Zur Absicherung der These eines konstanten Elastizitätskoeffizienten dient außerdem eine Querschnittsanalyse. Sie stützt sich auf die Einkommens» und Verbrauchsstichprobe, die i n der Bundesrepublik 1962/63 durchgeführt wurde. Dieser Erhebung zufolge nehmen die Aufwendun7 Anteil der Ausgaben für Textilien und Bekleidung am gesamten privaten Verbrauch. 8 Umrechnung mit Verbrauchergeldparität 1 US-Dollar = 3 D M .
143
3. Einkommensabhängigkeit des Textilverbrauchs
gen für Bekleidung (einschließlich Schuhe) zunächst m i t steigenden Haushaltsausgaben überproportional zu. Bei einem jährlichen Haushaltsbudget von ca. 10 000 bis 17 000 D M entfällt dann ein relativ konstanter A n t e i l des Verbrauchs auf Bekleidung, während i n den höchsten Einkommensstufen die Anteilsätze wieder leicht rückläufig sind. Trägt man i n einem doppel-logarithmischen Maßstab die einzelnen Wertepaare für die Gesamtausgaben und den Bekleidungsverbrauch ab, so zeigt sich, daß die Beziehungslinie — abgesehen von den beiden Enden — gut durch eine Gerade approximiert w i r d (vgl. Abbildung 19); die Elastizität der
Zusammenhang zwischen Einkommen und Ausgaben für Bekleidung (einschl. Schuhe) für Arbeiter-, Angestellten-und Beamtenhaushalte 1962/63
Ausgaben für Bekleidung (einschl.Schuhe) je Haushalt und Jahr Tsd.DM (Logarithmischer Maßstab)
in Tsd. DM
Quelle: Stet/st/sches Amt den Europäischen Gemeinschaffen: Soziaistat/sfik, W/n nechnungen 1962/63, Deutschland fßR), Sondenneihe Nr. 5, Brüssel 7366, S. IFO-INSTITUT für Wirtschaftiforechung München
170/70 Abbildung 19
^^
144
VII. Langfristige Entwicklung des TextilVerbrauchs
Bekleidungsausgaben i n bezug auf die gesamten Verbrauchsausgaben ist demnach i n etwa konstant. Insoweit ist eine Übereinstimmung m i t dem Ergebnis der Zeitreihenanalyse gegeben. Alles i n allem läßt sich also feststellen, daß sowohl statistische als auch ökonomische Kriterien dafür sprechen, daß der Zusammenhang zwischen privatem Textilverbrauch und Einkommen am besten durch eine doppel-logarithmische Funktion dargestellt werden kann. Diese Aussage dürfte für die vergangenen 10 bis 15 Jahre sowie für das folgende Jahrzehnt Gültigkeit besitzen.
Einkommen3* und Textilumsätze des Einzelhandelsb) Textilumsätze des Einzelhandelsbl DM (Logarithmischen Maßstab)
Abbildung
4. Vorausschätzung des privaten Textilverbrauchs
145
4. Vorausschätzung des privaten Textilverbrauchs Dieser doppel-logarithmische Funktionstyp diente nunmehr als Grundlage für die Vorausschätzung des privaten Textilverbauchs. Die Analyse mußte sich auf Daten ab 1960 beschränken, da die Daten für die Vorausschätzung des persönlich verfügbaren Einkommens auf der Preisbasis 1962, also nicht auf der Preisbasis 1954 beruhen und Zahlen für die Preisbasis 1962 i n der amtlichen Statistik nur bis 1960 zurückreichen. Die mit Hilfe der Regressionsanalyse ermittelte Gleichung für die Jahre 1960 bis 1969 lautet 9 : log y = —0,212 + 0,783 log x. Ausgangspunkt für die Vorausschätzung des persönlich verfügbaren Einkommens pro Kopf zu konstanten Preisen ist die Projektion des realen Bruttoinlandsprodukts bis 198010. Die Ergebnisse der Schätzung sind i n Tabelle 39 festgehalten. Durch Einsetzen der Schätzwerte für das persönlich verfügbare Einkommen i n die Regressionsgleichung ergab sich der geschätzte private Textilverbrauch pro Kopf i n der Bundesrepublik für 1980 (vgl. A b b i l dung 20). Tabelle 39 Entwicklung von Bruttosozialprodukt, Einkommen und Bevölkerung
Zeitraum
1960 1969 1975 1980
Bruttosozialprodukt 3 )
Persönlich verfügbares Einkommen 0 )
Bevölkerung
Mrd. D M
Mrd. D M
Millionen
Persönlich verfügbares Einkommen pro Kopf*) DM
328,4 498,2 642,2 799,6
200,3 316,9 422,8 532,9
55,4 60,8 63,6 65,7
3 616 5 212 6 648 8111
Durchschnittliche jährliche Wachstumsrate in °/o 1960/69 1969/80
II 1
4,8 4,4
5,2 4,8
1,1 0,7
4,1 4,1
a) I n Preisen von 1962. Quelle: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen.
