Studien zur Kunstgeschichte [Reprint 2018 ed.] 9783111501604, 9783111135335


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German Pages 163 [196] Year 1967

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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Imago
Kunst als Form
Klassik — Klassizität — Klassizismus
Abendländische Kunst
Die Kunstgeschichte und die heutige Philosophie
Die Kunstgeschichte und die heutige Philosophie
Bildnisse des Jan van Eyck
Ikonographischer Stil " . Zur Frage der Inhalte in Rembrandts Kunst
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Studien zur Kunstgeschichte [Reprint 2018 ed.]
 9783111501604, 9783111135335

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Kurt Bauch, Studien zur Kunstgeschichte

Kurt Bauch

Studien zur Kunstgeschichte

Walter de Gruyter & Co. vormals G. Göschen'sche Verlagshandlung . J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer · Karl J. Trübner · Veit & Comp.

Berlin 1967

Ardiiv-Nr. 35 46 671 (?) 1967 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung - J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer - Karl J . Trübner - Veit & Comp., Berlin 30, Genthiner Straße 13 (Printed in Germany) Alle Rechte, insbesondere das der Obersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es audi nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck: H . Heenemann K G , 1 Berlin 31

Inhaltsverzeichnis

Imago (mit 2 Abbildungen)

1

Beiträge zur Philosophie und Wissenschaft, Wilhelm Szilasi zum 70. Geburtstag. FranckeVcrlag München 1960, S. 9.

Kunst als Form

21

Vortrag am Dies academicus der Universität Freiburg i. Br., Februar 1952. Wiederholt in der vorliegenden veränderten Fassung am 9. Deutschen Kunsthistoriker-Tag zu Regensburg im August 1962. Erschienen im Jahrbuch für Ästhetik VII, 1962/3, S. 167 fi.

Klassik, Klassizität, Klassizismus

40

Antrittsvorlesung bei Umhabilitierung an der Universität Frankfurt a. M. 1932. Beitrag für die ungedruckte Festschrift zum 60. Geburtstag Walter Friedländers 1933. Erschienen in der Zeitschrift „Das Werk des Künstlers" I, 1939/40, S. 431 ff.

Abendländische Kunst

ji

Einleitung des 19J2 im Verlag L. Schwann, Düsseldorf, erschienenen Buches (vergriffen).

Die Kunstgeschichte und die heutige Philosophie

57

Martin Heideggers Einfluß auf die Wissenschaften. Festschrift zu seinem 60. Geburtstag. A. Francke-Verlag, Bern, 1949, S. 88 ff.

A n f ä n g e der neuzeitlichen Kunst (mit 1 3 Abbildungen) Vortrag am Dies academicus der Universität Freiburg i.Br. im November 1937. Wiederholt auf der Tagung der Joachim-Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften in Hamburg im November 1957. Erschienen in „Entfaltung der Wissensdiaft". Vorträge der Tagung der Jungius-Gesellschaft 1957.

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VI

Inhaltsverzeichnis

Bildnisse des J a n v a n E y c k (mit 3 0 A b b i l d u n g e n )

79

Vortrag, gehalten auf der Festtagung der „Heidelberger Akademie der Wissenschaften" im Juli 1961. Wiederholt an der Columbia-Universität N e w Y o r k im Oktober 1962. Erschienen im Januarheft 1961/2 der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, S. 96 ff.

Ikonographischer S t i l " . Z u r F r a g e der Inhalte in R e m b r a n d t s K u n s t Vortrag, gehalten im Kunstgesdiiditlidien Institut der Universität Paris im März 1966. Wiederholt im Kunstgesdiiditlidien Institut der Universität Wien im Dezember 1966.

Tafeln I - X X X I I

123

Vorwort

In diesen Arbeiten ist versucht worden, einige Begriffe zu klären, die die Wissenschaft der Kunstgeschichte ständig verwendet: etwa „klassisch", „Bild", „ F o r m " , „Stil". In grundsätzlicher Eingrenzung oder geschichtlicher Untersuchung sollen diese Handhaben unserer Forschung im Ganzen oder in Teilfragen geprüft und in ihrer Bedeutung umrissen werden.

Z w a r verlautet bisweilen aus der Z u n f t der Forscher, zu denen der Verfasser sich zählt, man wisse auch so, worum es geht — man verständige sich ohnehin wie bisher — , es handle sich bei solchen Begriffen, mit denen die wissenschaftliche Praxis arbeitet, um bloße Ausdrücke, auf deren eigene Fragen es der positiven Forschung nicht ankäme. Doch gilt auch f ü r die Wissenschaften Hegels Wort, es sei knechtisch, nicht zu wissen, daß man Begriffe hat, daß man denkt. Außerdem redet man in der Forschung, soweit sie wirklich argumentiert (und nicht den Abbildungen alle Begründung überläßt), o f t genug aneinander vorbei. Der begriffliche Wortschatz unserer Diskussion müßte nodi weiterhin auf seine Gültigkeit und Genauigkeit überprüft werden: „Stil" (im Ganzen), „Gestalt", „Realismus", „ E i n f l u ß " , „malerisch" — was mit solchen, ständig benutzten Bezeichnungen eigentlich gesagt wird, ist dodi, so selbstverständlich sie erscheinen, weithin unbestimmt. In der unübersehbar angeschwollenen wissenschaftlichen Literatur wird heute, was Belege und Zitierungen anlangt, ein äußerster A u f w a n d an Genauigkeit und Ausführlichkeit getrieben. Die maßgebenden Corpuswerke und Kataloge, die Indices und Nachschlagebände sind in ihrer „Dokumentation" von einer uferlosen und unterschiedslosen Akribie. Diese Übersteigerung selbstverständlicher überkommener Anforderungen wirkt sich auch in monographischen Arbeiten und Einzeluntersuchungen aus, selbst in den umfänglichen Buchreihen der verschiedenen „Weltkunstgeschichten", die von Verlagsfirmen durch Verfassergremien veranstaltet werden. Auf Genauigkeit bei der Formulierung des Textes in einer klaren, auf den heutigen Stand gebrachten Begriffssprache wird dabei meist weniger Wert gelegt. Begriffe verkörpern die Methode, den Weg hin zur Sache. Kriterien und Bezeichnungen des klassizistischen oder naturalistischen 19. Jahrhunderts, das Wölfflin'sdie „Malerisch" und „Plastisch", die „Ausdrucks"psychologie der Geistesgeschichte aus der Zeit des Expressionismus entsprechen nicht

Vili

Vorwort

mehr der gegenwärtigen Weise zu sehen oder zu denken. Sie führen den heutigen Betrachter nicht hin zum Eigentlichen des Kunstwerkes, sondern daran vorbei. Fachjargon und Publikumsliteratur sind ohnehin auf ein Vokabular von vorgestern angewiesen. Dodi die Forschung braucht eine klare Sprache f ü r ihre Diskussion. Dabei liegt das Gewicht hier nicht auf theoretischen Untersuchungen zur Terminologie als solchen. Begriffe sind Werkzeuge, nicht Ziel der Kunstgeschichte. „Prinzipien", „Gesetzlichkeiten", in die die „Kunstwissenschaft" das Künstlerische nach den Regeln der Erkenntnistheorie oder der Naturwissenschaft verallgemeinern möchte, entsprechen nicht dem Wesen der Kunst und der wissenschaftlichen Vergegenwärtigung ihres Geschehens. Andererseits bringt auch die reine Sachforschung, soweit sie Wesentliches behandelt, immer gleichzeitig Grundfragen mit ins Spiel, audi wenn keinerlei grundsätzliche Erörterungen vorkommen. Auch sachlichen Formulierungen und Begründungen liegen allgemeine Anschauungen zugrunde, die mit ihnen vertreten oder umstritten werden. Diese in einigen ihrer Begriffe gesondert zu klären, ist die Absicht. Es geht dabei also nicht um Philosophie (wie dies eher die „Kunstwissenschaft" anstrebt). Vielmehr besteht eine der Aufgaben gerade darin, die Grenze gegenüber der Philosophie festzustellen. Sie verläuft dort, wo die Kunst nicht mehr als geschichtliches Phänomen erscheint, sondern im Hinblick auf die „Schönheit" betrachtet wird, diese angesehen als eine höchste Instanz, als das zu Schauende überhaupt, das Scheinen, die Erscheinung der Welt. Fragen soldier Art können die vorliegenden Studien (und überhaupt eine der Wissenschaften) nicht behandeln. Sie können sie nur — was in einer dieser Arbeiten geschieht — an die Philosophie richten. Dabei bleibt als Frage bestehen, ob dem Problem der Schönheit überhaupt von der Wahrheit her im Sinne der Philosophie entsprochen werden kann. Es handelt sich ja — ähnlich wie in der Theologie — um eine selbst nicht mehr bedingte, auch von der Wahrheit her nicht relativierbare höchste Instanz. In weiteren Arbeiten werden einzelne künstlerische Schöpfungen rein in ihrer geschichtlichen Entstehung untersucht und in ihrer grundlegenden Bedeutung f ü r unsere Neuzeit dargestellt: so die „Bildermalerei", die „Bildniskunst" und das, was als „ikonographisdier Stil" in Rembrandts Kunst erscheint. Wenn darin auch Forschungsergebnisse vorkommen, also bisher unbekannte Werke oder Sachverhalte vorgebracht und begründet werden, so widerspricht das dem eigentlichen Anliegen nicht. Historische Sachforschung bringt „Neues" nur mittels grundsätzlicher Erkenntnisse oder um grundsätzlicher Erkenntnisse willen. N u r dann lohnt es, mögen sie selbst eigens ausgebreitet werden oder nicht. Nicht jedesmal muß prinzipiell das Facit gezogen werden, auch einer sachlichen Beschreibung und Charakterisierung des zutage Geförderten lassen sich die gewonnenen allgemeiner gültigen Ergebnisse entnehmen, — allgemeingültig, insofern sie sich wiederum in der positiven Forschung zu bewähren haben.

Vorwort

IX

Alle Forschung und „Dokumentation", überhaupt historische Untersuchungen ebenso wie methodische Überlegungen und allgemeine Erkenntnisse führen die Kunstgeschichte zu ihrem eigentlichen Ziel: die Kunst selber zu erschauen als Werk eines Künstlers, einer Gruppe, eines Volkes, einer Epoche, — doch als erhoben über die Bedingungen ihres Geschaffenseins zu bleibender, auch heutiger Geltung.

Einige der hier behandelten Themen beziehen sich auf die Form, andere auf Inhalte des Künstlerischen. „Solange es eine Kunst gibt, sagt Fr. Th. Vischer,1 wird das Kunsturtheil in zwei einseitige Richtungen auseinanderlaufen, welche trennen, was im wahren Wesen der Sache und im einzelnen Werke, das ihm entspricht, untrennbar Eins ist, und das eine der losgerissenen Elemente des Ganzen für das Ganze halten: die eine wird alles Gewicht auf den Gehalt, die andere auf die Form, die eine auf das Was, die andere auf das Wie legen." Wenn hier von Form die Rede ist, so nicht in diesem „einseitigen" Sinne, etwa der „Grundbegriffe", mit denen Wölfflin alles erfassen wollte, auch nicht im Sinne Jantzens, dessen grundlegende Untersuchungen zur Farbigkeit, zur Raumdarstellung, zum gotischen Raumbau nur wesentliche Teilfragen künstlerischer Form aufwerfen, und auch nicht in Panofsky's Sinne, für den der Bereich der Form den „niedrigsten", da „vor-ikonographischen" Tatbestand des Künstlerischen abgibt. Vielmehr wird versucht, nach Form überhaupt zu fragen. Das Vielschichtige und Vielseitige, das Umfassende von „Form" wird untersucht, ihr Wesen, ihr Rang, ihre Geltung. Sie wird ja audi von der positiven Forschung als höchste Instanz für ihr Urteil angerufen (da sonstige Kriterien etwa technischer, historischer, ikonographischer Art eine Bestimmung immer nur möglich — oder unmöglich — machen, nie positiv und endgültig begründen können). — Indem jedoch nach Form überhaupt gefragt wird, ist grundsätzlich die Frage eingeschlossen, wessen Form sie ist, was sie enthält, was man ihren Inhalt nennt. Es handelt sich um etwas „untrennbar Eines". In einer anderen Abhandlung wird vom Inhaltlichen allein gesprochen, und wiederum nicht im Sinne der heutigen „Ikonologie", für die das Höchste im Kunstwerk darin besteht, daß es „Dokument für wesentliche Tendenzen des menschlichen Geistes (unter den verschiedenen historischen Bedingungen)" sei, wie Panofsky es formuliert hat. Das entspräche Dvorak's „Kunst ist in erster Linie Ausdruck der die Menschheit beherrschenden Ideen. Ihre Geschichte . . . ist ein Teil der allgemeinen Geistesgeschichte". Geschichtlich ist hier also nicht die Kunst, sondern es sind die „Tendenzen", die Ideen des menschlichen Geistes. Die 1

Fr. Vischer. Uber das Verhältnis von Inhalt und Form in der Kunst, Monatsschrift des wissenschaftlichen Vereins in Ziiridi, i 8 j 8 .

χ

Vorwort

Kunst ist nur Dokument oder nur „Ausdruck" dafür, also für etwas, was nicht Kunst ist, was aber wissenschaftlich eher zugänglich erscheint, sich belegen und zerlegen, sowie philosophisch oder kulturgeschichtlich, psychologisch oder erkenntnistheoretisch erklären läßt. Gegen diese Auffassung hat sich schon Hegel in seiner Sprache gewandt ( I I I 269—¿70): „von der theoretischen Betrachtung wissenschaftlicher Intelligenz . . . scheidet die Kunstbetrachtung sich . . . ab, indem sie für den Gegenstand in seiner einzelnen Existenz Interesse hegt, und denselben nicht zu seinem allgemeinen Gedanken und Begriff zu verwandeln tätig ist". Die heutige „Ikonologie" mit ihren ikonographischen und geistesgeschichtlichen Kriterien ist nicht nur wertvoll und produktiv, sie ist unentbehrlich und im Augenblick vielleicht der fruchtbarste Ansatz zur Vertiefung und Bereicherung unseres Verständnisses. Doch kann auch sie nicht die Kunst ganz erfassen, ihr eine letzte und endgültige Deutung geben. Das gelänge, wenn überhaupt, nur vom Ganzen des Werkes aus. Von seiner „Eigenart" her (in ihrem höchsten Rang als Einzigartigkeit, als geschichtlicher Schöpfung) eröffnet sich der Zugang zu einem Ganzen der Kunst, das die bloße Form, die bloßen Inhalte einbegreift und zu einem Sinne eint. Eigenart in diesem Sinne heißt Stil. Vom Stil her sollte sich die Form ebenso erschließen wie der Inhalt: Form in ihrem A u f b a u (etwa als Struktur und Werkstoff), in ihrer Ausführung (etwa als Schule und Handschrift), in ihren Einzelzügen (etwa als Körper und Farbe) und in ihrem Klang (etwa als Proportion und Charakter) — , andererseits Inhalt als Thema (entsprechend der Aufgabe), als Motivbestand (entsprechend der Uberlieferung), als Auffassung (entsprechend der Bedeutung). Aus formalem und ikonographischem Stil wird die „einzelne Existenz" des Kunstwerkes ersichtlich, seine Stellung als Ganzes in unserer Welt, sein Wesen und seine Gegenwart.

Z u dieser letzten Frage nach dem Stil im Ganzen führen alle ikonographischen und formalen Untersuchungen erst hin. Sie ist in allen Einzelfeststellungen, Analysen, Dokumentationen als Ziel angelegt. Wirklich vorhanden ist ja nur das Werk und im einzelnen Werk liegt nach Vischer „das wahre Wesen der Sache". Der Stil läßt sich nicht wieder auflösen und auf etwas vermeintlich Höheres oder Tieferes zurückführen. E r selbst ist aufzudecken, zu zeigen, zu vergegenwärtigen. Mag dies durch Vergleichung mit Andersartigem, besonders etwa mit V o r a u f gehendem verdeutlicht werden, so dient zur Verständigung dabei die Beschreibung des Werkes. Sie kann also nicht nur eine erste vorläufige Bestandsaufnahme seines „Äußeren" sein, wie die Befürworter der Analysen fordern. Soll in ihr etwas vom Stil, von der „einzelnen Existenz" des Kunstwerks in Worte gefaßt werden, soll darin das Kunstwerk mit zum Sprechen kommen, so wäre eine solche Beschreibung vielmehr erst nach dem Verstehen aller Gegebenheiten und Vorbedingungen, aller historischen und technischen Voraussetzungen möglich. Auch dann bliebe sie eine nie ganz erreichbare Aufgabe. So wenig wie eine Uber-

Vorwort

XI

Setzung aus einer Sprache in die andere je ganz richtig ist, so wenig wie der Bericht ein historisches Geschehen ganz erfaßt, so wenig kann sich eine Beschreibung je vermessen, einen künstlerischen Tatbestand ganz wiederzugeben. Dennoch verwirklicht sich alle Philologie im Übersetzen, alle Geschichtswissenschaft im Erzählen, alle Kunstforschung im Beschreiben. Denn genau so unvollkommen gelingt es den wortgeschichtlichen oder geistesgeschichtlichen Forschungen, den historischen und problemgeschichtlichen Einzeluntersuchungen, den ikonologischen oder formalgeschichtlichen Feststellungen dem „wahren Wesen der Sache": dem Sprachdenkmal, dem Tatgeschehen, dem Kunstwerk als Ganzem zu entsprechen. Dieser Blick auf das Ganze sollte zum Mindesten allen Teilbemühungen, die in sich schlüssig und gültig sein können und müssen, Richtung und Sinn verleihen. Einer der größten Kunsthistoriker, Goethe, sagt dazu: „die Kunst ist eine Vermittlerin des Unaussprechlichen, darum scheint es eine Torheit, sie wieder durch "Worte vermitteln zu wollen. Doch indem wir uns darin bemühen, findet sich für den Verstand so mancher Gewinn, der dem ausübenden Vermögen wieder zugute kommt". Mit den letzten Worten zeigt Goethe, daß die Wissenschaft der Kunstgeschichte, die er selbst gefordert, mit vorbereitet und schon betrieben hat, im Bewußtsein seiner Zeit noch nicht existierte. Im Bereich des Grundsätzlichen ist sie erst durch Hegel aus der Ästhetik zur Kunstgeschichte geworden, indem er als erster seine Kunstphilosophie in einem geschichtlichen Aufbau gedacht hat. Die heutige Wissenschaft der Kunstgeschichte ist entstanden aus der Künstlerbiographie und der klassizistischen Ästhetik, aus der archäologischen Denkmalkunde und der Kennerschaft der Sammler, aus der allgemeinen Kulturgeschichte und der archivalischen Sachforschung, aus der Ikonologie des manieristisch-gegenreformatorischen Cinquecento und der Kunstkritik. In den verschiedenen Richtungen unserer Wissenschaft taudien Begriffe, Methoden, Zielsetzungen bald der einen, bald der anderen jener früheren Disziplinen auf. In ihrer Diskussion spiegelt sich das Suchen nach einer immer wieder neuen Erfassung dessen, was Kunstgeschichte, was Kunst sei. Das ist vergleichbar mit dem Fragen nach Art und Wesen heutiger Kunst und nicht ohne Verbindung damit.

Voraussetzung zu allem bleibt allerdings auch heute die Bejahung der Kunst. Gewiß bietet die Kunst auch andere Aspekte als nur künstlerische (etwa politische, technische, psychologische, ähnlich wie die Religion nicht nur religiöse, sondern etwa auch wirtschaftliche oder gesellschaftliche Aspekte bietet). Die Kunst jedoch zum bloßen Material soziologischer oder theologischer, psychologischer, mathematischer oder generell weltanschaulicher Erkenntnisse zu machen, heißt ihre eigene Existenz (aus der allein sich die Methode ihres Verstandenwerdens ergibt) zu verneinen oder zu vernichten. Das entspräche der heutigen Lage der in ihrer Existenz tief in Frage gestellten Kunst. Mag die Frage, ob Form ohne Inhalt

XII

Vorwort

noch Kunst ist, zu herkömmlich gestellt sein, ein „Künstler" wie Jean Tinguely erklärt geradezu: „Kunst ist ein völlig überholter Begriff, eine der dümmsten Erfindungen, die in den letzten Jahrhunderten gemacht wurden. Ganze Kathedralen sind einst ohne diesen Begriff entstanden". Das entspricht nicht nur den verschiedenartigen Protesten der heutigen Anti-Kunst, sondern auch jenen wissenschaftlichen Richtungen, die nicht die Kunst, sondern mittels ihrer „etwas anderes", etwas „hinter ihr" suchen. Die schematische Vereinheitlichung alles Menschlichen in der Enge unserer überfüllten Welt kann vielleicht das Original nicht mehr als einen höchsten Wert anerkennen, also auch nicht das Schöpferische am Kunstwerk. Aber müßte nicht doch auch in der industriellen Massengesellschaft, insofern es die von Menschen ist, ein neuer Ort für eine Kunst denkbar sein, die diesen Namen verdient?

Die hier vereinigten Arbeiten sind bei Gelegenheiten erschienen: als Vorträge, als Einleitung oder als Beiträge zu Festschriften. Den Herausgebern und Verlagen sei gedankt für die Erlaubnis, die Texte nochmals — mit gelegentlichen kleinen Berichtigungen — zu drucken, der Heidelberger Akademie der Wissenschaften und der Joachim-Jungius-Gesellsdiaft in Hamburg auch für die zur Verfügung gestellten Klischees der Abbildungen. N u r der Vortrag über Rembrandts „ikonographischen Stil" ist noch nicht veröffentlicht. Freunde und Schüler haben den Plan dieser Zusammenstellung gefaßt und mit ihren Vorschlägen den Verlag de Gruyter sogleich bereit gefunden, dieses Bänddien herauszugeben. Für mich ist das eine Überraschung und Freude — ein Geschenk, das mich mit Dank erfüllt. Freiburg im Breisgau, 25. November 1967

Kurt Bauch

Imago i960

„Man sagt von einem Gleichnis auch, daß es ein Bild sei. Und ebensogut ließe sich von jedem Bild sagen, daß es ein Gleichnis wäre. Aber keines ist eine Gleichheit. Und eben daraus, daß es einer nicht nach Gleichheit, sondern nach Gleichnishaftigkeit geordneten Welt angehört, läßt sich die große Stellvertretungskraft, die heftige Wirkung erklären, die gerade ganz dunklen und unähnlichen Nachbildungen z u k o m m t . . . " (Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, S. 1188).

Was wir „Bild" nennen, erscheint heute in Frage gestellt. Vielleicht ist eine unserer Hauptfragen, was Bild noch bedeutet. Sie wurzelt so tief in unserer Geschichtlichkeit, daß wir erst in der Schicht des Mittelalters auf die Entscheidungen treffen, die das Bild bestimmen, das heute fragwürdig erscheint. Damals ist alles Frühere verwandelt, alles Folgende begründet worden, bis heute.

Bild „Bild" hat als Wort mancherlei Bedeutung angenommen. Die heute gebräuchlichste bezieht sich auf ein Werk der Malerei oder seinen Ersatz. Die ursprüngliche spricht aus vielen Zusammensetzungen: Bildhauer, Bildschnitzer, Bildwerk, Bildnerei, Standbild, Bildsäule, Bildstode, Reiterbild, Götterbild, Götzenbild. Im Niederländischen, das aus einer deutschen Mundart zur Selbständigkeit erwachsen ist, hat „beeld" noch die alte (im Hochdeutschen bis ins 17. Jahrhundert bestehende) Bedeutung: Bildwerk in stofflich greifbarer Gestalt, heute „Plastik" oder „Skulptur". 1 Während ein Gemälde körperhafte Gegenständlichkeit nur vor1

ι

Noch Sandrart sagt, der Maler Andries Both habe seinem Bruder Jan „die Bilder in die Landschaften gemacht", also die Figuren, die menschliche „Staffage". ]. von Sandrart, Academie der Bau-, Bild- und Mahlerey-Kiinste von 167hrg. v. R. Peltzer 1925, S. 185. — Das holländische Wort für unser „Bild" im heutigen Sinn, Gemälde, ist bekanntlich schilderij = Schilderung (von Schildmalerei). Baudi, Studien

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Studien zur Kunstgeschichte

täuscht, doch selber nicht besitzt, ist ein Bild im eigentlichen Sinn selber etwas, es hat stofflich greifbare Gestalt wie das, was es wiedergibt. So spiegelt es das Dargestellte nicht wider, sondern entspricht ihm nur. 2 Davon geht also die heutige Bedeutung aus, vor allem die der angeführten Zusammensetzungen und der Ubertragungen wie Sinnbild, bildhaft, bildlich (was daher etwa „allegorisch" heißt im Gegensatz zu symbolisch, „zeichenhaft"). „Denkbeeld" ist das niederländische Wort für „Idee". In der Sprache des Mittelalters heißt Bild imago. Es ist die Übersetzung von ε'ικών, dessen Bedeutung von ebenfalls dem „Zutreffenden", „Gehörigen", „Entsprechenden" über „Gleidikommendes", Ähnelndes" dann jede Art von Darstellung, ob Bildwerk oder Gemälde, bezeichnet, mit Neigung, sich auf „Bildnis" einzuengen. Imago scheint jedoch seinem Ursprung nach anders angelegt zu sein. Im alten Latein soll es mit einem „imor" „gleich sein", zusammenhängen (dazu „imitor" nachahmen) und bedeutet jede Nachbildung, ohne Rücksicht auf Form und Stoff, besonders aber auch Ahnenbild, nämlich die Nachbildung Gestorbener (durch Schauspieler in den alten Gewändern und Masken) im Totengeleit, heißt also allgemeiner „Wiedergabe", ebenfalls mit Neigung auf „Bildnis". Die römische Ubersetzung des griechischen Wortes, das audi selbst als Fremdwort (icon) übernommen wird, ist offenbar etwas enger und einfacher im Sinn. Im Mittelalter ist imago das Wort für Bild. Z w a r kommen audi andere vor, wie Walter Paatz in einer sehr aufschlußreichen Zusammenstellung gezeigt hat. 3 Das antike „signum" als Götterbild wird zwar gar nicht, „simulacrum" offenbar gerade als heidnisches Bild gebraucht, „effigies" dagegen wie im Altrömischen meist als Bildnis. Häufiger ist verständlicherweise „figura" (in der Antike ungebräuchlich), dodi dreimal so oft und überhaupt bei weitem am meisten erscheint „imago". Natürlich sagen die bloßen Bezeichnungen über die Werke selbst direkt nichts aus, dagegen manches über die Quellen und ihren Stil, also auch darüber, als was überhaupt ein Bildwerk angesehen worden ist. Imago heißt jede Art von Bild. Es wird sich aber erweisen, daß Bild als Bildwerk seine besonderen Fragestellungen hat und daß sich an dieser Unterscheidung mancherlei Geister geschieden haben. Jedenfalls handelt es sich immer um das Bild in Menschengestalt. Dies ist das einzige Thema der mittelalterlichen Kunst. Ob einzeln oder in der „Historie", ob als Bildwerk oder Relief, ob in den Gemälden der Wände, der Bücher, der Fenster — nichts anderes als der Mensch ist dargestellt. Was sonst abbildbar wäre: Tiere, Pflanzen, Gegenden, kommt,

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3

Dazu würde die sprachgeschichtliche Herkunft des Wortes stimmen. Die erste Bedeutung wäre nach Kluge-Götze geradezu das Gehörige, das Passende, — das Entsprechende. Als verwandt wird „billig" in seiner eigentlichen Bedeutung von „entsprechend, passend" (Gegensatz „ U n bill") angeführt. Walter Paatz, „Von den Gattungen u. vom Sinn der gotischen Rundfigur." Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse, i9$i, 3, 1 9 5 1 . Seine A b handlung ist eine der Grundlagen für diese Arbeit, besonders S. 18 ff.

Imago

3

wenn überhaupt, nur am Rande oder als menschliches Attribut vor, nie im eigenen Sinn. 4 Der Bildhauer heißt im Ägyptischen „der, der am Leben hält". Einen Menschen darstellen, heißt, ihn über ihn hinaus, über seine Einmaligkeit, sein bloßes Leben hinausheben, indem er noch einmal da ist, — als könnte er über seine Menschlichkeit hinaus verewigt werden. In alledem ist etwas von Zauberei. Jedenfalls — das Bild, das sich der Mensch von sich macht, — die Gestalt, der er zu entsprechen hat, ist etwas anderes, Höheres, als nur Mensch. Umgekehrt wird der Gott unter dem Bilde des Menschen vorgestellt und dargestellt. Ob in den urweiblichen Idolen der Altsteinzeit oder den Menhiren des Neolithikons, insofern sie das Aufgerichtete als Mann darstellen, oder in den germanischen Holzriesen der Eisenzeit oder auch in den gewaltigen Menschenblöcken der Osterinseln, der Gott ist als Mensch gebildet, der Mensch in sein übermenschliches Wesen als Bild erhoben. Alle Magie ist dann geläutert in die alles verkörpernde reine Anschauung des Göttlichen in der hellenischen Religiosität, die „nicht von Propheten oder Priestern" (Otto), sondern (mit den Dichtern) von Bildhauern erschaffen ist in den höchsten Schöpfungen menschlichen Bildens überhaupt. Das Mittelalter hat eine hohe Bildnerei; aber diese im Göttlichen gipfelnde Einheit von Wesen und Erscheinung fehlt. Das Bild ist ausschließlich religiös zu verstehen, getragen von einer reichen Gläubigkeit tritt es hervor aus dem Grund einer umfassenden, lückenlos durchdachten Gotteslehre — dadurch zugleich im Innersten in Frage gestellt. Denn das Christentum ist Wort. Es erwächst historisch aus der jüdischen, über alles Stoffliche hinaus vergeistigten Gottesfurcht, die die menschliche Gestalt für den unnennbaren Gott ausschloß. Das alttestamentliche Bilderverbot ist ein Grundsatz auch des Christentums. 5 Es wurde, wie Zwingli gegen Luther hervorgehoben hat, im Neuen Testament ausdrücklich wiederholt.® Dem entsprach ja andererseits die christliche Beurteilung des Körperlichen überhaupt, dessen grundsätzliche Abwertung und Ablehnung mußte dem Bilde sein eigenstes Element entziehen. Von hier aus gesehen besaß Wirklichkeit, 4

Mit französisch „image", das dem deutschen „Bild" entspricht, werden gewöhnlich ebenfalls Götter und Heiligenbilder, jedenfalls Menschendarstellungen, gelegentlich aber auch Ornamente bezeichnet. Von „image", das offenbar ebenso Gemälde wie Bildwerk bedeutet, leiten sich dann viele Ausdrücke ab: imagerie (bildlicher Schmuck z. B. eines Portals); imaginer (bildhauerisch darstellen); imaginement, imaginure, imaginerie, dim. imaginet(te), imagele, imagine (bildliche Darstellung); imagier, imageur, imaginaire, imagineur, imaginateur, imaginier (bildender Künstler); allmählich ist imagier allein Bildhauer. Erst im 16. Jahrhundert wird dieses Wort, offenbar vom Italienschen her, ersetzt durch sculpteur. — Entnommen der sehr sorgfältigen und ergebnisreichen Arbeit von Dora Hartwig, Der Wortschatz der Plastik im französischen Mittelalter, Diss. München 1936. 5 Für seine Vorgeschichte vergleiche man die umfassenden Forschungen Hubert Schrades, Der verborgene Gott. Gottesbild und Gottesvorstellung in Israel und im alten Orient, 1949. • s. hierzu Hans Frhr. von Campenhausen, „Zwingli und Luther zur Bilderfrage", in Das Gottesbild im Abendland 1957 S. 139 ff.

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Studien zur Kunstgeschichte

also göttliches Wesen nur das Wort, das Buch, die Offenbarung. In ihr allein w i r d der Mensch Gottes ansichtig. Dieses christliche Grundgebot ist selbst nie in Frage gestellt worden; es gilt bis heute. Immer wieder und bis in unsere Tage ist es in seiner ganzen Schärfe wieder zur Geltung gekommen. Dennoch hat das Christentum das Bild in höchster Fülle und Schönheit geschaffen. J a , es hat bei seiner Ausbreitung mit als erstes immer das Bild verbreitet. „Crucem pro vexillo ferentes et imaginem domini salvatoris in tabula depictam", so kamen 597 die Bekehrer nach England. Sie kamen aus Rom. Von dort stammten die Riten, die sie verbreiteten, ihre Sprache (die nicht die Sprache Christi war, sondern seiner Todfeinde, und die doch die seiner Kirche geworden ist) — und das Bild. Daher heißt das christliche Bild imago. Danach, wie dann Bild aufgefaßt worden ist, hätte man vielleicht eher das Wort figura erwarten sollen, das jedoch weit seltener und in anderem Sinne gebraucht wird. 7 Allein imago ist beibehalten worden; es betont mehr die Ebenbildlichkeit, die H e r k u n f t von einem Urbild. 8 Denn es konnte nur der Heiligen Schrift entnommen werden. In der Schöpfungsgeschichte (Gen. ι , 2 6 — 2 7 ; 5, 1 und 9, 6) aber heißt es, daß Gott den Menschen sidi zum Bilde, zum Bilde Gottes, als Gleichnis seiner selbst geschaffen habe. Diese Stelle gewinnt wie das ganze Alte Testament volle Deutung und eigentlichen Sinn erst vom Neuen Testament her: von der Ebenbildlichkeit Christi mit dem Vater und doch auch mit dem Menschen, dessen Gestalt er annimmt. Die Selbstabbildung des Gottes in einem Sterblichen als Halbgott, der zum Heros erhobene Ptolemäerfürst als ε'ικών Διός, dieser Gedanke ist schon dem hellenistischen Zeitalter bekannt, wie E. Buddeberg hervorhebt. 9 Andererseits w a r Piatons είκών-Begriff, der schließlich die Erscheinungswelt überhaupt meint als Abbild einer höchsten, nur einem geistigen Auge schaubaren Urgestalt, von Poseidonios auf den Menschen übertragen: er ist — in geistigem Sinne — ein Bild des Gottes. Allgemein besagt εικών schon bei Piaton Gleichnis, was Philon in seiner allegorisch spiritualisierenden Konstruktionsweise nochmals verallgemeinert. „Bildlichkeit" wird zu einem Grundbegriff und Grundprinzip geistiger Vermittlung zwischen den einzelnen Sphären seiner Begriffswelt. Der κόσμος und der menschliche νους sind jetzt εικόνες εΙκόνος, Bilder des Bildes, nämlich

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Über die eigentümliche, für das ganze mittelalterliche Denken höchst bezeichnende und wichtige Entwicklung des figura-Begriffes bringt überraschende Ergebnisse E. Auerbach in seiner Arbeit Figura, Archivium Romanicum. Florenz. 22. 1938. 436. 8 Auf diese „Ursprungsbeziehung" in dem Terminus imago wird hingewiesen in dem inhaltsreichen Werk von W. Därig, „Imago. Ein Beitrag zur Terminologie und Theologie der römischen Liturgie." Münámer theologische Studien II, 5, 1952. Die Arbeit geht in dem herangezogenen Material über die Grenzen des Themas hinaus und ist hier weitgehend zugrunde gelegt. In ihrer Einleitung fußt sie auf der lehrreichen Schrift von H. Willms, Eikon. Eine begriffsgeschichtliche Untersuchung zum Piatonismus, I. Philon, Diss. Münster 1935. Die Einzelbelege sind in diesen beiden wichtigen Arbeiten gegeben. • E. Buddeberg, „Friedensfeier", in Hölderlin-Jahrbuch I X 1955/56 S. 49 ff.

Imago

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des Logos als Schöpfung Gottes, die ihrerseits die Erscheinungen hervorbringt. Mit dieser Lehre von der Gleichnishaftigkeit alles Denkbaren hat der hellenistische Rabbiner den Grund für die christliche Theologie bereitet, für die dann alles Körperliche nur Bild und dieses Bild nur Gleichnis ist. Dem entsprechend ist das geschichtliche Bild des evangelischen Christus und überhaupt der BibelOffenbarung theologisch entstofflidit und zergliedert worden im Dienste einer Lehre, die alles Bildhafte gleichnishaft interpretiert und systematisiert.

Ablehnung des Bildes In der Vulgata kommt imago in allen Bedeutungen vor, die „Bild" haben kann: als Bildwerk, das Götter oder Menschen darstellt, als Schatten- oder Traumbild, als Gleichnis. Dann aber erscheint es audi im Sinne der Ebenbildlichkeit eines Nachkommen zum Stammvater und in Übertragung davon als Ebenbildlichkeit Christi mit Gottvater, als Ebenbildlichkeit des Erlösten mit Christus und als Ebenbildlichkeit des erschaffenen Menschen mit Gott, dem Schöpfer. Dieser letzte Gedanke wird, wie Dürig weiter zeigt, in der frühchristlichen Theologie immer wieder umformuliert. Hatte nodi Paulus ganz direkt vom Manne als εΐκών θεοί gesprochen (während ihm die Frau nur als δόξα, A b g l a n z des Mannes, gilt), so wurde die Unerreichbarkeit und Unvergleichbarkeit Gottes allmählich immer stärker in den Vordergrund gestellt. In diesem von Philon mitbestimmten Sinne haben Tertullian, Ambrosius, Augustinus u. a. „imago", „similitudo" und „ad imaginem" zu unterscheiden gesucht, um im Sinne christlicher Demut die Mittelbarkeit aller Ähnlichkeitsbeziehung zu betonen. Die Problematik der „zwei Naturen" Christi wird vermieden, wie Campenhausen zeigt, „seine Menschlichkeit wird sozusagen nicht erwähnt, sie wird überstrahlt, verwandelt und verschlungen von der himmlischen Glorie". 1 0 Hieraus schon, ebenso wie aus der spiritualistischen Auflösung des BildBegriffes erklärt es sich, daß in den ersten Jahrhunderten das göttliche Wesen (damit überhaupt jedwedes Bild) in menschlicher Gestalt ausgeschlossen worden ist. Z w a r hat Johannes K o l l w i t z gezeigt, daß etwa in der Praxis der Katakombenmalerei, aber auch nach Äußerungen von Theologen „Historien" geduldet und schon als didaktisch gerechtfertigt worden sind. 11

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Viel verdanke idi dem Aufsatz von Hans Frhr. von Campenhausen, „Die Bilderfrage als theologisches Problem der alten Kirche" in Das Gottesbild im Abendland, 1957, S. 77 ff. Die wichtigen Arbeiten von Job. Kollwitz, die hier zugrunde gelegt sind: „Zur Frühgeschichte der Bilderverehrung", Vortrag 1952 in Freiburg i. Br., ersch. in Römische Quartalschrift für Christi. Altertumskunde und Kirchen%eschichte 48 H. 1/2 1953, und die Artikel „Bild" und „Christusbild" im Reallexikon für Antike und Christentum. Ferner: „Zur Frühgeschichte der Bilderverehrung" in Das Gottesbild im Abendland, 1957, S. 109.

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Studien zur Kunstgeschichte

Aber gegen ein Bild Christi hat sich die frühe Theologie, so noch Eusebius, aufs heftigste widersetzt. Epiphanios erklärt es für eine Beleidigung, auch nur Heilige oder die körperlosen Engel malen zu wollen. Dies ist ein christlicher Grundsatz geblieben und immer wieder geworden. Immer ist das Bild tief fragwürdig. In allen Stadien, allen Lagern, allen Herden des geschichtlichen Christentums bricht diese Grundfrage wieder auf, — besonders in Zeiten einer vertieften, suchenden, kämpfenden Gläubigkeit, die zu den Ursprüngen zurückstrebt. Nach den Kämpfen der Verfolgungszeit, in den inneren Streitigkeiten beim Übergang zur Volks- und Staatskirche des monarchischen Imperiums, dann im Bilderstreit, durch den Kaiser und Papst, Ost und West auseinanderfielen, darauf beim Ubergang auf die Völker des Nordens mit ihren anderen Überlieferungen und Forderungen, im Mittelalter in den ständigen Reformstößen der strengen Mönchsorden gleichzeitig mit den Katharer- und Sektenbewegungen, wiederum in den schweren Erschütterungen durch die Reformation, ihre Vorboten und Nachwirkungen mit der äußersten Forderung Calvins, dessen bildloses Christentum im 19. Jahrhundert die Welt erobern sollte, im Jansenismus und der Aufklärung bis zur heutigen Bilderlosigkeit in ihrer ganzen kirchlichen, religiösen, geistigen Bedeutung. Damals aber in der Verfolgungszeit hatte das alles eine besondere Schärfe und Gefahr. Die christliche Kirche hatte sich ja innerhalb der antiken Geistigkeit durchzusetzen. Diese beruhte auf der griechischen Bildwirklichkeit, die an Fülle und Größe ihresgleichen nicht hat: im Bild des Gottes vollendet sich Erscheinung und Wesen. Mochte diese einzigartige Einheit seit Jahrhunderten, ja, schon von Plato her in Fragen zerdacht sein, die schon eine Antwort wie die des Christentums zu ermöglichen und zu ersehnen schienen, so beherrschte jene leuchtende Wirklichkeit des Bildes doch immer noch die Welt. Erst in Jahrhunderten hat die christliche Wirklichkeit des Jenseitigen dem Bilde das Körperliche entzogen (die Verkörperung menschlich-geistiger Ganzheit in ihrer völligen Geltung) und so jene reiche Bildwelt von innen her zum Absterben bringen können. Der Kampf ging um das Bild, theologisch und praktisch. Dafür sind die Märtyrer gestorben: indem sie dem heidnischen Bild des Gottes oder des Kaisers Opfer und Verehrung verweigerten, vergingen sie sich gegen eine Grundwahrheit des antiken Geistes: die volle Wirklichkeit des Bildes, seine Geltung. Die Verehrung seines Bildes war die Verehrung des Kaisers. Sein Bild war Hoheitsabzeichen, es stand seit seiner Thronbesteigung bis in die fernsten Provinzen in den Amtsräumen auf dem mit einem Tuch bedeckten Tisch zwischen Kerzen. In vollgültiger Stellvertretung hatte es Anspruch auf religiöse Verehrung, auf Lorbeerbekränzung, Weihrauch, Kerzen, Kuß, Kniefall. Mittelpunkt aller Religiosität konnte nichts anderes sein als das Kultbild. Nicht nur der vergöttlichte Kaiser, auch die alten großen Gottheiten waren darin vergegenwärtigt, aber nicht nur sie. Auch für die vergeistigte Andacht der viel-

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fältigen Bildungsreligionen w a r das Kultbild selbstverständlich und unentbehrlich. Das Bild Virgils wurde an seinem T a g im Kerzenschein verehrt. Auf den Altären der Gnostiker standen die Bilder der Religionsstifter und Geisteshelden der V e r gangenheit: Orpheus, Pythagoras und Piaton, Apollonios und — Christus!

Interpretatio Romana Doch die Christen duldeten keinerlei menschliche Mittlergestalt zum GeistigGöttlichen, keinerlei Kultbild. Ihre Gottesdienste gingen ohne Bild v o r sich. Das mußte, wie K o l l w i t z zeigt, den Heiden (und wohl gerade den frommen) völlig leer und unverständlich, j a gottlos vorkommen. Aber während die Christen mit allen Mitteln b e k ä m p f t wurden, während sie selbst f ü r die Überwindung der Bilderverehrung stritten und litten, — bahnte sich daneben etwas ganz anderes an. V o n unten her, aus den breiten Schichten des gläubigen Volkes kam es herauf: das Bedürfnis nach dem Bild, nach A n schauung erwies sich als unüberwindlich. M a g es ein menschliches

Anliegen

überhaupt sein, sicherlich w a r es durch die antike Überlieferung bestimmt. So machte sich der Wunsch

geltend, wenigstens

etwas, wenigstens

„äußerlich"

etwas von den verhaßten Bildtraditionen zu erlauben. Ihm wurde Rechnung getragen. Eins

der

großartigsten

Prinzipien

römischen

Herrschens

war

die

„interpretation romana" gewesen. Nach ihr ist von der neuen Kirche verfahren worden: das Fremde und Feindliche wurde überwunden und dadurch angeeignet, daß man es mit neuen Inhalten füllte. So werden schon die Formen der Kaiserhoheit aufgenommen. Wie K o l l w i t z im einzelnen historisch nachweist, haben die alten Riten, die Tracht und das Bildnisrecht in die christliche Kirche Eingang gefunden. Die Liturgie

hängt

vom Hofzeremoniell ab. Die Bischöfe erhalten das Recht, ihr Bild aufzustellen, sie versenden es in die Kirchen ihrer Diözese. Sie tragen die Tracht der hohen Reichsbeamten:

Pallium, Stola, Schuhe, Stab. Auch

sie haben Anspruch

auf

den Thron, das Voraustragen von Lichtern, auf Weihrauch und K n i e f a l l . Noch heute seit dem 7. Jahrhundert hängt das Bildnis des jeweiligen Titularbischofs in seiner römischen Kirche und in allen Kirchen der Stadt das Bildnis des Papstes. Aber auch das Bild Christi muß seit dem 4.— 5. Jahrhundert, o f f e n b a r anschließend an die von den Gnostikern verehrten Bildnisse in der christlichen Kirche erschienen sein, ebenfalls mit der rituellen Hoheit, die dem

Kaiser

zugekommen w a r . D i e Hauptelemente der späteren Christusikonographie gehen darauf zurück: Christus im Purpur mit der Krone, auf dem Thron mit Szepter und Globus, mit erhobener H a n d , auch mit Kreuznimbus, auf L ö w e und D r a chen tretend, gekrönt von der göttlichen H a n d aus der Himmelswolke,

als

Friedefürst in der Majestas — alles stammt aus dem religiösen Kaiserkult. Die

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Studien zur Kunstgeschichte

Konkurrenz mit dem Kaiser, der ja zunächst das Haupt auch der christlichen Kirche ist und seine Würde vor der des imperialen Christus geschwächt sieht, hat ja vielleicht den äußeren Anlaß zum Bilderstreit des 8. Jahrhunderts gegeben. 12 Dodi lagen die Gründe im Religiösen selber. Denn diese Bilder Christi und der Heiligen werden verehrt. Das Bedürfnis nach Bildern schließt das Bedürfnis nach Verehrung und nach Wundern ein. Damit setzt eine Bewegung ein, die ebenfalls — wie die Gegenbewegungen — bis heute nicht abgeschlossen ist. Der radikalen Vergeistigung des Bildgedankens widerspricht der stete Wunsch nach Anbetung und Opfer vor einem Bilde. Audi den Bildern Christi und der Heiligen wird Licht und Weihrauch, Kuß und Kniefall zuteil. J a , sie werden — der antiken Gepflogenheit entsprechend — gesalbt und gewaschen. Schrade zitiert den Bericht, daß in der Mitte des 8. Jahrhunderts Papst Stephan II. ein gemaltes Bild Christi in einer Prozession selbst auf dem Rücken trägt. Während dieses Weges (der seinerseits aus antiken Festaufzügen stammt) werden dem Bilde zweimal die Füße gewaschen. 13 Dem Bilde wird Heilkraft zugesprochen, es soll Fruchtbarkeit bringen, es soll die Rückkehr entlaufener Sklaven erwirken. Man schwört bei einem Bilde, es wird Pate, es blutet, es erscheint lebendig. Das Bild ist heilig, ist zum mindesten (Kollwitz) etwas Höheres. J a , es tauchen die εικόνες άχειροποίητοι auf. Auch dies ist ein antiker Gedanke, wie Schrade feststellt: auch das Athene-Bild, das Anchises mit auf die Flucht nimmt, ist „nicht von Menschenhand gemacht". Jetzt beansprucht das Bild einen ähnlichen Rang wie die göttliche Offenbarung. Ikonen zu malen wird eine Art Gottesdienst, ein Werk der Frömmigkeit, das Exkommunizierten verboten wird. Es kommt (Campenhausen) zu einem religiösen Materialismus, zu einem Aberglauben der Bilderverehrung. Jedenfalls, in allen Werkstätten hängt das Bild Simons, des Säulenheiligen. Handwerker, Frauen, Mönche sind es nach den Quellen, die das Bild, die A n betung, das Wunder wollen. 1 4 Diese Dinge sind heute so aktuell wie vor 1200 Jahren. Und die „Ikonen" sehen so aus wie damals.

ls

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Nach Campenhausen a. a. O. (Bilderfrage) S. 94. — Vorsichtig und sehr genau hat E. Kitzinger die Voraussetzungen und Möglichkeiten zu diesen Entwicklungen (Grabar, Ladner) dargelegt, siehe seinen umfassenden Aufsatz »The cult of images in the age before iconoclasme", in Dumbarton Oaks Papers 8, 1954, 384. — G. Ostrogorski sieht die inneren Gründe für den Bilderstreit mehr in der neuen Berührung mit dem Orient, den Arabern und Juden. (Gesch. d. byzantin. Reiches 2. Aufl., München 1 9 J 2 u. „Les débuts de la Querelle des Images" in den Mélanges Charles Diehl 1930, 235 ff.) Hubert Schrade, Die frübromanische Malerei 1958 S. 4 7 mit vielen geistesgeschichtlich wichtigen Materialien und Gedanken. Uber die Herkunft der ersten kleinen, für die private Andacht bestimmten Heiligenbilder aus dem spätantiken Totenbildnis vgl. jetzt Ad. Weis im Rom. Jahrbuch für Kunstgeschichte 8, 1958, S. 17 f f . : ein vorjustinianischer Ikonentypus in S. Maria Antiqua.

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Theologie der

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Bilderverehrung

Was im Bilderstreit des 8. Jahrhunderts zur Rechtfertigung des christlichen Bildes und seiner Verehrung gesagt worden ist, hat heute noch Gültigkeit, volle Gültigkeit für die Ostkirche, für den Westen gilt sie mit den Einschränkungen, die Rom in seinem Bereich durchgeführt hat. Die Argumente, überhaupt die Sphäre der Diskussion waren vom Neuplatonismus vorbereitet, der von Plato, Philo und vom frühen Christentum herkommend, seinerseits durch Plotin und Dionysios Areopagita die christliche Theologie des Mittelalters bestimmt hat. Mit seiner vielschichtigen Aufspaltung der ομοιώματα, der Ähnlichkeiten und Vergleichbarkeiten, konnte sie dem Bilde jetzt eine geistige Wirklichkeit zusprechen, die früher unmöglich gewesen wäre. Ein Grundbegriff ist die Hypostasis, die Wesenswirklichkeit. Das Bild ist von dem Dargestellten zwar der Substanz nach verschieden, hypostatisch aber, nach Sinn und Bedeutung, gleich. Hierauf kommt es wesentlich an. Das Bild ist etwas anderes, nicht jemand anders (Campenhausen). Wie das Kaiserbild als der Kaiser bezeichnet werden kann (nach Athanasios sind Kaiser und Bild εν τι = etwas Eines), — so ist das Christusbild in seiner Bedeutung Christus. Er ist in der Ikone in seiner ganzen Gott-menschlichen Gestalt vergegenwärtigt und wird als solcher in ihr verehrt. Denn, „die Ehre, die dem Bilde bezeigt wird, geht auf den Dargestellten über" (Johannes Damaskenos nach Basilius). Da Typ und Prototyp in der einen Hinsicht der Ähnlichkeit gleich sind, kommt dem Bilde jene Kraft und Gnade zu, die der Heilige auf Erden hatte. Denn die Gnade (χάρις) des Heiligen bleibt auch nach dem Tode in seinem Leibe, seine Gestalt in den heiligen Bildern, nicht der Substanz nacli, sondern der Gnade und Wirkfähigkeit nach. Durdi solche Bestimmungen wird die Ikone fast etwas wie die Reliquie. Sie weist nicht nur auf die göttliche Wirklichkeit hin, sondern hat an ihrer mystischen Gegenwart Anteil. „Wie das göttliche Wort die leibliche Anwesensheit des Herrn, so ersetzt hier das körperliche Bild das Original". Damit hat, wie Schrade feststellt, das Bild die Fähigkeit des Mysteriums, Christus gegenwärtig zu machen, die sonst nur das Sakrament hat. Es handelt sich fast um eine Incarnation. 15 Die Ikone ist Christus, wie die Oblate Christus ist. Das Konzil von Nicea 787 billigte ausdrücklich, bei der Ikonen Verehrung zu sagen: dieses ist Christus, Gottes Sohn. Wenn „alles Bild ist", so ist diese mystische Gleichsetzung möglich. Allein dabei sind zwei Voraussetzungen zu machen. ι . Das Bild steht nicht auf dem Altar, ist also nicht mit dem Opfer verbunden, es bleibt außerhalb der zentralen gottesdienstlichen Handlung.

"

Dieser Gedanke besonders von Kitzinger eindrucksvoll belegt, sdion im Jahrhundert vor dem Bilderstreit, a. a. O. S. 142 ff.

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Studien zur Kunstgeschichte

2. Das Bild ist immer nur gemalt, nicht Bildwerk. Dieses Maß der Wirkkraft ließ sich nicht auf einen greifbaren Gegenstand, ein Bildwerk übertragen, das wäre der Idolatrie doch zu nahe gekommen. Zwar gab es σύμβολα, Standbilder kleinen Formates, den „guten Hirten" oder den „lehrenden Philosophen" oder „Daniel in der Löwengrube", die ihrerseits auf Christus hinweisen. Aber sie stellten ihn nicht selber dar. Auch gibt es Marmorikonen, die antike Gewandstatuten auf die Fläche projizieren, und kleine Elfenbeintäfelchen, die in feinstem Relief die Muttergottes oder Heilige, auch Christus darstellen, — aber sie haben offenbar keinen Platz in der Kirche. Auf die rundplastische Darstellung wird überhaupt Verzicht geleistet. Sie gilt als zu „materiell" (wie Instrumentalmusik in der Ostkirche als zu materiell gilt). Doch scheint — trotz aller neuplatonischen Gleichnishaftigkeit — eher die Verehrung zu materiell, um sich noch auf ein greifbar gegenständliches Bildwerk aus Stein etwa richten zu dürfen. So gibt es bis heute in der Ostkirche keinerlei Bildhauerkunst. Dagegen hat ja diese Heilsprechung der Ikone auch ihre Form eigentlich unantastbar gemacht. Diese Malerei ist ihrem göttlichen Ursprung entsprechend unwandelbar geblieben. Ihre Weihe erhielt die Ikone nicht durch ihr Aussehen, sondern durch feierliche Salbung und das Aufmalen des Namens. Da aber doch Menschen sie anfertigten, ist sie in hieratische Erstarrung und schematische Verkrustung verfallen. Wie die ganze oströmische Kultur in ihrer Form sakrosankt und daher menschlich geschichtlicher Erneuerung entzogen war, erstarrt und entleert, so auch diese Bilder. Beim Übergang in andere Völker (Balkan, Rußland) gibt es leichte Wandlungen; aber sie widersprechen eigentlich dem kanonischen Wesen dieser Form und erreichen auch nicht ihren Kern. Vielmehr geht alles in der Sphäre frommer Volkskunst auf. In ihrer Volkstümlichkeit liegt schließlich Macht und Wesen dieser Bilder seit iooo Jahren.

Rom im Bilderstreit Vor dem Bilderstreit gehörte Rom zum byzantinischen Reich und zur byzantinischen Kunst. Freifiguren scheint es auch hier nicht gegeben zu haben. In den Riesenbasiliken waren die Wände mit biblisdien Historienbildern bedeckt. An den Sarkophagen wurde die altrömische Sitte der Reliefdarstellung mit christlichen Motiven unter großem Aufwand und mancherlei Wandlungen fortgesetzt. Überhaupt blühte die Reliefkunst mit christlichen „Historien" in Elfenbein, Gold, aber audi in Marmor. 16 Innerhalb der byzantinischen bewahrt die 16

Audi die Goldbildwerke, die Keller im damaligen Rom erwähnt, sind nach Kollwitz' Vermutung eher als Reliefarbeiten anzusehen. Das gleiche dürfte für die aus englischen Quellen nachgewiesenen gelten. Vgl. den wichtigen Beitrag Harald Kellers in der Festschrift für Hans Jantzen 1951 S. 91 ff., „Zur Entstehung der sakralen Vollskulptur in der ottonischen Zeit" mit genauen Belegen und Literaturangaben.

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italienische Kunst eine Sonderstellung. D o d i auch in ihr setzt sich unter starken Vorstößen und Rückgriffen die Entkörperlichung des antiken Bildes fort (besonders erkennbar an der Bildniskunst, die hier nicht einbezogen wird). Im Bilderstreit ist R o m gegen die Ablehnung des Bildes, aber auch gegen seine Kanonisierung. Wenn Johannes Damaszenus (und Nikephoros) den Gesichtssinn für den ersten der Sinne erklärte, so hat R o m damals das W o r t dem Bild nicht nachgeordnet. Es hat vielmehr die Bilder v o m W o r t her, als Lehre aufgefaßt und sie damit in praktischer Weise gerechtfertigt. Bilder, so sagt Paulinus von N o l a , seien die Lehrbücher der des Lesens Unkundigen, und dieser Gedanke wird immer wieder ausgesprochen, am bekanntesten durch Gregor den Großen. Doch lobt Gregor den Bischof von Marseille, der gegen die Bilderverehrung vorgegangen w a r . Das Mysterium und die Verehrung bleiben also praktisch dem Bilde aberkannt. Auch im 6. Jahrhundert, als die Verehrung in den ersten A n sätzen beginnt, die K o l l w i t z aufgewiesen hat, findet sich keine Anerkennung dieser Tendenzen, die im Osten dann allmählich sanktioniert werden. Die mehr praktische Stellungnahme zum N u t z e n des Bildes bezieht sich wohl hauptsächlich auf die „Historien", sie umgeht die ganze tiefsinnige griechische Theologie und läßt sie eigentlich unbeachtet. R o m löst sich nach der Bilderkrisis des Ostens und begründet das römische Kaisertum im N o r d e n neu an Stelle des oströmischen. Im N o r d e n ist dann die A n t w o r t des Westens auf die byzantinischen Entwicklungen gegeben worden, von einer neuen Basis aus und in überraschend neuer Weise. Die Bücher Karls des Großen, libri carolini (um 791), von Schrade ausführlich gewürdigt, setzen dem Gedanken der oströmischen Theologie zwei genau formulierte Positionen entgegen: ι . D e r Gebrauch der Bilder darf und kann den Büchern des Heiligen Geistes nicht gleichgestellt werden. 2. D e r Gedanke der mystischen Stellvertretung des Dargestellten durch das Bild w i r d abgelehnt. Erstaunlich frei und selbständig sind die Begründungen. Das Bild stamme eigentlich aus heidnischer Uberlieferung und habe früher dem Gedächtnis von großen Männern, Königen, Erfindern, Städtegründern, auch von Familienangehörigen gedient. Allmählich jedoch hätten sich Dämonen eingemischt und darauf hingewirkt, daß die Dargestellten als Götter erklärt und verehrt würden. Die Heiligendarstellung auf den Bildern stamme aber keineswegs „ex quadam religione", sondern lediglich „ex artificis operatione". Ja, f ü r den Künstler — einer vollbringe schönere, der andere formlosere Bilder — mache es zunächst gar keinen Unterschied, ob er ein Marienbild oder ein Bild der Venus mit Aeneas fertige. Erst mit der Bezeichnung des Dargestellten, wäre ja die Möglichkeit, es zu verehren, gegeben. D e m Bilde wird also das Mysterium und die Verehrung durch den Gläubigen abgesprochen. Dagegen wird beides zugebilligt den Reliquien, der Heiligen Schrift, den heiligen G e f ä ß e n und dem Kreuz, also geweih-

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Studien zur Kunstgeschichte

ten Symbolen ohne Bildcharakter. Offenbar ist die Gestalt des Gekreuzigten kein Grund für, aber auch keiner gegen eine Verehrung des Kreuzes. Doch wird nur die Verehrung, keineswegs das Bild selbst verboten. Zwar wird (gegenüber Rom) gefragt, ob das Bild wirklich als Belehrung von Nutzen sei. Doch wird einfach anerkannt, daß es Brauch sei, Bilder zu haben. Sie sollen als Historien dem Gedächtnis dienen und — dem Schmuck der Kirchen. Alles das wird mit Sdiriftstellen belegt. Es zeigt sich eine fast an Erasmus erinnernde Freiheit, Grundgedanken und Grundwerte zu wahren, ohne Tiefsinn, vielmehr aus einem praktischen Sinn für das Bedeutende und das Bedenkliche des Überkommenen. Die Klarheit in der Abgrenzung gegenüber Ostrom und die Eindeutigkeit der Formulierungen wird später nicht aufrechtzuerhalten sein.

Das Aufkommen

des christlichen

Bildwerks

Ganz im Sinne der libri carolini urteilt um 1007—20 ein Kleriker aus Angers, Bernhard, als er auf einer Reise in die Auvergne plötzlich dodi in den Kirchen Bildwerke stehen sieht und die Verehrung, die sie genießen. Er betrachtet das als Götzendienst, fühlt sich an heidnische Götteridole erinnert. Sogar im auvergnatischen Bergland Mittelfrankreichs, das wohl kaum zu den schöpferischen Stätten der Kunst ottonischer Zeit redinet, war diese Bilderverehrung schon verbreitet. Von den bedeutenden Gegenden des damaligen Frankreichs fehlt eine solche zufällige Nachricht. Aus Deutschland, vom Rhein und aus Niedersachsen sind jedoch Denkmäler bekannt. Diese Bildwerke sind Freifiguren. Sie sind aus Gold oder über einem Holzkern mit Gold überzogen, — diese Ersatztechnik ist vielleicht bezeichnend. Da es sich dabei um mehrere, weit verstreute Denkmäler handelt, scheint sich allgemein ein Ubergang aus dem Feinhandwerk der Goldschmiede in die Kunst der Bildhauer zu vollziehen. Das noch mittlere Format könnte dem entsprechen. Der Werkstoff spielt jetzt eine andere, nicht mehr die Hauptrolle. Es sieht aus, als begänne hier im Norden etwas Neues. Diese Figuren stehen auf dem Altar oder bei ihm. Sie werden verehrt. Wiederholungen aus früher Zeit und an anderen Orten verraten, daß es sich um Gnadenbilder gehandelt hat. Also gelten die Bilder vielleicht als wundertätig, zogen vielleicht Wallfahrten an. Dargestellt sind vor allem die Muttergottes auf dem Thron, sodann Heilige, — außer ihnen nur Christus am Kreuz. Das hatte es vorher noch nicht gegeben. Was aus früheren Zeiten an vergleichbaren Bildwerken bekannt ist, waren Werke der Goldschmiedekunst. Nur der Gekreuzigte ist schon aus früherer Zeit nachgewiesen, in Metz schon in merowingischer Zeit erwähnt. Um 600 scheint seine Nacktheit noch Befremden hervorgerufen zu haben (Keller S. 73). Jedenfalls ist die Rechtmäßigkeit dieses Christusbildes nie angezweifelt worden, vielmehr wird sie von Bernhard von

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Angers, von den libri carolini, auch in dem Werk „de cultu imaginum" von Jonas Aureliacensis aus der Mitte des 9. Jahrhunderts ausdrücklich bestätigt. Das Kreuz gehört zum Altar, der Körper Christi, meistens sein Kopf, enthielt die Hostie. Der Körper des sterbenden Christus war die äußere Hülle für die Eucharistie, die eben diesen Leib bedeutete. Damit war auch seine Verehrung gegeben. Aber auch die übrigen Bildwerke hatten einen Inhalt, der die Verehrung erlaubte; sie enthielten, soweit wir wissen, ausnahmslos Reliquien. Was wir aus den 100 Jahren um 1000 von Bildwerken an weit verstreuten Plätzen besitzen oder erfahren, hat in jedem Falle Reliquien. Statt des Schreins, der die Gebeine enthält, wird das Bild des Verstorbenen verehrt, doch trägt es in sich noch den Rest von seinem Leib als materiellen Kern, den die ottonische Zeit (mit dem Grabkult ihrer großen Kryptenanlagen) noch braucht. Die Bildwerke stellen aber nicht immer diejenigen Heiligen dar, von denen ihre Reliquien stammen. Die Verehrung der Reliquien, die in jenen Jahrhunderten blühte, war in den libri carolini auch ausdrücklich geboten. Dennoch ereifert sich Bernhard von Angers anfangs. In der Tat ist hier etwas Neues entstanden. Nicht die historiae (die im frühen 9. Jahrhundert der Bischof von Turin noch am liebsten abgekratzt und zu Staub zerrieben hätte, — Schrade), auch nicht die kostbaren Goldschmiedewerke in Rom oder England, auch nicht bloße Reliquiare, sondern körperhafte Bildwerke, Darstellungen von Körpern, Gegenwart von Leibern, vor denen das Knie gebeugt und die Weihrauchfässer geschwungen wurden, damit hat das neue Jahrtausend eingesetzt, das die Kunst der Gotik bringen sollte. 17 In den libri carolini ist zuerst vom Künstler als einem wesentlichen Faktor für ein Bildwerk die Rede. Bei Bernhard von Angers spielt der Gedanke an ihn eine ziemliche Rolle. Das Bild erscheint als eine künstlerische Vergegenwärtigung. Eines Tages wird es überflüssig, ja sinnwidrig sein, dieser Gültigkeit noch durch die sakramentale Wirkkraft der Reliquie Leben und Verehrungswürdigkeit einzupflanzen. Das ottonische Bildwerk in seiner komplexen Gebundenheit wird in der „romanischen" Kunst dem reinen Bildwerk des Heiligen weichen, mit andern, nicht mehr mit materiell-mysterienhaften Rückhalten.

Gotik Imago — das körperliche Bild des Menschen als Bild des Göttlichen oder des Heiligen, das ist in unserer Geschichte seit dem Altertum nirgends so hoheitsvoll verwirklicht worden wie in der Gotik. 17

Schrade betont in einem ergebnisreichen Aufsatz „Zur Frühgeschichte der mittelalterlichen Monumentalplastik" in Westfalen 3$ 1957, S. 33 ff., daß nicht die Reliquien das Agens zur Entstehung der neuen Bildwerke seien. Dies ist richtig; doch scheint ebenso richtig, daß eine Freifigur in jener Zeit ohne Reliquien-Inhalt noch nicht möglich war.

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Studien zur Kunstgeschichte

Sie hat damit etwas so Unvergleichliches geschaffen, daß es ein Hauptgedanke jener schöpferischen und nachdenkenden Zeit sein müßte, was ein Bild ist. Direkt über diese Frage ist jedoch offenbar wenig geäußert worden. Die Quellen sind noch immer fast ausschließlidi kirchlich. Trotz gelegentlicher Abweichungen bleiben sie bei aller Strenge des Denkens einseitig und einheitlich. Die reiche und leidenschaftlich ausgreifende Geistigkeit außerhalb der Kirche bleibt, was direkte Aussagen etwa der Dichtung zu jener Frage anlangt offenbar unergiebig. Ohnehin läge das Schwergewicht auf dem Religiösen, dem Kirchlichen, dem Theologischen. Allein auch diese Theologie hat einen anderen Charakter angenommen. Vielleicht spiegelt sich die Auffassung der Kirdie selber am ehesten in der Liturgie wider. In den liturgischen Gebeten steht Alt-Überkommenes neben Aktuellem. So wird es, während nicht mehr Gültiges ausscheidet, innerhalb des Gottesdienstes vor der Gemeinde vertreten, f ü r die diese Gebete gesprochen werden. Die sorgfältige Untersuchung von W. Dürig ermöglicht einen Uberblick, sie gibt für jede der angeführten Stellen die genauen Belege. Es gibt Gebete f ü r die Weihe von Bildwerken. Jedoch ist es von Bedeutung, daß sie sich bis ins hohe Mittelalter nicht auf Christusbilder beziehen, sondern nur auf Heiligenbilder. Ein aus früher Zeit stammendes Gebet sagt: „Du verbietest es nicht, Bilder oder Bildnisse (imagines seu effigies) Deiner Heiligen zu schnitzen oder zu malen". Hier scheint eine überwundene Problematik oder Polemik nachzuklingen. „Segne dieses zur Ehre und zum Gedächtnis des hl. Martin gemalte oder geschnitzte Bild (imaginem seu sculpturam)". In der liturgischen Feier, die ja selbst bildlich zu verstehen ist, entspricht die sichtbare imago der mit dem geistigen Auge zu schauenden Gestalt des geschichtlichen Heiligen. Denn imago wird schon in Texten aus dem 7-/8. Jahrhundert geradezu in der Bedeutung von „Zeichen" oder „Symbol" gebraucht, etwa f ü r das Zeichen des Kreuzes, das die Hand des Priesters macht, oder als bildlicher Vollzug: „Was wir unter dem Bilde des Sakramentes (in imagine sacramenti) vollziehen, bitten wir einst in wirklichem Genuß zu erhalten." Hier bedeutet Bild nicht nur die rituelle Handlung, sondern darin schon die substantielle Teilhabe, ja das Unterpfand (μετοχή, pignus). 18 Audi kommt imago in der Liturgie als Ebenbildlichkeit Christi vor, die dem Erlösten in der Gnade zuteil wird. Doch am häufigsten bedeutet imago die Ebenbildlichkeit des Menschen zu Gott gemäß den drei Genesis-Stellen. Es wird dabei unterschieden zwischen „imago D e i " und „ad imaginem Dei". Der Mensch ist Nachbild Gottes, aber nicht des Vaters, sondern des Sohnes. 19 Doch werden die Unterschiede zwischen imago und similitudo, die die frühe philoniscli-gnostisch beeinflußte Theologie mit ihrer Zwischenstellung des Logos zwischen Gott und Welt eingeführt hatte, 18 19

s. Dürig a. a. O. S. 63 ff. (imago im Kultmysterium). s. Dürig a. a. O. S. 92.

