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German Pages [476] Year 1997
ARBEITEN ZUR KIRCHLICHEN ZEITGESCHICHTE REIHE B: DARSTELLUNGEN · BAND 24
V&R
ARBEITEN Z U R K I R C H L I C H E N Z E I T G E S C H I C H T E Herausgegeben im Auftrag der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte von Joachim Mehlhausen und Leonore Siegele-Wenschkewitz
REIHE B: D A R S T E L L U N G E N
Band 24 Anke Silomon Synode und SED-Staat
G Ö T T I N G E N · V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T · 1997
Synode und SED-Staat Die Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der D D R in Görlitz vom 18. bis 22. September 1987
von
Anke Silomon unter Mitwirkung von Ulrich Bayer
mit einer Einführung in das Forschungsprojekt „Kirche und Staat in der D D R " von Joachim Mehlhausen
GÖTTINGEN · VANDENHOECK & RUPRECHT · 1997
Die Deutsche Bibliothek -
CIP-Einheitsaufnahme
Silomon, Anke: Synode und SED-Staat: die Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der D D R in Görlitz vom 18. bis 22. September 1987 / von Anke Silomon. Unter M i t w . von Ulrich Bayer. M i t einer Einführung in das Forschungsprojekt „Kirche und Staat in der DDR" / von Joachim Mehlhausen. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1997 (Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte: Reihe B, Darstellungen; Bd. 24) ISBN 3 - 5 2 5 - 5 5 7 2 4 - 8 NE: Mehlhausen, Joachim: Einfuhrung in das Forschungsprojekt Kirche und Staat in der DDR; Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte / Β
© 1997 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen. Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere fur Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Schwarz auf Weiß, Magdeburg Druck und Bindearbeiten: Hubert & Co., Göttingen
INHALTSVERZEICHNIS Einführung in das Forschungsprojekt 1. Zur Einführung 1.1 1.2 1.3
IX 1
Die Tagung der Bundessynode in Görlitz 1987 im Kontext der Friedensarbeit der Evangelischen Kirche in der DDR
1
Zur Vorgeschichte des „Abgrenzungs-Antrags" auf der Tagung der Bundessynode in Görlitz
8
Zur Methode und zum Aufbau der Untersuchung
11
2. Die DDR im Jahre 1987
14
2.1
Die politische Situation
14
2.2
Kirchliches Zeitgeschehen
22
2.3
Instrumente der DDR-Kirchenpolitik im Jahre 1987
25
3. Die Vorbereitung der Bundessynode 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.2 3.2.1
in Görlitz 1987
Die kirchliche Planung und Organisation Das Präsidium der Bundessynode Die Konferenz der Kirchenleitungen Das Sekretariat des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR An die Bundessynode gerichtete Erwartungen und Initiativen
Staatliche Planungen im Vorfeld der Görlitzer Bundessynode Das Politbüro und die Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK der SED 3.2.2 Die Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen 3.2.3 Das Ministerium für Staatssicherheit 3.2.3.1 Arbeitsweise und Aktenführung des MfS 3.2.3.2 Das MfS und die Bundessynode in Görlitz 3.2.4 Vorbereitungen auf Bezirks- und Kreisebene 3.2.5 Die Arbeitsgruppe „Christliche Kreise" beim Nationalrat der Nationalen Front 3.2.6 Die CDU
30 30 30 39 44 47 52 52 57 63 63 67 74 79 81
VI
Inhaltsverzeichnis
4. Der Verlaufder Bundessynode in Görlitz vom 18. bis 22. September 1987
89
4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3
Freitag, 18. September 1987 Die Auseinandersetzung um die „Aufrisse" Die Diskussion um den Falcke-Antrag Der Konziliare Prozeß
90 90 93 100
4.2 4.2.1 4.2.2
Samstag, 19. September 1987 Die Aussprache zum KKL-Bericht Die Aussprache über den Arbeitsbericht 1986/87 des BEK-Sekretariats Die Weiterarbeit am Erfurter Beschluß „Zur Situation der Gemeinden" Die Debatte um die Vorlage des Synodalausschusses „Bekennen in der Friedensfrage"
101 101
4.2.3 4.2.4 4.3 4.3.1
110 111 112
Sonntag, 20. September 1987 Die Diskussion um die Überweisung der Vorlage „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" Die Beantwortung der Fragen zum Bericht der KKL an die Bundessynode Der Diakonie-Bericht Zur Legitimationsprüfung und zur Besetzung der Synodalausschüsse
128
4.4
Montag, 21. September 1987
130
4.5 4.5.1 4.5.2 4.5.3
Dienstag, 22. September 1987 Die Beschlußvorlage „Als Gemeinde leben" Die Beschlußvorlage zur Ausländerseelsorge Die Beschlußvorlagen zum Diakonie-Bericht und zur Frage der Mittelstreckenraketen Die Beschlußvorlage „Bekennen in der Friedensfrage" Die Beschlußvorlagen „Brief an die Eingeber" und „Antrag des Tagungsausschusses ,Friedensfragen'" ein Seminar „Abgrenzung und Öffnung" Die Aussprache zum „Brief an die Eingeber" und das Seminar „Abgrenzung und Öffnung"
131 131 132
4.3.2 4.3.3 4.3.4
4.5.4 4.5.5
4.5.6
5. Die unmittelbare Nachgeschichte der Bundessynode in Görlitz 1987 5.1 5.1.1 5.1.2
Kirchliche Reaktionen Das Präsidium der Bundessynode Die Konferenz der Kirchenleitungen
115 116 119 126
133 134
140 142 145 145 145 150
Inhaltsverzeichnis 5.1.3 5.1.4 5.1.5 5.1.6 5.1.7 5.1.8 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4 5.2.5
Der Bischofskonvent und die Beratungen der Leiter der zentralen gliedkirchlichen Verwaltungsdienststellen Das Sekretariat des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR Die Beratergruppe zwischen BEK und EKD Reaktionen in Gemeinden, Gruppen und Initiativen Das Seminar „Abgrenzung und Öffnung" in Oranienburg (16. Januar 1988) Die Tagung der Bundessynode in Dessau (September 1988) Staatliche Reaktionen Das Politbüro und die Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK der SED Die Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen Das Ministerium für Staatssicherheit Reaktionen auf Bezirks- und Kreisebene Die CDU
6. Die Görlitzer Bundessynode
in den Medien
VII
156 157 162 166 168 174 176 176 190 197 214 217 224
6.1 6.1.1 6.1.2 6.1.3 6.1.4
Presseecho Die staatliche Presse in der DDR Die Printmedien in der Bundesrepublik Die kirchliche Presse in der DDR Die westdeutschen Kirchenzeitungen
224 224 226 230 231
6.2 6.2.1
Reaktionen in Rundfunk und Fernsehen Die Berichterstattung der Rundfunk- und Fernsehsender in der DDR Die Berichterstattung durch Fernsehanstalten in der Bundesrepublik Westdeutsche Radiosender
232
6.2.2 6.2.3
7. Rückblick auf die Tagung der Bundessynode Dokumente
in Görlitz
1 bis 34 und Zeitplan der Bundessynode
233 235 236 244 255
Quellen- und Literaturverzeichnis
392
Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen
412
Biogramme
417
EINFÜHRUNG IN DAS FORSCHUNGSPROJEKT
Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ließ sich bei seiner gemeinsamen Sitzung mit dem Präsidium der Synode der EKD am 21. und 22. Februar 1992 vom Sonderbeauftragten der Bundesregierung für die personenbezogenen Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes der DDR, Joachim Gauck, über die Arbeitsweise des Ministeriums für Staatssicherheit sowie über das Verfahren und den Stand der Aktenaufarbeitung der „GauckBehörde" informieren. In einem Kommunique wurde anschließend „die Notwendigkeit dieser schwierigen Arbeit" ausdrücklich bejaht.1 Auf der gleichen Sitzung beschloß der Rat der EKD „die Herausgabe einer fachwissenschaftlichen Dokumentation auf der Grundlage kirchlichen Archivmaterials zur Frage .Kirche und Staat in der DDR'". Er beauftragte das Kirchenamt der EKD, an die Gliedkirchen heranzutreten, „auch ihre Archive für diese kirchengeschichtliche Forschung zur Verfügung zu stellen". Das Unternehmen sollte „zusammen mit der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte durchgeführt werden." 2 Diesen Entscheidungen waren seit dem Frühjahr 1991 sehr heftige und kontrovers geführte öffentliche Auseinandersetzungen über die Rolle der evangelischen Kirchen in der D D R vorausgegangen. Die im November 1992 in Suhl tagende EKD-Synode stand aus aktuellen Gründen unter dem Thema: „Kirche im geteilten Deutschland - Bewahrung in der Bedrängnis". Die Synode beschloß eine „Kundgebung", in der erklärt wurde: „Die Synode ist sich einig, daß die Klärung von Verstrickungen mit dem SED-Regime und im besonderen mit dem MfS, die jetzt bekannt geworden sind und noch bekannt werden können, ohne falsche Rücksichten und ohne Rücksichtslosigkeit vollzogen werden muß. Das gilt sowohl für das Verhalten einzelner wie für Struk-
1 Vgl. EKD-PRF.SSEMITTEILUNG. Kommunique über die 4. Sitzung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am 21./22. Februar 1992 in Hannover, S. 1. 2 Ebd. - Z u r Zusammensetzung, zu den Arbeitszielen u n d zur Arbeitsweise der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte vgl. C . NICOLAISEN: Zwischen Theologie u n d Geschichte. Z u r kirchlichen Zeitgeschichte heute. In: EvErz 4 2 ( 1 9 9 0 ) , S. 4 1 0 - 4 1 9 ; J. MEHLHAUSEN: Die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte u n d die Erforschung der
K i r c h e n g e s c h i c h t e d e r D D R . I n : EVANGELISCHE ARBEITSGEMEINSCHAFT FÜR K I R C H L I C H E Z E I T -
GESCHICHTE. Mitteilungen 13 (1993), S. 1 - 6 ; J.-C. KAISER: Wissenschaftspolitik in der Kirche. Z u r Entstehung der .Kommission für die Geschichte des Kirchenkampfes in der nationalsozialistischen Zeit'. In: A. DOERING-MANTEUFFEL/K. NOWAK (Hg.): Kirchliche Zeitgeschichte, S. 1 2 5 163.
χ
Einführung in das Forschungsprojekt
turen u n d Regeln kirchlichen R e d e n s u n d H a n d e l n s . " 3 Z u v o r hatte der R a t s vorsitzende, L a n d e s b i s c h o f Prof. Dr. K l a u s E n g e l h a r d t , in seinem Bericht vor d e n S y n o d a l e n rückblickend gesagt: „Kein Thema hat unserer evangelischen Kirche seit der EKD-Synode vor einem Jahr soviel öffentliches Interesse verschafft wie das Thema .Kirche und Staatssicherheit'. In den Medien ist es ein Renner geworden. Es hat uns in eine innerkirchliche Zerreißprobe gebracht. Wir spüren sie auch im Rat. Nicht die schonungslos kritischen Rückfragen an unsere Kirche sind zu beklagen, sondern die Tatsache, daß die notwendige Beschäftigung mit diesem Thema ausufert zu einer innerkirchlichen Selbstbeschäftigung, die unendlich viel Zeit kostet, für andere Aufgaben Kräfte bindet, Mißtrauen hochkommen läßt. Auch wenn wir uns bei dieser öffentlichen Diskussion oft ins falsche Licht gesetzt sehen, darf die Medienschelte nicht unsere Antwort sein. Larmoyanz ist nicht am Platz, weil dabei das Klagen und Anklagen der Opfer überhört wird. Es gibt in Deutschland seit dem Ende des letzten Krieges eine unselige Tradition des Hinweghörens über die Klagen der Opfer unter dem Nazi-Regime. Jetzt fragen uns die Opfer der SED-Diktatur: Kirche, wie ungeteilt war dein Einsatz für Friede, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung angesichts der schrecklichen Realität, daß uns dies vorenthalten wurde? Mit diesem Staat wollten und konnten wir nicht Frieden machen; Gerechtigkeit ist mit Füßen getreten worden; als Geschöpfe Gottes, die Anspruch auf eine letzte innere Unantastbarkeit hatten, sind wir gedemütigt worden." 4 D i e s e r Situationsbeschreibung fugte der Ratsvorsitzende die I n f o r m a t i o n hinzu: „ D i e E K D hat I n s t r u m e n t e geschaffen, u m die n o t w e n d i g e E r i n n e r u n g a u f z u a r b e i t e n u n d u m die S c h u l d f r a g e v o n betroffenen Mitarbeiterinnen u n d M i t a r b e i t e r n zu klären." 5 Z u diesen „ I n s t r u m e n t e n " g e h ö r t e die in der Zwischenzeit v o m R a t der E K D k o n s e q u e n t weiter verfolgte P l a n u n g f ü r ein selb3
K I R C H E IM G E T E I L T E N D E U T S C H L A N D - B E W A H R U N G IN D E R B E D R Ä N G N I S . D i s k u s s i o n s b e i t r ä -
ge und ergänzende Materialien von der 3. Tagung der 8. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland November 1992, Suhl. Hg. vom Kirchenamt der E K D , Hannover o. J . [1993], S. 152. 4
E b d . , S . 6 ; v g l . a u c h B E R I C H T DES R A T E S D E R E V A N G E L I S C H E N K I R C H E IN D E U T S C H L A N D .
Gemeinschaftsfähige Kirche sein (LandesbischofDr. Klaus Engelhardt). Büro der Synode, Drucksache Nr. 1/1.3. Tagung der 8. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland in Suhl, November 1992, S. 5. 5 Ebd. - Zur Überprüfung einer evtl. Tätigkeit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der evangelischen Kirche für das Ministerium für Staatssicherheit waren zu diesem Zeitpunkt bereits Vorermittlungsausschüsse eingesetzt worden. Die bis 1992 veröffentlichten Stellungnahmen und Handlungsanweisungen aus den evangelischen Landeskirchen in den neuen Bundesländern zur Thematik „Kirche und Stasi" sind dokumentiert in: Z d Z 46 (1992), S. 7 0 - 9 6 . Die ERKLÄRUNG DES R A T E S D E R E K D VOM 2 4 . J A N U A R 1 9 9 2 ZU „ K I R C H E - G E S E L L S C H A F T -
.STAATSSICHERHEIT'"
f i n d e t s i c h e b d . , S . 9 5 f. - D e r B E S C H L U S S D E R 8 . S Y N O D E D E R E K D AUF I H R E R 3 . T A G U N G [ N o vember
1 9 9 2 i n S u h l ] ZUM VERFAHREN ZUR Ü B E R P R Ü F U N G NACH DEM
STASI-UNTERLAGEN-
G E S E T Z i s t a b g e d r u c k t i n : K I R C H E IM GETEILTEN D E U T S C H L A N D (S. A n m . 3 ) , S . 1 5 4 . W e i t e r e
Materialien zum T h e m a (u.a. von der Bischofskonferenz der V E L K D vom 1. April 1992 und von der Kirchenleitung der Evangelischen Kirchein Berlin-Brandenburg vom 22. Oktober 1992) ebd., S. 1 5 5 - 2 0 8 .
Einführung in das Forschungsprojekt
XI
ständig arbeitendes wissenschaftliches Forschungsprojekt zur Gesamtthematik „Kirche und Staat in der D D R " . So war im Oktober 1992 vom Rat der E K D nach Anhörung des Vorsitzenden der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte erneut beschlossen worden: „Der Rat der E K D hält es angesichts der kontroversen öffentlichen Bewertung des Verhältnisses von Kirche und Staat in der D D R für dringend erforderlich, daß eine wissenschaftliche Darlegung und Interpretation vorgenommen wird." 6 Auf der einen Monat später tagenden EKD-Synode wurden dann die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß mit einer solchen Arbeit begonnen werden konnte. Der Rat und die Synode der E K D konnten zwar angesichts der vorhandenen Deckungslücken im Haushaltsplan fur das Jahr 1993 einem Antrag nicht zustimmen, „ein Institut für kirchliche Zeitgeschichte ... zu begründen, das sich schwerpunktmäßig mit der ... Frage,Kirche und Staat in der S B Z / D D R ' befassen soll" 7 ; es wurde aber durch Stelleneinsparungen in anderen Arbeitsbereichen möglich gemacht, daß zwei junge Wissenschaftler für vier Jahre an dem Forschungsprojekt arbeiten konnten. Auch die Evangelische Kirche der Union (EKU) sagte eine finanzielle Förderung des Projekts zu. Die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte berief daraufhin aus ihrer Mitte - unter Hinzuziehung von kompetenten Beratern aus den Landeskirchen und den Universitäten in den neuen Bundesländern eine ad hoc-Kommission, die auf einer Klausurtagung darüber beriet, welche Einzelthemen aus dem nahezu unübersehbar großen Forschungsfeld „Kirche und Staat in der S B Z / D D R " in einem auf vier Jahre begrenzten Zeitraum mit Aussicht auf erfolgreichen Abschluß wissenschaftlich bearbeitet werden könnten. Diese Kommission kam bei ihren Beratungen recht bald zu der einmütigen Auffassung, daß es nicht richtig wäre, die eigene wissenschaftliche Arbeit in Form einer Reaktion auf die pauschal gegen die evangelischen Kirchen in der D D R und gegen ihre leitenden Verantwortlichen erhobenen Vorwürfe zu beginnen. Es müßten vielmehr Themen gefunden werden, an denen sich das vielschichtige Geflecht der Beziehungen zwischen Kirche und Staat in der D D R exemplarisch und zugleich möglichst umfassend aufweisen ließe. Statt aus Einzelfällen Folgerungen oder gar Wertungen für das Gesamtgeschehen abzuleiten, sei es notwendig, komplexe, aber in sich geschlossene Handlungsabläufe zu untersuchen, in deren Kontext dann der Einzelfall mit seinem besonderen Profil überhaupt erst präzise erkennbar werde. Grundvoraussetzung
6 EKD-PRESSEMITTEILUNG. Kommunique über die 12. Sitzung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland ( E K D ) am 9 . / 1 0 . Oktober 1 9 9 2 in Hannover. S. 1. 7 BERICHT DES STÄNDIGEN HAUSHALTSAUSSCHUSSES DER SYNODE DER EVANGELISCHEN KIRCHE IN DEUTSCHLAND zum Haushaltsplan 1 9 9 3 . Berichterstatter: Dekan Karl Heinrich Beck, Kaiserslautern. Büro der Synode, Drucksache Nr. I V / 2 . 3 . Tagung der 8. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland in Suhl, November 1 9 9 2 , S. 6.
XII
Einführung in das Forschungsprojekt
für eine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Arbeit sei ferner, daß sie nicht nur ausschließlich — aber auch nicht bloß überwiegend — aus einer einzigen Quellenüberlieferung schöpfen dürfe. An eben dieser Stelle war um die Jahreswende 1992/93 unter den Vertretern der zeithistorischen Fachwissenschaft bereits ein weitreichender Konsens erreicht worden: Die polemische Zuspitzung der öffentlichen Diskussionen über die Rolle der evangelischen Kirchen in der D D R rühre zum größten Teil daher, daß die mit sensationellen Thesen auftretenden Erstveröffentlichungen ihr Material nahezu ausschließlich den staatlichen Archiven — und hier insbesondere den erhalten gebliebenen Beständen des Ministeriums für Staatssicherheit — entnommen hätten. 8 Unter Berücksichtigung der hier nur kurz skizzierten beiden grundsätzlichen Gesichtspunkte benannte die ad-hoc-Kommission der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft insgesamt sechs Themen, deren Bearbeitung sowohl den Vertretern der historischen Fachwissenschaft als auch den anwesenden Vertretern aus den Landeskirchen in Ost- und Westdeutschland sinnvoll und erfolgversprechend erschien. Diese Themen sind wiederum dem Rat der E K D mit der Bitte vorgelegt worden, ein Thema auszuwählen, mit dem das Forschungsprojekt beginnen solle. Die Mitglieder des Rates entschieden sich für folgende Arbeitsbeschreibung: Synoden unter .staatlicher Einwirkung? Exemplarische Prüfling an: Görlitz 1987 (unter besonderer Beachtung der Formel „Bekennen in der Friedensfrage"). Es sei hier noch erwähnt, daß zu diesem Themenvorschlag auch noch eine Alternative benannt worden war; sie lautete: „Synoden unter staatlicher Einwirkung'? Exemplarische Prüfung an: Dresden 1972 (unter besonderer Beachtung der Formel ,Verbesserlicher Sozialismus')". Die Historikerin Anke Silomon M.A. und der Theologe Ulrich Bayer begannen im Frühjahr 1993 in Berlin unter der wissenschaftlichen Leitung des Vorsitzenden der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte mit ihrer Arbeit. In einem ersten, außerordentlich zeitaufwendigen Arbeitsgang wurden die Bestände aller in Frage kommenden kirchlichen und staatlichen Archive (auf allen Ebenen) daraufhin durchgesehen, ob sie Material enthielten, das über die Vorbereitung, die Durchführung und die Nachwirkung der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der D D R in Görlitz 1987 Auskunft geben könne. Keines der um Einsichtnahme in seine Bestände gebetenen Archive verschloß sich einem solchen Antrag. Bei diesem ersten Ar8 D e n damaligen Stand der Forschungslage dokumentieren G . KAISER (Hg.)/U. KUHNKE (Bearb.): Bibliographie 1 9 9 3 ; vgl. auch G . KAISER (Hg.)/E. FRIE (Bearb.): Bibliographie 1 9 9 4 , bes. S. 50—56; aus der neueren Literatur sei exemplarisch verwiesen auf die Auseinandersetzung zwischen A. Doering-Manteuffel und G . Besier in A. DOERING-MANTEUFFEL/K. NOWAK (Hg.): Kirchliche Zeitgeschichte, S. 7 9 - 8 9 (A. DOERING-MANTEUFFEL: Griff nach der Deutung. Bemerkungen des Historikers zu Gerhard Besiers Praxis der .Kirchlichen Zeitgeschichte') und S. 9 0 - 1 0 0 ( G . BESIER: „Methodical Correctness". Anspruch und Wirklichkeit in der Wahrnehmung des sozialgeschichtlich orientierten Historikers Anselm Doering-Manteuffel).
E i n f ü h r u n g in das Forschungsprojekt
XIII
beitsgang erwies es sich als sehr förderlich, daß die beiden jungen Wissenschaftler, die sich zuvor auf ganz anderen Gebieten der zeithistorischen Forschung ausgewiesen hatten, im strengen Sinne völlig vorurteilsfrei an ihre Aufgabe herangehen konnten. Weder im Blick auf die Personen, die vor, bei und nach der Görlitzer Synode an wichtiger Stelle tätig gewesen waren, noch hinsichtlich der theologischen und gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen, die diese Synodaltagung bestimmten, waren die Bearbeiterin und der Bearbeiter in irgendeiner Weise vorab positioneil engagiert. Diese Ausgangslage erleichterte es ihnen, bei den Recherchen in den Archiven allein nach völlig neutralen, auf die Sachfragen bezogenen Gesichtspunkten vorzugehen und nicht — wie sonst in der frühen DDR-Forschung leider viel zu oft üblich — nach vorherbestimmten „Spuren" zu suchen bzw. bereits bestehende „Verdachts-" bzw. „Entlastungsmomente" bestätigen zu wollen. 9 Im Laufe des Jahres 1994 wurden die Archivarbeiten und Zeitzeugenbefragungen nahezu vollständig abgeschlossen. Im Herbst des gleichen Jahres lag eine erste Rohfassung der von den beiden Mitarbeitern gemeinsam verfaßten Darstellung vor. Diese konnte der Leiter des Forschungsprojekts im September 1994 den Mitgliedern der Ratskommission der E K D vorstellen. Alle Beteiligten wurden anschließend ermutigt, die Untersuchung auf dem eingeschlagenen Wege zu Ende zu führen. D a Ulrich Bayer nach erfolgreichem Abschluß seiner Promotion 10 mit dem Vikariat beginnen mußte, bedeutete dies bedauerlicherweise sein Ausscheiden aus der gemeinsamen Forschungsarbeit (März 1995). Seither hat Anke Silomon alle noch notwendigen Überarbeitungen und Ergänzungen bis zur Drucklegung allein übernommen. Zudem begann sie mit dem Thema Schwerter zu Pflugscharen die Bearbeitung eines weiteren Komplexes aus der Themensammlung, die der ad-hoc-Ausschuß der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft zusammengestellt hatte. Seit dem Herbst 1994 wurden die Arbeiten an dem jetzt vorliegenden Buch durch mehrere ausführliche kritische Gutachten zu verschiedenen Fassungen des gesamten Textes sehr hilfreich unterstützt. Mit ausdrücklichem Dank für ihre sachverständige, konstruktive Kritik seien hier genannt: O K R Dr. Siegfried Bräuer, O K R Dr. Martin Hohmann, der frühere Konsistorialpräsident in Magdeburg, Pfarrer i.R. Martin Kramer, Pfarrer Axel Noack und O K R Dr. Helmut Zeddies. Ausdrücklich sei hervorgehoben, daß es zu keinem Zeitpunkt einen Versuch der Einflußnahme auf den Gang des Forschungsprojekts ' Vgl. zu diesem Problem J. GAUCK: Die Stasi-Akten, bes. S. 101-114; K. NOWAK: Die Evangelische Kirche in der D D R als Aufgabe der Kirchlichen Zeitgeschichtsschreibung. In: T. RENDTORFF (Hg.): Protestantische Revolution?, S. 2 1 1 - 2 5 1 ; L. SIEGELE-WENSCHKEWITZ: Probleme Kirchlicher Zeitgeschichtsforschung. In: DIES. (Hg.): Die evangelischen Kirchen und der SED-Staat, S. 1 4 2 - 1 5 1 ; U. v. HEHL: Probleme zur Zeitgeschichtsforschung und die Öffnung der kirchlichen Archive. 10 U. BAYER: „Als wenn es keinen eisernem Vorhang gäbe". Die Deutsche Frage im Spiegel katholischer und protestantischer Presse 1949 bis 1955, Diss, theol. Tübingen 1995.
XIV
Einführung in das Forschungsprojekt
durch den Auftraggeber, den Rat der E K D , gegeben hat. Das jetzt vorliegende Ergebnis ist ausschließlich vom Projektleiter und der Bearbeiterin zu verantworten. Ohne vielfältige Hilfen kann eine solche, sich über mehrere Jahre hinziehende Forschungsarbeit nicht durchgeführt werden. Ganz besonderen Dank für tatkräftige Unterstützung sprechen Anke Silomon und Ulrich Bayer allen im Anhang aufgeführten Zeitzeugen aus, ohne deren Erinnerungskraft und Gesprächsbereitschaft viele Fragen offen geblieben wären. Sie haben den Bearbeitern wichtige Hinweise gegeben und zudem bereitwillig Einblick in persönliche Bestände an Akten und Notizen gewährt. Gleichermaßen hilfreich waren die Geduld und die kompetente Beratung der Archivleiter und Archivleiterinnen und ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die alle für das Forschungsprojekt nötigen Archivbestände zur Verfügung stellten. Dieser Dank gilt insbesondere: Herrn Dr. Manfred Agethen vom Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung St. Augustin; Frau Wiss. Ang. Margret Fruth vom Bundesarchiv, Abteilungen Potsdam; Herrn Kurt Köhler und Herrn Rüdiger Stang (Sachgebietsleiter Forschung) bei der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen D D R ; Herrn Kirchenarchivdirektor Dr. Hartmut Sander vom Evangelischen Zentralarchiv in Berlin; Frau Kirchenarchivdirektorin Dr. Christa Stäche und Frau Ruth Pabst von der Nebenstelle des Evangelischen Zentralarchivs in Berlin; Frau Abteilungsleiterin Regine Malek und Frau Sachbearbeiterin Christine Weisbach vom Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden; Herrn Dipl.-Archivar Volker Lange von der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der D D R im Bundesarchiv in Berlin (SAPMO). Die Historikerin Frau Jette Balzer hat als Mitarbeiterin am Lehrstuhl des Projektleiters in Tübingen alle im Anhang wiedergegebenen Dokumente nach Fotokopien in den P C eingegeben; ihre schnelle und unermüdliche Hilfe entlastete die Bearbeiter in Berlin in überaus hilfreicher Weise. Wenn es nun nach vier Jahren Forschungsarbeit gelungen ist, die Vorgeschichte, den Verlauf und die Nachgeschichte einer nur fünftägigen Synodal tagung minutiös zu rekonstruieren, nachzuzeichnen und mit bislang unbekannten Dokumenten zu belegen, dann könnte einem Außenstehenden das Verhältnis zwischen der aufgewandten Arbeit und dem Umfang des Gegenstandes disparat erscheinen. Aber während der Durchführung des Forschungsprojekts hat es sich erwiesen, daß die Wahl dieses eng umgrenzten Themas gerade vom Ansatz her richtig war. In Aufnahme und Weiterführung des viel diskutierten Begriffs „Mikrogeschichte"" kann man sagen: Die Beziehungen zwischen Kirche und Staat in der D D R können beim derzeitigen Forschungs11 Vgl. hierzu K. ACHAM/W. SCHULZE (Hg.): Teil und Ganzes. Z u m Verhältnis von Einzelund Gesamtanalyse in Geschichts- und Sozialwissenschaften, München 1990; hierin besonders: C. MEIER: Notizen zum Verhältnis von Makro- und Mikrogeschichte, S. 111 - 1 4 0 .
E i n f ü h r u n g in das Forschungsprojekt
XV
stand eben noch nicht im großen Überblick nachgezeichnet werden. Notwendig sind Einzeluntersuchungen, die in einer gegebenenfalls mikroskopischen Detailanalyse den Verästelungen dieser Beziehungen nachgehen und sichtbar machen, wie der SED-Staat auf allen Ebenen seiner sorgfältig durchorganisierten Herrschaftsstruktur bemüht war, das den politisch Verantwortlichen grundsätzlich fremde Phänomen einer in sich selbständigen Glaubensgemeinschaft so in den Griff zu bekommen, daß diese möglichst nicht zum gesellschaftlichen Störfaktor werden konnte. Auf der anderen Seite ist mit generalisierenden Bemerkungen zur angeblichen Anpassung oder Resistenz, zur „Kumpanei" oder zum „Widerstand" der evangelischen Gemeinden, der Kirchen und ihrer leitenden Verantwortlichen überhaupt nichts Verläßliches gesagt. Man muß sich auf die lebensnahen Einzelheiten des damaligen Alltags und auf seine von außen gesetzten Bedingungen einlassen, um verstehen und - vorsichtig - deuten und werten zu können. Im Blick auf die Görlitzer Bundessynode bedeutete dies: Die Bearbeiter mußten allen Gesprächen, Beratungen und Sitzungen nachgehen, die im Umfeld der Synode stattfanden und in irgendeiner Form dokumentiert worden sind, ganz gleich, ob es sich um offizielle und institutionalisierte Vorgänge handelte oder um private und zufällige Begegnungen oder um konspirative Treffs. Erst aus der Summe aller dieser Einzelteile ergibt sich ein Bild davon, wie Kirche und Staat in der DDR im Herbst 1987 miteinander bzw. gegeneinander agiert haben. Und erst innerhalb dieses ganz kleinen, aber bis in die Tiefe scharfen Bildes wird es möglich, individuelle Verhaltensmuster differenziert wahrnehmen zu können. Griffe man aus dem Ganzen der nachfolgenden Darstellung bestimmte einzelne Teile heraus, so wäre es leicht möglich, das Bild einer Kirche zu zeichnen, die in Anpassung und Gehorsam vor einer fordernden Obrigkeit ihre eigene Identität und ihren Auftrag preisgab. Ebensogut wäre es aber auch möglich, durch eine andere Auswahl von Einzelheiten die These zu belegen, der ostdeutsche Protestantismus habe bereits im Jahre 1987 durch sein vom Evangelium gebotenes widerständiges Verhalten gegen das SED-Regime die „Wende" des Jahres 1989 eingeleitet und eine „protestantische Revolution"' 2 in Gang gebracht. Die hier vorgelegte Untersuchung erlaubt beide Vereinfachungen nicht. Das Jahr 1987, in dem kein einziger Zeitgenosse das doch schon recht nahe Ende der SED-Herrschaft vorausgesagt oder auch nur vorausgeahnt hat, war für eine erste derartige Mikroanalyse besonders gut geeignet. Die Regierung der DDR war zu diesem Zeitpunkt wegen ihrer außenpolitischen Erfolge und aufgrund einer sich andeutenden Fähigkeit zur innenpolitischen Flexibilität insgesamt in einer starken Position. Die evangelischen Landeskirchen und ihre Leitungsgremien mußten sich hingegen mit immer größer werdenden Proble12 Z u m Begriff u n d seiner Interpretation vgl. die Vorträge u n d Diskussionen des Kolloquiums in M ü n c h e n vom 2 6 . bis 2 8 . M ä r z 1 9 9 2 i n T . RENDTORFF (Hg.): Protestantische Revolution?
ΧΥΙ
Einführung in das Forschungsprojekt
men auseinandersetzen. Überdeutlich wurden in dieser späten Phase der DDR-Kirchengeschichte die Differenzen in den Erwartungen und Zielsetzungen, die die innere Einstellung und das nach außen gerichtete Verhalten einzelner Personen sowie ganzer Gruppen auf der Ebene der Gemeinden wie der Landeskirchen bestimmten. 13 Die hier vorgelegte Untersuchung schildert nun, indem sie viele sorgsam zusammengetragene Mosaiksteine aneinanderfügt, welche konkreten Handlungsfolgen durch individuelle Entscheidungen und gemeinsame innerkirchliche Beratungen zustandekamen, als die Staatsvertreter mit der ihnen eigenen Rücksichtslosigkeit und bürokratischen Hartnäckigkeit versuchten, den Verlauf einer Bundesssynode — unter theologischen Gesichtspunkten gesehen das höchstverantwortliche Leitungsorgan einer evangelischen Kirche14 — zu beeinflussen. Im Schlußteil dieser Arbeit werden einige der nach 1990 erschienenen Veröffentlichungen zitiert, die ohne stichfeste Belege meinten behaupten zu können, die Synodaltagungen des Bundes der Evangelischen Kirchen in der D D R seien von „Schattensynoden" der Staatssicherheit aus dem Hintergrund heraus gelenkt worden. 15 Daß es so schlicht schwarz und weiß gezeichnet in der Wirklichkeit nicht zuging, zeigt die vorliegende Untersuchung anhand von umfangreichen, bislang noch nicht bekannten Materialien. Zwar hatte es auch in Görlitz eine verdeckt agierende „Arbeitsgruppe Bundessynode" gegeben16, von der man aber wirklich nicht sagen kann, sie habe „alles fest im Griff" gehabt und die Synode von außen gesteuert. Auch die andere Behauptung, die evangelische Kirche in der D D R sei durch Inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit so stark unterwandert gewesen, daß ihr im Nachhinein nahezu jede Glaubwürdigkeit abgesprochen werden müsse, ist ein Pauschalurteil, das in der vorliegenden Untersuchung keine Bestätigung findet, gerade im/die Aktivitäten der als IM geführten Kirchenvertreter im Umfeld der Synodaltagung genau beschrieben werden. 17 Auch hier verbietet die Kenntnisnahme der von den Bearbeitern aufgedeckten Details jede verallgemeinernde Beurteilung. Nach Abschluß dieses ersten Teilstücks im Forschungsprojekt „Kirche und Staat in der D D R " wäre es reizvoll, nun auch den Verlauf anderer Bundessynoden - etwa Dresden 1972 mit dem Stichwort „Verbesserlicher Sozialismus" mit gleicher Gründlichkeit zu untersuchen. Dies ist gegenwärtig nicht möglich, weil die vom Kirchenamt der EKD „ausgeliehenen" beiden Personalstellen dringlich wieder an andere EKD-Einrichtungen zurückgegeben werden mußten. Im Druck befindet sich derzeit eine zweite Untersuchung, die der
" Vgl. hierzu D. POLLACK: Kirche in der Organisationsgesellschaft, S. 333-371. 14
V g l . h i e r z u J . MEHLHAUSEN: A r t . S y n o d e . In: E K L 3 4 ( 1 9 9 6 ) , Sp. 6 0 9 - 6 1 5 u n d d i e d o r t
angegebene Literatur sowie W. HUBER: Synode und Konziliarität. 15 Vgl. u. S. 247, Anm. 6. 16 Vgl. u. S. 176ff. 17 Vgl. u. S. 67-74; 197-213.
Einführung in das Forschungsprojekt
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Nachfolger des ersten Mitarbeiters im Forschungsprojekt, Dr. Peter Beier, durchgeführt hat. Sie analysiert die Sachleistungen und Geldzuwendungen an Pfarrer und kirchliche Mitarbeiter als Mittel der DDR-Kirchenpolitik in den Jahren von 1955 bis 1989/90 und wird unter dem Titel „Die Sonderkonten Kirchenfragen'" in der Reihe Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte als nächster Band erscheinen. Durch eine Entscheidung des Rates der EKD im Dezember 1996 ist zudem dafür gesorgt worden, daß die wissenschaftliche Arbeit über die Rolle der evangelischen Kirche im geteilten Deutschland bei der Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte einen Forschungsschwerpunkt erhält und durch einen Wissenschaftlichen Beirat gefördert und koordiniert wird. Für alle Anregungen und Hilfen in der jüngst zurückliegenden Zeit und in der Zukunft sei den Verantwortlichen im Kirchenamt, im Rat und in der Synode der EKD an dieser Stelle aufrichtig gedankt. Tübingen, im Januar 1997
1. Z U R E I N F Ü H R U N G
1.1 Die Tagung der Bundessynode in Görlitz 1987 im Kontext der Friedensarbeit der Evangelischen Kirche in der DDR Als Standardwerk über die Aktivitäten der evangelischen Kirche in dem Bemühen um den Weltfrieden ist — trotz seines Erscheinungsjahres 1989 — noch immer Olaf Lingners Dokumentation „Friedensarbeit in der Evangelischen Kirche der D D R " anzusehen.1 Diese Arbeit verwertet eine Reihe von Studien und Untersuchungen, die in der Theologischen Studienabteilung beim Bund der Evangelischen Kirchen in der D D R (BEK 2 ) entstanden sind.3 Bereits in der Einfuhrung schickt Lingner voraus, daß ein „über Jahre dauernder Prozeß des Nachdenkens, des Diskutierens, des Formulierens" mit dem Jahr 1987 eine Zäsur erfahren habe und „zu einem vorläufigen Ende" gekommen sei.4 Diesen Einschnitt in der Friedensarbeit der Kirchen sieht er mit dem auf der Tagung der Bundessynode in Görlitz im Herbst 1987 gefaßten Beschluß „Bekennen in der Friedensfrage"5 vollzogen, mit dem die Synode des Bundes eine „Absage an 1 Mittlerweile gibt es eine Reihe von Veröffentlichungen über die Friedensbewegung in der D D R , die sich sowohl mit kirchlichen als auch mit den sogenannten alternativen, oft aus dem außerkirchlichen Bereich kommenden und politisch-oppositionell orientierten Gruppen beschäftigen; vgl. die Bibliographien von G. Kaiser: 1993, S. 9 1 - 9 4 , 1994, S.65f. Es seien hier nur einige genannt: J. ISRAEL (Hg.): Zur Freiheit berufen; E. KUHRT: Wider die Militarisierung der Gesell-
s c h a f t ; W B Ü S C H E R / R W E N S I E R S K I / K . WOLSCHNER ( H g . ) : F r i e d e n s b e w e g u n g d e r D D R ; D . POL-
LACK: Die Legitimität der Freiheit; D. POLLACK: Kirche in der Organisationsgesellschaft; H. ZANDER: Die Christen und die Friedensbewegung in beiden deutschen Staaten. Zur Arbeit der Kirchen vgl. a u c h : GEMEINSAM UNTERWEGS, v.a. S . 2 1 9 - 2 8 6 , s o w i e C . D E M K E / M . FALKENAU/H. Z E D D I E S
(Hg.): Zwischen Anpassung und Verweigerung. Zur Entwicklung der Thematik seit der frühen Nachkriegszeit vgl. die Übersicht von W. HUBER: Die Stellung der Kirchen zum Problem des Friedens nach 1945 (mit umfangreichen Lit.-Angaben). 2 BEK ist eine Abkürzung, die in der D D R nahezu ausschließlich von Staats- und Parteivertretern verwendet wurde. In Kreisen der Kirche wurde sie häufig fiir die Berliner Konferenz Europäischer Katholiken benutzt. Der Praktikabilität halber wird diese Abkürzung im folgenden für den DDR-Kirchenbund benutzt. Vgl. auch G. KRUSCHE: Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR. 3 Eine Auflistung der wichtigen Arbeiten derThSA und im besonderen des Referates Friedensfragen, dessen langjähriger Referent Joachim Garstecki war, findet sich bei O. LINGNER: Friedensarbeit in der Evangelischen Kirche, S. 2 0 - 2 2 . 4 Ebd., S. 4. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch Noack, der in einem Aufsatz den Prozeß der kirchlichen Friedensarbeit kurz darstellt. Noack sieht v.a. darin einen engen „Zusammenhang zwischen der kirchlichen Friedensarbeit und allen anderen gesellschaftlichen Fragen und Problemen", daß auf der gleichen Bundessynode der Antrag „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" diskutiert wurde. Vgl. A. NOACK: Kirchen zu Militarismus und Pazifismus, S. 339. 5 Abgedruckt als Dok. 4 im Anhang.
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Zur Einführung
Geist, Logik und Praxis der Abschreckung" bekräftigte. Damit wollte die Bundessynode eine Orientierung geben, wie Protestanten in der Nachfolge Jesu Christi in ihrem Handeln einen konkreten Beitrag zur Verwirklichung und Erhaltung des Weltfriedens leisten können. Diese zentrale Aussage sprach die Synode des DDR-Kirchenbundes nicht nur für ihre Mitglieder und stellvertretend für die Gliedkirchen und Gemeinden, sondern auch für viele Friedensgruppen aus, die sich innerhalb der evangelischen Kirchen und in ihrem Umfeld gebildet hatten. Es waren vor allem Christen, die nach der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in der D D R im Januar 1962 den Wehrdienst verweigerten. Als im September 1964 von der DDR-Regierung ein waffenloser Ersatzdienst in den sogenannten Baueinheiten installiert wurde, schlossen sich den Bausoldatengruppen viele Wehrdiensttotalverweigerer an. Beide Gruppen wurden in ihrem Anliegen von den evangelischen Kirchen unterstützt. In einer von der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der D D R (KKL) bereits ein Jahr später unter dem Titel „Zum Friedensdienst der Kirche" verabschiedeten kirchlichen Handreichung wurde die Verweigerung des Dienstes an der Waffe (darin eingeschlossen waren sowohl dieTotalverweigerer als auch die Bausoldaten) als „deutlicheres Zeugnis des gegenwärtigen Friedensgebots unseres Herrn" bezeichnet.6 Als kurz nach dem Staat-Kirche Spitzengespräch vom 6. März 1978 zwischen Erich Honecker und dem Vorstand der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen 7 die S E D die Einführung des Wehrunterrichts als Pflichtfach an Schulen bekanntgab, empfanden viele Christen dies als Rückschritt, hatte Honecker doch in der Zusammenkunft mit den Kirchenführern eine Reihe vielversprechender Zusagen gemacht und die Kirche in ihrer Bedeutung als eigenständige Organisation innerhalb der DDR-Gesellschaft anerkannt. Die K K L beschloß in Umsetzung eines Synodalbeschlusses aus dem Jahr 1978 ein Studien- und Aktionsprogramm „Erziehung zum Frieden" 8 und setzte damit einen deutlichen Akzent hinsichtlich einer kontinuierlichen kirchlichen Friedensarbeit. Verschiedene Arbeitsgremien des Bundes orientierten sich an diesem Stichwort ebenso wie die Konferenz und die Synoden in ihren Stellungnahmen. 9 Gemeinden und kirchliche Gruppen konnten sich informieren und mit Materialien versorgen. Ende der 70er Jahre wuchs die Zahl der Friedensgruppen weiter an, und ihre Bemühungen drückten sich im Bereich der 6 Vgl. KJ 93 (1966), S. 256. - Vgl. ferner die frühen Erfahrungsberichte von B. EISENFELD: Kriegsdienstverweigerung in der D D R , und DERS.: Spaten-Soldaten. 7 Vgl. die „Information des Sekretariats" des B E K und andere Dokumente zu diesem Gespräch
in U . SCHRÖTER/H. ZEDDIES (Hg.): N a c h - D e n k e n , S. 1 5 2 - 1 7 4 .
Abdruck ebd., S. 1 8 2 - 1 9 0 . Vgl. auch KJ 105 (1978) und 106 (1979). Das „Rahmenkonzept Erziehung zum Frieden", das die ad-hoc-Gruppe „Friedenserziehung" im Sekretariat des DDR-Kirchenbundes im Auftrag der K K L erarbeitet hatte, wurde der Bundessynode 1980 vorgelegt und von ihr gebilligt. 8 5
D i e T a g u n g der B u n d e s s y n o d e in Görlitz 1 9 8 7
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evangelischen Kirche in verschiedenen Aktivitäten aus. 10 Nicht zuletzt der N A T O - D o p p e l b e s c h l u ß vom Dezember 1979 bestärkte die Kirche in ihrer Sorge u m die politisch angespannte Lage. Lingner nennt als „Träger der kirchlichen Friedensarbeit" folgende Einrichtungen: ,,a) Kirchenleitungen u n d S y n o d e n ; b) Arbeitsgremien des B u n d e s der Ev. K i r c h e n in der D D R bzw. g e m e i n s a m e Einrichtungen: T h e o l o g i s c h e Studienabteilung m i t verschiedenen Referaten, besonders d e m Friedensreferat, A u s s c h u ß .Kirche u n d Gesellschaft', K o m m i s s i o n f ü r theologische G r u n d s a t z f r a g e n , K o m m i s s i o n f ü r Z e u g n i s u n d Gestalt der G e m e i n d e , verschiedene A d - h o c - G r u p p e n u.a. (alle genannten Grem i e n haben zur Friedensarbeit Ausarbeitungen vorgelegt, die G r u n d l a g e f ü r Kirchenleitungen u n d S y n o d e n bei ihren Entschließungen, Erklärungen u n d Beschlüssen gewesen sind); c) besondere kirchliche Veranstaltungen mit starker Ö f f e n t l i c h k e i t s w i r k u n g wie Kirchentage u n d F r i e d e n s d e k a d e n " . ' 1
Seit der G r ü n d u n g des DDR-Kirchenbundes 1969 war auf fast jeder Synode die Friedensthematik behandelt worden. Der Arbeitsprozeß, der zu dem 1987 gefaßten Synodenbeschluß „Bekennen in der Friedensfrage" führte, setzte bereits Anfang der 80er Jahre ein. 12 Lingner weist d a r a u f h i n , daß die zentrale Aussage „Absage an Geist, Logik und Praxis der Abschreckung" zwar weder im Bericht der K K L an die Bundessynode 1980 noch in deren Beschlüssen aus diesem Jahr wörtlich zu finden ist. Dennoch stellt er die Beschlüsse dieser Bundessynode in eine inhaltliche „Kontinuität zu den späteren Aussagen über die A b s a g e ' " . ' 3 Vor allem die Provinzialsächsische Synode war federführend in der Friedensfrage und verabschiedete u.a. auf ihrer Tagung im Jahr 1980 einen Beschlußtext, der sich deutlich gegen das als Sicherheitskonzept gerechtfertigte Wettrüsten aussprach. 1 4 10 Zur Entstehung und Zielsetzung der sehr unterschiedlichen „politisch-alternativen" Gruppen in der D D R siehe vor allem D. POLLACK: Kirche in der Organisationsgesellschaft und E. NEUBERT: Sozialethische und charismatisch-evangelikale Gruppen. Vgl. auch J. FAKTOR: Intellektuelle Opposition und alternative Kultur in der D D R , sowie C. LEMKE: Die Ursachen des Umbruchs, S. 153-187. " O. LINGNER: Friedensarbeit in der Evangelischen Kirche, S. 18. 12 Die Entwicklung kann an dieser Stelle nur sehr grob, in erster Linie bezogen auf die Arbeit der Bundessynoden, dargestellt werden. Es ist wiederum auf die Darstellung Lingners zu verweisen, der auch die Tätigkeit der übrigen „Träger der kirchlichen Friedensarbeit" dokumentiert. Von 1980 an traf sich drei bis vier Mal im Jahr bis 1990 eine Konsultations- bzw. Konsultativgruppe, in der Kirchenvertreter aus Ost und West sich gemeinsam über Fragen von Frieden und Abrüstung verständigten. Die Konsultationsgruppe war auf eine entsprechende Bitte des KKL-Vorsitzenden Albrecht Schönherr an den Vorsitzenden des Rates der E K D , Eduard Lohse, gebildet worden und legte 1982 erstmalig öffentlich Rechenschaft über ihre Tätigkeit ab. Vgl. O. LINGNER: Friedensarbeit in der Evangelischen Kirche, S. 158. Kürzlich sind die Sitzungsniederschriften dieser Treffen herausgegeben worden von W. HAMMER u. U.-R HEIDINGSFELD: Die Konsultationen. " O . LINGNER: Friedensarbeit in der Evangelischen Kirche, S. 49. 14
S o R . HÖPPNER i m G e s p r ä c h m i t d e n Verf. a m 3 0 . 8 . 1 9 9 4 . V g l . a u c h O . LINGNER: F r i e d e n s -
arbeit in der Evangelischen Kirche, S. 50. Lingner nennt auch verschiedene Veröffentlichungen der ThSA. Eine große Bedeutung fur die Standortbestimmung der evangelischen Kirche in der Frie-
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Zur Einführung
Ende 1980 fand in kirchlichen Räumen die erste Friedensdekade statt, die von nun an jährlich im November unter einem neuen Leitmotto abgehalten wurde. In diesem Rahmen wurden in der gesamten D D R zahlreiche Veranstaltungen durchgeführt. Zur Orientierung und Anregung für die Gestaltung von Gottesdiensten und Friedensgebeten gab das Sekretariat des Bundes jeweils Arbeitsmaterialien aus, die über die Landeskirchen an alle Gemeinden verteilt wurden.15 Eine Dresdner Initiativgruppe forderte mit einem Aufruf vom 9. Mai 1981 erstmals die Einführung eines „Sozialen Friedensdienstes" in der DDR. Diese Initiative stieß auf besonders großes Interesse in der Bevölkerung und wurde von der Staats- und Parteiführung in aller Deutlichkeit abgelehnt. Die Problematik wurde auf allen landeskirchlichen Herbstsynoden der evangelischen Kirchen verhandelt, da die Einführung eines Sozialen Friedensdienstes für die Kirchen von großer Bedeutung war.16 Im selben Jahr machte sich die Bundessynode auf ihrer Tagung die Erklärung des in Dresden zusammengekommenen Zentralausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen zu eigen und nahm sie im Wortlaut in ihren Beschluß „zu Fragen des Friedens" auf.17 Zum Gedenken an die Zerstörung Dresdens am 13. Februar 1945 kamen 1982 über 5.000 Bürger aus der ganzen D D R in der Kreuzkirche zu einem Friedensforum zusammen. 18 Im Juli 1982 fand in Ost-Berlin die erste Friedenswerkstatt statt. Wie die Friedensdekaden und das Dresdner Friedensforum wurde auch die Friedenswerkstatt zu einer festen Einrichtung. densfrage m i ß t er vor allem der „Pazifismus-Studie" v o m N o v e m b e r 1 9 8 1 bei. Auszugsweise abged r u c k t ebd., S. 5 1 - 5 5 . Bereits 1 9 7 9 hatte die Synode der Kirchenprovinz Sachsen gefragt: „Was k ö n n e n wir jetzt wirklich für den Frieden t u n ? " A b d r u c k des Beschlusses bei W . BÜSCHER/R WENSIERSKI/K. WOLSCHNER ( H g . ) : Friedensbewegung der D D R , S. 1 0 6 - 1 1 0 . 15
1 9 8 1 löste die D e k a d e unter d e m M o t t o „Gerechtigkeit-Abrüstung-Frieden" mit der Verbrei-
t u n g der L o s u n g „Schwerter zu Pflugscharen", die als S y m b o l a u f Aufnähern nicht nur von K i r chengliedern getragen wurde u n d sich zum Symbol der wachsenden Friedensbewegung entwickelte, e i n e heftige R e a k t i o n des Staates aus. D i e Konsequenzen für die Träger des Aufnähers reichten von der B i t t e um die E n t f e r n u n g des S y m b o l s über G e w a l t a n w e n d u n g e n , stundenlange Verhöre, Verhaftungen bis hin zu Relegationen oder d e m Verlust des Arbeitsplatzes. D a s S y m b o l ging zurück a u f e i n e Bronzeskulptur des sowjetischen Bildhauers J . W u t s c h e t i t s c h , die dieser n a c h der biblischen L o s u n g „Schwerter zu Pflugscharen" ( M i c h a 4 , 3 ) geschaffen hatte. E i n e Kopie hatte die S o w j e t u n i o n 1 9 5 9 der U N O als G e s c h e n k überreicht. D e n n o c h verlangten Staatsvertreter lange Z e i t das Entfernen der Aufnäher u n d duldeten schließlich das Tragen dieses Symbols ausschließlich im innerkirchlichen Bereich. 16
D e r A u f r u f der Dresdner G r u p p e ist im W o r t l a u t abgedruckt bei O . LINGNER: Friedensarbeit
in der Evangelischen Kirche, S. 5 6 . A u f S. 5 7 f . ist der B e s c h l u ß der S y n o d e der K i r c h e n p r o v i n z Sachsen wiedergegeben. E i n e S t e l l u n g n a h m e von Staatssekretär Gysi zum „Sozialen Friedensd i e n s t " findet sich in W . BÜSCHER/P. WENSIERSKI/K. WOLSCHNER ( H g . ) : Friedensbewegung der D D R , S. 1 7 4 f . 17
O . LINGNER: Friedensarbeit in der Evangelischen Kirche, S. 6 3 - 6 5 .
18
E i n i g e D o k u m e n t e sind abgedruckt bei W . BÜSCHER/R WENSIERSKI/K. WOLSCHNER ( H g . ) :
Friedensbewegung der D D R , S. 2 6 5 - 2 8 4 .
Die Tagung der Bundessynode in Görlitz 1987
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Die Bundessynode beschloß 1982 auf ihrer Tagung in Halle unter Bezug auf die Kritik am System der Abschreckung im Konferenzbericht, daß eine „Absage an Geist und Logik der Abschreckung" nunmehr unumgänglich sei.19 Sie bat die KKL, „zur Klärung des Begriffs .status confessionis' in Verbindung mit den Fragen des Friedens eine Untersuchung [im ökumenischen Kontext] in Auftrag zu geben" und diese der Bundessynode 1983 vorzulegen. 20 In diesem Beschluß wurde u.a. betont: „Die Maßnahmen der Zivilverteidigung wollen dem Schutz der Bevölkerung dienen, sie haben aber auch eine militärische Komponente und bedenkliche Nebenwirkungen auf das Leben in unserer Gesellschaft". 21 Spätestens mit diesem Beschluß der Bundessynode 1982 war die Priorität der Friedensfrage auf den Synodaltagungen nicht mehr zu übersehen. Die Synode des Bundes lehnte nicht nur jegliche Form der militärischen Abschreckung mit theologischen Argumenten ab, sondern zog auch eindeutig politische Konsequenzen aus der Absage, indem sie sich das Konzept der „gemeinsamen Sicherheit" zu eigen machte. 22 Die evangelische Kirche unterstützte seither in der D D R alle Friedens-Initiativen, sofern diese von ihrem „Verkündigungsauftrag her geboten oder gerechtfertigt waren". 23 Bei dem ersten Friedensseminar unter dem Titel Konkret fur den Frieden tagten im März 1983 viele Gruppen gemeinsam und wiederholten diese Treffen in den Folgejahren. Als die Bundessynode im Lutherjahr 1983 zu ihrer Tagung in Potsdam zusammentrat, hatte die VI. Vollversammlung des O R K in Vancouver bereits getagt. 24 Der KKL-Bericht an die Synode des Bundes nahm Aussagen der Vollversammlung auf und forderte, „eine Abkehr von Geist, Logik und Praxis der Abschreckung zu proklamieren". 25 Lingner merkt dazu kritisch an: „Wie eine " Die Konkretion und Praxis wurde erst auf der Tagung der Bundessynode in Potsdam im Jahr 1983 in die Absage aufgenommen. 20 O . LINGNER: Friedensarbeit in der Evangelischen Kirche, S. 74 (Abdruck des Beschlußtextes S. 7 4 - 7 7 ) . Zur vielschichtigen Problematik des Begriffs „status confessionis" vgl. die zusammenfassende Darstellung von M . HONECKER: Grundriß der Sozialethik, S. 6 6 2 - 6 7 8 (Lit.). 21 Ο . LINGNER: Friedensarbeit in der Evangelischen Kirche, S. 76. 22 Ebd., S. 74. 23 Ebd., S. 66. Lingner urteilt an dieser Stelle weiter: „Hier ließ sie weder die Gruppen im Stich noch ließ sie sich auf unverantwortliche Kompromisse bei Staat-Kirche-Gesprächen ein." Anfang der 80er Jahre konnte die Kirche noch relativ problemlos zwischen kirchlichen Initiativen und staatlichen Organen vermitteln. Doch es wurde von Jahr zu Jahr schwerer, eine Konfrontation zu vermeiden. Auch wurde es zusehends problematischer festzulegen, welche Initiative im Rahmen des kirchlichen Verkündigungsauftrages „geboten oder gerechtfertigt" war. Der von dem Berliner Pfarrer Rainer Eppelmann und einigen DDR-Bürgern am 25. Januar 1 9 8 2 unterzeichnete „Berliner Appell — Frieden schaffen ohne Waffen" traf nicht auf uneingeschränkte Zustimmung in der Kirche. So brachten auch verschiedene Friedens- und oppositionelle Gruppen, die sich zumeist in kirchlichen Räumen sammelten, die Kirche zunehmend in Schwierigkeiten. Staatsvertreter versuchten, die Kirchenleitungen unter Androhung einer Verschlechterung des Staat-Kirche-Verhältnisses zur Reglementierung dieser Gruppen zu veranlassen. 24 Vgl. KJ 1 1 7 / 1 1 8 (1990/91), S. 1 3 2 - 1 7 7 . 25 Hervorhebung der Verf. Abdruck des KKL-Berichts bei O. LINGNER: Friedensarbeit in der Evangelischen Kirche, S. 8 4 - 8 7 , hier S. 84.
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Zur Einführung
solche .Proklamation' zu vollziehen ist, wird auch nicht andeutungsweise gesagt."26 Der Synodenbeschluß zum KKL-Bericht nahm „die Feststellung der Bundessynode von Halle 1982 auf, daß die Absage an Geist und Logik der Abschreckung unumgänglich" sei. Außerdem machte die Synode des Bundes in diesem Beschluß die wichtige Aussage, daß der „Gedanke der gemeinsamen Sicherheit [...] deshalb in der Friedenserziehung Gestalt gewinnen" müsse.27 Die Erfüllung dieser Forderung beinhaltete den Wunsch nach einer Änderung der Bildungs- und Erziehungspolitik auch im eigenen Land. Ein „Nein" zur Praxis der Abschreckung wurde separat in dem Beschluß angesprochen. In ihrer „Erklärung [...] zur Stationierung von atomaren Mittelstreckenwaffen" verband die Bundessynode die kirchliche Friedensverantwortung mit der Forderung an die Großmächte, auf die geplante Stationierung im Dezember 1983 zu verzichten und die Genfer Verhandlungen zwischen NATO und Warschauer Pakt mit einem entsprechenden Ergebnis abzuschließen.28 Der KKL wurde der Auftrag erteilt, sich um die Weiterarbeit an der Thematik des Bekennens in der Friedensfrage zu bemühen. Zu diesem Zweck berief die Konferenz einen adhoc-Ausschuß, der erstmalig Anfang 1984 zusammentrat. Nachdem die Friedensbewegungen im Osten ebenso wie im Westen den Beginn der Stationierung neuer Mittelstreckenraketen u.a. in der Bundesrepublik29 als herben Rückschlag empfunden hatten, wechselten viele für den Frieden Engagierte in die Ökologie- und Dritte-Welt-Gruppen.30 Eine wichtige Rolle spielte auf diesem Sektor das Kirchliche Forschungsheim Wittenberg, das mehrere Studien über die weltweit zunehmende Umweltverschmutzung und -Zerstörung erstellte, wobei die Situation in der DDR ebenfalls kritisch thematisiert wurde. Im Jahr 1984 tagte die Bundessynode in Greifswald mit dem Schwerpunktthema „Christliche Verantwortung für die Schöpfung". In ihrem Beschluß vom September 1984 bekräftigte die Synode zwar wiederum die in Potsdam ausgesprochene „Absage an Geist, Logik und Praxis der Abschrekkung", doch wurden keine so eindeutigen Aussagen zur Verweigerung des Dienstes an der Waffe getroffen wie auf früheren Tagungen. Die Bundessynode erklärte vielmehr, daß „waffentragende Soldaten und Bausoldaten [...] gleichgeachtet, gleichberechtigt und gleichgestellt" seien.31 Das Jahr 1985 wurde auch von der evangelischen Kirche mit unzähligen Veranstaltungen zum Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkrieges vor vierzig Jahren begangen.32 Die Synode des Bundes trat in Dresden zusammen und Ebd., S. 83. Vgl. ebd., S. 87f. Zum Wortlaut des Beschlusses siehe S. 8 7 - 9 0 . 28 Abdruck der Erklärung vom September 1983 ebd., S. 90f. 29 Bundestagsbeschluß zur Nachrüstung vom November 1983. 30 Vgl. ζ. B. W RÜDDENKLAU: Störenfried, S. 68. 31 Abdruck des Beschlußtextes bei O. LINGNER: Friedensarbeit in der Evangelischen Kirche, S. 98. 32 Vgl. ebd., S. 100-115 und W. LEICH: Wechselnde Horizonte, S. 186f. Im September 1985 26
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Die Tagung der Bundessynode in Görlitz 1987
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stellte wiederum fest, daß die Sicherung des Friedens nur mit dem Konzept gemeinsamer Sicherheit zu erreichen sei. Sie bekräftigte nochmals ihre „Absagen" von 1982 und 1983 und plädierte für Abrüstung in Teilbereichen sowie einseitige Abrüstungsinitiativen, die einen Impuls für weitere Schritte geben könnten. 3 3 Im U N O - J a h r des Friedens 1986 tagte die Bundessynode in Erfurt u n d faßte dort einen Beschluß „zur Friedensdekade", der diese als „Friedenszeugnis der Christen in der D D R " ausdrücklich würdigte. 34 D a ß die Bundessynode die Friedensdekaden damit „unter kirchliche Verantwortung" nahm, kommentiert Lingner folgendermaßen: „Man geht nicht fehl in der Annahme, daß dieser Beschluß (auch) an staatliche Stellen als Adressaten denkt." 35 Von dem 1983 eingesetzten ad-hoc-Auschuß „Friedensfragen" ließ sich die Synode über die Weiterarbeit an der Sachfrage „Unsere Kirchen auf dem Weg zum Bekennen in der Friedensfrage" berichten. 36 In diesem Bericht waren die Entwicklung der Diskussion der letzten Jahre sowie alle kirchlichen Lösungsversuche zusammengefaßt. Allerdings hatten die Mitglieder des Ausschusses sich nicht auf ein gemeinsames Papier einigen können. 37 Bei der Diskussion im Ausschuß war vor allem über die theologische Bedeutung einer „Absage" und eines „Bekenntnisses" gestritten worden: „Es gelang nicht, den normativen und den situativen Charakter des Bekenntnisses zur Deckung zu bringen." 38 So faßte die Bundessynode in Erfurt einen „Beschluß zum Bericht des ad-hoc-Ausschusses Friedensfragen", in dem die Weiterarbeit an der Thematik als „dringend geboten"
w u r d e die „Initiative Frieden u n d Menschenrechte" gegründet, die in der Oppositionsbewegung der D D R als erste unabhängige G r u p p e eine wichtige Rolle spielte. 33 Z u m Bericht der KKL vgl. O . LINGNER: Friedensarbeit in der Evangelischen Kirche, S. 1 1 6 118; die „Erklärung der Synode am E n d e der Legislaturperiode" ist abgedruckt ebd., S. 1 1 8 - 1 2 0 , die „Erklärung z u m ,Konzil des Friedens'" auf S. 120f. 34 Abdruck eines Auszugs ebd., S. 140f. 35 Ebd., S. 140. Tatsächlich wurden die Friedensdekaden von den staatlichen Organen weiterhin mit Argusaugen beobachtet. Das beweisen nicht zuletzt die zahlreichen Berichte aus der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen, die im Bundesarchiv, Abt. Potsdam, lagern. Im September 1986 bildete sich die sogenannte Umweltbibliothek in der Zionskirche in O s t Berlin, die mit den „Umweltblättern" eine eigene Publikation herausbrachte. Im Gegensatz zu der ersten unabhängigen Untergrundzeitschrift „Grenzfall" k o n n t e n die „Umweltblätter" sich auf das innerkirchliche Vervielfältigungsrecht berufen. Vgl. W. RÜDDENKLAU: Störenfried, v.a. S. 6 8 - 1 0 5 . 36
V g l . U N S E R E K I R C H E N AUF DEM W E G ZUM BEKENNEN IN DER FRIEDENSFRAGE. A u s z u g s w e i s e
abgedruckt bei O . LINGNER: Friedensarbeit in der Evangelischen Kirche, S. 1 3 1 - 1 3 9 . 37 W i e R. HÖPPNER den Verf. im Gespräch am 30.8.1994 mitteilte, war das vorgelegte Ergebnis „theologisch überfrachtet". So erstellte eine kleine G r u p p e von Synodalen eine Vorlage für den Berichtsausschuß. Es wurde d a n n ein Sonderausschuß gebildet, u m den Entwurf zu „Bekennen in der Friedensfrage" neu zu gestalten. Die G r u p p e traf sich ungefähr vier Mal u n d wählte d a n n aus f ü n f von Ausschußmitgliedern erstellten Vorlagen H ö p p n e r s Fassung aus, auf deren Grundlage weitergearbeitet wurde. 38
V g l . G E M E I N S A M U N T E R W E G S , S. 2 3 9 .
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Zur Einführung
bezeichnet wurde. 39 Bis zur Tagung der Synode des Bundes in Görlitz 1987 sollte der einzusetzende Ausschuß eine „Beschlußvorläge erarbeiten, die der weiteren inhaltlichen Entfaltung der Konsequenzen, die sich aus der Absage an Geist, Logik und Praxis der Abschreckung ergeben, dient". 40 So hatte die zentrale Thematik der Bundessynode in Görlitz eine Vorgeschichte, die bis in die siebziger Jahre zurückreichte. Dennoch war man längst noch nicht zu einem völlig eindeutigen innerkirchlichen Konsens gekommen, vielmehr polarisierten gerade die immer weiter ausdifferenzierten Einzelheiten einer kirchlich-theologischen Stellungnahme zur „Friedensfrage" das innerkirchliche Meinungsspektrum. Deshalb standen die nach Görlitz reisenden Synodalen vor einer äußerst schwierigen Aufgabe, deren Lösung von vielen kaum vorhersehbaren politischen und innerkirchlichen Entwicklungen beeinflußt, erschwert oder sogar unmöglich gemacht werden konnte.
1.2 Zur Vorgeschichte des „Abgrenzungs-Antrags" auf der Tagung der Bundessynode in Görlitz Eine andere Vorgeschichte hatte der ebenfalls auf der Tagung der Görlitzer Bundessynode 1987 von Propst Dr. Heino Falcke eingebrachte Antrag „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung". 41 Die Initiativgruppe, die diesen Antrag formuliert und bereits auf die Tagesordnung der Berlin-Brandenburgischen Frühjahrssynode 1987 gebracht hatte, setzte sich 1987 überwiegend aus Mitgliedern der Berliner Bartholomäus-Kirchengemeinde zusammen. Ihrer Zielsetzung nach stand die Initiative in keinem rein kirchlichen, sondern einem eindeutig politischen Kontext. 42 Wie eines der Mitglieder, Ludwig Mehlhorn, schilderte, sah sich die Gruppe eher in der Tradition der osteuropäischen Demokratiebewegung, vor allem der der Tschechoslowakei und Polens.43 Der 39 Der Beschluß ist bei O. LINGNER: Friedensarbeit in der Evangelischen Kirche, S. 139f. abgedruckt. HierS. 1 3 9 . 40 Ebd., S. 1 4 0 . 41 Vgl. Kap. 3 . 1 . 4 und die Dokumente 3 / 1 - 4 im Anhang. 42 E. NEUBERT schreibt in seinem Aufsatz über sozialethische und charismatisch-evangelikale Gruppen: „Eigene theologische Systembildung ist im Umfeld der Gruppen recht selten und beschreibt dann fast immer Handlungsfelder und Motive des Engagements" (Ebd., S. 3 0 6 ) . Als Beispiel gibt er einen Text Hans-Jürgen Fischbecks, der den Antrag 1 9 8 7 auf der Berlin-Brandenburgischen Frühjahrssynode einbrachte, aus dem Jahr 1 9 8 7 an. Vgl. auch M. STÖHR: Gruppen in der Kirche. 43 So MEHLHORN im Gespräch mit den Verf. am 3 0 . 5 . 1 9 9 4 . Vgl. auch L. MEHLHORN: Ö f f n u n g statt Abgrenzung. Die „Bezugslosigkeit der DDR-Opposition der 70er und 80er Jahre" stellen M. JANDER, M . MANRIQUE und B. STRENGE in ihrem Aufsatz „DDR-Opposition in den 70er und 80er Jahren" in den Vordergrund ihrer Überlegungen. Dabei beziehen sich die Autoren in erster Linie auf die fehlende Verbindung zu Protestbewegungen „im Zusammenhang mit der Durchsetzung der sozialistischen
Zur Vorgeschichte des „Abgrenzungs-Antrags"
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Tscheche Milan Kundera hatte in seinem Essay „Die Tragödie Mitteleuropas" die These vertreten, die (west)europäische kulturelle Prägung der kleinen Nationen in Mitteleuropa, die er geographisch zwischen Rußland und Deutschland verortete, werde von den westeuropäischen Staaten nicht wahrgenommen, da auch diese Staaten zusehends ihre kulturelle Identität verlören. So seien kleine Nationen wie Polen und die Tschechoslowakei im Begriff, unter der sowjetischen Hegemonie zu verschwinden. „Mitteleuropäer" sei demzufolge, wer „die Teilung Europas, den Istzustand, als ein künstliches, mit Gewalt aufgezwungenes politisches Konstrukt von Imperatoren" begreife. 44 Obwohl diese Einschätzung nicht ohne weiteres auf die D D R übertragbar schien, zumal diese ihren historischen Wurzeln zufolge nicht derselben Kulturgemeinschaft zuzurechnen sei, nahmen Mehlhorn und andere Mitglieder der Initiativgruppe Kunderas Überlegungen zum Anlaß, die Rolle der D D R als „westlichen Vorposten des östlichen Imperiums" oder, wie Honecker die Republik zu bezeichnen pflegte, als „Nahtstelle zwischen Feuer und Wasser" abzulehnen. 45 Mehlhorns politische Überzeugung richtete sich gegen jegliche Form derartiger Abgrenzung. Eine weitere, zu ähnlichen Konsequenzen führende Anregung bezogen die Mitglieder der Initiativgruppe aus den vom Staat unabhängigen Bürgergesellschaften, die sich mit dem polnischen KOR („Komitee zur gesellschaftlichen Selbstverteidigung") und der tschechischen Charta 77entwickelt hatten. 46 Besonders im Bereich von Bildung, Kultur, Kommunikation und Information sollte der einzelne Bürger aktiv eingreifen: „Unabhängiges Denken, das sich nicht vorrangig an realpolitischen Sachzwängen orientierte, zerriß die ideologischen Nebelvorhänge und ließ einen neuen Horizont sichtbar werden. Die Mauer existierte eben auch damals schon vor allem im Kopf." 4 7 Besonders beeindruckt zeigte sich die Initiativgruppe davon, daß mit der Verbreitung der Solidarnos9-Bewegung sowohl in der Tschechoslowakei als auch in Polen Stimmen laut wurden, die den Deutschen in Ost und West das Recht zugestanden, über die Form einer möglichen Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten selbst zu entscheiden. Anläßlich des 25. Jahrestages des Mauerbaus am 13. August 1986 wurde ein Briefwechsel zwischen den beiden Berliner Bischöfen Dr. Gottfried Forck und .Erziehungsdiktatur' nach dem Nationalsozialismus". Vielmehr verstehen sie die „Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 als Ausgangspunkt der D D R - O p p o s i t i o n " und zeigen in ihrer Darstellung „Spuren" der politischen Opposition sowohl unter Marxisten, Bausoldaten und engagierten Christen (Ebd., S. 235f.). Dabei wird auf die Forschungsliteratur verwiesen. 44 Ebd., S. 8. 45 Ebd. 46 Vor allem bezog sich Mehlhorn auf die Ausführung des Polen Jacek Kuron aus dem Jahr 1977. Zur Entwicklung der Opposition in Osteuropa und ihren Auswirkungen auf die D D R vgl. G . WEISSKIRCHEN: Innere und äußere Zivilisierung, v.a. S. 1 9 7 - 2 0 6 . 47 L. MEHLHORN: Ö f f n u n g statt Abgrenzung, S. 9.
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Zur Einführung
Dr. Martin Kruse veröffentlicht. 48 Der West-Berliner Kruse beschrieb die deutsch-deutsche Teilung als Folge des von Hitler ausgelösten Krieges. Das deutsche Volk sei mitschuldig geworden und trage an dieser Schuld und ihren Folgen. Die Teilung sei schmerzlich und eine Zukunft ohne Mauer wünschenswert. Auch Forck sah die Mauer als Folge deutscher Schuld und bezeichnete es als Aufgabe der Christen in der DDR, „kritische Mitverantwortung" zu übernehmen. Mehlhorn und andere Mitglieder der Initiativgruppe führten diese von den Bischöfen vertretenen Positionen auf eine bedauernswerte Form des „Geschichtsdeterminismus" zurück und formulierten ihre Gegenposition folgendermaßen: „Die Frage der deutschen Schuld darf nicht benutzt werden, um diesen Zustand [der Teilung] akzeptierend oder gar rechtfertigend in Kauf zu nehmen. Wir können zwar kurzfristig die Uberwindung dieses Zustandes realpolitisch nicht anstreben, aber dennoch die Perspektive der Einheit (Berlins, Deutschlands, Europas) als Friedensstruktur nicht aus den Augen verlieren".49 Dabei schwebte der Gruppe eine Einheit im Sinne einer „deutsch-deutschen Konföderation" vor.50 Mit der Ablehnung jeglicher Abgrenzung wollte der Initiativkreis eine „umfassende Perspektive zur Überwindung der europäischen Blockspaltung" bieten.51 Dem einzelnen DDR-Bürger sollte mit der .Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" klarwerden, daß sein Alltagsleben durch die Politik der Abgrenzung eingeschränkt sei und dies nicht hingenommen werden dürfe.
Der Berliner Vikar Reinhard Lampe hatte sich am 13. August 1986 in einer spektakulären Aktion an ein Fensterkreuz in der Oderberger Straße gekettet und war daraufhin zu einem Jahr Haft verurteilt worden. Später wurde diese Strafe zur Bewährung ausgesetzt. In dem Bemühen, Lampe und sein Anliegen zu unterstützen, hatten Mitglieder der Bartholomäusgemeinde daraufhin die Initiative „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" ins Leben gerufen. Nach Darstellung Mehlhorns war es die Intention von Stephan Bickhardt, Lampe und ihm, der „Absage an die Abschreckung eine „Absage an die Abgrenzung folgen zu lassen.52 Dr. Hans-Jürgen Fischbeck, Barchenältester der Bartholomäus-Kirchengemeinde, brachte dann für den Gemeindekirchenrat den Antrag „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" auf der Berlin-Brandenburgischen Frühjahrssynode ein, die vom 24. bis 28. April 1987 tagte. Nachdem der Antrag dort keine ausreichende Unterstützung gefunden hatte, entschloß sich der Kreis der Initiatoren, dieselbe Eingabe an die Bundessynode zu richten. Zu Pfingsten verbreitete die Initiativgruppe einen „Aufruf zur „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung", der von elf Personen unterzeichnet wor48
Abdruck in: EPD DOKUMENTATION 33a/86. L. MEHLHORN: Öffnung statt Abgrenzung, S. 6. ,0 Ebd. 51 Ebd.
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G e s p r ä c h MEHLHORN m i t d e n Verf. a m 3 0 . 5 . 1 9 9 4 .
Zur Methode und zum Aufbau der Untersuchung
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den war.53 Darin wurde gebeten, die Initiative mit einer Eingabe an die Synode des Bundes, die im September in Görlitz tagen sollte, zu unterstützen. Uber Almuth Berger wurde Kontakt zu einem Mitglied der Bundessynode, dem Erfurter Propst Falcke, aufgenommen, der sich bereiterklärte, den Aufruf zur „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" als Antrag auf der Synodaltagung einzubringen. So kam es dazu, daß mit der „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" ein Antrag einer Gruppe in Görlitz auf die Tagesordnung kam, deren Mitglieder zwar der Kirche angehörten oder nahestanden, sich jedoch in ihrer politischen Zielsetzung auf Traditionen beriefen, die außerhalb der Kirche und außerhalb der D D R entstanden waren. Im Gegensatz dazu war der gleichermaßen theologisch wie politisch geführte Denkprozeß, der mit dem Synodenbeschluß „Bekennen in der Friedensfrage" zu einem vorläufigen Ende kommen sollte, fest verwurzelt in der langjährigen kirchlichen Friedensarbeit in der Deutschen Demokratischen Republik.
1.3 Zur Methode und zum Aufoau der Untersuchung Im folgenden wird dargestellt, wie die Synodaltagung in Görlitz vorbereitet und durchgeführt wurde und welche Auswirkungen ihre Ergebnisse auf die Arbeit der evangelischen Kirche hatten. Dieser Entwicklung sollen die Aktivitäten staatlicher Organe gegenübergestellt werden, die den Verlauf der Tagung der Bundessynode in ihrem Sinne zu beeinflussen versuchten. Beide Bereiche wurden durch die Erschließung aller erreichbaren kirchlichen und staatlichen Archivalien sowie durch die Befragung von seinerzeit Beteiligten so genau wie nur irgend möglich rekonstruiert und erhellt. Die Studie gliedert sich in einen darstellenden und einen dokumentarischen Teil. Die Darstellung umfaßt sieben Kapitel. Es war den Verfassern aus methodischen Gründen äußerst wichtig, zugunsten einer wissenschaftlich-objektiven Auswertung der zur Thematik aufgefundenen Quellen auf eine kommentierende Wertung bereits in der Darstellung weitgehend zu verzichten. 54 So dient das zweite Kapitel, in dem in zwei Abschnitten die wichtigsten, das Verhältnis von Staat und Kirche betreffenden Ereignisse des Jahres 1987 in Auszügen dargestellt und in einem weiteren Abschnitt die wichtigsten Instanzen für die Kirchenpolitik des SED-Staates beschrieben werden, der generellen Orientierung 53 Die Unterzeichner waren: Almuth Berger, Karl-Heinz Bonnke, Dr. Hans-Jürgen Fischbeck, Reinhard Lampe, Stephan Bickhardt, Dr. Martin Böttger, Dorrit Fischer, Ludwig Mehlhorn, Anette von Bodecker, Erich Busse, Martin König. Vgl. Anhang, Dok. 3 / 1 . 54 Zur Methode Kirchlicher Zeitgeschichtsforschung vgl. J . MEHLHAUSEN: Zur Methode, und die Beiträge in: MITTEILUNGEN. Folge 11. Hg.v. der Ev. Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte sowie C . VOLLNHALS: Kirchliche Zeitgeschichte; Μ . WELKER: Historik kirchlicher Zeitgeschichte; M . BEINTKER: Kirchliche Zeitgeschichte; E. FEIL: Kirchliche Zeitgeschichte; A. DOERING-MANTEUFFEL/K. NOWAK (Hg.): Kirchliche Zeitgeschichte - Urteilsbildung und Methoden.
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Zur Einführung
des Lesers. Die Kapitel 3 und 5 sind in mehrere Abschnitte unterteilt, die die Vorbereitung und die Auswirkungen der Bundessynode chronologisch aus der Perspektive der verschiedenen kirchlichen und staatlichen Institutionen bzw. Abteilungen darstellen. Die Akten, die dieser Schilderung zugrunde liegen, sind ihrem Fundort entsprechend in den jeweiligen Abschnitten ausgewertet worden. U m die Strukturen und Zuständigkeiten der staatlichen bzw. kirchlichen Dienststellen zu erhellen, ist jedem Abschnitt eine kurze Erklärung dieser Zusammenhänge vorangestellt. Der Verlauf der Görlitzer Synodaltagung im vierten Kapitel der Untersuchung folgt unter thematischer Schwerpunktsetzung - und unter Auslassung der für die Darstellung weniger relevanten Beiträge - der Chronologie der fünf Sitzungstage. 55 Dem Echo auf die Görlitzer Bundessynode in den Medien Ost- und Westdeutschlands widmet sich das sechste Kapitel, während im siebten Kapitel die Bedeutung der Synodaltagung für die gesellschaftliche und kirchliche Entwicklung rückblickend bewertet wird. Im Anhang findet sich eine Auswahl der wichtigsten Dokumente, die einen repräsentativen Querschnitt aus der staatlichen und kirchlichen Überlieferung im Umfeld der Görlitzer Bundessynode 1987 bilden. Grundsätzlich war die schriftliche Überlieferung durch Staat und Partei nicht nur umfangreicher, sondern auch inhaltlich ausführlicher als die der Kirche. 56 Im Bereich der kirchlichen Protokollführung wurden in der Regel bewußt nur die Ergebnisse, nicht jedoch der Verlauf wichtiger Sitzungen mit den einzelnen Meinungsäußerungen schriftlich festgehalten. Durch diese Quellenlage ergibt sich ein deutliches Übergewicht in Richtung der staatlichen Überlieferung, bei deren Auswertung die vieldiskutierten grundsätzlichen methodologischen Fragen zum Umgang mit dem Archivgut der ehemaligen D D R zu beachten sind. 57 Eine Aktenführung nach dem sogenannten Linienprinzip bedeutet für die schriftliche Überlieferung, daß innerhalb einer Behörde, der Hierarchie folgend, die gleichen Dokumente in Kopie mehrfach abgelegt wurden, daher also auch in unterschiedlichen Archivalien zu finden sind. Gleiches gilt für die zahlreichen mit „Kirchenfragen" befaßten Partei- oder Regierungsstellen, die sich vervielfältigte Materialien untereinander zugänglich machten und sie in ihren Beständen ablegten. Dadurch ergibt sich von Fall zu Fall — überwiegend im 55 Diese Darstellung stützt sich auf das TYPOSKRIPT DES TONBANDMITSCHNITTS DER B E K SYNODALTAGUNG GÖRLITZ 1987; es wurde den Verf. in einer ersten maschinenschriftlichen Fassung zur Verfugung gestellt von der Außenstelle des Kirchenamtes der E K D . Im direkten Vergleich mit der Tonbandaufnahme korrigiert und bearbeitet von U. Bayer/A. Silomon. 56 Nahezu ausschließlich auf die staatliche Überlieferung stützt sich die Darstellung von G . BESIER: Der SED-Staat und die Kirche, Bd. 3., S. 2 2 8 - 2 4 2 . 57 Vgl. etwa J . KOCKA (Hg.): Historische DDR-Forschung; K.-D. HENKE: Zur Nutzung und Auswertung der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes; D . UNVERHAU: Zur archivalischen Hinterlassenschaft der Staatssicherheit; K. NOWAK: Die Evangelische Kirche in der D D R , bes. S. 2 2 7 - 2 3 1 , sowie zuletzt die grundsätzlichen Erwägungen von U. v. HEHL: Probleme zur Zeitgeschichtsforschung und die Öffnung der kirchlichen Archive.
Zur Methode und zum Aufbau der Untersuchung
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Bereich staatlicher Akten - die Schwierigkeit, einzelne Dokumente der ausfertigenden Stelle zuzuordnen, sofern sie nicht mit Datum, Autor, Abteilung oder Unterschrift versehen sind. Gleichzeitig ist das Linienprinzip ein Grund für die dichtere schriftliche Uberlieferung durch Partei und Staat, da die Wahrscheinlichkeit, daß ein Dokument aus den Beständen aller staatlichen Organe entfernt worden ist, eher klein sein dürfte. Die Angabe „ohne Aussteller" im Text der Darstellung deutet daraufhin, daß auf dem Originaldokument kein Autor und unter Umständen auch keine ausfertigende Stelle verzeichnet waren. In den Zeitzeugengesprächen kamen unterschiedliche Auffassungen und Erinnerungen zum Ausdruck, vor allem was die Protokollführung von während der Synodaltagung in Görlitz stattfindenden Ausschußsitzungen betrifft. Während Christa Lewek und Martin Ziegler den Verfassern mitteilten, es seien zwar keine Verlaufs-, jedoch zumindest Ergebnisprotokolle von den Ausschußsitzungen angefertigt worden, berichtete Volker Riese, es sei eigens ein Protokollant bestimmt worden, um den Gang der Diskussion festzuhalten. Jedoch wurden in den Archiven bisher keine Aufzeichnungen über Ausschußsitzungen gefunden. Daher sind Inhalt und Verlauf dieser Beratungen, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich waren, den Verfassern — abgesehen von mündlichen Mitteilungen und persönlichen Aufzeichnungen ehemaliger Ausschußmitglieder - unbekannt. Auf den Akten handschriftlich angebrachte Anstreichungen oder Vermerke wurden nur dann berücksichtigt und aufgenommen, wenn sie eindeutig ihrem Urheber zuzuordnen und aufgrund dessen von Relevanz für die Darstellung waren. Bei Zitaten aus den Quellen wurden Fehler in Orthographie und Interpunktion stillschweigend korrigiert, sofern es sich nicht um schwerwiegende beziehungsweise für den Leser aufschlußreiche Fehler handelte. Anmerkungen und Hinzufugungen der Verfasser sind durchgängig in eckige Klammern gesetzt worden. Auslassungen wurden durch drei Punkte in eckigen Klammern kenntlich gemacht. Biogramme zu den im Haupttext - im Falle der Relevanz für das Verständnis der Abläufe auch in den Fußnoten — erwähnten Personen finden sich im Anhang. Zu einigen Personen waren nur spärliche Angaben zu ermitteln, weil sie eine untergeordnete Rolle spielten und nach einmaligem Einsatz in einem Gremium nicht wieder aufgetaucht sind. Das gilt zum Beispiel für Laiensynodale, die nach ihrer Tätigkeit in der Bundessynode für eine Legislaturperiode im kirchlichen Bereich keine Funktion mehr erfüllten. Als Privatpersonen waren sie für die Verfasser in der Regel nicht mehr greifbar. In den Biogrammen wurden die als Bundessynodale in Görlitz anwesenden Personen mit einem [S] und die in ihrer Funktion als Jugenddelegierte teilnehmenden Personen mit einem [JD] unmittelbar nach dem Namen gekennzeichnet.
2. DIE D D R IM JAHRE 1987
Um die Vorgänge vor, während und nach der Tagung der Bundessynode in Görlitz im Jahre 1987 richtig einschätzen zu können, ist ein Überblick sowohl über die außen- als auch über die innenpolitische Situation der D D R sowie über die in der D D R für die Kirchenpolitik zuständigen Instanzen notwendig. Nur vor diesem weiten Hintergrund können die staatliche wie die kirchliche Erwartungshaltung und die Reaktionen auf jene Vorgänge interpretiert und verstanden werden, die mit der Synodaltagung im Zusammenhang standen. Die wichtigsten kirchlichen und politischen Ereignisse des Jahres 1987 können allerdings nur in einer Auswahl in Erinnerung gerufen werden. Dabei ist die Auswahl mit dem Ziel getroffen worden, die entscheidenden Akzente in der Entwicklung sichtbar zu machen.1
2.1 Die politische Situation Ein Charakteristikum der politischen Situation in der D D R 1987 war der wachsende Gegensatz zwischen der im Zeichen von Glasnost und Perestroika stehenden Reformpolitik des sowjetischen Generalsekretärs Michail Gorbatschow einerseits und der auf Bewahrung des Status quo bedachten Politik Erich Honeckers andererseits.2 Der DDR-Staats- und Parteichef machte in der Zeit vor seinem Besuch in der Bundesrepublik einige kleinere Zugeständnisse im Innern bei gleichzeitiger bewußter Distanzierung von den Liberalisierungsbestrebungen Gorbatschows. Hinsichtlich der sowjetischen Friedens- und Abrüstungsbemühungen brachte Honecker wiederum die uneingeschränkte Zustimmung der D D R zum Ausdruck. In der Deutschland- und Innenpolitik der SED spiegelte sich diese widersprüchliche Haltung wider. Auf der diplomatischen Bühne war es der DDR-Führung bis Mitte der achtziger Jahre gelungen, 1 Vgl. zur Gesamtentwicklung: G. BESIER: Der SED-Staat und die Kirche, Bd. 2 u. 3; G. BESIER/S. WOLF (Hg.): „Pfarrer, Christen und Katholiken"; H. DAHN (Hg.): Die Rolle der Kirchen in
der D D R ; C . DEMKE/M. FALKENAU/H. ZEDDIES (Hg.): Z w i s c h e n A n p a s s u n g u n d Verweigerung; T. GARTON ASH: I m N a m e n Europas, v.a. S. 1 8 9 - 3 1 8 , F. HARTWEG (Hg.): S E D u n d Kirche, Bd. 2 ( 1 9 6 8 - 1 9 8 9 ) ; P. MASER: K i r c h e u n d R e l i g i o n s g e m e i n s c h a f t e n i n d e r D D R 1 9 4 9 - 1 9 8 9 ; H . KAEL-
BLE/J. KOCKA/H. ZWAHR (Hg.): Sozialgeschichte der D D R ; R. MAU: E i n g e b u n d e n in d e n Realso-
zialismus?; E. NEUBERT: Eine protestantische Revolution; G. REIN: Die protestantische Revolution 1987-1990; H. REITINGER: Die Rolle der Kirche im politischen Prozeß der D D R 1970 bis 1990; H . WEBER: D i e D D R 1 9 4 5 - 1 9 9 0 ; J. WEBER (Hg.): D e r S E D - S t a a t . 2
Vgl. dazu I. SPITTMANN: Die D D R unter Honecker, S. 119-123.
D i e politische Situation
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das Land nahezu vollständig aus der jahrzehntelangen außenpolitischen Isolation zu lösen; fast alle Staaten der Welt waren 1987 mit Botschaften in der D D R vertreten. A m 27. Januar 1987 hatte der sowjetische Generalsekretär Gorbatschow in einer programmatischen Rede auf einem Plenum des Z K der K P d S U Fehler in der bisherigen sowjetischen Politik zugegeben und eine durchgreifende Reform von Partei und Gesellschaft gefordert. 3 Unter dem Leitsatz „Wir brauchen die Demokratie wie die Luft zum Atmen" 4 forderte Gorbatschow, der kurz zuvor den sowjetischen Bürgerrechtler Andrej Sacharow aus der Verbannung entlassen hatte, eindeutige Rechtsgarantien für die Bürger der Sowjetunion. Bei der Wahl zum Obersten Sowjet sollte nun die Aufstellung mehrerer Kandidaten möglich sein. Gleichzeitig rief Gorbatschow Künstler und Journalisten zu offener und schonungsloser Kritik an Mißständen in der sowjetischen Gesellschaft auf. Schließlich plädierte er in seiner Rede vor dem Z K für eine Ausweitung marktwirtschaftlicher Elemente in der UdSSR. 5 Das Neue Deutschlandveröffentlichte am 29. Januar 1987 — vermutlich mit dem Ziel, im Gegenzug ein harmonisches Bild der Situation in der D D R zu zeichnen - eine positive Bilanz der SED-Sozialpolitik und ließ diese wenige Tage später durch Leserbriefe bestätigen, die im selben Blatt unter der Uberschrift „Wort und Tat stimmen überein" publiziert wurden. Dagegen erfolgte die Auswertung des ZK-Plenums der K P d S U nur in Form einer kurzen Zusammenfassung und unter Aussparung nahezu aller revolutionären Details. 6 Bei einer Beratung des ZK-Sekretariats mit den Ersten Sekretären der S E D Kreisleitungen referierte Honecker am 6. Februar 1987 über die Aufgaben der Parteiorgane bei der Verwirklichung der Beschlüsse des XI. SED-Parteitags von 1986, wobei er Gorbatschows Rede vor dem ZK-Plenum zwar unerwähnt ließ, jedoch indirekt zu ihr Stellung nahm. Honecker verwies auf die unterschiedlichen Gegebenheiten in den verschiedenen sozialistischen Ländern und begründete damit seine vom sowjetischen Modell abweichende Politik - bei der sonst traditionellen Gefolgschaftstreue der D D R gegenüber der sowjetischen Politik ein aufsehenerregender Vorgang. 7 Honecker stellte die Eigenständigkeit der D D R in den Vordergrund: 3 W[erner] A[DAM]: Gorbatschow dringt auf geheime Wahl der Parteiorgane. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 23 vom 28.1.1987, S. 1 f. 11 W[erner] A[DAM]: Im Zentralkomitee der sowjetischen Kommunisten Widerstand gegen Gorbatschows Pläne. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 26 vom 31.1.1987, S. lf. 5
V g l . N I C H T M E H R VON O B E N . In: D e r Spiegel 4 1 ( 1 9 8 7 ) , N r . 7, S. 115f.
Vgl. I. SPITTMANN: Die S E D und Gorbatschow, S. 226: „Erst vierzehn Tage nachdem die sowjetische Nachrichtenagentur Nowosti von West-Berlin aus den anstößigen Text [vor allem das Schlußwort Gorbatschows, in dem dieser u.a. die Demokratisierung der sowjetischen Gesellschaft verlangte] verbreitet hatte, kündigte der Dietz Verlag eine vollständige Edition des Plenums an." Vgl. auch Ρ J. WINTERS: Die Reformen Gorbatschows, S. 35 und DERS.: Viele in der D D R setzen jetzt auf Gorbatschow. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 24 vom 29.1.1987, S. 5. 6
7
V g l . a u c h : EINMALIG IN D E R W E L T . I n : D e r S p i e g e l 4 1 ( 1 9 8 7 ) , N r . 7 , S . 6 0 - 6 4 .
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Die D D R im Jahre 1 9 8 7
„Der Aufbau des Sozialismus ist ein ständiger Prozeß der schöpferischen Suche nach den besten Lösungen, die den nationalen Bedingungen entsprechen. [...] Die Kommunisten sind verpflichtet, Angriffen auf die Politik der Partei, auf den sozialistischen Staat der Arbeiter und Bauern entgegenzutreten, gegen Entstellungen und Verfälschungen der marxistisch-leninistischen Theorie und der Geschichte der revolutionären Arbeiterbewegung Stellung zu nehmen, ganz gleich, woher sie kommen."
Gleichzeitig gab Honecker bekannt, daß 573.000 DDR-Bürger im Jahr 1986 in dringenden Familienangelegenheiten in die Bundesrepublik gereist seien, um damit auf eine großzügigere Handhabung von Reiseanträgen hinzuweisen. Schon zu Beginn des Jahres 1987 kam Bewegung in das Bemühen, das Wettrüsten zwischen den Supermächten zu beenden. Gorbatschow schlug den USA am 28. Februar 1987 den Abschluß eines gesonderten Abkommens über Mittelstreckenwaffen vor und verzichtete damit auf das bisher geforderte Junktim mit SDI; die daraufhin aufgenommenen sowjetisch-amerikanischen Verhandlungen führten im September 1987 zum Abschluß eines Abkommens über die Vernichtung der atomaren Mittelstreckenwaffen. Am 2. März 1987 druckte das Neue Deutschland auf der Titelseite die Erklärung Gorbatschows zu dem Abkommen über die Beseitigung der Mittelstreckenraketen in Europa sowie eine Erklärung ab, in der das Politbüro des ZK der SED, der Staatsrat und der Ministerrat der DDR die sowjetische Initiative unterstützten.8 Die Außenminister der Warschauer-Pakt-Staaten sprachen sich am 25. März 1987 in Moskau für eine Reduzierung der konventionellen Streitkräfte in Europa um 20 Prozent bis zum Beginn der neunziger Jahre aus. Am 3. April 1987 schlugen Honecker und der tschechoslowakische Ministerpräsident Lubomir Strougal Bundeskanzler Kohl in einem Brief die Aufnahme von Verhandlungen über einen atomwaffenfreien Korridor in Europa vor. Der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Hans-Jochen Vogel, und Honecker sprachen sich bei einem Treffen am Werbellinsee am 15. Mai 1987 gemeinsam für eine doppelte Null-Lösung bei Mittelstreckenwaffen aus. US-Präsident Reagan gab am 18. September 1987 in Washington bekannt, daß sich die Supermächte auf den weltweiten Abbau aller Mittelstreckenraketen grundsätzlich geeinigt hätten. Anläßlich eines Gipfeltreffens zwischen Reagan und Gorbatschow in Washington fand am 8. Dezember 1987 die Unterzeichnung des Vertrags über die Vernichtung aller atomaren Mittelstreckenwaffen der Supermächte statt. Die ablehnenden Reaktionen der SED auf die von Gorbatschow für die Sowjetunion eingeleiteten inneren Reformen einerseits und ihr engagiertes Eintreten für internationale Abrüstung andererseits bestimmten auch das Verhältnis der beiden deutschen Staaten zueinander und den Umgang der Staats» N D Nr. 51 vom 2.3.1987, S. 1.
Die politische Situation
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und Parteiführung mit den gesellschaftspolitischen Problemen in der DDR. 9 Alle Einflüsse, die den Erhalt der Machtkonstellationen in der DDR zu gefährden schienen, wurden von der Staats- und Parteiführung mit Vehemenz zurückgedrängt, sofern nicht taktische Erwägungen sie dazu brachten, sich vorübergehend als tolerant und offen zu präsentieren. So wurden zahlreiche Besuche fremder Staats- und Regierungsoberhäupter (zum Beispiel des japanischen Ministerpräsidenten Yasuhiro Nakasone im Januar und des finnischen Staatspräsidenten Mauno Koivisto Ende September) von Honecker zu innenpolitischen Stellungnahmen genutzt und hatten zumeist während der Aufenthalte der ausländischen Gäste größere Toleranz der Regierung bzw. ihrer Ordnungsorgane gegenüber der Bevölkerung zur Folge. Auf einer Wahlveranstaltung am 4. Januar 1987 in der Dortmunder Westfalenhalle äußerte Bundeskanzler Kohl, in der DDR würden über 2.000 „unserer Landsleute in Gefängnissen und Konzentrationslagern" festgehalten. Das DDR-Außenministerium reagierte zwei Tage später im Neuen Deutschland mit einem heftigen Dementi. Zugleich wurden unterschiedliche Stellungnahmen von Vertretern der SPD, FDP, der Grünen sowie der Jüdischen Gemeinde in West-Berlin zitiert, in denen diese sich von Kohls Worten distanzierten. 10 Einige von Bundesbürgern an Honecker gerichtete Briefe, in denen diese Westdeutschen betonten, der Kanzler habe nicht ihre Meinung zum Ausdruck gebracht, wurden am 24. Januar im Neuen DeutschlaWabgedruckt. Trotz derartiger Spannungen im deutsch-deutschen Verhältnis kam es u.a. im Umfeld der Leipziger Frühjahrsmesse im März 1987 zu einer Reihe von Gesprächen bundesdeutscher Politiker mit Honecker." Während eines Besuchs einer DGB-Delegation beim FDGB wurden Ende Mai 1987 Kontakte zwischen den beiden Gewerkschaften auch auf unterer Ebene vereinbart. Am 18. März 1987 setzte der kurz zuvor erneut zum Bundeskanzler gewählte Helmut Kohl in seiner Regierungserklärung einen Schwerpunkt der Politik der Bundesregierung auf die Verbesserung des Ost-West-Verhältnisses. Erstmals in der Geschichte der beiden deutschen Staaten nahmen hohe Offiziere der Bundeswehr eine Woche darauf an einem Manöver, das im Rahmen von KSZEVereinbarungen stattfand, auf dem Gebiet der DDR als Beobachter teil. Das Neue Deutschland veröffentlichte am 10. April 1987 ein Interview des Politbüro-Mitglieds und ZK-Sekretärs Kurt Hager mit der Hamburger Illustrierten Sternu, das die Tendenz zu einem DDR-Alleingang wiederum verstärkt durchscheinen ließ. Hager betonte - auf die Frage nach Perestroika-Ausläufern in der DDR - nicht nur die enge Bindung an die Sowjetunion, sondern ' V g l . auch R. SCHNEIDER: Perestroika in der DDR. In: Der Spiegel 41 (1987), Nr. 41, S. 11-13. 10 N D Nr. 4 vom 6.1.1987, S. 2. ' 1 Franz Josef Strauß, Martin Bangemann, Eberhard Diepgen, Lothar Späth. u
N D N r . 8 5 v o m 1 0 . 4 . 1 9 8 7 , S . 3 . S t e r n N r . 1 6 / 1 9 8 7 , S . 1 0 . V g l . a u c h F . - C . SCHROEDER: D i e
Reaktion der D D R auf die „Perestrojka", S. 20.
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Die DDR im Jahre 1987
stritt gleichzeitig ab, „daß wir alles, was in der Sowjetunion geschah, kopierten". Hager brachte jedoch die volle Unterstützung des sowjetischen Friedensprogramms zum Ausdruck. Kritische Fragen nach der DDR-Medienpolitik und den Problemen mit Ausreisewilligen konterte Hager mit Angriffen auf das kapitalistische System im Westen und hob demgegenüber die Überlegenheit der DDR-Sozialpolitik hervor. Er betonte abschließend, daß eine Vereinigung der beiden deutschen Staaten unmöglich sei, hingegen einem „friedlichen Neben· und Miteinander" nichts im Wege stehe. Im Sommer des Jahres 1987 ereigneten sich in der D D R erste öffentliche Kundgebungen von zunächst noch sehr kleinen Randgruppen, die für den ostdeutschen Staat völlig ungewohnte Phänomene waren und die Staatsorgane ziemlich unvorbereitet überraschten. Am 8. Juni 1987 kam es zu Zusammenstößen zwischen DDR-Sicherheitsorganen und Rockfans vor dem Brandenburger Tor, wo Ost-Berliner Musikbegeisterte einem Konzert auf der Westseite zuhören wollten. Einige westliche Korrespondenten wurden von der Volkspolizei und dem Staatssicherheitsdienst bei ihrer Berichterstattung behindert. Die DDR-Regierung wies Proteste der Bundesregierung umgehend zurück. 13 In einem Protestschreiben an Erich Honecker beschwerten sich zwanzig in der D D R akkreditierte Journalisten über das Verhalten der DDR-Sicherheitsorgane vor dem Brandenburger Tor. Bei diesen Auseinandersetzungen junger Rockfans mit der Volkspolizei war erstmals der Ruf „Gorbi, hilf uns!" ertönt. USPräsident Ronald Reagan forderte in einer Rede vor dem Brandenburger Tor vier Tage später: „Mr. Gorbachev, tear down this wall!" Zu einem die DDR-Bevölkerung immer stärker bedrängenden und bedrükkenden Thema wurde die Frage der „West-Reisen". Anfang Juli 1987 wurde von verschiedenen Filialen der DDR-Staatsbank bestätigt, daß in dringenden Familienangelegenheiten reisende DDR-Bürger nach einer neuen Regelung seit dem 1. Juli 1987 nur noch fünfzehn DDR-Mark in D M umtauschen dürften, was von der Bevölkerung als eklatanter Rückschritt empfunden wurde. 14 Mit großen Erwartungen verfolgte man in Ost- und Westdeutschland alle Nachrichten, die eine bereits Jahre zuvor ausgesprochene Einladung Bundeskanzler Kohls an Honecker betrafen, den Westen Deutschlands zu besuchen. Der Termin für den Besuch Honeckers in der Bundesrepublik wurde am 15. Juli 1987 in beiden deutschen Staaten gleichzeitig bekanntgegeben. Zwei Tage später beschloß der Staatsrat der D D R aus Anlaß des 38. Jahrestags der Gründung der D D R eine allgemeine Amnestie 15 , die Abschaffung der Todesstrafe
13 Vgl. R J . LAPP: Rock an der Mauer; G.-R. STEPHAN: „Wir brauchen Perestroika und Glasnost für die D D R " . 14 Reisende in dringenden Familienangelegenheiten durften vorher „bis zu 70 Mark der D D R zum Kurs 1:1 in D M umtauschen. Nun wurde der Höchstsatz auf 15 Mark heruntergesetzt, der für Rentner schon immer galt." Vgl. I. SPITTMANN: Der Besuch, S. 787. 15 Vgl. Ε MASER: Kirche und Religionsgemeinschaften in der D D R , S. 137.
Die politische Situation
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und die Möglichkeit einer Berufung gegen Urteile des Obersten Gerichts. 16 Diese wiederum auf Liberalisierung hinweisenden innenpolitischen Maßnahmen verstärkten den Eindruck vieler DDR-Bürger, langsam bahnten sich auch in der Deutschen Demokratischen Republik Reformen an. Das Neue Deutschland kommentierte am 1. August 1987 den 12. Jahrestag der Unterzeichnung der KSZE-Schlußakte in Hinblick auf das Verhältnis von Bundesrepublik und DDR. Vor allem wurde auf das stetige Bemühen der D D R verwiesen, den politischen Dialog zwischen Ost- und Westdeutschland auszubauen. Im Gegensatz dazu wurde kurz darauf eine Partnerschaft Bonns mit einer Stadt in der D D R von Seiten der Deutschen Demokratischen Republik ohne Begründung abgelehnt. Ein geflüchteter DDR-Grenzsoldat berichtete, der Schießbefehl an der deutsch-deutschen Grenze sei anläßlich der Besuche von US-Präsident Ronald Reagan, des französischen Staatspräsidenten Francois Mitterand und der britischen Königin zeitweilig ausgesetzt worden. 17 Am 27. August 1987 veröffentlichten SPD und SED ihr aus zahlreichen Treffen einer Dialoggruppe von Vertretern beider Parteien hervorgegangenes Grundsatzdokument „Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit" 18 , das in der Folgezeit in den DDR-Kirchen und in Kreisen der DDRBürgerrechtsbewegung zentrale Bedeutung erlangte." Das Besondere an diesem „Dialogpapier" war, daß als Verfasser und Herausgeber die Grundwertekommission der SPD der Bundesrepublik und die Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED der D D R gleichermaßen zeichneten. Inhaltliche Schwerpunkte der gemeinsamen Schrift, die über eine Zustandsbeschreibung des Verhältnisses von SED und SPD kaum hinausreichte, waren die Friedenssicherung, der „friedliche Wettbewerb der Gesellschaftssysteme", die damit verbundene „Notwendigkeit einer Kultur des politischen Streits und des Dialogs" sowie einige grundlegende Regeln des Umgangs miteinander. Die eigentliche Spitze des SPD-SED-Papiers lag in der wechselseitig festgestellten Reformfähigkeit (und damit indirekt auch der Reformbedürftigkeit) beider Systeme. Für DDR-Bürger war das eine aufsehenerregende, in bezug auf die SED eine bis dahin nicht vorstellbare Aussage. In einem Bericht über das gemeinsame Dokument auf der Titelseite des Neuen Deutschlandvom 28. August 1987 wurde wiederum der Primat der „Friedenssicherung" betont. 20 In der-
16 D a m i t war ein erster Schritt in Richtung einer Verwaltungsgerichtbarkeit getan, die bereits lange gefordert worden war. Vgl. dazu F.-C. SCHROEDER: Die Reaktion der D D R auf die „Perestrojka", v.a. S. 2 2 - 2 5 . 17 In seinem Buch „Zu dramatischen Ereignissen" behauptet E. HONECKER mehrfach, es habe in der D D R niemals einen Schießbefehl gegeben, sondern nur eine Schußwaffenordnung, die im übrigen auch in der Bundesrepublik existiere (Ebd., S. 57). 18 VORSTAND DER S P D (Hg.): Der Streit der Ideologien. Vgl. hierzu E. EPPLER: Die Bedeutung des SPD-Papiers für den Dialog, sowie H . EHMKE: Mittendrin, S. 3 9 1 - 3 9 3 . " Vgl. auch R. REITZ: Neues D e n k e n öffnet neue Horizonte. 20 N D Nr. 2 0 2 vom 2 8 . 8 . 1 9 8 7 , S. lf.
20
Die D D R im Jahre 1 9 8 7
selben Ausgabe des Neuen Deutschlandvfmde. auf der dritten Seite „Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit" in vollem Wortlaut abgedruckt, was zur Folge hatte, daß die Zeitung bereits am Vormittag vollständig ausverkauft war. Im DDR-Fernsehen wurde eine Diskussion zwischen den Professoren der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED, Otto Reinhold und Rolf Reißig, sowie den SPD-Politikern Erhard Eppler und Thomas Meyer live ausgestrahlt. Thema der Aussprache war das gemeinsame „Dialogpapier".21 Von Vertretern des Nationalen Friedensrates der D D R wurden wiederum im Neuen Deutschland drei Tage später Hoffnungen zum Ausdruck gebracht, daß der Staatsbesuch Honeckers in der Bundesrepublik förderlich für die Friedenssicherung und die Zusammenarbeit in Europa sein werde. Am 1. September 1987 begannen die DDR-Veranstaltungen zum Olof-Palme-Friedensmarsch. Der Marsch war Teil einer von nationalen Friedensorganisationen und -raten der Bundesrepublik, der Tschechoslowakei, Österreichs und der D D R geplanten und durchgeführten Aktion, die die Forderung nach Schaffung einer atomwaffenfreien Zone in Mitteleuropa unterstützen sollte. In der D D R hatte sich der Bund der Evangelischen Kirchen mit eigenen Beiträgen am Olof-Palme-Friedensmarsch beteiligt, die EKD hingegen nahm offiziell nicht teil.22 Aufsehen erregte die Tatsache, daß staatliche Organe in der Regel nicht gegen die Träger DDR-kritischer Plakate vorgingen.23 Von der Polizei überwacht, aber nicht behindert wurde auch eine in Ost-Berlin am 5. September 1987 stattfindende, nicht offiziell angemeldete Friedensdemonstration, an der ca. 1.000 Menschen teilnahmen. Honecker stattete vom 7. bis 11. September 1987 der Bundesrepublik seinen erstmals für das Jahr 1984 angekündigten und mehrfach wieder abgesagten Staatsbesuch ab.24 Während dieser Zeit wurde der Schießbefehl an der deutsch-deutschen Grenze wiederum ausgesetzt. Ein gemeinsames Kommunique wurde in Bonn veröffentlicht und im Neuen Deutschland kommentiert.25 Kohl und Honecker unterzeichneten ein Abkommen über den Informations- und Erfahrungsaustausch auf dem Gebiet des Strahlenschutzes, eine Regierungsvereinbarung über die weitere Gestaltung der Beziehungen im Bereich des Umweltschutzes und ein Abkommen über die Zusammenarbeit 21
V g l . auch E . EPPLER: D i e B e d e u t u n g des S P D - P a p i e r s für den Dialog, sowie: „Ein System
k a n n das andere n i c h t abschaffen". S P D - P r ä s i d e [ n t ] Erhard Eppler u n d der S E D - I d e o l o g e O t t o R e i n h o l d über das g e m e i n s a m e Friedenspapier. In: D e r Spiegel 4 1 ( 1 9 8 7 ) , Nr. 3 6 , S . 2 7 - 3 0 . 22
V g l . u.a. W. RÜDDENKLAU: Störenfried, S. 1 0 9 - 1 1 2 , sowie C . DEMKE/M. FALKENAU/H.
ZEDDIES ( H g . ) : Z w i s c h e n Anpassung u n d Verweigerung, S. 3 3 2 - 3 3 7 . 23
V g l . M . HERRMANN: E i n S t ü c k „ G l a s n o s t " - um des Friedens willen.
24
I m S e p t e m b e r 1 9 8 4 m u ß t e H o n e c k e r seinen Staatsbesuch absagen, weil aus M o s k a u wegen
seiner D e u t s c h l a n d p o l i t i k , v.a. aber seiner Kritik in der Mittelstreckenraketen-Frage, wiederholt D r u c k a u f ihn ausgeübt wurde. Vgl. E. GLOECKNER: H o n e c k e r s D D R , S. 6 5 . Z u m Besuch H o n e k kers in der B u n d e s r e p u b l i k vgl. auch: „GANZ BESONDERS ZWIESPÄLTIGE GEFÜHLE". In: D e r Spiegel 4 1 ( 1 9 8 7 ) , Nr. 3 6 , S. 2 2 - 2 6 . 25
N D N r . 2 1 2 v o m 9 . 9 . 1 9 8 7 , S. l f .
Die politische Situation
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auf dem Wissenschafts- und Techniksektor. Als beiderseitiges Ziel vereinbarten die D D R und die Bundesrepublik die Schaffung struktureller Nichtangriffsfähigkeit und die Förderung systemöffnender Zusammenarbeit. In Polen regten sich vereinzelt Stimmen, die vor einer zu weitgehenden Annäherung der beiden deutschen Staaten warnten. Honecker äußerte während seines Aufenthalts in der Bundesrepublik den Wunsch, die Grenze zwischen der Bundesrepublik und der D D R möge in einer nicht allzu fernen Zukunft so sein wie die zwischen der D D R und Polen.26 Am 16. September 1987 erschien im Neuen Deutschland ein Artikel über Honeckers Besuch in der Bundesrepublik unter dem Titel „Ein Erfolg der Politik der Vernunft und des Realismus". Darin wurde - ähnlich wie bereits von Hager gegenüber dem Stern - betont, daß die Diskussion über eine mögliche Wiedervereinigung eine schädigende und destabilisierende Wirkung habe. In der Dresdner Altstadt fand am 18. September 1987 die Abschlußkundgebung des Olof-Palme-Friedensmarsches statt, an dem sich auch christliche Friedensgruppen mit eigenen Plakaten beteiligt hatten. Der relativ ungehinderte und friedliche Verlauf des Friedensmarsches kann wohl auch darauf zurückgeführt werden, daß ein politischer Skandal während des Staatsbesuchs Honeckers in der Bundesrepublik vermieden werden sollte.27 Zum 38. Jahrestag der D D R am 7. Oktober 1987 betonte Honecker erneut die Sicherung des Friedens als Primat seiner Politik. In einem Interview, das er wenig später anläßlich seines bevorstehenden Besuchs in Belgien mehreren Journalisten belgischer Zeitungen gab, beantwortete der Staatschef zahlreiche Fragen zur Innenpolitik der D D R im allgemeinen und zum Verhältnis zwischen Staat und Kirche im besonderen. Das Gespräch wurde im Neuen Deutschlandwiedergegeben.28 Am 14. Oktober 1987 begann der 16. Parteitag der DDR-CDU, der keine Überraschungen bot bis auf die Tatsache, daß dem Redakteur und Leiter der damaligen Ost-West-Abteilung des Deutschlandfunks, Karl Wilhelm Fricke, aus „Versehen"29 die Akkreditierung verweigert wurde. Das ZK der SED trat am 16. Dezember 1987 zu seiner 5. Tagung zusammen. Zwei Tage später wurden die angekündigte Abschaffung der Todesstrafe und die Gründung eines Berufungsgremiums als Rechtsmittelinstanz gegen Urteile des Obersten Gerichts gesetzlich verankert.
2 6 Bei der W e r t u n g dieser Äußerung Honeckers m u ß bedacht werden, d a ß es zu dieser Zeit fiir D D R - B ü r g e r außerordentlich schwierig war, nach Polen zu reisen. Vgl. Η . N . JANOWSKI: Dialektik der Abgrenzung. Vgl. auch A. SCHÖNHERR: Wunsch nach unverkrampftem Umgang. 27
Vgl. M . HERRMANN: Ein S t ü c k „Glasnost" - u m des Friedens willen.
28
N D Nr. 2 4 0 v o m 1 3 . 1 0 . 1 9 8 7 , S. 3. Vgl. auch M . HARTMANN: Glasnost im G e m e i n d e b l a t t .
R J . LAPP: „Beim letzten M a l hatte ich das Gefühl, es ist alles vorher aufgeschrieben ...", S. 1 1 3 3 . 29
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Die DDR im Jahre 1987
2.2 Kirchliches
Zeitgeschehen
Auch im Bereich der evangelischen Kirche in der DDR spielte das Bemühen um Abrüstung im Jahr 1987 eine zentrale Rolle. Die Friedensarbeit in der DDR verstärkte sich bereits seit dem Ende der 70er Jahre - ausgelöst durch die Einführung des Wehrunterrichts in den Schulen (1978) und den NATO-Doppelbeschluß (1979). 30 Seit Anfang der 80er Jahre wurden die Friedensgruppen, die zum großen Teil auch in evangelischen Gemeinden entstanden, immer aktiver und forderten u.a. die Einrichtung eines Sozialen Friedensdienstes in der DDR. 31 Ihr Eintreten für eine weltweite Abrüstung und gegen eine militärische Friedenssicherung rückte weiter in den Mittelpunkt. Auf den Landes- und Bundessynoden, bei den Kirchentagen, während der Friedensdekaden, Friedensforen und bei zahlreichen Einzelaktionen vertraten Kirchenglieder selbstbewußt und unter nachhaltiger öffentlicher Zustimmung ihre Forderungen.32 Bereits Mitte Januar 1987 übergab Kirchenpräsident Eberhard Natho (Dessau) im Auftrag der Konferenz Europäischer Kirchen dem Staatssekretär für Kirchenfragen, Klaus Gysi, eine „Erklärung zur Abrüstung", die von 118 Kirchen in 26 europäischen Ländern angenommen worden war. Unter dem Eindruck der Reformpolitik von Gorbatschow fand Anfang Februar 1987 an der Ost-Berliner Humboldt-Universität ein theologisches Symposion statt mit Teilnehmern von sechs theologischen Sektionen aus der DDR, der Christlichen Friedenskonferenz und Gästen aus Landes- und Freikirchen. Das Thema des Symposions lautete „Umkehr zu neuem Denken". Eine weitere wichtige Station im innerkirchlichen Denkprozeß zur Friedensthematik war das Seminar „Konkret für den Frieden"33, an dem vom 27. Februar bis 1. März 1987 in Leipzig Vertreter von kirchlichen Friedens-, Ökologie· und Dritte-Welt-Gruppen aus der gesamten DDR teilnahmen. Die Eröffnungsvorträge wurden von Bischof Dr. Johannes Hempel (Dresden) und von Propst Dr. Heino Falcke (Erfurt) gehalten. Die wachsende Bedeutung politisch aktiver kirchlicher Gruppen spielte auch bei einer Tagung der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen der DDR im Frühjahr eine Rolle.34 Die KKL sah sich im März 1987 auf dieser Klausurtagung veranlaßt, sich mit „einer erneuten Grundsatzbesinnung über die Frage der gesellschaftlichen Mitverantwortung der Evangelischen Kirchen in der DDR"35 zu beschäftigen. Grund30
V g l . W . BÜSCHER/P. WENSIERSKI/K. W O L S C H N E R ( H g . ) : F r i e d e n s b e w e g u n g d e r
DDR.
Vgl. ζ. Β. E. NEUBERT: Sozialethische und charismatisch-evangelikale Gruppen. 32 Vgl. O. LINGNER: Friedensarbeit in der Evangelischen Kirche und D. LINKE: „Streicheln, bis der Maulkorb fertig ist", S. 70f. 33 Dieses Friedensseminar kirchlicher Gruppen fand bereits zum fünften Mal statt. 34 Vgl. auch E. NEUBERT: Die Opposition in der demokratischen Revolution der DDR. 35 Arbeitsbericht 1986/87 des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, S. 5 (EZA BERLIN, 101/93/734). Unterstreichung im Original. Vgl. auch E. NEUBERT: Sozialethische und charismatisch-evangelikale Gruppen, S. 310f. u n d A n m . 29. 31
Kirchliches Zeitgeschehen
23
sätzlich erneuerte die evangelische Kirche auf dieser K K L - T a g u n g ihr Gesprächsangebot gegenüber dem Staat. In diesem Sinne trafen dann am 21. M a i 1987 der Vorstand der K K L unter Leitung seines Vorsitzenden, Bischof Dr. Werner Leich (Eisenach), und Staatssekretär Klaus Gysi zusammen. 3 6 D e r erste evangelische Kirchentag in der D D R - H a u p t s t a d t seit dem Mauerbau 1961 fand vom 24. bis 28. Juni 1987 statt und wurde von 5.000 Dauerteilnehmern besucht. An der Abschlußkundgebung dieses Kirchentags, der unter dem Motto „... und ich will bei euch wohnen" stand, beteiligten sich 2 0 . 0 0 0 Christen. 3 7 Wiederum nahm das Problem der gesellschaftlichen Mitverantwortung der Kirche einen breiten R a u m ein. Beispielhaft dafür waren auch die Veranstaltungen des „Kirchentags von Unten", der sich besonders den T h e m e n Frieden, Umwelt und der Frage einer Reform des Sozialismus widmete. 3 8 Eine Ursache für die Bildung der Initiative „Kirchentag von Unten" war ein Beschluß der Leitung der evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg, die OstBerliner „Friedenswerkstatt" zugunsten des Ost-Berliner Kirchentags im Jahr 1987 nicht zu veranstalten, was einige Mitglieder des Vorbereitungskreises der Friedenswerkstatt nicht hinnehmen wollten. 39 Insgesamt gehörte dieser Kirchentag in die Reihe der zahlreichen Veranstaltungen zum 750jährigen Stadtjubiläum von Berlin, die - trotz partieller wechselseitiger Teilnahme — sowohl von der D D R als auch von der Bundesrepublik eher zur Selbstdarstellung als zur deutsch-deutschen Annäherung genutzt wurden. Der Bürgermeister der
36
Vgl. Sekretariat des B E K . [Ohne Aussteller.] Berlin, 2 2 . 5 . 1 9 8 7 : „Schnellinformation" (STEL-
LE F Ü R INFORMATION U N D D O K U M E N T A T I O N D E R E K D in d e r A u g u s t s t r a ß e / B E R L I N ) ; d i e s t a a t l i -
che Gegenüberlieferung des Gesprächs ist als D o k . 2 im Anhang abgedruckt. Vgl. auch W. LEICH: Wechselnde Horizonte. S. 2 1 7 - 2 2 0 . 37 Vgl. C . DIECKMANN: G o t t in Berlin und die Folgen, sowie M . HARTMANN: Signale vom Evangelischen Kirchentag, insgesamt vgl. Π STEINACKER: Kirchentage, S. 107. 3 8 Vgl. R. HERMANNS: A u f der Suche nach Freiräumen. Offensichtlich hatten einige Kirchengemeinden sich dagegen gewehrt, dem „Kirchentag von Unten" ihre Räumlichkeiten zur Verfugung zu stellen, weil sie mit den politischen Forderungen dieser Gruppierung nicht einverstanden waren. Superintendent Reinhard STEINLEIN kritisiert in seinem Buch „Die gottlosen Jahre" Manfred Stolpe, der - u m eine „Konfrontation [zwischen dem „Kirchentag von U n t e n " und der evangelischen Kirche] unbedingt zu vermeiden" - die Ost-Berliner Pfingstkirche gebeten hatte, dem „Kirchentag von U n t e n " ihr Gemeindehaus für ihre Veranstaltung zu überlassen. Dazu sei es trotz „schwerer Bedenken des Gemeindekirchenrates" dann auch gekommen. Steinlein „hatte den Eindruck, daß dieses Vorgehen mit der Staatssicherheit abgesprochen war" (S. 135). 39 N a c h d e m die Vorbereitungsgruppe der Friedenswerkstatt sich darüber gespalten hatte, entstand bei einigen unterschiedlichen Alternativgruppen aus Berlin die Idee, parallel zu dem offiziellen Kirchentag eine eigene, entsprechend ihrem Selbstverständnis als „Kirchentag von U n t e n " bezeichnete Veranstaltung durchzuführen. Andere, auch nichtkirchliche Friedens- und Umweltgruppen und weitere Initiativen schlossen sich an. Schließlich übernahm die Kirchenleitung die Verantwortung für die Aktionen im Rahmen dieser Parallelveranstaltung, für die eigens die G e meinderäume der Berliner Pfingstgemeinde angemietet worden waren, um eine von der Initiative angedrohte Kirchenbesetzung zu verhindern. Näheres bei W. RÜDDENKLAU: Störenfried, v.a. S. 1 0 5 - 1 0 9 . Vgl. auch Η.-J. RÖDER: Rebellische Kirchenbasis und S. HELTAU: Kirchentag in OstBerlin.
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Die DDR im Jahre 1987
DDR-Hauptstadt, Erhard Krack, bezeichnete den Kirchentag als einen „Höhepunkt im Jubiläumsjahr der Hauptstadt". Ungewöhnlich war die sehr ausführliche Berichterstattung über dieses kirchliche Ereignis in den Medien der DDR. Gegen Ende des Jahres 1987 trat in dem Verhältnis zwischen Staat und Kirche in der D D R eine unübersehbare Verschlechterung des Klimas zutage. Am 6. November 1987 sagte Staatssekretär Gysi die im September in Aussicht gestellten Sachgespräche über Wehrdienst- und Bildungsfragen ab. Gysi begründete diese auf oberster Ebene getroffene Entscheidung mit dem Verlauf der Görlitzer Synodaltagung, betonte jedoch gegenüber der Kirchenleitung, es handele sich nur um eine Verschiebung der Gespräche.40 Die „Umweltbibliothek" der Berliner Zionskirchengemeinde am Prenzlauer Berg geriet am 24./25. November 1987 wegen einer spektakulären Durchsuchungsaktion durch die Staatsanwaltschaft und das Ministerium für Staatssicherheit ins Zentrum des öffentlichen Interesses. Das Ereignis und die Verhaftung einiger Mitglieder der Umweltbibliothek waren Anlaß für einen öffentlichen Protest von Bischof Lei ch Anfang Dezember. Die gegen die Mitarbeiter der Zionskirchen-Bibliothek eingeleiteten Verfahren wurden allerdings schon am 4. Dezember 1987 wieder eingestellt.41 Die Durchsuchungsaktion und die Verhaftungen hatten verschiedene innen- und außenpolitische Konsequenzen. 42 So wurde ein DDR-Besuch von Bundesministerin Rita Süssmuth von der D D R abgesagt. Wenig später befaßte sich der Deutsche Bundestag mit dem Vorgehen gegen die Friedens- und Umweltgruppen in der DDR. Die DDR-Regierung protestierte dagegen bereits einen Tag darauf mit dem Argument, es handele sich um eine „Einmischung in innere Angelegenheiten". In der D D R wurden diese Ereignisse mit großer Enttäuschung aufgenommen, gerade weil viele jüngst vorangegangene Entwicklungen die Hoffnung genährt hatten, es werde in der D D R zu einer innenpolitischen Liberalisierung und einer außenpolitischen Öffnung kommen.
40 Vgl. Kap. 5.1.2, 5-2.1 und 5.2.2, sowie Ε NÖLDECHEN: DDR-Führung sagt Gespräche mit evangelischer Kirche ab. „Strafe" für kritische T ö n e auf der Görlitzer Synode. In: Westfälische Rundschau Nr. 2 6 3 vom 10.11.1987. 41 Vgl. W. RÜDDENKLAU: Störenfried, v.a. S. 114-122; darin abgedruckt einige Texte aus den
„ U m w e l t b l ä t t e r n " , S. 1 5 1 - 1 5 9 . 42 Z u den Ereignissen um die „Umweltbibliothek" der Zionsgemeinde vgl. W. RÜDDENKLAU: Störenfried, S. 114-122. Das MfS war an dieser Maßnahme beteiligt, weil Straftatbestände vorlagen, die in den Zuständigkeitsbereich des Staatssicherheitsdienstes gehörten.
Instrumente der DDR-Kirchenpolitik im Jahre 1987
2.3 Instrumente der DDR-Kirchenpolitik
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im Jahre 1987
Alle wichtigen Entscheidungen zur DDR-Kirchenpolitik 4 3 lagen in der H a n d des Generalsekretärs des Z K der SED, Erich Honecker. 4 4 Dies war ein C h a r a k teristikum der Ära Honecker u n d blieb es bis zu seinem Sturz 1989. Das unter Honecker mit Kirchenfragen befaßte Politbüro-Mitglied, der ZK-Sekretär Werner Jarowinsky, der f ü r Handel, Außenhandel u n d Versorgung zuständig war, hatte dieses Ressort zusätzlich 1984 von d e m damals zurückgetretenen Paul Verner ü b e r n o m m e n , der evangelischen Kirche zunächst aber n u r geringe Aufmerksamkeit gewidmet. Jarowinsky begann erst im Laufe des Jahres 1987, sich intensiver mit kirchenpolitischen Fragen zu beschäftigen. Innerhalb des Politbüros waren außerdem die beiden PB-Mitglieder Egon Krenz u n d Erich Mielke mit Kirchenpolitik befaßt. Krenz verwaltete neben seiner Funktion als ZK-Sekretär für Sicherheitsfragen auch die Bereiche Jugend u n d Sport sowie Staats- u n d Rechtsfragen. Mielke war als Minister für Staatssicherheit a u t o m a tisch ständig mit d e m Bereich „Kirche u n d Religionsgemeinschaften" beschäftigt· Kirchenpolitische Beraterfunktion f ü r das Politbüro hatte die 1954 gebildete Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK der SED, deren Leitung Rudi Bellmann oblag. Wichtigster Mitarbeiter Bellmanns in dieser Arbeitsgruppe war der f ü r den Bereich Evangelische Kirche zuständige Peter Kraußer. In den SED-Bezirks- bzw. Kreisleitungen waren jeweils deren Erste Sekretäre sowie die Abteilungen „Staat und Recht" für das Ressort Kirchenfragen verantwortlich. Die seit 1957 bestehende Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen sollte die Angelegenheiten der in der D D R ansässigen Glaubensgemeinschaften koordinieren. Tatsächlich hatte der Staatssekretär mit seiner Dienststelle die Aufgabe, gegenüber den Kirchen u n d Religionsgemeinschaften die „Staatspolitik in Kirchenfragen" zu vertreten u n d umzusetzen. 4 5 Jene wiederum hatten — über den U m w e g der Dienststelle - die Möglichkeit, kirchliche Interessen gegenüber d e m Staat geltend zu machen. Diese - bei der Regierung der D D R direkt d e m Vorsitzenden des Ministerrats unterstellte - Dienststelle leitete von 1979 bis 1988 Staatssekretär Gysi. 46 Zweitwichtigster M a n n in dieser Behörde war stets der Hauptabteilungsleiter - zwischen 1982 u n d 1990 Peter
43 Vgl. M. G. GOERNER: Apparatestruktur u n d Methoden der SED-Kirchenpolitik. Grundsätzlich zur Kirchenpolitik der achtziger Jahre vgl. U. FUNK: Vom „6. März" z u m „9. November" u n d DERS.: Die achtziger Jahre — der Anfang vom Ende oder das Ende eines Anfangs. Z u m Begriff vgl.
J. MEHLHAUSEN: K i r c h e n p o l i t i k . 44
Vgl. H . ALT: Die Stellung des Zentralkomitees der S E D im politischen System der D D R . Z u r F u n k t i o n der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen vgl. Α. BOYENS: Staatssekretariat sowie: Die interne .Arbeitsordnung der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen", die vom Staatssekretär 1 9 8 6 neu erstellt worden war (BArchP, D O 4 STS f. Kirchenfragen Nr. 1 4 5 0 ) . Vgl. auch H . - J . RÖDER: „Bindeglied" zwischen Staat u n d Kirche. 45
46
V g l . H . - J . RÖDER: A m t s w e c h s e l .
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Die DDR im Jahre 1987
Heinrich. Wie sich nach der Wende herausstellte, handelte es sich bei Heinrich um einen Offizier im besonderen Einsatz (OibE) der Staatssicherheit, der eine kontinuierliche Direktverbindung zum Ministerium für Staatssicherheit unterhielt.47 Die SED besetzte die nahezu ausschließlich auf Repräsentation beschränkte Funktion des Stellvertretenden Staatssekretärs für Kirchenfragen stets mit einem Mitglied der Blockpartei C D U . Von 1977 bis 1989 war dies Hermann Kalb. Nach einer internen Regelung war der Stellvertreter des Staatssekretärs auch für die Katholische Kirche verantwortlich. Der Leiter der für die evangelische Kirche in der D D R zuständigen Abteilung II der Dienststelle war im Jahre 1987 Dr. Hans Wilke. Eine weitere wichtige Funktion hatte der persönliche Referent des Staatssekretärs und Leiter des Büros, Dr. Horst Dohle, inne. Zu seinem Arbeitsbereich gehörten neben der Organisation und Planung auch konzeptionelle Tätigkeiten, wie zum Beispiel Analysen zur DDR-Kirchenpolitik und das Verfassen von Redebeiträgen für den Staatssekretär. Die meisten Mitarbeiter der Dienststelle waren neben ihrer dortigen Tätigkeit zuständig für einen oder mehrere Bezirke in der DDR, die sie in regelmäßigen Abständen bereisen mußten. Die Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen hatte in Berlin ihre Zentrale. Vertreten wurden ihre Aufgaben auf Bezirksebene durch die Stellvertreter der Vorsitzenden fiir Inneres der Räte der Bezirke^ und die jeweiligen Leiter des Sektors Kirchenfragen und deren Mitarbeiter49, ohne daß jedoch die Mitarbeiter der Dienststelle gegenüber diesen staatlichen Gremien weisungsbefugt waren. Auf Kreisebene setzte sich diese Arbeitsteilung in entsprechender Weise fort: Die dortigen Stellvertreter der Vorsitzenden fiir Inneres der Räte der Kreise und ein Referent waren in ihrem Bereich für das Ressort Kirchenfragen zuständig, wobei die Referentenstellen mitunter unbesetzt blieben, weil die Aufgabe als schwierig angesehen und nur gering bezahlt wurde.50 Mit zeitweiligen Unterbrechungen fanden auf dieser Ebene auch die sogenannten Scheckgespräche statt. Bei diesen Anlässen übergaben in der Regel Vertreter des Kreises die der 47 Heinrich war seit 1969 als IM für das MfS tätig und kam 1981 als OibE in die Dienststelle. Anläßlich der Auszeichnung Heinrichs mit dem „Vaterländischen Verdienstorden" in Bronze 1984 vermerkte Kienberg: „Durch Genossen Gysi erfolgte an das MfS kein präziser Vorschlag zur Auszeichnung des Genossen Heinrich, da er keine besondere Kenntnis davon hat, daß es sich dabei um einen Offizier im besonderen Einsatz handelt" (BStU BERLIN [ZA Berlin], KS 5562/90, S. 103). Bereits Heinrichs Vorgänger in diesem Amt, Hans Weise, arbeitete als OibE für den Staatssicherheitsdienst. 48 Die Verwendung der Bezeichnung in den Akten war nicht einheitlich. Bisweilen wurde auch die verkürzte Bezeichnung Stellvertreter Inneres des Rates des Bezirks benutzt. Gleiches gilt für die Stellvertreter der Vorsitzenden fiir Inneres der Räte der Kreise. 49 Die Aufteilung der Zuständigkeiten wechselte im Lauf der Jahre mehrfach, so daß das Ressort Kirchenfragen durch unterschiedliche Leitungsmitglieder vertreten wurde (Gespräch WILKE mit den Verf. am 6.6.1995). 50 Laut Auskunft LEWERENZ vom 8.3.1994 und 9.12.1995, sowie DOHLE im Gespräch mit den Verf. am 26.4.1994. Vgl. auch K. KÖNIG (Hg.): Verwaltungsstrukturen und U. FUNK: Regionalisierung als interne Differenzierung der DDR-Kirchenpolitik, S. 65f.
Instrumente der DDR-Kirchenpolitik im Jahre 1987
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Kirche zustehenden Staatsleistungen in Form eines Schecks an die zuständigen Superintendenten. Diese Begegnungen wurden häufig dazu benutzt, den Kirchenvertretern die staatliche Erwartungshaltung in Fragen der Kirchenpolitik zu übermitteln und gegebenenfalls auch die finanzielle Unterstützung zu verweigern.51 Innerhalb des Ressorts des Ministers für Staatssicherheit52 (Armeegeneral Mielke) war die Abteilung XX/4 auf Kirchenfragen spezialisiert. Sie war Teil der Hauptabteilung XX, die unter Leitung von Generalleutnant Paul Kienberg für „Staatsapparat, Kunst, Kultur und Untergrund" zuständig war. Leiter der Abteilung XX/4 war im Jahre 1987 Oberst Joachim Wiegand. Häufig arbeitete die HA XX/4 mit anderen Abteilungen des MfS - vor allem mit der Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG), der HA XIX (Verkehr, Post, Nachrichtenwesen) und der HA II (Spionageabwehr) - zusammen. Analog zu den oben genannten politischen Strukturen gab es auch in den Bezirksverwaltungen und Kreisdienststellen des MfS für Kirchenfragen zuständige Abteilungen. 53 Die Ost-CDU, die von ihrem ursprünglichen Selbstverständnis her in besonderem Maße christlich orientierte DDR-Bürger ansprechen wollte, trug anfangs nicht unerheblich zur Durchsetzung der SED-Kirchenpolitik bei. Mit dem zunehmenden Verlust ihrer politischen Bedeutung als sogenannte Blockpartei verlor die C D U in den letzten Jahren der D D R auch ihr Gewicht innerhalb der SED-Kirchenpolitik. 54 Koordiniert wurden die kirchenpolitischen Aktivitäten durch die Abteilung Kirchenfragen beim Sekretariat des Hauptvorstandes der CDU unter der Leitung von Dr. Wulf Trende. Diese Abteilung war auch zuständig für die Unterstützung des Regionalausschusses der Christlichen Friedenskonferenz und des Bundes evangelischer Pfarrer, dessen Mitglieder 51 Gespräch WILKE mit den Verf. am 6.6.1995. Nach Lewerenz sind die Staatsleistungen allerdings immer ausgezahlt worden (Schreiben LEWERENZ an die Verf. vom 9.12.1996). Vgl. auch U. FUNK: Vom „6. März" zum „9. November", S. 130. Vgl. ζ. B. R d B Karl-Marx-Stadt. Vorsitzender. Fichtner. Karl-Marx-Stadt, 4.3.1988: „Bericht über das Scheckgespräch mit dem Superintendenten Pilz am 3 . 3 . 1 9 8 8 " ( S A P M O BERLIN, DY 3 0 / I V Β 2/14/69). 52 Eine Bibliographie zum Komplex M f S hat der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen D D R herausgegeben: BF informiert 4 / 1 9 9 4 . 53 Z u m Verständnis der MfS-Strukturen vgl. D. GILL/U. SCHRÖTER: Das Ministerium für Staatssicherheit, sowie die beiden von der Gauck-Behörde veröffentlichten Bände: DIE INOFFIZIELLEN MITARBEITER. Richtlinien, Befehle, Direktiven. 54
V g l . M . R I C H T E R / M . RJSSMANN ( H g . ) : D i e O s t - C D U ; R . F. G O E C K E L : D i e R o l l e d e r
CDU
in der Kirchenpolitik und G . BESIER: Auf der kirchenpolitischen Nebenbühne des SED-Staates. Die Entwicklung der O s t - C D U zur Blockpartei stellt dar: M. RICHTER: Die O s t - C D U 1 9 4 8 - 1 9 5 2 . Vgl. auch C. von DITFURTH: Blockflöten, und R. HENKEL: Im Dienste der Staatspartei, S. 1 1 7 - 1 4 3 . Eine ganz andere Einschätzung vertrat Siegfried Suckut Mitte der 80er Jahre: „Sie [die C D U ] hat hier gegenüber den anderen Blockparteien den Vorteil, daß mit wachsender gesellschaftlicher Bedeutung von Kirchen und Christen indirekt ihr Gewicht als Bündnisorganisation zunimmt" (S. SUCKUT: 40 Jahre C D U , S. 142). Siehe DERS.: Die DDR-Blockparteien im Lichte neuer Quellen. Vgl. insgesamt auch Ρ J. LAPP: Die „befreundeten Parteien".
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Die D D R im Jahre 1987
staatsloyale Pastorinnen und Pastoren waren. Über den Pfarrerbund und den Pfarrertagsollte unter der Pfarrerschaft Akzeptanz für die DDR-Kirchenpolitik erreicht werden.55 Ebenso bestand von hier aus eine Verbindung zur Arbeitsgruppe Christliche Kreise beim Nationalrat der Nationalen Front. Bei der CDUKirchenpolitik spielte, abgesehen von intensiven Gesprächskontakten mit Kirchenvertretern, auch das nicht unbedeutende Presse- und Verlagswesen der Ost-CDU eine Rolle. Neben dem täglich erscheinenden CDU-Parteiorgan Neue Zeit veröffentlichten Mitglieder der CDU mit dem Standpunkt eine Monatssschrift zum kirchlichen Zeitgeschehen. Der parteieigene Union-Verlag bot außer der kircheneigenen Evangelischen Verlagsanstalt (EVA) eine der wenigen Möglichkeiten zur Publikation kirchlicher und theologischer Literatur.56 Ähnlich wie die CDU versuchte die Arbeitsgruppe Christliche Kreise beim Nationalrat der Nationalen Front durch Gespräche kirchliche Amtsträger für ihre Ziele zu gewinnen.57 Koordiniert wurde diese Tätigkeit vom Sekretariat [Günther] Grewe beim Nationalrat der Nationalen Front in Berlin. Auch die Arbeitsgruppe Christliche Kreise hatte regionale und lokale Untergliederungen. Schließlich kam der 1957 in Prag gegründeten Christlichen Friedenskonferenz (CFK)5li — vor allem aufgrund ihrer ausgeprägten ökumenischen Verbindungen — innerhalb der DDR-Kirchenpolitik eine gewisse Bedeutung zu. Die Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen trat mit der Anerkennung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR verstärkt für die korporative Mitgliedschaft der DDR-Kirchen ein und übte somit nicht nur auf die Kirche, sondern auch auf die internationale CFK Einfluß aus.59 Die Arbeitsform des Regionalausschusses der CFK in der DDR, dem 1987 Prof. Dr. Heinrich Fink vorstand, konzentrierte sich auf Tagungen und Gesprächskontakte. Jedoch gehörten - im Unterschied zu verschiedenen ost- und südosteuropäischen Ländern - die Kirchen in der DDR niemals der CFK an, auch wenn einzelne Kirchenvertreter Mitglieder waren. Alle hier kurz vorgestellten Instanzen und Entscheidungsträger haben - wie die nachfolgende Darstellung detailliert aufzeigen wird — die Vorbereitung und den Verlauf der Tagung der Bundessynode des BEK in Görlitz mit größter 55 Der Pfarrerbund wurde 1971 wegen Erfolglosigkeit aufgelöst. Mit Veranstaltungen im Rahmen des Pfarrertages sollte die Zielsetzung des Pfarrerbundes weitergeführt werden. Zu Entstehung und Geschichte des Bundes evangelischer Pfarrer in der D D R vgl. G. BESIER: Der SED-Staat und die Kirche, Bd. 1, S. 291-311. 56 Vgl. auch R. HENKYS: Kirchliche Medienarbeit. Vgl. H. WULF: Die Evangelische Verlagsanstalt und H.-J. RÖDER: EVA wird 40. 57 Zur Arbeitsgruppe „Christliche Kreise" vgl. K. JATZEK: Zum Beitrag der Arbeitsgruppe „Christliche Kreise" der Nationalen Front für die Einbeziehung religiöser Bürger in den Prozeß der sozialistischen Revolution in der DDR. Zum Nationalrat vgl. R. HENKEL: Im Dienste der Staats-
p a r t e i , S . 9 7 - 1 1 5 , D D R H A N D B U C H , S . 5 8 5 , s o w i e H . W E B E R : D i e D D R 1 9 4 5 - 1 9 9 0 , S. 2 9 - 3 1 . 58 Zur Geschichte der CFK vgl. M. HARTMANN: „Falsche Sichten" und R. SCHEERER: Zur Geschichte der Christlichen Friedenskonferenz. " Vgl. auch R. MAU: Eingebunden in den Realsozialismus?, v.a. S. 115-118.
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Aufmerksamkeit verfolgt und zugleich vielfältige Versuche unternommen, die Interessen und Ziele des SED-Staates gegenüber der evangelischen Kirche zu wahren bzw. durchzusetzen. Gewiß waren auch zuvor Bundessynoden und ebenso andere kirchliche Veranstaltungen mit Öffentlichkeitscharakter von den staatlichen Instanzen sehr aufmerksam beobachtet worden. Für die Tagung der Bundessynode in Görlitz kam diesen staatlichen Aktivitäten wegen der oben dargestellten außen- und innenpolitischen Gesamtsituation des Jahres 1987 und der Brisanz der Friedensthematik eine erhöhte Bedeutung zu.
3. D I E V O R B E R E I T U N G D E R B U N D E S S Y N O D E IN G Ö R L I T Z 1987
3.1 Die kirchliche Planung und Organisation 3.1.1 Das Präsidium der Bundessynode Das Präsidium der Bundessynode hatte nach der Geschäftsordnung der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der D D R die Aufgabe, die Tagungen der Synode im Einvernehmen mit der Konferenz der Kirchenleitungen vorzubereiten. 1 Eine weitere Aufgabe des Präsidiums war die Entscheidung, wer „die Gottesdienste und die täglichen Andachten" halten sollte. Außerdem konnte das Präsidium „im Einvernehmen mit der Konferenz Gäste zur Tagung der Synode einladen [... und] ihnen während der Tagung das Wort erteilen". 2 D e m Präsidium der V. Synode (1986—1990) gehörten an: Präses Dr. Rainer Gaebler und seine beiden Stellvertreter, OKonsR Rosemarie Cynkiewicz und Dr. Lothar de Maiziere, sowie die beiden Beisitzer Anneliese Dietrich und Siegfried Hirsch, der zugleich Schriftführer war.3 Als Vertreter des Sekretariats des Bundes und Synodenreferent nahm Volker Riese regelmäßig an den Sitzungen des Präsidiums teil und verfaßte in der Regel die Protokolle. Auf der ersten Präsidiumssitzung im Jahr 1987 4 berichtete Riese über den Stand der Vorbereitung der Görlitzer Bundessynode, daß bis zu diesem Zeitpunkt weder eine Kommission noch ein Ausschuß einen Bericht für die Synode vorgesehen habe. Daher wurde vereinbart, von welchen Personen auf der Bundessynode zu erstattende Berichte angefordert werden sollten. Außerdem informierte Riese über den Stand der technischen Vorbereitung der Synodaltagung und die Begegnung mit den kirchlichen Mitarbeitern in Görlitz am 5. Januar 1987 zur Erörterung organisatorischer Fragen. Bei dieser Besprechung im Konsistorium der Evangelischen Kirche des Görlitzer Kirchengebiets hatten O K o n s R Hans-Eberhardt Fichtner, OKonsR Eberhard Völz und Büroleiterin ' G E S C H Ä F T S O R D N U N G ( G O ) D E R S Y N O D E D E S B U N D E S D E R E V A N G E L I S C H E N K I R C H E N IN
DER D D R , § 1 (1). Vgl. insgesamt K. BIELITZ: Probleme heutiger Synodalpraxis. 2 G O § 1 (3), § 2 (4). 3 Laut G O leiten der Präses und seine Stellvertreter im Wechsel die Synodaltagung, während die Beisitzer dafür zuständig sind, die Verhandlungsniederschriften der Plenarsitzungen anzufertigen, die Rednerliste zu führen und bei Beschlußfassungen erforderlichenfalls die Stimmen auszuzählen. Vgl. G O § 7 (2) und (3). 4 Vgl. Sekretariat des BEK. Riese. Berlin, 20.1.1987: Protokoll (Konzept) der -Präsidiumssitzung vom 8.1.1987 in Berlin. Anwesend: Alle fünf Präsidiumsmitglieder sowie Riese (EZA BERLIN, 101/93/208). Die Präsidiumssitzungen fanden normalerweise von 10.00 bis 14.00 Uhr statt.
Die kirchliche Planung und Organisation
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Ruth-Andrea Müller als Mitarbeiter des Görlitzer Konsistoriums sowie Riese und Kirchenamtmann Matthias Guhl für das Sekretariat des Bundes teilgenommen. 5 Eine weitere Besprechung in gleicher Zusammensetzung wurde für den 7. September 1987 anberaumt. Präses Gaebler informierte während der Präsidiumssitzung ferner über ein Gespräch zwischen Landesbischof Leich und dem Staatssekretär für Kirchenfragen, Gysi, das am 27. November 1986 in Eisenach stattgefunden hatte. Thema des Gesprächs war unter anderem die Einschätzung der Erfurter Bundessynode im Herbst 1986 aus der Sicht des Staatssekretärs. Von seiten des Staates war Zufriedenheit mit dem Bericht der KKL zum Ausdruck gebracht worden. Doch sei die vor allem von Leich „verfolgte taktische Linie für einen sachlichen Verlauf der Synode gescheitert", was auf den Versuch „staatsfeindlicher Synodaler" und westlicher Pressevertreter zurückzuführen sei, die Kirchenleitung „von der bisherigen realistischen Linie gegenüber dem sozialistischen Staat abzudrängen und eine Kursänderung einzuleiten".6 Während die thematischen Schwerpunkte für die Görlitzer Synode noch nicht endgültig festgelegt worden waren, wurde vorgesehen, die Themen „Situation der Gemeinde" und „Konziliarer Prozeß"7 für die Vorbereitung der Bundessynoden 1988 und 1989 im Auge zu behalten. Bei der nächsten Sitzung des Präsidiums der Bundessynode am 12. März 1987 8 informierte Gaebler die Anwesenden, daß es dem ad-hoc-Ausschuß „Bekennen in der Friedensfrage"9 möglich erscheine, eine Vorlage für die Tagung der Bundessynode zu erarbeiten. Ferner habe ein Gespräch zwischen O K R Martin Ziegler und den Sekretären der vier Kommissionen, die durch einen Beschluß der Erfurter Bundessynode beauftragt worden waren, eine Themensynode zur „Situation der Gemeinden" vorzubereiten, ergeben, daß die Gemeindethematik auf der Bundessynode 1989 zum Schwerpunkt gemacht wer5 Sekretariat des BEK. G u h l . [ O h n e O r t , o h n e D a t u m : ] Vermerk ü b e r eine Besprechung am 5 . 1 . 1 9 8 7 im Görlitzer Konsistorium betr. 3. Tagung der V. Synode ( E Z A BERLIN, 1 0 1 / 9 3 / 2 1 9 ) . 6 Im Protokoll ü b e r die Präsidiumssitzung wird nicht ausgeführt, wie Gysi die E r f u r t e r T a g u n g beurteilt hat. Z u r o b e n zitierten B e w e r t u n g der Bundessynode in Erfurt d u r c h die A r b e i t s g r u p p e Kirchenfragen b e i m Z K der S E D , die Staatssekretär Gysi übergeben wurde, vgl. „Information über die Tagung der Synode des evangelischen K i r c h e n b u n d e s in der D D R (BEK)" (BArchP D O 4 S T S f. Kirchenfragen Nr. 7 8 6 ) . 7 Vgl. zu diesem Begriff u n d seiner Geschichte die Ubersicht bei M . HONECKER: G r u n d r i ß der Sozialethik, S. 6 9 1 - 6 9 4 . 8 Vgl. Sekretariat des BEK. Riese. Berlin, 2 4 . 3 . 1 9 8 7 : Protokoll (Konzept) der Präsidiumssitz u n g v o m 1 2 . 3 . 1 9 8 7 in Berlin. A n w e s e n d : Alle f ü n f Präsidiumsmitglieder sowie Riese u n d als zeitweiliger Gast von R a b e n a u ( E Z A BERLIN, 1 0 1 / 9 3 / 2 0 8 ) . ' Dieser A u s s c h u ß war 1 9 8 6 von der E r f u r t e r Bundessynode eingesetzt u n d zur Arbeit an diesem s c h o n seit A n f a n g der 8 0 e r Jahre von der Kirche intensiv bearbeiteten T h e m a beauftragt w o r -
d e n . V g l . d a z u a u c h : U N S E R E K I R C H E N A U F D E M W E G Z U M B E K E N N E N IN D E R FRIEDENSFRAGE.
Im Z u g e der Vorbereitung der Görlitzer Bundessynode verschob sich d a n n der S c h w e r p u n k t der T a g u n g i m m e r m e h r in R i c h t u n g der Friedensthematik u n d der Tätigkeit des d a m i t b e a u f t r a g t e n ad-hoc-Ausschusses „Bekennen in der Friedensfrage".
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D i e Vorbereitung der B u n d e s s y n o d e in G ö r l i t z 1 9 8 7
den solle. 10 D a s Präsidium bat darum, mit der K K L über die vorläufige Tagesordnung der Synode Einvernehmen herzustellen. Es sollten zuerst der Bericht der K K L , der Arbeitsbericht des Sekretariats und der Bericht des Diakonischen Werks, dann die Ergebnisse der Arbeit der vier Kommissionen zur Frage der Erfurter Synode „Was fördert und was hindert heute die Wirksamkeit des Evangeliums", die Beschlußvorlage des Synodalausschusses „Bekennen in der Friedensfrage" und zum Schluß der Sachstandsbericht zum „Konziliaren Prozeß" vorgetragen und verhandelt werden. Gaebler teilte auf der Präsidiumssitzung am 6. Mai 1 9 8 7 " mit, daß Propst Falcke und Superintendent Christof Ziemer zugesagt hätten, für die Görlitzer Synode zwei Sachstandsberichte zum „Konziliaren Prozeß" vorzubereiten. D a das Präsidium vorsah, die Sachstandsberichte auf der Tagung der Bundesssynode als Tischvorlagen auszuteilen, sollten die Referenten ihre Manuskripte bis zum 11. September 1987 an das Sekretariat des Bundes senden. Außerdem sollten Falcke und Ziemer Schwerpunkte und Tendenzen ihrer Berichte auf der Präsidiumssitzung a m 4. September 1987 mitteilen. D a s Präsidium legte fest, welche Synodalen für die während der Synodaltagung abzuhaltenden Andachten angefragt werden sollten. 12 Ferner wurde beschlossen, die K K L u m ihr Einvernehmen mit der nun vom Präsidium für die Bundessynode festgestellten Tagesordnung zu bitten. Diese war um einige Punkte erweitert worden, wobei an die Synode gerichtete „Anträge" am E n d e der Tagung verhandelt werden sollten. Bereits für seine Sitzung a m 2. Juli erwartete das Präsidium eine E i n f ü h r u n g in die Vorlage „Bekennen in der Friedensfrage". Des weiteren informierte der Präses, daß der thüringische O K R Martin Kirchner nach seiner Bestellung zum KKL-Mitglied sein M a n d a t in der Bundessynode niedergelegt habe. Als Nachfolger sei — sowohl von der Thüringer Synode als Bundessynodaler als auch von der Bundessynode als Mitglied im Rechtsausschuß - der Diplom-Jurist Steffen Herbst gewählt worden. Als neue Jugenddelegierte sei die Studentin Birgit H o m u t h nach Görlitz eingeladen worden. 1 3 A u f der Sitzung wurde abschließend noch die Bitte des Standpunkt-WerdMsgebtxs Prof. Dr. Günter Wirth u m ein Interview mit de Maiziere verhandelt. 1 4 10 Protokoll der Präsidiumssitzung vom 12.3.1987, S. 1. Bereits die Tagung der Bundessynode in Dessau 1988 befaßte sich dann mit diesem Thema. " Vgl. Sekretariat des BEK. Riese. Berlin, 21.5.1987: Protokoll (Konzept) der Präsidiumssitzung vom 6.5.1987 in Berlin. Anwesend: Alle fünf Präsidiumsmitglieder (Cynkiewicz erst ab 11.15 Uhr) sowie Riese (EZA BERLIN, 101/93/208). 12 U m das Abhalten des Hauptgottesdienstes während der Synode wurde Bischof Prof. Dr. Dr. Joachim Rogge gebeten. Am 18.9.1987 sollte die Eröffnungsandacht von Prof. Dr. Klaus-Peter Hertzsch, die Abendandacht von Ingeborg Bienert gehalten werden. Für die Morgenandachten der folgenden Tage wurden Roland Springborn, Margot Dehne und Gabriele Lättig angefragt. 13 Protokoll der Präsidiumssitzung vom 6.5.1987, S. 4. 14 Letztendlich hat de Maiziere - nach der Görlitzer Bundessynode und den Ereignissen um die Zionskirche - Wirth abgesagt. Vgl. Vermerk Hennig über ein Gespräch mit de Maiziere auf einem
D i e kirchliche P l a n u n g u n d O r g a n i s a t i o n
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Nachdem sich das Präsidium auf den vorangegangenen Sitzungen überwiegend mit organisatorischen Fragen befaßt hatte, begann am 2. Juli 1987 15 die inhaltliche Auseinandersetzung mit den für die Tagung vorgesehenen Vorlagen und Tagesordnungspunkten. Die Pastorin Renate Höppner, Mitglied des Synodalausschusses „Bekennen in der Friedensfrage", berichtete auf dieser Sitzung über die Arbeit ihres Ausschusses und führte in die dort erarbeitete Vorlage ein. Nach kurzer Diskussion beschloß das Präsidium, den Text als Tischvorlage den Synodalen zukommen zu lassen. Nach der Plenardebatte sollte die Beschlußvorlage an den Tagungsausschuß „Friedensfragen" überwiesen werden. Der Wahlvorbereitungsausschuß wurde gebeten, für den Ausschuß zehn Mitglieder vorzuschlagen. Für die Beratung der Vorlage des Präsidiums zur Vorbereitung einer späteren Bundessynode mit dem Thema „Situation der Gemeinden" sollte ferner ein Tagungsausschuß mit sechs bis acht Mitgliedern gebildet werden. Die Sachstandsberichte zum „Konziliaren Prozeß" sollten ebenfalls im Tagungsausschuß „Friedensfragen" beraten werden. Das Präsidium verabredete, für den Tagesordnungspunkt „Konziliarer Prozeß" als mitarbeitende Gäste Christof Ziemer und Joachim Garstecki von der Theologischen Studienabteilung des Bundes einzuladen. O K R Christa Lewek wurde um ihre Mitarbeit in diesem Ausschuß gebeten. Für den dem Präsidium vorliegenden Bericht zur Ausführung der Beschlüsse zur Theologenausbildung und zum Diakonengesetz sollte OKonsR Norbert Ernst als Gast zur Mitarbeit eingeladen werden, da der Verfasser des Berichts, Dr. Konrad von Rabenau, nicht an der Bundessynode teilnehmen werde. Vom Präsidium wurde zur Kenntnis genommen, daß Bischof Hempel wegen seiner Teilnahme an der Exekutivtagung des Ö R K in den USA ebenfalls in Görlitz nicht anwesend sein könne. D a der Vorstand der K K L Bischof Forck gebeten hatte, im Auftrag des Bundes die 16. Europakonferenz der Männerarbeit am 18. September 1987 in Buckow zu begrüßen, werde Forck erst zum zweiten Sitzungstag der Bundessynode anreisen. Das Präsidium entsprach der Bitte des Direktors des Diakonischen Werks, Dr. Ernst Petzold, im Falle seiner Verhinderung den Bericht des Diakonischen Werks von einem seiner beiden Stellvertreter vortragen zu lassen. Während alle diese Mitteilungen und Entscheidungen der üblichen, routinemäßigen Vorbereitung einer Bundessynodaltagung entsprachen, wurde in der gleichen Präsidiumssitzung eine von außen kommende neue Initiative bekannt. Riese teilte nämlich dem Präsidium mit, daß - zurückgehend auf einen Antrag der Berliner Bartholomäus-Kirchengemeinde an die Berlin-Brandenburgische Frühjahrssynode 1987 — für die Bundessynode in Görlitz zahlreiche Empfang der Ständigen Vertretung der B R D am 16.12.1987, in: Z K der SED. Arbeitsgruppe Kirchenfragen. Bellmann. Berlin, 7.1.1988: „Vermerk" Bellmanns fur Jarowinsky (SAPMO BERLIN, D Y 3 0 / I V Β 2/14/76). 15 Vgl. Sekretariat des BEK. Riese. Berlin, 9.7.1987: Protokoll (Konzept) der Präsidiumssitzung vom 2.7.1987 in Berlin. Anwesend: Im Protokoll nicht vermerkt (EZA BERLIN, 101/93/208).
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Die Vorbereitung der Bundessynode in Görlitz 1987
Eingaben zu erwarten seien.16 Nachdem der Antrag „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" in Berlin-Brandenburg keine ausreichende Unterstützung gefunden habe, hätten einige der Eingeber sich entschlossen, dieselbe Eingabe an die Bundessynode zu richten. Die Initiatoren hätten in der kirchlichen Öffentlichkeit um Unterstützung in Form von Eingaben an das Präsidium der Synode geworben. Der Berliner Vikar Lampe habe in einem Brief an Gaebler 17 um Verständnis für diese Aktion gebeten, woraufhin zwischen Lampe und Riese „ein ausführliches, klärendes Gespräch"18 stattgefunden habe. Aufgrund dieses Berichtes akzeptierte das Präsidium die Eingabe ohne weitere Rückfragen und bat den Präses, den Eingang des Briefes zu bestätigen.19 Im weiteren Verlauf der Präsidiumssitzung berichtete Gaebler über die Mitteilung Fritz Dorgerlohs (Sekretär der Kommission für kirchliche Jugendarbeit), daß die Physiotherapeutin Renate Georgi als Jugenddelegierte zur Synodaltagung in Görlitz eingeladen werden solle. Riese wurde von Präses Gaebler ferner gebeten, den Pressesprecher des Bundes, Rolf-Dieter Günther, zur Teilnahme an der Präsidiumssitzung am 4. September 1987 aufzufordern. Bei dieser Gelegenheit sollte die Bitte an ihn herangetragen werden, sich für eine bessere und schnellere Informationsvermittlung zu den Ergebnissen der Synodaltagungen einzusetzen.20 Schließlich hatte sich eine Vorbereitungsgruppe der Solidaraktion „Künstler für andere" anläßlich des Umwelttags in Jena an das Präsidium der Bundessynode gewandt. Man bat um Unterstützung einer Initiative, die das Ziel hatte, die Volkskammer der D D R zur Durchführung einer Volksabstimmung zum weiteren Umgang mit der Atomenergie zu veranlassen. Das Präsidium beschloß, die Jenaer Erklärung als Eingabe an die Bundessynode zu behandeln. 21 Auf der nächsten Präsidiumssitzung am 4. September 198722 informierte Vizepräses Cynkiewicz das Präsidium über den Entwurf der Vorlage zur Weiterarbeit am Beschluß der Erfurter Bundessynode zum Gemeindethema. Riese 16
Vgl. E P D DOKUMENTATION 25/87, S. 3 0 - 3 3 . Vgl. Schreiben Lampe an Gaebler vom 24.6.1987; in der Anlage zum Schreiben befand sich der Antrag im Wortlaut (EZA BERLIN, 101/93/208). Vgl. Anhang, Dok. 3 / 1 und 3/2. 18 Protokoll der Präsidiumssitzung vom 2.7.1987, S. 4. " Dies bestätigte auch ein Brief Gaeblers an Lampe vom 13.7.1987, in dem sich Gaebler ausdrücklich für „das Bemühen u m Transparenz bei dieser Initiative und die Bereitschaft zum Gespräch" bedankte, „damit wir füreinander in unseren je eigenen Anliegen erkennbar werden und für andere verständlich reden und handeln" (EZA BERLIN, 101/93/208). 20 Während der Tagung der Bundessynode wurden vom Pressebüro der Synode unter Leitung von Günther die sogenannten Synodeninformationen herausgegeben, die über ihren Verlauf berichteten. Vgl. SYNODENINFORMATION Nr. l - 9 v o m 18.-21.9.1987. 21 Allerdings sah sich das Präsidium außerstande, mit den Unterzeichnern der Willenserklärung in Verbindung zu treten, da keine Kontaktadresse angegeben war. Vgl. Protokoll der Präsidiumssitzung vom 2.7.1987, S. 5. 22 Vgl. Sekretariat des BEK. Riese. Berlin, 14.9.1987: Protokoll (Konzept) der Präsidiumssitzung vom 4.9.1987 in Berlin. Anwesend: Alle fünf Präsidiumsmitglieder (de Maiziere ab 11 Uhr) sowie Riese u n d als Gast G ü n t h e r (EZA BERLIN, 101/93/208). 17
Die kirchliche Planung und Organisation
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führte in den Entwurf des Sachstandsberichts zum „Konziliaren Prozeß" von Falcke ein. Das Präsidium besprach danach den vorläufigen Zeitplan der Bundessynode. Es wurde vereinbart, die Tagesordnung dahingehend zu ändern, daß am Nachmittag des 18. September der Antrag zur „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" eingebracht werden könnte. 23 Riese berichtete zu diesem Thema, daß der Synodale Falcke fristgerecht zum 31. August 1987 mitgeteilt habe, er werde sich das Papier „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung [...] nach Intention und Inhalt" vor der Synode zu eigen machen. Er stelle den Antrag, diesen Text auf der Synodaltagung selbst einbringen zu können. Das Präsidium stellte fest, daß „lt. § 11 der Geschäftsordnung der Synode dieser Antrag zum Gegenstand der Verhandlung in Görlitz" werden müsse.24 Der Präses wurde gebeten, hierüber das Einvernehmen mit der KKL herzustellen. In einem Uberblick über die bis zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Eingaben teilte Riese mit, daß 101 Eingaben zur Unterstützung der „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" sowie 13 ablehnende Eingaben eingetroffen seien. Das Präsidium sprach sich im Blick auf die ungewöhnlich zahlreichen Eingaben und den Falcke-Antrag mehrheitlich dafür aus, einen Tagungsausschuß „Abgrenzungsproblematik" mit sechs synodalen Mitgliedern zu bilden, die der Wahlvorbereitungsausschuß vorschlagen solle. Zur Information der gesamten Synode sollte eine namentliche Aufstellung aller Eingeber beim Präsidium ausliegen. Anonyme Eingaben seien zu ignorieren. Das Präsidium beschloß, der Bitte des Initiatorenkreises des Abgrenzungsantrags, zur Bundessynode noch einen mitarbeitenden Gast einzuladen, nicht zu entsprechen: „Der Initiatorenkreis sollte auf die öffentlichen Plenarsitzungen in Görlitz hingewiesen werden." 25 Mit dem Beschluß des Präsidiums, einen eigenen Tagungsausschuß zum Problem der Abgrenzung einzusetzen, verlagerte sich der inhaltliche Schwerpunkt der Görlitzer Synode deutlich weiter in Richtung auf die Friedens- und die Abgrenzungsthematik. Weitere Verhandlungsgegenstände auf dieser Präsidiumssitzung waren folgende Punkte: Die Bestätigung der Jenaer Willenserklärung zur Volksabstimmung 26 sollte nach Auffassung des Präsidiums über Superintendent Udo Siebert an die Antragsteller weitergegeben werden. Der Antrag der Kirchlichen Bruderschaft Sachsens, das „Darmstädter Wort" von 1947 in die Grundordnung des Bundes aufzunehmen, sollte wie eine Eingabe an die Bundessynode behandelt werden, zumal die Kirchliche Bruderschaft nach der Geschäftsordnung der Bundessynode nicht antragsberechtigt war. Das Präsidium nahm zur Kenntnis, daß der Französische Protestantische Kirchenbund wegen eines 23 Letztendlich brachte Falcke in Görlitz den Antrag unmittelbar nach der Verlesung des KKLBerichts ein. 24 Protokoll der Präsidiumssitzung vom 4.9.1987, S. 3. 25 Ebd. 26 Die Jenaer Erklärung war bereits auf der Präsidiumssitzung vom 2.7.1987 Verhandlungsgegenstand.
