109 87 23MB
German Pages 379 [396] Year 2006
Michael Karrer Supply Chain Performance Management
GABLER EDITION WISSENSCHAFT Supply Chain Management Beitrage zu Beschaffung und Logistik Herausgegeben von Prof. Dr. Michael EBig, Universitat der Bundeswehr Munchen Prof. Dr. Wolfgang Stolzle, Universitat St. Gallon
Industrielle Wertschopfung wird immer komplexer. Der steigende Wettbewerbsdruck zwingt zu differenzierten Angeboten, gleichzeitig nimmt der Kostendruck zu. Unternehmen konnen diesen gestiegenen Anforderungen nur gerecht werden, wenn sie neben der Optimierung eigener Produktion besonderen Wert auf die Gestaltung effektiver und effizienter Netzwerke legen. Supply Chain Management befasst sich mit unternehmensubergreifenden Wertschopfungsaktivitaten von der Rohstoffgewinnung bis zur Endkundendistribution. Die Schriftenreihe sieht sich dabei besonders den lange vernachlassigten betriebswirtschaftlichen Teildisziplinen Beschaffung und Logistik verpflichtet, die als Treiber des Supply Chain Management gelten.
Michael Karrer
Supply Chain Performance Management Entwicklung und Ausgestaltung einer unternehmensiJbergreifenden Steuerungskonzeption
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Wolfgang Stolzle, Universitat St. Gallen
Deutscher Universitats-Verlag
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet iiber abrufbar.
Dissertation Universitat Duisburg-Essen (Campus Duisburg), 2005
1.AuflageFebruar2006 Alle Rechte vorbehalten © Deutscher Universltats-Verlag/GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Brigitte Siegel / Stefanie Loyal Der Deutsche Universitats-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.duv.de Das Werk einschlielilich aller seiner Telle ist urheberrechtlich geschiitzt. Jede Verwertung auSerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fur Vervielfaltigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden diJrften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Druck und Buchbinder: Rosch-Buch, ScheBlitz Gedruckt auf saurefrelem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 3-8350-0165-5
Geleitwort
In vielen betriebswirtschaftlichen Teildisziplinen hat in den letzten Jahren das Performance Management eine groBe Beachtung gefunden. Dies gilt beispielsweise fur den Finance- und Controllingbereich oder fur den Personalbereich. In der Logistik wurde das Performance Management jedoch ebenso wenig diskutiert wie im Konzept des Supply Chain Managements (SCM), das im Unterschied zur Logistik einen untemehmensubergreifenden, netzwerkorientierten Schwerpunkt setzt und neben den Material- und Warenfliissen auch Finanzfltisse sowie weitere, nicht direkt mit der Logistik zusammenhSngende Geschaftsprozesse anspricht. Die Steuerung von Supply Chains weist somit eine beachtliche Komplexitat auf, die auch vor dem Hintergrund der Unkenntnis iiber den Erfolgsbeitrag des SCM-Konzepts und des Fehlens klarer hierarchischer Strukturen in untemehmensiibergreifenden Netzwerken zu Vorbehalten bei der SCM-Implementierung in der Praxis fuhrt. Die vorliegende Dissertation von Michael Karrer greift diese Forschungslticke auf, indem zunSchst systematisch die Steuerungsliicken im SCM-Konzept analysiert und darauf aufbauend die Notwendigkeit eines Performance Managements abgeleitet wird. Die Zusammenfuhrung beider betriebswirtschaftlicher Konzepte - Performance Management einerseits und Supply Chain Management andererseits - miindet in das Supply Chain Performance Management. Dessen konzeptionelle Ausgestaltung im Sinne einer interorganisationalen Steuerung von Supply Chains bildet den Kern der Forschungsarbeit, die zudem eine erste empirische Auseinandersetzung mit diesem neuen Themenbereich enthalt. Im Zuge der theoretischen Fundierung greift der Verfasser auf den aktuellen Entwicklungsstand der Netzwerkforschung, des Performance Measurements, der wertorientierten Unternehmensfiihrung sowie des Controllings zuruck. Auf Basis dieser ambitionierten und breit angelegten Analyse entwickelt er die „Supply Chain Performance Management-Konzeption", welche die theoriegeleitet entwickelten Aussagen in einen phasenorientierten Managementansatz integriert. Die Ausgestaltung dieses Bezugsrahmens mundet in die Ableitung von Handlungsempfehlungen fiir die Steuerung von Supply Chains auf der Ebene des Einzeluntemehmens, der bilateralen Geschaftsbeziehungen zwischen zwei Akteuren sowie der Geschaflsbeziehungen auf der Netzwerkebene. Dieser Anspruch umfasst auch die (Weiter-)Entwicklung geeigneter Methoden und Instrumente, beispielsweise zur Kennzahlenableitung und -auswahl. AbschlieBend werden die gewonnenen Erkenntnisse im Rahmen zweier explorativer Fallstudienanalysen sowie einer vergleichenden Feldstudie iiberpnift und bestatigt. Aus Sicht der Untemehmenspraxis leistet die Arbeit einen wichtigen Beitrag zur verbesserten Transparenz der Erfolgswirkungen des SCM-Konzepts. Der Ansatz unterstutzt damit auf innovative Weise die performanceorientierte Messung und Steuerung von SCM-Initiativen. Insofem ist der Arbeit eine hohe Aufmerksamkeit in der Fachwelt zu wtoschen.
Prof Dr. Wolfgang Stolzle
Vorwort
Perfektion der Mittel und Konfusion der Ziele kennzeichnen meiner Ansicht nach unsere Zeit. Albert Einstein
Die vorliegende Dissertationsschrift entstand im Rahmen meiner Tatigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl fiir Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Logistik und Verkehrsbetriebslehre der Universitat Duisburg-Essen (Campus Duisburg). Die Erstellung einer wissenschaftlichen Arbeit zum Performance Management fiihrt bald zur Einsicht, dass „Performance" eine mehrdimensionale Zielkategorie darstellt, welche sich nicht nur im (gedruckten) Endergebnis, sondem maBgeblich auch im Entstehungsprozess manifestiert. Dieser Prozess wurde von einer Reihe von Personen gepragt, denen ich danken mochte. An erster Stelle danke ich meinem Doktorvater Prof. Dr. Wolfgang Stolzle, der mich stets gefbrdert und bei der Erstellung der Arbeit - auch nach seinem Wechsel an die Universitat St. Gallen - umfassend betreut hat. Herm Prof. Dr. Peter Chamoni gilt mein Dank ftir die Ubernahme des Koreferats. Daruber hinaus mochte ich meinem Freund und ehemaligen KoUegen Dr. Felix Heusler danken, der in zahlreichen Gesprachen und Korrekturschleifen nicht nur die Performance der Arbeit, sondem auch die emotionale Stabilitat ihres Verfassers signifikant gesteigert hat. Der Dank gilt auch meinen beiden KoUeginnen Annette Hoffmann und Tina Placzek, die mich wahrend des Schreibens unterstutzt und vom Tagesgeschaft entlastet haben. Harald Bachmann hat mit hohem personlichem Einsatz an der Erstellung und Auswertung der empirischen Untersuchung mitgewirkt, wofiir ich ihm herzlich danke. Jens Puttmann sei fiir das Lektorat des Textes, Nadine Baumgarten fiir das abschliefiende „Finetuning" der Arbeit gedankt. Den Vertretem der Untemehmen Adidas, Continental, DaimlerChrysler, KarstadtQuelle, Maersk Logistics und Schtichen, die am Expertenkreis „Performance Management in Logistik und SCM" teilgenommen haben, danke ich herzlich fiir ihre Unterstutzung bei der Ausarbeitung der Fallstudienuntersuchung. Schliefilich gebiihrt meiner lieben Frau Nicole der groBte Dank. Sie brachte weit mehr auf als das in Dissertationsvorworten oft bemiihte Verstandnis fiir private Entbehrungen: Als scharfsinnige Diskussionspartnerin, strenge Lektorin und geduldige Trosterin war sie es, die diese Arbeit uberhaupt erst moglich gemacht hat. Ihr sei deshalb dieses Buch gewidmet.
Michael Karrer
Inhaltsverzeichnis
Geleitwort Vbrwort Abbiidungsverzeichnis Abkttrzungsverzeichnis 1
2
V VII XIII XIX
Einleitung - Performanceorientierte Steuerung als neue Herausforderung fttr das Supply Chain Management
1
1.1
Problemstellung und Ableitung von Forschungsfragen
1
1.2
WissenschaftstheoretischePositionierung
5
1.3
Gang der Untersuchung
8
Steuerungsproblematik im Supply Chain Management als Ausgangspunkt fiir das Performance Management
11
2.1 Konzeptverstandnis und Problemfelder des Supply Chain Managements
11
2.1.1 Entwicklungsstand des Supply Chain Managements 2.1.1.1 Supply Chain Management in der Praxis - ausgewahlte empirische Befunde 2.1.1.2 Supply Chain Management in der Forschung - Definition und Entwicklungszuge 2.1.2 Ziele und Gegenstandsbereich des Supply Chain Managements
2.2
12 12 14 19
2.1.2.1 Ableitung allgemeiner Zielkategorien des Supply Chain Managements
19
2.1.2.2 Konkretisierung der Zielkategorien anhand ausgewShlter Handlungsfelder
23
2.1.3 Ausgewahlte Referenzmodelle des Supply Chain Managements
36
Steuerung als spezielle untemehmensinteme und -ubergreifende Managementaufgabe
51
2.2.1 Einfuhrung in die Steuerung als strategische und operative Managementaufgabe
51
2.2.1.1 Steuerung und Regelung im kybemetischen Regelkreis
51
2.2.1.2 Dynamik, Intransparenz und Komplexitat als Kontextfaktoren der Steuerung
54
2.2.1.3 Steuerung im Spannungsfeld von Voluntarismus und Umweltdeterminismus
55
Inhaltsverzeichnis 2.2.2 Intra- und interorganisationale Dimension der Steuerung vor dem Hintergrund eines gemafiigt-voluntaristischen Steuemngsverstandnisses ^
59
2.2.2.1 Steuerung im intraorganisationalen Kontext
59
2.2.2.2 Steuerung im interorganisationalen Kontext
65
2.3 Theoriegestiitzte Erklarungsbeitrage zur Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
69
2.3.1 Erklarungsbeitrag der Neuen InstitutionenSkonomie
69
2.3.2 Erklarungsbeitrag der Neueren Systemtheorie
81
2.3.3 Erklarungsbeitrag der Netzwerkforschung
87
2.3.4 Gegentiberstellung der ausgewShlten theoretischen Erklarungsbeitrage.. 98 2.4 Ableitung von Steuerungsanforderungen im Supply Chain Management
100
2.4.1 Implikationen des Netzwerkmanagements ftir die Steuerung von Supply Chains 2.4.2 Differenzierung von Steuerungsanforderungen auf unterschiedlichen Ebenen der Supply Chain
100 106
2.4.2.1 Steuerungsanforderungen auf der Einzelakteursebene
108
2.4.2.2 Steuerungsanforderungen auf der Beziehungsebene
110
2.4.2.3 Steuerungsanforderungen auf der Netzwerkebene
112
AnnSherung an die Konzeption des Supply Chain Performance Managements.. 117 3.1
Entwicklungspfad Performance Measurement
117
3.1.1 Grundlegende Einordnung des Performancebegriffs
120
3.1.2 Konzeptmerkmale und Entwicklungsphasen des Performance Measurements
129
3.1.2.1 Entwicklungsphase 1: Beriicksichtigung nicht-monetSrer MessgroBen
130
3.1.2.2 Entwicklungsphase 2: Impulse durch die Balanced Scorecard. 132 3.1.2.3 Entwicklungsphase 3: Selbstreflexion und AusdifiFerenzierung 3.1.3 Herausforderungen an das Performance Measurement im Supply Chain-Kontext
136 139
3.1.3.1 BegrifiFsverstandnis der Supply Chain-Performance
139
3.1.3.2 Anpassungsbedarf der Konzeptmerkmale des Performance Measurements
142
Inhaltsverzeichnis
XI 3.1.3.3 Ausgewahlte Ansatze zum Performance Measurement in Supply Chains
3.2
145
Entwicklungspfad wertorientierte Untemehmensfiihrung
151
3.2.1 Grundlegende Einordnung der wertorientierten Performance
151
3.2.2 Konzeptmerkmale und Prozess der wertorientierten Untemehmensfiihrung
154
3.2.3 Herausfordemngen an die Wertorientierung im Supply Chain-Kontext. 163 3.2.3.1 Beitrag des Supply Chain Managements zur wertorientierten Untemehmensfiihrung 163 3.2.3.2 Beitrag der wertorientierten Untemehmensfiihmng zum Supply Chain Management
168
3.3 Konzeptionelle Impulse des Controllings fiir das Supply Chain Performance Management...
180
3.3.1 Charakterisiemng relevanter Controllingkonzeptionen
180
3.3.2 Impulse des LogistikcontroUings
188
3.3.3 Impulse des Kooperations- und NetzwerkcontroUings
194
3.3.4 Impulse des Supply Chain Controllings
200
Supply Chain Performance Management (SCPM) als interorganisationale Steuerungskonzeption fur das Supply Chain Management
211
4.1 Konzeptionsverstandnis des Performance Managements
211
4.2 Ableitung des theoretischen Bezugsrahmens der SCPM-Konzeption
215
4.3
Inhaltliche und methodisch-instmmentelle Ausgestaltung der SCPMKonzeption
222
4.3.1 Konkretisiemng des Steuemngskreislaufs des Supply Chain Performance Managements
222
4.3.2 Methodisch-instmmentelle Unterstutzung des Supply Chain Performance Managements
234
4.3.2.1 Die Supply Chain-BSC als integriertes Instmment des SCPM
237
4.3.2.2 Fokussierte Instmmente zur Unterstutzung des SCPM
243
4.3.3 Institutionelle Verankemng des Supply Chain Performance Managements
260
XII
Inhaltsverzeichnis Explorative empirische Untersuchung zum Supply Chain Performance Management in der Untemehmenspraxis
265
Entwicklung des Forschungsdesigns fur die empirische Untersuchung
265
5.1
5.1.1 Einordnimg der Untersuchung in einen qualitativen Forschungsansatz.. 266
5.2
5.3
5.1.2 Fallstudie und vergleichende Feldstudie als ausgewahlte Untersuchungsplane
267
5.1.3 Methoden zur Datenerhebung und -auswertung
270
5.1.4 Ableitung des Forschimgsdesigns
276
5.1.4.1 Ausgestaltung des Untersuchungsplans Fallstudie
277
5.1.4.2 Ausgestaltung des Untersuchungsplans Feldstudie
281
Ergebnisse der Fallstudienuntersuchung: SCPM am Beispiel einer Automobil- sowie einer Konsumguter-Supply Chain
286
5.2.1 Ausgangssituation und aktuelle Initiativen der Fallstudien-Supply Chains
286
5.2.2 Umsetzung ausgewShlter Elemente des Supply Chain Performance Managements
289
Ergebnisse der vergleichenden Feldstudie: Stand und Entwicklimgstrends des SCPM in der Automobil- und Konsumguterbranche
298
5.3.1 Rolle des Supply Chain Managements in den untersuchten Untemehmen
298
5.3.2 Status quo des Supply Chain Performance Managements in den untersuchten Untemehmen
308
5.3.3 Entwicklungstrends: Vom Performance Measurement zum wertorientierten Performance Management in Supply Chains
322
5.4 Ableitung von Gestaltungsempfehlungen fur die Untemehmenspraxis
326
Thesenartige Zusammenfassung der Ergebnisse der Arbeit und Ausblick auf zukanftige Forschungsfelder
333
Literaturverzeichnis
339
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1:
Steuemngslticken im Kontext des Supply Chain Managements
3
Abbildung 2:
Wissenschaftstheoretische Positionierung der Arbeit
6
Abbildung 3:
Anwendungsorientierter Forschungsprozess und Aufbau der Arbeit
10
Abbildung 4:
Umsetzungsstand des Supply Chain Management-Konzepts
13
Abbildung 5:
Ausgewahlte Definitionen des Supply Chain Managements
15
Abbildung 6:
Konkretisierung des Gegenstandsbereichs des Supply Chain Managements durch allgemeine Zielsetzungen und spezifische Handlungsfelder
Abbildung 7:
..23
„Relationship Circle" und Analyseebenen des Beschaffimgsmanagements
30
Abbildung 8:
Ebenen des SCOR-Modells
39
Abbildung 9:
Performanceattribute des SCOR-Modells und Level-1-Messgr66en
41
Abbildung 10:
Das Supply Chain Integrative Framework von Bowersox et al
43
Abbildung 11:
Entscheidungselemente im Supply Chain Management
46
Abbildung 12:
Fltisse, Prozesse und Managementkomponenten im Supply Chain Management-Framework von Cooper et al Kybemetischer Regelkreis mit Feedback- und Feedforward-
48
Kopplung
52
Abbildung 14:
Zeitschere als AuslSser von Entscheidungsproblemen...
56
Abbildung 15:
Der Prozess der strategischen und operativen Steuerung
61
Abbildung 16:
Serielle, gepoolte und reziproke Interdependenzen in Supply
Abbildung 13:
Chains
66
Abbildung 17:
Transaktionskostenkategorien vor und nach Vertragsabschluss
71
Abbildung 18:
Grundelemente und Gestaltungsempfehlungen der Agency-Theorie
78
Abbildung 19:
Exemplarischer Prozessablauf eines Multi-Agenten-Systems zwischen Supply Chain-Teilnehmem Bildung von Systemhierarchien
80 82
Abbildimg 20:
XIV Abbildung 21:
Abbildung 22:
Abbildung 23:
Abbildungsverzeichnis
Netzwerktypisienmg nach zeitlicher Stabilitat, Beziehungsintensitat und Koordinationsrichtung
21
Koexistenz von hierarchischen, kooperativen und heterarchischen Steuerungsformen imNetzwerk
92
Bildung strategischer Netzwerke durch Quasi-Intemalisiening und Quasi-Extemalisierung
94
Abbildung 24:
Gegeniiberstellung der theoretischen Erklanmgsbeitrage
99
Abbildung 25:
Steuerungsaufgaben in interorganisationalen Netzwerken
101
Abbildung 26:
Steuerungsaufgaben im Netzwerk, differenziert nach Managementund Leistungsprozessebene
105
Abbildung 27:
Mehrebenenbetrachtung der Supply Chain
108
Abbildung 28:
Unterschiedliche Beziehungstypen auf der Beziehungsebene
Ill
Abbildung 29: Abbildung 30:
Netzwerkrationalitat und doppelte Reflexivitat Auspragung der generischen Steuerungsaufgaben des Netzwerkmanagements auf der Einzelakteurs-, Beziehungs- und Netzwerkebene der Supply Chain Taxonomie neuerer wissenschaftlicher Monographien zum Performance Measurement
114
Abbildung 31:
Abbildung 32:
115 119
Logistische Leistungsebenen am Beispiel des Bereichs Wareneingang
123
Abbildung 33:
Performance als Zielerreichimgsgrad
126
Abbildung 34:
EfFizienz- und Effektivitatsdimension der Performance
127
Abbildung 35:
Ausdifferenzierung der Konzeptmerkmale des Performance Measurements
130
Abbildung 36:
Dimensionen der Akteurs- sowie der Supply Chain-Performance
141
Abbildung 37:
Integrales Modell zur partnerschaftlichen Leistungsbeurteilimg in Supply Chains Strategische Untemehmensfuhrung im Kontext von Wettbewerbs-,
148
Ressourcen- und Wertstrategie
155
Abbildung 39:
Prozess der wertorientierten Untemehmensfuhrung
157
Abbildung 40:
Systematisierung ausgewahlter wertorientierter Kennzahlen der KontroUrechnung
160
Abbildung 38:
Abbildungsverzeichnis Abbildung 41: Abbildung 42:
Ausgewahlte Werttreiber des Supply Chain Managements auf den EVAeines industriellen Supply Chain-Akteurs
XV
166
Idealtypisches Vorgehen zur Ermittlung des Gesamtwerts einer Supply Chain
175
Abbildung 43:
Cash-to-Cash-Cycle einer dreistufigen Supply Chain
178
Abbildung 44:
„Klassische" und „neuere" Controllingkonzeptionen
181
Abbildung 45:
Konzeptionenorientiertes Aufgabenspektrum des LogistikcontroUings Konzeptionenorientiertes Aufgabenspektrum des NetzwerkcontroUings
Abbildung 46: Abbildung 47:
192-193 198-199
Konzeptionenorientiertes Aufgabenspektrum des Supply Chain Controllings
207-208
Abbildung 48:
Konzeptionsverstandnis des Performance Managements
213
Abbildung 49:
Theoretischer Bezugsrahmen der Supply Chain Performance Management-Konzeption Einordnung und idealtypische Wirkungsbeziehungen von Zielen desSCPM
217 219
Sach- und verhaltensorientierte Zielkategorien der Implementierungsphase
225
Abbildung 52:
Zusammenwirken von APS- und ERP-Systemen
229
Abbildung 53:
Relevanzeinschatzung der Handlungsfelder des Supply Chain Managements fur die Steuerungsphasen des Supply Chain Performance Managements
233
Abbildung 50: Abbildung 51:
Abbildung 54:
Ausgewahlte Ansatze zur Anpassung der BSC an das Supply Chain Management
38
Abbildung 55:
Schematische Perspektivenstruktur einer Supply Chain-BSC
242
Abbildung 56:
Verortung ausgewahlter Methoden und Instrumente in der SCPMKonzeption Abbildung kritischer Pfade in der Supply Chain mit Supply Chain Maps
243
Abbildung 57: Abbildung 5 8: Abbildung 59:
245
Untemehmens-, Beziehungs- und Netzwerkleitbild einer Supply Chain
246
Exemplarische Strategiematrix eines Logistikdienstleistungsuntemehmens
248
XVI
Abbildung 60:
Abbildung 61:
Abbildung 62:
Abbildung 63:
Abbildungsverzeichnis
Exemplarische Target Map fiir das Supply Chain Performance Management aus Sicht eines fokalen Untemehmens (Beziehungsebene)
249
Bildung von Kennzahlenhierarchien nach Mafigabe der strategischen Relevanz
251
Schematisches Voigehensmodell zur sachbezogenen Implementierung von SCPM-Messgr66en
252
Kompetenzprofil zur Erhebimg der SCPMImplementienmgskompetenz
255
Abbildung 64:
Exemplarische Nutzwertanalyse einer Supply Chain
259
Abbildung 65:
Differenzierung altemativer Untersuchungsplane nach Anzahl der Untersuchungszeitpimkte und Anzahl der Untersuchungsobjekte Reflexivitat zwischen Konzeptualisierung imd Ergebnissen im semistnikturierten Interview
273
Anwendungsmoglichkeiten der qualitativen Inhaltsanalyse fiir Fallund Feldstudie
275
Abbildung 66:
Abbildung 67:
Abbildung 68:
268
Globales Forschungsdesign der explorativen empirischen Untersuchung
276
Abbildung 69:
Schematische Darstellung der Fallstudien-Supply Chains
278
Abbildung 70:
Fallstudienraster als spezifisches Forschimgsdesign der Fallstudienanalyse Interviewleitfaden als spezifisches Forschungsdesign der vergleichende Feldstudie
Abbildung 71:
Abbildung 72:
279 283
Umsatzverteilung der an der Feldstudie teilnehmenden Untemehmen
285
Abbildung 73:
Lineare Aktivitatenkette der Automobil-Supply Chain
289
Abbildung 74:
Lineare Aktivitatenkette der Konsumgttter-Supply Chain
290
Abbildung 75:
Ziele in der Aktivitatenkette der Automobil-Supply Chain
291
Abbildung 76:
Ziele in der Aktivitatenkette der Konsumguter-Supply Chain
292
Abbildung 77:
Untemehmensiibergreifend relevante Kennzahlen in der Automobil-Supply Chain Untemehmensiibergreifend relevante Kennzahlen in der Konsumguter-Supply Chain
Abbildung 78:
293 294
Abbildungsverzeichnis Abbildung 79: Abbildung 80: Abbildung 81:
XVII
Key Performance Indicator-Hierarchie fiir die Automobil-Supply Chain (Dimension Qualitat)
296
Key Performance Indicator-Hierarchie fur die Automobil-Supply Chain (Dimension Kosten)
296
Key Performance Indicator-Hierarchie fiir die Konsumgiiter-Supply Chain (integrierte Betrachtung der Dimensionen Qualitat und Kosten).... 297
Abbildung 82:
Mit dem Supply Chain Management-Konzept assoziierte Aufgaben
299
Abbildung 83:
Priorisierte Ziele des Supply Chain Managements in der Automobilbranche Priorisierte Ziele des Supply Chain Managements in der Konsumgiiterbranche
300
Abbildung 84: Abbildung 85:
301
Struktur der Supply Chain und relevanter Steuerungsbereich fur das SCPM
303
Abbildung 86:
Bedeutung von Materialfluss-Standards im Supply Chain Management.. 306
Abbildung 87:
Bedeutung von IT-Standards im Supply Chain Management
307
Abbildung 88:
Bedeutung von Prozess-Standards im Supply Chain Management
308
Abbildung 89:
Aufgaben der untemehmensiibergreifenden Performancemessung in Supply Chains Derzeit eingesetzte Messgrofien im Supply Chain Performance
309
Management
311
Abbildung 91:
ErfuUung von Basisanforderungen an Kennzahlen in Supply Chains
312
Abbildung 92:
Erweiterte Steuerungsanforderungen in der Automobil-Supply Chain
314
Abbildung 93:
Erweiterte Steuerungsanforderungen in der Konsumgiiter-Supply Chain.314
Abbildung 94:
Organisatorische Verankerung des Supply Chain Performance Managements Ausdehnung der Performancemessung entlang der Supply Chain
317
(schematische Darstellung)
318
Abbildung 96:
Adressaten des Performancemessung in der Supply Chain
320
Abbildung 97:
Umsetzungsstand der Steuerungsaufgaben des Supply Chain Performance Managements
325
Abbildung 90:
Abbildung 95:
Abkiirzungsverzeichnis
3PL
Third Party Logistics Provider
4PL
Fourth Party Logistics Provider
AMA
American Marketing Association
B/L
Bill of Lading
BSC
Balanced Scorecard
CCG
Centrale fur Coorganisation
CFROI
Cash Flow Return on Investment
CPFR
Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment
CRM
Customer Relationship Management
CVA
Cash Value Added
d.h.
das heifit
DCF
Discounted Cash Flow
DESADV
Despatch Advice
DL
Dienstleister
DLZ
Durchlaufzeit
ECR
Efficient Consumer Response
EDI
Electronic Data Interchange
EDIFACT
Electronic Data Interchange For Administration, Commerce and Transport
ERP
Enterprise Resource Planning
et al.
et alii
EVA
Economic Value Added
evtl.
eventuell
F&E
Forschung und Entwicklung
GF
Geschaflsfuhrung
GS1
Global Standards One
i.e.S.
im engeren Sinne
XX
Abkiirzungsverzeichnis
i.w.S.
im weiteren Sinne
Inc.
Incorporated
IT
Infomiationstechnologie
JIS
Just-in-Sequence
JIT
Just-in-Time
KAM
Key Account Manager/Management
KPI
Key Performance Indicator
LDL
Logistikdienstleister
Lkw
Lastkraftwagen
Mio.
Millionen
MRP
Materials Requirement Planning
MVA
Market Value Added
NOPAT
Net Operating Profit After Taxes
NPV
Net Present Value
o.A.
Oder Ahnliches
OEM
Original Equipment Manufacturer
OR
Operations Research
p.a.
per annum
POS
Point of Sale
RFID
Radio Frequency Identification
ROCE
Return on Capital Employed
ROE
Return on Equity
ROI
Return on Investment
ROS
Return on Sales
s.o.
siehe oben
SCEM
Supply Chain Event Management
SCM
Supply Chain Management
SCOR
Supply Chain Operations Reference
SCPM
Supply Chain Performance Management
Abkiirzungsverzeichnis
SLV
Supplier Lifetime Value
sog.
so genannt
SRM
Supplier Relationship Management
SWOT
Strength, Opportunities, Weaknesses, Threats
TQM
Total Quality Management
VDI
Verein Deutscher Ingenieure e.V.
WACC
Weighed Average Cost of Capital
z.B.
zum Beispiel
XXI
1. Einleitung - Performanceorientierte Steuerung als neue Herausforderung fiir das Supply Chain Management
Das Supply Chain Management-Konzept genieBt eine anhaltend hohe Aufmerksamkeit in Forschung und Praxis. Sein Gnmdpostulat - die Vorteilhaftigkeit einer im Grundsatz kooperativen, untemehmensiibergreifenden Gestaltung von Wertschopfungsprozessen - steht mit zunehmender Reife des Ansatzes jedoch unter wachsendem Erwartungsdruck. Noch vor wenigen Jahren widmete sich die anwendungsbezogene Literatur hauptsachlich der Darstellung allgemeiner Merkmale und Ziele des Supply Chain Managements, stellenweise ohne dessen Nutzenpotenziale kritisch zu hinterfragen. Mittlerweile dominieren stSrker fokussierte Fragestellungen die Diskussion, welche sich mit der inhaltlichen Ausgestaltung und Anpassung des Konzepts an die Anforderungen der Untemehmenspraxis auseinandersetzen. Bin relevantes und bislang nur unzureichend erschlossenes Forschungsfeld besteht diesbeztiglich in der Frage nach der Messbarkeit und Steuerbarkeit der „Performance" von Supply Chains. Dieser zunachst schillemde BegrifFkann als untemehmensubergreifender Zielerreichungsgrad interpretiert werden, der eine verbesserte Operationalisierung der normativen Vorgaben des Supply Chain Management-Konzepts ermoglichen soil. Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht darin, theoriegeleitete und gleichzeitig praxisrelevante Gestaltungsempfehlungen fur eine performanceorientierte Steuerung von Supply Chains, die im Folgenden unter den Begriff „Supply Chain Performance Management" gefuhrt wird, abzugeben. Diese globale Aufgabenstellung gliedert sich in eine Reihe von Teilleistungen, die sich von der Beschreibung des Aufgabenspektrums einer Steuerung im Supply Chain Management uber die Analyse bestehender interorganisationaler Mess- und Steuerungskonzepte bis hin zu Entwicklung einer eigenen Konzeption fur das Supply Chain Performance Management erstrecken. Nachfolgend wird diese Thematik grundlegend vorbereitet, indem die Problemstellung der Arbeit konkretisiert und zu vier zentralen Forschungsfragen verdichtet wird (Kapitel 1.1). AnschlieBend wird die grundlegende Vorgehensweise zur Klarung dieser Forschungsfragen im Rahmen einer wissenschaflstheoretischen Positionierung umrissen (Kapitel 1.2) und in den Gang der Untersuchung (Kapitel 1.3) eingebettet.
1.1. Problemstellung und Ableitung von Forschungsfragen Die interdisziplinare Debatte zur Steuerung, die derzeit in den Sozial- und Wirtschaflswissenschaften gefuhrt wird, ist durch eine zunehmende Steuerungsskepsis gepragt. Exemplarisch kann die Aussage von Willke (2001) herangezogen werden, der in Bezug auf komplexe soziale Systeme konstatiert: „Jede Steuerungstheorie sieht sich heute mit einem Trummerhau-
2
1 Einleitung
fen gescheiterter praktischer Steuerungsvorhaben iind Steuerungshofi&iungen konfrontiert."* Vor einer vergleichbaren Problemstellung steht das von der betriebswirtschaftlichen Logistik mafigeblich geprSgte Themenfeld des Supply Chain Managements. Untemehmen sehen sich mit einem steigenden wettbewerbsbedingten Handlungsdruck konfrontiert, neben intemen Bemuhungen um Kostensenkungen und Leistungssteigeningen auch die Potenziale einer untemehmensubergreifenden Gestaltung der WertschSpfungskette zu heben. Hieraus entstehen neue Aufgabenfelder im Bereich der Messung und Steuerung, die von bestehenden untemehmensbezogenen Managementkonzepten bislang nur unzureichend erfuUt werden konnen. Zu diesen Aufgabenfeldem zShlen beispielsweise die Identifikation relevanter Mitglieder in komplexen Supply Chains, die Festlegung kompatibler Ziele und Strategien zwischen rechtlich selbstandigen Untemehmen, die Zuordnung von Verantwortlichkeiten fur untemehmensiibergreifende Prozesse, die AUokation von Leistungsumfangen oder die Messung von Kosten und Leistungen in der Supply Chain. Die nachfolgende Systematisienmg der damit angesprochenen Steuerungsproblematik liefert einen ersten Einblick in die Konturen des komplexen Forschungsfelds des Supply Chain Performance Managements. Dabei bietet sich die Analyse jener Steuerungsliicken an, welche sich insbesondere im Spannungsfeld zwischen den normativ formulierten Zielkategorien des Supply Chain Management-Konzepts, den strategischen Zielen der an einer Supply Chain teilnehmenden Untemehmen sowie den operativen Prozesszielen in diesen Untemehmen manifestieren (vgl. Abbildung 1). Eine erste Gmppe von Steuerungslucken resultiert aus einer bislang noch unzureichenden inhaltlichen Ausgestaltung des Supply Chain Management-Konzepts in Bezug auf Aspekte der Performancemessung. Trotz der breiten Aufiiahme des Ansatzes in unterschiedlichen Teildisziplinen der betriebswirtschaftlichen Forschung besteht bezuglich der Operationalisierbarkeit der theoriegeleiteten Aussagen noch betrachtlicher Handlungsbedarf Beispielsweise gilt es, die als „Supply Chain-Hypothese" bekannt gewordene Vermutung einer Kausalbeziehung zwischen erfolgreichem Supply Chain Management und erhohtem Untemehmenserfolg in geeignete Messkonzepte zu iiberfuhren.^ Aspekte der Performancemessung fmden zwar schon seit langerer Zeit Aufiiahme in Referenzmodelle des Supply Chain Managements, werden jedoch noch nicht hinreichend bezuglich Anforderungen und Ausgestaltung konkretisiert.^ Als kritisch erweist sich auch die Frage nach einem gemeinsamen Begriflfsverstandnis der Performance, da diese je nach Bezugsobjekt (z.B. Einzeluntemehmen, Kooperationsbeziehung oder mehrstufige Supply Chain) unterschiedliche AusprSgungen aufweisen kann. Weitere Steuerungslucken ergeben sich aus dem zur Verfugung stehenden Messinstmmentarium. Bislang sind „echte" Supply Chain-Kennzahlen, die sich per definitionem auf untemeh-
3
Willke(2001),S. 1. Vgl. New (1996), S. 19-34, Otto (2001), S. 1-2. Vgl. Caplice/Sheffi (1994), Cooper et al. (1997), S. 10, Lambert/Pohlen (2001), S. 1-12, Simatupang/Sridharan (2005), S. 45.
1.1 Problemstellung und Ableitung von Forschungsfragen
mensiibergreifende Prozesse beziehen, im Vergleich zu untemehmensbezogenen Logistikkennzahlen noch stark unterreprasentiert. Dies gilt nicht nur fur ihren praktischen Einsatz, sondem auch ftir die Entwicklung derartiger MessgroBen in der Forschung, die sich erst in den letzten Jahren verstarkt dieser Thematik widmet.
Informationsversorgung des SCM durch finanzbasierte Spitzenkennzahlen nicht voll abgedeckt
Unzureichende inhaltliche Ausgestaltung des SCM-PhSnomens: Zielvorgaben schwer operationalisierbar Kein gemeinsames PerfonnanceverstMndnis
Interessenkonflikte zwischen den Akteuren Managementmethoden nicht untemehmensubergrej; fend ausgerichtet
Unzureichender Strategiebezug logistischer Kennzahlen
SC SCM
UntemehmensiJbergreifende Kennzahlen bislang kaum verbreitet
Quantifizierungsprobleme bei Logistikleistungen, u.a. aufgrund ihres Dienstlelstungscharakters
Oberbetonung von Kostenzielen gegenuber Leistungszielen
Supply Chain SupplyChain Management
Abbildung 1:
Steuerungsliicken im Kontext des Supply Chain Managements
Bin zweiter Problemkreis eroffhet sich bei der Betrachtung der Performancemessung im Bereich der operativen Prozesse, d.h. im Leistungssystem eines Untemehmens. Die Logistikforschung hier insbesondere Ansatzpunkte im Bereich operativer Supply Chain ManagementProzesse. So ist etwa festzustellen, dass die Logistik seitens der Untemehmensfiihrung haufig auf ihre Hebelwirkung zur Kostensenkung reduziert wird. Dementsprechend fokussiert sich die Aufmerksamkeit des Managements typischerweise auf logistische Kostenkategorien und deren Verhaltnis zu den Gesamtkosten."* Da sich die positiven Effekte einer Leistungssteigerung der Logistik (z.B. durch die Verbesserung von Servicekomponenten wie Lieferservice Oder Lieferflexibilitat) nur mittelbar auf die fmanzielle „Bottom Line" auswirken, sind LeistungsgroBen im untemehmerischen Messportfolio haufig unterreprasentiert. Hinzu kommt, dass logistische Leistungen auf Grund ihres typischen Dienstleistungscharakters nur schwer zu isolieren und zu quantifizieren sind.^ Eine weitere Steuerungsliicke resultiert aus dem unzureichenden Strategiebezug logistischer Kennzahlen. Li vielen Fallen wird noch auf einzekie MessgroBen zuriickgegrififen, welche den Entscheidungstrager zwar bei funktional abgegrenzten, operativen Problemstellungen untersttitzen, jedoch keinen zwingenden Bezug
Vgl. Pfohl (2004b), S. 46. Vgl. Pfohl (2004a), S. 24-25.
4
1 Einleitung
zur Ausrichtung des allgemeinen Zielsystems aufweisen/ Die SchlieBung dieser Steuerungsliicke wiirde unter anderem eine Ausdehnung des Aufgabenspektmms bestehender Messsysteme auf typische Managementaufgaben (z.B. Ableitung von Messzielen aus der strategischen Planung, Gestaltung von Anreizsystemen) erfordem. Dies deutet bereits auf eine Tendenz bin, die in jungerer Zeit plakativ unter der Uberschrift „Vom Performance Measurement zum Performance Management" diskutiert wird. Eine dritte Gruppe von Steuerungsliicken erwachst aus dem Spannungsfeld zwischen dem theoretischen Anspruch des Chain Management-Konzepts und der Realitat des strategischen Managements bzw. des Ftthrungssystems eines Untemehmens. Es zeigt sich, dass derzeitige Managementansatze
untemehmensubergreifende
Steuerungsprobleme
nicht vollstandig
abbilden konnen/ Das hierarchische Steuerungsprinzip, welches von einer klaren DiflFerenzierung von Fiihrungs- und Ausftihrungsinstanz ausgeht und sich in den meisten Methoden und Listrumenten des strategischen Managements bzw. Controllings widerspiegelt, besitzt im Supply Chain-Kontext in der Kegel keine Giiltigkeit mehr. Stattdessen gilt es, die Integration vielfaltiger Stakeholdergruppen wie Lieferanten, Logistikdienstleister oder Kunden sicherzustellen und verstarkt das Management von Interessenskonflikten zwischen rechtlich selbstandigen Akteuren zu berucksichtigen. Eine weitere Steuerungslucke bezieht sich auf die Auswahl und den Einsatz geeigneter MessgroBen. Finanzielle, periodenbezogenen Spitzenkennzahlen, die im Rahmen der strategischen Untemehmenssteuerung zum Einsatz kommen, eignen sich eher fur eine nachtragliche Bewertung funktionaler Geschaftsbereiche als fur eine zeitnahe Steuerung von Supply Chain-Prozessen. Indikatoren, die starker auf die Prozesssteuerung abstellen, wie z.B. Reaktionszeiten, Durchlaufzeiten oder Fehlerquoten, befmden sich demgegeniiber aufierhalb des finanziellen Kennzahlenportfolios und damit des Sichtfelds der strategischen Untemehmensfuhrung. Der Informationsbedarf des Supply Chain Managements kann somit durch untemehmensbezogene Managementansatze bislang nur unzureichend gedeckt werden. Die Vielschichtigkeit der hiermit grob umrissenen Problemstellung sowie ihre noch aufzuzeigende hohe Relevanz fur die Untemehmenspraxis erfordem eine grundlegende Auseinandersetzung mit dem Themenfeld des Supply Chain Performance Managements. Aus dem grob umrissenen Forschungsbedarf lassen sich dabei folgende zentrale Forschungsfragen ableiten: 1. Welche Anforderungen sind an ein Steuerungsverstandnis im untemehmensubergreifenden Kontext zu stellen und wie kann dieses Steuerungsverstandnis unter Benicksichtigung der Charakteristika des Supply Chain Managements aufgabenbezogen systematisiert werden? 2. Welche Impulse lassen sich aus bestehenden Ansatzen, Methoden und Instrumenten der Performancemessung fiir die performanceorientierte Steuerung von Supply Chains ableiten?
Vgl. Keebler (2001a), S. 428. Vgl. Wildemann (2004), S. 8.
1.1 Problemstellung und Ableitung von Forschungsfragen
3. Wie kann eine theoriegeleitete Konzeption fur das Supply Chain Performance Management strukturiert, inhaltlich ausgestaltet und methodisch-instrumentell untermauert werden? Angesichts der noch geringen Verbreitung des Supply Chain Performance Managements in der Praxis bietet sich iiber diesen maBgeblich theoriegeleiteten Forschungsbedarf hinaus auch eine erste, mit diesem korrespondierende empirische Untersuchung an. Eine vierte Fragestellung lautet demnach: 4. Welche Ruckschltisse lassen sich im Rahmen einer explorativen empirischen Untersuchung im Hinblick auf die Praxisrelevanz der theoriegeleiteten Erkenntnisse sowie auf die praktische Problemlosungskraft der entwickelten Konzeption Ziehen? Bevor die genannten Forschungsfragen in den Gang der Untersuchung integriert werden, erscheint eine grundsatzliche Charakterisierung des Wissenschaftsverstandnisses der vorliegenden Arbeit sinnvoll. Dies erweist sich insbesondere deshalb als hilfreich, weil das Supply Chain Performance Management bislang erst vereinzelt als Forschungsobjekt aufgegriffen wurde.
1.2. Wissenschaftstheoretische Positionierung Entsprechend der grundsatzlichen Ausrichtung der betriebswirtschaftlichen Forschung kommt in dieser Arbeit ein anwendungsorientiertes Wissenschaftsverstandnis zum Tragen. Die oben formulierten Forschungsfragen deuten bereits darauf hin, dass es dieses Grundverstandnis um ausgewahlte Komponenten eines theoretischen Wissenschaftsverstandnisses zu erganzen gilt. Dies wird im Rahmen einer Gegeniiberstellung der Merkmale theoretischer und angewandter Wissenschaften sowie der jeweiligen Auspragung dieser Merkmale in der vorliegenden Arbeit deutlich (vgl. Abbildung 2).^ Dem anwendungsorientierten Grundverstandnis entsprechend greift die vorliegende Arbeit mit den in Kapitel 1.1 identifizierten Steuerungsliicken im Supply Chain Management eine komplexe und bislang nur unzureichend wissenschaftlich ausgearbeitete Problemstellung aus der betriebswirtschaftlichen Praxis auf Auf Grund seines Ursprungs im praktischen Handeln ist der identifizierte Forschungsbedarf nicht eindeutig einem spezifischen Feld innerhalb der Betriebswirtschaftslehre zuzuordnen, so dass ein teildisziplineniibergreifender Forschungsansatz angestrebt wird. Im Hinblick auf die Wissensgenerierung ist zu konstatieren, dass einerseits angesichts der noch geringen Verbreitung der untemehmensubergreifenden Performancemessung in der Praxis ein rein induktives Vorgehen nicht zielfiihrend erscheint. Andererseits liegt fiir eine rein deduktive Wissensgewinnung kein hinreichend tragfahiges theoretisches Fundament zum Performance Management in Supply Chains vor. Die vorlie-
Vgl. zum anwendungsorientierten Forschungsverstandnis Ulrich (1995), S. 165-166.
6
1 Einleitung
gende Arbeit wendet somit eine Kombination beider Verfahren an, indem Aussagen aus ausgewahlten Theorien bzw. TheorieansStzen deduziert und anschliefiend im Rahmen eines induktiv-explorativen Forschungsdesigns um Erfahningswissen erganzt werden.^ Als Forschungsregulativ kommen dabei sowohl die konzeptionelle Geschlossenheit des entwickelten Ansatzes als auch dessen Niitzlichkeit und Anwendbarkeit in der Praxis zum Tragen. ^^"-----S^issenschaftsver- Theoretisches Merkmal?""^^^^§tandnis Wissenschaftsverstandnis
Angewandtes Wissenschaftsverstandnis
Auspragung in der vorliegenden Arbeit
Problementstehung
In der Wissenschaft selbst
In der Praxis
In der Praxis des Supply Chain Managements
Art der Probleme
DisziplinSr
AdisziplinSr
Betriebswirtschaftlich; teildiszipliniibergreifend
Gewinnung von Wissen
Deduktion
Induktion
Deduktion aus ausgewahlten Theorieansatzen; Induktion aus explorativer Empirie
Forschungsziele
Theorieentwicklung und -prufimg; ErklSren der bestehenden Wirklichkeit
Entwerfen mSglicher Wirklichkeiten
Entwurf einer Steuerungskonzeption; Uberpriifung in der Praxis
Forschungsregulativ
Wahrfieit
Nutzlichkeit
Anwendbarkeit im SCM
Fortschrittskriterien
Allgemeingtiltigkeit, Bestdtigungsgrad, ErklSrungskraft und Prognosekraft von Theorien
Zuverlassigkeit und Umsetzbarkeit von Modellen und Regeln; praktische Probleml6sungskraft
Geschlossenheit der entwickelten Konzeption; Praxisrelevanz fur SCM
Abbildung 2:
Wissenschaftstheoretische Positionierung der Arbeit Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Ulrich (1995), S. 165
Mit dem kombinierten deduktiv-induktiven Vorgehen wird sowohl ein theoretisches als auch ein pragmatisches Forschungsziel angestrebt. In Bezug auf das theoretische Forschungsziel gilt es, relevante Zusammenhange und Probleme der Performancemessung und -steuerung im Kontext des Supply Chain Managements zu beschreiben, zu erklaren und zu eigenen Gestaltungsaussagen zu verdichten. Der Anspruch, der an dieses Ziel zu stellen ist, muss dabei im Verhaltnis zum bestehenden Wissensstand iiber das Forschungsobjekt gesehen werden. Da hierzu bislang nurfragmentarischeErkenntnisse vorliegen, steht die Formulierung deskriptiver und explikativ-tendenzieller Aussagen sowie deren Strukturiemng im Vordergrund.^^ Einen zentralen Baustein des Forschungsprozesses bildet dabei die Entwicklung eines theoretisch-konzeptionellen Bezugsrahmens. An diesen sind folgende Anforderungen zu formulieren: Ein theoretischer Bezugsrahmen dient im Allgemeinen der Schaffung eines strukturierten Vorverstandnisses des Forschungsobjekts.'* Dieser Anforderung ist Rechnung zu tragen, indem die im Vorfeld als relevant erachteten, theoriegeleiteten Erkenntnisse innerhalb des
Vgl. zum Induktionsschluss im qualitativen Forschungsprozess Bortz/Doring (2002), S. 299-301. Diese lassen sich zu thesenartigen Aussagen verdichten, erheben jedoch nicht den Anspruch empirisch uberpriifbarer Hypothesen. *' Vgl. Rofil (1990), S. 99-100.
1.2 Wissenschaftstheoretische Positionierung
Bezugsrahmens gebiindelt imd zueinander in Beziehung gesetzt werden. Um auch dem konzeptionellen Anspruch gerecht zu werden, ist der Bezugsrahmen zudem anwendungsbezogen zu strukturieren. Dies kann iiber eine phasenorientierte Anordnung der Elemente realisiert werden. Im Hinblick auf das pragmatische Forschungsziel sind aus dem theoretischen Wissen Gestaltungsaussagen fiir die praktische Ausgestaltung eines Performance Managements in Supply Chains abzuleiten, die zu einem „wissenschaftsgeleiteten Verhalten in der Praxis"^^ fiihren. Der Beitrag der Arbeit liegt hier insbesondere in der inhaltlichen Ausgestaltung des theoretisch-konzeptionellen Bezugsrahmens sowie in der Durchfiihrung einer explorativen empirischen Untersuchung, anhand derer die Praxisrelevanz der theoriegeleiteten Erkenntnisse einer ersten tjberprufung zugefuhrt werden. Der mit dem pragmatischen Forschungsziel verkntipfte Anwendungsbezug spielt jedoch weder auf eine weitgehende Theoriefreiheit des Forschungsprozesses an, noch darf er mit der Forderung nach einer unmittelbaren Verwertbarkeit der Forschungsergebnisse in Untemehmen allzu stark eingeengt werden.^^ Vielmehr wird ein praktisch-normatives Aussagensystem angestrebt, in welchem die zu entwickelnde Steuerungskonzeption eine Bruckenfunktion zwischen Theorie und Praxis einnimmt, indem sie „in gestaltender Absicht und in meist eklektischer Vorgehensweise theoretische Aussagen aufgreift, mit normativen Postulaten verkntipft und auf die Praxis bezieht".^"^ Zusammengefasst lasst sich aus der charakterisierten wissenschaftstheoretischen Positionierung ein schematischer Forschungsprozess ableiten, welcher die enge Verschrankung von Theorie und Praxis in der anwendungsorientierten Forschung widerspiegelt.^^ An erster Stelle steht dabei die Erfassung und Typisierung des Forschungsproblems in der Untemehmenspraxis. Da sich die Problemstellung in der Kegel nicht in eine einzelne (Teil)Disziplin der betriebswirtschaftlichen Forschung einordnen lasst, umfasst der zweite Schritt die interdisziplinare Erfassung und Interpretation potenziell problemrelevanter Theorien bzw. Theorieansatze.'^ Diese theoretischen Erklarungsangebote werden drittens im relevanten Anwendungszusammenhang untersucht, bevor sie im Rahmen eines vierten Schritts zu Modellen, Beurteilungskriterien und Gestaltungsregeln verarbeitet werden. An funfter Stelle werden die Regeln und Modelle in der Praxis getestet. Hierzu konnen beispielsweise Verfahren der qualitativen Forschung herangezogen werden. Sechstens schliefilich werden Gestaltungsempfehlungen generiert und damit emeut die Brucke zur Untemehmenspraxis geschlagen.
Ulrich (1995), S. 166. Vgl. auch New (1997), S. 21, der im Hinblick auf die Supply Chain Management-Forschung feststellt, dass „the fact that supply chain management is important in practice does not mean that research in the field has to be of practical value to powerful 'users'". Scherm/Pietsch (2004), S. 8, Satz vom Autor in Singular gesetzt. Vgl. dazu Ulrich (1995), S. 166-167. In diesem Zusammenhang sind auch aus formalwissenschaftlicher Sicht problemrelevante Verfahren und Methoden auszuwahlen, vgl. Ukich (1995), S. 167.
8
1 Einleitung
1.3. Gang der Untersuchung Basierend auf den aufgezeigten Forschungsfragen sowie der gnindlegenden wissenschaftstheoretischen Positioniening der Arbeit wird nachfolgend der Gang der Untersuchung aus ablauforientierter Sicht dargestellt. Die Herangehensweise gliedert sich in insgesamt sechs Kapitel. Nach der Einleitung wird in Kapitel 2 die Steuerung im untemehmensubergreifenden Umfeld als spezifisches Problem des Supply Chain Managements thematisiert. Zunachst werden das Konzeptverstandnis und die Problemfelder des Supply Chain Managements charakterisiert (Kapitel 2.1). Hierzu zShlen zum einen die Aufarbeitung des aktuellen Entwicklungsstands des Supply Chain Managements in Forschung und Praxis, die Systematisierung allgemeiner Zielkategorien und Handlungsfelder sowie die kritische Wiirdigung ausgewahlter Referenzmodelle. Im Anschluss daran wird die Steuerung als relevante Managementaufgabe gekennzeichnet und ein eigenes SteuerungsverstSndnis entwickelt (Kapitel 2.2). Insbesondere jene Anforderungen, die an eine Steuerung im interorganisationalen Umfeld zu stellen sind, erweisen sich dabei als kritisch fur eine tfbertragung des Steuerungsverstandnisses auf Supply Chains. Daran anknupfend werden problemrelevante Theorieansatze auf potenzielle Erklarungsbeitrage zur aufgezeigten Steuerungsproblematik untersucht und einander gegenubergestellt (Kapitel 2.3). Dabei stellt sich heraus, dass insbesondere die Netzwerkforschung wichtige Ankupfungspunkte bietet. Diese werden im anschliefienden Kapitel aufgegriflfen, im Rahmen der Vorstellung des Netzwerkmanagements aufgabenorientiert systematisiert und im Hinblick auf unterschiedliche Steuerungsebenen in Supply Chains dififerenziert (Kapitel 2.4). Kapitel 3 widmet sich der AnnSherung an das Konzeptionsverstandnis des Supply Chain Performance Managements, indem relevante Entwicklungspfade und verwandte Konzeptionen vorgestellt und im Anwendungszusammenhang diskutiert werden. An erster Stelle stehen die Ansatze des Performance Measurements (Kapitel 3.1). Neben einer Diskussion des allgemeinen Entwicklungsstands dieses Forschungsfelds steht dabei die Frage nach dessen Ubertragbarkeit auf den Supply Chain-Kontext im Mittelpunkt. Ein analoges Vorgehen wird fur das Konzept der wertorientierten Untemehmensfuhrung als zweitem Entwicklungspfad gewahlt (Kapitel 3.2). Auch hier gilt es, die Ankniipfungspunkte dieses im Kern untemehmensbezogenen Ansatzes im Supply Chain Management zu identifizieren. Der dritte Abschnitt von Kapitel 3 extrahiert schlieBlich Impulse fur das Supply Chain Performance Management aus inhaltlich verwandten Konzeptionen (Kapitel 3.3). Hier kommen insbesondere bestimmte ControUingkonzeptionen als Suchfeld in Frage, die sich entweder explizit mit dem Controlling im untemehmensubergreifenden Bereich auseinandersetzen oder einen inhaltlichen Logistik- bzw. Supply Chain Management-Bezug aufweisen. In Kapitel 4 wird - aufbauend auf das in Kapitel 2 erarbeitete theoretische Vorverstandnis sowie auf die in Kapitel 3 vorgestellten Ansatze, Methoden und Instrumente - mit der interorganisationalen Steuemngskonzeption des Supply Chain Performance Managements (SCPM-
1.3 Gang der Untersuchung
Konzeption^^) ein eigener theoretisch-konzeptioneller Bezugsrahmen in Form einer phasenorientierten bzw. prozessualen Steuerungskonzeption entwickelt. Zur Begrundung der Auswahl eines phasenorientierten Konzeptionsverstandnisses wird im ersten Abschnitt Stellung genommen (Kapitel 4.1). Im Anschluss wird der theoretische Bezugsrahmen bzw. die genannte SCPM-Konzeption abgeleitet (Kapitel 4.2). Der darauf folgende Abschnitt widmet sich der inhaltlichen Ausgestaltung der Konzeption (Kapitel 4.3), in welchem anwendungsorientierte Vorschiage fur die methodisch-instrumentelle Unterstutzung des Supply Chain Performance gemacht werden. Dabei werden unter anderem auch Aspekte der institutionellen Verankerung sowie der Implementierung adressiert. In Kapitel 5 wird eine „Praxisruckkopplung" der theoriegeleiteten Erkenntnisse der Arbeit im Rahmen einer explorativen empirischen Erhebung durchgefuhrt. Dazu wird zunachst auf Grundlage eines qualitativen Forschungsansatzes ein geeignetes Forschungsdesign entwickelt (Kapitel 5.1). Dieses umfasst zwei zentrale Untersuchungsplane. Erstens wird im Rahmen einer Fallstudienforschung am Beispiel von zwei mehrstufigen Supply Chains aus der Automobil- sowie der Konsumguterbranche die Implementierbarkeit und praktische Problemlosungskraft der entwickelten SCPM-Konzeption untersucht (Kapitel 5.2). Zweitens werden mittels einer vergleichenden Feldstudie der aktuelle Stand sowie die Entwicklungspotenziale des Supply Chain Performance Managements auBerhalb der betrachteten Fallstudien-Supply Chains betrachtet (Kapitel 5.3). Im abschliefienden Kapitel werden die Ergebnisse beider Untersuchungsplane konsolidiert und zu Gestaltungsempfehlungen fur die Untemehmenspraxis verdichtet (Kapitel 5.4). Unter Berucksichtigung der typischen Beschrankungen der Aussagekraft explorativer Analysen kann durch das gewShlte zweistufige Vorgehen somit ein relativ dififerenziertes Bild von der Praxisrelevanz der Forschungsergebnisse gewonnen werden. Gleichzeitig kann die Konsistenz der theoriegeleitet entwickelten Konzeption kritisch reflektiert werden. Kapitel 6 schlieBt die vorliegende Arbeit mit einer thesenartigen Zusammenfassung der theoriegeleiteten und empirischen Erkenntnisse und der Ableitung von Schlussfolgerungen ftir das Management von Supply Chains. Daruber hinaus werden iiber eine Darstellung des noch offenen Forschungsbedarfs Ansatzpunkte fiir zukunftige anwendungsorientierte Forschungsvorhaben geschafifen. Die nachfolgende Abbildung 3 zeigt den beschriebenen Forschungsprozess. Zur Illustration des anwendungsorientierten Vorgehens wird das Vorgehen dabei dem in Kapitel 1.2 vorgestellten schematischen Forschungsprozess gegentibergestellt.
Der Begriff „SCPM" fmdet sich in der Literatur bislang im Sinne von „Supply Chain Performance Measurement" bei Erdmann (2003), z.B. S. 2 sowie im Sinne von „Supply Chain Performance Management" bei Glohr (2003), S. 615. In beiden Fallen wird er jedoch nicht im Sinne einer theoriegeleiteten Steuerungskonzeption verwendet.
10
1 Einleitung
Schematischer Prozess der anwendungsorientierten betriebswirtsch. Forschung
Anwendungsoiientierter Forschungsprozess der vorliegenden Arbeit 1 Einleitung: Perfbrmanceorientierte Steuerung als neue IHerausfbrderung fUr das Supply Chain Management |r%^-
Erfassung und Typisierung praxisrelevanter Probleme
2
Steuerungsproblematil( im SCM als Ausgangspunkt fiir das Performance Management
^^1 iS°p??p^!i?i?*,^r^Dl?-4,n5l f i ° y ?[pi?'5'®i s'®§ PSt^ Erfassung und Interpretation problemrelevanter Theorien
2.2 steuerung als spezielle untemehmensinteme und -Qbergreifende Managementaufgabe 2.3 TheoriegestQtzte Erkldrungsbeitrdge zur Steuerungsproblematilc im SCM 2.4 Ableitung von Steuemngsanforderungen im SCM 3
Erfassung und Untersuchung des relevanten Anwendungszusammenhangs
3.1 Entwicklungspfad Performance Measurement 3.2 Entwicklungspfad wertorientierte UntemehmensfOhmng 3.3 Konzeptionelle Impulse des Controllings fur das Supply Chain Perfomiance Management
4
Ableitung von Modellen, Beurteilungskriterien und Gestaltungsregein
Annaherung an die Konzeption des Supply Chain Performance Managements
Supply Chain Performance Management (SCPM) als interorganisationale Steuerungskonzeption fur das Supply Chain Management
4.1 Konzeptk)nsverstdndnis des Performance Managements 4.2 Ableitung des theoretischen Bezugsrahmens der SCPM-Konzeption 4.3 Inhaltliche und methodisch-instrumentelle Ausgestaltung der SCPMKonzeption
R^^^gfr^:^*^^ 5
Prufung der Regein und Modelle im Anwendungszusammenhang
Explorative empirische Untersuchung zum Entwicklungsstand des Supply Chain Performance Managements in der Praxis
5.1 Entwicklung des Forschungsdesigns fOr die empirische Untersuchung | 5.2 Ergebnisse der Fallstudienuntersuchung: SCPM am Beispiel einer Automobil- sowie einer Konsumguter-Supply Chain 5.3 Ergebnisse der vergleichenden Feldstudie: Stand und Entwicklungstrends des SCPM in der Automobil- und Konsumguterbranche 5.4 Ableitung von Gestaltungsempfehlungen fur die Untemehmenspraxis
Ableitung von Gestaltungsempfehlungen fur die Praxis
Abbildung 3:
6 Thesenartige Zusammenfessung der Erkenntnisse der Arbeit und Schlussfolgerungen fQr das Management von Supply Chains
Anwendungsorientierter Forschungsprozess undAufbau der Arbeit Quelle: Eigene Darstellung; generisches Prozessmodell anwendungsorientierter Forschung in Anlehnung an Ulrich (1995), S. 167
2. Steuerungsproblematik im Supply Chain Management als Ausgangspunkt fur das Performance Management
Zur Entwicklung einer Konzeption des Supply Chain Performance Managements sind Erkenntnisse aus unterschiedlichen Teilbereichen der betriebswirtschaftlichen
Forschung
aufzugreifen und zusammenzuftihren. ZunSchst wird das zugmnde gelegte Konzeptverstandnis des Supply Chain Managements vorgestellt imd auf ausgewahlte Problemfelder iibertragen (Kapitel 1.1). AnschlieBend werden - zunachst unabhangig vom SCM-Kontext - Wesen und Inhalt der Steuerung als spezielle Managementaufgabe herausgearbeitet (Kapitel 2.2). Im dritten Unterkapitel fmdet eine erste Reflektion und Zusammenfuhrung dieser theoriegeleiteten Gnmdlagen statt, indem ausgewahlte Theoriegebaude im Hinblick auf ihre Erklarungsbeitrage zur einleitend adressierten Steuerungsproblematik im Supply Chain Management analysiert werden (Kapitel 2.3). Kapitel 2.4 widmet sich schlieBlich der Ableitung von Steuerungsanforderungen fiir das Supply Chain Management-Konzept.