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und die in der Dogmatik eine Rolle spielten, in der komplex vereinfachenden Sprache des Gebetes nicht mehr gemacht. Der Mensch ist Herr der Schöpfung als Bild Gottes, so wie ein irdischer Herrscher sein Bild als Hoheitszeichen aufrichtet. Ja, der Leib (und z. B. die Hand) des Menschen wird in den Gebeten als Geschöpf Gottes bezeichnet im Gegensatz zu der abwertenden Auffassung des Leiblichen in der Spätantike. „Adam ad specimen Dei decoris animatus" — darin liegt wohl in der Sprache des Mittelalters eine Anerkennung menschlicher Schönheit. Neben neueren Formulierungen bleibt oft die biblische oder patristische Sprache des Altertums in den Sätzen der liturgischen Gebete stehen. Bestimmte andere, nicht mehr gültige Wendungen werden fortgelassen. So wird im Gegensatz zur Ostkirche niemals etwas von einer Wunderkraft des Bildes erwähnt. Läßt die Verwendung des Wortes „imago" in der Liturgie mancherlei Rückschlüsse zu, so gibt Thomas, die hödiste Autorität gotischer Geistigkeit, direkte theologische Bestimmungen. Verglichen etwa mit der Eindeutigkeit der libri Carolini sind seine Formulierungen jedoch überraschend andersartig. Thomas zerlegt und überträgt nach Möglichkeit „imago". Der Begriff wird entkräftet als „vollkommene Ähnlichkeit" und ersetzt durch „figura substantiae eius" (insofern figura und substantia ihre eigene vielschichtige Bestimmung und ihren bezeichnenden Platz im Ganzen des Systems haben). Die Lehre von der Schöpfung wird entsprechend, ohne daß sie übrigens zwischen „ad imaginem" und „similitudinem nostram" Gen. 1, 27 unterscheidet, unter Ausschaltung des „imago"-Begriffes verstanden. Eine „Gleichheit" könne (anschließend an Augustine ähnliche Aufspaltung von „imago") nicht in Betracht kommen, da ja das Urbild das Nachbild unendlich überstrahle (wie es bei den frühen Theologen schon heißt). Es handle sich vielmehr um ein Verhältnis ähnlich dem Bilde des Königs auf einer silbernen Münze, eine „repraesentatio speciei". In all diesem sieht Kollwitz, dem idi hier folge, eine Aufnahme von Gedanken der griechischen Theologie, wie es ja audi Johannes Damaskenos übernimmt, den Thomas neben den griechischen Vätern anführt. In anderer Weise hat Thomas imago als Begriff entwertet, indem er „die Bilder" nur anerkennt, insofern sie das Gemeinte bezeichnen (significare). Ein Bild stellt für Thomas nicht dar, sondern bezeichnet nur (so wie etwa ein Symbol, also ein Zeichen, etwas bezeichnet). Das Bild wird zum bloßen signum (natürlich in ganz anderem Sinne als das antike signum = Götterbild, σημα). Sodann wird der Ähnlichkeitsbegriff nochmals abgeschwächt, indem er auf das Wort übertragen wird: Bilder sind anzuerkennen, insofern sie dem Wort ähneln. Somit sind beide Verkündigung, beide dienen der Vertiefung des Glaubens. Auch in der Frage der Bilderverehrung greift Thomas in auffälliger Weise zurück. Dem Christusbilde gebührt sogar die adoratio! Ihm gebührt die gleiche Verehrung wie Christus selber. Die Einschränkung „dem Bilde nicht als Sache, als Stück Holz, sondern als Bild", führt an dem Problem vorbei und wieder

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Studien z u r Kunstgeschichte

zurück auf das Bild (denn auch einen Menschen verehre ich nicht als Knochen und Fleisch, sondern als Menschen), w o die Frage erst eigentlich beginnt. Auch hier denkt Thomas griechisch, wie Kollwitz feststellt. Das Wort des Basilius, das die libri carolini ausdrücklich abgelehnt hatten, dient ihm zur Begründung: „die Ehrung eines Bildes bezieht sich auf das Urbild". Das Bild hat nicht die Wirkkraft des Heiligseins, kein eigenes numen. Doch kann es, aber nur das Bild Christi, im Sinne der „vollkommenen Ähnlichkeit" verehrt werden. Thomas denkt hier ähnlich theoretisch wie Augustin, doch enthält sein zergliederndes Denken eine konstruktive Richtung. Nicht die Einzelaussage, sondern ihre Stelle und Funktion im A u f b a u des Systems ist entscheidend, von daher gewinnen die einzelnen Begriffe ihren ganzen Beziehungsreichtum. Auch die mancherlei Ubernahmen von Früherem und Fremdem sind in diesem Sinne durchdacht. So schließen seine abschließenden Formulierungen ebenfalls an die praktisch-lehrhaften Gedankengänge früherer Zeiten an, doch in einem durch ihre systematische Stellung gewandelten Sinn. Thomas erkennt das Bild an i . „ad instructionem rudium" und greift damit auf die römische Praxis, auf Gregor den Großen, Paulinus, Nilus zurück (die aber keine Verehrung zugelassen hatten!), 2. zur Stärkung des Gedächtnisses: „die Mysterien der Menschwerdung und das Beispiel der Heiligen wirkten kräftiger, wenn sie täglich vor Augen ständen" (die immer anerkannte Historiendarstellung) und 3. „ad excitandum devotionis a f f e c tum", denn Frömmigkeit werde stärker durch Geschautes als durch Gehörtes angeregt. E r konnte sich hier auf Germanos von Konstantinopel (Campenhausen), auf Nikephoros (Schrade), auf Johannes Damaskenos berufen, ebenso wie Bonaventura es tat, indem er sagte, die Malerei bewege den Sinn stärker als die Schrift. Bonaventura stimmt in seinen Anschauungen ziemlich weitgehend mit Thomas überein, auch was die Verehrung des Christusbildes betrifft. Die Liturgiker der Gotik hat Kollwitz untersucht, besonders den spätesten der bedeutenden, Durandus (f 1296). Bei ihm wird, was Philon begonnen hatte, zu einem künstlerisch-denkerischen Gesamtgefüge, in dessen Zusammenklang alles Einzelne aufgeht. Nicht das Christusbild selbst, nicht das σύμβολον, die Ikone und ihre Fragen werden berührt, sondern ihre Teilnahme an der Vergegenwärtigung der gesamten Heilsgeschichte, die gleichzeitig Weltgeschichte ist. Alles erscheint kunstvoll und vielschichtig, analogisch und typologisch verflochten in mehrgliedrigen, o f t dreifachen Zusammenhängen und Beziehungen. Das Einzelne, damit auch das Bild, auch das Evangelium selbst gliedert sich auf in das systematisierende Denken der Gotik, in das kosmologisch-heilsgeschichtliche Beziehungsnetz. A n die Stelle des Bildes und auch des Textes ist die Interpretation getreten, Deutung und Anwendung in der Weise des Neuplatonismus, doch architektonisch konstruiert. Dieser universalen summa getreu folgend hat Mâle seine Kathedrale und ihren Bilderschatz beschrieben, als sei eine solche bloß dichterisch-denkerische Deutung schon Grund und Kern des Bildes in der gotischen Kunst.

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Ein sehr altes Marienbild, das von Wallfahrern verehrt wurde, war der Kern der großen Kathedrale in Chartres. Wallfahrerstraßen waren eine jener internationalen Regionen gewesen (audi die einzelnen Orden waren solche Regionen), in denen die „romanische" Kunst sich entfaltet hatte — bevor dann die Gotik alles in die eine Schöpfung zusammenfaßte. Die Kathedrale nahm die alten Bilder in sich auf, die wundertätigen Ortsheiligen, die aus der Ferne stammenden „schwarzen Madonnen" und die ehrwürdigen strengen Bilder des Gekreuzigten hoch über dem Altar. Manchen von ihnen gab sie audi eine neue Gestalt. Aber all dieses Überkommene ließ sie aufgehen in ihrer eigenen Schöpfung der Kathedrale und ihrer großen Bildwerke außen vor der Kirche. Dies ist das Bild, das sie selbst hervorgebracht hat. Auch außen ersdieint Christus, er thront in der Majestas der apokalyptischen Vision sdiwebend zwischen den vier Wesen oder strafend und lohnend inmitten des Jüngsten Gerichts. Doch stammten die Bogenfelder über den Portalen nodi aus der Vergangenheit, aus der Flächenkunst, vielleidit letztlich aus der Malerei. Im Mittelalter, das im symbolisdien Sinne materiell denkt, macht es einen tiefen Unterschied, ob das Bild in den „umbrae" der Malerei, dem Schattenhaudi flächiger Darstellung oder als Bildwerk gearbeitet ist. Allerdings sind die Christustympana der Gotik schon herausgehoben durch Geist und Gestalt der bildnerischen Monumentalität, die sich unter ihnen beiderseits der groß geöffneten Portale zeigte. Denn jetzt gab es das monumentale Bild, das Denkmal in Menschengestalt, darin besteht die Schöpfung der Gotik. Christus oder die Gottesmutter, audi wohl ein Heiliger stehen überlebensgroß am Mittelpfosten des Hauptportals. Sie werden nicht verehrt. Zusammen mit dem Chor der großen Gestalten neben ihnen, den Vorfahren Christi, Heroen des Alten Testamentes, den Propheten, den Aposteln gehören sie zum Ganzen der Kathedrale. Aus den Gliedern ihrer Architektur — verbunden mit ihnen — treten sie hervor. Dies ist das „Bild" in der Gotik. Keins dieser Bilder, weder die gotisch erneuerten Gnadenbilder noch die steinernen Gestalten am Äußeren haben Reliquien in sich. Das war in der Kunst schon vor der Gotik überwunden, eine der Voraussetzungen, auf denen die Gotik aufbaute. Wenn die ottonische Zeit das einzelne Bildwerk schaffen konnte, so nur als menschliche Gestalt der Reliquie im Inneren, als Menschenbild, dessen Kern immer noch der von jeher anerkannte Gegenstand der Verehrung war, die Reliquie. Es hatte in seiner Neuartigkeit offenbar noch dieses materiellen Kerns bedurft. Das ist jetzt überwunden. Z w a r gibt es zahlreiche gotische Bildwerke mit Reliquien, das gehört zu den alten, im Volkstümlichen bewahrten Elementen, die die lebendig sich wandelnde Geistigkeit der Kirche mit sidi trägt und behält. Aber ihrem Wesen nach wird die Verehrung der Reliquie, des tatsächlichen Restes, des Knodienteils, der die Anwesenheit des Verehrten symbolisch materiell ver1

Bauch, Studien

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Studien z u r Kunstgeschichte

bürgt, in der Gotik vergeistigt. A n die Stelle der Reliquie tritt das Bild. 2 0 Sein Wesen als Bild, als künstlerische Verwirklichung in menschlicher Gestalt, gibt dem Gedächtnis Leben und Gegenwart. Z w a r gibt es immer wieder Zeiten einer Zuwendung zu den Reliquien. Doch so wie die K r y p t a in der Gotik abgeschafft wird (und damit der Kult des Grabes mit den tatsächlichen Gebeinen der Heiligen), so hat die Gotik den Reliquienkult überwunden. Ihre Frömmigkeit geht mehr in die Höhe als in die Tiefe. Die hl. Anna im Chartreser Nordportal (Abb. i ) ist wahrscheinlich — etwas außerhalb des Marienprogramms — aufgestellt zu Ehren einer Reliquie von ihrem Schädel, die der Kathedrale einige Jahre vorher aus dem Osten mitgebracht und gestiftet worden war. Nicht in ihr ist dieser geweihte Rest. In ihrer edlen Erscheinung vergegenwärtigt sie vollgültig die Mutter der Gottesmutter. Ihre Gestalt ist eng mit byzantinisdien Reliefs etwa der Jahrtausendwende zu vergleichen und mittelbar wohl nicht ohne derartige Voraussetzungen entstanden (Abb. 2) Das monumentale Bild des Menschen der christlichen Gotik ist in einer Begegnung mit dem Menschenbild des Altertums entstanden, die ungeheure Entfaltung des 12. Jahrhunderts hat das ermöglicht. Ob über die Provence, über die von den Kreuzfahrern gebrachten Reliefs in Elfenbein oder Edelmetall oder über die byzantinisch geschulte Goldschmiedeplastik an Rhein und Maas, — was alles von antiken Werten im Byzantinischen aufbewahrt war, ist damals plötzlich wieder sichtbar und wirksam geworden. Damals ist ja auch Aristoteles — aus der jüdisch-arabischen Überlieferung — plötzlich wieder aufgenommen worden, zum ersten Male nicht bloß zitiert, sondern denkerisch bewältigt und angeeignet. Das geschah nicht im Sinne eines in sich selbst gegründeten Wissens um Natur und Geist, einer aus sich selbst verständlichen Wissenschaftslehre, vielmehr durchaus umgedeutet und eingearbeitet in das unantike, anti-antike Denksystem der Scholastik. Ähnlich sind die neuen Elemente des Altertums von der Gotik eingefügt in eine Bildnerei, die ihrerseits völlig aus Eigenem erwachsen war, nämlich aus dem Gesamtgebäude der Kirche, schrittweise sich aus dem Relief und aus der Säule lösend innerhalb eines rein mittelalterlichen Vorgangs. Die antiken Formen erscheinen jetzt an einer gotischen Bildsäule ohne eigene Basis, ohne eigenen Stand und eigene Verständlichkeit, vielmehr aus einer neuen plastisch-architektonischen Gesamtform her entwickelt. Auch Thomas nimmt in seine Gedankengänge über das, was Bild ist, immer wieder griechische Formulierungen auf. Das, was „imago" heißt, hatten die „libri carolini" f ü r die westliche Geistigkeit begründet, die sich im Norden entfalten sollte. Dies w a r inzwischen in einer Fülle und Weite geschehen, daß Thomas in

M

Einen ähnlichen V o r g a n g (doch innerhalb einer anderen Ebene) sieht Grabar 3 4 3 f f . ) im 6-/7. Jahrhundert, v g l . Kitzinger

a. a. O . S. 1 1 5 .

(Martyrien

II

Imago

I?

seinen Bestimmungen weitmaschig und unsubstantiell wird, indem er den ganzen Reichtum der neuen Bildung und Kunst in seine religiöse Deutung faßt. So hebt er die klar gefaßten Gegensätze auf und bringt alles in eine Richtung, in das Gesamtsystem seiner Lehre. Seine einzelnen Bestimmungen haben ihren Sinn in erster Linie als Funktion innerhalb des ganzen anagogischen, aufwärts gerichteten Systems. Dieser komplexe Geist deutet die Fülle und Macht der gotischen Bildschöpfung. Es ist nicht so, daß eine in sidi vollständige Geistigkeit vorläge, als deren Auswirkung oder Abglanz die Kunst entstände. Was damals — gegen Katharer und Zisterzienser — in und an der Kathedrale errichtet wurde, ist mindestens ebenso originär schöpferisches Christentum wie die Scholastik oder überhaupt die Theologie. Die Bereiche sind miteinander nur in der Analogie zu verknüpfen. Unmittelbar sagt Thomas wenig zu der großen Bildkunst seiner Zeit, so wenig wie die Musiklehre damals von der kirchlichen Musik selber etwas aussagt. Allein seine Denkweise spiegelt die Gotik wider, und nicht nur deren kirchliche Baukunst: ihr kunstvoll und kühn aufsteigendes Gefüge, die Zergliederung und Überhöhung, die ständige Übertragung und Verstrebung, die Entstofflichung und Vergeistigung alles Einzelnen, seine Verknüpfungen und Steigerungen über sich hinaus, die vielerlei Entsprechungen und Ähnlichkeitsbeziehungen. Mystik und Ratio, Glauben und Denken scheinen sidi gegenseitig im Scheitelpunkt alles Zusammenhängens zu treffen und zu sichern. Bildlos war die Kunst des Orients und bildlos die der nordischen Völker gewesen. Die alte Vereinigung mit dem Römischen, historisch aber erst der neue Rückgriff darauf ließ aus dem eigenen Stamm das Bild als Bildwerk erwachsen zu eigener Gestalt. So ruht Eigenes und Altes in dieser Geistigkeit, in der gotischen Bildkunst sowohl wie im Denken darüber. Darin liegt die Aktualität, die heutige Dialektik all dieser Fragen. Der Wunsch des frommen Volkes nach Anbetung, nach Wunder, nach Anschauung, hat seine eigenen Gesetze — auch wenn das Bild „beim Vollzug der Mysterien unseres Heils keine Aufgabe hat" (Dürig). Auch heute wird das Bild durch den Liturgen offiziell „durch Gruß verehrt" und werden „Altarbilder, auch wenn sie ohne Reliquien sind, inzensiert". Thomas weitgespanntes Denken schließt dies nicht aus, — eine Synthese nicht nur von Nord und Süd, sondern eben auch von West und Ost. So konnte aus Christus der Beau Dieu der Kathedralen werden, der das Christusbild noch der Gegenwart bestimmt. Luther hat dieses Bild bestehen lassen, erst Calvin hat den strengeren Anspruch der alten Lehre wieder erhoben und durchgesetzt. Das Denkmal Farels, des Bilderstürmers, steht in Neuenburg, die zertretenen Bilder unter den Füßen. Aber jede religiöse Bewegung lebt auch in ihren Gegnern als Möglichkeit, als Zweifel, Frage oder Wunsch. So hat diese protestantische Religiosität dann im 19. Jahrhundert Christus undarstellbar gemacht in allen Kirchen.

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Studien zur Kunstgeschichte

Für die katholische Kirche liegen hier ja ebenfalls keine theologischen Fragen mehr. Seit im Trienter Konzil Thomas' Positionen ungefähr aufrecht erhalten und — infolge der A n g r i f f e mit genauerer Begrenzung — neu bekräftigt worden sind, wird das Problem theologisdi nicht mehr behandelt. Seit dem 19. J a h r hundert sind dies praktische Fragen, die sich aus der Entbildlichung der Welt überhaupt und andererseits aus der historischen Restauration ergeben. Vorstöße der liturgischen Bewegung, das Bild ganz aus der Kirche zu entfernen, die wieder ein Bereich symbolischer Geltung werden soll, hat Pius X I I . abgewiesen. Die alten Bilder sind vorhanden und ihnen wird schon wegen ihres Alters, wegen der Weihe, die ihnen die geschichtliche Überlieferung verleiht, die geschuldete Ehrfurcht zuteil. Bisweilen, wie in dem durchaus gegenwärtigen Kultbau von R o n champ wird die Fragwürdigkeit soldier Traditionen aktuell: das alte Bild dort läßt sich in diesen Bau nicht wirklich aufnehmen. Wie aber ein neues Bild erscheint, das ist heute mehr eine Frage des Geschmacks oder der Wirkung statt der religiösen und künstlerischen Wirklichkeit.

Kunst als Form 1 1952

Jeder weiß, was mit Form gemeint ist, dennoch wird sehr Verschiedenes darunter verstanden. Mit einer Definition soll nicht begonnen werden. Die Wortgesdiichte sagt, daß Form von ferire = stoßen, hauen, schlagen stammt, auch im Sinne von Münzen schlagen. Forma ist noch der Münzstempel — also wie τύπος (von τύπτειν, schlagen). Jedenfalls kommt das Wort aus diesem Bereich der Metallarbeit, der Toreutik, der τέχνη. Wir könnten es übersetzen etwa mit „Prägung". Was meinen wir mit Form, wenn wir von Kunst sprechen? Vielleicht läßt sich das am ehesten ermitteln, indem davon ausgegangen wird, was sich der Form alles entgegenstellt. Das ist mannigfaltig. Von vier verschiedenen Seiten her soll versucht werden, sich der Sache selber zu nähern. Die erste Gegenüberstellung — es könnte ebensogut die letzte sein — heißt: Form und Nicht-Form, also im Sinne der bloßen Verneinung Unform, Formlosigkeit. Bestimmter gefaßt ist die zweite: Form gegenüber Raum. Nochmals in einer anderen Schicht bewegt sich die Frage: Wie verhält sich Form zum Stoff? Die letzte Gegenüberstellung (es könnte auch die erste sein) ist dann: Form im Verhältnis zum Inhalt.

I Form und Formlosigkeit — dies betrifft Geformtes überhaupt. Wo beginnt es? Von wo ab sprechen wir überhaupt von Form? Was meinen wir im allgemeinsten Sinne mit Form, wenn wir von Kunst sprechen? Wir meinen jedenfalls etwas Bewirktes, von jemandem Bewirktes. Form beginnt mit dem menschlichen Werk gegenüber der Natur. Damit schließen wir von uns aus das aus, was die Natur an Form hat. Die Naturwissenschaften sprechen von Struktur, von Morphologie, von Naturfor1

Eingehendere Begründungen und Belege sollen in anderem Zusammenhange gegeben werden. Die wichtigste zitierte Literatur ist am Schluß auf Seite 38 angeführt.

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Studien z u r Kunstgeschichte

men. Das hat seine Berechtigung und Geltung. Über die bloße Feststellung und Beschreibung hinaus liegt hier ein tiefer und moderner Ansatz, die Natur zu sehen. Ja, die vollendete Form einer Blüte oder eines Kristalls, bestimmte Formgesetzlidikeiten wie Polarität und Symmetrie offenbaren Grundwerte, die allgemeinste Bedeutung haben. Von ihnen kann jedoch bei unserer Frage nach der Kunst als Form nicht die Rede sein. Insofern für uns Form hier zunächst Geformtes ist, also von jemandem Geformtes, menschliche Formung, handelt es sich bei der Natur um eine Übertragung unseres Begriffs in eine andere Sphäre (im Sinne eines Schöpfers). Wenn wir beim Menschlichen bleiben, bleibt Natur dazu im Gegensatz, bleibt ohne Form. In diesem allgemeinsten Sinne hat schon ein Weg oder eine Straße in der Natur menschliche Form. Wir fühlen uns davon anschaulich angezogen, heute jedenfalls. Eine Autobahn durchläuft das Land, nidit von Ort zu Ort, sondern daran vorüber zu fernen Zielen hin. Wenn wir einmal eine Landschaft als ungeformt auffassen wollen, so ist die Straße Form. Durch sie gewinnt eine bloße Gegend Richtung, menschliche Züge. Von solcher bloßen Geformtheit spricht Goethe in der Übertragung. „Den Neueren fällt es schwer, sich über die Formlosigkeit zu erheben". Für diesen griechisch umfassenden Anspruch war alle Kunst seit dem Altertum formlos — also grundsätzlich verfehlt. Die Gegenstellung war Herders Sdirei nach „Chaos, Chaos, Chaos!" Er forderte Sinnlichkeit, Ursprünglichkeit, — Natürlichkeit. Wir noch pflegen an Grünewald, an Beethoven, an Nolde die Urgewalt ihrer Natur hervorzuheben, — statt des Wunders, daß sie dafür eine gemäße Form gefunden haben! Wenn wir Goethe wörtlich nehmen, stellt er einen kategoriellen Anspruch: Form überhaupt oder Formlosigkeit. Von der Grundfrage bis zum höchsten Anspruch gilt dieser allgemeine Gegensatz von Geformtheit gegenüber dem Ungeformten. II Etwas anderes ergibt sich, wenn gefragt wird: Was ist Form gegenüber Raum? Hier wird das, was nicht Form ist, keineswegs verneint. Es ist sachlich bestimmbar, nämlich als das, was um die Form herum ist, als Raum. 2 In den Raum erhebt sich die Form. Form besagt hier etwa das, was wir meinen, wenn wir von „weiblichen Formen" sprechen. Es ist das, was der Bildhauer mit Form bezeichnet. Der Bildhauer Adolf Hildebrand hat über diese Form ein Buch geschrieben, „Das Problem der Form". Vor einer Fläche als Hintergrund oder über einer Fläche als Untergrund tritt die Form vor in den Raum: als Körper. 2

Es wird hier nur von der Bildnerei gesprochen, für Malerei (und Baukunst) gälte alles in entsprechendem Sinne.

Kunst als Form

In diesem Sinne ist Form verwirklicht etwa schon in einem Dolmen, einem Menhir. Aus vorgeschichtlichen Zuständen stammend, bis 9 m hoch, haben diese Steingebilde einem ganzen Zeitalter den Namen gegeben, dem Megalithicum. In ihnen gewinnt durch menschlichen Eingriff die Landschaft einen menschlichen Zug. An einem bestimmten Punkt aufgerichtet, erhebt sich ein Menhir über die Ebene, den Raum um sich beherrschend oder bestimmend. Doch ist das nicht nur ein Zeichen oder ein Signal, es ist auch eine Form. Es formt sich als Körper. Das heißt, daß sich darin etwas verkörpert. Es muß nicht ein Phallus sein, wie Kaschnitz vermutete, es muß auch nicht ein Mann sein, ein „Mandl", wie man im Gebirge derartige Steinmale nennt. Jedenfalls verkörpert sich hier ein Mal. Solche Male sind noch die Obelisken. In jedem unserer Denkmale ist im Kern etwas davon, von solcher Grundform des aufgerichtet Körperhaften. Solche Form meinen wir auch, wenn wir von ihrem Negativ, einer Gußform 3 oder einer Sandform sprechen. Die Hohlform entspricht in ihren Ebenen und Wölbungen der Körperform. Was ihnen gemeinsam ist, ist die Form. Form ergibt Form, sie formt. Denn das Hervortreten aus der Fläche in den Raum vollziehen ja auch die einzelnen Formen des Körpers. Indem der Bildhauer die Flädie beseitigt, tritt die Form aus ihr hervor. Michelangelo sagt, sie trete heraus wie aus dem Wasser. Indem sich dessen Spiegel senkt — die Arbeitsebene des Bildhauers, die Sehebene des Betrachters — hebt sich Zoll für Zoll die Form in den Raum, sie wird greifbar. Es entsteht ein Körper mit seinen Wölbungen und Eindellungen, den Rundungen und Vertiefungen, wie sie zwischen den Raumpunkten liegen. In der ausgehauenen Form gewinnt dabei nicht nur der Körper Gestalt, sondern von ihm her, als sein Widerspiel, auch der Raum, der um ihn ist.

III Ein Anderes ist Form, wenn wir als seine Entsprechung etwas Weiteres annehmen, den Stoff (im Sinne von Materie, Material, von Werkstoff). Marmor hat für uns keine Form. Mag es die erstarrte Masse eines einst flüssig bewegten Kalkes sein und von daher für die naturwissenschaftliche Morphologie sein inneres Gefüge besitzen, — von unserem Blickpunkt aus ist der Berg nichts als Gestein, und der Baum, eine der herrlichsten Naturerscheinungen, ist nichts als Materie, Stoff, also Holz. Es enthält die Bestimmung, geformt zu werden. Es ist formbar. Nicht alle Formungen läßt sein Gefüge zu, nur einzelne, andere wieder nicht. So nur, also niemals bestimmend oder mitwirkend, sondern höchstens ermöglichend oder ausschließend — kann es an der Formung teilhaben. So gilt hier Stoff nur als Masse. Aus ihr wird geformt, nämlich gehauen, ge3

vgl. die zitierte Arbeit von E. Auerbach, Figura.

Studien zur Kunstgeschichte

prägt — damit wird der Stoff umgrenzt, eingefaßt, umrissen. Er wird dadurch als Masse, als bloßer Stoff zum Verschwinden gebracht. Der Menhir, der Obelisk ist als Körper eine Form, aber immer noch ein Stein. Ein Standbild, eine Männerstatue etwa, ist kein Stein, sie besteht nur nodi daraus. Denn das Steinerne ist jetzt nach allen Seiten hin abgegrenzt. Nach allen Seiten, nach vorn und nadi hinten, nach oben und unten schließen die Umrisse. Der Umriß, die allseitige Grenze, hat allein Zusammenhang und Geltung, der Stein nicht mehr. Der Umriß ist die Grenze des Stoffes. Für Michelangelo war Bildhauerei ein Sonderfall des Zeichnens. Maillol sagte: ein Bildwerk stimmt dann, wenn alle Umrisse stimmen. Doch was ist in diesen Umrissen enthalten? Was wird eingegrenzt? Was wird als Form aus dem Block umrissen, herausgerissen? Wessen Umrisse entstehen dabei? Wir nennen dies das Bild. Die Form, die dem Chaos etwas Menschliches entgegenstellt, die im Raum den Körper errichtet, macht aus dem Stoff das Bild. Dieses Bild muß jedoch schon vorhanden sein, bevor es beim Aushauen Form gewinnt. Bilden, das heißt kneten, modellieren ganz wie πλάττειν (Plastik) und fingere (Figur). Die drei Worte haben ursprünglich audi die Bedeutung von erdichten, vertauschen, einbilden, fingieren; dodi ist offenbar die Grundbedeutung etwas aus Erde, Ton, Wachs hervorbringen. Was daraus wird, entsteht also nicht aus dem Stoff, indem er eingegrenzt und weggeschlagen wird. Unabhängig von der Masse des Stoffes, von seiner Größe, seinem Gefüge, seiner Schwere, seiner Härte wird es zusammengeknetet. Vielleicht wird es gar nicht einmal geknetet, sondern auf Papier skizziert, vielleicht nicht einmal das, sondern nur eingebildet, erdichtet, vorgestellt. Alles dies ist im Verhältnis zur Form der Entwurf. Er liegt dem Bild, das der Bildhauer aus dem Stein heraushaut, zu Grunde. Aber wessen Bild ist das? Das Bild des Menschen. Das Bild des Menschen entwerfen, erdichten, erkneten ist von Anbeginn an die Aufgabe aller Kunst. Alles geht zum mindesten aus von diesem Bild. „Wir wissen", sagt Goethe, „von keiner Welt als im Bezug auf den Menschen, von keiner Kunst, die nicht Bild dieses Bezuges ist." Der Entwurf wird im Stoff, etwa im Marmor verwirklicht. Gemäß seiner Einbildung bildet der Künstler ihn der Masse ein, indem er die Form als Bild umreißt. Stoff und Entwurf verschwinden dabei im Bilde. . . . Si come per levar, donna, si pone in pietra alpestra e dura una viva figura che là più cresce u'piu la pietra scema . . . . . . Wie wenn man durch Wegnehmen erstellt im harten Felsgestein ein lebendiges Bild, das je dort erwächst, wo je der Stein schwindet...

Kunst als Form

Indem Michelangelo jenen Vergleich mit der Wasserfläche zieht, aus deren sinkendem Spiegel sich der Körper des Bildwerks erhöbe, fügt er hinzu: das Bild sei sozusagen im Block schon vorher vorhanden. Der Künstler müsse es aus seiner Gefangenschaft im Stoff erst erlösen. Das klingt mittelalterlich: die Idee das eigentlich Wirkliche, das vom Stofflichen zu lösen ist. Michelangelo hat das Mittelalter geliebt und war immer auf der Suche nach dieser verlorenen Zeit. Sein Vergleich entspricht den Gedankengängen des Thomas: „Die Form bringt dem Stoff das Ende, sie gibt ihm das Sein. Vorbestimmt liegt sie im Stoffe, geht nur („eduktiv") aus ihm hervor." Und allgemeiner sagt Albert der Große: „Verae formae sunt ante rem, formae autem impressae in materiam non verae formae sunt, sed imagines formarum." Die dem Stoff eingeprägte Form ergibt das Bild dieser Form. Diese Gedanken beziehen sich auf höchste Werte. Wenn das Bild des Mensdien entsteht, indem dem Chaos Form, dem Raum Körper, dem Stoff Bild entgegengestellt wird, so muß das in seiner vollen Bedeutung mehr enthalten als den Menschen, es muß über ihn hinausgehen. Das Bild des Mensdien hat eine andere, eine eigene, eine höhere Wirklichkeit als der Mensch. Was sich erhebt in die Sphäre der Geformtheit (also einer menschlichen Schöpfung), in die Sphäre des Körpers (der also etwas verkörpert), in die Sphäre des Bildes, das sich im Umriß zu etwas Bleibendem vollendet — das führt auch über das bloße Leben hinaus. Die Vollendung des Mensdien im Bilde unter Überwindung des Stofflichen, das übersteigt im Sinne jener Denker des Mittelalters das Menschliche. Bild als „Einbildung", als Idee des Menschlichen überhaupt, berührt das Göttliche. Das vollendete Bild des Menschen ist Gott. Denn der Mensch ist nach dem Bilde des Ewigen, des Göttlichen gemacht.

IV Jede unserer Bestimmungen von Form enthält die beiden anderen in sich. Wir haben einmal kategoriell, einmal quantitativ und einmal qualitativ gefragt: Form als Geformtheit überhaupt gegenüber dem Ungeformten, Form im Raum als greifbar-begreifbarer Körper, Form aus dem Stoff umgrenzt als Bild — das sind drei Seiten des Gleichen. Die letzte Bestimmung, die jetzt folgen soll, wäre ebenso gut als erste möglich. Auch sie ist in den bisherigen enthalten und umgekehrt. Jedenfalls kann man sidi ihr auch nur im Zusammenhang mit den übrigen nähern. Diese letzte Frage lautet: Was ist Form im Verhältnis zu dem, was man „Inhalt" nennt? Zunächst: Wenn es so eine Entsprechung gibt: „Form und Inhalt", was wäre dann Inhalt? Die allgemeinste Form war erkannt worden als menschlich Bewirktes, die

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Studien zur Kunstgesdiichte

Form im Raum als Körper, die Form aus dem Stoff (der Materie) als Bild, nämlich als Bild des Menschen in seiner hohen Bedeutung. Das sind noch nicht Inhalte, aber doch die Ermöglichung dafür, insofern jedes auf die Darstellung hinführt. Was stellt eine Form dar? Was stellt etwa Michelangelos „Gigante" vor dem Palazzo Vecchio dar? Der Dargestellte ist David. Er gibt also eine biblische Persönlichkeit wieder, eine Figur der christlichen Mythologie, erkennbar an seinem Attribut, der Schleuder. Dieses Motiv ermöglicht die Feststellung seines Namens in einer literarischen Quelle, ein Ergebnis der Ikonographie, der Forschung nach dem Titel der Bilder, also nach dem Inhalt im direkten Sinne. Dieser Mann ist also David, ein König der Juden, als Jüngling. Ihn hat Michelangelo dargestellt. Allein die Bedeutung dieses Inhaltes ist eine andere. David bedeutet Christus. Mehrere Schichten der inhaltlichen Bedeutung entsprechen mehreren Absichten schon des Auftrags, dem historischen Anlaß des Inhalts. Das Standbild war für den Domchor bestimmt gewesen, wo David im Zusammenhang erscheint. Der Zusammenhang ist die Sphäre, in der der Inhalt in seiner Bedeutung sichtbar wird. Er ist Bestandteil eines Programms, das durch jene Figurenfolge auf den Strebepfeilern der Chorkapellen veranschaulicht werden sollte, — also einer übergreifenden Idee, die nicht durdi eine Quelle, sondern aus dem Ganzen der humanistischen oder in diesem Falle der christlich-theologischen Bildungstradition erkennbar wird. Als König oder als Psalmist wird David dargestellt, hier aber als jugendlicher Sieger über rohe Gewalt. Als solcher ist er ein „Typus", eine Erscheinungsform Christi. Er bedeutet Christus. Er ist David. Als David bedeutet er Christus. Als solcher aber wird er nochmals zu etwas anderem. Es fragt sich jetzt nicht mehr, wer er ist, noch was er bedeutet, sondern was das ganze Werk soll. Es ergibt sich, daß dieses Standbild Davids, also Christi, dann vor dem Rathaus als politisches Mal, als allegorische Figur aufgerichtet worden ist. Diese religóse Allegorie hat ihren Sinn als Demonstration der Republik gegen eine heraufziehende Diktatur. David als Typus des Höchsten ist eine Allegorie der sieghaften Klugheit und Beherztheit gegenüber bloßer Gewalt. Das lodernd aufstrahlende Pathos des Ganzen an dieser Stelle hat in jeder der drei ikonographisdien Schichten seine Begründung. Doch gipfelt alles in jenem letzten Sinn, mit dem sich das ganze Kunstwerk in die Welt stellt. Schematisiert und vereinfacht stellt sich die ikonographische, die „ikonologische" und die geistesgeschichtliche Frage nach dem Inhaltlichen etwa so dar. Wie verhält sich jetzt die Form dazu? Wie verhält die Form sich zum Thema, zum Gehalt, zum Sinn? Die Antworten sind mannigfach. Pinder sagt z. B. in seiner früheren Zeit 1929: „Die Erkenntnis von der lehrhaften Bedeutung aller mittelalterlichen Kunst, von ihrer Rolle als Auslegerin der Heilswahrheiten . . . betrifft ja schließlich doch nur erst die Gelegenheit, an der sich die Form entfaltet. Sie kann die Stoffe

Kunst als Form

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( = Themen) vorschreiben und noch in die Motive eindringen. Das sind immer nodi erst Gelegenheiten, die Form zu entfalten." — Hier erscheint alles Inhaltliche zum bloßen Anlaß entwertet. „ D e la forme naît l'idée", „aus der Form wird die Idee geboren", hatte Flaubert gesagt. Ähnlich drückt sidi Gottfried Benn über die Dichtkunst aus: „Der Gegenstand ist Mittel zum Zweck. Der Zweck ist das Gedicht", und sogar: „Form nur ist Glaube und T a t " . Das sind Äußerungen von Künstlern, wie das Buch Hildebrands. Methodisch hat Wölfflin der Form ihren Rang angewiesen. Er wandte sich gegen die Tatsachenforschung des Positivismus und ihre kulturgeschichtlichen und „entwicklungsgeschichtlichen" Deutungen. Statt des historischen Rückblicks auf die Vergangenheit hat er die Gegenwart des Kunstwerks, also seine Form als eigentlichen Gegenstand der Kunstgeschichte gesetzt. E r zeigt ihre Wesenszüge vom Einzelnen bis zum Allgemeinsten auf und setzt sie groß zusammengefaßt ab gegen die anderer Perioden oder anderer Gegenden. Diese Hauptmerkmale der Form sind sicherlich keine Begriffe, erst recht keine Grundbegriffe und schon gar keine kunstgeschichtlichen. Doch hat er gegenüber einem relativistischen „Entwicklungs"denken und rein antiquarischer Forscherei den Blick zurück auf das Grundsätzliche und Große gelenkt. E r hat uns sehen gelehrt. Wenn seine Begriffswelt auch völlig vergangen ist, so wirkt seine Schau bis heute, bis in die strenge Sachforschung hinein. Wölfflin hat die klassizistisch-kulturgeschichtliche Renaissance-Vision Jacob Burckhardts in modernerer, impressionistisch-psychologischer A r t auf die bloße Form gesammelt. Was ihm vorschwebte, w a r das „reine Sehen", also auf die Form, unabhängig von ihrer Umwelt und Zeit, von Bedingung und Bedeutung, von örtlichkeit und Persönlichkeit, schließlich eine „Kunstgeschichte ohne Namen". Günter Bandmann hat diese Isolierung und Verabsolutierung des Formalen mit der gleichzeitigen Entstehung der gegenstandslosen Kunst verglichen. Schillers „hohe Zonen, w o die reinen Formen wohnen" waren als höchstes Ziel gesetzt. 1 9 1 2 schrieb Joseph Hofmiller (die logische Abfolge der Sätze ist bemerkenswert): „Künstlerische Form ist sichtbar gewordenes Wesen. Form abgetrennt vom Inhalt existiert f ü r den Dichter ebensowenig wie Haut abgetrennt vom Körper für den Maler. Form ist alles." Wölfflins monumentale Einseitigkeit läßt alles Geschichtliche beiseite. Die Genesis, das Werden einer Kunst ergibt ihm nichts f ü r ihr Wesen. Der Wandel der Form im Laufe der Zeiten wird mit einer mysteriösen, der Form „immanenten" „Entwicklung" erklärt. Was dargestellt wird, als welches und mit welchem Sinn, — alle inhaltliche Bedeutung tritt zurück, wird allenfalls im Hinblick auf die Form beachtet. Anders erscheint die Form, wenn Kunstgeschichte als Geistesgeschichte betrieben wird. Den Historismus lehnt sie nicht ab wie Wölfflin. Die positivistische Kulturgeschichte der Vergangenheit führt sie weiter, verfeinert und vertieft sie jedoch.

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Studien zur Kunstgeschichte

Für die geistesgeschichtliche Forschung wird die Kunst also nicht nur als abhängig von den Tatsachen einer einstmaligen Kultur gesehen, von ihnen historisch bedingt. Vielmehr wird der Geist einer historischen Kulturperiode in der Kunst wiedergefunden. Religiosität, „Weltanschauung", Dichtung, Bildung, Wissen einer Zeit erscheinen als Parallelen der Kunst, ja eigentlich als hinter ihr stehende tiefere und umfassendere Wirklichkeit, als Geistigkeit eines Zeitalters überhaupt, die die Kunst als Symptom, als Abglanz widerspiegelt. Da somit alles auf eine „höhere", literarisch faßbare und belegbare Wirklichkeit projiziert wird, geht es hier in erster Linie um die Inhalte, die Themen, die Motive, die Bedeutung, weiterhin um „Auffassung und Ausdruck". Dvoraks Meisterschaft hat darin vieles Neue und Wesentliche erschlossen. Auch die soziologische Kunstgeschichte hat mancherlei wesentliche Erkenntnisse erbracht. Sie läßt sich aus der Geistesgeschichte ableiten; doch gilt ihr die Geistigkeit einer Zeit nicht als eigentliche und letzte Wirklichkeit, sondern als ihrerseits abhängig von der gesellschaftlichen Schichtung. Sie gilt als Ideologie einer herrschenden Klasse. Von ihr ist die Kunst abhängig, sie spiegelt jene Ideologien wider. Aufgezeigt wird das an der wirtschaftlichen Lage der Kunst, an der sozialen Stellung des Künstlers, hauptsächlich aber an den Inhalten, an dem, was dargestellt und mit welcher Bedeutung es aufgefaßt wird. Umfassender begründet erscheint die christliche Geistesgeschichte. Entsprechend dem christlichen Sinn der Geschichte überhaupt wird die Kunst als abhängig von der Religiosität einer Zeit erkannt, als Symptom oder Reflex einer Wirklichkeit hinter und über ihr. Während Wölfflin seine Lehre von der Renaissancekunst auf die anderen Gebiete überträgt, tat dies die christliche Geistesgeschichte vom Mittelalter ausgehend. Fast alle Bilder (und Bauten) sind im Mittelalter von religiösem Inhalt erfüllt, und die ikonographische Forschung hat diese Inhalte gerade in den letzten Jahrzehnten in überraschendem Ausmaß deuten können. Außerdem dienten ja die Kunstwerke überwiegend praktisch dem Kultus. Ihre Stellung in der religiösen Welt bestimmt praktisch ihr Wesen (und umgekehrt). Eine weitere, die „ikonologische" Interpretation stellt den Sinn des mittelalterlichen Kunstwerks als symbolisch heraus. Die Kirche wird als Symbol etwa für das Himmlische Jerusalem bestimmt, das Bild mit seinem Inhalt als Symbol des Textes, etwa als Verkündigung. Die ikonologische Forschung fußt dabei auf der zeitgenössischen Literatur. Theologisch läßt sich alles Menschliche und Irdische als bloßes Symbol für eine darüberstehende Wirklichkeit auffassen. Das gälte also auch für die Kunst, wäre aber noch nicht eine direkte und spezielle Bestimmung. Doch gibt es in der liturgischen Literatur, der religiösen Dichtung und in der Homiletik Belege, aus denen sich eine symbolische Deutung von Bildern und Bauten ersehen läßt, aus denen sich zum mindesten eine Vorstellung ergibt, „was das Mittelalter in seinen Kunstwerken geschaut hat" (Sauer2, S. 289). Es handelt sich also nicht um die Symbolik

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der sakramentalen Gegenstände und Handlungen, die dogmatisch absolute Wirklichkeit und Gegenwart gewährleistet. Sondern um die allgemeine symbolische Anschauungsweise des Mittelalters, die Sauer (S. 1) nicht nur in der Religion, sondern auch im öffentlichen Leben findet. Ein romanischer Radleuchter ζ. B. ist also nicht das Himmlische Jerusalem; aber er stellt es auch nicht nur dar, sondern er bedeutet es. Die Kunstwerke haben ihren Sinn nicht in ihren Inhalten, sondern in der Bedeutung, die sie symbolisieren und die literarisch erfaßbar ist. „Diese Bedeutung", sagt Bandmann, „kann überhaupt bildhaft unvorstellbar sein, sie kann ein transzendenter Inhalt sein, der nur durch repräsentierende Bildzeichen und nur in ihnen vorstellbar gemacht wird." Fragen wir, wie die humanistische, die soziologische und die christliche Geistesgeschichte die Form bewerten. Von seinem Standpunkt aus formuliert hat dies Panofsky. Gesehen von seiner rein inhaltlichen Erklärung und Auslegung her ist die Form einfach die vorikonographische Stufe, über die sich sozusagen die ikonographische und dann die „ikonologische" Deutung erheben. Er spricht von „reinen Formen, das sind gewisse Bildungen (configurations) von Linien und Farbe oder gewisse besonders geformte Massen (lumps) von Bronze oder Stein, als Darstellungen von Naturgegenständen wie menschlichen Wesen, Tieren, Pflanzen, Häusern, Geräten usw.". Diese sogenannten reinen Formen werden von ihm lediglich als „Träger einer ersten und natürlichen Bedeutung innerhalb unserer praktischen Erfahrungswelt" angeführt. Für die soziologische Anschauung bedeutet die Form als eigene Instanz nichts. Jede derartige Bewertung der Form ist „Formalismus". Auch heute wird jede Abweichung von dem Stil der im Osten herrschenden Klasse als Formalismus bezeichnet. Endlich die ikonologische Interpretation. Ein Symbol ist, wie sich uns gezeigt hat, keine Form und kein Bild. Im Gegenteil: eine Chiffre, ein Kreuz, eine Zahl sind Zeichen für eine Form, an Stelle von etwas Anschaulichem. Und wenn ein Bild oder ein Bau als bloßes Zeichen für etwas anderes, weiteres angesehen wird, so wird dabei auf das Bild als solches, „auf die formelle Gestaltung und künstlerische Anordnung Verzicht geleistet", wie Sauer (S. 290) sich ausdrückt. „Bedeutungen dieser Art sind", wie Bandmann sagt, „vielmehr gerade als Hinweise auf etwas gemeint, was über die materielle und formale Organisation des Kunstwerks hinausgeht" — als „evidence of something else" nach Panofsky. So weist das Kunstwerk mit seinen Inhalten hinter sich zurück auf eine eigentliche Wirklichkeit, die im Bereich des Gedanklichen, des Buches, der Lehre — kurz des Wortes gesucht wird. Damit verliert die Form die eigene Bedeutung. Nicht die Form erscheint jetzt als das Bleibende, sie ist vielmehr das Vergängliche, Irdische, Menschliche, während die großen Themen und Inhalte dauern. „Das Kunstwollen steht im Gegensatz zu den Inhalten, die, jeweils stilisiert, das Bleibende und Tradierte bilden" (Bandmann). Der Grund dazu ist gelegt in einer

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ersten „vor-instrumentalen, nicht abbildenden Schicht des Kunstwerks, die noch nichts spezifisch Künstlerisches" habe (Bandmann). „Jedenfalls", sagt Bandmann, „beginnt die Geschichte des Begriffs der Kunst mit der Situation, daß der formalen Gestaltung nur eine inferiore Bedeutung gegenüber dem hohen kultischen Zweck zukommt." Und „das Spekulative und Intellektualistische, das sich audi (!) in der schriftlich überlieferten allegorischen Interpretation mitteilt, geben die Anweisung, ζ. B. ein Bauwerk zu verstehen, — auch die formale Gestaltung." Hinter alledem steht der alte Widerstreit zwischen Bild und Wort in der christlichen Lehre. Hrabanus Maurus sagt: „Das Bild ergötzt für den Augenblick; doch dient es nur einem der Sinne und verdient kein Vertrauen, weil es die wahre Bedeutung der Dinge verfälscht. Nur die Schrift ist gültig." Entsprechend wird in der neueren ikonologischen Literatur (Bandmann) die Form zu einer bloßen Angelegenheit „gemüthafter Gestaltung" oder aber eines „ästhetischen Vergnügens". Ebenso redet Ernesto Grassi von dem sogenannten „Formalistischen, Stilistischen, Ästhetisierenden, vom Ästhetizismus" im Sinne eines geschmäcklerisdien Genusses und will die Betrachtung von alledem „befreien, um zu einer Seinsbedeutung einer Kunst jenseits der Kunst" zu kommen. So hatte Caspar David Friedrich gesprochen: „Der edle Mensch erkennt in allem Gott, der gemeine Mensch sieht nur die Form, nicht den Geist". Es kommt zu einem Verdikt der Form, sobald man vom „Geist", von der Sittlichkeit, von einer metaphysischen oder symbolischen Wirklichkeit der „Kunst jenseits der Kunst", ausgeht. Wölfflin hatte seine „Formanalyse" durchgeführt unter Verzicht auf die geschichtlichen Faktoren im Kunstwerk. Wie ihm gegenüber muß auch der ikonologischen Interpretation gegenüber die Forderung der historischen Kritik erhoben werden. Die nüchterne, vorsichtige Sachlichkeit, die das grundlegende Buch Joseph Sauers bestimmt, wird nicht immer innegehalten. Gelegentlich wird versucht, den vielfachen, oft mehrschichtigen Bedeutungen von heute aus einen selbst gefertigten Gesamtzusammenhang aufzuerlegen, ohne daß dieser selbst belegbar ist. Da alles Christliche selbstverständlich mit allem Christlichen irgendwie zusammenhängt, also im Grunde jede Beziehung möglich ist, werden Quellen ganz verschiedener Herkunft zu Auslegungen des Tatbestandes verwandt, deren Folgerichtigkeit heute besticht, ohne daß sie notwendig und belegbar sind. Die Kritik Sauers an Mâles gewiß Eindruck erweckendem Gesamtsystem richtet sich gegen dessen Quellenverwendung. Nicht welche Deutung eines einzelnen oder Gesamtkunstwerkes möglich ist, sondern welche als notwendig begründbar ist, wäre zu erarbeiten. Auch die Quelle muß historisch kritisch ausgelegt, auf ihre eigene Geschichtlichkeit, auf ihren Zusammenhang und ihren Bedeutungswandel hin geprüft werden. Panofsky stellt hohe Anforderungen: Wir haben uns zunächst zu fragen, „ob eine symbolische Deutung gerechtfertigt ist durch spezielle Textstellen oder ob sie übereinstimmt mit bestimmten Ideen, die nachweisbar in der Zeit lebendig und wahrscheinlich dem Künstler vertraut sind, oder ob das nicht der Fall ist". Ferner: „in welchem Ausmaß eine solche symbolische Deutung zu-

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sammengeht mit der historischen Stellung und der persönlichen Richtung des einzelnen Künstlers." Das trifft auch für das Mittelalter zu, wenn man das mittelalterliche Künstlertum in dem allgemeineren, eher unpersönlichen Sinn jener Zeit faßt. Allerdings, im Mittelalter wird eine Kirche nicht von einem Baumeister, sondern von einem Bischof gebaut, und ein Standbild nicht von einem Bildhauer, sondern vom Stifter errichtet. Dodi dies führt zu einem weiteren Vorbehalt gegenüber den Quellen der Zeit. Fast alle mittelalterlichen Texte, in denen Kunstwerke erwähnt, beschrieben, beurteilt, gedeutet werden, sind ja kirchliche Texte. Sie sind von Klerikern für Kleriker geschrieben. So existiert für eine aus den Quellen gewonnene Vorstellung die mittelalterliche Welt nur in dem, was Theologen über sie schrieben. Man könnte sich vorstellen, daß in Schriftstücken solcher Art auch heute über heutige Bauten und Kunstwerke nicht viel anders gesprochen wird. Auch die Theologie hat ihre Geschichte. Wenn wir Formulierungen einer früheren Theologie ohne historische Kritik annehmen und die damalige theologische Deutung als letzte Autorität für unsere Stellung zur mittelalterlichen Kunst anerkennen, so verlassen wir den Bereich der kunstgeschichtlichen Wissenschaft. Es war eine Verkennung, die mittelalterliche Kunst rein als Wunderwerk technischer Fertigkeit oder aber als Gesamtleistung einer besonderen Gesellschaft zu sehen. Jede Deutung ist falsch, die nicht die religiöse Funktion, ja auch die damalige theologische Deutung mit heranzieht. Das ist heute selbstverständlich. Gerade in den letzten Jahrzehnten haben wir darin vieles Neue gesehen, die einzelnen Werke sind für uns in ihrer Kunst dadurch tiefer und reicher geworden. Allein fraglich ist, ob die Kunstgeschichte mit P. Metz sagen darf: „Die Kunst ist Material, nicht Inhalt und Ziel der Geschichte". Wenn wir also schließlich die Werke nicht mehr als Kunst, sondern als bloße Symptome oder Reflexe einer einstmaligen Religiosität, als Symbole transzendenter Begriffe und Gedanken betrachten und darin ihre eigentliche Wirklichkeit sehen, so ist das nicht Kunstgeschichte. Theologie läßt sich nicht eingrenzen, sie wird als Ganzes vertreten und gilt für das Ganze, also auch für die Bereiche des Wissens und der Kunst. Nikolaus von Cues sagt: „Es hat jegliches Ding, das ist, ein Bild Gottes und der heiligen Dreifaltigkeit in sich, durch welches Bild das Ding ist", diesem schönen Wort mag man volle Gültigkeit zusprechen — die Frage ist, wieweit es sich auf unsere Disziplin, auf unsere Forschung und unsere Deutung anwenden läßt. Kürzlich wurde von dem „theologischen Problem der Formgeschichte" gesprochen, und „man dürfe annehmen", daß „Gott sich jener Sakralsprache bedient habe, die dem Menschen mit ihrem Weltbild eigen war" (Schade im Wallr. Rieh. Jahrb. i960). Dies scheint mir, um mit Bonaventura zu reden, eine „reductio artium ad theologiam" zu sein. Für Goethe sind „Glaube oder Unglaube durchaus nicht diejenigen Organe, mit welchen ein Kunstwerk aufzufassen ist, vielmehr gehören dazu andere menschliche Kräfte und Fähigkeiten." Wenn, wie Bandmann sagt, „das eigentliche Wesen mittelalterlicher Kunst im



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symbolischen Sinn besteht", so ist damit auch die Geschichtlichkeit der Kunst außer acht gelassen. Denn dieser symbolische Sinn ist grundsätzlich derselbe für eine gotische Kathedrale wie für eine romanische Basilika, er soll ja eigentlich bis heute gelten. Die ungeheuren Unterschiede unter den Kunstwerken, in ihrem Nebeneinander und ihrem Nacheinander werden durch den gemeinsamen symbolischen Sinn nicht erfaßt. Die geschichtliche Einmaligkeit eines Werkes im Sinne schöpferischer Eigenart wird nivelliert. Es zeugt nach Bandmann „von traditioneller Gesinnung, den modernen Begriff der Originalität auf das Mittelalter zu übertragen". Mir scheint, daß das mittelalterliche Kunstwerk — der Künstler wird ja selten faßbar — seinen eigenen Rang und seine Eigenart wie jedes geschichtliche Kunstwerk hat. Jeder Vergleidi zweier Bildwerke oder zweier Bauwerke zeigt das, nur kommt es natürlich den Quellen auf diesen Unterschied nicht an. Auch das Verhältnis zur Uberlieferung, die andere Seite der Geschichtlichkeit, bleibt bei jener allgemein symbolischen Deutung außer Betracht. Die historischen Grundlagen jedes mittelalterlichen Werkes sind der Auftrag und die Uberlieferung. Aufträge gehen gewöhnlich von kirchlichen Stellen aus, wodurch schon die Sphäre des Kunstwerkes bestimmt ist. Und jedes Werk richtet sich grundsätzlich nach der Uberlieferung — aber ebenso schon der Auftrag! Denn der Auftraggeber ging ja nicht allein aus von kultischen Forderungen und von seinen theologischen Gedanken und Schriften, sondern zunächst ebenfalls von einem Werk der Tradition. An einem Vorbild sah er, was überhaupt gemacht werden konnte, auch er wollte dem Vorbild gleichkommen, auch er tat dann vielleicht von sich aus Eigenes an ikonographischen und anderen Vorschlägen hinzu, so daß doch nicht das Gleiche herauskam — ganz wie der Künstler bei der Ausführung. Die Macht der Überlieferung hat schon auf den Auftrag, nicht erst auf die Ausführung gewirkt. Ein Standbild ist immer nach einem überkommenen Standbild, eine Kirche nach einer überkommenen Kirche in Auftrag gegeben und ausgeführt worden. So sagt Vöge: „Wo die Kunstproduktion in Massen auftritt, also in jeder Blütezeit, ist die künstlerische Uberlieferung eine selbständige Macht geworden, sie ist wie ein Baum, der sich verzweigt und vielfältige Früchte trägt, die einzelne Schöpfung entwächst nicht mehr unmittelbar dem Boden der literarischen Kultur." Ähnlich fordert Panofsky: „Wir haben uns zu fragen, ob die symbolische Bedeutung eines gegebenen Motivs Sache einer bestehenden Bildtradition ist (established representational tradition)." Und an anderer Stelle: „Eine literarische Quelle kann eine bestehende Bildüberlieferung abwandeln; doch kaum je abbrechen, wenn nicht die Einwirkung des geschriebenen Wortes verstärkt wird durch diejenige einer anschaulichen Erfahrung." Für eine rein symbolische Auffassung ist die Form grundsätzlich beliebig, gleichgültig, als eigener Wert nicht vorhanden. Zwar behält trotzdem jene Auffassung ihre hohe Bedeutung. Durch sie erkennen wir die Inhalte mittelalterlicher

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Kunst reicher und tiefer. Dodi darf sie nicht ins Ausschließliche und Endgültige überspannt werden, so daß die Kunst selbst dabei verschwindet. Denn die symbolische Auffassung hat auch im Mittelalter keineswegs ausschließlich gegolten. Z w a r liest man immer wieder dieselben Texte, in denen Theologen sich über Kunst wie über alles andere in ihrer theologischen Art äußern, etwa die Beschreibung der Kirche in St. Denis durch Abt Suger. Doch gibt es auch andere Stimmen, die seltener angeführt werden. Auf sie hat in letzter Zeit besonders die italienische Forschung aufmerksam gemacht (F. Bologna, R . Assunto). Venantius Fortunatus (6. Jh.) schildert die Kuppelmosaiken der Kirche von Tours nicht in der symbolischen Bedeutung ihres Goldglanzes, sondern im Gegenteil den optischen Eindruck, wie der Lichtreflex der Bleidächer draußen mit Farben der Mosaiken zusammenfloß, „so weit waren die Bögen des vierseitigen Unterbaus geöffnet". Schrade hat hingewiesen auf die libri Carolini, die um 791 künstlerische Fragen mit erstaunlicher Unabhängigkeit behandeln. Die Heiligendarstellungen der Bilder stammten danach aus der antiken Tradition und nicht etwa „ex quadam religione", sondern lediglich „ex artificis operatione". J a , f ü r den Künstler — der eine vollbringe schönere, der andere formlosere Bilder! — mache es zunächst gar keinen Unterschied, ob er ein Marienbild fertige oder ein Bild der Venus mit Äneas. Erst mit der Bezeichnung des Dargestellten sei überhaupt die Möglichkeit, das Bild zu verehren, gegeben. Von den anderen Stellen ist die überraschendste der bekannte ausführliche Bericht über den Neubau der Kathedrale von Canterbury in der Chronik des Mönches Gervasius von etwa 1 1 8 0 . Schon Schnaase hat vor 100 Jahren (1856) ihn ausführlich zitiert und ihn die „zweifellos wichtigste Urkunde der mittelalterlichen Baugeschichte" genannt. In neuerer Zeit wird er kaum herangezogen. Frankl führt ihn mit allen anderen Quellen an und sagt darüber, „es habe sieben Jahrhunderte gebraucht, soweit wir aus schriftlichen Quellen schließen können, bis die Entwicklung unserer Auffassung von schöpferischer Architektur so weit gediehen war, um die Gotik in ihrer Form so von Grund aus zu verstehen, wie es Gervasius vermocht hat". Gervasius ist ein Mönch, der in der Zeit erregender religiöser und kirchenpolitischer K ä m p f e die Ermordung des Thomas Becket in Canterbury erlebt hat und von allem in seiner Chronik berichtet. Indem er den früheren, verbrannten Bau der Kathedrale mit dem Neubau vergleicht und den neuen Stil gegen den früheren „romanischen" abhebt, nimmt er, wie Frankl sagt, durchaus moderne Gesichtspunkte vorweg. Das Erstaunliche sei, daß Gervasius überhaupt geradezu Stilprinzipien gegeneinander hält und dazu die verschiedensten Formen heranzieht: die Größenverhältnisse der Rundpfeiler, das Relief der Wand, die Profile, die Auflösung der Mauer und die räumliche Gestaltung. J a , er wählt neue Ausdrücke für Einzelelemente, um ihre formale Bedeutung zu charakterisieren. Für den Schlußstein schlägt er „clavis" vor, also Schlüssel oder vielleicht besser 3

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„Klammer". Dann überträgt er diesen Ausdruck auch auf die Rippen, die die Gewölbe und mit ihnen den ganzen „Baldachin" (als von den Stützen bis zum Schlußstein aufwachsende Trageform des Joches) oben verklammern. Die originelle Stilbeschreibung entspricht nach Frankl derartigen modernen Begriffen. Es handelt sich hier nicht um einen Theologen, Kirchenfürsten und Politiker wie bei Suger, aber audi nicht etwa um einen praktischen Architekten wie bei Villard, sondern um einen Kleriker, der jedoch etwas von Kunst versteht. Er sieht in dem Bau ein Kunstwerk, spricht von dem Architekten, seinem Namen, seinem Leben, seinem Ruhm und seinem Schöpfertum, von dem grundlegend Neuen, was er erschafft. Es ergibt sich, daß diese Dinge im Mittelalter ziemlich ähnlich klingen wie heute. Es ist anzunehmen, daß nicht dieser Mönch allein so denkt, vielmehr ist er der einzige, der es aufschreibt! Solche Dinge kamen eben im amtlichen und halbamtlichen Schrifttum der Kirche sonst nicht vor. Vielmehr bleibt es sonst im Mittelalter das Übliche, daß der Künstler kaum erwähnt wird, noch die Form, noch vor allem das Neue und Schöpferische an ihnen. Auftrag und Aufgabe, Text und Uberlieferung sind überwiegend religiös, und das bedeutet sehr viel für die Kunst. Daß trotzdem ein Wissen um die Form, ein feines Urteil und eine hohe Bewertung der Form, echte Anerkennung auch ihres Schöpfers im Mittelalter vorhanden war — dafür sollten eigentlich die Werke selbst sprechen als sicherste Zeugen. Ein solches Höchstmaß edelster und kühnster Form ist nicht ausschließlich mit den Gesichtspunkten des kirchlichen Auftraggebers zu messen, nicht nur aus gläubiger Hingabe zu erklären. In der Chronik des Gervasius haben wir dafür einen schriftlichen Beleg. Außerdem hat sich das Mittelalter aber ja auch grundsätzlich darüber geäußert, was Form sei, und zwar recht abweichend von der Abwertung in der modernen Ikonologie. (Die moderne Einengung unseres Mittelalter-Bildes scheint das zu verkennen. Unsere „Ikonologie" selbst geht ja als Disziplin eher zurück auf den Manierismus und die intellektuelle Reaktion der Spätscholastik gegen den „Formalismus" der Renaissance.) Die mittelalterliche Scholastik denkt jedenfalls anders. Sie geht aus von Aristoteles' Satz: „Seele ist Form" und „Die Seele ist die Form des Körpers", noch umfassender in Thomas* Formulierung (de veritate q 3a 3b): „Die Form ist nämlich in gewisser Weise die Ursache dessen, was durch sie geformt wird!" (vgl. Michelangelo). Die Form ist im Mittelalter das Unvergängliche am Ding überhaupt (wir können übertragend sagen: am Werk). Nach Nicolaus von Cues „gibt die Form dem Ding das Sein". Denn für das philosophische Denken jener Zeit ist die Form der Begriff. Die Definition, heißt es, läßt das Materielle in der Form aufgehen. „Forma est, qua ens est, quod est." Es ergibt sich nochmals, daß die Form ihren Rang behält, auch für das mittelalterliche theologische Denken. Gewiß sind diese Begriffe durchaus allgemein und ihrer Bedeutungsebene nach metaphysisch, also zunächst und direkt überhaupt nicht auf Kunst beziehbar, jedenfalls nicht allein auf Kunst, die als Ars in einer

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niedrigeren Sphäre verharrt. Doch ist der Begriff Form wiederum so umfassend, daß er andererseits alles, auch die künstlerische Form mit umgreift. 4 Jedenfalls ist die Verabsolutierung einer theologisch-symbolischen Deutung der Kunst unhistorisch und unbegründet, ebenso wie es die Verabsolutierung der Formbetrachtung im Sinne Wölfflins ist. Uberflüssig ist es, zu betonen, daß Kunstgeschichte ohne Ikonographie nicht denkbar ist. Wir tappen blind herum, wenn wir nicht die Ikonographie eines Kunstwerks kennen, also das Thema, die Motive, die Bedeutung und den Sinn seiner Inhalte. Der Hauptertrag unserer Wissenschaft scheint mir in den letzten Jahrzehnten gerade auf diesem Gebiete zu liegen. Das wirkt sich bis in die reine Sachforschung aus, die sich die historisch-archäologische Bestimmung des Kunstwerks als Ziel setzt. Für sie ist von jeher, seit Goldschmidt und Vöge die Ikonographie die wichtigste Hilfswissenschaft neben der der allgemeinen Historie, der Heraldik, der Paläographie, der Technik, der Werkstoffkunde. Dodi haben alle diese Disziplinen für die Forschung nur eine eingeschränkte Beweiskraft, sie machen eine kunsthistorische Bestimmung nur möglich oder unmöglich. Das letzte Wort wird in der Sachforschung immer die Formvergleichung behalten. Deswegen schon kann die Ikonologie nicht abwertend von „Formenpositivismus" sprechen (Lex. f. Theol. u. Kirdie, „Ikonologie"). Sauer nennt das „Formalästhetische" sogar materialistisch. Das ist nach allem, was hier vorgetragen wurde, unverständlich. Niemals ist Form, die Überwinderin der Materie, etwa eine bloße materielle Tatsache. Leibniz sagt: „Geist ist wesentlich Form." Wie also verhält sich Form zu Inhalt? Form steht, das hat sich erwiesen, auch für das Mittelalter ebenso hoch wie das, was man Inhalt nennt. Es handelt sich nicht um das Mindere gegenüber dem Höheren, um das „Äußerlidie" gegenüber einem Innerlichen. Diesen Gegensatz gibt es in der Kunst nicht. Überhaupt sollte hier nicht von Gegensatz die Rede sein. Von einer Polarität, von einem Dualismus läßt sich nidit sprechen, das wäre schon eine Trivialisierung des Problems. Form und Inhalt verhalten sich nicht gegensätzlich, sondern gegenseitig.