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Wechsels im Generalsekretariat 1987 keinen Vertreter zur Synodaltagung entsenden könne. Gaebler berichtete ferner, daß OKonsR Detlef Hammer den erkrankten Vorsitzenden des Wahlvorbereitungsausschusses, Hasso Schirmacher, auf der Synodaltagung vertreten werde. Daher müsse Hammer über die Bildung eines Tagungsausschusses „Abgrenzungsproblematik" informiert werden. Der Pressereferent des Bundes, Günther, teilte mit, daß es aufgrund der Mitarbeit des Görlitzer Pfarrers Hans Roch möglich sei, frühzeitig die „Synodenrückschau" zu erstellen.27 Am Ende der Sitzung berichtete Cynkiewicz dem Präsidium vom Inhalt des Sachgesprächs zwischen Kirchenvertretern und dem Präsidenten des Amtes für Atomsicherheit und Strahlenschutz, Staatssekretär Prof. Dr. Georg Sitzlack, am 2. September 1987.28 Auf der am 17. September 1987 bereits am Tagungsort Görlitz stattfindenden Präsidiumssitzung berichtete Riese, daß Falcke gebeten habe, seinen Sachstandsbericht zum „Konziliaren Prozeß" nach Beratergesprächen in Genf um neue Ergebnisse ergänzen zu dürfen. 29 Gaebler informierte das Präsidium darüber, daß Ziemer „aus sachlichen und terminlichen Gründen" 30 nicht an der Görlitzer Synode teilnehmen könne. Es sei ihm ebenfalls nicht möglich, den SachstandsberichtzurVorbereitungder Ökumenischen Versammlung31 auszuarbeiten. Daher wurden Cynkiewicz und de Maiziere gebeten, Falcke anzufragen, ob er in seinen Sachstandsbericht zusätzlich die Vorbereitung der Ökumenischen Versammlung aufnehmen könne. Es wurde ferner beschlossen, daß de Maiziere die in den Mappen der Synodalen befindlichen Erledigungsvermerke zu den Beschlüssen der Erfurter Bundessynode von 1986 in Görlitz erläutern solle. 27 Vgl. SYNODENRÜCKSCHAU: V. Synode, 3. Tagung, Görlitz 18.-22.9.1987, Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR. Hg. von R.-D. Günther (Pressestelle des Bundes) und H. Roch (Pressestelle Görlitz). 28 Im Protokoll ist nicht vermerkt, was Cynkiewicz über dieses Zusammentreffen mitteilte. Über das Gespräch berichtete Cynkiewicz dann auch auf der Görlitzer Synode. An dem Sachgespräch über .^tomsicherheit, Strahlenschutz und Kernenergie" mit dem Leiter des Staatlichen Amtes für Atomenergie und Strahlenschutz, Staatssekretär Sitzlack, hatten als Vertreter des BEKSekretariats, der KKL und der AGCK folgende Personen teilgenommen: Nollau, Cynkiewicz, Völz, Rogge, P. Müller, Salinger, Lange, Demke, J. Schmidt, Domke, Kramer, Schubert, Günther, Doye, Ziegler, S. Schulze, Natho, Zeddies, Scholz, Kirchner. Siehe auch den von Günther angefertigten „Vermerk" über das Gespräch (EZA BERLIN, 101/93/68). 29 Vgl. Sekretariat des ΒΕΚ. Riese. Berlin, 18.9.1987: Vermerk über die Präsidiumssitzung vom 17.9.1987 in Görlitz. Anwesend: Alle fünf Präsidiumsmitglieder sowie Riese (EZA BERLIN, 101/ 93/208). Obwohl die Präsidiumssitzung am 17.9.1987 in Görlitz stattgefunden hatte, war als Ort der Abfassung des Vermerks vom 18.9.1987 Berlin angegeben. 30 Ebd., S. 1. 31 Erste Ökumenische Versammlung in Dresden vom 12.-15.2.1988 zu „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung". Die Ökumenische Versammlung spielte eine sehr wichtige Rolle im Rahmen der kirchlichen Friedensarbeit und wurde - aufgrund ihrer großen Öffentlichkeitswirksamkeit - vom DDR-Staat mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt. Vgl. auch KIRCHENAMT DER EKD (Hg.): Ökumenische Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung.
D i e kirchliche Planung und Organisation
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Z u m Falcke-Antrag wurde dem Präsidium die in der Zwischenzeit mit der K K L getroffene Übereinkunft: mitgeteilt, eine Aussprache über die „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" als eigenen Tagesordnungspunkt in den Zeitplan für die Tagung der Bundessynode aufzunehmen. 32 Cynkiewicz gab den Anwesenden Auskunft über die Herkunft und den Inhalt der mit dem Falcke-Antrag in Verbindung stehenden Broschüre „Aufrisse" 33 . Dabei handelte es sich um eine als Argumentationshilfe gedachte Aufsatzsammlung, die von Bickhardt, Lampe und Mehlhorn herausgegeben worden war.34 Die Entscheidung, ob und in welcher Form die Verteilung der „Aufrisse" auf der Synode gestattet werden sollte, findet sich im Text des Vermerks über diese Präsidiumssitzung nicht wieder. Erwähnt wird nur, daß Gaebler den Vorstand der K K L um ein Gespräch „mit dem Präsidium über das weitere Verfahren mit dieser Argumentationshilfe bitten" werde.35 Daher ist anzunehmen, daß die Entscheidung des Präsidiums, die Verteilung der „Aufrisse" nicht auf dem Tagungsgelände zu dulden, erst unmittelbar vor Beginn der Synode auf der Sitzung des KKL-Vorstands, an der als Gäste wunschgemäß auch die Präsidiumsmitglieder teilnahmen, getroffen wurde. 36 Das Präsidium vereinbarte, daß alle künftig noch eingehenden Eingaben zum Antrag von Falcke insofern berücksichtigt 32 RIESE kommentierte im Gespräch mit den Verf. am 10.8.1994 die spätere Entscheidung, den Falcke-Antrag unmittelbar nach d e m KKL-Bericht zu piazieren, als „ K o m p r o m i ß " : D u r c h die rasche Verhandlung der „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" sei die „ L u f t rausgelassen worden". Die endgültige Tagesordnung wurde — laut G O § 2 (2) — von der Synode auf der ersten Sitzung jeder Tagung der Bundessynode vereinbart. 33 Hiermit ist die später gedruckte D o k u m e n t a t i o n zur Abgrenzungsproblematik gemeint. Sie wurde in d e m von Stephan Bickhardt geleiteten, illegal arbeitenden Selbstverlag radix-blätterve.rlegt (Gespräch BICKHARDT mit den Verf. am 16.6.1994). 1988 erschienen die .Aufrisse" in Buchform im Wichern-Verlag. Vgl. S. BICKHARDT (Hg.): Recht ströme wie Wasser. 34 Die Herausgeber der .Aufrisse" hatten sich nach der Berlin-Brandenburgischen Frühjahrssynode u m Autoren bemüht, die mit einem Artikel dazu beitragen sollten, den Bundessynodalen die Abgrenzungsproblematik nahezubringen. Exemplarisch: Briefwechsel L a m p e - N o a c k v o m 25.6.1987, 7.7.1987 u n d 20.7.1987 (Bestand Axel NOACK, WOLFEN). D i e Herausgeber der „Aufrisse" versuchten auch - erfolglos - Friedrich Schorlemmer für einen Beitrag zu gewinnen. Briefwechsel Lampe-Schorlemmer vom 18.6.1987, 2.7.1987 und 7.7.1987 (Bestand Reinhard LAMPE, DORF ZECHLIN). " Vermerk über die Präsidiumssitzung vom 17.9.1987, S. 2. 36 Sowohl Cynkiewicz als auch de Maiziere begründeten den damaligen Präsidiumsbeschluß im Gespräch mit den Verfassern damit, daß grundsätzlich kein synodenfremdes Material a u f einer Bundessynode verteilt werden durfte. Das Präsidium habe von diesem Grundsatz nicht abweichen wollen, u m weder die Autorität des Präsidiums noch die Souveränität der Synode beeinträchtigen zu lassen. Durch diese Entscheidung waren die Herausgeber der .Aufrisse" gezwungen, ihre D o k u mentation außerhalb des Tagungsgeländes zu verteilen. Dadurch entstand eine Situation, in der die Herausgeber möglicherweise nicht mehr unter dem rechtlichen Schutz der Synode gestanden hätten, sondern d e m Z u g r i f f staatlicher O r g a n e ausgesetzt gewesen wären. Dies war insofern von Brisanz, als L a m p e , einer der Herausgeber, zu diesem Zeitpunkt unter Bewährung stand und im Falle einer Festnahme mit verschärften Sanktionen rechnen mußte: Gespräche CYNKIEWICZ (25.4.1994) u n d de MAIZIERE (11.5.1994) mit den Verf. Vgl. Cynkiewiczs Beitrag auf der E K D S y n o d e 1992 in Suhl. In: KIRCHENAMT DER E K D (Hg.): Suhl 1992, S. 356-358.
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werden sollten, als auch den verspäteten Eingebern „eventuelle Beschlüsse der Synode zu dieser Problematik" 37 mit der Mitteilung zuzusenden seien, daß ihre Eingabe der Synode nicht mehr vorgelegt werden konnte. Alle diese Entscheidungen zeigen, daß das Präsidium bemüht war, keine Meinungsäußerung zum „Abgrenzungs-Antrag" zu übergehen. Nach diesen besonders wichtigen Beratungen wurde noch die Tagungsleitung für den gesamten Verlauf der Görlitzer Bundessynode festgelegt. 38 Erst jetzt stimmte das Präsidium im Zusammenhang mit der Gestaltung des Plenarsaals „nachträglich zu, daß neben der Bezeichnung der Tagung als Thema stehen soll: .Bekennen in der Friedensfrage'". 39 Riese informierte sodann das Präsidium, daß Erzbischof German lediglich am 18. September 1987 an der Synode teilnehmen könne. Bischof Kruse habe ganz absagen müssen; der West-Berliner Superintendent Werner Radatz werde für das Präsidium der EKD-Synode an der Bundessynode in Görlitz teilnehmen und das Grußwort für die E K D sprechen. Es wurde festgelegt, die mit dem Präsidium vorgesehenen Pressegespräche am 22. September 1987 noch einmal mit dem Pressereferenten des Bundes zu beraten. Gaebler berichtete dem Präsidium auch über einen Anruf von Abteilungsleiter Wilke aus der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen vom 7. September 1987 40 und über das Gespräch von Bischof Leich mit Staatssekretär Gysi am 5. September 1987. 4 ' Gaebler teilte weiter mit, daß mittlerweile zwei weitere Jugenddelegierte, Renate Georgi und Kerstin Over, vom Präsidium bestätigt worden seien. — Mit dieser Sitzung endete die Vorbereitung der Görlitzer Synodaltagung durch das Präsidium der Bundessynode. Die nächste Präsidiumssitzung fand nach der Bundessynode am 8. Oktober 1987 in Berlin statt. Das Präsidium hatte durch alle diese vorbereitenden Entscheidungen den äußeren Verlauf der Synodaltagung in Görlitz weitgehend vorstrukturiert. Bereits vor Tagungsbeginn waren aber auch inhaltlich wichtige VorentscheidunVermerk über die Präsidiumssitzung vom 17.9.1987, S. 2. Für den 18.9. sollte Gaebler die Tagung bis zum Abendessen leiten, Cynkiewicz nach d e m Abendessen den Vorsitz übernehmen. D e Maiziere war für den Vormittag des 19.9. vorgesehen, Gaebler für den Nachmittag. A m 20.9. war Cynkiewicz bis 15 -30 Uhr als Leiterin der Synodaltagung eingetragen. D e Maiziere sollte am 21.9. nachmittags der Synode vorstehen. A m letzten Tag, dem 22.9., wurde die Leitung zwischen Cynkiewicz (Vormittag) und Gaebler (Nachmittag) aufgeteilt. Vgl. Vermerk über die Präsidiumssitzung vom 17.9.1987, S. 2. 39 Ebd., S. 3. 40 Im Protokoll wird der Grund für Wilkes Anruf nicht wiedergegeben. Wilke nahm stellvertretend für Staatssekretär Gysi an der Görlitzer Synodaitagung teil, was im übrigen bei nahezu allen Bundessynoden der Fall war. Im Gespräch mit den Verf. am 6 . 6 . 1 9 9 5 berichtete WILKE, vor jeder Bundessynode ein Gespräch mit dem Präses geführt zu haben, um sich über den geplanten Verlauf unterrichten zu lassen. Daher sei es wahrscheinlich, daß er Gaebler bei diesem Telefonat u m ein Treffen gebeten habe. Wilke erinnerte sich nur noch daran, daß Gaebler keine Gesprächsbereitschaft gezeigt habe. 41 D a im Protokoll über den Inhalt des Gesprächs nichts weiter vermerkt ist, vgl. Leichs Aktennotiz, im Anhang als Dok. 8. 37
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gen getroffen worden. Sie betrafen den Umgang mit dem durch eine Gruppeninitiative von außen an die Synode herangetragenen Thesenpapier „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung", dem durch die Unterstützung Falckes der Weg in das Plenum der Synode eröffnet worden war. Aber auch hinsichtlich der Verteilung der „Aufrisse" war bereits im Vorfeld der Synode eine Entscheidung dahingehend gefallen, die Verbreitung dieser Texte im Tagungsgebäude nicht zu erlauben. Das vorgesehene Hauptthema der Synodaltagung, „Bekennen in der Friedensfrage", war demgegenüber auf der letzten Präsidiumssitzung etwas in den Hintergrund getreten. 3.1.2 Die Konferenz der Kirchenleitungen Die Konferenz der Kirchenleitungen, „strukturell gesehen das stärkste Organ" des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR 4 2 , setzte sich folgendermaßen zusammen: aus ,,a) den leitenden Geistlichen der Gliedkirchen, die sich d u r c h ein Mitglied ihrer Kirchenleitung vertreten lassen können; b) je einem weiteren Vertreter der Kirchenleitungen der Gliedkirchen; c) d e m Präses der Synode, der sich durch einen seiner Stellvertreter vertreten lassen kann; d) sieben von der Synode aus ihrer M i t t e f ü r die D a u e r der Legislaturperiode zu wählenden Mitgliedern; e) d e m Leiter des Sekretariats des Bundes der Evangelischen Kirchen [...] m i t beratender Stimme." 4 3
Zwischen den im Abstand von ungefähr zwei Monaten stattfindenden Tagungen der KKL nahm der Vorstand der KKL, der einmal monatlich zusammentrat, die laufenden Geschäfte wahr. Er setzte sich aus dem KKL-Vorsitzenden, seinen beiden Stellvertretern, dem Präses der Synode sowie einem weiteren, von der Konferenz zu wählenden Mitglied zusammen. 44 Die Vorbereitung der Görlitzer Bundessynode war auf mehreren Tagungen der KKL Verhandlungsgegenstand, während sie auf den Sitzungen des Vorstands der KKL - soweit es sich anhand der Überlieferung durch Protokolle ermitteln läßt — im Vorfeld der Synodaltagung nur einmal thematisiert wurde, wobei allerdings die wichtige Frage verhandelt wurde, ob die Verteilung bzw. der Verkauf der „Aufrisse" während der Synodaltagung genehmigt werden könne. 45 42
G. KRUSCHE: Bund der Ev. Kirchen, S. 411, 36.
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V g l . O R D N U N G D E S BUNDES, A r t . 14 (1).
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V g l . O R D N U N G D E S BUNDES, A r t . 15.
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Am 18.9.1987 tagte der Vorstand der KKL vor Beginn der Tagung der Bundessynode in Görlitz. Dabei wurde unter Punkt „1.13 Synodenangelegenheiten" der Umgang mit der Dokumentensammlung „Aufrisse" verhandelt. Aus diesem Grund nahmen das Synodenpräsidium und für kurze Zeit auch Propst Falcke an der Vorstandssitzung teil. Vgl. Sekretariat des BEK. Kupas.
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D i e K K L beschloß a u f ihrer 111. T a g u n g a m 8./9. M a i 1 9 8 7 in D e s s a u 4 6 das Einvernehmen mit d e m Präsidium über die T a g e s o r d n u n g der B u n d e s s y n o d e u n d die E i n l a d u n g der Gäste. D e s weiteren legte der M a g d e b u r g e r Konsistorialpräsident M a r t i n K r a m e r den E n t w u r f einer G l i e d e r u n g für den K K L - B e richt vor. 4 7 Leich berichtete a u f der 112. K K L - T a g u n g a m 3./4. Juli 1 9 8 7 in Berlin 4 8 über die B e w e r t u n g des Staat-Kirche-Gesprächs v o m 2 1 . M a i 1987 4 9 u n d erwähnte weitere vorgesehene „Gespräche zu Sachfragen", die in einer vorhergegangenen Besprechung des Leiters des Sekretariats des B u n d e s , Ziegler, mit Hauptabteilungsleiter Heinrich von der Dienststelle des Staatssekretärs thematisiert worden waren. D i e K K L dankte für die v o m Sekretariat des B u n d e s über das G e s p r ä c h erstellte „Schnellinformation" u n d beauftragte „den Vorstand u n d das Sekretariat, die in Aussicht gestellten Einzelverhandlungen dringlich zu betreiben" 5 0 , zumal das Gespräch a m 2 1 . M a i keine konkreten Ergebnisse gebracht habe. Dies hatte Leich bereits beim Abschluß des Gesprächs mit d e m Staatssekretär diesem gegenüber kritisch erwähnt. 5 1 W i e aus einer Aktennotiz Leichs hervorgeht, teilte Staatssekretär Gysi i h m Berlin, 2 8 . 9 . 1 9 8 7 : Protokoll (Konzept) der KKL-Vorstandssitzung vom 18. u. 2 1 . 9 . 1 9 8 7 in Görlitz. Anwesend: - Vorstand: Leich, Demke, Stolpe, Gaebler, Salinger, Ziegler. - Sekretariat: Lewek. - Gäste: Riese, Zeddies, Cynkiewicz, Dietrich, Falcke, Hirsch, de Maiziere ( E Z A BERLIN, 1 0 1 / 9 3 / 249). 46 Protokoll der 111. Tagung der K K L v o m 8 . / 9 . 5 . 1 9 8 7 in Dessau. Von Rabenau. [Ohne O r t , ohne D a t u m . ] Anwesend: - Mitglieder: Adolph, Demke, D o m k e , Domsch, Forck, Gaebler, Gienke, Große, Hempel, Kramer, Leich, P. Müller, Natho, Noack, Passauer, Rogge, Salinger, Seichter, J. Schmidt, S. Schulze, Stier, Stolpe; C . Müller und Ziegler (beratend). - Berater: Petzold, Wessel. Ständige Gäste: Winter, Zeddies. - Zeitweiliger Gast: Schreiner. - Sekretariat: Grengel, Günther, Kupas, Lewek, von Rabenau, Riese. - Leitung: Leich, Demke, Stolpe ( E Z A BERLIN, 1 0 1 / 9 3 / 2 4 2 ) . 47 Vgl. ebd., S. 17. 4 8 Protokoll der 112. Tagung der K K L vom 3 - / 4 . 7 . 1 9 8 7 in Berlin, S. 9. Riese. [Ohne Ort, ohne D a t u m . ] Anwesend: - Mitglieder: Adolph, Demke, D o m k e , D o m s c h , Forck, Gaebler, Harder, Kirchner, Kramer, Leich (nur 3.7.), Ρ Müller (nur 3.7.), Natho, Noack (für Große), Nollau, Rogge (nur 3.7.), Salinger, J . Schmidt, S. Schulze, Stier, Stolpe, Völz; C . Müller und Ziegler (beratend). Berater: Koltzenburg (für Petzold). - Ständige Gäste: Winter (nur 3.7.), Zeddies. - Sekretariat: Dorgerloh (nur 3.7.), Doye (nur 3.7.), Günther, Kupas, Lewek, Riese, Ritter, R. Schulze (nur 3.7.). - Zeitweilige Gäste: von der Heydt, Ernst. - Entschuldigt: Gienke, Große, Hempel, Passauer, Petzold, Seichter, Wessel ( E Z A BERLIN, 1 0 1 / 9 3 / 2 4 2 ) . 49 Vgl. Sekretariat des B E K . [Ohne Aussteller.] Berlin, 2 2 . 5 . 1 9 8 7 : „Schnellinformation" (STEL-
LE FÜR INFORMATION UND D O K U M E N T A T I O N DER E K D in d e r A u g u s t s t r a ß e / B E R L I N ) . A b d r u c k b e i
C . DEMKE/M. FALKENAU/Η. ZEDDIES (Hg.): Zwischen Anpassung und Verweigerung, S. 2 1 7 2 2 2 . Z u dieser Z u s a m m e n k u n f t vgl. auch die staatliche Gegenüberlieferung im Anhang, D o k . 2. Die Berichte über Zusammentreffen zwischen Staats- und Kirchenvertretern, die in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen verfaßt wurden, beurteilt Altbischof Albrecht Schönherr insofern als glaubhaft, als er den Inhalt seiner eigenen Aufzeichnungen im Vergleich „im großen und ganzen bestätigt gefunden" habe. Vgl. A. SCHÖNHERR: ...aber die Zeit war nicht verloren, S. 352. 50 Protokoll der 112. Tagung der K K L vom 3 - / 4 . 7 . 1 9 8 7 , S. 8. 51 Vgl. „Schnellinformation" vom 2 2 . 5 . 1 9 8 7 . Die Schnellinformationen waren in der Regel als Information für die Gemeinden gedacht.
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am 3. September 1987 telefonisch mit, ihn während seiner Anwesenheit zur nächsten KKL-Sitzung in Berlin „dringend sprechen" zu müssen. 32 Aus zeitlichen Gründen sei vereinbart worden, daß man sich vor Beginn des zweiten Sitzungstages der KKL-Tagung am 5. September 1987 um 7.30 Uhr treffen werde. 53 Bei diesem Gespräch habe Gysi eingangs über positive Aspekte im Staat-Kirche-Verhältnis berichtet. Unter anderem habe er daraufhingewiesen, daß die „Informationspolitik" mit dem Ziel „geändert" worden sei, „kirchliches und religiöses Leben in der D D R als Normalität gesellschaftlichen Lebens in den Medien darzustellen. Die Totalverweigerer würden weiterhin nicht zum Wehrdienst eingezogen, um Konfliktfälle zu vermeiden. Innerhalb des Bildungswesens müsse man die Bereinigung von Einzelfällen auch in einem größeren Zusammenhang sehen. Die Einzelfälle dienten als Hebel für grundsätzliche Regelungen". 54 Diese vom Staatssekretär gegenüber Leich geäußerte Behauptung, die Lösung von Einzelfällen solle zu einer grundsätzlichen Regelung führen, stand im Widerspruch zu der von Gysi intern praktizierten „Einzelfalltheorie". So vermerkte Gysi etwa zur gleichen Zeit handschriftlich am Rand einer nur für den Dienstgebrauch bestimmten Leitungsinformation seiner Dienststelle, in der es um Fälle von Reiseablehnungen ging, um deren Begründung die Kirche gebeten hatte: „Unsere Einzelfalltheorie!" Dahinter verbarg sich die Strategie, das Verhältnis zwischen Staat und Kirche durch die Lösung von einzelnen Problemfällen zu befrieden, ohne jedoch die von der Kirche erhofften Änderungen im Grundsätzlichen - etwa bei der Benachteiligung christlicher Schüler — durch verläßliche Regelungen herbeizuführen. 55 Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen habe Gysi dann „vier Informationsgespräche" angeboten, die „noch im zweiten Halbjahr 1987" gefuhrt werden sollten. Gysi habe es jedoch vorerst für nötig gehalten, „den Begriff Informationsgespräch an dem ersten vorgeschlagenen Gespräch über Wehrdienstfragen" zu erläutern. So sollte dieses Gespräch unter Leitung von Gysi mit dem stellvertretenden Minister für Nationale Verteidigung, Horst Brünner, geführt werden. Nach einem Vortrag über die „neue Militärdoktrin [...] sollten von der Kirche alle anliegenden Fragen benannt werden, bis hin auch zur Frage des zivilen Wehrersatzdienstes. Und es könnten Gespräche darüber 52 „Aktennotiz" Leich über ein Telefonat ( 3 . 9 . 1 9 8 7 ) sowie ein Gespräch ( 5 . 9 . 1 9 8 7 ) mit Gysi. Eisenach, 7 . 9 . 1 9 8 7 . Abschrift an Ziegler ( B E K ) ( E Z A BERUM, 1 0 1 / 9 3 / 6 ) . Vgl. Anhang, D o k . 8. 53 Dieses Gespräch war in einem Maßnahmeplan vom 1 . 9 . 1 9 8 7 festgelegt worden. Vgl. Staatssekretär für Kirchenfragen. Abt. II. [Ohne Aussteller.] Berlin, 1 . 9 . 1 9 8 7 : „Information u n d Maßnahmeplan zur Synode des B E K , die vom 1 8 . - 2 2 . September 1987 in Görlitz stattfindet" (BArchP, D O 4 S T S f. Kirchenfragen Nr. 7 0 4 u. S A P M O BERLIN, D Y 3 0 / I V Β 2 / 1 4 / 9 3 ) ; als D o k . 7 im Anhang.
„Aktennotiz" Leich vom 7 . 9 . 1 9 8 7 . Staatssekretär ftir Kirchenfragen. Abt. II. Gräfe. Berlin, 2 4 . 8 . 1 9 8 7 : Vorlage an die Dienstbesprechung am 3 1 . 8 . 1 9 8 7 . „Leitungsinformation 4 / 8 7 " , S. 6. Vermerk: „Nur für den Dienstgebrauch" (BArchP, D O 4 S T S f. Kirchenfragen Nr. 9 5 5 ) . M
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stattfinden, wie Lösungen denkbar seien".56 Die Entscheidung über mögliche Veränderungen beim Wehrersatzdienst behalte sich das Ministerium allerdings selbst vor. Für den Fall, daß die Kirche diesem Ablauf der Informationsgespräche zustimme, stellte Gysi folgende weitere Gesprächsthemen in Aussicht: Zu Fragen der Volksbildung mit „Mitarbeitern der Pädagogischen Akademie", zu Fragen der „Gestaltung von Schulbüchern"57 und zur „Eingabenbearbeitung und Durchsetzung der sozialistischen Demokratie" mit dem Vorsitzenden des Eingabenausschusses der Volkskammer. Gysi habe die Unterredungen über diese vier Themen dann verbindlich zugesagt, und man habe verabredet, die Vorbereitung der Gespräche durch die beiden Sekretariate organisieren zu lassen.58 Auf der 113. KKL-Tagung am 4.15. September 198759 wurde unter anderem ein bereits erfolgtes Sachgespräch ausgewertet. Vertreter des BEK-Sekretariats, der KKL und der AGCK waren am 2. September 1987 mit Staatssekretär Sitzlack vom Amt für Atomsicherheit und Strahlenschutz zusammengekommen, um über Fragen der Reaktorsicherheit zu sprechen. Da die Kirchenvertreter nach einem zweistündigen Vortrag Sitzlacks kaum Zeit für eigene Fragen gehabt hätten, sollte das Sekretariat des BEK darum gebeten werden, Gysi die Unzufriedenheit der Kirche über den Gesprächsverlauf zu übermitteln. Ferner wurde die Redaktionsgruppe für den KKL-Bericht gebeten, eine Notiz über das Gespräch mit Sitzlack in ihren Bericht aufzunehmen. Bezüglich der Bundessynode informierte Gaebler die KKL über den Antrag von Propst Falcke zur „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung". Die % „Aktennotiz" Leich vom 7.9.1987. Zur Wehrdienstproblematik vgl. auch U. KOCH/G. NEUGEBAUER: Die Evangelische Kirche in der D D R in der Auseinandersetzung mit der Wehrdienstpolitik der S E D . 57 In einem Gespräch Wilkes mit Ziegler in der Dienststelle des Staatssekretärs am 1 0 . 9 . 1 9 8 7 (als Dok. 12 im Anhang) teilte Wilke allerdings mit, daß „dem Staatssekretär ein Fehler unterlaufen" sei. „Für ein Gespräch über Schulbücher gäbe es noch kein grünes Licht." Möglicherweise könne dieses T h e m a in das vorgesehene Informationsgespräch über Erziehungsfragen einbezogen werden (Ebd.). 58 „Aktennotiz" Leich vom 7.9.1987. Ein Teil dieser Gesprächsthemen war bereits in dem erwähnten Maßnahmeplan der Dienststelle des Staatssekretärs vom 1.9.1987 angesprochen worden („Information und Maßnahmeplan" vom 1.9.1987, S. 8). Das verbindliche Angebot Gysis, diese Informationsgespräche zu ermöglichen, hatte eine herausragende Bedeutung für die Kirche, vor allem was die hart umkämpften Bereiche Wehrdienst und Volksbildung betraf, weil die Kirche sich bereits jahrelang um deren Klärung bemühte. Nur unter Berücksichtigung dieser Tatsache ist auch die auf der Bundessynode geführte Debatte um die „Zumutbarkeit" kirchlicher Forderungen an den Staat nachzuvollziehen. 59 Vgl. Protokoll der 113. Tagung der K K L vom 4 . / 5 . 9 . 1 9 8 7 in Berlin. Günther. [Ohne Ort, ohne D a t u m . ] Anwesend: - Mitglieder: Adolph, Bransch (für Forck), Demke, Domke, Domsch, Gaebler, Große, Haberecht (für Gienke), Harder, Hempel, Kirchner, Kramer, Leich, Ε Müller, Natho, Noack, Nollau, Passauer, Rogge, Salinger, J. Schmidt, S. Schulze, Seichter, Stier, Stolpe, Völz; C . Müller und Ziegler (beratend). - Berater: Petzold, Wessel. - Ständige Gäste: Winter, Zeddies. - Sekretariat: Dorgerloh (nur 4. 9.), Günther, Kupas, Lewek, Riese. - Zeitweiliger Gast: König. - Entschuldigt: Gienke, Forck. Leitung: Stolpe, Demke ( E Z A BERLIN, 101/93/242).
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Entscheidung des Präsidiums, dem Antrag auf der Synode einen eigenen Tagesordnungspunkt zu widmen, wurde diskutiert. Dabei stand die grundsätzliche Schwierigkeit im Vordergrund, auf der Bundessynode eine Entscheidung in einer Angelegenheit zu treffen, die bereits von der Synode einer Gliedkirche verhandelt und dort nicht mit Zustimmung verabschiedet worden war. Die KKL faßte den Beschluß, das Präsidium um die Behandlung des Falcke-Antrags in Verbindung mit dem Tagesordnungspunkt „Eingaben" zu bitten. Zudem beauftragte sie den Vorstand, während der Görlitzer Synodaltagung zu entscheiden, ob „eine Einladung der KKL zur Auswertung der Synode notwendig und sinnvoll" sei.60 Nur in diesem Fall werde die KKL zu einer Sondersitzung am 3. Oktober 1987 eingeladen werden. Nach einer Aussprache zum KKL-Bericht 1987 dankte die KKL der Vorbereitungsgruppe u n d entschied, daß der Bericht für das Jahr 1987 vor Beginn der Bundessynode der KKL nicht nochmals vorgelegt werden müsse. Danach informierte Leich die KKL-Mitglieder über das Gespräch mit Staatssekretär Gysi vor Beginn dieser Sitzung u n d die ihm dabei von Gysi in Aussicht gestellten Informationsgespräche. 61 Anschließend wurde der Begriff „Informationsgespräch" erörtert, der „offensichtlich ,Sachgespräche' ersetzen" sollte. Die KKL verständigte sich auf die Formulierung „spezielle Informationsgespräche zu bestimmten Sachbereichen". 62 Sekretariat und Vorstand wurden beauftragt, die vier Themen unter besonderer Berücksichtigung der „Wehrdienstfragen" vorzubereiten. Auch die Ankündigung der von der staatlichen Seite angebotenen Sachgespräche sollte im KKL-Bericht erwähnt werden. In den hier kurz vorgestellten Sitzungen der KKL hatte die Vorbereitung der Bundessynode nur eine marginale Bedeutung gehabt. In Ergänzung zu den Präsidiumsbeschlüssen hatte man die Plazierung des Falcke-Antrags gleich zu Beginn der Synodaltagung unter dem Tagesordnungspunkt „Eingaben" angeregt. Eine entscheidende Rolle in den Verhandlungen der KKL kam der Frage des Staat-Kirche-Verhältnisses zu, das zwar erfahrungsgemäß vom Verlauf der Bundessynoden und vor allem deren Bewertung durch den Staat beeinflußt, aber nicht definitiv bestimmt wurde. Die Bemühungen um die Realisierung der von Staatssekretär Gysi angebotenen Informationsgespräche stand in diesen Wochen für die Mitglieder der KKL im Vordergrund, während einzelne
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Protokoll der 113. Tagung vom 4./5.9.1987, S. 7. W i e bereits erwähnt, hatte Leich sich vor dem zweiten Sitzungstag der KKL am frühen M o r gen mit Gysi getroffen u n d später eine „Aktennotiz" über das Gespräch angefertigt. Im A n h a n g als Dok. 8. 62 Protokoll der 113. Tagung vom 4./5.9.1987, S. 8. Diese Diskussion u m die passende Benenn u n g für von der Kirche angestrebte Gespräche mit Vertretern des Staates war nicht zuletzt eine Reaktion auf das insgesamt nicht zufriedenstellende Zusammentreffen mit Staatssekretär Sitzlack. Die KKL befürchtete n u n , daß die neue Bezeichnung „Informationsgespräche" als Indiz dafür gewertet werden müsse, daß Kirchenvertreter auch in künftigen Gesprächen in die passive Z u h ö rerrolle gedrängt werden sollten. 61
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Tagesordnungspunkte der Görlitzer Synode nicht weiter problematisiert wurden. Die K K L traf wieder am 6.17. November 1987 - nach der Bundessynode - in Berlin zu ihrer regulären nächsten Tagung zusammen. 63 3.1.3 Das Sekretariat des Bundes der Evangelischen Kirchen in der D D R Das Sekretariat des Bundes war unter der Leitung von Ziegler zuständig für die Organisation und Koordination der gemeinsamen Arbeit aller evangelischen Landeskirchen in der D D R . So wurden durch das Sekretariat die laufenden Verwaltungsaufgaben wahrgenommen, die Tätigkeit der Synode des Bundes unterstützt, die Arbeit der Kommissionen und Ausschüsse koordiniert und die Berichterstattung der Tagungen der Konferenz übernommen. Ein großer Teil der Gespräche, die zwischen Mitarbeitern der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen und Vertretern des Bundes zustande kamen, wurden über das Sekretariat des Bundes abgewickelt. In der Regel führte Staatssekretär Gysi Gespräche mit den Vertretern der KKL, während der Leiter des BEK-Sekretariats mit Hauptabteilungsleiter Heinrich und dem Chef der Abteilung II, Wilke, verhandelte. So traf Ziegler am 15. Mai 1987 mit den beiden genannten Mitarbeitern Gysis in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen zusammen. Ein Streitpunkt bei dieser Unterredung war die Rolle der evangelischen Kirchenzeitungen in der D D R . Heinrich bewertete manche Artikel als „Anmaßung"; die kirchlichen Zeitungen „hätten nicht die Aufgabe, Politik zu treiben und nach westlichem Muster sich als Kritiker des Staates und der Gesellschaft aufzuspielen". 64 Wilke machte das Angebot, die Redakteure könnten sich bei der Dienststelle des Staatssekretärs informieren lassen: „Es würde ihnen dabei nichts vorgeschrieben." 65 Diese Bemerkungen zeigten, wie empfindlich die staatlichen Stellen auf die Öffentlichkeitsarbeit der evangelischen Kirche gerade zu diesem Zeitpunkt reagierten. Ziegler nutzte die Begegnung am 15.Mai 1987, um auf das für den 21. Mai geplante Treffen zwischen Vertretern der Dienststelle des Staatssekretärs und der Spitze des Bundes überzuleiten. Er forderte vom Staatssekretär, daß „genügend Zeit für ein wirkliches Gespräch" bleiben müsse und „die einleitenden Ausführungen" begrenzt würden. 66 Ziegler trug ferner die Bitte des KKL-Vor-
63 Auch während der Tagung der Bundessynode wurde die K K L zusammengerufen. A m 19.9. 1987 tagte sie zweimal und bestimmte unter anderem, wer die Fragen beantworten sollte, die Synodale im Rahmen der Aussprache zum KKL-Bericht gestellt hatten. 64 Sekretariat des BEK. Ziegler. Berlin, 18.5.1987. Vermerk über ein Gespräch in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen am 15. Mai 1987, 8 . 0 0 - 9 . 5 0 Uhr, S. 2. Anwesend: Heinrich, Wilke, Ziegler ( E Z A BERLIN, 101/93/6). Vgl. auch M . HARTMANN: Bis zur Toleranzgrenze. 65 Vermerk über ein Gespräch in der Dienststelle des Staatssekretärs am 15.5.1987, S. 2. 66 Ebd., S. 3.
D i e kirchliche Planung u n d O r g a n i s a t i o n
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stands vor, „daß eine Veröffentlichung erfolgen solle, in der auf jeden Fall drei Themenkomplexe angesprochen werden müßten". Er nannte „die Förderung der [...] Mündigkeit der Bürger", „Fragen [...] der Erziehung und der Volksbildung" und „Fragen des Wehrdienstes". 67 Hierbei handelte es sich um die bereits erwähnten Gespräche über ungeklärte Fragen zwischen Staat und Kirche, die — im Vorfeld der Bundessynode - von Staatssekretär Gysi immer wieder als Beweis staatlichen Entgegenkommens in Aussicht gestellt und dann kurz nach der Görlitzer Synode abrupt abgesagt wurden. 68 D a die Staatsvertreter einer Presseveröffentlichung mit Nennung dieser drei Konfliktthemen nicht zustimmen wollten, vereinbarten Wilke und Ziegler ein erneutes Treffen für den 19. Mai 1987, „um die Möglichkeiten einer Pressemeldung zu prüfen". 69 Mit der Begründung, daß auch der Staatssekretär „ständig" darüber nachdächte, „was sie der Kirche zumuten könnten und was nicht", 70 forderte Heinrich umgekehrt auch von der Kirche, dem Staat nicht zuviel zuzumuten. Hiermit war ein wichtiges Stichwort gefallen: Die Frage der Zumutbarkeit kirchlicher Forderungen an den Staat spielte auf der Görlitzer Bundessynode sowohl bei der Debatte um den Antrag „Bekennen in der Friedensfrage" als auch in der Diskussion um die „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" eine entscheidende Rolle. 71 Um die Gemeinden über den Verlauf dieses Gesprächs zwischen der Spitze des Bundes und dem Staatssekretär für Kirchenfragen am 21. Mai 1987 zu informieren, brachte das Sekretariat des Bundes am 22. Mai 1987 eine „Schnellinformation" heraus. In ihr hieß es: I m R a h m e n seiner A u s f ü h r u n g e n habe der K K L - V o r s i t z e n d e Leich d a r a u f h i n g e w i e sen, daß der „ m ü n d i g e B ü r g e r " v o m Staat erwarten könne, eine B e g r ü n d u n g f ü r abgelehnte A n t r ä g e zu erhalten. E b e n s o h o f f e m a n a u f eine offenere Pressepolitik. 7 2 Leich habe seinen W u n s c h z u m A u s d r u c k gebracht, daß „die großzügige H a n d h a b u n g der R e i s e b e s t i m m u n g e n fortgesetzt" werde u n d E i n g a b e n von B ü r g e r n auch d a z u führten, „Fragen grundsätzlicher B e d e u t u n g anzusprechen". 7 3 D e r M a g d e b u r ger B i s c h o f D e m k e habe die Stichworte „ B i l d u n g " u n d „ E r z i e h u n g " aufgegriffen u n d betont, daß es zwar „Toleranz i m Sinne von D u l d u n g , aber noch nicht i m S i n n der A c h t u n g eigener christlich motivierter E n t s c h e i d u n g e n " gebe. „ D a d u r c h entstehe das G e f ü h l , Christen seien geduldet, aber nicht gewollt." 7 , 1 Präses G a e b l e r h a b e „ f ü r
Ebd., S. 3f. Vgl. auch Kap. 5. Zum Streitthema Wehrdienst vgl. U. KOCH/G. NEUGEBAUER: Die Evangelische Kirche in der D D R in der Auseinandersetzung mit der Wehrdienstpolitik der S E D . Zum Problem von christlichen Bürgern im Bereich der Volksbildung vgl. BENACHTEILIGUNG CHRISTLI67
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CHER SCHÜLER, ELTERN U N D LEHRER IN D E R D D R .
Vermerk über ein Gespräch in der Dienststelle des Staatssekretärs am 15.5.1987, S. 4. Ebd. 71 Vgl. Kap. 4.1.2, 4.2.4, 4.3.1 und 4.5.4. 72 „Schnellinformation" vom 22.5.1987, S. 1. Vgl. auch die staatliche Gegenüberlieferung des Gesprächs; als Dok. 2 im Anhang. 73 Ebd. Vgl. dazu auch A. SCHÖNHERR: Wunsch nach unverkrampftem Umgang. 74 „Schnellinformation" vom 22.5.1987, S. 2. m
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Die Vorbereitung der Bundessynode in Görlitz 1987 verständnisvolle Lösungen in Einzelfällen" im Bereich der Wehrdienstfragen gedankt, jedoch gleichzeitig betont, „daß es zu einer dauerhaften befriedigenden Lösung nur kommen könne, wenn die Möglichkeit eines Wehrersatzdienstes im zivilen Bereich eröffnet würde." 75 In seiner Erwiderung habe Gysi die Staat und Kirche verbindende „Priorität der Friedensfrage" hervorgehoben. Es sei falsch von der Kirche, „primär Abgrenzungen zu suchen" und das Staat-Kirche-Verhältnis durch ein „falsch verstandenes Reden von Eigenständigkeit'" zu belasten. Vielmehr solle sich die Kirche nicht von den sogenannten Gruppen in eine Stellvertreterfunktion drängen lassen, um das „kirchliche Anliegen" nicht zu „überfremden". „Eine Politik der Nadelstiche gegen den Staat führe nicht voran." 76 Gysi habe außerdem vorgeschlagen, zu einigen angesprochenen Problemen — zum Beispiel der kirchlichen Presse, der Veranstaltungsverordnung und der Eingabenbearbeitung - ein zusätzliches Gespräch zu führen. Zusammenfassend habe Leich auf der einen Seite seine Zufriedenheit über dieses Gespräch zum Ausdruck gebracht, auf der anderen Seite jedoch bemängelt, daß „Ergebnisse und Lösungen" noch ausstünden. 77
Das Fehlen konkreter Ergebnisse mußte die Kirchen enttäuschen, stand es doch im Widerspruch zu der „von staatlicher Seite mehrfach bestätigten" Zielsetzung für dieses Spitzengespräch, wie aus einem internen Vermerk des KKLVorstands hervorgeht. 78 Dieses Zusammentreffen zwischen Staat und Kirche vom 21. Mai 1987 fand auch in den Sitzungen der KKL79 und des Präsidiums der Bundessynode 80 einen Nachhall. In einem Gespräch Zieglers mit Wilke am 10. September 1987 in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen 81 zog Wilke die Zusage für ein Informationsgespräch über Schulbuchfragen zurück, da es „noch kein grünes Licht" gebe. Doch habe Gysi „vergessen, daß noch zwei weitere Gespräche in Vorbereitung seien, kirchliche Presse und Rechtspraxis". Der von Ziegler vorgeschlagenen zeitlichen Abfolge für die Staat-Kirche-Gespräche stimmte Wilke zu. „Einzelheiten für die nächsten Gespräche wären nach der Bundessynode abzusprechen." Der Leiter der Abt. II erkundigte sich noch bei Ziegler, „ob brisante Themen" für die Tagung der Bundessynode in Görlitz zu erwarten seien, woraufhin Ziegler auf das „der Dienststelle des Staatssekretär bekannte 75
Ebd. Ebd., S. 3. 77 Ebd. In einem Gespräch mit den Verf. am 6.1.1996 betonte ZIEGLER, daß die Bedeutung des Gesprächs vor allem in derTatsache gelegen habe, daß nahezu alle der evangelischen Kirche wichtigen Themen angesprochen und Forderungen aufgelistet worden seien, die auch Teil der in Görlitz eingebrachten Beschlußvorlage „Bekennen in der Friedensfrage" und des Antrags .Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" gewesen seien. 78 Anlage zum Protokoll der KKL-Vorstandssitzung vom 20.5.1987 in Berlin. [Ohne Aussteller.] Berlin, 2.6.1987 (EZA BERLIN, 101/93/249). 79 Vgl. Protokoll der 112. Tagung der KKL vom 3./4.7.1987. 80 Vgl. Protokoll der Präsidiumssitzung vom 2.7.1987. " Abdruck als Dok. 12 im Anhang. 76
D i e kirchliche P l a n u n g u n d O r g a n i s a t i o n
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P r o g r a m m " verwies. 82 Auch der Inhalt dieses Gesprächs zwischen Ziegler und Wilke erhielt nach der Synodaltagung noch eine besondere Bedeutung. 3.1.4 An die Bundessynode gerichtete Erwartungen und Initiativen A u f dem Evangelischen Kirchentag, der vom 24. bis 28. Juni 1987 in der Hauptstadt der D D R stattfand, verteilten Mitglieder einer im Umfeld der Berliner Bartholomäus-Kirchengemeinde entstandenen Initiative einen Aufruf zur Abgrenzungsproblematik. 8 3 D e m mit dem Hinweis „Für kirchlichen Gebrauch! Bitte abschreiben und weitergeben!" 8 4 versehenen A u f r u f lag der bereits erwähnte Antrag zugrunde, der erstmals auf der Berlin-Brandenburgischen Synode im April 1987 eingebracht worden war. 85 In ihrem A u f r u f forderten die Unterzeichner dazu auf, eine Eingabe an die im Herbst tagende Bundessynode zu richten und damit den Abgrenzungsantrag zu unterstützen. Außerdem baten die Initiatoren, das Problem der Abgrenzung „in Gruppen, Gemeinden und Gemeindekirchenräten" zu diskutieren. 86 Ais Argumentationshilfe dazu enthielt der A u f r u f vier Leitfragen. Abschließend forderten die Unterzeichner: „Lassen Sie uns nach Antworten suchen und sie auf Kreissynoden und Friedensseminaren vorstellen!" Als Leiter der Berliner Stelle des Kirchenamtes der E K D berichtete O K R Uwe-Peter Heidingsfeld in seinen Aufzeichnungen über den Berliner Kirchen82 Ebd. Vgl. auch den Vermerk Wilkes über dieses Gesprächs vom 17.9.1987 (BArchP, D O 4 S T S f. Kirchenfragen Nr. 1232). Neben dem ersten von Wilke festgehaltenen Gesprächspunkt über die Planung der Informationsgespräche hatte Gysi hsl. notiert: „W. Jarow[insky] schicken! Einiges bedenken". Die Antwort Zieglers auf Wilkes Frage nach „brisanten Themen" auf der Bundessynode fiel in der staatlichen Uberlieferung dieses Zusammentreffens wesentlich ausführlicher aus: Einer „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" folge die K K L zwar nicht, aber sie werde „die Problematik verhandeln": „Sie haben auf der Grundlage der politisch positiven Eingaben festgelegt, daß Mitglieder der Synode und Vertreter der K K L gegen Konfrontationsversuche auftreten und unrealistische Wünsche zurückzuweisen versuchen" (Ebd., S. 2). 83 Vgl. Kap. 1.2. 84 .Aufruf' zur „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung", Pfingsten 1987, unterzeichnet von: Almuth Berger, Karl-Heinz Bonnke, Dr. Hans-Jürgen Fischbeck, Reinhard Lampe, Stephan Bickhardt, Dr. Martin Böttger, Dorrit Fischer, Ludwig Mehlhorn, Anette von Bodecker, Erich Busse, Martin König. Vgl. Anhang, Dok. 3/1. Nach Darstellung MEHLHORNS im Gespräch mit den Verf. am 30.5.1994 war es die Intention von Bickhardt, Lampe und ihm, der „Absage an die Abschreckung eine „Absage an die Abgrenzung folgen zu lassen. 85 Auf der Frühjahrssynode der Berlin-Brandenburgischen Kirche (24.-28.4.1987) hatte Fischbeck als Vorsitzender des Gemeindekirchenrates der Berliner Bartholomäusgemeinde einen Antrag mit dem Titel .Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" eingebracht. Nachdem diese Synode zwei ihrer ständigen Ausschüsse damit beauftragt hatte, ein Jahr lang an dieser Problematik zu arbeiten, war die „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" im Vorfeld des Berliner Kirchentages wieder aufgegriffen worden. Vgl. Dok. 3/2 im Anhang. Abdruck des Antrags an die BerlinBrandenburgische Frühjahrssynode bei C. DEMKE/M. FALKENAU/H. ZEDDIES (Hg.): Zwischen Anpassung und Verweigerung, S. 3 7 3 - 3 7 5 . 86 Vgl. .Aufruf' Pfingsten 1987; Anhang, Dok. 3/1.
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tag, die er Vertretern der EKD zusandte, von der Verbreitung dieses Abgrenzungspapiers: „Gebeten wird ganz konkret, dies [die Absage mitzusprechen] gegenüber dem Präsidium der Synode des Bundes in schriftlicher Form zu tun." 87 So waren auch führende Persönlichkeiten der EKD schon früh über diese Initiative informiert. Begleitend zur „Aufruf-Aktion richtete Lampe einen Brief an Präses Gaebler, in dem er über die Initiative informierte und um Verständnis bat. Es gehe ihm nicht darum, das Büro des Präsidiums mit einer Vielzahl von Eingaben unter Druck zu setzen. Lampe berief sich vielmehr auf die „lebhafte Aufnahme, die der Text des Antrags der Bartholomäus-Gemeinde nach der Berlin-Brandenburger Synode in vielen Gemeinden, auch in anderen Landeskirchen, gefunden" habe.88 Dabei betonte Lampe die Hoffnung der Initiatoren, daß sich die gewählte Synode als Vertretung der kirchlichen Basis erweise. Es sei den Initiatoren wichtig, den Antrag als konstruktiven, flexibel handhabbaren Beitrag zur Diskussion verstanden zu wissen. Lampe wies daraufhin, daß die Initiatorengruppe im Blick auf die Görlitzer Bundessynode eine Sammlung von Beiträgen89 erarbeite, die der Konkretion des Antrags dienen sollten. Zusätzlich bat er Gaebler um ein persönliches Gespräch, um die Motive der Gruppe zu erläutern. In seiner Antwort auf Lampes Brief teilte Gaebler mit, daß das Schreiben in der Sitzung des Synodenpräsidiums am 2. Juli 1987 angesprochen worden sei. Gaebler betonte, dankbar zu sein „für das Bemühen um Transparenz bei dieser Initiative und die Bereitschaft zum Gespräch, damit wir füreinander in unseren je eigenen Anliegen erkennbar werden und für andere verständlich reden und handeln". 90 Zudem teilte Gaebler mit, daß eine Liste mit allen Eingaben zur Thematik auf der Görlitzer Tagung ausgelegt werden solle. Im Falle einer Beschlußfassung durch die Synode werde diese den Eingebern automatisch zugesandt. In der Zwischenzeit bemühten sich die Initiatoren des Abgrenzungsantrags, ein Mitglied der Bundessynode zu gewinnen, das den Antrag auf der Görlitzer Synode einbringen könnte. Berger, die Pastorin der Berliner Bartholomäusgemeinde, wandte sich deshalb am 10. Juli 1987 an den ihr aus gemeinsamer Arbeit bekannten Propst Falcke in Erfurt und bat ihn, die „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" als Antrag auf der Bundessynode in Görlitz einzubringen. In ihrem Schreiben ging sie kurz auf wichtige Stationen des Antrags ein:
87 „,... und ich will bei euch wohnen': Tagebuchartige Notizen vom Kirchentag in Berlin (Ost)". Heidingsfeld, 14 Seiten, vom 29.6.1987, mit Vermerk „Vertraulich!", S. 7. Verteiler: Heinz Georg Binder, Walter Hammer, Lothar Coenen, Rolf Koppe (EZA BERLIN, 4/91/735). 88
Schreiben L a m p e an Gaebler v o m 2 4 . 6 . 1 9 8 7 (EZABERLIN, 1 0 1 / 9 3 / 2 0 8 ) .
89
Gemeint sind die „Aufrisse".
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Schreiben Gaebler an L a m p e v o m 1 3 . 7 . 1 9 8 7 (EZABERLIN, 1 0 1 / 9 3 / 2 0 8 ) .
D i e kirchliche P l a n u n g u n d Organisation
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„ E n t s t a n d e n war der A n t r a g als Ergebnis eines längeren Gesprächsprozesses, in d e m sich unser G K R seit der Verhaftung des Vikars Reinhard L a m p e , der in unserer G e m e i n d e w o h n t e , b e f a n d . Reinhard L a m p e hatte in seiner E x a m e n s p r e d i g t u n d d u r c h seine A k t i o n a m 13. A u g u s t vergangenen Jahres a u f die Folgen von A b g r e n z u n g hinweisen wollen. N a c h seiner Entlassung i m N o v e m b e r ' 8 6 hat eine kleine G r u p p e sehr intensiv über diese Fragen weiter nachgedacht. A u c h Vertreter unseres G K R waren d a r a n beteiligt, u n d der ganze G K R hatte d a n n beschlossen, d u r c h die Antragstell u n g an die S y n o d e dieses Anliegen zu unterstützen. W i r meinten, es wäre eine wichtige E r g ä n z u n g z u m N a c h d e n k e n u n d G e s p r ä c h über Geist, L o g i k u n d Praxis der A b s c h r e c k u n g , jetzt a u c h stärker das N a c h d e n k e n u n d das G e s p r ä c h über Praxis u n d Prinzip der A b g r e n z u n g u n d über deren Folgen in G a n g zu bringen." 9 1
Berger erwähnte des weiteren, daß mit der Einbringung des Abgrenzungsantrags auf der Berlin-Brandenburgischen Frühjahrssynode im April 1987 nicht genug erreicht worden sei. Im Ergebnis habe der Synodenausschuß „Frieden, Gerechtigkeit, Umwelt" „lediglich eine sehr allgemein gehaltene Erklärung vorgelegt, die über ,vermeidbare Hemmnisse"' gesprochen habe, „die dem Prozeß der Vertrauensbildung entgegenstehen". Mit einem von dem Mitglied des Gemeindekirchenrats der Berliner Bartholomäusgemeinde Fischbeck daraufhin gestellten Initiativantrag sei die Überweisung des Antrags an zwei Synodalausschüsse erreicht worden. Von dem Angebot, den Antrag interessierten Gemeinden zur Verfügung zu stellen, werde „ziemlich reger Gebrauch" gemacht. U m der Idee des Abgrenzungsantrags grundsätzlich eine größere Resonanz zu verschaffen, habe man sich dazu entschlossen, über die geplante Eingabeninitiative an die Bundessynode hinaus einen Bundessynodalen zu bitten, einen Antrag zur Abgrenzungsthematik auf der Bundessynode einzubringen. 92 Am 23. August 1987 richteten Bickhardt und Lampe ein Schreiben an den Präses der Bundessynode und an den Vorsitzenden der KKL, in dem sie im Namen des Initiatorenkreises zur Abgrenzungsproblematik darum baten, Mehlhorn als mitarbeitenden Gast zur Bundessynode einzuladen. Mehlhorn sei von Beginn der Initiative an einer der Hauptbeteiligten gewesen und könne somit das Anliegen der Gruppe authentisch vertreten. Bickhardt und Lampe wollten mit dieser Bitte „grundsätzlich auch die Gesprächsbereitschaft all derer signalisieren, die den Antrag und A u f r u f verfaßt hatten. 93 Gaebler antwortete Lampe am 7. September 1987, daß das Präsidium der Bundessynode nach seiner Beratung auf der Sitzung am 4. September 1987 diese Bitte abgelehnt habe. Gaebler betonte jedoch die Möglichkeit, „daß Herr Mehlhorn an den öffentlichen Plenarsitzungen in Görlitz" teilnehmen könne. 94 Der Bundessynodale Dr. Wolfgang König wandte sich am 24. August 1987 mit einem Schreiben an den Mitunterzeichner des Pfingstaufrufs zur Abgren" Schreiben Berger an Falcke vom 10.7.1987 (Bestand Heino FALCKE, ERFURT). 92 Vgl. ebd. Vgl. dazu auch L. MEHLHORN: Öffnung statt Abgrenzung. " Schreiben Bickhardt/Lampe an Gaebler/Leich vom 23.8.1987 (EZA BERLIN, 101/93/208). 94 Schreiben Gaebler an Lampe vom 7.9.1987 (EZA BERLIN, 101/93/208).
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zungsproblematik, Dr. Martin Böttger, das er zur Kenntnisnahme auch an Präses Gaebler sandte. 95 König bezog sich darin auf einen an ihn gerichteten Brief Böttgers vom 31. Juli 198796, teilte aber gleichzeitig mit, sich schon vorher mit dem Abgrenzungsantrag beschäftigt zu haben. Als ehemaliges Mitglied des Ausschusses „Kirche und Gesellschaft" des Bundes habe König die Bewegung um „Absage an Geist, Logik und Praxis der Abschreckung" miterlebt, die er als .„eigenständige' Friedensarbeit unserer Kirchen"97 bezeichnete, welche nicht aus ihrem gesellschaftlichen Zusammenhang gelöst werden könne. So sei er „doch etwas beeindruckt, wie Sie [Böttger] den Gleichklang zur Absage an Geist, Logik und Praxis der Abschreckung' in Ihrer Formulierung Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung' setzen [...]. Natürlich sucht christlicher Glaube grenzüberschreitende Solidarität. Aber hier wurzelt doch nicht das Zeugnis unserer Kirche!"98 König versuchte dann, seine Ablehnung des Abgrenzungsantrags zu erläutern: „Aber öffentliche Gespräche über gesellschaftliche Veränderungen, die geeignet sind, ehemalige DDR-Bürger zur Rückkehr zu motivieren' — das ist politikunfähiges Denken." 99 König hob abschließend die gegenwärtigen Oflfnungstendenzen der DDR-Politik positiv hervor und untersagte Böttger, von seinem Brief öffentlichen Gebrauch zu machen. Der Berliner Theologieprofessor Dr. Hans-Hinrich Jenssen, wie König Mitglied der CDU, hatte den Aufruf der Initiatorengruppe gelesen und wandte sich mit der dringenden Bitte an Präses Gaebler, daß dieser und das Präsidium der Synode „Ihren Einfluß dahingehend geltend" machen sollten, „daß eine solche Entschließung nicht gefaßt" werde. Er begründete seine Forderung mit der Einschätzung, daß dem „Frieden und der Entspannung [...] wesentlich mehr durch eine eigenständige Unterstützung der Politik unseres Staates [ge-
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Schreiben König an Böttger vom 24.8.1987. Kopie mit hsl. Vermerk Königs: „Lieber Bruder Dr. Gaebler, dies zu Ihrer Kenntnis" (EZA BERLIN, 101/93/208). In einem Schreiben an den Unterstützerkreis des Abgrenzungsantrags baten Bickhardt und Lampe am 24.7.1987 die Unterstützer darum, mit jeweils zwei Bundessynodalen Kontakt aufzunehmen: „Es wäre sicherlich gut, auch mit den anderen Synodalen vor der Görlitzer Tagung ins Gespräch zu kommen. Zumindest sollten wir vermeiden, daß sich die Synodalen im September überfahren fühlen, weil sie zu kurzfristig mit dem ganzen Problem konfrontiert werden. Eine direkte Vorabinformation aus unserem Kreis könnte zudem mithelfen, Fehlinterpretationen oder Vorurteile auszuräumen, die durch eine indirekte oder gar gerüchteweise Information ermöglicht würden." Schreiben Bickhardt/Lampe v o m 2 4 . 7 . 1 9 8 7 (Bestand S t e p h a n BICKHARDT, LEIPZIG). %
Das Schreiben Böttgers an König findet sich auch in der Akte IMS „Domino". In einem Gespräch mit einem MfS-Mitarbeiter am 27.7.1987 habe König mitgeteilt, daß er an der Bundessynode in Görlitz, zu der noch kein vorbereitendes Material im Umlauf sei, teilnehmen werde, sein Gegenüber aber erst wieder am 15.9.1987 treffen könne. Im Rahmen dieses Gesprächs habe König dem MfS-Offizier von seinem Briefwechsel mit Böttger und über Inhalte des Antrags, den Falcke einbringen wolle, berichtet (BStU BERLIN [ASt Erfurt], TA 150/89, Bd. 2, S. 94-104). 97 Schreiben König an Böttger. 98 Ebd. 99 Ebd.
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dient sei] als durch die völlig ungerechtfertigte Unterstellung, er triebe eine .Politik der Abgrenzung'". 100 Auch von Vertretern der EKD wurde der Abgrenzungsantrag im Vorfeld der Bundessynode weiter aufmerksam registriert. So wandte sich am 2. September 1987 Heidingsfeld an den Präses der EKD-Synode, Dr. Jürgen Schmude, und an die beiden Oberkirchenräte Hans-Joachim Höner und Warner Conring vom Kirchenamt der EKD in Hannover, um ihnen von diesem Antrag zu berichten. Er legte seinem Schreiben den Antrag selbst, den dazugehörigen Beschluß der Berlin-Brandenburgischen Synode und den bereits erwähnten, auf dem Berliner Kirchentag verteilten Pfingstaufruf bei. Heidingsfeld erläuterte in diesem Brief die Entstehungsgeschichte des Abgrenzungsantrags und wies abschließend daraufhin, daß nach „mir zugänglichen Informationen [...] offenbar eine erhebliche Zahl von Eingaben an den BEKgegangen [ist], so daß man dort mit,gemischten Gefühlen' in Richtung Görlitz" blicke.101 Bis zum Beginn der Synodaltagung waren beim Präsidium der Synode 194 Eingaben eingegangen, die die „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" betrafen 102 , von denen nur 17 sich gegen den Antrag aussprachen. Diese 17 Gegeneingeber entstammten mehrheitlich dem Umfeld des „Weißenseer Arbeitskreises", der CFK und der CDU. 103 So hatte u.a. Fink, der Vorsitzende des Regionalauschusses der CFK in der DDR, für die CFK eine Eingabe an die Bundessynode gerichtet, die verlangte, das Abgrenzungsthema nicht auf die Tagesordnung zu setzen.'04 Die Görlitzer Bundessynode war somit im Raum der kirchlichen Gruppen und Initiativkreise bereits lange vor ihrem Beginn im September auf vielfältige Resonanz gestoßen. Insbesondere die Möglichkeit, mit dem Abgrenzungsantrag ein äußerst brisantes Thema vor ein so großes und öffentlich tagendes Plenum wie die Bundessynode bringen zu können, war für viele Mitglieder der Gruppen mit besonderen Hoffnungen verbunden. Das beweist nicht zuletzt die - auch für eine Synode des Bundes - ungewöhnlich hohe Anzahl von Eingaben, die keineswegs nur von in der Kirche Engagierten verfaßt worden waren. Theologisch und politisch war der Abgrenzungsantrag erläutert worden in der von Bickhardt, Lampe und Mehlhorn herausgegebenen Aufsatzsammlung „Aufrisse", in der das DDR-Tabuthema „Abgrenzung" von unterschiedlichen Autoren ausführlich analysiert wurde. 100
CDU 101
Schreiben Jenssen an Gaebler. [ O h n e Datum.] ( A C D P ST. AUGUSTIN, Zentralbestand O s t VII-013-4041).
Schreiben Heidingsfeld an S c h m u d e / H ö n e r / C o n r i n g vom 2 . 9 . 1 9 8 7 (EZA BERLIN, 4 / 9 1 /
746). 102
103
TYPOSKRIPT, S . 3 2 5 .
Z u den bekannteren Gegeneingebern gehörten unter anderem: Björn Rugenstein, G e r t Wendelborn, H a n f r i e d Müller, Rosemarie Müller-Streisand, Bruno Schottstädt u n d Cyrill Pech, G ü n t e r Weiß, Heinrich Fink u n d Hans-Hinrich Jenssen (EZA BERLIN, 1 0 1 / 9 3 / 2 2 1 u n d / 8 4 7 ) . 104 E Z A BERLIN, 1 0 1 / 9 3 / 8 4 7 .
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3.2 Staatliche Planungen im Vorfeld der Görlitzer Bundessynode 3.2.1 Das Politbüro und die Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK der SED105 Dem Politbüromitglied und ZK-Sekretär Werner Jarowinsky, zu dessen Zuständigkeiten neben Handel, Versorgung und Außenhandel auch das Ressort Kirchenfragen gehörte, arbeitete die Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK der SED zu. Offiziell war diese Arbeitsgruppe der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen gleichgestellt. Praktisch war jedoch der für die Arbeitsgruppe Kirchenfragen zuständige ZK-Sekretär Jarowinsky gegenüber dem Staatssekretär weisungsbefugt. Die Arbeitsgruppe, deren Hauptaufgabe darin bestand, dem ZK-Sekretär alle wichtigen Informationen über die Tätigkeit der Kirchen zu übermitteln, um ihn so in die Lage zu versetzen, im Sekretariat und im Politbüro darüber zu berichten und entsprechende Vorlagen und Informationen für die Sitzungen dieser beiden Gremien zu erstellen, bestand nur aus zwei Mitarbeitern und ihrem Leiter. 1987 war dies Bellmann; den Bereich Evangelische Kirche betreute Kraußer.106 Ferner hatte die Arbeitsgruppe „Kirchenfragen" auch Parteischulungen auf Bezirksebene durchzuführen. Im Gegensatz zur Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen, deren Mitarbeiter Gespräche mit Kirchenvertretern führten und die Ergebnisse ihrer Arbeit an die entsprechenden Gremien der Partei weiterleiteten, stand die Arbeitsgruppe Kirchenfragen in der Regel ausschließlich mit Partei- und Staatsorganen in Kontakt. Nur auf besondere Weisung des zuständigen ZK-Sekretärs gingen Mitglieder der Arbeitsgruppe auf Vertreter der Kirche zu.107 Bereits die Konstituierung der neugewählten V. Bundessynode vom 31. Januar bis 2. Februar 1986 in Berlin wurde von den für die SED-Kirchenpolitik Verantwortlichen mit großem Interesse verfolgt. In einer der ZK-Arbeitsgruppe Kirchenfragen vorliegenden Information vom 23. Januar 1986108 wurde für die staatliche Strategie im Umgang mit den Synodalen festgelegt, „negative Kräfte", die immer wieder, „auch mit Hilfe westlicher Medien, gegen bestimmte Seiten der Politik der D D R Angriffe zu führen" versuchten, „in den Kirchen 105
Zu Struktur, Aufbau und Organisation der SED vgl. R. HENKEL: Im Dienste der Staatspar-
tei, S. 1 9 - 9 6 s o w i e H . W E B E R : D i e D D R 1 9 4 5 - 1 9 9 0 , S. 1 5 6 - 1 7 1 . 106 Nach Einschätzung KRAUSSERS verlor die AG Kirchenfragen in dem Maße, in dem das Kirchenthema in der D D R an Brisanz zunahm, an Bedeutung. Außerdem räumte er im Gespräch mit den Verf. am 30.1.1995 ein, daß die von der AG Kirchenfragen für das PB erstellten Materialien von den PB-Mitgliedern kaum zur Kenntnis genommen worden seien. 107 Solche Zusammentreffen sind vereinzelt überliefert, jedoch für die späten fünfziger Jahre. Zur Praxis des „Umgangs mit Vertretern des Staates" vgl. die aufschlußreiche Schilderung bei W. LEICH: Wechselnde Horizonte, S. 145-154. 108 Vgl. „Information über die Einflußnahme in Vorbereitung auf die Synode des BEK". [Ohne Aussteller.] Berlin, 23.1.1986 (SAPMO BERLIN, DY 30/1VB 2/14/92). [Verfaßt vermutlich von der ZK-Arbeitsgruppe Kirchenfragen.]
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selbst" zurückzuweisen: „Sie dürfen nicht grundsätzliche kirchliche Dokumente bestimmen und das bestehende Verhältnis zwischen Staat und Kirche nicht erneut belasten." 109 Entsprechend dieser Zielsetzung waren Gespräche „des Staatssekretärs, seiner verantwortlichen Mitarbeiter und Vorsitzenden der Räte der Bezirke bzw. deren Stellvertreter für Inneres mit Bischöfen und weiteren kirchenleitenden Persönlichkeiten" bereits geführt worden." 0 In der gleichen Information wird erwähnt, daß es „für die weitere Entwicklung der Staat-Kirche-Beziehungen unerheblich" sei, ob Bischof Hempel oder Bischof Leich zum Vorsitzenden der K K L gewählt werde.111 Schon zur Bundessynode in Erfurt 1986 meinte die ZK-Arbeitsgruppe Kirchenfragen feststellen zu müssen, daß Verlauf und Ergebnis dieser Synodaltagung von „negativen" Synodalen geprägt worden seien. Als „negativ" stufte dieser ZK-Bericht die Synodalen Falcke und Große, Pilz, Schorlemmer und Adolph ein. 112 Als „realistisch" hingegen charakterisierte die ZK-Arbeitsgruppe die Synodalen Hertzsch, Krause und König." 3 Die innerkirchliche Vorgeschichte des auf der Görlitzer Bundessynode eingebrachten Antrags .Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" wurde auch in der ZK-Arbeitsgruppe Kirchenfragen eingehend beobachtet: „Die negativen Kräfte konzentrierten ihre Angriffe auf Reisefragen [...] und forderten im Zuge des ,neuen Denkens' mehr .Offenheit' und .Demokratie', den .mündigen Bürger' in der D D R " " 4 , wie es in einer Bewertung der Frühjahrssynode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg hieß. In einer von staatlicher Seite verfaßten Mitschrift des Synodenverlaufs wurde berichtet, daß der Synodale Fischbeck bei der Einbringung des Antrags „des Gemeindekirchenrates der Bartholomäuskirchengemeinde zur Absage an die Praxis und [das] Prinzip der Abgre[n]zung" die Entstehungsgeschichte erläutert habe: „ D a s T h e m a dieser Drucksache sei eine Herausforderung an den Gemeindekirchenrat gewesen, d e m er sich gestellt habe. Eine Grundlage dafür war die Examenspredigt von R. Lampe. Ferner waren an der Bearbeitung der Thematik Mehlhorn und Riekkert (ph.) [Hörfehler des staatlichen Beobachters, gemeint ist Bickhardt] beteiligt. In den Gesprächen im Gemeindekreis kam man zu der Ansicht, daß das die tatsächlichen Probleme unserer Bürger seien. [...] Es gäbe in der D D R ein Abgrenzungssyndrom.""5 Ebd., S. 2. Ebd. 1,1 Ebd., S. 1. 112 Vgl. „Information über die Tagung der Synode des evangelischen Kirchenbundes in der D D R (BEK), 19.-23.9.1986 in Erfim", S. 4. [Ohne Aussteller. Ohne Ort, ohne Datum.] (SAPM O BERLIN, DY 30/IV Β 2/14/92). [Verfaßt vermutlich von der ZK-Arbeitsgruppe Kirchenfragen.] Als Dok. 102 abgedruckt bei F. HARTWEG (Hg.): S E D und Kirche, Bd. 2, S. 532-537. " 3 Vgl. ebd. 114 „Zu einer ersten Wertung der Synode der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg", S. 1 f. [Ohne Aussteller.] Berlin, 29.4.1987 (SAPMO BERLIN, DY 30/IV Β 2/14/124). " 5 „Zweite Information über den Verlauf der 3. o[rdentlichen] Tagung der Synode Berlin-Bran109 110
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In der Mitschrift wurde auch festgehalten, daß nach Fischbecks Ansicht mehr Reisefreiheit durchaus auch stabilisierende Auswirkungen auf die D D R Gesellschaft haben könnte: „Es herrschten falsche Sehnsüchte nach der westlichen Konsumwelt. Resignation und Perspektivlosigkeit seien unter jungen Menschen feststellbar. [...] Die Resignationskrankheiten seien heilbar. Reisepraxis ist dazu ein erster Schritt." 116 Bei der Wiedergabe der Diskussion auf der Landessynode hielt der staatliche Vertreter auch einen Beitrag von Hanfried Müller fest, der mit „Empörung und Mißfallensäußerungen im Plenum" aufgenommen worden war: „Für ihn [Müller] bestehe eine Differenz zwischen dem Antrag und der Einbringung. Die im Antrag formulierten Forderungen nach Reisen erinnern ihn an die verstärkten Reisen während der Zeit des Faschismus (,Kraft durch Freude 1 )." 117 Aus einer abschließenden Information zur Berlin-Brandenburgischen Frühjahrssynode 118 , die sich in den Beständen der ZK-Arbeitsgruppe Kirchenfragen befindet, wird deutlich, daß die staatliche Seite eine westliche Steuerung des Abgrenzungsantrags vermutete. Neben dem ständigen Vorwurf der Kollaboration mit den westlichen Medien wurde in dieser Information behauptet, daß die „formulierten negativen Positionen [...] sich inhaltlich in Übereinstimmung [befinden] mit der Grundlinie des Ministeriums für innerdeutsche Beziehungen der B R D , die in einer Erklärung des Ministers, Frau Dr. Wilms, am Wochenende abgegeben und veröffentlicht wurde". 119 Der Verfasser der Information befürchtete dadurch negative Auswirkungen für den im Juni 1987 stattfindenden Berliner Kirchentag. Am 27. August 1987 beriet sich Jarowinsky mit den wichtigsten für Kirchenfragen zuständigen Mitarbeitern aus der Arbeitsgruppe Kirchenfragen und der Dienststelle des Staatssekretärs, um die sogenannte kirchenpolitische Linie bis zur Bundessynode festzulegen. Von dieser Besprechung hat Staatssekretär Gysi in seinen persönlichen Aufzeichnungen folgendes vermerkt: „Honecker-Reise. Phase sensibel behandeln! Kein Sprengmaterial jetzt oder zusätz-
denburg", S. 7 [Ohne Aussteller. Ohne Ort, ohne Datum.] (SAPMO BERLIN, DY 30/IV Β 2/14/ 124). 116 Ebd., S. 7f. 1 . 7 Ebd., S. 8. 1.8 Vgl. „Information über die 3. Tagung der 9. Synode der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg in der Stephanus-Stiftung Berlin-Weißensee vom 2 4 . - 2 8 . 4 . 1 9 8 7 " [Ohne Aussteller. Ohne Ort, ohne Datum.] (SAPMO BERLIN, DY 30/IV Β 2/14/124). Dohle, der ehemalige persönliche Referent von Staatssekretär Gysi, erkannte das Papier als eine von der Abteilung II der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen fiir den Staatssekretär erstellte Abschlußinformation. Dohle vermutete aufgrund der „modernen" Schrifttypen des Dokuments, daß die Information von einem Mitarbeiter der Dienststelle des Staatssekretärs in den Diensträumen des Magistrats von Berlin getippt worden sei, da in der Dienststelle des Staatssekretärs ältere Schreibmaschinentypen in Verwendung gewesen seien (Gespräch DOHLE mit den Verf. am 26.4.1994). " ' „Information über die 3. Tagung", S. 2.
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lieh."120 Außer der üblichen staatlichen Praxis, alle öffentlichen Anlässe zur Betonung der weitgehenden Ubereinstimmung zwischen Staat und Kirche zu nutzen, plante Jarowinsky, „fortschrittliche Synodale" dazu zu bewegen, Eingaben an die Bundessynode zu richten, „die die wahre Haltung der Christen zur Verteidigung des Sozialismus zum Ausdruck" brächten.121 Bei einer Beratung der Arbeitsgruppe Kirchenfragen und Mitarbeitern des Staatssekretärs für Kirchenfragen mit Jarowinsky am 8. September 1987 wurde noch einmal betont, daß es bei den staatlichen Planungen im Vorfeld der Bundessynode „nicht um eine Auflistung aller Details und Einzelmaßnahmen, sondern um die Richtung, die Diktion, die Grundaussagen" gehe. So sollten Möglichkeiten geprüft werden, „um Eingaben an die Synode zu initiieren" und mit einigen Bundessynodalen, die namentlich aufgeführt wurden, sollten vor der Synode noch Gespräche gefuhrt werden: Volker Nollau, Siegfried Hirsch, Wolfgang König, Ludwig Krause, Gudrun oder Ilse Althausen122, Gabriele Lättig, Hasso Schirmacher und Martina Huhn. 123 Unmittelbar zu Beginn der Synodaltagung am 18. September 1987 wurde von der ZK-Arbeitsgruppe Kirchenfragen eine Einschätzung verfaßt, in der vor „reaktionäre[n] Kräfte[n]" gewarnt wurde, „die seit langem als gewählte Mitglieder der Synode angehören, von außen offensichtlich systematisch beeinflußt, die heute beginnende Tagung in ihrem Sinne [...] negativ beeinflussen wollen".124 In dem Papier wurde auch über die von staatlicher Seite bereits geleistete Vorarbeit berichtet: Mit „uns als positiv bekannten Synodalen und Amtsträgern" seien diverse Gespräche geführt worden. Wolfgang Heyl vom Hauptvorstand der C D U hatte beispielsweise gemeldet, daß auftragsgemäß „im Vorfeld der Synode mit 53 Synodalen Gespräche gefuhrt" worden seien.125 Mit besonderer Sorge sah man im ZK der SED offensichtlich dem Abgrenzungsantrag Falckes entgegen, dessen genauer Wortlaut der ZK-Arbeitsgruppe Kirchenfragen zu diesem Zeitpunkt anscheinend noch unbekannt war126: 120
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P e r s ö n l i c h e A u f z e i c h n u n g e n K l a u s G y s i , BERLIN, 2 7 . 8 . 1 9 8 7 .
Z K der S E D . Arbeitsgruppe Kirchenfragen. [ O h n e Aussteller.) Berlin, 3 1 . 8 . 1 9 8 7 : „Festlegungen aus der Beratung mit Genossen Jarowinsky vom 27.8.1987", S. 2 ( S A P M O BERLIN, DY 30/IV Β 2/14/9). 122 In d e m D o k u m e n t werden nur Nachname u n d W o h n o r t angegeben; wahrscheinlich handelt es sich jedoch u m G u d r u n Althausen, da diese aus Berlin kam. 123 Z K der SED. Arbeitsgruppe Kirchenfragen. Kraußer. Berlin, 11.9.1987: „Festlegungen aus der Beratung mit Genossen Jarowinsky vom 8.9.1987", S. lf. ( S A P M O BERLIN, DY 3 0 / I V Β 2/ 14/9). Im A n h a n g als Dok. 9. 124 „Zur heute beginnenden Tagung der zentralen Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in Görlitz", S. 1. [ O h n e Aussteller.] Berlin, 18.9.1987 ( S A P M O BERLIN D Y 3 0 / I V B 2 / 1 4 / 93). [Verfaßt vermutlich von der ZK-Arbeitsgruppe Kirchenfragen.] Vgl. Dok. 15 im Anhang. 125 Diese B e h a u p t u n g m u ß insofern kritisch gelesen werden, als die C D U nicht über die notwendigen organisatorischen Voraussetzungen verfügte (insbesondere in den Kreisen), u m D D R weit mit allen Bundessynodalen Gespräche zu führen, wie die außerordentlich hohe Zahlenangabe suggeriert. Vgl. Kap. 3.2.6, S. 84. 126 Der ZK-Arbeitsgruppe war offenbar nicht klar, ob Falcke den auf der Berlin-Brandenburgi-
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„Unter Federführung des Erfurter Probstes [sie!] Falcke ist ein Leitantrag organisiert, in dem unter dem Vorwand der Überwindung des Geistes, der Logik und der Praxis der Abschreckung [gemeint war natürlich die .Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung"] 127 offensichtlich völlig unrealistische und lebensfremde Forderungen, die sich gegen unsere Grenze richten, enthalten sind. Eine Reihe ähnlicher unterstützender Anträge in dieser Richtung ist ebenfalls vorbereitet." 128
Diese von der SED als kritisch empfundene Situation hatte sich durch die angekündigte Nicht-Teilnahme der aus ihrer Sicht „profilierten Persönlichkeiten" Bischof Hempel und Bischof Gienke sowie Konsistorialpräsident Stolpe zusätzlich zugespitzt, so daß die ZK-Arbeitsgruppe noch folgende Maßnahmen festlegte: „Genösse Gysi wurde beauftragt, seinen Einfluß geltend zu machen, daß zumindest Stolpe unbedingt an der Synode teilnimmt. Stolpe hat inzwischen reagiert und befindet sich auf dem Weg nach Görlitz."129 Abschließend wurde festgelegt, „vor Ort in Görlitz während der 5tägigen Synode eine Arbeitsgruppe von Genossen des Staatssekretariats und unserer Arbeitsgruppe Kirchenfragen" einzusetzen, „die Informationen sichert und - wenn nötig — sich operativ mit den verschiedenen Ansprechpartnern verständigt".130 So war vom Politbüro und der ZK-Arbeitsgruppe Kirchenfragen durch genaue Wertungen und Einschätzungen nicht nur der Synodalen und ihres voraussichtlichen Auftretens auf der Synode, sondern auch der besonderen Mobilisierung „positiver" Teilnehmer bereits im Vorfeld der Synode eine Art Schadensbegrenzung versucht worden. Da es weder in der Macht des Politbüros noch der ZK-Arbeitsgruppe stand, die Beratungen über das Thesenpapier „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" auf der Bundessynode zu verhindern, wollte man sichergehen, zumindest so genau wie möglich über die Entwicklung bis zur Synodaltagung informiert zu sein, um jede sich bietende Chance zur direkten Einflußnahme nutzen zu können.
sehen Frühjahrssynode eingebrachten Antrag mit unverändertem Wortlaut übernehmen oder ihn für die Bundessynode modifizieren werde. Auch war der staatlichen Seite der Text von Falckes Einleitung zum Antrag nicht bekannt. 127 Die .Absage an Geist, Logik und Praxis der Abschreckung" war Teil des zentralen Synodenbeschlusses „Bekennen in der Friedensfrage". Die beiden .Absagen" sind hier verwechselt worden. 128 „Zur heute beginnenden Tagung" vom 18.9.1987, S. 1. Mit den Anträgen" sind die zahlreichen Eingaben zum Abgrenzungs-Antrag gemeint. 125 Ebd. Wie STOLPE am 6.1.1995 im Gespräch mit den Verf. mitteilte, nahm er seinen Urlaub regelmäßig im September und unterbrach ihn für die Tagungen der Bundessynode. Stolpe hielt es jedoch für durchaus möglich, daß Gysi bzw. Heinrich sich vor der Synode um eine Kontaktaufnahme mit ihm bemüht haben könnten. Auch Vize-Präses de Maiziere berichtete den Verf., daß Gysi unmittelbar vor Synodenbeginn mehrfach vergeblich versucht hatte, ihn telefonisch zu erreichen (Gespräch de MAIZI^RE mit den Verf. am 11.5.1994). 130 „Zur heute beginnenden Tagung" vom 18.9.1987, S. 2. Die dann gebildete „Arbeitsgruppe Bundessynode" setzte sich zusammen aus Mitarbeitern der ZK-Arbeitsgruppe Kirchenfragen, der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen, des RdB Dresden und des RdS Görlitz.
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3.2.2 Die Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen Bei einem Treffen des Staatssekretärs131 mit der Spitze des DDR-Kirchenbundes am 21. Mai 1987 im staatlichen Gästehaus Johannishöf in Berlin standen grundsätzliche Fragen im Vordergrund, die später zum Teil auch Gegenstand der Görlitzer Synodaltagung waren. An für die Kirche konfliktgeladenen Themen sprach der KKL-Vorsitzende Leich Fragen der Abrüstung, des „Neuen Denkens" 1 3 2 und der damit verbundenen Folgen für die Außen- und Innenpolitik der D D R an. Ebenso brachte Leich die Wehrdienstproblematik, die unzureichende Begründung von Ablehnungen in Reiseangelegenheiten sowie die unflexible Presse- und Medienpolitik zur Sprache. Daran anknüpfend verwies der stellvertretende KKL-Vorsitzende Demke auf Probleme aus dem Bereich der Volksbildung, die möglicherweise durch ein Gespräch beim Staatssekretär geklärt werden könnten. Der Präses der Bundessynode, Gaebler, sprach die Vorteile der Einführung eines zivilen Ersatzdienstes an und bat erneut um einen „ausschließlichen Einsatz der Baueinheiten an nichtmilitärischen Objekten". 133 Stolpe erbat unter anderem ein Gespräch über die Schwierigkeiten der Kirchenpresse mit staatlichen Veröffentlichungsbeschneidungen. 134 Nachdem die Kirchenvertreter ihre Anliegen vorgebracht hatten, trug Staatssekretär Gysi einige Aspekte der außenpolitischen Lage aus DDR-Sicht vor. Dabei stützte er sich auf eine von der Abt. II am 18. Mai 1987 erarbeitete Gesprächskonzeption. 135 Gysi wies darauf hin, daß zu den sowjetischen Abrüstungsvorschlägen „klare kirchliche Stellungnahmen" erwartet würden. Gleichzeitig forderte Gysi die Mitglieder der K K L auf, den Anspruch aufzugeben, die Kirche zum politischen Sprecher aller DDR-Bürger zu machen. Vielmehr sollten sie den „politischen Mißbrauch der Kirche [...] unterbinden". „Er wies ebenso die ständige Tendenz zur Verallgemeinerung von Einzelfällen durch die Kirchenvertreter zurück und ebenso die Geringschätzung der .Lösung von Einzelfällen' in Bereichen, in denen Lösungen nicht machbar sei131 Zur Organisationsstruktur und Arbeitsweise der Dienststelle vgl. auch Kap. 2.3 sowie R. MAU: Eingebunden in den Realsozialismus?, S. 7 5 - 9 9 ; Mau geht vor allem auf die Art und Bedeutung der Gesprächsfiihrung von Mitarbeitern des Staatssekretärs für Kirchenfragen mit den Kirchenvertretern ein. Vgl. auch H.-J. RÖDER: „Bindeglied" zwischen Staat und Kirche. 132 Vgl. auchT. MECHTENBERG: Der DDR-Kirchenbund und das „Neue Denken" in der Friedensfrage; H . FALCKE: „Neues Denken"; R. HENKYS: Neues Denken. 133 Staatssekretär für Kirchenfragen. Abt. II. [Ohne Aussteller.] Berlin, 25.5.1987: „Information über das Gespräch des Staatssekretärs mit dem Vorstand der K K L am 2 1 . 5 . 1 9 8 7 im Gästehaus Johannishof', S. 7. Anwesend waren Gysi, Kalb, Heinrich, Handel, Leich, Demke, Stolpe, Gaebler, Ziegler, Lewek, Kupas (BArchP, D O 4 S T S f. Kirchenfragen Nr. 712). Als Dok. 2 im Anhang; vgl. auch die kirchliche Überlieferung vom 2 2 . 5 . 1 9 8 7 als „Schnellinformation". I3< Vgl. auch M . HARTMANN: Bis zur Toleranzgrenze, sowie M . BURG: ES geht nicht um die Kirchenpresse. 135 Staatssekretär fur Kirchenfragen. Abt. II. [Ohne Aussteller.] Berlin, 18.5.1987: „Gesprächsmaterial für den Vorstand der K K L des B E K am 21. Mai 1987" (BArchP, D O 4 S T S f. Kirchenfragen Nr. 712).
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en." 136 Abschließend einigte man sich darauf, „zu aufgeworfenen Sachfragen Klärungen in Gesprächen auf Arbeitsebene herbeizufuhren und die erreichten Ergebnisse dann in einem erneuten Gespräch [...] zu bilanzieren". 137 Die Anweisungen und Planungen der ZK-Arbeitsgruppe Kirchenfragen wurden in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen in die Praxis umgesetzt. Halbjährlich wurde vom Leiter des Büros des Staatssekretärs, Dohle, ein Arbeitsplan vorgelegt, der für jede Abteilung der Dienststelle die vom Staatssekretär erstellten Konzeptionen erläuterte. Dieser Arbeitsplan legte jeweils genau fest, wie bestimmte kirchliche Ereignisse vor- oder nachzubereiten seien. So war beispielsweise mit Blick auf die Bundessynode im Arbeitsplan des zweiten Halbjahres 1987 festgelegt worden, daß für den 31. August 1987 eine sogenannte Leitungsinformation (4/87) vorzubereiten sei. Für den 28. September 1987 war eine „schriftliche Information über Verlauf und Ergebnisse der BEK-Synode" vorzulegen. 138 Die mit speziellen Angelegenheiten der evangelischen Kirche befaßte Abt. II erstellte monatlich unter ihrem Leiter Wilke die in dem von Dohle entworfenen Halbjahresplan geforderten Leitungsinformationen. Die Leitungsinformation 4/87 1 3 9 befaßte sich ausführlich mit dem Berliner Kirchentag vom Juni 1987 und wertete diesen im Blick auf die staatliche Vorbereitung der Bundessynode aus. In dem allgemeinen Teil über „politische Tendenzen und Argumente" wurde eine „Ubereinstimmung in grundlegenden Positionen von Staat und Kirche in der Friedensfrage" konstatiert, die mit Einzeläußerungen von Bundessynodalen belegt wurde. 140 Grundsätzlich wurden der Kirchentag und die damit verbundene „gute und breite Berichterstattung durch die DDR-Medien, die sich von der der Westmedien erfreulich abhob, da sie den wirklichen Kirchentag zeigte" 141 , als positiv für das StaatKirche-Verhältnis eingeschätzt. Die staatliche Seite notierte ferner, daß die „überwiegende Mehrheit der Geistlichen und Amtsträger" 142 die politischen Forderungen und Anliegen des „Kirchentags von Unten" als unangemessen empfunden habe, da sie nicht die Meinung der gesamten Kirche wiedergäben. In diesem Zusammenhang zitier-
„Information über das Gespräch des Staatssekretärs mit dem Vorstand der K K L " , S. 8. Ebd. 138 Staatssekretär für Kirchenfragen. Leiter des Büros. Dohle. Berlin, 9.7.1987: „Entwurf Arbeitsplan II. Halbjahr 1987", S. 4 (BArchP, D O 4 S T S f. Kirchenfragen Nr. 961). Als Dok. 5 im Anhang. 139 Diese Leitungsinformation war am 2 4 . 8 . 1 9 8 7 erstellt worden. Vgl. Staatssekretär für Kirchenfragen. Abt. II. Gräfe. Berlin, 24.8.1987: Vorlage an die Dienstbesprechung am 3 1 . 8 . 1 9 8 7 . „Leitungsinformation 4 / 8 7 " (BArchP, D O 4 S T S f. Kirchenfragen Nr. 955). 140 Ebd., S. 1. 141 E b d . , S . 3. Tatsächlich war in den Medien der D D R ausführlich über den Kirchentag berichtet worden. 142 „Leitungsinformation 4 / 8 7 " , S. 3f. 136 137
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te die Leitungsinformation Kirchenpräsident Natho, der außer seiner „Übereinstimmung mit der Friedenspolitik der D D R und ihrer Politik gegenüber den Kirchen" zum Ausdruck gebracht habe, daß er „sich noch deutlicher gegen einen politischen Mißbrauch der Kirche durch bestimmte Kräfte einsetzen" wolle.' 43 Im Blick auf die Bundessynode berichtete die Leitungsinformation über verschiedene Aktivitäten aus den Gemeinden, die sich mit dem Problem abgelehnter Reiseanträge befaßten. So sei die Forderung an die staatliche Seite, Ablehnungen von Reiseanträgen ausführlich zu begründen, wiederholt laut geworden. Der Rat des Bezirks Gera habe „den Äußerungen einiger Amtsträger" entnommen, daß über „Fälle unsachgemäßen und unkorrekten Vorgehens staatlicher Organe dem Landesbischof zu berichten" sei.144 An dieser Stelle hatte Gysi handschriftlich vermerkt: „Unsere Einzelfalltheorie!" 145 Gysi bezog sich damit auf das — zumindest in seiner Amtszeit — praktizierte Verfahren, kirchliche Amtsträger zum Vorbringen einzelner Konfliktfälle zu ermuntern, die er dann zu lösen bereit sei. Diese Strategie war aus der Erfahrung erwachsen, daß es nicht möglich war, aus der faktisch schwachen Position des Staatssekretärs für Kirchenfragen die Generallinie der S E D in den Bereichen Volksbildung, Verteidigung und Rechtsfragen zu beeinflussen. 146 Die Bezirke Potsdam und Berlin meldeten - so die Leitungsinformation „zielgerichtete Aktivitäten politisch negativer Kräfte (Vikar Lampe, Synodaler Fischbeck und andere), den Synodalbeschluß der Synode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg von [sie] Frühjahr dieses Jahres,,.Absage an Geist und Logik der Abgrenzung^1, in die BEK-Synode zu lancieren. Man wirbt in Kirchgemeinden für die Einbringung entsprechender Anträge bzw. Eingaben. Der Vorsitzende des Weißenseer Arbeitskreises, Pf. i. R. Schöller, hat dazu aufgerufen, diese Bestrebungen durch Eingaben an das Präsidium der Bundessynode zu verhindern." 148 Drei Wochen vor Beginn der Synodaltagung, am 1. September 1987, legte die Abt. II der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen einen Maßnahmeplan vor. Darin wurde die staatliche Erwartungshaltung an die K K L für die Bundessynode zum Ausdruck gebracht. Auf der Synode müsse eine „Bilanz der kirchenpolitischen Entwicklung in unserer Republik" erfolgen. 149 Reali-
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Ebd., S. 5. Ebd., S. 6. Ebd. G e s p r ä c h D O H L E m i t d e n Verf. a m
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Gemeint war die .Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung". 148 „Leitungsinformation 4/87", S. 7f. Hervorhebung im Original. , 4 ' Staatssekretär für Kirchenfragen. Abt. II. [Ohne Aussteller.] Berlin, 1.9.1987: „Information und Maßnahmeplan zur Synode des BEK, die vom 18.—22. September 1987 in Görlitz stattfindet", S. 1 (BArchP, D O 4 S T S f. Kirchenfragen Nr. 704 und S A P M O BERLIN, DY 30/IV Β 2/14/ 93). Als Dok. 7 im Anhang. 147
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stisch schätzte der Maßnahmeplan ein, daß trotz der Erfolgsmeldungen bezüglich des Staat-Kirche-Verhältnisses nicht davon ausgegangen werden könne, „daß zu allen Einzelfragen der politischen oder gesellschaftlichen Entwicklung übereinstimmende Positionen erreicht würden, möglich oder notwendig wären. Der Prozeß wachsender politischer Übereinstimmung verläuft nicht geradlinig und ist keineswegs unkompliziert". 150 Im Gegensatz zur Sichtweise der ZK-Arbeitsgruppe Kirchenfragen und des zuständigen Politbüromitglieds Jarowinsky stand die Einschätzung dieses beim Staatssekretär für Kirchenfragen entstandenen Maßnahmeplans, „daß das Wirken der Kirchen des B E K zur Normalität der gesellschaftlichen Entwicklung" beitrüge. 151 Wachsendes Einverständnis seitens der Kirchen konstatierte das Papier vor allem hinsichtlich der DDR-Friedenspolitik, wobei aus Synodenbeschlüssen und verschiedenen Veröffentlichungen des Bundes zitiert wurde. Gelobt wurde der gerade beginnende Olof-Palme-Friedensmarsch als Beispiel dafür, daß sich „das eigenständige, von Form und religiöser Motivation her unverwechselbare Eintreten der Kirchen für den Frieden in die Friedensaktivitäten der D D R " einzuordnen beginne. 152 Ebenso positiv wertete man den Kirchentag, der „die Verfassungswirklichkeit der breiten Möglichkeiten kirchlichen Wirkens in der D D R " demonstriert habe. 153 In dem Papier wurde sogar dafür plädiert, im Rahmen von Sach- und Informationsgesprächen endlich ein Gespräch zu Problemen der Volksbildung zwischen Kirche und Staat zu führen, wobei auch Fragen der Schulbuchgestaltung diskutiert werden sollten. 154 Mit Blick auf die umstrittene Synodenvorlage „Bekennen in der Friedensfrage" wurde bemängelt, daß manche kirchliche Aktivitäten den Eindruck erweckten, „daß nur Wehrdienstverweigerer oder eventuell noch Bausoldaten gute Gläubige sind". 155 Des weiteren wurde in dem Papier darauf verwiesen, daß es seit einigen Jahren „keine Verurteilungen mehr wegen Wehrdienstverweigerung" gegeben habe. 156 Negativ wurde im Ebd., S. 2. Ebd. 152 Ebd., S. 4. Diese positive Sicht des Palme-Friedensmarsches war für die staatliche Seite nicht selbstverständlich, zumal dem Staatssekretär bereits im Vorfeld dieser Veranstaltung Informationen über pazifistische Initiativen vorlagen. So geht aus den persönlichen Aufzeichnungen Klaus GYSIS, BERLIN, vom 13.8.1987 hervor, daß Jarowinsky die Dienststelle über einTreffen in Mecklenburg informierte, bei dem die 94 Teilnehmer die „Gründung einer entmilitarisierten Zone" gefordert hatten. Vgl. auch M. HERRMANN: Ein Stück „Glasnost" - um des Friedens willen. 153 „Information und Maßnahmeplan" vom 1.9.1987, S. 5. 154 Am 14.8.1987 hatte Gysi dies in einer internen Besprechung angeregt (Persönliche Aufzeichnungen Klaus GYSI, BERLIN, 14.8.1987). Bemerkenswert war das insofern, als der Bereich Volksbildung bis zur Wende für die Staats- und Parteiführung ein Tabu blieb. Vgl. dazu: R. MAU: Eingebunden in den Realsozialismus?, S. 2 6 - 3 4 . 155 „Information und Maßnahmeplan" vom 1.9.1987, S. 8. Vgl. auch die Argumentation Leichs und Härders während der Bundessynode, die mit den staatlichen Äußerungen praktisch identisch war. Siehe Kap. 4. sowieTYPOSKRIPT, S. 197, 303, 307 (Leich); S. 296f. (Harder). 156 „Information und Maßnahmeplan" vom 1.9.1987, S. 9. Vgl. auch die diesbezüglichen, die150
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Maßnahmeplan jedoch vermerkt, daß es „Kräfte" gebe, die das „gute" Verhältnis zwischen Staat und Kirche behinderten: „Sie sind bekannt und beschäftigen, meist unterstützt und motiviert durch westliche Medien, Kirchenleitungen ebenso wie staatliche Organe." 1 5 7 Im Hinblick auf die Tagung der Bundessynode in Görlitz warnte das Papier konkret vor „den Aktivitäten des Synodalen Fischbeck", der zusammen mit anderen seit der Berlin-Brandenburgischen Frühjahrssynode eine große Anzahl „negativer Kräfte" mobilisiere und mit ihnen eine „neue Störkampagne" für die Bundessynode organisiert habe. 158 Als Schlußfolgerung aus dieser Analyse wurden von der Abt. II acht Maßnahmen vorgeschlagen: Staatssekretär Gysi sollte zur Erläuterung des staatlichen Standpunkts und, um Staat-Kirche-Treffen anzubieten, Gespräche mit Bischof Leich 159 und Präses Gaebler führen. 160 Desgleichen war geplant, daß der Leiter der Abt. II, Wilke, ebenfalls mit Gaebler sprechen sollte, „um zu versuchen, ihn in seinen Positionen zu festigen". 16 ' Der stellvertretende C D U Vorsitzende Heyl sollte von der ZK-Arbeitsgruppe Kirchenfragen aufgefordert werden, mit Bundessynodalen zu sprechen, „die Mitglieder der C D U sind oder durch sie positiv zu beeinflussen sind". 162 Die an den staatlichen Theologie-Sektionen beschäftigten Professoren Klaus-Peter Hertzsch und Ernst-Rüdiger Kiesow sollten vom stellvertretenden Minister für Hoch- und Fachschulwesen, Professor Dr. Gerhard Engel, im Blick auf die Bundessynode instruiert werden. Weitere Gespräche „mit ausgewählten einflußreichen Synodalen" 163 seien über die Räte der Bezirke zu führen. Bezüglich der Berichterstattung über die Görlitzer Synodaltagung war vorgesehen, außer einem Journalisten und einem Bildreporter des ADNauch die Aktuelle Kamera nach Görlitz zu entsenden: „So kann nicht nur eine objektive und den gesellschaftlichen Entwicklungen in der D D R Rechnung tragende Berichterstattung erfolgen, sondern auch demonstrativ ein Gegengewicht gegen die westlichen Medien geschaffen werden." 164 Die in der D D R akkreditierten ausländischen Journalisten sollten - auf Antrag - durch das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten zugelassen werden. Für die Dienststelle des Staatsekretärs wurde Abteilungsleiter Wilke, für den Rat des Bezirks Dresden sen Tatbestand hervorhebenden Äußerungen von Rechtsanwalt Schnur in seinem Beitrag zu Wehrdienstproblemen a u f der Synode (TYPOSKRIPT, S. 1 5 2 - 1 5 3 ) . 157 „Information u n d M a ß n a h m e p l a n " vom 1 . 9 . 1 9 8 7 , S. 9. 158 Ebd., S. 10. 159 Dieses Gespräch Gysis mit Leich fand am 5 . 9 . 1 9 8 7 in Berlin statt. Leich hat darüber eine Aktennotiz angefertigt. Vgl. Kap. 3.1.2, S. 4 0 - 4 2 . 160 Diese Gespräche wurden tatsächlich vor Beginn der Bundessynode durch Gysi kirchenleitenden Persönlichkeiten in Aussicht gestellt. Dies ging auf eine Anweisung Jarowinskys zurück, die er am 1 9 . 8 . 1 9 8 7 Gysi erteilt hatte (Persönliche Aufzeichnungen Klaus GYSI, BERLIN, 1 9 . 8 . 1 9 8 7 ) . 161 162 163 IM
„Information u n d M a ß n a h m e p l a n " vom 1 . 9 . 1 9 8 7 , S. 10. Ebd. Ebd., S. 11. Ebd.
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Dr. Gerhard Lewerenz, beauftragt, an der Synode teilzunehmen. Die Tagung selbst sollte wie üblich von einer ,,operative[n] Arbeitsgruppe" begleitet werden, „die auch die Information der zentralen Organe sichert und die abschließende Information vorlegt".165 Im Rahmen ihrer regelmäßigen Dienstreisen in die Bezirke zu Beratungen mit den jeweiligen Sektorenleitern für Kirchenfragen beschäftigten sich auch die Bezirksbeauftragten („Operativkader") der Dienststelle des Staatssekretärs166 im September 1987 schwerpunktmäßig mit der bevorstehenden Bundessynode in Görlitz. So berichtete Dr. Bertram Handel von einer Dienstreise am 2. und 3. September 1987 nach Erfurt, wo er mit den Sektorenleitern Kirchenfragen der Bezirke Erfurt, Gera und Suhl zusammengetroffen war. Dabei kam zur Sprache, daß auffällig häufig Forderungen nach Reisefreiheit und Begründungen für Ablehnungen von Reiseanträgen an die staatlichen Vertreter von Seiten der Kirche herangetragen würden. Zunehmend mache sich die Kirche auch zum Sprecher von Nicht-Christen. Es war geplant, im Vorfeld der Synode mit dem immer „aktiver" werdenden Propst Falcke ein Gespräch zu führen. Zufrieden zeigten sich die Sektorenleiter über die Zusammenarbeit mit der C D U , „deren Vertreter u.a. mit den Synodalen Dr. König und Seichter arbeiten". 167 Mit den Leitern der Regionalgruppen der CFK wurde beraten, „wie konkret durch Eingaben auf die Synoden des BEK und der Landeskirche Einfluß genommen" werden könne. 168 Zur Einschätzung des Verhältnisses von „positiven" und „negativen" Kräften auf der Synode führte Gysi noch am Vorabend der Synode unter anderem ein Gespräch mit Bischof Leich, der von Bischof Forck begleitet wurde. Als Gysi seine Besorgnis hinsichtlich des Verlaufs der Synode zum Ausdruck brachte, habe Leich erklärt, „sich seiner Verantwortung bewußt" zu sein: „Er wolle alles in seinen Kräften stehende versuchen, um im positiven Sinne seinen Einfluß geltend zu machen und mit verschiedenen Synodalen ernsthafte Gespräche zu führen. [...] Unabhängig davon hat Landesbischof Leich erklärt, daß er täglich zum Gespräch bereit sei".169 165 Ebd. Der Sektorenleiter Lewerenz sollte an der Synodaltagung teilnehmen, weil der Tagungsort Görlitz zum Verantwortungsbereich des RdB Dresden gehörte. Der „Arbeitsgruppe Bundessynode" gehörten Mitarbeiter der ZK-Arbeitsgruppe Kirchenfragen, der Dienststelle des Staatssekretärs fur Kirchenfragen, des RdB Dresden und des RdS Görlitz an. 166 Ein genauer Arbeitsplan über „Zielstellung und Organisation der operativen Arbeit der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen gegenüber den Fachbereichen der Räte der Bezirke" findet sich unter der Signatur D O 4 STS f. Kirchenfragen Nr. 4820 im BArchR 167 Staatssekretär für Kirchenfragen. Abt. II. Handel. Berlin, 14.9.1987: „Bericht über die Dienstreise nach Erfurt am 2.9. und 3.9.1987", S. 2 (BArchP, D O 4 STS f. Kirchenfragen Nr. 990). 168 Ebd., S. 3. Tatsächlich richtete der Vorsitzende des Regionalausschusses der CFK in der DDR, Fink, für die CFK am 7.9.1987 eine Eingabe an die Bundessynode, die verlangte, das Abgrenzungsthema nicht auf die Tagesordnung zu setzen (EZA BERLIN, 101/93/847). 169 [Ohne Aussteller.] Berlin, 18.9.1987: „Zur heute beginnenden Tagung der zentralen Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in Görlitz", S. 2 (SAPMO BERLIN, DY 30/IV Β 2/14/93).
Staatliche Planungen im Vorfeld der Görlitzer Bundessynode
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Bei der Vorbereitung der Bundessynode durch die Mitarbeiter der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen hatten diese keinen Bereich ausgelassen, der Berührungspunkte mit der evangelischen Kirche und damit Beeinflussungsmöglichkeiten aufwies. Allein die direkte Kontaktaufnahme mit der sogenannten Basis gelang den Vertretern der Dienststelle nicht, so daß sie versuchten, vor allem die Mitglieder der KKL dazu zu bringen, kirchliche u n d sogar außerhalb der Kirche angesiedelte Gruppen von ihren Aktivitäten abzubringen. Im Widerspruch dazu stand Gysis Forderung an seine kirchlichen Gesprächspartner, die Kirche solle ihre Rolle als politischer Vermittler zwischen „Basis" und Staat unverzüglich aufgeben. 170 Die zumindest in der Planungsphase vorgesehene objektive Berichterstattung über den Verlauf der Bundessynode durch die DDR-Medien wäre außerordentlich wichtig gewesen, um ein direktes Gegengewicht zu westlichen Presseverlautbarungen zu schaffen, wie es ja auch im Maßnahmeplan des Staatssekretärs vermerkt worden war. Gleichzeitig hätte eine solche Berichterstattung vermutlich sogar einen nachhaltig positiven Eindruck in kirchlichen Kreisen und in der Öffentlichkeit hinterlassen, wie es schon nach dem Kirchentag in der Hauptstadt der D D R deutlich zu spüren gewesen war. Doch konnte der Staatssekretär diese von ihm eingeleitete „Maßnahme" nicht gegen den Widerstand auf höherer Regierungsebene durchsetzen. 3.2.3 Das Ministerium für Staatssicherheit' 71 3.2.3.1 Arbeitsweise und Aktenführung des M/S Auf Beschluß der Provisorischen Volkskammer vom 8. Februar 1950 war der DDR-Staatssicherheitsdienst gebildet worden. Das Ministerium für Staatssicherheit war Bestandteil des Ministerrats und unterstand unter F ü h r u n g des PB-Mitglieds Armeegeneral Mielke nur dem Politbüro des Z K der SED. 172 Der Hauptabteilung XX 173 in der Zentrale in Berlin, die von Generalleutnant 170 Grundsätzlich m u ß die Frage gestellt werden, ob die Mitarbeiter der Dienststelle oder anderer staatlicher O r g a n e wirklich gewillt waren, mit der sogenannten Basis in Verbindung zu treten. D a m i t hätten — den staatlichen Hierarchievorstellungen entsprechend — Kirchenreferenten auf unterer Ebene beauftragt werden müssen, denen möglicherweise die Kompetenz nicht zugetraut wurde. So war es leichter, die Verantwortung faktisch an Kirchenleitende abzuschieben. 171 Z u r Diskussion über den U m g a n g mit den Beständen des MfS bis zur Verabschiedung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (StUG) am 2 9 . 1 2 . 1 9 9 1 vgl. M . STROTMANN: Die Last der Vergangenheit u n d K.-D. HENKE/R. ENGELMANN (Hg.): Aktenlage. 172 Zwischen d e m 2 3 . 7 . 1 9 5 3 u n d dem 2 4 . 1 1 . 1 9 5 5 hieß das MfS Staatssekretariat für Staatssicherheit. Mielke war seit 1957 Minister für Staatssicherheit. Z u m Quellenwert der Überlieferung des MfS vgl. R. ENGELMANN: ZU Struktur, Charakter u n d Bedeutung der Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit, vor allem S. 6 - 1 7 , sowie M . SCHLENKE: Munitionsdepot, Mülldeponie oder historische Quelle? Vgl. auch C. VOLLNHALS: „Ausführendes O r g a n der Diktatur des Proletariats" u n d umfassend zur Begrifflichkeit u n d z u m
V o r g e h e n d e s M f S : D A S W Ö R T E R B U C H D E R STAATSSICHERHEIT, S . 1 7 7 - 2 0 3 . 173
Bis 1964 n a n n t e sich die Hauptabteilung XX Hauptabteilung V. Z u Aufbau u n d Organi-
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Kienberg geleitet wurde und Staatsapparat, Kirche, Kunst, Kultur sowie O p position überwachte, war die speziell für die Kirchen und Religionsgemeinschaften zuständige Abteilung 4 ( X X / 4 ) in Berlin untergeordnet. Ihr Leiter, Oberst Wiegand 1 7 4 , und seine beiden Stellvertreter Klaus Roßberg und Artur H e r m a n n hatten wiederum die in den 15 Bezirksverwaltungen 1 7 5 — nach dem Linienprinzip - angesiedelten Kirchenabteilungen (teils unter anderem für Kirchenfragen zuständige Abteilungen, teils selbständige Kirchenreferate) anzuleiten. 176 Unter den verschiedenen Kategorien von MfS-Akten befinden sich zunächst die zahlreichen Personendossiers. Es ist grundsätzlich zu bedenken, daß das M f S in seinem gesamten Vorgehen „primär personenbezogen" 1 7 7 arbeitete. Die IM-Akten enthalten Berichte über und von Personen, die als I M geführt wurden, sowie Informationen, die im Zusammenhang mit den als I M geführten Personen stehen. Die Spitzeltätigkeit der I M bezog sich zumeist auf einen speziellen Bereich. 178 Es gab unterschiedliche Kategorien von I M , deren Z u ordnung ihren Aufgabengebieten entsprach. Die Mehrzahl aller I M gehörte der Kategorie I M S an, dem „ I M zur politisch-operativen Durchdringung und Sicherung des Verantwortungsbereichs". 1 7 9 Eine besondere Form der konspirasationsstruktur des M f S vgl. D . GILL/U. SCHRÖTER: D a s Ministerium für Staatssicherheit, v.a. S. 3 1 - 8 9 . 174 Wiegand lehnte ein Gespräch mit den Verf. während laufender Verfahren gegen seine Person ab. 175 Berlin, Cottbus, Dresden, Erfurt, Frankfurt/Oder, Gera, Halle, Karl-Marx-Stadt (Chemnitz), Leipzig, Magdeburg, Neubrandenburg (ursprünglich mit Sitz in Neustrelitz), Potsdam, Rostock, Schwerin und Suhl. 176 D e m Leiter der Verwaltung waren — persönlich — die Kreisdienststellen unterstellt. 177 R. ENGELMANN: ZU Struktur, Charakter und Bedeutung der Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit, S. 18. „Personenbezogen" bedeutet, daß der konspirativen Tätigkeit des M f S die Kontrolle von Einzelpersonen als Ausgangsbasis diente, auch wenn die Beobachtung bzw. Zersetzung einer ganzen G r u p p e das Ziel war. Vgl. auch: INSIDER-KOMITEE ZUR AUFARBEITUNG DER GESCHICHTE DES MFS E.V., BERLIN: Das politische Wirken der Kirchen in der D D R und die Reaktion des M f S . 178 Z u den Definitionen der IM-Kategorien und dem IM-Bestand vgl. H . MÜLLER-ENBERGS: IM-Statistik 1 9 8 5 - 8 9 , sowie C . VOLLNHALS: .Ausführendes Organ der Diktatur des Proletariats", S. 6 6 - 7 0 . 179 Näheres zur Klassifizierung der I M bei D . GILL/U. SCHRÖTER: D a s Ministerium fiir Staatssicherheit, S. 9 5 - 1 0 7 . Z u IM-Vorläufen und IM-Vorgängen, u.a. dem Aufbau der Akten, vgl. R. ENGELMANN: Z u Struktur, Charakter und Bedeutung der Unterlagen des Ministeriums für S t a a t s s i c h e r h e i t , S . 2 5 - 3 1 . V g l . a u c h : D I E INOFFIZIELLEN M I T A R B E I T E R .
Der I M S „Murner", ein Redakteur des C D U - O r g a n s „ D e m o k r a t " in Rostock, berichtete der Staatssicherheit ausführlich von allen Landes- und Bundessynoden sowie verschiedenen kirchlichen Veranstaltungen, an denen er als Journalist teilnahm. Sein Auftrag bestand 1987 vor allem darin, das M f S über „Reaktionen" auf den Ost-Berliner Kirchentag, speziell auch den „Kirchentag von Unten", zu informieren. Z u r Görlitzer Bundessynode finden sich keinerlei Vermerke von „Murner", jedoch trug er die von Bundessynodalen über diese Tagung auf den Landessynoden erstatteten Berichte und die Inhalte persönlich mit einzelnen Synodalen geführter Gespräche an das M f S weiter ( B S t U BERLIN [ASt Rostock], A I M 4 1 6 5 / 9 0 , v.a. Τ. II/ Bd. 7 u. 8).
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tiven Tätigkeit des M f S war die Einschleusung von „Offizieren im besonderen Einsatz" (OibE); der spektakulärste Fall eines O i b E im Bereich der evangelischen Kirche war der Magdeburger Konsistorialpräsident Detlef Hammer. 1 8 0 Durch Operative Personenkontrollen (OPK)' 8 1 sollten vorhandene Verdachtsmomente erhärtet oder entkräftet werden. Sie richteten sich z.B. gegen Personen, die -
-
a u f g r u n d von I n f o r m a t i o n e n des Staatssicherheitsdienstes verdächtigt w u r d e n , in O p p o s i t i o n zur D D R zu stehen u n d d e m e n t s p r e c h e n d gegen den Staat tätig werd e n zu k ö n n e n ; in ihrem D e n k e n u n d H a n d e l n aus Sicht des M f S von der „offiziellen L i n i e " 1 8 2 abzuweichen schienen bzw. mit O p p o s i t i o n e l l e n i m weitesten Sinne verkehrten; die in b e d e u t e n d e n (staatlichen oder gesellschaftlichen) Positionen tätig waren oder werden sollten u n d die als anfällig gegenüber „staatsfeindlichen" 1 8 3 M e i n u n gen eingeschätzt wurden.
Gerade letzterer Personenkreis zeigt, daß eine O P K durchaus auch als präventive Maßnahme gedacht sein konnte, die bei staatstreuen Personen zur Anwendung kam. Zur Einleitung einer O P K wurde ein „Maßnahmeplan" erstellt, der nicht nur die einzusetzenden I M und G M S 1 8 4 , festlegte, sondern auch Vorgehen, Verhaltensmaßregeln sowie Dauer und Ziel der Aktion bestimmte. Nach Abschluß einer O P K konnte die überwachte Person selbst als I M geworben, Repressalien unterworfen oder sogar einer strafrechtlichen Ver-
180 Hammer war systematisch seit seiner Studentenzeit vom MfS auf eine konspirative Tätigkeit im Magdeburger Konsistorium vorbereitet worden. Vgl. dazu jetzt umfassend: H. SCHULTZE/W. ZACHHUBER: Spionage gegen eine Kirchenleitung. Wie BENDEL den Verf. am 4.7.1995 und 26.11.1995 mitteilte, waren „OibE in bestimmten staatlichen Bereichen der D D R wichtig zur gedeckten Durchsetzung operativer Aufgaben des MfS bzw. zur Wahrung operativer Interessen. Der Status der OibE war in erster Linie der Tatsache geschuldet, daß eine feste Bindung an das MfS vorhanden sein mußte, weil sie oft als .Diener zweier Herren' zu handeln gezwungen waren." 181 Vgl. R. ENGELMANN: ZU Struktur, Charakter und Bedeutung der Unterlagen des Ministeri-
u m s f ü r S t a a t s s i c h e r h e i t , S . 2 3 f . u n d : D A S W Ö R T E R B U C H DER S T A A T S S I C H E R H E I T , S . 2 8 6 . 182 D a es im eigentlichen Sinne keine stringente „offizielle Linie" gab, wurde subjektiv beurteilt, inwieweit Meinungsäußerungen oder Verhaltensweisen zum jeweiligen Zeitpunkt erwünscht waren bzw. den Interessen von Staat und Partei entgegenzuarbeiten schienen. 183 „Etwa ab Mitte der 70er Jahre ging der Anteil operativer Materialien, die nach § 106 S t G B [„Staatsfeindliche Hetze"] angelegt wurden, kontinuierlich zurück. Wo sollten bei einer fast 100%igen Wahlbeteiligung und kaum ,Nein'-Stimmen die vielen Staatsfeinde herkommen? Es wurde zumindest entsprechend des StGB tatsächlich nicht ,mit Kanonen auf Spatzen geschossen'." (Schreiben BENDEL an die Verf. vom 26.11.1995). 18,1 G M S waren eine „niedere Form" der IM, die innerhalb des Ministeriums für Staatssicherheit eine unwesendiche Rolle spielten. Sie sind nicht identisch mit den Personen aus dem Führungsbereich in Betrieben oder Behörden, von denen aufgrund ihrer Position selbstverständlich erwartet wurde, daß sie ihrer Informationspflicht in jeder Beziehung nachkamen. Doch war ihre eher staatsfreundliche Haltung in der Regel öffentlich bekannt. Vgl. A. MITTER/S. WOLLE (Hg.): Ich liebe euch doch alle!, S. 8 - 1 0 , sowie: DAS WÖRTERBUCH DER STAATSSICHERHEIT, S. 138f.
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D i e Vorbereitung der B u n d e s s y n o d e in Görlitz 1 9 8 7
folgung ausgesetzt beziehungsweise ihres Amtes enthoben werden. Oft gab es jedoch keine für das MfS verwertbaren Ergebnisse.185 Bestätigte sich der anfängliche Verdacht, wurde ein Operativer Vorgang (OV) 186 begonnen, dessen Einleitung als höchste Stufe der Überwachung durch das MfS bezeichnet werden kann. Opfer dieser OV waren im Unterschied zur O P K zumeist mehrere Personen, die aus Sicht des Staatssicherheitsdienstes als „politisch-negativ" kategorisiert werden konnten. Dabei ließ der Begriff „politisch-negativ" einen breiten Ermessensspielraum zu, zumal auch das Strafrecht der D D R einige Paragraphen enthielt, die sehr unterschiedliche Auslegungen ermöglichten.187 Da eine Bearbeitung durch den Staatssicherheitsdienst immer strafrechtsbezogen war, mußte ein Auslöser gefunden werden. 188 Ahnlich wie bei der OPK wurde vor der Einleitung eines OV ein genauer sogenannter Operativplan aufgestellt, der festlegte, mit welchen Mitteln und innerhalb welcher Zeitspanne das Ziel, zumeist die „Zersetzung" einer Gruppe oder Initiative, zu erreichen sei. Spezielle IM wurden dazu ausgewählt und instruiert.189 Jede Hauptabteilung, so auch die HA XX, hatte eine Auswertungs- und Kontrollgruppe (AKG), in der „alle inoffiziell und offiziell erarbeiteten Informationen zusammenflössen". Sie war zuständig für die „Erarbeitung von Analysen, Informationen und Lageeinschätzungen, die Führung der Speicher, die Planung der operativen Arbeit sowie die Anleitung und Kontrolle der operativen Arbeit der Fachabteilungen", innerhalb derer die Abteilung 4 mit sechs Referaten u.a. für die Kirchen verantwortlich war.190 Die Unterlagen der die Arbeit des gesamten Staatssicherheitsdienstes koordinierenden Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) bestehen aus zahlreichen Berichten der IM und der GMS. Alle gesammelten Materialien (auch Medienverlautbarungen) wurden von der ZAIG gespeichert, ausgewer185 Ein Beispiel dafür ist Bischof Leich, über den eine O P K angelegt worden war, nach deren Abschluß auf Vorschlag von Roßberg der IM-Vorlauf „Meister" eingeleitet und nach langer Zeit ergebnislos abgebrochen wurde. Vgl. BStU BERLIN (ZA Berlin), AIM 3206/91; BStU BERLIN (ZA Berlin), AP 11252/92; BStU BERLIN (ZA Berlin), AP 11253/92; BStU BERLIN (ZA Berlin), AP 1 1 2 5 4 / 9 2 ; BStU BERLIN (ZA Berlin), AP 13067/92; BStU BERLIN (ZA Berlin), AP 13080/92; BStU BERLIN (ZA Berlin), AP 13102/92; BStU BERLIN (ZA Berlin), AP 13103/92. 186 Vgl. R. ENGELMANN: ZU Struktur, Charakter und Bedeutung der Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit, S. 2 1 - 2 3 . Ein O V war also - im Gegensatz zur O P K - niemals vorbeugende Maßnahme, sondern kam einer (Vor-) Verurteilung gleich. Vgl. auch: DAS WÖRTERBUCH
DER STAATSSICHERHEIT, S . 2 8 7 - 2 9 7 . 187 Vgl. J. LEKSCHAS: Strafrecht der D D R . Lehrbuch, v.a. Kap. 2. Vgl. auch H.-J. GRASEMANN: Die Politische Strafjustiz als Instrument von S E D und Staatssicherheitsdienst, v.a. S. 38f. 188 Vgl. M. von RENESSE: Die D D R - e i n Staat ohne Recht?, v.a. S. 7 1 - 7 5 . 189 Vgl. dazu D. GILL/U. SCHRÖTER: Das Ministerium für Staatssicherheit, S. 1 3 1 - 1 4 0 . Ein Beispiel dafür ist der O V „Synodaler", dessen Hauptziel die „Zurückdrängung des Einflusses des [Ludwig] Große aus/in leitenden kirchlichen Gremien" war und der 1988 eingestellt wurde (BStU BERLIN [ASt Gera], A O P 1488/88, Bd. 1, S.12). 190 C . VOLLNHALS: .Ausführendes Organ der Diktatur des Proletariats", S. 58.
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tet, analysiert und zu „Informationen", Berichten, Statistiken und Lageeinschätzungen umgearbeitet, die an die Partei- und Staatsfiihrung - auf Entscheidung des Ministers für Staatssicherheit hin - weitergeleitet wurden. Außerdem wurden „Hinweise" für die Leitung des MfS erstellt, die dem Minister für Staatssicherheit als Entscheidungsgrundlage dienten. Die ZAIG versorgte auch den zentralen Datenspeicher der sozialistischen Geheimdienste in Moskau. 191 3.2.3.2 Das MJS und die Bundessynode in Görlitz In den Beständen des MfS konnten folgende, die Tagung der Bundessynode in Görlitz betreffende Aken gefunden werden: Eine am 21. Mai 1987 verfaßte „Information über die Frühjahrssynoden der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg und der Evangelischen Landeskirche Anhalts" 192 berichtete unter anderem über die Einbringung des „Abgrenzungsantrags" durch den Gemeindekirchenrat der Berliner Bartholomäusgemeinde. Als Initiatoren werden genannt: Fischbeck, Berger, Bickhardt, Mehlhorn, Pahnke, Lampe, Hafa, Ulimann, die Kreissynoden Ruppin, Teltow und der GKR Woltersdorf/Kirchenkreis Strausberg sowie „die Synodalen Hirte und Zimmermann". 1 9 3 Der Antrag selbst (nebst einem Flugblatt der „Kirche von Unten") findet sich im Wortlaut in der Anlage der „Information" des MfS. Es wurde vom Staatssicherheitsdienst aufmerksam zur Kenntnis genommen, daß eine Beschlußvorlage verabschiedet worden war, die bestimmte, „daß die im Antrag des Fischbeck enthaltenen ,Diskussionsanregungen' zur Reiseproblematik auf der Synodaltagung im Herbst 1987 erneut behandelt werden und allen Kirchengemeinden der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg schriftlich zugänglich gemacht werden" sollten.194 Der Leiter der Abt. XIX der MfS-Bezirksverwaltung in Berlin, die für Verkehr, Post und Nachrichtenwesen zuständig war, sandte am 11. August 1987 eine Notiz an die Abt. XX/4, in der er über die Kontaktaufnahme von Reinhard Lampe zu dem regimekritischen Professor der Klassischen Philologie Dr. Rudolf Schottlaender 195 berichtete, welche durch die Vermittlung Eppelmanns zustande gekommen sei. Lampe habe Schottlaender mitgeteilt, „,ein kleines verlängertes Projekt innerhalb der Kirche'" durchführen zu wollen. 196 Der Philologe habe freudiges Interesse gezeigt und sich mit Lampe noch für den gleichen Tag, den 7. August 1987, in seiner Wohnung verabredet. Ebd., S. 61. BStU BERLIN (ZA Berlin), Z A I G 3582, S. 2 2 - 3 0 . " 3 Ebd., S. 27. "" Ebd., S. 29. Schottlaender hatte sich seit Mitte der 60er Jahre immer öfter gesellschaftskritisch geäußert u n d später auch für Robert Havemann u n d Rudolf Bahro engagiert. Über Schottlaender wurde von der Staatssicherheit unter dem Stichwort „Schreiber" ein O V angelegt. 1,2
1,6 Über Lampe war während seiner Bewährungszeit Anfang 1987 eine O P K „Kette" eingeleitet worden, die seine Tätigkeit im Rahmen der Abgrenzungsinitiative verfolgte (BStU BERLIN [ASt Berlin], A O P K 1417/89, S. 113). Vermudich stammt die Information aus einem mitgeschnittenen Telefonat.
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Vermutlich mit Hilfe einer verborgenen Abhöreinrichtung konnte der Leiter der Abt. X I X wenige Tage später diese von Lampe und Schottlaender geführte Unterredung aufzeichnen und als „Operativinformation Nr. 103/87" 1 9 7 an die MfS-Kirchenabteilung seines Bezirks weiterleiten. Lampe habe von der geplanten „großen Aktion" innerhalb der evangelischen Kirche berichtet, die unter der „Losung: .Absage an die Abgrenzung'" stünde. Schottlaender habe er um Unterstützung des Vorhabens in Form eines vier- bis funfseitigen Kurzreferats gebeten, welches die „Zielstellung deutlich machen" solle. Schottlaender habe die Abgrenzungsinitiative als „,ernstzunehmende und auch schon etwas verbreitete Bewegung' in der D D R " eingeschätzt. Lampe habe erklärt, daß mit Hilfe eines .„Sammelbändchens"' [hierbei kann es sich nur um die auf der Bundessynode unter dem Namen „Aufrisse" verbreitete Aufsatzsammlung handeln] „von einem ,Nein zur Abschreckung' auf ein ,Nein zur Abgrenzung' übergegangen werden" solle. Auch „namhafte Theologen" sollten die Abgrenzungsinitiative unterstützen. Obwohl dies dem Philologen aufgrund „bestehender Meinungsunterschiede zu theologischen Positionen" eher mißfiel, habe er sich interessiert gezeigt und sei bereit zu versuchen, „möglichst Übereinkunft mit den Ambitionen der Theologen zu erreichen". Lampe habe Schottlaender weiter mitgeteilt, daß die .Aktion" „in aller Form" der Bundessynode vorgelegt und in Görlitz „nochmals beraten" werden solle. 198 Lampe habe noch über den Inhalt des Abgrenzungspapiers und des „Aufrufs" des Initiatorenkreises um Fischbeck informiert, der Autor der „theoretischen Materialien" sei. Die Vervielfältigung der Materialien sei mit in kirchlichem Besitz befindlichen Geräten geplant. Vom 17. bis 22. August werde ein „Treffen des Herausgeberkreises", ca. 2 0 - 2 5 Personen, stattfinden. Lampe habe auf „unterschiedliche Meinungen zur Aktion überhaupt und zum Zeitpunkt" unter kirchenleitenden Mitarbeitern hingewiesen. 199 Auf ganz andere Weise kam der Görlitzer Kreisdienststelle des MfS am 22. August 1987 der „Pfingstaufruf" 200 noch einmal in die Hände, in dem der Initiatorenkreis gebeten hatte, die „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" mit einer Eingabe an die Bundessynode zu unterstützen. Bei einer Rentnerin aus der D D R wurde bei ihrer Wiedereinreise von West- nach Ost-Berlin der Aufruf im Rahmen einer Zollkontrolle entdeckt. Außerdem hatte die Frau noch zwei Mitteilungsblätter der evangelischen Kirche in Pankow im Handschuhfach ihres Wagens. Uber die Herkunft des Papiers befragt, gab die Rentnerin an, eine Bekannte habe diese im Auto vergessen. Das Flugblatt wurde von den Grenzbeamten eingezogen und an die zuständige Kreisdienststelle des M f S weitergeleitet. Der Reisepaß der DDR-Bürgerin wurde kopiert. Das B S t U BERLIN (ASt Berlin), A O P K 1417/89, S. 114f. Ebd., S. 114. Schottlaender verfaßte einen Beitrag mit dem Titel „Gerechtigkeit des politischen Urteils", der in den .Aufrissen" abgedruckt wurde. 199 B S t U BERLIN (ASt Berlin), A O P K 1417/89, S. 115. 200 Z u m „Pfingstaufruf' vgl. Dok. 3/1 im Anhang. 197
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MfS rekonstruierte nicht nur, wen die Rentnerin in West-Berlin besucht hatte, sondern auch, daß sie zusammen mit einer anderen DDR-Bürgerin ausgereist war. Es wurde sogar festgestellt, bei welcher Person die Mitreisende für einige Tage in West-Berlin zu Gast war.201 Am 26. August sandte Wiegand einen „Gesprächsvermerk" 202 , den er über eine Unterredung mit dem für Kirchenfragen zuständigen PB-Mitglied und ZK-Sekretär Jarowinsky angefertigt hatte, an den stellvertretenden Minister für Staatssicherheit, Generaloberst Rudi Mittig. Jarowinsky hatte Wiegand für den 25. August zu einem Treffen einbestellt, um „sich zu einigen Grundfragen der Politik der Partei in Kirchenfragen" zu beraten, da „die Informationen des MfS politisch wertvoll und von großer Bedeutung seien und bei uns [gemeint ist das MfS] gute Kenntnisse über die reale Situation in den Kirchen und Religionsgemeinschaften" vorherrschten. 203 So riet Wiegand Jarowinsky, die „Kirche von Unten" und die „Solidarische Kirche" 204 wachsam zu beobachten, zumal zu befürchten sei, daß diese den Besuch Honeckers in der Bundesrepublik nutzen würden, „um ihre Positionen auszubauen". Jarowinsky monierte, daß der Olof-Palme-Friedensmarsch „zentral politisch nicht erschöpfend abgestimmt und vorbereitet" werde, um eine wirklich „differenzierte Einflußnahme" auf die Kirchen zu gewährleisten.205 Das MfS habe eine Liste angefertigt, die bestimmte, welche Personen „ständige staatliche Gesprächspartner" für die Kirchen seien. Wiegand teilte mit, daß das MfS „zur politisch-inhaltlichen Beeinflussung und Sicherung der Bundessynode, die vom 18.-22.9.1987 in Görlitz stattfindet, besonders auch im Zusammenhang mit den Ergebnissen des Besuches des Genossen Erich Honecker in der B R D , Maßnahmen auf der Grundlage einer politischen Konzeption durchführen" werde. Den Hinweisen Jarowinskys folgend werde diese Konzeption „gegenwärtig" von der ZK-Arbeitsgruppe Kirchenfragen, dem Staatssekretär für Kirchenfragen und dem MfS gemeinsam erarbeitet.206 Die Hauptabteilung XX/4 war ebenfalls im Besitz einer Teilnehmerliste, eines Zeitplans und einer kircheninternen Aufstellung über die Zusammensetzung der Ausschüsse der Bundessynode. Auch der Antrag „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" sowie der Text von Falckes Einbringungsreferat BStU BERLIN (ZA Berlin), HA X X / 4 - 3 6 8 , S. 373f. BStU BERLIN (ZA Berlin), HA X X / 4 - 8 3 8 , S. 16-21. 203 Ebd., S. 17. 204 Gemeint ist der .Arbeitskreis Solidarische Kirche", eine besonders mitgliederstarke Gruppe, die sich erst 1987 gebildet und mit dem Antrag der Bartholomäusgemeinde solidarisiert hatte. 205 BStU BERLIN (ZA Berlin), H A X X / 4 - 8 3 8 , S. 19. 206 Ebd., S. 20. Möglicherweise handelt es sich hierbei um die - von der Abt. II der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen - am 1.9.1987 ausgefertigte „Information und Maßnahmeplan" (Anhang, Dok. 7). Ein Maßnahmeplan des MfS, der zum Beispiel einzusetzende IM bezeichnet, wurde von den Verf. leider nicht gefunden. Es ist aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, daß es einen solchen Maßnahmeplan des MfS gegeben hat (oder noch gibt). 201
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waren später in den Besitz der Staatssicherheit gelangt. In derselben Sachakte waren ferner Pressemeldungen aus Ost und West, Synodeninformationen und andere die Bundessynode betreffende Publikationen gesammelt worden. 207 In der Abteilung X X der MfS-Bezirksverwaltung Gera wurde am 9. September eine Tonbandabschrift angefertigt. 208 Welche „Quelle" das Tonband besprochen hatte, wurde nicht vermerkt. Inhalt der Abschrift war die zweite Fassung des KKL-Berichts, der in seiner endgültigen Form erst der Bundessynode in Görlitz vorgelegt und dort diskutiert werden sollte. Das KKL-Mitglied OKonsR Hans-Martin Harder wurde vom MfS unter dem Decknamen I M E „Dr. Winzer" 209 geführt. Seit 1985 war Harder einer O P K mit der Bezeichnung „Advokat" unterzogen worden. Als Grund für die Einleitung dieser O P K wurde angegeben, daß Harder seine kirchenleitende Funktion „zur Störung und Belastung des Staat-Kirche-Verhältnisses und einer Unterstützung von politisch-negativen bzw. feindlich tätigen Personen" mißbrauche. 210 Nachdem diese Verdachtsmomente mit Abschluß der O P K für die Staatssicherheit widerlegt worden waren, wurde der Greifswalder Oberkonsistorialrat laut Auskunftsbericht am 15. November 1988 durch Hauptmann Wolfgang Wegner von der Abt. X X der BV Rostock als IM geworben. Im Abschlußbericht zu der O P K vom 8. Dezember 1987 2 " wurde unter anderem hervorgehoben, daß Harder Bischof Gienke, der sich in der Regel für die Tagungen der Bundessynode entschuldigen lasse, vor jeder Kritik geschützt habe. Harder selbst habe sich auf der Görlitzer Bundessynode „öffentlich gegen die unrealistischen Aussagen der Bundessynode zur Wehrdienstproblematik" ausgesprochen. Weiterhin habe er „in Stellungnahmen und Auswertungen im kirchlichen Bereich nach der Bundessynode [...] eindeutig Position gegen die sogenannte Eingabe Praxis und Prinzip der Abgrenzung" bezogen und „im Leitungsbereich der E L K G hinsichtlich einer Ablehnung der getroffenen unrealistischen und konfrontativen Aussagen der Bundessynode" gewirkt. 212 Diese „Ergebnisse", das heißt das dem Staat entgegenkommende Agieren Härders, führte das MfS nicht nur zurück auf den „Einsatz der staatlichen Organe auf Bezirks- und Kreisebene" und den „abgestimmten Einsatz von Quellen der H A XX/ 4 zur positiven Beeinflussung des Η [arder]", sondern auch auf „den konkret auf die politisch-realistische Beeinflussung von ^Advokat' ausgerichteten Einsatz von IM aus dem kirchenleitenden Bereich". 213 Härders ÄußeVgl. BStU BERLIN (ZA Berlin), HAXX/4-368, S. 1-125, 192-195, 243-250. Ebd., S. 270-278. Der 2. Entwurf der Redaktionsgruppe für den KKL-Bericht wurde am 5.9.1987 unter dem TOP „ 11. KKL-Bericht 1987" auf der 113. Tagung der KKL am 4-/5-9.1987 in Berlin diskutiert. Vgl. auch EZA BERLIN, 101 /93/242. Das Tonband wurde dem MfS-Leutnant Bergeram 6.9.1987 übergeben. 209 BStU BERLIN (ASt Rostock), AIM I 4155/90, Bd. 1. 2,0 Ebd., S. 22. 211 Ebd., S. 22-29. 212 Ebd., S. 28. 2 , 3 Ebd., S. 29. 207
208
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rungen im Rahmen eines am 9. September 1987 recht offen mit Wegner geführten Gesprächs 214 über das Thema „Kontakt zum M f S " wurden in die Akte „Dr. Winzer" aufgenommen. Harder habe mitgeteilt, das MfS zeige für seinen Dienstbereich anscheinend mehr Verständnis als andere staatliche Stellen. Dennoch rate er dem „durchschnittlichen kirchlichen Mitarbeiter" von Kontakten zum Staatssicherheitsdienst ab. 215 Das nächste Gesprächsthema zwischen Wegner und Harder war das SPDSED-Dialogpapier, das - wie Harder mitgeteilt habe - allerdings in der KKLSitzung noch nicht angesprochen worden sei. Jedoch sei geplant, das Dialogpapier bei einem Treffen der Chefs der Konsistorien und der Bischöfe der Landeskirchen zu besprechen. Für sicher halte er auch, daß die Existenz des Papiers oder eine Passage daraus Eingang in den KKL-Bericht finden werde, der der Bundessynode auf ihrer Görlitzer Tagung vorgelegt werde. Zur Bundessynode teilte Harder laut Wegner dem MfS mit, eine „vorzeitige Beschaffung" des diesjährigen KKL-Berichts sei „nicht lohnend", da er geprägt sei von Meinungsvielfalt und einem Mangel an Sachkompetenz. 216 Bezüglich der Berichterstattung durch die Medien habe Harder Wegner zugestimmt, daß eine „Abstimmung zwischen Synodalen und Journalisten vorab über [den] Inhalt ihrer Ausführungen" erfolge. Für den Verlauf der Bundessynode sehe Harder keine „konkreten Anzeichen auf Störung". Er habe noch über den geplanten Ablauf informiert, bevor er auf den Olof-Palme-Friedensmarsch zu sprechen gekommen sei. Das Plakat ,„Keine Schüsse an unserer Grenze' [sei] für H . [die] stärkste Provokation" gewesen. Nach seinen persönlichen Verbindungen befragt, habe Harder in diesem Gespräch angegeben, unter anderem mit den westlichen Politikern Johannes Rau, Björn Engholm und Uwe Barschel „persönlich bekannt" und mit Henner Kolitzus von der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in der D D R „eng befreundet" zu sein. 217 Am 12. September 1987 stellten der Leiter der Abteilung X X der BV Rostock und der sogenannte Stellvertreter Operativ „Erkenntnisse zur Tagung der K K L am 4-/5.9.1987 im Zusammenhang mit der Vorbereitung der 3. Tagung der V. Synode des BEK" 2 1 8 zusammen und sandten diese mit dem Vermerk „persönlich" an Wiegand, den Leiter der Berliner Kirchenabteilung des MfS. Dieser Bericht fußt vermutlich auf den Gesprächen, die Harder mit seinem FührungsofFizier Wegner geführt hatte. Zumindest lassen einzelne Einschätzungen und auch Formulierungen diesen Schluß zu. So wurde festgestellt, daß „realistische Kräfte in der K K L " geäußert hätten, „daß dem Staat kirchlicherseits viel zugemutet" werde, „um so höher sei die Reaktion des Staates zu be-
2.4 2.5 2.6 217 2,8
Ebd., BStU Ebd., Ebd., Ebd.,
S. 6 4 - 7 3 , 74 f. Vgl. Anhang, Dok. 10. BERLIN (ASt Rostock), AIM I 4155/90, Bd. 1, S. 64f. S. 70. S. 7 0 - 7 2 . S. 7 6 - 7 8 .
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werten". 219 Daß noch andere Personen aus kirchlichen Kreisen Vorabinformationen an MfS-Mitarbeiter weitergegeben haben müssen, verdeutlicht folgende Passage aus den „Erkenntnissen": „Gleichzeitig wird durch die Greifswalder Mitglieder [der Bundessynode] nicht ausgeschlossen, daß es durch Vertreter dieser Bewegung [gemeint ist die „Kirche von Unten"] zu provokativen Störungen in Görlitz kommen könne. Darauf sei man eingestellt."220
Rechtsanwalt Wolfgang Schnur, der in vielen Fällen im Auftrag der evangelischen Kirche die juristische Vertretung von Wehrdienstverweigerern übernahm, arbeitete mit Unterbrechungen seit 1965 unter verschiedenen Decknamen gleichzeitig für den DDR-Staatssicherheitsdienst. 221 Schnur war als Gast zur Tagung der Görlitzer Bundessynode eingeladen worden, um über Wehrdienstfragen zu berichten. Obwohl er sich seit einigen Jahren auf Anregung seiner Gesprächspartner beim MfS hin gegenüber Kirchenvertretern hartnäkkig darum bemüht hatte, stimmberechtigtes Mitglied der Bundessynode zu werden und 1985 sogar zuungunsten eines KKL-Mitglieds auf die Liste der Delegierten gesetzt worden war, wie Stolpe ihm mitgeteilt habe, war dieses Ansinnen an mangelnder Unterstützung bei den Wahlberechtigten gescheitert. 222 Aus einem „Treffbericht" vom 15. September, der den Verlauf eines vierstündigen Gesprächs zwischen Wiegand und Schnur zusammenfaßte, geht hervor, daß Schnur „instruiert [wurde], über Verhaltensweisen und B[ericht] Erstattung] zur BEK-Synode in Görlitz" zu informieren. Wiegand faßte seinen Eindruck von dem Treffen mit Schnur folgendermaßen zusammen: „IM war aufgeschlossen, einsatzbereit, er berichtete ehrlich/wertvoll."223 Jürgen Kapiske, der Leiter der Pressestelle der Kirchenprovinz Sachsen, informierte die Kirchenabteilung des DDR-Staatssicherheitsdienstes in Frankfurt/Oder als IM „Walter" über Meinungen und Aktivitäten aus dem Umfeld der kirchlichen Publizisten sowie über kirchliche Veranstaltungen in der D D R . Im Vordergrund stand jedoch die Berichterstattung über die Kirchenprovinz Sachsen.224 Am 16. September traf IM „Walter" mit seinem Führungsoffizier in dem KO (Konspirativen Objekt) „Eule" zusammen, um ihn „auftragsgemäß 2,9
Ebd., S. 77. Ebd. O b die „Greifswalder Mitglieder" direkt oder indirekt mit dem MfS Gespräche geführt haben, bleibt offen. 221 BStU BERLIN (ASt Rostock), AIM 3275/90T.I/Bd. 1, l a . 2 - 1 1 , T . II/Bd. 1 - 1 3 , T . III/Bd.l. 222 BStU BERLIN (ASt Rostock), AIM 3275/90Τ. II/Bd. 7, S. 260-262. 223 BStU BERLIN (ASt Rostock), AIM 3275/90 Τ. II/Bd. 11, S. 290. 224 BStU BERLIN (ASt Frankfurt/O.), AIM 1446/88 Τ. I/Bd. 1, Τ. II/Bd. 1-9, Τ. III/Bd. 1. So gab er am 9.10.1987 eine 24seitige „Analyse zu den Partnerschaften der Evangelischen Kirche der Kirchpenrovinz Sachsen" ab, in der er von den Beziehungen zur EKD (inklusive einer Aufschlüsselung der finanziellen Unterstützung der DDR-Gliedkirchen durch die EKD) über Kontakte mit Pressevertretern und Botschaftsmitgliedern bis hin zu Kurzcharakterisierungen einzelner Mitglieder der Kirchenprovinz berichtete (Ebd., T. II/Bd. 9, S. 209-232). 220
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über Reaktionen der K[irchen]L[eitung] der K[irchen]P[rovinz]S[achsens] zur geplanten Synode des B E K " zu informieren. 225 Kapiske habe einen Zeitplan der Tagung in Görlitz übergeben und mitgeteilt, daß die zahlreichen Eingaben, die zur Unterstützung des Falcke-Antrags beim Präsidium der Bundessynode eingegangen seien, „eine gewisse Sorge ausgelöst" hätten, da sie - nach Ansicht Demkes und weiterer KKL-Mitglieder - „gewisse positive Veränderungen im Staat-Kirche-Verhältnis zunichte machen könnten". Demke und andere Mitglieder der Kirchenleitung der Kirchenprovinz Sachsens begrüßten ausdrücklich das SPD-SED-Dialogpapier und die Tatsache, daß Honecker während seines Staatsbesuchs in der Bundesrepublik auch Probleme angesprochen habe, „die von der Kirche häufig erwähnt" worden seien, wie ζ. B. Reiseprobleme. 226 Der Stellvertreter für Inneres des Rates der Stadt Görlitz, Jürgen Werner, wurde am 16. August 1987 als I M E „Michael" von Hauptmann Gunter Schultze vom MfS geworben. Im Laufe des Werbungsgesprächs unterzeichnete Werner eine Verpflichtungserklärung. 227 Durch seine offizielle Tätigkeit beim RdS Görlitz war Werner regelmäßiger Gesprächspartner des Bischofs des Görlitzer Kirchengebiets, Prof. Dr. Dr. Joachim Rogge. Die zwischen Rogge und Werner geführten Unterredungen gelangten somit ohne Umwege in die Hände des MfS. Rogge hatte - nach Auskunft Werners - seine „persönliche Gesprächsbereitschaft zu allen Problemen" wiederholt zugesichert und sich dem Staat gegenüber kooperativ gezeigt, wobei er gleichzeitig betont habe: „Ich muß an meine Lobby in jeder Beziehung denken und kann verschiedene Dinge nur mit unserem Wortschatz ansprechen, da ich bestimmte Rücksicht auf meine Leute nehmen muß." 228 Das MfS war also gut genug informiert, um sich ein recht genaues Bild über die Vorbereitung und den geplanten inhaltlichen Verlauf der Görlitzer Bundessynode machen zu können. Den Kirchenabteilungen des DDR-Staatssicherheitsdienstes war bekannt, daß sich eine kleine, aber nicht ganz unbedeutende Anzahl von Bundessynodalen gegen den Abgrenzungsantrag aussprechen werde. Inwieweit tatsächlich vom MfS einzelne „Kirchen-IM" verpflichtet werden konnten, über ihr persönliches Votum oder Stimmrecht hinaus den Verlauf synodeninterner Sitzungen und Abstimmungen zu beeinflussen, kann man aus den vorliegenden Akten nicht erschließen. In den Beständen der Gauck-Behörde ist bislang der — mit Sicherheit vom MfS erstellte - Maßnahmeplan fiir die Synodaltagung nicht gefunden worden. Nur dieser könnte Aufschluß geben über einen während der Synodaltagung geplanten Einsatz einzelner IM kirchlicher oder auch staatlicher Herkunft. In diesem Zusammenhang sollte daran erinnert werden, daß ein großer Teil der Akten des Staatssicherheitsdien225 226 227 228
BStU Ebd., BStU Ebd.,
BERLIN (ASt Frankfurt/O.), AIM 1446/88 Τ. II/Bd. 9, S. 179f. S. 179. BERLIN (ASt Dresden), AIM 8865/90 Τ. I/Bd. 1, S. 11. S. 95f.
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stes einer internen Vernichtungsaktion Ende 1989 zum Opfer gefallen ist. Neben Spekulationen bleibt allenfalls die Möglichkeit, eine Bewertung der Aktenüberlieferung des MfS vorzunehmen, die nach der Görlitzer Bundessynode entstanden sind, um den tatsächlichen Einsatz und die erfolgte Berichterstattung durch IM zu verifizieren.229 3.2.4 Vorbereitungen auf Bezirks- und Kreisebene Ohne konkret den Antrag „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" vor Augen haben zu können, der dann auf dem Ost-Berliner Kirchentag von Mitgliedern der Bartholomäusgemeinde verteilt worden ist230, sorgte sich eine eigens zur Vorbereitung und Überwachung des Kirchentags (24. bis 28. Juni 1987) eingesetzte „Zentrale Arbeitsgruppe Kirchentag" um die bereits spürbare politische Unruhe, die von der Kirchenbasis ausging. Diese „Zentrale Arbeitsgruppe Kirchentag" setzte sich unter Leitung des Berliner Stellvertreters des Oberbürgermeisters für Inneres aus Vertretern der ZK-Arbeitsgruppe Kirchenfragen, der Berliner SED-Bezirksleitung, der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen und möglicherweise auch der Bezirksverwaltung Berlin des MfS zusammen. 231 Schon auf einer Sitzung am 6. April 1987 kamen innerhalb dieser „Zentralen Arbeitsgruppe" Befürchtungen auf, daß durch politische Forderungen nach mehr Reisefreiheit - insbesondere vom „Kirchentag von Unten" - der „vereinbarte Rahmen für die Durchführung des Kirchentags" überschritten und „die Kirchenleitung ihrer politischen Verantwortung nicht in vollem Umfang gerecht" werden könnten. 232 Die größte Zahl der Gespräche mit den hauptamtlichen und den nebenamtlichen Kirchenvertretern fand auf der Ebene der DDR-Bezirke und Kreise statt.233 Die hier mit Kirchenfragen befaßten Funktionäre luden zum Beispiel Bundessynodale in regelmäßigen Abständen zum Gespräch ein oder suchten sie gelegentlich auch zu Hause oder an ihrem Arbeitsplatz auf. Dabei achtete man auf beiden Seiten darauf, daß die staatlichen Gesprächspartner ihrem Status entsprechende kirchliche Gegenüber hatten — so wurden Bischöfe, Oberkirchenräte, Pröpste und Generalsuperintendenten von den Räten der Bezirke 229
Vgl. Kap. 5.2.3. Vgl. Kap. 3.1.4, S. 47. 231 Derartige „Arbeitsgruppen" wurden zu allen größeren kirchlichen Veranstaltungen gebildet. 232 Zentrale Arbeitsgruppe Kirchentag. [Ohne Aussteller.] Berlin, 6.4.1987: „Aktuelle Ergebnisse und Aufgaben bei der differenzierten politischen Einflußnahme auf die Vorbereitungen des Kirchentags der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg in der Hauptstadt der D D R , Berlin, vom 24.06.-28.06.1987", S. 2 (BArchP, D O 4 STS f. Kirchenfragen Nr. 1422). 233 Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß die staatlichen Organe - nicht nur vor und nach den Bundessynoden - versucht haben, eine Vielzahl von Einzel- und Gruppengesprächen zu führen. Die dabei von Staatsvertretern erstellten Gesprächsvermerke oder Protokolle sind nur zumTeil überliefert. Die von den Verf. zitierten Gespräche können deshalb nicht den Anspruch erheben, alle im Bearbeitungszeitraum möglicherweise zwischen Vertretern des Staates und Bundessynodalen geführten Gespräche zu dokumentieren. 230
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„betreut", während etwa Superintendenten mit Vertretern der Räte der Kreise zusammentrafen. Die Arbeit der fur Kirchenfragen zuständigen Mitarbeiter der Räte der Bezirke und Kreise war Zuarbeit auf unterster Ebene. Diese Mitarbeiter hatten nach dem „Prinzip der doppelten Unterstellung" 234 sowohl einen dienstlichen Vorgesetzten in dem Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres beim Rat des Bezirkes als auch einen fachlichen Vorgesetzten aus der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen, wobei letzterer kein Vorgesetzter im Sinne einer Weisungsberechtigung und Disziplinarbefugnissen war. Ihre Tätigkeit bestand in erster Linie in der Gesprächsführung mit Pfarrern und Synodalen sowie in der Weitergabe der dabei gewonnenen Erkenntnisse. Sogenannte operative Einsätze wurden auf höhere Weisung durchgeführt, wobei zum Beispiel der „Arbeitsgruppe Bundessynode" außer Lewerenz und dem in diesem Fall gleichzeitig für das MfS tätigen Stellvertretenden für Inneres des Rates der Stadt Görlitz nur technisches Personal aus Görlitz angehörte, während die anderen Mitglieder der Arbeitsgruppe aus den Berliner Zentralen der ZK-Arbeitsgruppe Kirchenfragen und der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen angereist kamen und mit Berlin in ständigem Kontakt blieben. 233 Aus einer Auflistung der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen aus dem Jahre 1988 geht hervor, welche staatlichen Funktionäre beispielsweise im Bereich der Thüringischen Landeskirche und der Kirchenprovinz Sachsen für die Gesprächsarbeit mit Bischof Leich, den Bundessynodalen Falcke und König aus Erfurt oder Eberhard Seichter aus Bleicherode zuständig waren. 236 Synodale, die in einem nicht-kirchlichen Arbeitsverhältnis standen, wurden in der Regel von Staatsvertretern an ihrem Arbeitsplatz aufgesucht. Im Gegensatz zu bei der Kirche beschäftigten Synodalen sahen sich Synodale, die in volkseigenen Betrieben oder direkt beim Staat angestellt waren, häufig Pressionsversuchen ausgesetzt. Einerseits konnten sie von staatlichen Vertretern jederzeit bei der Arbeit „überrascht" werden, andererseits mußte diese Gruppe von Synodalen auch mit innerbetrieblichen Nachteilen rechnen.237 Ohne vorherige An234 Der Sektorenleiter Kirchenfragen beim RdB Dresden, LEWERENZ, erläuterte den Verf. in einem Gespräch am 8 . 3 . 1 9 9 4 die Tätigkeit der Räte der Bezirke. 2 , 5 Lewerenz arbeitete als IM „Lutz Walter" ebenfalls dem M f S zu und berichtete auch über den Verlauf der Bundessynode in Görlitz (BStU BERLIN [ASt Dresden], A I M 2 7 6 9 / 9 0 , Τ. II/Bd. 5, S. 9 1 - 9 9 ) . Vgl. Kap. 5.2.3., S. 198. 236 Staatssekretär für Kirchenfragen. Abt. Evangelische Kirchen [d. i. Abt. II], [Ohne Aussteller. Ohne Ort, ohne Datum:] „Ständige staatliche Gesprächspartner für kirchenleitende Kräfte, Synodale, Delegierte zu kirchlichen Tagungen und weitere wichtige Amtsträger", S. 3 (BArchP, D O 4 S T S f. Kirchenfragen Nr. 1480). 237 Dies betonte auch Schorlemmer. So sei es infolge dieser staatlichen Strategie - vor allem auf den Tagungen der Bundessynoden - immer wieder dazu gekommen, daß Laiensynodale in den Ausschußsitzungen die hauptamtlich für die Kirche tätigen Bundessynodalen gedrängt hätten, die Vorlagen vorsichtiger zu formulieren. Schließlich hätten sie als in einem staatlichen Betrieb Angestellte die Konsequenzen zu tragen, wenn der Staat sich provoziert fiihle. Die staatliche Gesprächs-
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meidung kontaktierte beispielsweise ein Mitarbeiter des Rates des Bezirks Dresden den Bundessynodalen Karl-Heinz Welz, der in Dresden als Kraftfahrer tätig war, und berichtete über dieses Gespräch, das — obwohl es offenkundig in lockerer Form gehalten wurde und keine sonderlich gewichtigen Themen berührte 238 — aufgezeichnet und zu den Akten genommen wurde: „Der Zufall wollte es, daß ich ihn [Welz] bei Durchführung einer Lautsprecherinstallation in einem Β 1000 [Kleinlastwagen Barkas] auf dem Platz des Fuhrparks im VEB Grünanlagen antraf. Wir führten unser Gespräch in diesem Fahrzeug. In seiner etwas überschwenglichen Art sagte Welz zur Begrüßung: ,Gut, daß Sie kommen - ich wollte Sie schon anrufen - in meiner Kirchgemeinde (Christusgemeinde Strehlen) werden die Kohlen alle.'" Auf die Frage nach der Präsenz von westlichen Reportern auf Bundessynoden antwortete Welz, daß er deren Aktivitäten gelegentlich als störend empfände, aber „man dürfe staatlicherseits nicht so empfindlich sein". 239
Uber ein ebenfalls im Bereich des Rates des Bezirks Dresden am 20. Januar 1987 zwischen dem Bundessynodalen Michael Frenzel und einem Staatsvertreter geführtes Gespräch berichtete letzterer, Frenzel habe auf Schwierigkeiten im Bereich der Volksbildung hingewiesen. Zwar habe der Bundessynodale die Politik Honeckers gewürdigt, jedoch die nach wie vor bestehenden Einschränkungen der Reisefreiheit kritisiert.240 Die Beobachtung der Kirchen in der D D R beschränkte sich nicht auf die Gesprächsführung, sondern regelmäßig wurden auch die Aushänge und Auslagen vor und in den Kirchen kontrolliert. So wurde der Antrag .Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung", der ja ebenfalls die Forderung nach einer Lockerung der Reisebeschränkungen für DDR-Bürger beinhaltete, auch auf unterster Ebene mit Aufmerksamkeit registriert, wie ein Beispiel aus dem Berliner Stadtbezirk Köpenick veranschaulicht. Der Stellvertreter des Stadtbezirksbürgermeisters für Inneres von BerlinKöpenick wies in seiner „Information für die Monate Juni und Juli 1987" auf die Auslage des entsprechenden Informationsmaterials in der Köpenicker Stadtkirche hin: „Es handelt sich um den Antrag, der an die im September stattfindende Synode der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg [sie!] gestellt werden soll,,Absage an Pra-
führung habe also tatsächlich die Angst einiger Laiensynodaler zur Folge gehabt, strafrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden (Gespräche SCHORLEMMER mit den Verf. am 11.3.1994 und 5.12.1995). 238 Gerade dieses Gespräch zeigt, wie vielfältige Formen der Gesprächsführung mit Staatsvertretern möglich waren. 239 RdB Dresden. Bereich Inneres. Staatspolitik in Kirchenfragen. [Ohne Aussteller.] Dresden, 24.2.1986: „Gespräch mit dem Synodalen Karl-Heinz Welz am 21.2.1986" (SächsHStA DRES-
DEN, R d B D r e s d e n N r . 4 5 9 3 5 ) . 240
RdB Dresden. Bereich Inneres. [Ohne Aussteller. Ohne Ort,] 20.1.1987: „Gespräch mit Michael Frenzel" (SächsHStA DRESDEN, RdB Dresden Nr. 45933).
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xis und Prinzip der Abgrenzung'. Über die Wirksamkeit dieses Materials in den einzelnen Kirchgemeinden ist bisher nichts bekannt geworden." 24 ' Diese B e o b a c h t u n g wurde mit einem zusammenfassenden „Bericht" über die L a g e in Berlin 2 4 2 weitergeleitet: „Es wurde bekannt, daß der Vikar Lampe, der kirchliche Mitarbeiter Bickhardt und der Synodale Fischbeck bemüht sind, den Synodalbeschluß »Absage an Geist und Logik der Abgrenzung' [sic] (DS 28) in die Bundessynode zu lancieren. Nachdem der Gemeindekirchenrat der Bartholomäus-Gemeinde es mit Mehrheit abgelehnt hat, erneut einen diesbezüglichen Antrag zu stellen, wird von o. g. Vertretern nun in den einzelnen Gemeinden in diesem Sinne geworben (ζ. B. Auslage eines entsprechenden Materials in der Stadtkirche Köpenick)". Im R a h m e n der normalerweise alle zwei M o n a t e erstellten Informationsberichte der Räte der Bezirke an den Staatssekretär für Kirchenfragen übermittelte der Stellvertreter für Inneres des Rates des Bezirks Dresden für die M o n a t e Juni/Juli 1 9 8 7 unter anderem: „In bezug auf die Synode des Bundes der Ev. Kirchen, die vom 18.-22.09.1987 in Görlitz stattfindet, hat es ebenfalls eine Reihe von Vorbereitungsgesprächen gegeben. Die Görlitzer Kirchenleitung ist sehr daran interessiert, den Stand der guten Beziehungen zu den staatlichen Organen in Görlitz herauszustellen und beim Abend der Begegnung' sichtbar zu machen. Der Bischof [Rogge] geht davon aus, daß man ohne Berührungsängste und bei je eigener Interessenlage durchaus auch präsentieren solle, welche Art des Umgangs miteinander gepflegt wird und wie dies auch zur Lösung von gemeinsam interessierenden Fragen führt." 243 D e r Informationsbericht des Rates des Kreises Dippoldiswalde für den M o nat September 1 9 8 7 meldete aus einem Gespräch mit der Bundessynodalen H a n n a Kahl die für die Görlitzer Bundessynode zu erwartenden T h e m e n schwerpunkte, „u.a. konziliarer Prozeß, es wird aber sicher auch wieder die F o r d e r u n g von einzelnen Synodalen erhoben werden nach: sozialem Friedensdienst, Friedenserziehung statt Wehrunterricht". 2 4 4 241 Rat des Stadtbezirks Berlin-Köpenick. Stellvertreter des Stadtbezirksbürgermeisters fiir Inneres. Berlin, 5.8.1987: „Information fur die Monate Juni und Juli 1987. 1. Zu politischen Entwicklungen und Tendenzen in den Kirchen und Religionsgemeinschaften" (LA BERLIN, AUSSENSTELLE STRASSBURGER STRASSE. Bestand: Magistrat von Berlin. Bereich Inneres. Sektor Kirchenfragen. Nr. 2 8 4 1 Β 1.4a). Der Verfasser der „Information" hat Bundessynode (September 1987) und Landessynode - wahrscheinlich aus mangelnder Kenntnis über kirchliche Strukturen - verwechselt. 242 [Ohne Aussteller. Ohne Ort, ohne Datum:] „Bericht über die kirchenpolitische Situation in Berlin, Hauptstadt der D D R , Juni/Juli 1987", S. 2 (BArchP D O 4 S T S f. Kirchenfragen Nr. 1129). 243 R d B Dresden. Stellv. des Vors. für Inneres. Fuchs. Dresden, 17.8.1987: „Informationsbericht für die Monate Juni/Juli 1987" (SächsHStA DRESDEN, R d B Dresden Nr. 4 5 9 4 0 , S. 166). 244 R d K Dippoldiswalde. Stellv. des Vors. für Inneres. [Ohne Aussteller.] Dippoldiswalde, 2 4 . 9 . 1 9 8 7 : „Informationsbericht September 1987" (SächsHStA DRESDEN, R d B Dresden Nr. 4 4 8 6 9 , S. 191).
