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German Pages 274 Year 2015
Judith Knabe, Anne van Rießen, Rolf Blandow (Hg.) Städtische Quartiere gestalten
Urban Studies
Judith Knabe, Anne van Riessen, Rolf Blandow (Hg.)
Städtische Quartiere gestalten Kommunale Herausforderungen und Chancen im transformierten Wohlfahrtsstaat
Wir danken der Fachhochschule Köln für die finanzielle Unterstützung dieses Bandes.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2015 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt Städtische Quartiere gestalten Interdisziplinäre Perspektiven auf die kommunalen Herausforderungen und Chancen im transformierten Wohlfahrtstaat
Anne van Rießen/Judith Knabe/Rolf Blandow | 9
Theoretische Grundlagen – Quartiersarbeit unter gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen Quartier – Stadt – Gesellschaft
Jan Wehrheim | 21 Quartiersentwicklung – Ausgrenzung
Chantal Munsch | 41 Soziale Ungleichheit und kulturelle Diversität in der Migrationsgesellschaft
Markus Ottersbach | 55 Transformation der Gemeinwesenarbeit? Über Rollenkonflikte und Möglichkeitsräume in der Konjunktur des Lokalen
Judith Knabe/Anne van Rießen/Rolf Blandow | 79
Lokale Governance – Konzepte unter aktuellen Bedingungen Lokale Governance – Einführung in das Konzept
Herbert Schubert | 113 Stadtentwicklungskonzepte: eine historische Hinführung und Einordnung
Susanne Lang | 131 Integrierte Stadt(teil)entwicklung durch intermediäre Sozialraumkoordinator_innen Erfahrungen mit dem Modellprojekt »Lebenswerte Veedel – Bürger- und Sozialraumorientierung in Köln«
Matthias Sauter | 149 Menschen, Ideen und Möglichkeiten zusammenbringen Ein Praxisbeispiel der Bürger- und Sozialraumorientierung »Lebenswerte Veedel« aus dem Sozialraumgebiet Köln Rondorf/Meschenich
Ludger van Elten | 167 Voneinander wissen. Miteinander Handeln. REGSAM – Stadtweites Netzwerk in München
Petra Stockdreher | 183
Kritische Reflexion des Status Quo und die Chancen für ein reflektiertes Vorgehen in der Praxis der Quartiersarbeit Partizipation von unten? Möglichkeiten und Grenzen von Beteiligungsverfahren im Kontext von sozialraumbezogener Arbeit
Anne van Rießen/Reinhold Knopp | 201 Sozialarbeitspolitik in Armutsgebieten Überwindung politischer Apathie durch Handlungs-, Themen- und Personenzentrierung
Werner Schönig | 223 Aktivierende Befragung im Stadtteil Baustein einer reflexiven Gemeinwesenarbeit?!
Janine Birwer | 245 Autorinnen und Autoren | 267
Städtische Quartiere gestalten Interdisziplinäre Perspektiven auf die kommunalen Herausforderungen und Chancen im transformierten Wohlfahrtstaat A NNE VAN R IESSEN /J UDITH K NABE /R OLF B LANDOW
Das Programm ›Soziale Stadt‹ ist 2012 ausgelaufen und im Jahr 2013 als Teil der Städtebauförderung neu aufgelegt worden. Der neue Titel »Soziale Stadt – Investitionen im Quartier« und die Stärkung der baulichen gegenüber der sozialpolitischen Förderung macht eine veränderte Stoßrichtung deutlich. »Im Vordergrund stehen weiterhin städtebauliche Investitionen in das Wohnumfeld, die Infrastruktur und die Qualität des Wohnens. Es ist vorrangiges Ziel, in den betreffenden Quartieren den sozialen Zusammenhalt und die Integration aller Bevölkerungsgruppen zu verbessern. Die Kommunen werden deshalb unterstützt, auf mehr Generationengerechtigkeit sowie familienfreundliche, altersgerechte und die Willkommenskultur stärkende Infrastrukturen hinzuwirken.« (BMUNBR 2013). Auch die Europäische Strategie 2020 spricht von ›Sozialen Innovationen und Investitionen‹, die sich lohnen müssen. Doch für wen? Die Anforderungen sind damit sehr hoch gesteckt. Das Quartier ist für die System- und Sozialintegration zuständig erklärt, Investitionen in die Infrastruktur sollen helfen, die bereits vorausgesetzten Defizite an bestimmten Orten der Republik zu
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kompensieren. Es rückt damit (wieder) verstärkt ins Rampenlicht der politischen Diskussion, aber auch der Berichterstattungen in Presse, Funk und Fernsehen. Darin verwendete Begriffe wie ›Problemviertel‹, ›Brennpunkt‹, ›Banlieue‹, ›Ghetto‹ oder auch ›Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf‹ machen deutlich, dass es begrenzte Gebiete sind, die einer »Bearbeitung« bedürfen. Die dahinterliegende eigentliche Debatte um soziale Ungleichheit und die gesellschaftliche Auseinandersetzung um die Frage »Wie wollen wir in Zukunft leben?« wird dabei häufig ausgeblendet. Doch hat die Problembenennung auch Chancen. Die Schaffung neuer Möglichkeitsräume zur Quartiersstärkung ist das Ziel vieler (neuer) Ansätze in Politik, Verwaltung und Sozialer Arbeit. Vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen und Herausforderungen wie dem demografischen Wandel, der zunehmenden sozialen Ungleichheit und Diversität, dem artikulierten Verlangen der Bürger_innen nach direkter Partizipation und den gegenwärtigen Fragen zu den Veränderungen des Wohlfahrtsstaates, muss die Frage nach der Gestaltung städtischer Quartiere unseres Erachtens deshalb neu gestellt werden. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, müssen Fragen gestellt werden wie: »Was sind lebenswerte Quartiere?«, »Was heißt in diesem Zusammenhang ›lebenswert‹ und ist dies der richtige Begriff?«, »Wie ist das Ausmaß der Segregation in deutschen Städten und welche politischen Konzepte gegen zunehmende Segregation gibt es?«, »Welche Auswirkungen haben die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen auf die Gestaltung städtischer Quartiere?«, »Welche Möglichkeiten und Grenzen kommunaler Konzepte der städtischen Quartiersentwicklung gab und gibt es?«. Auf Initiative der Beteiligten im Modellprojekt »Lebenswerte Veedel – Bürger- und Sozialraumorientierung in Köln« haben die Fachhochschule Köln, die Fachhochschule Düsseldorf und die Stadt Köln deshalb im April 2013 zu einer Tagung eingeladen, in der es darum ging, aus der Sicht verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen (Phi-
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losophie, (Stadt-)Soziologie, Erziehungswissenschaft, Stadtplanung, Soziale Arbeit), aber auch aus Sicht der Praxis, der kommunalen Verwaltung und der Sozialen Arbeit theoretische Ansätze, historische Entwicklungen und empirisch evaluierte regionale Konzepte zur Gestaltung städtischer Quartiere vorzustellen und zu diskutieren. Konkretes Ziel war es dabei vor allem, die Stärken und Schwächen kommunaler Konzepte zur Quartiersentwicklung seitens der Städte Köln, Essen und München von Expert_innen zu präsentieren und im Kontext der Politik und der Verwaltung darzustellen. Dabei sind die Herausforderungen und Chancen dieser neuen kommunalen Ansätze und Konzepte der Quartiersentwicklung ausgelotet worden. So spiegeln die Beiträge auch die unterschiedlichen Sicht- und Herangehensweisen an das komplexe Thema. Die Tagung ist eines der Ergebnisse einer langjährigen Zusammenarbeit zwischen den Fachhochschulen Düsseldorf und Köln und der Stadt Köln zu Fragen der Quartiersgestaltung.1 Theoretische Grundlegung – Quartiersarbeit unter gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen Die vorliegende Publikation vereint nicht nur die unterschiedlichen Beiträge der Tagung, sondern möchte ihnen zudem ein Fundament verleihen, indem es sie in die aktuellen wohlfahrtsstaatlichen und soziologischen Diskurse einbettet. Zur Frage, welche gesellschaftlichen Transformationen derzeit Einflüsse auf die Quartiere nehmen, plädiert Jan Wehrheim in seinem einführenden Beitrag nach einer Begriffsklärung für die klare Trennung
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Die erste Tagung mit dem Titel »Die Zukunft der Gemeinwesenarbeit. Von der Revolte zur Steuerung und zurück?« fand 2010 an der Fachhochschule Köln statt. Der gleichnamige Tagungsband erschien 2012 mit dem Ziel, die verschiedenen Ansätze der Gemeinwesenarbeit zu diskutieren und ihre Entwicklung in Theorie und Praxis nachzuvollziehen (vgl. Blandow/Knabe/Ottersbach 2012).
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der Ebenen »Quartier – Stadt – Gesellschaft«. Die derzeitige Entwicklung zur Verräumlichung sozialer Probleme und Ungleichheiten führt seines Erachtens zu Kulturalisierung und Determinierung einer ›Underclass‹, welche sich soziologisch nicht abbilden lässt. Auf die Frage, welche (neoliberalen) Steuerungsinteressen derzeit in den Quartieren eintreffen und wie sie dort verarbeitet werden, verdeutlicht er am Beispiel der sogenannten Geodaten und des Geomarketings, welche Irrwege Quartiersarbeit bzw. sozialräumliche Strategien in den unterschiedlichen Disziplinen gehen können, wenn es keine gesamtgesellschaftliche und stadtsoziologische Einbettung der Themen vor Ort gibt. Der Beitrag von Chantal Munsch analysiert, auf welche Weise bürgerschaftliches Engagement in lokalen Zusammenhängen Ausgrenzung reproduziert – auch dann, wenn die Partizipation möglichst vieler Menschen intendiert ist. Der Fokus der Analyse liegt dabei auf als universell gültig vorausgesetzten Formen öffentlicher Partizipation, welche jedoch v.a. den Engagementformen von Angehörigen der Mittelschicht entsprechen. Was dies bedeutet, wird zunächst anhand eines ethnografischen Beispiels erläutert. Die theoretischen Grundlagen für die Analyse bilden die feministische Kritik des Begriffs der Öffentlichkeit, den Ansatz der Dominanzkultur von Birgit Rommelspacher sowie der Begriff des Habitus von Pierre Bourdieu. Sowohl die soziale Ungleichheit als auch die kulturelle Diversität werden durch Migration stark beeinflusst. Im Kontext des Modells gesellschaftlicher Integration von Jürgen Habermas, das die Ebene der systemischen und sozialen Integration, also den Bezug zur Entwicklung der sozialen Milieus und der individuellen Lebensstile berücksichtigt, können diese beiden Aspekte sehr anschaulich analysiert werden. In Bezug auf die systemische Integration thematisiert Markus Ottersbach soziale Ungleichheit im Kontext von Bildung, Ausbildung und Arbeitslosigkeit. In seinem Beitrag diskutiert er soziale kulturelle Diversität vor dem Hintergrund der Sinus-Migranten-Studie und weiterer qualitativer Studien zur Lebenswelt von Menschen mit Migrationshintergrund. Erst vor dem Hintergrund dieser Analysen kann ein Aus-
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blick auf mögliche Maßnahmen der Sozialen Arbeit, die sich auf die Förderung der lebenswerten Stadt beziehen, gewagt werden. Die Rolle der Sozialen Arbeit als Integrationsinstanz zwischen Sozialpolitik und Lebenswelt, ist in unserer Auseinandersetzung als Herausgeber_innen zentral (Judith Knabe, Anne van Rießen, Rolf Blandow). In dem grundlegenden Beitrag sollen zunächst die Transformationen beschrieben werden, mit denen Soziale Arbeit und im Besonderen die Gemeinwesenarbeit konfrontiert sind. Neben der bereits von Jan Wehrheim beschriebenen Verräumlichung zeigt sich die klare Verantwortungsweitergabe sozialpolitischer Integration an die Akteur_innen vor Ort ohne die Strukturen ausreichend auszustatten. Eine historische Betrachtung der Entwicklungen am Beispiel Kölns soll grundsätzliche Grenzen und Probleme des Vorgehens und der programmatischen Zielsetzungen der verschiedenen föderalen Ebenen sowie der Akteur_innen der Sozialen Arbeit herausarbeiten. Abschließend werden Vorschläge für eine reflektierte und integrierte Vorgehensweise dargestellt. Lokale Governance-Konzepte unter aktuellen Bedingungen Im zweiten Teil des Bandes sollen nach einer theoretischen Grundlegung der derzeitigen gesellschaftlichen Bedingungen, die Herausforderungen auf der Ebene des Lokalen anhand der historischen Entwicklung sowie einzelner konkreter Praxisprojekte diskutiert werden. Im Beitrag von Herbert Schubert wird dazu zunächst einführend die Herausbildung des Modells der New Public Governance skizziert: Der neue Ansatz korrigiert das traditionelle Monopol der Öffentlichen Verwaltung, dessen hierarchische Autoritätsstrukturen die komplexen Entwicklungsprobleme kommunaler Sozialräume kaum noch zu lösen vermögen. Die New Public Governance überwindet seines Erachtens die ökonomische Engführung des Modells des New Public Management. Die Thematisierung und Verarbeitung lokaler Probleme nach der
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Governancelogik wird nicht mehr als Angelegenheit der Verwaltungshierarchie und der ökonomischen Steuerung verstanden, sondern findet in lokalen Netzwerken im dezentralisierten und polyzentrischen Zusammenwirken einer Vielzahl lokaler Akteur_innen statt. Exemplarisch wird das Beispiel der Bildungslandschaft angeführt und erläutert. Nicht erst seit den letzten Jahren, sondern bereits seit den 1990er Jahren sind die Städte und Stadtregionen in der Bundesrepublik Deutschland durch wachsende soziale Ungleichheit und zunehmende Heterogenität gekennzeichnet. Die globalen und nationalen Entwicklungen werden in unterschiedlicher Art und Weise in den Regionen und Gemeinden sichtbar. Als Antwort auf die nicht mehr zu verbergenden Armutstendenzen wurde unter der rot-grünen Regierung im Jahr 1999 das bereits erwähnte Programm ›Soziale Stadt‹ aufgelegt, das aus der damals bereits bestehenden und 1996 gestarteten Initiative der Länder hervorgegangen ist. Das Programm ›Soziale Stadt‹ implizierte eine auf Modellprojekten basierende Entwicklungsförderung benachteiligter Stadtquartiere. Mit dem Stadtentwicklungsansatz ›Soziale Stadt‹ wurden neue Steuerungsformen staatlichen und kommunalen Handelns auf der Grundlage integrativer Handlungsansätze implementiert. Es sollten: •
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kommunale Entwicklungsprobleme gebietsbezogen mit sektorübergreifenden, ganzheitlichen Lösungswegen gemeistert werden. Die integrierten Stadtentwicklungskonzepte mussten eine Stärkenund Schwächeanalyse der Stadt und der einzelnen Stadtteile beinhalten, realistische Ziele für die Stadt und für einzelne Stadtgebiete formuliert, ein koordinierter Mitteleinsatz durch Abstimmung und Bündelung öffentlicher und privater Finanzmittel realisiert werden, zusammen mit einer Leitbildentwicklung gebietsbezogene (sozial-) räumliche und ressortspezifische Pläne erstellt werden, unter der Prämisse des Local Governance-Ansatzes lokale Akteursgruppen beteiligt werden, die in einer interkommunalen Abstimmung Entwicklungsziele festzulegen hätten.
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Susanne Lang beschreibt in ihrem Beitrag die Grenzen und Möglichkeiten kommunaler Konzepte der Quartiersentwicklung aus einer historischen Perspektive. Mit dem Verzicht der Förderung ›harter‹ Politikfelder bei der neu aufgelegten Städtebauförderung – Bereiche wie die Beschäftigungsförderung und die Stärkung der lokalen Ökonomie sind nun vorrangig familien- und gesellschaftspolitischen Schwerpunktsetzungen gewichen –, stellt sich die Frage der Reichweite der ressortübergreifenden Zusammenarbeit auf Bundesebene. Im Zuge der Bewertung der Evaluationen des Programms ›Soziale Stadt‹ kritisiert die Autorin eine fehlende überministerielle Verankerung des Programms und bemängelt, dass die einzelnen geförderten Quartiere nicht die richtige Bearbeitungsebene für Probleme bundespolitischer Tragweite darstellen. Positiv beurteilt wird die städtebauliche Aufwertung der Programmgebiete, eine Verbesserung der sozialen und kulturellen Infrastruktureinrichtungen sowie eine – in Bezug auf die Erwartungen – kleine Zahl an neu geschaffenen, jedoch zeitlich befristeten Qualifizierungs- und Beschäftigungsmaßnahmen. Local Governance als zentrales Programmziel fordert ein stark vernetztes und kooperatives Vorgehen. Eine lokale Vernetzung bedeutet nicht zwangsläufig eine erhöhte Transparenz in Politik- und Verwaltungsabläufen. Sollten nicht mehr die demokratisch legitimierte Bürger_innenvertretung oder die eingesetzte Verwaltungsspitze, sondern undurchsichtige Abstimmungsgremien maßgeblich auf Entscheidungen Einfluss nehmen, sei dies eine kritisch anzumerkende Grenze im Sinne politischer Verantwortungsdiffusion. Um den Blick auf die praktische Umsetzung der integrierten Handlungsansätze zu richten und damit konkrete Chancen und Grenzen darstellen zu können, stellt Matthias Sauter in seinem Beitrag »Integrierte Stadt(teil)entwicklung durch den Einsatz von intermediären Sozialraumkoordinator_innen« die Erfahrungen mit dem Modellprojekt »Lebenswerte Veedel – Bürger- und Sozialraumorientierung in Köln« dar. Seit Ende der 1990er Jahre wächst die Zahl der Städte in Deutschland, die – in unterschiedlichen Variationen – gesamtstädtische und auf Dauer angelegte Reformansätze einer »integrierten Stadt(teil)ent-
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wicklung« und/oder einer »ämterübergreifenden Sozialraumorientierung« entwickeln und umsetzen. Übergreifendes Ziel ist es dabei, integrierte und sozialraumorientierte Arbeitsformen auch jenseits von einzelnen Modellprojekten (etwa im Rahmen des Bund-Länder-Programms ›Soziale Stadt‹) zu praktizieren und in den Regelstrukturen und -abläufen von Stadtverwaltung und Freien Trägern zu verankern. Ein besonders ambitioniertes Beispiel für diese Reformbestrebungen bietet die Stadt Köln mit dem 2005 gestarteten Modellprojekt »Lebenswerte Veedel – Bürger- und Sozialraumorientierung in Köln«, das im Mittelpunkt des vorliegenden Beitrags steht. Die Stadt Köln hat sich entschieden, das o.g. Modellprojekt vom Institut für Stadtteilentwicklung, Sozialraumorientierte Arbeit und Beratung (ISSAB) der Universität Duisburg-Essen zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten evaluieren zu lassen. Über die wesentlichen Inhalte und Befunde der zweiten Evaluation wird in diesem Beitrag berichtet. Dabei wird deutlich, dass das Projekt insbesondere mit Blick auf die Effekte in den Sozialraumgebieten als erfolgreich zu beurteilen ist. Durch die Stärkung der lokalen Kooperations- und Vernetzungsstrukturen sowie durch die vielfältigen Bestrebungen zur Optimierung der bewohnerorientierten Angebote und Hilfen leistet es nachweislich einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Lebensbedingungen der dortigen Bevölkerung. Ludger van Elten rundet den Beitrag mit einem Praxisbeispiel aus seiner Tätigkeit als Sozialraumkoordinator in einem Kölner Stadtteil ab. Aus der Sozialen Arbeit kommend, erläutert er anhand der konkreten Netzwerkarbeit, wie die Einbindung der sogenannten Sozialraumkoordinator_innen vor Ort ein Gesicht bekommt und welche Projekte und Effekte im Rahmen des Konzeptes »Lebenswerte Veedel« für den Stadtteil erarbeitet werden können. Ein weiteres Praxisbeispiel kommunaler Konzepte bietet Petra Stockdreher. Ihre ausführliche Darstellung des Münchener Vorgehens und dessen Steuerung, zeigt die Netzwerkstruktur und die Arbeitsweise von REGSAM. Das kommunal geförderte Netzwerk hat sich selbst unter das Motto ›Voneinander Wissen. Miteinander Handeln‹ gestellt.
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Sein Aufbau begann 1992. Heute bezieht es sich auf die gesamte Stadt und ist in 16 Stadtregionen tätig. Der Name, der Vorstellungen wie Aktivität, Betriebsamkeit, Beweglichkeit assoziiert, stellt das Akronym für »Regionalisierung Sozialer Arbeit in München« dar. Dabei war und ist der Begriff des Sozialen von den Urheber_innen weit über die Soziale Arbeit im engen Sinne hinaus gefasst und soll die Bereiche Soziales, Bildung und Gesundheit gleichermaßen umfassen. Der Beitrag geht auf das Zusammenwirken der verschiedenen Netzwerke ein und schließt ab mit einer Bewertung, wie sich das kommunale Handeln aus Sicht der daran Beteiligten darstellt. Kritische Reflexion des Status Quo und die Chancen für ein reflektiertes Vorgehen in der Praxis der Quartiersarbeit Der dritte Teil des Bandes möchte nun die Chancen der Quartiersarbeit und der unterschiedlichen kommunalen Handlungsansätze hervorheben und macht damit Vorschläge für eine kritische Betrachtung der eigenen Rolle Sozialer Arbeit im dargestellten Akteursgeflecht und sozialpolitischen Netz der Wohlfahrtsproduktion. Interessant ist, dass alle Beiträge sich mit dem Thema Partizipation befassen, obwohl dies bei der Planung des Bandes zunächst nicht intendiert war. Dies zeigt einmal mehr: das Thema Partizipation hat Konjunktur! Allen Menschen soll zunehmend die Option eröffnet werden sowohl stärker an kommunalen Prozessen zu partizipieren (z.B. bei Planungsprozessen, ›Runden Tischen‹) als auch in gemeinschaftlichen Lebensbereichen mitzuwirken (z.B. Vereine, Ehrenämter). Dabei geht die Konjunktur von Partizipation parallel einher mit zwei Tendenzen: Einerseits lässt sich nachzeichnen, dass der Begriff der Partizipation an begrifflicher Schärfe verliert; viele Beteiligungsoptionen sind Mitwirkungsveranstaltungen ohne Mitbestimmungsmöglichkeiten. Andererseits geraten Partizipationsprozesse eingebettet in postwohlfahrtsstaatliche Rahmungen mit Bezug auf eine Politik der Aktivierung leicht in
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den Verdacht, nur noch zum Zweck der Gemeinwohldienlichkeit durchgeführt zu werden. Die folgenden Beiträge reflektieren auf unterschiedliche Weise die Widersprüchlichkeit des Handelns in der Praxis des Quartiers. Reinhold Knopp und Anne van Rießen stellen die Bedingungen gelingender Partizipationsprozesse vor. In ihrem Beitrag zu sozialräumlichen Analyse- und Beteiligungsmethoden beschreiben sie die Möglichkeitsräume, die reflektierte Praxis bieten kann. Dazu stellen sie die Methoden zunächst dar, um sie anschließend anhand eigener Praxiserfahrungen in der Beteiligungsarbeit mit älteren Menschen in verschiedenen sozialräumlichen Bezügen und generationsübergreifenden Zusammenhängen die Möglichkeitsräume und Bedingungen für gelungene Partizipationsprozesse herauszuarbeiten. Werner Schönig beschreibt die Notwendigkeit zur Politisierung, dabei spricht er von Sozialarbeitspolitik in städtischen Armutsgebieten. Sein Beitrag skizziert die Möglichkeiten und Grenzen aktiven PolitikMachens in den Quartieren. Die dortige Bevölkerung ist aus verschiedenen Gründen wenig politisch aktiv (Verbalisierungsprobleme, Aufenthaltsstatus, generelles Politikverständnis u.a.). Ausgehend von George Dewey, den neuen Ansätzen des Community Organizings, der Gemeinwesenarbeit sowie der Gemeindeordnungen, werden gleichwohl Interventionsansätze für die Soziale Arbeit aufgezeigt. Der Beitrag von Janine Birwer unternimmt abschließend den Versuch, anhand der Aktionsforschung (aktivierende Befragung) eine kritische Annäherung an die Möglichkeiten und Grenzen der Gemeinwesenarbeit und ihrer Akteur_innen darzustellen. Hierfür werden zunächst der Aufbau, die Beteiligungsprozesse sowie Besonderheiten der aktivierenden Befragung am Praxisbeispiel einer aktivierenden Befragung zum Thema »Senior_innen« abgebildet. Aufbauend auf den Interaktionsprozessen und Erhebungsergebnissen in einem Kölner Stadtteil, beleuchtet die Verfasserin strukturelle Ebenen und diskutiert zivilgesellschaftliche Veränderungsprozesse. Hierbei werden die Zu-
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ständigkeiten, Anforderungen und Realitäten einer Sozialarbeiter_in in der Quartiersarbeit reflektiert. Wir hoffen, damit einen Beitrag zur kritischen Reflexion und zur Diskussion aktueller Ansätze zu liefern und bedanken uns nicht nur bei der Fachhochschule Köln für die Förderung der Tagung und der Publikation, sondern auch bei allen Beteiligten und Organisator_innen der Praxis, der Stadt Köln und den Autor_innen für die fruchtbare Zusammenarbeit. Besonders bedanken möchten wir uns bei Matthias Sperling für die Unterstützung bei Tagungsorganisation und Publikationsassistenz. Die Zusammenarbeit von Theorie und Praxis hat uns als Herausgeber_innenteam besonderen Spaß gemacht und verlangt nach Fortsetzung. Köln im Februar 2015 Anne van Rießen/Judith Knabe/Rolf Blandow Literatur Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUNBR) (2013): Soziale Stadt – Investitionen im Quartier. Verfügbar unter: www.staedtebaufoerderung.info (Zugriff am: 02.05.2014) Blandow, Rolf/Knabe, Judith/Ottersbach, Markus (Hg.) (2012): Die Zukunft der Gemeinwesenarbeit. Von der Revolte zur Steuerung und zurück? Wiesbaden.
Quartier – Stadt – Gesellschaft J AN W EHRHEIM
In verschiedenen Disziplinen boomt die Forschung zu Raum, Quartier, Sozialraum und vor allem boomt die entsprechende Thematisierung. Stadtentwicklungspolitik wird zunehmend als Quartierspolitik verstanden. Ein zentraler Hintergrund entsprechender Entwicklungen ist die (internationale) Diagnose zunehmender Segregation in Großstädten und die daran anschließende Diskussion über soziale Ausgrenzung und eine Urban Underclass, der zufolge aus benachteiligten Quartieren benachteiligende werden. Im Folgenden soll zunächst dargelegt werden, was unter den verschiedenen Bezeichnungen für die interessierenden sozial_räumlichen Gebilde – »Nachbarschaft«, »Quartier«, »Stadtteil/bezirk« – zu verstehen ist, um anschließend die entsprechenden Diskurse und sozialraumbezogenen Politiken und Praktiken gesellschaftlich zu kontextualisieren. Dabei soll verdeutlicht werden, warum die damit verbundene Raumorientierung reduktionistisch ist, sie auf eine Stadt- und Gesellschaftsvergessenheit verweist und (dadurch) die Steuerungsdimension vernachlässigt. Begriffe sozial_räumlicher Gebilde Nachdem der lokale Nahbereich im Zuge von Globalisierungsdiskursen nachrangig erschien, wird ihm inzwischen wieder eine wachsende Bedeutung zugeschrieben: Dies hat mindestens zwei miteinander ver-
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wobene Gründe: erstens wird (international) eine verstärkte Segregation diagnostiziert – i.d.R. in Folge von Tendenzen sozialer Polarisierung (für Deutschland jüngst: Gornig/Goebel 2013). Zweitens hat der sozial_räumliche Nahbereich sozialstrukturell unterschiedliche Relevanzen: Kinder und ältere Menschen sowie Personen mit niedrigem ökonomischen Kapital sind weniger mobil als Personen mittlerer Altersgruppen mit höherem Einkommen. D.h. gerade für die weniger mobilen Gruppen muss davon ausgegangen werden, dass die Nachbarschaft, das Quartier, der Stadtteil auch in Zeiten allgemein hoher Mobilität nach wie vor bedeutsam ist. Mit zunehmender Segregation entsprechender Gruppen würde sich diese Relevanz quasi auf der räumlichen Ebene verdichten: es wären bestimmte Nachbarschaften, Quartiere, Stadtteile in denen der lokale Nahbereich an Bedeutung gewinnt und es geht um besonders vulnerable Gruppen. Nachbarschaft, Quartier und Stadtteil sind jedoch nicht dasselbe und sie müssen sowohl differenziert werden, wenn es um die Alltagsrelevanz, als auch wenn es um politische Steuerung geht. Nachbarschaft ist ein weitgehend unbestimmter Begriff, dessen Assoziation mit Gemeinschaft heute empirisch nachrangig ist (vgl. den Überblick bei Schnur 2012, S. 452ff.). Bernd Hamm zufolge ist Nachbarschaft »eine soziale Gruppe, deren Mitglieder primär wegen der Gemeinsamkeit des Wohnortes miteinander interagieren« (Hamm 1973, S. 18), wobei in der weiteren Literatur zu Nachbarschaft stets unklar bleibt, ob mit der »Gemeinsamkeit des Wohnortes« das Mehrfamilienhaus, der Straßenblock oder eine Einheit, die alltagssprachlich eher als Stadtviertel bezeichnet würde, gemeint ist. Es geht aber gleichwohl um soziale Beziehungen auf einer räumlichen Basis, die in vormodernen Dörfern noch im Wesentlichen auf informellen Hilfesystemen basierten. Dies hat sich gravierend gewandelt: »[…] früher war Nachbarschaft eine räumliche Tatsache, die sich sozial organisiert, heute ist sie eine soziale Tatsache, die sich räumlich organisiert.« (Siebel 2009, S. 10). Walter Siebel weist damit darauf hin, dass die freie Wohnstandortwahl nicht nur im Vergleich zu früher eher möglich ist, sondern bei entsprechenden Ressourcen die Wahl unter anderem daran ausgerichtet wird, in
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Gegenden zu ziehen, in denen entweder schon Personen näher bekannt sind oder aber, die dadurch gekennzeichnet sind, dass zumindest Personen aus demselben Milieu dort wohnen. Es werden Wohnstandorte präferiert, die tendenziell sozial und kulturell homogen sind. Da informelle Nothilfesysteme heute kaum noch notwendig sind, geschweige denn sich auf räumlicher Ebene dauerhaft herausbilden, ist es diese auf Wahl und Freiwilligkeit beruhende Homogenität, die es wahrscheinlicher werden lässt, dass aus der notwendigen Bedingung »räumliche Nähe« auch »intensive soziale Beziehungen« als hinreichende Bedingung entstehen, um Nachbarschaft im Sinne von Hamm herauszubilden. Ob aus räumlicher Nähe (welche Ausdehnung auch immer damit gemeint ist) sowie sozialer und kultureller Homogenität auch tatsächlich enge Beziehungen entstehen, ist wiederum eine empirische Frage, die – so die alltäglichen Erfahrungen, dass räumliche Nähe eher Bestrebungen befördert, Distanz und Privatheit zu erhalten – nur selten mit »ja« zu beantworten ist. Der Quartiersbegriff knüpft hier unmittelbar an. Assoziationen mit Gemeinschaft und engen Beziehungen erfolgen jedoch weniger: »Ein Quartier ist ein kontextuell eingebetteter, durch externe und interne Handlungen sozial konstruierter, jedoch unscharf konturierter Mittelpunkt-Ort alltäglicher Lebenswelten und individueller sozialer Sphären, deren Schnittmengen sich im räumlich-identifikatorischen Zusammenhang eines überschaubaren Wohnumfelds abbilden«, so die Definition von Olaf Schnur (Schnur 2008, zit. in: Schnur 2012, S. 454). Er verweist darauf, dass das »neighboring«, als entsprechende sozial_räumliche Beziehungspraktik, bereits in der Definition enthalten und damit dem Begriff »Quartier« Vorrang vor »Nachbarschaft« einzuräumen sei (ebd.). Die Definition bleibt gleichwohl – dem Gegenstand geschuldet – so unscharf wie ihr »Mittelpunkt-Ort«: auch hier bleibt die physisch-räumliche wie die soziale Ausdehnung unklar (»überschaubar«), ebenso wie das Verhältnis von »individueller sozialer Sphäre« zur sozialen Konstruktion. Mit Schnur ist gleichwohl zu betonen, dass »Quartier« der Begriff ist, mit dem am ehesten sozial ein stadträumliches Gebilde beschrieben wird, dass in Alltagspraktiken
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und diskursiven Prozessen als solches konstruiert wird und physischräumlich ein Gebilde, dass zumindest irgendwo zwischen Wohngebäude und Stadtbezirk zu verorten ist. Trotz der Unschärfe erscheint der Quartiersbegriff also derjenige zu sein, der am ehesten geeignet ist, wenn es darum geht, über Lokalität mitgeprägte soziale Beziehungen zu analysieren. Insbesondere ist er vom Begriff und vom sozial_räumlichen Gebilde des Stadtbezirks/Stadtteils abzugrenzen: Stadtteile bezeichnen die administrativ definierten Raumausschnitte einer Stadt, vergleichbar mit Postleitzahlendistrikten oder Wahlbezirken; soziale Beziehungen der Bewohner_innen oder Nutzer_innen sind hier unbedeutend. Es liegen den Begriffen und Gebilden also unterschiedliche Prozesse der Produktion und Konstruktion von Raum zugrunde (zur Unterscheidung von Produktion und Konstruktion vgl. Wehrheim 2009, S. 17ff.): Während es bei Stadtteilen, vereinfacht gesagt, die herrschaftlich politisch-administrativen und planungs-/baurechtlichen Setzungen sind, die Räume mit produzieren, sind es bei der sozialen Konstruktion von Quartieren Diskurse und intersubjektive Zuschreibungen sowie Alltagspraktiken der Nutzer_innen eines städtischen Ortes, der so erst als Quartier mit entsprechenden Grenzziehungen und Be-Deutungen als solcher geschaffen wird. Beide Prozesse – die Produktion und die Konstruktion – beeinflussen sich wechselseitig und sie sind jeweils stadtentwicklungspolitisch und alltagspraktisch handlungsrelevant: Kommunalpolitik etwa orientiert sich eher an quantitativ vorliegenden Sozialindikatoren auf der Ebene administrativ definierter Stadtteile, während etwa Wohnstandortentscheidungen eher an Images von Quartieren ausgerichtet werden. Segregation bzw. die Darstellung und Vorstellung von Segregation sind ein Teil entsprechender Raumproduktionen und -konstruktionen und daran orientieren sich Kommunalpolitiken ebenso wie Alltagspraktiken von Stadtbewohner_innen. Die Thematisierung von Segregation sozial unterprivilegierter Gruppen bzw. die Konstruktion sozialräumlicher Probleme greift dabei – mit durchaus verschiedenen Konnotationen – sozialwissenschaftlich begründete Diskussionen auf.
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Segregation, Urban Underclass und Verbindungen von Raum mit »devianter« Kultur Mitte der 1990er Jahre tauchte die Diskussion um eine New Urban Underclass prominent in der deutschen Stadtsoziologie und Ungleichheitsforschung auf (vgl. das Heft 1 des Leviathan 1997) und lieferte damit nachträglich einerseits eine wissenschaftliche Bestätigung für die seit den 1980er Jahren in deutschen Städten politisch markierten »sozialen Brennpunkte«. Mit dem Vorbild US-amerikanischer Städte und teilweise französischer Banlieues wurde andererseits auch die Basis für die etwa seit der Jahrtausendwende einsetzende politische und mediale Dramatisierung gelegt. 1 Eine stadtteil- und quartiersorientierte Politik wurde damit weiter forciert. Die Underclass sei erstens neu, weil sie inmitten von Zentren des Reichtums und ökonomischer Prosperität auftrete. Sie sei zweitens urban, weil es eine spezifisch städtische Ausprägung von Armut sei, die sich räumlich konzentriert zeige und verstärke, und drittens sei von einer Underclass zu sprechen, weil sie auf eine besondere Qualität der sozialen und ökonomischen Marginalisierung verweise. Die Underclass zeige eine im Fordismus bereits als überwunden angesehene Härte von Armut, die gerade nicht nur Unterschichtung, sondern auch Ausgrenzung aus gesellschaftlichen Teilbereichen und soziale Isolation bedeute (Häußermann 1997). Die USamerikanische Diskussion, die hierfür grundlegend war (und in weiten Teilen der Politik nach wie vor ist), teilte sich in eine mit dem Namen Charles Murray verbundene konservative und eine vor allem durch William Julius Wilson geprägte sozialdemokratische Variante. In der Diagnose der räumlich konzentrierten Armut in Großstädten unterschieden sich beide nicht. Sie unterscheiden sich allerdings deutlich in der Frage, ob Devianz oder eine als abweichend definierte und vermeintlich sozialstaatlich alimentierte »Kultur der Armut« die Ursache (Murray 1984) oder aber die Folge (Wilson 1987) dieser räumlichen
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Zur internationalen Verbreitung des »Konzepts« Underclass in Tageszeitungen vgl.: Theodore 2010.
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Konzentration sei: also, ob die Armen selbst schuld seien oder aber ihre Situation durch strukturellen (ökonomischen) Wandel und Diskriminierung verursacht sei. Unzählige internationale Studien und Publikationen folgten. In der deutschen Stadtsoziologie und Ungleichheitsforschung setzte sich anstelle des Begriffs der Underclass der der sozialen Ausgrenzung resp. der Exklusion durch. 2 Die Unterscheidung wurde insbesondere eingeführt, um auf die Mehrdimensionalität und auf die Prozesshaftigkeit von Ausgrenzung zu verweisen, für die der statische und hierarchische Klassenbegriff unpassend sei (maßgeblich: Kronauer 2002). Mehrdimensionalität bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Fragen der Teilhabe und Ausgrenzung sich nicht einfach auf Arbeits- und Wohnungsmärkte beschränken. Es geht um rechtliche Teilhabe (vom Wahlrecht »legaler« Migrant_innen über eine de facto Rechtlosigkeit »illegalisierter« Migrant_innen bis hin zu einer punitiven Ausgrenzung, d.h. zu einer erneuten Verschärfung der grundsätzlich vorrangigen Behandlung unterer sozialer Schichten durch das Strafrecht). Es geht um ökonomische Teilhabe, um Ausgrenzung aus Bildungsprozessen und um soziale Netzwerke, die kleiner und homogener würden. Trotz dieser Multidimensionalität, die auf diverse strukturelle Veränderungen und Bedingungen verweist, dominiert in der Diskussion und in der Kommunalpolitik neben dem Arbeitsmarkt eine Dimension: die des Raumes. Der Raum, das Wohnquartier würde zum Ort, an dem sich Ausgrenzung verstärke und diese weiter befördere. Neben dieser eigenständigen Dimension »Raum« – bei Raum interessiert die Lage innerhalb der Stadt und zu nachgefragten Gütern, das Image des Quartiers oder auch das Quartier als Ort der Sozialisation – werden zudem die übrigen Dimensionen verstärkt als räumliche begriffen: lokale Ökonomien oder Arbeitslosigkeit aufgrund des »falschen« Wohnortes, Schulen in ihrem räumlichen Bezug, Netzwerke, die aufgrund der lokalen Orientierung homogen seien, Devianz und Kriminalität die ätiologisch sozialräumlich erklärt werden, … Aus der neuen und empirisch
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Zur begrifflichen Vielfalt detaillierter: Wehrheim 2008.
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gut begründeten These, dass hinsichtlich Armut, Underclass, Ausgrenzung seit den 1980er Jahren eine neue Dimension neben anderen dazu kommt: Wohnort, Quartier, Stadtteil, Raum, wurde kommunalpolitisch, sozialarbeiterisch und in der Forschung zunehmend die zentrale Dimension, die die anderen verdrängte bzw. vereinnahmte und neben Programmen der »aktivierenden« Arbeitsmarktpolitik und in Verbindung damit auftrat und -tritt. Der Befund, aus benachteiligten Quartieren können benachteiligende Quartiere werden, wurde politisch so dominant, dass Interventionen und das heißt politische und mediale Diskurse und daran anknüpfende Maßnahmen – vom mittlerweile geschrumpften Bund-Länder-Programm ›Soziale Stadt‹, über sozialraumbezogene Soziale Arbeit, kommunale Kriminalprävention bis hin zu Quartiersschulen – raumorientiert erfolgen. Der Raumbezug begründet dabei nicht nur (alleine) die Ursachen der Probleme, sondern er wird auch als Lösung präsentiert: Das Quartier soll nicht nur therapiert werden, sondern es wird zur Therapie, wie Verena Schreiber treffend einen Aufsatz überschreibt (Schreiber 2012). Indem Teile der Sozialforschung und die Praxis von Quartiersmanagement oder Sozialer Arbeit sich gerade über solche Raum- und Underclassbezüge finanzieren können, sie nachfragen und fordern, und damit die entsprechenden Entwicklungen ohne bösen Willen befördern, überrascht dieser Raum-Reduktionismus nicht: Nicht Regelungen der Staatsbürger_innenschaft müssen dann geändert, nicht Leistungen der und Ansprüche auf Sozialhilfe verbessert, nicht die für soziale Anerkennung nach wie vor entscheidende Arbeitsmarktorientierung hinterfragt, nicht in Immobilienmärkte interveniert oder der Abbau des sozialen Wohnungsbaus gebremst, nicht racial profiling und selektives Policing kritisiert werden. Strukturelle Hintergründe und Entwicklungen, die weniger Chancen auf politische durchsetzbare Interventionen bieten, können unberührt bleiben. Dabei würde all dies nicht einmal verlangen, kapitalistisch organisierte Gesellschaften, Herrschaftsstrukturen oder Rassismus grundsätzlich zu hinterfragen. Die damit verbundene Verdinglichung des Sozialen über Raum (zur Kritik vgl. v.a. Bernd Belina in zahlreichen Publikationen) erfolgt
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dabei allerdings keineswegs so unmittelbar wie angedeutet. Containerraumkonzepte dominieren zwar nach wie vor die Stadtplanung und den Städtebau, aber auch in den Disziplinen, in denen konstruktivistische Ansätze in Bezug auf Raum populär sind, befördern unbewusst meist nur entsprechende falsche Abstraktionen. Um es mit einem eingängigen Beispiel aus den Vorlesungen von Siebel zu verdeutlichen: ob ich einen Menschen küsse oder schlage ist nicht darin begründet, dass ich ihm räumlich nah bin. Letzteres ist lediglich die Voraussetzung dafür, sowohl das Eine als auch das Andere tun zu können – und meist passiert beides nicht. Auch wenn der Raum als konstruierter betont wird und auf soziale Beziehungen in Quartieren abgehoben wird, so dominiert meist die räumliche Bearbeitung sozialer Phänomene. Hintergrund dessen ist einerseits die räumliche Konzentration der als Probleme definierten Menschen und Verhaltensweisen und andererseits die Annahme, entsprechende Kontakte und lokale Situationen beeinflussten die Entwicklung der Quartiere (und Menschen) negativ. Es geht also um Urteile zu Kompositions- und Kontexteffekten. Ersteres dominiert, wenn es etwa darum geht, sozialstaatliche Ressourcen zielgerichtet einzusetzen, letzteres, wenn sozialraumbezogen das Quartier selbst bearbeitet wird.3 Insbesondere wenn es um Thesen der Kultur der Ar-
3
Ein aktuelles Beispiel dafür, dass das Quartier/der Raum interessiert und nicht die »Probleme« resp. die betroffenen Menschen, zeigt sich aktuell in der Dortmunder Nordstadt: So genannte »Schrottimmobilien« und »Problemhäuser«, die von Migrant_innen aus Bulgarien und Rumänien unter dramatisch schlechten Bedingungen und zu ausbeuterischen Mietpreisen bewohnt werden, werden von der Stadt Dortmund aufgekauft. Sie werden anschließend jedoch nicht, wie etwa bei einem Berliner Modellprojekt zusammen mit den Migrant_innen saniert und durch diese wieder bewohnt (und damit ihre Lage ggf. von absoluter zu zumindest relativer Armut verbessert), sondern sie sollen zukünftig als Studierendenwohnheime dienen. Eine Praxis, die, intendiert oder nicht, vergleichbar Hamburg Wilhelmsburg, Gentrification initiieren soll oder kann (ob diese mittelfristig auch erfolgt, hängt jedoch von vielen Faktoren ab).
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mut geht bzw. um Devianz und strafrechtlich möglicherweise relevante Handlungen, reichen die Erklärungen aber selten über den der Dramatisierung dienenden und nun verräumlichten »Trugschluss« der Mehrfaktorenansätze, »Böses verursacht Böses« (Cohen 1968, S. 223), hinaus 4 . Sie verweisen aber damit lediglich indirekt auf Vorstellungen einer »guten« Ordnung, die nicht gegeben sei. Weder interessieren dabei strukturelle Hintergründe von Ungleichheiten und Herrschaft, noch, dass gerade die Orientierung an der Mehrheitskultur vorherrscht, und vor allem nicht, dass es Zuschreibungs- und Bewertungsprozesse sind, welche der in allen Milieus vorhandenen kulturellen Besonderheiten als deviant gelten (vgl. Young 2001). Konflikttheoretische Überlegungen werden nicht angestellt. Wieso aber sollen sich nur bestimmte Personengruppen herausnehmen dürfen, das zu essen, was sie möchten? Wieso wird bei öffentlichem Konsum von Rotwein aus Tetrapacks morgens um 10:00 ordnungspolitisch interveniert und Alkoholismus vermutet, beim Konsum aus dem Barrique in italienischen Restaurants abends um 22:00 jedoch nicht? Warum wird auf als Straßenraub bezeichneten Handlungen mit raumbezogenen polizeilichen Schwerpunktprogrammen reagiert, die räumliche Konzentration von Banken in Teilen Frankfurts aber nicht als Risiko für den privaten und öffentlichen Geldbeutel gedeutet? Wieso werden bei der Unterschicht die Sexualmoral und teenage pregnancy kritisiert, während gerade das Bildungsbürgertum mit Elterngeld zur Fortpflanzung verleitet werden soll und Hormontherapien jenseits der 40 von Krankenkassen teilfinanziert werden, obwohl sie im Erfolgsfall genauso Risikoschwangerschaften produzieren wie eine als mangelhaft diszipliniert gelabelter Lebensführung während »normaler« Schwangerschaften? Der Streit der US-
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Dabei schreiben sie sich scheinbar unendlich fort: Wird die Annahme über Zusammenhänge von Raum und Kriminalität statistisch nicht bestätigt, führt dies nicht zu Aufgabe der Annahme. Vielmehr wird an ihr festgehalten und betont, weitere Differenzierungen seien vorzunehmen, weitere Variablen zu berücksichtigen (jüngst etwa Kunadt 2013 in einer Studie über Duisburg).
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amerikanischen Underclassdiskussion, ob Devianz nun »cause or effect of being poor« (Auletta 1982, 31; Herv. i. O.) sei, ignorierte jeweils definitions- und konflikttheoretische Befunde zur Entstehung von Normen, zur Bedeutung von Macht bei Zuschreibungsprozessen und zur schichtenspezifischen Selektivität des Strafrechts, das – wie vielfach belegt – gerade über die Bewertung der Lebensführung indirekt greift. Auch ignoriert sie, dass »Kriminalität« – so unerfreulich und gelegentlich fürchterlich sie sein mag – regelmäßig auf Bewältigungsstrategie der »Täter_innen« und auf Konflikte verweist. Die Kulturalisierung der Underclass wird sowohl in den konservativen wie in den sozialdemokratischen Ansätzen betrieben. Über die Tautologie der über Kultur definierten und erklärten Klasse werden Ökonomie und Herrschaftsverhältnisse irrelevant und über Devianz wird Schuld zugeschrieben und individualisiert. Die Kulturalisierung ist damit neben der Verräumlichung die zweite Dimension, in der strukturelle Ursachen verdeckt werden. Kulturalisierung von Armut und Verräumlichung greifen ineinander und bewirken eine vermeintliche Homogenisierung der Räume und Gruppen. Die einseitige Verräumlichung und Kulturalisierung Die kommunalpolitischen und diskursiven Verräumlichungen und Kulturalisierungen greifen jedoch nicht generell: Es geht nur um die Quartiere der Armen und der Migrant_innen. Nicht die Bewohner_innen von Hamburg Blankenese oder Essen Bredeney werden in ihren kulturellen Besonderheiten thematisiert, sondern die im Osdorfer Born von Hamburg oder die aus Essen Katernberg – gerade so, als seien sie eine homogene Gruppe (selbst wenn sie unterschiedliche Lebensstile, Geschlechter etc. haben und über 100 Nationalitäten und dutzende Sprachen vertreten sind). Das heißt auch, nicht die mit den exklusiven Adressen verbundenen Lokalisations- und Rangprofite (Bourdieu 1991) und Distinktionspraktiken der Mittel- und Oberschichten werden problematisiert. Ebenso wenig geht es um die (manchmal lokal verorteten) familialen und beruflichen Netzwerke der
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Besserverdienenden, innerhalb derer auch Kontakte und Informationen über Anlagestrategien und »Steuertricks« ausgetauscht sowie besondere Sinnprovinzen produziert und geteilt werden. Auch der weit verbreitete Konsum illegaler Drogen in der Mittel- und Oberschicht wird politisch und medial nicht verräumlicht und als Teil ihrer Kultur definiert oder eine soziale (oder sogar genetisch bedingte) Vererbung angenommen. Und mit Mauern abgeschottete Wohnkomplexe und Gated Communities, die Ausdruck und Motor gesellschaftlicher und städtischer Spaltungsbestrebungen sind, werden bestenfalls im Feuilleton überregionaler Tageszeitungen besprochen. An soziale Beziehungen und Netzwerke innerhalb von Unterschichtsquartieren werden zudem andere Anforderungen gestellt: Obwohl Mittel- und Oberschichtsquartiere sich ebenso wenig durch besonders enge – auf einer räumlichen Basis bestehenden – Kontakte oder lokale Vereinsaktivitäten auszeichnen, werden entsprechende Aspekte für die Defizitdiagnose bei den Quartieren der unteren Schichten herangezogen (vgl. van Eijk 2012): »collective efficacy« sei schwach, mangelnde informelle soziale Kontrolle sei Ausdruck sozialer Desorganisation und führe zu Straftaten – so die viel beforschten Annahmen seit Shaw und McKay (vgl. für einen Überblick etwa Oberwittler 2013). Gwen van Eijk (2012) zeigt jedoch, dass die damit unterstellte soziale Distanz in den benachteiligten Quartieren, wie sie auch in Interviews in Verfalls- und Problemnarrativen zum Ausdruck kommt oder standardisiert abgefragt wird, in den Alltagspraktiken nicht zwangsläufig wiederzufinden ist. Wenn hingegen umgekehrt auf intensive Beziehungen zwischen den Bewohner_innen abgehoben wird, dann geschieht dies ebenfalls stigmatisierend: sie lernten (auch durch fehlende »positive« Rollenvorbilder) voneinander nur Devianz und fehlendes Arbeitsethos und/oder bildeten gleich eine ghettoisierte »Parallelgesellschaft« heraus (zu Kritik hinsichtlich der Begriffe vgl. Gestring 2011). Die Armen und die Migrant_innen machen es immer falsch: Haben sie im Quartier wenig miteinander zu tun, fördere dies über schwache informelle Kontrolle und fehlende gemeinsame Normen
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die Kriminalität. Haben sie hingegen viel miteinander zu tun, drohe die als kriminell konnotierte Parallelgesellschaft. Die Diskussion über Quartiere ist eine einseitige und stigmatisierende. Ursachen und Lösungen werden dabei weder auf der Ebene von Gesellschaft diskutiert, noch in Bezug auf Stadt. Große Städte sind aber nicht nur ein Spiegel der Gesellschaft, sondern die »soziale Lage« von Quartieren ist auch nur dann zu verstehen, wenn sie in Bezug auf die übrigen Teile der Stadt analysiert wird. Entwicklungen von Immobilienmärkten und Investitionsstrategien etwa betreffen – wie Prozesse der Ketten-Gentrification zeigen (Holm 2011) – genauso gesamtstädtische Prozesse wie die standort- und ordnungspolitisch motivierte Vertreibung sozialer Randgruppen aus den »Visitenkarten« der Städte in die Quartiere, in denen das politische Kapital nicht ausreicht, sich ebenfalls gegen die als unliebsam bedeuteten Gruppen zu wehren. Gesellschaft, Monitoring und die einseitige Steuerung über Raum Wenn die hier formulierte These richtig ist, eine Leistung der Kulturalisierung und Verräumlichung bestehe darin, gesellschaftliche Verhältnisse aus dem Blick geraten zu lassen, dann müssen neue Fragen gestellt werden: Die Frage danach, inwieweit Gesellschaft über Raum gesteuert (oder in Foucaultscher Terminologie: regiert) wird und wie dies in Bezug auf die sozial_räumlichen Gebilde »Quartier« und »Stadtteil« vonstattengeht. Folgen der beschriebenen Entwicklung sind zunächst, dass es primär um Raum und nicht mehr um Gesellschaft geht und Steuerung daran anknüpft. Den »benachteiligten Quartieren und ihren Bewohner_innen« wird, so schreibt Sabine Stövesand (2007), »unter dem Label der ›Aktiven Stadtteilentwicklung‹ (früher: ›soziale Stadtteilentwicklung‹), immer mehr Verantwortung für die Stabilisierung und Verbesserung der lokalen Verhältnisse zugeschrieben […], während die zur Verfügung gestellten Mittel recht bescheiden bleiben. […] Die eine oder andere Million mehr für die Stadtteilentwicklung würde aber
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auch nicht auffangen, was übergreifende Politiken wie die Demontage der sozialen Sicherungssysteme, die Deregulierung des Arbeitsmarktes oder die Kommodifizierung im Wohnungssektor anrichten.« Hinter dem Abstraktum »Raum« verschwinden die gesellschaftlichen Verhältnisse und das Quartier oder der Stadtteil bleibt als Ursache und Lösung für »Probleme« übrig. Wenn es weiter darum geht, zu analysieren wie sozial-, ordnungsund kriminalpolitische sowie städtebauliche Interventionen in städtischen Teilräumen geschehen – und damit wie Steuerung über Raum funktioniert – so dienen die politisch-administrativ definierten Stadtteile in der Regel als Basis für die Diagnose, während für die Therapie eher die Quartiersbegrifflichkeit gewählt wird. Spätestens seit Beginn des Bund-Länder-Programms »Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – ›Soziale Stadt‹ 1999 legten sich zahlreiche Kommunen »soziale Brennpunkte« zu, um entsprechende (auch EU-)Fördermittel zu erhalten – die »soziale Realität« in den Fördergebieten unterschied sich gleichwohl oftmals deutlich. Zuvor waren bereits mit dem neuen Kinder- und Jugendhilfegesetz Weichen in Richtung Sozialraumbezug gestellt worden, um lokale Lebensbedingungen zu verbessern und die Begrenzung von Ressortzuschnitten zu überwinden (und Kosten zu sparen). Basis für die Definition entsprechender Gebiete, d.h. auch für die Beantragung von Fördermitteln und für die Gebietsabgrenzung, sind üblicherweise standardisierbare »Aufmerksamkeitsindikatoren« (so die Bezeichnung beim Social Monitoring in Hamburg): ALG-II-Empfänger_innen, Anteil Jugendlicher mit Migrationshintergrund, Anteil allein Erziehender etc. Als standardisierte Massendaten liegen diese Daten jedoch immer nur in Abhängigkeit von den gewählten Raumausschnitten vor. Entsprechend »herrschaftlich« produzierte Räume und Grenzen müssen jedoch keineswegs mit sozial konstruierten und alltagspraktisch relevanten Quartieren übereinstimmen. An jenen orientiert sich aber die Mittelvergabe: ab einer Straßenkreuzung, ab einem Park oder ab einer bestimmten Koordinate fließt dann kein Geld mehr.