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Dafür zeugt zum mindesten etwa das bekannte Löffel-Gleichnis des Nicolaus von Cues: „ . . . Angenommen also idi wollte meine Kunst entfalten und die Form des Löffelseins, die einen Löffel zum Löffel macht, anschaulich machen. Obwohl diese nun in ihrem Wesen mit keinem Sinn erreichbar ist, . . . so werde ich doch versuchen, sie, so gut es geht, sichtbar zu machen. Daher bearbeite ich den Stoff d. h. das H o l z durch die vielfache Bewegung meines Werkzeugs . . . und höhle ihn aus, bis in ihm das erforderliche Verhältnis entsteht, in dem die Form, die den Löffel zu einem solchen macht, geziemend widerstrahlt." — Gewiß geht es Nicolaus hier um die unsichtbaren Urbilder, die in den hergestellten Formen widerstrahlen und gewiß befreit er sich schon mit seiner Betonung der Individualität oder auch indem er überhaupt „den Laien" für sich sprechen läßt, von der scholastischen Tradition. Dodi spricht schon die anschauliche Ausführlichkeit, mit der er von den Formen und ihrer Verwirklichung spricht, für die Geltung von forma auch für die Kunst, grade in ihrer mittelalterlichen Einschränkung als ars, Technik.

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Eigentlich in diesem Sinne hat Panofsky (1927) eine „Typenlehre" vorgeschlagen. Weder „rein formalanalytisch" noch „rein ikonographisch" erstrebt er eine „Geschichte" solcher „Gestalten", in denen ein bestimmter Inhalt sich mit einer bestimmten Form zu einer „anschaulichen Einheit" verbunden habe. Von der Osten hat dies (1936) folgendermaßen formuliert. Seine Typengeschichte erstrebt „den überikonographischen Sinn und die Entwicklung des nach Abzug der ikonographischen Gattungsmerkmale bleibenden Sinnrestes". Dieser Sinn über das Ikonographische hinaus ist in unserem Sinne die Form. Typus heißt Form, eine „anschauliche Einheit" ist Form — allerdings keine „reine" Form. Denn „reine" Formen kann man nicht analysieren. Eine „reine" Form in diesem Sinne gibt es nicht. „Reine" Form wird von Panofsky (1939) beschrieben als bloß physiologischer, noch sinnleerer Augeneindruck, etwa wie die Bewegung eines den Hut ziehenden Mannes auf der Straße, bevor wir ihn als Bekannten identifiziert haben. Nach dem, was hier am Anfang über die verschiedenen Erscheinungsweisen der Form vorgebracht worden ist, kann die Voraussetzung der Form nicht optisch in ersten Sinneseindrücken gesucht werden und ebensowenig im Bereich des täglichen Lebens und seiner praktischen Erfahrung. Form gibt es in der Kunst nicht im naturwissenschaftlich-abstrakten Sinne, es gibt sie nicht „rein". Form ist immer Form von etwas anderem. Das hat sich am Anfang schon erwiesen: schon die Straße enthält einen Sinn, der nicht nur in ihr als Form liegt, nämlich ihren Zweck. Ohne diesen menschlichen Sinn wäre sie keine Form. Schon der Menhir verkörpert etwas, was nicht er ist. Und die aus dem Werkstoff gehobene Form stellt ein Bild dar, das Bild des Menschen. Schon in diesen allgemeinsten Zuständen hat Form immer etwas vom Inhaltlichen. Ohne das gibt es keine Form. Auf der anderen Seite gibt es in der Kunst auch keinen Inhalt ohne Form. Z w a r im Mittelalter sind natürlich die Themen vorhanden auch ohne ihre künstlerische Verwirklichung. Es gäbe f ü r uns David oder die Geschichte der Tempelreinigung, auch wenn wir kein einziges Bild davon hätten. Ihre Form ist eben zunächst literarische Form oder — bei allegorischen Themen — eine gedankliche. Diese Texte sind bei aller mittelalterlichen Kunst vorausgesetzt, aber doch nicht so, daß alle Kunst bloße Illustration wäre ohne eigenen Zusammenhang und Wert. Dem widerspricht schon die hohe Anerkennung der Form in der Philosophie der Zeit. Vor allem aber: sowie der Inhalt in die künstlerische Sphäre eintritt, ist auch er schon geformt, schon das bloße Thema, seine Auswahl schon geschieht nicht ohne Mitwirkung der Form, weil sie im Hinblick auf Formung vorgenommen wird. Sie ist von Anfang an an der Bildtradition orientiert und durch sie vorgeformt. Der Bildgedanke des Auftraggebers gegenüber dem Künstler kann sich nur bilden auf Grund irgendeines Vorbildes. Ob als Übernahme, Abwandlung oder Gegensatz, jedenfalls entstehen die Themen mit ihren inhaltlichen Motiven aus der Bildtradition.

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Mag es Formen für sich in unserer natürlichen Erfahrungswelt geben, mag es Inhalte allein in unserer gedanklich-literarischen Bildungswelt geben — in der Kunst sind sie getrennt nicht vorhanden, noch denkbar. Das besagt ja schon das Wort Inhalt. Es wäre unhistorisch, die Form rein analytisch zu betrachten, den Inhalt rein literarisch. Erst, indem sie sich gegenseitig ermöglichen, treten sie in der Kunst in Erscheinung. Indem dabei der Inhalt anschaulich verwirklicht wird, entsteht daraus das, was wir Gehalt nennen. Gehalt ist das, was die Form aus dem Inhalt macht. Die Form gibt dem Inhalt in der Kunst die Wirklichkeit. Die Kunst besteht nicht in dem, was dargestellt, was mitdargestellt ist und was schon darin für Bedeutungen stecken könnten — vielmehr darin, wie gerade dies dargestellt, welche Form für diese Bedeutungen gefunden worden ist. Barlach meint in seiner ungelenken Sprache, daß „dasjenige, was nicht durch das Wort ausgedrückt ist, durch Formen in den Besitz der Seele übergeht". Es handelt sich dabei ja aber nicht um etwas Zusätzliches. Schiller (im Gegensatz zu Hrabanus Maurus S. 30) sagt: „ . . . durch die Form allein wird auf das Ganze des Menschen, durch den Inhalt hingegen nur auf einzelne Kräfte gewirkt." Die Kunst teilt sich ausschließlich anschaulich mit, d. h. durch die Form. Form ist die Weise, wie Kunst ersdheint. Und das Wesen der Kunst liegt nicht in den Inhalten und ihren Bedeutungen, die auch in Worten mitteilbar wären, sondern in deren Erscheinung. So sagt nochmals Goethe, dessen ganzes Denken um die Form kreist: „Den Stoff (also den „Inhalt") sieht jedermann vor sich, den Gehalt findet nur der, der etwas dazu zu tun hat, und die Form ist ein Geheimnis den meisten." Das Inhaltliche also läßt sich feststellen. Insofern es aber Form gewonnen hat, indem also ein Gehalt daraus geworden ist, bedarf es eines eigenen, nachschaffenden Zutuns des Betrachters. Sehr vieles an der Form ist wissenschaftlich feststellbar, doch nicht alles. Es bleibt da ein Bereich, der nur für den künstlerisch Eingestellten, Begabten, Erfahrenen, Geschulten aufweisbar ist. Wollte man die Kunst als bloßes Symptom für etwas anderes, aus einer hinter ihr liegenden humanistischen Bildung, aus einer soziologischen Wirklichkeit, aus der christlichen Lehre deuten, dann ließen sich ihre inhaltlichen Bestandteile alle und für jeden erklären. Früher hat man, um alles feststellen zu können, die Kunst aus dem Technischen zu erklären gesucht: van Eycks Malerei aus seinem neuen Bindemittel, Rembrandts Helldunkel aus einem eigenen Malverfahren, die gotische Baukunst aus der besonderen Konstruktion. Oder man hat die Kunst als kulturgeschichtliches oder biographisches Erzeugnis behandelt, von den historischen Verhältnissen oder dem Leben des Künstlers abhängig. Eine modernere Ebene, alles zu erklären, war die Psychologie, von der das Künstlerische abgeleitet und analysiert wurde. Sicherlich ist die Kunst eine Geschichtsquelle ersten Ranges, in der heutigen Gegenwart ihrer Werke vielfach ergiebiger als Texte. Sicherlich ist das Leben eines Künstlers, seine Psychologie eine höchst wesentliche

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Frage. Es w ä r e falsch, diese Faktoren beiseite zu lassen oder nicht ernst zu nehmen. Wollte man jedoch aus ihnen alles und das Letzte erklären und somit auf eine rein intellektuelle, eigentlich unmusische Ebene übertragen, so kann darin die Form nicht vorkommen, nodi das, was Goethe ihr Geheimnis nennt. Es w ä r e so, als spräche man etwa von der mittelalterlichen Musik nur von ihren Texten her oder vom T e x t der damaligen Musiktheorie, die ja die gleichzeitige Musik selber nicht betrifft. So wichtig, ja unerläßlich beides ist, so w i r d die Musik selbst vergessen und verfehlt, wenn man ihre Form nicht erwähnt. Auch der Unmusikalische, auch der Taube könnte da mitreden. Form in ihrem letzten Wesen ist nicht gemacht, sondern erschaut. Wenn sie sich in dieser T i e f e daher einer wissenschaftlichen Feststellung entzieht, so bedeutet das nicht, daß „die Verehrer der Formen . . . gegen den wissenschaftlichen Geist" sind, wie Nietzsche f a n d . Mit Mystik oder „Intuitionismus" hat dies alles nichts zu tun. So wie vieles an der Kunst tatsächlich zu erklären ist, technisch, historisch, biographisch, soziologisch, geistesgeschichtlich, ikonographisch, ikonologisch — so ist auch an der Form vieles Konvention, Schema, Konstruktion, Lehre, Rezept, Regel, Nachahmung, „ E i n f l u ß " und daher geschichtlich abzuleiten, zu bestimmen, zu formulieren, zu erklären. D i e A u f g a b e liegt darin, alles E r klärbare zu erforschen und so jenen Bereich einzukreisen, w o dann das Unerklärbare beginnt, die Form selbst. Sie läßt sich nicht analysieren oder definieren. M a n kann nur versuchen, sie zu zeigen. Aber dies gelingt nur, wenn dabei alles E r k l ä r bare (das vielleicht unsere Sicht historisch verstellt, verändert, verfälscht) festgestellt und durchleuchtet worden ist. N u r so scheint es wissenschaftlich möglich, zur Form, zum Kunstwerk selber zu gelangen.

Zitierte R. E. G. Κ. F.

Assunto: Auerbach: Bandmann: Bauch: Bologna:

Werke:

L a critica d'arte nel pensiero medioevale. 1 9 6 1 . Figura. A r d i i v i u m Romanicum, Florenz 2 2 . 1 9 3 8 . 4 3 6 . Mittelalterliche Architektur als Bedeutungsträger. 1 9 5 7 . Imago. Festschrift für Wilhelm Szilasi. 1960. Spunti di Critica d ' A r t e medioevale. „Operis causa non f e r v o r devotionis". Zeitschrift Paragone X I I 1 9 6 1 M a i .

P. Frankl: E. Grassi: Nicolaus von Cues:

T h e Gothic, i 9 6 0 . D e r K a m p f gegen das Ästhetische. N e u e Rundschau. 1 9 6 1 . Die Schriften des Nicolaus

von

Cues,

D e r L a i e über den Geist, übers, v . M .

Honegger u. H . Menzel-Rogner, hergg. v . E . H o f f m a n n . Philos. Bibliothek 228 H e f t 10, H a m b u r g 1 9 4 9 .

G. von der Osten:

Der

Schmerzensmann.

Typengeschichte

eines deutschen

Andachtsbildwerks

von 1 3 0 0 — 1 6 0 0 . 1 9 3 6 .

E. E. E. E.

Panofsky Panofsky Panofsky Panofsky

Imago Pietatis. Festschrift M a x Friedländer. 1 9 2 7 . Hercules am Scheidewege. Studien der Bibliothek W a r b u r g 18. 1 9 3 0 . Studies in Iconology. 1 9 3 9 . E a r l y Netherlandish Painting. 1 9 5 3 .

Kunst als Form W. J.

Pinder: Sauer:

C. Schnaase: H. Schrade: H. Wölf flirt:

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Die deutsdie Plastik, vom ausgehenden Mittelalter bis zum Ende der Renaissance. Handbuch der Kunstwissenschaft. 1 9 1 4 f f . Symbolik des Kirchengebäudes und seiner Ausstattung in der Auffassung des Mittelalters®. 1924. Gesdiichte der Bildenden Künste im Mittelalter I — V . 1869—1876. Vor- und friihromanische Malerei. 1958. Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. 1922.

Klassik — Klassizität — Klassizismus 1932

Eine der wichtigsten Handhaben, mit denen wir uns künstlerischen Gegenständen nähern, ist die Kategorie „klassisch". Durch terminologisch-kritische, darauf durch historisch-prinzipielle Gedankengänge soll versucht werden, dieses „klassisch" in seinen Bedeutungen bewußt zu machen. Wir gehen dabei nicht von der Wortgeschichte aus. Es ist ein historistisches Mißverständnis, zu glauben, daß das Frühere immer das Echtere sei, als kämen wir auf die Ursprünge, wenn wir nur auf die zeitlichen Anfänge vorstoßen. Vielmehr hat die Geschichte des Wortes classicus ein bloß philologisches Interesse. Wie alle Geschichte hat sie ihren eigenen Erkenntniswert, kann aber, wie alle Geschichte, ein Gegenwartsproblem nicht direkt und positiv lösen. Auf ein Gegenwartsproblem kommt es jedoch hier an, auf „klassisch" als Bestandteil unserer heutigen Welt, als Werkzeug unseres ständigen praktischen Stellungnehmens. Wir versuchen daher, dieses „klassisch" zu verstehen, indem wir es nicht in seine Geschichtlichkeit, sondern in seine Gegenwärtigkeit vertiefen. Wir gebrauchen das Wort in verschiedenen Bedeutungen, ohne uns dessen immer bewußt zu sein. Bei dem Versuch, diese einzelnen Bedeutungen voneinander zu scheiden, muß zunächst notwendig schematisiert und vergröbert werden. Klassisch kann bezeichnen: erstens Klassik, zweitens Klassizität. Klassik ist der Name eines historischen Stiles. Es bezeichnet nicht bloß einen Kunststil, sondern den Stil einer Gesamtkultur. Man spricht von dem klassischen Tempel, klassischer Philologie, spezifisch klassischen Formen des Denkens oder Bildens, von der Epoche der Klassik, von einer „noch" klassischen Statue. Aber obgleich man ständig mit klassisch in diesem rein historisch benennenden Sinne arbeitet, ist man sich nicht einig, was man genau damit bezeichnet. Auf dem Naumburger Kongreß der Altertumswissenschaftier, der sich 1930 ausschließlich mit dem Problem des Klassischen abgab und f ü r dessen ernste und fruchtbare Bemühung der Sammelband mit den dort gehaltenen Vorträgen zeugt, 1 traten gleichwohl die widersprechendsten Ansichten zutage. Klassik bezöge sich auf „alles vom Parthenon bis zum Pantheon" oder — der gleiche Sprecher! — „im prägnanten Sinne" auf das griechische j . Jahrhundert und „dann wieder" auf die 1

Das Problem des Klassisdien und die Antike. Herausgegeben von W. Jaeger. Teubner, LeipzigBerlin 1 9 3 1 .

Klassik, Klassizität, Klassizismus

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Zeit von 1500 bis 1 J 5 0 . Oder: in der Literatur wäre Klassik Sophokles und außerdem Virgil. Einen Namen, den man überhaupt einem geschichtlichen Gegenstand gibt, sollte man audi nur für diesen historisch konkreten, also einzigen Gegenstand verwenden dürfen. Es gibt nur eine Gotik, und wenn dieser Name auf ein anderes historisches Ding übertragen wird, so ist das eben eine Übertragung. In der Schicht des Historischen kann es also nicht audi eine oder noch eine Klassik oder unter mehreren eine Klassik im prägnanten Sinne oder par excellence geben, sondern immer nur die einzige Klassik, das, was man auch Hellenik genannt hat, weil das Hellas etwa des 6. bis j . Jahrhunderts ihr Träger ist. Wenn wir von der französischen Klassik sprechen, so ist das eine vergleichende Übertragung jenes Namens und bedeutet zunächst nidit auch eine Klassik, sondern wie die Klassik, wie die Hellenik. Diese ist aber, wenn auch ihren Grenzen nach weniger genau als ihrem Zentrum nach, einmalig festgelegt wie jeder historische Gegenstand. Die Unsicherheit in der Anwendung der termini klassisch und Klassik hat ihren Grund in der mehrfadien Bedeutung unseres Wortes klassisch. Denn klassisch ist ja für uns nicht nur die Bezeichnung für das, was dem Hellas jener Jahrhunderte zugehört, sondern wir reden auch von einer klassischen Gotik, einer klassischen Periode der holländischen Landschaftskunst, von einer klassischen Ehe, einem klassischen Segelschiffstyp, einem klassisdien Skischwung! Mit alledem meinen wir nicht hellenisch, sondern etwas anderes. Wir sprechen nicht von der Klassik, sondern von der Klassizität dieses oder jenes Dinges. Das Wort klassisch spricht hier nicht einen Stilnamen, sondern einen Wertbegriff aus. Dieses „Klassizität" kann man bestimmen als „völlige Selbstverwirklichung". Wir nennen das klassisch, das sich und insofern es sich ganz erfüllt. Diese totale Selbstrealisation schließt kurz angedeutet etwa folgendes in sich: x. Reife, das ist2 ein bestimmter „biologischer" (vielleicht besser „geschichtlicher") Moment, vor dem schon eine Entwicklung (besser „Geschichte") liegt; 2. Einzigartigkeit, d. h. die Einmaligkeit des Sichvollendens im biologisch wie im geschichtlich qualifizierenden Sinne; 3. Bewußtwerdung, die sich aus der Reife und dem Einmaligen und Völligen ihres Erlebtwerdens ergibt, und 4. Mustergültigkeit, die aus diesem Bewußtwerden des Selbsterlebnisses im Moment absoluten Erfülltseins resultiert. Während also das erte „klassisch" einen historischen Gegenstand, die Klassik, bezeichnet, bezeichnet das zweite „klassisch" die Klassizität beliebiger Gegenstände menschlich-geistigen Lebens. Das ist eine terminologische Merkwürdigkeit. Als Stilname wird ein Wertbegriff benutzt. Um so auffallender, als die anderen älteren Stilnamen nicht etwa ebenfalls so gebildet sind, sondern im Gegenteil als f/wiperisbezeichnungen im Gegensatz zum Klassischen: archaisch im Sinne von uralt, also vorklassisch; Hellenismus doch eigentlich im Sinne einer zweiten, einer abgeleiteten Hellenik; ähnlich 2

Vgl. die ähnlichen Formulierungen von Herbert Kuhn a. a. O., S. 109, die ich verwerte.

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Attizismus als retrospektives Wiederaufnehmen der attischen Klassik; Klassizismus ein Wiedersuchen der Klassik allgemein; dann Gotik, was nichts als Barbarenstil im Gegensatz zum Klassischen bedeutet; Barock, was verrückt heißt gegenüber Burckhardt-Wölfflins „klassischem Stil"; endlich (als neuester Stilname) Manierismus, was in der Sprache der Klassik einfach Manieriertheit bedeutet. Daß ein Stil mit einer Wertbezeichnung, die anderen mit Unwertsbezeichnungen in erklärtem Gegensatz dazu benannt werden, diese Merkwürdigkeit gilt es zunächst aufzulösen. Warum nennen wir die Klassik klassisch? Etwa weil wir in ihr die Voraussetzungen der Klassizität erfüllt sehen? Nein. Die historische Klassik ist nicht etwas Klassisches oder ein Klassisches, auch nicht das erste oder höchste Klassische — sondern unser Klassisch. Denn jenes Klassisch ist ja im Grunde genommen etwas Drittes und nicht jener objektive Wertbegriff, als den wir ihn gebrauchen, als sei das etwas Ähnliches wie etwa der objektive Wert des Echten oder des Edlen oder des Reinen. Mit klassisch ist vielmehr eine ^ffertbeziehung ausgesprochen. Klassisch ist eigentlich das als völlige Selbstverwirklichung vom Sprecher Anerkannte, nicht im Sinne einer logisch oder psychologisch selbstverständlichen Bezogenheit jedes Wertes auf den Wertenden, sondern inhaltlich umfassender: der Sprecher anerkennt in dem, was er klassisch nennt, das für seine eigene Selbsterfüllung (für sein eigenes Reif-, Einzig-, Bewußt-, Vorbildlich-Werden) Verbindliche. In diesem exklusiven und qualifizierten Sinn heißt klassisch nur „gültig". Das heißt stets gleichzeitig „für wen"? In drei Bedeutungen also wenden wir „klassisch" an: i. auf die „Hellenik", 2. auf alles zu totaler Selbstverwirklichung Gelangende, 3. auf das für uns im Hinblick auf unsere Selbstverwirklichung Gültige. Wie jeden in der Geschichte gelegenen Komplex — etwa die Gotik — können wir auch die Klassik, nämlich die Hellenik des 6. bis j . Jahrhunderts v. Chr., in ihrer geschichtlichen Erstreckung und Bedeutung behandeln — etwa nach Entstehung, Entfaltung, Wesen, Wirkung. Zweitens können wir — wie etwa ebenfalls an der Gotik — im allgemeinen Wertsinn die Klassizität jenes menschlichen Stils aus der Völligkeit, Einzigartigkeit, Bewußtheit und Mustergültigkeit der Verwirklichung aller in ihm liegenden Möglichkeiten aufweisen. Aber wir können weder deskriptiv noch systematisch sagen, wieso diese Klassizität dieser Klassik nun gilt, d. h. für uns gilt, wieso das unsere Klassik ist. Wir können die für uns verbindliche Gütigkeit der Klassik nicht schildern und nicht begründen wie einen objektiven Gegenstand oder einen objektiven Wert. Wir können sie nur bekennen. Aber wie jede Art von Bekenntnis meist die Form einer historischen Behauptung oder einer objektiven Wertung annimmt, werden auch hier meist alle drei Schichten herangezogen, ohne daß Geschichte, Wert und Wertbeziehung unterschieden werden. Indem man nicht weiß, wovon man eigentlich redet, ergeben sich sowohl für den Umfang als für das Wesen der Klassik die stärksten Meinungsverschiedenheiten.

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Der Philosoph wird als Klassik immer nur „die Hellenik", der Altertumswissenschaftler „die Antike" nehmen, der Kunsthistoriker wird meist die sogenannte „Renaissance" hinzufügen, der Romanist noch „das Dixseptième" Frankreichs, der Musik- und Literarhistoriker das deutsche 18. Jahrhundert, also jeweils denjenigen geschichtlichen Zeitraum, innerhalb dessen er das sich voll verwirklichen sieht, mit dem er sich durch sein Interesse identifiziert. Wo es aber um das Wesen der Klassik geht, so kommt es immer wieder zu eigenartigen und bezeichnenden Formulierungen: Schadewaldt (a. a. O. S. 16) charakterisiert sie treffend folgendermaßen: „Man faßt gewöhnlich die klassische Kunst als objektivierte Leistung, die die Polarität von zwei einander entgegenwirkenden Formkräften schöpferisch ausgleicht." Pinder etwa spricht von dem „ewig denkwürdigen Versuch, einen wirklichen Ausgleich zwischen Ja und Nein zu geben, als die unbedingt im Bedingenden lebende Form". Strich meint, „daß hier der Widerspruch zwischen Raum und Zeit zur Harmonie gebracht sei". L. Curtius erkennt „einen Drang in ungemessene Ferne, den das Gesetz des Maßes aufhält und beschränkt". Aber was besagen diese „einerseits — andererseits"? Was sind diese einander so ähnlichen Umschreibungen und antithetischen Paradoxa anderes als jeweils eine ganz allgemeine und unspezifische Superlativierung? Was bedeutet es ferner, „die Harmonie" als Grundgesetz der Klassischen hinzustellen und damit für ein U ein X setzen, von dem schon Alberti nichts Näheres aussagen wollte? Symmetrie, Rhythmus, Proportionen sind doch nichts wie Rahmen. Es sind nur Beziehungen ohne Inhalt. Welches Maß, welche Proportion ist gemeint? Welche Menschlichkeit ist es, nach der sich einst die Humanisten nannten? Doch nicht Menschlichkeit überhaupt und an sich, nicht eine allgemeine Menschlichkeit, die sich also nur gegenüber etwa dem Tier abgrenzte, somit etwa die Neger mit einschlösse, die doch auch eine Menschlichkeit haben. Gerade das ist ja nicht gemeint. Gemeint ist im Grunde unsere Menschlichkeit; nicht die Natur, sondern unsere Natur. Alle jene weitausgreifenden und inhaltslosen Plus-Minus-Ausdrücke sprechen im Grunde nur aus, daß die Klassik für uns gültig ist, daß wir also das Unsrige in der Klassik verwirklicht finden. Wir geben nicht die objektive Feststellung objektiver Werte, wenn wir mit jenen alles und nichts sagenden Bildern die Klassik umschreiben, sondern mit diesem Ja und Nein, mit diesem Fern und Nah, diesem Ein und Alles bekennen wir etwas wie unsere Sohnschaft, insofern etwa eigene Eltern der objektiven Wertung, auch der objektiven Sichtbarkeit unzugänglich bleiben. Wir können den Berg, auf dem wir stehen, nicht beschreiben und nicht beurteilen. Wir können nur sagen: hier stehe ich. Weil wir dabei über uns selbst sprechen, kleiden wir unsere Aussage oft in die Form von superlativischen Behauptungen oder Urteilen, oder wir vergleichen diese für uns unübersehbare, weil mit uns verbundene und in uns hineinreichende Sache wiederum nur mit Allgemeinheiten. Uberflüssig ist es natürlich, das inhaltlich Zutreffende dessen, was jene Formu-

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lierungen eigentlich meinen, nodi eigens anzuerkennen. Was die Klassik bedeutet f ü r unser Denken, Vorstellen, Aufnehmen, f ü r unsere Auffassung von Kunst, Gesellschaft, Wissenschaft, Geschichte, das steht oberhalb jeder Diskussion. Diskutiert wird hier nur die Formulierung dieser Bedeutung, die vorgibt, den objektiven Wert der Klassik, die ihr an sich eigene Klassizität auszusprechen, während sie im Grunde nur die Klassik f ü r gültig und verbindlich erklärt. Immer handelt es sich bei Geschidite um Bedeutung. Jede sogenannte objektive geschichtliche Erkenntnis, sofern sie stets eine Art Wertung mit enthält, steckt gleichzeitig die Distanz ab von dem im Dunkel der Vergangenheit gesichteten Licht: ob wir davon entbrannt oder nur erwärmt oder nur erleuchtet oder nur wie von einem fernen Schein getroffen werden. Immer ist die Geschichte im Grunde meine Geschidite. Immer ist mein Gewordensein ihre Grundfrage. Immer ist ihr einziges τέλος das Ich. — Aber diese „Ichbezogenheit" ist hier natürlich weder als psychologische Selbstverständlichkeit, noch als positive Inhaltsbestimmung gemeint: in ihr drückt sich weder die Bedingtheit, nodi die Aufgabe der Geschichte aus, sondern immer nur ihr letzter, stets bloß impliziter Sinn. Wenn wir jedoch gemeinhin von klassisch reden, handelt es sich, sobald es nicht um reine Deskription der historischen Klassik geht, um eine direkte und positive Wertsetzung. Da ist die Unterscheidung wesentlich, ob wir von einem f ü r uns und in uns Gültigen sprechen oder von einem vermeintlich objektiv Werthaften, das so umfassend und allgemein ist, daß es als der Wert oder das Wertsystem überhaupt erscheint. Ist also das Wertsystem der Klassik bloß unser Wertsystem oder ist es das Wertsystem? Oder umgekehrt: ist das Klassische grundsätzlich relativierbar? Sobald man das Wertsystem der Klassik als das Wertsystem erklärt, lehnt man seine Relativierbarkeit ab. Damit wird alles in der Welt, was historisch vor, neben und nach der Klassik war, als normfähiger, normgebender Wert geleugnet (nidit bloß als N o r m für uns, sondern als N o r m überhaupt). Was vor der Hellenik in Assur und Ägypten verwirklicht worden ist, was neben ihr in den asiatischen Kulturen Gestalt gewonnen hat, was seit ihr sich im Norden Europas realisierte — und sei es nur die reife, bewußte, tief verbindliche Formwerdung des Christentums im gotischen Mittelalter —, alles dies erscheint von jenem Standpunkte aus als unfähig zur Form und zur Norm, d. h. zu der universalen und objektiven N o r m der Klassizität. Alles dies erscheint von jenem Standpunkt aus „barbarisch". Und diese Bezeichnung ist ebenso sachlich wie ausschließend: sie bedeutet uneuropäisch, genauer: unhellenisch, also eigentlich unklassisch. Was f ü r ein Standpunkt ist das? Indem in der Sprache die drei Bedeutungen von „klassisch" identifiziert werden, indem also die f ü r mich als verbindlich anerkannte Klassizität der Klassik als Klassizität überhaupt gesetzt wird, wird die Klassik zum Dogma erhoben. Dies nennen wir Klassizismus. Hier muß vorweg das falsche Bild berichtigt werden, das bei dem Wort Klassizismus vor uns aufsteigt: dünne Antikisiererei, schwächliches „Idealisieren",

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„äußerliches" Nachahmen klassischer Einzelformen, neuerdings sogar direkt flache, flächige oder umrißhafte Bildform, jedenfalls Gegensätzliches zu „Naturalismus", „Renaissance" oder „Barock". „Im Gegensatz zur Renaissance", sagt Schadewaldt (a. a. O. S. 21), „ist aller Klassizismus dadurch bestimmt und beschränkt, daß er klassische Formen eben nur als Formen wiederholt." Schweizer sagt (S. 78): „Je nach der Art der Bewußtheit in der Wahl der Vorbilder, je nach der Eigenart der Motive, je nach der Universalität der Erscheinungen unterscheiden wir Epochen des Klassizismus mit einer wesentlich zwedkbewußten und aus Reaktion geborenen Hinwendung zum Klassischen von Renaissancen und wahrhaft klassischen Zeiten." Drittens Kuhn (S. 1 2 1 ) : „Die Wiedergeburt aus dem Geist entartet zur Wiederholung der Einzelform — die Klassik wird Klassizismus!" Also nicht nur „Klassik", sondern — wie diese widerspruchsvollen Formulierungen zeigen — auch „Klassizismus" wird unter recht verschiedenen Bedeutungen angewandt. Zunächst bezeichnen wir damit ungefähr denjenigen historischen Kunststil, der etwa in Frankreich des „Louis X V I " , „Directoire" und „Empire" umfaßt. Dieser Stilname ist jedoch nicht ein längst sinnlos gewordenes Namenswort wie Gotik oder Romantik — Zopf, „Dorik", Biedermeier etwa —, sondern bezeichnet ferner nodi etwas wie ein Stilprinzip, eben den -ismus der Klassik, also die dogmatische Anerkennung der Klassik als ausschließlicher und objektiver Norm. So kommt Verwirrung. Unsere Geringschätzung des Stils von 1800 läßt uns davor zurückscheuen, wie es richtig wäre, ein reines Stilprinzip Klassizismus zu nennen — weil uns das abschätzig klingt. Und da mißbrauchen wir lieber die „Klassik" als das „Klassizismus". Wir nennen alle das Haus am Frauenplan klassizistisch, aber Goethes Anschauungen über Altertum und Kunst überhaupt nennen wir klassisch — oder Renaissance. Will man sich überhaupt verständigen, so muß man sidi zu eindeutigen Benennungen entschließen. Nicht nur im Wesen eines historischen Stils, der die Klassik ist, sondern auch im Wesen der Klassizität, die der Klassik eigen ist, liegt grundsätzlich absolute Einmaligkeit. Andererseits ist das allgemeine Stilprinzip „Klassizismus" etwas anderes als der klassizistische Stil um 1800. Man hat vielmehr jeden Stil klassizistisch zu nennen, insofern er die Klassik theoretisch oder praktisch zu seinem Dogma erhebt, gleichgültig, wie er sonst aussieht, heißt oder ist. Anders wird die ständige Diskussion über „das Klassische" oder die „Renaissance" etwa bei Virgil, Giotto, Brunelleschi, Corneille oder Lessing nie fruchtbar werden können.

Der erste große klassizistische Stil ist im ausgusteischen Rom verwirklicht worden. Damals wurden die Normen der griechischen Klassik zum Dogma erklärt. Man kann diese römische Kultur nicht auch „die Klassik" nennen, schon wegen eines Unterschiedes gegenüber der einzigen Klassik: diese hat nur an ihre eigenen Normen geglaubt; sie hat gewiß ihre Vorgeschichte bewußt als ihre Vorgeschichte

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und Homer als ihren Ahnen und Erzvater gewertet (wie es ja zum Wesen der Klassizität gehört, bewußt Geschichte und Herkunft zu haben), aber sie hat nichts und niemanden als klassisch erlebt und anerkannt als sich selbst. Allein darin liegt — im äußeren Verhältnis zu allen Klassizismen — ihre Einzigartigkeit. Rom hat Hellas als Norm anerkannt. Stroux sagt (a. a. O. S. ι ff.), daß Virgil und Horaz in ihrem Schaffen Schränken der griechischen Klassik anerkannten und innehielten, die doch „weder von Natur, noch von den römischen Voraussetzungen gegeben waren". Geizer betont in seiner Behandlung der Staatslehre der Klassik, daß Cicero theoretisch völlig griechisch dachte, ohne die durchaus andersartigen römischen Gegebenheiten zu berücksichtigen (a. a. O. S. 108). Er verhielt sich also genau wie der Architekturtheoretiker Vitruv, der in seinem umfassenden Werk über die Baukunst mit keinem Wort die blühende römische Architektur mit ihren völlig selbsterschaffenen Leistungen des Mauer-, Pfeiler- und Bogenbaus erwähnt, sondern ausschließlich von den griechischen Ordnungen und Bauregeln spricht. Dies gerade ist das, was wir Klassizismus nennen müssen. Virgils tiefe, neuartige und originale Schau gewann Gestalt in homerischen Hexametern und unter einem griechischen Titel. Die kolossalen Bogenbauten Roms standen hinter Fassaden aus griechischen Säulen und Gebälken, möglichst aller drei oder vier Ordnungen übereinander. Ebenso gewiß wie allein diese Beispiele jeden verächtlichen Nebensinn des Wortes Klassizismus ausschließen, ebenso gewiß ist mit ihrer Formenübernahme ihr Klassizismus erwiesen. Aber auch diese „Formennachahmung" an sich ist nichts Verächtliches. Es wurden Äußerungen angeführt, die zwischen einer „bloßen Übernahme von Einzelformen" und einem „tieferen Wiederaufnehmen des Formensinnes" unterscheiden wollen. Aber jede Einzelform ist ja Gestalt und Repräsentant eines Formprinzips, ist ja Form aus einer bestimmten Gesamtform heraus, die eben in der Einzellösung anerkannt, übernommen, zu eigen gemacht wird. Anders als vom schöpferischen Erfahren des Einzelnen her können wir ja gar nicht zum Ganzen vordringen. Denn gerade dieses Ganze, der tiefste Sinnzusammenhang der Einzelformen ist in seiner Ganzheit überhaupt nicht reproduzierbar noch — mystisch ausgedrückt — wiedergebärbar. Die römische Architektur übernahm mit den Säulen und dem Gebälk von den Griechen gewiß nur Einzelelemente, aber sie wurden wichtige Keime zur Entwicklung eines eigenen Stiles. Diese Architektur, die sonst nur mächtig gewesen wäre, gewann mit dem Hellenischen das Edle hinzu. Und ebenso gewann in der Literatur und der gesamten Kultur Rom mit seinem schöpferischen Nachahmen, Verarbeiten, Sicheinverleiben grundlegender klassischer Einzelerkenntnisse die Möglichkeit, von jener von den Griechen erzeugten Menschlichkeit aus sich diejenige neue Gestalt zu geben, aus der Europa, d. i. der neue Begriff der „Menschlichkeit" entstand. Erst seit Rom aus der Gesamtvorstellung „der Antike" geschichtlich gelöst, seit im Stil des Imperiums und seiner Kunst das Klassizistische gesehen wird, ist es möglich, hinter den übernommenen Verkleidungen das gewaltige Eigene zu

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erkennen, das seinem Ursprung nach mit Hellas nichts zu tun hat. Doch wurde von den Römern alle Bildung — und dazu gehört im Imperium die Kunst — grundsätzlich klassizistisch aufgefaßt. Dies hat kanonische Bedeutung erlangt und jedesmal wiedergewonnen, sobald der Weltreichsgedanke und damit die Erinnerung an das alte Rom wieder auftauchte. Bei K a r l dem Großen und Friedrich II., im deutsch-römischen Imperium und im lateinischen Kaisertum, im päpstlichen Imperialismus um 1500, bei Ludwig X I V . und den Engländern des entstehenden Weltreichs, bei der Weltrevolution und dem „Empire" der Franzosen finden sich Züge dieser Art, immer statt des geschichtlichen Fortbildens des Überkommenen ein theoretisch unterbautes Zurückgreifen auf die unvergängliche Gegenwart des antiken, d. h. des römischen Gedankens. Von größter Geltung und Bedeutung f ü r das Abendland ist der Klassizismus der „Renaissance"-Zeit. Haseloff hat kürzlich (Mitt. d. Florent. Inst. 1932, S· 37}), ähnlich wie Philippi, nochmals sehr umfassend zusammengestellt, was das Wort Renaissance alles schon einmal bedeutet hat. Der außerordentliche Erkenntniswert solcher Arbeiten liegt in der Relativierung unserer heutigen Terminologie. Noch vor hundert Jahren hieß ganz etwas anderes „Renaissance" als heute. Vielleicht sollte man einmal in den Vordergrund die Frage rücken, was in der Renaissance eigentlich „wiedergeboren" worden sein soll. J e nachdem man von einer Wiedergeburt der „Antike" oder einer Wiedergeburt Italiens spricht, redet man von verschiedenen Dingen. (Allgemeine Renovatio-, Reformatio·, Restitutio-Vorstellungen, wie sie Burdach zusammengestellt hat, sind überhaupt auszuscheiden, wenn über das Inhaltliche der Erneuerung und ihres Vorbildes nichts gesagt wird. Es gibt keine Epoche ohne allgemeine Regenerationsansätze, ohne Jahresringe der Entwicklung.) Italien ist im Trecento wiedererstanden. Mit Giotto, Dante, Arnolfo werden die vielfältigen französischen Anregungen und Einflüsse vollkommen in die italienische Tradition eingearbeitet. Damit tritt Italien neben dem zerschlagenen Deutschland und dem alternden Frankreich die europäische Kulturhegemonie an. Im 14. Jahrhundert, während doch das unterminierte Paris immer noch die Kurie und die offizielle Führerschaft festzuhalten suchte, wäre der Aquinate nicht mehr nach dem Norden gezogen. Als der Papst zurückkehrte, w a r der künstlerische Primat Italiens entschieden. Erst in diesem Moment jedoch, gegen die Wende zum 1 5 . Jahrhundert, setzt die inhaltliche „Wiedergeburt der Antike", die klassizistische Periode der „ R e naissance" ein. Die Trecentisten hatten sich zu Herren der abendländischen Kunst gemacht, in dem sie meisterlich ihrer Kunstsprache das Französische eingefügt und es damit überwunden hatten. Klassizistische römische Grundzüge der eigenen Vergangenheit hatten sie in ihr modernes Italienisch eingefügt. Poggio, Brunelleschi, Donatello wollten Lateinisch reden. Der Gründlichste aber darin w a r Alberti, der Theoretiker des Klassizismus bis auf die moderne Ästhetik hin,

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soweit sie nicht über naturwissenschaftlichen Psychologismus und objektivistische Schönheitslehre hinausgelangt ist. Man pflegt jedoch als Charakteristikum der Renaissancekunst des 15. Jahrhunderts außer der „Nachahmung" der Antike stets nodi ein zweites anzuführen: die „Nachahmung" der Natur. Auch Haseloffs Referat kommt schließlich zu diesen beiden Positionen, ohne ihre scheinbare Gegensätzlichkeit weiter zu erklären. Allein beide Male ist doch von „Nachahmung" die Rede. Man braucht dem „signifier" aller mittelalterlichen Kunst nur dieses „imitari" entgegenzuhalten, um sogleich das sachlich Zusammenhängende beider Arten von „Nachahmung" zu sehen. Die mittelalterliche Kunst „bezeichnet" etwas, die Renaissancekunst „ahmt nach". Sie ahmt die Formen der Antike und die der „Natur" nach. Dies ist eine Grundauffassung des klassizistischen Denkens von Alberti und Vasari bis Burckhardt und Hildebrandt. Manche von ihnen setzen die Antike der Natur nicht nur parallel, sondern gleich. Die Formen der Antike gelten als ebenso urtümlich und daher vorbildlich, wie die Formen der Natur urtümlich und vorbildlich sind. Wölfflin hat gelegentlich von der t/rform, der Naturform — des ionischen Kapitells gesprochen. Ebenso, ja sogar von der „gottgewollten" Form dieses Kapitells hätte der Prior Alberti gesprochen, wobei offen bleibt, ob das heißt „von Gott gewollt" oder „von den Göttern gewollt". Es ist eine klassizistische Haltung, die Natur als etwas objektiv Vorhandenes, objektiv Eigengesetzliches zu wähnen, von einem „Reich der Natur" zu sprechen, das ebenso wirklich wäre wie das Ich. Wenn wir von der Natur sprechen, so meinen wir immer die „klassische" Formulierung von Natur. Wenn wir durchstoßen wollen auf die „eigentliche" Natur, kommen wir immer nur auf das, was die „Alten" Natur genannt haben. Es entspricht sich mit Notwendigkeit, daß Brunelleschi, Masaccio und Donatello gleichzeitig die antikischen Architekturformen, die anatomisch fundierte Menschendarstellung, die Linearperspektive, die „Natürlichkeit" der autonomen Bildwelt entdeckten, also wiederfanden. „Naturalismus" und Klassizismus sind nicht Gegensätze, sondern, wie die Analyse und die Geschichte zeigen, zwei Äußerungen einer und derselben Haltung, nämlich der dogmatischen Anerkennung der Klassik: ihre Formen sind die Formen und ihre Natur ist die Natur. Noch enger rücken Klassizismus und „Naturalismus" zusammen, wenn man fragt, wo denn die Gegensätze dazu liegen. Es zeigt sich, daß diejenigen Stile (Denkstile, Lebensstile, Gestaltungsstile), die dem Klassizismus entgegengesetzt sind, auch dem Naturalismus entgegenstehen, nicht nur in der Kunsttheorie, sondern ebenso in der Kunst und allen anderen Kulturgebieten. Jede Art von Transzendentalismus richtet sich in gleicher Weise gegen die Klassik wie gegen die Objektivität der Natur. Das gotische Mittelalter (und das, was vom gotischen Mittelalter unvergangen ist) ist darum von beidem gleich weit entfernt. Und wie dem die Renaissance gegenübertritt, stellt sich gegen den gegenreformatorisch-religiösen, transzendentalen, antikefremden oder -feindlichen Manierismus der Barock. Berninis Kunst ist in ihren Grundlagen ebenso klassizistisch wie

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naturalistisch. Die Extreme heißen Poussin und Holland, oder Corneille einerseits und die holländisch-englische naturalistische Philosophie andererseits — alles gleichermaßen im Rationalismus stilistisch fundiert, der hier dem Klassizismus entspricht. Und wie das 18. Jahrhundert wiederum im „ R o k o k o " in seiner gesamten Kultur, in der Gesellschaft, der Architektur und Malerei, „den Boden unter den Füßen verliert" — da tritt ihr jene große Bewegung entgegen, die in der Kunst durch nichts besser veranschaulicht wird, als durch Davids „Tod des Marat". Ein tief rationalistischer Klassizismus und ein fast panoptikumhafter Naturalismus sind die stilistischen Grundlagen dieses Werkes. Davids „Schwur der Horatier" war das Programmbild der französischen Revolution, deren Gedankengänge in der Formulierung der Menschenrechte gipfelten. Sie sind ebenso „klassizistisch" wie etwa das Soziale und Imperiale und Atheistische der Weltrevolution (gegen den gotisch-barocken Feudalismus, Klerikalismus und Legitimismus). Allerdings: wie der römische Klassizismus das Italische, wie die „Renaissance" das Mittelalter mit umschließt und elementar enthält, so ist hier Frühromantik und Pietismus wesentlich wirksam. Allein an jedem dieser historischen Punkte gibt das klassizistische Dogma dem Vorhandenen eine neue Wertsetzung und Bedeutungsrichtung, so daß alles Frühere wie plötzlich abgeschnitten und erledigt erscheint. Inhaltlich gelten alle diese Werte natürlich nicht von der Klassik selbst, sondern von dem, was die Klassizismen aus der Klassik gemacht haben. Daß gerade diese Elemente alle komplex darin vorhanden sind, deutet ein echt klassizistischer Satz Jaegers in seinem ganzen Umfang an. Er spricht bei der Klassik von der „völlig objektiven N o r m im Leben der Welt und der Menschen — und zwar von N a t u r " (zitiert a. a. O. S. 99). Darin ist die besondere Bedeutung des Geformten, der Übernahme und Ubernehmbarkeit des zur Form Objektivierten angedeutet: vom objektiv-menschlichen geht der soziale Rationalismus aus; in der Autonomie der Weltordnung — von Natur — ist ihre Diesseitigkeit beschlossen, ohne Gott; in der Norm das gesetzlich Verbindliche, das die großartige Tradition der Lehre erzeugt hat, deren Etappen wir verfolgten. — Denn die Klassik ist fern. Jeder Klassizismus übernimmt sie anders und auf anderem Wege. Jeder Klassizismus sucht die Klassik auf dem Wege über den ihm voraufgehenden Klassizismus. Der Zeit des Augustus hat schon der voraufgehende Attizismus den Zugang zur eigentlichen Klassik vermittelt. Für die klassizistischen Strömungen des Mittelalters war ausschließlich Rom und die römische Provinzkunst das Mittel, durch das man die Klassik suchte. Die Renaissanceklassizisten betrachteten wieder jene Bauten der „Protorenaissance" (!) als klassisch. Für Brunelleschi w a r das mittelalterliche Baptisterium in Florenz ein antiker Bau und auf solchen mit Genauigkeit nachgeahmten Vorbildern beruhen die Formen der „Renaissance"-Architektur. Für alle späteren Klassizisten w a r dann stets die „Renaissance" die Mittlerin zur Klassik. „ R a f f a e l und die Antike" war bis ins 19. Jahrhundert das, was man klassisch nannte. Jeder Klassizismus rechnet den 4 Baudi, Studien



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vorausgehenden mit zur Klassik. Aber da er die Klassik jeweils um soviel, als er ihr entfernter ist (vermeintlich richtiger oder echter, in Wirklichkeit nur) anders und heutiger sieht, so glaubt er sich der Klassik besonders nahe und nennt sich gern Renaissance. So bestimmte spätantike Klassizismen, so die Archäologie Albertis (gegenüber Brunelleschi), so der Humanismus der Aufklärung und des „Idealismus", durch den wiederum der heutige Aspekt grundlegend bedingt ist. Wölfflin nennt Goethe zusammen mit Raffael, Rom und Hellas klassisch. Da zeichnet sich die große Ahnenlinie unserer Bildung ab. Wer jedoch in der Geschichte die Gestalt des Eigenen und Einzigen, das Schöpferische, aufsucht, wird dahin nur gelangen, wenn er den Klassizismus in seiner Geschichtlichkeit und damit erst die Einmaligkeit der Klassik sieht. Sie ist nicht das Vorbild, sondern nur das Urbild, nicht das Vorbild, sondern sogar das Urbild unserer Bildung.

Abendländische Kunst Einleitung 1952

In diesem Buch wird versucht, unsere Kunst in ihren geschichtlichen Verwirklichungen zu zeigen. Es soll aufgewiesen werden, was diese europäische Kunst in ihrer Geschichte — nicht war, sondern ist. So werden aus ihr einige Stile herausgehoben, einige der Völker, der Künstler, nur einige der Epochen, der Zeitpunkte, einige der Künste, der Werke, und an ihnen allen wieder nur einige Züge — jeweils die, in denen das Wesentliche gesucht wird, das ja im einzelnen wie im ganzen ist. Am reinsten erscheint es an den Höhepunkten der Reife, da die Kunst, indem sie sich vollendet, Einmaligkeit, Ursprünglichkeit und Geltung gewinnt. Das Werk dieser Vollendung bleibt — fertig, unveränderlich, endgültig, erhoben über jedes Wo und Wann. Das Kunstwerk ist in sich völlig und gegenwärtig, und doch ist es einmal und irgendwo entstanden. Das Menschliche und Praktische, das Zeitliche und Räumliche seiner Entstehung sind jedoch in ihm hinausgehoben über die eigene damalige Gegenwart, darin gerade gewinnt es seinen Rang. Es enthält und bedeutet Geschichte. So ist sein Werden eine Seite seines Wesens. Aus dem Nichts entsteht keine Kunst. Es soll verfolgt werden, wie eine jede Kunst schon eine bestehende, vorherige voraussetzt. Das Vorgefundene wird zunächst nachgemacht. Daß aus dem Nachmachen ein erstes Schöpferisches wird: das Lernen, dies setzt sdion eine eigene ältere Herkunft auch des Lernenden voraus. Er bildet seinen neuen Stil in der Auseinandersetzung mit einer herrschenden Kunst. Aufnehmend und lernend tritt das Neue neben — und dann vor das Vorhandene, überlegen durdi eine tiefere Gegenwärtigkeit. Die ältere Kunst sinkt, indem sie die neue anerkennt. Sobald sie nicht mehr von den Gesichtspunkten gesehen wird, die sie selbst enthielt und setzte, sondern von den fremden, neuen, veraltet sie. Kunst wird hier aufgefaßt als Schöpfung. Ihr Werk ist so weder vorher noch nachher noch irgendwo anders möglich. Sie bestimmt, so scheint es, ihren Ort in der Historie. Verflochten mit allen Bedingungen des historischen Ablaufs setzt ja dennoch die Kunst selbst den Sinn dieser Gegebenheiten. Indem sie Geltung über sich hinaus gewinnt, schafft sie Geschichte. Sie strahlt von ihrem historischen 4*

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Ort aus: in diesem Licht scheint, was vorher war, auf sie hinzuführen zur Vollendung, was nachher kommt, scheint auf ihr zu beruhen, von ihr aus weiter- und fortzuführen. Sinn und Richtung eines Stils, soweit er sich entfaltet und erstreckt, erschließt sich nur von der Schöpfung selber her. Von dort, von der Vollendung, vom Höhepunkt stammen die Maßstäbe für alles Eigene und Fremde, alles Frühere und Spätere, für Rang und Wert überhaupt. Dies soll selbst für den Schöpfer einer Kunst gelten. Sein Wesen wird — über die Zeit, ja, über die Kunst hinaus — durch seine Schöpfung bestimmt, nicht nur umgekehrt. Sie entsteht ja aus dem einen Moment einer gesteigerten Ursprünglichkeit, in der er über sich hinaustritt. Es erscheint undenkbar, daß ein Künstler oder ein Volk sind, was sie sind, und außerdem noch ihre Werke schaffen. Was sie sind — erst der Augenblick der Begeisterung macht sie dazu, hebt sie zur Schöpfung empor, die immer auch Selbstschöpfung bedeutet. Kunst gewinnt nicht nur aus einem Volke oder einem Künstler Wirklichkeit, sondern der Schöpfer erfährt umgekehrt sein Wesen aus seiner Kunst. Von hier aus wird seine Geschichte und Natur, seine Besonderheit und Anlage ersichtlich. Von hier stammen die Gesichtspunkte, unter denen ein Künstler oder ein Volk seine Leistung und überhaupt sich selber sieht und von andern gesehen werden soll, weit über die Kunst hinaus. Wie der Künstler unter den Künstlern, so schafft sich von dieser Seite her auch das Volk unter den Völkern seine Stellung. Die größte Schöpfung strahlt über das Volk und seine Geschichte hinaus auf die andern Glieder der europäischen Völkerfamilie. Diese wird hier als die weiteste Einheit betrachtet, was ihr angehört, als das Unsrige. In ihrem Kreis setzt sich der aufkommende Stil eines der Völker durch. Das Schöpferische ist in Europa für alle Völker schöpferisch. Gewiß behält jedes Volk seinen besonderen Stil. Niemals, auch in ihren schwärzesten Zeiten nicht, sind die großen Kulturvölker des Abendlandes ganz unfruchtbar und ohne Kunst. Jedes von ihnen hat seine Uberlieferungen und innerhalb des wechselnden äußeren und inneren Umfanges seinen eigenen Bestand. Aber jeweils eines unter ihnen allein ist das führende. Gerade in solchen jahrhundertelangen gegenseitigen Spannungen und Auseinandersetzungen bilden sich erst die Möglichkeiten und das Vermögen zu einer Schöpfung höchsten europäischen Ranges. Wer daran nicht — gebend oder nehmend — mitwirkt, gehört nicht dazu. Eines der Völker ist jeweils das „fortschrittlichste", eigentlich das allein Gegenwärtige, hinter dem die andern zurücktreten. Das spürt niemand besser als die Künstler selbst, und gerade die großen. Es geht dabei nicht einseitig um „Einfluß". Wie die Anregungen von außen in den eigenen Uberlieferungen und Möglichkeiten fruchtbar werden, das ergibt sich jedesmal anders. O f t ist das Gefalle zunächst noch kaum zu bemerken. O f t genügt eine kurze oder mittelbare Berührung, um den Funken überspringen zu lassen, gerade wenn beide Partner auf hoher Stufe stehen und von sich aus Versuche und Fragen vorentwickeln, deren Lösung dann doch nur von einer Seite, der entscheidenden, kommt. Manche Stile

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breiten sich wie eine Sturmflut über den ganzen Erdteil aus und schwemmen das Ältere und Andere hinweg. Andere — oder andere ihrer Stadien — wirken rein als Anregung, aber um so zwingender. Manche Stilberührung führt andere Völker erst zu sich selber und einer eigenen Schöpfung, indem sie aus ihren besonderen Voraussetzungen dadurch zu einer neuen Produktivität angeregt werden. Aber wie jeder Schöpfung Ausschließlichkeit eignet, so wird auch oft dem anderen seine Überlieferung zerstört, seine Kunst erscheint plötzlich zukunftslos, vergeblich, veraltend, vielleicht von einem bescheideneren National- oder Heimatgesichtspunkt aus immer noch beachtenswert, aber europäisch gesehen unschöpferisch und leer. Im Ausstrahlen über den eigenen Bereich bestätigt sich in einem Stil seine europäische Bedeutung. Er bleibt — über sein Volk hinaus — ein unverlierbarer Bestandteil Europas. Gewiß vergeht er historisch, aber wie alles Einmalige und Einzigartige erweist er sich gerade darin als bleibend. Alles Kommende hat sich an ihm zu entfalten und zu bewähren. Nicht nur bestimmt er das Volk, das ihn schuf, für alle Zukunft, nicht nur bestimmt er fremde Stile, geht im Untergehen in sie ein, wirkt nach, taucht in anderer Gestalt wieder auf, als neuer, anderer Stil, aber mit Bestandteilen des einstigen. Weit mehr als nur Erinnerung und Vergangenheit, wird er selbstverständlicher europäischer Besitz. Aber zu einem anderen kann ein Stil nicht werden. Es gibt in ihm selber Stadien und Wandlungen, aber keine Übergänge zu einem anderen Stil. Der Ansatz ist jeweils gänzlich und ausschließend neu, damit die eigenen Gesichtspunkte und Maßstäbe, unabhängig, unableitbar, unvorhergesehen, so wie der alte, vorher führende Stil es gewesen war. Jeder neue Stil hat eigenen Ursprung und Anfang in einer neuen Ebene, er kommt auf am Bestehenden und gegen dieses Bestehende, auf dessen Kosten. Ein neuer Stil in diesem Sinne ist ja auch immer der Stil eines Neuen (eines neuen Künstlers, Standes, Volkes), dessen Führung mit ihm unter den anderen aufsteigt. Auch insofern vollzieht sich die Historie nicht eingleisig in Linien, sondern allenfalls in Stufen. Der Ansatz eines neuen Schöpfers entsteht aus ihm ohne ursächliche Verbindung mit einem anderen. In der Vollendung, nicht in seinem Beginn, nodi weniger im Vorherigen hat sein Wesen die Begründung. Daher wird historische Abfolge nur diskontinuierlich erkennbar. Durchlaufende Linien oder Kausalitäten, Gesetzlichkeit oder Notwendigkeit der Abfolge gelten allenfalls für Teilfragen und Sonderprobleme, jedenfalls für eingeschränkte, vorbestimmte Gesichtspunkte, nicht gegenüber dem Ganzen eines künstlerischen Stils als Gesamtschöpfung, die selbst den Gesichtspunkt setzt. Darum allein aber soll es hier gehen: nur um die Kunst in ihrem eigenen Sinn. Man kann an der Kunst als das Eigentliche den nehmen, der sie macht oder aufnimmt, oder das, was hinter ihr oder über ihr steht, oder dasjenige, was sie benutzt oder bedingt. Eine solche Aufreihung der Kunst als Verbildlichung einer

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Geschichte des Menschen, als „Ausdruck" oder Spiegelung von etwas Anderem, Eigentlicherem ist hier nicht beabsichtigt, weder eine religiöse Teleologie, noch eine ethische Entwicklung, weder der Prozeß des gesellschaftlichen Gefüges noch die nationale Geschichte von einzelnen Völkern oder Völkergruppen, auch nicht eine Historie der Themen oder Tediniken, noch eine „immanente" Formengeschichte oder andererseits ein „Geistesgeschichte", endlich audi nicht die Historie der einzelnen Künste oder der Idee eines Gesamtkunstwerks. Der Sinn im Geschehen der Kunst wird nur in ihr selber gesucht, ihre Stellung zu all jenen Mächten und Ganzheiten rein von ihr selber her erfaßt. Sie erscheint hier nicht als Symptom für etwas, was nicht Kunst ist. Es soll keinerlei Partei genommen und sie nicht von einem andern Blickpunkt her gesehen werden, als den sie selbst gesetzt hat. Indem von Konstruktionen oder Ideologien abgesehen wird, die auf eine fortlaufende Kunstgeschichte (der Jakob Burckhardt ein „fortlaufendes Publikum" wünschte), auf zielgerechte, lückenlose „Prozesse", auf anthropologisch vorgegebene Ureigenschaften einzelner Völker, auf überhistorische „Rhythmen" der Entwicklungen oder Generationen hinauswollen, wird auch auf die Annahme einer gradlinigen Erstreckung der Historie Verzicht geleistet. Kunst ist ihrem Wesen nach nie Etappe, auch nicht Symptom oder Ergebnis, sondern zunächst als Schöpfung endgültig. In ihrer Art endgültig umstehen uns heute die großen Werke und die großen Stile. Sie sind nicht unter irgendwelche Zielrichtungen zusammenzunehmen. (Die Kunst ist nach Schopenhauer „immer am Ziel".) Sie sind gleich gegenwärtig, als Stufen oder Schichten des Heutigen. Hierauf hat unsere Sicht sich einzustellen, um Einheit zu gewinnen. Eine chronologische Aufzählung der Vergangenheit als Abfolge von Tatsachen enthält gerade in ihrer vermeintlichen Objektivität perspektivische Fehler. Die Folge der Stufen auf die Jetztzeit her verengt sich unversehens. Kleineres wirkt groß, Verwandtes gegensätzlich, sobald es in größere Nähe tritt. In der Auswahl aus der unendlichen, ungegliederten Fülle des Geschehens muß das Entferntere um so umfassender und grundlegender erscheinen. Das Nähere hat schon als solches sein Gewicht. Abgestuft nach der verschiedenen schöpferischen Gegenwärtigkeit und nur so kann unsere Sicht Einheit ergeben. Das Kunstwerk allein ist heute da. Es ist einzig, unauflösbar, unwiederholbar. Stil und Stufen, Wirkung und Führung, ja, Gegenwart und Schöpfung — das sind alles nur unsere Handhaben, zu dem Kunstwerk zu gelangen. Es weiß nichts von „schon" und „noch". Alle Bedingtheiten und Abhängigkeiten (Künstler und Gesellschaft, Auftrag und Volk, Funktion und Stoff) hat es zu bloßen Voraussetzungen gemacht. Es steht vor uns und blickt uns an, wie wir es anblicken. Es erfordert in seinem stillen Anspruch Vergegenwärtigung. Von ihm allein können wir lernen, es zu sehen, sonst sehen wir es doch mit den Augen der heutigen Kunst (als sei es eben entstanden) oder mit den Augen heutiger Forschung (als sei es

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bloß ein Stück Vergangenheit). Wir sollen unsere Entfernung von ihm wissen, nicht um dieser selber willen, sondern um die perspektivischen Verzerrungen a b zugleichen, die sie gegenüber dem Alten hervorruft: nur der geschichtlichen Sicht enthüllt sich die Gestalt eines Kunstwerks, seine Stellung in und über der Welt, seine Ursprünglichkeit, sein Wesen. Außerdem hat die kunstgeschichtliche Forschung alles, was die Zeiten ihm an Veränderung, Verschleppung, Verstümmelung und Verkennung angetan haben, in Erfahrung und damit in Wegfall zu bringen. Unser Auge soll befreit und befähigt werden, das Kunstwerk gegenwärtig zu sehen, so unzulänglich jede derartige Ubersetzung, so unausschöpfbar das Werk bleibt. Forschung soll den Weg zum Kunstwerk bahnen, damit es das wird, was es selbst zu sein verlangt und aufgibt. Nur so erschließt sich aus dem Vergangenen das Geschichtliche: aus den Trümmern das Völlige, aus dem Alten das Gegenwärtige, aus dem Fremden das Eigene, aus dem Vielen das Eine. Man muß eine Sprache verstehen, wenn man eine Dichtung nicht nur ahnen, sondern in sich aufnehmen will. Und ein Kunstwerk, das diesen Namen verdient, kann nur gewinnen, je mehr wir von ihm wissen. Dieses Wissen wird hier nicht eigens entwickelt. Fast alles in diesem Buche beruht auf den Ergebnissen anderer Forscher. Auge in Auge mit den Kunstwerken ist es geschrieben, doch zum geringeren Teil auf dem Grunde eigener Sachforschung, vielmehr den Erkenntnissen und Feststellungen anderer tief verpflichtet. Die benutzten Arbeiten ließen sich gar nicht alle aufzählen, so ist auf das Anführen von Namen und Stellen überhaupt verzichtet worden. Der wissenschaftliche Forscher wird also hier kaum etwas für sich finden. D a heute eine forscherische Vertrautheit mit den verschiedenen Sachgebieten schon für die einfachste Aussage Voraussetzung ist, mag manches im Einzelnen ungenau formuliert erscheinen. Allein, historische Bestimmungen sollen nicht die eigentliche Aufgabe sein. Auch soll die besondere Ganzheit des ausgewählten Kunstwerks möglichst nicht aufgelöst werden. Es geht nicht um Strukturanalyse, um eine Zerlegung in einzelne Bestandteile, weder um das Innere, noch um das Äußere, weder um eine formengeschichtliche noch ikonographische, psychologische noch soziologische Erklärung von Tatsachen oder Gesetzlichkeiten. Vielmehr wird versucht, die großen Werke der Kunst einheitlich so zu beschreiben, daß sie in ihrer unauflöslichen Ganzheit vor uns stehen, die, indem sie geschieht, alles Historische schon in ihrer Erscheinung mitenthält. D a keinerlei Art von Vollständigkeit angestrebt werden konnte, ist wesentlich die Auswahl. Vielleicht ließe sich das Ganze noch in anderer Weise zusammenraffen, in weniger oder mehr Epochen, weiter oder noch enger umgrenzt. Ein gleichmäßiges Gewicht wird sich unter ihnen nie ergeben. Dasselbe gilt von der Auswahl der Werke. Außerdem war nicht immer das gewünschte Denkmal erreichbar oder nicht immer die völlig geeignete Wiedergabe. In der Abbildung schon liegt ja immer eine Deutung, davon hängt, wo es sich um das gemeinsame

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Betrachten des Ausgewählten wie bei einer Führung oder Vorlesung handelt, besonders viel ab. Begeisterung erfordert Begeisterung. In ihr ist das Kunstwerk entstanden, es kann nur in ihr sprechen, sie ist die einzig sachliche Sphäre des Aufnehmens. N u r in der Bereitschaft, sich erheben zu lassen, liegt die Möglichkeit einer wirklichen Begegnung. N u r in ihr geschieht die Kunst, einst wie heute.