2.1. KonzeptverstSndnis und Problemfelder des Supply Chain Managements Supply Chain Management erfreut sich sowohl in der betriebswirtschaftlichen Forschung^^ als auch in der Untemehmenspraxis^^ anhaltend hoher Popularitat. Seit seiner ersten Erwahnung im Jahr 1982^° hat der Begriff in unterschiedlichste betriebswirtschaftliche Disziplinen - unter anderem Marketing, Finanzen, Produktion, Logistik, Untemehmensfuhrung, Operations Research, Controlling und Mformationsmanagement - Einzug gehalten. Die breite Verwendung des Begriflfs hat jedoch zu einer Verwasserung gefiihrt, so dass sich aus der bloBen Verwendungshaufigkeit keine Aussagen uber den tatsSchlichen Innovationsanspruch des
Als relevante US-amerikanische Veroffentlichungen, die zum Bekaimtheitsgrad von Supply Chain Management wesentlich beitragen, gelten beispielsweise Cooper/Ellram (1993), Cooper et al. (1997), Lambert/Cooper (2000), Bechtel/Jayaram (1997), La Londe/Masters (1994) sowie die einschlagigen Monographien von Mentzer (2001b) und Handfield/Nichols (1999). Im deutschsprachigen Raum sind diesbeziiglich exemplarisch die Monographien von Stolzle (1999), Prockl (2001a), Corsten/Gossinger (2001a), Otto (2002), Heusler (2004), KrUger (2004), Zimmer (2001), GroU (2004) oder Bacher (2004) zu nennen. Eine Reihe von empirischen Untersuchungen aktuelleren Datums belegen die hohe Relevanz von Supply Chain Management aus Sicht der Untemehmenspraxis. Vgl. dazu Schonsleben et al. (2003), Accenture (2003), Poirier/Quinn (2003), ELA European Logistics Association/Bearing Point (2002) und Arthur D. Little (1999). Der zunehmend spezielle Anwendungsfokus des Supply Chain Managements zeigt sich auch in einer Reihe branchenspezifischer Studien, vgl. z.B. Roland Berger/Grocery Manufacturers of America (2003) zu Supply Chain Management in der Lebensmittelindustrie oder Eisenbarth (2003) zu Supply Chain Management im Automobilbereich. Die empirischen Ergebnisse von Accenture (2003), Eisenbarth (2003) sowie Poirier/Quinn (2003) werden in Kapitel 2.1.1.1 wieder aufgegriffen. Vgl. OliverAVebber (1982). S. 76-88.
12
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
„Phanomens" Supply Chain Management ableiten lassen.^' Um eine knappe und aufschlussreiche Einfuhrung in das Konzeptverstandnis des Supply Chain Managements zu geben und damit die Diskussion der Steuerungsproblematik in Supply Chains vorzubereiten, wird wie folgt vorgegangen: Zunachst wird der Entwicklungsstand des Supply Chain Managements beleuchtet, zum einen aus Sicht der Untemehmenspraxis, zum anderen aus der Perspektive der betriebswirtschaftlichen Forschung (vgl. Kapitel 2.1.1). Daraufhin werden die grundlegenden Zielkategorien des Supply Chain Managements vorgestellt und im Rahmen ausgewahlter Handlungsfelder konkretisiert (vgl. Kapitel 2.1.2). Die Definition von Handlungsfeldem erweist sich dabei fur die spatere Verortung von Steuerungsaufgaben im Supply Chain Management-Konzept als hilfreich. SchlieBlich werden drei ausgewahlte Frameworks des Supply Chain Managements prasentiert, die fiir den weiteren Gang der Argumentation von Bedeutung sind, da sie bereits erste Bezuge zur Steuerungsproblematik beinhalten (vgl. Kapitel 2.1.3). 2.1.1. Entwicklungsstand des Supply Chain Managements 2.1.1.1. Supply Chain Management in der Praxis - ausgewahlte empirische Befunde Der Stellenwert von Supply Chain Management in der Praxis ISsst sich anhand von Studien und Untemehmensbefragungen nachvollziehen. Finer empirischen Untersuchung von Accenture (2003) zufolge schStzen 89% von 636 befragten Top-Managem aus international tatigen Untemehmen Supply Chain Management als „sehr wichtig" (45%) bis „kritisch" (44%) ftir ihr Untemehmen und ihre Branche ein. Rund 51% geben an, die Investitionen ihres Unternehmens im Bereich Supply Chain Management haben in den vergangenen drei Jahren „signifikant zugenommen".^^ Des Weiteren wird in der Studie eine Korrelation zwischen der finanziellen Performance und der Supply Chain-Performance^^ eines Untemehmens konstatiert - ein Aspekt, dem in jiingerer Zeit auch aus Forschungssicht verstSrkt Bedeutung beigemessen wird.^"* Im Bereich Supply Chain Management fuhrende Untemehmen weisen dem-
In der Literatur wird Supply Chain Management bisweilen als PhSnomen (vgl. Prockl 2001, S. 37) bzw. als Management-Philosophie bezeichnet (vgl. Tan et al. (2002), S. 614, Mentzer et al. (2001a), S. 8, Stolzle (1999), S. 163, Wildemann (2003), S. 22, Chandra/Kumar (2000), S. 101). Mit der Wahl dieser „breiten" Begriffe woUen die Autoren der inhaltlichen Ausdehnung des Supply Chain Managements Ausdruck verleihen. Seit ca. 10 Jahren wird Supply Chain Management zunehmend als Konzept bezeichnet, obwohl sich bislang keine einheitlich anerkannte Definition durchsetzen konnte. Davon zu unterscheiden ist der Begriff der Konzeption (vgl. dazu insbes. SchSfer (2001), S. 204, vgi. auch Stolzle (1999), S. 145-146 oder Heusler (2004), S. 44). In der vorliegenden Arbeit soUen aus Grunden der Ubersichtlichkeit - trotz einiger verbleibender Vorbehalte - die Begriffe Supply Chain Management-PhSnomen, Supply Chain ManagementKonzept sowie Supply Chain Management-Ansatz synonym verwendet werden. Vgl. Accenture/INSEAD (2003). ,J''inanzielle Performance" wird in Accenture (2003), S. 5, mit der „compound average growth rate", d.h. dem iiber eine bestimmte Periode gemittelten Wachstum des BOrsenwerts des betreffenden Untemehmens, gleichgesetzt. „Supply Chain-Performance" setzt sich laut Accenture (2003), S. 5, aus den Kennzahlen Lagerumschlagshaufigkeit (inventory turns), Umsatzkosten (cost of goods sold) sowie Gesamtkapitalrentabilitat (return on assets) zusammen. Vgl. z.B. Otto (2002), S. 283-292, Weber (2003), Ellram/Liu (2002).
13
2.1 Konzeptverstandnis und Problemfelder des Supply Chain Managements
nach eine hohere finanzielle Performance auf als Nachztigler.^^ Zu ahnlichen Ergebnissen kommt eine empirische Erhebung von Eisenbarth (2003) unter 297 deutschen Zulieferunternehmen der Automobilindustrie. 71% der Befragten geben an, Supply Chain Management habe fur ihr Untemehmen groBe Bedeutung. 92% sagen aus, die Bedeutung von Supply Chain Management werde in Zukunft einen hohen Stellenwert aufweisen.^^ Die hohe Bedeutung, die dem Konzept insbesondere im Hinblick auf dessen Kosteneinsparungspotenziale beigemessen wird, wird von der Studie von Poiriet/Quinn (2003) bestatigt, im Rahmen derer 142 Vertreter US-amerikanischer Untemehmen nach dem aktuellen Implementierungsstand des Supply Chain Managements befragt wurden (vgl. Abbildung 4).
0
^ Konzeptumfang des Supply Chain Managements
13% der Untemehmen
€ 3 1 % der Untemehmen
52% der Untemehmen r
~^
Cluster 1: Funktionale Integration
Cluster 2: Untemehmensweite Prozessinteg ration
nstitutionale ReichlA/eite der Supply Chain-Aktivitaten
Intraorganisatio nale Perspektive
Abbildung 4
Cluster 3: Kooperation mit 1 ausgewahlten Partnem
Cluster 3: Agieren in der Value Chain
4% der Untemehmen Cluster 4: Voile Netzwerktransparenz und -integration
1
Interorganisationale (Netzwerk-)Perspektive
Umsetzungsstand des Supply Chain Management-Konzepts Quelle: Poirier/Quinn (2003), S. 42, vom Verfasser ubersetzt und verdndert
Demnach belaufen sich die bislang durch Supply Chain Management-Initiativen realisierten Einsparungen auf durchschnittlich 5-8% der Gesamtkosten des Untemehmens. Die Untersuchung zeigt jedoch auch Defizite in der Umsetzung auf. Die Auswirkungen der Supply ChainAktivitaten auf den Untemehmenserfolg werden in der Praxis oft zugunsten einer reinen Kostenbetrachtung vemachlassigt. Demnach konnen mehr als die Halfte der Befragten erfolgswirksame Efifekte von Supply Chain Management nicht quantifizieren. Zudem weist die empirische Studie darauf hin, dass sich 52% der befragten Untemehmen in einem Umset-
Vgl. Accenture/INSEAD 2003, S. 4. Zu einer Aufbereitung ausgewShlter Ergebnisse dieser Studie vgl. auch Copacino et al. (2003). Vgl. Eisenbarth (2003), S. 198-199.
14
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
zungsstadium befinden, in dem noch keine koordinierenden Aktivitaten uber Untemehmensgrenzen hinaus vorgenommen werden (vgl. Cluster 1 und 2 in Abbildung 4). Weitere 30% koordinieren ihre Aktivitaten mit einigen „wenigen, sorgfaltig ausgewShlten Geschaftspartnem" (vgl. Cluster 3 in Abbildung 4). Nur ein geringer Prozentsatz versteht sich als Akteur innerhalb einer integrierten Supply Chain oder eines Netzwerks (vgl. Cluster 4 und 5 in Abbildung 4)?'' Erhebungen im deutschen Sprachraum, wie z.B. die Studie von Schonsleben (2003), zeichnen ein vergleichbares Bild: Die 200 befragten Untemehmen erkennen zwar die zentrale Bedeutung des Supply Chain Managements fur den Untemehmenserfolg an. Die groBten Verbesserungspotenziale durch Supply Chain Management werden jedoch in eher operativ orientierten Prozessen, wie z.B. der Auftragsabwicklung, gesehen.^* Weitere Umsetzungsdefizite betreffen die teilweise fehlende Bereitschaft, Informationen an Lieferanten weiterzugeben, sowie den noch geringen Entwicklungsstand des Supply Chain Controlling.^^ Die beiden letztgenannten Studien offenbaren unter anderem die Implementierungsliicke, mit der sich Supply Chain Management bis heute konfrontiert sieht.^" Trotz des breiten Konsenses hinsichtlich der hohen Bedeutung des Supply Chain Managements fur den Untemehmenserfolg konzentriert sich ein GroBteil der Untemehmen bislang schwerpunktmaBig auf die untemehmensinteme (Kosten)Optimiemng von eher operativen Prozessen. Die Potenziale des Supply Chain Managements im Bereich des strategischen, untemehmensiibergreifenden Managements von GeschSftsprozessen werden zwar prinzipiell erkannt, von den meisten Untemehmen jedoch bislang nicht aktiv ausgeschepft.^^ 2.1.1.2. Supply Chain Management in der Forschung - Definition und Entwicklungsziige Mit Blick auf die weiterfuhrende Argumentation der vorliegenden Arbeit ist auf Basis des aktuellen Diskussionsstandes eine begriffliche Eingrenzung des Supply Chain Managements vorzunehmen. Da die einschlSgige Literatur sich in den vergangenen Jahren intensiv der Defmitorik des Supply Chain Managements gewidmet hat,^^ wird hier eine Auswahl von wissenschaftlich einschlagigen DefmitionsansStzen vorgestellt (vgl. Abbildung 5). Die ausgewahlten Definitionen lassen erkennen, dass sich bislang noch kein ubereinstimmendes BegrifFsverstandnis des Supply Chain Managements herausgebildet hat. Dies lasst zum einen auf uneinheitliche AufiFassungen beztiglich des Handlungsbezugs des Supply Chain Managements schlieBen. Unter „Management" wird beispielsweise Beziehungsmanagement,
Vgl. Poirier/Quinn (2003), S. 43. Vgl. Schonsleben et al. (2003), S. 20-21. Vgl. Schonsleben et al. (2003), S. 22-24. Vgl. zur Implementierungsliicke im Supply Chain Management Heusler (2004), S. 3. Vgl. auch die Ergebnisse der (explorativen) empirischen Untersuchungen von Pfohl et al. (2001), S. 17-18 sowie Lockamy III/McCormack (2004), S. 1209-1210. Vgl. zu einem ausfuhrlichen LiteraturUberblick iiber Defmitionsansatze zum Begriff „Supply Chain Management" z.B. Bechtel/Jayaram (1997), S. 17, Croom et al (2000), S. 67-83, Otto (2002), S. 158-159, Pfohl (2000), S. 5, GOpfert (2002), S. 28-33, Corsten/Gossinger (2001a), S. 81-94, Heusler (2004), S. 10-11.
2.1 Konzeptverstandnis und Problemfelder des Supply Chain Managements
15
Integration, Entwicklung, Gestaltung, Lenkung, Koordination, Taktik, Planung, Steuerung Oder KontroUe verstanden (vgl. die obigen Definitionsansatze). Autor (Jahr)
Definition des Supply Cliain Managements
Christopher (2005), S. 18
"[Supply chain management is] the management of upstream and downstream relationships with suppliers and customers to deliver superior customer value at less cost to the supply chain as a whole."
Cooper etal. (1997), S. 11
„Supply Chain Management is the integration of business processes from end user through original suppliers that provides products, services and information that add value for customers."
Gopfert (2002), S. 32
„Das Supply Chain Management bildet eine modeme Konzeption fiir Untemehmensnetzwerke zur ErschlieBimg untemehmensiibergreifender Erfolgspotenziale mittels der Entwicklung, Gestaltung und Lenkung effektiver und effizienter Giiter-, Informations- und Geldfliisse."
Mentzer et al. (2001b), S. 18
„Supply chain management is defined as the systemic, strategic coordination of the traditional business functions and the tactics across these business functions within a particular company and across businesses within the supply chain, for the purposes of improving the long-term performance of the individual companies and the supply chain as a whole."
Hahn (2002), S. 1064
„Unter Supply Chain Management kann man die Planung, Steuerung und Kontrolle des gesamten Material- und Dienstleistungsflusses, einschlieBlich der damit verbundenen Informations- und Geldfliisse, innerhalb eines Netzwerkes von Untemehmungen [...] verstehen."
Abbildung 5:
Ausgewdhlte Defmitionen des Supply Chain Managements
Zum anderen wird auch das Betrachtungsobjekt per se, die „Supply Chain", mit unterschiedlichen Interpretationen belegt. Die Spannweite reicht von der Bedeutung eines funktionalen SammelbegrifFs fur Beschaffung, Materialwirtschaft und Distribution^^ iiber prozessuale Definitionsansatze, welche die Supply Chain als Bundel untemehmensiibergreifender Giiter-, Informations- und Finanzfliisse^"* oder auch als allgemeilien Wertschopfungsprozess^^ bezeichnen, bis bin zu institutionalen Interpretationen, in welchen die Supply Chain als Gruppe von drei oder mehr partnerschafllich verbundener Untemehmen beschrieben wird.^^ Insbesondere in der deutschsprachigen Literatur ist haufig eine Vermischung von prozessualem und institutionalem Supply Chain-Verstandnis festzustellen.^^ AbschlieBend lassen sich mehrere Ursachen fiir die festgestellten defmitorischen und theoretischen Unscharfen erkennen. Einmal ist anzufiihren, dass der Ursprung des Supply Chain Managements in der (Beratungs-)Praxis mafigeblich zur begrifflichen Vielfalt und inhaltlichen
Vgl. New (1997), S. 16. Vgl. Gopfert (2002), S. 32. Vgl. Otto (2002), S. 90. Vgl. Mentzer (2001a), S. 5. Vgl. Kotzab (2000), S. 33.
16
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
Breite dieser Disziplin beigetragen hat.^* Zudem ist insbesondere in der englischsprachigen Literatur ein Mangel an theoretischer Supply Chain Management-Forschung zu konstatieren.^^ SchlieBlich ist festzustellen, dass mehrere betriebswirtschaftliche Teildisziplinen, welche sich zeitgleich mit der Thematik beschaftigen, eine Fuhrungsrolle beanspruchen, wodurch eine konsensfahige theoretische Fundierung erschwert wird."^ Insbesondere in Anbetracht des ausstehenden Theoriefundaments erscheint es nicht opportun, das in der vorliegenden Arbeit noch herauszuarbeitende Begriffsverstandnis zur Supply Chain und deren Management a priori durch eine eigene Definition einzuengen."^^ Aufschlussreicher erweist sich die Untersuchung der konzeptionellen Ursprunge des Supply Chain Managements. Als Untersuchungsraster fiir diese Aufgabe werden in der Literatur haufig sog. „Denkschulen des Supply Chain Managements" sowie „Grundprinzipien des Supply Chain Managements" bemiiht, die aus jeweils unterschiedlichen Blickwinkeln dessen Problemstellung, Aufgaben und Instrumente er6rtem. Aus Grunden der Fokussierung wird auf eine Vorstellung dieser Ansatze verzichtet und auf die einschlSgige Literatur verwiesen/^ Die folgenden Ausftihrungen betrachten Supply Chain Management vor allem aus Sicht der Logistik als jener betriebswirtschaftlichen Disziplin, die in der relevanten Literatur haufig als Ursprung des Supply Chain Managements bezeichnet wird.*^ Die forschungsseitig gefuhrte Debatte zur „betriebswirtschaftlichen Logistikkonzeption""^ hat eine Reihe von AnsStzen hervorgebracht, die eine konzeptionelle Neuorientierung der Logistik vorschlagen. Die betriebswirtschaftliche Logistikkonzeption befindet sich demnach ebenso wie das Supply Chain Management - inmitten eines Veranderungsprozesses/^ Im Zuge dieses Prozesses ist eine zunehmende Ausdehnung des Aufgabenspektrums der Logistik festzustellen. Der klassische Kern der Logistikaufgabe liegt in der effizienten Abwicklung von Transport-, Umschlag- und Lagerungsaufgaben im Untemehmen. Eine erweiterte Sichtweise ordnet der Logistik eine Reihe vonfimktionsiibergreifendenKoordinationsaufgaben zu. Dabei stehen Synergieeffekte im Vordergrund, die durch eine Optimierung einzelner Funk-
Vgl. Corsten/Gossinger (2001a), S. 95, Weber et al. (2000), S. 264, GSpfert (2002), S. 27, Kotzab (2000), S.4L Laut Groom et al. (2000), S. 74, weisen rund 83% der relevanten Fachartikel empirischen Charakter auf, wahrend sich nur 17% mit theoriebildenden oder -beschreibenden Ansatzen befassen. Vgl. Kotzab (2000), S.41 sowie insbesondere Heusler (2004), S. 11 und S. 53-78, der als wesentliche theorieseitige Treiber des Supply Chain Managements die Beschaffungs-, Logistik- und die Marketingkonzeption sowie die Netzwerkforschung einander gegeniiberstellt, Vgl. Otto (2002), S. 160, der ein Shnliches Vorgehen vorschlagt. Die ,J)enkschulen des Supply Chain Managements" finden erstmals bei Bechtel/Mulumudi (1996), S. 2-5, Erwahnung. Als einschlagige Quelle hierzu kann Bechtel/Jayaram (1997), S. 16-19, bezeichnet werden. Die Denkschulen werden beispielsweise bei Stolzle (1999), S. 165, Prockl (2001a), S. 44-71, Heusler (2004), S. 12-15, aufgegriffen. Zu einem Uberblick zu „allgemeinen Prinzipien" bzw. „Grundprinzipien" des Supply Chain Managements vgl. z.B. Otto/Kotzab (2001), S. 166 sowie Beckmann (2004), S. 9-11. Vgl. u.a. Stolzle (1999), S. 162, Weber (2002b), S. 13-15, Kotzab (2000), S. 21-47, G6pfert (2002), S. 30, Kriiger/Steven (2000), S. 501-507, Heusler (2004), S. 54-57, Prockl (2001a), S. 37-43, Lambert/Pohlen (2001), S. 3. Vgl. Kotzab (2000), Stolzle (2002c), G6pfert (2000), S. 19-22, Pfohl (2004a), S. 20-48. Vgl. Gopfert (2002), S. 28.
2.1 Konzeptverstandnis und Problemfelder des Supply Chain Managements
17
tionsbereiche bislang nicht realisiert werden konnten. Im Rahmen ihrer Koordinationsfunktion nimmt die Logistik erste Fuhrungsaufgaben wahr, wie z.B. eine funktionsiibergreifende Kapazitatsplanung, an welcher Beschafifung, Produktion und Vertrieb beteiligt sind."*^ Im Zuge der zunehmenden Aufmerksamkeit, die in der neueren Betriebswirtschaftslehre der flussorientierten Gestaltung von Untemehmensprozessen gewidmet wird, kann sich diese Koordinationsaufgabe auch auf Prozesse erstrecken, welche nach traditioneller Lesart nicht in den Aufgabenbereich der Logistik fallen. In den Augen der „logistischen Sichtweise des Wertschopfungssystems""*^ wird Logistik somit zu einer Fuhrungsaufgabe, deren Formalziel die flussorientierte Ausgestaltung aller Untemehmensbereiche darstellt. Bei untemehmensiibergreifender Ausdehnung der logistikrelevanten Prozesse konnen sich die Logistikaufgaben schlieBlich auch auf die untemehmensiibergreifende Ausgestaltung der Flussorientierung erstrecken. Die Ausdehnung des Konzeptumfangs der betriebswirtschaftlichen Logistikkonzeption oflfenbart die enge Verwandtschaft von Logistik und Supply Chain Management, weist jedoch zugleich auf die Notwendigkeit hin, Supply Chain Management als konzeptionelle Neuerung gegeniiber der Ursprungsdisziplin Logistik herauszustellen."^^ Das traditionelle Aufgabenprofil der betriebswirtschaftlichen Logistik lasst sich auf Grund seinerfimktionalenOrientierung, die z.B. in den phasenspezifischen Subsystemen der Logistik zum Ausdruck kommt/^ sowie auf Grund seiner schwerpxmktmaBig untemehmensintemen Orientierung relativ leicht vom Supply Chain Management-Ansatz abgrenzen. Das erweiterte Aufgabenspektrum der Logistik kommt jedoch dem Ansatz des Supply Chain Managements inhaltlich sehr nahe bzw. wird stellenweise sogar mit Supply Chain Management explizit gleichgesetzt.^^ Zudem wird bei naherer Betrachtung der betriebswirtschaftlichen Logistikkonzeption deutlich, dass deren charakterisierende Kategorien des System-, Fluss- und Querschnittsdenkens auf das Supply Chain Management ubertragen werden konnen.^^ Dennoch konnen zugunsten einer konzeptionellen Selbstandigkeit des Supply Chain Managements gegeniiber der betriebswirtschaftlichen Logistikkonzeption folgende Argumente ins Trefifen gefiihrt werden:
Vgl. Weber (2002b), S. 10, Stolzle (2002c), S. 513-514. Zur Koordination in der Logistik vgl. auch Mikus (2003), S. 371-384. Zum Koordinationsverstandnis der vorliegenden Arbeit vgl. vertiefend Kapitel 2.4.1. Gopfert (2001), S. 347. Neben der konzeptionellen Verankerung des Supply Chain Managements in der Logistik (vgl. auch Fufinote 43) werden wichtige theoretische Bezugspunkte des Supply Chain Management-Konzepts unter anderem in der Marketingforschung (vgl. z.B. Alvarado/Kotzab (2001), S. 183-186), der Beschaffungsforschung (vgl. z.B. Amold/E6ig (2000), S. 122) sowie der Netzwerkforschung (vgl. z.B. Sydow (2002), S. 9-15) gesehen. Vgl. zu den phasenspezifischen Subsystemen Beschaffimgs-, Produktions-, Distributions- und Entsorgungslogistik Pfohl (2004a), S. 179-245. Vgl. Weber (2002b), S. 10 bzw. GQpfert (2002), S. 31. Bis 2001 war bei Gopfert der Begriff „Supply Chain Management" in der Darstellung der Entwicklungsphasen der Logistik nicht enthalten (vgl. z.B. Gopfert (2001), S. 349). Spater wurde er in das ansonsten unverandert gebliebene Modell eingeftigt (vgl. Gopfert (2002), S. 31). Vgl. Kotzab (2000), S. 35, Stolzle (1999), S. 162. Zu den Kategorien der betriebswirtschaftlichen Logistikkonzeption vgl. Pfohl (2004a), S. 20-43. Pfohl (2004a), S. 15-16, geht sogar so weit, das Supply Chain Management aus institutionaler Sicht unter das Dach der Metalogistik einzuordnen, im Rahmen derer untemehmensubergreifende Kooperationen abgebildet werden.
18
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
• Der Integrationsanspmch des Supply Chain Managements geht uber die Flussorientiemng der Logistik hinaus. Giiter-, Informations- und Finanzfliisse zahlen zum traditionellen Objektbereich der Logistik.^^ Da das Supply Chain Management sich ebenfalls mit diesen Objektfltissen befasst, liegt sein Ursprung in der Logistik. Die angefuhrten Phasenmodelle zeigen ebenfalls diese historische Verankenmg des Supply Chain Managements. Der Anwendungsbereich des Supply Chain Managements umfasst jedoch auch nicht-logistische Prozesse, wie den CRM- oder den Produktentwicklungsprozess.^^ Insofem erscheint es nicht zielfuhrend. Supply Chain Management als alternative Bezeichnung fiir integriertes untemehmensiibergreifendes Logistikmanagement zu verstehen.^"* In diesem Punkt folgt die vorliegende Arbeit der Auffassung von Cooper et al. (1997): „There is definitely a need for the integration of business operations in the supply chain that goes beyond logistics."^^ • Die untemehmensiibergreifende Perspektive steht im Zentrum des Supply Chain Management-Ansatzes. Im Gegensatz zur betriebswirtschaftlichen Logistikkonzeption, die eine Einschrankung auf die Untemehmenslogistik zulasst, ist die interorganisationale Ausrichtung des Supply Chain Managements eine grundlegende Voraussetzung ftir dessen konzeptionelle Eigenstandigkeit.^^ So basiert z.B. die fur die vorliegende Arbeit relevante Diskussion zum Supply Chain Management als Management spezifischer Netzwerke auf einer untemehmensiibergreifenden Supply Chain-Sichtweise vom (Vor)Lieferanten bis zum (End)Abnehmer." Dies impliziert keineswegs, dass die Perspektive des Einzeluntemehmens ausgeklammert werden muss. Denn zum einen zShlt aus strukturaler Sicht auch die Positionierung und die RoUe eines Elements im Netzwerk zum Objektbereich des Supply Chain Managements. Zum anderen stellt aus dynamischer Sicht die untemehmensinteme „Supply Chain" haufig eine „Vorstufe" einer untemehmensiibergreifenden Implementierung von Supply Chain Management dar und verdient deshalb aus Griinden der Praxisrelevanz Beachtung.^* Zusammenfassend ist festzustellen, dass das Supply Chain Management als Phanomen eine hohe Aktualitat und praktische Relevanz besitzt, sich iiber Definitionsansatze jedoch nur teilweise charakterisieren lasst. Eine grundlegende Eingrenzung wurde uber den Vergleich mit der betriebswirtschaftlichen Logistikkonzeption erreicht. Demnach stellt Supply Chain Management ein Konzept dar, welches sich mit der integrierten Gestaltung untemehmens-
Vgl. Gopfert (2002), S. 30. Vgl. Lambert/Cooper (2000), S. 67. Der hier beflirworteten Erweiterung des Gegenstandsbereichs auf untemehmensubergreifende Geschaftsprozesse wird teilweise in der Literatur zum Netzwerkmanagement widersprochen, wo Supply Chain Management als spezielle Variante des Netzwerkmanagements bezeichnet wird, die sich auf die Gestaltung von Material-, Waren-, Finanz- und Infonnationsfliisse beschrSnkt. Vgl. Wohlgemuth (2002), S. 37 sowie Wohlgemuth/Hess (2001). Vgl. im Gegensatz dazu Kotzab (2000), S. 40. Vgl. Cooper et al. (1997), S. 10. Vgl. Stolzle (1999), S. 162. Vgl. z.B. Corsten/GOssinger (2001 a), S. 81 -85. Vgl. zur Implementierung von Supply Chain Management im eigenen Untemehmen als Vorstufe eines untemehmensubergreifenden Supply Chain Management Heusler (2004), S. 231 -232.
2.1 Konzeptverstandnis und Problemfelder des Supply Chain Managements
19
ubergreifender Giiter-, Informations- und Finanzfliisse sowie der mit diesen Fltissen verbundenen Austauschbeziehungen befasst. Die inhaltliche Konkretisierung des Steuerungsbedarfs im Supply Chain Managements setzt eine dariiber hinausreichende Betrachtung seiner Ziele und seines Gegenstandsbereichs voraus. 2.1.2. Ziele und Gegenstandsbereich des Supply Chain Managements Die Eingrenzung des Gegenstandsbereichs des Supply Chain Managements, d.h. der relevanten Konzeptinhalte, folgt einem zweistufigen Vorgehen: Zunachst werden die grundlegenden Zielkategorien des Konzepts vorgestellt. AnschlieBend werdeh diese anhand ausgewShlter inhaltlicher Handlungsfelder des Supply Chain Managements weiter konkretisiert. 2.1.2.1. Ableitung allgemeiner Zielkategorien des Supply Chain Managements Heusler (2004) stellt in der einschlagigen Literatur einen weitgehenden Konsens hinsichtlich der vier Zielkategorien des Supply Chain Managements „Steigerung des Endkundennutzens", „Kostensenkung", „Realisierung von Zeitvorteilen" sowie „Verbesserung der Qualitat" fest.^^ Diese vomehmlich auf Sachzielebene^^ formulierten Zielkategorien weisen enge Beziige zu den Zielen des (integrierten) Logistikmanagements auf.^^ Ihren Bedeutungsinhalt gilt es jedoch vor dem Hintergrund des untemehmensubergreifenden Supply Chain ManagementKonzepts neu auszurichten. Daruber hinaus fmden Zielsetzungen, welche bei einer untemehmensbezogenen Betrachtung zu den (meist monetaren) Formalzielen gezShlt werden, in jiingerer Zeit zunehmend Eingang in das Supply Chain Management-Konzept. Hervorgehoben wird in diesem Kontext insbesondere das Ziel der „Wertorientierung", welches mit den bereits genannten Zielen, insbesondere mit dem der Kostensenkung, intensive Wechselwirkungen aufweist, aber dennoch eine gesonderte Beriicksichtigung verdient.^^ Somit ergeben sich funf zentrale Zielkategorien des Supply Chain Managements, die im Folgenden kurz vorgestellt werden: • Steigerung des Endkundennutzens: Die Nutzenkomponenten des Endkunden lassen sich aus wirkungsbezogener Sicht insbesondere an den klassischen Servicezielen der Logistik Vgl. zur folgenden Aufzahlung den Literaturtiberblick bei Heusler (2004), S. 17 sowie Amold/Warzog (2001), S. 20. Die Abgrenzung von Sach- und Formalzielen geht auf Kosiol (1972) zuruck, vgl. dazu beispielsweise Gladen (2003), S. 29-31, und die dort zitierten Quellen. Vgl. zur Differenzierung von Sach- und Formalzielen im Kontext des Performancebegrififs Kapifel 3.1.1. Vgl. Kotzab (2000), S. 40, Gopfert (2000), S. 19 sowie Heusler (2004), S. 20. Vgl. zur Wertorientierung in Supply Chains Neher (2003), S. 27-47, Wildemann (2005), S. 501-522, zur „fmanziellen" Supply Chain Pfohl et al. (2003a), S. 10-26, Pfohl et al. (2003b), S. 1-64 sowie speziell zum Cash Flow Management in Supply Chains Elbert (2002), S. 304-306 und Hofinann (2003), S. 65-66. Vgl. zur Bewertung von Supply Chains Moller (2003), S. 59-60. Vgl. zu Bedeutung und Aufgaben des Supply Chain Managements im Rahmen einer wertorientierten Untemehmensfuhrung Christopher/Ryals (1999), S. 1-10, Ellram/Liu (2002), S. 30-31, Evans/Danks (1998), S. 20-23, Keebler (2001b), S. 334-337, Pfafif et al. (2004), S. 67-80 sowie Singhal/Hendricks (2002), S. 18. Vgl. auch Otto (2002), S. 99, der eine Ausdehnung des Shareholder Value-Ansatzes, speziell des Economic Value Added (EVA)-Konzepts, von der Einzeluntemehmens- auf die Kooperations- und in weiterer Folge auf die Netzwerkebene in Supply Chains vorschlSgt.
20
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
(Lieferzeit, LieferzuverlSssigkeit, Lieferbereitschaft, Lieferbeschaffenheit und Lieferflexibilitat) festmachen." Im Gegensatz zur Logistikperspektive ist diese Endkundenorientierung im Supply Chain Management jedoch uber die durchgangige Ausrichtung der gesamten Wertschopfungskette
(bzw. des „formalen Supply Chain-Systems") an den
Bedurfiiissen des Endkunden sicherzustellen." Als weitere Nutzenkomponente wird die Informationsversorgung des (End)kunden tiber Status eines Auftrags bzw. einer Lieferung in der Supply Chain betont.*^^ Die Endkundenorientierung gilt somit als Primtaiel der Supply Chain Management-Philosophie, an dem sich alle anderen Zielsetzungen ausrichten bzw. aus dem sie sich ableiten lassen.^ • Kostensenkung: Im Rahmen des Kostenziels wird der Grundgedanke des Totalkostendenkens der Logistik^^ auf den Objektbereich des Supply Chain Managements ubertragen. Zu den zu betrachtenden Kostenkategorien zahlen insbesondere die Kosten der Supply ChainStruktur (z.B. Fuhrpark- und Lagerhauskosten), der Supply Chain-Prozesse (z.B. Transport-, Handling- oder Lagerungskosten) sowie des in der Supply Chain gebundenen UmlaufVermogens (insbesondere Bestandskosten).^* Zur KontroUe der Supply Chain-Kosten werden in der Literatur prozess- oder beziehungsorientierte sowie ganzheitliche Kostenrechnungsverfahren vorgeschlagen.^^ Einschrankend ist jedoch anzumerken, dass sich diese Verfahren bislang auf einem relativ niedrigen Entwicklungsstand befmden und im untemehmenstibergreifenden Kontext kaum eingesetzt werden.^" • Realisierung von Zeitvorteilen: Der (End)kunde ist prinzipiell an einer schnellen Verfugbarkeit des gewtinschten Produktes interessiert. Demzufolge werden dem Faktor Zeit und den damit verbundenen Anforderungen an die Flexibilitat einer Supply Chain besondere Beachtung geschenkt.^' Insbesondere gilt es, bestimmte Zeitspannen (sog. „Lead Times"^^) untemehmenstibergreifend zu uberwachen, wie z.B. die „Time to Market" (Zeit zwischen Beginn der Produktentwicklung und Markteinfthrung) sowie die „Time to Serve" (Zeit zwischen Auftragseingang und Auslieferung).^^ Auf Grund gewachsener Komplexitat,
Zu den Servicekomponenten der Logistik vgl. Pfohl (2004a), S. 36-41. Vgl. LaLonde/Masters (1994), S. 46-47. Vgl. Stefansson/Tilanus (2000), S. 258-260. Vgl. Heusler (2004), S. 20. Vgl. Pfohl (2004a), S. 30-33. Vgl. z.B. Christopher (2005), S. 80-83, Bowersox et al. (1999), S. 99, Callioni et al. (2005), S. 135-141. Vgl. etwa zur Prozesskostenrechnung, zur Transaktionskostenrechnung oder zum Total Cost Approach als Weiterentwicklungen der Kostenrechnung im Kontext der Logistik Bowersox et al. (1999), S. 91-93, Weber (2002a), S. 49-59, Kummer (1993), S. 11-28. Vgl. Weber (2002a), S. 90, Christopher (2005), S. 218-219, Seuring (2001), S. 101 sowie StQlzle et al. (2001), S. 76. Vgl. Buscher (1999), S. 450, Handfield/Nichols (1999), S. 8, La Londe/Masters (1994), S. 35-47. Vgl. auch die diesbezuglichen Ergebnisse der eigenen empirischen Untersuchung in Kapitel 5.3.2. Vgl. Christopher (2005), S. 157-161, Reeve (2002), S. 44. Die „Time to Market" entspricht der Produktentwicklungszeit. Die „Time to Serve" ist mit der sog. „Orderto-Delivery Cycle Time" (vgl. Christopher (2005), S. 158) bzw. der Auftragsabwicklungszeit gleichzusetzen.
2.1 Konzeptverstandnis und Problemfelder des Supply Chain Managements
21
Intransparenz und beschleunigter Dynamik in Supply Chains^"* findet zunehmend auch die „Time to React" als MaB fur die Flexibilitat, auf Nachfrageanderungen zu reagieren, Beachtung. Die hochste Aufwertung erfahrt das Zeitziel im Supply Chain Managementaffinen Konzept der „Quick-Response-Systeme".^^ • Verbesserung der Qualitat: Auf der Grundlage eines zweckorientiertes Qualitatsverstandnisses, das sich an der subjektiven Qualitatseinschatzung des (End)kunden orientiert, sind im Supply Chain Management sowohl Ziele der Produkt- als auch der Prozessqualitat zu verfolgen.^^ In Erweiterung der untemehmensintemen Perspektive, die von Total Quality Management (TQM)-Ansatzen eingenommen wird, zahlt es zur strategischen Aufgabe des Qualitatsmanagements in Supply Chains, Qualitatsstandards sowohl in der Planung als auch in der Prozessausfuhrung in der untemehmenstibergreifenden Versorgungskette sicher zu stellen^^ Zur Qualitatserhohung (sowohl im Produkt- als auch im Dienstleistungsbereich) kann auch eine Biindelung von Ressourcen und Wissen und die damit verbundene Erzielung von Lemeffekten in der Supply Chain beitragen/^ • Wertsteigerung: Einhergehend mit der hohen Verbreitung der Prinzipien wertorientierter Untemehmensfiihrung^^ in der Praxis fmden dementsprechende Ansatze auch in der Supply Chain Management-Forschung zunehmende Beachtung.^® Eine Integration von wertorientierter Untemehmensfthrung und Supply Chain Management-Konzept steht bislang jedoch noch weitgehend aus. Insofem stellt es teilweise ein Novum dar, wenn in der
Zu den Hintergriinden der Problembereiche Komplexitat, Intransparenz und Dynamik in Supply Chains vgl. Stelzleetal. (2001), S. 75-77. Im Quick-Response-Konzept werden die Reagibilitat, Flexibilitat und Verkurzung von Prozesszeiten zusammen mit mdglichst in Echtzeit zu erfolgenden Steuerung als oberste Zielkategorien des Supply Chain Managements angesehen, vgl. Lowson et al. (1999). Die Sicherstellung der Logistikqualitat uber Untemehmensgrenzen hinweg kommt bislang z.B. im Rahmen (bilateraler) Qualitatsaudits zur Anwendung, mit denen meist Kunden die Logistikqualitat ausgewahlter Lieferanten iiberprufen. Vgl. zur Auditierung in der Logistik Pfohl (2004b), S. 260-267. Vgl. Schroder (2001), S. 273-281. Eine empirische Erhebung zum Entwicklungsstand des Qualitatsmanagements in unterschiedlichen Supply Chain-Stufen (Vorlieferant/Lieferant/Hersteller) prasentieren Choi/Rungtusanatham (1999). Soweit Dienstleistungen Objekt des Supply Chain-Qualitatsmanagements sind, ist aufgrund der Vielzahl involvierter Akteure in der Supply Chain mit einem hohen Integrationsgrad der Dienstleistungserstellung und somit mit erheblichen Schwierigkeiten beim QualitatscontroUing zu rechnen. Vgl. zum QualitatscontroUing von Dienstleistungen Klose (2001). Vgl. Galgenmuller et al. (2004), S. 84-85. Dem zugrunde liegenden, kapitalmarktorientierten Shareholder Value-Ansatz zufolge konstituiert sich der Untemehmenserfolg aus der Steigerung des auf die Anteilseigner entfallenden Untemehmenswertes sowie aus der Hohe einer gegebenenfalls auszuschiittenden Dividende, vgl. z.B. Lucke (2001), S. 58. Vgl. zum Shareholder Value grundlegend Rappaport (1986) sowie die Ausfuhrungen zur wertorientierten Untemehmensfuhrung in Kapitel 3.2.2. Den unterschiedlichen Berechnungsmethoden des Shareholder Values ist gemein, dass Untemehmen nur dann Wert generieren, wenn der Ertrag ihrer Investitionen die Kapitalkosten iibersteigt. Zudem beriicksichtigt der Shareholder Value-Ansatz durch die Abdiskontierung zukiinftiger Ertrage auf den Gegenwartswert starker ein zukunftsgerichtetes Managementverstandnis als z.B. die periodenbezogene Erfolgsrechnimg, vgl. Gunther et al. (2000), S. 70. Vgl. zur Wertsteigerung im Rahmen des Supply Chain Managements Christopher/Ryals (1999), Otto (2002), S. 126-127, M6ller (2003), Neher (2003), Hofmann/Elbert (2004). Vgl. auch die ahnlichen Ansatze zur Bewertung des Netzwerkerfolgs bei Wohlgemuth (2002), S. 167, zur Bewertung strategischer Allianzen bei Michel (1996), S. 65 sowie zur Rolle von Kooperationen ftir den Untemehmenswert bei Galgenmuller et al. (2004).
22
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
vorliegenden Arbeit die Wertsteigerung explizit in die Reihe der allgemeinen Ziele des Supply Chain Management-Konzept aufgenommen wird.^' Dies stellt teilweise ein Novum dar: Urn den Grundgedanken der Wertorientierung - die Ausrichtung aller Wertschopfiingsaktivitaten auf die langfristige Steigenmg des Untemehmenswerts - auf den Supply Chain-Kontext zu ubertragen, sind eine Reihe von Anpassungen vorzunehmen. Im unternehmensintemen Bereich ist unter Beriicksichtigung des logistischen Ursprungs des Supply Chain Managements eine Beziehung zwischen den - meist in den operativen Prozessen verankerten - Werttreibem und der finanziellen Performance eines Untemehmens herzustellen.^^ Im untemehmensubergreifenden Bereich lassen sich unterschiedliche Perspektiven eines wertorientierten Managements unterscheiden: Aus Sicht der Supply Chain als Ganzes ist eine Anpassimg der Partialinteressen einzelner Teilnehmer zu Gunsten der Maximierung des Gesamtwerts der Supply Chain anzustreben. Demgegeniiber stehen aus der Perspektive eines einzehien Untemehmens die Auswirkungen der von AktivitSten in der Supply Chain auf den eigenen Untemehmenswert im Vordergrund. Aus beiden Sichtweisen ergeben sich unterschiedliche Anforderungen an ein wertorientiertes Management, die an spaterer Stelle noch aufzugreifen sind.*^ In Bezug auf die genannten Zielkategorien ist anzumerken, dass zwischen ihnen eine Reihe von Interdependenzen bestehen, welche unter Umstanden einen konkurrierenden Charakter aufweisen konnen.^ Auf Grund der Besonderheiten der noch zu erlautemden Kontextfaktoren des Supply Chain Managements*^ in Verbindxmg mit den bereits diskutierten EntscheidungsspielrSumen der beteiligten Untemehmen lassen sich diese Interdependenzen nicht umfassend abbilden.*^ Einen ersten Ansatzpunkt bietet jedoch die Beriicksichtigung bekannter Zielkonflikte aus der betrieblichen Logistik, welche sich beispielsweise im Rahmen einer Wirkungsanalyse analysieren und formalisieren lassen.*^ Insgesamt ist in Bezug auf die genannten Zielkategorien festzustellen, dass sie den Gegenstandsbereich des Supply Chain Managements allgemein charakterisieren konnen. Das
Nicht-monetSre Wertaspekte werden an dieser Stelle vorubergehend ausgeklammert. Zu diesen zahlen neben Kompetenz, Marktposition oder Beziehungen zu anderen Untemehmen insbesondere Konstrukte wie Intellectual Capital Oder Intangibles, vgi. z.B. Helm/Meiler (2004), Kaplan/Norton (2004a), MQller (2004), Neely et al. (2004). Vgl. zur Unterscheidung monetarer und nicht-monetarer Wertaspekte z.B. Walter et al. (2001), S. 365-377 sowie Neher (2003), S. 30. Weber/Blum (2001), z.B. S. 24, weisen diesbezttglich berechtigterweise auf den noch existierenden Handlungsbedarf in der Praxis hin. Die Dififerenzierung unterschiedlicher Supply Chain-Ebenen wird in Kapitel 2.4.2, die Auspragungsformen der wertorientierten Untemehmensfuhrung in Supply Chains werden in Kapitel 3.2.3 vertieft. Vgl. Pfohl/Stolzle (1997), S. 88-89. Vgl. die Diskussion zu den Kontextfaktoren Dynamik, Intransparenz und Komplexitat der Steuerung in Supply Chains in Kapitel 2.2.1.2. Vgl. auch Heusler (2004), S. 20, Pfohl/Stolzle (1997), S. 89. Vgl. z.B. interdependente KostengrOBen innerhalb des Kostensenkungsziels (z.B. der Kosten-KostenKonflikt zwischen Lagerhaltungs- und Fehlmengenkosten) sowie Zielkonflikte zwischen dem Serviceziel der Endkundenorientierung und dem Kostenziel (Kosten-Leistungskonflikte wie z.B. die iiberproportionale Steigenmg der Distributionskosten bzw. unterproportionale Steigenmg des Umsatzes bei einer Anhebung des Lieferservicegrads), vgl. zur Analyse logistischer Tradeoffs Pfohl (2004b), S. 272-273.
23
2.1 Konzeptverstandnis iind Problemfelder des Supply Chain Managements
Aufgabenspektrum wird damit jedoch noch nicht hinreichend konkretisiert, so dass cine weitere Konkretisierung sinnvoU erscheint. 2.1.2.2. Konkretisierung der Zielkategorien anhand ausgewShlter Handlungsfelder Die foigende vertiefende Analyse von Gegenstandsbereich und Aufgaben des Supply Chain Managements lehnt sich an einen Strukturierungsansatz an, der erstmals von Otto/Kotzab (2002) gewahlt wurde. Im Rahmen einer Weiterentwicklung des einschlagigen „Denkschulenkonzepts" des Supply Chain Managements^^ identifizieren sie sechs Perspektiven und erarbeiten aus dem Blickwinkel jeder Perspektive spezifische Problemstellungen des Supply Chain Managements sowie mogliche Losungsansatze.^^ Heusler (2004) greift den Perspektivenansatz auf und bildet darauf aufbauend die von ihm als „Handlungsfelder" bezeichneten Konzeptkomponenten des Supply Chain Managements.^^ Im Folgenden wird eine daran angelehnte Vorgehensweise gewShlt. Mit „Information/IT", „Supply Chain-Prozesse", „Upstream-Beziehungen", „Downstream-Beziehungen" sowie „Organisation" werden tof Handlungsfelder differenziert, anhand derer das Aufgabenspektrum des Supply Chain Managements vertiefend analysiert wird (vgl. Abbildung 6). Allgemeine Zielsetzungen des Supply Chain Management-Konzepts
Information/IT
SC-Prozesse
Upstream-Bez.
Downstream-Bez.
Organisation
POS-lnformationen
Prozessorientierung
Beschaffung als strateglsche Aufgabe
Kundenorientiemng als FuhrungsleJtbild
Selektion der Supply Chain-Partner
Schnittstellenabbau
Langfrlstige Partnerschaften (SRM)
Langfrlstige Partnerschaften (CRM, ECR)
SourcingEntscheldungen
Segmentspezifische Gestaltung der Distributionsstruktur
Mehr Transparenz Kleinere Schwankungen
Integration
Geringere BestSnde
Schnelle/schlanke Prozesse
+ Verankerung von Verantwortlichkeiten Verknupfung mit Anreizsystemen
Handlungsfelder innerhalb des Supply Chain Management-Konzepts
Abbildung 6:
Konkretisierung des Gegenstandsbereichs des Supply Chain Managements durch allgemeine Zielsetzungen und spezifische Handlungsfelder
Vgl. Bechtel/Jayaram (1997), S. 16-19. Die urspriinglich von Otto/Kotzab (2002) foraiulierten Perspektiven lauten „System Dynamics", „Operations Research and Information Technology (OR/IT)", „Logistik", ,JV[arketing", „Organisation" sowie „Strategie". Vgl. auch Kaufmann/Germer (2001), S. 180-181, die ebenfalls auf diese Perspektiven zurUckgreifen. Heusler (2004), S. 23-43, identifiziert sieben Handlungsfelder des Supply Chain Managements: „System Dynamics", „OR/IT", „Supply Chain-Prozesse", ,Marketing", ,3eschafiling", „Organisation" sowie „Strategie".
24
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
Die spezifischen Zielsetzungen, welche am Ende der Diskussion jedes Handlungsfelds abgeleitet werden, erlauben erste Riickschliisse auf die Anfordemngen, die an eine Steuerung von Supply Chains zu stellen sind. Handlungsfeld Information/IT Das Handlungsfeld Information/IT beruht auf der Uberlegung, dass ein schneller und reibungsloser Informationsfluss die Erftillung der Supply Chain Management-Ziele unterstutzt. Hauptausloser des Handlungsbedarfs ist der sog. „Bullwhip-Effekt".^' Dieser besagt, dass bei einer zeitverzogerten Informationsiibermittlung in der Supply Chain bereits kleine Schwankungen der Endkundennachfrage zu bedeutsamen Auftragsmengen- und Lagerbestandsschwankungen in weiter „stromaufwarts" angesiedelten Stufen der Lieferkette fuhren kOnnen.^^ Der Verlauf des BuUwhip-Effekts kann anhand der folgenden, idealtypischen Verkettung von Ursachen aufgezeigt werden. Die Point-of-Sale-Daten (POS-Daten), die beim Abverkauf an den Endkunden anfallen und ein unverf^lschtes Abbild der tatsachlichen Marktnachfrage darstellen, werden von der Organisation mit direktem Kundenkontakt, meist Handelsuntemehmen, haufig als proprietare Information betrachtet.^^ Bei den Bestellungen, die vom Handel an den Hersteller tibermittelt werden, handelt es sich demzufolge meist um eine abgeleitete Nachfrage, die von den tatsSchlichen Abverkaufsdaten entkoppelt ist. Zudem erfolgt die Weiterleitung der Nachfrage in der Kegel zeitverzogert (da der Handler seine Bestellimgen an bestinmite administrative Rhythmen anpasst) und besteht aus gebundelten Bestellungen (z.B. zur Nutzung von Mengenrabatten bei Terminkaufen oder zur Minimierung der Transportkosten).'^ Hinzu konmit die Problematik erhohter Bestellmengen (sog. „Phantombestellungen") beispielsweise zum Aufbau von Sicherheitsbestanden bei Aktionsgeschaften.^^ Die im Konsumguterbereich hSufigen Preisschwankungen auf Grund von Preisabschlagen, Mengenrabatten oder Sonderangeboten stellen einen zusatzlichen Instabilitatsfaktor dar.^ Der Hersteller kompensiert die dadurch entstehende Nachfrageverzerrung durch eine auf Erfahrungswerten basierende Absatzprognose und -planung, welche in seine Produktionssteuerung einfliefit. Die an den Vorlieferanten ubermittelten Bedarfe werden in der Folge noch starker verfalscht, da sie zum einen auf der genannten Absatzplanung des Herstellers beruhen, zum anderen zusStzliche Mengen- und Zeitpuffer enthalten, die zur Optimierung der ProduktionsplSne des Herstellers notwendig erscheinen (z.B. zur Ausnutzung von Skaleneffekten in der Massenproduktion). Der EflFekt verstarkt sich mit zunehmender Entfemung vom
Vgl. Forrester (1958). Synonyme fiir den BuUwhip-Effekt sind ,J'orrester-Effekt", ,^eitschenschlag-Effekt" sowie „Wiplash-" oder ..Whipsaw-Eflfekt", vgl. z.B. Lee et al. (1997), S. 78, Simchi-Levi et al. (2004), S. 20-27. Vgl. Lee et al. (1997), S. 78, Stolzle et al. (2004), S. 130-313, Prockl (2001a), S. 52-55, Chen et al. (2000), S. 436-443, Keller/Krol (2004), S. 109, Crum/Palmatier (2004), S. 56. Vgl. Delfinann (1999), S. 568. Vgl. Corsten/Gossinger (2001a), S. 90. Vgl. Otto/Kotzab (2002), S. 132. Vgl. Keller/Krol (2004), S. 112, Lee et al. (1997), S. 86.
2.1 Konzeptverstandnis und Problemfelder des Supply Chain Managements
25
Endkunden. Zu den Folgen des BuUwhip-Effekts zahlen neben einer schlechten Reaktionsfahigkeit auf Nachfrageanderungen insbesondere der Aufbau von iiberhohten Sicherheitsbestanden in der Supply Chain, die zur Abfederung der entstehenden Mengenschwankungen notwendig werden.^^ Die Folge sind erhohte Lager- und Bestandskosten bzw. Fehlmengenkosten und Kosten durch Leerkapazitaten.^^ Der Schltissel zur L6sung des BuUwhip-Effekts wird hauptsachlich in der Herstellung von Transparenz gesehen, die zu einer zunehmenden Reduktion von Bestanden auf Basis eines verbesserten Informationsflusses in der Supply Chain fuhren soil. Dies kann durch die Uberbruckung bzw. Ausschaltung von Dispositionsstufen erfolgen (Disintermediation).^^ 1st ein derartig radikaler Eingriff in die Supply Chain-Struktur nicht moglich, gilt es, die Transparenz durch geeignete organisatorische MaBnahmen, welche eine zeitnahe Versorgung aller Supply Chain-Stufen mit Bestellinformationen sicherstellen, zu gewahrleisten.*^^ Dabei erweist sich haufig ein mangelndes Verstandnis fur die Vorteile einer schnellen Weitergabe von Abverkaufsdaten (True Demand) bei den einzelnen Untemehmen als Hurde.^^^ Eine Reihe von Managementkonzepten greifen diese Problemstellung auf, indem sie Methoden und Instrumente zur kooperativen, untemehmensiibergreifenden
Bedarfsprognose und
-planung bereithalten (wie z.B. das CPFR-Konzept*^^) bzw. den ungestorten Austausch von Daten zwischen Abnehmer und Lieferant zur Handlungsmaxime erheben (wie z.B. das ECRKonzept^''). Die IT nimmt die RoUe eines „Enablers" bei der Eindammung des BuUwhip-Effekts ein.^^"* Dabei steht zunachst die Herstellung eines gemeinsamen Datenbestands im Vordergrund, der eine wesentliche Voraussetzung fiir eine integrative Steuerung von Bestellinformationen in der Supply Chain darstellt.*^^ Daruber hinaus ermoglichen entsprechende IT-Systeme eine Weiterleitung von Nachfragedaten an alle Mitglieder der Supply Chain ohne zeitliche Verzogerung, wodurch die Oszillationsneigung der Lieferkette entsprechend abnimmt.^*^^ Zudem
^^ Vgl. zu den Ursachen und Folgen des BuUwhip-Effekts z.B. Otto/Kotzab (2002), S. 131-137, ZSpfel/Wasner (1999), S. 298-299, Simchi-Levi et al. (2004), S. 23-24. ^^ Vgl. Corsten/Gossinger (2001a), S. 90. ^ Vgl. Towill (1996), S. 23. Vgl. zum Bullwhip-Effekt in der Untemehmenspraxis Lee et al. (1997). In quantitativen Modellen hat sich z.B. eine Zentralisierung der Mengenbedarfsplanung auf der Ebene des Handels als vorteilhaft erwiesen, vgl. dazu Chen et al. (2000), S. 442. Andere Ansatze pladieren fiir eine intensive Zusammenarbeit zwischen Untemehmen im Bereich der Nachfrage- und Mengenbedarfsplanung und betonen die Bedeutung einer Einbindung des Topmanagements bei dieser Aufgabe, vgl. dazu Crum/Palmatier (2004), S. 57. ^^* Vgl. Corsten/GOssinger (2001a), S. 91. '^^ Vgl. CPFR = Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment. Es handelt sich dabei um einen Strategieansatz im Rahmen des ECR-Konzepts. Vgl. dazu Seifert (2001), S. 349-368, Thome et al. (2004), S. 1244-1254. ^"^ Vgl. zum ECR-Konzept exemplarisch CCG (2002) sowie Delfmann (1999). ^^^ Vgl. Z.B. Gehr et al. (2003), ZapfelA^sner (1999), S. 303-308. Vgl. auch Chamoni/Dusing (2002), S. 100, die Informations- und Kommunikationstechnologie im AUgemeinen als Enabler fur den Struktur- und Prozesswandel im Untemehmen bezeichnen. ^^^ Vgl. Steven/Kruger (2000), S. 502. ^^ Vgl. Corsten/Gossinger (2001a), S. 91, Chamoni/Dtising (2002), S. 101.