Aus der Vorausschätzung des privaten Textilverbrauchs pro Kopf läßt sich der zukünftige gesamte Textilverbrauch ableiten, und zwar durch Multiplikation mit der erwarteten Bevölkerungszahl 11 (vgl. Tabelle 40). • r (Korrelationskoefflzient) = 0,986; s& (Streuung des Regressionskoeffizienten b) = 0,0465; tb (Sicherung des Regressionskoeffizienten b gegen die Nullhypothese) = 16,8. 10 Eine Beschreibung der Methode dieser Projektion findet sich in: Wirtschaftliche und soziale Aspekte des technischen Wandels in der Bundesrepublik Deutschland, Erster Band, Sieben Berichte, Forschungsprojekt des RKW, Frankfurt 1970, S. 22 ff. 10 Breitenacher
VII. Langfristige Entwicklung des Textilverbrauchs
146
Danach dürften die Textilumsätze des Einzelhandels von 1969 bis 1980 u m 54,2 °/o ansteigen, was einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 4,0 °/o entsprechen würde. Der private Textilverbrauch w i r d also i m kommenden Jahrzehnt etwas langsamer wachsen als i m vergangenen Jahrzehnt; hier betrug die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate 4,6 °/o. Tabelle 40 Entwicklung von persönlich verfügbarem Einkommen und Textilumsätzen des Einzelhandels Persönlich verfügbares Einkommen
Textilumsätze des Einzelhandels
T
janr
pro Kopf*) DM
insgesamt 0 ) Mrd. D M
pro Kopf a ) DM
insgesamt*) Mrd. D M
1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969
3 616 3 797 3 956 4 092 4 314 4 598 4 674 4 673 4 884 5 212
200,3 213,4 225,1 235,7 251,5 271,3 278,6 279,9 294,0 316,9
369 395 406 406 424 459 460 451 462 504
20,4 22,2 23,1 23,4 24,7 27,1 27,4 27,0 27,8 30,6
1975 1980
6 648 8111
422,8 532,9
604 719
38,4 47,2
a) Zu Preisen von 1962. Quelle: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen.
E i n Vergleich von Vergangenheitsentwicklung und voraussichtlicher Entwicklung zeigt somit folgendes B i l d (durchschnittliche jährliche Wachstumsraten i n %>): 1960/69 1969/80 Persönlich verfügbares Einkommen pro Kopf Privater Textilverbrauch pro Kopf Bevölkerung (einschl. Wanderungsgewinne) Persönlich verfügbares Einkommen insgesamt Privater Textilverbrauch insgesamt
4,1 3,6 1,1 5,2 4,6
4,1 3,3 0,7 4,8 4,0
11 Hier wurden die Schätzungen des Statistischen Bundesamtes zugrunde gelegt (vgl. Bevölkerung und Kultur Reihe I Bevölkerungsstand und -entwicklung, Sonderbeitrag Vorausschätzung der Bevölkerung für die Jahre 1966 bis 2000, Stuttgart und Mainz 1967). Darüber hinaus sind Schätzungen über die Wanderungsgewinne (vor allem Gastarbeiter) angestellt worden.