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Die semantische Schnittmenge zwischen diesen Zugängen – eher quantitativ über den Stadtteil oder eher qualitativ über das Quartier – bildet Quartiersmanagement: Zuständigkeiten werden zwar i.d.R. administrativ-politisch auf Basis quantitativer Massendaten festgelegt, die Akteur_innen operieren jedoch gleichwohl mit der eher bewohner- und handlungsbezogenen Begrifflichkeit »Quartier«. Die »Therapie« für die Quartiere, die zweifelsohne in vielen Fällen für Bewohner_innen auch Hilfestellungen und Verbesserungen brachten, ist also durchaus ambivalent. Nicht nur basiert sie zunächst auf im Kontext von kulturellen Underclassannahmen interpretierten statistischen Daten zu Raumeinheiten, die nur näherungsweise mit den örtlichen Gegebenheiten kongruent sind. Sie verstärken auch über Imageproduktionen die Konstruktion als Problemquartier und sie greifen dieselben Problemdefinitionen wieder auf und verstärken sie. Das wie auch immer begrifflich umschriebene Label »Problemquartier« verdichtet sich. Dabei orientieren sich die sozialräumlichen Programme einerseits an klassischen Mittelschichtsnormen und Moralvorstellungen wie sie kommunitaristische Ansätze prägen, während sie andererseits neoliberalen Steuerungsmodi entsprechen (vgl. Lanz 2009). Die Begriffe und Praktiken der »Aktivierung«, des »Förderns und Forderns« und der »Bürgergesellschaft« greifen ineinander und verbinden Kommunitarismus und Neoliberalismus. Im Kontext des »aktivierenden Staats« werden Stadtteilentwicklung mit Sozial- und Arbeitsmarktpolitik kombiniert. Damit werden klassische quartiersbezogene Ansätze etwa der Gemeinwesenarbeit neu kontextualisiert. Emanzipatorische Ansätze aus den 1970er Jahren sind insofern dahingehend zu hinterfragen, welche Steuerungsfunktion sie in den 2010er Jahren übernehmen. In der Praxis führen etwa auch die traditionellen Ansätze der Aktivierung unterprivilegierter sozialer Gruppen unter den neuen Rahmenbedingungen eines verstärkt neoliberalen Wohlfahrtsstaatsmodells dazu, dass sie immer weniger politische Aktivierung bedeuten, als vielmehr Individualisierung, Betonung von Eigenverantwortung und workfare. Über die Verbindung mit dem Quartier tritt dabei neben die Eigenverantwortung die Steuerung über »Community«, welche erst planerisch oder pädago-
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gisch geschaffen werden soll (Rose 2000). Sozial_räumlich ausbuchstabiert verschwinden somit auch Ansprüche und Notwendigkeiten auf Ausgleich zwischen Klassen und ihren Quartieren: »Das Regieren mittels community flankiert und korrigiert das neoliberale Regieren über den Markt und stellt der schnöden Moral des unternehmerischen Selbst eine auf Gegenseitigkeit beruhende Gemeinschaftsethik zur Seite« (Stövesand 2007). Für die Auswahl der Räume und damit für das »Governing through space« (Belina 2006) werden zunehmend immer mehr statistische Daten herangezogen. Monitoring ist ein genuiner Steuerungsprozess (vgl. Krasmann 2004) und ohne Massendaten keine neoliberale Gouvernetmentalität. Stadtentwicklungsbehörden gehen dabei zunehmend über die typische Sozialstrukturdaten und »Aufmerksamkeitsindikatoren« hinaus und binden immer mehr Daten in das Monitoring ›Soziale Stadt‹ für immer differenziertere Raumeinheiten ein (siehe Tabelle 1): Geographisch verortete Daten zu Gesundheit, Sicherheitsempfinden, polizeiliche Kriminalitätsstatistiken werden inzwischen von jeder vierten bis fünften Großstadt für Stadtplanung und kommunalpolitische Programme genutzt. Bei Daten zur Wohneigentumsquote sowie zur Umweltbelastung sind es sogar jede Dritte bzw. 2/3 der Großstädte. Tabelle 1: Nutzung von Geodaten bei Stadtentwicklungsbehörden* aktuelle
geplante
keine Nut-
Nutzung
Nutzung
zung
Daten zur Umweltbelastung
66,7
5,9
27,5
Daten zur Gesundheit
23,9
6,5
69,6
Daten zur Wohneigentumsquote
30,6
4,1
65,3
Daten aus dem Bereich Geomarketing
15,9
0,0
84,1
Notrufdaten
9,1
0,0
90,9
Daten zu Ordnungswidrigkeiten
11,1
4,4
84,4
Daten aus der polizeilichen Kriminalstatistik
22,9
4,2
72,9
Daten zum Sicherheitsempfinden
25,0
2,1
72,9
Datenart (alle Angaben in Prozent)
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* Eigene Erhebung im Rahmen der Studie »Geodaten, Policing, Stadtentwicklung« (Thyssenstiftung 2011; Lars Frers, Susanne Krasmann, Jan Wehrheim). Befragt wurden Behörden der Stadtentwicklung in allen 80 deutschen Städten über 100.000 Einwohner_innen (Rücklaufquote der Fragebögen 68,3 %). Durch Rundungen nicht immer 100 %. In Großbritannien ist eine solche an Milieustudien orientierte Kartographie bereits deutlich weiter fortgeschritten. So definiert etwa das Unternehmen ACON elf räumlich und lebensstilistisch begründete Milieus: Symbols of Success, happy families, suburban comfort, ties of community, urban intelligence, welfare borderline, municipal dependency, blue collar enterprise, twilight subsistence, grey perspectives, rural isolation (vgl. Burrows 2008, S. 226ff.). Kern dieser sozialräumlich definierten Milieus sind aggregierte Daten über Konsumgewohnheiten, die zunächst für Geomarketing5 gedacht waren. Aber nicht nur klassische Stadtentwicklungsbehörden greifen auch dank veränderter technischer Möglichkeiten dazu, mittels General Position Systems (GPS) Geocodierungen vorzunehmen oder mittels Geographic Information Systems (GIS) immer neue Datenbestände zu kartographieren: Auch wenn dies in Deutschland noch ein randständiges Phänomen ist, so planen aktuell gut 90 % der Polizeien in deutschen Großstädten, geocodierte Daten zu Kriminalität, Sozialstruktur, Notrufen etc. für Einsatzplanung oder polizeiliche Schwerpunktprogramme zu nutzen (Frers et al. 2013). Neben verräumlichte Stadt- und Sozialpolitik treten immer neue Spielarten verräumlichter Ordnungs- und Kriminalpolitik (Wehrheim 2012).
5
Geomarketing beruht auf geocodierten Massendaten. D.h. für die Standortoder Angebotsplanung von Unternehmen oder auch für Werbung werden Daten ortsbezogen erfasst und räumlich aggregiert. Einen sehr plastischen Eindruck über Potentiale und Ideen bietet der preisgekrönte Artikel von Max Rauner »Die Merkels von nebenan« aus der »Zeit«: www.zeit.de/zeitwissen/2006/06/Geo-marketing.xml [2014-05-30]
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Auch wenn die über Massendaten konstruierten sozial_räumlichen Einheiten immer ausgefeilter und kleinräumiger werden, so verweisen Slater/Anderson (2012) zurecht auf einen »tautological index war«: Wie bei der Underclass dienen dieselben Merkmale, die zur Beschreibung herangezogen werden, auch der Erklärungen (und Therapie). Variablen, die als Indikatoren für »Probleme« definiert werden (manche Formen des Konsums, allein Erziehende, Kriminalitätsereignisse, Gesundheit etc. pp.), werden aggregiert und entsprechende Kumulationen gelten dann als Erklärungen dafür, warum das statistisch identifizierte Gebiet »problematisch« ist. Die Verräumlichung und Kulturalisierung der Unterprivilegierten erfolgt auch statistisch. Privatwirtschaftliche Quartiersmanager:innen oder auch Akteur_innen kommunaler Sozialrt Arbeit intervenieren dann ebenso, wie Maßnahmen baulicher Veränderungen ergriffen werden. Über entsprechende Interventionen und Zuschreibungen zu Quartieren werden gleichwohl Vorstellungen über Quartiere (re-)produziert. Auch wenn die formalen Stadtteilgrenzen dabei primär hinsichtlich der Finanzierung relevant sind, reproduzieren auch die stärker auf soziale Beziehungen und Netzwerke ausgerichteten Quartiersansätze entsprechende Images. Dies alles erscheint letztendlich funktional: zwar werden selten die »tatsächlichen« Probleme behoben, wohl aber können sich politische Akteur_innen als handlungsfähig und -willig inszenieren, Raum kann als Steuerungsmodus implementiert werden und gleichzeitig wird von Herrschaftsverhältnissen und Ausschließungspraktiken sowie von innerstädtischen Zusammenhängen abstrahiert. Statt Teilhabe und Rechte in den Vordergrund zu stellen, werden die Individuen und die vermeintlich lokalen Communities in die Pflicht genommen, Folgen von Umstrukturierungen der Wohlfahrtsstaaten, Deindustrialisierung, Diskriminierungspraktiken und Ökonomisierung von Gesellschaft auszugleichen. Da dies nicht gelingen kann, ist das Ergebnis die Verlagerung von Verantwortung und Schuld.
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Quartiersentwicklung – Ausgrenzung C HANTAL M UNSCH
Bürger_innenbeteiligung bei der Entwicklung von Quartieren scheint zu einem allgemein akzeptierten Standard geworden zu sein. Dies zeigt sich u.a. bei Bürger_innenbeteiligungsverfahren bei Stadtplanungsprozessen, im Quartiersmanagement, bei lokalen Initiativen, neuen Formen wie Stadtteilgärten oder ganz allgemein bei der Forderung nach mehr bürgerschaftlichem Engagement. Während zumeist die partizipativen Aspekte der genannten Ansätze und Beteiligungsformen betont werden, legt der folgende Beitrag den Fokus auf Ausgrenzungsprozesse. Ziel des Beitrages ist es nachzuzeichnen, auf welche Weise bürgerschaftliches Engagement in lokalen Zusammenhängen Ausgrenzung reproduziert. Einen ersten Hinweis auf die ungleiche Beteiligung verschiedener sozialer Gruppen am bürgerschaftlichen Engagement geben quantitativ-empirische Studien über die Merkmale von bürgerschaftlich bzw. freiwillig Engagierten. Sie zeigen, dass Menschen mit niedrigem Einkommen, erwerbslose Menschen und Menschen mit niedrigen Bildungsabschlüssen signifikant weniger bürgerschaftlich engagiert sind als erwerbstätige Menschen mit höherem Einkommen und höheren Bildungsabschlüssen (Erlinghagen u.a. 1999). Die letzten Freiwilligensurveys (Gensicke u.a. 2005; Gensicke/Geiss 2010) verdeutlichen darüber hinaus, dass Männer eher im freiwilligen Engagement repräsentiert sind als Frauen, Bewohner_innen der alten Bundesländer eher als
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solche der neuen Bundesländer und Menschen ohne Migrationshintergrund eher als Menschen mit einem solchen. Die statushöhere soziale Gruppenzugehörigkeit ist diesen Studien zufolge also jeweils mit einer stärkeren Repräsentation im bürgerschaftlichen Engagement verbunden. In der Diskussion um sogenannte engagementferne Bevölkerungsgruppen sind insbesondere Menschen mit niedrigen Bildungsabschlüssen und Einkommen bzw. erwerbslose Menschen gemeint. Bezüglich ihrer geringen Repräsentation im Engagement dominieren zwei Erklärungsansätze: Zum einen wird von fehlenden Kompetenzen gesprochen, zum anderen von mangelnder Motivation. Beide Erklärungen legen Konsequenzen für Engagementförderung nahe: Sinnvoll scheinen zum einen Aktivierungsmaßnahmen, um die Motivation zu erhöhen, zum anderen Qualifizierungsangebote, um notwendige Kompetenzen zu vermitteln. Sowohl die Erklärungen als auch die Lösungsversuche sind durch eine individualisierende Perspektive gekennzeichnet: Die Ursache für die fehlende Repräsentation im Engagement und die Maßnahmen zur Behebung dieses Ungleichgewichtes setzen bei den sozial benachteiligten Menschen an. Die folgenden Ausführungen richten den Fokus nicht auf die Menschen, die sich vermeintlich weniger engagieren, sondern auf die sozialen Zusammenhänge, in denen das Engagement stattfindet. Der systematische Zusammenhang zwischen der Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen und der empirisch gemessenen Beteiligung an bürgerschaftlichem Engagement legt einen diversitätstheoretischen Erklärungsversuch nahe. Diversity wird dabei nicht in einem Sinne verstanden, der die spezifischen Merkmale beschreibt, nach denen sich Gruppen unterscheiden. Der diversitätstheoretische Zugang, der den folgenden Ausführungen zu Grunde liegt, fragt vielmehr danach, wessen Normen und Werte repräsentiert und als allgemeingültig verallgemeinert und welche Positionen dadurch als besondere ausgegrenzt werden. Der Fokus liegt also nicht auf denjenigen, die »nicht passen«. Analysiert wird vielmehr, wie ein bestimmter Kontext bzw. die Normalisierung spezi-
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fischer Normen und Werte dazu führen, dass bestimmte Handlungen, Themen oder Positionen als »nicht passend« ausgegrenzt werden. Ethnografisches Forschungsprojekt Die Grundlage für meine These, bürgerschaftliches Engagement reproduziere soziale Ausgrenzung, bieten die Ergebnisse eines ethnografischen Forschungsprojektes (vgl. Munsch 2005). Drei Jahre lang begleitete ich das Team eines Stadtteilhauses, das versuchte, ein symmetrisches Engagement von Menschen unterschiedlicher sozialer Milieus zu fördern. Das Projekt begann mit einer aktivierenden Befragung. Bei der ersten Bewohner_innenversammlung, in der die Ergebnisse der Befragung diskutiert werden sollten, waren sowohl erwerbslose als auch erwerbstätige Bewohner_innen anwesend. An der Diskussion beteiligten sich allerdings nur Letztere. Ein sehr engagierter erwerbsloser Mann erklärte mir später, er hätte in diesem Kontext nichts sagen können. Immer wieder gelang es dem Team des Stadtteilhauses, marginalisierte Bewohner_innen (zumeist langzeitarbeitslose Menschen ohne Bildungsabschluss) zu motivieren, an Bewohner_innenversammlungen teilzunehmen. Meistens kamen sie nur einmal, lächelten höflich, beteiligten sich aber nicht an der Diskussion und kamen auch nie wieder. Demgegenüber wuchs die Gruppe der Engagierten, die erwerbstätig waren und im Stadtteil eine anerkannte Position z.B. als Ladenbesitzerin, Lehrer oder Vereinsvorsitzender einnahmen. Als Ergebnis der aktivierenden Befragung entstand u.a. eine Arbeitsgruppe, welche ein Stadtteilfest organisierte. Als teilnehmende Beobachterin erforschte ich die Bedeutung von Engagement in dieser Gruppe, wobei mein eigenes Erleben eine wesentliche Rolle spielt. Deutlich wird dabei zunächst die hohe Bedeutung von Effektivität für die Engagierten: Es ist ihnen wichtig, dass ihr Engagement ohne viel Umwege zu Ergebnissen führt – im konkreten Fall: zur Planung und Realisierung des Stadtteilfestes. Die Rekonstruktion der Interaktionen zeigt, dass die Effektivität des Engagements mit einer bestimmten Form der Interaktion gleichgesetzt wird: Es bestehen implizite aber
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klare Regeln für die Interaktionen in der Gruppe. Diese führen dazu, dass Engagementformen, die diesen Regeln nicht entsprechen, als störend empfunden werden. An den Treffen der Gruppe beteiligt sich eine Frau aus einer sozial marginalisierten Familie: »Frau Erika Teich nimmt an der zweiten Stadtteilkonferenz und an den folgenden Sitzungen der AG Stadtteilfest teil. Die Teilnahme der Bewohner_innen an diesen Sitzungen orientiert sich fast ausschließlich an den oben vorgestellten Kommunikationselementen der effektiven Planung: Sie machen Vorschläge und erläutern sie, sie unterstützen Vorschläge oder melden Bedenken an und begründen dabei fast immer ihre Position usw. Die Wortmeldungen von Frau Teich sind hauptsächlich Einwürfe, d.h. kurze Bemerkungen oder Witze. Wenn sie einen Vorschlag unterstützt, dann sagte sie oft: »Ich mache da mit«, ohne dies jedoch zu begründen. Sie äußert kaum Vorschläge und wenn, dann sind diese meistens sehr kurz und werden kaum erläutert. Ich frage mich oft: »Wieso sagt sie das jetzt?« Sie antwortet z.B. auf Fragen, die nicht an sie gestellt zu sein scheinen, macht z.B. einen Vorschlag für einen neuen Termin. Ihre Wortmeldungen dauern nie lange, und doch scheinen sie den reibungslosen Ablauf zu stören.« (Munsch 2005, S. 103)
In vielen meiner Aufzeichnungen wird deutlich, dass ich das Engagement dieser Frau als störend erlebe. Ich bezeichne dies als »bürgerliche Aversion« (vgl. Munsch 2005, S. 104). Die Analyse zeigt, dass ich das Engagement von Frau Teich im Zusammenhang mit einem ganz bestimmten Kontext als anders und störend erlebe: Indem sich die Interaktionen in der Arbeitsgruppe durchgängig an den immer gleichen, sehr klaren und engen impliziten Vorgaben orientieren, wird das »andere« Verhalten erst als »anders« und »störend« empfunden. Ein wesentliches Ergebnis der Studie besteht demzufolge in der Erkenntnis, wie schwer es Menschen aus der Mittelschicht fällt, »andere« Formen von Engagement zu akzeptieren. Durch die teilnehmende Beobachtung wird der Blick also weg von den vermeintlich engagementfernen Menschen gelenkt, hin zu einer mittelschichtgeprägten Kultur des Engagements, welche durch ihre kulturelle Eindimensionalität Engagement
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marginalisierter Menschen tendenziell als anders und störend ausgrenzt. Die Analyse macht weiterhin deutlich, dass die erlebten Störungen nie als solche öffentlich thematisiert werden. Wenn sich marginalisierte Menschen in der Runde zu Wort melden, hören die anderen Teilnehmer_innen vielmehr freundlich lächelnd und interessiert wirkend zu. Die Rekonstruktion des Forschungsprozesses zeigt, dass auch ich als Forscherin dieses Erleben der Störung lange nicht wahrnehmen kann – obwohl es im Forschungstagebuch an vielen Stellen deutlich beschrieben ist. Zu wichtig ist mir meine Selbstwahrnehmung als tolerant und offen. Die Vorstellung der Ergebnisse der Studie für die Gruppe der »guten Bürger_innen« führt zu Betroffenheit: als ausgrenzend haben sie sich nie wahrgenommen. Dies verweist auf eine zweite wichtige Schlussfolgerung der Analyse: die Bedeutung des Selbstbildes bürgerschaftlich engagierter Gruppen als integrativ und solidarisch verhindert, dass Ausgrenzungsprozesse wahrgenommen werden können. Dominanzkultur Um die Ambivalenz zwischen Partizipation und Ausgrenzung, welche bürgerschaftlichem Engagement inhärent ist, verstehen zu können, hilft die Bezugnahme auf den Ansatz der Dominanzkulturen 1 von Birgit Rommelspacher (1995). Ausgangspunkt ihrer Analyse ist die Beschreibung der zeitgenössischen westlichen Gesellschaften als Gesellschaften, in denen Gleichheit und Gleichberechtigung wichtige Normen darstellen. Macht ist nicht mehr klar und offensichtlich einer bestimmten Gruppe zugeordnet, die Trennung zwischen Herrschenden und Unterdrückten hat sich zunehmend verwischt. »Das traditionelle Repressionsmodell, das relativ klar zwischen den Herrschenden und den Unterdrückten unterscheidet, ist im Zuge der Moderne immer
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Die folgenden Ausführungen basieren auf einem früheren Aufsatz (Munsch 2011).
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mehr einer Struktur gewichen, in der sich die Macht in die gesellschaftlichen Instanzen und die normativen Orientierungen der Individuen selbst hinein verlagert. Der Sitz der Macht ist weniger klar auszumachen, die Machtverhältnisse werden unübersichtlicher und unsichtbarer« (Rommelspacher 1995, S. 23). Aber auch wenn prinzipiell jeder und jede nun sowohl Subjekt als auch Objekt von Macht ist, so gibt es dennoch Asymmetrien durch Netzwerke von Privilegierten, welche andere ausschließen. Dieser Ausschluss, von dem Minderheiten besonders betroffen sind, muss in einer Gesellschaft mit egalitärem Anspruch jedoch verdeckt geschehen: »Die Dominanz wird […] in erster Linie durch die Aufrechterhaltung der Normalität reproduziert und nicht durch bewusste, gewollte rassistische Handlungen. […] Normalismus und Segregation sind demnach das eigentliche Medium der Diskriminierung« (ebd., S. 32, H. i. O.). Der Ansatz der Dominanzkultur lässt sich sehr gut auf bürgerschaftliches Engagement anwenden: Bezugnehmend auf die Norm der Gleichheit bzw. der Gleichberechtigung haben viele bürgerschaftliche Organisationen das Selbstverständnis bzw. den Anspruch, offen für alle zu sein. Jeder sei willkommen, sich zu beteiligen, jeder werde mit seinen Fähigkeiten gebraucht, so oder ähnlich lautet ihr Postulat. Durch diesen inklusiven Selbstanspruch bleibt allerdings verdeckt, dass es in fast allen diesen Kontexten implizite Verhaltens- und Interaktionsnormen gibt, welche Menschen ausgrenzen, die andere Formen von Partizipation gewohnt sind oder deren Ziele nach anderen Formen verlangen. Genauso wie die Interaktionsformen, sind auch die Räume, in denen das Engagement stattfindet, manchen Menschen vertraut, anderen jedoch fremd. Diese Ausgrenzung durch Normalisierung ist jedoch sehr schwer zu erkennen, weil sie der expliziten Intention der Engagierten widerspricht und ihre zivilgesellschaftliche Identität es ihnen besonders schwer macht, sich als Dominierende zu verstehen.
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Öffentlich-politisch und privat-persönlich Ein zentraler Aspekt der herrschenden Verständnisse von Ehrenamt, bürgerschaftlichem Engagement und politischer Partizipation ist der Begriff der Öffentlichkeit. An diesem lässt sich die Ausgrenzung durch Normalisierung besonders gut nachzeichnen. Die Definitionen sowohl von politischer Partizipation als auch von bürgerschaftlichem Engagement verorten diese in einem öffentlichen Raum, der klassischerweise als Gegensatz zur Privatsphäre verstanden wird. Während die Privatsphäre als Ort gezeichnet wird, zu dem nur ausgewählte Mitglieder Zugang haben, wird die Öffentlichkeit dargestellt als Raum, dessen Diskurse und Unterstützungsleistungen prinzipiell für alle zugänglich seien. So definiert die Enquete-Kommission »Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements« bürgerschaftliches Engagement in Übereinstimmung mit vielen anderen Autor_innen als Tätigkeit, welche sich »in der Regel in Organisationen und Institutionen im öffentlichen Raum der Bürgergesellschaft« (Enquete-Kommission 2002, S. 90) entfaltet. Die »Öffentlichkeit«, welche die Enquete-Kommission als Bedingung bürgerschaftlichen Engagements nennt, soll dabei die Transparenz und »Anschlussfähigkeit für potenzielle Kooperationspartner« (ebd., S. 88) garantieren. Während also das explizite Ziel dieser Verortung von Engagement im öffentlichen Raum seine Öffnung ist, hat dieses Konstrukt öffentlichen Engagements gleichzeitig ausgrenzende Wirkung. Diese Ausgrenzung kommt durch eine Dichotomie zustande, welche zwischen einer öffentlich-politischen und einer privat-persönlichen Sphäre mit je spezifischen Merkmalen unterscheidet. Dies hat zur Folge, dass sowohl Themen als auch Handlungsformen, die dem privaten Raum zugeschrieben werden, aus dem öffentlichen Raum ausgeschlossen werden: So werden beispielsweise Themen als unpolitische ausgegrenzt, weil sie dem vorpolitischen bzw. privaten Raum der Familie zugeschrieben werden. Erfahrungen sozialer Ausgrenzung äußern sich jedoch, so analysieren feministische wie postkoloniale Theoretiker_innen, gerade auch in persönlichen Erfahrungen. Die Ausgrenzung
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persönlicher Erfahrungen und Nöte aus einer entpersonalisierten öffentlichen Meinungs- und Entscheidungsbildung und ihre Verdrängung in eine entpolitisierte Privatsphäre trägt also zur Ausblendung von Ausgrenzungserfahrungen bei. Dementsprechend besteht ein zentrales Ziel von Minoritätenbewegungen, wie z.B. dem black movement, der Frauen- oder der Lesben- und Schwulenbewegung darin, als privat zugeschriebene Problemlagen als politische und öffentliche um zu definieren, das heißt als Probleme, welche in der öffentlich-politischen Sphäre verhandelt und gelöst werden müssen. Aktionsformen werden vor allem dann als nicht konform zu den Interaktionsnormen der öffentlich-politischen Sphäre delegitimiert, wenn sie von privaten Erfahrungen und Emotionen geprägt sind. Sie passen nicht zu der »Sachlichkeit, Apersonalität, Distanziertheit und Verfahrensregulierung« (Holland-Cunz 1994, S. 227), welche das klassische Verständnis der öffentlich-politischen Sphäre kennzeichnen. Diesbezüglich ist die konstruktivistische Kritik an den Interaktionsformen der öffentlich-politischen Sphäre besonders relevant (vgl. Ferree u.a. 2002). Insbesondere die feministische Politikwissenschaft hat deswegen »die Ausgrenzung des Privaten/Persönlichen aus dem öffentlichpolitischen Raum […] als ein, wenn nicht gar de[n] Herrschaftsmechanismus [analysiert], den es schreibend zu dekonstruieren und kämpfend zu lösen gilt« (Holland-Cunz 1994, S. 227). In ähnlicher Weise haben Diversitytheoretiker_innen die Trennung zwischen den beiden Sphären als ein Mittel zur Reproduktion von Herrschaftsverhältnissen dekonstruiert. In Abgrenzung zur theoretisch postulierten Trennung der beiden Sphären haben rekonstruktive, vor allem biografische Studien sozialer Bewegungen demgegenüber nachgezeichnet, wie sich Privates und Öffentliches in vielen, ganz unterschiedlichen Zusammenhängen vermischen (vgl. Ferree 2000, Miethe 2000). Sie haben die Dichotomie zwischen privat-persönlicher und öffentlich-politischer Sphäre damit als Konstrukt entlarvt, das der Realität des Engagements v.a. von Frauen oft nicht entspricht.
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Aus dieser Perspektive kritisieren Iris Marion Young (1996) und Seyla Benhabib (1996) das deliberative Demokratiemodell, wie es nicht zuletzt Jürgen Habermas vertritt (vgl. Habermas 1996). Der Schwerpunkt dieses Demokratiemodells liegt auf öffentlichen Diskussionsformen, bei denen unterschiedliche Standpunkte argumentativ vertreten werden und das bessere Argument siegen soll. Grundlage dieses argumentativen Streitgespräches ist die Sichtweise von Bürger_innen als freie und gleiche bzw. das Ideal einer Verhandlungssituation, in der Macht- und ökonomische Unterschiede keine Rolle spielen sollen, in der also die Qualität der Argumente und nicht die Positionen der Sprecher_innen entscheiden soll (vgl. z.B. Habermas 1996). Obwohl in diesem Modell großer Wert auf die Beteiligung möglichst vieler Menschen gelegt wird, privilegiert der geforderte wettkampfähnliche Austausch von Argumenten jedoch soziale Gruppen, die es gewohnt sind, sich selbstbewusst und konfrontativ zu äußern. Vorläufige, erklärende und versöhnliche Aussagen haben dagegen weniger Erfolg. Das dominierende Prinzip der Vernunft führt somit dazu, dass nicht-emotionale entkörperlichte Kommunikationsformen höher bewertet werden als emotionale und gestikulierende. Dadurch werden besonders die Sprechweisen sozialer Minderheiten, insbesondere von ethnischen Minderheiten, Frauen und Angehörigen der Unterschicht ausgegrenzt. Besonders wenn Menschen sich aus eigener Betroffenheit, aus der Sorge um alltägliche und existenzielle Fragen engagieren, spielen Emotionen wie Wut eine wichtige Rolle. In der kritischen Analyse von Young und Benhabib sind es also die implizit festgelegten und als universal und kulturell neutral angenommenen Interaktionsformen, die zur Ausgrenzung führen – auch wenn diese nicht der Absicht von Habermas entspricht. Damit die beschriebene Analyse nicht zu einer Verengung auf kulturelle Prozesse führt, ist es wichtig, soziale Praxen mit der Reproduktion sozialer Ungleichheit zu verbinden. Hierfür ist der Begriffsapparat von Pierre Bourdieu, insbesondere dessen Habitusbegriff besonders gut geeignet, weil er es ermöglicht, das Persönliche, Subjektive als etwas Gesellschaftliches, etwas Kollektives zu fassen. Nach Bourdieu be-
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zeichnet der Habitus ein System von Dispositionen, welches als Distinktionsmerkmal zwischen Angehörigen unterschiedlicher sozialer Klassen oder innerhalb von Organisationen wirkt (Bourdieu/Wacquant 1996, S. 152ff.). Der Begriff des Habitus bei Bourdieu kann nur im Zusammenhang mit demjenigen des sozialen Feldes begriffen werden, denn erst in einem spezifischen Feld entfaltet der Habitus seine Wirkung (Wacquant 1996, S. 40). Der Habitus der Akteur_innen stammt zunächst aus anderen gesellschaftlichen Kontexten und ermöglicht den einzelnen Engagierten eine Art Ausgangsposition im Feld. Der Feldbegriff fokussiert spezifische Spiel- und Konkurrenzverhältnisse. Verschiedene soziale Felder unterscheiden sich bezüglich ihrer »unausgesprochenen Spielregeln« (Bourdieu/Wacquant 1996, S. 129). Auch wenn zu diskutieren ist, ob das bürgerschaftliche Engagement ein Feld im Sinne Bourdieus darstellt, so verweist der Feldbegriff auf die Notwendigkeit, Ausgrenzungsprozesse im Engagement im Kontext eines spezifischen Kräftefeldes zu analysieren. Partizipation als solche und ganz besonders in einer höheren Position ist in diesem Sinne nur dann möglich, wenn die Engagementinteressierten die »immanenten Regeln« (ebd., S. 129) des Feldes, in dem sich das Engagement verortet, erfassen. Wenn nun Soziale Arbeit das Engagement ihrer Adressat_innen für die Verbesserung belasteter Lebenslagen unterstützt oder wenn sie Partizipation auch in Krisensituationen ermöglichen will, dann ist dieses Engagement bzw. diese Partizipation ihrer Adressat_innen oft von genau jenen Emotionen geprägt, welche nicht zum klassischen Partizipationsverständnis passen (vgl. Munsch 2005, S. 99ff.). Aus einer finanziell und materiell gesicherten Lebenslage sowie einer anerkannten sozialen Position heraus ist demgegenüber ein Engagement für das sogenannte Allgemeinwohl, losgelöst von eigenen Ängsten und Unsicherheiten, viel eher möglich. Dies erklärt, wieso der zumeist implizit gedachte Akteur der öffentlich-politischen Sphäre der männliche »Aktivbürger« ist, der sich, frei von der Sorge um das tägliche Leben, sachlich, unemotional und ohne direkten Bezug zu seinem eigenen Leben,
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im Rahmen eines öffentlichen Raumes im beschriebenen Sinne für das allgemeine Wohl engagieren kann. Ausblick Was ist nun die Konsequenz dieser Analysen? Deutlich geworden sein sollte, dass eine Förderung von Bürger_innenbeteiligung, welche in erster Linie an den individuellen Motivationen und Kompetenzen der Ausgegrenzten ansetzt, nur einen begrenzten Beitrag dazu leisten kann, sozial benachteiligten Gruppen einen besseren Zugang zur Teilhabe an bürgerschaftlichem Engagement zu eröffnen. Vielmehr muss gefragt werden, ob eine Pädagogisierung, welche an ausgegrenzten Gruppen ansetzt, nicht dazu führt, die Strukturen und Kulturen, welche zu diesen Ausgrenzungsprozessen führen, zu verdecken. Um Ausgrenzungsprozesse im Engagement nicht auf kulturelle Unterschiede in den Formen des Engagements zu reduzieren, bietet sich eine Erinnerung an Gemeinwesenarbeit an. Im Gegensatz zu einer Vermittlung bestimmter Formen von Engagement geht es hier um Ermächtigung und die Wiedergewinnung von Kontrolle über Lebensverhältnisse. Ziel ist es, »das Gemeinwesen, die Lebenswelt [zu] verändern, so dass Menschen dadurch handlungsfähiger werden; sie möchte gleichzeitig Menschen handlungsfähiger machen, ermutigen, unterstützen, damit diese ihre Lebenswelt verändern können. […] Sie sollen zu Subjekten auch politisch aktiven Handelns und Lernens werden« (Oelschlägel 2001, S. 653). Parteilichkeit für die Interessen sozial benachteiligter Gruppen spielt hier eine wesentliche Rolle und dies führt dazu, dass Interessenskonflikte in den Vordergrund rücken. Zentral scheint mir diesbezüglich eine Erinnerung an die Bedeutung von Interessenkonflikten, wie sie Chantal Mouffe (1996, 2007) in ihrem Konzept für eine »radikale und plurale Demokratie« erläutert hat: Sie schreibt dass Kämpfe und Konflikte um Macht und Ausgrenzungsprozesse als konstitutiv für die politische Sphäre wahrgenommen müssen werden. Die Verbannung von Konflikten gefährde den demokratischen Prozess. In diesem Sinne kann es nicht ausreichen, marginalisierte Bevölkerungs-
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gruppen an Quartiersentwicklung zu beteiligen, ohne die Marginalisierungsprozesse in den Quartieren zur Sprache zu bringen. Literatur Benhabib, Seyla (Hg.) (1996): Democracy and Difference. Contesting the Boundaries of the Political. Princeton/New Jersey. Bourdieu, Pierre/Wacquant, Loïc J. D. (1996): Reflexive Anthropologie. Frankfurt a.M. Cooper, Davina (2004): Challenging Diversity. Rethinking Equality and the Value of Difference. Cambridge. Enquete-Kommission »Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements« (2002): Bericht. Bürgerschaftliches Engagement. Auf dem Weg in eine zukunftsfähige Bürgergesellschaft. Opladen. Erlinghagen, Marcel/Rinne, Karin/Schwarze, Johannes (1999): Ehrenamt statt Arbeitsamt? Sozioökonomische Determinanten ehrenamtlichen Engagements in Deutschland. In: WSI Mitteilungen 4, S. 246-255. Ferree, Myra Marx (2000): Was bringt die Biografieforschung der Bewegungsforschung? In: Miethe, Ingrid/Roth, Silke (Hg.): Politische Biografien und sozialer Wandel. Gießen, S. 111-127. Ferree, Myra Marx/Gamson, William A./Gerhards, Jürgen/Rucht, Dieter (2002): Four models of the public sphere in modern democracies. In: Theory and Society 31, S. 289-324. Gensicke, Thomas/Picot, Sybille/Geiss, Sabine (2005): Freiwilliges Engagement in Deutschland 1999-2004. Ergebnisse der repräsentativen Trenderhebung zu Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und bürgerschaftlichem Engagement. Durchgeführt im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. München. Gensicke, Thomas/Geiss, Sybille (2010): Hauptbericht des Freiwilligensurveys 2009. Ergebnisse der repräsentativen Trenderhebung zu Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und Bürgerschaftlichem Engagement. München.
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Habermas, Jürgen (1996): Three Normative Models of Democracy. In: Benhabib, Seyla (Hg.): Democracy and Difference. Contesting the Boundaries of the Political. Princeton/New Jersey, 21-30. Holland-Cunz, Barbara (1994): Öffentlichkeit und Intimität – demokratietheoretische Überlegungen. In: Biester, Elke/Holland-Cunz, Barbara/Sauer, Birgit (Hg.): Demokratie oder Androkratie? Theorie und Praxis demokratischer Herrschaft in der feministischen Diskussion. Frankfurt a.M./New York, 227-246. Habermas, Jürgen (1996): Three Normative Models of Democracy. In: Benhabib, Seyla (Hg.): Democracy and Difference. Contesting the Boundaries of the Political. Princeton/New Jersey, 21-30. Kreckel, Reinhard (2001): Soziale Ungleichheit. In: Otto, HansUwe/Thiersch, Hans (Hg.): Handbuch Sozialarbeit Sozialpädagogik. Neuwied, 1729-1735. Kriesi, Hanspeter (2004): Political Context and Opportunity. In: Snow, David A./Soule, Sarah A./Kriesi Hanspeter (Hg.): The Blackwell Companion to social movements. Malden/Oxford und Victoria, 6790. Miethe, Ingrid (2000): Biografie als Vermittlungsinstanz zwischen öffentlichen und privaten Handlungsräumen: Das Beispiel von Frauen der DDR-Opposition. In: Miethe, Ingrid/Roth, Silke (Hg.): Politische Biografien und sozialer Wandel. Gießen, 163-188. Mouffe, Chantal (1996): Democracy, Power and the »Political«, In: Benhabib, Seyla (Hg.): Democracy and Difference. Contesting the Boundaries of the Political. Princeton/New Jersey, 245-256. Mouffe, Chantal (2007): Über das Politische. Wider die kosmopolitische Illusion. Frankfurt a.M. Munsch, Chantal (2005): Die Effektivitätsfalle. Bürgerschaftliches Engagement und Gemeinwesenarbeit zwischen Ergebnisorientierung und Lebensbewältigung. Hohengehren. Munsch, Chantal (2010): Engagement und Diversity. Der Kontext von Dominanz und sozialer Ungleichheit am Beispiel Migration. Weinheim/München.
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Munsch, Chantal (2011): Engagement als Dominanzkultur – Entwurf eines diversitätsreflexiven Begriffs sozialen und politischen Engagements In: DGfE-Kommission Sozialpädagogik (Hg.): Bildung des Effective Citizen – Sozialpädagogik auf dem Weg zu einem neuen Sozialentwurf? Weinheim/München, 227-241. Oelschlägel, Dieter (2001): Gemeinwesenarbeit. In: Otto, Hans-Uwe/ Thiersch, Hans (Hg.): Handbuch Sozialarbeit Sozialpädagogik. 2. Auflage. Neuwied und Kriftel, 653-659. Rommelspacher, Birgit (1995): Dominanzkultur. Texte zu Fremdheit und Macht. Berlin. Strasser, Sabine (2003): Beyond Belonging: Kulturelle Dynamiken und transnationale Praktiken in der Migrationspolitik »von unten«. Habilitationsschrift, eingereicht an der Human- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien. Wacquant Loïc J. D. (1996): Auf dem Weg zu einer Sozialpraxeologie. Struktur und Logik der Soziologie Pierre Bourdieus. In Bourdieu, Pierre/ ders. (1996): Reflexive Soziologie. Frankfurt a. M., S. 1793. Young, Iris Marion (1996): Communication and the Other: Beyond Deliberative Democracy. In: Benhabib, Seyla (Hg.): Democracy and Difference. Contesting the Boundaries of the Political. Princeton/New Jersey, 120-35.
Soziale Ungleichheit und kulturelle Diversität in der Migrationsgesellschaft M ARKUS O TTERSBACH
Einleitung Die Themen soziale Ungleichheit und kulturelle Diversität sind in der Vergangenheit in den Sozialwissenschaften häufig separat behandelt worden. Die Autor_innen, die sich dem Thema der Sozialen Ungleichheit widmen, heben meist ökonomische Aspekte wie Einkommen, Besitz und Vermögen, aber auch soziale Kriterien, wie soziale Netzwerke, die Nachbarschaft, die peer group oder das Wohnquartier, und kulturelle Bereiche, wie Bildung und Ausbildung hervor. Lange Zeit wurde sich in den Analysen zur sozialen Ungleichheit auf das Thema der Armut konzentriert, d.h. Reichtum kam als Aspekt gar nicht vor. 1 Arbeitslosigkeit, soziale Ausgrenzung, Segregation, Exklusion und der 1
Das Pendant zur Armut, der Reichtum, ohne den das Thema Armut im Übrigen nur sehr beschränkt zu erklären ist, wurde lange Zeit bei der Analyse der sozialen Ungleichheit in Deutschland ausgespart. Legitimiert wurde diese Reduzierung u.a. stets mit dem Argument, dass zum Thema Reichtum die entsprechende Datenlage fehle oder zumindest unverlässlich sei. Die Konzentration auf das Thema Armut zeigt sich auch an der Berichterstattung der Bundesregierung, die erst seit 2001 einen »Armuts- und Reichtumsbericht« verfasst.
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Abbau des Sozialstaats waren und sind wichtige Unterthemen der Analyse der Armut in Deutschland. Migration wurde bei dieser Thematik als ein »Verstärker« in die Analyse integriert. Sie verschärfe die Segregation, würde u.a. die Löhne noch weiter drücken und führe zur Entwicklung eines Subproletariats. Eine vergleichbare Entwicklung nimmt das Thema der kulturellen Diversität ein. Auch hier war die Thematik der Migration zumindest ein »Verstärker«, wenn nicht sogar der »Auslöser« der wissenschaftlichen Debatte. Zweifellos gab es bereits vor der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Thematik der Migration Studien zu Kultur, sozialen Milieus und Lebensstilen. Im Kontext der Auseinandersetzung mit dem Thema der kulturellen Diversität wurde sich jedoch lange Zeit auf das Phänomen der kulturellen Differenzen (und deren Auswirkungen) konzentriert, statt Kultur im Kontext gesellschaftlicher Rahmenbedingungen wie Globalisierung, Individualisierung und Pluralisierung zu betrachten. Kultur wurde dabei häufig gleich gesetzt mit Ethnizität oder Nationalität, d.h. der Orientierungsrahmen für kulturelle Differenzen wurde bipolar, konkret zunächst in Bezug auf Deutsche und Ausländer_innen und später auf Menschen mit und ohne Migrationshintergrund festgelegt. Politikwissenschaftler_innen wie Huntington riefen 1993 den »Konflikt der Kulturen« aus, während Pädagog_innen sich eher dazu veranlasst sahen, zur Überbrückung dieser kulturellen Differenzen zunächst ausländerpädagogische, später interkulturelle Ansätze zu entwickeln. Problematisch dabei war und ist jedoch, dass ohne eine Reflexion der Wirkungen dieser Pädagogik die Situation der Ausländer_innen bzw. der Menschen mit Migrationshintergrund kulturalisiert, ethnisiert, stigmatisiert und partiell sogar verschlechtert wurde (vgl. Hamburger 2012). Im Kontext der »lebenswerten Stadt« spielt die Thematisierung und die Entwicklung der beiden Aspekte soziale Ungleichheit und kulturelle Diversität eine große Rolle. Um aus Sicht der Pädagogik bzw. der Sozialen Arbeit wirkungsvolle Unterstützungsleistungen zu erarbeiten, ist die gesellschaftstheoretische Analyse der beiden Aspekte eine existentielle Voraussetzung. Sowohl soziale Ungleichheit als auch kulturel-
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le Diversität müssen im Kontext basaler gesellschaftlicher Rahmenbedingungen betrachtet werden (vgl. auch Faist 2013, S. 111). Pädagogische oder sozialarbeiterische Praxis ohne gesellschaftliche Theorie ist im besten Falle Handeln nach dem gesunden Menschenverstand, im schlechtesten Falle Fürsorge mit Inkaufnahme der Entstehung von Abhängigkeit. Im Folgenden wird die Bedeutung der beiden Aspekte soziale Ungleichheit und kulturelle Diversität demnach zunächst im Kontext gesellschaftlicher Rahmenbedingungen dargestellt. Für moderne Migrationsgesellschaften spielen dabei die Globalisierung, die Individualisierung und die Pluralisierung eine herausragende Rolle. Im Anschluss daran wird das Modell gesellschaftlicher Integration von Jürgen Habermas vorgestellt, mit dem m.E. der Integrationsprozess aller Bürger_innen (nicht nur der Menschen mit Migrationshintergrund) umfassend, verständlich und einsichtig konkretisiert werden kann, da sowohl die Ebene der systemischen Integration bzw. der Sozialstruktur oder der Lebenslage als auch die Ebene der sozialen Integration oder der Lebenswelt, also der Bezug zur Entwicklung der sozialen Milieus und der individuellen Lebensstile berücksichtigt wird. In Bezug auf die systemische Integration werde ich mich auf soziale Ungleichheit und hier insbesondere auf die Aspekte, der Bildung, der Ausbildung und der Arbeitslosigkeit konzentrieren. Kulturelle Diversität wird als Produkt dieser Rahmenbedingungen und vor allem vor dem Hintergrund der Sinus-Migranten-Studie und weiterer qualitativer Studien zur Lebenswelt von Menschen mit Migrationshintergrund thematisiert. Zum Schluss werde ich in einem Fazit die Ergebnisse zusammentragen und einen Ausblick auf mögliche Maßnahmen der Sozialen Arbeit, die sich auf die Förderung der lebenswerten Stadt beziehen, wagen.2
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Teile des Artikels sind in anderer Form bereits erschienen (vgl. Ottersbach 2012b). Für diesen Band sind sie überarbeitet und aktualisiert worden.
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Individualisierung, Globalisierung und Pluralisierung als basale gesellschaftliche Rahmenbedingungen Die erste Phase der Individualisierung, die mit der Aufklärung beginnt, charakterisiert sich durch eine Ablösung der bis dahin gültigen Kontrollnetze mit einer klaren und geschlossenen Weltanschauung und funktionierenden Autoritätsverhältnissen durch einen Zuwachs an neuen Optionen, Freiheiten, Wahlmöglichkeiten und Chancen einer individuellen Lebensgestaltung. Die zweite Phase der Individualisierung, die mit der Nachkriegszeit allmählich beginnt, kennzeichnet sich durch eine Lockerung familiärer Bindungen, eine Anhebung des Bildungsniveaus und des verfügbaren Einkommens für breite Teile der Bevölkerung, eine veränderte soziale Lage der Frauen, ein verändertes Freizeitverhalten, die Einführung neuer Technologien, einen Ausbau des Sozialstaats,3 veränderte Wohnverhältnisse, eine zunehmende Mobilität und einen Bedeutungsverlust der Religiosität. Mit beiden Phasen verbunden ist eine Aufwertung der Bedeutung des Individuums, die unterschiedliche Schübe einer Subjektivierung bzw. Subjektzentrierung auslösen. Die Produktion neuer Beziehungen, Traditionen und Verhaltensmuster beruht immer mehr auf Selbstverantwortung und Selbststeuerung bzw. auf Selbst-Organisation und Selbst-Politik, wie Beck (1997, S. 184ff.) betont. Die Individualisierung impliziert sowohl einen Auf- als auch einen Ablösungsaspekt. Der Auflösungsaspekt bezieht sich vor allem auf Traditionsbestände, die in modernen Industriegesellschaften einen elementaren Wandel erfahren haben. Unmittelbar damit verbunden ist ein produktiver Ablösungsaspekt, d.h. es entstehen neue Traditionen,
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Diese Entwicklung gilt für die Zeit bis zur »Wende« 1983. Danach ist der Sozialstaat sukzessiv zurückgefahren worden mit der Konsequenz, dass für ein Drittel der Gesellschaft einzelne Faktoren der Individualisierung wieder eingeschränkt worden sind. Die »Wahl« ist durch die systematische Benachteiligung der unteren Einkommensschichten (vor allem der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger_innen) deutlich eingeschränkt worden.