26
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
werden neuerdings vermehrt sog. ,^dvanced Planning Systems" (APS) bzw. - mit speziellem Fokus auf die Supply Chain-Planung - Supply Chain Management Systeme (SCM-Systeme) eingesetzt. Diese modular strukturierten Systeme werden zur Unterstutzung einer integrativen, untemehmensiibergreifenden Planung und Steuerung von Bedarfen eingesetzt. ^"^ Sie stellen eine insbesondere fur das Supply Chain Management wichtige Erweiterung der weit verbreiteten Enterprise Resource Planning-Systeme (ERP-Systeme) bzw. Produktionsplanungs- und -steuerungssysteme (PPS-Systeme) dar, da letztere sich auf untemehmensinteme Planungsaufgaben beschranken.'"* Zusammenfassend erweisen sich aus Steuerungsgesichtspunkten folgende Ziele des Handlungsfelds Information/IT als relevant:"^ • Vermeidung von (Puffer)Bestanden und/oder Verringenmg des Gesamtbestandsniveaus bei gleichzeitiger Vermeidung von Fehlbestanden, • Vermeidung von Verzogemngen des Informationsflusses (insbesondere von Bestellinformationen), • Erhohung der ReaktionsfUhigkeit im Sinne der Minimierung des Zeitraums zwischen einer Stoning und der Wiederherstellung der Deckungsgleichheit von Nachfrage und Angebot sowie • untemehmensubergreifende Abstinmiung der Kapazitats- und Bedarfsplanung durch geeignete IT-Systeme.''° Handlungsfeld Supply Chain-Prozesse Im Handlungsfeld Supply Chain-Prozesse wird die im Rahmen der Logistikkonzeption bereits diskutierte prozessorientierte Betrachtung logistischer Giiter- und Warenfliisse aufgegriffen und auf das untemehmensubergreifende Betrachtungsobjekt der Supply Chain iibertragen. Das Supply Chain Management stellt demnach eine untemehmensubergreifende Form des Prozessmanagements dar.''^ Eine durchgangige Prozessorientierung ermoglicht eine Be-
^"^ Vgl. Corsten/Gdssinger (2001b), S. 32, Prockl (2001b), S. 68-70. ^^^ Das Leistungsspektrum der mittlerweile Uber 250 Anbieter auf dem Markt fur SCM-Software ist dabei zunehmend unubersichtlich geworden. Vgl. zu den Ergebnissen einer diesbezuglichen Marktstudie sowie zu einem Referenzmodell, welches die wichtigsten Aufgabenbereiche von SCM-Systemen konsolidiert darstellt, Gehr et al. (2003), insbesondere S. 56. Vgl. zu einem kompakten Uberblick des Supply Chain Managementspezifischen Business Contents des „SAP Business Information Warehouse" Chamoni et al. (2005), S. 112113. AufzShlung in Anlehnung an Otto/Kotzab (2002), S. 135, sofem nicht anders angegeben. '•^ Vgl. z.B. Steven/Kriiger (2002), S. 182. ^^^ Die enge Verwandschaft zwischen Supply Chain Management aus Sicht des Handlungsfelds Prozesse und Prozessmanagement kommt beispielsweise in der Definition des Prozessmanagements bei Corsten (1997) zum Ausdruck: „Unter Prozessmanagement sollen alle planerischen, organisatorischen und kontrollierenden MaBnahmen zur zielorientierten Steuerung der Wertschopfungskette in der Untemehmung verstanden werden." Vgl. dazu Corsten (1997), S. 19 und die dort zitierte Literatur. Noch expliziter Delfinann (2004), S. Dl-12: ,J*rozessmanagement ist die strategieorientierte Analyse, Bewertung und Gestaltung (Verbesse-
2.1 Konzeptverstandnis und Problemfelder des Supply Chain Managements
27
schleunigung des Prozessdurchlaufs sowie eine hohere Reaktionsfahigkeit bei veranderten Lieferserviceanforderungen, indem die Dimension der Zeit gegenuber der traditionellen Dimension der Kapazitat im Leistungssystem betont wird."^ Die Ausrichtung der Prozesse und Aktivitaten innerhalb der Prozesse wird dabei durch die Endkundenorientierung vorgegeben.»^^ Eine besondere Problematik der Prozessorientierung erwachst auf Grund von Schnittsteilen. Diese stellen zeitlich und raumlich lokalisierbare Punkte in der Prozesskette dar, an denen der Output eines Prozesses als Input an den nachfolgenden Prozess ubergeben wird.^^"* Insbesondere bei untemehmensiibergreifender Betrachtung^^^ riickt die Schnittstellenproblematik in den Mittelpunkt der Betrachtung, da mit der zunehmenden, netzwerkartigen Ausdehnung der Supply Chain auf mehrere Wertschopfungsstufen die Anzahl der Schnittsteilen uberproportional zunimmt.^^^ Zur Losung wird haufig der Integrationsbegriff herangezogen, der ein Kemmerkmal des Supply Chain Managements darstellt.^^^ Unter Integration kann in diesem Zusammenhang die prasituative, planerische Gestaltung von Geschaftsprozessen bzw. deren Verkniipfung zu einem Gesamtprozess verstanden werden.*^^ Aus Sicht eines einzelnen Akteurs sind Supply Chain-Prozesse mit unterschiedlich hohem Integrationsbedarf nach ihrer strategischen Bedeutung zu differenzieren:**^ • Managed Process Links: Darunter sind aktiv zu gestaltende Prozessverbindungen mit Schliissellieferanten bzw. -kunden oder wichtigen Logistikdienstleistem zu verstehen, die einen hohen Integrationsbedarf aufweisen. • Monitored Process Links: Diese „weiter entfemt" liegenden Geschaftsprozesse, z.B. zwischen Lieferant und Vorlieferant, erfordem vorerst keine unmittelbare Integration durch den Supply Chain-Akteur, sind jedoch bezuglich ihres potenziellen Integrationsbedarfs intensiv zu beobachten. • Not Managed Process Links: Auf eine aktive Gestaltung und Beobachtung dieser Prozess-
rung), Steuerung und Kontrolle von Wertschopfungsprozessen in und zwischen Untemehmungen" (Kursivstellung vom Verfasser hinzugefugt). ^^^Vgl.Pfohl (2004a), S. 29. ^'^ Vgl. Corsten/Gossinger (2001a), S. 95, Stolzle (1999), S. 163. ^^"^ Vgl. Otto/Kotzab (2002), S. 137. Aus Sicht der Logistik werden untemehmensubergreifende Schnittsteilen als Schnittsteilen 3. Ordnung bezeichnet (vgl. Pfohl (2004a), S. 308). Dies ist z.B. aus Sicht eines fokalen Untemehmens (d.h. eines emzelnen Akteurs, der sich als zentraler Schnittpunkt einer Supply Chain betrachtet) nachzuvoUziehen, aus dessen Sicht sich die Supply Chain stromauf- und stromabwarts - ahnlich einer ,3aumstruktur" immer weiter offhet. Mit zunehmender Entfernung vom fokalen Untemehmen ist eine immer gr66ere Ausdifferenzierung der Prozesse in Richtung Lieferanten des Lieferanten bzw. Kunden des Kunden festzustellen, die mit einer dementsprechend ansteigenden Zahl von Schnittsteilen einhergeht. ^^^ Vgl. Simchi-Levi et al. (2004), S. 41-69, Stolzle (1999), S. 162, Corsten/Gossinger (2001a), S. 97, Delfmann (2004),S.D1-15. ^^^ Diese Interpretation basiert auf dem von Hausler (2002), S. 77-82, erarbeiteten logistischen Integrationsverstandnis, das auf untemehmensubergreifende Geschaftsprozesse ausgedehnt wurde. ^^^ Vgl. zur folgenden Aufzahlung Lambert/Cooper (2000), S. 75.
28
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
verbindungen wird verzichtet, da cine Integration mit einem zu hohen Ressourcenaufwand verbunden wSre und die strategische Bedeutung als gering eingeschatzt wird. • Non-Member Process Links: Diese Verbindungen zwischen Mitgliedem und Nichtmitgliedem der eigenen Supply Chain (z.B. zwischen einem Schlussellieferanten und einem weiteren Kunden) sind aus Sicht des Supply Chain-Akteurs nur indirekt zu beeinflussen, jedoch unter Umstanden von Bedeutung fur die eigene Supply Chain. Des Weiteren sind auch Entscheidungen bezuglich einer kostenminimierenden Ausgestaltung der Prozesse zu treffen. In diesem Kontext spielen insbesondere Aspekte der Prozessstandardisierung (z.B. standardisierter, untemehmensubergreifender Datenaustausch durch EDI)'^^ der Prozessmodularisierung (i.S. der kundenorientierten Segmentierung der Prozesse in kleine, nach ihren jeweiligen Kompetenzen zusammengestellte Einheiten)^^^ sowie der Lokalisierung des sog. „Entkopplungspunktes"'^^ eine wichtige RoUe.^^^ Zusammenfassend werden im Handlungsfeld Supply Chain-Prozesse schwerpunktmafiig folgende Ziele des Supply Chain Managements verfolgt:'^'* • Verankerung einer prozessorientierten untemehmensubergreifenden Organisationsstruktur, • Reduktion der Anzahl von Schnittstellen in den aktiv zu gestaltenden Prozessen, • Verringerung der DLZ der Prozesse (d.h. die Zeitspanne zwischen der ersten und letzten Prozessaktivitat) sowie • Erhohung der Flexibilitat der Supply Chain durch MaBnahmen der Prozessstrukturierung (z.B. Standardisierung, Modularisierung).*^^ Handlungsfeld Upstream-Beziehungen Einhergehend mit der zunehmenden Integration von Prozessen sowie der Senkung der Wertschopfungstiefe steigt auch die Bedeutung des Managements des „stromaufwarts"
' Vgl. Bowersox et al. (1999), S. 49-50. '^^ Vgl. Prockl (2001a), S. 63. Der Entkopplungspunkt markiert den Ubergang zwischen prognosegetriebenen und kimdenauftragsgetriebenen Prozessen. Durch die sog. Postponement-Strategie wird angestrebt, den Entkopplungspunkt, ab dem eine kundenindividuelle Bearbeitung des Produkts erfolgt, so lange wie mOglich hinauszuzogem, um die Flexibilitat einer potenziellen altemativen Verwendung des Halbfertigprodukts zu bewahren, Veralterungsrisiken zu vermeiden sowie Fertigwarenbestande gering zu halten. Vgl. dazu z.B. Yang et al. (2004), S. 476. Im Umkehrschluss implizieren die Ausftihrungen zum BuUwhip-EflFekt (vgl. das Handlungsfeld Information), dass der sog. ,4nformations-Entkopplungspunkt", d.h. der Punkt, bis zu dem originSre Abverkaufsdaten (POS-Daten) in der Supply Chain weitergereicht werden, moglichst weit stromaufwarts bewegt werden soUte. Vgl. dazu Mason/Towill (1999). ^^^ Je nachdem, welcher Teil der Lieferkette „kundenauftragsgetrieben" und „prognosegetrieben" ist, ergibt sich eine unterschiedliche Lokalisierung des Entkopplungspunktes und damit auch unterschiedliche Lieferkettenstrukturen, vgl. Corsten/GQssinger (2001a), S. 99-101. ^^"^ Aufzahlung in Anlehnung an Otto/Kotzab (2002), S. 135, sofem nicht anders angegeben. ^^^ Vgl. auch Heusler (2004), S. 31-35.
2.1 Konzeptverstandnis und Problemfelder des Supply Chain Managements
29
gelegenen Versorgungsnetzwerks.*^^ Unter diesem Dachbegriff sind - argumentiert man zunachst aus der Perspektive eines einzelnen Akteurs innerhalb der Supply Chain - insbesondere jene Aufgaben zusammenzufassen, die im Rahmen des strategischen Beschaffungsmanagements anfallen. Im Unterschied zur eher operativ orientierten, betrieblichen Beschaffung umfasst dieses sowohl die klassische Versorgungsfunktion des Untemehmens mit Beschaffiingsobjekten (Einsatzguter, Dienstleistungen, Informationen, Kapital) unter Verfolgung von Wirtschaftlichkeitszielen (inbes. Kosten-, Qualitats- und Flexibilitatszielen)/^^ aber auch die strategische Bearbeitung der Beziehung zu stromaufwarts angesiedelten Marktpartnem.*^^ Die wachsende Relevanz des Beschaffungsmanagements fur Untemehmen wird von empirischen Untersuchungen bestatigt.^^^ Das strategische Beschaffixngsmanagement stellt eine Reihe von Strategien fur die Auswahl geeigneter Sourcing-Konzepte^^", fiir die Integration dieser Konzepte in einen einheitlichen Beschafiungsprozess^^^ sowie fiir die Selektion und Beurteilung geeigneter Lieferanten zur Verfugung. EBig (2003) zufolge lasst sich eine dreistufige Entwicklung des Beschaffiingsmanagements nachvoUziehen (vgl. Abbildung 1)}^^ Auf der ersten Stufe iibemimmt die Beschaf-
Vgl. AmoldAVarzog (2001), S. 18, Amold/EBig (2000), S. 122-123, Marbacher (2001), S. 143-157, StQlzle/Heusler (2003), S. 170-171. Vgl. zum Supply Chain Management als dem Management der Beziehungen zwischen den Funktionsbereichen einer Wertschopfungskette z.B. Stolzle (1999), S. 163-170, Heusler (2004), S. 41-43. Vgl. zum Beziehungsmanagement als Kemprozess des Supply Chain Managements Cooper et al. (1997), S. 5, Croxton et al. (2001), S. 14-15. Christopher (2005), S. 18, setzt die Begriffe Supply Chain Management und Beziehungsmanagement gleich. '^^ Vgl. zu den Zielsetzungen der Beschaffung Corsten (1995), S. 580. Zwischen diesen Zielen besteht meist eine Tradeoff'-Beziehung, vgl. Kuhl (1999), S. 119-120. ^^^ Vgl. Stdlzle (1999), S. 146. Das Beschafifungsmanagement integriert damit auch die Aufgaben der (traditionellen) Beschaffungslogistik, deren Schwerpunkt die Bereitstellung von Einsatzgutem darstellt. Die logistische „Kontrollspanne" wird damit im Beschaffungsmanagement bewusst bis zu den Zulieferem ausgedehnt, vgl. dazu Pfohl (2004a), S. 183. ^^^ Einer Studie von A.T. Kearney zufolge schatzen im Jahr 2001 74% von 162 befragten intemationalen Untemehmen den Einfluss des Beschaffungsmanagements auf den Shareholder Value als „hoch" ein (gegeniiber 15% im Jahr 1995), vgl. A.T. Kearney, Inc. (2000), S. 3. Ein weiteres Beispiel liefert Arnold, der zeigt, dass eine Senkung der Materialkosten um ca. 0,5% den gleichen Effekt auf den Gewinn eines Untemehmens wie eine Umsatzsteigerung von 10% aufweisen kann. Vgl. dazu Amold (1997), S. 12-16. Auf eine detaillierte Systematisierung von Sourcing-Konzepten wird an dieser Stelle verzichtet. Fur die weiteren Ausfiihrungen geniigt vorlaufig der Hinweis, dass einige Sourcing-Konzepte eine hohere Managementintensitat seitens des Supply Chain Managements erfordem, da sie von einer intensiven Beziehung zwischen Abnehmer und Zulieferer ausgehen. So ist z.B. fiir die Beschaffung hochkomplexer Outer mit hoher Spezifitat und hohem Wert eine Kombination aus Modular bzw. System Sourcing (Lieferung komplexer, einbaufahiger Module sowie Ubemahme umfangreicher Produktentwicklungsaufgaben durch den Zulieferer), Single Sourcing (ein bestimmtes Gut wird nur von einem einzigen Lieferanten bezogen). Individual Sourcing (Beziehung zwischen Abnehmer und Lieferant ist eine l:l-Beziehung), Internal Sourcing (Lieferant ist in rSumlicher Nahe bzw. auf dem GelSnde des Abnehmers angesiedelt) sowie Local Sourcing (das Emsatzgut wird regional beschafft) sinnvoU. Vgl. dazu Amold/EBig (2000), S. 125-128, AmoldAVarzog (2001), S. 28, EBigAVagner (2003), S. 282-285. Zum Konzept des Global Sourcing, dem insbesondere in der Anwendung auf Internationale Supply Chains eine hohe Bedeutung beigemessen wird, vgl. Amold (2002), S. 201-220. Die ,J*rozessstrategie der Beschaffung" bildet ein Bindeglied zwischen den unterschiedlichen Teilstrategien der Beschaffung und sorgt fur deren Abstimmung mit der Untemehmensumwelt, der Untemehmens- und Geschaflsfeldstrategie sowie den anderen Funktionalstrategien des Untemehmens. Vgl. EBigAVagner (2003), S. 292-293. ^^^ Vgl. EBig (2003), S. 324-327.
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
30
fimg die bereits angesprochene, nach innen gerichtete Einkaufsfunktion. Die vorherrschenden Ziele auf dieser Stufe sind die Schaffung von Markttransparenz kombiniert mit einer rein wettbewerbsorientierten Lieferantensteuening auf Basis kuizfristiger Austauschbeziehungen.'^^ Die zweite Stufe spiegelt die mafigeblich von Arnold gepragte Weiterentwicklung der Beschaffiing zu einer strategischen Aufgabe wider.^^"* Deren Kern ist die systematische Gestaltung von direkten Lieferantenbeziehungen, die auf dyadischer Ebene analysiert werden.
Netzwerkorientiertes Supply Chain Management
Dyadische Beschaffung
Ausgangspunkt: Innengerichtete Einkaufsfunktion
Abbildung 7:
X
Hauptebene der Analyse von Lieferantenbeziehungen
fx^
Analyseebene 3: WertschOpfungsnetzwerke
^^^ ^ ^ f c Analyseebene 2: B B H ^ * * ^ B H H ^ Abnehmer-Zullefererf^^^' i^^^f Bezlehung (Dyade)
m
Analyseebene 1: Einzeiuntemehmen und i Einkaufefunktion
„Relationship Circle" undAnalyseebenen des Beschqffiingsmanagements Quelle: Efiig (2003), S. 324, leicht verdndert
Auf dieser Stufe riicken insbesondere das erweiterte Aufgabenspektrum (innen-/au6enorientiert sowie strategisch/operativ) sowie die Gestaltung langfristiger, strategischer Beziehungen in den Mittelpunkt.'^^ Die Verwendung des Begriffs „Supplier Relationship Management (SRM)" zur Bezeichnung dieses speziellen Aufgabenbereichs des strategischen Beschaffiingsmanagements trSgt ebenfalls dieser Schwerpunktsetzung Rechnung.'^^ Auf der dritten Ebene erfUhrt die Beschaffung eine konzeptionelle Neuausrichtung und befasst sich mit der Gestaltung globaler Einkaufsnetzwerke bzw. industrieller Beschaffungsnetzwerke.^^^ Die inhaltliche NShe zum Supply Chain Management-Ansatz tritt mit der auf dieser Ebene eingefuhrten Netzwerkperspektive am deutlichsten zutage.
'"'Vgl. Efiig (2003), S. 325. Vgl. Arnold (1982), S. 67. Arnold begrOndet in der strategischen Bedeutung der Beschaffung auch die Notwendigkeit einer Steuerung der Beschaffiing durch das Managementsystem. Als Griinde hierfur nennt er zum einen den grSfieren Autonomiegrad einer Beschaffiingsftinktion, zum anderen die Gefahr der zu starken „Au6enorientierung" der Beschaffung durch ihren standigen Kontakt zur Umwelt. Der Bedarf an Fiihrungsunterstiitzung fiir die Beschaffung spiegelt sich auch im wachsenden LiteraturkSrper zum Beschaffungscontrolling bzw, „Controlling im Supply Management" wieder, welches als Teilbereich eines umfassenden Supply Chain Controllings anzusehen ist, vgl. Arnold et al. (2005), S. 42. '^"^ Vgl. Tan (2001), S. 42, Heusler (2004), 38, 136 Vgl. Stelzle/Heusler (2003), S. 182-185. ' Vgl. Efiig (2003), S. 327 und die dort zitierte Literatur.
2.1 Konzeptverstandnis und Problemfelder des Supply Chain Managements
31
Auf der vierten Stufe stellt das Supplier Relationship Management im Kern weiterhin auf die Gestaltung einzelner Lieferantenbeziehungen ab, behalt dabei jedoch die Gestaltung der gesamten WertschSpfungskette im Blick. Diese Zuriickfuhrung auf die dyadische Ebene bei gleichzeitiger Beibehaltung der „Netzwerkbrille" kommt durch den „Relationship Circle" in der Abbildung zum Ausdnick.^^^ Fiir den Fortgang der vorliegenden Arbeit erweist sich die Tatsache relevant, dass in Bezug auf die Nutzeneffekte des Supplier Relationship Management bislang keine einheitlichen Aussagen vorliegen.^^^ Eine zentrale Herausforderung stellt die Bewertung des Beitrags intensivierter Lieferantenbeziehungen zum monetaren Erfolg des Abnehmers bzw. der gesamten Supply Chain dar.*"^^ Erste konzeptionelle Losungsansatze zu dieser Problematik schlagen eine Ubertragung von Kundenbewertungsmodellen auf den Upstream-Bereich, beispielsweise durch die Messung eines „Suppler Lifetime Value" vor.^"^* Aus der Perspektive des Handlungsfelds Upstream-Beziehungen sind somit fiir den weiteren Gang der Argumentation insbesondere folgende Ziele des Supply Chain Managements festzuhalten: • Integration stromaufwarts angesiedelter Wertschopfungsstufen und Abstimmung dieser Integrationsentscheidungen (insbesondere Festlegung der WertschOpflmgstiefe) mit den Zielen der Beschaffung (insbesondere Kostensenkung, Qualitatsverbesserung, Flexibilitatsverbesserung, Wertsteigerung), • Auswahl eines geeigneten Beschaffimgsstrategiebundels fiir die gesamte Supply Chain, • Differenzierung der Managementintensitat von Upstream-Beziehungen unter Fokussierung auf langMstige, strategische Beziehungsmuster, • Selektion und Bewertung von Lieferanten unter AbwSgung der Erfolgswirkungen auf das beschaffende Untemehmen sowie die • Stabilisierung, FQrderung und Weiterentwickltmg von Lieferantenbeziehungen unter Berucksichtigung der Leistungfahigkeit der gesamten Supply Chain. HandlungsfeldDownstream-Beziehungen Hier
riickt
die
als
Globalziel
des
Supply
Chain
Managements
angesprochene
(End-)Kundenorientierung im Rahmen einer aktiven Gestaltung „stromabwarts" gelegener Beziehungen in den Mittelpunkt. Hierbei gehen entscheidende Impulse von der Marketingkonzeption aus. Marketing wird heute meist als duales Fiihrungskonzept aufgefasst. Darin
'"'VgLEBig (2003), S. 327. ^^^ Vgl. St6l2le/Heiisler (2003), S. 184. ^"^ Vgl. Bruhn (2001), S. 58, Staizle/Heusler (2003), S. 179. Der „Supplier Lifetime Value" kann somit als logisches Gegenstiick zum in der Literatur bereits seit langerem rezipierten Customer Lifetime Value-Ansatz aufgefasst werden. Vgl. dazu EBig (2003) sowie St6lzle/Heusler (2003), S. 184.
32
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
wird zum einen der Absatzbereich als funktionaler Kem des Marketings gewurdigt.^"^^ Zum anderen wird Marketing als globales Leitkonzept fur eine marktorientierte Untemehmensfuhrung interpretiert, welches eine kundenorientierte Koordination aller betrieblichen Funktionsbereiche sicherstellen soU."*^ Insbesondere in diesem zweiten Konzeptbestandteil des Marketings, der auch als Marketingphilosophie bezeichnet wird, kommt die inhaltliche Nahe zum Supply Chain Management zum Ausdruck.*'" Die Marktsegmentierung eines Untemehmens, die kunden(segment)spezifisch oder produktspezifisch erfolgen kann, beeinflusst auch die Gestaltung der Supply Chain. So werden in der Literatur beispielsweise marktreaktive Supply Chains (fur innovative Produkte) und effiziente Supply Chains (fur Standardprodukte) unterschieden/"*^ Supply Chain Management versteht sich in diesem Zusammenhang als (end)kundenorientiertes Management von segmentspezifischen Distributionsnetzwerken.^'^ Zudem wird dem Marketing - wie auch dem Supply Chain Management - eine Prozessorientierung attestiert.'"' Diese umfasst einen primar untemehmensintemen Prozess, der die Planung, Durchftihrung und KontroUe von Marketingaktivitaten beinhaltet, sowie einen untemehmensiibergreifenden Prozess, der primar auf die Gestaltung von Austauschbeziehungen zwischen Anbieter und Nachfrager abstellt/"** Stand fruher im Marketing die transaktionsorientierte Sichtweise im Vordergrund, welche die Anbahnung und Durchfuhrung von Austauschbeziehungen mit einer groBen Anzahl anonymer Kunden anstrebte (Transaction Marketing), riickt in jtingerer Zeit der Aufbau langfristiger Beziehung zu Kunden in den Mittelpunkt (Relationship Marketing).*"*^ Als spezielle Auspragung des Relationship Marketings gehen insbesondere vom CRM-Ansatz wichtige Impulse fur das Supply Chain Management saxs.^^^ Erstens verfolgt der CRM-Ansatz ein
In den Aufgabenbereich des Marketings als Untemehmensfunktion fellt - neben dem Akquisitionskanal, in welchem Absatzstrategien festgelegt oder Mafinahmen zur Beschaffungsfbrderung untemommen werden auch der sog. Logistikkanal, der sich der Ausgestaltung von Waren- und Informationsflussen zwischen Lieferanten und Kunden widmet (vgl. Pfohl (1994), S. 168-169. Trotz der vielfSltigen Abhangigkeiten zwischen Akquisitions- und Logistikkanal kam dem logistischen Teilbereich in der Marketingforschung in der Vergangenheit eine relativ geringe Bedeutung zu (vgl. Kotzab (2000), S. 32). '"^^ Vgl. Meffert (2000), S. 6-7. Die betriebswirtschaflliche Forschimg griff die Parallelen zwischen Marketing und Supply Chain Management erst relativ spat auf, widmet sich jedoch heute intensiv den Wechselwirkungen zwischen beiden Themenbereichen. Vgl. z.B. Min (2001), S. 77-100, der sich im Rahmen eines integrierten Modells mit der Beziehung zwischen Marketingkonzeption, Marktorientierung, Relationship Marketing und Supply Chain Management auseinandersetzt. Vgl. dazu auch Heusler (2004), S. 63-64. ^"^^ Vgl. Fisher (1997), S. 107-108. Vgl. zu agilen Supply Chains z.B. Christopher/Ryals (1999), S. 5-7 sowie Christopher/Towill (2002). Vgl. zu schlanken (Jem") Supply Chains z. B. Reeve (2002) sowie Christopher/Towill (2002). ^^ Vgl. Otto/Kotzab (2002), S. 141, Kotzab (2000), S. 31-32. ^"^^ Vgl. Srivastava et al. (1999), S. 168-179, Heusler (2004), S. 65. ^"^^ Vgl. Meffert (2000), S. 9, der sich auf die Marketingdefinition der AMA berufl. ^"^^ Vgl. Min (2001), S. 95-96. Zum Konzept des Relationship Marketing vgl. ausfiihrlicher Bruhn (2001), S. 43-80. Die Relevanz des Beziehungsmanagements fiir das Supply Chain Management wurde bereits im Rahmen der Diskussion zum Handlungsfeld Upstream-Beziehungen hervorgehoben, vgl. die in FuBnote 126 angegebenen. '^^ Vgl. zu den Charakteristika des CRM vgl. Belz/Bieger (2004), S. 58-60, Rapp (2000), S. 42-47, Lasogga (2000), S. 373-376, Gummesson (2004), S. 136-141.
2.1 Konzeptverstandnis und Problemfelder des Supply Chain Managements
33
Denken „von auBen nach innen", indem er anstrebt, den Wertschopfungsprozess des Kunden optimal zu unterstiitzen, anstatt die Wertschopftmgsprozesse des eigenen Untemehmens nach intemen MaBstaben zu verbessem. Zweitens wird im Rahmen des kundenorientierten Denkens die Produktindividualisierung (Customization) als wichtiges Kundenbindungsinstrument betont.^^^ Drittens tritt an die Stelle der kurzfristigen Verkaufsorientierung die Gestaltung von langfristigen Beziehungen zum Kunden. Es gilt insofem, die „Kundenlebenszeit" gezielt zu verlangem. Da dies unter Umstanden eine kundenorientierte Umgestaltung der gesamten Prozessorganisation erfordert, die mit entsprechenden Kosten verbunden ist, zielt CRM viertens auf eine Segmentierung von Kunden nach ihrer Profitabilitat ab.^^^ Der „Kundendeckungsbeitrag" bzw. der Customer Lifetime Value" wird somit zu einer zentralen MessgroBe des CRM.^^^ Die Zielkategorie des Customer (Lifetime) Value beinhaltet dabei sowohl eine Anbietersicht, welche den Wert des Kunden im Sinne der Summe der heutigen und zukiinftigen Zielbeitrage zum Untemehmenserfolg in den Vordergrund stellt als auch eine Nachfragersicht, welche den Wert fur den Kunden im Sinne des von diesem wahrgenommenen Nutzens berucksichtigt.'^'* Zusammenfassend werden im CRM-Konzept somit zwei zentrale Zielkategorien des Supply Chain Managements, das Wertorientierungs- und das Kundenorientierungsziel, im Rahmen eines handlungsbezogenen Ansatzes miteinander verbunden. Bin weiteres, vomehmlich im Handlungsfeld Downstream-Beziehungen anzusiedelndes Managementkonzept, von dem wichtige Impulse fur das Supply Chain Management ausgehen, ist das Efficient Consumer Response (ECR)-Konzept. ECR stellt eine gesamtuntemehmensbezogene Vision, Strategien sowie Methodenbiindel bereit, um in einer auf Partnerschaftlichkeit und Vertrauen basierenden Kooperation zwischen Hersteller und Handel Ineffizienzen entlang der Wertschopfungskette unter Beriicksichtigung von Endverbraucherbedtirfhissen zu beseitigen. Dabei steht ECR im Spannungsfeld der Maximen der Kundenzufriedenheit und der Nutzenstiftung fur die beteiligten Untemehmen. Fiir das Supply Chain Management erweist sich das ECR-Konzept insbesondere auf Grund seiner ausgewogenen Basisstrategien als geeignet, die marketing- sowie die logistikorientierten Zielsetzungen in einen gemeinsamen konzeptionellen Rahmen zu integrieren.^^^ Neben den Basisstrategien der sog. „Demand Side", welche schwerpunktmaBig marketingspezifische Methoden und histrumente bereitstellen,^^^ ist insbesondere die Hauptstrategie der sog. „Supply Side" des ECR,
In diesem Kontext erscheint der Verweis auf den Ansatz der Mass Customization relevant, da dieser die GroBeneffekte der Massenfertigung (efFizienzgetrieben) mit den Effekten der Produkt- und Dienstleistungsindividualisierung (effektivitatsgetrieben) zu verbinden sucht. Vgl. dazu Filler (2001), S. 184-210 sowie Simchi-Levi et al. (2004), S. 180-184. Zu weiterfuhrenden Ansatzen im Bereich der Mass Customization, insbesondere zu Potenzialen von intemet-induzierten Innovationen, vgl. Reifi/Koser (2003). ^^^ Vgl. Helm/Gtinter (2003), S. 7-9. Zur kundensegmentspezifischen Differenzierung von Logistikdienstleistungen im Rahmen eines Beurteilungsmodells vgl. z.B. van der Veeken/Rutten (1998). ^^^ Vgl. Stauss (2000), '^^ Vgl. Belz/Bieger (2004), S. 42. ^^^ Vgl. Delfmann (1999), S. 567. Ohne diese hier vertiefen zu konnen, sei kurz auf die Efficient Assortment-Strategie (efFiziente Sortimentsgestaltung in Verbindung mit permanenter Sortimentskontrolle und Warengruppenmanagement), die Efficient
34
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
das sog. „Efficient Replenishment", fur das Supply Chain Management von Bedeutung.^" Zusanmienfassend erscheinen aus Sicht des Handlungsfelds Downstream-Beziehungen folgende Ziele fur die weitere Argumentation relevant: • Erhohung der Kundenzufriedenheit im Sinne der in der Marketingkonzeption und im Supply Chain Management-Konzept verankerten Endkundenorientierung, • Aufbau und aktive Pflege von langfristigen Beziehungen zu Kunden in der Supply Chain, insbesondere unter Berucksichtigung wertorientierter Zielsetzungen sowie • kunden- und/oder produktsegmentspezifische Konfiguration der Supply Chain (z.B. Festlegung von Distributionsstruktur imd Serviceniveau) unter Berucksichtigung wertorientierter Zielsetzungen. Handlungsfeld Organisation Im Kontext dieses Handlungsfelds werden vomehmlich institutional Fragestellungen des Supply Chain Management-Konzepts adressiert.^^* Bevor nSher auf diesbeziigliche Ziele und Aufgaben eingegangen wird, ist zunachst eine Abgrenzung zum Handlungsfeld Supply ChainProzesse vorzimehmen. Letztgenanntes geht von einer 90°-Drehung der klassischen Organisationsstruktur aus, im Rahmen derer eine ErgSnzung und/oder Substitution der vertikalen (funktions-, produkt-, regions- oder projektspezifischen) Organisationsstruktur durch eine horizontale Prozessorganisation erfolgt.'^^ Wenn im Handlungsfeld Prozesse Fragestellungen der Organisation angeschnitten werden, handelt es sich somit um Fragen der Ablauforganisation. Im Handlungsfeld Organisation steht demgegeniiber die Aufbauorganisation im Vordergrund.'^ Wahrend Aspekte der Prozessorientierung in der Literatur zum Supply Chain Management breit rezipiert werden, was unter anderem auch auf deren logistischen Ursprung zuriickgefiihrt werden kann, erscheinen aufbauorganisatorische Fragestellungen dort etwas
Promotion-Strategic (effiziente Verkaufsfbrdenmg und Eliminierung von Terminkaufen bei Aktionen) oder die Efficient Product Introduction-Strategic (kooperative Produktneuentwicklung und -einfuhrung) hingewiesen. Vgl. die einschlSgige Literatur zu ECR, z.B. Seifert (2004), Kotzab (1997), S. 171-182, CCG (1998) sowie Delfinann (1999). Zu den weit verbreiteten Techniken der Efficient Replenishment-Strategic zahlen unter anderem Cross Docking (filialgerechte Kommissionierung und Weiterlieferung der Ware an die Filiale ohne Zwischenlagerung im Handelszentrallager), Vendor Managed Inventory (VMI) (Disposition von Nachbestellungen des Handels und Bestandsmanagement durch den Lieferanten) sowie Efficient Unit Loads (Erhohung des Auslastungsrades von Transport- und Lagerraum uber Standardisierung von Ladungstragem und Verpackungen). Dariiber hinaus zahlen Electronic Data Interchange (EDI), Co-Managed Inventory (CMI), Buyer Managed Inventory (BMI) sowie Roll Cage Sequencing (RCS) zu den primaren Techniken des Efficient Replenishment. Vgl. dazu den Uberblick bei Seifert (2004), S. 99-146. •^^ Otto/Kotzab (2002), S. 141 und Heusler (2004), S. 41-43, sehen den inhaltlichen Schwerpunkt dieses Handlungsfelds im interorganisationalen Beziehungsmanagement. In der vorliegenden Arbeit wurden Aspekte der Beziehungsgestaltung bereits im Rahmen der Handlungsfelder Upstream- und DownstreamBeziehungen adressiert, so dass diese Aspekte hier nicht weiter vertieft werden. Vgl. Osterloh/Frost (2003), S. 28-33. Zu grundlegenden konzeptionellen Lfberlegungen zur Prozessorganisation vgl. Gaitanides (1983), S. 61-91. Vgl. Kosiol (1962), S. 32. Die in der Betriebswirtschaft iibliche Differenzierung von Aufbau- und Ablauforganisation geht auf Kosiol (1962) zurUck. Vgl. in der Ubertragung auf Supply Chains Otto (2002), S. 200,
2.1 Konzeptverstandnis und Problemfelder des Supply Chain Managements
35
unterbelichtet.^^^ Zu letztgenannten ist zum einen die Ausgestaltung der institutionalen Struktur einer Supply Chain zu zShlen, welche haufig als Supply Chain-Konfiguration bezeichnet wird.^^^ Zum anderen sind im Rahmen der Organisation auch aufgabenorientierte Aspekte wie beispielsweise die Bildung von Organisationseinheiten, die Definition spezifischer Stellen, die Festlegung von Verantwortungsbereichen oder die Entwicklung von Anreizund KontroUsystemen in der Supply Chain zu beachten. Die Supply Chain-Struktur, die sich in ihrer vertikalen Ausdehnung (Kettenlange) und horizontalen Verzweigung (Vemetzungsgrad) widerspiegelt, kann je nach Position und RollenverstSndnis des einzelnen Akteurs der Supply Chain in unterschiedlichem AusmaB beeinflusst werden. Sofem das Machtgefuge in einer Wertschopfungskette von einem Untemehmen dominiert wird, iibemimmt dieses haufig auch einen GroBteil der Organisationsaufgaben. Dabei wird davon ausgegangen, dass auf Grund der Vormachtstellung dieses Untemehmens andere Akteure dessen Vorgaben akzeptieren.*^^ Fur dieses dominierende Untemehmen, welches im Rahmen des Supply Chain Management-Konzepts auch als fokales Untemehmen bezeichnet wird, gilt es, auf Basis einer Erhebung eigener Kemkompetenzen bzw. durch Make-or-Buy-Analysen fiir Materialien, Waren oder Dienstleistungen potenzielle Kooperationspartner auszuwahlen und somit die Supply Chain aktiv zu konfigurieren. Fiir Untemehmen mit geringeren Einflussmoglichkeiten ist die Supply Chain-Stmktur meist branchentypisch vordeterminiert. Gewisse Entscheidungsspielraume bestehen jedoch bei eigenen Einund Austrittsentscheidungen in existierende bzw. sich neu formierende Supply Chains. ^^^' Im Fall relativ ausgewogener Machtverhaltnisse kann die Verantwortung fur untemehmensubergreifende Aktivitaten in Form eines Lenkungsausschusses („Supply Chain-Komitee") institutionalisiert werden. Diesem gehoren in der Regel Vertreter aller Supply ChainTeilnehmer (Personen, unter UmstSnden auch Institutionen) an, die innerhalb des Wertschdpfungsnetzwerks als sog. „Boundary Spanners" (in etwa: Bruckenschlager) auftreten.^^^ Neben diesen eher zentralen bzw. hierarchischen Organisationsformen sind auch verschiedene dezentrale bzw. heterarchische Ansatze wie z.B. multilateral besetzte Projektteams vorstellbar.*^ Eine gmndlegende Herausforderung besteht dabei darin, dass auf Gmnd der rechtlichen Selbstandigkeit der beteiligten Akteure koordinierende Stellen bzw. Gremien oftmals nicht uber legitimierbare Kompetenzen und Befugnisse verftgen, um untemehmensiibergreifende Weisungen zu erteilen und durchzusetzen. Es muss daher in der Regel auf alternative Koordi-
'*" Vgl Ackermann (2004), S. 246-248. '^^ Zur institutionalen Ausdehnung der Supply Chain vgl. Christopher (2005), S. 18, Croom et al. (2000), S. 71, Schary/ SkJ0tt-Larsen (2001), S. 73-106, Ganeshan et al. (2001), S. 843, Hahn (2002), S. 1067-1068, Handfield/Nichols (1999), S. 42, Otto (2002), S. 99, Heusler (2004), S. 41-42. Vgl. insbesondere den Typ des strategischen Netzwerks in Kapitel 2.3.3. ^^ Vgl. Hahn (2002), S. 1067 sowie die Abbildung auf S. 1068. '^^ Vgl. Stelzle (1999), S. 210, Thorns (2003), S. 45-51. Teilweise werde die ,3oundary Spanners" auch als „Netzwerkkoordinatoren" (vgl. ReilJ (2000), Pfohl/Buse (1999), S. 285-289) oder als Beziehungspromotoren (vgl. GemtindenAValter (1997), S. 180-197, Thorns (2003), S. 35-43) bezeichnet. ' ^ Vgl. Hahn (2002), dort insbesondere die Abbildung auf S. 1069, Stadtler (2000), S. 14.
36
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
nationsmechanismen zuriickgegriffen werden, die in AbhSngigkeit vom Machtgefuge in der Supply Chain sowohl auf zentralen Vorgaben (z.B. die Produktionsplanung des OEM in einer automobilen Supply Chain) als auch auf Selbstabstimmung (z.B. Supply Chain-weite Einkaufsrichtlinien) beruhen.^*^^ In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass die unternehmensubergreifende Organisationsstruktur auch innerhalb der beteiligten Untemehmen, d.h. auf einer individuellen Personenenebene, ihre Entsprechung finden muss. Diesbezuglich stellt beispielsweise die Anpassung untemehmensbezogener Anreizsysteme an den untemehmensubergreifenden Supply Chain-Kontext eine zentrale Organisationsaufgabe dar. Zusammenfassend sind aus der Perspektive des Handlungsfelds Organisation folgende Zielsetzungen festzuhalten: • Konfiguration der Supply Chain durch Selektion/Deselektion geeigneter Kooperationspartner (seitens des dominierenden Untemehmens) bzw. durch Ein-/Austritt in eine Supply Chain (seitens anderer Untemehmen), • Verankerung von Verantwortlichkeiten ftir Planungs- und Kontrollaufgaben innerhalb der Supply Chain, Auswahl der Koordinationsforai (zentral/dezentral bzw. hierarchisch/heterarchisch) sowie • Unterstutzung der Etabliening der untemehmensiibergreifenden Organisation durch untemehmensubergreifende Anreizsysteme. Insgesamt erlauben die genannten Handlungsfelder einen ersten Einblick in das breite Aufgabenspektrum, das sich hinter den globalen Zielkategorien dieses Supply Chain ManagementKonzepts verbirgt. Die aus den Handlungsfeldem abgeleiteten spezifischen Ziele, wie etwa die Selektion geeigneter Kooperationspartner, die Reduktion von Schnittstellen in untemehmensiibergreifenden Prozessen, der Aufbau und die Pflege langfristiger Beziehungen zu Kunden und Lieferanten oder die Verankemng von Verantwortlichkeiten in der Supply Chain markieren dabei bereits Schwerpunktbereiche, die es im weiteren Verlauf der Arbeit in einen Steuemngsansatz fur Supply Chains einzubetten gilt. 2.1.3. Ausgewflhlte Referenzmodelle des Supply Chain Managements Um den Anspmch des Supply Chain Managements als Managementkonzept zu konkretisieren wurden von unterschiedlichen Autoren eine Reihe von Referenzmodellen, sog. „ManagementFrameworks", entwickelt. Sie spannen einen Handlungsrahmen auf, indem sie Konzeptkomponenten des Supply Chain Managements visualisieren, miteinander in Beziehung setzen und mit Aufgabenkategorien verkniipfen.'^ Bevor ausgewahlte Management-Frameworks des
Vgl. Z.B. Busch/Dangelmaier (2002), S. 12-13, 16-17, Ackermann (2004), S. 248. Vgl. ausflihrlicher zur Differenzierung der hierarchischen und heterarchischen Koordination in Untemehmensnetzwerken Kapitel 2.3.3. Vgl. allgemein zu unterschiedlichen Koordinationsformen KieserAValgenbach (2003), S. 100-136. ' Referenzmodelle dienen meist als Plattform fur die Ausgestaltung spezifischer Modelle und Strategien und haben einen ubergreifenden, normativen Charakter. Als Anforderungen an Referenzmodelle gelten ein aus-
2.1 Konzeptverstandnis und Problemfelder des Supply Chain Managements
37
Supply Chain Managements vorgestellt werden, soil kurz auf grundlegende Charakteristika von Managementkonzepten eingegangen werden. Managementkonzepte enthalten in der Regel eine strategische Grundausrichtung, die auf die Erreichung programmatischer Ziele eines Untemehmens abstellt. Zudem stellen sie Methoden und Instrumente bereit, welche die Konzeptumsetzung ermoglichen.^^^ In Untemehmen sind haufig mehrere Managementkonzepte parallel im Einsatz, die jeweils eigene Ziele, Gestaltungsaussagen, Methoden und Instrumente beinhalten und auf unterschiedlichen (z.B. institutionalen und funktionalen) Ebenen zum Einsatz kommen. Eine isolierte Verwendung mehrer Konzepte fuhrt zu Wechselwirkungen, welche - ungeachtet ihrer negativen (z.B. Zielkonflikte) Oder auch positiven (z.B. Synergien) Auspragung - meist unberucksichtigt bleiben. Aus praxisorientierter Sicht wird demzufolge haufig die Forderung nach einer Zusammenfuhrung isolierter „Managementinseln" im Rahmen von integrierten Managementkonzepten laut. Die konzeptionelle Integrationsleistung kann sich dabei auf mehrere Dimensionen erstrecken. ZunSchst ist aus institutioneller Sicht eine Abstimmung hinsichtlich der Art und Anzahl der zu integrierenden Organisationseinheiten zu treflfen. Aus aufgabenorientierter Perspektive ist zudem zu entscheiden, welche Funktionsbereiche eines Untemehmens im Rahmen des Konzepts zusammenzufuhren sind. Des Weiteren erstreckt sich die Integration auf die Auswahl jener Methoden und Instrumente, die zur Unterstiitzung des Managementkonzepts auf normativer, strategischer und operativer Ebene heranzuziehen sind. Die umwelt- bzw. umfeldorientierte Integrationsdimension beriicksichtigt die Ofl&iung und Dynamisierung der Untemehmensgrenzen nach auBen, um eine einseitige Gewichtung von untemehmensintemen Oder -extemen entscheidungsrelevanten Information zu vermeiden. SchlieBlich steht bei der prozess- bzw. ablauforientierten Integrationsdimension die Abstimmung des integrierten Managementkonzepts mit den Untemehmensprozessen im Vordergrund.'^^ Die angesprochenen Integrationsaufgaben konnen auf das Supply Chain Management ubertragen werden und charakterisieren dieses somit als integriertes, strategisches Managementkonzept.^^^ In der einschlagigen Literatur zum Supply Chain Management fmden sich eine Reihe von Management-Frameworks, so dass eine Auswahl geeigneter Ansatze zur weiteren Vertiefiing zu treffen ist. Die im Folgenden vorzustellenden Referenzmodelle zeichnen sich insbesondere dadurch aus, dass sie teils explizite, teils implizite Beziige zur Steuerung und zur (kennzahlengestiitzten) KontroUe von Supply Chains bereithalten. Im praxisnahen SCOR-Modell, welches an erster Stelle vorgestellt wird, ist dieser Tatbestand insbesondere durch die von ihm reichend hohes Abstraktionsniveau zur Ausbildimg eines Allgemeingiiltigkeitsanspruchs, Robustheit gegenilber Anderungen im Betrachtungsgegenstand, Flexibilitat bei der Anpassung an konkrete Problemstellungen sowie Konsistenz im Sinne einer intemen Widerspruchsfreiheit. Vgl. dazu Corsten/Gossinger (2001a), S. 124-125 und die dort zitierte Literatur sowie Heusler (2004), S. 79. ^^^ Vgl. Hoftnann (2002), S. 7 und die dort zitierte Literatur. ^^^ Vgl. Hofmann (2002), S. 21-22, der darauf hinweist, dass die vorgestellten Integrationsdimensionen nicht tiberschneidungsfrei sind. ^^^ Vgl. z.B. Cooper et al. (1997), S. 1 („concept of supply chain management"), Gopfert (2002), S. 43, Heusler (2004), S. 44-45, Kotzab (2000), S. 27, Kruger/Steven (2000), S. 504, Mentzer et al. (2001a), S. 7, Prockl (2001a), S. 37.
38
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
bereitgestellten Messgrfifien gegeben. Das an zweiter Stelle vertiefte Framework von Bowersox et al. beinhaltet einen explizit angefuhrten „Planning and Control Context". Das Referenzmodell von Cooper et al. weist schlieBlich unter anderem eine „Planungs- und Steuerungskomponente" auf, die nSher betrachtet werden soU.'^^ Supply Chain Operations Reference-Modell (SCOR) Das SCOR-Modell stellt das Kemprodukt des Supply Chain Council (SCC) dar, einer globalen Non-Profit-Organisation, die fur die Erstellung und Verbreitung von Industriestandards und Anwendungsempfehlungen zur Umsetzung von Supply Chain Management in der Untemehmenspraxis eintritt.'^^ Das hierarchisch aufgebaute, branchenneutrale Modell beschreibt endkundenorientierte GeschSftsprozesse, die als Bausteine zum Aufbau kompletter Supply Chain-Prozesse dienen sollen.'^"^ Auf der obersten Ebene (Ebene 1 in Abbildung 8) stehen die funf zentralen Prozesstypen Planung (Plan), Beschafiung (Source), Produktion (Make), Lieferung (Deliver) sowie Riicklieferung (Return).*'^ Ein sich iiber alle WertschSpfungsstufen wiederholendes Ineinandergreifen dieser fiinf Prozesse gewShrleistet die Abbildbarkeit untemehmensiibergreifender Supply Chains: • Plan: Im Rahmen des Planungsprozesses erfolgen die langfristige AUokation von Ressourcen, die Planung der Infrastruktur sowie die Zuordnung von intemen und extemen Produktionskapazitaten. Nachfrageanforderungen werden identifiziert, aggregiert, priorisiert sowie mit der geplanten und tatsSchlichen Ressourcenausstattung abgeglichen.'^^ • Source: Der Beschafftingsprozess unterscheidet grundlegend die Beschafiung, die Anlieferung, den Empfang sowie die Bereitstellung von zu beschaffenden Materialien und/oder Waren. Hierzu zShlen u.a. auch die Analyse des Beschaffungsmarktes, die Auswahl geeigneter Lieferanten, die Gestaltung von LiefervertrSgen sowie die Zahlungsabwicklung.'^^ • Make: Der Produktionsprozess umfasst die Zuordnung der benStigten Produktionskapazitaten, die zeitliche Einlastung der AuftrSge in der Produktion, die Durchftihrung der Produktion, die Zwischenlagenmg sowie die Ubergabe produzierter Einheiten an die Distribution.^^«
ErgSnzend ist zudem das Framework von Mentzer et al. (2001b) anzufuhren. Dieses stellt auf ahnliche Managementprozesse ab wie das Framework von Cooper/Lambert/Pagh und wird in der vorliegenden Arbeit aus Platzgriinden nicht detailliert vorgestellt. Zu einer kritische Wiirdigung und einer Gegentiberstellung der Frameworks von Cooper/Lambert/Pagh und Mentzer et al. vgl. Heusler (2004), S. 94. •^^ Vgl. AmoldAVarzog (2001), S. 28, Heinzel (2001), S. 54. ^'"^ Vgl. Supply Chain Council (2004), GOpfert (2002), S. 38, Prockl (2001a), S. 59-62, Heusler (2004), S. 80-84, Otto (2002), S. 94-95, Weber (2002b), S. 197-200. "^ Vgl. Supply Chain Council (2004), S. 2-3. "^ Vgl. Supply Chain Council (2004), S. 13,20, 26, 32, 39,47-48. '^^ Vgl. Supply Chain Council (2004), S. 60, 67, 74, 83-84. ^^^ Vgl. Supply Chain Council (2004), S. 98,107, 116, 126-127.
2.1 Konzeptverstandnis und Problemfelder des Supply Chain Managements
39
Deliver: Der Lieferprozess umfasst die Auftragsabwicklung, die Prozesse im Fertigwarenlager sowie alle administrativen (z.B. Tourenplanung, Frachtraumoptimierung) sowie physischen (z.B. Transport, Umschlag, Lagerung) Distributionsprozesse.^^^ Return: Im Rtickfuhrungsprozess werden alle Aktivitaten zusammengefasst, die mit der administrativen Abwicklung, der physischen Riickfuhrung, der Uberpriifung sowie der Verwertung bzw. altemativen Nutzung von Retouren befasst sind.^^^ Ebene
Anmerkungen Ebene 1 definiert Umfang und Inhalt des SCOR-Vorgehens. Die grundlegenden Prozesstypen „Plan", ..Source", „Make". ..Deliver" und „Retum" werden festgelegt. Ebene 1 bildet die Basts fur wettbewerbsfdhige Leistungsziele. Auf Ebene 2 wird die Supply Chain eines Unternehmens anhand von 30 Kernprozessl**„^,^^^ ^***'*'*'*^.„^^
oc
Theoretisch benCtigte ^^^^^""^ ReaktJonszeit ^^^^.^^""^^ bei wachsender Kompiexitdt
^^^^^^^^^^'^^^^^^^.^^^^^^ .^^"^
^^^^^ TatsSchlich verfQgbare ReaktJonszeit bei wachsender Dynamik Komplexitat und Dynamik
Ahhildung 14:
Zeitschere als Ausloser von Entscheidungsproblemen Quelle: Bleicher (2004), S. 45, verandert
Die Zeitschere veranschaulicht die Schwierigkeit, in einem dynamischen, intransparenten und komplexen Entscheidungsumfeld relevante Handlungsaussagen zu trefFen.^^* Meist ist es nicht mQglich, die Struktur des Entscheidungsproblems und die KapazitSt der Entscheidungseinheit voUstandig anzugleichen, so dass Entscheidungen immer mit einer gewissen Unsicherheit
Vgl. zur Unterscheidung von komplexen und trivialen Problemen Lattwein (2002), S. 43-45 und die dort zitierte Literatur. Zapfel/Piekarz (1996), S, 19 sprechen in diesem Fall von sog. „Sachinterpendenzen" zwischen Entscheidungen. Vgl. Bellmann/Mildenberger (1996), S. 126, Frese unterscheidet drei Reduzierungsprinzipien: die Einschrankung der Handlungsmenge (z.B. durch Verzicht auf bestimmte Aktivitaten), die Veranderung des Formalziels (z.B. durch Festlegung von Anspruchsniveaus und Schwellenwerten) sowie die Veranderung der Informationsstruktur (z.B. durch Verdichtung von Einzelinformationen durch Kennzahlen). Vgl. Frese (2000), S. 51-53. ^^^ Vgl. Bleicher (2004), S. 42-45, Bleicher (1996), S. 347. Insbesondere in MSrkten mit schwer vorhersagbarem Nachfrageverlauf gilt die Reaktionszeit eines Untemehmens als wichtiger Leistungsindikator der Steuerung, vgl. Lowson et al. (1999). Probst (1981), S. 151, Insbesondere das Problemfeld der Dynamik stand in der Literatur zur Steuerung bislang im Hintergrund, da die Komplexitatskonzepte der systemtheoretisch flmdierten Kybemetik meist statischer Natur sind. Degele (1997) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die bloBe Vemetztheit von Systemelementen ein System lediglich kompliziert, jedoch noch nicht komplex macht. Erst mit wachsender Dynamik, d,h. mit sich andemden SysXQvazustdnden, kommen Irreversibilitat und Nichtlinearitat hinzu, die ein kompliziertes in ein komplexes System transformieren. Vgl. dazu Degele (1997), S, 81-83.
2.2 Steuening als untemehmensinteme und -ubergreifende Managementaufgabe
57
behaftet sind.^^^ Aufgabe der Steuening ist es nun, trotz dieser Unsicherheit die Handlungsfahigkeit eines Untemehmens aufrechtzuerhalten. Die Extrema eines moglichen Steuerungsspektrums bilden dabei zwei grundlegend unterschiedliche Steuerungsverstandnisse.^^^ Das voluntaristische Steuemngsverstandnis geht von einer direkten, durch den menschlichen Willen (voluntas) geprSgten Beherrschbarkeit eines Untemehmens aus. Es basiert somit auf den Grundannahmen des klassischen Managementverstandnisses als rational-entscheidungsorientierter Prozess.^^* Im Kern steht ein handlungsorientierter Steuerungskreislauf, der sequentiell die Phasen Planung, Implementierung und KontroUe durchlauft. Die Steuening wird dabei durch die Vorgaben der Planung determiniert, die eine normative Grundausrichtung aufweist.^^^ Im Rahmen der Planung werden Strategien entworfen und explizit formuliert,^^^ bevor sie im Zuge der Implementierung in der Organisation verankert werden. Die KontroUaufgabe der Steuening beschrankt sich eine nachlaufende RealisationskontroUe.^^ Das sowohl von einer prozessualen als auch personalen Trennung zwischen Strategieplanung und implementierung ausgegangen wird, wird das im Voluntarismus vorherrschende Steuerungsprinzip auch als hierarchische Steuening bzw. Fremdsteuerung bezeichnet.^^^ Aus Informationsdefiziten erwachsende Probleme sind durch Verbesserungen der Informationsversorgung prinzipiell losbar. Ein Komplexitatsmanagement findet im voluntaristischen Steuemngsverstandnis uberwiegend durch varietatsreduzierende Mafinahmen statt.^^^ Im umweltdeterministischen Steuerungsverstandnis wird das Phanomen der Umfeld- oder Innenkomplexitat (auch AuBen- bzw. Innendeterminismus genannt) zum Anlass genommen, eine plandeterminierte Steuemng von Organisationen generell zu vemeinen.^^^ Dieser auch als „Disjointed Incrementalism"^^^ bezeichnete Ansatz basiert auf der Selbststeuemngsfahigkeit dezentraler Entscheidungseinheiten, welche auf die aktuelle Situation in ihrem unmittelbaren Einflussbereich reagieren und kleine, uberschaubare Verandemngen vomehmen.^^^ Das damit
^^^ Vgl. Frese (2000), S. 50 sowie S. 54, Schreyogg/Steinmann (1987), S. 93, Zapfel/Piekarz (1996), S. 21, Gaitanides (1983), S. 206-211. Zu einer ausflihrlichen Differenziemng des voluntaristischen und umweltdeterminierten Steuerungsverstandnisses vgl. Lattwein (2002), S. 91-95. ^^' Vgl. Steinmann/Schreyogg (2000), S. 123-125, Kirsch et al. (1979), S. 232, Pfohl/Stolzle (1997), S. 17, Welge/Al Laham (2001), S. 23. ^^^ Vgl. Pfohl/Stolzle (1997), S. 16, Welge/Al-Laham (2001), S. 30, Wohlgemuth (2002), S. 27, Malik (2002), S.215. ^^^ Vgl. Ansoff (1991), S. 456. ^^ Vgl. Lattwein (2002), S. 92. ^^^ Vgl. Frese (2000), S. 322, Wohlgemuth (2002), S. 27, Lattwein (2002), S. 93. ^^ Vgl. Lattwein (2002), S. 93. ^^^ Vgl. Mintzberg (1990), S. 184, Miiller-Stewens/Lechner (2003), S. 554. Eine aus der Literatur zur offentlichen Verwaltung bekannte, alternative Bezeichnung dieses Ansatzes ist das ,JMuddling Through" (Durchvmrsteln), das von Lindblom (1959) gepragt Moirde (vgl. Lindblom (1959), S. 79-88). Vgl. dazu auch Kirsch et al. (1979), S. 323 sowie Welge/Al-Laham (2001), S. 33. ^^^ Vgl. Wohlgemuth (2002), S. 27.
58
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
einhergehende Steuenmgsprinzip ist das der Selbstorganisation.^^^ Es existiert demnach kein systematischer Zukunftsplan, sondem das Untemehmen entwickelt sich im Rahmen eines inkrementalen Lemprozesses weiter. Insofem ist zu konstatieren, dass im deterministischen Steuerungsverstandnis vor allem varietStssteigemde Mechanismen zum Einsatz kommen.^^* In der neueren Literatur zur Steuenmg werden Volimtarismus und Umweltdeterminismus als Extrempositionen kritisiert.^^^ Beispielhaft fur eine allgemeine Kritik ist die Aussage von Willke (2001), wonach „Steuerung weder auf exteme EingrifFe noch auf interne Dynamiken alleine reduziert werden kann"^^^ So sind die PrSmissen des voluntaristischen Ansatzes bezuglich der vollstandigen Erfassbarkeit der Umwelt und Beherrschbarkeit des Untemehmens als unrealistisch einzustufen.^'"* Die bereits angesprochenen Probleme bei der Bewaltigung von Intransparenz und Komplexitat und die damit verbundenen Zweifel an einer uneingeschrankten Planbarkeit stehen hier im Mittelpunkt.^^^ Der Umweltdeterminismus wird insbesondere vor dem Hintergrund der zunehmenden Dynamik in Frage gestellt. Inkrementale Trial&Error-Prozesse sind in der Regel sehr zeitaufwendig und konnen fur sich allein genommen keine angemessene ReaktionsfUhigkeit des Untemehmens garantieren.^^^ Die Reaktivitat tragt somit ein „permanentes Zeitrisiko in sich, [da] erst dann auf Phanomene reagiert wird, wenn es fur einen Eingriff schon zu spat ist".^^^ Neuere Steuerungsansatze suchen verstarkt nach einem Mittelweg zwischen voluntaristischer und umweltdeterministischer Steuerung. Sie werden haufig unter dem Sammelbegriff eines gemafiigten Voluntarismus vereint. Das gemSBigt-voluntaristische Begriffsverstandnis der Steuerung durchbricht das „Primat der strategischen Planung", welches im klassischen, voluntaristischen Managementprozess vorherrscht und unterstellt, dass nicht jede willentliche Einflussnahme auch wirklich gelingt.^^* Der Planung obliegt zwar weiterhin die Auswahl von Strategiealtemativen (Selektionsprinzip). Diese Selektion wird jedoch im Rahmen der Steuerung nicht unreflektiert ubemonmien. Vielmehr wird die Relevanz der gewahlten Strategic im Verlauf ihrer Formulierung, Implementierung und auch wShrend der Durchfiihrung kontinu-
^^° Vgl. Kieser (1994), Probst (1986), Dress et al. (1986), Knyphausen-Aufsefi (1995), S. 338-344 sowie Schrader(1996),S.92. ^^' Vgl. Lattwein (2002), S. 95. ^^^ Vgl. z.B. allgemein Welge/Al Laham (2001), S. 31-35, Lattwein (2002), S. 95-101. Zur Kritik am klassischen (voluntaristischen) Managementprozess vgl. z.B. Pfohl/St6lzle (1997), S. 18, Bea/Haas (2001), S. 216-217. ^^^ Willke (2001), S. 4. ^'^^ Vgl. Lattwein (2002), S. %-99, Strack (2001), S. 94-96. Malik (2002), S. 61-63, spricht von einem konstruktivistisch-technomorphen Paradigma, dem das voluntaristische Managementverstandnis unterliegt. Vgl. z.B. den akademischen Disput zzwischen Mintzberg (1990), der eine „emergente" Steuerungsphilosophie postuliert, und Ansoff (1991), der als Vertreter eines reformierten Voluntarismus einen „holistischen" Ansatz verfolgt. ^^^ Lattwein (2002), S. 97. ^^^ Die Sichtweise des gemSBigten Voluntarismus wurde maflgeblich von Kirsch geprSgt, vgl. Kirsch et al. (1979), S. 232-233. Zum Ansatz in der englischsprachigen Literatur vgl. z.B. Otley et al. (1995), S. 37. Vgl. auch Pfohl/Stolzle (1997), S. 16, Freiling (2001a), S. 43. Zur Rolle der Planung im klassischen Managementverstandnis vgl. Hammer (1998), S. 68-71.