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Der Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres des Rates des Kreises Jüterbog erwähnte in seinem Informationsbericht für die Monate August und September 1987 ein am 9. September 1987 mit dem Bundessynodalen Pfarrer Wolfgang Zimmermann geführtes Gespräch.245 Über dieses Gespräch notierte der Staatsvertreter, daß Zimmermann, befragt zur Bundessynode und zu den „an sie gerichteten Anträge[n]", es für selbstverständlich halte, „daß sich diese Antragsteller an alle Kirchengemeinden wenden und diese auffordern, ähnliche Anträge zu stellen, wobei ζ. B. das Thema .Reiseverkehr' seiner Auffassung nach ein viel diskutiertes Thema unserer Tage ist und im Zusammenhang mit dem Besuch Erich Honeckers in der BRD zu sehen ist".246 Zimmermann habe sich persönlich gewünscht, seine Kontakte mit einem Pfarrer in Polen auszubauen, ihn auch besuchen zu können, und sich überzeugt gezeigt, daß die Anträge, die auf der Görlitzer Bundessynode eingebracht werden sollten, dort auch beraten würden. In welcher Form die Synode Beschlüsse fassen werde, habe Zimmermann nicht sagen können. Am 15. September 1987, also im unmittelbaren Vorfeld der Görlitzer Bundessynode, verfaßte der Stellvertreter für Inneres des Rates des Bezirks Halle eine Information über ein Gespräch, das er am Vortag mit Kirchenpräsident Natho geführt hatte. Natho habe bezüglich des Antrags „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" „sein besonderes Unverständnis [dazu geäußert], daß Propst Falcke — Erfurt — sich dazu hergegeben habe, diese Eingabe als Antrag in die Tagung einzubringen". 247 Zum Inhalt des Antrags habe er folgendermaßen Stellung genommen: Eine Absage an die Abgrenzung sei „gerade nach dem BRD-Besuch [Honeckers] unrealistisch, würde einen Versuch darstellen, dort erzielte Ergebnisse zu unterlaufen [,] und sei politisch sehr gefährlich. Zweitens passe sie grundsätzlich nicht in die Landschaft, so habe man sich noch nie mit dem Staat verständigen können. In der Konferenz der ev. Kirchenleitungen habe diese Eingabe erhebliche Stimmung erzeugt und werde abgelehnt." Nach Nathos Einschätzung fände der Antrag in den Gemeinden überhaupt kein Interesse. „Natho geht davon aus — und das wäre die beste Lösung —, daß sie in der Synode an einen Ausschuß überwiesen wird."248 Nachdem der Stellvertreter für Inneres des Rates des Bezirks Halle den staatlichen Standpunkt erläutert und „außerdem auf die Argumentation der ,Weißenseer Blätter'249 verwiesen" 245 Das Gespräch mit Zimmermann ist im Anhang als Dok. 11 abgedruckt. RdK Jüterbog. Stellv. des Vors. für Inneres. [Ohne Aussteller.] Jüterbog, 18.9.1987: „Bericht Kirchenfragen für die Monate August/September 1987" (BLHA POTSDAM, Bez. Pdm. Rep. 401 Bezirkstag Nr. A/5308). 246 Ebd. 247 RdB Halle. Abt. Kirchenfragen. [Ohne Aussteller.] Halle, 15.9.1987: „Information zum Gespräch des Stellvertreters für Inneres, Gen. Pöhner, mit Kirchenpräsident E. Natho am 14.09.1987 im Gästehaus des Rates des Bezirkes", S. 2 (BArchP, D O 4 STS f. Kirchenfragen Nr. 1477). Im Anhang als Dok. 14. 248 Ebd. 249 Hanfried MÜLLER beschäftigte sich in Heft Nr. 3/1987 der „Weißenseer Blätter", das vorder
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hatte, bat man Natho, „in diesem Sinn in der Synode zu wirken und dafür auch andere Synodale zu gewinnen. In diesem Sinn - habe Natho zu verstehen gegeben - laufe auch sein Interesse". 250 Während des Gesprächs habe Natho ausdrücklich auch die DDR-Medien gelobt: ,,[F] reuen könne man sich über die umfassende Berichterstattung in unseren Medien, die Veranlassung waren, sich über sie (und nicht das Westfernsehen) zu informieren." 25 ' Die Vorbereitung der Bundessynode in Görlitz auf Bezirks- und Kreisebene hat sich somit auf die Sammlung und Übermittlung von — sehr wichtigen atmosphärischen Einschätzungen beschränkt, die die ZK-Arbeitsgruppe (als nächsthöhere Instanz über den SED-Bezirksleitungen), die Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen und nicht zuletzt das MfS in die Lage versetzten, auf diesen Informationen aufbauend über weitere Maßnahmen zu entscheiden. 3.2.5 Die Arbeitsgruppe „Christliche Kreise" beim Nationalrat der Nationalen Front Die Organisationsstruktur der Arbeitsgruppe „Christliche Kreise" beim Nationalrat der Nationalen Front reichte von der Zentrale in Berlin über die Bezirks-, Kreis- und Stadtausschüsse bis in die Stadtbezirksausschüsse hinein. Die Gesprächsarbeit zwischen bei den „Christlichen Kreisen" Aktiven und kirchlichen Amtsträgern sollte im Idealfall regelmäßig geführt werden. Für eine übergreifende Zusammenarbeit schlossen sich die für Kirchenfragen zuständigen Mitarbeiter der Nationalen Front einer offiziellen Koordinierungsgruppe an, der Vertreter von S E D und C D U sowie die jeweiligen Referenten für Kirchenfragen angehörten. Bei den verschiedenen Aktivitäten der Arbeitsgruppe „Christliche Kreise" beim Nationalrat leistete zumeist der zuständige Sektorenleiter Kirchenfragen auf Bezirksebene logistische Unterstützung. Zu den Aktivitäten zählten unter anderem Vorträge, Diskussionen und Besuche von Mahn- und Gedenkstätten. Im Bereich der Stadt Dresden etwa fanden traditionsgemäß alle ein bis zwei Monate die sogenannten „Astoria"-Gespräche statt. In der Regel folgte dabei einem längeren Einfiihrungsvortrag zu verschiedenen Themen eine Diskussion. Bei einem „Astoria"-Gespräch im Jahre 1986 waren der Bezirks- und der Stadtausschuß der Nationalen Front verantwortlich für die Einladung der Gäste und den Ablauf der Veranstaltung, während der Sektor Kirchenfragen beim Görlitzer Synodaltagung erschien, mit der „Synode des Bundes und Problemen der Zeit". In seinem Beitrag behauptete er, die Forderung nach Reisefreiheit wolle in Wahrheit eine nationale Wende herbeiführen (S. 37-39).Vgl. dazu auch eine Stellungnahme des Vorsitzenden des Weißenseer Arbeitskreises im Vorfeld der Synode. S. 84 (Anm. 269) und R. HENKYS: Anmerkungen zu Klaus Michaels Aufsatz zur Samisdat-Literatur in der D D R . 2 , 0 „Information zum Gespräch" mit Natho am 14.9.1987, S. 2. 251 Ebd.
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R a t des Bezirks Dresden „Unterstützung beim Versenden der E i n l a d u n g e n u n d in finanzieller H i n s i c h t " gab. 2 5 2 In einem internen Papier aus d e m Jahr 1 9 8 7 formulierte die Arbeitsgruppe „Christliche Kreise" beim Nationalrat der Nationalen Front ihre Aufgabenstellung folgendermaßen: „Ziel des Dialogs ist es, bei kirchlichen Amtsträgern ein immer besseres Verständnis unserer Innen- und Außenpolitik herauszubilden und die weitere Ausprägung staatsbürgerlicher Haltungen zu fördern. Die Bereitschaft kirchlicher Amtsträger zum politischen Zusammenwirken mit Marxisten im Ringen um Frieden und sozialen Fortschritt soll weiterentwickelt werden." D i e Gesprächspartner a u f kirchlicher Seite wurden in der Beschreibung der Arbeit der „Christlichen Kreise" detailliert aufgeführt: „Darunter verstehen wir haupt- und ehrenamtlich im kirchlichen Dienst tätige Personen, wie kirchenleitende Persönlichkeiten, Superintendenten, Pröpste, Oberpfarrer, Dechanten, Pfarrer, Pastoren, Prediger, Universitätstheologen und Theologiestudenten, Diakone und Gemeindeschwestern, Katecheten, Kantoren, Organisten, Mitarbeiter von diakonischen und caritativen Einrichtungen sowie von theologischakademischen Ausbildungsstätten, kirchliche bzw. theologische Publizisten und andere kirchliche Angestellte, Synodale, Lektoren, Mitglieder von Gemeindekirchenräten, Kirchenvorständen, Pfarrgemeinde-, Dekanats- und Diözesanräten. Weiterhin wenden wir uns an die Familienangehörigen kirchlicher Amtsträger." 253 W i e aus einer Statistik v o m E n d e des Jahres 1 9 8 5 hervorgeht, wurde über die Stärke u n d Z u s a m m e n s e t z u n g der „Christlichen Kreise" genau B u c h geführt. So hatte z u m Beispiel der Bezirksausschuß Potsdam der „Christlichen Kreise" 3 1 3 Aktive, von denen 54 evangelische Pfarrer u n d 17 evangelische Synodale waren. In der Statistik wurde auch vermerkt, ob diese Personen der S E D , der C D U oder anderen Blockparteien angehörten bzw. parteilos waren. 2 5 4 In den Beständen der Berliner Zentrale der Arbeitsgruppe „Christliche Kreise" beim Nationalrat der Nationalen Front, die heute im Zwischenarchiv D a h l witz-Hoppegarten des Bundesarchivs lagern, finden sich keine Vermerke oder Protokolle über Gespräche mehr, da ein großer Teil dieses Bestands E n d e 1 9 8 9 2 , 2 R d B Dresden. Sektor Staatspolitik in Kirchenfragen. [Ohne Aussteller.] Dresden, 7 . 5 . 1 9 8 6 (SächsHStA DRESDEN, R d B Dresden Nr. 4 5 9 3 0 ) . 253 Nationalrat der Nationalen Front. A G Christliche Kreise. Sekretariat Grewe. [Ohne Aussteller.] Berlin, 2 6 . 1 0 . 1 9 8 7 : „Hinweise fur die differenzierte politische Arbeit mit kirchlichen Amtsträ-
g e r n " (BUNDESARCHIV-ZWISCHENARCHIV DAHLWITZ-HOPPEGARTEN, B e s t a n d : D Z 6 N r .
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4 4 [schwarz]). Vgl. dazu auch K. JATZEK: Z u m Beitrag der Arbeitsgruppe „Christliche Kreise" der Nationalen Front für die Einbeziehung religiöser Bürger in den Prozeß der sozialistischen Revolution in der D D R . 254 Vgl. Nationale Front. Bezirksausschuß Potsdam. [Ohne Aussteller. Ohne Ort, ohne Datum:] „Statistik Arbeitsgruppe Christliche Kreise im Bezirk Potsdam" ( B L H A POTSDAM, Bez. Pdm. Rep. 542 Nr. 3 4 9 A/327).
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vernichtet wurde. Auch auf Länderebene - zumindest im Bereich von Sachsen und Brandenburg - sind keine Gesprächsvermerke dieser Arbeitsgruppe auffindbar.255 Ähnlich wie die oben (3.2.4) beschriebene Tätigkeit auf der Ebene der Räte der Bezirke und Kreise war die der Arbeitsgruppe „Christliche Kreise" auf die Gesprächsfiihrung und Einschätzung der politischen Lage begrenzt. Mit Hilfe dieser Informationen, die zur Vervollständigung des Gesamtbilds ihren Beitrag leisteten, konnte die Staats- und Parteiführung umso effektiver ihre Kirchenpolitik planen. Uber die möglicherweise von der Christlichen Friedenskonferenz, in deren DDR-Regionalausschuß „nie mehr als" 500 Aktivisten tätig waren256, im Vorfeld der Synode geführten Gespräche ist in den zugänglichen Archiven keine Uberlieferung gefunden worden. 3.2.6 Die C D U Die D D R - C D U war - mit ihrem Vorsitzenden Gerald Gotting - von ihrer internen Struktur her ähnlich aufgebaut wie die S E D . Der Hauptvorstand der C D U hatte eine Arbeitsgemeinschaft (AG) Kirchenfragen organisiert, die mehrmals im Jahr zusammentraf, um die Beziehungen zur Kirche zu koordinieren. Auf diesen Tagungen sollte erarbeitet werden, „wie das politische Gespräch der Vorstände mit kirchlichen Amtsträgern, insbesondere mit parteilosen Pfarrern und Synodalen noch wirksamer geführt werden" konnte. 258 Dem Sekretariat des Hauptvorstands (SHV) der C D U war eine Abteilung Kirchenfragen unterstellt, der von 1975 bis 1989 WulfTrende vorstand. Bis in die Bezirksverbände hinein existierten jeweils Abteilungen, die für „Kirchenfragen" zuständig waren. Jedoch verfugte die C D U nicht über die nötige personelle Ausstattung, um Kirchenabteilungen in den Kreisen zu besetzen. In den Sekretariaten der Bezirksvorstände waren die Abteilungsleiter (bzw. Instrukteure) für Kirchenfragen unmittelbar dem Vorsitzenden des Bezirkssekretariats der C D U unterstellt.259 Diese Abteilungen unterstützten auch 257
255 So fehlt ebenfalls jegliches Aktenmaterial, das über die Auswertung der Bundessynode durch die Arbeitsgruppe „Christliche Kreise" und den DDR-Regionaiausschuß der Christlichen Friedenskonferenz Aufschluß geben könnte. 256 R. HENKYS: Die Kirchen im SED-Staat, S. 220, Anm. 36. 257 Vgl. R. F. GOECKEL: Die Rolle der C D U in der Kirchenpolitik, sowie S. SUCKUT: Die D D R Blockparteien im Lichte neuer Quellen. 258 Vgl. SHV. Abt. Kirchenfragen. Trende. [Ohne Ort, ohne Datum:] „Beschlußvorschlag" zur „Durchführung einer Tagung der Arbeitsgemeinschaft,Kirchenfragen' am 17.12.1986" (ACDP ST. AUGUSTIN, Zentralbestand O s t - C D U VII-011-3087). 2 , 0 [Ohne Aussteller. Ohne Ort,] 18.9.1987: Strukturplan für die Bezirkssekretariate, S. 1 (ACDP ST. AUGUSTIN, Zentralbestand O s t - C D U VII-011-3090). Zu den im Plan bezeichneten Aufgaben des Abteilungsleiters Kirchenfragen gehörte: „Arbeit mit christlichen Bürgern, insbesondere mit kirchlichen Amtsträgern und Theologen, Internationale Arbeit, Vorbereitung von Einschätzungen, Leitungsentscheidungen des Sekretariates sowie Materialien für die Parteiinformati-
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den Regionalausschuß der C F K und den Evangelischen Pfarrertag. Ebenso bestand eine enge Verbindung und Zusammenarbeit zwischen der CDU-Kirchenabteilung und der Arbeitsgruppe „Christliche Kreise" beim Nationalrat der Nationalen Front. Eine Rückkoppelung zur Arbeitsgemeinschaft Kirchenfragen beim Hauptvorstand der C D U fand regelmäßig statt. 260 Unter der Bezeichnung „Aktiv Kirchenfragen" gab es auf regionaler Ebene bei den Bezirksvorständen einen Austausch über Grundsatzfragen zwischen Mitgliedern der Gemeindekirchenräte, der Nationalen Front und Parteimitgliedern der C D U . Zweimal jährlich veranstaltete die C D U Tagungen in Burgscheidungen, zu denen auch Pfarrer und Synodale eingeladen wurden. Uber den Verlauf dieser Tagungen wurde dann in der Regel eine Broschüre veröffentlicht. Nicht nur die in der Kirche engagierten Mitglieder der C D U 2 6 1 führten Gespräche über kirchliche Belange mit sogenannten Unionsfreunden, sondern auch die einzelnen Abteilungen Kirchenfragen organisierten regelmäßig Gespräche mit kirchlichen Amtsträgern, parteilosen Pfarrern und Synodalen 262 , die dann monatlich ausgewertet und an die zentrale Berliner Kirchenabteilung der C D U — zumeist an Trende oder sogar Gotting persönlich — weitergeleitet wurden. Die zentrale Kirchenabteilung stand wiederum in regem Kontakt zu den unterschiedlichen Zuständigen bei der SED. 2 6 3 Die Abt. Kirchenfragen beim S H V erstellte am 24. März 1987 eine Konzeption für eine Beratung der C D U - A G Kirchenfragen, die folgende Zielstellung verfolgte: Es „sollen Informationen und Argumente vermittelt werden, um die betreffenden Unionsfreunde zu befähigen, parteilich und sachkundig die Erfahrung christlicher Demokraten in die kirchliche Meinungsbildung einzubringen, parteilose Christen zum gesellschaftlichen Engagement zu motivieren on [...], Unterstützung der Arbeit nachgeordneter Vorstände auf vorstehenden Gebieten, Unterstützung des Aktivs .Kirchenfragen' beim Bezirksvorstand" (Ebd., S. 2). 260 Vgl. Hauptvorstand der C D U . Büro. [Ohne Aussteller. Ohne Ort, ohne Datum:] BeschlußVorlage für die Sitzung des Sekretariats des Hauptvorstands am 2 0 . 1 0 . 1 9 8 7 , S. 3 ( A C D P ST. AUGUSTIN, Zentralbestand O s t - C D U V1I-011-3091). Ein Beispiel für Zusammenarbeit in einzelnen Bereichen ist Günther Grewe, der nicht nur Präsidiumsmitglied des CDU-Hauptvorstands war, sondern auch dem Sekretariat und dem Präsidium des Nationalrats der Nationalen Front angehörte und zeitweilig Vorsitzender der A G Kirchenfragen war. Vgl. A C D P ST. AUGUSTIN, Zentralbestand O s t - C D U V I I - 0 1 0 - 3 4 7 5 . 261 Laut einer Aufstellung der Abt. Kirchenfragen vom 2 0 . 1 1 . 1 9 8 6 waren zu diesem Zeitpunkt folgende Unionsfreunde Mitglieder der V Synode der Ev. Kirchen in der D D R : Dr. Wolfgang König, Gabriele Lättig, Martina Huhn, Martin Kirchner, Lothar de Maiziere und Hartmut Mitzenheim „(bis 3 1 . 1 2 . 8 6 als KKL-Mitglied)" ( A C D P ST. AUGUSTIN, Zentralbestand O s t - C D U V l l - 0 1 3 ^ i 0 4 l ) . An der Tagung der Bundessynode im September 1987 in Görlitz nahm Kirchner als KKL-Mitglied (in der Nachfolge Mitzenheims) und nicht als Bundessynodaler teil. 262 Dabei wurde immer wieder hartnäckig versucht, die kirchlich engagierten Gesprächspartner zur CDU-Mitgliedschaft zu werben, wie die oft enttäuschte Mitteilung am Ende eines Informationsbericht, daß wieder kein kirchlicher Amtsträger sich zu einem Eintritt in die Partei entschließen konnte, zeigt. 263 Z u m Verhältnis der S E D zur C D U vgl. auch M . RICHTER: Christliche Offiziere.
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und somit ein konstruktives Verhältnis der Kirchen zu Staat und Gesellschaft der D D R weiter zu fördern." 264 Ein Aktenvermerk der Abt. Kirchenfragen vom 3. April 1987 zeigt, wie die CDU-Mitglieder sich über kirchenpolitisch relevante Ereignisse informierten: „ U n i o n s f r e u n d Schnieber [d. i. der Vorsitzende des C D U - B e z i r k s E r f u r t ] informierte m i c h eben über den bisherigen Verlauf der o h n e Ö f f e n t l i c h k e i t tagenden T h ü r i n g e r S y n o d e . D e r Bericht des L a n d e s b i s c h o f Leich, dessen Wortlaut U n i o n s f r e u n d Schieber [sie!] frühestens a m M o n t a g vorliegen wird, soll nach Aussagen seiner I n f o r m a n ten ,im wesentlichen maßvoll', allerdings mit e i n e m erheblichen Teil . L o b h u d e l e i a u f die eigene Arbeit' ausgefallen sein. [...] Es wird erwartet, d a ß U n i o n s f r e u n d O K R M a r t i n Kirchner z u m Mitglied der B u n d e s s y n o d e gewählt wird (bisher war er berufenes M i t g l i e d ) . " 2 6 5
In einer zehnseitigen „Information zu gesellschaftsbezogenen Aussagen auf den Frühjahrssynoden" vom 26. Mai 1987 266 wurde neben der Wiedergabe von staatsfreundlichen Äußerungen kirchenleitender Personen auch die von der Berliner Bartholomäusgemeinde - „mit propagandistischem Aufwand" auf der Berlin-Brandenburgischen Frühjahrssynode eingebrachte „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" als negativ eingeschätzt: Der Antrag sei ein Versuch, „von den Prioritäten der Friedenssicherung und Abrüstung abzulenken". 267 Obwohl der zuständige Tagungsausschuß der Synode „besonnen" reagiert und den Antrag „erheblich modifiziert" habe, habe die „Absage" auch Aussagen in den Synodenbeschlüssen initiiert, „in denen von ,mangelnder Durchschaubarkeit und fehlender Rechtssicherheit' in unserer sozialistischen Demokratie die Rede ist, die .verunsichere und verbittere'". 268 Die Verteilung des Aufrufs der Initiatorengruppe um die „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" auf dem Kirchentag in Ost-Berlin veranlaßte den Vorsitzenden des Weißenseer Arbeitskreises, Jürgen Schöller, sich am 13. Juli 1987 beunruhigt an den Potsdamer CDU-Bezirksvorsitzenden Dr. Friedrich Kind zu wenden, zumal in dem Aufruf gebeten worden war, die Absage mit einer Eingabe an die Görlitzer Bundessynode zu unterstützen: „Es ist zu befürchten, daß durch diesen Aufruf der bevorstehenden Bundessynode ein ver-
264 SHV. Abt. Kirchenfragen. [Ohne Aussteller. Ohne Ort,] 24.3.1987: „Konzeption für eine Beratung der AG .Kirchenfragen' am 22.4.87", S. 2 (ACDP ST. AUGUSTIN, Zentralbestand OstC D U VII-011-3088). 265 SHV. Abt. Kirchenfragen. (Ohne Aussteller. Ohne Ort,] 3.4.1987: .Aktenvermerk", S. 1 (ACDP ST. AUGUSTIN, Zentralbestand O s t - C D U VII-013-3259). Kirchner wurde in Nachfolge des 1987 in den Ruhestand gehenden Hartmut Mitzenheim KKL-Mitglied; er war vorher Bundessynodaler. 266 SHV. Abt. Kirchenfragen. [Ohne Aussteller. Ohne Ort,] 26.5.1987: „Information zu gesellschaftsbezogenen Aussagen auf den Frühjahrssynoden evangelischer Landessynoden 1987" (ACDP ST. AUGUSTIN, Zentralbestand O s t - C D U V I I - 0 1 3 - 3 2 5 9 ) . 267 Ebd., S. 8. 268 Ebd.
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zerrtes Bild von den Ansichten in unseren Gemeinden vermittelt wird. [...] Die zunehmende Infragestellung der europäischen Grenzen und des Status von Westberlin beeinträchtigt die Voraussetzung von Entspannung, Abrüstung und Friedensperspektive. Sie dürfte unter keinen Umständen von Christen gefährdet oder auch nur toleriert werden."269 Das Schreiben Schloß mit der Aufforderung, eine Gegen-Eingaben-Initiative an die Bundessynode zu organisieren, um ein Gegengewicht zu den Unterstützern des späteren Falcke-Antrags zu schaffen. Der Magdeburger CDU-Bezirksvorsitzende nahm den Aufruf, die „Absage" zu unterstützen, ebenfalls aufmerksam zur Kenntnis, und versprach in seinem Informationsbericht vom 28. August 1987, „im Rahmen der Gesprächsführung mit Geistlichen und Synodalen - insbesondere unserer Partei - uns weiterhin sachkundig zu machen, welche Resonanz dieser Aufruf in den Gemeinden gefunden hat".270 Der Vorsitzende des CDU-Bezirksverbands Rostock teilte Gotting am selben Tag aus seinem Bezirk mit, daß „die Kontakte zu unserer Partei auch für die Pastoren wichtig sind und sie die gegenseitige Information sehr begrüßen". 271 So habe der Bundessynodale Roland Springborn in einem Gespräch das „Programm der nächsten Sitzung der Bundessynode Ende September" erläutert.272 In einer — undatierten — „Information über die Gespräche mit Synodalen in Vorbereitung der Bundessynode"273 wurde betont, daß diese von Funktionären der CDU-Bezirksverbände „zunehmend und überwiegend kontinuierlich" sowohl mit Bundessynodalen als auch mit „leitenden Mitarbeitern des Sekretariats" des BEK gefuhrt wurden. Dabei seien „53 der 60 Synodalen" einbezogen worden, „von denen die Mehrzahl auch ihrerseits Interesse an regelmäßigem Gedankenaustausch" geäußert habe. „Gesprächspartner aus der Leitung der Synode bzw. Kirchenbund" hätten das politische Kräfteverhältnis auf der bevorstehenden Tagung der Bundessynode günstig genug eingeschätzt, um „vernünftige Positionen durchzusetzen". Eine Gefahr stellten jedoch die Westmedien dar, zumal sie „profilierungssüchtigen" Synodalen die Gelegenheit böten, ihren politischen Standpunkten unverhältnismäßig großes Gewicht zu verleihen. Synodale, die sich solchen Positionen mit ihrer „progressiven" Haltung 269
Schreiben Schöller an Kind vom 13.7.1987 (ACDP ST. AUGUSTIN, Zentralbestand Ost-
C D U V I I - 0 1 3 - 3 1 5 5). 270 CDU-Bezirksverband Magdeburg. Der Vorsitzende. Gawlik. Magdeburg, 28.8.1987: „Informationsbericht", S. 2 (ACDP ST. AUGUSTIN, Zenträlbestand Ost-CDU VII-013-3418). 271 CDU-Bezirksverband Rostock. Der Vorsitzende. Klemm. Rostock, 28.8.1987: „Informationsbericht", S. 2 (ACDP ST. AUGUSTIN, Zentralbestand Ost-CDU VII-013-3418). 272 Ebd., S. 3. 273 [Ohne Aussteller. Ohne Ort, ohne Datum:] „Information über die Gespräche mit Synodalen in Vorbereitung der Bundessynode" (ACDP ST. AUGUSTIN, Zentralbestand O s t - C D U VII-0134041).
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entgegenstellen könnten, ließen sich - zum Bedauern der CDU-Funktionäre „nach wie vor von der Befürchtung leiten, sie würden im Auftrag politischer Kräfte stehend verdächtigt, wenn sie zu deutlich Gegenposition bezögen". 274 Den Auswirkungen des Falcke-Antrags sähen „insbesondere Gesprächspartner aus dem kirchenleitenden Bereich" mit Besorgnis entgegen, zumal die Tatsache, daß einzelne Forderungen „im Prinzip berechtigt" seien, „eine massive Gegenargumentation" erschwere. Ebenso müsse man befürchten, daß unter anderem Falcke seine „Autorität hinter das Papier stellen" werde. Die zahlreichen unterstützenden Eingaben wurden als „weniger schwerwiegend" beurteilt, weil bekannt sei, daß „dahinter - wie allerdings auch in der Gegenaktion, die der Weißenseer Arbeitskreis veranlaßt habe - eine Kampagne stecke, und nicht die Zahl, sondern das Gewicht werde ausschlaggebend sein". 275 Direkt von Amtsträgern, die gleichzeitig CDU-Mitglieder waren, an die Synode gerichtete Briefe würden von kirchlichen Gesprächspartnern als „inhaltlich seriös und hilfreich" eingeschätzt, doch hätten einige von ihnen es für taktisch klüger gehalten, wenn „der Vorschlag eines Synodalausschusses als Antrag gebracht worden wäre, der nicht bloß Gegenpositionen markiert, sondern die berechtigten Anliegen des ,Fischbeck-Papiers' positiv und politisch verantwortbar formuliert" aufgenommen hätte. 276 Anscheinend war jedoch in den Gesprächen zwischen CDU-Funktionären und Kirchenleuten einer Beschlußfassung im Sinne der „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" bereits entgegengearbeitet worden: „Progressive Synodale u n d Kirchenleitungsmitglieder ließen wissen, daß Vorsorge g e t r o f f e n sei, die B e h a n d l u n g in der S y n o d e d u r c h einen A u s s c h u ß so vorzubereiten, d a ß die B e k r ä f t i g u n g der A b s a g e an Geist und L o g i k der A b s c h r e c k u n g eindeutig das Ü b e r g e w i c h t behalte u n d die d e m a g o g i s c h e Abgrenzungs-Absage mindestens relativiert werde. D a z u sollten auch Stellungnahmen von Synodalen beitragen, die unter B e z u g a u f die fast zehnjährige Wirkungsgeschichte des G e s p r ä c h s v o m 6. M ä r z 1 9 7 8 die B e d e u t u n g konstruktiver, von K o n f r o n t a t i o n unbelasteter Staat-Kirche-Bezieh u n g e n hervorheben u n d davor warnen, sie d u r c h u n b e d a c h t e F o r d e r u n g e n infrage zu stellen." 2 7 7
Eine nach Bezirksverbänden gegliederte Information 278 , in deren Rahmen die Aussagen von Bundessynodalen bei Gesprächen paraphrasiert (in einzelnen Fällen auch wörtlich zitiert) und bewertet werden, steht in direktem ZusamEbd., S. 2. Ebd. 276 Ebd., S. 2f. 277 Ebd., S. 3. Zum Gespräch zwischen dem Staatsratsvorsitzenden Honecker und Bischof Schönherr sowie Vertretern des BEK am 6.3.1978, auf das sich Staatsvertreter gegenüber der Kirche immer beriefen, vgl. A. SCHÖNHERR: ...aber die Zeit war nicht verloren, S. 3 9 3 - 4 0 9 . 278 [Ohne Aussteller. Ohne Ort, ohne Datum:] „Information, wie die geführten Gespräche der Bezirksverbände mit den Bundessynodalen eingeschätzt werden" (ACDP ST. AUGUSTIN, Zentralbestand O s t - C D U VII-013-4041). 274
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menhang mit der eben zitierten „Information". Interessant ist, daß in der zusammenfassenden Einschätzung vermerkt wurde: „Die Mitglieder des Bezirkssekretariat[s] Berlin führten als einziger Bezirksverband keine Gespräche mit Bundessynodalen, obwohl hier nach Dresden die meisten Bundessynodalen wohnen." 279 Es stellt sich angesichts dieser Bemerkung die sehr berechtigte Frage, ob tatsächlich mit 53 Bundessynodalen vor der Synodaltagung gesprochen worden ist, wie es in der oben zitierten „Information über die Gespräche mit Synodalen in Vorbereitung der Bundessynode" behauptet wurde. Wahrscheinlich wurde mit einigen Synodalen mehrfach gesprochen. Von insgesamt 60 Bundessynodalen gehörten allein 10 gewählte sowie 4 berufene Bundessynodale der Berlin-Brandenburgischen Landeskirche an. Durch die Bezirksverwaltungen Potsdam und Frankfurt/Oder wurden mit wenigen Berlinern Gespräche geführt, durch Staatsvertreter des Bezirks Cottbus gar keine. Die Bundessynodalen (im Bezirk Erfurt auch deren 1. und 2. Stellvertreter) waren in den Gesprächen zu aktuell-politischen Entwicklungen und den diesbezüglich relevanten Schwerpunkten der Synodaltagung befragt und zu eigenen Stellungnahmen angeregt worden. Aus der einschätzenden Information geht hervor, daß die C D U insgesamt zufrieden war mit der „Gesprächsführung in den Bezirken Erfurt, Magdeburg, Potsdam, Frankfurt/Oder, Leipzig und Dresden, obwohl auch hier noch Anstrengungen unternommen werden müssen, um alle Bundessynodalen zu erreichen".280 So habe die Bundessynodale Ingrid Albani — nachdem sie sich anfangs gegenüber den Einladungen des Bezirksvorsitzenden „reserviert" verhalten habe - zugesagt, „weitere Gespräche mit dem Bezirksvorsitzenden im Vorfeld der Bundessynode und danach zu führen". 281 Der BV Leipzig meldete, daß die Gespräche mit den beiden „Bundessynodalen Dr. Gaebler (Präses) und Unionsfreundin Huhn zeigten, daß beide das Kräfteverhältnis in der Synode real einschätzten. Sie meinen die rechten Kräfte zu kennen und glauben,,diese können kein Übergewicht gewinnen'". 282 Ähnlich zufrieden mit seinen Gesprächspartnern auf kirchlicher Seite war der Potsdamer CDU-Bezirksvorsitzende. Der Bundessynodale Helmut Domke habe, nach möglichen Konsequenzen des Abgrenzungsantrags auf der kommenden Görlitzer Bundessynode befragt, seine Meinung zum Ausdruck gebracht, daß „dieser Antrag wohl an den Berichtsausschuß verwiesen werde, der dann hoffentlich - und Dr. Domke ist zuversichtlich - mit einer klaren, konstruktiven Stellungnahme die Eingabe beantwortet und im Staat-Kirche-Verhältnis bisher Erreichtes nicht in Frage stellt".283 Zusammenfassend wurde festgehalten, daß 279
Ebd., S. 8. Ebd. 281 Ebd., S. 5. 282 Ebd. 283 Ebd., S. 6. 280
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„zahlreiche Unionsfreunde, besonders die Unionsfreunde Bundessynodale", vor der Synode „durch politische Gespräche und persönliche Stellungnahmen sich von dieser Initiative [der „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung"] distanziert und auf die konstruktive Dialog-Politik unserer Staatsführung hingewiesen" hätten. 284 Offenbar war es der C D U wichtig, „das einmütige Nein der Christen der D D R zu ,Geist und Logik der Abschreckung'" [also letztlich das „Bekennen in der Friedensfrage"] nicht durch „demagogische Fragestellungen" - und als solche wurde der Inhalt des Abgrenzungsantrags empfunden zu gefährden. Eine stärkere Gewichtung des Falcke-Antrags hätte nach Einschätzung der C D U zu einer Relativierung oder sogar zu einer Verdrängung des Synodalthemas „Bekennen in der Friedensfrage" führen können. 285 In seinem Informationsbericht für den Oktober 1987 berichtete der Vorsitzende des Bezirksverbands Dresden von einem „angeregten" Gespräch, das er während der Abschlußkundgebung des Olof-Palme Friedensmarsches in Dresden mit dem Bundessynodalen Martin-Michael Passauer geführt habe. Passauer habe auf die „neuen Zeichen und Symbole, die erstmalig bei diesem offiziellen friedens-politischen Geschehen von Anfang an den Marsch begleitet" hätten, verwiesen. Der Bundessynodale habe von einer ,,große[n] H o f f n u n g für die Christen" gesprochen und betont, daß es unmöglich sei, wieder hinter die „Symbolik dieses Geschehens" zurückzutreten. „Dies werde auch auf der bevorstehenden Bundessynode, zu der er unmittelbar anschließend hinfahre, sichtbar werden. [...] Da offensichtlich andere Kräfte in der Gesellschaft fehlen, müsse die Kirche die Funktion eines solchen öffentlichen Gewissens für Entwicklungsfragen der Gesellschaft übernehmen." 2 8 6 Wie aus der Vorbereitung der Bundessynode durch verschiedene Abteilungen der C D U hervorgeht, hatte die C D U möglicherweise die Räte der Bezirke und Kreise sowie die SED-Bezirks- und Kreisleitungen hinsichtlich der Anzahl der Gespräche mit Kirchenvertretern übertroffen. Dieser Umstand macht deutlich, daß kaum ein Versuch unterlassen wurde, Einblick in innerkirchliche Prozesse zu gewinnen und die Synodalen in ihren Meinungsbildungen zu beeinflussen. Die C D U als „Hilfsinstrument" der Staatsführung war dabei besonders aktiv. Trotz dieser eifrigen Bemühungen blieb die C D U insgesamt auf der politischen Bühne der D D R hinsichtlich einer Partizipation an der Machtausübung bedeutungslos. 287 Es spricht für sich selbst, daß zum Beispiel der 284
Ebd., S. 8f. Ebd., S. 9. Daraus kann keinesfalls geschlossen werden, daß die C D U für „Bekennen in der Friedensfrage" gewesen sei. Karl H e n n i g kommentierte z.B. in der C D U - M o n a t s s c h r i f t Standp u n k t , es habe kein Handlungsbedarf für einen solchen Synodenbeschluß bestanden. Vgl. Kap. 285
6.1.1. 286 CDU-Bezirksverband Dresden. Der Vorsitzende. Korbella. Dresden!, o h n e D a t u m ] : Informationsbericht für den M o n a t Oktober, S. 3f. (ACDP ST. AUGUSTIN, Zentralbestand O s t - C D U VII-013-3418). 287 D a ß die C D U von der S E D instrumentalisiert wurde, u m die Politik der S E D zu vertreten
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D i e V o r b e r e i t u n g d e r B u n d e s s y n o d e in G ö r l i t z 1 9 8 7
Sektorenleiter Kirchenfragen beim Rat des Bezirks Dresden berichtete, daß eine Reihe von CDU-Funktionären zuweilen sogar „am Links-Überholen des Rates des Bezirks Dresden gehindert werden mußte". 288
und zu legitimieren, steht außer Frage. „Auch wenn diese [die C D U ] die ihr übertragene Aufgabe einer politisch-ideologischen Erziehung zur Konformität mit der SED-Politik offensichdich nicht umsetzen konnte", so mußte sie zur Mitarbeit nicht gerade aufgefordert werden und lieferte der S E D „Informationen über die tatsächliche Stimmungslage der Bevölkerung" (S. HILSBERG: Rolle und Funktion der Blockparteien, S. 87). 288 LEWERENZ im Gespräch mit den Verf. am 8.3.1994. Ahnlich urteilte Bendel: Obwohl die operative Kontrolle und das Zusammenwirken mit der C D U - „entsprechend der Linienspezifik des M f S " - d u r c h die Abt. X X / 1 d e r M f S - B V z u erfolgen hatte, wurde die C D U in der BV Dresden des M f S „aus operativ-taktischen Erwägungen" durch das Referat X X / 4 bearbeitet. Die Abteilung X X / 1 war zuständig u.a. für „Blockparteien, Massenorganisationen und deren Medien". Sie hielt offizielle Verbindungen zu Parteien und gesellschaftlichen Organisationen (Gespräch BENDEL mit den Verf. am 4 . 7 . 1 9 9 5 sowie Schreiben BENDEL an die Verf. vom 2 6 . 1 1 . 1 9 9 5 ) .
4. D E R V E R L A U F D E R B U N D E S S Y N O D E IN G Ö R L I T Z V O M 18. BIS 22. S E P T E M B E R 1987
Ebenso wie die Konferenz der Kirchenleitungen war auch die Bundessynode ein Organ des Bundes und nahm „teil an der Verantwortung, daß der Bund die ihm übertragenen Aufgaben" erfüllen konnte.' Die 60 Mitglieder der Synode wurden seit Gründung des DDR-Kirchenbundes im Jahr 1969 jeweils für eine Amtsdauer von vier Jahren gewählt und traten in der Regel einmal jährlich zusammen. Zur Unterstützung ihrer Arbeit bildete die Bundessynode in ihrer konstituierenden Sitzung jeweils sechs Ausschüsse. 2 Die Bundessynode konnte nicht nur Richtlinien für die Arbeit des Bundes aufstellen, sondern auch Kommissionen für besondere Aufgaben bilden bzw. auflösen. Gegen einen von der Bundessynode gefaßten Beschluß konnte die K K L nur während der Tagung Einspruch erheben; der Synodenbeschluß blieb allerdings bei einer Zwei-Drittel-Mehrheit der anwesenden Synodalen in Kraft. 3 Die Mitglieder der Bundessynode wählten für ihre Legislaturperiode ein Präsidium. Das Präsidium der V. Bundessynode setzte sich zusammen aus dem Präses Gaebler, den Vizepräsides Cynkiewicz und de Maiziere sowie den Beisitzern Dietrich und Hirsch. Der Präses und seine beiden Stellvertreter leiteten im Wechsel die Sitzungen des Plenums. Die 3. Tagung der V. Synode des B E K fand vom 18. bis 22. September 1987 im Haus „Wartburg" in Görlitz statt. Auch die Räumlichkeiten für die Ausschußsitzungen, fxir das Synodal- und das Pressebüro wurden vom Gastgeber, der Evangelischen Kirche des Görlitzer Kirchengebiets, zur Verfügung gestellt.4 Das wohl wichtigste Thema der Synodaltagung war „Bekennen in der Friedensfrage", wie auch ein Transparent an der Stirnwand des Tagungssaals zu erkennen gab. 5 Staatlicherseits waren für dieses Kirchengebiet die Räte der Be1
ORDNUNG DES BUNDES, Art. 9. Z u den Aufgaben und zur Zusammensetzung der Bundessyn-
o d e vgl. Art. 8 - 1 2 der O R D N U N G D E S BUNDES. 2 Es waren der Legitimationsprüfungsausschuß, der Haushaltsausschuß, der Rechtsausschuß, der Wahlvorbereitungsausschuß, der Berichtsausschuß sowie der Ausschuß für die Arbeit der Kommissionen. Vgl. G O § 8 ( 1 ) . 3 ORDNUNG DES BUNDES, Art. 12 (4). Gegen Wahlen durch die Synode konnte die Konferenz keinen Einspruch erheben (Ebd.). 4 Die Evangelische Kirche des Görlitzer Kirchengebiets (seit 1992: Evangelische Kirche der schlesischen Oberlausitz) war mit ca. 70 Gemeindepfarrstellen die kleinste der fünf unierten Landeskirchen. 5 Eine Fotografie, die Falcke neben dem Transaparent zeigt, während er sein Einbringungsreferat zur .Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" hält, ist abgedruckt bei G . BESIER: Der S E D Staat und die Kirche, Bd. 3., zwischen S. 646 und S. 647.
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Der Verlauf der Bundessynode in Görlitz vom 18. bis 22. September 1987
zirke Cottbus und Dresden zuständig; die Stadt Görlitz selbst war dem Rat des Bezirks Dresden zugeordnet.
4.1 Freitag, 18. September 1987 4.1.1 Die Auseinandersetzung um die „Aufrisse" Wenige Stunden vor Beginn der Görlitzer Synodaltagung beschäftigte sich der Vorstand der KKL auf seiner 202. Sitzung auch mit Synodenangelegenheiten. Im Mittelpunkt der Beratung, an der das gesamte Präsidium der Synode teilnahm, stand die Behandlung der als Broschüre („Mappe") 6 vervielfältigten Aufsatzsammlung „Aufrisse" und die Frage, wie ein „Einspeisen" der Texte in die Synode zu verhindern sei. 7 Zu diesem Zweck wurde Propst Falcke, der zeitweilig zugegen war, beauftragt, „mit den Herausgebern des Papieres zu sprechen" und „auf die mögliche Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung wegen der ungesetzlichen Verbreitung des Papiers durch Verkauf etc. aufmerksam" zu machen. 8 Für den Fall, daß die Herausgeber der „Aufrisse" keine Gesprächsbereitschaft zeigten, sollten den Synodalen entsprechende Hinweise gegeben werden. Unmittelbar vor der Eröffnung der Tagung brach dann ein offener Konflikt mit der Initiativgruppe der „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" aus. Eines ihrer Mitglieder, Bickhardt, wurde von Friedrich Winter als einem Vertreter des Bundes „offiziell gemaßregelt". Winter habe verlangt, daß die „Aufrisse" nicht verteilt werden dürften und die Westmedien „draußen bleiben" müßten. 9 Lampe wollte dann die , Aufrisse" auf dem Tagungsgelände an die Synoda-
6 Da die Broschüre so in eine Mappe eingeheftet war, daß man diese erst „aufreißen" mußte, u m mit der Lektüre beginnen zu können, trug sie den Namen „Aufrisse". 7 Vgl. den Beitrag Cynkiewiczs auf der EKD-Synode in Suhl 1992. In: KIRCHENAMT DER EKD (Hg.): Suhl 1992, S. 3 5 6 - 3 5 8 . 8 Sekretariat des BEK. Kupas. Berlin, 2 8 . 9 . 1 9 8 7 : Protokoll (Konzept) der KKL-Vorstandssitzung vom 18. u. 2 1 . 9 . 1 9 8 7 in Görlitz. Anwesend: - Vorstand: Leich, Demke, Stolpe, Gaebler, Salinger, Ziegler. - Sekretariat: Lewek. - Gäste: Riese, Zeddies, Cynkiewicz, Dietrich, Falcke, Hirsch, de Maiziere (EZA BERLIN, 101/93/249). Durch die Bitte an Falcke, mit den Verfassern der „Aufrisse" zu sprechen, gab der Vorstand seine Verantwortung, den Vorgang einer Klärung zuzuführen, an den Erfurter Propst weiter. Das Präsidiumsmitglied de MAI/.I ERE teilte den Verf. in einem Gespräch am 11.5.1994 mit, daß nach seiner Auffassung mit den Herausgebern der,Aufrisse" ein Gespräch eigentlich nicht möglich gewesen sei. Von der Sitzung des KKL-Vorstands vom 2 1 . 9 . 1 9 8 7 haben die Verf. eine Mitschrift C. Leweks in den Handakten Christa LEWEK, BERLIN, eingesehen. 9 So berichtete BICKHARDT den Verf. am 18.12.1995, noch niemals zuvor von den Vertretern der evangelischen Kirche derart „grob" behandelt worden zu sein.
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len verkaufen. Er schilderte die Auseinandersetzung im Rückblick folgendermaßen: „Ich reiste am Vormittag des 18.9.87 aus Wittenberg k o m m e n d per Bahn in Görlitz an und wollte sogleich im Tagungsgebäude, Wartburg' im Vorraum des Sitzungssaals einen Tisch mit unseren Mappen herrichten [...]. Gleich nach meiner Ankunft wurde ich dringend zu einer Aussprache mit dem Präsidium gebeten." 10 Nach Lampes Darstellung befürchtete das Präsidium einerseits, daß die „Aufrisse" unverhältnismäßig starkes Interesse bei den Vertretern der westlichen Medien finden könnten, andererseits „zukünftig dann ja jede Interessengruppe kommen könne, um direkt vor dem Sitzungssaal mit Werbematerial die Synodalen zu beeinflussen". Rein formaljuristisch habe de Maiziere Lampe gegenüber argumentiert: „ D i e M a p p e sei ein nicht lizenziertes, mithin illegal erstelltes Druckerzeugnis, das [...] n o c h nicht einmal den Vermerk ,Nur für innerkirchlichen Dienstgebrauch' trug. W e n n das Präsidium, das das Hausrecht für die D a u e r der Tagung ausübe, gestatte, dieses Produkt i m H a u s e zu vertreiben, erkenne es damit quasi öffentlich eine Gesetzesverletzung an [...], die Gesetze seien n u n mal so u n d daran müsse sich auch die B u n d e s s y n o d e halten. Mir wurde strikt untersagt, die M a p p e im Bereich des H a u s rechts des Präsidiums anzubieten u n d dabei blieb es." 11
Lampe hat seinen Tisch daraufhin auf dem Vorplatz des Wartburghauses aufgestellt und - nach seiner eigenen Aussage — „reichlich Mappen" an Synodale verkauft. Auch Abteilungsleiter Wilke von der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen holte sich die „Aufrisse" und verweigerte die Bezahlung mit der Begründung, „alle anderen hier [hätten] die Mappe ja zugeschickt bekommen und [...] wir [gemeint sind die Initiatoren der .Aufrisse'] seien angeblich so für den Dialog, aber seine Dienststelle sei von uns nicht in unsere Informationsverteilung einbezogen worden". 12 Kurz nach Wilke seien Gaebler und de Maiziere an Lampes Stand gekommen, um Lampe zum Räumen seines Platzes aufzufordern. Als Lampe erwiderte, er befände sich doch außerhalb des Hauses, hätten Gaebler und de Maiziere betont: „Selbstverständlich gehöre das ganze Gelände zum Bereich des Hausrechtes." Als Konsequenz dieses Einspruchs des Präsidiums mußte Lampe seinen Verkaufstisch daraufhin auf den Bürgersteig verlagern. Lampe vermutet, daß die Reaktion Gaeblers u n d de Maizieres auf die Intervention Wilkes zurückzuführen war. 13 Eine nicht uner-
10
Aufzeichnung LAMPE vom 13.6.1991; den Verf. zur Verfügung gestellt am 5.7.1994. " Ebd. 12 Die „Aufrisse" waren gar nicht von den Initiatoren an die Synodalen verschickt worden. Im Gespräch mit den Verf. am 6.6.1995 bedauerte WILKE nochmals, von den Initiatoren nicht vorab informiert worden zu sein. Es habe den Mitarbeitern der Dienststelle des Staatssekretärs immer besondere Schwierigkeiten bereitet, daß vor allem die westlichen Pressevertreter sehr genau vorab über den Verlauf der Synodaltagungen unterrichtet wurden, während Wilkes Abt. II erst auf den Synoden mit problematischen Anträgen und Beschlüssen konfrontiert worden sei. 13 Aufzeichnung LAMPE vom 13.6.1991.
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hebliche Zahl von „Aufrissen" sei später von Konsistorialpräsident Stolpe gekauft und an die Mitglieder der KKL verteilt worden. 14 Die Tagung der Bundessynode begann um 14.00 Uhr 15 mit der Eröffnungsandacht von Hertzsch. Mit dem namentlichen Aufruf der Synodalen durch Präses Gaebler wurde die Tagung förmlich eröffnet. Um 15.00 Uhr folgte als T O P 1 der KKL-Bericht, den Kirchenpräsident Natho verlas.16 Anschließend informierte Gaebler, zu welchen Themen dem Präsidium der Görlitzer Bundessynode Eingaben zugesandt worden seien und an welche Ausschüsse diese überwiesen werden sollten. Der Präses wies daraufhin, daß allein zur „Abgrenzungsproblematik" 194 Eingaben vorlägen, die beim Präsidium der Synode eingesehen werden könnten. Anonyme Eingaben seien grundsätzlich ignoriert worden. Danach wurden die Erledigungsvermerke zu den Synodenbeschlüssen der 2. Tagung der V Synode (Erfurt 1986) von de Maiziere als T O P 6 vorgetragen. Mit Bezug auf den Konferenzbericht informierte das synodale Vorstandsmitglied Renate Salinger in Form eines Zwischenberichts über das Gespräch von Kirchenvertretern mit Staatssekretär Sitzlack zu Fragen der Reaktorsicherheit.17 Nach einer Pause (ab 15.40 Uhr) sprach um 16.15 Uhr Erzbischof German für die Russische Orthodoxe Kirche ein Grußwort. Von besonderem Interesse sei für ihn als Vertreter der ROK das Verhältnis zwischen dem BEK und seiner eigenen Kirche. German berichtete von den Planungen zur bevorstehenden Millenniumsfeier der Taufe Rußlands und der nächsten theologischen Gesprächsrunde zwischen ROK und BEK „Sagorsk VI" zum Thema „Gottesvolk und die Völkerwelt im Lichte der Taufe", von der er sich mehr „gegenseitiges Verständnis" und „Einheit in der Glaubenslehre" erhoffe.18 Er betonte den 14
Gespräch BICKHARDT mit den Verf. am 16.6.1994 sowie Gespräch LEWEK mit den Verf. am
4.2.1994 und Gespräch LAMPE mit den Verf. am 4.7.1994. Zu der Präsidiumsentscheidung vgl.
auch den Beitrag Cynkiewiczs auf der Synode der EKD in Suhl 1992. In: KIRCHENAMT DER EKD (Hg.): Suhl 1992, S. 356-358. 15 DieZeitangaben entsprechendem „Vorläufigen Zeitplan", wie er im Auftrag des Synodenpräsidiums vom BEK-Sekretariat fur die Synodalen erstellt wurde. Der tatsächliche zeitliche Ablauf wies demgegenüber geringfügige Abweichungen auf, die die Verfasser entweder dem TYPOSKRIPT oder der .Niederschrift über die Plenarsitzungen' durch das Präsidium der Bundessynode vom 18., 19., 20., 21. und 22.9.1987 entnommen haben (EZA BERLIN, 101/93/221). Vgl. auch den Zeitplan im Dokumentenanhang (hinter Dok. 34). 16
A b g e d r u c k t in: E P D DOKUMENTATION 4 4 / 8 7 , S. 1 - 1 4 u n d C . D E M K E / M . FALKENAU/H.
ZEDDIES (Hg.): Zwischen Anpassung und Verweigerung, S. 222-227. Der Entwurf für den KKLBericht wurde in der Regel von drei bis vier Mitgliedern der KKL und einem Mitglied des Sekretariats des BEK erstellt und dann - nach Diskussion innerhalb der KKL - in endgültiger Form beschlossen (Gespräch CYNKIEWICZ mit den Verf. am 25.4.1994). 17 Das Sachgespräch über „Atomsicherheit, Strahlenschutz und Kernenergie" mit dem Leiter des Staatlichen Amtes für Atomenergie und Strahlenschutz, Staatssekretär Sitzlack, hatte am 2.9.1987 stattgefunden. Als Vertreter des BEK-Sekretariats, der KKL und der AGCK nahmen daran teil: Nollau, Cynkiewicz, Völz, Rogge, Ε Müller, Salinger, Lange, Demke, J. Schmidt, Domke, Kramer, Schubert, Günther, Doye, Ziegler, S. Schulze, Natho, Zeddies, Scholz, Kirchner. 18 TYPOSKRIPT des Tonbandmitschnitts der BEK-Synodaltagung Görlitz 1987, S. 24. Gelegent-
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Stellenwert ökumenischer Kontakte auch im eigenen Land. German informierte darüber, daß „die in der U d S S R jetzt stattfindende Umgestaltung [...] auch die geistige Sphäre des Lebens der sowjetischen Gesellschaft [betreffe], in deren Licht die Bedeutung der von der Kirche vertretenen moralisch-religiösen und menschlichen Werte neu geschätzt" würden.' 9 Abschließend sprach sich der Erzbischof sehr deutlich für eine „völlige tatsächliche Trennung der Kirche v o m Staat" in der U d S S R aus und kritisierte jegliche Einmischung staatlicher Stellen in kirchliche Belange, wie sie in „jüngster Vergangenheit der Rat für religiöse Angelegenheiten" „recht aktiv" betrieben habe. 2 0 4 . 1 . 2 Die Diskussion um den Falcke-Antrag Im Anschluß an die Verlesung des Kirchengesetzes über den Haushalt 1988 kündigte Präses Gaebler den Antrag von Propst Falcke an. 21 N a c h der Verlesung des Antrags gab Falcke die persönliche Erklärung ab, er habe das Papier aus drei Gründen aufgenommen und der Bundessynode vorgelegt: „1. Ich teile die D i a g n o s e dieses Antrages, daß unsere Gesellschaft an den Folgen einer früheren, aber auch noch fortdauernden Praxis u n d Ideologie der Abgrenz u n g schwer krank ist [...]. 2. W i e viele andere unter uns, habe ich ständig mit M e n s c h e n zu tun, die an der Praxis der A b g r e n z u n g leiden. M i c h beunruhigt, daß die Zahl der M e n s c h e n , die mit s o l c h e m L e i d e n zu mir k o m m e n , in letzter Zeit gestiegen ist [...]. 3. [·..] Allerdings h a b e ich auch gezögert, diesen Antrag a u f z u n e h m e n . Ich habe m i c h gefragt, o b es jetzt an der Zeit ist, der Praxis u n d d e m Prinzip der Abgrenz u n g eine A b s a g e zu erteilen, w o unser Staat ja gerade eine Politik der Ö f f n u n g , der E n t s p a n n u n g , der Vertrauensbildung betreibt." 2 2
Unmittelbar nachdem Falcke den Antrag „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" eingebracht hatte, meldete sich König als erster Redner in der lieh dienten auch die 34seitigen handschriftlichen Aufzeichnungen Manfred STOLPES, die dieser den Verf. zur Verfügung stellte, als Ergänzung. Das Grußwort Germans an die Synode ist auszugsweise abgedruckt in: E P D DOKUMENTATION 44/ 87, S. 55. Die von German angesprochenen Lehrgespräche wurden seit 1974 geführt. Vgl. C. DEMKE/M. FALKENAU/H. ZEDDIES (Hg.): Zwischen Anpassung und Verweigerung, S. 413. " TYPOSKRIPT, S . 2 7 .
Ebd., S. 29. Die Äußerungen Germans wurden offensichtlich von einem auf der Bundessynode anwesenden Mitarbeiter des MfS als Kritik an der U d S S R interpretiert und sogleich — basierend auf einer Tonbandaufzeichnung des Grußworts — in Auszügen nach Berlin an Wiegand weitergeleitet (BStU BERLIN [ZA Berlin], HA XX-ZMA 1967, S. 3f.). 20
21
V g l . D o k . 3 / 2 u n d 3 / 3 i m A n h a n g sowie: E P D DOKUMENTATION 4 4 / 8 7 , S . 4 5 - 5 1 u n d C .
D E M K E / M . FALKENAU/H. ZEDDIES ( H g . ) : Z w i s c h e n A n p a s s u n g u n d Verweigerung, S. 3 6 8 - 3 7 5 .
Auf S. 3 der „Ersten Tagesinformation", die die staatliche „Arbeitsgruppe Bundessynode" verfaßt hatte, ist an dieser Stelle vermerkt: „Wegen der großen Hitzebelastung waren in dieser [vorhergehenden] Phase der Tagung alle Fernsehscheinwerfer ausgeschaltet worden. Nachdem Propst Dr. Falcke angekündigt wurde, wurden Kameras und Scheinwerfer wieder angestellt" (BArchP, D O 4 S T S f. Kirchenfragen Nr. 787). 22
TYPOSKBJPT, S. 3 9 .
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D e b a t t e u n d t r u g sehr kritische E i n w ä n d e vor. Königs Kritik richtete sich vor allem gegen die Intention des Antrags. Sein V o t u m b e s t i m m t e - wie der weitere Verlauf der Diskussion im P l e n u m zeigen sollte — schon gleich zu Beginn die G r u n d t e n d e n z der Auseinandersetzung: „Es ist ja nicht so, daß wir alle den Antrag heute das erste Mal hören. Ich selbst habe ihn vor etwa sechs Wochen von einem Mitglied dieser Arbeitsgruppe in Berlin zugeschickt bekommen und war im ersten Moment etwas entsetzt über die Formulierung Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung', weil mir noch zu deutlich im Ohr ist unsere Mühen und Arbeiten um die Arbeit gegen die Praxis ,Absage an Praxis der Abschreckung'. Sicher ist der Gleichrang hier gesucht. Ich bedauere, daß eine solche von mir nicht so hoch gesehene Aussage hier verwendet wird. Daß ich sie nicht so [bewerte]23, wie es Propst Dr. Falcke dargelegt hat, liegt für mich ein Stück in dem Schreiben dieses Mitglieds der Gruppe begründet." 24 König bemängelte, daß außer der persönlichen Klage, nicht reisen zu dürfen, keine überzeugende Argumentation für eine .Absage" vorgebracht werde. Er selbst habe kein Interesse daran, „gesellschaftspolitische Veränderungen, die geeignet sind, ehemalige Bürger der D D R zur Rückkehr zu motivieren", zu unterstützen. „Sie [solche Rückkehrer] sind nicht politikfähig. Das ist das, was mich an diesem Papier beunruhigt." 25 Bevor Präses Gaebler die D e b a t t e fortsetzen ließ, wies er die Synodalen dara u f h i n , d a ß vorgesehen sei, d e n Antrag Falckes u n d die weitere Aussprache an einen „eigens zu dieser Problematik zu bildenden Ausschuß v o n sechs Synodalen" zu überweisen. 2 6 W i e König ü b t e auch Hertzsch Kritik an d e m Text des Antrags. Gleichzeitig a n e r k a n n t e er jedoch Falckes Entscheidung, sich den Antrag zu eigen g e m a c h t u n d d a m i t ein f ü r viele Gemeindeglieder wichtiges T h e m a a u f g e n o m m e n zu h a b e n . Hertzsch bezeichnete d e n W o r t l a u t der „Absage an Praxis u n d Prinzip der A b g r e n z u n g " allerdings als „unzureichend". 2 7 Er bemängelte die Inflation i e r u n g des Begriffs „Absage" u n d verlangte eine N e u f o r m u l i e r u n g des A n trags. A n Falcke gerichtet, sagte er: „Daß durch Berlin, durch Deutschland und durch Europa eine Grenze geht, das geht, daran können wir nichts abmarkten, auf deutsche Schuld zurück. Mir läge daran, daß dies nicht aus dem Blick gerät und daß wir nicht nur fragen, was wollen wir fordern um der Menschen willen in unserem Lande, sondern was wollen wir anbieten den Völkern der Erde angesichts dessen, daß wir an der Schuld der Väter nach wie vor zu tragen haben, eben dieser Frage der Grenzziehungen durch unsere Welt."28 23
Der Wortlaut ist auf dem Tonband unverständlich. Ebd., S. 45. Ein Mitglied der Initiativgruppe hatte sich im Vorfeld der Synode mit der Bitte um Unterstützung an König gewandt. Vgl. Kap. 3.1.4, S. 49f. 25 TYPOSKRIPT, S. 46. 26 Ebd. Auf seiner Sitzung am 4.9.1987 hatte sich das Präsidium mehrheitlich für die Bildung eines Tagungsausschusses ,Abgrenzungsproblematik" mit sechs synodalen Mitgliedern ausgesprochen. 27 Ebd., S. 47. An dieser Stelle applaudierten viele Synodale. 28 Ebd., S. 48. 24
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Schorlemmer kritisierte ebenfalls die inflationäre Verwendung des Begriffs „Absage", unterstützte aber die Grundintention des Falcke-Antrags. Doch „das Reden gegen Abgrenzung hat jetzt nicht seine Zeit, denke ich". 29 Eine einseitige Zuweisung der Probleme zu Lasten der D D R lehnte Ludwig Große ab und machte indirekt dem Antragsteller folgenden Vorwurf: „Wer eine totale E i n b i n d u n g politisch, militärisch u n d kulturell allen M i t t e l n betreibt u n d zugleich jeden Versuch [ablehnt], in osteuropäischen Völker in das B e m ü h e n u m Versöhnung u n d Kriegsfolgen h i n e i n z u n e h m e n , hat kein Recht, Kritik a m B a u der
in W e s t e u r o p a mit gleicher Weise die U b e r w i n d u n g der M a u e r zu ü b e n . " 3 0
Margot Dehne befürwortete den Zeitpunkt der Einbringung eines solchen Antrags, während Annelotte Scheidig sich dem Votum Großes anschloß und forderte: „ M e i n e r M e i n u n g nach ist es an der Zeit, ein anderes Papier zu verfassen [...]. D i e s e kontrollierte Ö f f n u n g , wie es hier steht, das N e u e D e n k e n , G l a s n o s t u n d diese Schlagwörter, das ist so viel Positives, das sollte auch 'mal unseren staatlichen Stellen a n e r k e n n e n d u n d d a n k b a r gesagt werden, u n d nicht i m m e r nur neue F o r d e r u n g e n gestellt." 3 1
Seinen Vorrednern stimmte Udo Semper insofern zu, als für ihn eine staatliche Abgrenzungspolitik der Vergangenheit angehöre. D a möglicherweise ein großer Teil der Kirchenbasis aufgrund der Defizite und Beschränkungen der kirchlichen Informationsvermittlung nur geringe Kenntnisse von den Bemühungen und Erfolgen der Kirche habe, plädierte er dafür, diese sowohl nach außen hin als auch in die Gemeinden hinein stärker publik zu machen, um die Vertrauensbildung zu fördern. Auch Ingrid Albani hielt den Zeitpunkt für den Antrag zwar für falsch, bewertete es aber positiv, daß dieses Thema auf der Bundessynode diskutiert werde. Bischof Leich wies auf die „seelsorgerlich durchlittene[n] Tatbestände" 32 hin, die hinter dem Antrag verborgen lägen. Er kritisierte - wie König - die Gleichsetzung von „Abgrenzung" und „Abschreckung", die eine kritische Unterstützung der Politik des Öffnungsprozesses, um die der Vorstand der K K L bemüht sei, gefährden könne: „ U n d w e n n Sie die ,Schnellinformation' 3 3 gelesen haben über das G e s p r ä c h des Vorstandes der K o n f e r e n z der Evangelischen Kirchenleitungen mit d e m Staatssekretär 29 Ebd., S. 50. In einem Gespräch mit den Verf. am 11.3.1994 sagte SCHORLEMMER, man hätte das Einbringungsreferat Falckes zum Antrag machen sollen. 30
T Y P O S K R I P T , S . 5 1 f.
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Ebd., S. 55. Ebd., S. 57. Vgl. Sekretariat des BEK. [Ohne Aussteller.] Berlin, 22.5.1987: „Schnellinformation" (STEL-
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LE F Ü R INFORMATION U N D D O K U M E N T A T I O N D E R E K D in d e r A u g u s t s t r a ß e / B E R L I N ) . A u c h a b -
gedruckt bei C. DEMKE/M. FALKENAU/H. ZEDDIES (Hg.): Zwischen Anpassung und Verweigerung, S. 217—222.
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für Kirchenfragen, dann werden Sie bemerken, daß eine ganze Reihe der hier unter III angeschnittenen Fragen von uns mit Nachdruck vorgetragen worden ist und also durchaus gesehen wird. Wenn ich aber diese Fragen alle unter eine Überschrift stelle, ich wiederhole, dann bekommen sie eine andere Qualität." 3 4
Leich sprach dann die Schwierigkeit der Zumutbarkeit von Forderungen an den Staat an und folgerte: „Uns ist deutlich geworden, daß die Zumutbarkeit ein ganz wesentlicher Punkt ist im Umgang mit dem Andersdenkenden. [...] Und ich denke, wir müssen diesen Begriff der Zumutbarkeit auch als einen kritischen Maßstab an den uns vorliegenden Antrag oder die Eingabe legen. [...] Ich glaube nicht, daß wir uns den vorliegenden Antrag auch nur nach Intention und Inhalt zu eigen machen können." 3 5
Leich plädierte schließlich dafür, den Prozeß der politischen Öffnung allmählich in der Kirche in Gang zu bringen. Den Beitrag Großes unterstützte Krause. Eine Diskussion über den Falcke-Antrag hielt er für begrüßenswert, den Antrag selbst jedoch lehnte er ab, wobei er auf die großen, ökonomisch bedingten Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland hinwies, die einer Uberwindung der Abgrenzung im Wege stünden. Nach diesen Diskussionsbeiträgen stellte das KKL-Mitglied Domke den Antrag, das Falcke-Papier nicht an einen Sonderausschuß, sondern an den Berichtsausschuß zu überweisen. Er befürchtete ebenfalls, dem sich öffnenden Staat durch die Forderungen des Abgrenzungsantrags zuviel zuzumuten. Den ungünstigen Zeitpunkt für die Einbringung des Antrags bemängelte auch Axel Noack, doch zeigte er sich erstaunt über die für ihn bislang überraschend negativ akzentuierte Aussprache, da hinter dem Falcke-Papier doch konkrete menschliche Leidenserfahrungen stünden: „Es ist meines Erachtens völlig klar, daß der Text des Antrages, den Bruder Falcke hier ja übernommen hat und eingebracht hat, nicht die Sprache einer Bundessynode sein kann. [...] nach meinem Eindruck stehen hinter diesem Antrag Erfahrungen in unseren Gemeinden, die den einen oder anderen auch zu einer solchen Sprache verleiten." 3 6
Nach einer Pause wurde die Aussprache über den Falcke-Antrag fortgesetzt. Auf durch Abgrenzung bedingte Schwierigkeiten anderer ökumenischer Partner, zum Beispiel die Unterdrückung der ungarischen und deutschen Minderheiten in der S R Rumänien, verwies Höppner. Unter Berücksichtigung dieses Aspekts wünsche sie sich eine Modifizierung des Antrags. Heike Böhling befürwortete zwar die Intention des Abgrenzungsantrags, sah aber keinen drin-
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TYPOSKRIPT, S. 5 8 .
Ebd., S. 58f. TYPOSKRIPT, S. 60. Möglicherweise stammt dieser Beitrag von Roland Adolph; aus dem Typoskript geht nur hervor, daß Gaebler Noack oder Adolph das Wort erteilte. Auch NOACK selbst wies gegenüber den Verf. daraufhin, daß er unsicher sei, ob der Redebeitrag von ihm stamme. 35
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genden Handlungsbedarf, weil sie der Ansicht sei, „daß eine sozialistische Gesellschaftsordnung besser ist als eine kapitalistische". 37 Es sei ihr wichtig, in ihrem Bekenntnis zum sozialistischen Staat ernstgenommen zu werden; sie könne auch verstehen, „daß es Gründe gibt, finanzieller Art, wirtschaftlicher Art, die die D D R daran hindern, bestimmte Forderungen, die hier drinstehen, überhaupt zu ermöglichen". 38 Vor einer selektiven Wahrnehmung der D D R Problematik warnte Bischof Demke und kritisierte zugleich die dem Antrag innewohnende Aggressivität, die von Falcke nur „freundlich interpretiert" worden sei. Seiner Meinung nach laufe die Kirche Gefahr, einen „sozialpsychologischen" Trend theologisch zu untermauern: „Ich m ö c h t e also den A u s s c h u ß bitten, einer solchen Tendenz, sozusagen alles a u f ein Prinzip hin zu betrachten u n d das d a n n noch geistlich zu interpretieren, nicht zu folgen."3'
Der Jugenddelegierte Johannes Lewek sprach sich im Gegensatz zu Domke für die Überweisung des Falcke-Papiers an einen Sonderausschuß aus, da der Berichtsausschuß mit diesem Themenkomplex überfordert sei. Er kritisierte dann, „daß offensichtlich in diesem Raum es so eine Art Gruppe von Eingeweihten gibt, die vorher schon mal sich damit befaßt haben, aus verschiedenen Gründen, genau blicke ich da auch nicht durch, woher auch? Und so, daß einige einen Vorlauf haben und im Vorteil sind". 40 Lewek monierte ferner die Emotionalisierung der Debatte sowie die Verengung der Abgrenzungsproblematik auf die Mauer. Inge Laudan beklagte sich, im Vorfeld der Synode durch Briefe 4 ' unter Druck gesetzt worden zu sein; schließlich sei sie „mündig, wenn auch menschliche Schicksale dahinterstehen". 42 Zusätzlich habe ein Vertreter des Staatsapparats versucht, sie davon zu überzeugen, daß der Antrag „provokativ" und „anarchistisch" sei.43 Laudan kritisierte die Einmischung von Ebd., S. 61. Ebd., S. 62. Wie der Jugenddelegierte Hanke berichtete, nahm der in Vertretung des Staatssekretärs für Kirchenfragen in Görlitz anwesende Hans Wilke dieses „staatsfreundliche" Votum sogleich zum Anlaß, Böhling sein Interesse an dieser Äußerung zu übermitteln. Wilke bat Böhling um ein Zusammentreffen, um ausführlicher mit ihr zu sprechen. Als diese dem Jugendelegierten Hanke davon erzählte, ließ Hanke Böhling den Vertretern der Dienststelle seinen eigenen Wunsch nach einem Gespräch mitteilen; Wilke lehnte dieses ab. Hanke hat mittlerweile die Bestände der Dienststelle des Staatssekretärs fur Kirchenfragen eingesehen und festgestellt, daß er vom Staat der Kategorie „negativ" zugeordnet worden war. Er folgerte daraus, daß die Staatsvertreter niemals an einem wirklichen Dialog mit kritischen DDR-Bürgern interessiert gewesen seien, sondern nur die Strategie verfolgten, über „positive" Kirchenvertreter ihren Einfluß auf die Kirche zu stärken und diese für ihre Zwecke zu benutzen (Gespräch HANKE mit den Verf. am 24.6.1995). 37
38
39
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Ebd. Es bleibt den Verf. unklar, welcher Provenienz diese Briefe waren. Die Vermutung liegt nahe, daß von der .Abgrenzung" Betroffene Laudan um die Unterstützung des Antrags gebeten haben. 40 41
42
TYPOSKRIPT, S. 6 3 .
43
Ebd., S. 64.
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Außenstehenden: „Ich denke, es handelt sich hier um ein innerkirchliches Papier, das schließlich nur uns etwas angeht." 44 Wie bereits einige Vorredner hielt Erhard Dorp den Zeitpunkt der Einbringung des Antrags wegen der im Gange befindlichen Öffnung, die er beispielhaft mit dem Besuch Honeckers in der Bundesrepublik und dem Dialogpapier von S P D und S E D belegte, für überdenkenswert. „Ich gehöre nun nicht zu denen, die diesen Brief vorher gesehen haben [...], habe aber inzwischen erfahren, daß dieser Brief wohl schon zu Pfingsten oder im Frühjahr geschrieben wurde. Ich meine, inzwischen ist allerhand geschehen." 45 Doch müsse auf der anderen Seite bedacht werden, daß sich in dem Antrag vor allem die Stimmen junger Leute, der eigentlichen Opfer der Abgrenzung, artikulierten. Dorps Ansicht nach gehörten Politiker und möglicherweise Kirchenführer, die für die Abgrenzung „verantwortlich" seien, gerade zu den Reiseprivilegierten.46 Z u m Schluß der Aussprache erteilte Gaebler Propst Falcke noch einmal das Wort. Falcke zeigte sich dankbar, daß durch die Plenumsdiskussion die nötige Arbeit an dem Antrag bereits in Gang gekommen sei. Nicht der Wortlaut, sondern „die Intention, darüber zu sprechen" 47 , sei ihm bei diesem Antrag wichtig. Falcke wandte sich daraufhin direkt an einige Diskussionsteilnehmer. Er kritisierte König, weil dieser die Intention der Antragsteller in Frage gestellt habe: „Das finde ich nicht gut. Ich kenne die Antragsteller und weiß, daß sie ernstzunehmende Leute sind." 48 Erstaunlich sei für ihn gewesen, daß der Gesprächspartner auf Regierungsseite in der Aussprache der Synode die gewichtigere Rolle gespielt habe, was sich an der Diskussion über die „Zumutbarkeit" der in der „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" an den Staat erhobenen Forderungen gezeigt habe. Kriterien der „Zumutbarkeit" dürfe die Kirche nur von ihrem Auftrag ableiten, sie sich jedoch nicht vom staatlichen Gegenüber vorschreiben lassen. Falcke erinnerte an den Ausspruch Dietrich Bonhoeffers, es sei das Wesen der Kirche, daß sie ihren Ort bei den Leidenden habe. 49 An die Adresse Demkes gewandt betonte Falcke die Wichtigkeit, in den Opfern der Abgrenzung diejenigen wiederzuerkennen, zu denen Jesus gegangen sei. Leichs Aussage hielt er entgegen, daß eine kritische Analyse der Strukturen
Ebd. Ebd. Mit „Brief' ist der Pfingstaufruf gemeint, mit dem die Mitglieder der Bartholomäusgemeinde bereits für die Unterstützung der „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" geworben hatten. 4 6 Dorps Votum ist nicht klar zu entnehmen, wer fur ihn diejenigen sind, „die in direkter Weise verantwortlich sind, für die dann vielleicht sogar diese Verbindung mit Abgrenzung bestünde" 44
45
(TYPOSKRIPT, S. 6 4 ) .
Ebd., S. 65. Ebd. 49 Vgl. D. BONHOEFFER: Die Kirche und die Judenfrage. In: Gesammelte Schriften Bd. 2, S. 48f. Zur Bonhoeffer-Rezeption in der D D R vgl. zuletzt W. KRÖTKE: Der zensierte Bonhoeffer (hier auch die bisher zum Thema erschienene Literatur). 47
48
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ebenso wichtig sei wie das Eintreten für die Betroffenen bei den Verantwortlichen: 50 „Zum Ja des Evangeliums gehört das Nein. Die zehn Gebote sagen zehn Mal ,Nein'. [...] U n d wenn wir das Wort Absage vermeiden, dann könnte es sein, daß wir diese notwendige Dimension, diese kritische Dimension aus dem Auge verlieren. Und das ist dann zwar harmonischer, aber es ist nicht fruchtbarer und nicht wahrer. Z u m Zeitpunkt: Ich meine, wir können diese Fragen, die Diskussion dieser Fragen nicht aufschieben." 51
Falcke hielt es außerdem für bemerkenswert, daß auch für die Antragsteller die Mauer ihren Stellenwert in der „deutschen Schuldgeschichte" 52 habe u n d sie in ihren Forderungen nach Ö f f n u n g keineswegs auf die Westgrenze fixiert seien: „Ich weiß nicht, ob Sie den ersten Satz des Antrages wirklich gelesen haben. Diese positive Deutung der Mauer. Das ist im Kontext dieser Antragsteller eine gewaltige Aussage." 53 An Große gewandt betonte er, daß die Begegnung zwischen Deutschen, Russen und Polen die Voraussetzung für die Bewältigung von Schuld sei. Es gehöre zur Schuld der deutschen Kirchen, daß sie immer am falschen O r t gestanden hätten. In der Aussprache über den von Falcke eingebrachten Antrag war von den Synodalen vor allem Kritik an dessen Wortlaut geübt worden. Sie richtete sich in erster Linie gegen den Gleichklang einer „Absage an die Abgrenzung" mit einer „Absage an die Abschreckung". Ungeachtet dieser Kritik hatte Falckes Einbringungsreferat zumindest einen großen Teil der Synodalen von der Virulenz der Thematik überzeugen können. Doch waren im Plenum vor allem mit dem Beitrag Leichs Bedenken aufgekommen, ob man dem sich öffnenden Staat zumuten dürfe, gerade zu diesem Zeitpunkt mit Forderungen nach mehr Bewegungsfreiheit konfrontiert zu werden. In einer kurzen Aussprache über die Frage, in welchen Ausschuß der Antrag Falckes überwiesen werden solle, erklärte Hirsch, er sehe in dem Antrag die Gefahr einer Behinderung der staatlichen Offnungspolitik. 5 4 Zusätzlich bereite es ihm Schwierigkeiten, daß sich Falcke als Antragsteller nur mit der Intention, nicht aber mit dem Wortlaut identifiziere. Die Zurückstellung der Abstim-
50 Die für ihn schwer zu akzeptierende Kritik der Bischöfe D e m k e u n d Leich an d e m von ihm eingebrachten Antrag sprach Falcke nochmals in einem 1991 veröffentlichten Rückblick an. Falcke wies auch d a r a u f h i n , daß die , Absage an Praxis u n d Prinzip der Abgrenzung", die den „Widerspruch zwischen der Friedenspolitik der D D R u n d der innenpolitischen Ab- u n d Ausgrenzungspolitik auf den Punkt bringen sollte [...], von der Bundessynode n u r durch die Planung eines Seminars z u m T h e m a a u f g e n o m m e n " wurde (H. FALCKE: Die unvollendete Befreiung, S. 28). 51
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" Ebd. 53 Ebd. 54 FALCKE erinnerte sich im Gespräch mit den Verf. am 9.6.1994 daran, von Hirsch bei Beginn der Synodaltagung „beiseite g e n o m m e n " worden zu sein. Hirsch habe ihm dabei nahegelegt, den Antrag zurückzuziehen.
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mung bis nach der Aussprache über den KKL-Bericht beantragte Große. Für den Antrag Großes sprach sich Schorlemmer, dagegen Nollau aus. Bei der Abstimmung über Großes Antrag zur Geschäftsordnung wurde dieser abgelehnt (21:23). Nollau sprach sich dann für den Antrag Domkes aus, das FalckePapier an den Berichtsausschuß (nicht an einen Sonderausschuß) zu überweisen.55 Demgegenüber forderte Cynkiewicz, wegen der Wichtigkeit des FalckeAntrags einen Sonderausschuß mit der Behandlung zu beauftragen. Schorlemmer wiederholte den Antrag Großes, die Frage, in welchen Ausschuß der Falcke-Antrag überwiesen werden solle, zurückzustellen. Er begründete dies damit, daß die Grundaussagen des Falcke-Papiers thematisch ein Unterpunkt des zentralen Synoden-Themas „Bekennen in der Friedensfrage" seien, über das man noch diskutieren werde. Dieser Geschäftsordnungs-Antrag 56 wurde von der Synode angenommen. - Mit Erledigung dieses Tagesordnungspunkts übergab Präses Gaebler die Leitung der Synode an seine Stellvertreterin Cynkiewicz. 4.1.3 Der Konziliare Prozeß Als nächster wichtiger Verhandlungspunkt folgte der „Sachstandsbericht zum .Konziliaren Prozeß'" 57 (TOP 5), der in Abwesenheit des (erkrankten) mitarbeitenden Gastes Ziemer wiederum durch Falcke vorgetragen wurde. Im Anschluß an die Verlesung kritisierte Scheidig heftig die theologische Überfrachtung des Textes, die ihn für die Gemeindearbeit unbrauchbar mache. Die Gemeindeglieder erwarteten ihrer Ansicht nach Anregungen und Handlungsanweisungen. Seichter betonte demgegenüber, die Ubersetzung und Weitergabe der theologischen Inhalte des Sachstandsberichts zum „Konziliaren Prozeß" sei gerade die Aufgabe der Synodalen. Dem setzte wiederum Schorlemmer klärend entgegen, das von Falcke Vorgetragene sei ein Sachstandsbtricht zum „Konziliaren Prozeß" und kein Arbeitspapier für die Gemeinden. Cynkiewicz stimmte Schorlemmer zu, daß der Sachstandsbericht in erster Linie als Information für die Bundessynode gedacht sei. Es folgten einige Sachfragen an Falcke, und nach dieser kurzen Aussprache wurde die Beratung von T O P 5 bereits für abgeschlossen erklärt. 55 Die Diskussion um die Überweisung des Falcke-Antrags war von großer Brisanz. Der Berichtsausschuß war personell festgelegt und hatte sich zudem mit einer Reihe von Themen zu beschäftigen, während bei der Bildung eines Sonderausschusses zumindest die Möglichkeit bestand, durch dessen Zusammensetzung auf den Gang der Verhandlungen Einfluß zu nehmen. 56 Im Unterschied zu normalen Anträgen benötigte ein GO-Antrag keinerlei Unterstützung durch die Synodalen, sondern gelangte automatisch in die Aussprache. Vgl. G O § 12 (2): „[...] Erklären wenigstens fünf Mitglieder der Synode die Unterstützung, so muß über den Antrag verhandelt werden" u n d § 12 (4):, Alle Anträge, die während der Tagung gestellt werden, müssendem Präsidium schriftlich übergeben werden. Lediglich Anträge zur Geschäftsordnung sind von dieser Vorschrift ausgenommen." 57 TYPOSKRIPT, S. 7 2 - 8 4 . Abdruck in: EPD DOKUMENTATION 44/87, S. 36-43.
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E s s c h l o ß sich d i e A b s t i m m u n g ü b e r d i e F r a g e a n , o b ein T a g u n g s a u s s c h u ß „ F r i e d e n s f r a g e n " eingerichtet werden solle oder nicht. D i e S y n o d e sprach sich e i n s t i m m i g für einen solchen Tagungsausschuß aus.58
4.2
Samstag,
19.
September
198759
N a c h der E r ö f f n u n g der Plenumssitzung d u r c h Vize-Präses de Maiziere sprach der Präsident des Ö k u m e n i s c h e n Rates der Tschechoslowakei, Jindrich H a l a m a , ein G r u ß w o r t . 6 0 I m A n s c h l u ß ließ d a s P r ä s i d i u m d e n a m V o r t a g d u r c h H a m m e r erstatteten Bericht des Legitimationsprüfungsausschusses d u r c h eine A b s t i m m u n g bestätigen. 4.2.1 Die Aussprache zum KKL-Bericht61 W i e b e i d e n m e i s t e n T a g u n g e n d e r B u n d e s s y n o d e n , s o g a b a u c h in G ö r l i t z d i e A u s s p r a c h e ü b e r d e n K i r c h e n l e i t u n g s b e r i c h t d e n S y n o d a l e n G e l e g e n h e i t , eigen e A n l i e g e n in F o r m v o n R ü c k f r a g e n a n d e n B e r i c h t i m P l e n u m z u r S p r a c h e z u bringen. D a b e i konnten im S a c h z u s a m m e n h a n g stehende Punkte des Arbeitsberichts 1 9 8 6 / 8 7 des BEK-Sekretariats mit angesprochen werden. Diese Auss p r a c h e n z u m K K L - B e r i c h t w u r d e n v o n d e n B u n d e s s y n o d a l e n als s p a n n e n d s t e
58 Abschließend erstattete der Synodale OKonsR Detlef Hammer den Bericht für den Legitimationsprüfungsausschuß (TOP 7). Hammer vertrat den erkrankten Vorsitzenden des Wahlvorbereitungsausschusses, Hasso Schirmacher, in dieser Funktion auf der Synodaltagung, wie Gaebler auf der Präsidiumssitzung am 4. September 1987 bekanntgegeben hatte. Auf der Synode befanden sich fünf Stellvertreter ν on Synodalen: Horst Maladinsky, Jürgen Taetow, Dr. Hans Geisler, Christfried Berger und Uwe Dittmer. Sie vertraten in der genannten Reihenfolge Joachim Wächter, Prof. Dr. Ernst-Rüdiger Kiesow (und dessen 1. Stellvertreter Dr. Uwe Schnell), Hasso Schirmacher, Joachim Schlegel und Johannes Stemmler. Laut Teilnehmerliste des Präsidiums der Bundessynode (MB1 1/2 1986, S. 2-4; auch SAPMO BERLIN, DY 30/IV Β 2/14/93, S. 91 f.) war auch die Synodale Barbara Klingbeil als erste Vertreterin der Bundessynodalen Christina Schultheiß anwesend. In dem Bericht Hammers wurde dies nicht erwähnt (TYPOSKRIPT, S. 90). Herbst wurde als neugewählter Synodaler legitimiert. Damit waren alle anwesenden 59 Synodalen legitimiert. Es fehlte der Bundessynodale Nr. 56, Dr. Hans Seidel. Daher ergab die Legitimationsprüfung nur 59 und nicht 60 Anwesende. Der Grund für den Ausfall Seidels ist den Verf. unbekannt. Zur Legitimationsprüfung vgl. G O § 5. " In der maschinenschriftlichen Fassung fehlt der Anfang des zweiten Tages. Da die Tonbandaufzeichnung jedoch an dieser Stelle unversehrt ist, haben die Bearbeiter den kurzen Teil (bis zur Legitimationsprüfung durch Hammer) hinzugefügt (TYPOSKRIPT, S. 90). Der Synodale Ernst Petzold hatte am 19.9.87 schriftlich um eine Beurlaubung von der Synode vom 19.9., 15.30 Uhr, bis 20.9., 13.00 Uhr, „aus dringenden persönlichen Gründen" gebeten (EZA BERLIN, 101/93/221). Bischof Gottfried Forck reiste erst am 19.9. an, da er am Vortag Gast der 16. Europakonferenz der Männerarbeit in Buckow (Mark. Schweiz) gewesen war. 60 Halama wohnte der Synode nur am 18. und 19. September als ökumenischer Gast bei. 61
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Abschnitte der Synodaltagung angesehen. 62 Im folgenden werden die Redebeiträge zu dieser Debatte mit ihren wichtigsten Stichworten referiert, weil sich aus ihnen insgesamt ein recht deutliches Bild von der Gesamtstimmung und der Gesprächslage auf der Görlitzer Synodaltagung ergibt. Die zum Bereich Kirche-Staat-Gesellschaft gehörenden Themen nahmen in der Aussprache einen breiten Raum ein; aber auch etliche schwerpunktmäßig die innerkirchliche Arbeit betreffende Themen wurden von den Synodalen angesprochen, wie die folgende Darstellung zeigt. Besonderes Interesse zeigten die Synodalen am Olof-Palme-Friedensmarsch, der im Konferenzbericht als positives Beispiel für das Zusammenwirken von Staat und Kirche erwähnt worden war. So wollte Erich Pfuhl wissen, welche Lernerfahrungen Christen und Nichtchristen hierbei gemacht hätten. Martina Huhn klagte über die mangelhafte innerkirchliche Koordination des Marsches. Auf die regional unterschiedliche Informationspraxis wies Hertzsch hin. So habe die Thüringer Kirchenzeitung Glaube und Heimat besonders detailliert über den Verlauf des Friedensmarsches in Thüringen Bericht erstattet. Als zeitweiliger Teilnehmer am Olof-Palme-Friedensmarsch berichtete Schorlemmer über verschiedene Formen der Öffnung, zum Beispiel der unbürokratischen Öffnung der Grenzen, der Öffnung der Gesprächspartner zueinander, der Öffnung auch zu pazifistischem Gedankengut. 63 Es habe zwar auch „bittere Dinge" gegeben, doch wünschte Schorlemmer sich, „daß wir dies jetzt nicht in den Vordergrund stellen, sondern uns erstmal bewußt werden, was das für ein großer Schritt war, den die andere Seite auf uns zugegangen ist". So riet er, den „Bogen nicht [zu] überspannen". 64 Kritik an dem seiner Ansicht nach geschönten Begriff „verändertes Verhalten der Medien" übte Jürgen Taetow, zumal die offenere Berichterstattung auf bestimmte, DDR-Medien-taugliche Ereignisse beschränkt bleibe. Passauer regte in diesem Zusammenhang grundlegende Gespräche an, wie die D D R Medien besser zur Informationsvermittlung zu nutzen seien, da die westlichen Medien „nicht die geeigneten Instrumente sind oder nicht immer die geeigneten Instrumente sind". 65 Ihr persönliches Bekenntnis zum sozialistischen Staat D D R unterstrich die Synodale Lättig und lobte die Religionsfreiheit in der D D R . An die Synode gewandt, sagte sie: „Wir sollen und können mitdenken, mithandeln und, wie 62 So äußerten sich z.B. Noack und Krause gegenüber den Verf. Vgl. auch W. LEICH: Wechselnde Horizonte, S. 2 2 0 - 2 2 2 . 63 Diese völlig neue Erfahrung im Umgang mit der Staatsmacht während des Olof-PalmeFriedensmarsches betonte SCHORLEMMER nochmals ausdrücklich im Gespräch mit den Verf. am 11.3.1994. Schorlemmer war als einziger kirchlicher Vertreter aus dem Osten in der Tschechoslowakei beim Olof-Palme-Friedensmarsch gewesen. Vgl. auch M . HERRMANN: Ein Stück „Glasnost" - um des Friedens willen. 64
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wir hier auch sehen, mitreden." 66 Die Unfähigkeit der DDR-Kirche zur Standortbestimmung seit G r ü n d u n g des Bundes 1969 im Gegensatz zu früheren deutlicheren Worten 6 7 monierte dagegen Noack. Auch in der gegenwärtigen Aussprache dürfe nicht übersehen werden, daß der Bericht der Konferenz signalisiere, „daß wir als Kirche zur Zeit große Schwierigkeiten haben, eindeutig, für andere verständlich zu sagen, wie wir in dieser Gesellschaft uns finden, wie wir hier stehen". 68 Hertzsch bestätigte Noacks Hinweis auf die „Sprachlosigkeit der Kirche", sah aber die Ursache dafür in der zahlenmäßigen Schwäche der Basis. Dieses Problem müsse zum zentralen Thema erhoben werden. Springborn beklagte die auch im Konferenzbericht erwähnte Tatsache, daß viele Informationen des BEK die Gemeinden nicht erreichten. Er fragte nach, ob KKL-Mitglieder tatsächlich Gespräche mit Gemeinden ins Auge gefaßt hätten. Pilz kritisierte daran anknüpfend, daß der Bund seine Verpflichtung gegenüber den Gemeinden nur unzureichend wahrnehme. Er stimmte mit H u h n darin überein, daß es innerhalb der Kirche bezüglich des Olof-PalmeFriedensmarsches überhaupt keine Zusammenarbeit gegeben habe. An Noack gewandt, betonte Dehne, eine eindeutige Standortbestimmung sei innerhalb des Prozesses, in dem sich die Kirche gegenwärtig befinde, nicht möglich. Wichtig sei vielmehr, daß DDR-Bürger dazu gebracht würden, die ihnen verfassungsmäßig zustehenden Rechte auch in Anspruch zu nehmen. Den im KKL-Bericht verwendeten Begriff „kirchliches Anliegen" bemängelte der Jugenddelegierte Lewek, da er zu allgemein gehalten sei und für ihn persönlich sowohl eine „geistliche" als auch eine „gesellschaftlich-politische" Komponente enthalte. 69 Die grundsätzlich mangelhafte Zusammenarbeit im Bund der Evangelischen Kirchen vor allem im Blick auf die Delegierung organisatorischer Aufgaben monierte Welz. Daran anknüpfend fragte Albani, welche weiteren Sachgebiete zur Übertragung an den Bund vorgesehen seien. Uwe Dittmer kritisierte, daß bei der Tagung des Weltkirchenrats, die 1986 in der D D R stattgefunden hatte, vom Bund für die Untereinheit, die den Dialog mit Andersdenkenden zum Thema hatte, kein die D D R repräsentierender Teilnehmer benannt worden sei. Es müsse doch gerade in der D D R ein Schwerpunkt sein, sich mit der Beziehung zwischen Christen und Marxisten auseinanderzusetzen. Auf die mangelnde Einbeziehung von Jugendlichen und ihrem Engagement innerhalb kirchlicher Strukturen wies Böhling hin. Laudan erkundigte sich, was die KKL für die Gleichberechtigung von Frauen und Jugendlichen zu tun gedenke. Taetow plädierte für mehr Informationen aus den Kirchen in soziali66 Ebd., S. 97. In einem Schreiben an die Verf. vom 5.7.1995 betonte LATTIG, daß der Herbst 1987 „eine wichtige Zeit" für sie gewesen sei. Ü b e r h a u p t habe die Arbeit in der Bundessynode sie zu d e m Entschluß gefuhrt, in den Dienst der Kirche zu treten. 67 Noack n a n n t e als Beispiele die Z e h n Artikel von 1963 u n d das Darmstädter Wort von 1947. 68 TYPOSKRIPT, S. 97. Vgl. auch S. BICKHARDT: Stellvertretung für die abwesende Gesellschaft. 69
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104 Der Verlauf der Bundessynode in Görlitz vom 18. bis 22. September 1987
stischen Ländern. Eine Neuinterpretation des Begriffs „missionarische Existenz" im Zusammenhang mit einer zukunftsorientierten Kirche im Sozialismus fern alter Schablonen forderte Pfuhl. Er sprach sich gegen die Ausgrenzung von Gruppen in der Kirche aus. Pilz drängte auf eine Intensivierung des innerkirchlichen theologischen Gesprächs und die gleichzeitige Reduzierung ökumenischer Kontakte, speziell mit Orthodoxen. Im Gegensatz dazu hob Falcke die Bedeutung von Impulsen aus der Ökumene für die D D R besonders hervor. Springborn beklagte am Beispiel seiner Heimatstadt Greifswald die seiner Ansicht nach zunehmende Ausländerfeindlichkeit in der DDR. Welz bezweifelte, daß ökumenische Kontakte Ausländerfeindlichkeit beheben könnten. Er verlangte, daß Christen aus der D D R nach ökumenischen Reisen schriftlich für die Gemeinden Rechenschaft über ihre Erfahrungen ablegen sollten. Christfried Berger lenkte die Aufmerksamkeit der Synodalen auf die Probleme von Ausländerfeindlichkeit und Rassismus in der DDR. Vor allem in der D D R lebende Stipendiaten, Lehrlinge und Gastarbeiter, die „als ein Ausdruck der Solidarität"70 anderer Länder in die D D R kämen, erlebten Vorurteile und grundsätzliche Intoleranz von Seiten der Bevölkerung. Berger zog eine Verbindung zum Okumenegedanken und plädierte für ökumenische Lernerfahrungen. In diesem Zusammenhang erhob er die Forderung nach Akzeptanz und Unterstützung fremder Gottesdienstformen und Frömmigkeitsbräuche innerhalb der Gemeinden. Auch Lättig forderte die kirchliche Integration von Ausländern. 71 Über wachsendes theologisches Interesse - auch von Kirchenfernen - in den Gemeinden berichtete Kahl, um damit den Vorwurf einer allgemeinen „Theologieverdrossenheit"72 zu entkräften. Die Synode diskutierte intensiv darüber, ob es in der D D R eine solche Theologieverdrossenheit gebe und ob diese eher von Gemeindegliedern oder von den Theologen ausgehe. Ein zu diesem Zeitpunkt von Taetow gestellter Antrag auf Schluß der Rednerliste wurde abgelehnt, weil die Synodalen mehrheitlich dem Argument des KKL-Mitglieds Kramer zustimmten, ein Abbruch der Aussprache könne einen Substanzverlust der Debatte zur Folge haben. So wurde die Diskussion fortgesetzt, nachdem der katholische Bischof Bernhard Huhn (Apostolischer Administrator von Görlitz) sein Grußwort an die Synode gerichtet hatte. 73 Huhn 70
Ebd., S. 132. Das Problem von in der D D R lebenden Ausländern war auch Gegenstand eines Gesprächs zwischen Stolpe und Gysi. Dabei hatte Stolpe die Schwierigkeiten von Mozambiquanern zur Sprache gebracht, die bei regelmäßigem Gottesdienstbesuch mit ihrer Zwangsrückführung rechnen 71
m ü ß t e n (Persönliche A u f z e i c h n u n g e n Klaus GYSI, BERLIN, 6 . 8 . 1 9 8 7 ) . 72
Die lang andauernde Diskussion um die Theologieverdrossenheit findet sich auf den Seiten 115-121 und 128-131 des TYPOSKRIPTS. Vgl. auch den Kommentar „THEOLOGIEVERDROSSENHEIT" in: KiSo 13 (1987), S. 3. 73
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hob hervor, daß die Ökumene „in den letzten Jahrzehnten eine dynamische Bewegung erfahren" 74 habe, und betonte die Wichtigkeit fachtheologischer Arbeit. Die aus der Sicht der Katholiken „erstaunliche Pluralität" innerhalb der evangelischen Kirche, zum Beispiel in der Glaubenslehre 75 , dürfe den Dialog und die Friedensbemühungen nicht behindern, doch solle auf der anderen Seite „in Forderung und ökumenischer Praxis all das unterlassen [werden], was der Schwesterkirche noch Schmerz" bereite. 76 In der weiteren Aussprache zum KKL-Bericht kamen dann noch folgende Stichworte zur Sprache 77 : Taetow äußerte den Wunsch nach mehr Informationen über Bausoldaten sowie deren Anteil an zivilen Projekten und fragte nach der Existenz eines sozialen Friedensdienstes. Schorlemmer bedankte sich ausdrücklich für die „Klarheit und Entschiedenheit [...], mit der der Vorstand am 2 1 . 5 . [ 1 9 8 7 ] Anliegen von Christen dieses Landes im Staatssekretariat vorgetragen" habe. 78 Er wollte weiterhin wissen, welche „Dinge" dort mit dem Argument abgelehnt worden seien, sie gehörten „nicht auf den Tisch des Staatssekretärs".79 Schorlemmer forderte sodann die soziale Reintegration der im Rahmen der Amnestie80 Strafentlassenen auch in den Gemeinden und übte scharfe Kritik an der mangelhaften Umweltpolitik in der D D R . Dabei verwies er auf eine wachsende Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis im sozialistischen Staat und faßte seine Kritik in die viel beachteten Sätze zusammen 81 :
74 Ebd., S. 124. Vgl. auch G. KRUSCHE: Das ökumenische Engagement des Bundes der evangelischen Kirchen in der DDR. 75 Bischof Huhn verwies unter anderem auf das unterschiedliche Tauf- und Abendmahlsverständnis. 76
TYPOSKRIPT, S . 1 2 5 .
Ebd.,S. 1 2 8 - 1 4 8 und 1 5 0 - 1 6 7 . Die Aussprache wurde durch das Grußwort des methodistischen Bischofs Rüdiger Minor, das er fur die AGCK der D D R gesprochen hatte, kurz unterbrochen (Ebd., S. 1 4 8 - 1 5 0 ) . 78 Ebd., S. 138f. Gemeint war das Gespräch, das Mitglieder des KKL-Vorstands am 21. 5 . 1 9 8 7 mit Staatssekretär Gysi geführt hatten. Vgl. Staatssekretär für Kirchenfragen. Abt. II. [Ohne Aussteller.] Berlin, 25.5.1987: „Information über das Gespräch des Staatssekretärs mit dem Vorstand der KKL am 2 1 . 5 . 1 9 8 7 im Gästehaus Johannishof'. Anwesend waren Gysi, Kalb, Heinrich, Handel, Leich, Demke, Stolpe, Gaebler, Ziegler, Lewek, Kupas (BArchP, DO 4 STS f. Kirchenfragen Nr. 712). Im Anhang als Dok. 2. 79 TYPOSKRIPT, S. 139. In der von der Pressestelle des BEK herausgegebenen „Schnellinformation" vom 2 2 . 5 . 1 9 8 7 war Gysis Hinweis erwähnt worden, „einige der vom Vorstand vorgetragenen Fragen gehörten nicht auf den Tisch des Staatssekretärs". Zu dem Gespräch am 21.5.1987 hatte der Staatssekretär für Kirchenfragen Vorstandsmitglieder der KKL in seine Dienststelle eingeladen. Thema waren „akute Fragen im Verhältnis von Staat und Kirche". Vgl. Dok. 2 im Anhang. 80 Am 12.12.1987 war aus Anlaß des 38. Jahrestages der DDR eine allgemeine Amnestie beschlossen worden. Vgl. dazu Ε MASER: Kirche und Religionsgemeinschaften in der DDR, S. 137. 81 Der nun folgende Beitrag Schorlemmers wurde abgedruckt in F. SCHORLEMMER: Träume und Alpträume, S. 4 0 - 4 2 . 77
106 Der Verlauf der Bundessynode in Görlitz vom 18. bis 22. September 1987 „Ich sehe uns zuerst vor den Trümmern des Konzepts der,Kirche im Sozialismus', die es nicht vermocht hat, Tausenden Mitchristen Mut zu machen, hier in diesem Lande zu leben und denen, die in diesem Lande leben bleiben, aktiv mitzuwirken in dieser Gesellschaft. Dazu gehört für mich auch der ganze Konferenzbericht. Eine rastlose und ratlose, eine überforderte Konferenz berichtet uns, und ich möchte nicht gern auf dieser Bank sitzen, aber ich möchte das trotzdem sagen." Schorlemmer sprach des weiteren von den Trümmern des Konzepts der sozialistischen Gesellschaft, in bezug auf marode Städte und verfallene Kirchen von den „Trümmern unserer kulturellen Uberlieferung". Als Beispiel für die Trümmer einer „ruinösen Verbrauchspolitik und eines ruinösen Verbraucherverhaltens" nannte Schorlemmer subventioniertes Brot, das für die Fütterung von Schweinen verschwendet werde. Auch sehe er die Bevölkerung der D D R vor den Trümmern der Atomenergiepolitik stehen. 82
Lob zollte Schorlemmer dem Moskauer Forum 83 , Gorbatschow und der Glasnost-Politik: „Sowjetische Zeitschriften halten, was Glasnost versprochen hat, ich hoffe auch, daß das bald die deutschen tun." 84 Das Dialogpapier von SED und SPD komme - so Schorlemmer - „in der Analyse der Weltsituation unserer Weltsicht sehr nahe".85 Honeckers Wort über „Grenzen, die nicht trennen, sondern vereinen werden", halte er für denkwürdig, zumal es von einem Mann gesprochen worden sei, „der einmal den Mauerbau organisiert hatte". 86 Schorlemmer spielte auch auf das Gespräch mit dem Leiter des Staatlichen Amtes für Atomenergie und Strahlenschutz, Staatssekretär Sitzlack, über Fragen der Reaktorsicherheit an. Dieser habe mit „einem zweistündigen Informationsschock das Gespräch verhindert". 87 Schorlemmer beschloß seinen Redebeitrag mit der Frage nach der „Zumutbarkeit unserer [kirchlichen] Wahrheit für die anderen". Dabei betonte er, daß eben diese Frage nach der Zumutbarkeit nicht an erster Stelle stehen dürfe, „sonst verheddern wir uns im taktischen Kalkül und sind nicht mehr bei den Menschen". 88
82
TYPOSKRJPT, S. 1 3 9 f .
83
Das Friedensforum hatte vom 14. bis 16.2.1987 in Moskau stattgefunden und war mit einer vielbeachteten Rede Gorbatschows zu seiner Reform- und Friedenspolitik zu Ende gegangen, die vom DDR-Fernsehen übertragen und im N D abgedruckt worden war. Vgl. auch I. SPITTMANN: Die D D R unter Honecker, S. 123. 84
TYPOSKRIPT, S. 1 4 1 .
85
Ebd. Vgl. E. EPPLER: Die Bedeutung des SPD-Papiers für den Dialog.
86
TYPOSKRIPT, S. 1 4 1 .
87
Ebd. Vgl. Anm. 17. Diese Bemerkung wurde vom Plenum mit Gelächter quittiert. TYPOSKRIPT, S. 141. Von staatlicher Seite wurden solche DDR-kritischen Äußerungen teilweise auf die Kontakte von Synodalen mit westlichen Diplomaten während der Synode zurückgeführt: Vgl. ZK der SED. Politbüro. Anlage zum Protokoll der Politbürositzung vom 22.9.1987. W. Jarowinsky. [Ohne Ort,] 21.9.1987: „Zum bisherigen Verlauf der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen der D D R in Görlitz" (SAPMO BERLIN, DY30/J IV 2/2 A/3060), als Dok. 17/1 im Anhang. In einem Interview mit den Verf. am 11.3.1994 erinnerte sich SCHORLEMMER, daß aufgrund seines oben erwähnten Diskussionsbeitrags der Sektorenleiter Kirchenfragen des RdB Halle ihn zu Hause aufgesucht habe. Der Staatsvertreter habe kritisiert, daß dieser Beitrag Schorlemmers „nicht mehr vernünftig" gewesen sei. Er führte dies auf die Beeinflussung Schorlemmers 88
Samstag, 19. September 1987
107
Detailinformationen über das von Schorlemmer kritisch angesprochene „Sachgespräch" mit Staatssekretär Sitzlack89 gab Cynkiewicz: Wie Schorlemmer beklagte auch sie den monologischen Charakter des zweistündigen Treffens, bei dem nach dem Referat des Staatssekretärs von den Vertretern der evangelischen Kirche nur vier Fragen hätten gestellt werden können. 90 In diesem Zusammenhang machte Cynkiewicz auf die von der staatlichen Seite eingeführte neue Formel „Informationsgespräche" statt der bisher üblichen Bezeichnung „Sachgespräche" aufmerksam. Sie sah in der Umbenennung die Gefahr, daß mit der neuen Bezeichnung möglicherweise der dialogische Charakter solcher Gespräche endgültig aufgehoben werden solle. An Leich gewandt, betonte Cynkiewicz, die Frage der Zumutbarkeitmüsse für beide Seiten gestellt werden: „Ich möchte ganz dringend darum bitten, daß die Konferenz hier klar sagt, welchen Weg sie gehen will."91 Im Gegensatz zu dieser besorgten Frage wies Domke auf positive Dialogbeispiele hin, wie zum Beispiel eine Tagung der Akademie Berlin-Brandenburg im Herbst 1986. Der Synodale Große übte Kritik an der nach seiner Ansicht zu pessimistischen und fatalistischen Einschätzung kirchlicher Handlungsmöglichkeiten durch Noack. Große betonte, der Staat müsse auf seine ihn selbst verpflichtenden Grundsätze hin festgelegt werden. Uber allem stünde der „Gott der Geschichte". Große sagte:
d u r c h Vertreter der US-Botschaft w ä h r e n d eines Mittagessens zurück. S c h o r l e m m e r berichtete, in der Tat die beiden auf der Synode a n w e s e n d e n U S - D i p l o m a t e n J o n a t h a n Greenwald u n d Gregory S a n d f o r d in den offiziellen, f ü r die S y n o d e n t e i l n e h m e r b e s t i m m t e n Speisesaal eingeladen zu haben. Dies bestätigte der damalige Botschaftsrat fur politische Angelegenheiten in der US-Botschaft in Ost-Berlin, GREENWALD, gegenüber den Verf. a m 2 7 . 1 0 . 1 9 9 4 . D e r K o n t a k t mit S c h o r l e m m e r h a b e sich in der Folgezeit weiter vertieft, so d a ß es E n d e 1 9 8 7 durch Initiative Greenwalds sogar zu e i n e m Besuch einer Delegation des US-Kongresses in W i t t e n b e r g g e k o m m e n sei. Für Greenwald, der erst im Juli 1987 als Botschaftsrat nach Ost-Berlin g e k o m m e n war, war die Görlitzer Synode die erste Begegnung m i t der evangelischen Kirche in der D D R gewesen. Ausgelöst durch die Gespräche mit diesen ausländischen D i p l o m a t e n w u r d e die Ü b e r w a c h u n g u n d B e o b a c h t u n g Schorlemmers von der Kirchenabteilung des M f S ( H A X X / 4 ) an die für Spionageabw e h r zuständige H A II des M f S übergeben. Greenwald u n d Sandford seien v o m Staatssicherheitsdienst als vermeintliche CLA-Mitarbeiter geführt w o r d e n (Gespräch SCHORLEMMER mit den Verf. am5.12.1995). 89 Vgl. A n m . 17. Eine andere Sicht dieses Gesprächs vertrat STOLPE am 6 . 1 . 1 9 9 5 gegenüber d e n Verf.: D a s Referat Sitzlacks „war nicht darauf angelegt, uns m u n d t o t zu m a c h e n . " Im übrigen sei der Z e i t r a h m e n von der Kirche selbst gesetzt worden. 90 Bemerkenswerterweise wiederholte Sitzlack seinen Vortrag a m 3 0 . 9 . 1 9 8 7 in einer ,,dreistündige[n] Z u s a m m e n k u n f t mit Genossen" aus den Räten der Bezirke in der Dienststelle des Staatssekretärs f ü r Kirchenfragen. Diese interessierten sich in erster Linie f ü r die Rückfragen, die die Kirchenvertreter Sitzlack gestellt hatten. Das Gespräch mit Sitzlack w u r d e als wichtiger Teil der A u s w e r t u n g der Görlitzer Bundessynode verstanden. Vgl. Staatssekretär f ü r Kirchenfragen. Gysi. Berlin, 1 . 1 0 . 1 9 8 7 : „ I n f o r m a t i o n " über die III. p l a n m ä ß i g e Arbeitsberatung mit Mitarbeitern f ü r Kirchenfragen aus d e n R d B (BArchP, D O 4 STS f. Kirchenfragen Nr. 971). Vgl. im einzelnen Kap. 5.2.2, S. 190. 91
TYPOSKRIPT, S. 1 4 3 .
108 Der Verlauf der Bundessynode in Görlitz vom 18. bis 22. September 1987 „Und deshalb kann ich hier nicht glauben, daß ein Zustand immer so bleibt, sondern erwarte Veränderungen. Und weiß, daß die Dinge nicht festgeschrieben sein können. Und deshalb finde ich mich mit nichts ab." 92 Z u r Wehrdienstfrage äußerte sich Frenzel. E r h o b die Notwendigkeit der Existenz von Bausoldaten i m öffentlichen Leben der D D R an verschiedenen Beispielen hervor, klagte über die Benachteiligung der Bausoldaten u n d stellte die F o r d e r u n g nach einem zivilen Wehrersatzdienst. D e r zur Mitarbeit a m T h e m a Wehrdienstfragen nach Görlitz eingeladene Rechtsanwalt W o l f g a n g S c h n u r n a h m Stellung zu diesem Komplex, wobei er drei Gesichtspunkte hervorhob 9 3 : 1. Es müsse bedacht werden, daß es viele Christen gebe, die den Dienst an der Waffe absolvierten. Zum kirchlichen Auftrag gehöre es auch, die Rekruten darauf vorzubereiten, welche Aufgaben einen Angehörigen der NVA erwarteten. 2. Die potentiellen Bausoldaten müßten darüber in Kenntnis gesetzt werden, daß sie nach der DDR-Gesetzgebung 94 auch an militärischen Objekten zum Einsatz kommen könnten. Die begleitende seelsorgerliche Verantwortung der Kirche habe in diesem Fall besonderes Gewicht. 3. Die Forderung nach einem zivilen Wehrersatzdienst könne man niemandem verwehren, doch sei es Tatsache, daß nach der gegenwärtigen Rechtslage kein Anspruch auf zivilen Wehrersatzdienst bestehe und ein Totalverweigerer demnach einen Gesetzesverstoß begehe. 95 Schnur sah jedoch ein positives Signal in der Tatsache, daß 1987 keine einzige strafrechtliche Verurteilung zu verzeichnen gewesen sei. 96 Unter Bezug auf das Seminar „Konkret für den Frieden" in Leipzig bat Schnur die KKL, in Zusammenarbeit mit dem Diakonischen Werk „eine Studie über den Einsatz von Freiwilligen in diakonischen Einrichtungen zu erstellen, die die Freisetzung von medizinischem Personal für die Arbeit in der 2/3-Welt zum Ziel" habe. 97 Grundsätzlich regte Schnur an, die angebotenen Rechtsmittel tatsächlich in Anspruch zu nehmen. E i n ausdrückliches L o b (namentlich für M a r g o t Honecker, Minister f ü r Volksbildung) für gelungene Beispiele der Z u s a m m e n a r b e i t mit d e m Staat im Bereich der Sonderschulpädagogik und kirchlicher Spezialeinrichtungen sprach Petzold aus. Er betonte zugleich mit N a c h d r u c k die „zweiseitige" Beteiligung an der Errichtung der M a u e r zwischen den beiden deutschen Staaten:
92 93 94
Ebd., S. 151. Ebd., S. 152f. V g l . d i e A N O R D N U N G Ü B E R D I E A U F S T E L L U N G D E R B A U E I N H E I T E N , § 2 , A b s . 1.
Z u m Problem der Wehrdienstverweigerung im DDR-Strafrecht vgl. den § 43 des WEHRDIENSTGESETZES von 1982 und den § 2 5 6 des S t G B der D D R von 1986. Die am gleichen Tag im Plenum verhandelte Beschlußvorlage „Bekennen in der Friedensfrage" hätte in Teil II als Aufruf zum Verstoß gegen die beiden o.g. DDR-Gesetze verstanden werden können (De MAIZI^RE im Gespräch mit den Verf. am 11.5.1994). 95
96
V g l . a u c h U . K O C H / G . N E U G E B A U E R : D i e E v a n g e l i s c h e K i r c h e i n d e r D D R , v.a. S .
97
TYPOSKRII>T, S . 1 5 3 .
133-140.
Samstag, 19. S e p t e m b e r 1 9 8 7
109
„Ich d e n k e , wir sind u n s alle darüber i m klaren, daß es uns g u t ansteht, w e n n wir wenigstens mit e i n e m Satz erkennen lassen, d a ß wir natürlich die politischen Realitäten k e n n e n , die d a m a l s dazu geführt haben u n d die bis heute in gewandelter F o r m , wohl aber d o c h in der S u b s t a n z fortbestehen." 9 8 Politisch verantwortlich d e n k e n d e M e n s c h e n wüßten, wie absurd die Forderung nach d e m A b r i ß der M a u e r sei. D i e s sei ein Prozeß des schrittweisen A b b a u s , der geduldige Arbeit erfordere.
Mit diesem Votum Schloß die Aussprache über jenen Teil des Konferenzberichts, der das Verhältnis von Staat und Kirche betraf. Vor allem die kritischen Worte Schorlemmers über die „Trümmer des Konzepts der Kirche im Sozialismus" waren auf das besondere Interesse der westlichen Pressevertreter gestoßen. Entweder aufgrund von Erfahrungen bei früheren Bundessynoden oder vielleicht auch nach Absprache mit einzelnen Synodalen wurden in Görlitz die Kameras und Scheinwerfer des Westfernsehens stets dann eingeschaltet, wenn derartige öffentlichkeitswirksame Redebeiträge zu erwarten waren. Die Aussprache zum Bericht über den „Konziliaren Prozeß" leitete Semper mit einem Plädoyer für die stärkere Aktivierung dieses Prozesses in den Gemeinden ein. Böhling monierte die Undeutlichkeit der Stellungnahmen über grundlegende Themen wie Frieden und Gerechtigkeit und deren Zusammenhang. Sie forderte zudem mehr Beteiligung der Kirche an Themen wie Ökologie, Weltwirtschaft und Südafrika und den verstärkten Meinungsaustausch mit westlichen Kirchen. Ihren Wunsch nach der Verstärkung ökumenischer Solidarität brachten sowohl Dittmer als auch Höppner zum Ausdruck. Höppner teilte ferner ihre Erwartung nach leistungsfähigerer kirchlicher Bildungsarbeit mit, die durch westliche Literatur verbessert werden könnte. Ihr Antrag, den Redebeitrag Schorlemmers schriftlich an das Plenum zu verteilen, wurde von Nollau und Große gleichermaßen mit dem Argument abgelehnt, sparsamer Umgang mit Papier sei auch ein Beitrag zum Umweltschutz." Zum Schluß der Aussprache über den Kirchenleitungsbericht sagte Dorp im Blick auf die von Synodalen immer wieder angesprochene .Angst vor staatlicher Vereinnahmung": „Wenn ich weiß, aus welchem Auftrag ich handele, dann weiß ich, was ich zu tun habe."' 0 0 Es folgte eine Diskussion über Punkte, die allein den Arbeitsbericht betrafen.
Ebd., S. 156. " In einem Interview mit den Verf. am 11.3.1994 in Wittenberg sagte SCHORLEMMER, dieses Argument sei seiner Meinung nach ein Vorwand gewesen, zumal sein Beitrag nur einen Umfang von zwei Seiten gehabt habe. Ein an dem Beitrag interessierter Pfarrer aus Görlitz, der an den Plenumssitzungen als Gast teilnahm, habe ihn dann eigenhändig abgetippt und die Verteilung ermöglicht. 100 Ebd. Vgl. auch H.-J. RÖDER: Sorge vor Vereinnahmung. Röder bezieht sich vor allem auf öffentliche Plenaraussprachen bei Synoden. 98
1 1 0 Der Verlauf der Bundessynode in Görlitz vom 18. bis 22. September 1987 4 . 2 . 2 D i e Aussprache über den Arbeitsbericht 1 9 8 6 / 8 7 des BEK-Sekretariats 1 0 1 Bei der insgesamt recht kurzen Aussprache über den Arbeitsbericht des B E K Sekretariats gab es wegen des inhaltlichen U m f a n g s dieser Z u s a m m e n s t e l l u n g sehr unterschiedliche Anfragen u n d Bemerkungen, von denen folgende hervorgehoben seien: Als erster Redner bat Passauer u m die Aufschlüsselung eventuell zu zahlreicher ökumenischer Kontakte. D i e O f f e n l e g u n g von Westreisen durch das Syno d e n p r ä s i d i u m begrüßte N o a c k u n d forderte gleichzeitig eine Erweiterung der Möglichkeiten für mitarbeitende Laien, an Westreisen teilzunehmen. 1 0 2 Schorl e m m e r lobte einerseits Informationsgehalt u n d Klarheit des Arbeitsberichts, bemängelte a u f der anderen Seite jedoch, daß dahinterstehende Probleme zu wenig z u m A u s d r u c k k ä m e n . Er begrüßte die neue O f f e n h e i t der Kirchenzeitungen, die ein stärkeres Leserinteresse zur Folge hätte. 1 0 3 U b e r das verzögerte Erscheinen des BEK-Mitteilungsblatts beklagte sich in diesem Z u s a m m e n h a n g Pilz, zumal „ m a n sich nicht i m m e r ins Bild setzen [kann], wer in welcher Arbeitsgruppe oder K o m m i s s i o n mitarbeitet. D a s k ö n n t e deshalb interessant werden, weil m a n ihn vielleicht a u f den SachbetrefF hin ansprechen könnte, [...] wenn er etwa in der N ä h e wohnt". 1 0 4
101
TYPOSKRIPT, S. 1 6 7 - 1 6 9 .
Wie NOACK den Verf. mitteilte, war es in Görlitz - zurückgehend auf einen Beschluß der Bundessynode auf ihrer Erfurter Tagung 1986 (MB1 1 /3 1987, S. 10) - den Synodalen erstmalig möglich, Einsicht in Ubersichten über die Reisetätigkeit zu nehmen. Die entsprechenden Unterlagen konnten persönlich beim Synodenpräsidium eingesehen werden. 103 Vgl. M . HARTMANN: Glasnost im Gemeindeblatt. 104 TYPOSKRIPT, S. 169. Ein knappes Jahr später kritisierten Staatsvertreter bei einem Gespräch im Presseamt des Ministerrates das zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausgelieferte Mitteilungsblatt ( M B 1 4 - 6 1987 wurden nicht geliefert; im Mitteilungsblatt 3/4 1988 vom 1.9.1988, S. 3 4 - 3 7 , war nur der KKL-Bericht an die Bundessynode abgedruckt). Die im Mitteilungsblatt enthaltenen Veröffentlichungen zur Görlitzer Synodaltagung seien „eine anmaßende Einmischung in Dinge des Staates, gegen die zu protestieren sei". Dabei gehe es besonders um die „durch Synodalbeschluß festgelegten Forderungen in bezug auf die Erweiterung und die Durchschaubarmachung von Reisemöglichkeiten [...]. Diese und andere Festlegungen der Görlitzer Synode wird seitens des Staates als ein Eingriff in die Kompetenz staatlicher Organe verstanden". Die Vertreter des Presseamtes forderten massive Eingriffe in den Text des BEK-Mitteilungsblattes an der Stelle, wo der Beschluß „Bekennen in der Friedensfrage" abgedruckt war. Des weiteren sollten die Passagen über die Abgrenzung sowie ein Teil des Beschlusses zur Ausländerseelsorge, in dem die Ausländerfeindlichkeit in der D D R erwähnt wurde, gestrichen werden. Ziegler merkte gegenüber den Vertretern des Presseamtes an, er könne das Gespräch nur so interpretieren, „daß prinzipiell zu den Veröffentlichungen kirchlicherseits vom Presseamt dann Einwendungen erhoben werden, wenn Kirche auch zu gesellschaftsrelevanten Dingen das Wort nimmt". Ritter. [Ohne Ort, ohne Datum:] „Vermerk über das Gespräch im Presseamt am 1.8.1988 zum Mitteilungsblatt des Bundes 4 / 8 8 " . Teilnehmer: Müller, Hofert, Handel, Ziegler, Ritter (EZA BERLIN, 6 8 8 / 1 9 [Handakten Ziegler]). 102
S a m s t a g , 19. S e p t e m b e r 1 9 8 7
111
4.2.3 Die Weiterarbeit am Erfurter Beschluß „Zur Situation der Gemeinden" Nach einer Pause kündigte Präses Gaebler die Fortführung der Sitzung mit der Weiterarbeit am Beschluß der 2. Tagung der Bundessynode „Zur Situation der Gemeinden" ( T O P 3) an. Cynkiewicz brachte im Auftrag des Präsidiums die dazugehörige Vorlage 7 ein, wobei sie eingangs über die Vorgehensweise des Präsidiums referierte. Vier Kommissionen waren beauftragt worden, bestimmten Fragen für eine der nächsten Synodaltagungen nachzugehen. 105 Verschiedene Vorschläge des Präsidiums für die Thematik der Synodaltagung 1989 (Schwerpunktthema: „Nur das Evangelium eröffnet Zukunft - Zur Situation unserer Gemeinden" 106 ) wurden verlesen. In der dann folgenden Aussprache über das Einbringungsreferat und Vorlage 7 wurde eingehend über die Themenformulierung und über die Frage nach dem Verhältnis der Synode zu den Gemeinden diskutiert. Walter Wessel kritisierte das Einbringungsreferat von Cynkiewicz insofern, als es die vom Präsidium selbst gestellte Aufgabe, Bestandsaufnahme zu sein, nicht erfüllt habe. Die von der Synode formulierte Zielstellung, nämlich herauszuarbeiten, wie die Wirksamkeit des Evangeliums gefördert werden könne, müsse das Thema einer kommenden Synodalberatung sein. Im Anschluß äußerte Hertzsch den Wunsch nach einer intensiveren Behandlung des Themas „Probleme von Gemeinden und Kirchen", da Sachthemen wie Wehrdienst, Pressefreiheit und ökumenische Kontakte die Gemeinden nicht so sehr interessierten wie ihre eigenen, brennenden Probleme. Dehne stellte, anknüpfend an ihren Vorredner Hertzsch, die kritische Frage: „Was erwartet eigentlich die Gemeinde von den Synoden? Oder erwartet sie etwa gar nichts mehr?" 107 An der Themenformulierung „Nur das Evangelium eröffnet Zukunft" kritisierte Albani, daß diese Worte wohl besser als Schlußsatz einer Synode geeignet seien. U m den Dialog mit Andersdenkenden nicht im Vorfeld zu verhindern und einen Absolutheitsanspruch zu vermeiden, der in dem Titel „Nur das Evangelium eröffnet Zukunft" enthalten sei, schlug Passauer als Thema vor: „Das Evangelium eröffnet uns Zukunft". Große regte an, einzelne Gemeinden auf die nächste Synode einzuladen, um so auch Gruppen, z.B. der „Kirche von Unten", eine Möglichkeit zur Selbstdarstellung zu geben. Leich knüpfte an Großes Votum an und unterstütze dessen Forderung, die Gemeinden auf der geplanten Synodaltagung ganz stark einzubeziehen. Er betonte die Bedeutung des Gottesdienstes als „Kontinuum unserer Gemeinde" und bemängelte, daß die Ge105 Es handelte sich dabei um die Kommission für theologische Grundsatzfragen, die Kommission für Zeugnis und Gestalt der Gemeinde, die Kommission für kirchliche Arbeit mit Kindern und Konfirmanden und die Kommission fur kirchliche Jugendarbeit (TYPOSKRIPT, S. 1 6 9 - 1 7 2 ) . 106 Die Tagung der Bundessynode im Jahr 1988 hatte das Thema „Als Gemeinde leben" zum Schwerpunkt, während 1989 Reformen, Reisefreiheit und Recht auf Demonstrationen im Mittelpunkt standen. 107
TYPOSKRIPT, S . 1 7 4 .
112
Der Verlauf der Bundessynode in Görlitz vom 18. bis 22. September 1987
meinde als Ganzes in den vier geplanten Unterthemen gar nicht vorkomme. 108 Ilse Althausen zog aus ihren Erfahrungen als Mitglied einer Gemeindekommission die entgegengesetzte Schlußfolgerung: „... die Leute, die aus kleinen Gemeinden kommen und aus ganz kleinen Gemeinden, die sagen eben nichts, weil die in der kirchenleitenden Funktion nicht vorkommen. Und diese Bundessynode ist meiner Ansicht nach nicht die Stelle, wo kleine Gemeinden krampfhaft zu Worte kommen sollen."109 Das KKL-Mitglied Kramer warnte davor, einen abgeschlossenen Tag auf der Synode dem Gemeindethema zu widmen, wie es das Präsidium vorgesehen hatte. Dies berge die Gefahr in sich, das Thema zu isolieren. Bei der Abstimmung über diesen Verhandlungsgegenstand wurde die Übergabe der Vorlage an den noch zu bildenden Ausschuß „Gemeindeproblematik" bei einer Enthaltung angenommen. 4.2.4 Die Debatte um die Vorlage des Synodalausschusses „Bekennen in der Friedensfrage" Als vierter Tagesordnungspunkt folgte die Beschlußvorlage des Synodalausschusses „Bekennen in der Friedensfrage", die von Höppner eingebracht wurde. Nach einem kurzen Bericht zur Entstehungsgeschichte der Vorlage110 verlas sie den Antrag abschnittweise.111 Präses Gaebler eröffnete die Aussprache und erteilte Domke das Wort. Nachdem Domke das vorliegende Ergebnis grundsätzlich begrüßt hatte, machte er einige Vorschläge für die Überarbeitung der Vorlage im Tagungsausschuß: Auch in der Militärstrategie der Warschauer-Pakt-Staaten existierten verschiedene Abschreckungskonzeptionen, insofern müsse überprüft werden, ob die Verwendung des Begriffs „Abschreckung" im Antrag diesen verschiede108
Ebd., S. 177. Ebd. '10 Höppner verwies auf die Vorlage 2 der Erfurter Bundessynode 1986, die vom damaligen adhoc-Ausschuß Friedensfragen zum Thema „Unsere Kirchen auf dem Weg zum Bekennen in der Friedensfrage" erstellt worden war. Diese Vorlage war wegen ihrer sprachlichen Gestalt und der dadurch bedingten mangelnden Eindeutigkeit von der Synode verworfen worden. Statt dessen hatte die Erfurter Bundessynode folgenden Beschluß gefaßt: „Der Ausschuß soll bis zur nächsten Tagung der Synode eine Beschlußvorlage erarbeiten, die der weiteren inhaltlichen Entfaltung der Konsequenzen, die sich aus der .Absage an Geist, Logik und Praxis der Abschreckung' ergeben, dient" (TYPOSKRIPT, S. 180 und MB1 1/3 1987, S. 24f.). Dabei sollte es in erster Linie um eine ethische Konkretion der Problematik „gerechter Krieg - CA XVI - Verantwortung für den Frieden" gehen. Dem Ausschuß hatten angehört: Schorlemmer, Höppner, C. Lewek, Dehne, Semper, Zimmermann, Frenzel. Wie Schorlemmer erläuterte, war bei der Erstellung der Textvorlage die Synodale Höppner insofern „federführend" gewesen, als ihre Fassung einer Ausarbeitung der Vorlage dem Ausschuß als Ausgangsbasis gedient hatte (Gespräch SCHORLEMMER mit den Verf. am 11.3.1994 und Gespräch LEWEK mit den Verf. am 27.4.1994, sowie: UNSERE KIRCHEN AUF DEM 109
W E G Z U M B E K E N N E N I N D E R FRIEDENSFRAGE).
" ' Vgl. Anhang, Dok. 4, sowie TYPOSKRIPT, S. 180-186; Abdruck des Synodalbeschlusses auch in: E P D DOKUMENTATION 4 4 / 8 7 , 3 3 - 3 5 .
Samstag, 19. September 1987
113
nen Aspekten auch gerecht werde. Domke forderte eine Spezifizierung des Begriffs und zugleich eine Klärung der Formulierung „Logik der Abschreckung". Noack verlangte die kritische Prüfung der in der Vorlage enthaltenen Aussage, ein Christ, der mit seinem Dienst in der Armee das Wagnis eingehe, Waffen zu benutzen, müsse prüfen, wie er das mit seinem Gewissen vereinbaren könne. Nach Ansicht von Noack reiche die selbstverständliche Prüfung des Gewissens nicht aus. Der Christ müsse als Wehrpflichtiger vielmehr entscheiden, ob der Waffendienst mit seinem Glauben und der Nachfolge Jesu zu vereinbaren sei. Das KKL-Mitglied Stolpe brachte in die Debatte die Bemerkung ein, er sehe in „Bekennen in der Friedensfrage" die „sehr spannende Frage nach den neuen militärpolitischen Konzepten, die zugleich ja auch eine Frage an uns ist als Kirche und an den einzelnen Christen, wie man sich zu diesen Entwicklungen zu stellen hat".112 Er bezeichnete die Formel „Schwerter zu Pflugscharen" als richtige Parole für die Zukunft. Zugleich wies Stolpe darauf hin, daß es noch ein „riesenlanger Weg" bis zu einer „Welt ohne Waffen" sei." 3 Wenn die Verteidigungsdoktrin übergehen würde in strukturelle Nichtangriffsfähigkeit, könne das sowohl ein neues Nachdenken als auch eine Neuorientierung „für die Christenmenschen" erforderlich machen, „die sich für den Waffendienst entscheiden". 114 Eine Absage nicht nur an „Massenvernichtungswafifen", sondern auch an konventionelle Waffen forderte Hartmut Geier. Für eine Differenzierung des Begriffs „Krieg" sprach sich Lättig aus und verwies auf die Legitimität von Freiheitskämpfen in der Dritten Welt. Hertzsch warnte vor einer durch zu häufige „Absagen" bedingten Negativtendenz in der Sprache der kirchlichen Stellungnahmen. Er kritisierte den seiner Ansicht nach durch den Antrag entstehenden Eindruck, nur Bausoldaten hätten eine Gewissensprüfung vorgenommen. Hertzsch betonte, jeder einzelne müsse sein Gewissen überprüfen. Wessel hielt Hertzsch entgegen, daß im Text auch positive Aussagen getroffen worden seien. Trotz deutlicherer Stellungnahmen seitens der reformierten Kirchen" 5 zeigte sich Wessel als Reformierter sehr zufrieden mit dem Papier. Grundsätzlich gab Schorlemmer zu bedenken, daß der Antrag von seiner Intention her ein Bußtext sein wolle und ursprünglich als Denkanstoß für die Gemeinden gedacht sei. Das KKL-Mitglied Siegfried Schulze warnte, daß man in einer seelsorgerlichen Beratung einem Christen keinesfalls drohen könne, er sei kein Christ, wenn er nicht deutliche Schritte unternehme, also den Wehrdienst verweigere. Die in Abschnitt II der Beschlußvorlage verwendete Formulierung „deutliche Schritte" sei jedoch so zu interpretieren und damit „proble-
' 12 TYPOSKRIPT, S. 187. Vgl. auch T. MECHTENBERG: D e r D D R - K i r c h e n b u n d u n d das „ N e u e D e n k e n " in der Friedensfrage. "•' TYPOSKRIPT, S. 187. " 4 Ebd., S. 188. 115 Vgl. dazu R. WISCHNATH (Hg.): Frieden als Bekenntnisfrage.
114 Der Verlauf der Bundessynode in Görlitz vom 18. bis 22. September 1987 matisch undeutlich"." 6 Daraufhin forderte auch Kramer eine Konkretion des „Bekennens" durch Handlungsanweisungen. Zudem drängte er auf eine nochmalige Uberprüfung der Stimmigkeit des Textes. Wie Kramer sprach sich Semper ebenfalls für konkrete Handlungsanweisungen für Laien beziehungsweise Gemeindeglieder aus. Als Beispiel für die Unverständlichkeit der Vorlage nannte er unter anderem den Begriff „defensive Verteidigungsstrategien". Die „Vollmundigkeit" des Textes und den hohen moralischen Anspruch des Papiers, der so einfach nicht einlösbar sei, kritisierte Kurt Domsch. Er sagte: „Politik ist die Kunst des Möglichen, und wir haben an den Verhandlungen, von denen wir gehört haben, [...] gemerkt, wie schwierig es ist. Und wir sind glücklich, daß vielleicht [...] gewisse Schritte in Aussicht sind". 1 ' 7 Domsch fragte danach, ob das Barmen-Zitat im Text nicht in einen falschen Zusammenhang gestellt werde. Er betonte, daß „ohne Gewalt und ohne Waffengewalt wegen der Sündhaftigkeit des Menschen das Leben auf dieser Erde nicht sicherbar" sei.118
Gegen eine Bevorzugung der Waffendienstverweigerung wehrte sich Adolph. Er bezweifelte, ob überhaupt viele junge Männer die Frage „Wehrdienst oder Verweigerung" zu einer Gewissensentscheidung machten. Für ihn stehe im Vordergrund, ob grundsätzlich eine Prüfung des Gewissens stattgefunden habe, auch wenn am Ende der Weg zur NVA führe. Immerhin bestünde die Möglichkeit, auch dort friedensstiftend tätig zu sein. Auch Dorp kritisierte die tendenziöse BegrifHichkeit, die jeden Wehrdienstleistenden zum „Schurken" abstempele. Nach einer Sachfrage Hammers zum „2%-Appell""9 hob Leich das HofFnungsweisende im Antrag „Bekennen in der Friedensfrage" hervor. Er wies darauf hin, daß der Löwenanteil der getauften Christen den Wehrdienst ableiste, im Text jedoch heiße es, die Waffendienstverweigerung sei ein (und nicht der) Ausdruck des Glaubensgehorsams. Zur Klarstellung wurde von Falcke eingebracht, die Kirche wolle und solle orientieren, nicht jedoch zensieren, indem sie WafFendienstleistende verurteile: „Ethik ist Bewertung, ist Bewertung von Handlungsweisen. Und ich muß Handlungen bewerten, wenn ich orientieren will."120 Bezüglich der unter Punkt II.2. formulierten Aussage, daß von deutschem Boden Frieden ausgehen müsse, stellte Dittmer fest, dies könne von einer BEK-Synode nur für die DDR gefordert werden: „Wir sind hier nicht die Vertreter der anderen Seite. [...] Wir sind nur die Deutschen, die
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1.7
Ebd., S. 194. Ebd. " ' Die Weltkirchenkonferenz in Uppsala hatte 1968 den sogenannten 2%-Appell verabschiedet. Damit wurden die Kirchen der Welt aufgefordert, zwei Prozent ihrer Einnahmen für Hilfsprojekte in Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas zur Verfügung zu stellen. Vgl. auch C. BERGER: Die Stimme der Piccolo-Flöte, v.a. S. 213. 1.8
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Sonntag, 20. September 1987
Bürger der deutschen Nation auf einer Seite." 121 Dittmer bemängelte außerdem die unpräzise Verwendung des Begriffs „Aussöhnung" zur Beschreibung des Verhältnisses zu Ländern der Dritten Welt, da für ihn diese Bezeichnung ausschließlich für die Annäherung ehemaliger Kriegsgegner angemessen sei. Im Gegensatz zum Vorwurf von Domsch, der Antrag „Bekennen in der Friedensfrage" sei zu „vollmundig", lobte der Jugenddelegierte Uwe Kaettniß die Klarheit des Papiers. Im Anschluß an diese Aussprache beschloß die Synode einstimmig die Überweisung des Antrags „Bekennen in der Friedensfrage" (Vorlage 4) an den bereits konstituierten Tagungsausschuß „Friedensfragen". Die Sitzung wurde gegen 18.30 Uhr geschlossen. Nach dem Nachtessen fand der „Abend der gastgebenden Kirche" im Haus der Landeskirchlichen Gemeinschaft: statt. Danach waren einige Teilnehmer der Synodaltagung als private Gäste in das Haus des Görlitzer Bischofs Rogge eingeladen. 122
4.3 Sonntag,
20. September
1987
Die Synodaltagung begann mit einem Gottesdienst in der Görlitzer Frauenkirche, in dem der Bischof der gastgebenden Landeskirche, Rogge, die Predigt hielt. Diese Predigt 123 auf der Grundlage von Markus 1,40-45 gliederte Rogge in drei Leitgedanken: „1. E r w a r t u n g s h a l t u n g u n d E r w a r t u n g s e r f u l l u n g sind bei Jesus eins. 2. Jesus leistet es sich, den für ihn G e w o n n e n e n nicht als Parteigänger zu gewinnen. 3. D i e Verkündig u n g aus der E r f a h r u n g des einzelnen führt z u m g e m e i n s a m e n Z e u g n i s der K i r c h e . "
In seiner Auslegung des Markus-Textes übte Rogge indirekt Kritik am Inhalt der Plenumsdiskussion, wobei er vermutlich den Falcke-Antrag meinte: „ D i e von d e m B u n d e s s y n o d a l p r ä s i d i u m geplanten u n d die d a r ü b e r hinaus oder darunter hinweg von Synodalen eingeführten T h e m e n für die in G ö r l i t z gegenwärtig tagende B u n d e s s y n o d e erhalten a u f den ersten Blick vielleicht keine direkte W e i s u n g d u r c h G o t t e s W o r t in Gestalt der soeben eingeführten E r k e n n t n i s . "
Wie auch den drei Gliederungspunkten zu entnehmen ist, wandte Rogge sich gegen „ein lautstarkes gesellschaftliches Engagement" von Christen und plädierte für eine hinsichtlich der Gemeinschaft aller Christen praktizierte Glaubenshaltung des einzelnen. Die Predigt von Rogge schloß mit den Sätzen: „Vielleicht sagt jetzt m a n c h e r vermeintliche Realist mit Bert Brecht: Aber die Verhältnisse, sie sind nicht so. Es k ä m e a u f die K r a f t des Wort- u n d nachweisbaren Tatzeugnisses der G e m e i n d e Jesu Christi in der Welt an, o b es eine verläßliche A u s k u n f t 121 122 123
Ebd., S. 199. Die Einladung hierzu war schriftlich erfolgt. B e s t a n d J o a c h i m ROGGE, GÖRLITZ.
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D e r Verlauf der B u n d e s s y n o d e in G ö r l i t z v o m 18. bis 2 2 . S e p t e m b e r 1 9 8 7
ist, w e n n wir aller Welt wirklich deutlich m a c h e n , daß praktizierte C h r i s t u s n a c h f o l g e d e n Frieden stabil m a c h t . Freilich m u ß n u n jeder v o n u n s hingehen u n d handeln, d a m i t der W a l d der guten W o r t e in Gottesdiensten u n d S y n o d e n für Nichtchristen u n d C h r i s t e n hilfreich wird, weil jeder C h r i s t symbolisch oder tatsächlich seinen B a u m zur B e w a h r u n g der S c h ö p f u n g pflanzt u n d pflegt!"
Im Anschluß wurde die Tagung durch Vize-Präses Cynkiewicz eröffnet. Zunächst begrüßte sie einige als Gäste an der Sitzung teilnehmende Bausoldaten. 4.3.1 Die Diskussion um die Überweisung der Vorlage „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" Cynkiewicz leitete dann die Aussprache über die beiden unterschiedlichen Anträge ein, die die Überweisung der Vorlage 8, „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung", betrafen. Während das Präsidium dafür plädierte, einen Sonder(beziehungsweise ad-hoc-) Ausschuß zur Behandlung der Vorlage einzusetzen 124 , sprach sich Domke für deren Überweisung an den Berichtsausschuß aus, da er bei einer Überweisung des Falcke-Antrags in den vom Präsidium geforderten Sonderausschuß eine „Parallelität" mit den übrigen Ergebnissen des Berichtsausschusses befürchtete. Kramer votierte für den Antrag des Präsidiums. Die außerordentlich hohe Zahl der Eingaben zu diesem Thema - so Kramer - lasse vermuten, daß neben den am Abgrenzungsthema Interessierten auch generell politisch Engagierte unter den Eingebern seien. Hertzsch hingegen stellte seinerseits den Antrag, das Falcke-Papier in den Ausschuß „Bekennen in der Friedensfrage" zu überweisen. Seine Argumentation lautete: „Ich denke, w e n n wir einen ad-hoc-Ausschuß hier einsetzen v o n L e u t e n , die innerhalb weniger S t u n d e n ein so breites Feld bearbeiten sollen u n d a u c h ein gültiges W o r t zu all d e m sagen sollen, was in der A u s s p r a c h e hier plötzlich deutlich geworden ist, was da alles dranhinge, überfordern wir diesen Ausschuß, u n d ich fürchte, wir b e k o m m e n d a n n entweder nur ein Zwischenergebnis oder etwas M i t t e l m ä ß i g e s . " 1 2 5 I m übrigen sei die A b g r e n z u n g s p r o b l e m a t i k von der S y n o d e als K o n s e q u e n z aus der ,.Absage an G e i s t u n d L o g i k der A b s c h r e c k u n g " verstanden worden, so d a ß g r u n d sätzliche E n t s c h e i d u n g e n a u c h i m K o n t e x t m i t letzterer getroffen werden m ü ß t e n . Aktuelle Einzelfragen hingegen, die sich bei der B e h a n d l u n g von Falckes A n t r a g stellten, k ö n n t e n i m Berichtsausschuß berücksichtigt werden.
Unterstützt wurde der Antrag Hertzschs von Lättig. Auch Große befürwortete den Vorschlag von Hertzsch mit dem Argument, daß der „FriedensfragenAusschuß" und der Berichtsausschuß jeweils schon am Falcke-Papier arbeiteten und sich untereinander koordinieren müßten:
124 So hatte das Präsidium sich bereits auf seiner Sitzung am 4.9.1987 mehrheitlich für die Bildung eines Tagungsausschusses „Abgrenzungsproblematik" mit sechs synodalen Mitgliedern ausgesprochen. 125
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Sonntag, 20. September 1987
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„[...] d a n n bedeutet das, daß wir zwischen Berichtsausschuß u n d A u s s c h u ß .Bekennen in der Friedensfrage' eine F o r m finden m ü ß t e n , in der das Eigengewicht des Antrags Falcke bearbeitet werden kann innerhalb dieser T a g u n g . O b es dabei bleibt u n d wir zu e i n e m Ergebnis k o m m e n , das uns einigermaßen a u f a t m e n läßt, das weiß ich nicht. Aber drei A u s s c h ü s s e ist absolut ausgeschlossen." 1 2 6
Gegen den Antrag Hertzschs votierte Frenzel, weil es sich um einen „echten Bekenntnistext" handele. Cynkiewicz wies darauf hin, daß das Präsidium den Ausschuß Friedensfragen genannt habe, da auch die Thematik des Konziliaren Prozesses darin verhandelt werde. Ebenfalls gegen den Antrag Hertzschs sprach sich Falcke aus, da seiner Ansicht nach das Thema Abgrenzung einen Einzelausschuß wert sei. Es sei nur teilweise richtig, daß der Abgrenzungsantrag durch die „Absage an Geist, Logik und Praxis der Abschreckung" abgedeckt werde: „ W i r sind ein w e n i g fixiert bei dieser Problematik a u f das Verhältnis Ost-West. Es geht bei der A b g r e n z u n g aber a u c h u m Grenzen in ganz anderer R i c h t u n g . U n d dabei nicht nur u m Einzelfragen, die m a n davon ablösen u n d d e m Berichtsausschuß übergeben kann. U n d ich bitte doch, die Frage einer angemessenen A n t w o r t a u f die E i n g a b e n mit d e m nötigen G e w i c h t zu versehen." 1 2 7
Während Dehne Propst Falcke zustimmte, hielt Schorlemmer es aus anderen Gründen nicht für möglich, alle Inhalte aus dem Falcke-Papier in den Text „Bekennen in der Friedensfrage" einbeziehen zu können: Für unabdinglich halte er vorerst eine Klärung des Begriffs „Absage". Er fragte weiter, ob die Aussagen „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" und „Absage an Geist und Logik der Abschreckung" parallel zu setzen seien oder ob die Absage an die Abgrenzung der Absage an die Abschreckung untergeordnet werden könne.128 Für den Antrag von Hertzsch sprach sich energisch die Synodale Althausen129 aus und schlug vor, den Ausschuß „Friedensfragen" zu diesem Zweck zu vergrößern. Nollau stellte an dieser Stelle der Aussprache einen Geschäftsordnungs-Antrag auf Ende der Rednerliste, da die Sachdebatte bereits begonnen habe. Der Antrag Nollaus wurde angenommen. Der Antrag des Präsidiums wurde bei Stimmengleichheit abgelehnt.130 Von der Bundessynode angenommen wurde Ebd., S. 202. Ebd., S. 203. 128 Vgl. auch H. REITINGER: Die Rolle der Kirchen im politischen Prozeß der D D R , S. 70: Reitinger verweist auf die „Parallelen zwischen innergesellschaftlicher Abgrenzung und Abschrekkung", die seiner Ansicht nach - „allerdings nicht kirchenamtlich legitimiert" - mit der .Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" zum Ausdruck gebracht werden sollten. 129 An dieser Stelle ist es unklar, ob der Beitrag von Ilse oder Gudrun Althausen stammt. In der kirchlichen Mitschrift über die Plenarsitzung vom 20.9.1987 wird der Beitrag Gudrun Althausen zugeschrieben (EZA BERLIN, 101/93/221). In einem Schreiben an die Verf. vom 3.9.1995 bestätigte Ilse Althausen diese Zuordnung. 130 Bei Stimmengleichheit gilt ein Antrag nach § 20, Absatz 4, der G O als abgelehnt. 126
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Der Verlauf der Bundessynode in Görlitz vom 18. bis 22. September 1987
der Antrag Hertzschs, die „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" an den „Friedensfragen"-Ausschuß zu überweisen und aktuelle, konkrete Einzelfragen gegebenenfalls im Berichtsausschuß zu klären (elf Gegenstimmen und vier Enthaltungen). Damit hatte sich in diesen durchaus emotional geführten Verhandlungen über eine - äußerlich betrachtet - bloße Verfahrensfrage die Ansicht durchgesetzt, es sei nicht erforderlich, für den Falcke-Antrag eigens einen Sonderausschuß zu bilden. Nicht zuletzt die von Große am Freitag beantragte und von Schorlemmer unterstützte Vertagung der Abstimmung hatte dazu geführt, daß sich im Plenum der Synode diese Meinungsbildung entwickeln konnte. Die Mehrheit der Synode gab zu erkennen, daß sie der Thematik des Falcke-Antrags keinen so hohen Stellenwert zubilligen wollte, daß über der Behandlung dieses Antrags in einem Sonderausschuß möglicherweise das eigentliche Hauptthema der Synodalverhandlungen, „Bekennen in der Friedensfrage", in den Hintergrund gedrängt worden wäre. Man nahm dabei in Kauf, daß der mit der Friedensthematik befaßte Ausschuß „Friedensfragen" nun eine übergroße Arbeitslast zu bewältigen hatte. Er mußte die Vorlagen „Bekennen in der Friedensfrage", „Konziliarer Prozeß" und „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" beraten und mit Beschlußvorschlägen dem Plenum erneut vorlegen. Um die bislang vorgesehenen zehn Mitglieder des Ausschusses etwas zu entlasten, wurde vorgesehen, zusätzlich noch einige Synodale in den Ausschuß zu wählen. Diese Erweiterung sollte aber erst nach dem Diakonie-Bericht diskutiert und beschlossen werden — wohl um dem Präsidium und den Synodalen Gelegenheit zu geben, sich über personelle Fragen noch austauschen zu können. Am Nachmittag des Montag wurde die Sitzung mit einem Grußwort des für das Präsidium der EKD-Synode sprechenden Superintendenten Werner Radatz fortgesetzt131. Da Bischof Kruse seine Teilnahme an der Synodaltagung hatte absagen müssen, sprach Radatz auch das Grußwort für die EKD. Radatz äußerte sich über die Entwicklung der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten. Als Beispiele für deutsch-deutsche Annäherungen nannte er die Kirchentage in Berlin/Ost und Frankfurt/Main 132 sowie die zahlreichen genehmigten Besuchsreisen zu familiären Anlässen aus der D D R nach WestDeutschland und West-Berlin. Radatz würdigte den Besuch des Staatsratsvorsitzenden in der Bundesrepublik und lud Honecker ein, bei einem nächsten BRD-Besuch Leben und Aufgaben der Kirche im EKD-Bereich in Augenschein zu nehmen: „Erich Honecker war willkommen und er ist willkommen." 133 Positiv schätzte Radatz auch das SED-SPD-Dialogpapier ein, zumal 131 TYPOSKRIPT, S. 210-212. Der Anfang von Radatz'Grußwort fehlt auf derTonbandaufeeichn u n g . In der SYNODENINFORMATION NR. 7 v o m 2 0 . 9 . 1 9 8 7 ist das G r u ß w o r t z u s a m m e n g e f a ß t . 132
Beide Kirchentage hatten im Sommer desselben Jahres (1987) stattgefunden.
133
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es sich nicht um ein „Manifest der Verbrüderung", sondern um den Versuch eines systemöffnenden Dialogs handele.134 Radatz betonte grundsätzlich, daß Städtepartnerschaften und Jugendaustausch die Kirchen zu mehr Verbindlichkeit verpflichteten. Er gab einen Ausblick auf die im November 1987 in BerlinSpandau stattfindende EKD-Synode. 135 Vize-Präses Cynkiewicz verwies im Anschluß an das Grußwort darauf, daß de Maiziere an der EKD-Synode teilnehmen werde. 4.3.2 Die Beantwortung der Fragen zum Bericht der KKL an die Bundessynode Bei den Tagungen der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der D D R war es eine feste Übung, daß Fragen, die in der Aussprache zum Konferenzbericht gestellt worden waren, später von Mitgliedern der Kirchenleitung beantwortet wurden. Diese Antworten erwarteten die Synodalen in der Regel mit großer Spannung. Damit alle Fragen tatsächlich eine Antwort erhielten, wurden die Namen der Fragesteller schriftlich festgehalten und einzelne Konferenzmitglieder bestimmt, die dem Plenum die Antworten vorzutragen hatten.136 Stellvertretend für die KKL begann der Leiter des Sekretariats des Bundes, Ziegler, mit der Beantwortung von zehn Fragen, die den Arbeitsbericht des Sekretariats des Bundes und das Sekretariat betrafen. Eingangs beklagte Ziegler den fehlenden Mittelbau in der Organisation des BEK-Sekretariats. Auch spiegele sich die Sachkompetenz der einzelnen Sekretäre und Referenten nicht in einer entsprechenden Entscheidungskompetenz wider, so daß der Weg von der Aufnahme einer fachlichen Bearbeitung einer dem Sekretariat gestellten Aufgabe bis zur endgültigen Entscheidung zusätzlich verlängert werde. Die Fragen an die Kommission für Kirchliche Jugendarbeit gab Ziegler an den zuständigen Referenten Fritz Dorgerloh weiter; die Kirchensteuer betreffende Fragen übergab er dem Finanzreferenten Friedrich-Wilhelm Ritter zur Beantwortung. Dorgerloh berichtete daraufhin über die KKJ-Arbeit.'37 Es sei geplant, Jugendliche eine Studie über ihre Situation in der D D R erstellen zu lassen.138 Zudem denke man an eine Kooperation des kirchlichen Rüstzeitenheims Hirschluch mit dem Umweltbeauftragten des Bezirks Frankfurt/Oder zur Erhaltung eines Naturschutzgebiets. Nach Dorgerlohs Ansicht war die staatliche Seite gerade auf Hirschluch zugegangen, weil die Zusammenarbeit des Rüstzei-
" 4 Vgl. auch R. REITZ: Neues D e n k e n öffnet neue Horizonte. 135 Vgl. KIRCHENAMT DER E K D (Hg.): Berlin-Spandau 1987. 136 Vgl. A n h a n g zur Niederschrift über die Plenarsitzung vom 2 0 . 9 . 1 9 8 7 ( E Z A BERLIN, 101/ 93/221). 137
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Vgl. auch J. LOHMANN: Frühdiagnosestation Jugendarbeit.
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tenheims mit dem kirchlichen Forschungsheim Wittenberg bekannt sei.139 Er erwähnte die ökumenischen Aktivitäten der KKJ sowie eine Begegnung der KKJ mit der Kinder- und Konfirmanden-Kommission. Im Anschluß beleuchtete Ritter das Problem von nicht getauften und nicht konfirmierten Jugendlichen, die Interesse daran hätten, die Kirche finanziell zu unterstützen. Er forderte die für diese Fälle nötigen Regelungen. Ritter verlangte Werbe- und Informationsmaterial über Zweck und Verwendung von Kirchensteuern, um damit Jugendlichen die kirchliche Finanzpraxis transparent machen zu können. 140 Ziegler informierte die Synodalen über die Vorbereitungen für die kirchlichen Gedenkveranstaltungen zum 9. November 1938. 141 Er nannte vier in der Planung befindliche Vorhaben: Ein gemeinsames Wort der KKL und des Rates der EKD zum 50jährigen Gedenken an den Pogrom, Pastoralkollegs von Christen und Juden zu diesem Thema, eine Kollekte für den Wiederaufbau der Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin und die Herausgabe eines allgemein verständlichen Buches zur Information über das Judentum. Im Blick auf den Dialog zwischen Christen und Marxisten wies Ziegler auf das Referat „Weltanschauungsfragen" bei der BEK-Studienabteilung hin, das für diese Fragen zuständig sei. Er erwähnte, daß der Dialog Christen-Marxisten auch Gegenstand des Gesprächs mit Staatssekretär Klaus Gysi am 21. Mai 1987 gewesen sei.' 42 Bezugnehmend auf die Kritik an der Informationstechnik des BEK erklärte Ziegler, diese beruhe auf dem föderativen Charakter des BEK. Informationen des Bundes dürften nicht direkt an die Gemeinden gehen, sondern müßten den Umweg über die Kirchenleitungen der einzelnen BEK-Gliedkirchen nehmen. Ziegler verlangte, daß dieser vereinbarte Weg auch eingehalten werde. Das einzige unmittelbare Informationsinstrument des BEK-Sekretariats sei die „Schnellinformation". Verbesserungsmöglichkeiten sehe er in einer personellen Verstärkung der Pressestelle. Stellvertretend für die KKL beantwortete Kramer die restlichen Fragen. 143 Er berichtete über den Stand der Übertragung von EKU-Aktivitäten (Orthodoxie-Arbeit) an den BEK und die Grenzen dieser Ubertragbarkeit (Predigerseminar). Kramer betonte die Notwendigkeit der direkten Kommunikation zwischen BEK und EKU. Die EKU biete kleineren Gliedkirchen eine Reihe von Vorteilen (Hinweis auf die Verbindung zum Rheinland, nach Westfalen und nach West-Berlin über die EKU). Kramer sprach auch das Problem der bis in die Gemeinden hinein nicht zu vermittelnden Strukturen der kirchlichen Zusammenschlüsse (EKU, VELKDDR, BEK) an. 139
Vgl. auch H.-P. GENSICHEN: Ökologischer Dimensionsgewinn in der Kirche.
140
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141
Ebd., S. 2 1 3 - 2 1 5 . Vgl. „Schnellinformation" vom 22.5.1987 sowie Dok. 2 im Anhang.
142 143
TYPOSKRIPT, S . 2 1 5 f .
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Bevor sich das KKL-Mitglied Domsch im Anschluß daran zu Finanz- und Baufragen äußerte, betonte er, daß er im Fall von Nachfragen in den Pausen zu persönlichen Gesprächen bereit stehe.144 In seinem Bericht wies Domsch eingangs auf die Finanzhoheit der einzelnen Gliedkirchen hin, die sich aus der föderativen Struktur des Bundes ergebe. Die Gliedkirchen hätten auch eigene Einnahmen aus Kirchensteuern, Kollekten und den sogenannten Staatsleistungen, seien aber gleichzeitig in Eigenverantwortung zuständig für die Erhaltung ihrer Gebäude, für die Besoldung und Versorgung ihrer Mitarbeiter und den Bau notwendiger Neubauten. Domsch informierte sodann die Synode über den Finanzausgleich zwischen der E K D und den BEK-Gliedkirchen. Er berichtete über das Einnahmen-Gefälle zwischen finanzstarken Kirchen im Süden und ärmeren im Norden 145 , das die E K D und die Kirchen der D D R in den 50er Jahren zu dem Entschluß bewogen hätte, die Mittel entsprechend der jeweiligen Finanzstärke der Gliedkirchen zu verteilen. Diese finanzielle Hilfe komme den Landeskirchen über das Ministerium für Außenhandel in Mark der D D R zu. Domsch regte die Synodalen an, sich über die in den einzelnen Gliedkirchen sehr unterschiedliche Verwendung dieser Mittel auf den Tagungen der gliedkirchlichen Synoden zu informieren. Zusätzlich unterstützten die westlichen Gliedkirchen die Kirchen in der D D R auch in bundesrepublikanischer Währung. Ohne diese Zuwendungen seien bestimmte Vorhaben in der D D R nicht zu verwirklichen. Domsch nannte beispielhaft das „Sonderbauprogramm zur Rekonstruktion kirchlicher Gebäude" und das Programm „Neue Kirchen in sozialistischen Neustädten". 146 Er erläuterte die Koordinierung dieser beiden Programme durch den BEK, die ebenso wie andere finanzielle Hilfen der „Aufrechterhaltung des kirchlichen Lebens in der D D R " dienten: Die Valutamittel verwalteten als Treuhänder drei von der K K L bestimmte Personen (Domsch, Stolpe, Völz). Das BEK-Sekretariat sei für die Geschäftsführung der Valutamittel zuständig (vor allem dessen Leiter Ziegler, der Justitiar Malte Kupas sowie der Bau-Ingenieur Kurt Paul). Domsch sagte: „ D i e V e r w e n d u n g der Mittel beruht a u f d e m E i n i g u n g s p r i n z i p zwischen den G l i e d kirchen, vertreten d u r c h die in den Gliedkirchen jeweils geordneten Z u s t ä n d i g k e i -
144 Ebd., S. 2 1 6 - 2 1 9 . Vgl. auch P. OESTREICHER: Die Ökonomie der Kirchen der D D R , sowie R. HENRYS: Eigene Kräfte stärken. 145 Die Bereitschaft zur freiwilligen Zahlung von Kirchensteuern war in den traditionell industrialisierten Gebieten (Süden der D D R ) größer als in den ländlich geprägten Gebieten im Norden. Auch die Staatsleistungen variierten nach 1945 beträchtlich. Vgl. auch H.-J. RÖDER: Fragwürdige Zahlenspiele und W. LIENEMANN (Hg.): Die Finanzen der Kirche. 146 Kirchenneubauten durften nur mit Hilfe von Valuta errichtet werden, während für die Inneneinrichtung die Verwendung von Mark der D D R gestattet war. Dieser staatlichen Vorgabe widersetzte sich die evangelische Kirche in einzelnen Fällen, so daß die betreffenden Gemeinden sich an der Entstehung von Neubauten in großem Umfang beteiligen konnten. Vgl. auch M.
HARTMANN: B a u s t o f f H o f f n u n g .
122 Der Verlauf der Bundessynode in Görlitz vom 18. bis 22. September 1987 ten. [...] Zusammenfassend also noch einmal: Es gibt bereits so etwas wie einen Finanzausgleich."147
Des weiteren informierte Domsch über verschiedene Einzelfragen: So sei das neue Dietrich Bonhoeffer-Haus in Berlin-Mitte durch bereitgestellte zweckbestimmte Mittel des Berliner Doms 148 und von der EKU (West) sowie der evangelischen Brüder-Unität finanziert worden.149 Über das Hospiz in der Berliner Albrechtstraße berichtete Domsch, daß die Rekonstruktion des Gebäudes grundsätzlich beschlossen worden sei.150 Für Urlaubsaufenthalte im Ausland stünde für die DDR-Kirchen in der vom ÖRK, LWB und dem Hilfswerk der Schweiz unterhaltenen Casa Locarno ein festes Kontingent von Ferienplätzen zur Verfügung. Domsch merkte dazu an: „Diakone, Katecheten und Gemeindehelferinnen fahren dahin genauso wie Pfarrer, Superintendenten oder leitende Mitarbeiter zentraler kirchlicher Dienststellen."' 51 Auch gebe es immer wieder Einladungen von Kirchen des sozialistischen Auslands.152 Das KKL-Mitglied Natho sprach zur Situation der Ausländer in der D D R und dankte vor allem den vielen ungenannten Kirchengliedern, die sich um deren Betreuung bemühten. Ferner sprach er seinen Dank an das Okumenisch-Missionarische-Zentrum in Berlin sowie die Leipziger Mission aus.153 Er bat in diesem Zusammenhang die Chefredakteure der Kirchenzeitungen, das Problem „Ausländer in der DDR" stärker in den Blick zu nehmen, da „profane" Zeitungen sich darüber ausschwiegen. 147
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148
Ursprünglich sollten im Berliner Dom auch Einzelinstitutionen untergebracht und Tagungsräume eingerichtet werden. Da eine solche Innengestaltung des Doms aus bautechnischen und denkmalpflegerischen Gründen nicht möglich war, wurden die Mittel teilweise zur Errichtung des Tagungszentrums „Dietrich Bonhoeffer-Haus" umgewidmet. 149 Vgl. H.-J. RÖDER: Dietrich Bonhoeffer und das Westgeld. 150 Vgl. auch S. FRIELINGHAUS: Christliche Hospize in der DDR. 151 TYPOSKRIPT, S. 219. Domsch wies damit den häufig geäußerten Vorwurf zurück, vor allem leitende Mitarbeiter der Kirche verbrächten ihren Urlaub mit der ganzen Familie im Ausland. ' 52 Auch die Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen verfügte über zwei Gästehäuser, die aus dem Sonderfonds Kirchenfragen beim Staatssekretär finanziert wurden. Formelle Eigentümer der Heime in Juliusruh (Rügen) und Tabarz (Thüringen) waren die jeweiligen RdB, die auch für die Organisation und die Abwicklung des Haushalts zuständig waren. Gedacht waren diese Häuser als Erholungsheime für Pfarrer und Amtsträger aller Konfessionen, die durch die Mitarbeiter für Kirchenfragen auf Bezirks- und Kreisebene geworben wurden. Letztendlich hatte die Urlaubsdelegierung von Kirchenvertretern jedoch eine kirchenpolitische Zielsetzung, da die Pfarrer und kirchlichen Amtsträger sich mit der Annahme eines oft sogar kostenlosen Urlaubs in gewisser Weise gegenüber dem Staat verpflichteten bzw. während ihres Aufenthaltes mit Staatsvertretern zusammenkamen. Ein - kostenfreier - internationaler Urlauberaustausch mit Polen, der Tschechoslowakei und vor allem Ungarn ermöglichte zwar das Zusammentreffen mit Kirchenvertretern des Gastlandes, die Einladungen wurden aber nicht von Landeskirche zu Landeskirche, sondern durch Vermittlung der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen ausgesprochen. Kurt Löfflet, der Nachfolger Gysis, stellte den internationalen Urlauberaustausch 1988 ein. 153
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123
Stolpe antwortete auf die Fragen, die zu den Stichworten „Wehrdienst", ,.Amnestie" u n d „Rechtssicherheit" gestellt worden waren. 154 Er h o b hervor, d a ß Soldaten in waffentragenden Einheiten durchaus positive E r f a h r u n g e n bei ihren Versuchen gemacht hätten, die Respektierung ihrer Glaubenshaltung, eine Möglichkeit zur Teilnahme an Gottesdiensten u n d den Besitz kirchlicher Literatur durchzusetzen. Stolpe würdigte die seiner Ansicht nach „unverkennbaren B e m ü h u n g e n " der Staatsführung, des Ministeriums f ü r Nationale Verteidigung u n d der Dienststelle des Staatssekretärs, „Gewissensentscheidungen wehrpflichtiger Christen entgegenzukommen". 1 5 5 Immer m e h r Bausoldaten w ü r d e n an zivilen Objekten eingesetzt, wo sie häufig harte körperliche Arbeit verrichten m ü ß t e n (Gleisbau). Totalverweigerer m ü ß t e n nach wie vor mit ein e m Strafverfahren rechnen; einen längeren, d a f ü r aber zivilen Wehrersatzdienst, wie er seitens vieler Verweigerer dem Staat angeboten werde, gebe es noch nicht. Stolpe fügte hinzu: „Auf D a u e r wäre es nach unserer U b e r z e u g u n g richtiger, die vorhandene D i e n s t b e reitschaft abzurufen u n d z u m Beispiel einen Ersatzdienst v o n m e h r als 18 M o n a t e n i m pflegerischen Bereich des Gesundheits- u n d Sozialwesens zu ermöglichen." 1 5 6
Ü b e r den Amnestiebeschluß des Staatsrates 157 urteilte Stolpe, dieser sei „eine beherzte humanitäre Entscheidung, die viel Vertrauen in Menschen setzt". Tatsächlich sei „die Amnestie aber auch eine sehr große Aufgabe f ü r den Staat, die ganze Gesellschaft u n d auch [die] Kirchengemeinden". 1 5 8 Stolpe betonte ferner die Notwendigkeit von Rechtskenntnissen für die I n a n s p r u c h n a h m e der Rechte von D D R - B ü r g e r n . So könne der einzelne Bürger zur Verwirklichung der Rechtssicherheit beitragen. Stolpe Schloß: „ W e n n hier Kirche berät, ermutigt, hilft, dann geht es eben nicht nur u m d e n einzeln e n Benachteiligten u n d Bedrängten, sondern zugleich u m gesellschaftliche D i a k o nie. D a s ist vielleicht sogar ein Teil unserer missionarischen Existenz im Sozialismus." 1 5 9
Vize-Präses Cynkiewicz kündigte daraufhin einen Bericht Passauers z u m Olof-Palme-Friedensmarsch an. Passauer referierte über Vorbereitung, D u r c h f ü h r u n g u n d eigene Erfahrungen bei dem Friedensmarsch. 1 6 0 Er wies darauf 154
Ebd., S. 221 f. Ebd., S. 221. 156 Ebd. Ahnlich hatte sich Schnur bereits geäußert. Aufgrund der gegenwärtigen Rechtslage bestehe kein Anspruch auf zivilen Wehrersatzdienst und ein Totalverweigerer begehe demnach einen Gesetzesverstoß. Schnur hatte es jedoch als positiv vermerkt, daß 1987 keine einzige strafrechtliche Verurteilung zu verzeichnen gewesen sei (TYPOSKRIPT, S. 152f.). 157 Anläßlich des 38. Jahrestages der D D R - G r ü n d u n g . Im Zuge der Umsetzung des Amnestiebeschlusses wurden über 24.000 Strafgefangene entlassen. 155
1,1
TYPOSKRIPT, S. 2 2 1 .