Die Kunstgeschichte und die heutige Philosophie 1949

Die kunsthistorisdie Wissenschaft spricht selten darüber, was das ist, dessen Geschichte sie aufzeichnet. Obgleich dodi diese Disziplin methodisch besonders durchgebildet zu sein scheint, erörtert sie kaum je, was „Kunst" eigentlich ist und wie sie sich zu dem Hohen verhält, das Schönheit heißt. Das bleibt stillschweigender Ubereinkunft überlassen, als handle es sich dabei um „Ansichts-", „Geschmacks-" oder „Gefühls"-Sache. Es fällt der Selbstverständlichkeit anheim. Ja, es besteht Abneigung, solche Dinge ausdrücklich zu berühren, als führe das weg vom „Objekt" (statt gerade darauf zu) oder als herrsche da ein Geheimnis, dem man nicht zu nahe treten dürfte, das vielmehr besser ungesagt und unbehandelt bliebe. Darin liegt offenbar ein richtiger Kern. Das alles scheint doch mehr die Philosophie anzugehen. Die Kunstgeschichte aber ist nur eine der Wissenschaften. So wenig die Naturwissenschaften das Wesen der Natur selber ausdrücklich zum Gegenstand ihrer Bemühungen machen können, oder die Philologie das, was Sprache ist oder sein kann, so wenig fragt die Kunstgeschichtswissenschaft unmittelbar nach dem Wesen der Kunst. Sie ist Forschung. Sie erkennt die Kunst als geschichtlich und innerhalb ihrer ikonographischen und soziologischen, technischen und antiquarischen, dokumentarischen und biographischen, geistes- und formgeschichtlichen, eben aller ihrer historischen Zusammenhänge. Sie forscht nach ihrem Alter und ihrer Erhaltung, ihrem Entstehen, Verlaufen und Vergehen, ihrer Rolle und Bestimmung im Ganzen, ihrer Abhängigkeit, Eigenbedeutung und Auswirkung — und sei es schließlich nur, um alle diese Züge so klar zu durchschauen, daß aus ihnen, aus dem vergänglichen und vergangenen Historischen heraus dann die Kunst selbst ersichtlich wird. Dies letzte wird zwar nicht immer erkannt, vielleicht sogar geleugnet. Denn immer noch nimmt Aufspaltung, Verselbständigung und Verfachlichung der Einzel- und Hilfswissenschaften zu. Doch ist schon in der reinen Sachforschung, sowie sie hinausgeht über bloße Tatsachenfeststellung (im Sinne des historischen Relativismus, dem alles, was nur als tatsächlich erforscht wird, gleich wichtig erscheint), ja, schon in dieser Tatsachenfeststellung selbst, sobald dabei nur überhaupt nach irgendwelchen Kunstmaßstäben unterschieden wird, ein Sinn enthalten, der über sie hinausführt. Schon bei reinen Datierungs- oder Zuschreibungs-

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Studien zur Kunstgeschichte

fragen spricht ja das Stil„gefühl" oder „ Qualitätsgefühl " notwendig mit. Und in dem, was überhaupt schon oder nodi als Kunst angesehen wird (und was vielleicht vor 50 Jahren durchaus nicht dazu zählte), erscheint bereits unausgesprochen die Kunst selbst, wenn audi nur als Maßstab, vergegenwärtigt. Und ihr wiederum liegt als höchste Instanz, unvermerkt, die Schönheit zugrunde. Z w a r wird sie nie unmittelbar angesprochen. Es heißt nie „schön", sondern „bedeutend" oder „schöpferisch", „eindrucksvoll" oder „wertvoll", „gut" oder „qualitätvoll". J a , von der anderen Seite her betrachtet, arbeitet ja die Forschung mittels all jener Kriterien gerade an dem, was die Kunst ist, und die Erforschung aller historischen Zusammenhänge geschieht nicht um ihrer selbst willen, sondern umgekehrt, um sie so zu kennen, daß das, was Kunst ist in der Historie, von ihnen gereinigt und befreit ans Licht tritt, daß also aus dem Vergangenen und Vergänglichen dasjenige, was daran noch f ü r uns heute etwas ist, das Unvergangene und Unvergängliche hervorkommt, nämlich die Kunst. Unausgesprochen liegt aller Forschung davon etwas zugrunde, auch wenn dies selten anerkannt wird: sie vergegenwärtigt die Kunst. J e unmittelbarer die Vergegenwärtigung der Kunst als eigentlicher Sinn der Forschung betrachtet wird, desto zwingender müßte sich also doch die Frage nach dem Wesen der Kunst und dem Wesen der Schönheit erheben, wenn schon nicht als Aufgabe der kunstgeschichtlichen Wissenschaft selber, so doch als ihre Frage an die Philosophie. Was hierzu von der kunsthistorischen Methodologie, von der klassizistischen Ästhetik, der „Allgemeinen Kunstwissenschaft", der Künstlerpsychologie, von der Nachahmungs-, Einfühlungs-, Ausdruckslehre ausgesprochen worden ist, ist von der kunstgeschichtlichen Wissenschaft nicht eigentlich als fruchtbar aufgenommen worden. Das Bestreben, auf eine „a-historische" Ebene zu gelangen und dort oder aus dem „Schaffen des Künstlers" eine „Wissenschaft von der Kunst" oder eine Kunsttheorie aufzubauen, aus den Einzel„fällen" der Kunst allgemeine Entwicklungs- oder andere Gesetze abzuziehen, aus der sich Kunst „erklären" ließe, gerade in solchen Ansätzen scheint das Mißtrauen begründet, das den Kunsthistoriker gegenüber theoretischen Werken befällt, so sehr er sie immer wieder wünscht. Will die Kunsthistorie etwas von der Sdiönheit in der Kunst verstehen und damit sich selbst in ihrem Grundanliegen, so müßte vielleicht von einigen Grundzügen der Kunst ausgegangen werden, die von den genannten theoretischen Richtungen anscheinend nicht immer wesentlich genug genommen werden. Jede A r t von theoretischer Verallgemeinerung, die absehen oder hinausgehen möchte über das einzelne, übersieht ja einen Wesenszug der Kunst. Kunst ist einzeln. Damit ist nicht jener Einzelfall gemeint, über dessen Beispiel sich die Naturwissenschaft zu allgemeinen Gesetzen erhebt, sondern Kunst ist immer gerade als einzelnes. Sie kann in ihrem Wesen nur aufgenommen werden von einem einzelnen her. Ohne den Betrachter verwirklicht sie sich nicht, erst durch ihn und in ihm. Z w a r

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richtet sie sich niemals nur an einen einzelnen, sie erschöpft sich nicht für ihn. Sie meint alle, sie beansprucht alle. Aber sie spricht sie über den einzelnen, durch ihn hindurch an. Erst von ihm aus bildet sich die Gruppe, die Gemeinde, die jede Kunst erfordert und erzeugt als den Kern der Gesamtheit, die sie meint und braucht. Auch entsteht ja Kunst immer aus einem einzelnen, aus einem Künstler. Sie ist ihrem Wesen nach etwas Geschaffenes. Anthropologisch ist das Künstlertum sogar eine höchste Form der Einzelnheit, die schöpferische. Zwar ist wiederum der Künstler Glied einer Gemeinschaft, einer Schicht, einer Gruppe, aber in ihm allein tritt sie hervor. Sie erzeugt nicht nur ihn, sondern gerade er sie. Er vergegenwärtigt sie in ihrem fruchtbar gewordenen Wesen. Nicht nur im Entstehen für oder durch jemanden liegt die Einzelnheit der Kunst. Sie ist begründet in ihrem Wesen als Werk. Sie hat keine andere Gegenwart, ist nie anders vorhanden als im Kunstwerk. Hier allein liegt ihre Wirklichkeit, nicht darin, Erzeugnis, Widerspiegelung, Lebensereignis eines Künstlers zu sein, oder andererseits Gegenstand, Objekt, „Erlebnis" für den Betrachter, für den sie bestimmt ist. Als Werk reicht die Kunst über das Leben und den Menschen hinaus. Ein Kunstwerk ist mehr, als sein Schöpfer in ihm beabsichtigt. Es ist mehr, als ein Betrachter ihm entnehmen kann. Was sich menschlich „erklären" läßt — und das ist sehr viel am Kunstwerk — ist doch gerade nicht das, was Kunst daran ist. Ein Kunstwerk ist nicht nur erfüllt vom Wesen des Künstlers, sondern er vom Wesen des Werkes, sonst würden wir ihn gar nicht kennen. Und nicht nur die Gemeinschaft „bedingt" das Kunstwerk, Reflexe und Symptome von Gemeinschaften gibt es auch sonst. Vielmehr verleiht das Kunstwerk gleichzeitig der Gemeinschaft, aus der es erwächst, wiederum Form und Sinn — als ihr Denkmal. Während das Menschliche vergeht, bleibt das Kunstwerk, unerschöpflich, unausgeschöpft, darin beruht seine Aktualität. Das Kunstwerk aber ist als Werk ein Ganzes, in sich vollendet, abgeschlossen gegen andere Werke — einzeln. Audi das Kunstwerk steht in einem Wirkungszusammenhang mit anderen Kunstwerken. Aber nicht nur durch das, was es aufgenommen, sondern durch das, was es bewirkt hat, erlangt es Gegenwart für uns. Es ist nicht nur einzeln als Individuum, als kleinste, nicht weiter teilbare Einheit, sondern in einem wesentlichen Sinne unauswechselbar, ausschließlich einzeln — einzig. In der schöpferischen Einzigartigkeit, der Ursprünglichkeit, der Originalität liegt der Kern des Künstlerischen. Es einzeln sehen, heißt, es zunächst von ihm aus sehen, mit denjenigen Handhaben, die es selbst enthält und setzt. Als schöpferisch Einziges ist das Kunstwerk geschichtlich. Auch dies ist in einem wesentlichen Sinne gemeint. Man kann davon nicht absehen, nicht das Kunstwerk in eine „ahistorische" Sphäre hinauf analysieren, so daß nichts von ihm selber übrigbleibt. Aber „geschichtlich" ist auch nicht nur im Sinne der Historie zu nehmen, als alt und ehemalig, früher einmal entstanden und vergangen, Rest oder Symptom einer zurückliegenden Zeit. Das würde ja auch für jedes Dokument gel-

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ten, in dem eine Epoche sich widerspiegelt, statt gerade in ihm sich zu erzeugen und Bestand zu erlangen. Geschichtlich ist gemeint nicht nur als abhängig und bedingt, veraltet und vergangen, sondern gerade im auszeichnenden Sinne als das Einmalige, das, was sich nicht wiederholen kann, das weder vorher noch nachher so möglich ist, weil es sich selbst seine Stunde schafft. Aus der Vergangenheit macht es gerade das, was nicht vergeht, sondern Geschichte wird. Es enthält, es erzeugt Geschichte. Es geschieht, damals wie heute. Auch in diesem Sinne geht das Kunstwerk über den, der es geschaffen hat, hinaus. Wäre es wesentlich ein Abglanz seines Menschentums, würde es so wenig dauern wie er. Aber er ist als Schöpfer mehr als er selbst. Er tritt über sich als Menschen hinaus, verliert sich in die Sphäre der Schöpfung, die weder gekannt noch gewollt werden kann. In ihr erst wird aus dem Künstlerwerk das Kunstwerk. Es steht über dem, was wir Leben nennen. Es verlangt immer wieder, verwirklicht zu werden. Es fordert den Betrachter mit seinem stillen Anspruch, daß auch er sidi erheben läßt über sich hinaus in die eigene und eigentliche Wirklichkeit der Kunst. Aber worin liegt diese Wirklichkeit der Kunst? Was geschieht in ihr? Sie eröffnet eine Anschauung der Welt, von der Leben und Natur, Geschichte und Menschentum nur Seiten sind. Wir könnten ohne sie diese Welt nicht erschauen, sondern sie nur leben. Wie diese Welt aussieht, ja daß sie überhaupt aussieht, zeigt die Kunst. In ihr entsteht ein Bild der Welt, nicht ihr Abbild oder ihr Spiegelbild — denn es handelt sich nicht nur um die sichtbare Welt —, vielmehr ein Modellentwurf ihrer Form im Ganzen. Die Kunst öffnet uns die Augen. Sie gibt der Welt einen Sinn, den ihrer Erscheinung. Das Erscheinen aber hat seinen eigenen Sinn: die Schönheit. Nur in dieser höchsten und allgemeinsten Bedeutung gilt Schönheit, nicht als dieses oder jenes Schöne, weder als das Gefällige oder Anziehende (auch das Häßliche ist ja eine Weise solchen Erscheinens), noch im einzelnen als Harmonie oder als Einheit. Würde nicht damit in ihr zugleich die höchste Sittlichkeit verwirklicht? Dies liegt in ihr selber nicht enthalten. Schönheit ist eine letzte Instanz, die keiner Begründung bedarf, weder von der Seite der Wahrheit, noch von der Seite des höchsten Guten. Gewiß könnte man etwa „Vollendung", „Reinheit", „Ordnung", „Ebenmaß" auch ins Erzieherische wenden. Aber man entfremdet sie damit der Schönheit. Enthält aber Kunst nicht immer auch Erkenntnis? Die Bereiche unterscheiden sich. Vielleicht läßt sich sagen: Wie die Schönheit in der Kunst, so geschieht die Wahrheit in der Philosophie. Die Philosophie ersieht im Grunde des Seins die Wahrheit. In ihr sucht sie den Sinn des Seins. Alle jene Aussagen über Schönheit und Kunst klingen allgemein und leer. Damit, daß die Schönheit der Sinn des Erscheinens überhaupt sei, können Künstler und Kunsthistoriker nichts „anfangen". Sie sollen es auch gar nicht. Denn es handelt sich hier, und erst hier, nur um Philosophie. Die Philosophie erteilt keine

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Lehren und Auskünfte, keine Bestimmungen und Formeln, wie sie die einzelnen Wissenschaften liefern. Sie hat es mit Fragen zu tun, nicht um sie zu lösen, sondern um sie von Ahnungen und Vermutungen zu befreien und als das, was sie sind, ihrem Sinn nach zu durchschauen und zu erhellen. Eine solche Frage ist für die Philosophie die Schönheit. Was Schönheit ist, das wird von der Philosophie aus dem Bereich der Redensarten und Schlagwörter, der alten Bilder und Siegel, der Empfindungen und Gefühle gehoben in die Sphäre des Fragens, in der sich ihr Ort und Bereich und Rang bestimmt. Die Kunst aber fragt nicht, sie stellt dar. Alberti und Dürer, in deren Kunst so viel Schönes ist, haben doch vergeblich nach einer „Erklärung" für die Schönheit gesucht. (Überhaupt sind ja Künstleraussagen immer von ihrem Werk her zu verstehen und nicht etwa umgekehrt.) Sicherlich ist sehr vieles an den Werken der Kunst verständlich, es muß erfragt und erklärt werden bis zu jenem Kern hin, der dann nicht verstehbar, sondern anschaubar ist. Dem hat die Wissenschaft der Kunstgeschichte zu entsprechen. Sie erforscht das Geschehen der Kunst. Wie aber die Kunst jeweils eine neue Verwirklichung der Schönheit bringt, so arbeitet die Kunstgeschichte an einer immer neuen Fassung dessen, was Kunst ist (nicht begrifflich, sondern indem sie einfach Kunst vergegenwärtigt). Denn diese Fassungen wandeln sich ja, sie veralten, sie erfordern — gerade heute — Erneuerung, um das Unvergängliche, die Schönheit in der Kunst wieder ersichtlich zu machen. In dieser ständigen schöpferischen Erneuerung ihrer Gesichtspunkte liegt die innere Verbindung der Kunstgeschichtswissenschaft mit der schaffenden Kunst. 1 Wie die Kunst plötzlich anders und anderes schaut und darstellt, so sieht die Kunstgeschichte andere Kunstwerke, andere Künste, andere Epochen oder Herde der Kunst vor sich auftauchen. Oder sie sieht anderes in ihnen, in den großen unerschöpflichen, stets gegenwärtigen Denkmälern. Darin, im Aufzeigen jeweils dieses Neuen, entsteht die Kunst neu und in ihr die eine alte Schönheit. Daher läßt sich „Deuten" nicht von „Feststellen" trennen. Deutung, die nicht auf Forschung beruht, auch der Forschung Antriebe und Gesichtspunkte vermittelt, hat selten einen Wert. Ebenso ist es mit bloßer Feststellung von Fakten, die nicht auch zu grundsätzlichen Einsichten verhilft. Vielleicht spielt heute nach der gewaltigen Tatsachenförderung der letzten hundert Jahre das reine Forschungsergebnis nicht mehr die Rolle wie ehedem. Dennoch gibt es für den Forscher, der nicht zu eng auf das einzelne sieht, immer noch mehr Aufgaben, als er bewältigt. Jede kunstgeschichtliche Vergegenwärtigung eines Werkes erfordert das Sammeln, das Bestimmen und das Darbieten. Im Buch, im Museum, in der Ausstellung, mag das Gewicht verschieden liegen, es

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Im heutigen Kunstgeschehen gewinnt die Vergegenwärtigung alter Kunst an U m f a n g und Bedeutung, indem gleichzeitig die neue Kunst sich verengt und weite Gebiete öffentlicher und gegenständlicher Geltung aufgibt. In der Musik beansprucht die Interpretation alter Kunstwerke selbst künstlerischen Rang.

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wird gleichermaßen dem Kunstwerk eine immer wieder neue Gegenwart verliehen. Das erscheint in sich selbst sinnvoll. Aber ist es das noch in derselben Weise wie einst? Was heißt heute Schöpfung, Ordnung, Darstellung in ihrer Bedeutung im ganzen, Form und Stil? Was ist wiederum Erscheinung in ihrer vollen Reichweite? Suchen wir in ihr noch einen Sinn? Diese Fragen müssen wieder gestellt werden. Es sind die Fragen der Kunstgeschichte an die Philosophie. Die Überlieferung seit Hegel und Nietzsche erfordert es, sie wiederaufzunehmen. In den letzten Jahrzehnten sind sie immer brennender geworden. Jeder spürt sie und hängt ihnen nach, doch kann niemand sie noch in ihrer ganzen Fülle aufwerfen. Heute, wo alles in Bewegung geraten sollte, treten sie in ein neues Stadium ein, seitdem derjenige das Wort genommen hat, dem diese Andeutungen gewidmet sind.

Anfänge der neuzeitlichen Kunst 1937

In dem großen Bilde der Kathedrale von Antwerpen hat Peter Paul Rubens die Kreuzabnahme dargestellt (Abb. 3). Schräg gleitet die göttliche Heldengestalt vor dem Leintuch nieder. Die mächtigen Glieder fallen in weichen Beugungen. Das edle, kraftvolle Haupt sinkt herab, — auf die lebhaft klagenden Frauen zu, die sich dem Körper entgegenwenden. Johannes, vom Rücken gesehen, trägt die ganze Gruppe: er vermittelt zwischen den Knieenden und dem Mann auf der Leiter. Oben beugen sich zwei über das Kreuz herab: einer ist jung — einer alt, einer bekleidet — der andere halbnackt. Doch entsprechen sich beide bis in ihren äußeren Umriß hinein: der aufgestützte Arm und das flatternde Gewand, das weggestreckte Bein und der Ansatz der Leiter. Mit diesen Figuren schließt wie mit einem prachtvollen Kranzgesims der großartige Aufbau ab: frei und streng, bewegt und beruhigt, klar und hell, fast heiter im Klang. Es ist Abend. Aber die überlebensgroßen Gestalten stehen kräftig und farbig in einem gleichmäßigen vollen Licht, — vordergründig und ohne Tiefe, in erhabener Körperlichkeit, ohne Anstrengung und Last, ohne Angst und Schwäche. Alle Regungen und Bewegungen vollziehen sich nach altem, vorgezeichnetem Plan. Rubens Werk ist ja ein Altarbild, gemalt für diese Kathedrale. Auf den Flügeln erscheint die Heimsuchung und die Darstellung im Tempel, — also die Anfänge jenes Lebens, das im Mittelbild endet. Als Szene und Schauplatz haben die drei Bilder jedoch nichts miteinander gemein. Licht und Handlung, Ort und Stunde haben in dieser Welt keine gesonderte Bedeutung. Das Geschehen ist je als allgegenwärtige Figur hingestellt. Alle künstlerische und kultische Überlieferung des Abendlandes ist darin enthalten: der Flügelaltar eine Schöpfung altdeutscher Kirchenkunst, die Malerei geschult an der Monumentalform des Südens, Rogier und Raffael, Christentum und Rom. Im gleichen Jahre fast und nicht weit entfernt vom vlämischen Antwerpen entstand in Amsterdam die Kreuzigung, von dem holländischen Maler Pieter Lastman gemalt (Abb. 4). Ein ähnliches Thema und dodi ein ganz anderes Bild: — auf einer vertieften Bühne stehen Menschen um die Kreuze, links die Krieger, in der Mitte die Frauen, rechts die Landsknechte und hinter ihnen die Juden. In der Ferne tauchen die Gebäude Jerusalems auf.

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Dieses Bild kommt uns sofort einleuchtend und verständlich vor. Die einzelnen Gruppen erscheinen überzeugend verteilt, eindringlich und genau wiedergegeben. Die Menschen sind römisch oder orientalisch kostümiert. Alles muß antiquarisch richtig sein. Das Ferne und Vergangene wird mit historischer Treue erzählt. Der Vordergrund kommt uns entgegen. Der Orientale rechts blickt uns an und weist auf das Kreuz hin. Man glaubt die Bühne betreten zu können, ohne Abstand. Die Beleuchtung ergibt eine einheitliche Stimmung, ebenfalls wie auf einer vertieften Bühne. Man versetzt sich hinein. Man blickt nicht hinauf, sondern hinein in das Bild. Dem entspricht das Format. Das Gemälde ist ja nicht überlebensgroß, sondern im „Kabinettformat" gemalt. Es hängt so, daß man unmittelbar herantritt, will man es betraditen. Zwischen diesem Lastman und diesem Rubens, die zu gleicher Zeit und so nahe beieinander gemalt haben, verläuft eine Wasserscheide. In ihnen stehen sich zwei Welten gegenüber, die der alten und die der neuen Zeit. Die alte Zeit, „die gealterte Zeit", wie Rubens selbst sie genannt hat, sie neigt sich. Mit ihr geht der Kunst im Verlaufe des siebzehnten Jahrhunderts das Große, Leuchtende, Hallende, das Denkmalhafte in der Malerei für immer verloren. Die Vereinigung des Christlichen mit dem Römischen, die der Humanismus des wiedergeborenen Italien neu geschaffen hatte, büßt ihre Weltgeltung ein. Von jetzt an kann in der großen Malerei Christus nicht mehr als hellenistischer Heros auftreten und eine Kreuzabnahme nicht als Figuration idealischer Prachtgestalten. Das Römische als kirchlicher Stil ist nicht mehr verbindlich. Damit wird der Kunst etwas genommen: das öffentliche, Allgemeine, das Feierliche und Herrscherliche. Rubens als letzter hat das alles in seiner Malerei vermocht. Lastman ist nicht nur — als kleinerer Geist, der er war — auf bescheidenerer Stufe als Rubens geblieben. Er hat ihn abgelehnt, seine Kirche, seinen König und seine Kunst. Zwar, auch Lastman stammt nodi aus dem alten Jahrhundert, auch er war noch als Lehrling in Rom gewesen. Aber sowie er zurückkehrt und seinen eigenen Stil ausbildet, schiebt sich bei diesem bürgerlichen Maler eine andere Überlieferung vor die römische, das ist die der Reformation. An die Stelle der römischen tritt eine andere Welt: die der Bibel. Das Gemälde ist kein Kultbild, sondern eine Bibelillustration. Der Einzelne, dem es gehört (wie jetzt seine Bibel ihm gehört), versenkt sich hinein mit dem eindringenden Ernst seines Glaubens. Von der Prosa dieses Bildes — und nicht von den großen Rhythmen des Rubens her — hebt dann später Rembrandts Dichtung an (Abb. 5). Denn Lastman war der Lehrer Rembrandts, sein wirklicher Lehrer. Rembrandt geht aus nicht von der Glaubenssymbolik der früheren Zeit, sondern von der Glaubhaftigkeit der Erzählung seines Lehrers, in die man sich hineinversetzen kann. Rembrandts Kreuzabnahme ist nicht mehr ein riesiger Flügelaltar, aber auch nicht ein symmetrisch eingeteiltes Kabinettbild: — sondern eine kleine Radierung und ganz dunkel. Der Leichnam ist kaum sichtbar, er hängt schwer zwischen den Schweigenden, die ihn mühsam und trauernd tragen. Eine Hand reckt sich hell aus dem

A n f ä n g e der neuzeitlichen Kunst

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Dunkel hervor. Aus der Ferne schaut die Stadt herüber durch die Nacht. Denn das Näditliche umfängt jetzt alles: was geschehen ist und was geschieht, — und das, was kommt. Vorn wartet ausgebreitet die Bahre. Von Rubens zeitloser, leidloser, tiefenloser Monumentalität führt hierher kein Weg. Aus Lastmans schlichtem Bericht ist das Drama menschlicher Hingabe geworden.

Der Tod des Decius Mus von Rubens (Abb. 6) gehört zu einem Zyklus von sechs Gemälden, in denen der Römerheld verherrlicht wird. Die großen Tafeln sind als Vorbilder gemalt: sie sollten in mächtigen Teppichen nachgebildet werden. Daher sind audi alle Figuren „Linkser". Aber niemand bemerkt das, und es ist audi denkbar unwesentlich in dieser Welt. Wieder vereinigt sich altniederländische Karton- und Teppichkunst mit römischer Großform. Jedes Bild, jede Figur von Rubens ist so, daß sie sich wiederholen läßt. Der Stil selbst enthält von vornherein, schon seinen inneren Dimensionen nach, das Vorbildlidie, das Zyklische, das Ideelle, das Denkmalhafte. Denn in diesem tobenden und wogenden Bild, in all dieser Leidenschaft und Heftigkeit — herrscht doch eine hohe und musterhafte Klarheit. Ja, wenn man wollte, könnte man in diesem Aufbau alle Regeln der alten klassizistischen Kunstlehre gemeistert finden: Symmetrie und Kontrapost, Zentralisation und Antithese, Pondération und Triangulation, Relievo und Disegno, Decenza und Decoro. Der Kopf des Helden in der Mitte des Bildes im Schnittpunkt aller Linien! Sein Sdilachthengst steigend und hell, der des Widersachers ausschlagend und dunkel, doch beide gleichermaßen schräg bildeinwärts. Dahinter links der Angriff, redits die Flucht, links die Sonne, redits das Dunkel! Bei allem Gegeneinander so vieler Körper und Formen bleibt der Gedanke des fallenden Siegers inmitten der kunstvoll errichteten Hauptgruppe der Kern des gleichgewichtigen Ganzen. Mit dem letzten Blick schaut der altrömische Feldherr in den leuchtend sich öffnenden Himmel — genau wie die muskulösen Prachtgestalten der römischchristlichen Märtyrer auf den Altarbildern. Für diese humanistische Bildungswelt war Augustinus und Seneca, Tacitus und die Legenda aurea gleichermaßen Quelle für das, was man „Historie" nannte. Zu den kirchlichen, geschichtlichen, dichterischen Stoffen gehörten die mythologischen und allegorischen. Denn diese ganze Heroenwelt ist ihrem Wesen nach mythologisch-allegorisch. Diese römische Historie ist nicht etwas Vergangenes, sondern Mythos, in ihrem Sinn gegenwärtig und ewig, ob es sich um den heiligen Sebastian, um Mars, um die Pax, um Decius Mus oder die Immaculata handelt. Göttliches Pathos und fürstliche Größe, Weltbedeutung und ewiges Heldentum — alle Historie kreist um diese Symbole des alten und des neuen Rom. Wiederum etwa aus derselben Zeit stammt Pieter Lastmans Darstellung der Schlacht zwischen Maxentius und Constantin (Abb. 7). S

Baudi, Studien

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Der Kampf wird von den Angreifern links gewonnen. Vorn wird um die Fahne gestritten. Der Fähnrich ist tot hintenübergeschlagen. Ein kräftiger Krieger sticht um sich. Die Reiter stürmen heran. Die Flüchtenden schwimmen durch das tiefe Wasser. Hinten Handgemenge auf der Brücke, sie stürzt ein, ihre Quadern schlagen auf die Fallenden herab. Das Bild ist reich an kräftigen und schlagenden Zügen. Die Fliehenden blicken sich linkisch und angstvoll um. Der Feldherr rutscht nach vorn auf seinem abwärts sprengenden Schimmel. Der Stürzende ganz links greift hintenüber in die Luft. Der Tote in seiner schwarzen Rüstung mit der weiß-roten Fahne ist kraftvoll gemalt. Auch der Pferdekopf hat eine besondere, ganz unmittelbare Wirkung. Doch diese einzelnen Züge und Formen stehen unvermittelt nebeneinander. Die K r a f t und die Bedeutung des Bildes liegt in der schlagenden Nähe und Sachtreue, mit der das Einzelne gemalt ist, ohne Weite und Abstand. Man muß es aus der Nähe betrachten. Ein großes Format könnte dieses Bild nicht füllen, weder den Formen, nodi dem Geiste nach. J a , es ist ein bißchen enttäuschend, Lastman nach einem Rubens zu betrachten. Vielleicht wäre es reizvoller, Rubens das gegenüberzustellen, was dann Rembrandt gesdiaffen hat. Aber das war ein Menschenalter später und hier soll es gerade auf die mit Rubens Gleichzeitigen ankommen, auf diese einzelne wohl wenig bekannten Maler, die sich als erste und in aller Radikalität von den Uberlieferungen lossagten. Sie haben damit die Grundlage für die große holländische Malerei, auch für Rembrandt, geschaffen und damit für die Malerei der Neuzeit überhaupt. Nochmals: das Großzügige bei Rubens, das Umfassende und öffentliche, das Heldische und Mythische ist hier verloren. Es wird abgelehnt. Eine Kunst, die weithin hallend die Räume mit Form und Bedeutung erfüllt hatte, sie brauchte nicht danach zu fragen, ob der einzelne Krieger so reiten, so stechen, so fallen, so aussehen konnte. Das sind auf jener erhobenen Bühne keine Fragen, da geht es um Bedeutung. Jetzt aber wird die Sachtreue und die Unmittelbarkeit eingeführt. Wahrheit ist nicht mehr Geltung, sondern Tatsache. Und Historie ist nicht mehr Geschichte (als Geschehen), sondern Vergangenheit. Was ist eigentlich dargestellt? Nicht etwa wie der „Heldentod des Siegers", gezeigt in der Gestalt jenes römischen Heros, — sondern eine Schlacht, eine der vielen, die die Historie aufzählt. Ein historisches Ereignis, dargestellt, weil es historisch ist. In der Kunst wie im allgemeinen Denken verliert die Historie ihren allegorischen Charakter, sie wird ein Sachgebiet. Damals hörte der Humanismus auf, ein Bildungsmythos, eine Weltanschauung, eine Lebensform zu sein. Es wurde eine Wissenschaft daraus. Es entstand, gerade auch in Holland, die Philologie, die Altertumskunde, die Geschichtsforschung. Disziplinen, Professoren, Methoden begannen aus der Berufung einen Beruf zu machen. Der Humanismus spaltete sich in wissenschaftliche Einzelfächer auf. Das zeigt dieses Bild. Es enthält nicht mehr als das, was es darstellt. Es bedeutet

A n f ä n g e der neuzeitlichen Kunst

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für niemanden etwas als f ü r den Einen, der es anschaut. Allenfalls spielt noch ein lehrhaft moralischer, paradigmatischer Sinn herein — hier etwa, daß das Gute siegt (es ist die Schlacht, die das Christentum zur Staatsreligion gemacht hat) — aber der römische Sinn großer, feierlicher, selbstsprechender Form ist geschwunden. Die große Historie in ihrer öffentlichen Monumentalität hatte vorher alles Hohe und Geistige unmittelbar dichterisch gefaßt: die antike und christliche Mythologie und die geschichtliche und symbolische Allegorese, Götter und Ideen, Heilige und Helden des Humanismus. Und um jene Aufgaben, um jene Themen hatte ja überhaupt alle Kunst gekreist. In der großen Historie hatte der Kern aller Kunst, das Eigentliche, Vornehmste, ihre Mitte gelegen. Von der großen Historie w a r alles andere ausgegangen und abgeleitet worden; sie hatte alles enthalten und beherrscht: Figuren und Gruppen, aber audi landschaftliche Schauplätze und Hintergründe, gelegentlich sogar Bildnisse, auch Schilderungen von Verrichtungen oder Einzeldingen der Alltäglichkeit. Solche Motive gehörten bisweilen zur Szenerie der großen Historie und ordneten sich ihr ein. Rubens ließ sich so etwas gern von Schülern in seine Gemälde hineinmalen. Diese Maler waren Spezialisten und Handlanger. Malten sie einmal f ü r sich ein überwiegend landschaftliches oder sittenbildliches Thema, so galt das als Kunstwerk zweiten Ranges. Malte einmal ein Historienmaler selbst ein Bildnis oder etwas Landschaftliches, so w a r das eine Nebenarbeit in seinem Gesamtschaffen. Aber diese Rangstufung verschwindet mit dem Rang der Historie. Ein solches Bild von Lastman — so tüchtig es ist — kann unmöglich den Hauptbereich der Kunst enthalten. Wer in der herkömmlichen, internationalen Weise alles von der großen Historie her sah, mußte hier den umfassenden Charakter, den einstigen Kern aller Kunst, vermissen. Es schien — von diesem Standpunkt aus — , daß die Mitte verloren, daß wahre Kunst gar nicht mehr möglich sei. Aber die neue Kunst w a r schon da. Auch dieses Bild gehörte dazu, nur stand es nicht mehr in ihrer Mitte. Denn aus den bisherigen Nebenzweigen der Kunst hatten jetzt die Holländer das Ganze der Malerei gemacht, es gab nur noch Einzelgattungen und keine „Mitte" mehr, auch die Historie w a r grundsätzlich eine jener Gattungen, die jetzt unabhängig und gleichberechtigt nebeneinanderstanden, wie das Sittenbild, das Stilleben, die Landschaft und sogar das Bildnis. Indem die Historie ihren öffentlichen und umfassenden Charakter abgelegt hatte, indem das Historienbild nicht mehr in der Kirche oder am H o f , sondern neben dem Bildnis an der Wand des Kunstfreundes hing, hatte es auch von innen her seinen Platz oberhalb der Spezialgattungen aufgegeben, es w a r selber eine geworden.

Daß wir heute mit Selbstverständlichkeit eine reine Landschaft als vollgültiges Kunstwerk ansehen, das geht zurück auf die Holländer des beginnenden 1 7 . Jahrhunderts. s*

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Eine i?«£em-Landschaft ist ja nodi ganz das Werk eines Malers der „großen Historie" (Abb. 8). Diese hat sogar noch den Titel einer Historie: Jupiter bei Philemon und Baucis. Zwar treten die Figuren kaum aus dem Landschaftlichen hervor. Aber das Landschaftliche hat bei Rubens stets selbst etwas von einem „Historien"charakter. Es ist eine ovidische, eine mythologische Landschaft. Nirgends und niemals könnte einer von uns sie wiederfinden, nicht in Flandern, nicht in Italien oder in Griechenland. Felsen und Ebene, Wasser und Wald, Regen und Sonne, Gewölk und Himmelsblau, Vögel und Getier, Mensdien und Götter, — von allem ist das Schönste ausgesucht. Etwas vom mythischen Wesen der Erde selbst wird in dieser Zusammenstellung lebendig: ihre Fülle und ihre wogende Gewalt, vielgestaltig und unerschöpflich. Zu klar gerundeter Körperlichkeit ist alles errichtet und erdichtet — ganz wie jene Bilder mit den machtvollen Figuren Rubens'scher Historien. Mit ausgewählten Prachtstücken ist hier ein Denkmal der Urkräfte der Welt aufgerichtet. Die Überlieferung aller abendländischen Bildung ist in diesem Werk, das so voll und wahr vor uns steht, als Landschaft herrlich und fremd, eine verlorene Wirklichkeit. Denn gleichzeitig entstanden in Holland Bilder wie dieses von Hercules Seghers (Abb. 9). So etwas erscheint uns vertraut und selbstverständlich. Damals war es etwas Unerhörtes. Wer in Rubens' Sinne auch in der Landschaft körperliche Kompositionen und große Bedeutung suchte, mußte hier jeden Aufbau vermissen. Selbst die früheren kleinen Landschaftsspezialisten, die neben den Großmalern nicht voll mitgerechnet waren, hatten ihre Landschaften plastisch und farbig komponiert. Also nicht einmal so eine Landschaft schien dieses Bild zu sein. Es erschien unfertig, eine Studie, bestenfalls wie ein Hintergrund oder ein Ausschnitt. In der Tat, es ist wenig zu sehen. Eine stille Ebene, flache Hügel, ein Fluß, einige Häuser, eine Mühle, ein Kirchturm. Eigentlich nur der Horizont, die Wege, die Luft. Hier ist nichts aus Bedeutungen, aus farbigen Körpern aufgebaut, nicht das Göttliche, das Übermenschliche, das Ewige, sondern umgekehrt das Irdische, das Hiesige und Heutige. Das, was man „die Natur" nennt, ist nicht wie früher gelegentlich miteingeflochten, sondern sie ist um ihrer selbst willen da. Sie steht nicht Modell für andere, übernatürliche Wesenheiten, sondern ihr Bildnis wird gezeigt, als Wesen, als Gegenstand, als Thema. Rubens hatte die Welt dargestellt in der Gestalt eines kleinen Weltgebäudes, zusammengestellt aus den schönsten, den wesentlichsten Bestandteilen des Ganzen. Jetzt aber wird ein Bildnis der Natur gegeben, verkleinert nicht mehr qualitativ, sondern quantitativ; ein Teil von ihr, ein Ausschnitt wird gebracht. Es scheint zunächst, als ließe sich das Bild nach allen Seiten hin fortsetzen. Denn die Natur ist ja überall, rings um uns. Sie soll hier nicht komponiert und nicht allegorisiert werden, sie hat keinen Namen und kein System. Wir können ihr hier nicht unsere Gedanken und Deutungen aufprägen; wir können sie nur betrachten,

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sie erforschen, sie wiedergeben. Und das wiederum nicht im Ganzen, sondern immer nur im Einzelnen. Erfaßbar ist jetzt nur das Einzelne, es wird zugänglich als Teil, als Ausschnitt. Unser Beitrag ist dabei nicht, was die Alten oder wir hineindenken, sondern nur was wir ausschneiden, wohin wir uns wenden, was wir in „Betracht" ziehen. Die neue Historie war eingeschränkt worden auf die bloße Vergangenheit, auf die Tatsächlichkeit des Einstigen. Die Welt wird eingeschränkt auf die „Natur", auf das bloß Gegenwärtige, als Tatsächlichkeit des Jetzigen. Sie ist gegenwärtig als Ausschnitt, als das Sichtbare, das Gesehene. Das wird klar vor einem solchen Bilde. „Bild" hieß einst und heißt im Holländischen („beeld") heute noch Gebilde, Figur, etwa wie in „Bildwerk". Ein Bild machen hieß eine Figur formen und errichten. Seit jener Zeit jedoch hat sich in unserer Sprache der Sinn des Wortes Bild gewandelt. Es besagt Abbild, Wiedergabe von etwas Vorhandenem, Schilderung (holländisch „schilderij"). Hier zuerst wird eine Landschaft rein als Aspekt, als Anblick gegeben. Hier zuerst kann aber auch ein bloßer Anblick zu einer Landschaft werden im völligen Sinn dieses Wortes. Abbildungen von Städten im topographisch-illustrativen Sinn hatte es seit Jahrhunderten gegeben. Auch hier ist eine bestimmte Stadt dargestellt, Rhenen am Rhein. Wir übersehen bei holländischen Landschaftsbildern meist die kleinen topographischen Züge, die in diesem gleichförmigen Lande doch immer erkennen lassen, daß eine bestimmte Stelle, daß das Bildnis einer Gegend gegeben ist. Was grundsätzlich ein Ausschnitt aus der großen Natur ist, hat doch eine Mitte in sich. Dieses Bildnis ist aber jetzt erst zu einer wirklichen Landschaft geworden. Indem wir auf die alte Stadt zustreben, erkennen wir plötzlich in einer geschlossenen Raumkomposition die Ganzheit dieses Anblicks. In den welligen Dünenformen des Bodens begegnen sich die Wege in ihrem eigentümlich sprechenden Leben. Der Fluß leuchtet still zwischen den Ufern. Langsam schwenken die Flügel der Windmühle im durchsichtigen Dunst vor einem fernen Horizont. Der Turm steht allein im klaren Licht des Nachmittags. In natürlicher Einheit liegt die weite Ebene unter dem Firmament. Bei Rubens hatte es nähere und entferntere Körper gegeben, jetzt ist zum ersten Mal die Ferne selbst gesehen.

Und zu gleicher Zeit wurde auch das ganz Nahe, das wirklich Unmittelbarste, zum ersten Mal erfaßt. Die Holländer haben ja damals nicht nur die Landschaft, sondern auch das Stilleben geschaffen. Auch die kleinen Dinge um uns haben ja ihren Sinn und ihre Form. Uns erscheint das selbstverständlich, aber erst die Holländer haben es künstlerisch in das Bewußtsein gehoben. Bei den Früheren, audi bei Rubens, gibt es herrliche Früchte und prachtvolle Blumen, aber immer nur als Nebensache auf großen Figurenbildern. Nie wäre ihm eingefallen, so etwas

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als Thema anzuerkennen, würdig eines eigenen Gemäldes. Diese Dinge haben erst die Holländer aus den größeren Zusammenhängen herausgelöst und selbständig erfaßt, gerade jene wenig bekannten Meister aus dem frühesten 17. Jahrhundert, in dem die Entscheidungen für Jahrhunderte gefallen sind. Ein Totenkopf mit Knochen ist kein Stilleben, sondern ein „Emblem", die Verbildlichung eines Spruches. Ein „Memento mori", gestochen nach Abraham Bloemaert (Abb. 10). Die Zeichnung ist meisterhaft, die kunstvolle Verkürzung völlig beherrscht. Die bildeinwärts liegenden Knochen sind raumlos bezogen auf eine abstrakte Projektionsebene. Sie erscheinen flachgedrückt wie zwischen zwei Glasplatten. Der Aufbau wirkt absichtsvoll, fast lehrhaft. Das Ganze erhält erst seinen Sinn durch einen lateinischen Spruch auf dem angehefteten Zettel. Das „emblematische" Denken, also in einzelnen Erfahrungs- oder Sinnsprüchen, aber anschaulich verbildlicht, ist für diese Zeit bezeichnend. Es verbreitet sich als Übergang vom systematisch-analogistischen Denken des Mittelalters zum naturalistisch-empiristischen der Neuen Zeit. Es gab damals Hunderte von dicken Büchern mit solchen Bildern, die je einen Spruch illustrierten. Neu ist hier, daß es sich um ein selbständiges Gemälde handelt, das uns in seiner Vervielfältigung durch den Stich erhalten ist. Etliche Jahre später (1614) entstand das Rundbild im Rijksmuseum (Abb. 1 1 ) . Auch hier noch ein Text zur Erläuterung: eine Mahnung zur Mäßigkeit. Noch haben also die Dinge ihre Bedeutung: der Pferdezaum, der aus Wasser und Wein gemischte Trank. Auch entspricht es dem lehrhaften Sinn, daß das Ganze nodi symmetrisch und künstlich vor uns aufgebaut ist. Allein: das ist nicht mehr ein lateinischer Vers, sondern ein holländisches Lied. Und es sind schon die gebräuchlichsten Dinge, die dort stehen! Vor allem: ein neues Sehen! Hier gibt es keine Umrisse, keine abstrakten Verkürzungen, keine Glasscheibenprojektion. Die Gegenstände kommen uns vielmehr merkwürdig hüllenlos und unvermittelt entgegen, fast unheimlich, beinahe wie im Panoptikum. Scheint nicht der Zaum oben vor dem Bild zu schweben? Wiederum ist der Schöpfer dieses Bildes ein kleiner Meister. Bevor die großen Namen auftauchen — Hals, Rembrandt, Vermeer, Ruisdael — ist der Grund für ihre und die ganze neuzeitliche Malerei durch diese kleinen Spezialmaler gelegt worden. Dieses Bild ist das einzige sichere Werk des Johannes Torrentius aus Haarlem, das sich erhalten hat. Aber es hat seine Bedeutung an diesem Gelenkpunkt geschichtlicher Wandlungen. Dem Torrentius sagte man nach, er male seine Bilder in einem dunklen Zimmer ohne Pinsel und Farbe. Neuerdings hat man ernsthaft gefragt, ob er damals vielleicht schon die Photographie erfunden habe. Das ist natürlich unmöglich, dodi ist es lehrreich, daß die Frage überhaupt gestellt werden konnte. Denn um 1850, als der Theatermaler Daguerre die Photographie wirklich erfand, war die Lage vielleicht wiederum ein wenig ähnlich. In beiden Fällen lag ein technisches Verfahren vor. Allein die Kunst war es, die, an einer bestimmten

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Stufe oder Wende angelangt, dieses Verfahren aufgriff, es für sich verwandte und damit das Neue schuf. Bei Torrentius handelt es sich um die Dunkelkammer, die Camera obscura. Sie war längst vorher bekannt, hier aber trat sie in ihre geschichtliche Bedeutung ein. Sie wurde entdeckt und verwandt bei der Begründung des neuzeitlichen Weltbildes durch die Malerei. In diesem Gemälde ist also (wenn auch natürlich mit Pinsel und Farbe, so doch) mit neuartigen Hilfsmitteln das Sehen selbst zum Problem gemacht worden. Es ergeben sich überraschende Wirkungen für die Darstellung ganz naher, unmittelbar greifbarer Gegenstände. Damit aber ist der Grund gelegt für die große Stillebenmalerei der Holländer, die uns heute so selbstverständlich, so voraussetzungslos erscheint (Abb. 12). Denn ein solcher holländischer Stillebenmaler ist nun nicht ein vergessener Experimentierer, sondern einer von vielen vorzüglichen Künstlern, die von jeher ihre Anerkennung, ihren Ruhm und ihren Preis haben: Willem Claesz Heda, jedem Kenner, jedem Kunstfreund ein vertrauter Name. Was hier erscheint, hat durch alle Jahrhunderte seine unmittelbare Frische bewahrt. Das Aussehen dieser Dinge ist mit äußerster Eindringlichkeit beobachtet. Wir werden ganz nahe an ihre Oberfläche herangeführt, dennoch durchaus ohne kleinliche Kurzsichtigkeit. Die Schilderung ist fein, sicher und schlicht. Die Zeichnung ist so vorzüglich, daß man gar nicht danach fragt. Die zart gestimmten Tonstufen lassen jede der wenigen sparsamen Farben erschimmern. Alles hält sich in einem dünnen, frischen, hellen, grünlich-kühlen Licht. Diesem feinen, feinschmekkerischen Aroma entspricht der Glanz von Glas, Zinn und Silber ebenso wie der Geschmack von Wein, Hering und Zitrone. Dabei bleibt alles genau und sachlidi faßbar. Dünn und dennodi dauerhaft sind diese Bilder gemalt, Meisterwerke unvergänglichen Wertes. Und das alles bei einem solchen Thema! Wenn man sich erinnert, daß in diesen Jahren Rubens seine gewaltige Heroenwelt schuf, so erscheint dieser Gegenstand grenzenlos unbedeutend. Ja, diese Dinge sind ohne Bedeutung. Bei Torrentius hatte noch die Bedeutung von Glas und Wein ihre Auswahl und ihren Aufbau bestimmt. Hier handelt es sich nicht mehr um ein Sprichwort oder etwas Ähnliches. Wenn hier Brot und Wein, Fisdi und Uhr auch nodi nicht ohne Nachhall einstiger Bedeutungen sind, wie es uns heute erscheint, so ist das Ganze zweifellos ein völlig neues, radikal neuzeitliches Thema, eben nichts als ein „ontbijtje", ein Frühstücksbildchen, wie man es schon damals nannte. Und das alles ist jetzt aus so unmittelbarer Nähe gesehen, als ständen wir in dem gleichen hellen Veranda-Licht wie dieser weiß gedeckte Tisch. Die Glanzlichter auf den blanken Gefäßen spiegeln ja die Beleuchtung unseres Raumes wieder. Das Fenster, das wir im Glas in vierfacher Brechung abgespiegelt sehen, ist seitlich hinter unserem Rüdken zu denken. Fast suchen wir das eigene Spiegelbild an der bauchigen Vorderseite des Römers. Rein durch seine Lichtführung schließt das Stilleben doch den leeren Hintergrund und vorn den Betrachter in seine räumliche Einheit ein.

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Hier ist das „stille Leben" der Dinge selbst in ihrem gemeinsamen Dasein vereinigt. 1 Eine kleine reiche, in sich sinnvolle und vollständige Welt kreist in diesem Bild — und das ganz ohne höhere oder tiefere Bedeutung! Hatte der Historienmaler früher grundsätzlich überweltliche, unsichtbare Dinge in ihrer irdischen Verkörperung gemalt, so mußte er hier doch fragen: wozu etwas malen, was man ohnehin sehen kann? Vielleicht hängt ja ein solches Bild an der Wand über einer wirklichen Anrichte mit einem wirklichen Frühstück. Wozu hängt ein solches Bild überhaupt in einem Zimmer? Wozu hängt an der Wand eine Straßenansicht ähnlich der, die man durch's Fenster in Wirklichkeit sehen kann? Von der Aufgabe Rubens'scher Gemälde her gesehen müssen diese feinen, fast farblosen Bilder versagen, sie müssen inhaltlos, leer, überflüssig erscheinen. Und so sind sie vielleicht auch empfunden worden. Aber doch nur von solchen, die zurückblickten und die Zeichen der neuen Zeit, der neuen Kunst nicht verstehen wollten. Denn diese Bilder hatten eben auch nicht die Aufgabe Rubens'scher Gemälde. Diese Malerei w a r so umwälzend, daß sie nicht nur sich selbst neu schuf, sondern sich auch ihre Aufgabe neu stellte. Wo steht die Kunst? Wo ist ihr Ort? Was soll sie? Diese Fragen hat die neue Malerei von sich aus aufgeworfen und beantwortet und damit ihren Platz im Ganzen festgelegt — f ü r die gesamte Lebensdauer dieses Stiles. Wie ist diese neue Aufgabe? Was ist das neue Bild als Ganzes, in seiner Funktion, als Teil eines Raumes, als Kunst eines Volkes? Jedes mittelalterliche Bild soll in einem Raum dienen (Abb. 13). Es dient der Kirche, der Kirche als Kult und der Kirche als Raum. Ob im Gewölbe eines pommerschen Domes oder in den Fenstern einer nordfranzösischen Kathedrale oder im Altaraufbau einer gotischen Kapelle — das Bild dient dem Gottesdienst. Es ist selbst ein geweihter, ferner unverrückbarer Gegenstand. Streng gebaut, baut es selbst mit am Raum und seinem Sinn. Es hat unter sich die Gemeinschaft der Gläubigen und vermittelt ihnen das Bild des Göttlichen. Es bezeichnet mit irdischen Gestalten das Jenseitige, Unsichtbare. Jedes Bild der römischen Kunst soll in einem Raum herrschen (Abb. 14). Ob in fürstlichen Prachtgemächern oder auf den breiten Wandflächen festlicher Kirchentempel oder noch in den mächtigen Tafeln Rubens'scher Altarblätter — immer beherrscht das Bild den Raum. Die Verbildlichung in der Malerei ist die eigentliche Form dieser Räume und ihres Geistes. Ihre Grenzen, ihre Wände sind vergessen. R a f f a e l s Bild ist körperhaft und farbig, zugänglich und gegenwärtig, es erweitert den Raum, es ist das Eigentliche, Wirkliche in dieser Stanze. Es hat vor sich den Betrachter, die gebildete Öffentlichkeit der europäischen Elite. Ihr verkörpert dieses Bild die großen Formen und Normen einer Welt geheiligter Ideale.

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D i e Bezeichnung „Stilleben" ist damals in H o l l a n d entstanden. D e r spätere Terminus „nature morte" zeigt die ganze Verkennung dieser Malerei durch den französischen Klassizismus.

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Jedes Bild der neuen Zeit sondert sich ab vom Räume (Abb. i j ) . Farbe und Körper gehen auf in der eigenen Tonigkeit, statt hinaus in den Raum zu wirken. Ein schwarzer Rahmen teilt es ab von der Wand. Seine Kehlung sammelt den Blick allein auf das Bild. Das Gemälde wird zu einem Fenster, es führt hinaus aus diesem Raum, aus dieser Welt. Denn das Bild hat seine eigene besondere Räumlichkeit, eine eigene Welt. Es ist ganz für sich, es wird deutlich, daß man es abnehmen oder daß man es mit einem Tuch verhängen könnte. Eine Kirche ohne das Altarbild oder eine Stanze mit verdeckten Fresken, das wäre ein unvollständiger, ein unbrauchbarer Raum geworden. Dieser Raum aber bliebe, was er war. Er ist ungegliedert und ungeformt. Die Wand ist weiß gekalkt, sauber und nüchtern, die rein profane Welt. Denn hier zuerst ist ja der Raum das Zimmer des Einzelnen, die private Sphäre des bürgerlichen Alltags. Dieser Raum enthält erst jetzt Kunst, ja, er ist der eigentliche Ort dieser neuen Kunst. Kirche und Hof scheiden in Holland aus als Auftraggeber für die Kunst. Jetzt zuerst gehört das Kunstwerk einem Besitzer. Er kann damit tun, was er will. Er kann es verhängen, er kann es umhängen, es verkaufen. Das Kunstwerk ist nur für den da, der in ihm etwas sieht. Es ist nur Kunstwerk soweit einer es anschaut, in es hineinschaut. Das alles ist damals völlig neu. Diese neue Kunst hat einen neuen Ort. Beides ist in Holland und nirgends sonst für die Neuzeit begründet worden. Denn nirgends sonst hatte es ja so eine Kunst gegeben, weder diese Form, noch diese Themen, noch auch diesen neuen Ort der Kunst. Natürlich ist dieser neue Stil nicht aus dem Nichts gekommen. Er hat, wie jede große geschichtliche Neuschöpfung seine Ahnen gehabt. Im Rahmen der Überlieferung hatte es gelegentliche und vereinzelte Ansätze gegeben, auf die die neue Richtung zurückgreifen konnte, so daß sie für unseren heutigen Rückblick als Vorstufen des Neuen erscheinen. ioo Jahre vorher waren in der großen Kunst der Reformationszeit einzelne Versuche gemacht worden. Damals war in Deutschland die erste reine Landschaft und das erste selbständige Stilleben in der Geschichte der Kunst gemalt worden und in den Stichen waren die ersten sittenbildlichen Darstellungen erschienen. J a , die Druckgraphik, die eigentliche Schöpfung der deutschen Reformationskunst, hatte neben der öffentlichen Malerei schon einen neuen bürgerlichen Lebensbereich der Kunst geschaffen. Sie hatte ja das Kunstwerk, den Stich, den Holzschnitt in das Haus und die Hand des Einzelnen gegeben, ihrem ganzen Wesen nach von gläubiger Religiosität erfüllt, doch gelöst von den Bindungen des Kultbildes, mit einer neuen Weise des Schilderns und auch einem neuen Themenbereich, wie sie der neuen Gemeinde der Kunst entsprachen. Die altniederländische Malerei hatte schon von ihrem Anbeginn an etwas von der Sehweise entwickelt, die aus den alten Bindungen vorauswies auf eine spätere, ganz frei werdende Malerei. Auch im Verlauf des 16. Jahrhunderts, als dann die oberdeutsche Kunst zurückging, tauchen in der weiter aufblühenden niederlän-

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dischen Malerei Züge auf, die deutlich einen inneren Zusammenhang mit dem späteren Sehen anzeigen. Auch in der italienischen Kunst gibt es Vorstufen dafür. Caravaggios umstürzende, künstlerische Erkenntnisse waren ebenfalls zu neuen Formen, neuen Themen, neuen Bereichen der Kunst vorgestoßen und die Holländer haben manches davon in ihren Stil aufgenommen. Aber das alles waren Einzelerscheinungen geblieben. Jener einsame Revolutionär, dessen Erkenntnisse die Welt angingen, mußte in Rom unterdrückt werden von der offiziellen Kirchenmalerei. Und die neuzeitlichen Elemente in der nordischen Altarkunst hatten doch nie den Rahmen der Uberlieferung sprengen können. Mochten in der vlämischen Malerei des 16. Jahrhunderts immerhin Einzelbilder, neues Sehen, freie Themen gelegentlich auftauchen, sie waren am Rande der großen öffentlichen Kunst geblieben. Jetzt war das Entscheidende, daß eben das Ganze, der Kern der Kunst, völlig neu lag, daß es grundsätzlich gar nichts außer und neben dieser neuen Malerei geben konnte, und daß dieser Stil gegen die machtvolle gesamtabendländische Uberlieferung durchgesetzt worden ist. Während im holländischen Manierismus die Kunst an einem Endpunkt angekommen zu sein schien, während in Rubens' Vlandern und im südlichen Europa die große Kunst die Überlieferungen aufnahm, sie aktualisierte und noch lange fortführte, war schon eine ganz neue Kunst da, wahrscheinlich, ohne daß man sie von dieser Seite erwartet hatte. Eine Malerei auf einer Stufe und in einer Breite blüht auf, die unbegreiflich erscheint. Hunderte von Künstler-Namen sind aus diesen wenigen Städten bekannt, Tausende der berühmten „alten Holländer" hängen in den Sammlungen der Welt. Die Spezialisierung hat eine Fülle von Begabungen emporgetragen zu Leistungen, die noch heute unvergangen sind. Wenn einer sein Leben lang Fischstilleben malt — und das wurde eben jetzt möglich — , so konnte er, auch wenn er kein Genie war, in seinem Fach Vorzügliches, ja Vollendetes leisten. Wir haben hier gerade kleine, wenig bekannte Meister heranziehen müssen, um gegenüber Rubens das genau Gleichzeitige und damit auch das für das Wesen der neuen Malerei Bezeichnende vorzuführen. Wenig später treten ja dann in diesem dichten Schaffen schon die vielen berühmten Namen auf, die zu den Großen der europäischen Geschichte gehören. Denn diese Malerei war radikal. Sie war nicht auch eine Kunstweise, die neben die vorhandenen trat. Es besagt wenig, sie mit unter den Titel Barockmalerei zu fassen. Die neue Malerei trat im Grunde vor die bestehende. Sie lehnte sie ab, sie Schloß sie aus. So bescheiden sie auftrat, sie mußte sie ihren Grundsätzen nach ablehnen. Im 19. Jahrhundert sollte sie sich allmählich an ihre Stelle schieben in der europäischen Geltung. Zwar lebte die alte Malerei durchaus weiter. Die katholische Barockkunst hat im Süden noch eine weite und umfassende Entfaltung erlebt bis zu dem glanzvollen Abschluß der Altar- und Deckenmalerei innerhalb der Barockarchitektur,

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bis zu Tiepolo hin. Allein diese Kunst hatte seit dem Trienter Konzil sich der Kirche einzufügen, der auf machtvolle Wirkung ausgebauten Barockkirche, in deren Gesamtorchester sie nur eins der Instrumente war, wenn auch mit starkem und vollem Klang. Die Kunst hatte nicht mehr die Souveränität wie im Cinquecento, schließlich im 18. Jahrhundert ist sie zur bloßen ikonographischen Raumausgestaltung geworden. Tiepolo, der größte Maler des 18. Jahrhunderts, mußte in Spanien dem weltberühmten Raffael Mengs weichen, dessen Hauptleistung es war, daß er der Barockmalerei den Rest gab, indem er das aufrechte Tafelbild an die Decke übertrug — so weit hatte sich die „natürliche" Anschauung in der Bildermalerei durchgesetzt. Das räumlich-ikonographisch Umgreifende, Universale, ließ sich in der Malerei nicht mehr fassen. Auf der anderen Seite hat schon die Malerei des Frühbarock auch eigene Entwicklungen gezeitigt, die der Zukunft entsprachen. Der bedeutendste Maler Roms ist Poussin. Er vertritt den römischen Klassizismus, der dann von Frankreich aufgenommen wird. Darin ist der alte universale Humanismus eingeschränkt auf eine hohe persönliche Geistigkeit. Auch Poussins Bilder mit ihren klassischen und religiösen Themen sind für Sammler gemalt, allerdings für die aristokratischen Kunstfreunde, deren Galerien gesellschaftlich repräsentativen Charakter hatten. In diesen Galerien hingen Poussins Bilder in Folgen oder als Gegenstücke, reine Ausprägung der römischen Tradition, aber nur für klassisch Gebildete und ohne monumentalen ganzheitlichen Anspruch. So hat diese Kunst in ihrer vornehmen Selbstbeschränkung den Grund gelegt für die französische Kultur und, als dann mit David die Barockmalerei gänzlich verschwand, auch nachgewirkt auf die Malerei des 19. Jahrhunderts. Allein trotz dieser Nachwirkungen fußt doch die impressionistische Malerei ihrem Wesen nach noch mittelbar auf der holländischen Fadimalerei des frühen 17. Jahrhunderts. Dort war die radikal schöpferische Stelle. Dort wurden die Probleme selbst gelöst, wie sidi uns gezeigt hat. Hier wurde zuerst unmittelbar als die eigentliche Aufgabe der Malerei erkannt, der Menschheit die Augen zu öffnen, ihr zu zeigen, was zu sehen ist, und vor allem, wie gesehen wird. Unsere Art Natur anzuschauen, beruht wesentlich mit auf der holländischen Malerei. Denn was uns — etwa gegenüber einem Rubensbild — auf einem Gemälde etwa des Gabriel Metsu so unmittelbar gegenwärtig anmutet, ist dodi die Weise des Sehens selbst. Was da an der weißen Wand an Lichtern und Schatten und Reflexen erscheint, wie diese Wand dadurch physiognomisch lebt, wie um die sehr dunklen Dinge etwas wie ein Liclithof entsteht und bei den sehr hellen durchsichtig gelockert sich der Halbschatten sammelt — das alles mußte erst einmal entdeckt werden. Noch heute hat so ein Bild für uns das unvergeßliche Aroma einer ersten Formulierung. So einen Winkel mit Fenster und Fliesen zusammen und darin so viel Nie-Gesehenes zu erblicken — dazu gehörte eine radikal neuartige Schau. Sie ließ weit hinter sich die Experimente und Hilfsmittel des Torrentius mit seiner

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Camera obscura, aber sie setzte sie doch voraus. Nodi der große Vermeer hat sich vielleicht ähnlicher Apparate bedient. Jedenfalls ging zum ersten Mal in der Geschichte der Kunst die Malerei rein von der Beobachtung aus und machte dies Beobachten, das Sehen selbst zu ihrem Gegenstand. Dieses schöpferische Sehen beobachtet nüchtern und unvoreingenommen „die Natur". Es entdeckt in der reinen Tatsächlichkeit, in der reinen Gegenwart die Wunder der Welt. Und damit ist es nun tief begründet in der neuen Geistigkeit jenes Volkes. Hier ist ja später audi die Wissenschaft vom Sehen, die moderne Optik, zu einem guten Teil praktisch begründet worden. Huyghens stellte hier die erste Theorie des Lichts auf. Leeuwenhoek erbaute das erste Mikroskop, ein kaufmännischer Angestellter, getragen von dem gewaltigen Willen dieses Volkes, seine eigene Welt zu erschauen — in der „Natur", unabhängig von allen überlieferten Lehren und Ideologien, rein auf Grund eigener Beobachtung. Denn die Optik war ja nur ein Fach des großen allgemeinen naturwissenschaftlichen Forschens, das jetzt begonnen hatte. Hier wurde aus der Welt nur die „Natur" herausgehoben, aus der Erkenntnis die „Erfahrung", aus der Wahrheit die „Tatsächlichkeit". Hier entstand jene neue Geistigkeit, die in vollen Gegensatz trat zu allem ganzheitlidien, naturphilosophisdien Denken, somit auch zu allem, was im alten Reich geschah. Kepler hatte noch die Naturgesetze selbst ideologischtheologisch gedacht und war dabei zu seinen großen Entdeckungen gekommen. Aber dieser Ansatz erschien jetzt nicht mehr fruchtbar. Die neue „Natur" war rein profan, ohne theologische Deutung im Einzelnen. Der Hamburger Jungius hat geradezu gefordert, daß die Philosophie sich an den Naturwissenschaften zu orientieren hätte. Die Forschung wurde völlig getrennt vom persönlichen Bekennen und Glauben jenes streng kirchlichen Volkes. Die Holländer bildeten damit den Übergang zum westlichen Naturalismus, der sidi mit Newton völlig vom Theologischen trennte, die reine wissenschaftliche Tatsächlichkeit empirisch verstand, und damit die Neuzeit begründete. Leeuwenhoek erfuhr mit seinen mikroskopischen Entdeckungen die Ablehnung der alten Gelehrten. Für sie bestand ja die wissenschaftliche Medizin und Physik grundsätzlich immer nodi in der philosophischen Auslegung der antiken Autoren. Und außerdem wiesen sie es grundsätzlich von sich, sich mit den niedrigen Dingen abzugeben, die Leeuwenhoek unter sein Mikroskop gelegt hatte. Der Gegenstand, mit dem man sich befaßte, war ja durchaus nicht nebensächlich in der Wissenschaft, im Gegenteil die Wissenschaften hatten geradezu ihre Rangordnung nach ihren Themen. Wir können uns diesen Streit kaum mehr vorstellen. Erst Descartes hat — in Holland! — das Erkennen selbst zu einem Problem der Erkenntnis gemacht. Er hat ausdrücklich das eigene Denken an die Stelle der Auslegung der Alten gesetzt und sich gegen die Vorherrschaft des Thematischen gewandt, indem er die Erkenntnis forderte für alles, was uns begegnet: „omnia quae occurrunt."

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Dies entspricht der neuen Malerei, in der der dargestellte Gegenstand in seiner Bedeutung zurücktrat vor dem Sehen selbst, der Weise der Anschauung. Rubens, ein großzügiger und weitherziger Künstler, hätte es abgelehnt, eine so inhaltlose und unwürdige Bürgerhausszene zu malen und überhaupt dem Sehen selbst zu dienen, statt immer in erster Linie dem großen überlieferten Thema. Omnia, quae occurrunt. Was einem eben begegnet, das ist in erster Linie das Heim und die Heimat. Es ist die bürgerliche Welt der Häuslichkeit, der bürgerlichen Stube, des Hofes, der Küche und was darin ist, die Ansicht der Straße und der Stadt, der heimischen Landschaft mit ihren Dörfern, ihren Bauern und ihrem Vieh. Hier ist für den Holländer die Mitte der sichtbaren Welt, das Umfassendste und Höchste in der einfachen Gegenwart des Täglichen. Hier in dieser Helligkeit und Ruhe, in dieser Sauberkeit und dieser Wohlhäbigkeit ist die Sphäre eigentlicher menschlicher Wirklichkeit. Denn die bürgerliche Welt war die geistig politische Selbstschöpfung dieses Volkes. Adel, Fürsten und Kirche waren ohne direkte politische Bedeutung. Es gab sie als öffentliche Macht nicht, ja, es gab keinerlei Öffentlichkeit, die etwas bedeutet hätte, nur den Einzelnen und seinen Besitz, sein Heim und seine Welt. Er mit seinen Genossen leitete ausschußweise die Stadt, und die Städte mit ihren Ausschüssen waren der Staat. Es gab plötzlidi keine staatliche Malerei mehr, wie es keine kirchliche mehr gab. Die holländischen Maler malten nur so und nur das und nur für den, der wie sie der neuen Geistigkeit entsprach. „Scientia est de singularibus", sagte Campanella. „Singularia, non universalia" — das war das neue Schlagwort. Das öffentliche, das Allgemeine, das Ideelle war für dieses Volk so wenig sichtbar wie das Mythische, das Metaphysische, das Göttliche. Ein strenger Calvinismus, eine mathematische Philosophie, eine philologisch-historische Wissenschaft — alles war hoch anerkannt, aber es blieb alles eingegrenzt in seinen besonderen Geltungsbereich. Alles schien gerade im spezialistischen Nebeneinander erst fruchtbar zu werden. So entstand das Weltwunder dieses selbständigen Städtestaates. Und so erkannte dieses Volk sein Heil darin, sich endgültig abzusondern vom alten Reich. Nicht das Große und das Ganze war die Zukunft, sondern das Eigene, Einzelne und Gesonderte. So ist auch die Kunst abgesondert in ihrem Bereich. Sie wirkt nicht mehr auf den Raum, nicht auf die Gedanken. In sie hineinsehen, heißt aus dem Alltag der bürgerlichen Welt hinaussehen — und wiederum in ein Bildnis dieser bürgerlichen Welt, in dem sie eingesehen und erhellt erscheint. Die in sich beschlossene Form, das unauffällige, fast nichtssagende Thema, die Absonderung in dem tiefgekehlten Rahmen — wenn heute über unserem Sofa das Ölgemälde im goldenen oder schwarzen Rahmen hängt, so erscheint das so selbstverständlich, als wäre es immer so gewesen. Allein geschichtlich gesehen enthalten gerade Selbstverständlichkeiten immer die wesentlichsten Fragen. Es hat sich uns gezeigt, daß diese Art Kunst erst damals von dieser und für diese Welt geschaffen worden ist als Bildnis dieser Welt, als Einsicht in sie.



Studien zur Kunstgeschichte

Eine solche Geistigkeit, deren bleibendes Denkmal und Abbild die holländische Malerei ist, konnte entstehen zwischen dem Universalismus des alten Reichs und dem Absolutismus des Westens. Dieses Wunder ist die große Tat der Holländer gewesen. Das kleine Land der Kaufleute und Seefahrer, der Forscher und Künstler sah sich plötzlich zu weltpolitischer Bedeutung emporgetragen. Es war einen Augenblick das modernste Land im alten Europa und schien an die Stelle des spanischen Weltreichs zu treten. Diese Blüte ist bekanntlich sehr kurz gewesen. Das mußte so sein nach dem besonderen inneren und äußeren Gefüge dieses Staates. Die Erbschaft hat dann England angetreten. Und sogleich nahm alles einen anderen Charakter an: aus dem vielfältig Protestantischen erwuchs der Puritanismus, aus dem freien Städtestaat die konstitutionelle Monarchie, aus dem Kolonialstaat das Imperium, aus der Bürgerlichkeit die Demokratie, aus dem Händlertum die Wirtschaftsmacht — audi aus der Kunst wurde etwas anderes. England — nicht erst der französische Impressionismus des 19. Jahrhunderts — hat aus der holländischen Malerei das gemacht, was man die liberale Kunst nennen kann, die Vollendung der Kunst jener Neuzeit, an deren Ende wir heute stehen.

Bildnisse des Jan van Eyck 1961

Das Bildnis hat für den Maler Jan van Eyck eine besondere Bedeutung. Es enthält etwas vom Kern seiner Kunst. Etwas von ihrem ganzen Wesen tritt darin unmittelbar zutage. Schon auf den frühen Miniaturen (Turin) kommen bekanntlich Bildnisse vor, durch Wappen bezeichnet.1 Auf einem verlorenen Gemälde war der burgundische Hof in vielen kleinen Bildnissen bei einem Fest im Freien wiedergegeben (Versailles). Ein weiteres seiner Frühwerke scheint aus dem „Lebensbrunnen" erschließbar (Madrid), es enthält unter den Vertretern der Menschheit ebenfalls Bildnisse. Auch ein Bildnisdiptychon, von dem im Original nur die Berliner Kirchenmadonna erhalten ist, gehört zu seinen frühen Werken (Antwerpen). Die alte Gepflogenheit, in religiösen Darstellungen die Stifter mit abzubilden, hat Jan van Eyck bis in seine letzten Werke hin fortgeführt. Schon diese Bildnisse in historischen oder religiösen Zusammenhängen erscheinen jedes neuartig. Unmittelbar jedoch tritt die Größe des Künstlers in den selbständigen Bildnisgemälden ans Licht. Schon ihre Anzahl ist ungewöhnlich. Während wir etwa fünfzehn Aufträge für religiöse Bilder von ihm kennen, haben sich ungefähr zehn seiner Bildnisgemälde erhalten. (Dabei gehen im Laufe der Jahrhunderter solche Werke in persönlichem Besitz sidier eher verloren als die kirchlichen.) Im Verhältnis zu seinem gesamten Werk muß Jan van Eyck als der fruchtbarste Bildnismaler des Mittelalters gelten. Bildnisse zu fertigen ist von jeher eine Hauptaufgabe des Hofmalers. Doch als Hofmaler hat Jan van Eyck seine Bildnisse nicht gemalt. Während vorher alle Einzelbildnisse, die wir aus der nordwestlichen Kunst überhaupt kennen, ausschließlich Fürsten darstellen, hat Jan van Eyck (mit wenigen Ausnahmen, die

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Grundlage alles Folgenden sind die Forschungen M. J. Friedländers in Altniederländische Malerei I, 1924, S. 1 f., fortgeführt und bereichert hauptsächlich durch E. Panofsky, Early Netherlandish Painting 1947/8. Auch wenn hier einzelne abweichende oder ergänzende V o r schläge gemacht werden, gehen sie von Panofskys erschöpfend durchgearbeiteter Darstellung aus. — Gute Abbildungen bei L. Baldass, Jan van Eydc, 1952. — S. dazu die Besprechungen von O . Pächt in Burlington Magazine X C V 1953 S. 110, 267 (Panofsky) und S. 249 (Baldass), sowie v o n J. Held A r t Bulletin X X X V I I 195 j S. 205 f f . (Panofsky) und K. G. Boon, O u d Holland L X X I I 1954 S. 169 f f . (Panofsky).