2.2 Steuerung als untemehmensinteme und -ubergreifende Managementaufgabe
59
ierlich hinterfragt. Im Rahmen der Steuerung wird fur eine Kompensation selektionsinharenter Planungsrisiken gesorgt (Kompensationsprinzip).^^^ KontroUe avanciert somit zu einer „eigenstandigen, gewichtigen Managementfunktion mit eigenem Steuerungspotenzi^l« 280 jg (jezejitraler die Organisationsstruktur, desto mehr gewinnt die Kontrollflinktion gegenuber detaillierten Planvorgaben an Bedeutung.^^^ Im Umkehrschluss nimmt jedoch auch die Planung nach wie vor eine entscheidende Rolle ein, da sie neben der grundsatzlichen Auswahl von Strategien auch deren schrittweise Konkretisierung vomimmt. Sie bildet somit auch ein stSndiges „Gegengewicht" zur Kontrolle.^^^ Zusammenfassend wird im gemaBigt-voluntaristischen Steuerungsverstandnis die Notwendigkeit erkannt, eine zielorientierte und damit planungsgetriebene Steuerung mit den Chancen, die aus einer Selbststeuerungs- und Riickkoppelungsfahigkeit innerhalb des Managementprozesses erwachsen, zu kombinieren und eine Balance zwischen beiden Komponenten zu fmden. Dieses Steuerungsverstandnis macht sich auch die vorliegende Arbeit zu Eigen. Im nachfolgenden Kapitel wird herausgearbeitet, warum sich die Eigenschaften einer gemaBigtvoluntaristischen Steuerung auch und insbesondere in einem untemehmensiibergreifenden Steuerungsumfeld als nutzlich erweisen. 2.2.2. Intra- und interorganisationale Dimension der Steuerung vor dem Hintergrund eines gemSOigt-voluntaristischen Steuerungsverstandnisses Im Folgenden wird auf der Grundlage eines gemaCigten Voluntarismus ein eigenstandiges Steuerungsverstandnis entwickelt. In einem ersten Schritt wird dazu ein zunachst untemehmensintemes, prozessuales BegrifFsverstSndnis der Steuerung vorgestellt, welches sowohl strategische als auch operative Komponenten beinhaltet (Kapitel 2.2.2.1). Anschliefiend wird die Betrachtung auf den interorganisationalen Kontext ausgedehnt. Unter Beriicksichtigung des damit verbundenen Anpassungsbedarfs wird das der vorliegenden Arbeit zu Grunde gelegte Steuerungsverstandnis thesenartig abgeleitet (Kapitel 2.2.2.2). 2.2.2.1. Steuerung im intraorganisationalen Kontext Zunachst soil die Steuerung aus untemehmensbezogener Sicht analysiert werden. Grundsatzlich bietet sich dazu eine Einbettung des zu entwickelnden Steuerungsverstandnisses in ein Modell des strategischen Managements an. Das Steuerungsverstandnis der vorliegenden Arbeit positioniert sich dabei schwerpunktmaBig in der Domane der prozessorientierten
Die Kompensationsfunktion wird dabei hauptsachlich dem Steuerungsbereich der KontroUe zugeschrieben. Vgl. Pfohl/Stolzle (1997), S. 19. ^^^ Bea/Haas (2001), S. 217, vgl. auch Schreyogg/Steinmann (1987), S. 93. ^^^ Vgl. Schneider (1994), S. 327. ^^^ Vgl. Otley et al. (1995), S. S32. Vgl. z.B. die Implementierungsplanung bei Welge/Al Laham (2001), S. 549.
60
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
Managementforschung.^*^ Die prozessorientierte Sichtweise erweist sich fur die vorliegende Arbeit auf Grund ihrer gestalterischen und anwendungsorientierten Ausrichtung als zielfuhrend: Zum einen legt sie das Hauptaugenmerk auf die Beschreibung, Anordnung und (meist phasenorientierte) Verkntipfung von Managementaktivitaten.^^"* Sie eignet sich somit insbesondere fur die Strukturierung der Aufgaben einer Steuerungskonzeption. Daruber hinaus inkludiert die prozessorientierte Sichtweise auch die Formulienmg normativer Gestaltungsaussagen, die z.B. bei der Auswahl und Zuordnung von Methoden und Instrumenten zu einzehien Steuerungsaufgaben herangezogen werden konnen.^*^ Das Steuerungsverstandnis der vorHegenden Arbeit wird somit als ablauforientierter, gemaBigt-voluntaristischer, strategischer und operativer Prozess charakterisiert, der aus vier miteinander verbundenen - im Diktum der Steuerungs- und Regelungstheorie „mehrfach vermaschten"^*^ - Steuerungsphasen besteht (vgl. Abbildung 15).^^^ In der Phase der Strategieformulienmg und -bewertung werden die von der ubergeordneten Zielplanung, strategischen Analyse und Prognose generierten Vorgaben und hiformationen zu Strategiebiindeln weiterentwickelt. Wahrend die Zielplanung begrundend auf zweckorientierte Untemehmensaktivitaten einwirkt, nimmt die strategische Steuerung somit vor allem eine ausrichtende Funktion hinsichtlich der Ziele der Organisation wahr.^*^ Die Steuerung setzt somit erst dann ein, wenn eine grundlegende Selektion von Handlungsoptionen im Rahmen einer normativen strategischen Zielplanung sowie einer Umfeld- und Untemehmensanalyse
Im Unterschied zur hier fokussierten prozessorientierten Managementforschimg befasst sich die inhaltsorientierte Managementforschimg mit der - hdufig auch empirisch gestutzten - Beschreibung und Erklarung der Inhalte von Untemehmensstrategien. Sowohl prozess- als auch inhaltsorientierte Managementforschung streben das Ziel der Generierung von Wettbewerbsvorteilen an. Wahrend aus Prozessicht jedoch die Frage nach dem „Wie?" der Vorteilsgenerierung im Vordergrund steht, stellen inhaltsorientierte Ansatze starker auf das „Was?" ab. Obwohl im Folgenden der prozessorientierte Ansatz als strukturgebend ftir das herauszubildende Steuerungsverstandnis herangezogen wird, sei darauf verwiesen, dass inhaltliche Aspekte der Steuerung keineswegs ausgeblendet werden. Insbesondere bei der Ubertragung des Steuerungsverstandnisses auf den Supply Chain-Kontext ist die Anpassung der Steuerungsinhalte, welche sich aus den allgemeinen und spezifischen Zielsetzungen des Supply Chain Management-Konzepts ableiten lassen, von groBer Bedeutung. Vgl. zur Unterscheidung zwischen inhalts- und prozessorientierten Sichtweisen der strategischen Untemehmensfiihrung Bamberger/Wrona (2004), S. 25-30, Hungenberg (2004), S. 9 sowie ausfiihrlich Hofmann (2004), S. 48-109. * Vgl. Bamberger/Wrona (2004), S. 26-27. Vgl. Bamberger/Wrona (2004), S. 27. Die angestrebte Fokussierung auf einen prozessorientierten Steuerungsansatz ist zwingend auch mit einer Einschr^nkung des Konzeptionsumfangs verbunden, so dass das im Folgenden vorzustellende Steuerungsverstandnis nicht den Anspruch an einen allgemeingultigen Managementansatz erhebt. Vgl. zu einem allgemeinen Managementmodell, welches unter anderem auch die hier fokussierte Prozesskomponente beinhaltet, beispielsweise Ruegg-Sturm (2004), S. 70. * Vgl. Z.B. Kirsch et al. (1979), S. 21. Hinsichtlich seines grundlegenden prozessualen Aufbaus rekurriert das in Abbildung 15 vorgestellte Steuerungsverstandnis auf den allgemeinen Prozess des strategischen Managements nach Welge/Al Laham (2001), S. 96, nimmt jedoch spezifische Modifikationen vor. Das Kontrollverstandnis basiert auf dem strategischen KontroUprozess von Steinmann/Schreyogg (2000), S. 246. Vgl. ahnlich auch Bea/Haas (2001), S. 214-245. Zusatzlich wird der hier vorgestellte Steuerungsprozess um eine Ausfuhrungskomponente erganzt, um auch die operative Dimension der Steuerung zu berttcksichtigen. ^ Vgl. Bleicher (1996), S. 348, Otley et al. (1995), S. S32. Vgl. auch die bekannte Definition von "management control" bei Anthony (1965), S. 17: „[Management control is] the process by which managers assure that resources are used effectively and efficiently in the accomplishment of the organization's objectives."
2.2 Steuerung als untemehmensinteme und -iibergreifende Managementaufgabe
61
bereits erfolgt ist.^^^ Im Rahmen der Strategieformulierung sind der organisatorische Geltungsbereich der auszuwahlenden Strategic (z.B. Untemehmens-, Geschaftsbereichs- sowie Funktionsbereichsstrategie) sowie deren gnmdlegende Entwicklungsrichtung (z.B. Wachstum/Stabilisierung/Schrumpfung auf der Ebene des gesamten Untemehmens oder Kostenfiihrerschaft/Differenzienmg/Nischenbildung auf Geschaftsbereichsebene) festzulegen.^^^ Hierbei kommen haufig Portfoliotechniken zum Einsatz, die eine Positionierung unterschiedlicher Strategien in einem mehrdimensionalen Analyseraster ermoglichen.^^^ Die Strategiebewertung und -auswahl erfolgen in der Kegel nach quantitativen, z.B. wertorientierten, ZielgroBen^^^ Oder auf Basis qualitativer Kriterien, die aus den strategischen Zielen abgeleitet werden konnen. Bei der Bewertung und anschliefienden Auswahl von Strategien kommen eine Reihe von Steuerungsmethoden und -instrumenten zum Einsatz, wie z.B. Strategieprofile, angepasste Nutzwertanalysen oder investitionstheoretische Methoden auf Basis des Shareholder ValueModells. Von der ubergeordneten Zielplanung, strategischen Analyse u. Prognose
DT)T)T)T}
Zur Ubergeordneten Zielplanung, strategischen Analyse u. Prognose
kcmtroMe
sa^aA^-^gffies,a«^',,>A Abbildung 15:
Der Prozess der strategischen und operativen Steuerung Quelle: Eigene Darstellung in teilweiser Anlehnung an Welge/Al Laham (2001), S. 96 sowie Steinmann/Schreyogg (2000), S. 246
Die Phase der Strategieimplementierung befmdet sich an der Schnittstelle zwischen strategischer und operativer Steuerung und nimmt zwei Hauptaufgaben wahr (vgl. Abbildung 15). Erstens ist durch eine sachbezogene Implementierungssteuerung eine Konkretisierung und damit eine Umsetzung der Strategic vorzunehmen (sog. „strategische Vorsteuerung").^^^ Im Rahmen einer mittelfristig ausgelegten Programm- und Projektplanung werden Strategien mit
Vgl. ahnlich Munari/Naumann (1984), S. 848 sowie S. 850. ' Vgl. Welge/Al Laham (2001), S. 322. ' Vgl. Welge/Al Laham (2001), S. 339-370. ' Vgl. Z.B. die Ubersicht bei Kajiiter (2002). ^ Vgl. Mimari/Naumami (1984), S. 849.
62
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
wachsendem Detaillierungsgrad von der Untemehmensebene auf die Geschaftsbereichs- und schlieBlich auf die funktionale Ebene ubertragen.^^ Zweitens ist in der Phase der Strategieimplementierung auch die Durchsetzung von Strategien zu steuem. Die Steuerung stutzt sich dabei typischerweise auf hierarchische Koordinationsmechanismen, bei welchen die in der organisationalen Hierarchic verankerten Machtgefuge genutzt werden, um hnplementierungsbarrieren (wie z.B. WiderstSnde, Konflikte) zu uberwinden.^^^ Diesbeziigliche Steuerungsaufgaben erstrecken sich von der kommunikativen Vermittlung der Strategic und Mafinahmen zur Einweisung und Schulung bis hin zur Schaffung cines stratcgicbezogenen Konsenscs mit Hilfe von Methoden des Konfliktmanagements.^^ In der DurchfUhrungsphase sind Aufgaben der kurzfristigen, taktisch-operativen Steuerung wahrzunchmen (vgl. Abbildung 15). Im Vordergrund stehen dabei der Material-, Warensowie Informationsfluss.^^^ Der Informationsfluss weist dabei - mit Blick auf die Aufgabenstellung der vorliegenden Arbeit - eine besondere Bedeutung auf, da er durch vorauseilende, begleitende sowie nacheilende Informationen eine Steuerung der beiden anderen Fltisse ermoglicht.^^* Ort der operativen Steuerung sind die einzebien Funktionsbereiche eines Untemehmens. Die im Rahmen der Strategieimplementierung ausgearbeiteten mittelfristigen MaBnahmen werden dabei in der Durchfuhrung durch die kurzfristige Funktionsbereichsplanung operationalisiert.^^ Die operative Steuerung in den punktionsbcreichen wird haufig durch ERP-Systeme unterstutzt. Diese primar ausfuhrungsorientierten Informationsverarbeitungssysteme erlauben unter Riickgrifif auf verschiedene Modellierungstechniken (z.B. Methoden der linearen Programmierung)^^ die Kalkulation und Optimierung von Teilplanen fur die materialflussorientierten Prozessbereiche Materialwirtschaft, Produktionssteuerung, Lagerverwaltung und Vertrieb. Eine untemehmensweite Integration von Geschaftsprozessen, wie z.B. die Abbildung des
^ Vgl. Welge/ Al Laham (2001), S. 529 sowie Heusler (2004), S. 144 und die dort zitierten Quellen. ^^^ Vgl. Welge/Al Laham (2001), S. 540, ^^ Vgl. Welge/Al Laham (2001), S. 543-548. An dieser Stelle wird aufgrund des logistischen Hintergnmds der vorliegenden Arbeit die logistisch gepragte Terminologie der operativen Steuerung von ,J'l(issen" verwendet. In der allgemeinen Managementliteratur fmdet der Material- und Warenfluss im Realgiiterprozess, der vom gewahlten Produktprogramm abhangt, seine Entsprechung, der Finanzfluss im Wertumlau^rozess, der die monetaren Auswirkungen des Realgiiterprozesses abbildet. Vgl. dazu Steinmann/SchreyOgg (2000), S. 264. ^^* Vgl. Pfohl (2004a), S. 81. ZusStzlich ist die Bedeutung des Finanzflusses sowie des Flusses der (Verfugungs-)Rechte hervorzuheben. Diese beiden stellen insbesondere im interorganisationalen Umfeld eine Herausforderung fur die Steuerung dar und werden deshalb an dieser Stelle noch nicht vertiefl. Vgl. dazu Pfohl (2004a), S. 326. ^^ Vgl. z.B. Hammer (1998), S. 59-68, Steinmann/SchreySgg (2000), S. 258-263. Teilweise werden Aufgaben der operativen Planung und Steuerung auch der Phase der Strategieimplementierung zugeordnet, vgl. Welge/Al Laham (2001), S. 569-590. ^^ Vgl. Steinmann/SchreyOgg (2000), S. 289.
2.2 Steuerung als untemehmensinteme und -iibergreifende Managementaufgabe
63
Auftragsabwicklungsprozesses, wird durch eine untemehmensweit einheitliche Datenbasis unterstutzt.^"^ Die Steuerungsphase der Kontrolle nimmt eine zentrale Stellung im vorliegenden Steuerungsverstandnis ein. Es ist hervorzuheben, dass sie nicht als letzter Schritt im Prozess des strategischen Management^"^ bzw. als „Anhangsel der Planung"^^^ aufzufassen ist, sondem als Querschnittsflmktion innerhalb des Steuemngsprozesses, welche Schnittstellen zu alien anderen Steuemngsphasen aufweist. Neben einer prozessabschliefienden nimmt die Kontrolle somit auch eine prozessbegleitende Funktion wahr.^^ Zudem wird durch ihren Querschnittscharakter
deutlich,
dass
die
Kontrolle
im
Rahmen
des
dargestellten
gemaBigt-
volimtaristischen Steuerungsablaufs sowohl strategische als auch operative Aufgaben wahrzunehmen hat.^"^ Das in Abbildung 15 visualisierte KontroUverstandnis basiert dabei auf einer Differenzierung unterschiedlicher Kontrollformen.^^ An der Schnittstelle zur Strategieformulierung und -bewertung sind insbesondere die strategischen Aufgaben einer PrSmissenkontrolle hervorzuheben. Bei dieser wird die gew^hlte Strategic auf ihre „Realitatstauglichkeit" tiberpruft, indem festgestellt wird, ob die der Strategieformulierung zu Grunde gelegten Ausgangsannahmen Gtiltigkeit besitzen.^^^ Damit spiegelt die Pramissenkontrolle deutlich die Anforderung an ein gemaBigt-voluntaristisches Steuerungsverstandnis wieder, einmal formulierte Planvorgabe bereits vor der Plandurchflihrung kritisch zu hinterfragen. Weitere KontroUaufgaben in der Phase der Strategieformulierung umfassen die Uberprufimg der inhaltlichen Stimmigkeit und Kompatibilitat von Strategien mit den ubergeordneten Untemehmenszielen sowie die vorausschauende Kontrolle der prinzipiellen Implementierbarkeit der formulierten Strategie.^"^ An der Schnittstelle zur Strategieimplementierung nimmt die Kontrolle die Form einer Planfortschrittskontrolle an.^^ Sie hat die Aufgabe, Storungen, die im Verlauf des Implemen-
^^^ Steven/Kriiger (2002), S. 175-177. Ausfuhrungssysteme wie ERP-Systeme weisen typischerweise Defizite im Bereich der Entscheidungsunterstiitzung auf. So nimmt ein kompletter Planungsdurchlauf relativ viel Zeit in Anspruch, die Planimgslogik erfordert vereinfachende Planrestriktionen (z.B. unbegrenzte Fertigungskapazitaten, feste Bearbeitungszeiten), marktseitige Funktionalbereiche werden gegeniiber der Produktionsplanung nur unzureichend einbezogen und eine standort- oder untemehmensubergreifende Steuerung ist bislang nur stark eingeschrankt moglich. Vgl. dazu Knolmayer et al. (2002), Prockl (2001b), S. 67, Corsten/GSssinger (2001b), S. 32, Grunauer (2001), S. 141-142 sowie die Anmerkungen zu ERP- und APSSystemen im Handlungsfeld Information/IT in Kapitel 2.1.2.2. ^"^ Hammer (1998), S. 53. sieht die Kontrolle z.B. als letzte Stufe im Prozess der strategischen Planung. ^^^ Bea/Haas (2001), S. 53, Hahn/Hungenberg (2001), S. 48. ^^ Vgl. Anthony/Govindarajan (2001), S. 453, Welge/Al Laham (2001), S. 97. ^"^ Vgl. die Gegeniiberstellung von strategischer und operativer Kontrolle Zettelmeyer (1984), S. 84. ^^ Vgl. zu dieser und zu weiteren Systematisierungsmoglichkeiten von KontroUaufgaben Pfohl/Stolzle (1997), S.76. ^^^ Vgl. Steinmann/Schreyogg (2000), S. 245-246, Gladen (2002), S. 9, Hahn/Hungenberg (2001), S. 47-48, Pfohl/Stelzle (1997), S. 76, BeavHaas (2001), S. 215. ^^^ Vgl. Pfohl/St6lzle (1997), S. 76, Miiller-Stewens/Lechner (2003), S. 695. ^^ Die Planfortschrittskontrolle wird haufig auch als „(strategische) DurchflihrungskontrollQ" bezeichnet (vgl. Steinmann/Schreyogg (2000), S. 246, Mtiller-Stewens/Lechner (2003), S. 696). Urn eine versehentliche
64
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
tieningsprozesses auftreten, sowie prognostizierte Abweichungen von vorgesehenen Meilensteinzielen festzustellen und einer Steuerung zuzufuhren.^^" Letztere kann iiber eine FeedbackRegelung (innerhalb der Implementienmgsphase) oder eine Feedforward-Steuerung (unter Einbeziehung der Strategieformulienmgs- und -bewertungsphase) erfolgen. Die an der Schnittstelle zur Durchftihrungsphase angesiedelte RealisationskontxoUe entspricht am ehesten dem traditionellen VerstSndnis einer operativen Kontrolle, das sich als kybemetisches Regelkreismodell mit hauptsachlich feedback-orientierten Komponenten im Sinne einer Ergebnis- bzw. Vollzugskontrolle darstellen ISsst.^'^ Auf Grund der kurzeren Planungshorizonte im operativen Bereich, des hoheren Detaillierungsgrades sowie der hoheren Automatisierbarkeit von operativen Steuerungsaufgaben kann von einer sehr engen Verkniipfiing zwischen Durchfiihrungsplanung und -kontrolle ausgegangen werden. Kontrolle ist somit in diesem Bereich - ebenso wie die operative Planung - meist ein Bestandteil integrierter IT-Systeme (meist ERP-Systeme). Einige relevante Aufgaben der operativen Kontrolle sind jedoch nach wie vor schwer automatisierbar und konnen insofem von gangigen ERP-Systemen nur unvoUstandig abgebildet werden.^'^ Hierzu zahlen insbesondere die Abweichungsanalyse, die nach Ursachen fur aufgetretene Storungen forscht, sowie die Berichterstattung, die Kontrollergebnisse aufbereitet und in vertikaler wie horizontaler Richtung weitergibt. AbschlieBend ist als wichtiger Teilaspekt der RealisationskontroUe die adaptive Kontrolle zu wtirdigen. Diese iiberpriift laufend, ob vorgegebene Zielgr66en (z.B. Kosten-, Zeit- oder ErlQsziele) unter Beachtung bereits verfugbarer Informationen noch erreichbar sind. Ihr Hauptziel besteht darin, moglichst zeitnah auf St5rungen reagieren zu kSnnen, so dass fur etwaige Korrekturmafinahmen noch ausreichend groBe Handlungsspieb^ume zur Verfugung stehen.^^^ Dieser Aspekt der Vorwartskopplung, der bislang eher im Rahmen der strategischen Steuerung diskutiert wurde, bildet ein wichtiges Bindeglied zur SchlieBung des Steuerungskreislaufs mit den anderen Steuerungsphasen.^'"*
Zuordnung zur Ausftihrungsphase (vgl das Steuerungsverstandnis in Abbildung 15) zu vermeiden, wird hier jedoch der Terminologie von Bea/Haas (2001), S. 214, gefolgt. ^'^ Welge/Al Laham (2001), S. 550. ^^' Vgl. auch Bea/Haas (2001), S. 215. Zur Kontrolle als abschliefiende Stufe im Prozess der strategischen Planung Hammer (1998), S. 53. Vgl. auch Zettelmeyer (1984), S. 80-81. Zum kybemetischen Regelkreismodell der Steuerung vgl. Kapitel 2.2.1.1. Die als EntscheidimgsunterstQtzungssysteme konzipierten APS-Systeme weisen ebenfalls Schwachen auf der operativen Steuerungsebene auf. In Zukunft sollen deshalb die FunktionalitMten des operativen EchtzeitMonitoring in Kombination mit Alert-Funktionen (automatisierte Benachrichtigung bei Abweichungen) verstarkt ausgebaut werden. Vgl. dazu Kriiger/Steven (2002), S. 594. ^^^ Vgl. Steinmann/Schreyogg (2000), S. 371-376. MuUer-Stewens/Lechner (2003) verwenden in diesem Zusammenhang den Begriff der Wirksamkeitskontrolle. Diese steht komplementar zur PramissenkontroUe und beinhaltet die PerformancekontroUe, in der ein kennzahlengesttitzter Zielerreichungsgrad ermittelt wird (vgl. zum Zielerreichungsgrad als begriffsbildender Bestandteil der Performance Kapitel 3.1.1) sowie die Normenkontrolle, die iiberpnift, ob die Konsequenzen (z.B. resultierenden MaBnahmen) aus der Strategie den Werten und Normen des Untemehmens entsprechen, vgl. MtiUer-Stewens/Lechner (2003), S. 697. ^^"^ Vgl. auch Chamoni et al. (2005), S. 10, die festhalten, dass die zeitnahe Erfassung und Interpretation von Storsignalen bei der Entwicklung von Fuhrungsinformationssystemen zunehmende Beachtung fmden.
2.2 Steuerung als untemehmensinteme und -ubergreifende Managementaufgabe
65
Die vierte steuerungsrelevante Kontrollform stellt schlieBlich die strategische Uberwachung dar. Im Unterschied zu den anderen, selektiven KontroUaktivitaten ist sie nicht auf ein konkretes KontroUobjekt bezogen, sondem sucht als „strategisches Radar"^*^ das Entscheidungsumfeld des Untemehmens auf potenzielle Existenzbedrohungen ab.^^^ Somit geht sie uber das zielgerichtete, prozessuale Steuerungsverstandnis hinaus und stellt eine Verbindung mit der iibergeordneten Zielplanung her. Dabei greift die strategische Uberwachung unter anderem auf Friihwamindikatoren aus dem Steuerungssystem zurttck.^'^ 2.2.2.2. Steuerung im interorganisationalen Kontext Im untemehmensiibergreifenden Bereich gilt es, das aus einer prozessorientierten Managementsicht heraus entwickelte Steuerungsverstandnis an die Anforderungen kooperativer untemehmensubergreifender Beziehungen anzupassen. Aussagen zur Steuerung untemehmenstibergreifender Beziehungen fmden sich vor allem in der relevanten Literatur zum Management von Untemehmenskooperationen^^^ und Untemehmensnetzwerken.^^^ Ausgangspunkt sind dabei haufig steuerungsrelevante Besonderheiten, welche Kooperationen, Netzwerken und anderen untemehmensiibergreifenden Institutionen^^^ innewohnen und zu Steuerungsschwierigkeiten fuhren konnen.^^^ Im Folgenden werden letztere nur relativ kurz adressiert, um das Steuerungsverstandnis der Arbeit an den interorganisationalen Kontext anzupassen. Bei der Ableitung von Steuerungsanforderungen im Supply Chain Management (Kapitel 2.4) werden sie wieder aufgegrififen und intensiver diskutiert. Zunachst erscheint relevant, auf welcher institutionalen Ebene die Steuerung stattfmdet. Als Steuerungsobjekt kommen sowohl ein einzelnes Untemehmen innerhalb einer Beziehung, eine dyadische Austauschbeziehung (d.h. eine Beziehimg zwischen zwei Untemehmen) als auch eine untemehmensiibergreifende Institution als Ganzes (z.B. eine Kooperation oder ein Netzwerk) in Betracht.^^^ Eng damit verbunden ist die Frage nach dem Steuerungssubjekt. Zunachst sind Untemehmen, welche kooperative Austauschbeziehungen eingehen, in der
^^^ Vgl. Bea/Haas (2001), S. 222. ^^^ Vgl. Steinmann/Schreyogg (2000), S. 247-248, Malik (2002), S. 486. Vgl. zu ahnlichen Ansatzen Bea/Haas (2001), S. 224 („Kontrolle der Potenziale"), Anthony/Govindarajan (2001), S. 453-454 („Interactive Control"). In der englischsprachigen Literatur wird eine vergleichbare Vorgehensweise unter dem Begriff "Interactive Control" diskutiert. Vgl. Simons (1995), S. 91-124 sowie Anthony/Govindarajan (2003), S. 504-508. ^^^ Vgl. Z.B. die Monographien von Antlitz (1999), Kraege (1997), Pampel (1993), Drews (2001), Fleischer (1997) Oder E6ig (1999). ^^" Vgl. z.B. die Monographien von Sydow (1992), Hippe (1997), Struthoff (1999), Zundel (1999), Mildenberger (1998), Wertz (2000), Borchert (2001), Hausler (2002), Prockl (2001a), Otto (2002), Wohlgemuth (2002), Mack (2003), E6ig (2004a) und Heusler (2004). Der Begriff „Institution" wird hier im Sinne eines „Systems formeller und informeller Regelungen" verstanden und kann sich somit auch auf untemehmensiibergreifende Kooperationen und Netzwerke beziehen. Vgl. dazu E6ig (2004a), S. 65 und die dort zitierte Literatur. ^^^ Vgl. Schmitz/Platts (2004), S. 712 und 714. ^^^ Vgl. SydowAVindeler (2000).
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
66
Kegel formal gleichberechtigt und prinzipiell nicht weisungsabhangig voneinander.^^'* Es besteht somit a priori keine legitimierte Steuenmgsinstanz.^^^ Vielmehr zeichnen sich unternehmensubergreifende Beziehungen durch eine relative Offenheit in Bezug auf den Eintritt bzw. Austritt neuer Partneruntemehmen aus, das zu einem Spannungsfeld von Autonomie und Interdependenz im Netzwerk fuhrt.^^*^ In Bezug auf die Interdependenz werden unterschiedliche AusprSgungsformen diskutiert (vgl. Abbildung 16).
"^Supply ::::^ Chain 2
Supply Chain 3 a1...c2
Aktivitaten
R
Ressource
^""^^
Seiielle Interdependenz
' " * - - ' ' Gepoolte Interdependenz
Chain 4
""""•^-^ Rezlproke Interdependenz
Abbildung 16:
Serielle, gepoolte und reziproke Interdependenzen in Supply Chains Quelle: in Anlehnung an Hakansson/Persson (2004), S. 19
Serielle Interdependenzen bestehen dort, wo Aktivitaten des einen Untemehmens den Input fur Aktivitaten des anderen Untemehmens bilden. Eine Steuerung dieser Abhangigkeiten zielt insbesondere auf „Economies of Integration", d.h. auf eine verbesserte Abstimmung zwischen den seriellen Aktivitaten ab. „Gepoolte" Interdependenzen liegen vor, wenn mehrere Aktivitaten eine gemeinsame Ressource nutzen bzw. beide gemeinsam in Abhangigkeit zu einer dritten Aktivitat stehen. Managemententscheidungen zielen hier insbesondere auf die Realisierung von „Economies of Scale" (z.B. durch Standardisierung) bzw. durch „Economies of Scope" (z.B. durch Spezialisierung) ab. In reziproken Interdependenzen stellt schlieBlich der Output der jeweils einen Aktivitat den Input der anderen dar. Auf Grund der beiderseitigen Abhangigkeitsbeziehung liegt der Fokus der Steuerung auf der simultanen Anpassung beider Aktivitaten bzw. auf der Aufhebung von Zielkonflikten (z.B. durch enge Kooperation und Wissensaustausch).^^^ Wahrend seriellen Interdependenzen, wie Hakansson/Persson (2004) feststellen, in untemehmensiibergreifenden Zulieferer/Abnehmer-Beziehungen eine hohe Aufinerksamkeit gewidmet wird, stehen gepoolte sowie reziproke Interdependenzen haufig
Vgl. Staber (2000), S. 59, Wildemann (1997), S. 418. ' Damit stellt sich de Frage nach der Systemfiihrerschaft im Netzwerk, vgl. Borchert (2001), S. 117. ' Vgl. Corsten (2001), S. 4, Sydow (1992), S. 90-93, Heusler (2004), S. 74, Wohlgemuthmess (2003), S. 200-201, Schmitz/Platts, S. 712. ' Vgl. mkansson/Persson (2004), S. 13-14 sowie S. 24.
2.2 Steuerung als untemehmensinteme und -ubergreifende Managementaufgabe
67
im Hintergnind. Ubertragen auf das Supply Chain Management ist dies als Pladoyer fiir eine verstarkte Wahmehmung der Supply Chain als Netzwerk anstatt als Lieferkette anzusehen.^^^ An einen interorganisationalen Steuerungsansatz ist somit die Forderung zu formulieren, alle drei Arten (potenziell konfligierenden) Interdependenzen zu berucksichtigen. Mit der untemehmensubergreifenden Kooperations- bzw. Netzwerkbildung wird zumeist eine Flexibilisierung der Leistungserstellung angestrebt.^^^ Die Flexibilisierung bezieht sich sowohl auf ausfuhrende Steuerungsaufgaben (wie z.B. die Zuordnung von Produktionskapazitaten) als auch auf dispositive Steuerungsaufgaben (wie z.B. Qualitatsmanagement oder Controlling), die von den beteiligten Untemehmen beispielsweise altemierend verantwortet werden kQnnen.^^^ Hieraus resultieren neue Steuerungsaufgaben, wie z.B. Abstimmungsregeln fiir Investitionsentscheidungen im Netzwerk, die Verbreitung von Anwendungsstandards oder die Absicherung gegen opportunistisches Verhalten eines Netzwerkmitglieds.^^^ Die Erfullung der Steuerungsaufgaben im Netzwerk kann weder vollstandig durch formale Regeln (wie in der klassischen hierarchischen Organisation) noch durch einen reinen Preismechanismus (wie in marktlichen Transaktionsbeziehungen) gesteuert werden,^^^ so dass vielfach neue Steuerungsmethoden und -instrumente im untemehmensubergreifenden Umfeld zum Einsatz kommen mussen bzw. bestehende Methoden zumindest einer Anpassung unterzogen werden sollten.'"
Zusammenfassend lassen sich zur Konkretisierung des Steuerungsverstandnisses der vorliegenden Arbeit somit folgende thesenartige Aussagen treffen: • Steuerung basiert auf einem kybemetischen Grundverstandnis, das sowohl feedback- als auch feedforward-orientierte Steuerungskreislaufe beriicksichtigt. Steuerung beinhaltet somit sowohl reaktive als auch proaktive Komponenten. • Dynamik, Intransparenz und Komplexitat sind als Kontextfaktoren der Steuerung in sozialen Systemen zu berucksichtigen. Sie offenbaren Steuerung als Losungsansatz fur nicht triviale Entscheidungsprobleme unter Unsicherheit. • Steuerung kann weder auf ein voluntaristisches noch auf ein umweltdeterministisches Grundprinzip reduziert werden. Ein gemafiigt-voluntaristisches
Steuerungsverstandnis
erkennt die Notwendigkeit einer zielorientierten Untemehmensfuhrung an, die auch Elemente der Selbststeuerung berucksichtigt. • Steuerung wird als kontinuierlicher Prozess begriffen, welcher die Vorgaben der tiberge-
^^* Vgl Hlikansson/Persson (2004), S. 24-25. ^^^ Vgl. Sydow (1992), S. I l l , Wohlgemuth (2002), S. 35, Jarillo (1988), S. 35. ^^° Vgl. Wohlgemuth/Hess (2003), S. 200. ^^' Vgl. z.B. Dyer/Singh (1998), S. 669-671. ^^^ Vgl. Efiig (2004a), S. 70. ^^^ Vgl. Staber (2000), S. 65-66, Wildemann (1997), S. 422.
68
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
ordneten Zielplanung, strategischen Analyse und Prognose aufgreift und diese im Rahmen der Phasen Strategieformulienmg und -bewertung, Strategieimplementierung, Ausfiihrung sowie KontroUe umsetzt. Die Phase der Kontrolle wird dabei als Querschnittsfunktion verstanden. • In untemehmensubergreifenden, kooperativen Beziehungen sind insbesondere auf Grund des Spannungsfelds von Autonomie und Interdependenz neue Anforderungen an die Steuerung zu stellen. Sie beziehen sich sowohl auf die inhaltliche Ausgestaltung der Steuerung als auch auf Verandeningen im Steuerungsprozess.
2.3 Theoriegestutzte Erklarungsbeitrage
69
2.3. Theoriegestutzte Erklsirungsbeitrage zur Steuerungsproblematik im Supply Chain Management Im folgenden Abschnitt wird der Betrachtimgshorizont der Arbeit erweitert, um relevante theoretische Erklarungsangebote in die Konzeption des Supply Chain Performance Managements einflieBen zu lassen. Nach iibereinstimmender Auffassung der einschlagigen Literatur ist bislang kein einzelner theoretischer Ansatz in der Lage, das PhSnomen der Steuerung von strategischen Untemehmensnetzwerken voUstandig zu erklaren.^^"^ Die Verwendung eines eklektischen Theorieansatzes, der Elemente ausgewahlter theoretischer Erklarungsangeboten synoptisch zusammenfiihrt, erscheint daher angebracht. Auf Grund des kooperativen Charakters von Supply Chains kommt zunachst die Kooperationsforschung als Suchfeld in Frage.^^^ Dort werden interorganisationale Beziehungen typischerweise als organisationales Konstrukt verstanden, so dass hSufig Theorieangebote der neuen Institutionenokonomie genutzt werden, um untemehmensiibergreifende Phanomene zu erklaren. Unterhalb dieses Dachbegriffs enthalten insbesondere die Transaktionskosten- sowie die Agency-Theorie Beziige zur Steuerung von Kooperationsbeziehungen (vgl. 2.3.1). Eine ganzheitliche Betrachtung und Strukturierung von Supply Chains kann femer durch die Systemtheorie unterstutzt werden. Insbesondere die Neuere Systemtheorie beinhaltet dabei Aussagen zur Steuerbarkeit komplexer Systeme, so dass der Schwerpunkt auf diese spezielle Entwicklungsstufe der Systemtheorie gelegt wird (vgl. Kapitel 2.3.2). Aufbauend auf die allgemeinen Erkenntnisse der Systemtheorie wird die Netzwerkforschung herangezogen, um die spezielle Steuerungsproblematik einer Supply Chain als gerichtetes, strategisches Netzwerk hervorzuheben (vgl. Kapitel 2.3.3). Abschliefiend erfolgt eine vergleichende Gegenuberstellung der theoretischen Erklarungsbeitrage und eine Zusammenfassung der relevanten Aussagen zur Steuerungsproblematik in Supply Chains (vgl. Kapitel 2.3.4). 2.3.1. Erklgrungsbeitrag der Neuen Institutionenokonomie Die Theorien der Neuen Institutionenokonomie haben in der betriebswirtschaftlichen
-
insbesondere in der organisationswissenschaftlichen - Literatur umfassenden Niederschlag gefunden und werden in logistik-, kooperations-, netzwerk- sowie Supply Chain-afifinen Forschungsarbeiten haufig herangezogen.^^^ Auf Grund der EinschlSgigkeit der Theorien werden deren Grundcharakteristika gerafft dargestellt. Der Schwerpunkt der Diskussion wird auf deren Aussagekraft in Bezug auf die Aufgabenstellung der vorliegenden Arbeit gelegt.
""^ Vgl. z.B. Stelzle (1999), S. 25, Gareis (2002), S. 175, Staber (2000), S. 59, Wohlgemuth (2002), S. 48, Schmitz/Platts (2004), S. 712. ^' Vgl. zur anwendungsorientierten anwendungsorientien Kooperationsforschung z.B. Kraege (1997), dort insbesondere S. 49-107, Wohlgemuth (2002), Becker (2005), Fleischer (1997) oder Pampel (1993). ^^^' Vgl. (2002), S. 111-119, Erdmann (2003), Vgl. z.B. z.B. die die Dissertationen Dissertationen von von Gareis Gareis (2002), (2002), S. S. 186-193, 186-193, Hausler Hausler (20( S. 33-45, Wohlgemuth (2002), S. 49-67, Bienert (2001), S. 24-29 sowie MSller (2002), S. 87-130.
70
2 Steuemngsproblematik im Supply Chain Management
Die Neue InstitutionenCkonomie gilt im Wesentlichen als Sammelbegriff fur die PropertyRights-, die Transaktionskosten- sowie die Agency-Theorie. Allen drei Theorien ist gemeinsam, dass sie den individuellen Akteur (als Person oder als Institution) fokussieren und ihm ein seinen Eigennutzen maximierendes, opportunistisches Verhalten imterstellen. Zudem gehen sie von einer Situation unvollkommener Information sowie einer grundlegenden Berechenbarkeit aller relevanten Handlungsaltemativen aus.^^^ Unter Berucksichtigung dieser Randbedingungen zielen die Theorien auf die kosten- bzw. effizienzwirksame Gestaltung von Austauschbeziehungen zwischen Institutionen ab.^^^ Transaktionskostentheorie Die stark von Williamson"^ gepragte Transaktionskostentheorie erhebt die Kosten der Erstellung sowie des Austausches von Gtttem und Leistungen zwischen zwei Institutionen (Unternehmen) zur primaren Analyseeinheit. Erstere werden uber die Produktionskosten erfasst, letztere iiber die Transaktionskosten.^"** Betrachtet man schwerpunktmaBig die Transaktionskosten, lassen sich Kosten vor und nach Vertragsabschluss differenzieren (vgl. Abbildung 17).^^> Unter Berucksichtigung der Transaktionskosten als Effizienzkriterium verfolgt die Transaktionskostentheorie das Ziel, jenes institutionelle Arrangement (d.h. jene organisatorische Form der Austauschbeziehung) zu identifizieren, welches einen kostenminimalen Leistungsaustausch ermoglicht.^^^
"^ Vgl. Schreydgg (2003), S. 71. "* Vgl. StSlzle (1999), S. 33. Als dritte einschlagige Theorie der Neuen Institutionendkonomie ist die PropertyRights-Theorie zu nennen. Sie geht in ihrer ursprttnglichen Form auf Coase (vgl. Coase (1937), S. 386-405) zuruck und befasst sich mit der Verteilung von Handlungs- und Verfugungsrechten sowie mit den Auswirkungen dieser Verteilung auf das Individualverhalten und die Ressourcenallokation (vgl. auch Ebers/Gotsch (2002), S. 201-202, Picot et al, S. 55-56) Im Vergleich zur Transaktionskosten- und Agency-Theorie schrankt sie ihre Betrachtung auf die Erklarung individueller Nutzen- und Vertragskalkule ein (vgl. SchreyOgg (2003), S. 80). Problemstellungen, die sich nicht als individuelle Kontrahierungsaltemativen darstellen lassen, werden ausgeblendet. Aufgnind dieser engen methodischen Auslegung halt die Property-Rights-Theorie ftir Fragen der Organisationsgestaltung sowie fiir Fragen der Steuerung kooperativer Beziehungen in Supply Chains keine spezifischen Aussagen bereit (vgl. StSlzle (1999), S. 33-34, Wohlgemuth (2002), S. 48). Sie wird daher im Folgenden nicht weiter vertieft. "^ Vgl. Williamson (1985) sowie Williamson (1996), S. 54-87. Den Grundstein der Transaktionskostentheorie legte bereits Coase (1937), S. 386-405. ^^^ Vgl. Williamson (1985), S. 22, Ebers/Gotsch (2002), S. 225. Aus methodischen GrOnden geht die Transaktionskostentheorie hMufig von der Annahme aus, dass die Produktionskosten bei alien beteiligten Akteuren gleich sind, vgl. dazu auch Bea/Haas (2001), S. 376, Diese Eingrenzung bringt ihr teilweise den Vorwurf mangelnder Realitatsnahe ein. ^"^^ Vgl. Williamson (1985), S. 22-24. StQlzle (1999), S. 36, weist auf die mangelnde Uberschneidungsfreiheit dieser an Aktivitaten orientierten Systematisierung von Transaktionskosten hin. Informationskosten lassen sich z.B. nur schwer von Verhandlungskosten trennen, wenn sie in der Verhandlungsphase auftreten. ^"^^ Vgl. Ebers/Gotsch (2002), S. 227, StSlzle (1999), S. 34-36.
71
2.3 Theoriegestutzte Erklarungsbeitrage
Transkationskosten vor Vertragsabschluss (Ex ante-Transaktionskosten)
Transaktionskosten nach Vertragsabschluss (Ex post-Transaktionskosten)
Suchkosten: z.B, Partnerselektion, Kosten von Einkauf, Vertrieb Oder Entwicklung
KontroUkosten: z.B. Mengen-, Preis-, Qualitats- und Terminiiberwachung
Informationskosten: Z.B. Kommunikations- imd Beratungskosten
Anpassungskosten: Zusatzkosten durch nachtragliche qualitative, mengenmafiige, preismSBige oder terminliche Vertragsanderungen sowie durch Konflike, die Nachverhandlungen erfordem
Verhandlungskosten: z.B. Reisekosten, Verhandlungsvorbereitung und -nachbereitung Absicherungskosten: Absicherung gegen Risiken der Austauschbeziehung, z.B. Versicherungskosten
Opportunitatskosten: Verschlechterung der eigenen Vertragsposition, z.B. durch veranderte Umwehbedingungen oder durch opportunistisches Verhalten von Partnem
Vertragskosten: Dem Vertragsabschluss zuzurechnende Kosten Abbildung 17:
Transaktionskostenkategorien vor und nach Vertragsabschluss Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Ebers/Gotsch (2002), S. 225-226, Picot et al. (1999), S. 67
Ausgangspunkt transaktionskostentheoretischer Analysen sind unterschiedliche Kostendeterminanten, die einen Einfluss auf Auspragung und Hohe der Transaktionskosten aufweisen: • Verhaltensbezogene Determinanten: Als relevante Verhaltensannahmen werden insbesondere die beschrankte Rationalitat der handelnden Akteure sowie deren Opportunismusneigirng angeftihrt. Erstere bezieht sich auf den Tatbestand, dass Personen rationale Handlungen zwar anstreben, aber auf Grund ihrer begrenzten physischen Informationsverarbeitungskapazitat nicht alle Entscheidungsaltemativen rational abwSgen konnen.^"*^ Dies trifft insbesondere auf komplexe bzw. unsichere Situationen zu.^"^ Die zweite Annahme impliziert, dass Akteure in bestimmten Situationen Eigeninteressen verfolgen und gegebenenfalls bereit sind, Informationen zuriickzuhalten oder zu ihrem eigenen Nutzen zu manipulieren. • Transaktionsbezogene Determinanten: Der Charakter einer Austauschbeziehung wird insbesondere durch das AusmaB der spezifischen Investitionen (sog. „Faktorspezifitat"), der Unsicherheit sowie der Haufigkeit einer Transaktion gepragt.^"^^ Zur Faktorspezifitat zahlen unter anderen standortspezifische (z.B. ein gemeinsames Dienstleistungszentrum), produktspezifische (z.B. fur eine Austauschbeziehung vorgehaltene Bestande an Rohmaterialien oder Halbfertigprodukten) oder humankapitalspezifische Investitionen (z.B. spezielles Know-how far den Aufbau einer Kooperationsbeziehung).^"^^ Unsicherheit bezieht sich
Vgl. Ebers/Gotsch (2002), S. 226-227, Hobbs (1996), S. 17. Vgl. zur Problematik von Komplexitat vgl. Kapitel 2.2.1.2, zur Unsicherheit vgl. Kapitel 2.2.1.3, ' Vgl. Williamson (1996), S. 59. Vgl. zur Anwendung dieser Determinanten auf die Logistik Isermarm/Lieske (1998), S. 412-418. * Williamson (1996), S. 59-60, nennt dariiber hinaus personen- bzw. zweckspezifische Investitionen (z.B. ein automatisches Kommissionierlager fiir die Sendungsabwicklung eines bestimmten Kunden), reputationsspezifische Investitionen (z.B. Pflege eines Markennamens) sowie zeitspezifische Investitionen (z.B. zeitlich
72
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
auf die Vorhersehbarkeit und die Anzahl anfallender Veranderungen der Leistimgsvereinbarung. Neben situativen Bedingungen wie Andemngen von Qualitaten, Terminen, Mengen, Budgets und Preisen wirken sich insbesondere Verhaltensunsicherheiten der Akteure, die sich aus den oben genannten Verhaltensannahmen ableiten lassen, auf die Transaktionskosten aus.^'*^ Die HSufigkeit einer Transaktion beeinflusst schliefilich die Moglichkeit zur Erzielung von Skalen- bzw. Synergieeffekten, unter anderem deshalb, weil mit wachsender Austauschfrequenz der relative Anteil der Anfangsinvestitionen und damit die Kosten je Transaktion sinken.^"^ • Umweltbezogene Determinanten: Unter dem Dachbegriff der Transaktionsatmosphare werden soziokulturelle und technische Umweltfaktoren zusammengefasst, die sich insbesondere auf die Transaktionskosten verschiedener Koordinations- und Motivationsinstrumente einer Austauschbeziehung auswirken.^"*^ Wird diesen Faktoren, wie z.B. gemeinsame Werte und Anschauungen^^® oder Vertrauen^^\ von den Akteuren ein „Wert an sich" beigemessen, wirken sie RationalitatsbeschrSnkungen und Opportunismusneigung entgegen und senken so die Transaktionskosten.^" Auf Grund komplexer Interdependenzen zwischen den angefuhrten verhaltens-, transaktionsund umweltbezogenen Kostendeterminanten kSnnen Effizienzaussagen nicht allgemeingultig getroflfen werden, sondem beziehen sich immer auf bestimmte institutionelle Arrangements der Transaktionsabwicklung.^^^ Als generische Arrangements sind dabei Markt und Hierarchie zu nennen, welche die Extrema eines Kontinuums bilden. Dazwischen sind verschiedene Hybridformen verortet, welche sowohl marktliche als auch hierarchische Elemente beinhalten. Aus vertragstheoretischer Sicht lassen sich die genannten Arrangements wie folgt charakterisieren:^^'^ • In marktlichen Austauschbeziehungen kommen insbesondere klassische Vertrage zum Einsatz. Sie sind gew6hnlich kurzfristig angelegt. Die Transaktion lauft typischerweise gemaB starren, ex ante festgelegten Regebi ab. Der Markt bietet sich demzufolge insbeson-
begrenzt absetzbare Outer wie Saisonware). Vgl. fiir Beispiele der Faktorspezifitat in der Distributionslogistik Aartsen (1993), S. 23-29. ^^^ Vgl. Williamson (1996), S. 60, Ebers/Gotsch (2002), S. 229, Picot et al. (1999), S. 69. Der HMufigkeit wird dabei aus unterschiedlichen Griinden eine weniger ausschlaggebende Bedeutung als den anderen Transaktionsdeterminanten attestiert, vgl. Bea/Haas (2001), S. 378, Ebers/Gotsch (2002), S. 230, Picot et al. (1999), S. 71, Gareis (2002), S. 189. Wahrend sich Effekte der Transaktionshaufigkeit meist erst ex post einstellen, wirken sich FaktorspezifitMt und Unsicherheit sowohl vor als auch nach Vertragsabschluss auf die Vorteilhaftigkeit eines institutionellen Arrangements aus und weisen einen dementsprechend grofieren Einfluss auf. ^^^ Vgl. Picot et al. (1999), S. 72, Bea/Haas (2001), S. 378. ^^^ Vgl. Bea/Haas (2001), S. 378. Vgl. die Ausfuhrungen zu „institutionellem Vertrauen" bei Williamson (1996), S. 250-275. ^" Vgl. Picot et al. (1999), S. 72. ^^^ Vgl. Williamson (1985), 21. Vgl. auch Stolzle (1999), S. 38, der auf die Wechselwirkungen zwischen den genannten Kostendeterminanten hinweist. ^^"^Vgl. Vgl.zur zurfolgenden folgendenAufzShlung, AufzShlung,sofem sofemnicl nicht anders angegeben, Ouchi (1980), S. 63-67, Ebers/Gotsch (2002), S. 231-234, Stolzle (1999), S. 40, Gareis (2002), S. 190-191 sowie Mehlhom (2002), S. 51-52.
2.3 TheoriegestiitzteErklarungsbeitrage
73
dere bei niedriger Faktorspezifitat, niedriger Unsicherheit und niedriger Haufigkeit als effizientes institutionelles Arrangement an. Der Rationalitatsbeschrankung und Opportunismusneigung sind auf Gmnd der guten Beurteilbarkeit der Austauschbeziehung und der relativ hohen Transparenz des Preismechanismus enge Grenzen gesetzt. Auf Grund der hohen Entscheidungs- und Handlungsautonomie der Marktteilnehmer erfolgt eine Verhaltenssteuerung vomehmlich iiber Anreizwirkungen. Musterbeispiel eines klassischen Vertrags ist ein Kaufvertrag iiber ein Standardgut wie z.B. eine Gluhbime. • Hierarchischen Austauschbeziehungen bilden den Gegenpol zum Markt. Sie werden durch relationale Vertrage geregelt, die langfristig angelegt sind und sich durch eine relativ groBe Offenheit in der ex ante-Defmition von Leistung und Gegenleistung auszeichnen. Eine Beschrankung opportunistischen Verhaltens erfolgt durch direkte Verhaltenssteuerung im Rahmen eines Machtgeftiges (z.B. durch Anweisungen). Die Transaktionskostentheorie empfiehlt die Hierarchic als organisatorische Einbindungsform^^^ insbesondere bei hoher Faktorspezifitat, hoher Unsicherheit und hoher Wiederholungshaufigkeit der Tranksaktion. Relationale Vertragsbeziehungen sind kennzeichnend fiir geschlossene Organisation wie z.B. ein einzelnes Untemehmen. • In hybriden institutionellen Arrangements kommen marktliche und hierarchische Steuerungsmechanismen in unterschiedlicher Intensitat zur Anwendung. Demnach nehmen sie eine Mittelstellung zwischen Markt und Hierarchic ein. Die vorherrschende Form der Vertragsbeziehung sind dabei sog. „neoklassische Vertrage", die bewusst auf eine prazise Regelung aller potenziellen Kosten- und Nutzenkategorien der Transaktion verzichten.^^^ Die Abwicklung der Transaktion beschrankt sich nicht auf „einen diskreten Akt von Leistung und Gegenleistung. Stattdessen ist ein ex post entstehender Anpassungsbedarf vorgesehen, der auch nach Vertragsabschluss ein gewisses MaB an Entscheidung, Abstimmung und Kooperation der Transaktionspartner"^^^ erfordert. Fallbeispiele fur durch neoklassische Vertragsbeziehungen begriindete institutionelle Arrangements sind langfristige Liefervertrage. Joint Ventures, Kooperationen, aber auch die far das Supply Chain Management relevanten strategischen Netzwerke.^^^ Die Ausfiihrungen zu den institutionellen Arrangements machen deutlich, dass die Transaktionskostentheorie insbesondere bei der Wahl des vertikalen Integrationsgrades bzw. beim TreflFen von Leistungstiefenentscheidungen
(sog. „Make-or-Buy"-Entscheidungen)
die
Steuerung von Supply Chains unterstiitzen kann. Auf Grund einer meist mangelnden Erfassbarkeit und Quantifzierbarkeit der Transaktionskostendeterminanten kann dabei jedoch nicht
^^Wgl. Burr (2003), S. 113. ^^^ Vgl. Jones et al (1997), S. 917. ^" Ebers/Gotsch (2002), S. 231, Kursivstellung vom Verfasser hinzugefugt. ^^ Vgl. zu letztgenanntem Punkt insbesondere Jarillo (1988), S. 31-41, Sydow (1992), S. 136-144 sowie die Ausfiihrungen in Kapitel 2.3.3.
74
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
der Anspmch an ein exaktes Entscheidungsmodell gestellt werden.^^^ Vielmehr erlauben transaktionskostentheoretische Uberlegungen, Tendenzaussagen zur Vorteilhaftigkeit bestimmter Arrangements zu trefFen.^^ Die Hybridform bieten zum einen die Moglichkeit einer „quasi-vertikalen Integration**^*^' - d.h. eines Mittelweges zwischen Markt und Hierarchie.^^^ Zum anderen weist ein mittlerer vertikaler Integrationsgrad gegeniiber der klassischen hierarchischen Integration (wie z.B. durch Akquise vor- oder nachgelagerter Wertschopfungsstufen) einen geringeren Investitionsbedarf sowie eine hOhere FlexibilitSt auf.^^^ Daruber hinaus ersetzt bei hybriden institutionellen Arrangements eine langerfristige Kooperationsvereinbarung hSufig die in klassischen Vertragen ubliche genaue Spezifikation und schriftliche Fixierung aller Leistungsdetails und EventualitSten der Geschaftsbeziehung.^^ Als Vorbedingungen fur diese vertragliche Offenheit werden das Erreichen einer Zielkongruenz der beteiligten Akteure, das Vorhandensein von Vertrauen sowie idiosynchratische Investitionen diskutiert.^^^ Der Faktor Vertrauen ist dabei differenziert zu bewerten. Wahrend das Vertrauen in das WohlwoUen des Partneruntemehmens („goodwill trust**) in der Kegel zu einem veringerten Bedarf nach vertraglichen Absicherungsmechanismen („contracutal safeguards") fuhrt, kann nach neueren empirischen Erkenntnissen das Vertrauen in die Fachkompetenz eines Unternehmens („competence trust**) unter Umstanden sogar zu einer h6heren Opportunismusneigung beim Kooperationspartner fuhren.^^ Die Transaktionskostentheorie lenkt die Aufinerksamkeit auf die Notwendigkeit einer Steuerung von Austauschbeziehungen nach dem Vertragsabschluss (z.B. bei Konflikten oder Vertragslucken). Die Randbedingungen der beschrankten Rationalitat und der Opportunismusneigung erfordem KontroUmechanismen, die ein Ansteigen der Transaktionskosten durch opportunistisches Verhalten von Supply Chain-Mitgliedem ex ante (z.B. durch ein Screening potenzieller Partneruntemehmen), vor allem aber ex post (z.B. durch die Einrichtung von Anreizsystemen) verhindem helfen.^^^ Daruber hinaus vereinfacht der Fokus auf Austauschprozesse die Anwendung der Transaktionskostentheorie bei prozessbezogenen Problemstellungen, wie sie typischerweise im Supply Chain Management anfallen. Die Offenheit der
^^^ Vgl. Skj0tt-Larsen (1999), Hobbs (1996), S. 20 und 24, Bretzke (1999), Isermann/Lieske (1998), S. 418. ^^ Vgl. Isermann/Lieske (1998), S. 418. ^^' Hobbs (1996), S. 18, ins Deutsche Ubersetzt. Vgl. ahnlich Sydow (1992), S. 136-144, der durch die Bildung hybrider Arrangements - je nach Blickwinkel - eine Quasi-Extemalisierung organisationsintemer Austauschbeziehungen bzw. eine Quasi-Intemalisienmg marktlicher Austauschbeziehungen verwirklicht sieht. ^" Vgl. Contractor/Lorange (1988), S. 15, MSller (2002), S. 99. ^" Vgl. Evans/Danks (1998), S. 31-32. ^^ Vgl. Picot et al. (1999), S. 81. ^^^ Vgl. Ouchi (1980), S. 67-70, Jap/Anderson (2003), S. 1687-1688. Bei hohem Vertrauen in die Fachkompetenz des Partners ist die Versuchung grSBer, diese Kompetenz fUr eigene Zwecke zu nutzen, vgl. Lui/Ngo (2004), S. 483. ^^^ Vgl. Jap/Anderson (2003), S. 1686, Picot et al. (1999), S. 69, Skj0tt-Larsen (1999), S. 42-43. Vgl. auch die Ausfuhrungen bei Hallddrson et al. (2003) zur Bedeutung von „Safeguards" (z.B. Vertragsstrafenregelungen) und „Credible Commitments" (z.B. gemeinsame Investitionen in LagerhMuser, gemeinsame Weiterbildungsveranstaltungen oder Mitarbeiteraustauschprogramme) zur Vermeidung von Opportunismus beim LogistikOutsourcing.