5. Vorausschätzung der Produktion der Textilindustrie
147
5. Vorausschätzung der Produktion der Textilindustrie a) Produktionsentwicklung
im gesamten Industriezweig
Die Vorausschätzung der Textilumsätze des Einzelhandels bildet die Grundlage für die Projektion der Produktion der Textilindustrie, die i m Inland abgesetzt wird. Daneben mußte für den Export 1 2 eine verbindliche Bestimmungsgröße gefunden werden. Der Export w i r d durch zahlreiche Faktoren bestimmt: Einkommens Verhältnisse i n den Abnehmerländern, deren Handels- und Wirtschaftspolitik, Verhältnisse der Preisniveaus zwischen In- und Ausland usw. 13 . Eine lückenlose quantitative Erfassung dieser Faktoren ist nicht möglich. Als Ersatzgröße wurde die Entwicklung des Bruttosozialprodukts der wichtigsten Abnehmerländer der Bundesrepublik eingesetzt. Die Regression zwischen dem Export der Textilindustrie der Bundesrepublik und dem Sozialprodukt der OECD-Länder (ohne BRD) zeigt eine gute Absicherung. Die Prüfung des Zusammenhangs zwischen den zu untersuchenden Variablen erfolgte m i t Hilfe von drei verschiedenen Funktionstypen, nämlich einer linearen Funktion, einer doppel-logarithmischen Funktion und einer halb-logarithmischen Funktion (vgl. Tabelle 41). Unter ökonomischen und statistischen K r i t e r i e n sind die doppel-logarithmischen Funktionen am besten geeignet, den Verlauf der zu erklärenden Variablen Textilproduktion für den Inlandsbedarf und Export der Textilindustrie i m Beobachtungszeitraum richtig wiederzugeben. Für die Schätzung des Bruttosozialprodukts der OECD-Länder (ohne Bundesrepublik) wurden die Berechnungen der OECD herangezogen 14 . Für die Schätzung der Textilproduktion für den Inlandsbedarf fanden die projizierten Werte der Textilumsätze des Einzelhandels Verwendung. Diesen Berechnungen zufolge w i r d das Wachstum der Textilproduktion für den Inlandsbedarf i m Prognosezeitraum wie bereits i m vergangenen Jahrzehnt hinter dem Wachstum der Textilumsätze des Einzelhandels zurückbleiben, d. h. der M a r k t für Erzeugnisse der Textilindustrie w i r d nicht v o l l an der Expansion des gesamten Textilmarktes partizipieren (vgl. Abbildung 21). Dies dürfte i n erster Linie zwei Ursachen haben: Z u m einen werden einige Bereiche der Textilindustrie, z. B. die Spinnereien, durch das Vordringen der Chemiefasern übersprungen, 12 Soweit im folgenden vom Export die Rede ist, handelt es sich um die Ausfuhr von Erzeugnissen der Textilindustrie (also ohne Erzeugnisse der Bekleidungsindustrie) . 13 Vgl. hierzu Reisewitz, Herbert: Vorausschätzung der Nettoproduktion der Textilindustrie, in: Textilwirtschaft im Strukturwandel, a. a. O., S. 315. 14 Nachrichten für Außenhandel, herausgeg. von der Bundesstelle für Außenhandelsinformation, Köln und V W D , Frankfurt, vom 23. 5.1970.
10*
148
VII. Langfristige Entwicklung des Textilverbrauchs
zum anderen, und dies ist der wichtigere Faktor, w i r k e n sich die Einfuhren von Fertigkleidung absatzmindernd auf den (nachgelagerten) Markt für Erzeugnisse der Textilindustrie aus.
Textilumsälze des Einzelhandels33* und Produktion den Textilindustrie für» den inländischen Verbrauch * Produktion den Textilindustrie für den inländischen Verbrauch Mrd. DM (Logarithm¡scher Maßstab)
Abbildung 21
Die Projektion weist außerdem eine weitere erhebliche Zunahme der Ausfuhren auf (vgl. Abbildung 22). Dem Export von Textilien w i r d i n Zukunft u m so größere Bedeutung zukommen, als sich der Textilindustrie i m Inland nur noch geringe Expansionsmöglichkeiten bieten werden, nämlich knapp 2 °/o durchschnittliches jährliches Wachstum i m Zeitraum von 1969 bis 1980. Unter Einbeziehung der Absatzchancen i m Export könnte die Textilindustrie ein jährliches reales Wachstum der B r u t toproduktion von knapp 4 °/o erreichen (vgl. Tabelle 42).
5. Vorausschätzung der Produktion der Textilindustrie
149
Tabelle 41 Regressionsgleichungen für die Berechnung von Produktion und Export der Textilindustrie Funktion
r
Sb
t(b)
0,477 + 0,526 log x t log Yi = Yi = - 11,679 + 20,026 log x t 7,501 + 0,350 xt Yi =
0,897 0,892 0,902
0,0915 3,5906 0,0593
5,75 5,58 5,90
logy 2 = - 5,878 + 2,054 log x 2 y2 = - 34,136 + 12,031 log x 2 x2 y 2 = - 2,745 + 0,005
0,994 0,976 0,986
0,0765 0,9589 0,0003
26,8 12,5 16,7
Erläuterungen: y t:
Produktion der Textilindustrie für den inländischen Verbrauch zu konstanten Preisen von 1962. y 2 : Export von Textilien (ohne Erzeugnisse der Bekleidungsindustrie) zu konstanten Preisen von 1962. x t : Textilumsätze des Einzelhandels zu konstanten Preisen von 1962. x 2 : Bruttosozialprodukt der OECD-Länder (ohne Bundesrepublik) zu konstanten Preisen 1963. r: Korrelationskoefflzient. Sb: Mittlere quadratische Abweichung von b. t(b): Sicherung des Parameters b gegen die Nullhypothese.