159
Ebd., S. 222. Vgl. auch J. GOERTZ: Kirche und Menschenrechte in der D D R .
160
TYPOSKRIPT, S. 2 2 2 - 2 2 6 . A b d r u c k v o n P a s s a u e r s B e r i c h t b e i C . D E M K E / M . FALKENAU/H.
ZEDDIES (Hg.): Zwischen Anpassung und Verweigerung, S. 3 3 2 - 3 3 7 .
124
Der Verlauf der Bundessynode in Görlitz vom 18. bis 22. September 1987
hin, daß die staadiche Seite den Kirchenvertretern Eigenverantwortlichkeit für die inhaltliche Ausgestaltung des Marsches zugesagt und diese Zusage überwiegend eingehalten habe. Einige Plakate seien im Wortlaut verändert worden, zum Beispiel „Abrüstung in Kindergarten und Schule" in „Für den Abbau von Feindbildern in Familie, Schule und Kindergarten". 161 Eine Dresdener kirchliche Gruppe habe nach Pirna laufen wollen, um zur Abschlußkundgebung in die Tschechoslowakei auf der Elbe weiterzufahren. Obwohl dies mit den örtlichen Organen vorher abgesprochen worden sei, hätten die tschechischen Behörden dann gebeten, das Schiff nicht fahren zu lassen. Der Olof-Palme-Friedensmarsch habe letztendlich - entgegen der ursprünglichen Planung - mit der Abschlußkundgebung in Dresden auf dem Boden der D D R sein Ende gefunden. Provokateure seien - so Passauer - nicht aufgetreten. Der Friedensmarsch habe eine Glaubensgemeinschaft geschaffen. Bemerkenswert sei auch die ungewohnte Offenheit im Umgang miteinander gewesen: „Der Wille zur Kooperation bezwang die Praxis der Konfrontation. Wir haben Kooperationspartner unter uns und auch bei den staatlichen Genossen erlebt." 162 Im Anschluß an Passauers Bericht kündigte Cynkiewicz den Beitrag des stellvertretenden KKL-Vorsitzenden Demke zum Fragenkomplex „Theologieverdrossenheit" an. 163 Demke betonte eingangs, daß die Konferenz die Plenumsdiskussion über „Theologieverdrossenheit" grundsätzlich begrüße, jedoch dem durch den Beitrag von Pilz entstandenen Eindruck widersprechen müsse, das Problem könne durch einen Verzicht auf ökumenisch-theologische Gespräche gelöst werden. Er relativierte die Kritik einiger Synodaler an den DDR-Medien und führte als positive Gegenbeispiele unter anderem an, daß SED-Blätter Meldungen über Synoden (auch gliedkirchliche) brächten. Seit 1983 gebe es Direktübertragungen kirchlicher Veranstaltungen im DDR-Fernsehen: „Also von Eintagsfliege kann wohl nicht die Rede sein." 164 Um die Medienberichterstattung der Bundesrepublik kritisch zu bewerten, sei eine kirchliche Offensive auf dem Mediensektor nötig. 165 Demke forderte daher zu verstärkter Nutzung von DDR-Fernsehen und -Radio auf. Für den Fall, daß 161
TYPOSKRIPT, S . 2 2 4 . V g l . a u c h J . GARSTECKI: Z u m u t u n g e n d e s F r i e d e n s u n d M .
HERR-
MANN: Ein Stück „Glasnost". 162 TYPOSKRIPT, S. 226. Diese Sichtweise bestätigte Christa LEWEK, die zusammen mit Passauer den B E K im Vorbereitungskomitee der D D R vertreten hatte, im Gespräch mit den Verf. am 4.2.1994. Der Friedensmarsch habe einer wechselseitigen Vertrauensbildung gedient; der staadiche Mitveranstalter, der DDR-Friedensrat, sei später von der SED-Spitze wegen zu großer Zugeständnisse gerügt worden. Zur Funktion des DDR-Friedensrates vgl. R HENKEL: Im Dienste der Staatspartei, S. 3 8 5 - 3 9 3 . 163
TYPOSKRIPT, S. 2 2 6 - 2 2 8 .
Ebd., S. 227. Demkes Darstellung entspricht zwar den Tatsachen, doch war die Möglichkeit für die Kirche, D D R - M e d i e n zu nutzen, durch Zensurmaßnahmen und die spärliche Vergabe von Sendeplätzen für kirchliche Themen sehr eingeschränkt. Vgl. dazu auch R. HENKYS: Kirchliche Medienarbeit. 164
165
Vgl. auch A. SCHÖNHERR: Offentlichkeitsanspruch einer Minderheit.
Sonntag, 20. September 1987
125
das Fernsehen beziehungsweise der Rundfunk auf Kirchenvertreter zugehe, wies er auf die Möglichkeit hin, einen Rat für Verhaltensweisen beim Medienbeauftragten einholen zu können. Im Blick auf den im Konferenzbericht erwähnten Ausspruch des Staatssekretärs für Kirchenfragen, die „Ausübung von Religion" sei ein „Normalfall" 166 , merkte Demke an: „ M a n m a g über diese F o r m u l i e r u n g streiten. In j e d e m Fall ist die Folge dieser Entwicklung, d a ß das kirchliche L e b e n als ein Sektor des L e b e n s in unserer Gesellschaft erscheint. [...] Was das also für Folgen hat, das m u ß erst noch klar unter uns diskutiert werden. Jedenfalls ist das eine Situation, die sich gegenüber der Situation auch etwa vor zehn Jahren klar verändert hat u n d uns vor A u f g a b e n stellt, auch i m Blick a u f unser Selbstverständnis, die wir nicht u m g e h e n d ü r f e n . " 1 6 7
Als letzten Redner der K K L rief Vize-Präses Cynkiewicz deren Vorsitzenden Leich auf. Leich äußerte sich zur gesellschaftlichen Mitverantwortung der Kirchen. 168 Eingangs zitierte er aus dem KKL-Bericht des Jahres 1973: „Jesus Christus geht uns auch in die für uns neue gesellschaftliche Situation voran und erschließt sie uns als Auftragsfeld und Dienstchance."' 69 Für diesen Weg sehe er zwei Bedingungen: erstens das Vertrauen in das „Vorangehen Jesu Christi", zweitens die Akzeptanz der gesellschaftlichen Realität, daß das Gegenüber der Kirche von der marxistisch-leninistischen Weltanschauung geprägt sei. Leich fiigte hinzu: „Je größer die A c h t u n g dieses Partners f ü r unsere eigene M o t i v a t i o n ist, u m so einfacher werden wir es haben, miteinander zu gehen. U n d u m g e k e h r t . Je größer die Vers u c h u n g des Partners sein wird, unser M i t g e h e n lediglich als Verstärkung seines eigenen Ansatzes anzusehen, u m so schwerer werden wir es haben, unseren A u f t r a g zu betonen."170
Mit einem Verweis auf den ORK-Generalsekretär Emilio Castro, der kritisiert hatte, die DDR-Kirchen seien zwar offen für ökumenische Anliegen, vernachlässigten aber die Grundfragen der eigenen Kirche, setzte Leich seine Ausführungen fort. Die K K L müsse zusammen mit der Bundessynode einen Weg finden, diese Kritik aufzunehmen und die Gemeinschaft mit den Gemeinden zu stärken. Unter Bezugnahme auf einen Brief des LWB-Generalsekretärs 166 TYPOSKRIPT, S. 227. Die Formel „Religion als Normalität gesellschaftlichen Lebens" hatte Staatssekretär Gysi in einem Gespräch mit Leich am 5.9.1987 benutzt. Vgl. „Aktennotiz" Leich über ein Telefonat (3.9.1987) sowie ein Gespräch (5.9.1987) mit Gysi. Eisenach, 7.9.1987. Abschrift an Ziegler (BEK) (EZA BERLIN, 101/93/6). Im Anhang als Dok. 8. 167 TYPOSKRIPT, S. 228. Zur Situation von Christen in der D D R vgl. auch die Dokumentation:
B E N A C H T E I L I G U N G C H R I S T L I C H E R S C H Ü L E R , E L T E R N U N D L E H R E R IN D E R D D R . 168 TYPOSKRIPT, S. 2 2 8 - 2 3 2 . In diesem Sinne hatte Leich auch bei seiner Rede beim Empfang zum 75. Geburtstag Honeckers am 25. August 1987 argumentiert. 169 TYPOSKRIPT, S. 229. Gemeint ist der KKL-Bericht an die Schweriner Bundessynode, die
v o m 2 6 . bis 2 9 . 5 . 1 9 7 3 tagte. Vgl. E P D DOKUMENTATION 2 5 / 7 3 , S. 3. 170
TYPOSKRIPT, S. 2 2 9 .
126 Der Verlauf der Bundessynode in Görlitz vom 18. bis 22. September 1987
Gunnar Staalsett plädierte Leich weiter für eine verstärkte Beteiligung von Frauen in verantwortlichen Positionen und regte eine größere Hinwendung der Kirche zu jugendlichen „Randsiedlern" an. Dann äußerte sich Leich zum Verhältnis Staat-Kirche. Er kritisierte die mangelnde Aussprachemöglichkeit beim Treffen mit Staatssekretär Sitzlack, betonte jedoch, daß kommende Gespräche, die der Staatssekretär für Kirchenfragen angeboten habe, mit dieser Art von „Informationsgespräch" nicht zu vergleichen seien. Leich kündigte die Themen und die voraussichtliche Reihenfolge künftiger Gespräche an: -
-
Volksbildung (u.a. mit Mitarbeitern der Akademie für Pädagogische Wissenschaften) Wehrdienst Mündigkeit des Bürgers (u.a. mit dem Vorsitzenden des Eingabenausschusses der Volkskammer, obwohl vorher gesagt worden sei, dies gehöre nicht auf den Tisch des Staatssekretärs) Rechtspraxis Pressefragen ein noch undeutlich geplantes Gespräch über Schulbuchfragen und die Kindergartenrahmenordnung. ' 71
Mit den Ausführungen Leichs war die Beantwortung der Fragen zum KKLBericht abgeschlossen. Dabei waren die Beiträge von Domsch, Stolpe und Leich von besonderem Interesse für die Synodalen gewesen, da sie Aufschluß und Informationen über Bereiche gaben, die wichtige Aspekte des Staat-Kirche-Verhältnisses berührten und üblicherweise nicht in der Öffentlichkeit erörtert wurden. 4.3.3 Der Diakonie-Bericht 172
Der Diakonie-Bericht wurde durch Petzold eingebracht. Er setzte drei Schwerpunkte: Zum ersten Komplex „30 Jahre Fusion Innere Mission und Hilfswerk" betonte Petzold unter anderem, eine Einbindung in die Gesamtverantwortung der Kirche sowie größere Transparenz von Aufbau und Arbeitsweise der Diakonie könnten Vertrauen schaffen und „Gerüchte" verhindern. Petzold warnte ausdrücklich vor undifferenziertem und „medienträchtigem Reden" in der Öffentlichkeit, zumal die akute Gefahr bestehe, der Entstehung des Klischees von einer west-finanzierten und dadurch bevorzugten Diakonie Vorschub zu leisten. Zum zweiten Punkt, „Das evangelische Krankenhaus zwischen Erwartungen und Möglichkeiten", hob Petzold hervor, daß evangelische Krankenhäuser aus einer Reihe von Gründen beliebter seien als staatliche Kliniken und teilweise als Ersatz für das Pflegeheim (chronisch Kranke und Alte) dienten. Er wies auch daraufhin, daß lohnpolitische Maßnahmen (die Bezah-
171
Z u r RAHMENORDNUNG FÜR KINDERGÄRTEN vgl. M B 1 5 / 6 1 9 8 6 , S. 7 4 - 7 9 .
172
A b d r u c k i n : E P D DOKUMENTATION 4 4 / 8 7 , S. 2 2 - 3 1 ; TYPOSKRIPT, S. 2 3 3 - 2 4 2 .
Sonntag, 20. September 1987
127
lung der Mitarbeiter erfolge mittlerweile nach staatlichen Tarifen) allein das Problem des Mitarbeitermangels nicht lösen könnten, vielmehr sei eine forcierte Motivation kirchlicher Mitarbeiter unerläßlich. 173 Petzold hob abschließend zum dritten T h e m a („Zum 50. Mal Bibelwoche") die Bedeutung der Bibelwochen als Ost-West-Begegnungsforum hervor. Vize-Präses Cynkiewicz stellte daraufhin den Diakonie-Bericht zur Diskussion. Im Verlauf der Aussprache wurde kritisch bemerkt, daß der Staat im Blick auf das Sozial- und Gesundheitswesen von den kirchlichen Einrichtungen profitiere, auf der anderen Seite der evangelischen Kirche aber nicht ausreichend entgegenkomme. Dies werde deutlich am Bemühen der Kirche u m einen sozialen Friedensdienst und dem Verlangen nach Mitsprache im Bereich der Volksbildung. Im einzelnen kamen folgende Themen zur Sprache: Taetow regte an, zu Werbezwecken Plakate für diakonische Aktionen herzustellen. Nollau wünschte nähere Erläuterungen zu dem im Bericht erwähnten „undifferenzierten medienträchtigen Reden [in] der Öffentlichkeit" 1 7 4 und fragte an, ob es Angriffe gegen evangelische Krankenhäuser gebe. Semper forderte zusätzliche Informationen über die Diakonie und ihre Aufgaben; 175 gleichzeitig plädierte er für eine stärkere Einbindung der Diakonie in die Parochialgemeinden. Auch Stolpe sprach sich für eine konsequentere Integration der Diakonie in die Gemeindearbeit aus („Kooperationszwänge schaffen" 176 ). Z u m Spannungsverhältnis zwischen Pflegeheim u n d Krankenhaus nahm Seichter Stellung. Er sprach das Problem der WestBezuschussung kirchlicher Krankenhäuser (deren Ausstattung besser sei als die staatlicher Kliniken) an. Ferner sei ein Ausfall von Frauen (30 Prozent) in kirchlichen Häusern zu beobachten, der durch die verbleibenden Mitarbeiterinnen aufgefangen werden müsse, während in staatlichen Häusern Betten gesperrt würden.
Diese Bemerkungen nahm Frenzel zum Anlaß, die Uberlastungssituation noch einmal seitens der betroffenen Frauen anzusprechen, die unter einer Doppelbelastung durch Familie und Beruf litten. 177 Erwies in diesem Zusammenhang d a r a u f h i n , daß es in staatlichen Krankenhäusern die Praxis des JobSharing gebe. Frenzel monierte, die Bildungsmotivation in der D D R sei insgesamt zu stark auf Hochtechnologie ausgerichtet; dies sei unter anderem ein G r u n d für den Nachwuchsmangel im Pflegebereich. Berger schlug vor, junge Mitarbeiter in den Krankenhäusern sollten Teil ihrer Jungen Gemeinde werden. D a ß die kirchlichen Anstalten sich — genau wie die staatlichen — auf einen Ausfall von 30 Prozent einzurichten hätten und daher ihre Personalplanung konkreter gestalten müßten, betonte Herbst. Jutta Berdrow lehnte eine Einrichtung von AIDS-Stationen grundsätzlich ab, zumal dies auf eine Ausgrenzung der an der Immunschwäche Erkrankten hinauslaufe. Für ,7
' Vgl. auch M. FREI: Fürsorge o h n e Leistungsorientierung.
174
T Y P O S K R I P T , S. 2 4 3 .
175
Z u r Geschichte der Diakonie von 1 9 4 5 - 8 9 vgl. J. FELDMANN: Geschichte der Diakonie.
176
TYPOSKRIPT, S. 2 4 5 .
177
Vgl. auch G. HELWIG: Frau u n d Familie in beiden deutschen Staaten, v.a. S. 7 9 - 1 0 9 .
128
D e r Verlauf der B u n d e s s y n o d e in Görlitz v o m 18. bis 2 2 . S e p t e m b e r 1 9 8 7
d i e S c h a f f u n g neuer, spezieller Krankenhausplätze für M S - K r a n k e , Spastiker u n d Q u e r s c h n i t t s g e l ä h m t e plädierte Scheidig.' 7 8 H a m m e r b e m ä n g e l t e die s c h w i n d e n d e P r ä g u n g evangelischer K r a n k e n h ä u s e r d u r c h Diakonissen. Z u d e m wies er a u f das P r o b l e m der h ä u f i g e n Freistellung kirchlicher Mitarbeiter i m Bereich der D i a k o n i e f ü r kirchliche Veranstaltungen u n d Weiterbildung hin. E i n e U m w i d m u n g v o n Vert e i d i g u n g s a u s g a b e n in Pflegekapazitäten forderte Pilz. E r betonte die Wichtigkeit, „daß die älteren u n d alten M e n s c h e n , die diesen Staat in notvollen Jahren a u f g e b a u t h a b e n , w ü r d i g alt werden u n d sterben k ö n n e n " . 1 7 9
Petzold beantwortete die in der Aussprache zum Diakonie-Bericht aufgeworfenen Fragen. 180 An Taetow gewandt erklärte er, daß einige Kirchen bereits mit ihren Bezirken einig geworden seien über Plakate für die Straßensammlung der Diakonie. 181 Bezüglich der von Nollau gestellten Frage, was Petzold mit „undifferenziertem medienträchtigem Reden [in] der Öffentlichkeit" gemeint habe, stellte er es als Problem heraus, daß in der Presse über die Arbeit der Diakonie zuweilen sehr einseitig berichtet werde. Petzold kritisierte vor allem die Westmedien, deren Motto offensichtlich laute: „Die schlechte Nachricht ist die gute Nachricht, die läßt sich gut verkaufen." 182 Die Folgen solcher Berichte für die Diakoniearbeit seien negativ. Im Anschluß an die Antworten Petzolds auf Fragen der Synode zum Diakonie-Bericht (Vorlage 2) wurde dessen Überweisung an den Berichtsausschuß mit Mehrheit beschlossen. 4.3.4 Zur Legitimationsprüfung und zur Besetzung der Synodalausschüsse Nach dem Abendessen teilte Hammer zur Legitimationsprüfung die Anzahl der Synodalen mit. Von 59 Bundessynodalen gehörten sieben dem Haushaltsausschuß an, fünf dem Präsidium (und damit keinem Ausschuß). Fünf Synodale seien bereits zu Mitgliedern des Ständigen Berichtsausschusses gewählt. 183 Insgesamt 42 Synodale verblieben somit zur Bildung der Ausschüsse. Hammer trug der Synode den Vorschlag des Wahlvorbereitungsausschusses vor (Vorlage 6), 15 Mitglieder in den „Friedensfragen"-Ausschuß (möglichst Personen, die 1986 auf der Erfurter Synode bereits mit diesem Themenkomplex
Vgl. M. HELLMANN: Schwerstbehinderte nicht aufgeben. TYPOSKRIPT, S. 254. Die Synode reagierte auf dieses Votum mit Beifall. - Vgl. auch H. VOLLAND/U. KÖRNER: Christliche Sterbebegleitung im marxistischen Urteil. 178
179
180
TYPOSKRIPT, S. 2 5 6 - 2 6 0 .
Das war insofern bemerkenswert, als Straßensammlungen in den 1950er Jahren von staatlichen Organen systematisch gestört wurden. Später wurden jährlich zwei Straßensammlungen für den kirchlichen Wiederaufbau und ftir diakonische Zwecke von Seiten des Staates genehmigt. Haus- und Listensammlungen blieben jedoch bis zum Ende der D D R untersagt. 181
182
TYPOSKRIPT, S . 2 5 8 .
Zur personellen Zusammensetzung von Haushaltsausschuß, Legitimationsprüfungsausschuß, Rechtsausschuß, Berichtsausschuß, Wahlvorbereitungsausschuß und Ausschuß für die Arbeit der Kommissionen vgl. MB1 1/2 1986, S. 3f. 183
Sonntag, 20. September 1987
129
befaßt waren 184 ) und zehn in den Ausschuß „Zur Situation der Gemeinden" (bevorzugt mit dem Thema vertraute Synodale aus allen Gliedkirchen) zu wählen. Z u m Ausschuß „Friedensfragen" sollten wegen des Umfangs der zu verhandelnden Themen auch noch Unterausschüsse gebildet werden. Hammer wies darauf hin, daß Mitglieder des Berichtsausschusses auch kontinuierlich dessen Mitglieder bleiben sollten, wie zum Beispiel Falcke, Fritz, Große, Krause und Semper. Hammer erwähnte noch, daß Kirchner sein Mandat niedergelegt habe und Herbst sein Nachfolger nicht nur als Synodaler, sondern auch als Jurist im Rechtsausschuß geworden sei. Für wie wichtig die Synodalen die Besetzung der einzelnen Ausschüsse hielten, wurde während einer nun folgenden ausfuhrlichen Debatte zur Geschäftsordnung deutlich, die sogar eine Unterbrechung der Sitzung notwendig machte, um dem Präsidium und dem Rechtsausschuß Gelegenheit fur interne Beratungen zu geben. Ausgelöst wurde die Debatte durch den Antrag von Schorlemmer, Falcke bei gleichzeitigem Verbleib im „Berichtsausschuß" auch noch in den Ausschuß „Friedensfragen" zu kooptieren, wo er seinen Antrag zur Abgrenzungsthematik vertreten können sollte. Zu der heftig umstrittenen Frage, ob ein Synodaler in zwei Ausschüssen zugleich mitarbeiten dürfe, erklärte Kramer, daß eine Doppelmitgliedschaft durchaus möglich sei, aufgrund paralleler Tagungszeit die Stimmberechtigung aber nur für einen Ausschuß gelten könne. Auf die Frage an Falcke, ob er bereit sei, auch ohne Stimmrecht im Ausschuß „Friedensfragen" mitzuarbeiten, antwortete dieser, daß er aus verschiedenen Gründen Wert darauflege, in diesem Ausschuß stimmberechtigt zu sein. Präsidium und Rechtsausschuß konnten diesem Wunsch Falckes nicht entsprechen. Falcke wurde eine Mitarbeit in beiden Ausschüssen eingeräumt; Stimmrecht erhielt er jedoch nur fur den „Berichtsausschuß", dem er seit Beginn der Legislaturperiode der V. Synode des B E K angehörte. Ein weiterer Antrag, den Synodalen Hertzsch aus dem „Friedensausschuß" in den Ausschuß „Situation der Gemeinden" zu versetzen, wurde mit Mehrheit abgelehnt. In dieser zeitweilig mit großer Leidenschaft geführten Debatte über die Besetzung der Ausschüsse spiegelte sich noch einmal das Pro und Contra zu dem von Falcke eingebrachten „Abgrenzungsantrag". Bevor Cynkiewicz die Synodalen bat, sich trotz vorgerückter Stunde noch in den Ausschüssen zu konstituieren, machte sie einige Mitteilungen. Sie erwähnte, daß am folgenden Tag Stolpe, Forck und Karpinski nicht an den Sitzungen teilnehmen könnten, da sie an der Beerdigung eines Mitarbeiters aus dem Berlin-Brandenburgischen Konsistoriums teilnähmen (es handelte sich um den am 12. September 1987 verstorbenen Konsistorialverwaltungsrat Gustav Hell, der das Rechnungsamt im Konsistorium geleitet hatte). 185 Auf eine Anfrage hin 184 Daher seien vom Wahlvorbereitungsausschuß zwei Vertreter aus dem Erfurter Ausschuß sowie zwei Synodale, die in Görlitz an der Erarbeitung der Vorlage „Bekennen in der Friedensfrage" mitgewirkt hatten, benannt worden. 185 Wie Stolpe mitteilte, kehrte er nach der Beerdigung „wahrscheinlich noch am gleichen
130 Der Verlauf der Bundessynode in Görlitz vom 18. bis 22. September 1987 teilte Cynkiewicz ferner mit, daß Bischof Hempel an einer Sitzung des Zentralausschusses des ORK teilnehme. Über den Synodalen Harder sei mitgeteilt worden, daß Bischof Gienke sich mit einer Delegation der Greifswalder Landeskirche auf einer Besuchsreise in Schweden befinde.186 Schorlemmer erbat für die Ausschußarbeit das Einbringungsreferat Falckes und fragte an, ob mitarbeitende Gäste selbst entscheiden könnten, in welchen Ausschüssen sie mitwirken wollten, oder ob dies bestimmt werden müsse. Vize-Präses Cynkiewicz entgegnete, daß die mitarbeitenden Gäste für bestimmte Problemkreise eingeladen worden seien und sich darüber ihre Zugehörigkeit zu den einzelnen Ausschüssen von selbst ergebe. KKL-Mitglieder, die nicht offiziell Mitglieder der Synode seien, könnten frei wählen. Die Plenarsitzung endete gegen 18.30 Uhr.
4.4 Montag, 21. September
1987
Während des Vormittags fand eine Sitzung des KKL-Vorstands statt, auf der die Möglichkeit besprochen wurde, zusammen mit den Eingebern, die sich zum Thema „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" an die Bundessynode gewandt hatten, ein Seminar zur Abgrenzungsproblematik zu veranstalten.187 Am Nachmittag eröffnete Vize-Präses de Maiziere mit der Begrüßung des amtierenden Superintendenten von Görlitz, Pfarrer Eckard Wittig, die Plenumssitzung. In seinem Grußwort brachte Wittig seine Hoffnung auf „das Durchlässigwerden der Grenzen" zum Ausdruck, dankte der Synode, daß sie sich auch mit diesem Thema befasse und zeigte sich „gespannt auf dieses weiterhelfende Wort".188 Er plädierte für Offenheit im Gespräch. Im Anschluß an Wittig sprach Bischof Anthony Charles Dumper von der Generalsynode der Kirche von England ebenfalls ein Grußwort. Dumper wies auf einige Probleme der evangelischen Kirche in der D D R hin, die mit denen der Kirche von England zu vergleichen seien. So sei es die Aufgabe der Kirche, „die Alten und von der Gesellschaft Vernachlässigten zu betreuen". Ebenso betreffe die Kirche „natürlich auch die Frage nach Frieden und Abrüstung und andere staatliche Probleme".189 Tage" wieder nach Görlitz zurück. Er nahm jedenfalls nach eigener Aussage am letzten Tag der Synode (22.9.1987) an der gesamten Plenarsitzung teil (Schreiben STOLPES an die Verf. vom 3.1.1996). 186
Der Synodale Pilz hatte am 19.9.87 schriftlich um eine Beurlaubung von der Tagung (21.9
v o n 9 . 3 0 b i s 1 1 . 0 0 U h r ) g e b e t e n ( E Z A BERLIN, 1 0 1 / 9 3 / 2 2 1 ) . 187
188
M i t s c h r i f t K K L - V o r s t a n d s s i t z u n g . G ö r l i t z , 2 1 . 9 . 1 9 8 7 ( H a n d a k t e n C h r i s t a LEWEK, BERLIN).
TYPOSKRIPT, S. 271. Wittig bezog sich als „Grenzstädter", der bei seinen Spaziergängen an der Neiße die Schwäne „wegen ihrer Visafreiheit" beneide, eindeutig auf die Landesgrenzen der DDR. 189 Ebd., S. 272. Dumper befand sich auf einer kirchlichen Studienreise durch die D D R , die vom Britischen Kirchenrat und der A G C K der D D R organisiert worden war.
Dienstag, 2 2 . S e p t e m b e r 1 9 8 7
131
De Maiziere kündigte danach die Zweite Lesung des Kirchengesetzes über den Haushalt 1988 190 an und erteilte dem Berichterstatter des Haushaltsausschusses, Ernst-Ulrich Hafa, das Wort. Dieser informierte die Synode über die Verteilung der Mittel und gab Korrigenda zum Haushaltsplan bekannt. Im Anschluß stellte de Maiziere das Haushaltsgesetz (Vorlage 9) zur Aussprache. Zunächst wurden die einzelnen Paragraphen des Kirchengesetzes über den Haushaltsplan und abschließend die Vorlage als Ganzes angenommen. VizePräses de Maiziere erteilte erneut dem Berichterstatter des Haushaltsausschusses für die Rechnungsprüfung und für die Entlastung das Wort. Danach entlastete die Synode K K L und Sekretariat fur das Haushaltsjahr 1986. De Maiziere Schloß die Plenumssitzung früher als geplant mit dem Hinweis an die Synodalen, bereits vor dem Abendessen in den Ausschüssen zusammenzukommen.
4.5 Dienstag, 22. September
1987'9'
Vize-Präses Cynkiewicz eröffnete die Sitzung und rief den Vertreter des Polnischen Ökumenischen Rates, Pfarrer Stanislaw Zwak, zu einem Grußwort auf. Zwak betonte, in Polen sei das Verhältnis zwischen der evangelischen Kirche und dem Staat seit Jahrzehnten geregelt und weitgehend unproblematisch: „Und von dieser Seite droht uns keine Gefahr." 192 Ein Problem sei allerdings darin zu sehen, daß die Evangelisch-Augsburgische Kirche in Polen eine Minderheitenkirche sei und die katholische Kirche ihren Hegemonieanspruch durchzusetzen versuche.193 4.5.1 Die Beschlußvorlage „Als Gemeinde leben" Die Vorlage 11 („Als Gemeinde leben") wurde durch die Synodale Dehne eingebracht. Diese gab einen Ausblick auf die BEK-Synode 1988 und trug die Beschlußvorlage zur Vorbereitung dieser Synodaltagung vor.194 In der folgenden Aussprache fragte Falcke nach den Zielvorstellungen der kommenden Synode und plädierte für mehr Gespräche mit anstatt überA'ic Gemeinden. Große und Leich stimmten Falcke zu. Althausen 195 monierte den Ergebniszwang von Synoden; Erträge von Synoden seien eben nicht immer schriftlich erfaßbar. Im Ebd., S. 273. Der Synodale Berger hatte am 18.9.1987 schriftlich mitgeteilt, aufgrund zweier, bereits vor längerer Zeit übernommener Gemeindedienste (22.9. abends, 23.9. morgens) am 22.9. ab mittags nicht mehr an der Synode teilnehmen zu können (EZA BERLIN, 101/93/221). 1,0
191
1.2
TYPOSKRIPT, S . 2 7 8 .
Vgl. dazu G. LINN: Der Ökumenische Rat der Kirchen und die Kirchen in Osteuropa. TYPOSKRIPT, S. 279f.; Abdruck des Beschlusses in: E P D DOKUMENTATION 44/87, S. 54. 195 In einem Schreiben vom 3.9.1995 teilte Ilse Althausen den Verf. mit, diesen Wortbeitrag geleistet zu haben. Auch laut Niederschrift des Präsidiums der Bundessynode über die Plenarsitzung am 22.9.1987 sprach Ilse Althausen (EZA BERLIN, 101 /93/221). 1.3
194
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Der Verlauf der Bundessynode in Görlitz vom 18. bis 22. September 1987
weiteren Verlauf der Debatte wurden verschiedene Wünsche zum Thema „Synodaltagung 1988" vorgetragen. Die dabei entstandene Endfassung von Vorlage 11 wurde bei drei Enthaltungen mit deutlicher Mehrheit angenommen. 4.5.2 Die Beschlußvorlage zur Ausländerseelsorge Vize-Präses Cynkiewicz forderte nach der Verabschiedung des Beschlusses „Als Gemeinde leben" Berger auf, die Vorlage des Berichtsausschusses zur Ausländerseelsorge (Vorlage 12) einzubringen. 196 Diese Vorlage und die sich anschließende Aussprache im Plenum verdeutlichten wiederum die Existenz ungelöster Probleme im Verhältnis von Staat und Kirche. Es wurde gesagt: Innen- und außenpolitisch gereichten die Bemühungen der evangelischen Kirchen um in der D D R lebende Ausländer und die ökumenischen Kontakte der Kirche dem Ansehen der Regierung zum Vorteil, andererseits lasse man der Kirche bei derartigen Aktivitäten kaum freie Hand. Berger betonte, daß es sich bei dem Entwurf zur Ausländerseelsorge um einen gesonderten Text außerhalb des Gesamtberichts des Berichtsausschusses handele. Im Plenum hätten einige Synodale auf zunehmende Probleme mit der Ausländerfeindlichkeit in der D D R aufmerksam gemacht. Die Schwerpunkte des Entschließungsentwurfs lägen „nicht auf diesen sicher notwendigen und berechtigten kritischen Hinweisen, sondern auf einer ermutigenden pastoralen Orientierung". Der Text versuche, .Anregungen für das gesamtkirchliche Handeln" zu geben. Die Synode möge folgendes beschließen: Die Anwesenheit ausländischer Bürger sei für die Synode ein Beispiel der Öffnung der Gesellschaft. Sie beurteilte es als positiv, daß die D D R sich „in dieser Form" an der internationalen Zusammenarbeit beteilige.197 Die Kirche trage die Mitverantwortung für die sich daraus ergebenden Chancen und Aufgaben in Gesellschaft und Kirche. Dies gelte zum Beispiel für die Vergabe von Stipendien an junge ausländische Christen. Ausländische Christen stellten eine Bereicherung und Belebung der Gottesdienste dar, Gemeinden, die sich diesen Impulsen öffneten, förderten auch die Entstehung ökumenischer Gemeinden sowie Toleranz und Verständnis. Die Synode bitte die zuständigen Gremien in Staat und Kirche, sich um grundsätzliche Lösungen zu bemühen, „damit sich das religiöse Leben der ausländischen Christen ungehindert entfalten" könne. 198 An die ökumenisch-missionarischen Werke gerichtet trug Berger die in der Vorlage formulierte Bitte vor, Seelsorge an Ausländern zu fördern und zu vermitteln. Ferner fordere die Synode die K K L auf, ausländische Pfarrer zum „befristeten Seelsorgerdienst" in die D D R einzuladen und notwendige Grundlagen finanzieller, rechtlicher und organisatorischer Art zu schaffen. 196
TYPOSKRIPT, S. 284f.; Abdruck des Beschlusses in: EPD DOKUMENTATION 44/87, S. 53.
197
TYPOSKRIPT, S. 2 8 4 .
198
Ebd., S. 285.
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Cynkiewicz stellte daraufhin die Vorlage 12 zur Aussprache. In der nun folgenden Diskussion beantragte Nollau, das Wort „Fremdenhaß" durch „Ausländerfeindlichkeit" zu ersetzen: „Ich weiß, was dahinter steckt, aber ich möchte, daß dieses Wort nicht in einem Papier von uns vorkommt." 199 Nollau wurde darin von Lättig unterstützt. Das KKL-Mitglied Christian Müller regte des weiteren an, bei ökumenischen Besuchen im Ausland in Erfahrung zu bringen, ob und wann ausländische Studierende in die D D R kämen, damit evangelische Gemeinden in der D D R sich ihrer annehmen könnten. In seiner abschließenden Stellungnahme gab Berger hinsichtlich des Beitrags von C. Müller zu bedenken, daß es deswegen häufig schwierig sei, in Erfahrung zu bringen, welche ausländischen Stipendiaten in die D D R kämen, da Einladungen von seiten des Staates ausgesprochen würden. Bei fünf Gegenstimmen wurde der Antrag Nollaus (das Wort „Ausländerfeindlichkeit" statt „Fremdenhaß" in den Text einzusetzen) angenommen. Die gesamte Vorlage 12 wurde daraufhin von der Synode einstimmig angenommen. 4.5.3 Die Beschlußvorlagen zum Diakonie-Bericht und zur Frage der Mittelstreckenraketen Es folgte Jagusch mit der Einbringung der Beschlußvorlage des Berichtsausschusses zum Bericht des Diakonischen Werks (Vorlage 13).200 In der Beschlußvorlage wurde dem Diakonischen Werk für seinen Bericht gedankt und die Bedeutung des evangelischen Krankenhauses für Kirche und Gesellschaft hervorgehoben. Es sei eine wichtige Aufgabe der Gemeinden, nach Mitarbeitern für evangelische Krankenhäuser zu suchen, wobei der christliche Glaube als Motivation zur Mitarbeit eine große Rolle spiele. Wegen der Uberbelastung des Personals in evangelischen Kliniken wurde in der Vorlage angeregt, die Möglichkeiten zur Teilzeitbeschäftigung auszuweiten. Grundsätzlich befürworte die Synode den Einsatz qualifizierter Seelsorger und spreche sich für die „geistliche Zurüstung" der Arzte aus. — Nach der Beantragung einiger Formulierungsänderungen wurde auch diese Vorlage bei zwei Enthaltungen angenommen. Im Anschluß an die Abstimmung wurde die Vorlage 14 (Vorlage des Berichtsausschusses zur Frage der Mittelstreckenraketen) von Wessel eingebracht.201 Wessel berichtete, daß der Berichtsausschuß der Synode ein Sondervotum bezüglich des Abbaus der Mittelstreckenraketen nahelegen wolle. Die Synode sehe sich ermutigt, sich erneut für die Beendigung aller Kernwaffentests einzusetzen. Nach einer kurzen Aussprache wurde die Vorlage 14 in der Fassung, die der Berichtsausschuß vorgelegt hatte, mit der Mehrheit der Stimmen verabschiedet. 200 201
Ebd., S. 285f. Ebd., S. 288-289; Abdruck des Beschlusses in: EPD DOKUMENTATION 44/87, S. 31-32. TYPOSKRJPT, S. 2 9 0 ; B e s c h l u ß a b g e d r u c k t in: E P D DOKUMENTATION 4 4 / 8 7 , S. 3 2 .
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4.5.4 Die Beschlußvorlage „Bekennen in der Friedensfrage" Zur Einbringung von Vorlage 15, „Bekennen in der Friedensfrage", erteilte Cynkiewicz dem Synodalen Zimmermann das Wort. 202 Vor der Verlesung der im Ausschuß überarbeiteten Beschlußvorlage sprach Zimmermann einige klärende Sätze zur Genese des vorliegenden Textes. Er betonte, daß es sich bei diesem Dokument nicht um ein Bekenntnis, sondern um aktuelles Bekennen und die sich daraus ergebenden Konsequenzen handele. — Cynkiewicz stellte die Vorlage 15 abschnittweise zur Aussprache. Als erster meldete sich das KKL-Mitglied Harder mit der Bemerkung zu Wort, zu der gesamten Vorlage Stellung nehmen zu wollen. Er kritisierte dann, daß Ziffer I einen deutlichen Bekenntnischarakter trage. Es werde ein ethischer Standard aufgestellt, hinter den man nicht mehr zurück könne. An Ziffer II bemängelte er die — gegenüber der ersten Fassung der Vorlage - sich stärker aufdrängende Interpretation, daß der Waffendienst Ausdruck von Glaubens«wgehorsam sein könnte. Harder wies in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die Zahl der Christen, die ihren „normalen" Waffendienst bei der NVA ablegten, weitaus größer sei als die Zahl der Christen, die als Bausoldaten tätig seien. Er wehrte sich dagegen, daß die Bundessynode bisweilen den Eindruck erwecke, „Vorschriften" festzulegen und gab zu bedenken, daß die Bundessynodalen kein Mandat aus den Gemeinden, sondern nur ein Mandat von den Gliedkirchen und Gremien hätten. Harder stellte abschließend zwei Geschäftsordnungs-Anträge: Uber alle drei Abschnitte der Vorlage solle getrennt abgestimmt werden; bei Abschnitt II solle die Abstimmung mit Stimmzetteln erfolgen. 203 Nachdem Vize-Präses Cynkiewicz Harder um sein Einverständnis gebeten hatte, die Anträge erst am Schluß der Aussprache zu verhandeln, meldete sich Große zu Wort. Er richtete an Harder folgende Frage: „[...] aber [ich] möchte Bruder Harder fragen, ob er die gemeinsame Erklärung noch billigt, in der wir erklärt haben, daß wir im Bund der evangelischen Kirchen mit ihren Gliedkirchen und den Zusammenschlüssen gemeinsam Kirche sind. 204 Wenn das der Fall ist, dann verstehe ich nicht, wie die aus — [aus] den Gliedkirchen gewählten - Synodalen bestehende Bundessynode [in] einen Gegensatz gegen Entscheidungen der Gliedkirchen gebracht wird im Zusammenhang mit einem Papier, wie dieses vorliegt. Das Mandat der Bundessynode ist klar von den Synoden der Gliedkirchen bestätigt. Und als solche haben wir mit allen aus den Gliedkirchen gewählten Synodalen über das Ganze der Existenz des Christen in der D D R nachzudenken und
202 TYPOSKRIPT, S. 2 9 2 - 2 9 5 ; als Dok. 4 im Anhang. Abdruck des Beschlußtextes u.a. in: E P D DOKUMENTATION 4 4 / 8 7 , S. 3 3 - 3 5 , u n d K i S o 13 (1987), S. 179f. 203 Vgl. auch Dok. 10 im Anhang. 204 Zur Gemeinsamen Erklärung aus dem Jahr 1985 vgl. auch W. HÜFFMEIER: Grabinschrift oder Fanal?
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k ö n n e n uns das von einer Gliedkirche weder beschneiden noch in Frage stellen lassen."205
Im Anschluß an den Beitrag Großes forderte Cynkiewicz die Mitglieder der Synode auf, zum ersten Abschnitt der Beschlußvorlage Stellung zu nehmen, und erteilte Leich das Wort. Leich dankte dem Ausschuß für die Neuformulierung des Abschnitts I vor allem deshalb, weil die drei eingefügten „Bitten" geeignet seien, in die Gebete der Gemeinden aufgenommen zu werden. Das KKL-Mitglied Peter Müller wandte gegen die Kritik Härders (Waffendienst könne durch die Formulierung als Glaubens ««gehorsam interpretiert werden) ein, er habe anfangs dieselben Bedenken gehabt, sehe diese jedoch mit der neuen Fassung ausgeräumt. Der Jugenddelegierte Lewek bemängelte daraufhin, daß er das Problem der jungen Christen, die sich unter Gewissensnot für den Wehrdienst entschieden, um Studienplatz, Ausbildung oder Arbeitsplatz nicht zu gefährden, nicht in diesem Papier wiederfände. Ebenso fehle ihm in der Beschlußvorlage die Berücksichtigung derjenigen, die aus Uberzeugung trotz ihres Christseins Wehrdienst leisteten. Insgesamt halte er das Papier für zu undifferenziert. Lewek forderte eine Änderung in Form folgenden Zusatzes: „Die Kirche muß aber seelsorgerliche Begleitung auch denen anbieten, die sich nicht klar gegen den Waffendienst entscheiden können." 206 Dieser Antrag fand keine Mehrheit. Noack warnte davor, an dem vorliegenden Beschlußtext Abstriche zu machen, da für ihn dann der Charakter eines Bekenntnisses verlorenginge. Die 1500 Jahre alte kirchliche Auffassung, daß Christsein und Soldatsein zusammenpaßten, müsse im Zeitalter der Trennung von Staat und Kirche nicht mehr aufrechterhalten werden. Es sei in der Beschlußvorlage „nicht ganz gelungen", die Chance wahrzunehmen und dieser Auffassung in aller Deutlichkeit zu widersprechen. Während Noack die klaren Aussagen in Teil I begrüßte, bemängelte er die Ohnmachtsformulierungen in Teil II, in denen darauf verzichtet werde, neutestamentliche Weisungen als verbindliches Wort zu übernehmen. Er habe den Eindruck, daß die BEK-Synode 1982 in Halle — unter dem Eindruck der Nachrüstung - an dieser Stelle deutlicher gesprochen habe. Nur das „Hören auf das Wort" könne wirklich zu Entscheidungen führen, die Angst jedoch nicht. Noack Schloß mit den Worten: „Ich h o f f e , wir sagen zu d e m , was wir jetzt haben, ja. Stolz k ö n n e n wir sicherlich nicht gerade d a r a u f sein. Ich warne vor j e d e m Abstrich. D a n n k ö n n e n wir es lassen."207
Große unterstützte mit seinem Votum Noack insofern, als der vorliegende TYPOSKRIPT, S. 297. Wörtliche Wiedergabe des Tonbandprotokolls. Ebd., S. 299. 207 Ebd., S. 300. Cynkiewicz unterbrach die Debatte an dieser Stelle für die Mittagspause. Sie eröffnete am Nachmittag die Aussprache unter Fortsetzung der Rednerliste. 205
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Text ein Minimum dessen ausdrücke, was ausgesagt werden müsse. In diesem Zusammenhang kritisierte er, daß die Kirche sich seinerzeit nicht gegen die Wiederbewaffnung beider deutscher Staaten zur Wehr gesetzt habe. Als Beispiel für die Akzeptanz und seelsorgerliche Begleitung jeder Entscheidung (für oder gegen den Waffendienst) erwähnte er seine drei Söhne, von denen zwei Bausoldaten seien und einer Waffendienst leiste. Große betonte die Verpflichtung, ein Gemeindeglied „zur Prüfung der Konsequenzen seiner Entscheidung zu führen".208 Im Anschluß an den Beitrag Großes dankte Leich dem Ausschuß auch für die Profilierung des Abschnitts II. Er begrüßte die allgemeine, nicht allein auf die DDR bezogene (Abrüstungs-) Formulierung, die für den „Konziliaren Prozeß" spreche. Weiterhin lobte er, daß die Aufgabe der Gewissensprüfung unabhängig von der Entscheidung gestellt werden solle. Leich betonte, daß im Text nur von Christen gesprochen werde, und hob hervor, daß die Kirche auch bedrängten Nicht-Christen helfe, die sich auf ihre Gewissensentscheidung beriefen. Dies solle in der Aussprache deutlich werden und müsse nicht in den Beschlußtext eingebracht werden. Dennoch stellte Leich einen Änderungsantrag zu Teil II, Absatz 2: „Die Kirche sieht in der Entscheidung von Christen, den Waffendienst oder Wehrdienst überhaupt zu verweigern, einen Ausdruck ihres [statt des\ Glaubensgehorsams, der auf den Weg des Friedens fiihren will [statt ßihrt]."20
Zur Begründung führte Leich an, daß den mit dem christlichen Glauben argumentierenden Wehrdienstverweigerern - mit der von ihm vorgeschlagenen Formulierung — von der Bundessynode Glaubensgehorsam bescheinigt werde. Außerdem werde der Eindruck vermieden, als sei diese Entscheidung Ausdruck eines allgemeinen Glaubensgehorsams für alle Glieder der Kirche. Durch diese Formulierung könne somit der Respekt vor dem persönlichen Glaubensgehorsam ausgedrückt werden. Herbst verlangte eine Erklärung für folgende Formulierung: „Weil wir Gott als Herrn bekennen, sind wir alle herausgefordert, durch deutliche Schritte zu zeigen, daß Einsatz, Besitz und Produktion von Massenvernichtungsmitteln unserem Glauben widersprechen."210 In seinem Votum sprach er sein eigenes Problem an, noch zum Reservistendienst eingezogen werden zu können, und drückte seine Freude darüber aus, daß in dem Papier keine Pauschalentscheidungen getroffen, sondern Orientierungen gegeben würden. Kritik übte Kramer am bisherigen Verlauf der Aussprache, weil jeder Redner am Beschluß etwas zu bemängeln habe und damit den anderen in seiner ZuEbd., S. 301. Ebd., S. 302. Auf S. 8 der „4. Tagesinformation" der staatlichen .Arbeitsgruppe Bundessynode" wurde angemerkt, daß während der Auseinandersetzung um diesen Änderungsantrag Leichs „BRD-Fernsehteams ununterbrochen" gefilmt hätten (BArchP, DO 4 STS f. Kirchenfragen Nr. 787). 210 Ebd., S. 303. Hervorhebung durch die Verf. 208
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Stimmung zum Kompromiß zusätzlich belaste.211 Vor einer erneuten Abänderung des Textes warnte auch Schorlemmer mit einem Verweis auf die Härte der Aussprache im Ausschuß. Gleichzeitig sei jedoch kein Grund zur Euphorie gegeben, zumal die Mittelstreckenwaffen nur drei Prozent des gesamten Nuklearwaffenpotentials ausmachten; man müsse vielmehr die yl^rüstungsdynamik fördern. Die Bereitschaft zur Verweigerung des Waffendienstes erfordere den Mut, „sanft zu sein wie der Mann, dem wir nachfolgen, der angesichts der monströsen Militärherrschaft im Imperium Romanum gewaltlos war."212 Auch Wehrdienstleistende sollten am System kollektiver Sicherheit aktiv mitarbeiten. Adolph wies daraufhin, daß die Vorlage von „Bekennen" spreche, die praktische Wirkung aber die eines „Bekenntnisses" sei. Er bat die Synode im Vorfeld um Verständnis für die möglichen Konsequenzen, die bei der Abstimmung über die Beschlußvorlage zum Vorschein kommen könnten: „Ich bitte, d a ß a u c h verstanden wird, wenn Leute, die das so sehen [daß das „ B e k e n n e n " ein „ B e k e n n t n i s " sei] u n d auch von d e m theologischen Ansatz her nicht anders sehen k ö n n e n [...], die Z u s t i m m u n g hierzu nicht geben k ö n n e n . " 2 1 3
Falcke lehnte den Änderungsvorschlag Leichs ab und warnte, die Formulierung „ihres Glaubensgehorsams" könne syntaktisch auch auf die Kirche — statt auf die Christen - bezogen werden. Zum Problem des Bekennens betonte er, die Friedensfrage sei Kern des Auftrags der Kirche, keine Ermessensentscheidung. Das Papier sei keine Bekenntnisschrift, auf die sich eine Kirche verpflichte und die dann ausschließenden Charakter habe: „ W i r haben in der D e b a t t e [...] über den .status confessionis' in der Friedensfrage [...] ja ausgeschieden [...], d a ß hier das Bekennen einen exklusiven S i n n b e k o m m t u n d kirchentrennende B e d e u t u n g h a b e n könnte." 2 1 4
Falcke sagte, zum Bekennen durch die Synode gehöre die Rezeption durch die Gemeindeglieder. „Bekennen in der Friedensfrage" sei durch eine Art konziliaren Prozeß entstanden und daher als Kompromiß zu verstehen. Falcke wies auf den Unterschied zur Erklärung des Reformierten Moderamen hin, die in dieser Frage den status confessionis erklärt habe, während die Synodenvorlage das aus ihr folgende Handeln als Orientierung verstanden wissen wolle.215 Ebenfalls gegen einen Absolutheitsanspruch des Bekennens wandte sich Althausen216 und schlug vor, einen klärenden Satz einzufügen, der dieses Beken211
Die Tonbandaufzeichnung ist während des Beitrags von Kramer wiederholt gestört.
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Ebd., S. 305. Ebd. Zum Beschluß der Bundessynode zum Begriff „status confessionis" vom 19.9.1983 und dem Bericht der Theologischen Kommission zum Gebrauch des Begriffs „status confessionis" in der Friedensdebatte vgl. MB1 1/3 1987, S. 2 0 - 2 4 . 215 Zur Erklärung des Reformierten Moderamen vgl. R. WISCHNATH (Hg.): Frieden als Bekenntnisfrage. 216 Dieser Beitrag stammt laut Niederschrift des Präsidiums vom 21.9.1987 von Ilse Althausen (EZA BERLIN, 101/93/221). 2,3
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nen eindeutig auf die Synode beziehen solle. Petzold kritisierte das Fehlen des folgenden Gedankens: Gott sei der Herr der Geschichte, „der nach der Schrift auch die Herzen der Mächtigen lenkt wie die Wasserbäche", damit Frieden sei und bleibe. Petzold forderte, Gott ausdrücklich dafür zu danken, „daß wir hier in Frieden leben können". 217 Deshalb forderte er das Junktim, nur unter Einbringung dieser Danksagung der Vorlage „Bekennen in der Friedensfrage" zustimmen zu können. Kahl stimmte zwar Leich zu, kritisierte aber die — auch unter Einbeziehung seiner Formulierungsänderungen — bleibende Undeutlichkeit, ob sich aus der Formulierung in Teil II, Absatz 2 zwangsläufig die Folgerung ergebe, daß Wehrdienstleistende keinen Glaubensgehorsam ausübten. In Anerkennung von Falckes Votum verdeutlichte dann Leich seinen Abänderungsantrag (statt „ihres Glaubensgehorsams": „persönlichen Glaubensgehorsams"). Hertzsch unterstützte den Antrag Leichs und verwies auf das Beispiel Waffendienstleistender, die ihren Glaubensgehorsam in der NVA bewähren wollten („Glaubensgehorsam des begnadeten Sünders" 218 ). Anders als Harder plädierte er für eine offene Abstimmung. Gegen Leichs Formulierungsvorschlag sprach sich wiederum Große aus, da er in dem Zusatz „persönlich" einen isolierenden Charakter auszumachen meinte. Er könne aus diesem Grund den Antrag nicht mittragen. Falcke wandte sich ebenfalls gegen die Formulierung, da mit ihr eine Wertung ausgesprochen werde. Im Gegensatz zu seinen Vorrednern plädierte das KKL-Mitglied Siegfried Plath für das „persönlich", da der Text dadurch die nötige Klarheit gewinne. Vize-Präses Cynkiewicz stellte nun den Antrag Leichs (Formulierung „persönlich") zur Abstimmung. Der Antrag wurde von der Bundessynode bei 16 Ja-, 36 Nein-Stimmen und fünf Enthaltungen abgelehnt. An dieser Stelle wies Cynkiewicz einen Kameramann auf die Regelung hin, während einer Abstimmung dürfe nicht gefilmt werden. Der Kameramann entgegnete, er habe die Kamera nur geschwenkt, nicht aber gefilmt. Nachdem in der Aussprache zum dritten Teil einige Änderungsanträge gestellt worden waren, sprach sich Semper — wie zuvor auch Noack — dafür aus, keine zu starken Änderungen am Text vorzunehmen. Das „Bekennen" solle nur dazu dienen, sich selbst in Frage zu stellen und andere zum Bekennen einzuladen. Das sei für ihn der Konziliare Prozeß. — Mit dem Votum Sempers erklärte Cynkiewicz die Aussprache über die Vorlage 15 für abgeschlossen und erteilte dem Berichterstatter Zimmermann das Schlußwort. Zimmermann knüpfte bewußt an sein Einbringungsreferat an: „Ich habe gesagt, was ich vorlese, ist ein aktuelles Bekennen und nicht [...] ein Bekenntnis." 219 Er unterstrich, daß der Ausschuß das Papier als homogenes Ganzes verfaßt habe und einzelne Formulierungsänderungen dieses zerstörten. 217
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Ebd., S. 308. " E b d . , S . 313.
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Cynkiewicz ließ nun über die noch vorliegenden Anträge abstimmen. Zwei von dem KKL-Mitglied Harder gestellte und von der Synode bis nach der Aussprache aufgeschobene Geschäftsordnungs-Anträge 220 wurden ihrerseits zur Diskussion gestellt. Cynkiewicz verwies auf die Auffassung des Präsidiums, daß bezüglich des zweiten Geschäftsordnungs-Antrags von Harder Bedenken bestünden, da nur ein Synodaler, nicht jedoch ein KKL-Mitglied - wie Harder einen Antrag auf eine geheime Abstimmung stellen dürfe. Geisler votierte fur eine Gesamtabstimmung ohne abschnittweise Abstimmung. 221 Sowohl für eine Gesamtabstimmung als auch eine abschnittweise Abstimmung plädierte demgegenüber König. Leich betonte ebenfalls, daß für ihn eine Gesamtabstimmung unerläßlich sei. Cynkiewicz wies die Synodalen daraufhin, daß das Präsidium geplant habe, abschnittweise abstimmen zu lassen, und daher eigentlich nur die Frage zu klären sei, ob es danach noch eine abschließende Gesamtabstimmung geben solle oder nicht. Die Synode stimmte gegen den ersten Antrag Härders, auf eine Gesamtabstimmung zu verzichten. Daraufhin stellte Berdrow den Antrag, den zweiten Vorschlag Härders dahingehend zu ändern, daß die geheime Abstimmung nur für Teil II/2 Anwendung finden solle.222 Cynkiewicz merkte dazu an, daß auch der Antrag Berdrow ein Geschäftsordnungs-Antrag sei und daher keiner Unterstützung bedürfe, um zur Verhandlung zu kommen. Durch einen Zwischenruf wurde sie darauf aufmerksam gemacht, daß diese Regelung bei einem Antrag auf geheime Abstimmung nicht gelte.223 Da Berdrows Antrag keine ausreichende Unterstützung durch die Synode erhielt, kündigte Cynkiewicz die offene Abstimmung über die Beschlußvorlage „Bekennen in der Friedensfrage" an. Bei den nun folgenden Abstimmungen über Vorlage 15 wurden Teil I mit zwei Enthaltungen, Teil II mit drei Gegenstimmen und acht Enthaltungen und Teil III einstimmig angenommen. Bei der Gesamtabstimmung wurde die Vorlage „Bekennen in der Friedensfrage" unter Einschluß der Präambel bei drei Enthaltungen angenommen. In der Diskussion um die Beschlußvorlage „Bekennen in der Friedensfrage" waren verschiedene Konflikte zutage getreten, die sich vor allem auf den Abschnitt II.2 bezogen, in dem zum Thema Wehrdienstverweigerung Stellung
220 Erster GO-Antrag: Abschnittweise Abstimmung der Vorlage „Bekennen in der Friedensfrage", keine Gesamtabstimmung; zweiter GO-Antrag: über Ziffer 2 [unter anderem „Ausdruck des/ ihres Glaubensgehorsams"] soll geheim abgestimmt werden. 221 Es war auf den Bundessynoden das übliche Verfahren, eine wichtige Vorlage nicht nur in einzelnen Abschnitten zur Abstimmung zu bringen, sondern abschließend noch einmal über den Gesamttext abzustimmen. 222 In einem Gespräch mit den Verf. am 11.5.1994 erinnerte sich de M A I Z I E R E daran, daß das Vorgehen Berdrows beim Präsidium Befremden ausgelöst hatte. Durch die Tatsache, daß Berdrow als Synodale den Antrag Härders nach geheimer Abstimmung, den er als KKL-Mitglied nicht hatte stellen dürfen, aufgenommen hatte, hatte sie sein Ansuchen wieder auf die Tagesordnung gebracht. 223 Laut § 20, Absatz 5, GO: „Auf Antrag eines Synodalen, der von fünf weiteren Mitgliedern der Synode unterstützt wird, muß über einen Antrag geheim abgestimmt werden".
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bezogen wurde.224 Die Synodalen waren sich uneinig in der Frage, ob die entsprechenden Formulierungen der Vorlage als Bevorzugung der Wehrdienstverweigerung angesehen und somit als Gleichsetzung von Wehrdienst und Glaubens ««gehorsam ausgelegt werden könnten. Während einige Mitglieder der Bundessynode eine klare Absage an den Dienst mit der Waffe außerordentlich begrüßt hätten, wehrten andere gerade dies ab. Umstritten war auch die Frage, ob das Bekennen in der Friedensfrage in seiner praktischen Wirkung als verpflichtendes Bekenntnis verstanden werden könnte und ob dies gewollt und erwünscht sei. Diese im Verlauf der Plenardebatte von einem Teil der Synode geäußerten Bedenken hatten unter anderem den von Harder gestellten und von Berdrow aufgenommenen Antrag auf geheime Abstimmung zur Folge, den die Mehrheit der Synodalen ablehnte. Daß dieser Entscheidungsfindungsprozeß innerhalb einer in diesen Fragen zumindest zweigeteilten Bundessynode mit Spannung verfolgt wurde, zeigt insbesondere auch der Versuch eines westlichen Pressevertreters, die Abstimmung zu filmen. Daß die Beschlußvorlage schließlich mit einer sehr stabilen Mehrheit angenommen wurde, ist nicht zuletzt auf gewisse Undeutlichkeiten in den Formulierungen zurückzuführen, die unterschiedliche Auslegungen des Textes ermöglichten. Im Anschluß an diese wichtige Aussprache und die Abstimmungen übernahm Präses Gaebler die Leitung und kündigte die noch zur Annahme ausstehenden vier Vorlagen an: Vorlage 19 („Konziliarer Prozeß"), Vorlage 16 (Brief an die Eingeber betr. „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung"), Vorlage 18 (Über die Durchführung eines Seminars zur Abgrenzungsproblematik), Vorlage 17 (Bericht der KKL). Seichter trug daraufhin für den Unterausschuß des Ausschusses „Friedensfragen" den Sachstandsbericht zum „Konziliaren Prozeß" vor und verlas den erarbeiteten Text.225 Dieser wurde mit einer kleinen Änderung von der Synode mehrheitlich angenommen. 4.5.5 Die Beschlußvorlagen „Brief an die Eingeber" und „ A n t r a g des Tagungsausschusses .Friedensfragen'" ein Seminar „Abgrenzung und Öffnung" Die Beschlußvorlage zu dem Brief an die Eingeber zur Beantwortung ihrer Eingaben wurde von Geisler verlesen.226 Er informierte darüber, daß es zur Abgrenzungsthematik insgesamt 194 Eingaben gegeben habe, wobei 177 (un224 Zu den grundsätzlichen Fragen vgl. man die Problemanalysen und die umfassenden Lit.Angaben bei H.-H. SCHREY: Art. „Krieg IV. Historisch/Ethisch". In: TRE 20 (1990), S. 28-50, und W. HUBER: Art. „Frieden V5. Die Stellung der Kirchen zum Problem des Friedens nach 1945". In: T R E 11 (1983), S. 637-646, sowie O. LINGNER: Friedensarbeit in der Evangelischen Kirche. 225
TYPOSKRIPT, S. 3 1 8 . A b d r u c k in: E P D DOKUMENTATION 4 4 / 8 7 , S. 4 4 , u n d C . DEMKE/M.
FALKENAU/H. ZEDDIES (Hg.): Zwischen Anpassung und Verweigerung, S. 233-234.
2 2 6 TYPOSKRIPT, S. 3 1 9 - 3 2 0 ; vgl. D o k . 3 / 4 . A b d r u c k des Beschlusses in: E P D DOKUMENTATION 4 4 / 8 7 , S. 5 1 - 5 2 , u n d C . DEMKE/M. FALKENAU/H. ZEDDIES ( H g . ) : Z w i s c h e n A n p a s s u n g
und Verweigerung, S. 375-377.
Dienstag, 2 2 . S e p t e m b e r 1 9 8 7
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terzeichnet von 428 Personen) zustimmenden und 17 (unterzeichnet von 19 Personen) ablehnenden Inhalts gewesen seien. Die befürwortenden Eingaben seien aus allen Teilen der D D R gekommen. Dabei habe es Gebiete mit stärkerer Beteiligung und auch Gebiete mit sehr wenigen Eingaben gegeben. Das Altersspektrum sei sehr breit gefächert gewesen. Bei etwa einem Drittel der Eingaben sei der ursprüngliche Antrag mit zusätzlichen Gedanken bereichert und die Haltung der Eingeber sehr genau begründet worden. - Präses Gaebler stellte den Bericht Geislers und die dazugehörige Vorlage 16 zur Aussprache. Den Zeitdruck, unter dem die Diskussion stehe, und die Reduzierung der Aussprache auf den Antwortbrief bedauerte Bischof Stier. Er warnte vor unscharfen Formulierungen, um Mißverständnisse zu vermeiden. Die Synode müsse die Zwischentöne mithören, um einschätzen zu können, wie der Brief bei Menschen ankommen könnte, die auf unterschiedliche Weise mit dem Problem „Abgrenzung" konfrontiert seien. Es müsse ferner bedacht werden, daß Bundessynodale insofern zu den Privilegierten gehörten, als sie zum größten Teil die Möglichkeit zu Westreisen hätten. Stier plädierte weiter für ein separates Schreiben an die 17 ablehnenden Eingeber, zumal auch ihrem Anliegen, die .»Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" abzulehnen, von der Bundessynode nicht konkret entsprochen worden sei. Zur Frage des Zeitpunkts, eine derartige Absage zu beschließen, sagte Stier: „Aber wann wäre je die Zeit, diese Forderungen öffentlich zu thematisieren? Christen brauchen ja nicht zu sehr Diplomaten zu sein, zum Glück nicht." 227 Als Christ müsse man bereit sein, für die christliche Lebensform die Konsequenzen zu tragen, auch wenn es die eigene Karriere beträfe. Passauer sprach daraufhin noch einmal für den Unterausschuß „Friedensfragen" und betonte, die problematische Gemengelage im Ausschuß sei durch die Tatsache, mit nur einem einzigen Brief auf verschiedenste Eingaben antworten zu müssen, noch erschwert worden. Gaebler bat Passauer nach diesem Votum, nun die Vorlage 18 einzubringen. Mit dem Verlesen der Vorlage 228 kündigte Passauer ein Seminar zum Thema „Abgrenzung und Öffnung" für spätestens Januar 1988 an. Einzuladende seien: Eingeber, K K L und BEK-Sekretariat. Mit der Vorbereitung des Seminars sei das Präsidium beauftragt. Die Berlin-Brandenburgische Synode solle um Mithilfe gebeten werden. Fünf Gründe hätten den Unterausschuß bewogen, ein solches Seminar einzuberufen: 1. M i t e i n a n d e r zu reden sei sinnvoller, als Briefe zu schreiben. 2. D a s S e m i n a r fördere den D i a l o g zwischen Synode, G e m e i n d e g l i e d e r n u n d G r u p pen. 3. D i e große Zahl von E i n g a b e n u n d Unterschriften zeige, daß sich viele M e n s c h e n engagierten.
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TYPOSKRIPT, S . 3 2 1 .
Ebd., S. 322f. Vorlage 12 beinhaltete den Antrag des Tagungsausschusses „Friedensfragen", ein Seminar zum Thema „Abgrenzung und Öffnung" durchzuführen. 228
142 Der Verlauf der Bundessynode in Görlitz vom 18. bis 22. September 1987 4. Die Bundessynode könne im Rahmen ihrer Tagung nicht umfassender an der Thematik arbeiten. 5. Unklarheiten und Rückfragen zum Antwortbrief könnten beim Seminar geklärt werden.
4.5.6 Die Aussprache zum „Brief an die Eingeber" und das Seminar „Abgrenzung und Öffnung" Im Anschluß eröffnete Hertzsch mit dem Hinweis auf das Problem, in sehr begrenzter Zeit einen solchen Text erstellen zu müssen, die Aussprache zu den beiden Vorlagen. Hertzsch unterschied zwischen „sinnvollen" und „falschen" Abgrenzungen. 229 Zur Frage, ob der Abgrenzungsantrag im richtigen Moment gestellt werde, sagte er, daß die Abgrenzungsproblematik kein Thema sei, bei dem man „aufschreien"230 müsse, das aber Unterstützung finden sollte. Hirsch brachte zum Ausdruck, daß der Anspruch, die Erwartungen aller Eingeber befriedigen zu wollen, nahezu unerfüllbar sei. Enttäuscht über den Brief zeigte sich AJbani, obwohl sie selbst an dessen Ausformulierung mitgearbeitet habe. Sie sagte: „Ich denke, daß eine deutlichere Bezugnahme auf das Anliegen, das aus den Eingaben zu diesem Antrag spricht, von dieser Synode zu erwarten gewesen wäre. Ich denke, daß bereits in der Diskussion am Freitag davon zu wenig zu spüren war. Ich habe eigentlich fast ausschließlich Ablehnung gespürt. Ich weiß nicht genau, was für Gründe dafür gesprochen haben." 231
Demgegenüber befand Dittmer, daß der Brief nur als „Zwischennachricht" zu werten sei, und dem Seminar als Gesprächsforum der höhere Stellenwert zukomme. Schorlemmer lobte die Antwort an die Eingeber: „Ich habe den Eindruck, daß die Synode sich mit diesem Brief nicht abgrenzt, sondern sich wirklich öffnet." 232 Für die Erwähnung des tatsächlichen Zahlenverhältnisses der unterstützenden zu den ablehnenden Eingaben (177:17) in dem Brief sprach sich der Jugenddelegierte Udo Hanke aus. Kramer betonte, daß es auf keinen Fall um die Alternative gehe, den Brief entweder in der vorliegenden Form zu beschließen oder überhaupt keinen Brief zu versenden. Im Falle einer Ablehnung der Vorlage durch die Bundessynode müsse das Präsidium seine Verantwortung gegenüber den Eingebern wahrnehmen und eine Einzelbeantwortung angehen. Kramer regte das Präsidium der Synode an, in der Tagesordnung für die Synodaltagung 1988 rechtzeitig ausreichend Platz für die Abgrenzungsproblematik einzuräumen. Zudem forderte er einen ausführlichen Bericht auf der kommenden Synode über Verlauf und Auswirkungen des Abgrenzungsseminars. „Ziel ist es nicht, im nächsten Jahr dann ein Papier zu ha229
TYPOSKRIPT, S . 3 2 3 .
230
Ebd., S. 324. Ebd. Ebd., S. 325.
231 232
143
Dienstag, 22. September 1987
ben, was heute erwünscht wird, sondern einen nächsten Schritt zu tun, weil möglicherweise das Thema uns noch nicht losläßt."233 In seinem auf Kramers Beitrag folgenden Schlußwort wandte der Berichterstatter Geisler ein, daß im Grunde durch den Brief den 17 Gegen-Eingebern entsprochen worden sei, da die Synode keine Entschließung gegen Praxis und Prinzip der Abgrenzung verabschiedet habe, sondern nur eine Anregung aufgenommen und das Seminar als Ausweichmöglichkeit angeboten habe. Er verwies noch einmal auf den Faktor Zeit und betonte, daß in den anderthalb Tagen vom Ausschuß nicht mehr geleistet werden konnte. 234 Bei der Abstimmung über die Vorlage 16 votierte die Mehrheit mit Ja; es gab keine Gegenstimmen und nur zwei Enthaltungen. Der Jugenddelegierte Hanke rief daraufhin die Synode als einladendes Gremium dazu auf, möglichst zahlreich an dem geplanten Seminar zur Abgrenzungsproblematik teilzunehmen. In seiner Funktion als Berichterstatter erläuterte Passauer schließlich die Vorüberlegungen für das Seminar. Der Zweck des Seminars sei ein gemeinsames Gespräch und die Sacharbeit von Eingebern und Bundessynode. Es sei als geschlossenes Seminar für vom Präsidium Eingeladene gedacht. Teilnehmer sollten Einzeleingeber und Delegierte von Eingabenkollektiven235 sein. Die Teilnehmerzahl werde etwa bei 200 liegen. Das Präsidium setze eine Vorbereitungsgruppe mit zusätzlichen Vertretern der Synode Berlin-Brandenburgs ein. Der Tagungsort236 werde noch vom Präsidium festgelegt, als Termin sei - um Teilnehmern aus der ganzen D D R die teilweise lange Anreise zu ermöglichen — ein Samstag zwischen 10 und 16 Uhr vorgesehen. Bei der anschließenden Abstimmung wurde die Vorlage 18 mit vier Gegenstimmen und einigen Enthaltungen angenommen. Für den Berichtsausschuß brachte danach Semper Vorlage 17 (KKL-Bericht)237 ein. Gaebler schlug der Synode vor, die Aussprache in zwei Teilen zu führen, gab aber vorher die Gelegenheit, zum Gesamtpapier Stellung zu beziehen. Nachdem Große und Kra-
233
Ebd., S. 3 2 6 . Ebd., S. 3 2 6 f . Interessant ist, d a ß aus Sicht der Initiatoren der .Aufrisse", Bickhardt, L a m p e u n d M e h l h o r n , das A n g e b o t , ein Seminar . A b g r e n z u n g u n d Ö f f n u n g " zu veranstalten, w e n i g e r negativ u n d vielmehr als angemessene M ö g l i c h k e i t z u m Dialog e m p f u n d e n w u r d e ( G e s p r ä c h BICKHARDT m i t d e n Verf. a m 1 6 . 6 . 1 9 9 4 , G e s p r ä c h LAMPE m i t d e n Verf. a m 4 . 7 . 1 9 9 4 u n d G e spräch MEHLHORN m i t d e n Verf. a m 3 0 . 5 . 1 9 9 4 ) . 235 Einige Eingaben w u r d e n von einer Reihe von Personen unterzeichnet. Diese U n t e r z e i c h n e n d e n w u r d e n „Eingabenkollektive" g e n a n n t . 236 I m G e s p r ä c h m i t d e n Verf. am 1 1 . 5 . 1 9 9 4 berichtete de MAIZI^RE, d a ß das Präsidium b e w u ß t e i n e n Tagungsort a u ß e r h a l b der D D R - H a u p t s t a d t gewählt habe, u m zu v e r h i n d e r n , d a ß westliche Pressevertreter — die in der Regel n u r f ü r Berlin akkreditiert waren - d u r c h ihre T e i l n a h m e d e n Klausurcharakter des Seminars beeinträchtigten. Nach E n d e der Synode verständigte m a n sich auf O r a n i e n b u r g , das trotz seiner N ä h e zu Berlin z u m Bezirk P o t s d a m gehörte. 234
237
TYPOSKRIPT, S. 3 2 8 - 3 3 1 ;
Abdruck
in: E P D
DOKUMENTATION 4 4 / 8 7 ,
S.
19-21,
C . D E M K E / M . FALKENAU/H. ZEDDIES ( H g . ) : Z w i s c h e n A n p a s s u n g u n d V e r w e i g e r u n g , S. 227.
und 222-
144 Der Verlauf der Bundessynode in Görlitz vom 18. bis 22. September 1987 mer auf redaktionelle Fehler aufmerksam gemacht hatten, wurde der Vorlage 17 bei einer Enthaltung entsprochen. Im Anschluß kündigte Präses Gaebler das Ende der Tagesordnung an und erteilte Kirchenpräsident Natho das Wort. Natho lud die Synode im Namen der Landeskirche von Anhalt zur 4. Tagung der V. Synode des BEK nach Dessau ein (September 1988). In seiner Abschiedsansprache dankte Gaebler Teilnehmern, Helfern und Gastgebern und betonte: „[Die Synode] enthielt lange Geplantes, teilweise auch Uberraschendes, dem wir uns zu stellen hatten [...]. Möge über [...] den Beschlüssen dieserTagung, wie immer sie bewertet werden und wie immer sie vor unseren Gemeinden bestehen können, dieses Loben und diese Mahnung nicht vergessen werden."238
Die Synodaltagung Schloß mit einem Gebet am 22. September 1987 um 16.30 Uhr.
238
Typoskript, S. 332f.; Gaebler hatte vorher Verse aus Psalm 103 gelesen.
5. DIE UNMITTELBARE N A C H G E S C H I C H T E DER BUNDESSYNODE IN GÖRLITZ 1987
5.1 Kirchliche
Reaktionen
5.1.1 Das Präsidium der Bundessynode Auf der ersten Präsidiumssitzung nach der Görlitzer Synode am 8. Oktober 1987 in Berlin1 wurde unter dem Tagesordnungspunkt ,.Allgemeines Gespräch" eine Bilanz zur Synodaltagung gezogen. Das Präsidium stellte fest, daß sich die Qualität der Plenardiskussionen gesteigert habe. Mit dem Synodenbeschluß „Bekennen in der Friedensfrage"2 sei ein langer Arbeitsprozeß abgeschlossen worden. 3 Der „geistliche Prozeß der Rezeption dieses Synodalbeschlusses" müsse nun in Gang gesetzt werden. 4 Das Sekretariat hatte bemängelt, daß die Vorlage zum Beschlußantrag „Bekennen in der Friedensfrage" den Mitgliedern des Vorstands und der KKL bis zum Beginn der Tagung der Bundessynode nicht bekannt gewesen war. Das Präsidium begründete dies nachträglich mit seiner vorab getroffenen Entscheidung, den Vorstand der KKL durch den Präses über Aufbau und Inhalt der Vorlage zu informieren, die Vorlage „Bekennen in der Friedensfrage" selbst aber erst als Tischvorlage in Görlitz zu verteilen, weil diese „ein Arbeitsergebnis eines Synodalausschusses" gewesen sei. Der Synodenreferent Riese informierte über grundsätzliche Schwierigkeiten, die es bei der Verteilung von Vorlagen und Beschlußvorlagen an nichtgeladene Gäste der Synodaltagung gegeben habe. Er bat das Präsidium darum, vor der nächsten Tagung in Dessau eine Grundsatzentscheidung über den Umgang mit Synodenmaterial zu treffen. In diesem Zusammenhang diskutierte das Präsidium über die „Beschwernisse der Mitglieder des Präsidiums im Umgang mit der Abgrenzungsmaterie". 5 Bemängelt wurde dabei vor allem, daß es über die Entscheidung, ein Seminar zur Abgrenzungsthematik zu veranstalten, zuvor keine Verständigung und Abstimmung im Präsidium gegeben habe. Das sei besonders bedauerlich, „weil in der Plenarabstimmung dann die unterschiedli1 Vgl. Sekretariat des BEK. Riese. Berlin, 2 . 1 1 . 1 9 8 7 : Protokoll (Konzept) der Präsidiumssitz u n g v o m 8 . 1 0 . 1 9 8 7 in Berlin. A n w e s e n d : Alle f ü n f Präsidiumsmitglieder sowie Riese ( E Z A BERLIN, 1 0 1 / 9 3 / 2 0 8 ) . 1
A b d r u c k als D o k . 4 im A n h a n g . Vgl. Kap. 1.1 u n d O . LINGNER: Friedensarbeit in der Evangelischen Kirche. D o r t findet die Görlitzer B u n d e s s y n o d e wiederholt E r w ä h n u n g (S. 4 - 8 , 1 4 1 - 1 4 5 , 1 4 7 - 1 5 7 , 1 6 5 - 1 6 8 ) . 4 Protokoll der Präsidiumssitzung v o m 8 . 1 0 . 1 9 8 7 , S. 1. 5 E b d . , S. 2. 3
146
Die unmittelbare Nachgeschichte der Bundessynode in Görlitz 1987
chen M e i n u n g e n der Mitglieder des Präsidiums zu dieser Problematik deutlich" geworden seien. D a s Präsidium k a m überein, daß jedes Präsidiumsmitglied „selbstverständlich zu Sachfragen im P l e n u m " Stellung beziehen dürfe. Dies gelte j e d o c h nicht für die „Aussprache über Verfahrensfragen (Überweis u n g von E i n g a b e n u n d Anträgen), über die sich das Präsidium vorher verständ i g t " habe. 6 Es wurde ferner berichtet, daß sich Mitglieder der B u n d e s s y n o d e über den Beschluß „Als G e m e i n d e leben" 7 enttäuscht gezeigt hätten. D i e Eingabenflut i m Z u s a m m e n h a n g mit d e m Falcke-Antrag u n d die „ E r f a h r u n g e n mit der Verteilung des Papiers A u f r i s s e ' " wurden als S y m p t o m einer neuen „Polarisierung zwischen verfaßter Kirche u n d G r u p p e n " gewertet. 8 D i e „qualifizierte u n d differenzierte Plenaraussprache" z u m heftig umstrittenen Antrag „Absage an Praxis u n d Prinzip der A b g r e n z u n g " wurde lobend erwähnt, als „beschwerlich" waren hingegen die „langwierigen Geschäftsordnungsdebatten zur Uberweis u n g dieses A n t r a g s " erlebt worden. 9 Aufgefallen war des weiteren, daß die Tag u n g der B u n d e s s y n o d e in der Görlitzer Öffentlichkeit k a u m Widerhall gefunden habe. 1 0 Aus diesem G r u n d beschloß das Präsidium, in Z u k u n f t bei der Vorbereitung von Synodaltagungen für mehr Resonanz a m T a g u n g s o r t zu sorgen. Bei der Aussprache über die „Realisierung der Beschlüsse" erachtete es das Präsidium als besonders wichtig, die Rezeption des Synodenbeschlusses „Bekennen in der Friedensfrage" für die Vorbereitung der Ö k u m e n i s c h e n Vers a m m l u n g in der D D R 1 1 in „Kreissynoden, Mitarbeiterkonventen u n d G e m e i n d e n " zu fördern. 1 2 Ebd. Der Synodenbeschluß zur „Vorbereitung der Synodaltagung 1988" (Thema: „Als Gemeinde leben") ist abgedruckt in: EPD DOKUMENTATION 44/87, S. 54. 8 Protokoll der Präsidiumssitzung vom 8.10.1987, S. 2. Vgl. auch J. GARSTECKI: Selbstorganisationspotentiale der DDR-Gesellschaft, vor allem S. 56. Bezüglich des wechselhaften Verhältnisses zwischen Kirche und Gruppen kommt Garstecki zu folgender Einschätzung: „Die evangelischen Kirchen haben die Selbstorganisationsfahigkeit der Gruppen im Umfeld der Kirchen sowohl gefördert als auch behindert. Sie haben sie gefördert, indem sie den Gruppen einen Ort der Aussprache und begrenzten Artikulation gaben; sie haben sie behindert, indem sie die Subjekte des Handelns gerade dadurch kontrolliert und .enteignet' haben" (Ebd.). Vgl. auch E. NEUBERT: Sozialethische und charismatisch-evangelikale Gruppen; H. ZEDDIES: Kirche nach der Wende, S. 444f.; D. POLLACK: Der Umbruch in der DDR, S. 68-72. 9 Protokoll der Präsidiumssitzung vom 8.10.1987, S. 2. 10 Dies stand im Widerspruch zu dem breiten Echo, das die Bundessynode allgemein in den östlichen und westlichen Medien gefunden hatte. 11 Innerhalb der SED wurde gerade dieser Veranstaltung wegen ihrer möglichen Öffentlichkeitswirksamkeit mit besonderer Besorgnis entgegengesehen (Gespräch KRAUSSER mit den Verf. am 30.1.1995). Die Ökumenische Versammlung hatte tatsächlich eine außerordentlich große Bedeutung - auch für die gesellschaftspolitische Entwicklung in der DDR. Vgl. E. NEUBERT: Sozialethische und charismatisch-evangelikale Gruppen, v.a. S. 311 f., sowie J. GARSTECKI: Ökumenische Versammlung in der DDR; KIRCHENAMT DER EKD (Hg.): Ökumenische Versammlung; G. KRUSCHE: Das ökumenische Engagement, S. 153f. 12 Protokoll der Präsidiumssitzung vom 8.10.1987, S. 3. 6 7
Kirchliche Reaktionen
147
Z u m Beschluß der Synode, ein Seminar zum Thema „Abgrenzung und Öffnung" zu veranstalten, legte das Präsidium fest, wer um die Mitarbeit in der Vorbereitungsgruppe zum Seminar gebeten werden sollte: Cynkiewicz, de Maiziere und eventuell Gaebler als Präsidiumsmitglieder, der Referent der Theologischen Studienabteilung, Garstecki, und die Synodalen Zimmermann, Passauer, Große, König und Geisler. Außerdem solle der Präses der Evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg zwei seiner Synodalen für die Mitarbeit nominieren. Das Seminar solle außerhalb von Berlin stattfinden; die Teilnehmer müßten für ihre Reisekosten möglichst selbst aufkommen. Zur Veranstaltung könnten „ca. 20 Synodale, 5 Vertreter des Sekretariats und 5 geborene Mitglieder der KKL" eingeladen werden. Als vorläufiger Termin wurde der 16. Januar 1988 genannt. 13 Bezüglich der „Medienbeteiligung" begrüßte das Präsidium auch nach der Tagung die Anmeldung des DDR-Fernsehen, bedauerte jedoch zugleich, daß das Team der Aktuellen Kamera nur die Eröffnung der Synode mitgeschnitten hatte. Riese informierte das Präsidium über „sein ausfuhrliches Gespräch mit dem verantwortlichen Redakteur". 14 Vermutlich als Folge der Auseinandersetzungen um die Auslegung der Geschäftsordnung auf der Bundessynode vereinbarte das Präsidium, „unmittelbar vor der nächsten Synodaltagung die Handhabung von Geschäftsordnungsanträgen in Plenarsitzungen" gründlich zu beraten. Für das Zusammentreffen mit den synodalen Mitgliedern der KKL am 6. November 1987 plante das Präsidium dann „ein ausführliches Gespräch" zur Auswertung der Görlitzer Bundessynode. Riese wurde beauftragt, den Leiter des BEK-Sekretariats zu dieser Begegnung einzuladen, um das Präsidium über die staatlichen Reaktionen zu informieren. 15 Die Vorbereitungsgruppe zum Abgrenzungsseminar traf sich erstmals Anfang November 1987. 16 Als verbindlicher Termin für das Seminar wurde der 16. Januar 1988, 10.00 bis 16.00 Uhr vereinbart. Dabei wurde der Kreis der Personen, die zu dem Seminar eingeladen werden sollten, folgendermaßen festgelegt: alle Mitglieder der Bundessynode sowie „alle geborenen Mitglieder der Konferenz der Ev. Kirchenleitungen". Des weiteren sollten alle Referenten des BEK-Sekretariats und „3 weitere Synodale (neben den Mitgliedern in der Vorbereitungsgruppe)" von der Berlin-Brandenburgischen Synode zur Teilnahme aufgefordert werden. 17 Übereinstimmung herrschte in der Vorbereitungsgruppe darüber, daß Pressevertretern der Zutritt verwehrt werden solle, 13
Ebd., S. 4. Ebd., S. 5. Der Inhalt dieses Gesprächs wird im Protokoll nicht wiedergegeben. 15 Protokoll der Präsidiumssitzung vom 8.10.1987, S. 7. 16 Sekretariat des BEK. Riese. Berlin, 19.11.1987: Vermerk über die Sitzung der Vorbereitungsgruppe z u m Seminar „Abgrenzung u n d Ö f f n u n g " , S. 1. Anwesend: Cynkiewicz, Geisler, König, Kupas, de Maiziere, Passauer, Z i m m e r m a n n , Fischbeck, Riese (EZA BERLIN, 1 0 1 / 9 3 / 2 0 8 ) . 17 Ebd. 14
148
Die unmittelbare Nachgeschichte der Bundessynode in Görlitz 1987
weil es sich bei dem Seminar um eine „nichtöffentliche Veranstaltung der Synode des Bundes" handele.18 Die Veranstaltung solle in Oranienburg durchgeführt werden. Als mögliche Alternativen wurden Leipzig und Berlin offengehalten. De Maiziere wies noch einmal darauf hin, daß pro Eingabe nur eine Person eingeladen werden könne, insgesamt werde mit 250 Teilnehmern gerechnet. Die Vorbereitungsgruppe umschrieb die Zielsetzung des Abgrenzungsseminars aus ihrer Sicht folgendermaßen: Das Seminar eröffne der Synode die „Möglichkeit, den Eingebern umfassend zu antworten und den Brief zu erläutern". Den Eingebern werde die Gelegenheit gegeben, die „Hintergründe für ihre Eingaben und ihre Interessen" zu verdeutlichen und das auf den Plenarsitzungen in Görlitz begonnene „Sachgespräch zur Sachproblematik" fortzusetzen." Den Ablauf des Seminars stellte sich die Vorbereitungsgruppe in folgender Form vor: Auf eine zirka einstündige Plenumssitzung sollten etwa neunzigminütige Gruppengespräche folgen; den Abschluß könnten „Berichte aus den Gruppen im Plenum (etwa 60 Minuten)" bilden. Es wurde vereinbart, vor den geplanten Gruppengesprächen „gezielt Gesprächsbeiträge aus verschiedenen Positionen" zu präsentieren. Um den gewünschten Verlauf zu gewährleisten, beschloß die Vorbereitungsgruppe, daß aus den Einladungsschreiben Struktur und Planung des Seminars klar hervorgehen müßten. 20 Zu Irritationen auf seiten des Präsidiums kam es, weil Mehlhorn, einer der Initiatoren des Abgrenzungsantrags, von sich aus Einladungen an verschiedene Gruppen und Personen im Umfeld des Abgrenzungsantrags geschickt hatte. So hatte er die Autoren der „Aufrisse", die Unterzeichner der Eingabe an die Berlin-Brandenburgische Frühjahrssynode und den Gemeindekirchenrat der Berliner Bartholomäusgemeinde genau über das Seminar „Abgrenzung und Öffnung" informiert und sie gebeten, „ihr Interesse zur Teilnahme am Seminar dem Präsidium der Synode mitzuteilen".21 Gleichzeitig hatte Mehlhorn angemerkt, daß das Präsidium der Synode über diesen Brief informiert sei. Dies hatte de Maiziere zu einer Intervention bei Mehlhorn veranlaßt, zumal bei den Adressaten nach Meinung de Maizieres der Eindruck entstanden sein müsse, als hätte Mehlhorn „das Präsidium über diesen Brief vorher informiert und das Einverständnis hergestellt. Dem ist nicht so".22 De Maiziere wies daraufhin, daß die Teilnahme an dieser „geschlossenen Veranstaltung der Synode des Bundes" nur mit einer offiziellen Einladung möglich sei. 18 Ebd. Das Seminar in dieser Form abzuschütten, war von Anfang an Absicht des Synodenpräsidiums gewesen (Gespräch de MAIZIERE mit den Verf. am 11.5.1994). KRAUSSER berichtete den Verf. am 30.1.1995, daß man im ZK der SED allein den Beschluß der Bundessynode, über die Abgrenzungsproblematik zu reden, als besonders gefährlich empfunden habe, weil damit die Gefahr einer Verbreitung der Abgrenzungsdiskussion verbunden war. 19 Vermerk über die Sitzung der Vorbereitungsgruppe, S. 2. 20 Ebd. 21
Schreiben d e Maiziere an M e h l h o r n v o m 1 5 . 1 2 . 1 9 8 7 , S. 2 ( E Z A BERLIN, 1 0 1 / 9 3 / 8 4 4 ) .
22
Ebd. Hervorhebung im Original.
Kirchliche Reaktionen
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Bei der nächsten Sitzung des Präsidiums am 8. Januar 1988 informierte Gaebler dann über die Einschätzung der Görlitzer Bundessynode auf der 114. Tagung der KKL. 2 3 Schwerpunkt in der Diskussion über Gaeblers Bericht waren die Gespräche beim Staatssekretär für Kirchenfragen zur Bewertung der Bundessynode aus staatlicher Sicht. Unter dem Tagesordnungspunkt „Eingabenbeantwortung" nahm das Präsidium zur Kenntnis, daß sich der „Arbeitskreis Solidarische Kirche" 24 von dem Synodenbeschluß zur „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" enttäuscht gezeigt habe, da die im Beschluß der Synode zusammengefaßten Argumente nicht überzeugend gewesen seien. Der Arbeitskreis erwartete nun im Hinblick auf das Oranienburger Abgrenzungsseminar, „daß die Gespräche während des Seminars ,Öffnung und Abgrenzung' so ernst genommen und konstruktiv geführt werden, daß auf der nächsten Tagung der Bundessynode diese Absage vollzogen werden kann". 25 Riese hatte nach Rücksprache mit Gaebler dem Arbeitskreis mitgeteilt, daß das Oranienburger Seminar eine Möglichkeit zum Dialog zwischen Synodalen und Eingebern schaffen solle. Z u m Tagesordnungspunkt „Vorbereitung des Seminars »Abgrenzung und Öffnung'" legte der Synodale Noack den Präsidiumsmitgliedern seinen — aus der Perspektive eines Bundessynodalen verfaßten — Redebeitrag für das Seminar vor. Insgesamt hatte sich das Präsidium sehr zufrieden mit dem Synodenbeschluß „Bekennen in der Friedensfrage" gezeigt, obwohl das Vorgehen des Synodenpräsidiums, die Vorlage zu diesem Beschluß erst auf der Tagung in Görlitz dem KKL-Vorstand und der K K L zugänglich zu machen, Mißfallen ausgelöst hatte. Intern hatte das Präsidium in diesem Zusammenhang die eigene Uneinigkeit - vor allem in den Plenaraussprachen - im Umgang mit dem Abgrenzungsthema und der Entscheidung über die Veranstaltung des Oranienburger Seminars kritisiert. Diese Kritik ist insofern aufschlußreich, als gerade die Behandlung des Falcke-Antrags und der „Aufrisse" das Schwerpunktthema bei der Vorbereitung der Synode durch das Präsidium gewesen war. Gerade weil das Präsidium sich vor der Synode über die Regelung von Verfahrensfragen, zum Beispiel die Überweisung von Anträgen, einig gewesen war, waren die langen Debatten über die Geschäftsordnung als unangenehm empfunden worden. Aus der Präsidiumskritik - vor allem an eigenen Mitgliedern - wird deutlich, daß der Wunsch vorherrschte, nicht nur als Präsidium der Synode geVgl. Kap. 5.1.2, S. 1 5 1 - 1 5 4 . Der erst 1987 gegründete „Arbeitskreis Solidarische Kirche" war innerhalb des Spektrums der Gruppen insofern eine Ausnahme, als er mit „DDR-weit 5 0 0 - 6 0 0 Mitgliedern" über eine außerordentlich große Zahl von Mitgliedern verfügte. Vgl. D. POLLACK: Kirche zwischen inszenierter Öffentlichkeit und informellen Kommunikationszusammenhängen, S. 46. 25 Sekretariat des BEK. Riese. Berlin, 25.1.1988: Protokoll (Konzept) der Präsidiumssitzung vom 8 . 1 . 1 9 8 8 in Berlin, S. 4. Anwesend: Alle Präsidiumsmitglieder sowie Riese und zeitweilig Noack (EZA BERLIN, 101/93/844). 23 24
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Die unmittelbare Nachgeschichte der Bundessynode in Görlitz 1987
schlossen aufzutreten, sondern auch in den Debatten des Plenums möglichst einen Standpunkt zu vertreten. Dies erklärt eine gewisse Empfindlichkeit, die das Präsidium bei der Organisation des Abgrenzungsseminars gegenüber jener kleinen „Eigenmächtigkeit" Mehlhorns gezeigt hatte, Eingeber im Umfeld des Falcke-Antrags zu ermuntern, ihr Interesse am Oranienburger Seminar gegenüber dem Präsidium kundzutun. Das Präsidium der Bundessynode hatte weder vor noch nach der Tagung großes Interesse daran gezeigt, einen Beschluß zur Abgrenzungsthematik herbeizuführen, sah sich jedoch durch die Abgrenzungsdebatte mit einer neuen Polarisierung zwischen der Kirche u n d bestimmten Gruppen konfrontiert u n d mußte sich erst noch schlüssig werden, wie man auf diese neue Situation künftig reagieren solle.26 5.1.2 Die Konferenz der Kirchenleitungen Eine erste Auswertung der Bundessynode fand auf der Sitzung des KKL-Vorstands am 15. Oktober 1987 in Leipzig27 statt. Dabei nannte Gaebler fünf Schwerpunkte zur Bewertung der Synode: -
-
Die Tagung habe sich ausgezeichnet durch eine „offene Aussprache, die sachlich war und eine geschlossene Haltung durch Konferenz und Synode erkennen ließ". Zwischen verfaßter Kirche und Gruppen sei eine „neue Polarisierung" zu erkennen. 28 Einerseits behaupteten die Gruppen, sich nicht unter das Dach der Kirche flüchten zu wollen, andererseits seien die .Aufrisse" ohne Genehmigung auf der Synode verkauft worden. An der zentralen Beschlußfassung zum „Bekennen in der Friedensfrage" sei ein „geistliches Zusammenwachsen der Gliedkirchen" zu erkennen. Auffällig sei das Interesse in den Gliedkirchen an den Beschlüssen der Görlitzer Synode. Über die Reaktionen auf die Synode von Seiten des Staates werde Ziegler die KKL informieren.
Bei der anschließenden Diskussion berichteten die Vorstandsmitglieder von Reaktionen aus dem Staatssekretariat für Kirchenfragen und aus der C D U auf 26
Vgl. D. POLLACK: Der Umbruch in der DDR, S. 58-60; E. NEUBERT: Gruppen in der Kirche, S. 309-312. 27 Sekretariat des BEK. Kupas. Berlin, 20.10.1987: Protokoll (Konzept) der KKL-Vorstandssitzung vom 15.10.1987 in Leipzig. Anwesend: - Vorstand: Leich, Stolpe, Gaebler, Salinger, Ziegler. - Sekretariat: Lewek. - Gäste: Winter (EZA BERLIN, 101/93/249). 28 Daß das Verhältnis zwischen BEK und „Gruppen" in dieser Zeit alles andere als spannungsfrei war, zeigt die Reaktion Zieglers auf eine Bitte des SPD-Bundestagsabgeordneten Schmude. Dieser hatte Ziegler in einem Schreiben vom 24.9.1987 gebeten, ein Zusammentreffen zwischen Vertretern von kirchlich orientierten DDR-Friedensgruppen und einigen Abgeordneten der SPD-Bundestagsfraktion zu organisieren. Ziegler verfaßte am selben Tag folgenden hsl. Vermerk für C. Lewek: „Ich habe es mir überlegt: Wir lassen die Finger davon. Wenn wir Vermittlung übernehmen, machen wir die Gruppenleute nur noch mehr hoffähig. Das kleinere Übel ist es, wenn wir Bln.Brdbg. machen lassen, was sie sowieso ständig tun, aber nicht noch mit unserer Unterstützung" (EZA BERLIN, 101/93/815).
Kirchliche Reaktionen
151
die Bundessynode. Der Vorstand plante, das Verhältnis zwischen Kirche und Gruppen als Thema für die nächste Klausurtagung 29 vorzuschlagen. Wichtig sei es auch, das Verhältnis zwischen K K L und Bundessynode zu überdenken. Das Präsidium der Bundessynode ließ mitteilen, daß es die „fehlende bzw. lokkere kirchliche Bindung eines Jugenddelegierten" zum Anlaß nehmen werde, um bei der Auswahl von Jugenddelegierten für die VI. Bundessynode „größere Sorgfalt an den Tag zu legen und entsprechende Kriterien vorzugeben". 30 Im weiteren Verlauf der Vorstandssitzung wurde zu folgenden Fragen Stellung bezogen: -
D a s Sekretariat hatte ein Papier erstellt, das die „Weiterarbeit von O r g a n e n u n d G r e m i e n des B u n d e s a u f g r u n d der anläßlich der B u n d e s s y n o d e gefaßten Beschlüsse" vorsah. Dieses Papier sollte den K K L - M i t g l i e d e r n zugeleitet werden.
-
G a e b l e r informierte über den Beschluß des Präsidiums, zur D u r c h f ü h r u n g des A b g r e n z u n g s s e m i n a r s eine Vorbereitungsgruppe „aus Mitgliedern des Präsidiums der Synode, der T h e o l o g i s c h e n Studienabteilung, des Sekretariats, der K o n f e r e n z u n d der Berlin-Brandenburger S y n o d e " zu bilden. Es sollten gezielt personengeb u n d e n e E i n l a d u n g e n verteilt werden. 3 1
Am 6-/7. November 1987 beriet die KKL 3 2 über die Nachwirkungen der Bundessynode, wobei Gaebler seine bereits auf der Leipziger KKL-Vorstandssitzung 33 vorgetragenen fünf Schwerpunkte wiederholte. In der folgenden Diskussion wurde der Beitrag des KKL-Mitglieds Harder in Görlitz zu der Vorlage „Bekennen in der Friedensfrage" als Indikator für das „Verhältnis der Konferenz zu ihren synodalen Mitgliedern und umgekehrt" gewertet. Es herrsche ein Mangel an Überlegungen zur Perspektive des Bundes. In den Leitungsgremien der verschiedenen Gliedkirchen habe es auf „Bekennen in der Friedensfrage" „sehr heftige Reaktionen bis hin zum Widerspruch gegeben, der Bund hat den Gliedkirchen hier keinen Dienst erwiesen". 34 Insgesamt wurde es aber als „gewaltiges Erlebnis" beschrieben, mit anderen „gemeinsam zu denken und zu 29 Diese KKL-Klausurtagung fand vom 11. bis 13.3.1988 in Buckow s a t t . Vgl. E P D DOKUMENTATION 17/88 sowie R. HENRYS: Wenig Zukunftsweisendes. 30 KKL-Vorstandssitzung vom 15.10.1987, S. 1. 31 Ebd., S. 2. 32 Protokoll (Konzept) der 114. Tagung der K K L am 6./7.11.1987 in Berlin. Ritter. [Ohne Ort, ohne Datum.] Anwesend: - Mitglieder: Adolph, Demke, Domke, Forck, Gaebler, Gienke, Große, Hempel, Kirchner, Kramer, Leich, P. Müller, Noack, Nollau, Passauer, Rogge, Salinger, Schindler (für Natho), Schlichter (für Domsch), J. Schmidt, S. Schulze, Seichter, Stier, Stolpe, C. Müller (beratend), Ziegler (beratend). — Berater: Koltzenburg (für Petzold). — Ständige Gäste: Winter, Zeddies. - Sekretariat: Grengel, Günther, Kupas, Lewek, Riese, Ritter. - Gäste: Cynkiewicz, Hikkel, Mieth, Pettelkau. - Entschuldigt: Domsch, Harder, Natho, Petzold, Völz, Wessel. - Leitung: Leich, Demke, Stolpe (EZA BERLIN, 101/93/242). Vgl. Auszug, im Anhang als Dok. 30. Vgl. auch die „Information" über die Tagung, die vom MfS am 23.11.1987 erstellt wurde (BStU BERLIN (ZA Berlin], H A XX/AKG-124, S. 190-204). 33 Vgl. KKL-Vorstandssitzung vom 15.10.1987, S. 1. 34 Protokoll der KKL-Tagung vom 6./7.11.1987, S. 5.
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arbeiten". Die KKL würdigte Leichs „Einsatz" als „vorbildlich".33 Nachgefragt wurde, warum das Einbringungsreferat Falckes „nicht vorher zur Kenntnis gegeben worden" sei. Ziegler, der Leiter des BEK-Sekretariats, informierte sodann über ein Gespräch mit Heinrich und Wilke (als „Beobachter der Bundessynode") beim Staatssekretär für Kirchenfragen am 19. Oktober 1987.36 Bevor der eigentliche Anlaß der Begegnung, die Verabredung von Informationsgesprächen, angesprochen worden sei, hätten die Staatsvertreter betont, es müsse erst über die Bundessynode geredet werden. Heinrich und Wilke hätten kritisiert, die Synode habe „keinen einheitlichen Charakter" gezeigt. Auch mit Blick auf die „Aufrisse", so habe Heinrich mitgeteilt, halte es der Staatssekretär für „geboten", in einem Treffen sowohl mit dem Vorstand der KKL als auch mit dem Synodenpräsidium grundsätzlich den Gesamtverlauf der Bundessynode zur Sprache zu bringen. 37 „Auch Äußerungen der Vizepräsida [sie] Cynkiewicz zum Informationsgespräch mit Professor Dr. Sitzlack vor der Synode ließen danach fragen, ob die Prämissen im Verhältnis von Staat und Kirche noch stimmen. Bei den Ministerkollegen herrsche Irritation und Mißtrauen. Erst sollte hierüber eine Klärung stattfinden, dann könnten erneut Verhandlungen über Zeit und Inhalt der Informationsgespräche geführt werden. Die Gespräche sind zunächst verschoben." 38
Anknüpfend an diesen Bericht Zieglers faßte Leich im folgenden den Inhalt eines Staat-Kirche-Gesprächs vom 6. November 1987 zusammen, an dem Gysi, Wilke, Leich und Ziegler teilgenommen hatten. 39 Gysi habe erklärt, daß die Informationsgespräche nicht mehr im Jahr 1987 stattfinden könnten, „weil Verteidigungs- und Volksbildungsinstitutionen ihre Gesprächszusagen zurückgezogen hätten. Die Bundessynode habe irritiert, obwohl sie positiv zu bewerten sei".40 Von Gysi seien folgende Kritikpunkte benannt worden: Unverständlich sei die „Zurückhaltung der Bischöfe" in der Debatte um den 35 Ebd., S. 6. Diese Einschätzung war bemerkenswert angesichts der doch eindeutigen Kritik Leichs an „Bekennen in der Friedensfrage" und am Abgrenzungsantrag (Kap. 4.1.2, 4.5.4). 36 Im Anhang als Dok. 26. 37 Protokoll der KKL-Tagung vom 6./7.11.1987, S. 6. 38 Ebd. Obwohl die Staatsvertreter zunächst betonten, diese Informationsgespräche seien nur verschoben, kam dies (äktisch einer Absage gleich. Im Gespräch mit den Verf. am 6.1.1995 räumte STOLPE ein, dem staatlichen Gesprächsangebot von Anfang an skeptisch gegenüber gestanden zu haben. Insbesondere den zugesagten Meinungsaustausch zu Fragen der Volksbildung (der seit Jahren erbeten und nie zustande gekommen war) habe er eher als Beruhigungseffekt im Vorfeld der Synodaltagung und des Besuchs Honeckers in der Bundesrepublik empfunden. Vgl. auch A. SCHÖNHERR: ...aber die Zeit war nicht verloren, S. 352. 39 Im Anhang als Dok. 29. 40 Protokoll der KKL-Tagung vom 6./7.11.1987, S. 6. Vgl. auch Peter NÖLDECHEN: DDRFührung sagt Gespräche mit evangelischer Kirche ab. „Strafe" für kritische Töne auf der Görlitzer Synode - Kirchenleitung betroffen: „Rückschlag". In: Westfälische Rundschau Nr. 263 vom
10.11.1987.
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Falcke-Antrag gewesen. Auch die Reaktionen der Westmedien auf die Synode seien als „nicht korrekt" empfunden worden. „Verunsicherung" hätten des weiteren die Schilderung und die Bewertung des Gesprächs mit Staatssekretär Sitzlack ausgelöst.41 Gysi habe dann den Dank des Innenministers „für die Mithilfe bei der Resozialisierung der Entlassenen durch die Amnestie" an Leich übermittelt. Die Friedensdekade habe der Staatssekretär als „vernünftig konzipiert" eingeschätzt.42 Abschließend habe er sich nach der kirchlichen Planung für den 6. März 198843 erkundigt. Leich berichtete, er habe auf die Äußerungen Gysis folgendermaßen reagiert: Er habe die Kritik an der Bundessynode als unverständlich zurückgewiesen. Da die Diskussion um den Falcke-Antrag „inhaltlich so deutlich und differenziert gefuhrt" worden sei, gebe es keinen „Anlaß zu einer negativen Bewertung". Verwunderlich sei auch die „Abhängigkeit leitender Männer der Regierung von den Westmedien". Außerdem habe das Fernsehen der D D R frühzeitig seine Berichterstattung abgebrochen.44 Bei der Durchführung des „Sachgesprächs" mit Staatssekretär Sitzlack habe die Kirche vor allem den Ablauf kritisiert.45 Leich habe gegenüber Gysi die neue Situation mit den Worten zusammengefaßt: „Der Scherbenhaufen , Informationsgespräche' ist nichts Gutes f ü r eine W e r t u n g des Gesprächs vom 6. M ä r z 1978 im k o m m e n d e n Jahr. Es stehen an Gespräche zu: Wehrdienstfragen, - zur M ü n d i g k e i t des Bürgers z u m Eingabewesen, - zu Erziehungsfragen. Die Aufschiebung der Gespräche u n d ihre B e g r ü n d u n g lassen sich den G e m e i n d e n nicht erklären." 4 6
Es sei ein „propagierter Spalt" zwischen Kirchenleitung und Gemeinden zu befürchten, wenn man sich von Seiten des Vorstands auf eine Verschiebung der Gespräche einlasse. Er, Leich, habe weiterhin angekündigt, im Entscheidungsfall „zu Lasten bisher praktizierter Kirchenpolitik Position zu beziehen". Gysi habe ihm daraufhin zwar versprochen, „noch einmal vorzufühlen", zugleich
41
Wie Ziegler sich erinnerte, sei das Hauptargument für die „Verschiebung" der Staat-KircheGespräche tatsächlich Cynkiewicz' Äußerungen über den für die Kirchenvertreter unbefriedigenden Verlauf des Treffens mit Staatssekretär Sitzlack gewesen. Zumindest habe Gysi dies so dargestellt (Gespräch ZIEGLER mit den Verf. am 6.1.1996). Doch zeigt nicht zuletzt der Blick in die Aktenüberlieferung der staatlichen Organe, daß die „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" einen deutlich gewichtigeren Anteil an der Verstimmung der SED-Führung gehabt hat. Vgl. Kap. 5.2. 42 Protokoll der KKL-Tagung vom 6.17.11.1987, S. 6. 43 Zehnter Jahrestag des Staat-Kirche-Spitzengespräches vom 6.3.1978. 44 Leichs Anmerkung gegenüber Gysi, „solange der Staat die Westmedien zuläßt, könne die Kirche diese Situation kaum ändern", interpretiert Besier folgendermaßen: „Erstmals sprach sich damit ein KKL-Vorsitzender direkt fur das Aussperren westlicher Medien von den Synodaltagungen aus" (G. BESIER: Der SED-Staat und die Kirche, Bd. 3, S. 241). Hervorhebung der Verf. 45 Protokoll der KKL-Tagung vom 6./7.11.1987, S. 6. 46 Ebd., S. 7.
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habe er jedoch betont, daß es im Jahr 1987 keine Informationsgespräche mehr geben werde. 47 In der sich an Leichs Bericht anschließenden Aussprache unter den Mitgliedern der Konferenz kam der Vorschlag auf, sich zum 6. März 1988 nur dann zu äußern, wenn im Jahr 1987 mindestens noch ein Informationsgespräch stattfinde. Außerdem müßte den Gemeinden mitgeteilt werden, daß die staatliche Reaktion für die K K L nicht nachvollziehbar sei. Dieser Vorschlag, eine Aussage zum 6. März 1988 an die Durchführung mindestens eines Informationsgesprächs zu knüpfen, fand sich jedoch in den Beschlüssen der K K L nicht mehr wieder.48 Uber die Reaktionen auf die Bundessynode wurde aus den Landeskirchen folgendes berichtet: Bischof Gienke teilte mit, daß seine Kirchenleitung zu „Bekennen in der Friedensfrage" zwar kein „klares Ja" abgegeben, sich jedoch auch nicht deutlich von dem Beschluß distanziert habe. Demgegenüber habe die Synode der Kirchenprovinz Sachsen — so Bischof Demke — sich auf ihrer Herbsttagung das,Anliegen des Bekennen in der Friedensfrage [...] ausdrücklich zu eigen gemacht und es den Gemeinden zur Beschäftigung empfohlen". 49 Bischof Hempel berichtete, daß in Dresden die Beschlüsse der Bundessynode „zurückhaltender" bewertet worden seien. Der Umgang mit „Bekennen in der Friedensfrage" bereite Schwierigkeiten, vor allem bezüglich des Abschnitts II (Wehrdienstfragen). 50 Der Herrnhuter Unitätsdirektor C. Müller teilte mit, „daß das Echo auf die Bundessynodaltagung größer ist als sonst und Wehrersatzdienst bzw. Wehrdienstverweigerung befürwortend diskutiert werden". 51 Es folgte ein Bericht von Domke, C. Lewek und Passauer über den OlofPalme-Friedensmarsch, der die Konferenz zu dem von der Mehrheit ihrer Mitglieder unterstützten Beschluß führte, diesen als „gelungenen Versuch neuen Handelns in gemeinsamer Friedensverantwortung bei Wahrung kirchlicher Eigenständigkeit" zu bewerten. 52 In der KKL-Sitzung am 8./9. Januar 1988 53 informierte Gaebler über die Ebd. Leich hielt bei seiner Begegnung mit Honecker am 3.3.1988 eine stellenweise dem Staat gegenüber sehr kritische Rede. Abdruck bei C. DEMKE/M. FALKENAU/H. ZEDDIES (Hg.): Zwischen Anpassung und Verweigerung, S. 2 2 7 - 2 3 2 . 49 Protokoll der KKL-Tagung vom 6./7.11.1987, S. 8. 50 Ebd., S. 9. 51 Ebd., S. 10. 52 Ebd., S. 14. Vgl. auch H. SCHIERHOLZ: Wie weiter im Olof-Palme-Friedensprozeß? 53 Protokoll der 115. Tagung der K K L am 8./9.1.1988 in Berlin. Küntscher. Berlin, 13.1.1988. Anwesend: — Mitglieder: Adolph, Demke, Domke, Domsch, Forck, Gaebler, Gienke, Große, Harder, Hempel, Kirchner, Kramer, Leich, R Müller, Natho, Noack (für Seichter), Nollau, Rogge, Salinger, J . Schmidt, S. Schulze, Stier (am 8.1.), Stolpe, Völz, C. Müller (beratend), Ziegler (beratend). - Berater: Petzold, Wessel. - Ständige Gäste: Winter, Zeddies. - Sekretariat: Doyi, Grengel, Günther, von der Heydt, König, Kupas, von Rabenau (am Nachmittag des 9.1.), Riese, Ritter, Küntscher. - Gäste: Bemm, Noetzel, Pahnke, Rettig, Winkel, Onnasch. - Entschuldigt: Passauer, Seichter (EZA BERLIN, 101/93/242). 47 48
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Planung des Seminars „Abgrenzung und Öffnung" in Oranienburg. Vorgesehen sei eine „einmalige Veranstaltung", über die kein offizielles Pressekommunique erscheinen solle. Weiterhin teilte Gaebler mit, daß das „Präsidium der Synode prinzipiell nicht mehr darauf besteht, bei der Auswertung der Bundessynode in der K K L zugegen zu sein". 54 Domsch berichtete aus der Sächsischen Landeskirche über das „staatliche Verbot des Verwendens von Plakaten", die auf dem Olof-Palme-Friedensmarsch noch hätten präsentiert werden können. Von ähnlichen Schwierigkeiten wußte Kramer aus der Kirchenprovinz Sachsen zu berichten. 55 Anschließend wurden im Zusammenhang mit den staatlichen Ubergriffen und Verhaftungen von Mitgliedern der Umweltbibliothek der Berliner Zionsgemeinde Ende November 1987 eine Reihe von Überlegungen zum Staat-Kirche*Verhältnis und zum Umgang der Kirche mit den Gruppen angestellt. 56 In einem dazu von Demke vorgelegten Papier wurde gefordert, sich vor allem in den Kirchenleitungen grundlegend über die politische Situation Klarheit zu verschaffen und das Recht der Kirche zur kritischen Assistenz gegenüber dem Staat geltend zu machen. Auf der gleichen Sitzung verabschiedete die Konferenz eine Erklärung, in der der Vertrag zwischen den USA und der UdSSR zur Abschaffung der Mittelstreckenwaffen begrüßt wurde. Dabei nahm die K K L auch Bezug auf den während der Görlitzer Bundessynode verabschiedeten Beschluß „Bekennen in der Friedensfrage". 57 Als eine späte Nachwirkung der Görlitzer Bundessynode präsentierte der Staatssekretär für Kirchenfragen eine Erklärung, über die Ziegler auf der KKLVorstandssitzung am 17. März 1988 in Leipzig 58 berichtete. In dieser staatlichen Verfugung war festgelegt worden, daß westliche Korrespondenten, einschließlich der in der D D R akkreditierten, „nicht an Synodaltagungen der Evangelischen Kirchen in der D D R teilnehmen dürfen". 59 Ebd., S. 6. Ebd., S. 5. Hier zeigte sich, daß es sich bei den während des Olof-Palme-Friedensmarsches von staatlicher Seite gewährten Zugeständnissen nur um eine vorübergehende Lockerung handelte, die offensichtlich im Zusammenhang mit dem Besuch Honeckers in der Bundesrepublik stand. Das wird auch deutlich an der Reaktion auf die Bundessynode im Politbüro. Vgl. Kap. 5.2.1. 56 Zur Reaktion auf die Ereignisse im Zusammenhang mit der Umweltbibliothek in den evangelischen Wochenzeitungen vgl. M . HARTMANN: Zwischen A D N und Eigenständigkeit, und DERS.: Bis zur Toleranzgrenze. 57 Vgl. Anlage 2 zum Protokoll der KKL-Tagung vom 8./9.1.1988. Abdruck der KKL-Erklärung bei C . DEMKE/M. FALKENAU/H. ZEDDIES (Hg.): Zwischen Anpassung und Verweigerung, S. 3 3 7 - 3 3 9 . Der Synodenbeschluß „Bekennen in der Friedensfrage" findet sich als Dok. 4 im Anhang. 58 Sekretariat des BEK. Kupas. Berlin, 22.3.1988: Protokoll (Konzept) der KKL-Vorstandssitzung am 17.3.1988 in Leipzig. Anwesend: — Vorstand: Leich, Demke, Stolpe, Gaebler, Salinger, Ziegler. - Sekretariat: C . Lewek. - Gäste: Auerbach, Böttcher, Domsch, Lehmann, Krische, Küttler, Schlichter, Uhlig, Tschoerner (EZA BERLIN, 101/93/750). 59 Ebd., S. 6. Dies hatte zur Folge, daß auf der nächsten Bundessynode in Dessau im Herbst 54
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D i e unmittelbare N a c h g e s c h i c h t e der B u n d e s s y n o d e in G ö r l i t z 1 9 8 7
Aus alledem wird deutlich, daß die Unzufriedenheit der K K L über das Verhältnis zwischen der Bundessynode und der K K L zu einer ähnlichen Einschätzung führte wie seitens des Präsidiums: Das Verhältnis der kirchlichen Gremien zueinander, zu den Gliedkirchen und zu den Gruppen habe sich verschlechtert und müsse neu bestimmt werden. Wie das Präsidium hatte auch die K K L es außerdem als Problem empfunden, daß synodale Mitglieder aus ihren Reihen in den Plenumsdiskussionen eigene Standpunkte vertreten hatten. Mit dem Beschluß „Bekennen in der Friedensfrage" war die K K L nach der Synode insofern nicht ganz zufrieden, als er bei den Leitungen der Gliedkirchen zum Teil auf Ablehnung gestoßen war, was wiederum Rückschlüsse auf das keineswegs spannungsfreie Verhältnis zwischen der Bundessynode und den Gliedkirchen zuließ. War die Durchführung von Staat-Kirche-Gesprächen vor der Görlitzer Bundessynode das Hauptthema der Konferenz gewesen, so hatte die K K L nun mit der Absage der Gespräche durch Staatssekretär Gysi zu kämpfen, der diese Entscheidung mit dem aus seiner Sicht unbefriedigenden Verlauf der Bundessynode begründete. D a die K K L mit dem Gegenargument, der Spalt zwischen den Gruppen und der verfaßten Kirche werde ohne die versprochenen Staat-Kirche-Gespräche nur größer60, den Entschluß des Staates nicht beeinflussen konnte, zog sie im Gegenzug in Erwägung, zum 10. Jahrestag des Spitzengesprächs zwischen Honecker und dem damaligen Bischof und KKL-Vorsitzenden Schönherr keine öffentliche Stellungnahme abzugeben, ohne diese gegenüber Staatssekretär Gysi nur angedeutete Drohung letztendlich wahr zu machen. 5.1.3 Der Bischofskonvent und die Beratungen der Leiter der zentralen gliedkirchlichen Verwaltungsdienststellen Am 1. Oktober 1987 tagten die Leiter der kirchlichen Verwaltungsbehörden der DDR-Landeskirchen in Berlin. 61 Harder bat bei dieser Sitzung um eine „erste Auswertung der Bundessynode (insbesondere Verhältnis Synode/ 1988 ausländische Korrespondenten keinen Zutritt zum Tagungsgelände hatten. Die West-Journalisten umgingen diese Regelung, indem sie als Privatpersonen anreisten (Gespräch RÖDER mit den Verf. am 31.5.1994). 60 Michael Beintker geht sogar so weit, diese Distanz zwischen Kirche und Gruppen als charakteristisches Signum der 80er Jahre zu bewerten: „Die evangelischen Kirchen geraten immer stärker zwischen die Fronten wachsender innergesellschaftlicher Konflikte in der D D R " . In diesem Zusammenhang erwähnt er neben dem Synodenbeschluß „Bekennen in der Friedensfrage" den Abgrenzungsantrag, der insbesondere auch Gruppen angezogen habe (M. BEINTKER: Nachdenkliche Rückblenden auf das Verhältnis von Kirche und Staat in der D D R , S. 308). 1985 hatte Falcke einen positiven Zusammenhang zwischen der kirchlichen Absage an die Abschreckung, die mit „Bekennen in der Friedensfrage" erteilt worden war und der Rolle der Gruppen gesehen: „Könnte es sein, daß hier die Berufung der Gruppen liegt, unseren Kirchen weiterzuhelfen, unseren Kirchen auf die Sprünge zu helfen auf dem Weg der Kirche des Schalom?" (H. FALCKE: Unsere Kirche und ihre Gruppen, S. 147). 61
Niederschrift über die „Chefbesprechung" am 1.10.1987 in Berlin. Küntscher. [Ohne Ort,
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KKL)". 62 Es wurde auch für das Gespräch des Bischofskonvents mit den Leitern der zentralen gliedkirchlichen Verwaltungsdienststellen geplant, einen Tagesordnungspunkt „Angelegenheiten des Bundes" aufzunehmen, der dort von Harder und Kramer vorgetragen werden sollte.63 Nach der Durchsicht des Protokolls fragte der Anhaltische OKR Andreas Schindler an, ob die „abschließende Gesprächsrunde über die Bundessynode" nicht erwähnt werde.64 In die korrigierte Fassung wurde dann lediglich der von Schindler hinzugefügte Satz übernommen: „Es erfolgte eine Gesprächsrunde über den Verlauf der Bundessynode".65 Wie aus einem weiteren Vermerk hervorgeht, sollte das Gespräch zwischen dem Bischofskonvent und den Leitern der gliedkirchlichen Verwaltungsämter dann am 3. Dezember 198766 stattfinden. Für diese Zusammenkunft war auf Vorschlag Zieglers geplant, eine grundsätzliche Standortbestimmung zum Thema „Der Bund nach der Synode von Görlitz" in die Tagesordnung aufzunehmen. Uber den Verlauf des Treffens selbst wurde kein Protokoll gefunden. 5.1.4 Das Sekretariat des Bundes der Evangelischen Kirchen in der D D R Auf „dringenden Wunsch von Herrn Heinrich", dem Hauptabteilungsleiter in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen, kam einen Monat nach der Bundessynode ein Gespräch mit Ziegler vom Sekretariat des Bundes zustande.67 Am Ende einer längeren Diskussion über die ständigen Probleme mit Reisen kirchlicher Mitarbeiter, die Heinrich als Grund des Zusammentreffens benannt hatte, habe der Hauptabteilungsleiter zunächst „seine Freude und Verwunderung" über die geplante Reise Bischof Leichs zu einer Begegnung mit der Fuldaer Bischofskonferenz zum Ausdruck gebracht. Für problematisch hal-
o h n e D a t u m . ] Anwesend: Harder, Kirchner, Kramer, P. Müller (zeitweise), Schindler (Vorsitz), Stolpe, Völz (zeitweise), Ziegler, Küntscher. - Gäste: Buchert, Holtz (EZA BERLIN, 1 0 1 / 9 3 / 7 7 4 ) . 62 Ebd., S. 2. 63 Ebd., S.3. 64 Evangelische Landeskirche Anhalts. Landeskirchenrat-Verwaltung. Schindler. Dessau, 2 7 . 1 0 . 1 9 8 7 : Begleitschreiben an Küntscher zum Rücklauf der Niederschrift über die „Chefbesprechung" vom 1.10.1987 (EZA BERLIN, 1 0 1 / 9 3 / 7 7 4 ) . 65 Niederschrift über die Sitzung der Leiter der zentralen gliedkirchlichen Verwaltungsdienststellen am 2 . 1 2 . 1 9 8 7 in Berlin. Küntscher. Berlin, 15.12.1987. Anwesend: Domsch, Harder, Kirchner, Kramer, R Müller (Vorsitz), Schindler, Völz , Ziegler, Küntscher. - Gast: Pabst (EZA BERLIN, 1 0 1 / 9 3 / 7 7 4 ) . 66 Vermerk betr. Gespräch zwischen Bischofskonvent u n d den Leitern der zentralen gliedkirchlichen Verwaltungsdienststellen am 3.12.1987. Küntscher. Berlin, 5.11.1987. Adressiert an die Teilnehmer des Gesprächs. Zahlreiche hsl. Vermerke Küntschers u n d Zieglers (EZA BERLIN, 101/ 93/774). 67 Sekretariat des BEK. Ziegler. Berlin, 19.10.1987: Vermerk (Konzept) über Gespräch in der Dienststelle des Staatssekretärs fur Kirchenfragen am 16.10.1987, 13.30 bis 15.00 Uhr. Anwesend: Heinrich, Ziegler (EZA BERLIN, 101/93/6). Abdruck als Dok. 25 im Anhang.
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te er es jedoch, daß Leich dann aus zeitlichen Gründen seine Teilnahme am Staatsakt der D D R zum 750jährigen Stadtjubiläum Berlins am 23. Oktober 1987 werde absagen müssen: „Das würde besonders nach der Synode in Görlitz sehr ins Auge fallen. Es müsse auf der Ebene des Staates zu Irritationen und Fehlinterpretationen führen. Er habe zwar keinen Auftrag, aber er wolle doch darauf hinweisen und anfragen, ob nicht eine Verschiebung möglich sei." Im Anschluß an diese kritische Bemerkung brachte Heinrich „seinen Wunsch zum Ausdruck, über die Bundessynode zu sprechen". Ziegler erwiderte, daß es „vor allen Dingen jetzt darauf ankomme", die Vorbereitung der vor der Bundessynode versprochenen Informationsgespräche voranzutreiben. In diesen Gesprächen sollten auch die Ergebnisse der Bundessynode erörtert werden. Daher wurde für den 19. Oktober 1987 ein neuer Gesprächstermin vereinbart. 68 An diesem Tag trafen Heinrich, Wilke und Ziegler in der Dienststelle des Staatssekretärs in der Berliner Hermann-Matern-Straße zusammen, um über die Bundessynode zu sprechen. 69 Wilke, der als offizieller Gast an der Synode teilgenommen hatte, schätzte die Synodaltagung im Rückblick folgendermaßen ein: Dadurch, daß der KKL-Bericht „kurz und nüchtern" gewesen sei und sich bemüht habe, „Probleme nicht zuzuspitzen", jedoch die „konstruktive Linie" der KKL von den Gruppen durch die „Hervorhebung der Themen .Abgrenzung' und .Wehrdienstverweigerung'" durchbrochen worden sei, habe die gesamte Synode „keinen einheitlichen Charakter getragen".70 Der Staatssekretär habe daher verlauten lassen, daß „unter den Bedingungen nach der Bundessynode" die Voraussetzungen für die versprochenen Staat-Kirche-Gespräche nur noch gegeben seien, wenn zuvor ein Gespräch mit dem Synodenpräsidium und dem KKL-Vorstand geführt werde. Besonders ärgerlich habe der Staatssekretär reagiert auf die „öffentliche negative Beurteilung des Gesprächs mit Prof. Sitzlack durch die stellvertretende Präsidentin der Synode und [...] Forderungen, daß mit Vertretern des Verteidigungsministeriums jetzt verhandelt werden müsse über die Schaffung eines zivilen Ersatzdienstes".71 Solche Äußerungen von kirchlicher Seite erweckten den Eindruck, der Staat wäre bereit, bestimmte Grundhaltungen in den Bereichen Verteidigung72 und Volksbildung zur Disposition zu stellen. Wenn Kirchenvertreter so dächten, müsse erneut darüber verhandelt werden, „was Trennung von Kirche und Staat" bedeute. Ebenso stelle sich für die Vertreter des Staates die Frage, „wie lange die Bundessynode sich durch Gruppen manipulieren lassen wolle, wie sie hinter den Eingaben stünden, und durch Aktivitäten am Rande der Synode (Kolitzus, Roeder, Lampe u.a.). Auch die Beeinflussung
68
Ebd., S. 3. Sekretariat des BEK. Ziegler. Berlin, 22.10.1987: Vermerk (Konzept) über Gespräch in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen am 19.10.1987, 15.00 bis 16.45 Uhr, S. 1. Anwesend: Heinrich, Wilke, Ziegler (EZA BERLIN, 101/93/6). Abdruck als Dok. 26 im Anhang. 70 Ebd., S. 1. 71 Ebd. 72 Vgl. auch U. KOCH/G. NEUGEBAUER: Die Evangelische Kirche in der D D R in der Auseinandersetzung mit der Wehrdienstpolitik der SED. 69
Kirchliche Reaktionen
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der Ö f f e n t l i c h k e i t d u r c h die Berichterstattung der Westmedien m ü s s e erneut bed a c h t werden. H i e r seien die Proportionen verschoben w o r d e n " . 7 3 D i e Informationsgespräche k ö n n t e n im J a n u a r 1 9 8 8 geführt werden, falls noch i m N o v e m b e r 1 9 8 7 ein G e s p r ä c h zwischen K K L - V o r s t a n d , S y n o d e n p r ä s i d i u m u n d Staatssekretär stattfinde. G r u n d s ä t z l i c h sei der Staatssekretär weiterhin „ u m konstruktive u n d verfassungsgerechte B e z i e h u n g e n " zwischen Staat u n d K i r c h e b e m ü h t , er bewerte j e d o c h die Görlitzer B u n d e s s y n o d e als „ Z ä s u r im Blick a u f die verbindliche G e m e i n s c h a f t der Kirchen". 7 , 1
Ziegler widersprach dieser Einschätzung, die er nicht nachvollziehen könne, zumal sich die Bundessynode „gerade durch die besonnene Behandlung schwieriger Probleme und Anträge bewährt" habe. Zu bedauern sei, daß der Staatssekretär sich „in dieser Weise von der Berichterstattung der Westmedien abhängig mache" und das DDR-Fernsehen durch seinen verfrühten Abzug von der Synode die Chance vergeben habe, gegenüber der DDR-Öffentlichkeit „eine richtigstellende Berichterstattung" zu ermöglichen. „Vor der Synode habe der Staatssekretär Versprechungen gemacht, jetzt habe er den Haken gefunden, um sich aus der Affäre zu ziehen". 75 Bei der sich anschließenden Debatte über die — offenbar von Heinrich im Auftrag des Staatssekretärs gestellten — Frage, ob das Präsidium der Synode oder die K K L den B E K bei dem für November geplanten Grundsatzgespräch vertreten solle, wies Ziegler daraufhin, daß es entsprechend der Ordnung des Bundes eindeutig zu den Aufgaben der Konferenz gehöre, den Bund der Evangelischen Kirchen „nach außen zu vertreten. [...] Er müsse fragen, was mit diesem Vorschlag des Staatssekretärs bezweckt werde." Heinrich erwiderte, daß „wolle man dem Präsidium selbst sagen, wo die Kritik liege". Er äußerte Zweifel daran, „ob die K K L die Dinge noch in der Hand habe". Außerdem registriere man mit besonderer Aufmerksamkeit, „daß einige Bischöfe sich durch dauerndes Fehlen offensichtlich von der Bundessynode" distanzierten. 76 Bei einem weiteren Treffen Zieglers und Heinrichs am 23. Oktober 1987, bei dem es um unerwünschte Auftritte von DDR-kritischen Künstlern in kirchlichen Räumlichkeiten ging, machte Heinrich die für die staatliche Sicht der evangelischen Kirche charakteristische Bemerkung, „daß es bedauerlich sei, daß es im Unterschied zur Katholischen Kirche in der Ev. Kirche keine wirkliche Zentralgewalt gebe". Ziegler entgegnete, „daß er [Heinrich] doch wohl
73
Vermerk über Gespräch in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen am
1 9 . 1 0 . 1 9 8 7 , S . 1.
Ebd. Ebd., S. 2. Diese Einschätzung vertrat auch der Journalist Peter NÖLDECHEN in einem Artikel, der am 10.11.1987 in der Westfälischen Rundschau (Nr. 263) unter dem Titel: DDR-Führung sagt Gespräche mit evangelischer Kirche ab. „Strafe" für kritische Töne auf der Görlitzer Synode, erschien. 76 Vermerk über Gespräch in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen am 74
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1 9 . 1 0 . 1 9 8 7 , S . 1.
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nicht wünschen könne, daß die Ev. Kirche so werde wie die Katholische Kirche, besonders im Blick auf ihr gesellschaftliches Engagement und ihre Bereitschaft zu öffentlicher Verantwortung". 77 Dem konnte Heinrich nur zustimmen. Ein mit dem Vermerk „Vertraulich" gekennzeichnetes Protokoll vom 7. Januar 1988 hielt den Inhalt eines Vorgesprächs fest, das Wilke und Gienke im Beisein ihrer Mitarbeiter am 1. Dezember 1987 zur Planung eines Informationsgesprächs über Wehrdienstfragen geführt hatten. 78 Wilke betonte eingangs, daß trotz der „ A t e m p a u s e in den Verbindungen" zwischen Staat und Kirche, die nach der Görlitzer Bundessynode entstanden sei, „inhaltlich weitergearbeitet" werden müsse. Er wiederholte noch einmal die Kritik an den auf der Synodaltagung geäußerten Forderungen der Kirche an den Staat, welche durch die westlichen Medien an die Öffentlichkeit gelangt seien, und die negative Beurteilung des Gesprächs mit Staatssekretär Sitzlack durch Cynkiewicz. Wilke brachte daraufhin klar zum Ausdruck, daß es keine „Verhandlungen" im eigentlichen Sinne geben werde, sondern daß der Staat „Informationsgespräche" anbieten wolle. Vor der Bundessynode „sei seitens des Ministeriums für Nationale Verteidigung die Bereitschaft vorhanden gewesen zur Teilnahme an einem solchen Gespräch. Danach sei unter Hinweis auf die Auswertung des Gesprächs über Atomenergiefragen die Bereitschaft zurückgezogen worden". 79 Nachdem noch eine Reihe von Detailfragen angesprochen worden war, wurde als Termin für das Informationsgespräch zu Wehrdienstfragen der 22. Januar 1988 in Aussicht gestellt.80 Nach den die kirchenpolitische Situation weiter verschärfenden Ereignissen um die Liebknecht/Luxemburg-Gedenkdemonstration im Januar 1988, in de77 Sekretariat des BEK. Ziegler. Berlin, 26.10.1987: Vermerk (Konzept) über Gespräch in der Auguststraße am 23.10.1987, 10.30 bis 12.00 Uhr, S. 2. Anwesend: Heinrich, Ziegler (EZA BERLIN, 101/93/6). 78 Sekretariat des BEK. Kupas. Berlin, 7.1.1988: Vermerk über „Vorgespräch" in der Dienststelle des Staatssekretärs fur Kirchenfragen am 1.12.1987, 15.00 bis 16.30 Uhr. Anwesend: Wilke, Gräber, Gienke, Kupas (EZA BERLIN, 101/93/7). Vermerk „Vertraulich". Abdruck als Dok. 32 im Anhang. 79 Ebd., S. 2. 80 Bei einem Treffen zwischen Heinrich und Ziegler in der Dienststelle des Staatssekretärs am 6.1.1988 teilte Heinrich dann mit, daß dieserTermin „noch nicht bestätigt werden könne [...]. Heinrich stellte eine präzisere Nachricht über die Gründe [auch für die Absage der vor der Synode angekündigten anderen Informationsgespräche] und neue Termine bis zum Beginn der nächsten KKL-Sitzung in Aussicht". Am 9.1.1988 richtete Kupas ein Schreiben an Passauer, in dem er eine Mitteilung der Dienststelle weitergab, das Informationsgespräch in Wehrdienstfragen könne „voraussichtlich" am 28.1.1988 stattfinden. Aus einem Vermerk Kupas' vom 11.4.1988 über ein Gespräch in der Dienststelle des Staatssekretärs am 6.4.1988 geht dann hervor, daß die von der Kirche erwünschten Gesprächspartner aus dem Ministerium für Nationale Verteidigung zu diesem Informationsgespräch „auf längere Zeit wohl nicht bereit" seien. Am 12.5.1988 wiederholte Heinrich gegenüber Ziegler diese Aussage. In der Folgezeit standen demgegenüber von Seiten der Kirche die Bemühungen um dringlichere Gespräche, z.B. über die kirchliche Presse, im Vordergrund; das Gespräch über Wehrdienstfragen wurde nicht mehr thematisiert (EZA BERLIN, 101/93/7).
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ren Umfeld über 100 Menschen festgenommen worden waren 81 , fanden sich am Nachmittag des 19. Februar 1988 Gysi, Heinrich, Leich, Stolpe und Ziegler in der Dienststelle des Staatssekretärs wieder zu einem Gespräch ein. 82 Der Staatssekretär hatte Leich dieses Gespräch - gewissermaßen als Ergänzung zu der offiziellen Erklärung, die das Politbüromitglied Jarowinsky am Morgen desselben Tages gegenüber Leich im Gebäude des Staatsrates abgegeben hatte — angeboten. Leich nutzte die Gelegenheit, um drei Problemkreise anzusprechen: Es sei für das Verhältnis von Staat und Kirche „enorm wichtig", zu beachten, „daß die Kirche zur Zeit Dinge auffinge, die eigentlich von staatlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen aufgefangen werden müßten". Leich wiederholte sein Bedauern darüber, „daß das Fernsehen der D D R kein Korrektiv für das Westfernsehen abgebe. Dem vor allem sei das falsche Bild von der Görlitzer Synode zu verdanken". Trotz der Berücksichtigung des „Prinzips der Trennung von Staat und Kirche" befasse sich die Kirche mit dem ganzen Menschen, also auch mit allen Belangen, die den Menschen beträfen. 83 Des weiteren fügte Konsistorialpräsident Stolpe hinzu, es sei traurig, „daß in einer so komplizierten Situation wie der jetzigen die Instrumente des Klassenkampfes wieder hervorgezogen" würden. 84 In seiner Antwort brachte Gysi zunächst seine Anerkennung darüber zum Ausdruck, „daß viele kirchenleitende Leute versuchten, die Situation zu versachlichen". Im übrigen würden auch auf ihn „Dinge abgeschoben [...], die z.B. Sache der FDJ oder der Volksbildung seien". In bezug auf die Medienpolitik stimme er zwar mit der kirchlichen Position überein, doch das entbinde die Kirche nicht von ihrer Verantwortung, darauf zu achten, „wie die Dinge ankommen, die sie vertritt". Insgesamt beurteilte Gysi das Zusammentreffen Leichs mit Jarowinsky sehr positiv; er hoffe, „daß damit die Zeit der Sprachlosigkeit beendet sei. Die Kirche möge immer bedenken, daß es auch eine parteiinterne Öffentlichkeit gäbe, die beachtet werden müsse." 85 Mit dieser interpretationsbedürftigen Bemerkung wies Gysi auf eine sehr dezente Art und Weise darauf hin, daß er selbst in seiner Entscheidungskompetenz durch die Parteifunktionäre des Politbüros und des Sekretariats des Z K der S E D stark beschränkt war. Hatte das Gespräch zwischen der Spitze des B E K und dem Staatssekretär für Kirchenfragen am 21. Mai 1987, also vor derTagung der Bundessynode, trotz 81 Über die Vorfälle sowie ihre Vorgeschichte berichtet u.a. W. RÜDDENKLAU: Störenfried, S. 1 7 1 - 1 7 7 undS. 2 0 3 - 2 2 3 (Dokumente). 82 Sekretariat des BEK. Ziegler. Berlin, 19.2.1988: Vermerk über ein Gespräch in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen am 19.2.1988, 13.40 bis 14.50 Uhr. Anwesend: Gysi, Heinrich, Leich, Stolpe, Ziegler (EZA BERLIN, 101/93/7). 83 Ebd., S. 1. 84 Ebd., S. lf. 85 Ebd., S. 2.
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seiner Ergebnislosigkeit das BEK-Sekretariat zur Herausgabe einer „Schnellinformation" veranlaßt, die zumindest vage Hoffnungen auf baldige Besserungen im Verhältnis von Staat und Kirche ausdrückte, so waren diese nach der Synodaltagung im Laufe der - in ungewöhnlich gereizter Atmosphäre verlaufenden - Gespräche Zieglers mit Heinrich und Wilke von Staatssekretär Gysis Dienststelle zerplatzt. Außer einer gewissen Zufriedenheit mit dem auf der Bundessynode verlesenen KKL-Bericht hatte man nur Kritik zu hören bekommen. Daran konnte auch Gysis einlenkende Bemerkung nichts ändern, daß die „Sprachlosigkeit" zwischen Staat und Kirche nunmehr hoffentlich zu Ende sei. Der Staatssekretär behauptete, in eine ähnliche Stellvertreterrolle gedrängt worden zu sein, wie sie die Kirche gegenüber den Gruppen übernehmen müsse. Mit diesen und anderen bereits erwähnten Äußerungen brachte Gysi indirekt zum Ausdruck, daß seine Kompetenzen, das Verhältnis von Staat und Kirche durch entsprechende entgegenkommende Maßnahmen im Sinne der Kirche zu beeinflussen, bereits erschöpft waren. 5.1.5 Die Beratergruppe zwischen B E K und E K D In der bereits 1969 gebildeten Beratergruppe kamen regelmäßig vier bis fünf Mal im Jahr kirchenleitende Persönlichkeiten aus dem Bereich von B E K und E K D zu Konsultationsgesprächen zusammen. 86 Dabei ging es sowohl um Themen, die allein die D D R beziehungsweise die Bundesrepublik betrafen, als auch um Fragen der deutsch-deutschen Zusammenarbeit der Kirchen. Die Gruppe hatte keinerlei offizielles Mandat; die westlichen Kirchenvertreter wurden jedoch vom Rat der E K D , die östlichen von der K K L bestimmt. Eine im Laufe der Jahre festgelegte Rahmenordnung regelte die personelle Zusammensetzung, die Aufgabenstellung und die Strukturierung der Tagesordnung der Beratergruppe. Die Arbeitsergebnisse der Gruppenzusammenkünfte waren weder für die E K D noch für den DDR-Kirchenbund bzw. die einzelnen Landeskirchen bindend. Seit 1973 besuchten Vertreter des B E K Synoden der E K D und umgekehrt. 86 Zur Tätigkeit der Beratergruppe vgl. O. LINGNER: Friedensarbeit in der Evangelischen Kirche, S. 158f„ sowie A. SCHÖNHERR: ...aber die Zeit war nicht verloren, S. 297f., und W. HAMMER/ U.-P. HEIDINGSFELD: Die Konsultationen, S. 20f.: Während die Beratergruppe „mit Betonung auf die Landeskirchen" Gespräche führte, waren es die „Konsultationen" zwischen Vertretern der E K D und des BEK, die „unmittelbar der Beratung der gesamtkirchlichen Organe, insbesondere des Rates der E K D und der K K L des B E K D D R , dienten und gewissermaßen .operativ' tätig wurden" (Ebd.). In den Konsultationen wurde die Tagung der Bundessynode nicht einmal erwähnt, obwohl aus den Vermerken hervorgeht, daß ζ. B. die Synodaltagungen des B E K aus den Jahren 1986, 1988 und 1989 Thema dieser Zusammenkünfte waren. Zum Verhältnis der Berater- zur Konsulationsgruppe vgl. ebd., S. 225. Allgemein zu den Beziehungen zwischen B E K und E K D vgl. H. RATHKE: Achtzehn Thesen zur Zusammengehörigkeit. Zur praktischen Arbeit der Beratergruppe und zu ihrer Stellung zu den „wichtigsten Gremien E K D / B E K in der D D R " ; vgl. U.-P. HEIDINGSFELD: „Die besondere Gemeinschaft", S. 7 9 - 8 1 .
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Auf der Zusammenkunft der Beratergruppe am 24. September 1987 8 7 berichtete Bischof Heinz Georg Binder über die beim Besuch Honeckers in der Bundesrepublik angesprochenen Probleme. Vor allem die Stellungnahmen Honeckers zum Charakter der deutsch-deutschen Grenze seien mit Aufmerksamkeit registriert worden. Im Rahmen eines Vortrags, den Stolpe an der Universität Tübingen gehalten hatte, hatte dieser angefragt, „ob es zur deutschen Frage nicht eine neue Denkschrift geben sollte". Aus Kreisen der E K D wurde nun zurückgefragt, „was Stolpe damit meine" und so seiner Anregung indirekt eine Absage erteilt. 88 Weiterhin wurde vereinbart, in der Beratergruppe bald über das S P D - S E D - D i a l o g p a p i e r zu sprechen. Anschließend informierte Gaebler über die Ergebnisse der Görlitzer Bundessynode, wobei er insbesondere auf den Beschluß zum „Bekennen in der Friedensfrage" einging. Z u m Bericht Domkes und Leweks über den OlofPalme-Friedensmarsch merkte der Präsident des EKD-Kirchenamts, Walter Hammer, kritisch an, daß die Entsendung von BEK-Vertretern in die Delegation des DDR-Friedensrates mit der E K D hätte abgesprochen werden müssen. Weiterhin betonte Hammer, daß für die E K D „eine Mitteilung allein [...] in diesem Fall nicht genügt" hätte. 89
87 Sekretariat des BEK. Ziegler. Berlin, 27.10.1987: Vermerk (Konzept) „über die Zusammenkunft der Beratergruppe am 24. September 1987, 14.00 bis 22.00 Uhr, Berlin", S. 2. Anwesend: BEK: Domke, Forck, Gaebler, Gienke, Kramer, Leich, C. Lewek, C. Müller, Natho, Seidel (als Referent), Stier, Stolpe, Petzold, Völz, Ziegler. - E K D : Begemann, Binder, W. Hammer, Hesse (als Referent), von Keler, Schmale, Schmude, Wild, Wildner (EZA BERLIN, 101/93/815). 88 Ebd., S. 2. 89 Ebd. Die E K D hatte sich am OIof-Palme-Friedensmarsch überhaupt nicht beteiligt. Aufschluß über die Reaktion Hammers geben zwei mit dem Sachverhalt im Zusammenhang stehende Schreiben. O K R Heidingsfeld, der Leiter der Berliner Stelle des EKD-Kirchenamtes, wandte sich an O K R Koppe vom Kirchenamt der E K D : „Ein wenig Sorge habe ich - und da könntest Du vielleicht zur Zerstreuung derselben ein wenig beitragen - im Blick auf folgendes: Westliche[n] Journalisten wird ja, sofern sie angesichts des Honecker-Besuchs überhaupt ernsthaft auf das Thema Olof-Palme-Friedensmarsch einsteigen sollten, nicht verborgen bleiben, daß die E K D sich an dem Unternehmen überhaupt nicht, der BEK hingegen ganz offiziell und öffentlich wahrnehmbar sich beteiligt. Hier wäre darauf zu achten, daß unsere Begründung für die von uns geübte Enthaltsamkeit den B E K und seine Vertreter während ihres Aufenthaltes in der Bundesrepublik nicht in eine schwierige Lage bringen. Sie reisen durch unser Land als Teil einer Delegation des Friedensrates, was schon in ausreichender Weise für Mißverständnisse sorgen könnte." Schreiben Heidingsfeld an Koppe vom 24.8.1987 (EZA BERLIN, 4/91/735). Hammer schrieb kurze Zeit später an Landesbischof Hans von Keler: „Von Bruder Heidingsfeld erhalte ich, was hier in Kopie beiliegt. Als einigermaßen bemerkenswert (milde ausgedrückt) empfinde ich es doch, daß der BEK D D R offiziell .Vertreter des Bundes der Evangelischen Kirche in der D D R ' in den Bereich der E K D zur Teilnahme am Olof-Palme-Friedensmarsch zu entsenden beabsichtigt oder entsendet, ohne deswegen mit uns Verbindung aufgenommen zu haben und in dem Wissen, daß sich die E K D nicht an diesem Unternehmen beteiligt. Wir haben zwar in der Konsultation davon Kenntnis genommen, daß man sich dort in der D D R zu beteiligen beabsichtigt, aber von einer Beteiligung in der , B R D ' war meines Wissens nie die Rede!" Schreiben Hammer an von Keler vom 2.9.1987 (EZA BERLIN, 4/91/735).
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Auch die Leiter der gliedkirchlichen Verwaltungsdienststellen trafen am 19. November 1987 mit ihren EKD-Kollegen zusammen, wobei in der Niederschrift über die Zusammenkunft vermerkt wurde, daß im Rahmen des TOP 5 „Bericht zur Lage" kirchenpolitische Fragen der DDR zur Debatte standen. Insbesondere sei über die Gespräche des KKL-Vorstands mit Staatssekretär Gysi und die „Tagung der Bundessynode 1987" gesprochen worden.90 Auch diese Niederschrift gibt lediglich Aufschluß darüber, daß sowohl die Bundessynode als auch die Staat-Kirche-Beziehungen mit Vertretern der EKD besprochen wurden; Informationen über den Verlauf des Gesprächs gibt sie nicht. Im Mittelpunkt des nächsten Treffens der Beratergruppe am 10. Dezember 198791 stand dann wie vorgesehen das von SPD und SED gemeinsam verfaßte Dokument „Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit". Der Präses der EKD-Synode, Schmude, teilte mit, daß es für das Papier in der Bundesrepublik bereits einige Belastungsproben gegeben habe. So sei im Bereich der Sozialdemokratie heftig auf die von Hager und Reinhold im Neuen Deutschland abgedruckten Äußerungen reagiert worden. Weiterhin sei die SPD der Meinung, daß die Ereignisse um die Zionskirchengemeinde in eklatantem Widerspruch zum Text des Dialogpapiers stünden. Auch die Einreiseverweigerungen für Bundestagsabgeordnete würden von der SPD kritisiert. Schmude betonte, daß die SPD trotz dieser Ereignisse nicht von dem gemeinsamen Papier abrücken wolle.92 Stolpe wies auf die große Bedeutung des SPD-SED-Papiers innerhalb der DDR hin, das „von vielen und sorgfältig gelesen" worden sei. Er ging auf das in der DDR herrschende Spannungsverhältnis zwischen Außen- und Innenpolitik ein. Während im Bereich der Außenpolitik eine gewisse Flexibilität zu spüren sei, dominierten die „auf Beharrung gerichteten Kräfte" im Machtapparat bei der Gestaltung der Innenpolitik. Gelegentlich, wie z.B. bei der Durchführung des Olof-Palme-Friedensmarsches, wirkten sich „außenpolitische Gesichtspunkte auf die Innenpolitik" aus, was zum Teil auch zu Verunsicherungen führe.93 Stolpe benannte folgende Probleme, die sich durch das Dialogpapier ergeben könnten: „— Die SED könnte sich übernehmen, da die .Beharrungsängste des Apparats' groß sind 90 Niederschrift über die Zusammenkunft zwischen den Leitern der zentralen gliedkirchlichen Verwaltungsdienststellen in der D D R und den leitenden Juristen der EKD am 19.11.1987. Küntscher. Berlin, 27.11.1987 (EZA BERLIN, 101/93/774). 91 [Ohne Aussteller. Ohne Ort, ohne Datum:] „Vermerk über die Zusammenkunft der Beratergruppe am 10. Dezember 1987". Anwesend: — BEK: Domke, Domsch, Forck, Gaebler, Gienke, Hempel, C. Lewek, C. Müller, Natho, Stier, Stolpe, Winter, Zeddies, Ziegler. - EKD: Binder, Ehnes, Groscurth, W. Hammer, Heidingsfeld, von Heyl, von Keler, Scharbau (als Referent), Schmale, Smidt, Wild (EZA BERLIN, 101/93/815). Über die Zusammenkünfte der Beratergruppe wurden in der Regel nur von der Westseite Vermerke angefertigt. 92 Vgl. auch E. EPPLER: Die Bedeutung des SPD-Papiers für den Dialog. 93 Vermerk Zusammenkunft Beratergruppe am 10.12.1987, S. 2.
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D i e S P D könnte Schaden nehmen (ζ. B. beim Wähler) an der .Knochenarbeit', die sie sich damit aufgeladen hat Die D u r c h f ü h r u n g von Meinungsstreit und die Zubilligung von gegenseitiger Kritik wird sich immer (mal) wieder reiben an dem Prinzip der Nichteinmischung D a ß die Kirchen unerwähnt bleiben, ist schade." 9 4
Von den Verlautbarungen einiger unflexibler Funktionäre - so fuhr Stolpe fort - dürfe man sich nicht abschrecken lassen. Es bestehe ein spürbarer Druck auf Veränderungen hin, was auch die „.Nervosität im Apparat'" erkläre. Nach seiner Ansicht ergäben sich folgende Konsequenzen für den Umgang mit dem Papier: „Hier besteht für die Kirchen in der Bundesrepublik (das D o k u m e n t vor d e m Vergessen und vor einer allzu billigen Abheftung bewahren) wie in der D D R (Ermutigung und Bestärkung derer, die auf Veränderung setzen und Mithilfe dabei, daß die Geduld auch und gerade bei den - ganz - Ungeduldigen erhalten bleibt) eine Aufgabe." 9 5
Im Anschluß an die Ausführungen Schmudes und Stolpes kam es zu einer Diskussion, in deren Verlauf sich herausteilte, daß das SPD-SED-Dokument für die - gewissermaßen in einer geschlossenen Gesellschaft lebenden - Bürger der D D R einen höheren Stellenwert habe als für die Bundesbürger. Außerdem wurde die Hoffnung geäußert, daß das Papier zu einem intensiven Dialog zwischen den beiden Kirchenbünden führen werde, wie es auch „im entsprechenden Beschluß der diesjährigen Bundessynode in Görlitz erbeten worden ist". 96 Unter dem Tagesordnungspunkt „Berichte aus den Kirchen" teilte Ziegler noch mit, daß die versprochenen Informationsgespräche abgesagt worden seien. Die dafür von Gysi angeführten Gründe seien ,„an den Haaren herbeige D O 4 S T S f. Kirchenfragen Nr. 971). Mit Paraphe Gysis und hsl. Vermerk: „am 10.11.87 an Gen. Jarowinsky u. Gen. Bellmann geschickt". Als Dok. 29 im Anhang. 2 , 1 Ebd., S. 1. 208
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rieht — keine Sonderentscheidung für den Antrag gewesen sei, sondern eine taktische Überlegung: „Es war klar, daß es gelingen mußte, das Papier in der Diskussion sofort zurückzuweisen [...]. Auf diese Weise wurde dem Bericht der Kirchenleitung mit den positiven Positionen wesentlich mehr Zeit eingeräumt als der Diskussion über die Abgrenzung'." 2 1 2 Der Bischof habe ferner sein Unverständnis darüber geäußert, daß das Fernsehen der D D R nicht versucht habe, „das falsche Bild der Westmedien" durch positive Beiträge zu korrigieren. Ebenfalls habe Leich daraufhingewiesen, über den „Charakter der Informationsgespräche [...] korrekt informiert und sie auch auf der Synode gegen Entstellungen präzise und dezidiert definiert zu haben". Er habe Gysi daraufhin vorgeworfen, die Zusage für Staat-Kirche-Gespräche nur gemacht zu haben, um die Diskussion auf der Synode ruhig zu halten. Leich befürchte „ernste Reaktionen in der KKL, wenn es nicht zu den Gesprächen" kommen sollte. Gysi solle prüfen, ob nicht zumindest die Möglichkeit bestünde, noch im Jahr 1987 „ein Gespräch zur Militärdoktrin" zu führen. Leich habe vor dem Irrtum gewarnt, die Bischöfe würden zulassen, daß innerhalb der Kirche der Eindruck entstünde, die Situation für die Basis bleibe unverändert, während ,„Oben' freundlich miteinander geredet werde". 213 Das Gespräch endete ohne konkrete Absprachen. Ähnlich verärgert wie Leich hatte Ziegler in einem Gespräch mit Gysi auf die Absage der Informationsgespräche reagiert, wie aus einem Vermerk der Abt. II vom 11. November 1987 hervorgeht. 214 Ziegler habe Gysi mitgeteilt, daß die K K L — wie Leich befürchtet hatte - sehr aufgebracht reagiert habe und die Gesprächsabsage als „erhebliche Schwächung der K K L gegen die politischnegativen Kräfte" empfinde. Gemeindeglieder und Synodale kritisierten die K K L nun wegen ihrer zu starken Nähe zu einem Staat, der einmal getroffene Zusagen nicht einhalte. Ferner habe Ziegler berichtet, daß man in der K K L dieses Verhalten des Staates als „Abgehen von der bisherigen Kirchenpolitik" betrachte. So habe Ziegler dem Staatssekretär mitgeteilt, der K K L sei zum Jubiläum des 6. März 1978 noch nichts Konkretes „eingefallen". Er habe Gysi gebeten zu prüfen, „ob nicht wenigstens ein Thema, z.B. Militärdoktrin, im kleinen Kreis besprochen" werden könne. Am Ende des Gesprächs habe Ziegler noch über den Stand der Planungen zum Oranienburger Abgrenzungsseminar informiert. Nur diejenigen Eingeber erhielten eine „namentliche Einladung", die sich beim Präsidium gemeldet hätten, da „keine weitere Öffnung der Diskussion zugelassen" werde. 215
Ebd., S. 2. Ebd., S. 3. 214 Staatssekretär für Kirchenfragen. Abt. II. Wilke. Berlin, 11.11.1987: „Information über ein Gespräch des Staatssekretärs mit O K R Ziegler am 10.11.1987" (BArchP, D O 4 STS f. Kirchenfragen Nr. 787). Im Anhang als Dok. 31. 215 Ebd., S. lf. 212 2,3
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A m 17. November 1987 entstand in der Abt. II der Dienststelle des Staatssekretärs ein internes Papier zur Vorbereitung des Jahrestags des „Spitzengesprächs" am 6. März 1988, das politische Schwerpunkte im Verhältnis von Staat und Kirche zusammenstellte und Maßnahmen zur Vorbereitung dieses Jahrestages festlegte. 216 In dem Papier wurde mit keinem Wort auf die Görlitzer Bundessynode eingegangen, dafür aber eine bezeichnende Interpretation der unentwegt geforderten Sach- beziehungsweise Informationsgespräche geliefert. Nach Einschätzung der Abt. II hatte es sich „als richtig erwiesen, kirchenleitenden Amtsträgern durch eine niveauvolle Erläuterung der Friedenspolitik der D D R (Informations- und Expertengespräche) Hilfe bei der Ausformung politischer Standpunkte zu geben". 217 Bei einer Auswertung der Friedensdekade vom November 1987 stellte man beim Staatssekretär für Kirchenfragen mit Befriedigung fest, daß der Abgrenzungsantrag bei den einzelnen Veranstaltungen bis auf eine Ausnahme keine Rolle gespielt hatte: „Die feindliche Thematik Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung' wurde einzig von der Kirchgemeinde der Bartholomäus-Kirche in Berlin und das mit deutlicher Resignation behandelt, die die dazu bekannte Eingabe an die BEK-Synode formuliert hatte." 218 Zwei Monate nach der Tagung der Bundessynode wurden Verlauf und Ergebnisse der Herbstsynoden der Landeskirchen von der Abt. II in einer Dienstbesprechung ausgewertet. Insgesamt zeigte man sich zufrieden mit der „Behandlung politisch relevanter Probleme auf den [Landes-] Synoden". 219 Die 2.6 Staatssekretär für Kirchenfragen. Abt. II. [Ohne Aussteller.] Berlin, 17.11.1987: „Politische Schwerpunkte u n d M a ß n a h m e n zur Vorbereitung auf den 10. Jahrestag der Begegnung des Vorsitzenden des Staatsrates, Genossen Erich Honecker, mit dem Vorstand der KKL am 6 . 3 . 1 9 7 8 " (BArchP, D O 4 STS f. Kirchenfragen Nr. 1473). 2.7 Ebd., S.4. 218 Staatssekretär für Kirchenfragen. Abt. II. Wilke. Berlin, 23.11.1987: „Erste zusammenfassende Information zum Verlauf der Friedensdekade der Evangelischen Kirchen in der D D R vom 8. bis 18.11.1987", S. 4 (BArchP, D O 4 STS f. Kirchenfragen Nr. 1435). Im Vorfeld der Friedensdekade hatte Gysi per Fernschreiben am 3 . 1 1 . 1 9 8 7 alle mit Kirchenfragen befaßten Mitarbeiter auf Bezirksebene instruiert, wie diese kirchliche Friedensveranstaltung zu observieren sei u n d welche gewonnenen Erkenntnisse an ihn weitergeleitet werden sollten. D a das D o k u m e n t charakteristisch für die staatliche Beobachtungspraxis kirchlicher Veranstaltungen ist, soll es hier auszugsweise wiedergegeben werden: In d e m Fernschreiben forderte Gysi, die Anzahl u n d die Teilnehmerzahlen der „politisch bedeutsamen Veranstaltungen", eine Kurzcharakteristik der auftretenden Hauptpersonen sowie ihre wichtigsten Stellungnahmen u n d die W i r k u n g dieser Veranstaltungen in der Ö f fentlichkeit an ihn weiterzugeben. Außerdem wollte Gysi Informationen über staatliche M a ß n a h men, konkrete E i n f l u ß n a h m e n der staatlichen Mitarbeiter u n d eine Liste der anwesenden Gäste u n d Pressevertreter. Die für Kirchenfragen zuständigen Mitarbeiter sollten eine eigene Einschätzung beilegen, die über die „Wirksamkeit" der staatlichen Vertreter u n d der „negativen Kräfte" sowie über die Stärke u n d Zusammensetzung der „Basis" informierte (BArchR D O 4 STS f. Kirchenfragen Nr. 1435). Im Nachlaß der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen finden sich zahlreiche Telegrammberichte über die Veranstaltungen der Friedensdekade. 2 " Staatssekretär für Kirchenfragen. Abt. II. Röfke. Berlin, 2 3 . 1 1 . 1 9 8 7 : „Vorlage an die Dienstbesprechung am 2 7 . 1 1 . 1 9 8 7 " , S. 1 (BArchP, D O 4 STS f. Kirchenfragen Nr. 798).
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„Isolierung der negativen Kräfte" habe sich immer weiter verstärkt, so „daß sie sich gezwungen sahen, auf eine erneute Diskussion der auf der BEK-Synode zurückgewiesenen Positionen zum Thema ^Abgrenzung' weitgehend zu verzichten". 220 Dennoch hätten die Beziehungen zwischen Staat und Kirche und die Rolle von Christen und der Kirche in der Gesellschaft „deutlich den Hauptschwerpunkt der gesellschaftspolitisch relevanten" Diskussionen auf den Landessynoden gebildet. 221 Folgende Beispiele wurden erwähnt: N a t h o habe a u f der Anhaltischen Landessynode die „Versuche negativer Kräfte a u f der B E K - S y n o d e , das Staat-Kirche-Verhältnis zu belasten", scharf zurückgewiesen. 2 2 2 In Thüringen hätten sowohl Kirchner als auch Leich die Absage der Informationsgespräche „als Widerspruch zu der in den letzten Jahren praktizierten Kirchenpolitik gekennzeichnet". 2 2 3 Als einziger habe sich Bischof Stier a u f der Tagung seiner Mecklenburgischen Landessynode nicht von den Positionen der Bundessynode distanziert.
Die Auswertung der Herbstsynoden der Landeskirchen ließ den für den Staat beruhigenden Schluß zu, daß das „Kräfteverhältnis" sich „weiter zugunsten realistischer und loyaler Kräfte verschoben" habe. 224 Damit übersah die Dienststelle des Staatsekretärs für Kirchenfragen im Zuge der Auswertung der Bundessynode die immer deutlicher werdende Tatsache, daß die evangelische Kirche sich eben nicht nur aus „negativen" und „realistischen" Kräften zusammensetzte. Vielmehr wurde die Kirche durch die mit der politischen und gesellschaftlichen Situation Unzufriedenen, die kirchliche Strukturen für ihre Bedürfnisse zu nutzen versuchten, immer nachdrücklicher zur Wahrnehmung eines politischen Mandats gedrängt, obwohl Staatssekretär Gysi und seine Mitarbeiter gerade das verhindern wollten. Gysi hatte mit der von Jarowinsky befohlenen Absage der Staat-Kirche-Gespräche eine schroffe Zurückweisung kirchlicher „Einmischung" versucht, um die Kirche auf ihren „religiösen Auftrag" festzulegen, der für den Staat nach wie vor über die Trennung von Staat und Kirche definiert war. Intern war jedoch schon längst entschieden, was einige Kirchenvertreter nicht zuletzt aufgrund der Änderung der Bezeichnung für die Staat-Kirche-Treffen von „Sach-" in „Informationsgespräche" vermutet und befürchtet hatten: Der Staat würde auch im Falle einer Gesprächsführung über so brisante Themen wie Volksbildung oder Wehrdienst niemals eine kirchliche Mitsprache dulden.
220 221 222 223 224
Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,
S. S. S. S. S.
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5.2.3 Das Ministerium für Staatssicherheit Das Ministerium für Staatssicherheit hat mit erheblichem personellen und materiellen Aufwand versucht, sich über alle Einzelheiten des Verlaufs der Synode in Görlitz zu informieren und eigene Impulse in den Gang der Verhandlungen einzubringen. Die Aktenlage erlaubt z.Zt. die Rekonstruktion folgender Einzelheiten: Von der laufenden Tagung der Bundessynode in Görlitz übermittelte der IM „Walter" dem MfS-Offizier die Namen der teilnehmenden westlichen Korrespondenten und ihre privaten Äußerungen zu einzelnen Diskussionen im Plenum. ^»^-Korrespondent Röder habe bereits einen Tag vor Beginn der Synodaltagung „mit Absicht" in der Presse der Bundesrepublik von dem Abgrenzungsantrag berichtet, um im Westen das Interesse an der Bundessynode und damit auch an der Thematik „Abgrenzung" zu wecken und Propst Falcke auf diese Weise zu unterstützen. Von dem Verlauf der Aussprache um den Falcke-Antrag sei Röder enttäuscht gewesen und habe Kapiske seine Probleme geschildert, die das Verfassen eines Pressebeitrags über die Verhandlungen der „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" auf der Synodaltagung bereite. Ein ausführlicher Bericht über die Diskussion, in der „tatsächlich stichhaltige Argumente vorgebracht wurden gegen die Eingabe, würde die Eingabe nicht befördern, sondern eher einen Rückschlag bedeuten". 225 Auch über die Aussprache zum KKL-Bericht informierte „Walter" seinen Führungsoflfizier, wobei er die Reaktionen der westlichen Korrespondenten auf kritische Beiträge wie den Schorlemmers als Indikator für die wirkliche Gefährlichkeit synodaler Äußerungen ansah, weil es das Ziel der Korrespondenten sei, „Propaganda gegen die DDR-Politik" zu betreiben. D a Schorlemmer auch kirchenleitende Personen wegen ihrer Unfähigkeit hart kritisiert habe, „den vielen Menschen Mut zu machen zum Bleiben in der D D R " , seien seine negativen Bemerkungen weniger ins Gewicht gefallen. 226 Zu den negativen Beiträgen habe der IM Springborns Hinweis auf ausländerfeindliche Tendenzen in der D D R und Cynkiewicz' Informationen über das Gespräch mit Staatssekretär Sitzlack gezählt. Am Ende seines Berichts habe „Walter" hervorgehoben, wie positiv es von den Bundessynodalen bewertet worden sei, daß das Fernsehen der D D R sich für die Tagung interessiere und man dadurch einer verzerrten Berichterstattung durch westliche Medien entgegensteuern könne. Am 21. September übergab IM „Walter" einen „Bericht zu den Aktivitäten von Journalisten und ihren Ansprechpartnern während der Synode des Bundes 225 BStU BERLIN (ASt Frankftirt/O.), AIM 1446/88 Τ. II/Bd. 9, S. 179. Diese Auskunft Kapiskes wurde vom MfS in einer „Information über beachtenswerte Aspekte der 3. ordentlichen Tagung der V Synode des Bundes Evangelischer Kirchen (BEK) in der D D R vom 18. bis 22. September 1987 in Görlitz" vom 2. Oktober 1987 weiterverarbeitet (BStU BERLIN [ZA Berlin], H A X X / A K G - 1 2 4 , S. 2 3 2 - 2 4 4 ) . 226 BStU BERLIN (ASt Frankfiirt/O.), AIM 1446/88 Τ. II/Bd. 9, S. 188.