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erst hier gezeigt werden sollen) nur andere Menschen gemalt: Persönlichkeiten aus dem Kreis, in dem er selbst lebte: Diplomaten, hohe Beamte und Kaufleute, dazu Künstler. Z u dieser vornehmen Schicht aus dem weiteren Umkreis des Hofes hat er sich selber gezählt. Nach den überkommenen Denkmälern und Nachrichten zu urteilen waren nichtfürstliche Personen in selbständigen Bildnissen vorher nur anderwärts dargestellt worden. Im Apostelchor des Wiener Stephans-Domes hingen eine Anzahl von Einzeltafeln mit den Bildnissen von Professoren wahrscheinlich schon aus der Anfangszeit der Universität unter Herzog Albrecht V., also etwa 1360 bis 1370. 2 Vielleicht waren audi die beiden Bildnisse der Nürnberger Kriegshauptleute von 1388, die nur in freien Kopien der Dürerzeit erhalten sind, selbständige Gemälde, ebenso die drei verlorenen Reuss-Schiltherr-Bildnisse von 1398, 1399 und 1 4 1 4 , deren Kopien J a k o b Eisner zugeschrieben werden. 3 So durchaus unsicher diese Überlieferungen sind, vielleicht handelt es sich doch um einzelne Bürgerbildnisse. Künstlerbildnisse gab es in Italien. Schon das Bildnis Petrarcas könnte man dazu rechnen, das Simone Martini gemalt haben soll (wenn es sich nicht, wie audi bei Laura's Bildnis, um Zeichnungen f ü r "Wandgemälde handelte). 4 Jedenfalls ist von Gaddi ein Bildnis seiner selbst mit seinen Brüdern überliefert. Marc Anton Michiel erwähnt ein Bildnis Gentiles da Fabriano ( t 1428) von der Hand seines Schülers Jacopo Bellini. A m bekanntesten ist das Reihenbildnis der fünf „ E r finder der Perspektive" aus Masaccios Umkreis (Abb. 33). Einzelnes mag also vorangegangen sein. Doch hat J a n van Eyck eine andere, neue, ziemlich geschlossene gesellschaftliche Schicht dargestellt und schon damit eine Sphäre der Bildnismalerei erschlossen, die ihr auf lange Zeit eigen bleiben sollte: den Kreis ihrer Auftraggeber, später auch ihrer Sammler und der Künstler selber. In der Sphäre dieser Gesellschaftsschicht spielt das Bildnisgemälde eine andere Rolle als das politisch-repräsentative Fürstenbildnis. Wie van Eyck diese seine Sphäre neu in die Kunst aufgenommen (und dadurch mit gestaltet) hat, so hat er dafür auch eine durchaus neue Bildnisform gefunden. Seine Menschen wenden das Antlitz alle halb nach links. Die Schrägsicht ist nicht jedesmal die gleiche, doch wäre, da die Nase nie über den Wangenumriß hinaus vortritt, eher von einem Zweidrittel-Profil zu sprechen. Fast alle sind bis unterhalb der Brust sichtbar mit Armen bis zum Ellenbogen, in den Händen 2

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V. Redlich, Kleine Beiträge zur Geschichte der ersten deutschen Universitäten, Zeitschrift für Deutsche Geistesgeschichte II 1936, S. 20 ff. und A. Lhotsky in Festsdirift des Kunsthist. Museums zur Feier des fünfzigjährigen Bestandes II, Die Geschichte der Sammlungen, 1. Hälfte, Wien 1941—4j, S. 22 ff. E. Buchner, Das deutsche Bildnis der Spätgotik und der frühen Dürerzeit, 1953· S. 24 ff. Nach Vasari schickte Pandolfo Malatesta (in Wahrheit Cardinal Stefaneschi) den Simone (Martini) da Siena eigens nach Avignon, um Petrarca zu malen. In Gedichten Petrarcas werden Bildnisse Lauras von Simone besungen. Vgl. Lucia Chiovenda, Die Zeichnungen Petrarcas, Diss. Frankfurt/M. 1929, ersch. Archivium Romanicum I 1933 S. 1 ff.

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meist einen Gegenstand haltend. Sie zeigen einen Ring, einen Kammerherrnstab, eine Schriftrolle und damit ihren Stand in ihrer Welt. In diesem erweiterten Brustbild-Ausschnitt, den van Eyck fast ausschließlich verwendet, war noch nie jemand abgebildet worden. N u r wenigen dieser Bildnisse (darunter dem Selbstbildnis) fehlen die Hände. Die Menschen erscheinen in einem Rahmen, den ebenfalls der Maler gestaltet hat. Einige davon sind erhalten, doch sind wohl bei allen Bildnissen ursprünglich Rahmen vorauszusetzen, die von dem Künstler in der Profilierung, ja in ihrem technischen Aufbau, sogar in ihrer Rückseite entworfen und täuschend wie aus Stein fertig bemalt sind, außerdem mit Inschriften und Signaturen, die wie eingemeißelt oder in Metall aufgelegt aussehen.5 Innerhalb des Holzrahmens ist dann die Tafel selbst manchmal noch durch gemaltes, scheinbar natürlich beleuchtetes Steinwerk eingefaßt, innerhalb dessen sich erst die Bildnisbüste erhebt. Der Rahmen gehört der Welt des Betrachters an, durch ihn blickt er in die des Dargestellten. So sind als Licht und Raum beide Welten sichtbar getrennt und gerade dadurch genähert. Diese intime Nähe entspricht der neuen Schicht und der neuen Sicht. Im Gegensatz vielleicht zu den Fürstenbildnissen sind diese offenbar ganz vor dem Modell durchgeführt, nadi dem Leben gemalt worden. Die Menschen schauen vor sich hin, oder sie blicken dem Betrachter ins Auge. Aus warmem Dunkel sich abhebend sind die Antlitze dem Licht, das von links einfällt, zugewandt. Die beiden Fenster links spiegeln sich in den Augen. Aufbau und Ausdruck des Antlitzes treten in ihrer Besonderheit ans Licht. Haltung und Anzug sind ebenfalls vom einzelnen Menschen her erfaßt. Von hier aus werden die vielen einzelnen Züge der Oberfläche entdeckt: die im Licht erglänzende Haut, die zarten Fältchen und die grauen Bartstoppeln. „ D e stuppele van den bearde heel grijsachtig" notiert sich der Maler selbst. Auch die Hände und auch die Stoffe sind porträtiert, das verschiedenartige Schimmern des Gewandes oder des Pelzwerks. Alles erscheint als dieses Eine beobachtet und dargestellt, das Einzelne, wie es in seiner Welt, an seinem Platze und zu seiner Stunde aussieht. Was über diesen je eigenen Sinn hinausgeht, ist vom Künstler auf dem Rahmen angegeben. Im Mittelalter w a r eine erste Bedingung jeder Darstellung der Ort ihrer Anbringung gewesen. Davon macht das bewegliche Bildnis sich frei. Die Architektur, in der es vorher immer erschienen war, ist jetzt nur noch gemalt und dient nur mehr als Umrahmung. Und die Bedeutung, die sich aus diesem architektonischen und dem entsprechenden ikonographischen Zusammenhang ergeben hatte, ist jetzt ebenfalls nur auf dem Rahmen angedeutet. Täuschend gemalt, als seien die Buchstaben den Steinprofilen in Metall aufgelegt, erscheinen dort

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Vgl. außer den Ausführungen Panofskys a. a. O. besonders Irmtrauti Schmidt, Der gotische Bilderrahmen in Deutschland und den Niederlanden. Diss. Freiburg/Brsg., 19 j 5 mit besonderem Kapitel über die Rahmen van Eycks. Bauch, Studien

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Sprüche, Devisen, Zitate, Signaturen, Namen, Daten, die auf die Entstehung und die Bedeutung des Bildnisses hinweisen. Vielleicht hat der Künstler, der als gebildeter, ja intellektueller Mann genannt wird, sie selbst formuliert. Als „freundliche Erinnerung" wird das Bildnis des Mannes mit der Rolle bezeichnet, er selbst als „Tymotheos", nach Panofsky vielleicht eine humanistische Anspielung auf einen Komponisten.® J a n de Leeuw wird mit einem Vers vorgestellt, sein Name in Bilderschrift ausgedrückt. Margareta van Eyck spricht selbst: „mein Gatte hat mich vollendet, 1 4 3 9 " . Fast immer bezeichnet eine ausführliche A n gabe des Malernamens das Bildnis als das, was es ist, als Kunstwerk. Jenseits dieser geistvoll vom Künstler geschaffenen Zwischensphäre erscheinen die dargestellten Menschen in der ihnen eigenen Welt. Das ist das Neue. Nicht mehr in einem offiziellen Repräsentieren, innerhalb eines religiösen oder politischen Zusammenhangs liegt eigentlich Sinn und Bedeutung dieser Bildnisse, sondern in der aus intimer Nähe erschauten Besonderheit des Einzelnen selber. Die befreiende Erschließung einer neuen persönlichen Sphäre zeigt sich nicht nur in den Bildnissen, deren A u f t r a g und Aufgabe neu erfaßt sind, nicht nur in der einzigartig bedeutenden Rolle, die das Bildnisthema in seinem Gesamtwerk spielt, sie erweist sich als ein Grundzug von J a n van Eycks Kunst überhaupt. Den Erscheinungen der sichtbaren Welt wird ein eigener höchster Bedeutungsrang angesehen. Liebevoll verfeinerte Beobachtung und genaue Wiedergabe entdecken in der Umwelt selber Schönheit, Geheimnis und Wert. Das gilt auch bei der Hauptaufgabe seiner Kunst, der religiösen Malerei. J a n van Eyck hat (mit Ausnahme des Genter Altars, der in jeder Hinsicht Ausnahme ist) nur mittelgroße und kleinere Marien- und Altarbilder gemalt: sie sind f ü r eine eingehende Betrachtung aus der Nähe geschaffen, kostbare Schilderungen übermenschlicher Personen und überwirklicher Räume in ihrer rein irdischen Erscheinung. Erst einer intimen Anschauung wird ihre Sinnfülle wie auch ihr Formenreichtum ersichtlich. Gegenüber diesen Werten treten in den Bildern die praktisch-kultische Funktion und die entsprechende architektonische Einfügung zurück, damit also die frühere allgemeingültige Monumentalität, die vom Betrachter wie von allem Heutigen und Hiesigen Abstand hält. Selbst die Eindeutigkeit des gedanklichen Gehaltes tritt jetzt in den Hintergrund. Gegenüber etwa dem Antependium von N a r bonne ist der innere und äußere Gesamtaufbau des Genter Altars problematisch. Das vielteilige Ganze ist weder in der Bedeutung noch in der Durchführung einheitlich. Bei einem Künstler mit dieser Selbstkritik, mit diesem Anspruch und dieser Fähigkeit zu wirklicher Vollendung bleibt es höchst auffallend, daß er das Hauptwerk seines Lebens, wie immer es zustande gekommen sein mag, in einer so uneinheitlichen Zusammenstellung abgeliefert hat. Sein unermeßlicher

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Panofskys Vermutung (Journal of the Warburg and Courtauld Institute X I I 1949 S. 80 ff.) ist von /. Duverger abgelehnt worden. Brugse Schilders ten tijde van Jan van Eyck, Bulletin des Musées Royaux Brüssel 1 9 j j .

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W e r t liegt nicht im Gesamten, in der Verkörperung der kultischen A l t a r f u n k t i o n in dieser Johannes-Kapelle von St. B a v o , sondern in den einzelnen T a f e l n und ihrer künstlerischen Vollendung. Indem er ihn in seiner Uneinheitlichkeit beließ, hat er den Genter A l t a r zu einem H a u p t w e r k europäischer Kunst gemacht. D e r gemalte Narbonner A l t a r v o r s a t z ist in seiner Passionsikonographie wie auch in seiner architektonischen Gliederung als Bestandteil des Altars und seiner Bedeutung durchgeführt, folgerichtig in der Erzählung und im Relief, einheitlich in jedem seiner Elemente. Er ist (wohl auch von einem Niederländer) etwa 60 Jahre v o r dem Genter A l t a r gemalt. Niemand würde bei den Profildarstellungen seiner Stifter etwa auf die Frage verfallen, ob der P l a t z für sie ausreicht. In Jan van Eyck's Verkündigung und den Stiftern in ihren Nischen ist bemerkt worden, daß die Knienden nicht genug R a u m um sich hätten, um aufzustehen. Sie erscheinen, wie Alberti sich einmal ausdrückt, eingesperrt in ein zu kleines Gehäuse wie in einem Schrein. 7 Bei Jan v a n Eyck ist die Architektur niemals tatsächliche Einfassung und Gliederung, vielmehr stets abgebildet, also in ihrer besonderen Erscheinung wiedergegeben in Beleuchtung und Oberfläche. Die architektonische Rahmung w i r d zum Bilde einer Raum-Nische. Aus der plastischen Einfassung der Muttergottes wird ein Kircheninneres, wiederum ohne daß das Größenverhältnis folgerichtig ausgeglichen wird. Denn wiederum erscheint auch die umgebende Architektur in ihrer Besonderheit, ihrem eigenen, in sich beschlossenen Zusammenhang geschildert. Sie w i r k t porträtiert. D e r Anreiz, sie zu identifizieren, sie in Brügge, in Lüttich wiederzufinden, entstammt einer grundsätzlich bildnishaften Darstellungsweise. Aus den tektonisch und ikonographisch bedeutungsvollen Baldachinen der mittelalterlichen Standbilder waren in der gotischen Malerei Bildarchitekturen in Kapellenform geworden, in denen die Figuren erscheinen. Jan v a n Eyck aber stellt ihr Inneres dar im Licht dieser W e l t : durch die Butzenscheiben blickt man hinaus in die Helligkeit des Tages und auf die Umrisse weiterer, weltlicher Gebäude (v. d. Paele- und Lucca Madonna, Verkündigung in Washington), aus den Ö f f n u n g e n hinaus in die Landschaft der Welt, auf Gebäude, auf Bäume und Pflanzen. Alles ist so aufgefaßt, daß von jeher der Streit geht, welche Gegend, welche Kirchen, welche Vegetation gemeint sind. Die Darstellung erscheint eben grundsätzlich bildnishaft, identifizierbar. M i t dieser neuen N ä h e direkter Sicht geht manches von der einstigen idealen Monumentalität verloren. Selbst die heiligen Personen wirken vielfach bildnishaft. D i e Lucca-Madonna sieht nach dem Modell aus, nämlich nach Margareta v a n Eyck, und ebenso die Maria in dem himmlischen Saal über der Erde, dem K a n z ler Rolin gegenüber, der stolz, ohne Abstand und Unterwürfigkeit, eher größer

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L. B. Alberti, Della Pittura, ed. L. Mallê 1950 S. 9 1 : „ivi fusse huomo alcuno nello hedifico quasi come in uno scrignio inchiuso, dove appena sedendo v i si assetti". Alberti spridit hier allgemein von den Größenverhältnissen innerhalb gemalter Darstellungen.

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als kleiner wirkend, mit seinem harten Gesicht vor ihr kniet. Auch diesem Bild gibt das Bildnishafte seinen Gehalt für eine eingehende Betrachtung aus nächster Nähe. Die religiösen Bilder tragen ebenfalls Inschriften. In niederländischer, lateinischer, griechischer, hebräischer Sprache und Schrift, manchmal audi miteinander vermischt, hat der theologisch und humanistisch gebildete Künstler sie auf den Rahmen gemalt. Außer der Stiftungsangabe, der Jahreszahl, der Künstlerbezeidinung und seiner Devise erscheinen Bibeltexte, religiöse Verse, Stellen aus den Vätern und hebräische Worte, auch griechische symbolische Buchstaben. Mögen ihm die Texte gesagt worden sein, es ist dodi immer wieder Jan van Eyck, der sie aufgenommen und in dieser geistvoll persönlichen Art angebracht hat. Es ist seine Deutung des Bildes, die im Raum des Betrachters neben der Künstlersignatur ersdieint. Dies wäre so im Mittelalter nicht möglich, weder bei Giotto (auf den die täuschende Architekturdarstellung zurückgeht), 8 noch auch beim Antependium von Narbonne. So zeigt Jan van Eyck auch in diesen ikonographischen Hinweisen seinen besonderen, eigenen, neuen Stil. Ebenso wie die Personen seiner Bildnisse meist einen bezeichnenden Gegenstand vorzeigen, so sind auch noch innerhalb der religiösen Bilder Hinweise auf den Inhalt angebracht. Der Text der Verkündigung ist eingeschrieben (doch so sehr vom Inneren des Bildes her gedacht, daß er von außen, vom Betrachter her gesehen, in Spiegelschrift erscheint),9 Thron und Möbel tragen wörtliche Bezeichnungen der dargestellten Personen. Auf Fliesen, Kapitellreliefs, auf Glasgemälden und Schnitzwerk sind Bilder angebracht, die auf die Bedeutung des Ganzen hinweisen. Nicht genug damit: auch manche Gegenstände, oft modellgetreu bis zum „Bildnishaften" wiedergegeben, natürliche Dinge, die alle so innerhalb der Bildwelt vorkommen könnten und darin ihren Sinn hätten: ein Apfel, ein Hund, eine Blume, haben bisweilen einen erkennbaren Nebensinn, eine zweite, symbolische Bedeutung. Diese doppelschichtige Weise des Deutens und Bedeutens scheint ein neuartiger, von Jan van Eyck geschaffener, ikonographischer Stil zu sein. Er steht im Gegensatz zu dem eigentlich mittelalterlichen (aus dem er gleichwohl hervorwächst) wie auch dem ikonographischen Stil des gleichzeitigen „Weichen Stils". 10 Jedenfalls entspricht er der neuen Bedeutung des Bildnishaften, er wird dadurdi erforderlich. Die kaum erkennbaren Inschriften unter Giottos Bildern der Franz-Legende in Assisi tragen anderen, mehr Titulus-artigen Charakter. • Dies scheint sonst nicht vorzukommen. Nur in der in jeder Hinsicht eigenwilligen Doppelkapelle von Schwarzrheindorf bei Bonn (12. Jahrh.) findet sich auf dem Wandbild der Tempelreinigung ebenfalls Schrift im Gegensinne, als sei sie vom Bildinneren her gesehen. A. Verbeek, Schwarzrheindorf, 1953 Abb. 35. 10 Vgl. den Versuch, einen ikonographischen Stil dieser Art zu bestimmen, in der Freiburger Dissertation 1937 von Luise Grosse, Studien zum ikonographischen Stil der deutschen Kunst um 1400. 8

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Die Bildnisse des J a n van Eyck haben daher eine so grundlegende Bedeutung für seine Kunst, weil in diesem Thema ganz rein etwas von dem hervortritt, was seiner gesamten Kunst innewohnt, audi den eigenen Deutungen seiner Kunst. 1 1

Isabella Wie die bildnishaften Züge in J a n van Eycks Kunst überhaupt, sind audi seine Bildnisse recht verschieden beurteilt worden. So dürfte jeder neue Beitrag zu einer Kenntnis seiner Bildniskunst erwünscht sein, audi wenn er nur den Abglanz verlorener Werke bringt. In süddeutschem privatem Besitz sah idi eine Federzeidinung, die die portugiesische Prinzessin Isabella darstellt (Abb. 20) „ L ' I N F A N T E D A M E I S A B I E L " steht auf einem hell gelassenen Streifen über dem Bildnis. Bis zu den Ellenbogen sichtbar erscheint die junge Frau oberhalb einer Steinbrüstung, über die ihre linke Hand greift, auf der wiederum die schlanke Rechte ruht. Sie trägt die elegante Hoftracht des frühen 15. Jahrhunderts: Brokatgewand mit Pelzkragen und breitem, hohem Gürtel, dazu eine aufsteigende, perlenbesetzte Haube, die das Haar verdeckt. Das Licht t r i f f t sie vor einer dunklen Nische, auf deren Seitenwand es scheint. Die Prinzessin blickt, offenbar lächelnd, den Betrachter an. Ihre Halbfigur erscheint hinter einem fein profilierten Steinrahmen mit sichtbaren Fugen, flankiert von zwei Diensten mit Sockeln und Kapitellen. Dies alles wird nochmals eingeschlossen von einer in Licht und Schatten plastisch vortretenden, nach innen und außen dreifach gestuften Rahmenleiste. Um sie herum legt sich ein Schmuckband mit einer Ranke zwischen glatten Streifen, das sich außen vergrößert wiederholt. Diese Ranke verläuft von den Ecken her, in denen die Embleme des Ordens vom Goldenen Vliess, Feuerstein und Stahlschloß, erscheinen, jeweils nach der Mitte des Bandes auf die Buchstaben P Y zu. Sie bedeuten Philipp und Isabella, das ergibt sich aus einer Inschrift, die außen auf einem breiten, glatten Felde zwischen den beiden Rankenstreifen umläuft: „C'est la pourtraiture qui fu envoüe a phe duc de bourgoing ne Sc de brabant de dame ysabel fille de R o y Jehan de portugal & d'algarbe seigneur de septe par luy

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W a s hier als „bildnishaft" an J a n v a n Eycks Stil bezeichnet wird, deckt sidi nicht mit dem, w a s das 1 9 . Jahrhundert „naturalistisch" genannt hat. E i n solcher zu C a r a v a g g i o s Zeiten aufgekommener und im 1 9 . Jahrhundert nochmals andersartig interpretierter B e g r i f f kann f ü r die Kunst des J a n v a n E y c k geschichtlich nichts aussagen. E r r u f t nur Mißverständnis und Verkennung hervor. — N o c h weniger paßt die Bezeichnung „Realismus". Sie besagte im Mittelalter bekanntlich das Gegenteil von der heutigen Bedeutung. Die „ R e a l i e n " waren die Ideen, alles Irdische und Einzelne nur „Beispielfälle" davon. Denn die Wirklichkeit w a r gerade das Überirdische. F ü r Erscheinungen an der Grenze des Mittelalters bleiben solche Stilbezeichnungen nichtssagend oder zweideutig.

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conquise qui fu depuis feme & espeuse du desús dit phe." „Dies ist das Bildnis, das an Philipp, den Herzog von Burgund und Brabant, geschickt wurde, von der Dame Isabella, Tochter des Königs Johann von Portugal und von Algarve, Herrn des von ihm eroberten Ceuta, welche dann Frau und Gattin des oben genannten Herzogs Philipp wurde." (Abb. 20.) Die Zeichnung ist, worauf midi nachträglich Otto Pächt hingewiesen hat, bereits veröffentlicht. L. Dimier hat sie in der Zeitschrift „La Renaissance de l'Art français" V 1922 S. 541 f. abgebildet und besprochen. Er selbst hatte das Blatt 1921 in London erworben. Obgleich schon er es richtig in seiner Bedeutung für die Lebensgeschichte der Prinzessin und damit historisch als Wiedergabe eines van Eyck-Werkes erkannte, hat die van Eyck-Forschung bisher von diesem wichtigen Fund keine Notiz genommen. 12 In der Tat kann sich die Inschrift eigentlich nur auf Jan van Eyck's Gemälde beziehen. Wir wissen, daß dieser vom 19. Oktober 1428 bis Weihnachten 1429 an der Gesandtschaft teilnahm, die am Hofe des Königs Johann I. von Portugal für den burgundisdien Herzog Philipp den Guten um die Hand von dessen Toditer, der Prinzessin Isabella, werben sollte. Jan van Eyck, Hofmaler und „Hofrat" des Herzogs (varlet de chambre, nicht „Kammerherr") hatte dabei das Bildnis Isabellas anzufertigen, was vom 14. Januar bis zum 12. Februar 1429 auf Schloß A v i z geschah.13 Dieses Bildnis ist nicht erhalten. M. J. Friedländer (in seiner „Altniederländischen Malerei" I 1924, S. 108) bezieht darauf die Erwähung des Bildnisses einer „schönen Portugiesin", „von der Hand des Johannes", gemalt „ohne ö l und auf Leinwand", das in den Inventaren der Statthalterin der Niederlande, der habsburgischen Erzherzogin Margarethe, in den Jahren 1516 und 1524 vorkommt. Die Dargestellte trug ein „rotes, pelzverbrämtes Kleid", sie hielt jedoch in der Hand eine Rolle, auf der der Hl. Nikolaus abgebildet war, nach Friedländer vielleicht als Patron der Seefahrer im Hinblick auf die bevorstehende Fahrt. Auf der vorliegenden Zeichnung kann also dieses Bild kaum wiedergegeben sein.14 Doch hat schon Friedländer hervorgehoben, daß das Bildnis der Prinzessin auf zwei Wegen, zu Schiff und auf dem Lande, nach Flandern geschickt wurde,

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In seinen „ A d d e n d a " zitiert Panofsky S. 536 A n m . 2035 Dimier, ohne darauf einzugehen Er nennt auch einen A u f s a t z S. Reinachs in der Revue Archéologique ser. j , 1922, S. 174. S. B'nne Amaury de Lagrange, Itinéraire d'Isabelle de Portugal . . . in Annales du Comité Flamand de France L X I I 1938 mit biographischem V o r w o r t von Chan. Looten u. A b b . der hier besprochenen Zeichnung nach Dimier. Allenfalls könnte man die zwei Linien, die wie Risse im Steinwerk aussehen und auf die übergreifende H a n d hinführen, als Rest einer durch schlechte Erhaltung des unteren Bildrandes vielleicht verlorenen Papierrolle deuten. Während sonst solche Risse auf v a n Eycks Rahmen und Brüstungen überall vorkommen, sind sie hier die einzigen am ganzen Rahmen. — Übrigens erwähnt J. Weale in Hubert and John v a n Eyck 1908 S. 177, daß sich von jenem im Inventar beschriebenen Bildnis eine Kopie in einer Mannheimer Sammlung Abbegg befinde.

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um den Herzog zu unterrichten, und daß van Eyck also zwei angefertigt habe. Eins davon muß das hier wiedergegebene sein. Die Prinzessin Isabella, als Tochter Johannes I. von Portugal und der Philippa von Lancaster 1397 geboren, war die dritte Frau Philipps des Guten, der bei dieser Hochzeit im Januar 1430 den Orden des Goldenen Vliesses gestiftet hat. Sie wird als politisch interessiert geschildert und hat später mit England und dem französischen König im Namen ihres Gatten verhandelt. 15 Es heißt, sie habe portugiesische Mode in die vlämisch-burgundische Hoftracht eingeführt. Gestorben ist sie 1 4 7 1 , begraben in der Kartause zu Champmol. Ihre Ikonographie ist vollständig noch nicht zusammengestellt. Vielfach wird sie noch mit Isabella von Bayern, Königin von Frankreich, oder sogar mit der Gemahlin Kaiser Karls V., ebenfalls einer Isabella von Portugal, verwechselt.16 Diese Ikonographie scheint nicht sehr umfangreich, dodi ist jedenfalls unrichtig, daß überhaupt keine Bildnisse Isabellas bekannt sind, wie J . Lavallaye, Le portrait au X V siècle . . . Brüssel 1945, behauptet. Die bisher früheste Darstellung Isabellas muß auf dem Bild einer Hofjagd Philipps des Guten vorkommen, das sich nur in einer grau in grau gemalten Kopie in Versailles erhalten hat. P. Post hat das Bild auf 1431 datieren und mit Recht van Eyck'schen Frühbildern anschließen können.17 Eine gravierte Bronzeplatte im Historischen Museum zu Basel, (Abb. 23) aus der Kartause stammend, gibt sie als Wohltäterin dieses Klosters wieder, kniend vor einem Vesperbild der Maria mit dem toten Christus auf dem Schoß. Zwei jung verstorbene Kinder sind als Prinzen abgebildet, gegenüber kniet in der Rüstung ihr Sohn, der spätere Herzog Karl der Kühne, hinter seinem Vater. Schon danach kann das Datum 1433, das die Inschrift nennt, nicht zutreffen. Die Stiftungen Isabellas für das Kloster sind erst 1438 gemacht worden, so nimmt Major dieses Jahr als das frühest mögliche Datum an. 18 Der Stil der sorgfältigen und wirkungssicheren Gravierung würde dieser Zeit entsprechen, wenn auch 15

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In dieser Rolle zeigt sie eine Zeichnung der Smlg. Gaignières ( O a 1 4 7 ) in der N a t i o n a l bibliothek in Paris, die nach einer Miniatur aus der Handschrift „Monstrelet in der Bibliothek C o l l a e r t " angefertigt ist: die Herzogin verabschiedet sich kniend von K a r l V I I . , um zu Philipp nach Quesnoy zurückzukehren. Bibliographie dazu im Catalogue raisonné des Peintures . . . au Musée du L o u v r e . Peintres flamands. Paris 1 9 5 3 von Ed.. Michel, N r . 4 1 0 4 . Sein A u f s a t z , Jahrbuch der preußischen Kunstsammlungen L H 1 9 3 1 , S. 1 2 0 f f . fehlt in der Bibliographie des L o u v r e - K a t a l o g s . Z u r Datierung s. E. Major, Jahresberichte des Basler Historischen Museums 1 9 2 9 . — N a c h dieser Platte scheint eine Zeichnung der Sammlung Gaignière in der Pariser Nationalbibliothek ( O b 1 0 30) kopiert zu sein, die die Herzogin wiedergibt, allerdings stehend, aber mit dem gleichen Betpult und in der gleichen Tracht wie in Basel (Der H e r z o g ist auf einem zugehörigen Blatt O b 1 0 3 1 gegeben). D i e Inschrift besagt, Isabella hätte 1 4 4 8 in der K a r tause in „ M o n t r e g n a u l t " zwei Zellen gestiftet, zwischen denen im K r e u z g a n g eine T a f e l angebracht wäre, nach der wiederum die Zeichnungen kopiert seien. Diesen O r t habe ich auch mit H i l f e französischer Kollegen nicht ausfindig machen können. — Marg. Devigne spricht in ihrer Arbeit über die de Viller'sche Bildersammlung in T o u r n a y von „den Platten, die

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innerhalb der dicht mit Wappen und Ornamenten gefüllten Komposition ältere Züge vorkommen, etwa die Andreas-Figur, die noch an den Hl. Johannes auf der bekannten Dedikations-Miniatur des Herzogs von Berry von Jacquemart de Hesdin erinnert (Ms. Brüssel 11060/61, Abb. u.a. Panofsky a . a . O . , Abb. 40). Ähnlich wie die Teppichzeichner scheinen audi die Goldschmiede bei der Übertragung eines künstlerischen Entwurfes in die kunsthandwerkliche Sphäre viel von ihrem besonderen traditionellen Stil beizubehalten.19 Das dritte datierte Bildnis ist eine Bleiplakette im Berliner Museum, 1470, also ein Jahr vor Isabellas Tode gemacht. Das feine Relief zeigt die Herzogin mit hoher Haube in Halbfigur. Wegen zu schlechter Erhaltung des reizvollen Stückes ist daraus über das Aussehen des Antlitzes kein Urteil zu gewinnen.20 Ein weiteres Bildnis hat der Maler Antonio de Succa 1601 bei dem Kanonikus D. de Villers mit Kreide abgezeichnet (Abb. 24). Es zeigt die Dargestellte als Dreiviertelfigur in hochgefaltetem Kopftuch mit hohem Gürtel, die Hände in die Ärmel gesteckt. Über Charakter und Entstehungszeit des Vorbildes läßt die flüchtige Zeichnung kaum Schlüsse zu (s. J . Weale — W. Brockwell, The van Eycks 1962 Taf. 34, der das Vorbild für früh hält. Doch scheint die Herzogin eher in ihrem Alter dargestellt, als sie asketisch und religiös lebte und sich kleidete. Vgl. die Ausführungen Lootens a. a. O. S. X X V I ) . Wohl noch in die Zeit des Jan van Eyck dürfte, dem Alter der Dargestellten nach, das undatierte kleine Bildnis des Louvre gehören (29,8 X 22,5 cm), Abb. 7. Das Bild wird dort als Original eines „flämischen Meisters" geführt. 21 Mit dem Stil Jan van Eycks, mit dem Weale a. a. O. S. 203 es verbinden will, läßt es sich schwerlich zusammenbringen. Mit dem feinen, schmalen Kopf und dem eleganten Kopfputz könnte es eher auf Werke Rogiers zurückgehen. Ursprünglich als Bildnis der französischen Königin Isabella von Bayern geltend wurde es von Hulin

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Isabella mehreren Kartausen gestiftet hatte, von denen eine in Basel erhalten sei", s. Mar%. Devigne, une collection d'œvres d'art à Tournay au commencement du X V I I s. in „Annales du X X I V Congrès der Fédération Archéologique et Historique de Belgique, Tournay 1921 (ersch. 1 9 1 7 ) S. 3 5 1 . — Dort noch weitere Angaben zur Ikonographie Isabella's, audi über die im folgenden genannten Bildnisse. s. die Freiburger Dissertation 1962 J. M. Fritz „Gestochene Bilder". Gravierungen der deutschen Spätgotik, passim. S. Luiz Reis Santos, Un portrait d'Isabelle de Portugal . . . daté de 1470, in Revue belge d'Archéologie et d'Histoire de l'Art V 1 9 3 j S. 135 ff. — Außer den hier genannten führt der Verfasser nodi ein Wandgemälde in der Alten Metzig in Gent an, das 1854 entdeckt worden und 1448 datiert ist. — Ferner berichtet er, Marc Anton Midiiel habe 1 5 2 1 in Venedig bei dem Cardinal Grimani ein Bildnis Isabellas von 1450 gesehen, das er Memling zuschrieb. — Die Bestimmung der Stifterin von Rogier's Beauner Altar auf Isabella, die Lejeune vorschlägt, scheint mir nicht überzeugend; s. Wallraf Richartz Jahrbuch X V I I 1955 S. 77. Kat. I9J3 Nr. 4104. — Erwähnt als „ 1 4 3 0 datiert" und abgebildet von M. Beaulieu und J. Bayle in Le Costume en Bourgogne . . . (1364—1477)1 Paris 1956 Taf. V I . — Eine Kopie oder Fälschung nach diesem Bilde 1920 in der Brüsseler Sammlung Stoclet, s. Burlington Magazine X X X V 1920 S. 1 5 7 m. Abb. auch S. 3 1 $ . — Eine Photographie des jetzt im Museum zu Dijon ausgestellten Bildes verdanke ich der Freundlichkeit des Herrn P. Quarré.

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richtig bestimmt, der in Gent eine Kopie mit dem portugiesischen Wappen auffand (Kat. der Genter Gemäldegalerie 1950 Nr. 50). Mit diesen Bildern verglichen läßt sich mit W. Stein auch in dem bedeutenden Gemälde Rogiers aus der Sammlung Rockefeiler in New York ein Bildnis Isabellas erkennen (Abb. 25). Es zeigt die Fürstin in höherem Alter, ihr Lächeln scheint etwas erstarrt, doch die steil ovale Gesichtsform mit den hohen Brauen und der schmalen spitzen Nase ist wohl die gleiche.22 Auch in dem „Bildnis einer Unbekannten" von einem „portugiesischen Maler des i j . Jahrhunderts" im Metropolitan Museum in New York scheint Isabella dargestellt zu sein (Abb. 26). Früher galt es dort als „Bildnis der Michèle de France" und als „Kopie nach van der Goes (?)". Es ist jedoch schon von P. Wescher, als es sich noch in der Sammlung Bissing in München befand, als mutmaßliches Bildnis der Isabella von Portugal abgebildet worden (Pantheon 28, 1941, S. 19 j ff.). Das Bild dürfte von einem der in ihrem Werk noch unbekannten niederländischen Hofmaler stammen. Endlich ist zu erwähnen, daß auch unter den Amsterdamer Holzkopien der „Gravenbeeldjes" das Bildnis Isabellas vermutet wird. 23 Mit den sechs halbwegs sicheren Bildnissen stimmt die Erscheinung Isabellas auf unserer Zeichnung überein. Die 32jährige Prinzessin hat auch hier das vornehme längliche Gesicht, die gerade, schmale Nase, die hohen Brauen und ein freundliches Lächeln. Zwar ist einerseits bei den verschiedenen Bildern, andererseits bei der Zeichnung Vorsicht geboten. Das Blatt ist mit der Feder gewandt auf bläulichem Papier gezeichnet und fein getuscht. Der Zeichner, wohl dem 17. Jahrhundert angehörend, könnte manches dem Stil der eigenen Zeit entsprechend verändert oder übersteigert haben: etwa den Schwung des Gewandes, die Gegensätze von Licht und Schatten, vielleicht auch den lächelnden Ausdruck um Mund und Augen. Die umlaufende Inschrift wäre für die Zeit van Eycks nicht unmöglich; da sie aber schon die Embleme des Ordens vom Goldenen Vliess zeigt, der erst 1430 bei der Hochzeit gestiftet worden ist, muß sie, und damit wohl der ganze Rand, später sein. Allein der Rahmen, wie ihn Abb. 28 zeigt, scheint zu dem Gemälde zu gehören.

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"

Die Bestimmung zuerst bei W. Stein im Jahrb. d. Preußischen Kunstsammlungen X L VII 1926 S. ι ff. — Eine Kopie dieses Bildnisses fand Seymour de Ricci auf dem Triptydion in Melbourne, einer „Speisung der Fünftausend" nach einem holländischen Meister um 1460, kopiert im späten I J . Jahrhundert. In dem merkwürdigen Bild sind ältere Bildnisse verwandt. Ricci glaubt noch, in Rogiers Bildnis Michèle de France zu erkennen. — Ebendort ein weitere» Bildnis Isabellas abgebildet, eine Kopie des 16. Jahrhunderts nach älterem, jugendlichem Bildnis, also aus der Zeit van Eycks, s. Seymour de Ricci in Burlington Magazine X L 1922 S. 163 m. Abb. — Vgl. audi M. Devigne a. a. O. — Eine genaue Bearbeitung des Bildes mit Literaturangabe gibt jetzt der von U. Hoff herrührende Katalog der Melbourner Galerie, 1961 S. 51. Sie datiert das Bild um 1492. J. Leeuwenberg in Oud Holland L X X I I I 1958 S. 156 ff. m. Abb.

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Mit diesen Vorbehalten kann die Zeichnung jedoch eine Vorstellung von dem Bildnis geben, das J a n van Eyck 1429 auf Schloß A v i z gemalt hat. Es darf also versucht werden, es mit den sicher überlieferten Werken des Künstlers zusammen zu betrachten. Dabei ergeben sich Übereinstimmungen, die ihrerseits das Bild f ü r van Eyck zu sichern scheinen. Schon die Tracht ist (falls das barocke Wogen des Gewandes auf die Rechnung des Kopisten kommt) ähnlich behandelt. Mag hier alles lockerer und eleganter wirken, so sitzt der breite Gürtel dodi ähnlich hoch unter der Brust wie bei Giovanna Arnolfini und Margareta van Eyck. Auffallend gleichen die schmalen, langfingrigen Hände denen der Giovanna und, auch in der Stellung der einzelnen Finger, der H l . Elisabeth auf der Karthäuser-Madonna der Sammlung Fridk. Diese Übereinstimmung ist um so bezeichnender, weil die Hände der meisten übrigen Frauen und aller Männer, die van Eyck porträtiert hat, durchaus abweichen. Auffallend stimmt die Cumäisdie Sibylle an der Außenseite des Genter Altars mit der Zeichnung der Isabella überein (Abb. 2 1 ) . Schon die Haube scheint dieselbe, auch der hohe Gürtel und Pelzkragen um den Ausschnitt sind ähnlich, sogar das längliche Antlitz mit der langen Nase, den hohen Brauen und dem kleinen Mund, endlich die langen, eleganten Hände. Außer diesen ist in dem Gegenstück, der Erythräischen Sibylle, alles betont anders: der fast negerische Typus mit weitem, verhüllendem Gewand und Turban. Um so mehr erinnert die Cumäisdie Sibylle an das frühe Bildnis der Prinzessin. Schon W. Stein hat (a. a. O. S. 12) in der Sibylle, nodi ohne Kenntnis des neuen Bildnisses, nur im Vergleich mit dem Rogier-Bilde, Isabella gesehen. Er hat audi in der Inschrift ihres Spruchbandes „ R e x adveniet per secla futurus scilicet in carne" einen Hinweis auf die erhoffte Geburt eines Thronfolgers vermutet. Vielleicht ist daher die später auf das Isabella-Bildnis Rogiers aufgesetzte Inschrift „Persica Sibylla l a " doch nicht so ohne Sinn, wie die Forschung annimmt. Denn das Bildnis der Margareta von Bayern, das J . Held (a. a. O. S. 224) in der N e w Yorker Kreuzigung vermutet, tritt ja ebenfalls als Sibylle (Panofsky) auf. Die Herzogin Rogiers könnte als Sibylle mit anderen Sibyllen, auch vielleicht mit Verwandtenbildnissen unter anderen humanistischen Betitelungen zusammengehangen haben. Vielleicht gehört dies dodi in das Kapitel der Deutung des „Tymotheos" als Binchoit. 24 Besonders fällt der Rahmen auf. Mindestens innerhalb der plastischen Rahmenleiste ist er von van Eyck als steinerne Fassung gemalt, — wie es aus manchen seiner Bilder bekannt ist. Ob der weiße Streifen mit dem Namen auf dem Gemälde so ausgesehen hat, muß bezweifelt werden. Doch sonst entspricht die täuschende Wiedergabe den übrigen Bildern. Steinfugen sind auch auf dem gemalten

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Vielleicht sind also die Versuche, in religiös-historischen Personen van Eycks Bildnisse lebender Menschen zu erkennen, dodi berechtigt? Vgl. A. Pigler, Das Problem der Budapester Kreuztragung. Zeitschr. Phoebus III 1950 S. 12 ff. m. Abb.

Bildnisse des Jan van Eyck Steinrahmen der A n t w e r p e n e r Muttergottes und des Christuskopfes ( K o p i e in Berlin) wiedergegeben. 2 5 Säulchen oder Dienste mit ähnlich hohen Sockeln und schlanken

Kapitellen

flankieren die Nischen der Stifterbildnisse und Johannes-Standbilder im Genter A l t a r ( A b b . 2 7 , 2 9 ) . Sie tragen dort die R u n d s t ä b e des M a ß w e r k s . G a n z ohne architektonische F u n k t i o n w i e im Isabella-Bildnis sind sie aber auch auf beiden Täfelchen, die im L o u v r e als „ K o p i e n nach Petrus Christus ( ? ) "

den

gelten

( A b b . 30). Sie stellen M a r i a mit dem K i n d e und Johannes den T ä u f e r als Steinb i l d w e r k e auf Sockeln in Nischen dar. O t t o Pächt hat ihre Bedeutung erkannt: die beiden guten Bilder geben w o h l nicht Schulwerke, sondern F r ü h w e r k e des J a n v a n E y c k wieder. 2 6 D a ß ihre Dienste ebenso in die R a h m e n p r o f i l e eingestellt sind, spricht ebenfalls d a f ü r , daß in der Federzeichnung ein frühes W e r k J a n v a n E y c k s und sogar recht getreu wiedergegeben ist.

Die Abfolge der Bildnisse S o w i r d ein neues W e r k J a n v a n E y c k s sichtbar, ein datierbares Bildnis, — das früheste bisher bekannte. 2 7 W a s an ihm a u f f ä l l t , ist das Licht. E s spielt eine Rolle, w i e sie auf Bildnissen sonst nur bei den S t i f t e r n des Genter A l t a r s zu finden ist ( A b b . 2 7 , 2 9 ) . A u d i neben deren K o p f w i r d die dunkle Nische k r ä f t i g erhellt. D i e S t i f t e r auf den

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Der Rahmen der „Maria in der Kirche" in Berlin ist bei einem Diebstahl des Bildes vor etwa 50 Jahren verlorengegangen. Der jetzige ist offenbar — nach freundlicher Mitteilung Friedrich Winklers — nur in ungefährer Erinnerung an den früheren nadigemacht worden. Audi er gibt Steinmalerei mit Fugen. 2 ' Mündliche Mitteilung. Die Täfelchen weisen also auf ein Werk hin, das zu der wichtigen Gruppe gehört, die Pächt in der großen Anmerkung 15 seines van Eyck-Aufsatzes im Burlington Magazine X C V 1953 S. 2J3 zusammenstellt. — Inzwischen hat Jos. Bruyrt in seinem Buch „van Eyck-Problemen", 1957, die Täfelchen zum Ausgangspunkt für seinen „Meester van de grijnzende Johannes" genommen. Wie aus dem folgenden hervorgeht, möchte ich mich eher Päcbts Ansicht anschließen. — Louvre Kat. a . a . O . Fläm. Maler 1 9 j 3 Nr. 4 0 1 1 . Holz 3 7 X 4 1 cm m. Abb., Schenkung W. Gay 1937. 27 Dabei ist abgesehen von dem Mohrenfürsten, „gemalt 1 4 1 4 " , der als Werk Jan van Eycks erwähnt wird, s. Weale 1 9 1 2 S. 199. Vielleicht gibt auch die Zeichnung auf S. 1 1 des Codex Succa in Brüssel ein früheres Bildnis von Jan van Eyck wieder. Sie stellt den Herzog Johann IV. von Brabant dar, den zweiten Gatten der Jakoba von Bayern, der 1427 starb. Derselbe Fürst ist — nach demselben Vorbilde — in ganzer Figur dargestellt in einer der Silberstiftzeichnungen der Sammlung van Beuningen in Vierhouten (Abb. Baldass Nr. 148). Sie werden dort Jan van Eyck zugeschrieben, scheinen aber eher von Rogier van der Weyden zu stammen, der hier ältere Bildnisse kopiert hat (so schon Panofsky a. a. O.). — Das Bildnis ist der „Speisung der Fünftausend" eingefügt auf dem Triptychon in Melbourne, das Seymour de Ricci a. a. O. S. 164 veröffentlicht hat. Es handelt sich offenbar um eine Kopie des ausgehenden 15. Jahrhunderts nach einem holländischen Bilde aus der Mitte des 15. Jahrhunderts. Die Dame neben dem Herzog wäre dann Jakoba von Bayern. Vgl. Anm. 6$ u. Abb. 43 — Zur Ikonographie Johann's IV. vgl. noch M. Devigne a. a. O.

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Außenflügeln eines Verkündigungs-Altars, den Bart. Facius 1454 als Werk des „Johannes Gallicus" im Besitz des Königs Alfons in Neapel sah, müssen ähnlich beleuchtet gewesen sein: „inter quos solis radius veluti per rimam illabebatur, quem verum solem putes" (Weale a. a. O. S. L X X I I I ) . Es war dies also gelenktes Licht, das als „Sonnenstrahl wie durdi einen Spalt" einfiel. Ganz ähnlich wie in der Nische der Prinzessin fällt das Sonnenlicht auf den beiden Täfelchen im Louvre, die ja auch in ihrer Architektur so auffallend übereinstimmen (Abb. 30). Nodi die beiden Verkündigungsstatuen der Sammlung Thyssen in Lugano sind darin zu vergleichen, vielleicht sind sie im Anschluß an die Frühwerke entstanden. Dagegen treten auf den Außenflügeln des Dresdener Altärchens die Lichtgegensätze in einer allgemeinen Helligkeit zurück. Dies würde der späteren Entstehung entsprechen. Eine Reinigung 1958 hat die Jahreszahl 1437 bloßgelegt.28 Dasselbe helle, dünne, ganz verteilte Licht herrscht auch in dem Kirchenbild auf der Vorderseite. Damit wären die späteren Bildnisse zu vergleichen. Margarete van Eyck und der Arnolfini (Berlin) zeigen ebenfalls jene distanzierte, fein gestufte Flächigkeit, eine neue, alle Beweglichkeit zurückhaltende Stille in hellem, verteiltem Licht. Dagegen taucht der „Tymotheos" von 1432 in vollem Gegensatz zu einer täuschend gemalten Steinbrüstung in scharfem Seitenlicht auf, vergleichbar den frühen Bildnissen (Isabella, Vijdt) und ihren Rahmen (Abb. 31). Noch früher könnte der „Mann mit den Nelken" sein (Abb. 32). Er ist zwar nur in einer trockenen Kopie, offenbar des frühen 16. Jahrhunderts, erhalten, dürfte jedoch ziemlich genau ein Frühwerk Jan van Eycks wiedergeben.29 Die frühe Entstehung des Bildes oder seines Vorbildes ist mehrfach vermutet worden. Der mit allen Lichtund Schattenerscheinungen täuschend gemalte Rahmen, auf den sogar der Schatten der vorgestreckten Hand mit den Nelken fällt, erschien jedoch allen Beurteilern als Kunststück einer späteren Zeit, also des Kopisten. Noch erstaunlicher 88

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S. Henner Menz, Zur Freilegung einer Inschrift auf dem van Eyck-Altar der Dresdener Gemäldegalerie im Jahrbuch 1959 der Staatl. Kunstsammlungen Dresden S. 28 m. Abb. Die Inschrift lautet: „Johannes D e . eyck me fecit et complevit Anno D M M ' C C C C ' X X X V I I . als. ixhxan " — Das Altärchen wurde meistens früh angesetzt: Tolnay 1433, Baldass 1430—34, Panofsky 1430—31, Beenken 1427—30. Nur Voll hatte es für „spät", Held für „1434—36", Friedländer für „ 1 4 3 4 — 3 7 " und Kämmerer für „um 1437" entstanden erklärt. Baldass, Jan van Eyck, 19J2, schreibt das Bild einem „selbständigen Nachahmer" Jans zu, weil die „Faltenzeichnung, das Sichtbarmadien beider Hände und der Blick auf den Betrachter bei Jan van Eyck erst in den dreißiger Jahren vorkämen." Da andere als in den 1430er Jahren entstandene Bildnisse bisher überhaupt nicht bekannt waren, kann diese Beweisführung nidit überzeugen. Außer dem neu gefundenen Bildnis widerspricht ihr audi der Zug des geöffneten Mundes, in dem die Zähne erscheinen. Dies kommt gerade früh vor, in den Werken, die nodi zwischen Jan und Hubert strittig sind (Kreuzigung in New York, s. die Teilabbildung 164 bei Baldass; und Kreuzigung, Berlin), aber auch im Genter Altar (Apostel, Baldass Abb. 29, 3 1 ; Eremiten, Abb. 54; Johannes u. Maria, Abb. 4, 67; Engel, Abb. 74; Adam, Abb. 82; Gabriel, Abb. 92, 114 u. a.). Gleichzeitig zeigen diese Abbildungen, daß die kalte, trockene Durchführung des „Mannes mit den Nelken" nidit den originalen Frühwerken entspricht, sondern daß es sich hier um das Werk eines unselbständigen Kopisten handeln muß.

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ist vielleicht der Schatten des Rahmens auf der Schulter. Aber dies sind alles Effekte, die gerade in den früheren Werken vorkommen. Auf das Gewand der Isabella Borluut am Genter Altar fällt ebenfalls, wenn auch weniger ausgesprochen, der Schatten des Nischenrandes (Abb. 27). Die gemalten Rahmen, die über die Brüstung greifenden Hände, die aus der Nische herausblickende Büste, diese Züge lassen sich vergleichen. Das Urbild des „Mannes mit den Nelken" in seinem großen Hut muß ein „Frühwerk" gewesen sein. Schon der Antonius-Orden spricht ja dafür: ein Vorfahr des bayerischen Grafen hatte ihn gestiftet, dessen Hofmaler im Haag Jan van Eyck seit 1422 gewesen war, bis die bayerische Herrschaft 1425 endete. Die Büste des „Tymotheos", 1433, sitzt eigentümlich im Rahmen: während der Ärmel seines rechten Armes überschnitten wird, bleibt an seinem Rücken ein Streifen frei. Unfester nodi wirkt die Büste des Balduin de Lannoy. Die Hand mit dem Kammerherrnstab erscheint der auf dem Bilde von 1433 verwandt. Beenken und Panofsky haben das Lannoy-Bild daher in die Nähe datiert, Beenken sogar 1429—31, während Friedländer und Meiss es für spät halten. Der vornehme Adlige hat etwas bäuerische Gesichtszüge mit einem eigentümlich verhangenen, fast finsteren Blick, — vielleicht liegt darin das Schwierige, Gehemmte des Stotterers, „Le Bèsgue", wie Lannoy auch genannt wurde. Jan van Eydk kannte ihn genau. Als Sohn des Leiters der Gesandtschaft nach Portugal hatte auch er daran teilgenommen, war also 1V2 Jahre mit dem Hofmaler in der kleinen Gruppe zusammen.30 Vielleicht ist das Bildnis im Anschluß an diese Reise gemalt worden, möglicherweise noch unterwegs. Das hagere, grobe Antlitz scheint ähnlich ausführlich beschrieben wie das des Jodokus Vijdt oder des Mannes mit den Nelken. Der ursprüngliche Rahmen ist nicht erhalten. Das Bild scheint zu der Gruppe von Bildnissen zu gehören, die am Anfang der uns bekannten entstanden ist. 31 Das Bildnis des Kardinals Albergati hat einen anderen Charakter (Abb. 17). Kopf und Büste erscheinen massiver, aus weiterem Abstand gesehen, die feine Modellierung des Antlitzes, das rote Gewand glatter zusammengefaßt. Auch die

se

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L. van Puyvelde schreibt, daß Lannoy auf dem Bilde den Ehrenrock „de drap d'or violet cramoisy" trägt, den der Herzog ihm 1429 schenkte. Wie man allerdings in seinem Antlitz den „geschliffenen Diplomaten und tapferen Krieger, energisch und kühl beredinend" sehen kann, ist kaum verständlich, vgl. L. van Puyvelde, de reis van Jan van Eyck naer Portugal, in der Kgl. Vlaamsch Academie voor Taal en Letterkunde, Verslag en Mededelingen 1940 S. 1 7 f f . — Über die Interpretation van Eyck'sdier Gesichter s. noch unten S. 120. Falls dies zutrifft, müßte das Goldene Vliess auf der Brust Lannoys nachträglich, also nach der Stiftung des Ordens 1430 hineingemalt sein. Dies wäre in damaliger Zeit durchaus verständlich. Dem Befund nach ist es gut möglich. Wie die Kette gemalt ist, das ähnelt jedenfalls mehr der zugespitzten A r t auf Rogier-Bildnissen als der sachlichen auf dem Cincinnati-Bildnis (Abb. 16), — falls wir uns auf dieses verlassen können. Das Lannoy-Bildnis ist mit seinem ursprünglichen Rand erhalten, so ist auch die eigentümliche Stellung der Figur im Rahmen original. Eine gemalte Brüstung wie auf dem „Tymotheos" ist nicht vorhanden gewesen. Eine Aufnahme des Gemäldes mit dem ursprünglichen Rand verdanke ich der Freundlichkeit

Cornelius

Müller-Hofstede's.

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Beleuchtung scheint heller und dünner, die Konturierung schärfer, die Modellierung flacher. In all diesen Zügen gleicht das Werk eher dem anderen Klerikerbildnis van Eycks, dem des Kanonikus van der Paele von 1436. Wenn jener als Typus auch wuchtiger ist, so ist die Durchführung dodi sehr verwandt. In einer herrlichen Zeichnung hat van Eyck das Albergati-Gemälde vorbereitet, gleich mit Angabe der Farben, um sich bei der Ausführung danach zu richten. Da der Kardinal 1431 und dann nochmals 1435 in den Niederlanden war, nimmt M. Meiss in seiner eingehenden Studie über die Abfolge der Bildnisse des Jan van Eyck (wie schon Panofsky) an, daß die Zeichnung 1431 und das Gemälde danach 1435 entstanden sei.32 Die These ist verlockend, da die Zeichnung in ihrer eingehenden Schilderung der Einzelzüge an die früheren Werke zu erinnern scheint, während das Gemälde alles mehr zusammenfaßt, so sehr, daß Meiss die Eigenhändigkeit des Wiener Bildes diskutiert.33 Doch können wir diese einzige Bildniszeichnung van Eycks rein nach ihrem Stil mangels jeden Vergleichs nicht datieren, und eine Entstehung des Bildes nach vier Jahren ist doch wenig wahrscheinlich. Der abweichende Stil erklärt sich eher daraus, daß dieses Werk nicht vor dem Modell ausgeführt worden ist, sondern eben nach der Zeichnung, die der Künstler während des kurzen Aufenthaltes des viel beschäftigten Diplomaten angefertigt hatte. Außerdem zeigt das Antlitz des van der Paele, was auch Meiss (und schon Voll) gesehen hat, eben eine ähnliche Behandlung. So ist offenbar das Gemälde nicht 1431/2 zu datieren, wie Baldass wollte, sondern 1435. Mit diesen Bildnissen könnte ein weiteres zusammenhängen. Sechzehn Jahre lang ist Jan van Eyck Hofmaler und Vertrauter des Herzogs Philipp gewesen, und die Hauptaufgabe eines Hofmalers ist es, Bildnisse des Hofes zu schaffen. So mußte man zunächst nach einem Bildnis seines Herrn fragen (z. B. Friedländer, a. a. O. S. 108). Doch zeigen alle Darstellungen Philipps, soweit sie bisher bekannt geworden sind, den Stil Rogiers van der Weyden und seines Kreises. Eine Ausnahme scheint mir nur das Bild im Kunstmuseum von Cincinnati zu bilden (Abb. 16). 34 Das Bild trägt die Inschrift P H I L I P P E S L E B O N D U C D E B O U R G O G N E und stellt den Herzog gekrönt und im Ordenshabit des Goldenen Vließes mit Kette dar. Wie der Ausschnitt genommen und die Büste in der Bildfläche aus-

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s. M. Meiss in Burlington Magazine 94, 1952, 1 3 7 und Panofsky a. a. O. S. 200. — R. Weiss und J. Bruyn haben bezweifelt, daß der Dargestellte Albergati ist (Burlington Magazine 97, 1955 S. 145 f f . und Album Discipulorum f. Prof. J . G . van Gelder, Utrecht 1963 S. 1 7 ff.), doch können ihre Vorschläge, das Bildnis neu zu benennen, nicht überzeugen. Abgelehnt von J. Desneux, Unterdrawings and Pentimenti in the pictures of Jan van Eyck, A r t Bulletin X L 1958, S. 13 f f . Für freundliche Auskünfte und Zusendung mehrerer Aufnahmen bin ich Dr. von Groschwitz vom Museum in Cincinnati, U S A , zu Dank verpflichtet. — Charles Sterling danke ich für ausführliche und wertvolle Auskünfte.

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gebreitet ist, die einfache, helle Sachlichkeit der Auffassung, der ruhige, ungesammelte Blick, dann Projektion und Modellierung des Antlitzes, besonders an Mund, Kinn und Hals — alles erinnert an das Albergati-Bildnis, auch an den K o p f des van der Paele. Allerdings ist das Bild kein Original, sondern eine Kopie anscheinend des χ 6. Jahrhunderts. Doch könnte darin ein Abglanz eines Werkes von J a n van Eyck erhalten sein, das ja wohl jedenfalls in irgendeiner Form existiert haben muß. Jedoch hat Ch. Sterling, wie M. Beaulieu a. a. O. S. 9 mitteilt, entdeckt, daß ein übereinstimmend beschriebenes Bild in einer Urkunde von 1436 genannt wird, im Zusammenhang mit zwei Bildnissen von Philipps Vater und Großvater. Die schon von Westendorp 35 angeführte Urkunde besagt, daß damals der flämische Maler Jean de Maisoncelles für ein Bildnis Philipps des Guten in Ordenstracht entlohnt wird, „das in der Kirche der Kartause von Champmol zwischen zwei ähnlichen Bildnissen des Johann Ohnefurcht und Philipps des Kühnen angebracht werden sollte" (also ähnlich wie das Bildnis Herzog Rudolfs in St. Stephan s. S. 103). N u n sind gerade diese beiden Bildnisse ebenfalls in Cincinnati gelandet, und es ergibt sich die Wahrscheinlichkeit, daß es sich um drei in Champmol gefertigte Kopien nach den Fürstenbildnissen handelt. Jean de Maisoncelles ist in Dijon damals tätig gewesen, audi als Schöpfer von Fresken und Wandgemälden. 1436/7 hat er angeblich den Totentanz im Kreuzgang der Ste. Chapelle vollendet. So konnte P. Quarre ihm Wandgemälde zuschreiben, die in Notre Dame in Dijon aufgedeckt worden sind. 36 Sie stellen die Beschneidung und die Taufe dar und zeigen einen von van Eyck und Campin abhängigen Stil. Auch ein Tafelbild mit der Darstellung Christi im Tempel wird von Quarre in diesen Kreis gesetzt. Doch ergeben sich keine direkten, irgendwie zwingenden Vergleichspunkte mit dem Bildnis des Herzogs. Der bedeutende und mit allem Gleichzeitigen sonst unvereinbare Stil des Bildes sowie seine unverkennbare Verwandtschaft mit den offiziellen Bildnissen des J a n van Eyck läßt vielleicht doch die Vermutung zu, daß dem Werke Maisoncelles ein Vorbild von der H a n d des Hofmalers zugrunde liegt. Der Hof residierte seit 1 4 1 9 in Flandern. Vielleicht ist damals dieses Bild, vielleicht sind (obgleich davon nichts gesagt wird) auch die beiden anderen damals nach Originalen aus dem Besitz des Herzogs f ü r die Grabkapelle kopiert worden? Ein viertes Bildnis etwa in gleicher Größe und von derselben Hand des 16. Jahrhunderts ausgeführt, stellt den Sohn Philipps des Guten, Philipp den Kühnen dar, offenbar nach einem Original Rogiers van der Weyden. Alle vier sind heute als Wiederholungen des 16. Jahrhunderts im Museum in Cincinnati erhalten.

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K. Westendorp,

Die Anfänge der französisch-niederländischen Portraittafel. Diss. Straßburg 1906. P. Quarrê, D u Maître de Flémalle à Jean de Maisoncelles in Revue des Arts, Musées de France V I I I 1 9 j 8 S. 2 j i ff. m. Abb.

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Studien z u r Kunstgeschichte

Jeder Spur, die zu einer Abrundung unseres Bildes von der Kunst des großen Malers hinführen könnte, lohnt es nachzugehen.37 Das Albergati-Bildnis kann wohl unmöglich vor dem Londoner „Mann mit dem Turban" von 1433 gemalt sein. Dieses Bild ist in jeder Hinsicht eine Ausnahme unter den Bildnissen. Dadurch schon scheint die Vermutung, es sei ein Selbstbildnis, berechtigt. Man hat dafür angeführt, daß das Antlitz schlecht rasiert erscheint, — aber das gilt auch von Jod. Vijdt, und auf der AlbergatiZeichnung notiert sich der Künstler eigens, die Bartstoppeln seien grau. Man hat den Turban als besonders künstlerhaft bezeichnet, aber einen ähnlichen trägt auch Arnolfini auf seinem späten Bildnis. Beweisend scheint eher der Wahlspruch Jan van Eycks „als ich kan" zu sein, den er außer seinem Namen auf dem Rahmen angebracht hat, groß, in der Mitte der oberen Leiste. Seine persönliche Devise hätte wohl am Bildnis eines anderen keine Berechtigung. Zwar sind nicht alle Rahmen erhalten, doch kommt sie tatsächlich auf den anderen erhaltenen Bildnissen nirgends vor — außer auf dem seiner Frau! Die heutige Forschung (außer Baldass) sieht daher wohl zu Recht in dem Bilde ein Selbstbildnis. Es ist das einzige Bild ohne Hände, das sich doch selber ins Auge blickt.38 Selbstbildnisse gab es ja von jeher. Die Buchmaler hatten sich immer schon selbst dargestellt, wie sie ihr Buch dem Auftraggeber überreichten. Die antike Malerin Marcia ist in dem Boccaccio Philipps des Kühnen von 1402 dargestellt, wie sie sich selber vor dem Spiegel porträtiert (Abb. 45). Im Altertum sind Selbstbildnisse schon aus archaischer Zeit überliefert. Wenn weiterhin Tolnay (Münchener Jahrbuch 1932 S. 334) eine Stelle des Nicolaus von Cues anführt, in der die Welt ein Selbstbildnis Gottes genannt wird, so ist daraus jedenfalls das zu entnehmen, daß Selbstbildnisse einer allgemein verständlichen Vorstellung entsprachen. Doch ist in Jan van Eycks Bild offenbar zum ersten Mal in der Geschichte der Kunst ein Selbstbildnis als selbständiges Gemälde erhalten. Bei ihm dürfen und müssen wir in jedem Werk etwas grundlegend Eigenartiges erwarten. Es folgen die beiden Bildnisse mit dem Ring. Das Hermannstädter kenne idi im Original so wenig wie die anderen heutigen Forscher. Im Format wie auch sonst in manchem ist es ungewöhnlich. Daß der Ausdruck die „ruhige Autorität

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58

E r w i n P a n o f s k y wie audi Charles Sterling äußerten (mündlich) Z w e i f e l an dieser Zusdireibung. Beide sehen mehr Verbindung mit Rogier's Bildnistypus. Doch scheint es mir nützlich, die hier verfolgte Möglichkeit wenigstens zur Diskussion zu stellen. D e r Reiter unter den „Rittern Christi" des Genter Altars, in dem man v o n jeher ein Selbstbildnis gesucht hat, da er sich als einziger im ganzen Bilde so a u f f ä l l i g zurück- und herauswendet, trägt ebenfalls den roten T u r b a n und ähnelt obendrein nodi dem Londoner Selbstbildnis. Allerdings w i r k t er viel jünger, so viel, daß der Unterschied durch die dazwischen liegenden drei bis sechs J a h r e kaum erklärt werden kann. — Vielleicht machte ja die neue Nahsicht die Menschen älter? P a n o f s k y betont a. a. O . S . 1 9 8 , daß J a n auf dem Londoner Bilde jedenfalls älter als ein 4 0 - bis 4 j j ä h r i g e r aussieht. Seine Charakterisierung dieses A n t litzes t r i f f t das, w a s w i r in J a n v a n E y d c , in seiner Kunst und in seiner Menschensdiilderung sehen: .beeindruckbar. dodi unbeirrbar, illusionslos, dodi unersättlich wißbegierig".