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die von nun an Gültigkeit beanspruchen. Die Ablösung alter durch neue Formen gesellschaftlicher Integration ist nicht ausschließlich eine Bedrohung, sondern auch eine Chance, denn die neue Vergesellschaftungsform berücksichtigt einen höheren Grad an Individualität, Selbstverantwortung und Freiwilligkeit, zumindest was den sozialen und kulturellen Bereich anbelangt. Allerdings ist die Individualisierung auch eine neue Standardisierung. Die freiwillige Wahl sozialer Beziehungen und Traditionen hat nämlich einen Pferdefuß: Sie basiert auf neuen Standardisierungen, wie dem Zwang zur Wahl, zur individuellen Rechtfertigung und zur persönlichen Übernahme der mit dieser Wahl verbundenen Risiken. Alle möglichen Krisen des Lebens sind von nun an mit einer individuellen Verantwortung behaftet, d.h. Arbeitsplatzverlust, Scheidung, Verschuldung, Erziehungsprobleme oder gar Obdachlosigkeit; alle diese »Schicksalsschläge« sind einem individuellen Versagen geschuldet. Den vielfältigen, aber dennoch standardisierten Optionen und Entscheidungsmöglichkeiten wohnen zahlreiche Risiken inne, die Verlässlichkeit reduzieren. Vergleichbar mit den Auswirkungen der Individualisierung auf das Individuum ist der Prozess der Pluralisierung: Zum Einen stellt die neue Vielfalt eine Herausforderung für die Entwicklung der Individualität dar, zum anderen werden mit der Pluralisierung sozialer Beziehungen und Lebensstile neue Entfaltungsmöglichkeiten geschaffen, die neue Anschlussmöglichkeiten für vielfältige Entwicklungsmöglichkeiten bewirken. Allerdings sind auch diese frei gewählten Beziehungsformen und Lebensstile wiederum einer neuen Standardisierung unterworfen, die das Neue schnell reglementiert und zur Routine erstarren lässt. Auch die Mannigfaltigkeit der Medienformen und -inhalte bewirkt sowohl eine Steigerung der Möglichkeiten als auch zusätzliche Risiken. Die Differenzierung zwischen interessanten und wertlosen Informationen fällt immer schwerer; Routine, Apathie und Vergleichgültigung werden zu einem wesentlichen Schutzmechanismus gegen das Übermaß an Informationen. Als dritte gesellschaftliche Rahmenbedingung ist die Globalisierung anzuführen. Auch sie bewirkt Ambivalenzen in Bezug auf die
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Entwicklung der Individualität. Allerdings verteilen sich Chancen und Risiken hier auf die verschiedenen Bereiche der Globalisierung. Während die ökonomische Globalisierung z.B. durch die Auslagerung von Arbeitsplätzen im Produktionssektor in so genannte »Billiglohnländer« bzw. Länder mit geringeren Umweltauflagen eher zu einer Ausbreitung und Intensivierung sozialer Ungleichheit beiträgt, Arbeitslosigkeit in bestimmten Arbeitsmarktsegmenten und Armut fördert, leisten die kulturelle Globalisierung in Form der Förderung und Ausbreitung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien und die politische Globalisierung vor dem Hintergrund der Entstehung weltweit agierender zivilgesellschaftlicher Organisationen (Greenpeace, Attac, Occupy-Bewegung etc.) eher einen positiven Beitrag für die vielfältige Gestaltung von Individualität. Die unterschiedlichen Varianten des Zusammenspiels von Individualisierung, Pluralisierung und Globalisierung sind von Scherr (2005, S. 17) auch als »Möglichkeitsräume« dargestellt worden, in deren Rahmen sich Individualität sehr unterschiedlich entfalten kann. Zudem können diese Möglichkeitsräume selbst ambivalent und vielfältig sein, also keineswegs homogen und eindimensional. Ihre Einwirkung ist auch beschränkt, denn Individualität entwickelt sich stets im Kontext konkreter Interaktionen und Kommunikationen in zahlreichen sozialen und nur mehr oder weniger stark institutionalisierten Kontexten. Eine modellhafte Darstellung gesellschaftlicher Integration: System- und Sozialintegration Ein in den Sozialwissenschaften allgemein akzeptiertes Modell, in dem der Integrationsprozess der Menschen umfassend dargestellt werden kann, ist das der System- und Sozialintegration (Habermas 1988). Mit der systemischen Integration ist die Eingliederung der Menschen in die gesellschaftlichen Funktionssysteme der Bildung, der Arbeit, der Politik, der Gesundheit und des Wohnens gemeint. Hier steht die gesellschaftliche Partizipation im Mittelpunkt der Betrachtung. Die soziale Integration bezieht sich u.a. auf die kulturellen Werte und Traditionen,
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die sozialen Bindungen und auf das Rollenverhalten. Sie betrifft die Entwicklung der Persönlichkeit und der Identität jeder einzelnen Person in unserer Gesellschaft. Die systemische und soziale Integration verlaufen oft nicht linear. Stattdessen sind Fälle nicht selten anzutreffen, in denen die systemische Integration als erfolgreich einzustufen ist, die soziale Integration aber als problematisch bezeichnet werden muss – oder umgekehrt.4 Die Systemintegration zielt auf die Integration der Menschen in die gesellschaftlichen Systeme. Scheitert die Integration in ein bestimmtes gesellschaftliches System (indem z.B. kein Bildungsabschluss erzielt oder kein Arbeitsplatz gefunden wird), kann Armut bzw. soziale Ungleichheit entstehen. Ziel der Sozialintegration ist die Anerkennung der Individuen im Rahmen ihrer kulturellen Orientierungen bzw. die Herstellung von kultureller Diversität. Misslingt die Sozialintegration (indem z.B. bestimmte kulturelle Werte und Traditionen nicht anerkannt werden), entsteht kulturelle Homogenität bzw. Uniformität. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass soziale Ungleichheit ein Produkt misslingender Systemintegration und kulturelle Diversität ein Produkt gelingender bzw. erfolgreicher Sozialintegration ist. Diese Differenzierung hat erhebliche Auswirkungen auf die Entwicklung einer pädagogischen oder sozialarbeiterischen Praxis. Misslingende Systemintegration durch soziale Ungleichheit, Bildung und Ausbildung gelten aus soziologischer Sicht nicht nur als wesentliche Bestandteile der Lebenslage, sondern auch als die wichtigsten Ressourcen der Veränderung derselben. Dies gilt insbesondere für Jugendliche und Heranwachsende, da die Bildungs- bzw. Ausbildungsphase gemeinhin als Vorbereitung und Übergang zum Erwachsensein
4
Zu denken ist – für den ersten Fall – an Personen, die z.B. über einen hohen Bildungsgrad, einen gesicherten Arbeitsplatz und ein hohes Einkommen verfügen, sich jedoch gleichzeitig an fundamentalistischen Werten und Traditionen orientieren und ein klassisches Rollenverhalten pflegen. Solche Fälle existieren im Übrigen in unterschiedlichen Milieus und unabhängig von der Staatsangehörigkeit.
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gewertet wird. Ob diese Phase zu einem Moratorium wird oder als Transition (Reinders 2003) bezeichnet werden kann, hängt maßgeblich davon ab, wie erfolgreich sie absolviert wird bzw. inwiefern die Integration in den Arbeitsmarkt gelingt. Die im Bildungssystem erworbenen bzw. nicht erworbenen Qualifikationen sind somit eine entscheidende Voraussetzung für die Positionierung am Arbeitsmarkt. Vor dem Hintergrund der Bildungsexpansion sind die erworbenen Qualifikationen allerdings nur eine Voraussetzung und kein Garant für eine erfolgreiche Positionierung. Die PISA-Ergebnisse haben nachgewiesen, dass sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche, insbesondere solche mit Migrationshintergrund, das deutsche Bildungssystem nur mit geringem Erfolg absolvieren.5 Belegt ist auch, dass meist nicht sie für diese Misere verantwortlich zu machen sind, sondern dass vor allem die frühe, nach vier Jahren Grundschule erfolgende Selektion einer angemessenen Förderung dieser Kinder und Jugendlichen nicht gerecht werden kann (hierzu Maaz et.al. 2010). Auch die vielmals glorifizierte soziale Mobilität des dreigliedrigen Schulsystems ist ein Mythos. Zudem erfolgt die Durchlässigkeit nach wie vor eher als Ab- denn als Aufstieg. Die Schule wird deshalb ihrem staatlichen Auftrag inzwischen nicht mehr gerecht und das bestehende Schichtengefüge wird eher zementiert. Betrachtet man sich die Schulabschlüsse ausländischer Kinder und Jugendlicher bundesweit zwischen 1983 und 2003 (Geißler 2006, S. 244, Tabelle 11.5), wird deutlich, dass es in den ersten zehn Jahren zu einer deutlichen Verbesserung der Schulabschlüsse von Bildungsinländer_innen gegenüber den deutschen Schüler_innen gekommen ist. In den darauf folgenden zehn Jahren konnte diese sukzessive Verbesserung jedoch nicht fortgesetzt werden, so dass ausländische Kinder und Jugendliche weiterhin deutlich seltener eine der drei quali-
5
Berücksichtigen muss man allerdings, dass es zwischen den einzelnen Migrationsgruppen deutliche Unterschiede gibt. Auch innerhalb einer Migrantengruppe gibt es sowohl Bildungsverlierer als auch -gewinner.
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fizierten Abschlussformen der Fachoberschulreife, der Fachhochschulreife oder der Hochschulreife erreichen als deutsche.6 Die Bildungsmisere hat auch direkte Auswirkungen auf die Ausbildungssituation der Jugendlichen. Die mit der Bildungsexpansion verbundene Inflation der Bildungsabschlüsse bedeutet für den Ausbildungsmarkt, dass Jugendliche ohne Schulabschuss oder mit Hauptschulabschluss kaum noch Chancen auf einen Ausbildungsplatz haben. Während Banken oder Versicherungen früher Jugendlichen mit Hauptschulabschluss durchaus einen Ausbildungsplatz angeboten haben, zählt für diese Unternehmen heute nur noch das Abitur als Eintrittskarte für eine Ausbildung in ihrem Metier. Im Wettbewerb um Ausbildungsplätze konkurrieren ausländische Jugendliche mit deutschen Jugendlichen 7 um das seit 1995 knapper werdende Lehrstellenangebot (vgl. im Folgenden Geißler 2006, S. 246). War der Anteil der ausländischen Auszubildenden unter den berufsschulpflichtigen Jugendlichen zwischen 1980 und 1994 noch von 19 % auf 44 % gestiegen, so betrug er 2001 nur noch 38 % und im Jahr 2005 nur noch 25 % (vgl. Uhly/Granato 2006). Zwar ist der Anteil der Ausbildungsbeteiligungsquote deutscher Jugendlicher ebenfalls gesunken, jedoch nur um
6
Inzwischen hat sich die Situation etwas verbessert. Dennoch klafft weiterhin eine enorme Lücke zwischen Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund in Bezug auf schulischen Erfolg. 16,1 % der männlichen ausländischen Schulabgänger_innen und Absolvent_innen verließ die Schule im Jahr 2009 ohne einen Abschluss. Damit ist der Anteil mehr als doppelt so hoch wie bei der deutschen Vergleichsgruppe. Auch bei den Schüler_innen, die einen Abschluss erzielt haben, bestehen deutliche Unterschiede zwischen Ausländer_innen und Deutschen. So verlassen ausländische Absolvent_innen die Schule häufiger mit einem Hauptschulabschluss und seltener mit einer Fach- oder einer allgemeinen Hochschulreife oder einem Realschulabschluss als die deutschen. (Vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2011b).
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Die Berufsbildungsstatistik des Statistischen Bundesamtes erfasste bis 2004 nur die Staatsangehörigkeit, nicht den Migrationshintergrund.
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11 % seit 1994. Damit liegt sie um fast 60 % höher als diejenige ausländischer Jugendlicher. Restriktive kulturelle, familiäre oder individuell bedingte Einstellungsmuster gegenüber einer beruflichen Karriere oder schulisches Versagen werden häufig als Gründe dieser Entwicklung genannt. Empirische Studien belegen jedoch, dass diese Faktoren nicht für die fatale Entwicklung herangezogen werden können (vgl. Granato 2006). Bedeutsamer ist in diesem Zusammenhang, dass eine höhere Qualifikation für Jugendliche mit Migrationshintergrund nicht gleichbedeutend ist mit einer Zunahme an Chancen auf einen Ausbildungsplatz. Die ansonsten gültige hohe Korrelation zwischen hoher Qualifikation und hohen Chancen auf einen Ausbildungsplatz gilt für die Gruppe der Jugendlichen mit Migrationshintergrund nur sehr eingeschränkt. Während 25 % der ausländischen Bewerber_innen mit Hauptschulabschluss nur wenig seltener als deutsche Bewerber_innen (29 %) einen Ausbildungsplatz finden, steigt die Differenz bei Realabschlussabsolvent_innen bereits deutlich an. Hier erlangen immerhin 47 % der deutschen Bewerber_innen einen Ausbildungsplatz, hingegen nur 34 % der ausländischen Absolvent_innen. Besonders deutlich ist der Unterschied dann bei denjenigen, die zudem auch noch eine gute Mathematiknote erreichen: Hier sind es 64 % der deutschen und nur 41 % der ausländischen Bewerber_innen, die eine Ausbildung beginnen können (zu den Zahlen vgl. Granato 2006). Auch neuere Studien (vgl. Beicht 2011), die nicht mehr den Status als Ausländer_in oder Migrant_in verwenden, sondern die Anzahl Auszubildender mit bzw. ohne Migrationshintergrund berechnen, zeigen ähnliche Ergebnisse. Während in Bezug auf das Erreichen des Hauptschulabschlusses die Differenz zwischen Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund eher gering ist, steigt sie mit einer höheren Qualifikation deutlich an. Zudem lassen sich auf dem Ausbildungsmarkt – neben der ethnischen Diskriminierung – auch geschlechtsspezifische Diskriminierungsmuster nachweisen. Junge Männer schneiden bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz für beide Gruppen (mit und ohne Migrationshintergrund) deutlich besser ab. Verfolgt man den weiteren Verlauf
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dieser Biografien stellt man zudem fest, dass die Alternativen zum Ausbildungsplatz für Jugendliche mit Migrationshintergrund nochmals deutlich schlechter sind als für Jugendliche ohne Migrationshintergrund (vgl. Beicht 2011, S. 15, Übersicht 9). Tabelle 1: Einmündung in betriebliche Ausbildung nach Migrationshintergrund und Schulabschlussniveau Einmündung in Ausbildung
ohne
mit
Migrations-
Migrations-
hintergrund
hintergrund
27,8
23,7
Bei mittlerem Schulabschluss
47,7
29,3
Bei (Fach-)Hochschulreife
53,3
44,9
insgesamt
41,8
28,0
Bei maximal Hauptschulabschluss
Quelle: Beicht 2011
Beim Vergleich des Verbleibs der Bewerber_innen erkennt man, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund in Bezug auf Arbeitslosigkeit, Jobben, Praktikum, berufsvorbereitende und berufsorientierende Maßnahmen (die so genannten »Warteschleifen«) überproportional oft vertreten sind. Außerdem sind Jugendliche mit Migrationshintergrund, die die (Fach-)hochschulreife erlangt haben, seltener an einer Universität, (Fach-)hochschule oder Berufsakademie anzutreffen. An dieser Stelle zeigt sich, dass die als Gatekeeper fungierenden Personalleiter_innen in den Ausbildungsfirmen Jugendlichen mit Migrationshintergrund offensichtlich nicht dieselben Chancen einräumen wie Jugendlichen ohne Migrationshintergrund. Dies bestätigen auch andere Studien.8 Mit an8
Vgl. hierzu Imdorf 2008. Der Autor zeigt auf, dass so genannte schulische Defizite keine hinreichende Erklärung liefern für das schlechte Abschneiden von Jugendlichen mit Migrationshintergrund auf dem Ausbildungsund Arbeitsmarkt. Stattdessen weist er nach, dass Organisationen, die Aus-
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deren Worten: Selbst bei hoher Anstrengung und guten Leistungen bleibt Jugendlichen mit Migrationshintergrund der soziale Aufstieg systematisch versperrt. Menschen mit Migrationshintergrund und insbesondere Ausländer_innen finden häufig nur eine Anstellung in niedrig qualifizierten Arbeitssegmenten und sind zudem überproportional stark von Arbeitslosigkeit betroffen. Wenn sie eine Arbeit finden, dann meistens in körperlich anstrengenden, gefährlichen, gesundheitsschädigenden und schlecht bezahlten Berufen (vgl. Geißler 2006, S. 242f.). Weitaus erschreckender als der trotz Arbeit erlangte geringe berufliche und soziale Status der Menschen mit Migrationshintergrund ist ihre deutliche Überrepräsentation in der Arbeitslosenstatistik. Bundesweit und auf die gesamte Bevölkerung bezogen war der Anstieg der Arbeitslosigkeit seit 2000 bei der Gruppe der Ausländer_innen deutlich höher, und auch die positive konjunkturelle Entwicklung in den letzten Jahren hat in Bezug auf die Gruppe der Menschen ohne deutschen Pass bisher nur wenige positive Auswirkungen gehabt. Die Statistik zeigt, dass der Abstand zwischen Deutschen und Ausländer_innen in Bezug auf die Arbeitslosenquote 1996 noch relativ gering war. Bis 2006 hat er sich sukzessive vergrößert. Lag die Arbeitslosenquote der Ausländer_innen in 1996 »nur« ca. 40 % über derjenigen der Deutschen, so lag sie im Jahr 2007 bereits fast 120 % höher. Und auch in den Folgejahren ist diese Differenz nicht mehr geschrumpft. Mit anderen Worten: Gerade in Bezug auf prekäre ökonomische Verhältnisse hat die Differenz zwischen Deutschen und Ausländer_innen
bildungsplätze vergeben, höchst selektiv bei ihrer Vergabe verfahren, d.h. Menschen ohne Migrationshintergrund systematisch vorziehen, indem sie z.B. in der industriellen Welt als »weniger kompetent und damit leistungsfähig« gelten, in der Marktwelt »ein Kundenrisiko darstellen« oder in der häuslichen Welt »als potenzielle Störer einer eingespielten sozialen Ordnung wahrgenommen werden« (Imdorf 2008, S. 145).
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seit 1999 bundesweit jahrelang stark zugenommen und sich seit 2007 auf einem hohen Niveau eingependelt.9 Tabelle 2: Arbeitslosigkeit nach Nationalität in Prozent Jahr
Deutsche
Ausländer
1996
13,9
19,5
1998
11,7
20,1
2000
10,2
17,1
2002
10,2
18,8
2004
11,0
20,3
2006
11,0
23,6
2007
9,3
20,3
2010
7,0
15,7
2011
6,4
14,6
2012
6,2
14,3
2013
6,2
14,4
2014*
6,5
15,3
* Januar 2014; Quelle: Bundesagentur für Arbeit (BA): Analytikreport der Statistik, 04/2008; Bundesagentur für Arbeit (BA): Analytikreport der Statistik, 01/2012; Bundesagentur für Arbeit (BA): Analytikreport der Statistik, 01/2014
Die Statistik zeigt, dass der Abstand zwischen Deutschen und Ausländer_innen in Bezug auf die Arbeitslosenquote 1996 noch relativ gering war. Bis 2006 hat er sich sukzessive vergrößert. Lag die Arbeitslosenquote der Ausländer_innen in 1996 »nur« ca. 40 % über derjenigen der 9
Auch die Bundesagentur für Arbeit unterscheidet nach wie vor nur zwischen Deutschen und Ausländer_innen. Anders agiert inzwischen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (vgl. BAMF 2011a, S. 58). Allerdings verdeutlicht dessen aktuelle Statistik aus dem Mikrozensus von 2009 (ebd.), dass die Arbeitslosigkeit auch bei Menschen mit Migrationshintergrund etwa doppelt so hoch ist (13,1 %) wie bei Menschen ohne Migrationshintergrund (6,6 %).
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Deutschen, so lag sie im Jahr 2007 bereits fast 120 % höher. Und auch in den Folgejahren ist diese Differenz nicht mehr geschrumpft. Mit anderen Worten: Gerade in Bezug auf prekäre ökonomische Verhältnisse hat die Differenz zwischen Deutschen und Ausländer_innen seit 1999 bundesweit jahrelang stark zugenommen und sich seit 2007 auf einem hohen Niveau eingependelt.10 Auch die Wohnsituation bzw. das -quartier spielt eine erhebliche Rolle bei der systemischen Integration. Sozial Benachteiligte und Menschen mit Migrationshintergrund wohnen häufig in marginalisierten Quartieren, deren Infrastruktur schlechter ist als in anderen Quartieren und die zudem ein erhebliches Stigmatisierungspotenzial enthalten (ausführlicher Ottersbach 2004; 2009). Hier spiegelt sich soziale Ungleichheit bzw. Armut auch (sozial-)räumlich wider. Die im Zuge des so genannten »Postfordismus« entstandenen Quartiere sind »Produkte« einer langjährigen Polarisierung und Marginalisierung. Die Polarisierung von Städten in Deutschland und von Quartieren innerhalb der Städte vollzog sich vor dem Hintergrund umfangreicher Wirtschaftsreformen. Sinkendes Wirtschaftswachstum, Rationalisierung und Arbeitsplatzverlagerung, abnehmende bzw. sich ausdifferenzierende Konsumbereitschaft innerhalb des Landes, steigende Arbeitslosigkeit und der beginnende Um- und Abbau des Wohlfahrtsstaates sind die Eckpunkte dieser Entwicklung, die auch erhebliche Auswirkungen auf Ungleichheits- und Exklusionsprozesse und ganz konkret auf das Zusammenleben der Menschen in den Quartieren haben. Mit der Rekonstruktion der Entwicklung segregierter oder polarisierter Regionen und Quartiere ist das Phänomen der Marginalisierung von Regionen oder
10 Auch die Bundesagentur für Arbeit unterscheidet nach wie vor nur zwischen Deutschen und Ausländer_innen. Anders agiert inzwischen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (vgl. BAMF 2011a, S. 58). Allerdings verdeutlicht dessen aktuelle Statistik aus dem Mikrozensus von 2009 (ebd.), dass die Arbeitslosigkeit auch bei Menschen mit Migrationshintergrund etwa doppelt so hoch ist (13,1 %) wie bei Menschen ohne Migrationshintergrund (6,6 %).
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städtischer Quartiere jedoch noch nicht vollständig erfasst. Marginalisierung impliziert prinzipiell zwei Aspekte: eine Polarisierung bzw. Segregation zwischen Sozialräumen und eine Stigmatisierung gewisser Sozialräume als »sozialer Brennpunkt«, »Parallelgesellschaft«, »Türkenviertel«, »Ghetto« oder »Banlieue« in Frankreich. Mit anderen Worten: in einen marginalisierten Zustand gerät eine Region oder ein Quartier erst, wenn neben der Segregation auch eine Stigmatisierung stattfindet. Die Unterscheidung dieser beiden Prozesse ist wichtig, da nicht jede segregierte Region oder jedes segregierte Quartier auch gleichzeitig einem Stigma unterliegt. Zudem kann der Ruf eines Quartiers sich durchaus ändern, auch dann, wenn die Sozialstruktur sich nicht oder kaum verändert, es also weiterhin im Grunde ein ökonomisch »abgespaltenes« Quartier ist (vgl. Ottersbach 2009, 52ff.). Auch spezielle, auf bestimmte Sozialräume bezogene Förderprogramme wie das Bundesprogramm »Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – Die Soziale Stadt«, vergleichbare Länderprogramme oder spezielle Programme für Jugendliche in marginalisierten Sozialräumen haben die Infrastruktur bzw. die konkrete Lebenssituation der Bewohner_innen dieser Quartiere nur partiell verbessern können (vgl. Walther 2002; Deutsches Institut für Urbanistik 2003, Lang 2009). Erfolgreiche Sozialintegration durch kulturelle Diversität Die Ausdifferenzierung der Lebenswelten bzw. die Ausbreitung kultureller Diversität ist in modernen Gesellschaften fortgeschritten. Neuere Milieustudien zeigen, dass Individualisierung und Pluralisierung alle gesellschaftlichen Gruppen betreffen. Verschiedene aktuelle empirische Studien zeigen zudem, dass die individuelle Ausrichtung der Lebensstile und die Ausbildung unterschiedlicher sozialer bzw. kultureller Milieus weniger auf der Basis des Migrationshintergrunds, sondern vor allem schicht- und milieuspezifisch erfolgt. Eine eigene Studie zum subjektiven Umgang von Jugendlichen mit Migrationshintergrund mit ihrer Lebenslage (vgl. Ottersbach/Skaloud/
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Deimann 2010) hat gezeigt, dass Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund in Selbstbeschreibungen zu ganz »normalen« Kindern und Jugendlichen werden. Sie sind primär Kinder ihrer Eltern, Geschwister, Schüler_innen, Auszubildende, Freunde und Nachbar_innen und erst sekundär Menschen mit Migrationshintergrund. Familie, Erziehung und Bildung, der Übergang von der Schule in den Beruf sowie soziale Netzwerke, also Freundschaften bzw. peer groups, sind zentrale Felder des Lebensumfeldes von Kindern und Jugendlichen sowohl mit als auch ohne Migrationshintergrund. Die Aussagen der Jugendlichen verdeutlichen exemplarisch, wie sie sich in jedem dieser Felder zwischen Autonomie und Anpassung bewegen und ganz unterschiedliche Bewältigungsformen entwickelt haben. Die Probleme dieser Kinder und Jugendlichen sind kaum zu unterscheiden von denen ohne Migrationshintergrund (abgesehen von rechtlichen oder von Sprachproblemen). Ihr Status, ihr Bildungsgrad (derjenige der Eltern und der eigene), ihre sozialen Netzwerke, ihr Wohnort etc. sagen mehr aus über die Lebenslage und den subjektiven Umgang damit als der Migrationshintergrund. Im Zusammenhang mit der subjektiven Bewältigung der Lebenslage sind auch die Lebensstile bzw. die sozialen Milieus von Interesse. In sozialen Milieus kumulieren ähnliche oder vergleichbare Lebensstile. Einen Ansatz zur differenzierten Betrachtung von Lebensstilen und sozialen Milieus von Menschen mit Migrationshintergrund liefert z.B. die Sinus-Studie zu Migrantenmilieus von 2008 (vgl. Sinus Sociovision 2008). Darin wird deutlich, dass Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland bezüglich ihrer sozialen Lage, ihrer kulturellen Orientierungen und ihrer Lebensauffassungen und -weisen eine sehr heterogene Gruppe sind.11 Man kann weder von der Herkunftskultur
11 Allerdings muss man darauf hinweisen, dass die soziale Lage der Menschen mit Migrationshintergrund deutlich weniger heterogen ist als diejenige der Menschen ohne Migrationshintergrund und zudem starke Unterschiede bezüglich der Herkunftsstaaten aufweist. Sie ist weniger heterogen, weil die Menschen sich vor allem in den Milieus der Unterschicht sam-
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auf das soziale Milieu schließen noch ein soziales Milieu auf eine spezifische Herkunftskultur reduzieren. Damit verbindet Zuwander_innen mehr mit Menschen des gleichen sozialen Milieus als mit Landsleuten aus anderen Milieus. Der Einfluss religiöser Traditionen wird bei Menschen mit Migrationshintergrund oft überschätzt. 84 % der Befragten betrachten Religion als Privatsache und drei Viertel wenden sich entschieden gegen fundamentalistische Einstellungen. Nur in dem kleinsten aller Milieus, dem religiös verwurzelten Milieu (welches nicht nur Muslime umfasst), spielt Religion eine durchgehend alltagsbestimmende Rolle. Diesem Milieu gehören jedoch nur 7 % aller Menschen mit Migrationshintergrund an. Die Sinus-Studien haben viele Ergebnisse hervorgebracht, wie z.B. die kulturelle und soziale Heterogenität der Gruppen mit Migrationshintergrund, die hohe Bedeutung des sozialen Status, des Bildungshintergrunds und der urbanen Herkunft gegenüber der ethnisch-kulturellen Herkunft, die hohe Leistungs- und Integrationsbereitschaft bei der Mehrheit, die zahlreichen Diskriminierungserfahrungen und die eher geringe Bedeutung von Religiosität bei einer großen Gruppe der Personen mit Migrationshintergrund. Eine weitere eigene Studie (vgl. Farrokhzad/Ottersbach/Tunc/Meuer-Willuweit 2011) hat verdeutlicht, dass es im Vergleich der Rollenverständnisse bzw. der Geschlechterarrangements zwischen Angehörigen unterschiedlicher Nationalitäten mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen Befragten mit und ohne Migrationshintergrund gibt. Geschlechterarrangements erschließen sich vornehmlich aus der Generationenzugehörigkeit, dem Bildungsniveau und aus individuellen Lebensereignissen (z.B. Geburt von Kindern). Ausschlaggebend ist insbesondere das Verhältnis zwischen Generationenzugehörigkeit und Geschlechterleitbildern. Denn tendenziell hat bei den Jüngeren eine (bedingte) Egalisierung der Geschlechterarrangements im Vergleich zur Elterngeneration stattgefunden, zum Teil wurde der Status quo der
meln. Eine Ergänzungsstudie zu den sozialen Milieus der Menschen mit türkischem Migrationshintergrund verdeutlicht dies.
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Eltern erhalten. Innerhalb der Generationen wiederum findet sich vor allem ein Zusammenhang zwischen Geschlechterarrangements und Bildungsniveaus. Höhere Bildungsniveaus gehen tendenziell mit egalitäreren Geschlechterarrangements einher und Frauen tendieren eher als Männer zu egalitären Geschlechterarrangements. Zudem wurde einmal mehr klar, dass sich kein eindeutiger Zusammenhang zwischen Geschlechterarrangement und (kultureller) Integration ergibt.12 Somit erweist es sich als unproduktiv, Geschlechterarrangements bzw. Rollenverständnisse unter dem Vorzeichen der Integration zu diskutieren. Soziale Ungleichheit und kulturelle Diversität als Herausforderungen für die Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft Von sozialer Ungleichheit bzw. Armut sind Menschen in marginalisierten Quartieren und Menschen mit Migrationshintergrund in besonders starkem Maße betroffen. Bildung, Ausbildung und Arbeitsmarktzugang als zentrale Aspekte der Systemintegration stellen für diese Gruppen häufig institutionalisierte Sackgassen dar (vgl. Ottersbach 2010). Zudem hat ihr Wohnort, das marginalisierte Quartier, häufig eine stigmatisierende Wirkung auf die Bewohnerschaft. Während die Systemintegration somit viele Defizite in Bezug auf die Zielgruppe offenbart, erscheint die Sozialintegration erfolgreicher verlaufen zu sein. Die Gesellschaft ist durch Globalisierung, Individualisierung und Pluralisierung eindeutig kulturell diverser geworden und dies ist als ein Erfolg zu bewerten. Vor dem Hintergrund dieser teils ernüchternden, teils positiv stimmenden Analyse ist die Soziale Arbeit zunächst aufgefordert, ihre Grenzen und Einflussmöglichkeiten realistisch einzuschätzen, um sich
12 So kann ein Mann mit »konservativem Geschlechterarrangement« ohne Probleme systemisch betrachtet »sehr gut integriert«, hingegen ein Mann mit »egalitärem Geschlechterarrangement« durchaus »schlecht integriert« sein.
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anschließend auf bestimmte Arbeitsbereiche konzentrieren zu können. Die Grenzen sozialarbeiterischer Interventionen bilden vor allem die Einwanderungspolitik bzw. die politisch-rechtliche Situation der Menschen mit Migrationshintergrund, die Konjunktur- bzw. Arbeitsmarktentwicklung, die Sozialpolitik und die Integrationspolitik. Allerdings impliziert ein offensives Berufsverständnis von Sozialer Arbeit durchaus eine Kritik dieser Politiken in der Öffentlichkeit. In Bezug auf ihre Einflussmöglichkeiten sollte sich die Soziale Arbeit insbesondere auf die o.g. Gruppen konzentrieren, jedoch ohne sie gleichzeitig als Sondergruppen zu stigmatisieren und sie prinzipiell von anderen Gruppen durch institutionell getrennte Angebote fernzuhalten. In Bezug auf die Systemintegration sollte ihr primäres Ziel sein, von sozialer Ungleichheit bzw. Armut Betroffene in ihrer Situation zu unterstützen, also zu versuchen, soziale Ungleichheit bzw. Armut abzubauen. Dabei geht es vor allem um die Unterstützung bei der Verbesserung der gesellschaftlichen Partizipation dieser Zielgruppen in allen ihren Facetten wie ökonomische Sicherheit, die Förderung sozialer Netzwerke, die Unterstützung in Bezug auf den Erwerb von Bildungsqualifikationen etc. In Bezug auf die Sozialintegration ist die Soziale Arbeit mit anderen Anforderungen konfrontiert. Hier sollte es ihr vor allem um die Anerkennung verschiedener kultureller Orientierungen, Lebensstile und sozialer Milieus gehen. Diese Einflussmöglichkeiten lassen sich anhand der Aneignung folgender Kenntnisse bzw. Kompetenzen darstellen, womit auch die Konstruktion des Studiengangs der Sozialen Arbeit angesprochen ist. Zu nennen ist die Kenntnis und die Anerkennung der unterschiedlichen Lebenslagen und Lebensstile sowohl sozial benachteiligter als auch von Menschen mit Migrationshintergrund. Wichtig sind Kenntnisse des ökonomischen, politischen bzw. rechtlichen, sozialen und kulturellen Kapitals (vgl. Bourdieu 1983) sowie eine konkrete Erkundung und Analyse des Sozialraums bzw. des Milieus (Familie, Kindergarten, Schule, Ausbildungsstätte, Arbeitsplatz, peer group etc.); dies kann durch teilnehmende Beobachtung oder aktivierende Befragung erfolgen. Auch die Entstehung und Ausformung indirekter und direkter Dis-
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kriminierung und Stigmatisierung in Schule und Ausbildung und – bei Flüchtlingen – die Kenntnis von Flucht- und Traumatisierungserfahrungen stehen im Fokus der Betrachtung. Zwar sind die Lebenslagen der Menschen mit Migrationshintergrund tendenziell ähnlich. Dennoch differieren ihre subjektiven Verarbeitungsformen. Diese zu erkunden, ist eine wesentliche Aufgabe einer kritischen Sozialen Arbeit. Zur Erkundung des individuellen bzw. subjektiven Umgangs mit der Lebenslage ist die Kenntnis geeigneter qualitativer, respektive biografischer Methoden und entsprechender Auswertungsverfahren unerlässlich. Zudem sind die Reflexion sozialarbeiterischer Praxis (insbesondere bezüglich eigener Stigmatisierung), die Kenntnis europäischer, nationaler und regionaler Förderprogramme, das Wissen um die Möglichkeiten zur Kooperation und Vernetzung, aber auch die Kenntnis der grundlegenden Methoden der Sozialen Arbeit wie Einzelhilfe, Projekt- und Gruppenarbeit und Gemeinwesenarbeit von Bedeutung (ausführlicher Ottersbach 2012a). Literatur Beck, Ulrich (1997): Kinder der Freiheit. Wider das Lamento über den Werteverfall. In: Beck, Ulrich (Hg.): Kinder der Freiheit. Frankfurt a.M., 9-33. Beicht, Ursula (2011): Junge Menschen mit Migrationshintergrund: Trotz intensiver Ausbildungsstellensuche geringere Erfolgsaussichten. In: BIBB-Report 16, 1-19. Bourdieu, Pierre (1983): Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital. In: Kreckel, Reinhard (Hg.): Soziale Ungleichheiten. Soziale Welt, Sonderband II, Göttingen, 183-198. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) (Hg.) (2011a): Migranten am Arbeitsmarkt in Deutschland. Working Paper 36 aus der Reihe »Integrationsreport«, Teil 9. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) (Hg.) (2011b): Anteil der erreichten Schulabschlüsse nach Nationalität und Geschlecht, Jahr 2009, Online: www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/
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Transformation der Gemeinwesenarbeit? Über Rollenkonflikte und Möglichkeitsräume in der Konjunktur des Lokalen J UDITH K NABE /A NNE VAN R IESSEN /R OLF B LANDOW
Die Gestaltung städtischer Quartiere findet in einem interdisziplinären Feld statt, indem nicht nur Städtebau, Architektur, kommunale Stadtverwaltung, Stadtpolitik und Stadtsoziologie, sondern auch die Soziale Arbeit traditionell eingebunden ist. Verschiedene Ansätze der Sozialen Arbeit im Quartier sind in den letzten Jahrzehnten mit ihrer jeweiligen Rolle diskutiert worden, so etwa die Entwicklungen der Gemeinwesenarbeit, des Quartiersmanagements, des Community Organizing oder der Sozialraumorientierung. Dabei gibt es drei Hauptlinien, die sich abzeichnen und kontrovers diskutiert werden. 1. Betrachtung der Steuerungsinteressen Wie sind die Vertreter_innen der Sozialen Arbeit in das stadtpolitische Gefüge eingebunden und von wem bekommen sie ihre Aufträge? Handelt es sich um Prozesse, die eher ›von oben nach unten‹ verhandelt werden, also von der Verwaltung und der Politik zu den Bürger_innen oder geht es eher um Prozesse, die ›von unten nach oben‹ verlaufen und somit den Bürger_innenwillen an die Politik kommunizieren?
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Können wir überhaupt von ›oben‹ und ›unten‹ sprechen oder geht es eher um stark verwobene (Macht)prozesse, bei denen die Zuordnung der Aufträge, Rollen und Interessen schwieriger wird? 2. Betrachtung des Rollenverständnisses In welcher Rolle sehen sich die Vertreter_innen der Sozialen Arbeit im Quartier? Verstehen sie sich als intermediäre Instanz zwischen Bürger_innen und Politik/Verwaltung? Verstehen sie sich als Vertreter_in von Verwaltung? Oder treten sie stark parteilich im Sinne der Bürger_innen auf? Und welches Rollenverständnis bringen damit auch implizite und unbewusste Prozesse mit sich, die wenig thematisiert werden, wie etwa paternalistische/maternalistische Haltungen gegenüber Bewohner_innen? 3. Betrachtung der Einheiten und Bezüge Auf welche Einheiten bezieht sich Soziale Arbeit im Lokalen? Ist das Festhalten an der territorialen (auf ein bestimmtes Gebiet bezogen), kategorialen (auf Lebensbereiche wie Wohnen, Freizeit, Gesundheit etc. bezogen) und funktionalen Logik (nach Alter, Geschlecht, Nationalität usw.) (vgl. Boer/Utermann 1970) noch zeitgemäß (vgl. Reutlinger 2011)? Seit Beginn der Entwicklung gemeinwesenorientierter Ansätze – beispielsweise in Chicago 1896 im Hull House – wurden diese Fragen zentral diskutiert und alle neu entstehenden Ansätze zur Arbeit in städtischen Quartieren mussten sich in Folge daran messen lassen, welche Linien sie hier verfolg(t)en. »Inzwischen ist man« – wie Maja Heiner (1994, S. 90) treffend resümiert – »reichlich desillusioniert, sowohl was die Mobilisierbarkeit der Bewohner_innen als auch die Möglichkeiten grundlegender gesellschaftlicher Veränderungen angeht. In unterschiedlichen Varianten blickt man auf die ›wilde Zeit‹ von damals zurück, mal spöttisch-hämisch, mal nachsichtig-besserwisserisch, mal trotzig-trauernd, mal zukunftsbesorgt« (zitiert n. Redaktion Widersprüche 1997, S. 4). In dieser nun auch schon wieder über zwanzig Jahre
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alten Darstellung gibt es offenbar alte und neue Zeiten. Es scheint, als seien die fachlichen Diskurse erneut an einem Punkt angelangt, an dem die Positionen überdacht werden müssen. Doch sind es auch tatsächlich neue Fragen bzw. Positionen und Arbeitsansätze, die diskutiert werden? Oder handelt es sich um die alten Fragen in neuen Kontexten? Quasi ›alte Zeiten‹ revisited? Die Gemeinwesenarbeit ist seit den 1970er Jahren immer wieder in Frage gestellt worden; ihre Ansätze und Rollenbilder wurden nicht selten (um-)definiert. Diese (Um-)definitionen wurden häufig nicht aus der eigenen Disziplin angeregt. Durch das besondere Verhältnis Sozialer Arbeit zu Sozialpolitik scheint sie zum einen von Transformationen ›betroffen‹, zum anderen aber auch an Transformationsprozessen in den Quartieren beteiligt zu sein. Der Begriff der Transformation soll im Weiteren darauf hinweisen, dass wir von Veränderungsprozessen im sozialstaatlichen Gefüge ausgehen, im Sinne einer »Umformung des Bestehenden« (Kessl/Otto 2009, S. 10, Hervorhebung im Original), gleichwohl geprägt durch »das Bleibende im sich Verändernden« (Sandermann 2010, S. 447). Die aktuellen städtischen Veränderungen wie verstärkte Segregation in Ballungsgebieten und schrumpfenden Städten und die im Folgenden dargestellten Verweisungsprozesse von wohlfahrtsstaatlichen und sozialpolitischen Aufgaben in Bezug auf die Quartiere, fordern Gemeinwesenarbeit besonders heraus. Sie implizieren bewusste und unbewusste Transformationen auf den verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen (bei den Bewohner_innen, der Quartiersebene, aber auch den sozialpolitischen Akteur_innen), zu deren Diskussion und Offenlegung wir im Folgenden einen Beitrag liefern möchten. Im Weiteren werden wir dazu im ersten Teil die wohlfahrtsstaatlichen Veränderungsprozesse erläutern und in Folge ihre Auswirkungen auf das Lokale aufzeigen. Im zweiten Teil skizzieren wir anhand der Gemeinwesenarbeit in Köln exemplarisch die entscheidenden Transformationen in historischer Perspektive, um abschließend daraus Hinweise auf Rollenkonflikte und Möglichkeitsräume der Gemeinwesenarbeit zur Diskussion zu stellen.
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Gemeinwesenarbeit in veränderten wohlfahrtsstaatlichen Kontexten? Einige wohlfahrtsstaatliche Analysen (vgl. dazu exemplarisch Lessenich 2009, Bröckling 2007, Pongratz/Voß 2004) zeigen deutlich, dass seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts eine grundlegende Veränderung bisher bestehender Logiken der Regulierung sozialer Zusammenhänge und der damit verbundenen Lebensführungsweisen zu beobachten ist. Zunehmend als Problemverursacher gesehen werden dabei seit den 90er Jahren Sozialpolitik, Sozialstaat und Wohlfahrtsstaat, entsprechend haben sich die Begründungsmuster für sozialstaatliche Leistungen neu formiert. Neuere Diskurse weisen zunehmend auf den »investiven« (Rothgang/Preuss 2008, S. 33f.), »produktivistischen« (Olk 2009, S. 23) oder »neosozialen« (Lessenich 2009) Charakter von sozialpolitischen Aktivitäten hin. Ein Wandel vom fürsorgenden und versorgenden Sozialstaat hin zu einem aktivierenden (vgl. Enggruber 2010, Dahme/Wohlfahrt 2003) ist verbunden mit der Argumentation »dass sich die aktive Gesellschaft nicht länger auf ihre historischakkumulierten Tätigkeitspotentiale, Engagements und Beteiligungsbereitschaft verlassen kann, sondern Teilhabe, Mobilität und Identifikation offenbar strategisch einfordern muss« (Schwengel 2008, S. 322). In diesen veränderten Programmausrichtungen ist die Soziale Arbeit vielfach als Aktivierungsinstanz angefragt (vgl. Kessl/Otto 2007, S. 1324f.) und beteiligt. Es bleibt die Frage, wie sich ihre Akteur_innen hier positionieren und ob sie ihre eigene Verwobenheit thematisieren. Mit der veränderten wohlfahrtsstaatlichen Ausrichtung geht eine Konjunktur des Lokalen einher, verbunden mit einer Renaissance der Bedeutung des Raumes. Heinz-Jürgen Dahme und Norbert Wohlfahrt (2010) zeigen deutliche Hinweise auf eine (Re-)Kommunalisierung von politischen Prozessen in den vergangenen Jahren auf. Zunächst bundespolitische Aufgaben wurden vielfach entweder an die kommunale Ebene weitergereicht oder auch gesetzlich und im Rahmen föderaler Neuordnungen in der Kommune verortet, wie Michael Krummacher am Beispiel der Wohnungsförderung (2011) oder Gertrud Kühnlein
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und Birgit Klein am Beispiel der Bildungslandschaften (2011) nachzeichnen. Dahme und Wohlfahrt diskutieren diese Veränderungen sozialpolitischer Arrangements im Sinne einer ambivalenten Aktivierungspolitik – als Chance zur Stärkung der Kommunen und/oder als finanzpolitische Falle der Kürzungen und Budgetierungen (vgl. Dahme/Wohlfahrt 2010, S. 37f.). Dazu zeichnen sie kritisch die Entwicklungen unterschiedlicher Programmatiken nach, wie dem Konzept der Local Governance, dem New Public Management und der Bürger_innenkommune, die zu einer verstärkten Verlagerung von sozialpolitischer Verantwortung in das Lokale geführt haben (vgl. ebenda, S. 28ff.). »Die Propagierung von Local Governance zum neuen Leitbild der Kommunalpolitik ist ursächlich dafür, dass das Lokale, das Gemeinwesen, der soziale Nahraum eine politische Aufwertung erfährt […] die Regulierung des Sozialen ist nicht länger exklusives Vorrecht des nationalen Sozialstaats, sondern wird zu einer genuinen Aufgabe der subnationalen, substaatlichen Ebenen (im Fall der Bundesrepublik: der Kommunen) erklärt. Die alte sozialstaatliche Arbeitsteilung zwischen staatlicher Politikentwicklung und örtlicher Politikumsetzung ist brüchig geworden, da von der lokalen Ebene zunehmend erwartet wird, dass sie eigene Ansätze einer eigenverantwortlichen kommunalen Sozialpolitik entwickelt« (Dahme/Wohlfahrt 2010, S. 16) (siehe zum Konzept der Local Governance auch Schubert in diesem Band). Die Entwicklungen und Ausformungen dieser neuen Strategie sind noch nicht abschließend zu bewerten. Sie bieten zum Einen die Chance zur Stärkung der lokalen Akteur_innen und ihrer Ziele, zum Anderen die Gefahr der Instrumentalisierung der lokalen Governance-Akteur_innen und ihrer ›Potentiale‹. Auch Fabian Kessl und Hans-Uwe Otto (2007a) deuten die Territorialisierung des Sozialen als Substitution bisheriger nationalstaatlicher Integrationspolitiken und zeichnen Prozesse nach, in denen den Gesellschaftsmitgliedern regionale und lokale Zusammenhänge als kleinräumige Identitätsräume Ersatz für bisherige nationalstaatliche Integrationspolitiken bieten sollen. Dies führt zu einer »Regierung über sozia-
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le Nahräume« und damit zu einer »Territorialisierung des Sozialen« (Kessl/Otto 2007a, S. 10), die sie kritisch kommentieren. Kann der Nahraum die an ihn verwiesenen Probleme sozialstaatlich lösen? Holger Ziegler weist in diesem Zusammenhang darauf hin, »dass zumindest in einigen sozialräumlich orientierten Ansätzen soziale Klasseneffekte und Problemkonstellationen, die in einem viel breiteren gesellschaftlichen Verursachungskomplex zu verorten sind, mit Gebietseffekten verwechselt werden« (Ziegler 2010, S. 61). Verkürzt formuliert: Die Menschen sind nicht arm, weil sie in einem bestimmten Gebiet leben, sondern sie leben dort, weil sie arm sind (vgl. ebd.). Ellen Bareis (2008, S. 197) hingegen sieht in der Konjunktur des Lokalen in Form von Quartiersprogrammen und Sozialplanungen primär eine Krise der Dominanz des Nationalen denn eine Neuerfindung des Lokalen. John Clarke spricht aus diesem Grund von einer »Wiederentdeckung der Community als einer Ebene der Regierung« (Clarke 2007, S. 58 zitiert n. Bareis 2008, S. 197f.), was zur derzeitigen europäischen Strategie der cohesion, also des Zusammenhalts in den Leitzielen bis zum Jahr 2020 passt. Die für die Mitgliedsländer bindenden Leitinitiativen sehen im Bereich der Armutsbekämpfung die Stärkung des sozialen und territorialen Zusammenhalts vor. Die Strategie der Europäischen Union (vgl. Europäische Kommission 2010) beruft sich dabei – wie schon in der Lissabon Erklärung – strikt auf das Subsidiaritätsprinzip, möchte jedoch mit einer Gesamtstrategie die Lebensverhältnisse der EU Bürger_innen homogenisieren. Die Leitinitiative des territorial cohesion (vgl. European Union 2011) richtet sich dabei mit ihren Programmen und Förderlinien auf die regionale und kommunale Ebene (z.B. mit dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und dem Europäischen Sozialfonds (ESF)). Dabei stellt sich die Frage, welche Reichweite nationalstaatliche oder auch europäische Politiken in diesem Kontext haben. Während im Fordismus noch die Homogenisierung des nationalen Territoriums vorrangig war z.B. durch Flächentarifverträge und nationalstaatliche sozialpolitische Programme, führt die derzeitige Politik eher zu Divergenzen im Städtischen (Bareis 2008, S. 195f.).Was heißt dies für kommunale Ak-
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teur_innen und die Quartiere vor Ort? Wie gehen sie mit diesen Divergenzen um? Welche Rollenkonflikte und Auftragslagen, aber auch Möglichkeitsräume ergeben sich im Lokalen aus dieser Diagnose? Deutlich wurde in der Vergangenheit, dass die StadtumbauProgramme Ost und West sowie das Programm >Soziale Stadt< (und ihre Förderlinien) bei der Durchsetzung europäischer Ziele und Leitbilder vor Ort eine entscheidende Rolle spielen. Dazu gehören z.B. Teile der wohnungspolitischen Instrumentarien zur Wohnumfeldverbesserung und Infrastrukturförderung, aber auch nicht-investive Mittel zur Förderung der Partizipation. Die finanziellen Mittel dieser Programme wurden allerdings in den vergangenen Jahren erheblich gekürzt, insbesondere die sozialen, die sogenannten nicht-investiven Mittel (vgl. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit 2013). Die Ausstattung der Quartiere wird damit nicht dauerhaft gefördert, sondern unterliegt der ›Projektitis‹, also dem immer wiederkehrenden Prozess der Projektbeantragung. Die Programmlogik der Projektfinanzierungen, sozusagen das hidden curriculum – unabhängig von welchem Träger, scheint das Ideal des ›selbständigen Gemeinwesens‹ mit dem Ziel der Selbständigkeit und Autonomie von Fördergeldern und anderen kommunalen Unterstützungsstrukturen zu sein. Damit weisen die Programme bewusst oder unbewusst die Probleme und ihre Lösungen den spezifischen Quartieren (vgl. Lanz 2000) und ihren Bewohner_innen zu (vgl. Czasny 2004). An diesem Punkt kommt die Soziale Arbeit ins Spiel, die in den neuen Entwicklungen zur Sozialraumorientierung Akteurin dieser Programme ist und nun unter den gegebenen Bedingungen nicht nur Sozial- sondern auch Systemintegration leisten soll (Böhnisch/Schröer 2012, S. 29f.). Damit wird deutlich, dass Soziale Arbeit nicht in einem autonomen und isolierten Handlungsraum stattfindet, sondern eingebettet ist als Teil des »wohlfahrtsstaatlichen Arrangements« (Kessl/Otto 2009, S. 7) das die politischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Kontexte für das Selbstverständnis und die Ausgestaltung Sozialer Arbeit darstellt. Soziale Arbeit wird dabei im Folgenden als ein Teil von Sozialpolitik verstanden, denn als »spezifische sozialstaatliche Regierungsweise des
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Sozialen« (Kessl 2013, S. 26) ist sie als konstitutiver Teil wohlfahrtsstaatlicher Programmatik implementiert und etabliert. Bisher in der theoretischen Debatte unterbelichtet ist dabei jedoch das genaue Verhältnis von Sozialer Arbeit und Sozialpolitik. Eine Verhältnisbestimmung unter gegenwärtigen Bedingungen könnte eine hierarchisierte oder eine Schnittmenge oder aber auch eine gleichberechtigte sein. Aufträge, Rollen und Bezüge der Gemeinwesenarbeit – Entwicklung der Gemeinwesenarbeit in Köln In den ›wilden Zeiten‹ war es meist unzweifelhaft, dass die Aufträge für die Gemeinwesenarbeit aus dem Quartier kamen. Die Symptome gesellschaftlicher Probleme wurden hier sichtbar und von den Gemeinwesenarbeiter_innen zusammen mit den Bewohner_innen aufgegriffen. Konflikte mit Verwaltung und Behörden waren durch das klare parteiliche Vorgehen ein Teil des Selbstverständnisses (vgl. Bitzan/Klöck 1993). Sie wurden nicht als Übel angesehen, das es zu verhindern gilt. Die Stadt Köln begann Ende der neunziger Jahre mit dem Umbau der Gemeinwesenarbeit, welche bis dahin eine lange Tradition hatte (vgl. Peil 2012). Zur Bestimmung der Entwicklungen der Gemeinwesenarbeit halten wir einen historischen Blick auf die Aufträge und deren geschilderten Veränderungen in der Praxis der Quartiersgestaltung für hilfreich. Dazu betrachten wir die Entwicklungen der Gemeinwesenarbeit in Köln seit der Nachkriegszeit. Zu diskutieren ist, ob das Kölner Beispiel Hinweise auf generelle Veränderungen und gar Transformationen liefern kann. Da wir in dem Feld auf wenig empirische Ergebnisse zurückgreifen können (vgl. Oelschlägel 2013), scheint uns der Blick zurück und nach vorne zumindest ein geeignetes Mittel zu sein, um Linien aufzuzeigen, und Fragen an die Disziplin zu stellen.1
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Christian Reutlinger kritisiert, dass die Geschichtsschreibung der Gemeinwesenarbeit sich immer wieder auf die gleichen Quellen und Bezüge beruft und fordert eine systematische historische Aufarbeitung (vgl. Reutlinger
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Die Entwicklung gemeinwesenbezogener Sozialer Arbeit in Köln hat nach dem Zweiten Weltkrieg beginnend 1951 mit Herta Kraus Tradition. Nachbarschaftsheime wie etwa in Köln-Ehrenfeld, die Arbeit in den Obdachlosenunterkünften der sogenannten Hacketäuer Siedlung sowie die kirchlichen Aktivitäten und die Begleitung von Sanierungsprozessen im Severinsviertel des Kölner Südens seien beispielhaft genannt (vgl. Peil 2012). Allen gemeinsam war jedoch bis Ende der 1980er Jahre, dass sie Produkt von individuellen Überzeugungen einzelner oder organisierter Gruppierungen waren. Zumeist erwuchsen die Projekte aus Protest- oder Selbsthilfebewegungen. Die Finanzierungen waren oft nicht gesichert und die Arbeitskraft wurde häufig ehrenamtlich zur Verfügung gestellt. Methodik und Ausrichtung der beteiligten Träger waren höchst unterschiedlich. Ein einheitliches Konzept, eine gemeinsame Zielformulierung oder ein abgestimmtes Vorgehen, der in diesem Bereich tätigen Akteur_innen war nicht vorhanden. Eine konkrete und nachhaltige Wahrnehmung von Gemeinwesenarbeit fand nicht im öffentlichen Raum statt, sondern beschränkte sich auf einen geführten theoretischen Diskurs einiger weniger Aktiven im Hochschulbereich. Eine Auseinandersetzung zur Beziehung von Gemeinwesenarbeit bzw. professioneller Sozialer Arbeit und sozialen Bewegungen wurde dabei nicht geführt. Von Politik und Verwaltung wurde Gemeinwesenarbeit zu dieser Zeit nicht als Instrument der Quartiersentwicklung oder kommunales Kontroll- und Steuerungsinstrument, sondern als Relikt ›radikallinker‹ Gruppierungen der 1968er Generation wahrgenommen. Erste Impulse für eine neue Bewertung erfuhr die Gemeinwesenarbeit in Köln erst durch die »Hinweise zur Arbeit in sozialen Brennpunkten« (vgl. Deutscher Städtetag, 1979) und endgültig durch das Konzept des Deutschen Städtetags von 1987 zur »Sicherung der Wohnversorgung in Wohnungsnotfällen und Verbesserungen der Lebensbedingungen in sozia-
2011, S. 2). Deshalb nähern wir uns dem Kölner Beispiel mit dem Wissen um die Gefahr der (Re-)-produktion ›blinder Flecken‹ und der Notwendigkeit von Forschung in diesem Feld.