b) Rohstoffverbrauch
in Spinnerei und Garnverarbeitung
Die Schätzung der Bruttoproduktion der Textilindustrie erlaubt es, auch den Rohstoffeinsatz i n der Textilindustrie zu prognostizieren. I n der Spinnerei dürfte der gesamte Rohstoffverbrauch weiterhin leicht abnehmen. Die Verbreitung von Baumwolle w i r d auch i n den siebziger Jahren sinken 15 . Allerdings dürfte der Rückgang i m kommenden Jahrzehnt — absolut betrachtet — geringer ausfallen als i n den vergangenen zehn Jahren, vor allem bedingt durch die Fortschritte auf dem Gebiet der Hochveredlung von Baumwollstoffen und durch das Vordringen des Open-End-Spinnverfahrens, das die Verarbeitung von Baumwolle möglicherweise mehr begünstigen w i r d als die Verarbeitung von Chemiefasern. Gleichwohl ist zu erwarten, daß der Einsatz von synthetischen Chemiefasern wesentlich an Bedeutung gewinnt, u. a. als Folge der Substitution von Baumwolle und Zellwolle (vgl. Tabelle 43). Die synthetischen Fasern werden auch i n Zukunft den wachsenden Ansprüchen der Verbraucher an modische, funktionsgerechte und pflegeleichte Bekleidung entsprechen. Außerdem dürfte sich der Einsatz von synthetischen Fasern i n Industrie, Technik, Landwirtschaft, Verkehr usw. erhöhen. 15 Die Verarbeitung von Baumwolle in der Spinnerei darf mit dem Endverbrauch von Baumwolle nicht verwechselt werden. Da sich die Einfuhren von Halb- und Fertigwaren aus Baumwolle auch in den nächsten Jahren stark erhöhen werden, ist bis 1980 mit einer nur leichten Abnahme des Endverbrauchs von Baumwolle zu rechnen (vgl. hierzu Kapitel VII.6).
150
VII. Langfristige Entwicklung des Textilverbrauchs
Bruttosozialprodukt den OECD-Länder9) und Exporte von Textilienb)
Bruttosozialprodukt der OECD-Ländepa) 3) Bruttosozialprodukt der OECD-Länder (ohne Bundesrepublik) in Preisen von 1963. Exporte von Textilien fo/?ne Erzeugnisse der Bekleidungsindustrie) in Preisen von 1962. IFO-INSTITUT für Wirtschaftjforsdiung Mönchen
133/70
Mfcr
Abbildung 22
Die Zellwolle w i r d ihren gegenwärtigen Platz nicht behaupten können. Zwar sind die Zukunftschancen auf Teilgebieten durchaus günstig (z. B. Modalfasern) 16 . Andererseits ist nicht zu übersehen, daß die synthetischen Spinnfasern eine harte Konkurrenz für die Zellwolle darstellen, nicht zuletzt deshalb, w e i l die Produktionskosten für Zellwolle eine wesentlich ungünstigere Zusammensetzung aufweisen als die Synthetik-Erzeugung. Bereits i n den Jahren 1969 und 1970 mußte die Produktion von Zellwolle erheblich eingeschränkt werden. 16 Außerhalb der Spinnerei dürfte die Verarbeitung von Zellwolle in der Herstellung von Vliesstoffen zunehmen.
151
5. Vorausschätzung der Produktion der Textilindustrie Tabelle 42 Entwicklung von Produktion und Export der Textilindustrie (in Mrd. D M zu Preisen von 1962)
Produktion (In- und Auslandsabsatz)
Jahr
Produktion minus Ausfuhra) (Inlandsabsatz)
1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969
14,739 15,145 15,978 15,747 16,373 17,060 16,848 15,639 17,551 18,792
1,611 1,655 1,819 2,076 2,346 2,626 2,794 3,030 3,516 4,104
16,350 16,800 17,797 17,823 18,719 19,686 19,642 18,669 21,067 22,896
1975 1980
20,408 22,803
6,839 11,324
27,247 34,127
Ausfuhra)
Durchschnittliche jährliche Wachstumsraten in °/o 1960— 1969 1969— 1980
2.7
11,0
3,8
1.8
9,7
3,7
a) Die Werte für 1975 und 1980 wurden auf regressionsanalytischem Wege entwickelt. Quelle: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen.