Bildnisse des J a n v a n E y c k

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der übrigen Bildnisse vermissen lasse", sehe ich nicht. Die H ä n d e sind sehr van Eyck-isch, wenn man die des Joos V i j d t und des van der Paele vergleicht. Sie verhalten sich ähnlich zu denen des Wiener Goldschmieds wie diejenigen des Lannoy zu denen des „ T y m o t h e o s " : fast dieselben Motive sind leicht abgewandelt und überzeugender gestaltet. Das bedeutende Werk erscheint weniger altertümlich (was Voll zu seiner Ablehnung veranlaßt haben mag), doch führt sein reiferer Charakter o f f e n b a r nicht aus dem Bereich und den Möglichkeiten J a n van Eycks hinaus. A n einen archaisierenden Meister der Zeit um 1 5 0 0 etwa in der A r t Gerard D a v i d s oder J a n Mostaerts kann man kaum denken, noch weniger an einen bloßen Kopisten. M i t dem „ M a n n mit den N e l k e n " (Panofsky) sehe ich keine Vergleidismöglichkeit. A m Schluß stehen die Bildnisse Arnolfinis und der Margarete v a n Eyck: weit entfernt von den starken Licht- und Schattengegensätzen der früheren Werke, ohne die kräftige Rundung schräg gestellter oder sonst „räumlich" wirkender Büsten und Antlitze, ohne Brüstungs- und Rahmenwirkungen, — vielmehr in zarten, leichten Ubergängen, mit stillem Blick, ausgebreitet in eine Flächigkeit, die knapp vom Rahmen umfaßt w i r d in einer, wie Meiss sagt „feinen, genauen und ruhigen Sicherheit". Das Antlitz Christi hat J a n van Eyck in zwei verschiedenen Fassungen gemalt, 1438 und 1440, deren Originale o f f e n b a r verloren sind. Sie schließen sich den späten Bildnisschöpfungen an: mit diesem Rahmen, dieser Wiedergabe eines menschlichen Gesichts, in diesem Ausschnitt, diesen wechselnden Beleuchtungen. Dem alten Bildtypus der V e r a Ikon ist dadurch neues Leben verliehen, aber auch durch die Strahlen und Sprüche, Inschriften und Buchstaben auf Bild und Rahmen. Es erscheint gewagt, in jenem letzten Jahrzehnt eines nach U m f a n g , Abfolge und Richtung sonst weitgehend unbekannten Gesamtwerkes eine „Entwicklung" mit folgerichtiger Abwandlung der Motive zu suchen oder gar innerhalb dieser wenigen Werke vier „Perioden" aufzustellen. 3 9 Angemessener dürfte es sein, eine lockere Gruppierung einiger, aneinander orientierter Bildnispaare zu versuchen (zu der die nicht selbständigen Bildnisse kaum etwas beitragen können, da sie anderen Gesetzen und Traditionen entsprechen). Die Verlängerung der überblickbaren Schaffenszeit von bisher 1 0 auf 1 2 Jahre und die dadurch ermöglichte Aufstellung einer frühen Bildnisgruppe mag dazu behilflich sein, die Sicht zu klären. Herkunft der Bildniskunst Dabei stellt sich eine andere Frage neu. J a n van Eyck hat, wie es scheint, seine Bildniskunst aus sich selbst entfaltet. Mindestens hat er, was er darin etwa aus der Uberlieferung aufnahm, schon so souverän verwandelt, daß wir nirgends 39

V g l . die Bedenken. Heids

7

Baudi, Studien

in seiner P a n o f s k y - B e s p r e c l i u n g a. a. O . S. 2 1 8 .

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irgendeine A r t von „Abhängigkeit", wie sie unser „Entwicklungs"denken erwartet, feststellen können. Außerdem kennen wir ja nicht seine Anfänge, sondern mit Sicherheit nur den Anfang des letzten Jahrzehnts dieses unvergleichlich schöpferischen Lebens. Es kann sich daher nicht um eine „Ableitung" seiner Bildniskunst, sondern nur um die Frage handeln, inwieweit die neu gewonnene frühe Bildnisgruppe erkennen läßt, was J a n van Eyck aus der angetroffenen Uberlieferung anerkannt und sich zu eigen gemacht und was er abgelehnt, nämlich unbeachtet gelassen hat. Profilbildnisse hat er nicht geschaffen. Schon das früheste seiner Bildnisse (Abb. 28) ist ja in meisterlicher Weise im Dreiviertel-Profil dargestellt. Damit schon — um eine äußere Form voranzustellen — beginnt der Künstler auf einer anderen Grundlage, als er sie in der niederländischen Malerei an den heimischen und französischen Höfen vorgefunden hatte. Denn diese hoch entwickelte und in Europa damals führende Kunst hat doch an dem Profilbildnis festgehalten. Soweit die Bildniswerke dieser bedeutenden Hofmaler erhalten sind, hat sie Ch. Sterling in einer umfassenden Studie grundlegend behandelt. 40 Das Profilbildnis ist eine italienische Prägung. Das berühmte Bildnis des f r a n zösischen Königs Johann des Guten (f 1364) ist durchaus italienisch in der Anlage ( 6 6 X 4 4 cm mit Goldgrund auf Leinwand, die über eine Holzplatte mit Rahmenprofil geklebt ist, Abb. 34). Der Typus geht zurück auf Giottos Stifterbildnisse, etwa den Enrico Scrovegni der Arena-Kapelle. Was in einem bloßen Profil an menschlich-persönlicher Besonderheit liegen kann, hat Giotto in jenem herrlichen Bildnis ausgesprochen wie auch in dem des knienden Priesters vor Scrovegni im Jüngsten Gericht der Kapelle. Die klare Umrißform, in der Giotto überkommene Schemata mit neuer plastisch-menschlicher Substanz erfüllte, hat weithin gewirkt. Bildnisse innerhalb religiöser Kompositionen behielten seit Simone Martini ( 1 3 1 7 ) diesen Typus bei, aber auch isolierte Stifterbildnisse, wie etwa das des Guglielmo di Castelbarco mit seinem Priester am Triumphbogen von S. Fermo in Verona (1314)· Das Besondere an dem Pariser Königsbild liegt darin, daß es ein einzelnes Gemälde mit eigenem Rahmen ist. 41 Aber auch dafür hat es in Giottos Wirkungskreis vielleicht schon Vorstufen gegeben. Unsichere Nachrichten besagen, Giotto hätte dieses oder jenes Bildnis gemalt und „mitgebracht". Und der Stifter auf Pietro Lorenzetti's Fresco in der Unterkirche von Assisi erscheint um 1 3 3 0 außer-

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S. Ch. Sterling, La peinture de portrait à la cour de Bourgogne au début du X V m e siècle. Zeitschrift Critica d'Arte nuova V I 1959, S. 289 ff. Κ. Westendorp weist a. a. O. S. jo richtig darauf hin, daß in der Stichfolge „les vrais portraits des Rois de France . . . " des Jacobus de Bie 1634 dieses Bildnis Johanns des Guten kopiert ist, während alle früheren Königsbildnisse auf Phantasie beruhen. Man kannte also wohl keine älteren Bildnisse in diesem Sinne.

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halb der Madonnenkomposition von einem eigenen (gemalten) Rahmen umgeben (Abb 37). Das Königsbildnis ist kein Wandgemälde, sondern ein Tafelbild. Aber ist es wirklich selbständig gewesen? Immer wieder wird aus dem Inventar Karls V. von 1379 angeführt, daß dort ein Bild mit vier beweglichen Flügeln erwähnt wird, auf dem Karl V., sein Vater Johann der Gute, der deutsche Kaiser Karl IV. und der König von England Eduard III. dargestellt waren. 42 Sterling hält für möglich, daß es anläßlich des Besuchs des Kaisers in Paris 1364 gemalt worden sei, und stellt ebenfalls die Frage, ob das Bildnis Johanns des Guten von diesem Sammelbildnis stamme. Audi für derartige Reihenbildnisse gibt es vielleicht wiederum in Italien Vergleichbares. Auf einer friesartig breiten Tafel in den Uffizien sind drei Mitglieder der Familie Gaddi als Brustbilder nebeneinander angeordnet. Das Bild ist früh erwähnt und in einer Wiederholung von Giuliano Pesello (?) aus der Zeit um 1400 erhalten, die Keller in seinem inhaltreichen Aufsatz „Die Entstehung des Bildnisses am Ende des Hochmittelalters", Rom. Jahrbuch für Kunstgeschichte I I I 1939 S. 340 abbildet. Die drei Köpfe sind vielleicht einzeln für diesen Zwedk aus Wandgemälden herauskopiert, jedenfalls erscheinen sie ohne Zusammenhang miteinander. Dasselbe gilt von der bekannten Bildnisreihe der „Erfinder der Perspektive" im Louvre (Abb. 33). Allerdings waren auf diesen Gemälden nicht Fürsten dargestellt, sondern Bürger, nämlich Künstler. Dem entspricht es, daß sie teilweise nicht im Profil erscheinen. Sonst jedoch hat Italien am Profilbildnis festgehalten, noch im Quattrocento.43 Das ist überraschend. Köpfe im Dreiviertel-Profil kommen in religiösen und Historienbildern seit Giotto und länger ständig vor. Anatomisch und perspektivisch erfaßt, plastisch und frei beweglich wirkend stehen Masaccios Menschen und Köpfe von allen Seiten gesehen in der Raumbühne. Für das Bildnis aber blieb die Profilstellung verpflichtend, selbst für Masaccio und seine Nachfolger bis über Piero della Francesca hinaus. Diese großen Zeichner stellten ihre Auftraggeber dar in einer feierlichen Objektivität. Anklingend vielleicht an das alte

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Westendorp a . a . O . S. 50 zitiert die Angabe von 1380, in dem kleinen Arbeitszimmer in Karls V. Pariser Hotel St. Paul hänge „ungs tableaux de boys cloans de quatre pièces et y a paint en l'un le Roy qui à present est l'empereur son oncle le roy Jehan, son pere et Edoart roy d'Angleterre". — Ein gleiches Tafelbild nennt das Inventar des Herzogs von Berry: dieselben vier Fürsten, „prisez par Julien Simon, Albert du Moulin et Haimaut Rainse le X V I I jour d'aoust a x x escus". P. Vitry im Katalog der Ausstellung französischer Primitiver, Paris 1904, nimmt als sicher an, daß das Bildnis Johanns des Guten von diesem Vier-Tafelbild stamme. Zur Zeit Gaignières befand sich ein gleichartiges zweites Exemplar des Bildnisses im Besitz des Joly de Blaise, Ratsherrn von Dijon, dies nach H. Bouchot in dem genannten Ausstellungskatalog im Text zu der Abbildung Blatt 1. — Ein Brustbild König Karls V., ähnlidi dem Johanns des Guten, ist in der Stidifolge de Bie's enthalten. S. J. Lipman, The Florentine Profile Portrait in the Quattrocento. Art Bulletin 18, 1936 S. 54 ff. — Ein Sonderfall scheint das männliche Bildnis des Castagno (heute in Washington) zu sein.

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Münzbildnis des Herrschers, das gerade in der neuen Medaillenkunst wieder auflebte, gaben sie gleichsam einen Längsschnitt durch das Menschenhaupt mit den Hauptumrissen seines Knochenbaus als bleibende Form, das Menschliche erhoben über Ausdruck und Stimmung des Tages, der Typus in nüchterner Monumentalität auf große Fernwirkung von der Wand her gesteigert. Etwas davon ist auch in dem überlebensgroßen Profilkopf des französischen Königs in seinem Goldgrund, dessen Rand mit einem feinen Spitzbogenmuster verziert ist. Es spricht unnahbar als große Silhouette, vielleicht ursprünglich zusammen mit drei entsprechenden Silhouetten. Der italienische Charakter ist offenkundig. Die gelegentlichen Versuche früherer Forscher, das Bild mit dem Namen eines der Hofmaler der Zeit zu verbinden (etwa Girard d'Orléans), hat Sterling in seinem großen Aufsatz gar nicht mehr diskutiert. Von der Kunst an den französischen Höfen des späteren 14. Jahrhunderts hat das Werk nichts, weder von der niederländischen Buchmalerei noch von der Bildnerei. Als massige Silhouette, ohne Linienfluß, ohne Verhältnis zum Rahmen, die kompakte Büste ohne klare Zeichnung, grob gemalt, mit den unschönen, charaktervollen Zügen hat das Werk nichts von dem, was man sich unter französischer Form vorstellt. Aber diese Züge sind auch wiederum nicht rein italienisch. Die zugrunde liegende italienische Form scheint doch ins Nordische übertragen und dabei verändert worden zu sein. A m ehesten läßt dieses starke Bildnis sich mit den K ö p f e n auf den merkwürdigen Wandbildern in der Burg Karlstein in Böhmen vergleichen. Dort ist in der 1 3 5 7 vollendeten Marienkapelle zusammen mit Kaiser K a r l I V . der Sohn Jean's, der spätere König K a r l V., als Dauphin dargestellt, gemalt von Nikolaus Wurmser (Wormser), der 1 3 5 7 — 1 3 6 0 als Hofmaler und „Hofdiener" (also „varlet de chambre") des deutschen Kaiserhofes erwähnt wird (Abb. 35). In diesem Kopf und ähnlichen dort ist am ehesten eine vergleichbare Behandlung zu finden. Obgleich es sich einmal um ein Tafelbild, hier aber um Fresken handelt, ist doch manches ähnlich: etwa die eigentümliche Beleuchtung mit R a n d schatten, die dem Kopf einen flach reliefhaften Charakter geben, die weichen, derb schattierten Dunkelheiten, die das Antlitz modellieren, die Zeichnung des Auges in seiner dunklen Höhle, das strähnig gewellte Haar, die trübe Farbigkeit. Grodecki hat mit Recht auf die zeitliche und stilistische Übereinstimmung hingewiesen. 44 E r nimmt, wie es ja bei den engen Beziehungen der H ö f e zunächst selbstverständlich erscheint, Pariser Einwirkungen in Prag an. Doch ist das Bildnis König Johanns nicht nur isoliert, sondern auch fremdartig in Frankreich. Grodecki betont, daß Straßburg, die Heimat N i k . Wurmsers, damals gerade wenig westliche Einwirkungen aufweise, sondern außer mit dem heimisch oberrheinischen Stil mehr mit dem Bodenseeischen oder Kölnischen verbunden sei. Z w a r gibt es dort ebensowenig Vergleichbares mit diesen Prager Wandgemälden. Eine gewisse

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Louis Grodecki, Les peintures du château de Karlstein et l'art français. Bulletin Monumental C X V I9J7, S. 207 ff.

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Verwandtschaft zeigt vielleicht die wohl utrechtische Kreuzigung (heute Antwerpen) mit dem Bildnis des Stifters Hendrik van Rijn (f 1363) im Profil auf Goldgrund, die ein ähnliches Muster trägt, wie es in der Prager Wenzel-Kapelle vorkommt. Dieses wichtige, wenn auch ebenfalls alleinstehende Stück, wird von Hoogewerff, dem Gerson sich anschließt, wesentlich vom Niederrheinisch-Kölnischen hergeleitet, ein bedeutendes Werk, doch ganz unfranzösisch. Falls hier — außer der italienischen Grundlage — ein Zusammenhang mit der Malerei des Kaiserhofes faßbar wäre, so wäre das eine Parallele zu der Bildnerei und Baukunst der Familie Parier, die ja in Köln begonnen, doch dann ihren großen Stil in Schwaben und weiter in Böhmen entfaltet hatte, dennoch auch von Köln aus weithin ausgestrahlt hat bis nach Lothringen und in die Niederlande. Falls das Bildnis Johanns des Guten während seiner Gefangenschaft in England ( 1 3 5 6 — 1 3 6 0 ) gemalt worden ist, wie man auch vermutet hat, so käme dort ebenfalls ein Meister mit böhmischer Prägung in Betracht, wie sie in der englischen Buchmalerei jener Jahrzehnte durch Marg. Rickert festgestellt worden ist. 45 Falls es während des Besuches des Kaisers in Paris 1364 entstand, wäre die Möglichkeit, daß ein Hofmaler im Gefolge des Kaisers es schuf, nicht auszuschließen. Das Bildnis des 14. Jahrhunderts in Frankreich ist höfisch und hält entsprechend an der Profilstellung fest. Die erhaltenen Beispiele sind von Sterling angeführt, bis hin zu dem schönen Bildnis der Sammlung Thyssen in Lugano, in dem Sterling den Herzog Wenzel von Luxemburg vermutet hat. Aber sogar in der Buchmalerei der Zeit bevorzugen die Bildnisse der Auftraggeber oder auch des Verfassers das Profil. Das Dedikationsbild Vaudetars vor K a r l V . von J a n van Brügge, 1 3 7 1 , ist bekannt. Das Profil Louis' I I . von Anjou, des Enkels von Johann dem Guten, kommt mehrmals vor. Im Profil erscheint etwa der Herzog von Berry in den Brüsseler Très belles Heures von Jacquemart de Hesdin (etwa 1402) und sogar auf dem Januarbild des Paul von Limburg in den Très riches Heures von etwa 1 4 1 6 . Ebenso ist der Herzog von Bedford, Regent von Frankreich, in seinem Gebetbuch von 1423 im Profil wiedergegeben. J a n van Eyck hat diese Überlieferungen nicht aufgenommen. Er bringt das wie hinter einer Brüstung gedachte Brustbild mit frei herausgewendetem Gesicht. Um diese neuzeitliche Bildnisart zu schaffen, fußt er offenbar auf anderen Voraussetzungen. E t w a gleichzeitig mit dem Bild Johannes des Guten ist in Ostdeutschland ein Fürstenbildnis entstanden, das ähnlich alleinstehend und ähnlich grundlegend gewesen ist: das bekannte, fast lebensgroße Bildnis des 1365 verstorbenen Schwiegersohnes Kaiser Karls IV., des Herzogs Rudolf I V . von Österreich, der in seinem 26jährigen Leben mit seinen Stiftungen der Universität, des eigenen Kapitels von St. Stephan und des Stephansturms Wien als Kulturzentrum des deutschen

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Marg. Rickert, The reconstructed Carmelite Missal, London 1952, u. a. S. 76.

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Südostens begründet hat (Abb. 18). Das Gemälde ist auf Pergament, aufgeklebt auf eine Holztafel mit Rahmenprofil, und 4 8 , 5 X 3 1 cm groß.46 Der Rahmen stimmt in seinem einfachen, schweren Vorsprung überein mit den Werken des Meisters Theoderich in der Kreuzkapelle auf Burg Karlstein, die 1364 vollendet war: Tafelbildern mit Heiligen als Brustbilder. Auch der Stil scheint davon abhängig zu sein. Dodi ist hier vor schwarzem Grund nur der Kopf, kaum noch der Ansatz der Schulter gegeben. Auch dieses Bildnis hat altertümliche Züge: das Gesicht ist nicht folgerichtig verkürzt, das Verhältnis zur Büste ohne Leben. Doch ist es eben das erste selbständige Bildnis im Dreiviertelprofil. Schräg uns zugewendet blickt der Herzog mit geöffnetem Munde vor sich hin. Nicht diese Schrägstellung an sich ist etwas Besonderes und Gewagtes (in religiösen Bildern gab es ja von jeher schräg gestellte Köpfe), sondern daß sie in einem selbständigen Einzelbildnis vorkommt. Bei Bildnissen gab es das Dreiviertelprofil vorher ebenfalls nur in dem Zusammenhang einer religiösen Darstellung, in die ein Stifter aufgenommen war, meist kniend in der Verehrung der heiligen Personen mit betend erhobenen Händen und oft in viel bescheidenerer Größe. Im Laufe des 14. Jahrhunderts waren diese gemalten oder Reliefbildnisse allmählich ebenso wichtig geworden wie die religiösen Personen und Geschehnisse, denen sie sich andächtig zuwenden. Ebenso groß wie der Schmerzensmann oder das Vesperbild, neben denen sie knien, erscheinen die Stifter des ganzen Wanddenkmals, des „Epitaphs". Es trat allmählich an die Stelle des monumentalen Grabmahls der großen Herrn als frommes Abbild des Verstorbenen zusammen mit dem Gegenstand seiner Verehrung. In Deutschland, besonders Mitteldeutschland (Erfurt) und in Augsburg, haben sich solche Epitaphien seit dem frühen 14. Jahrhundert erhalten. Aus dem szenischen Zusammenhang heraus ergab sich für dieses persönlichere, bürgerlichere Bildnis das Dreiviertelprofil: kniend vor den göttlichen Personen blickten die Dargestellten halb nach vorn. 47 In der Malerei sind solche Epitaphien besonders im Böhmischen erhalten. Hier scheint — neben den Heiligenbrustbildern des Meisters Theoderich — die Grundlage für den neuzeitlichen Bildnistypus des Herzogs Rudolf IV. zu liegen. Das Bildnis dieses Stifters der Universität hing unter seinem Epitaph in St. Stephan. Es war also wohl selbst noch eine Art von „Epitaph", doch ohne religiösen und architektonischen Zusammenhang als selbständiges Bild aufgehängt. In diesem Chor haben aber auch Bildnisse von Professoren der Wiener Universität aus ihren ersten Jahrzehnten gehangen. Wie sie aussahen, ist nicht überlie-

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® Für das Bildnis Rudolfs IV. s. besonders K. Oettinger, Zeitschrift für Kunstwissenschaft V I 1952, S. 1 3 7 ff. 47 s. besonders M. Burckhard-Meier, Das spätmittelalterlidie Wanddenkmal in Deutschland und in den Niederlanden, Studien zur Typengeschichte des „Epitaphs". Diss. Freiburg 1951 (ungedruckt), und Alfr. Weckwerth, Der Ursprung des Bildepitaphs, in Zeitschr. für Kunstgeschichte X X 1957, S. 147 ff.

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fert, man wird sie sich am ehesten in der A r t des Herzogsbildnisses vorstellen, kaum als Profilbildnisse. 48 Schräg von vorn gesehen sind auch die erwähnten Bildnisse zweier Nürnberger Feldhauptleute von 1388, die nur in freien Kopien von 1506 erhalten sind. Dasselbe gilt von zwei Bildnisköpfen aus Konstanz von 1398 und 1399. Wiederum ist ihre Uberlieferung fragwürdig, sie sind nur aus freien Kopien bekannt, die von Jakob Eisner stammen sollen, einem Nürnberger Maler der Dürerzeit. Das lebensgroße Bildnis des Südtiroler Minnesängers Oswald von Wolkenstein ( 1 3 77 bis 1445), im Jahre 1 4 3 2 auf Pergament gemalt, dient als Titelblatt eines Gedichtbandes (Universitäts-Bibliothek, Innsbruck). Von dem derb-wuchtigen „Meister des Albrechtsaltars" hat Baldass ein selbständiges Bildnisgemälde veröffentlicht, das er gegen 1430 datiert. Dort bildet er auch aus einem etwa gleichzeitigen Wiener Musterbuch die Vorlage f ü r ein selbständiges Bildnis ab. Alle diese Darstellungen sind im Dreiviertelprofil. 4 9 Vielleicht hat es also seit dem 14. Jahrhundert in Süd- und Südostdeutschland eine Uberlieferung des Bildnisses im Dreiviertelprofil gegeben, vielleicht aus dem Epitaphbildnis entstanden und entsprechend vielleicht ursprünglich eher bürgerlichen Charakters. Jedenfalls dürfte es kein Z u f a l l sein, daß außer dem Herzog Rudolf noch ein zweiter Fürst sich in dieser Weise hat darstellen lassen, nämlich Kaiser Sigismund (regierte 1 4 1 0 — 1 4 3 7 , Sohn Karls IV.). 1 4 3 2 — 1 4 3 3 wird sein Bildnis in Wien angesetzt, das (wie das des Wolkenstein) ohne Verbindung mit der westlichen Hofmalerei ist. Es wird Pisanello zugeschrieben, der den Kaiser etwa 1 4 3 2 auf zwei Zeichnungen festgehalten hat, einer flüchtigen Bleistiftskizze und einem vielleicht von Schülerhand vollendeten, trocken und pedantisch mit der Feder übergangenen zweiten Blatt. Beide Zeichnungen sind im Profil, wie es sämtliche Bildnisgemälde Pisanellos sind. Obgleich er lebensvolle Zeichnungen von K ö p f e n in allen Stellungen geschaffen hat, bleibt er bei dem italienischen Bildnistypus. Gerade er hat ihn in seinen Gemälden wie in seinen Medaillen zu höchster Vollendung geführt. 50

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Lit. s. Anm. 2. — Für das Aufhängen von Bildnisgemälden über dem G r a b in einer Kirche vgl. die Herzogbildnisse in der Kartause von Champmol, S. 9 5 . Die Nürnberger und Konstanzer Bildnisse sowie das des Wolkenstein bei Buchner a. a. O. Abb. 2 — j , 153, 1 5 4 , 156. — Baldass, Zeitschrift für Kunstwissenschaft X 1955 s. 175 ff-

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Eine Einwirkung von Seiten der Kunst an den französisdien Höfen kann hier wohl nicht angenommen werden, wie Degenhart es tut (Pisanello, Wien 1940 S. 38). — V o n Pisanellos Vorbild Gentile da Fabriano werden Tafelbildnisse im Profil, angeblich aus seiner Frühzeit, erwähnt. Gentiles Gewohnheit, Zierformen in vergoldetem Relief seinen Gemälden einzufügen, wird in den Quellen audi von einem seiner Bildnisse berichtet, er soll einen Rosenkranz in der H a n d des Dargestellten plastisch wiedergegeben haben. Dies dürfte auf die niederländische Bildniskunst in Frankreich gewirkt haben, etwa auf das weibliche Profilbildnis in Washington, Abb. bei Panofsky a. a. O . 1 9 4 7 , T a f . 43 A b b . 92. — Z u den Zeichnungen Pisanellos vgl. auch H. Kellers A u f s a t z Bildhauer-Zeichnungen Pisanellos in Festschrift Kurt Bauch 1 9 5 7 S. 1 3 9 f f .

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Das Kaiserbildnis schließt sich also schon als Bildtypus der südostdeutschen Überlieferung an. Die Degenharts Zuschreibung entgegengehaltenen Begründungen N . Rasmo's und Pesina's sprechen doch dafür, d a ß dieses Werk eher der böhmischen Malerei in ihrer letzten bedeutenden Phase zuzuschreiben ist. Rasmo denkt an den Maler der aus dem Kapuziner-Kloster in Prag stammenden H e i ligenbüsten, die Pesina auf etwa 1 4 3 2 — 1 4 3 4 datiert. 5 1 Auch von einem Bildnis Sigismunds, das in Bern angefertigt worden ist, sind Spuren aus späterer Zeit auf uns gekommen. Es wurde mehrfach kopiert, eins dieser Exemplare hat Baum veröffentlicht („Meister und W e r k e " , Lindau 1957 S. 34 f f . m. Abb.). Es ist ebenfalls im Dreiviertelprofil. 1430 haben sich für ihre Heiltumskammer audi die Nürnberger die K o p i e eines Sigismundbildnisses bestellt. V o n dem Wiener Bildnis ist eine Kopie v o n etwa 1480 erhalten (Buchner a. a. O . A b b . 6). Ein weiteres Bildnis um 1445 ist im Görlitzer Museum (Buchner, A b b . 7). Uberhaupt ist die Sigismund-Ikonographie sehr ausgebreitet, vielleicht geht der spätgotische T y p u s des vollbärtigen Kaisers v o n ihm aus. Auch auf dem Schutzmantelbild in Le P u y kommt dieser T y p u s vor. 5 2 Sämtliche Darstellungen des Kaisers sind im Dreiviertelprofil. Wenn auch die einzelnen Denkmäler nicht alle gesichert sind, so scheint sidi aus ihrer Gesamtheit doch zu ergeben, daß in Oberdeutschland eine Uberlieferung des bürgerlichen Dreiviertelprofil-Bildnisses am Leben gewesen ist, die auch die Fürstenbildnisse bestimmte. Auch sie haben, was in den reinen Profildarstellungen

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S. Degenhart in Jahrbuch d. Kunsthistor. Sammlungen in Wien N F X I I I 1944 S. 349 f f . — N. Rasmo in Cultura Atesina — K u l t u r des Etschlandes I X 1955 S. 11. — Matejcek-Pesina, L a peinture gotique tchèque, Prag 1950 m. A b b . — V g l . den K a t a l o g der Ausstellung D a Altichiero a Pisanello in Verona 1958 S. 101 m. Lit. Das Bildnis des Herzogs Albrecht V., das in zwei alten Kopien im Kunsthistorischen Museum in Wien erhalten ist, könnte auf ein W e r k Pisanellos zurückgehen, wenn es nicht ebenfalls im Dreiviertelprofil gegeben wäre (Abb. 8 bei Büchner a. a. O.). Die Nürnberger Bestellung ist in Thausings Dürer-Buch 2. A u f l . 1884 S. m f f . erwähnt. — A u d i auf der K o p i e der Kreuztragung, die dem frühen v a n Eyck-Stil entspricht, glaubt Pigler Kaiser Sigismund zu erkennen (Anm. 24). — Ein zeitgenössisches Bildnis des Kaisers ist noch in einer Zeichnung des i j . Jahrhunderts im Cabinet des Estampes im Louvre erhalten, s. F.Lugts Inventar der Zeichnungen, Ecoles du N o r d 1936, A b b . 2 j . — V g l . audi Zeitschrift f. bild. Kunst 20, I9J7, S. 19. A u f der Pariser Zeichnung sind wie auf dem Wiener Bildnis (und noch auf Dürers Nürnberger Bild) die Zähne sichtbar. — Die ausführlichste Sigismund-Ikonographie bei ]. Baum, D a s Bildnis des Königs Sigismund aus dem Berner Rathaus, Jahrbuch des Bernischen Museums in Bern X X 1941 S. 16 f f . m. A b b . — A u f der Schutzmantelmadonna, heute im Museum Crozatier in Le P u y v o n etwa 142$, w o die Menschheit in den Vertretern der einzelnen Stände unter dem Hermelinmantel der Muttergottes Schutz sucht, sind die einzelnen geistlichen und weltlichen Fürsten vielfach in moderner Tracht und bildnishaft wirkend wiedergegeben, s. P. Perdrizet L a „mater omnium" du Musée du Puy, Congrès Archéologique X X V I I , 1904 S. 571 f f . m. A b b . — Mehrere Photographien des Bildes verdanke ich der Freundlichkeit des Konservators Herrn R. Gournat. — D i e Identifizierung Sigismunds mit einem Reiter auf dem Kupferstich „die große Schlad«" eines oberdeutschen Meisters um 1430, die Lili Fischel vorschlägt, kann nicht überzeugen. — s. W a l l raf-Richartz-Jahrbuch 21. 1959. 172. Typus, Tracht, Gebärde weichen ab.

Bildnisse des Jan van Eyck gerade vermieden w a r , einen intimen Charakter. D a s scheint sich außerdem in der schlichten Tracht auszusprechen. Diese Darstellungsweise steht, wie erwähnt, in Verbindung mit den „ E p i t a phien", die über ganz Nordeuropa verbreitet waren. A u f ihnen waren die Bildnisse fast stets im Dreiviertelprofil gegeben, auch im Nordwesten. Gerade in den Niederlanden und in Frankreich hat ja das „ E p i t a p h "

um die Wende

zum

ι j . Jahrhundert eine besonders reiche Entfaltung gefunden. Hier setzte es seinerseits die höfisch-monumentale Bildnisplastik des 1 4 . J a h r hunderts fort, die in Grabmälern (St. Denis), Stifterstatuen (Paris, Quinze-Vingt; C h a m p m o l ; Bourges) und fürstlichen Einzelstandbildern (Poitiers, L o u v r e - S p i n del) Bedeutendes geleistet hatte, großen Teils durch niederländische Bildhauer. Im „ E p i t a p h " ist diese Bildniskunst auf das auf das Relief übertragen, auf das bloße A b b i l d des andächtig Knienden zusammen mit dem Gegenstand seiner Andacht. Auch auf gemalten „ E p i t a p h i e n " , in der Buchmalerei, auf Glasgemälden, weiter in der A l t a r - und Wandmalerei, 5 3 auf Teppichen 5 4 kommen jene Auftraggeberund Stifterbildnisse im Dreiviertelprofil vor. Ein bedeutendes W e r k dieser A r t ist die Gedächtnistafel der Herren von Montfoort, die um 1 3 8 0 in Utrecht entstanden sein dürfte (Abb. 38). T r o t z der späteren Übermalungen ist die hervorragende Zeichnung erkennbar: jeder der Knienden ist anders gegeben, die Muttergottes folgt einem südniederländischen Vorbild in der A r t Jacquemart's de H e s din, die Verteilung in der Bildfläche ist fein und sicher — ein Beweis für den hohen Stand der Bildnisdarstellung in jener Zeit und Gegend. 5 5 53

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In der Katharinenkapelle der Marienkirche in Cambrai hat, angeblich um 1370, Jan van Hasselt die lebensgroßen Bildnisse der Grafen von Flandern „als Bildsäulen in Nischen" gemalt (Westendorp a . a . O . S. 17). Dies klingt so, als könne hier der Ursprung für die „Grisaille"-Darstellungen auf den Außenseiten der niederländischen Altäre liegen. Die täuschende Darstellung von Stein und Bildwerken geht jedenfalls (vgl. auch Beauneveus thronende Grisaille Propheten) auf Giottos Allegorien der Arena-Kapelle zurück. — Jene gemalten Standbilder kann man sidi kaum im Profil dastehend vorstellen, eher von vorn oder schräg von vorn gesehen. Man vergleiche auch den etwas früheren Luxemburger Stammbaum in Prag, s. A. Friedl, Mikulá? Wurmser, 1956, Abb. 31—78. Der große gestidcte Teppich, auf dem Beauneveu Karl V. mit seiner Familie beiderseits einer Marienkrönung dargestellt hatte (1793 in Chatres verbrannt), muß Epitaph-Charakter gehabt haben. Zuletzt erwähnt von E. G. Grimme in Aachener Kunstblätter 17/18, 1958/9, S. 58. — Eine gestickte Kasel von etwa 1429 aus St. Albans mit König Heinrich VI. von England und einer Schar geistlicher und weltlicher Würdenträger ist in einer genauen, in der Barockzeit gemalten Kopie im Londoner Kunsthandel (D. Cevat) erhalten. Die Literatur über das vielfach verkannte Werk ist zusammengestellt im Kat. der Ausstellung „Middeleeuwsdie Kunst der Noordelijke Nederlanden" in Amsterdam 1958 Nr. 1. Schon dieses geldrische Werk widerlegt die überraschende Vermutung von Meiss a . a . O . 1952 S. 138 die „Sitte des Porträtierens sei wohl zu Jan van Eycks Zeit noch nicht nach den nördlichen Niederlanden gedrungen, der Künstler habe erst, seit er Hofmaler Philipps von Burgund war, Bildnisse gemalt". Der „Mann mit den Nelken" trägt ein Ordenszeichen, das von den bayrischen Grafen von Holland gestiftet worden war, das Original dürfte vielleicht schon vor der Ankunft Philipps entstanden sein, als Jan van Eyck Hofmaler im Haag war. Er malte dort „im Palast des Grafen", was nicht bedeuten muß, daß er Wandgemälde ausführte, sondern wohl nur, daß er dort seine Werkstatt hatte (Daß Herzog Philipp 1433 den Künstler

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Es handelt sich also bei dem Bildnis im Dreiviertelprofil nicht um eine spätere oder „entwickeltere" Stufe der Bildnisdarstellung gegenüber dem „primitiveren" oder „früheren" Profilbildnis. In den Stifterbildnissen läuft beides nebeneinander her. Der König kniet auf einem Epitaph in St. Denis schräg herausblickend (Abb. 40). Sobald er aber mit seiner Familie auf einem Bildfelde gegeben ist, wird eine verschiedene Bedeutung des Bildnistypus deutlich. Sie ergibt sich etwa aus einem Wandgemälde der Michaelskapelle im Hof des „Palais" in Paris, das uns durch Gaignières Zeichnung überliefert ist: beiderseits einer Kreuzigung betet kniend die königliche Familie, empfohlen durch ihre Patrone (Abb. 39). König Johann der Gute ist im Profil, Königin Blanche und der Dauphin dagegen im Dreiviertelprofil dargestellt. Entsprechend sind die Brustbilder des Kaisers und seiner Gattin Elisabeth von Pommern in der Katharinenkapelle auf Schloß Karlstein unterschieden (um 1365, im Stil Nikiaus Wurmsers). Gemeinsam ein plastisches Kreuz haltend wenden sie sich einander zu, Karl im Profil, dodi die Kaiserin schräg herausblickend (Abb. 3 6). Ebenso wird in einer Urkunde des französischen Königs Karl V. von 1 3 7 1 der Herrscher im Profil, seine Gemahlin im Dreiviertelprofil abgebildet (Abb 41). In allen Einzelbildnissen aber, soweit sie erhalten sind, wird im Westen ausschließlich der offizielle Typus, das Profil gegeben, von Johann dem Guten bis zu dem schönen Bildnis in Lugano („Wenzel von Luxemburg"), dessen von der Seite gesehenes Antlitz schon so nahe an Jan van Eyck hinführt. 56 Kaum gibt es Ausnahmen, und die wenigen sind schlecht überliefert. Der burgundische Herzog Johann Ohnefurcht ist im Dreiviertelprofil dargestellt in einem Gemälde, das jetzt als eine Kopie aus dem Umkreis Rogiers van der Weyden angesehen wird (Abb. 42). Das Original muß aber vor der 1 4 1 9 erfolgten Ermordung des Herzogs entstanden sein und dodi ähnlich ausgesehen haben. Die schlanke, hoch aufgerichtete Gestalt mit dem gesenkten Blick vor hellem Grund, die spitzigen, auf ein Betpult mit Wappendecke gelegten Hände — alles spricht

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„dans son hostel" besucht, heißt nicht, „im Haus des Künstlers", sondern in seinem, des Herzogs, „Hotel", dem Stadtpalast, s. Duverger a . a . O . 1955.) Das bayrische Grafenhaus gehörte zu den bedeutendsten Fürstenfamilien Europas. Wenige Jahrzehnte bevor es die holländischen und hennegauischen Grafschaften geerbt hatte, war ein Bayer Kaiser gewesen. Später war eine bayrische Prinzessin Königin von Frankreich. Es genügt, an die alten und lebensvollen Zentren des bayrischen Kulturgebietes zu erinnern wie Regensburg und Salzburg, um den Hof im Haag in dem Palast des 13. Jahrhunderts richtig einzuschätzen. Ein provinzieller, peripherischer Platz war ihr Schloß nicht. Von einem Mitglied dieser Familie ist offenbar die Montfoorter Gedächtnistafel gestiftet worden. Sterling hat a. a. O. mit Recht auf eine dritte Art der Bildnisdarstellung verwiesen: den direkt von vorn gesehenen Fürsten. Er scheint auf einen alten, vorgotischen Typus des thronenden Herrschers (etwa der ottonischen Zeit) zurückzugehen. Durch die gotische Kunst hindurch hat er sich, etwa in der Ikonographie Karls des Großen, erhalten, kommt auch sonst gelegentlich als Hoheitsfigur vor (Sitzstatue Ludwigs des Bayern im Nürnberger Rathaus von etwa 1340 und um 1400 das Bildnis des englischen Königs Richard II., London, Westminster, der frontal gesehen thronend gemalt ist).

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dafür, daß es sich hier um die Teilkopie eines Stifterbildnisses aus einer religiösen Komposition handelt. 57 Weiterhin könnte man anführen, daß auf der erwähnten Miniatur von 1402 die Malerin Marcia ihr Selbstbildnis auf einer Tafel ebenfalls im Dreiviertelprofil malt (Abb. 45). Dodi bleibt fraglich, ob man daraus auf das Vorhandensein wirklicher Bildnisse oder Selbstbildnisse dieser Art schließen darf. Auch das merkwürdige Bildnis der Lysbeth van Wassenaar-Duivenvoorde im Mauritshuis ist im Dreiviertelprofil (Abb. 19).58 Sie heiratete 1430 Simon van Adrichem, der ebenfalls dem holländischen Adel angehörte und Rentmeister am Hof im Haag war. Das kleine Bild, auf Pergament gemalt, das erste selbständige ganzfigurige Bildnis, das wir kennen, ist nach dem Text des Spruchbandes ein Verlöbnisbild, also jedenfalls vor 1430 entstanden. Der Stil scheint nichts von van Eyck's Kunst zu haben, sondern unberührt davon, ja eigentlich früher zu sein. Er erinnert am ehesten, besonders im Antlitz, an Kölnisches, vielleicht ist das Werk von einem Utrechter Künstler gemalt. Ganz selbständig ist das Bild nicht. Es verlangt ein Gegenstück, den Verlobten. Dieses Bild gibt es, anfangs des 19. Jahrhunderts ist es einmal auf einer Versteigerung aufgetaucht. Es hatte ebenfalls ein Spruchband mit entsprechendem Text. Zwei ganzfigurige kleine Bildnisse (22,5 x20,5 cm) stellen also zusammen ein Brautpaar dar. Sie erinnern an oberdeutsche Verlöbnisbilder ähnlicher Art (Buchner a. a. O., Abb. Nrn. 195, 197, 198, 203), die zwar erst um die Mitte des Jahrhunderts oder danach entstanden sind, doch auf Vorstufen solcher Art zurückgehen müssen. In dieser Tradition steht Jan van Eycks Arnolfini-Bild in London. Das Verlöbnisbild ist ja wahrscheinlich im Haag, an der Stätte seines früheren Wirkens oder für diese Stätte gemalt worden, von einem bescheidenen, vielleicht geldrischen Maler, etwa fünf Jahre vor jenem Wunderwerk, in dem van Eyck den italienischen Bankier und seine Frau porträtiert hat. In dem Bildnis des Paares hat man immer Neues, Hintergründigeres, Tieferes, Allgemeingültigeres gesucht und gefunden: hier sei nicht ein gewöhnliches Bildnis, sondern etwas wie „die 57

D a s Bildnis des Johann von Artois, G r a f e n v o n E u , Kämmerers von Frankreich, gestorben 1 3 8 6 , ist in der Sammlung Gaignières wie ein unabhängiges Bildnis im Rahmen kopiert w o r den. Doch könnte die bis zum Ellenbogen sichtbare Büste auch aus dem Zusammenhang etwa eines Epitaphs herauskopiert sein. Die harte Projektion des K o p f e s , die schmalen Schultern, die in die Fläche gestellten Ellbogen wirken früh und würden dem niederländischen Kreis der Zeit entsprechen. D e r Rahmen erinnert an das einfache Profil des österreichischen Herzogsbildes (Abb. 1 8 ) und die böhmischen Theoderidi-Tafeln. E r w i r d audi in der Buchmalerei gelegentlich so mit dargestellt. Doch ist die Frage, ob er nidit der Phantasie v o n Gaignières Zeichner entstammt. E r wiederholt sich nämlich in diesen Blättern nodi mehrmals, so e t w a bei dem Profilbildnis des Louis de France, f 1 3 8 4 . Vielleidit gehört auch dieses Stück in den Umkreis des Bildnisses von Johann dem Guten, dem V a t e r jenes Louis I. von A n j o u . D a s wird sich kaum mehr aufklären lassen.

58

S. den erwähnten K a t a l o g der nordniederländischen Ausstellung in Amsterdam Daraus die folgenden Angaben.

1 9 5 8 S. 40.

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Studien zur Kunstgeschichte

Darstellung eines Sakramentes" gegeben, ja die „Grenze zwischen Bildnis und religiöser Historie sei aufgehoben". Entsprechend wird das Bild statt mit anderen Doppelbildnissen mit religiösen Sposali zio-Bildern verglichen und der Unterschied wesentlich darin gefunden, daß sie allein sind (Panofsky a. a. O. S. 202). Andererseits werden die Dargestellten als „Gewändefiguren", das Bildnis als „Ereignisbild mit Anspruch und Gewicht einer Beurkundung" aufgefaßt, „noch nicht als Tafelbild in strengem Sinne, sondern mit seinem Zeugniswert als ein Beweisstück, noch als zweckgebundenes Gerät" (Kauffmann, Zeitschrift Geistige Welt I V 1950 S· 4 5 ff·)* Historisch betrachtet handelt es sich um ein Bildnis, weder um ein Gerät noch ein Sakrament. Der Auftrag w a r einfach, er mag durch Voraussetzungen wie jenes Verlöbnisbild angeregt sein, und J a n van Eyck hat ihn erfüllt. Aber allerdings hat er daraus etwas gemacht, was einzig ist, nicht vergleichbar mit dem harmlosen Verlöbnisbild und seinen oberdeutschen Verwandten, auch nicht mit den bürgerlichen Gattenbildnissen, die Buchner aus dem Oberdeutschland des 15. Jahrhunderts abbildet (a. a. O. Abb. 199—202, 204, 207). J a n van Eyck blieb bei dem ganzfigurigen Bildnis in „Kabinett"format, also dem frei beweglichen Tafelbild, doch steigerte er die Größe auf mehr als das Doppelte (83 x 6 2 cm). E r zuerst gibt das Paar zusammen auf einer Tafel wieder. J a , er stellt Ort und Stunde mit dar: beide stehen in einem Zimmer und schließen gerade die Ehe. Mehr noch: das Zimmer ist als Schlafgemach gegeben, die Eheschließung als Gelöbnis — beides im religiösen Sinne. Sogar die Gegenstände der Einrichtung tragen dazu bei, motivisch oder symbolisch weisen sie auf theologische Bedeutungen. In einer dem Mittelalter fremden und widersprechenden Weise hat der Künstler alles hier in der alltäglich-irdischen Erscheinung und Bedeutung, in der direkten und folgerichtigen Einheit der Sichtbarkeit gegeben. Das Bild hatte seinen Sinn und seinen Ruhm, bevor man entdeckte, daß dem Dargestellten jeweils noch ein zweiter „tieferer" Sinn innewohnt. Diese verborgene, doppelsinnige Bedeutung steht im Gegensatz zu der konkreten, Gegenwart und Wirklichkeit schaffenden Symbolik einer mittelalterlichen Darstellung. Was im Mittelalter praktisch verwirklicht ist, wird hier nur wiedergegeben. Ein Treuesymbol ist im Mittelalter die greifbar steinerne monumentale Hundefigur im architektonisch praktischen Zusammenhang, eines Grabmals, — hier könnte der kleine Pinscher, bildnishaft erfaßt, im Zimmer herumlaufen. 59 Aber er tut es nicht, sondern bleibt vor uns aufgestellt. Die Größe des Werkes besteht nicht in der geistreichen Zusammenstellung jener theologisch-literarischen

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Panofsky erst hat den ganzen Bedeutungsreichtum der einzelnen Motive erkannt und dadurch das Werk einem eindringenden Verständnis erschlossen. Man hat eingewendet, daß der Hund und die Pantoffeln auch auf dem Bathseba-Bilde des Künstlers vorkommen und dort diesen Sinn nicht haben können. Daß die Pantoffeln an Moses vor dem brennenden Dornbusch gemahnen sollen, erscheint nicht zwingend. Doch könnte man aus der betonten Stellung der Sandalen (im Gegensatz zu dem zweiten Paar) schließen, daß sie jedenfalls irgend etwas

Bildnisse des Jan van Eyck

Motive (was auch ein theologisch gut beratener Stümper fertig bekommen hätte), sondern in der hellseherischen Entdeckung der irdischen Erscheinung und Einheit jener Dinge in ihrer sichtbaren Gegenwart. Denn dies ist ja doch nicht ein in sich folgerichtiger Raum, der die Menschen ganz in sich und seinen Sinn aufnähme. Sie stehen ja doch nicht im Lichte des Tages, das hinter ihnen durch das einzige Fenster eindringt. Vielmehr erscheinen sie in ihrer unvergeßlich bildnishaften Menschlichkeit weniger in als vor diesem Innenraum, der seinerseits die unüberbietbare Intimität sachlicher Schilderung zeigt. Das Zimmer ist uns ebenso nahe wie sie, es spricht selbst zu uns. Vom Betrachter her fällt Licht auf dieses Beieinander, von ihm aus sind die einzelnen Dinge zu verstehen und zu deuten, nicht nur aus ihrem gegenseitigen sachlichen Sinn. Vor uns direkt sind entsprechend die einzelnen Motive aufgereiht, bedeutungsvoll uns selber gegenüberstehend (Hund, Spiegel, das eine Paar der Pantoffeln). Die Tiefe der anschaulichen Erfassung alles Einzelnen entspricht der dichten Bedeutungsfülle, die dieser nachdenkliche, gebildete Künstler darin sieht. Wenn man hier vom Standpunkt des 19. Jahrhunderts steife Haltung, unfolgerichtige Verkürzungen, doppelte Lichtführung, herbe, fast reliefhafte Füllung der Bildebene durch vielerlei Motive beanstandet — so ist alles dieses gerade die bedeutende feierliche Form, die der große Maler f ü r jene Wesenheiten gefunden hat, die ihm die Dinge der Welt und die Menschen in ihrer Lebenswirklichkeit bedeuteten. Der praktische Sinn dieses Werkes lag ausschließlich darin, daß es Bildnis ist. Daß dies auf jener höchsten Ebene künstlerischer Weihe gefaßt ist, verursacht und erklärt unsere weitgreifenden, spiritualisierenden heutigen Interpretationen, auch wenn sie sachlich zu weit gehen. Weit über diesem praktischen Sinn als Bildnis des Ehepaares Arnolfini steht sein Sinn als Kunstwerk. Schon j o Jahre später hat ein spanischer Sammler, der wahrscheinlich mit den Arnolfini's gar nichts zu tun hatte, das Bild gekauft, wohl nur als „einen van Eyck". Von ihm gelangte es als kostbares Geschenk in fürstlichen Besitz.

Masaccio Immer bleibt es ein „Rätsel", wie J a n van Eyck beginnt. So neuartig und aus einem Guß wirkt jede seiner Schöpfungen, daß alle Uberlieferung belanglos und vergessen erscheint. Voraussetzungslos wie Wunderwerke wirken seine Bilder. Daher ist es so schwierig, die Vorstufen überhaupt aufzufinden. Wenn in den

bedeuten. — Kauffmann hat besonders den geistigen Gesamtaspekt der Werke van Eycks von dem Londoner Bild aus umrissen. Wichtig ist u. a. sein Hinweis, daß die Dargestellten vor dem Zimmer wie vor einer plastisdien Nische stehen. E r hat gerade audi auf den künstlerischen Erfahrungszusammenhang aufmerksam gemacht, aus dem sich van Eycks Abbild der Welt ergibt (a. a. O. S. 51), und dies als europäische Erscheinung verstanden.

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Studien zur Kunstgeschichte

vielschichtigen künstlerischen, geistigen, politischen, gesellschaftlichen, stammlichen Traditionen nach seiner Herkunft gefahndet wird, erscheint seine Kunst immer nur noch erstaunlicher. Der Stil des Isabella-Bildnisses ist mittels der 200 Jahre späteren Federzeichnung nur zu rekonstruieren, wenn man die zeitlich nächsten Bildnisschöpfungen: das Ehepaar Vijdt, den „Tymotheos" mit heranzieht. Erst so ergibt sich, wie weit der Kopie zu trauen ist. Soviel ist jedenfalls zu ersehen, daß auch hier mit einem Schlage alle Voraussetzungen und Vorstufen zum Versinken gebracht sind. Besonders deutlich wäre das gegenüber der dunklen, steilen Silhouette ihres Schwiegervaters (Abb. 42). Die Motive wären vergleichbar: Dreiviertelprofil, Schultern, Arme, besonders die Hände. Dennoch ist etwas von Grund auf Neues entstanden. Breit entfaltet erhebt sich ihre Büste hinter der Brüstung, über die die Hand herabgreift, auf der wiederum ruhig die andere liegt. Voll wendet sich das helle Antlitz aus dem vertieften Dunkel der Nische ins Licht, dem Beschauer entgegen. Gelöst, als sei sie jeder Wendung und Regung fähig, füllt sie aus ihrer Sphäre heraus die Öffnung, organisch entfaltet wie der „Tymotheos". Von den Profilbildnissen seiner niederländischen Vorgänger in der westlichen Hofkunst kann Jan van Eyck nicht zu dieser Lösung gelangt sein, auch nicht von den wenigen und unsicheren isolierten Ausnahmen niederländischer Dreiviertelprofil-Bildnisse, auch nicht von denjenigen Südostdeutschlands. Die Voraussetzungen müssen auf einem anderen Felde liegen. Die freie, organisch gelöste Erscheinung im Bildraum hat es in jenen Jahrzehnten im Abendland wohl nur in Florenz gegeben. In den 1420er Jahren könnte jene Reihe von fünf Bildnissen entstanden sein, die „die Erfinder der Perspektive" darstellen sollen (Abb. 33). Wann, wozu und von wem sie geschaffen sein mögen — jedenfalls spiegeln sie die große Kunst Masaccios wieder. Mag das Ganze „primitiver" als van Eycks Prinzessinnenbildnis wirken: die Aufreihung, die Büstenform, die Hintergrundsbehandlung, ja die Durchführung im einzelnen — hier allein erscheinen hinter einer gemalten Brüstung, umschlossen von einem gemalten Rahmen diese Antlitze beweglich, mit vollem Blick, gleichzeitig als Kopf in organischer Verbindung mit der Büste und dem Körper, aus einem Raum ins Licht gewendet, das die ruhigen, großen Formen trifft und rundet vor dem körperlosen Dunkel des Grundes. In großen Zügen erfaßt eine machtvolle Anschauung (noch bevor aus ihr die Wissenschaften der Anatomie und Perspektive entstehen) den natürlichen Körper in natürlich räumlicher Rundung. 60

60

Die schlecht erhaltene T a f e l im Louvre w i r d meist als Werk des Uccello betrachtet (Schubring, van Marie, Salmi, Berenson, Boeck, Pudelko, Salmi, Lipman), doch hat Beenken es überzeugend auf Masaccio zurückgeführt. D i e entscheidende Bestimmung wird Schmarsow verdankt, der das Bild als K o p i e nadi K ö p f e n aus Masaccios „Sagra", der Kirchweihe der Karmeliterkirclie, erkannte. Lânyi hat das aufgenommen und die Bildnisse als das des Masaccio selber

Bildnisse des Jan van Eyck

III

Jan v a n Eyck hätte, falls er in den 1420er Jahren in Florenz w a r , die Entstehung beobachten können. O b nun dieses Bild oder nicht, ob in diesen Jahren oder nicht, jedenfalls hat er Masaccios Kunst sehen können. A u f einer solchen höchsten Ebene genügt eine Begegnung, um den Funken überspringen zu lassen. Es handelt sich ja nicht nur um die Dreiviertelstellung des Kopfes, die hatte es in Historienbildern v o n jeher gegeben. Nein, er hatte dargestellt gesehen, wie ein Mensch als körperliche Erscheinung im Lichte einer Handlung, die er vollzieht und verkörpert, im R a u m steht. Er hatte die Übertragung einer menschlichen Büste von der Bühne der Historie in die Einzeltafel gesehen. Die fünf K ö p f e lassen sich in Stellung und Beleuchtung ähnlich in den Wandgemälden wiederfinden. Vielleicht sind sie ja einzeln daraus in diesen Bildnisfries übertragen worden. Es gibt genug Altertümliches darin, manches auch, was gerade Jan v a n Eyck altertümlich vorgekommen sein mag, doch kann er die organisch im dargestellten Bildraum bewegliche, allseitig ausstrahlende Persönlichkeit nur in Masaccios Malerei kennengelernt haben. Das hat M . Meiss besonders betont. 6 1 Wenn das Reihenbildnis tatsächlich auf Masaccio selber zurückgeht und wenn v a n Eyck die neue Kunst des Florentiners in diesem oder ähnlichen Bildnissen kennengelernt hat, so hat er ihn von seiner eigenen hohen Stufe aus und besser

(„Giotto"), des Donatello, des Antonio Manetti Ciaccheri und des Brunelleschi erklärt. Einzig der „Ucello" p a ß t im Alter nicht. Auch Lányi bringt die T a f e l mit den im Hause des Edelmanns Corsi v o n Masaccio selber gemalten 7 Bildnissen zusammen. Vielleicht w a r — nach dem Vorbild der Gaddi-Bildnisse — auch jene Reihe von dem Künstler nach dem Fresko auf einer ähnlichen T a f e l wiederholt. Doch erklärt Lányi die Louvre-Tafel überzeugend als Kopie. Die gesamte Literatur eingehend zitiert in dem A u f s a t z von /. Lányi, The Louvre Portrait of j Florentines im Burlington Magazine 84, 1944/5. Seitdem ist noch P. Meiler darauf eingegangen in L a Capella Brancacci, Problemi ritrattistici et iconografici. Zeitschr. Acropoli 1960/1, S. 186 ff., 273 f f .

β1

Wie nahe diese Bildnisse mit denen des van Eyck-Kreises verwandt sind, wird schon dadurch bewiesen, daß zwei Bildnisse (im Zürcher Landolt-Haus) von Berenson als Kopien nach Masaccio, von Pudelko als „Umkreis Castagno's", von Salmi als abhängig von Uccello bezeichnet worden sind, während Longhi darin — trotz der mediceischen Wappen der Rückseite — Kopien niederländischer Bildnisse in der A r t des frühen Petrus Christus sieht. Longhi glaubt, daß vielleicht ein großes religiöses Bild mit eingefügten Bildnissen diesen und ähnlichen K ö p f e n zugrunde läge. Etwas Fremdartiges in Florenz wäre dies allerdings nicht, da es schon auf Masaccios Pisaner Predella in der Anbetung des Kindes vorkommt. — R. Longhi, Fatti di Masolino e di Masaccio, in Critica d'Arte I V - V 12, S. 181 Anm. 11 m. A b b . 68, 69. In mehreren seiner Aufsätze, neuerdings in seinem V o r t r a g : Jan van Eyck and the Italian Renaissance in „Venezia e l'Europa". Berichte des 18. Internat. Kunstgesch. Kongresses in Venedig 1955, ersch. 1956 S. 181 ff., und nochmals M. Meiss, „Highlands in the L o w l a n d s " . Gazette des beaux arts. 1961 S. 273 f f . — Auch J. Held hat in seiner Besprechung des P a nofsky'schen Buches auf den direkten E i n f l u ß Italiens hingewiesen, a. a. O . S. 215. Die Beziehungen zwischen den Niederlanden und Florenz waren bekanntlich lebhaft. Zahlreiche Italiener waren in bedeutenden Stellungen des niederländischen Wirtschaftslebens. Kardinal Albergati spielte mehrfach politisch eine erhebliche Rolle in Florenz. D e r Maler Filippo, an dessen Stelle Masaccio 142$ den A u f t r a g für seinen Pisaner A l t a r erhielt, w a r der Sohn eines Meisters Johann von Gent.

112

Studien zur Kunstgeschichte

verstanden als die toskanischen Nachfolger, die dann wie Uccello „aus der trockenen Manier voller Profile nicht herauskamen", wie Vasari sagt, und jedenfalls im Bildnis ausschließlich das Profil verwendeten. So herrlich gezeichnet ihre K ö p f e sind, sie gehen doch nicht von Masaccios neuer Schau des Körperlichen aus, sondern setzen eher den Bildnistypus des Trecento fort, den jener als Wandmaler selbst noch beibehalten hatte. Ihre Profilköpfe sind aus weitem Abstand gefaßt, kühl, lichtlos, blicklos, raumlos übertragen sie die fürstliche Repräsentation des alten Münzbildes auf die großbürgerliche Herrenschicht, und die monumentale Formwirkung der großen Silhouette rechnet mit dem Bilde als Bestandteil einer flächigen Wanddekoration. Gerade dies hat Masaccio in den „Perspektivikern" überwunden und ebenso van Eyck. Das Neuartige jener Auffassung von einzelnen Menschen nicht in religiös-historischen Zusammenhang und nicht in repräsentativer Rolle, sondern allein aus ihrer eigenen, erfüllten Welt heraus entspricht aber audi der Rolle dieser Dargestellten in der Welt selber. Es sollen ja die „Erfinder der Perspektive", fünf Künstler und Gelehrte, hier in ihren Bildnissen erscheinen. Daß Künstler und Gelehrte in religiösen Bildern mit dargestellt werden, mindestens als Dedikations- oder Selbstbildnis, das hatte es immer und überall gegeben. Doch nur in Italien — wenn man von den Wiener Professorenbildern absieht — gab es Bildnisse von Bürgerlichen als selbständige Tafel. Ein ähnliches Reihenbild hatte es schon im 14. Jahrhundert von der Hand Gaddi's gegeben. 62 Ebenfalls schon erwähnt wurde das Bildnis Gentile's da Fabriano (f 1428) von der Hand seines Schülers Jacopo Bellini. Vielleicht gab es schon aus früherer Zeit Bildnisgemälde, etwa Dantes oder Petrarcas. Dichter, Gelehrte, Künstler wurden darstellungswürdig, nicht nur in Wandgemälden religiös-historischen Inhalts, sondern vielleicht audi in selbständigen Tafelbildern. Gleichzeitig kommen die ersten Sammlungen von Künstler-Biographien auf, die Dag. Frey mit Recht zu den fünf Bildnissen der „Erfinder der Perspektive" in Parallele setzt. 63 Im Bereich der nordwesteuropäischen Hofkunst hatten Künstler und Gelehrte und Diditer nodi nidit diese eigene Sphäre gesellschaftlicher Würde erreidit. Bildniskunst w a r höfisch-politische Repräsentation, die Dargestellten wohl ausschließlich Fürsten gewesen. Doch J a n van Eyck hat auch und vor allem andere Auftraggeber gehabt. Es waren ein Komponist (?), zwei (?) Goldschmiede, dazu kommt das Bildnis des Künstlers selber und das seiner Frau. Dieser Personenkreis kennzeichnet, verteilt über sein ganzes uns bekanntes Werk, die gesellschaftliche Sphäre seiner Bildniskunst. Denn auch der Kammerherr de Lannoy, der geadelte Bankier Arnolfini und der vatikanische Diplomat sind in derselben Schrägstellung gesehen,

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s. o. S. 99. Dag. Frey, das Problem einer Geschichte der Kunstwissenschaft, in Dtsdi. Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgesdiidite X X X I I i9$8, S. 1 ff.

Bildnisse des Jan van Eyck

"3

also (wenn auch mit Unterschieden) in ihrer besonderen menschlichen Gegenwart und nicht in repräsentativer Rolle und Haltung gesehen. Dasselbe scheint sogar für die Prinzessin Isabella zu gelten, vielleicht audi für den Herzog. Jan van Eyck hat also nicht nur formale Einzelzüge wie das Dreiviertelprofil und die entsprechende Beleuchtung aus Florenz übernommen. Er hat damit die Sphäre der neuen Bildungsschicht und mit ihr die Auffassung des Menschen in seiner Welt gegenüber der des Betrachters aufgenommen und sie in seiner Heimat entfaltet.

Campin Indem das Isabella-Bildnis uns einen etwas früheren Beginn von Jan van Eycks Bildnismalerei zeigt, fällt auch neues Licht auf ihr Verhältnis zu der gleichzeitigen Kunst des Robert Campin, des „Meisters von Flémalle". Auch von dem kraftvollen Stadtmaler von Tournay, der so leidenschaftlich die greifbaren Dinge der Welt beobachtet hat, gibt es ja Bildnisse, und sie sind in ihrer Zeit Meisterstücke. Das früheste scheint das Stifterbildnis auf dem Triptychon einer Grablegung in der Londoner Sammlung des Grafen Seilern zu sein, die ich 1944 im Pantheon X X X I I S. 30 f f . veröffentlicht habe (Abb. 44). Mit betend erhobenen Händen, eine aufgelöste Sendelbinde um den Hals, kniet der jugendliche Mann am inneren Rand des linken Flügels, schräg in die Szene des Mittelbildes blickend. So schlagkräftig und fortschrittlich diese Gestalt (wie auch die übrigen Figuren) gegeben ist, so fehlt doch eine gemeinsame Sicht mit den ebenfalls scharf beobachteten, jedoch raumlos aufgetürmten Landschaftsformen. Die Bäume erscheinen neben ihm winzig, der Weg führt ohne Folgerichtigkeit empor bis an den Rand des Goldgrundes. Genau die gleiche Schrägsicht zeigt das erwähnte Bildnis des Johann Ohnefurcht (Abb. 42). Die schräge, lange Nase berührt mit der Spitze ebenfalls gerade den Umriß der Wange. Brauen und Kinn, die ledrige Haut sind ähnlich, überhaupt die Modellierung und die Projektion. Beide Antlitze sind — wie auch die ganze Grablegung — von vorn her beleuchtet. Die Hände sind ähnlich und doch verschieden — wie eben Rogier-Hände sidi zu Campin-Händen verhalten. Die des Herzogs ruhen auf einem Wappentuch, anscheinend über einem Betpult. So ist auch dieses Bildnis, wie erwähnt, vielleicht aus einer religiösen Komposition, etwa aus einem Triptychon herauskopiert. Stifter in dieser Haltung kommen oft vor. Das Bildnis des Herzogs gilt als Kopie der Rogier-Schule nach einem vor seinem Tode 1 4 1 9 entstandenen Werk. Für das Urbild hat man Jan Maelwael aus Nimwegen in Betracht gezogen, der Hofmaler des Johann Ohnefurcht war, aber selbst schon 1415 starb. Sterling hat eher an seinen Nachfolger, den Brabanter Henri Bellechose gedacht. Vielleicht käme auch der frühe Campin in Betracht, dessen Bild von seinemd Schüler kopiert wäre. Ohnehin hat ja schon Wink8

Bauch, Studien

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Studien zur Kunstgeschichte

1er wohl mit Recht seine künstlerische Herkunft in jenem Kreis gesucht, in dem die früher Maelwael zugeschriebenen Pietà-Darstellungen entstanden sind.64 Fast wie ein Gegenstück zu der steif aufgerichteten Figur des Herzogs wirkt die der Jacoba von Bayern von einem Bilde, das sich 1601 in Tournay, der Stadt Robert Campins, befand (Abb. 43) und dort im Besitz eines Kanonikus de Villers von Anton de Succa kopiert worden ist (Cod. Succa, Kgl. Bibliothek, Brüssel). Diese unglückliche Fürstin hat 1432 in dem bewegten Leben Campins eine Rolle gespielt, so daß man nach einem Bildnis der Gräfin von ihrem Schützling fahnden darf. Soweit die frühbarocke Zeichnung ein Urteil zuläßt, könnte es hier vorliegen. Vielleicht ist es ebenfalls aus einem größeren Bildzusammenhang herauskopiert, jedenfalls verbindet die starre Haltung, die unbewegte Plastizität des Antlitzes, Ausschnitt und Armhaltung das Bild mit dem des Herzogs. Zwar ist das Dreiviertelprofil etwas frontaler und sind die Hände gefaltet, auch ist die Beleuchtung nicht von vorn, vielmehr die beschattete Gesichtshälfte dem Betrachter gegenüber (was vielleicht auf ein Gegenstück schließen ließe). Hier könnte der Ausgangspunkt für Rogiers Frauenbildnisse liegen.®5 Auch selbständige Bildnisgemälde hat Campin geschaffen. Manche sind nur in Kopien erhalten, andere werden einhellig ihm selber zugesprochen. Der Künstler, der Jan van Eyck um drei Jahre überlebte, aber vielleicht älter war als jener, hat sie nach Meiss a. a. O. 19J2, S. 36 erst in seiner späteren Zeit geschaffen. Obgleich Tolnay 66 sagt, Jan van Eycks Bildnisse hingen fraglos von Campin ab, scheint es doch eher, als habe dieser die Anregung, überhaupt Bildnistafeln zu malen, erst von van Eyck aufgenommen, obgleich seine Schöpfungen nach Panofsky in jeder Hinsicht von ihm abweichen. In der Tat beginnt, wie sich jetzt zeigt, Jan van Eyck gleich unvergleichlich freier und reicher: gelöste Halbfigur mit Ellbogen und Händen, schräge Büste hinter Steinbrüstung, die Blickrichtung vielfältig abgewandelt, — um nur die Motive aufzuzählen. Campin bleibt beim Brustbild in engem Rahmen, bisweilen nach unten knapp verlängert und mit hereingeschobenen Händen, der Blick starr, die Bildfläche dicht gefüllt, der Kör-

** F. Winkler, Der Meister von Flémalle und Rogier van der Weyden. Studien und Untersuchungen zu ihren Werken und zu ihrer Entwicklung. Diss. Freiburg, ersdi. Straßburg 1 9 1 3 ; vgl. auch meinen Campin-Aufsatz a. a. O. (1944). 65 Eine Silberstift-Zeichnung im Städel'sdien Kunstinstitut, Frankfurt/M., stellt, wie Glück aus der alt beschrifteten Kopie eines entsprechenden Gemäldes festgestellt hat, ebenfalls Jacoba von Bayern dar, offenbar in höherem Alter, angeblich 1432. Vielleicht handelt es sich hier ebenfalls um eine Zeichnung Rogers nach Campin? Früher galt das Blatt fälschlich als Werk des Jan van Eyck. S. G. Glück, Ein angebliches Bildnis der Frau Rogiers van der Weyden, in Mitteilung d. Gesellschaft für vervielfältigende Kunst. Beilage zu „Die Graphischen Künste" 1905 S. ι ff. m. Abb. — Jacoba von Bayern ist auch auf der Speisung der Fünftausend in Melbourne (vgl. Anm. 22) zu finden, offenbar nach dem Bild, das im Codex Succa kopiert wurde. Sie sitzt dort neben dem schon von U. Hoff identifizierten Jan von Brabant, ihrem Gatten. " s. K. von Tolnay a. a. O. 1932 S. $2 ff. und derselbe, Le maître de Flémalle et les frères van Eyck, Brüssel 1939 S. 27.