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len Brennpunkten«. Beide Strategiepapiere wurden federführend durch das Kölner Amt für Wohnungswesen erstellt. Köln war 1987 bundesweit die erste Kommune, die als fach- und ämterübergreifende Koordinierungsstelle eine ›Zentrale Fachstelle‹ einrichtete. Ziel war die Sicherung der Wohnungsversorgung in Wohnungsnotfällen und die Verbesserung der Lebensbedingungen in ›sozialen Brennpunkten‹. Schwerpunkte des Konzeptes waren die vorbeugende Obdachlosenhilfe, die Auflösung von Obdachloseneinrichtungen und -siedlungen, die stadtteilorientierte Gemeinwesenarbeit und die Einbeziehung der Wohnungswirtschaft. Das Konzept fand als sogenanntes »Kölner Modell« bundesweit Beachtung (vgl. Stadt Köln 1996).2 Aufgabe der GWA in diesem Konstrukt waren u.a. die Koordinierung der Hilfsangebote, der Abbau des Attraktivitätsgefälles zu benachbarten Wohngebieten, die Entwicklung von wohngebietsbezogenen Hilfeplänen, die Begleitung von Bewohner_inneninitiativen, die Schaffung von Mietermitbestimmungsmöglichkeiten sowie die Begleitung von Sanierungsmaßnahmen und Anregungen im Wohnumfeld. Das Papier des Deutschen Städteta-
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Zielsetzung war es, Hilfen aus einer Hand zu initiieren sowie die schnelle Übernahme von Mietschulden gewährleisten zu können (vgl. Schleicher 1992). Eine enge Zusammenarbeit mit der Gemeinwesenarbeit vor Ort, zeigte bald Erfolge in der Dezentralisierung und Auflösung der Obdachlosenunterkünfte, deren Zustände und Lebensbedingungen bis in die 90er Jahre unhaltbar waren. Aber auch die oftmals massive Vertreibung offener Drogen- und Wohnungslosen-Szenen im Innenstadtbereich gehörte mit in die Gesamtstrategie der Stadt (vgl. Genz/Gunia et al. 2002). Letzteres allerdings nicht ohne Gegenwehr einiger Träger der Gemeinwesenarbeit und der Wohnungslosenhilfe, die in den Vertreibungsstrategien der Ordnungsbehörden eine Verletzung des Rechtes sowie zunehmende Diskriminierungen bis hin zur körperlichen Gewalt an wohnungslosen und drogengebrauchenden Menschen im öffentlichen Raum feststellten. Von den Betroffenen beauftragt, wurden zahlreiche öffentliche Aktionen und Diskussionsrunden mit städtischen Vertreter_innen initiiert und in die Presse gebracht (vgl. Knabe 2009).
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ges versprach den Kommunen, dass mit einem intensiven sozialarbeiterischen Einsatz mittelfristig Einsparungen im kommunalen Haushalt möglich seien (vgl. Deutscher Städtetag 1987, S. 8). 1990 beschloss daraufhin der Rat der Stadt Köln das Modellprojekt Gemeinwesenarbeit in sozialen Schwerpunktwohngebieten in drei Kölner Stadtteilen einzurichten. Beauftragt wurden kleine freie Träger der Wohlfahrtspflege, die sich in den 1980er Jahre, zumeist als Selbsthilfegruppen konstituiert hatten und sich dem Arbeitsprinzip Gemeinwesenarbeit verpflichtet fühlten (vgl. Blandow 2002, S. 57ff.). 1994 wurden nach erfolgreicher Evaluierung der Arbeit (primär wurde ein starker Rückgang der Aufwendungen für Wohnungsnotfälle durch die Stadt festgestellt) zwei weitere Träger in die nunmehr festgelegte Regelförderung aufgenommen. Mit der Initiative des Kölner Wohnungsamtes wurde Gemeinwesenarbeit in Köln somit institutionalisiert. Sie etablierte sich als wirksames Instrument vorrangig und mit dem klar erklärten Ziel der Befriedung von benachteiligten Wohnquartieren und der Kostensenkung für die Kommune (vgl. Schleicher 1992). Die nun finanziell etwas besser abgesicherten Träger von Gemeinwesenarbeit schlossen sich gemeinsam mit Lehrenden der Fachhochschule Köln und interessierten Professionellen aus benachbarten Arbeitsfeldern zum Arbeitskreis Gemeinwesenarbeit zusammen. Dieses Gremium versuchte durch die Erarbeitung von gemeinsamen Standards und der Organisation von Fachtagungen und Öffentlichkeitsarbeit, dem Arbeitsprinzip eine größere Lobby zu verschaffen. Zeitgleich wurde an der Fachhochschule Köln im Studiengang Sozialarbeit das Arbeitsfeld Gemeinwesenarbeit eingeführt, in dem auch die Praktiker_innen als Lehrbeauftragte fungierten. Betrachtet man nun diesen Prozess, wird deutlich, dass die Gemeinwesenarbeit in Köln traditionell aus dem Bereich der Arbeit in Obdachlosenunterkünften kommend nun neu im Bereich der präventiven Obdachlosenhilfe verortet wurde. Sie führte jedoch gesamtstädtisch gesehen lediglich ein Nischendasein in einigen wenigen kleinräumigen marginalisierten Wohnquartieren mit bis zu 3.000 Einwoh-
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ner_innen. Immobilienbesitzer in den benannten Wohnquartieren war zumeist das stadtnahe Wohnungsunternehmen GAG AG. Zudem hatte die Stadt innerhalb der Siedlungen in großen Teilen das Belegungsrecht für den Wohnungsbestand, um von Obdachlosigkeit bedrohten Menschen eine Wohnoption anzubieten. Eine gezielte Steuerung der Belegung durch kommunale Akteur_innen in Kooperation mit der Gemeinwesenarbeit war damit erst möglich. Für die Gemeinwesenarbeit in Köln ergaben sich damit zwei Folgewirkungen in der praktischen Arbeit: Zum einen wurde sie von der Stadt finanziert, kontrolliert und zum Teil auch reglementiert. Ein Skandalisieren von unzumutbaren Wohn- und Lebensbedingungen ist schwerlich möglich, wenn der Finanzier zugleich auch (Mit-)Verursacher sozialer Ausgrenzung und Not sein kann. Zum anderen waren die Wohnquartiere recht klein und von der Sozialstruktur sehr ähnlich belegt wie die früheren Obdachlosenunterkünfte. Somit blieb die Gemeinwesenarbeit in vielen Teilbereichen noch in der Obdachlosenarbeit verhaftet und avancierte damit zu einem ›sozialen Spezialdienst‹ ohne Einfluss auf die Stadtentwicklungs- und Steuerungsprozesse. Zusammenfassend kann für die Phase der 1990er Jahre festgestellt werden, dass kommunal Gemeinwesenarbeit als Methode der Sozialen Arbeit interpretiert wurde, die in bestimmten marginalisierten Quartieren Obdachlosigkeit verhindern kann, Kostenersparnisse und sozialen Frieden sicherstellt. Als gesamtstädtisches und sozialräumliches Arbeitsprinzip für die weitergehende Bearbeitung von Fragen der Stadtentwicklung, Stadtplanung und der Bürger_innengesellschaft kam sie nicht in Betracht.
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Exkurs: Die »behutsame Stadterneuerung in Berlin« in den 1980er Jahren Im Gegensatz dazu wurde in Berlin, im Rahmen der Städtebauförderung und der Praxis in festgelegten Sanierungsgebieten seit 1983, ein grundlegend neues Verständnis von Sozialer Arbeit und Stadtentwicklung geschaffen, welches sich nachhaltig auf die weitere Entwicklung von Gemeinwesenarbeit und anderen sozialräumlichen Arbeitsansätzen auch in Köln auswirkte und in seinen Grundzügen deshalb hier kurz skizziert wird. Die Sanierung nach dem Städtebauförderungsgesetz (StBauFG) 3 erfolgte in Berlin seit den 1960er Jahren nach dem Prinzip der Flächensanierung. Wohnquartiere wurden entmietet, die Gebäude abgerissen und vollkommen neue Quartiere nach dem Prinzip der vertikalen Gartenstadt geplant und erbaut. Durch Steuerungsfehler im Sanierungsprozess und der Möglichkeit durch Nachweise von Verlusten für Abschreibungsgesellschaften Steuern zu sparen, gab es haarsträubende Zustände in den Sanierungsgebieten. Dieser Zustand hielt über Jahre an, weil die Neubaukonzeption nur für ganze Blöcke geplant war (vgl. Becker/Schulz zur Wiesch 1982). Das Sanierungsgebiet in BerlinWedding Brunnenstraße (SWB) war hierbei das markanteste Negativbeispiel. Während im Wedding jedoch kaum Bürger_innenproteste gegen die Sanierungspraxis formuliert wurden, änderte sich die Stimmung in der Bevölkerung bei der Sanierung von Kreuzberg und hierbei ganz besonders im Gebiet SO 36. Es fanden zahlreiche Hausbesetzungen statt und es gründeten sich Bürger_inneninitiativen und Selbsthilfevereine (»Verein SO36, »Bürgerinitiative SO36« etc.), um der ökonomisch intendierten Sanierung entgegenzutreten. Die Politik reagierte
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Das StBauFG war zunächst ein eigenständiges Gesetz und wurde 1987 mit dem Bundebaugesetz (BbauG) zum Baugesetzbuch (BauGB) zusammengefasst. Die rechtliche Grundlage für Sanierungs-, Entwicklungs- und Fördergebiete sowie für deren Förderung finden sich im »Besonderen Städtebaurecht« des Baugesetzbuch (§§ 136 bis 191 BauGB).
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sehr verzögert. Im Rahmen der Vorbereitung der Internationalen Bauausstellung wurde 1977 eine GmbH (IBA) gegründet. Ihr Aufgabenfeld war es die städtebaulichen und stadträumlichen Elemente weiterzuentwickeln. Nach zähem Ringen wurde der IBA 1983 von der Kommune die Gesamtverantwortung über die Sanierungsgebiete Kottbusser Tor und SO36 übertragen und die zwölf Grundsätze der behutsamen Stadterneuerung festgelegt (vgl. Internationale Bauausstellung Berlin GmbH 1984, S. 27). Die Schwerpunkte des Grundsatzprogramms formulierten zusammenfassend Punkte zum Einbezug der Bewohner_inneninteressen: Professionelle und Betroffene erarbeiten gemeinsam Pläne, damit Wohnung, Haus und Quartier bautechnisch funktionstüchtig, die soziale Struktur und die Nutzungsmischung erhalten und das Mietniveau niedrig bleibt. »Die Erneuerung muss an den Bedürfnissen der jetzigen Bewohner_innen orientiert und mit ihnen geplant und realisiert werden« (1. Grundsatz, a.a.O., S. 27). Herzstück der Reformbewegung der IBA waren die vielfältigen und weitreichenden Partizipationsmöglichkeiten der Betroffenen. Bezeichnend für ihren Charakter ist die horizontale und vertikale Vernetzung der verschiedenen Entscheidungsund Aktionsebenen (vgl. S.T.E.R.N. 1995). Es wurden Stadtteilvereine gegründet und vernetzt, unabhängige Mieterberatungsbüros eröffnet, Diskussionsforen zwischen Betroffenen und Institutionen initiiert und Koordinierungsstellen für von der Sanierung betroffene Institutionen eingerichtet. In den steuernden Sanierungsbüros wurde ein sogenanntes ›Tandem-Modell‹ eingeführt. Stadtplaner_innen und Sozialarbeiter_innen (Gemeinwesenarbeiter_innen) arbeiteten gleichberechtigt im Sinne der Vereinbarung der zwölf Grundsätze zusammen. Das Arbeitsprinzip Gemeinwesenarbeit (vgl. Boulet/Krauss/Oelschlägel 1980) wurde dabei durchgängig berücksichtigt. Voraussetzung zum Gelingen des Modells war es, dass das politisch-administrative System das Konzept ausdrücklich unterstützt und mit ihren Instrumenten, Rechten und ihrem Personal zum Gelingen beitrug, dem Modell ein ausreichend finanzieller Rahmen zur Verwirklichung der Aufgaben zugestanden wurde, eine langfristige Planungssicherheit in allen Berei-
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chen gegeben war und die Kompetenzen in der Sanierungsplanung und -umsetzung beim Sanierungsträger und damit in den Händen der Betroffenen lagen (vgl. S.T.E.R.N. 1995). Zusammenfassend kann man feststellen, dass die sehr differenzierte und komplexe Ausgestaltung der Stadterneuerung in Berlin nicht nur der Sozialen Arbeit und insbesondere der Gemeinwesenarbeit eine ganz neue Aufgabenstellung zugewiesen hat. Neben der aktivierenden Arbeit mit von der Sanierung Betroffenen bekommt sie intermediäre, koordinierende und sogar steuernde Aufgaben zugeschrieben. Während in Berlin diese Prozesse vor allem durch die sozialen Bewegungen angestoßen, zu einer Professionalisierung der Bewegungen durch und der Sozialen Arbeit selbst und anschließend zur Übertragung von Steuerungsaufgaben an die Akteur_innen der Sozialen Arbeit führte, verschlief4 Köln diese Entwicklungen. Das ›Berliner Modell‹ hatte jedoch trotzdem maßgeblichen Einfluss auf die weitere konzeptionelle Entwicklung der Gemeinwesenarbeit (in Köln) hin zur Sozialraumorientierung und eröffnete ihr bzw. ihren Derivaten neue Aufgabenfelder.
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»In NRW und da vor allem an den Hochschulen in Bonn, Köln, Aachen und Münster war gegenüber den ›Hochburgen‹ wie Berlin, Frankfurt, München und Heidelberg ›Verspätung der Bewegung‹ zu registrieren. Sie wurde von den ›Vorreitern‹ mit ironischen Kommentaren bedacht s. z.B. den 1968 entstandenen Vers ›Berlin brennt, Köln pennt‹« (Aachener Geschichtsverein e.V. o.J.). Zwar gab es einzelne Besetzungen (etwa der Schokoladenfabrik Stollwerck im Kölner Süden), aus denen im Laufe der Jahre legalisierte Bürgerzentren (und zum Teil Projekte der Sozialen Arbeit) wurden, doch eine flächendeckende und vor allem konzeptionelle Veränderung ging hiervon für die GWA eher nicht aus. Diese wurde verstärkt durch die Berliner Entwicklungen vorangetrieben.
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Stadtteile mit erhöhtem Erneuerungsbedarf in NRW und das Bund-Länder Programm ›Soziale Stadt‹ in den 1990er Jahren Dem Gedankengang und dem Instrumentarium der ›behutsamen Stadterneuerung‹ folgend, entwickelte das Ministerium für Stadtentwicklung des Landes Nordrhein-Westfalen ab 1993 ein Programm zur Förderung von Stadtteilen mit besonderem Erneuerungsbedarf, dem Vorläufer des 1998 gestarteten bundesweiten Bund-Länder-Programms ›Soziale Stadt‹. Das Programm diente dazu Stadtteile, die nach dem Baugesetzbuch als Sanierungsgebiet festgelegt worden sind, durch die Erstellung eines integrierten Handlungskonzeptes zu unterstützen. Dabei sollten bauliche und soziale Maßnahmen zur Aufwertung des Gebietes unter der Prämisse von Bürger_innenbeteiligung abgestimmt und finanziell gefördert werden. Die im Programm implizierten Aufgaben für die Soziale Arbeit lagen im neu geprägten Begriff des Quartiersmanagements im Bereich der sozialen Sanierungsbegleitung meist im interdisziplinären Team mit Stadtplanung und Architektur. Die konkrete Ausgestaltung von partizipatorischen Elementen lag jedoch in der Hand der Kommunen. Dabei waren die Vorgaben des Landes Nordrhein-Westfalen und später auch des Bundes hier unzureichend beschrieben worden mit der Folge, das viele Kommunen (so auch Köln) das Quartiersmanagement in die Hand der Verwaltung legte und weder ein ›Tandem-Modell‹ noch explizit die Einbindung von Sozialer Arbeit berücksichtigten. Somit speisten sich die Aufträge für die Soziale Arbeit in den Quartieren bestenfalls in der Gestaltung von meist eher mittelschichts-orientierten Partizipationsprozessen im Rahmen von Sanierungen und Umbau. In Köln waren die Kernbereiche des Programms ›Soziale Stadt‹ weitestgehend losgelöst von der Gemeinwesenarbeit. Aus Sicht der Stadt kamen die Träger der Gemeinwesenarbeit gar nicht in Frage für die Koordination und Steuerung der Prozesse der Stadtentwicklung. Die Vereine fanden lediglich als Träger von Mikroprojekten Berücksichtigung im Programm. Die entstehenden koordinierenden und steuernden Aufgaben in den Programmgebieten
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wurden deshalb ausschließlich von kommunalen Mitarbeiter_innen mit wenig Zeitbudget für Bürger_innenpartizipation durchgeführt. Im Vordergrund standen vielleicht im Unterschied zu anderen Kommunen eher die Wirtschaftsförderung und die Umsetzung der Sanierungen im baulichen Bereich. So ist hier eine deutliche Veränderung der Aufträge in städtischen Kontexten zu verzeichnen. Die Angleichung von Lebensverhältnissen und die Verbesserung der Wohnsituationen werden stark räumlich und baulich gelesen. Aufträge zur Einbindung der Bewohner_innen bleiben auf der programmatischen Ebene stehen. Ab 2000: Sozialraumorientierung versus Gemeinwesenarbeit in Köln? Im Jahre 2000 nahm die Stadt Köln die Steigerung von Fällen im Bereich Hilfen zur Erziehung nach dem KJHG in bestimmten städtischen Quartieren zum Anlass für weitere stadtteilorientierte Überlegungen und Konzeptionierungen. Angeregt von den Überlegungen Wolfgang Hintes zur Stadtteilbezogenen Sozialen Arbeit und durch die Neuausrichtung der kommunalen Steuerung, sollten die Maßnahmen nun sozialräumlich organisiert werden. Stichworte des Konzepts sind die Flexibilisierung der Hilfen, verbunden mit der Nutzung sozialräumlicher Ressourcen und separaten Budgets, die für fallbezogene, fallübergreifende und fallunspezifische Leistungen eingeführt werden. Der Paradigmenwechsel in der Jugendhilfe ist gekennzeichnet durch eine neue raumbezogene Abstimmungsform der Leistungserbringung (vgl. u.a. Dahme/Wohlfahrt 2005, Hinte/Litges/Springer 1999; Hinte/Litges/ Groppe 2003). So wurde in Köln das ›Modellprojekt Buchheim für Kinder, Jugendliche und Familien – sozialraumorientierte Vernetzung von Jugendhilfe‹ mit einem Träger der Gemeinwesenarbeit durchgeführt. Die positiven Erfahrungen aus dem Modellprojekt führten zu einer grundsätzlich neuen Ausrichtung der Organisation und Durchführung von den Hilfen zur Erziehung in der Gesamtstadt. Die Kompetenz eines GWA-Trägers wurde erstmalig in Köln genutzt, um außerhalb des klassischen Arbeitsbereichs Bedarfe abzufragen, Ressourcen zu ak-
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tivieren, Netzwerke aufzubauen, Maßnahmen abzustimmen – mit dem Ziel effizient zu arbeiten und letztendlich Kosten zu sparen. Die Erfolge des Modellprojekts Buchheim initiierten eine Welle von sozialräumlichen Projektideen in der Stadtgesellschaft von Köln und passten sich damit dem Zeitgeist an sozialräumliche Arbeit als Allheilmittel für knappe Stadtkassen und Büger_innenbeteiligung zu deklarieren. »Das Interesse an Sozialraum speist sich aus mehreren Quellen und Perspektiven: Der sozialräumliche Ansatz wird erstens konzeptionell im Umkreis des Paradigmas der Lebensweltorientierung Sozialer Arbeit diskutiert […] In Bezug auf die Strukturen der Kinderund Jugendhilfe wird zweitens mit dem Konzept der Sozialraumorientierung versucht, eine Antwort auf Planungs- und Steuerungsprobleme zu finden […] In Bezug auf die Tradition Sozialer Arbeit kann Sozialraumorientierung drittens als Fortschreibung und Reformulierung von Ansätzen der Gemeinwesenarbeit gesehen werden. Dabei werden allerdings auch Unterschiede zwischen den neueren Vorstellungen von Sozialraumorientierung und den älteren der Gemeinwesenarbeit hervorgehoben« (Lang 2005, S. 205ff.). Im gedanklichen Anschluss an das ›Modellprojekt Buchheim‹ gab es im Kommunalwahlkampf 2004 durch die SPD ein Konzept zur Erweiterung sozialräumlicher Hilfen und Dienstleistungen (Veedelskontore – ein Strukturmodell für Köln). Hintergrund war dabei vor allem die zunehmende Unzufriedenheit der Bürger_innen mit der städtischen Verwaltung. Ziel der sogenannten ›Veedelskontore‹ sollte die Verlagerung städtischer Dienstleistungen in die Quartiere und damit eine bürgernahe Verwaltung sein. ›Kümmerer‹ sollten vor Ort nicht nur in Bezug auf die Hilfen zur Erziehung, sondern auch für andere Bedarfe die Ressourcen vor Ort nutzen. Das Konzept forderte für Köln »dezentralen Bürgerservice, Sicherheits- und Ordnungspatenschaften vor Ort, Bündelung von Jugend- und Sozialdiensten, Einbindung ehrenamtlicher Arbeit und mehr Bürgerbeteiligung« (SPD Köln, 2004). Im gleichen Jahr entwickelte die Liga der Kölner Wohlfahrtsverbände einen sozialraumorientierten Konzeptentwurf für die Gesamtstadt, der sich sehr eng an die Stadtteilorientierte Sozialarbeit von Wolfgang
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Hinte anlehnt (vgl. Liga der Wohlfahrtsverbände, 2004). Neben diesen Zielen wurde ein Verbundkonzept für Kölner Stadtteile entwickelt, dass die Hilfeerbringung, Kooperation und Steuerung darstellt und festlegt (a.a.O., S. 2). Im Jahr 2005 veränderte sich durch die Kommunalwahl die Mehrheit im Kölner Stadtrat; die Vorlage des Liga-Papiers wurde im Dialog mit den Wohlfahrtsverbänden, der Verwaltung und den politischen Parteien im Rat der Stadt Köln zum Rahmenkonzept »Sozialraumorientierte Hilfsangebote in Köln« ausgebaut (vgl. Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege/Stadt Köln 2005). Start war 2006 in sechs Programmgebieten,5 in denen sogenannte Sozialraumkoordinator_innen als Ansprechpartner_in und Steuerungseinheit vor Ort eingesetzt wurden. Daneben sollten sie als Vermittlungsinstanz (intermediäre Instanz) zwischen Bürger_innen und Administration fungieren. Leitziel des Konzeptes ist die Verbesserung der Lebensbedingungen der Bürger_innen. Dies soll durch eine verbesserte Integration, verstärkte Partizipation, optimierte Kooperation, bedarfsgerechte Hilfen und Angebote und einen daraus resultierenden wirtschaftlichen Mitteleinsatz erreicht werden. Die Themenfelder der Aktivitäten vor Ort sind dabei breit gestreut: Kinder, Jugend und Familie, Soziales, Gesundheit, Wohnen, Sport, Kultur, Wirtschaft und Arbeit, Gemeinwesen und Politik. Insbesondere soll die Teilhabe von benachteiligten Bevölkerungsgruppen gefördert werden. Dieses Programm wurde seit dem mehrfach in Details modifiziert (aktueller Titel ›Lebenswerte Veedel – Bürger- und Sozialraumorientierung in Köln‹) und insgesamt
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Auswahlkriterien für die Gebiete waren ein hoher sozialer Belastungsgrad (Sozialraumanalyse), eine sinnvolle Zusammenfassung nebeneinander liegender Ortsteile, Quartiere, Stadtviertel zu einem definierten Sozialraum in der Größenordnung von ca. 20.000-30.000 Einwohner_innen, eine überdurchschnittliche Quote der Inanspruchnahme von Hilfen zur Erziehung und ein erhöhtes Auftreten von Wohnungsnotfällen (Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege/Stadt Köln 2005, S. 5).
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in elf Gebieten6 mit unterschiedlichen freien (davon drei GWA-Träger) und einem städtischen Träger vor Ort durchgeführt. Zur Unterstützung von sozialräumlichen Anliegen wurde bis 2013 für jedes Gebiet ein Projektfond zur Verfügung gestellt (ca. 30.000 Euro), der ab 2014 jedoch vollständig gestrichen wurde. Für die stadtweite Steuerung richtete man eine zentrale Lenkungsgruppe ein, in denen Vertreter_innen der Wohlfahrtsverbände, die beteiligten Ämter und Dezernate und Mitglieder der betreffenden politischen Ausschüsse stimmberechtigt waren und die Aufträge top-down festlegten. 2012 erhielt das Modellprojekt den Bundespreis ›Soziale Stadt‹. Als preiswürdig wurde dabei insbesondere die strukturelle Neuorientierung der Stadtverwaltung in Kooperation mit den Trägern der Wohlfahrtspflege hervorgehoben (vgl. GdW 2012, S. 14). Eine Evaluation des Modellprojektes rekonstruiert dabei die Stärken und die Schwächen des Projektes (ISSAB 2011, vgl. auch den Beitrag von Sauter in diesem Band). Als Stärken wurden dabei die Wirkungen in den Bereichen Bedarfsermittlung, soziale Netzwerkarbeit, bürgerschaftliches Engagement und Projektentwicklung deutlich. Schwächen zeigt das ›Kölner Modell‹ jedoch gerade in dem ›preiswürdigen‹ Bereich der Zusammenarbeit mit der Verwaltung und zudem in dem zentralen Aspekt des Prinzips der Sozialraumorientierung – der Förderung der Partizipation von Bewohner_innen. Folgende Gründe lassen sich in diesem Zusammenhang als ursächlich deuten: Die Zusammenarbeit mit einer Verwaltung, die hierarchisch und versäult organisiert ist und Bedarfe und Ressourcen nach Zielgruppen sortiert, mit einem Konzept, das von seinen Akteur_innen das Gegenteil verlangt, nämlich die Fokussierung auf den Sozialraum zu legen und zielgruppen- und methodenübergreifend zu arbeiten, benötigt Zeit und Geduld und eine reflexive Haltung gegenüber ihren Aufträgen und Bezügen.
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Die Kosten des Programms, die rein kommunal gefördert wurden, beliefen sich bis 2013 jährlich auf 1,2 Millionen Euro (ab 2014: 660.000 Euro).
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Die Förderung von Partizipationsmöglichkeiten bedarf einer intensiven Gemeinwesenarbeit in den marginalisierten Wohngebieten. Das ist aber im Rahmen der Fülle der in die Quartiere verwiesenen Aufgaben der Sozialraumkoordination mit den vorgegebenen Schwerpunktsetzungen und den Gebietsgrößen in der Realität unmöglich. Dabei war die Gemeinwesenarbeit immer ein originärer Bestandteil des Arbeitsauftrags und auch des Selbstverständnisses. Dies zieht sich wie ein »roter Faden«, beginnend beim Liga-Papier (Liga der Wohlfahrtspflege 2004, S. 5) über das erste Rahmenkonzept (Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege/Stadt Köln 2005) bis zu den Empfehlungen der Evaluation (ISSAB 2011) durch die Historie der Sozialraumkoordination in Köln. Hier zeigt sich einer der konzeptionellen Mängel des Kölner Konzepts: Das sogenannte »Essener Modell« (vgl. Grimm/Hinte/Litges 2004, S. 59ff) in seinen Grundzügen zu kopieren, ohne jedoch die operative Ebene der Gemeinwesenarbeit zu installieren. Für die Träger von Gemeinwesenarbeit in Köln ergab sich aufgrund dessen eine sehr widersprüchliche Situation. Einerseits wurden sie in einigen Sozialraumgebieten als Träger von Anlauf- und Koordinierungsstellen beauftragt, anderseits fürchteten sie aufgrund des ›Etikettenschwindels‹ ihre ›klassischen‹ Beauftragungen zu verlieren. Seit dem Start des Programms »Lebenswerte Veedel« 2006 muss die klassische Gemeinwesenarbeit um ihre Existenz bangen und ist von Kürzungen betroffen. Transformation der Gemeinwesenarbeit am Beispiel der Kölner Entwicklungen Was hat sich durch diese sehr grob skizzierten politischen Entwicklungen in der konkreten Gemeinwesenarbeit vor Ort geändert? Inwiefern können die Kölner Ereignisse Transformationen sichtbar machen? Programmatisch scheint sich nicht viel geändert zu haben. Die Prinzipien der Ressourcenorientierung, der Aktivierung, der Partizipation, der zielgruppenübergreifenden Arbeit, der Netzwerkarbeit und der
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Kulturarbeit sind geblieben. Doch sieht man genauer hin, ist die Ausformung eine andere. Eine zielgruppenübergreifende Arbeit beispielsweise ist durch die Projektorientierung der sehr zielgruppenspezifischen und ausdifferenzierten finanziellen Förderprogramme kaum noch leistbar und offenbar auch gar nicht mehr erwünscht. Diese zentralen Veränderungen werden mit der sozialstaatlichen Aktivierungsperspektive auch deutlich, wenn es im Quartier beispielsweise nicht mehr darum geht, Ältere zu ermutigen, sich für ihre Eigeninteressen einzusetzen, sondern ihre Aktivitäten gemein-wohldienlich einzubinden und ihre Potentiale zu nutzen (z.B. in den Programmen zur Förderung des bürgerschaftlichen Engagements). Durch die Stärkung der intermediären Instanzfunktion, ist so die parteiliche Arbeit für die Aufträge der Bewohner_innen und des Raumes eingeschränkt. Sehr große Programmgebiete mit 20.000 bis 30.000 Einwohner_innen erschweren oder verunmöglichen eine tatsächlich partizipative Arbeit, da alleine die Kontaktarbeit in einem derart großen Gebiet viel Zeit und personale Präsenz benötigt. Die Überfrachtung mit Aufträgen top-down (Einzelfallhilfe, Beobachtung der Hilfen zur Erziehung, Koordination der Angebote und Implementierung von Verwaltungsthemen in die Trägerlandschaft vor Ort etc.) bei gleichzeitigem Abbau der finanziellen und personalen Mittel, führt zur Vernachlässigung vor allem der parteilichen Arbeit. Die Sozialraumarbeit setzt durch ihre andere Programmatik viel mehr voraus, ist nicht niedrigschwellig genug, um nicht nur mittelschichtsorientierte Angebote mit Workshop-Charakter und sehr voraussetzungsvollen Zukunftswerkstätten durchzuführen. Die eigentliche Gemeinwesenarbeit wird deshalb vermehrt an andere Akteur_innen wie die Familienzentren, die offene Jugendarbeit, die Kirchengemeinden und die Beratungseinrichtungen ›weitergereicht‹. Diese sind allerdings nicht selten mit der Betrachtung des ganzen Raumes im Sinne sozialräumlicher Arbeit fachlich und kapazitär überfordert. Ihr Denken ist per se (und das ist ja auch gut so) zielgruppenspezifisch und nicht auf die Lebensbedingungen aller gerichtet.
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Positiv ist zu vermerken, dass die Zusammenarbeit mit der Verwaltung eine deutliche Verbesserung durch die Stärkung der intermediären Funktion im Gegensatz zur konfliktionären Gemeinwesenarbeit der ›wilden Zeiten‹ erfahren hat. Viele Themen der Bürger_innen finden Gehör; oft sind dies aber Themen, die sozialpolitisch an anderer Stelle als der Kommune entschieden werden. An dieser Stelle enden die Partizipationsmöglichkeiten häufig. Die Bürger_innen sollen nur noch indirekt und im Hinblick auf spezifische Aktivitäten und (kommunale) Interessen ›aktiviert‹ werden. Bei aktivierenden Befragungen in einigen Vierteln wird jedoch deutlich, dass die Bürger_innen andere Prioritäten setzen würden. Unmut gibt es vor allem über die häufig schlechte Wohnsituation und die mangelnden Kultur- und Sprachangebote. Oft äußert sich in den Gesprächen das Gefühl, nicht gefragt zu werden; es mangelt an einem Gefühl des »Eingebundenseins« (vgl. Spieckermann/Knabe 2010) (siehe auch den Beitrag von Schönig in diesem Band). Widersprüchlich ist die Fremd- und Selbstwahrnehmung der Gemeinwesenarbeit durch die Veränderung ihrer Aufträge, nicht aber ihrer Prinzipien. Es macht den Eindruck, als sei Sozialraumkoordination immer noch Gemeinwesenarbeit. Ihre partizipative Rolle ist im Programm der Kommune und der Beauftragung der Träger vor Ort klar verankert und von außen gesehen, scheinen auch die gleichen Aufträge zu gelten (Wohnumfeldverbesserung, Partizipation und Mitteleinsparung durch Ressourcennutzung vor Ort). Auch die Selbstwahrnehmung einiger Fachkräfte würde dies bestätigen. Doch sind die Transformationen des Wohlfahrtsstaates und die damit verbundenen sozialpolitischen Implikationen vor allem spezifisch in der Ausformung der Gemeinwesenrhetorik von Partizipation, Aktivierung, Ressourcen- und Potentialnutzung sehr genau zu betrachten.7
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Mit ihrer Forschung zu einer emanzipatorischen Gemeinwesenarbeit leistet Sabine Stövesand genau zu dieser Frage einen wichtigen Beitrag. Sie stellt die Frage, inwiefern Gemeinwesenarbeit durch die Stärkung von Selbsthilfepotentialen und der Stärkung lokaler Netzwerke im Sinne Foucaults an
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Aus sozialstaatlicher Perspektive werden in neueren Beauftragungen von Gemeinwesenarbeit bzw. sozialräumlicher Sozialer Arbeit verschiedene Funktionen kommunalen Handelns deutlich: Legitimatorische Aspekte: Die Städte möchten einen Rückgriff auf die Bürger_innen, sowie mehr Anerkennung des Verwaltungshandelns erwirken. Ihr Interesse liegt darin, ihre eigene politische Legitimation zu sichern. Die Bürger_innenzufriedenheit sichert in diesem Denken den sozialen Frieden. Funktionale Aspekte: Es entstehen neue und zusätzliche Dienstleistungen und Produkte, deren Synergieeffekte genutzt werden können und sollen, z.B. Nutzung gemeinsamer räumlicher Ressourcen und Güter. Finanzielle Aspekte: Es geht explizit um die Einsparungen von kommunalen und sozialpolitischen Leistungen, z.B. um die Einsparung von Mitteln im Rahmen der Hilfen zur Erziehung. Kontrollierende Aspekte: Es sollen Doppelstrukturen verhindert werden, die Sozialraumkoordinator_innen sollen vermehrt finanzkontrollierende Aufgaben übernehmen, allerdings ohne die notwendigen Sanktionsmöglichkeiten zu besitzen. Vor allem der zunehmend neue Auftrag der Kommunen an die Soziale Arbeit als Kontrolleurin der Trägerstrukturen vor Ort in den Quartieren zu agieren, führt zu einer Verschärfung des doppelten Mandats. Der Wunsch der Verwaltung nach dezentralen und konzentrierten Strukturen mit möglichst wenigen, dafür effektiv arbeitenden Ansprechpartner_innen führt zum Abbau pluraler Strukturen in der Trägerlandschaft und damit zu einer Eingrenzung des Angebotes im Gemeinwesen. Es
der neoliberalen Deutung beteiligt ist. Sind die Handlungskonzepte der Gemeinwesenarbeit, Instrumente neoliberaler Regierungspraxis? Damit stellt sie klar, dass »die Realisierungsbedingungen und Wirkungsweisen von Handlungskonzepten stets von ihren gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bestimmt werden« (Stövesand 2007, S. 19) und diese selber auch bestimmen.
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bewegt die Akteur_innen der Gemeinwesenarbeit weiter weg von den Bewohner_innen und ihrem politischen Willen. Deshalb ist die Sicherung von Pluralität grundrechtlich verankert im Subsidiaritätsprinzip und zur Sicherstellung demokratischer Prozesse. Eine (Rück-)Besinnung auf dieses Prinzip scheint u.E. angebracht. Transformationen und GWA: und jetzt? Mit dem vorliegenden Beitrag möchten wir einen Anstoß geben über Rollenkonflikte, veränderte Auftragslagen und Bezugseinheiten der Gemeinwesenarbeit in Theorie und Praxis zu diskutieren und ihre wohlfahrtsstaatlichen Kontexte und Begriffsbildungen aus den Verdeckungszusammenhängen zu lösen (vgl. Reutlinger 2011). In Bezug auf eine Rollenklärung zeigt das dargestellte Kölner Beispiel, dass eine Gemeinwesenarbeit, die sich als intermediäre Instanz begreift und damit verbunden beiden Interessen verpflichtet fühlt, nicht mehr partizipativ die Interessen der Bürger_innen ausreichend vertreten kann, sondern auf der Ebene der Problembenennung stehen bleibt. Die jeweilige programmatische Ausrichtung der Gemeinwesenarbeit obliegt dieser dabei nur in Teilen ihr selbst – sondern ist stark abhängig von den spezifischen Rahmen- und Ermöglichungsbedingungen. Die aktuelle Konjunktur des Lokalen und die damit verbundene Renaissance der Gemeinwesenarbeit sind unabdingbar verknüpft mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten und der wohlfahrtsstaatlichen (Neu-) Ausrichtung. Auch ist die Gefahr größer, die Soziale Arbeit aus einer Analyse auszuklammern. Wird sie als intermediäre Instanz markiert, wird sie selber nicht in den Blick genommen. Dies scheint gerade im Rahmen der dargestellten Transformationen vollkommen unangemessen, da sie eine entscheidende Akteurin im Feld ist. Müssen wir uns auf der programmatischen Ebene evtl. ganz vom Denken in Oben und Unten im Sinne einer foucaultschen Analyse (vgl. Stövesand 2007) verabschieden? Das Sprechen über die Rolle der Gemeinwesenarbeit als intermediäre Instanz passt in diese Art zu Denken nicht. In der dargestellten neosozialen Transformation des Wohlfahrtsstaates scheinen
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die sich ehemals sehr deutlich abzeichnenden Aufträge und Rollen zu verschwimmen und undeutlich zu werden. Was sind denn die Interessen der Verwaltung, der Bürger_innen, der Akteur_innen der Sozialen Arbeit? Die Bestimmung derer wird durch die Pluralisierung der Lebenskontexte schwammiger. Dennoch: Wenn diese sehr stark spürbaren Veränderungen im Quartier nicht von der Gemeinwesenarbeit aufgegriffen werden, wer tut es dann? Derzeit bearbeiten bspw. soziale Bewegungen wie die »Recht auf Stadt«-Bündnisse in einigen Städten das Thema der urbanen sozialen Ungleichheiten vor allem im Bereich des Wohnens. Doch lässt sich feststellen, dass diese Bündnisse ebenfalls eher mittelschichtsorientiert sind und die Interessen bestimmter Stadtbewohner_innen meist in Innenstadtlage vertreten. Damit blenden sie bestimmte Bedürfnisse und Anliegen – etwa schlechte Mietverhältnisse in Randlagen – eher aus. Auch aus der historischen Betrachtung heraus, empfiehlt sich u.E. deshalb eine Zusammenarbeit der Sozialen Arbeit mit sozialen Bewegungen. In Bezug auf die Veränderung von Aufträgen und Bezugseinheiten der Gemeinwesenarbeit konnte das Beispiel u.E. zeigen, dass die gegenwärtige Situation als Überforderung mit teils widersprüchlichen Aufträgen gedeutet werden kann. Neben sozialstaatlichen Verweisungsprozessen von ›Integrationsaufgaben‹ in die Territorien der Wohngebiete, der kommunalen Aufträge und der Notwendigkeit parteilicher Arbeit mit den Bürger_innen scheint zur Zerreißprobe für die Praxis geworden zu sein. Auch die Betrachtung der »tradierten Einheiten der Sozialen Arbeit« (Reutlinger 2011), wie die territoriale, kategoriale oder funktionale Vorgehensweise der Arbeit vor Ort, scheint aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungen in die Krise geraten zu sein (ebd.). Wo einst der Bezug auf die Arbeitsgesellschaft und die Normalbiografie im Vordergrund stand und der Bezug auf den Ort als Einheit für die Gestaltung sozialer Zusammenhänge keine Frage war, können in der »flüchtigen Moderne« diese Bezüge immer weniger herangezogen werden (ebd.).
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In Bezug auf die Frage nach der Anerkennung der Gemeinwesenarbeit im historischen Kontext (vgl. Kessl 2011) konnte die Darstellung eher einen anhaltenden Kampf um Anerkennung vor allem ihrer fachlichen Ziele und Paradigmen im wohlfahrtsstaatlichen Gefüge zeigen. Vor dem Hintergrund der diskutierten Ambivalenzen dieser Ziele verwundert es nicht, dass dies nur in Teilen eine Erfolgsgeschichte geworden ist. Die Hoffnung, eine Eindeutigkeit im Spannungsverhältnis zwischen Anerkennung und Etablierung der Gemeinwesenarbeit oder ihre Rolle im Kontext von Aktivierungs- und Instrumentalisierungsstrategien zu klären, kann dabei wenig überzeugen. Fabian Kessl postuliert deshalb eine »achtsame Praxis Sozialer Arbeit – nicht nur im Feld der GWA« (2011), die sich ihrer Rahmenbedingungen und NichtEindeutigkeiten bewusst ist, und beschreibt dieses mit dem theoretischanalytischen Modell einer »Reflexiven Gemeinwesenarbeit« (ebenda, Hervorhebung im Original). Ein so gefasstes Modell Reflexiver Gemeinwesenarbeit ist dabei dadurch gekennzeichnet, dass sie sich ihren historisch spezifischen Bestimmungen bewusst ist und den damit gegebenen spezifischen Rahmen- und Ermöglichungsbedingungen, in denen sie als handelnder Akteur tätig ist. Allerdings betont Stövesand: »Man entgeht der eigenen Funktion und Funktionalisierung als SozialarbeiterIn nicht durch guten Willen und einer Analyse, die Soziale Arbeit als Bestandteil von Regierungsdispositiven erkennt. Es gilt, gegen die Verhältnisse zu denken und es dann nicht beim Denken zu belassen, sondern entsprechend zu handeln.« (Stövesand 2007, S. 359). Einen u.E. wieder stark zu machenden Vorschlag benennt Reutlinger (2011), indem er auf die Konzentration des Bewältigungshandelns der Menschen, wie es Böhnisch und Schröer (vgl. 2002) aufgezeigt haben, hinweist. Was sind die Bedürfnisse der Menschen und wie begegnen sie/wir ihnen? Damit wäre die Soziale Arbeit wieder bei ihrem ureigensten Auftrag angekommen. Also doch ›alte Zeiten‹ revisited!
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Lokale Governance – Einführung in das Konzept H ERBERT S CHUBERT
Einleitung Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte haben sich die lokalen Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse stark verändert. Neue partizipatorische, interaktive und indirekte Formen der Politikgestaltung haben sich insbesondere im kommunalen Raum verbreitet und überwinden die Logiken der traditionellen Öffentlichen Verwaltung und der ökonomisierten Neuen Steuerung. Im Fachdiskurs wird von einer »New Public Governance« gesprochen (vgl. Osborne 2006; ders. 2010). Mit diesem neuen Konzept lösen sich die theoretischen Perspektiven auf die politische Steuerung von der Fokussierung staatlicher und kommunaler Agenturen sowie der Gesetzgeberperspektive. Der Paradigmenwechsel liegt nach Arthur Benz (vgl. 2004) vor allem daran, dass Governance das kollektive Handeln neu fasst: Unabhängige, aber interdependente Akteurinnen und Akteure aus unterschiedlichen organisationalen Feldern mit unterschiedlichen Handlungsrationalitäten (Stakeholder) verknüpfen ihre Aktivitäten in einer gemeinsamen »Arena« des Lokalen und koordinieren sich nach verabredeten Regeln selbst; staatliche Agenturen verlieren dabei ihre traditionelle hervorgehobene Rolle (vgl. Schneider 2005).
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Der Governance-Begriff wird folglich genutzt, um die hierarchische staatliche Steuerung im Kontext horizontaler und dezentralisierter (d.h. weniger bei staatlichen Agenturen angesiedelten) Formen der öffentlichen Steuerung in den kommunalen Räumen neu zu interpretieren. Torfing/Triantafillou erkennen eine Effizienz in der: »variety of interactive forms of governing ranging from mechanisms stimulating dialogue between public and private actors over sustained participation of affected stakeholders in policy implementation to institutionalized networks of interdependent public and private actors seeking to conceive and formulate public policies« (2013, S. 14). Schneider übersetzt den Begriff der Governance vor diesem Hintergrund als »institutionelle Steuerung«; im Blick stehen dabei sowohl die interne Logik von Akteurinnen und Akteuren (z.B. ihre Handlungsrationalitäten und -kapazitäten) als auch die institutionellen Arrangements, über die diese Handlungen einen systemischen Verbund bilden (vgl. Schneider 2005, S. 3). Ausgehend von einer Enthierarchisierung der Steuerungsprozesse in der Kommune und in deren Sozialräumen distanziert sich dieses Verständnis von der traditionellen Staatsfixierung (vgl. Benz 2004) und rückt einen neuen Umgang mit den Interdependenzen lokaler Akteurinnen und Akteuren in den Blickpunkt. Das Verständnis lokaler Governance lässt sich im Allgemeinen definieren durch (a) die Abnahme der Bedeutung hierarchischer Strukturen und eine Bedeutungszunahme dezentraler Verantwortung, (b) durch eine Kooperation staatlicher, privater und gesellschaftlicher Akteurinnen und Akteuren, die Sektoren, Ressorts und Organisationen übergreift, und (c) durch einen Mechanismus, bei dem die Steuerung im Prozess der Interaktion unter den Akteurinnen und Akteuren sowie in kontinuierlicher Verständigung über gemeinsame Problemdefinitionen und Handlungsziele stattfindet (vgl. Fürst/ Zimmermann 2005). Im Governance-Ansatz spielt das Netzwerkkonzept eine besondere Rolle, weil die interaktive Gestaltung der Beziehungen zwischen lokalen Gruppierungen und Kontexten auf der Basis bestehender natürlicher und neu organisierter Netzwerke stattfindet (vgl. Osborne 2010,
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S. 9). Der Netzwerkmodus beinhaltet weder eine starke vertikale Hierarchisierung noch eine starke horizontale Sektorenabgrenzung (vgl. Schubert 2010). Die kommunalen Entscheidungsprozesse basieren danach zunehmend auf Verhandlungen, in die alle relevanten Akteurinnen und Akteuren aus Politik und anderen gesellschaftlichen Feldern einbezogen werden. Vom New Public Management zur New Public Governance Der britische Politikwissenschaftler Stephen P. Osborne hat den aktuellen Governance-Diskurs in ein Entwicklungsmodell eingeordnet. Danach haben sich die Formen des Regierens im Laufe der vergangenen Jahrzehnte vom vorherrschenden Typ der hierarchischen Öffentlichen Verwaltung (Public Administration) nach dem Zweiten Weltkrieg über die ökonomische Modernisierung nach dem Neuen Steuerungsmodell (New Public Management) in den 1990er Jahren zum aktuell verfolgten Modell der New Public Governance verschoben (vgl. Osborne 2006). Das traditionelle Modell der Öffentlichen Verwaltung betont vor allem die rechtlichen Grundlagen und fokussiert auf administrative Richtlinien. Die kommunalen Politiken und ihre Umsetzungen werden bürokratisch umklammert, so dass kaum interpretative Spielräume und Gelegenheiten zur Partizipation von Interessen- und Anspruchsgruppen bestehen. Dies betrifft auch die enge Gestaltung der Budgetverwendung. Kennzeichnend für dieses Modell ist auch eine Vormachtstellung der Professionellen und ihrer Träger bei der Sozialplanung und Dienstleistungsproduktion. Die Logik des New Public Management Das Neue Steuerungsmodell des New Public Management hielt in Deutschland im Laufe der 1990er Jahre Einzug. Die Richtlinien der Öffentlichen Verwaltung wurden dabei ökonomisiert, denn es wurden betriebswirtschaftliche Instrumente und Techniken des Managements
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aus dem privatwirtschaftlichen Sektor übertragen. Zugrunde lag die Erwartung, dass das Leistungsvermögen der Verwaltung mit Managementmethoden des Privatsektors verbessert wird und die Dienstleistungen in der Kommune sowohl effizienter als auch effektiver erbracht werden können. Von den Trägern der Dienstleistungen wurde eine Übernahme der unternehmerischen Perspektive verlangt. Im Rahmen einer Outputsteuerung sollen die Dienstleistungen von der Kostenseite her gesteuert und von der Ergebnisseite her evaluiert werden. Die Zuwendung öffentlicher Mittel wurde in ein marktliches Wettbewerbsmodell eingebettet und kennwertbezogen kontraktiert (vgl. Dahme/Wohlfahrt 2000). Mit der Betonung von Entstaatlichung bzw. Privatisierung, Kontraktmanagement, Wirkungsmessung und Benchmarking präsentierte sich das Neue Steuerungsmodell in der Tradition der neoklassischen Ökonomie und der Rational Choice Theorie. In der Logik des Neuen Steuerungsmodells wird die äußere Detailregulierung der Öffentlichen Verwaltung verringert; stattdessen wird der organisationsinterne Aufwand einer administrativen Selbststeuerung durch die Installation eines Managements erhöht, das ökonomisch fundierte Instrumente zur Prozesskontrolle einsetzt. Das Monitoring verlagert sich von der Verwaltungsebene in die Organisation selbst hinein, die nun eine indikatorengestützte Berichterstattung zur Qualitätsund Ergebniskontrolle einführen muss. Zu einer Kosteneffizienz soll im Besonderen der Wettbewerb der öffentlichen und privaten Anbieter beitragen (vgl. Crouch 2011). Es wird angenommen, dass Anbieter vom Markt verschwinden, wenn sie die Dienstleistungen nicht zur Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger als Kunden erbringen. Das Managementmodell folgt dem ökomischen Leitbild der Kundenzufriedenheit und überträgt die Wahlfreiheit der Kunden in den Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge, der gar nicht nach Marktgesetzen funktioniert, sondern allenfalls als Quasi-Markt ausgelegt ist. Dass es sich nicht um einen echten Markt handelt, liegt an den politischen Vorgaben und Bedingungen, wie das quasi-marktliche Geschehen ablaufen soll (vgl. Schneider 2005). In einem Quasi-Markt wird die Grundversorgung mit öffentlichen Gütern weiterhin öffentlich fi-
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nanziert und vom Staat gewährleistet. Allerdings wird die institutionelle Grundfinanzierung der Dienstleistenden reduziert, um sie bei der Beschaffung externer Ressourcen (Erschließung neuer Einnahmequellen) und bei der effizienten Gestaltung der Arbeitsabläufe (Kostenrechnung, Personalabbau) bei zugleich verstärkter Adressaten- bzw. Kundenorientierung zu marktanalogem Verhalten zu motivieren. Colin Crouch hat auf die neoliberale Grundlage des New Public Management aufmerksam gemacht (vgl. 2011, S. 34ff.). Auch für das Geschehen der Dienstleistungen im Sozialraum der Kommune wurde die Flexibilität und Effizienz des neoliberalen Unternehmens zum Maßstab erklärt. Die Akteurinnen und Akteuren der sozialen Daseinsvorsorge im Stadtteil und im Wohnquartier sollen marktförmig agieren, ihre Leistungen werden nach der Qualität und den finanziellen Vorgaben definiert. Zugleich wurden öffentliche Aufgaben privatisiert und an private Unternehmen im Rahmen von Ausschreibungen vergeben. Dies führte dazu, dass auch in der sozialräumlichen Praxis das privatwirtschaftlich geprägte Management als alleinig relevante Fachkenntnis für die Gestaltung der öffentlichen Belange propagiert wurde. Die Organisation der Dienstleistungen von öffentlichen und freigemeinnützigen Trägern wurde eindimensional auf einen wirtschaftlichen Blickwinkel verkürzt. Weitgehend ausgeblendet wird das pluralistische Geflecht von Ressourcen und Interessen in der Kommune bzw. in ihren Sozialräumen, die von freiwilligen Initiativen über privates Engagement bis zu Traditionen freigemeinnütziger Träger reichen. Vor diesem Hintergrund wird die Dichotomie von Verwaltung und Management als nicht mehr hinreichend eingeschätzt – als umfassenderer Ansatz rückte zunehmend die New Public Governance in den Blickpunkt. Die Logik der New Public Governance Die Governancelogik verfährt demgegenüber ganz anders: Sie setzt auf den Ausbau von lokalen Arenen der Partizipation, wo der dialogische Austausch der öffentlichen und privaten Akteurinnen und Akteuren in direkten Formen des Engagements über die reine Wahldemokratie hin-
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aus gefördert wird. Governance soll Legitimität im Rahmen der Mobilisierung von zivilgesellschaftlichen Ressourcen, Energien und Ideen in den Sozialräumen der Kommune erzielen: »At the bottom of this new participatory trend we have the notion of active citizenship that tends to replace the liberal notion of citizenship that conceives the citizen as a passive bearer of legal rights« (Torfing/Triantafillou 2013, S. 16). Hier steuert nicht mehr eine zentrale staatliche Agentur wie die kommunale Verwaltung, sondern es bilden sich neue Steuerungsinstrumente heraus, mit denen die Verantwortung an der Quartiersentwicklung und Dienstleistungsproduktion in die Selbststeuerung der beteiligten Stakeholder und ihrer Netzwerkkooperationen gelegt wird. Torfing und Triantafillou bezeichnen die Situation daher als »multi-actor collaboration« (2013, S. 17). Daneben wird als Schlüsselmerkmal noch die Befähigung der lokalen Akteurinnen und Akteuren zur partizipativen Mitgestaltung und zur Entwicklung von lokalen Lösungen genannt. Governance wird gekennzeichnet durch eine »increased collaboration between different levels and organizations within the public sector and increased collaboration between the public and private sectors« (ebd., S. 18). Vor diesem Hintergrund trägt die neue Governancelogik dazu bei, dass sich die Machtverhältnisse in der Kommune und in ihren Sozialräumen verschieben und der Einfluss einer direktiven Öffentlichen Verwaltung und einer rein ökonomisch fundierten Steuerung zurückgedrängt wird. In einer neu kalibrierten Balance bilden die kommunale Verwaltung (ohne das traditionelle Monopol), das ökonomische Management (mit einem angemessenen Blick auf die Adressaten sowie die lokalen Ressourcen) und die lokale Governance (mit der Befähigung lokaler Netzwerke zur selbstorganisierten Steuerung) einen geeigneten Rahmen für die Stadtentwicklung im 21. Jahrhundert. Diese Balance müssen die Akteurinnen und Akteuren vor Ort aktiv herstellen, indem der fiskalische Rahmen und die Budgets einer Kommune operativ darauf zugeschnitten werden, statt weiter im engen Korsett des New Public Management zu bleiben.