Tabelle 43 Rohstoffverbraucha) in der Spinnerei 1960
1969
1980
Rohstoff 1000 t Baumwolle Wolle einschl. Kammzüge Zellwolle einschl. Kammzüge Synthetische Fasern einschl. Kammzüge .. Gesamter Rohstoffverbrauch
Durchschnittliche jährliche Wachstumsrate in °/o 1960/69
373,0
275,3
190,3
83,2
84,3
75,0
139,1
135,6
100,0
15,9
150,7
353,1
805,1
789,4
772,4
-
-
-
1969/80
3,3
- 3,3
0,1
- 1,1
0,3
- 2,7
28,4
8,0
0,2
-0,2
a) Mit Baumwolläquivalenzziffern bereinigt. Quelle: Gesamtverband der Textilindustrie in der Bundesrepublik Deutschland — Gesamttextil-e.V.; eigene Berechnungen.
152
VII. Langfristige Entwicklung des Textilverbrauchs
Die Garnverarbeitung w i r d auch i n Zukunft Träger des Wachstums i n der Textilindustrie sein. Nach den vorliegenden Berechnungen w i r d sich die Wachstumsrate des Rohstoffverbrauchs i n der Garnverarbeitung i n den kommenden Jahren nicht abschwächen (vgl. Tabelle 44). Die Zunahme des Rohstoffeinsatzes ist fast ausschließlich auf die vermehrte Verarbeitung von Chemiefasern, insbesondere von synthetischen Endlosgarnen, zurückzuführen. Die Verarbeitung von zellulosischen Endlosgarnen (Reyon) dürfte nicht mehr ansteigen, da die Nachfrage nach F u t terstoffen weitgehend stagniert. Bei Cord-Reyon ist es ebenfalls zweifelhaft, ob der Verbrauch ausgedehnt werden kann, da i n der Reifenherstellung die zellulosische Faser zunehmend durch Synthetiks bzw. Stahl ersetzt werden dürfte. Tabelle 44 Rohstoffverbrauch*) in der Garnverarbeitung 1960
1969
1980
Rohstoff 1000 t
Durchschnittliche jährliche Wachstumsrate in % 1960/69
1969/80
Reyon (ohne CordReyon) Synthetische Fäden
57,0 39,2
77,8 213,7
73,0 493,7
3,5 20,7
-0,6 7,9
Gesamter Rohstoffverbrauch
788,5
1005,1
1348,9
2,7
2,7
a) Mit Baumwolläquivalenzziffern bereinigt. Quelle: Gesamtverband der Textilindustrie in der Bundesrepublik Deutschland — Gesamttextil-e.V.; eigene Berechnungen.
6. Kontrolle der Schätzergebnisse Z u r Prüfung dieser Schätzergebnisse wurde eine Vorausschätzung des Pro-Kopf-Verbrauchs von Textilfasern durchgeführt. Die Grundlage für die Beziehungen i n der Vergangenheit bildeten die von der F A O errechneten Daten für die i m Inland verfügbaren Fasermengen für den Endverbrauch. F ü r die Projektion des — m i t Baumwolläquivalenzziffern bereinigten — Verbrauchs von Textilfasern wurde ein Zusammenhang m i t dem persönlich verfügbaren Einkommen pro Kopf unterstellt (vgl. A b b i l dung 23). Der m i t Hilfe einer doppel-logarithmischen Beziehung vorausgeschätzte bereinigte Faserkonsum beläuft sich 1980 auf 24 kg. Der diesem Wert entsprechende unbereinigte Faserverbrauch liegt m i t 17,7 k g noch unter dem der USA i m Jahre 1969. Abgesehen von dem i n den USA
6. Kontrolle der Schätzergebnisse
153
strukturell bedingten höheren Verbrauch von Baumwolle ist dies darauf zurückzuführen, daß i n den USA der Einsatz von synthetischen Fasern i m technischen Bereich bereits wesentlich größer ist als i n der Bundesrepublik und auch i n absehbarer Zeit größer bleiben wird. U m diese Entwicklung noch weiter verfolgen zu können, wurde auch eine Vorausschätzung der einzelnen Faserarten versucht.