Bildnisse des Jan van Eydc

"5

per des Antlitzes reliefhaft scharf, audi in den Kopfbedeckungen vorgetrieben. Daß die Büste den Kopf biegsam und beweglich trägt, daß Arme verkürzt nach vorn kommen, bleibt für ihn außer Betracht. Vergleicht man seinen „Mann mit der Sendelbinde" in Berlin mit dem ähnlich gekleideten „Tymotheos", den Londoner Turbanträger mit van Eycks Selbstbildnis, die zugehörige Frau mit Margareta van Eydk, den „Musiker" mit den herabhängenden kleinen Büchern (Privatbesitz, N e w Y o r k ) mit dem Berliner Arnolfini, so wird deutlich, daß hier die reifere Form vorangeht, die verengte ihr folgt. Campins Bildniskunst mit ihrer sicheren Zeichnung und festen Modelierung hat weder das Eindringende noch das Umfassende des J a n van Eyck. Was er gibt, ist ein hart gemeißeltes Relief, die dichte Wiedergabe des Tastbaren, die Einzelzüge an Antlitz und Tracht in scharfem Erfassen beobachtet. Von dem souveränen Stil van Eyck'scher Menschenschilderung hat er nur Einzelheiten übernommen in seine altmeisterliche, plastisch gebundene Malerei. So bleibt er auch bei der alten Beleuchtung des Kopfes von außen, vom Betrachter her. Wie in die religiösen Tafeln fällt das Licht mit unserem Blick auf das Bild, so daß die uns zugewendete Seite des schräg gestellten Antlitzes hell, die andere dunkel erscheint. Panofsky, der dies beobachtet hat, sagt richtig, daß eine solche Beleuchtung das Einzelne zu intensivieren vermöge, das Ganze aber flach, wie in die Bildebene gepreßt erscheinen lasse. Jedoch ist dies nicht eine „frühere", sondern nur eine andere, den Stifterbildnissen entnommene Beleuchtungsweise. Nicht nur in dem gebundenen Stil Campin's, vielfach auch von seinem Schüler Rogier van der Weyden ist sie beibehalten worden. 67 Damit zeigt sich erst, wie neuartig die Beleuchtung in van Eyck's Bildnissen ist. Nicht eine allgemeine Helligkeit scheint auf das Relief der Gesichtsformen, vielmehr fällt schon und gerade bei den frühesten Bildnissen ein besonderes, stark von der Seite kommendes Licht auf die Umrahmung und hinein in eine dunkle Nische, in der die Büste auftaucht. Bei der Prinzessin Isabella kommt dieses Licht von links, wie auch mit ähnlicher Wirkung in dem kleinen Louvre-Diptychon. Im Genter Altar scheint es einheitlich von rechts her auf und in die ganze gemalte Außenwand des Retabels, so daß die Holzleisten des Bildrahmens ihre Schlagschatten in die Bildwelt hinein, etwa auf den Boden der Verkündigung werfen. Die Frau des Stifters ist nach links gerichtet wie das Licht und somit von vorn beleuchtet, so daß der Schatten des Gesichts vor ihr auf ihrem Kopftuch liegt (Abb. 27). Der nach rechts kniende Vijdt dagegen schaut ins Licht, das seine

67



Ein Werk Rogiers (nach seinem Meister Robert Campin?) ist wohl auch das großartige Berliner Bildnis des Robert de Masmine. Er gibt den grotesken Typus mit feinstem Eingehen auf die Oberfläche der Haut, die zarten Fältdien, die angedeuteten Bartstoppeln, überhaupt mit einer räumlicheren Rundung, die über Campin hinausgeht. Solche Gesichter kommen auf Rogiers Kreuzabnahme vor. Auch Held hat sich in seiner Besprechung des Panofsky'schen Buches für Rogier als Schöpfer des Bildes ausgesprochen a. a. O. S. 216. — Vgl. schon A. Burroughs in Metropolitan Museum Studies I V , 1933.

Studien zur Kunstgeschichte dem Besucher a b g e w a n d t e Gesichtshälfte beleuchtet, w ä h r e n d die uns z u g e w a n d t e teilweise beschattet ist ( A b b . 2 9 ) . D a m i t nähert sich dieses A n t l i t z dem Betrachter in einer eigentümlichen A r t . D e r K o p f erhebt sich nicht plastisch aus dem G r u n d e w i e der der F r a u — vielmehr steht er frei d a v o r . Diese Beleuchtung hat J a n v a n E y c k in all seinen selbständigen

Bildnissen

beibehalten. M a n könnte sich vorstellen, daß er die neuartige W i r k u n g

ent-

deckte, als er bei einer folgerichtig durchgeführten Seitenbeleuchtung einen der S t i f t e r in dieses besondere Licht setzte. 6 8 D i e neue L i c h t f ü h r u n g ist bezeichnend f ü r die ganze A u f f a s s u n g . D i e A n t l i t z e sind w i e v o n einem seitlichen Fenster her beleuchtet — w o der M a l e r sitzt, sondern v o n

also nicht v o n

vorn,

einem Seitenlicht, das schon innerhalb

der

B i l d w e l t selber entspringt. S o erscheint die ganze Person des Dargestellten innerhalb einer eigenen häuslichen Sphäre. E t w a s v o n einer bürgerlich-menschlichen Erscheinung deutet sich in diesem Lichte an. In seinen S t i f t e r - und Doppelbildnissen bleibt der Künstler bei der einheitlichen seitlichen Beleuchtung, die eins der A n t l i t z e v o n v o r n , das andere, ihr zugewendete halb v o n hinten erhellt. S o ist es bei dem E h e p a a r A r n o l f i n i , noch bei der Rolin-Madonna

und dem Dresdener Altärchen. W e n n auch der späteren

Zeit

entsprechend die Bildbühne des Dresdener A l t a r s v o n kühler Helligkeit gleichmäßig erfüllt erscheint, so ist dodi das Licht k l a r und folgerichtig im ganzen B i l d als v o n einer Seite her einfallend durchgeführt, auch bei den Stiftern.

knienden

69

In dieser U n a b h ä n g i g k e i t v o n einem Beleuchtungsschema, in der freien, v o n seitlichem Zimmerlicht umflossenen Stellung des Dargestellten im Bilde steht J a n

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Das wäre dann also wohl nicht erst am Genter Altar gewesen, sondern etwa an dem BildnisDiptychon, zu dem die Berliner „Madonna in der Kirche" gehört zu haben scheint. Wenn man die verlorene Bildnistafel aus der Kopie in Antwerpen rekonstruieren darf, so hat bei einheitlidier Lichtführung von links das Bildnis sdion dieses Licht. Es erscheint daher zu eng, mit Panofsky a . a . O . S. 170 ff. zu sagen, Campin sei immer bei der Beleuchtung von vorn geblieben, habe dies selbst bei Gegenstücken durchgeführt und daher „nicht gezögert, anschauliche Einheitlichkeit auf dem Altar eines Prinzips zu opfern, während Jan keine Skrupel empfand, sein Prinzip zu Gunsten anschaulicher Einheitlichkeit preiszugeben" — nämlich das Antlitz einmal von vorn, das Gegenüber dagegen von der Seite beleuchtet zu geben. Vielleicht wäre es folgerichtiger, van Eycks „Prinzip" in der Einheit der Lichtführung zu sehen und in der Unabhängigkeit von Einzeleffekten der Beleuchtung, an die der über seine Tafel gebeugte Campin gebunden blieb, sogar nidit einmal immer, da er — wohl nach van Eycks Vorbild — in dem Bildnis des Liller Rentmeisters Latruye und seiner Frau (Kopien in Tournay) beide Gegenstücke von der gleichen Seite beleuchtet. Übrigens haben sich unter den selbständigen Bildnisgemälden Gegenstücke, also zwei Bilder, die einander entsprechen, von Jan van Eyck nicht erhalten. Nach dem überkommenen Bestand scheint es vielmehr, daß das Doppelbildnis von Ehegatten auf zwei Tafeln erst von Campin aufgebracht worden ist. Jans Bildnisse sind außer dem Isabellas alle nadi links gewandt und von links beleuchtet, was seiner Arbeitsweise in einem von links einfallenden Zimmerlicht entsprochen haben mag. Das Selbstbildnis und das seiner Frau sind annähernd gleich groß, doch beide nach der gleichen Seite gewandt und nicht als Gegenstücke aufgebaut.

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van Eyck ganz allein. Die heimischen Uberlieferungen haben ihm dafür nidits gegeben, mit den oberdeutschen Lösungen dieser Richtung läßt sich ein direkter Zusammenhang nicht erkennen. Einzig in Florenz wurde in diesen Jahren ähnliches und ähnlich radikal angebahnt. Der „Donatello" des Fünfmänner-Bildnisses zeigt die uns zugewandte Gesichtshälfte im Schatten wie alle Einzelbildnisse van Eycks. Vielleicht gilt das auch von dem Selbstbildnis Masaccio's ganz links. Das Entscheidende aber ist auch hier, daß diese Darstellung von Brustbildern in ganz verschiedenen Stellungen unabhängig von einem Bildnistypus und einem Beleuchtungsschema bleibt. Jeder der fünf Männer steht anders zu dem von redits einfallenden Licht. Das Profilbildnis des Brunelleschi ist sogar von hinten her beschienen, das des „Manetti" derartig schräg, daß zwischen Wange und Nase eine Schattenzone liegt. Sicher scheint, daß Jan van Eyck, wenn er Anregungen aufnahm, sie nicht bei Campin, sondern bei Masaccio fand, ja, daß er gerade daher gegenüber dem bürgerlichen Tafelmaler so unvergleichlich bleibt, weil er auf der Höhe der europäischen Kunst stand. Zwar sind jene Florentiner Bildnisse der „Perspektiviker" nach Art und Rang das einzige Vergleichbare, aber dies eben daher, weil Jan van Eyck nicht Motive oder Tricks übernahm, sondern weil er dort Grundauffassungen antraf, die seiner eigenen Richtung entsprachen. Eigene Absichten hat er in den Florentiner Schöpfungen des dritten Jahrzehnts verwirklicht gefunden. Indem er sie aufnahm, hat er seine Bildniskunst über alles Niederländische, aber auch über alles Italienische der Zeit hinausgehoben.

Schluß Alle diese Werke van Eycks geben Menschen wieder. Das hat auch die mittelalterliche Kunst getan: was sie darstellt, erscheint ausschließlich in Menschengestalt. Wenn aber Jan van Eyck einen dieser Menschen wiedergibt, so stellt er ihn nicht als Figur dar in einem allgemeinen allegorischen oder in einem bestimmten historischen oder in einem beliebigen sittenbildlichen Thema. Der Mensch, dieser eine Mensch ist selbst das Thema. Auch ist er nicht als Verkörperung einer historischen oder allegorischen Einzelfigur gegeben, die selbst längst verstorben oder überhaupt unsichtbar ist. Er verkörpert nur sich selber. Diese Werke sind also das, was man Bildnisse, Porträts nennt. Auch im Mittelalter hatte es Bildnisse gegeben. Der Stifter war mit abgebildet in der religiösen Darstellung, die er der Kirche geschenkt hatte. Auf den gemeißelten Särgen lagen die steinernen Bilder der Toten. An der Kirchenwand befanden sich als „Epitaphien" die Bildnisse frommer Verstorbener, vor ihrem Heiligenbild kniend. Das alles waren Denkmäler, in bedeutungsvollem Zusammenhang an bestimmten Stellen des kirchlichen Ganzen errichtet. Aus diesen Bin-

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düngen hat van Eyck seine Bildnisse gelöst, ohne Rückhalt und Anlehnung gibt er allein den Menschen wieder und auf einer unabhängigen Tafel. Damit sammelt er ihre Darstellung auf nur ihre Erscheinung, auf das bloße Aussehen. Der nicht auf das Figürliche, sondern auf das Menschliche eingestellte Gesichtspunkt faßt nur das Antlitz ins Auge. Im Brustbild gibt er den Menschen wieder in seinem eigenen Sinn. Zwar hatte es auch dies schon gegeben bei den Malern an den niederländischen und französischen Höfen. In ihren Werken war bereits an die Stelle der mittelalterlichen Repräsentation etwas Neues, die Ähnlichkeit getreten. Allein sie war noch eingeschränkt, indem der alte Profiltypus beibehalten wurde, so daß die fürstliche Silhouette in offizieller Monumentalität von der Gegenwart keine Notiz nimmt. Erst indem van Eycks Menschen sich dem Betrachtetwerden zuwenden, entsprechen sie der neu verstandenen Forderung der Ähnlichkeit, der Wiedererkennbarkeit. Alles, was über dieses Leben und diese Gegenwart hinausweist, schwindet. Manchmal wird der Tag der Entstehung angegeben: hier und heute ist dieser Mensch gegenwärtig in all seiner Vergänglichkeit. Damit ist — audi gegenüber den Florentiner und den oberdeutschen Lösungen der Zeit — durch Jan van Eyck das geschaffen worden, was wir im neuzeitlichen Sinn unter einem Bildnis verstehen. Jede Ästhetik oder Theorie der Bildniskunst, die unabhängig von der Geschichte das Wesen des Bildnisses betrifft, geht von der historischen Schöpfung des Jan van Eyck aus. Panofsky führt, um die Menschen auf van Eycks Bildnissen zu charakterisieren, eine eindrucksvolle (allerdings kaum übersetzbare) Stelle von William James an, der über die Romanfiguren seines Bruders Henry James schreibt: „Ihre Sphären taudien auf aus dem Raum und verlaufen eine kurze Zeit mit den unseren, doch fort kreisen sie ins Unbekannte, lassen uns zurück mit kaum mehr als einer Ahnung von ihrer Wirklichkeit und mit dem Gefühl einer irregeführten Wißbegierde nach dem Anfang und dem Ende ihres Seins".70 Das sind dichterische Worte, die wohl jede hohe künstlerische oder literarische Darstellung eines Menschen treffen. Die Schilderung einer Menschlichkeit ergreift uns als Menschenschöpfung in einer tiefen Mitbewegung, als ob sie uns in ihr Leben hineinzöge, bis wir die Welt, auch unsere Welt, von dorther sähen. In diesem allgemeinsten Sinne gilt das auch von der schöpferischen Menschenwiedergabe eines Jan van Eyck. Alles, was ihm an Voraussetzungen gegeben gewesen sein könnte, hat er so völlig verwandelt, daß man seine unmittelbaren Vorläufer immer noch gar nicht auffindet. Überhaupt erreicht er in seinen Bildnissen eine Ebene zeitloser Vollendung. Rein das Phänomen spricht, so daß jede Relativie-

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»Their orbits come out of space and lay themselves for a short time along of ours, and then off they whirl into the unknown, leaving us with little more than an impression of their reality and a feeling of baffled curiosity as to the mystery of the beginning and end of their being."

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rung verfehlt erscheint, jeder kritisch geschichtliche Gesichtspunkt ungemäß, ja unsachlich. Dodi gibt es audi Züge im Werk des Jan van Eyck, die sich einer allzu wörtlichen modernen Interpretation versagen. Zwar ist — aus der Nähe betrachtet — die Verschiedenartigkeit und Vielfalt erstaunlich. Die etwa zehn Bildnisse, in etwa zehn Jahren entstanden, bieten einen überraschenden Reichtum an Abwandlungen. Schon in den äußeren Motiven zeigt es sich: mit und ohne Hände, herausblickend oder vor sich hin, mit Kopfbedekkung oder barhaupt, mit einem Gegenstand in der Hand oder nicht. Wesentlicher sind die Wandlungen des Aufbaus, etwa der Stellung im Rahmen, des Verhältnisses von Kopf und Büste, audi in der Farbe und Beleuchtung, der verschiedenen Ausführlichkeit in der physiognomischen und stofflichen Schilderung, aber auch im Ausdruck des Gesichts und des Blicks, überhaupt der Stimmung des Ganzen. Es genügt, auf dem Doppelbildnis den Kopf Arnolfinis mit dem seiner Frau zu vergleichen: sie sind durchaus verschieden gemalt, mehr nodi als Vijdt und seine Frau. In der reichen Vielfalt dieser Auffassungen und Formen zeigt sich eine Unabhängigkeit von jedem zeitgebundenen Schema, so daß diese Bildnisse aus aller Zeitlichkeit herauszutreten scheinen. Dazu kommt die geniale Beobachtung und Erfassung der Einzelzüge. Alles erscheint (mehr noch als in den religiösen Bildern) bis ins Einzelne so schlagend verwirklicht, daß überhaupt eine kritische Einstellung kaum gelingt. Erst bei Vergleidien mit späteren Werken werden Züge erkennbar, die dodi die geschichtliche Stellung sehen lassen. Eigentümlich wirkt gelegentlich die Projektion der Körper in der Bildfläche. Im Selbstbildnis etwa erscheint die Nase ein wenig schief, in die Fläche des Antlitzes geplappt. Bei dem Lannoy-Bildnis sind die Augen auffallend: einzeln betrachtet sind sie schlagend getroffen, zusammen gesehen wirken sie widerspruchsvoll eingesetzt. Sein kleiner Finger, mehr noch der des Wiener Goldschmieds, sieht „zu groß" aus, die Hand nicht folgerichtig verkürzt, so wenig wie das Gesicht. Auch sonst wirken die Augen öfter parallel (statt entsprechend) eingesetzt. Ähnlich uneinheitlich erscheint, wenn man nachzurechnen beginnt, das Verhältnis der Köpfe zu Schultern und Armen. „Tymotheos" wirkt großköpfig wie ein Zwerg, das Selbstbildnis steif in seiner Stellung. Dieser große Künstler in seiner Unabhängigkeit von jedem Rezept, erprobt doch mehrmals das gleiche Motiv: das Selbstbildnis und der Wiener Goldschmied (dem sich wiederum das Hermannstädter anschließt) beruhen auf der gleichen Grundform, ebenso Lannoy und „Tymotheos", Arnolfini und Margareta van Eyck, Albergati und (vielleicht) der Herzog. Unverhältnismäßig tritt meist der Kopf hervor. Auf dem Antlitz liegt ein warmes Licht in einem Innenraum, der aber selbst nicht gezeigt wird. Die Büsten stehen ohne Räumlichkeit vor einem dunklen Grund. Denn es gibt nicht eine für Kopf und Rumpf, für Büste und Bildraum zugleich gültige Grundanschauung. Bei Masaccio beruht darauf der Aufbau des Körpers, der in wuchtigen, kantigen

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Flächen plastisch hingestellt wird: die Einheit der Erscheinung läßt die kubische Rundheit, die körperlidie Dichte, das leibliche Gefüge sehen aus dem Abstand eines folgerichtig durchgehaltenen Gesichtspunktes. Van Eyck dagegen scheint mit einer nie für möglich gehaltenen Beobachtung des unmittelbar Sichtbaren zu beginnen, mit der reinen Oberfläche, als ergäbe sich daraus, indem diese Beobachtung völlig deckt, Teil an Teil, die Vollständigkeit und Gültigkeit des Ganzen. Nur gelegentlich entstehen aus der Nähe dieser Sicht leise Widersprüche, wie sie etwa die Florentiner Kunst mit ihrem Verzicht auf den Schimmer des Einzelnen und die Intimität der Sicht nicht kennt. So kommt es zu der unbeweglichen, gehemmten Haltung dieser Bildnisbüsten, zu dem ungesammelten, divergierenden, nachdenklichen Blick mancher Antlitze. Mitunter ist ihr Ausdruck nicht einheitlich oder so unausgesprochen, daß sich ja ganz verschiedene Deutungen dieser Gesichter ergeben.30 Hier verrät sidi das „Frühe", das Historische dieser Schöpfungen, das, was jener modernen Interpretation nicht zu entsprechen scheint. Dennoch widerspricht dem allem nicht, daß diese Bildnisse gleichwohl als etwas Vollendetes erscheinen. Denn ihre Grenzen setzt eine große Kunst sich selbst. Indem sie selbst die Kategorien zu ihrer Beurteilung gibt, setzt sie, was sie auch geopfert oder beiseite gelassen hätte, als positiv in ihrem Stilbild. Gerade was herb, gehemmt, stockend, mehrdeutig an diesen Bildnissen wirken mag, die leisen Spannungen zwischen den wunderbaren Einzelzügen, darin gerade liegt das Unbedingte ihrer Wahrhaftigkeit, darin entsteht das geheimnisvolle Leben jener unvergeßlidien Menschenbilder. Dies fehlt ja den Bildnissen späterer Zeiten. So tüchtig ein Memling-Bild ist, so herrlich und vornehm ein Kopf von van der Goes, ihnen fehlt jenes Ursprüngliche, der spröde, unverkennbare Klang einer eben geoffenbarten Form. Schon bei Rogier van der Weyden wird die urtümlich umfassende Welt van Eycks einer erneuten Spiritualisierung unterworfen. In seinem vornehmen und frommen Bildnissen ist die Form, der Typus, die Haltung, der Blick spätgotisch zugespitzt und im Sinne älterer Uberlieferungen eingeengt. Andererseits zeigt die unmittelbare Nachfolge und Nachahmung Jan van Eycks, wie seine Kühnheit der Projektion und der Zeichnung zu steifen, schiefen, grotesken Bildungen führt, so daß diese Bildnisse früher als ihr Vorbild wirken, weil die neuartigen Einzelmotive ohne die vorstoßend schöpferische Einheit des Ganzen übernommen sind. 71

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Solche Bildnisse sind die beiden guten Bilder in London, Nationalgalerie N r . 696, Marco Barbarigo, und 2593, Mann mit Ring (dazu die Silberstiftzeichnung in Berlin, Abb. Weale a. a. O. T a f . 33). Audi auf die so verschiedenartigen Bildnisse des Petrus Christus t r i f f t dies zu, vgl. Anm. 60 am Schluß. J a n van Eyck selber sind nodi mehrere Bildnisse zugeschrieben worden. Der betende Mann im Leipziger Museum erinnert an Petrus Christus, der männliche Kopf in Kopenhagen, Statens Museum for Kunst, an einen späteren Meister in der Art des Joos van Gent, der »Narr" im Wiener Kunsthistor. Museum an Mostaert, der Kopf der Sammlung Johnson in

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In ihrer ganzen Größe kann diese Bildniskunst nur sichtbar werden, indem sie in ihrer gesamtgeschichtlichen Stellung dargestellt wird. Mancherlei Ansätze sind dazu schon gemacht worden. Doch erst in der ganzen Erstreckung der europäischen Bildniskunst durch die Jahrhunderte würde die besondere Stellung Jan van Eycks in ihrer vollen Bedeutung aufweisbar sein. Und gleichzeitig müßten auch die Hinweise Panofskys auf die philosophischen Bewegungen der Zeit erweitert werden auf das Anthropologische einerseits, das Weltanschauliche andererseits, auf das literarische Bildnis (in der Biographik) und die tragenden Kräfte der gesellschaftlichen Verhältnisse und ihrer Wandlungen. Nicht nur van Eycks Abhängigkeit, ebenso auch seine Unabhängigkeit würde bei einem solchen Versuch genauer hervortreten. Auf der anderen Seite müßte das, was sich aus den Bildniswerken an Grundzügen der Kunst Jan van Eycks ergeben hat, sich auch in seiner gesamten Kunst aufweisen lassen, ihrer geschichtlichen Bestimmung nach, sowie nach ihrem Wesen überhaupt. Schon historisch müßte sich zeigen lassen, daß van Eyck nicht nur der „Erbe Campins" gewesen ist, sondern daß es damit in den religiösen Bildern ebenso steht wie in den Bildnissen. Auch müßte sich erweisen, daß die Voraussetzungen des Jan van Eyck, der doch offenbar nie in Frankreich war, nicht ausschließlich oder hauptsächlich in der Pariser Buchmalerei liegen, daß vielmehr auch seine Heimat, wie immer man sie eingrenzt und wo man ihre Zentren annimmt, doch persönlich und künstlerisch eine wesentliche Voraussetzung seines Schaffens bilden. Die Hinweise auf die limburgisch-holländisch-niederrheinischen Quellen seiner Kunst sind nach den wichtigen Hinweisen schon Durrieus, dann Hulins (1943), Boons (1953), neuerdings Gorrisens (1954, 1958), Duvergers (1955), vor allem aber Pächts (1953) nicht mehr zu übersehen, wie das bisher von der Forschung vielfach geschehen ist. Allgemein über das Niederländische hat u. a. Hoogewerff 7 2 manches richtiggestellt, was die Forschung, von heutigen politischen Grenzen und Verhältnissen ausgehend, bisher angenommen hat. Immer noch hat Dvoraks Ansicht, die Niederlande seien nichts als französische Provinz, ihre Gemeinde, obgleich sie schon historisch den Tatsachen und Bewegungen der Zeit widerspricht.73

72 7,1

Philadelphia ein wenig an Bosch. — Der Versuch Friedländers a. a. Ο. I S. 1 1 0 in den Bildnissammlungen in Brüssel und Arras nadi verschollenen van Eyck-Bildnissen zu suchen, blieb erfolglos. Auch die Zeichnung im Arras-Codex nach der Mätresse des Herzogs, Jeanne de Presles, die er als „blasses Abbild" mit van Eyck verbinden möchte, scheint doch eher auf ein frühes Werk Rogiers van der Weyden schließen zu lassen, anschließend an Bilder Campins in der A r t des Jacoba-Bildnisses. G . ]. Hoogewerff u. a. in Noord-Nederlandsdie Sdiilderkunst 1963 I S. 1 ff. Dvorak, Das Rätsel der Kunst der Brüder van Eyck, 1925 S. 1 6 1 : „ . . . d a ß die Probleme, welche als neue Errungenschaft der neuen niederländisdien Malerei und ihrer vermeintlichen Begründer angesehen wurden, weder als eine nationale Besonderheit der flandrischen Kunst betrachtet werden können, noch als eine lokale Schöpfung der flandrischen Provinzen [sie] entstanden sind, sondern im Zusammenhang mit der ganzen französischen Kunst stehen und aus diesem Zusammenhang abgeleitet und erklärt werden müssen."

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Studien zur Kunstgeschichte

Vor allem wäre wohl die Bedeutung der Berührung mit Italien noch mehr herauszuheben, als es sdion, vor allem von Meiss a. a. O. 1955 geschehen ist. Die Ansätze zur Perspektive, die Bildproportionen, die gemalten Steinrahmen, die Bildarchitekturen — alles weist auf italienische Anregungen. Von den 27 Werken, die wir von Jan van Eyck kennen, sind nicht weniger als 1 1 im Besitz von Italienern erwähnt.74 Mit einem solchen Nachweis der gleichen Merkmale und Wesenszüge in den religiösen wie in den Bildnisgemälden ließe sich nochmals zeigen, wie eng das Bildnishafte mit dem Ganzen dieser Kunst verflochten ist. „Das Bildnishafte" ist eben ein Grundzug von van Eycks Kunst überhaupt. Daraus mag es sich andererseits rechtfertigen, daß dieses Problem hier allein behandelt worden ist. 74

Einige neue Beobachtungen zur Bestimmung dieser Kunst habe idi in der Festschrift der Schüler H a n s Jantzens 1 9 5 2 gebracht (handschriftlich im Münchener Kunstgesch. Institut).

„Ikonographischer Stil" Zur Frage der Inhalte in Rembrandt's Kunst 1966 I

„Ereignisse, Gestalten, Gegenstände der Natur sind für Rembrandt nur vorhanden, insofern Luft und Licht ihr wundersames Spiel daran ausüben. Und der Beschauer wird oft völlig mitgerissen und vergißt mit Rembrandt den dargestellten Gegenstand um der Darstellung willen." Dies ist die Ansicht Jakob Burckhardts, 1877. 1 Er spitzt damit den Satz Hippolyte Taine's zu, der kurz zuvor in seiner „Philosophie de l'Art" (1865—69) gesagt hatte: „En effet, chez Rembrandt le principal intérêt du tableau n'est pas l'homme, mais la tragédie de la lumière..." Dieses Urteil des 19. Jahrhunderts entspricht noch weitgehend der heutigen Auffassung. Die „Farbenkunst", die großzügige „Pinselführung", das „Atmosphärische", vor allem aber die „Lichtmalerei", das berühmte „Helldunkel", — das ist es, was man in Rembrandts Kunst sieht und genießt. Um soldier Werte willen sollen ihm sogar — nadi einem anderen Wort Burckhardts — „der Zweck oder der Gegenstand nur ein Vorwand sein". Jakob Burckhardt hielt und verstand nicht viel von dieser Kunst. Er steht damit in der Tradition der klassizistischen Feindschaft gegen Rembrandt. Die Ablehnung einer großen Kunst pflegt ja oft genug mit dem Vorwurf des „Formalismus" zu beginnen oder zu enden. Aber audi die Verfechter und Verehrer Rembrandts in jenem 19. Jahrhundert, das seiner Kunst ihren Weltruhm zugesprochen hat — auch sie haben Rembrandt im gleichen Sinne verkannt. Das „Helldunkel" war das Höchste, das Eigentliche an seiner Kunst. Die Forschung bemüht sich seit Jahrzehnten um die Inhalte von Rembrandts Werken.2 Die Themen werden ermittelt mit ihren Bestandteilen, den einzelnen 1

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Jakob Burckhardt, Kulturgeschichtliche Vorträge. Stuttgart 1959. Kröners Taschenausgaben Bd. 56 S. 1 1 2 . Die Stelle ist — wie audi die folgende von Taine — zitiert von ]. Bialostocki, S. 1 1 3 , siehe Anmerkung 3. Eine große Anzahl der wichtigeren Arbeiten aus den letzten Jahrzehnten zählt /. Bialostocki in seinem Referat auf, s. die folgende Anmerkung.

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Studien zur Kunstgeschichte

Motiven, aus den Texten, die ihnen zu Grunde liegen. Aus literarischen und besonders theologischen Quellen ist Vieles festgestellt worden, was noch unklar war. Aber über die bloße positive Ikonographie und ihren antiquarisch-philologisdien Sinn hinaus ist doch audi die Bedeutung jener Themen, der Gehalt von Rembrandts Bildwelt, vielfach erforscht und geklärt worden. Biographische, historische und theologische Fragen sind erörtert, humanistische und geistesgeschichtliche Gesichtspunkte haben diese Inhalte erschlossen. In dem Bild, das etwa J . Rosenbergs Monographie (1948, 1962) von Rembrandts Kunst gibt, findet das alles seine Würdigung. Die neuesten Richtungen der kunstgeschichtlidien Forschung scheinen jedoch zu Burckhardt zurückzuführen. Es sind immer mehr die Formen von Rembrandts Malerei, bei denen man verharrt und denen man expressis verbis den Vorrang vor den Inhalten zuerkennt. Jan Bialostocki hat in einem umfassenden Uberblick dieses Veröffentlichungen zusammengestellt und — mit eigenen Beiträgen und teilweise kritischer Stellungnahme — vorgeführt. 3 Vielfadi wird das Helldunkel als Lichtsymbolik aufgefaßt. Es soll direkt einen „pyschischen Zustand" wie eine „übersinnliche Erscheinung" bezeichnen, ja, mit dem mittelalterlichen Goldgrund vergleichbar sein. Nach Wolfgang Schöne „darf das Licht Rembrandts kunstgeschichtlich als eine Konkretisierung des sinnlich unfaßbaren Goldgrundlichtes bezeichnet werden". Karl Nordenfalk sagt, es sei das Licht, das die Verschwörung der Rebellen um Claudius Civilis zu einem „sakralen Mysterium" mache! Die Bilderfindung geht, wie es bei Bialostocki selber heißt, in der Spätzeit nidit mehr von einem herkömmlichen literarischen Thema aus, sondern von einem „psychologisch gestimmten und mit Ausdruck geladenen Ideenkreis"! Rembrandts Helldunkel nennt Hans Kauffmann „eine Aussage über des Künstlers skeptische (Lebens-)Auffassung". Den Satz Jakob Rosenbergs, „die formalen Elemente bekämen bei Rembrandt symbolische Bedeutung", steigert Bialostocki selbst wie folgt: „Symbolische Formen sind uns wichtiger als die jeweilige Inhaltsauffassung des Meisters", „Homer, Aristoteles . . . was sagen schon die Benennungen über den Inhalt des Bildes!" Bialostocki schließt seinen großen Bericht mit den Worten: „das Helldunkel, die Raumauffassung, die Zeitkonzeption müssen als Sinnträger, als Symptome der Inhaltsauffassung systematisch untersucht werden." Damit scheint dodi wie bei Burckhardt „durch das Spiel von Luft und L i c h t . . . " , „der Beschauer völlig mitgerissen" zu sein und „den dargestellten Gegenstand um der Darstellung willen vergessen" zu haben. Es erweist sich als notwendig — auch wenn einiges an anderer Stelle Gesagte 3

Referat auf der Münchner Rembrandt-Tagung 7.—9. März 1957, vorläufiger Bericht in der „Kunstchronik" 10, 1957, 131 f f . Als Aufsatz erschienen im Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst, 3. F., V i l i , 19J7, 195 f f . , Ikonographische Forschungen zu Rembrandts Werk. — Dort die Belege für die hier folgenden Zitate.

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dabei wiederholt werden muß4 —, nochmals gesondert die Frage aufzuwerfen, was für Rembrandt die Inhalte bedeuten, wie sich also seine Kunst zu den Themen, zu ihren Motiven und zu ihrer Auffassung verhält. Rembrandt ist zunächst ein Maler der biblischen Geschichte. Er hat ebenso viele Bilder mit Geschehnissen des Alten wie des Neuen Testamentes geschaffen, doch sind die alttestamentlichen Themen reichhaltiger und eigenartiger. Hinzu kommen einige Darstellungen aus der Geschichte und Mythologie des Altertums. Eine besondere Thematik haben Rembrandts Einzelfiguren-Bilder. Auf einem Gemälde von 1633 (Abb. 47, Bredius 491, m. Nr. 1 1 ) stellt Rembrandt dar, wie Daniel vor dem mächtigen König Cyrus sich weigert, den Götzen Bei als lebendigen Gott anzubeten. Auf die gereizte Frage des Herrschers, ob er nicht sähe, daß Bei jede Nacht die Opferspeisen verzehre, lacht er nur und bietet den Beweis an, das sei Betrug. J . G. van Gelder, der das Datum des Bildes berichtigt hat, fragt dabei, wieso wohl Rembrandt sich gerade dieses so ausgefallene Thema ohne alle Bildtradition gewählt habe.® Tatsächlich ist die dargestellte Geschichte aus dem apokryphen Budi „vom Bei zu Babel" so unbekannt, daß sie erst vor etwa 10 Jahren überhaupt von H . van de Waal in diesem Bilde richtig erkannt worden ist. Sie scheint auch redit unbedeutend und wenig zu besagen. Es muß wohl angenommen werden, daß der Künstler hier einen Auftrag ausgeführt hat. Denn wir wissen nichts davon, daß Rembrandt jemals Gemälde ohne Auftrag gemalt habe, am wenigsten in dieser Frühzeit. Doch bleibt dann ebenso fragwürdig, wieso diese Geschichte für den Besteller derartig vertraut und bedeutsam war, daß er sie sich malen ließ. Der Prophet Daniel ist eine der großen Figuren der christlichen Uberlieferung. Wie Joseph, dem er in so Manchem ähnelt, gilt er in der Lehre des Mittelalters als Vorform, als „Figur" Christi. Indem die mittelalterliche Typologie die Personen, Ereignisse und Einzelmotive des Alten Testamentes christlich umdeutet, indem sie ihren Sinn als Entsprechung oder Präfiguration von Ereignissen des Christuslebens erklärt, hat sie ihnen allgemeine Geltung und Verbreitung verschafft. Der Name, die Vorstellung, die Bedeutung des Propheten und seiner Handlungen blieb den Predigern, den Künstlern und überhaupt den Gläubigen über das Mittelalter hinaus, also audi Rembrandts Auftraggebern bekannt und vertraut. Dazu half aber weniger die theologisch-literarische als vor allem die bildliche Überlieferung. Seit der Verbreitung der Graphik nach dem Ende des Mittelalters hat sidi ja die Überlieferungsweise der europäischen Kunst völlig gewandelt. Sie hat sich

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Einiges von dem Folgenden habe ich schon ausgeführt in meiner Arbeit „der frühe Rembrandt und seine Zeit", i960, s. besonders das Kapitel „Rembrandts Kunst und die Bibel", S. 196 ff. J. G. van Gelder, Een Rembrandt van 1633, Oud Holland 7$, i960, S. 73.

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so unendlich erweitert und bereichert, daß etwa aus bloßen Motivübernahmen keinerlei spezifische „Abhängigkeit" oder „Beeinflussung" mehr erschlossen werden kann. Wie der ganze Formenschatz des Südens in der Vervielfältigung von Tausenden von italienisch-flämischen Kupferstichen jederzeit und überall als Vorbildersammlung zur Verfügung stand, so hat ikonographisch die unerschöpfliche deutsche Graphik der Reformationszeit den vollständigen Umkreis der alten Themen und Motive geliefert, der dann in den zahllosen Kupferstichfolgen des späteren 16. Jahrhunderts fortgeführt und im Sinne des nachreformatorischen Biblizismus noch ausgeweitet worden ist. Das vorliegende Daniel-Motiv kommt im 16. Jahrhundert in der deutschen Teppichkunst vor (Schweiz, Sachsen, Thüringen), wahrscheinlich doch auf Grund graphischer Vorlagen, wenn diese bisher auch nodi nicht nachgewiesen werden konnten. Es findet sich ebenfalls in einer Folge von Zeichnungen des Maarten van Heemskerk von 1564, die gegen Ende des 16. Jahrhunderts wohl von Philipp Galle gestochen und mit Unterschriften versehen worden sind (Abb. 48). Vielleicht kannte Rembrandt's Auftraggeber diese Stiche.® Allein das Mittelalter mit seiner alles verbindenden Typologie und audi die manieristisdien Kupferstichserien mit ihren biblischen oder theologischen Unterschriften liegen hier weit zurück. Die immer noch vertraute biblische Gestalt tritt ja jetzt in einer völlig neuen Sphäre auf. Von einer christlich-typologisdien Entsprechung ist nichts mehr vorhanden, ebensowenig von einem Textzusammenhang, auf den die Unterschriften der Stichfolgen hinwiesen. Das Gemälde ist allein, es zeigt nichts als die Szene der jüdischen Legende. Sie mußte also aus sich selber sinnvoll und verständlich sein. Daniel ist hier jedoch nicht einmal bei einer seiner bedeutenden Handlungen dargestellt, etwa bei seiner Weissagung zu Belsazars „Menetekel", auch nicht bei den großen Ereignissen, die ihn (als Symbolfigur der von Gott geretteten Seele) noch besonders bekanntgemacht haben: etwa die Löwengrube, die Susanna-Geschichte, die drei Jünglinge im Feuerofen. Statt dieser allgemein verbreiteten Themen ist hier eine kleinere Geschichte ausgewählt, aber in ihr wiederum nicht die eigentlich bedeutsame religiöse Pointe, nämlich die Zerstörung des Götzenbildes durch Daniel, sondern der Beginn, die erste Zuspitzung des Geschehens! Darauf allein kommt es Rembrandt an. Weggelassen ist das Anbeten des Kultbildes und das auffällige Herbeitragen der Speisen f ü r den bedeutungsvollen Tisch. Es erscheint entbehrlich, ja störend f ü r den eigentlichen Sinn der Szene. In ihr erscheint alles vielmehr eingeschränkt und verdichtet auf den Augenblick des gefährlichen Gespräches zwischen den beiden Hauptpersonen. Das

* J. Schneider, Zeitschrift für schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 15, 1954 (zitiert auch bei A. Pigler, Barockthemen I, 1956, 229). Ferner: Reallexikon der deutschen Kunst III, Sp. 1046 CFeldbusd.?). — L.Rêau, Iconographie de l'art Chrétien II, ι, 1956, 391 erwähnt diese Szene nicht.

Ikonographischer Stil

Götzenbild, der Tempel, die Priesterschaft, die Speisen, der Tisch — alles ist nur angedeutet. Es tritt halb verdeckt aus dem Dunkel heraus, kaum erkennbar, jedenfalls — abgesehen von der halb sichtbaren Sitzfigur — als ikonographisches Merkmal nicht zu gebraudien. Alles ist wirksam nur in seinem Geschehenssinn, also nur verständlich, wenn das Thema bekannt ist. In der Regie der erregenden Szene, in ihrer Heraushebung aus den verdunkelten Nebenmotiven kommt allein das Dramatische heraus. Es geht um das Leben des untertänigen, überlegenen Propheten gegenüber dem großmächtigen Perserkönig. Dessen pathetische Gebärde, das einfältige Gesidit, sein Hinweisen auf die funkelnden Opfergefäße sind hervorgekehrt gegenüber der verborgenen Kühnheit des demütigen jungen Juden — alles im dunkel reflektierenden Echoraum des Heiligtums, aus dessen Hintergrund — die G e f a h r witternd — der Priester lauscht. Grundlage bleibt die Textstelle, die Geschichte. Rembrandt kannte die Bibel. Hunderte von seinen Handzeichnungen beweisen es, freie Entwürfe biblischer Szenen, häufig ähnlich selten dargestellt wie die Daniel-Geschichte, die sein A u f traggeber ihm vorgeschlagen hat oder er jenem. Viele sind noch gar nicht erkannt oder erst kürzlich von theologischer Seite festgestellt worden. 7 Neben den alten bedeutungsbeladenen sind es auch kleine unbedeutendere Vorgänge, die Rembrandt wiedergibt. Doch hat Rembrandt sie wohl überwiegend nicht dem Text selber entnommen, sondern den Stichfolgen des 16. Jahrhunderts, die er in großer Anzahl besaß. Sie hatten in ihrer oft chronikalischen Ausführlichkeit schon hinausgeführt über das traditionell Lehrhafte und Typologische des Mittelalters. Dabei behalten sie häufig die alte Simultan-Darstellung bei, bringen also mehrere Szenen der Geschichte miteinander auf einer Bühne, vielfach Nebenszenen klein im Hintergrund, die nur im Zusammenhang des Ganzen sprechen und verstanden werden. Dort hat Rembrandt manche dieser sonst kaum dargestellten Einzelauftritte gesehen und vielfach einzeln und allein zum Thema genommen, wie kürzlich Chr. Tümpel an mehreren Beispielen nachweisen konnte. 8 Doch hat Rembrandt sich offenbar bei der Darstellung des übernommenen Motivs audi nodi des Bibeltextes vergewissert. Wie Rembrandt diese Dinge auffaßt, das läßt sich erschließen aus Berichten über seine unmittelbaren Schüler. Der Maler Samuel von Hoogstraten sdireibt, er habe im Kreise der Rembrandt-Schüler über künstlerische Probleme diskutiert 7

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s. die verschiedenen Arbeiten von H. M. Rotermund, besonders „Unidentifizierte bzw. mißverstandene Zeichnungen Rembrandts zu biblisdien Szenen", Wallraf Richartz Jahrbuch 21, 1959, 173 und „Rembrandts Bibel", Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek 1957, 123. Chr. Tümpel, Ikonographisdie Beiträge zu Rembrandt. Vortrag auf dem Deutsdien Kunsthistoriker-Tag in Münster, 4. 8. 1966, s. Kunstchronik 19, 1966, 30. — Herrn Tümpel verdanke ich die freundliche Übersendung seines Vortrags-Manuskripts und überhaupt manchen Hinweis.

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und einmal die Frage gestellt, „wie man erkennen könne, ob eine Historie gut dargestellt sei". Wir erwarten von jungen Malschülern, daß sie die Lehren des Kunstunterrichts anführen: etwa Komposition, Lichtführung, Malweise, Kolorit, aber nein! Der Mitschüler Abraham Furnerius antwortet nur: „aus der Kenntnis der Geschichte." 9 Und der Leidener Maler Philip Angel hat in seiner Festrede auf die Kunst die Dresdner Simson-Hochzeit Rembrandts (Bredius 507, m . N r . 20) rein von der Seite der historischen Erzählung und der lebendigen szenischen Wiedergabe des Geschehens ausführlich gelobt und Rembrandt vor allem als erfindungsreich („vercierlijk") gepriesen. Diese „eigenartige und natürliche D a r stellung entstehe dadurch, daß die Historie gut gelesen und durch hohes und umfassendes Durchdenken geprüft sei". Angel rät den Malern, die Texte zu „durchschnüffeln", um die historische Wirklichkeit zu erfassen. 10 Unmittelbar dem Text entnommen scheint die Szene: Simson bedroht seinen Schwiegervater, der ihm den Zugang zu seiner Frau verwehrt (Abb. 46. Bredius 499, m. N r . 20). Simson ist zwar eine bekannte Figur der christlichen Lehre, ein alttestamentlicher Held, der allein dadurch Ansehen gewonnen hat, daß auf seine Siege und seine Leiden vom Leben Christi her Licht fällt, so daß Simson zu einer Vorform, einer „Figur" Christi geworden ist. Die Szene selbst ist jedoch offenbar ganz ohne besondere Bedeutung. Soweit heute festzustellen, ist sie nie vorher und auch nie nachher dargestellt worden, doch ist es gut möglich, ja, eigentlich wahrscheinlich, daß sie auf einer graphischen Folge des 16. Jahrhunderts mit den Geschichten Simsons etwa als Nebenszene im Hintergrund oder auf einem Seitenschauplatz vorkommt und von dort entnommen ist. Rembrandt hat sie wohl selbständig dargestellt aus einer A r t von allgemeinem biographischem Interesse an dem Helden seiner barocken Frühzeit, also rein „aus der Kenntnis der Geschichte". Das Thema ist erkennbar überhaupt nur an dem Ziegenbock, den Simson nach dem Text bei sich hat. (Das Bild wird hier in Flincks Kopie des ursprünglichen, noch nicht verkleinerten Zustande gezeigt.) Wiederum besteht der eigentliche Vorgang in einem Wortwechsel, der hier entsprechend der A r t des jungen Rembrandt der 1630er Jahre laut und heftig geführt wird, mit dem grob drohenden Kraftprotzen des alttestamentlichen Textes. Alles ist menschlich beobachtet und von sinnlichem Leben erfüllt. Doch liegt darin nicht etwa „Genrehaftes", wie man vermutet hat. Durch die ungewöhnliche Handlung, die theatralische Aufmachung, das unholländische Haus (mit der geschlossenen Türe), die orientalischen Prunkgewänder, die beiden Negerknappen mit dem Böckchen ist hinreichend gekennzeichnet, daß es sich um einen einmaligen, nicht üblichen Vorgang handelt, also um Geschichte, nicht um die sich wiederholende Alltäglichkeit, die als Thema und künstlerische Aufgabe

β 10

s. C. Hofstede de Groot, Urkunden über Rembrandt, 1906, S. 399. C. Hofstede de Groot, a. a. O. S. 120.

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Rembrandt so gut wie nie beschäftigt hat, wie Münz richtig anmerkt. 1 1 Das gewöhnliche ist nicht um seiner selbst willen, sondern als Modell des Geschichtlichen, d. h. bedeutend Einmaligen dargestellt, die Bibel in ihrer menschlichen Erzählung unmitelbar zur Szene gemacht. Noch eigenmächtiger als bei diesen Beispielen hat Rembrandt sein Thema ausgewählt oder auf einen besonderen Moment zugespitzt in einem neutestamentlichen Bilde, das jeder kennt und bei dem man Rembrandts Eigenart am wenigsten vermutet. Dennodi scheint es, daß er allein es war, der — wenigstens anfänglich — versucht hat, eine ganz ungewöhnliche und nie so dargestellte Bibelstelle wiederzugeben. N a d i einer Beobachtung Werner Sumowski's muß die „Auferstehung Christi" in der Münchner Pinakothek (Abb. 49, Bredius 561, m. N r . 67) ursprünglich anders ausgesehen haben. In einer von Rembrandts Schüler Lambert Doomer signierten Handzeichnung in Windsor ist, worauf schon L. van Puyvelde hingewiesen hatte, das Bild in einem früheren Zustande kopiert. W. Sumowski konnte dazu eine gemalte Kopie in Augsburg (Abb. jo) und von dem RembrandtNachahmer Benjamin C u y p eine freie Abwandlung dieses anfänglichen Themas nachweisen, zu der sich noch drei weitere Versionen vom gleichen Maler gefunden haben (Abb. 5 1 ) . 1 2 Aus diesen Wiedergaben geht mit Sicherheit hervor, daß Rembrandts Bild ursprünglich ohne Christus war. Das gibt es sonst nirgends, weder vorher noch nachher. Hubert Schrade hat es bestätigt. Seine Monographie der Auferstehung Christi zeigt, daß schon seit karolingischer Zeit immer Christus als Hauptperson erscheint, wenn die Auferstehung dargestellt ist. 13 Das ist wiederum auffallend, da ja im Evangelium diese Auferstehung selbst nirgends berichtet wird. Vielmehr ist nur von der Grablegung die Rede, von der Versiegelung und Bewachung des Grabes und dann später von dem Gespräch der Frauen am Grabe mit dem Engel. 11

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9

L. Münz, Rembrandts „Synagogue" and some Problems of Nomenclature. Journal of the Warburg and Courtauld Institutes III, 1939/40, 1 1 9 — 1 2 6 (zitiert von Bialostocki a. a. O.). — Audi die vulgäre Schilderung des Knaben Ganymed in dem Dresdener Bilde (Bredius 47, m. Nr. 102) hat bei aller allzu menschlichen Unmittelbarkeit weder im Thema noch im Motiv oder selbst in der Auffassung irgend etwas „Sittenbildliches", „Genrehaftes", wie Bialostocki will. s. W. Sumowski, Nachträge zum Rembrandt-Jahr 1956. Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin 7, 19J7/58, 225. — s. audi die Anmerkung zu der N r . 67 in m. „Rembrandt Gemälde", 1966, S. j, und jetzt E. Brochhagens wichtigen Vortrag „Beobachtungen an den Passionsbildern Rembrandts in München" auf dem Deutschen Kunsthistoriker-Tag in Münster am 4. 8. 1966. Auch Herr Brochhagen war so freundlich, mir den Text seines Referats zur Einsicht zu schicken, wofür idi zu Dank verpflichtet bin. H.Sdirade, Ikonographie der christlichen Kunst I. Die Auferstehung, 1932, S. 33 ff. — Reallexikon der Deutsdien Kunst I, 1937, Sp. 1230 ff., „Auferstehung" (Schrade). In den frühchristlichen ersten Darstellungen, die Schrade a. a. O. S. 28 f. bespricht und auf Taf. I abbildet, könnte die des Rabula-Codex sowie das erwähnte Londoner Elfenbeintäfelchen des j. Jahrhunderts die Matthäus-Stelle meinen. Dodi bleiben diese Ansätze offenbar ganz auf die früheste Zeit beschränkt. B a u d i , Studien

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N u r Matthäus, ι — 5 berichtet etwas anderes, und das ist es, w a s R e m b r a n d t ursprünglich dargestellt hatte: daß die beiden Frauen z u m G r a b kommen und sehen, w i e unter Erdbeben der E n g e l , leuchtend w i e der B l i t z und weiß gekleidet, herzutritt und den Stein v o n der Grabestüre w e g w ä l z t , w ä h r e n d die W ä c h ter erschrecken und „ w e r d e n , als w ä r e n sie t o t " . A l s erster und einziger hatte R e m b r a n d t eigenmächtig rein diese Szene w i e d e r gegeben, —

wiederum aus seiner „ K e n n t n i s der Geschichte" und einer Bibel-

treue, die sich gegen alle Traditionen erhob, dieses M a l audi gegen die bildliche Überlieferung des großen Gegenstandes. W e n n das B i l d in München heute anders aussieht, so ist dies also das Ergebnis eines nachträglichen E i n g r i f f s . D i e a u f f ä l l i g e (ebenfalls w o h l einzigartige)

In-

schrift eines Restaurators auf der Rückseite der T a f e l hat vermuten lassen, d a ß dieser, der deutsche M a l e r und Galeriedirektor P h i l i p p H i e r o n y m u s Brinckmann ( 1 7 0 9 — 6 1 ) erst um 1 7 5 5 den Christus h i n z u g e f ü g t hat. Christus sieht audi nicht aus w i e ein Auferstehender, eher w i e ein „lebender L e i c h n a m " , e t w a w i e ein auferweckter L a z a r u s

(vgl. Bredius

5 3 8 , m . N r . 5 1 ) . Doch hat E . Brochhagen

nachweisen können, daß R e m b r a n d t selbst, entgegen seinem anfänglichen K o n zept, das T h e m a geändert und Christus hinzugefügt h a t . 1 4

14

Brochhagen beweist überzeugend, daß die Christusfigur nicht erst von 1755 sein kann, da das Bild schon 1 7 1 9 im Katalog der Düsseldorfer Galerie als „Auferstehung" mit 13 Figuren beschrieben wird, was dem heutigen Zustand entspricht. Außerdem erwähnt Rembrandt selbst das Bild in seinem Brief an Huygens von 1639 mit folgenden Worten: „ . . . daer Christus van de doode opstaet dat met grooten verschrickinge des Wächters". Die Kopien geben nach Brochhagen nur ein „Zwischenstadium" der Komposition wieder. Sollte damit gemeint sein, daß das Bild in unfertigem Zustand in Rembrandts Werkstatt von Doomer (der Mitte der 1630er Jahre erst etwa 13 Jahre alt war) kopiert und von dem Dordrechter Benj. Cuyp (der offenbar nie direkter Schüler Rembrandts war) frei wiederholt worden sei, so wäre das unwahrscheinlich. Die verschiedenen Kopien und Wiederholungen lassen doch darauf schließen, daß das Bild fertig war und eben die Matthäus-Stelle (und nicht die Auferstehung) darstellte. Später erst kann Rembrandt das Thema gewechselt haben, indem er die völlig ungewöhnlich aufgefaßte Christusfigur hinzufügte (was nach Brochhagens Beobachtung noch einige weitere nachträgliche Veränderungen um Christus herum erforderlich machte). Ob dies vor oder nach 1636 geschehen ist, hängt davon ab, wie man Rembrandts Benennung des in Arbeit befindlichen Bildes „een Verrijsenis", deutet. Nennt er die Öffnung des Grabes (ohne Christus) ungenau „een Verrijsenis", eine Auferstehung? Das wäre gut möglich, weil er dabei von dem Auftrag des Statthalters spricht, der natürlich auf eine Auferstehung gelautet hatte. Oder war damals die Christusfigur schon hinzugefügt worden? Nach Brochhagen spricht die Vereinigung von Engelserscheinung und Christus dafür, daß doch der „Trouringh", das Gedicht des Jacob Cats, Rembrandt als Quelle für sein Bild gedient habe. Diese Vermutung H . Kauffmanns ist von der Forschung (Hofstede de Groot, Baudissin) abgelehnt worden, schon weil der „Trouringh" erst 1637 erschienen ist. Auch wenn man mit Brochhagen — entgegen Rembrandts Benennung des Bildes von 1636 — die Christusfigur erst auf etwa 1637/38 datiert, bleibt die Beziehung unmöglich. Denn Engel und Wächter waren ja jedenfalls von Anfang an vorhanden, damit aber das einzigartige Thema ohne Christus, das mit Cats nichts zu tun hat. Daß Rembrandt, nachdem er das Gedicht gelesen, seine fertige Komposition und sein Thema verändert hätte durch Hinzufügung des Christus, wird niemand glauben. Dies ist schließlich schon deswegen ausgeschlossen, weil Cats sagt,

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Wenn das zutrifft, müssen wir vermuten, daß Rembrandt diese Änderung des fertigen Bildes auf Grund nachträglicher Einwirkung vorgenommen hat. Denn ein so selbstsicherer und kühner Künstler beseitigt nicht nach Vollendung des Werkes ein neugefundenes Thema von sich aus zugunsten eines herkömmlichen. Hier handelt es sich außerdem um einen offiziellen A u f t r a g des Hofes auf eine ganze Folge von Passionsbildern, den einzigen größeren Auftrag, den Rembrandt je von dieser Seite erhalten hat. Vielleicht hat der Besteller, Prinz Frederik Hendrik, oder aber sein Vertreter, nämlich Const. Huygens den Christus vermißt und das traditionelle Thema verlangt. Ähnlich hat Rembrandt in der Radierung Β 75 Christus in Gethsemane dargestellt. D a dieser nach dem Evangelium in seinem Gebet bildlich darum bittet, „dieser Keldi möge an ihm vorübergehen", so bringt die Bildüberlieferung seit dem 14. Jahrhundert meist den Kelch vor Christus, häufig getragen von einem herabschwebenden Engel. 1 5 Rembrandt aber folgt einer selteneren Fassung nach Lukas X X I I , 42 f., der allein den Engel erwähnt: „es erschien ihm aber ein Engel vom Himmel, der ihn stärkte". Indem Rembrandt den Kelch fortläßt mit seinem traditionellen ikonographischen und (als Meßkelch) symbolischen Gehalt, kehrt er den Sinn der Szene um. Der Engel zeigt ihm nicht den Todeskelch (oder auch die Leidenswerkzeuge), sondern er stärkt den Betenden in seiner Todesangst (a. a. O. Vers 44). 16 Also schon in der Auswahl des engeren Themas stellt sich Rembrandt selbständig zur Uberlieferung, von der er immer ausgeht. Manchmal läßt er bezeichnende und wichtig gewordene Motive einfach fort, etwa wenn er direkt auf den Text zurückgreift, um die eigene Auffassung vom Sinn des Dargestellten zur Geltung zu bringen. Aber auch wenn sein Thema dem A u f t r a g und der Ikonographie in der überlieferten Weise entspricht, geht er bisweilen mit den zugehörigen Motiven frei und eigenmächtig um. Das hat sich schon bei dem Daniel-Bilde gezeigt. Die Verdichtung auf wenige Hauptmotive, in denen das menschliche Geschehnis allein hervortritt, kann zur Folge haben, daß die Szene ihre Erkennbarkeit verliert.

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9*

daß Christus „quam uyt het duyster graf geweldigk op-geresen". „Gewaltig aufstehen" tut Rembrandts todesmatter Lazarus-hafter Christus nicht. Die Vereinigung der verschiedenen Szenen ist ja nichts Seltenes. So findet sich die Öffnung des Grabes durch den Engel, das gewaltige Auffahren Christi, das Zurückfahren der erschrockenen Wächter und die Gruppe der drei Frauen zusammen in einem Bilde des Pieter Lastman von 1610 (Freise Nr. 81). Van Vliet kopiert 1635 aus Rembrandts Bild frei die Wächter ohne den Engel, die Frauen und Rembrandts Christus und fügt einen traditionellen Christus hinzu. K. Künstle, Ikonographie der diristl. Kunst I, 1928, 425 kennt für die neuere Zeit nur diese Fassung. Chr. Tümpel wird in seiner Dissertation Bilder des Lukastextes veröffentlichen, die hier zugrunde liegen. Das Besondere liegt darin, daß Rembrandt eine ungewöhnliche Fassung des Vorgangs aufgreift und sich statt der üblichen zu eigen macht. In diesem Sinne ist Panofsky zu berichtigen, s. u. S. 132, 1 3 3 .

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Noch immer sind nicht alle Gemälde Rembrandts eindeutig in ihrem Sinn erkannt. Manche sind umstritten, andere erst in den letzten Jahrzehnten bestimmt worden. O f t wird eine allgemein anerkannte Erklärung neuerdings angezweifelt. Das bekannte Halbfigurenbild von etwa 1665 in Leningrad (Bredius 531, m. Nr. 40), von jeher als „Haman fällt in Ungnade" verstanden, hat I. V. Linnik neuerdings gedeutet als „David schickt Urias fort", Iskustwo 19, 1956, 7, 46. Unter diesem Thema habe ich das Gemälde abgebildet, jedoch als fraglich und mit der Erklärung, daß keine der beiden Deutungen ganz zuträfe. Inzwischen konnten M. Kahr (Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 28. 1965. 258) und umfassender Chr. Tümpel a. a. O. nachweisen, daß es sich doch um die Esther-Geschichte handelt, allerdings um eine andere Szene, nämlich Buch Esther V I 6 ff.: Haman hat erfahren, daß er Mordechai, den er mit allen Juden in Persien hatte vernichten wollen, mit königlichen Ehren durch die Stadt geleiten soll. Er erkennt, daß sein Todfeind gesiegt hat und daß ihn selber das Schicksal erwartet, das er Mordechai zugedacht hatte. Statt der erregten Szene der Verurteilung Hamans durch den König an der Tafel Esthers gibt Rembrandt hier das Bevorstehende, das unheimliche Drohende. Pompös als höchster Fürst des Reiches gekleidet, geht Haman fort in der tödlichen Gewißheit seiner kommenden Vernichtung. Das Wort ist gesprochen, alle schweigen, die Kopfneigung des Ahasver wiederholt sich in dem hintergründigen Antlitz Mordechais (?). Nur diese drei Menschen erscheinen, keine eigentliche Handlung, keine Bühne, nicht der Vorleser (?) oder „die Knaben", keinerlei Hinweis auf das Thema. Das Menschliche erfüllt die Szene. Wie ist Rembrandt auf diese einzigartige Darstellung verfallen? Nicht durch das Lesen des Alten Testamentes, sondern von der Bildüberlieferung aus. Tümpel weist a. a. O. nach, daß Rembrandt den Vorgang als kleine Nebenszene im Hintergrund eines Stiches nach Heemskerk von 1560 mit mehreren simultan dargestellten Szenen der Esther-Geschichte gefunden und aus dem Zusammenhang, der ihn verständlich machte, herausgelöst hat. Das einzige ikonographische Merkmal, die Krone des Königs, genügt für den heutigen Betrachter nicht, das Thema anzuzeigen. Dennoch ist nur dieser eine Vorgang gemeint, alles erwächst aus der inneren Dramatik der stummen Szene. Um die Deutung der „Danae" in Leningrad hat sich die Forschung lange bemüht. In der Aktfigur des Bildes wurde vermutet: Lea, die Tochter Labans (von Clothilde Brière-Misme), Venus (von Werner Weisbach), Rahel (von Shelly Rosenthal), Hagar (von Wilh. Niemeyer). Demgegenüber hat Erwin Panofsky mit neuen Nachweisen aus der ikonographischen Bild- und Motivüberlieferung gezeigt, daß es sich doch um Danae handelt. 17 Schon dieser Streit um die Deutung des Bildes ist bezeichnend. 17

E. Panofsky, der gefesselte Eros (zur Genealogie von Rembrandts Danae). Walter Friedländer zugeeignet. Oud Holland jo, 1 9 3 3 , 193. — Panofsky's Nachweis ist durdi die überraschenden und wichtigen Beobachtungen J. Kusnetzow's bestätigt worden, der einen früheren

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Das ikonographische Hauptmotiv, der Goldregen, wird von Rembrandt nicht erwähnt. Statt dessen trifft ein Lichtstrahl die junge Frau, die sich ihm entgegenwendet. „Bei Rembrandt", sagt Panofsky a. a. O. S. 214, „ist seine Danae ohne Goldregen nicht unbegreiflicher als ein Gethsemane ohne Kelch und eine an den Fels geschmiedete Andromeda ohne den Drachen und Perseus." Die Thematik des Christus am ölberg (B 75) hat sich als etwas anders begründet erwiesen — und auch das Fehlen des Goldregens ist, wie Tümpel fand, als Motiv nicht so voraussetzungslos, doch hat Rembrandts Auffassung gleichwohl etwas Eigenes und auch Neues daraus geschaffen, ebenso wie in der Andromeda im Mauritshuis (um 1632, m. Nr. 254), die nur als an den Felsen gefesselter Akt gegeben ist. Es handelt sich bei dem kleinen Bild offenbar nicht um eine Teilstudie oder Skizze, sondern wohl um ein fertiges Bild, grau in grau gemalt, also vielleicht für eine Radierung geschaffen. Der Drache und der rettende Perseus fehlen. Rembrandt hat sich nidit das alte Thema der Rettung gestellt, er gibt überhaupt kein Ereignis, sondern nur die nackte angstvolle Frau vorher. Weniger klar liegt der Fall der „Verkündigung" in der Prager Staatsgalerie (Abb. 52). 18 Das gute Bild ist zwar nicht von Rembrandt doch ganz in seinem späten Stil von einem hervorragenden Schüler gemalt, vielleicht von W. Drost, doch könnte man auch an den frühen A. de Gelder denken. Das Werk gilt als Fragment einer größeren Komposition. Eine Untersuchung ergab, daß die Leinwand links wesentlich größer, oben jedoch vielleicht nur um 15 cm höher gewesen sein dürfte. 19 Das Bild gäbe in einem niedrigen Breitformat für eine traditionelle Komposition, wie sie auch in den Zeichnungen Rembrandts, etwa Ben. 994, vorliegt, keinen Platz. Hinzu kommt, daß das Original, wie es heute ist, durchaus als in sich vollständiges Werk vorstellbar ist. Die knieende Maria füllt den niedrigen Rahmen in der Mittelachse. Die nach links gerichtete Gebärde der Erschreckten wird durch das herabgleitende Buch (übrigens ein für den späteren Rembrandt wohl unmögliches Motiv) ausgeglichen. Den Engel könnte man sidi in einem etwa eben so niedrigen Bildteil links nicht gut vorstellen. Ein selbständiges Gemälde als Gegenstück wäre bei Rembrandt und seinem Kreis ebenfalls kaum zu erwarten. Zwar muß die Frage, ob das Bild vollständig ist, vorläufig offenbleiben. Sollte es zutreffen, so wäre der Vorgang im Sinne Rembrandts inszeniert. Der

le

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Zustand des von Rembrandt später übergangenen Bildes durch Röntgen-Aufnahmen festgestelllt hat, s. J. Kusnetzow „Neue Daten zu Rembrandts Danae" im Bulletin der Eremitage X X V I I (1966) 26. s. vor allem V. Kramár, Mariae Verkündigung von Rembrandt. Bibliothek der Gemäldegalerie der Gesellschaft Patriotischer Kunstfreunde in Böhmen, Bd. 1, Prag 1926. — Bredius hat das Bild in seinen Rembrandt-Band nicht aufgenommen. Direktor Dr. Krofta und Dr. Sip hatten die Freundlichkeit, auf meine Bitte um Auskünfte, die Leinwand des Gemäldes nochmals genau und mit Röntgen-Strahlen zu untersuchen. Es ergab sich aus den Veränderungen des Gewebes, daß am unteren und rechten Rand des Bildes kaum etwas von der Leinwand verlorengegangen ist. An der oberen Seite scheint nach dem Bericht ein Streifen von etwa 15 cm Breite zu fehlen. Links dagegen ist noch 4 cm vom Rande

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Engel wäre durch den Lichtstrahl ersetzt. Maria hört die Botschaft. Das Wort der Verkündigung ist nicht wie im Bibeltext (und entsprechend in der Bildüberlieferung, auch in Rembrandts Zeichnungen) dichterisch personifiziert, sondern nur in seiner Wirkung rein als „Erleuchtung" gegeben. Das Werk könnte also vollständig sein. Wiederum hätte Rembrandt sich von der Tradition entfernt. Allerdings gibt es auch hier vielleicht doch einen Anknüpfungspunkt, nämlich den italienischen Bildtypus der Maria Annunziata. Diese Darstellung der Gottesmutter, die die Botschaft empfängt, ohne daß der Engel Gabriel selbst mit wiedergegeben wäre, ist offenbar aus ganz bestimmtem Anlaß während des Trecento in Florenz entstanden und hat sich bis in das 16. und 1 7 . Jahrhundert und audi über den italienischen Bereich der kirchlichen Kunst hinaus ausgewirkt. 20 Vielleicht schließt das Prager Bild hier an. Wie auch die Vermittlung zu denken ist, jedenfalls würde es den figürlichen Typus in Rembrandts Sinne umsetzen in menschliche Bewegung, in das erschreckte „In-die-Knie Sinken", das erregte Lauschen dem Lichteinfall entgegen. Die Stimme ertönt — auch wenn der Sprechende nicht sichtbar wird. Eine solche Umsetzung des Überkommenen stände ja bei Rembrandt nicht allein. Ebenso hat Rembrandt den Engel auf einigen seiner Zeichnungen dargestellt. Der Hagar erscheint am Brunnen der „Engel des Herrn" (Ben. 624). Rembrandt stellt nicht ihn, sondern nur den Lichtschein dar, in den H a g a r hineinhorcht. Was das bedeutet, darauf ist Rotermund und vor allem van de Waal eingegangen. 21 E r unterscheidet noch den „Engel des Herrn", der im Namen Gottes als „ich" spricht und mit Christus gleichgesetzt worden sei. E r ist es, der zu H a g a r redet. Aber nur bei Rembrandt kommt er als bloßer Lichtstrahl vor, als sei er undarstellbar. Der Engel, der die Familie des Tobias verläßt, ist ebenso nur als Licht gegeben, wie auf einer der Manoah-Zeichnungen. Mag es sich um eine Schulzeichnung handeln, so kann eine derartige Erfindung wohl doch nur vom Meister selber herstammen. Rembrandt hat auch die „ A u r a " einer Person dargestellt und dadurch nach Rotermunds Nachweis ein menschliches Geschehen innerhalb des Bildvorgangs veranschaulicht, nämlich das Erkennen des Göttlichen in Christus. Allein an die Stelle des Engelkörpers ein reines Leuchten zu setzen, ist eine noch

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der Leinwand ein anderes Stück Leinwand angesetzt. Das lasse darauf schließen, daß das Gemälde nach dieser Richtung ursprünglich viel breiter, vielleicht doppelt so breit gewesen sei. Für die wichtigen Feststellungen danke ich beiden Herrn vielmals. Das bekannteste Denkmal sind wohl die Bilder von Antonello da Messina in München und in Palermo, doch ist die Antonello-Literatur (Lauts, Fiocco) auf diese Frage nicht eingegangen (s. ]. Lauts, Antonello da Messina 1940, Abb. 30, 31). Das in seiner Fortführung klar überschaubare Thema ist jetzt erschöpfend behandelt von E. von Witzleben im Lexikon der Marienkunde, herausgegeben von Konrad Algermissen f u. a., Regensburg, Pustet, 1967, Bd. I, S. 2J9, wo die Arbeiten von Braunfels, Douglas, Aurenhammer verwendet sind. Vgl. den Aufsatz von H. van de Waal, Hagar, in de woestijn door Rembrandt en zijn school. Nederlands kunsthistorisch Jaarboek 1947, S. 143 ff. — H. M. Rotermund, The motif of radiance in Rembrandts biblical drawings. Nederlands Kunsthistorisch Jaaboek 1952/3, S. 101 ff.