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Im Vergleich der drei Entwicklungsstufen von der Öffentlichen Verwaltung über das New Public Management hin zur New Public Governance hat Osborne (vgl. 2006, S. 383) diejenigen Schlüsselelemente herausgearbeitet, die den Governance-Ansatz prägen (vgl. Übersicht 1). Bei den theoretischen Grundlagen veränderte sich der Bezugspunkt von der Politik- und Verwaltungswissenschaft zur ökonomischen Rationalität von Managementtheorien im Neuen Steuerungsmodell. Der Governanceansatz ist demgegenüber stärker in der Organisationssoziologie und Netzwerktheorie verankert. Dabei hat sich auch das Verständnis staatlichen Handelns gewandelt. Der einheitlichen und monozentralen Perspektive der Öffentlichen Verwaltung, auf die das New Public Management mit dem Postulat einer Trennung von Staat und Privaten reagierte, steht im Governanceansatz eine pluralistische Perspektive eines polyzentrischen Handlungszusammenhangs gegenüber. Im Perspektivenwechsel verlagerte sich der Fokus von den engeren Blickwinkeln auf das politische System zuerst auf den ebenso engen Bezug auf das intraorganisationale Management. Nun weitet er sich zur interorganisationalen Governance auf. Ein weiterer Aspekt, mit dem der Prozess zur New Public Governance charakterisiert werden kann, betrifft die Gewichtung. In der Logik der Öffentlichen Verwaltung liegt der Schwerpunkt bei der Implementierung politischer Vorgaben. Es folgte die ökonomisierte Betonung von Input und Output der Dienstleistungen. Der Governanceansatz setzt demgegenüber stärker auf den Prozess der DienstleistungsKoproduktion, wobei besonders der soziale Nutzen und die Wirkungen hervorgehoben werden.
New Public Governance
Organisationssoziologie und Netzwerktheorie
Pluralistisch, polyzentrisch
Interorganisationale Governance
Dienstleistungsprozesse, Nutzen und Wirkungen
Prozessketten, längerfristige Interdependenz der Akteure
Vertrauen und relationale (Netz-)Verträge
Neo-Korporatismus: Einbindung aller lokaler Interessen
SchlüsselElemente
Theoretische Grundlagen
Verständnis staatlichen Handelns
Fokus
Gewichtung
Beziehung zu Partnern
Steuerungsmechanismen
Quelle: eigene Übersetzung von Osborne 2006, S. 383
Wertebasis
Wirksamkeit von Konkurrenz und Markt
Markt mit klass. und neoklassischen Verträgen
Unabhängige Anbieter, Markt mit Wettbewerb
Input und Output der Dienstleistungen
Intraorganisationales Management
Trennung Staat und Private
Rational Choice, Managementtheorien
New Public Management
Ethos des öffentlichen Sektors
Hierarchie
Potenzielle Elemente des polit. Systems
Implementierung politischer Vorgaben
Politisches System
einheitlich, monozentral
Politik- und Verwaltungswissenschaft
Öffentliche Verwaltung
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Tabelle 1: Elemente der New Public Governance im Kontrast zur Öffentlichen Verwaltung und zum New Public Management
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Entsprechend unterscheiden sich auch die Steuerungsmechanismen – im Gegensatz zur Hierarchie der Öffentlichen Verwaltung und zum Markt des Public Management mit klassischen und neoklassischen Verträgen setzt der Governanceansatz auf vielseitige Beziehungen im Netzverbund, die auf gegenseitigem Vertrauen aufbauen. Schließlich ist als Schlüsselmerkmal noch die Wertebasis zu nennen. Auf den Ethos des öffentlichen Sektors und auf den Glauben an die Wirksamkeit von Konkurrenz sowie Markt folgen bei der New Public Governance eine neo-korporatistische Haltung, die alle (lokalen) Interessen und Anspruchsgruppen einbinden möchte. Lokale Governancestrukturen am Beispiel von Bildungslandschaften Bildungslandschaften repräsentieren ein Beispiel, wie lokale Governancestrukturen im kommunalen Bildungsbereich entwickelt werden. Um Kinder und Jugendliche besser fördern zu können, wird die Vielfalt der örtlichen Bildungsangebote unter diesem Leitkonzept systematisch vernetzt (vgl. Bleckmann/Schmidt 2011). Eine Bildungslandschaft zeichnet sich u.a. dadurch aus, dass kommunalpolitisch gewollte Netzwerke entstehen, dass formelle und non-formelle Bildungs- und Betreuungseinrichtungen in einem lokalräumlichen Kontext zusammenarbeiten und dass immer vom lernenden Subjekt ausgegangen wird (vgl. Bleckmann/Durdel 2009, S. 12). Bei der Umsetzung werden einerseits die lokalen Organisationen und Ressourcen vernetzt (Ebene der sekundären Unterstützungsprozesse) und andererseits die Kinder und Jugendliche auf ihrem individuellen Lernweg umfassender begleitet (operative Ebene des primären Bildungsprozesses) (vgl. Schubert 2008). In der Steuerung auf der Systemebene sind alle lokalen Anspruchsgruppen (Stakeholder) vertreten, damit der Austausch über den Bedarf und die Kopplung der verschiedenen fachlichen Kompetenzen gelingen kann. Auf der Gemeindeebene gibt es eine weit verzweigte Netzstruktur mit verschiedenen thematischen Arbeitsgemeinschaften, politisch
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unterstützenden Ausschüssen und fachlichen Beraterkreisen. Das dabei aufgespannte Netzwerk fungiert als fachliche und inhaltliche Klammer zwischen den Beteiligten von Schulen, Schulträgern, Schulsozialarbeit, freien Trägern, Kommunalverwaltung, Kommunalpolitik sowie Elternund Schülervertretungen. Oft werden auf diesem Wege die Voraussetzungen für Ganztagsschulen, für die Implementierung von Schulsozialarbeit und für fachlich begründete Kooperationsvereinbarungen zwischen Kindertagesstätten, Grund- und Sekundarschulen geschaffen. Die Schlüsselpersonen der beteiligten Einrichtungen und zivilgesellschaftlichen Interessengruppen fungieren in der Verklammerung der verschiedenen Handlungsfelder als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren. Sie wirken einerseits an der Koordination der operativen Vernetzungen in den Sozialräumen der Stadtteile mit und reflektieren andererseits im kontinuierlichen Kontakt mit verantwortlichen Akteurinnen und Akteuren, was vor Ort passiert, und transportieren danach die Erkenntnisse in das lokale Netzwerk zurück. Bildungsvernetzung stellt das Kernprinzip der Bildungslandschaft dar; das erfordert eine Koordination der Zusammenarbeit zwischen formellen und non-formellen Bildungsträgern sowie der Einbindung der informellen Lernwelten. Auf der operativen Ebene vor Ort gehört dazu auch die aktive Einbindung sowohl von Adressatinnen und Adressaten der Bildung als auch von verschiedenen ausführenden Professionellen. Dies erfordert Beteiligungsstrukturen, die den Adressatinnen und Adressaten (wie Kinder, Jugendliche und deren Familien) und anderen zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren die Möglichkeit gibt, ihre Interessen und Bedarfe einzubringen. Außerdem müssen Beteiligungsformen gefunden werden, die den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Institutionen formeller, non-formeller und informeller Bildung Chancen der Mitgestaltung eröffnen. Das Finden einer »gemeinsamen Sprache« ist eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen der Zusammenarbeit zwischen den heterogenen Kreisen, Professionen und Handlungsfeldern.
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Überwindung der institutionellen Fragmentierung Vor Ort in den Sozialräumen werden die Impulse der Governancelogik zur interinstitutionellen Kooperation in Netzwerken angesichts der Kritik an dem hohen Maß institutioneller Zergliederung städtischer Lebensräume und individueller Lebenswelten positiv aufgenommen. Mit dem sukzessiven Ausbau der Kommunalverwaltung im Sozialstaat seit der Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die Gesamtaufgabe der kommunalen Daseinsvorsorge in funktionale Teilaufgaben zerlegt (vgl. Vahs 2009). In Folge der Fragmentierung erfahren die Menschen zum Beispiel die Bildungsprozesse nicht mehr ganzheitlich, sondern funktionsund hierarchiebezogen in eine Vielzahl von Zuständigkeiten zergliedert. Die vertikale und horizontale Trennung der im Lebensumfeld der Individuen und Haushalte tätigen Bildungseinrichtungen durch Funktions- und Hierarchiebarrieren führte dazu, dass Informationen untereinander nicht weitergegeben werden und sich die Funktionsbereiche gegenseitig abschotten (vgl. Übersicht 2). Die Barrieren des Ressortdenkens und die fehlende Transparenz der zergliederten Abläufe führen zu »operativen Inseln«, auf denen die professionellen Akteurinnen und Akteuren der verschiedenen Ressorts relativ isoliert agieren. Gemeinsame Schnittstellen werden nicht mehr wahrgenommen, was teilweise zum Aufbau von Doppelstrukturen und zur Redundanz sowie Intransparenz der Handlungsansätze beiträgt. Auf der Ebene von Stadtteilen zum Beispiel ist es heute immer noch weit verbreitet, dass weder die Hierarchiebarrieren zwischen Ratsgremien wie dem Schul- und Jugendhilfeausschuss, den Fachbereichen für Bildung und Jugendhilfe und den operativen Stadtteileinrichtungen noch die Funktionsbarrieren zwischen den fachlichen Zuständigkeiten der Ressorts vermittelt werden. Die Qualitätsentwicklung von Bildungseinrichtungen in den kommunalen Sozialräumen hängt aber entscheidend davon ab, ob diese Barrieren überwunden werden und der Bedarf über eine integrierte Vorgehensweise der professionellen Akteurinnen und Akteuren in Bildungslandschaften erfüllt werden kann. Deshalb gibt es zur interinstitutionellen Kooperation in einer Bildungslandschaft als Organisationsform nach der Governancelogik
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keine Alternative, weil nur im Rahmen eines netzförmigen Zusammenwirkens Brücken zwischen den operativen Inseln geschlagen werden können. Abbildung 1: Funktionale Versäulung und Verinselung in der Kommune
Quelle: verändert nach Vahs 2009, 4. Auflage, S. 203
Netzwerkkooperation Den Kern der interinstitutionellen Verflechtung macht die Netzwerkkooperation aus (vgl. Kraege 1997, S. 51). Sie hat den Charakter einer multilateralen Kooperation, die auf der Grundlage eines gemeinsamen Zieles vereinbart wird. Die beteiligten Akteurinnen und Akteuren bleiben dabei rechtlich und wirtschaftlich selbständige Einheiten mit einer Mindestautonomie, deren Leistungsbeiträge dezentral verantwortet werden. Die Kommunikation untereinander ersetzt die Unsicherheit der einzelnen Organisation durch selbst erzeugte Sicherheiten im Netzverbund. Die beteiligten Akteurinnen und Akteuren ziehen daraus den gegenseitigen Nutzen, ihre Ressourcen bündeln, ihre Kapazitäten verknüpfen und ihr Leistungsspektrum erweitern zu können. Die einzelne Organisation behält ihre Selbständigkeit und kann trotzdem Ergebnisse realisieren, zu denen sie allein nicht in der Lage ist.
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Die eindimensionalen Leitbilder der Organisationsentwicklung, die in Modernisierungsstrategien der Neuen Steuerung eine Rolle spielten, werden im Modell der Netzwerkkooperation mehrdimensional integriert. Dies ist in den beiden vergangenen Jahrzehnten nicht ohne Folgen für die kommunale Entwicklung geblieben. Als Beispiele können genannt werden: (a) die Neuorganisation des Planungs- und Handlungssystems (Sozialraumorganisation als Neuorganisation der Kommunalverwaltung aus der Anforderungsperspektive der Adressaten), (b) die Vernetzung von Akteurinnen und Akteuren und Einrichtungen in definierten Raumeinheiten über Fachbereichsgrenzen hinweg, damit die Bündelung der vorhandenen fachlichen Kompetenzen zu einem höheren Wirkungsgrad führt, und (c) die Einführung eines verknüpften Qualitätsmanagements zur Verbesserung der Dienstleistungen in den Prozessketten über die kooperierenden Dienste und Einrichtungen hinweg. Die Governance-Strukturen der Bildungslandschaft wandeln sich daher von der vertikalen Hierarchie kultus- oder ressortbürokratisch verwalteter Einrichtungen – wie zum Beispiel Schulen und Kindertagesstäten – zu einer horizontalen Organisationskonfiguration der »lateralen Kooperation« (vgl. Bleicher 2004, S. 339). Interorganisational wird nach »fluiden Organisationsstrukturen« gesucht, die in offenen und fließenden Übergängen der Bildungslandschaft anschlussfähig sind an die dynamische Umwelt der Kommune und des Bildungswesens (vgl. ebd., S. 341). Bei der Anschlussfähigkeit spielen die Adressatinnen und Adressaten als Interaktionspartner eine hervorgehobene Rolle; die Governance-Struktur muss ihrer Partizipation an der Erarbeitung von Lösungen für die Bildungslandschaft eine hohe Priorität einräumen. Die Organisationen öffnen sich von daher strukturell für Innovationen und involvieren die Adressatinnen und Adressaten in den Prozess der Bildungsdienstleistungen, was kaum im Rahmen von traditionellen, formalistischen Hierarchien der Öffentlichen Verwaltung realisiert werden könnte. In diesen Governance-Netzwerken wirken auch Träger und Organisationen aus verschiedenen Fachbereichen mit, weil integrierte Dienst-
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leistungen nach dem Prinzip des »full systems management« im Trägerverbund als Gesamtkonzept angeboten werden (vgl. ebd., S. 342). Die fluiden Strukturen werden im übergreifenden Gesamtzusammenhang inter- und intraorganisatorisch als integrierte Kooperationsnetze interdependent verteilter Ressourcen und Fähigkeiten organisiert – beispielsweise indem Organisationen der Jugendhilfe und des Schulsystems Kompetenzen unter dem Postulat der Adressaten- und Qualitätsorientierung in einer Leistungskette integrieren, damit die Kinder und Jugendlichen im pädagogischen Wertschöpfungsprozess der abgestimmten Kooperation wirkungsvoller entwickelt und gefördert werden können. In einer Bildungslandschaft bilden sich als Governancestruktur institutionelle Arrangements heraus, mit denen spezifische und komplexe Transaktionen bewältigt werden können (vgl. Williamson 1996, S. 13). Die Senkung der Schulverweigerungsquote schulmüder Jugendlicher lässt sich beispielsweise nicht im Rahmen eines marktbasierten Ansatzes des Public Managements erreichen – erfolgsversprechender ist ein Governanceansatz, bei dem verschiedene Professionen und Träger der Schule, der Schulsozialarbeit, der Jugendarbeit und des Sports unter Einbeziehung der Jugendlichen und ihrer Eltern ein netzförmig integriertes Handlungsmodell mit hoher Transaktionsspezifik realisieren. Netzwerkkooperationen gelten als der effiziente Governance-Modus, mit dem sich die Transaktionskosten solcher komplexen Aufgabenstellungen gering halten lassen (vgl. Preisendörfer 2005, S. 42ff). Schlussbemerkungen Die neue Governancelogik zeigt eine Verschiebung der Machtverhältnisse in der Kommune und in ihren Sozialräumen an. Das traditionelle Monopol einer direktiven Öffentlichen Verwaltung, deren hierarchische Autoritätsstrukturen nicht mehr greifen, wird gebrochen und dem Versuch, stattdessen eine ökonomisch fundierte Steuerung zu etablieren, setzt die New Public Governance im lokalen Kontext ein wirkungsvolleres Modell entgegen.
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Mit dem Governanceansatz werden die Steuerungsprozesse akteursbezogen »mikrofundiert« (vgl. Schneider 2005, S. 3). Das heißt: Die Steuerung und Regelung lokaler Belange erfolgt pluralistisch über das »eigensinnige« Handeln der lokalen Akteurinnen und Akteuren und Interessengruppen. Die Steuerung lokaler Belange liegt nicht mehr allein in der Hand der Öffentlichen Verwaltung als Steuerungssubjekt, sondern entsteht im dezentralisierten und polyzentrischen Zusammenwirken einer Vielzahl lokaler Akteurinnen und Akteuren. Die Thematisierung und Verarbeitung lokaler Probleme ist nicht mehr eine exklusive Angelegenheit der Verwaltungshierarchie, sondern findet in lokalen Netzwerken statt – wie zum Beispiel Bildungslandschaften, Stadtteilnetzwerken oder auch Netzwerken zur frühen Förderung, in die öffentliche, private und zivilgesellschaftliche Kräfte gleichermaßen eingebunden sind. Der Governanceansatz kann insgesamt als Reaktion auf die Situation verstanden werden, dass der Staat als singulärer Akteur komplexe Entwicklungsprobleme eines Stadtquartiers oder eines Sozialraums kaum noch zu lösen vermag und nur die Interaktion der beteiligten Akteurinnen und Akteuren aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Sektoren und Teilbereichen zur Entwicklung von Lösungen im Stande ist. Oder in den Worten von Volker Schneider formuliert: »Der in der jeweiligen Verfassung vorgesehene parlamentarische und gouvernementale Komplex wäre heute vollkommen überlastet, wenn viele der übrigen gesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren wie Parteien, Interessenverbände, Forschungsinstitute, Verwaltungs- und Selbstverwaltungsbehörden sich weder über informelle Kommunikations- und Kooperationsnetze verständigen noch an der Mobilisierung von PolicyRessourcen, der Koordination politischer Handlungen und der Produktion von Politiken beteiligen würden« (Schneider 2005, S. 7). Das in den Kommunikations- und Kooperationsbeziehungen generierte Vertrauen ermöglicht Verhandlungen und eröffnet vielfältige Pfade der Kompromissbildung.
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L OKALE G OVERNAGNCE – E INFÜHRUNG
IN DAS
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Stadtentwicklungskonzepte: eine historische Hinführung und Einordnung S USANNE L ANG
Ausgangspunkte von Ideen einer sozialen Stadtentwicklung ab den 1920er Jahren Als Antwort auf die zunehmende Industrialisierung und der damit einhergehenden Konzentration von Wohnbevölkerung in den städtischen Zentren sowie sichtbaren Zeichen von Überbevölkerung, Verwahrlosung und Umweltverschmutzung nahm sich die ›Charta von Athen‹ in den 1920er Jahren unter maßgeblichen Einfluss des Architekten Le Corbusier den Lebensumständen der Bevölkerung in vielen europäischen Städten an. Ausgehend von sozio-ökonomischen und städtebaulichen Analysen sollten die gegebenen Wohn- und Arbeitsbedingungen untersucht werden, um Lösungsansätze und Vorschläge zur Verbesserung der vorgefundenen Situationen aufzuzeigen. Kritikpunkte der ›Charta von Athen‹ (Le Corbusier 1943) waren insbesondere: Die zerstörte Harmonie des Stadtgefüges durch die Überbevölkerung und eine ungerechte Verteilung von Wohnraum unter der Stadtbevölkerung, fehlende Frei- und Grünflächen sowie eine rein nach ökonomischen Maßstäben ausgerichteten Ansiedlung von Industrieanlagen, Büros und Wohnungen, wodurch die Interessen der Wohnbevölkerung ökonomischen Interessen untergeordnet wurden.
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Eine der wesentlichen Forderungen der ›Charta von Athen‹ war die Einteilung der Städte nach Funktionen. So sollten • •
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Wohn-, Arbeits- und Erholungsbereiche segregiert realisiert werden, um der Verdichtung der Großstädte entgegen zu wirken. Die einzelnen segregierten Parzellen durch Grünanlagen voneinander getrennt und durch Verkehrsachsen miteinander verbunden werden. Die Stadt – jenseits rein ökonomischer Überlegungen – als funktionelle Einheit gesehen und im größeren Rahmen ihres Einflussbereichs geplant werden.
Insbesondere vier städtebauliche Hauptfunktionen wurden dabei als relevant erachtet: Wohnen, Arbeiten, Erholen und Bewegen. Arbeit und Erholung auf Freiflächen und Freizeitgeländen wurde der Gesamtstadt zugeordnet. Der Verkehr sollte die funktionellen städtischen Einheiten verbinden: Die Innenstädte waren der Verwaltung, Handel, Banken, Einkaufen und Kultur vorbehalten. In einem Gürtel um die Innenstadt sollten in segregierten Gebieten Industrie, Gewerbe und Wohnen voneinander getrennt bestehen können. Die Peripherie, das als Grüngürtel konzipierte städtische Gebiet im Übergang zum Umland, beherbergt Satellitenstädte mit reiner Wohnfunktion. Die Wohngebiete, die Architekten wie Le Corbusier und Walter Gropius entwarfen, waren bestimmt durch hohe, weitläufig auseinanderliegende Appartementhäuser mit hoher Wohndichte. Gleichzeitig vollzog sich ausgehend von neuen Entwürfen und Ideen zur modernen Stadtplanung am Bauhaus eine Neuausrichtung in der Architektur. Die formale Ausrichtung der neuen Bauweise war einer Zentrierung auf den Körper geschuldet, der ab diesem Zeitpunkt als abstrakter Baukörper begriffen wurde, welcher am Besten in einer rein mathematischmessbaren Form (Modulor) konzipiert wurde. Die zentrale Idee war dabei, den Städtebau zu revolutionieren, ihn »von innen nach außen« (Le Corbusier 1954, S. 68) zu entwickeln. Das Verhältnis von Innen und Außen wurde gegenüber dem traditionellen Städtebau umgedreht,
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die Grenze zwischen Innen und Außen neu thematisiert. Le Corbusier leitete daraus die Notwendigkeit ab, die städtische Straße ganz abzuschaffen und den Gebäude-Körper direkt in Beziehung zur Landschaft zu setzen (vgl. Sturm 2014, S. 6). Durch eine Konzentration der Baufläche auf wenige Punkte (Pilots) konnte Bodenfläche gewonnen werden, wodurch das Wohngebiet von der Rückgewinnung natürlicher Flächen profitierte. Analog zu den städtebaulichen Planungen der ›Charta von Athen‹ wurde beispielsweise im Kölner Norden ein Siedlungsgebiet KölnChorweiler geschaffen, das Raum für Industrie, Wohnen und Erholung bieten sollte. Die Idee der Stadt im Norden, die als zweites Zentrum, als ›Nordstadt der Arbeit‹ konzipiert wurde, implizierte die Idee von Köln als Doppelstadt. Am Rande des Zentrums im Norden wurde 1961 mit dem Bau einer Außenstadt am Fühlinger See für 100.000 Einwohner begonnen. Der Kölner Norden wurde so zu einem wichtigen neuen Siedlungsgebiet. Die Bauarbeiten wurden bis in die 1970er Jahre fortgeführt. Die Planung sah eine strikte Trennung von Verkehrsstraßen, Fußgängerwegen und der U-Bahn vor. Die Neue Stadt sollte aus verschiedenen Nachbarschaften bestehen: In den Randgebieten war eine lockere Bebauung vorgesehen, überwiegend aus Einfamilienhäusern bestehend. Diese Gebiete dienten als Übergang zum Umland. Das Zentrum des Siedlungsgebietes wurde als eine stark verdichtete Zone geplant. Die Flachbauten mit den öffentlichen Einrichtungen wurden durch Hochbauten ergänzt. Aufgrund der einsetzenden Wirtschaftskrise und dem Ende der Vollbeschäftigung sowie einer spezifischen Wohnungszuweisungspolitik stiegen die Einwohner_innenzahlen der Nachbarschaften im Siedlungsgebiet Köln-Chorweiler ständig an, bis sich schließlich die Anzahl der Bewohner_innen im Vergleich zu den ursprünglichen Planungen verdoppelte. Durch diese erhöhte Verdichtung und auch durch die veränderten konjunkturellen Bedingungen und weitere infrastrukturelle Defizite entwickelte sich die Hochbausiedlung zu einem sozial marginalisierten Stadtgebiet mit dem damit einhergehenden Imageproblem (vgl. ILS 2001, S. 203).
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Obwohl die ›Charta von Athen‹ lange als Ideal moderner Stadtplanung galt, wurden bald die Nachteile des aus ihr abgeleiteten Städtebaus unübersehbar. Die kleinräumige Ordnungsstruktur der Funktionsbereiche verwischte. Auch wenn sich Arbeits-, Wohn- und Erholungsflächen in ihrer Qualität zunehmend verbesserten, führte die räumliche Trennung zu einem starken Anstieg des Verkehrsaufkommens, mit all den damit einhergehenden Herausforderungen, insbesondere der Luftverschmutzung. Im Zusammenhang mit dem sich sehr bald abzeichnenden Strukturwandel der Industriegesellschaft verödeten die Innenstädte. Mit dem modernen Stadtumbau wurde viel von der jeweiligen Stadtgeschichte und urbanen Lebendigkeit aufgegeben. Zu Beginn der 1970er Jahre wurde der kleinräumigen Funktionsmischung und der Erneuerung der historischen Stadtzentren im Rahmen einer neuen Städtebauförderung wieder Beachtung geschenkt. Ab den 1990er Jahre zeichnete sich eine Hinwendung zu theoretischen Raumkonzeptionen in der Stadtentwicklungsplanung ab. Rein mathematisch-naturwissenschaftlichen Raum- und Körpervorstellungen wurde dabei eine Absage erteilt und sozialökologische Ansätze fanden nun Eingang in den Diskurs um eine soziale Stadtentwicklungspolitik. Es setzte sich die Erkenntnis der topologischen Struktur von Räumen durch, welche den Fokus auf die Beziehungen zwischen Räumen und deren soziale Bedeutungen legt. Die topologische Perspektive auf Stadtentwicklungsprozesse hat ihre theoretischen Ursprünge in der Sozialraumanalyse, welche in den 1920er Jahren von der Chicagoer Schule (Park, Burgess, McKenzie) geprägt wurde. Armutsentwicklung und sozial marginalisierte Quartiere ab den 1990er Jahren Seit den 1990er Jahren sind die Städte und Stadtregionen in der Bundesrepublik Deutschland durch wachsende soziale Ungleichheit und zunehmende Heterogenität gekennzeichnet. Nach Walter Hanesch (2011) ist der gesellschaftliche Strukturwandel im nationalen Kontext durch folgende Entwicklungen bedingt: Erstens durch eine kontinuier-
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liche Veränderung der Konkurrenzposition einzelner Regionen und Kommunen im Rahmen des globalisierten Standortwettbewerbs, zum Zweiten durch den Strukturwandel des Beschäftigungssystems: Massenarbeitslosigkeit und zunehmende Prekarisierung der Erwerbsarbeit. Zum Dritten sind die Haushaltsstrukturen und Lebensformen in einem kontinuierlichen Wandel begriffen, wodurch die durchschnittliche Zahl der Personen, die in Haushalten zusammenlebt, sinkt. Weiterhin macht sich der demografische Wandel in einer Umschichtung der Altersstruktur bemerkbar (vgl. Hanesch 2011, S. 10). In der BRD driften durch gesellschaftliche Spaltungsprozesse soziale Milieus weiter auseinander, wobei sich ein beträchtlicher Teil der Mittelschicht von sozialem Abstieg bedroht sieht. Diese steht einem wachsenden Anteil von Armen gegenüber, die von Teilhabe- und Verwirklichungschancen weitgehend ausgeschlossen sind. Von Armut betroffen sind insbesondere Haushalte mit Kindern (Alleinerziehende und kinderreiche Familien), Personen mit fehlendem oder niedrigen Bildungs- und Berufsabschluss, Langzeitarbeitslose und Personen mit Migrationshintergrund. Auch die Zahl der beschäftigten Armen ist angestiegen und die Zunahme von Altersarmut erzeugt weiteren Handlungsdruck (BMAS 2013, S. 9ff.). Gründe für die Zunahme der Armut sind nicht nur auf den beschleunigten wirtschaftlichen und sozialen Strukturwandel zurückzuführen, sie sind gleichfalls ein Resultat des Rückbaus der primären sozialen Sicherungssysteme im letzten Jahrzehnt und »des damit einhergehenden Bedeutungsgewinns der letzten Netze sozialer Sicherung, da diese Mindestsicherungssysteme keinen ausreichenden Schutz gegen Armut bieten. Insgesamt hat sich der sozialstaatliche Schutz gegen Armut im letzten Jahrzehnt kontinuierlich verringert. Der darin zum Ausdruck kommende Umbau des deutschen Sozialmodells trägt dazu bei, die Spaltungs- und Armutsrisiken weiter zu verschärfen« (Hanesch 2011, S. 10). Die skizzierten globalen und nationalen Entwicklungstrends schlagen sich in unterschiedlicher Art und Weise in den Regionen und Gemeinden nieder. Der sich abzeichnende sozio-ökonomische Wandel ist
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mit einer Veränderung des sozialräumlichen Gefüges und des Städtesystems verbunden. Die verzögerte bzw. polarisierte Entwicklung von Regionen in Europa wird am deutlichsten in semi-peripheren Quartieren sichtbar. Die semi-peripheren Quartiere sind unter anderem durch verminderte Ressourcenausstattung und durch vermehrte Zuwanderung gekennzeichnet. In den sozial marginalisierten Quartieren stehen nur unzureichende Möglichkeiten zur Verfügung, um den Anschluss an das urbane Wachstum der entwickelten Zentren zu halten und sich in ihnen erfolgreich zu platzieren. Die betroffenen Quartiere lassen sich in drei Typen einteilen: Es sind erstens Wohnsiedlungen des sozialen Wohnungsbaus, welche nach den Stadtplanungsideen der ›Charta von Athen‹ entwickelt wurden und eine entsprechende ›geplante‹ Struktur zur ausschließlichen Wohnraumnutzung aufweisen. Die ursprünglich geplanten quartiersbezogene Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten und Freizeitangebote für alle Altersgruppen sind im Zuge der wirtschaftlichen Rezession zu Beginn der 1970er Jahre nicht mehr umgesetzt worden. In den Folgejahren führte die Belegpraxis in den Wohnungsbeständen mit sozialer Bindung, verbunden mit der Praxis der Fehlförderabgabe für sogenannte Besserverdienenden zu einer Abwanderung wirtschaftlich besser gestellter Bevölkerungsanteile und förderte auf der anderen Seite eine Konzentration sozial schwacher Familien in diesen Quartieren. Zum Zweiten handelt es sich um ältere zentrumsnahe ehemalige Arbeiterviertel sowie um einige ältere Gebiete mit mehr oder weniger stark ausgeprägter gründerzeitlicher Bebauung, die in der Nähe ehemaliger Standorte von Kohleabbau, Stahl- oder auch Maschinenbau und chemischer Industrie zu finden sind. Diese Gebiete zeichnen sich durch einen gravierenden Sanierungsrückstand und eine sehr gemischte Bebauung aus und sind meist innenstadtnah gelegen. Aufgrund des Strukturwandels der Arbeit kam es Anfang der 1990er Jahre zu einer Verschärfung der sozialen Probleme in diesen Quartieren, in denen – zumeist in den westlichen Bundesländern – überdurchschnittlich viele Migranten leben (vgl. Lang u.a. 2004, S 13).
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Zum Dritten sind ostdeutsche Plattenbausiedlungen betroffen, die zu DDR-Zeiten begehrte Wohngebiete waren, da der Wohnstandard, im Vergleich zu den renovierten traditionellen Gründerzeitvierteln, relativ modern war. Einrichtungen der Infrastruktur wie Kinderkrippen, -gärten und -horte, Schulen und Polikliniken waren in diesen Siedlungen durch zentralistische Planung angelegt und bedarfsdeckend vertreten. Aufgrund der in großem Maß einsetzenden Suburbanisierung kam es nach der Wende zu einer Homogenisierung der Wohnbevölkerung in den Plattenbauten, da viele Angehörige einkommensstärkerer Schichten die Plattenbausiedlungen verließen und Eigenheime im Umland der Städte oder Wohnungen in anderen Stadtteilen bezogen. Neben nach wie vor existierenden Plattenbausiedlungen, die eine relativ stabile Bewohner_innenstruktur und eine in der Zwischenzeit aufgewertete Infrastruktur (insbesondere Einzelhandel und Freizeiteinrichtungen) aufweisen, gibt es eine wachsende Zahl von Großwohnsiedlungen, in denen Leerstand und räumliche Konzentrationen von unterstützungsabhängigen Mietergruppen zu finden sind (vgl. ebd. S. 14). Entwicklung einer sozialen Stadtentwicklungspolitik Ende der 1990er Jahr Als Antwort auf die nicht mehr zu verbergenden Armutstendenzen wurde unter der rot-grünen Regierung im Jahr 1999 das Förderprogramm ›Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – Die Soziale Stadt‹, aufgelegt – im Folgenden kurz ›Soziale Stadt‹ genannt – , das aus der damals bereits bestehenden und 1996 gestarteten Initiative der Länder hervorgegangen ist. Das Förderprogramm ›Soziale Stadt‹ bezieht sich im föderalen System der Bundesrepublik vor allem auf die Länderebene und einzelne Kommunen. Die Mittel, die im Rahmen des Stadtentwicklungsprogramms ›Soziale Stadt‹ den Kommunen zur Verfügung gestellt wurden, dienten in erster Linie zur Realisierung von Projekten, deren Laufzeit zwischen einem und bis zu drei Jahr(en) beträgt. Um die Mittel einwerben zu können, müssen die Kommunen be-
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stimmte städtische Quartiere beziehungsweise so genannte Sozialräume identifizieren. Das Förderprogramm implizierte damit eine auf die identifizierten ›Sozialräume‹ ausgerichtete Entwicklungsförderung im Rahmen von Modellprojekten. Mit dem neuen Stadtentwicklungsansatz wurden neue Steuerungsformen staatlichen und kommunalen Handelns auf der Grundlage »integrativer« Handlungsansätze implementiert. Kommunale Entwicklungsprobleme sollten zusammen mit einer Leitbildentwicklung gebietsbezogen mit sektorübergreifenden ganzheitlichen Lösungswegen gemeistert werden. Die integrierten Stadtentwicklungskonzepte mussten eine Stärken- und Schwächeanalyse der Stadt und der einzelnen Stadtteile beinhalten. Die integrierte Entwicklungsplanung für die ausgewählten Gebiete diente als Grundlage für die Bewilligung der bereitgestellten Gelder. Die Projekte, welche mittels des Förderprogramms ›Soziale Stadt‹ realisiert wurden mussten dabei von den Kommunen co-finanziert werden. Seit dem Jahr 1999 bis einschließlich des Förderzeitraumes im Jahr 2012 hat der Bund nach Angaben des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur mit dem Förderprogramm ›Soziale Stadt‹ Finanzhilfen in Höhe von rund 1 Milliarde Euro für soziale Stadtentwicklungsprojekte in 600 sozial marginalisierten Stadt- und Ortsteilen in über 375 großen und kleineren Kommunen zur Verfügung gestellt. Damit wurde ein Drittel des Gesamtprogramms finanziert. Mit den ergänzenden Mitteln aus den Ländern und den Kommunen, die sich in gleicher Höhe beteiligen, wurden bis 2012 rund drei Milliarden Euro für die Umsetzung des Programms bereitgestellt (vgl. BMVI 2014). Neben der städtebaulichen Aufwertung der am Förderprogramm ›Soziale Stadt‹ partizipierenden Quartiere, sollten alle für eine soziale Entwicklung relevanten Akteur_innen aus den Stadtteilen gewonnen werden, um ressortübergreifend Planungen für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung unter Bürger_innenbeteiligung realisieren zu können. Ein besonderes Merkmal der neuen Stadtentwicklungspolitik war es, die politische Partizipation über einen modernen GovernanceAnsatz anzuregen. Damit integrierte die hiesige Stadtentwicklungspoli-
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tik Überlegungen der internationalen soziologischen und politikwissenschaftlichen Diskussion zur Gewährleistung eines komplexen Blicks auf lokale Gegebenheiten. Die Diskussion trug der Tatsache Rechnung, dass die Zahl der die Lebensbedingungen vor Ort mitgestaltenden Akteur_innen und Netzwerke zunimmt und dass diese nicht mehr hierarchisch, gleichsam top-down steuerbar sind und es deshalb neuer Steuerungsformen bedarf (vgl. Lang 2009, S. 269). Mit dem neuen Governance-Modell sehen sich die Kommunen nicht mehr im Gegensatz zu Markt und Zivilgesellschaft, sondern in einem Wechselverhältnis zu diesen. Abbildung 1: Wechselmodell
Mit dem Local-Governance-Ansatz wird die ehemals staatlich-hierarchische Gesellschaftssteuerung zugunsten eines neuen kooperativen Verhältnisses zwischen lokalen Akteur_innen abgelegt. Das privatwirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Engagement gewinnt hiermit an Bedeutung. Weitere Ziele des Ansatzes sind die verbesserte Koordination im Verwaltungshandeln und ein abgestimmter Mitteleinsatz sowie die Kooperation der Kommunen mit Verbänden und der Wirtschaft und eine erweiterte Mitwirkungsmöglichkeiten für die verschiedenen
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Bevölkerungsgruppen in den ausgewiesenen Stadtteilen (vgl. Hanesch 2011, S. 18). Allianz von Sozialpolitik und Sozialer Arbeit im Rahmen sozialer Stadtentwicklungspolitik Die Probleme der Städte forderten in zunehmendem Maße auch die Soziale Arbeit heraus. Die Sozialraumdebatte in der Kinder- und Jugendhilfe wurde weitgehend mit der Thematik der sozialen Stadtentwicklung verknüpft. Die vom Bundesministerium für Familie, Senior_innen, Frauen und Jugend im Jahr 1999 initiierte Programmplattform »Entwicklung und Chancen junger Menschen in sozialen Brennpunkten«, kurz »E&C« (BMFSFJ 1999) genannt, wurde als ressortübergreifendes, sozialräumlich orientiertes und Jugendhilfe bezogenes Begleitprogramm zum eher städtebaulich ausgerichteten Programm ›Soziale Stadt‹ entwickelt, »um Kindern und Jugendlichen aus benachteiligten Sozialräumen günstigere Bedingungen für ihre Entwicklungen und bessere Voraussetzungen für ihre Zukunft zu eröffnen« (Stiftung SPI 2006, S. 4). Durch das ›E&C‹-Programm sollten unter anderem neue Maßnahmen entwickelt und erprobt werden, die soziale, berufliche und gesellschaftliche Integration junger Menschen in sozial marginalisierten Stadtteilen zu fördern. Im Zentrum des Programms standen benachteiligte Kinder und Jugendliche in sogenannten sozialen Brennpunkten und strukturschwachen ländlichen Regionen. Ziel war es, die Maßnahmen des Kinder- und Jugendplanes des Bundes zusammenzufassen und die Arbeit im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe in den ›Sozialräumen‹ zu qualifizieren und weiterzuentwickeln. Die Sozialraumorientierung wurde in den beiden Programmen ›Soziale Stadt‹ und ›E&C‹ als ein Handlungskonzept begriffen, das weit über die Kinderund Jugendhilfe hinausgeht. Die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, Maßnahmen zur Wohnumfeldverbesserung, Verkehrs- und Umweltpolitik werden in einen sozialräumlichen Zusammenhang gebracht. Die Grundphilosophie der Programme bestand darin, das übliche Ressort-
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denken zu überschreiten und ressortübergreifend Mittel zu bündeln, die in sehr unterschiedlicher Weise zur Verbesserung von Sozialräumen beitragen sollen. Insgesamt verstärkten diese Bundesprogramme, die in der Jugendhilfe schon seit längerem angelaufene Projektorientierung mit dem Ziel, Ressourcen ergebnisorientiert wirkungsvoll und zeitlich begrenzt einsetzen zu können. Es wurden neue Formen des Quartiermanagements erprobt, Strategien des Empowerment mit milieu- und quartiersorientierten Interventionsprogrammen verknüpft. Dabei wurden auf folgende Prinzipien der Sozialraumorientierung gesetzt: Dezentralität, Ressourcenverantwortung, Infrastrukturentwicklung, Beteiligung, Selbststeuerung, Überwindung der Einzelfallorientierung und Kooperation verschiedener Akteur_innen und Institutionen. Als Planungsprofession knüpft Quartiermanagement an die Tradition der behutsamen Stadterneuerung der 1980er Jahre an. In der Gemeinwesenarbeit wird mit Quartiermanagement die Umorientierung von der rein betreuenden und fürsorglichen gebietsbezogenen Sozialarbeit zur Organisation der Interessen vor Ort und zur Bündelung von Ressourcen auf kommunaler Ebene verstanden. Insgesamt wird Quartiermanagement als geeignetes Instrument gesehen, mit dem selbsttragende Strukturen in benachteiligten Stadtteilen aufgebaut werden können (vgl. Franke 2003, S. 176ff.) Die Einbindung der Kinder- und Jugendhilfe in ein Stadtteil- oder Quartiermanagement bezieht sich auf die Stärkung der lokalen Ökonomie, die Förderung von Beschäftigung und Qualifizierung, die Aufwertung des öffentlichen Raums, die Verbesserung des Wohnumfeldes, die Stärkung der sozialen und kulturellen Infrastruktur, die Förderung und Unterstützung der Beteiligung von Bewohner_innen sowie die Förderung der Unterstützung von Kooperationen. Zu Erreichen dieser Ziele kann die Kinder- und Jugendhilfe auf das Instrument der Kinderund Jugendhilfeplanung (§ 80 KJHG/SGB VIII) zurückgreifen. Die ressortübergreifende Koordination und Kooperation wird darüber hinaus nach § 81 KJHG/SGB VIII von den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe gefordert. Hiermit ist die Zusammenarbeit mit anderen Stel-
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len und öffentlichen Einrichtungen gemeint, deren Tätigkeit sich auf die Lebenssituation junger Menschen und Familien auswirkt (Schulen, berufliche Aus- und Weiterbildung, öffentlicher Gesundheitsdienst, Bundesanstalt für Arbeit, Polizei- und Ordnungsbehörden usw.). Die ressortübergreifende Kooperation der Kinder- und Jugendhilfe im Kontext der Jugendhilfeplanung und eine hierauf bezogene Weiterentwicklung der Angebote und Dienste der Kinder- und Jugendhilfe einer Region wurde dadurch gestärkt, da das Konzept einer sozialraumorientierten Jugendhilfeplanung und ein hierauf bezogenes Programm- und Leistungsprofil der Kinder- und Jugendhilfe eine große fachliche Aufmerksamkeit verbuchte. Inzwischen wird der Konzeption einer sozialräumlich orientierten Kinder- und Jugendhilfe ein Status als »konzeptionelles Leitparadigma in der Kinder- und Jugendhilfe« zugesprochen (vgl. Institut für Soziale Arbeit 2001, S. 10) unter anderem auch deshalb, da insbesondere das KJHG eine sozialräumlich ausgerichtete Analyse und Planung verlangt (vgl. § 1 Abs. 3 Ziffer. 4, § 27 Abs. 2 und § 80 Abs. 2 KJHG). Bewertung Gesamtprogramm ›Soziale Stadt‹ mit seinen sozialpolitischen Interventionen Mit dem Städtebauförderungsprogramm ›Soziale Stadt‹ wurden in erster Linie Investitionen städtebaulicher Maßnahmen zur Innovation und nachhaltigen Stadtteilentwicklung verwirklicht. Eine Bestandsaufnahme des Erfolges des sozialen Stadtentwicklungsprogramms, inklusive des ›Stadtumbau Ost‹ ist nicht einheitlich zu gewährleisten, da vielfältige (Kontext-)Faktoren auf den Programmverlauf und -erfolg Einfluss genommen haben. Die bundesweite Zwischenevaluation sowie die Evaluationen in den einzelnen Bundesländern kamen zu dem Schluss, dass das Programm ›Soziale Stadt‹ in vielerlei Hinsicht als erfolgreich zu bezeichnen ist, wobei vor allem auf einzelne Programmelemente und -bausteine Bezug genommen wurde. Die Zwischenevaluation zeigt aber auch – neben den vielen Erfolgen auf der lokalen Ebene – eine
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mangelnde integrative Zusammenarbeit der Fachressorts auf Bundesund Landesebene auf (vgl. IFS 2004). Jörg Bogumil 2011 spricht in diesem Zusammenhang von einer Koalition der Schwachen: Aufgrund der schmalen interministeriellen Unterstützung wurde »die ›integrierte‹ Politik zur Sache der in die ›harte‹ Politik eher unintegrierten Fachressorts« (Bogumil 2011, S. 88) gemacht. Die für Wirtschaft und Beschäftigung zuständigen Bundesministerien zeigten sich dabei eher zurückhaltend und auch aus dem für Integration und Migration zuständigen Bundesministerium ist bis heute eine eher verhaltene Unterstützung wahrzunehmen gewesen. Einzig dem Programm ›Entwicklung und Chancen junger Menschen in sozialen Brennpunkten (E&C)‹ des Bundesministeriums für Familie, Senior_innen, Frauen und Jugend wurde bescheinigt, dass es eine Ergänzung unter integrativen Gesichtspunkten darstellt. Vor diesem Hintergrund werden Forderungen laut, den Ansatz der ›Soziale Stadt‹ durch eine besser abgestimmte Politik auf Bundes- und Länderebene zu ergänzen und zu stärken. Der dem Stadtentwicklungsprogramm zugrundeliegende neue Steuerungsansatz ist bisher nur teilweise umgesetzt worden. Dies gilt vor allem für die Bundes- und Länderebene. Hier ist das Programm zum überwiegenden Teil weder durch flankierende Programme anderer Fachministerien ergänzt und verstärkt worden, noch sind notwendige Steuerungsstrukturen im Bund und in den einzelnen Ländern etabliert worden, durch die eine abgestimmte Förderung der Kommunen sicher gestellt werden kann: »Insofern konzentriert sich das Postulat einer integrierten Herangehensweise allein auf die Kommunen« (Hanesch 2011, S. 26). Bei den Kommunen zeigt sich, dass Programmelemente in formaler Hinsicht eingeführt worden sind. Es fällt aber vielen Kommunen schwer, die geforderten Steuerungsstrukturen mit Leben zu füllen. Die Programmumsetzung wurde nur in einem Drittel der Kommunen tendenziell nach dem Governance-Prinzip gesteuert. In den Stadtteilen wurden umfangreiche Organisationsstrukturen etabliert, die teilweise an bereits vorhandenen Kooperationsformen anknüpfen konnten, wo-
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bei der Konkurrenzdruck unter den freien Träger in Bezug auf die Projektefinanzierung erhöht wurde. Die realisierten Projekte sind dabei jedoch eher segmentär als integrativ ausgerichtet (Bogumil 2011, S. 92). Sozialraumorientierte Strategien gegen die Verarmung von Bevölkerungsgruppen stoßen dann an ihre Grenzen, wenn die deutsche Armutspolitik versucht ohne eine überregionale Gesamtstrategie gegen Armut auszukommen. Insbesondere die aktuelle Debatte um die ›Zuwanderung aus Osteuropa‹ zeigt, dass auch keine Klarheit besteht, »welche Rolle die verschiedenen Ebenen und Akteur_innen in der Armutsbekämpfung spielen und welchen Beitrag sie leisten sollen« (Hanesch 2011, S. 28). Zukünftig sollten die Kommunen durch die Verstärkung ihrer materiellen Ressourcen selbst dazu befähigt werden, die aktuellen Herausforderungen angemessen bewältigen zu können. Hierzu bedarf es eines »interregionaler und interkommunaler Mittelausgleiches« (ebd. S. 27). Ohne die skizzierte kommunale Förderung bleibt es offen, wie zukünftig die Entwicklung und Umsetzung einer integrierten Stadtentwicklungspolitik verbessert werden kann. Ausblick Das Programm ›Soziale Stadt‹ ist im Jahr 2012 ausgelaufen und wurde mit Beginn 2013 als Programm für ›Städtebauförderung‹ neu aufgelegt. Der Bereich Soziales umfasst nun die Sicherung von mehr Generationengerechtigkeit, Familienfreundlichkeit und sozialem Zusammenhalt. Mit der Aufgabe ›harter‹ Politikfelder bei der neu aufgelegten Städtebauförderung – Bereiche wie die Beschäftigungsförderung und die Stärkung der lokalen Ökonomie sind nun vorrangig familien- und gesellschaftspolitischen Schwerpunktesetzungen gewichen –, stellt sich die Frage der Reichweite der ressortübergreifenden Zusammenarbeit auf Bundesebene. Im Zuge der Bewertung der Evaluationen des Programms ›Soziale Stadt‹ wurde auch bemängelt, dass die einzelnen geförderten Quartiere nicht die richtige Bearbeitungsebene für Probleme
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bundespolitischer Tragweite darstellen. Positiv beurteilt wird die städtebauliche Aufwertung der Programmgebiete, eine Verbesserung der sozialen und kulturellen Infrastruktureinrichtungen sowie eine – in Bezug auf die Erwartungen – kleine Zahl an neu geschaffenen jedoch zeitlich befristeten Qualifizierungs- und Beschäftigungsmaßnahmen. Durch die Einrichtung von Foren konnte die Beteiligung der Bewohner_innen an der Realisierung von Stadtteilprojekten gesteigert werden. Hierbei bleibt gleichzeitig zu konstatieren, dass schwer erreichbare Zielgruppen wie Kinder und Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund durch die offene Beteiligungsform nicht im erwarteten Umfang beteiligt werden konnten. Local Governance als zentrales Programmziel fordert ein stark vernetztes und kooperatives Vorgehen. Eine lokale Vernetzung bedeutet nicht zwangsläufig eine erhöhte Transparenz in Politik- und Verwaltungsabläufen. Mögliche Grenzen sind hier in Bezug auf die politische Verantwortung kritisch zu prüfen, wenn nicht mehr eine demokratisch legitimierte Bürger_innenvertretung oder nominierte Akteur_innen der Verwaltung, sondern informelle und intransparente Abstimmungsgremien maßgeblich Entscheidungen beeinflussen können. Literatur Bogumil, Jörg (2011): Möglichkeiten und Grenzen nationaler Stadtpolitik. In: Hanesch, W. (Hg.): Die Zukunft der ›Sozialen Stadt‹ – Strategien gegen soziale Spaltung und Armut in den Kommunen. Wiesbaden, 81-96. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) (2013): Lebenslagen in Deutschland. Der Vierte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. https://www.bmas .de/SharedDocs/ Downloads/DE/PDF-Publikationen-DinA4/a334-4-armuts-reichtumsbe richt-2013.pdf?__blob=publicationFile [Zugriff am: 10.03.2014]. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) (1999): Entwicklung und Chancen junger Menschen in sozialen Brennpunkten. Bonn.