2.3 Theoriegestutzte Erklarungsbeitrage
75
Theorie in Bezug auf die Art der Transaktionen erlaubt dabei sowohl die Betrachtung des Material- und Warenflusses als auch des Informationsflusses. In Bezug auf letztgenannten wird insbesondere dem elektronischen Informationsaustausch eine immer wichtigere RoUe bei der Senkung von Transaktionskosten zugesprochen.^^^ An Kritik am Ansatz der Transaktionskostentheorie mangelt es nicht, so dass hier nur einige der wichtigsten Ansatzpunkte angefuhrt werden konnen.^^^ Im AUgemeinen wird die Konzeptualisierung und Operationalisierung der abhangigen und unabhangigen Variablen kritisiert. So wird z.B. die Verhaltensannahme der Opportunismusneigung als kontraproduktiv bezeichnet, weil sie eine Spirale aus Misstrauen und KontroUe anstoBen kann, der die Handlungsoptionen von Entscheidungstragem einzuschranken vermag.^^^ Im Bereich der unterschiedlichen Kostenkategorien steht die mangelnde Mess- und Quantifizierbarkeit der Transaktionskosten im Vordergnind.^^^ Insbesondere bei engen Kooperationsbeziehungen und stark vemetzten Prozessen ist eine verursachungsgerechte Messung und Zuordnung von Kosten oft nicht moglich, so dass die geforderte Monetarisierbarkeit der Erfolgswirkungen von Transaktionen bislang aussteht.^''^ Aufierdem blendet die Transaktionskostentheorie durch ihren Fokus auf Kostendeterminanten (insbesondere Faktorspezifitat und Unsicherheit) eine nutzenseitige Betrachtung von Transaktionsertragen aus.^^^ Ebenso bleiben weitere EinflussgroBen, die bei der Wahl institutioneller Arrangements eine entscheidende Rolle spielen konnen, weitgehend unberucksichtigt. So wird z.B. vorgeschlagen, die Messbarkeit des Partnerverhaltens als weiteres Entscheidungskriterium neben der Faktorspezifitat bei „Make-or-Buy"-Entscheidungen im Bereich des Outsourcings von Logistikdienstleistungen heranzuziehen. Demnach ware bei geringer Faktorspezifitat und hoher Messbarkeit der Partnerperformance eine marktliche Austauschbeziehung, bei hoher Faktorspezifitat und geringer/schwerer Messbarkeit der Performance eine hierarchische Integration anzustreben.^^"* SchlieBlich ist anzumerken, dass die „kostenoptimale" Gestaltung einer einzelnen bilateralen Austauschbeziehung unter Umstanden auch einen negativen Erfolgsbeitrag fur das gesamte Wertschopfungsnetzwerk erbringen kann. Im Hinblick auf bestimmte Gestaltungsaufgaben in netzwerkartigen Supply
^^^ Vgl. Fleisch (2001), S. 96, Hobbs (1996), S. 34. Die Wirkungen technologischer MaBnahmen auf die Transaktionskosten wurden in der fruhen Literatur zur Transaktionskostentheorie - wohl aufgrund der noch nicht stark ausgepragten Digitalisierung des Informationsaustauschs - unterschatzt, vgl. Sydow (1992), S. 149. Zu einer „pragmatischen Kritik" der Transaktionskostentheorie im Hinblick auf ihre Eignung zur Begriindung von Make-or-Buy-Entscheidungen in der Logistik vgl. Bretzke (1999), S. 343-359. Zu einer relativ umfassende kritische Wiirdigung der Transaktionskostentheorie im Hinblick auf ihre Einsetzbarkeit zur Steuenmg strategischer Netzwerke vgl. z.B. Sydow (1992), S. 145-168. ^^" Vgl. Goshal/Moran (1996), S. 27. Vgl. dazu auch Burr (2003), S. 115. ^^^ Vgl. Stolzle (1999), S. 42, MoUer (2002), S. 102. ^^^ Vgl. Moller (2002), S. 103. ^^^ Vgl. Burr (2003), S. 118. ^''^ Vgl. Aertsen (1993), S. 26-27.
76
2 Steuemngsproblematik im Supply Chain Management
Chains (z.B. Entwicklung und Umsetzung koUektiver Strategien, Aufbau von Vertrauen) leistet die Transaktionskostentheorie somit nur einen begrenzten Beitrag.^^^ Agency-Theorie Im Mittelpunkt der Agency-Theorie"*^ steht die vertragliche Gestaltung einer Auftragsbeziehung, in welcher eine Partei als Auftragnehmer (Agent) fur eine andere Partei, den Auftraggeber (Prinzipal), eine bestimmte Aufgabe zu erfuUen hat. Neben der Beschreibimg der RoUen von Prinzipal und Agent sowie der inhaltlichen Ausgestaltung der Vertragsbeziehung adressieren die Kemaussagen der Agency-Theorie insbesondere die Verhaltenssteuerung der beteiligten Akteure."^ Die der Agency-Theorie zu Grunde liegenden Verhaltensannahmen entsprechen weitgehend jenen der Transaktionskostentheorie, weisen jedoch engere Wechselwirkungen untereinander auf."* Erganzt werden sie um den Aspekt der personlichen Risikoneigung."^ Als relevante Umweltbedingung gilt insbesondere die ungleiche Informationsverteilung zwischen den Vertragspartnem. Dem Agenten wird meist ein Informationsvorsprung in seinem Aufgabengebiet unterstellt, der es ihm ermoglicht, Handlungsspielraume gegentiber dem Prinzipal auszunutzen. Der Prinzipal hat demgegenuber ein Informationsdefizit, welches es ihm erschwert, den Agenten einzuschatzen und dessen Opportunismusneigung zu kontrollieren. Der aus diesen Informationsasymmetrien erwachsende Zielkonflikt^^" zwischen Prinzipal und Agent fuhrt zu sog. „Agency-Kosten", welche das Effizienzkriterium der Agency-Theorie darstellen. Zu diesen zahlen^*' • die Steuerungs- und Kontrollkosten des Prinzipals, die neben den Uberwachungskosten auch die Kosten des Vertragsabschlusses, die Risikopramien sowie die Entlohnung des Agenten beinhalten, • die Garantiekosten des Agenten, wie z.B. Dokumentationskosten oder Schadenersatzverpflichtungen, sowie
^^^ Vgl. ahnlich Sydow (1992), S. 157. Vgl. dazu auch die empirisch gestiitzten Erkenntnisse zur transaktionskostentheoretischen Gestaltung von Zuliefersystemen bei Gaitanides (1996), dort insbesondere S. 110-111. ^^ Die Begriffe ,J*rincipal Agent-Theorie", ,^gency-Theorie" und ,Agenturtheorie" werden synonym verwendet. Als Hauptvertreter der Agency-Theorie gelten Jensen/Meckling (1976). ^^^ Dies gilt fiir die positivistisch-deskriptive Forschungsrichtung der Agency-Theorie. Die normative Richtung, die hier nicht weiter vertieft wird, bedient sich demgegenuber einer formalen Darstellungsform und leitet deduktiv (d.h. ohne empirische Beziige) Gestaltungsempfehlungen zur Prinzipal-Agentenbeziehung ab. Vgl. zu einer formal-mathematischen Darstellung typischer Agency-Probleme z.B. Picot et al. (1999), S. 95-130. "^ Vgl.St6lzle(1999),S.53. Vgl. Picot et al. (1999), S. 87. Dem Agenten wird dabei meistens eine Risikoabneigung, dem Prinzipal Risikoneutralitat unterstellt, vgl. Ebers/Gotsch (2002), S. 211. Grundsatzlich wird davon ausgegangen, dass der Prinzipal an einer mdglichst kostengunstigen Auftragserfullung durch den Agenten interessiert ist. Diese druckt sich in einer mdglichst groBen Differenz zwischen dem erwarteten fmanziellen Ergebnis der Leistungserstellung und den Delegationskosten aus. Der Agent verfolgt demgegenuber das Nutzenkalkul, seinen eigenen Leistungsbeitrag bei der AuftragserfuUung zu minimieren, um aus der Differenz zwischen Aufwand und Entlohnung eine Quasi-Rente zu erzielen, vgl. Ebers/Gotsch (2002). ^^^ Vgl. zur folgenden Aufzahlung Stolzle (1999), S. 52-53 sowie Ebers/Gotsch (2002), S. 212.
2.3 Theoriegestiitzte Erklarungsbeitrage
77
• die Residualkosten, die als Wohlfahrtsverlust anfallen, wenn sich der Agent auf Grund der genannten Verhaltensannahmen so verhalt, dass der Nutzen des Prinzipals nicht maximiert wird. Der aus Inforaiationsdefiziten und Zielkonflikten resultierende Abstimmungsbedarf zwischen Prinzipal und Agent aufiert sich in drei typischen Agency-Problemen, welche jeweils aus der Perspektive des Prinzipals modelliert werden.^^^ Das Problem der Hidden Characteristics bezieht sich auf die vor Vertragsabschluss (d.h. ex ante) vorhandene Unsicherheit des Prinzipals liber die Qualitatseigenschaften des Agenten. Kann oder will der Agent seine tatsSchliche LeistungsfShigkeit nicht offen legen, besteht fur den Prinzipal das Risiko der Auswahl eines ungeeigneten Auftragnehmers (Adverse Selection). Zur gezielten Verhaltenssteuerung stehen im Rahmen des Hidden Characteristics-Problems die Methoden des Signalling (Signalisierung von Leistungsfahigkeit und -bereitschaft durch den Agenten) und Screening (Uberprufung des Agenten durch den Prinzipal), z.B. anhand von Giitesiegeln oder ISO-Zertifikaten, zur Verfugung. Daruber hinaus bietet sich in bestimmten Vertragsbeziehungen die Methode der Self Selection an (der Agent wahlt selbstandig aus mehreren vom Prinzipal vorgegebenen Vertragsaltemativen). SchlieBlich ist bereits ex ante ein Interessensausgleich moglich, z.B. dann, wenn der Agent selbst auf Grund eines drohenden Reputationsverlusts kein Interesse daran hat, seine Qualitatseigenschaften vor dem Prinzipal zu verschleiem. Mit dem Problem der Hidden Action bzw. Hidden hiformation ist jener Zielkonflikt angesprochen, der entsteht, wenn der Agent nach Vertragsabschluss sein Anstrengungsniveau ohne Kenntnis des Prinzipals reduziert oder Informationen, die dem Prinzipal nicht zur Verfugung stehen, opportunistisch nutzt. Der Auftraggeber kann lediglich das Endergebnis der Leistungserstellung beurteilen, nicht jedoch das Verhalten des Agenten. Die Gefahr der Ausnutzung des Informationsdefizits des Prinzipals durch den Agenten wird als Moral Hazard bezeichnet. Steuerungsmoglichkeiten bieten hier Planungs- und KontroUsysteme, die sich am Leistungsergebnis oder am Leistungsprozess orientieren konnen^^l Zudem kann eine fmanzielle Ergebnisbeteiligung des Agenten kann in Erwagung gezogen.^^"* Auch bei der Problematik der Hidden Intention stehen dem Agenten Handlungsspielraume zur Verfiigung, die er nach Vertragsabschluss opportunistisch ausnutzen kann. hn Unterschied zum Hidden Action-Problem erkennt der Prinzipal das Agentenverhalten zwar ex post, jedoch
^^^ Vgl.Picotetal.(1999),S. ^^^ Vgl. Picot et al. (1999), S. 93. Ergebnisorientierte KontroUsysteme weisen zwar den Vorteil der besseren Messbarkeit auf, sanktionieren das Verhalten des Agenten jedoch nur indirekt, wodurch Verhaltensspielraume bestehen bleiben. Ein besonderes Problem stellen dabei exogene StorgroBen dar, die sich ex post nicht mehr vom Individualverhalten des Agenten separieren lassen. Dadurch kommt es zu einer Risikouberwalzung vom Prinzipal auf den Agenten (z.B. muss der Logistikdienstleister bei fest vereinbarten Lieferkonditionen selbst die Kosten einer MauterhOhung tragen). ^ Insbesondere in Aktiengesellschaften gilt die fmanzielle Ergebnisbeteiligung der Untemehmensleitung als ublicher, jedoch nicht unumstrittener Ansatz zur Vermeidung von Moral Hazard-Problemen. Da das Management als Agent gegenuber den Anteilseignem (dem Prinzipal) einen Informationsvorsprung besitzt, treten trotz monetarer Ergebnisbeteiligung haufig Zielkonflikte in punkto Risikoneigung, Gewinnverwendung oder Strategiewahl auf. Vgl. dazu Bea/Haas (2001), S. 374.
78
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
fehlen ihm geeignete SanktionsmOglichkeiten. Dadurch kommt es zum Hold Up des Prinzipals durch den Agenten. Einen typischen Anwendungsfall stellen z.B. irreversible spezifische Investitionen dar, die zu Sunk Cost fuhren konnen.^*^ Eine Vermeidung der Problematik kann uber verschiedene Formen von Sicherheiten, wie z.B. Leistungsgarantien, Biirgschaften oder Gegengeschafte erfolgen. Zusammengefasst bestehen die MSglichkeiten der Steuerung von Agenten durch den Prinzipal in der direkten Verhaltenssteuerung durch formale Regeln oder KontroUen, der Verbesserung des Informationssystems sowie der Beteiligung des Agenten am finanziellen Ergebnis der Zusammenarbeit uber Anreizsysteme.^*^ Abbildung 18 liefert eine Zusammenfassung der genannten Agency-Probleme und nennt jeweils Beispiele aus dem Supply Chain Management-Kontext. Hidden Characteristics
Hidden Intention
Hidden Action/ Hidden Information
Problemursache/HaupteinflussgroBe
Verbergbarkeit von Eigenschaften
RessourcenabhSngigkeit, -einmaligkeit und -entziehbarkeit
Uberwachungsmoglichkeiten und -kosten
Problembezeichnung
Adverse Selection
Hold Up
Moral Hazard
Informationsproblem des Prinzipals
Qualitatseigenschaften des Vertragspartners ex ante unbekannt, erst ex post bekannt
Absichten des Vertragspartners ex ante unbekannt, erst ex post bekannt
Anstrengungen des Partners sowohl ex ante als auch ex post nicht beobachtbar/beurteilbar
Verhaltensspielraum des Agenten
vor Vertragsabschluss vorhanden
nach Vertragsabschluss vorhanden
nach Vertragsabschluss vorhanden
Generische Losungsansatze
Signalling/Screening, Self Selection, Vermeidung von Reputationsverlust
Sicherheiten (Leistunggarantien, Biirgschaften, Gegengeschafte)
Ergebnisbeteiligung, Monitoring durch Planungs- und Kontrollsysteme
Falibeispiele aus dem Supply Chain Management-Kontext
Auswahl eines Logistikdienstleisters, dessen ITKompetenz nicht den Vorgaben entspricht (z.B. kein EDI moglich).
JIT-Lieferant kann trotz schlechtem Lieferservice auf Grund hoher gemeinsamer Investitionen nicht ersetzt werden.
Hersteller enthalt realisierte Effizienzzuwachse aus gemeinsamen Supply Chain-Projekten dem Lieferanten vor.
^ \ ^ Informations^ ^ asymmetrie Unterschei-^\^ dungskriterium \
^
Abbildung 18:
Grundelemente und Gestaltungsempfehlungen der Agency-Theorie Quelle: in Anlehnung an Picot et al. (1999), S. 91
Zu den Vorzugen der Agency-Theorie zahlt zunachst, dass sie einen relativ prazisen Analyserahmen bereitstellt, in dem typische Steuerungsprobleme zwischen unvoUstandig informierten
' Die Problematik der irreversiblen spezifischen Investitionen in der Agency-Theorie deckt sich weitgehend mit der gleichlautenden Problemstellung in der Transaktionskostentheorie. Vgl. dazu Picot et al. (1999), S. 89 sowie Kapitel 2.3.1. * Vgl. KieserAValgenbach (2003), S. 50-51, Ebers/Gotsch (2002), S. 214-215.
2.3 TheoriegestutzteErklarungsbeitrage
79
und nutzenmaximierenden Akteuren durch standardisierte Koordinationsmechanismen gelost werden koiinen.^^^ So verwundert es nicht, dass in den letzten Jahren agency-theoretische tJberlegungen zunehmend in Richtung untemehmensiibergreifender
Prinzipal-Agenten-
Beziehungen weiterentwickelt werden und dadurch eine erhohte Relevanz fiir Problemstellungen des Supply Chain Managements erlangen.^^^ Die der Theorie innewohnende Pramisse einer hierarchischen Beziehungsstruktur begiinstigt dabei insbesondere ihre Anwendung in Supply Chains, die von einem fokalen Untemehmen gefuhrt werden. Letztgenanntes nimmt die RoUe eines Prinzipals ein, der anderen Supply Chain-Mitgliedem als Agenten bestimmte Teilaufgaben der Leistungserstellung zuordnet.^^^ Die typischen Ausloser von AgencyProblemen, wie Informationsasymmetrie, Unsicherheiten und divergierende Risikoeinstellungen, sind auch in Supply Chain-Beziehungen vorhanden und werden durch die rechtliche Selbstandigkeit der Partner tendenziell noch verscharft. Ex ante sind z.B. die IT-Fahigkeiten eines Lieferanten oder Logistikdienstleisters, z.B. zur Durchfuhrung von elektronischem Datenaustausch iiber EDI, dem fokalen Untemehmen nicht voUstandig bekannt. Das Eingehen einer Kooperationsbeziehung konnte demnach hohe Kosten verursachen (Adverse Selection). Ein dominanter Automobilhersteller konnte - seinerseits in einer Agentenrolle Kosteneinsparungen, die durch ein Kooperationsprojekt mit einem Lieferanten entstanden sind, entgegen getroflfener Vereinbarungen selbst einstreichen, da der Lieferant in die EfFizienzzuwachse, die beim OEM realisiert werden, haufig keinen Einblick hat (Moral Hazard). Ex post besteht bisweilen die Gefahr, dass z.B. JIT-Lieferanten nicht ersetzt werden konnen, da hohe gemeinsame Investitionen getatigt wurden (Hold Up).^^^ Eine agency-theoretische Betrachtung der Steuerungsproblematik im Supply Chain Management verfolgt somit das Ziel, die genannten Probleme mittels geeigneter Methoden und Instrumente abzumildem bzw. zu losen. Weiterentwicklungen der Agency-Theorie verlassen zudem ihren urspriinglich dyadischen Handlungsrahmen und stellen erste Losungsansatze fur Steuerungsaufgaben in mehrstufigen Supply Chains mit mehreren Mitgliedem bereit.^^^ Auch in der Netzwerkliteratur wird eine Ausdehnung des Betrachtungsobjekts der Agency-Theorie angestrebt. Eine Modellierung dieser Ausdehnung wird iiber die Diflferenzierung von horizontalen und vertikalen AgencyBeziehungen untemommen. Erstgenannte resultieren aus der Kooperationsbeziehung zwischen zwei (gleichwertigen) Austauschpartnem, die jeweils sowohl als Prinzipal als auch als
'"' Vgl. Stelzle (1999), S. 65, KieserAValgenbach (2003), S. 51, Ebers/Gotsch (2002), S. 221. ^^^ Vgl. z.B. Kaluza et al. (2003), S. 27-63 (Einfuhrung in Principal-Agent-Probleme in der Supply Chain), Buck (1998), dort insbesondere S. 119-153 (Agency-Beziehungen zwischen Beschaffimgsmanagement als Prinzipal und Lieferant als Agent), Wolters (1995), S. 152-158 (empirische Untersuchung zu untemehmensubergreifenden Agency-Beziehungen in der Automobilindustrie), Stelzle (1999), S. 64-65 sowie S. 121-123 (Anwendung der Agency-Theorie auf Zulieferer/Abnehmer-Beziehungen), Cansier (2001) (formale Analyse von Agency-Problemen in ECR-Beziehungen zwischen Hersteller und Handel) sowie Logan (2000) (AnwendungsmSglichkeiten der Agency-Theorie beim Outsourcing von Transportdienstleistungen). ^^^ Vgl. Kaluza et al. (2003), S. 28. ^^ Vgl. Kaluza et al. (2003), S. 27-31. ^^* Vgl. Rautenstrauch (2002), S. 360, Stolzle (1999), S. 63, Mannel 1996, S. 87-89.
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
80
Agent auftreten konnen. Mit Zweitgenannten sind Fuhningsbeziehungen angesprochen, wie sie beispielsweise zwischen einem Netzwerk-Steuerungsgremium (wie z.B. ein Auftragskoordinator) und einem ausfuhrenden Untemehmen bestehen.^^^ Ein weiteres Einsatzgebiet einer weiterentwickelten Agency-Theorie bildet der IT-Bereich. Dort kommen zunehmend „Multi-Agentensysteme" zum Einsatz, die eine heterarchische Abstimmung zwischen mehreren Akteuren vereinfachen. Die „Agenten" sind verteilte Progranmie, die im Auftrag imterschiedUcher Prinzipale miteinander kommunizieren und Transaktionen ausfuhren bzw. vorbereiten.^^^ Anwendungsbereiche fur Multi-Agentensysteme finden sich beispielsweise in der Beschaflfung, wo Multi-Agentensysteme eine automatische Abstinmiung des Prozessablaufs zwischen Supply Chain-Teilnehmem unterstutzen konnen.^^"* Die Agenten agieren dabei dezentral auf Basis von a priori festgelegten Akteurs- und/oder Gruppenzielen wie z.B. Mindest-/H6chstmengen, Zielpreisen oder Bereitstellungsterminen.^^^ Abbildung 19 stellt den beispielhaften Prozessablauf eines Multi-Agentensystems zwischen Abnehmer, Lieferant und Spediteur dar.
0
Ermittlung Optimierungszeitfenster
Optimierter Abruf mit Bereitstellungstermin und spatestem Eintrefftermin
{ynj
Transportmeldung
Multi-Agenten-System
Abbildung 19:
©
Avise zum Bereitstellungstemnin
0
Verbindlicher Abholtemiin
Exemplarischer Prozessablauf eines Multi-Agenten-Systems zwischen Supply ChainTeilnehmem. Quelle: Dangelmaier et al. (2004), S. 66
Kritisch ist zur Agency-Theorie anzumerken, dass sie Austauschbeziehungen quasi automatisch ein Uber-/Unterordnungsverhaltnis zuschreibt und dabei stets aus der zentralen Perspek-
- Vgl. Wohlgemuth (2002), S. 62-63. ' Vgl. Z.B. Bodendorf et al. (2001). ^ Vgl. Dangelmaier et al. (2004), S. 66. ' Vgl. Dangelmaier et al. (2002), S. 552-563.
2.3 TheoriegestiitzteErklarungsbeitrage
81
tive des Prinzipals argumentiert.^^^ Im Kontext des Supply Chain Managements hat dies zur Folge, dass Informationsasymmetrien zugunsten des dominanten Partners (z.B. des fokalen Untemehmens) vemachlassigt werden.^^^ Daruber hinaus fuhrt die Fokussierung auf AgencyKosten zu einer VemachlSssigung potenziell positiver Zielbeitrage durch den Agenten, wie z.B. ein Know-how-Vorsprung des Lieferanten, von dem auch der Abnehmer profitiert.^^^ Zudem ist die Rollenverteilung zwischen Prinzipal und Agenten nicht immer klar defmiert. Insbesondere bei gleichgewichtigen Partnerschaften oder Partnerschaften zwischen mehreren Akteuren mit unklaren Prinzipal-ZAgentenroUen treten dadurch unter Umstanden Zuordnungsprobleme auf.^^^ Des Weiteren ist anzumerken, dass die Agency-Theorie von ex ante formulierten Zielen der Akteure ausgeht, welche in die Vertragsgestaltimg und MaBnahmenauswahl einfliefien. Eine nachtragliche Anpassung dieser Ziele, die insbesondere in komplexen und dynamischen Supply Chain-Beziehungen geboten erscheint, ist dabei nicht vorgesehen."*^ SchlieBlich bestehen bezuglich der empirischen Validierung und Erhebbarkeit entscheidungsnotwendiger Informationen (wie z.B. Agency-Kosten) vergleichbare Probleme zu jenen, die bereits im Rahmen der Transaktionskostentheorie angesprochen wurden."*^^ 2.3.2. Erklarungsbeitrag der Neueren Systemtheorie Die Systemtheorie erweist sich als auBerst komplexes Theoriegebaude, das insbesondere im Lauf der letzten 50 Jahre von einer Vielzahl von Stromungen beeinflusst wurde. In der Betriebswirtschaftslehre findet die Systemtheorie insbesondere in den Ansatzen eines systemorientierten Managements ihren Niederschlag."*"^ Demzufolge sind Untemehmen als Systeme aufzufassen, die bestimmte Eigenschaften aufweisen und aus zueinander in Beziehung stehenden Elementen zusammengesetzt sind."^^^ Ebenso konnen mehrere Untemehmen zusammen ein System konstituieren, aus dessen Sicht das einzelne Untemehmen die Rolle
^^ Vgl. KieserAValgenbach (2003), S. 52, Stolzle (1999), S. 121, Meinhovel (2004), S. 474. Dies gilt fur eine Zeitpunktbetrachtung. Im Zeitverlauf konnen die RoUen von Prinzipal und Agent wechseln. ^^ Ein Beispiel hierfur sind z.B. Rabattforderungen eines Automobilherstellers einem abhangigen Teilelieferanten gegeniiber. Wird der Hersteller weiterhin als Prinzipal eingeordnet, bleibt diese Problematik unberucksichtigt. ^^^ Vgl. Meinhovel (2004), S. 747. ^^ Vgl. Schmitz/Platts (2004), S. 714. Ebers/Gosch (2001) bemangeln z.B. die „unterbeliclitete" Rolle ,/egulativer Dritter" in der Agency-Theorie, die sich aus der Fixierung auf Individualvertrage ergibt. Kaluza et al. (2003), S. 61, sprechen sich in diesem Zusammenhang fiir eine bewusste AuflSsung des ,Jiierarchischen Potenzials" einer Supply Chain aus und pladieren fur die Einrichtung eines Supply Chain-Gremiums als neue Koordinationsinstanz, welche die Rolle des Prinzipals in der Supply Chain einnimmt. Meinhovel (2004), S. 475, merkt an, dass eine Konkurrenz unter Prinzipalen und/oder Agenten weitgehend ausgeblendet wird. ^ Die Transaktionskostentheorie adressiert demgegenuber gezielt das Problem der ex post-Anpassung von Vertragsbeziehungen, vgl. dazu Kapitel 2.3.1. ^^ Vgl. Ebers/Gotsch (2002), S. 223-224 sowie die diesbeziiglichen Ausfiihrungen in Kapitel 2.3.1. Vgl. auch MeinhSvel (2004), S. 475. ^^ Vgl. zu systemtheoretisch fundierten Managementansatzen Ulrich (1970), der als Begrunder des Systemorientierten Managements in der deutschsprachigen Betriebswirtschaftslehre gilt, sowie z.B. Malik (1979), S. 25-42. ^^^ Vgl. Ulrich (1995), S. 170, Kasper et al. (1999), S. 164.
82
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
eines Subsystems bzw. eines Systemelements einnimmt. Auf diese Weise entsteht eine Systemhierarchie (vgl. Abbildung 20)."*^
Supersystem V
OQ
Systemelement Systeminteme BezJehung System/UmweltBeziehung
Abbildung 20:
Bildung von Systemhierarchien Quelle: in Anlehnung an Haberfellner et al (2002), S. 18
Als Ausgangspunkt systemtheoretischer Uberlegungen gilt die Grenzziehung zwischen System und Umwelt."*®^ Dies lasst sich anhand einer vereinfachten Darstellung der Entwicklung der Systemtheorie nachvollziehen.'"^ Die AnfUnge der Systemtheorie waren von der Vorstellung des geschlossenen Systems geprSgt, das durch die Einordnung einzelner Elemente in einen strukturbestimmenden Gesamtzweck konstitutiert wird. Im Fokus steht dabei die Binnenstruktur eines Systems. Veranderungen der Systemumwelt werden ausgeblendet bzw. sind ftir das geschlossene System nicht relevant.'"'^ Das Paradigma des offenen Systems, das mittlerweile als Kem der klassischen Systemtheorie angesehen wird, stellt demgegentiber die Austauschbeziehungen des Systems mit seiner Umwelt in den Mittelpunkt. Die Umwelt wirkt als „Input" auf das System ein, welcher gemafi den systemimmanenten Transformationsregeln verarbeitet und als „Output" wieder an die Umwelt abgegeben wird. Der regelkreisahnliche Ablauf dieser Input/Output-Beziehungen stimulierte unter anderem die Entwicklung kybemetischer Steuenmgsmodelle, die einen Gleichgewichtszustand zwischen System und Umwelt
Die Einordnung eines Objekts als Systemelement, Subsystem oder System hSngt dabei von der gewShlten Betrachtungsebene und von der Untersuchungsperspektive ab. Betrachtet man ein Untemehmen z.B. als Systemelement, so gilt die Unteilbarkeitsannahme, d.h. untemehmensinteme PhSnomene werden in diesem Fall ausgeblendet. Vgl. als Beispiel fiir die Einordnung von Untemehmen als Systemelemente in das System „strategisches Netzwerk" z.B. Sydow (1992), S. 249. Vgl. als Beispiel ftir die Einordnung von Untemehmen als Subsysteme in das System „Industriepark" z.B. Gareis (2002), S. 61. Auf eine allgemeine Typologisienmg von Systemen wird an dieser Stelle verzichtet. Vgl. zur kriteriengeleiteten Differenzierung von Untemehmensnetzwerken als spezieller Systemtypus Kapitel 2.3.3. ' Vgl. Luhmann (1999), S. 24, Fuchs (1973), S. 27, Knyphausen-Aufsefi (1995), S. 308, SchreyOgg (2003), S. 86, Kasper et al. (1999), S. 165, Bienert (2001), S. 17. 'Vgl. zur Entwicklungsgeschichte der Systemtheorie z.B. Fuchs (1973), S. 3-31, Willke (1991), S. 3-7, SchreySgg (2003), S. 83-90, Knyphausen-Aufsefi (1995), S. 308-309. Zu den UrsprOngen der Systemtheorie in der Biologie vgl. Bertalanffy (1972), der als (Mit)Begrunder der AUgemeinen Systemtheorie gilt. Wgl.Liebig(1997),S.54.
2.3 TheoriegestutzteErklarungsbeitrage
83
anstreben."*^^ Ein dritter Entwicklungsschub innerhalb der Systemtheorie ist eng mit dem BegrifF der Selbstreferenz eines Systems verbunden, welche als Kemmerkmal der Neueren Systemtheorie gilt/^ Als deren zentraler Standpunkt kami vorab festgehalten werden, dass im Unterschied zur klassischen Theorie offener Systeme, in denen die Umwelt als primarer Stimulator fur Systemverandemngen angesehen wird, in der Neueren Systemtheorie die Initiative fur Umgestaltungen umweltwwabhangig, d.h. aus dem System selbst heraus, ergriffen werden kann."*'^ Die Neuere Systemtheorie interpretiert die Grenzziehung zur Umwelt als eine spezifische Leistung, die vom System selbst erbracht wird. Ausgangspunkt dieser Uberlegung ist eine grundsatzlich asymmetrische Verteilung der Komplexitat zwischen Umwelt und System, die als „Komplexitatsgefalle" bezeichnet wird. Die Umwelt ist demnach per definitionem immer komplexer als das System."*^^ Die Systembildung erfolgt durch AusdifFerenzierung der Systemstrukturen (z.B. Bildung von partnerschaftlichen Beziehungen zwischen Untemehmen) aus der Umwelt."^^^ Durch die aktive DifiFerenzierung zur Umwelt mittels eines „hmen/Au6enRasters" erreicht das System eine Reduktion der vielfaltigen Handlungsmoglichkeiten und schaflft sich so seinen eigenen Handlungsraum. Da dieses Raster vom System selbst erzeugt wird, konstruiert sich ein selbstreferentielles System seine eigene, subjektive Umwelt."^^^ Selbstreferentielle bzw. autopoietische Systeme sind somit insofem „geschlossene Systeme, als sie das, was sie als Einheit zu ihrer eigenen Reproduktion verwenden (also: ihre Elemente, Prozesse, sich selbst) nicht aus ihrer Umwelt beziehen konnen" und sind gleichzeitig „ofFene Systeme, weil sie diese Selbstreproduktion nur in DifFerenz zu einer Umwelt voUziehen konnen".'^*'* Die Gleichzeitigkeit von intemer Selbstreferenz und der Unterhaltung spezifischer Umweltbeziehungen kommt in der Eigenschaft der Autonomic eines Systems zum Ausdruck."^*^ Eine weitere relevante Eigenschaft selbstreferentieller Systeme besteht schlieBlich in der ihnen innewohnenden Redundanz. Darunter ist zu verstehen, dass bestimmte Eigenschaften, die fur die Gestaltung des Systems notwendig sind, nicht an einer Stelle im System
Vgl. Lattwein (2002), S. 64 und die dort zitierten Quellen. Die Neuere Systemtheorie wurde wesentlich durch die Arbeiten des Soziologen Niklas Luhmann geprSgt, auf den die Mehrzahl der im Folgenden angeflihrten Quellen rekurrieren. Vgl. dazu insbesondere Luhmann (1988) sowie z.B. Luhmann (1997) und Luhmann (1999). "•'^ Vgl. Luhmann (1988), S. 324-349, Luhmann (1999), S. 73, Liebig (1997), S. 57. ^^^ Vgl. Willke (1991), S. 37-41. "^^^ Vgl. Knyphausen-Aufsefi (1995), S. 310. ^^^ Vgl. Schreyogg (2003), S. 87-88, Knyphausen-Aufsefi (1995), S. 309, Kasper et al. (1999), S. 165. Mit dem Begriff der Autopoiese wird von Luhmann (1988) eine noch scharfere Interpretation der Selbstreferenz sozialer Systeme vorgeschlagen. Gemafi diesem aus der Biologie stammenden Begriff ist ausschliefilich das System selbst in der Lage, Struktur und Elemente, aus denen es besteht, zu erzeugen und zu steuem. In Analogic zur Zellbildung werden Systemelemente als temporare Opcrationen aufgefasst, die kontinuicrlich zerfallen und laufend reproduziert werden miissen. Die Reinform der Autopoiese, die keine aktive Beeinflussung des Systems von auBen zulasst, ist stark umstrittcn. Vgl. uberblicksartig zur Autopoiese z.B. Strack (2001), S. 99-103 sowie Lattwein (2002), S. 66-67. Zur Kritik vgl. z.B. Schreyogg (2003), S. 88 und die dort zitierte Literatur sowie Schulte (1993). ^^"^ Luhmann (1988), S. 49, vgl. dazu auch Sydow (1992), S. 247. ^^^ Vgl. Mayntz (1992), S. 23-24, Willke (1991), S. 49.
84
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
gebiindelt, sondem auf mehrere (potenziell alle) Systemelemente verteilt sind. Jedes Element ist somit ein potenzieller Gestalter des Systems (Heterarchieprinzip)."*^^ Fur das System ergibt sich die Notwendigkeit zur Selektion"*^^ von Umweltimpulsen, da nur ein Teil der in der Umwelt auftretenden PhSnomene auch fur das System relevant ist. Die Relevanzbestimmung und Auswahl erfolgen dabei nach systemeigenen GesetzmaBigkeiten, die von auBen nicht zwingend einsichtig erscheinen mussen.'*^* Im Sinne der neueren Systemtheorie stellen Umwelteinfltisse denmach keine direkten Inputs fur das System, sondem im Grunde genonmien Storungen dar, auf welche das System unterschiedlich reagieren kann."^*^ Dem System wird somit eine eigene, koUektive Handlungsfahigkeit eingeraumt/^^ Sie setzt voraus, dass das System in der Lage sein muss, Umwelteinfltisse sowohl zu selektieren als auch sie gezielt, d.h. im Hinblick auf die spezifische Zweckrichtung des Systems, in Handlungen zu transformieren. Beides impliziert, dass diejenigen, die als legitime Vertreter des Systems handehi, sich dieser Zweckrichtung bewusst sein mtissen (im System „Untemehmen" galte dies beispielsweise fur den Vorstandssprecher). Die Neuere Systemtheorie spricht in diesem Zusanmienhang von „identitatsgemaBem" Handehi, welches insbesondere durch die Selbstbeobachtung des Systems im Sinne der Reflexion erreicht werden kann."*^^ Kennzeichnend fiir die Neuere Systemtheorie ist des Weiteren ihre Bemcksichtigung dynamischer Aspekte. Im Unterschied zu homoostatischen, d.h. gleichgewichtserhaltenden Systemen, auf denen die fruhen Fonnen der Kybemetik oder auch die allgemeine Systemtheorie schwerpunktmaBig aufsetzen, weisen Systeme nach der Neueren Systemtheorie auch gleichgewichtsverandemde, sog. „dissipative" Strukturen auf Demnach verfiigen sie uber die Fahigkeit, durch eine dynamische Anpassung ihrer intemen Struktur (z.B. Art der Beziehungen zwischen Systemelementen) sowie durch die kontinuierliche Adaption der Systemgrenzen (z.B. Aufhahme neuer Systemelemente) immer neue Gleichgewichtszustande zu erreichen."*^^ Die betriebswirtschaflliche Forschimg baut beispielsweise in den Bereichen des organisatio-
^'''Vgl. Probst (1986), S. 397. '*'^ „Selektion" wird hier als spezieller Begriff der Neueren Systemtheorie vorgestellt. Dieser kann nicht mit dem an spaterer Stelle herausgearbeiteten Begriff der „Selektion" als Steuerungsaufgabe in Untemehmensnetzwerken (vgl. Kapitel 2.3.3) bzw. mit dem reflexionsorientierten Controllingverstandnis in Kapitel 3.3.1 gleichgesetzt werden. In der naturwissenschafllich gepr^en Systemtheorie werden Systeme in diesem Zusammenhang als „nichttriviale Maschinen" bezeichnet. Im Unterschied zu trivialen Maschinen, die durch eine bekannte Produktionsfunktion f einen Input x in einen voriierzusehenden Output y verwandehi, kann bei nichttrivialen Maschinen der Output nicht sicher vorhergesagt werden. Der Grund hierfiir ist ein innerer Zustand z, dessen Veranderungsmechanismus dem Aufienstehenden nicht bekannt ist. Vgl. von Foerster (1984), S. 8-11. ^^^ Vgl. Liebig (1997), S. 77. „St6rung" wird hier ohne die negative Konnotation dieses Begriffs verwendet. "^^^ Vgl. Knyphausen-AufseB (1995), S. 310. Diese spezifische Form der Umweltreagibilitat wird in der Terminologie der Neueren Systemtheorie als „Resonanz" bezeichnet. ^^^ Vgl. Willke (1991), S. 53-54, Knyphausen-Aufsefi (1995), S. 313. Luhmann bezeichnet in diesem Zusammenhang die Selbstbeobachtung eines Systems nach Steuerungsversuchen als Kontrolle, vgl. Luhmann (1997), S. 70. Vgl. auch die Ausfiihrungen zur Kontrolle in Kapitel 2.2.2. ^^^ Vgl. Willke (1991), S. 38, Biihl (1990), S. 6, Lattwein (2002), S. 65-66.
2.3 Theoriegestiitzte Erklarungsbeitrage
85
nalen Lemens, des Wissensmanagements oder evolutionstheoretischer Ansatze auf diese Erkenntnisse auf."*^^ Aufbauend auf die hier nur knapp umrissenen Charakteristika selbstreferentieller Systeme kOnnen allgemeine Aussagen der Neueren Systemtheorie zur Steuerung von Systemen abgeleitet werden. Demnach erfolgt Steuerung prinzipiell innerhalb des Systems im Rahmen einer Selbststeuerung/^"^ Steuerungsbemuhungen, die von auBen auf ein selbstreferentielles System einwirken, konnen demnach die systeminteme Ordnung nicht direkt - wie z.B. im Sinne der bereits angesprochenen voluntaristischen Steuerung - beeinflussen."*^^ Damit ist zwar nicht jegliche Fremdsteuerung ex ante ausgeschlossen, zumal vielfaltige Erfahrungen in der Praxis zeigen, dass eine gezielte Steuerung komplexer Systeme zwar nicht uneingeschrankt, aber doch moglich und alltaglich ist."^^^ Eine exteme Steuerungsinstanz hat jedoch zu akzeptieren, dass ein operativ geschlossenes System die Kriterien selbst bestimmt, unter denen es bereit ist, sich beeinflussen zu lassen."*^^ Fremdsteuerung ist im Sinne der Neueren Systemtheorie somit als „hitervention" bzw. als ein „Einflussversuch" auf selbststeuemde Prozesse zu interpretieren/^^ Willke schlagt den Begriff der Kontextsteuerung fur diese Art der Fremdsteuerung vor und postuliert, dass diese neben der intemen Selbststeuerung die einzige MogHchkeit darstellt, komplexe Systeme zu beeinflussen/^^ Aus der Hervorhebung der Selbststeuerungsfahigkeit bzw. der begrenzten Fremdsteuerbarkeit sozialer Systeme leitet sich auch ein differenzierter Umgang mit dem Phanomen der Komplexitat ab. Aus systemtheoretischer Sicht steht nicht mehr die blofie Reduktion von Umweltkomplexitat im Mittelpunkt. Vielmehr wird im Sinne einer Kontextsteuerung auf ein komplementares Verhaltnis zwischen Selbststeuerung (Komplexitatserhohung im System) und Fremdsteuerung (Komplexitatsverringerung im System) abgestellt."*^*^ Eine Reduktion von Komplexitat kaim beispielsweise durch hierarchische Plane oder durch die Abbildung komplexer Prozessablaufe mittels aggregierter Kennzahlen erfolgen. Eine Komplexitatserhohung erofiftiet demgegenuber Spielraume fur Selbststeuerung, wie z.B. durch die Einrichtung dezentraler Entscheidungseinheiten, welche die zentrale Steuerungseinheit entlasten, die Gesamtkomplexitat des Steuerungssystems jedoch erhohen."*^^ Selbst- und Fremdsteuerung
Vgl. Z.B. Steinmann/SchreySgg (2000), S. 465-476, Argyris/Schon (1999), S. 19-44, am Beispiel von Untemehmenskooperationen vgl. Buse (2002), S. 69-102. Zu einem gerafften Uberblick uber den evolutionstheoretischen Ansatz vgl. z.B. Schreyogg (2003), S. 89-90. ^^^ Vgl. Kasper et al. (1999), S. 172. Die Begriffe Selbststeuerung und Selbstorganisation werden in der systemtheoretisch geprSgten Literatur haufig synonym verwendet. ^^^ Vgl. Liebig (1997), S. 57, Luhmann (1988), S. 27. "^^^ Vgl. Ansoff (1991), S. 454-546. ^^'^ Vgl. Kasper et al. (1999), S. 186. ^'^^ Vgl. Liebig (1997), S. 74-77, Kasper et al. (1999), S. 186-189, vgl. Shnlich bereits Naumann (1982), S. 92. "^^^ Vgl. Willke (2001), S. 358. Vgl. hierzu auch die „metasystemische Lenkung" bei Malik (2002), S. 399. ^^^ Vgl. Knyphausen-AufseB (1995), S. 341, Kieser (1994), S. 206, Seele (2003), S. 54. ^^* Vgl. ReiB (1995), S. 298, Lattwein (2002), S. 80.
86
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
konnen demgemafi als komplementare Phanomene aufgefasst werden, die einen Steuerungskorridor eroffiien. Die Aussagen der Neueren Systemtheorie erweisen sich in mehrerlei Hinsicht als relevant fiir die vorliegende Arbeit. Zunachst besitzt sie als allgemeine Theorie auf Grund ihrer interdisziplinaren Fimdienmg und ihrer Ganzheitlichkeit ein groBes Integrationspotenzial/^^ Es erscheint zulassig, eine Supply Chain als System zu bezeichnen, welches sich aus Untemehmen (Elementen) zusanmiensetzt, zwischen denen spezifische Kooperationsbeziehungen bestehen/^^ Eine deskriptive systemtheoretische Betrachtung kann hier die Grenzziehung zwischen Supply Chain und Umwelt unterstutzen. Eng verbunden mit Fragen der Festlegung der Supply Chain-Grenzen sind auch Fragen der Integrationstiefe (wie z.B. das Treffen von In- und Outsourcing-Entscheidungen)/^"* der Managementintensitat von Supply ChainBeziehungen/^^ sowie der Bildung von Subsystemen innerhalb der Supply Chain (z.B. Aufbau strategischer Kooperationen mit Schliissellieferanten), die jeweils theoriegeleitet untermauert werden kdnnen. Daruber hinaus bildet die Systemtheorie ein traditionelles Fundament fur logistische Paradigmen wie das System-, Gesamtkosten- oder Prozessdenken, so dass ihr auch in dieser Hinsicht fiir Supply Chains ein definitorisches, deskriptives, explikatives und gestalterisches Potenzial attestiert werden kann.'*^^ Im Rahmen des Systemdenkens lasst sich beispielsweise argumentieren, dass die Leistungspotenziale in der Supply Chain nur erschlossen werden konnen, wenn das gesamte Wertschopfimgsnetzwerk und nicht ausschlieBlich einzelnen Partner bzw. einzelne bilaterale Austauschbeziehungen betrachtet werden."*^^ Dies macht die Theorie fiir die herauszuarbeitende Steuerungsproblematik im Supply Chain Management potenziell interessant und relativiert gleichzeitig die Kritik, dass sie eine rein beschreibende Theorie sei."*^^ Ein weiterer zentraler Beitrag besteht im genannten Konstrukt der Kontextsteuerung. Es wurde bereits hervorgehoben, dass auf Grund der Autonomic der teilnehmenden Untemehmen eine direkte, hierarchische Steuerung von Supply Chains nur begrenzt moglich erscheint. Eine Kontextsteuerung schaffl in diesem Zusammenhang gezielt Freiraume zur Selbstorganisation, z.B. iiber die Festlegung von Regelstrukturen (z.B. Datenaustauschstandards, Service Level Agreements) oder durch die Nutzung heterarchischer Planungsansatzer (z.B. im Rahmen von
^^'^ Vgl. zur Ganzheitlichkeit und zum Integrationspotenzial der Systemtheorie Malik (2002), S. 48-70. Zur interdisziplinaren Anwendung der Systemtheorie vgl. z.B. Fuchs (1973), S. 37. Vgl. zu einer Beurteilung der Systemtheorie im Logistikkontext auch Gareis (2002), S. 57 und die dort zitierte Literatur. ^^^ Vgl. Mentzer (2001a), S. 5. Vgl. zu einer Abgrenzung vertikaler Kooperationen als Systeme Pampel (1993), S. 72-76. "^^"^ Vgl. z.B. Prockl (2001a), S. 62-68. ^^^ Vgl. z.B. Lambert/Cooper (2000), S. 75 sowie Kapitel 2.1.2.2. "^^^ Vgl. Pfohl (2004a), S. 27-28, Hausler (2002), S. 123. ^^'^ Vgl. Wohlgemuth (2002), S. 72. ^^^ Vgl. Z.B. Willke (2001), dort insbesondere S. 1-150, Struthoff (1999), S. 168-174.
2.3 Theoriegestiitzte Erklarungsbeitrage
87
CoUaborative-Planning-Konzepten'^^^), ohne dabei die Moglichkeit einer aktiven Einflussnahme auf das System „Supply Chain" prinzipiell zu vemeinen. Forschungsbeitrage, welche die Aussagen der Systemtheorie kritisch reflektieren, sehen die Grenzen des Ansatzes uberwiegend in einer Uberbetonung des Prinzips der Selbstreferenz, wie es in der Neueren Systemtheorie Luhmannscher PrSgung postuliert wird. Da die Systemtheorie keine Kriterien zur Differenzierung wirksamer und unwirksamer Steuerungsformen bereitstellt, lasst sich die tJberlegenheit einer evolutorischen Selbststeuerung gegeniiber einer der hierarchischen Fremdsteuerung nur schwer begriinden.'^'*^ Zudem wird angemerkt, dass der hohe Abstraktionsgrad ihrer Aussagen zwar ein fast unbeschranktes Einsatzspektmm der Theorie ermSglicht, ihre Anwendungen auf praktische Problemstellungen jedoch erschwert."^^ Die folgenden Ausfuhrungen zur Netzwerkforschung greifen ebenfalls auf eine systemtheoretische Basis zuriick, werden jedoch in ihren Handlungsempfehlungen deutlich konkreter. 2.3.3. Erkliirungsbeitrag der Netzwerkforschung Das Phanomen des Netzwerks wird von den unterschiedlichsten betriebswirtschaftlichen Teildisziplinen aufgegrififen und instrumentalisiert. Der anfangs von den Organisationswissenschaften dominierte Literaturkorper"^"^^ wird mittlerweile in vieien Bereichen, beispielsweise Beschaffung und Produktion,"^^ strategische Untemehmensfuhrung'^'^, Controlling"^"*^ oder Logistik'^^ um neue Ansatze erweitert. Der zuweilen verwendete Begriflf „Netzwerktheorie"'^^ wird an dieser Stelle bewusst vermieden, da ein geschlossenes TheoriegebSude bislang aussteht."^* Stattdessen soil von „Netzwerkforschung" gesprochen werden, die eine Vielzahl unterschiedlicher Ansatze beinhaltet. Die Netzwerkforschung baut unter anderem"*"*^ auf die bereits herausgearbeiteten Erkenntnisse der Systemtheorie (vgl. Kapitel 2.3.2) und der Neuen
'^^^ Vgl. Beckmann (2004), S. 49. "^'^ Vgl. Kieser (1994), S. 225. ^^ Vgl. Stolzle (1999), S. 90. ^^ Vgl. Z.B. Powell (1996), S. 213-271, Meyer (1995), Staber (2000). ^'^ Vgl. Z.B. Efiig (2004a), Mannel (1996), Mildenberger (1998), Pfohl/Buse (1999), Zundel (1999). ^ Vgl. Z.B. Evers (1998), Wohlgemuth (2002). ""^ Vgl. z.B. Hippe (1997), Hess (2002) sowie Kraege (1997). ^ Vgl. z.B. Otto (2002), Prockl (2001a), Heusler (2004). "^^ Vgl. Jones etal. (1997). "*^^Vgl. Heusler (2004), S. 66, Wohlgemuth (2002), S. 76-77, Stelzle (1999), S. 89, Hippe (1997), S. 37, Bellmami/Hippe (1996), S. 6 sowie S. 14. So sind z.B. mit Blick auf formale sowie methodologische Eigenschaften die Voraussetzungen einer wissenschaftlichen Theorie nicht erfiiUt. Aus formaler Sicht beziehen sich die Ansatze nicht auf einen einheitlichen Gegenstand (z.B. existieren eine Vielzahl unterschiedlicher Netzwerkarten wie personale, politische oder institutionale Netzwerke). Aus methodologischer Sicht entziehen sich Netzwerkphanomene aufgrund ihrer hohen Komplexitat meist einer empirischen Uberpriifbarkeit. Vgl. dazu allgemein Bunge (1967), S. 352-354. Zur theoretischen Fundierung der Netzwerkforschung lassen sich eine Reihe weiterer Theorieansatze heranziehen, die an dieser Stelle nicht vertieft werden kSnnen. Vgl. hierzu z.B. die Verwendung der Resource-Dependence-Theorie bei Renz (1998), S. 133-138, oder die Bezuge aus der Resource-Based View bei Pfohl/Buse (1999) sowie Heusler (2004), S. 213-219. Einen allgemeinen Uberblick tiber theoretische Erklarungsangebote zur Netzwerkforschung liefem z.B. NeuhSuser (2001), S. 43 sowie Renz (1998), S. 131.
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
Institutionenokonomie (insbesondere der Transaktionskostentheorie, vgl. Kapitel 2.3.1) auf, gibt deren Erkenntnissen jedoch - wie im Folgenden argumentiert wird - eine spezifische Richtung. Als relevante Fokussierung der systemtheoretischen Perspektive ist anzusehen, dass die Netzwerkforschung nicht nur von Systemelementen und deren Verbindungen zueinander ausgeht, sondem auf den spezifischen Interaktionscharakter dieser Verbindungen abstellt.'*^^ Dies wird zum einen dadurch konkretisiert, dass Interaktionen von einer „kanalisierenden Konnektivitat" ausgehen, d.h. dass gezielt Informationsfliisse oder Austauschbeziehungen zwischen Netzwerkelementen aufgebaut werden. Zum anderen konnen die Netzwerkelemente als eigenstandig entscheidende, soziale Akteure aufgefasst werden, die bewusst Interaktionen im Netzwerk durchfuhren und einen gewissen Grad an Autonomie bzw. eine „strategische Identitat" innerhalb des Netzwerks aufweisen."*^' Mit der Interaktion ist immer eine konkrete Zielsetzung, wie z.B. die Durchfuhrung eines Projekts, die Herstellung eines Produkts oder einer Dienstleistung, verbunden. Die Mitgliedschaft eines Untemehmens in einem Netzwerk sowie die Grenzziehung zwischen Netzwerk und Umwelt werden somit wesentlich durch den (potenziellen) Beitrag zur Erreichung des gemeinsamen Netzwerkziels bestimmt."^" In Bezugnahme auf die Erkenntnisse der Transaktionskostentheorie greift die Netzwerkforschung die Aussagen zur institutionellen Gestaltung kooperativer Austauschbeziehungen auf Dabei ist festzustellen, dass die Betrachtung dyadischer Beziehungen fur eine Beschreibung der in der Realitat vorhandenen, netzwerkartigen Strukturen nicht ausreicht.'*^^ So wird in der Literatur mehrheitlich die Meinung vertreten, dass mindestens drei Untemehmen an einer Kooperation beteiligt sein mussen, um den Tatbestand eines Netzwerks zu erfuUen.'*^'* Die vielMtigen Erscheinungsformen von Netzwerken in der Praxis konnen an dieser Stelle nicht umfassend vertieft werden.'*^^ Stattdessen wird eine merkmalsgestutzte Typisierung von Netzwerken vorgenommen, die zwar keinen umfassenden Gultigkeitsanspruch erhebt"*^^, jedoch Ruckschliisse auf typspezifische Steuerungsanforderungen zulasst (vgl. zu den folgenden Ausfiihrungen Abbildung 21).'*"
^^^ Vgl. Zundel (1999), S. 83, StQlzle (1999), S. 91, Bellmaim/Hippe (1996), S. 8, Wohlgemuth (2002), S. 73. ^^^ Vgl. Hakansson/Johanson (1988), S. 373-374 sowie Bellmann/Hippe (1996), S. 10. Interaktionsbeziehungen in industriellen Netzwerken stehen im Mittelpunkt des interaktionsorientierten Netzwerkansatzes, der mafigeblich von Mkansson (1982) geprSgt wurde, vgl. dazu HSkansson (1982), S. 10-27. "*" Vgl. Jones et al. (1997), S. 935. Vgl. zur Abgrenzung von Netzwerken und Branchen z.B. Prockl (2001a), S. 24-25. "*" Vgl.St6lzle(1999),S.95. ^^"^ Vgl. Borchert/Urspruch (2003), S. 21, Corsten (2001), S. 4, Sydow (1992), S. 79. "*" Vgl. zu einem Oberblick beispielsweise Sydow (2001), S. 298-305, Stolzle (1999), S. 201-203, Pfohl/Hausler (2000), S. 8. ^^^ Die Auspragung der in Abbildung 21 angefuhrten Differenzierungskriterien Koordinationsrichtung, Beziehungsintensitat und Beziehungsdauer ist daher jeweils als Kontinuum anzusehen. In der Literatur sind vielfaltige Kriterienkataloge zur Typisierung von Netzwerken zu fmden, so dass die im Folgenden hervorgehobenen Dimensionen zeitliche Stabilitat, Beziehimgsintensitat und Koordinationsrichtung keinen Anspruch auf Vollstandigkeit erheben kQnnen. Vgl. zu einer Typisierung mit ahnlichen Kriterien
89
2.3 Theoriegestiitzte Erklarungsbeitrage
hierarchisch
Koordinationsrichtung
heterarchisch hoch Beziehungsintensitat dauerhaft
temporar
zeitliche Stabilitdt
Abbildung 21:
Netzwerktypisiemng nach zeitlicher Stabilitdt, Beziehungsintensitdt und Koordinationsrichtung
Unterscheidet man Netzwerke nach ihrer zeitlichen Stabilitat, sind temporare Netzwerkverbindungen von dauerhaften Netzwerken zu unterscheiden/^^ Ein Beispiel fur erstgenannte sind sog. „virtuelle Untemehmen". Sie stellen typischerweise temporSre Konstellationen dar, die meist nur fur die Dauer eines Auftrags existieren. Operative Netzwerke bzw. Projektnetzwerke stellen eine kurzfristige Kooperation von (in der Regel kleineren) Untemehmen dar, die in ausgewahlten Leistungsbereichen einen losen Verbund bilden, jedoch keine gemeinsame Strategic verfolgen. Sie sind unter anderem fur die Baubranche typisch/^^ Langfristige Netzwerke liegen demgegeniiber vor, wenn zum Zeitpunkt der Bildung eines Netzwerks eine unbefiistete Zusammenarbeit geplant bzw. kein Auflosungszeitpunkt oderereignis vorgesehen ist (Hauptvertreter dieser Kategorie sind strategische Netzwerke, vgl. hierzu die Ausfuhrungen weiter unten)."^^" Die Dauer der Netzwerkbeziehungen wirkt sich signifikant auf deren Steuerung aus. Dies kommt insbesondere dann zum Ausdruck, wenn eine DifFerenzierung verschiedener Lebenszyklusphasen eines Netzwerks vorgenommen wird."*^^ Im Friihstadium der Netzwerkbildung (bzw. aus Untemehmenssicht: beim und kurz nach dem Eintritt in ein Netzwerk) erweist sich eine aktive Steuerung des Netzwerks durch ein neues Mitgliedsunternehmen als kaum moglich. Vielmehr steht in dieser Phase die Suche nach koUektiven, verwertbaren Netzwerkressourcen im Vordergrund, die das Netzwerk zunachst fur sich behait.
Burr (1999), S. 1161. Stolzle (1999) unterscheidet beispielsweise Stabilitat, Redundanz, raumliche Distanz, Organisation, Machtstruktur, Kultur und Ressourcenverteilung als Klassifizierungskriterien. Vgl. Stolzle (1999), S. 201-202 und die dort zitierte Literatur. Zu einem LTberblick iiber weitere Kriterien vgl. Mildenberger(1998),S.27. ^^^ Vgl. Miles/Snow (1992), S. 63-68, Borchert/Urspruch (2003), S. 24-25. ^^^ Vgl. Letmathe (2001), S. 555. ^ Vgl. Borchert/Urspruch (2003), S. 24. In diesem Zusammenhang werden Netzwerke in der Entstehungs-, Betriebs- und Auflosungsphase unterschieden. Vgl. dazu Borchert/Urspruch (2003), S. 26, Wildemann (2000), Hite/Hesterly (2001), Mack (2003), S. 154-160, am Beispiel operativer Netzwerke vgl. Letmathe (2001), S. 559.