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in Görlitz", in dem er einzelne Gespräche referierte und das MfS auf zu erwartende Pressemeldungen in den verschiedenen Zeitungen vorbereitete.227 Für „die Erledigung von Aufträgen des MfS im Zusammenhang mit der Synode des Bundes" in Görlitz erhielt Kapiske einen Betrag von 2 0 0 , - Mark. 228 Gerhard Lewerenz nahm als offizieller Vertreter des Rates des Bezirkes Dresden an den Plenumssitzungen der Bundessynode in Görlitz teil und traf sich zwischen dem 18. und dem 23. September 1987 acht Mal mit seinem Ansprechpartner vom MfS in einer Gaststätte in Görlitz. Der Treffbericht wurde von Major Andreas Bendel, der Lewerenz unter dem Decknamen „Lutz Walter" führte, am 28. September verfaßt. 229 Basierend auf den Auskünften des I M E „Lutz Walter", den in der Anlage befindlichen relevanten Synodenbeschlüssen und einer Aufstellung aller Bundessynodalen aus dem Bezirk Dresden, verfaßte Bendel eine sechsseitige Information, die an den Leiter der MfSBezirksverwaltung weitergegeben wurde. Diese Ausführungen über Verlauf und Ergebnisse der Görlitzer Synodaltagung unterscheidet sich nicht nur deshalb von den zahlreichen anderen Überlieferungen 230 , weil sie besonders über die Stellungnahmen der Bundessynodalen aus dem Bezirk Dresden Aufschluß gibt. Die Information enthielt differenzierte Wertungen, erläuterte die Inhalte der wichtigsten Beschlüsse, führte die Schlagzeilen der westlichen Printmedien auf und Schloß mit einem Maßnahmenkatalog. Unter anderem wurde für den zukünftigen Umgang mit Vertretern der evangelischen Kirche vorgeschlagen: „Gewährleistung einer ständigen, feinfühligen, politisch differenzierten Einflußnahme auf die Synodalen durch qualifizierte Gesprächspartner unter Vermeidung jeglicher Kampagne". 2 3 1 Zu den Eingaben, die sich gegen den Antrag Falckes richteten, wurde vermerkt, daß diese „im wesentlichen auf Initiativen des Staatsapparates und des MfS zurückzuführen sind (z.B. Kirchliche Bruderschaft Sachsens)". 232 Interne Einzelheiten, die auf offiziellem Wege nicht in Erfahrung gebracht werden konnten, berichtete Rechtsanwalt Schnur seinem Führungsoffizier. Bei einer Begegnung am 26. September konnte die Bundessynode „aus Zeitgründen noch nicht ausgewertet werden. Der IM übergab vorhandene Unterlagen dazu". 233 Das Gespräch über Verlauf und Ergebnisse der Synodaltagung erfolgte dann „plangemäß" am 2. Oktober: „Auftragsgemäß berichtete der IM zur Synode des BEK, wobei eine Konzentration auf interne Beratungen erfolgte. Ebd., S. 1 8 1 - 1 8 4 . B S t U BERLIN (ASt Frankfurt/O.), A I M 1446/88 Τ. III/Bd. 1, S. 81. Weitere 2 0 0 , - erhielt „Walter" am 2 4 . 9 . 1 9 8 7 für „Information über Mitarbeiter des B E K " (Ebd., S. 83). Diese „Information" findet sich in: BStU BERLIN (ASt Frankfurt/O.), A I M 1446/88 Τ. II/Bd. 9, S. 133. 229 B S t U BERLIN (ASt Dresden), A I M 2 7 6 9 / 9 0 Τ. II/Bd. 5, S. 9 1 - 9 9 . 230 Vgl. z.B. die Dokumente 15, 19, 21, 22 und 24 im Anhang. 231 B S t U BERLIN (ASt Dresden), A I M 2 7 6 9 / 9 0 Τ . II/Bd. 5, S. 97. 232 Ebd., S. 93. 233 B S t U BERLIN (ASt Rostock), A I M 3 2 7 5 / 9 0 Τ . II/Bd. 11, S. 293. 227 228
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Durch den IM wurden Probleme der Beschaffung [von Materialien] gewertet u n d wirksam für sich erläutert und entsprechende Schriftstücke dazu übergeben. Insgesamt wurden durch den IM 4 Berichte auf Tonband gesprochen." 234 Von den Tonbandaufzeichnungen betrafen allerdings nur zwei die Bundessynode. Schnur informierte den Vertreter des Staatssicherheitsdienstes über die Diskussion in dem unter Ausschluß der Öffentlichkeit tagenden Unterausschuß, an den der von Falcke eingebrachte Antrag .Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" überwiesen worden war. Falcke habe als Reaktion auf die überwiegend ablehnende Haltung im Plenum nicht mehr darauf bestanden, daß die Synode sich den Antrag zu eigen machen müsse, sondern sich für einen Brief an die Eingeber und die Veranstaltung eines Gesprächsforums über das T h e m a Abgrenzung ausgesprochen. Ferner habe Falcke seine fordernde Haltung aufgegeben und eingeräumt, „daß die Frage der Politik der Ö f f n u n g über einen längeren Zeitraum begleitet und beobachtet werden" müsse. Diesen Rückzug des Erfurter Propstes führte Schnur darauf zurück, „daß Falcke in den zurückliegenden Jahren nicht in genügendem Maße in den kirchenpolitischen Beratungsprozeß mit einbezogen worden ist und sich auch auf der stattgefundenen Bundessynode abgezeichnet hat, daß er mit seinen Ideen oder Gedanken nicht mehr die Zustimmung erfährt, wie es Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre gewesen ist". Das hätten auch die Abstimmungen auf der Tagung bestätigt. 235 Der zweite Tonbandbericht Schnurs hatte die „Kontakte bevorrechteter Personen aus der BRD zu Synodalen" zum Thema, womit die westlichen Pressevertreter gemeint waren. So sei Falcke eng mit Gerhard Rein, dem Korrespondenten des Süddeutschen Rundfunks in der D D R , befreundet und habe mit diesem sein Konzept für das Einbringungsreferat des Abgrenzungsantrags vorher durchgesprochen. Der Journalist Karl-Heinz Baum habe in Gesprächen mit den Synodalen deren schwache Haltung zum Falcke-Antrag kritisiert u n d gefordert, die Bundessynode müsse durch einen Beschluß für Freya Klier u n d Stefan Krawczyk Partei ergreifen, um so zum Problem der vom Staat verhängten Ordnungsstrafen Stellung zu nehmen, was glücklicherweise unter den Bundessynodalen nicht auf Zustimmung gestoßen sei.236 Kolitzus von der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in der D D R habe vor allem mit den KKL-Mitgliedern Harder und Ρ Müller diskutiert. Beim Abendessen hätten Müller und Harder ihrerseits versucht, von Kolitzus „interne Einschätzungen über Ergebnisse" des Honecker-Besuchs in der Bundesrepublik in Erfahrung zu bringen, was dieser jedoch abgeblockt habe. 237 Der MfS-Vertreter notierte zu beiden Berichten Schnurs in seinem „Treffbericht", daß die erste Tonband234 235 236 237
BStU B E R L I N (ASt Rostock), AIM 3257/90 Τ. II/Bd. 13, S. 3. Ebd., S. 5. Ebd., S. 9. Ebd., S. 10.
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aufzeichnung an den Leiter der HA X X / 4 in Berlin weitergeleitet werden müsse, während die zweite zudem in die O P K „Advokat" aufzunehmen sei, mit der Harder vor und im Ubergang zu seiner Registrierung als „Dr. Winzer" überwacht wurde. Eine erste „Information über Wertungen des Verlaufes der Tagung der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der D D R vom 1 8 . - 2 2 . September 1987 in Görlitz" 238 vom 2. Oktober 1987, die innerhalb der zuständigen Abteilungen des MfS verteilt wurde, zeugt von einer außerordentlich guten Innenkenntnis des Präsidiums und der Praxis im Umgang mit der Geschäftsordnung der Synode. In dieser „Information" wurde zur Bewertung der Görlitzer Tagung eingangs erklärt, „daß durch die Vielzahl der zur sogenannten /ibgrenzungsproblematik' initiierten Eingaben sowie durch die geplante Behandlung der Thematik .Bekennen in der Friedensfrage' und zum ,konsiliaren [sie!] Prozeß' von vornherein ein im wesentlichen politisch geprägter Ablauf der Synodaltagung zu erwarten war".
Die DDR-Staatssicherheit war sogar auf einen „deutlichen politisch-negativen Verlauf' vorbereitet gewesen. Nach ,Ansicht der Quelle" hätten sich jedoch die „maßvolleren und realistischen Positionen" letztendlich durchgesetzt. 239 Das zeige sich vor allem an der Tatsache, daß Falckes „AbgrenzungsAntrag" von den Synodalen in Görlitz nicht verabschiedet worden sei. Die „Quelle" führte diese Haltung der Mehrheit der Synodalen auf die D D R - A u ßenpolitik, den Olof-Palme-Friedensmarsch, den Besuch Erich Honeckers in der Bundesrepublik sowie die „wesentliche Erhöhung der Zahlen von DFAReisen in die B R D " zurück. 240 Zudem habe das Präsidium der Bundessynode seine Möglichkeit, Einfluß auf den Verlauf der Tagung zu nehmen, „erheblich besser [zu nutzen] verstanden als in Erfurt", wo die Synode im Jahr 1986 getagt hatte. Denn das Präsidium habe schon einen Tag vor der Tagung der Bundessynode alleine und am ersten Sitzungstag zusammen mit der K K L ausgiebig über eine „Strategie" beraten, wie mit dem Antrag Falckes und den zahlreichen ihn unterstützenden Eingaben zu verfahren sei, um das Verhältnis von Staat und Kirche nicht zu belasten. Ferner sei mit Mehlhorn und Lampe vor Beginn der Synodaltagung über die — die Abgrenzungsthematik erläuternde - Aufsatzsammlung „Aufrisse" gesprochen worden. „Da das Präsidium zu der Auffas2 3 8 Dieses Papier wurde in der O P K „Kette", die der Überwachung Lampes diente, abgelegt ( B S t U BERLIN [ASt Berlin], A O P K 1 4 1 7 / 8 9 , S. 1 1 6 - 1 2 1 ) . 2 3 9 Ebd., S. 1 1 6 . Wer die „Quelle" gewesen ist, ist bislang unbekannt. Die Praxis des Erstellens von „Informationen" durch das M f S schließt trotz der Verwendung des Singulars „Quelle" keineswegs aus, daß es mehrere Informanten gegeben haben kann. 2 4 0 Diese auf eine politische Ö f f n u n g der D D R hinweisenden Faktoren hatten in der Tat die Diskussion um die „Zumutbarkeit" der im Falcke-Antrag enthaltenen Forderungen an den Staat bestimmt und viele Synodale dazu gebracht, sich gegen eine Verabschiedung der .Absage" zu entscheiden. Als DFA-Reisen wurden Reisen in dringenden Familienangelegenheiten in nichtsozialistische Staaten und nach West-Berlin bezeichnet.
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sung gelangte, Teile des Inhalts dieser Broschüre erfülle [sie] Straftatbestandsmerkmale, insbesondere des § 2 2 0 S t G B , wurde eine Aufnahme als offizielles Synodenmaterial abgelehnt." 2 4 1 Mehlhorn und Lampe hätten jedoch angekündigt, die „Aufrisse" trotz des Verbots des Präsidiums zu verteilen. Besonders Leich sei empört gewesen über dieses „erpresserische Verhalten", so daß überprüft werden müsse, „ob sein [Lampes] in Görlitz an den Tag gelegtes Verhalten nicht ausreicht, u m Lampes Ordinierung als Pfarrer zu verhindern oder zumindest zeitlich hinauszuschieben". 2 4 2 Ferner wurde in der „Information" des M f S berichtet: Während der Synodaltagung habe das Präsidium „ursprünglich beabsichtigt, einen speziellen Unterausschuß" zur Behandlung des Falcke-Antrags zu bilden, u m zu verhindern, „daß Propst Falcke als Antragseinbringer entscheidenden Einfluß auf die Abfassung der Stellungnahme der Synode zu dieser Problematik ausüben kann". 2 4 3 Sodann wurde genau geschildert, wie die komplizierte Diskussion u m Falckes Wunsch, in zwei Ausschüssen (Berichtsausschuß und Ausschuß „Friedensfragen") mitzuarbeiten und in beiden Ausschüssen stimmberechtigt zu sein, damit endete, daß Falcke nur im Berichtssausschuß, dessen ständiges Mitglied er war, sein Stimmrecht wahrnehmen konnte. In dem Ausschuß für „Friedensfragen", an den der Abgrenzungsantrag schließlich überwiesen worden war, hätten zwei Präsidiumsmitglieder „aktiven Einfluß auf die Ergebnisse ausgeübt". 2 4 4 Nach der Wiedergabe der Argumente, aufgrund derer dem Fal241 B S t U BERLIN (ASt Berlin), A O P K 1417/89, S. 117. § 220 S t G B der D D R behandelt „Staatsverleumdung". Tatsächlich hatte das Präsidium am 17.9. über die Plazierung des FalckeAntrags gesprochen. Die Entscheidung, den Verkauf der „Aufrisse" auf dem Tagungsgelände nicht zu gestatten, war wahrscheinlich erst auf der Sitzung des KKL-Vorstands mit dem Präsidium am 18.9., kurz vor Beginn der Synodaltagung, getroffen worden. Es war dort überlegt worden, wie ein „Einspeisen" der Dokumentation in die Synode zu verhindern sei. Vgl. Kap. 3.1.1 u. 3.1.2 sowie: Sekretariat des B E K . Riese. Berlin, 18.9.1987: Vermerk über die Präsidiumssitzung vom 17.9.1987 in Görlitz. Anwesend: Alle fünf Präsidiumsmitglieder sowie Riese ( E Z A BERLIN, 101/ 9 3 / 2 0 8 ) und: Sekretariat des BEK. Kupas. Berlin, 28.9.1987: Protokoll (Konzept) der KKL-Vorstandssitzung vom 18. u. 2 1 . 9 . 1 9 8 7 in Görlitz. Anwesend: - Vorstand: Leich, Demke, Stolpe, Gaebler, Salinger, Ziegler. — Sekretariat: C. Lewek. — Gäste: Riese, Zeddies, Cynkiewicz, Dietrich, Falcke, Hirsch, de Maiziere (EZA BERLIN, 101/93/249). 242 B S t U BERLIN (ASt Berlin), A O P K 1417/89, S. 118. Das M f S hatte seinerseits bereits am 19.2.1987 eine O P K „Kette" mit der „Zielstellung der Aufklärung der weiteren Pläne und Absichten des L[ampe] nach seiner Endassung aus der Untersuchungshaft in seiner Bewährungszeit eingeleitet". Nach der Görlitzer Synode konzentrierte das M f S seine Aktivitäten um so mehr auf Lampe und eröffnete noch im Sommer 1989 zur „Erarbeitung von Beweisen [...], die zur Einleitung strafprozessualer Maßnahmen geeignet sind", einen O V „Birne". Vgl. BStU BERLIN (ASt Potsdam), A O P K 114/91, S.94,11. 243 B S t U BERLIN (ASt Berlin), A O P K 1417/89, S. 118. Der Vorschlag, den Antrag Falckes an einen ad-hoc- beziehungsweise Sonderausschuß zu überweisen, wurde tatsächlich vom Präsidium gestellt und von der Synode zugunsten der Überweisung an den Ausschuß „Friedensfragen" abgelehnt (vgl. Kap. 4.3.1). Allerdings hatte das Präsidium sich bereits auf seiner Sitzung am 4 . 9 . 1 9 8 7 mehrheitlich für die Bildung eines Tagungsausschusses .Abgrenzungsproblematik" ausgesprochen. 244 B S t U BERLIN (ASt Berlin), A O P K 1417/89, S. 118. In der „Information" werden alle Teil-
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cke-Antrag von der Synode nicht entsprochen worden war, übermittelte die „Information", daß de Maiziere „wesentliche Passagen" des Briefs an die Eingeber „vorgeschlagen und formuliert" habe.245 Vermerkt wurde in der „Information" auch, daß ein Seminar mit den Eingebern in Oranienburg geplant sei und die Textstellen im Beschluß „Bekennen in der Friedensfrage" in bezug auf die Frage der Wehrdienstverweigerung eine Abschwächung zu früheren Formulierungen bedeuteten. Präses Gaebler habe durch sein Verhalten während der Synode „seine Position weiter geschwächt". Auch habe Gaebler an keiner Ausschußsitzung teilgenommen.246 Als „bemerkenswert" und Zeichen seiner „ungefestigten Position innerhalb der Bundessynode" habe die „Quelle" gewertet, daß Leich „bei 4 seiner 5 Anträge Abstimmungsniederlagen hinnehmen mußte". In der MfS-„Information" wurde die Vermutung ausgesprochen, daß Leich von der kirchlichen Basis als ein kirchlicher Amtsträger angesehen werde, der „sehr auf Repräsentation in seinem Amt bedacht" sei und sich daher an seiner Person der wachsende Spalt zwischen Kirchenleitung und Basis spiegele. „Kritisch" sei „das wiederholte Fehlen von Bischof Horst Gienke (Greifswald) vermerkt" worden.247 Aufgefallen war der „Quelle" auch die „rege Gesprächstätigkeit" des Konsularbeamten der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in der D D R , Kolitzus, unter anderem mit Passauer, Schorlemmer und Noack, wobei der „Quelle" zum „Inhalt dieser Unterredungen [...] nichts bekannt" geworden war.248 Der Wunsch des ZDF, während der Synodaltagung ein Interview mit Falcke zu führen, sei vom Präsidium „gegen den Protest Falckes" abgelehnt worden. Ferner habe die „versuchte und offensichtliche Einflußnahme von Mitarbeitern des Staatssekretariats für Kirchenfragen auf Bundessynodale im unmittelbaren Vorfeld bzw. noch während der Tagung" sich nach Einschätzung der „Quelle" „nachteilig" ausgewirkt. Wörtlich hieß es: „ D a allgemein über diese Aktivitäten gesprochen wurde, entstand bei vielen Synodalen der E i n d r u c k , daß staatliche Stellen sich in innerkirchliche Angelegenheiten einmischen."249
Ebenfalls vom 2. Oktober 1987 stammt eine „Information über beachtenswerte Aspekte der 3. ordentlichen Tagung der V. Synode des Bundes Evangelinehmer des Ausschusses genannt, an dem auch Bischof Forck als Gast teilgenommen und einen „sehr mäßigenden Einfluß" ausgeübt habe. 245 Ebd., S. 119. Angesichts der Tatsache, daß dieAusschüsse unter Ausschluß der Öffentlichkeit mit begrenzter Teilnehmerzahl getagt haben, liegt die Vermutung nahe, daß die oder zumindest eine „Quelle" Mitglied des Ausschusses gewesen sein muß oder engen Kontakt zu einem der Ausschußmitglieder hatte. 246 Nach § 8 (2) der G O der Bundessynode gehören die Mitglieder des Präsidiums keinem Ausschuß an, „können aber in jedem Ausschuß das Wort ergreifen und Anträge stellen". 247 BStU BERLIN (ASt Berlin), A O PK 1417/89, S. 120. 248 Ebd., S. 121. Vgl. auch Kap. 4.2.1, S. 106f.,Anm. 88. 249 BStU BERLIN (ASt Berlin), A O P K 1417/89, S. 121.
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scher Kirchen ( B E K ) in der D D R vom 18. bis 22. September 1987 in Görlitz". 2 5 0 Aus der Sicht dieser weiteren „Information" des M f S hatte die Görlitzer Synodaltagung ein bestimmtes Ziel zu erreichen: „ D i e S y n o d e stand objektiv vor der A u f g a b e , Stellung zu n e h m e n zur aktuellen Interpretation der F o r m e l , K i r c h e im Sozialismus' in Reflexion aktueller gesellschaftspolitischer Ergebnisse/Belange (Staatsbesuch des Vorsitzenden des Staatsrates der D D R in der B R D ; der Olof-Palme-Friedensmarsch; das g e m e i n s a m e D o k u m e n t S E D S P D , D e r Streit der Ideologien u n d die g e m e i n s a m e Sicherheit') sowie in innerkirchlicher H i n s i c h t z u m konziliaren Prozeß." 2 5 1
Insgesamt sei der Verlauf durch „kontroverse Auffassungen der Teilnehmer zu fast allen Themen- und Problemkreisen gekennzeichnet" gewesen, wobei eine „realistische Positionsbestimmung" des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat und die deutliche Festlegung des „künftige [n] Weg[es]" einer Kirche im Sozialismus nur „ungenügend" versucht worden sei. Die Ursache dafür sah die Kirchenabteilung des M f S in den sich „weiter vergrößernden Differenzen sowohl unter kirchenleitenden Kreisen als auch zur und an der Basis". 2 5 2 Etwa 2 5 der 6 0 Synodalen hätten „konstant politisch realistische Positionen" vertreten, was vom Staatssicherheitsdienst auf die von staatlicher Seite ausgeübte gezielte Einflußnahme sowie auf die gelungene Zusammenarbeit von Staat und Kirche zum Beispiel während des Olof-Palme-Friedensmarsches zurückgeführt wurde. O b w o h l diese 2 5 Personen „energischer als zu gleichartigen Anlässen [...] ihren Einfluß auf Inhalt und Verlauf der Synode bis hin zur Abfassung der Abschlußdokumente geltend" gemacht hätten, habe die „gegenwärtige Kräftekonstellation, vor allem in den Ausschüssen", das Gesamtergebnis nicht entscheidend verändern können. Den auf „Konstruktivität und Ergebnisbezogenheit" drängenden kirchenleitenden Persönlichkeiten Leich, D e m k e und Stolpe habe die „notwendige Unterstützung" gefehlt, oder sie hätten „ihre von Realismus geprägte Konzeption nicht durchgängig" beibehalten. 253 Demgegenüber sei es den „politisch-negativen" Synodalen zwar auch nicht gelungen, ihre Ziele „umfassend" zu erreichen, doch sei eine Umsetzung „auf bestimmten Gebieten weitgehend" geglückt. 2 5 4 Profitiert hätten diese „reaktionären" Synodalen von ihrer „langfristig organisierten politischen Beeinflussungstätigkeit und ,Meinungsmacherei'", ihrer „personellen Überlegenheit" in den Ausschüssen, der Arbeitsweise des Präsidiums und dem „neutralen, unschlüssigen und politisch schwankenden" Verhalten der restlichen Synodalen. 2 5 5 Dazu hätte nicht zuletzt BStU BERLIN (ZA Berlin), HA XX/AKG-124, S. 2 3 2 - 2 4 4 . Vgl. auch oben, S. 197, Anm. 225. BStU BERLIN (ZA Berlin), HA XX/AKG-124, S. 232. 252 Ebd., S. 233. 253 Ebd., S. 234. 254 Hier ist sicher der ebenso wie der Falcke-Antrag umstrittene Abschnitt im 2. Teil des Synodenbeschlusses „Bekennen in der Friedensfrage" gemeint, der sich mit dem Problem der Wehrdienstverweigerung befaßt. 2 " BStU BERLIN (ZA Berlin), HA XX/AKG-124, S. 2 3 4 - 2 3 7 . 250 251
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die gegenwärtige „Konzeptionslosigkeit bzw. [...] Unvermögen oder [...] Nichtbereitschaft auch innerhalb der KKL, sich den aktuellen kirchen- und staatspolitischen Fragen mit der notwendigen Konsequenz zu stellen"256, beigetragen, wie der KKL-Bericht an die Bundessynode deutlich gemacht habe. Besonders mißfielen den MfS-Offizieren die Redebeiträge Falckes, zumal er sich zum „Wortführer" der Opposition gemacht und gleichzeitig versucht habe, sich „als kirchlicher Amtsträger weiter zu profilieren".257 Verärgert waren die Mitarbeiter der Kirchenabteilung des Staatssicherheitsdienstes gleichermaßen über epdKorrespondent Röder, der bereits im Vorfeld der Synode durch eine „tendenziöse Vorveröffentlichung"258 versucht habe, dem Falcke-Antrag „moralische und politische Unterstützung" zu geben.259 Insgesamt hätten sowohl die westlichen Korrespondenten als auch die in der D D R akkreditierten Diplomaten ihre .Aktivitäten zur Informationsbeschaffung usw. vorrangig auf politisch-negative Synodale" beschränkt. Allen voran hätten Kolitzus und Röder gemeinsam Einfluß auf Teilnehmer der Synode zu nehmen versucht. In der Bewertung der Grußworte der ökumenischen Gäste sprach aus der „Information" die Zufriedenheit des MfS mit den Beiträgen von Radatz und dem Vertreter der Generalsynode der Kirche von England, Dumper, während der Beitrag Germans, des Exarchen der ROK, Verärgerung ausgelöst hatte. German habe auf „Einschränkungen des kirchlichen Lebens in der UdSSR" hingewiesen und die Einmischung des Amtes für religiöse Angelegenheiten „in innerkirchliche Belange" kritisiert.260 Aus dem durch die hier zitierten verschiedenen „Quellen" so sorgfältig rekonstruierten Verlauf der Görlitzer Tagung ergaben sich für die HA XX/4 des MfS mehrere Schlußfolgerungen. Die Einflußnahme auf kirchliche Amtsträ256 Ebd., S. 235. Der MfS-Offizier Wegner hatte sich am 9.9.1987 von einem Gespräch mit Harder folgende Einschätzung dieses KKL-Mitglieds notiert: Der „Entstehungsprozeß [des KKLBerichts] war dieses Jahr so kompliziert und wenig effektiv, wer ist auch bereit, innerhalb der KKL, wo die Meinungen soweit auseinandergehen, sich so zu dekuvrieren, daß er einen geschlossenen Bericht vorlegt" (BStU BERLIN [ASt Rostock], AIM I 4155/90, Bd. 1, S. 70). Vgl. Dok. 10 im Anhang. 257 BStU BERLIN (ZA Berlin), HA XX/AKG-124, S. 238. Eine solche Verquickung von kirchenleitender Verantwortung und gleichzeitigem Eintreten für die „Basis" mußte dem MfS als besonders gefährlich erscheinen, zumal der Staatssicherheitsdienst wie auch die Führungsebene der S E D von jeher davon ausgingen, daß zumindest kirchliche Entscheidungsträger um ein positives StaatKirche-Verhältnis bemüht blieben. 258 Vgl. EPD-Landesdienst BERLIN Nr. 178 vom 17.9.87. Röder hatte geschrieben, daß der ΒΕΚ auf seiner Synode in Görlitz die „Abgrenzungspolitik verurteilen" solle. Neben genauen Informationen über Provenienz und Inhalt der .Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" enthielt Röders Artikel auch Zitate aus dem Antrag und erwähnte, daß zahlreiche Eingaben zu diesem Thema eingegangen seien. 259 BStU BERLIN (ZA Berlin), H A X X / A K G - 1 2 4 , S. 239. 260 Ebd., S. 240f. Vgl. auch BStU BERLIN (ZA Berlin), H A X X - Z M A 1967, S. 3f. Basierend auf einer Tonbandaufzeichnung waren die UdSSR-kritischen Äußerungen Germans sofort an Wiegand weitergeleitet worden.
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ger u n d Synodale sollte „in deren kirchlichen Wirkungsbereichen bzw. gesellschaftlichen und beruflichen Umfeldern" verstärkt werden. Staatssekretär Gysi müsse „differenzierte Aussprachen" mit Leich, Demke und Stolpe führen. Besonders bemerkenswert ist die Konsequenz, die der Staatssicherheitsdienst für die künftige Arbeit der DDR-Medien zu ziehen plante: „Zur unmittelbaren und über die Tagung hinausgehenden öffentlichkeitswirksamen Unterstützung politisch realistischer Kräfte und Disziplinierung politisch-negativer Elemente, zur authentischen Dokumentation vor allem wesentlicher Inhalte derartiger Veranstaltungen sowie zur Einschränkung des Wirksamwerdens westlicher Korrespondenten und zum Brechen ihrer alleinigen Präsenz wird die Anwesenheit von Korrespondenten für R u n d f u n k und Fernsehen der D D R mit entsprechender Tonu n d Filmtechnik als immer notwendiger angesehen." 261
D e m MfS wurde von einem weiteren IM auch zugetragen, wie die Vertreter des Staates während der Synode des Bundes Informationen zusammenstellten. So berichtete der Stellvertreter Inneres des Rates der Stadt Görlitz, Werner, der neben seiner offiziellen Tätigkeit als IM „Michael" für das MfS arbeitete, am 2. Oktober 1987 von der Tätigkeit der .Arbeitsgruppe Bundessynode" 262 , die während der Synodaltagung für die Berichterstattung an das Politbüro zuständig war. Es wurde erwähnt, daß die Sekretärin Werners in dessen Vorzimmer „die Tagesberichte an Gen. Werner Jarowinskie [sie!] geschrieben" habe. 263 Kraußer von der ZK-Arbeitsgruppe Kirchenfragen hatte der Görlitzer Arbeitsgruppe angehört, wie in der Akte des IM „Werner" festgehalten ist. Bei einem Treffen IM „Michaels" mit seinem Führungsoffizier war dem IM am 21. September 1987 „für seinen Einsatz bei der Aktion ,Bund 87' eine Prämie in H ö h e von 500,— (fünfhundert) Mark übergeben" worden. 264 Damit wurde sein Einsatz während der Görlitzer Bundessynode entlohnt, für den er darüber hinaus auch vom Rat des Bezirks Dresden die üblichen Tagegelder erhielt. 265 Nach Abschluß der Bundessynode führte Harder am 8. Oktober 1987 ein Gespräch mit einem Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes, das von dem stellvertretenden Referatsleiter in der Abt. XX der BV Rostock des MfS, Wegner, einen Tag später handschriftlich aufgezeichnet worden ist.266 Bei einem
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BStU BERLIN (ZA Berlin), H A XX/AKG-124, S. 2 4 3 . Diese „Arbeitsgruppe Bundessynode", die eigens für die Bundessynode gebildet worden war, setzte sich zusammen aus Vertretern von: ZK-Arbeitsgruppe Kirchenfragen, Dienststelle des Staatssekretärs fur Kirchenfragen, R d B Dresden u n d RdS Görlitz. 263 BStU BERLIN (ASt Dresden), A I M 8 8 6 5 / 9 0 Τ. I/Bd. 1, S. 135. 264 Ebd., S. 110. 265 Vgl. R d B Dresden. Sektor Kirchenfragen. Dresden, 18.9.1987: „Bundsynode vom 1 8 . - 2 2 . 0 9 . 1 9 8 7 in Görlitz. Tagegelder für Einsatzstab" (SächsHStA DRESDEN, R d B Dresden Nr. 4 7 5 9 6 ) ; als D o k . 16/1 im Anhang. 266 BStU BERLIN (ASt Rostock), A I M 1 4 1 5 5/90, Bd. 1, S. 7 9 - 8 1 . Wegner hat die Aufzeichnungen nicht unterzeichnet; die Handschrift entspricht jedoch der in anderen, von i h m handschriftlich festgehaltenen u n d unterschriebenen Gesprächsvermerken. 262
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Die unmittelbare Nachgeschichte der Bundessynode in Görlitz 1987
Vergleich des Inhalts dieses Gesprächs und vor allem der Formulierungen Härders mit den vom MfS verfaßten „Informationen" fallen viele Gemeinsamkeiten auf, die darauf schließen lassen, daß Härders Bewertungen der Bundessynode zumindest ein Teil der oben zitierten „Quelle" sind. So habe Harder in dem Gespräch zum Ausdruck gebracht, daß der auf der Bundessynode in Görlitz diskutierte Bericht der K K L „kein Zeichen von besonderer schöpferischer Leistung" sei und die „Ratlosigkeit" der K K L widerspiegele. „Völlig unsinnig" sei die Passage zur Darstellung des Verhältnisses von Staat und Kirche, „wo die Synode eine Synode zitiert, die ihrerseits eine frühere Synode zitiert". Harder habe sein Gegenüber informiert, daß er im kommenden Jahr für den KKLBericht verantwortlich sein werde. Der von Falcke eingebrachte Antrag sei - so Harder - „vom Tisch" geredet worden, „um [das] Papier .Bekennen in der Friedensfrage' durchzubekommen". 267 Dieses „taktische Manöver" sei unerläßlich gewesen, da niemals beide Papiere in Form einer Beschlußfassung hätten angenommen werden können. Im übrigen enthalte „Bekennen in der Friedensfrage" „auch viel mehr Brisanz", so daß „Falcke mit seinem Abgrenzungspapier geopfert" werden mußte. „Bekennen in der Friedensfrage" sei von einem Ausschuß langfristig vorbereitet worden, aber der K K L wie ihrem Vorstand erst in Görlitz zur Kenntnis gelangt. Harder habe dies als eine „unzumutbare Überraschung" empfunden. Auf der nächsten KKL-Sitzung werde er daraufhinweisen, daß diese „Verfahrensweise", „völlig ,unausgegorene Vorlagen aus dem Stand' einzubringen", gegen den Auftrag der Erfurter Bundessynode verstoße, die „eine Erarbeitung im Einvernehmen mit der K K L " gefordert habe. Als Hauptinitiatoren der Vorlage „Bekennen in der Friedensfrage" bezeichnete Harder die Pastorin Höppner und Falcke, der „auch unbedingt in diesem Ausschuß mitarbeiten wollte, obwohl er dort gar nicht reingehörte". 268 Zu der im Text der Vorlage angesprochenen Wehrdienstfrage habe Harder geäußert, daß der Synodenbeschluß — obwohl die Initiatoren in ihrer Begründung eine andere Interpretation vorgetragen hätten — eine Verweigerung des Wehrdienstes als „einzig richtige Entscheidung von Christen" darstelle. Harder könne jedoch sein Gegenüber beruhigen, da „95 % der Adressaten" das Papier nicht zur Kenntnis nehmen würden. „Kann einem Jugendlichen zugemutet werden, solche steilen Passagen von Schreibtischtheologen als ihre Wirklichkeit zu rezipieren [?]" 269 Im weiteren Verlauf des Gesprächs habe Harder eingeräumt, daß „in der Wertung der Bundessynode [...] bestimmte Erscheinungen und Ergebnisse" das Verhältnis von Staat und Kirche belasteten. Harder schlug bezüglich des weiteren Umgangs mit dem Falcke-Papier vor, „man könnte z.B. aus [der] Abgrenzungsthematik einzelne Dinge behandeln, wie z.B. [das] AusEbd., S. 79. Ebd., S. 79a. Wie in Kap. 4.3.4 dargestellt worden ist, hat es im Plenum eine erregte Diskussion über die Frage gegeben, ob Falcke in zwei Ausschüssen gleichzeitig mitwirken dürfe. Z u m Auftrag der Erfurter Bundessynode vgl. E P D DOKUMENTATION 4 2 / 8 6 , S. 4 0 - 4 8 . 269 B S t U BERLIN (ASt Rostock), A I M I 4 1 5 5 / 9 0 , Bd. 1, S. 80. 267
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Staatliche Reaktionen
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länderproblem, und damit versuchen [,] das Ganze vom Tisch zu bekommen". 270 Zu dem Problem der „Einflußnahme" westlicher Korrespondenten auf Synodale habe Harder seine „große Besorgnis" über die Einmischung in interne Probleme geäußert. Kolitzus von der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik sei aber normalerweise ein „angenehmer Gesprächspartner". Harder fugte hinzu: , A n s p r e c h p a r t n e r des K. [Kolitzus] ( K K L meist) lassen natürlich keine internen Infos rausgehen, K. fragt a u c h nicht d a n a c h (viel zu clever in d e m G e s c h ä f t ) , wie z.B. N a m e n , Internes aus den A u s s c h ü s s e n . "
Abschließend habe Harder volles Verständnis dafür gezeigt, „warum keine größere Berichterstattung von [der] Bundessynode erfolgte", zumal es nichts gegeben hätte, „was positiv zu berichten gewesen wäre". 271 Am 13. Oktober 1987 notierte ein Hauptmann der MfS-Kirchenabteilung, er habe mit dem Bundessynodalen König die „Übergabe von kirchlichen Materialien vereinbart", wobei er .Arbeitsberichte und Anträge von Falcke" nannte. 272 Der Mitarbeiter des MfS, der als Quelle den IMS „Domino" angab (so wurde König vom Staatssicherheitsdienst geführt), schilderte weiter, wie es im Verlauf der Bundessynode dazu gekommen sei, daß der Falcke-Antrag zu „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" nicht angenommen wurde: „Falcke sah ein, daß er keine Chance hatte und versuchte, die Kurve zu bekommen, indem er selbst erklärte, daß ja vielerlei Wege zur Öffnung sich zeigen, ob es denn überhaupt angebracht sei, den Antrag einzubringen, aber er habe es tun müssen aufgrund der über 200 Eingaben." 273 Bemerkenswert sei bei der Plenumsdiskussion ferner gewesen, daß der „Syn. Ludwig Große/Saalfeld gegen den Antrag Dr. Falckes" angetreten sei.274 Der Stellvertretende Minister für Staatssicherheit, Mittig, sandteam 14. Oktober 1987 ein Schreiben mit dem Zusatz „Dieses Schreiben ist in eigener Zuständigkeit zu vernichten" und dem Vermerk „Rücksendetermin der Dokumente: 31.12.1987 an H A X X " an die Leiter der Diensteinheiten. In der Anlage befanden sich der Abschlußbericht zum Olof-Palme-Friedensmarsch sowie eine Information über die Bundessynode 275 . Mittig legte in seinem „RundEbd., S. 80b. Ebd., S. 81. 272 BStU BERLIN (ASt Erfiirt), TA 150/89, Bd. 2, S. 172. 273 Ebd., S. 173. 274 Ebd. 275 Zum Inhalt der „Information über beachtenswerte Aspekte der 3. ordentlichen Tagung der V. Synode des Bundes Evangelischer Kirchen (BEK) in der D D R vom 18. bis 22. September 1987 in Görlitz" vgl. S. 2 0 2 - 2 0 5 vorliegender Darstellung. Das „Rundschreiben" Mittigs sowie die beiden Anlagen sind von den Verf. in den Beständen der Gauck-Behörde mehrfach gefunden worden (BStU BERLIN [ASt Potsdam], HAXX/AKG-724, S. 3 - 2 9 ; BStU BERLIN, Dok. Stelle des MfS, 103/400). Bei G . BESIER/S. WOLF (Hg.): Pfarrer, Christen und Katholiken, S. 4 9 9 - 5 1 7 , wird das Rundschreiben Mittigs samt der beiden Anlagen abgedruckt. Jegliche Nachweise auf den Fundort 270 271
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D i e unmittelbare N a c h g e s c h i c h t e der B u n d e s s y n o d e in G ö r l i t z 1 9 8 7
schreiben" fest, wer innerhalb des MfS von den Papieren in Kenntnis gesetzt werden dürfe und wie eine „Konzeption zur Führung der Gespräche mit kirchenleitenden Mitarbeitern durch die Beauftragten der Räte der Bezirke" auszuarbeiten sei. Uber die Termine dieser Gespräche sowie über ihren Ausgang sollte dann Kienberg, der Leiter der H A XX, informiert werden. Am 20. Oktober 1987 schickte Mittig „in Ergänzung meines Schreibens vom 14.10.1987" an alle Bezirksverwaltungen für Staatssicherheit „eine Information, die das Sekretariat des Z K der S E D an die Bezirksleitungen der S E D gegeben hat". Dabei handelte es sich um eine der Vorlagen, die Jarowinsky am 14. Oktober 1987 auf der Sitzung des ZK-Sekretariats eingebracht hatte, „Zur weiteren Arbeit mit den evangelischen Kirchen in der D D R " . 2 7 6 IM „Hermann Schneider" 277 [Frank Stolt] berichtete am 22. Oktober 1987 „über Reaktionen zur Bundessynode der Band [gemeint ist: des Bundes] der ev. Kirchen in Görlitz". 278 Stolt, der seit Ende des Jahres 1985 als Kreisjugendwart im Kirchenkreis Berlin I tätig war - zu dem auch die Bartholomäusgemeinde gehörte - , teilte dem MfS mit, daß der Abgrenzungsantrag, das Papier „Bekennen in der Friedensfrage" sowie die in letzterem enthaltene Frage der Wehrdienstverweigerung von Christen „besondere Beachtung" fänden. „Hermann Schneider" informierte den Staatssicherheitsdienst auch genau über den Weg, den der Abgrenzungsantrag bis hin zur Einbringung durch Falcke in Görlitz genommen hatte. Uber die Beschlußfassung zu „Bekennen in der Friedensfrage" wußte Stolt zu berichten, daß der Diakoniedirektor Petzold „während der Abstimmung" den Plenarsaal verlassen habe. Das in „Bekennen in der Friedensfrage" angesprochene Problem, ob Christsein mit dem Dienst an der Waffe zu vereinbaren sei, hielt Stolt mit dem Synodenbeschluß „eindeutig [...] in Richtung auf Verweigerung und Bausoldaten" für entschieden. Damit hoffe die Bundessynode, vor allem auch der Synodale Passauer, einen „sozialen Friedensdienst oder sozialen Ersatzdienst zu installieren". 279 Am 23. November 1987 wurde vom Staatssicherheitsdienst eine „Information über die 114. Tagung der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen" 280 verfaßt, die am 6. und 7. November in Berlin zusammengetreten war, um die Görlitzer Synodaltagung auszuwerten. Inhaltlich ist diese „Informatider Akten bzw. deren Archivsignaturen fehlen. Die Vermerke „Streng geheim!" und „Um Rückgabe wird gebeten!", die sich auf diesem von Besier/Wolf veröffentlichten Schreiben Mittigs befinden, sind auf den beiden von den Verf. in den Beständen des BStU aufgefundenen Dokumenten nicht vorhanden. 276 BStU BERLIN (ASt Potsdam), HAXX/AKG-724, S. 3 0 - 3 5 . Vgl. Kap. 5.2.1 der Darstellung. 277 Dokumente zu IM „Hermann Schneider" sind auszugsweise kommentiert und abgedruckt beiT. KRONE/R. SCHULT (Hg.): „Seid Untertan der Obrigkeit", S. 9 1 - 1 1 3 . 278 BStU BERLIN (ASt Berlin), A O P K 1417/89, S. 122. 279 Ebd., S. 123. Diese Bewertung des Synodalbeschlusses „Bekennen in der Friedensfrage" findet sich in Härders Eischätzung der Bundessynode gegenüber dem MfS auch wieder. 280 BStU BERLIN (ZA Berlin), H A X X / A K G - 1 2 4 , S. 190-204. Vgl. Protokoll der Tagung vom BEK-Sekretariat, Dok. 30 (Auszug).
Staatliche Reaktionen
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on" weitaus ausfuhrlicher als das kirchliche Protokoll, vor allem bezüglich der Diskussion, die sich an die Auswertung der Bundessynode anschloß. Demnach habe Konsistorialpräsident Stolpe seine Verwunderung darüber zum Ausdruck gebracht, daß staatliche Organe nichts gegen die Verbreitung der „Aufrisse" unternommen hätten, zumal es sich dabei „um nicht genehmigte Druckerzeugnisse" gehandelt habe. Bischof Forck habe sich darüber erstaunt gezeigt, daß keiner der Staatsvertreter an ihn herangetreten sei, obwohl er „gegenüber dem Generalstaatsanwalt nach der Verurteilung von Vikar Lampe auf Bewährung die Bürgschaft für diesen übernommen" habe. Weiterhin habe das KKLMitglied P. Müller bemängelt, daß die Bundessynode zu einer „,Beschwerdeinstanz'" degradiert werde, wenn von der Synode einer Gliedkirche nicht aufgenommene Anträge dann vor die Synode des Bundes gebracht würden, wie es im Falle der „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" geschehen sei. Das „Verhältnis zwischen Bund und Gliedkirchen" müsse geklärt werden. Stolpe habe ebenfalls Kritik daran geübt, daß die Landeskirchen immer öfter „Beschlüsse leitender kirchlicher Gremien" ignorierten. Die K K L müsse dies „bedenklich stimmen". 281 Der Bericht Leichs über sein Gespräch mit Staatssekretär Gysi am 6. November 1987 282 wurde in der MfS-"Information" ebenfalls ausführlich wiedergegeben. So habe zum Beispiel Leich den KKL-Mitgliedern mitgeteilt, daß er Gysi auf ein Schreiben hingewiesen habe, das er (Leich) am 22. Oktober an Honecker persönlich - mit der Bitte um ein „vertrauliches Gespräch" - gerichtete hatte, um festzustellen, ob Honecker über die Absage der zugesagten Staat-Kirche-Gespräche informiert sei. Die Tatsache, daß eine Reaktion Honeckers ausgeblieben sei, habe Leich Gysi gegenüber als Zuspitzung der Lage bewertet.283 Im „Abschlußbericht zur O P K " vom 30. November 1987, die zur Überwachung von Kramer angelegt worden war, wurde im Zusammenhang mit dem für Januar 1988 geplanten Abgrenzungsseminar in Oranienburg vom MfS aufmerksam zur Kenntnis genommen, daß der Magdeburger Konsistorialpräsident der Vorbereitungsgruppe angehörte. Ebenso wurde vermerkt, daß Kramer die den „innerkirchlichen Differenzierungs- und Polarisierungsprozeß" stützenden „Auffassungen" Falckes nicht teile.284 Detailliertere Informationen zum Oranienburger Seminar und Materialien, die vom B E K an die Teilnehmer verschickt worden waren, finden sich in der Akte IMS „Domino". 2 8 5 Dem MfS-Offizier habe König kurz vor Beginn des B S t U BERLIN (ZA Berlin), H A X X / A K G - 1 2 4 , S. 198. Vgl. auch die in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen verfaßte Information über dieses Gespräch. Im Anhang als Dok. 29. 283 B S t U BERLIN (ZA Berlin), H A X X / A K G - 1 2 4 , S. 1 9 9 - 2 0 2 . 284 B S t U BERLIN (ASt Magdeburg), A O P K 130/88, S. 247. Mit dem Ausscheiden Kramers aus seinem Amt als Konsistorialpräsident wurde die O P K eingestellt und archiviert, weil dies für das M f S als „erreichte Zielstellung" gewertet wurde (Ebd., S. 249). 285 B S t U BERLIN (ASt Erfurt), T A 150/89, Bd. 2, S. 1 7 8 - 2 1 8 . Auch einige Beschlüsse der Görlitzer Bundessynode sind in dieser Akte abgelegt. 281
282
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Abgrenzungsseminars mitgeteilt, er habe sich trotz der .Anfeindungen durch Propst Falcke" zu einer Teilnahme in Oranienburg entschlossen, weil es „unfair" sei, „wenn er seinen dort [in Görlitz] vertretenen Standpunkt nicht zum Symposium vertreten würde". 286 Im Januar 1988 verfaßte der Leiter der Abteilung XX/4 der BV Erfurt des MfS eine „Einschätzung der politisch-operativen Lage in Auswertung der Beschlußfassung der 3. Tagung der V. Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der D D R im Verantwortungsbereich der BV Erfurt". 287 Darin wurde festgehalten, daß der Thüringische Landesbischof Leich in seinem Bericht an die Landessynode, die vom 12. bis 15. November 1987 in Eisenach getagt hatte, die Absage der versprochenen Sachgespräche durch Staatssekretär Gysi zu interpretieren versucht habe. Leich habe die Rücknahme des Gesprächsangebots „mit der Unsicherheit staatlicher und gesellschaftlicher Leitungsgremien hinsichtlich der Signalwirkung bzw. des Vorbildcharakters der begonnenen Entwicklung in der Sowjetunion für Staat und Gesellschaft in der DDR" begründet. Dabei habe der Bischof die von ihm in Görlitz ausgelöste Diskussion um die „Zumutbarkeit" kirchlicher Forderungen an den Staat aufgegriffen und betont: „Je größer die Achtung der marxistischen Weggenossen vor unserem Glauben ist, um so geringer wird unser Aufwand an betonter Eigenständigkeit sein. Je größer die Versuchung der Weggenossen wird, mit Hilfe der politischen Macht die Kirche einzuordnen und als Verstärker eigener Ziele zu sehen, umso deutlicher wird der Aufwand an betonter Eigenständigkeit der Kirche sein müssen."288
Bezüglich des Vorgehens des MfS gegen die „Umweltbibliothek" in der Zionskirchengemeinde Ende November 1987 289 habe Leich versichert, „daß die Maßnahmen des MfS sich nicht gegen die Kirche gerichtet hätten bzw. auch nicht als Reaktion des Staates gegen Inhalt und Verlauf der durchgeführten Bundessynode in Görlitz zu verstehen seien". 290 Des weiteren habe Leich mißbilligt, daß die Berlin-Brandenburgische Landeskirche sich für die „Niederschlagung der Ermittlungsverfahren und das Stellen eines Anwalts" eingesetzt habe, da es sich „nicht um kirchliche Mitarbeiter gehandelt [habe], sondern um normale Gemeindeglieder. Wenn ein solches Gemeindeglied Gesetze verletze, müsse es auch die Konsequenzen tragen". 29 ' In der gleichen „Einschätzung" wurde die Einbringung des Abgrenzungsantrags durch Propst Falcke als „politisch-operativer Höhepunkt im Verantwortungsbereich der Evangelischen Kirchenprovinz Sachsen" dargestellt. Das Gespräch Falckes mit dem Vorsitzen286 287 288
Ebd., S. 1 8 5 . BStU BERLIN (ZABerlin), H A X X - Z M A 1 9 5 9 , S. 4 9 - 5 4 . Ebd., S. 50.
289
V g l . W . RÜDDENKLAU: S t ö r e n f r i e d , S.
290
BStU BERLIN (ZABerlin), H A X X - Z M A 1 9 5 9 , S. 5 1 . Ebd.
2,1
114-122.
Staatliche R e a k t i o n e n
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den des Rates des Bezirks Erfurt, Artur Swatek, wurde als gelungene Zurechtweisung Falckes gewertet, obwohl dem MfS „streng intern" bekannt geworden war, daß Falcke nicht nur mit der Reaktion der Bundessynode auf die von ihm eingebrachte ,Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" zufrieden gewesen sei, sondern das Gespräch mit Swatek „ihn ein kaltes Lächeln gekostet" habe. 2 9 2 Alle hier zitierten Dokumente belegen, daß der von Falcke vor die Bundessynode gebrachte Abgrenzungsantrag vom MfS als erheblicher Störfaktor im Verhältnis zwischen Staat und Kirche bewertet wurde, obwohl der Antrag selbst — spätestens seit den Ereignissen um die Zionskirchengemeinde Ende 1 9 8 7 und die Luxemburg/Liebknecht-Demonstration Anfang 1 9 8 8 - kaum mehr Brisanz hatte. 2 9 3 So wurde in einem Papier der H A X X / 4 noch vermerkt, daß der Antrag trotz der Ablehnung durch die Berlin-Brandenburgische wie auch durch die Bundessynode „mit Wissen und Duldung kirchenleitender Organe Eingang in den,Konziliaren Prozeß' gefunden" habe. Der Antrag wurde als Zeichen für eine immer stärkere werdende Tendenz eingeschätzt, die ein MfS-Papier mit der prägnanten Formel beschrieb: „Die Kirche gewährt und bietet bestimmten Leuten totale Öffentlichkeit." 294 Z u den Aktivitäten des Ministeriums für Staatssicherheit im Zusammenhang mit der Görlitzer Synode gehörten auch noch folgende Vorgänge: Anfang 1 9 8 8 sollte Nollau als IM geworben werden, nachdem bereits seit 1 9 8 4 eine O P K „Grüner" durchgeführt worden war. Beim ersten „Kontaktgespräch" sollte ihm klargemacht werden, „daß es Personengruppen und Tendenzen in den Kirchen (Berlin) gibt, die die Kirche mißbräuchlich als Plattform zur Verbreitung oppositioneller Gedanken nutzen." Der Leiter der B V Dresden des MfS wollte dies belegen mit dem „Inhalt der Synode des B E K in Görlitz", der „Friedensdekade 1 9 8 7 " , den „Ereignissen um die Zionskirche in Berlin und Dresden" und der „1. Vollversammlung zum konziliaren Prozeß". 2 9 5 Das Gespräch sollte abgebrochen werden, falls Nollau keine Bereitschaft zur Zusammenarbeit zeige. A m 2 8 . Juni 1 9 8 8 fand das „Kontaktgespräch" dann statt. Nollau soll dem MfS-Offizier gesagt haben, daß er „den Verlauf und die Ebd., S. 53. Z u m Gespräch Falckes mit Swatek vgl. Dok. 2 3 im Anhang. Der Initiatorenkreis um die .Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" (ebenso die auf der Bundessynode 1 9 8 7 verteilte Aufsatzsammlung zum Thema Abgrenzung, .Aufrisse") tauchte bis zum Ende der D D R im Rahmen verschiedener Veranstaltungen der kirchlichen und unabhängigen Gruppen immer noch auf, konnte aber nach dem Oranienburger Seminar nur noch als eine Initiative unter vielen bezeichnet werden. Die von der Gruppe vertretenen Inhalte waren jedoch Teil der gesellschaftspolitischen Diskussion geworden. Diese Einschätzung bestätigten BICKHARDT und LAMPE in Gesprächen mit den Verf. am 1 6 . 6 . 1 9 9 4 und 3 0 . 5 . 1 9 9 4 . Pfingsten 1 9 8 8 wurde eine Dokumentensammlung für den kirchlichen Gebrauch in hektographierter Form von A. BERGER/J. FISCHBECK/R. LAMPE: „Weil alle Abgrenzung..." hergestellt. 2 . 4 B S t U BERLIN (ZA Berlin), HA X X / 4 - 3 6 8 , S. 64. Das Papier ist undatiert, aber etwa Anfang 1 9 8 8 einzuordnen. 2 . 5 B S t U BERLIN (ASt Dresden), A1MV 8 3 1 6 / 9 0 T . I/Bd. 1, S. 36. 2,2
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Beschlüsse der Synode des Bundes in Görlitz [...] bedauert" habe. Es „sei zwar gelungen, den Antrag Falckes zu Fall zu bringen, aber damit wäre das Problem selbst nicht gelöst gewesen". Auch gegen „Bekennen in der Friedensfrage" habe er gestimmt, weil für ihn die .„Verweigerung' des Wehrdienstes kein deutlicheres Friedenszeichen [sei], sondern Wehrdienstverweigerung [...] die Ausnahme sein [müsse], man könne den Staat nicht überfordern, zumal die Möglichkeit bestehe, als Bausoldat Dienst zu leisten".296 Über den Verlauf der „4. Tagung der 9. Synode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg"297 berichtete die HA XX/4 des MfS und gab den Inhalt des Zwischenberichts über die Bearbeitung des Antrags „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" wieder, der auf der Berlin-Brandenburgischen Frühjahrssynode 1987 verhandelt worden war. Im Laufe der Plenumsdiskussion habe der Mitinitiator Fischbeck die Synodalen daran erinnert, daß „diese Eingabe seines Gemeindekirchenrates große Wirkungen auch auf der Synode des Bundes [...] im September 1987 in Görlitz und auf der,Ökumenischen Versammlung' im Februar [1988] in Dresden hinterlassen habe. Es sei ein Gesprächsprozeß eingeleitet worden, dessen Existenz allein bereits eine Öffnung in der Gesellschaft darstellte. Selbst Marxisten wie Stephan Hermlin begrüßten eine derartige kritische Distanz der Kirche zum Staat".298 Des weiteren seien von der Berlin-Brandenburgischen Synode auch der Görlitzer Beschluß zur Ausländerseelsorge und „Bekennen in der Friedensfrage" befürwortet worden. Im „Abschlußbericht zum 6. Evang. Kongreß und Kirchentag vom 3.-5.6.1988 in Görlitz"299 wurde ein auf dem Kirchentagsgelände aufgebauter Stand „Abgrenzung" erwähnt, an dem Lampe eine Broschüre mit Dokumenten zur Abgrenzungsthematik verkauft habe. Der Verkauf sei vom Kirchen tagsbüro im Vorfeld der Veranstaltung genehmigt worden, so daß ein staatliches Eingreifen nicht ohne weiteres möglich war. Daß ein Korrespondent der ARD direkt vor einer Stellwand mit der Aufschrift „Absage an Praxis und Prinzip der 296 Ebd., S. 47. Karl-Heinz BAUM, der damalige Ost-Berliner Korrespondent der FR, nahm fur die Westdeutsche Allgemeine Zeitung an der BEK-Synode teil. In seinem am 14.11.1994 in der FR erschienenen Artikel „Ein später Sieg über die Stasi" berichtete er - nach gründlicher Akteneinsicht — von der Entlastung Nollaus von den IM-Vorwürfen. Er kritisierte die „Aktengläubigen" des Sächsischen Landtags, die den CDU-Landtagsabgeordneten Nollau 1991 mit ihrem Urteil dazu brachten, sein Mandat zurückzugeben: „Nollau will laut Stasi-Berichten den Antrag .Bekennen in der Friedensfrage' abgelehnt haben. Frei erfunden; es gab gar keine Gegenstimme, nur eine Enthaltung, und die kam nicht von Nollau, sondern aus dem Präsidium". Es muß aber gegen Baum festgehalten werden: Bei der Abstimmung über „Bekennen in der Friedensfrage" wurden Teil I mit zwei Enthaltungen, Teil II [der den Passus über die Wehrdienstverweigerung enthält] mit drei Gegenstimmen und acht Enthaltungen und Teil III einstimmig angenommen. Bei der Gesamtabstimmung wurde die Vorlage „Bekennen in der Friedensfrage" unter Einschluß der Präambel bei drei Enthaltungen angenommen. 297 BStU BERLIN (ZA Berlin), HAXX-ZMA 1950, Bd. 2, S. 2 - 1 5 . 298 Ebd., S. 6. Hervorhebung im Original. 259 BStU BERLIN (ZA Berlin), HAXX-ZMA 1967.
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Abgrenzung" ein Interview mit Lampe über dieses Thema führte, wurde im Abschlußbericht mit Besorgnis vermerkt. 300 Eine „Information über Erscheinungen der zunehmenden Behandlung gesellschaftspolitischer Themen und daraus abgeleiteter Forderungen gegenüber dem Staat durch die evangelischen Kirchen in der D D R " brachte noch Ende 1988 zum Ausdruck, daß „wesentliche Diskussionsinhalte" auch von „Bekennen in der Friedensfrage" „erstmalig in dieser Deutlichkeit die Absicht der evangelischen Kirchen in der D D R erkennen [ließen], sich in gesamtgesellschaftliche Belange einzumischen und die Rolle eines .Wächteramtes' gegenüber dem Staat einzunehmen". 301 Innerhalb des Staatssicherheitsdienstes erkannte man mit zunehmender Deutlichkeit, daß es nicht ausreichend war, einzelnen Personen aus den Kirchenleitungen verbale Loyalitätsversicherungen abzuringen bzw. durch offizielle Staatsvertreter abringen zu lassen, um damit die Tätigkeit von kirchennahen oder politisch-oppositionellen Gruppen in den Griff zu bekommen. Die kirchlichen Basisgruppen hatten sich längst so große Freiräume erstritten, daß sie nicht mehr von den Leitungsebenen aus beeinflußt oder gar gelenkt werden konnten. 302 Dennoch ließ das MfS - wie auch andere staatliche Dienststellen - nicht davon ab, „kirchliche Amtsträger" direkt oder indirekt weiterhin zur Einhaltung der „Basis des 6. März" zu drängen. Die einzige Schlußfolgerung des MfS, die aufgrund dieser vielfältigen Informationsbeschafifung über die Einschätzungen der Görlitzer Synodaltagung durch das Politbüro und die Dienststelle des Staatssekretärs hinausging, war die Erkenntnis, daß eine offenere Medienberichterstattung innerhalb der D D R „immer notwendiger" geworden sei und einen entscheidenden positiven Einfluß auf die Gesellschaft und damit auch auf das angespannte Verhältnis zwischen Staat und Kirche hätte haben können. In ähnlicher Weise hatte nur noch die ZK-Arbeitsgruppe Kirchenfragen den frühzeitigen Abzug des D D R Fernsehens von der Bundessynode - intern - als Fehler bewertet. Obwohl den Vertretern des DDR-Staatssicherheitsdienstes durch mehrere „Quellen" die inhaltliche Bedeutung des Synodenbeschlusses „Bekennen in der Friedensfrage" erklärt worden war, wurde dieser wichtige Tatbestand, zumindest in den bisher aufgefundenen „Informationen" des MfS, weitgehend ignoriert. Das MfS hatte also trotz seiner immensen Anstrengungen, Hintergrundmaterial zur Görlitzer Bundessynode zusammenzutragen, nahezu nichts in Erfahrung bringen können, das für die Kirchenpolitik der SED-Regierung wirklich neu und wichtig gewesen wäre. Die gesammelten Informationen wurden nicht im Sinne des Staates „konstruktiv" umgesetzt.
300 301 302
Ebd., S. 12f. B S t U BERLIN (ZA Berlin), H A X X / A K G - 1 2 4 , S. 17. Vgl. R. ROSENTHAL: Größere Freiräume für Basisgruppen.
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Die unmittelbare Nachgeschichte der Bundessynode in Görlitz 1987 5.2.4 Reaktionen auf Bezirks- und Kreisebene
Bereits zwei Tage nach Abschluß der Görlitzer Synodaltagung nahm Kirchenpräsident Natho in einer öffentlichen Vorlesung an der Martin-Luther-Universität Η alle-Wittenberg Stellung zur Bundessynode. In einem Aktenvermerk der Abt. Kirchenfragen beim Rat des Bezirks Halle wurden Nathos Äußerungen ausführlich wiedergegeben. So habe er die Bundessynode „als belastende und verärgernde Tagung und das in vielfacher Weise" bewertet. Äußerst störend sei „das ständige Mitfilmen" durch westliche Pressevertreter gewesen, die „grelle Beleuchtung" habe Natho als „Psychoterror" empfunden. Verärgert habe ihn ferner, daß den nicht-stimmberechtigten KKL-Mitgliedern „jede Aussage oder der Versuch des Mitgestaltens" unmöglich gemacht worden sei, weil „ihre Anträge grundsätzlich nicht die Stimmenmehrheit" gefunden hätten. Natho habe angemerkt, daß die KKL „gleich nach dem ersten Tag hätte abreisen können". 303 In der sich an den Vortrag anschließenden Diskussion sei Natho noch einmal auf seinen „Ärger" bei der Bundessynode angesprochen worden. Als besondere Störfaktoren habe Natho angegeben, daß die Plenarsitzungen [anders als in der Anhaltischen Kirche] immer öffentlich seien und entscheidende Vorlagen den Synodalen vorher nicht bekannt gegeben würden, wie zum Beispiel „Bekennen in der Friedensfrage".304 Natho bemängelte, daß die evangelische Kirche in der D D R jedes Jahr eine neue bekenntnishafte Aussage treffen wolle. Außerdem kämen entscheidende Papiere „erst immer kurz vor dem Ende der Synode" zur Verhandlung. Es schmerze ihn persönlich, daß König für seine „staatliche Arbeit" von der Synode „abgestraft" werde.305 Natho lobte — im Gegensatz zu der auf der Bundessynode vorgetragenen Kritik — die „konkrete Information", die Staatssekretär Sitzlack in seinem Vortrag zu Fragen der Reaktorsicherheit vermittelt habe. Der Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres des Rates des Bezirks Magdeburg führte am 29. September 1987 ein Vier-Augen-Gespräch mit Bischof Demke. Auf Vorbereitung und Verlauf der Bundessynode angesprochen, habe Demke erklärt, daß er erst eine Woche vor Synodenbeginn von der Absicht Falckes erfahren habe, „sich zum Wortführer des seit der Frühjahrssynode der Berlin-Brandenburger Kirche kursierenden Abgrenzungspapiers der Bartholomäusgemeinde Berlin zu machen und als Bundessynodaler einen entsprechen303 RdB Halle. Abt. Kirchenfragen. [Ohne Aussteller.] Halle, 25.9.1987: „Aktenvermerk" [Abschrift] zur Vorlesung Nathos an der Sektion Theologie der MLU Halle-Wittenberg am 24.9.1987, S. 3 (BArchP, D O 4 STS f. Kirchenfragen Nr. 1477). Abgesehen von der Verlesung des KKLBerichts hatte sich Natho selbst nur ein einziges Mal mit einem Wortbeitrag an den Plenumsdiskussionen beteiligt. 304 Gleichermaßen hatte sich Harder darüber beklagt. Vgl. oben, S. 206. 305 Vgl. „Aktenvermerk" vom 25.9.1987, S. 5. Natho spielte mit dieser Bemerkung möglicherweise auf kritische Bemerkungen einzelner Synodaler über König an, die jedoch im Plenum nicht geäußert wurden. Vgl. auchAnm. 323, S. 217f.
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den Antrag einzubringen". 306 Weder habe Demke Propst Falcke - der sich „als eine Art Integrationsfigur für Basisgruppen verstehe" — das Recht absprechen können, den Antrag einzubringen, noch habe er den Synodenverlauf beeinflussen können, da er als Mitglied des Bischofskonvents nicht stimmberechtigt sei. Demke habe mit „sichtbar gemachter Erleichterung" festgestellt, „daß sich dieser Antrag als nicht mehrheitsfähig" erwiesen habe. Der Bischof habe ferner betont, daß der Synodenbeschluß „Brief an die Eingeber" auch seine persönliche Meinung zum Ausdruck bringe, wobei er nochmals die dort angeführten Argumente wiederholte. 307 Demke habe ebenfalls darum gebeten, im Vorfeld der Provinzsächsischen Landessynode staatlicherseits nicht „in verstärktem Umfang" mit Synodalen Gespräche zu führen und vor allem keinen Druck auf Laiensynodale auszuüben, auf die der Staat wegen ihrer Tätigkeit in staatlichen Betrieben Zugriff habe. 308 Wie auf der Politbürositzung vom 22. September 1987 beschlossen 309 , führte Swatek, der Vorsitzende des Rates des Bezirks Erfurt, am 2. Oktober 1987 in Erfurt ein Gespräch mit Falcke.310 Dabei machte Swatek einige „grundsätzliche Aussagen" zum Staat-Kirche-Verhältnis: Das Prinzip der Trennung von Staat und Kirche sei dazu gedacht, „vor inkompetenten Einsprüchen und Einmischungen in die Zuständigkeit der jeweils anderen Seite" zu bewahren. Er betonte, daß es für ein „kirchliches Wächteramt im Sinne eines kritischen Korrektivs weder eine Notwendigkeit noch eine Voraussetzung" gebe. 3 " Swatek hielt Falcke vor, daß der von ihm eingebrachte Abgrenzungsantrag einen „Höhepunkt in dieser Reihe kontroverser Aussagen zu Problemen, die Grundfragen unserer sozialistischen Gesellschaft tangieren", darstelle. Zu Falckes Kritik an der „monströsen Mauer" erklärte Swatek, daß die Mauer ein „antifaschistischer Schutzwall" sei und die „Grenzsicherungsanlagen erst dann geändert werden, wenn die Anlässe, die zu ihrer Errichtung geführt haben, nicht mehr bestehen". Bisher habe sich der Staat gegenüber kirchlichen Äußerungen dieser Art zurückhaltend verhalten, er sei aber in Z u k u n f t dazu nicht mehr bereit. 312 Zu einer Stellungnahme aufgefordert, habe Falcke eingangs nachgefragt, „welchen Charakter dieses Gespräch annehmen" solle. Die Ausführungen Swateks 306 RdB Magdeburg. Stellvertreter des Vorsitzenden fur Inneres. Lubas. Magdeburg, 3 0 . 9 . 1 9 8 7 : „Information" über ein Gespräch Lubas mit D e m k e am 29.9.1987, S. 1 (BArchP, D O 4 STS f. Kirchenfragen Nr. 971). 307 Ebd., S. 2. 308 Ebd., S. 4 309 Vgl. Kap. 5.2.1. 310 RdB Erfurt. Der Vorsitzende. Swatek. Erfurt, 3.10.1987: „Information" über ein Gespräch Swateks mit Falcke am 2 . 1 0 . 1 9 8 7 (BArchP D O 4 STS f. Kirchenfragen Nr. 975). Vgl. Anhang, Dok. 23. Ü b e r Falcke wurden beim RdB Erfurt einige „Beurteilungen" verfaßt, die neben d e n wichtigsten Lebensdaten des Propstes u n d seinen Betätigungsfeldern auch einzelne Ä u ß e r u n g e n Falckes zu bestimmten T h e m e n dokumentierten (BArchP, D O 4 STS f. Kirchenfragen Nr. 1482). 3.1 Ebd., S. 1. 3.2 Ebd., S. 2f.
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könne er nur als „Belehrung" auffassen und müsse daraufhinweisen, sich zu einem derartigen Gespräch „nicht ermutigt" zu fühlen. 313 Falcke habe deshalb versucht, seine Intentionen, die ihn zur Einbringung des Antrags bewogen hätten, gegenüber Swatek klarzustellen. In erster Linie sei es ihm darauf angekommen, die Abgrenzungsproblematik zur Sprache zu bringen. Eine „Destabilisierung könne deshalb nicht das Ziel der Diskussion im kirchlichen Raum und auch während der Synode" sein. Zwar habe er nicht die „Kompetenz wie die führenden Funktionäre des Staates, aber ein wenig Kompetenz doch, die ihm von christlichen Mitbürgern übertragen würde". 314 Am Ende des Gesprächs drückte Swatek seine Erwartung aus, daß Falcke sich „als Amtsträger" und „vor allem auch als Bürger des sozialistischen Staates" seiner Verantwortung „für ein vertrauensvolles Miteinander" bewußt sei und in Zukunft „solche unrealistischen und provokativen Aussagen" unterlassen werde.315 Aus den einzelnen Bezirken konnten noch folgende Reaktionen auf die Bundessynode ermittelt werden: Ein Mitarbeiter der SED-Bezirksleitung Potsdam fertigte am 20. Oktober 1987 eine „Parteiinformation" 316 an, in der er feststellte, daß der Antrag Falckes von der Synode abgelehnt worden sei, weil die Mehrzahl der Synodalen gegen Falcke aufgetreten sei. Die Parteiinformation forderte: „Es ist zu lokalisieren, wer aus unserem Kirchenkreis diesem Antrag zugestimmt hat." Es habe sich herausgestellt, daß „positive Synodale" stärker unterstützt werden müßten. Der Staat müsse seine „persönl. Einflußnahme über diese Personen" realisieren.317 In der SED-Bezirksleitung Dresden registrierte die Abt. Staat und Recht/Kirchenfragen, daß sich die Evangelische Kirche des Görlitzer Kirchengebietes auf ihrer Herbstsynode vom Beschluß der Bundessynode „Bekennen in der Friedensfrage" distanziert habe. 318 Diese „unerwartet deutliche Distanzierung gegenüber politisch negativen Tendenzen in der Görlitzer Bundessynode"319 wurde am 26. Oktober 1987 vom Rat des Bezirks Halle auch für die Anhaltische Herbstsynode festgestellt und vor allem auf die von Natho wiederholt geäußerte Ablehnung der in „Bekennen in der Friedensfrage" enthaltenen Aussagen zur Wehrdienstproblematik zurückgeführt. In einem der Informationsberichte, die die Räte der Kreise an den Rat des Bezirks Dresden weitergaben, wurde über ein Gespräch mit dem Bundessynodalen Welz be313
Ebd., S. 4. Ebd., S. 6. 315 Ebd. 3.6 SED-BL Potsdam. Müntz. Potsdam, 20.10.1987: „Parteiinformation" (BLHA POTSDAM, Bez. Pdm. Rep. 401 Nr. A/2393). 3.7 Ebd. 318 SED-BL Dresden. Abt. Staat und Recht/Kirchenfragen. [Ohne Aussteller. Ohne Ort, ca. November 1987:] Informationen zur Kirchenpolitik (SächsHStA DRESDEN, SED-BL Dresden Nr. 14087). 319 RdB Halle. Arbeitsbereich Kirchenfragen. [Ohne Aussteller.] Halle, 26.10.1987: „Information zum wesentlichen Inhalt der 12. Tagung der Synode der Evangelischen Landeskirche Anhalts vom 23. bis 24. Oktober 1987 in Dessau", S. 1 (Bestand Axel NOACK, WOLFEN). 3U
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richtet. In diesem Gespräch habe Welz zum Ausdruck gebracht, daß er hinter den Beschlüssen der Görlitzer Bundessynode stehe. Der von Falcke eingebrachte Abgrenzungsantrag „sei nicht abgelehnt, sondern nur zurückgestellt, da die Synode den damaligen Zeitpunkt für ungeeignet hielt, um zu diesem Anliegen Stellung zu nehmen". 320 Welz habe weiterhin mitgeteilt, daß der Falcke-Antrag auf dem Friedensseminar in Meißen am 10. und 11. Oktober 1987 weiterbehandelt werden sollte. Das Friedensseminar in Meißen und die Herbsttagung der Sächsischen Landessynode waren Gegenstand eines Gesprächs zwischen dem Bundessynodalen Fritz und dem Sektorenleiter Kirchenfragen, Lewerenz, sowie dem Stellvertreter Inneres des RdB Dresden am 8. Oktober 1987. Im Verlauf des Gesprächs trug Lewerenz seine Bewertung der Görlitzer Bundessynode vor, wobei er einige Schwerpunkte benannte: So habe sich während der Synodaltagung, die eine starke politische Prägung gehabt habe, die „Kluft zwischen Synode und Konferenz der Kirchenleitungen" und die „Orientierungslosigkeit der KKL" gezeigt.321 Fritz erläuterte daraufhin den Staatsvertretern, daß die Bundessynode die Funktion habe, die Kirche zu repräsentieren und daher auch „politischer" sei. Der Falcke-Antrag habe den zunehmenden Druck „kirchlicher Gruppierungen auf kirchenleitende Instanzen" erkennen lassen. Der Abgrenzungsantrag liege auch dem Präsidium der Sächsischen Landessynode vor, werde jedoch „keine solche Rolle spielen wie auf der Bundessynode".322 Die Berichte aus den Bezirken und Kreisen hatten zum Teil in sehr deutlicher Form Hinweise auf die wirkliche Problemlage gegeben, waren jedoch, wie die Schlußfolgerungen aus der Bundessynode auf der Führungsebene des SED-Staats gezeigt haben, dort nicht wahrgenommen worden. 5.2.5 Die C D U A m 30. Oktober 1987 verschickte der Abteilungsleiter Kirchenfragen, Peter Bräuning, der zugleich auch als Korrespondent für die Neue Zeit won der Görlitzer Bundessynode berichtet hatte, eine Hausmitteilung, die über folgende, in Absprache mit Trende vom S H V der C D U getroffene Neuregelung informierte: „Mitglieder unserer Partei, die Mitglieder kirchlicher Leitungsgremien sind (Landeskirchen, Bund, EKU, VELK), werden in der normalen Nachrichtenberichterstattung nicht als .Unionsfreund' ausgewiesen, wenn es sich um die Ausübung ihrer kirchenleitenden Funktion handelt. Im Zweifelsfall ist die Abt. Kirchenfragen beim SHV zu konsultieren."323 320 RdB Dresden. Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres. Fuchs. Dresden, 14.12.1987: „Informationsbericht für die M o n a t e O k t o b e r / N o v e m b e r 1987", S. 2 (SächsHStA DRESDEN, RdB Dresden Nr. 4 5 9 4 0 ) . 321 RdB Dresden. Sektor Staatspolitik in Kirchenfragen. Sektorenleiter Lewerenz. [ O h n e Aussteller.] Dresden, 9 . 1 0 . 1 9 8 7 : „Gespräch" mit O L K R Schlichter und O L K R Fritz am 8 . 1 0 . 1 9 8 7 , S. 3 (SächsHStA DRESDEN, SED-BL Dresden Nr. 14089). 322 Ebd. 323 S H V der C D U . Abt. Kirchenfragen. Bräuning. [Ohne Ort,] 30.10.1987: „Hausmitteilung"
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Auch die C D U bemühte sich nach Abschluß der Bundessynode darum, durch Gespräche mit Kirchenvertretern ein Stimmungsbild über die Wirkung der Görlitzer Tagung zu erstellen. In seinem Informationsbericht für den November 1987 berichtete der CDU-Bezirksverband Halle von einem am 1. Oktober geführten Gespräch mit Natho. Es sei zu einem „umfangreichen Gedankenaustausch zu den Fragen der Bundessynode" gekommen. Der Anhaltische Kirchenpräsident habe betont, „daß ihm sowohl hinsichtlich des Verlaufs als auch des Inhaltes [der Synodaltagung] nicht ganz wohl sei. Mit Erschrecken habe er erneut registrieren müssen, daß der Abstand zwischen Kirchenleitung und Kirchenbasis größer geworden sei". Natho habe sich mit dieser Äußerung auf Fragen bezogen, die „weder zur Tagesordnung stehen noch gegenwärtig beantwortet bzw. gelöst werden kön"
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nen Trende hielt ein Gespräch, das er am 19. November 1987 mit dem Leiter der Berliner Stelle der E K D , Heidingsfeld, geführt hatte, in einem Aktenvermerk fest. 325 Heidingsfeld habe betont, daß er die „Aussagen zum Wehrdienst im Papier ,Bekennen in der Friedensfrage' [...] so formuliert grundweg" ablehne. Z u d e m habe er Trende insofern recht gegeben, „daß kirchenleitende Kräfte des Kirchenbundes schizophren sind, wenn sie einerseits solche extremen theologischen Positionen unter Berufung auf die Basis formulieren und dann bekennen, daß es nur darauf ankomme, diese (in Görlitz getroffenen) Aussagen in den Gemeinden verständlich zu machen". 3 2 6 Die Informationsberichte der CDU-Bezirksverbände für den Dezember 1987 gaben folgende Reaktionen auf die Tagung der Bundessynode wieder: Im Bezirk Rostock327 habe es „Unverständnis zum Antrag von Propst Falke [sie]" gegeben, gleichzeitig sei jedoch verschiedentlich betont worden, daß der Antrag Sachverhalte anspreche, „die nicht nur im kirchlichen Raum diskutiert werden und einer Lösung zugeführt werden müßten". Im Gespräch mit dem Bundessynodalen Hirsch hätten vor allem die Probleme der Volksbildung eine Rolle gespielt. mit dem Vermerk „vertraulich" (ACDP ST. AUGUSTIN, Zentralbestand O s t - C D U VII-013—3149). Hervorhebungen im Original. Namentlich werden u.a. Kirchner, König und de Maiziere genannt. O b diese Regelung in unmittelbarem Zusammenhang mit Äußerungen von Bundessynodalen (die der C D U angehörten) in Görlitz stand oder sogar auf Beschwerden hinsichtlich der von der C D U allgemein ausgenutzten Tatsache, daß in der Kirche Aktive zugleich CDU-Mitglieder waren, zurückzuführen ist, bleibt nur zu vermuten. 324 CDU-Bezirksverband Halle. Der Vorsitzende. Heinemann. Halle, 2 2 . 1 0 . 1 9 8 7 : „Informationsbericht" für November 1987, S. 3 ( A C D P ST. AUGUSTIN, Zentralbestand O s t - C D U V I I - 0 1 3 3418). 325 S H V der C D U . Abt. Kirchenfragen. Trende. [Ohne Ort,] 2 0 . 1 1 . 1 9 8 7 : Aktenvermerk über ein einstündiges Gespräch mit Heidingsfeld ( A C D P ST. AUGUSTIN, Zentralbestand O s t - C D U VII-013-3149). 326 Ebd., S. 1. Hervorhebung im Original. 327 CDU-Bezirksverband Rostock. Der Vorsitzende. Klemm. Rostock, 2 5 . 1 1 . 1 9 8 7 : „Informationsbericht" für Dezember 1987 ( A C D P ST. AUGUSTIN, Zentralbestand O s t - C D U V I I - 0 1 3 3418).
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D e r Vorsitzende des C D U - B e z i r k s v e r b a n d s Magdeburg berichtete über einen Vortrag, d e n der Erste Sekretär der S E D - B e z i r k s l e i t u n g allen „Bezirksvorsitzenden der b e f r e u n d e t e n Parteien [...] über die Situation i m innerkirchlichen B e r e i c h " gehalten habe. „ E i n g a n g s p u n k t seiner I n f o r m a t i o n " sei eine „zentrale W e r t u n g der B u n d e s s y n o d e " gewesen. D e r Vorsitzende drückte sein Bedauern d a r ü b e r aus, d u r c h das Sekretariat des H a u p t v o r s t a n d s der C D U „bisher weder m ü n d l i c h noch schriftlich über eine W e r t u n g der B u n d e s s y n o d e " unterrichtet worden zu sein, o b w o h l diese f ü r „unsere Arbeit, aber a u c h für die G e s p r ä c h s f ü h r u n g m i t den B u n d e s s y n o d a l e n unverzichtbar" sei. 3 2 8 A h n l i c h e K l a g e n k a m e n aus d e m Bezirksverband Karl-Marx-Stadt. D e r Vorsitzende hatte nur eine „ k n a p p e Information v o m Abteilungsleiter Staatsfragen der S E D - B e zirksleitung erhalten". 3 2 9 Er wies a u ß e r d e m d a r a u f h i n , daß die A b s a g e der Sachges p r ä c h e d u r c h Staatssekretär Gysi v o n kirchlicher Seite als Z e i c h e n f ü r eine k o m m e n d e Verschlechterung des Staat-Kirche-Verhältnisses interpretiert werde. D e n gleichen U n m u t über die G e s p r ä c h s a b s a g e hatte der Erfurter C D U - B e z i r k s v o r sitzende d e m Bericht des Bischofs an die S y n o d e a u f der H e r b s t t a g u n g der T h ü r i n g i schen L a n d e s s y n o d e e n t n o m m e n . D e r in Görlitz verabschiedete Beschluß „ B e k e n nen in der Friedensfrage" sei von der T h ü r i n g e r S y n o d e „ b e g r ü ß t " worden. D i e S y n o d e h a b e sich diesen Beschluß j e d o c h nicht zu eigen m a c h e n wollen, d a „zu wenig Z e i t zwischen d e m Austeilen des Textes u n d der A b s t i m m u n g d a r ü b e r " geblieben sei. 3 3 0 E i n M i t g l i e d des Suhler C D U - B e z i r k s v e r b a n d s richtete a m 3. D e z e m b e r 1 9 8 7 ein Schreiben an Trende, in d e m er mitteilte, daß er d e m Personenkreis angehört habe, der sich m i t einer E i n g a b e an die B u n d e s s y n o d e g e w a n d t hatte, u m sich gegen den Falcke-Antrag auszusprechen, w o b e i er als „ G l i e d " seiner „ K i r c h e n g e m e i n d e " a u f g e treten sei. Als solches h a b e er auch sein Interesse an d e m O r a n i e n b u r g e r Abgrenz u n g s s e m i n a r b e k u n d e t . N u n bat er Trende, ihn darüber zu informieren, o b n o c h weitere „ U n i o n s f r e u n d e " zu den G e g e n e i n g e b e r n gehört hätten, d a m i t die C D U Mitglieder in O r a n i e n b u r g „ m i t einer Position" auftreten k ö n n t e n . D a s C D U - M i t glied aus Suhl schrieb Trende: „ M i r wäre es jedenfalls lieb, die H a l t u n g unserer Partei(führung) zu der ganzen Angelegenheit zu wissen, d a m i t ich in O r a n i e n b u r g das Richtige tue, denn schließlich wird m a n sicher wissen, was ich beruflich tue, a u c h w e n n das in meiner E i n g a b e nicht z u m A u s d r u c k k a m . " 3 3 1
328 CDU-Bezirksverband Magdeburg. Der Vorsitzende. Gawlik. Magdeburg, 26.11.1987: „Informationsbericht" für Dezember 1987, S. 2 (ACDP ST. AUGUSTIN, Zentralbestand O s t - C D U VII-013-3418). 329 CDU-Bezirksverband Karl-Marx-Stadt. Der Vorsitzende. Gelfert. Karl-Marx-Stadt, 26.11. 1987: „Informationsbericht" für Dezember 1987, S. 3 (ACDP ST. AUGUSTIN, Zentralbestand OstC D U VII-013-3418). 330 CDU-Bezirkssekretariat Erfurt. Der Vorsitzende. Schnieber. Erfurt, 25.11.1987: „Informationsbericht" für Dezember 1987, S. 3 (ACDP ST. AUGUSTIN, Zentralbestand O s t - C D U VII013-3418). 331 Schreiben Weiß an Trende vom 3.12.1987 (ACDP ST. AUGUSTIN, Zentralbestand O s t - C D U VII-013-4041). Günter Weiß aus Suhl gehörte dem die „Weißenseer Blätter" stützenden Kreis an. Aus einer „Einschätzung zur kirchenpolitischen Wirkung der,Weißenseer Blätter'" aus dem Jahr
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Anfang 1988 beurteilte die Abteilung Kirchenfragen beim Sekretariat des CDU-Hauptvorstands die „kirchenpolitische Entwicklung" rückblickend. 332 Unter dem Stichwort „Synodale Äußerungen" wurde es als Widerspruch gewertet, daß einerseits der Falcke-Antrag unter Führung von „Unionsfreunden Synodalen" abgewehrt worden sei, sonst „negative Synodale" sich sogar „vernünftig" verhalten hätten, auf der anderen Seite jedoch die „schwache kirchenpolitische Position der KKL" unangenehm aufgefallen sowie „erhebliche politische Belastung" durch den zweiten Teil von „Bekennen in der Friedensfrage" entstanden sei. Zufrieden zeigte sich die Abteilung Kirchenfragen über die Tatsache, daß nur ein Teil der Herbstsynoden der unierten Landeskirchen333 den Beschluß der Bundessynode aufgenommen hätte, „dabei mit gewichtigen Einschränkungen und Bedenken".334 So habe zum Beispiel die Sächsische Landeskirche betont, das „Auftreten nichtkirchlicher Gruppen" nur dulden zu wollen, falls es nicht dem .Anliegen des Evangeliums" widerspreche. Von der Synode der Kirchenprovinz Sachsen sei „Bekennen in der Friedensfrage" trotz „kontroverser Diskussion, an der sich die Unionsfreunde Dr. König und Lättig maßgeblich beteiligten", übernommen worden.335 Der Verlauf des Oranienburger Seminars zur Abgrenzungsthematik wurde in einem ,Aktenvermerk" 336 vom 19. Januar 1988 als „positiv" bewertet. Von den „etwa 240" Teilnehmern sei eine Gruppe der „22 Unionsfreunde [...] in einer Beratung der Abt. Kirchenfragen beim SHV spezifisch vorbereitet" worden. Weiter hieß es: „Das Synodalpräsidium, eine Zahl weiterer progressiver Synodaler wie Ufrdn. Huhn und Prof. Dr. K.-E Hertzsch sowie Mitglieder und Mitarbeiter des Sekretariats des Bundes waren auf einen » A u s g l e i c h ' der widersprechenden politischen Standpunkte orientiert und erreichten dieses Ziel. Die Anwesenden Bischof Dr. Leich, Propst Falcke, OKR Ziegler, Konsistorialpräsident Kramer und OKR Kirchner hielten sich auffallend zurück, während sich Bischof Stier zu die D D R diffamierenden Äußerungen hinreißen ließ."337
Die Diskussionen hätten sich schwerpunktmäßig auf den Komplex „Ab1982, die von der HA XX/4 des MfS vor dem Erscheinen des dritten Hefts erstellt worden war, geht hervor, welche „theologischen" und „kirchenpolitischen" Schwerpunkte mit der Herausgabe der „Weißenseer Blättern" verfolgt wurde. Fest steht, daß die Hefte die staatliche Kirchenpolitik unterstützen sollten (BStU BERLIN [ZA Berlin], HAXX-ZMA2000, S. 52). 332 SHV der C D U . Abt. Kirchenfragen. [Ohne Aussteller. Ohne Ort,] 5.1.1988: „Zur jüngsten kirchenpolitischen Entwicklung" (ACDP ST. AUGUSTIN, Zentralbestand O s t - C D U VII-0133149). 333 Von den fünf im folgenden in dem Papier aufgeführten Landeskirchen gehören nur Greifswald und die KP Sachsen zu den unierten Landeskirchen. 334 „Zur jüngsten kirchenpolitischen Entwicklung" vom 5.1.1988, S. 4f. 335 Ebd., S. 6. 336 SHV der C D U . Abt. Kirchenfragen. [Ohne Aussteller. Ohne Ort,] 19.1.1988: .Aktenvermerk" (ACDP ST. AUGUSTIN, Zentralbestand Ost-CDU VII-013-3149). Vgl. Dok. 23. 337 Ebd., S. 1.
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grenzung in der Gesellschaft" konzentriert. In der Plenumsaussprache am Ende der Veranstaltung „vermied die Tagungsleitung (Ufrd. Lothar de Maiziere) die Formulierung von Resolutionen oder Appellen".338 Anders als das Präsidium der Bundessynode kam die Abteilung Kirchenfragen der C D U in ihrem Bericht über das Seminar zu der Beurteilung, das einzige Ergebnis der Tagung sei damit die „positiv gemeinte Formel .Zusage an Geist und Praxis der Öffnung'" gewesen.339 Die Abteilung Kirchenfragen beim Sekretariat des Hauptvorstands der C D U berichtete am 12. Februar 1988 noch einmal über „Aktivitäten und Ergebnisse der politisch-ideologischen Arbeit der C D U mit kirchlichen Amtsträgern 1987".340 Das Verdienst, den Antrag Propst Falckes, der „die Synode für Angriffe gegen die sozialistische Ordnung" mißbrauchen wollte, abgewiesen zu haben, wurde vor allem König und Lättig „(Wortmeldungen) sowie Vizepräses Lothar de Maiziere (geschickte Verhandlungsführung)" zugeschrieben. Auch hätten „24 Unionsfreunde" mit ihren Eingaben an die Bundessynode gegen die „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" und einige CDU-Mitglieder mit ihren Standpunkten in Oranienburg eine - aus Sicht der C D U - positive Haltung vertreten. Leitende Persönlichkeiten der C D U hätten Gespräche mit „Repräsentanten der Ökumene, Kirchen anderer Länder und der Kirchen in der D D R " geführt. Als Gesprächspartner genannt wurden unter anderem: Kruse, Barth, Leich, Hempel, Gienke, Demke, Rogge, Forck, Minor, Natho, Stolpe, Kramer, Ziegler, C. Lewek, Rudolf Schulze, Plath, Harder und Kirchner.341 Vermutlich im unmittelbaren Vorfeld der Dessauer Bundessynode (16. bis 20. September 1988) wurde eine „Information über Gespräche mit Bundessynodalen" 342 verfaßt. In ihr hieß es, die Gesprächsführung mit „leitenden Mitarbeitern der Landeskirchen und des Sekretariats des Kirchenbundes" sei kontinuierlich weitergeführt worden. Einen „regelmäßigen Gedankenaustausch" habe es mit 42 Bundessynodalen über politische Grundfragen und solche Themen gegeben, die seit der Görlitzer Bundessynode in Kirchenkreisen im Mittelpunkt gestanden hätten. Der Falcke-Antrag werde „gezielt weiterverbreitet", so daß zu befurchten sei, daß Fragen des „Reiseverkehrs und der Entlassung aus der DDR-Staatsbürgerschaft" in Dessau nochmals diskutiert würden. Auf die Gefahr des erneuten „Hineintragen [s] dieses Papiers in die Bundessynode" hingewiesen, hätten die Synodalen „de Maiziere, Domke, Huhn, König, Krause, 338
Ebd., S. 2. Ebd. Vgl. Kap. 5.1.7. 340 S H V der C D U . Abt. Kirchenfragen. [Ohne Aussteller. O h n e Ort,] 12.2.1988: .Aktivitäten u n d Ergebnisse der politisch-ideologischen Arbeit der C D U mit kirchlichen Amtsträgern 1987" ( A C D P ST. AUGUSTIN, Zentralbestand O s t - C D U V I I - 0 1 3 - 3 1 4 9 ) . Vgl. Dok. 34 im Anhang. 341 Vgl. ebd., S. 7f. Z u den genannten Personen vgl. die Biogramme im Anhang. 342 [ O h n e Aussteller. O h n e O r t , o h n e Datum:] „Information über die Gespräche mit Bundessynodalen" ( A C D P ST. AUGUSTIN, Zentralbestand O s t - C D U V I I - 0 1 3 - 4 0 4 1 ) . 339
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Lättig, Pfuhl, Semper" zugesagt, dem entgegenzuwirken, „so weit es ihnen möglich sei".343 Einige Synodale hätten sich über das Nichterscheinen von Kirchenzeitungen und besonders des Mitteilungsblattes des BEK mit Materialien zur Görlitzer Synode beschwert und dies als „Eingriff in die Religionsfreiheit" bezeichnet.344 Auf dem 16. CDU-Parteitag habe unter anderem der Bundessynodale König mit einem „persönlichen Beitrag" gegen „aufgetretene negative Tendenzen in der Görlitzer Synodaldiskussion" reagiert.345 Der Vorsitzende des CDU-Bezirksverbands Halle teilte in seiner Information über im Bezirk geführte Gespräche346 mit, daß sowohl im Gespräch mit Noack als auch mit Schorlemmer die „Ausreiseproblematik" und der Beschluß „Bekennen in der Friedensfrage" gleichermaßen nur eine „untergeordnete Rolle" gespielt hätten, obwohl während der Friedensdekade im November 1987 „noch ziemlich intensiv [darüber] diskutiert" worden sei.347 Eine „Information" 348 über den Verlauf der Tagung der Bundessynode, die 1988 in Dessau zusammentrat, bewertete diesen - im Gegensatz zu staatlichen Einschätzungen derselben Synodaltagung — als verschärfte Weiterführung der „Provokationen" in Görlitz. Das Schwerpunktthema der 1988er Synode, „Als Gemeinde leben", habe in den Plenumsdiskussionen nur eine marginale Rolle gespielt. Weiter hieß es: „Während in Görlitz das Thema .Abgrenzung' durch Propst Dr. Falcke zu einem Gegenstand intensiver und kontroverser Diskussion gemacht worden war, bestimmten in Dessau Fragen der Innenpolitik die Synodaldiskussion. Das wurde seitens der Architekten' der Veranstaltung nicht zuletzt mit einem Antrag der sieben Jugenddelegierten zu Problemen ,des innergesellschaftlichen Dialogs bzw. einer gesellschaftlichen Abgrenzung' erreicht. Nachdem in Görlitz das Anliegen des sogenannten Fischbeck-Papier nicht das gewünschte Echo gefunden hatte, erweiterten die antisozialistischen Kräfte der Synodalvorbereitung ihren Katalog von Angriffen gegen unsere sozialistische Ordnung".
Einige in dem Antrag enthaltene Forderungen wurden in der „Information" 343
Ebd., S. 1. Das Mitteilungsblatt des BEK (4—6/1987), das Texte der Görlitzer Bundessynode, vor allem „Bekennen in der Friedensfrage" enthalten sollte, war ausgefallen und erst Ende 1988 auf dem Dienstweg teilweise nachgeliefert worden. Vgl. M. BURG: Es geht nicht um die Kirchenpresse (darin enthalten ist eine Chronologie der Zensurmaßnahmen), sowie L. ESSELBACH: Die Kirche im Dorf. 345 „Information über die Gespräche mit Bundessynodalen", S. 3. 346 CDU-Bezirksverband Halle. Der Vorsitzende. Heinemann. Halle, 12.8.1988: „Information über die in den zurückliegenden Wochen und Monaten durchgeführten Gespräche mit Synodalen des Bundes Evangelischer Kirchen in der DDR", gerichtet an das SHV der CDU, Heyl (ACDP ST. AUGUSTIN, Zentralbestand Ost-CDU VII-013—4041). 347 Ebd., S. 2. 348 [Ohne Aussteller. Ohne Ort, ohne Datum:] „Information über die 4. Tagung der V Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR vom 16. bis 20. September 1988 in Dessau". Mit hsl. Vermerk „Ufrd. GöttingT:." [von Trende an Gotting geschickt]; Hervorhebung im Original (ACDP S T . AUGUSTIN, Zentralbestand Ost-CDU VII-013-3259). 344
Staatliche Reaktionen
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wiedergegeben. Dabei wurde der Diskussionsprozeß bis zur Beschlußfassung wiederum zu der entsprechenden Debatte über den Falcke-Antrag auf der Görlitzer Tagung in Beziehung gesetzt: „Im Gegensatz zur Görlitzer Synode erreichten die rechten Kräfte, daß das Papier, das einstimmig (!) angenommen wurde, eine den weiteren Weg der acht ev. Landeskirchen bestimmende Funktion erhält." In der „Information" wurde betont, daß die Dessauer Bundessynode mit der Annahme des Antrags und der erfolgten Beschlußfassung die KKL gebeten habe, mit dem Ausschuß „Kirche und Gesellschaft", der Theologischen Kommission sowie der Theologischen Studienabteilung an dem Problem des „innergesellschaftlichen Dialogs" weiterzuarbeiten, den Gemeinden die Ergebnisse dieser Arbeit mitzuteilen und der Bundessynode im kommenden Jahr darüber Bericht zu erstatten.349 Auch wenn in der „Information" versucht wurde, den deutlich politisch geprägten Verlauf der Tagung durch die Wiedergabe einiger - aus der Sicht des Staates - positiver Stellungnahmen zu verharmlosen, ist aus dem Papier dennoch die Beunruhigung über die kritischen Aussagen und politischen Forderungen der Mitglieder der Bundessynode herauszuhören. So wurde auch Notiz von der Nichtteilnahme Falckes genommen. Die Begründung für Falckes Abwesenheit, er gedenke sich, „wie einige Synodale verlauten ließen, den Rücken für Magdeburg freizuhalten", zeigt, wie negativ Falcke seit seiner Übernahme des Abgrenzungsantrags in Görlitz eingeschätzt wurde.350 Daß die Görlitzer Bundessynode 1987 als tiefe Zäsur innerhalb der DDRKirchenpolitik angesehen werden kann, verdeutlicht schließlich auch das Protokoll einer „Beratung des Aktivs Kirchenfragen" 3 " beim Bezirksverband Erfurt am 15. Juni 1989. Der Chefredakteur der Thüringer Kirchenzeitung Glaube und Heimat, Dr. Gottfried Müller, sprach zum Thema „40 Jahre D D R - Rückblick und Ausblick". Er bezeichnete das Jahr 1987 als ein Jahr „milder Reformpolitik" und „kirchlicher Höhepunkte". 352 Doch dann habe sich die Lage schlagartig verändert: „Nach einer plötzlich negativen Einschätzung der Görlitzer Bundessynode durch den Staat folgte eine gegenläufige Entwicklung, in deren Folge im Frühjahr 1988 die Kirchenzeitungen Tabu-Themen auferlegt bekamen. Der bisher mögliche Dialog schien unmöglich geworden zu sein, die Mitgestaltung wurde nicht mehr eingeräumt." Mit Beginn des Jahres 1989 sei die Unfähigkeit zum Dialog in eine „Sprachlosigkeit" übergegangen. 353 349
350 Ebd., S. 5 f. Ebd., S. 8. CDU-Bezirksverband Erfurt. Sekretariat. [ O h n e Aussteller. O h n e O r t , o h n e Datum:] „Protokoll der Beratung des Aktivs Kirchenfragen beim BV Erfurt am 15.6.1989 im Haus des Bezirkssekretariates in der Zeit von 9.30 bis 12.00 U h r " (ACDP ST. AUGUSTIN, Zentralbestand O s t - C D U V1I-013—3155). 352 Ebd., S. 1. 353 Ebd., S.2. — Leich verweist auf die Bedeutung des Gesprächs zwischen Honecker u n d ihm vom 3. März 1988 u n d bemerkt: „Nach d e m Spitzengespräch mit Erich Honecker setzte eine neue Eiszeit im Verhältnis zwischen Staat u n d Kirche ein" (W. LEICH: Wechselnde Horizonte, S. 239). 351
6. DIE GÖRLITZER BUNDESSYNODE IN DEN MEDIEN
6.1 Presseecho Die Görlitzer Tagung des DDR-Kirchenbundes im September 1987 fand ein nachhaltiges Echo in der deutschsprachigen Presse, wobei die Informationen in der staatlich gelenkten DDR-Presse1 - nach anfänglich relativ ausführlicher Berichterstattung - mit Ausnahme der Neuen Zeit sehr kärglich ausfielen. Dies kann als Hinweis darauf gewertet werden, daß die Synodaltagung einen wesentlich anderen Verlauf genommen hatte, als sich die DDR-Führung dies vorgestellt hatte.2 6.1.1 Die staatliche Presse in der DDR Das Neue Deutschland berichtete lediglich in seiner Ausgabe vom 19./20. September 19873 über den Beginn der Synode, die Kirchenpräsident Natho mit der Verlesung des KKL-Berichts eröffnet habe. „Während der fünftägigen Beratung stehen weitere Berichte und Beschlußvorlagen auf der Tagesordnung, darunter des Diakonischen Werkes und des Synodalausschusses,Bekennen in der Friedensfrage'". Erwähnung fand noch die Tatsache, daß ökumenische Gäste an der Tagung teilnahmen, wie bereits aus der Artikelüberschrift hervorging. Näher eingegangen wurde dann auf den KKL-Bericht, der „an die 1973 von der Kirchenleitung getroffene Feststellung" erinnert habe: „Wir sind Bürger eines sozialistischen Staates und Glieder einer sozialistischen Gesellschaft. Hier haben wir als Christen zu leben und zu handeln."4 Der Falcke-Antrag blieb unerwähnt, zum weiteren Verlauf der Synodaltagung in Görlitz wurde in keiner der folgenden Ausgaben des Neuen Deutschland Stellung genommen. Das Organ der Ost-CDU Neue Zeit brachte am 21. September 1987 einen Bericht über die Synode.5 Dabei wurde dasselbe Zitat wie im Neuen Deutsch-
1
Vgl. C. LEMKE: Die Ursachen des Umbruchs 1989, S. 187-197; zur Bedeutung der Massenmedien in der D D R . 2 Zur generellen Einflußnahme der SED auf die Presse vgl. G. HOLZWEISSIG: DDR-Presse unter Parteikontrolle, sowie DERS.: Das Presseamt des DDR-Ministerrats. 3
V g l . SYNODE D E S KIRCHENBUNDES T R A T IN GÖRLITZ ZUSAMMEN - F ü n f t ä g i g e B e r a t u n g u n -
ter Teilnahme ökumenischer Gäste. In: N D Nr. 221 vom 19./20.9.1987. 4 Ebd. Das Zitat im N D umfaßt ungefähr weitere 6 Zeilen, die die Einbindung der Kirche im Sozialismus betonen. 5
Vgl. FREIHEIT UND BINDUNG DES GLAUBENS - S y n o d a l a u s s c h ü s s e n a h m e n B e r a t u n g auf. In:
Neue Zeit Nr. 222 vom 21.9.1987.
Presseecho
225
land von der Synodaltagung des Jahres 1973 abgedruckt und in direkten Zusammenhang mit der Formel „Kirche im Sozialismus" gestellt. Aus der fälschlich als „Erkennen [statt Bekennen] in der Friedensfrage" bezeichneten Beschlußvorlage wurden jene Passagen wiedergegeben, die die Abrüstung betrafen. Falcke wurde als Berichterstatter des konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung genannt, wobei sogar auf die „für 1988 vorgesehene regionale Versammlung im Rahmen dieses Prozesses [...] als ein dreistufiges Treffen an drei Orten in der D D R " hingewiesen wurde. A m 23. September 1987 6 veröffentlichte die Neue Zeit unter besonderer Würdigung des Dokuments „Bekennen in der Friedensfrage" einen Rückblick auf den Verlauf der Tagung der Bundessynode: „Von den Synodalen wurde die Vorlage .Bekennen in der Friedensfrage' angenommen, in der die Absage an Geist, Logik und Praxis der Abschreckung begründet wird als Konsequenz aus dem Gehorsam gegenüber Gott. Der Abstimmung über dieses Papier war eine besonders hinsichtlich von in der Vorlage genannten Folgerungen aus dieser Absage, kontrovers geführte Aussprache vorausgegangen." Auf den umstrittenen Falcke-Antrag war die Neue Zeit allerdings nicht eingegangen.
In der von CDU-Mitgliedern herausgegebenen Monatsschrift Standpunkt, die sich nach ihrem Selbstverständnis als „Evangelische Monatsschrift" eher der kirchlichen Presse zugehörig fühlte, beurteilte deren Chefredakteur Karl Hennig die Ergebnisse der Görlitzer Tagung ausgesprochen skeptisch: „Verlauf und Ergebnisse von Görlitz signalisieren, daß die Bundessynode in der Gefahr steht, inhaltlich bedeutungslos für die weitere Profilierung kirchlichen Zeugnisses und Dienstes in der sozialistischen Gesellschaft zu werden." 7 Für das Dokument „Bekennen in der Friedensfrage" bestehe überhaupt kein Handlungsbedarf. Außerdem dürfe sich die Synode nicht dem Erwartungsdruck kleiner Gruppen aussetzen, monierte Hennig im Hinblick auf den Abgrenzungsantrag Falckes. 8 Noch schärfer reagierten die Weißenseer Blätter. Rosemarie Müller-Streisand, die erst im Nachhinein als Pressevertreterin zur Synode akkreditiert worden war, kritisierte aufs schärfste den Beschluß „Bekennen in der Friedensfrage". Hier seien rein politische Forderungen in den Rang von Bekenntnissen und Verwerfungen erhoben worden. 9 Der Ablehnung des Waffendienstes stellte Müller-Streisand die neue Defensiv-Doktrin des Warschauer Paktes als positi-
6 Vgl. ABSAGE AN ABSCHRECKUNG - Konsequenz aus dem Gehorsam gegenüber Gott. In: Neue Zeit Nr. 224 vom 2 3 . 9 . 1 9 8 7 . 7 K. HENNIG: Verdrossenheit? Gedanken nach der Bundessynode in Görlitz. In: Standpunkt. Evangelische Monatsschrift. 15 (1987), Nr. 11, S. 297f. 8 Vgl. ebd. ' Vgl. R. MÜLLER-STREISAND: Synodenbericht - Lagebericht. In: Weißenseer Blätter Nr. 4. Berlin 1987, S. 1 7 - 3 2 , hier S. 17. Vgl. auch R. HENRYS: Anmerkungen zu Klaus Michaels Aufsatz zur Samisdat-Literatur in der D D R .
226
D i e Görlitzer Bundessynode in d e n M e d i e n
ves Beispiel entgegen.10 Falckes Eingabe charakterisierte sie als „objektiv friedensgefährlich antikommunistischen Antrag".11 6.1.2 Die Printmedien in der Bundesrepublik In der Bundesrepublik fand die Synodaltagung bei fast allen wichtigen regionalen und überregionalen Tages- und Wochenzeitungen Resonanz. Im Rückblick fällt auf, daß der Rheinische Merkur (ebenso wie der Nachrichtendienst idea) die DDR-Kirche ausdrücklich davor warnte, sich zu sehr zum Sprachrohr der Unzufriedenen und der Opposition in der DDR machen zu lassen. So schrieb Wolfgang Thielmann im Rheinischen Merkur am 25. September 1987: „Darüberhinaus muß auch die evangelische Kirche in der DDR darauf achten, daß sie bei ihrer Sache bleibt."12 Thielmann forderte die ostdeutschen Protestanten direkt dazu auf, sich einer gesellschaftlichen Stellvertreterfunktion besser zu enthalten: „In Zukunft werden sich die evangelischen Kirchen in der DDR stärker um den Glauben selbst kümmern müssen."13 Vorsichtiges Taktieren warf die B.Z. am 21. September der Leitung der Bundessynode vor, betonte jedoch - ähnlich wie Bild—, die Synode habe gezeigt, daß eine wachsende Zahl von DDR-Bürgern nicht mehr dazu bereit sei, sich mit der Mauer abzufinden: „Was bleibt, ist dieser Eindruck: Die Deutschen drüben wollen nicht länger von den Deutschen hüben getrennt werden."14 In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wurde die Görlitzer Synode mit der berühmten Regionaltagung von Fürstenwalde 1967 verglichen15 — seit dieser Synode habe die evangelische Kirche dem DDR-Staat nicht mehr so klar widersprochen wie jetzt in Görlitz. Aber — unter Bezugnahme auf die von Werner Leich ausgelöste Debatte um die Zumutbarkeit politischer Forderungen an den Staat - kritisierte die Zeitung: „ M i t der fatalen Formel v o n der , Kirche im Sozialismus' hat der evangelische Kirc h e n b u n d d r ü b e n d e n k o m m u n i s t i s c h e n Staat zur V e r e i n n a h m u n g geradezu eingelad e n . Ein theologisch festerer B o d e n f ü r das Verhältnis von Staat u n d Kirche m ü ß t e g e s u c h t w e r d e n . Sonst k o m m t es d a h i n , d a ß evangelische K i r c h e n m ä n n e r v o m Staat weniger f o r d e r n u n d erhalten als vielleicht d e m n ä c h s t russisch-orthodoxe v o m Staat Gorbatschows." 1 6 10
11
Vgl. R. MÜLLER-STREISAND: S y n o d e n b e r i c h t , S. 18.
Ebd., S. 26. W. THIELMANN: Die Synode der DDR-Kirchen in Görlitz zwischen Öffnung und Abgrenzung. Spagat auf dem Hochseil. In: Rheinischer Merkur Nr. 39 vom 25.9.1987. 13 Ebd. Ahnlich hatte sich Thielmann bereits am 21. September 1987 in idea geäußert: „Für die Kirche ist Vorsicht angesagt, damit sie nicht in Dienst genommen wird." W. THIELMANN: Anerkennung zur Volljährigkeit? Vorsicht ist angesagt. In: idea Nr. 84/85/86 vom 21.9.1987. 14 Vgl. W. S. [d. i. Werner SIKORSKI; Auskunft der Redaktion der B.Z. vom 31.1.1994]: Randbemerkung: Die Deutschen drüben, die Deutschen hüben. In: B.Z. Nr. 219 vom 21.9.1987. 15 Auf der Fürstenwalder EKD-Regionalsynode (2. bis 7.4.1967) hatten die DDR-Landeskirchen ihr Festhalten an der Gemeinschaft der EKD bekräftigt. 16 Vgl. Me. [d. i. Ernst-Otto MAETZKE; Auskunft der Redaktion der Frankfurter Allgemeinen 12
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Die Bild-Zeitung ging am 22. September 1987 in einem Kommentar ausführlich auf den Falcke-Antrag ein und stellte das Zitat von der „monströsen Mauer" ins Zentrum ihrer Betrachtung. 17 Die Welt kommentierte die Görlitzer Synodaltagung am 22. September 1987 mit der Überschrift „Kirche grenzt sich in Görlitz vom Staat ab".18 In der gleichen Ausgabe erschien ein Bericht über die Tagung der Bundessynode, der sich besonders ausführlich mit dem Aspekt der Reisefreiheit in Falckes Antrag beschäftigte und zu dem Ergebnis kam, daß die Kirchenführung sich dem wachsendem Druck der Gemeindebasis ausgesetzt sehe.19 Auch die Frankfurter Rundschau berichtete mehrfach über die Synodaltagung in Görlitz. In einer Analyse der Tagung ging Karl-Heinz Baum am 23. September 1987 intensiv auf die Abgrenzungsproblematik ein und stellte dabei auch die Bedeutung des Dialogpapiers von SED und SPD heraus. Das Streitpapier, das von westdeutschen Konservativen kritisiert worden sei, habe vielen evangelischen Kirchenvertretern Mut gemacht und in ihrer Argumentation — gerade im Bereich der Freiheits- und Menschenrechte — gegenüber dem Staat geholfen.20 Ebenso vermerkte die Süddeutsche Zeitung-im 24. September 1987, daß die evangelische Kirche in der D D R viele Wünsche ostdeutscher Bürger zum Ausdruck bringe. Dazu gehörten die Forderungen nach Reise- und Visafreiheit ebenso wie der Wunsch nach besserer Information über ökologische Probleme und nach einer echten Friedenserziehung in Schule und Kindergarten. 21 Nach Meinung der Süddeutschen Zeitung waren dies eigentlich „alles bescheidene Wünsche, die über das Weltniveau nicht hinausgehen". Die schwache Reaktion auf die Tagung der Bundessynode in der DDRPresse wurde richtig beobachtet: „ D i e Presse d e r D D R h a t d i e G ö r l i t z e r S y n o d e [...] v e r s c h w i e g e n . A l l e i n d i e N e u e Z e i t , d a s Blatt d e r O s t - C D U , b e r i c h t e t e , es h a b e , e i n e b r e i t e u n d v o n u n t e r s c h i e d l i c h e n S t a n d p u n k t e n a u s g e f ü h r t e A u s s p r a c h e ' g e g e b e n [...]. L e i c h u n d d i e K i r c h e n l e i t u n g s e t z t e n sich s c h l i e ß l i c h m i t i h r e m A r g u m e n t d u r c h , d i e D D R b e f i n d e sich in e i n e m v o n o b e n gesteuerten Ö f f n u n g s p r o z e ß , der d u r c h kirchliche Resolutionen gestört werden könnte."22
Zeitung vom 24.1.1994]: In Görlitz gesprochen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 2 1 8 vom 2 1 . 9 . 1 9 8 7 . Der Vergleich mit der Haltung der R O K gegenüber ihrem Heimatstaat spielte auf das G r u ß w o r t Germans an die Synode an, in dem dieser sich über staadiche Einmischung in kirchliche Belange beklagt u n d die Liberalisierungstendenzen in der UdSSR erwähnt hatte. 17 Vgl. ENDSTATION MAUER? Bild-Kommentar [ohne Autoren-Angabe]. In: Bild Nr. 2 2 0 v o m 22.9.1987. ,8
Die Welt Nr. 2 2 0 vom 2 2 . 9 . 1 9 8 7 [Übernahme der idea-Meldung], " Vgl. D. DOSE: Die G e m e i n d e macht gegen die Kirchenführung Druck. Kontroverse u m m e h r Freizügigkeit auf der „DDR"-Synode in Görlitz. In: Die Welt Nr. 2 2 0 vom 2 2 . 9 . 1 9 8 7 . 20 Vgl. K.-H. BAUM: D D R - K i r c h e drängt auf Ö f f n u n g gegenüber dem Westen. In: Frankfurter Rundschau Nr. 2 2 0 vom 23.9.1987. 21 CS [d. i. Christian SCHÜTZE]: Die Synode spricht im N a m e n des Volkes. In: Süddeutsche Z e i t u n g Nr. 2 1 9 vom 24.9.1987. 22 Ebd.
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Die Görlitzer Bundessynode in den Medien
Die Tageszeitung berichtete mehrmals über den Synodenverlauf. Am 24. September wurde der Abgrenzungsantrag zusammengefaßt und kommentiert. Der von Falcke eingebrachte Antrag habe bereits vor der Tagung für „helle Aufregung" gesorgt: „Die Synodalen waren von staatlichen Stellen in Briefen und Gesprächen darum gebeten worden, sich gegen diesen Antrag auszusprechen. Der Staat hält das Papier für eine .Provokation anarchistischer Kräfte'."23 Im Deutschland Archiv leitete Matthias Hartmann seinen Artikel über die „Jahrestagung der Kirchenbunds-Synode"24 mit einem ausführlichen Zitat aus dem Redebeitrag Schorlemmers ein, der auf die „Trümmer des Konzepts der ,Kirche im Sozialismus'" hingewiesen hatte. Der KKL-Bericht habe - so Hartmann weiter — „bezeichnenderweise" keine so deutlichen Worte gefunden und „auf Bewährtes zurückgegriffen".25 Dennoch habe die Kirchenleitung dem Staat „manches ins Stammbuch" geschrieben, so die Forderung nach Gleichbehandlung aller DDR-Bürger, vor allem in Hinblick auf die Entscheidung über Reiseanträge und die Beantwortung von Eingaben. Stolpes Verweis auf die gesellschaftliche Verantwortung der Kirche und sein Fazit, diese sei „vielleicht sogar ein Teil unserer missionarischen Existenz im Sozialismus", hob Hartmann hervor. Den Synodenbeschluß „Bekennen in der Friedensfrage" bemängelte er insofern, als die Synode „einen Unvereinbarkeitsbeschluß zwischen Glauben und Waffendienst [...] endgültig nicht getroffen" habe.26 Hartmann stellte fest, daß einerseits eine „relative Einmütigkeit" zwischen Kirchenleitenden und Synode bestehe, andererseits eine am nicht verabschiedeten Abgrenzungsantrag deutlich werdende Distanz „zwischen denen, die unmittelbar an geschlossenen Grenzen leiden und denen, die kirchenpolitisch zwischen Erstrebenswertem und Machbaren lavieren müssen". Er zeigte zwar Verständnis dafür, daß die Bundessynode zu diesem Zeitpunkt der Öffnung vor einer Beschlußfassung zurückgeschreckt sei, doch des „Begriffes .Zumutbarkeit' [...] hätte es nicht bedurft. Er verstärkte eher den Eindruck, kirchenleitendes Handeln sei von taktischen Erwägungen bestimmt und habe, wie Propst Falcke formulierte, , Wünsche des Staates verinnerlicht'".21 Des weiteren zeige das „Sachgespräch" mit Staatssekretär Sitzlack, daß die Politik der Beharrlichkeit gegenüber staatlichen Gesprächspartnern keine Erfolgsgarantie in sich berge. Das Thema der Bundessynode für das kommende Jahr 1988, das die Gemeinden in den Mittelpunkt stellen sollte, bezeichnete Hartmann als „wichtige Vor-
23 Vgl. GLASNOST UND REISEFREIHEIT FÜR DDR. Probst forderte auf der Synode der ev. Kirche in Görlitz, die Abgrenzung aufzuheben. Dokumentation [ohne Autoren-Angabe] .In: Tageszeitung Nr. 2318 vom 24.9.1987, S. 6. 24 Vgl. M. HARTMANN: Politik der kleinen Schritte. Jahrestagung der Kirchenbunds-Synode. In: DA 20 (1987), S. 1 1 2 8 - 1 1 3 1 25 Ebd., S. 1128. 26 Ebd., S. 1129. 27 Ebd., S. 1130. Hervorhebungen im Original.
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aussetzung, um ,Trümmer' beiseite zu räumen und Orientierungen für das nächste Jahrzehnt zu entwerfen".28 Auch wichtige Regionalzeitungen gingen ausführlich auf die Görlitzer Tagung der Bundessynode ein. Peter Nöldechen berichtete in der Westfälischen Rundschau am 21. September29 von der „sehr kontrovers geführten" Debatte um den Falcke-Antrag und stellte Falckes Verweis auf die mit der fortschreitenden Öffnung der D D R zunehmend „monströser [...] in der politischen Landschaft" stehende Mauer in den Mittelpunkt. Einige Redner hätten im Plenum auf die Gefahr hingewiesen, „bei der SED-Führung möglicherweise das Gegenteil der von ihm [Falcke] gewollten verstärkten Öffnungspolitik OstBerlins" zu bewirken."30 In derselben Ausgabe lobte Nöldechen die „ohne Zwangsmittel" ausgetragenen Meinungsverschiedenheiten während des OlofPalme-Friedensmarsches, wobei er einige Plakatlosungen wiedergab.31 Axel Ostrowski kam in den Kieler Nachrichten^ zu dem Ergebnis, daß die evangelische Kirche „an einer Grundlage für alle" baue: „Es ist nicht nur verständlich, sondern auch im Sinne aller, wenn sie dieses Fundament nicht gefährden läßt. Auf der Synode in Görlitz wurde massiv die Wahrheit gesagt, es wurde aber auch so manches gefordert, was das Regime nicht zu geben bereit ist. [...] Die Kirchenftihrung hat also nicht aus Feigheit oder Untertanentum - vorläufig gebremst."33 Eine andere Schlußfolgerung zog Liselotte Müller am 25. September in der Kölnischen Rundschau,34 Viele Synodale hätten Schwierigkeiten, ihren „Gemeinden die abwartende, zurückhaltende und moderate Position der Kirchen gegenüber dem Staat plausibel zu machen".35 Die Rheinische PostiG vermerkte, ähnlich wie die Süddeutsche Zeitung, das Totschweigen des FalckeAntrags in der östlichen Presse.
28
Ebd., S. 1131. Vgl. auch den ganz anders akzentuierten, am 23.9.1987 gesendeten Rundfunkkommentar Hartmanns, Kap. 6.2.3, S. 239f. 25 Vgl. pen [Peter NÖLDECHEN]: DDR-Synodaler nennt die Mauer in Berlin „monströs". In: Westfälische Rundschau Nr. 220 vom 21.9.1987. 30 Ebd. 31 Vgl. pen [Peter NÖLDECHEN]: Palme-Friedensmarsch in Ost und West. In: Westfälische Rundschau Nr. 220 vom 21.9.1987. " Vgl. A. OSTROWSKI: Realistisch helfende Kirche. In: Kieler Nachrichten Nr. 219 vom 21.9.1987. 33 Ebd. 34 Vgl. L. MÜLLER: „Der Staat darf nicht überfordert werden". Synode des Kirchenbundes in der DDR: Kontroverse Diskussion um größere Freiheiten. In: Kölnische Rundschau Nr. 224 vom 25.9.1987. 35 Ebd. 36 Vgl. SYNODE FÜR MEHR BEGEGNUNGEN. Keine Absage an Abgrenzung. In: Rheinische Post Nr. 86 vom 23.9.1987.
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Die Görlitzer Bundessynode in den Medien 6.1.3 Die kirchliche Presse in der D D R 3 7
In den Kirchenzeitungen der einzelnen evangelischen Landeskirchen der D D R wurden Verlauf und Ergebnis der Synode ausgesprochen positiv bewertet. 38 Der Chefredakteur der Thüringer Kirchenzeitung Glaube und Heimat, Gottfried Müller, lobte ausdrücklich den Beschluß „Bekennen in der Friedensfrage" und begrüßte andererseits, daß die Synode dem Falcke-Antrag gegen Praxis und Prinzip der Abgrenzung eine Absage erteilt habe. 39 Die Mehrheit der Synodalen habe die Tagung als eine historische Situation wahrgenommen. 4 0 Auch Gerhard T h o m a s nannte in der Berliner Kirchenzeitung Die Kirche die Görlitzer Tagung eine „Sternstunde der Bundessynode" 4 1 , wobei er sich besonders auf das D o k u m e n t zur Friedensfrage bezog. In der Berichterstattung von T h o m a s fällt allerdings auf, daß er eine Woche zuvor, in der Ausgabe der Kirche vom 27. September 1987, behauptet hatte, von der Bundessynode sei das Gespräch zu Fragen der Reaktorsicherheit, das Anfang September 1987 mit Staatssekretär Sitzlack stattgefunden hatte, positiv aufgenommen worden. Das Gegenteil war allerdings der Fall gewesen. 42 Stefan Berg stellte in der Potsdamer Kirche vom 4. Oktober 1987 die Bedeutung des Textes „Bekennen in der Friedensfrage" in den Mittelpunkt seiner Berichterstattung über die Bundessynode. 4 3
Vgl. R. HENKYS: Kirchliche Medienarbeit. In der Abt. II der Dienststelle des Staatssekretärs wurde eine Information über „Tendenzen in der Berichterstattung der evangelischen Kirchenzeitungen" verfaßt, die als Anlage der von Gräfe a m 2 1 . 1 2 . 1 9 8 7 ausgearbeiteten „Vorlage an die Dienstbesprechung am 2 8 . 1 2 . 1 9 8 7 . Leitungsinformation 6 / 8 7 " beigefugt war (BARchP, D O 4 S T S f. Kirchenfragen Nr. 956). Es wurde nur beanstandet, daß „die Wiedergabe der politisch problematischen Aussagen auf der BEK-Synode in der ,Ki[rche]' und der ,M[ecklenburgischen]K[irchen]Z[eitung]' einen unverhältnismäßig breiten R a u m " eingenommen habe (Ebd., S. 3 der Anlage). 39 Vgl. G. MÜLLER: Blickwechsel [Kommentar]. In: Glaube und Heimat. Evangelische Wochenzeitung für Thüringen. Nr. 4 0 vom 4 . 1 0 . 1 9 8 7 . Müller kritisierte vor allem den Zeitpunkt, weniger den Inhalt des Falcke-Antrages. Vgl. auch DERS.: Alles zu seiner Zeit. Beschlüsse der D D R - K i r c h e n b u n d s y n o d e in Görlitz. In: Glaube und Heimat Nr. 4 0 vom 4 . 1 0 . 1 9 8 7 . 40 Vgl. G . MÜLLER: Blickwechsel. 41 G . THOMAS: „Im Gehorsam gegen den dreieinigen Gott...". Sternstunde der Bundessynode. In: D i e Kirche Nr. 4 0 vom 4 . 1 0 . 1 9 8 7 . Vgl. auch DERS.: Von der Tagung der Bundessynode. Für Überwindung von Abgrenzungen. In: Die Kirche Nr. 41 vom 1 1 . 1 0 . 1 9 8 7 . 42 Vgl. G . THOMAS: Von der Tagung der Bundessynode. Die Urteilsfähigkeit fördern. In: Die Kirche Nr. 3 9 vom 2 7 . 9 . 1 9 8 7 . Im Gegensatz dazu steht der kritische Beitrag über das Gespräch mit Sitzlack von der Synodalen Cynkiewicz während der Bundessynode; s.o., S. 107. 43 Vgl. S. BERG: Ein Ausdruck des Glaubensgehorsams. In: Potsdamer Kirche. Sonntagsblatt für evangelische Gemeinden in der Mark Brandenburg Nr. 4 0 vom 4 . 1 0 . 1 9 8 7 . Ähnlich auch Friedbert STÖCKER: Tagung der Bundessynode in Görlitz. In: Der Sonntag. Kirchenzeitung der EvangelischLutherischen Landeskirche Sachsens Nr. 41 vom 1 1 . 1 0 . 1 9 8 7 , und DERS.: D e n Frieden gewaltfrei fördern. Von der Tagung der Bundessynode. In: Mecklenburgische Kirchenzeitung Nr. 4 0 vom 4 . 1 0 . 1 9 8 7 , und DERS: Von der Tagung der Bundessynode. Die Gemeinde und ihr Auftrag. In: Mecklenburgische Kirchenzeitung Nr. 41 vom 1 1 . 1 0 . 1 9 8 7 . Genauso akzentuierte auch Heinz BLAUERT seinen Artikel „Bekennen in der Friedensfrage" in: Z d Z 41 (1987), S. 3 0 5 - 3 0 8 . 37 38
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6.1.4 Die westdeutschen Kirchenzeitungen In westdeutschen evangelischen Kirchenzeitungen wurde der Signalcharakter der Görlitzer Tagung der Bundessynode hervorgehoben. So überschrieb epdKorrespondent Hans-Jürgen Röder seinen Artikel im Berliner Sonntagsblatt am 27. September 1987 „Hoffnungszeichen für eine mündige Gesellschaft" 44 . Im Gegensatz zu seinem DDR-Kollegen Thomas beurteilte Röder das Gespräch zu Fragen der Reaktorsicherheit mit Staatssekretär Sitzlack ausgesprochen skeptisch — es habe keinen Raum für Diskussionen gegeben. Im übrigen habe es sich nicht um ein Gespräch, sondern um einen rein belehrenden Vortrag gehandelt. Deswegen sei auch fraglich, ob die vom Staat angekündigten Sachgespräche zu Volksbildung, Wehrfragen und Rechtspraxis der D D R wirkliche Fortschritte bringen könnten. 45 Röder zitierte auch die Mahnung von Stolpe, Recht werde erst Realität, wenn es der einzelne auch in Anspruch nehme und im Konfliktfall behaupte. 46 Kritisch merkte er an, daß das Synodenpräsidium es den Initiatoren der „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" untersagt habe, die .Argumentationshilfe [Aufrisse] auf dem Gelände des Tagungszentrums zu verteilen". 47 Mit dem Hinweis darauf, daß das DDR-Fernsehen seine Berichterstattung bereits nach dem ersten Beratungstag abgebrochen hatte, brachte Röder seine Verwunderung darüber zum Ausdruck, „daß zumindest die Hörer der monatlichen kirchlichen Nachrichtensendung im Ost-Berliner Rundfunksender ,Stimme der D D R ' am Sonnabend nach Abschluß der Bundessynode ungewöhnlich ausführlich informiert" worden seien.48 Im Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt brachte Reinhard Henkys die Görlitzer Synode in Zusammenhang mit dem Olof-Palme-Friedensmarsch: „ I n d e r D D R b e g i n n t d i e H o f f n u n g a u f V e r ä n d e r u n g W u r z e l n z u s c h l a g e n [...] N o c h v o r z w e i , d r e i J a h r e n h ä t t e n s o l c h e S p r u c h b ä n d e r [wie a u f d e m
Palme-Friedens-
m a r s c h ] i h r e T r ä g e r in d i e H ä n d e d e r S t a a t s s i c h e r h e i t g e f ü h r t [,..]." 4 9
Gleichzeitig meinte Henkys, daß viele DDR-Christen - auch aus den Friedensgruppen — ihre Hoffnungen mehr auf vertrauensbildende Gespräche mit Funktionären als auf bekenntnishaftes Reden setzten. Gerade bei letzterem bestünde die Gefahr, daß es die Funktionäre in Angst versetzen und wieder geschlossen auf Konfrontationskurs bringen könnte. 50 44 In: Berliner Sonntagsblatt Nr. 39 vom 27.9.1987. Der Artikel findet sich unter demselben Titel in: KiSo 13 (1987), S. 1 7 6 - 1 7 8 . Auf Seite 179f. ist der Synodenbeschluß „Bekennen in der Friedensfrage" abgedruckt. 45 Vgl. Berliner Sonntagsblatt Nr. 39 vom 27.9.1987. 46 Vgl. ebd. Ahnliche Schwerpunkte hatte auch Röders Bericht in den Lutherischen Monatsheften; vgl. H.-J. RÖDER: Unveränderte Problemfelder. In: LM 2 6 (1987), S. 523f. 47 Berliner Sonntagsblatt Nr. 39 vom 27.9.1987. 48 Ebd. 49 R. HENKYS: Augenmaß ist gefragt. Protestanten in der D D R fordern mehr Freiheitsrechte. In: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt Nr. 39 vom 27.9.1987. 50 Vgl. ebd.
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D i e G ö r l i t z e r B u n d e s s y n o d e in d e n M e d i e n
Ulrich Ruh leitete seinen Artikel über die Bundessynode in der katholischen Herder-Korrespondenz51 mit dem Verweis auf das Honecker-Interview mit belgischen Journalisten ein, das am 13. Oktober im Neuen Deutschland abgedruckt worden war. Honecker hatte darin das sich positiv gestaltende Verhältnis zwischen Staat und Kirche hervorgehoben.52 Ruh zog aus dem Verlauf der Synodaltagung die Schlußfolgerung, daß „die M e i n u n g e n i m D D R - P r o t e s t a n t i s m u s i m Blick a u f die A u s g e s t a l t u n g d e r gesellschaftlichen M i t v e r a n t w o r t u n g der evangelischen K i r c h e a u s e i n a n d e r g e h e n . I m B e r i c h t der K K L a n d i e S y n o d e h i e ß es, die e i n e n wiesen d a r a u f h i n , d a ß d u r c h , d e n A n s c h e i n s t r u k t u r e l l e r V e r f l e c h t u n g e n kirchlicher A k t i v i t ä t e n m i t staatlichen u n d gesellschaftlichen I n s t i t u t i o n e n eine V e r e i n n a h m u n g s t a t t f i n d e ' . D i e a n d e r e n b e t o n t e n , d a ß v o m christlichen G l a u b e n h e r ein Z u s a m m e n w i r k e n d e r K i r c h e m i t staatlic h e n u n d gesellschaftlichen P a r t n e r n bei g e m e i n s a m v e r t r e t e n e n Z i e l e n v o n Fall zu Fall m ö g l i c h sei".
6.2 Reaktionen in Rundfunk und Fernsehen Unter den sechs angemeldeten Vertretern der Rundfunk- und Fernsehanstalten waren diejenigen aus der Bundesrepublik in Görlitz in der Überzahl. Lag bei den Printmedien in der DDR das Hauptgewicht auf den konfessionellen Zeitungen, so beschränkte sich die Berichterstattung in Radio und Fernsehen die evangelische Kirche in der DDR hatte im übrigen nur äußerst begrenzte Möglichkeiten, Informationen in Rundfunk- und Fernsehsendungen unterzubringen53 — auf staatliche Sendeanstalten. Laut „Information und Maßnahmeplan zur Synode des BEK",54 der von der Abt. II der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen am 1. September 1987 erstellt worden war, hatte man staatlicherseits in der DDR eine ausführliche Berichterstattung über die Görlitzer Bundessynode geplant.55 Dazu hat51 U. RUH: DDR-Kirchenbundsynode in Görlitz. In: Herder-Korrespondenz Nr. 11/87 (41. Jg. 1987), S. 515f. 52 Vgl. N D Nr. 240 vom 13.10.1987, S. 3. 53 Gestattet waren einmal wöchentlich ein Rundfunk-Gottesdienst und im Monat eine 15minütige Radiosendung in „Stimme der D D R " sowie sechs Fernsehsendungen im Jahr (ebenfalls jeweils 15 Minuten Dauer) im zweiten Programm des DDR-Fernsehens. Vgl. auch R. HENKYS: Kirchliche Medienarbeit, sowie H . WAGNER: 40 Jahre Hörfunkgottesdienste. 54 Vgl. Anhang, Dok. 7. 55 In einem Gespräch teilte der ehemalige persönliche Referent von Staatssekretär Gysi, DOHLE, den Verf. mit, daß es allein ein „Riesenfortschritt" gewesen sei, den im folgenden zitierten Punkt 6. auf den Maßnahmeplan setzen zu können. Tatsächlich sei dazu eine schwierige Intervention bei Joachim Herrmann, dem seit 1978 für .Agitation und Propaganda" zuständigen PB-Mitglied, nötig gewesen. Herrmann habe widerstrebend eingewilligt, ein Team der,Aktuellen Kamera" zur Synode zu schicken, jedoch — so Dohle — die „Wichtigkeit und Tragweite einer solchen Maßnahme" nicht verstanden. Dohle vermutet, Herrmann habe dem Team gestattet, „nach dem ersten Tag
Reaktionen in R u n d f u n k und Fernsehen
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ten die guten Erfahrungen ermutigt, die die Verantwortlichen mit der Zulassung von offenerer medialer Informationspraxis im Umfeld des Berliner Kirchentags gemacht hatten. Der „Maßnahmeplan" bestimmte: „6. U m die konstruktive Berichterstattung über politisch bedeutsame Veranstaltungen fortzusetzen, wird außer einem Journalisten und einem Bildreporter des A D N die , Aktuelle Kamera' an der gesamten Tagung teilnehmen. So kann nicht n u r eine objektive und den gesellschaftlichen Entwicklungen in der D D R Rechnung tragende Berichterstattung erfolgen, sondern auch demonstrativ ein Gegengewicht gegen die westlichen M e d i e n geschaffen werden. 7. A u f A n t r a g werden durch das M f A A die akkreditierten Journalisten zur Berichterstattung zugelassen." 56
6.2.1 Die Berichterstattung der Rundfunk- und Fernsehsender in der D D R Hans-Dieter Jancker nahm für die Aktuelle Kamera an der Synode teil, die Stimme der DDR hatte als Vertreter Ernst Goltzsch geschickt.57 Das Team der Aktuellen Kamera war am ersten Tag auf der Plenumssitzung der Bundessynode anwesend, brach aber danach zur allgemeinen Verwunderung seine Arbeit ab und verließ Görlitz. Die staatliche Niederschrift über ein Gespräch Leichs mit Gysi am 6. November 1 9 8 7 gibt das von Leich zum Ausdruck gebrachte Befremden wieder, „daß das D D R - F e r n s e h e n nicht die vielen [im Sinne der staatlichen Kirchenpolitik] positiven Beiträge aufgezeichnet hat. M a n hätte so das falsche Bild der Westmedien korrigieren k ö n n e n [...]. Für ihn sei es unverständlich, w a r u m der Staat sich i m m e r wieder v o n den Westmedien so stark beeinflussen lasse. Diese versuchten nicht nur die Kirchenleitung v o n ihrer Basis zu spalten, sondern auch das Verhältnis zwischen Staat u n d Kirche zu stören. Solange der Staat die Westmedien zuläßt, könnten sie diese Situation nicht ändern". 5 8
wieder nach Hause" zu kommen. Sollte es sich so abgespielt haben, m ü ß t e also der Rückzug des DDR-Fernsehens nicht als Reaktion auf den Falcke-Antrag, sondern als Folge von „Kompetenzgerangel" im Hintergrund interpretiert werden. Abteilungsleiter Wilke von der Dienststelle des Staatssekretärs schilderte aus seiner Erinnerung die Ereignisse in Görlitz anders: Das Kamerateam sei ohne den Redakteur in Görlitz eingetroffen, so daß man entsprechendes Personal aus einem anderen Bezirk habe anfordern müssen. Am nächsten Tag sei die „Aktuelle Kamera" dann gar nicht mehr erschienen. Der Vorgang habe niemals aufgeklärt werden können (Gespräch WILKE mit den Verf. am 6.6.1995). 56 Vgl. „Information und Maßnahmeplan" vom 1.9.1987, Dok. 7 im Anhang. 57 Leider ist es aufgrund der Vereinigung beider deutscher Staaten, in deren Folge die D D R Medien entweder verschwanden oder völlig umstrukturiert wurden, nicht mehr möglich, den möglicherweise am ersten Tag gedrehten Beitrag der .Aktuellen Kamera" einzusehen. So rekrutieren sich die Informationen aus unterschiedlichen Quellen, zumeist kirchlichen und staatlichen Akten. 58 Dok. 29 im Anhang. Ahnlich wie Leich hatte sich bereits Ziegler, der Leiter des Sekretariat des
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Die Görlitzer Bundessynode in den Medien
Ebenso wie die Reaktion des Neuen Deutschland, zwar die Tagung der Bundessynode anzukündigen, jedoch nur knapp und tendenziös über deren geplanten Verlauf und überhaupt nicht über ihre Ergebnisse zu berichten, ist die „Panne" mit dem Team des DDR-Fernsehens vermutlich auf spontane Weisung „von oben" zurückzuführen. Es sollte damit möglicherweise verhindert werden, dem Falcke-Antrag Publizität zu verleihen, was angesichts der starken Präsenz westlicher Medien eine falsche Einschätzung war.59 Im Rahmen der monatlichen evangelischen Radiosendung Berichte aus dem kirchlichen Leben, die jeweils am letzten Samstag im Monat um 7.45 Uhr einen Sendeplatz in Stimme der DDR hatte, um über kirchliche Themen zu informieren, wurde am 26. September unter anderem über die kurz zuvor beendete Synodaltagung in Görlitz berichtet. 60 Neben der auszugsweisen Verlesung der zentralen Passagen des Beschlusses „Bekennen in der Friedensfrage" wurde auch der Falcke-Antrag erwähnt: „Der Antrag eines Synodalen, entsprechend der Absage an Geist, Logik und Praxis der Abschreckung' auch eine Absage auszusprechen an Geist und Praxis der Abgrenzung, wurde zwar von vielen Eingaben unterstützt, aber von der Synode nicht angenommen." 61 Auch die Begründung, mit der die Bundessynode den Eingebern ihre abschlägige Entscheidung mitgeteilt hatte, es sei ein ungünstiger Zeitpunkt, in einer Phase der politischen Ö f f n u n g eine derartige Absage auszusprechen, wurde genannt. Nach einem Zitat aus „Bekennen in der Friedensfrage" und einigen Sätzen zum KKL-Bericht folgten Details zum Olof-Palme-Friedensmarsch. Die allgemeinen kirchlichen Nachrichten im Anschluß erwähnten unter anderem das Gespräch zwischen Kirchenvertretern und dem Präsidenten des Staatlichen Amtes für Atomsicherheit und Strahlenschutz, Staatssekretär Sitzlack. Aus verständlichen Gründen wurde hierbei mit keinem Wort gesagt, wie verärgert und enttäuscht sich Vizepräses Cynkiewicz - stellvertretend für die meisten kirchlichen Teilnehmer dieses Treffens — vor dem Plenum der Bundessynode über den monologischen Charakter dieser Zusammenkunft geäußert hatte. 62
Bundes, geäußert, als ihm am 19.10.1987 von HAL Heinrich von der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen die vorläufige Absage der vor der Bundessynode versprochenen Informationsgespräche mitgeteilt worden war: „Es sei tief zu bedauern, daß das DDR-Fernsehen die Verhandlungen verlassen habe. Es hätte ja die Gelegenheit gehabt, eine richtigstellende Berichterstattung der Öffentlichkeit der DDR zu übermitteln" (Dok. 26 im Anhang). 59 Vgl. Anm. 55. Dieser Interpretation widersprach Wilke. Seiner Ansicht nach ist der verfrühte Abzug der Aktuellen Kamera auf eine organisatorische Panne zurückzuführen (Gespräch WILKE mit den Verf. vom 6.6.1995). 60 „Berichte aus dem kirchlichen Leben", 114. Sendung am 26.9. 1987, 7.45 Uhr in: „Stimme der DDR", Manuskript [verfaßt wahrscheinlich von Volker von der HEYDT] und dazugehöriges Anschreiben des BEK-Pressereferenten Günther an den Leiter des Staatlichen Rundfunkkomitees, Koch, vom 23.9.1987 (EZA BERLIN, 101/93/171). 61 „Berichte aus dem kirchlichen Leben", 114. Sendungam 26.9.1987. 62
TYPOSKRIPT, S. 1 4 2 - 1 4 4 ; vgl. a u c h K a p . 4 . 2 . 1 , S. 1 0 7 .
R e a k t i o n e n in R u n d f u n k u n d F e r n s e h e n
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6.2.2 Die Berichterstattung durch Fernsehanstalten in der Bundesrepublik Die beiden großen westdeutschen Fernsehanstalten hatten Dr. Claus Richter (ARD) und Bruno Funk (ZDF) nach Görlitz geschickt. So berichtete die Tagesschau am 19. September über die Bundessynode. 6 3 Es wurde ein Auszug aus dem ,Antrag einer Ost-Berliner Gemeinde, in dem größere Freizügigkeit und Reisefreiheit gefordert werden", gebracht und mit dem wörtlichen Falcke-Zitat verknüpft: „Je weiter die Entspannung fortschreitet, je normaler Gespräche und Besuche zwischen Ost und West werden, desto monströser steht die Mauer in der politischen Landschaft." 6 4 Mit ähnlicher Schwerpunktsetzung wurde am letzten Tag der Görlitzer Tagung deren Verlauf in den TagesthemerF' zusammengefaßt: „Im Mittelpunkt stand das Verhältnis Staat und Kirche. Sogar das Fernsehen der D D R war aktuell mit dabei." 6 6 Folgende Originaltöne waren zu hören: 1. Passagen aus Nathos Beitrag zum gesellschaftlichen Engagement der Kirchen sowie über die Grenzen innerhalb der Kirchenarbeit; 2. Leichs Verweis auf die Frage der Zumutbarkeit der „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" für den Staat; 3. Falckes Begründung des Antrags sowie die Forderung nach Ö f f n u n g der Kirche. Es folgten Bilder vom Olof-Palme-Friedensmarsch in Dresden, wobei einige der mitgeführten Transparente gezeigt wurden. Etwas andere Akzente setzte Funk in seinem Bericht für die Heute-Sendung67 am 19. September, der insofern ausgewogener war, als neben den Delegierten im Konferenzsaal auch das Transparent mit der Aufschrift „Bekennen in der Friedensfrage" gezeigt wurde. Ebenfalls in seiner Nachrichtensendung Heute68 brachte das ZDF am 22. September wiederum eine Einstellung auf die Tagungsteilnehmer im Plenarsaal, einen Schwenk auf das Transparent an der Stirnseite des Saals sowie den Bundessynodalen Zimmermann, der, wie es im Begleittext hieß, „mehr Rei-
6 3 Auskunft des N D R vom 1 . 3 . 1 9 9 4 , H e l m u t Bruger (FS-Archiv): Tagesschau vom 1 9 . 9 . 1 9 8 7 „Evangelische Synode in Görlitz" von Dr. C . RICHTER, O s t - B e r l i n / W D R / 1 , 3 2 " . 64 Ebd. In seinem Einbringungsreferat hatte Falcke dies geäußert (TYPOSKRIPT, S. 4 3 . Vgl. D o k . 3 / 3 im Anhang). 65 Auskunft des N D R vom 1 . 3 . 1 9 9 4 , Bruger (FS-Archiv): Tagesthemen v o m 2 2 . 9 . 1 9 8 7 „Synode in der D D R beendet" von Dr. C . RICHTER, O s t - B e r l i n / W D R / 3 , 4 2 " . 6 6 Ebd. 67 N a c h Recherche-Auftrag Auskunft des Z D F vom 9 . 3 . 1 9 9 4 , Dr. H . Schmitt ( Z D F Prog r a m m - D a t e n b a n k ) : Heute-Sendung vom 1 9 . 9 . 1 9 8 7 „Bericht über die Bundessynode der evangelischen Kirchen in der D D R in Görlitz" von B. FUNK, A S T [evtl.: Auslandsstudio] Ost-Berlin/ 1,19". 68 N a c h Recherche-Auftrag Auskunft; des Z D F vom 9 . 3 . 1 9 9 4 , Dr. H . Schmitt ( Z D F Prog r a m m - D a t e n b a n k ) : Heute-Sendung vom 2 2 . 9 . 1 9 8 7 „Bericht über den Abschluß der Synode des Bundes der evangelischen Kirchen in der D D R " von B. FUNK, A S T O s t - B e r l i n / 1 , 1 6 " . A m selben Tag wurden im Heute-Journal noch einige Bilder aus dem Plenarsaal gezeigt (Ebd., 0 , 3 4 " ) .
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D i e Görlitzer B u n d e s s y n o d e in den M e d i e n
semöglichkeiten forderte". 69 Die Auswirkungen der Görlitzer Synodaltagung für die gesamte D D R schätzte Funk abschließend folgendermaßen ein: „ D i e Pfarrer werden vor allem das A r g u m e n t verteidigen m ü s s e n , daß der derzeitige Prozeß der Ö f f n u n g , den die Staats- u n d Parteiführung vorantreiben will, nicht d u r c h neue e m o t i o n a l b e s t i m m t e Forderungen gestört werden d ü r f e . " 7 0
Eine Sendung des politischen y4ÄD-Magazins Kontraste hatte am 9. Dezember 1987 die Entwicklung der Friedensbewegung in der D D R zum Thema. 7 1 In diesem Rahmen wurde auch die Görlitzer Synodaltagung angesprochen. Im Vordergrund stand ein Zitat aus Falckes Einbringungsreferat, in dem er auf die Notwendigkeit von erweiterten Reisemöglichkeiten, größerer Rechtssicherheit und Offenheit hinwies. Allerdings war nur der erste Satz des „Zitats", die Äußerung Falckes über die Monstrosität der Mauer, wirklich von Falcke vor dem Plenum gesprochen worden, während der restliche Beitrag zwar von ihm stammen könnte, aber nicht auf der Tagung der Bundessynode vorgetragen wurde. 6.2.3 Westdeutsche Radiosender Der seit Anfang 1986 in der D D R lebende westliche Rundfunk-Journalist Wolfgang Hauptmann 7 2 berichtete am Ende des ersten Tages, daß es einerseits im Verhältnis von Staat und Kirche „mehr Toleranz und Vertrauen als früher" gebe, die Kirche sich auf der anderen Seite „auch mit der Bevormundung und dem Mißtrauen der Behörden beschäftigen" müsse. Hauptmann hob hervor, wie tolerant sich der Staat gegenüber Friedensgruppen und Plakatträgern während des Olof-Palme-Friedensmarsches gezeigt habe, auch wenn dann die Weiterführung des Marsches nach Pirna abgesagt worden sei. Er nannte viele der Themen, die für die Tagung der Bundessynode vorgesehen waren, wobei er das Staat-Kirche-Verhältnis als „geheimen Schwerpunkt" herausstellte: „Bei der Debatte dieser heiklen Punkte drücken sich die Bischöfe gern diplomatisch aus. Die Synodalen reden deutlicher, denn sie sprechen für die Nöte der Gemeinden." Hauptmann ging anschließend auf den nicht verabschiedeten Fal69 Es entspricht nicht den Tatsachen, daß Zimmermann als Synodaler mehr Reisemöglichkeiten forderte. Er brachte am 22.09.87 die im Ausschuß überarbeitete Beschlußvorlage 15, „Bekennen in der Friedensfrage", in die Plenumssitzung ein, trug also den Beschluß als solchen vor (TYPOSKRIPT, S. 2 9 3 - 2 9 5 ; vgl. auch Kap. 4.5.4, S. 134). Auch in seinem Schlußwort sagte er nur einige Worte zum Beschluß selbst (S. 138). 70 B. FUNK: „Bericht über den Abschluß der Synode". In: Heute vom 22.9.1987. 71 KONTRASTE vom 9.12.1987. Vgl. dazu J. ENGERT: „Schwerter zu Pflugscharen" - ein Mythos?, v.a. S. 2 2 8 - 2 3 1 (S. 138). 72 W. HAUPTMANN erteilte den Verf. ausführlich telefonisch (1.3. und 10.3.1994) und schriftlich (24.3.1994) Auskunft. Er überließ den Verf. seine Notizen zu den Sendematerialien, die für N D R / A R D produziert wurden, deren Verkauf an verschiedene andere Anstalten jedoch von ihm nicht mehr belegt werden kann. So übermittelte er der Redaktion am 18.9.(17.00 Uhr), 19.9.(17.45 Uhr), 21.9. (11.45 Uhr) und 22.9. 1987 (22.45 Uhr) seine Berichte über die Bundessynode. Der vorletzte ging laut hsl. Vermerk später an den RIAS und den SFB.
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cke-Antrag ein, dessen Provenienz er ebenso erläuterte wie die Unterstützung durch über zweihundert Eingaben, die die Kirchenleitung zum Handeln drängten. Am folgenden Tag, dem 19. September, hob Hauptmann die merkliche Unsicherheit der evangelischen Kirche angesichts der „neuen Lage" hervor, die seiner Meinung nach durch den - während des Olof-Palme-Friedensmarsches - geschaffenen Freiraum der Kirchen zustandegekommen war. Diese Unsicherheit zeige sich deutlich an der ablehnenden Behandlung des Abgrenzungspapiers und der Reaktion auf die begleitende Rede Falckes, in der dieser gefordert habe, man solle „durch kritische Anstöße die staatliche Politik der Öffnung nach außen befördern und nach innen erweitern". Hauptmann betonte, daß viele der Synodenteilnehmer, auch einige Bischöfe, in wesentlichen Teilen der Diagnose Falckes zugestimmt hätten, aber ebensoviele andere glaubten, man dürfe „Staat und Partei [...] nicht zuviel zumuten, das Umdenken habe doch eben erst begonnen". Stellvertretend für diejenigen, die mit dem Verweis auf den falschen Zeitpunkt gegen den Antrag stimmten, wurde eine Äußerung Großes eingespielt: ,,[E]s nützt gar nichts, j e m a n d e m die Wahrheit u m die Ohren zu schlagen, s o n d e r n ich m u ß sie i h m hinhalten, wie einen Mantel, d a ß er hineinkriechen kann u n d d a ß es seine Wahrheit w i r d . " 7 3 H a u p t m a n n erklärte sich diese „ G e d u l d " predigende H a l t u n g vieler Synodaler d a m i t , daß „sie die kleinen, aber greifbaren Fortschritte der letzten M o n a t e nicht aufs Spiel setzen wollen — w o r a u f Falcke nur erwidern kann, der Platz der Kirche sei bei den L e i d e n d e n u n d den B e t r o f f e n e n " .
Als Beispiel für Motive gerade junger Menschen, die „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" abzulehnen, war die Wortmeldung der Bundessynodalen Böhling zu hören: „Ich m ö c h t e sagen, daß ich die Punkte, die in d e m Antrag stehen, als etwas sehe, was irgendwann passieren m u ß , noch ein bißchen differenzierter, als sie drinstehen. U n d d a ß ich als erstes ernst g e n o m m e n werden m ö c h t e in m e i n e m Bekenntnis zu e i n e m sozialistischen Staat u n d daß ich ernst g e n o m m e n werden m ö c h t e an d e m Punkt, w o ich sage, ich habe G e d u l d , ich kann warten."
Seinen Beitrag vom vorletzten Synodentag leitete Hauptmann mit der Frage nach der „Zumutbarkeit" des Falcke-Antrags ein, die im Plenum verhandelt worden war. Die Synodalen seien in ihren Beiträgen offener als die Kirchenleitung. Aus Stolpes Beitrag zu Wehrdienst, Amnestie und Rechtssicherheit war die auch von Röder auszugsweise zitierte Stellungnahme zu hören: „Diese 73 Große hatte in einem längeren Wortbeitrag aus verschiedenen Gründen einer Verabschiedung des Falcke-Antrags widersprochen. Dabei stand vor allem die beidseitige deutsche Beteiligung am Mauerbau im Vordergrund. Große warnte im Zusammenhang mit der oben von Hauptmann zitierten Äußerung davor, mit der „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" „denen in unserem Lande und in anderen Ländern keinen Dienst [...] [zu erweisen], die auf dem Wege der Öffnung" seien (TYPOSKRIPT, S. 52).
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Rechtssicherheit ist in den letzten Jahren gewachsen, und wir dürfen hoffen, daß sie sich weiter stabilisieren wird. Aber das Recht wird erst Realität, wenn der Bürger es in Anspruch nimmt und im Konfliktfall behauptet." Trotz aller positiven Zeichen gebe es - so Hauptmann - doch eine Menge am Ist-Zustand zu kritisieren. Laut Schorlemmer sei die Versammlung in Görlitz „rastlos, ratlos und oft überfordert". Der Bericht des Journalisten Schloß mit der Feststellung, daß einige Synodale freimütig verlauten ließen, „die DDR-Gesellschaft sei krank und keineswegs so mündig, wie die staatliche Propaganda vorspiegele". Das Fazit vom Verlauf des letzten Sitzungstages, an dem das „Bekennen in der Friedensfrage" ausgesprochen, die „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" jedoch nicht verabschiedet worden war, formulierte Hauptmann so: „Den großen Sprung hat die Synode in Görlitz nicht gewagt, aber die evangelischen Christen in der D D R können mit den Entschließungen ihres Kirchenparlaments trotzdem zufrieden sein. [...] Die Befürworter der Geduld und des Kompromisses haben sich also durchgesetzt, die in den evangelischen Kirchen der D D R auch bisher schon die Mehrheit ausmachten. Sie handeln damit sicherlich vernünftig. Ob auch im tiefsten Sinne christlich, nämlich im Interesse der Verwundeten und Betroffenen, bleibt fraglich."
Gerhard Rein74 war für den Süddeutschen Rundfunk angemeldet worden. Leider war nicht zu klären, wann welcher seiner Berichte wo gesendet wurde. Rein übermittelte jedoch folgende nachträgliche Bewertung der Tagung: „Görlitz war meiner Erinnerung nach eine der erfolgreichsten Synoden im Sinne der Zersetzungs-Arbeit der Stasi." Rein begründete diese Einschätzung damit, daß Vizepräses de Maiziere den Verkäufern der „Aufrisse", die mit dieser Dokumenten- und Aufsatzsammlung argumentativ das Abgrenzungspapier unterstützen wollten, das Betreten des Plenarsaals untersagt hatte. Daraufhin hätten diese draußen stehen müssen. „Neben ihnen die Herrschaften der Stasi." Rein hielt es außerdem für einen „bemerkenswerten Vorgang", daß sogar Schorlemmer sich im Laufe der Diskussion um den von Falcke eingebrachten Antrag „vehement" gegen den Erfurter Propst gestellt hatte, obwohl er seiner kritischen Haltung eher nach dem Umfeld Falckes zuzurechnen sei. „Später hat sich Schorlemmer dafür, meiner Erinnerung nach, sehr viel später, nach der Wende, bei Falcke entschuldigt." Rein habe außerdem neben Falcke gestan74 Zur Zeit arbeitet Rein für das „German Radio Johannesburg" der ARD in Südafrika. In einem Schreiben an die Verf. vom 16. 3. 1994 betonte REIN zwar, seine Notizbücher aus diesen Tagen nicht bei sich zu haben, sich jedoch gut an diese Synode erinnern zu können, der er einen besonderen Stellenwert beimaß. Vgl. auch G. REIN: Die protestantische Revolution 1987-90, v.a. S. 24—36, die sich mit der Görlitzer Synode befassen. Nach dem Besuch Honeckers in der Bundesrepublik, dem Dialogpapier von SPD und SED und dem Olof-Palme-Friedensmarsch habe die Bundessynode in Görlitz das Faß zum Uberlaufen gebracht. Die Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen habe sich empört: „Was die Antragsteller wollten, laufe auf nichts anderes hinaus als auf Konfrontation." Rein vertritt in seiner Darstellung die These einer „protestantischen Revolution", die unmittelbar nach der Synodaltagung eingesetzt habe (Ebd., S. 17).
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den, als „ein Vertreter des Staatssekretariats für Kirchenfragen [vermutlich Wilke] ihm erregt zusprach: das ist die Konterrevolution und ,das ist eine Kampfansage'". 75 Röder brachte einen Bericht über die Tagung der Bundessynode im Südwestfunk,76 Er urteilte, die Synode habe dem Wunsch der über 200 unterstützenden Eingeber zur „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" „im Grunde durchaus entsprochen, auch wenn sie sich zu der geforderten förmlichen Absage' nicht in der Lage sah". Es sei im Plenum auch nachdrücklich betont worden, „daß das vom DDR-Kirchenbund formierte Konzept einer ,Kirche im Sozialismus' nicht vermocht habe, daß tausende Christen die D D R nach außen oder auch in ihrem Bewußtsein bereits verlassen hätten". 77 Der Deutschlandfitnk sendete die Beiträge mehrerer Journalisten. Am 20. September kommentierte Reinhard Henkys die Synodaltagung 78 , am 21. September berichtete die Redakteurin des Deutschland Archivs, Gisela Helwig, und für den 23. September hatte der Journalist Hartmann den Kommentar geschrieben. Henkys, der nicht persönlich an der Görlitzer Bundessynode teilgenommen hatte, sah „die D D R in einem Prozeß vorsichtiger Öffnung zu neuem Denken und Verhalten im innenpolitischen Bereich" begriffen. Diese Einschätzung führte er vor allem auf die Lockerung der Demonstrationspraxis zurück. Auch er nannte den Olof-Palme-Friedensmarsch als Beispiel für die politische Öffnung, das Verbot seiner Weiterführung nach Pirna als Beweis für die Grenzen der Liberalisierungstendenzen. Helwig hob insbesondere die Bereitschaft der DDR-Staats- und Parteiführung zu Informationsgesprächen mit der Kirche hervor. Sie vermutete, daß das „überraschende Angebot", über bildungspolitische Fragen zu verhandeln, auf der „Synodaltagung des Kirchenbundes gewiß besondere Aufmerksamkeit" finden werde. 79 Hartmann kommentierte nach dem Ende der Synode sehr positiv, die evangelische Kirche in der D D R habe „deutliches Profil gezeigt". Es sei kaum ein Thema ausgespart worden, das „gesellschaftspolitische Brisanz" berge. Auf der einen Seite lobte Hartmann, das Kirchenparlament habe „deutliche Worte gefunden, die der Staat nicht einfach ignorieren" könne, gleichzeitig bemängelte er im Hinblick auf die voraussichtliche Enttäuschung der Abgrenzungsantragsteller die „Doppelstrategie" der evangelischen Kirche: „Einerseits kritische Distanz, andererseits mäßigend." So war sein Fazit insgesamt von Verständnis für die Vorge75 Im Gespräch mit den Verf. am 6.6.1995 konnte sich WILKE allerdings nicht mehr daran erinnern, mit Falcke überhaupt gesprochen zu haben. 76 Vgl. H.-J. RÖDER: „Kirchenbund-Synode tagte in Görlitz" vom 23.9.1987, gesendet am 27.9.1987. 77 Dies hatte Schorlemmer vor dem Plenum der Bundessynode gesagt. Vgl. Kap. 4.2.1, S. 105f. Dieser Beitrag Schorlemmers ist vollständig abgedruckt in: F. SCHORLEMMER: Träume und Alpträume, S. 40^42. 78 Kommentar vom 20.9.1987 im DLF, verfaßt von R. HENKYS. 79 Vgl. G. HELWIG: „Bildungspolitische Kontroversen in der DDR". Sendung vom 21.9.1987 im DLF um 5.05 Uhr (BStU BERLIN [ZA Berlin], HA XX/4-368, S. 37f.; hier S. 37).
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Die Görlitzer Bundessynode in den Medien
hensweise der Synode und der Kirche geprägt, wobei seine Argumentation der Röders ähnelte: „Und es wird nun erneut der Vorwurf laut werden, die Kirche beuge sich dem staatlichen Druck. Dieser Vorwurf ist falsch. D e n n was sind die Forderungen nach rechtlich gesicherten Reisemöglichkeiten, nach mehr Begegnungsmöglichkeiten, nach westlichen Zeitschriften und nach Aufhebung der Verbote von Westkontakten - was sind diese Forderungen anderes als die Aufforderung an die SED, die Politik der Abgrenzung abzubauen." 80
Für den RIAS berichtete Frank Pauli am 21. September 1987. Im Zusammenhang mit dem in der Plenumssitzung diskutierten Staat-Kirche-Verhältnis bemängelte er — unter Bezugnahme auf den Beitrag der Synodalen Laudan die durch Staatsvertreter im Vorfeld der Bundessynode versuchte Einflußnahme auf Synodale. Aufgrund des engen Spielraums im Verhältnis zwischen Staat und Kirche müsse auch mit Rückschritten gerechnet werden. 81 Beim RIASKirchenreport82 konnte Henkys am 25. September einen längeren Bericht über die Synodaltagung senden lassen. In ihm vermutete er zwar, daß Falckes Diagnose, „daß die DDR-Gesellschaft an den Folgen der fortdauernden Praxis und Ideologie der Abgrenzung schwer erkrankt" sei, von einem Großteil der „evangelischen Christen und den Kirchenleuten" geteilt werde, bezweifelte jedoch, ob ein solches Urteil zu diesem Zeitpunkt Wirksamkeit entfalten könne: „Doch eine andere Frage war und ist, ob es zweckmäßig und hilfreich ist, daß die Kirche jetzt in einer feierlichen, fast bekenntnishaften Erklärung der D D R die Totalkritik ins Stammbuch schreibt, während doch gleichzeitig nicht zu übersehen ist, daß vor, mit und nach dem Honecker-Besuch die führende Partei den Kurs einer vorsichtigen Ö f f n u n g nach Westen eingeschlagen hat, und daß sich auch im Lande selbst manche Dinge zum Besseren wenden."
Henkys hob hervor, daß die anfängliche Aufmerksamkeit, die der Westen dem Antrag aufgrund seiner staatskritischen Tendenz gezollt hatte, „schnell erloschen" sei, weil die Synode sich die ,Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" nicht zu eigen machen wollte. So hätten einige Tageszeitungen (Berliner Morgenpost91, FAZ) ihre Berichterstattung aus Görlitz abgebrochen. 80
Der Kommentar von M. HARTMANN wurde wahrscheinlich am 23.9.1987 um 0.05 Uhr gesendet. Da die Abteilung Religion und Kirche des Deutschlandfunks sich „aus Personalgründen" (Schreiben Ira Scheibe an die Verf. vom 23.3.1994) außerstande sah, einen Recherche-Auftrag nach Manuskripten, Autorennamen, Sendezeiten von Beiträgen, die zur Görlitzer Bundessynode gesendet wurden, anzunehmen, ist es an dieser Stelle leider nicht möglich, vollständige Angaben zu den Beiträgen zu machen. Vgl. jedoch den Beitrag M. HARTMANNS im DA 20 (1987), S. 1128—1131, in dem er zu einer ganz anderen Gesamteinschätzung gelangt. 81 Vgl. F. PAULI: „Synode des Evangelischen Kirchenbundes in Görlitz". Sendung des RIAS am 21.9.1987 um 17.30 Uhr (BStU BERLIN [ZA Berlin], HA XX/4-368, S. 9f.). 82
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V g l . R I A S - K i r c h e n r e p o r t v o m 2 5 . 9 . 1 9 8 7 , R . HENKYS.
Tatsächlich hatte die Berliner Morgenpost in ihrem Bericht vom 20.9.1987 .„AbgrenzungHauptthema bei ,DDR'-Synode" zwar eine genaue Erklärung des Falcke-Antrags, jedoch keinen
Reaktionen in R u n d f u n k u n d Fernsehen
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Henkys kritisierte, ohne Namen zu nennen, einen Rundfunkkommentator, der „schon im voraus" gewußte habe, daß „Falcke in der DDR-Kirche auf verlorenem Posten" stehe. Dieser Journalist [gemeint war Eckart Bethke] habe den Hörern zudem „suggeriert, dies [der Verlust von Mitgliedern] könne damit zusammenhängen daß sich Kirchenfuhrer mehr um die Nöte der Partei als um die Nöte in den Gemeinden sorgten". Auch zeigte sich Henkys erstaunt, daß das Neue Deutschland nicht über den Ausgang der Tagung und die Beschlüsse der Bundessynode berichtet hatte. „ D i e U r s a c h e d a f ü r d ü r f t e allerdings eine g e n a u gegenteilige E i n s c h ä t z u n g [als die der West-Journalisten] sein. D e n n w e n n auch die Abgrenzungserklärung in G ö r l i t z nicht z u m Beschluß erhoben worden ist, so hat d o c h das Eintreten f ü r die Lebensrechte der M e n s c h e n , nicht nur der Christen, in der D D R die gesamten Verhandlungen der S y n o d e stark b e s t i m m t u n d sich in ihren Beschlüssen niedergeschlagen."