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weitere und kühnere Entfernung von aller Tradition. Caravaggio's Paulus-Bild hatte radikal provozierend in diese Richtung vorgestoßen, Rembrandt hat dies in seiner menschlich persönlichen Auffassungsweise mit neuem Sinn erfüllt. So ist das offenbar audi verstanden worden, auch in seinem weiteren Wirkungsumkreis. Der Rotterdamer Maler Cornelius Saftleven ( 1 6 0 8 — 1 6 8 1 ) hat die Verkündigung an die Hirten im selben Sinne dargestellt (Abb. 53). Die Hirten, mit ihrem Vieh in nächtlicher Landschaft, blicken ersdireckt auf zu einer Himmelserscheinung in den dunklen Wolken. Kein Engel ist zu sehen (und w a r es auch nicht etwa, wie das gut erhaltene Gemälde zeigt). Doch daß aus diesem Lichtkreis die himmlische Stimme ertönt, das zeigen die Gebärden der Hirten, der erhobene A r m des Mannes, die betend in die Knie gesunkene Frau. 2 1 a Das Bild ist neben der Bezeichnung 1640 datiert. Vergleicht man es mit der gleichen Darstellung des Malers im Rijksmuseum in Amsterdam, so ist der Unterschied deutlich (Abb. 54). O f f e n b a r ist das Amsterdamer Bild früher entstanden. Es zeigt den Vorgang in üblicher Weise, nüchtern und ausführlich erzählt, umgeben von Alltäglichkeit und Staffage, wie es die Vorläufer Rembrandts aus der ElsheimerSchule entwickelt hatten: die Hirten knien mit Frau und Kind, bei ihnen ihre Ziegen und Hunde in der weiten Landschaft, auf dicken, bis zum Boden hängenden Wolkenschwaden steht der Engel und spricht, umgeben von vielen Putten, die — ähnlich wie auf Rembrandts Radierung Β 44 — aus den Wolken auftauchen. Der Unterschied ist grundsätzlich. Saftleven konzentriert den Vorgang auf wenige Menschen, tief nächtliche Stimmung und das bloße Leuchten, aus dem die Stimme kommt. Das kann er nur von Rembrandt gelernt haben. II Wie ein Thema aufgegeben und dann vom Künstler enger und besonders gefaßt wird, wie die zugehörigen Motive aufgenommen und weggelassen werden im Sinne einer besonderen Inszenierung, wie daraus die eigene Auffassung des Ganzen zum Sprechen kommt und welchen Sinn damit das ganze Kunstwerk an seiner besonderern Stelle in der Welt gewinnt, — alles das ist enthalten in dem, was man den „ikonographischen Stil" einer Kunst nennen kann. στϋλος heißt „ G r i f f e l " , allgemeiner „Schreibart", allgemeiner „Eigenart". Das Eigene einer Kunst, eines Künstlers, eines Volkes, eines Zeitabschnitts ist im allgemeinsten und höchsten Sinne sein Stil. An der Kunst umfaßt er alles, das „Formale" so gut wie „das Inhaltliche", wie auch die „Gestalt im Ganzen". Stilgeschichte ist nicht Formgeschichte. Mag die praktische Forschung in ihrer „Stilkritik" hauptsächlich mit der Form und den Formen arbeiten, so ist das eine 21a

Eine weitere „Verkündigung an die H i r t e n " von C o m . Saftleven, ebenfalls ohne Wiedergabe des Engels selber, befindet sich im V o r r a t des Puschkin-Museums in Moskau (Inv. N r .

1740).

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Erscheinung erst dieses Jahrhunderts, außerdem spielt ja in der Stilkritik auch der Motivschatz, der „Tenor der Erzählung", die „Auffassung" des Ganzen ihre Rolle — also inhaltliche Werte. Wenn Bandmann sagt, „ f ü r die Stilbestimmung ist es gleichgültig, ob ein A p f e l oder ein toter Wallenstein gemalt ist, wie es f ü r den Graphologen gleichgültig ist, was in einer zu beurteilenden Handschrift sachlich mitgeteilt wird" 2 2 — so kann das nicht zutreffen. Stil im Sinne von „ A r t zu Schreiben" ist nicht nur im Sinne der Handschrift, sondern im Sinne der (literarischen) Eigenart des Schreibens zu verstehen. Sie besteht nicht nur in der Form. Daher spricht man eigens einschränkend von einem „Kompositions"stil, einem Zeichenstil, einem formalen Stil, um das Eigene, Eigenartige der Komposition, der Zeichnung, der Form zu bezeichnen. Im selben Sinne einschränkend läßt sich auch von einem „ikonographischen Stil" sprechen. Das geschieht selten. 23 Während die formgeschichtliche Wissenschaft meist die historische Besonderheit einer Form zu bestimmen sucht, strebt die ikonographische Forschung dies gewöhnlich nicht an. Soweit sie überhaupt über die bloße Feststellung des Themas oder Motivs hinausgeht, will sie jedenfalls nicht auf das besondere Einmalige der Gestaltung eines Inhaltes hinaus. Es geht ihr nicht um das geschichtlich Einzigartige gegenüber seiner Abwandlung von Periode zu Periode, von Gegend zu Gegend, von Künstler zu Künstler, sondern im Gegenteil um geistesgeschichtliche Zusammenhänge oder gerade „überhistorische" Bedeutungen im humanistischen oder theologischen Sinne. Das Kunstwerk wird dabei leidit zum bloßen Beispiel f ü r die unvergänglichen Themen der nachwirkenden Antike, zum Symptom f ü r philosophische Gedankengänge oder zum Belegstück f ü r dogmatische Auslegungen. Nicht was das Kunstwerk aus dem Thema erst macht in unverwechselbarer Einmaligkeit, sondern was sein Inhalt allgemein, als Einzelfall und Hinweis auf unveränderliche Geisteswerte interpretiert bedeutet, darauf zielt ikonographische Forschung in erster Linie ab. Trotz der außerordentlichen Ergebnisse an ikonographischen sachlichen Feststellungen und allgemeinen Deutungen (dem wesentlichen Gewinn der letzten Jahrzehnte), ist es noch kaum möglich, über die besondere Inhaltsgestaltung eines einzelnen Künstlers, wie sie nur f ü r ihn charakteristisch wäre, noch auch über die besondere Themenwelt eines J a h r hunderts oder über die bloße Auffassungsweise eines Volkes zu einer bestimmten Zeit genaue, wissenschaftlich belegte Aussagen zu machen. Natürlich sind derartige Fragen, wie schon erwähnt, meist in umfassenderen Stilbestimmungen mitenthalten und mitgelöst. Aber explizit, etwa wie formgeschichtliche Fragen gesondert gestellt werden (über Raum, Licht, Farbe, Zeichnung), ist der ikonographische Stil noch kaum erfaßt worden. Im Falle Rembrandts wäre seine Ikono-

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s. Die Wissenschaften und die Wahrheit, herg. v. K. Ulmer, Verlag Kohlhammer 1966 S. 162. Die Bezeichnung wird bisweilen gebraucht. Zuerst ist sie wohl verwandt worden bei der Themenstellung einer Freiburger Dissertation 1937, die L. Grosse-Krohrt geschrieben hat: Studien zum ikonographischen Stil der deutschen Kunst um 1400.

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graphie geschichtlich den vorangehenden Stufen der Gestaltung seiner Inhalte entgegenzusetzen. Denn vorher hatte ja das Thema seinen Sinn schon rein als solches, als bloßer Topos. Innerhalb eines „figürlichen" oder sonst lehrhaften Zusammenhangs hatte es rein als Thema seine volle Bedeutung. Es mußte also als solches vollständig erkennbar sein. Vielfach waren Motive aus ganz verschiedenen Stadien der Erzählung nebeneinander dargestellt. Alles wies ja nur auf den Text hin, neben dessen Zeilen im Buch das Bild erschien, oder auf den Titulus oder die Bildunterschrift, die ebenfalls den Text vertraten. In verschiedenem Grade war das Bild eben Illustration, anschaulicher Hinweis dessen, was als Inhalt eigentlich im Text mitgeteilt war. Die Bedeutung einer „Opferung Isaaks" ergab sich nicht aus ihrer Darstellungs- oder Auffassungsweise, sondern aus dem biblischen Bericht oder aus der typologischen Entsprechung (als Opfertod Christi). Diese Ikonographie hatte im Falle Rembrandts ihre Vorstufen und Ausgangspunkte nicht in der alten Altarmalerei noch in der großen Wandmalerei, weder vom Kultischen noch vom Monumentalen kommt dieser Stil von Rembrandts Inhalten her, sondern von der Bibelillustration. Nachdem der Schwerpunkt sich im Spätmittelalter von der Buchmalerei auf den Buchholzschnitt, dann auf die freie Graphik der Stichserien und von da schließlich auf das Tafelbild verlegt hatte, hatten schon die „Praerembrandtisten" die einzelnen Themen verselbständigt, sie in zeitlich einheitliche Auftritte konzentriert und sie damit im Sinne einer sachlichen Inszenierung des historischen Berichts vom Text selber gelöst. Die Bedeutung ist keine illustrative oder didaktische, sondern eine historische. Diese Art der Auffassung hat Rembrandt vorgefunden und verwandelt. Wie er sie verwandelt hat, ist im einzelnen gezeigt worden: Rembrandt macht aus dem historischen Vorgang ein Drama, aus dem nüchternen oder theatralischen Auftritt eine Dichtung. Die Motive (Personen, Begleiter, Requisiten, Szenenteile) werden nicht sachlich vollständig gebracht, sondern auf den dramatisch-dichterischen Sinn hin ausgewählt, unvollständig, „unsachlich" und eigenwillig. Indem manches als zu sachlich einfach fortgelassen, anderes übermäßig hervorgekehrt wird, kann das dazu führen, daß die Szene unerkennbar wird, oder daß sie der Ablehnung verfällt und abgeändert werden muß (Abb. 49). Wie gezeigt wurde, ist der „ikonographische Stil" wesentlich begründet in der Bildtradition. Nicht einmal Rembrandt mit seiner leidenschaftlichen Eigenmächtigkeit durchdringt die Uberlieferung vollkommen. Manche überkommenen Elemente, die, folgerichtig gedacht, in seinen neuen inhaltlichen Zusammenhängen als Fremdkörper erscheinen mußten, hat er unaufgelöst beibehalten. Er, der das Irdische in der Erscheinung Christi so sehr betont, stellt ihn dennoch oft dar mit dem Nimbus als Strahlenschein. Die Familie des Christusknaben gibt er besonders menschlich häuslich, dennoch fügt er einmal die Schlange hinzu, die rein aus der Tradition symbolisch zu verstehen ist (Radierung Β 63). Van Rijckevorssel hat diese „katholischen" Elemente in Rembrandts Kunst besonders hervorgehoben,

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Rembrandt en de Traditie, 1932. Rembrandt stellt Paulus in einer „einfigurigen Historie" dar, ins Gefängnis gesperrt, dennoch in voller Aktivität schreibend und wirkend (Bredius 601, m. N r . i n ) . Doch gibt er ihm das Schwert (wo doch jedem Gefangenen als erstes die W a f f e abgenommen wird), rein als traditionelles Attribut und symbolisches Abzeichen. Er, der so radikal denkt, daß er die Botschaft Gottes einige Male nicht einmal in der dichterischen Personifikation der Bibel als Engel sprechen läßt, sondern nur als Lichtschein, — gibt an anderer Stelle Engel und Putten ganz im Sinne der südlichen Bildtradition. J a , er stellt mehrmals, worauf besonders F. Lugt hingewiesen hat, den „ M a n n " , der sich erst bei seinem Verschwinden als Engel herausstellt, zusammen mit den Ahnungslosen doch schon mit Flügeln dar, was rein szenisch gedacht widersinnig wäre, vielmehr der Texterzählung früherer Illustrationskunst entspricht. 24 Trotz dieser beibehaltenen Züge einer vergangenen Ikonographie stellt Rembrandts ikonographischer Stil dennoch das Überkommene grundsätzlich auf eine durchaus neue Basis. O f t wendet er sich ja direkt gegen die Bildtradition, indem er auf den Text selber zurückgreift, wie es so nie zuvor geschehen war. Oder er wählt aus den simultanen Vorbildern Momente oder Züge der Darstellung aus, die dem überlieferten Sinn des Geschehens einzeln gar nicht entsprechen. Er zeichnet Szenen, die allein vom Text angeregt sein könnten, ohne daß man eine bildliche Vorstufe kennt. Weder das eine noch das andere ist ganz folgerichtig durchgeführt. Es handelt sich überhaupt nicht um grundsätzlich definierte Entscheidungen, um ein gedanklich geklärtes oder etwa konfessionell begründetes Prinzip. Wie immer bei Rembrandt verschwimmen die Grenzen. E r nimmt sich das Recht des Dichters, auszuwählen, ohne intellektuelle Grundsätze und theoretische Positionen. Eine solche lückenlos durchgeführte Folgerichtigkeit würde den vielschichtigen religiösen Fragen, um die es sich vielfach handelt, auch gar nicht entsprechen. Jedenfalls stellt Rembrandt seine Themen als religiösen Vorgang unter Menschen dar, im irdischen Geschehnis, im menschlichen Drama. Alles wird allein daraufhin ausgewählt und abgewogen. Denn darin liegt der eigentliche „Gehalt" dieser Inhalte. Früher pflegte man diesen Kern des Inhaltlichen etwas ungenau zu bezeichnen, etwa als den „Stimmungsgehalt", das „Seelische", die „Gesinnung", den „Geist" eines Kunstwerks, auch das „Temperament" oder das „ausdrucksmäßig Bedeutsame" daran. 25 Panofsky bringt dafür audi die Formulierung „Weltanschauung" in wörtlicher und übertragener Bedeutung.

24 25

F. Lugt, Man and Angel. Gazette des Beaux Arts 86-VI, Vol. 2 5, 1944, 2 6 5 - 2 8 2 ; 3 2 1 - 3 4 6 . Diese Formulierungen sind E. Panofsky's (sdion klassisdi gewordener) Auseinandersetzung mit Wölfflins klassizistischen „Grundbegriffen" entnommen (die in der Tat nicht Grundbegriffe, sondern Stilbestandteile, Teilphänomene eines Stiles sind), s. „Das Problem des Stils in der bildenden Kunst". Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft 10, 1 9 1 5 , 460.

Ikonographischer Stil

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So allgemein gehandhabt sdieint das ein möglicher Ansatz, doch nicht, falls damit eine philosophische oder historische Analyse gefordert wird, also die A u f lösung in geistesgeschichtliche Elemente oder in Strömungen, von denen alles „abgeleitet" würde. Wenn das „Weltanschauliche" biographisch-psychologisch oder konfessionell-metaphysisch

„erklärt" wird, etwa im Sinne einer

„skeptischen

Lebensauffassung" als Begründung und Lösung des Problems, so kann damit nicht das Ganze, das Eigentliche getroffen werden. 2 6 Das Kunstwerk sollte nicht aufgelöst werden, nicht sein Gehalt hinter oder über ihm gesucht werden. Die Inhalte, die Gehalte sind im Kunstwerk selber gelegen und in ihm aufzusuchen. Doch fragt man vielleicht nach etwas Gemeinsamem unter diesen Inhalten, einer höheren Einheit, in der sie sich verbänden. H . v a n de W a a l , a. a. O., hat bestimmte M o t i v e zusammengestellt, die sidi wiederholen und für Rembrandt bezeichnend scheinen, etwa: thronender Herrscher (Saul, D a v i d , Salomo), Besuch von Engeln (Hagar, A b r a h a m , Loth, Elias, Tobias), A k t in der N a t u r (Bathseba, Susanna, audi Diana, Andromeda). In der T a t ist auffallend, wie diese M o t i v e wiederkehren. Sie werden den Themen entsprechend zu bestimmten

Regie-

Mustern, die miteinander Beziehung haben mögen. A n den Gehalt dieser Szenen führen sie nicht heran, sondern eher v o n ihm fort, da sie ja gerade v o m Inhalt absehen. Er kann nur aus den Geschehnissen und ihren etwaigen Gemeinsamkeiten erschlossen werden. Nicht d a ß Engel zu Menschen kommen, sondern d a ß sie Gottes W o r t sprechen, nicht d a ß Herrscher überhaupt thronen, sondern w a s v o r ihnen und in ihnen v o r sich geht und zum Geschehen drängt, nicht daß A k t e in der Landschaft sind, sondern in welchen äußeren und inneren Vorgängen sie sich befinden, darauf kommt es an, also nicht auf die Personalregie oder ein Auftrittsschema, sondern auf den Inhalt. Die Botschaft, verkörpert im Engel, das schlichte Menschsein in der Teilnahme am bedeutungsvollen religiösen Geschehen, die Geltung des G ö t t lichen, die K r a f t des Gottvertrauens, endlich auch die Welt, nicht in ihrem sachlichen Bestand, sondern als U m w e l t eines Menschen und Entsprechung zu seiner Innenwelt — solcher A r t scheinen die Inhalte zu sein. Dabei ist abgesehen v o m Wandel dieses inhaltlichen Stiles während Rembrandts Lebenslauf: v o n den lauten, rohen Handlungen der frühen Amsterdamer Zeit zu der Innerlichkeit der Vorgänge in der Spätzeit, die gleichwohl schon in frühesten Werken angelegt ist.

26

Vgl. E. R. Curtius, Kritische Essays zu einer L i t e r a t u r . . . : „ D e m deutschen Leser liegt es nahe, in den Werken eines Dichters eine Weltanschauung z u suchen. U n d man findet leider immer, was man gesucht hat". — Curtius f o l g t darin ja Ortega und v o r allem Croce, der — etwa in seinem „Goethe" — darauf besteht, daß „das Kunstwerk als Kunstwerk und nicht als philosophische O f f e n b a r u n g betrachtet, d a ß es erlebt und genossen, und nicht ergründet und gedeutet w e r d e . . . " Das „Darüber-Reden" und „Dahinter-Suchen" der deutschen Goetheliteratur gibt ihm A n l a ß zu scharfen Polemiken.

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Studien zur Kunstgeschichte

Diese Werte sind allbekannt und häufig genug in weltanschaulicher, lehrhafter oder sentimentaler Art überinterpretiert worden. Dennoch liegt hier der Kern der Rembrandt'schen Kunst. Dagegen scheint es zu allgemein „die Liebe" oder „die Gnade" als Hauptgehalte Rembrandt'scher Kunst anzusehen, wie es Bialostocki a. a. O. versucht. Das gälte wohl von jeder wirklich christlichen Kunst. Der „Held" scheint mir ein Rubens'sches, aber keineswegs ein Rembrandt'sches Generalthema zu sein, der „Gnadelose" wohl etwas zu vereinzelt, um dazuzuredinen. Eher wären jene allgemeineren Inhalte anzuführen, die ebenfalls bekannt sind: die bescheidene Menschlichkeit ist besonders häufig als Armut gegeben. Und ein Grundthema, das immer wiederkehrt, ist das Altern. Die Mühsal und die Würde des Greisentums beschäftigt Rembrandt von Anfang an bis in die letzten Werke, das Altern überhaupt, wie er es in jeder Figur, in jedem Gesicht, sieht, auch in seinem eigenen. Ein Thema, das er als Vorkommnis immer wieder bringt, ist das Heimkehren. Aber nichts beschäftigt ihn so sehr und in so verschiedenen Themenkreisen wie das Erkennen eines Menschen, vor allem in religiösen Szenen des Gewahrwerdens im Sinne eines johanneischen Christentums. Auch in profanen Szenen bringt er es. Immer wieder durch sein ganzes Werk erscheint es in immer neuem Tenor und Gehalt. Die Geschehnisse sind so aufgefaßt, daß in ihnen alles Auftretende und alle Auftretenden aufeinander bezogen sind. Das Geschehen vollzieht sich als Wortwechsel, als Gespräch. Menschliches Sprechen und Hören sind die eigentlichen Handlungen seines Dramas. Das gemeinsame Geschehen vollzieht sich als Wort. Das ist allgemein in Rembrandts ikonographischem Stil so. Es hat seine menschliche, aber auch eine direkt religiöse Wirklichkeit.27

27

D a s W o r t ist es, das selbst in Rembrandt's Gruppenbildnissen den Schlüssel f ü r den Sinn der Gemeinschaft bildet. D a s lebhafte Dozieren Tulps (Bredius 4 0 3 , m. N r . 530), die A u f f o r d e rung des Hauptmanns an den Leutnant, antreten zu lassen (Bredius 4 1 0 , m. N r . 5 3 7 ) , das stille Lausdien der Ä r z t e auf D e y m a n ' s V o r t r a g (Bredius 4 1 4 , m. N r . 5 3 8 ) , die sprechende H a n d des Vorsitzenden der Staalmeesters (Bredius 4 1 5 , m. N r . 540) —• darin ist das G e schehen als innere H a n d l u n g angedeutet, das alle Anwesenden ergreift und vereint. D a s innere G e f ü g e seiner Monumentalbildnisse entstammt dem Historienstil Rembrandt's je nach dem entsprechenden der vier Jahrzehnte seines Schaffens. Es ist davon so viel in diesen Bildern, wie er es mit dem Bildnischarakter der Dargestellten noch vereinigen konnte. Insoweit sie an der Gemeinschaft teilnehmen, gehen sie ganz in ihrer Rolle auf. E s erscheint daher nicht fruchtbar, die einzelnen Personen, die M o t i v e ihrer W a f f e n oder Kleidungsstücke, ihrer Gebärden, ihrer Farben einzeln und direkt mit geheimen literarischen, historischen, allegorischen, symbolischen Sinnbezügen deuten zu wollen. D a s entspricht dem Manierismus, dem ja auch diese Ikonologie entstammt, die leicht zu einem symbolistischen Aberglauben verführt. Rembrandt hat, w i e gezeigt wurde, gelegentlich traditionelle s y m bolische M o t i v e (wie die Schlange in Β 6 3 ) beibehalten, dodi indem er die drei Einheiten der H a n d l u n g , der Zeit und des Ortes folgerichtig durchführt, also Bedeutung und Sinn aus der H a n d l u n g allein, dem menschlichen Geschehen auf der Bühne der W e l t entwickelt, hat er die versteckten Hinweise, Anzüglichkeiten, doppelsinnigen Abzeichen mit ihrem direkten

Ikonographisdier Stil

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In solchen allgemeinsten Zügen haben die einzelnen Themen vieles gemeinsam. Sie ähneln einander, die menschliche Gegenseitigkeit unter dem Gesdiehnis des Wortes erfüllt ganz verschiedene Themen. In diesem Sinne hat der Künstler ja gerade die äußere Akzentuierung der Handlung möglichst zurückgedrängt. So gleichen sich die Werke um so mehr. Aber wie immer wieder bei Rembrandt: mag es aussehen, als ob die Grenzen versdiwimmen, die Verschiedenheiten treten mit um so größerer Wucht, Klarheit und Besonderheit hervor. Denn jedes Werk ist wiederum ein ganz anderes, jedes hat sein eigenes Thema. Aus dem einen Vorgang, dem einen Geschehnis allein, aus den benennbaren Menschen, dem bestimmten geschichtlichen Augenblick, der zitierbaren Bibelstelle geht dieser eine besondere Inhalt hervor. Mit den Jahren gelangt Rembrandt dazu, vor allem das seelische Geschehen darzustellen, die dramatischen Züge, die ikonographischen Motive treten zurück, der Vorgang verlagert sich ins Innerliche. Dies bedeutet aber nicht etwas wie Verallgemeinerung. Es bleibt immer ein bestimmter, aufzeigbarer Vorgang. Ein solches Werk kann große Wirkung ausüben, auch wenn vielleicht der Vorgang unerkannt oder umstritten ist — niemals wird gleichgültig, was dargestellt ist. Denn von daher, vom Thema, vom Inhalt her eröffnet sidi erst die Sinnfülle. Manches Menschliche, manches Dramatische kommt in verschiedenen Zusammenhängen ähnlich vor, dennoch ist der eine Inhalt unauswechselbar, von ihm aus allein ergeben sich erst die besonderen wie auch die allgemeinsten Bedeutungen. Wenn also Bialostodki a. a. O. fragt: „Was sagen schon die Benennungen „Simeon", „ H o m e r " , „Aristoteles"?", so wäre zu antworten, daß jedenfalls sie allein die Grundlage f ü r jede A r t von Deutung, f ü r die Frage nach dem Sinn des Werkes sind, f ü r jede Verallgemeinerung der Inhalte (abgesehen davon, daß jeder dieser Namen so vieles und so viel Spezifisches enthält, daß sie nie und nirgends ausgewechselt werden könnten). Das Goethe'sche „wer allgemein sein will, wird nichts" t r i f f t nicht auf jeden Künstler, aber auf niemanden so sehr zu wie auf Rembrandt. N u r diesen einen Menschen, dieses eine Ereignis vermochte Rembrandt so zu erfassen, daß es einen

literarischen Hintersinn überwunden, überflüssig und sinnlos gemacht und die Bedeutungsspiele und Bilderrätsel der Rederijker-Zeit hinter sich gelassen. D e r H a u p t m a n n ist niemand anders als C o c q selbst, dodi ins Bedeutende gesteigert rein aus dem Menschlichen in ein G e schehen, das seine Rolle in der dichterischen H a n d l u n g der Gemeinschaft trägt. Die „ A n a t o mie" ist nicht eine Allegorie der bestraften Sünde oder eine Demonstration der sinnvollen Struktur des menschlichen Körpers oder eine „Apotheose" des Gelehrten im Sinne seines großen Vorbildes, nodi audi überhaupt die Wiedergabe einer privaten oder öffentlichen Sektion, sondern sie ist ebenfalls ein Bildnis, nämlich dieser G r u p p e v o n Ä r z t e n mit ihrem Kursusleiter, die Rembrandt eine Rolle in der erdachten H a n d l u n g einer A n a t o m i e - V o r lesung annehmen läßt, im Sinne der scharf zugespitzten Handlungsdramatik seiner Historien der 1 6 3 0 e r Jahre. Nicht direkt und einzeln aus dem Bilde heraus, nicht allegorisch und nicht symbolisch sondern aus dem gemeinsamen Zuhören dieser Menschen und ihrem gemeinsamen R a u m w i r k t der Sinn und die Einheit der Szene.

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jeden angeht. Nicht Typen oder Schemata, gleichgültig wie benannt, hat er geschaffen, sondern einmalige Menschen, einmalige Geschehen, aber dieses so wesentlich erfaßt, daß es sich zum Menschlichen überhaupt, zum Geschehen überhaupt, auch zu dem unsrigen erhebt.

III Der Stil des Ikonographischen umfaßt also das Ganze dessen, was man Inhalt nennt, von der äußerlichsten Einzelheit bis zum höchsten Sinn. Die Form ist nicht erwähnt worden. Sie mußte es nicht, da sie ja gegenüber dem, was hier gezeigt wurde, keine Existenz besitzt. Man kann sie nicht dem Inhaltlichen vorziehen, sie überhaupt nicht davon isolieren, ebenso wie das Inhaltliche nicht isoliert werden darf. Es wäre ja gar nicht vorhanden ohne die Form. In ihr allein gewinnt es Wirklichkeit. Die Form im Kunstwerk entspricht nicht seinem Inhalt, sie ist mit ihm identisch.28 Was jedoch den Stil der Form betrifft, so entspricht er dem ikonographischen Stil. Bis ins Einzelne lassen sich Entsprechungen aufstellen: Themenwahl und Format, Inszenierung und Komposition, Auffassung und Darstellung, Stimmung und Lichtführung, Umwelt und Raumbildung, Tenor und Formenfluß. Es erscheint nach alledem nicht ergiebig, den formalen Stil und den ikonographischen Stil gegeneinander auszuspielen, überhaupt sie als Gegensätze zu behandeln statt als Entsprechungen, die sich in der höheren Ebene des Stiles überhaupt finden. Er umfaßt das ganze Kunstwerk, das Kunstwerk als Gesamterscheinung in seiner Gestalt im Ganzen. Im Falle Rembrandts hieße das, daß diese Inhalte in dieser Form diese Gestalt ergeben (und wiederum aus ihr sich ergeben): nämlich das freie Kunstwerk, unabhängig von Kult oder Repräsentation, von Architektur und Dekoration, das bewegliche Tafelbild des einzelnen Besitzers, für sein privates Zimmer bestimmt für seine eigene Betrachtung. Man hat gesagt, Rembrandts Bilder als Ganzes würden zu Symbolen. Sicherlich ist es möglich, alles als Symbol für irgendeine eigentlichere Wirklichkeit aufzufassen. Audi ist zu verstehen, daß hier nach dem Höchsten gegriffen wird, um der Größe dieser Kunst, besonders ihrer Spätzeit, gerecht zu werden. Allein es ist doch ihr besonderes Wesen und ihr Stil, wie sie in der Welt steht: daß sie in der trivialen Umwelt des bürgerlichen Hauses lebt, dieser Sphäre entspricht und entwächst, die Sprache dieser „niederen" Lebenswelt spricht und ihr Verständnis anspricht — und gleichzeitig diese Welt über sich hinaus, auf den höchsten Rang erhebt, indem sie eine solche Kunst ermöglicht und enthält. Alle gesellschaftlichen, konfessionellen, nationalen, stammlichen Voraussetzungen werden in diesem Stil

28

Vgl. meinen Vortrag „Kunst als Form", S. 21.

Ikonographischer Stil

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der Kunst Rembrandts zu bloßen Voraussetzungen, die ihren Sinn aus der Schöpfung seiner Kunst erfahren. Damit setzt dieser Stil einen neuen Ort der Kunst, einen neuen Begriff von Kunst überhaupt, wie es jede große Kunst tut. Das geschieht in jeder Formkategorie, wie in jeder Inhaltsgestaltung, wie im Ganzen der Erscheinungsweise eines solchen Stiles, der Kunst im Ganzen. Ein Altarbild kann als Ganzes als Symbol gelten, aber wie Rembrandt in seinen Inhalten den alten Symbolismus (die Zeichensprache der Motive) durch die von allem Praktischen unabhängige, rein gemalte Szene auf einem privaten f ü r sich gerahmten Gemälde, so hat er auch im Gesamtstil seiner Kunst die Symbolwirkung aufgehoben. Sie veranschaulicht nicht das Zeichen, sondern das Wort, dies im Sinne eines direkten, der Welt direkt verständlichen Inhaltes, in dem alles, auch Geheimnisse, szenisch vorgeführt werden in einer aus sich selber sinnvollen Einheit.

IV Eine genauere Fassung dessen, was „ikonographischer Stil" genannt werden kann, ergibt vielleicht Kriterien zu einer Anwendung auf umstrittene Fragen von Inhaltsbestimmungen einiger Rembrandt-Werke. Rembrandts Gemälde in Tokio (Bredius 533, m. N r . 44), in Elsheimers Kleinformat (21,5 x 1 6 , 5 cm) gemalt, zeigt eine Nachtszene mit kleinen Figuren (Abb. 55). In Mäntel gehüllt, sitzen sie an einem Wachtfeuer, das außerhalb des Rahmens zu denken ist. Einer dieser Männer dreht sich nach rückwärts um, und lauscht gespannt auf ein Gespräch zwischen zwei Soldaten hinter ihm. Nach H o f stede de Grot und Benesch ist dies eine „Genre"szene. Doch sind etwa die holländischen „Wachtstuben" nicht zu vergleichen. Auch wäre eine sittenbildliche Szene f ü r Rembrandt unwahrscheinlich (s. o.), ganz abgesehen von dem auffälligen Motiv des Sidi-Herumwendens. Bredius hat deshalb hier „Paulus im römischen Lager" vermutet. Doch hat jenes Thema keinerlei ikonographische Tradition, es ist, soweit mir bekannt, weder vorher noch später jemals dargestellt worden. Außerdem wird Paulus in diesen Textstellen immer als Gefangener erwähnt, der gefesselt, verhört, gestäupt wird. Das paßt nicht hierher. Zwei Bilder von Pieter Molijn geben einen Hinweis. Eins davon ist 1626, also zwei Jahre vorher als Kupferstich erschienen (Abb. 56): wieder ein Feuer am Bildrand, daran Schlafende, ferner Soldaten und Landsknechte — doch dahinter im Mittelgrund die Magd, die Petrus anspricht und verdächtigt, dazu der traditionelle Hahn und im Hintergrunde im „Richthaus" Christus vor dem Hohenpriester. Näher scheint das zweite Gemälde Molijns zu stehen (Abb. 57, in der Sammlung E. Wolf in N e w Y o r k ) : ebenfalls klein und auf K u p f e r gemalt, stellt es dieselbe Szene dar, doch ohne Hintergrund und ohne den mittelalterlichen Hahn.

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Studien zur Kunstgeschichte

Wieder tritt die Hauptszene zurück hinter den phantastisch gekleideten Landsknechten des Vordergrundes, die von außerhalb des Bildes beleuchtet sind. Bei Rembrandt fehlt diese Hauptszene ganz, die Magd erscheint nicht.29 Ist das Bild also ein „Genrebild" geworden? Das wäre, wie ausgeführt, durchaus eine Ausnahme und ganz unwahrscheinlich. Rembrandt, ausgehend von der Bildtradition, scheint dennoch auf eine andere Textstelle zurückgegriffen zu haben, auf das Lukas-Evangelium (XXII, 55, 58 ff.). Dort wird zunächst von dem nächtlichen Feuer und den Leuten berichtet, unter die Petrus sich setzt. Nach dem ersten Gespräch mit der Magd und einem Soldaten beginnt die gefährliche Szene: „ . . . und über eine Weile bei einer Stunde bekräftigte es ein anderer und sprach: wahrlich dieser war auch bei ihm, denn er ist ein Galliläer." Darauf erfolgt die dritte Verleugnung. Es scheint also aus dem Evangelium der Augenblick gegeben, wo Petrus vernimmt, wie sie über ihn und seine Verbindung mit Jesus sprechen, nicht mit ihm, sondern untereinander. Ist also der Inhalt des Bildes, der so schwer zu erkennen ist, jetzt gleichgültig geworden, wie man gewollt hat? Nein, im Gegenteil, Rembrandt hat ihn zugespitzt. Das ist nicht eine beliebige sittenbildliche Szene, vielmehr spricht sie zu uns als diese eine in dem Augenblick der Gefahr und des Versagens. Die spannende Regie des Ganzen, die ungewöhnlich freie Anordnung, die kühne Lichtführung, die skizzenhafte, doch schlagende Pinselarbeit, nicht das ist die Hauptsache, wie Burckhardt meinen würde. Nein, erst als Verbildlichung dieses Geschehens, dieser erregten geflüsterten Worte, gewinnt die Form ihren Sinn und ihre „Ausdrudeskraft". Hier ist — schon in der Auswahl der Textstelle — der Vorgang weit über das historische Ereignis gesteigert. Der Wortwechsel ist das eigentliche Geschehen. Der symbolische Hahn, überhaupt alle äußeren Merkmale werden fortgelassen, vergessen, verdunkelt, um rein das innere Geschehen des Menschen darzustellen. Ausgehend vom ikonographischen Stil Rembrandts läßt sich von den beiden diskutierenden Greisen, die Rembrandt auffälligerweise auf zwei Gemälden von etwa 1628 kurz hintereinander zusammengestellt mit Sicherheit sagen, daß sie nicht etwa eine beliebige sittenbildliche Szene darstellen, wie noch Bredius annimmt, der sie unter „Genre" einreiht (423, 424, m. Nrn. 5, 6). Das uralte christliche Thema der Disputation, der erregte Ernst des Gesprächs sprechen für ein einmaliges Ereignis. Nicht sicher ist dagegen, welches Thema gemeint ist. Denn wiederum fehlt es an motivischen Hinweisen auf die Person der Dargestellten. Das Bild in Melbourne (m. Nr. 5) ist im 18. Jahrhundert gestochen mit der Unterschrift „Elias, der dem Elisa seinen Tod weissagt". Doch paßt der Text 29

Auch zeigt Petrus nidit den üblichen Typus mit kurzem, weißem Bart und Glatze (ebensowenig wie in den beiden anderen Petrusdarstellungen Rembrandts: Bredius 73 und 607, m. Nrn. 123 und 134).

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w o h l nur sehr allgemein und u n g e f ä h r z u der Darstellung. Vielleicht ist das T h e m a noch z u finden. D a n n erst w e r d e n die Menschen und D i n g e beginnen z u sprechen, w e r d e n w i r sie erst g a n z in uns aufnehmen können. Ein schlafender M a n n ist als T h e m a der sittenbildlichen Malerei jener Z e i t nicht bekannt. In der überreichen G r a p h i k des χ 6. und 17. Jahrhunderts k o m m t es, soweit idi sehe, nicht v o r . W e n n m a n in dem G e m ä l d e R e m b r a n d t s v o n 1628 in T u r i n (Bredius 428, m. N r . 1 2 1 ) ein Genrebild, irgendeinen beliebigen A l t e n ohne N a m e n sehen w i l l , so w ä r e das w i e d e r u m einzigartig f ü r R e m b r a n d t . Es gibt bekanntlich einige sittenbildlich aufgemachte Szenen in jenen Jahren (m. N r n . 97, 98, 110), doch l ä ß t sich in jedem Falle die ikonographische Bedeutung

(als

„ M u s i k " , „ G e f ü h l " , „ G e i z " ) nachweisen. Ich habe daher vorgeschlagen, in diesem Greis eine sehr bekannte B i b e l f i g u r z u sehen, dessen Geschichte R e m b r a n d t gerade in diesen Jahren mehrfach beschäftigt hat: den alten Tobias, der im Schlaf durch den A u s w u r f der Schwalbe erblindet. Z w a r scheint er nicht im Freien z u schlafen, und v o n dem V o g e l ist (heute) nichts z u sehen, auch nichts v o n dem Spaten, der sonst gelegentlich h i l f t , das T h e m a z u bezeichnen. A b e r diese H i n w e i s e fehlen auch sonst gelegentlich einmal in der Bildüberlieferung, die hinaufreicht bis nach Chartres. Vielleicht bietet doch R e m b r a n d t s A r t , die ikonographischen H i n w e i s e gelegentlich z u vernachlässigen und alles auf den menschlichen V o r g a n g einzuschränken, die Möglichkeit, diese „einfigurige H i s t o r i e " z u deuten. 3 0

V R e m b r a n d t h a t viele Bilder gemalt, auf denen ein einzelner Mensch dargestellt ist. I n Leiden schuf er die „ e i n f i g u r i g e H i s t o r i e " mit einer ganzen Figur in kleinem F o r m a t (wie e t w a das erwähnte Bild in Turin). Seit der Ubersiedlung n a d i A m sterdam entwickelt er v o r allem die H a l b f i g u r und das Brustbild in Lebensgröße. Es sind dies e t w a 120 männliche und e t w a 32 weibliche Einzelfiguren. O b und w i e sie z u unterscheiden sind v o n den vielen Bildnissen, die R e m b r a n d t , einer der größten Porträtisten, geschaffen h a t ( e t w a Selbstbildnisse, und e t w a 81 weibliche) —

160 männliche, einschließlich

der

darin liegt eine der wichtigsten und

schwierigsten Fragen nach Rembrandts ikonographischem Stil. Ein Bildnis, ein P o r t r ä t , gibt nach damaliger und heutiger A u f f a s s u n g einen Menschen allein u m seiner selbst w i l l e n wieder, in seinem Aussehen und in seinem A n z u g , in seinem A u f t r a g und auf seine Kosten. R e m b r a n d t hat, ausgehend v o n der A m s t e r d a m e r Bildnistradition viele derartige W e r k e geschaffen. Eine G r u p p e v o n Bildern unterscheidet sich jedoch v o n diesen Bildnissen, schon durch die phantastische, jedenfalls unbürgerliche Tracht, manche auch durch

30

J.Held, Rembrandt and the book of Tobit. Gehenna Essays in Art. 1, 1964, 29 lehnt die Benennung als Tobias ab.

10 Baudi, Studien

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offenkundige Attribute oder andere Züge, die sich mit den strengen Gepflogenheiten der damaligen hoch stehenden holländischen Porträtkunst nicht vertragen. Der Dargestellte erscheint nicht um seiner selbst willen wiedergegeben, sondern als stelle er eine Person dar, die nicht er ist. Er ist wie ein Schauspieler, der eine Rolle spielt, ein Modell, das ausgewählt und kostümiert wird, um eine Figur aus der Phantasie des Künstlers zu verkörpern. Der Künstler empfängt vom dargestellten Auftraggeber das Honorar für das Bildnis. Das Modell muß er mieten und bezahlen. Leider wissen wir aus den Urkunden wenig über diese Honorare. Doch schon in ihrer Entstehungsweise schließen die beiden Bildtypen sich gegenseitig aus, grundsätzlich ist eine Verwechslung oder ein Außerachtlassen ihrer Verschiedenheit unmöglich. Wen stellen diese Figuren dar? Es sind Apostel, Evangelisten, Propheten, Philosophen, Dichter. Sie sind durch Attribute gekennzeichnet. Bisweilen fehlen — wie ja audi bei einigen Historienbildern — diese Hinweise. Dennoch wäre es — wie dort — für das künstlerische Verständnis notwendig, zu wissen, wer gemeint ist. Häufig sind alte Männer mit großen Baretts oder Mützen, Pelzmänteln und Goldketten — alles dies damals ebenso ungewöhnlich wie heute. Bekanntlich werden sie von jeher meist als Rabbiner bezeichnet. Das kann so allgemein nicht zutreffen. Wie ein Rabbiner aussah, zeigt Rembrandt in seiner Bildnisradierung Β 269 des Menasseh ben Israel (von dem Flinck ein entsprechendes Gemälde fertigte 31 ). Er sieht genau so aus wie seine Amsterdamer Stadtgenossen. Aber auch im häuslichen Gewände hat Rembrandt offenbar jüdisdie Theologen seiner Bekanntschaft porträtiert. Der schöne Kopf der Sammlung van Hörne in Montreal (Bredius 300, m. Nr. 435) dürfte jedenfalls einen streng konfessionellen Juden darstellen, nadi dem Jarmulkeh, das er trägt, der kleinen Kalotte, die noch heute der orthodoxe Jude nicht ablegt.32 Vielleicht ist dies ein junger Rabbiner (er hat wohl als Modell gedient für den Christus in München, Bredius 630, m.Nr.240). Audi der Kopf Bredius 250, m. Nr. 396, sowie die beiden späten Bredius 274, 285, m. Nrn. 407, 431 sind wegen dieser Kopfbedeckung als Juden, vielleicht als Rabbiner zu erkennen. Jedenfalls dürfte der jüdisdie Typus allein und nur nach seinem heutigen Eindruck nicht ausreichen, es muß vielmehr ein sachliches Indiz hinzutreten, um einen Juden in einer derartigen Figur auszuweisen. Ganz unwahrscheinlich ist, daß etwa Rabbiner sich zu der phantastischen

31 S2

I. W. von Moltke, Govert Flinck, 1966, S. 109 Nr. 213 m. Abb. Für mandie Auskünfte bin idi Guido Schönberger, Jüdisdies Museum, New York, zu großem Dank verpflichtet. — Die Kalotte wird auch von den Mönchen über der Tonsur getragen („Solideo"), zu Rembrandts Zeit auch vielfach von evangelischen Geistlichen (s. Bredius 173, 200, 213, 214, 237, übrigens auch 291, m. Nrn. 361, 372, 380, 381, 392 und 424). — Der Brauch, den Kopf beim Gottesdienst zu bedecken, hat sich im ostjüdischen Bereich herausgebildet unter Berufung auf den Talmud (Sabbath ij6), im Gegensatz zu den ReformSynagogen, in denen das Haupt unbedeckt bleibt.

Ikonographischer Stil

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Kostümierung des Künstlers hergegeben haben. Auch kann es kaum so gewesen sein, daß Rembrandt Modelle gemietet hätte, um sie „Rabbiner" darstellen zu lassen. Dieser Beruf gehört im damaligen Amsterdam zum täglichen Leben, ähnlich dem eines Pfarrers, und war an sich keinerlei „poetisches" Motiv. Juden als solche, wegen ihres Volkstums, als interessante fremde Volksgruppe hat Rembrandt nicht dargestellt.33 Wie er überhaupt unter den ärmeren seiner Landsleute Modelle gemietet zu haben scheint, so vielleicht auch unter den jüdischen aus seiner Nachbarschaft. Und wie in einem Greisenkopf aus der K r a f t und Tiefe seiner Anschauung das Altsein überhaupt dichterisch erfaßt ist in seiner ganzen Sinnfülle, so hat Rembrandt in einem jüdischen Antlitz sein ganzes Schicksal gesehen mit der ganzen Hintergründigkeit, der Tragik und Fremdheit des alten Volkes, als sei für ihn darin die Bibel als Vorgeschichte der ganzen Menschheit gegenwärtig. Rembrandts Greise tragen oft ein Barett oder eine hohe Mütze. Das Barett ist in dieser Form im 16. Jahrhundert üblich gewesen. Schon die Gelehrten der Reformationszeit zeigen es und Rembrandt hat es offenbar aus ihren Bildnissen der altdeutschen Graphik übernommen, die er in seiner Sammlung besaß. Ob er derartige Baretts hat anfertigen lassen oder aus dem späteren 16. Jahrhundert erhaltene erworben hat, jedenfalls hat er sie seinen Modellen aufgesetzt, und sie damit wohl als Humanisten, Gelehrte, Philosophen aus alter früher Zeit gekennzeichnet (Abb. 58, 59). Es ist also ein historisches Kostüm, in dem Rembrandt seine Philosophen darstellt. Auch Aristoteles (Bredius 478, m. Nr. 207) trägt, wenn auch in besonderer Tracht, dieses Barett. Uberhaupt hat Rembrandt die Tracht der Renaissance-Zeit verwandt. Audi er selbst hat sich das Barett in seinen Selbstbildnissen aufgesetzt (ζ. B. Bredius Nrn. 34—37, m. Nrn. 316—319). Das rote Haarnetz, das er auf seinem Bildnis in Washington (Bredius 39, m. Nr. 321) trägt, erinnert an Dürers Holzschnittbildnis des Ulrich Varnbühler (Abb. 60, 61). Seinen Sohn Titus malt er, wie W. Sumowski beobachtete, als Prinzen der Holbein-Zeit (Bredius Nr. 1 2 1 , m. Nr. 412). Daneben erscheinen, wenigstens in der früheren Zeit, Soldaten, also Offiziere, Kriegshelden. Mit dem Militär des Dreißigjährigen Krieges, also mit Rembrandts Zeit haben sie direkt wohl wenig zu tun. Auch sie haben das Barett des 16. Jahrhunderts. Ihre Rüstung oder ihren Ringkragen, die Straußenfeder am Barett oder den berühmten Goldhelm tragen sie anscheinend als Kostüm einer Gestalt der Literatur, einer historischen oder legendären Uberlieferung. Sind sie auch kaum je genau zu benennen, so ist doch offenbar jeweils eine bestimmte Person der Vergangenheit gemeint. Jedenfalls gehören sie ihrer Bedeutung nach eher zu den erkennbaren Historien-Figuren als zu den Bildnissen. 33

s. die Dissertation der Schriftstellerin Anna Seghers „Jude und Judentum im Werke Rembrandt" von Netty Reiling, Dissertation Heidelberg 1924 (ungedruckt), passim.

IO»

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Studien z u r Kunstgeschichte

K l a r abgesetzt ist eine Gruppe von Figuren, die allgemein als „Orientalen" bezeichnet werden. In älteren Erwähnungen heißen sie vielfach auch „Perser", „Türken", „Mann in türkischem G e w a n d " oder einfach „een oostersche tronie", „ein östlicher (orientalischer) K o p f " . In Bredius Buch ist unter N r . 169 das Bild in N e w Y o r k (m. N r . 1 4 1 ) unter den Porträts aufgeführt als „Bildnis eines vornehmen Orientalen" (Abb. 60). Das kann dodi nur heißen, daß ein vornehmer Mann aus dem Orient in Amsterdam bei Rembrandt sein Bildnis bestellt habe. Tatsächlich hat man festgestellt, daß 1626 bis 1627 eine Gesandtschaft aus dem Orient in Holland war, und diese Bilder damit in Verbindung gebracht. 34 Diese Ansicht H . Schneiders erscheint allzu naturalistisch. Vielfach sehen die Gesichter mit blauen Augen durchaus nach holländischen Modellen aus — allerdings ist solchen Kriterien zu mißtrauen. Entscheidend ist, daß die gleichen Modelle mehrmals auch in ganz anderen Kostümen vorkommen. 3 5 Das spricht doch dafür, daß es sich um gemietete Modelle handelt, die Rembrandt in türkische Prunkkleider seiner Sammlung gesteckt hat. Jedenfalls läßt sidi feststellen, wen diese Menschen darstellen: nämlich historische Gestalten aus dem Alten Testament. Denn genauso gekleidet treten sie in Rembrandts alttestamentlichen Historienbildern auf, etwa als Bileam (Bredius N r . 487, m. N r . 1), Saul (Bredius N r n . 488, 490, m. Nrn. 3, 7), Abner (Bredius N r . 488, m. N r . 3), D a v i d (Bredius 5 1 1 , m. N r . 24), Potiphar (Bredius 524, m. N r . 32), Joseph (Bredius 525, m. N r . 34), Haman (Bredius N r . 531, m. N r . 39). Kostbare Brokatstoffe überwiegen. Der Turban ist das bezeichnende Merkmal — falls ein König dargestellt ist, mit Krone (Cyrus, Bredius 491, m. N r . 1 1 , hier Abb. 46), Belsazar (Bredius N r . 497, m. N r . 21), Saul (Bredius J26, m. N r . 35), Ahasver (Bredius N r n . 530, 531, m. N r n . 37, 39), D a v i d (Bredius N r . 6 1 1 , m. N r . 202). Alle sind so gekleidet wie die damaligen Bewohner Palästinas, die Türken. Diese vermeintlich historische Tracht der alten Juden, die bis auf die Graphik des 15. Jahrhunderts zurückgeht, hat Rembrandt schon in den Historienbildern seiner Vorläufer, Lastman's oder Pynas' vorgefunden. 3 6

34 35

38

s. H. Schneider, J a n Lievens . . . , Haarlem 1 9 3 2 , S. 304. S o Bredius 1 3 3 , m. N r . 1 3 3 auch als „ O f f i z i e r " (Bredius 79, m. N r . 1 3 0 ) oder mit Kette (?) (Bredius 1 3 5 , m. N r . 1 3 2 ) , ferner Bredius 169, m. N r . 1 4 1 mit längerem Bart als Petrus (Bredius 609, m. N r . 1 3 9 ) ; Bredius 206, m. N r . 163 kommt als Schriftgelehrter (Bredius 4 3 2 , m. N r . 1 6 2 ) und als Moses (Bredius 5 5 7 , m. N r . 64) vor. Es scheint in Vergessenheit geraten zu sein, daß etwa schon Koloff über diese Frage geschrieben hat: „bei den ersten Neuerungen, welche sich Rembrandt hinsichtlich des Costüms erlaubte, ging es ihm nicht glücklicher als den Malern des 14. und 1 5 . Jahrhunderts, die, wenn sie Szenen des Alten Testamentes darstellten, ohne weiteres saracenische Trachten für die alten Orientalen verwendeten und den Holofernes wie einen Großsultan herausstaffierten" (Ed. Koloff, Rembrandts Leben und Werk. Historisches Taschenbuch, herg. von F. von R a u mer, 3. Folge, j , i 8 j 4 , 497). Weiterhin (S. J 0 3 ) schreibt er „die Priester sind gekleidet wie persische Satrapen oder türkische Muftis, ihre Röcke, Gürtel und Kopfbinden strotzen und blitzen von Sammet und Seide, von G o l d und Edelsteinen". — Vgl. auch H. van de Waal, Drie Eeuwen Vaderlandsche Geschied Uitbeelding 1 5 0 0 — 1 8 0 0 . 1 9 5 2 , S. 601.

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Gekennzeichnet sind die alttestamentarischen Priester. Vielfach tragen sie liturgische Gewänder aus orientalisch-barockem Brokatstoff, dazu aber den Gebetshawl oder Gebetschleier, den Tallit, über dem Hinterkopf, wie etwa der Priester in Hampton Court (Bredius Nr. 207, m. Nr. 166), der Sdiriftgelehrte in Prag in seinem pelzgefütterten Samtmantel (Bredius 432, m. Nr. 162) oder der „Hohepriester" (Bredius 304, m. Nr. 233). Audi auf der Szene, wo in der Synagoge die Ehebrecherin vor Christus niederkniet, kommt eine solche Figur unter den Priestern vor (Bredius j66, m. Nr. 72). Christus selbst erscheint als Rabbiner mit dem Tallit auf dem bedeutenden Bilde in New York (Bredius 629, m. Nr. 241). Wenn die anderen auch nicht mit Namen genannt werden können, so dürfte doch jeder von ihnen eine bestimmte Figur aus dem Alten Testament darstellen. Es war damals den Betrachtern Satz für Satz geläufig, und so waren ihnen auch diese Figuren und Namen aus der Urgeschichte der Christenheit vertraut. Eine Anzahl der etwa 150 Einzelfiguren Rembrandts, die nicht Bildnisse im eigentlichen Sinne sind, fügt sich jedoch nicht in eine der aufgeführten Gruppen ein. Es sind diejenigen (etwa jo) Bilder, die man von altersher „Studienköpfe" nennt. Dies ist bekanntlich für Rembrandt eine bestimmte Bildgattung mit eigener Vorgeschichte und eigenem Charakter (vgl. m. Arbeit i960, S. 178 ff., m. Arbeit 1966, S. X V I ) . Er hat sie schon als selbständigen Typus vorgefunden, gelöst von dem praktischen Zweck als Studie zu einem Kopf in einer Historien-Komposition, wie es bei Rubens und nach van Mander schon bei Floris gewesen war. Schon die „Studienköpfe" dieser Meister waren jedoch gleichzeitig selbständige, teilweise auch bezeichnete Gemälde gewesen, fertig vollendete Werke mit eigenem Sinn. Rembrandt hat das übernommen und ausgebaut. Einer der wenigen Aussprüche, die von ihm überliefert sind, lautet: ein Stück ist vollendet, wenn der Meister seine Absicht damit erreicht hat. Das soll von der malerischen Durchführung gelten, aber ebenso vom Thema im Ganzen. Diese Menschenbilder sind eigene Werke mit eigener Bedeutung. Der holländische Name der Zeit dafür ist „tronie", eigentlich „Gesicht" (von dem altfranzösischen Wort „trogne"). N u r ganz wenige Studienköpfe sind tatsächlich benutzt worden für eine größere Komposition (sonst meist Kopien, s. m. Arbeit 1966, S. VIII), etwa der Studienkopf in Detroit (Bredius 621, m. Nr. 195), den Rembrandt in dem Emmaus-Bild im Louvre (Bredius 578, m. Nr. 82) verwandt hat. Doch ist dieser Kopf einer von mindestens acht ähnlichen, offenbar alle nach einem jungen Juden (vielleicht einem jungen Rabbiner?) gemalt.37

37

s. die umfassende Studie von Seymour S live in Art Bulletin 47, 196$, 407. — Für die ganze Frage der Christus-Darstellung vgl. nodi L. Münz, Rembrandts Vorstellung vom Antlitz Christi, Festschrift Kurt Bauch, 1957, 205.

Studien zur Kunstgeschichte

Die allermeisten Studienköpfe Rembrandts sind selbständige Bilder: viele tragen Rembrandts Namenszug. Schon im Januar 1629 kommen sie unter dieser Benennung in Versteigerungen vor: „een kleyn tronytge van Rembrandt." Später sind es meist Brustbilder von Männern mit „Charakterköpfen", manchmal in nachlässigem, manchmal in phantastischem Kostüm, geschmückt oder in Samt und Seide gekleidet. Damit setzen sie sich sichtbar von den Bildnissen ab, gelöst vom bloß Individuellen, erhaben über das Bürgerliche, Zeitgenössische, über die tatsächliche Zugehörigkeit zum alltäglichen Leben. Eher gehören sie in die Nähe der Gelehrten oder Kriegsmänner. Das Ungewöhnliche, Feierliche oder Exotische, Theatralische oder Historische, alles weist auf eine ferne, phantastische Bedeutung, auf die Andeutung irgendeiner Figur mit geistig-dichterischer Rolle. Rembrandt hat zu diesen Köpfen offenbar gemietete Modelle benutzt, dazu sich selber und seine nächsten Verwandten, vielleicht auch Freunde und Schüler. Sidi selber und Saskia hat er außer in historisdien Rollen und je einem einzigen bürgerlichen Bildnis (Bredius 17, 86, m. Nrn. 302, 453) — überhaupt nur in Phantasietradit gemalt.38 1678 wird in einem Amsterdamer Nachlaß erwähnt „een manstronie van Rembrandt synde syn eygen conterfeytsel". Alles das steht grundsätzlich im Gegensatz zu den Bildnissen. Rembrandt hat, wie erwähnt, etwa 10 j Männer und etwa 52 Frauen im Auftrag porträtiert, seit er in Amsterdam arbeitete. Diese Bildnisse geben wohlhabende Amsterdamer in der vornehm-bürgerlichen Tracht ihres Landes und Standes wieder. Doch berichten zeitgenössische Quellen, daß Rembrandt allmählich begonnen habe, seine Auftraggeber zu überreden, daß auch sie sich in historischen oder phantastischen Kostümen malen ließen. Es gibt Bilder dieser Art, die sich als Gegenstücke von Mann und Frau und daher wohl sicher als Bildnisse erweisen (Bredius Nr. 204, m. Nr. 378 und Bredius 287, m. Nr. 416; Bredius Nr. 224, m. Nr. 388 und Bredius Nr. 363, m. Nr. 502; Bredius Nr. 256, m. Nr. 398 und Bredius Nr. 380, m. Nr. j i o ; Bredius Nr. 280, m. Nr. 414 und Bredius Nr. 388, m. Nr. 514). Der Zeit war das nicht so fremd. Das barocke Rollenporträt, das den vornehmen Herrn als antiken Helden, die Dame als griechische Göttin darstellte, ist aus der gleichzeitigen Malerei unter Ludwig X I I I . , dann besonders unter Ludwig X I V . bekannt. Doch scheint es sich bei Rembrandt nicht um die Rollen bestimmter literarischer Figuren zu handeln, sondern allgemein um eine dichterische Sphäre, in der die Dargestellten erscheinen, hinausgehoben über ihre nur gesellschaftliche Identität. 38

Neuerdings haben E. Bergström und nodi schlagender Ch. Tümpel nachgewiesen, daß das Dresdener „Doppelbildnis" Rembrandts mit Saskia (Bredius Nr. 30, m. Nr. 535) den verlorenen Sohn darstellt, dessen Rolle Rembrandt selbst mit seiner Frau spielt. Das Bild gehörte also in meinem Rembrandt-Band eigentlich nicht in die Abteilung der „Bildnisse mehrerer Personen", sondern in die der „neutestamentlichen oder allegorischen Bilder".

Ikonographischer Stil

Audi hier also verschwimmen bei Rembrandt die Grenzen, gibt es Übergänge und Grenzfälle. Nicht immer ist mit Sicherheit zu entscheiden, ob ein Bildnis, eine historische oder literarische Figur vorliegt oder ein Studienkopf — ganz abgesehen von den Personen aus Rembrandts engstem Kreis, deren Darstellungen zwischen allem stehen. Also hat Jakob Burckhardt vielleicht doch redit? Wenn alles ineinander übergeht, ist es dann nicht vielleicht überhaupt gleidigültig, wer eigentlich dargestellt ist? Müssen wir noch lange danach suchen, ob ein Daniel ein Mynheer Soundso oder ein namenloser Studienkopf vor uns steht? Ist nicht in ihnen allen doch nur das „allgemein Menschliche" der eigentliche Inhalt? Oder ist das alles für Rembrandt nicht eigentlich nur der Anlaß, seine physiognomische Charakterisierung oder ein persönliches Bekenntnis zu entfalten? Oder gar — ist das nicht alles nur eine Gelegenheit oder ein Vorwand für seine Form, für seine malerischen Künste, für die Farbenspiele seines Pinsels, für die Beleuchtungseffekte seines Raumlichtes — unabhängig oder trotz des Themas, das vorliegt? Nein. Sei es, daß auch ikonographisch bei Rembrandt alle Umrisse und Grenzen verschwimmen, das, was sie umschließen, was zwischen ihnen als Gegensatz hervortritt, tritt um so klarer und kraftvoller hervor und auseinander. Die Ubergänge beeinträditigen nicht die Gegensätze. Rembrandts ikonographischer Stil — sowohl im Historienbild wie in der Einzelfigur — bestimmt das Thematische, das Motivische, die Auffassung ganz neuartig: weniger sachlich, dafür stark eigenwillig, weniger vollständig, sondern auf wenige wesentliche Bedeutungszüge konzentriert, weniger deutlich, dafür in einen tieferen Sinn gesteigert. Falls sich diese Inhalte ähneln oder berühren, so deswegen, weil die Bedeutungen verwandt sind, weil also immer wieder verwandte Themen ausgewählt werden. Es ist ein Unterschied, ob wir einen altjüdischen Priester oder einen Philosophen des Altertums vor uns haben. Mag beides sich im letzten Sinn von Erscheinung und Wesen nähern oder treffen, dennoch geht das aus von zweierlei Themen, die unverwechselbar sein sollten. Denn von der inhaltlichen Deutung geht jede Deutung, schon jede Betrachtung des Werkes aus. Rembrandt opfert vieles von der überkommenen Gestaltung den Inhalten, um diese durch seine Umdeutung in eine neue persönlichere Sphäre zu erheben. Darin liegt der Ursprung seiner Schöpfung. Sie wird sichtbar in der Form. In ihr erst entsteht seine Kunst, gewinnen seine Inhalte Wirklichkeit.

3· P e t e r P a u l R u b e n s , K r e u z a b n a h m e mit H e i m s u c h u n g u n d D a r s t e l l u n g im T e m p e l . 1614. Antwerpen, Kathedrale.

4. P i e t e r L a s t m a n , K r e u z i g u n g . 1616.

Amsterdam, Rembrandthuis.

5· Rembrandt, Kreuzabnahme. 1654. Radierung Β 83.

IV

6. P e t e r P a u l R u b e n s , Sieg und T o d des D e c i u s M u s . 1 6 1 7 . V a d u z , S a m m l u n g Liechtenstein.

7. Pieter L a s t m a n , D i e N i e d e r l a g e des M a x e n t i u s . 1 6 1 3 . Bremen, Kunsthalle.

ν

8. Peter P a u l Rubens, Landschaft mit Jupiter bei Philemon und Baucis. U m 1620. Wien, Kunsthistorisches Museum.

9. Hercules Seghers, Landschaft am Rhein bei Rhenen. U m 1630. Berlin, Staatl. Museen.

VI

IO. J a n Saenredam nach Abr. Bloemaert, Memento mori.

l i . Johannes Torrentius, Emblem der Mäßigkeit. 1 6 1 4 . Amsterdam, Rijksmuseum.

1 2 . Willem Claesz H e d a . Frühstücks-Stilleben. 1629. H a a g , Mauritshuis.

Vili

13. Kolberg. Dom. 13. Jahrh., ausgemalt Anf. 1 j . Jahrh.

XI

16. Philipp der Gute. Cincinnati, Museum.

1 7 . K a r d i n a l Albergati. Wien, Kunsth. Museum.

m

18. H e r z o g Rudolf I V . "Wien, Diözesan-Museum.

19. Lijsbeth v a n D u y v e n v o o r d e . H a a g , Mauritshuis.

XII

f s & r t ï ía g o i i r h n i ' f i R f i j i a f i l r m t o u V o M

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ΙΙΙΙΓΑ r-m- DAME ÍSABLEI.

20. I s a b e l l a v o n P o r t u g a l .

21. C u m ä i s c h e S y b i l l e .

Handzeichnung. Privatbesitz.

V o m Genter Altar.

22. Isabella. D i j o n , M u s e u m

23. G e d e n k t a f e l . B a s e l ,

( L e i h g a b e des L o u v r e ) .

Historisches Museum.

XIII

24- Isabella. Brüssel, C o d e x Succa.

26. Isabella (?). N e w Y o r k , Metropol. Museum.

25. Isabella. N e w Y o r k , Metropol. Museum (Leihgabe).

27. Isabella Borluut. V o m Genter A l t a r .

XIV

30. Diptychon. Paris, Louvre.

3 1 . „Timotheus". London, N a t i o n a l Gallery.

32. Der M a n n mit den N e l k e n . Berlin, Staatl. Museum.

33. „Die Erfinder der Perspektive". Paris, Louvre.

34. J o h a n n der Gute. Paris, L o u v r e .

36. K a r l I V . und K ö n i g i n Bianca. Schloß Karlstein bei Prag.

3 J . K a r l V . Schloß Karlstein bei Prag.

37. Pietro Lorenzetti. Fresko, Assisi.

XVII

38. G e d e n k t a f e l der Herren von Montfoort. Amsterdam, Rijksmuseum. _

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11

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39- J o h a n n der Gute und Familie. Gedenktafel, einst Paris, Michaelskapelle.

40. J o h a n n der Gute. Gedenktafel, einst St. Denis, Abteikirche.

4 1 . Urkunde K a r l s Y . und seiner Gattin, Tournai, Städt. Archiv.

XVIII

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42. J o h a n n Ohnefurcht. Antwerpen, K g l . Museum.

44. Robert Campin. Stifter (Ausschnitt). London, Sammlung G r a f Seilern.

43. J a c o b a von Bayern. Brüssel, C o d e x Succa.

45. Die Malerin Marcia. Paris, Bibl. N a t . (fr. 12420).

XIX

46. Govaert Flinck, nach Rembrandt. Simson bedroht seinen Schwiegervater (Kunsthandel).

XX

47· Rembrandt. Daniel und Cyrus vor dem Bild des Bel. 1633. P o r t Eliot, Earl of St. Germans.

XXI

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48. Nach M. van Heemskerk. Daniel und Cyrus vor dem Bild des Bel. Kupferstich.

XXII

49- Rembrandt. Auferstehung Christi. 1639. München, Alte Pinakothek.

XXIII

jo. Nach Rembrandt. Ö f f n u n g des Grabes Christi. Augsburg, Gemäldegalerie.

j i . Benjamin Gerritsz C u y p . Ö f f n u n g des Grabes Christi. Stockholm, Nationalmuseum.

XXIV

J 2 . Wilhelm Drost (?). Maria der Verkündigung. Prag, Nationalgalerie.

XXV

5 3· Cornciis Saftleven. Verkündigung an die Hirten. Zürich, Kunsth. K . Meissner.

54. Cornells Saftleven. Verkündigung an die Hirten. Amsterdam, Rijksmuseum.

. Rembrandt. Die Verleugnung Petri. 1628. Tokio, Bridgestone Gallery.

XXVII

XXVIII

58. Rembrandt. Gelehrter im Mantel und großem Barett. Kenosha (USA), Smlg. R. Whitacker.

XXIX

XXX

6o. Rembrandt. Selbstbildnis. 1650. Washington, N a t i o n a l G a l l e r y .

XXXI

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6 1 . A l b r e c h t D ü r e r . Bildnis des U l r i c h V a r n b i i h l e r . 1522. H o l z s c h n i t t .

XXXII

62. Rembrandt. Alttestamentlicher Herrscher. 1 6 3 2 . N e w Y o r k , Metropolitan Museum.