90
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
Erst nach langerer Beziehungsdauer, wenn Reputation und Erfahrung des neuen Netzwerkpartners sowie das Vertrauen innerhalb des Netzwerks zugenommen haben, konnen Methodeii und Instrumente Netzwerksteuerung eingesetzt werden."^^ Die Beziehungsintensitat stellt ein weiteres potenzielles Differenzierungskriterium flir Netzwerke dar."*^^ Dabei ruckt das in Kapitel 2.2.2.2 adressierte Paradoxon von Autonomie und Interdependenz emeut ins Blickfeld. Als Beispiel fur ein wenig intensives Netzwerk kann der Ressourcenpool bzw. sog. „latente Netzwerkpool'*^ bezeichnet werden. Darunter sind Untemehmen zu subsumieren, die zwar nicht in das aktive Netzwerk integriert sind, jedoch auf Grund bestimmter Potenziale (z.B. spezifische Ressourcen, ahnliche Prozess- oder Produktstruktur) oder auf Grund bestehender sozialer Beziehungen einander naher stehen als reine Marktpartner."*^^ Auch die zuvor genannten operativen Netzwerke werden hier zu den wenig intensiven Netzwerken gezahlt, da sie zwar (mehr oder weniger enge) Beziehungen hinsichtlich der Leistungserstellung aufweisen, im auftragstibergreifenden Bereich bzw. auf der Fuhrungsebene jedoch weitgehend autonom bleiben. Bei geringer Beziehungsintensitat erfolgt eine Steuerung des Netzwerks haufig iiber Ein- und Austrittsentscheidungen (die sog. „Exit-Option").'^ Bei intensiven (und insbesondere langfristigen) Beziehungen wachst die gegenseitige hiterdependenz. Das Steuerungsinstrument „Preis" erfMhrt in der Folge eine Abwertung, da sich Preise fur ausgetauschte Giiter meist nicht mehr frei bewegen, sondem (zumindest kurzfristig) vertraglich fixiert sind. Der Preismechanismus stellt somit keinen geeigneten Steuerungshebel mehr dar."^^ Je hSher die Beziehungsintensitat und damit die Interdependenz der Netzwerkmitglieder, desto groBeren Einfluss gewinnen demnach hierarchische und/oder kooperative gegenilber marktlich-wettbewerblichen Steuerungsmechanismen.'^ Dies gilt in besonderem MaBe fur den noch aufeugreifenden Fall des strategischen Netzwerks. Mit wachsender Beziehungsintensitat steigt jedoch auch die Gefahr der Machtausiibung durch starkere Netzwerkpartner und damit einer einseitigen, hierarchischen Steuerung. Dies kann zu hieffizienzen oder sogar zu einem „Netzwerkversagen" fuhren, da die Handlungsoptionen eines teilnehmenden Untemehmens durch machtbasierte Fremdsteuerung derart eingeengt werden, dass die mit der Netzwerkbildung angestrebten Flexibilitatspotenziale unausgeschopfl bleiben.""*^
^^ Vgl. Hite/Hesterly (2001), S. 282. Vgl. die ahnliche Differenzierung von aktiven und passiven Netzwerken (vgl. z.B. Borchert/Urspruch (2003), S. 25) sowie von aktiven und latenten Netzwerken (vgl. z.B. Mack (2003), S. 128). ^ Mack (2003), S. 128. ^^ Vgl. Mack (2003), S. 128, BorchertAJrspruch (2003), S. 25. ^ Vgl. Mack (2003), S. 206-207 und die dort zitierte Literatur. ^'^ Vgl. Wildemann (1997), S. 429-430, Staber (2000), S. 65. ^^ Vgl. E13ig (2004a), S. 68-70. EBig (2004a), S. 105-117, zeigt die besonderen Anforderungen an die Preisbildung in Netzwerken unter anderem anhand von marktorientierten Preismodellen (Veranderungen der PreisAbsatz-Funktion in monopolartigen Austauschbeziehungen) sowie hierarchieorientierten Preismodellen (Ubertragung von Verrechnungspreismodellen auf den Netzwerkkontext) auf. ^^'^ Vgl. ahnlich Jehle (2003), S. 379, Mack (2003), S. 207. Vgl. vertiefend zu Macht in Zulieferer-AbnehmerBeziehungen Cox (2001).
2.3 TheoriegestutzteErklarungsbeitrage
91
Die Koordinationsrichtung im Netzwerk stellt ein Unterscheidungskriterium dar, mit dem die Abwagimg zwischen einer zielkonformen Ausrichtung des gesamten Netzwerks und einer Bewahrung des individuellen Handlungsspielraums der Netzwerkpartner angesprochen wird. Bei primar heterarchischer Koordinationsrichtung finden sSmtliche Interaktionen im Netzwerk zwischen grundsatzlich autonomen und gieichwertigen Netzwerkpartnem statt/^*^ Steuerungsaufgaben wie z.B. die Auftrags- bzw. Ressourcenallokation konnen dabei auf direktem Wege uber den Preismechanismus, z.B. iiber die Durchfuhrung netzwerkintemer (elektronischer) Auktionen geregelt werden."^^^ In Anbetracht der potenziell hohen Beziehungsintensitat und Langfristigkeit der Netzwerkbeziehungen ist jedoch - wie bereits hervorgehoben wurde - eine alleinige Steuerung uber den Preismechanismus meist nicht zielfuhrend/^^ so dass dariiber hinaus kooperative Mechanismen der Selbstabstimmung zum Einsatz kommen. Hierzu zahlen beispielsweise Verhandlungen, Zielvereinbarungen oder die Etablierung netzwerkweiter Anreiz- und Sanktionsmechanismen."*^^ Liegt eine primSr hierarchische Koordinationsrichtung im Netzwerk vor, nimmt ein dominantes Untemehmen, z.B. ein marktnaher Hersteller oder ein Handelsuntemehmen mit einer vergleichsweise groBen Anzahl an Beziehungen, die RoUe einer untemehmensubergreifenden Steuerungsinstanz bzw. eines Koordinators wahr."*^"^ Die Anwendung von untemehmensintem etablierten Methoden, zu welchen insbesondere Weisung, Programme sowie Plane zahlen, ist im Netzwerkkontext nur teilweise moglich. Der Einsatz von direkten Weisungen scheidet nach einhelliger Meinung auf Grund der unterstellten (Teil)Autonomie der Partneruntemehmen im Netzwerkkontext nahezu voUstandig aus."*^^ Fiir prinzipiell umsetzbar wird dagegen der Einsatz von netzwerkweit gultigen Programmen und Planen gehalten,"^^^ die mit Hilfe zentraler Planungs- und Steuerungssysteme eine Optimierung des gesamten Netzwerks im Hinblick auf Kosten-, Service sowie Zeitziele anstreben."*^^ Auch hier hat in der Kegel ein dominanter Netzwerkpartner die Planimgshoheit inne. Zur Vermeidung bzw. Eindammung von Konflikten wird dabei die Entwicklung eines „gerechten" Verteilungsmechanismus fur die GewinnWerlustverteilung an die einzelnen Netzwerkpartner vorgeschlagen."^^^ Schliefilich
*'" Vgl.Corsten(2001),S.28. "^^Wgl. Busch/Dangelmaier (2002), S. 16, Bogaschewsky (2002), S. 7-14. Vgl. auch sog. ,,arm's-lengthtransactions", z.B. bei Simchi-Levi et al. (2004), S. 112. "^^^ Vgl. Busch/Dangelmaier (2002), S. 18, Heusler (2004), S. 133. "^^^ Vgl. Burr (1999), S. 1159-1179, Zimmer (2001), S. 22-28, Wohlgemuth/Hess (2001), S. 80-82, Sydow (2002), S. 12, Wildemann (1997), S. 426-434. ^^"^ Vgl. Corsten (2001), S. 33, Pfohl/Hausler (2000), S. 4. "^^^ Vgl. Prockl (2001a), S. 120, Busch/Dangelmaier (2002), S. 13, Wildemann (1997), S. 426, Corsten (2001), S. 33, Heusler (2004), S. 132. Aus diesem Grund tritt die personenorientierte Koordination in der vorliegenden Arbeit gegeniiber der technokratischen Koordination in den Hintergrund. Vgl. zu einer Systematisierung des Koordinationsverstandnisses Freichel (1992), S. 179 sowie die Einordnung der Koordination in das hier vertretene Steuerungsverstandnis in Kapitel 2.4.1. Bei Programmen handelt es sich um ausftihrungsbezogene Handlungsvorschriften, die im Unterschied zu Planen eine periodenubergreifende Gultigkeit besitzen. Vgl. dazu z.B. Freichel (1992), S. 181-182. ^'^'' Vgl. Heusler (2004), S. 132, Simchi-Levi et al. (2004), S. 33. "^^^ Vgl. Simchi-Levi et al. (2004), S. 33, Wohlgemuth/Hess (2001), S. 79.
92
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
ist eine Ubertragimg hierarchischer Plane auf den Netzwerkkontext moglich, indem eine Differenzierung unterschiedlicher Planungsebenen vorgenommen wird. Dem Fuhrungsunternehmen obliegt dabei die Aufgabe, eine Grobplanung auf Netzwerkebene vorzugeben. Diese wird anschliefiend auf der Ebene der anderen Netzwerkpartner in Teilplane zerlegt und konkretisiert, so dass sich zwischen Netzwerk- und Untemehmensebene sowohl eine sachliche als auch eine zeitliche Interdependenz ergibt/^^ In der Netzwerkliteratur zeichnet sich zunehmend ein Trend zur Integration der heterarchischen und hierarchischen Koordinationsrichtungen ab (vgl. Abbildung 22)/*" Das Spektrum reicht dabei von Netzwerken als Kompromiss zwischen den transaktionskostentheoretisch fundierten Extrempunkten Markt und Hierarchic bis hin zu Netzwerken als eigenstandigem Organisationstypus/**
Hierarchische Steuerung
Kooperative Steuerung "Heterarchische Steuerung
Untemehmen M Relationaler Vertrag
• 4
»
Hierarchische Koordinationsrichtung 4 Direkte Kcx)rdinatk>n uber Anweisung
Abbildung 22:
^
Netzwerk 4
P Markt
Neoklasslscher Vertrag -4
•
Klassischer Vertrag
» Heterarchische Koordinationsrichtung Indirekte Koordination, ^ z.B. Ober Vertrauen
^ DIrekte Koordination Qber Preis
Koexistenz von hierarchischen, kooperativen und heterarchischen Steuerungsformen im Netzwerk. Quelle: in Anlehnung an de Miroschedji (2002), S. 69 sowie Sydow (1992), S. 104
Ohne die unterschiedlichen Standpunkte an dieser Stelle weiter zu vertiefen/*^ ist haufig eine Synthese von Ansatzen zu konstatieren. Darin wird zum einen die Einordnung von Netzwerken als reine „Hybridform" zwischen Markt und Hierarchic als zu eindimensional kritisiert. Vielmehr besteht die spezifische Qualitat von Netzwerken in der Moglichkeit zur Auflosung vielfaltiger Widerspriiche, die neben dem Begriffspaar Markt/Hierarchie z.B. auch die Koexistenz von Autonomic und Abhangigkeit oder Vertrauen und KontroUe erlaubt."^^ Zum anderen wird das Bemuhen um die Etablierung des Netzwerks als eigenstandige Organisationsform relativiert und stattdessen die groBe Bandbreite kooperativer Steuerungsmoglichkei-
^'" Vgl. Simchi-Levi et al. (2004), S. 235, de Miroschedji (2002), S. 66-67, Mayntz (1992), S. 24-26 sowie Evers (1998), S. 188-190 und die dort zitierte Literatur. "^^^ Vgl. z.B. Struthoff (1999), S. 38, Mack (2003), S. 17. ^^^ Vgl. zu einem Uberblick der verschiedenen Standpunkte z.B. Mack (2003), S. 15-18. ^'^'^ Vgl. Mack (2003), S. 16, Zundel (1999), S. 27, Sydow (2001), S. 317.
2.3 TheoriegestiitzteErklarungsbeitrage
93
ten im Netzwerkkontext betont.'*^'* In diesem Zusammenhang werden zunehmend auch Methoden und Instrumente der indirekten Koordination hervorgehoben. Diese zielen - im Unterschied zu Hierarchic bzw. Hetcrarchic, die jeweils auf eine direkte Verhaltensbeeinflussung abstellen - auf den Aufbau von Vertrauen zwischen Partneruntemehmen (z.B. durch ein gegenseitiges Rating der Netzwerkmitglieder oder durch gezielte Reputationspflege) und die Entwicklung einer gemeinsamen Netzwerkkultur (z.B. iiber gemeinsame Symbole oder Verhaltensgrundsatze) ab."*^^ Der Netzwerktyp des strategischen Netzwerks nimmt im Zusammenhang mit der getroffenen Netzwerktypisierung eine Sonderrolle ein."*^^ Ein strategisches Netzwerk lasst sich als ein langfristig ausgerichtetes Netzwerk von rechtUch selbstandigen, wirtschaftlich jedoch meist abhangigen Untemehmen mit tendenziell hoher Beziehungsintensitat charakterisieren (vgl. Abbildung 21). Der BegrifF „strategisch" weist dabei auf die Zielorientierung eines strategischen Netzwerks hin. Angetrieben durch die „Chance zur gemeinsamen Wertgenerierung"'^^^ bzw. in der Hoflftiung auf die ErhOhung der „kollektiven Wettbewerbsfahigkeit gegeniiber anderen Netzwerken""*^^ ordnen bislang autonom handelnde Untemehmen ihre individuellen Ziele in bestimmten Bereichen einem Kollektivziel (dem Netzwerkziel) unter."^^^ Zu den vielfaltigen (Teil)zieien, die von (potenziellen) Netzwerkmitgliedem dabei verfolgt werden, zahlen unter anderen die ReaHsierung von Zeit-, Kosten- und QuaUtatsvorteilen, die Verteilung und Reduzierung von Risiken, die Erreichung bzw. Bewahrung strategischer Flexibilitat, der Zugang zu Ressourcen und Markten, die Entwicklung kooperativer Kompetenzen sowie die Generierung und der Transfer von Know-how."*^^ Vor dem Hintergrund der Problemstellung der vorliegenden Arbeit sind vertikal orientierte strategische Netzwerke, welche sich entlang der WertschOpfungskette erstrecken, von herausragender Bedeutung."*^' Da in klassischen produktionsorientierten Wertschopfungsketten meist eine Zusammenfiihrung zahlreicher Roh- und Halbfertigfabrikate zu einem Endprodukt erfolgt, ergibt sich fiir strategische Netzwerke haufig eine pyramidenformige Struktur, an deren Spitze ein endkundennaher
'^^'^ Vgl. Kenis/Schneider (1996), S. 21, Bellmann (1999), S. 206. Vgl. zum Netzwerk als eigene Organisationsform z.B. Jarillo (1988), S. 39. De Miroschedji (2002), S. 67, merkt an, dass Netzwerke damit sowohl „zwischen" als auch „neben" der Dichotomie von Markt und Hierarchie stehen. ^^^ Vgl. Corsten (2001), S. 41-44. Vgl. zur Netzwerkkultur Burr (1999), S. 1161, Prockl (2001a), S. 122. Vgl. zu Vertrauen als Voraussetzung fur die Bildung und Aufrechterhaltung von Untemehmensnetzwerken Klaus (2002), S. 238-243 sowie Bienert (2002), S. 102-103. Zu Vertrauen in virtuellen Untemehmen vgl. Koszegi (2001), S. 30-60. ^^^ Vgl. Jarillo (1988), Stolzle (1999), S. 93, Neuhauser (2001), S. 31-41. Jarillo (1988), S. 38, iibersetzt. Im Original: „opportunity for joint value creation." ^^^ Johannessen/Solem (2002), S. 40. ^*Wgl.Hippe(1997),S.39. "^^ Vgl. Heusler (2004), S. 69, Mayer (2000), S. 152-173, Wildemann (2000), S. 230-231. Vertikale Netzwerke stellen eine dominante Auspragungsform strategischer Netzwerke dar. Jarillo (1988), S. 39, bringt dies implizit zum Ausdruck, indem er strategische Netzwerke primar auf vertikale OutsourcingBeziehungen sowie auf Zulieferer/Abnehmerbeziehungen anwendet. Vgl. dazu auch Freichel (1992), S. 59. Teilweise werden in der Literatur auch horizontal (z.B. Netzwerke zwischen Logistikdienstleistem auf einer WertschQpfungsstufe) sowie laterale Netzwerke (bestehend aus Untemehmen verschiedener Branchen) als strategische Netzwerke bezeichnet, vgl. hierzu Neuhauser (2001), S. 34.
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
94
Hersteller oder ein Handelsuntemehmen steht.*^^ Dieses ubemimmt hSufig als fokales Unternehmen eine strategische Fuhmngsrolle im strategischen Netzwerk/^^ Der polyzentrische Charakter des Netzwerks bleibt demnach zwar grundsStzlich erhalten, die Verfolgung gemeinsamer Strategien zur Erreichung von Wettbewerbsvorteilen unter der Fuhmng ausgewahlter Netzwerkmitglieder ist jedoch charakterisierend fUr ein strategisches Netzwerk und stellt den hSufigsten Anwendungsfall dar/^ In strategischen Netzwerken sind insbesondere die Mechanismen der Quasi-IntemaHsierung sowie der Quasi-Extemalisierung fur die Generierung neuer Steuerungsanforderungen verantwortlich (vgl. Abbildung 23)/^^
Supply Chain-Bildung durch Quasi-lntemalisierung
Vertikal integriertes Gro(^untemehmen
Outsourcing funktionaler Bereiche
Supply Chain-Blldung durch Quasl-Extemalisierung
Abbildung 23:
Partielie Integration der WertschOpfung Autonome Spezialisten
Bildung strategischer Netzwerke durch Quasi-lntemalisierung und Quasi-Extemalisierung. Quelle: in Anlehnung an Zundel (1999), S. 86
Unter Quasi-lntemalisierung ist zu verstehen, dass ehemals rein marktliche Austauschprozesse zwischen Untemehmen durch intensive, kooperativ bis hierarchisch orientierte Abstimmungsprozesse (wie z.B. die Bindung von Systemlieferanten an das fokale Herstelleruntemehmen im Rahmen eines Supplier Relationship Management) erganzt werden. Auf diese Weise kann eine kollektive Zielausrichtung bei weitgehender Beibehaltung der Autonomic der Transaktionspartner erreicht werden. Komplementar dazu verhalt sich die QuasiExtemalisierung, welche die Substitution untemehmensintemer Hierarchien durch die Einfuhrung marktlicher Steuerungsmechanismen (z.B. durch Outsourcing bestimmter Funktionsbereiche des fokalen Untemehmens an einen LDL) bezeichnet. Ziele sind hierbei neben einer
' Vgl. EBig (2004a), S. 48-53 sowie S. 73, Bellmann (1999), S. 209-210. Auch eine Netzwerkflihmng durch mehrere dominanten Netzwerkpartner ist moglich. Jarillo (1988), S. 32, bezeichnet diese Untemehmen als „hub firms", um ihre biindelnde und koordinierende Stellung im Netzwerk zu unterstreichen. ^ Vgl. Sydow (1992), S. 82 sowie S. 267-275. Insofem konnen strategische Netzwerke auch als gerichtete Netzwerke bezeichnet werden. Vgl. Prockl (2001a), S. 106-107. * Vgl. Sydow (2001), S. 295.
2.3 TheoriegestutzteErklarungsbeitrage
95
Entlastung des Managements und der Beseitigung hierarchiebedingter InefFizienzen (wie z.B. infolge fehlender Anreizsysteme) insbesondere die ErhOhung der Untemehmensflexibilitat sowie die Schafilmg eines starkeren Wettbewerbs um Ressourcen.'^^^ Das Zusammenspiel von Quasi-Intemalisiemng und -Extemalisierung weist bereits darauf hin, dass in strategischen Netzwerken sowohl Aspekte der marktlichen als auch der hierarchischen Steuerung parallel zum Einsatz kommen konnen (vgl. auch die Positionierung des strategischen Netzwerks in Abbildung 21)."^^^ Eine hierarchische Steuerung kann beispielsweise dort angebracht sein, wo bestimmte Schliisselfahigkeiten das fokale Untemehmen oder eine Gmppe von Untemehmen zur Bildung und Steuerung eines strategischen Netzwerks befahigen und dadurch Wert sowohl fiir das/die fuhrende(il) als auch for die gefuhrten Unternehmen geschaffen werden kann/^^ Ein Beispiel hierfur stellen strategische Netzwerke in der Automobil(zuliefer)industrie dar. Dort nimmt der Hersteller (Original Equipment Manufacturer, OEM) haufig sowohl auf die Beziehungen zu seinen direkten Zulieferem (z.B. ausgewahlte Systemlieferanten) als auch auf indirekte Zulieferer/Abnehmerbeziehungen (z.B. zwischen System- und Komponentenlieferanten) steuemden Einfluss."*^^ Die heterarchische Steuerung betont dagegen die „Pfadabhangigkeit" strategischer Netzwerke, die besagt, dass sich Netzwerke gemafi der ihnen innewohnenden systemischen Gesetzmafiigkeiten und ihrer bisherigen Entwicklungsrichtung selbstandig verandem k5nnen und sich demzufolge einer hierarchischen Steuerung durch ein (oder mehrere) Netzwerkmitglieder entziehen konnen.^^" Somit dominiert in strategischen Netzwerken zwar die hierarchische Steuerung durch ein oder mehrere Ftihrungsuntemehmen. Allerdings sind auch heterarchische Steuerungsmechanismen, die auf der kollektiven Dynamik des Netzwerks z.B. in Form sog. „emergenter Strategien" basieren, ftir strategische Netzwerke von Relevanz.^^^ Abschliefiend soUen die relevanten Erklarungsbeitrage der Netzwerkforschung fiir die Steuerung von Supply Chains abgeleitet werden. Zunachst ist zU konstatieren, dass die typischen Strukturmerkmale von Netzwerken in weiten Teilen mit denen von Supply Chains iibereinstimmen. Dies gilt insbesondere fiir den Fall strategischer Netzwerke.^*^^ Erstens stellt eine
^^ Vgl. Efiig (2004a), S. 68-70 und die dort zitierte Literatur, Kutschker/Schmid (2004), S. 530-531. ^^'^ Vgl. Mayntz (1992), S. 24-25, de Miroschedji (2002), S. 66-67, Mack (2003), S. 17-18. Zu einer Ubersicht verschiedener Erscheinungsformen der Hybridsteuerung vgl. die Abbildung sowie die Tabelle bei Efiig (2004a), S. 71-74. Die Kombination marktlicher („competition") und kooperativer („cooperation") Steuerungsformen wird in der Literatur teilweise mit dem Kunstwort „coopetition" belegt, vgl. dazu Kutschker/Schmid (2004), S. 531 sowie Beck (1998), S. 271-276. Vgl. auch die vergleichbare Definition eines Produktionsnetzwerks bei Bellmann (1999), S. 211, der ebenfalls auf die Bedeutung des Zusammenspiels von Kooperation und Wettbewerb im Netzwerk hinweist. ^^^ Vgl. z.B. Nobeoka et al. (2002), S. 729-733, fur ein Beispiel aus der Automobilindustrie. ^'^ Vgl. Sydow (2003), S. 302, vgl. auch Efiig (2004a), S. 48-52. Vgl. dazu auch die empirischen Ergebnisse aus der Fallstudie ,Automotive" in Kapitel 5.2. ^^ Vgl. Hite/Hesterly (2001), S. 281-282. Vgl. zur Pfadabhangigkeitstheorie Ackermann (2003). ^^' Vgl. Schreyogg (2003), S. 385 sowie Hite/Hesterly (2001). ^°^ Vgl. Efiig (2004a), S. 48, Gopfert (2002), S. 32. Von einer starken tFberschneidung der Begriffe „Supply Chain" und „strategisches Netzwerk" gehen implizit auch jene BeitrSge aus, welche die Begrifife Produkti-
96
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
Supply Chain in der Praxis nur selten eine lineare Kette von Untemehmen, sondem meist ein komplexes Gebilde netzwerkartig verflochtener Austauschbeziehungen dar.^^^ Eine Netzwerkbetrachtung trSgt hier insbesondere dazu bei, nicht nur vertikale Zulieferer/AbnehmerBeziehungen in der Supply Chain, sondem auch die horizontalen Austauschbeziehungen zwischen Akteuren auf der selben Supply Chain-Stufe (z.B. verschiedene „First Tier"Lieferanten) in die Betrachtung miteinzubeziehen. Zweitens weist der kollektive Zielbezug, ein weiteres Merkmal strategischer Netzwerke, intensive Parallelen zu Supply Chains auf, da auch fiir letztgenannte die Ausrichtung an gemeinsamen, akteurstibergreifenden Zielsetzungen postuliert wird.^*^ Drittens sind Supply Chain-Beziehungen - wie auch strategische Netzwerke - in der Kegel langfristig angelegt und gehen von einer hohen Beziehungsintensitat aus.^°^ Viertens schlieBlich weisen Supply Chains eine grundsStzlich vertikale Orientierung auf und werden haufig von einem fokalen Unternehmen oder mehreren dominanten Untemehmen strategisch gefuhrt.^^ Sie stellen somit eine spezifische AusprSgungsform strategischer Netzwerke dar, die auf Gmnd der im Supply Chain Management-Konzept verankerten Zielsetzungen eine spezielle Ausrichtung und originSre Schwerpunktsetzungen aufweist.^®^ In der Literatur werden in diesem Zusammenhang unter anderen die Charakteristika der Prozess- sowie Endkundenorientierung genannt, die der Supply Chain den Charakter eines „gerichteten" Netzwerks verleihen.^"* Die theoriegeleiteten Aussagen der Netzwerkforschung zu (strategischen) Netzwerken lassen sich somit grundsatzlich auf Supply Chains ubertragen. Ein weiterer ErklSnmgsbeitrag der Netzwerkforschung besteht in der expliziten Ausdehnung des Analysebereichs auf die gesamte Supply Chain, womit eine Uberwindimg des Ausschnittsdenkens bzw. der (z.B. in der Transaktionskostentheorie ublichen) Betrachtung von Dyaden angestrebt wird.^^ Das Einnehmen einer Netzwerkperspektive erweist sich demzufolge als hilfreich, um Beschreibungs- und Gestaltungsaussagen uber Supply Chains zu trefifen. Dabei konnen eine strukturale Netzwerkperspektive, welche die Interaktionsbeziehungen zwischen den Mitgliedem der Supply Chain starker fokussiert, und eine institutional Netzwerkperspektive, welche das Netzwerk als eigenstSndige Institution auffasst, unterschie-
onsnetzwerk (vgl. z.B. Pfohl/Buse (2000)), Versorgungsnetzwerk (vgl. z.B. Buscher (1999), S. 454-455) oder Untemehmungsnetzwerke (vgl. z.B. Corsten (2001) auf Supply Chains anwenden. ^°^ Vgl. z.B. Otto (2002), S. 98-103, Gdpfert (2002), S. 25-44. Vgl. die Diskussion zu den allgemeinen Zielsetzungen des Supply Chain Management-Konzepts sowie der Konkretisierung dieser Zielsetzungen innerhalb unterschiedlicher Handlungsfelder in Kapitel 2.1.2.2. ^^^ Vgl. die tabellarische Ubersicht bei Heusler (2004), S. 76 sowie die dort zitierte Literatur. ^^^ Vgl. Cooper/Elb-am (1993), S. 17, Buscher (1999), S. 454. ^^^ Heusler (2004), S. 77-78, weist einschrankend darauf hin, dass trotz der inhaltlichen Nahe zu strategischen Netzwerken letztlich situationsspezifisch zu klaren ist, um welchen Netzwerktyp es sich bei einer Supply Chain im konkreten Einzelfall handelt. ^^^ Vgl. Prockl (2001a), S. 106-107. ^^Wgl. Otto (2002), S. 210.
2.3 TheoriegestutzteErklarungsbeitrage
97
den werden.^^^ Die Netzwerkforschung erweist sich in diesem Zusammenhang als anwendungsnSher als die Systemtheorie, die von nicht nSher spezifizierten Beziehungen zwischen abstrakten Systemelementen ausgeht. In diesem Zusammenhang ist zudem zu wiirdigen, dass die Netzwerkforschung neben der Untersuchung globaler Netzwerkstrukturen auch die Rolle des einzelnen Netzwerkakteurs mit seinen jeweiligen Interaktionsbeziehungen zu anderen Akteuren beleuchtet.^^^ SchlieBlich ist anzufuhren, dass eine kriteriengestutzte Differenzierung verschiedener Netzwerktypen dazu beitragen kann, unterschiedliche Supply ChainKonfigurationen zu unterscheiden, die auf Grund von Merkmalen wie zeitliche Stabilitat, Beziehungsintensitat oder vorherrschende Koordinationsrichtung die jeweils zulSssige Steuerungsform beeinflussen. Im Rahmen einer kritischen Beurteilung der Netzwerkforschung wird in der Literatur angemerkt, dass diese zwar die Betrachtung des Netzwerks als Ganzes betont und dafur einen analysemethodischen Rahmen aufspannt, jedoch bei der Grenzziehung zwischen Netzwerk und Umwelt keine konkreten Hilfestellungen anbietet.^'^ Ebenso besteht bislang kein Konsens hinsichtlich eindeutiger Gestaltungsvariablen zur Netzwerkstruktur oder zum Wandel von Netzwerken. Dies ist vor allem darauf zuriickzufuhren, dass die Netzwerkforschung keine eigene Zielsetzung, die durch ein EfTizienzkriterium messbar gemacht werden kOnnte, verfolgt.^^^ Die Einfuhrung eines einheitlichen Eflfizienzziels wird zusatzlich dadurch erschwert, dass die Auspragung der Netzwerkstruktur vom jeweiligen Netzwerktyp abhangig zu machen ist.^^"* Hier zeichnet sich - abgesehen von der haufigen Schwerpunktsetzung auf strategische Netzwerke - keine eindeutige Fokussierung auf bestimmte Netzwerktypen ab. Somit sieht sich die Netzwerkforschung der Kritik ausgesetzt, im Hinblick auf Fragen der interorganisationalen Steuerung eher implizite als explizite Aussagen bereitzustellen.^^^ Des Weiteren ist anzumerken, dass die im Zusammenhang mit der Diskussion strategischer Netzwerke herausgestellte Gleichzeitigkeit hierarchischer und heterarchischer Steuerungsrichtungen keineswegs als „State of the Art" der Netzwerkliteratur anzusehen ist. Insbesondere in der deutschsprachigen Literatur dominiert nach wie vor die Betrachtung von Untemehmensnetzwerken als Ergebnis der bewussten Gestaltungsbemiihungen einer Zentralinstanz, wohingegen Aspekte der Selbstorganisation haufig entweder vemachiassigt oder als Gegenposition zur
^*" Vgl. Thompson (2003), S. 120-126, Prockl (2001a), S. 30-31. Die zuweilen an dritter Stelle genannte, interpersonale Netzwerkperspektive wird an dieser Stelle ausgeblendet, da der Schwerpimkt der vorliegenden Arbeit auf den Austauschbeziehungen zwischen Untemehmen, d.h. im interorganisationalen Kontext, liegt. ^^' Vgl.St6lzle(1999),S.99. ^^^ Vgl. Otto (2002), S. 210, Burr (1999), S. 1166. ^^^ Vgl.St6lzle(1999),S.94. ^'"^ Vgl. Bellmann/Hippe (1996), S. 14. ^^^ Vgl. zu dieser Kritik Bellmann/Hippe (1996), S. 14. Vgl. auch Fleisch (2001), S. 97, der die Aussagen der Netzwerkforschung als zu breit bzw. zu eklektisch kritisiert, um praxisorientierte Managementempfehlungen aus ihnen abzuleiten.
98
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
hierarchischen Steuerung dargestellt werden.^*^ Die genannten Kritikpunkte lassen sich dabei durchaus als Anfordemngsprofil an eine bisherige Ansatze integrierende Netzwerktheorie aufFassen.^'^ 2.3.4. Gegenflberstellung der ausgewfthlten theoretischen Erklirungsbeitrflge Abbildung 24 liefert einen zusammenfassenden Uberblick der vorgestellten theoretischen Erklarungsbeitrage. Die einzehien AnsStze werden darin im Hinblick auf ihren Betrachtungsgegenstand, ihre maBgebHchen EinflussgrOBen sowie ihre Hauptaussagen zur Steuerung in Supply Chains verglichen. Dem gewShlten eklektischen Vorgehen folgend fliefien Elemente dieser theoretischen ErklSrungsangebote selektiv in die weitere Untersuchung ein. Die Transaktionskosten- und die Agency-Theorie fassen insbesondere bilaterale Steuerungsprobleme ins Auge. Da sie einen relativ starren Rahmen fur die Modellierung von untemehmensubergreifenden Beziehungen vorgeben, erscheinen sie insbesondere zur Abbildung standardisierter Problemstellungen unter kontroUierbaren Rahmenbedingungen geeignet. Fiir die weiteren Ausfuhrungen sind unter anderem die akteursspezifischen Verhaltensannahmen der Transaktionskostentheorie sowie die vergleichweise gute Ubertragbarkeit von PrinzipalAgentenbeziehimgen auf Supply Chains mit einem fokalen Untemehmen von Bedeutung. Die neuere Systemtheorie stellt primSr ein allgemeines Beschreibungsmodell ftir Systeme bereit, welches auch fur Supply Chains genutzt werden kann. Fur die weitere Diskussion erweist sich dabei vor allem das Konstrukt der Kontextsteuerung als relevant, welches auf regelbasierte Abstimmungsmechanismen, die gewisse Entscheidungsspieh-Sume ftir die beteiligten Supply Chain-Partner beinhalten, tibertragen werden kann. Die Netzwerkforschung liefert schliefilich den am deutlichsten erkennbaren Beitrag fur die weiteren Ausfuhrungen, da bestimmte Supply Chain-Typen die Charakteristika strategischer Netzwerke aufweisen und sich demzufolge Aussagen der Netzwerkforschung in gewissem Rahmen auch auf die Steuerung von Supply Chains tibertragen lassen. Diese Vermutung gilt insbesondere ftir das Netzwerkmanagement, welches im nachfolgenden Kapitel bei der Ableitung von Steuerungsanforderungen fur die Steuerung von Supply Chains herangezogen wird.
' Vgl. z.B. Burr (1999), S. 1173, der eine starkere Rezeption der skandinavischen Netzwerkliteratur fordert, die Akzente in den Bereichen exogener und endogener Wandel, Pfadabhangigkeit und interorganisationales Lemen in Netzwerken setzt. ' Vgl. Stolzle (1999), S. 94-95.
99
2.3 Theoriegestutzte Erklarungsbeitrage
Theoiieansatz
Betrachtungsobjekt
Einflussfaktoren
Relevante Aussagen f(ir die Steuerung in Supply Chains
Transaktionskostentheorie
Institutionelle Gestaltung der Transaktion zwischen zwei Akteuren
- Verhaltensbezogen: Opportunismus, beschrankte Rationalitat
- Transaktionskosten als Effizienzkriterium bei ,Jklake-or-Buy"Entscheidungen
- Transaktionsbezogen: Faktorspezifitat, Unsicherheit, Haufigkeit
- Hybride institutionelle Arrangements als Alternative zur vertikalen Integration einerseits und Markt andererseits
- Umweltbezogen: Transaktionsatmosphare
Institutionelle Gestaltung der Auftragsbeziehung zwischen Prinzipal und Agent
Agencyj Theorie
- Vgl. Transaktionskostentheorie - Risikoneigung von Prinzipal und Agent - Informationsasymmetrie zwischen Prinzipal und Agent
- Akteursspezifische Verhaltensannahmen (z.B. Opportunismusneigung, Informationsasymmetrie) erfordem die Steuerung von Austauschbeziehungen nach Vertragsabschluss, z.B. durch Anreizsysteme - Standardisierte LQsimgsansatze zur Verhaltenssteuerung bei AgencyProblemen in Supply Chains, insbesondere vor Vertragsabschluss - HoheUbertragbarkeitauf Supply Chains mit fokalem Untemehmen (Prinzipal) - Dezentrale SteuerungsmQglichkeiten tiber Multi-Agentensysteme
Neuere Systemtheorie
Selbstreferentielles System
- Differenz zwischen System und Umwelt
- PrimatderSelbststeuerung'in komplexen Systemen
- Komplexitat
- Systeme kOnnen nur „perturbiert", nicht gezielt „instruiert" werden
- Autonomic und Redundanz
Netzwerkforschung
Netzwerk als Interaktionssystem
- Ausgewahlte: - zeitliche Stabilitat - Beziehungsintensitat - Koordinationsrichtung
- Kontextsteuerung zur Schaffimg von Freiraumen ftir die Selbststeuerung - Interaktionscharakter von Netzwerkbeziehungen - Supply Chains als strategische Netzwerke - FuhrungsroUe des fokalen Unternehmens - Netzwerke als Mittelweg zwischen hierarchischer und heterarchischer Steuerung - Spezifische Steuerungsanforderungen auf unterschiedlichen Netzwerkebenen
Abbildung 24:
GegeniibersteUung der theoretischen Erklarungsbeitrage
100
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
2.4. Ableitung von Steuerungsanforderungen im Supply Chain Management Im Folgenden werden die in Kapitel 2.2.2.2 aufgezeigten Charakteristika der Steuerung im interorganisationalen Umfeld, insbesondere vor dem Hintergnmd des angesprochenen Spannungsfelds zwischen Autonomie iind Interdependenz der Akteure, emeut aufgegriffen und auf das Anwendungsobjekt des Supply Chain Managements ubertragen. Zudem fliefien die Erkenntnisse aus den theoretischen ErklHrungsangeboten in die weiterftihrende Diskussion ein. Dabei spielen neuere Entwicklimgen in der Netzwerkforschung (vgl. Kapitel 2.3.3) eine besondere RoUe, die im Rahmen des Konzepts des Netzwerkmanagements eine Operationalisierung der bislang schwerpunktmSBig deskriptiven AnsStze anstreben.^'* Das normativ orientierte Netzwerkmanagement liefert insbesondere Empfehlungen zur organisationalen und ablauftechnischen Ausgestaltung von Untemehmensnetzwerken.^^^ Da es immittelbar auf das theoretische Fundament der Netzwerkforschung aufbaut, liegt die Vermutung nahe, dass sich die Steuerungsproblematik in Supply Chains als ein spezifisches Themenfeld innerhalb des Netzwerkmanagements in strategischen Netzwerken verorten lasst.^^^ Das Konzept des Netzwerkmanagements wird daher im folgenden Kapitel 2.4.1 aufgegriffen. Eine weitere Moglichkeit zur vertiefenden Systematisierung von Steuerungsanforderungen stellt die Dififerenzierung unterschiedlicher Betrachtungsebenen in der Supply Chain dar."^ Dabei kann ebenfalls auf die bereits herausgearbeiteten theoretischen ErklSrungsbeitrSge zuriickgegriffen werden, welche Mehrebenen-Modelle heranziehen, um z.B. die Systemkomplexitat von Netzwerken zu reduzieren"^ oder die Wechselwirkungen zwischen der Netzwerkstruktur und der darin ablaufenden Prozesse darzustellen.^^ In Kapitel 2.4.2 wird demzufolge ein Mehrebenen-Modell des Supply Chain Managements (bestehend aus einer Netzwerk-, einer Beziehungs- und einer Einzelakteursebene) herangezogen, um ebenenspezifische Steuerungsaufgaben zu dififerenzieren. 2.4.1. Implikationen des Netzwerkmanagements fQr die Steuerung von Supply Chains Das Netzwerkmanagement weist Ziige eines themenzentrierten Managements auf, da es das Gestaltungsfeld „Netzwerk" betrachtet und innerhalb des klassischen funktionalen Managementportfolios jene Aufgaben fokussiert, die fur die Steuerung dieses speziellen Gestaltungs-
Vgl. zum Konzept des Netzwerkmanagements Mannel (1996), S. 182-187, Stolzle (1999), S. 99 sowie S. 196-218, Hippe (1997), S. 66-79, Mildenberger (1998), S. 46-50, Borchert (2001), S. 71-163. Vgl. insbesondere die Diskussion zur „Netzwerkorganisation" bei Sydow (2003) sowie kritisch bei Reil3 (1998). ^^" Diese Ansicht vertreten beispielsweise auch Wohlgemuth/Hess (2001), S. 62, oder Heusler (2004), S. 75. ^^* Vgl. Heusler (2004), S. 70. ^^^ Vgl. Zundel (1999), S. 83-84 sowie die Ausfiihrungen zur Systemtheorie in Kapitel 2.3.2. ^^^ Vgl. z.B. Mildenberger (1998), S. 45.
2.4 Ableitung von Steuerungsanforderungen im Supply Chain Management
101
feldes relevant erscheinen.^^"* Das wesentliche Charakteristikum des Netzwerkmanagements liegt somit in der Einbindung vertikaler wie auch horizontaler Geschaftsbeziehungen in einen integrierten Managementansatz unter spezieller Beriicksichtigung der Wechselwirkungen zwischen diesen Beziehungen."^ Im Hinblick auf das Aufgabenportfolio des Netzwerkmanagements existieren unterschiedliche AnsStze. Folgt man einem flinktionalen Managementverstandnis, so umfasst das Netzwerkmanagement im Allgemeinen die efFiziente und effektive Planung, Durchfuhrung und Kontrolle der Ablaufe im Netzwerk.^^^ Ebenso wie in den Ausfuhrungen zur untemehmensintemen Steuerung in Kapitel 2.2.2.1 wird dabei eine prozessuale Perspektive angelegt, so dass sich sachlogische, nicht zwingend zeitlich-sequentiell angeordnete Steuerungsaufgaben zu einem Managementprozess zusammenfohren lassen."^ In einem in der Literatur vergleichsweise breit rezipierten Strukturierungsvorschlag unterscheiden SydowAVindeler vier allgemeine Steuerungsaufgaben in interorganisationalen Netzwerken (vgl.Abbildung25).'''
Abbildung 25:
Steuerungsaufgaben in interorganisationalen Netzwerken Quelle: Sydow/Windeler (1997), S. 151. leicht verdndert
Dies fUhrt dazu, dass klassische Managementaufgaben, wie z.B. Personalfuhning und -entwicklung, aus Griinden der Komplexitatsreduktion im Rahmen des Netzwerkmanagements nicht weiter vertieft werden. "^ Vgl. M6ller/Halinen (1999), S. 414-415. ^^^ Vgl. MSnnel (1996), S. 186, Corsten/GOssinger (2001a), S. 10. Vgl. auch Thoms (2003), S. 52, der die Aufgaben der Prozesssteuerung, Ressourcenaktivierung sowie des Informationsaustauschs unterscheidet. Zum funktionalen Management im Kontext des Netzwerkmanagements vgl. Zundel (1999), S. 111. Vgl. zu den folgenden Ausfuhrungen, soweit nicht anders angegeben, SydowAVindeler (1994) sowie Sydow (2001). Zur Anwendung des Ansatzes auf Logistiknetzwerke vgl. Sydow (2002), Wildemann (1997), auf virtuelle Untemehmen vgl. Strack (2001), S. 96 sowie Schrader (1996), S. 74-82, auf strategische Netzwerke Deigendesch (2004), S. 41-70.
102
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
Im Rahmen der Selektion sind potenzielle Partner im Hinblick darauf auszuwahlen, ob sie durch ihre Teilnahme am Netzwerk zur ErfuUung der Netzwerkziele beitragen. Die Selektion nimmt auf diese Weise eine Vorsteuerungsfunktion in Bezug auf die zielkonforme Ausrichtung der NetzwerkaktivitSten ein, welche sich auch auf die anderen Steuerungsaufgaben im Netzwerk auswirkt. Neben der Auswahl von (neuen) Partneruntemehmen fallen auch die Festlegung von Fokus und Intensitat der Zusammenarbeit (z.B. bestinmite Produkte oder Dienstleistungen, bestimmte Prozesse) sowie Bestimmung geeigneter Personen oder Institutionen, die als „Boundary Spanners"^^^ untemehmensiibergreifende Abstimmungsaufgaben wahmehmen, in den Aufgabenbereich der Selektion. Hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass nach dem hier entwickelten BegriflFsverstandnis auch Aufgaben der Integration, die im Sinne Bleichers als die prSsituative, planerische Gestaltung der Beziehungen zwischen Systemelementen verstanden wird,^^® zur Selektionsaufgabe der Steuenmg gezahlt werden. Als conditio sine qua non der Selektion gilt die Existenz von Netzwerkzielen, einer Netzwerkmission sowie gemeinsamer Netzwerkgrundsatze, da diese allgemeine Referenzpunkte fur die Selektion darstellen.^^' Ebenso geht der Selektion eine sorgfSltige Analyse der eigenen Ressourcenund Kompetenzausstattung sowie jener der potenziellen Partner voraus, um die grundsatzliche Kooperations- bzw. NetzwerkfMhigkeit einzuschatzen.^^^ Zudem sind auch nach einer erstmaligen Partnerwahl laufend Selektionsaufgaben wahrzunehmen, wie beispielsweise der Ausschluss ungeeigneter Partneruntemehmen oder die Re-Selektion bewShrter Partner. Die Regulation konzentriert sich auf die Ausrichtung der einzelnen Steuerungsaktivitaten auf ein iibergeordnetes Steuenmgsziel. Dies kann iiber Kooperationsregeln, etwa zur Konflikthandhabung, zur Verteilung von gemeinsam erwirtschafteten Effizienzgewinnen oder zum Umgang mit gemeinsam generiertem Wissen (z.B. F&E-Ergebnisse), erfolgen.^^^ Dariiber hinaus sind Anreizsysteme zu installieren, die einen langerfristigen Zusammenhalt der Beziehungen fbrdem.^^ Um die Flexibilitatspotenziale der interorganisatorischen Zusammenarbeit ausschopfen zu konnen, kann eine Regulation meist nicht abschliefiend erfolgen, sondem stellt einen kontinuierlichen Abstinmiungsprozess zwischen den Partneruntemehmen dar.^^^ Die mit der Regulation adressierte, situative Abstinmiung innerhalb bestehender
^^^ Vgl. hierzu die Ausfiihrungen zum Handlungsfeld „Organisation" in Kapitel 2.1.2.2. ^^" Vgl. Bleicher (2004), S. 590. Integration wird in der Literatur auch mit dem Begriff der „systembildenden Koordination" gleichgesetzt, vgl. dazu die Ausfiihrungen in Fufinote 539. Vgl. auch Hausler (2002), S. 81-82 sowie S. 110, die eine Einordnung der logistischen Integration in den Kontext von Untemehmensnetzwerken vomimmt. " ' Vgl. Evers (1998), S. 282 sowie ahnlich Schrader (1996), S. 75. Die Parallele zur untemehmensbezogenen Steuenmg wird hier offensichtlich, da auch diese auf grundlegende Vorgaben der strategischen Zielplanung zuruckgreift. ^^^ Vgl. Heusler (2004), S. 229. "^ Zur Rolle von Regeln in Untemehmensnetzwerken vgl. Burr (1999), S. 1165-1174. ^^"^ Vgl. ReiB (2001), S. 153-155. "^ Vgl. Wohlgemuth (2002), S. 121.
2.4 Ableitung von Steuerungsanfordemngen im Supply Chain Management
103
Strukturen wird in der Literatur haufig mit dem Begriff der Koordination belegt."^ Bei zu geringer Koordination im Netzwerk sind auf Grund der potenziell konfligierenden Einzelziele der Akteure Nachteile in Form von Autonomiekosten^^^ zu erwarten. Mit wachsender Koordination erhohen sich demgegeniiber die Koordinationskosten (bei sinkenden Autonomiekosten).^^* Ziel ist es, eine „optimale" Positionierung im Trade-off zwischen Autonomie- und Koordinationskosten zu erreichen. Die Koordination fmdet somit als laufende Abstimmung innerhalb bestehender Netzwerkstrukturen statt, wahrend die oben angesprochene Integration sich mit der Bildung eben dieser Strukturen befasst. Somit kann eine Einordnung von Integrations- und Koordinationsaufgaben in das in dieser Arbeit relevante Steuerungsverstandnis erfolgen. Integration demzufolge als als Teilbereich der Selektionsaufgabe der Steuerung aufgefasst, wahrend die Koordination der Regulationsaufgabe der Steuerung zugeordnet wird.'^' Die Allokation befasst sich mit der Verteilung von Aufgaben, Ressourcen und Zustandigkeiten im Netzwerk. Aus Efifizienzgesichtspunkten ist dabei die Zuordnung einer Aufgabe zu jenem Untemehmen innerhalb des Netzwerks, welches diese zu den geringsten Kosten wahmehmen kann, anzustreben. Die Allokation kann meist nicht - mit Ausnahme des spater zu vertiefenden strategischen Netzwerks - auf hierarchischem Wege erfolgen, sondem beruht auf Verhandlungsprozessen oder einem netzwerkintemen Wettbewerb um Leistungsumfdnge. Letztgenannter dient als Rebel zur Aufrechterhaltung des Marktdrucks innerhalb des Netzwerks und kann zur Verbesserung der Wettbewerbsfahigkeit des Netzwerks fungieren.^"*^
^^^ Vgl. zum hier aufgegriffenen Begriffsverstandnis der Koordination z.B. Frese (2000), S. 69, Bleicher (2004), S. 590, Koreimann (1999), S. 48-51. Vgl. auch Schneider (1994), S. 314, der die Koordination als ,Jlegelsystem" interpretiert. Vgl. zur Koordination von Prozessen Gaitanides (1983), S. 159-243. Vgl. zur Koordination in Logistik und Supply Chain Management Freichel (1992), S. 181, HSusler (2002), S. 109-110 und S. 36-38 sowie Heusler (2004), S. 131. Als Autonomiekosten sind jene Kosten zu bezeichnen, die im Vergleich zum theoretischen Ideal einer „simultanen Gesamtplanung" des gesamten Netzwerks als Folge suboptimaler Einzelentscheidungen der Akteure entstehen (z.B. Bestandskosten, die durch ein kooperatives Bestandsmanagement reduziert werden kQnnten). Vgl. zum allgemeinen, untemehmensbezogenen Begriff der Autonomiekosten Frese (2000), S. 124-125. "^ Vgl. Freichel (1992), S. 192. Die auf diese Weise getroffene Abgrenzung kann zwar nicht voUstandig iiberschneidungsfrei erfolgen, erscheint jedoch - insbesondere hinsichtlich der heterogenen Begriffsverwendung von Integration und Koordination in der Literatur - fiir das weitere Vorgehen pragmatisch. Das in dieser Arbeit vertretene Koordinationsverstandnis wird hSufig als „systemkoppelnde Koordination" bezeichnet. Diesem gegenuber steht der Begriff der „systembildenden Koordination", der die SchafRing einer Gebilde- und Prozessstruktur zur Abstimmung von Aufgaben bezeichnet und somit mit dem hier verwendeten, von Bleicher (z.B. 2004) gepragten Begriff der „Integration" entspricht. Vgl. zur Gleichsetzung von systembildender Koordination und Integration auch Horvath (2003a), S. 125-126. Schreyogg (2003), S. 255, verwendet die Begriffe Integration und Koordination explizit synomym. Eine andere Aufifassung vertritt ReiB (2000), S. 225-226, der die Losung situativer Abstimmungsaufgaben nicht - wie im hier vertretenen Verstandnis - als Koordination, sondem als sog. einstufige Integration bezeichnet. Freichel (1992), S. 181, ordnet Koordination allgemein als „zielorientierte Abstimmung interdependenter Handlungen" ein. StQlzle (1999), S. 206, stellt fest, dass „sich der Zielcharakter des Koordinationsbedarfs darauf [beschrankt], eine Leitlinie fiir die Formulierung von Komponenten und Methoden und Instrumenten des Netzwerkmanagements aufzustellen." ^"^ Vgl. Wildemann (1997), S. 428-430.
104
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
Die Evaluation konzentriert sich - allgemein formuliert - auf die Eraiittlung des Gesamterfolgs des Netzwerks. Dies beinhaltet unter anderem die Bewertung des Leistungsbeitrags einzelner Partneruntemehmen innerhalb des Netzwerks. Die Evaluation greift dabei auf die (Teil)Ergebnisse der anderen Steuerungsaufgaben (Selektion, Allokation sowie Regulation) zuriick, die z.B. anhand untemehmensubergreifender Schltisselkennzahlen (Key Performance Indicators, KPIs) ausgewertet werden. In Bezug auf die angefuhrten Steuerungsaufgaben des Netzwerkmanagements ist zu konstatieren, dass diese inmierhin teilweise mit den in Kapitel 2.2.2.1 vorgestellten Steuerungsphasen auf Untemehmensebene korrespondieren.^"** Die Selektionsaufgabe weist Ahnlichkeiten zur Strategieauswahl und -bewertungsphase, die Regulations- und AUokationsaufgabe zur Implementierungsphase auf. Die Aufgabe der Evaluation spiegelt sich in der Kontrollphase wider. Einerseits weisen diese Gemeinsamkeiten darauf hin, dass auch auf untemehmensubergreifender Ebene eine zielgerichtete Steuerung der Zusammenarbeit im Sirme eines Netzwerkmanagements ftir sinnvoU und notwendig erachtet wird.^"*^ Andererseits ist festzustellen, dass die Phase der (operativen) Durchfuhrung im vorgestellten Modell des Netzwerkmanagements keine Entsprechung findet. Dies lasst den Schluss zu, dass diese nach wie vor der SteuerungsdomSne des einzehien Untemehmens zugeordnet wird. Eine efifektive (zielorientierte) und gleichzeitig effizienzorientierte Netzwerksteuerung erfordert jedoch eine verstarkte Beriicksichtigung der Durchflihrungs- bzw. Leistungsebene im untemehmensubergreifenden Umfeld, da diese die Voraussetzung ftir eine regelkreisartige Vermaschung von Strategiefmdung, -implementierung und letztendlich operativer Umsetzung darstellt. Somit gilt es, die bislang schwerpunktmSBig adressierte Managementebene der Netzwerksteuerung, welche primer auf die Beziehungsgestaltung zwischen Netzwerkpartnem abstellt, im hier vertretenen SteuerungsverstSndnis um eine Leistungsprozessebene, d.h. auf die Austauschprozesse im Netzwerk abzielende Steuerungskomponente, zu erganzen.^"^^ Abbildimg 27 tragt diesem Sachverhalt Rechnung, indem ausgewahlte Steuerungsaufgaben des Netzwerkmanagements nach Management- und Leistungsprozessebene differenziert dargestellt werden. Es bleibt festzuhalten, dass die genannten Steuerungsaufgaben keineswegs uberschneidungsfrei sind. Vielmehr ist von einer mehrfachen Vermaschung der einzelnen Steuerungsaufgaben, ebenso wie von einem fliefienden Ubergang zwischen der Management- und Leistungsebene auszugehen. Um nur ein Beispiel zu nennen, konnen die Regulationsaufgaben insofem auf die Selektion zuriickwirken, als die Befolgung gemeinsamer Regeln einen Indikator fur die Zugehorigkeit zu einem gemeinsamen Netzwerk darstellt. Die Akzeptanz gemeinsamer expliziter oder impliziter - Regehi kann dabei zur Selektionsaufgabe der „Grenzziehung" des
Vgl. Kapitel 2.2.2.1. • Vgl. Wohlgemuthmess (2001), S. 72, Sydow (1992), S. 81. ' Vgl. auch Hess (2002), S. 20, Wohlgemuth (2002), S. 41 sowie Wohlgemuth/Hess (2001), S. 73, welche auf die Notwendigkeit einer Differenzierung von auftragsUbergreifender und aufh-agsbezogener Ebene hinweisen, ihre weiteren Ausftihrungen jedoch auf die auftragsubergreifende Ebene als Kembereich des Netzwerkmanagements fokussieren.
2.4 Ableitung von Steuerungsanforderungen im Supply Chain Management
105
Netzwerks beitragen.^"*^ Zudem gilt weiterhin, dass die spezifische Auspragung der Steuerungsaufgaben unter Umstanden stark mit dem Netzwerktyp imd der darin dominierenden Koordinationsrichtung variiert.^'^^ Leistungsprozessebene
Managementebene •
vomehmlich Steuerung von Austauschprozessen
vomehmlich Beziehungsgestaltung Selektion
- Bestimmung der Netzwerkgrenzen, Auswahl und Abwahl von Netzwerkpartnem - Foraiulierung, Bewertung und Auswahl koUektiver Ziele und Strategien - Ausarbeitung und synchrone Aktualisierung von Prognosen
~
^^^^^^^
- Auftragsakquisition und Prufung der Realisierbarkeit eines Auftrags, z.B. durch Uberprufung vorhandener Ressourcen und Kompetenzen - Auftrags(typ)spezifische Auswahl der LeistungstrSger
- Spezielle Integrationsaufgaben, z.B. Uberprufung der Netzwerkfehigkeit potenzieller Partner in ausgewahlten Supply Chain-Prozessen - Bildung gemeinsamer Verhaltensgrundlagen, z.B. tiber eine Netzwerkverfassung, gemeinsame Netzwerkkultur
- Festlegung prozessbezogener KontroUgroBen (z.B. Kosten- und Leistungskennzahlen)
- Bewaltigung auftragsubergreifender Koordinationsaufgaben, z.B. Bildung von Verteilungsschlusseln, institutionalisiertes Konfliktmanagement, Anreizsysteme, Konfiguration von ITSystemen
- Uberwachung der Auftragsdurchfthrung (PlanfortschrittskontroUe)
AUokation
- Zuordnung grundlegender Aufgaben, Ressourcen, ZustSndigkeiten an Partneruntemehmen
- Planung und Zuordnung auftragsspezifischer Teilaufgaben und Kapazitaten an verschiedene Partneruntemehmen
Evaluation
- Laufende Bewertung kollektiver Strategien (PramissenkontroUe) und Suche nach potenziellen Chancen/Risiken (strategische tJberwachung)
- (Laufendes) Monitoring der Teilleistungen einzelner Partner hinsichtlich der Kosten-/Leistungsvorgaben(Realisationskontrolle)
- Bewertung des Netzwerkerfolgs sowie der individuellen Zielerreichung
- AbschlieBende Dokumentation und Bewertung der Auftragsdurchfuhrung
- Auftragsiibergreifende Gewinn- und Verlustverteilung
- Auftragsspezifische Gewinn-und Verlustverteilung
Regulation
Abbildung 26:
Steuemngsaufgaben im Netzwerk, differenziert nach Management- und Leistungsprozessebene. Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Sydow (2001); Buscher (2003) sowie Wohlgemuth (2002), S. 121-125
* Vgl. Burr (1999), S. 1166. ' Vgl. Wildemann (1997), S. 420-423, Busch/Dangelmaier (2002), S. 10-12, Stolzle (1999), S. 207.
106
2 Steuemngsproblematik im Supply Chain Management
2.4.2. Differenzierung von Steuerungsanforderungen auf unterschiedlichen Ebenen der Supply Chain Steuerungsaufgaben im Rahmen des Netzwerkmanagements wurden bislang aus einer allgemeinen, prozessualen Perspektive betrachtet. Um diflferenzierter Anfordemngen an die Steuerung zu formulieren, erscheint eine vertiefende Stmkturierung von strategischen Netzwerken im AUgemeinen bzw. Supply Chains im Besonderen angebracht. Hierzu bietet sich die Unterscheidung von struktur-, phasen- und ebenenbezogene Systematisierungsansatzen an.^"*^ Strukturbezogene Ansatze bauen auf die systemtheoretisch gepragte Netzwerktheorie auf und nehmen eine Aufteilung des Netzwerks in Netzwerkelemente, welche spezifische Eigenschaften aufweisen (z.B. Spezialisierungsgrad, Kooperationsbereitschaft) sowie Beziehimgen zwischen diesen Elementen (z.B. informationstechnische, soziale oder geschaftliche Beziehungen) vor.^"*^ Phasenbezogene AnsStze erweitem diese Perspektive um eine dynamische Komponente, indem unterschiedliche Entwicklungsstufen von Netzwerken, z.B. eine Bildungs-, Betriebs- und Aufldsungsphase, unterschieden werden. Dabei wird davon ausgegangen, dass je nach Dauer bzw. Lebenszyklusphase einer Netzwerkbeziehung das Netzwerkmanagement ein jeweils unterschiedliches Aufgabenprofil
aufweist.^"**
Ebenenspezifische
Ansatze stellen schlieBlich auf die Differenzierung abstrakter Ebenen ab, die sich anhand spezifischer Funktionen, strukturaler Charakteristika oder auch Steuerungsanforderungen voneinander abgrenzen lassen. Angesichts der relativ hohen Flexibilitat bei der Kriterienauswahl zur Ebenenbildimg wird in der wissenschaftlichen Literatur haufig auf die zuletzt genannte, ebenenspezifische Differenzierung zuriickgegriffen.^'*^ Dabei konnen - auf Basis einer institutionalen Betrachtung - die Ebene des einzehien Akteurs innerhalb des Netzwerks, die Ebene ausgewShlter Beziehungen im Netzwerk sowie die des Netzwerks als Ganzes unterschieden werden. Basierend auf dieser grundlegenden Aufteilimg sind anschlieBend ebenenspezifische Anfordemngen an die unterschiedlichen Steuerungsaufgaben zu formulieren. Neben der Moglichkeit der Komplexitatsreduktion wird dabei auch das Ziel verfolgt, die Wechselwirkungen zwischen der Struktur eines Untemehmensnetzwerks und den darin ablaufenden Prozessen abzubilden und zu analysie-
^"^ Vgl. Gomm/Trump£heller(2004), S. 50. ^^' Vgl. Kapitel 2.3.2. ^^^ Vgl. Gomm/Trumpfheller (2004), S. 53-54 sowie bezogen auf interorganisatorische Beziehungen Gareis (2002), S. 111-115. Kritisch ist dabei anzumerken, dass die meisten Autoren ein idealtypisches Verlaufsmuster des Lebenszyklus vorstellen, welches sich weitgehend einer empirischen Uberpriifbarkeit entzieht, vgl. Gareis (2002), S. 114. Zudem lasst sich insbesondere aus Sicht der Steuerungsrelevanz des Phasenansatzes bemangeln, dass eine Zuordnung des Netzwerks bzw. einer Netzwerkbeziehung zu einer bestimmten Lebenszyklusphase meist erst ex post moglich ist. ^^^ Vgl. z.B. Moller/Halinen (1999), S. 416-417, Ritter et al. (2004), S. 179, StSlzle/Karrer (2004a), S. 253, Hausler (2002), S. 163-167. ^^^ Vgl. Mildenberger (1998), S. 45, Heusler (2004), S. 70.