Der Einsatz der Synode für „Reiseerleichterungen, mehr Bürgerrechte, offene Information und Dialog [...] und die Grundsatzkritik am militärischen Sicherheitsdenken" sei - so Henkys - nicht mehr allein Sache der evangelischen Kirche. Selbst Äußerungen Honeckers in Neunkirchen und Aussagen der S E D in dem mit der S P D verfaßten Dialogpapier sprächen für die Entwicklung einer „Kultur des politischen Streits" und eines „breiten gesellschaftlichen Dialogs". Ansätze dazu seien auch auf dem Olof-Palme-Friedensmarsch sichtbar geworden. Henkys ging in seiner Bewertung der Tagung der Bundessynode sogar so weit, zu sagen, die Kirche habe „ihre Meinungsführerschaft verloren". Daher sei es verständlich, daß darauf verzichtet worden sei, „mit steilen Totalforderungen im Westen Schlagzeilen zu machen". A m 22. September widmete der von Henkys kritisierte Bethke, der früher als ARD-Korrespondent in der D D R gearbeitet hatte, im SFBM den Frühkommentar der Synodaltagung, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht beendet war. Er zählte einige Forderungen des Abgrenzungsantrags auf und erklärte die Idee des Antrags für die West-Hörer: „Was n u n das Prinzip der A b g r e n z u n g angeht - u n d das m a g sich nach d e m H o n e k ker-Besuch für m a n c h e n hier i m Westen nach verkehrter Welt anhören - so wird in d i e s e m A n t r a g z u t r e f f e n d analysiert, d a ß in der D D R E n t s p a n n u n g s p o l i t i k nach außen stets m i t vermehrter A b g r e n z u n g nach innen einhergegangen ist. U n d eben das müsse aufhören."
Bethke äußerte Zweifel daran, daß viele, geschweige denn die Mehrheit der Synodalen diesem Antrag ihre Unterstützung geben würden. Vor allem „viele der Kirchenoberen haben Bedenken und wiegeln ab". Als Beispiel nannte er Leich, der davor gewarnt hatte, den Staat zum „gegenwärtigen Zeitpunkt mit Hinweis darauf geliefert, daß die Bundessynode es abgelehnt hatte, die „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" auszusprechen. 84 Vgl. SFB-Frühkommentar „Die Synode von Görlitz" vom 22.9.1987, E. BETHKE.
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Die Görlitzer Bundessynode in den Medien
noch nicht zumutbaren Forderungen und Formulierungen" zu überfordern. Eine solche, für Leich typische Argumentationsweise habe dem Bischof „schon den bösen Beinamen Reichsbischof eingetragen". Zu denen, die Konflikte in der D D R „lieber verkleistern als offenlegen", zählte Bethke auch Stolpe, „der diplomatisch ausgefuchst - stets haarscharf an den eigentlichen Problemen für die Christen in der D D R vorbeizudiskutieren pflegt". Dabei bezog Bethke sich auf Stolpes Äußerungen, christlichen Soldaten zolle der Staat immer mehr Respekt, und ein Gespräch zwischen Kirche und Verteidigungsrat sei in Aussicht. Was für Bethke ungefähr soviel heiße wie: „Es geht vorwärts, liebe Brüder und Schwestern, und deshalb laßt uns den kritischen Antrag vergessen." Falcke stehe mit seiner Position eines „aufrechten Streiters" auf verlorenem Posten, auf dem nach Bethkes Ansicht auch die evangelische Kirche in der D D R eines Tages stehen werde, die schon jetzt an einem unaufhaltsamen Mitgliederschwund leide. Bethkes Arger über den Umgang mit dem Falcke-Antrag im Plenum kam in den Worten zum Ausdruck: „Doch wer sich mehr um die Nöte der Partei sorgt als um die Nöte in den Gemeinden, wird diesen Schrumpfungsprozeß am Ende noch als Erfolg anpreisen."
Dieser Frühkommentar sollte nicht ohne Reaktion der Kirche bleiben. Dabei ging es jedoch in dem Beschwerdebrief des BEK-Pressereferenten85 an den Intendanten des SFB nicht um die Kritik an den Ergebnissen der Bundessynode, sondern um den angeblich für Bischof Leich in der D D R mitunter verwendeten Beinamen „Reichsbischof'. Günther, Pressesprecher des DDR-Kirchenbundes, warf Bethke vor, er habe bewußt bei den Hörern die Assoziation wecken wollen, „kirchenleitende Persönlichkeiten in der D D R verhalten sich genauso wie Kirchenleitungen zur Zeit des Nationalsozialismus". Der Beiname „Reichsbischof' sei in den Gemeinden und Kirchen der D D R „noch nie" gehört worden. Es bleibe zwar jedem unbenommen, den „Weg und die Entscheidungen des Bundes [...] zustimmend oder kritisch zu kommentieren", es sei aber eine „journalistische Entgleisung", wenn „diffamierende Versatzstücke einer vergangenen Propagandazeit" verwendet würden, um über die D D R zu berichten. Im Postskriptum wurde hinsichtlich der Beurteilung von Stolpes Äußerungen vermerkt, daß die Synodeninformation Nr. 6 „zur vergleichenden Kenntnisnahme" beigelegt sei. Die Antwort an Günther schrieb der Programmdirektor des SFB, Dr. Wolfgang Seifert, am 23. Oktober 1987.86 Er entschuldigte Bethke insofern, als dieser den Beinamen nicht selbst erfunden habe und im übrigen in Gemeindekreisen tatsächlich Leich als „obrigkeitshörig" eingestuft werde. Außerdem könne sich Bethke auf eigene Erfahrungen in der D D R und als Kommentator für eine öffentlich-rechtliche Anstalt auf den „Meinungspluralismus" berufen. 85
S c h r e i b e n G ü n t h e r an H e r m a n n v o m 5 . 1 0 . 1 9 8 7 ( E Z A BERLIN, 1 0 1 / 9 3 / 1 7 9 ) .
86
Schreiben Seifert an Günther vom 23.10.1987 (EZA BERLIN, 101 /93/179).
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In dem Berliner Privatsender Radio 100 wurde nicht nur über die Genese des Abgrenzungsantrags, sondern auch über die umstrittene Aufsatzsammlung „Aufrisse" detailliert informiert. Das auf der Synodaltagung beschlossene Seminar zur Abgrenzung, das im Januar 1988 stattfinden sollte, werde von vielen Eingebern zwar als Beschwichtigungsversuch gewertet, hindere sie aber nicht daran, an dem Seminar teilnehmen zu wollen. „Jedoch a u f leise T ö n e , so einige Betroffene, wollen sie sich dabei nicht beschränken. D e n n v o m schönen R e d e n in vorgeschriebenen Toleranzgrenzen wird diese Gesellschaft nicht g e s u n d . " 8 7
Die Reaktionen auf den Verlauf und die Ergebnisse der Tagung der Bundessynode in Radio und Fernsehen konzentrierten sich auf den von Falcke eingebrachten Antrag. Obwohl die meisten Journalisten - aufgrund ihrer Kenntnisse der Hintergründe — Verständnis dafür zeigten, daß die „Absage" nicht in Form eines zustimmenden Beschlusses ausgesprochen worden war, ist eine gewisse Enttäuschung über die ablehnende Haltung und die Art der Argumentation der meisten Synodalen aus der journalistischen Berichterstattung deutlich herauszulesen.
87 „GÖRLITZER BUNDESSYNODE" [ohne Autoren-Angabe]. Sendung vom 28.9.1987 u m 2 1 Uhr (BStU BERLIN [ZA Berlin], H A X X / 4 - 3 6 8 , S. 12).
7. RÜCKBLICK AUF DIE TAGUNG DER BUNDESSYNODE IN GÖRLITZ Die Tagungen der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR waren für die Führungsspitze der SED stets von zentralem Interesse. Man wußte sehr genau, daß die Bundessynode ein Forum bildete, auf dem nicht nur die geistliche Leitung der evangelischen Kirchen in der DDR wahrgenommen wurde, sondern - nach ihrem Selbstverständnis untrennbar mit dieser geistlichen Leitungsaufgabe verbunden - stets auch eine kritische Bestandsaufnahme der Situation der DDR-Gesellschaft erfolgte. Auf den Synodaltagungen meldeten sich immer wieder viele nachdenkliche Stimmen aus dem ganzen Land zu Wort und sprachen Probleme an, die den Bürgerinnen und Bürgern auf den Nägeln brannten. Als öffentliche Stätten der freien Meinungsäußerung hatten diese Synodaltagungen in der DDR eine nahezu singuläre Position inne. Werner Leich schreibt rückblickend: „Das Herzstück des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR waren seine Synoden. Von Anfang an haben sie mit großer Offenheit und Deutlichkeit geredet [...] Während ich Vorsitzender der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen war, tagte die Bundessynode in Erfurt, Dessau, Görlitz, Eisenach und Berlin. Von jeder dieser Synoden kann ich berichten, wie ungeschminkt dem Staat seine Fehler gegenüber den Bürgern vorgehalten wurden." 1
In der Ordnung des Bundes der Evangelischen Kirchen war die Aufgabe der Bundessynode folgendermaßen beschrieben: „Die Synode nimmt teil an der Verantwortung dafür, daß der Bund seine Aufgaben erfüllt. Sie erörtert Fragen, die sich aus dem gemeinsamen kirchlichen Auftrag ergeben, und kann Richtlinien für die Arbeit des Bundes aufstellen." 2
Die Arbeitsgemeinschaft zur Aufarbeitung der Vergangenheit stellt in dem von U. Schröter und H. Zeddies herausgegebenen Band Nach-Denken im Rückblick auf die Erfüllung dieser Aufgabe fest: „Bei den jährlichen Tagungen der Bundessynode kamen Frauen und Männer zusammen, die ihre Gemeindeerfahrungen unmittelbar vor Ort mitbrachten und auf ein enges Zusammenwirken aller Landeskirchen angewiesen waren. Die gemeinsame Erarbeitung des .Konferenzberichtes', die Erfahrungsbreite der aus allen Landeskirchen beschickten Ständigen Synodalausschüsse, die an die Synode gerichteten Eingaben sowie die Plenardebatten und Beschlußtexte der Synode selbst lieferten ein umfassendes Bild über die Entwicklungen in Kirche und Gesellschaft, aus dem Arbeitsaufträge für die Konferenz, das Sekretariat, die Theologische Studienabtei' W . LEICH: W e c h s e l n d e H o r i z o n t e , S . 2 2 0 f. 2
ORDNUNG D E S BUNDES, A r t . 9 ( 1 ) .
R ü c k b l i c k a u f die T a g u n g der B u n d e s s y n o d e in G ö r l i t z
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lung u n d die K o m m i s s i o n e n abgeleitet w u r d e n . [...] Kirchliche F o r d e r u n g e n u n d E r k l ä r u n g e n , die von B u n d e s - u n d L a n d e s s y n o d e n erarbeitet w u r d e n , wirkten imm e r wie S e i s m o g r a p h e n der Destabilisierung oder Stabilisierung in den Bezirken der DDR."3
Es liegt auf der Hand, daß die Synoden all dies nur dann leisten konnten, wenn sie ihre Unabhängigkeit und geistliche Selbständigkeit gegen alle Versuche der Einflußnahme von außen energisch verteidigten. Auf der anderen Seite machte es die besondere Stellung der Synoden in der Öffentlichkeit der D D R durchaus verständlich, daß die fur die Überwachung aller Lebensäußerungen in der Bevölkerung zuständigen Staatsorgane mit großer Intensität darum bemüht waren, Einfluß auf die Vorbereitung und den Verlauf der Tagungen zu nehmen, um aus ihrer Sicht bedenkliche öffentliche Diskussionen zu unterbinden oder ihnen wenigstens sofort Gegenargumentationen und gelegentlich auch Gegenmaßnahmen entgegensetzen zu können. Nun gehört es zum unaufgebbaren theologischen Selbstverständnis einer evangelischen Synode, daß sie als gottesdienstliche Versammlung „die Einheit von geistlicher und rechtlicher Leitung" der Kirche exemplarisch zu wahren hat und zugleich „der hervorgehobene Ort ist, an dem das Bekenntnis der Kirche verantwortet" werden muß.4 Dieses Selbstverständnis evangelischer Synoden macht schon jeden Versuch einer Beeinflussung der Entscheidungen von außen zu einem Ereignis, dem die für den Synodenverlauf Verantwortlichen mit höchster Sensibilität und Entschiedenheit begegnen müssen. Nach Auswertung des für die Vorbereitung, den Verlauf und die Nachgeschichte der Synodaltagung 1987 in Görlitz einschlägigen kirchlichen und staatlichen Aktenguts muß gesagt werden, daß auch in diesem Fall Vertreter von Partei und Staat kaum einen Versuch unterlassen haben, Einblick in die innerkirchlichen Vorgänge zu gewinnen und Einfluß auf die Meinungsbildung zu nehmen. Dieser Sachverhalt wird durch zahlreiche Interviews mit Zeitzeugen bestätigt. Die außen- und innenpolitische Situation des Jahres 1987 gab mancherlei Anlaß für ein besonderes Interesse der staatlichen Organe an den Inhalten und dem Verlauf der Görlitzer Bundessynode. Als in der D D R nach Gorbatschows Regierungsantritt 1985 Forderungen nach Liberalisierung des Systems mit Schlagworten wie „Glasnost" und „Perestroika" immer lauter wurden, zeigte sich auf der einen Seite die grundsätzliche Reformunwilligkeit der damaligen Staats- und Parteispitze, auf der anderen Seite gab es aber auch zumindest im Ansatz einige Zugeständnisse in Richtung auf eine Öffnung der geschlossenen gesellschaftlichen Ordnung und der starren politischen Strukturen in der D D R . So war das gesamte Jahr 1987 gerade
J
U . SCHRÖTER/H. ZEDDIES (Hg.): N a c h - D e n k e n , S. 8 6 , 8 8 .
W. HUBER: Synode und Konziliarität, S. 334f. Zur Arbeitsweise von Synoden vgl. die grundsätzlichen Ausführungen bei K. BIELITZ: Probleme heutiger Synodalpraxis. 4
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R ü c k b l i c k a u f d i e T a g u n g d e r B u n d e s s y n o d e in G ö r l i t z
in den Beziehungen zwischen dem Staat und der evangelischen Kirche durch wechselhafte Entscheidungen von Staat und Partei geprägt: Im Vorfeld des Honecker-Besuchs in der Bundesrepublik kam die SEDRegierung der Kirche in einigen Punkten entgegen. Die evangelische Kirche durfte erstmals seit dem Mauerbau einen zentralen Kirchentag in der D D R Hauptstadt abhalten. Dieser Kirchentag hatte große öffentliche Resonanz und wurde auch in den Medien der D D R positiv erwähnt. Wenig später nahm die D D R an dem internationalen Friedensmarsch zum Gedenken an den im Jahr zuvor ermordeten schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme teil. Der Nationale Friedensrat hatte die Organisation des Marsches übernommen, dessen Ziel die öffentliche Unterstützung der Pläne zur Schaffung einer atomwaffenfreien Zone in Mitteleuropa war. Es wurde von den Beobachtern der Veranstaltungen aufmerksam registriert, daß kirchliche Teilnehmer des Friedensmarsches nicht daran gehindert wurden, eigene, zum Teil DDR-kritische Plakate mitzufuhren. Das etwa zur gleichen Zeit veröffentlichte und im Neuen Deutschland abgedruckte SPD-SED-Dialogpapier und der Staatsbesuch Honeckers in Bonn ließen die Hoffnungen wachsen, daß die D D R sich nach innen wie nach außen öffnen werde. In dieser zuversichtlich stimmenden Situation trat Ende September 1987 die Bundessynode in Görlitz zusammen und verschaffte der Diskussion über mögliche gesellschaftliche und politische Veränderungen wiederum ein öffentliches Forum. Verhandelt wurde nicht nur als zentrales Thema der Synode „Bekennen in der Friedensfrage", das u.a. die Forderungen nach Abrüstung und der Einführung eines zivilen Wehrersatzdienstes enthielt. Auch so weit auseinanderliegende Problembereiche wie die Umweltzerstörung, der Umgang mit Ausländern (Stichwort: Ausländerfeindlichkeit in der DDR), das Gesundheitswesen (Stichwort: staatliche und kirchliche Krankenhäuser) sowie die „Unmündigkeit" und „Rechtsunsicherheit" der Bürger in der D D R wurden im Plenum kontrovers diskutiert. Besonderes Aufsehen erregte der von Propst Falcke eingebrachte Antrag „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung", der mit seinem Plädoyer für mehr Reisefreiheit ein politisch hochbrisantes Thema berührte und dazu führte, daß in aller Öffentlichkeit kritisch über die „Mauer" und andere subtilere Formen der Abgrenzung gesprochen wurde. Angesichts dieser Vielfalt höchst sensibler Diskussionsthemen kam es innerhalb der Synode zu einer Kontroverse darüber, welche Forderungen die Kirche dem Staat „zumuten" dürfe, zumal in einer Situation, in der er sich für Reformen zu öffnen beginne. Dadurch wurde eine Grundsatzdebatte über das Selbstverständnis der „Kirche im Sozialismus" ausgelöst und die Frage aufgeworfen, ob und wie politisch-oppositionelle Gruppen in die Kirche integriert werden sollten und könnten.5 5 Die Strategie, diese „Gruppen zu ,verkirchlichen' oder zu ,theologisieren', um sie damit politisch zu neutralisieren", sei — so Neubert — vor allem vom DDR-Staatssicherheitsdienst verfolgt
Rückblick auf die Tagung der Bundessynode in Görlitz
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Aufgrund der skizzierten Gesamtkonstellation war vorauszusehen, daß der Inhalt und der Verlauf der Görlitzer Bundessynode und vor allem ihre Mitglieder von den Organen der Partei und des Staates mit besonderem Interesse beobachtet werden sollten. In der Tat setzte der SED-Staat das gesamte ihm zur Verfügung stehende Instrumentarium ein, um eine Beeinflussung des Synodalgeschehens in seinem Sinne zu erreichen. Dem hierarchischen Aufbau des Systems entsprechend wurde auf verschiedenen Ebenen und von verschiedenen Institutionen her versucht, Einfluß auf die innerkirchlichen Entscheidungen zu gewinnen. Zahlreiche von staatlicher Seite sorgfältig vorbereitete Gespräche mit Kirchenvertretern oder in der Kirche engagierten Personen fanden statt. Unabhängig davon, ob es sich um offizielle Gespräche handelte, deren Rahmenbedingungen seit Jahren fest institutionalisiert waren, oder ob konspirative Methoden angewandt wurden, - das Ziel stand eindeutig fest: Gesellschaftskritische Äußerungen der Kirche sollten nach Kräften verhindert werden. Um dieses Ziel zu erreichen, bemühte man sich, die „politisch-realistischen und loyalen" Synodalen zu stärken und die „negativen Kräfte" zu verunsichern und zurückzudrängen. Die in der hier vorliegenden Untersuchung minutiös aus den Akten rekonstruierten Bemühungen des Staates, durch Gespräche, Informationsbeschaffung und Maßnahmepläne Einfluß auf das innerkirchliche Geschehen zu nehmen, machen einen immensen Aktivismus sichtbar, der buchstäblich alle Ebenen der Staats- und Parteiführung erfaßte. Geht man bloß von der Quantität der staatlichen Maßnahmen im Umfeld von Bundessynoden aus, so ist es leicht, kurzschlüssig von der Existenz regelrechter „Stasi-Schattensynoden" zu sprechen, deren Mitarbeiter vor, während und nach den Tagungen alles fest „im Griff' gehabt haben sollen.6 Stellt man aber - wie in der vorliegenden worden und zum Scheitern verurteilt gewesen, weil „weder Kirche und Theologie noch die Gruppen selber in ein starres gesellschaftspolitisches Raster paßten" (Vgl. E. NEUBERT: Sozialethische und charismatisch-evangelikale Gruppen, S. 291. Vgl. auch ebd., S. 310, Anm. 29). Zur Diskussion über die Formel „Kirche im Sozialismus" vgl. den Rückblick von W. LEICH: Wechselnde Horizonte, S. 231—233 und die in den späten 80er Jahren entstandenen grundsätzlichen Äußerungen von R. SCHRÖDER: Denken im Zwielicht, S. 49-54, 149-159 sowie R. MAU: Eingebunden in den R e a l s o z i a l i s m u s ? , S . 1 4 0 - 1 4 4 , 1 5 3 - 1 7 3 , u n d U . S C H R Ö T E R / H . ZEDDIES ( H g . ) : N a c h - D e n k e n , S. 5 6 - 6 3 .
6 Nur als zwei Beispiele für derartige öffentlichkeitswirksame Behauptungen seien genannt: „Wir hatten sie im G r i f f . Wie die Stasi die evangelische Kirche der D D R mit „Inoffiziellen Mitarbeitern" unterwanderte. In: Der Spiegel 46 (1992), Nr.17, S.40-47: „Während die christlichen Synodalen noch beim Namensaufruf sind, führt die Schattensynode bereits ihre fünfte operative Beratung durch [...]. Dem MfS ging es vor allem um die politische Einflußnahme: um den Inhalt der kirchlichen Synoden-Erklärungen, um die Verhinderung negativer Aussagen in den Texten und Reden, um die Isolation negativer Synodaler, um sämtliche Personal- und andere kirchenpolitischen Entscheidungen'" (Ebd., S.45, 47); E. Neubert schreibt: „Für das MfS war das Ganze [die Beeinflussung der Synoden] eine routiniert durchgeführte Aktion zur .Lagebeherrschung', die freilich gelegentliche Pannen nicht ausschloß. Für die Kirche aber war es eine Theateraufführung, deren Inszenierung außerhalb ihres Hauses organisiert und geplant war. Jeder einzelne, ob IM oder nicht, konnte glauben, hier wären unabhängige Meinungen ausgetauscht worden, um zu einer
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Rückblick auf die Tagung der Bundessynode in Görlitz
Untersuchung geschehen - die kirchlichen und die staatlichen Aktivitäten Schritt für Schritt einander gegenüber und fragt, an welchen ganz konkreten Punkten es zu Interferenzen gekommen ist, so ergibt sich ein anderes Bild. Es bleibt zwar auch dann der aus theologischen Gründen sehr nachdenklich stimmende Sachverhalt bestehen, daß es zwischen den Vertretern der Kirche und des Staates auf nahezu allen Ebenen eine Gesprächs- und Auskunftsbereitschaft gegeben hat, wie sie in dieser Extensität in fast allen Kirchen der Ökumene völlig unüblich ist. Aber es wird auch sichtbar, daß dort, wo es zur Einflußnahme des Staates auf einzelne Kirchenvertreter gekommen ist, diese Männer und Frauen schon zu der erwünschten Haltung oder Stellungnahme prädisponiert waren, weil sie die staatliche Forderung subjektiv aufrichtig nicht für unzumutbar hielten oder ihr sogar im gemeinsamen Interesse der evangelischen Kirche « « ί / d e r Gesellschaft der D D R in gewissen Abstufungen - mit leisen Vorbehalten, aber gelegentlich auch vorbehaltlos - zustimmen konnten. Während der Archivarbeiten zur Erforschung der Geschichte der Bundessynode in Görlitz ist kein einziger Beleg dafür aufgefunden worden, daß ein Synodaler oder ein Mitglied eines der kirchenleitenden Gremien gegen seine zuvor erklärte und auch öffentlich bekannte Uberzeugung zu einer Kehrtwende veranlaßt worden ist. Die staatlichen Stellen haben — was auch ihre Absicht war - vorhandene Positionen und Dispositionen verstärken können; sie konnten aber in dem hier untersuchten Umfeld keine Umdisponierungen erreichen. Die Mehrheitsverhältnisse der Synode sind nicht verändert, sondern allenfalls stabilisiert worden. Der kirchenpolitische Aktivismus der Staatsvertreter hatte sein Ziel nicht erreicht. Eben dies — und das ist ein zweiter wichtiger Erkenntnisgewinn aus der hier vorgelegten Detailanalyse eines ganz kleinen Ausschnittes aus der Kirchengeschichte der D D R - hatte ungewollte und kaum mehr berechenbare Rückwirkungen auf die staatliche Seite: Gerade weil man sich so intensiv auf die von den Kirchenvertretern zum öffentlichen Thema erhobenen Sachfragen eingelassen hatte, mußte man nach dem Mißlingen der Beeinflussungsversuche mit einer Heftigkeit reagieren, die eigene Schwäche bloßlegte. Das von den Bearbeitern unter den Krenz-Papieren entdeckte Dokument, das den Zornesausbruch von Honecker anläßlich des Synodenberichts von Jarowinsky in der Sitzung des Politbüros am 22. September 1987 bekanntmacht, ist hierfür ein vorzüglicher Beleg. Der fünfte Abschnitt der vorliegenden Untersuchung („Die unmittelbare Nachgeschichte der Bundessynode in Görlitz 1987") zeigt, daß die staatlichen Stellen nach der Synodaltagung gezwungen waren, ihren kirchenpolitischen Kurs scharf zu korrigieren, wodurch sie einerseits eben erst aufkeimende, der Staatsführung entgegenkommende Hoffnungen in Teilen gemeinsamen Willensbildung zu gelangen. Jeder konnte meinen, hier wäre kirchliches Interesse zum Zuge gekommen. Doch faktisch hatte der unsichtbare Partner mitgearbeitet, mitgeplant und mitregiert" (E. NEUBERT: Vergebung oder Weißwäscherei, S. 157).
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der Bevölkerung wieder erstickten, andererseits aber die auf der Synode verhandelten Sachthemen nicht mehr aus der Welt schaffen konnten. Bei der Auswertung der zahllosen Gespräche, die vor, während und nach der Görlitzer Synodaltagung von DDR-Staatsvertretern mit Frauen und Männern der evangelischen Kirche geführt worden waren, ergab sich ein dreifaches Problem: 1. Von den meisten Gesprächen gibt es keine kirchliche Gegenüberlieferung. Das trifft in erster Linie auf Gespräche zu, die mit Laiensynodalen geführt wurden. 2. Die staatliche Überlieferung ist unvollständig, da umfangreiches Archivgut - vor allem aus den Beständen des MfS - in der Endphase der D D R vernichtet wurde. 3. Die staatliche Überlieferung muß als einseitig ergebnisorientiert angesehen werden.
Unter Beachtung dieser Gesichtspunkte kann am Schluß der Untersuchung folgendes gesagt werden: Vielen Kirchenvertretern war nicht bewußt, daß ein zum Beispiel im Rahmen einer Veranstaltung - geführtes Gespräch zum Gegenstand einer Aktennotiz für den Staatssekretär für Kirchenfragen oder für das MfS werden könnte. Die Personen, die kategorisch Gespräche mit Staatsvertretern verweigerten, tauchen in der staatlichen Überlieferung kaum auf. Solche ergebnislos verlaufenen Kontaktaufnahmen waren für den Staatsvertreter ein Mißerfolg und wurden deshalb meist nicht aktenkundig gemacht. Viele Kirchenvertreter gingen aber aus unterschiedlichen Motiven bereitwillig auf staatliche Gesprächsangebote bzw. Aufforderungen zu Gesprächen ein. Ihre Reaktionen kann man drei charakteristischen Grundmustern zuordnen: Einige wenige Kirchenvertreter waren aus innerer Uberzeugung bereit, die staatliche Position vor der Synode zu vertreten. Sie erhoben gegen systemkritische Beiträge im Plenum ihre Stimme oder versuchten, derartige Diskussionen mit Hilfe der Geschäftsordnung abzublocken. Die ungewöhnlich lange andauernden und hitzigen Geschäftsordnungsdebatten während der Görlitzer Synodaltagung sind ein Beleg hierfür. Für diese Synodalen gilt aber, daß sie sich auf der Synode auch dann zumindest ähnlich verhalten hätten, wenn ein Vorausgespräch mit einem Staatsvertreter nicht zustandegekommen wäre. Andere Kirchenvertreter wiederum glaubten, sie sollten und könnten derartige Gespräche dazu nutzen, um dem Staat Zugeständnisse für die Anliegen der Kirche abzuringen. Als ein solches Zugeständnis wurde das im Vorfeld der Bundessynode erneuerte Angebot des Staatssekretärs für Kirchenfragen angesehen, „Sachgespräche" über gesellschaftspolitisch relevante Fragen mit der evangelischen Kirche zu führen. Solche Synodale verhielten sich dann außerordentlich vorsichtig, um dies Angebot nicht zu gefährden. Eine dritte Gruppe von Synodalen, zu denen fast alle im kirchenleitenden Amt stehenden Frauen und Männer gehörten, nutzten die Gespräche vor allem dazu, den Vertretern des Staates die in den Gremien der Kirchen auf den dafür vorgesehenen Wegen zustandegekommenen Entscheidungen mitzuteilen und zu erläutern.
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Rückblick auf die Tagung der Bundessynode in Görlitz
Gemessen an allen diesen Bemühungen der Staatsorgane, den Verlauf der Görlitzer Synodaltagung im eigenen Interesse zu beeinflussen, muß mit besonderem Nachdruck hervorgehoben werden, daß die Synode mit großer Mehrheit die in ihrem Grundtenor staatskritische Vorlage „Bekennen in der Friedensfrage" verabschiedet hat. Auch der von Propst Falcke eingebrachte Antrag „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" wurde öffentlich verlesen und frei diskutiert. Er fand über das Westfernsehen auch in der D D R weite Verbreitung.7 Die Entscheidung der Bundessynode, den „Abgrenzungsantrag" nicht durch einen entsprechenden Synodalbeschluß zu unterstützen, sondern lediglich ein nicht-öffentliches Seminar mit beschränkter Teilnehmerzahl zu dieser Thematik zu veranstalten, könnte als Teilerfolg für die staatliche Kirchenpolitik gewertet werden, der eine nicht-öffentliche Behandlung dieses Themas wichtig war. Allerdings lag ein solches Vorgehen auch im durchaus gut begründeten Interesse zahlreicher Synodaler. Man befürchtete, daß eine extensive Beschäftigung mit dem neuen Abgrenzungsthema die Hauptvorlage der Synode, „Bekennen in der Friedensfrage", in den Hintergrund drängen könnte. An dieser Vorlage hatte der Kirchenbund seit Jahren intensiv theologisch gearbeitet und man fühlte sich zu Recht verpflichtet, diesen Text nun auch abschließend zu beraten und auf die Verantwortung der Synode zu nehmen. Dieses Motiv und nicht ein verdecktes Entgegenkommen dem Staat gegenüber - führte dazu, daß das neue Papier mit seiner großen politischen Sprengkraft zunächst nur dilatorisch behandelt wurde. Die Bundessynode des nächsten Jahres kam dann auf die Thematik zurück. Kritisch zu bewerten bleibt der Umgang des Synodenpräsidiums mit der den Falcke-Antrag unterstützenden Materialsammlung „Aufrisse" und deren Verfassern. An den Schluß dieses Rückblicks auf die Bundessynode 1987 in Görlitz seien die Stimmen von Beteiligten und Beobachtern gestellt, die sich jüngst zu dem damaligen Geschehen geäußert haben.8 Der Vorsitzende der Konferenz der Kirchenleitungen schreibt rückblickend: „1987 verabschiedete die Synode des Bundes das Grundsatzpapier ,Bekennen in der Friedensfrage'. Darin wurde der einseitigen militaristischen Politik der D D R eine klare Absage erteilt."9 Auch für den Synodalen Herbst enthält der Synodenbeschluß „für damalige Verhältnisse ausgewogene und gute Formulierungen, die [...] im harten Ringen erkämpft wurden". Zum Verlauf der gesamten Tagung sagt Herbst: „Die allgemeinen Umstände um die Bundessynode herum erschienen mir damals teilweise wie ein Krimi oder Spionagefilm, aufgrund der offensichtlichen und massiven Bespitzelung und dem Wissen darum, daß alles .mitgeschrieben wurde'".10 Detlef Pollack wertet die Tatsache, 7 Zur Bedeutung der wesdichen Medienberichterstattung für die politische Meinungsbildung in der D D R vgl. C . LEMKE: Die Ursachen des Umbruchs 1989, S. 1 8 7 - 1 9 7 . 8 Vgl. insgesamt die Aufstellung zu den Zeitzeugengesprächen im Anhang. 5
10
W. LEICH: W e c h s e l n d e H o r i z o n t e , S . 2 2 2 .
Schreiben HERBST an die Verf. vom 1.6.1995. Herbst wies daraufhin, daß diese Erfahrung
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daß die „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" nicht von der Görlitzer Bundessynode verabschiedet wurde, als Zeichen für das „noch" vorsichtige Agieren der Kirche Mitte der 80er Jahre und folgert: „Die Begründung für die Ablehnung dieses mutigen und die katastrophalen inneren Folgen der Abschottung benennenden Antrages bezogen sich einmal auf die Interessen der Kirche, zum anderen auf die gegenwärtig ablaufenden Differenzierungsprozesse in der S E D [...]. Es ist im nachhinein erstaunlich, zu welchen intellektuellen Verrenkungen die Kirchenbundelite in der Lage war, wenn es darum ging, zu begründen, warum man das erreichte Arrangement mit dem Staat nicht leichtfertig aufs Spiel setzen sollte." 11 Falcke selbst wußte im Spätsommer des Jahres 1987, daß er sich einen Antrag zu eigen gemacht hatte, der „den Widerspruch zwischen der Friedenspolitik der D D R und der innenpolitischen Ab- und Ausgrenzungspolitik auf den Punkt bringen sollte" und „bewußt einen Veränderungsdruck auf die Regierung" ausüben wollte. Im Rückblick schreibt er: Jeder förmliche Beschluß der Synode zum Stichwort „Abgrenzung" hätte entweder die Spannung zwischen den Kirchenleitungen und den Gruppen oder die Kontroversen zwischen Kirche und Staat ganz außerordentlich verschärft. Falckes Bemerkung zu dem mittleren Weg, den die Synode in dieser Sache einschlug, nämlich: der Antrag sei „von der Bundessynode nur durch die Planung eines Seminars zum Thema aufgenommen" worden, bringt noch im Jahre 1991 eine gewisse Enttäuschung zum Ausdruck. 12 Unterschiedlich beurteilen die damals Beteiligten den Umgang des Präsidiums der Synode mit der den Falcke-Antrag unterstützenden Materialsammlung „Aufrisse" und ihren Verfassern. Für den ehemaligen Vize-Präses de Maiziere stellt sich die Situation in Görlitz im Rückblick wenig dramatisch dar. Wäre es zu einem polizeilichen Eingreifen gekommen, hätte das Präsidium die Betroffenen in Schutz nehmen können. Die riskanten Aktivitäten eines zur Bewährung aus dem Gefängnis Entlassenen kommentiert de Maiziere mit den Worten: „Märtyrer kann man nicht aufhalten." 13 Demgegenüber empfindet Cynkiewicz die Entscheidung, gegen die Verkäufer der Papiere das Hausrecht konsequent durchzusetzen, auch heute noch als Fehler, da man die Verteiler „draußen auch ausgeliefert" habe. 14 Nach der Görlitzer Synodaltagung verschlechterte sich das Verhältnis zwifür ihn insofern „ungewohnt" war, als er bislang nur in der Thüringischen Landessynode mitgearbeitet hatte. Diese tagte unter Ausschluß der Öffentlichkeit. " D. POLLACK: Kirche zwischen inszenierter Öffentlichkeit und informellen Kommunikationszusammenhängen, S. 43f. 12 H. FALCKE: Die unvollendete Befreiung, S. 28. 13 Gespräch de MAIZIERE mit den Verf. am 11.5.1994. Auch ZIEGLER vertrat im Gespräch mit den Verf. am 6.2.1996 die Ansicht, Lampe habe selbst wissen müssen, was er tue. 14 Vgl. auch den Beitrag Cynkiewiczs auf der Synode der E K D in Suhl 1992. In: KIRCHENAMT DER E K D (Hg.): Suhl 1992, S. 3 5 6 - 3 5 8 .
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Rückblick auf die Tagung der Bundessynode in Görlitz
sehen Staat und evangelischer Kirche sichtlich, in der staatlichen Kirchenpolitik wurde eine deutlich schärfere Gangart eingelegt. Ein erstes Anzeichen dafür war die Absage der vor der Synode in Aussicht gestellten Staat-Kirche-Gespräche 15 , dann folgten das harte Vorgehen gegen die Umweltbibliothek in der Berliner Zionskirchengemeinde im November 1987 und der gewaltsame Umgang mit den Teilnehmern der Liebknecht/Luxemburg-Demonstration im Januar 1988. Die Spannungen eskalierten noch, als im Laufe des Jahres 1988 staatliche Zensurmaßnahmen die Auslieferung mehrerer Kirchenzeitungen blockierten und bezeichnenderweise gerade das Mitteilungsblatt des BEK, das die Beschlüsse der Görlitzer Bundessynode dokumentieren sollte, aufgrund staatlicher Intervention zunächst nicht erscheinen konnte. 16 Möglicherweise ist der überraschende Sturz Gysis als Staatssekretär für Kirchenfragen im Juli 1988, dessen Ablösung durch Löffler offiziell mit gesundheitlichen Problemen Gysis begründet wurde, ursächlich mit Folgen der Görlitzer Bundessynode im Zusammenhang zu sehen. Durch eine Spezialuntersuchung müßte dieser plötzliche Amtswechsel geklärt werden. 17 Insgesamt signalisiert die Tagung der Bundessynode in Görlitz eine Zäsur im Verhältnis von Kirche und Staat in der D D R . Gerhard Rein geht in der Bewertung der Synodaltagung für die gesellschaftliche Entwicklung in der D D R noch weiter: „Die krankmachende Innenpolitik der D D R wurde thematisiert. Die Synode diskutierte äußerst kontrovers und lehnte am Ende die Initiative ab. Die Fragen, die sie aufgeworfen hatte, waren aber damit in der Öffentlichkeit der D D R . Der Vertreter des SED-gesteuerten Staatssekretariats für Kirchenfragen empörte sich in Görlitz: Was die Antragsteller wollten, laufe auf nichts anderes hinaus als auf Konfrontation. Hier setzte die protestantische Revolution ein." 18 Auch viele der damals Beteiligten messen der Görlitzer Bundessynode im Rückblick eine besondere Bedeutung zu, wenn auch nicht gleich die Rolle eines Auslösers für eine „protestantische Revolution". Stolpe beurteilt Görlitz — im Blick auf die Verhärtung des Staat-Kirche-Verhältnisses seit Ende 1987 - als „Einstieg in eine Enttäuschungsphase". Die These Reins, unmittelbar mit Görlitz habe „die protestantische Revolution" eingesetzt, relativiert Stolpe dahingehend, daß man auch die Bedeutung anderer kirchlicher Ereignisse vor dem Jahr 1987 einem solchen Prozeß zuordnen müsse. Dazu zählt er ausdrücklich die - oft gegen staatliche Repressionen - durchgeführten Bibelrüstzeiten mit Jugendlichen und die Bewegung „Schwerter zu Pflugscharen". Schorlemmer sieht als das Charakteristikum der Synodaltagung „einen tiefen Konflikt zwi15 Vgl. P. NÖLDECHEN: D D R - F ü h r u n g sagt Gespräche mit evangelischer Kirche ab. „Strafe" für kritische T ö n e auf der Görlitzer Synode. In: Westfälische Rundschau Nr. 263 vom 10.11.1987. Vgl. auch Kap. 5.1.2, 5.2.1 und 5.2.2. 16 Vgl. dazu M. BURG: ES geht nicht um die Kirchenpresse. 17 Vgl. dazu H.-J. RÖDER: Amtswechsel mit schwerer Hypothek. 18 G . REIN: Die protestantische Revolution, S. 17.
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sehen Leuten, die meinten, man könne schrittweise etwas ändern und Leuten, die meinten, man müsse jetzt alles ändern". Für Vertreter eines Kurses der vorsichtigen, schrittweisen Veränderung mußte der Abgrenzungsantrag Falckes als „kontraproduktiv" zur vermeintlichen Tendenz der Öffnung empfunden werden, wie sich auch Cynkiewicz erinnert, die außerdem die Ansicht vertritt, eine Beschlußfassung zur Abgrenzungsproblematik sei zu diesem Zeitpunkt „theologisch nicht zu verantworten" gewesen. Einige Synodale heben gerade im Rückblick hervor, daß einzelne Aspekte der Abgrenzungsthematik bereits in den modifizierten Beschlußtext von „Bekennen in der Friedensfrage" eingeflossen seien. Erinnert wird auch daran, daß 1987 von verschiedenen Seiten davor gewarnt worden war, keinesfalls den „6. März 1978" aufs Spiel zu setzen. Der in Vertretung des Staatssekretärs für Kirchenfragen nach Görlitz gereiste Wilke hatte noch während der Synodaltagung de Maiziere daraufhingewiesen, daß der Verlauf der Bundessynode als Aufkündigung des „6. März 1978" interpretiert werden könne. Mit demselben Argument hatte Friedrich Winter als Vertreter des Kirchenbundes bei einem Gespräch mit Bickhardt vor Beginn der Synode versucht, den Initiatorenkreis zur Abgrenzungsproblematik durch eine „offizielle Maßregelung" von seinem Vorhaben abzubringen. Nach Ansicht des ehemaligen Leiters der ZK-Arbeitsgruppe Kirchenfragen, Kraußer, hat Falcke mit seiner Äußerung, der Öffnung der D D R nach außen müsse auch eine Öffnung nach innen entsprechen, die „innere Krise der D D R gebündelt". Die Tatsache, daß dieser Beitrag über das Westfernsehen in die meisten DDR-Haushalte gelangt sei, hat - auch nach Kraußers Erinnerung bei der Parteispitze Entsetzen ausgelöst. Generell sei jede Diskussion über die Abgrenzungsthematik von der SED als besonders gefährlich empfunden worden. Wilke bestätigt diese Einschätzung mit der Gesamtbewertung, die Görlitzer Synodaltagung sei - den Befürchtungen des Staates entsprechend - die erste Bundessynode gewesen, die das „Kräftemessen zwischen Staat und Kirche in der Öffentlichkeit sichtbar" gemacht habe. Ein besonderes Gefahrenpotential schlummerte — so Bendel — in derThematisierung des „Konziliaren Prozesses" auf der Synodal tagung, der im Grunde auch das Problem der Abgrenzung beinhaltete und von Gruppen und Gemeinden aufgenommen wurde, um dann in die 1. Ökumenische Versammlung vom 12. bis 15. Februar 1988 in Dresden einzumünden: „Schon die Wahl des Zeitpunktes und des Ortes rief massiven staatlichen Protest hervor. Und dieser war berechtigt". Sehr nüchtern erklärt einer der Autoren des Abgrenzungsantrags, Bickhardt, das Vorgehen der Initiatorengruppe, über die Bundessynode öffentlichkeitswirksam zu werden, folgendermaßen: „Was nicht in die Tagesschau kommt, wird nichts verändern." Das Motiv der Initiatoren für die Formulierung der „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung", die Mauer und die dadurch bedingte Isolation der D D R zu überwinden, habe eine solche Strategie erforderlich gemacht. Lampe und Mehlhorn hätten sich lange Zeit gegen die Nut-
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zung der Westmedien gesperrt. Im Rückblick vertritt schließlich Mehlhorn den Standpunkt, die Kontroversen um die Abgrenzungsproblematik seien für die kommenden Auseinandersetzungen 1988/89, die dann zur Wende führten, von großer Bedeutung gewesen. Das zeige nicht zuletzt die Tatsache, daß Mitglieder der ehemaligen Initiativgruppe „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" wie Berger, Bickhardt, Fischbeck, Mehlhorn und Ulimann zu den Gründungsmitgliedern der „Demokratie Jetzt"-Bewegung gehörten. 19 Von all diesen Weiterungen und Fernwirkungen konnten die Synodalen nichts ahnen, die im September 1987 nach Görlitz reisten. Diese Frauen und Männer machten sich gewissenhaft und ernst an die Arbeit, jene Probleme und Fragen zu beraten und einer einvernehmlichen Lösung zuzuführen, die ihnen die Tagesordnung der Kirche und die Tagesordnung der Welt zu diesem Zeitpunkt präsentierten. Die unmittelbar für den Verlauf der Synodaltagung Verantwortlichen verfuhren korrekt nach jenen Regeln und Ordnungen, die die Kirchen in der D D R sich für den Ablauf der Bundessynoden gegeben hatten. Man gab allerdings dem Drängen der staatlichen Stellen nach — und mußte ihm wohl rebus sie stantibus auch nachgeben - , indem man sich auf die zahllosen Sitzungen und Konferenzen, die formellen und informellen Gespräche einließ, die von den Staatsvertretern eingefordert wurden und bei denen es kaum zu nennenswerter Kommunikation gekommen ist. Daß alle diese Versuche der DDR-Staatsmacht, in die Entscheidungsprozesse einer evangelischen Synode einzugreifen, letzten Endes dem Staat viel mehr geschadet haben als der Kirche, ist eines der Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung, über das weiter nachzudenken wohl besonders lohnend ist.
" Vgl. auch E. NEUBERT: Die Opposition in der demokratischen Revolution der D D R , v.a. S. 214, sowie E P D DOKUMENTATION 4 4 / 8 9 .
VERZEICHNIS DER ABGEDRUCKTEN DOKUMENTE
Dokument 1 Vorlage Braemers für die Dienstbesprechung in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen am 25. Mai 1987. Berlin, 15. Mai 1987
Dokument 2 Vermerk der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen. Berlin, 25. Mai 1987
Dokument 3/1 Aufruf Lampes und anderer Mitglieder des Initiatorenkreises zum Antrag „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung". Berlin, Pfingsten 1987
Dokument 3/2 Antrag Lampes und anderer Mitglieder des Initiatorenkreises an das Präsidium der Bundessynode: „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung"
Dokument 3/3 Referat Falckes zur Einbringung des Antrags „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" vor dem Plenum der Bundessynode. Görlitz, 18. September 1987
Dokument 3/4 Beschluß der Bundessynode: „Brief an die Eingeber betreffs , Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung'". Görlitz, 22. September 1987
Dokument 4 Beschluß der Bundessynode: „Bekennen in der Friedensfrage". Görlitz, 22. September 1987
Dokument 5 Entwurf Döhles:,Arbeitsplan II. Halbjahr 1987". Berlin, 9. Juli 1987
Dokument 6 Vermerk Kraußers: „Festlegungen aus der Beratung mit Genossen Jarowinsky vom 27.8.1987". Berlin, 31. August 1987
Dokument 7 Ausarbeitung der Abt. II der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen zur Vorbereitung der Bundessynode. Berlin, 1. September 1987
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Verzeichnis der abgedruckten Dokumente
Dokument 8 Aktennotiz Leichs über ein Gespräch mit Staatssekretär Gysi am 5. September 1987. Eisenach, 7. September 1987 Dokument 9 Vermerk Kraußers: „Festlegungen aus der Beratung mit Genossen Jarowinsky vom 8.9.1987". Berlin, 11. September 1987 Dokument 10 Aufzeichnung Wegners über ein Gespräch mit Harder am 9. September 1987. [Rostock, ohne Datum] Dokument 11 Vermerk Möhles über ein Gespräch mit Zimmermann im Pfarrhaus Treuenbrietzen. Jüterbog, 9. September 1987 Dokument 12 Vermerk Zieglers über ein Gespräch in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen am 10. September 1987. Berlin, 17. September 1987 Dokument 13 Vermerk Gysis: „Information über Gespräche des Staatssekretärs mit Frau Oberkirchenrätin Christa Lewek am 10. und 14.9.1987". Berlin, 17. September 1987 Dokument 14 Aufzeichnung Voigts: „Information zum Gespräch des Stellvertreters für Inneres, Gen. Pöhner, mit Kirchenpräsident E. Natho am 14.9.1987 im Gästehaus des Rates des Bezirkes". Halle, 15. September 1987 Dokument 15 Ausarbeitung der Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK der SED über die Tagung der Görlitzer Bundessynode. Berlin, 18. September 1987 Dokument 16/1 Aufstellung Lewerenz': „Bundsynode vom 18.-22.9.87 in Görlitz. Tagegelder für Einsatzstab (pro Pers. am Tag 15,-M)". Dresden, 18. September 1987 Dokument 16/2 Aufstellung Lewerenz': „Ausgaben anläßlich der Bundsynode in Görlitz vom 18.-22.9.87 des Bundes der Ev. Kirchen in der DDR". Dresden, 23. September 1987 Dokument 17/1 Ausarbeitung Jarowinskys: „Zum bisherigen Verlauf der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in Görlitz". Berlin, 21. September 1987
Verzeichnis der abgedruckten Dokumente
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Dokument 17/2 Protokoll Nr. 38 der Sitzung des Politbüros vom 22.9.1987 (Auszug). Berlin, 22. September 1987 Dokument 18/1 Ausarbeitung der „Arbeitsgruppe Bundessynode": „Positionen politisch negativer Kräfte auf der 3. Tagung der 5. Synode des BEK (18.-22.9.1987 in Görlitz)". [Ohne Ort, September 1987] Dokument 18/2 Ausarbeitung der „Arbeitsgruppe Bundessynode": „Positionen politisch widersprüchlich auftretender Kräfte auf der 3. Tagung der 5. Synode des BEK (18.22.9.1987 in Görlitz)". [Ohne Ort, September 1987] Dokument 18/3 Ausarbeitung der „Arbeitsgruppe Bundessynode": „Positionen politisch realistischer Kräfte auf der 3. Tagung der 5. Synode des BEK (18.-22.9.1987 in Görlitz)". [Ohne Ort, September 1987] Dokument 19 Ausarbeitung der „Arbeitsgruppe Bundessynode": „Information zum Verlauf und Ergebnis der Synode des BEK (Bund der evangelischen Kirchen) in Görlitz 1987". Görlitz, 22. September 1987 Dokument 20 Redemanuskript. [Ohne Ort, etwa 22.9.1987] Dokument 21 Ausarbeitung der HA XX des Ministeriums für Staatssicherheit über den Verlauf der Bundessynode. Berlin, 2. Oktober 1987 Dokument 22 Ausarbeitung Hasses: „Information über Wertungen des Verlaufes der Tagung der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der D D R vom 18.-22. September 1987 in Görlitz". Berlin, 2. Oktober 1987 Dokument 23 Vermerk Swateks über sein Gespräch mit Propst Falcke am 2.10.1987 in Erfurt. Erfurt, 3. Oktober 1987 Dokument 24 Ausarbeitung: „Information über die Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der D D R (BEK) in Görlitz 1987". [Ohne Ort, ohne Datum] Dokument 25 Vermerk Zieglers über ein Gespräch in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen am 16. Oktober 1987. Berlin, 19. Oktober 1987
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Verzeichnis der abgedruckten Dokumente
Dokument 26 Vermerk Zieglers über ein Gespräch in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen am 19. Oktober 1987. Berlin, 22. Oktober 1987 Dokument 27 Vorlage Gräfes für die Dienstbesprechung in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen am 26. Oktober 1987. Berlin, 28. Oktober 1987 Dokument 28 Vermerk Wilkes. Berlin, 28. Oktober 1987 Dokument 29 Vermerk der Abt. II der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen. Berlin, 9. November 1987 Dokument 30 Protokoll Ritters über die 114. Tagung der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der D D R am 6.17. November 1987 in Berlin (Auszug). [Ohne Ort, ohne Datum] Dokument 31 Vermerk Wilkes. Berlin, 11. November 1987 Dokument 32 Vermerk Kupas'. Berlin, 7. Januar 1988 Dokument 33 Vermerk der Abt. Kirchenfragen beim Sekretariat des Hauptvorstandes der C D U über das Oranienburger Abgrenzungsseminar am 16.1.1988. [Ohne Ort,] 19. Januar 1988 Dokument 34 Ausarbeitung der Abt. Kirchenfragen beim Sekretariat des Hauptvorstandes der C D U . [Ohne Ort,] 12. Februar 1988
DOKUMENT 1 Vorlage Braemers1 für die Dienstbesprechung in der Dienststelle des StaatssekretärsfiirKirchenfragen am 25. Mai 1987. Berlin, 15. Mai 1987 BArchF! DO 4 STSf. Kirchenfragen Nr. 1043, mit Vermerk: „Nurfiir den Dienstgebrauch "; zahlreiche Unterstreichungen und ein hsl. Vermerk Gysis im Text. I n f o r m a t i o n ü b e r Verlauf u n d Ergebnisse der F r ü h j a h r s s y n o d e n der evangelischen Landeskirchen d e r D D R Verlauf u n d Ergebnisse der F r ü h j a h r s s y n o d e n h a b e n die Richtigkeit unserer k i r c h e n politischen K o n z e p t i o n bestätigt. D i e Synoden h a b e n gezeigt, d a ß in d e n Kirchen die Frage der E r h a l t u n g des Friedens als H a u p t f r a g e der G e g e n w a r t gesehen wird. D i e Tag u n g e n orientierten a u f d e n Erhalt u n d die Weiterentwicklung der k o n s t r u k t i v e n StaatK i r c h e n - B e z i e h u n g e n . Sie verdeutlichen auf diese Weise realistische Einsichten z u m Z u s a m m e n h a n g a u ß e n - u n d innenpolitischer W i r k u n g e n ihres H a n d e l n s . D i e T a g u n gen (außer in der L K Greifswald h a b e n alle Landeskirchen Synoden d u r c h g e f ü h r t ) verliefen insgesamt politisch ruhig u n d konstruktiv. W i e bisher h a b e n sich die Synoden überwiegend m i t theologischen u n d i n n e r k i r c h lichen T h e m e n b e f a ß t . D a b e i standen vor allem Fragen des weiteren W i r k e n s der Kirc h e n in der sozialistischen Gesellschaft angesichts a n h a l t e n d e n Mitgliederschwundes, fehlender kirchlicher G r u n d o r i e n t i e r u n g e n u n d daraus resultierender Fragen der kirchlichen Basis an die L e i t u n g e n im Z e n t r u m der Ü b e r l e g u n g e n . I m M i t t e l p u n k t politischer Aussagen stand die Bestätigung realistischer Positionen zur Frage der E r h a l t u n g des Friedens. D i e Friedenspolitik der U d S S R u n d der D D R w u r d e ausdrücklich gewürdigt u n d die H a l t u n g der reaktionären Kräfte in d e n U S A abgelehnt. D i e a n h a l t e n d e u n d vertiefende W i r k u n g der sowjetischen Friedensinitiative zeigte sich a u c h darin, d a ß die F r ü h j a h r s s y n o d e n erstmals kirchenoffiziell die Vorschläge Genossen G o r b a t s c h o w s zur Beseitigung der Mittelstreckenraketen aufgriffen u n d w ü r d i g t e n . D a r ü b e r h i n a u s w u r d e n B e m ü h u n g e n sichtbar, bisher e i n g e n o m m e n e politisch problematische H a l t u n gen zu Fragen der Verteidigungspolitik der D D R zu korrigieren u n d speziell in der Frage des W e h r d i e n s t e s vertretbare Positionen e i n z u n e h m e n . Ausdrücklich h a b e n die Synoden bestätigt, d a ß die M e h r h e i t der kirchenleitenden K r ä f t e u n d d e r Synodalen die Positionen des 6 . 3 . 7 8 2 u n d des 11.2.85 3 als w e i t e r h i n gültig u n d tragfähige Basis des Staat-Kirche-Verhältnisses betrachten. D e u t l i c h w u r d e d a r ü b e r h i n a u s die Tendenz, C h r i s t e n zu gesellschaftlichem E n g a g e m e n t bei der weite1
Mitarbeiter der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen. Am 6.3.1978 empfing Erich Honecker den KKL-Vorstand zu einem Spitzengespräch. Vgl. auch A. SCHÖNHERR: ...aber die Zeit war nicht verloren, S. 393-409. 3 Der damalige KKL-Vorsitzende Bischof Hempel kam am 11.2.1985 zu einem Gespräch mit dem Staatsratsvorsitzenden Honecker zusammen. 2
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Dokument 1
ren Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft zu ermuntern. Die Entwicklung dieser Positionen steht im engen Zusammenhang mit Überlegungen zum weiteren Weg und der Stellung der Kirchen in der sozialistischen Gesellschaft. Kirchenleitende Kräfte bemühten sich, bestehende Unsicherheiten zu der Frage, was „Eigenständigkeit der Kirche gegenüber dem Staat" bedeutet, zu klären. Das führte zu politisch realistischen Positionen, indem ausgehend vom Prinzip der Trennung von Staat und Kirche Einmischungen in staatliche Angelegenheiten zurückgewiesen und Christen aufgefordert wurden, ihre Verantwortung als Staatsbürger gemeinsam mit staatlichen und gesellschaftlichen Kräften wahrzunehmen. Gleichzeitig bestehen in diesem Zusammenhang nach wie vor die bekannten kirchlichen Wünsche zu bestimmten staatlichen Positionen (Reisefragen, Informationspolitik, Volksbildung, Wehrersatzdienst). Negative Kräfte versuchten vor allem, ausgehend von innerkirchlichen Fragestellungen, ihre bekannten Auffassungen vorzutragen. Dem traten kirchenleitende Kräfte und realistische und loyale Synodale in den Diskussionen offensiv entgegen. So kam es überwiegend zu einer Bestätigung der realistischen Positionen in den Plenartagungen der Synoden. Nur in der Synode der Kirche in Berlin-Brandenburg 4 konnten sich die negativen Kräfte durch die Zurückhaltung der Kirchenleitung und die Tatsache, daß progressive Synodale erst im Verlauf der Tagung koordiniert auftraten, stärker durchsetzen. Im Ergebnis der Tagungen gelang es also überwiegend, die konstruktiven Linien der Kirchenleitungen durchzusetzen und politisch positive Vorlagen zu verabschieden. Dadurch kam es zu einer direkten Unterstützung der Friedenspolitik der sozialistischen Staaten in Beschlüssen der Synoden von Mecklenburg, Anhalt und BerlinBrandenburg, durch die Bestätigung der politisch progressiven Bischofsvorträge auch in Görlitz und Thüringen. Der Beschluß der Anhaltischen Synode würdigt darüber hinaus besonders die konstruktiven Staat-Kirche-Beziehungen auf der Basis des 6.3.78. In der Kirchenprovinz Sachsen5 und der Sächsischen Landeskirche6 wurden die Bestrebungen negativer Kräfte, ihre Vorstellungen als deutliche Voten der Synoden zu formulieren, zurückgewiesen. In Berlin-Brandenburg erreichten realistische Kräfte die Entschärfung einer Vorlage mit politisch negativem und provokativem Inhalt. In den kirchlichen Beschlüssen finden sich aber Aussagen, die ohne politische Verschärfung die bekannten Erwartungen nach Reisemöglichkeiten, einem Wehrersatzdienst und nach Gesprächen mit der Volksbildung äußerten. 2.
Im Verlauf und in den Ergebnissen der Synoden zeigten sich diese Entwicklungen so: 2.1. In den Kirchenleitungsberichten und Bischofivorträgen bemühten sich die leitenden Kräfte darum, die Synoden so zu beeinflussen, daß konstruktive Positionen zur Frage der Erhaltung des Friedens, zum Staat-Kirche-Verhältnis und zu weiteren innenpolitischen Fragen eingenommen werden. Es zeigte sich, daß zu diesen Grundpositionen landeskirchlich differenziert, in sehr unterschiedlicher Ausprägung 4
Tagung vom 24. bis 28.4.1987 in Berlin-Weißensee. Dort war von Fischbeck erstmals der Antrag .Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" eingebracht worden. Sein Einbringungsreferat ist auszugsweise abgedruckt in: EPD DOKUMENTATION 25/87, S. 31-33. Die Beschlüsse dieser Synode finden sich ebd., S. 1-39. 5 Tagung vom 27. bis 28.3.1987. 6 Tagung vom 21. bis 25.3.1987 in Dresden. Zum Inhalt der Tagung vgl. EPD DOKUMENTATION 19/87, S. 9 - 3 1 .
Dienstbesprechung des Staatssekretärs für Kirchenfragen a m 2 5 . 5 . 1 9 8 7
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Vorstellungen entwickelt wurden. Da, w o kirchenleitende Kräfte den Z u s a m m e n h a n g zwischen der H a u p t f r a g e der Gegenwart - der Erhaltung des Friedens - u n d d e m W i r k e n der Kirche in ihrem konkreten gesellschaftlichen Umfeld - der sozialistischen Gesellschaft — herstellten, k a m es zu konstruktiven Überlegungen zur weiteren Standortfindung als,Kirche im Sozialismus'. In den Berichten an die Synoden aus der Mecklenb. Kirche u n d der von Berlin-Brandenburg vermied m a n politische Aussagen fast gänzlich. Landesbischof Dr. Z«c^/Eisenach begründete theologisch fundiert in seinem Bericht 7 , d a ß die Kirche ihre , Weltverantwortung' n u r w a h r n e h m e n kann, w e n n sie eine d e m Frieden verpflichtete Politik unterstützt. Er bezog das ausdrücklich auf die B e m ü h u n g e n der S U u n d der D D R . „ D u r c h die Initiative der SU, [im] besonderen des Generalsekretärs der KPdSU, ist die verkrustete weltpolitische Situation aufgeb r o c h e n . W i r beobachten mit Z u s t i m m u n g das Ringen der UdSSR u m Fortschritte in der A b r ü s t u n g u n d die deutliche Unterstützung dieser Politik d u r c h unseren Staat". Bezogen auf die Situation der Kirchen in der D D R bestätigte er das Verfassungsprinzip der T r e n n u n g von Staat u n d Kirche u n d verwies darauf, daß der Kirche kein Regierungsamt gegeben ist u n d sie „Gottes Wille erkennt u n d achtet, d a ß d u r c h Regierungen u n d Staatswesen das Leben der Menschen in einer guten O r d n u n g geschützt u n d die Gemeinschaft unter den Menschen d u r c h äußere Mittel, d u r c h Gesetze u n d Gerichte ermöglicht werden sollen". D e r Landesbischof setzte seine G e d a n k e n von der Herbstsynode 1986 zur Verantwortung des Bürgers in der Gesellschaft fort. In diesen Kontext stellte er die bekannten kirchlichen W ü n s c h e nach B e g r ü n d u n g von Entscheidungen der staatlichen O r g a n e u n d einer veränderten Informationspolitik. Eine politisch eindeutige Stellungnahme traf Dr. Leich im Z u s a m m e n h a n g mit Fragen des Wehrdienstes. Entgegen der Verlautbarung der BEK-Synode 1986 8 stellte er fest, daß es im Verhältnis zwischen Waffendienst, Bausoldaten u n d Verweigerung keine „christlichere Entscheidung" geben kann. D i e Entscheidung selbst charakterisierte er als ausschließliche Einzelentscheidung. Er forderte die Verantwortlichen in seiner Kirche u n d die Amtsträger auf, keine „Gewissensentscheidungen in dieser Frage zu programmieren". Auch Bischof Prof. Dr. Rogge stellte in seinem Bericht vor der Görlitzer Synode 9 einen deutlichen Z u s a m m e n h a n g zwischen der Erhaltung des Friedens u n d der Notwendigkeit der Z u s a m m e n a r b e i t zwischen Christen u n d Marxisten her. Er forderte die Gläubigen auf, die neuen Initiativen Genossen Gorbatschows zu unterstützen u n d keine Berührungsängste a u f k o m m e n zu lassen. Grundsätzlich bestätigte er die Tragfähigkeit der bestehenden Staat-Kirche-Beziehungen, indem er von 7 Leichs Bericht auf der Thüringischen Landessynode vom 2. bis 5.4.1987 ist auszugsweise abgedruckt in: EPD DOKUMENTATION 19/87, S. 40f. 8 Vom 19. bis 23.9.1986 in Erfurt (Auszug abgedruckt in: GEMEINSAM UNTERWEGS, S. 252f.). Diese Stellungnahme Leichs steht der Aussage der Erfurter Bundessynode nicht entgegen, sondern interpretiert sie nur: „Gerade im Zeichen des ,neuen Denkens' hat die Entscheidung der Wehrdienstverweigerung Argumente der politischen Vernunft fiir sich, und es ist ein Zeichen des .neuen Denkens', wenn diese Entscheidung politische Toleranz erfährt. Der Weg des Wehrdienstes bedarf ebenso wie derjenige der Verweigerung einer verantwortlichen Entscheidung des Glaubens" (Ebd.). 9 Tagung vom 27. bis 30.3.1987 in Görlitz. Rogges Bericht „Gottes Wort in unserer Zeit" ist auszugsweise abgedruckt in: EPD DOKUMENTATION 19/87, S. 35-39.
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Dokument 1
„nicht hinterfragbaren Begegnungen vom 6.3.78 und 11.2.85" sprach, den von Landesbischof Dr. Hempel geprägten Begriff des „Grundvertrauens" zwischen Staat und Kirche aufgriff und die gute Zusammenarbeit beider auf allen Ebenen bestätigte. Prinzipiell stellte er fest: „Wir bejahen die Situation, in der wir leben".10 Kirchenpräsident Natho machte in seinem Bericht vor der Anhaltischen Synode11 deutlich, daß der Friedensauftrag der Kirche sich in großer Nähe zu entsprechenden staatlichen und gesellschaftlichen Positionen befindet. In Übereinstimmung mit Landesbischof Dr. Leich hob er die staatliche Verantwortung bei der Friedenssicherung hervor und lehnte darüber hinausgehend eine Totalverweigerung des Wehrdienstes als zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht friedensfördernd ab. Der Kirchenpräsident würdigte das konstruktive Gespräch mit staatlichen Organen. Die Christen erinnerte er daran, daß sie zugleich Staatsbürger und von daher in ihrer aktiven Mitverantwortung gefordert sind. Ausgehend davon entwickelte er den bekannten Wunsch nach Begründung von staatlichen Entscheidungen, die das Leben der Bürger betreffen. In deutlicher Weise wandte sich Kirchenpräsident Natho gegen den Anspruch von Gruppen, die Kirche in ihrer Gesamtheit vertreten zu wollen. Die Berichte der Mecklenburger12 und Berlin-Brandenburger Kirchenleitungen an ihre Synoden verzichteten fast vollständig auf gesellschaftspolitische Aussagen. Im Bericht der Mecklenburger Kirchenleitung wurde nur sehr allgemein formuliert, daß Gespräche zwischen Staat und Kirche geführt wurden, die sowohl den „Charakter des Normalen" gehabt haben, aber auch „Spannungen und unterschiedliche Auffassungen" deutlich gemacht hätten. Im Bericht der Kirchenleitung BerlinBrandenburgs ist von politisch positiver Bedeutung der Hinweis auf Auseinandersetzungen mit Gruppen (speziell Friedenswerkstatt) und eine Absage an die vorbehaltlose Auftrittsmöglichkeit nichtchristlicher Künstler bei kirchlichen Veranstaltungen.13 Die Leitungen der Kirchenprovinz Sachsen und Sachsens haben keine Berichte vorgelegt. 2.2. Den Synoden lagen eine Reihe weiterer Materialien vor, die zu grundsätzlichen innerkirchlichen und politischen Fragestellungen Stellung bezogen und den Verlauf und die Ergebnisse der Tagungen mit beeinflußten. Der Synode der Ev. Landeskirche Anhalts lag eine Entschließung vor, die die neuen sowjetischen Friedensvorschläge begrüßt und dazu auffordert, den Weg des 6.3.78 fortzusetzen. Zu den Hauptthemen der Synoden Berlin-Brandenburgs („Ihr seid das Salz der Erde" / Superintendent] Mendt-Zittau), Sachsens („Der Friede Christi und der Völkerfrieden" / Prof. Amberg/Leipzig) und der Evangelischen Kirche des Görlitzer Vgl. ebd., S. 35, 38. Tagung vom 23. bis 25.4.1987 in Dessau. Vgl. EPD DOKUMENTATION 25/87. DerBerichtan die Synode wurde nicht abgedruckt. 12 Die Synode tagte vom 19. bis 2 3 . 3 . 1 9 8 7 in Schwerin. Vgl. EPD DOKUMENTATION 19/87, S. 1 - 7 (1. Teil des KKL-Berichts) und EPD DOKUMENTATION 25/87, S. 3 - 1 5 (2. Teil des Konferenzberichts). 13 Zu den Auseinandersetzungen zwischen Kirchenleitung und Gruppen vgl. auch: KiSo 12 10 11
( 1 9 8 6 ) , v.a. S . 2 3 8 - 2 4 0 ; H . - J . RÖDER: R e b e l l i s c h e K i r c h e n b a s i s , S. HELTAU: K i r c h e n t a g i n O s t -
Berlin.
Dienstbesprechung des Staatssekretärs für Kirchenfragen am 25.5.1987
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Kirchengebietes („Missionarische Existenz heute'VProf. Winkler-Halle) waren Gastreferenten geladen worden. Dabei wurde deutlich, daß die Auswahl der Referenten dazu führte, daß theologisch fundiert realistische Positionen zum weiteren Weg der Kirche in der sozialistischen Gesellschaft formuliert wurden. Gegen diese politisch positiven Tendenzen setzten negative Kräfte eigene - bereits im Vorfeld der Tagungen produzierte - Materialien. In Sachsen und der Kirchenprovinz waren das Vorlagen, in denen die bekannten politisch negativen und problematischen Aussagen und Forderungen referiert wird [sie]. In der Berlin-Brandenburger Synode gab es massive, wenn auch schließlich erfolglose Versuche, mit offen politisch-feindlichen Forderungen, das Staat-Kirche-Verhältnis grundsätzlich zu belasten.14 2.3. Kirchenleitende Kräfie traten in den Diskussionen offensiv auf und bestärkten die konstruktiven Linien ihrer Leitungsberichte. Gleichzeitig wandten sie sich gegen die Angriffe negativer Synodaler und wiesen diese z.T. in deutlicher Form zurück. So wirkten die Präsides Höppner (Kirchenprovinz), Wahrmann (Mecklenburg) und Kootz (Anhalt), indem sie politisch realistische Positionen unterstützten und die ihrem Amt gegebenen Möglichkeiten nutzen, um politisch negative und problematische Entwicklungen zu verhindern. Präses Becker (Berlin-Brandenburg) votierte zur Eröffnung seiner Synode mit einer politisch realistischen Erklärung. 15 In ihren Diskussionsbeiträgen engagierten sich die Bischöfe Prof. Dr. Rogge, Dr. Hempel, Stier und Kirchenpräsident Natho in diesem Sinne. Weitere kirchenleitende Kräfte unterstützten die Bemühungen, Konfrontationen zu vermeiden und die Synoden zu politisch loyalen Positionen zu bewegen. Dazu gehörten u.a. Präsident Dr. Domsch/Sachsen, Gen. Super. Dr. Krusche, Konsistorialpräsident Stolpe/BerlinBrandenburg und OKR Schulze/Anhalt. 2.4. Im Plenum der Synoden bestimmten progressive und loyale Synodale die Diskussionen. So kam es - entsprechend der realen Situation an der kirchlichen Basis der Landeskirchen - zu deutlichen Unterstützungen der realistischen Aussagen der Kirchenleitungsberichte und zur Zurückweisung politisch negativer Aussagen. Gleichzeitig zeigte sich, daß es diesen Kräften nach wie vor noch ungenügend gelingt, mit einer einheitlichen Linie ihre Positionen vorzutragen. So wurden vor allem die in den Gastvorträgen liegenden Möglichkeiten, politisch positive Positionen zu verstärken, kaum genutzt. Die bekannten negativen Kräfte wählten theologisch und innerkirchlich Themen als Ausgangspunkt für ihre politischen Angriffe. Es kam zu Versuchen, die bekannten negativen Auffassungen zur Verteidigungs- und Wehrdienstproblematik, zu Reisefragen und zur angeblichen Benachteiligung von Christen 16 in den Mittelpunkt der Diskussionen zu rücken. Gleichzeitig versuchten sie eine Aufwertung der sogenannten „Basisgruppen" zu erreichen. Dem konnte mit unterschiedlichem Erfolg entgegengetreten werden. In der Synode von Berlin-Brandenburg griffen die negativen Synodalen auf vorbereitete offen negative und provokative Papiere zurück. Dabei kam es zu Angriffen vor allem im Zusammenhang mit den Paß- und Visagesetzen der D D R (Reisemöglichkeiten) und der Energiepolitik. Gleichzeitig 14 Der Antrag .Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" wurde von der Berlin-Brandenburgischen Landessynode nicht verabschiedet. 15
A b d r u c k der E r k l ä r u n g Beckers in: E P D DOKUMENTATION 2 5 / 8 7 , S. LF.
" V g l . B E N A C H T E I L I G U N G C H R I S T L I C H E R S C H Ü L E R , E L T E R N U N D L E H R E R IN D E R D D R .
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versuchten diese Kräfte, massiv von außen auf die Synode einzuwirken, indem sie ein Flugblatt des sogenannten „Kirchentages von unten" verbreiteten und damit die Kirchenleitung und das konstruktive Staat-Kirche-Verhältnis frontal angriffen. Während des Verlaufs dieser Synode gelang es, realistische Kräfte zusammenzuführen, die diesen Versuchen ein deutliches Votum zum Frieden im Sinne der jüngsten Abrüstungsvorschläge der UdSSR entgegensetzten und die schärfsten Angriffe zurückwiesen. 2.5. Entsprechend der zentralen Festlegung, durch spezielle Konzeptionen vorbereitet und operativ organisiert, erfolgte eine intensive Gesprächsführung mit kirchenleitenden Kräften und progressiven sowie realistischen Synodalen. Dadurch wurden sie in ihren konstruktiven Positionen bestärkt und befähigt, diese in die Synoden einzubringen und zum Teil durchzusetzen. Erneut bewährt hat sich die Orientierung, während des Verlaufs der Tagungen durch operative Einflußnahme positive Veränderungen zu erreichen. Eine deutliche Wirkung konnte mit der breiten Beachtung des Verlaufs und der Ergebnisse der Synoden in der sozialistischen Presse erzielt werden. Es zeigte sich, daß große Einflußmöglichkeiten bereits im Vorfeld der Synoden durch entsprechende Informationen gegeben sind, wie das Interview mit Präses Höppner (Evangelische Kirche der Kirchenprovinz Sachsen) im Zentralorgan der SED-Bezirksleitung Magdeburgs „Volksstimme" zeigte. Verlauf und Ergebnisse der Tagungen boten der Westpresse wenig Möglichkeiten, ihre politischen Absichten in der Berichterstattung zu realisieren. Sie nutzte vor allem die Tagung von Berlin-Brandenburg für ihre Angriffe gegen die D D R . Schlußfolgerungen 1.
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3.
4.
Verlauf und Ergebnisse der Synoden haben gezeigt, daß unsere politischen und kirchenpolitischen Aktivitäten die Differenzierung und Polarisierung so beeinflußt haben, daß loyale und realistische Kräfte in den Kirchenleitungen und Landeskirchen in deutlicherer Weise ihre Verantwortung in der Hauptfrage der Gegenwart erkannt haben. In diesem Zusammenhang wurden Präzisierungen des Weges der Kirchen in der sozialistischen Gesellschaft auf der Grundlage eines verfassungsgerechten und konstruktiven Staat-Kirche-Verhältnisses entwickelt und von den Synoden bestätigt. In der weiteren Arbeit kommt es darauf an: - die realistischen Positionen zur Frage der Erhaltung des Friedens als der Grundfrage aller Entwicklung zu vertiefen und zu aktivieren; - die politisch positiven Erkenntnisse und Aussagen zur Standortfindung der Kirchen sind zu bekräftigen. Es ist zu erreichen, daß diese sich in breitem Umfang im gesamten kirchlichen Raum durchsetzen und negative Gruppen eingrenzen. Die abgestimmte, differenzierte und zielgerichtete Arbeit mit kirchenleitenden Kräften und Synodalen im Vorfeld und während der Tagungen hat sich bewährt. Hier erreichte Positionen müssen gefestigt und ausgebaut werden. Weitere Möglichkeiten der Einflußnahme sind zu organisieren. Die Arbeit mit progressiven Kräften m u ß stärker darauf orientiert sein, sie zu befähigen, koordiniert in den Tagungen aufzutreten, vorhandene realistische Positionen aufzugreifen und zu unterstützen.
Vermerk der Dienststelle des Staatssekretärs. Berlin, 25. Mai 1987 5.
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Die Einflußnahme auf politische Entwicklungen in den Kirchen über gezielte Informationen und Berichterstattungen in den sozialistischen Medien ist weiterzuentwickeln.
DOKUMENT 2
Vermerk der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen. Berlin, 25. Mai 1987 BArchP, DO 4 STS f . Kirchenfragen Nr. 712; mit hsl. Vermerk: ter]"; ohne Aussteller.
,,H[aupt]A[bteilungs]Lei-
Information über das Gespräch des Staatssekretärs mit dem Vorstand der KKL am 21.5.1987 im Gästehaus Johannishof An dem mehr als vierstündigen in offener und freimütiger Atmosphäre geführten Gespräch nahmen von staatlicher Seite teil: Staatssekretär Genösse Dr. Gysi, der Stellvertreter des Staatssekretärs, H. Kalb, Hauptabteilungsleiter Genösse P. Heinrich und Genösse Dr. Handel. Die kirchliche Seite wurde durch die Mitglieder des Vorstands der KKL, Landesbischof Dr. Leich (Vorsitzender), Bischof Dr. Demke (stellvertretender Vorsitzender), Konsistorialpräsident Stolpe (stellvertretender Vorsitzender), Präses Dr. Gaebler und O K R Ziegler (Leiter des Sekretariats) sowie durch die Referenten des Sekretariats des BEK Frau O K R Lewek und Herrn Kupas vertreten. Nach der Begrüßung der Gesprächspartner durch Staatssekretär Gysi erhielt Landesbischof Dr. Leich das Wort. Der Vorsitzende der KKL bedankte sich für die gebotene Möglichkeit des freimütigen Meinungsaustausches. Die Vertreter der KKL wollten auf die Probleme eingehen, die Kirchenleitungen und Gemeinden in der Gegenwart bewegen. Die Kirche sei an den Verkündigungsauftrag gebunden und handle in ihrer Verantwortung vor Gott. Die Verkündigung spreche den Menschen in seiner ganzen Fülle an und sei daran interessiert, wie es ihm im täglichen Leben ergeht. Landesbischof Dr. Leich brachte seine Freude darüber zum Ausdruck, daß „das Gespräch mit den politisch Verantwortlichen in unserem Land" kontinuierlich möglich sei. Die KKL wünsche sich in diesem Zusammenhang ein weiteres Gespräch mit dem Staatsratsvorsitzenden, entweder durch den Vorstand der KKL oder durch den Vorsitzenden der Konferenz und den Leiter des Sekretariats des Kirchenbundes. Landesbischof Dr. Leich ging dann auf die Probleme der Friedenserhaltung ein. Durch die Vorschläge Michail Gorbatschows sei seit 1986 Bewegung in die Abrüstungsverhandlungen gekommen. Gorbatschow setze seine geschichtsphilosophische Erkenntnis, daß mehr Waffen nicht mehr Sicherheit bringen, konsequent in Angebote für Abrüstungsverhandlungen um. Das von ihm praktizierte neue Denken drücke sich auch in der These von der Menschheit als einer Schicksalsgemeinschaft aus. 17 Auch die Aktivitäten, Vorschläge und Ausführungen des Staatsratsvorsitzenden, Erich Honecker, zeigten 17
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Vgl. T. MECHTENBERG: Der DDR-Kirchenbund und das „Neue Denken" in der Friedensfra-
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die gleiche Grundhaltung. Synoden und Friedensgruppen in den evangelischen Kirchen hätten seit vielen Jahren die Absage an Geist und Logik der Abschreckung gefordert, seien für gemeinsame Sicherheit und gegen ständigen Rüstungswettlauf eingetreten. Es erfülle sie darum mit Genugtuung, feststellen zu können, daß Gorbatschow als Politiker an der Spitze einer der beiden Großmächte versuche, diese neue geschichtsphilosophische Einsicht in die Praxis umzusetzen. Die Synode des B E K habe es im September 1986 in Erfurt begrüßt, daß aus Moskau Signale zur Abrüstung gekommen seien.' 8 Die Synoden aller Landeskirchen unterstützen mit großer Entschiedenheit alle Anstrengungen zur Abrüstung. Der Vorsitzende der K K L hob in diesem Zusammenhang die vorgeschlagenen Nullösungen für Mittelstrecken- und Kurzstreckenraketen in Europa, fur die Beseitigung chemischer Waffen sowie zur Beseitigung aller Atomwaffen bis zum Jahr 2000 hervor. In diesem Zusammenhang betonte er die Initiativen der D D R (atom- und chemiewaffenfreie Zone). Da zwischen Außen- und Innenpolitik ein unlösbarer Zusammenhang bestehe, könne das neue Denken nicht nur auf bestimmte Bereiche begrenzt werden. Das neue Denken müsse Eingang finden auch in dem Schulbereich und in die Möglichkeiten des Verhaltens der Bürger zum Wehrdienst. Landesbischof Dr. Leich erklärte, es sei wichtig, daß möglichst viele, im Idealfall jeder Bürger, das neue Denken mitvollziehen. Dies sei nur möglich, wenn jeder Bürger der D D R in der Mündigkeit seiner Existenz ernst genommen werde und dies täglich auf Schritt und Tritt erfahren könne. Jeder Mensch sei unverwechselbar in seiner Würde, die ihm von Gott gegeben sei. Die Respektierung dieser Menschenwürde müsse auch das tägliche Zusammenleben bestimmen. Die Kirchen setzen sich deshalb mit großer Leidenschaft dafür ein, daß der Bürger in seiner Mündigkeit geachtet werde. Auf diesem Gebiet gebe es eine Reihe von Verkrustungen, die im Interesse der gedeihlichen Entwicklung der Gesellschaft aufgebrochen und überwunden werden sollten. In seinen weiteren Ausführungen äußerte sich der KKL-Vorsitzende zu folgenden Problemen des gesellschaftlichen Lebens und staatlichen Wirkens: 1.
2.
3.
Bei Entscheidungen zu wichtigen persönlichen Problemen der Bürger (Reiseangelegenheiten) verweisen Mitarbeiter staatlicher Stellen oft auf die Festlegung, daß keine Begründungen gegeben werden müßten oder dürfen. Dadurch fühlten sich Bürger entmündigt. Problematisch sei die Presse- und Medienpolitik. Hier gebe es möglicherweise Tendenzen zur Auflockerung, diese seien aber in der Berichterstattung noch zu wenig spürbar. Der mündige Bürger könne belastende Tatbestände durchaus einordnen und vertragen und sei in der Lage, sich über unterschiedliche Tatbestände eine eigene Meinung zu bilden. Die evangelischen Kirchen seien dankbar für das zunehmend großzügige Verhalten unseres Staates bei Reiseanträgen der Bürger besonders in Richtung B R D . Der Staat habe wohl erfahren, daß er keine Befürchtungen haben brauche, daß Bürger wegbleiben. Die Kirche wolle den Staat ausdrücklich ermutigen, die Großzügigkeit in
18 So hieß es in einem Beschluß der Erfurter Bundessynode: „Die Synode sieht in dem .neuen Denken', das sich in den Reden Michail Gorbatschows und anderer führender Politiker, in den Abrüstungsvorschlägen und in dem einseitigen Schritt des Atomtestmoratoriums der Sowjetunion ausspricht, ein Zeichen der Hoffnung" (Abdruck des Beschlusses betr. Ökumenische Versammlung, Frieden, Wehrdienstverweigerung in: E P D DOKUMENTATION 4 2 / 8 6 , S. 5 6 - 5 8 ; hier S. 57).
Vermerk der Dienststelle des Staatssekretärs. Berlin, 25. Mai 1987
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Reiseangelegenheiten fortzusetzen. Allerdings sollten die Kriterien für staatliche Entscheidungen bei Westreisen für die Bürger durchschaubarer gemacht werden. Landesbischof Dr. Leich bat zu prüfen, ob nicht Touristenreisen in den Westen angeboten werden könnten. Es werde in der D D R von einer „Zweiklassengesellschaft" gesprochen. Dieser Terminus sei falsch und stimme so nicht. Er bezeichne den Sachverhalt, daß Bürger mit Westverwandtschaft reisen dürften (Leich: „wer rechtzeitig einen Verwandten in der BRD stationiert hat, kann reisen ..."), Bürger ohne Angehörige im Westen können es nicht. Deshalb trage die Kirche dem Staat die Bitte vor, Reisen auch ohne verwandtschaftliche Bindungen im Touristenbereich stärker zu ermöglichen. 4.
Bei Strafprozessen werde sehr schnell und oft von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Öffentlichkeit auszuschließen. Das verstoße gegen die Mündigkeit des Bürgers und sollte sorgsamer gehandhabt werden. Festzustellen sei eine sehr große Diskrepanz im Strafmaß bei Straftaten gegen den Staat im Vergleich zu kriminellen Delikten.
5.
O f t würden verhältnismäßig harte Polizeimaßnahmen gegen Bürger ergriffen. So werde schon bei geringen Delikten der Personalausweis entzogen und gegen einen vorläufigen Personalausweis ausgetauscht. Das verletze die W ü r d e des Betroffenen, der auf Vorurteile stoße, wenn er sich mit einem vorläufigen Personalausweis ausweisen müsse. In Gesprächen werde kirchlichen Mitarbeitern von großen Härten im Strafvollzug berichtet. Probleme sehe die Kirche auch bei der Behandlung von Eingaben. Offensichtlich unterscheiden die staatlichen Organe zwei Gruppen von Eingaben. Eingaben zu persönlichen Anliegen werden in der Regel schnell und unkompliziert beantwortet. Werden jedoch durch Eingaben grundsätzliche Fragen angesprochen, dann sei eine Zurückhaltung der staatlichen Organe zu registrieren, die durch die Kirche nur als Ratlosigkeit gedeutet werden könne. Es sei notwendig, Wege zu finden, die es dem Bürger ermöglichen, grundsätzliche Fragen zur staatlichen Politik im direkten Gespräch mit Staatsvertretern auszusprechen.
6.
7.
Im Gespräch zwischen Marxisten und Christen sei ein großes Interesse an den Grundlagen der jeweiligen Uberzeugung zu spüren. O f t würden aber Marxisten zurückgehalten, an solchen Gesprächen teilzunehmen. In der Thüringer Landeskirche habe man die enttäuschende Erfahrung machen müssen, daß ein Gespräch der Kreisjugendpfarrer mit einem Vertreter des Instituts für Jugendforschung nicht möglich gewesen sei. Ein Dialog zwischen Marxisten und Christen könne aber, wenn er ernsthaft geführt werde, zur Mündigkeit der Bürger beitragen.
Abschließend erklärte der Vorsitzende der KKL, er habe hier die Sorge der Kirchen des BEK zu Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung im vertraulichen Kreis mit der Bitte angesprochen, daß die Fragen aufgenommen und weitergegeben werden. Anschließend nahm Bischof Dr. Demke das Wort zu Problemen im Bereich der Volksbildung. Er würdigte die Expertengespräche zu Fragen der kommunistischen Erziehung ( 1 9 8 0 ) " und ihrer sozialistischen Lebensweise (1982) 20 beim Staatssekretär. " Das für den 17.11.1980 geplante Gespräch zwischen Schönherr, weiteren leitenden Mitgliedern des BEK u n d Vertretern des Ministeriums für Volksbildung über die in den D D R - S c h u l e n obligatorische „kommunistische Erziehung" wurde kurz vorher von staatlicher Seite abgesagt. Statt dessen fand ein Gedankenaustausch im Z u s a m m e n h a n g mit d e m Madrider KSZE-Treffen statt, an
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Gute Fortschritte gebe es bei der Klärung von Einzelfällen, in denen Kinder wegen ihres religiösen Glaubens im Bereich der Volksbildung benachteiligt würden. 21 Die Kirche spüre eine intensive Anleitung der Pädagogen zu derartigen Fragen. Grundsätzliche Probleme gebe es bei der Teilnahme christlicher Eltern an der Arbeit der Elternaktive sowie bei der Teilnahme von Lehrern an kirchlichen Veranstaltungen. Oft würden Lehrer durch Direktoren beauflagt, nicht an kirchlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Nicht selten würden religiöse Kinder und Jugendliche nachdrücklich aufgefordert, Mitglied der Pionierorganisation oder der F D J zu werden, wo ihnen dann aber Wahlfunktionen verweigert würden. Die Toleranz gegenüber religiösen Kindern und Jugendlichen im Bildungswesen laufe oft nur darauf hinaus, diese zu dulden. Notwendig sei eine Anerkennung der wirklichen Gleichberechtigung, die auch dazu führen müsse, daß Traditionen des Glaubens, die für die Kulturtradition wichtig seien, im Bildungswesen mehr Beachtung finden. Bischof Dr. Demke trug im Auftrag der K K L erneut die Bitte um ein Gespräch mit kompetenten Vertretern des Ministeriums für Volksbildung vor. Problematisch sei auch die Erziehung Jugendlicher zu eigenständigen Persönlichkeiten durch das Bildungswesen. Kinder und Jugendliche würden zu sehr als Objekte betrachtet, zu wenig als Persönlichkeiten respektiert. Das neue Programm für die Bildungsarbeit im Kindergarten mache das deutlich. 22 Mit Interesse habe man auch in den Kirchen zur Kenntnis genommen, daß Margot Honecker immer stärker auf die Qualität des pädagogischen Prozesses orientiere. Noch zu sehr spiele aber Zensurenhascherei und Durchschnittsberechnung eine Rolle bei der Bewertung der Schüler. Die „Verdrossenheit über den Zustand des Bildungswesens" wachse nicht nur im kirchlichen Raum und spiele auch bei Ausreiseanträgen eine große Rolle. Eingaben kirchlicher Mitarbeiter zu dieser Problematik würden nicht beantwortet. Vielleicht könnte ein Expertengespräch beim Staatssekretär zu diesen Fragen Klärung bringen. Z u m Wehrunterricht wolle die Kirche an die staatliche Zusage von 1980 erinnern, die Nichtteilnahme nicht zu bestrafen. 23 Man habe den Eindruck, daß diese Festlegung in Vergessenheit gerate. Problematisch sei nach wie vor der Inhalt des Wehrunterrichts, der noch zu wenig auf gewaltfreie Lösungen und Friedfertigkeit orientiere. dem u.a. Schönherr, Gienke, Domsch und Gysi sowie der Botschafter und Hauptabteilungsleiter im MfAA, Ernst Krabatsch, teilnahmen. DDR-Ministerpräsident Willi Stoph war - entgegen seiner Ankündigung - nicht dabei. Auch das Verhältnis von Staat und Kirche wurde am Rande angesprochen. Vorausgegangen war diesem Vorgang am 9.4.1980 eine Vereinbarung zwischen Gysi und Schönherr über ein Gespräch zur Schulordnung/kommunistischen Erziehung, ohne daß ein konkreter Termin ausgemacht worden wäre. A m 2 7 . 1 0 . 1 9 8 0 führten Stolpe und Wilke ein Gespräch, über das Wilke einen Aktenvermerk anlegte. Am 10.11.1980 erklärten Mitglieder des KKL-Vorstands gegenüber Staatssekretär Gysi, daß das staatliche Vorgehen gegenüber Christen nicht hinzunehmen sei. Darüber informierte Gysi am 11.11.1980 die Mitarbeiter seiner Dienststelle. 20 Zwischen Staatssekretär Klaus Gysi und dem damaligen KKL-Vorsitzenden Werner Krusche in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen am 9 . 1 2 . 1 9 8 2 (EZA BERLIN, 101/95/3). 21
V g l . B E N A C H T E I L I G U N G C H R I S T L I C H E R S C H Ü L E R , E L T E R N U N D L E H R E R IN D E R D D R .
Vgl. auch U. ENDERS: Erziehung zum Haß. 23 Diese Bemerkung bezieht sich auf einen „mühsam ausgehandelten [...] Kompromiß, die Nichtteilnahme eines Schülers am Wehrunterricht nicht zu zensieren oder mit bewertenden Bemerkungen im Zeugnis zu versehen". Vgl. die Darstellung und die entsprechenden Dokumente in: F. HARTWEG (Hg.): S E D und Kirche, Bd. 2, S. 3 9 3 - 3 9 8 , hier S. 397. 22
Vermerk der Dienststelle des Staatssekretärs. Berlin, 2 5 . Mai 1987
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Was die Teilnahme am Schießen im Rahmen der vormilitärischen Ausbildung betreffe, so bitte die Kirche darum, die Lösungen, die Soldaten eingeräumt würden, auch für Abiturienten und medizinisches Personal in der Ausbildung (Schwestern) Geltung erhalten, ohne daß berufliche Benachteiligungen eintreten. Präses Gaebler trug anschließend Fragen der Kirchen des B E K zur Wehrdienstproblematik vor. 24 Er dankte für die großzügige Behandlung derTotalverweigerer durch den Staat, obwohl diese im Gegensatz zu geltenden Gesetzen stehe. Ein Ausweg könne die Einführung eines zivilen Ersatzdienstes im medizinischen Bereich, beim Umweltschutz, bei der baulichen Sanierung von Gebäuden sowie in der Altenbetreuung sein. Die Dauer eines zivilen Ersatzdienstes könne aus kirchlicher Sicht durchaus die 18 Monate des Grundwehrdienstes übersteigen. Notwendig sei eine intensive seelsorgerliche Betreuung Wehrpflichtiger an ihren Standorten. Darauf habe die Synode des B E K im September 8 6 in Erfurt aufmerksam gemacht. Dafür sei von großer Bedeutung, daß Wehrpflichtige Ausgang zum Gottesdienst erhalten, den Pfarrer in der Kaserne empfangen und religiöse Literatur bei sich haben können. Gediente Reservisten, die aus Glaubensgründen später keinen Waffendienst mehr leisten könnten, sollten die Möglichkeit erhalten, ohne Waffe Reservisten-Dienst zu leisten. Präses Gaebler trug erneut die bekannte Bitte der Kirchen nach einem ausschließlichen Einsatz der Baueinheiten an nichtmilitärischen Objekten vor. Er bat darum, die Möglichkeit zu schaffen, daß sich Soldaten von Baueinheiten und Soldaten waffentragender Einheiten gegenseitig besuchen könnten. Darüber hinaus bat er um eine Ausdehnung der Festlegung, daß Lernende an den drei kirchlichen Ausbildungsstätten für Theologen (Berlin, Naumburg, Leipzig) während ihrer Ausbildung nicht eingezogen werden, auch auf Predigerausbildungsstätten in Erfurt und Berlin sowie auf die Ausbildungsstätte für Gemeindepädagogen in Potsdam. Präses Gaebler trug erneut den Wunsch Bischof Dr. Gienkes nach einem Besuch bei den Baueinheiten in Prora vor. Konsistorialpräsident Stolpe verwies auf zehn Problemkomplexe, die durch die staatlichen Organe bereits geprüft oder bearbeitet werden, an deren Lösung die Kirchen des B E K ein großes Interesse hätten: 1. 2.
Entsendung kirchlicher Mitarbeiter in Länder der Dritten Welt. Steuerfreier Jahresbetrag für kirchliche Mitarbeiter.
3.
Fragen der Erhaltung kirchlicher Gebäude und der dafür notwendigen Baukapazitäten. Die Notwendigkeit eines klärenden Gesprächs zur Berichterstattung der Kirchenpresse.
4. 5. 6.
Kioskverkauf kirchlicher Zeitungen. Bitte um Erhöhung der Druckquoten für Bibeln auf 1 5 0 . 0 0 0 Bibeln (bisher: 9 0 . 0 0 0 ) und 5 0 0 . 0 0 0 Losungen (bisher: 3 7 5 . 0 0 0 ) jährlich. Bitte um Vereinfachung der Genehmigungspraxis bei nichtlizenzpflichtigen Druckerzeugnissen. Man habe auf dem FDGB-Kongreß mitgeteilt, daß mittelfristig Arbeitszeitregelungen geplant seien. Die Kirchen des B E K erinnern an ihre Bitte, den 2. Osterfeiertag und Himmelfahrt als gesetzliche Feiertage wieder einzuführen.
7. 8.
24
Vgl. U . KOCH/G. NEUGEBAUER: D i e Evangelische K i r c h e in der Auseinandersetzung m i t der
W e h r d i e n s t p o l i t i k der S E D .
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9.
Fragen der Wirtschaftspolitik kirchlicher Friedhöfe und die Notwendigkeit, eine Entscheidung über den Umbewertungsbetrag für kirchliche Landwirtschaftsbetriebe zu treffen. 10. Die Trennung kirchlichen und staatlichen Eigentums in den sogenannten Küsterschulvermögen sowie die Verluste an kirchlichem Grundeigentum bei Inanspruchnahme durch Bergbau- und Baumaßnahmen.
Staatssekretär Gysi erläuterte auf der Grundlage der vorliegenden ausführlichen Gesprächskonzeption die Brisanz der gegenwärtigen internationalen Lage. Er verwies auf die Notwendigkeit klarer kirchlicher Stellungnahmen zu den aktuellen Abrüstungsinitiativen der sozialistischen Gemeinschaft. Genösse Gysi wies den kirchlichen Vertretungsanspruch für alle Bürger konsequent zurück und forderte die Vertreter der KKL auf, einen politischen Mißbrauch der Kirchen zu unterbinden. Er wies ebenso die ständige Tendenz zur Verallgemeinerung von Einzelfällen durch die Kirchenvertreter zurück und ebenso die Geringschätzung der „Lösung von Einzelfällen" in Bereichen, in denen Lösungen nicht machbar seien. Zu den drei Hauptfragen von Bischof Leich könne er nur wiederholen, was er bereits mehrfach gesagt habe. Aber er müsse auch dort, wo der Staat ständig großzügiger handele (Reisefragen), eine Tendenz zu ständig wachsenden Forderungen der Kirchen feststellen. Auf weitere vorgetragene Fragen und Bitten der kirchlichen Vertreter eingehend, wies Genösse Gysi nach, daß durch die konstruktive Entwicklung der Staat-Kirche-Beziehungen in den zurückliegenden Jahren auch wichtige Sachfragen geklärt wurden bzw. ihre Lösung vorbereitet ist. Staatssekretär Gysi schlug vor, zu aufgeworfenen Sachfragen Klärungen in Gesprächen auf Arbeitsebene herbeizuführen und die erreichten Ergebnisse dann in einem erneuten Gespräch mit dem Vorstand der KKL zu bilanzieren. Die kirchlichen Vertreter stimmten diesem Vorschlag zu.
DOKUMENT 3/1
Aufruf Lampes und anderer Mitglieder des Initiatorenkreises zum Antrag „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung". Berlin, Pfingsten 1987 EZA Berlin, 101/93/208; als Anlage zum Anschreiben vom 24. ]uni 1987an Präses Gaebler; masch. Vermerk: „Für kirchlichen Gebrauch! Bitte abschreiben und weitergeben!" Abgrenzung erfahren wir täglich. Das erschwerte oder unmögliche Reisen nach Ost und West ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. Der oben zitierte Antrag25 wurde auf der jüngsten Tagung der Berlin-Brandenburger Synode (24.-28.4.87) von der Berliner Bartholomäusgemeinde eingebracht. Seither befassen sich viele Gemeinden mit seinem Inhalt. Die Synode beauftragte zwei ihrer 25
Vgl. Dok. 3/2.
Aufruf Lampes und anderer Mitglieder des Initiatorenkreises
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ständigen Ausschüsse, ein Jahr lang daran zu arbeiten. Als Mitautoren dieses Antrags meinen wir: Hier ist jede Stimme gefragt! Deshalb rufen wir die Christen überall in der DDR auf: Schreiben Sie eine kurze Eingabe an die Bundessynode unserer Kirchen mit der Bitte, auf ihrer nächsten Tagung vom 18.—22. September 1987 in Görlitz die A b s a g e a n P r a x i s u n d P r i n z i p d e r A b g r e n z u n g im Sinne der Aussagen des Antrags auszusprechen. Erklären Sie bitte Ihre Bereitschaft, diese Absage mitzusprechen! Ein klares Wort der Synode würde zur Umkehr mahnen - zu einem Frieden, der aus persönlicher Freiheit und versöhnender Begegnung lebt. Anschrift: Präsidium der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR Auguststr. 80, Berlin 1040 Diskutieren Sie bitte außerdem den Antrag weiter in Gruppen, Gemeinden und Gemeindekirchenräten. Wir möchten Ihnen zum Gespräch folgende Fragen vorschlagen: -
Unter welchen Abgrenzungen leiden wir persönlich; an welche haben wir uns schon gewöhnt und sie verinnerlicht? Welche dialogbehindernden Abgrenzungen sind im Antrag unberücksichtigt geblieben? Wie können wir helfen, die Abgrenzung zugunsten der Entspannung zu überwinden? Wie können wir darüber mit Nichtchristen ins Gespräch kommen, z.B. an der Arbeitsstelle? Welche Abgrenzungen gehen von westlicher Seite aus? Wie können wir das ökumenische Gespräch über Frieden und Menschenrechte vor Ort und über Ländergrenzen hinweg beleben?
-
Lassen Sie uns nach Antworten suchen und sie auf Kreissynoden und Friedensseminaren vorstellen! : Pfingsten 1987•26
gez.: Almuth Berger Karl-Heinz Bonnke Dr. Hans-Jürgen Fischbeck Reinhard Lampe
26
Stephan Bickhardt Dr. Martin Böttger Dorrit Fischer Ludwig Mehlhorn
Daher auch bisweilen als „Pfingstaufruf' bezeichnet.
Anette von Bodecker Erich Busse Martin König
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DOKUMENT 3/2
Antrag Lampes und anderer Mitglieder des Initiatorenkreises an das Präsidium der Bundessynode: „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung"27 EZA Berlin, 101/93/208; als Anlage zum Anschreiben vom 24.]uni 1987an Präses Gaebler. „Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach". (Arnos 5,24) I Am 13. August 1961 wurde die Teilung Berlins, Deutschlands und Europas offenkundig. Die sich durchsetzende Einsicht in diese Realität ermöglichte die Entspannungspolitik der siebziger Jahre auf Regierungsebene. In der D D R ging die Entspannung jedoch zunehmend einher mit einer Politik der Abgrenzung, an deren Folgen unser gesellschaftliches Leben schwer - und viele, die weggehen, meinen: tödlich — erkrankt ist. Die Isolation der nachwachsenden Generation vom Leben ihrer internationalen Mitwelt bildet nach sechsundzwanzig Jahren Mauer und nach sechs Jahren Trennung von Polen den Nährboden für Zerr- und Feindbilder. Unser alltägliches Leben droht in einer nur schwer aufzubrechenden Enge zu verharren. Praktizierte Abgrenzungen stehen der Bildung von Vertrauen zwischen den Menschen und Völkern entgegen. Die jüngsten sowjetischen Friedensvorschläge schließen jedoch ausdrücklich die notwendige Förderung von Begegnungen und Verständigung der Menschen verschiedener Staaten und Gesellschaftsordnungen ein. Der in unserem Land begonnene Prozeß der kontrollierten Öffnung nach außen geht in diese Richtung. Er braucht neue Anstöße unsererseits. II Im Rahmen des KSZE-Prozesses ist die Vertrauensbildung, verstanden als ein Vorgang zwischen souveränen Staaten, mühevoll in Gang gekommen. Wirklich gelingen wird sie aber erst dann, wenn alle Bürger der verschiedenen Staaten in einen freien Dialog treten können. Auch christlicher Glaube sucht heute nach Wegen grenzüberschreitender Solidarität. Hier wurzelt für uns das Friedenszeugnis unserer Kirche (Absage an Geist, Logik und Praxis der Abschreckung28). Doch wer das Abschreckungsprinzip ablehnt, muß auch dazu aufrufen, die den Dialog behindernden Abgrenzungen zu beseitigen. Nur so wird Friedenspolitik wirklich glaubwürdig und unumkehrbar. Ein grundsätzliches Wort aus christlicher Verantwortung tut not. 27 Abdruck u.a. in: S. BICKHARDT: Recht ströme wie Wasser [diese 1988 im Wichern-Verlag erschienene Veröffentlichung ist im übrigen nahezu identisch mit der als Argumentationshilfe ftir diesen Antrag konzipierten Aufsatzsammlung „Aufrisse"], S. 16f., C. DEMKE/M. FALKENAU/H. ZEDDIES (Hg.): Zwischen Anpassung und Verweigerung, S. 373-375, EPD DOKUMENTATION 44/ 87, S. 47. Zur Genese des Antrags vgl. vor allem Kapitel 1.2 sowie 3.1.1 und 3.1.4 vorliegender Darstellung. 28 Diese bewußte Bezugnahme auf „Bekennen in der Friedensfrage" (Dok. 4) wird im „Brief an die Eingeber" (Dok. 3/4) kritisiert.
Antrag Lampes und anderer Mitglieder des Initiatorenkreises III Wir bitten die Synode, die A b s a g e A b g r e n z u n g auszusprechen.
an
Praxis
und
Prinzip
273 der
Im einzelnen bitten wir die Synode, jetzt öffentlich einzutreten für A
- die volle Wiederherstellung der Reisemöglichkeiten zwischen Polen und der D D R entsprechend der Praxis von 1972 - 1980 - die öffentliche Thematisierung einer anzustrebenden Freizügigkeit zwischen den sozialistischen Staaten Europas
Β
- die rechtlich garantierte Reisefreiheit in westliche Länder für alle D D R - B ü r g e r unabhängig von Alter, beruflicher Stellung, familiären Anlässen und politischer Einstellung - die Offenlegung und gesellschaftliche Diskussion der wirtschaftspolitischen, speziell finanzwirtschaftlichen Probleme im Blick auf die Reisepraxis gegenüber westlichen Ländern
C
— die Aufhebung politisch begründeter Einreiseverbote für Personen aus dem Ausland einschließlich ehemaliger D D R - B ü r g e r - ein öffentliches Gespräch über gesellschaftspolitische Veränderungen, die geeignet sind, ehemalige Bürger der D D R zur Rückkehr zu motivieren
D
— die unverzügliche Einführung von Begründungen im Fall der Ablehnung von Reiseanträgen - eine Diskussion über die Einfuhrung arbeitsrechtlich verankerter Garantien, sich gegen Kontaktverbote und Meldepflichten im Blick auf Personen aus dem nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet verwahren zu können
Ε
- den kirchlichen Verhandlungsgrundsatz gegenüber dem Staat: Die ökumenische Reisepraxis muß vorrangig Sache der Gemeinden werden - die geistliche Problematisierung der Tatsache, daß die Behandlung der ökumenischen Kontakte als Dienstreisen die Kirche Christi zu einem Betrieb macht.
IV Die Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung und das Einstehen für diese Forderungen können helfen, unser Leben aus verengten Perspektiven herauszuführen. Erst dann werden wir unsere Existenz nicht mehr als bevormundet und zweitrangig erfahren, sondern uns als freie und mündige Bürger betrachten.
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DOKUMENT 3/3 Referat Falckes zur Einbringung des Antrags „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" vor dem Plenum der Bundessynode. Görlitz, 18. September 198729 Abdruck nach: C. Demke/M. Falkenau/H. Zeddies (Hg.): Zwischen Anpassung und Verweigerung S. 368—373; EPD Dokumentation 44/87, S. 48—51 (mit einigen Abweichungen). [Nach Verlesung des Antrags 3 0 fährt Dr. Falcke fort.] „Ich habe diesen Antrag aus drei Gründen aufgenommen: 1. Ich teile die Diagnose dieses Antrages, daß unsere Gesellschaft an den Folgen einer früheren aber auch noch fortdauernden Praxis und Ideologie der Abgrenzung schwer krank ist. Das geht uns als Christen und Kirchen von unserem Auftrag her und u m der Menschen willen an. 2 . W i e viele andere unter uns, habe ich ständig mit Menschen zu tun, die an der Praxis der Abgrenzung leiden. M i c h beunruhigt, daß die Zahl der Menschen, die mit solchen Leiden zu mir k o m m e n , in letzter Zeit gestiegen ist. Das breite E c h o , das dieser Antrag vor der Berlin-brandenburgischen Synode gefunden hat, über 2 0 0 Eingaben an die Bundessynode, zeigt, daß hier wirklich eine Wunde in unserer Gesellschaft berührt ist. 3 . Ich bringe diesen Antrag vor die Bundessynode, weil er ein unsere ganze Gesellschaft und nicht nur Berlin-Brandenburg betreffendes Problem anspricht. Er geht also die Gesamtheit unserer Kirchen in der D D R an und gehört damit vor die Bundessynode. Allerdings habe ich auch gezögert, diesen Antrag aufzunehmen. Ich habe m i c h gefragt, o b es jetzt an der Zeit ist, der Praxis und dem Prinzip der Abgrenzung eine Absage zu erteilen, wo unser Staat ja gerade eine Politik der Öffnung, der Entspannung, der Vertrauensbildung, betreibt. W i r haben seit dem 2 8 . August das Gesprächsergebnis der S E D und der S P D auf dem Tisch , D e r Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit'. 3 1 Hier ist ganz a u f der Linie des Neuen Denkens der Streit der Ideologien, ,der gemeinsamen Verantwortung für den Frieden, für die Erhaltung der Biosphäre und für die Überwindung von Hunger und Elend in der Dritten Welt' untergeordnet. Hier wird also der Versuch gemacht, die Systemgegensätze nicht zu verschleiern, aber so mit ihnen umzugehen, daß
29 Der formale Antrag Falckes an die Bundessynode, den er vor der Verlesung des Antragstextes (Dok. 3/2) und seiner Begründung der Übernahme verlas, lautete: „Hiermit stelle ich den Antrag, die 5. Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen möge sich auf ihrer Tagung in Görlitz die ,Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung', wie sie von Gliedern der Bartholomäus-Gemeinde Berlin in ihrem Antrag an die Synode der Evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg auf ihrer Tagung im April 1987 ausgesprochen wurde, nach Intention und Inhalt zu eigen machen" (EPD
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passung und Verweigerung, S. 368). 30 Abdruck als Dok. 3/2. 31 Die von Falcke zitierten Passagen finden sich auch auf S. 6 des Dialogpapiers.
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der friedensverhindernde und friedensgefährdende Effekt der Abgrenzung eben gerade nicht eintritt, sondern Kooperation möglich wird. Das bedeutet ja, daß aus einem antagonistischen Gegensatz, wie er bisher gesehen wurde, also einem Gegensatz des Gegeneinanderkämpfens, ein Wettbewerb wird, ja sogar (Zitat aus der gemeinsamen Erklärung) ein .Wettbewerb in der Kooperation'. Hier wird das Prinzip der Abgrenzung jedenfalls im Dialog und im Denken überwunden. Wir haben weiter auf den Kirchentagen in Frankfurt am Main 32 und in Berlin 33 erlebt, wie Vertreter unseres Staates und Universitätsprofessoren an Podiumsdiskussionen teilnahmen und die Politik des Dialogs praktizieren, von der Professor Reinhold auf dem Frankfurter Kirchentag sprach. Wir haben die Ausweitung der Besuchsreisen in die Bundesrepublik und schließlich haben wir den Besuch von Erich Honecker in der Bundesrepublik 34 , der die Verantwortungsgemeinschaft der beiden deutschen Staaten in den Friedens- und Umweltfragen unterstrichen und ihr ein aussagekräftiges Symbol geliefert hat. Und schließlich hörten wir in dieser Woche, daß am Mittwoch mit der polnischen Regierung auch vereinbart worden sei, .Möglichkeiten für die schrittweise Erweiterung des Tourismus zu schaffen'. Rennt also die Absage an die Abgrenzung nicht, wenn nicht offene, so doch mindestens sich öffnende Türen ein? Kann diese Absage nicht sogar mißbraucht werden, um die Politik der Öffnung und des Dialogs zu verdächtigen und denen Argumente zu liefern, die um ihre antikommunistischen Feindbilder fürchten und versuchen, diese wieder zu stabilisieren? Dies alles hat mich zögern lassen, hat mir sehr zu denken gegeben, ob ich mir in dem gegenwärtigen Zeitpunkt diesen Antrag wirklich zu eigen machen kann. Und ich meine dennoch, daß er eine ganz bestimmte Funktion, einen guten Sinn auch in dieser Situation hat und ich beantrage damit, daß die Bundessynode ihn in seiner Intention aufnimmt, denn seine Intention möchte ich so präzisieren, daß sie eben diese Politik der Öffnung unterstützen will. So heißt es in dem Antrag: ,Der in unserem Land begonnene Prozeß der kontrollierten Öffnung nach außen braucht neue Anstöße unsererseits' (am Ende von I). Die Intention dieses Antrages ist also kritische Assistenz für die Politik der Öffnung. Und diese kritische Assistenz halte ich für notwendig. Sie ist einmal notwendig, weil der Öffnung nach außen eine Öffnung und Offenheit nach innen entsprechen muß. Wir müssen es lernen, unsere Probleme in der D D R unter den Bedingungen der Weltoffenheit freimütig zu besprechen. Offenheit nach außen ist nur zu haben, wenn man die Offenheit auch im Innern wagt. Dem Ansehen des Sozialismus können wir nicht dienen, indem wir über seine Schwächen und Defizite den Mantel des Schweigens breiten, im Gegenteil, das erzeugt Mißtrauen. Wenn in unserer Gesellschaft offene Kritik geäußert werden und Meinungsstreit stattfinden kann, das wird im Ausland wie im Inneren Vertrauen in unserer Gesellschaft wecken. Im gemeinsamen Dokument der S E D und der S P D heißt es: .Kritik und Kooperation dürfen einander nicht ausschließen'. Nun, was zwischen Ost und West gilt, muß doch wohl erst recht in der sozialistischen Gesellschaft gelten, auch wenn es sich um die scharfe und zugespitzte Kritik eines Liedermachers handelt. Auch seine Kritik darf nicht Vom 17. bis 2 1 . 6 . 1 9 8 7 . Vgl. M. HARTMANN: Anstöße zum Neuen Denken. Vom 24. bis 2 8 . 6 . 1 9 8 7 in Ost-Berlin. Vgl. M . HARTMANN: Signale vom Evangelischen Kirchentag. 34 Vom 7. bis 11.9.1987. 32
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zum Argument werden, ihn von der Kooperation in unserer Gesellschaft auszuschließen. Daß wir die Ausgrenzung anderer Meinungen überwinden, ist notwendige Assistenz für die Politik der Öffnung. Denn Ausgrenzung anderer Meinungen ist der erste Schritt zur Ausbürgerung. Die Politik der Öffnung hat zweitens kritische Assistenz nötig, weil sie sich in unserer Gesellschaft gegen ihr widersprechende Erscheinungen und Erfahrungen durchsetzen muß. Ich denke an Erfahrungen im Bereich des Bildungswesens, die junge Menschen, nicht nur junge Christen, machen. Solche jungen Menschen, die zum Konzept der kommunistischen Erziehung und seinem Erziehungsziel der sozialistischen Persönlichkeit in Spannung stehen oder gar zu ihm quer liegen. Ich meine Erfahrungen, die die Antragsteller machen, und das Wort Antragsteller' wird ja immer mehr zu einer Kategorie, einer Klassifizierung von Menschen, die sie als Ausgrenzung in eine Art Niemandsland zwischen Ost und West erleben. Ich denke an die Erfahrungen der sogenannten Geheimnisträger', und das ist leider eine sehr große Gruppe, die unter Kontaktverbot mit westlichen Verwandten und Freunden gestellt sind. Ich denke an die Erfahrungen bei unbegründeten Ablehnungen, wo ein Büroschreibtisch zur Grenze zwischen Wissenden und Mächtigen auf der einen Seite und unmündig Abhängigen auf der anderen Seite wird. Ich denke an das urgesunde Bedürfnis junger Menschen, jenseits unserer Landesgrenzen, im Osten und im Süden die Welt erfahren, im buchstäblichen Sinne erfahren möchten und daran gehindert werden. Was mich besonders bedrückt, ist eine Erfahrung, die ganz unspektakulär ist, ja die um so weniger bemerkt wird, als sie sich ausbreitet. Ich meine die Ausgrenzung des Spontanen, des eigenwüchsig Aktiven, des originell Kreativen, des eigenmotivierten Probierens, bei dem man nicht schulmeisterlich gegängelt, sondern eigene Wege gehen und auch Fehler machen will. Die Ausgrenzung durch eine Gesellschaft, die immer weiß, was richtig ist, bringt die Bereitschaft und Fähigkeit zur Mitverantwortung in vielen, vor allem in jungen Menschen, zum Aussterben, bevor sie sich entwickeln können. Sie haben Ideen, aber sie merken früh, daß man sie besser nicht verwirklicht. Sie haben Fragen, aber erleben, daß sie nicht gefragt sind. Sie wollen Alternativen probieren, aber sie stehen vor Wänden. Und dann verlernen sie es, Ideen zu haben, Fragen zu stellen und Neues zu probieren. Daran ist unsere Gesellschaft krank, und hier wird Öffnung dringend notwendig. Aber ich denke, wir müssen das Problem noch schärfer sehen. Die Politik der Öffnung selbst verschärft auch Widersprüche. Je weiter die Entspannung fortschreitet, je normaler Besuche zwischen Ost und West werden, desto monströser steht die Mauer in der politischen Landschaft. Je mehr Leute reisen dürfen, desto ungeduldiger und unwilliger fragen andere, warum sie nicht dürfen. Je deutlicher ausgesprochen wird, daß der Friede nur noch politisch und gemeinsam mit den Gegnern gesichert werden kann, desto mehr schwindet die militärische Motivation zum Wehrdienst. Die einen bekommen hier Angst, daß die Politik der kontrollierten Öffnung außer Kontrolle geraten kann, und die anderen werden ungeduldig, drängen weiter und haben doch auch Angst, es könnte den Regierenden zu weit gehen, und es könnte so kommen, daß gar nichts mehr geht. Diese Unsicherheit und Angst ist in unserer Gesellschaft weit verbreitet. Die Absage an die Abgrenzung darf nicht radikalistisch verstanden werden als die Losung .Alles oder nichts'. Das macht alles zunichte. Sie meint aber, daß wir den Weg nach vorn gehen müssen durch diese Widersprüche hindurch und nicht aus den Widersprüchen zurückfallen dürfen in Abgrenzung, Kontrolle, Stagnation und Militarisie-
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rung. Marxistische Dialektik ist doch eine Anleitung, mit Widersprüchen fruchtbar, weitergehend umzugehen. Dies möchte nach meinem Verständnis die Absage an die Abgrenzung unterstützen. Ich sprach von der Intention dieses Antrages: Kritische Assistenz für die Politik der Öffnung. Noch einige kurze Worte zum Inhalt dieses Antrages. Ich brauche ihn nicht im einzelnen zu erläutern. Nur zwei Bemerkungen: Die Formulierung .Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung' ist natürlich der Absage an Geist, Logik und Praxis der Abschreckung angelehnt. Sie ist im Grunde in dieser Absage schon mit enthalten. M a n kann da ja fragen, m u ß sie in dieser Formel noch einmal formuliert werden? Die Abgrenzung ist eine Dimension des Geistes der Abschreckung und die Praxis der Abgrenzung ein Teil der Abschreckungspraxis. Dieser Antrag sagt also in gewisser Hinsicht nur ausdrücklich, was in der Absage an die Abschreckung implizit bereits bekannt ist. Aber diese Explikation scheint doch nötig, weil sie uns zeigt, was wir konkret zu tun haben, wenn wir die Abschreckung nicht nur verbal, sondern real überwinden wollen. Das heißt aber auch, ebenso wie das Nein der Absage an die Abschreckung aus dem Ja des Friedensevangeliums kommt, so lebt die Absage an die Abgrenzung aus dem Ja der grenzüberschreitenden Liebe und Versöhnung. Das zeigt sich zwar in diesem Antrag an den konkreten Empfehlungen, die gemacht werden und die ja durchweg positiv gezielt sind, aber es müßte, glaube ich, in diesem Antrag noch grundsätzlich deutlicher gemacht werden, wo die Quelle dieser Absage liegt. Zweite Bemerkung: Es wurde bereits gegen den Antrag eingewandt in der Diskussion, die ja schon einige Monate läuft, die Absage an die Abgrenzung sei selber eine Abgrenzung. Das ist insofern ein Scheinargument, als sich die Absage ja ausdrücklich auf eine Praxis und ein Prinzip und nicht auf Menschen bezieht, vielmehr im Dienst der Beziehungen, der Kommunikation und Solidarität zum Menschen steht. Daß dem so ist, werden wir aber durch unsere eigene Praxis zu beweisen haben. Und dies durch die eigene Praxis zu beweisen heißt, zuerst aufmerksam werden auf die Praxis und das Prinzip der Abgrenzung bei uns selbst. Abgrenzung gibt es eben nicht nur oben und von oben nach unten; Abgrenzung gibt es auch von unten nach oben, und eines schaukelt sich am anderen hoch. Es gibt einen latenten, aber spürbaren Rassismus auf unseren Straßen, in unsern Gaststätten und an Wohnungstüren im Umgang mit farbigen Mitmenschen. Und es gibt in unseren Gemeinden die vielgestaltige Abgrenzungsmentalität und Praxis, die Menschen von der Gemeinde fernhält und uns selbst zu Kirchenmauernbauern, statt zu Wegbereitern des Evangeliums macht. Vor 4 0 Jahren sagte das Darmstädter Wort: ,Wir sind in die Irre gegangen, als wir meinten, eine Front der Guten gegen die Bösen im politischen Leben und mit politischen Mitteln bilden zu müssen'. W i r gehen in die Irre, wenn wir meinen, die Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung können wir als Gute gegen andere als Böse aussprechen. W i r müssen diese Absage vielmehr zuerst in das eigene Fleisch schneiden lassen, bevor wir sie nach außen geltend machen. Nur die Absage, die unsere eigenen Berührungsängste, Verhärtungen und Abwehrmechanismen trifft, kann Frieden stiften und Türen öffnen und Beziehungen erschließen. Dies müßte in dem Antrag, denke ich, wohl noch deutlicher gemacht werden. Ich meine also, daß an dem Antrag gearbeitet werden muß, und ich bitte die Bundessynode, in der Richtung der Intention dieses Antrages und im Sinne des Inhalts, diesen Antrag zu bearbeiten."
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Beschlußder Bundessynode: „Brief an die Eingeber betreffs ^Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung". Görlitz, 22. September 1987 Abdruck nach: C. Demke/M. Falkenau/H. Zeddies (Hg.): Zwischen Anpassung und Verweigerung, S. 375-377; mit kleinen Abweichungen auch in: EPD Dokumentation 44/87, S.51f. Sie haben sich mit der Eingabe an die Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der D D R gewandt. Sie erwarten eine ausdrückliche Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung. Neben Ihrer haben wir eine Fülle ähnlicher Eingaben erhalten. Es ist uns erneut deutlich geworden, wie sehr Menschen unter den Auswirkungen von Grenzen und Abgrenzungen der unterschiedlichsten Art leiden, Verwundungen erlitten haben und Veränderungen wünschen. Obwohl wir das mit Ihnen empfinden, können wir Ihrer Erwartung nicht entsprechen. In der Diskussion der Synode spielten dabei folgende Argumente eine Rolle: -
Deutlicher noch als zur Zeit der Berlin-brandenburgischen Synode im April zeichnet sich ab, daß die D D R gegenwärtig eine Politik der Öffnung vertritt, die Abgrenzungen überwinden soll. Zwar gibt es noch viele dem widersprechende Erfahrungen, aber eine förmliche Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung ist nicht an der Zeit. Eine Absage an Abgrenzung ist eine Verneinung und thematisiert das Nein. Was biblisch zu sagen ist, m u ß sich aber deutlich aus dem ergeben, was wir vom Evangelium her positiv zu Frieden, grenzüberschreitender Versöhnung und innergesellschaftlicher Verständigung zu sagen und anzubieten haben. Der Akt der Absage hat bekennenden Charakter. An Geist, Logik und Praxis der Abschreckung hat die Synode die Absage vollzogen. Eine parallele Absage an die Abgrenzung zu vollziehen, ist dem Begriff und der Sache nicht angemessen.
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Inwieweit Ihre Anliegen in der Arbeit der Synode aufgenommen sind, können Sie aus den Beschlüssen der diesjährigen Tagung erkennen; diese Beschlüsse legen wir Ihnen bei. Darüber hinaus sieht sich die Synode weiter an die Beschlüsse vorangegangener Tagungen gebunden und bemüht sich u m ihre Verwirklichung. So erklärte die Synode 1985 in Dresden 35 : „Zwischen dem Bemühen der Staaten u m Frieden, Sicherheit und Zusammenarbeit und den Möglichkeiten des einzelnen Bürgers gibt es einen unmittelbaren Zusammenhang, eine Wechselwirkung: Was der einzelne an Rechten wahrnehmen und an Möglichkeiten nutzen kann, bestimmt das M a ß seiner schöpferischen Mitwirkung an der Gestaltung seines Landes und trägt zu dessen Stabilität bei. Ein Staat und eine Gesellschaftsordnung sind um so stabiler, je mehr sie auf die Loyalität und verantwortliche Mitarbeit ihrer Bürger zählen können. Die erfahrene Verwirklichung von Menschenrechten im gesellschaftlichen Bereich 35
Vom 20. bis 24.9.1985 (5. Tagung der IV. Bundessynode).
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unseres Staates ermutigt uns deshalb dazu, im Bereich des Rechts des einzelnen Gebiete anzusprechen, in denen die Praktizierung der Menschenrechte erweitert oder deutlicher wahrgenommen werden sollte: -
Gleichberechtigung und Gleichachtung aller Bürger in allen Bereichen und a u f al-
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len Ebenen, Erweiterung der Reisemöglichkeiten,
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Umgang mit den Bürgern bei Eingaben und Beschwerden und Pflicht zur Begründung bei ablehnenden Bescheiden." 3 6
D e r Bundessynode war immer daran gelegen, den Zusammenhang dieser Problemkreise mit der Frage nach der Bewahrung des Friedens festzuhalten, d.h.: -
W e r Vertrauen schaffen will, m u ß sich für grenzüberschreitendes Miteinander von Menschen einsetzen.
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W e r gemeinsame Sicherheit fordert, der m u ß danach trachten, den Nachbarn, seine Ängste und Hoffnungen kennenzulernen. W e r begriffen hat, daß wir als Menschheit in einem „gemeinsamen Haus" leben, der m u ß nach Möglichkeiten suchen, seine Verantwortung auch gemeinsam mit anderen wahrzunehmen.
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Deshalb setzt sich die Synode des Bundes dafür ein, daß sich der Charakter von Grenzen verändert. Das macht ein weitergehendes Gespräch auch unter uns unerläßlich. W i r nennen dazu folgende Fragen, die in der Diskussion der Synode eine Rolle gespielt haben: -
Grenzen sind im Zusammenleben von Menschen und Völkern notwendig. Wann erweisen sie sich als friedenshemmend?
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Die Grenzen in Europa und durch Deutschland sind das Ergebnis des 2. Weltkrieges, der durch uns Deutsche begonnen wurde. Welche Verpflichtungen ergeben sich daraus für uns gegenüber unseren Nachbarn?
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W o Grenzen sich öffnen, werden auch Unterschiede deutlicher. Welche Vorstellungen haben wir für das zukünftige Miteinander der Systeme?
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Auch innerhalb der Gesellschaft wird Ausgrenzung erfahren und auch von uns vollzogen. Was m u ß sich ändern, und was können wir dazu beitragen? Unsachgemäße Abgrenzung ist eine Gefahr auch in unserer Kirche und unter uns Christen. W o sehen wir diese Gefahr, und was wollen wir dagegen tun?
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W i r bitten Sie und alle, die dazu bereit sind, sich an diesem Gespräch und diesem Nachdenken zu beteiligen.
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Das Zitat stammtaus der Erklärung der Synode des Bundes zum KKL-Bericht unter 2. (EPD
DOKUMENTATION 4 3 / 8 5 , S. 4 3 - 4 6 , hier S. 4 4 ) .
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Beschlußder Bundessynode: „Bekennen in der Friedensfrage". Görlitz, 22. September 1987 Abdruck nach: EPD Dokumentation
44/87, S.
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Im Gehorsam gegen den dreieinigen Gott haben wir unsere Absage an Geist, Logik und Praxis der Abschreckung ausgesprochen. Für unser Bekennen, für unsere Orientierung, für unser Handeln heißt dies: I W i r bekennen: Gottes Liebe gilt ohne Unterschied allen Menschen. Gott stellt sich insbesondere auf die Seite der Schwachen und Geschlagenen. Daraus folgt: Kein Mensch und kein Staat darf seine Sicherheit und Freiheit über die anderer stellen und Menschen zu Geiseln machen, die seine Sicherheit und Freiheit garantieren sollen. Der Geist der Abschreckung aber steht im Widerspruch zum Geist Gottes. -
Er erhebt die eigene Sicherheit zu einem Götzen, für den man bereit ist, Menschen millionenfach zu opfern und das Leben des Planeten aufs Spiel zu setzen. Er traut den Menschen tatsächlich die Unmenschlichkeit zu, andere Menschen massenhaft zu vernichten. Er zwingt zum Freund-Feind-Denken anstelle von Völkerverständigung und Zusammenarbeit. Er setzt auf die Macht des Stärkeren, nicht nur im Ost-West-Konflikt, sondern auch im Konflikt zwischen Nord und Süd.
Weil wir Gott, den Herrn, bekennen, widersprechen wir dem Geist der Abschrekkung. Auch wir sind in diesem Geist gefangen. Wir bitten, daß Gott uns davon befreit. W i r bekennen: Gott befreit uns durch Christus aus der Knechtschaft der Angst, die eine Folge der Sünde ist. Er befreit von Abhängigkeit und Unterdrückung. Daraus folgt: Kein Mensch und kein Staat darf durch Drohung mit Massenvernichtungsmitteln Angst und Abhängigkeitsverhältnisse schaffen, um sich so seinen Frieden zu erkaufen und Macht auszuüben. Die Logik der Abschreckung aber steht im Widerspruch zum Versöhnungshandeln Christi. -
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Sie zwingt trotz aller ethischen Proteste und vernünftigen Einsichten zum Wettrüsten, damit jede Seite sich wenigstens so stark fühlt, daß sie zurückschlagen kann. Sie will auch im schlimmsten möglichen Fall sicher sein. Sie verspielt damit die Chancen der Verständigung. Sie vernichtet, was sie zu schützen vorgibt: Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit. Sie sucht die eigene Sicherheit, indem sie Angst verbreitet. Sie hält die armen Länder in Abhängigkeit, damit sie die Balance der Reichen nicht stören.
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Weil wir Christus nachfolgen, widersprechen wir der Logik der Abschreckung. Auch wir erliegen dieser Logik. Wir bitten, daß Christus uns auf seinen Weg führt. W i r bekennen: Gott schenkt uns in Christus seine Gerechtigkeit. Er will, daß sie das Miteinander der Menschen bestimmt. Er will, daß wir mit anderen teilen, statt sie zu beherrschen. Daraus folgt: Kein Mensch und kein Staat darf das Zusammenleben der Menschen durch Geist und Logik der Abschreckung vergiften, sie zu Mitteln der Politik machen und damit die Wege zur Gerechtigkeit verbauen. Die Praxis der Abschreckung aber steht im Widerspruch zur Gerechtigkeit Gottes. -
Sie räumt militärischen Sicherheitsüberlegungen den Vorrang vor der Gestaltung eines gerechten Zusammenlebens der Menschen ein. Sie führt zu einer Militarisierung des Lebens und Denkens von Kindergarten und Schule bis hin zur Weltwirtschaft und Wissenschaft. Sie vergeudet die materiellen und geistigen Schätze der Menschheit. Sie verschärft die Ausbeutung der armen Länder durch die Industrienationen. Sie tötet schon heute durch Hunger und Verelendung auch ohne Krieg.
Weil wir dem Geist Gottes folgen, widersprechen wir der Praxis der Abschreckung. Auch wir sind in diese Praxis verwickelt. Wir bitten, daß Gott uns jeden Tag soviel Einsicht und Kraft gibt, wie wir brauchen. II In einer Welt mit Massenvernichtungsmitteln gibt es keine gerechten Kriege mehr! Krieg darf kein Mittel der Politik mehr sein. Die Aufgabe des Staates, für Recht und Frieden zu sorgen, kann heute nicht mehr wahrgenommen werden durch ein Sicherheitssystem, das auf Abschreckung beruht, in dem Armeen über Massenvernichtungsmittel verfügen und in der Lage sind, andere anzugreifen. Diese Aufgabe erfordert vielmehr die Entwicklung eines Systems „Gemeinsamer Sicherheit", das auf Vertrauensbildung beruht. Das System „Gemeinsamer Sicherheit" bahnt politische Wege der Konfliktregelung. Es schließt die Entwicklung struktureller Nicht-Angriffsfähigkeit durch Abrüstung auf allen Ebenen und Umrüstung auf defensive Waffensysteme ein. Es zielt auf Gerechtigkeit gegenüber den armgemachten Völkern. Nur im Rahmen eines solchen Konzeptes ist militärische Verteidigungsbereitschaft noch zu rechtfertigen. In dieser Situation setzt sich die Kirche für gewaltfreie Förderung und Sicherung des Friedens ein. Jeder Christ, der vor die Frage des Wehrdienstes gestellt ist, muß prüfen, ob seine Entscheidung mit dem Evangelium des Friedens zu vereinbaren ist. Wer heute als Christ das Wagnis eingeht, in einer Armee Dienst mit der Waffe zu tun, muß bedenken, ob und wie er damit der Verringerung und Verhinderung der Gewalt und dem Aufbau einer internationalen Ordnung des Friedens und der Gerechtigkeit dient. Die Kirche sieht in der Entscheidung von Christen, den Waffendienst oder den Wehrdienst überhaupt zu verweigern, einen Ausdruck des Glaubensgehorsams, der auf den Weg des Friedens führt. Weil wir Gott als Herrn bekennen, sind wir alle herausgefordert, durch deutliche Schritte zu zeigen, daß Einsatz, Besitz und Produktion von Massenvernichtungsmitteln unserem Glauben widersprechen. Unsere praktischen Schritte müssen so vielfältig und konkret sein, wie das Überleben der Menschheit vielfältig und konkret bedroht ist.
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Wir nennen heute beispielhaft die folgenden Schritte und bitten die Gemeinden, diese Schritte weiter zu konkretisieren und zu ergänzen. 1.
Weil der jetzt zu erwartende Abbau von Mittelstreckenraketen ein ermutigender Anfang der Abrüstung ist, setzen wir uns nun umsomehr für den weiteren Abbau der Atomwaffen, die Schaffung atomwaffenfreier Zonen, das Verbot chemischer und biologischer Waffen, das Verbot jeder Weltraumrüstung, die Begrenzung konventioneller Waffen und die Truppenreduzierung ein. 2. Weil die Konfrontation zwischen den Militärblöcken überwunden werden muß, sehen wir unsere besondere Aufgabe als Deutsche, dafür zu wirken, daß von deutschem Boden Frieden ausgeht. 3. Weil die Verteufelung des anderen die Gewaltbereitschaft erhöht, wollen wir uns der feindseligen Rhetorik gegen jedermann enthalten, uns gegenseitig ermahnen und andere dazu auffordern. 4. Weil alle Abgrenzung zwischen Menschen das Entstehen von Feindbildern fördert, wollen wir uns für mehr Begegnungsmöglichkeiten zwischen Menschen einsetzen und dazu beitragen, daß viele Menschen unseres Landes die Bürger anderer Staaten in ihrer Umgebung und mit ihren Problemen kennenlernen und besser verstehen. 5. Weil erst ein Staat, in dem mündige Bürger Mitverantwortung wahrnehmen können, den Friedensprozeß in der Welt wirksam fördern kann, wollen wir uns dafür einsetzen, daß die Mündigkeit der Bürger gestärkt wird durch sachgerechte Information, offene und öffentliche Diskussion und gemeinsame Suche nach Wegen in die Zukunft. 6. Weil wir lernen müssen, unsere Konflikte mit friedlichen Mitteln auszutragen, wollen wir mit der Friedenserziehung zu Hause beginnen und uns für die Friedenserziehung in Kindergarten, Schule und Gesellschaft einsetzen. 7. Weil schwelende Konflikte in einer Gesellschaft den Frieden auch der anderen gefährden, wollen wir die Probleme in unserem Land offen ansprechen, nach ihren Ursachen suchen und zu ihrer Uberwindung beitragen. 8. Weil Vertrauen und Freundschaft den Frieden fördern, wollen wir zur Verbesserung unseres Verhältnisses zu den Menschen in Osteuropa, insbesondere zu denen, die bei uns leben und arbeiten, beitragen. 9. Weil unser derzeitiges Verhältnis zu den armen Ländern und die ungerechte Weltwirtschaftsordnung eine ständige Gefahrenquelle und eine Bedrohung des Friedens sind, wollen wir uns für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung einsetzen. Ein kleines Zeichen können wir mit der Verwirklichung des 2-Prozent-Appells 37 setzen. 10. Weil unser räuberischer Umgang mit der Natur den Frieden unserer Kinder und Enkel bedroht, wollen wir uns einüben in einen Lebensstil, der unserer natürlichen Umwelt gerecht wird und Zukunft hat. 37 Vgl. Dok. 22. Vom M f S war das Fehlen einer „Stellungnahme zum ,2%-Appell"' bemängelt worden. Mit dem 2%-Appell, den die Weltkirchenkonferenz in Uppsala 1968 verabschiedet hatte, wurden die Kirchen der Welt aufgefordert, zwei Prozent ihrer Einnahmen für Hilfsprojekte in Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas zur Verfugung zu stellen.Vgl. auch C. BERGER: Die Stimme der Piccolo-Flöte, v.a. S. 213.
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Entwurf Döhles: „Arbeitsplan II. Halbjahr 1987"
DOKUMENT 5 Entwurf Döhles: „Arbeitsplan II. Halbjahr 1987". Berlin, 9. Juli 1987 BArchP, DO 4 STS f . Kirchenfragen Nr. 961; mit masch. Vermerk: „Nurfiir brauch".
den Dienstge-
Von der gesamtgesellschaftlichen Zielsetzung auch 1987 zur Friedenssicherung, zu einer Koalition der Vernunft und zu effektiven Abrüstungsschritten sowie zur politischen Stabilität und ökonomischen Dynamik beizutragen, leiten sich auch die Aufgaben im Staat-Kirche-Verhältnis fiir die Struktureinheiten der Dienststelle des Staatssekretärs ab. Es ist erforderlich, auf die Fortsetzung und Festigung des Friedensengagements der DDR-Kirchen, auf die Stärkung der realistischen Kräfte, ihre Aktivierung für unsere Politik und damit auf die Zurückdrängung konfrontativer Kräfte zu orientieren. Alle Planvorhaben sind generell mit der Notwendigkeit einer intensiveren Führungsarbeit und der Erhöhung des politisch-ideologischen Niveaus zu verbinden. Für die Struktureinheiten ergeben sich daraus folgende besondere Schwerpunkte: Abt. IP8: Die konsequente differenzierte Arbeit gegenüber der Kirche Berlin-Brandenburg während des Kirchentages 39 ist so fortzusetzen, daß sich der Differenzierungsprozeß weiter fortsetzt und eine Stärkung der realistischen Kräfte erfolgt. Die politisch-differenzierte Einflußnahme entsprechend der festgelegten Konzeption im Vorfeld der BEK-Synode 40 ist offensiv mit Hilfe der Räte der Bezirke und der Bezirksbeauftragten zu realisieren. Bereits im Spätherbst ist die Konzeption der Veranstaltungen aus Anlaß des 50. Jahrestages der faschistischen Pogromnacht im November 1988 fertigzustellen und mit den Vorbereitungsarbeiten zu beginnen. Die Weiterbildungskonzeption für Staatspolitik in Kirchenfragen ist bis Jahresende abzuschließen. Abt. III«: Die in Verbindung mit der Vorbereitung und Durchführung des Katholikentages in Dresden 42 erreichte Aktivierung der politischen Arbeit gegenüber der katholischen Kirche ist auf der Grundlage einer umfassenden Analyse der Ergebnisse des Treffens und der daraus abgeleiteten kontinuierlichen Schlußfolgerungen fortzusetzen. Ziel der weiteren Arbeit ist, die Positionen der realistischen und zu einer konstruktiveren Zusammenarbeit mit unserem Staat bereiten Kräfte in der Berliner Bischofs38 Die Abt. DDR. 39 Vom 2 4 . 40 Vom 18. 41 Die Abt. 42 Vom 10.
II war zuständig fiir die Evangelische Kirche und die Religionsgemeinschaften in der bis 2 8 . 6 . 1 9 8 7 in Ost-Berlin. bis 2 2 . 9 . 1 9 8 7 in Görlitz. III war fiir die Katholische Kirche zuständig. bis 1 2 . 7 . 1 9 8 7 .
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Dokument 5 konferenz, in den Ordinariaten und im gesamten katholischen Klerus zu stärken sowie die allmählich wachsende Dialogbereitschaft zu nutzen, u m den Differenzierungsprozeß zu vertiefen. Vordringlich sind die Gespräche mit dem Kardinal und den Bischöfen fortzusetzen und in hoher Qualität vorzubereiten. Mit der Unterstützung der Mitarbeiter der Abteilung sind die Kontakte der Räte der Bezirke zu den bischöflichen Ordinariaten zu verstärken. Z u r weiteren Intensivierung der Gespräche mit dem katholischen Klerus sind Q u a lität und Aktualität von Informations- und Argumentationsmaterialien zu erhöhen.
Abt. IV43: Die Arbeit der Abteilung IV ist weiterhin darauf gerichtet, in den Kirchen und den internationalen kirchlichen Organisationen die Kräfte zu unterstützen, die sich für Frieden, Abrüstung und soziale Gerechtigkeit einsetzen. Daraus ergeben sich als Schwerpunkte der Arbeit: -
Einflußnahme auf die Profilierung der Mitarbeit der D D R - K i r c h e n in den internationalen kirchlichen Organisationen und ihren Stäben. Unterstützung des Friedensengagements von Kirchen und kirchlichen Gruppen. Stärkung der kirchlichen Solidaritätsarbeit in den Ländern der Dritten Welt.
Abt. V44: Z u r Durchsetzung der aktuellen Staatspolitik in Kirchenfragen, wie sie sich insbesondere nach dem erfolgreichen Verlauf des Kirchentages in Berlin 45 darstellt, konzentriert sich die Abt. V in ihrer weiteren Arbeit auf folgende Schwerpunkte: Fragen der flexiblen Anwendung der Druckgenehmigungsanordnung insbesondere durch die Räte der Bezirke und Kreise. Inanspruchnahme kircheneigener Grundstücke fur bergbauliche Zwecke und Regelung der daraus resultierenden Fragen auf grundstücks- und steuerrechtlichem sowie auf entschädigungs- und vermögensrechtlichem Gebiet. Weitere Auswertung der gemeinsamen Veranstaltung mit dem M d l zur einheitlichen Anwendung und Durchsetzung der Veranstaltungsverordnung mit den Räten der Bezirke und Kreise. Regelung aktueller Grundstücksfragen auch im Zusammenhang mit der Lösung der Gesamtproblematik auf diesem Gebiet in bezug auf die Jüdischen Gemeinden. Abt. VI46: Dokumentation und verdichtete Bereitstellung von Informationen für den Staatssekretär bzw. die jeweils verantwortlichen Struktureinheiten zu kirchlichen friedenspolitischen Initiativen im Zusammenhang mit der geplanten Friedensversammlung der
43 Die Abt. IV beschäftigte sich mit allem, was unter dem Stichwort „Internationale Beziehungen" einzuordnen war. 44 Die Abt. V war verantwortlich für die Wahrung und Klärung von sogenannten Rechts- und Grundsatzfragen. Vgl. Aura. 39. 46 Die Abt. VI war zuständig für „Information und Dokumentation".
Entwurf Döhles: „Arbeitsplan II. Halbjahr 1987"
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DDR-Kirchen 4 7 sowie der „Nordkonferenz" 48 und der geplanten christlichen Weltversammlung 4 9 und mit weiteren Aktivitäten zum Berlin-Jubiläum.
Dienstbesprechung II. Halbjahr 1987 Termin
Verantwortlich
Zusammenarbeit mit
Vorlage einer schriftlichen Konzeption in Vorbereitung auf die Herbstsynoden Information über das Katholikentreffen in Dresden v. 10. bis 12.7.1987
27.7.
Dr. Röfke
Bez. beauftr.
27.7.
Hartwig
3.
Leitungsinformation 4/87
31.8.
4.
Schriftlicher Vorschlag zur Organisierung der Weiterbildung von Kadern der örtlichen Räte in Staatspolitik in Kirchenfragen
31.8.
AL VI/ Dr. Dr.
Lfd. Maßnahme Nr.:
Bemerkungen
Juli
1.
2.
August
II/III/IV/V/ Ltr. Büro Wilke Dohle
September
5.
6.
7.
Schriftliche Information zum Inhalt der „Weißenseer Blätter" Schriftliche Information über Verlauf und Ergebnisse der BEK-Synode
28.9.
Dr. Röfke
28.9.
Dr. Handel Dr. Wilke
Schriftliche Information zu inhaltlichen Schwerpunkten der Arbeit der K E K
28.9.
Dr. Will G. Braemer
47 Gemeint ist die Ökumenische Versammlung von Christen und Kirchen in der D D R „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung", die vom 12. bis 15.2.1988 in Dresden stattfand. Vgl. auch J . GARSTECKI: Selbstorganisationspotentiale der DDR-Gesellschaft, sowie DERS.: Ökumenische Versammlung in der D D R , und KIRCHENAMT DER E K D (Hg.): Ökumenische Versammlung fiir Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. 48 Die hier so bezeichnete „Nordkonferenz" der K E K wird auch im folgenden Maßnahmeplan erwähnt. Diese Konferenz trug den offiziellen Titel „Europäische Konvokation .Frieden in Gerechtigkeit'" und war eine Veranstaltung im Kontext der Ökumenischen Weltversammlung, zu der alle KSZE-Staaten einberufen werden sollten. 49 Gemeint ist die Weltversammlung fiir Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung, die vom 5. bis 12.3.1990 in Seoul abgehalten wurde.
286
Dokument 5
Lfd. M a ß n a h m e Nr.:
Termin
Verantwortlich
AL II/III/IV/ V/VI/ Ltr. Büro Dr. Wilke B. Janott
Oktober 8.
Leitungsinformation 5/87
26.10.
9.
Schriftliche Vorlage zu Veranstaltungen anläßlich des 50. Jahrestages der faschistischen Pogromnacht Information zur Papstreise in den U S A Schriftliche Information zum Stand der Vorbereitung der Tagung des Ausschusses für die Fortsetzung der Arbeit der CFK Information über die nichtverlagsgebundene Publikationstätigkeit der Kirchen und damit im Zusammenhang stehender Probleme
26.10
10. 11.
12.
26.10.
Hartwig
26.10.
Dr. Will Meubrink
26.10
Behncke
30.11
Dr. Handel
30.11.
Dr. Röfke
30.11.
Hartwig
30.11.
G. Braemer
30.11.
Behncke
30.11.
Reiche Herrmann
November 14.
15.
16.
17.
18.
19.
Schriftliche Information zur politischen Entwicklung des Kräfteverhältnisses in der Evangel. Allianz Schriftliche Information über Verlauf und Ereignisse der Herbstsynoden Information zur römischen Bischofssynode „Berufung und Sendung des Laien in Kirche und Welt" Schriftliche Information zu Problemen und Tendenzen der internationalen Jugendarbeit des BEK Information zum Inhalt kirchlicher Mitteilungsblätter mit Schlußfolgerungen für die weitere Verfahrensweise Schriftliche Information über die Berichterstattung der evangelischen und katholischen Kirchenzeitungen in der D D R zur 750-Jahr-Feier Berlins
Zusammenarbeit mit
Bemerkungen
Entwurf Döhles: .Arbeitsplan II. Halbjahr 1987" Lfd. Maßnahme Nr.: Dezember 20. Leitungsinformation 6/87 21.
22.
23.
24.
25.
26.
Termin
Verantwortlich
28.12.
AL VI/ Dr. M.
Schriftliche Konzeption zur 28.12 Vorbereitung auf die evangelischen Kirchentage 1988 Information zum „ad-limina"- 28.12. Besuch der Bischöfe der Berliner Bischofskonferenz beim Papst Schriftliche Information zum 28.12 Vorbereitungsstand der „Nordkonferenz" der KEK Analyse des Inhalts der Kir28.12. chenordnungen der 8 Gliedkirchen des BEK in der D D R in bezug auf Vorhandensein und Inhalt kirchlicher Notstand[s]paragraphen und Möglichkeiten der disziplinarischen Einflußnahme der Leitungen 28.12 Übersicht über die seit dem 6.3.78 fertiggestellten kirchlichen Bauvorhaben, insbesondere der Kultstätten Schriftliche Information zum konziliaren Prozeß 28.12.
II/III/IV/V/ Ltr. Büro Handel Behnke
Hartwig
G. Braemer
Behncke
Behncke
Warm Reiche Herrmann
Zusammenarbeit mit
287 Bemerkungen
288
Dokument 6
DOKUMENT 6 Vermerk Kraußers: „Festlegungen aus der Beratung mit Genossen Jarowinsky vom 27.8.1987". Berlin, 31. August 1987 SAPMO Berlin, DY30/IVΒ Teilnehmer:
1.
Genösse Genösse Genösse Genösse Genösse
2/14/9, S. 5-7.
Gysi Wilke Baron Baumgarten Kraußer
Die während der Gratulation zum 75. Geburtstag des Vorsitzenden des Staatsrates und Generalsekretärs50 getroffenen Aussagen der kirchlichen Amtsträger und des Genossen Honecker selbst sind in der weiteren differenzierten Arbeit wirksam zu nutzen. Die Arbeitsgruppe Kirchenfragen erarbeitet nach dem Besuch des Genossen Honecker in der BRD 5 1 und der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen 52 eine Information über aktuelle Akzente in der Kirchenpolitik für die Bezirksleitungen der SED. Der Einfluß des Staatssekretariats und der Arbeitsgruppe Kirchenfragen auf die qualitative Anreicherung des Olof-Palme-Friedensmarsches53 ist entsprechend der politischen Bedeutung der Ehrung weiter zu erhöhen. Es ist zu sichern, daß das friedenspolitische Anliegen deutlich zum Tragen kommt. Die Vertreter der Kirche sind herauszufordern, bei ihrem Auftreten klare Positionen zu beziehen. Das vom Staatssekretariat vorgelegte Material zur Einflußnahme auf die Vorbereitung der Synode ist prinzipiell zu überarbeiten; insbesondere ist der Gehalt der Aussagen zu erhöhen.
2.
3.
4.
Folgende Gesichtspunkte sind zu beachten: -
In den 80er Jahren entwickelten sich die Staat-Kirche-Beziehungen dynamisch und für beide Seiten fruchtbar. Die Grundsätze des Gesprächs vom 6.3.1978 sind lebendige Realität und tragen zur inhaltlichen Ausgestaltung einer Kirche im Sozialismus bei. In der Friedensfrage sind stärker die bereits getroffenen prinzipiellen Aussagen (z.B. zum 40. Jahrestag der Befreiung54) in Erinnerung zu rufen. Es muß stärker deutlich werden, worin heute der eigenständige, unverwechselbare Beitrag der Kirchen zur Friedenssicherung besteht.
-
50 51 52 53 54
A m 2 5 . 8 . 1 9 8 7 . Abdruck auszugsweise in: N D N r . 2 0 0 vom 2 6 . 8 . 1 9 8 7 , S. 3f. Vom 7. bis 1 1 . 9 . 1 9 8 7 . 18. bis 2 2 . 9 . 1 9 8 7 in Görlitz. Vom 1. bis 1 8 . 9 . 1 9 8 7 . In der D D R am 8 . 5 . 1 9 8 5 . Vgl. auch J . BURGESS: Die Sprache der Befreiung.
Vermerk Kraußers -
289
Die Fortschritte auf den einzelnen Feldern kirchlichen Wirkens sind deutlich herauszuarbeiten, ohne die noch vorhandenen Probleme übersehen zu wollen.
Im Zusammenhang mit den bekannten kirchlichen Positionen zum Wehrdienst wurde festgelegt, daß vom Staatssekretariat für Kirchenfragen die Aussagen des ehemaligen Verteidigungsministers Hoffmann bei einem Besuch von Bausoldaten für Genossen Jarowinsky aufgearbeitet werden. Angeregt werden sollte, daß durch fortschrittliche Synodale Eingaben eingebracht werden, die die wahre Haltung der Christen zur Verteidigung des Sozialismus zum Ausdruck bringen. Das Staatssekretariat erarbeitet eine Dokumentation, aus der hervorgeht, wie die Kirchen seit dem Gespräch vom 6.3.1978 55 an der Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft mitarbeiten und wie sich die Beziehungen zwischen dem sozialistischen Staat und den Kirchen vertieft und intensiviert haben. Termin flir Gesamtkonzeption: Verantwortlich: 5.
In Vorbereitung des 10. Jahrestages des Gesprächs des Staatsratsvorsitzenden mit der Konferenz des Bundes der Evangelischen Kirchen vom 6.3.1978 ist eine Konzeption zu erarbeiten. Termin: Verantwortlich:
6.
AG Kirchenfragen
Notiz über vorgesehene Aktivitäten zur Einfuhrung des Rabbiners Neumann Verantwortlich:
9.
3.9.1987 Staatssekretariat AG Kirchenfragen
Vorbereitung eines Schreibens an den Generalsekretär betreffs der Arbeit mit jüdischen Archivmaterialien Verantwortlich:
8.
29.9.1987 Staatssekretariat
Erarbeitung einer Konzeption zur Vorbereitung des 50. Jahrestages der faschistischen Pogromnacht Termin: Verantwortlich:
7.
1.9.1987 Staatssekretariat
Staatssekretariat
Niederlegen eines Blumengebindes des Generalsekretärs zum 90. Geburtstag Paul Schneiders in Buchenwald in Abstimmung mit der Protokollabteilung Verantwortlich:
AG Kirchenfragen Kr[außer] [m.p.]
55 Zwischen dem Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker und dem KKL-Vorstand unter Leitung ihres Vorsitzenden, Bischof Albrecht Schönherr.
290
Dokument 7 DOKUMENT7
Ausarbeitung der Abt. II der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen zur Vorbereitung der Bundessynode. Berlin, 1. September 1987 BArchP, D04STSf. Kirchenfragen Nr. 704 u. SAPMO Berlin, DY30/IVB2/14/93; Aussteller; mit Vermerk: „Nurfür den Dienstgebrauch".
ohne
Information und Maßnahmeplan zur Synode des BEK, die vom 18.-22. September 1987 in Görlitz stattfindet Einen Schwerpunkt der Beratungen und Diskussionen auf der Tagung bildet die Abrechnung der Aufträge, welche der Konferenz der Kirchenleitungen seit der 5. Tagung der 4. Synode des BEK (20.9.-24.9.1985 in Dresden) von diesem Gremium erteilt wurden. In diesen Aufträgen an die KKL wurden wichtige Fragen der Mitarbeit der Gläubigen in der sozialistischen Gesellschaft, der politischen Standortbestimmung der Kirchen des BEK und der Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche aufgegriffen. Ihre Abrechnung wird zu einer Bilanz der kirchenpolitischen Entwicklung in unserer Republik. Was ist aus gesellschaftlicher und staatlicher Sicht zu dieser Bilanz anzumerken? Im Zeitraum seit dem Gespräch des Vorsitzenden des Staatsrates, Genossen Erich Honecker, mit dem Vorstand der Konferenz der Kirchenleitungen am 6.3.1978 wurde die breite und umfassende Mitwirkung der Gläubigen der im BEK zusammengeschlossenen evangelischen Landeskirchen weiter gefördert, vertieft und zur Normalität unseres gesellschaftlichen Alltags. Immer mehr Gläubige erkennen, daß ein aktives Wirken am Arbeitsplatz, in gesellschaftlichen Gremien sowie fur kommunale Belange in den Städten und Gemeinden eine Aufgabe darstellt, die jedem Bürger der D D R unabhängig von Weltanschauung und Religion gestellt ist. Die Bereitschaft Gläubiger, persönliche Verantwortung für die weitere Entwicklung unserer Republik wahrzunehmen, ist gewachsen. Diese gute Entwicklung fand seinen [sie] Niederschlag deutlich in Aussagen im Zusammenhang mit dem XI. Parteitag der SED 56 und den Wahlen 57 im Jahr 1986. In den entscheidenden politischen Fragen der Gegenwart, bei der Erhaltung des Friedens, der Weiterführung der Entspannung, der Durchsetzung substantieller Abrüstungsschritte, dem Eintreten für soziale Gerechtigkeit, Solidarität und die Bewahrung der natürlichen Umwelt haben sich die Positionen der Gläubigen und Kirchen denen von Staat und Gesellschaft in der D D R weiter angenähert. Der Prozeß der Annäherung politischer Positionen zu den Grundfragen unserer Zeit bedeutet nicht, daß zu allen Einzelfragen der politischen oder gesellschaftlichen Entwicklung übereinstimmende Positionen erreicht würden, möglich oder notwendig wären. Der Prozeß wachsender politischer Übereinstimmung verläuft nicht geradlinig und ist keineswegs unkompliziert. Er ist in sich widersprüchlich und widerspiegelt das ernsthafte Suchen ebenso wie Unsicherheiten bei der Bestimmung der Stellung und der Wirkungsmöglichkeiten der Kirchen im Sozialismus durch Kirchenleitungen und Gläubige. 56 57
Der XI. Parteitag der SED fand vom 17. bis 21.4.1986 in Berlin statt. Zur DDR-Volkskammer.
Ausarbeitung der Abt. II der Dienststelle des Staatssekretärs
291
Die zurückliegenden achtziger Jahre haben zu einer Stabilisierung und Vertiefung verfassungsgemäßer, konstruktiver, offener und vertrauensvoller Staat-Kirche-Beziehungen in der D D R geführt. Die gewachsenen Wirkungsmöglichkeiten der Kirchen und die große Aufmerksamkeit gegenüber einer breiteren öffentlichen Darstellung der Kirchen in den Massenmedien zeigen, daß das Wirken der Kirchen des B E K zur Normalität der gesellschaftlichen Entwicklung in unserer Republik wurde. Vom sozialistischen Staat wird anerkannt und gewürdigt, daß die Kirchen im Interesse ihrer Gläubigen und aller Bürger einen keineswegs unbedeutenden Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung leisten. In seiner Haltung gegenüber den Kirchen des B E K ist unser Staat berechenbar, setzt auf Kontinuität und läßt sich, wie die zurückliegenden Jahre augenfällig beweisen, nicht von der zahlenmäßigen Größe der Kirchen, sondern von ihrer politischen Haltung und ihrer Bereitschaft zu gesellschaftlicher Mitwirkung leiten. Dieser Prozeß wurde wesentlich dadurch gefördert, daß innerhalb der evangelischen Kirchen in der D D R das Bestreben an Umfang gewann und sich vertiefte, ihre Position als einer Kirche in der sozialistischen Gesellschaft zu begreifen, anzunehmen und zu bestimmen. Damit trugen sie vor allem den Erwartungen der überwiegenden Mehrzahl ihrer Gemeindemitglieder Rechnung, die gleichverpflichtet, gleichberechtigt und gleichgeachtet in die Lösung der gesellschaftlichen Belange einbezogen sind, die durch ihre Arbeit und ihr Wirken in und für die sozialistische Gesellschaft der D D R ihren konkreten Beitrag für die Erhaltung des Friedens und die Lösung der anderen globalen Probleme der Menschheit leisten wollen und leisten. In diesem Sinne bemühten sich kirchenleitende Kräfte und Geistliche an der kirchlichen Basis verstärkt, ihren eigenen, unverwechselbaren kirchlichen Beitrag für die Gesellschaft, zum Wohle der Menschen in der D D R und zur Erhaltung des Friedens einzubringen. Deutlichen Ausdruck fand diese Entwicklung im Wort des B E K zum 40. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus. Es war möglich, entgegen der in den Kirchen der E K D zunächst geübten Zurückhaltung und gegen die revanchistischen Tendenzen in der B R D das gemeinsame „Wort zum Frieden" von B E K und E K D 5 8 zu verabschieden. Damit wurden erstmalig von den Kirchen der E K D politisch realistische Positionen des B E K mitgetragen. Es war in dieser konkreten Form erstmalig gelungen, einen solchen eigenen außenpolitischen Beitrag zu leisten. Hervorzuheben ist die in diesem Prozeß gewonnene Erkenntnis, daß der Antikommunismus für die Kirchen eine verhängnisvolle Wirkung hatte. Die hier erarbeiteten Aussagen über die geschichtliche Bedeutung und die aktuell politischen Lehren deckten sich dabei weitgehend mit den gesellschaftlichen Positionen (8. Mai - Tag der Befreiung auch für die Kirchen, Chance und Gnade des Neubeginns, gegen Revanchismus in der B R D , nie wieder darf von deutschem Boden Krieg ausgehen, für Abrüstung und gegen Weltraumrüstung). Es folgten weitere Fortschritte im Denken und Handeln kirchenleitender Kräfte, sowie vor allem ihr Wirken in Ubereinstimmung mit der breiten Basis der Gläubigen und kirchlichen Amtsträger, in der Anerkennung des Primats der Friedensfrage. Die konkreten Vorschläge der SU, die Ergebnisse der Konferenz in Reykjavik und die offensive Konzeption des sozia-
58
D a s „Wort zum Frieden" von B E K und E K D zum 4 0 . Jahrestag des E n d e s des Zweiten W e l t -
kriegs, das a m 1 9 . 3 . 1 9 8 5 veröffentlicht worden war, beinhaltet eine E r n e u e r u n g des Stuttgarter S c h u l d b e k e n n t n i s s e s . A b d r u c k in: GEMEINSAM UNTERWEGS, S. 2 5 7 - 2 6 1 . V g l . R. HENKYS: G e m e i n s a m e s W o r t der deutschen Protestanten, sowie M . STOLPE: Auschwitz hält n i e m a n d für e i n e Lüge.
292
Dokument 7
listischen Lagers, die Welt bis zum Jahr 2000 atomwaffenfrei zu machen, bestärken die Kirchen in ihren Argumentationen nach einer Friedenssicherung als einem Prinzip gleicher Sicherheit oder Sicherheitspartnerschaft. Von ihnen gewählte Begriffe und Vorstellungen wurden in der internationalen Entwicklung zunehmend politikfähig. So erklärte die Synode des BEK 1984": „Wir unterstreichen, daß alle offenen Fragen hinter der Aufgabe zurücktreten, den Frieden zu erhalten". 1985 war die Friedensfrage als zentrale Frage im Bericht der KKL 60 zu finden. Es wurden Worte der Zustimmung und Unterstützung für unsere Politik einer breiten Koalition der Vernunft und der Realität gefunden. 1986 erkannte man, daß im politischen Bereich, insbesondere in den Ergebnissen des Gipfeltreffens von Genf im November 198 561 und in den Vorschlägen und Initiativen der UdSSR vom Januar 1986 hoffnungsvolle Zeichen gesetzt worden sind. Es wird der eigenständige Beitrag der Kirchen zur Friedensfrage deutlich formuliert. Die SDI-Pläne werden negiert, weil eine neue Ära des Wettrüstens den Frieden unsicherer mache. Die Initiativen des Genossen Gorbatschow führen zu der Erkenntnis in den Kirchen „Die Menschheit m u ß umdenken". Der von der Leitung des BEK zum Ausdruck gebrachte Wille, gemeinsam mit allen Friedenskräften in der D D R sowie im internationalen Rahmen zu wirken, wird durch die Teilnahme an dem Olof-Palme-Friedensmarsch im September 1987 dokumentiert. In seinem Rahmen wird durch den BEK ein Pilgerweg von Ravensbrück nach Sachsenhausen betreut. Auch in anderen Orten der Marschroute nehmen kirchliche Gruppen und Vertreter an den Friedensmanifestationen teil. So ordnet sich das eigenständige, von Form und religiöser Motivation her unverwechselbare Eintreten der Kirchen für den Frieden in die Friedensaktivitäten der D D R ein. Ganz in diesem Sinne gestaltete sich der Kirchentag der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg 62 , der kirchliche Höhepunkt im Jahr des 750jährigen Jubiläums Berlins. Er war ein würdiger Beitrag der evangelischen Kirche zum Jubiläumsjahr und hat den Ruf der DDR-Hauptstadt als eine weltoffene Stätte des konstruktiven Meinungsaustausches zu den Lebensfragen der Menschheit erneut unter Beweis gestellt. Als Bestandteil kirchlichen Lebens half der Kirchentag den teilnehmenden Christen, ihren Platz in der sozialistischen Gesellschaft genauer zu bestimmen und ihren persönlichen, von religiösen und staatbürgerlichen Motivationen getragenen Beitrag zur weiteren Entwicklung der D D R zu leisten. Die anwesenden ranghohen kirchlichen Gäste aus dem Ausland erlebten eine überzeugende Demonstration der Verfassungswirklichkeit, der breiten Möglichkeiten kirchlichen Wirkens in der D D R und der konstruktiven, funktionierenden Staat-Kirche-Beziehungen. Wichtige Beiträge leisten die Mitarbeiter der Diakonie zugunsten aller Bürger der D D R . Große Anstrengungen unternehmen die Kirchen für Unterstützung von Kirchen und Menschen in den Entwicklungsländern, die sie in Abstimmung mit dem Solidaritätskomitee der D D R realisieren. Aktiv beteiligten sich Gläubige und kirchliche Grup59
Die Synode tagte vom 21. bis 25.9.1984 in Greifswald. Abdruck des Beschlusses der Bundes-
synode zum KKL-Bericht in: E P D DOKUMENTATION 43/84, S. 3 3 - 3 5 , hier S. 34). 60
Vom 20. bis 24.9.1985 fand die Bundessynode in Dresden statt. Der entsprechende Auszug
aus dem KKL-Bericht ist abgedruckt in: GEMEINSAM UNTERWEGS, S. 251 f. 61
Zwischen US-Präsident Ronald Reagan und KPdSU-Generalsekretär Michail Gorbatschow.
62
Vom 24. bis 28.6.1987 in Ost-Berlin. Vgl. C. DIECKMANN: Gott in Berlin und die Folgen.