Zusammenhang zwischen Einkommen und Gesamtverbrauch von Textilfasern Pro-Kopf-Verbrauch von Textil fasern*) in kg (gleitende Dreijahresdurchschnitte) (Logarithmischer Maßstab)
4,5
Bäumvro//äqts/Va/enzz/ffenn
5,0
5,5
6,0
6,5 7,0 7,5 8,0
Tsd. DM (Logarithmischer Maßstab) Pörs.verf. Einkommen pro Kopf bene/'n/gf. in Preisen von 1954
w/to
IFO-INSTITUT für Wirtschaftsfonchung Münch™
Abbildung 23
©
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VII. Langfristige Entwicklung des Textil Verbrauchs
I n der Bundesrepublik ist die Baumwolle immer noch die am meisten verwendete Textilfaser (vgl. Abbildung 24). Der Pro-Kopf-Verbrauch dieser Faser zeigt aber seit Anfang der sechziger Jahre ausgeprägte Sättigungserscheinungen. Bis 1980 ist eine leichte Abnahme i m Baumwollkonsum wahrscheinlich. Das gleiche gilt für den Pro-Kopf-Verbrauch von Wolle und Zellwolle, die übrigens i n der Bundesrepublik aus historischen Gründen bereits ein relativ hohes Verbrauchsniveau erreicht hat. Die synthetischen Fasern werden weiterhin vordringen, wenn auch nicht
Zusammenhang zwischen Einkommen und Verbrauch einzelnen Textilfasern Ppo-Kopf-Verbrauch von Textilfasern in kg (gleitende Dreijahresdurchschnitte) (Loganithmischer Maßstab)
IFO-INSTITUT fOr Wirtschafoforschung Münch.n
Abbildung
6. Kontrolle der Schätzergebnisse
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mehr so explosionsartig wie bisher; sie werden i m Jahre 1980 den Baumwollverbrauch erheblich übertreffen. Die bisher vorgeführten Schätzergebnisse ermöglichen einen Vergleich zwischen dem voraussichtlichen mengenmäßigen und wertmäßigen Textilverbrauch i n der Bundesrepublik i m Jahre 1980, wobei der mengenmäßige Textilverbrauch m i t dem Textilfaserverbrauch pro Kopf und der wertmäßige Textilverbrauch m i t den Textilumsätzen des Einzelhandels pro Kopf gemessen wird. Der Vergleich zeigt, daß die Vorausschätzungen zu unterschiedlichen Ergebnissen führten: Für den Zeitraum von 1960 bis 1980 beträgt das jahresdurchschnittliche Wachstum für die Textilumsätze des Einzelhandels pro Kopf 3,4 °/o und für den Textilfaserverbrauch 17 pro Kopf 2,7 °/o. Die Differenz dürfte i n erster Linie dadurch bedingt sein, daß m i t steigendem Einkommen qualitativ bessere Textilien nachgefragt werden 18 . Nach vorliegenden Berechnungen dürfte das qualitative Moment i n Zuk u n f t an Bedeutung gewinnen. E i n Teil dieser Qualitätsverbesserung entfällt dabei zweifellos auf die zunehmende Verarbeitung von Chemiefasern. Vorausschätzung des Textilverbrauchs und der Produktion der Textilindustrie
Erläuterungen: Die Zahlen bedeuten, soweit nicht anders vermerkt. durchschnittliche jährliche Wachstumspaten in % f 1360169 und 7969180. •I//7 Ppe/sen von 1962. Bruttosozialprodukt der OECD-Linder (ohne Bundesrepublik) m Preisen von 1 C] Mit Baumwolldquinfenzziffern bereinigt
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. Bei der Interpretation dieser Zahlen ist jedoch deren unterschiedliche Abgrenzung zu beachten. Die ProKopf-Zahlen des Faserverbrauchs geben i m wesentlichen den Endverbrauch von Textilfasern für den privaten Verbrauch wieder, der Rohstoffeinsatz i n der Textilindustrie erfaßt den Verbrauch von Textilfasern auf einer Stufe, die wesentlich weiter vom End verbrauch entfernt ist; die Einfuhren von Halb- und Fertigwaren sind i n diesen Zahlen nicht berücksichtigt. Dies dürfte wohl der Grund dafür sein, daß die Wachstumsrate des Pro-Kopf-Rohstoffverbrauchs i n der Garnverarbeitung etwas unter dem Wachstum des Endverbrauchs von Textilfasern liegt.