2.4 Ableitung von Steuerungsanforderungen im Supply Chain Management
107
Ein verwandter, ebenfalls ebenenspezifischer Segmentieningsvorschlag erhebt den jeweiligen Standpunkt eines Beobachters zum Differenzierungskriterium. Dabei werden eine „inteme Mikrosicht", eine „inteme Makrosicht" sowie eine „exteme Makrosicht" differenziert. Im ersten Fall wird das Netzwerk aus Sicht eines einzelnen Untemehmens betrachtet und analysiert. Die zweite Sichtweise verlSsst die Ebene des Teilnehmers und positioniert den Beobachter innerhalb des Netzwerks. Auf diese Weise wird die Analyse von Prozessen sowie das Aufdecken von Ursache-Wirkungszusammenhangen ermoglicht. In der dritten Sichtweise wird schliefilich das Netzwerk aus der Perspektive eines auBenstehenden Beobachters erfasst und „objektiv" analysiert.^^^ Beide Vorschlage zur Ebenenbildung beinhalten wesentliche Implikationen fur die Steuerung von Supply Chains. Wahrend die Unterscheidung institutionaler Steuerungsebenen einen Beitrag zur Eingrenzimg des Steuerungsobjekts leistet, weist die Differenzierung einer Innen/AuBenperspektive sowie einer Mikro/Makrosicht auf die Bedeutung der Position des Steuerungssubjekts hin. In der intemen Mikrosicht stehen die Erreichung individueller Steuerungsziele und deren Wechselwirkungen mit den (koUektiven) Zielsetzungen der Supply Chain im Vordergrund.^^^ Sie fmdet somit im Wesentlichen auf der Einzelakteursebene ihre Entsprechung. Die interne Makroperspektive stellt auf eine Steuerung untemehmensubergreifender Beziehungen in der Supply Chain ab. Fasst man die Supply Chain als strategisches Netzwerk auf, kann somit beispielsweise einem fokalen Untemehmen eine derartige interne Makrosicht zugesprochen werden. ^^^ Da in der Terminologie der „intemen Makrosicht" jedoch nicht trennscharf zwischen der Steuerung ausgewahlter Beziehungen und der Steuerung der Supply Chain als Ganzes unterschieden wird, erscheint der Begrifif der „Beziehungsebene" hier vorteilhafter.""* Die exteme Makrosicht wird schlieBlich hauptsachlich zur Identifikation und Deskription von Netzwerkstrukturen herangezogen. Dynamisch-prozessuale Zusammenhange entziehen sich einem extemen Beobachter jedoch weitgehend.^^^ Die exteme Perspektive erweist sich daher aus Steuerungsgesichtspunkten als weniger relevant, weshalb dem etwas allgemeiner gehaltenen Begriff der „Netzwerkebene" der Vorzug gegeben werden soil. Die weiteren Ausfuhrungen greifen somit Impulse aus beiden vorgestellten Strukturierungsvorschlagen auf und unterscheiden aus institutioneller Perspektive die Ebene des Einzelunternehmens als Netzwerkmitglied (Einzelakteursebene), die Ebene relationaler Austauschbe-
^^^ Vgl. Hippe (1997), S. 67, Mildenberger (1998), S. 46-50. ^" Vgl. Heusler (2004), S. 70. ^^^ Vgl. auch Hippe (1997), S. 67. ^^^ Die Netzwerkliteratur ist hierzu geteilter Meinung. Wahrend z.B. Hippe (1997), S. 67, hauptsachlich die Steuerung von Beziehungen aus Sicht eines fokalen Unternehmens der intemen Makroperspektive zuordnet, argumentiert Mildenberger (1998), S. 49, dass das Netzwerk selbst als „kollektiver Akteur hoherer Ordnung" den Beobachterstandpunkt bestimmt. Vgl. hierzu die Erklarungsbeitrage der Neueren Systemtheorie in Kapitel 2.3.2,
108
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
ziehung innerhalb der Supply Chain (Beziehungsebene) sowie die Ebene der gesamten Supply Chain (Netzwerkebene) (vgl. Abbildung 27).^^^
Einzelakteursebene
Abbildung 27:
Mehrebenenbetrachtung der Supply Chain Quelle: Stolzle/Karrer (2004a), S. 253, leicht verdndert
Auf jeder dieser Ebenen sind spezifische Steuerungsanforderungen zu berucksichtigen. Dazu werden in den folgenden Abschnitten 2.4.2.1 bis 2.4.2.3 die oben vorgestellten Steuemngsaufgaben des Netzwerkmanagements (Selektion, Regulation, Allokation und Evaluation) wieder aufgegriffen und hinsichtlich ihrer spezifischen Auspragung auf den einzelnen Supply Chain-Ebenen untersucht.^" 2.4.2.1. Steuerungsanforderungen auf der Einzelakteursebene Auf der Einzelakteursebene steht die Steuening der untemehmensintemen „Supply Chain" im Vordergrund. Im Unterschied zur klassischen Managementlehre wird dabei jedoch das Untemehmensumfeld, insbesondere die Austauschbeziehungen mit anderen Mitgliedem der Supply Chain, nicht ausgeblendet bzw. auf eine exteme Rahmenbedingung reduziert.^^^ Vielmehr erfolgt ein Abgleich zwischen untemehmensindividuellen und netzwerkweiten
Vgl. zur analogen Unterscheidung dreier ,^alyseebenen" des Supply Chain Managements Croom et al. (2000), S. 71. Vgl. auch Arnold et al. (2005), S. 42, welche die genannten Ebenen im Rahmen des Supply (Chain) Controlling als einschlSgige ,3rkenntnisebenen" bezeichnen. Weber et al. (2002a), S. 159-160 sowie Weber et al. (2002c), S. 12, Ziehen die genannten Ebenen fur die Segmentierung von Kennzahlen des Supply Chain Controllings heran. Zu einer vergleichbaren Segmentierung im Netzwerkmanagement vgl. Zundel (1999), S. 85-89, der eine Makro, Meso- sowie Mikroebene von Netzwerken unterscheidet. Ein weiterer Systematisierungsansatz stanmit von Otto (2002), S. 248, der primSr nach der Art der jeweiligen Beziehungen bzw. der Fliisse zwischen den Netzwerkelementen Gutemetz, institutionales Netz, soziales Netz sowie Datennetz voneinander abgrenzt und diese Unterscheidung zur Analyse und Gestaltung von Supply Chains heranzieht. Gonmi/Trumpfheller (2004), S. 55, fugen dem Ansatz von Otto noch das Finanznetz hinzu, in dem die monetaren Flusse zwischen den Netzwerkelementen im Mittelpunkt stehen. Ein anders gelagerter Vorschlag stammt von Bellmann (1999), S. 213, der eine Strategic-, Prozess- sowie Organisationsebene in Untemehmensnetzwerken differenziert. Dabei steht der iiberblicksartige Vergleich der Anforderungen und Aufgabenprofile auf den unterschiedlichen Ebenen im Vordergrund. Eine inhaltliche Vertiefung der einzelnen Steuerungsaufgaben erfolgt nach deren Einordnung in den eigenen theoretisch-konzeptionellen Bezugsrahmen in Kapitel 4.3.1, ^^^ Vgl. SydowAVindeler (2000), S. 4.
2.4 Ableitung von Steuerungsanforderungen im Supply Chain Management
109
Zielsetzungen, woraus sich der Handlungsspielraum des einzelnen Akteurs innerhalb der Supply Chain eingrenzen lasst.^^^ Im Fokus der Selektionsfunktion der Steuerung steht dabei aus Sicht des einzelnen Akteurs die Abwagung der Vor- und Nachteile einer potenziellen Supply Chain-Teilnahme. Dabei sind insbesondere die Langfristigkeit von zu treffenden Selektionsentscheidungen und die mit diesen verbundenen Risiken zu beachten.^^'^ Die Regulationsfunktion zielt vor allem auf die Schaffung eines geeigneten intemen Anreizssystems ab, welches den Aufbau partnerschaftlicher Beziehungen incentiviert.^^* Da die Regulation untemehmensintem erfolgt, kann dabei weitgehend auf hierarchische Steuerungsprinzipien zuruckgegriffen werden. Im Rahmen der Allokationsfunktion steht fur das (nicht fokale) Einzeluntemehmen das Bemuhen um in der Supply Chain zu vergebende Auftrage.^^^ Die Allokationsentscheidung, die entweder von einem gegebenenfalls vorhandenen fokalen Untemehmen getroffen wird oder iiber Verhandlungsprozesse gesteuert wird, kann dabei vom Einzelakteur auch iiber vertrauensfordemde Mafinahmen, wie sie z.B. im Rahmen des Signalling^^^ besprochen wurden, indirekt beeinflusst werden.^^ Die Evaluationsaufgabe dient schliefilich der Uberwachung und Kontrolle der untemehmensintemen Supply Chain-Prozesse (z.B. im Rahmen eines klassischen LogistikcontroUings) sowie der kontinuierlichen Uberwachung der untemehmensbezogenen Kosten-ZNutzenbilanz des Engagements in der Suply Chain. Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass die Einzelakteursebene als erster Schritt auf dem Weg zu einem umfassenden Steuerungsansatz interpretiert werden kann. Bevor der Steuerungshorizont auf untemehmensiibergreifende Supply Chain-Prozesse sowie -Beziehungen ausgedehnt wird, ist zunachst die untemehmensinteme „Black Box" aufzubrechen. Dies impliziert, dass der Einzelakteur nicht nur als Knoten eines Netzwerks aufgefasst wird, sondem der Betrachtungsfokus auch auf untemehmensinteme Prozesse gelenkt wird. AUerdings erweist sich dieses inkrementelle Vorgehen nur dann als hilfreich, wenn es von einer Gesamtkonzeption getragen wird, welche diese Aktivitaten bereits in Relation zu einem mOglichen Zielzustand der untemehmensiibergreifenden Supply Chain stellt.^^^
^^^ Vgl. Zundel (1999), S. 87. ^^ Vgl. Baumgarten et al. (2004), S. 68. Vgl. hierzu auch die Ausfuhmngen zur Transaktionskosten- und Agency-Theorie in Kapitel 2.3.1. ^^^ Vgl. Sydow (2003), S. 314. ^^^ Vgl. Hamel (1999). Vgl. die Ausfiihrungen zur Agency-Theorie in Kapitel 2.3.1. ' Vgl. Groll (2004), S. 125-126. ^^^' Vgl. Jehle (2003), S. 385, de der ein weitgehendes Ausstehen einer konsensfahigen Gesamtkonzeption in Wissenschaft und Praxis konstatiert.
110
2 Steueningsproblematik im Supply Chain Management
2.4.2.2. Steueningsanforderungen auf der Beziehungsebene Die Beziehungsebene stellt eine Zwischenstufe zwischen der Akteurs- und der Netzwerkebene dar.^^ Hier stehen dyadische Austauschbeziehung im Mittelpunkt, weshalb insbesondere Erkenntnisse des Beziehungsmanagements - bzw. dessen spezifische stromauf- bzw. stromabwSrts gerichtete AusprSgungsformen Supplier Relationship Management und CRM - fur eine Ableitung von Steueningsanforderungen und -aufgaben herangezogen werden kSnnen.^^^ Zudem erscheint fur die Gestaltung eines Beziehungssystems zwischen heterogenen, (teil)autonomen Akteuren die Unterscheidung spezifischer Akteurspositionen relevant. Wahrend auf der Einzelakteursebene das Einzeluntemehmen als (potenzielles) Supply ChainMitglied im Vordergrund steht, kommt auf der Beziehungsebene dem fokalen Untemehmen als dominantem Supply Chain-Akteur eine zentrale Stellung zu. Auf Grund seiner erhohten Machtstellung, die in der Regel auf eine marktnahe Positionierung in der Supply Chain zurUckgefuhrt wird, ist von einem grundlegend unterschiedlichen Netzwerkbewusstsein und RoUenverstandnis des fokalen Untemehmens gegenuber den anderen Supply ChainMitgliedem auszugehen.^^* Dies hat zur Konsequenz, dass es einen GroBteil der Steuerungsaufgaben in der Supply Chain iibemimmt.^*^^ Die Selektionsaufgabe widmet sich dabei der - meist systematischen und kriteriengestiitzten Auswahl potenzieller Supply Chain-Mitglieder. Stehen die zuliefer- und abnehmerseitigen Partneruntemehmen gmndsatzlich fest, sind die „Spieh-egehi" der Zusammenarbeit der Steuerung zu defmieren. Das Aufgabenprofil der Regulationsfunktion konmit dabei durch das systemtheoretisch fiindierte Konstrukt der Kontextsteuerung am besten zum Ausdruck, welches angesichts der bestehenden Steuerungsbarrieren in Netzwerken (z.B. Opportunismusneigung, Informationsasymmetrie, Autonomie) eine indirekte Steuerung uber die Festlegung von Rahmenbedingungen (wie z.B. Standards ftir den elektronischen Datenaustausch) vorschlagt."'* Die Aufgaben- und Ressourcenallokation wird auf der Beziehungsebene ebenfalls vom fokalen Untemehmen wahrgenommen, wobei die beschriebenen Mechanismen der Quasi-Intemalisierung und Quasi-Extemalisierung zum Einsatz kommen."^ Bei der Evaluation steht die Uberwachung und Kontrolle der gemeinsamen Supply Chain-Prozesse im Vordergrund. Diese baut mafigeblich auf den Einsatz untemehmensubergreifender Kennzahlen(systeme) auf Aus Sicht des fokalen Untemehmens gilt es zudem den Erfolgsbeitrag der Kooperationspartner zum eigenen Untemehmenswert zu ermittebi.
^"^ Vgl. Heusler (2004), S. 123. ^^^ Vgl. zu einer Gegenuberstellung von Beziehungsmanagement, CRM und Supplier Relationship Management Stelzle/Heusler (2003), S. 183 sowie Heusler (2004), S. 120. ^^* Vgl. Jarillo (1988), Sydow (2001). ^^^ Vgl. Struthoff (1999), S. 49, Zundel (1999), S. 119. "^ Vgl. zur Kontextsteuerung Willke (2001), S. 194-195 sowie die Ausfiihrungen in Kapitel 2.3.2. Ahnliche Ansatze fmden sich bei Malik (2002), S. 411-424, im Rahmen der sog. „metasystemische Lenkung im Falle geringer EinflussmOglichkeiten". Vgl. auch Struthoff (1999), S. 168-174 sowie Baumgarten et al. (2004), S.65. "^ Vgl. Kapitel 2.3.3.
2.4 Ableitung von Steuerungsanfordemngen im Supply Chain Management
111
Der forschungsseitig gefUhrte Diskurs zur Beziehungsebene ist in den letzten Jahren durch eine zunehmende Ausdifferenzienmg gepragt. Der in der klassischen Kooperationsliteratur im Vordergrund stehende Fokus auf dyadische Austauschbeziehungen wird dabei insofem erweitert, als neben dyadischen Beziehungen auch komplexe, netzwerkartige Beziehungsgefiige auf der Beziehungsebene verortet werden. Forschungsarbeiten aus dem Bereich des Relationship Marketings identifizieren etwa neben der dyadischen Beziehungsebene weitere steuerungsrelevante Beziehungskonstrukte im Netzwerkmanagement.^^^ Ritter et al. (2004) unterscheiden beispielsweise zusatzlich das Beziehungsportfolio sowie die indirekten Beziehungen (vgl. Abbildung 28).
Akteursebene
: VLJ: •
•
•
Indirekt
Portfolio
v- 1 X Abbildung 28:
Netzwerkebene
Beziehu ngsebene Dyade
•
•
. . . . 71
. . .\ / I
: : 7N :
LTTN I
«MjMii»
wmammmm—*
•
•
•
•
•
Unterschiedliche Beziehungstypen auf der Beziehungsebene Quelle: Ritter et al. (2004), S. 179
Im Beziehungsportfolio steht die Steuerung der Beziehungen eines einzelnen Akteurs mit einer Mehrzahl direkter Kooperationspartner im Mittelpunkt. Steuerungsschwerpunkte liegen hierbei in der Ressourcenallokation innerhalb einer spezifischen Kooperationsbeziehung sowie im Ausgleich positiver bzw. negativer Wirkungsbeziehungen zwischen verschiedenen Beziehungen im Kooperationsportfolio (z.B. im Rahmen des Supplier Relationship Managements). Die Ebene der indirekten Beziehungen umfasst Beziehungen zu Vorlieferanten bzw. Kunden des Kunden. Mangels direkter SteuerungsmSglichkeiten stehen auf dieser Ebene meist die Bildung und Pflege von schwachen Beziehungen („weak ties") uber verschiedene Instrumente des Beziehungsmanagements im Vordergrund. ^^^ Auch in der Literatur zum Supply Chain Management wird die Beziehungsebene unterschiedlich interpretiert. Da innerhalb der Supply Chain nicht alle auf hiterdependenzen basierenden Interaktionsbeziehungen zwischen den teilnehmenden Untemehmen von Bedeutung sind, erfolgt teilweise eine gestufte Unterscheidung von Austauschbeziehungen nach ihrer Steuerungsintensitat.""^ Durch die zunehmende Ausdifferenzienmg der Beziehungsebene erweist sich eine Grenzziehung zur Netzwerkebene als schwierig. Die Kemaussage der Beziehungsebene, ein Partial-
Vgl. Ritter et al. (2004), vgl. ahnlich auch Gummesson (2004), S. 141. ^^^ Vgl. Ritter et al. (2004), S. 179-180 sowie Granovetter (1985). ""* Vgl. die in Kapitel 2.1.2.2 bereits vorgestellte und von Lambert et al. (1998), S. 13, propagierte Differenzierung von Schnittstellenprozessen („process links") in direkt gesteuerte Beziehungen („managed process links"), in Beziehungen mit nur indirekter Einflussnahme („monitored process links") sowie in bewusst nicht gesteuerte Beziehungen („non managed process links").
112
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
netzwerk^^^ im Sinne eines Beziehungssystems zwischen (teil)autonomen Akteuren zu betrachten, bleibt gnmdsatzlich bestehen. Im Unterschied zur im Folgenden anzusprechenden Netzwerkebene wird jedoch nach wie vor von einer (relativ) losen Kopplung der Akteure ausgegangen. Die im Vergleich zum Markt h6here Stabilitat bei gleichzeitig hoherer Flexibilitat im Vergleich zum integrierten Untemehmen kennzeichnet das Netzwerk als Struktur. Die Beziehungsebene entspricht somit der aus der Netzwerkforschung bekannten, strukturalen Netzwerkbetrachtung."^ 2.4.2.3. Steuerungsanforderungen auf der Netzwerkebene In der Untemehmenspraxis steht die Steuerung „kompletter" Supply Chains auf Grund ihres umfassenden Integrationsanspruchs vor hohen Implementieningshtirden."^ Auch in der Literatur zum Supply Chain Management fmdet sich - im Vergleich zur akteursspezifischen und dyadischen Betrachtungsebene - ein vergleichsweise hoher Forschungsbedarf. Arnold et al. (2005) stellen etwa im Rahmen einer Inhaltsanalyse ausgewahlter Supply (Chain) Management-Konzepte fest, dass bis auf wenige Ausnahmen die Netzwerkebene nur den tertiaren Fokus dieser Konzepte bildet bzw. nicht oder kaum fokussiert wird."* Mit der Einfuhrung einer Netzwerkebene wird das Ziel verfolgt, die Supply Chain nicht ausschnittsweise tiber ausgewShlte Beziehungsgefuge (z.B Dyaden, Cluster) zu beschreiben, sondem als Ganzes erfassbar zu machen, sie somit als eigenstandige okonomische Institution anzusehen."^ Diese Sichtweise entspricht am ehesten dem in Kapitel 2.3.3 vorgestellten institutionalen Verstandnis des Netzwerks.^*" Sie impliziert, dass neben dem Wettbewerb zwischen Untemehmen ein Wettbewerb zwischen ganzen Supply Chains stattfmdet,^*' die jeweils einer koUektiven Strategic folgen.^*^ Die Steuerungsanforderungen, die an eine integrierte Supply Chain zu stellen sind, werden maBgeblich vom Zusammenspiel der bereits vorgestellten Kontextfaktoren Komplexitat, Intransparenz und Dynamik gepragt.^*^ Eine
Vgl. Hippe (1997), S. 70 und die dort zitierte Literatur. Vgl. Prockl (2001a), S. 30-31 sowie die AusfUhrungen in Kapitel 2.3.3. Vgl. auch Christopher/Ryals (1999). Vgl. Arnold et al. (2005), S. 43-44. Vgl. Sydow (1992), S. 120, Otto (2002a), S. 98. Das Netzwerk wird in diesem Zusammenhang auch als „koliektiver Akteur hoherer Ordnung" bezeichnet, vgl. Teubner (1996), S. 535-561. Andere Autoren sprechen auch von der „Netzwerkideologie", im Rahmen derer die Supply Chain als „Super-Organisation" interpretiert wird, vgl. Johanessen/Solem (2002), S. 38. Vgl. zur institutionalen (im Unterschied zur interpersonalen und strukturalen) Netzwerkperspektive z.B. den Literaturiiberblick bei Prockl (2001a), S. 30-31 sowie - bezogen auf Zulieferer-Abnehmer-Beziehungen St6lzle(1999),S.92. ^^' Vgl. Christohper (2005), S. 18, Christopher/Towill (2002), S. 1, Schary (1998), S. 157, Chandra/Kumar (2000), S. 100-113. Vgl. zum Ansatz einer kollektiven Strategiebildung im Supply Chain Management Peck/Jiittner (2000), S. 35-38. Vgl. Klaus (2005), S. 365 sowie die allgemeinen Ausfiihrungen zu Dynamik, Intransparenz und Komplexitat als Kontextfaktoren der Steuerung in Kapitel 2.2.1.2.
"^ "^ "* "'
2.4 Ableitung von Steuerungsanforderungen im Supply Chain Management
113
integrierte, ganzheitliche Steuerung einer Supply Chain gestaltet sich demzufolge umso schwieriger, je starker ausgepragt diese Kontextfaktoren sind. Da in Netzwerken in der Kegel eine strukturale Ofifenheit mit dem Ziel der Erhohung der Konfigurationsflexibilitat angestrebt wird,^^"^ dient die Selektion vomehmlich der Komplexitatsreduktion. Dabei steht weniger die spezifische Auswahl von (einzelnen) Akteuren, sondem vielmehr die Abgrenzung der Supply Chain gegeniiber ihrer extemen Umwelt im Vordergrund. Die Regulationsaufgabe stellt daher auf die Bildung von netzwerkweiten Verhaltensregeln.^^^ Die Anforderung an die AUokationsaufgabe besteht auf Netzwerkebene darin, Ressourcen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten dort zu platzieren, wo sie den groBten Nutzen aus Sicht der gesamten Supply Chain erzielen. Die Zuordnung erfolgt dabei gemaB der Ressourcen- und Kompetenzausstattung der Supply Chain-Partner. Die Evaluation bezieht sich schlieBlich auf die Ermittlung des Erfolgs der gesamten Supply Chain. Dabei wird „Erfolg" hochst unterschiedlich interpretiert. In der Literatur zum Netzwerkmanagement wird haufig verallgemeinemd von der „Bestimmung und Verteilung von Kosten und Nutzen" gesprochen.^^^ Aus einer logistischen Perspektive konnen die Ziele des Supply Chain Management-Konzepts (Kostensenkung, Zeitvorteile, Qualitatssteigerung) zur Bestimmung der Leistungs- und Wettbewerbsfahigkeit der Supply Chain-Prozesse herangezogen werden.^^^ Eine starker monetare, ergebnisorientierte Sichtweise stellt den Gesamtwert der Supply Chain als Formalzielkategorie in den Mittelpunkt.^^^ Die Ausdehnung der Steuerung auf die Netzwerkebene fiihrt zum einen zu einer quantitativen Ausdehnung, indem die Anzahl aktiv zu steuemder Beziehungen erhoht wird. Noch bedeutsamer erscheint jedoch die qualitative Ausdehnung, die aus dem Wandel der Supply Chain von einem Beziehungssystem zwischen autonomen Untemehmen zu einem koUektiven Akteur hSherer Ordnung resultiert.^^^ Entscheidungen mussen nun vor dem Hintergrund einer doppelten Reflexivitat getrofifen werden, da Fiihrungskrafte, die mit einer bestimmten Steuerungsaufgabe im Wertsch5pfungsnetzwerk betraut werden, in der untemehmensbezogenen Primarorganisation noch eine andere Position innehaben (vgl. Abbildung 29).^^^ Dies erweist sich insbesondere dann problematisch, wenn leistungsbezogene Anreizsysteme nur auf untemehmensbezogenen Indikatoren beruhen und dadurch unter Umstanden lokale Optimie-
''^ Vgl. Reifi (1998), S. 226. ^^^ Vgl. zur Selbststeuerung in Netzwerken auch Thompson (2003), S. 129-134. ^^ Vgl. Sydow/Mollering (2004), S. 212. ^ Eine derartige Beurteilung erfolgt kennzahlengestiitzt, z.B. im Rahmen des bereits vorgestellten SCORModells (vgl. Kapitel 2.1.3). ^^^ Vgl. Moller (2003), S. 59-60. ^^^ Vgl. ahnlich dazu Mildenberger (1998), S. 49. ^^ Vgl. Otto (2002), S. 217, Sydow (2000), S. 119. Beispielsweise ist die Konstellation denkbar, in welcher der Logistikleiter eines Untemehmens gleichzeitig Mitglied eines untemehmensiibergreifenden Supply ChainLenkungsausschusses ist.
114
2 Steuemngsproblematik im Supply Chain Management
nmgsbestrebungen incentiviert werden, die zu Lasten des Erfolgs der gesamten Supply Chain gehen.'^'
Untemehmen A
Untemehmen B
Untemehmen C
Untemehmen
Untemehmen
Untemehmen
Untemehmensziele
°>^" v^. -\.. ^ -^ X. -\. ^
Beziehungsziele
Doppelte Reflexivitat
Dyade
V.
'^ " \
% . - % ' % . . •% - ^ Netzwerk
Abbildung 29:
W
X. 7
Netzwertcziele
Netzwerkrationalitdt und doppelte Reflexivitdt Quelle: Otto (2002), S. 216. leicht verandert
AbschlieBend ist mit Blick auf die getroffene Ebenendifferenzierung darauf hinzuweisen, dass diese zwar im Hinblick auf die Setzung unterschiedlicher Steuerungsschwerpunkte sinnvoU erscheint, jedoch kaum trennscharf sein kann.^^ Vielmehr stehen die Ebenen in enger Beziehung zueinander, da ein Netzwerkmanagement parallel sowohl auf der Beziehungs- als auch der Netzwerkebene erfolgt.^^^ Auch die Verknupfung der beiden untemehmensubergreifenden Perspektiven mit der Einzelakteursebene ist aus Sicht des Netzwerkmanagements von Bedeutung. Sie tritt insbesondere dort zutage, wo eine ganzheitliche Bewertung der Supply Chain die Offenlegung der Effizienzgewinne auf einzelnen Supply Chain-Stufen erfordert, wo eine Verteilung gemeinsam erwhtschafteter Kosteneinsparungen angestrebt wird oder wo die Vorteilhaftigkeit kooperativer Aktivitaten fur alle Mitgliedem der Supply Chain transparent gemacht werden muss.^^ Abbildung 30 stellt die getroffenen Aussagen zu den Steuerungsanforderungen innerhalb der einzelnen Steuerungsaufgaben sowie auf den unterschiedlichen Supply Chain-Ebenen zusammenfassend dar. Der primSre Fokus der Ausfuhnmgen liegt dabei auf der Beziehungsebene sowie auf dem (flieBenden) Ubergangsbereich zwischen Beziehungs- und Netzwerkebene.
Vgl. Simatupang/Sridharan (2002), S. 18-19, 25-27. ^^^ Vgl. Heusler(2004), S. 122. ^^^ Vgl. Ritter et al. (2004), S. 179. ^^^ Vgl. Weber et al. (2003), S. 106.
2.4 Ableitung von Steuerungsanforderungen im Supply Chain Management
Einzelakteursebene
Beziehungsebene
Netzwerkebene
115
Steuerungssubjekt
Einzeluntemehmen oder Untemehmensbereich
Fokales Untemehmen als dominanter Supply ChainAkteur
Supply Chain als koUektiver Akteur
Steuerungsobjekt
Untemehmensinteme „Supply Chain"
Beziehungen zu anderen Supply Chain-Mitgliedem
Supply Chain als strategisches Netzwerk
Selektion
- Kosten/NutzenabwSgung einer Supply Chain-Teilnahme
- Kriteriengestiitzte Selektion potenzieller Partneruntemehmen (zuliefer- u. abnehmerseitig)
- Abgrenzung der Supply Chain gegeniiber ihrer Umweh („Grenzmanagement")
Regulation
- Schaffimg von Anreizen zum Aufbau kooperativer Beziehungen
- Beeinflussung der Zielsetzungen der Partneruntemehmen (z.B. Festlegung von ITStandards)
- Bildung Supply Chainweiter Verhaltensgrundlagen, z.B. iiber eine Netzwerkverfassung
- Steuerungsprinzip ist iiberwiegend Kontextsteuerung
- Steuerungsprinzip ist iiberwiegend Selbststeuerung
- Aufgabenzuordnung (meist) durch das fokale Untemehmen
- Allokation von Aufgaben und Ressourcen am Ort des gunstigsten Kosten/Nutzenverhaltnisses
- Steuerungsprinzip ist iiberwiegend hierarchisch
1
Allokation
i V
- Heranziehen von Ressourcen und AuftrSgen in der Supply Chain (z.B. xinterstutzt durch „Signalling")
(/) Evaluation
- Uberwachung und Kontrolle untemehmensintemer, aber Supply Chain-relevanter Prozesse - Evaluation der Kosten/Nutzenbilanz bestehender Supply ChainBeziehungen aus Sicht des einzelnen Unternehmens
Abbildung 30:
- Ressourcenallokation iiber Mechanismen der Quasi-Intemalisierung bzw. -extemalisierung - Uberwachung und Kontrolle gemeinsamer Supply Chain-Prozesse mittels untemehmensiibergreifender Kennzahlen - Evaluation des Erfolgsbeitrags von Partneruntemehmen
- Uberwachung der gesamten Supply Chain (z.B. iiber SWOTAnalysen) - Evaluation des Gesamterfolgs einer Supply Chain
Ausprdgung der generischen Steuemngsaufgaben des Netzwerkmanagements auf der Einzelakteurs-, Beziehungs- und Netzwerkebene der Supply Chain
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass vor dem Hintergrund des Anforderungsprofils des Supply Chain Managements ein erheblicher Anpassungsbedarf im Hinblick auf das VerstSndnis sowie die Aufgaben der Steuerung besteht. Die in dieser Arbeit bislang vorgestellten Anforderungen basieren weitgehend auf einer Ubertragung generischer Steuemngsaufgaben des Netzwerkmanagements auf den Supply Chain-Kontext. Die durchgefiihrten Adaptionen beziehen sich zum einen auf eine verstarkte Berucksichtigung der Leistungsebene, d.h. eine ErgSnzung der Aufgaben des strategischen Managements um eine operative, prozessbezogene Steuerungsdimension (vgl. Abbildimg 26). Zum anderen wurden die Aufgaben des Netz-
116
2 Steuerungsproblematik im Supply Chain Management
werkmanagements im Rahmen eines Drei-Ebenen-Modells stmktural auf den Anwendungsbereich des Supply Chain Managements iibertragen (vgl. Abbildung 30). Die erste der in Kapitel 1.1 formulierten Forschungsfragen, welche sich auf die Anforderungen an ein Steuerungsverstandnis im untemehmensubergreifenden Kontext sowie auf die Systematisierung der Steuerungsaufgaben vor dem Hintergnmd der Charakteristika des Supply Chain ManagementKonzepts bezieht, kann somit als beantwortet gelten. Im folgenden Kapitel 3 werden diese weitgehend theoriegeleitet ermittelten Steuerungsanforderungen und -aufgaben um Impulse aus bereits vorhandenen Ansatzen, Methoden und Instrumenten zur Messung und Steuenmg der Performance in Supply Chains erweitert.
Annaherung an die Konzeption des Supply Chain Performance Managements
Die vorangegangenen Ausfiihrungen naherten sich den Anforderungen an eine Steuerung von Supply Chains aus unterschiedlichen theoriegeleiteten Blickwinkeln. Als zentrale Erkenntnisse wurden zum einen die Ableitung eines eigenen Begrififsverstandnisses der Steuerung im Sinne einer ablauforientierten, untemehmensubergreifenden
Managementaufgabe,
zum
anderen die Ubertragung dieses Verstandnisses auf Supply Chains als spezielle strategische Netzwerke festgehalten. Im letzten Abschnitt von Kapitel 2 wurde zudem eine erste Einordnung der Steuerung in ein dreistufiges Ebenenmodell des Supply Chain Managements vorgenommen. Bevor die bislang gewonnen Erkenntnisse in eine integrierte Steuerungskonzeption iiberfuhrt werden, die dem Anspruch an eine wissenschaftliche Fundierung gerecht wird, gilt es, Gestaltungsempfehlungen aus bestehenden Ansatzen, Methoden und Instrumenten fur die Steuerung der Supply Chain-Performance aufzugreifen. Die nachfolgenden Ausfuhrungen zielen somit insgesamt auf die Beantwortung der zweiten Forschungsfrage' der vorliegenden Arbeit ab. Am Anfang steht die Diskussion zentraler Entwicklungspfade, die das zu entwickelnde Konzeptionsverstandnis nachhaltig pragen. Dies sind erstens die mittlerweile etablierten Ansatze des Performance Measurements (Kapitel 3.1). Sie stellen mehrdimensionale, kennzahlengestiitzte Messkonzepte bereit, die hinsichtlich ihrer Ubertragbarkeit auf den interorganisationalen Kontext zu prufen sind. Den zweiten Entwicklungspfad bildet die wertorientierte Untemehmensfuhrung (Kapitel 3.2). Die unter diesem Oberbegriff versammelten Ansatze bieten die Moglichkeit, die bislang meist separat betrachteten Kosten- und Leistungsziele des Supply Chain Managements in eine gemeinsame Zielkategorie der Wertsteigerung einzuordnen. An dritter Stelle sind neben den genannten Entwicklungspfaden auch inhaltlich verwandte Ansatze aus dem Forschungsfeld des Controllings auf ihr Transferpotenzial sowie ihre Abgrenzbarkeit gegentiber dem selbst abzuleitenden Ansatz zu untersuchen (Kapitel 3.3).
3.1. Entwicklungspfad Performance Measurement Seit den 1980er Jahren sieht sich das traditionelle Rechnungswesen zunehmend dem Vorwurf ausgesetzt, die hiformationsbedurfiiisse diversifizierter, marktorientierter Organisationen nur unzureichend zu befriedigen. Insbesondere die weit verbreiteten rechnungswesenbasierten Kennzahlensysteme rucken dabei in den Mittelpunkt der Kritik. Zu den in der Literatur mittlerweile umfassend behandelten Beanstandungen zahlen unter anderem das zu hohe Aggregationsniveau und der zu kurzsichtige Betrachtungshorizont konventioneller ErfolgsVgl. Kapitel 1.]
118
3 Annahening an die Konzeption des Supply Chain Performance Managements
messgrSfien^ verspStete, periodenbezogene Informationsverftigbarkeit\ mangelnder Strategie- und Planungsbezug^, Vemachlassigung extemer Einflussgr66en und Ansp^uchsg^uppen^ ungenugende Abbildung mehrdimensionaler Messgrdfien^ sowie mangelnde „Managementtauglichkeit", z.B. bei der UnterstUtzung von Investitionsentscheidimgen^ oder bei der Kopplung von Ziel- mit Anreizsystemen.* Die genannten Defizite fiihren zu einer Ausdehnimg der Forschungs- und Beratungstatigkeit im Bereich betrieblicher Kennzahlensysteme. Der Terminus „Performance Measurement" hat sich dabei - ausgehend von der englischsprachigen Management-Accounting-Literatur - als SammelbegriflF fiir den Einsatz kennzahlengesttttzter Messkonzepte und -instrumente durchgesetzt.^ MaBgeblich vom hohen Handlimgsdruck der Praxis getrieben, hat sich das Performance Measurement vor ca. 10-15 Jahren als akademisches Aufgabenfeld herauskristallisiert.'° Seit Mitte der 90er ist ein exponentieller Anstieg wissenschaftlicher Beitrage zu diesem Thema zu verzeichnen, der nach wie vor anhalt. Charakteristisch ist dabei der relativ hohe Praxis- bzw. Anwendungsbezug der BeitrSge.*' Im deutschsprachigen Raum wird Performance Measurement seit ca. fiinf Jahren vergleichsweise breit rezipiert. Abbildung stellt dazu ausgewahlte wissenschaftliche Monographien der jiingeren Vergangenheit einander gegeniiber, deren inhaltliche Schwerpunktsetzung anhand ausgewShlter Vergleichskriterien analysiert wird: Zunachst erscheint relevant, in welchem AusmaB die jeweilige Forschungsarbeit zur theoretischen Fundierung des Performance Measurements beitragt. Zwei weitere Kriterien beziehen sich darauf, inwieweit auf den Vergleich existierender Konzepte bzw. auf die Entwicklung eines eigenen Konzeptansatzes abgestellt wird. Angesichts der Anwendungsorientierung des Performance Measurements erscheint es zudem relevant, die Forschungsbeitrage auf Beziige zur Instrumentenentwicklung sowie zur Implementierung zu untersuchen. Eine weitere Kriteriengruppe bildet den Stellenwert ab, den empirische Aspekte einnehmen. Dabei werden quantitative und qualitative Untersuchungsschwerpunkte diflferenziert. AbschlieBend wird auch beriicksichtigt, ob sich der jeweilige Beitrag auf einen bestimmten Anwendimgsbereich (z.B. eine bestimmte Branche) bezieht oder eher allgemeine Aussagen zum Performance Measurement bereit halt (vgl. Abbildung 31).
Chakravarthy (1986), S. 440-445, Anthony/Govindarajan (2001), S. 442, Johnson/Kaplan (1987), S.22, Kaplan/Norton (1992), S. 71, Eccles (1991), S. 132. Vgl. Johnson/Kaplan (1987), S. 22, Hoffmann (2000), S. 22-23, Weber/Schaffer (1999c), S. 333. Vgl. Weber/Schaffer (1999c), S. 333, Hoffinann (2000), S. 23-24, Hammer (2003), S. 519-520. Vgl. MuUer-Stewens (1998), S. 37, Hoffinann (2000), S. 20-21. Vgl. Kaplan/Norton (1992), S. 71, Neely et al. (1995), S. 80. Vgl. Barker (1995), S. 31-32, Eccles (1991), S. 132, Johnson/Kaplan (1987), S. 22. Zur Kritik an rechnungswesenorientierten Kennzahlensystemen vgl, z.B. Johnson/Kaplan (1987), Eccles (1991), S. 132, Kaplan/Norton (1992), S. 71, Ghalayini/Noble (1996), S. 63-65, Ittner/Larcker (1998), S. 205-209, Weber/Schaffer (1999c), Hoffmann (2000), S. 16, S. 333, Gleich (2001a), S. 8-9, Neely et al. (2003), S. 129, Miiller-Stewens/Lechner (2003), S. 697-705 sowie die Aufzahlung in Klingebiel (2000), S. 30. Vgl. Gleich (2001a), S. 11. Vgl. insbes. Eccles (1991), Kaplan/Norton (1992), Lebas (1995), Neely (1995). Vgl. Thorpe/Beasley S. 334, 336 sowie 338.
3.1 Entwicklungspfad Performance Measurement
1' If
^
^V [2
1' &
O)
0
§ £
1 «
1 V «M
(^s«8
•71 u 00
H
n
•a
Pi
1
1 1 1/5
11 i
B
§
1
U W5
•S
^
tS^
§
6 »
i> 1
•fi
••
•
^-^ .5 "o •
•
•
b ^.^ «-^ :S5 • •
•
»
••
• ••
••
• ••
•
•• •
•• •
••
•
••
••
••
••
9
s
a
i
1 1i
119
1
« ei)
ss
•• •
S3
••
••
••
•• •
••
••
••
••
•
••
••
•• •
•
••
••
•
•
••
•
&•« s
9
a 9
JS
9
II° P
M
Ml
a 43 a 9
••
• ••
• ••
••
••
•
••
••
•• •
••
••
••
••
•
••
•
•
••
••
••
•
•
•
•
•
••
••
•• •
•
••
•• •
•• •
•• •
•
•
••
•
••
•
••
•
••
04
a V
•• •
•
^1
•
4)
If
••
•
e
1 ^
S
61)
•g a
•
IS
•
^1 SS 0^
o
8
9
IaB der Vorziehungswiirdigkeit [...], die sich aus der Einschatzung des gesamten Netzwerknutzens und sSmtlicher Kosten des Netzwerkes aus Sicht der beteiligten Untemehmen ergibt", dar. Damit folgt er dem von Engels (1962) vorgeschlagenen „gerundiven Wertbegriflf", der Wert als Verhaltnis von Nutzen und Kosten in Bezug auf eine bestimmte Zielfimktion deflniert. Als Nutzenkomponenten des Netzwerkwerts nennt Thoms die Verbesserung der Marktposition, Kompetenzgewinn, Zeitvorteile, Kosten- und Risikoreduktion sowie die Produkt- und DienstleistungsqualitStsverbesserung. Zu den Netzwerkkosten zahh er die in der Transaktionskostentheorie verankerten Anbahnungs-, Vereinbarungs- KontroU- und Anpassungskosten (vgl. Kapitel 2.3.1). Es ist ersichtlich, dass das gerundive Wertverstandnis fast deckungsgleich mit dem in Kapitel 3.1.1 entwickelten effizienz- und effektivitatsorientierten Performanceverstandnis ist, welches sowohl den Zielerreichungsgrad als auch den zur Zielerreichung nStigen Aufwand beriicksichtigt. Das Begriffsverstandnis der „wertorientierten Performance einer Supply Chain" in der vorliegenden Arbeit bezieht sich daher auf den monet^en Wertbegriff. Andere, nicht-monetare Bedeutungsinhalte des Wertbegrififs werden dem allgemeinen Performancebegriff zugeordnet.
•^^ Vgl. zur folgenden Aufeahlung Coenenberg (2003), S. 11 sowie Moller (2003), S. 59-60. Im Zusammenhang mit dem Market Based View haben insbesondere fiinf Triebkrafte des Branchenwettbewerbs auf breiter Basis Eingang in die Strategieforschung gefunden. Die von Porter (1980) als „Five Forces" bezeichneten EinflussgroBen umfassen (1) Bedrohungen durch neue Wettbewerber, (2) die Verhandlungsmacht der Kunden, (3) die Verhandlungsmacht der Lieferanten, (4) Druck durch Substitutionsprodukte sowie (5) die Intensitat der Rivalitat zwischen bestehenden Anbietem. Vgl. dazu Porter (2000), S. 25-52, Welge/AlLaham (2001), S. 36-41 und S. 193-201 sowie Muller-Stewens/Lechner (2003), S. 188-193.
3.2 Entwicklungspfad wertorientierte Untemehmensfuhrung
155
maBgeblich von dessen eigener Ressourcenbasis ab.^^^ Zwischen Ressourcen und Untemehmenserfolg wird eine komplexe Wirkungsbeziehung angenommen, derzufolge Ressourcen gezielt ausgewahlt, gebiindelt und am Markt platziert werden mussen, um dauerhafte Wettbewerbsvorteile und damit uberdurchschnittliche Renten zu erwirtschaften.^^^ Erfolgsunterschiede zwischen Untemehmen lassen sich demgemaB weniger auf Branchen- bzw. Wettbewerbskrafte als auf Unterschiede in der individuellen Ressourcenausstattung zuruckfiihren.^^^
Value Based View (vgl. z.B. Rappaport, 1986)
Market Based View (vgl. Z.B. Porter, 1980)
Abbildung 38:
Resource Based View (vgl. z.B. Prahalad/Hamel, 1990)
Strategische Untemehmensfuhrung im Kontext von Wettbewerbs-, Ressourcen- und Wertstrategie. Quelle: Coenenberg (2003), S. 11, leicht verdndert
Forschungsseitig diskutierte Weiterentwicklungen des ursprunglichen Resource Based View treiben unterschiedliche Teilaspekte des ursprunglichen Ansatzes in jeweils eigener Schwerpunktsetzung voran:'^'^ Der Competence Based View bzw. Kemkompetenzansatz geht davon aus, dass die den Ressourcen innewohnenden Wirkungspotenziale erst in handlungsorientierte Potenziale umgewandelt werden mussen, um Erfolgswirkungen zu entfalten.*^^ Ftir diese Transformation sind zum einen spezielle organisationale Fahigkeiten, d.h. Kemkompetenzen, notwendig. Zum anderen mussen die geschafifenen Potenziale aktiviert, d.h. in Prozesse umgewandelt werden, bevor sie markt- und damit ergebnisrelevant werden. ^^^ Mit der damit
'"" Vgl. Barney (1991), S. 99-120, Freiling (2001b), S. 5-7, Duschek/Sydow (2002), S. 426. An die Ressourcen sind besondere Anforderungen zu stellen: Sie sind untemehmensspezifisch, wertvoU, knapp, nicht bzw. schwer transferierbar, nicht bzw. schwer substituierbar sowie nicht bzw. schwer imitierbar. Zudem ergeben sich bei langfristiger Bearbeitung der Ressourcenbasis zeitabhangige Ressourcenakkumulationseffekte, d.h. Vorteile beim Aufbau neuer Ressourcen. Vgl. dazu vertiefend Heusler (2004), S. 208-211. ^^^ Vgl. Freiling (2001a), S. 74, Freiling (2001b), S. 7-8 sowie Heusler (2004), S. 199-207 und die dort zitierte Literatur. Unter den (mikrookonomisch definierten) Renten werden Ertrage verstanden, welche die Opportunitatskosten des Ressourceneinsatzes in einer Branche iiberschreiten, ohne neue Wettbewerber anzuziehen, vgl. Miiller-Stewens/Lechner (2003), S. 357. ^^^ Vgl. Miiller-Stewens/Lechner (2003), S. 356-357. ^^^ Die Weiterentwicklungen grunden sich unter anderem auf die vielfdltige Kritik am ursprunglichen Ansatz. Hervorzuheben sind unter anderem die mangelnde defmitorische Eingrenzung des Ressourcenbegriffs (vgl. Heusler (2004), S. 201-202, Freiling (2001b), S. 14) sowie die unzureichenden Erklarungsbeitrage zur Ressourcenkomplementaritat (Ressourcen werden erst in Kombination mit anderen Ressourcen nutzbar) und zur Ressourcenbewertung (wertvolle Ressourcen koimen ex ante nicht von wertlosen Ressourcen unterschieden werden), vgl. Muller-Stewens/Lechner (2003), S. 358. '^^ Der Competence Based View wurde maBgeblich von Hamel und Prahalad gepragt, vgl. z.B. Prahalad/Hamel (1990). ^^ Vgl. Freiling (2004), S. 6.
156
3 Annaherung an die Konzeption des Supply Chain Performance Managements
verbundenen Fokussierung auf prozessuale, organisatorische und integrative Aspekte der Generiening und Aufrechterhaltung von kemkompetenzinduzierten Wettbewerbsvorteilen oflFenbart sich der enge Bezug der Competence Based View zur strategischen Untemehmensfiihrung.^^^ Eine untemehmensiibergreifende Weiterentwicklung der Ressourcenorientierung stellt der Relational View dar.'^* Er basiert auf der Annahme, dass wettbewerbsrelevante Ressourcen auch in interorganisationalen Beziehungen verortet sein k6nnen und stellt damit einen wichtigen Bezugspunkt fur ressourcenorientierte Netzwerkansatze dar.'^ Die primare Analyseebene des Relational View ist die Kooperation bzw. das Netzwerk.^'^ Uber die Schaffung kooperativer Kemkompetenzen konnen „relationale Renten"^^' erwirtschaftet werden, beispielsweise indem untemehmensiibergreifende Transaktionskosten (wie etwa Kontrollkosten) gesenkt werden oder Ressourcen (materielle und immaterielle) gemeinsam genutzt oder ausgetauscht werden.^"^ Der Value Based View, welcher sich auf Managementebene im Konzept der wertorientierten Untemehmensfuhrung manifestiert, stellt heute die am starksten verbreitete Grundrichtung strategischer Untemehmensflihrung dar.^"^ Er setzt eine durchgehende Ausrichtung des gesamten Untemehmens auf die Strategic „Steigerung des Untemehmenswerts" voraus. Die dadurch entstehende Fokussierung auf die Anfordemngen der Kapitalmarkte ist nicht als Ersatzparadigma an Stelle der Market- oder Resource Based View zu interpretieren. Vielmehr ist das Ziel einer langfristigen Wertsteigemng nur iiber einen integrativen Ansatz zu erreichen, im Rahmen dessen markt- und ressourcenorientierte Strategien im Rahmen einer UrsacheWirkungsverkniipfung auf das Wertsteigerungsziel hinwirken. Insofem iiberrascht es nicht, dass in der Literatur zunehmend integrative AnsStze gefordert werden, welche marktbezogene Anforderungen, Ressourcenbasis und Wertstrategie miteinander verbinden, wie dies in Abbildung 38 schematisch dargestellt wird.^*^
Vgl. Prahalad/Hamel (1991). Dieser Bezug findet insbesondere in jiingeren Arbeiten zum Competence-Based Strategic Management seinen Niederschlag. Vgl. dazu Sanchez/Heene (1996), insbes. S. 41. Vgl. auch Freiling (2001a), S. 74, der den Resource Based View ebenfalls als strategischen Managementansatz auffasst. * Vgl. grundlegend Dyer/Singh (1998), S. 660-679, Freiling (2003), S. 244-247. Vgl. auch die Ausfiihrungen bei Heusler (2004), S. 215-219, insbes. die exemplarische Argumentationslogik des Relational View auf S.218. ' Vgl. Dyer/Sinh (1998), S. 660-661, Heusler (2004), S. 215. ' Vgl. Duschek/Sydow (2002), S. 428. ' Vgl. zum Begriff der ,Jlelational Rent" Dyer/Singh (1998), S. 661. ^ Als Moglichkeiten fOr die Generiening von relationalen Renten nennen Dyer/Singh (1998) insbesondere (1) die Einrichtung beziehungsspezifischer Assets (z.B. gemeinsame Investitionen), (2) Routinen fur den interorganisationalen Wissensaustausch (z.B. Austausch von F&E-Know-how), (3) die Nutzung komplementarer Ressourcen (jeweils firmenspezifische, am offenen Markt nicht erhaltliche Ressourcen, die zusammen einen iiberproportionalen Mehrwert generieren) sowie (4) den Aufbau eines untemehmensubergreifenden, institutionellen Rahmens fur die Netzwerksteuerung und -kontrolle. Vgl. dazu Dyer/Singh (1998), S. 662, Duschek/Sydow (2002), S. 429. ' Vgl. MoUer (2003), S. 58. Vgl. auch die Ergebnisse der empirischen Untersuchung von Horvath/Minning (2001), S. 273-282, derzufolge die Steigerung des Untemehmenswerts fiir 61% der umsatzstarksten Unternehmen in Frankreich, 89% in Deutschland sowie 94% in Italien und GroBbritannien eine wichtige strategische Zielsetzung darstelh (Erhebungsjahr: 2000). * Vgl. Coenenberg (2003), S. 11, Moller (2003), S. 59.
3.2 Entwicklungspfad wertorientierte Untemehmensfuhrung
157
Nach einer ersten konzeptionellen Einordnung der wertorientierten Untemehmensfuhrung gilt es, diese zu konkretisieren. Um den Steuerungsanspruch der wertorientierten Untemehmensflihrung herauszuarbeiten, bietet sich - wie bereits in Kapitel 2.2.2 bei der Ableitung eines prozessualen Steuerungsverstandnisses - eine aufgabenbezogene Darstellungsform an (vgl. Abbildung 39).'"'
Wertorientierte \ I'^^^^f^!;^^ \ l l ' t ' n u n r \ Wertschaffung \ Zielesetzen /P'a"^"""^ >messenund ^^elohnen / ^ entscheiden / kontrollieren ^ ^ Wertorientierung und Wertschaffung kommunizieren Abbildung 39:
Prozess der wertorientierten Untemehmensfuhrung Quelle: Kajiiter (2002a), S. 262, leicht verdndert
Wertorientierte Ziele setzen Am Beginn des idealtypischen^^^ Prozesses der wertorientierten Untemehmensfuhrung steht die Aufstellung eines Zielsystems fur das Untemehmen.^^^ In einem Mehrgeschaftsuntemehmen wie z.B. einem typischen Konzem ist dazu das iibergeordnete FormalzieP^^ der Wertsteigemng iiber die Berechnung differenzierter Kapitalkostensatze in Geschaftsbereichsziele aufzuteilen, bevor eine Operationalisiemng uber Sachziele stattfmden kann. Bin Ausweis von Geschaftsbereichszielen wird von Seiten des Kapitalmarkts gefordert, um eine ineffiziente, d.h. dem Shareholder Value-Prinzip widersprechende, Quersubventioniemng von Geschaflsbereichen innerhalb eines Konzems zu verhindem. Auch aus Steuemngsgesichtspunkten erscheint dies notwendig, um eine risiko- und wertorientierte AUokation von Investitionskapital zu gewahrleisten.^^^ Wertorientiert planen und entscheiden An die Zielformuliemng schlieBt sich die wertorientierte Planung an.^^^ Diese erstreckt sich von der gmndlegenden Planung von Investitionen in (neue) Geschaftsbereiche (Portfolioma-
^"^ Vgl. zur Strukturierung der folgenden Ausfuhrungen insbesondere Kajuter (2002a), S. 262-271. Vgl. auch den „prozessualen Baustein" der von Lattwein (2002), S. 263, vorgestellten Konzeption einer wertorientierten Steuerung. Idealtypisch insofem, als der Managementprozess in Abbildung 39 linear dargestellt wird, ohne Riickkopplungsschleifen, Unterbrechungen oder ahnliches zu beriicksichtigen. ^^^ Vgl. auch Pape (2004), S. 41-42. ^"^ Vgl. die Ausfuhrungen zum mehrdimensionalen Performancebegriff (Kapitel 3.1.1) so wie speziell zum wertorientierten Performanceverstandnis (3.2.1). ^^ Vgl. Kajuter (2002a), S. 263-264. Dabei treten in der Praxis bei der Ermittlung des Eigenkapitalzinssatzes von Geschaftsbereichen, die nicht selbst borsennotiert sind, vielfach Probleme auf. Insbesondere kann der pFaktor nur naherungsweise berechnet werden. Vgl. zum P-Faktor die Ausfuhrungen weiter unten im Abschnitt „Wertorientiert planen und entscheiden". ^^^ Vgl. Kajiiter (2002a), S. 271 sowie S. 275, Coenenberg/Salfeld (2003), S. 254.
158
3 Annaherung an die Konzeption des Supply Chain Performance Managements
nagement^^') iiber die Planung von rentabilitatsverbessemden Mafinahmen innerhalb existierender Geschaftsbereiche (z.B. durch absatzpolitische Mafinahmen oder durch die Reduktion der Kapitalbindung) bis hin zur Optimierung der Kapitalstruktur im Rahmen des Finanzmanagements (z.B. Anpassung des Eigenkapital-ZFrerndkapitalverhaltnisses).^'^ Eine wertorientierte Planung beruht dabei meist auf mehrperiodigen Planungsrechnungen, welche auf der Ebene eines als Profit Center agierenden, strategischen GeschSftsbereichs ansetzen. Unter Verwendung eines speziellen Kapitalwertverfahrens, dem sog. Discounted Cash Flow (DCF)Verfahren, werden dabei die Zahlungsstrome eines Untemehmens (Cashflows) als zu kapitalisierende Grdfie herangezogen.^'^ Urn die Auswirkungen untemehmerischer Entscheidungen auf den Untemehmenswert zu prognostizieren, werden aus BusinessplSnen zukiinftige Free Cash Flows (Brutto Cashflows abzuglich Investitionen in das Anlage- und Umlaufvermogen) abgeleitet.^''* Der Shareholder Value ergibt sich aus den abdiskontierten Free Cash Flows abztiglich des Marktwerts des Fremdkapitals:^*^ FCF,
^„
^ettoZp^,^,^^
(i+wc)' ^'" a+v-.)' Shareholder Value = Untemehmenswert - Marktwert des Fremdkapitals mit: I = Shareholder Value = Marktwert des Eigenkapitals FCF, = Free Cash Flow in Periode t iwACC = kapitalgewichteter Eigenkapital- und Fremdkapitalzinssatz NettoZ FK-Geber t = NettozaMungen an die Fremdkapitalgeber in Periode t ipfi = Fremdkapitalzinssatz
Die Berechnung des DCF beriicksichtigt explizit den geforderten Zukunftsbezug einer wertorientierten Untemehmensfuhrung, indem der Untemehmens- bzw. Geschaftsbereichswert sich unmittelbar aus geplanten zukunftigen Zahlungsfliissen ableitet. Da es auf einer Adaption des allgemeinen investitionstheoretischen Kapitalwertmodells beruht, zeichnet es sich zudem durch eine hohe theoretische Geschlossenheit aus. Aus Sicht der UntemehmensIm Rahmen des Poitfoliomanagements kommen insbesondere sog. Portfoliotechniken zum Einsatz. Vgl. zu einem exemplarischen Strategieportfolio als Methode des Logistikcontrollings Kapitel 3.3.2. • Vgl. Kajiiter (2002a), S. 265-268. Vgl. zu dieser Systematisiening auch die drei grundlegenden Fiihrungsentscheidungen im Shareholder Value-Netzwerk nach Rappaport (1986), S. 76. ' Vgl. Deimel (2002b), S. 79. Das DCF-Verfahren geht auf Copeland/Koller/Murrin (vgl. Copeland et al. (1993)) zuruck. Es beriicksichtigt - anders als das allgemeine Kapitalwertmodell - nicht nur allgemeine Zahlungsiiberschtisse, sondera zieht den sog. Free Cash Flow (FCF) heran, in welchem der operative Cash Flow urn Investitionen in Sachanlagen und inunaterielle VermSgensgegenstande bereinigt wird. Zudem bezieht das DCF-Verfahren einen Restwert des Untemehmens bzw. des Investitionsprojekts nach Ablauf der Planungsperiode in die Berechnung mit ein. Die Bruttomethode stellt das in der Praxis am h£iufigsten verwendete DCF-Bewertungsverfahren dar, vgl. dazu die empirischen Ergebnisse von Pellens et al. (2000), S. 1827. * Der zur Abdiskontierung verwendete Kalkulationszinsfufi iwAcc (WACC = Weighted Average Cost of Capital) stellt einen gewichteten Zinssatz aus Eigenkapital- und Fremdkapitalzinssatz dar. Der Fremdkapitalzinssatz ist dabei relativ einfach zu ermitteln, da er den jahrlich zu leistenden Zinszahlungen an die Fremdkapitalgeber entspricht, Der Eigenkapitalzinssatz wird auf Basis des sog. Capital Asset Pricing Modells (CAPM) ermittelt, welches die Eigenkapitalkosten durch Addition des Zinssatzes einer risikofreien Anlage (z.B. zehnjahrige Bundeswertpapiere) und einer Risikopramie ftir die Ubemahme des Marktrisikos berechnet. Zur Ermittlung der Risikopramie wird ein P-Wert herangezogen, der die Korrelation des Wertpapiers mit dem Marktportfeuille misst. Vgl. ausftihrlicher zum WACC Deimel (2002a), S. 80, Riedl (2000), S. 206-210 und die dort zitierte Literatur.