Ausarbeitung der Abt. II der Dienststelle des Staatssekretärs
293
pen am Schutz und an der Erhaltung von Natur und Umwelt. Das Ganze ist verbunden mit großzügigem Entgegenkommen des Staates. Noch nie ist in den Kirchen so viel gebaut worden, wie in den achtziger Jahren. Alle diese Aktivitäten bedeuten ein Aufgreifen der Aussage von Gen. E. Honecker am 6.3.78, als er feststellte: „Den Kirchen als Kirchen im Sozialismus eröffnen sich heute und künftig viele Möglichkeiten des Mitwirkens an diesen zutiefst humanistischen Zielen". Am 25.8.87 6 3 bekräftigte der Staatsratsvorsitzende, Genösse Erich Honecker, gegenüber leitenden Vertretern des BEK erneut die Gültigkeit des 6.3.78. Er sagte: „Für das segen[s]reiche Wirken der Kirchen möchte ich Sie herzlich beglückwünschen und zugleich sagen, daß Sie stets mit der Unterstützung des Staates rechnen können ...". Es ist selbstverständlich, daß die Kirchen in großzügiger Weise ihren internationalen Verpflichtungen nachkommen können. Sie nehmen an Kongressen und Tagungen teil, bekleiden Funktionen in ökumenischen Gremien, empfangen Besuche, gestalten Tagungen und fugen ihre Kontakte zu Kirchen in der BRD in das große Gespräch zur Ausgestaltung einer Koalition der Vernunft und des Realismus ein. Die große Zahl der genehmigten Ausreisen beweisen die konstruktive Bewertung der staatlichen Organe für diese kirchliche Tätigkeit. Gesamtreisen
1987 3.214 (bis 30. August)
1986 4.527
1985 4.117
1984 3.524
Ein Ausdruck der fruchtbaren und konstruktiven Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche und der Stellung der Christen in der sozialistischen Gesellschaft der DDR sind die vielfältigen Gespräche und Begegnungen auf allen Ebenen. Aus Darlegungen der je eigenen Position wurden Sach-, Informations- und Expertengespräche, aus der oft statischen Gesprächsführung an der Basis wurden vertrauensvolle Beratungen der Bürgermeister und Ratsmitglieder mit den Pfarrern und Superintendenten in ihren Territorien. Es entwickelte sich zunehmend ein schöpferisches gesellschaftliches Zusammenwirken, und es begann ein echter Dialog bei Gleichberechtigung und Gleichachtung der Partner. In diesem Prozeß blieb es aber nicht nur bei Worten. Es wurde noch nie in den Kirchen und für kirchliche Einrichtungen und Werke so viel gebaut und rekonstruiert, wie in den letzten Jahren. Wir ließen nicht nur die Kirche im Dorf, sondern sie fand und findet auch ihren selbstverständlichen Platz in den Neubaustädten der DDR. Ob es um Druckerzeugnisse, soziale Rechte für kirchliche Mitarbeiter, Förderung der Diakonie geht, oder um die Fragen der kirchlichen Forst- und Landwirtschaft, es zeigt sich auf vielen Gebieten der Gesellschaft Verständnis für die Probleme der Kirchen und ihrer Gläubigen und breites Entgegenkommen des Staates. Es sei darauf verwiesen, daß hier ohne großes Aufheben davon zu machen, positive neue Tatbestände in beiderseitigem Interesse, also im Interesse der Bürger der DDR geschaffen wurden. In den Fragen der Umwelt gelang es, nicht nur miteinander zu reden, sondern auch gemeinsam zu handeln. Die kirchliche Forstarbeit und manches territoriale Umweltprojekt zeigen das. Wenn wir die ökumenische Tätigkeit der Kirchen bedenken, so erkennen wir hier auch neue Qualitäten. Zunehmend gibt es internationale kirchliche Tagungen, die zur kirchlichen Selbstdarstellung und zum Aufarbeiten theologischer, religiöser und innen63 Anläßlich seines Geburtstagsempfangs. Teilweise abgedruckt in: N D Nr. 200 vom 26.8.1987, S. 3f.
294
Dokument 7
kirchlicher Fragen dienen. Sie erfahren ebenso großzügige staatliche Förderung wie solche Tagungen und Konferenzen der Kirchen, die sich den Problemen des Helsinkiprozesses stellen. Repräsentanten aus der Ökumene schätzen die großen Möglichkeiten kirchlicher Tätigkeit hoch ein und legen zunehmend Wert auf die Erfahrungen der Kirchen des B E K als einer Kirche im Sozialismus. Das fand nicht zuletzt seinen Ausdruck in den interessanten Foren auf dem Kirchentag in Frankfurt am Main 6 4 und beim Dialog in Budapest 65 . Persönlichkeiten aus Politik und Wissenschaft der D D R wirken schöpferisch am Dialog von Christen und Marxisten mit. Der Kirchentag der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg wäre unter anderen Voraussetzungen gar nicht möglich gewesen. Er war ein eigenständiger, würdiger Höhepunkt im Jubiläumsprogramm zum 750jährigen Bestehen Berlins, er bereicherte die gesellschaftliche, politische und auch zwischenmenschliche Entwicklung aus religiöser Sicht und Motivation und gewann gerade dadurch an nationaler und internationaler Bedeutung, weil er sich in das gesellschaftliche Gesamtbild der DDR-Hauptstadt einfügte und sich bewußt nicht als Kontrastprogramm dazu verstand. Nun zu einigen speziellen Dingen: Es wird viel über Probleme der Volksbildung und der Gleichberechtigung der Christen gesprochen. Wir haben klare Grundpositionen, die nach der Verfassung allen Bürgern unabhängig von Weltanschauung und Religion gleiche Rechte und Pflichten garantieren. Christen sind in unserer Gesellschaft nicht nur geduldete, sondern auch geachtete Bürger. Die Tagung des Hauptvorstandes der C D U 6 6 mit Gästen und Staatssekretär Lorenz als Gesprächspartner zu Fragen der sozialistischen Erziehung und Bildung zeigte deutlich, daß es nicht um ein Tabuprinzip im Sozialismus geht. Kirche und Schule sind getrennt, aber hier hat das Gespräch von Christen und Marxisten begonnen. Es begann nicht aus einer Konfrontation heraus - wie das leider bei kirchlichen Aktivitäten oft noch zu verzeichnen ist - sondern aus dem Willen, die Grundkonzeption zu verstehen und bestehende Probleme zu erkennen, damit sie einer Lösung zugeführt werden können. Wir betrachten die Möglichkeit, offene Probleme durch Eingaben deutlich zu machen, nicht als Einzelfallklärung, sondern als legitime Methode, auftretende Fragen zu benennen und über die staatlichen Ordnungen bei Fallentscheidungen die gesetzlich rechtmäßige Situation herzustellen. Hier vollzieht sich ein selbstverständlicher Prozeß der Ausgestaltung echter sozialistischer Demokratie. Man sollte diesen Weg darum nicht genug schätzen, es ist prinzipielle politische Praxis und noch nie wurden so viele Einzelund Grundfragen damit im Zusammenhang geklärt wie in den letzten Jahren. So meinen wir, den Prozeß der Klärung dieser Fragen fortsetzen zu können mit einem Informationsgespräch zu Fragen des sozialistischen Bildungswesens mit einem Vertreter der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften ebenso wie mit einem Vertreter der Bildungsproblematik, die sich aus der umfassenden Entwicklung von Wissenschaft und Technik, d.h. z.B. der Hochtechnologie ergibt. Vom 17. bis 21.6.1987. Vgl. M . HARTMANN: Anstöße zum Neuen Denken. Möglicherweise ist hier das 2. Seminar „Auf dem Weg zur Theologie des Friedens" in Budapest gemeint, das in Dok. 34 unter dem Stichpunkt „Weitere Aktivitäten der C D U " genannt wird. Das erste Treffen fand vom 17. bis 2 2 . 9 . 1 9 8 4 in Budapest statt. 66 Die XIII. Sitzung des Hauptvorstands der C D U war am 2 9 . 9 . 1 9 8 7 in Ost-Berlin. 64
65
Ausarbeitung der Abt. II der Dienststelle des Staatssekretärs
295
Es ließe sich auch über Themen zur Gestaltung der Schulbücher informieren und darüber Gedanken austauschen. D a wir hier schon über Eingaben gesprochen haben, sei vermerkt, wir wollen in einem Informationsgespräch mit Fachleuten über die Eingaben und ihre Bearbeitung auf diese Form der Realisierung sozialistischer Demokratie eingehen. Seit längerer Zeit sorgen sich kirchliche Vertreter um das Gewissen und Wohlergehen junger Soldaten der NVA. Obwohl die Mehrzahl der jungen Wehrpflichtigen, die Christen sind, ihrem Wehrdienst selbstverständlich nachkommen, erwecken manche Aktionen und Papiere aus kirchlichen Kreisen den Eindruck, daß nur Wehrdienstverweigerer oder eventuell noch Bausoldaten gute Gläubige sind. Es drängt sich die Frage auf, wie hier die Prioritäten der seelsorgerlichen Verantwortung vom Staat verstanden werden sollen. Das Ministerium für Nationale Verteidigung hat bereits 1964 aus Einsicht in die Notwendigkeit der Gewährleistung von Glaubens- und Gewissensfreiheit die Baueinheiten geschaffen 67 , und der damalige Minister für Nationale Verteidigung, Heinz Hoffmann, hat in Mührau, d.h. vor Ort viele offene Probleme geklärt. Auf alle Fragen wurde und wird unverzüglich reagiert. Dieses besonnene Reagieren auf oft komplizierte menschliche Beschwernisse ist unseres Erachtens besser, und bewährt sich zunehmend, als wenn einige Leute versuchen, die Bausoldatenanordnung und die staatlichen Maßnahmen dazu in Mißkredit zu bringen. Der übergroße Anteil der Bausoldaten arbeitet bereits in zivilen ökonomischen Bereichen, aber das richtet sich nach den jeweiligen Notwendigkeiten. Seit mehreren Jahren gibt es keine Verurteilungen mehr wegen Wehrdienstverweigerung, dafür großzügiges Entgegenkommen bei persönlichen Problemen und kirchlichen Sonderwünschen. Diese Seite der Probleme der Verteidigungsbereitschaft ist für uns eingefügt in die Grundkonzeption, daß die D D R auf der Grundlage der Verfassung dem Frieden verpflichtet ist. Der sozialistische Staat hat ein Recht darauf, daß seine Bürger ihn verteidigen. Sollten sich kirchliche Vertreter nicht auch dieser Problematik verstärkt stellen, denn 1982 hat die Synode des BEK 6 8 ja in diesem Sinne votiert. Wir werden in einem Informationsgespräch zur Militärdoktrin der sozialistischen Länder mit verantwortlichen Vertretern der NVA Gelegenheit haben, auch diesen Fragenkomplex zu besprechen. Zu den Fragen der Atomsicherheit waren wir bereits im Gespräch und haben auch hier die auftretenden Probleme offen und konstruktiv behandelt. Wir setzen also auch solche Informationsgespräche aus den unterschiedlichsten Wissens- und Lebensbereichen kontinuierlich fort. Die gute Praxis der breiten Berichterstattung über kirchliche Veranstaltungen und Anlässe werden wir fortsetzen. Sie hat sich bewährt, trägt den Interessen der Gläubigen Rechnung und ist ein Teil des großen politischen Dialogs. Die Kirchenzeitungen in der D D R zeigen ein breites Spektrum der Informationstätigkeit. Wir werden Gelegenheit schaffen, zu den damit im Zusammenhang stehenden Fragen in einem Sachgespräch und Meinungsaustausch zusammenzukommen. Der Verteidigungsrat der D D R ordnete am 7.9.1964 die „Einrichtung der Baueinheiten" an. Die Synode tagte vom 24. bis 2 8 . 9 . 1 9 8 2 in Halle. Auszugsweiser Abdruck des KKL-Berichts und des Beschlusses zur Friedensverantwortung der Kirchen in: GEMEINSAM UNTERWEGS, S. 247-250. 67
68
296
Dokument 7
Es gibt aber auch Kräfte in den Kirchen, die diesen erfolgreichen Weg der umfassenden und gleichberechtigten Einbeziehung aller Bürger in die Lösung der Ziele der sozialistischen Gesellschaft und die weitere Ausgestaltung der konstruktiven Staat-KircheBeziehungen stören wollen. Sie sind bekannt und beschäftigen, meist unterstützt und motiviert durch westliche Medien, Kirchenleitungen ebenso wie staatliche Organe. Negative Kräfte aus der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg haben ausgehend von den Aktivitäten des Synodalen Fischbeck im Frühjahr 198769 eine umfangreiche Gesprächsführung mit den BEK-Synodalen begonnen, dazu mehr als hundert Eingaben an die Synode organisiert, in denen umfassend Ein- und Ausreisefreiheit für die D D R gefordert wird. Sie wollen, bestimmte Diskussionen unter der Bevölkerung nutzend, die Synode dazu mißbrauchen, gezielte Angriffe gegen die Politik der D D R in der Menschenrechtsfrage zu führen. Für diese neue Störkampagne gegen die Politik der Vernunft und des Realismus gilt, was für alle solche Aktionen Gültigkeit hat. Aus Konfrontation, Illusionen, Verzerrungen und Diffamierung der sozialistischen Gesellschaft lassen sich keine konstruktiven Lösungen finden. Sie ordnen sich ein in Formen des Kalten Krieges, aber nicht in den großen politischen Dialog. Es wird in vielen Fragen weiterhin Probleme, natürlich auch Gegensätze geben, aber wir müssen in gemeinsamem Interesse verhindern, daß sie zu Konfrontationen und Provokationen führen. Es ergeben sich folgende Maßnahmen: 1. Staatssekretär Genösse Dr. Gysi führt ein Gespräch mit Bischof Dr. Leich70 und Präses Dr. Gaebler, als den beiden Verantwortlichen für BEK und Synode, um unseren Standpunkt noch einmal zu erläutern und konkrete Angebote für die weitere Gesprächsführung zwischen Staat und Kirche zu machen. 2. Mit dem Präses der Synode Dr. Gaebler wird ein weiteres Gespräch durch Genossen Dr. Wilke geführt, um zu versuchen ihn in seinen Positionen zu festigen. 3. Die AG Kirchenfragen im ZK der SED berät mit dem Stellvertretenden Vorsitzenden der C D U , Wolfgang Heyl, damit er mit den Synodalen des BEK, die Mitglieder der C D U sind oder durch sie positiv zu beeinflussen sind, Gespräche führt. 71 4. Der Stellv. Minister für Hoch- und Fachschulwesen, Genösse Prof. Dr. Engel, führt mit den beiden Synodalen, die Professoren der Theologie an den staatlichen Sektionen sind, ebenfalls ein Gespräch. (Prof. Dr. Hertzsch, Jena / Prof. Dr. Kiesow, Rostock) 5. Die Stellvertreter für Inneres bzw. deren Sektorenleiter in den Räten der Bezirke führen Gespräche mit ausgewählten einflußreichen Synodalen und informieren über Ergebnisse und Tendenzen sofort den Staatssekretär.72 6. Um die konstruktive Berichterstattung über politisch bedeutsame Veranstaltungen fortzusetzen, wird außer einem Journalisten und einem Bildreporter des ADN, die „Aktuelle Kamera" an der gesamten Tagung teilnehmen. So kann nicht nur eine 69 Gemeint ist die Einbringung der .Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" auf der Berlin-Brandenburgischen Frühjahrssynode vom 24. bis 28.4.1987. 70 Das Gespräch Gysis mit Leich fand am 5.9.1987 statt. Vgl. Dok. 8. 71 Vgl. Darstellung, Kap. 3.2.1 und 3.2.6. 72 Vgl. Kap. 3.2.4 der Darstellung.
Aktennotiz Leichs über ein Gespräch mit Staatssekretär Gysi
297
objektive und den gesellschaftlichen Entwicklungen in der D D R Rechnung tragende Berichterstattung erfolgen, sondern auch demonstrativ ein Gegengewicht gegen die westlichen Medien geschaffen werden. 73 7. 8.
Auf Antrag werden durch das MfAA die akkreditierten Journalisten zur Berichterstattung zugelassen. An der Synode in Görlitz nimmt Genösse Dr. Wilke teil. Er wird vom Sektorenleiter Staatspolitik in Kirchenfragen beim Rat des Bezirkes Dresden, Genossen Dr. Lewerenz, begleitet. In Görlitz wirkt während der Synode eine operative Arbeitsgruppe 74 , die auch die Information der zentralen Organe sichert und die abschließende Information vorlegt.
DOKUMENT 8
Aktennotiz Leichs über ein Gespräch mit Staatssekretär Gysi am 5. September 1987. Eisenach, 7. September 1987 EZA Berlin, 101/93/6; mit Vermerk: „Abschrift: Bund der Evangelischen Kirchen [...] Oberkirchenrat Ziegler [...] mit der Bitte um Kenntnisnahme [...] gez. Dr. Leich ". Am Donnerstag, dem 3. September 1987, ruft Staatssekretär Gysi in Eisenach an und teilt mit, daß er mich während meines Aufenthaltes zum Wochenende in Berlin dringend sprechen müsse. Da ich durch die Teilnahme am letzten Abschnitt des Pilgerweges75 am Freitag erst spät nach Berlin komme und an der Konferenz der Kirchenleitungen noch teilnehmen will, bleibt als einziger Termin eine Stunde vor Beginn der Konferenz der Kirchenleitungen am Samstag, dem 5. September 1987. Es wird verabredet, 7 . 3 0 Uhr im Johannishof gemeinsam zu frühstücken und dabei die wichtigen Fragen zu besprechen. Ich finde mich zur verabredeten Zeit ein. Staatssekretär Gysi wartet bereits auf mich. Er trägt folgendes vor. Er habe sich von seinen Mitarbeitern einmal auflisten lassen, was in der letzten Zeit an Fortschritten im Verhältnis von Staat und Kirche, auch in konkreten Erledigungen, geschehen sei. Dies sei eine große Liste, und man könne sagen, das Verhältnis habe sich weiterentwickelt. Exemplarisch weist er auf folgende Tatbestände hin. Die Steuerfreiheit eines Jahresendbetrages ist genehmigt worden. Das Zögern hing damit zusammen, daß das Politbüromitglied Mittag befürchtete, daß dadurch Präzedenzfälle für andere Gruppen geschaffen würden. Weiter sei genehmigt, daß die Mitarbeiter evangelischer Verlage in ihren Gehältern den Mitarbeitern anderer Verlage angeglichen werden könnten. Die Informationspolitik sei geändert und durchgestellt. Ziel 73 Das Team der „Aktuellen Kamera" reiste nach dem 1. Tag in Görlitz wieder ab. Vgl. Darstellung, Kap. 5. 74 Die „Arbeitsgruppe Bundessynode" setzte sich zusammen aus Vertretern der ZK-Arbeicsgruppe Kirchenfragen, der Dienststelle des Staatssekretärs frir Kirchenfragen, des R d B Dresden und des RdS Görlitz. Vgl. auch D o k . 1 8 / 1 - 3 .
" Im Rahmen des Olof-Palme-Friedensmarsches in der D D R .
298
Dokument 8
sei, kirchliches und religiöses Leben in der D D R als Normalität gesellschaftlichen Lebens in den Medien darzustellen. Die Totalverweigerer würden weiterhin nicht zum Wehrdienst eingezogen, um Konfliktfälle zu vermeiden. Innerhalb des Bildungswesens müsse man die Bereinigung von Einzelfällen auch in einem größeren Zusammenhang sehen. Die Einzelfälle dienten als Hebel für grundsätzliche Regelungen. Sodann führte der Staatssekretär aus, er sähe im Verhältnis von Staat und Kirche eine innere Entwicklung. Während bisher die gemeinsame Basis der Einsatz für die Erhaltung des Friedens unter den Völkern gewesen sei und natürlich auch bleibe, käme jetzt die Frage der Grundwerte des Lebens hinzu. Er vermutet, daß es bei Gesprächen in diesem Fragenbereich ebenfalls gemeinsame Ausgangspunkte geben werde. Sodann bietet er zur Durchführung noch im zweiten Halbjahr 1987 vier Informationsgespräche76 an. Der Begriff Informationsgespräche bedarf der Interpretation. Er ist das Gefäß für Gespräche von Mitgliedern der Konferenz der Kirchenleitungen, vorwiegend des Vorstandes, mit dem Staatssekretär unter Hinzuziehung von leitenden Mitarbeitern anderer Ministerien oder Institutionen. Staatssekretär Gysi erläutert den Begriff Informationsgespräch an dem ersten vorgeschlagenen Gespräch über Wehrdienstfragen. Er habe mit dem Minister für Nationale Verteidigung, Keßler, gesprochen. Dieser habe ihm gesagt, er könne selbst nicht mit dem Vorstand der Konferenz der Kirchenleitungen verhandeln. Aber der Staatssekretär für Kirchenfragen könne dies tun in Gegenwart von Generalleutnant Brunner [Brünner]. Als Ausgangspunkt des Informationsgespräches solle die neue Militärdoktrin dienen. Dann aber sollten von der Kirche alle anliegenden Fragen benannt werden, bishin auch zur Frage des zivilen Wehrersatzdienstes. Und es könnten Gespräche darüber stattfinden, wie Lösungen denkbar seien. Die Entscheidung selbst wird dann im Ministerium getroffen. In dieser Interpretation des Informationsgespräches schlägt der Staatssekretär folgende Themen vor. 1.
ein Gespräch über Wehrdienstfragen in Gegenwart von Generalleutnant Brunner [s.o.], der für Bausoldaten zuständig ist77 ein Gespräch über Fragen des sozialistischen Bildungswesens unter Hinzuziehung von Mitarbeitern der pädagogischen Akademie ein Gespräch über die Gestaltung von Schulbüchern Dabei solle auch die Rahmenordnung für Kindergärten angesprochen werden. ein Gespräch über Eingabenbearbeitung und Durchsetzung der sozialistischen Demokratie unter Hinzuziehung des Vorsitzenden des Eingabenausschusses der Volkskammer.
2. 3. 4.
Diese vier Themen, die weitere Themen für später nicht ausschließen, werden verbindlich zugesagt. Es wird verabredet, daß die Vorbereitung der Gespräche durch die Sekretariate erfolgt. Als erstes Gespräch sollte das über Wehrdienstfragen stattfinden. Die Reihenfolge der anderen angebotenen Gespräche kann zwischen den Sekretariaten nach Absprache mit dem Vorstand der Konferenz bzw. dem Staatssekretär festgelegt werden. Nachr[ichtlich]: Leich [m.p.] 76
Zum Wehrdienst, zum sozialistischen Bildungswesen, zur Schulbuchgestaltung und zur Eingabenbearbeitung. 77 Vgl. U. KOCH/G. NEUGEBAUER: Die Evangelische Kirche in der Auseinandersetzung mit der Wehrdienstpolitik der SED.
Vermerk Kraußers
299
DOKUMENT 9
Vermerk Kraußers: „Festlegungen aus der Beratung mit Genossen Jarowinsky vom 8.9.1987". Berlin, 11. September 1987 SAPMO Berlin, DY 30/IV Β 2H4/9, S. 8-10. Teilnehmer:
1.
-
2.
Genösse Genösse Genösse Genösse
Gysi Wilke Baron Kraußer
Das Argumentationsmaterial zur Gesprächsführung mit weiteren Bundessynodalen78 ist nochmals zu überarbeiten. Hauptrichtung sollten die prinzipiellere Darstellung unserer Politik in Kirchenfragen und der dabei in den 80er Jahren erreichte Stand sein. Es geht nicht um eine Auflistung aller Details und Einzelmaßnahmen, sondern um die Richtung, die Diktion, die Grundaussagen, die sich voll in unsere Gesamtpolitik einordnen. Stärker herauszuarbeiten sind noch folgende Gedanken: der Zusammenhang von Kirchenpolitik und den neuen Herausforderungen (Frieden, Umwelt, „dritte Welt"), die vor der Menschheit stehen; die konstruktive Rolle, die Schönherr, Hempel und Leich bei der kirchlichen Standortfindung gespielt haben. Die heutige Zeit ist eine Zeit neuer Herausforderungen und damit auch besonderer Verpflichtungen und Chancen für die Kirchen selbst. Es hat sich bewährt und als eine wichtige Grundlage erwiesen, daß gegenseitige Berechenbarkeit, Verläßlichkeit und Zuverlässigkeit gesichert sind. Durch die Entwicklung bestätigt fühlen sich die Bürger christlichen Glaubens und die Mehrzahl der kirchlichen Amtsträger - nicht die wenigen Ausnahmen, die stören wollen und denen die ganze Richtung nicht paßt. Es sind noch einmal alle Möglichkeiten zu prüfen, um Eingaben an die Synode zu initiieren und Gespräche mit weiteren Synodalen zu führen, so mit Dr. Nollau Hirsch Dr. König Ing. Krause Althausen Lättich [Lättig] Diakon Schirmacher Rechtsanw. Huhn
Dresden Stralsund Erfurt Berlin Berlin Aschersleben Leipzig Leipzig
Verantwortlich:
Genösse Gysi AG Kirchenfragen
78 Vgl. das 30seitige Argumentationsmaterial, das am 7.9.1987 in der Abt. II beim Staatssekretär für Kirchenfragen unter dem Titel „Information und Maßnahmeplan in Vorbereitung auf die Synode des BEK vom 18.-22. September 1987 in Görlitz" erstellt wurde (BArchü D O 4 STS f. Kirchenfragen Nr. 983).
300 3.
Dokument 10 Genösse Gysi übermittelt eine Notiz über sein Gespräch mit Landesbischof Leich79 im Vorfeld der Bundessynode sowie sein Gespräch mit O K R Lewek80 über den bisherigen Verlauf des Olof-Palme-Friedensmarsches und die weiteren Erwartungen. Verantwortlich:
4.
Genösse Gysi
Die Vorlage zur Vorbereitung und Durchführung des Gedenkens „50 Jahre faschistische Pogromnacht" ist fertigzustellen und vorzulegen. Verantwortlich:
AG Kirchenfragen
5. Über die Einführung des Rabbiners Isaac Neumann sowie den Besuch der Delegation des amerikanischen jüdischen Komitees sind kurze Notizen an Genossen Jarowinsky zu übermitteln. Verantwortlich:
Genösse Gysi
Genösse Jarowinsky stellte in diesem Zusammenhang fest, daß die Arbeit mit den Kleinen Religionsgemeinschaften noch nicht befriedigend ist und sie im Sinne einer differenzierten Arbeit noch mehr Aufmerksamkeit erfordert. P[eter] Kr[außer] [m.p.]
DOKUMENT 10 Aufzeichnung Wegners81 über ein Gespräch mit Harder am 9. September 1987. [Rostock, ohne Datum] BStU Berlin (ASt Rostock), 14155/90,
S. 68-73; hsl. Aufzeichnung; nicht gezeichnet.
Dokument SED - SPD'2 auf der KKL-Sitzung nicht angesprochen wahrscheinlich eine Passage des Dokuments oder zur Tatsache des Dokuments im KKL-Bericht an die Synode aufnehmen, weil einfach die Tatsache als solche, daß über die ideologische Grenze innerhalb Deutschlands hinaus, sich zwei führende Parteien, die zwar relativ nah beieinanderstehen und verschiedenen Gesellschaftssystemen angehören, sich verständigt haben und auch zu substantiellen Ergebnissen gekommen sind, bilden einen Wert an sich, unabhängig, wie man das inhaltlich sieht Austausch innerhalb der KKL fand aufgrund Neuigkeitswert noch nicht statt H. hat Dokument selbst erst einmal gelesen, muß intensives Quellenstudium betreiben zur Erschließung des Dokumentes Das Gespräch Gysis mit Leich fand am 5.9.1987 statt. Vgl. Dok. 8. Zu der - später verfaßten - schriftlichen Information über zwei Unterredungen Gysis mit C. Lewek vgl. Dok. 13. 81 Der Autor wurde von den Verf. erschlossen; Wortlaut originalgetreu. 82 VORSTAND DER S P D (Hg.): Der Streit der Ideologien. 79
80
Aufzeichnung Wegners -
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geht davon aus, daß bei einem Treffen der Chefs der Konsistorien 8 3 und der Bischöfe im Herbst sich inhaltlich dazu verständigt wird nach erstem Betrachten liegt Wert im Vorgang an sich, daß erstmals von beiden Seiten Hürden übersprungen worden sind und sich zu ideologischen Grundfragen beider Parteien öffentlichkeitswirksam auseinandergesetzt haben, denen man Jahrzehnte aus dem Weg gegangen ist. gut für D D R — und Bundesbürger Positionen jetzt alle klar, sehr bedeutungsvoll wäre schön, so etwas mit Regierungspartei der B R D machen zu können, ist aber frommer Wunsch aber insofern ist Besuch von E.H. 8 4 äußerst bedeutungsvoll, da er ja a u f Einladung einer C D U - R e g i e r u n g in der B R D weilt und auch gerade CDU-regierte Länder besucht, dieser Fakt ist von besonderer Bedeutung, hat aufmerksam die B E in D D R - und Westmedien aktuell verfolgt dokumentiert Weltöffentlichkeit Existenz zweier souveräner Staaten auf deutschem Boden, die einen Beitrag für den Frieden in Europa leisten wollen, findet dies sehr gut schlägt zurück auf die innenpolitische Landschaft in der D D R ist für ihn Beweis eines proklamierten „Neuen Denkens" auch in der D D R aber die Leute, die Forderungen nach Perestroika etc. bei unserem Staat einklagen, die sind, die diese Entwicklung nicht zur Kenntnis nehmen wollen sieht, daß sich in unserer politischen Landschaft viel bewegt, auch im Vergleich längerer Zeiträume die Leute, die auf Kontra aus sind, verbauen sich selbst den Blick, man ihnen oft mühsam klar machen muß, daß es eine positive Entw. gibt bei uns Besuch wäre vor 10 Jahren oder auch vor 1 Jahr noch unvorstellbar gewesen; Beweis, daß sich viel bewegt hat findet sehr gut, daß B E in unseren Medien ohne Abstriche erfolgt, z.B. vollständiger Abdruck des Toastes von Kohl 8 5 Rede von Kohl stilistisch brillant gemacht, hat alle seine Ansichten und Forderungen untergebracht, weder die Opposition von links oder rechts ( C S U ) , daß ein Problem aus B R D Sicht nicht angebracht hätte durch Abdruck vollen Wortlaut ist Möglichkeit einer breiten Auswalzung der Dinge von westdeutscher Seite genommen worden kritisierte, daß Kohl Schwerpunkt auf „innerdeutsche" Probleme gelegt hat, das Wort Abrüstung kaum eine Rolle spielte
KKL / Bundessynode selbst als KKL-Mitglied für den KKL-Bericht diesen Jahres würde sich eine vorzeitige Beschaffung nicht lohnen einige Dinge werden drin sein, aber es ist ein „Mäusemelkengeschäft", diesen Be83 Bei einer Chefbesprechung am 1.10.1987 in Berlin war es Harder, der um eine „erste Auswertung der Bundessynode (insbesondere Verhältnis Synode/KKL)" bat (EZA Berlin, 101 /93/774, S. 2). 84 Vom 7. bis 11.9.1987. 85 Das gemeinsame Kommunique Honeckers und Kohls ist kommentiert und auszugsweise abgedruckt in: N D Nr. 212 vom 9.9.1987, S. 1-2.
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Dokument 10 rieht zu machen, doch, einiges wie ,Sie' es erwarten ist schon drin, aber gerade zur Friedensproblematik ist keine Formulierung drin wo man sagen könnte: das ist es der Entstehungsprozeß war dieses Jahr so kompliziert und wenig effektiv, wer ist auch bereit innerhalb der KKL, wo die Meinungen so weit auseinandergehen, sich so zu dekuvrieren, daß er einen geschlossenen Bericht vorlegt, innerhalb der KKL gingen die Meinungen so weit auseinander und solche extremen Positionen auch mit solcher Härte vertreten werden, nicht nur in politischen, auch von oben und unten, einige Synodale grundsätzlich der Meinung, daß die Vertreter der KL zu wenig Sachkompetenz zu bestimmten Fragen besitzen, daß sie sich gar nicht äußern dürften, aber wenns ums Papier dann geht, wird auf die Hauptamtlichen zurückgegriffen; es wird mit unlauteren Mitteln in der KKL gekämpft, jeder sieht zu, wie er seine Positionen einbringen kann
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gespannt wie BE-DDR Medien von BS86 sich gestaltet, Kirche sollte auch hier stärker als Normalität im Soz. dargestellt werden BE sollte so sein, daß man sich tatsächlich Bild vom Verlauf machen kann - wäre sehr gut und würde Verdrehung durch Westmedien Riegel vorschieben stimmte zu, daß Abstimmung zwischen Synodalen und Journalisten vorab über Inhalt ihrer Ausführungen erfolgt
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erstaunlich, daß überhaupt noch ein halbwegs ordentlicher Bericht zustande gekommen ist demgegenüber ist Erstellung KL-Bericht ELKG ein Kinderspiel dagegen, weil ein hohes Maß an Ubereinstimmung in KL herrscht, gibt einen klaren Rahmen, Behandlung der 12 KL-Sitzungen ewig diese Diskussionen über Zusammenwachsen der 8 Gliedkirchen - H. möchte diese Dinge beendet wissen großer Dissens darüber, ob Bund noch mehr basiswirksam werden muß;
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Einflußnahme aufBRD-Kirche in Friedensfrage aktuelle polit. Entw. wird sicherlich Kontakte erleichtern sehr kompliziert, z.B. staatl. Erwart.haltung gegenüber Parteien in BRD auszuwerten, denn wenn man dort noch gehört werden will, man immer deren Positionen in Öffentlichkeit berücksichtigen muß wenn wir Korsettstangen in Sachen Abrüstung einziehen wollen, müssen wir beachten, daß Funktionäre WD 87 -Kirche wie auch vom Kirchenvolk wenig Neigung besteht, sich von uns viel sagen zu lassen - wenn man was bewirken will, muß man dies berücksichtigen KKL Mehrheit KKL-Mitglieder vertritt Auffassung, daß Bund sich an die Gemeinde wenden müßte (absoluter Quatsch) H. + weitere Chefs: zwischen Gemeinden u. Bund stehen Lk'n88, Bund kann nicht mit LK'n in Konkurrenz treten 86 87 88
Bundessynode. Westdeutsche. Landeskirchen.
Aufzeichnung Wegners -
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weiterhin Vorbehalte zum abstrichslosen Ja zu wird im Bericht substantielle Äußerungen geben, sind so, klare vernünftige Aussagen zur Friedenspolitik SU Diskussionen um O P F M 8 9 - eigenständiger Beitrag Kirche, einzelne, - einzelne LK deren Eigenständigkeit nicht deutlich genug, ohne daß sie sagen, wie dies aussehen soll, OPFM: sehr hohes Maß an Gemeinsamkeit mit Staat gekommen ist, hohes Entgegenkommen Staat, auch inhaltlich, Staat wurde kirchlicherseits einiges zugemutet, erfolgte Verständigung und Akzeptierung = gutes Ergebnis zustande gekommen
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Verfechter der „Eigenständigkeit" sind durch O P F M in große Verlegenheit gekommen, was sollen sie noch sagen, deshalb wilder und steiler die Attacken klare und deutliche Aussage auf Synode wird erfolgen -
„ K T v U " 9 0 wird auf BS keine besondere Rolle spielen, Diskussion dazu u. Kirche von Unten gab es auf KKL-Sitz. nicht bisher keine konkreten Anzeichen auf Störung BS, ist jedoch nicht auszuschließen H . schätzt ein, daß im Zusammenhang mit Eingaben es keine großen Probleme geben wird
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nächste KL-Sitzung Auswertung K K L durch . . . "
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Verteilung, Aussprache durch H. auf K K L , herrschte große Zustimmung Lewek + Passauer berichteten in gleicher Weise vom O P F M am 15.9.87 erfolgt Einweisung der B-Synodalen' 2 bei H., Informierung, wie Dinge laufen sollen, Anregung zu offensivem Verhalten bei negativen Aktionen; zur BS fahren: sind bei Harder Einweisung
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H. auf K K L vermerkt, daß Plakate insgesamt unangetastet bleiben sehr positiv vermerkt, daß „Schwerter zu Pflugscharen" ohne jede Beanstandung getragen werden konnten H . hat Einflußnahme zugesichert (Korrigierung)
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Olof-Palme-Friedensmarsch vom 1. bis 18.9.1987. Kirchentag von Unten; eine Parallelveranstaltung zum offiziellen Ost-Berliner Kirchentag vom 24. bis 28.6.1987. Vgl. dazu R. HERMANNS: Auf der Suche nach Freiräumen sowie: W. RÜDDENKLAU: Störenfried, S. 1 0 5 - 1 0 9 u n d S . 141 f. " Name durch B S t U geschwärzt. 92 Bundes-Synodalen. Die Namen wurden durch Mitarbeiter der Gauck-Behörde geschwärzt. Vermutlich handelte es sich hier um die Bundessynodalen aus der Greifswalder Landeskirche, die von Harder „eingewiesen" wurden. 90
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Dokument 10
Olof-Palme-Marsch -
Η . teilt Meinung, daß durch das Plakatgerangel diese erst richtig öffentlich wirksam werden H . stimmt zu, daß Plakate zum Austesten der Belastbarkeit der Bez. zum Staat genutzt wurden eindeutig positive Wertung Auftaktveranstaltung in Stralsund, auch durch ausländ. Gäste Gedrängel um Plakate tun dem kein Abbruch Plakat „Keine Schüsse an unserer Grenze" für H . stärkste Provokation
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persönlich bekannte Politik/ Wirtschaft
eng befreundet:
- Berthold Beitz - Rau — Engholm - Barschel Kolitzus Ständ. Vertretung
„ich habe mich mal vom Präsidium absentiert" -
Problemkreis Kontakt MfS:
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H . für jeden Kontakt zu haben, der der Sache dienlich ist kann durchaus passieren, daß es Dinge gibt, die er nicht erzählen kann und Sache nicht dienlich wären, aber „das ist wahrscheinlich wesentlich weniger als man allgemein annimmt"
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„ich bin immer dafür, daß die Motive unseren Handelns (Kirche) auch bei Ihrer Dienststelle bekannt sind „Die Kontakte, die ich bisher zu Vertretern der Staatssicherheit hatte, haben mir den Eindruck vermittelt, daß in Ihrem Dienstbereich ein z.T. erheblich größeres M a ß an Verständnis für unsere Situation besteht (Kirche) als bei unseren staatlichen Parteien. Das muß ich schon mal sagen und das hängt natürlich auch mit der Qualifikation zusammen, die uns da entgegenkommt. Wir sind damit ganz gut gefahren, auch wenn wir es nicht an die große Glocke hängen und auch auf die wichtigsten Dinge beschränken. Jeder Staat hat seinen Sicherheitsapparat und ein Staat wie die D D R braucht diesen besonders nötig. Ich empfinde es als angenehmer, wenn 93
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93
Die Aufzeichnung bricht hier ab.
Vermerk Möhles über ein Gespräch mit Zimmermann
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DOKUMENT 11 Vermerk Möhler'4 über ein Gespräch mit Zimmermann im Pfarrhaus Treuenbrietzen. Jüterbog, 9. September 1987 BLHA Potsdam, Bez. Pdm. Rep. 401 Bezirkstag Nr. Al5308. Am Gespräch nahm auch die Referentin für Kirchenfragen, Genn. Benning, teil. Im Gespräch wurde sofort auf die bevorstehende Bundessynode eingegangen und Pf. Zimmermann befragt, welche Gedanken ihn bewegen, wie er sich als Ausschußvorsitzender auf diese Synode vorbereitet. Z. antwortete, daß diese Synode planmäßig stattfindet und wie die vorangegangene Bilanz ziehen wird. Er kennt angeblich nicht alle Anträge an die Synode, darunter auch nicht den Antrag ,Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" 95 , in dem Forderungen nach „voller Wiederherstellung der Reisemöglichkeiten zwischen Polen und der D D R " , „rechtlich garantierte Reisefreiheit in westliche Länder für alle DDR-Bürger", „die Aufhebung politisch begründeter Einreiseverbote", ein „öffentliches Gespräch über gesellschaftspolitische Veränderungen" usw. gefordert werden, die eine grobe Einmischung in staatliche Angelegenheiten und Kompetenzen darstellen und offensichtlich bei Politikern der B R D ausgeliehen wurden. Z. vertrat den Standpunkt, daß auch Christen als DDR-Bürger ein Recht auf freie Meinungsäußerung hätten und mit diesem Antrag eine Antwort auf sie bewegende Fragen erwarten. Er ist für eine offene Diskussion über diese Fragen. D a ß sich diese Gruppe von Antragstellern an alle Kirchengemeinden wendet und diese auffordert, ähnliche Anträge an die Bundessynode zu stellen, hält Z. für normal, wobei das Thema „Reiseverkehr" ein viel diskutiertes T h e m a unserer Tage ist und im Zusammenhang mit dem Besuch Erich Honeckers in der B R D 9 6 zu sehen ist. Z. hat selbst den Wunsch, seine Kontakte mit einem Pfarrer aus dem Bezirk Opole ( V R Polen) zu vertiefen und wünscht diesen zu besuchen. Auf die bevorstehende Bundessynode eingehend ist Z. der Auffassung, daß die eingebrachten Anträge sicher beraten werden, aber es steht noch nicht fest, wie darüber befunden wird. Er gehört, wie auch der TA Dr. Anders (Meinsdorf) nicht zu den Unterzeichnern des erwähnten Antrages. Zum Austausch von Schülern, Studenten, Lehrlingen usw. zwischen der D D R und der V R Polen vertritt er den Standpunkt, daß es beim Einsatz der Jugendlichen aus der D D R in Polen Probleme gab (ungenügende Vorbereitung durch unsere Organe). Zum Honecker-Besuch in der B R D stellte er die Frage, ob wohl alle Erwartungen, die sich damit bei den Bürgern der D D R verbinden, erfüllt würden. In diesem Zusammenhang wurden die Fortschritte der letzten Jahre in den Beziehungen der beiden unabhängig von einander existierenden deutschen Staaten diskutiert. 94
M ö h l e war der Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres b e i m Rat des Kreises J ü t e r b o g .
95
Vgl. D o k . 3/2.
96
V o m 7 . bis 1 1 . 9 . 1 9 8 7 . Vgl. Η . N . JANOWSKI: Dialektik der Abgrenzung.
306
Dokument 12
Es gab Übereinstimmungen darüber, daß Frieden, Abrüstung und die weitere Verbesserung der Beziehungen untereinander das wichtigste Anliegen der Gespräche und des Handeln sein müssen. Das Gespräch wurde dann nach mehr als einer Stunde auf praktische Fragen gelenkt. Pf. Zimmermann hat den Wunsch, eine Lieferung von Koks zu beantragen und informierte sich darüber, wohin er sich wenden müsse. Bezugnehmend auf den schlechten Zustand des ev. Friedhofes in Treuenbrietzen wurde Z. aufgefordert, seinen Verpflichtungen als Eigentümer gerecht zu werden und umgehend die Ordnung und Sauberkeit, auch im Zusammenwirken mit dem Rat der Stadt Treuenbrietzen (Einsatz der besonderen Brigade), zu verbessern. Im Gespräch entstand der Eindruck, daß Z. einerseits seinen Standpunkt zu den aufgeworfenen politischen Fragen verteidigt und sich als Vermittler zwischen extremen Kräften und der Kirchenführung sieht, andererseits aber auch gegen eine Konfrontation mit dem Staat und seinen Organen auftritt. In einem vorgesehenen Gespräch mit dem Tierarzt Dr. Anders (Meinsdorf), Mitglied des Ständigen Ausschusses „Frieden, Gerechtigkeit und Ökologie" 97 , werden zur Person des Z. weitere Informationen gesammelt. Möhle [m.p.]
DOKUMENT 12
Vermerk Zieglers über ein Gespräch in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kircbenfragen am 10. September 1987. Berlin, 17. September 198798 ΕΖΛ Berlin, 101/93/6. Verteiler: Alle Vorstandsmitglieder, Lewek und Kupas. Teilnehmer: Dr. Wilke - Oberkirchenrat Ziegler 1.
Friedensmarsch Torgau — Riesa Dr. W i l k e teilt mit, daß nach seinen Informationen Herr Krawczyk im Abschlußgottesdienst dieses Marsches in Riesa auftreten will. Das würde eine Belastung des sowieso nicht unproblematischen Vorhabens bedeuten. Er bittet, darauf Einfluß zu nehmen, daß es nicht zu neuen Erschwerungen kommt. Ζ i e g 1 e r sagt zu, das Landeskirchenamt Sachsen zu informieren. (Laut Auskunft von Dr. Domsch handelt es sich um eine Fehlmeldung.) 97
Gemeint ist der Synodalausschuß Frieden, Gerechtigkeit und Umwelt der Berlin-Brandenburgischen Landessynode, dem auch Zimmermann angehörte. 98 Interessant ist ein Vergleich mit einem Vermerk Wilkes vom 17.9.1987 über dieses Gespräch, der — unter anderer Schwerpunktsetzung — sehr viel ausführlicher ausfällt als der Zieglers. Aufschluß über die Bedenken und Prioritäten im Umgang mit der evangelischen Kirche aus staatlicher Sicht geben auch diverse hsl. Bemerkungen Gysis am Rand (BArchP, D O 4 STS f. Kirchenfragen Nr. 1232).
Vermerk Zieglers über ein Gespräch in der Dienststelle des Staatssekretärs 2.
Spezielle Informationsgespräche nach dem 21.5.1987 Dr. W i 1 k e bemängelt, daß die epd-Meldung die Informationen, die der Staatssekretär dem Vorsitzenden gegeben habe, entstellt. Ζ i e g 1 e r erklärt, daß diese Informationen nicht vom Bund ausgegangen seien. Dr. Wilke fragt an, ob der Bund sich nicht an den epd mit der Forderung einer Berichtigung wenden könne. Ziegler nimmt das zur Kenntnis. Dr. W i l k e erläutert, daß der Staatssekretär vor der Bundessynode die Themen nennen wollte, die weiter bearbeitet werden sollen. Es sei jetzt Aufgabe der Sekretariate, die Reihenfolge und die Zeitpläne festzulegen. Leider sei dem Staatssekretär ein Fehler unterlaufen. Für ein Gespräch über Schulbücher gäbe es noch kein grünes Licht. Dies solle auch kein besonderes Gespräch sein. Man sollte jetzt versuchen, es in das Gespräch über Erziehungsfragen im Beisein von Vertretern der Akademie der pädagogischen Wissenschaften einzubeziehen. Vielleicht sei es auch noch möglich, eine Absprache mit dem Verlag Volk und Wissen zu treffen. Außerdem hätte der Staatssekretär vergessen, daß noch zwei weitere Gespräche in Vorbereitung seien: kirchliche Presse und Rechtspraxis. Ζ i e g 1 e r schlägt folgende Reihenfolge für die Gespräche vor: 1. 2. 3. 4.
3.
4.
5.
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Wehrdienstfragen (November 1987?) Eingaben (Dezember 1987?) Erziehungsbereich (Januar 1988) Kirchliche Presse
Dr. W i l k e stimmt dieser Reihenfolge zu. Noch ausstehende Gespräche müßten weiter verabredet werden. Einzelheiten für die nächsten Gespräche wären nach der Bundessynode abzusprechen. Treffen KEK- CCEE>'> vom 28.9. bis 3.10.1988 in Erfurt Dr. W i l k e bittet dringend darum, schleunigst die Zimmerbestellungen aufzugeben, da es sonst zu spät wird. Reiseangelegenheit Dr. Thümmel Dr. W i l k e teilt mit, daß die Sache noch nicht weiter verfolgt werden konnte. Es wird aber daran gearbeitet. Mitteilungsblatt,Homosexuelle und Kirche'100 Dr. W i l k e teilt mit, daß der Zoll das Mitteilungsblatt .Homosexuelle und Kirche' beschlagnahmt hat und zur Stellungnahme an die Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen gegeben habe. In dieser Information sei auch ein Abschnitt über Homosexuelle in der D D R . Die Information würde regelmäßig an die Theologische Studienabteilung (Dr. Punge) und an das Männerwerk (Pfarrer Hilse) gesandt. Dr. W i l k e schlägt vor, diese Einfuhr von Informationen zu legalisieren. Dazu solle der Bund einen Antrag stellen für die Lieferung an die Studienabteilung und an das Männerwerk. Dankbar wäre die Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen, wenn ein drittes Exemplar für die Dienststelle des Staatssekretärs bestellt werden könnte.
" Consilium Conferentiarium Episcopalium Europae (Rat Europäischer Bischofskonferenzen). Vgl. auch M . HARTMANN: Als abartig verdammt - zur Ordination berufen?
100
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D o k u m e n t 12 Bundessynode D r . W i 1 k e fragt, o b brisante T h e m e n zu erwarten seien. Ζ i e g 1 e r verweist a u f das der Dienststelle des Staatssekretärs b e k a n n t e P r o g r a m m . Dr. W i l k e weist d a r a u f hin, d a ß die Frage, o b das D D R - F e r n s e h e n filmen werde, n o c h nicht entschieden sei.
6.
Ziegler bittet, d a ß das schnellstens geklärt w ü r d e , d a m i t das Präsidium seine E n t s c h e i d u n g e n treffen könne. 7.
Lutherhalle Wittenberg Ζ i e g 1 e r weist a u f Besorgnisse innerhalb der K i r c h e hin, d a ß nach d e m Ausscheid e n v o n D r . B e e s k o w eine u n b e f r i e d i g e n d e L ö s u n g f ü r die L e i t u n g der Lutherhalle in W i t t e n b e r g g e f u n d e n werde. M a n m ü s s e b e d e n k e n , welch eine internationale A u s w i r k u n g es h a b e n w ü r d e , w e n n kein T h e o l o g e f ü r diese A u f g a b e eingesetzt w ü r de. N ä h e r e E r l ä u t e r u n g e n zu dieser Frage k ö n n e H e r r Präsident Dr. W i n t e r geben. Dr. W i l k e n i m m t dies zur K e n n t n i s u n d sagt zu, daß er sich k u n d i g m a c h e n werde.
8.
Thomas-Müntzer-Gedenken 1989 Ζ i e g 1 e r fragt erneut, wie es m i t d e n Vorbereitungen des T h o m a s - M ü n t z e r G e d e n k e n s a u f staatlicher Seite stehe. D r . Z e d d i e s sei bereit, A u s k u n f t über die kirchlichen Vorstellungen u n d Vorbereitungen zu geben. Dr. W i l k e sagt K l ä r u n g zu u n d verweist a u f Prof. Dr. D o h l e .
9.
Reise des Staatssekretärs nach Genf Ζ i e g 1 e r fragt z u m wiederholten M a l e an, o b der Staatssekretär der E i n l a d u n g des Generalsekretärs Dr. C a s t r o folgen werde. Er stelle diese Frage besonders in A n b e tracht der i h m b e k a n n t g e w o r d e n e n Reise v o n Dr. Will u n d Dr. H a n d e l nach G e n f . D r . W i l k e erklärt, d a ß die Vertreter der Dienststelle des Staatssekretärs erst a m k o m m e n d e n D i e n s t a g z u r ü c k k o m m e n w ü r d e n . E s sei bisher n o c h nicht geklärt, o b Dr. G y s i wirklich fahre. (In e i n e m G e s p r ä c h a m 1 6 . 9 . 1 9 8 7 ließ D r . Will durchblikken, d a ß D r . G y s i E n d e N o v e m b e r , u m den 2 8 . 1 1 . 1 9 8 7 h e r u m G e n f b e s u c h e n werde.)
10.
FDGB-Statut Ζ i e g 1 e r erläutert, d a ß d e m B u n d eine E i n g a b e vorliege, in der A n s t o ß daran g e n o m m e n w ü r d e , daß i m Statut des F D G B die Verpflichtung zur Verbreitung der W e l t a n s c h a u u n g des M a r x i s m u s - L e n i n i s m u s v o n den Mitgliedern gefordert werde. D i e s k ö n n e sich zu einem Streitpunkt zwischen Kirche u n d F D G B entwickeln. E s wäre deshalb ratsam, rechtzeitig K l ä r u n g e n herbeizuführen. Dr. W i l k e n i m m t dies zur K e n n t n i s u n d sagt weitere K l ä r u n g zu.
11. Klausurtagungen der Konsultationsgruppe 1988m Ζ i e g 1 e r k ü n d i g t an, daß die K o n s u l t a t i o n s g r u p p e die A b s i c h t habe, 1 9 8 8 zwei K l a u s u r t a g u n g e n zu halten in der bisherigen Weise. E i n e K l a u s u r t a g u n g sei v o m 1. bis 4 . 5 . 1 9 8 8 i m R h e i n l a n d vorgesehen, eine zweite v o m 2 5 . bis 2 8 . 9 . 1 9 8 8 in M e i -
101
In der 1969 gebildeten Beratergruppe kamen regelmäßig kirchenleitende Persönlichkeiten
aus d e m Bereich von B E K und E K D zu Konsultativgesprächen z u s a m m e n . Vgl. A. SCHÖNHERR:
...aber die Zeit war nicht verloren, S. 297f.
309
Vermerk Gysis
ßen. Er bitte wie in den Vorjahren Ausreise und diesmal auch die Einreise der EKDVertreter zu ermöglichen. Dr. W i 1 k e sagt Klärung zu gegebener Zeit zu. gez. Ziegler
DOKUMENT 13
Vermerk Gysis: „Information über Gespräche des Staatssekretärs mit Frau Oberkirchenrätin Lewek am 10. und 14.9.1987". Berlin, 17. September 1987 BArchP, DO 4 STS f . Kirchenfragen Nr. 1437. Die Gespräche fanden auf meine Initiative statt. 102 Ich ging aus von der Teilnahme von Landesbischof Leich, Oberkirchenrätin Christa Lewek, Pfarrer Passauer und damit von der offiziellen Beteiligung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der D D R am Olof-Palme-Friedensmarsch 103 . Ich ließ mich von Frau O K R Lewek über ihre Eindrücke informieren und kam auf den sogen, „stillen Pilgerzug" zwischen den bekannten Kirchen in Berlin-Prenzlauer Berg zu sprechen. Unter Hinweis auf die Plakate erläuterte ich, daß eine solche demonstrative Veranstaltung weder mit dem Olof-Palme-Marsch noch mit dem religiösen Anliegen der Kirche, ihrer sonst so betonten religiösen Eigenständigkeit irgend etwas zu schaffen habe. Das einzige denkbare Ziel einer solchen Aktion sei doch offenbar die Störung des konstruktiven Verhältnisses zwischen Staat und Kirche und entspräche in keiner Weise der Funktion der Kirche in unserer sozialistischen Gesellschaft. Frau O K R Lewek war bei diesem T h e m a äußerst gereizt. Sie sagte, daß die Konferenz der Ev. Kirchenleitungen sich sehr ernst mit diesem T h e m a befassen müsse. Es sei eine bewußte und deutliche Demonstration gegen die Leitung des BEK gewesen, insbesondere gegen Landesbischof Leich, gegen sie und viele andere. Im übrigen seien an diesem Marsch auch einige Hundert sehr gutwillige Jugendliche beteiligt gewesen, die das Beste gewollt hätten, aber einfach mitgelaufen wären, ohne zu wissen, wie sie politisch mißbraucht werden. Pfarrer Passauer hätte bei seinen Verbindungen zur sogenannten Kirche von unten und diesen sogen. Randkreisen offensichtlich nicht verstanden, sie in richtiger Weise einzubinden. Auf alle Fälle sei es ein Zeichen wachsender Polarisierung innerhalb der Kirche. 104
102 Vgl. Dok. 9. Ein Gespräch Gysis mit C. Lewek war in einer Zusammenkunft mit Jarowinsky unter Punkt 3. festgelegt worden. 103 Vom 1. bis 18.9.1987. Vgl. M. Herrmann: Ein Stück „Glasnost" - um des Friedenswillen. '0,t Vgl. dazu auch den Bericht Passauers während der Bundessynode, Kap. 4.3.2, S. 123f. dieser Darstellung. In ihrer Sitzung vom 6.17.11.1987 kam die KKL nach dem Bericht Domkes, Leweks und Passauers über den Friedensmarsch zu einem positiven Ergebnis (Abdruck des Protokolls als Dok. 30). Vgl. dazu Kap. 5.1.2, S. 154.
310
Dokument 14
In einem weiteren Gespräch mit Frau OKR Lewek habe ich sie noch einmal darauf aufmerksam gemacht, daß eine gute Rede von Pfarrer Passauer zum Abschluß des OlofPalme-Friedensmarsches auch gute Konsequenzen haben könne und dazu helfen würde, diese in ihrer Form erstmalige Beteiligung des BEK an einer großen offiziellen gesellschaftlichen Veranstaltung erfolgreich abzuschließen. Darüber hinaus wäre es gut, wenn die Kirchenleitungen genau im Auge behielten, was sich an weiteren Aktivitäten in ihrem Namen unter Berufung auf den Olof-Palme-Marsch abspielt. Die Gespräche mit Frau Oberkirchenrätin Lewek zeigten - wie immer - volle Übereinstimmung. Gysi [m.p.]
DOKUMENT 14 Aufzeichnung Voigts105: „Information zum Gespräch des Stellvertreters für Inneres, Gen. Pöhner, mit Kirchenpräsident E. Natho am 14.9.1987 im Gästehaus des Rates des Bezirkes". Halle, 15. September 1987 BArchP, DO 4 STS f . Kirchenfragen Nr. 1477. In gegenseitiger Abstimmung wurde dieses Gespräch unter Teilnahme von OKR S. Schulze sowie Gen. Voigt zur Behandlung aktueller Fragen und zur kontinuierlichen Fortsetzung des Kontaktes geführt. In der Zusammenkunft, die sich auf - den offiziellen Besuch des Staatsratsvorsitzenden, Gen. Honecker, in der BRD 106 ; - aktuelle Fragen hinsichtlich der bevorstehenden Bundessynode107; - vorgesehene Auftritte des Liedermachers Krawczyk in Bernburg 108 sowie weitere Einzelfragen bezog, äußerten die kirchlichen Amtsträger weitgehend realistische, progressive Standpunkte, die das Bemühen erkennen ließen, politische Vorgänge richtig zu werten, innerkirchliche Abläufe von mißbräuchlicher Nutzung freizuhalten und den Kontakt zu den staatlichen Vertretern im Sinne sachlicher, offener und verständnisbereiter Beziehungen zu gestalten. 1. -
Dabei wurde von E. Natho zum offiziellen Besuch des Gen. Honecker in der BRD geäußert: diesen Besuch bewertet er als sehr positiv für die weitere Gestaltung der Beziehungen zwischen der D D R und der BRD wie auch für Europa insgesamt; wichtig sei, daß festgeschrieben worden ist, wo man steht und wie man zu den
105 106 107 108
Voigt war der Sektorenleiter für Kirchenfragen beim RdB Halle. Vom 7. bis 11.9.1987. Vom 18. bis 2 2 . 9 . 1 9 8 7 in Görlitz. Die Auftritte Krawczyks waren für den 3. u n d 10.10.1987 geplant.
A u f z e i c h n u n g Voigts
311
entscheidenden G r u n d f r a g e n steht - dahinter ( u n d das bezog N a t h o a u f die B R D Seite) k ö n n e n i e m a n d zurück; -
zwar h a b e der Frieden seinen Preis, Unerreichbares d ü r f e m a n dabei aber nicht verlangen; so sei die F o r d e r u n g nach Beseitigung der M a u e r töricht, nutzlos u n d a u c h gefährlich - gerade in Fragen der Grenzen h a b e die Kirche i m m e r festgestellt, d a ß sie e n d g ü l t i g sind u n d politische S t a n d p u n k t e a u f der Basis der Grenzen von 1 9 3 7 unrealistisch u n d friedensgefährdend sind;
-
e b e n s o friedensgefährdend u n d politisch störend bewertet er A u f f a s s u n g e n von einer „ W i e d e r v e r e i n i g u n g " — selbst eine „Vereinigung" beider deutscher Staaten sei f ü r einen längeren Z e i t r a u m unrealistisch; er k ö n n e n u r den S t a n d p u n k t unterstreichen, daß es u m eine verläßliche Anerkenn u n g , u m eine allmähliche A n n ä h e r u n g in vernünftiger A t m o s p h ä r e , in vernünftig e m U m g a n g miteinander gehen kann; m a n m u ß die D i n g e so sehen, wie sie s i n d u n d d a r a u f a u f b a u e n d i m M i t e i n a n d e r weiter gestalten;
-
-
er sprach sich gegen „die leise A n d r o h u n g m i t einem Friedensvertrag" aus, d e n n so etwas stellt die Ä n d e r u n g der G r e n z e der Volksrepublik Polen zur D i s k u s s i o n ; w ä h r e n d nach seiner A u f f a s s u n g K o h l befangen wirkte, hätte sich G e n . H o n e c k e r „ g u t aus der A f f ä r e gezogen";
-
freuen k ö n n e m a n sich über die u m f a s s e n d e Berichterstattung in unseren M e d i e n , die Veranlassung waren, sich über sie (und nicht das Westfernsehen) zu informieren. Z u d i e s e m Punkt w u r d e ein lebhafter M e i n u n g s a u s t a u s c h g e f ü h r t , in d e m die H o c h a c h t u n g der kirchlichen Vertreter für G e n . H o n e c k e r sichtbar wurde.
2.
A n g e s p r o c h e n a u f die E i n g a b e zur „Absage an Praxis u n d Prinzip der Abgrenz u n g " 1 0 9 einer G r u p p e b e s t i m m t e r Personen, die an die B u n d e s s y n o d e gerichtet ist, stellte N a t h o seine grundsätzliche A b l e h n u n g dazu fest. D i e s e A u f l i s t u n g von Forderungen an den Staat zur S c h a f f u n g uneingeschränkter grenzüberschreitender B e w e g u n g e n habe nach seiner W e r t u n g keine D e c k u n g in den G e m e i n d e n , f ä n d e dort kein Interesse. Ihr Inhalt sei erstens gerade nach d e m B R D - B e s u c h unrealistisch, w ü r d e einen Versuch darstellen, dort erzielte Ergebnisse zu unterlaufen u n d sei politisch sehr gefährlich. Zweitens passe sie grundsätzlich nicht in die L a n d s c h a f t , so h a b e m a n sich noch nie mit d e m Staat verständigen k ö n n e n . In der K o n f e r e n z der ev. Kirchenleitungen habe diese E i n g a b e erhebliche S t i m m u n g erzeugt u n d werde abgelehnt. N a t h o geht davon aus - u n d das wäre die beste L ö s u n g —, d a ß sie in der S y n o d e an einen A u s s c h u ß überwiesen wird. Er äußerte sein besonderes Unverständnis dazu, daß Propst Falcke - E r f u r t - sich d a z u hergegeben habe, diese E i n g a b e als Antrag in die T a g u n g einzubringen. D i e kirchlichen Amtsträger w u r d e n mit d e m staatlichen S t a n d p u n k t d a z u vertraut g e m a c h t u n d a u ß e r d e m a u f die A r g u m e n t a t i o n der „Weißenseer Blätter" v e r w i e s e n . " 0 Sie w u r d e n gebeten, in diesem Sinn in der S y n o d e zu wirken u n d d a f ü r a u c h andere S y n o d a l e zu gewinnen. In diesem Sinn - so N a t h o - laufe a u c h sein Interesse.
3.
H i n g e w i e s e n a u f die d u r c h Pfarrer B a u m g a r t - B e r n b u r g - organisierten nächsten
> Vgl. Dok. 3/2. " 0 Hanfried MÜLLER behauptete in seinem Artikel „Synode des Bundes und Probleme der Zeit" in Heft Nr. 3/1987 der „Weißenseer Blätter", das vor der Görlitzer Synodaltagung erschien, mit der Forderung nach Reisefreiheit solle in Wahrheit eine nationale Wende herbeigeführt werden (S. 3 7 - 3 9 ) . Einige Mitglieder des „Weißenseer Arbeitskreises" forderten in ihren Eingaben an die Bundessynode, den Falcke-Antrag nicht auf die Tagesordnung zu setzen. 10
312
Dokument 14 Auftritte von Krawczyk am 03. und 10.10.1987 in Bernburg, zeigte sich die zwar prinzipielle persönliche Meinung der Amtsträger gegen derartige Auftritte, aber auch ihre große Unsicherheit, wie diese Auftritte zu verhindern wären. Natho stellte dar, daß ein Rundschreiben in ihrer Landeskirche eindeutig ergeben habe, daß nur Pf. Baumgart und Pf. Kwaschik bewußt Krawczyk einladen und Ärger provozieren wollen. Sie zeigten sich absolut uneinsichtig und mißbrauchten das Solidaritätsgefühl ihrer Gemeinde. Diese Leute hätten ein gebrochenes Verhältnis zu ihrer Kirchenleitung, was historisch herrühren könnte aus der Zeit des faschistischen Regimes, denn es waren ja nur wenige, die in der Bekennenden Kirche arbeiteten. Von daher könnte noch ein Mißtrauen zu den Staat-Kirche-Beziehungen herkommen. Gleichzeitig verfugten sie über ein ausgezeichnetes Informationssystem, wodurch sie über alle Entwicklungen auf diesem Gebiet sehr gut bescheid [sie] wissen, auch über manche Uneinheitlichkeit staatlichen Handelns.
4.
Hinderlich habe sich z.B. in Wörlitz ausgewirkt, daß der Staatsapparat mit einzelnen GKR-Mitgliedern ohne Information an den Vorsitzenden des GKR gesprochen habe. Die Amtsträger erwarteten vom Staat Hinweise dazu, wie sie sich weiter verhalten könnten und wie es mit der Realisierung der OSV gegen ihre Amtsträger weiter geht. Dazu wurde eindeutig festgestellt, daß die OSV zu Ende geführt werden - also bei Nichtzahlung auch die Pfändung eintritt. Auch die kirchlichen Amtsträger vertraten diesen Standpunkt. Sie drückten aus, daß sie die Durchsetzung der OSV erwarten, da ihre Position damit gestärkt werde. Die Amtsträger wurden über Kirchgemeinden informiert, in denen Auftritte von K. unterbunden wurden (Zeitz, Berlin-Buch, Rochlitz). Es wurde Ubereinstimmung erzielt, daß die Handreichung der Kirchenprovinz Sachsen keine Lösung darstellt, sondern Auftritten von K. Tür und Tor öffne. Sie wurden aufgefordert, ihren Einfluß geltend zu machen, daß die Auftritte abgesagt werden. Sollte das nicht erreichbar sein, müßte dafür gesorgt werden - und dazu hat der Landeskirchenrat das volle Mandat - , daß die Veranstaltungen „ausschließlich religiöse Veranstaltungen" werden. Dazu gehöre auch die Mitwirkung solcher Kräfte, die K. in seine Schranken weisen und dann innerhalb der Veranstaltung für Klarheit sorgen, daß Krawczyk nicht erwünscht ist. Es entstand der Eindruck, daß die Amtsträger auf diesen Weg zugehen, z.B. durch die Bemerkung, daß Kreisoberpfarrer Radeloff an der Veranstaltung teilnehmen wird. Durch Natho wurde mitgeteilt, daß sich der Rechtsanwalt von Bauer, Schnur, an den Minister des Innern wegen des OSV gegen Bauer gewandt habe. Mit Bauer — so Natho - habe man aber auch innerkirchlich einige Probleme. Die Amtsträger wurden darauf hingewiesen, daß ihr Vorhaben, über private Einreisen in den Raum der Landeskirche ein Treffen der Leitung der Landeskirche mit Dekanen aus der Ev. Kirche der Pfalz (BRD) zu organisieren, den rechtlichen Bestimmungen widerspricht. Natho versuchte, dieses Vorhaben, das sonst stets in der Hauptstadt erfolgte, mit verschiedenen Argumenten zu begründen, darunter, daß die Reisestelle beim Staatssekretär schon überlastet sei, für den Staat bei Privateinreise ökonomische Vorteile eintreten und man meinte, daß Problem durch die Mitteilung an den Staat am Besten lösen zu können. Außerdem sei aus Zeitgründen keine Beantragung über den Bund möglich gewesen.
Aufzeichnung Voigts
313
Für die Zukunft wurden die Amtsträger gebeten, über die Beantragung als kirchliche Dienstreise zu gehen; das Problem selbst wird mit der Dienststelle des Staatssekretärs beraten werden. Durch die kirchlichen Amtsträger wurde vorgetragen: -
-
Anfrage des VPKA Bernburg an den LKR der ELKA zur Rechtmäßigkeit des Verkaufs von Büchern durch die ELKA an das staatliche Antiquariat und die Bitte um die Möglichkeit, den Bestand der kirchlichen Bibliothek auf seine Rechtmäßigkeit, in kirchlichem Besitz zu sein, überprüfen zu können. Natho hat auf diese Anfragen geantwortet, bittet aber für den Fall um Unterstützung, wenn diese Antworten nicht ausreichend sein sollten. (Schriftwechsel siehe Anlage) Das Problem wurde zwischenzeitlich durch Gen. Pöhner mit dem Chef der BDVP ausgewertet, der seinerseits in einer Dienstberatung Weisung geben wird, daß Regelungen mit kirchlichen Institutionen erst nach Abstimmung mit dem Stellv. für Inneres beim Rat des Bezirkes erfolgen können. Sicherung der Heizung im Cyriakus-Heim in Gernrode Die Kirchenleitung hat sich auf Anraten des Rates des Bezirkes mit der Bitte um Beratung an das VEB Energiekombinat Halle gewandt (23.02.87, 01.06.87, 23.08.87), ohne auf eines dieser Schreiben eine Antwort erhalten zu haben. Sie bitten um Unterstützung durch den Rat, um zu einer Lösung in Gernrode zu kommen. Zwischenzeitlich wurde mit dem Energiekombinat geklärt, daß in der kommenden Woche der ELKA das Angebot unterbreitet wird, auf Honorarbasis eine Beratung zur Lösung des Problems zu führen. Am 13.01.1987 war der Kirche mitgeteilt worden, daß eine Beheizung über Einsatz von Heizgas nicht möglich ist.
Während des Gesprächs übergab Natho auch Ablichtungen zur Problematik Krawczyk: 16.07.1987 Entscheidung des VPKA Brandenburg gegenüber Pf. Kubina 06.08.1987 Entscheidung BDVP Halle zur Beschwerde von Schnur vom 21.07.1987 - Aufrechterhaltung der Ordnungsstrafe gegen Pf. Bauer 01.09.1987 Eingabe Schnur an Mdl zur Überprüfung der Arbeitsweise des VPKA Gräfenhainichen 01.09.1987 Mitteilung Schnur an Natho über Eingabe an Mdl Ein neuer Gesprächstermin wurde nicht vereinbart. Voigt
[m.p]
314
Dokument 15
DOKUMENT 15 Ausarbeitung der Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK der SED über die Tagung der Görlitzer Bundessynode. Berlin, 18. September 1987 SAPMO Berlin, DY30/IVB 2/14/93. Auszugsweise abgedruckt bei D. Linke: „Streicheln, bis der Maulkorb fertig ist", S. 205f. Zur heute beginnenden Tagung der zentralen Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in Görlitz Uns wurde bekannt, daß reaktionäre Kräfte, die seit langem als gewählte Mitglieder der Synode angehören, von außen offensichtlich systematisch beeinflußt, die heute beginnende Tagung in ihrem Sinne, ähnlich wie schon in der Vergangenheit, negativ beeinflussen wollen. Unter Federführung des Erfurter Probstes Falcke ist ein Leitantrag111 organisiert, in dem unter dem Vorwand der Überwindung des Geistes, der Logik und der Praxis der Abschreckung offensichtlich völlig unrealistische und lebensfremde Forderungen, die sich gegen unsere Grenze richten, enthalten sind. Eine Reihe ähnlicher unterstützender Anträge in dieser Richtung ist ebenfalls vorbereitet. Der konkrete Inhalt ist uns noch nicht bekannt. Von unserer Seite wurden sowohl zentral als auch in den entsprechenden Bezirken systematisch mit uns als positiv bekannten Synodalen und Amtsträgern zahlreiche Gespräche geführt, um sie zu veranlassen, gegen solche Positionen aufzutreten. Entsprechend unseren Hinweisen hat Kollege Wolfgang Heyl veranlaßt, daß über den Hauptvorstand der C D U im Vorfeld der Synode mit 53 Synodalen Gespräche geführt wurden. 112 Nachdem uns bekannt geworden war, daß an der Synode solche profilierten Persönlichkeiten wie die Bischöfe Hempel und Gienke wegen Auslandsaufenthalt und auch Stolpe (Urlaub) nicht teilnehmen würden, haben wir gestern zusätzliche Maßnahmen festgelegt. Genösse Gysi wurde beauftragt, seinen Einfluß geltend zu machen, daß zumindest Stolpe unbedingt an der Synode teilnimmt. Stolpe hat inzwischen reagiert und befindet sich auf dem Weg nach Görlitz." 3 Anhand einer eingehenden Instruktion, die sich vor allem auch auf die umfassende Auswertung der Ergebnisse der Reise des Generalsekretärs des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Genossen Erich Honecker, in die BRD 114 stützt sowie auf unsere gemeinsame Verantwortung in der gegenwärtigen „Großwetterlage" orientiert, hat Genösse Gysi noch in den gestrigen Abendstunden ein Gespräch mit Bischof Leich, der von Bischof Forck begleitet wurde, geführt. Genösse Gysi brachte seine Besorgnis zum Ausdruck über einige Vorgänge, die unmittelbar vor der Synode bekannt geworden sind. Das Gespräch fand in einem guten Klima statt und stieß auf großes Verständnis. Was die posi-
111 Gemeint ist die „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung", nicht die .Absage an Geist, Logik und Praxis der Abschreckung". Vgl. Dok. 3/2 und Dok. 3/3. 112 Vgl. Kap. 3.2.6 der Darstellung, S. 84. 113 Stolpe bemerkte zu dieser Textstelle, er sei regelmäßig im September in den Urlaub gegangen und habe diesen stets für die Bundessynoden unterbrochen (Gespräch STOLPE mit den Verf. vom 6.1.1995). 114 Vom 7. bis 11.9.1987.
Aufstellung Lewerenz
315
tive Einschätzung der Gesamtsituation angeht, gab es Übereinstimmung. Es wurde die Besorgnis geteilt, daß bestimmte Kräfte diese Synode für ihre Zwecke mißbrauchen wollen. Leich ist sich seiner Verantwortung bewußt und bedankte sich ausdrücklich für das Gespräch. Er wolle alles in seinen Kräften Stehende versuchen, um im positiven Sinne seinen Einfluß geltend zu machen und mit verschiedenen Synodalen ernsthafte Gespräche führen. Wir haben festgelegt, daß vor Ort in Görlitz während der 5tägigen Synode eine Arbeitsgruppe" 5 von Genossen des Staatssekretariats und unserer Arbeitsgruppe Kirchenfragen tätig ist, die Informationen sichert und - wenn nötig - sich operativ mit den verschiedenen Ansprechpartnern verständigt. Unabhängig davon hat Landesbischof Leich erklärt, daß er täglich zum Gespräch bereit sei.
D O K U M E N T 16/1
Außtellung Lewerenz: „Bundsynode vom 18.—22.9.87 in Görlitz. Tagegelder fiir Einsatzstab (pro Pers. am Tag 15,- M)". Dresden, 18. September 1987 SächsHStA Dresden, MB Dresden Nr. 47596. Gen. Gen. Gen. Gen. Gen. Gen. Gen.
Dr. Wilke Dr. Handel Gräfe Dr. Lewerenz Werner/RdSt Göring, Willi /RdSt
18.-22.9. 18.-22.9. 18.-22.9. 18.-22.9. 18.-22.9. 18.-22.9. 18.-22.9.
= = = = = = =
75 — Μ 75 — Μ 75,— Μ 75,— Μ 75,— Μ 75,— Μ 75 — Μ
Dr. Wilke Dr. Handel Gräfe Lewerenz Werner Willi Göring Schröder
[m.p [m.p [m.p [m.p [m.p [m.p [m.p
525,— Μ
115 D e r „Arbeitsgruppe Bundessynode" gehörten außer Vertretern der ZK-Arbeitsgruppe u n d der Dienststelle des Staatsskretärs auch Mitarbeiter des RdB Dresden und des RdS Görlitz an. Vgl. d a z u D o k . 16/1, 16/2, 1 8 / 1 - 3 .
316
Dokument 17/1
DOKUMENT 16/2 Außtellung Lewerenz': „Ausgaben anläßlich der Bundsynode in Görlitz vom 18—22.9.87 des Bundes der Ev. Kirchen in der DDR". Dresden, 23. September 1987 SächsHStA Dresden, RdB Dresden Nr. 47596. Wärmereaktionspapier Gebäck, Pralinen Abendbrotplatten 2 χ Getränke Kalte Platte Getränke alkoholfreie Getränke, 2 χ Weinbrand 1 Flasche Wein belegte Brötchen Tagegeld vom 18.-22.9. erhalten: (Kraußer) Tagegeld vom 18.—22.9. erhalten: (Brüssow)
166,00 Μ 29,55 Μ 10,90 Μ 32,59 Μ 56,10 Μ 19,00 Μ 78,40 Μ 15,00 Μ 7,00 Μ 75,00 Μ 75,00 Μ 564,54 Μ Lewerenz [m.p.]
DOKUMENT 17/1 Ausarbeitung Jarowinskys: „Zum bisherigen Verlaufder Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in Görlitz". Berlin, 21. September 1987 SAPMO Berlin, DY30/JIV2/2 A/3060m; ab Anlage zum Protokoll Nr. 38 der Sitzung des Politbüros vom 22.9.1987 mit hsl. Vermerk Jarowinskys: „ Gen. Erich Honecker", zahlreichen Anstreichungen und hsl. Vermerk Honeckers vom 22.9.1987: „An die Mitglieder] u. Kandidaten] des PB. EH". Die Genossen unserer in Görlitz tätigen Arbeitsgruppe117 berichten, daß die Synode der Evangelischen Kirchen der DDR bisher insgesamt so verläuft, wie erwartet worden war. 116 Eine Dublette findet sich unter der Signatur SAPMO BERLIN, DY 30/IV Β 2/14/93. Das Dokument ist abgedruckt als Dok. 103 bei F. HARTWEG (Hg.): SED und Kirche, Bd. 2, S. 5 3 7 539. 117 Vertreter der ZK-Arbeitsgruppe Kirchenfragen, der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen, des RdB Dresden und des RdS Görlitz. Vgl. auch Dok. 18/1-3.
Ausarbeitung Jarowinskys
317
Der zur Beratung vorgelegte Bericht der Kirchenleitung 118 ist sachlicher gehalten als frühere Berichte, ist zurückhaltend formuliert und betont die erzielten Fortschritte. Zugleich werden die bekannten Standpunkte zu Fragen der Volksbildung, des Ersatzwehrdienstes, zum Verfahren bei Reisegenehmigungen wiederholt. Alles in allem ist er auf Ausgleich und Verständigung gerichtet. Es wird betont, daß die Kirche ständig neu darum ringt, ihren Platz in der sozialistischen Gesellschaft in konstruktiver Weise zu bestimmen. Ganz im Gegensatz dazu stand der vom Erfurter Probst Falcke eingebrachte Antrag „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" 119 . Falckes Auftreten trug offen provokatorischen Charakter, war gegen die Politik des Dialogs und der Verständigung, auf Konfrontation gerichtet, diffamierte und entstellte das gesellschaftliche Leben der D D R . Dabei wurden die großen Fortschritte im Kampf um den Frieden, die vielgestaltigen positiven Veränderungen sowohl in der internationalen Arena als auch in der D D R , der außerordentlich große Beitrag der D D R zur Gesundung der internationalen Lage, völlig ignoriert. Die Kirchenleitung wird angegriffen, sie lasse sich von den Regierenden vereinnahmen, sie vertrete berechtigte Forderungen nicht nachdrücklich genug und kümmere sich zu wenig um die Gemeinden. Dies wurde von einigen als reaktionär bekannten Synodalen wie Schorlemmer, Frenzel, Oberkirchenrätin Cynkiewicz mit weiteren Ausfällen unterstützt. Anders als zu früheren Synoden trat die Mehrzahl der Redner im Plenum prinzipiell, mit unterschiedlichen Begründungen, gegen den Antrag und die Konzeption Falckes auf. Dazu erzielten die Redner, z.B. Professor Hert[z]sch/Jena, Grosse und Demke großen Beifall. Der Vorsitzende des Kirchenbundes, Landesbischof Leich, sprach sich gegen den Antrag Falckes aus, den sich die Synode weder nach der Absicht noch nach dem Inhalt zu eigen machen könne. Er warnte davor, Staat und Gesellschaft zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit noch nicht zumutbaren Forderungen und Formulierungen zu überfordern und wies zugleich auf neue, positive Erfahrungen der Kirche mit staatlichen und gesellschaftlichen Organisationen hin, z.B. auf den gerade beendeten Olof-Palme-Friedensmarsch. Stolpe betonte in seinem Beitrag die positive Gesamtentwicklung, versuchte zu vermitteln, vermied es jedoch, sich von den offensichtlichen Provokationen eindeutig zu distanzieren. Inzwischen sind Stolpe und Forck - angeblich wegen Teilnahme an einer Beerdigung 1 2 0 - bereits wieder aus Görlitz abgereist. Eine negative Rolle spielte wiederum der Leiter der Synode, Präses Gaebler, der in einem Forschungsinstitut des Ministeriums ftir Kohle und Energie tätig ist. Durch die Art der Leitung der Synode begünstigte er die reaktionären Kräfte. Der Vertreter des Staatssekretariats für Kirchenfragen, der als Beobachter an den öffentlichen Tagungen der Synode teilnimmt, berichtet über eine Reihe ungewöhnlicher Aktivitäten ausländischer Diplomaten und Journalisten während der Beratungen der Synode. So fiel auf, daß negative Kräfte unmittelbar vor ihrem Auftreten intensive Gespräche mit ausländischen Gästen bzw. Journalisten führten. Besonders aktiv traten dabei die drei Mitarbeiter der Ständigen Vertretung der B R D auf, die als Gäste an der " 8 E P D DOKUMENTATION 4 4 / 8 7 , S. 1 - 1 4 . Vgl. Dok. 3 / 2 sowie Falckes Einbringungsreferat, Dok. 3/3. 120 Vgl. Darstellung, Kap. 4.3.4, Anm. 185, S. 129f.
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Dokument 17/2
Synode teilnehmen. Von der USA-Botschaft sind zwei121, von der britischen Botschaft ist ein Vertreter anwesend. Der bisherige Verlauf der Synode läßt den Schluß zu, daß die politisch negativen Kräfte, nachdem ihnen mehr und mehr die Basis entzogen wurde, ihr Einfluß sichtbar zurückgegangen ist, nun aggressiver werden und undifferenzierter reagieren. Sie empfinden die großen Fortschritte und positiven Entwicklungen, die wachsende internationale Autorität der D D R als Herausforderung. Offensichtlich sehen sie den Besuch des Genossen Erich Honecker in der BRD ebenso wie den ganzen Verlauf des Berliner Kirchentages, des Dresdner Katholikentreffens und auch des soeben zu Ende gegangenen Palme-Friedensmarsches als ernste Niederlage an. Zugleich zeigen sie sich tief enttäuscht darüber, daß die von ihnen organisierten Störaktionen („Kirche von unten", versuchter Mißbrauch des Palme-Friedensmarsches u.a.) nicht aufgegangen sind und den Gesamtcharakter dieser Veranstaltungen nicht bestimmen konnten. Gemeinsam mit den Genossen unserer Arbeitsgruppe ist festgelegt, daß ausgehend vom bisherigen Verlauf der Synode erneut Gespräche mit Bischof Leich sowie mit einer Reihe Synodaler geführt werden, um sie zu veranlassen, nochmals im Plenum aufzutreten, gegen die provokatorischen Anträge Stellung zu nehmen und zu versuchen, ihre Annahme zu verhindern. Im gleichen Sinne wird heute Genösse Gysi noch ein weiteres Gespräch mit Stolpe führen.
DOKUMENT 17/2 Protokoll Nr. 38 der Sitzung des Politbüros vom 22.9.1987 Berlin, 22. September 1987.
(Auszug).
SAPMO Berlin, DY30/JIV2/2 AJ3059; Protokoll Nr. 38 der Sitzung des Politbüros vom 22.9.1987, S. 8f. (Punkt 16); mit hsl. Vermerk am Rand von Punkt 16: „Jarowinsky — Krenz - Mielke - Keßler - Dickel - Stoph - G. Müller". Abdruck als Dok. 104 bei F. Hartweg (Hg.): SED und Kirche, Bd. 2, S. 539.u2 16. Zum Verlauf der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen der D D R in Görlitz Berichterstatter: E. Honecker 1. Genösse W. Jarowinsky wird beauftragt, dem Politbüro Vorschläge zur weiteren Arbeit mit dem Bund der Evangelischen Kirchen in der D D R zu unterbreiten. 2. Uber den Verlauf der Synode und die notwendigen politischen Schlußfolgerungen ist eine Information für die Partei auszuarbeiten und zu verschicken. Verantwortlich: Genösse W. Jarowinsky
121 Für die USA nahmen teil: Gregory Sandford und Jonathan Greenwald (Gespräch GREENWALD mit den Verf. am 27.10.1994). 122 Bei Hartweg wird die Signatur J IV 2/2/2240 angegeben; es handelt sich um das sogenannte Reinschriftenprotokoll, das jedoch - bis auf den hsl. Vermerk am Rand - identisch mit oben abgedruckten Arbeitsprotokoll ist.
Ausarbeitung der „Arbeitsgruppe Bundessynode" 3.
4.
5.
319
Das Politbüro bekräftigt, daß in der Nationalen Volksarmee und in den anderen bewaffneten Organen den Kirchen keinerlei Gelegenheit zur Arbeit oder zur Einflußnahme gegeben wird. Verantwortlich: Genösse E. Krenz Genösse H. Keßler Genösse E. Mielke Genösse Ε Dickel Die Vorsitzenden der Räte der Bezirke sind über den Verlauf der Synode zu informieren und zu beauftragen, mit den in ihren Bezirken tätigen Bischöfen oder anderen Vertretern der Kirche über das Verhältnis von Staat und Kirche und die Einhaltung der Gesetze der D D R grundsätzliche Aussprachen zu führen. Verantwortlich: Genösse W. Stoph Genösse K. Gysi Der Vorsitzende des Rates des Bezirkes Erfurt wird beauftragt, mit dem Erfurter Probst Falcke über sein provokatorisches Auftreten während der Synode eine prinzipielle Aussprache zu führen. Verantwortlich: Genösse W. Stoph Genösse G. Müller
DOKUMENT 18/1
Ausarbeitung der „Arbeitsgruppe Bundessynode": „Positionen politisch negativer Kräfte auf der 3. Tagung der 5. Synode des BEK (18.-22.9.1987in Görlitz)". [Ohne Ort, September 1987] BArchP, DO 4 STS f . Kirchenfragen Nr. 787- Die Aussteller wurden durch die Verf. ermittelt. 1.
Propst Dr. Falcke (Erfurt) zum Antrag .Absage an Abgrenzung" 123 (wörtliche Aussagen nach dem Text der Anlage 2 zur Vorlage 8 der Tagung) Ich teile die Diagnose dieses Antrages, daß unsere Gesellschaft an den Folgen einer früheren aber auch noch fortdauernden Praxis und Ideologie der Abgrenzung schwer krank ist. Das geht uns als Christen und Kirchen von unserem Auftrag her und um der Menschen willen an. Im gemeinsamen Dokument der SED und der SPD heißt es: „Kritik und Kooperation dürfen einander nicht ausschließen".124 Nun, was zwischen Ost und West gilt, muß doch wohl erst recht in der sozialistischen Gesellschaft gelten, auch wenn es sich um die scharfe und zugespitzte Kritik eines Liedermachers handelt. Auch seine Kritik darf nicht zum Argument werden, ihn von der Kooperation in unserer Gesellschaft auszuschließen. Daß wir die Ausgrenzung anderer Meinungen überwin-
123 Vgl. Dok. 3/2. Einbringungsreferat vgl. Dok. 3/3. Z u den Beiträgen der Synodalen, die in der Regel sinngemäß richtig wiedergegeben sind, vgl. auch Kap. 4. dieser Darstellung. 124 VORSTAND DER S P D (Hg.): Der Streit der Ideologien, S. 6.
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Dokument 18/1 den, ist notwendige Assistenz für die Politik der Öffnung. Denn Ausgrenzung anderer Meinungen ist der erste Schritt zur Ausbürgerung. Die Politik der Öffnung hat zweitens kritische Assistenz nötig, weil sie sich in unserer Gesellschaft gegen ihr widersprechende Erscheinungen und Erfahrungen durchsetzen muß. Ich denke an die Erfahrungen der sogenannten „Geheimnisträger", und das ist leider eine sehr große Gruppe, die unter Kontaktverbot mit westlichen Verwandten und Freunden gestellt sind. Ich denke an die Erfahrungen bei unbegründeten Ablehnungen, wo ein Büroschreibtisch zur Grenze zwischen Wissenden und Mächtigen auf der einen Seite und unmündig Abhängigen auf der anderen Seite wird. Ich denke an das urgesunde Bedürfnis junger Menschen, jenseits unserer Landesgrenzen, im Osten und im Süden die Welt erfahren, im buchstäblichen Sinne erfahren möchten und daran gehindert werden. Die Ausgrenzung durch eine Gesellschaft, die immer weiß, was richtig ist, bringt die Bereitschaft und Fähigkeit zur Mitverantwortung in vielen, vor allem in jungen Menschen, zum Aussterben, bevor sie sich entwickeln können. Sie haben Ideen, aber sie merken früh, daß man sie besser nicht verwirklicht: Sie haben Fragen, aber erleben, daß sie nicht gefragt sind. Sie wollen Alternativen probieren, aber sie stehen vor Wänden. Und dann verlernen sie es, Ideen zu haben, Fragen zu stellen und Neues zu probieren. Daran ist unsere Gesellschaft krank, und hier wird Öffnung dringend notwendig. Aber ich denke, wir müssen das Problem noch schärfer sehen. Die Politik der Öffnung selbst verschärft auch Widersprüche. Je weiter die Entspannung fortschreitet, je normaler Besucher zwischen Ost und West werden, desto monströser steht die Mauer in der politischen Landschaft. Je mehr Leute reisen dürfen, desto ungeduldiger und unwilliger fragen andere, warum sie nicht dürfen. Je deutlicher ausgesprochen wird, daß der Friede nur noch politisch und gemeinsam mit den Gegnern gesichert werden kann, desto mehr schwindet die militärische Motivation zum Wehrdienst.
Es gibt einen latenten aber spürbaren Rassismus auf unseren Straßen, in unsern Gaststätten und an Wohnungstüren im Umgang mit farbigen Mitmenschen. 2. Katechetin Dehne (Magdeburg) zum Antrag „Absage und Abgrenzung" (Auszug aus der 1. Tagesinformation der staatlichen Arbeitsgruppe) Jetzt sei der richtige Zeitpunkt für den Antrag. Besuchsreisen zwischen Ost und West seien nicht möglich. Es sei etwas in Bewegung gekommen, deshalb müsse die BEK-Synode Forderungen stellen. Man müsse zwar die Form bedenken, zur Abgrenzung aber Stellung nehmen, weil sie Angst hervorruft. Weitere 10 Jahre dürfe man nicht warten. 3. Pfarrer Schorlemmer {Wittenberg) zum OIof-Palme-Friedensmarsch125 (Auszüge aus der Synodeninformation des BEK) Nach seinem Eindruck war der Marsch ein gelungenes Beispiel dafür, „daß wir in diesem Land auf einem guten Weg sind". In noch nicht dagewesener Zahl hätten sich kirchliche Mitarbeiter, Pfarrer und viele andere Bürger, z.B. in Wittenberg, an der Demonstration beteiligt. Allerdings hätte es auch bittere Erfahrungen für manche engagierte junge Christen gegeben. So konnte z.B. ein Friedensmarsch zwischen Dresden und Pirna nicht stattfinden. Schorlemmer wörtlich: „Ich habe aber den Eindruck, daß Christen unter uns den gefundenen Konsens zu schnell überan125
Vom 1. bis 18.9.1987.
Ausarbeitung der „Arbeitsgruppe Bundessynode"
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strengt haben ... Ich bin nicht für eine kompromißlerische Haltung an dieser Stelle, aber doch dafür, daß wir bei der Suche nach gemeinsamer Sicherheit Toleranz und Konsens einüben und den Bogen nicht überspannen". Pfarrer Schorlemmer zum KKL-Bericht' 26 (Auszüge aus der gleichen Quelle) Im Blick auf die Situation der Gesellschaft und Kirche sehe er sich persönlich vor den Trümmern zerbrochener Träume. Da seien zuerst die Trümmer des Konzeptes der .Kirche im Sozialismus', „die es nicht vermocht hat, tausenden Mitchristen Mut zu machen, in diesem Land zu leben und denen, die in diesem Lande leben bleiben, aktiv mitzuwirken in dieser Gesellschaft". Weiter sehe er zerbrochene Träume im Blick auf das Ziel der Gesellschaft, die über Machterhaltung und Bedürfnisbefriedigung hinausgehen wollte, aber jetzt mühsam durch ökonomische und ökologische Sachzwänge sich durchwurstelt. Diese Gesellschaft wollte die Gebrechen des Kapitalismus grundlegend überwinden und sich anschicken, den Menschen von aller Entfremdung und Ausbeutung zu befreien, aber jetzt sei zu fragen, was ist daraus geworden. Trotz Wiederentdeckung von Tradition und Geschichte sähe er auch viele Trümmer kultureller Überlieferung. Im Blick auf den Verfall alter Städte gelte der Slogan „Ruinen schaffen ohne Waffen". Von einem drohenden Verfallsprozeß seien auch viele Kirchengebäude betroffen. Weiter hält er die Verbrauchspolitik und das Verbraucherverhalten in der Gesellschaft für ruinös angesichts einer ökonomisch und ökologisch veralteten Industrie. Aber das öffentliche Bewußtsein dafür sei in der Gesellschaft nicht entwickelt. Er erwähnte als Beispiele das Verfuttern von subventioniertem Brot als Schweinefutter und das Abblasen von Schadstoffen „wenn wir schlafen, weil wir schlafen". Träume seien auch zerbrochen in Blick auf die Lösung der Energieprobleme durch Atomkraftwerke. Trotz dieser Reihe von genannten Problemen, vor denen die Gesellschaft stehe, gäbe es zugleich traumhafte Erfahrungen der Hoffnung. Die Rede Gorbatschows beim Moskauer Forum im Frühjahr und die großartigen Foren beim Berliner Kirchentag nährten die Hoffnung, daß ein echtes Gespräch in Gang gekommen sei. Er habe bei einem Umweltseminar in Espenhain erlebt, wie durch das ehrliche Aussprechen der ökonomischen und technischen Situation durch den verantwortlichen Forschungsdirektor ein Gefühl für die gemeinsame Verantwortung aufgekommen sei und keine Anklage und Erwartungshaltung an den Staat. In der Weltsicht des gemeinsamen Papiers von SPD und SED 127 sei auch vieles Gemeinsame für Christen zu entdecken. In diesem Grundsatzpapier werden wichtige Grundsätze formuliert, die auch für die innere Diskussion in der D D R wichtig sind. Wieviel hier in Bewegung sei, zeige auch Honeckers Wort über den sich verändernden Charakter der Grenzen. 4. Konsistorialrätin Cynkieivicz (Berlin) zum KKL-Bericht (Auszug aus der 2. Tagesinformation der staatlichen Arbeitsgruppe) Sie habe am Gespräch mit Prof. Sitzlack128 teilgenommen. „Ich bin nicht fachkompetent und mit Spannung dort hin gegangen und bin tief betroffen". Das war kein wirkliches Gespräch. Wir mußten 2 Stunden zuhören. Es wurden 4 Fragen gestellt und 4 Antworten gegeben. Das ist kein Gespräch. Der Dialog hat begonnen, aber bei Prof. Sitzlack war nichts davon zu spüren. Die Synode muß offen sagen, daß dies 126
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VORSTAND DER SPD (Hg.): Der Streit der Ideologien. Das Gespräch mit Staatssekretär Sitzlack fand am 2.9.1987 statt.
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Dokument 18/2 nicht ausreicht. Jetzt wurden „Informationsgespräche" angekündigt. Sicher sprach die KKL von „Sachgesprächen". Warum dieser andere Begriff? Wenn das bedeutet, daß die KKL nur Informationen entgegenzunehmen hat, ohne daß es zu einem wirklichen Dialog kommt, dann müssen gesellschaftliche Probleme anders benannt werden. Frau Cynkiewicz wendet sich gegen Landesbischof Dr. Leich und seine Formulierung von der Zumutbarkeit. Zumutbarkeit müsse nach beiden Seiten gelten. Die Kirche solle prüfen, was sie sich weiter zumuten läßt. Prof. Sitzlack unterschreibt Staatsverträge. Die evangelischen Kirchen haben mit ihm gesprochen. Es scheint, als ob sie ernst genommen würden. Aber so war es nicht. Wenn der Staat manches noch nicht kann, soll er das vorher sagen. „Dies vertragen wir, aber nicht diese Augenauswischerei".
DOKUMENT 18/2
Ausarbeitung der „Arbeitsgruppe Bundessynode": „Positionen politisch widersprüchlich auftretender Kräfte auf der 3. Tagung der 5. Synode des BEK (18.-22.9.1987in Görlitz)". [Ohne Ort, September 1987] BArchP, DO 4 STSf . Kirchenfragen Nr. 787• Die Aussteller wurden durch die Verf. ermittelt. 1.
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Landesbischof Dr. Leich (Eisenach) zum Antrag „Absage an Abgrenzung" 129 (Auszug aus der 1. Tagesinformation der staatlichen Arbeitsgruppe) Der Hintergrund für den Antrag seien „durchlittene Tatbestände und blutende Herzen" sowie kirchliche Mitarbeiter, die Seelsorge betreiben müssen. Die erhobenen Vorwürfe seien eine Diagnose der Situation in unserer Gesellschaft und das müsse die Synode ernst nehmen. Es ist deutlich geworden, daß die Beachtung der Zumutbarkeit gegenwärtig der wichtigste Punkt im Umgang mit der anderen Seite geworden ist. Dies muß der Schwerpunkt der Eingabe sein. Er könne sich den Antrag nicht zu eigen machen, denn gegenwärtig vollziehe sich ein Öffnungsprozeß. Man dürfe sich dort nicht einmischen. Konsistorialpräsident Stolpe (Berlin) in den Antworten der KKL (Auszug aus der Synodeninformation Nr. 6 des BEK) Bemühungen christlicher Soldaten in waffentragenden Einheiten um die Respektierung ihrer Glaubenshaltung, die Teilnahme am Gottesdienst und den Besitz kirchlicher Literatur konnten örtlich positiv geklärt werden. Die Tendenz, ganze Baueinheiten an zivilen Objekten einzusetzen, wurde fortgesetzt. Allerdings ist das nicht selten mit harter Arbeit verbunden, etwa im Gleisbau oder bei Meliorationsmaßnahmen. Doch bei den Bausoldaten überwiegt die Dankbarkeit für den Einsatz an zivilen Objekten. Immer wieder hörten wir von Bereitschaftserklärungen, auch
129 Vgl. Dok. 3/2. Zu den Beiträgen der Synodalen, die in der Regel inhaltlich korrekt wiedergegeben sind, vgl. auch das vierte Kap. der vorliegenden Darstellung.
Ausarbeitung der „Arbeitsgruppe Bundessynode"
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bei der Altbausanierung eingesetzt zu werden. Wir hoffen sehr, daß der Einsatz der Baueinheiten generell und verläßlich an zivilen Objekten möglich wird. Das würde nicht nur die Motivation der Waffendienstverweigerer für den Dienst in den Baueinheiten erhöhen, sondern wäre zugleich eine mögliche und deutliche friedenspolitische Geste der DDR. Einige Wehrpflichtige sehen aufgrund ihrer Gewissenshaltung keine Möglichkeit zu einem Dienst in Baueinheiten und bieten ausdrücklich einen längeren zivilen Ersatzdienst an. Auf Dauer wäre es nach unserer Uberzeugung richtiger, die vorhandene Dienstbereitschaft abzurufen und z.B. einen Ersatzdienst von mehr als 18 Monaten im pflegerischen Bereich des Gesundheits- und Sozialwesens zu ermöglichen. Präsident Dr. Domsch (Dresden) in den Antworten der KKL (Auszug aus der Synodeninformation Nr. 8 des BEK) Ich nehme die Gelegenheit wahr, den Kirchen der EKD für alle diese genannten Hilfen ganz herzlich zu danken. Ich erkläre dazu, diese Mittel dienen der Aufrechterhaltung des kirchlichen Lebens in der DDR. Unsere Kirchenstruktur und die Traditionslast, auch die Bauten z.B., machten u.a. diese Hilfe nötig. Und diese Hilfe muß auch gesehen werden im Zusammenhang mit der Wirtschaftspolitik in unserem Lande. Auch dazu ein Beispiel: Der Vorsitzende der Staatlichen Plankommission und stellvertretende Vorsitzende des Ministerrates, Gerhard Schürer, hat festgelegt, daß in der Regel kirchliche Neubauten, mit Ausnahme mancher Bauten für die Diakonie, nur in Valuta errichtet werden dürfen. Landesbischof Dr. Leich (Eisenach) in den Antworten der KKL (Auszüge aus der Synodeninformation Nr. 9 des BEK) Er erinnerte an das Zitat im Konferenzbericht aus dem Jahre 1973130, wo nach seiner Meinung der Schlüsselsatz lautet: Jesus Christus geht uns auch in die für uns neue gesellschaftliche Situation voran und erschließt sie uns als Auftragsfeld und Dienstchance. Dr. Leich fuhr fort: „Dieses Zitat im Konferenzbericht ist von uns bewußt gewählt worden, um die Kontinuität des Weges des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, das Einhalten der eingeschlagenen Richtung zu bezeichnen. Es ist sicherlich kein Zufall, daß in diesem Zitat von einem Weg die Rede ist. Wir sind unterwegs auf einem Weg der Menschheitsgeschichte, an dessen Ende die Frage steht nach der Erhaltung der Menschheit. Wir müssen diesen Weg mit anderen gehen, ob wir wollen oder nicht. Aber wir wollen ihn mit anderen gehen und unseren Beitrag dazu bringen, besonders innerhalb des Staates und der Gesellschaft, in der wir leben und in der wir einen Auftrag unseres Herrn haben. Wir stehen unter der Bedingung unserer gesellschaftlichen Situation. Wir sind unterwegs mit einem Wanderer, der der marxistisch-leninistischen Weltanschauung anhängt, und von einer grundsätzlich anderen Voraussetzung her unterwegs ist. Je größer die Achtung dieses Partners für unsere eigene Motivation ist, um so einfacher werden wir es haben, miteinander zu gehen. Und umgekehrt, je größer die Versuchung des Partners ist, unser Mitgehen lediglich als Verstärkung seines eigenen Ansatzes anzusehen, um so schwerer werden wir es haben, unseren Auftrag zu betonen". Er erinnerte an ein Wort Bischof Schönherrs, wonach wir in der Freiheit des
130 Der KKL-Bericht an die 5. Tagung der I. [Bundes-]Synode, die vom 26. bis 29.5.1973 in Schwerin tagte, ist abgedruckt in: E P D D O K U M E N T A T I O N 25/73, S. 2-26. Das erwähnte Zitat steht auf S. 3.
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Dokument 18/3 Glaubens Ja sagen müssen, wo wir Ja sagen können, und dort Nein sagen, wo der Auftrag uns dazu verpflichtet. „Uberhaupt muß der Begriff Informationsgespräch interpretiert werden, um verständlich zu sein. Er versucht verschiedene Gegebenheiten unter einen Begriff zu bringen. Eine Gegebenheit ist, daß wir aufgrund der staatlichen Strukturen in der DDR Verhandlungen als Kirche nicht direkt mit Ministerien führen können, sondern immer diese Verhandlungen über den Staatssekretär für Kirchenfragen führen. Und die andere Gegebenheit liegt in der Tatsache, daß wir Themen ansprechen wollen, bei denen es uns wichtig ist, daß ein kompetenter Vertreter eines Ministeriums oder einer Institution zugegen ist und mitreden kann, so daß er das in sein eigenes Ministerium oder seine Institution transportieren kann". Dies, so Dr. Leich, bedeute, daß solche Informationsgespräche Informationen von beiden Seiten enthalten müssen und nicht nur die Ansage von Information. Gegenseitig mitgeteilte Informationen müßten auch verarbeitet und bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden.
DOKUMENT 18/3
Ausarbeitung der „Arbeitsgruppe Bundessynode": „Positionen politisch realistischer Kräfte auf der 3. Tagung der 5. Synode des BEK (18.-22.9.1987in Görlitz)". [Ohne Ort, September 1987] BArchP, DO 4 STS f . Kirchenfragen telt. 1.
Nr. 787. Die Aussteller wurden durch die Verf. ermit-
Dr. König (Erfurt) zum Antrag .Absage an Abgrenzung"131 (Auszug aus der 1. Tagesinformation der staatlichen Arbeitsgruppe) Im Begleitbrief zur Eingabe heißt es, daß ein junger Mann seit reichlich einem Jahr nicht mehr in die CSSR fahren dürfe und dafür keine Begründung erhalten habe. Ahnlich sei es Freunden gegangen. Mit diesen Beispielen werden persönliche Probleme in den Vordergrund gestellt, welche eine sachliche Diskussion erschweren. In dem Antrag wird auf unabhängige Bürgerrechtsgruppen in der CSSR, in Ungarn und Polen verwiesen, mit denen die Gruppe in der DDR im Kontakt stehe. Wenn man unter diesem Aspekt einige Sätze des Antrags im Zusammenhang sieht, dann wird die Ausrichtung auf diese „Bürgerrechtsgruppen" sehr deutlich. Können solche Sätze der Entspannung überhaupt helfen? Oder unterlaufen sie den jetzt begonnenen Prozeß der Entspannung und des Dialogs? Was soll bewirkt werden, wenn dazu aufgefordert wird, die gesellschaftliche Situation in der DDR zu verändern? Es wird gesagt, daß man sich dafür einsetzt, ehemalige DDR-Bürger in die DDR zurückzuholen. Das ist noch verdächtiger. Er kenne eine Reihe solcher Leute. Diesen
131 Vgl. Dok. 3/2. Zu den Beiträgen der einzelnen Synodalen, die in der Regel richtig wiedergegeben sind, vgl. auch Kap. 4. der Darstellung.
Ausarbeitung der „Arbeitsgruppe Bundessynode"
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geht es nicht um Politik, sondern um eine Veränderung der politischen Grundordnung in der DDR. Der Antrag ist so nicht zu gebrauchen. Prof. Dr. Hertzsch (Sektion Theologie der Universität Jena) zum Antrag ,Absage an Abgrenzung" (Auszug aus der 1. Tagesinformation der staatlichen Arbeitsgruppe) Wer ständig Absagen erteilt, bekennt sich zu einer falschen Position. War die Absage an die Abschreckung notwendig, so ist die Absage an die Abgrenzung falsch. Sollte es aber gar nicht um Abgrenzung, sondern um Grenzen gehen, dann muß gesagt werden, daß der KSZE-Prozeß die Grenzen in Europa sicher gemacht hat. Die Grenzen zu Polen sind für unsere Nachbarn sehr wichtig. Und feststehende Grenzen sind auch für andere Länder in Europa sehr wichtig. Man darf nicht gegen Grenzen sein, wenn der Prozeß der Verständigung weiter geführt wird. Auch kann die Geschichte nicht außer acht gelassen werden. Daß durch Deutschland, daß durch Berlin, daß durch Europa eine Grenze geht, ist mit unsere Schuld. Wieso wird dauernd von Menschen in unserem Land etwas gefordert, was Christen nicht selbst zu geben bereit sind? Was haben Christen aus ihrer Schuld heraus für Angebote an die Gesellschaft zu machen? Es kann doch auch der Synode nicht um den Umgang der Systeme miteinander gehen, sondern nur um den Umgang der Menschen in der D D R miteinander. Hier sollten Christen wirkliche Angebote einbringen. Wenn Propst Dr. Falcke von Abgrenzung redet, heißt das, daß man sich auch von den Marxisten in unserem Lande abgrenzen soll? Wollen wir uns überhaupt von ihnen abgrenzen? Sollte man nicht vielmehr in die Praxis des Dialogs und der Zusammenarbeit eintreten? Erst wenn das alles bedacht ist, kann die BEK-Synode richtig über den Antrag urteilen. Superintendent Große (Saalfeld) zum Antrag .Absage an Abgrenzung" (Auszug aus der 1. Tagesinformation der staatlichen Arbeitsgruppe) Ist der vorliegende Antrag nicht Wasser auf die Mühlen derer, die das eigentliche Anliegen des Antrages verhindern wollen? Denjenigen, die nicht zulassen wollen, daß sich der Prozeß der Annäherung weiter vollzieht, darf man nicht das Wort reden. So einseitige Forderungen und Schuldzuweisungen an die östliche Seite können nicht akzeptiert werden. Deshalb kann er dem Forderungskatalog nicht zustimmen. Man muß endlich den politischen Hintergrund der Abgrenzung benennen. Wer behauptet, daß nur die östliche Seite Schuld habe, der hat unrecht und verhindert eine Veränderung der Situation. Wer jeden Versuch verhindert, eine Versöhnung mit Osteuropa zu realisieren, der hat kein Recht über die Mauer zu reden. Franzosen, Engländer u.a. können ganz gut mit der Abgrenzung zwischen beiden deutschen Staaten leben. Denn diese ist die Voraussetzung für die Klärung manch anderer Probleme in Europa. Katechetin Scheidig (Naumburg) zum Antrag ,Absage an Abschreckung" [richtig: Abgrenzung] (Auszug aus der 1. Tagesinformation der staatlichen Arbeitsgruppe) Der Antrag muß überarbeitet werden. Man müsse endlich Dank an den Staat sagen für kontrollierte Öffnung und Glasnost und nicht nur immer neue Forderungen erheben. Bischof Dr. Demke (Magdeburg) zum Antrag ,Absage an Abgrenzung" (Auszug aus der 1. Tagesinformation der staatlichen Arbeitsgruppe) In dem Antrag sprächen Christen, die verwundet worden seien. Das erzeuge Aggressivität. Er verstehe, wie es dazu komme. Es gibt eine selektive Wahrnehmung der Wirklichkeit. Sie bewirke, daß häufig nur noch das gesehen wird, was die eige-
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Dokument 18/3
nen Erfahrungen bestätigt. Das werde zusammengebunden und auf ein Prinzip zurückgeführt. Die BEK-Synode stehe in der Gefahr, daß sie das theologisch untermauert. Das ist nicht der Weg, den wir gehen sollten. 6. Lättig(Aschersleben) zum KKL-Bericht132 (Auszug aus der 2. Tagesinformation der staatlichen Arbeitsgruppe) Sie sei Bürger in einem sozialistischen Staat und könne als Christ und Bürger ihren Weg gehen. Sie sei gern Bürger der DDR, auch wenn es noch manches zu verbessern gibt. Darüber spreche sie dort, wo diese Information nötig ist und hingehört. Wenn der Geist des Herrn unter uns ist, dann leben wir in Freiheit. Wir können hier handeln, wie wir es als Christen wollen, also in Freiheit und sollten Gebrauch davon machen. 7. Kraftfahrer Welz (Dresden) zum KKL-Bericht (Auszug aus der 2. Tagesinformation der staatlichen Arbeitsgruppe) In der Diskussion wurde gesagt, daß es negative Reaktionen gibt, wenn Ausländer bei uns einkaufen. In den Arbeitskollektiven in Betrieben ist dies nicht so. Die Möglichkeiten von Reisen in andere Länder reichen nicht aus, um die Länder zu verstehen. Dort, wo Ausländer mit Bürgern unseres Landes in Betrieben zusammenarbeiten, gibt es keine Ausländerfeindlichkeit, dort herrscht ein ganz normales Verhältnis untereinander. Früher wurden die Gemeinden über die Ergebnisse ökumenischer Reisen informiert. Heute berichten diejenigen, die derartige Reisen wahrgenommen haben kaum mehr in den Gemeinden. Dafür gibt es zeitliche Gründe, viele derjenigen, die fahren, haben auch keine ehrliche christliche Motivation mehr für ökumenische Tätigkeit. Ich möchte darüber schweigen, was mir die Leute darüber erzählen, warum sie fahren bzw. daß sie überhaupt nicht wissen warum. Dies gelte insbesondere für die Jugendarbeit 133 . 8.
ΟKR Dr. Petzold (Direktor des diakonischen Werkes) zum KKL-Bericht (Auszug aus der 2. Tagesinformation der staatlichen Arbeitsgruppe) Wenn auf der Synode von Volksbildung gesprochen wird, möchte er dazu bemerken, daß er Gemeindepfarrer war, und außerdem Vater von 4 Kindern ist. Er weiß, wovon er redet. In der Diakonie wird seit Jahr und Tag eine positive Zusammenarbeit mit der Volksbildung gepflegt. Viele Einrichtungen arbeiten zusammen, wenn es um Sonderschulen und kranke Kinder geht. Wenn heute über die Mauer geredet wird, dann muß auch gesagt werden, daß wir die Menschen kennen, die dazu beigetragen haben, daß diese Grenze besteht. Man muß wissen, daß diese Mauer, so wie es jetzt in der Welt aussieht, in der Tendenz fortbestehen wird. Wer die Losung vertritt, schafft die Mauer weg, der ist durch nichts zu rechtfertigen. Hier hilft nur ein lang dauernder Prozeß.
9.
Pfarrer Adolph (Neustadt) zum Antrag „Bekennen in der Friedensfrage"134 (Auszug aus der 2. Tagesinformation der staatlichen Arbeitsgruppe) Die Verweigerung wird als einzig richtig dargestellt. Der Abschnitt II ist deshalb wenig gelungen. So darf man nicht reden, denn nur ein sehr kleiner Teil der jungen 132
133
Vgl. E P D DOKUMENTATION 4 4 / 8 7 , S. 1 - 1 4 .
Zur Bedeutung der kirchlichen Jugendarbeit vgl. R.-K. PAHNKE: Autonomiespielräume der Kirchen in der D D R . Pahnke sieht in der Jugendarbeit der Kirche den Vorreiter für die Ökumenische Versammlung, das Neue Forum, den Demokratischen Aufbruch und die SDP/SPD. Vgl. auch J. LOHMANN: Frühdiagnosestation Jugendarbeit. 134 Vgl. Dok. 4.
Ausarbeitung der „Arbeitsgruppe Bundessynode"
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M e n s c h e n treffen m i t dieser Frage wirklich eine Gewissensentscheidung. Die meisten Jugendlichen gehen o h n e jede Probleme z u m Wehrdienst. Die Vorlage enthält also eine ganz schiefe Darstellung. 10. Bischof Dr. Demke (Magdeburg) in den Antworten der KKL. (Auszug aus der Syno d e n i n f o r m a t i o n Nr. 9 des BEK) Von der „Eintagsfliege" k ö n n e ... beim veränderten Verhalten der Medien in der D D R z u m kirchlichen Geschehen nicht gesprochen werden. Die Konferenz habe diese Entwicklung begrüßt, „zumal gerade nach der Erfurter Synode die Gespräche zwischen Staat u n d Kirche d u r c h die oft vom Nachrichtenmarkt abhängende Berichterstattung der Medien der Bundesrepublik belastet waren". Dr. D e m k e weiter: „Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, daß, wenn m a n die Berichterstatt u n g der Medien der Bundesrepublik kritisch bewertet, m a n offensiv werden m u ß u n d ein selbständiges Arbeiten auf d e m Sektor der Medien im Blick auf die kirchliche Tätigkeit erforderlich ist. Das tritt allem Anschein nach ein. Die einfühlsame Ü b e r t r a g u n g des Gottesdienstes mit Emilio Castro in Stendal hat viel positives Echo gefunden. Die zusammenfassende Berichterstattung über den Berliner Kirchentag 1 3 5 im 2. Fernsehen der D D R , die an den Planungen u n d Absichten der Veranstalter orientiert war, hat viel A n e r k e n n u n g gefunden".
DOKUMENT 19 Ausarbeitung der „Arbeitsgruppe Bundessynode ": „Information zum Verlauf und Ergebnis der Synode des BEK (Bund der evangelischen Kirchen) in Görlitz 1987". Görlitz, 22. September 1987 BArchP, DO 4 STSf Kirchenfragen Nr. 787[Dublette ohne Rechtschreibfehler in Berlin, DY30/IVB 2/14/93]. Die Aussteller wurden durch die Verf. erschlossen.
SAPMO
Vom 18. bis 22. September fand in Görlitz eine Tagung der Synode des BEK statt. Die K e r n p u n k t e der Tagesordnung waren: -
der Bericht der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen 1 3 6 langfristig vorbereitete Eingaben zur kirchlichen Friedensarbeit sowie zur „Absage an Praxis u n d Prinzip der Abgrenzung" 1 3 7 sowie die Diskussion zu Fragen der kirchlichen Arbeit u n d Strukturen (konziliarer Prozeß 1 3 8 , Diakonie, Gemeindearbeit). Die Synode n a h m einen widersprüchlichen Verlauf. Ein politisch positives Ergebnis
135
Vom 24. bis 2 8 . 6 . 1 9 8 7 . Vgl. C. DIECKMANN: G o t t in Berlin u n d die Folgen.
136
E P D DOKUMENTATION 4 4 / 8 7 , S. 1 - 1 4 .
1,7
Vgl. Dok.
138
Vgl. auch J. GARSTECKI: Selbstorganisationspotentiale der DDR-Gesellschaft.
3/2.
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Dokument 19
ist ein Beschluß 139 , in dem ein Abkommen zu den nuklearen Mittelstreckenwaffen begrüßt und unterstützt wird und weitergehende abrüstungspolitische Initiativen gefordert werden. Der Gesamtverlauf der Tagung zeigte, daß im Gefolge der Abrüstungsinitiativen der Sowjetunion und unserer offensiven Dialog- und Friedenspolitik, des Besuches des Generalsekretärs des Z K der S E D und Vorsitzenden des Staatsrates, Genossen Erich Honecker, in der BRD 1 4 0 die innerkirchlichen Gegensätze verschärft aufbrechen und die Polarisierung weiter fortschreitet. Die Synode war dadurch charakterisiert, daß es zu einer auf hohem Niveau geführten Auseinandersetzung zwischen den kirchenleitenden Kräften sowie der Mehrheit der loyalen Synodalen auf der einen Seite und einer kleinen politisch reaktionären Gruppe, die offensichtlich stark von außen gesteuert wurde, auf der anderen Seite kam. Im Gegensatz zu vorangegangenen Synodentagungen, wo die negativen Kräfte allein das Feld beherrschten und das Klima bestimmten, gab es ein stärker abgestimmtes Vorgehen und Auftreten realistischer Synodaler. Prof. Dr. Hertzsch (Jena), Dr. König (Erfurt) waren dabei mit Erfolg um größeren theologischen Tiefgang und politische Klarheit bemüht. Sie wurden von elf weiteren Synodalen in unterschiedlicher Qualität unterstützt. Selbst solche als problematisch bekannte Synodale, wie Sup. Große (Saalfeld) sowie Schorlemmer (Wittenberg) konnten nicht umhin, öffentlich gegen die von Propst Falcke eingebrachte provokatorische Eingabe Stellung zu nehmen. Trotz dieser Entwicklung konnte nicht verhindert werden, daß das Gesamtergebnis der Synode durch eine Reihe von Beschlüssen mit negativen, realitätsfremden und gegen unsere Politik gerichteten diffamierenden Positionen geprägt wurde, die mit deutlicher Mehrheit verabschiedet wurden. Das ganze Verhalten und die Diktion des Auftretens auch einiger kirchenleitender Personen und einflußreicher Amtsträger war von einem übertriebenen Selbstbewußtsein, ohne Augenmaß für die Realitäten und den kirchlichen Auftrag geprägt. Die Tendenz, über alle gesellschaftlichen Themen und für alle Bürger reden zu wollen, erhielt deutlichen Auftrieb. Obwohl es auf Grund des entschiedenen Widerspruchs realistischer Kräfte nicht gelang, den Antrag des Erfurter Propstes Heino Falcke gegen Geist und Praxis der Abgrenzung zum Beschluß zu erheben und dieses Konzept von der Synode nicht mitgetragen wird, wurde ein Brief an die Eingeber 141 (194 Eingaben mit 428 Unterschriften) verfaßt. In ihm sind im Prinzip alle entscheidenden negativen Positionen, wie im ursprünglichen Material, enthalten. Die Eingeber werden aufgefordert, in einen Gesprächsprozeß mit der Synode einzutreten. Zusätzlich wurde eine kirchliche Tagung' 4 2 zu diesen Themen angeregt. In weiteren Beschlüssen (siehe Anlagen) werden in einer anmaßenden und herausfordernden Weise umfassende Forderungskataloge an Staat und Gesellschaft aufgestellt. Aus ihnen spricht deutlich die Intention, daß die Kirchen gleichberechtigter Partner des sozialistischen Staates seien, die Ideologie des „Wächteramtes der Kirche" wird erneut kultiviert. Bezeichnend war, daß wie schon auf den vorangegangenen Tagungen einige profilierte kirchenleitende Personen (die Bischöfe Hempel und Gienke, Stolpe zeitweilig) nicht Das ist „Bekennen in der Friedensfrage"; vgl. Dok. 4. Vom 7. bis 11.9.1987. Vgl. Η. N . JANOWSKI: Dialektik der Abgrenzung. " " Vgl. Dok. 3/4. 142 Gemeint ist das „Abgrenzungs"-Seminar, das am 16.1.1988 in Oranienburg stattfand. 139 140
Ausarbeitung der „Arbeitsgruppe Bundessynode"
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an der Synode teilnehmen. Andere Bischöfe, so Rogge (Görlitz) und Stier (Schwerin), traten nicht in Erscheinung. Lediglich der Vorsitzende der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen, Landesbischof Klick 143 , der Magdeburger Bischof Demke sowie der stellvertretende Kirchenbundvorsitzende, Konsistorialpräsident Stolpe, brachten ihre Positionen in differenzierter Weise vor der Synode zum Ausdruck (siehe Anlagen). Kirchenleitende Vertreter gingen insgesamt mit viel taktischem Kalkül und großer Zurückhaltung vor und ließen [es] spürbar an weiterführenden konstruktiven Standpunkten fehlen. Die verstärkte offensive Einflußnahme von Mitarbeitern der Ständigen Vertretung der B R D (3 Personen) sowie weiteren Diplomaten (USA 2 Personen; 144 Großbritannien 1 Person) und von westlichen Medienvertretern (hier hat sich besonders Epd-Korrespondent Röder hervorgetan) nahm ein bislang nicht bekanntes Ausmaß an und wurde demonstrativ und offen praktiziert. Der Bericht der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen bot wenig Ansatzpunkte für einen durchgängig konstruktiven Diskussionsverlauf. In diesem Bericht wird der Versuch unternommen, durch die Bekräftigung kirchlicher Positionen aus den Anfangsjahren des evangelischen Kirchenbundes (zitiert wird der KKL-Bericht an die Synode 1973' 4 5 ) Kontinuität beim Bemühen um die inhaltliche Ausgestaltung der Formel von einer „Kirche im Sozialismus" aufzuzeigen. Richtig wird festgestellt, daß sich die Bereitschaft, Verantwortung wahrzunehmen, heute in erster Linie im kirchlichen Friedensengagement dokumentieren müsse. Die kirchliche Beteiligung am Olof-PalmeFriedensmarsch 146 habe neue Einsichten gefördert und Möglichkeiten des Zusammenwirkens mit den gesellschaftlichen Kräften aufgezeigt. Sowohl im Bericht der K K L , während der Diskussion, wie auch in den Beschlüssen fehlen prinzipielle weitergehende Aussagen zur Ausfüllung der Formel einer „Kirche im Sozialismus", zur Entwicklung des Verhältnisses zum sozialistischen Staat, insbesondere auch im Blick auf den 6. März 1988' 4 7 . Der Kirchenleitungsbericht, der ungewöhnlich kurz gehalten ist, trägt Kompromißcharakter. Obwohl in ihm Zuspitzungen und Verschärfungen vermieden werden, sind alle von den Kirchen aufgeworfenen Fragen (Volksbildung, Wehrdienstfragen, Informationspolitik, „mündige Bürger") aufgelistet und gestellt. Es wird festgestellt: Im Berichtszeitraum haben sich die Problemfelder im Verhältnis von Staat und Kirche nicht wesentlich verändert. Im Bereich von Bildung und Erziehung gibt es unverändert Grundsatzfragen. Obwohl die Klärung der vorgebrachten Einzelfälle Bestätigung findet, wird vorgebracht: „Trotzdem ist es nach wie vor nötig, daß eine Erörterung der Grundsatzfragen auf kompetenter Ebene erfolgt und die im Gespräch zwischen dem Vorsitzenden der Konferenz und dem Staatsratsvorsitzenden am 11. Februar 1985 1 4 8 benannten handhabbaren Regelungen gefunden werden." In ähnlicher Weise wird zu Wehrdienstfragen, zur „Rechtspraxis" (Entscheidungen über Anträge zu Besuchsreisen), zur Informationspraxis („in dem Bewähren um eine Schreib- oder Ubertragungsfehler; muß heißen: Leich. Für die U S A nahmen teil: Gregory Sandford und Jonathan Greenwald (Gespräch GREENWALD mit den Verf. am 27.10.1994). 145 Der KKL-Bericht der vom 26. bis 29.5.1973 in Schwerin tagenden I. Bundessynode ist abgedruckt in: E P D DOKUMENTATION 25/73, S. 2 - 2 6 . 146 Vom 1. bis 18.9.1987. Vgl. M. HERRMANN: Ein Stück „Glasnost" - um des Friedenswillen. 147 10. Jahrestag der Begegnung Honeckers mit Schönherr und KKL-Vorstand. 148 Gespräch des damaligen KKL-Vorsitzenden Bischof Hempel mit Honecker. 143 M4
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Dokument 19
dem Zusammenleben dienende Wahrhaftigkeit dürfen wir als Christen in dieser Gesellschaft nicht müde werden") Stellung genommen. Oberkirchenrat Petzold, der Direktor des Diakonischen Werkes, übergab der Synode einen historisch angelegten Bericht 149 . In ihm wird vor allem für eine stärkere Einbindung und Gemeindebezogenheit der diakonischen als kirchliche Lebensäußerung plädiert und die „den sozialen Frieden, also den inneren Frieden" befördernde Dimension der diakonischen Arbeit herausgestellt. „Rückblickend auf mehr als 4 Jahrzehnte diakonischer Arbeit können wir ... bestätigen: Respekt, Verständnis, Anerkennung und Vertrauen im Verhältnis von Staat und Kirche sind in nicht geringem Maße durch den Dienst der Kirche im sozialen Bezugsfeld gefördert worden". Die Diskussionen während der Tagung wurden mit ungewöhnlicher Deutlichkeit und Schärfe geführt und haben zur Vertiefung des politischen Polarisierungsprozesses geführt. Schwerpunkt der Auseinandersetzungen war die Debatte zur Vorlage 8 (gegen Geist und Praxis der Abgrenzung) und den von Propst Dr. Falcke vorgetragenen „Erläuterungen" dazu. 1 5 0 Falcke verstieg sich zu der Erklärung, die DDR-Gesellschaft sei krank. Die Politik des Dialogs sei nur glaubwürdig, wenn völlige Reisefreiheit eingeräumt werde. Die Mauer müsse weg. Falcke forderte, der Ö f f n u n g nach außen müsse die Ö f f n u n g nach innen folgen, unterstellte einen latenten Rassismus gegenüber Ausländern in der D D R und diffamierte den bewaffneten Wehrdienst. Gegen diese Angriffe wandten sich offensiv die Synodalen Prof. Hertzsch, Dr. König, Bischof Dr. Demke, O K R Dr. Petzold, Semper u.a. Im Gegensatz zu seinem bisherigen Auftreten auf Synoden trat Sup. Große durchgängig konstruktiv und realistisch auf. Gegen Falcke wandte sich auch Pfarrer Schorlemmer, der in weiteren Ausführungen selbst massive Angriffe gegen die Politik der D D R richtete. Durch ihr sachliches Auftreten trugen Pastorin Salinger, Frau Scheidig, Dipl.-Ing. Krause, Dr. Domke, Pf. Adolph, Dr. Dorp, Pf. Passauer und Direktor Berger zur Stärkung realistischer Positionen in der Synode bei. Die Synodale Lättig legte ein klares Bekenntnis zur D D R ab, in der sie gern lebe. Sie wurde durch die Synodalen Böhling und Welz unterstützt. Politisch negative Aussagen trafen Frau [ Ö ] K R Cynkiewicz, welche das Gespräch mit dem Staatssekretär für Atomsicherheit und Strahlenschutz, Prof. Sitzlack 151 , abwertete und die Forderung nach Sachverhandlungen mit dem Staat erhob. Die Kirche solle prüfen, was sie sich vom Staat weiter zumuten lassen wolle. Frau Dehne, Pastorin Höppner und Pastor Taetow waren bestrebt, das Synodenklima durch provokatorische Auftritte anzuheizen. Pf. Schorlemmer zeichnete vor offenen Westkameras ein düsteres Bild des gesellschaftlichen Lebens in der D D R (wir stehen vor Trümmern der gesellschaftlichen Ideale, der Kulturpolitik, Ö k o n o m i e und Umwelt; Städte verfallen), forderte unkontrollierte Reisefreiheit und forderte dazu auf, dem Staat auch für ihn unverdauliches zu sagen. Präses Dr. Gaebler unterstützte durch seine Verhandlungsführung sichtbar die Positionen politisch-negativer Kräfte in der Synode. So wandte er sich z.B. gegen Bei-
145
E P D DOKUMENTATION 4 4 / 8 7 , S. 2 2 - 3 1 .
Falckes „Erläuterungen", also sein Einbringungsreferat, ist abgedruckt als Dok. 3/3, der Antragstext als Dok. 3/2. 151 Das Gespräch mit Staatssekretär Sitzlack hatte am 2.9.1987 stattgefunden. Zu den Äußerun150
gen Cynkiewiczs vgl. auch Kap. 4.2.1, S. 107.
Redemanuskript
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fallsbekundungen für realistische Stellungnahmen und räumte rechten Kräften auch dann noch die Möglichkeit von Stellungnahmen ein, wenn Diskussionen zum Thema schon beendet waren. Von den Grußworten ökumenischer Gäste hatten lediglich die Ausführungen vom Exarchen der ROK, Erzbischof German 152 , sowie von Sup. Radatz 153 (EKD) politisches Gewicht. Sup. Radatz sprach ausdrücklich seinen persönlichen und den Dank und die Anerkennung der EKD für den Besuch Erich Honeckers in der BRD aus. Damit sei ein Signal für die Verständigung und den Dialog gesetzt und Mißtrauen abgebaut worden. Gleiches gelte für das gemeinsame Dokument von SPD und SED, das gründlich gelesen werden müsse. Es sei kein Manifest der Verbrüderung, sondern ein Dokument des systemoffenen Dialogs. In seinem Grußwort ging Erzbischof German auf die Vorbereitung der 1000-Jahrfeier der Christianisierung Rußlands ein. Er unterstellte der Sowjetregierung Einmischungen in kirchliche Belange, behauptete, der Druck von Bibeln würde verboten und forderte, der Kirche in der UdSSR endlich ihre legitimen Rechte zuzugestehen. 154
DOKUMENT 20
Redemanuskript. [Ohne Ort, etwa 22. September 1987] BArchP, DO 4 STS f . Kirchenfragen Nr. 787. Der Text basiert offensichtlich auf Dokument 19 und stammt vermutlich von der ZK-Arbeitgruppe Kirchenfragen. Liebe Genossen! Einige Entwicklungen, die sich insbesondere während der Synodentagung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der D D R ( B E K ) in Görlitz vom 18. bis 22. September zeigten, sind uns Anlaß, über unseren Standpunkt zum Verhältnis des sozialistischen Staates zu den evangelischen Kirchen in der D D R zu informieren. Bekanntlich fand diese Tagung unmittelbar nach der bedeutsamen Reise des Generalsekretärs des Z K der SED und Vorsitzenden des Staatsrates, Genossen Erich Honecker, in die BRD 155 statt. Während der Tagung wurde die gemeinsame Erklärung der UdSSR und der USA zur prinzipiellen Einigung über ein Abkommen zur weltweiten Beseitigung ihrer nuklearen MittelstreckenwafFen veröffentlicht. Damit rückt erstmals in der Geschichte die Chance 152 Auszüge abgedruckt in: E P D DOKUMENTATION 4 4 / 8 7 , S. 55. Vgl. auch Darstellung, Kap. 4.1.1, S. 92f. Vgl. Kap. 4.3.1, S. 118f. der Darstellung.. 154 Vgl. auch BStU (ZA Berlin), H A X X - Z M A 1967, S. 3f. Basierend auf einer T o n b a n d a u f zeichnung waren diese kritischen Äußerungen G e r m a n s direkt an die Berliner Kirchenabteilung des M f S weitergeleitet worden. G e r m a n hatte bereits Anfang September 1987 gegenüber E P D geäußert, er erwarte als Folge der von „Gorbatschow eingeleiteten gesellschaftlichen Reformen" eine Verbesserung des Staat-Kirche-Verhältnisses in der Sowjetunion ( E P D Z A Nr. 167 vom 2.9.1987, S. 2).
V o m 7 . b i s 1 1 . 9 . 1 9 8 7 . V g l . Η . N . JANOWSKI: D i a l e k t i k d e r A b g r e n z u n g .
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Dokument 20
in greifbare Nähe, daß das Tor zu wirklicher Abrüstung geöffnet wird. Die D D R unterstützt durch ihre aktive Politik des Dialogs und der Verständigung, wie das der B R D Besuch des Genossen Honecker erneut anschaulich zeigte, alles, was im Sinne der Verhinderung einer nuklearen Katastrophe wirkt und fördert alles, was dem Frieden dient. Sie ist bereit, dafür ihre ganze Autorität und ihr großes Gewicht in die Waagschale zu werfen. Diese Politik wird von allen Menschen in unserem Lande, auch den Bürgern christlichen Glaubens, mitgetragen und durch ihre schöpferische Mitarbeit bei der allseitigen Stärkung der D D R unterstützt. Im Gegensatz zu diesen Tatsachen und im Widerspruch zu den Interessen der überwältigenden Mehrheit der Gläubigen, der kirchlichen Amtsträger und auch der Kirchenleitung selbst verhielt sich die Synode des B E K . Sie nahm einen widersprüchlichen Verlauf und schuf mit ihren Beschlüssen ein der Gesamtentwicklung der internationalen Situation, den Realitäten und der Politik der D D R völlig entgegengesetztes Bild. Obwohl mit dem Bericht der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen 156 eine akzeptierbare, auf Verständigung und Interessenausgleich gerichtete Plattform vorgelegt wurde und eine Reihe realistischer, loyaler Synodale [r] profiliert auftrat, gelang es einer kleinen, offenbar von außen gesteuerten Gruppe, eine für uns nicht akzeptable Linie und eine Reihe von provokatorischen Beschlüssen durchzusetzen. Neu war, daß es im Gegensatz zu vorangegangenen Synodentagungen, wo die negativen Kräfte allein das Feld beherrschten und das Klima bestimmten, ein stärker abgestimmtes Vorgehen und Auftreten solcher realistischer Synodalefr] wie Prof. Dr. Hertzsch (Jena), Dr. König (Erfurt), Dr. Domke (Potsdam), Dipl.-Ing. Krause und O K R Dr. Petzold (beide Berlin) u.a. gab, die mit Erfolg um größeren theologischen Tiefgang und politische Klarheit im Auftreten bemüht waren. Auf der Synode brachen im Gefolge der erfolgreichen Entwicklung unseres Landes und unserer offensiven Dialog- und Friedenspolitik die innerkirchlichen Gegensätze verschärft auf, setzte sich die Polarisierung der Kräfte weiter fort. Während die realistischen Synodalen um Zurückhaltung bemüht waren und die in Gang gekommene Entwicklung in keiner Weise stören wollten, war das Verhalten und das Auftreten weniger einflußreicher Amtsträger von einem übertriebenen Selbstbewußtsein, ohne Augenmaß für die Realitäten und den eigentlichen kirchlichen Auftrag geprägt. Die Tendenz, über alle gesellschaftlichen Themen und für alle Bürger reden zu wollen, erhielt deutlich Auftrieb. Einerseits gelang es durch den entschiedenen Widerspruch realistischer Kräfte nicht, das Konfrontationspapier 157 des Erfurter Propstes Heino Falcke zum Beschluß zu erheben; andererseits wurden in einer Reihe von Beschlüssen in einer anmaßenden und herausfordernden Weise umfassende Forderungskataloge an Staat und Gesellschaft aufgestellt (so zur Volksbildung, zu Wehrdienstfragen, zur Rechtspraxis, zur Informationspolitik, zum „mündigen Bürger"). Aus ihnen spricht deutlich das Bemühen, die Kirchen als gleichberechtigten Partner des sozialistischen Staates zu verstehen und das sogenannte, in der Vergangenheit strapazierte Wächteramt der Kirche wieder ins Gespräch zu bringen. Obwohl es der sozialistische Staat in den vergangenen Jahren, wie jedermann weif?, nicht an gutem Willen fehlen ließ und viel Verständnis für die kirchlichen Belange aufgebracht hat (es sei hier nur an den Berliner Kirchentag erinnert), gab es auf dieser Synode keine positiven Aussagen über das Verhältnis zum Staat, gehen
156
157
3/4.
E P D DOKUMENTATION 4 4 / 8 7 , S. 1 - 1 4 .
Gemeint ist die „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung". Vgl. Dok. 3/2 sowie Dok.
Redemanuskript
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einige Leute jetzt sogar daran, die Formel von der „Kirche im Sozialismus" völlig zu entleeren. Bezeichnend war, daß, wie schon auf den vorangegangenen Tagungen, einige profilierte kirchenleitende Persönlichkeiten (die Bischöfe Hempel und Gienke) nicht an der Synode teilnahmen. Weitere Bischöfe, so Rogge (Görlitz) und Stier (Schwerin), traten nicht in Erscheinung. Lediglich der Vorsitzende der Konferenz, Landesbischof Leich, sowie seine beiden Stellvertreter, der Magdeburger Bischof Demke und Konsistorialpräsident Stolpe, traten vor der Synode auf. Niemand trat jedoch den unverschämten, unsere Politik grob diffamierenden Ausfällen der Synodalen Falcke (Erfurt), Schorlemmer (Wittenberg), Cynkiewicz (Berlin) engagiert und entschieden genug entgegen. Bei dieser Synodentagung des B E K handelt es sich offenbar um eine, auch von außen gesteuerte Kampagne, die von Leuten betrieben wird, die den Besuch des Generalsekretärs des Z K und Vorsitzenden des Staatsrates, Genossen Erich Honecker, in der B R D herunterspielen und seine guten Wirkungen stören möchten, um Leute, denen offenbar die ganze Richtung nicht paßt. Es geht jetzt darum, daß sich die realistischen Kräfte in den Kirchenleitungen und an der kirchlichen Basis nicht vom Weg des 6. März 1978 abbringen lassen und die evangelischen Kirchen verstärkt im Sinne unserer Politik des Volkswohls und der Friedenssicherung wirken. Was uns angeht, bleiben wir bei der im Parteiprogramm festgelegten Politik, die die Gleichberechtigung und Gleichachtung aller Bürger gewährleistet und auch den Bürgern christlichen Glaubens breiteste Möglichkeiten zur aktiven Mitwirkung an der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft einräumt. 158 Das Wirken und die Tätigkeit der Bürger christlichen Glaubens sind hoch geschätzt und geachtet und aus dem Leben unserer Gesellschaft, wie das erst kürzlich die Bezirksdelegiertenkonferenzen der C D U anschaulich unter Beweis stellten, nicht wegzudenken. Im täglichen Leben selbst spüren sie die Vorzüge des Sozialismus. Sie schätzen es hoch ein, wie in unserem Land die Familie gefördert wird und die Kinder geschützt sind, daß jeder Schüler eine Lehrstelle hat und eine Arbeit findet. Sie wissen, in unserem Lande gibt es keine verlorene Generation, hat jeder eine gesicherte Zukunft. In der D D R sind die grundlegenden fundamentalen Menschenrechte, wie das Recht auf Arbeit, Bildung, soziale Sicherheit, die Gleichberechtigung der Frau, die Förderung der Jugend, vor allem aber das Recht auf ein Leben in Frieden und Glück, Realität. Die D D R ist der erste Staat auf deutschem Boden, der keinerlei territoriale Forderungen an andere stellt, der die im Gefolge der Nachkriegsentwicklung entstandenen Grenzen nicht in Frage stellt, sondern ihre Anerkennung als ein Instrument der Stabilität und Sicherheit in Europa betrachtet. Wer an dieser Grenze, die nicht nur eine Grenze zwischen zwei Staaten, sondern die Grenze zwischen den beiden mächtigsten Militärkoalitionen ist, rüttelt, wer sie ganz weghaben möchte, wer gesamtdeutsche Träume damit verbindet, wie das auf der Bundessynode in Görlitz der Fall war, ist daran zu erinnern, daß mit dem Rückfall in solche, der Zeit des „kalten Krieges" angehörenden Klischees und Denkkategorien heute nicht Frieden und Sicherheit gefördert, sondern gefährdet werden. Wenn man die zurückliegenden Jahre und besonders auch das Jahr 1987 überdenkt, 1,8
I m P r o g r a m m der S E D steht nicht m e h r als: „ D e r sozialistische Staat garantiert allen B ü r g e r n
d i e p o l i t i s c h e n Freiheiten u n d sozialen R e c h t e : [...] d i e G l e i c h b e r e c h t i g u n g d e r B ü r g e r u n a b h ä n g i g v o n rassischer u n d n a t i o n a l e r Z u g e h ö r i g k e i t , von W e l t a n s c h a u u n g , religiösem B e k e n n t n i s u n d s o zialer S t e l l u n g " (PROGRAMM D E R SOZIALISTISCHEN EINHEITSPARTEI DEUTSCHLANDS, S. 5 6 ) .
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Dokument 20
so bestätigt sich für jeden sichtbar, daß unsere Politik gegenüber den Kirchen langfristig auf Zusammenwirken, auf Kooperation und auf Verständigung, auch in schwierigen Fragen ausgerichtet war und ist. Wir gehen davon aus, daß die heutige Zeit auch den Kirchen eine höhere Verantwortung und besondere Verpflichtung auferlegt. Diese Zeit beweist außerdem: Mit Vernunft und gutem Willen, mit Dialogbereitschaft und Konstruktivität ist vieles lösbar. Mißtrauen und Beargwöhnung, Zuspitzungen und Verschärfungen, wie auf der Synodentagung praktiziert, bringen niemandem etwas, am allerwenigsten den Kirchen selbst. Von unserer Seite hat es nie an gutem Willen gefehlt, der allerdings auf der Kirchenseite eine Entsprechung finden muß. Wer aber meint, daß das in Richtung Westmedien betriebene „öffentliche Nachdenken" oder das laute Geschrei über Forderungen an Staat und Gesellschaft in Volksbildungs-, Wehrdienst-, Rechtsfragen usw., wie das auf der Synode an der Tagesordnung war, etwas nützt und voranbringt, muß enttäuscht werden. Wer ständig draufsattelt und das Erreichte geringschätzt, wird das Gegenteil in Kauf nehmen müssen. Zerrbilder helfen hier nicht. Die Tatsachen zeigen, unser Vorgehen, die Einzelfragen in einvernehmlicher Weise zu regeln, hat sich bewährt, auch im Bildungsbereich. In aller Welt ist zudem anerkannt, welch hohen Rang Bildung und Erziehung in unserem Lande haben. Ständige öffentliche Erklärungen und Auflistungen von Fällen sind die denkbar ungeeignetsten Mittel zur Lösung der Fragen. Diejenigen, die immer neue Forderungen stellen und durch Druck dem sozialistischen Staat Zugeständnisse abpressen wollen, sollten begreifen, daß ein solches Vorgehen im Widerspruch zu den Realitäten, zur Entwicklung und ihren positiven Ergebnissen steht. Aus Konfrontation und Diffamierung, die letztlich den westlichen Medien noch Munition für ihre Angriffe liefern, lassen sich keine konstruktiven Lösungen aufbauen. Eine Kirche, die sich als Kirche im Sozialismus versteht, muß und kann ihr Wirken in Ubereinstimmung mit humanistischen Grundsätzen des sozialistischen Staates gestalten und staatsbürgerlich loyales Verhalten unter den kirchlichen Amtsträgern fördern und fordern. Sie hat keinerlei Anlaß, in staatspolitischen Fragen gegen den Staat und die gesellschaftliche Ordnung Stellung zu nehmen. Die „Kirche im Sozialismus" ist eine Kirche, die das Prinzip der Trennung von Staat und Kirche so versteht, daß die Chancen und Möglichkeiten kirchlichen Wirkens mit der Verpflichtung zur Einhaltung der Gesetze und der Respektierung der in ausschließlicher Kompetenz des sozialistischen Staates liegenden Fragen verknüpft werden. Deshalb kann es kein „Mitspracherecht" und kein „Wächteramt" der Kirche geben, sind Illusionen über die Möglichkeit, Staat und Gesellschaft in einer Art „kritischer Assistenz" begleiten zu wollen, völlig haltlos. Die Zurückweisung und konsequente Unterbindung aller Einmischungsversuche der Kirchen in staatliche Angelegenheiten ist eine notwendige Voraussetzung für die Fortführung dessen, was am 6. März 1978 von beiden Seiten gesagt und zugesichert ist. Es verträgt sich nicht mit diesen Grundsätzen und hat mit freier Religionsausübung nichts zu tun, wenn anstelle kirchlicher und seelsorgerlicher Tätigkeit Veranstaltungen demonstrativen, reaktionären Charakters treten, wenn kirchliche Räume von republikfeindlichen Personen als „Freiräume" genutzt und wenn die entsprechenden Gesetze und Verordnungen (Veranstaltungsverordnung, Druckgenehmigungspflicht usw.) ständig umgangen werden. Das alles widerspricht dem religiösen Auftrag der Kirchen und dem religiösen Anliegen der christlichen Bürger. Die Auseinandersetzung um diese Fragen sollte differenziert geführt werden. Es bleibt in diesem Zusammenhang ein bewährtes Prinzip, kirchenleitende Persönlichkeiten und Organe für die Verhinderung und Kor-
Ausarbeitung der HA X X des Ministeriums für Staatssicherheit
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rektur negativer Erscheinungen in Anspruch zu nehmen und die Auseinandersetzungen weiter in die Kirchen hinein zu verlagern. 159 Bei der weiteren Gestaltung der Beziehungen des Staates zu den Evangelischen Kirchen in der D D R gehen wir davon aus, daß wir die Linie des Gespräches vom 6. März 1 9 7 8 fortführen, und zwar unter strikter Einhaltung des Verfassungsgrundsatzes der Trennung von Staat und Kirche. Das entspricht den Herausforderungen unserer Zeit, der Politik des Dialogs und der Verständigung wie auch den Erfordernissen bei der weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft. Auch in der Zukunft ordnen wir die Entwicklung und Festigung konstruktiver Beziehungen von Staat und Kirche in die Gesamtpolitik der Partei ein. Hauptanliegen bleibt es, die verfassungsmäßigen und von gegenseitigem Verständnis getragenen Beziehungen auszubauen und stabil zu gestalten. Für die Weiterführung unserer bewährten Linie in der Politik gegenüber den Kirchen ist es unerläßlich, das aktive politische Gespräch intensiver und mit noch höherer Qualität zu führen. Daraus ergeben sich folgende Maßnahmen' 6 0 :
DOKUMENT 21 Ausarbeitung der HA XX des Ministeriums für Staatssicherheit über den Verlaufder Bundessynode. Berlin, 2. Oktober 1987 BStU Berlin (ZA Berlin), HA XXJAKG-124, S. 232-244; mit masch. Vermerk: „Streng geheim! Um Rückgabe wird gebeten!"; mit hsl. Vermerk: „HA XX". Information über beachtenswerte Aspekte der 3. ordentlichen Tagung der V. Synode des Bundes Evangelischer Kirchen (BEK) in der D D R vom 18. bis 2 2 . September 1987 in Görlitz Im Mittelpunkt der 3. ordentlichen Tagung der V. Synode des B E K standen - wie bereits in der Vorbereitungsphase erkennbar - aktuelle kirchen- und gesellschaftspolitische Fragen und Problemfelder. Die Synode stand objektiv vor der Aufgabe, Stellung zu nehmen zur aktuellen Interpretation der Formel „Kirche im Sozialismus" in Reflexion aktueller gesellschaftspolitischer Ereignisse/Belange (Staatsbesuch des Vorsitzenden des Staatsrates der D D R in der B R D ' 6 1 ; der Olof-Palme-Friedensmarsch 162 ; das gemeinsame Dokument S E D - S P D 159 Die interne Überlegung, die .Auseinandersetzungen weiter in die Kirchen hinein zu verlagern" und gleichzeitig offiziell von der Kirchenleitung zu verlangen, auf jegliche Einmischung in staatliche Angelegenheiten zu verzichten, verdeutlicht die Perfidie staadichen Vorgehens gegenüber der evangelischen Kirche. Die Gründe für die immer stärker aufbrechenden Konflikte in der Gesellschaft der D D R wurden weitgehend ignoriert und die Probleme auf die Kirche übertragen. Die S E D - F ü h r u n g begrenzte ihre Initiative, diese innergesellschaftliche Krise zu lösen, darauf, die Kirche als „Prellbock" zu benutzen und verstärkt unter Druck zu setzen. 160 161 162
Diese Maßnahmen waren dem D o k u m e n t nicht beigelegt. Vom 7 . bis 1 1 . 9 . 1 9 8 7 . Vom 1. bis 1 8 . 9 . 1 9 8 7 .
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Dokument 2 1
„Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit") sowie in innerkirchlicher Hinsicht zum konziliaren Prozeß. Einen wesentlichen Beratungskomplex bildete die im Zusammenhang mit einem Antrag von Propst Heino FALCKE/Erfurt an die Synode stehende Problemstellung .Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung". 163 Innerkirchliche und theologische Problemstellungen hatten in den Beratungen keine Dominanz. 1 6 4 Der Verlauf der Synode war insgesamt durch kontroverse Auffassungen der Teilnehmer zu fast allen Themen- und Problemkreisen gekennzeichnet, was seitens westlicher Medien zum Anlaß intensiver einseitiger und tendenziöser Berichterstattungen unter solchen Schlagworten wie „Kirche streitet über Forderungen an den Staat", „Synode der D D R führt heiße Debatte ..." genommen wurde. 165 Nach dem M f S streng intern vorliegenden Hinweisen wurde auf der Synode unter Beachtung des anstehenden 10. Jahrestages des Gespräches des Vorsitzenden des Staatsrates der D D R mit dem Vorstand der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen (KKL) vom 6. März 1 9 7 8 nur ungenügend der Versuch unternommen, eine realistische Positionsbestimmung der Beziehungen Staat - Kirche vorzunehmen und den künftigen Weg einer „Kirche im Sozialismus" deutlicher zu bestimmen. 1 6 6 Die Beratungen auf der Synode trugen des weiteren nicht dazu bei, den konkreten Beitrag der evangelischen Kirchen in der D D R an der Politik des aktiven Dialogs zur Unterstützung der Friedensund Abrüstungspolitik der D D R eindeutig festzulegen - es wurden weder klare Stellungnahmen abgegeben noch konstruktive, den eigenen Anteil verbindlich definierende Vorschläge über das künftige eigene Vorgehen unterbreitet bzw. Beschlüsse gefaßt, die auch kirchlicherseits der aktuellen politischen Lageentwicklung Rechnung tragen. 167 Ursache dafür sind die nach wie vor vorhandenen und sich besonders hinsichtlich der Bestimmung der künftigen strategischen Linie des Handelns der evangelischen Kirchen in der D D R z.T. weiter vergrößernden Differenzen sowohl unter kirchenleitenden Kreisen als auch zur und an der Basis. Von den 6 0 an der Tagung teilnehmenden Synodalen vertraten ca. 2 5 Personen konstant politisch realistische Positionen. Ihr Auftreten war wesentlich zurückzuführen auf eine gezielte abgestimmte gesamtgesellschaftliche Einflußnahme auf diese Personen vor der Synodaltagung und unterstützt durch in jüngster Zeit durch den Staat praktizierte Formen des Zusammenwirkens mit der Kirche (u.a. Olof-Palme-Friedensmarsch) — durch eine neue Qualität gekennzeichnet. Diese Synodalen gaben sich im Plenum offen zu erkennen, führten die Auseinandersetzung mit politisch-negativ auftretenden Personen und versuchten energischer als zu gleichartigen Anlässen, ihren Einfluß auf Inhalt und Verlauf der Synode bis hin zur Abfassung der Abschlußdokumente geltend zu machen. Die gegenwärtige Kräftekonstellation, vor alVgl. Dok. 3 / 1 - 4 . Auch wenn sich diese Feststellung nur auf die Plenardebatte um den Falcke-Antrag beziehen sollte, zeigt sich hier die einseitige Sicht des Ministeriums für Staatssicherheit. Immerhin spielte nicht zuletzt bei der Überweisung der „Absage" die in dem Antrag verwendete Begrifflichkeit und ihre Bedeutung aus theologischer Sicht eine Rolle. 165 Vgl. Kap. 6 . der Darstellung. 163 164
166 Derartige „Positionsbestimmungen", die von staatlicher Seite als Ergebnisse von den Synodaltagungen erwartet wurden, waren nicht das Ziel der Bundessynode, zumal sie selbstverständlich nur als solche vom Staat erkannt wurden, wenn sie DDR-freundlich ausfielen. 167 Die Bedeutung des Synodenbeschlusses „Bekennen in der Friedensfrage" wurde in dieser Hinsicht nicht erkannt. Vgl. jedoch S. 3 3 8 .
Ausarbeitung der HA XX des Ministeriums für Staatssicherheit
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lern in den Ausschüssen der Synode, verhinderte jedoch einen bestimmenden Einfluß dieser politisch-realistischen Synodalen bezogen auf das Gesamtergebnis der Beratungen. Dazu konnten auch nicht die von auf realistischen Positionen stehenden profilierten Theologen und kirchlichen Laien an die Synode und ihr Präsidium gerichteten Eingaben und Stellungnahmen politisch positiven Inhalts beitragen. Auf Konstruktivität und Ergebnisbezogenheit orientierende und drängende kirchenleitende Amtsträger wie die Bischöfe LEICH und DEMKE bzw. Konsistorialpräsident STOLPE fanden nicht die notwendige Unterstützung bzw. behielten ihre von Realismus geprägte Konzeption nicht durchgängig bei. Reaktionäre kirchliche und auf politisch-negativen Positionen stehende Synodale haben demgegenüber ihre politischen Zielstellungen zwar nicht wie geplant umfassend realisieren, jedoch auf bestimmten Gebieten weitgehend umsetzen können. Sie profitierten dabei u.a. -
von den Ergebnissen ihrer in Vorbereitung der Synode langfristig organisierten politischen Beeinflussungstätigkeit und „Meinungsmacherei". (So wurden im Ergebnis einer vor allem auch durch Organisatoren und Sympathisanten der sogen. Kirche von unten im innerkirchlichen Bereich inszenierten Kampagne zum Papier ,Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" - es geht auf eine Eingabe einer Kirchengemeinde an die Frühjahrssynode 1987 der Evangelischen Kirche in BerlinBrandenburg zurück und beinhaltet Forderungen nach „rechtlich garantierten Reisefreiheiten für DDR-Bürger nach westlichen Ländern, nach „voller Wiederherstellung der Reisemöglichkeiten zwischen der DDR und der VR Polen", nach .Aufhebung politisch begründeter Reiseverbote" sowie nach „unverzüglicher Einfuhrung von Begründungen im Falle der Ablehnung von Reiseanträgen" usw. insgesamt 194 dieses Papier unterstützende Eingaben/Zuschriften beim Präsidium der Synode eingereicht. Der auf politisch-negativen Positionen stehende Propst FALCKE/Erfurt leitete daraus für sich die Legitimation ab, dieses Papier als Antrag in die Beratung einzubringen.),
-
von der durch den Bericht der KKL an die Synode geschaffenen Ausgangslage. (Der mehrfach überarbeitete Bericht zeugt nach vorliegenden internen Einschätzungen von einer gegenwärtigen Konzeptionslosigkeit bzw. vom Unvermögen oder der Nichtbereitschaft auch innerhalb der KKL, sich den aktuellen kirchen- und staatspolitischen Fragen mit der notwendigen Konsequenz zu stellen. Er orientiert auf die Praktizierung einer vorsichtigen Distanz zu Staat und Gesellschaft sowie auf eine Abwartetaktik zur Vermeidung voreiliger und grundsätzlicher Unterstützung staatlicher Positionen. Er ist darauf angelegt, Konfrontationen mit dem Staat zu vermeiden - damit sollen auch künftig günstigste äußere Bedingungen für die Entwicklung kirchlicher Wirkungsmöglichkeiten erhalten bleiben. In diesem Sinne ist die Aussparung einer Reihe kritischer Aussagen zu im staatlichen Verantwortungsbereich liegenden Problemen im Bericht der KKL an die Synode des BEK zu sehen, die noch auf der vorbereitenden 113. Tagung der KKL zur Diskussion standen. 168 Dazu zählen besonders Hinweise über Verzögerungen im kirchlichen Baugeschehen. Durch Abzug von Baukapazitäten, Nichtzurverfiigungstellung erforderlicher Baubilanzen usw. seien z.T. nicht mehr zumutbare Situationen besonders im Evan168
242).
V g l . Protokoll der 113. Tagung der KKL vom 4 . / 5 . 9 . 1 9 8 7 in Berlin (EZA BERLIN, 101/93/
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gelischen Diakoniewerk Königin Elisabeth/Berlin sowie in einer diakonischen Einrichtung in Rothenburg und in einem Heim für Epileptiker in Ligau-Augustusbad/ beide Bezirk Dresden entstanden. Ungeachtet der Tatsache, solche Problemstellung bewußt ausgeklammert zu haben, werden jedoch Positionen bezogen wie, als Kirche für alle Bürger Sprecher zu sein, eine überzogene Eigenständigkeit zu propagieren, verbunden mit übersteigertem kirchlichen Geltungsbedürfnis und Selbstbewußtsein, „gleichberechtigter" Partner in der Gesellschaft sein zu wollen, weiteres Festhalten an anmaßenden Auffassungen wie „Wächteramt", kritische Solidarität usw.), — von ihrer personellen Überlegenheit in den Ausschüssen der Synode. (Trotz harter Auseinandersetzungen und der Demonstration klarer politischer Standpunkte aus christlicher Motivation seitens realistischer Synodaler konnten sich die politischnegativen Kräfte durchsetzen und die von ihnen vertretenen negativen Positionen in die Inhalte der Beschlußvorlagen einbringen. Sechs der insgesamt 9 von der Synode bestätigten Vorlagen beinhalteten politische Problemstellungen: Die [sie] Vorlage des Ausschusses „Bekennen in der Friedensfrage"' 69 wird undifferenziert, im politisch-negativen Sinne behauptet, daß die „Praxis der Abschreckung" zu einer „Militarisierung des Lebens ..." führe und die Kirche in der Entscheidung von Christen, den Waffendienst oder den Wehrdienst überhaupt zu verweigern, einen .Ausdruck des Glaubensgehorsams" 170 sehe. Christen hätten zu bedenken, ob sie mit der Ableistung des Wehrdienstes mit der Waffe dem Aufbau einer internationalen Friedensordnung dienen würden. Darüber hinaus werden in dieser Beschlußvorlage hinlänglich bekannte negative Positionen und Forderungen zur Reiseproblematik, Friedenserziehung sowie zur Informationspolitik formuliert und deren ausdrückliche Gültigkeit bestätigt. M i t den Beschlußvorlagen zur Problematik „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" bestätigte die Synode trotz Ablehnung des betreffenden Antrages von Propst FALCKE ihre indifferente Haltung. So soll im Jahre 1988 durch die Synode ein Seminar zum T h e m a „ A b g r e n z u n g und Öffnung" durchgeführt werden, zu dem alle Absender solcher Eingaben/Stellungnahmen eingeladen werden sollen. In einem Brief an die Verfasser - bestätigte Beschlußvorlage 171 - werden politisch-negative Kräfte in ihren Auffassungen ermutigt. So u.a. durch Aussagen wie: „Die erfahrene Verwirklichung von Menschenrechten im gesellschaftlichen Bereich unseres Staates ermutigt uns deshalb dazu, im Bereich der Rechte des Einzelnen Gebiete anzusprechen, in denen die Praktizierung der M e n schenrechte erweitert oder deutlicher wahrgenommen werden sollte: Gleichberechtigung und Gleichachtung aller Bürger in allen Bereichen und auf allen Ebenen, Erweiterung der Reisemöglichkeiten, Umgang mit den Bürgern bei Eingaben und Beschwerden und Pflicht zur Begründung bei ablehnenden Bescheiden." Die vom „Berichtsausschuß zur Vereinbarung über Mittelstreckenraketen" erarbeitete Vorlage beinhaltet gesellschaftsindifferente und neutralistisch geprägte allgemeine Aussagen.) sowie -
vom neutralen, unschlüssigen und politisch schwankenden Verhalten weiterer Teil-
Vgl. Dok. 4. Der Text war so formuliert worden, daß die Wehrdienstverweigerung „ein Ausdruck des Glaubensgehorsams", nicht der Ausdruck des Glaubensgehorsams sei. Vgl. S. 336 (auch Anm. 167). 171 Vgl. Dok. 3/4. 169 170
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nehmer der Synodaltagung sowie der Arbeitsweise des Leitungsgremiums. (Nach vorliegenden Hinweisen wurde durch das Präsidium der Synode eine Reihe positiver Aktivitäten nicht entsprechend gewürdigt und z.T. behindert; Präsidiumsmitglieder artikulierten sich selbst politisch-negativ. Die Bischöfe F O R C K und S T I E R sowie Kirchenpräsident N A T H O traten während der Synode überhaupt nicht in Erscheinung. 1 7 2 Nach streng intern vorliegenden Hinweisen wich Bischof G I E N K E durch Nichtteilnahme - er beteiligte sich letztmalig im Jahre 1983 an einer Synode des B E K - erneut der zu erwartenden innerkirchlichen Auseinandersetzung aus.) Von allen im Vorfeld der Synode und in deren Verlauf politisch-negativ in Erscheinung getretenen Personen muß besonders Propst F A L C K E hervorgehoben werden. Er versuchte - in Fortfuhrung derartiger Bestrebungen - sich als Exponent, als Wortführer solcher Kräfte und gleichzeitig als kirchlicher Amtsträger weiter zu profilieren. In demagogischer Art und Weise nutzte er u.a. Aussagen und Formulierungen aus dem gemeinsamen Dokument von S E D und S P D „Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit" zur Begründung hinlänglich bekannter Positionen und Forderungen im kirchlichen Bereich agierender politisch-negativer Kräfte. Er formulierte u.a. -
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„... unsere Gesellschaft (ist) an den Folgen einer früheren aber auch noch fortdauernden Praxis und Ideologie der Abgrenzung schwer krank ..."; Notwendigkeit der „kritischen Assistenz" (Mitwirkung) der Kirche für eine „Politik der Öffnung"; einer „Öffnung nach außen" muß eine „Offenheit nach innen" entsprechen; „... was zwischen Ost und West gilt, muß ... erst recht in der sozialistischen Gesellschaft gelten, auch wenn es sich um die scharfe und zugespitzte Kritik eines Liedermachers handelt" (Anspielung auf den „Liedermacher" K R A W C Z Y K und damit im Zusammenhang stehende Probleme/Auseinandersetzungen); „Die Politik der Öffnung selbst verschärft auch Widersprüche. Je weiter die Entspannung fortschreitet, ... desto monströser steht die Mauer in der politischen Landschaft"; in der D D R sei .Abgrenzung" gegenüber Antragstellern auf Ubersiedlung und in Form eines „latenten Rassismus gegenüber farbigen Menschen" feststellbar.
Insgesamt ist zum Auftreten und Verhalten politisch-negativer Kräfte auf der Synodaltagung festzustellen, daß sie -
gründlich auf die zu erwartende politische Auseinandersetzung vorbereitet waren und weitergehende „Unterstützungsmaßnahmen" organisiert hatten. (So wurde u.a. zur Unterstützung des Vorgehens von FALCKE durch Gäste der Synode und Jugenddelegierte - alles DDR-Bürger - ein 7 6 Seiten umfassendes Pamphlet .Aufrisse" zur Problematik Abgrenzung verteilt, an dessen Ausarbeitung solche hinlänglich bekannten feindlich-negativen Personen beteiligt waren wie die Pfarrer T S C H I C H E / M a g d e b u r g , Edelbert R I C H T E R / W e i m a r und Vikar B I C K HARDT/Berlin),
172 Vgl. Dok. 2 2 . Dort wird gelobt, daß Forck als Gast in dem mit dem Falcke-Antrag beschäftigten Ausschuß einen „sehr mäßigenden" Einfluß ausgeübt habe. Stier hatte sich sogar äußerst kritisch im Plenum zu Wort gemeldet. Vgl. Kap. 4 . 5 . 5 , S. 141. Natho hatte den K K L - B e r i c h t verlesen und einen kurzen Wortbeitrag zum Problem .Ausländer in der D D R " geleistet. Vgl. Kap. 4 . 3 . 2 der Darstellung, S. 1 2 2 .
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mit ihrer immer offenkundiger werdenden „Strategie" der gezielten demagogischen Anknüpfung/Auslegung bezüglich bestimmter Grundfragen der Politik der Partei zu agieren versuchten und dabei gewisse Wirkungen erzielten, sich als relativ geschlossene Opposition darzustellen versuchten.