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Sturm, Ulrike (2014): Gesund und munter: Wie der Körper die Stadt erlöst, hg. vom Institut für Stadtbaukunst. Ein Forum für Architektur und Stadtbaukunst www.stadtbaukunst.org/cms/upload/texte_ zur_stadtbaukunst/USturm_Gesund_und_munter.pdf [Zugriff am: 10.03.2014].
Integrierte Stadt(teil)entwicklung durch intermediäre Sozialraumkoordinatoren_innen Erfahrungen mit dem Modellprojekt »Lebenswerte Veedel – Bürger- und Sozialraumorientierung in Köln« M ATTHIAS S AUTER
Der vorliegende Beitrag ist die ausgearbeitete Fassung eines Vortrags zu den Befunden einer prozessbegleitenden Evaluation des Modellprojekts »Lebenswerte Veedel – Bürger- und Sozialraumkoordination in Köln« (Bearbeitungszeitraum: 2010-2011), den der Autor dieses Beitrags im Rahmen der Fachtagung »Städtische Quartiere im sozialen und demografischen Wandel lebenswert gestalten« am 19.04.2013 an der Fachhochschule Köln gehalten hat (vgl. dazu ausführlich auch ISSAB 2011 sowie Kalter/Litges/Sauter 2012 a und b). Vorbemerkung Die deutsche Gesellschaft befindet sich in einem tiefgreifenden demografischen, ökonomischen und sozialen Wandlungsprozess. Dessen negative Folgeerscheinungen lassen sich in den Städten und Agglomerationen – bei großen regionalen Unterschieden – am deutlichsten beobachten. Dazu gehören insbesondere erhebliche Veränderungen bei
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der Alters- und Sozialstruktur der Bevölkerung (Stichworte: »weniger, älter, bunter«), die Verschärfung sozialer Ungleichheiten sowie ein zunehmender Mangel an Wohnungen für einkommensschwächere Bevölkerungsgruppen, der in etlichen prosperierenden Großstädten (München, Hamburg, Frankfurt a.M. etc.) inzwischen verstärkt auch Mittelschichthaushalte betrifft. Diese Entwicklungen werden zudem überlagert von einer fortschreitenden Konzentration armer, arbeitsloser und anderweitig benachteiligter Menschen in einzelnen, oftmals peripher gelegenen und infrastrukturell schlecht ausgestatteten Stadtgebieten. Zu den wichtigsten politischen Aufgaben der Zukunft gehört es deshalb, sozialräumliche Segregations- und Spaltungsprozesse zu stoppen, benachteiligte Stadtgebiete zu stabilisieren und die drohende Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsgruppen aus zentralen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zu verhindern. Angesichts der geringen finanziellen Handlungsspielräume vieler Städte (kommunale Haushaltskrise, Haushaltssicherung etc.) bei gleichzeitig wachsenden Belastungen, gewinnt die Suche nach innovativen Strategien an Bedeutung, mit deren Hilfe die Ressourcen der einzelnen Verwaltungsressorts, aber auch die Ressourcen von Freien Trägern, Wohnungswirtschaft und weiteren relevanten Akteur_innen zielgerichteter und effektiver genutzt werden können als bislang. Vor diesem Hintergrund wächst die Zahl der Städte, die – in je unterschiedlichen Variationen – gesamtstädtische und auf Dauer angelegte Reformansätze einer »integrierten Stadt(teil)entwicklung« und/oder einer »ämterübergreifenden Sozialraumorientierung« erproben, mit denen zeitnah und flexibel auf sich verändernde Aufgabenstellungen und Rahmenbedingungen reagiert werden kann (vgl. dazu u.a. Franke/Strauss 2010; Grimm u.a. 2001; ISSAB/Stadt Essen 2009; Sauter 2009; Kühner/Sauter 2010; Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin 2009; Stadt Gelsenkirchen 2007; Rommelfanger/Sauter 2010). Ein solcher Ansatz ist das Modellprojekt »Lebenswerte Veedel – Bürger- und Sozialraumkoordination in Köln« (vgl. dazu u.a. Stadt Köln 2010 und 2012), das im Mittelpunkt dieses Beitrags steht.
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Integrierte Stadt(teil)entwicklung: Vom Modellprojekt zur Regelaufgabe Übergreifendes Ziel der Reformansätze in diesen Städten ist es, integrierte und sozialraumorientierte Arbeitsformen auch jenseits von zeitlich befristeten Sonderprojekten (etwa im Rahmen des Bund-LänderProgramms ›Soziale Stadt‹) zu praktizieren und in den Regelstrukturen und -abläufen von Stadtverwaltung, Freien Trägern und anderen relevanten Institutionen verbindlich zu verankern. Staatliche Fördermittel bleiben dabei auch weiterhin wichtige Impulsgeber und Finanzierungsquellen, deren Nutzung wird aber in einen übergreifenden strategischen Kontext eingebunden. Auf diese Weise sollen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass die in den Wohnquartieren vermehrt auftauchenden Herausforderungen und Probleme besser bewältigt werden können. Denn diese sind in der Regel hoch komplex und ihre Bearbeitung erfordert ein gutes Zusammenspiel der einzelnen Verwaltungsbereiche (etwa Jugend, Soziales, Bildung, Beschäftigungsförderung, Kultur, Stadterneuerung etc.). Die integrierte Stadt(teil)entwicklung bzw. die ämterübergreifende Sozialraumorientierung zielt deshalb auf eine stärkere gebietsbezogene Kooperation zwischen den Akteur_innen innerhalb der Stadtverwaltung, aber auch zwischen den verschiedenen Akteur_innen im Quartier/Stadtteil und denjenigen in der Verwaltung. Von den Ämtern, Trägern und Einrichtungen verlangt diese Neuausrichtung vor allem eine Ausweitung integrierter (querschnittsorientierter) Denkweisen und Konzepte, die Intensivierung fach- und akteursübergreifender Kooperations- und Vernetzungsformen, einen expliziten Stadtteil- oder Quartierbezug, eine konsequente Bewohner_innenorientierung und -beteiligung sowie den Wechsel von defizitzu ressourcenorientierten Handlungsweisen.1
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Konkrete Beispiele dafür finden sich bereits in vielen Kommunen, so etwa bei der Weiterentwicklung von Kindertagesstätten zu Familien- und Nachbarschaftszentren, bei der Öffnung von Schulen zum Stadtteil, beim Auf-
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Abbildung 1: Notwendige Neuausrichtung in den Kommunen
Die bisherigen Erfahrungen zeigen zudem, dass ein solch grundlegender Paradigmenwechsel in der Praxis der Stadt(teil)entwicklung (»Vom Modellprojekt zur Regelaufgabe«) in aller Regel nur dann gelingen kann, wenn auf Stadtteil- und Quartierebene unabhängige intermediäre Instanzen (»Stadtteilmoderation«, »Quartiermanagement«, »Stadtteilkoordination«, etc.) existieren, die zwischen den Handlungslogiken des professionellen Systems (Politik, Verwaltung, Institutionen) auf der einen Seite und den Interessen der Bewohner_innen auf der anderen Seite vermitteln. Je nach lokalen Gegebenheiten kann diese intermediäre Funktion z.B. von Stadtteilbüros, Stadtteilzentren und Nachbarschaftseinrichtungen, aber auch von Mehrgenerationenhäusern, Familienzentren oder Integrationsagenturen wahrgenommen werden.
bau von lokalen/kommunalen Bildungsnetzwerken, beim Aufbau einer stadtteilbezogenen Gesundheitsförderung oder bei der Organisation von Modellprojekten für eine altersgerechte Quartiergestaltung (zum letztgenannten Punkt vgl. u.a. Grimm/Kalter/Sauter 2011).
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Abbildung 2: Intermediäre Instanzen als lokale Schlüsselakteure
Zu den typischen Aufgaben solcher Vermittlungsinstanzen gehört u.a. das Beobachten und Analysieren der lokalen Entwicklungsprozesse, das Erkunden der Bedarfe und Ressourcen in den Gebieten, der Transfer von Informationen zwischen den Ebenen Stadtteil, Verwaltung und Politik, das Initiieren von gebietsbezogenen Projekten und Aktivitäten, das Organisieren von Kooperation und Vernetzung, die Moderation von Konflikten, das Herstellen von Öffentlichkeit sowie die Stärkung bewohnerschaftlicher Selbstorganisation. Das Beispiel der Sozialraumkoordinator_innen in Köln Ein besonders ambitioniertes Beispiel für diese Reformbestrebungen bietet die Stadt Köln mit dem 2005 gestarteten Modellprojekt »Lebenswerte Veedel – Bürger- und Sozialraumorientierung in Köln«. 2
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Weitere Vorreiter einer solchen integrierten Stadtteilentwicklung bzw. ämterübergreifenden Sozialraumorientierung sind beispielsweise – in unterschiedlichen Ausprägungen – die Stadt Hannover mit der flächendeckenden Einführung eines »Stadtbezirksmanagements«, die Stadt Ludwigsburg mit dem Stadtentwicklungs-konzept »Chancen für Ludwigsburg«, die Stadt
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Das diesem Projekt zugrunde liegende Rahmenkonzept wurde von Kommunalpolitik, Stadtverwaltung und der Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege in Köln (LIGA der Wohlfahrtsverbände) gemeinsam erarbeitet und vom Rat der Stadt Köln am 15.12.2005 beschlossen. Zunächst auf drei Jahre befristet, wurde die Laufzeit des Projekts inzwischen mehrfach verlängert, zuletzt mit Ratsbeschluss am 17.12.2013 (vgl. Stadt Köln 2013, S. 79-82).3 Das Rahmenkonzept in seiner aktualisierten Fassung aus dem Jahr 2010 (vgl. Stadt Köln/Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege in Köln 2010) zielt darauf ab, die Lebensbedingungen der Bewohner_innen in derzeit elf festgelegten »Sozialraumgebieten« (Größe: i.d.R. 20.000-30.000 Einwohner_innen) zu stabilisieren und zu verbessern.4 Dies soll durch die Verankerung einer ressort- und fachübergreifenden Praxis auf Seiten von Verwaltung und Freien Trägern bewirkt werden,
Gelsenkirchen mit ihrem »Bericht zur Stadterneuerung 2007« und dem darin formulierten Konzept zur integrierten Stadtteilentwicklung, die Stadt Essen mit dem »Essener Modell Quartiermanagement« sowie der Stadtstaat Berlin mit der Rahmenstrategie »Soziale Stadtentwicklung Berlin« und dem »Handbuch zur Sozialraumorientierung« als Grundlage der integrierten Stadt(teil)entwicklung in Berlin. 3
»Lebenswerte Veedel – Bürger- und Sozialraumorientierung in Köln« – Fortführung des sozialräumlichen Handlungsprogramms in veränderter Form. In: Stadt Köln/Der Oberbürgermeister (2013): Niederschrift über die 49. Sitzung des Rates in der Wahlperiode 2009/2014 am 17.12.2013. Köln, S. 79-81.
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Zu den derzeit 11 Kölner »Sozialraumgebieten« gehören im einzelnen: (1) Bickendorf, Westend und Ossendorf; (2) Bilderstöckchen; (3) Blumenberg, Chorweiler und Seeberg-Nord; (4) Bocklemünd/Mengenich; (5) Buchheim und Buchforst; (6) Höhenberg und Vingst; (7) Humboldt/Gremberg und Kalk; (8) Meschenich und Rondorf; (9) Mülheim-Nord und Keupstraße; (10) Ostheim und Neubrück; (11) Porz-Ost, Finkenberg, Gremberghoven und Eil.
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die sozialraumorientierte5 und kooperative Arbeitsformen intensiviert, vorhandene Dienste und Angebote effektiviert und Prävention in den Vordergrund rückt. Die wesentlichen Handlungsfelder dafür sind: Kinder, Jugend und Familie, Soziales, Gesundheit, Bildung, Wohnen, Stadtentwicklung, Sport, Kultur, Integration, Wirtschaft und Arbeit sowie Gemeinwesenentwicklung (weitergehende Informationen dazu siehe unter: www.stadt-koeln.de/2/sozialraumorientierung/). Das konzeptionelle »Herzstück« des Modellprojekts bilden die sog. »Sozialraumkoordinator_innen«, die in jedem der elf Gebiete als intermediäre Instanzen und »Motoren« der örtlichen Entwicklungsprozesse eingesetzt wurden (jeweils 1 Personalstelle pro Gebiet). Die Koordinator_innen sind erfahrene Mitarbeiter_innen langjährig vor Ort ansässiger Freier Träger oder – in einem Fall – einer Dienststelle der Stadtverwaltung. Ihre umfangreichen vernetzenden, koordinierenden und moderierenden Aufgaben werden im Rahmenkonzept ausführlich erläutert und in einer davon abgeleiteten Beauftragung der Träger durch die Stadt verbindlich festgeschrieben. Zur Stärkung ihrer intermediären Funktionen verfügten die Sozialraumkoordinator_innen zudem bis Ende 2013 über die sog. »Sozialräumlichen Mittel«, einen flexibel einsetzbaren Aktionsfonds in Höhe von 30.000 € pro Gebiet und Jahr, mit dessen Hilfe kleinere gebietsbezogene Aktivitäten lokaler
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Das Fachkonzept Sozialraumorientierung fordert von der kommunalen Verwaltung und den Freien Trägern in allen sozial relevanten Arbeitsfeldern die Orientierung am Interesse und Willen der Bewohner_innen, die Unterstützung von Selbsthilfe und Eigeninitiative, die Nutzung der Ressourcen der Menschen und des Sozialraumes bei gleichzeitiger Erschließung zusätzlicher Ressourcen (Geld, Informationen, Kontakte etc.) von außerhalb, eine zielgruppen- und bereichsübergreifende Gestaltung der jeweiligen Handlungsansätze sowie die Kooperation und Koordination der sozialen Dienste (vgl. dazu ausführlich Budde/Früchtel/Hinte 2006 sowie Hinte 2009).
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Bewohner_innen- und sonstiger Akteursgruppen auf unbürokratische Weise anstoßen und/oder unterstützt werden konnten.6 Die Arbeit der Sozialraumkoordinator_innen und die dadurch vor Ort erzielten Effekte in den Sozialraumgebieten standen im Mittelpunkt einer Evaluation des Modellprojekts »Lebenswerte Veedel«, die das Institut für Stadtteilentwicklung, Sozialraumorientierte Arbeit und Beratung (ISSAB) der Universität Duisburg-Essen in Kooperation mit der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) Holzminden vom Herbst 2010 bis zum Frühjahr 2011 im Auftrag der Stadt Köln durchgeführt hat. 7 Im Folgenden werden die wichtigsten Befunde dieser Untersuchung zusammenfassend dargestellt und erläutert (vgl. dazu ausführlich ISSAB 2011 sowie Kalter/Litges/Sauter 2012 a und b).
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Mit dem Ratsbeschluss der Stadt Köln vom 17.12.2013 zur erneuten Verlängerung des Modellprojekts war die Entscheidung verbunden, die Sozialräumlichen Mittel in der bis dahin existierenden Form abzuschaffen. Stattdessen wurde beschlossen, dass die »im Haushalt 2014 enthaltenen Mittel für Sach-, Gemein- und Honoraraufwendungen in Höhe von ca. 85.000 € […] den Trägern in den Sozialräumen zusätzlich zur Verfügung gestellt [werden].« (Stadt Köln 2013, S. 81).
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Im Rahmen der Evaluation wurden folgende Methoden eingesetzt: Auswertung der Jahresberichte der Sozialraumkoordinator _innen für die Jahre 2008-2010; Auswertung von insgesamt 44 Projekt-Dokumentationen der Sozialraumkoordinator_innen; Durchführung und Auswertung einer standardisierten schriftlichen Fragebogenaktion mit 122 neutralen Schlüsselpersonen aus den 11 Sozialraumgebieten; Durchführung und Auswertung von leitfadengestützten Telefoninterviews mit 28 lokalen Projektakteur_innen; Durchführung und Auswertung von leitfadengestützten Telefoninterviews mit vier leitenden Mitarbeiter _innen aus jeweils zwei der am Modellprojekt beteiligten Fachämter und Wohlfahrtsverbände; Durchführung und Auswertung von drei Reflexions-Workshops mit Sozialraumkoordinator_innen und Mitarbeiter_innen der Gesamtkoordination/Geschäftsführung des Modellprojekts bei der Stadt Köln.
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Befund I: Verbesserung der Lebensbedingungen in den Sozialraumgebieten Mit dem Modellprojekt im Allgemeinen und der Arbeit der Sozialraumkoordinator_innen im Besonderen ist es – so die weitgehend übereinstimmende Einschätzung der im Rahmen der Evaluation befragten Akteur_innen – nachweislich gelungen, die Lebensbedingungen der Bewohner_innen in den Sozialraumgebieten zu verbessern. Exemplarisch für diese Einschätzung sind die Ergebnisse einer anonymen schriftlichen Fragebogenaktion mit ca. 120 neutralen Schlüsselpersonen aus den Sozialraumgebieten, bei der die Bedeutung des Modellprojekts für die Verbesserung der örtlichen Lebensbedingungen auf einer Skala von 0 % (keine Bedeutung) bis 100 % (große Bedeutung) mit dem hohen Durchschnittswert von 75,0 % bewertet wurde. Abbildung 3: Verbesserung der örtlichen Lebensbedingungen
Auch in den anderen Untersuchungsschritten der Evaluation wurden die positiven Effekte des Modellprojekts in den Sozialraumgebieten deutlich. Zu diesen Effekten gehören insbesondere: •
die Ausdehnung und Vertiefung der örtlichen Netzwerk- und Kooperationsstrukturen;
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• • • • • • •
die Ausdehnung und Vertiefung der in diesen Strukturen bearbeiteten Themenstellungen; die Erschließung zusätzlicher Ressourcen, Materialien und finanzieller Mittel für die lokalen Entwicklungsprozesse; die Verbesserung der Informationslage zu den Gebieten und den dort vorhandenen Angeboten; die Verbesserung der Angebotsstrukturen und der Zugangsmöglichkeiten zu den Angeboten; die Ausweitung von Freizeit-, Begegnungs- und Kontaktmöglichkeiten in den Gebieten; ein Mehr an ehrenamtlicher Tätigkeit, Beteiligung und Mitgestaltung der Bewohner_innen; die Aufwertung des Stadtteilimages.
Befund II: Verbesserung der bewohnerorientierten Angebote und Hilfen In der Evaluation konnte des Weiteren nachgezeichnet werden, dass in den Sozialraumgebieten seit dem Start des Modellprojekts im Jahr 2005 zahlreiche zusätzliche bewohnerorientierte Angebote und Hilfen geschaffen wurden, und zwar in allen Handlungsfeldern, die für die Lebensqualität und eine zufriedenstellende Lebensführung der Bewohner_innen von Bedeutung sind. In den Jahresberichten der Sozialraumkoordinator_innen ist diese Entwicklung ausführlich dokumentiert. Diesen Berichten zufolge lag allein die Zahl der Projekte und Aktivitäten, die in den Jahren 2008-2010 ganz oder teilweise mit Sozialräumlichen Mitteln finanziert und durch den Einsatz der Sozialraumkoordinator _innen unterstützt wurden, bei insgesamt 498 und damit pro Gebiet und Jahr bei etwa 17. Berücksichtigt man, dass von den Koordinator_innen für die Initiierung und Begleitung von Projekten ohne den Einsatz von Sozialräumlichen Mitteln noch einmal ein fast genauso hoher Aufwand erbracht wurde, dann kann man davon ausgehen, dass im o.g. Zeitraum knapp 1.000 Einzelprojekte/Aktivitäten initiiert und umgesetzt wurden,
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die zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung beigetragen haben.8 Abbildung 4: Anzahl der mit Sozialräumlichen Mitteln geförderten Projekte
Jenseits dieser Zahlen stimmten die befragten Akteur_innen darin überein, dass auch die Qualität der Angebote und Hilfen in den Sozialraumgebieten deutlich erhöht worden ist. Von den befragten neutralen Schlüsselpersonen z.B. wurde diese Qualitätssteigerung auf einer Skala von -100 % (sehr negativ) bis +100 % (sehr positiv) mit einem hohen Durchschnittswert von +66,4 % eingestuft. Diese Qualitätssteigerung der Angebote wurde u.a. an ihrer besonderen Bewohner_innen- und Bedarfsorientierung sowie an ihrem niederschwelligen und aktivierenden Charakter festgemacht. Durch Bündelungen und die Vermeidung von Doppelungen konnte zudem die Struktur der Angebote und Hilfen verbessert werden. Darüber hinaus
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Mit diesen Projekten und Aktivitäten konnten in den Sozialraumgebieten gemäß Angaben in den Jahresberichten pro Jahr insgesamt zwischen 15.000 und 20.000 Bewohner_innen erreicht werden.
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wurde mehrfach berichtet, dass einige stark nachgefragte Angebote in Regelangebote überführt wurden. Abbildung 5: Qualität der bewohnerorientierten Angebote und Hilfe
Auch wenn diese Entwicklungen nicht ausschließlich auf das Modellprojekt zurückgeführt werden können, sind sie doch deutliche Hinweise auf dessen positive Wirkungen in den Sozialraumgebieten. Befund III: Stärkung von Kooperationsund Netzwerkstrukturen Die in die Evaluation einbezogenen Akteur_innen waren sich auch darin einig, dass es mit Hilfe der Sozialraumkoordinator_innen gelungen ist, die Kooperations- und Netzwerkstrukturen in den Sozialraumgebieten (Arbeitskreise, Runde Tische, Stadtteilkonferenzen etc.) zu stärken und auszubauen – und zwar sowohl in Bezug auf die Anzahl der beteiligten Akteursgruppen als auch in Bezug auf die Qualität der vernetzten Arbeit. So beurteilten z.B. die befragten neutralen Schlüsselpersonen die Entwicklung der Qualität der Kooperations- und Vernetzungsstrukturen in »ihrem« Sozialraumgebiet auf einer Skala von -100 % bis +100 % mit durchschnittlich +55,6 % deutlich positiv.
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Abbildung 6: Qualität der örtlichen Kooperations- und Vernetzungsstrukturen
In etlichen Sozialraumgebieten existierten zu Beginn des Modellprojekts noch relativ wenige solcher Strukturen, in manchen Gebieten waren sie aber auch schon gut entwickelt. Insbesondere dort, wo vorher nur rudimentäre Ansätze vorhanden waren, konnten deutliche Ausweitungen und Verbesserungen der Kooperationen und Vernetzungen erreicht werden, während in den Gebieten mit traditionell gut entwickelten Strukturen v.a. deren Qualität noch einmal erhöht werden konnte, indem z.B. neue Akteur_innen einbezogen und/oder bestehende »Verkrustungen« aufgebrochen wurden. In beiden Fällen haben die Sozialraumkoordinator_innen zu diesen Entwicklungen nach Einschätzung der befragten Akteur_innen wichtige Beiträge geleistet. Befund IV: Gewährleistung eines wirtschaftlichen Mitteleinsatzes Schließlich hat die Evaluation auch klare Hinweise darauf erbracht, dass die finanziellen und personellen Mittel der Dienste, Träger und Einrichtungen für ihre bewohnerorientierten Angebote und Hilfen in den Sozialraumgebieten insgesamt sehr wirtschaftlich eingesetzt werden. Dies wurde z.B. durch die Befragung der neutralen Schlüsselper-
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sonen deutlich, die dieses Ziel in »ihrem« Sozialraumgebiet im Durchschnitt zu 70,8 % als erreicht ansahen. Bei den Projekten und Aktivitäten, die mit Sozialräumlichen Mitteln finanziert wurden, ist diese Wirtschaftlichkeit besonders gut dokumentiert. Den Koordinator_innen ist es dabei im Zeitraum 20082010 gelungen, Co-Finanzierungsmittel in einer ähnlichen Höhe wie die der Sozialräumlichen Mittel zu akquirieren. Im Jahr 2010 z.B. lag das Verhältnis von Sozialräumlichen Mitteln und Co-Finanzierungsmitteln bei etwa 1:1. Das heißt, dass ein eingesetzter Euro aus den Sozialräumlichen Mitteln in diesem Jahr durch die generierte CoFinanzierung de facto zwei Euro wert war. Bei einer Gesamtinvestitionssumme von ca. 422.000 € im Jahr 2010 waren dies ca. 208.000 € aus Sozialräumlichen Mitteln und ca. 214.000 € aus Co-Finanzierungsmitteln.9 Aus den Jahresberichten der Sozialraumkoordinator_innen geht ferner hervor, dass mit Hilfe der Projekte und Aktivitäten, die mit Sozialräumlichen Mitteln finanziert wurden, in beachtlichem Umfang zusätzliches ehrenamtliches Engagement aktiviert werden konnte. Allein für das Jahr 2010 waren dies ca. 8.120 Stunden. Würde man die dabei geleistete Arbeit in Lohn- oder Honorarkosten umrechnen, ergäbe sich bei einem angenommenen Stundensatz von 15 € ein zusätzlicher geldwerter Vorteil für die Sozialraumgebiete von insgesamt ca. 120.000 €. Bei einem Stundensatz von 20 € läge der geldwerte Vorteil sogar bei ca. 160.000 €. Diese Beträge entsprechen immerhin 57 % bzw. 76 % der im gleichen Jahr eingeworbenen Co-Finanzierungsmittel.
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Hinzu kamen in erheblichem Umfang zusätzliche Ressourcen wie z.B. bereitgestelltes Fachpersonal und überlassene Räume, deren geldwerter Vorteil nicht konkret bezifferbar ist.
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Abbildung 7: Verhältnis von Sozialräumlichen Mitteln und Co-Finanzierungsmitteln
Abbildung 8: Ehrenamtliches Engagement in den Projekten mit Sozialräumlichen Mitteln
Resümee Fasst man die o.g. Befunde der Evaluation des Kölner Modellprojekts zusammen, so sind die intermediären Aktivitäten der Sozialraumkoordinator_innen als sehr erfolgreich zu beurteilen, insbesondere ange-
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sichts ihres umfangreichen Aufgabenspektrums sowie der mit 20.00030.000 Einwohner_innen erheblichen Größe der Sozialraumgebiete. Vor allem in Bezug auf die Funktionsfähigkeit der lokalen Vernetzungen und Kooperationen, die Organisation der akteursübergreifenden Diskussions- und Abstimmungsprozesse sowie die Initiierung sozialräumlicher Projekte und Aktivitäten wurde den Koordinator_innen von der großen Mehrheit der Befragten eine unverzichtbare Schlüsselposition zugeschrieben. Auf diese Weise haben die Sozialraumkoordinator_innen einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung und Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung in den Sozialraumgebieten geleistet. Eher gering waren die Erfolge des Modellprojekts im Untersuchungszeitraum hingegen – trotz einiger Veränderungen in die gewünschte Richtung – in Bezug auf die aktive Beteiligung großer Bereiche der Verwaltung, aber auch von etlichen Freien Trägern an den vor Ort initiierten Prozessen sowie im Hinblick auf die systematische Beachtung der Prinzipien sozialräumlichen Arbeitens. Dies deutet darauf hin, dass der sozialräumliche Arbeitsansatz in den Regelstrukturen und -abläufen von Stadtverwaltung, Freien Trägern und sonstigen relevanten Institutionen nur in einem sehr langfristig angelegten Reformprozess zu integrieren ist. Insgesamt jedoch überwogen die positiven Effekte des Projekts bei weitem. Das Modellprojekt »Lebenswerte Veedel – Bürger- und Sozialraumorientierung in Köln« ist deshalb ein aktuelles und erfolgreiches Beispiel dafür, wie Kommunen den eingangs beschriebenen gesellschaftlichen Wandlungsprozessen und deren negativen Folgeerscheinungen (Armut, Ausgrenzung, sozial-räumliche Segregation) auf innovative Weise begegnen können. Literatur Budde, Wolfgang/Früchtel, Frank/Hinte, Wolfgang (Hg.) (2006): Sozialraumorientierung. Wege zu einer veränderten Praxis. Wiesbaden.
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Fehren, Oliver (2008): Wer organisiert das Gemeinwesen? Zivilgesellschaftliche Perspektiven Sozialer Arbeit als intermediärer Instanz. Berlin. Franke, Thomas/Strauss, Wolf-Christian (2010): Integrierte Stadtentwicklung in deutschen Kommunen – eine Standortbestimmung. In: IzR – Informationen zur Raumentwicklung 4/2010, 253-262. Grimm, Gaby/Hinte, Wolfgang/Litges, Gerhard (2004): Quartiermanagement. Eine kommunale Strategie für benachteiligte Wohngebiete. Berlin. Grimm, Gaby/Kalter, Birgit/Sauter, Matthias (2011): Altersgerechte Quartiersentwicklung am Beispiel des Modellprojekts WohnQuartier4. In: vhw Forum Wohnen und Stadtentwicklung 3/2011, 161166. Grimm, Gaby/Micklinghoff, Gabriele/Wermker, Klaus (2001): Raumorientierung der Verwaltung. In: Soziale Stadt-Info 6 (Hg.: DIFU, Berlin), 13-17. Hinte, Wolfgang (2009): Eigensinn und Lebensraum – zum Stand der Diskussion um das Fachkonzept »Sozialraumorientierung«. In: Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete 1/2009, 20-33. ISSAB – Institut für Stadtteilentwicklung, Sozialraumorientierte Arbeit und Beratung der Universität Duisburg-Essen/Stadt Essen, Büro Stadtentwicklung (Hg.) (2009): Integrierte Stadtteilentwicklung: Vom Modellprojekt zur Regelstruktur. Dokumentation eines Fachdialogs am 23.09.2008 in Essen. Essen. ISSAB – Institut für Stadtteilentwicklung, Sozialraumorientierte Arbeit und Beratung der Universität Duisburg-Essen (2011): Evaluation des Modellprojekts »Lebenswerte Veedel – Bürger- und Sozialraumorientierung in Köln«. Abschlussbericht. Essen. Kalter, Birgit/Litges, Gerhard/Sauter, Matthias (2012a): Die Evaluation integrierter Stadtteilentwicklungsprozesse – Das Beispiel des Modellprojekts »Lebenswerte Veedel – Bürger- und Sozialraumorientierung in Köln«. In: Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit 5/2012, 359-368.
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Kalter, Birgit/Litges, Gerhard/Sauter, Matthias (2012b): Evaluationsergebnisse zur Arbeit der Sozialraumkoordination. In: Stadt Köln/Der Oberbürgermeister (Hg.): Handlungsleitfaden Sozialraumkoordination. Lebenswerte Veedel – Bürger- und Sozialraumorientierung in Köln. Köln, 103-106. Kühner, Monika/Sauter, Matthias (2010): Integrierte Stadtteilentwicklung und ämterübergreifende Sozialraumorientierung – Leitbegriffe für eine neue Stadtpolitik. In: vhw Forum Wohnen und Stadtentwicklung 4/2010, 203-207. Rommelfanger, Stefan/Sauter, Matthias (2010): Integrierte Stadt(teil)entwicklung. Vom Sonderprojekt zur Regelaufgabe – Das Beispiel Gelsenkirchen. In: Sozial Extra 7/8/2010, 25-29. Sauter, Matthias (2009): Soziale Stadt: Es ist Zeit für einen Paradigmenwechsel. In: vhw Forum Wohnen und Stadtentwicklung 4/ 2009, 209-213. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin (Hg.) (2009): Handbuch zur Sozialraumorientierung, Grundlage der integrierten Stadt(teil)entwicklung Berlin. Berlin. Stadt Gelsenkirchen/Referat Stadtplanung (Hg.) (2007): Bericht zur Stadterneuerung in Gelsenkirchen 2007. Gelsenkirchen. Stadt Köln/Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege in Köln (2010): Rahmenkonzept »Lebenswerte Veedel – Bürger- und Sozialraumorientierung in Köln« (Fassung gemäß Ratsbeschluss vom 07.10.2010). Köln. Stadt Köln/Der Oberbürgermeister (Hg.) (o.J.): Lebenswerte Veedel – Bürger- und Sozialraumorientierung in Köln. Gute Beispiele aus der Praxis. Köln. Stadt Köln/Der Oberbürgermeister (Hg.) (2012): Handlungsleitfaden Sozialraumkoordination. Lebenswerte Veedel – Bürger- und Sozialraumorientierung in Köln. Köln. Stadt Köln/Der Oberbürgermeister (2013): Niederschrift über die 49. Sitzung des Rates in der Wahlperiode 2009/2014 am 17.12.2013. Köln, 79-81.
Menschen, Ideen und Möglichkeiten zusammenbringen Ein Praxisbeispiel der Bürgerund Sozialraumorientierung »Lebenswerte Veedel« aus dem Sozialraumgebiet Köln Rondorf/Meschenich L UDGER VAN E LTEN 1
Einleitung Das Rahmenkonzept »Lebenswerte Veedel – Bürger- und Sozialraumorientierung in Köln« wird seit dem Jahr 2006 in elf Kölner Sozialraumgebieten umgesetzt. Ausgangspunkt der Entwicklung eines gemeinsamen Konzeptes ist die Beobachtung einer zunehmenden Segregation von Stadtvierteln, die eine gemeinsame Handlungsstrategie sowohl von Politik und Verwaltung als auch von der Liga der Wohlfahrtsverbände erforderlich macht. Gemeinsames Ziel ist es, die Stadt auch in Zukunft als eine soziale und solidarische Stadtgesellschaft weiterzuentwickeln. Dabei war sicher zu stellen, »[….] dass von der verstärkten sozialraumorientierten Arbeit insbesondere Stadtgebiete profi1
Ich danke den Sozialraumkordinatorinnen Maria Fichte, Claudia GrevenThürmer, Daniela von Palubicki und Monika Reisinger für die Mitarbeit an der Darstellung der Sozialraumarbeit.
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tieren, in denen die soziale Lage der Bevölkerung vergleichsweise schwierig ist«.2 Der Auswahl der Sozialraumgebiete wurden daher folgende Kriterien zu Grunde gelegt: • • • • • •
Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund, Arbeitslosenquote, Arbeitslosenquote bei den unter 25jährigen, Anteil der Kinder unter 15 Jahren in SGB II Bedarfsgemeinschaften, geförderte Wohnungen Typ A im Gebiet, Anteil der Jugendhilfefälle. Abbildung 1 – Sozialraumgebiete Übersicht
Im Hinblick auf die genannten Indikatoren zeigten sich in elf Sozialräumen signifikant höhere Werte als im gesamtstädtischen Durch2
Rat der Stadt Köln (2010): Rahmenkonzept »Lebenswerte Veedel – Bürger- und Sozialraumorientierung in Köln«, S. 6.
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schnitt. Eine Fokussierung auf diese Gebiete wurde allerdings als wenig zielführend eingeschätzt, barg sie doch die Gefahr der Stigmatisierung in den bereits belasteten Stadtvierteln. So wurden ressourcenstarke angrenzende Wohngebiete mit einbezogen, die den Prozess der Stadtteilentwicklung unterstützend und stabilisierend begleiteten. Die Lebensbedingungen der Menschen in den definierten Gebieten zu verbessern, ist für die Sozialraumkoordinator_innen handlungsleitendes Ziel. Im Mittelpunkt steht daher der Bedarf der Bevölkerung z.B. an besserer sozialer Integration oder gesellschaftlicher Teilhabe. Ob notwendige Angebote im Sozialraum bestehen, optimiert oder erst geschaffen werden müssen, wird im Austausch mit Institutionen, Vereinen, Selbsthilfegruppen und sozialen Akteur_innen vor Ort eruiert. Daraufhin werden erforderliche Maßnahmen getroffen, um die Wege in das bestehende Hilfesystem zu ebnen, Angebote bekannt(er) zu machen und Eigeninitiative der Bürger_innen anzuregen und zu fördern. In der Diskussion um die Gestaltung städtischer Quartiere stellt der vorliegende Artikel die Verbindung zwischen Theorie und Praxis dar.3 Am Beispiel Köln-Rondorf/Meschenich wird gezeigt wie Problemlagen und Bedarfe in Quartieren gemeinsam bearbeitet werden können. Dazu werden zunächst einmal die Arbeitsgrundsätze des sozialraumorientierten Ansatzes erläutert, bevor der Blick auf die praktische Arbeit der Sozialraumkoordinator_innen gelenkt wird. Grundsätze der Sozialraumkoordination und vorgefundene Bedingungen In einem Sozialraum, Stadtteil oder Quartier – die Bezeichnung variiert je nach dargestelltem Zusammenhang und geographischer Lage in der Bundesrepublik – ist eine Orientierung und Ausrichtung der Arbeit an den Bedarfen der Bürger_innen nicht nur sinnvoll, sondern auch not-
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Der vorliegende Beitrag knüpft damit an die Darstellung der Evaluation des Sozialraumprogramms »Lebenswerte Veedel« von Matthias Sauter in diesem Band an.
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wendig. Bedarfe entwickeln sich in den verschiedensten Bereichen des Lebens, sei es in der Kinder- und Jugendhilfe (z.B. Krabbelgruppe), der ökonomischen Lage (Second Hand Laden oder Kleiderkammer), der Flüchtlingssituation, im Bereich Gesundheit oder im Wohnumfeld, um nur einige zu nennen. Vielfältige Methoden stehen in der Sozialen Arbeit zur Verfügung, um diese Bedarfe zu erheben und daraus weitergehende Maßnahmen zu entwickeln. Einige dieser Methoden können bereits bei der Analyse der vorgefundenen Bedingungen zielführend eingesetzt werden wie z.B Stadtteilrundgänge. Herangezogen werden neben statistischen Daten zur allgemeinen Lage des Stadtteils auch Informationen zur subjektiven Wahrnehmung, die im persönlichen Kontakt von Sozialraumkoordinator_innen mit verschiedenen Akteur_innen gesammelt werden. Aus der Sammlung von Informationen, Daten und Kontakten kann eine erste Einschätzung des Stadtteils gewonnen werden, die für die weitere Entwicklung der Stadtteilarbeit als Grundlage dient. Dazu werden vor allem vier Bereiche näher betrachtet: die ansässigen Einrichtungen, die vorgehaltenen Angebote, die Ressourcen des Stadtteils und die Bewohner_innen. Untersucht man, welche Einrichtungen sich in einem definierten Gebiet befinden, darf vermutet werden, dass diese mit hoher Wahrscheinlichkeit dort existieren, weil sie benötigt werden. Teilweise werden diese Einrichtungen aufgrund kommunaler Steuerung geschaffen, wie beispielsweise bei Schulen und Kindertagesstätten. Zum anderen ergibt sich aus auftretenden Bedarfen im Stadtteil die Ansiedlung von Einrichtungen, die mit thematischer Schwerpunktsetzung unterschiedliche Problemlagen bearbeiten. Ihre Existenz lässt sich aus den identifizierten Problemlagen ableiten und im Umkehrschluss darauf schließen, dass die Themenfelder der Einrichtungen eine Bedarfslage des Stadtteils widerspiegeln. Inzwischen hat es sich in allen Sozialraumgebieten als gute Praxis erwiesen, die vorhandenen Einrichtungen mit den jeweiligen Kontaktdaten auf Stadtplänen übersichtlich zusammen zu stellen. Diese werden sowohl von Multiplikator_innen als auch von Bürger_innen als hilfreich und nützlich empfunden. In den Sozialraumgebieten ist es zudem notwendig, die ver-
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schiedenen Angebote gut miteinander zu vernetzen und bekannt zu machen, da die Bürger_innen selten selbst die Informationen ermitteln, sondern über persönliche Ansprache davon erfahren und über Nachbar_innen und Bekannte den Zugang zu den Angeboten finden. Die Analyse der Einrichtungslandschaft im Stadtteil bildet ein weiterer Baustein für die Sozialraumanalye. Sie identifiziert Parallelangebote und weniger gut geeignete Angebotsformen. Darüber hinaus können Bedarfe für fehlende Angebote und Einrichtungen ermittelt werden. Die wichtigste Ressource vor Ort sind die Akteur_innen, d.h. die Menschen, die im Sozialraum tätig und/oder ansässig sind. Dies sind sowohl die Ansprechpartner_innen der jeweiligen Institutionen, als auch die Bürger_innen, die bei allen Vorhaben der Sozialraumkoordinator_innen Ausgangpunkt der Überlegungen sind. Im Zusammenwirken dieser Akteur_innen vor Ort werden Angebote gesammelt, Bedarfe identifiziert und eine gemeinsame Zielplanung erarbeitet z.B. in Sozialraumkonferenzen, Zukunftswerkstätten o.ä. Gleich einem Seismographen werden von den Sozialraumkoordinator_innen Themen ermittelt, die der gemeinsamen Bearbeitung bedürfen. Um diejenigen Themen identifizieren zu können, die nur durch viele Akteur_innen gemeinsam bearbeitet werden können, ist eine profunde Kenntnis der Ausgangslage des Stadtteils unabdingbar. Voraussetzung für eine gewinnbringende Zusammenarbeit ist ein vertrauensvoller Kontakt zu allen Einrichtungen im Stadtteil. Die Rolle der Sozialraumkoordination besteht darin, auf der Metaebene und außerhalb der Zuordnung zu einem eingegrenzten thematischen Bearbeitungsbereich, Bezüge unter den verschiedenen Angeboten herzustellen, Kontakte zu initiieren, Bedarfslagen zu identifizieren und die gemeinsame Bearbeitung zu organisieren. Die Zusammenführung von vorhandenen und zu entdeckenden Ressourcen ist Kernaufgabe der Sozialraumkoordinator_innen, die sich unter dem Begriff »Netzwerken« subsumieren lässt.
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Arbeit in Netzwerken Die Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen im Stadtteil kann nur gemeinsam gelingen. Besonders erfolgreich hat sich an dieser Stelle das Arbeiten in Netzwerken erwiesen. Sozialraumkoordinator_innen vertreten dabei immer die Interessen des Stadtteils als Ganzes, orientieren sich an den Rückmeldungen der Akteur_innen und versuchen dabei, die spezifischen Einzelinteressen zusammenzuführen. Die Arbeit in den Netzwerken wird in der Regel von den Sozialraumkoordinator_innen koordiniert. Sie greifen die unterschiedlichen Herausforderungen objektiv auf und entwickeln im moderierten Prozess mit den beteiligten Akteur_innen Lösungsansätze, die der Problemstellung gerecht werden. Es gilt, die verschiedenen existierenden Angebote aufeinander abzustimmen. Bei auftretenden Bedarfen sollte eine für den gesamten Stadtteil optimale Lösung gefunden werden. Das kann auch beinhalten, Akteur_innen zu identifizieren, die in Zusammenarbeit mit anderen neue Angebote schaffen können. Die Netzwerkmitglieder sind gleichberechtigte Partner. Gemeinsam wird die Zusammenarbeit strukturiert. Ziele werden entwickelt und Handlungsschritte formuliert. Die Grundlage der Netzwerkarbeit umfasst für die Sozialraumkoordinator_innen auch, in ständigem Kontakt mit den Menschen im Sozialraum zu bleiben, sich auszutauschen und das umfangreiche Wissen optimal im Sinne des Wohls des Sozialraumgebietes zu nutzen. Es werden möglichst alle betroffenen Akteur_innen einbezogen. Dies bezieht diejenigen mit ein, die von dem Problem betroffen sind, die einen Nutzen von der Lösung des Problems haben oder die, die einen anderweitigen Beitrag zur Lösung einer Fragestellung beitragen können. Durch die Bereitstellung unterschiedlicher Ressourcen kann die Funktionalität von Netzwerken erhöht werden, so dass die Beteiligten die gemeinsame Arbeit als zielführend wahrnehmen. Erst dann wird die Arbeit im Netzwerk nicht als zusätzliche Belastung, sondern als Erfolgsmodell auch für die eigene Arbeit erfahren und wird so zum sinnvollen Angebot an die Akteur_innen. Der Nutzen für die Beteiligten muss also klar erkennbar sein. Durch diese Bündelung von Kräften in
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organisierter Struktur und die damit einhergehende Bereitstellung von Ressourcen werden Synergien entwickelt, die sonst verloren gingen. Der Transfer von Informationen spielt dafür eine wichtige Rolle. Die Akteur_innen sollen sich in gleicher Art und Weise in die Prozesse einbezogen fühlen. Wenn ein Netzwerk sich aufgrund eines bestimmten Bedarfs mit einem formulierten Ziel gegründet hat, erfolgen regelmäßige Treffen und Absprachen. Im gesamten Prozess des Netzwerkens gilt es, die gemeinsam entwickelten Ziele und Strategien immer wieder zu spiegeln, zu prüfen und gegebenenfalls zu modifizieren. Das bedeutet auch, dass ein Netzwerk immer wieder auf seine Erfolge hin überprüft und gegebenenfalls inhaltlich oder teilnehmerbezogen verändert wird. Die Unterschiedlichkeit der Netzwerkmitglieder – von Stadtverwaltung, Institutionen, sozialen Einrichtungen, Vereinen oder Migrantenselbstorganisationen bis hin zu Initiativen der engagierten Bürger_innenschaft – kann verschiedene Spannungsfelder in der Netzwerkarbeit verursachen. Die Sozialraumkoordinator_innen sorgen an dieser Stelle für einen Ausgleich der verschiedenen Interessen. Gerade bei der Bearbeitung von Querschnittsthemen wird deutlich, wie unterschiedlich sich die primäre Interessenslage der Akteur_innen darstellt, was am folgenden Praxisbeispiel aufgezeigt wird. Damit fungieren die Sozialraumkoordinator_innen in ihrer Arbeit als intermediäre Instanz in ihrem Gebiet. Um diese Rolle dauerhaft neutral und objektiv ausfüllen zu können, ist Unabhängigkeit in der täglichen Arbeit unabdingbar. Sie sind die vermittelnde Stelle, die durch den beständigen Kontakt zu den im Sozialraum tätigen und lebenden Akteur_innen über weit mehr Informationen als der jeweilige einzelne Akteur verfügt und den Blick auf den gesamten Stadtteil mitbringt. Information und Öffentlichkeitsarbeit Im Idealfall stellt sich die Wissenslage in einem Sozialraum folgendermaßen dar: In den Sozialraumgebieten gibt es viele Kompetenzen, Ressourcen und Aktivitäten, bereitgestellt von verschiedenen Einrichtungen, von Initiativen und (engagierten) Bürger_innen. Aber erst, wenn sie bekannt sind, können sie von allen genutzt werden. Mitarbei-
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ter_innen der Institutionen vor Ort können auf kurzem Weg Kenntnisse und Fähigkeiten von anderen nutzen und auch Bürger_innen können an Angeboten und Aktivitäten partizipieren. Idealerweise ist allen Akteur_innen klar, wo bei welcher Fragestellung Unterstützung zu erwarten ist. Auch Politik und Verwaltung kennen die Lebenslagen in den Gebieten detailliert. Soweit die Theorie, in der Realität sieht es oft anders aus. Bewohner_innen ziehen neu zu und müssen ihr Wohnumfeld erst entdecken, Mitarbeiter_innen wechseln und müssen zunächst einmal ihre neue Aufgabe organisieren. Um die kontinuierliche Informationsweitergabe zu strukturieren, ist es sinnvoll, alle Informationen zu bündeln und leicht zugänglich zu machen. Internetportale, Stadtteilpläne, Infobriefe und Veranstaltungskalender dienen diesem Ziel. Auch eine gemeinsam vorbereitete Themenwoche kann dazu beitragen, Mitarbeiter_innen und Bürger_innen auf einen bestimmten Inhalt aufmerksam zu machen. Da die Sozialraumkoordinator_innen eine genaue Kenntnis ihres Gebietes haben, können sie wichtige Informationen auch an Politik und Verwaltung weitergeben. Stadtteilimage Fast alle Sozialraumgebiete haben ein schlechtes Image in der Gesamtstadt: Der Taxifahrer will erst einmal sehen, ob man genügend Geld hat, bevor die Fahrt überhaupt losgeht, Lieferdienste liefern nicht an bestimmte Adressen und »ganz normale« Bürger_innen fragen: »Wie, da wohnst/arbeitest Du?«. Der amüsierende Gehalt dieser typischen Bemerkungen täuscht über den ernsten Hintergrund hinweg: die Bewohner_innen eines Stadtteils internalisieren solche Zuschreibungen. Wenn schlecht über einen Stadtteil gesprochen oder berichtet wird, so wird davon ausgegangen, dass diese Aussagen sich auf valide Informationen zurückführen lassen. Dieses Image zu verändern braucht viel Zeit und Ideen: So kann das Stadtteilfest die »Schätze aus dem Viertel« präsentieren oder die Stadtteilkonferenz es sich zur Jahresaufgabe machen, jeden Monat einen positiven Artikel über das Gebiet in die Presse zu bringen. Die Botschaft ist immer die gleiche: In den Vierteln
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steckt mehr als man meint. So ist die Herstellung von Öffentlichkeit sowohl im Sozialraum, wie auch in der Stadt, eine weitere, wichtige Aufgabe der Sozialraumkoordination. Gesundheitsförderung in Köln-Meschenich Sozialraumkoordination beeinflusst die Quartiersentwicklung positiv, wie das Beispiel Gesundheitsförderung in einem Kölner Stadtteil zeigt. Der betreffende Stadtteil liegt geografisch isoliert am äußersten Stadtrand. Hier leben annähernd 9.000 Menschen auf sehr beengtem Wohnraum, der pro Kopf unter dem gesamtstädtischen Durchschnitt liegt. Es ist ein Stadtteil mit vielschichtigen Problemen. Der Stadtteil Meschenich liegt im Kölner Süden und ist von einer viel befahrenen Landstraße durchschnitten. Eine massive Hochhaussiedlung dominiert das Bild. Die bis zu 26 Stockwerke hohen Häuser stammen aus den 70er Jahren. Sie stehen in privatem Besitz, sind sanierungsbedürftig, zum Teil verwahrlost und bieten ihren Bewohner_innen nur wenig Wohnzufriedenheit. Die Gründe dafür sind vielfältig und betreffen einerseits die infrastrukturelle Ausstattung des gesamten Stadtteils, wie schlechte Anbindung an den Öffentlichen Personennahverkehr, fehlendem Einzelhandel, hohe Arbeitslosigkeit, kaum kulturelle Angebote, fehlende Freizeitangebote für die Menschen und eine mangelnde gesundheitliche Grundversorgung. Andererseits sind soziale Problemlagen wie Armut, ein hoher Anteil von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte und damit einhergehende Sprachprobleme signifikant höher als im gesamtstädtischen Vergleich. Zudem lassen sich auftretende Überschuldungen wie Mietschulden und daraus resultierende Wohnungsnotfälle überdurchschnittlich häufig beobachten. Meschenich ist ein vergleichsweise »junger Stadtteil«. Hier leben eine Vielzahl junger Familien, viele Kinder und Jugendliche, auch diese mit Zuwanderungsgeschichte. Im gesundheitlichen Bereich wird von fehlendem Wissen über Rechte (Vorsorgeuntersuchungen, Hebamme) und Angebote berichtet. Gleichzeitig fehlt im Stadtteil ein Kinderarzt, der die dringend notwendige Aufklärung unterstützen könnte. Nicht zuletzt sind das schlechte Image des Stadtteils wie auch der offene Drogen-
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und Alkoholkonsum auf der Straße wesentliche Gründe für die vorherrschende Unzufriedenheit. Diese Bereiche betrachtet die Sozialraumkoordination nicht isoliert, denn die Themen greifen vielschichtig ineinander. Zum Beispiel finden Menschen mit fehlenden Sprachkenntnissen vor Ort schwieriger eine Arbeit. Bei Suchterkrankungen ist die Arbeitsaufnahme auf dem ersten Arbeitsmarkt häufig nicht möglich. Diese aufgeführten Gründe führen dazu, dass die Stadt dem Quartier einen besonderen Hilfebedarf zuweist. Viele Einrichtungen und Dienste engagierten sich bereits zum Thema Gesundheit: Die Pfarrgemeinde betreibt eine Lebensmittelausgabe und eine Kleiderkammer, ein Wohlfahrtsverband bietet Beratung, wie Familien- und Sozialberatung an und das Jugendzentrum organisierte Bewegungsangebote. Allen Angeboten gemeinsam war, dass die vorgenannten Problemlagen die Ressourcen und/oder die Fachlichkeit der Einzelnen überstiegen. Netzwerken als Lösungsansatz Wie bereits beschrieben, nimmt Sozialraumkoordination konkreten Einfluss auf die Quartiersentwicklung. Als Ansprechpartner_innen vor Ort ermitteln Sozialraumkoordinator_innen Themen, die die Menschen bewegen. Mehr noch: Sozialraumkoordination ist ein zugkräftiger Motor für den Stadtteil. Denn sie moderiert und initiiert Prozesse und Netzwerke. Sie entwickelt gemeinsam mit den Akteur_innen Ideen, erarbeitet Lösungen, organisiert die Drittmittel-Akquise und setzt in Zusammenarbeit bedarfsgerechte Maßnahmen um. Das integrative Element dieser Arbeit ist gleichsam ihre Kernsubstanz: Denn Sozialraumkoordination bindet alle wichtigen Personen aus politischen Gremien, Stadtverwaltung, Einrichtungen, Ämtern, Diensten und besonders die Bewohner_innen in den individuellen Lösungsansatz für den Stadtteil ein. Das »Netzwerken« ist das Herzstück der Sozialraumkoordination, da sie Synergien herstellt und Ressourcen bündelt. Wie bereits im theoretischen Teil erläutert, bildet die Sozialraumanalyse den Ausgangspunkt für die Arbeit der Sozialraumkoordination. Hierzu wurden im Stadtteil Meschenich harte Daten, wie z.B. der Kin-
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der- und Jugendbericht des Gesundheitsamtes, Daten des Amtes für Stadtentwicklung und Statistik und eine Studie zur Kriminalprävention herangezogen. Zur Erhebung der »weichen Daten« hat der Sozialraumkoordinatior mit allen relevanten Ämtern, Ordnungsbehörden, Diensten, Einrichtungen, Vereinen und Bewohner_innen ein Gespräch anhand eines Leitfadens geführt. Neben den Einschätzungen zum Stadtteil, wie Problemlagen und Ressourcen, wurden auch einrichtungsspezifische Aufgabenstellungen und Vernetzungen bzw. Kooperationen abgefragt. Zudem hat der Sozialraumkoordinator mit ortskundigen Einrichtungen und Bürger_innen Stadtteilbegehungen durchgeführt. Durch die Zusammenführung der Ergebnisse konnte ein konkretes Bild der Problemlagen, Themen, Ressourcen und Vernetzungen des Stadtteils zeichnen, die für eine erste Sozialraumkonferenz genutzt wurden. In dieser ersten Sozialraumkonferenz wurde mit den Akteur_innen, Bewohner_innen und Bürger_innen des Stadtteils die Ergebnisse der Sozialraumanalyse besprochen, Themen und Problemlagen priorisiert und mit Handlungsoptionen bzw. Maßnahmen versehen. Entwickelte Handlungsoptionen und Maßnahmen im Handlungsfeld Gesundheit Ein Blick auf die Vernetzungsstruktur im beschriebenen Stadtteil verdeutlicht das »Netzwerken«. Bevor die Sozialraumkoordination ihre Arbeit aufnahm, gab es vier Arbeitskreise, die lose miteinander verbunden waren. Wichtige Themen, die von den Akteur_innen des Stadtteils geäußert wurden, wie der offene Drogenkonsum, wurden nicht erfasst und es gab inhaltliche Doppelungen in den Arbeitskreisen. Die Sozialraumkoordination stieß Schritt für Schritt unter Beteiligung der Akteur_innen einen gemeinsamen Prozess zur Umstrukturierung an und gründete neue bedarfsgerechte Netzwerke. Dies war ein Auftrag aus der ersten Sozialraumkonferenz.