3.2 Entwicklungspfad wertorientierte Untemehmensfuhrung
159
praxis setzt jedoch die fehlende Prognostizierbarkeit zukunftiger Cashflows der Anwendbarkeit des Verfahrens Grenzen.^*^ Wertschaffung messen und kontroUieren Verfahren der wertorientierten KontroUe werden - im Gegensatz zu mehrperiodigen Planung mit dem DCF-Verfahren - meist zur periodischen Performancekontrolle der geplanten Wertbeitrage eingesetzt. Da sie auf Jahresabschlussdaten basieren, erlauben sie eine groBere Objektivierbarkeit der ErfolgsgroBen. Die idealtypischen, groBtenteils von Beratungsgesellschaften entwickelten Messansatze werden hSufig an firmenspezifische Anforderungen angepasst, so dass in der Untemehmenspraxis eine relativ breites Spektrum an wertorientierten Spitzenkennzahlen existiert?^^ Das Anforderungsprofil an diese Kennzahlen ist auBerst vielfaltig und umfasst unter anderem deren Kapitalmarktkorrelation, Manipulationssicherheit, Einfachheit und Verstandlichkeit sowie Wirtschaftlichkeit.^'^ Die gangigsten wertorientierten MessgroBen lassen sich zum einen danach systematisieren, ob sie auf GewinngroBen (z.B. ROCE und EVA) oder auf Cashflows (z.B. CFROI und CVA) basieren. Zum anderen werden neben absoluten WertbeitragsgroBen in der Praxis haufig relative Rentabilitatskennzahlen eingesetzt (vgl. Abbildung 40).^^^ Der Return on Capital Employed (ROCE) ist eine Renditekennzahl, welche den im operativen Geschaft erwirtschafteten Erfolg vor Steuem (Earnings Before Income and Taxes (EBIT)) zum investierten Kapital ins Verhaltnis setzt (ROCE = EBIT / Capital Employed). Da keine komplexen Bereinigungen vorgenommen werden, lasst er sich relativ einfach berechnen, so dass auch eine untemehmensexteme Analyse des ROCE auf Basis von Jahresabschlussdaten mOglich ist.^^^ Kritisch zu sehen ist allerdings die Tatsache, dass bei der Berechnung des Umfangs des Capital Employed relativ groBe Interpretationsspielraume bestehen, welche die Vergleichbarkeit der Kennzahl einschranken konnen. Der Economic Value Added (EVA) stellt demgegentiber eine ResidualgewinngroBe dar, die aus der Subtraktion der Kapitalkosten (Investiertes Kapital x WACC) vom operativen Jahresergebnis vor Zinsen und Steuem (Net Operating Profit After Taxes (NOPAT)) gebildet wird (vgl. auch Abbildung 41).^^* Da beide Ausgangsgr5Ben (Investiertes Kapital und NOPAT) auf dem handelsrechtlichen Jahresabschluss beruhen und somit bilanzpolitische Spielraume ^'"^ Vgl Weber et al. (2004), S. 115. ^*^ Vgl. Kajmer (2002a), S. 274-275. ^^* Eine ausflihrliche Diskussion der formalen Anforderungen an wertorientierte Kennzahlen kann an dieser Stelle nicht angetreten werden. Untersuchungen, die sich intensiver mit dem Vergleich wertorientierter Kennzahlen(systeme) auseinandersetzen, gehen davon aus, dass keine Kennzahl ohne Einbeziehung situations-, branchen- bzw. untemehmensspezifischer UmstSnde generell bevorzugt werden kann. Vgl. z.B. Weber et al. (2004), S. 84-116. Vgl, auch die zusammenfassende Gegeniiberstellung unterschiedlicher wertorientierter Kennzahlen bei StUhrenberg et al. (2003), S. 64-65. ^ Christopher/Ryals (1999) zShlen EVA und CFI creation]", vgl. Christopher/Ryals (1999), S. 2. ^^^ Vgl. Kajiiter (2002a), S. 278. ^^' Vgl. grundlegend zum EVA Stewart (1991).
160
3 Annaherung an die Konzeption des Supply Chain Performance Managements
bestehen, geht der Berechnung des EVA ein mehrstufiger Bereinigungsprozess mit grundsatzlichen (obligatorischen) und geschaftsspezifischen Anpassungen voraus.^^^ Der EVA beruht somit auf bilanziellen Daten, modifiziert diese jedoch, urn typische Schwachen gewinnorientierter Kennzahlen(systeme) zu reduzieren.^^^ ^"^ ^-.....^^^ Inhalt Datenbasis"-^—^.^^^
Rentabilitiit
Wertbeitrag
Gewinn
ROCE (Return on Capital Employed)
i EVA (Economic Value Added)
Cashflow
CFROI (Cashflow Return on Investment)
; CVA (Cash Value Added)
Abbildung 40:
Systematisierung ausgewdhlter wertorientierter Kennzahlen der Kontrollrechnung Quelle: In Anlehnung an Kajuter (2002a), S. 275
Cashflow-basierte Bewertungsverfahren fallen zwar ebenfalls in die Kategorie der Residualgewinnkonzepte, Ziehen jedoch ZahlungsstrSme zur Berechnung des Untemehmenswerts heran.^^'* Der Cash Flow Return on Investment (CFROI) wird aus dem Brutto-Cashflow (BCF), der okonomischen Abschreibung (OA) und der Kapitalbasis errechnet (vgl. Ausdruck (a)). ,.; CFROI= mit: BCF OA
^^^-^^ Kapitalbasis
= Brutto-Cashflow = Zahlungsuberschuss + Abschreibungen + Zinsaujwand = Okonom. Abschreibung = (Anschaffungsw. - Restwert) * Ruckwdrtsverteilungsfaktor
(b) CVA=[CFROI-WACC) * Kapitalbasis Zur Berechnung des Brutto-Cashflows wird der Zahlungsuberschuss der betrachteten Periode (bereinigt um auBerordentliche und aperiodische Positionen) mit Abschreibungen, Miet- und Leasingaufwand sowie Zinsaufwand addiert. Die Kapitalbasis bezeichnet das zu Beginn einer Periode von den Anlegem investierte Kapital abzuglich nicht zinstragender Verbindlichkeiten.^^^ Die okonomischen Abschreibungen sind vor dem Hintergrund einer unendlichen Untemehmensfortfuhrung notwendig, um abnutzbares Anlagevermogen (z.B. Maschinen, Fuhrpark) angemessen zu berucksichtigen. Dazu wird der vom Brutto-Cashflow abgezogene
Vgl. Coenenberg/Salfeld (2003), S. 267. Bei den als „Conversions" bezeichneten Anpassungen werden Operating Conversions (Bereinigung um nicht betriebliche Ergebniskomponenten), Funding Conversions (Beriicksichtigung versteckter Finanzierungsformen, z.B. nicht zinstragende Verbindlichkeiten wie Lieferantenkredite). Shareholder Conversions (Berucksichtigung eigenkapitalahnlicher, meist langfristiger Investitionen, die nicht im Jahresabschluss enthalten sind) sowie Tax Conversions (Anpassung der steuerlichen Bemessungsgrundlage nach DurchfUhrung der anderen Conversions) unterschieden, vgl. Weber et al. (2004), S. 65-68. Vgl. Coenenberg/Salfeld (2003), S. 269. Die hohe Komplexitat und Untemehmensbezogenheit der Anpassungen kann jedoch die Praktikabilitat und Wirtschaftlichkeit des Verfahrens gefahrden. Zudem wird in der periodenbezogenen Berechnung des EVA die Gefahr gesehen, dass das Management zu Restrukturierungsmafinahmen kurzfristiger Wirksamkeit motiviert werden konne, vgl. Michel (1996), S. 98. Vgl. zur Kritik am EVA-Ansatz Schneider (2001), S. 2509-2514, vgl. auch Stuhrenberg et al. (2003), S. 60. ^^^ Vgl. Coenenberg/Salfeld (2003), S. 269-270. Die Bewertung der Kapitalbasis (auch: Bruttoinvestitionsbasis) erfolgt dabei zu historischen Anschafflmgsbzw. Herstellungskosten, vgl. Weber et al. (2004), S. 74 und die dort zitierte Literatur.
3.2 Entwicklungspfad wertorientierte Untemehmensfuhrung
161
Abschreibungsbetrag verzinslich angelegt, so dass am Ende der (zu prognostizierenden) wirtschaftlichen Nutzungsdauer Mittel fur eine Ersatzinvestition zur Verfugung stehen. Verzemingseffekte durch zunehmendes Anlagenalter, wie sie z.B. beim ROCE auflreten,^^^ konnen auf diese Weise vermieden werden. Der Cash Value Added (CVA) wird ermittelt, indem vom CFROI die gewichteten Kapitalkosten subtrahiert werden und die resultierende Gr66e, die Residualrendite, mit der Kapitalbasis multipliziert wird (vgl. Ausdruck (b)). Der CVA stellt demzufolge den in einer Periode erwirtschafteten realen (absoluten) Wertzuwachs dar.^^^ Da sie auf ZahlungsflussgroBen beruhen, unterliegen CVA und CFROI in geringerem AuBmaB bilanzpolitischen Spielraumen als EVA und ROCE. Allerdings ist in der Praxis festzustellen, dass uber eine zeitliche Verschiebung von Ein- und Auszahlungen ebenfalls eine aus Sicht des Shareholder ValueAnsatzes unerwtinschte Beeinflussbarkeit gegeben ist.^^^ Wertschaffung belohnen Die Forderung Wert schaffender Aktivitaten tiber Anreiz- bzw. Vergiitungssysteme stellt ein verhaltenswissenschaftlich relevantes Aufgabenfeld der wertorientierten Untemehmensfuhrung dar.^^^ Dabei stehen aus wertorientierter Sicht variable monetare Vergiitungssysteme, die auf eine extrinsische Belohnung der „incentivierten" Person abzielen, im Vordergrund.^^^ Diese konnen nach ihrer Bemessungsgrundlage dififerenziert werden:^^^ Anreizsysteme, welche auf Wertbeitragskennzahlen (wie z.B. den oben diskutierten) und/oder deren TreibergroBen beruhen, bieten sich insbesondere dann an, wenn der betreffende Mitarbeiter nicht die Risiken einer von ihm nicht beeinflussbaren Veranderung des Aktienkurses tragen soll.^^^ Eine zweite Gruppe von Anreizsystemen bietet Mitarbeitem (haufig Spitzenfiihrungskraften) eine direkte Eigenkapitalbeteiligung (z.B. tiber Aktienoptionen) an. Die Anreizwirkung ist somit direkt an den Aktienkurs bzw. an dessen relative Veranderung gekoppelt. Bei beiden Formen
^^^ Da die Kapitalbasis beim ROCE anhand von bilanziellen Buchwerten ermittelt wird, kami der ROCE trotz konstanter operativer Ergebnisse bei zunehmendem Anlagenalter wegen der sinkenden Kapitalbasis eine positive Entwicklung vortauschen, vgl. Kajiiter (2002a), S. 278. ^^^ Auch beim CVA besteht die Moglichkeit, tiber die Abdiskontierung zukunftiger CVAs eine periodenubergreifende Planungs- und KontroUrechnung durchzufiihren. In der Praxis gilt dabei - wie auch beim EVA - meist nicht der absolute CVA, sondem die Abweichung von Soil- und Ist-CVA (A CVA) als PerformancemaB. Vgl. dazu Coenenberg/Salfeld (2003), S. 269. ^^^ Vgl. Coenenberg/Salfeld (2003), S. 269. Vgl. kritisch zu CFROI und CVA auch Stiihrenberg et al. (2003), S.49. Vgl. zu Verhaltenswirkungen von Planung und Kontrolle, insbesondere zur Beurteilung des Leistungsverhaltens Pfohl/Stolzle (1997), S. 256-261. Davon zu unterscheiden ist die intrinsische Belohnung, welche das Bediirfnis nach Selbstbestimmung und Kompetenz in den Mittelpunkt stellt. Sie steht in einem Spannungsverhaltnis zur extrinsischen Motivation, da eine zu starke Fokussierung auf monetare Anreize die intrinsische Motivation eines Mitarbeiters negativ beeinflussen kann. Typische Agency-Probleme sind die Folge. Vgl. zu extrinsischer/intrinsischer Motivation Pfohl/Stelzle (1997), S. 248-250, Weber et al. (2004), S. 224-225 und die jeweils dort zitierten Quellen. ^^^ Vgl. Kajuter (2002a), S. 269, Weber et al. (2004), S. 203. ^^^ Vgl. Weber et al. (2004), S. 202.
162
3 Annaherung an die Konzeption des Supply Chain Performance Managements
der variablen Vergutung stellt - neben einer Reihe allgemeiner Anfordenmgen^^^ - der Zeitbezug eine kritische GroBe dar: Kurze (z.B. einperiodige) Belohnungsrhythmen weisen zwar eine hohere Verhaltenswirksamkeit auf, bieten jedoch auf Grund von Informationsasymmetrien auch mehr Opportunismusspielraume fur den Mitarbeiter.^^"^ So bergen sie z.B. das Risiko, dass die Geschaftsfuhnmg langfristige Investitionen zugunsten einer kurzfristigen Aktienkurssteigenmg vemachlSssigt. Seitens der betriebswirtschaftlichen Forschung wird daher seit langerem eine Verkniipfiing von Leistungsanreizen mit mehrperiodigen wertorientierten Kennzahlen gefordert.^^^ Wertorientierung und Wertschaffung kommunizieren Insbesondere fur bfirsennotierte Untemehmen spielt die glaubhafte Vermittlung von Wertsteigerungsmafinahmen an die Kapitalmarktakteure eine bedeutende RoUe.^^^ Das standardisierte Medium der extemen Rechnungslegung bietet hierzu eine notwendige, aber keine hinreichende Gnmdlage. Zur SchlieBung der vorhandenen Wertlucke zwischen dem Untemehmenswert aus Sicht des Managements und dem aktuellen Borsenwert kann eine freiwillige Zusatzberichterstattung, das sog. Value Reporting, beitragen.^^' Zu den Kemaufgaben des Value Reporting zahlt die Information iiber vergangene Wertschaffung, uber eingesetzte Instrumente der wertorientierten Steuerung sowie iiber zuktinftig zu erwartende Cashflows.^^* Weitere, haufig genannte Bestandteile eines Value Reportings stellen der bereits genannte separate Ausweis geschaftsbereichsspezifischer
Kapitalkostensatze, die Kommunikation nicht bilanzierter
immaterieller VermOgenswerte sowie die Risikoberichterstattung dar.^^^ SchlieBlich wird stellenweise auch auf die Bedeutung der Konmiunikation operativ gepragter Werttreiber, wie z.B. Kapazitatsauslastung, Durchlaufzeiten oder Stakeholderzufriedenheit, hingewiesen.^'*" Seit mehreren Jahren wird der Beitrag des Value Reporting zur Konvergenz von extemem und
Hierzu z^len etwa die Beeinflussbariceit der ZielgrdBe, die Einfachheit und interne Kommunizierbarkeit der Belohnungssystematik, die Wirtschaftlichkeit des Belohnungssystems (vgl. Greth (1998), S. 91) sowie die wahrgenommene Gerechtigkeit der Belohnung (vgl. Weber et al. (2004), S. 227). ^^^ Vgl. hierzu die Ausfiihrungen zur Agency-Theorie in Kapitel 2.3.1. Vgl. auch Hahn/Hungenberg (2001), S. 451-452, Pellens et al. (2000), S. 1831. ^^^ Vgl. Gunther (1997), S. 62-63, Greth (1998), S. 94-95, Weber et al. (2004), S. 208. Aus diesem Grund weisen Aktienoptionen typischerweise eine Laufeeit von mehreren Jahren auf und unterliegen einer Sperrfrist. ^^^ Vgl. Ruhwedel/Schultze (2004), S. 492, Kajuter (2002a), S. 270. ^^^ Vgl. Corsten/Lingnau (2004), S. 241, Ruhwedel/Schultze (2004), S. 491-492, Eccles et al. (2001), S. 4 sowie S. 130. Zum Aufgabenprofll des Value Reportings liegt keine einheitliche Position der betriebswirtschaftlichen Forschung vor. Die hier genannten Kemaufgaben sind daher als kleinster gemeinsamer Nenner zu verstehen. Vgl. dazu den Literaturiiberblick bei Ruhwedel/Schultze (2004), S. 490-491. Fischer (2002), S. 161, fasst unter dem BegriflF Value Reporting „die gesamte Untemehmenspublizitat, welche Rendite-Risiko-Analysen fur die Kapitalgeber [.,.] ermoglicht", zusammen. ^^^ Vgl. Kajuter (2002a), S. 270, Eccles et al. (2001), S. 142-160. Weitere ErgSnzungen erfihrt das Value Reporting auch aus dem produktionswirtschaftlichen Bereich, vgl. z.B. Corsten/Lingnau (2004), S. 255-262. ^"^^ Vgl. Fischer (2002), S. 167. Corsten/Lingnau (2004), S. 255-262 formulieren z.B. Erganzungen fiir das Value Reporting aus dem produktionswirtschaftlichen Bereich.
3.2 Entwicklungspfad wertorientierte Untemehmensfuhrung
163
intemem Rechnungswesen diskutiert.^'*' Aufgrund der engen rechtlichen Grenzen, die dabei der Gestaltung des Jahresabschlusses gesetzt sind, kommt es in diesem Zusammenhang hauptsSchlich zu einer zusatzlichen Integration ursprunglich untemehmensintemer Steuerungskennzahlen in das exteme Rechnungswesen.^"*^ 3.2.3. Herausforderungen an die Wertorientierung im Supply Chain-Kontext Die Vorstellung der allgemeinen Konzeptmerkmale und Aufgaben der wertorientierten Untemehmensfuhrung im vorangegangenen Kapitel bildet die Grundlage fur eine Ubertragung dieser Aspekte auf den Supply Chain-Kontext. Auf die grundlegende Relevanz der Wertsteigerung als Zielkategorie fiir das Supply Chain Management wurde bereits an fruherer Stelle hingewiesen.^"*^ Nun gilt es, die daraus abzuleitenden Anforderungen fur eine wertorientierten Steuerung in Supply Chains naher zu charakterisieren. Dabei werden zwei grundlegende Sichtweisen unterschieden: Auf der einen Seite ist zu iiberprufen, auf welche Weise die Umsetzung von Supply Chain Management zur Erreichung der individuellen Wertsteigerungsziele eines Untemehmens beitragen kann.^'*'* Dazu sind Wirkungsbeziehungen zwischen den (operativen) Werttreibem innerhalb der Supply Chain-Prozesse und den monetaren Zielkategorien der wertorientierten Untemehmensfuhrung herzustellen. Die Argumentation fmdet somit primar auf der Akteursebene statt. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, welchen Beitrag wertorientierte Managementansatze zur Realisiemng der Ziele des Supply Chain Management-Konzepts leisten konnen. Dazu ist die Argumentationslogik der wertorientierten Untemehmensfuhmng - unter Beriicksichtigung ebenenspezifischer Steuerungsanfordemngen - auf den untemehmensiibergreifenden Supply Chain-Kontext, das heifit auf die Beziehungs- und Netzwerkebene, zu ubertragen. Beide Aspekte soUen im Folgenden nSher ausgefuhrt werden. 3.2.3.1. Beitrag des Supply Chain Managements zur wertorientierten Untemehmensfuhmng Gmndsatzlich kann der Wertbeitrag des Supply Chain Managements zum jeweiligen Gesamtwert eines Untemehmens ermitteh werden, indem die EinflussgroBen des Untemehmenswerts, die in den Supply Chain-Prozessen verankerten TreibergroBen, durch formal- oder sachlogische Verdichtung mit einer wertorientierten Spitzenkennzahl in Beziehung gesetzt
^^^ Vgl. die empirischen Ergebnisse bei Pellens et al. (2000), S. 1830, die eine zunehmende Vereinheitlichung des intemen und extemen Rechnungswesens n ^ e legen. Demnach ist bei ca. 39% der befragten DAX-lOO-Untemehmen bereits eine weitgehende Vereinheitlichung von extemem und intemem Rechnungswesen erfolgt. Weitere 34% streben eine Vereinheitlichung an. ^'^^ Vgl. Ruhwedel/Schultze (2004), S. 494-495. Diese Entwicklung fuhrt unter anderem dazu, dass sich die Zustandigkeitsbereiche des (intern orientierten) Controllings und des extemen Rechnungswesens zunehmend iiberlappen. Stellenweise wird daher eine Erweiterung des Aufgabenspektmms des Controllings um die exteme Untemehmensberichterstattung eingefordert, vgl. HebelerAVurl (2002), S. 210-211. Vgl. die einleitenden Ausftihrungen zum Wertsteigemngsziel in Kapitel 2.1.2.1. ^"^Vgl. zum Wertbeitrag des Supply Chain Managements Christopher/Ryals (1999), S. 3, Otto (2002), S. 126-127, Michel (1996), S. 65. Vgl. ahnlich Wohlgemuth (2002), S. 167.
164
3 Annaherung an die Konzeption des Supply Chain Performance Managements
werden.^"*^ Da Werttreiber hSufig in den operativen Geschaftsprozessen verortet sind,^"*^ konnen Werttreiberhierarchien zur Verkntipfung von operativer und strategischer Steuenmgsebene herangezogen werden.^''^ Auch die Forschung im Bereich Logistik und Supply Chain Management greift auf Werttreiberhierarchien zuruck, wenn sie sich der Frage nach dem Beitrag logistischer Entscheidungstatbestande zum Gesamtwert eines Untemehmens widmet. Die Mehrzahl der BeitrSge stellt dabei auf Werttreiber innerhalb der Einflussbereiche Ertrage, Aufwendungen, Umlauf- und Anlagevermogen ab (vgl. Abbildung 41):^"** • Einflussbereich Ertrage: Die TreibergrSfien, die iiber eine Steigerung der Ertrage auf den Untemehmenswert einwirken, lassen sich meist nur iiber Ursache-Wirkungsbeziehungen in ein Wertsteigerungsmodell integrieren.^"*^ Zu diesen sachlogisch verkntipften Treibem zahlen einmal die klassischen, auf Leistungsverbesserungen ausgerichteten logistischen Lieferservicekomponenten. Das SCM-Konzept erweitert diese um nicht-logistische Prozesse, so dass - beispielsweise im Rahmen des Zeitziels - auch Reaktionszeiten auf Kundenanforderungen (z.B. administrative Auftragsabwicklungszeiten) als ertragswirksam erachtet werden mussen. Hinzu kommt die im SCM stark betonte Beziehungskomponente. Bisherige Untersuchungen belegen hier insbesondere die Ertragswirksamkeit von CRMAktivitaten, die auf den Aufbau langfristiger Kundenbeziehungen - insbesondere zur Erreichung einer erhohten Kundenbindung und Kundenloyalitat - abstellen.^^^ • Einflussbereich betriebliche Aufwendungen: Eine Reduktion der variablen und fixen Kosten wirkt sich uber die Senkung der betrieblichen Aufwendungen positiv auf den Untemehmenswert aus.^^' Obwohl die Klassifizierung, Erfassung und Reduktion von Kosten seit langem ein klassisches Themenfeld der Logistik darstellt, wird die kausale Verknupfung von logistik- und Supply Chain-induzierten TreibergroBen mit dem Untemehmens-
^^^ Das hierarchische Vorgehen ist dabei vergleichbar mit der in Kapitel 3.1.2 bereits vorgestellten Balanced Scorecard. ^^ Vgl. Gaitanides (2003), S. 315. ^^'' Vgl. gnmdlegend zu (operativen) Werttreiberhierarchien Knorren (1998), S. 114-118, Weber et al. (2003), S. 105-116, Coenenberg et al. (2002), S. 33-46. Zu einer Anwendung im Logistik- und Transportbereich vgl. die ValueScoreCard bei Pfohl/Elbert (2002), S. 63-74, sowie die Werttreiberhierarchie bei Pfohl et al. (2003a), S. 17. Michel (1996), S. 91, schlagt eine Werttreiberhierarchie fur strategische AUianzen auf Basis des Shareholder Value-Netzwerks von Rappaport (1986) vor. Galgenmiiller et al. (2004), S. 86, stellen eine Werttreiberhierarchie vor, welche Quellen der Wertsteigerung in Kooperationen hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf den Untemehmenswert systematisiert. Neuere empirische Untersuchungen bestatigen, dass Werttreiberhierarchien im Rahmen der wertorientierten Untemehmensfiihrung eine hohe Bedeutung attestiert wird, im Bereich der Umsetzung jedoch noch groBe Defizite bestehen, vgl. MuUer/Hirsch (2005), S. 84. '^^^ Vgl. zur folgenden AufeShlung, falls nicht anders angegeben, Lambert/Burduroglu (2000), S. 13-14, Lambert/Pohlen (2001), S. 1-19, Keebler (2001b), S. 334, Wildemann (2004), S. 68. Vgl. ahnlich auch Coenenberg et al. (2002), S. 43. Vgl, die gestrichelte Linie in Abbildung 41. 250 Vgl. z.B. Gummesson (2004), S. 141. Auf die implizite Verbindung zwischen der Steigerung des (End-)Kundennutzens („Wert Jiir den Kunden") und den betrieblichen Ertragen eines Untemehmens („Wert des Kunden") wurde in der Diskussion zum Handlungsfeld „Upstream-Beziehungen" bereits hingewiesen, vgl. die diesbeztiglichen Ausfuhrungen in Kapitel 2.1.2.2. Hierbei werden aus Vereinfachungsgriinden nur aufwandsgleiche Kosten (Grundkosten) betrachtet.
3.2 Entwicklungspfad wertorientierte Untemehmensfiihrung
165
wert erst in jungerer Vergangenheit verstarkt hervorgehoben.^^^ Als Werttreiber des Supply Chain Managements, welche sich insbesondere auf die variablen Kosten auswirken, sind beispielsweise Beschaffungsfrequenz und -volumen, Durchlaufzeiten (z.B. Lagerverweildauer, Auftragsabwicklungszeit) oder die Produkt- und Prozesskomplexitat zu nennen. Femer kann mittelbar auch iiber die Beziehungsgestaltung mit Lieferanten eine Reduktion betrieblicher Aufwendungen angestrebt werden (z.B. tiber eine langerfristige Fixierung des Einstandspreises in einer Zulieferer-Abnehmer-Kooperation). Auf die Fixkostensituation des Untemehmens wirkt sich aus Sicht des Supply Chain Managements insbesondere die Ausgestaltung der Netzwerkorganisation aus, die sich beispielsweise im Personalaufwand fur Supply Chain Management niederschlagen kann. • Einflussbereich Umlaufvermogen: Als wesentliche Treiber des Umlaufvermogens gelten die Bestandshehe und -wertigkeit sowie die Umschlagshaufigkeit der Bestande. Eine Reihe von Ansatzen, die dem Supply Chain Management-Konzept zugeordnet werden konnen, wie z.B. Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment (CPFR), Vendor Managed Inventory (VMI) oder Crossdocking, zielen iiber die genannten Werttreiber auf die Senkung des Umlaufvermogens bei gleichzeitiger Beibehaltung des Servicelevels ab.^^^ Der hier als „Durchlaufzeit des Finanzflusses" bezeichnete Werttreiber bezieht sich insbesondere auf die Kreditoren-ZDebitorenpolitik des Untemehmens sowie auf die Qualitat der Fakturierung, da diese Faktoren iiber den Bestand an offenen Forderungen bzw. Verbindlichkeiten direkt im Umlaufvermogen zu Buche schlagen. • Einflussbereich Anlagevermogen: Mit der Strukturgestaltung untemehmensiibergreifender Versorgungsnetzwerke beeinflusst das Supply Chain Management die Standortpolitik und damit das Anlagevermogen eines Untemehmens. Einen der Haupttreiber fur die aktuelle Outsourcingwelle, insbesondere fiir den Einsatz von Third Party Logistics Providem (3PL), stellt die Reduktion anlageintensiver Logistikbereiche (wie z.B. Fuhrpark und Lagerhaus) dar. Auch ein hoherer Nutzungsgrad des existierenden Anlagevermogens (z.B. hohere Anlageintensitat im Lager, hohere Kapazitatsauslastung von Transportbehaltem) kann langfiistig zur Senkung des Anlagevermogens beitragen.
^^^ Vgl. Lambert/Burduroglu (2000), S. 13. Die stark ausdifferenzierten Kategorien einer Logistikkostenrechnung umfassen imter anderem Transportkosten, Lager- und Handlingkosten, Kommissionierkosten, Fehlerkosten sowie Betriebskosten von IT-Systemen. ^^^ Vgl. zum Bestandsmanagement ausfuhrlich Stolzle et al. (2004), zur Einordnung der anderen genannten Ansatze in das SCM-Konzept vgl. Kapitel 2.1.3.
166
3 Annaherung an die Konzeption des Supply Chain Performance Managements
BetrieblJche Ertrdge
NOPAT
- •
J
1—[
Betriebliche Steuem
r ^LJ
Gesamtkapitalkosten
H
_____^
fFremd1 kapital
WACC L - x — +
1 1, Eigen1 , 1 kapital
... formallogischeVerknOpfung ... sachlogischeVerknupfung
Abbildung 41:
fl
iT-
^7
^^~1? A
DesunaiiuiiHsiievjucii^-vui.
1
i
1—[ Durchlaufaeit (lnf.-/Mat^fluss) | r - ^ Produkt-ZProzesskomplexitat | - - • 1 Lieferantenbeziehung (SRM) |
1 Betriebliche Aufwendungen 4—+
1 EVA l^--
"—• --•
Variable Kosten
D
- - -I Fixe Kosten
Netzweri^organlsation
I
^ + —1
IT-lntensltat
I
'
Personalaufwand
\
1—H BestandshOhe/'Wertigkeit Umlauf1 4~ + —1 Bestandsumschlag vermOgen ' — ( Durchlaufzeit (FInanzfluss)
| | , | |
•+
1
- - - ( Standortpolitik (zentral/dez.) | '—( Anlage+ vermIajor Supplier" sowie ,J^amily Member", und ordnen diesen Kategorien spezifische Kostenmanagementtechniken mit unterschiedlichem Anspruchsniveau zu, vgl. Cooper/Slagmulder (2002), S. 109-110. ^^° Vgl. Slagmulder (2002), S. 85-86. ^^^ Vgl. Seidenschwarz (1993), Cooper/Slagmulder (1999), S. 163-179, Horvath/MOller (2003), S. 458-465, Slagmulder (2002), S. 81. Vgl. auch die empirische Erhebung zum Anwendungsstand des Target Costing in deutschen Untemehmen bei Amaout (2001).
3.2 Entwicklungspfad wertorientierte Untemehmensfiihrung
171
differenzierter Produktanfordemngen aus dem Markt abgeleitet.^^^ Das interorganisationale Kostenmanagement halt dabei mehrere kooperativ ausgerichtete Methoden bereit, die darauf abzielen, den ermittelten Zielkostensatz in Kooperation mit dem Lieferanten zu realisieren.^^^ In der Produktionsphase kommen erganzende Techniken zum Einsatz, die auf die untemehmenstibergreifende Koordination der laufenden Produktionsprozesse abstellen.^^"^ Von der Zwecksetzung her weist das interorganisationale Kostenmanagement gewisse Parallelen zum bereits seit langerem etablierten Total Cost of Ownership (TCO)-Ansatz auf. Dieser zielt auf eine mSglichst ganzheitliche Erfassung einkaufs- und beschaflftingsspezifischer Produktkosten ab, indem einstandspreisbasierte Einkaufskostenkalkulationen systematisch um transaktionsbezogene Kostenkategorien erweitert werden.^^^ Die unter dem Begriflf des Supply Chain Costings versammelten Ansatze fassen verstSrkt die prozessorientierte und untemehmensiibergreifende Ausrichtung des Kostenmanagements ins Auge und stellen unterschiedliche Vorgehensmodelle flir dessen Ausgestaltung bereit. Als Kemaufgaben des Supply Chain Costings werden unter anderem das Herunterbrechen der Supply Chain-Prozesse in Aktivitaten, die Kostenzuschreibung zu diesen Aktivitaten sowie die Verknupfung der Aktivitatenkosten mit (logistischen) Leistungen genannt.^^^ Problemfelder des Supply Chain Costings stellen die Koordinierbarkeit eines derartig detaillierten und gleichzeitig untemehmensiibergreifenden Kostenrechnungsverfahrens sowie dessen Harmonisierbarkeit mit dem weiter bestehenden untemehmensintemen Rechnungswesen dar. Eine weitere Herausforderung besteht in der Diflferenzierung entscheidungsrelevanter Kostenkategorien. Ein Vorschlag aus der deutschsprachigen Literatur unterscheidet diesbeziiglich Einzelkosten, welche direkt einem bestimmten Produkt zugeordnet werden, Prozesskosten, welche als vom einzelnen Untemehmen beeinflussbare Gemeinkosten aufgefasst werden, sowie Transaktionskosten, welche als Informations- und Koordinationskosten in der unternehmensextemen Supply Chain verstanden werden.^^^ Zu diesem Vorschlag ist kritisch anzumerken, dass diese bereits belegten Kostenbegriflfe aus unterschiedlichen Modellen der
^^^ Vgl den Target Costing-Prozess bei Cooper/Slagmulder (1999), S. 166. ^^^ Vgl. Slagmulder (2002), S. 82-84, vgl. auch Kajiiter (2002b), S. 37-38. Im Rahmen von „Fimctionality-PriceQuality-Tradeoffs" werden beispielsweise Ansatzpunkte fur Kostenreduktionen in aus Kundensicht nachgeordneten Produktspezifikationen gesucht. Die Methode der „Interorganizational Cost Investigations" zielt auf tief greifendere Veranderungen des Produktdesigns und ein Reengineering des Produktionsprozesses (durch Verschiebung der Arbeitensteilung zwischen Zulieferer und Abnehmer) ab. Im Rahmen des „Concurrent Cost Management" wird schliefilich das gesamte Funktionsdesign an den Lieferanten ausgelagert, was eine intensive Zusammenarbeit von Designteams erfordert. Vgl. dazu vertiefend Cooper/Slagmulder (1999), S. 203-285. Im Rahmen des ,JCaizen Costing" fordert das fokale Untemehmen meist eine globale Kostensenkungsrate vom Lieferanten ein (z.B. 3% p.a.). Der Ansatz sieht jedoch auch kooperative Abstimmungsmechanismen vor, vgl. Slagmulder (2002), S. 84-85. ^^^ Vgl. Elb-am (1995), S. 4. Der TCO-Ansatz unterscheidet systematisch Kosten vor der Transaktion (z.B. Lieferantenqualifizierugskosten, Kosten ffir die Anbindung an eigene ITSysteme), wahrend der Transaktion (z.B. Zoll-, Zahlungsverkehrs- oder Priifkosten) sowie nach der Transaktion (z.B. Reparatur- oder Wartungskosten), vgl. Elkam (1995). Insofem beinhaltet er auch eine dynamische Komponente, vgl. Seuring (2001), S. 107-108 und die dort zitierten Quellen. ^^ Vgl. LaLonde/Pohlen (1996), S. 5-8. ^^^ Vgl. Seuring (2001), S. 116.
172
3 Annaherung an die Konzeption des Supply Chain Performance Managements
untemehmensbezogenen Kostenrechnimg und teilweise auch aus der Neuen InstitutionenOkonomie entnommen wurden. Ob sie sich angesichts ihrer Heterogenitat in einen integrierten Bezugsrahmen einbinden und im Rahmen eines Supply Chain Costings operationalisieren lassen, erscheint daher fraglich. Die zentrale Gemeinsamkeit der oben angefuhrten Ansatze ist ihr Kostenfokus. Fur das interorganisationale Kostenmanagement (insbesondere fur die Target Costing-Methodik) sowie fur den TCO-Ansatz, die beide eine relativ hohe Anwendungsorientierung aufweisen,^^^ erscheint dies teilweise vorteilhafl, da dadurch eine bessere Implementierbarkeit in bestehende Kostenrechnungssysteme vermutet werden kann. Aus wertorientierter Sicht erweist sich die Kostenperspektive jedoch als zu eng, da sie die Ertrags- bzw. Nutzenkomponente einer Kooperationsbeziehung weitgehend ausblendet. Insbesondere fur das Supply Chain Costing, welches starker als die beiden anderen Ansatze den Anspruch eines allgemeinen Bezugsrahmens erhebt, stellt diese Einseitigkeit einen gewissen Nachteil dar.^*^ Die Frage der Monetarisierbarkeit von Kooperationsbeziehungen miindet in die Problematik der Schafifting anreizkompatibler Verteilungsmechanismen, die eine angemessene Beriicksichtigung relevanter Anspruchsgruppen sicherstellen sollen.^^ Der Shareholder Value-Ansatz ist hierbei haufig der Kritik ausgesetzt, die kurzfristige Maximierung der Anteilseignerrendite zugunsten der Interessen anderer Stakeholder in den Vordergrund zu stellen.^^^ Dies kann zwar teilweise auf (evtl. reduzierbare) methodische UnschSrfen zuriickgefuhrt werden,^^ deutet jedoch auch auf ein grundlegend unterschiedliches Performanceverstandnis von Shareholdem und anderen Stakeholdem hin.^^^ Wahrend sich Performance im Sinne der Shareholder auf die Steigerung des auf die Eigenkapitalgeber entfallenden Untemehmenswertes sowie auf die Hohe der auszuschiittenden Dividende bezieht,^^ machen andere Stakeholder die Performance an bestimmten Sachzielen fest, die mittels VertrSgen (z.B. Kauf-, Liefer- oder Arbeitsvertrage) fixiert werden. Da eine langfristige Steigerung des Shareholder Values nur moglich ist, wenn
Das Konzept des interorganisationalen Kostenmanagements entstand beispielsweise auf Basis von umfangreichen Fallstudien in der japanischen Automobilindustrie, vgl. Kajuter (2002b), S. 38. Vgl. auch Beamon (1999), S. 280, die vor einer einseitigen Fokussierung auf Kostengr6J3en im Supply Chain Performance Measurement wamt. Stdlzle (2002b), S. 20, merkt dariiber hinaus an, dass die genannten Kostenkategorien des Supply Chain Costing-Ansatzes von Seuring (2001) keine kostentheoretische Fundierung aufweisen. ^^ Vgl. ahnlich Neher (2003), S. 29, Moller, 2002, S. 316, Pfohl et al. (2003a), S. 16. ^^^ Vgl. Lattwein (2002), S. 114-117 und die dort zitierte Literatur. Der EVA-Ansatz ist z.B. auf Grund seiner Buchwertbezogenheit hauptsSchlich &r ex post-Betrachtungen geeignet. Beim Ansatz von Rappaport erweist sich insbesondere der hohe Anteil des Endwertes am Unternehmenswert als problematisch, der selbst bei mittel- bis langfristigen Planungshorizonten noch iiber 50% ausmacht. Vgl. Horvath (2003a), S. 519. ^^^ Vgl. StSlzle/Karrer (2004a), S. 242. Die Shareholder stellen eine Teilmenge der Stakeholder dar. Die an dieser Stelle als „andere Stakeholder" bezeichneten Interessensgruppen umfassen z.B. Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten oder 6ffentliche Institutionen. Zu einer vergleichenden Darstellung der AnsStze von Shareholder und Stakeholder Management vgl. Hungenberg (2004), S. 29-32. Zu einer empirisch gestiitzte Analyse des Stakeholder Management und dessen Auswirkungen auf die Untemehmensperformance vgl. Hillman/Keim (2001). ^^"^ Vgl. Lucke (2001), S. 58.
3.2 Entwicklungspfad wertorientierte Untemehmensfiihrung
173
diese Vertrage eingehalten werden und die Stakeholder sich weiterhin fiir das Untemehmen engagieren, liefie sich der Interessenskonflikt zwischen beiden Anspruchsgruppen zwar prinzipiell auflosen.^^^ Ein grundsatzlicher Unterschied besteht jedoch weiterhin darin, dass Shareholder eher in der Lage sind, Wertsteigerungen kurzfristig durch die Liquidierung ihrer Anteile am Kapitalmarkt nutzbar zu machen. Andere Stakeholder hingegen sind groBtenteils iiber eher langfristige Zielvereinbarungen an das Untemehmen gebunden. Die Dauerhaftigkeit der Wertschaffimg besitzt somit fur diese Interessensgruppen einen vergleichsweise hoheren Stellenwert.^^^ Ubertragt man die Uberlegungen auf das Supply Chain Management, konnen Untemehmen, die in intensiven Kooperationsbeziehungen zu anderen Supply Chain-Mitgliedem stehen, als langfristig gebundene Stakeholder einer Supply Chain angesehen werden. Es erscheint somit plausibel, bei einer Ubertragung von wertorientierten Untemehmensfuhmngsansatzen auf die Beziehungsebene auch Erkenntnisse des Stakeholder Value Managements einfliefien zu lassen.^^^ Wertorientierte Unternehmensfiihrung auf der Netzwerkebene der Supply Chain Projiziert man den Ansatz der wertorientierten Untemehmensflihmng auf die Netzwerkebene, ist eine Unterordnung der Partialinteressen einzelner Untemehmen unter das Ziel der Maximierung des Gesamtwerts der Supply Chain anzustreben.^^^ Unter der Annahme, dass mit zimehmender Wertorientiemng einer Supply Chain auch deren Wettbewerbsfahigkeit steigt,^^ korrespondiert das Wertsteigemngsziel auf der Netzwerkebene demnach mit der eingangs formulierten, idealtypischen Vorstellung, dass in Zukunft nicht mehr einzelne Untemehmen, sondem ganze Supply Chains miteinander konkurrieren konnten.^^^ Otto (2002a) beschreibt die Supply Chain in diesem Zusammenhang als „Nichtnullsummenau6enwelt", in der Nutzenmehrungen fiir einen Akteur nicht zwingend mit Nutzensenkungen fiir einen anderen Akteur verbunden sind und zur ErschlieBung gemeinsamer Nutzenpotenziale koUektives Handeln
' Vgl. Hungenberg (2004), S. 31-32. ^^ Vgl. Stolzle/Karrer (2004b), S. 167-194. Vgl. hierzu auch die empirischen Ergebnisse von Berman et al. (1999). Diese legen anhand einer Untersuchung von 81 Untemehmen aus der „Fortune 500"-Liste dar, dass die Beziehungen zu Stakeholdem indirekt bzw. moderierend auf das Verhaltnis von Strategie und finanzieller Performance einwirken. Daruber hinaus wurde eine direkte Wirkungsbeziehung zwischen der Beziehungsgestaltung zu Kunden bzw. Mitarbeitem und der fmanziellen Performance eines Untemehmens beobachtet, vgl. Berman et al. (1999), S. 501-503. ^^^ Vgl. hierzu die Ausflihrungen bei St6lzle/Karrer (2004b), S. 177-178, die diese Uberlegungen auf Logistikkooperationen iibertragen. Vgl. auch Stolzle/Karrer (2004a), S. 252. ^^^ Vgl. Griinauer (2001), S. 22, Neher (2003), S. 31, Heusler (2004), S. 21. Ein erstes Problem besteht zumeist bereits darin, dass sich auf Supply Chain-Ebene keine homogene Shareholdergruppe mehr eingrenzen lasst, vgl. Stolzle (2002b), S. 16. Eine weitere, noch naher zu beleuchtende Herausforderungen stellt das Fehlen einer zentralen Fiihrungsinstanz in einer Supply Chain dar. In Bezug auf die Problematik der Partialinteressen sei auch auf die Erkenntnisse der Agency-Theorie (vgl. dazu Kapitel 2.3.1) sowie auf die Literatur zum Management von GroBuntemehmen (vgl. z.B. Albach (2001), S. 645) verwiesen. ^^ Vgl. Heusler (2004), S. 20. ^^ Vgl. Christopher (2005), S. 18.
174
3 Annahemng an die Konzeption des Supply Chain Performance Managements
erforderlich ist.^°' Eine isolierte Optimienmg der Einzeluntemehmenswerte wttrde somit aus Sicht der Supply Chain zu suboptimalen Ergebnissen fuhren.^^^ Dies fuhrt zu einem Anpassungsbedarf im klassischen Shareholder Value-Modell, wie ForschungsbeitrSge aus dem Gebiet der Konzemsteuerung nahe legem Albach (2001) weist beispielsweise darauf hin, dass die im „klassischen" Shareholder Value-Modell von Rappaport vertretene These, der Unternehmenswert sei gleich der Summe der Geschaftsbereichswerte, einen Beziehungswert zwischen den GeschSflsbereichen von null voraussetzen wiirde. Dies erweist sich jedoch fur verteilte Konzeme als unrealistisch. Vielmehr wtirde eine geschaftsbereichsbezogene Nutzermiaximierung zu einer Schmalerung des Gesamtuntemehmenswerts fuhren.^"^ Ubertragen auf den Supply Chain-Kontext konnte die Ermittlung des Gesamtwerts des Netzwerks somit wie folgt aussehen: Entsprechend den oben vorgestellten DCF-Verfahren sind Aus- und Einzahlungen netzwerkweiter Projektaltemativen zu prognostizieren und auf ihren Nettobarwert (Net Present Value (NPV)) abzudiskontieren. Eine Verteilung von Lasten und Nutzen auf die einzelnen Kooperationspartner, d.h. eine Anpassung der Einzeluntemehmenswerte, findet uber Verhandlungen statt. Der Gesamtwert der Supply Chain ergibt sich anschliefiend aus der Aggregation der verhandelten Nettobanverte (vgl. Abbildung 42).^^ Ungeachtet der methodischen Plausibilitat des Vorgehens bleiben aus inhaltlicher Sicht wesentliche Hiirden bestehen, die insbesondere auf netzwerktypische Effekte zuruckgefuhrt werden konnen. ZunSchst ist anzufuhren, dass Supply Chains keine zentrale Fiihrungsinstanz aufweisen, die verbindliche Vorgaben hinsichtlich der individuellen WertbeitrSge bzw. der Kosten-ZNutzenverteilung machen kdnnte. Zwar prSgt in eher hierarchisch gepragten Konstellationen haufig ein fokales Untemehmen de facto die Supply Chain-Strategie, de jure hat jedoch auch dieses keine Weisungsbefugnis gegeniiber seinen Kooperationspartnem. Hinzu kommt, dass die Einrichtung einer Netzwerkzentrale ohnehin nur dort sinnvoll ist, wo dadurch keine EinbuBen an erstrebenswerten Netzwerkeffekten (z.B. an Flexibilitatsvorteilen) zu erwarten waren.^"^ Eine voUstSndige Harmonisierung der Formalzielstruktur aller Akteure (z.B. eine Vereinheitlichung wertorientierter Spitzenkennzahlen) wurde somit zu tief greifenden Zielkonflikten fuhren. Im Gegensatz dazu bieten Konzepte, welche die Netzwerkperspektive zunachst auf einer Sachzielebene einfiihren, realistischere Handlungsaltemativen.
Vgl. Otto (2002a), S. 98. Dies impliziert auch, dass KostenerhOhungen bei einem Akteur in der Supply Chain unter Umstanden zu einer Reduktion der Gesamtkosten in der Supply Chain fiihren konnen, indem bei anderen Supply Chain-Mitgliedem die Kosten uberproportional sinken, vgl. ahnlich dazu Shank/Govindaraj an (1993), S. 56. Die Erzieiung eines Gesamtoptimums erlaubt jedoch noch keine Aussagen zur Verteilungsgerechtigkeit einer Supply Chain-weiten Entscheidung. ^^^ Vgl. Gaitanides (2003), S. 322-323, Stolzle/Karrer (2002), S. 72, Heusler (2004), S. 21. ^^^ Vgl. Albach (2001), S. 655. Zur Beweisfuhrung zieht Albach dariiber hinaus auch das Risikomanagement in divisionalen Untemehmen, die Komplementaritat von Entscheidungen einzelner Geschaftsbereiche sowie die Geschaflsbereichssteuerung im Multi-Markt-Wettbewerb heran. ^^^ Vgl. Kaufmann/Germer (2001), S. 189-190. ^"^ Vgl. Kapitel 2.3.3.
3.2 Entwicklungspfad wertorientierte Untemehmensfuhrung
175
Eine zweite Herausforderung resultiert aus der Moglichkeit von Doppelmitgliedschaften. Aus Sicht eines einzelnen Akteurs stellt ein Engagement in einer bestimmten Supply Chain haufig nur eine von mehreren strategischen Altemativen dar. Insbesondere Untemehmen der Zulieferindustrie (z.B. Komponentenlieferanten) sehen sich haufig untemehmensintemen Interessenskonflikten ausgesetzt, da sie Mitglied in mehreren, vom jeweils marktnahen Untemehmen defmierten und dominierten Supply Chains sind.^^ Die Problematik der Doppelmitgliedschaften wird zusStzlich durch die fur Netzwerke typische geringe Systemstabilitat verstarkt, die durch den Ein- und Austritt neuer Partner verursacht wird. Aus Sicht der wertorientierten Steuerung hat dies zur Folge, dass sich fur eine Supply Chain in toto keine homogene Shareholdergruppe mehr abgrenzen lasst.^^^ Fur potenzielle Methoden und Instrumente resultiert daraus die Anforderung an eine m5glichst kurzfristige und flexible Anpassung an Strukturveranderung des Bewertungsobjekts.^^^
Total Value Added to the Supply Chain
..••I, X
I
1—^ NPV,
F • I I • .III.,
• ••l> NPV,
NPV,
NPV„
ry^rt!^yit^?l^/F^^yt^^fe.i;::ir^j^?^ Verhandlungen
:^: \Rohstoff? lieferant
Abbildung 42:
N X Komponen? / tenlleferant
\ X Hersteller ^Z (OEM)
\ \ niotriknw ? / ^'^^^''^^^^
N ?
Idealtypisches Vorgehen zur Ermittlung des Gesamtwerts einer Supply Chain Quelle: Kaufmann/Germer (2001), S. 189, verdndert
In jungerer Vergangenheit fmden sich erste Arbeiten, welche diese ftir die Netzwerkebene typischen Anforderungen aufgreifen und mit bekannten Stellhebeln der wertorientierten
' Vgl. Hahn (2002), S. 1066, Otto (2002a), S. 201, Reiner (2004), S. 226. Rice/Hoppe (2001) argumentieren, dass der Vemetzungsgrad einer Supply Chain mafigeblich beeinflusst, ob diese als quasi-homogener Akteur gegen eine andere Supply Chain „antreten" kann. Ein hoher Vemetzungsgrad (wie er beispielsweise in der stark modularisierten Computerindustrie vorherrscht) wtirde einen Wettbewerb unter Supply Chains stark erschweren, da Doppelmitgliedschaften in mehreren Supply Chains insbesondere in der Standardkomponentenindustrie ein typisches Phanomen sind, vgl. dazu Rice/Hoppe (2001), S. 46-54. ' Vgl. Stolzle/Karrer (2004a), S. 252. ^ Vgl. Hess etal. (2001), S. 70.
176
3 Annaherung an die Konzeption des Supply Chain Performance Managements
Untemehmensfuhrung zusammenfiihren.^^ Unter dem Oberbegriff „Financial Supply Chain Management" stellen sie verstSrkt auf den Fluss fmanzieller Mittel, insbesondere auf die Steuerung des NettoumlaufVerm6gens in der Supply Chain ab.^^*^ Eine Verringerung des Nettoumlaufverm6gens fiihrt zu einer Erhohung des freien Cashflows in der Supply Chain und damit zu einer Steigening des Shareholder Value.^'^ Zur Instmmentalisierung kann die Kennzahl des Cash-to-Cash-Cycles herangezogen werden. Es handelt sich dabei um eine ursprunglich untemehmensinteme Leistungskennzahl, die sich aus dem Alter der vorgehaltenen Bestande zuziiglich des Alters ausstehender Forderungen abziiglich des Alters der Verbindlichkeiten zusammensetzt. Sie misst folglich die Zeit zwischen dem AbflieBen liquider Mittel flir den Einkauf von Rohmaterialien und dem Cash-Rtickfluss iiber Verkaufserlose. Je kiirzer der Cash-to-Cash-Cycle desto, geringer das Nettoumlaufvermogen. Die Ubertragbarkeit dieser Systematik auf den Netzwerkkontext wird im Rahmen des Financial Supply Chain Managements im Rahmen von drei primaren Stellhebehi diskutiert:^^^ • Untemehmensiibergreifendes Bestandsmanagement: Die Reduktion von Bestanden wurde bereits im untemehmensintemen Bereich als Wertsteigerungshebel identifiziert.^'^ Im Supply Chain-Kontext gilt es uber die Schaffimg von Transparenz zu Bedarfsverlaufen und Bestandsniveaus moglichst netzwerkweit Bestande abzubauen und damit die Lagerhaltungs- und Finanzierungskosten der GesamtbestSnde zu senken (vgl. Abbildung 43). Neben diesen meist direkt den Bestanden zugeordneten Kosten werden in jungerer Zeit vermehrt auch indirekte Kostenkategorien, die sich insbesondere bei untemehmensubergreifender Betrachtung als relevant erweisen, im Rahmen des Bestandsmanagements berucksichtigt. Zu diesen zahlen beispielsweise Wertverlust (insbes. von Konsumgutem mit kurzen Produktlebenszyklen), Preisgarantiekosten (Absicherung von Supply ChainPartnem gegen Preisanderungen auf bereits eingelagert Produkte), Retourenkosten (Retouren verbleiben langer im Gesamtbestand der Supply Chain imd fiihren dadurch meist zu
^"^ Vgl. Pfohl et al. (2003a), S. 12, Hofmann/Elbert (2004), S. 96-97, Hofmann (2003), S. 65-66 sowie Elbert (2002), S. 289-290. Vgl. auch Mdller (2003), S. 70-73, der mit dem „Supply Chain Network Value Added" einen Systematisierungsansatz vorstellt, welcher - im Rahmen eines Sbnlichen Verfahrens wie das der vorgestellten Werttreiberhierarchien - Supply Chain-spezifische Werttreiber tiber mehrere Ebenen zu einer gemeinsamen Spitzenkennzahl verdichtet. Dabei werden „Wertsch6pfungspotenziale", die in die „materielle Wertschdpfung" einfliefien (Erlossteigerung, Kostenreduzienmg, Kapitah-eduzierung und Risikoreduzierung) von solchen, die zur „immaterielle WertschSpfimg" zShlen (z.B. Netzwerkkultur, Information oder Wissen), unterschieden. Wie allerdings die Verdichtung von materieller und immaterieller Wertsch6pfung zu einer gemeinsamen (offensichtlich monetSren) Spitzenkennzahl erfolgt, bleibt offen. ^'" Als weitere Aufgaben des Financial Supply Chain Managements nennen Pfohl et al. (2003a), S. 15, das allgemeine Wertsteigerungsmanagement sowie das Finanzmanagement. Ersteres befasst sich mit der Problematik der Wertermittlung im untemehmensiibergreifenden Kontext und wurde bereits im Rahmen der Diskussion von Werttreiberiiierarchien ausftihrlich adressiert. Das zweitgenannte betrachtet die Beziehungen zwischen dem Finanzbereich eines Untemehmens und Investoren, dem Staat, Banken und Finanzdienstleistem. Es steht nicht im Fokus der vorliegenden Arbeit. Die folgenden Ausfiihrungen konzentrieren sich daher auf das Management des Nettoumlaufvermogens in Supply Chains. ^'^ Vgl. Farris II/Hutchison (2003), S. 64 sowie Bowersox et al. (2002), S. 563. ^^^ Vgl. zur folgenden Aufzahlung, falls nicht anders angegeben, Pfohl et al. (2003a), S. 18-20 sowie St6lzle/Karrer (2004b), S. 179. ^^^ Vgl. die Ausfiihrungen zum Umlaufverm6gen weiter oben in diesem Kapitel.
3.2 Entwicklungspfad wertorientierte Untemehmensfiihrung
177
„doppelten" Kosten) sowie Altbestandskosten (uber den Abschreibungsbetrag hinausgehend Kosten wie z.B. Promotionkosten oder Rabatte).^^"^ Obwohl die genannten Kostendkategorien in den meisten Untemehmen ermittelt werden, werden sie bislang nur selten aus Sicht des Bestandsmanagements, noch seltener in ihrer Supply Chain-weiten Tragweite bemcksichtigt.^*^ Die Stabilitat der Supply Chain-Beziehungen ist hier von besonderer Bedeutung, da eine einseitige, machtinduzierte Verlagemng von Pufferbestanden auf voroder nachgelagerte Supply Chain-Stufen nur kurzfristig vorteilhaft ist, sich langfristig jedoch negativ auf die Gesamtperformance der Supply Chain auswirken kann.^^^ • Untemehmensiibergreifendes Prozessmanagement: Dieses zielt aus wertorientierter Sicht insbesondere auf die Beschleunigung von Prozesszeiten (z.B. Wiederbeschaffungs- oder Lieferzeiten) im Material- und Warenfluss ab. Ein schnellerer Prozessdurchlauf tragt zu einer Reduktion des Zwischenfinanzierungsbedarfs und auf diese Weise zu einer Beschleunigung des Cash-to-Cash-Zyklus bei.^^^ Langfristige Einsparungspotenziale im Informationsfluss bietet der Einsatz von IT-Systemen im Bereich der Auftrags- und Reklamationsabwicklung, der Fakturierung und der elektronischen Dateniibertragung. • Untemehmensiibergreifendes Cash Management: Das Cash Management strebt eine netzwerkweite Kapitalkostenreduktion durch Beeinflussung von Forderungen und Verbindlichkeiten an (vgl. Abbildung 43). Die untemehmensintem rationale Strategic, offene Debitorenlaufzeiten zu verkurzen und Kreditorenlaufzeiten zu verlangem, fuhrt aus Sicht der gesamten Netzwerks zu einer Wertvemichtung, da an alien fmanziellen Schnittstellen Kapitalkosten anfallen. Aus der Netzwerkperspektive ware somit das optimale Zahlungsziel in der gesamten Supply Chain gleich nuU.^*^ Diese theoretisch ansprechende Konstellation wird jedoch in der Praxis aus verschiedenen Grunden nur selten erreicht.^'^ Das Cash Management hat somit eine moglichst weit reichende Verkurzung von Kreditoren- und
Vgl. Callioni et al. (2005), S. 136, welche die genannten Kostenkategorien am Beispiel der PC-Sparte von Hewlett Packard analysieren. ^^^ Vgl. Callioni et al. (2005), S. 137. ^^^ Vgl. Hofinann (2003), S. 87-88 und S. 90. Vgl. zu dieser Problematik in der Automobilindustrie auch Boschet et al. (2003), S. 11-34. AUerdings miissen die durch eine Reduktion des Zwischenfinanzierungsbedarfs erzielten Einsparungen mit den potenziellen Mehrkosten einer Prozessbeschleunigung (z.B. hoherer Investitionsbedarf, hohere Transportkosten durch Nutzung von Expressdienstleistem) verrechnet werden. ^^^ Vgl. Hofinann (2003), S. 86. Als mafigeblicher Grund ist die unterschiedliche Machtausstattung der beteiligten Akteure anzuflihren, die zu Inseloptimierungen in der Supply Chain fiihren kann. Die „Pay-on-Scan"-Praktiken bei Aldi sowie die ahnlich gelagerten Geschaftsmodelle von Dell oder Amazon.com bewirken bei diesen Untemehmen zwar eine Starke Verkurzung des Cash-to-Cash-Cycle, miissen jedoch aus Sicht der untemehmensubergreifenden Supply Chain kritisch gesehen werden, da sie zu einer Risiko- und Finanzierungskostenabwalzimg auf Lieferanten fuhren. Ein weiterer Grund flir die Existenz von Zahlungszielen besteht in der Notwendigkeit zur Vorfinanzierung der Produktionsaktivitaten des ersten, d.h. am weitesten stromaufwarts gelegenen Glieds der Supply Chain, vgl. dazu detailliert Hofmann (2003), S. 85.
178
3 Annaherung an die Konzeption des Supply Chain Performance Managements
Debitorenlaufzeiten anzustreben, wobei in jenen Segmenten der Supply Chain, die hohe Kapitalkosten aufweisen, diese Verkurzung die hSchste Prioritat besitzt.^^^
Lieferung Halbfertigprodukt an Hersteller
I
Lieferung Fertigprodukt an Handel
Lagerdauer* Hersteller