Seitens westlicher Korrespondenten war ein erhöhtes, spekulatives Informationsinteresse bereits im Vorfeld der Synode erkennbar. Darin eingeordnet ist auch die vom Korrespondenten des „Evangelischen Pressedienstes'VWestberlin (epd), RÖDER, erfolgte tendenziöse Vorveröffentlichung am 17. September 1987 173 über den genannten Antrag von Propst FALCKE. Nach streng internen Hinweisen beabsichtigte RÖDER damit, das Interesse der Synodalen für diese Thematik zu vergrößern und dem „FALCKE-Antrag" moralische und politische Unterstützung zu geben. Ferner verfolgte er die Absicht, dieses Thema in die Öffentlichkeit zu bringen. Die insgesamt 13 zeitweilig die Synode verfolgenden Korrespondenten westlicher Medien (bis auf 2 Personen alle aus der BRD) sowie als Gäste der Synode zeitweilig beiwohnende, in der D D R akkreditierte Diplomaten (Ständige Vertretung der BRD in der D D R - 3; USA - 2; Großbritannien - 1) konzentrierten sich hinsichtlich ihrer Aktivitäten zur Informationsbeschaffung usw. vorrangig auf politisch-negative Synodalen.174 Vorliegenden Hinweisen zufolge versuchten sie darüber hinaus, Teilnehmer der Synode gezielt zu Aktivitäten gegen positive und realistische Aussagen und Tendenzen der Synode zu inspirieren, von politisch realistischen Kräften bewußt zurückgedrängte Problemkreise wie die Auftrittsproblematik von KRAWCZYK in kirchlichen Einrichtungen, „Kirche von unten", „Solidarische Kirche" usw. zu schüren und Kirchenjournalisten der D D R politisch-negativ so zu beeinflussen, daß sich diese u.a. „kritisch" mit der Kirchenleitung auseinandersetzen. Festgestellt wurde ein Zusammenwirken zwischen Korrespondenten und anwesenden Diplomaten, so zwischen RÖDER und dem Kulturreferenten an der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR, KOLITZUS. Zu beachten ist, daß allen anwesenden westlichen Diplomaten durch den Leiter des Synodalbüros die wichtigsten Materialien der Synode schriftlich zur Verfügung gestellt wurden. Von den sieben ökumenischen Gästen der Synode wurden Grußworte gehalten: Superintendent RADATZ/Westberlin, Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland/BRD, dankte für den Besuch des Vorsitzenden des Staatsrates der D D R in der BRD sowie für das Dokument „Streit der Ideologien und gemeinsame Sicherheit" und würdigte dies als Zeichen eines „neuen Denkens" und gemeinsamen Friedenshandelns. Reverend DUMPER/Großbritannien, Exarch der Generalsynode der Kirche von England, bezeichnete seine Teilnahme am Olof-Palme-Friedensmarsch als großes, bewegendes Erlebnis. Vgl. EPD-Landesdienst BERLIN Nr. 178 vom 17.9.87. Röder hatte unter der Überschrift „DDR-Kirchenbund soll Abgrenzungspolitik verurteilen" über Provenienz, Inhalt und die zahlreichen unterstützenden Eingaben zur ,Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" informiert. Der Artikel enthielt auch einige Originalpassagen aus der „Absage". 174 So war u.a. ein Gespräch Schorlemmers mit Kolitzus den Staatsvertretern unangenehm aufgefallen und als Beeinflussung interpretiert worden (Gespräch SCHORLEMMER mit den Verf. am 11.3.1994); vgl. auch Kap. 4.2.1, Anm. 88, S. 106. 173
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Erzbischof G E R M A N / U d S S R , Exarch der Russisch-Orthodoxen Kirche in Berlin und Mitteleuropa, wies in seinem theologisch gehaltenen Grußwort u.a. kritisch auf angebliche Einschränkungen des kirchlichen Lebens in der UdSSR hin und erklärte, daß sich das Amt für religiöse Angelegenheiten der UdSSR in innerkirchliche Belange „eingemischt" habe. Bezug nehmend auf einen Artikel von L I C H A T S C H O W in der Zeitschrift „Literaturnaja Gaseta" sprach G E R M A N von „Geistlosigkeit, Lüge und Korruption in der Moral und menschlichen Kultur". 175 (Das M f S verfugt über weitergehende umfassende und konkrete Hinweise zu Inhalt und Verlauf der Synode, einschließlich zum differenzierten Verhalten von einzelnen Synodalen. Grundsatzdokumente und bestätigte Beschlußvorlagen liegen im Wortlaut vor und können bei Bedarf angefordert werden.) Es wird vorgeschlagen, auf der Grundlage des Beschlusses des Politbüros vom 22.9.1987' 7 6 unter Führung der Partei und im engen Zusammenwirken mit dem Staatssekretär für Kirchenfragen auf Arbeitsebene die konkrete Umsetzung von nachfolgenden, aus Erkenntnissen zur 3. ordentlichen Tagung der V. Synode des B E K resultierenden Schlußfolgerungen zu beraten und sich daraus ergebende Festlegungen für das Vorgehen der einzubeziehenden staatlichen und gesellschaftlichen Kräfte verbindlich zu fixieren: 1.
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Der gegenwärtige innerkirchliche Differenzierungs- und Polarisierungsprozeß sollte durch gezielte kontinuierliche differenzierte Einflußnahme auf kirchliche Amtsträger und Synodale in deren kirchlichen Wirkungsbereichen bzw. gesellschaftlichen und beruflichen Umfeldern beeinflußt und in die Richtung kanalisiert werden, politisch realistische Kräfte weiter zu mobilisieren, konzeptionell auszurichten und zu einem noch einheitlicheren Auftreten und Handeln zu befähigen, auf politisch schwankende Synodale politisch und gesellschaftlich derart Einfluß zu nehmen, damit diese künftig realistische, politisch eindeutige Positionen einnehmen und somit das Gewicht progressiver Kräfte besonders in kirchenleitenden Gremien stärken helfen, reaktionäre und politisch-negative Kräfte energischer als bisher zu disziplinieren und in ihren Handlungsmöglichkeiten wesentlich einzuengen.
Zu diesem Zweck sollten komplexe Maßnahmen der ständigen personellen Betreuung und Einflußnahme gegenüber diesen Personen zentral festgelegt und im jeweiligen territorialen Verantwortungsbereich realisiert werden. 2.
Mit direkter Bezugnahme auf Verlauf und Ergebnisse der 3. ordentlichen Tagung der V. Synode des B E K sollte der Staatssekretär für Kirchenfragen der D D R , Gen. GYSI, mit den Bischöfen L E I C H und D E M K E sowie Konsistorialpräsident S T O L P E als leitenden Vertretern des B E K in der D D R differenzierte Aussprachen führen. Dabei sollten das politisch-negative Auftreten von Synodalen wie Propst F A L C K E sowie politisch-negative und gesellschaftspolitisch anmaßende Aussagen
175 Vgl. Kap. 4.1.1, S. 92f. der Darstellung. Das Grußwort Germans ist auszugsweise abgedruckt in: E P D DOKUMENTATION 4 4 / 8 7 , S. 55. Außerdem wurden Germans Ausführungen offensichtlich vom Staatssicherheitsdienst mitgeschnitten und auszugsweise nach Berlin an Joachim Wiegand weitergeleitet (BStU [ZA Berlin], H A X X - Z M A 1967, S. 3f.). Vgl. auch Kapitel 5.2.3. 176 Vgl. Dok. 17/2 sowie Kap. 5.2.1.
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3.
Dokument 21 in Synodendokumenten als Diffamierung der Politik der D D R , als Einmischung in die innerstaatlichen Angelegenheiten und das Verhältnis Staat - Kirche belastend energisch zurückgewiesen werden. Mit Nachdruck sollte erneut die staatliche Erwartungshaltung zum Ausdruck gebracht werden, wonach kirchliche Amtsträger persönlich noch konsequenter darauf Einfluß nehmen sollten, daß sich die Kirche ihrer eigentlichen religiösen Tätigkeit zuwendet und Möglichkeiten des politischen Mißbrauchs unterbunden werden. Dazu zählt auch die sofortige und deutliche Distanzierung von tendenziösen und verfälschten Berichterstattungen über Tagungen kirchlicher Gremien durch Korrespondenten westlicher Medien. Auf Bezirks- und Kreisebene sollten ebenfalls differenzierte Gespräche mit der gleichen Zielstellung geführt werden, um auf politisch-negativen Positionen stehende kirchliche Amtsträger und Laien zu disziplinieren sowie politisch-realistische Kräfte weiter zu stärken. Zur unmittelbaren und über die Tagung kirchlicher Gremien hinausgehenden öffentlichkeitswirksamen Unterstützung politisch realistischer Kräfte und Disziplinierung politisch-negativer Elemente, zur authentischen Dokumentation vor allem wesentlicher Inhalte derartiger Veranstaltungen sowie zur Einschränkung des Wirksamwerdens westlicher Korrespondenten und zum Brechen ihrer alleinigen Präsenz wird die Anwesenheit von Korrespondenten für Rundfunk und Fernsehen der D D R mit entsprechender Ton- und Filmtechnik als immer notwendiger angesehen.
Auf der Grundlage derartig gewonnener Informationen sollte, in Fortsetzung des bewährten Vorgehens anläßlich des „Kirchentages '87" der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg 177 und des Katholikentreffens in Dresden 178 , auch künftig in den Medien der D D R über bedeutsame kirchliche Veranstaltungen aktuell informiert werden, um das Informationsbedürfnis religiös gebundener Kreise in der D D R nicht ausschließlich über westliche elektronische Medien mit tendenziösen Inhalten zu realisieren. Darüber hinaus könnten diese Informationen zur differenzierten Auseinandersetzung mit der gesellschafts- und kirchenpolitischen Konzeption von Partei und Regierung der D D R zuwiderlaufenden Auffassungen und Aktivitäten in ausgewählten Presseorganen der D D R genutzt werden. Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.
177 178
Vom 24. bis 28.6.1987 in Ost-Berlin. Vgl. C. DIECKMANN: Gott in Berlin und die Folgen. Vom 10. bis 12.7.1987. Vgl. auch R. HENRYS: Einen Schritt vorwärts.
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DOKUMENT 22 Ausarbeitung Hasses179: „Information über Wertungen des Verlaufes der Tagung der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR vom 18.-22. September 1987 in Görlitz". Berlin, 2. Oktober 1987 BStU Berlin (ASt Berlin), AOPK1417/89,
S.
116-121.
Einschätzungen einer ü b e r p r ü f t e n u n d zuverlässigen inoffiziellen Quelle zufolge, m u ß bei der Beurteilung des Verlaufes der Tagung der Bundessynode in Görlitz beachtet werden, d a ß d u r c h die Vielzahl der zur sogenannten .Abgrenzungsproblematik" initiierten Eingaben sowie d u r c h die geplante Behandlung der T h e m a t i k „Bekennen in der Friedensfrage" u n d z u m „konsiliaren Prozeß" [sie!] von vornherein ein im wesentlichen politisch geprägter Ablauf der Synodaltagung zu erwarten war. Unter Berücksichtigung dieser Konstellation u n d der Erfahrungen der Erfurter Synodaltagung von 1986 1 8 0 erwartete m a n einen deutlichen politisch-negativen Verlauf in Görlitz. Entgegen diesen Befürchtungen haben sich nach Ansicht der Quelle jedoch im Synodenverlauf die maßvolleren u n d realistischen Positionen durchgesetzt. Politisch-positive Synodale haben es vermocht, sich spürbar darzustellen. Die Diskussion sei im Gegensatz zur vorangegangenen Erfurter Tagung eindeutig besser gewesen u n d größtenteils d u r c h sachliche u n d fundierte Inhalte sowie überwiegend realistische politische Aussagen geprägt worden. Als Ausdruck der Bestätigung dieser Bewertung sieht die Quelle die Tatsache an, daß Propst H e i n o Falcke (Erfurt) nach der mit scharfen politischen Angriffen durchsetzten Einbringungsrede 1 8 ' z u m Antrag über die „Absage an Praxis u n d Prinzip der Abgrenzung" 1 8 2 kaum Beifall erhalten hat u n d sein Antrag n u r eine knappe M e h r h e i t g e f u n d e n hat. Aus Sicht der Quelle gibt es mehrere Ursachen, die trotz der sehr schlechten Ausgangslage einen befriedigenden Ablauf der Synodaltagung in Görlitz ermöglichten. So haben unverkennbar die sich abzeichnenden positiven Tendenzen im Entspannungsu n d Abrüstungsprozeß bzw. die H a l t u n g u n d die Initiativen der D D R sowie der anderen sozialistischen Staaten in dieser Hinsicht W i r k u n g bei Synodalen erzielt. Gerade im Z u s a m m e n h a n g mit der D u r c h f ü h r u n g des „Olof-Palme-Friedensmarsches" 1 8 3 offensichtlich gewordene Veränderungen in der Innenpolitik der D D R , der Verlauf der Reise des Staatsratsvorsitzenden der D D R , G e n . Erich Honecker, in die BRD 1 8 4 sowie die wesentliche E r h ö h u n g der Zahlen DFA-Reisen 1 8 5 in die B R D haben nach M e i n u n g der Quelle ebenfalls die Stärkung der realistischen Positionen in der Synode gefördert. 179 180 181 182
Mitarbeiter (Major) der Abt. XX/4 des Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin. Vom 19. bis 23.9.1986. Vgl. Dok. 3/3. Vgl. Dok. 3/2.
183
Vom 1. bis 18.9.1987. Vgl. M. HERRMANN: Ein Stück „Glasnost" - um des Friedens willen.
184
V o m 7 . b i s 1 1 . 9 . 1 9 8 7 . V g l . Η . N . JANOWSKI: D i a l e k t i k d e r A b g r e n z u n g .
185 Reisen in dringenden Familienangelegenheiten in nichtsozialistische Staaten und nach WestBerlin.
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Dokument 22
Das Präsidium der Bundessynode hat es nach Einschätzung der Quelle erheblich besser als in Erfurt verstanden, seine Möglichkeiten zur positiven Einflußnahme auf den Synoden verlauf auszuüben. In besonderer Weise kommt dies zum Ausdruck in den Maßnahmen, die in bezug auf die Eingaben bzw. den Antrag von Propst Falcke hinsichtlich der .Abgrenzungsthematik" in die Wege geleitet wurden. So stand diese Problematik im Mittelpunkt einer Sitzung des Präsidiums am Abend des 17. September 186 sowie einer gemeinsamen Tagung des Präsidiums und der Konferenz der Kirchenleitungen (KKL) am Vormittag des 18. September 1987. 1 8 7 Zentraler Punkt beider Beratungen war die Frage, wie angesichts der Vielzahl der eingegangenen Eingaben mit der .Abgrenzungsthematik" verfahren werden könne, ohne daß es zu ernsthaften Belastungen des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche kommen könne. Zur .Abgrenzungsthematik" waren bis zum Beginn der Synodaltagung etwa 200 Eingaben mit ca. 480 Unterschriften eingegangen. Analysen zeigten, daß der Personenkreis der Eingabenschreiber fast auf alle Bezirke der D D R relativ gleichmäßig verteilt war. Eine entsprechende Konzentration wurde lediglich in Berlin festgestellt. D a sich nur 17 Eingaben gegen den Inhalt des Papieres .Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" aussprachen und im Vorfeld klar war, daß Propst Falcke diese Eingaben durch einen eigenen Antrag unterstützen wird, ging das Präsidium realistischerweise davon aus, diese Thematik während der Synodaltagung behandeln zu müssen. Im Falle der Unterbindung einer diesbezüglichen Diskussion befürchtete man, einen längerfristigen innerkirchlichen Eklat zu provozieren. Demzufolge schlug das Präsidium eine Strategie ein, die einen kanalisierten Umgang mit der .Abgrenzungsthematik" ermöglichen sollte. Mit dieser Zielstellung führten Vertreter des Präsidiums u.a. Gespräche mit den in Görlitz angereisten operativ bekannten Personen Reinhard Lampe (Berlin) erffaßt] BV Berlin, Abt. X X / 4 und erflaßt] ... , 8 8 Beide hatten die Absicht, an die Bundessynodalen ein 60 Seiten umfassendes Heft ,Aufrisse — Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" zu verteilen, um es als Synodendokument bestätigen zu lassen. Da das Präsidium zu der Auffassung gelangte, Teile des Inhalts dieser Broschüre erfülle Straftatbestandsmerkmale, insbesondere des §220 StGB, wurde eine Aufnahme als offizielles Synodenmaterial abgelehnt.
186 Vgl. Sekretariat des BEK. Riese (Protokollant). Berlin, 18.9.1987: Vermerk über die Präsidiumssitzung vom 17.9.1987 in Görlitz. Anwesend: Alle fünf Präsidiumsmitglieder sowie Riese (EZA BERLIN, 101/93/208). 187 Nur die Mitglieder des Vorstands der K K L tagten gemeinsam mit dem Präsidium der Bundessynode. Vgl. Sekretariat des BEK. Kupas (Protokollant). Berlin, 28.9.1987: Protokoll (Konzept) der KKL-Vorstandssitzungen vom 18. und 2 1 . 9 . 1 9 8 7 in Görlitz. Anwesend: — Vorstand: Leich, Demke, Stolpe, Gaebler, Salinger, Ziegler. - Sekretariat: Lewek. - Gäste: Riese, Zeddies, Cynkiewicz, Dietrich, Falcke (zeitweise), Hirsch, de Maiziere (EZA BERLIN, 101/93/249). 188 Angaben vom BStU geschwärzt. D a jedoch der gesamte Text sich mit Lampe und Mehlhorn auseinandersetzt, liegt nahe, daß es sich um letzteren handelt.
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Da Lampe und Mehlhorn, die Mitverfasser und Herausgeber dieses Papiers, von einer größeren Verteilung abgehalten werden sollten, schlug das Präsidium als Kompromiß vor, ein Heft als Anlage zum von Propst Falcke eingebrachten Antrag zu verwenden. Insbesondere auf Drängen von Mehlhorn wurde dieser Vorschlag nicht angenommen. Beide bekundeten die Absicht, notfalls auch gegen den Willen des Präsidiums eine Verteilung vorzunehmen. Das Verhalten von Lampe und Mehlhorn bewies, daß sie nicht einmal bereit waren, die Bitte des Präsidiums zu respektieren und mit der Verteilung bis nach der Einbringung des Antrages durch Propst Falcke zu warten. Sie verkauften die Broschüren am Freitag mit dem Synodenbeginn und versuchten, dies am Samstag auf dem Hof des Tagungsgeländes weiterzuführen. Zu diesem Zweck hatten sie dort einen Stand mit einem entsprechenden Plakat aufgebaut. Als dies dem Präsidium bekannt wurde, untersagte es jeglichen weiteren Vertrieb auf dem Tagungsgelände. Das erpresserische Verhalten von Lampe und Mehlhorn stieß auf Empörung, insbesondere bei Bischof Leich, so daß es jetzt erste Überlegungen zur Einleitung von Disziplinierungsmaßnahmen gibt. So ist geplant, daß Bischof Forck sowie die Vizepräsides Cynkiewicz und de Maiziere demnächst eine Aussprache mit Lampe führen werden. Es soll geprüft werden, ob sein in Görlitz an den Tag gelegtes Verhalten nicht ausreicht, um Lampes Ordinierung als Pfarrer zu verhindern oder zumindest zeitlich hinauszuschieben.' 89 Als weitere Maßnahme des Präsidiums der Bundessynode zur Unterbindung von öffentlichkeitswirksamen politisch-negativen Diskussionen zur Abgrenzungsthematik war ursprünglich beabsichtigt, einen speziellen Unterausschuß zur Behandlung dieser Fragen zu bilden. 190 Auf diese Weise sollte ebenfalls verhindert werden, daß Propst Falcke als Antragseinbringer entscheidenden Einfluß auf die Abfassung der Stellungnahme der Synode zu dieser Problematik ausüben kann. Dieses Ansinnen fand nicht die Unterstützung der Mehrheit der Bundessynodalen. Es wurde jedoch ein spezieller Unterausschuß des ständigen Friedensausschusses der Synode gebildet, dem die Bearbeitung speziell der .Abgrenzungsthematik" übertragen wurde. Von Propst Falcke wurde in diesem Zusammenhang der Versuch unternommen, an der Arbeit dieses Unterausschusses als Einbringer des entsprechenden Antrages mitzuwirken. Mit dem Hinweis auf die Tatsache, daß Falcke Leiter des Berichtsausschusses der Bundessynode ist sowie auf die Geschäftsordnung wurde dies zurückgewiesen. Falcke unterstellte im Plenum, daß seine Mitarbeit in dem zu bildenden Unterausschuß mit der Geschäftsordnung im Einklang stünde. Daraufhin wurde v o m Präsidium entschieden, daß dieser Streitfall nur in einer Sondersitzung des Präsidiums mit dem Rechtsausschuß geklärt werden könne. Zu diesem Zwecke wurde das Plenum unterbrochen. 191 Im Ergebnis dieser Sondersitzung wurde Falcke mit 1 4 : 1 Stimmen eine deutliche A b f u h r erteilt. 192 Soweit der Quelle bekannt wurde, hat das Präsidium die Tätigkeit des gebildeten Vgl. auch Kap. 1.2 und 3.1. Vgl. auch Kap. 4.3.1 der Darstellung, S. 116. " ' V g l . Kap. 4.3.4, S. 129. 1,2 Gaebler hatte dem Plenum die Entscheidung der Sondersitzung von Präsidium und Rechtsausschuß insofern mitgeteilt, als er von einer „Gegenstimme" gegen den Entschluß, Falckes Stimmberechtigung in nur einem Ausschuß zuzulassen, sprach. 189
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Dokument 2 2
Unterausschusses mit großer Aufmerksamkeit verfolgt und durch die fast ständige Teilnahme einer der beiden Vizepräsides aktiven Einfluß auf die Ergebnisse ausgeübt. In diesem Ausschuß waren vertreten: Pfarrer Martin-Michael Passauer (Berlin); Dr. Wolfgang König (Erfurt); Pastorin Ingrid Albani (Frauenstein); Rechtsanwältin Martina H u h n (Hopfgarten); Prof. Dr. Klaus-Peter Hertzsch (Jena); Dr. Hans Geisler (Radeberg, 1. Stellvertreter).' 93 Neben den beiden Vizepräsides arbeitete Bischof Forck als Gast in diesem Unterausschuß mit. 1 9 4 Nach Einschätzung der Quelle hat Forck einen „sehr mäßigenden" Einfluß ausgeübt. In diesem Gremium wurde in ernsthafter Weise überlegt, wie inhaltlich und auf welche Art und Weise den Eingaben betreffs der Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung geantwortet werden kann. M a n einigte sich, dies in Form eines Briefes sowie durch die Veranstaltung eines unter Schirmherrschaft des Synodenpräsidiums stehenden Seminars Anfang 1988' 9 5 zu tun. In diesem B r i e f 9 6 wird erklärt, daß aus den Eingaben „erneut deutlich geworden (ist), wie sehr Menschen unter den Auswirkungen von Grenzen und Abschließung leiden, Verwundungen erlitten haben und Veränderungen wünschen. Obwohl wir das mit Ihnen empfinden, können wir Ihrer Erwartung (Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung) nicht entsprechen." Dies wird u.a. mit dem Hinweis darauf begründet, daß „deutlicher noch als zur Zeit der Berlin-Brandenburgischen Synode im April sich abzeichnet, daß die D D R gegenwärtig eine Politik der Ö f f n u n g vertritt, die Abgrenzungen überwinden soll. Zuvor gibt es noch viele, dem widersprechende Erfahrungen, aber eine förmliche Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung ist nicht an der Zeit." Darüber hinaus werden in diesem Brief theologische Gründe angeführt, die eine „Absage" in bezug auf die Abgrenzung nicht ermöglichen. Schließlich erfolgen durch Aufzählung konkreter Problemfelder Hinweise darauf, daß diese und zurückliegende Synodentagungen sich mit Problemen, die von verschiedenen Eingebern aufgeführt wurden, kontinuierlich befaßte und demzufolge kein akuter Handlungsbedarf in dieser Hinsicht bestehe. Wesentliche Passagen dieses Briefes sollen von Vizepräses de Maiziere vorgeschlagen und formuliert worden sein. Das für Januar 1988 geplante Seminar soll höchstwahrscheinlich in Oranienburg stattfinden. Der Kreis der Einzuladenden soll auf Absender von diesbezüglichen Eingaben beschränkt bleiben. Für Eingaben, die mehrere Unterschriften tragen, soll pro 6 Unterzeichner jeweils ein Vertreter am Seminar teilnehmen, so daß man mit insgesamt 2 0 0 Personen rechnet. Es ist vorgesehen, sowohl Plenumsveranstaltungen durchzuführen als auch in Seminargruppen zu arbeiten. Außerdem sollen Bundessynodale eingeladen werden, wobei die Zahl der den Antrag Unterstützenden bzw. Ablehnenden gleich groß sein soll. Nach Auffassung der Quelle ist auch der Beschluß der Bundessynode zum Bekennen in der Friedensfrage' 9 7 im wesentlichen von maßvollen und realistischen Positionen do-
193 1,4
Insgesamt hatte der Ausschuß „Friedensfragen" 15 Mitglieder. Als Gast nahm auch Wolfgang Schnur an den Sitzungen dieses Ausschusses teil, wie der
ebenfalls teilnehmende Jugenddelegierte Udo HANKE den Verf. im Gespräch am 24.6.1995 mit-
teilte. 195 196 197
Das Seminar fand am 16.1.1988 in Oranienburg statt. Vgl. Dok. 3/4. Vgl. Dok. 4.
A u s a r b e i t u n g Hasses
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miniert. S o enthält der Beschluß nicht m e h r die Formel von der Wehrdienstverweiger u n g als d e m „deutlicheren Z e i c h e n " christlichen Friedenszeugnisses. D i e „Entscheid u n g v o n C h r i s t e n , den Waffendienst oder den Wehrdienst ü b e r h a u p t zu verweigern", wird in d i e s e m Papier nur noch als „ein A u s d r u c k des G l a u b e n s g e h o r s a m e s " bewertet. 1 9 8 Weitere wesentliche Aussagen dieses Beschlusses stehen nach E i n s c h ä t z u n g der Q u e l le in U b e r e i n s t i m m u n g m i t den wichtigsten Prinzipien der Friedens- u n d A b r ü s t u n g s politik ( N e u e s D e n k e n 1 9 5 , Koalition der Vernunft) der sozialistischen Länder. I m R a h m e n der D i s k u s s i o n u n d der A b s t i m m u n g z u m Beschluß „ B e k e n n e n in der Fried e n s f r a g e " w u r d e n Differenzen zwischen den unierten u n d lutherischen Provinzialbzw. L a n d e s k i r c h e n in der Frage der A n e r k e n n u n g von „gerechten K r i e g e n " erkennbar. D e n S y n o d a l e n der lutherischen Kirche fällt es offensichtlich nicht leicht, sich von der d u r c h L u t h e r selbst formulierten A n e r k e n n u n g von „gerechten K r i e g e n " in A n b e t r a c h t der Existenz riesiger Arsenale von Massenvernichtungsmitteln zu verabschieden. D a s Verhalten von Präses Dr. G a e b l e r w ä h r e n d des gesamten Synodenverlaufs soll seine Position weiter geschwächt haben. Dies wird insbesondere a u f die Tatsache z u r ü c k g e f ü h r t , d a ß er sich b e i m Beschluß z u m „ B e k e n n e n in der Friedensfrage" der S t i m m e enthalten hat. 2 0 0 D a d i e s e m D o k u m e n t ein großes innerkirchliches G e w i c h t beigemessen wird, hätte er nach ü b e r e i n s t i m m e n d e r A u f f a s s u n g vieler Synodaler eine klare Position beziehen m ü s s e n . D a r ü b e r hinaus war auffällig, daß Präses Dr. G a e b l e r sich vor schwierigen Situationen gedrückt hat. Immer, wenn politisch brisante T h e m e n s t e l l u n gen a u f der T a g e s o r d n u n g standen, hat er die T a g u n g s l e i t u n g an einen der beiden Vizepräsides übergeben. 2 0 1 H i n g e g e n ü b e r n a h m er gerne die repräsentativen Pflichten seiner Funktion. Präses G a e b l e r hat an keiner A u s s c h u ß s i t z u n g t e i l g e n o m m e n . S p a n n u n g e n soll es im P r ä s i d i u m ferner m i t H i r s c h (Stralsund) wegen dessen taktischen U n v e r m ö g e n s g e g e b e n haben. B e m e r k e n s w e r t war ebenfalls, d a ß B i s c h o f Leich bei 4 seiner 5 A n t r ä g e A b s t i m m u n g s n i e d e r l a g e n h i n n e h m e n m u ß t e . D i e s zeugt, so die Q u e l l e , von seiner ungefestigten Position innerhalb der B u n d e s s y n o d e . Vermutlich spiegelt sich darin auch z.T. der sich weiter verschärfende K o n f l i k t zwischen Kirchenbasis u n d der L e i t u n g wider, z u m a l B i s c h o f Leich als Vertreter derjenigen angesehen wird, der sehr a u f Repräsentation in s e i n e m A m t b e d a c h t ist. I m G e g e n s a t z dazu w u r d e es unter vielen Synodalen wohlwollend vermerkt, daß B i s c h o f Forck in Görlitz Privatquartier bei einem G e m e i n d e m i t g l i e d g e n o m m e n u n d seinen Kraftfahrer für den Z e i t r a u m der S y n o d a l t a g u n g nach Berlin zurückgeschickt hat. Kritisch w u r d e das wiederholte Fehlen von B i s c h o f H o r s t G i e n k e (Greifswald) vermerkt. 2 0 2 Vorbehalte gegen den R e p r ä s e n t a t i o n s u m f a n g der Kirchenlei-
1,8
ge
·
Vgl. Anm. 170, S. 338. Vgl.T. MECHTENBERG: Der DDR-Kirchenbund und das „Neue Denken" in der Friedensfra-
200 Tatsächlich war dieses Abstimmungsverhalten Gaeblers bezüglich der zentralen Beschlußvorlage von vielen Synodalen mit Unverständnis und Enttäuschung aufgenommen worden, wie in Zeitzeugengesprächen deutlich wurde. 201 Die Aufteilung der Tagungsleitung zwischen Cynkiewicz, De Maiziere und Gaebler war auf der Präsidiumssitzung vom 17.9.1987 festgelegt worden. Vgl. Kap. 3.1.1, S. 38, Anm. 38. 202 Vizepräses Cynkiewicz teilte der Synode am 20.9.1987 mit, daß Harder berichtet habe, Bischof Gienke befinde sich mit einer Delegation der Greifswalder Landeskirche auf einer Besuchs-
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Dokument 22
tungen wurden auch im Rahmen des Haushaltsausschusses spürbar. So gab es erhebliche Diskussionen um die verlangten 7 5 . 0 0 0 , - Μ für die Durchführung einer theologischen Tagung im Rahmen des ökumenischen Rates der Kirchen 1988 2 0 3 in Berlin. In gleicher Weise wurde mit Empörung vermerkt, daß der B E K bisher keine Stellungnahme zum „2%-Appell" 2 0 4 abgegeben hat. Die Quelle konnte eine rege Gesprächstätigkeit des Mitarbeiters der Kulturabteilung der Ständigen Vertretung der B R D in der D D R 2 0 5 mit verschiedenen Bundessynodalen beobachten. Derartige Kontakte sollen u.a. mit Pfarrer Passauer (Berlin), Pfarrer Schorlemmer (Wittenberg) und Pfarrer Axel Noack (Wolfen) stattgefunden haben. Z u m Inhalt dieser Unterredungen wurde der Quelle nichts bekannt. Ferner wurden umfangreiche Aktivitäten der in Görlitz anwesenden Vertreter westlicher Massenmedien registriert. Sie konzentrierten sich wiederum auf die Synodenprobleme, von denen Spannungen im Verhältnis zwischen Staat und Kirche erwartet wurden, große Aufmerksamkeit fand bei ihnen alles, was mit der „Abgrenzungsthematik" in Beziehung stand. Pressereferent Günt[h]er vom B E K hat während des Synodenverlaufes eine Mappe mit westlichen Artikeln zur Görlitzer Tagung zusammengestellt und unter den Synodalen kursieren lassen. Die darin sich widerspiegelnde tendenzielle und politisch-negative Berichterstattung soll bei vielen Synodalen auf Ablehnung gestoßen sein und hat möglicherweise ihre Bereitschaft verringert, Gespräche mit den westlichen Medienvertretern zu führen. Das Z D F hatte die Absicht, noch während der Synodaltagung ein Interview mit Propst Falcke zu führen. Dies wurde durch das Präsidium gegen den Protest Falckes abgelehnt. Nachteilig hat sich nach Auffassung der Quelle die versuchte und offensichtliche Einflußnahme von Mitarbeitern des Staatssekretariat für Kirchenfragen auf Bundessynodale im unmittelbaren Vorfeld bzw. noch während der Tagung ausgewirkt. D a allgemein über diese Aktivitäten gesprochen wurde, entstand bei vielen Synodalen der Eindruck, daß staatliche Stellen sich in innerkirchliche Angelegenheiten einmischen. 206 Aufgrund der Quellengefährdung kann diese Information offiziell nicht ausgewertet werden. Hasse 207 [m.p.]
reise in Schweden. In Zeitzeugengesprächen erfuhren die Verf., daß Gienkes Nichtbeteiligung an den Bundessynoden aufgefallen war. Vgl. auch oben, S. 3 3 9 . 203 Ökumenische Versammlung vom 12. bis 15.2.1988 in Dresden. Vgl. auch J. GARSTECKI: Selbstorganisationspotentiale der DDR-Gesellschaft, sowie DERS.: Ökumenische Versammlung in der D D R , und KIRCHENAMT DER E K D (Hg.): Ökumenische Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. 204 D i e Weltkirchenkonferenz in Uppsala hatte 1968 den 2%-Appell verabschiedet. Damit wurden die Kirchen der Welt aufgefordert, zwei Prozent ihrer Einnahmen für Hilfsprojekte in Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas zur Verfügung zu stellen. Vgl. auch C . BERGER: Die Stimme der Piccolo-Flöte, v.a. S. 2 1 3 . Die Bundessynode hatte auf ihrer Tagung in Erfurt allerdings einen Beschluß zum 2%-Appell gefaßt (Abdruck in: E P D DOKUMENTATION 4 2 / 8 6 , S. 58f.). 205 Henner Kolitzus. 206 Vgl. z.B. Kap. 4.1.2, S. 97 der Darstellung. 207 Hasse war Mitarbeiter (Major) der Abt. X X / 4 des M f S in Berlin.
Vermerk Swateks
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Verteiler 1 χ Stellv. operativ 1 χ Leiter Abt. XX 1 χ Leiter HA XXJ4 1 xAKG 1 χ HA XX/AKG 1 χ XX/AI 1 xXX/4 1 χ Arbeitsakte IM
DOKUMENT 23
Vermerk Swateks über sein Gespräch mit Propst Falcke am 2.10.1987 in Erfurt. Erfurt, 3. Oktober 1987. BArchP, DO 4 STS f . Kirchenfragen
Nr. 975.
Information Am 2.10.1987 führte der Vorsitzende des Rates des Bezirkes, Gen. Arthur Swatek, ein Gespräch mit dem Propst der Propstei Erfurt der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen durch208, der nach Aufforderung des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes erschienen war. In seiner Begleitung befand sich die Proseniorin des Kirchenkreises Erfurt, Pastorin Sigrun Pabel. Von staatlicher Seite nahmen an dem Gespräch der Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres, Gen. Heinz Hartmann, und der Sektorenleiter für Kirchenfragen, Gen. Hans Jordan, teil. Der Vorsitzende des Rates des Bezirkes verwies zu Beginn darauf hin, daß das Gespräch durch eine Reihe von Aussagen und Urteilen ausgelöst wurde, die Propst Dr. Falcke im Verlauf der 3. Tagung der V. Synode des Bundes der evangelischen Kirchen in der DDR in Görlitz zu relevanten gesellschaftlichen Tatbeständen und Entwicklungsprozesses geäußert hatte und die seitens der staatlichen Organe nicht unwidersprochen bleiben können. Im weiteren wurden durch den Vorsitzenden folgende grundsätzliche Aussagen getroffen: -
-
In der DDR sind Staat und Kirche getrennt. Diese Trennung als ein von Staat und Kirche anerkanntes Prinzip bewahrt uns vor inkompetenten Einsprüchen und Einmischungen in die Zuständigkeit der jeweils anderen Seite. Es gibt für ein kirchliches Wächteramt im Sinne eines kritischen Korrektivs weder eine Notwendigkeit noch eine Voraussetzung. Der Generalsekretär und Vorsitzende des Staatsrates der DDR, Erich Honecker, hat gegenüber dem Vorstand der Konferenz der ev. Kirchenleitungen im Gespräch vom
208 Dieses Gespräch zwischen Swatek und Falcke sah eine der Maßnahmen vor, die im Verlauf der PB-Sitzungam 22.9.1987 beschlossen worden waren. Vgl. Dok. 17/2 und vorliegende Darstellung, Kap. 5.2.1 und 5.2.4.
350
-
-
-
Dokument 23
6.3.1978 hervorgehoben, daß die aus der Verfassung der D D R gegenüber Kirchen und Gläubigen resultierenden Verpflichtungen des Staates korrekt und konsequent beachtet und durchgesetzt werden; die von den evangelischen Kirchen in Anspruch genommenen Möglichkeiten kooperativen Wirkens auf verschiedenen Feldern, besonders im Kampf um den Frieden, der aktiven Solidarität oder auf dem Gebiet der Diakonie lassen deutlich werden, wie sich eine evangelische Kirche als Kirche im Sozialismus in Teilbereiche unserer gesellschaftlichen Entwicklung einbringen kann. Die übergroße Mehrheit der christlich gebundenen Bürger hat die Aufforderung zur Mitwirkung in der sozialistischen Gesellschaft angenommen und tut dies im Wissen um den gesellschaftlichen Grundsatz, daß die Verwirklichung unserer Politik den Interessen aller Bürger dient. Propst Dr. Falcke wurde im weiteren Verlauf des Gespräches daran erinnert, daß in den vergangenen Jahren eine Reihe von Gesprächen mit ihm geführt wurden, sowohl zur Klärung von Fragen beiderseitigem Interesses, als auch in einigen Fällen zu Äußerungen und Standpunkten, in denen stark divergierende Auffassungen zum gesellschaftlichen Bereich zum Ausdruck kamen. 209
Daran anschließend wurde Dr. Falcke vorgehalten, daß der Beitrag auf der jüngsten Bundessynode ein Höhepunkt in dieser Reihe kontroverser Aussagen zu Problemen, die Grundfragen unserer sozialistischen Gesellschaft tangieren, darstellt. Es wurde dabei an die Auseinandersetzung im Zusammenhang mit dem Mißbrauch der Aktion „Schwerter zu Pflugscharen" 1982 wie auch auf den Brief an die Pfarrer seines Propstsprengeis zur Ubersiedlungsproblematik verwiesen und besonders darauf, daß damit eine massive Herausforderung des Staates ausgelöst worden war. Genösse Swatek stellte hier fest, daß die Vertreter des Rates des Bezirkes zu diesen Vorgängen in den vergangenen Jahren unmißverständlich ihre Auffassungen zum Ausdruck brachten und die jeweilige Einmischung in staatliche Angelegenheiten auf das Schärfste zurückgewiesen haben. Propst Dr. Falcke wurde eindeutig darauf verwiesen, daß er sich durch seine im Verlauf der 3. Tagung der V. Synode eingenommenen Standpunkte zum Fürsprecher eines Antrages gemacht habe, der in seiner Gesamtheit ungeeignet ist, dem Prozeß der Respektierung der politischen Realitäten, insbesondere im Verhältnis der beiden deutschen Staaten, und der Forderung des politischen Dialogs zu entsprechen. In diesem Zusammenhang wurde an den historischen Besuch des Generalsekretärs und Staatsratsvorsitzenden, Erich Honecker 210 , in der B R D erinnert und der u.a. dokumentiert, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um gut nachbarliche Beziehungen zwischen der D D R und der B R D zu erreichen. Dies wurde im gemeinsamen Kommunique 2 " hervorgehoben. Jeder Versuch, so Genösse Swatek, Forderungen über den genannten Rahmen politischer Zweckmäßigkeit und Machbarkeit zu stellen, kann nur geeignet sein, den eingeschlagenen Weg der Entspannung zu blockieren. Gen. Swatek hob im weiteren hervor, daß durch den von Dr. Falcke unterstützten Antrag die Mitwirkung der D D R und ihre[r] politischen Repräsentanten, besonders des Staatsrats209 Tatsächlich wurden beim R d B Erfurt regelmäßige Beurteilungen öffentlicher oder innerkirchlicher Äußerungen Falckes zusammengestellt und bewertet (BArchR D O 4 S T S f. Kirchenfragen Nr. 1482). 2 , 0 Vom 7. bis 11.9.1987. 211 Abgedruckt in: N D Nr. 2 1 2 vom 9.9.1987, S. 1 - 2 .
Vermerk Swateks
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Vorsitzenden, zur Bildung von Vertrauen und Verständigung zwischen den Menschen und den Völkern negiert wurde. D e r Vorsitzende bezog sich auch auf die provokatorische Bemerkung im Blick auf die „monströse Mauer", verwies auf die Gründe, die zum Bau des antifaschistischen Schutzwalles geführt haben und darauf, daß die Grenzsicherungsanlagen erst dann geändert werden, wenn die Anlässe, die zu ihrer Errichtung geführt haben, nicht mehr bestehen. Es ist unverständlich, daß er sich zum Vorredner von Leuten im kirchlichen Raum mache, denen ein störungsfreies Verhältnis zwischen Staat und Kirche mißfällt und die mit ihrer politischen Ignoranz weder die nach dem II. Weltkrieg entstandenen Realitäten noch die gegenwärtige Lage akzeptieren wollen. Abschließend verwies der Vorsitzende darauf, daß wir bisher eine öffentliche Polemik gegenüber kontroversen Äußerungen aus dem kirchlichen R a u m nicht geführt haben, aber nunmehr nicht mehr bereit seien, weiterhin so zu verfahren. Propst Dr. Falcke zur Stellungnahme aufgefordert, formulierte sinngemäß folgende Erwiderung: Ich müßte erst fragen, welchen Charakter dieses Gespräch annehmen soll? Es wird mir vorgeworfen, inkompetente Einmischung und das Eintreten für Menschen, die den Boden der staatlichen Loyalität verlassen haben. Welchen Sinn soll da eine Antwort meinerseits haben? Wenn Ihre Auffassung feststeht und ich ins Unrecht gesetzt wurde. Sie haben a u f Gespräche verwiesen, die mich zum Nachdenken veranlassen sollten. Steht dahinter der Gedanke, daß ich meine Auffassungen und Überzeugungen ändern soll? D i e aus kirchlichem Raum kommenden Zustimmungen werden vom Staat freudig entgegengenommen, obwohl sie auch eine Einmischung darstellen, und kritische Äußerungen werden als eine ernstzunehmende Einmischung in staatliche Angelegenheiten aufgefaßt. Ich frage mich, o b die vom Vorsitzenden vorgenommene Darstellung als eine Belehrung zu betrachten ist? Ich m u ß sagen, zu einem solchen Gespräch fühle ich mich nicht ermutigt. Was ich gern täte, wäre eine Klarstellung zu jenen Intentionen, die mich veranlaßt haben, während der Synode dem Antrag ,Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" 2 ' 2 zuzustimmen. (An dieser Stelle übergab Propst Dr. Falcke die Vorlage 8 sowie die Anlage und die Anlage 2 2 1 3 ). Er habe den Antrag nicht unkritisch aufgenommen. Er habe Bedenken gehabt gegen die Formulierung und die mißverständliche Deutung des Begriffs .Abgrenzung", weil wir sicher sehr unterschiedliche Auffassungen haben, von dem, was wir unter Abgrenzung verstehen. Es liegt mir fern, so Dr. Falcke, zu verneinen, daß es staatliche Grenzen geben muß. Ebenso liegt es mir fern und auch den Einbringern des Papiers, bestehende Grenzen revidieren zu wollen. Auch wir sehen, daß sich nach 2 6 Jahren bestehender Grenze viel verändert hat. Ich möchte jetzt nicht streiten über die Ursachen, die im Jahre 1 9 6 1 zu den Sicherungsanlagen geführt haben. Unstrittig ist, daß in dieser Zeit viel geschehen ist, vom Vierseitigen Abkommen über den durch den KSZE-Prozeß ausgelösten Entspannungsprozeß bis über die A b k o m m e n zwischen S E D und S P D über die chemiewaffenfreie Zone, die jüngste Schrift über den Streit der Ideologien 2 1 4 ... und den Besuch Erich Honeckers in der B R D . Diese Entwick-
Vgl. Dok. 3/2. Die Vorlage 8 ist der formale Antrag Falckes an die Bundessynode (vgl. Anm. 29), die Anlage zu Vorlage 8 der Antragstext .Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" (Dok. 3/2). Die Anlage 2 zu Vorlage 8 ist das Einbringungsreferat Falckes (Dok. 3/3). 214 VORSTAND DER S P D (Hg.): Der Streit der Ideologien. 212
213
352
Dokument 23
lung ist auch das Verdienst unseres Staates. Die evangelische Kirche hat in den 70er Jahren Kritisches zur damaligen Abgrenzungspolitik gesagt und dieses hat zu Wandlungen beigetragen. In meiner Begründung zur Unterstützung des Antrages habe ich deutlich gemacht, daß ich auch zögerte, weil wir gegenwärtig sichtbare Fortschritte im Dialogprozeß sehen, das ist auch der Sinn des ersten Teiles des Antrages, das dort hervorgehoben wurde, daß die Respektierung der Grenze diesen Prozeß erst ermöglicht hat. Der Antrag einer Berliner Gruppe kursiert im Lande 215 , es wird darüber viel gesprochen und es kam mir darauf an, dies in der Synode zur Sprache zu bringen. Ich kann den Vorwurf nicht unwidersprochen lassen, daß ich mit dem, was ich gesagt habe, das Wirken des Staatsratsvorsitzenden negiere. Das war nie meine Absicht. Ich hatte eine Sorge, daß das von mir Gesagte beargwöhnt wird, daß es nicht dialogfähig ist. Diese Sorge hat sich hier heute bestätigt. Ich verstehe nicht, daß dies als inkompetente Einmischung verstanden wird. In seiner Erwiderung verwies der Vorsitzende des Rates des Bezirkes darauf, daß wir von einem Mann wie Falcke, dessen Wort Gewicht hat, in der Kirche und in der Ökumene, der zu einem gesuchten Gesprächspartner gehört auf internationalen Tagungen, erwarten, daß er das, was er über die politischen Zustände in der DDR, aktuelle Entwicklungstendenzen der Außen- und Innenpolitik und das Staat-Kirche-Verhältnis aussagt, verantwortungsbewußt, ausgewogen und in Anlehnung an gesellschaftliche Intentionen, zum Ausdruck bringt. Genösse Swatek antwortete auf Einwände von Propst Dr. Falcke, daß durch den sozialistischen Staat sehr wohl und mit großem Verantwortungsbewußtsein sich kritischen Hinweisen, Vorschlägen und Eingaben gestellt wird. Energisch wird aber gegen provokatorische Handlungen eingeschritten. Genösse Swatek erneuerte die Bereitschaft zum Dialog und zur Weiterführung des Gespräches mit Vertretern des Staates, verwies aber darauf, daß Propst Dr. Falcke von den gebotenen Möglichkeiten der Konsultation auch in Fragen der Außen- und Innenpolitik Gebrauch machen möge. Propst Dr. Falcke bat um eine abschließende Stellungnahme, in der er versicherte, daß die staatlichen Organe, die auch im Verlaufe der von ihm geäußerten Standpunkte während der Synode, als förderlich sehen mögen, als Beitrag, den komplizierten Weg der Entspannung, der jetzt in Europa und der Welt gegangen wird, zu unterstützen. Wenn es, so Falcke, mit der Politik gut weitergehen soll, dann muß diese der Unterstützung der Bürger gewiß sein, eine Destabilisierung könne deshalb nicht das Ziel der Diskussion im kirchlichem Raum und auch während der Synode sein. Er habe nicht die Kompetenz wie die führenden Funktionäre des Staates, aber ein wenig Kompetenz doch, die ihm von christlichen Mitbürgern übertragen würde. Ich habe die Hoffnung, so Falcke, daß diese Absicht gut verstanden wird. Ich bin dankbar für das Angebot, im Gespräch zu bleiben. Ich empfinde es nicht als Widerspruch, daß wir in der Öffentlichkeit der Kirche Fragen und Probleme des Lebens ansprechen. Ich finde es gut, daß es kritische Stimmen gab während der Synode, das ist unerläßlich für das Vertrauensverhältnis zwischen Kirchenleitungen und Gemeinden. Ihren Appell, dies alles zu überdenken, höre ich. Es ist gut, daß wir darüber in Sachlichkeit gesprochen haben. In seiner Schlußbemerkung hob der Vorsitzende des Rates des Bezirkes hervor: W i r halten daran fest, daß in der gegenwärtigen Staatspolitik in Kirchenfragen alles eindeu215
Zur Geschichte des Antrags vgl. v.a. Kap. 1.2 der Darstellung.
353
Ausarbeitung
tig geregelt ist. Wir beziehen uns darauf, was der Staatsratsvorsitzende, Gen. Honecker, anläßlich seines 75. Geburtstages und als Erwiderung auf die Glückwünsche des Bundes der evangelischen Kirchen in der D D R ausgesprochen hat, daß wir alles tun werden, um das sachliche, konstruktive und verfassungsgerechte Verhältnis von Staat und Kirche in bewährter Weise fortzusetzen. Der Vorsitzende sprach die Erwartung aus, daß Propst Dr. Falcke als Amtsträger vor allem auch als Bürger des sozialistischen Staates in seinem Wirken und in seinen Handlungen sich stets der Verantwortung für ein vertrauensvolles Miteinander bewußt sein muß. Das erfordert und schließt ein, solche unrealistischen und provokativen Aussagen, wie er sie getan hat, zu unterlassen. Damit wurde das Gespräch beendet. Swatek [m.p.]
DOKUMENT 24 Ausarbeitung: „Information über die Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (BEK) in Görlitz 1987". [Ohne Ort, ohne Datum] BArchP, DO 4 STS f . Kirchenfragen Nr. 787216; „ 13.10.1987"1"; ohne Aussteller.
mit hsl. Einfügung
des
Datums
Im Mittelpunkt der Synode standen der Bericht der Kirchenleitung 218 das provozierende Auftreten Propst Falckes im Zusammenhang mit dem Antrag „Absage an Prinzip und Praxis der Abgrenzung" 219 und die kritische Auseinandersetzung der Mehrheit der Synodalen mit diesem Standpunkt. Der Bericht der Kirchenleitung ist im Vergleich zu früheren kürzer gefaßt, relativ zurückhaltend formuliert, nennt erzielte Fortschritte und ist auf Ausgleich und Verständigung gerichtet. Gewürdigt wird die Friedenspolitik der D D R . Begrüßt wird, daß ein 216 Auch im S A P M O BERLIN, DY 30/J IV 2 / 3 A / 4 6 0 5 (Arbeitsprotokoll) u n d abgedruckt bei F. HARTWEG (Hg.): S E D und Kirche, Bd. 2, als Dok. 106, S. 5 4 5 - 5 4 8 . Die bei Hartweg angegebene Signatur J IV 2 / 3 / 4 1 7 1 bezieht sich auf das Reinschriftenprotokoll; der Wortlaut ist derselbe. Diese „Information" findet sich nochmal (in ihrer Gesamtaussage abgeschwächt) als Anlage zu einem Schreiben Jarowinskys an Honecker vom 2 9 . 9 . 1 9 8 7 ( S A P M O BERIIN, DY 3 0 / I V Β 2 / 1 4 / 93). Das Schreiben Jarowinskys ist - zusammen mit der in der Anlage befindlichen „Information" - abgedruckt als Dok. 105 bei F. HARTWEG (Hg.): S E D u n d Kirche, Bd. 2, S. 5 3 9 - 5 4 5 . Vgl. dazu Kap. 5.2.1, A n m . 164, S. 182. 217
Vermutlich hat der Mitarbeiter in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen, Bertram Handel, der das D a t u m eingetragen hat, sich u m einen Tag vertan. Die Sitzung des Z K Sekretariats, die sich mit diesem D o k u m e n t als Vorlage beschäftigte, fand am 14.10.1987 statt. Verfaßt wurde die „Information" wahrscheinlich von der ZK-Arbeitsgruppe Kirchenfragen. 218
V g l . E P D D O K U M E N T A T I O N 4 4 / 8 7 , S. 1 - 1 4 .
2,9
Vgl. D o k . 3/2.
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Dokument 24
Abkommen über die nuklearen Mittelstreckenwaffen in greifbare Nähe gerückt ist. Zum wiederholten Male werden die bekannten abweichenden Standpunkte zu Fragen der Volksbildung, einem sogenannten Wehrersatzdienst, zu Reisegenehmigungen, vertreten. Der Bericht zeigt das Bemühen, Zuspitzungen zu vermeiden. Hervorgehoben wird, daß die Kirche ständig neu darum ringe, ihren Platz in der sozialistischen Gesellschaft in konstruktiver Weise zu bestimmen. Das ist bedeutsam, weil im Vorfeld der Synode durch bestimmte Kräfte massiv Druck ausgeübt worden war, den Bericht zu einer „Generalabrechnung" aller kritischen und kontroversen Punkte der letzten drei Synoden zu machen. Nachdem zu Beginn der Synode Kirchenpräsident Natho den Bericht der Kirchenleitung vorgetragen hatte, nahm die Tagung einen ungewöhnlichen Verlauf. Noch bevor auch nur ein Redner die Gelegenheit bekam, zum Hauptpunkt der Tagung zu sprechen, erteilte der Leiter der Synode, Präses Gäbler, dem Erfurter Propst Falcke das Wort zur Begründung des Antrages „Absage an Prinzip und Praxis der Abgrenzung" 220 . Zu diesem Zeitpunkt waren alle Vertreter der westlichen Medien anwesend, denen das Falcke-Papier bereits bekannt war. Eingangs stellte Falcke in demagogischer Weise fest, er habe zuerst gezögert, gegen die Abgrenzungspolitik Stellung zu nehmen, „wo doch unser Staat mit seiner Politik der Verständigung und Entspannung vorwärts weise". In diesem Zusammenhang bezeichnete er den Besuch des Generalsekretärs des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates, Genossen Erich Honecker, in der BRD 22 ' und das gemeinsame Dokument von SED und SPD 222 als Beispiele einer Politik des Dialogs. Darum müsse man sich fragen, ob man nicht offene Türen einrenne oder antikommunistische Feindbilder stärke, wenn man jetzt die Abgrenzung, „die aus der grenzüberschreitenden Liebe heraus abzulehnen sei", aufgreife. In einer die Realität verfälschenden Weise forderte er demagogisch, daß „der Politik der Öffnung nach außen ... eine Öffnung und Offenheit nach innen" folgen müsse und verband dies direkt mit einem Angriff auf die Ordnung an der Staatsgrenze: Die Mauer stehe „monströs in der Landschaft". Die Politik der Öffnung brauche „neue Anstöße", und die Kirche müsse in dieser Richtung Druck machen. Deutlich wurde die Absicht erkennbar, die Synode von der Linie der Verständigung abzubringen und stattdessen verstärkt Auseinandersetzungen zu Grundfragen der Politik in Kirche und Gesellschaft zu führen. Falcke trat damit zum wiederholten Male gegen den Kurs der Kirchenleitung, gegen die bewährten und praktizierten Grundsätze, Formen und Methoden der Kirchenpolitik in der DDR auf. Im Gegensatz zur widerspruchslosen Hinnahme ähnlicher Ausfälle Falckes auf früheren Synoden, kam es in Görlitz zu einer engagierten Auseinandersetzung. Die Mehrzahl der Redner auf der Synode trat gegen die Absichten und Ziele Falckes auf und erhielt starken Beifall. Der Antrag .Absage an Prinzip und Praxis der Abgrenzung" wurde abgelehnt. Die Kirchenleitung wurde beauftragt, eine Diskussion mit denen zu führen, die diesen Antrag durch Zuschriften an die Synode unterstützt hatten. Die Synode wandte sich gegen eine prinzipielle Veränderung der Linie der Kirchenleitung, der Rolle der Kirche in der Gesellschaft und hielt am Konzept einer „Kirche im Sozialismus" fest. Man dürfe die erreichten Fortschritte, international wie auch in der DDR selbst, 220 221 222
Vgl. Dok. 3/3. Vom 7. bis 1 1 . 9 . 1 9 8 7 . Vgl. Η. N. JANOWSKI: Dialektik der Abgrenzung. VORSTAND DER SPD (Hg.): Der Streit der Ideologien.
Ausarbeitung
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nicht geringschätzen, müsse die gewachsene Autorität und das internationale Gewicht der D D R und ihres höchsten Repräsentanten berücksichtigen. Diese Entwicklung dürfe nicht gestört werden, man müsse behutsam und mit Augenmaß vorgehen. Die Regierung der D D R , die so viel getan habe, dürfe jetzt nicht überfordert werden. Als erster Redner nach Falcke trat der Synodale Dipl.-Ing. Dr. König ( V E B Industrieprojektierung Erfurt) prinzipiell gegen dessen Antrag auf Er sei über die Gleichsetzung von Abschreckung und Abgrenzung entsetzt. Was solle bewirkt werden, wenn dazu aufgefordert wird, die gesellschaftliche Situation in der D D R zu verändern? Mit solchen Positionen werde der begonnene Prozeß des Dialogs und der Entspannung unterlaufen. Einigen Leuten gehe es um eine Veränderung der politischen Grundordnung in der D D R . Auch der Jenaer Theologe Prof. Dr. Hertzsch lehnte die Position Falckes und dessen Antrag grundsätzlich ab. Er halte die Absage an die Abgrenzung für falsch. Sollte es aber nicht um Abgrenzung, sondern um Grenzen gehen, dann sei zu sagen, daß der KSZE-Prozeß die Grenzen in Europa sicher gemacht habe. „Man darf nicht gegen Grenzen sein, wenn der Prozeß der Verständigung weitergeführt wird." Im gleichen Sinne trat der Saalfelder Superintendent Große auf. Auch er wandte sich entschieden gegen die Gleichsetzung von Abschreckung und Abgrenzung. Man dürfe die Lebensfragen der Menschheit nicht mit bestimmten Problemen in der D D R gleichsetzen. Mit solchen Forderungen würden die Wünsche der Gemeinden nicht gefördert. Energisch sprach sich Große gegen einseitige Schuldzuweisungen an die „östliche Seite" aus. Das „andere Deutschland" habe das Seine zum „Entstehen der Mauer" beigetragen. „Man müsse doch auch erwähnen, wie viele Aktivitäten es in unserem Lande gegeben hat, um den 13. August zu verhindern." „... Franzosen, Engländer u.a. können ganz gut mit der Abgrenzung zwischen den beiden deutschen Staaten leben; denn diese ist Voraussetzung für die Klärung manch anderer Probleme in Europa." Der Vorsitzende des Kirchenbundes, Landesbischof Leich, stellte fest, daß sich die Synode den Antrag Falckes weder nach der Absicht noch nach dem Inhalt zu eigen machen könne. Er warne davor, Staat und Gesellschaft zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit noch nicht zumutbaren Forderungen und Formulierungen zu überfordern. Zugleich wies er auf neue, positive Erfahrungen der Kirche mit staatlichen Institutionen und gesellschaftlichen Organisationen hin. Damit wurde klar, daß der Angriff Falckes gescheitert war und die Synode eine prinzipielle Richtungsänderung der evangelischen Kirchen in der D D R ablehnt. Auffällig war, daß daraufhin einige „auswärtige Gäste" mit bestimmten Synodalen eindringliche Gespräche führten. Danach trat der durch seine negativen Reden auf früheren Synoden bekannte Pfarrer Schorlemmer, der den Falcke-Antrag zuvor ebenfalls abgelehnt hatte, erneut auf. 223 Er wandte sich in demagogischer Weise gegen das Konzept der „Kirche im Sozialismus", zeichnete ein Zerrbild der DDR-Gesellschaft, sprach von einem Zerfallsprozeß der Kirchen und Städte: „Wir stehen vor den Trümmern zerbrochener Träume, den Trümmern einer Kirche im Sozialismus." Schorlemmer griff die Linie der Kirchenleitung an und forderte, daß dem Staat auch „Unverdauliches" vorgetragen werden müsse, sonst sei alles nur Taktik und diene nicht dem Menschen. Im weiteren Verlauf der Synode entwickelte sich erstmalig in dieser Form auch eine 2 2 3 Schorlemmer hatte die beiden Vertreter der US-amerikanischen Botschaft zum Mittagessen in den offiziellen Speisesaal für die Synodenteilnehmer eingeladen (Gespräch SCHORLEMMER mit den Verf. am 1 1 . 3 . 1 9 9 4 ) .
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Dokument 24
Auseinandersetzung zu Fragen des Wehrdienstes. Eine Reihe von Synodalen trat für den Wehrdienst in der NVA ein und lehnte die in der Vorlage „Bekennen in der Friedensfrage" enthaltene einseitige Position, die die Wehrdienstverweigerung als das „bessere" christliche Friedenszeugnis charakterisiert, ab. Oberkirchenrat Schulze (Dessau) wandte sich dagegen, daß der Eindruck vermittelt werde, als sei die Verweigerung des Wehrdienstes der Normalfall: „Soll sich der Christ, der Waffendienst leistet, dafür nun rechtfertigen?" Pfarrer Adolph stellte fest, daß die meisten Jugendlichen ohne jede Probleme den Wehrdienst leisten. Die eingebrachte Vorlage enthalte also eine ganz schiefe Darstellung. Superintendent Große wandte sich dagegen, daß in der Vorlage Jugendliche, die Waffendienst leisten, faktisch diskriminiert werden. Unter Bezugnahme auf das gemeinsame Dokument von SED und SPD war auf der Synode die Absicht erkennbar, dieses Dokument einseitig und entstellend zu interpretieren und mit Spekulationen über Veränderungen der gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR zu verbinden. Auch für diese Synode war typisch, daß eine Reihe kirchenleitender Persönlichkeiten zwar auf der Synode auftrat und auch die Linie des Berichtes der Kirchenleitung unterstützte, ohne jedoch eindeutig, wie die Mehrzahl der Redner, gegen provokatorische Ausfälle Stellung zu nehmen. Bemerkenswert ist, daß die bekannten politisch negativen Kräfte in der Synode trotz „Schützenhilfe" von außen an Einfluß verlieren. Zugleich treten diese Leute aggressiver und provokatorischer auf. Sie empfinden unsere Erfolge im Innern und international als Niederlage und Herausforderung. Diesen Leuten paßte der Verlauf des Berliner Kirchentages und des Dresdner Katholikentreffens mit ihren positiven internationalen Wirkungen nicht ins Konzept, zumal ihre Versuche, diesen Veranstaltungen mit gezielten Störaktionen einen anderen Charakter zu geben, mißlungen sind. Trotz der Widersprüchlichkeit, die auch den Verlauf dieser Synode kennzeichnete, wurde deutlich, daß die positive Gesamtentwicklung in der DDR, die weiter gewachsene internationale Autorität unseres Staates und seine aktive Rolle im Kampf um die Sicherung des Friedens, der große persönliche Beitrag, den der Generalsekretär des ZK der SED und Vorsitzende des Staatsrates der DDR, Genösse Erich Honecker, dazu leistet, nachhaltig in die evangelischen Kirchen und selbst in solche Gremien wie die Synoden hineinwirken. Verlauf und Ergebnisse der Görlitzer Synode zeigen - ähnlich wie manche Landessynoden der evangelischen Kirchen daß diese Institutionen, die auf einen nicht geringen Teil christlicher Bürger Einfluß haben, in der politischen Arbeit künftig noch aufmerksamer beachtet und stärker im Sinne unserer Politik unterstützt werden müssen. Das gilt in besonderem Maße für das tagtägliche Zusammenwirken, für die persönliche Einflußnahme auf die gewählten Mitglieder der Kirchenleitungen auf die Synodalen. Die ganze Breite gemeinsamer Fortschritte und Errungenschaften, das vielgestaltige Wirken christlicher Bürger in unserem Lande, in Betrieben, Genossenschaften und Institutionen finden ihren Ausdruck in den Volksvertretungen, in der Nationalen Front, in der C D U und in anderen befreundeten Parteien, aber noch nicht in befriedigendem Maße in einer Reihe kirchlicher Gremien.
Vermerk Zieglers
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DOKUMENT 25
Vermerk Zieglers über ein Gespräch in der Dienststelle des Staatssekretärs fur Kirchenfragen am 16. Oktober 1987. Berlin, 19. Oktober 1987 EZA Berlin, 101/93/6. Verteiler: Alle Vorstandsmitglieder\ Kupas, Lewek und
Reichelt.
Teilnehmer: Hauptabteilungsleiter Heinrich - Oberkirchenrat Ziegler Das Gespräch kam auf dringenden Wunsch von Herrn Heinrich kurzfristig zustande. 1.
a)
Reiseprobleme H e i n r i c h erläutert, daß er um dieses Gespräch gebeten habe, weil es ständig Probleme mit Reisen gäbe, und zwar besonders, wenn andere Ministerien befragt werden müßten. Ein Vierteljahr reiche für die Bearbeitung dann auf keinen Fall aus. Die anderen Ministerien brauchten mindestens selbst ein Vierteljahr. Das sei besonders beim Ministerium für Gesundheitswesen der Fall, da dort besonders darauf geachtet würde, daß Dienstpläne eingehalten werden. Er bäte deshalb darum, daß die Einreichungsfrist für Reisende, bei denen andere Ministerien befragt werden müßten, auf vier Monate verlängert würde. Außerdem sollte versucht werden, bei den Reiseplanungen schon Vorankündigungen an die Dienststelle des Staatssekretärs zu geben, vor allem bei Erstreisenden. Dann könne die Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen bereits Vorklärungen mit den anderen Ministerien herbeiführen. In diesem Zusammenhang bringt Ζ i e g 1 e r zur Sprache, daß in zunehmendem Maße Professoren der Sektionen Theologie den Bund um Vermittlung von Reiseanträgen bäten. Das Sekretariat des Bundes und der Vorstand achteten darauf, daß die abgesprochenen Reisekriterien eingehalten würden. Der Bund würde Reiseanträge nur einreichen, wenn ein kirchliches Interesse und ein kirchlicher Auftrag vorlägen. Heinrich bestätigt, daß auch nur in diesen Fällen die Dienststelle des Staatssekretärs zuständig sei und Befürwortungen aussprechen könne. Ziegler schildert daraufhin den Fall von Prof. Haustein und fragt an, wieso dann Prof. Haustein, dessen Reise eindeutig in die Zuständigkeit des Ministeriums für Hochschulwesen falle, vom Staatssekretär eine Reisegenehmigung erhalten habe, nachdem der Bund eine Vermittlung abgelehnt hatte. Prof. Haustein habe in einem scharfen Brief an den Vorsitzenden der Konferenz schwere Vorwürfe gegen den Bund erhoben. Es sei schwer einzusehen, daß das Sekretariat des Bundes wiederholt an die Einhaltung der Reisekriterien erinnert und gemahnt werde, wenn dann von der Dienststelle des Staatssekretärs diese Kriterien selbst nicht eingehalten würden. H e i n r i c h sagt zu, nähere Erkundigungen über diesen Reisevorgang einzuholen. Im einzelnen führt H e i n r i c h folgende problematische Reisevorgänge an: Reise Wolfgang Schnur auf Einladung der Friedensinitiative aus Uelzen im Oktober 1987 Hier seien die Reisekriterien nicht eingehalten worden. Der Einlader sei keine Kirche. Es sei eine namentliche Einladung ausgesprochen worden. Der Mecklenburger
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Dokument 25 Oberkirchenrat habe eine Befürwortung ausgesprochen, aber fahre Herr Schnur denn wirklich im Auftrag der Mecklenburger Landeskirche? Ζ i e g 1 e r wendet ein, daß es durchaus im Interesse der Kirche sei, wenn Herr Schnur den von ihm erbetenen Fachvortrag halte. Darauf sagt Heinrich zu, daß er die Reise ausnahmsweise befürworten werde. H e i n r i c h berichtet von zwei Beschwerdeschreiben von der internationalen Vereinigung der Lesbierinnen und der Homosexuellen aus Schweden und Norwegen an den Staatsratsvorsitzenden wegen der Reiseverweigerung für Pfarrer Loske und Stapel (KPS 2 2 4 ). Die Dienststelle des Staatssekretärs erwarte, daß alle Reisenden daraufhingewiesen würden, daß die Beschwerden an die Stelle zu richten seien, die den Reisevorgang einreicht. Das sei das Sekretariat des Bundes. Beschwerden sollten deshalb auch an das Sekretariat des Bundes gerichtet werden, das sie ja dann an die Dienststelle des Staatssekretärs weiterleiten könnte.
b)
c)
Reise Bomberg nach Darmstadt Diese Reise sei zwar von der Berlin-Brandenburger Kirche mit einem besonderen Schreiben des Bischofs befürwortet worden. Auch gegen die Einladung der Hessischen Kirche sei nichts einzuwenden. Aber es sei bekannt, daß Herr Bomberg wohl der Kirche nicht angehöre. Er habe eine Auftrittsgenehmigung vom Ministerium für Kultur. Es sei aber nicht bekannt, daß er einen kirchlichen Auftrag wahrnehme. Wenn die Kirche von Berlin-Brandenburg der Bitte der Hessischen Kirche entsprechen wolle, könne sie ja einen Kirchenmusiker oder kirchlichen Liedermacher entsenden. Herr Bomberg falle wenigstens entweder unter die Zuständigkeit des Ministeriums für Kultur oder des Ministeriums für Gesundheitswesen. Infolge dessen würde der Staatssekretär für Kirchenfragen diese Reise nicht befürworten.
d)
Reise Dr. Falcke zur Friedensdekade nach Mainz Es sei eine eindeutig regionale Veranstaltung. Die Reisekriterien seien in keiner Weise eingehalten. Trotzdem würde in diesem besonderen Fall Befürwortung gegeben werden. Man solle es aber auf kirchlicher Seite als eine ausgesprochene Ausnahme ansehen mit Rücksicht auf die kirchliche Befürwortung. 225 Einladung an zwei Thüringer Pfarrer zu einer Studientagung in Basel H e i n r i c h verliest die Anschrift dieses Einladungsschreibens: „Herrn Dr. Moritz, Mitzenheim-Str., Eisenach". Er könne daraus nur den Schluß ziehen, daß es sich hier um eine bestellte Einladung handele. Das sei eine sehr unseriöse Verfahrensweise. Wenn der Einlader nicht einmal wisse, an wen er sich richtig wende, erscheine eine seriöse kirchliche Verbindung kaum glaubhaft. Umso mehr verwundere, daß solche Einladungen vom Thüringer Landeskirchenrat befürwortet werden. Er nehme sehr ernst, wenn der Landesbischof eine Sache befürworte. Aber wenn die Befürwortungen zu Floskeln entarteten, verlören sie an Gewicht.
e)
f)
Reise für Frau Lüttge und Frau Christel Neumann aus der Berlin-Brandenburger Kirche zu einer Tagung für geistliche Erneuerung H e i n r i c h fragt an, ob der Kirche diese Gemeinschaft der Geschäftsleute des
KirchenprovinzSachsen. In ganz anderem Licht erscheint diese scheinbar großzügige Ausnahme, wenn man sich die Ausfälle Honeckers gegen Falcke im Politbüro am 2 2 . 9 . 1 9 8 7 noch einmal vor Augen hält. Vgl. Kap. 5.2.1 der Darstellung, S. 180f„ sowie das Interview, das Paul OESTREICHER 1993 mit Honekker führte. In: E P D DOKUMENTATION 6a/93. 224
225
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Vermerk Zieglers
g)
2.
vollen Evangeliums bekannt sei. Der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen sei bekannt, daß es eine antikommunistisch eingestellte Organisation sei. Gegen diese einladende Institution bestünden starke Einwände, auch wenn sie sich mit geistlicher Erneuerung tarnten. Man sei in der D D R froh, daß das Sektenwesen nicht so ausgebildet sei wie in der Bundesrepublik. Es verwundere deshalb, wie bedenkenlos anscheinend von einigen Kirchen Reisebefürwortungen ausgesprochen werden. Reise von Landesbischof Dr. Leich zu einer Begegnung mit der Fuldaer Bischofskonferenz H e i n r i c h bringt seine Freude und Verwunderung über diese Reise zum Ausdruck. Er halte das für einen sehr wichtigen und förderlichen Schritt. Nur würde diese Reise dazu führen, daß der Vorsitzende der Konferenz für den Staatsakt am 23. Oktober 1987 in Berlin absagen werde. 226 Das würde besonders nach der Synode in Görlitz sehr ins Auge fallen. Es müsse auf der Ebene des Staates zu Irritationen und Fehlinterpretationen führen. Er habe zwar keinen Auftrag, aber er wolle doch darauf hinweisen und anfragen, ob nicht eine Verschiebung möglich sei. Ζ i e g 1 e r erklärt, daß diese Reise sehr lange geplant und verabredet sei. Er glaube nicht, daß Herr Landesbischof Dr. Leich hier eine Verschiebung vornehmen könne. H e i n r i c h gibt seiner Hoffnung Ausdruck, daß dann wenigstens Dr. Demke als stellvertretender Vorsitzender am Festakt teilnehmen werde. Es wäre vielleicht hilfreich, wenn Landesbischof Dr. Leich ihn schriftlich als seinen Vertreter anmelde. Zur Situation nach der Bundessynode in Görlitz H e i n r i c h bringt seinen Wunsch zum Ausdruck, über die Bundessynode zu sprechen. Ζ i e g 1 e r weist daraufhin, daß es vor allen Dingen jetzt darauf ankomme, die in Aussicht genommenen und zugesagten Informationsgespräche weiter vorzubereiten. Die Ergebnisse der Bundessynode sollten in diese Gespräche einfließen. Da die Zeit für eine ausführliche Besprechung der anstehenden Fragen zu knapp sei, solle man einen neuen Termin verabreden. Das Gespräch wird für Montag, 19. Oktober 1987, 14.00 Uhr, festgesetzt. gez. Ziegler
226
Gemeint ist die zentrale Festveranstaltung der DDR zum 750jährigen Jubiläum Berlins.
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Dokument 26
DOKUMENT 26 Vermerk Zieglers über ein Gespräch in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen am 19. Oktober 1987. Berlin, 22. Oktober 1987 EZA Berlin, 101/93/6. Teilnehmer:
Verteiler: Alle Vorstandsmitglieder, Lewek, Kupas.
Hauptabteilungsleiter Heinrich Dr. Wilke (zu Ziffer 1 und 2) O K R Ziegler
1. Einschätzung und Folgerungen aus der Bundessynode Heinrich erläutert, daß er Dr. Wilke zu diesem Gespräch hinzugezogen habe, weil er an der Bundessynode teilnahm. Dr. Wilke gibt folgende Einschätzung der Bundessynode: Sie trug keinen einheitlichen Charakter. Der KKL-Bericht sei kurz und nüchtern gewesen und habe sich bemüht, Probleme nicht zuzuspitzen. Demgegenüber stand die Arbeit von Gruppen, die zielgerichtet daraufhinwirken, die konstruktive Linie, die von der KKL verfolgt werde, infrage zu stellen durch die Hervorhebung der Themen .Abgrenzung" und „Wehrdienstverweigerung". Der Staatssekretär ziehe daraus die Folgerung, daß unter den Bedingungen nach der Bundessynode zunächst ein Gespräch mit dem Präsidium der Synode und dem Vorstand zu führen sei. Vorher seien die Voraussetzungen für die angebotenen Informationsgespräche nicht mehr gegeben. Bedingt sei das durch einige Äußerungen während der Bundessynode, z.B. die öffentliche negative Beurteilung des Gesprächs mit Prof. Sitzlack durch die stellvertretende Präsidentin der Synode und durch Forderungen, daß mit Vertretern des Verteidigungsministeriums jetzt verhandelt werden müsse über die Schaffung eines zivilen Ersatzdienstes. Durch solche Äußerungen würden die angebotenen Informationsgespräche in Verhandlungen umfunktioniert, an deren Ende, wie die Synode forderte, konkrete Ergebnisse stehen müßten. Unter dem Eindruck solcher Äußerungen müsse neu darüber gesprochen werden, was Trennung von Kirche und Staat heißt, was Kooperation heißt und Mitspracherecht der Kirche. Es sei auch zu fragen, wie lange die Bundessynode sich durch Gruppen manipulieren lassen wolle, wie sie hinter den Eingaben stünden, und durch Aktivitäten am Rande der Synode (Kolitzus, Roeder, Lampe u.a.). 227 Auch die Beeinflussung der Öffentlichkeit durch die Berichterstattung der Westmedien müsse erneut bedacht werden. Hier seien die Proportionen verschoben worden. Deshalb biete der Staatssekretär für Anfang November ein Gespräch mit Vorstand und Präsidium an.228 Wenn Klärungen geschaffen werden könnten, könnten die zugesagten Informationsgespräche im Januar 1988 beginnen. Als Termin für das Gespräch mit dem Vorstand und dem Präsidium schlüge der Staatssekretär vor: 227 228
Vgl. Biogramme im Anhang. Das Gespräch fand am 6 . 1 1 . 1 9 8 7 statt. Vgl. Dok. 29.
Vermerk Zieglers
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3., oder 6., oder 9., oder 10. November 1987. Heinrich ergänzt: Mit diesen Äußerungen sollten nicht die Anstrengungen derer gering geschätzt werden, die sich um konstruktive und verfassungsgerechte Beziehungen zwischen Staat und Kirche bemüht haben. Es gäbe eigentlich in der Beurteilung der Synode selbst und ihrer Ergebnisse keine tiefgreifenden Kontroversen. Unterschiedlich aber sei das Gewicht, das problematischen Aussagen während der Synode bei Staat und Kirche beigemessen werde. Die Haltung der Synode und ihre Ergebnisse bedeuteten nach Einschätzung durch den Staatssekretär für Kirchenfragen eine Zäsur im Blick auf die verbindliche Gemeinschaft der Kirchen an. Aber es müßten Dinge wieder gerade gerückt werden, sonst könne der Staatssekretär seinen Ministerkollegen nicht den Sinn der angebotenen Informationsgespräche deutlich machen und sie dafür gewinnen. Ziegler bringt seine große Verwunderung über diesen Vorschlag zum Ausdruck. Die Bundessynode habe sich gerade durch die besonnene Behandlung schwieriger Probleme und Anträge bewährt. Er könne auch nicht verstehen, wieso bei einer grundsätzlich positiven Beurteilung der Synode jetzt dieser Vorschlag gemacht werde. Es scheine also der springende Punkt die Manipulierung durch die Gruppen und die Berichterstattung durch die Westmedien zu sein. Er könne nur bedauern, daß sich der Staatssekretär für Kirchenfragen in dieser Weise von der Berichterstattung der Westmedien abhängig mache. Es sei tief zu bedauern, daß das DDR-Fernsehen die Verhandlungen verlassen habe. Es hätte ja die Gelegenheit gehabt, eine richtigstellende Berichterstattung der Öffentlichkeit der D D R zu übermitteln. Er fragt an, ob auch bedacht worden sei, wie der jetzige Vorschlag des Staatssekretärs wirken müsse. Er würde genau das erreichen, was einige Gegenkräfte gerne wünschen. Er könne nur so gedeutet werden: Vor der Synode habe der Staatssekretär Versprechungen gemacht, jetzt habe er den Haken gefunden, um sich aus der Affäre zu ziehen. Dies alles wird schweigend von den Gesprächspartnern zur Kenntnis genommen. Ziegler weist darauf hin, daß nach der Ordnung des Bundes das Präsidium kein Recht habe, den Bund der Ev. Kirchen nach außen zu vertreten. Das sei Sache der Konferenz. Aus diesem Grund sei der Präses geborenes Mitglied sowohl der Konferenz wie des Vorstandes. Er müsse fragen, was mit diesem Vorschlag des Staatssekretärs bezweckt werde. Heinrich erläutert, man wolle dem Präsidium selbst sagen, wo die Kritik liege. Denn das Präsidium verlasse offensichtlich die konstruktive Linie der K K L , ohne auf die K K L zu hören. Zumindestens [sie] lasse das Präsidium das zu. Außerdem stelle man mit Verwunderung fest, daß einige Bischöfe sich durch dauerndes Fehlen offensichtlich von der Bundessynode distanzieren. Man müsse also fragen, ob die K K L die Dinge noch in der Hand habe. Deshalb scheine es besser zu sein, statt den Vertretern der K K L die beschwerenden Punkte vorzutragen, diese denen direkt zu sagen, die offenbar eine andere Linie verfolgten. Ziegler wendet erneut ein, daß in schwierigen Situationen es gerade nötig sei, die Ordnungen zu respektieren. Das Präsidium sei kein Verhandlungspartner. Es habe die Synode zu leiten, nicht aber den Bund der Ev. Kirchen nach außen zu vertreten. Nach einem eingeschobenen Gespräch von Dr. Wilke mit dem Staatssekretär für Kirchenfragen läßt dieser übermitteln: Der Staatssekretär lädt den Vorstand ein und stellt es ihm frei, weitere Präsidiumsmitglieder zu dem Gespräch mitzubringen. Ziegler nimmt das zur Kenntnis.
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Dokument 26
Ziegler fragt erneut, was dieses Zwischengespräch eigentlich bewirken solle, da nach den Vorankündigungen, die der Staatssekretär unmittelbar vor der Bundessynode bestätigt habe, jeder a u f die zugesagten Informationsgespräche warte. D e r Vorstand habe seine Gesichtspunkte am 2 1 . Mai 1 9 8 7 dargelegt. 2 2 9 E r sei bei der Vorbereitung der angekündigten Vorbereitungsgespräche. Alles, was an kritischen Fragen a u f der Bundessynode aufgeworfen worden sei, könne in diese Informationsgespräche einfließen und dort besprochen werden. Heinrich erwidert, es sei der Anschein erweckt worden, als solle mit dem Minister für Nationale Verteidigung verhandelt werden. Es sei aber zu betonen, daß es um Informationsgespräche gehe, bei denen auch Probleme angeschnitten werden könnten. Es sei aber nicht möglich, diese Gespräche unter dem D r u c k zu führen, daß am Ende etwa das Ergebnis herauskomme, nun gebe es einen zivilen Ersatzdienst. D i e Basis für vertrauensvolle Gespräche mit Gesprächspartnern aus anderen Ministerien sei nach den Äußerungen a u f der Bundessynode und nach der öffentlichen Negativbeurteilung des Gespräches mit Prof. Sitzlack nicht mehr gegeben. D e r Staatssekretär m ö c h t e sich deshalb vor den Informationsgesprächen vergewissern, unter welchen Prämissen diese Gespräche stattfinden sollen. Die Lauterkeit der Gesprächspartner müsse den Vertretern der anderen beteiligten Ministerien verdeutlicht werden. Erst dann seien die Informationsgespräche möglich. Ziegler erklärt, daß er dies alles nur zur Kenntnis nehme und auf dem schnellsten Wege mit dem Vorsitzenden der Konferenz und dem Vorstand besprechen werde. 2. Zu den Informationsgesprächen Ziegler erläutert die Vorstellung des Vorstandes für die Zusammensetzung der G e sprächsgruppen und über die Zielstellung. W e n n es auch Informationsgespräche seien, müsse er daran erinnern, daß von Anfang an zugesagt worden sei, daß bei dieser Gelegenheit alle Probleme von kirchlicher Seite zur Sprache gebracht werden könnten. Dies wird von Heinrich bestätigt. Ziegler hebt hervor, daß der Vorstand beabsichtige, für die einzelnen T h e m e n Gesprächsgruppen von sieben bis acht Vertretern zu bilden, damit ein wirklicher sachlicher Austausch über die Informationen und die angeschnittenen Probleme möglich sei. Dies wird von den Gesprächspartnern aus der Dienststelle des Staatssekretärs zur Kenntnis genommen. Heinrich hebt hervor, daß die Gespräche ja nicht aufgegeben seien, sondern nur verschoben werden müßten. Dr. Wilke äußert die Ansicht, daß sie im Januar 1 9 8 8 in der vorgesehenen Reihenfolge beginnen könnten. Ziegler erklärt, daß der Vorstand darum bittet, die Reihe der Gesprächsthemen nach der Bundessynode noch zu erweitern. Es müsse ein Gespräch über Bauprobleme in die Reihe der Informationsgespräche eingefügt werden. Diese Bitte wird zur Kenntnis genomm e n . Ziegler bittet im Auftrag des Vorstandes um Benennung eines Termins für das 1. Gespräch über Wehrdienstfragen. Die Gesprächspartner sehen sich a u f G r u n d der bisherigen Ausführungen nicht in der Lage, ein Terminangebot zu machen. Die Weiterverhandlung über die Durchführung der Informationsgespräche erweist sich als nicht möglich, solange nicht Ziffer 1 entschieden sei. 229 Beim Gespräch mit Staatssekretär Gysi im Gästehaus „Johannishof'; vgl. Dok. 2 (staatl. Überlieferung) sowie kirchl. Uberlieferung: Sekretariat des BEK. [Ohne Autor.] Berlin, 22.5.1987:
„ S c h n e l l i n f o r m a t i o n " (STELLE F Ü R INFORMATION U N D DOKUMENTATION D E R E K D i n d e r A u guststraße/BERLIN). A b d r u c k bei C . D E M K E / M . FALKENAU/H. ZEDDIES ( H g . ) : Z w i s c h e n A n p a s -
sung und Verweigerung, S. 217—222. Vgl. ebenfalls mit Dok. 8.
Vermerk Zieglers
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3. Verschiedenes 3.1. Ziegler kündigt an, daß der Vorsitzende der Konferenz zum 16.12.1987, 19.00 Uhr zu einer Adventsmusik nach Eisenach einladen werde. Er bittet, den Staatssekretär zu informieren. 3.2. Ziegler erläutert, daß der Bund großen Wert darauflege, daß das Ehepaar JohnsBoehme weiterhin in der D D R wohnen und seinen Dienst in den Kirchen des Bundes tun könne. Er bittet um Gewährung des Verlängerungsantrags für die Aufenthaltsgenehmigung. 3.3. Ziegler gibt die Absicht zur Kenntnis, im Jahr 1988 zwei Klausuren der Konsultationsgruppe zu halten, im Mai in der Bundesrepublik, im September in Meißen. Heinrich erklärt, er sehe keine Probleme, wenn weiterhin daran festgehalten werde, daß dies ganz interne Verhandlungen seien ohne jede Öffentlichkeit. 230 3.4. Ziegler schneidet die Frage an, aufweiche Weise derTheologenkongreß 1990 finanziert werden solle. Es gehe dem Bund darum, seine Gastgeberrolle auch wirklich wahrzunehmen. Deshalb dürfe es nicht darauf hinauslaufen, daß alle Kosten in Valuta von der Gesellschaft für Evangelische Theologie zu begleichen seien. Heinrich nimmt das zur Kenntnis und bittet den Bund, einen Vorschlag zu unterbreiten, wie in einem angemessenen und ausgewogenen Verhältnis die Finanzierung erfolgen könne. 3.5. Heinrich teilt mit, daß die Einladungen zum Staatsakt am 23. Oktober 1987 zum 7 5 0 . Stadtjubiläum Berlins versandt seien. Eine Einladung an Dr. Leich sei bisher nicht abgeschickt worden, das könne jedoch sofort erfolgen, wenn der Landesbischof doch noch zusage. Ziegler erklärt, daß damit nicht zu rechnen sei. Heinrich legt daraufhin noch einmal nahe, daß der Vorsitzende in einem offiziellen Schreiben Dr. Demke als amtierenden Vorsitzenden der KKL benenne, der in seiner Vertretung am Festakt teilnehme. Ziegler weist darauf hin, daß dies schwer möglich sei, solange Landesbischof Dr. Leich nicht einmal eine Einladung erhalten habe. Darauf läßt Heinrich Ziegler sofort eine Einladung fur den Vorsitzenden überreichen. Ziegler sagt zu, dem Konferenzvorsitzenden die dargelegten Gesichtspunkte zu übermitteln.
230 Zur Konsultationsgruppe von B E K und E K D vgl. Kap. 5 . 1 . 5 dieser Darstellung. Die Sitzungsniederschriften der Zusammenkünfte zwischen 1 9 8 0 und 1 9 9 0 sind mit ergänzendem Material und Erläuterungen veröffentlicht bei W. HAMMER/U.-P. HEIDINGSFELD: Die Konsultationen.
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Dokument 27
DOKUMENT 27 Vorlage Gräfes fiir die Dienstbesprechung in der Dienststelle des Staatssekretärs fiir Kirchenfragen am 26. Oktober 1987. Berlin, 28. Oktober 1987 BArchP, D04STSf. Kirchenfragen Nr. 1281; mit masch. Vermerk: „Nurfiir den Dienstgebrauch"; auch BArchP DO 4 STS f . Kirchenfragen Nr. 955. Leitungsinformation 5/87 Aktuelle politische Tendenzen in den Kirchen und Religionsgemeinschaften in der D D R (Nach den Bezirksberichten 5/87, den Dienstreiseberichten der Operativkader 231 sowie Einzelinformationen) 1. Evangelische Kirchen 1.1. Politische Tendenzen und Argumente Bisher liegen in den Bezirksinformationen kaum Meinungsäußerungen von kirchlichen Vertretern zur Görlitzer Bundessynode 1987vor (nur 4), so daß keine politischen Tendenzen ableitbar sind. Offenbar ist vor allem bei den Geistlichen und Amtsträgern an der kirchlichen Basis der gegenwärtige Kenntnisstand und z.T. auch das Interesse gering. In ganz anderer Weise haben realistische Kräfte aus der KKL unmittelbar nach der Bundessynode zu dem dort akuten Thema des Auftrags der Kirche in der Gesellschaft öffentlich und innerkirchlich Stellung genommen. In ihrer Bedeutung sind besonders hervorzuheben die grundsätzlichen Aussagen des Vorsitzenden der KKL, Landesbischof Dr. Leich, sowie von Landesbischof Dr. Hempel mit ihren Beiträgen vor dem Kolloquium anläßlich des 40. Jahrestages des Darmstädter Wortes des Bruderrates (am 8.10.87 in Jena) bzw. vor der Synode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens (am 10.10.87 in Dresden). In ihren Darlegungen gelangen beide zu politisch wichtigen Orientierungen für die weitere konstruktive und realistische Positionsbestimmung der evangelischen Kirchen in der D D R und wenden sich damit offensiv gegen die auf der Bundessynode in Erscheinung getretenen politisch negativen Kräfte und Positionen. Sie ordnen die gesellschaftliche und politische Relevanz kirchlichen Wirkens nachdrücklich dem religiösen Auftrag der Kirche unter und grenzen es von einer vordergründigen Politisierung ab. In ihren Ausführungen weisen sie die theologische Unhaltbarkeit des Versuchs politisch negativer Kräfte nach, die Kirche für ihre politischen Ziele in Anspruch nehmen zu wollen. Damit schaffen sie zugleich eine breite konsensfähige, weit theologisch fundierte Basis zur Klärung und Zurückweisung dieser Versuche durch die Mehrheit der Geistlichen und kirchlichen Amtsträger. Mit den gleichen Intentionen äußerte sich Kirchenpräsident Natho in einem sehr zu beachtenden Vortrag „Kirche im Sozialismus. Anmerkungen zu Weg, Erfahrungen und
231
Vgl. Dok. 28. So ist auch zu erkennen, wie die verschiedenen Informationen weiterverarbeitet wurden.
Vorlage Gräfes
365
Auftrag der Kirchen in der DDR" an der Sektion Theologie der Martin-Luther-Universität Halle (am 24.9.87). 232 Vor seiner Landessynode distanzierte sich Natho von den negativen Positionen der Bundessynode und bezog im besonderen Stellung gegen entsprechende Aussagen zum Wehrdienst und zur „Abgrenzung". (Die genannten Vorträge liegen z.T. im Wortlaut in der Dienststelle vor.) Über die Gespräche der Räte der Bezirke Magdeburg und Erfurt mit Bischof Dr. Demke bzw. Propst Dr. Falcke233 wurde gesondert informiert. Diese auf die weitere Festigung eines konstruktiven Verhältnisses der evangelischen Kirchen zu Gesellschaft und Staat in der DDR gerichtete Linie wichtiger Leitungskräfte der KKL entspricht den Interessen der übergroßen Mehrheit der Geistlichen und Amtsträger an der kirchlichen Basis und wird von Leitungskräften der verschiedensten kirchlichen Ebenen unterstützt und konkret, selbstverständlich in differenzierter Ausprägung, verwirklicht. Das zeigt sich in den zahlreichen Gesprächen und Begegnungen mit kirchlichen Vertretern, die im Berichtzeitraum durchgeführt wurden. Für diese Gespräche insgesamt ist die Aussage von Landesbischof Dr. Leich zur konstruktiven Weiterführung des bisher in den Staat-Kirche-Beziehungen gewachsenen charakteristisch, die er bei der traditionellen Zusammenkunft am 3.10.1987 beim Rat des Bezirkes Erfurt anläßlich des Jahrestages der DDR vortrug. Er hob hervor: „daß wir in einer langen Tradition des offenen Gespräches und bei der Achtung des Standpunktes des anderen in der Lage sind, das zwischen uns gewachsene Vertrauen, die Einsicht in die Tatsache, daß jeder das meint, was er sagt, und verlässlich ist als Gesprächspartner, daß wir diesen Weg in einer guten Weise miteinander weitergehen können". Als eine direkte Reaktion auf die prinzipielle Aussprache beim Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Erfurt am 2.10.87 ist der Vortrag von Propst Dr. Falcke zu werten, den er zum Thema „Kirche im Sozialismus" im Rahmen einer kirchlichen Veranstaltung einige Tage später in Straußfurt/Bez. Erfurt hielt. Darin rückte Dr. Falcke von seinem Auftreten auf der Bundessynode in Görlitz ab. Seine Gespräche mit Leitungskadern der Gesellschaft hätten neue Erkenntnisse erbracht und so habe er sich korrigieren müssen. Er bemühte sich, seine negativen Auslassungen bei der Bundessynode zu relativieren und trug insgesamt realistische und konstruktive Positionen zum gesellschaftlichen Wirken von Christen und Kirchen in der sozialistischen Gesellschaft vor. Der Besuch des Staatsratsvorsitzenden der DDR, Genossen Erich Honecker, in der BRD2>4 stand im Mittelpunkt der politisch-ideologischen Arbeit mit den Geistlichen und kirchlichen Amtsträgern. Alle Räte der Bezirke unterstrichen die außerordentliche Aufmerksamkeit und das große Interesse, mit dem die kirchlichen Vertreter den Besuch verfolgt haben. Aus den Bezirksberichten geht hervor, daß von dem Verlauf und den Ergebnissen des Besuchs, von dem persönlichen Auftreten des Staatsratsvorsitzenden und seiner Argumentation nachhaltige Wirkungen im kirchlichen Raum ausgingen. Vor allem wurden folgende Tendenzen in der politischen Meinungsbildung deutlich:
232 Vgl. RdB Halle. Abt. Kirchenfragen. [Ohne Autor.] Halle, 25.9.1987: .Aktenvermerk" [Abschrift] zur Vorlesung Nathos an der Sektion Theologie der M L U Halle am 24.9.1987 (BArchR DO 4 STS f. Kirchenfragen Nr. 1477). 233 Vgl. Dok. 23. 234 Vom 7. bis 11.9.1987.
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Dokument 27
1.
Realistische und aktuell politisch bedeutsame Erkenntnisse und Positionen bezüglich des souveränen Status, des Verhältnisses und des Umgangs der beiden deutschen Staaten miteinander wurden vertieft und verbreitert. Das zeigt sich in einer zunehmenden Zahl von Aussagen, in denen Stolz auf die D D R zum Ausdruck kommt, Freude über die „faktische vollständige" Anerkennung der D D R durch die BRD geäußert wird, in denen „Geraer Forderungen" unterstützt und belastende konfrontativ angelegte Aussagen von Kohl und anderen zur „Wiedervereinigung" und Staatsgrenze zurückgewiesen werden. Diese Positionen werden insgesamt aber nur von einer Minderheit kirchlicher Vertreter auch so klar reflektiert bzw. formuliert (unter ihnen Konsistorialpräsident Stolpe und Kirchenpräsident Natho). Die Mehrheit akzeptiert die objektiven Realitäten, nimmt sie als gegeben hin.
2.
Von der großen Mehrheit der Geistlichen und Amtsträger wurde das primäre Anliegen des Besuches, einen konkreten Beitrag zur Erhaltung des Friedens in Europa und der Welt zu leisten, nach Einschätzung der Bezirke sehr gut verstanden und gewürdigt. Diese Mehrheit unterstützt die Dialogpolitik der D D R in bezug auf die BRD und die Betonung des Primats der Friedensfrage in den beiderseitigen Beziehungen. Man erwartet, daß die Bundesregierung entsprechend handelt, wie zuletzt bezüglich der Pershing 1 a.
3.
Ebenso werden mit dem BRD-Besuch Erich Honeckers Erwartungen zu weiteren Verbesserungen der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten verbunden. Von dem gemeinsamen Kommunique 2 3 5 und den unterzeichneten Vereinbarungen werden in die Zukunft reichende Impulse für konkrete Schritte erwartet. Damit ist bei nahezu allen der Geistlichen und kirchlichen Amtsträger die Hoffnung verknüpft, daß diese Verbesserungen auch konkret für den einzelnen Bürger erfahrbar werden, daß es auch bei den „menschlichen Kontakten" und in Reisefragen weitere Möglichkeiten gibt. Der kontinuierliche Ausbau von Städtepartnerschaften und steigende Reisezahlen nähren diese Hoffnung stetig. Von den kirchlichen Vertretern wird dabei diese Problematik zumeist im engen Zusammenhang mit der Friedensfrage behandelt, was sich für sie folgerichtig aus ihrem aus dem Evangelium abgeleiteten Auftrag ergibt, durch „Versöhnung" zum Frieden beizutragen.
4.
5.
6. -
Zumeist vertreten die kirchlichen Vertreter dabei insgesamt realistische Positionen und verstehen bzw. bemühen sich um die Einordnung der Problematik in die politischen und ökonomischen Gesamtzusammenhänge. Konkrete Vorstellungen oder Forderungen werden von ihnen nicht formuliert. In diesem Sinne äußerten sich auch kirchenleitende Vertreter wie die Bischöfe Dr. Leich, Stier und Natho, die Präsidenten Stolpe und Müller sowie die Generalsuperintendenten Bransch und Esselbach. Zugleich werden folgende zwei Tendenzen sichtbar: Ein erheblicher Teil der kirchlichen Vertreter erwartet, erhofft und drängt z.T. unter Außerachtlassung politischer Realitäten auf relativ kurzfristige neue Reisemöglichkeiten, da ihrer Meinung gerade das Kennenlernen und gegenseitige Verstehenlernen der Menschen den Friedensprozeß bzw. direkt die Friedenspolitik der D D R unterstützt. In diesem Rahmen treten sie für gegenseitige Besuche der „Partnerge-
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ND Nr. 212 vom 9.9.1987, S. 1-2.
Vorlage Gräfes
-
367
m e i n d e n " in der B R D u n d D D R ein, als spezifische W a h r n a h m e der besonderen Friedensverantwortung der Kirchen in den beiden deutschen Staaten. Das wird i m m e r wieder m i t deutsch-deutschen Illusionen verbunden. Aber auch realistische Kräfte treten m i t diesem Anliegen in Erscheinung, wie Pf. Körner von der Kirchlichen Bruderschaft Sachsens. Diejenigen Kräfte, die wie Bischof Dr. Forck gegenüber idea, die Erweiterungen der Reisemöglichkeiten in den M i t t e l p u n k t ihrer Aussagen z u m Besuch Erich H o n e k kers stellen, oder die diese Frage m i t der Menschenrechtsproblematik verbinden, stellen nach den Einschätzungen u n d Angaben der Bezirke eine Minderheit dar. Sie rekrutieren sich aus den bekannten politisch negativen Kreisen.
Insgesamt wird von der M e h r h e i t der kirchlichen Vertreter der BRD-Besuch von Erich H o n e c k e r als Beitrag zur konkreten Verwirklichung der Positionen angesehen, die in d e m gemeinsamen D o k u m e n t von S P D u n d S E D „Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit" fixiert sind. N a c h den Informationen aus den Bezirken finden die Aussagen des „ D o k u m e n t s " , die gesamte auf Friedenssicherung, Verständigung u n d Z u s a m m e n a r b e i t gerichtete Linie von Partei u n d Regierung gegenüber der S P D , der B R D u n d den anderen westlichen Staaten breite Z u s t i m m u n g . I m m e r wieder wird der persönliche Beitrag u n d das W i r k e n des Staatsratsvorsitzenden, Genossen Erich Honecker, gewürdigt. In den deutlich werd e n d e n Positionen drückte sich das h o h e Verantwortungsbewußtsein in der Friedensfrage u n d das „neue D e n k e n " angesichts der n u r gemeinsam zu lösenden globalen Problem e aus (so u.a. Präses Becker, u n d Dr. Punge, Theologische Studienabteilung des Bundes). Zugleich wird i m m e r wieder die G e n u g t u u n g darüber z u m Ausdruck gebracht, daß die hier aufgezeigten Positionen sich weitgehend mit kirchlichen decken u n d z.T. identisch sind. Aus den Einschätzungen u n d Angaben der Bezirke geht hervor, daß das „Gemeinsam e D o k u m e n t " von den kirchlichen Vertretern k a u m z u m Anlaß g e n o m m e n wird, u m ihren Anspruch auf das Urheberrecht bestimmter Aussagen anzumelden. Dagegen zeichnet sich, wohl in der bewußten oder u n b e w u ß t e n Identifizierung mit den Positionen der S P D , die Tendenz ab, das „ D o k u m e n t " als Grundlage der Gestaltung der Bezieh u n g e n u n d des Dialogs zwischen Kirche u n d Staat, zwischen Christen u n d Marxisten anzusehen. Insgesamt wird erneut die Notwendigkeit deutlich, die politisch-ideologische Arbeit mit den kirchlichen Vertretern gerade angesichts der sich gegenwärtig vollziehenden dynamischen internationalen Entwicklungen qualifiziert zu intensivieren. Der BRD-Besuch von Genossen Erich Honecker, das „Gemeinsame D o k u m e n t " sowie weitere Aktivitäten unserer Republik sowie der sozialistischen Staaten insgesamt, bieten ausgezeichnete Möglichkeiten f ü r die kirchenpolitische Arbeit. Sie gilt es voll zur Entfalt u n g zu bringen, auch u m Mißverständnissen u n d von negativen Kräften betriebenen Uminterpretationen offensiv entgegenzuwirken. Das ist u m so dringlicher, als in der Mehrzahl der Bezirksinformationen der Eindruck entsteht, d a ß staatlicherseits noch nicht genug offensiv an die Erläuterung u n d E i n o r d n u n g dieser Fragen herangegangen wird u n d m a n sich bisher auf die Registrierung von M e i n u n g e n beschränkt. Ein dritter politischer Schwerpunkt, der in den Kirchen sehr große Aufmerksamkeit fand, war der Olof-Palme-Friedensmarschlib.
2,6
Vom 1. bis 18.9.1987. Vgl. M. Herrmann: Ein Stück „Glasnost" - um des Friedens willen.
368
Dokument 27
Aus allen Teilen der Republik gibt es dazu positive Stellungnahmen, in denen er als ein gelungener erster Versuch einer gemeinsamen Friedensaktivität von Staat und Kirche gewertet wird. Dabei wird breit die Meinung vertreten, daß damit das eigenständige und eigenformulierte Friedenszeugnis (auch aufTransparenten) durch Staat und Gesellschaft mit höherem Stellenwert anerkannt wurde. Dabei droht aber die reale Gefahr, und politisch negative Kräfte forcieren diese, daß nicht das Gemeinsame im Eintreten für den Frieden, sondern die Unterschiede in den Vordergrund treten und als das eigentlich Wichtige erscheinen. Das wird vor allem dann deutlich, wenn die Erwartung formuliert wird, daß in der Zukunft im Grunde jede Losung und öffentliche Meinungsäußerungen von Staat und Gesellschaft akzeptiert werden müssen. In den Bezirken Halle und Dresden wurde kirchlicherseits kritisiert, daß von anderen Kundgebungsteilnehmern Losungen kirchlicher Gruppen verstellt, sie abgedrängt wurden. Die weiter vorliegenden Äußerungen kirchlicher Vertreter zur Amnestie anläßlich des 38. Jahrestages der DDR237 bekräftigen die in der letzten Leitungsinformation dargestellte Tendenz. Man begrüßt sie, weist auf real vorhandene Probleme hin (Wohnungen etc.) und orientiert die Gemeinden auf die Unterstützung der betreffenden Bürger. Kritisch zu vermerken ist, daß aus den Bezirken bis auf Frankfurt/Oder keinerlei Hinweise, Einschätzungen oder Informationen zur bevorstehenden Friedensdekade238 vorliegen. 1.2. Politisch feindliche und negative Aktivitäten Nach den Informationen der Bezirke liegt keine Verschärfung der Situation vor. Weiterhin konzentrieren sich politisch negative Aktivitäten auf den Berliner Raum und hier besonders die Zionskirchgemeinde und die Sophienkirche (zum „zivilen Wehrersatzdienst", „offene Arbeit"). Vorschläge, Hinweise oder Erfahrungen differenzierter Einflußnahme, die zu einer Beruhigung oder Klärung der Situation in Berlin führen könnten, liegen nicht vor. Die Problematik der Krawczyk-Auftritte wird unter Punkt 4 behandelt. 1.3. Politische Tendenzen in der Berichterstattung Siehe Anlage.
der evangelischen
Kirchenzeitungen
2. Katholische Kirche Die Auswertung dazu erfolgt in der Leitungsinformation der Abteilung III. 3. Religionsgemeinschaften Dazu informieren 9 Bezirke. In ihrer Mehrzahl behandeln sie diesen Punkt jedoch als Fallinformation oder bleiben bei der allgemeinen Feststellung, daß die Vertreter der Religionsgemeinschaften klarer als die anderen kirchlichen Vertreter ihre realistischen und loyalen Standpunkte zum Ausdruck bringen. Das gilt auch diesmal bezüglich des BRDBesuchs von Erich Honecker. Der Leiter des Apostelamtes „Jesu Christi", Herr Rohde, hat gegenüber dem Rat des Bezirkes Cottbus zum Ausdruck gebracht, daß das Verhältnis zu den Teilen seiner Kirche in der BRD und Westberlin immer komplizierter wird. So habe kürzlich in der BRD ein Prozeß stattgefunden, in dem ihm das Recht abgesprochen werden sollte, als geistliches Oberhaupt zu fungieren. Teil seiner Kirche in der 237 Im Zuge der Amnestie waren über 24.000 Strafgefangene entlassen worden. Vgl. Ε MASER: Kirche und Religionsgemeinschaften in der DDR, S. 137. 218 Vom 8. bis 18.11.1987 mit dem Thema „Miteinander leben".
Vorlage Gräfes
369
B R D wolle sich abtrennen. Ein weiterer Prozeß stehe in Aussicht. Er sähe sich im größeren M a ß e antikommunistischen Vorbehalten ausgesetzt, was seine Arbeit erschwere. Bei einem Gespräch anläßlich des jüdischen Neujahrsfestes mit dem Vorsitzenden der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig, E. Gollomb, kritisierte dieser gegenüber dem Rat des Bezirkes einen Artikel in der Leipziger Volkszeitung, der „Angriffe gegen das Judentum und den Staat Israel" enthalte. E. Gollomb gab zu bedenken, daß im nächsten Jahr der 40. Jahrestag der Staatsgründung Israel würdig zu begehen sei. 239 4. Zur Einhaltung der sozialistischen Gesetzlichkeit Dazu informieren 11 Bezirke. Die Problematik der Krawczyk-Auftritte gestalten sich nach den Informationen aus den Bezirken äußerst kompliziert und belastend für die Staat-Kirche-Beziehungen in den Territorien. Die Bezirke Magdeburg und Halle berichten, daß in den Kirchenkreisen Salzwedel und Zeitz auf Beschluß des Pfarrkonvents bzw. des Gemeindekirchenrates geplante Krawczyk-Auftritte abgesagt wurden. In beiden Fällen stützte man sich auf die Veranstaltungsorientierung der Kirchenleitung der Kirchenprovinz Sachsen. Ebenso wurden 3 Auftritte im Bezirk Potsdam abgesetzt (Königs-Wusterhausen, Oranienburg und Jüterbog): In allen Fällen fanden zuvor intensive Gespräche der staatlichen Vertreter mit den kirchlichen Verantwortlichen und Leitungskräften statt. Im Bezirk Halle wurde durch den Einsatz gesellschaftlicher Kräfte in einer Krawczyk-Veranstaltung mit anschließender Diskussion deutlich gemacht, daß seine Position keineswegs die aller Jugendlichen in der D D R sind. Zugleich ist festzustellen, daß zunehmend Pfarrer, die wegen Krawczyk-Auftritten mit Ordnungsstrafen belegt wurden, Rechtsmittel einlegen bzw. nicht zahlen. Das betrifft zur Zeit 6 Pfarrer, 5 im Bezirk Halle, 1 im Bezirk Potsdam. Der Rat des Bezirkes Halle hat dazu eine Aufstellung vorgelegt, nach der in zwei Fällen die Vollstreckung eingeleitet wurde. Gleichzeitig informiert der Rat des Bezirkes Karl-Marx-Stadt über ein Rundschreiben, das Krawczyk nach kirchlichen Angaben an ESG-Gemeinden gesendet hat, in dem er Auftritte anbietet. Der Magistrat von Berlin gibt in seiner Terminvorschau sieben geplante Auftritte von Krawczyk im Zeitraum vom 13.10. bis 30.11.1987 in 7 verschiedenen Berliner Gemeinden bekannt. Insgesamt wird zunehmend deutlicher, daß die Problematik der Krawczyk-Auftritte nicht primär auf kirchenpolitischem Gebiet und nicht administrativ zu lösen ist. Auseinandersetzungen um immer neue Auftritte und anhängige Ordnungsstrafverfahren belasten und stören die konstruktive Weiterentwicklung der Staat-Kirche-Beziehungen. Das wirkt sich n u n auch auf der Ebene von Landeskirchenleitungen aus, da die politisch negativen Kräfte mit dieser Problematik Munition sammeln und realistische Leitungskräfte unter Druck setzen. So äußerte Kirchenpräsident Natho gegenüber dem Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Halle für Inneres seine Erwartung, daß staatlicherseits die Ordnungsstrafverfahren zu Ende geführt werden, da andererseits die Kirchenleitung, die auf die Möglichkeiten eines solchen Verfahrens hingewiesen hatte, unglaubwürdig wird. Bischof Dr. Demke nannte gegenüber dem Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Magdeburg für Inneres als ein Beispiel für ihn bewegende Unverständlichkeiten in der Rechtsauslegung die uneinheitliche Anwendung der VAVO 240 im Falle von Krawczyk-Auftritten.
239 240
Vgl. auch M . FASSLER: Versöhnung heißt Erinnerung. Staatliche Veranstaltungsverordnung.
370
Dokument 27
5. Tendenzen bei ökumenischen Kadern und Kontakten Aus den Informationen von 9 Bezirken sind keine neuen Entwicklungen oder Tendenzen ableitbar. 6. Kaderveränderungen Am 6.9.1987 ist der ehemalige Superintendent von Lehnin, Stolte, in das Amt des Direktors des Predigerseminars Brandenburg eingeführt worden. 7. Terminvorschau 30.10.1987 Ende Oktober 22.-25.-10.87 23.-24.10.87 29.10.-1.11.87 29.10.-1.11.87 12.-15.11.1987 8.-18.11.1987
Gespräch der Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Cottbus mit Bischof Dr. Forck Gespräch des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Erfurt mit Landesbischof Dr. Leich Synode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs in Schwerin Synode der Evangelischen Landeskirche Anhalts in Dessau Synode der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen in Blankenburg/Harz Synode der Evangelischen Landeskirche Greifswald in Züssow Synode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen in Eisenach Friedensdekade „Miteinander leben"
8. Gespräche Nach Angaben aus 13 Bezirken wurden im Berichtszeitraum 120 Gruppengespräche durchgeführt. Auf die einzelnen Bezirke entfallen davon (in Klammern - Anzahl der Kreise): Rostock Schwerin Neubrandenburg Berlin Potsdam Frankfurt/O. Cottbus Magdeburg Halle Dresden Leipzig Karl-Marx-Stadt Erfurt Gera Suhl
(14) (11) (15) (11) (17) (12) (15) (20) (23) (17) (13) (24) (15) (13) (9)
-
4 1 2 8 1 4 6 21 31 2 28 14 7 kein Bericht 9 (kein Bericht, dafür Materialzusammenstellung)
Bis zum 22.10.87 lagen 13 Berichte vor. Es fehlen die Berichte aus Gera und Suhl. Über die im Berichtszeitraum stattgefundenen Synoden des BEK und der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens wurde gesondert informiert.
371
Vermerk Wilkes
D O K U M E N T 28
Vermerk Wilkes. Berlin, 28. Oktober BArchP, DO 4 STS f . Kirchenfragen Nr.
1987
971.
Beratung der Sektorenleiter der Räte der Bezirke Potsdam, Cottbus, Frankfurt/O. und der Hauptstadt beim Magistrat D i e Genossen schätzen die Situation in der Kirche Berlin-Brandenburg wie folgt ein. Sie rechneten das erste Mal die festgelegten Gespräche nach der B E K Synode 2 4 1 und der Anleitung durch den Staatssekretär ab. A m 3 0 . 1 0 . 1 9 8 7 findet in C o t t b u s bei der Vorsitzenden des Rates des Bezirkes ein Gespräch mit Bischof Dr. Forck und Präsident Stolpe statt. Die Generalsuperintendenten unterstützen die politische realistische Linie der Kirchenleitung. Dr. Krusche/Berlin, Esselbach/Frankfurt/Oder und Richter/Cottbus begrüßen die Aussagen der Bundessyno d e zur Abrüstung und Friedensfrage. Sie lehnen mit unterschiedlicher Konsequenz die .Abgrenzungskonzeption" von Falcke ab, sie verurteilen die Methoden der Westpresse. D a s Gespräch mit Bransch/Potsdam wird noch in diesen Tagen geführt. Diese leitenden Geistlichen machen aber auch deutlich, was sich in der Mehrzahl der Gespräche in den Kreisen und Gemeinden mit Geistlichen und Superintendenten zeigt: -
A n der Basis der Kirche spielen die Materialien der Synode kaum eine Rolle, sie finden auch in Gottesdiensten und kirchlichen Veranstaltungen wenig Auswertung. Deutlich sind aber hier deutsch-deutsche Illusionen zu erkennen (Reisen, Presse, „offene Fragen" klären). Die staatlichen Vertreter sind besser unterrichtet und informieren häufig erst ihre kirchlichen Gesprächspartner von der realen Situation auf der Tagung der Synode, so daß sich erst nach dieser Zwischenetappe das weiterführende Gespräch entwikkeln kann. (Berlin, Potsdam, C o t t b u s , Frankfurt/O.) D i e Synodalen des B E K werten auch in ihren Heimatbereichen die Ergebnisse der T a g u n g wenig aus.
-
-
Bei Superintendentengesprächen in Potsdam und Cottbus gab es klare Zurückweisungen der Falcke-Konzeption und eine Ablehnung der illusionären Vorstellungen über Reisemöglichkeiten. In allen bisherigen Gesprächen auf dieser Ebene werden aber illusionäre Vorstellungen nach dem Palme-Marsch 2 4 2 sichtbar. M a n ist der M e i n u n g , daß hier eine neue Q u a l i t ä t des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche erreicht wurde. Die Kirche konnte sich hier „eigenständig" darstellen und man erwartet diese „ Ö f f n u n g " auch für die Friedensdekade. Die realistischen Kräfte verstehen das in positiver, verantwortungsvoller Hinsicht zur Vertiefung der ethischen religiösen Motivation, der festen E i n b i n d u n g in die kirchliche Arbeit. Die negativen Gruppen planen unterschiedlichste Aktivitäten in den bekannten Formen mit Plakaten, Veranstaltungen usw. D e r Landesjugendpfarrer Schwochow distanziert sich von Falcke und will auch in der Friedensdekade positiv wirken. D a der Pf. Passauer und auch Stadtjugendpfarrer H ü l s e m a n n die w 2,2
V o m 18. bis 2 2 . 9 . 1 9 8 7 in Görlitz. 1.-18.9.1987.
372
Dokument 28
Situation zum Palme-Marsch auch als „neue Linie, Beispiel und Präzedensfall" [sie!] ansehen, sind hinsichtlich der politischen Einflußnahme im Vorfeld der Friedensdekade verstärkte Gespräche begonnen worden, die auch fortgesetzt werden. Die Auftritte von Krawczyk im Bereich der Kirche Berlin-Brandenburg verstärken sich. Obwohl es in Potsdam durch die Arbeit mit Gemeindekirchenräten gelang, 3 Auftritte zu verhindern, sollen jetzt in Bezirk Cottbus 4 und Potsdam auch 3 und weitere in Frankfurt und Berlin erfolgen. Vor allem in der Hauptstadt lassen die Störversuche der „Kirche von unten" nicht nach. Sie wenden sich verstärkt gegen ihre Kirchenleitung, wegen deren Zusammenarbeit mit dem Staat. Positiv wirkt sich in Bezirk Cottbus aus, daß die C D U die Pfarrer, die Mitglieder ihrer Partei sind, über die Ergebnisse der BEK-Synode informiert hat und diese jetzt mit in die Gesprächsführung an der Basis eingreifen. Die AG „Christliche Kreise" in Treptow hat eine Veranstaltung mit Prof. Lober durchgeführt, auf der sich O K R Leweck [sie] eindeutig in diesem öffentlichen Forum von der .Abgrenzungskonzeption" Falckes distanzierte. Mit den Genossen des Magistrats wurden die weiterfuhrenden Gespräche mit der Frau Vizepräses der Synode Cynkiewicz und dem Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften Fischbeck beraten. Hier müssen eindeutige und nachhaltige Gespräche geführt werden. Bei Fischbeck muß mit seiner Arbeitsstelle und über sie eine Veränderung der Situation eingeleitet werden, wie es an der Akademie mit den Präsides Becker und Dr. Höppner mit ersten Erfolgen begonnen wurde. 243 Die Genossen Sektorenleiter haben den Antrag ihrer Stellvertretenden Vorsitzenden für Inneres zu den genannten Terminen 30.10. und 15-11. für den Genossen Staatssekretär die am 22.10. festgelegten Maßnahmen und Gesprächspläne fertigzustellen. 244 Dazu notwendige Präzisierungen wurden in unserer Beratung vorgenommen. Die nächste Beratung der Berlin-Brandenburger Bezirke findet am 20.11.1987 in Berlin statt. Konkrete Auswertung der weiteren Gespräche und der Friedensdekade sowie Festlegung der nächsten Schritte. Wilke [m.p.]
243 Als „erste Erfolge" der Gesprächsarbeit mit Becker und Höppner wurden wahrscheinlich die - aus Sicht des Staates - „positiven" Beiträge der beiden Präses auf den Frühjahrssynoden ihrer Landeskirchen gewertet. Vgl. vor allem die Punkte 2.3. u. 2.5. in Dok. 1. 244 Gysi hatte bei einer Beratung die weitere Arbeit mit den Kirchen erläutert. Vgl. Staatssekretär für Kirchenfragen. Abt. II. Gräfe. Berlin, 2 7 . 1 0 . 1 9 8 7 : „Information über die Beratung des Staatssekretärs für Kirchenfragen mit den Stellvertretern der Vorsitzenden der Räte der Bezirke für Inneres am 2 2 . 1 0 . 1 9 8 7 im Ministerium des Innern" (BArchP, D O 4 S T S f. Kirchenfragen Nr. 990), sowie Kap. 5.2.2 der Darstellung, S. 191.
Vermerk der Abt. II der Dienststelle des Staatssekretärs f ü r Kirchenfragen
373
D O K U M E N T 29
Vermerk der Abt. II der Dienststelle des Staatssekretärs fiir Kirchenfragen. Berlin, 9. November 1987 BArchP, DO 4 STS f . Kirchenfragen Nr. 971; mit Paraphe Gysis; ohne Aussteller. I n f o r m a t i o n über ein Gespräch des Staatssekretärs, Genossen Gysi, m i t Landesbischof Leich a m 6 . 1 1 . 1 9 8 7 in der Dienststelle A m Gespräch n a h m e n teil: O K R Ziegler u n d Genösse Dr. Wilke. D e r Staatssekretär schätzte entsprechend der Festlegung beim Sekretär die BEK-Synode ein, wertete den Angriff von Propst Falcke politisch-ideologisch u n d verwies darauf, d a ß die staatliche Seite durchaus zur Kenntnis g e n o m m e n habe, daß Bischof Leich u n d die M e h r h e i t der Synodalen dagegen aufgetreten seien. M a n müsse m e h r Selbstdisziplin u n d Selbstverantwortung erwarten. D e r Vorgang habe erhebliche politische Irritationen hervorgerufen. D e r Staatssekretär habe Informationsgespräche in Aussicht gestellt. Auf G r u n d einer Reihe v o n Aussagen auf der Synode seien die in Aussicht g e n o m m e n e n Teilnehmer zurückgetreten. Es k ö n n e keine Verhandlungen zwischen Staat u n d Kirche über Fragen der N V A u n d Bildung geben. Die Kirche wolle nicht in die staatliche Struktur integriert werden. Auch der Staat wolle das nicht. So könne m a n Gespräche f ü h r e n , ständig im Dialog bleiben, aber nicht „verhandeln". Außerdem protestierten die negativen Kräfte bei jedem Konsens zwischen Staat u n d Kirche, d a ß der Staat die Kirche vereinnahme, aber sie wollten ihrerseits im Staat Mitspracherecht. Die Grundlage der Informationsgespräche müsse klar sein. W i r müssen Bewährtes bewahren u n d Bereiche suchen, w o wir miteinander stärker kooperieren k ö n n e n . Bei den A u s f ü h r u n g e n verantwordicher kirchenleitender Persönlichkeiten sehen wir, daß sie sich b e m ü h e n , d e n Begriff „Kirche im Sozialismus" zu präzisieren. Die Landessynoden, der Kirchentag, viele andere Veranstaltungen zeigen die reale positive u n d konstruktive Situation an der kirchlichen Basis. Das ist nach unserer M e i n u n g Kirche im Sozialismus. Das gilt auch f ü r die Friedensdekade, die vor uns liegt, obwohl wir wissen, daß es bes t i m m t e Bereiche gibt, w o auch negative Positionen zu erwarten sind. D e r Staatssekretär erläuterte d a n n noch einmal, daß der Charakter der Informationsgespräche klar sein m u ß . W i r haben Trennung von Staat u n d Kirche, ein W ä c h t e r a m t k a n n es nicht geben. W i r müssen miteinander weiterarbeiten u n d verantwortlich solche T h e m e n angehen, die uns nach vorn f ü h r e n . Was will die Kirche z u m 10. Jahrestag des 6 . 3 . 1 9 7 8 machen? W i r sind an Vorschlägen interessiert. W i r sollten aber auch bei Gesprächen von vornherein Konfrontationsgefahren ausschließen. Genösse Gysi dankte der Kirche fiir ihre Hilfe bei der Betreuung der Amnestierten. 2 4 5 W i r sehen als Staat den Vorschlägen der Kirche für Schritte in der politisch richtigen R i c h t u n g m i t Interesse entgegen. Unsere Bilanz ist positiv, d a r u m müssen wir die bisherigen guten Erfahrungen f ü r die alltägliche weitere Arbeit nutzbar machen. 245
Aus Anlaß des 38. Jahrestages der Gründung der D D R waren bei einer Amnestie über
24.000 Strafgefangene entlassen worden. Vgl. Ρ MASER: Kirche und Religionsgemeinschaften in
der DDR, S. 137.
374
Dokument 29
Bischof Leich sprach zur Situation auf der Synode. Die Diskussion über das FalckePapier habe man darum hinter den Bericht der Synodenleitung246 genommen, um danach den Bericht der Kirchenleitung - wie auch geschehen - nach der Erledigung des Falcke-Papiers diskutieren zu können. Es war klar, daß es gelingen mußte, das Papier in der Diskussion sofort zurückzuweisen. Das ist auch die übliche Praxis in allen Synoden und keine Sonderentscheidung gewesen. Auf diese Weise wurde dem Bericht der Kirchenleitung mit den positiven Positionen wesentlich mehr Zeit eingeräumt, als der Diskussion über die „Abgrenzung". Der Bischof äußerte sein Befremden, daß das DDR-Fernsehen nicht die vielen positiven Beiträge aufgezeichnet hat. Man hätte so das falsche Bild der Westmedien korrigieren können. Dabei wäre auch deutlich geworden, wie viele Synodale politisch positiv engagiert diskutiert haben und besonders jüngere Synodale sich offen und positiv zu ihrer Heimat und ihrem Staat bekannten. Für ihn sei es unverständlich, warum der Staat sich immer wieder von den Westmedien so stark beeinflussen lasse. Diese versuchten nicht nur die Kirchenleitung von ihrer Basis zu spalten, sondern auch das Verhältnis zwischen Staat und Kirche zu stören. Solange der Staat die Westmedien zuläßt, könnten sie diese Situation nicht ändern. So sei es bisher immer gewesen. Zum Charakter der Informationsgespräche erklärte Bischof Leich, korrekt informiert und sie auch auf der Synode gegen Entstellungen präzise und dezidiert definiert zu haben. Diese Gespräche seien für die Kirche wichtig zur Orientierung. Man sei sich auch klar darüber, daß alle Aussprachen nur über den Staatssekretär für Kirchenfragen durchgeführt werden können. Die vorläufige Verschiebung könne er nur schwer verstehen. Psychologisch habe er ein gewisses Verständnis, aber auch die Gutwilligen würden sagen: „Vor der Synode wurde zugesagt, seit Jahren erbetene Gespräche zu führen. Damit hat man die Synode beruhigen wollen. Nun ist sie vorbei und jetzt verschiebt man die Gespräche, oder sagt sie ab". Mit dieser Entscheidung werde viel Porzellan zerschlagen, das nicht mehr zu kitten sei. Sie bitten zu prüfen, ob nicht noch in diesem Jahr ein Gespräch zur Militärdoktrin möglich sei. Sie wären bereit, mit einem kleinen Kreis von kompetenten Vertretern zu kommen, der auch Vertraulichkeit garantiere. Es gehe ihnen darum, ein wirkliches Gespräch zu führen. Der Bischof befürchte ernste Reaktionen in der KKL, wenn es nicht zu den Gesprächen komme. Er sehe auch, da die KKL am 6. und 7.11.1987 tagt247, keine Möglichkeit, negative Reaktionen zu vermeiden. Er denke aber, daß man diese Situation noch einmal überprüfen müsse. Auch wenn man Aussagen zum 6. März 1988 haben wolle, dann könne man aus den Gesprächen realistische Positionen aufgreifen und sie in eine Erklärung einbringen. So könne z.B. bei einem Gespräch über die Militärdoktrin deutlich gemacht werden, daß die Verteidigung in der Armee im Vordergrund stehe und damit die Diskussion zur Friedensfrage in der Kirche mit wichtigen Impulsen versehen werden. Er muß auch noch einmal daraufhinweisen, daß wieder der Eindruck entstehe, daß „Oben" freundlich miteinander geredet werde, aber für die Basis nichts passiere. Diesem Vorwurf werde sich kein Bischof aussetzen. Kein Bischof werde sich von seiner Kirchengemeinde trennen lassen, auch er nicht. Der Staatssekretär erläuterte noch einmal unseren Standpunkt und sagte Bischof Leich zu, in all diesen Fragen im ständigen Gespräch zu bleiben. Er sprach die Erwar246 247
Gemeint ist der KKL-Bericht. Vgl. dazu den Zeitplan der Synodaltagung im Anhang. Vgl. Dok. 30.
Protokoll Ritters
375
tung aus, daß auch die Kirchen die Situation realistisch einschätzen und konstruktive Positionen einnehmen werden.
DOKUMENT 30
Protokoll Ritters über die 114. Tagung der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR am 6.17. November 1987 in Berlin (Auszug). [Ohne Ort, ohne Datum] EZA Berlin, 101/93/242.
Protokoll über die 114. Tagung der KKL, S. 5-7.
6. Auswertung der Bundessynode und Folgerungen (Bericht über Gespräche im Staatssekretariat fiir Kirchenfragen) 6.1.1. Dr. Gaebler nennt zur Auswertung der Bundessynode fünf Punkte: 1. Die Synode zeigte eine offene Aussprache, die sachlich war und eine geschlossene Haltung durch Konferenz und Synode erkennen ließ. 2. Eine neue Polarisierung ist festzustellen: Verfaßte Kirche und Gruppen. Vertreter der Gruppen betonen, nicht das Dach der Kirche in Anspruch zu nehmen, und veräußern doch ohne Genehmigung Schriften wie die „Aufrisse". 3. Innere Mitte der Görlitzer Synodaltagung war die Beschlußfassung zum Bekennen in der Friedensfrage. Hier ist ein geistliches Zusammenwachsen der Gliedkirchen zu beobachten. 4. Neu ist die Resonanz in den Gliedkirchen. Gemeindekirchenräte und Pfarrkonvente erbitten Berichte. 5. Uber die staatlichen Reaktionen wird Ziegler berichten. 6.1.2. Aus der Diskussion ist festzuhalten: Auf der Klausurtagung der KKL 1988 sollte über das Thema: Verfaßte Kirche und Gruppen gearbeitet werden. 248 Die am Beitrag Härders zum Bekennen in der Friedensfrage deutlich werdende Anfrage zum Verhältnis der Konferenz zu ihren synodalen Mitgliedern und umgekehrt läßt die Situation des Bundes allgemein deutlich werden. 249 Es fehlen Überlegungen zur Perspektive des Bundes. Die Angriffspunkte im Bericht sind von der Synode nicht erkannt bzw. nicht aufgegriffen worden. Es geht nicht um das Erkennen von Symptomen, fällig ist die Tiefenbehandlung. Die Konferenzmitglieder sollten sich in vertretbarer Weise am Synodalgeschehen beteiligen. Der augenblickliche Stand im Kirchewerden des Bundes und die Relation Bund/ Gliedkirchen ist zu bedenken. 248 249
Die Tagung fand vom 11. bis 13.3. 1988 in Buckow statt. Vgl. Kap. 4.5.4, S. 134.
376 -
-
Dokument 30
Zu beklagen ist die unter Zeitdruck stehende Vorbereitung der Synodaltagung. Anzustreben ist mehr themenorientierte Arbeit. In Sachsen haben zwei Pfarrertage zum Bekennen in der Friedensfrage keinerlei Reaktion gezeigt. In den Leitungsgremien hat es sehr heftige Reaktionen bis hin zum Widerspruch gegeben. Der Bund hat den Gliedkirchen hier keinen Dienst erwiesen. Es war ein gewaltiges Erlebnis, mit anderen gemeinsam zu denken und zu arbeiten.
Dr. Leichs Einsatz war vorbildlich. Angefragt wurde, warum Dr. Falckes Einbringungsreferat nicht vorher zur Kenntnis gegeben worden ist. 6.1.3. Die Aufstellung der Beschlüsse der 3. Tagung der V Synode der Evangelischen Kirchen (Görlitz 1987) wurde von der Konferenz bei einer Enthaltung zustimmend zur Kenntnis genommen. Die Konferenz b e s c h l i e ß t bei 4 Enthaltungen: Auf der Klausurtagung 1988 ist das Thema: Verfaßte Kirche und die Gruppen zu behandeln. Die Konferenz b e s c h l i e ß t b e i l Enthaltung: Kramer wird gebeten, die Konferenz in der Vorbereitungsgruppe für das Seminar mit den Eingabenstellern zu vertreten.
6.2. Berichte über Gespräche im Staatssekretariat ftir Kirchenfragen 6.2.1. Ziegler berichtet über das im Auftrag des Vorstands geführte Gespräch zur Verabredung von angebotenen Informationsgesprächen am 19. Oktober 1987 250 . Anwesend waren Heinrich und Dr. Wilke, der als Beobachter der Bundessynode hinzugezogen worden sei. Ehe es zu Verabredungen von Informationsgesprächen kommen könne, müsse erst zur Bundessynode geredet werden. Ihre Auswertung zeige keinen einheitlichen Charakter. Die Aktionen von Gruppen vor, während und nach der Synode seien zwar in der Synode angedeutet (Nennen der Eingaben), aber nicht direkt zur Sprache gebracht worden. Von Heinrich angesprochen wurden die „Aufrisse" von Lampe. Der Gesamtverlauf der Synode läßt es dem Staatssekretär für geboten sein, ein Gespräch mit dem Vorstand und dem Präsidium der Synode zu führen. Auch Äußerungen der Vizepräsida Cynkiewicz zum Informationsgespräch mit Professor Dr. Sitzlack vor der Synode ließen danach fragen, ob die Prämissen im Verhältnis von Staat und Kirche noch stimmen. Bei den Ministerkollegen herrsche Irritation und Mißtrauen. Erst sollte hierüber eine Klärung stattfinden, dann könnten erneut Verhandlungen über Zeit und Inhalt der Informationsgespräche geführt werden. Die Gespräche sind zunächst verschoben. 6.2.2. Dr. Leich berichtet über das Gespräch am 06. November 1987. 251 Anwesend waren Dr. Gysi, Dr. Wilke und Dr. Leich, Ziegler. Der Staatssekretär erklärt, daß die Informationsgespräche in diesem Jahr nicht stattfinden können, weil Verteidigungs- und Volksbildungsinstitutionen ihre Gesprächszusagen zurückgezogen hätten. Die Bundessynode habe irritiert, obwohl sie positiv zu bewerten sei. In der Abgrenzungsdebatte sei die Zurückhaltung der Bischöfe nicht zu verstehen. Die 250 251
Vgl. Dok. 26. Vgl. Dok. 29.
Protokoll Ritters
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Berichterstattung durch die westlichen Medien sei nicht korrekt gewesen. Die Darstellung und Wertung des Sitzlack-Gespräches habe Verunsicherung ausgelöst. Dr. Gysi gibt den D a n k des Ministers Dickel weiter für die Mithilfe bei der Resozialisierung der Entlassenen durch die Amnestie und beurteilt selber die Friedensdekade als vernünftig konzipiert. Schließlich fragt er das D a t u m 06. März 1988 an. Dr. Leich reagiert in vier Punkten: 1.
Die Irritation über die Bundessynode sei unverständlich, denn die Regie des Präsidiums sei anders nicht möglich gewesen. Die Aussprache zur Absage sei inhaltlich so deutlich und differenziert geführt worden, daß es keinen Anlaß zu einer negativen Bewertung gäbe. 2. Die Abhängigkeit leitender Männer der Regierung von den Westmedien löse Verwunderung aus. Es sei bedauerlich, daß der Fernsehfunk der D D R so frühzeitig abgezogen sei. 3. Das Sitzlack-Gespräch war ein Sachgespräch, hier ist ein Vergleich nicht möglich. Kritik wurde an der Form der Durchführung geübt. Dr. Leich: Ich habe Informationsgespräch klar definiert. 4. Der Scherbenhaufen „Informationsgespräche" ist nichts Gutes für eine Wertung des Gesprächs vom 06. März 1978 im kommenden Jahr. Es stehen an Gespräche zu Wehrdienstfragen, zur Mündigkeit des Bürgers zum Eingabewesen, zu Erziehungsfragen. Die Aufschiebung der Gespräche und ihre Begründung lassen sich den Gemeinden nicht erklären. Es entstehe der Eindruck der Hinhaltetaktik zur Beeinflussung der Bundessynode und Verunsicherung darüber, daß ein propagierter Spalt zwischen Kirchenleitung und Kirchengemeinden nicht zu vermeiden sei, ließe sich der Vorstand auf die Verschiebung der Gespräche ein. Leich: Im Entscheidungsfall stehe ich bei der Kirchengemeinde zu Lasten bisher praktizierter Kirchenpolitik. Gysi versucht, noch einmal vorzufühlen, erklärt aber, daß es in diesem Jahr keine Informationsgespräche geben werde. 6.2.3. In der Diskussion wird hervorgehoben: Hier m u ß deutlich Farbe bekannt werden. Unsere Reaktion ist hier entscheidend. Mindestens ein Informationsgespräch in 1987, sonst keine Äußerung zum 06.03.1988. Die Konferenz sollte die Verhandlungsweise von Dr. Leich und Ziegler billigen und deutlich reagieren. Unser Tun m u ß unseren Gemeinden transparent bleiben, darum klare Reaktionen. Möglich ist eine Kanzelabkündigung am 24.12.1987. Oberster Grundsatz: Wir gehören zusammen. Wir sind aber frei, andere Meinungen zu haben. Mit tiefem Bedauern nehmen wir die Berichte zur Kenntnis; können den Sinneswechsel nicht verstehen. Das müssen wir den Gemeinden sagen. 6.2.4. Ein zunächst vorgelegter Beschluß: Die Konferenz dankt für die Verhandlungsführung mit dem Staatssekretär am 19.10. 252 und 06.11.1987 2 5 3 . Sie weist die Differenzierungsversuche zurück und 252 253
Vgl. Dok. 26. Vgl. Dok. 29.
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zeigt ihre Betroffenheit darüber, daß die am 05.09.1987 254 angebotenen Informationsgespräche nicht stattfinden können. Nach nochmaliger Diskussion wird dieser Beschluß von Stolpe überarbeitet, Dr. Hempel zur Uberprüfung vorgelegt und dann der Konferenz am 07. November zur Beschlußfassung vorgelegt. 6.2.5. Die Konferenz b e s c h l i e ß t einstimmig (Vorlage 17): 1. Die Konferenz dankt dem Vorsitzenden und dem Leiter des Sekretariats für die Verhandlungsfuhrung mit dem Staatssekretär für Kirchenfragen am 19.10. und 06.11.1987. 2. Die Konferenz weist ausdrücklich die Differenzierungsversuche zwischen Synode, Präsidium, Konferenz oder Bischöfen zurück. 3. Die Konferenz ist betroffen, daß die am 05.09. angebotenen Informationsgespräche vorerst nicht stattfinden sollen. Die Konferenz bedauert diese Verschiebung und sieht darin einen Widerspruch zu der in den letzten Jahren praktizierten Kirchenpolitik. 4. Vorstand und Sekretariat werden beauftragt, die Meinung der Konferenz unverzüglich der Regierung mitzuteilen. 5. Die Konferenz hält es für notwendig, die Kirchengemeinden von der vorläufigen Absage der Informationsgespräche in Kenntnis zu setzen.
DOKUMENT 31 Vermerk Wilkes. Berlin, 11. November 1987 BArchP, DO 4 STS f . Kirchenfragen Nr. 787. Information über ein Gespräch des Staatssekretärs mit OKR Ziegler am 10.11.1987 Das Gespräch kam auf Bitten von OKR Ziegler zustande, der im offiziellen Auftrage der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der D D R den Staatssekretär über deren Beratung vom Wochenende informieren sollte. Am Gespräch nahm Genösse Dr. Wilke teil. OKR Ziegler führte aus: Bischof Dr. Leich hat den Vorstand und die KKL über das Gespräch am 6.11.1987 255 beim Staatssekretär informiert. Dabei ist er sachlich vorgegangen und hat die vom Genossen Dr. Gysi vorgetragenen Argumente vermittelt. Leider sei die vom Bischof vorhergesehene negative Reaktion der KKL eingetreten. OKR Ziegler charakterisierte sie als „tiefe Betroffenheit, großen Ärger, Bedauern". Das sei das Klima der Aussprache gewesen, in der manche „Enttäuschung" deutlich wurde über die Haltung des Staates. Man habe die Gemeinden und Synodalen solange beruhigt, daß es Gespräche geben würde. Nun komme nach der Synode nichts mehr. Sie verstehen das als erhebliche Schwächung der Position der KKL gegen die politisch-negativen Kräfte. Die halten der KKL jetzt vor: Ihr geht zum Staat und folgt ihm in vielen Dingen. Nun 254 255
Vgl. Dok. 8 sowie Dok. 2. Vgl. Dok. 29.
Vermerk Wilkes
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werden sogar zugesagte Bitten abgelehnt. Ihr seht also, wie weit Zusagen des Staates ernst zu nehmen sind. Außerdem sieht die KKL es als Abgehen von der bisherigen Kirchenpolitik an. Sie haben daher selbst die Kirchenzeitungen von ihrer Meinung informiert, um subjektive Interpretationen auszuschließen. Der Vorstand hat die Auflage von der KKL erhalten, die Gemeinden zu informieren. Sie tun das aber nur über die Kirchenzeitungen. Sie wollen keine Kampagne (Außerdem ist zu befürchten, daß die interne Synode der T h ü ringer Landeskirche vom 12.-15.11.87 in Eisenach davon belastet wird). O K R Ziegler führte weiter aus, daß sie alle die Bewertung der Synode durch den Staat nicht verstehen. Sie betrachten sie als erstmalig offensive Zurückweisung von Angriffen gegen den Weg der Kirche in der D D R , die KKL und gegen das konstruktive Staat-Kirche Verhältnis. Ihnen ist daher nicht deutlich, warum der Staat diese Entwicklung und z.B. die positive Argumentation in der Frage des Wehrdienstes nicht richtig als Antworten auf politisch negative Versuche werten wolle. Es gab harte Diskussionen, aber realistische Beschlüsse ohne jede Konfrontation. Sie haben auch die Frage des Staatssekretärs nach den Vorstellungen zum 6.3.1978 überlegt, aber ihnen „sei nichts eingefallen", was man nun tun könne. Sie bitten doch noch zu prüfen, ob nicht wenigstens ein Thema, z.B. Militärdoktrin, im kleinen Kreis besprochen werden könne. Der Staatssekretär nahm die Erklärung zur Kenntnis, sprach Grüße an den Vorsitzenden Bischof Dr. Leich aus und brachte zum Ausdruck, daß jetzt von Kirche und Staat neue Überlegungen anzustellen seien, wie die Entwicklung weiter positiv zu gestalten ist. Im Verlaufe des Gesprächs informierte O K R Ziegler noch darüber, daß im Januar das Seminar der Synode und des Präsidiums mit den Eingebern zum Falcke-Papier erfolgen wird. Eingeladen sind die 17 Eingeber gegen das Falcke-Papier und die 180, die für Falcke votiert hatten. Da insgesamt 400 Unterschriften vorlagen, will man dort, wo Gruppen geschrieben haben, nur den Leiter einladen, d.h. also 180 + 17. Nur wer sich jetzt von denen meldet, erhält eine namentliche Einladung, es wird keine weitere Ö f f n u n g der Diskussion zugelassen. In den nächsten 14 Tagen wird sich die Vorbereitungsgruppe konstituieren. Wilke [m.p.]
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DOKUMENT 32 Vermerk Kupas. Berlin, 7. Januar 1988 EZA Berlin, 101/93/7; mitmasch. Vermerk: „Vertraulich". Vermerk über ein Vorgespräch in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen am 1.12.1987 in Sachen Wehrdienstinformationsgespräch Teilnehmer:
Herr Herr Herr Herr
Dr. Wilke Gräber 256 Bischof Dr. Gienke Kupas
Dauer des Gesprächs:
15.00 bis 16.00 Uhr
Verlauf: Dr. Gienke dankte für die Gesprächsmöglichkeit und stellte zu Beginn die Frage nach dem Stellenwert des Gesprächs. Dr. Wilke, in der Annahme, daß damit das in Aussicht gestellte Wehrdienstinformationsgespräch gemeint sei, antwortete, daß dieses einen normalen Stellenwert haben solle, in dem die Militärdoktrin der Warschauer Vertragsstaaten, inklusive Historie, erläutert werden solle. Nach der Görlitzer Bundessynode sei eine Atempause in den Verbindungen eingetreten, es müsse aber inhaltlich weitergearbeitet werden. Probleme seien das Wort Verhandlungen sowie der bestehende Erwartungsdruck. 257 Da müsse man herauskommen. Weiterhin nannte er als beschwerlich die Interpretation bestimmter Wünsche der Kirche durch die Westmedien sowie die Äußerungen der Vizepräsidentin der Bundessynode.258 Nach der Richtigstellung, daß die Frage nach dem Stellenwert sich auf dieses Vorgespräch bezogen habe, äußerte er, daß dieses auch ein normales Vorgespräch sei, in dem alle Probleme auf den Tisch kommen sollten, um das eigentliche Informationsgespräch vorbereiten zu können. Für letzteres läge zur Zeit noch keine Zustimmung seitens des Ministeriums für Nationale Verteidigung vor. Dr. Gienke ging darauf ein, daß auf beiden Seiten ja ausreichend Kenntnis über den Verhandlungskatalog bestünde, der nun verhandlungsfähig gemacht werden müsse. Er fragte nach dafür bestehenden Chancen sowie der Verabredung einzelner Schritte. Dr. Wilke erwiderte darauf, daß es „Verhandlungen" nicht geben werde. Dr. Gienke erwiderte, daß es wichtig sei, daß Ergebnisse bei diesem Gespräch herauskämen und daß man zu Verabredungen käme, was in dieser Situation vernünftig sei. Dr. Wilke betonte noch einmal, daß der Begriff „Verhandlungen" nicht opportun sei, wir aber der Dringlichkeit nach unsere Probleme benennen sollen. Die Dienststelle des Staatssekretärs werde versuchen, zu diesen Problemen Auskünfte zu erhalten, die nach vorn weisen würden. Dr. Gienke machte darauf aufmerksam, daß ausschließlich die Unterscheidung, was 256
Mitarbeiter der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen. Vgl. U . KOCH/G . NEUGEBAUER: Die Evangelische Kirche in der Auseinandersetzung mit der Wehrdienstpolitik der SED. 258 Vgl. Kap. 4.2.1, S. 107 der Darstellung. 257
Vermerk Kupas'
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dringlich sei, nicht helfen werde. Zum Dringlichsten gehöre beispielsweise der zivile Ersatzdienst. Es seien auch andere Zeichen des guten Willens erforderlich. Dr. Wilke äußerte die Vorstellung für ein Informationsgespräch dahingehend, daß die Militärdoktrin der Warschauer Vertragsstaaten erläutert werden könne, daß Fragen des Friedens, der Abrüstung, der vertrauensbildenden Maßnahmen erläutert werden können. Es sei nicht erforderlich, daß das Ministerium für Nationale Verteidigung an einem solchen Gespräch teilnehmen müsse, sondern es wäre denkbar, daß politisch Verantwortliche aus dem Bereich der militärischen Abrüstung des Außenministeriums dies tun könnten. Bis zur Bundessynode wäre seitens des Ministeriums für Nationale Verteidigung Bereitschaft vorhanden gewesen zur Teilnahme an einem solchen Gespräch. Danach sei unter Hinweis auf die Auswertung des Gesprächs über Atomenergiefragen die Bereitschaft zurückgezogen worden. Dr. Gienke und Kupas brachten deutlich zum Ausdruck, daß das Interesse für ein solches Informationsgespräch an der direkten Teilnahme von Vertretern des Ministeriums für Nationale Verteidigung bestehe und eine andere personelle Zusammensetzung nicht einsichtig wäre, sondern als Ausweichen verstanden werden müsse. Kupas erläuterte nochmals das Ansinnen der Kirche an einem solchen Gespräch in der gesamten Breite und drückte im Ergebnis dessen die Erwartung der Teilnahme von Vertretern des Ministeriums für Nationale Verteidigung aus. Dr. Wilke ging darauf ein und erklärte, daß zur Zeit der Soziale Friedensdienst zwar nicht eingerichtet werden könne, aber in der Praxis die Dinge doch bereits so gehandhabt würden (Totalverweigerer würden nicht zum Wehrdienst gezogen). Dr. Gienke anerkannte diese Verfahrensweise, brachte aber auch die Erwartung nach vernünftiger Rechtsanwendung und Rechtssicherheit zum Ausdruck. Er ging in diesem Zusammenhang auf ein, wie er sagte, viel größeres Problem ein: Wie werden Bürger der D D R während ihres Militärdienstes als Christen ernst genommen? Von den Vorgesetzten innerhalb der Kaserne usw. Man habe zeitweilig den Eindruck, daß jeder, der mit einer Bibel angetroffen werde, als Klassenfeind angesehen werde und das gemeinsame Bibellesen grundsätzlich einen disziplinarischen Fall darstellen würde. Sei der Kontakt zur Kirche etwas Gefährliches? In vielen Fällen seien Besuche in Kasernen möglich gewesen. Es sei aber auch vorgekommen, daß Pastoren auf dem Gelände fortgejagt worden wären. Er nannte entsprechende Beispiele aus Prora. Warum könne nicht christliche Betätigung als Kulturarbeit und Freizeitbeschäftigung gewertet werden? Warum würden an den Wänden der Kaserne nur Bilder von nackten Frauen, aber keine biblischen Sprüche geduldet? Warum seien nicht seelsorgerliche Besuche in bestimmten Fällen möglich? Er erinnerte an Eingaben von Offiziersfrauen und Zivilangestellten aus dem Kreis Ückermünde, in denen bei der Teilnahme der Kinder an der Christenlehre versucht worden sei, die Eltern arbeitsrechtsmäßig zu disziplinieren. Z.B. sei die Forderung erhoben worden, aus der Kirche auszutreten. Fazit: Wie werden Christen als solche in der NVA gesehen? Kupas ergänzt durch verschiedene Beispiele und äußert die Auffassung, daß für den Fall der Duldung bzw. der Akzeptierung der Ausübung verschiedener christlicher Verhaltensweisen in Kasernen und der Behandlung als Normalfall, der Druck des Besonderen oder Absonderlichen herausgenommen werden könne und damit auch der Boden für Konfrontationen entzogen würde. Dies setze allerdings ein Umdenken auf der Seite der Offiziere und Vorgesetzten voraus. Dr. Wilke äußerte die Auffassung: Er glaube, daß man von dieser Seite an die Proble-
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matik herangehen könne, machte es aber jedoch abhängig von einem Gespräch mit Staatssekretär Gysi. Er erinnerte nochmals an die derzeit praktizierte Verfahrensweise, daß, wer bis zur Einberufungsüberprüfung sage, er wolle oder könne keinen aktiven Wehrdienst leisten, auch nicht einberufen werde. Es gäbe zur Zeit aber keinen, der dieses offiziell verlautbaren würde und als Rechtsanspruch ausweisen würde. Man verständigte sich dahingehend, daß es sinnvoll sei, die Frage der Formulierung eines Rechtsanspruches für Wehrdienstverweigerer in der ersten Phase eines beabsichtigten Wehrdienstinformationsgespräches wegzulassen, sondern die Problematik des Ernstnehmens von Christen bei der Ausübung des Wehrdienstes mit allen Problemen vorrangig zu behandeln. Danach ergebe sich für ein solches Gespräch inhaltlich die Orientierung a) Gespräch über Militärdoktrin b) wie werden Christen während ihres Dienstes in der NVA als solche ernstgenommen. Dr. Gienke machte nochmals deutlich, daß Christsein ein totaler Anspruch in bezug auf das Leben sei. Kupas ging darauf ein, daß juristische Garantien an Eckpunkten sicherlich notwendig seien, daß die Erwartungen solcher Regelungen aber nicht für jeden Einzelfall bestünden. Wichtig sei die Praktizierung eines vernünftigen Zusammenlebens innerhalb der Kaserne. Dies setze voraus, daß Besonderheiten des Anderen zumindest akzeptiert würden und nicht als Absonderlichkeit verspottet und verurteilt würden. Dies - so werde erwartet — solle in einem Gespräch mit Vertretern des Ministeriums für Nationale Verteidigung verdeutlicht werden. Dr. Wilke machte darauf aufmerksam, daß die Weltanschauung das Kriterium sei und hier seitens der NVA kein Zugeständnis erwartet werden könne. Dr. Gienke drückte die Erwartung aus, daß hier doch über einen Graben gesprungen werden müsse. Dr. Wilke unterbreitete den Vorschlag, o.g. Konzeption als Vorschlag an den Staatssekretär weiterzuleiten. Kupas und Dr. Gienke machten deutlich, daß unter diesen Aspekten doch ausdrücklich das Gespräch mit Vertretern der NVA gewünscht werde. Zu Fragen des ausschließlichen Einsatzes von Bausoldaten im zivilen Bereich äußerte Dr. Gienke, daß dieser ja bereits an vielen Stellen praktiziert würde. Kupas schlug vor, wenn nicht in einer Änderung der Anordnung für die Einrichtung von Baueinheiten, so doch aber zumindest in der Öffentlichkeit künftig vom weitestgehenden Einsatz von Bausoldaten an zivilen Objekten zu sprechen. Damit sei eine Vorstufe gegeben, künftig diesen Bereich gänzlich aus der NVA herauszulösen. Dr. Wilke bestätigte dieses als gute Formulierung und meinte, dies könne ein Schritt auf dem Wege sein, da eben gegenwärtig der ausschließliche Einsatz im zivilen Bereich bzw. an zivilen Objekten nicht praktiziert werden könne. Dr. Gienke dankte in diesem Zusammenhang für die flexible Behandlung der „Gewissenswandler" und stellte die Frage, wie man es machen könne, daß es auch künftig nicht nur bei vertraulichen Mitteilungen bliebe, sondern diese auch öffentlich gehandhabt werden könnten. Kupas fragte nach Wegen, die von Honecker gebrauchten Formulierungen der Gleichberechtigung und Gleichachtung im Bereich der NVA und z.B. auch der Volksbildung durchzusetzen.
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Dr. Wilke erklärte dazu, daß dieses Problem nicht unbedingt ein Basisproblem sei, sondern in diesen Bereichen doch nicht als Führungsprinzip eingeführt worden sei. Die Erwartung sei hier noch zu hoch formuliert. Nach Helsinki sei es z.B. denkbar gewesen, die Baueinheiten dem Ministerium für Gesundheitswesen zu unterstellen. Dies hätte aber nach dem Nato-Doppelbeschluß nicht mehr praktiziert werden können. Dr. Gienke und Kupas machten darauf aufmerksam, daß die Dinge ja doch gegenwärtig in Fluß gekommen seien und hier nun politisches Kapital daraus geschlagen werden könne. Das Recht der Gesellschaft sei durch die Kirche doch nicht infrage gestellt. Dr. Gienke: Uns liegt nicht an Spannungen. Es soll Vertrauen wachsen. Uns liegt an Gesprächen mit der NVA, um unsere Überlegungen deutlich zu machen. Maximalforderungen sind dabei unsinnig, aber gute Schritte denkbar und möglich. Dr. Wilke erklärt, daß er Dr. Gysi das Ergebnis des Gespräches mitteilen wird und ihm vorschlagen wird, auf ein Gespräch mit Vertretern der NVA zuzugehen. Er werde versuchen, aus dem Besprochenen ein handhabbares Paket zu machen. Als Termin für ein solches Gespräch könne voraussichtlich die zweite Januarhälfte ins Auge gefaßt werden. Als konkreter Termin wurde der 22. Januar 1988 als möglich ins Auge gefaßt. gez. Kupas
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Vermerk der Abt. Kirchenfragen beim Sekretariat des Hauptvorstandes der CDU über das Oranienburger Abgrenzungsseminar am 16.1.1988. [Ohne Ort, 19. Januar 1988] BArchP, DO 4 STS f . Kirchenfragen Nr. 1003; ohne Aussteller. Am 16.1. fand in Oranienburg eine Beratung des Präsidiums der Bundessynode mit Absendern von Eingaben an die Görlitzer Synodaltagung in Unterstützung bzw. Ablehnung der vom Gemeindekirchenrat der Berliner Bartholomäuskirche verfaßten Eingabe „Gegen Geist und Praxis der Abgrenzung" 259 statt. Es waren etwa 240 Teilnehmer auf das Gesprächsangebot eingegangen, unter ihnen 22 Unionsfreunde, von denen eine Gruppe in einer Beratung der Abt. Kirchenfragen beim SH V spezifisch vorbereitet worden ist. 260 Die Veranstaltung war gut vorbereitet, straff organisiert und folgte deutlich der Konzeption, keine das Staat-Kirche-Verhältnis belastende Reaktion einer Gruppe geschweige denn der Tagung zuzulassen. Das Synodalpräsidium, eine Zahl weiterer progressiver Synodaler wie Ufrdn. Huhn und Prof. Dr. K.-P Hertzsch sowie Mitglieder und Mitarbeiter des Sekretariats des Bundes waren auf einen „Ausgleich" der widersprechenden politischen Standpunkte orientiert und erreichten dieses Ziel. Die Anwesenden Bischof Dr. Leich, Propst Falcke, OKR Ziegler, Konsistorialpräsident Kramer und OKR Kirch259 260
.Absage an Praxis u n d Prinzip der Abgrenzung". Vgl. Kap. 5 . 1 . 7 der Darstellung. V g l . Kap. 5 . 2 . 5 der Darstellung, S. 2 2 0 .
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ner hielten sich auffallend zurück, während sich Bischof Stier zu die DDR diffamierenden Äußerungen hinreißen ließ. Nach einleitenden Kurzreferaten von Axel Noack, Ludwig Mehlhorn, Prof. Dr. Fink (der im wesentlichen eine von Ufrd. Ordnung verfaßte Erklärung der CFK verlas) und Dr. Freitag (einem typischen Vertreter nicht zu einer Gruppe gehörender Eingabenautoren) beriet man in acht Arbeitsgruppen, die politisch „ausgewogen" zusammengesetzt waren. Quantitativ überwogen Meinungsäußerungen, die Kritik an der Innenpolitik der DDR beinhalteten (z.B. gegen die Einschränkungen der Freizügigkeit, die Medienund Informationspraxis, Wirtschafts- und Kaderpolitik sowie angeblich undemokratische Verhaltensweisen von Staatsorganen). Die wohl extremsten Äußerungen kamen von einem Dr. Drees, der einen „fast antagonistischen Widerspruch zwischen Volk und Regierung" behauptete. Das deutsche Volk sei noch immer dem Fehler verfallen, dem Staat gegenüber Gehorsam zu üben. Dr. Fischbeck (Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften, Mitinitiator der umstrittenen Eingabe) behauptete, als DDR-Bürger könne man nur noch gebeugt gehen. Obwohl in allen acht Gruppen die Diskussion aller fünf Themen des „FischbeckPapiers" empfohlen wurde, konzentrierte sich das Gespräch im wesentlichen auf den Komplex „Abgrenzung in der Gesellschaft". In der abschließenden Plenumsaussprache vermied die Tagungsleitung (Ufrd. Lothar de Maiziere) die Formulierung von Resolutionen oder Appellen. Man sagte zu, die Gesprächsergebnisse der KKL zur Kenntnis zu geben und „in Gesprächen mit dem Staat" auszuwerten. Eine Mitteilung an die von der Teilnahme ausgeschlossene Presse sollte von den Veranstaltern formuliert werden. Zahlreiche meist jüngere Teilnehmer äußerten ihren Unmut über die Abwiegelungstaktik der Veranstalter, den Widerspruch der progressiven Teilnehmer (deren Voten allerdings nicht in gleicher Weise Berücksichtigung in allen Gruppenberichten fanden wie die der reaktionären) und die Abwiegelung von „Aktionen". Im Kompromiß einigte man sich auf die positiv gemeinte Formel „Zusage an Geist und Praxis der Öffnung".
DOKUMENT 34
Ausarbeitung der Abt. Kirchenfragen beim Sekretariat des Hauptvorstandes der CDU. [Ohne Ort, 12. Februar 1988] ACDPSt.
Augustin, Zentralbestand
Ost-CDU VII-013-3149;
ohne Aussteller.
Aktivitäten und Ergebnisse der politisch-ideologischen Arbeit der C D U mit kirchlichen Amtsträgern 1987 Die C D U war auch 1987 darum bemüht, das sachliche, verfassungsgerechte und konstruktive Verhältnis der Kirchen und Glaubensgemeinschaften zu unserem Staat zu festigen, die Kirchen und Religionsgemeinschaften in der Wahrnehmung ihrer Friedensverantwortung in ihrem Wirken für das Wohl des Nächsten zu unterstützen, und dabei
Ausarbeitung der Abt. Kirchenfragen im Sekretariat
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deren Eigenständigkeit in Zeugnis und Dienst zu respektieren. Das hat der 16. Parteitag261 umfassend deutlich gemacht. Die vorrangigsten wichtigsten Aktivitäten der CDU in Vorbereitung des 16. Parteitages Zur Verwirklichung dieser Aufgaben waren dieTagungen des Präsidiums des Hauptvorstandes, an denen kirchliche Amtsträger, Universitätstheologen und viele weitere hauptoder ehrenamtlich im kirchlichen Dienst stehende christliche Bürger, die als Mitglieder von Gemeindekirchenräten bzw. Kirchenvorständen auf das Leben der Kirchengemeinden Einfluß nehmen, teilnahmen: -
„Tradition und Verpflichtung" am 11. März 1987, auf der der Vorsitzende der CDU, Gerald Gotting, das Referat zum Thema „Frieden und Sicherheit - Aufgabe unserer Zeit" hielt, „Bürgerpflicht und Christenpflicht" am 31. August 1987, auf der der stellvertretende CDU-Vorsitzende Wolfgang Heyl das Referat zum Thema „Grundwerte unseres gesellschaftlichen Lebens - Realität und Auftrag" hielt.
Die Materialien dieser Tagungen wurden über die Presse-Veröffentlichung hinaus als Broschüre in je 11.000 Exemplaren u.a. kirchlichen Amtsträgern, kirchenleitenden Gremien und Ausbildungsstätten zugesandt. Die zentralen Tagungen des Präsidiums des Hauptvorstandes wurden in Veranstaltungen sowohl auf Bezirksebene - hier mit 1.297 Theologen, Mitgliedern von Synoden und kirchlichen Räten - sowie auf Kreisebene - hier in 3.893 Veranstaltungen mit 26.566 Teilnehmern - ausgewertet. Zur kirchenpolitischen
Entwicklung
Ev. Kirchen Die kirchenpolitische Entwicklung in den evangelischen Landeskirchen weist eine gewachsene Dynamik auf, die jedoch durch z.T. entgegengesetzt wirkende Tendenzen gekennzeichnet ist: Einerseits wurde die Durchsetzung von Staat-Kirche-Beziehungen im Geist des 6.3.1978 bis hin zur Ortsebene weiterhin fortschreitend zur Normalität; dies wird von der Mehrzahl der Gemeindeglieder, der Pfarrer, weiterer kirchlicher Mitarbeiter sowie einer wachsenden Zahl von Amtsträgern der mittleren und zentralen (landes)kirchenleitenden Ebene begrüßt und verantwortungsvoll genutzt. Zugleich wuchs die Aufnahmebereitschaft und positive Erwartungshaltung der nichtchristlichen gesellschaftlichen Öffentlichkeit gegenüber kirchlicher Arbeit auf verschiedenen Gebieten. Andererseits ist in der theologischen und praktischen Füllung des Begriffs „Kirche im Sozialismus" eine gewisse Stagnation unübersehbar. Dabei spielen verschiedene Faktoren eine Rolle: -
Nichtaufarbeitung der jüngsten kirchengeschichtlichen Entwicklung, Abnahme der Bereitschaft zur Parteinahme für den Sozialismus; Verunsicherung durch weitere Verluste an volkskirchlich tragenden Schichten einerseits und Zuwachs an kirchlich nicht zu vereinnahmenden Sympathisanten andererseits (dazu gehört das relativ neue Phänomen von „Gruppen", die nicht an Gemeinde und kirchliche Struktur gebunden sind); 261
Der 16. Parteitag der D D R - C D U fand vom 14. bis 16.10.1987 in Dresden statt.
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Dokument 34 wachsender, durch Sympathie mit der sowjetischen Umgestaltungspolitik sowie dem SED-SPD-Dokument 262 inspirierter Erwartungsdruck im Blick auf gesellschaftliche Veränderungen (insbesondere Freiheitsrechte, basisdemokratische Mitbestimmung, Öffnung, öffentliche Kritik, Pluralismus), der sich bevorzugt in einigen Kirchen ansiedelt, obwohl es um gesellschaftliche Fragen geht, dabei einerseits wachsende Parteinahme für Friedenspolitik der sozialistischen Staaten und Aufgabe der Äquidistanz, andererseits Verknüpfung der „Eigenständigkeit" mit unrealistischen innenpolitischen Forderungen; Probleme der kirchlichen Struktur (Differenzen zwischen den Landeskirchen, Stagnation der kirchlichen Neuordnung, mangelnde Durchschaubarkeit und Durchsetzbarkeit kirchenleitender Haltungen, die den Vorwurf des Gegensatzes „oben" und „unten" fördern, die Anschuldigung taktischer Anpassung und das Entstehen autonomer, sich anarchistisch gebender Gruppen (z.B. „Kirche von unten") begünstigen, wachsende Tendenz zur Organisierung und Vernetzung von kirchen- und gesellschaftskritischen Gruppen); Streben bestimmter kirchlicher Kräfte nach gesellschaftlicher Aufwertung und Einbeziehung nichtkirchlicher, sog. autonomer Gruppen, demgegenüber Unsicherheit staatlicher und gesellschaftlicher Gremien im Blick aufToleranzspielraum.
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Der Parteivorsitzende führte die Tradition des Meinungsaustausches mit kirchenleitenden Persönlichkeiten fort: Er hatte Begegnungen im Hause des Hauptvorstandes mit den Leitungen der Evangelisch-methodistischen Kirche in der D D R und der Evangelischen Kirche der Union (Bereich DDR), mit den Metropoliten Philaret (Vorsitzender des Außenamtes der ROK), Pitirim (Leiter der Verlagsabteilung des Patriarchats) und Erzbischof German (Exarch des Moskauer Patriarchen für Berlin und Mitteleuropa) sowie mit der neuen Leitung der Berliner Konferenz europäischer Katholiken. Aktivitäten zu besonderen kirchenpolitischen Höhepunkten: Obwohl eine Reihe von Aussagen der Görlitzer Bundessynode Belastungen des vertrauensvollen Verhältnisses der Staat-Kirche-Beziehungen bedeuten, kann doch eingeschätzt werden, daß das staatsbürgerliche Bewußtsein der Synodalen spürbar gewachsen ist. Das zeigte sich in der massiven Absage an das Vorhaben einiger rechter Kräfte unter Führung von Propst Dr. Falcke, die Synode für Angriffe gegen die sozialistische Ordnung zu mißbrauchen. Erheblichen Anteil an der Formulierung dieser Absage haben die Unionsfreunde Synodale Dr. Wolfgang König und Gabriele Lättig (Wortmeldungen) sowie Vizepräses Lothar de Maiziere (geschickte Verhandlungsführung). 24 Unionsfreunde wandten sich mit Eingaben an die Synode, in denen sie sich vom Antrag Dr. Fischbecks („Absage an Prinzip und Praxis der Abgrenzung") distanzierten und ihrerseits die Synode baten, diesem Antrag nicht zu folgen. Ein Teil dieser Unionsfreunde vertrat seinen Standpunkt auch während des Seminars am 16.1. in Oranienburg, das die Leitung der Bundessynode für alle Eingeber durchgeführt hat. In Vorbereitung der Bundessynode sprachen Bezirksvorsitzende der C D U mit 53 Synodalen. Ein Ergebnis der gezielten politischen Gesprächsführung ist auch die gewachsene Zahl von Unionsfreunden in ehrenamtlichen kirchlichen Leitungsgremien (Mitglieder zentraler Synoden von 15 auf 21 und Landes- oder Kreissynoden von 345 auf 380 gegenüber dem Vorjahr). 262
VORSTAND D E R
SPD (Hg.): Der Streit der Ideologien.
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Das gewachsene Vertrauen kirchenleitender Persönlichkeiten in die Arbeit der C D U drückt sich auch in den auf den Delegiertenkonferenzen gehaltenen Grußworten aus. 15 Persönlichkeiten nahmen auf ihnen mit (zumeist) profilierten Aussagen das Wort. Der Berliner Kirchentagltl hat die Erwartungen der Kirchenleitung der Ev. Kirche in Berlin-Brandenburg als auch der gesellschaftlichen Öffentlichkeit und staatlichen Organe erfüllt. Daran haben unsere Unionsfreunde wesentlichen Anteil. 1.450 Unionsfreunde zählten zu den Dauerteilnehmern, die in den 11 Arbeitsgruppen den Gesprächsverlauf mitbestimmten und gegen rechte Kräfte, wie z.B. der „Kirchentag von unten", zumeist überzeugend argumentierten. An dem dreitägigen „Pilgerweg" im Rahmen des Olof-Palme-Friedemmarsches1