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Abbildung 2 – Netzwerkmodell Meschenich vor der Einrichtung der Sozialraumkoordination Die Netzwerkstruktur 2007 in Meschenich Arbeitskreis soziales Meschenich AK Jugend und Beruf in Meschenich Stadtteilkonferenz Seniorennetzwerk Steuerungskreis für die Wohnsiedlung am Kölnberg
Abbildung 3 – Netzwerkmodell Meschenich nach der Einrichtung der Sozialraumkoordination
Die derzeitige Vernetzungsstruktur ist in Abbildung 3 verdeutlicht. Dazu gehört ein übergeordnetes Informationsgremium (im Schaubild »Arbeitskreis Soziales Meschenich«) sowie Unterarbeitskreise und Projektgremien. Diese Gremien verfolgen klar definierte Ziele und können bei deren Erreichen ruhen. In den einzelnen Gremien sind
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Sprecher_innen/Leitungen installiert, die eine reibungslose Kommunikation ermöglichen – insbesondere in den »Arbeitskreis Soziales Meschenich«. Ein zweiter Arbeitsauftrag war der Themenkomplex Gesundheit, der im Folgenden kurz dargestellt wird. Themenkomplex Sucht Im Stadtteil werden harte Drogen wie Heroin und Kokain sowie weiche Drogen wie Haschisch konsumiert. Aber auch Alkohol und Medikamentenmissbrauch sind im öffentlichen Raum zu beobachten. Bisher fehlten im Stadtteil die entsprechenden Hilfsangebote. Die Lebenslage der Bevölkerung wird durch Drogenhandel, Spritzenfunde in der Hochhausanlage, in Treppenfluren und auf Spielplätzen sowie durch die Drogenprostitution stark beeinträchtigt. Der Sozialraumkoordinator begegnete diesen Problemlagen durch die Kontaktaufnahme zu den relevanten Akteur_innen und gründete den »Arbeitskreis Drogen«, ein Zusammenschluss aus Polizei, Ordnungsamt, Gesundheitsamt, Jugendverwaltung, Hausverwaltung und Drogenhilfeträgern und engagierten Bewohner_innen. Ein Arbeitsergebnis des Netzwerkes war die Einrichtung einer Drogenanlaufstelle mit Beratung und Spritzentausch. Aus der Überlegung heraus, wie die Bürger_innen und Drogengebraucher_innen in die aktive Gestaltung der Anlaufstelle einbezogen werden können, resultierte, dass ehemalige Drogengebrauchende sich ehrenamtlich im Café der Drogenanlaufstelle engagierten. Sie identifizierten sich mit der ihnen anvertrauten Aufgabe und entwickelten selbstständig neue Betätigungsfelder, wie beispielsweise das Einsammeln von benutzen Spritzen im Wohnumfeld. Weiterhin gelang es, eine aufsuchende Beratung für drogenabhängige Prostituierte einzurichten. Kriminalpräventive Maßnahmen wie Grünrückschnitt und bessere Beleuchtung im öffentlichen Raum wurden koordiniert. Der offene Handel mit Drogen konnte eingeschränkt und das subjektive Sicherheitsempfinden dadurch verbessert werden.
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Themenkomplex Gesundheitliche Grundversorgung mit Schwerpunkt Kinder- und Jugendgesundheit Im Stadtteil gibt es eine engagierte allgemeinmedizinische Praxis und einen Zahnarzt. Fachärzt_innen, wie Kinderärzt_innen, Internist_innen und Gynäkolog_innen, fehlen. So beobachteten unterschiedliche Akteur_innen immer häufiger Fälle von Fehlernährungen, wie Über- und Untergewicht. Im direkten Vergleich zu anderen Kölner Stadtteilen wurden Vorsorgeuntersuchungen weniger besucht. Es wird angenommen, dass dies unter anderem auf die mangelnde Kenntnis des deutschen Gesundheitssystems, fehlendes Gesundheitsbewusstsein und Sprachbarrieren zurückzuführen ist. Das Netzwerk Kindergesundheit, bestehend aus Gesundheitsamt, Jugendamt, örtlichen Jugendhilfeeinrichtungen und dem ortsansässigen Allgemeinmediziner, setzt sich für oben genannte Thematiken besonders ein. Dadurch gelang es beispielsweise, eine im Nachbarstadtteil ansässige Kinderärztin für das Netzwerk Kindergesundheit zu gewinnen. Darüber hinaus wurde der Bedarf einer Familienhebamme aus dem Netzwerk heraus formuliert. Der Einsatz der Familienhebamme konnte durch Drittmittelakquise initiiert und installiert werden. Durch das Bundesprogramm »Netzwerk Frühe Hilfen« wurde der Einsatz der Familienhebamme in nachhaltige Strukturen überführt. Stadtteilbezogene Bearbeitung des Themas Gesundheit Im »Arbeitskreis Soziales Meschenich« wurde die Idee einer ersten Gesundheitswoche mit dem Titel »Meschenich bewegt« entwickelt, die vier Ziele verfolgen sollte: 1. 2. 3. 4.
Sensibilisieren der Bevölkerung für das Thema Gesundheit, Heranführen der Bevölkerung an das Gesundheitssystem, gesundheitliche Problemlagen benennen, Verbesserung des Stadtteilimages.
Solch eine Aktion ist nur möglich, wenn ein großes Netzwerk seine Kompetenzen, Erfahrungen und Ressourcen einbringt und eine ver-
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antwortliche Person den Ablauf koordiniert. Die Gesundheitswoche mit attraktivem Rahmenprogramm sorgte für eine große Beteiligung der Bevölkerung und für Transparenz der gesundheitsfördernden Angebote. Insgesamt nahmen rund 2.000 Menschen an der Gesundheitswoche teil. Der erste Kölner Hochhauslauf bildete die Attraktion, die positive Öffentlichkeit herstellte. Die Veranstaltung schärfte das Problembewusstsein bei den Akteur_innen, den beteiligten Bewohner_innen, klärte über das Gesundheitssystem auf und motivierte für gesundheitsförderndes Verhalten. Darüber hinaus stärkte die Aktion das Netzwerk und bildete die Grundlage für weitere Kooperationen. Die stadtteilbezogene Bearbeitung des Themas Gesundheit sorgte insbesondere mit der Initiierung der Gesundheitswoche für eine positive Öffentlichkeit und Berichterstattung in der Presse. Damit wurde ein Hochhaus zum ersten Mal als Ressource dargestellt. Zusammenfassung Sozialraumkoordinator_innen entwickeln, initiieren und etablieren nachhaltige und bedarfsgerechte Netzwerke, Handlungsoptionen und Maßnahmen für Sozialraumgebiete – mit Hilfe relevanter Akteur_innen aus Politik, Verwaltung, Bürger-/Bewohner_innenschaft, Vereinen und Anderen. Sie tragen damit deutlich zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen in den Sozialraumgebieten bei. Aus Sicht der Sozialraumkoordination übernehmen die Sozialraumgebiete eine wichtige Funktion für die Stadtgesellschaft. Sie sind häufig der erste Ort der Ankunft und Integration. Damit diese außerordentliche Leistung auch weiterhin erbracht werden kann, müssen sie entsprechend ausgestattet, unterstützt und stabilisiert werden. Wie das Beispiel Rondorf/Meschenich zeigt, stoßen die Koordinator_innen in allen Gebieten auf Querschnittsthemen, wie z.B. Arbeitslosigkeit und Armut, Mangel an preiswerten Wohnungen, Bildungszugänge etc., die mit den Ressourcen des Sozialraums nicht ausreichend bearbeitet werden können. Durch das Zusammenwirken aller Akteur_innen in den Netzwerken vor Ort können Synergien hergestellt
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und wichtige Anstöße für diese Themen gegeben werden. Deutlich sind die Grenzen dieser Arbeit dann, wenn beispielsweise die fehlende gesundheitliche Grundversorgung vor Ort struktureller politischer Veränderungen bedarf. An dieser Stelle besteht die zentrale Aufgabe der Sozialraumkoordination darin, diese Themen der Sozialraumgebiete in die Politik zu tragen.
Voneinander wissen. Miteinander Handeln. REGSAM – Stadtweites Netzwerk in München1 P ETRA S TOCKDREHER
Das Münchner Netzwerk REGSAM Das zweifach als good practice Beispiel ausgezeichnete Netzwerk REGSAM2 hat sich selbst unter das Motto ›Voneinander wissen. Mit1
Der folgende Beitrag basiert auf einer in den Jahren 2012/2013 vom Sozialreferat der LH München in Auftrag gegebenen Untersuchung zum Zusammenwirken kommunal geförderter regionaler Netzwerke in München. Anlass für die Untersuchung war, dass neben dem im folgenden Beitrag ausführlich beleuchtete kommunale REGSAM Netzwerk in den letzten Jahren weitere durch Bundesprogramme oder gesetzliche Vorgaben induzierte Netzwerkstrukturen mit kleinräumiger lokaler Ausrichtung entstanden waren. Eine Evaluation der einzelnen Netzwerke war nicht Inhalt der Studie.
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2006 Auszeichnung als good practice Projekt durch den Verbundprojekt ›Zuwanderer in der Stadt‹ im Rahmen der vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung geförderten Initiative für eine Nationale Stadtentwicklungspolitik, . getragen durch die Schader-Stiftung, den Deutschen Städtetag und den GdW Bundesverband deutscher Wohnungs-
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einander handeln‹ gestellt und ist das älteste kleinräumlich aufgestellte, kommunal geförderte Netzwerk innerhalb der Stadt München. Sein Aufbau begann 1992. Heute bezieht es sich auf die gesamte Stadt und ist in 16 Stadtregionen, den sog. REGSAM Regionen tätig. Der Name, der Vorstellungen wie Aktivität, Betriebsamkeit, Beweglichkeit assoziiert, stellt das Akronym für »Regionalisierung Sozialer Arbeit in München« dar. Dabei war und ist der Begriff des Sozialen von den Urheber_innen weit über die Soziale Arbeit im engen Sinne hinaus gefasst und soll die Bereiche Soziales, Bildung und Gesundheit gleichermaßen umfassen. Der Aufbau von REGSAM verlief parallel mit einem ebenfalls in dieser Zeit begonnenen Prozess zur Dezentralisierung der kommunalen sozialen Dienstleistungen im Verantwortungsbereich des Münchner Sozialreferats. In diesem Rahmen wurden sukzessiv 13 dezentrale Sozialbürgerhäuser aufgebaut, die fast sämtliche sozialen Dienstleistungen der drei Ämter des Sozialreferats (Jugendamt, Sozialamt und Amt für Wohnen und Migration) unter einem Dach anbieten. In den Sozialbürgerhäusern befinden sich auch die Jobcenter der Arbeitsagentur. Die Entwicklung von REGSAM lässt sich in 4 Phasen nachzeichnen:(1) Modellprojekt (2) Aufbau einer flächendeckenden Struktur (3) Konsolidierung (4) Erweiterter Handlungsansatz - Gebiete mit besonderem Handlungsbedarf. Phase 1 – das Modellprojekt Initiiert wurde REGSAM als Modellprojekt in vier Modellregionen gemeinsam durch vier städtische Referate: Das ›Sozialreferat‹, das ›Referat für Gesundheit und Umwelt‹, das ›Kulturreferat‹ und das ›Schulreferat‹. Ziel war es, eine regionale Vernetzungsstruktur für Akteur_innen aus dem sozialen und dem Gesundheitsbereich neben Schu-
und Immobilienunternehmen e.V. 2010 Auszeichnung als good practice Projekt durch den auf Initiative der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) gegründeten Kooperationsverbund »Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten«
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len, Kinderbetreungseinrichtungen, lokaler Politik und Ökonomie aufzubauen. Über REGSAM sollte der Blick in die Regionen geschärft sowie Bedarfe vor Ort qualifiziert und interdisziplinär geklärt und formuliert werden. Ausgangspunkt in jeder Modellregion war die konkrete Situation vor Ort und der Aufbau von Kooperationen zwischen den dort bestehenden oder entstehenden Einrichtungen und Akteur_innen. Zur Umsetzung wurde pro Modellregion eine Vollzeit-Moderatorenstelle bereitgestellt. Die Moderator_innen selbst wurden durch Akteur_innen vor Ort gewählt. Sie waren bei einem in der Region tätigen Träger angestellt, bei dem sich auch die Arbeitsräume der Moderatorin bzw. des Moderators befanden. Phase 2 – Aufbau einer flächendeckenden Struktur Die Modellphase wurde als Erfolg bewertet. Die Abstimmungs- und Kooperationsqualität in den Modellregionen war mit Hilfe der Unterstützung der Moderator_innen deutlich ausgebaut worden. 1996 fällte der Münchner Stadtrat deshalb die Entscheidung, dass REGSAM als Grundstruktur sozialer Arbeit in München fortgeführt und auf das gesamte Stadtgebiet ausgeweitet werden solle.3 In der Folge wurde jedes Jahr in ein oder zwei weiteren Stadtregionen REGSAM neu eingeführt – allerdings mit nur mehr einer Halbtagsstelle ›Moderation‹. Die Besetzung erfolgte wie bisher in einer Wahl durch die Akteur_innen vor Ort. 2002 war dieser Prozess abgeschlossen und REGSAM flächendeckend in München installiert. Phase 3 – Konsolidierung Mit dem Jahr 2003 begann in München ein umfassender Haushaltskonsolidierungsprozess, verbunden mit gravierenden Budgetkürzungen in vielen sozialen Institutionen. Für REGSAM bedeutete das eine tiefgreifende Neustrukturierung.
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www.regsam.net/downloads/163.pdf?PHPSESSID=0a4fa806cdc02777a28 65b83bc10bec0 (Letzter Zugriff: 30.03.2014)
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Statt regionaler Trägerschaften wurde die Trägerschaft für REGSAM einem einzigen Verein übergeben. Es handelte sich um den 1992 gegründeten ›Trägerverein für regionale soziale Arbeit e.V.‹, ein Verbund aus freier und öffentlicher Wohlfahrtspflege, dessen Vereinszweck die Trägerschaft für trägerübergreifende Projekte ist. Mitglieder des Vereins sind relevante Wohlfahrtsverbände, der Kreisjugendring der Stadt München sowie das Sozialreferat der LH München. Die Wahl der Moderator_innen durch Akteur_innen vor Ort wurde aufgehoben. Sie wurden nun durch den Vereinsvorstand des stadtweiten Trägervereins ausgewählt und angestellt. Die REGSAM Moderator_innen hatten ihre Arbeitsräume nicht mehr in der jeweiligen Region. Es gab nun ein zentrales Büro, eine zentrale Geschäftsführung und zentrale Verwaltung für alle Moderator_innen gemeinsam. Mit dem Sozialreferat wurden jährliche Ziele für die REGSAM Arbeit stadtweit vereinbart. Neu war die Einrichtung eines REGSAM-Kuratoriums, das beratend und empfehlend gegenüber dem Verein und dem Sozialreferat tätig sein und die Sicht der REGSAM-Regionen in die sozialpolitische Diskussion in München einbringen sollte. Phase 4 – Gebiete mit besonderem Handlungsbedarf 2009 erfolgte ein weiterer, bislang letzter großer Einschnitt. Der Stadtrat beschloss, dass REGSAM 30 % seiner hauptamtlichen Kapazität temporär in sog. Gebiete mit besonderem Handlungsbedarf investieren müsse. Mit diesem Ansatz sollten die positiven Erfahrungen des Quartiersmanagements, die im Zuge der Umsetzung des Städtebauförderungsprogramms ›Soziale Stadt‹ in München gewonnen worden waren, aufgegriffen und für REGSAM nutzbar gemacht werden. Zwei Grundannahmen lagen dieser Entscheidung zugrunde: Die erste ging davon aus, dass die bestehende Vernetzungsstruktur von REGSAM zwischenzeitlich, trotz heftiger Widerrede aus der Praxis, tragfähig genug sei, um die Moderationsressourcen ein weiteres Mal reduzieren zu können. Die zweite beinhaltete die Hoffnung, mit diesem
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Ansatz flexibel und gezielt lokale Projekte durch integrative Handlungsansätze zu fördern. 2010 startete REGSAM mit der Prozessmoderation in vier von neun Schwerpunktgebieten, die in einem auf den Monitoringdaten der LH München und einem intensiven Diskussionsverfahren basierenden, von Sozialreferat und REGSAM gemeinsam entwickelten Auswahlverfahren identifiziert worden waren. Damit hat REGSAM seit 2010 einen doppelten Arbeitsansatz, der bald eine hohe Akzeptanz erfuhr. Vor allem die lokalen politischen Gremien, die Bezirksausschüsse, sahen in dem neuen integrierten Handlungsansatz eine effektive Strategie für kleinräumige, temporäre Interventionen. 2012 stimmte der Stadtrat der LH München zum ersten Mal seit Bestehen von REGSAM fast einstimmig der Weiterfinanzierung des Netzwerks zu. Die Finanzierung von REGSAM Für das Netzwerkmanagement 4 durch die Moderator_innen steht REGSAM insgesamt ein eher niedriger Jahresetat von ca. 520.000 € für je eine halbe Stelle Geschäftsführung und Verwaltung sowie 5,5 Netzwerkmoderator_innenstellen zur Verfügung. Seit 2010 werden, wie oben dargestellt 30 %, davon für den Handlungsansatz Gebiete mit besonderem Handlungsbedarf verwendet. Einen eigenen Verfügungsfonds für die jeweiligen Regionen aber auch für die Gebiete mit besonderem Handlungsbedarf gibt es nicht. Von vielen der von uns Befragten wurde das als deutliches Manko beurteilt. Die Finanzierung erfolgt ausschließlich durch das Sozialreferat über ein unbefristetes Vertragsverhältnis. Dem Stadtrat wird im dreijährigen Turnus ein Bericht vorgelegt. Eine referatsübergreifende Finanzierung, d.h. die Beteiligung der Referate, die an der Initiierung
4
Zum Begriff des Netzwerkmanagements vgl. Abschlussbericht, Regionale Netzwerke in München, S. 13 ff unter www.muench- en.info/soz/pub/pdf/ 447_Netzwerkstrukturen_Abschlussbericht.pdf. (Letzter Zugriff: 30.03. 2014)
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von REGSAM beteiligt waren und die Basisvereinbarung mit unterzeichnet haben, ist nicht gegeben. Aufgaben und Ziele von REGSAM Die Aufgaben und Ziele von REGSAM sind in einer Leistungsvereinbarung mit der LH München festgelegt. Ganz allgemein will die Stadt mit der Förderung von REGSAM den regionalen Akteur_innen eine geeignete Struktur zur Verfügung stellen, die ihnen die Vernetzung und gegenseitige Abstimmung erleichtert und diese effektiviert. Insbesondere sollen über REGSAM folgende Akteur_innen erreicht werden. • • • • •
Soziale und gesundheitsbezogene Einrichtungen Sozialbürgerhäuser Kinderbetreuungseinrichtungen Schulen Lokale Politik und Ökonomie sowie besondere Schlüsselpersonen.
Konkret wird an die Vernetzungsarbeit durch REGSAM die Erwartung geknüpft, dass die Transparenz und die Zusammenarbeit der Einrichtungen und Träger vor Ort gefördert wird. Ersterem dient u.a. die Betreuung einer eigenen Suchmaschine »München Info Sozial« in der Einrichtungen die Möglichkeit haben, sich und ihr Profil darzustellen. Darüber hinaus erwartet man sich durch die Einbindung von REGSAM in regionale Planungsprozesse v.a. des Sozialreferats, dass die Vor-OrtAnliegen angemessen eingebracht werden können. Weitergehend sind die Anforderungen in den Gebieten mit besonderem Handlungsbedarf, in denen die Prozessverantwortung für die Umsetzung der gemeinsam entwickelten Ziele bei REGSAM liegt. Die Steuerung von REGSAM durch die Verwaltung Die Steuerung bzw. das Kontraktmanagement mit der Verwaltung erfolgt über das Sachgebiet Sozialplanung des Sozialreferats. Die räumliche Einheit für die Steuerung stellen die 13 Einzugsbereiche der So-
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zialbürgerhäuser, die sog. Sozialregionen, dar. Als Standards wurden hierzu folgende Festlegungen getroffen: Für jede Sozialregion ist ein_e REGSAM Moderator_in als fester/feste Ansprechpartner_in benannt. In jeder Sozialregion wird jährlich ein Sozialregionsgespräch zwischen Sozialbürgerhausleitung, regionaler Sozialplanung und REGSAM Moderation geführt. Ebenfalls ein Mal jährlich geben die REGSAM Akteur_innen systematisierte Bedarfshinweise aus der Region an die Verwaltung weiter. Darüber hinaus führen Sozialplanung und Geschäftsführung des Trägervereins von REGSAM vier Gespräche pro Jahr durch. Zu den Gebieten mit besonderem Handlungsbedarf finden des Weiteren jährlich zwei Steuerungsgespräche statt, an denen Vertretungen von REGSAM, der freien Wohlfahrtsverbände und vom Sozialreferat beteiligt sind. Stadtweit einheitliche Vernetzungsstruktur REGSAM besitzt eine einheitliche Koordinationsstruktur in allen REGSAM Regionen. Damit soll über die gesamte Stadt hinweg die Adressierbarkeit und Vernetzungsqualität bei gleichzeitiger Flexibilität für regionale Besonderheiten gesichert werden. Abbildung 1: REGSAM Struktur stadtweit
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Vier Kernelemente prägen die flächendeckende Vernetzungsstruktur von REGSAM: • • • •
Professionelles Netzwerkmanagement durch REGSAM Moderator_innen Lokale Facharbeitskreise (FAKs), Projektgruppen und Runde Tische Regionale Arbeitsgemeinschaften für Soziales (RAGS) Das Kuratorium
Zu den Aufgaben des professionellen Netzwerkmanagements für die flächendeckende Vernetzung durch die REGSAM Moderator_innen zählt zunächst ein zusammenfassendes Wissen aus den jeweiligen REGSAM Regionen so vorzuhalten, dass es regelmäßig bzw. bei Bedarf zügig zur Verfügung gestellt werden kann. Hierzu gehören die Erstellung eines regelmäßigen Inforundbriefes sowie die Adressierbarkeit für Anfragen seitens der verschiedenen Akteur_innen oder der Verwaltung. Ein weiteres Aufgabenfeld besteht darin, die Kontinuität in den REGSAM Gremien durch Moderation, Fortbildung oder Coaching der Netzwerkakteur_innen oder durch Weitergabe von Wissensbeständen aus anderen REGSAM Regionen zu gewährleisten. Daneben zählt es zu den Aufgaben der Moderator_innen, die verschiedenen Akteur_innen vor Ort aktiv zu vernetzen, Kontakte aufzubauen bzw. bestehende Kontakte zu den in der Region relevanten Akteur_innen zu pflegen. Schließlich unterstützen die Moderator_innen bei Bedarf auch in Konflikten zwischen verschiedenen Interessensgruppen. Zweites konstitutives Merkmal der REGSAM Netzwerkstruktur sind die sog. Facharbeitskreise (FAKs) und Projektgruppen. Sie sind die inhaltliche Basis der REGSAM Vernetzung und gleichzeitig die Garanten für die notwendige Flexibilität in den unterschiedlichen Einzugsbereichen der Stadt.
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Die Facharbeitskreise bilden sich in den jeweiligen REGSAM Regionen unter zielgruppenspezifischen Gesichtspunkten. Dabei besteht seitens der Kommune die Vorgabe zum Aufbau der Facharbeitskreise ›Alte Menschen‹ und ›Kinder, Jugend und Familie‹ in sämtlichen Regionen. Darüber hinaus können je nach Bedarf weitere Facharbeitskreise entstehen. In vielen REGSAM Regionen sind diese Facharbeitskreise nicht erst mit REGSAM aufgebaut worden. Vielmehr sind sie aus bereits bestehenden Kooperationsbeziehungen oder Arbeitskreisen zu Abstimmung und Austausch von Fachkräften verschiedener Einrichtungen oder Träger heraus entstanden und im Rahmen der REGSAM Struktur fortgeführt worden. Die Teilnahme an den Facharbeitskreisen ist seitens des Sozialreferates ausdrücklich gewünscht und in einem Teil der Leistungsverträge mit Einrichtungsträgern formuliert. Die Facharbeitskreise dienen dem regelmäßigen fachspezifischen Austausch unter regionaler Perspektive. Handlungsorientiertes Ziel der Arbeit ist idealerweise die einrichtungs- und trägerübergreifende Abstimmung der vorhandenen Angebote vor Ort – ausgehend von den Bedarfslagen der jeweiligen Zielgruppen – und die Durchführung gemeinsamer Projekte. Die Facharbeitskreise sind halböffentlich. Sie sind für alle Akteur_innen aus der Region geöffnet. Protokolle werden an diesen Teilnehmerkreis geschickt, aber nicht über die Homepage von REGSAM dem breiten Publikum zugänglich gemacht. Die Leitung und Koordination der Facharbeitskreise erfolgt durch Sprecher_innen, die aus dem Teilnehmerkreis gewählt werden. Unterstützt werden sie über zentrale Schulungen und bei Bedarf auch einem Coaching durch die zuständigen REGSAM Moderator_innen. Die Ressourcenkürzungen für die flächendeckende Arbeit zugunsten der Schwerpunktarbeit aber auch Arbeitsverdichtung in den Einrichtungen haben in den letzten Jahren die Facharbeitskreisarbeit erschwert. Die Beteiligung an den Arbeitskreisen ist zwischen den REGSAM Regionen, aber auch im Zeitverlauf innerhalb einer Region unter-
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schiedlich und schwankend. In unserer Untersuchung wurde gerade hier auf die Bedeutung der Absicherung von Kontinuität durch die professionelle Moderation hingewiesen. Neben oder ausgehend von den Facharbeitskreisen finden sich – je nach Region unterschiedlich – Projektgruppen und/oder Runde Tische, zeitlich befristete Gremien mit einer festen Zielsetzung oder einem Projektvorhaben. Da die REGSAM Regionen sehr groß sind – sie beziehen sich im Schnitt auf 100.000 Einwohner_innen – hat es sich in einigen Regionen auch als sinnvoll erwiesen, innerhalb der Region zwei Facharbeitskreise zum selben Thema zu installieren. Oder – und das ist die häufigere Variante – themenübergreifende Projektgruppen oder Runde Tische für je spezifische Gebiete einzurichten. In einigen Fällen sind Runde Tische auch aus dem Wunsch heraus entstanden, die zielgruppenspezifische Ausrichtung der Facharbeitskreise zu überwinden und einen eher generalistischen Blick auf das jeweilige Gebiet zu werfen. Abbildung 2: Modell einer REGSAM Struktur in einer Region, die zwei Stadtbezirke umfasst
Den Mittelpunkt der lokalen REGSAM Struktur stellt das fachübergreifende Koordinierungsgremium RAGS, Akronym für Regionale
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Arbeitsgemeinschaft für Soziales dar. Die RAGS wird von der hauptamtlichen REGSAM Moderation geleitet und findet im Schnitt wenigstens 4 Mal pro Jahr pro Region statt. Sie setzt sich zusammen aus den gewählten Sprecher_innen der Facharbeitskreise und Projektgruppen, der Leitung des jeweiligen Sozialbürgerhauses bzw. der jeweiligen Sozialbürgerhäuser sowie einer Vertretung der räumlichen Sozialplanung im Sozialreferat. Außerdem beteiligen sich je eine Vertretung des Bezirksausschusses/bzw. der Bezirksausschüsse 5 sowie von der RAGS berufene Schlüsselpersonen, welche aufgrund ihrer Qualifikationen für die Region von besonderer Bedeutung sind. Solche Schlüsselpersonen stellen z.B. Netzwerkmanager_innen anderer Netzwerke dar. Aufgabe der RAGS ist es, regelmäßig die Informationen aus den verschiedenen Bereichen zusammenzutragen und zielgruppenübergreifend Entwicklungen und Bedarfslagen in der REGSAM Region zu erkennen, zu formulieren und gegebenenfalls an die Verwaltung weiterzuleiten oder regionale Initiativen zu entwickeln. Die RAGS wurde in unseren Befragungen widersprüchlich einerseits als schwerfälliges Konstrukt andererseits als Garant für Vernetzungskontinuität und Kooperation in allen Teilen der Stadt beschrieben. Das REGSAM Kuratorium ist das stadtweite Gremium von REGSAM. Es setzt sich aus gewählten Delegierten der jeweiligen REGSAM Regionen und Vertretungen aus relevanten Funktions- oder Tätigkeitsbereichen zusammen. Das Kuratorium hat die Aufgabe, den Trägerverein und die REGSAM Geschäftsführung zu beraten und soll als Bindeglied zwischen den REGSAM Regionen und dem Trägerverein fungieren. Häufig werden im Kuratorium neu geplante Entwicklungen oder Vorhaben der Stadtverwaltung durch die Leitungen der betreffenden Referate oder Abteilungen vorgestellt und deren Bedeutung für die jeweiligen Regionen ausgelotet. Umgekehrt werden hier die Interessen der verschiedenen Regionen gebündelt und sozialpolitische Positionen entwickelt und formuliert.
5
Den 25 gewählten politischen Stadtteilgremien in den Stadtbezirken.
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Kuratorium und professionelle Moderation stellen damit die Klammer dar, die lokale Perspektiven und stadtweite Dimensionen aufeinander beziehen, bündeln und den Übertrag von Erfahrungen sichern sollen. Prozessbegleitung in Gebieten mit besonderem Handlungsbedarf Seit 2010 zeichnet sich mit der Prozessbegleitung in Gebieten mit besonderem Handlungsbedarf eine neue Entwicklung in der Netzwerkarbeit von REGSAM ab. Der Kinder und Jugendhilfeausschuss sowie der Sozialausschuss des Stadtrats hatten unter der Überschrift »REGSAM neu denken« und unter Aufnahme der Erfahrungen mit Quartiersmanagement und integrativen Handlungsansätzen in den Gebieten der ›Sozialen Stadt‹ ein neues Aufgabenfeld für REGSAM beschlossen. Ziel war es, die Ressourcen der REGSAM Moderation über die Absicherung der oben dargestellten flächendeckenden Arbeitsweise zusätzlich gezielt für definierte Gebiete mit einem »erhöhten sozialpolitischen Handlungsbedarf« zu nutzen. Vertreter_innen des Sozialreferats, der REGSAM Moderation, des REGSAM Kuratoriums und des Trägervereins erarbeiteten hierzu ein gemeinsames Konzept. Der Auftrag an REGSAM in diesen Gebieten besteht darin, direkte Prozessverantwortung für die vernetzte Bearbeitung einer definierten, temporär begrenzten Aufgabenstellung zu übernehmen. Hierzu zählen neben der Gewinnung von relevanten Kooperationspartner_innen auf Basis einer Bedarfserhebung und Zielfestlegung die Entwicklung eines regionalen Handlungskonzepts, die gemeinsame Ausarbeitung von Lösungen und schließlich die Ableitung konkreter Arbeitsaufträge, als Basis für die spätere Umsetzung. Die Abstimmung findet in Form von Runden Tischen statt, die durch die REGSAM Moderation geleitet werden. Besonderheit und qualitatives Merkmal dieses Arbeitsansatzes ist die durch die kommunale Verwaltung gesicherte verbindliche und verantwortliche Mitwirkung von Entscheidern der relevanten Steuerungsbereiche bzw. der
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Produkt- und Abteilungsverantwortlichen aus den betreffenden Referaten. Die Gebietsauswahl erfolgt gemeinsam durch REGSAM und Sozialreferat auf Basis eines Kriterienkataloges mit quantitativen (Sozialreferatsmonitoring, Bildungsbericht, Armutsbericht, Stadtteilstudie des Referats für Stadtplanung und Bauordnung) und qualitativen (Regionales Wissen und Bedarfseinschätzung durch RAGS, Sozialbürgerhäuser und Bezirksausschüsse) Indikatoren. Gemeinsam wird auch vorab geklärt, wieweit die Aufgaben mit den vorhandenen Ressourcen bewältigt werden können und wer verbindlich an der Umsetzung beteiligt sein wird. Für jedes Gebiet mit besonderem Handlungsbedarf wird eine konkrete Kooperationsvereinbarung zwischen REGSAM und Sozialreferat abgeschlossen. Der Ansatz weist, wie oben bereits angedeutet, Parallelen zum Quartiersmanagement der Sozialen Stadt auf. Die Differenz liegt allerdings – neben der komplett anderen Finanzierungsstruktur, da nicht durch ein finanziell hoch ausgestattetes Förderprogramm hinterlegt – darin, dass über das Sozialreferat hinaus andere Referate nicht strukturell eingebunden sind, sondern gegebenenfalls jeweils punktuelle Kooperationen vereinbart werden müssen.6 Mittlerweile liegen Erfahrungen mit diesem Handlungsansatz vor, die sowohl seitens REGSAM als auch seitens der Stadtverwaltung positiv bewertet werden. Insbesondere durch die verbindlich geregelte Abstimmungsverantwortung in der Sozialplanung des Sozialreferats wurde die Handlungsfähigkeit in den definierten kleinräumigen Schwerpunktgebieten erhöht. Die Qualität der Managementfunktion der betreffenden Moderationen wurde in einer von REGSAM in Auftrag gegebenen Evaluation positiv bewertet.7
6
Zur Begleitung der Soziale Stadtgebiete besteht in München eine, sämtliche städtische Referate umgreifende Lenkungsgruppe in der Stadtverwaltung.
7
Vgl. Fröhlich, Werner (2011): Prozessevaluation in Gebieten mit besonderem Handlungsbedarf, unveröffentlicht.
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Da diese Projekte an den vorhandenen Vernetzungsstrukturen anknüpfen bzw. aufbauen konnten, gelang es die Schwerpunktarbeit zügig und ohne größere Reibungsverluste zu starten. Zusammenwirken mit anderen Netzwerken – neue Kooperationen In den letzten Jahren wurden weitere regionale Netzwerke implementiert. Stadtweit in 13 – an den Einzugsgebieten der Sozialbürgerhäuser orientierten – Sozialregionen das Netzwerk der Frühen Hilfen mit einem eigenem Netzwerkmanagement und in mittlerweile sechs Gebieten ein quartiersbezogenes Bildungsmanagement in Kombination mit der Installierung von sog. BildungsLokalen vor Ort. Es musste sich erweisen, wie das REGSAM Netzwerk und die neuen Netzwerke zusammenwirken würden. Das Netzwerk der Frühen Hilfen ist gemeinsam getragen durch das Münchner Sozialreferat und das Referat für Gesundheit und Umwelt. Für die Netzwerkkoordination in den 13 Sozialregionen ist je eine halbe Stelle in den dezentralen Sozialbürgerhäusern verankert. In einer Vereinbarung zwischen den federführenden Referaten und REGSAM ist geregelt, dass die Koordinator_innen des Netzwerks der Frühen Hilfen auf die REGSAM Struktur für ihre Aufgaben im Zuge des präventiven Kinderschutzes zugreifen. D.h., sie nutzen die vorhandenen Facharbeitskreise (FAKs) oder – sofern nicht vorhanden – bauen neue zielgerichtete Facharbeitskreise auf. Die Netzwerkkoordinator_innen der Frühen Hilfen sind als Schlüsselpersonen Teil der RAGS. 2010 hatte das Münchner Referat für Bildung und Sport im Rahmen des bundesweiten Förderprogramms ›Lernen vor Ort‹ begonnen, zunächst im Rahmen eines Modellprojektes, in Stadtteilen mit besonders geringen Bildungschancen sog. BildungsLokale einzurichten und mit einem ›lokalen Bildungsmanagement‹ zu verbinden. Ziel war es, neben einer Bildungsberatung und eigenen Bildungsangeboten die Vernetzung von Akteur_innen im gesamten Bildungssektor durch ein Bildungsmanagement in relativ kleinen Einzugsgebieten mit durch-
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schnittlich 35.000 Einwohner_innen gezielt zu fördern. Für dieses Bildungsmanagement steht je Bildungsregion eine Vollzeitstelle zu Verfügung. Der Standort befindet sich im jeweiligen BildungsLokal. Auch die Bildungsmanager_innen sind in die REGSAM Struktur eingebunden. Sie beteiligen sich an den für das Thema relevanten Facharbeitskreisen, haben zum Teil eigene Projektgruppen initiiert und sind ebenfalls als Schlüsselpersonen in der RAGS beteiligt. Mithilfe der neuen Ressource der Bildungsmanager_innen und deren gezieltem Engagement ist es gelungen, neue Vernetzungsrunden zu installieren und die bislang nur ungenügend erreichten Zielgruppen aus dem Bildungssektor – insbesondere Leitungen von Schulen und Kindertagesstätten – besser zu erreichen. Bewertung von REGSAM Mit der Entstehung der neuen Netzwerke geriet das ›alte‹ Netzwerk REGSAM erneut auf den Prüfstand. Es stellten sich v.a. Fragen nach der Effizienz von REGSAM. Waren andere Strukturen, insbesondere die der Sozialen Stadt oder der Bildungslokale effektiver? Hat sich das REGSAM Netzwerk über die Jahre hinweg selbst überflüssig gemacht? Bedeutete die Gründung neuer Netzwerke ein Versagen von REGSAM? Diese Fragen stellten wir an Fachkräfte in der Verwaltung, an Akteur_innen der verschiedenen Netzwerke, an Lokalpolitiker_innen und an netzwerkrelevante Fachkräfte vor Ort. Im Gesamt fielen die Bewertungen von REGSAM durch die Befragten positiv aus. Sie lassen sich in vier Punkten zusammenfassen. REGSAM stellt danach stadtweit ein differenziertes Wahrnehmungssystem für Bedarfe sämtlicher Bevölkerungsgruppen in den jeweiligen Stadtbezirken dar (Ausnahmen bestätigen die Regel). Die Sozialverwaltung – aber auch andere Referate – ziehen REGSAM zur Gewinnung qualitativer Informationen aus den Stadtteilen für lokale Planungsprozesse heran. Insbesondere werde durch REGSAM der zügige Zugriff auf relevante Expertinnen und Experten_innen der
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verschiedensten Arbeitsbereiche für den jeweiligen Stadtteil gesichert. Dies wird vor allem dann relevant, wenn es um die Bearbeitung von Detailfragen geht. Aus Sicht der befragten Akteur_innen vor Ort (überwiegend aus dem sozialen Sektor und der lokalen Politik) wurde REGSAM als relevante Informationsdrehscheibe oder Austauschplattform benannt. Dabei waren – netzwerktypisch – verschiedene Kommunikationsformen angesprochen: Facharbeitskreise, Rundmails und vor allem der über das Netzwerk schnell herzustellende persönliche Kontakt. Im Ergebnis wurde festgestellt, dass auch dann, wenn man nicht aktiv oder nicht regelmäßig an der Gremienarbeit beteiligt sei, über REGSAM schnell und effektiv auf sozialräumliche Informationen Zugriff habe. REGSAM erwies sich schließlich als relevanter Vermittler und Türöffner für neue Akteur_innen in die jeweiligen Regionen. Hierbei kann es sich z.B. um junge Fachkräfte oder um Wechsel des Arbeitsbereiches in eine neue Region etc. handeln. Aber auch dann, wenn neue Handlungsfelder durch neue Netzwerkakteur_innen bearbeitet werden sollen, erwiesen sich die REGSAMstrukturen als geeignet, um zügig in die jeweiligen Regionen einzusteigen. Kritisch angemerkt wurde, dass es REGSAM in den vergangenen Jahren nicht in ausreichendem Maße gelungen sei über den Kern der sozialen Einrichtungen auch relevante Akteur_innen vor allem aus den Bereichen Schule und lokales Gewerbe zu aktivieren und systematisch in das Netzwerk einzubeziehen. Hinterfragt wurde REGSAM auch in Hinblick auf seine Handlungsrelevanz und seine Eignung, Bürger_innen aktiv zu beteiligen sowie ehrenamtliche Potentiale zu erschließen. Gleichzeitig wurde von nahezu allen befragten Expert_innen diese Kritik dahingehend relativiert, dass sowohl zur Gewinnung neuer Akteur_innen als auch zur Organisation von mehr Bürger_innenbeteiligung die REGSAM zur Verfügung stehenden Ressourcen zu knapp bemessen seien. Bei näherer Beleuchtung wird deutlich, dass sich diese Ressourcenknappheit nicht allein – wie vordergründig wahrgenommen – auf die knappe Moderationskapazität selbst reduzieren
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lässt: Da die REGSAM Vernetzungsstruktur wesentlich auf der aktiven Beteiligung der Einrichtungen und Institutionen vor Ort beruht, sind Vernetzungsumfang und -qualität sowie die Sicherung der Kontinuität auf ausreichende Ressourcen für Kooperation und Vernetzung bei den Akteur_innen selbst angewiesen. Eng bemessene Personalressourcen und hoher Arbeitsdruck in den Einrichtungen werden aber teilweise – trotz Vereinbarungen zur Teilnahme an lokalen Vernetzungen – durch Abstriche an einrichtungsübergreifenden Netzwerkaktivitäten kompensiert. Auch die Voraussetzungen für eine systematische Bürgerbeteiligung und Mobilisierung ehrenamtlicher Potentiale sind aus Sicht der Befragten mit den gegebenen Ressourcen kaum gegeben. Hierzu bedürfe es geeigneter Formen von ›Vor Ort Präsenz‹ und eines eigenen Verfügungsfonds. Positiv wurde das Zusammenspiel mit den neuen Netzwerken beurteilt. Mit den zusätzlichen Ressourcen und Strukturen sei es gelungen, neue Akteursgruppen zu erreichen und in die Vernetzungen mit einzubeziehen. Dabei wurde REGSAM insbesondere bei deren Aufbau eine entscheidende Funktion zugesprochen. In allen Fällen war auf die lokalen Kontakte und Informationen über REGSAM zugegriffen worden. Vor allem die professionellen REGSAM Moderator_innen dienten als Brücke in die jeweiligen Gebiete. Auch nach der ersten Aufbauphase – so der Befund – greifen die unterschiedlichen Netzwerke weitgehend ineinander und ergänzen sich gegenseitig. Überschneidungen oder Doppelungen stellten aus Sicht der Befragten kein Problem dar. Im Gegenteil. Der Rückgriff auf die Gremienstrukturen von REGSAM erwies sich als ressourcenschonend, insofern neue Austauschgremien nur dann eingerichtet wurden, wenn mit den gegebenen Strukturen die gewünschte Kommunikation nicht abgedeckt war. Die langfristige Entwicklung wird in den nächsten Jahren zu prüfen sein. Deutliche Engpässe zeigten sich bei der Abstimmung zwischen Verwaltung, Trägern und lokalen Netzwerken. Besonders hinderlich erwiesen sich aus Sicht der befragten Expert_innen die funktionalen Versäulungen zwischen Referaten und Produkten in der Verwaltung
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und bei großen Trägern. Sie blockieren die verwaltungs-/trägerinterne Abstimmung bei Querschnittsaufgaben und bei ganzheitlichen Handlungs- und Planungsansätzen vor Ort. Damit ist ein vielfach beschriebenes Dilemma berührt, das die Wirkungskraft von Netzwerken erheblich reduziert, ohne in deren Verantwortung zu liegen und das auch nicht von diesen aus eigener Kraft aufgehoben werden kann. Ausblick In München hat sich im Laufe der letzten Jahre ein weitgehender Konsens hergestellt, dass es sowohl der flächendeckenden Netzwerkstruktur von REGSAM als auch kleinräumiger Netzwerkstrukturen in besonders benachteiligten Gebieten bedarf. Der flächendeckende Ansatz erweist sich für den Transfer von Erfahrungen und Wissensbeständen aus den verschiedenen Stadtregionen und als Zugang zu relevanten Akteur_innen vor Ort als wesentlich. Kleinräumige Netzwerkstrukturen mit Vorortpräsenz, ausreichende personelle Ausstattung und ein eigener Verfügungsfonds sind darüber hinaus für die Gebietsentwicklung in ausgewiesenen, besonders benachteiligten Gebieten unerlässlich. Aus unserer Sicht ist es für die weitere Entwicklung notwendig, bewährte Strukturen zum Ausgangspunkt zu nehmen und deren Kontinuität abzusichern. Nur so können sich ihre Potentiale auch langfristig entfalten und beweisen.
Partizipation von unten? Möglichkeiten und Grenzen von Beteiligungsverfahren im Kontext von sozialraumbezogener Arbeit A NNE VAN R IESSEN /R EINHOLD K NOPP
Einleitung Partizipation hat Konjunktur! Dies wird sowohl in der Vielzahl von Partizipationsprozessen und Bürger_innenbeteiligungsverfahren deutlich, als es sich auch in dem grundsätzlichen Interesse, temporär und auf konkrete Projekte bezogen aktiv zu werden, zeigt (Roth 2011, S. 84f.) Noch vor Jahren schien es so, als wäre die Forderung nach mehr Partizipation alleinig auf die Demokratisierung von Gesellschaft gerichtet. Gleichwohl wird in der fachlichen Diskussion zunehmend auf Partizipationsprozesse »von oben« verwiesen (Roth 2011), in denen in Form von institutionalisierten Beteiligungsverfahren, nur ein Gefühl der Mitsprache erzeugt wird, das mit der Realität wenig gemein hat. Aus sozialräumlicher Perspektive ist eine starke Orientierung auf die Beteiligung aller Bürger_innen grundsätzlich zu begrüßen, allerdings gibt es gerade hier eine Reihe von ›Fallstricken‹, die in der Diskussion und Durchführung zu berücksichtigen sind. Mit dem Einsatz sozialräumlicher Methoden kann Partizipation unterstützt und verstärkt werden, dies wird in diesem Beitrag dargestellt und zugleich hinter-
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fragt. Dabei werden wir einleitend den gegenwärtigen Diskurs und die Konjunktur von Partizipationsprozessen und die Gründe für die von uns vorgenommene Fokussierung des Wohnquartiers darstellen. Anschließend werden wir drei konkrete sozialräumlich ausgerichtete Partizipationsprojekte und ihre Grenzen und Möglichkeiten am Beispiel von sozialräumlichen Workshopreihen (van Rießen/Bleck 2013) mit unterschiedlichen Zielgruppen beleuchten. Partizipation – von oben, von unten oder gar nicht? Im öffentlichen Diskurs der Gegenwart ist Partizipation ein prominenter Begriff. Kaum ein kommunaler baulicher Planungsprozess, die Planung einer Stromtrasse oder die Aufwertung eines Stadtviertels, die nicht auf partizipative Elemente zurückgreift. Den Bürger_innen soll zunehmend durch Beteiligung die Möglichkeit eröffnet werden, an kommunalen Prozessen zu partizipieren und an gemeinschaftlichen Lebensbereichen mitzuwirken. Damit einhergehend ist zu beobachten, dass sich Partizipation sukzessive von der politischen Ebene – im Rahmen von kommunaler Beteiligung auf die Ebene sozialer Partizipation erweitert.1 Unter Partizipation wird im Folgenden sowohl die Teilhabe der Bürger_innen an gesellschaftlichen oder gemeinschaftlichen Prozessen (soziale Partizipation) als auch an politischer Einflussnahme (politische Partizipation) gefasst. Partizipationsprozesse geraten somit als Mitmachmethode, eingerahmt in neoliberale Kontexte, zunehmend mehr in den Verdacht, ein Instrument zur Stabilisierung der gegenwärtigen Herrschaftsverhältnisse darzustellen (vgl. Wagner 2014). Die Funktionalisierung und Einbindung von Partizipation wird deutlich, wenn beispielsweise Partizipationsprozesse eingesetzt werden, um frühzeitig (kritische) Bürger_innen im Rahmen von Beteiligungsprozessen einzubeziehen, mit
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Zu der hierbei relevanten Unterscheidung in politische und soziale Partizipation siehe Roth 2011, van Deth 2009 und Roßteutscher 2009.
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dem Ziel, Protest zu unterbinden und zu verhindern, um dadurch vorab definierte Zielstellungen im Sinne der herrschenden Ordnung zu realisieren und in störungsfreie Bahnen zu lenken. Die stetige Zunahme von Partizipationsprozessen führt somit gleichwohl dazu, dass einerseits die Anzahl der Beteiligten sich erweitert aber auch andererseits der Terminus Partizipation an Schärfe und Genauigkeit verliert: Partizipation meint zunehmend gleichermaßen Teilnahme wie Teilhabe oder Mitwirkung wie Mitbestimmung. Viele Beteiligungsoptionen, die Partizipation vorsehen, sind häufig zu reinen Mitwirkungsveranstaltungen mit »Alibi-Beteiligung« (van Rießen/Bleck 2013) geworden ohne konkrete Mitbestimmungsmöglichkeiten zu beinhalten. Zentrale Elemente von Partizipation, wie Mitbestimmung und Teilhabe, werden damit zugunsten einer aktiven Teilnahme verdrängt. Ein genauerer Blick macht auch deutlich, dass Partizipationsverfahren nicht in allen Kontexten zur Verfügung stehen, sondern häufig auf bestimmte Inhalte und Rahmenbedingungen fokussiert sind, in denen bestimmte Bürger_innen in einer bestimmten institutionalisierten Form beteiligt werden (können). Somit werden andere Formen des Engagements wie z.B. nachbarschaftliche Unterstützung und Solidarität ausgeschlossen (vgl. Alisch/May 2013). Auch die Art der Ansprache und die Gestaltung der Partizipationsprozesse ist häufig nur auf eine bestimmte Zielgruppe ausgerichtet. Indessen ist Partizipation eine wesentliche Mitbestimmung, an der jede_r berechtigt ist, teilzunehmen und teilzuhaben (Lutz 2012, S. 52). Auch im Kontext der Sozialen Arbeit gilt Partizipation als erstrebenswert – obwohl insbesondere hier Partizipation keineswegs einheitlich verstanden wird (vgl. ausführlich Scheu/Autrata 2013). Insbesondere die sozialraumbezogene Praxis und Forschung Sozialer Arbeit ist dem Partizipationsgedanken offenbar in besonderem Maße zugewandt. So stellen Monika Alisch und Michael May (2008, S. 13) fest, dass Partizipation im Rahmen von Sozialraumorientierung »zumindest normativ als konzeptioneller und politischer Anspruch« mitgedacht ist und auch Wolfgang Hinte (2012 zit. in Scheu/Autrata 2013, S. 95) führt an, dass es in der Sozialraumorientierung darum gehe, »unter tä-
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tiger Mitwirkung der betroffenen Menschen Lebenswelten zu gestalten«. Gleichwohl ist hervorzuheben, dass auch kritische Perspektiven in Bezug auf die Rahmung von sozialer rund politischer Partizipation in Verbindung mit Konzepten der Sozialraumorientierung angeführt werden. Denn die Sozialraum- bzw. Nahraumorientierung als »fachlich programmatische Gesamtstrategie« wird etwa von Hans-Uwe Otto und Holger Ziegler (2008, S. 142) auch mit »neo-sozialen Integrationsrationalitäten von Sozialpolitik und Sozialer Arbeit« verbunden und kommt somit den Strategien post-wohlfahrtsstaatlicher Rahmungen entgegen, indem durch kleinräumig gefasste Aktivitäten die Gesellschaft zusammengehalten werden soll, um so »Bürger durch ihre Bindung an partikulare Gemeinschaften zu regieren« (Otto/Ziegler 2008, S. 148, Hervorhebung im Original). Es wird deutlich, dass hier zwei Sichtweisen vorliegen, die zu völlig anderen Perspektiven führen. Ausgehend von einem Verständnis, dass Soziale Arbeit Sorge dafür tragen muss, dass alle Bürger_innen an gesellschaftlichen Prozessen teilnehmen (können) und damit geeignete Zugänge schaffen muss im Sinne einer sozialen Gerechtigkeit, wird deutlich, dass sich Prozesse der politischen und sozialen Partizipation auf ›dünnem Eis‹ bewegen und in doppelter Weise kritisch-reflexiv begleitet werden müssen (vgl. van Rießen/Bleck 2013). Wenn man nun nicht, aufgrund der zunehmenden Instrumentalisierung, auf Partizipationsprozesse verzichten will, stellt sich die Herausforderung die richtige Balance zu finden, damit Partizipationsprozesse es einerseits jenen ermöglichen sich zu beteiligen, die bis dato daran selten oder gar nicht beteiligt sind, und andererseits dabei Räume geschaffen werden, in denen die Beteiligten sowohl auf ihre (konkreten) Lebensbedingungen real Einfluss nehmen als auch die Definitionsmacht über ihre eigenen Vorstellungen zurückgewinnen können (vgl. Bleck/van Rießen/Knopp 2013). Dazu bedarf es einer Reihe von unterschiedlichen Faktoren, die es bei der Durchführung zu berücksichtigen gilt (vgl. van Rießen/Bleck 2013). Fabian Kessl und Christian Reutlinger (2007, S. 122f.) fordern deshalb im Hinblick auf Sozialraumarbeit in der Praxis Sozialer Arbeit »die Ausbildung einer reflexiven räumlichen Haltung als Realisierung
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einer reflexiven Professionalität im Fall raumbezogener Vorgehensweisen« und nennen als »Qualitätskriterium« zur Auswahl geeigneter Zugänge »die möglichst weitgehende Eröffnung und Erweiterung von Handlungsoptionen für die direkten Nutzerinnen und Nutzer der sozialpädagogischen Angebote«. Es verwundert so nicht, dass Partizipationsprozesse in sozialräumlicher Arbeit in Forschung und in Praxis in mehreren DilemmataDiskursen angekommen sind. Hilfreich scheint in dieser Gemengelage von Diskussionen der Hinweis, den Friedrich Engels seinem Aufsatz von 1892 voran stellt: »The proof of the pudding is in the eating«, um die Ebene der ›bloßen Argumentation‹ zu überwinden und über die Reflexion der Praxis zu einer Einschätzung, bzw. Beurteilung zu gelangen (Engels, Friedrich, MEW Bd. 22, 1963, S. 296). Der Blick wird im Folgenden auf die Praxis gerichtet – allerdings mit dem Anspruch die angesprochenen kritischen Hinweise zu berücksichtigen. Warum Wohnquartier? Im Zusammenhang mit der Diskussion über den demografischen Wandel in der Bundesrepublik Deutschland ist die Frage nach der Lebensqualität im Wohnumfeld zunehmend in den Fokus gerückt (vgl. Knopp/van Rießen 2012). Aus pragmatischer Sicht spricht viel dafür, das Wohnquartier als sozialen Nahraum in den Blick zu nehmen; die Ausstattung und die Ressourcen im Sozialraum sind für alle Bürger_innen relevant, insbesondere aber für diejenigen, die nicht über eine hochgradige Mobilität verfügen beispielsweise für Kinder, Jugendliche und Familien sowie für Ältere und Menschen mit individuellen Einschränkungen. Darüber hinaus ist die infrastrukturelle und soziale Ausstattung des Quartiers für Menschen bedeutsam, deren Möglichkeiten aufgrund ihrer sozialen und/oder finanziellen Lage eingeschränkt sind. Von besonderem Interesse ist dabei, wie offen die Nutzung der Angebote für die angesprochenen Gruppen ist, bzw. an welchen Stellen Barrieren und Hindernisse existieren. Dabei sind sowohl die materielle Ausstattung des Quar-
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tiers von Belang – als auch die subjektive Perspektive der Aneignung dieser Möglichkeiten und im günstigsten Falle auch der aktiven Einflussnahme auf die Veränderung im Kontext eigener Interessen. Unter Aneignung wird hier ein aktiver Prozess verstanden, in dem Einzelne sich einerseits mit den Angeboten und den Zugängen auseinandersetzen und andererseits Entscheidungen treffen, diese zu nutzen und dabei Wege finden – auch im Hinblick auf strukturelle Veränderungen –, mögliche Hindernisse und Barrieren zu überwinden. Auch aus sozialräumlicher Perspektive ist die starke Fokussierung auf das Wohnquartier begrüßenswert, insbesondere die Beteiligung und Einbeziehung der unterschiedlichen Akteur_innenpersektiven. Die Frage nach der Beteiligung von Bürger_innen ist hier von zentraler Bedeutung: Hier geht es auf der einen Seite darum, wer überhaupt einbezogen wird und in welcher Qualität diese Beteiligung stattfindet (vgl. van Rießen/Bleck 2013). Auch aus der Perspektive der politischen Bürger_innenbeteiligung kommt der Orientierung auf das Wohnquartier eine besondere Relevanz zu. Roland Roth (2011, S. 29) zeigt auf, dass politische Einmischung auf kommunaler Ebene den Bürger_innen die konkretesten Ansätze bietet, zugleich weist er darauf hin, dass hier aufgrund der engen finanziellen Spielräume der Kommunen nur wenig durchzusetzen ist, was mit Ausgaben verbunden ist. Die Einnahme einer sozialräumlichen Perspektive bietet der Sozialen Arbeit Handlungsoptionen: Dabei geht es sowohl um die Einflussnahme der Gestaltung der Lebensbedingungen im Wohnquartier (unter Berücksichtigung der Anbindung an die Ressourcen der Gesamtstadt) als auch um die Stärkung der Handlungsfähigkeit der Bürger_innen zur Wahrnehmung eigener Interessen. Ein sozialräumliches Verständnis von Sozialer Arbeit beinhaltet, individuelle Schwierigkeiten und Unterstützungsbedarf in einen lebensweltlichen und gesamtgesellschaftlichen Kontext zu stellen: Es öffnet den Blick für strukturelle Zusammenhänge, fragt nach Ortseffekten und Möglichkeiten, den Lebensraum im Interesse und mit den dort Lebenden zu gestalten. Sozialräumliche Methoden können eine Möglichkeit darstellen, die teilnehmenden Bürger_innen prozesshaft in der Auseinandersetzung mit ihrer
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räumlichen Lebenswelt zu stärken. Eine solche auf Partizipation und Teilhabe ausgerichtete Unterstützung kann dazu beitragen, den Beteiligten den Zugang zu sozialräumlichen Ressourcen zu eröffnen und darüber hinausgehend es ihnen ermöglichen, ihre Interessen der Veränderung ihrer räumlichen Lebenswelt einzubringen. Die Lebensbedingungen im Wohnquartier sind für viele Bürger_innen mit naheliegenden Themen verbunden, so dass die Chance besteht, ihr Engagement auch im Sinne von politischer Einmischung anzufragen bzw. zu unterstützen. Kritiker_innen weisen zwar daraufhin, dass vielfach zunächst nur die kleinen Themen wie fehlende Sitzmöglichkeiten, Reduzierung des Einzelhandels oder bauliche Barrieren aufgezeigt werden, aber ›Von hier aus und bitte weiter‹ könnte das Motto lauten, mit dem dieses Engagement zu unterstützen ist. Manchmal ergeben sich Verknüpfungen auch zu weiteren stadtpolitisch relevanten Themen wie Bebauungspläne für das Quartier, Wohnraumförderung und Mietpreisentwicklungen (Knopp 2012). Insbesondere der Anspruch im eigenen Quartier wohnen bleiben zu können, unter Umständen problematisch durch an Investoreninteressen gerichtete Planungen und durch steigende Mieten, bietet Anlass für Widerständigkeit und Solidarität. Dies zeigt z.B. die Verhinderung einer Zwangsräumung und die damit verbundene Politisierung von Nachbarschaft im Kölner Agnesviertel2. Zudem ermöglichen sozialräumliche partizipativ ausgerichtete Methoden auch die Chance »Möglichkeitsräume für Partizipation« (van Rießen/Bleck 2013) zu öffnen, die auch zu konsequenten Formen weiterer Mitwirkung und -gestaltung führen können. Sozialräumliche Methoden als zentrale Partizipationsmöglichkeit Sozialräumliche Methoden greifen auf Erfahrungen zurück, die Ulrich Deinet und Richard Krisch (2002) in der Kinder- und Jugendarbeit gewonnen haben und die in vielfältigen Praxisfeldern weiter entwickelt
2
Vgl. http://zwangsraeumung-verhindern.de [Zugriff am: 04.01.2015]
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wurden (vgl. Deinet 2009). Diese Methoden wurden in zahlreichen Praxisprojekten mit neuen Zielgruppen erprobt und weiterentwickelt (Knopp 2009; Bleck/van Rießen/Knopp 2013; Knopp/van Rießen 2014; van Rießen 2013). Die (Weiter-)Entwicklung und Beleuchtung von sozialräumlichen Methoden für die Arbeit mit Älteren, Menschen mit Behinderungen oder im Rahmen eines Dialogs zwischen verschiedenen Zielgruppen ist auch deshalb von besonderem Interesse, weil hierzu bislang kaum Grundlagen und Erfahrungen vorliegen bzw. publiziert wurden. Die im Folgenden dargestellten sozialräumlichen Partizipationsprojekte haben dabei jeweils im Kontext einer sozialräumlich ausgerichteten Workshopreihe (Bleck/van Rießen/Knopp 2013) stattgefunden. Sozialräumliche Workshopreihen stellen einen Ansatz dar, ausgewählte sozialräumliche Methoden miteinander zu verknüpfen und bieten dabei die Möglichkeit, über einen längeren Zeitraum methodisch aufeinander aufbauend und unter Einbindung der jeweiligen Zielgruppe ausgewählte Wohnquartiere in den Fokus zu nehmen. Dabei wurde, differenziert nach den unterschiedlichen Zielgruppen, einerseits auf bewährte sozialräumliche Methoden der Kinder- und Jugendarbeit zurückgegriffen, andererseits wurden spezifische den Zielgruppen entsprechende sozialräumliche Methoden entwickelt. Im Folgenden werden die differenten Partizipationsprojekte und die damit verbundenen Möglichkeiten und Grenzen von Partizipation dargestellt. Sozialräumliche Partizipationsprojekte mit Älteren3 Im Rahmen des Forschungsprojektes SORAQ4 (Soziale Ressourcen für altersgerechte Quartiere) wurden u.a. in ausgewählten Düsseldorfer
3
Zu den Möglichkeiten und Grenzen partizipativer Forschung im Kontext mit Älteren vgl. ausführlich van Rießen/Bleck 2013.
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Das Forschungsprojekt SORAQ wird gefördert im Rahmen der Förderlinie SILQUA (Soziale Innovationen für Lebensqualität im Alter) vom Bundeministerium für Bildung und Forschung.
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Stadtgebieten sozialräumliche Methoden mit älteren Bürger_innen im Rahmen von sozialräumlichen Workshopreihen erprobt und weiterentwickelt. Die Durchführung der sozialräumlichen Workshopreihen erfolgte dabei in enger Kooperation mit den zentren plus5 – so der Name der Düsseldorfer Altenbegegnungsstätten – die damit als »gatekeeper« (Merkens 2012; Wolff 2012) fungierten und die Tür zum sozialen Feld öffneten. Darüber hinaus – und das ist hier von entscheidender Bedeutung – wurde diese Kooperation mit der Intention gewählt, dass die dort vorhandenen Strukturen und Rahmenbedingungen eine Fortführung von Beteiligungsoptionen Älterer nach dem Projekt ermöglichen. Denn partizipativ ausgerichtete Forschungsmethoden stehen durch ihren Projektcharakter stets vor dem Dilemma einer zeitlich begrenzten Zusammenarbeit. So müssen gerade sozialräumliche Forschungs- und Praxisprojekte, die sich mit den Gegebenheiten eines Wohnquartiers und dadurch für die Beteiligten alltäglich bedeutsamen, mitunter belastenden Lebensbedingungen auseinandersetzen, auch die Fragen berücksichtigen, »was Menschen mit Partizipation erreichen wollen und warum Partizipation für sie wichtig ist« (Scheu/Autrata 2013, S. 7). In der sozialräumlichen Workshopreihe wurden dabei unterschiedliche sozialräumliche Methoden erprobt und entwickelt, die es ermöglichen, Eindrücke und zum Teil auch subjektive Einschätzungen zu konkretisieren, z.B. durch den Besuch der Orte im Quartier, die mittels der Nadelmethode als besonders lebenswert oder als eher problematisch dargestellt wurden. Zusätzlich wurden Methoden eingesetzt, die den Beteiligten ihre Nutzungsgewohnheiten im Quartier verdeutlichen, z.B. durch das Führen eines Strukturierten Sozialraumtagebuchs (vgl. ausführlich van Rießen/Bleck 2013). Der Einsatz der Methoden setzte dabei immer anknüpfend an den Gedanken, die Beteiligten als Expert_innen ihrer Lebenswelt anzusprechen.
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www.duesseldorf.de/senioren/zentrum_plus/index.shtml [Zugriff am: 27. 03.2014].
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Die Ergebnisse der sozialräumlichen Workshopreihen mit Älteren sind vielfältig und unterschiedlich. In einigen Fällen haben sich die beteiligten Älteren zusammengetan, um durch Aktivitäten und Aktionen auf Probleme aufmerksam zu machen, z.B. mit einem ›Sitzstreik‹ auf fehlende Bänke hinzuweisen. In anderen Fällen stand das gemeinsame Engagement, im Quartier etwas zu verbessern im Vordergrund, etwa durch die Organisation einer Büchertauschbox oder die Verschönerung des Stadtbildes durch Strickgraffiti. Bei Anderen hat sich ein neuer Blick auf das eigene Nutzungsverhalten ergeben, was mit individuellen Veränderungen einherging, so eine ältere Dame, die von nun an jeden Tag die Tageszeitung an einem jeweils anderen Ort (Cafe, Bücherei) lesen will, um sich selber zu ›zwingen‹ mehr Angebote ihres Quartiers wahrzunehmen und damit auch Kommunikationsanlässe zu ermöglichen. All diesen Ergebnissen ›im Kleinen‹ ist gemeinsam, dass die beteiligten Älteren einen bewussteren Blick auf ihre sozialräumliche Lebenswelt geworfen haben und in der einen oder anderen Weise damit nun neu umgehen, individuell oder als Gruppe. Ihre Wirksamkeit hinsichtlich der Gestaltung der Lebensbedingungen im Wohnquartier kann in der Regel nur dann einen größeren Umfang einnehmen, wenn es auch weitere Akteur_innen gibt, die sich für Veränderungen einsetzen und/oder wenn sie Unterstützung und/oder Einbindung durch professionelle Soziale Arbeit bzw. Stadtteilarbeit erfahren. Deutlich wurde, dass die sozialräumlichen Workshopreihen Ältere nicht nur beteiligen, sondern diese als Expert_innen ihres individuellen Sozialraums anerkennen. Dadurch wird bei den Beteiligten ein »sozialräumliche[r] Blick« (Deinet/Krisch 2002) gefördert, der Motivation und Ideen zur Veränderung sozialräumlicher Bedingungen in eigenen Perspektiven anstoßen kann. Dies kann – diese Erfahrung lässt sich nachzeichnen – ferner zu Vernetzungen zwischen den beteiligten Älteren führen, die sich auch Beendigung der sozialräumlichen Workshopreihe weiterhin treffen, verschiedene Projekte im Quartier umsetzen und damit auf dortige Lebensbedingungen mit ›Eigensinn‹ Einfluss nehmen. Sozialräumliche Methoden, die den Weg zu solchen Partizipationsprozessen bereiten, orientieren sich an der Lebenswelt der Älte-
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ren und können dadurch (a) die Handlungsfähigkeit Älterer erweitern und (b) Räume zur Reflektion von – vor Ort ersichtlichen – ›gesellschaftlichen Prozessen‹ schaffen (vgl. Bleck/Knopp/van Rießen 2013). Sozialräumliche Partizipationsprojekte mit Menschen mit Behinderungen6 Gerade auch durch das Konzept der Inklusion erlebt die Theorie der Sozialraumorientierung eine Möglichkeit der Anschlussfähigkeit. Inklusion nach der UN-Behindertenrechtskonvention beinhaltet den Grundgedanken, dass der Sozialraum, die Stadt, die Welt so zu verändern ist, dass niemand mehr exkludiert wird. Diesem höchst »normative[n] Integrationsverständnis« (Früchtel/Budde 2010, S. 108) stellt die Sozialraumorientierung ein anderes gegenüber, dass Inklusion als Prozess versteht. »Menschen werden inkludiert, wenn sie für andere relevant sind: Das ist ein funktionales Inklusionsverständnis« (ebenda, S. 106, Hervorhebung im Original). Das normative Integrationsverständnis geht dabei von einem inklusiven Sozialraum als Ergebnis aus, das funktionale Integrationsverständnis fokussiert hingegen den Herstellungsprozess und die Passung (vgl. ebenda, S. 109). Auf der Grundlage eines fachlichen Austauschs zu den Möglichkeiten der Inklusion von Menschen mit geistiger Behinderung im Wohnquartier und in der Nachbarschaft ergab sich die Möglichkeit ein sozialräumlich ausgerichtetes Projekt mit drei Einrichtungen für Menschen mit geistiger (und körperlicher) Behinderung durchzuführen. Die ausgewählten drei Einrichtungen sind dadurch gekennzeichnet, dass in ihnen Menschen mit unterschiedlichem Hilfebedarf leben. Eine Einrichtung ist konzipiert für Menschen mit komplexen Mehrfachbehinderungen und besonderem Unterstützungsbedarf, deren soziale Integration erheblich und langfristig beeinträchtigt ist, die zweite ist ausgerichtet im Rahmen einer ambulant betreuten Wohngruppe für Menschen mit geistiger Behinderung und in der dritten ambulanten Einrich-
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Zu der Durchführung vgl. ausführlich Knopp/van Rießen 2014.
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tung leben Menschen mit erworbener Hirnschädigung. Alle Einrichtungen sind dabei in unterschiedlichen Wohnquartieren beheimatet. Je eingeschränkter die Mobilität der Bürger_innen, desto mehr steht zunächst die Öffnung des Zugangs zu den Ressourcen im Wohnquartier und deren Aneignung im Mittelpunkt. Unter Aneignung wird hier ein aktiver Prozess verstanden, in dem Einzelne sich einerseits mit den Angeboten und den Zugängen auseinandersetzen und andererseits Entscheidungen treffen, diese zu nutzen. Dabei müssen unter Umständen Wege gefunden werden, mögliche Hindernisse und Barrieren zu überwinden. In einem weiteren Schritt lassen sich auch durch sozialräumliche Methoden und Beteiligungsverfahren Veränderungsvorschläge in Hinblick auf die Nutzung des Quartiers entwickeln. Entsprechend ihrem unterschiedlichem Hilfebedarf ist das Verfahren der Aneignung sozialräumlicher Ressourcen gestuft: von der Bedarfsermittlung ›was gefällt mir‹ über die Ermöglichung der Aneignung ›was ist neu für mich‹, ›was kann ich auf welche Weise nutzen‹ bis zur Entwicklung von Veränderungsvorschlägen. Ziel des sozialräumlich ausgerichteten Projektes war es, Möglichkeiten für Menschen mit geistiger Behinderung und unterschiedlichen intensiven Hilfebedarfen in Hinblick auf die Nutzung der Angebote im Wohnumfeld ihrer Einrichtung in den Blick zu nehmen und die subjektiven Interessen im Quartier unter dem Aspekt von Teilhabe zu ermitteln. Dazu wurden in allen drei Einrichtungen sozialräumliche Workshopreihen durchgeführt, die eingesetzten Methoden variierten dabei je nach den individuellen Hilfebedarf der Beteiligten. Als Vorbedingung für die (Weiter-)Entwicklung und der Anpassung der sozialräumlichen Methoden diente dabei allen sozialräumlichen Workshopreihen ein Vorgespräch mit den professionellen Fachkräften, sowohl um die unterschiedlichen Hilfebedarfe abzufragen als auch um das Projekt und die Durchführenden bei den Beteiligten vorzustellen. Die angewandten Methoden wurden dabei jeweils so ausgestaltet, dass eine Mitwirkung aller möglich war. In der Ergebnisperspektive wurde deutlich, dass im Hinblick auf die Zielstellung – neue Ressourcen für die Beteiligten im Wohnquartier
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zu erschließen – eine realistische Einschätzung der individuellen Handlungsfähigkeit und des individuellen Hilfebedarfs von Nöten ist. Aufgrund der Unterschiedlichkeit der Beteiligten konnte dies nur durch die Unterstützung der Fachkräfte geschehen, denen somit eine wichtige Rolle für die Aneignung neuer Ressourcen zukommt. So war es in einer Einrichtung den Beteiligten aufgrund ihres Hilfebedarfs nicht möglich, auf einer Karte Orte zu identifizieren (Nadelmethode), die sie als positiv bewerteten. Mit dem Einsatz von Fotografien konnte dies jedoch in großen Ansätzen erreicht werden. Bei dem Besuch der ausgewählten Orte und insbesondere beim Aufsuchen von neuen Orten – die unter Umständen eine Ressource im Wohnquartier für die Beteiligten darstellen können – wurde deutlich, dass es von großer Bedeutung war, die Reaktionen zu beobachten und die Beteiligten soweit wie möglich zu ihrer Bewertung zu befragen. Insbesondere neue Orte, die positiv bewertet wurden, sind auf ihre Aneignungsqualität zu prüfen und sollten mit den Beteiligten häufiger besucht werden. Bezogen auf die beiden Gruppen des ambulanten Wohnens wurde deutlich, dass die Handlungsfähigkeit deutlich größer war, aber auch hier im Hinblick auf die Nutzung des Quartiers Unterschiede erkennbar waren. Seitens der professionellen Fachkräfte waren in beiden Wohnprojekten Ausflüge zu attraktiven Orten außerhalb des Nahraums in der Vergangenheit organisiert worden. Um die Handlungsfähigkeit der Beteiligten zu erweitern, macht es darüber hinaus Sinn, den Zugang zu materiellen (Einkauf, Freizeit) und auch personellen (Vernetzung) Ressourcen im Wohnquartier zu öffnen, um diese auch im Alltag jenseits von Ausflügen nutzen zu können. Da – unabhängig von den beteiligten Einrichtungen – nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Fachkräfte das Wohnquartier besonders gut kennen, ist es relevant, dass diese mit dem Wohnquartier beispielsweise durch Begehungen vertraut werden. Darüber hinaus ist eine systematische Sozialraumqualifizierung der Fachkräfte von großer Bedeutung. Diese muss neben den Sachinformationen auch das Kennenlernen von potenziellen Partner_innen und Schlüsselpersonen – denen im Wohnquartier eine wichtige Rolle zukommt – beinhalten.
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Eine sozialräumlich ausgerichtete Arbeit mit Menschen mit geistiger Behinderung muss dabei langfristig und kontinuierlich erfolgen. Die unabdingbare Ermittlung des individuellen Interesses hinsichtlich der Nutzung von Angeboten im Nahraum und die Öffnung des Zugangs zu Ressourcen ist dabei als Steigerung der Lebensqualität und der Erweiterung der Handlungsfähigkeit zu definieren. Im Hinblick auf die Zielgruppe der Menschen mit geistiger (und körperlicher) Behinderung ist deutlich geworden, dass Unterstützung und Kontinuität gewährleistet sein müssen, damit diese Zielstellung erreicht werden kann. Sozialräumliche Partizipationsprojekte als Möglichkeit des Dialogs der Generationen7 In einem Stadtteil in Köln hatten die Fachkräfte beobachtet, dass ein Gruppe Jugendlicher und junger Erwachsener verstärkt öffentliche Plätze im Wohnquartier nutzte und sich dadurch andere – vorwiegend ältere – Bürger_innen beängstigt und besorgt fühlten, wenn sie die entsprechenden Plätze in Anspruch nehmen wollten. Im Zuge des Austausches um diese bestehenden Problematik entschieden sich die Fachkräfte vor Ort sozialräumliche Methoden einzusetzen, mit dem Ziel den »sozialräumlichen Blick« (vgl. Deinet/Krisch 2002) der beteiligten Bürger_innen zu schulen, verbunden mit der Hoffnung, dass dadurch die verschiedenen Perspektiven für die jeweiligen ›Anderen‹ sichtbar werden. In dem vorgestellten Beispiel sollte durch den Einsatz der sozialräumlichen Methoden darüber hinausgehend ein weiteres Ziel erreicht werden, die unterschiedlichen Beteiligten sollten miteinander über die Nutzung des Wohnquartiers in den Dialog gebracht werden. Dazu wurden für beide 8 Gruppen die ›gleiche‹ sozialräumliche Workshopreihe konzipiert, so dass beide Gruppen im Vorfeld parallel
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Zu der Durchführung vgl. ausführlich van Rießen 2013.
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Dabei gab es sowohl die Gruppe der jungen Erwachsenen und Jugendlichen als auch die Gruppe der Älteren. Die Gruppe der jungen Erwachsenen und Jugendlichen setzte sich dabei aus jenen interessierten Jugendlichen
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zueinander die objektiv gleichen Themen mittels der gleichen sozialräumlichen Methoden bearbeiteten, die im Folgenden durch die subjektive Bewertung (stark) voneinander differenzierten. Beide durchführenden Fachkräfte wurden dabei geschult und wissenschaftlich begleitet in der Anwendung der sozialräumlichen Methoden, sie führten im Weiteren jeweils mit ›ihrer Gruppe‹, jedoch aufeinander abgestimmt, die sozialräumliche Workshopreihe durch. Die sozialräumliche Workshopreihe war dabei so konzipiert, dass zwei abschließende Bausteine gemeinsam durchgeführt wurden sowohl der sozialräumliche Generationen-Dialog als auch eine gemeinsame Stadtteilbegehung. Die Fachkräfte führten jeweils mit ›ihrer Gruppe‹ die sozialräumliche Workshopreihe durch. Um einen Austausch zu gewährleisten, nahm jedoch die Fachkraft, die den Workshop mit den Beteiligten der Interessensgemeinschaft leitete, auch bei der Durchführung der sozialräumlichen Workshopreihe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen teil. Damit verbunden konnten die Aktivitäten besser aufeinander bezogen werden, als auch die Jugendlichen und jungen Erwachsenen immer direkt ihre Fragen und Informationen »Haben die anderen das auch gemacht?« klären konnten. Gleichzeitig wurde dadurch auch bei der Gruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen das Interesse geweckt, die Ergebnisse der anderen Gruppe kennenzulernen und ihre eigenen zu präsentieren. Neben der Schulung und Begleitung gab es einen engen fachlichen Austausch mit dem Sozialraumkoordinator, der das Projekt initiiert hatte, sowie der zuständigen Jugendpflegerin, um bestehende Problematiken im Vorfeld auszuräumen, keine falschen Erwartungen aufzubauen und auf bestehende im Quartier vorhandene Ressourcen (Räume u.a.) zurückgreifen zu können. Diese Gespräche im Rahmen eines fachlichen Austausches dienten dabei auch der Überprüfung bisheriger Vorgehensweisen und der gemeinsamen Absprache. Zudem boten sie die Möglichkeit der Reflexion.
und jungen Erwachsenen zusammen, die die öffentlichen Plätze nutzen, während die Gruppe der Älteren aus Interessierten einer Interessensgemeinschaft für den betreffenden Stadtteil bestand.
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In der Auswertung konnte zusammenfassend festgestellt werden, dass die sozialräumliche Workshopreihe Einblicke erlaubte in die jeweils anderen Lebens- und Aktionsräume. Gleichwohl wurde deutlich, dass diese Arbeit eine Fortsetzung erfahren muss, um Bestand zu haben. Dabei geht es hier vorrangig um gemeinsame Aktionen, die den gemeinsamen Bezug – die Nutzung des Wohnquartiers – in den Vordergrund stellen. Durch die gemeinschaftlichen Aktivitäten sowohl innerhalb der ›eigenen‹ als auch in der ›gesamten‹ Gruppe konnten die Beteiligten ihre individuelle Handlungsfähigkeit durch das Verfolgen kollektiver Ziele erweitern. Zudem wurde deutlich, dass eine Reflexion hinsichtlich der eigenen Nutzung gefördert werden konnte: Wenn die Beteiligten sich mit den Angeboten und der infrastrukturellen Ausstattung ihres Wohnquartiers auseinandersetzen, werden sie gleichzeitig mit der Frage konfrontiert, welche Angebote aus welchem Grund für die eigene Person (nicht) von Interesse sind. Parallel wird bei dem Bezug der beiden Gruppen deutlich, dass jeweils differente Ursachen die Nutzung ermöglichen oder verhindern; dabei führt ein Dialog dazu, diese Prozesse sichtbar zu machen. Somit konnte festgestellt werden, dass bei den Beteiligten Ängste und Vorurteile hinsichtlich der Nutzung bestimmter Räume abgebaut werden konnten. So haben die Älteren konkret erfahren, dass die Jugendlichen und jungen Erwachsenen sich nicht an der S-Bahnstation aufhalten, um andere zu bedrohen, sondern dass dieser Ort den Jugendlichen und jungen Erwachsenen Möglichkeiten des Aufenthalts bietet, die ihren Bedürfnissen gerecht werden. Die Beteiligten haben eine andere Qualität von Selbstwirksamkeit erfahren und erlebt, dass sie sich für gewünschte Bedingungen und Veränderungen im Quartier einsetzen können. Dabei reichen hier schon ›kleine‹ Schritte: Wenn die Beteiligten erleben, dass sie sich täglich auf der Straße grüßen, dass der Ballspielplatz hergerichtet wird oder auch, dass ein Gespräch mit dem/der Leiter_in der öffentlichen Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtung über das Hausverbot zustande kommt, erleben sie sich als aktive Akteur_innen ihres Quartiers. Indessen ist unverkennbar, dass ein sozialräumliches Projekt nur ein Anstoß sein kann und Einblicke in die Lebenswelt der anderen Be-
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teiligten eröffnet. Damit der Dialog zwischen den Generationen bestehen bleibt, bedarf es weiterer Aktionen und Unterstützungen. Dazu gehört auch, dass beide Gruppen gleichberechtigt agieren können und dürfen, ohne das die Sorge bestehen muss, vereinnahmt zu werden oder mit Normen und Werten konfrontiert zu werden, die nicht dem Einzelnen entsprechen. Damit sich der grundsätzlich auf Partizipation ausgerichtete Charakter im Einsatz von sozialräumlichen Methoden realisieren lässt, bedarf es zudem bestimmter Rahmenbedingungen (vgl. van Rießen/Bleck 2013). Dabei ist neben der fachlichen Anleitung und Moderation insbesondere die Sicherung einer nachhaltigen Begleitung bedeutsam und dies in dem Ausmaß, wie sie von den Akteur_innen eingefordert und benötigt wird. Ein Mehr an ›Partizipation‹ bedarf auch ein ›Mehr‹ an professioneller Unterstützung Die aufgeführten Praxisbeispiele verdeutlichen, dass gesellschaftliche Teilhabe für viele Menschen in ihrer unmittelbaren Lebenswelt beginnt bzw. beginnen muss. Dabei geht es, je nach Ausgangslage der Beteiligten, in Hinblick auf die Möglichkeit eigene Interessen zu artikulieren und zu realisieren, oft zunächst darum ›kleine Schritte zu gehen‹. Entscheidend ist dabei die Richtung, in der diese Schritte gegangen werden: Trägt die Teilnahme am Prozess dazu bei, Menschen zu befähigen, zu »Subjekten politisch aktiven Handels und Lernens« (Oelschlägel 1997, S. 37) zu werden? Können sie die Erfahrungen machen, dass es sich für sie lohnt, sich zu engagieren und mit anderen zu solidarisieren? Gewinnen sie sowohl bezogen auf das konkrete Thema des Beteiligungsprozesses neue Handlungsoptionen als auch Erfahrungen, die auf ein Mehr an Ansprüchen verweisen und sie darin bestärken ein mehr an Rechten einzufordern? Sozialräumliche Methoden können so eingesetzt werden, dass Menschen in Auseinandersetzung mit ihren konkreten Lebensverhältnissen Unterstützung erfahren und sind damit potentiell eine Ressource. Damit ihnen der Status einer Ressource im Hinblick auf Partizipa-
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tionsprozesse real zukommt müssen bestimmte Rahmenbedingungen erfüllt sein: Partizipationsprozesse müssen langfristig und kontinuierlich angeboten und verankert sein, damit die (aufkommenden und entstandenen) Bedarfe der Beteiligten die Möglichkeit der Umsetzung erfahren. Dazu ist es wichtig, den subjektiven Bedarfen Raum zu geben und diese nicht an institutionelle oder gemeinwohldienliche Belange anzupassen. Dazu braucht es einer reflexiven, kritischen und neutralen Haltung der Durchführenden und besonderer Handhabungen und Begleitungen innerhalb der Methoden, die eine Ansprache und Mitbestimmung aller Beteiligten sicherstellt. Auch den Orten der Durchführung kommt eine besondere Relevanz zu, ›neutrale und niedrigschwellige‹ Orte fördern die Akzeptanz und Beteiligung. Weiterhin sorgt eine stete Transparenz – in Form von Protokollen, Zwischenberichten in verständlicher, an den Beteiligten ausgerichtete Sprache – für ein kontinuierliches ›Im-Bilde-Sein‹. In welcher Art und Weise die im Rahmen der Beteiligung gemachten Erfahrungen letztlich auf tatsächliche Mitbestimmung und Teilhabe verweisen und sich nicht nur auf eine Alibi-Beteiligung fokussieren, ist des Weiteren sowohl abhängig von der inhaltlichen Ausrichtung der Angebote als auch von den Erfahrungen, die die Beteiligten gemacht haben. Dies wird auch am Beispiel des Projektes »LiW«9 von der Fachhochschule Dortmund – durchgeführt im Gelsenkirchener Stadtteil Schalke – deutlich: Hier wurden in hohem Maße ältere Menschen in Armutslagen und Armutsnähe erreicht und längerfristig in einen Beteiligungsprozess eingebunden. Zu Beginn des Projektes haben die Beteiligten ihre eigenen Möglichkeiten, für die Gestaltung ihres Quartiers wirksam zu werden, sehr kritisch bewertet. So fand die abgefragte Kategorie »Fühle mich im Projekt nicht ernst genommen« zu Beginn eine Zustimmung von ca. 40 %. Nach zahlreichen moderierten Beteiligungsforen konnte diese negative Einschätzung der eigenen Bedeutung im Prozess auf fast 10 % reduziert werden (Rüßler/Stiel 2013, S. 26ff.). Bemerkenswert ist, dass die
9 www.fh-dortmund.de/de/fb/8/forschung/projekte/liw/index.php [Zugriff am: 02.04.2014]
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Stadtverwaltung Gelsenkirchen als Projektpartner den Gewinn gesehen hat, den ein solches Verfahren für die Kommune bringen kann und, obwohl finanziell nicht gerade gut aufgestellt, das Verfahren auch über den Projektzeitraum hinaus mit finanziellen Mitteln, insbesondere für die fachliche Begleitung und Moderation, unterstützt. Sozialräumliche Methoden können somit eine Möglichkeit darstellen, die Beteiligten prozesshaft in der Auseinandersetzung mit ihrer räumlichen Lebenswelt zu stärken. Die aktive Auseinandersetzung mit dem eigenen Wohnquartier bietet für die Beteiligten die Chance, als Subjekte ihre eigene Wirksamkeit zu erleben und ihre Handlungsfähigkeit durch gemeinsames Aktivsein zu erweitern. Im günstigen Fall führen solche Aktivitäten auch zu Formen weiterer sozialer und politischer Partizipation und damit zu einem ›mehr an Teilhabe‹ an gesellschaftlichen Prozessen. So entstandene Handlungsräume, können ferner eine mögliche Gegenwelt zu gesellschaftlichen Enteignungsprozessen herstellen und damit zu Orten von Autonomie und Selbstgestaltung werden (vgl. dazu Grunwald/Thiersch 2005, S. 1138f.). Literatur Alisch, Monika/May, Michael (2008): Einleitung: Kompetenzprofil Sozialraumentwicklung und Sozialraumorganisation. In: Alisch, Monika/May, Michael (Hg.): Kompetenzen im Sozialraum. Sozialraumentwicklung und -organisation als transdisziplinäres Projekt. Opladen, 7-17. Alisch, Monika/May, Michael (2013): AMIQUS – Unter Freunden. Ältere Migrantinnen und Migranten in der Stadt. Beiträge zur Sozialraumforschung, Bd. 8, Opladen/Berlin/Toronto. Bleck, Christian/van Rießen, Anne/Knopp, Reinhold (2013): Der Blick Älterer auf ›ihr Quartier‹. Methoden und Instrumente für die sozialräumliche Arbeit mit älteren Menschen. In: Sozialmagazin 38. 517.
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Sozialarbeitspolitik in Armutsgebieten Überwindung politischer Apathie durch Handlungs-, Themen- und Personenzentrierung W ERNER S CHÖNIG »Geschrieben steht: ›Im Anfang war das Wort!‹ Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort? Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen, Ich muss es anders übersetzen, Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin. […] Mir hilft der Geist! Auf einmal seh ich Rat Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat!« Goethe (1808): Faust, Erster Teil, Studierzimmer, 1124-1237.
Einleitung In der Studierzimmerszene sehnt sich Goethes Faust nach einer Offenbarung »die nirgends würd’ger und schöner brennt, als in dem neuen Testament«. Faust übersetzt dazu nun den Prolog des Johannesevangeliums: »Am Anfang war das Wort«. Hier stockt er bei der Übersetzung und erwägt alternative Begriffe zu ›Wort‹. Am Ende ›hilft‹ ihm der Geist, er ›sieht‹ den Rat und schreibt getrost: »Am Anfang war die Tat.«
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Eine laienhafte Interpretation der berühmten Szene könnte lauten: Die Handlung des Geistes (es hilft der Geist) lässt den in Worten verstrickten Intellektuellen sinnlich erfahren (er sieht den Rat), dass die Tat der Ursprung der Welt ist: Es gilt der Vorrang der Tat vor dem Wort. Diesen handlungsorientierten Ansatzgilt es zu beherzigen, wenn Hochschullehrer über das Politik-Machen in Armutsgebebieten sprechen. Der folgende Beitrag ist sich dieser Problematik bewusst und skizziert die Möglichkeiten und Grenzen aktiven Politik-Machens in Armutsgebieten. Die dortige Bevölkerung ist aus verschiedenen, gravierenden und komplexen Gründen wenig politisch aktiv, ein Problem, das allein durch Soziale Arbeit kaum gelöst werden wird. Gleichwohl bieten sich in der Theorie und Praxis relevante Ansätze zur Sozialarbeitspolitik unter besonders schwierigen Bedingungen. Ein Kernpunkt ist dabei die Theorie der Handlungs- und Aktionsorientierung, für die besondere Methoden der Sozialen Arbeit entwickelt wurden. Grundfragen des aktiven Politik-Machens in Armutsgebieten Dialektik der Repolitisierung Sozialer Arbeit Seit den 1980er Jahren dominieren in der Sozialen Arbeit einzelfallbezogene bis hin zu therapeutischen Handlungskonzepten. Ihnen gegenüber ist der politische Handlungsansatz heute in den Hintergrund gerückt. Dabei scheint diese Vernachlässigung des Politischen in der Sozialen Arbeit ein international zu beobachtendes Phänomen zu sein. Traditionelle Konzepte und Methoden wie die aggressive Gemeinwesenarbeit, die Skandalisierung sozialer Missstände und das selbstbewusste Auftreten von und mit Randgruppen sind sowohl in den reichen Industriestaaten als auch in der entwicklungspolitischen Tätigkeit von NGOs kaum noch vorhanden. Selbst dort, wo international in den letzten Jahren Bürger_innenbewegungen einen politischen Umbruch erzwungen haben, scheint ihre Politisierung eher etwas Episodenhaftes in sich zu haben. Vor allem ist nicht zu beobachten, dass sich in diesen
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Ländern Programmparteien und eine Parteiendemokratie nach westlichem Muster entwickeln. Stattdessen sind selbst diese Revolutionen stark individualistisch und auf Clanstrukturen hin geprägt und entsprechend fragil in ihrer westlich-demokratischen Perspektive. Ausnahmen mögen auch hier die Regel bestätigen, jedoch lassen grundlegende gesellschaftliche Trends (Individualisierung als Teil des Modernisierungsprozesses, Familie als Rückhalt in wirtschaftlichen Krisen, Bedeutungsverlust politischer Programmatik u.a.) vermuten, dass dieser Rückzug der Sozialen Arbeit ins Private tiefer liegenden strukturellen Ursachen folgt. Die Soziale Arbeit im Deutschland der Berliner Republik lebt auch ohne das autonom Politische sehr gut. Normalität, Konformität, Privatheit, Sicherheit, Nüchternheit, Alternativlosigkeit, Patriotismus – Konrad Adenauer winkt uns freundlich zu und gibt seinen Enkeln von der Sozialdemokratie den Bruderkuss. Deutschland, Land der Irenik und ein politisches Wintermärchen. Soziale Arbeit, bleib bei deinen Leisten. Doch zum Glück lebt die soziale Welt dialektisch, also widersprüchlich und ist daher immer in Bewegung. Je konformistischer und unpolitischer die Studierenden, Praktiker_innen und Lehrenden der Sozialen Arbeit denken und handeln, je stärker also die Desertifikation der politischen Landschaft voranschreitet, desto wahrscheinlicher regt sich der Widerspruch in Wort und Tat. Die Art der Reaktion lässt allerdings tief blicken: Man sucht eher nach dem Weltgeist und weniger nach dem Klasseninteresse. Es werden – um im Bild zu bleiben – eher Apfelbäume gepflanzt und in der Wüste künstlich bewässert als die strukturellen Ursachen der Verwüstung zu stoppen. Es ist daher sehr spannend, die Reichweite, Grenzen und Formen dieser Repolitisierung der Sozialen Arbeit konkret zu beobachten. Zwei Politisierungslinien Sozialer Arbeit zeichnen sich heute und hierzulande ab: Zum einen wurde bereits im Jahr 2005 der ›Arbeitskreis kritischer Sozialer Arbeit‹ (AKS) gegründet, der heute auf eine beachtliche Zahl an Regionalgruppen und einige offizielle Dokumente verweisen kann. Der Terminus ›kritisch‹ ist dabei wohl als Bezugnahme zur Frankfurter
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Schule (Adorno, Marcuse u.a.) und ihrer ›kritischen Theorie‹ zu verstehen. Dies macht insofern Sinn, als sich die Frankfurter Schule im neuen Positivismusstreit positioniert hatte und die Soziale Arbeit heute in einer analogen Situation steckt. Damals wie heute ist es die Frage, ob sich die Soziale Arbeit in die Rolle eines rein ausführenden Instruments der Sozialpolitik drängen lässt. Die kritische Theorie der Sozialen Arbeit stemmt sich dem entgegen und betont, dass eine positivistische Position letztlich die Macht der Mächtigen stärkt und daher nicht akzeptabel ist. Erste Erfolge sind zaghaft, jedoch bietet gerade die Basisarbeit dem Arbeitskreis die Gelegenheit, Hochschullehrer_innen, Praktiker_innen und Studierende in einen Diskurs zu bringen und ihre Argumente zu schärfen (AKS 2014). Ungefähr gleichzeitig zur Gründung des AKS brachten vor allem Rieger u.a. die Sozialarbeitspolitik auf die Agenda der Sozialen Arbeit. Hier geht es weniger um gesellschaftspolitische und ideologische Analysen und Diskurse. Der Sozialarbeitspolitik geht es vielmehr um das konkrete Politik-Machen durch die Soziale Arbeit auf den verschiedenen politischen Ebenen, angefangen bei internationalen Organisationen bis hin zur Stadtteilarbeit. Dazu wurde unterdes auch eine Fachgruppe ›Politik Sozialer Arbeit‹ in der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit gegründet, die bereits zwei Sammelbände zu den zentralen Themen vorgelegt hat. Tatsächlich herrscht zum konkreten PolitikMachen in der Sozialen Arbeit eine fast schon tragische Distanz in Forschung und der Lehre, so dass man sich den politischen Prozessen völlig unvorbereitet gegenübersieht. Die Sozialarbeitspolitik soll daher das Verständnis für die Bruchlinien und für die Abläufe politischer Prozesse schärfen und so einen wesentlichen Beitrag für Disziplin und Profession leisten (Benz/Rieger/Schönig/Többe-Schukalla 2013/2014). Offenbar gibt es zwischen diesen beiden Politisierungslinien unterschiedliche Akzente, welche ihr Nebeneinander zunächst einmal begrüßenswert erscheinen lassen. Das weite Feld der Politik lässt der Sozialen Arbeit Platz für mehrere Höfe und unterschiedliche Bewirtschaftungsformen.
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Zur politischen Apathie der Bevölkerung Wie andernorts ausführlich beschrieben, zeichnen sich städtische Problemgebiete/Armutsgebiete/soziale Brennpunkte dadurch aus, dass in ihnen erstens mehrdimensionale soziale Problemlagen häufiger vorkommen (sogenannter A-Faktor aus Arbeitslosigkeit, Armut und Ausländerstatus nebst einer Vielzahl begleitender Problemlagen). Zweitens hält diese Häufung von Multiproblemlagen seit einem längeren Zeitraum an, ist also verfestigt, so dass über Prozesse der sozialen Segregation eine Entmischung der Sozialräume entstanden ist. Die Armutsgebiete befinden sich nun in einem Prozess kumulativer Verstärkung, der eben nicht über Ausgleichsprozesse abgemildert oder gar umgekehrt wird, sondern – Ausnahmen (Gentrifizierung) belegen die Regel – zu einer tendenziellen Abspaltung von der sonstigen Stadtgesellschaft führt. Dieser Prozess ist sehr real und materiell bedingt. Die kritische Theorie würde betonen: Der Verfestigungsprozess ist kein Teufelskreis, sondern Menschenwerk (Schönig 2014, S. 68-74). Im Ergebnis hat in den Armutsgebieten die ›Normalität‹ einen anderen Begriffsinhalt. Hier leben – so eine gängige Formulierung – benachteiligte Menschen in einem benachteiligenden Quartier. Bemüht man den Unterschichtbegriff, so ist die gesellschaftliche Perspektive der Bewohner_innen in Armutsgebieten plastisch mit der Formel ›Wir hier unten, ihr da oben‹ beschrieben. Die Folge hiervon ist in der Regel politische Apathie. Sie kann auf mehrere Ursachen zurückzuführen sein, die im Einzelfall natürlich unterschiedlich starkes Gewicht haben (vgl. auch Schönig 2014a). Folgende sechs Ursachen politischer Apathie in Armutsgebieten können unterschieden werden: a) Politik ist eine Form der komplexen sprachlichen Interaktion und dies benachteiligt sehr nachdrücklich jene, die sprachlich nicht komplex interagieren können. Wer über keine hinreichenden Nuancen im Ausdruck verfügt, wer keine politischen Papiere erfassen kann und wem sich die politischen Sachverhalte und Differenzierungen nur unter großen Mühen erschließen, für den liegt Politik außerhalb der eigenen
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Lebenswelt. Bildungsapathie ist in diesem Sinne zunächst einmal ein sprachlich induziertes Problem. b) Zudem entspricht des der Lebenserfahrung vieler sozial Benachteiligter, dass sie den Staat nicht als positiv und helfend erleben, sondern ihn als negativ und sanktionierend – in diesem Sinne als feindlich – einschätzen. Erfahrungsquellen hierfür sind zum einen ein häufig problematischer Umgang mit der Sozial- und Arbeitsverwaltung bis hin zum Jugendamt und der Justiz, welcher nicht selten in drastischen Geschichten kolportiert und verstärkt wird. Zum anderen ist bei Bewohner_innen mit Migrationshintergrund ein kultureller Aspekt relevant, da sie in den Heimatländern (z.B. Südosteuropa, Russland, Afrika u.a.) die Staatsmacht als korrupt, willkürlich und gewalttätig erlebt haben. Hat man die Referenzsituation einer denkbar schlechten Governance vor Augen, vor der man sogar geflohen sein mag, so ist es nachvollziehbar, wenn man sich zum Staat auf Distanz hält und stattdessen mehr auf die Familie und Wahlverwandtschaft vertraut. Dies gilt umso mehr, wenn man keinen legalen Aufenthaltsstatus hat. c) Die Wahlbeteiligung ist in Armutsgebieten unterdurchschnittlich hoch. Die Wahlberechtigten gehen aufgrund ihrer Distanz zum politischen System nur zum geringen Teil wählen. Dies ist aus der Mittelschichtsperspektive seit langem als Paradoxon bekannt, da ihre stärkere Abhängigkeit von Sozialtransfers eigentlich nahelegen würde, sich besonders stark politisch zu engagieren. Zudem verfügt je nach Wahl ein mehr oder weniger großer Anteil der Bevölkerung im Armutsgebiet über kein Wahlrecht. Dies verringert die ohnehin geringe Wahlbeteiligung der Bevölkerung zusätzlich und macht es für die Politik unattraktiv, sich für den Stadtteil zu engagieren. d) Auch beratend arbeiten Bewohner_innen von Armutsgebieten nur selten in der Politik mit. Sie sind mangels besonderer politischer Kompetenzen kaum in Ausschüssen (als sachkundige Bürger_innen) oder in Arbeitskreisen der Fraktionen (als informelle Mitglieder) vertreten.
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e) Initiativen der direkten Demokratie richten sich sehr selten auf sozialpolitische Themen. Auch hier könnte sich ein Weg der gleichsam niedrigschwelligen politischen Tätigkeit eröffnen. Die Erfahrungen mit Bürger_innenbegehren u.a. Formen der direkten Demokratie zeigt jedoch, dass sie sich meist mit Mittelschichtsthemen im Bereich Umweltschutz, Kultur und Verkehr befassen und dies insbesondere dann, wenn Angehörige der Mittelschicht um ihre Wohnqualität und ihren Immobilienwert fürchten. Sozialpolitische Themen eignen sich offenbar nicht für eine solchermaßen formalisierte Skandalisierung. f) Gewählte Politiker_innen auf unterschiedlichen Ebenen nehmen das Armutsgebiet als Objekt der Politik, nicht aber eigenen Wohnort war. Sie wohnen nur selten bis nie in Armutsgebieten, sondern in den netteren Mittelschichtsstadtteilen oder am Stadtrand. Selbst wenn sie in den Gebieten aufgewachsen sein sollten und hier ihren Wahlkreis haben, distanzieren sie sich oftmals im Zuge des sozialen Aufstiegs und ziehen aus dem Armutsgebiet fort. Auch wenn ein Sozialraum z.B. als Stadtteil mit besonderem Erneuerungsbedarf ausgewiesen wird, ist dies eine Top-Down-Entscheidung der Politik unter starker Mitwirkung der Kommunalverwaltung (Stadtentwicklung, Soziales). Die Entscheidung ist nicht Ausdruck einer Bürger_inneninitiative vor Ort. Neben diesen Aspekten könnten vermutlich noch andere Ursachen der politischen Apathie in Armutsgebieten benannt werden. Jedoch zeigen schon diese wenige Stichworte, wie tief gehend die Problematik der Sozialarbeitspolitik gerade dort ist, wo sie besonders benötigt wird. Theoretische Ansätze Die Komplexität der Hemmnisse eines politischen Engagements der Bewohner_innen in sozialen Brennpunkten macht es unwahrscheinlich, dass konventionell-politische Arbeit an einzelnen Aspekten hier zu nachhaltigen Erfolgen führen wird. Es liegt eine Multiproblemlage mit vielen Interdependenzen vor, für die ein entsprechend ganzheitlich an-
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derer Ansatz der Sozialarbeitspolitik notwendig erscheint. Dieser Ansatz wird im Folgenden zunächst theoretisch begründet.
Demokratie als Lebensform: Politik-Machen ist Handlung Sozialarbeitspolitik in Armutsgebieten wird nur gelingen, wenn sie langfristig angelegt ist, von der Glaubwürdigkeit der Akteur_innen getragen wird und – vor allem – immer die konkrete Handlung zur Problemlösung im Blick hat. Dieser handlungsorientierte Ansatz des Politik-Machens setzt an den Hauptproblemen der politischen Apathie in Armutsgebieten an: Er verbalisiert nicht primär, integriert dafür jedoch ein breites Spektrum von Kompetenzen und steht auch jenen offen, die sich rein rechtlich an politischen Prozessen nicht beteiligen können. Kurzum: Jene Demokratie als Lebensform, wie sie prominent George Dewey entwickelt und gelebt hat (Dewey 2000; Haak 2006, S. 39) ist eine Vision des praktischen Politik-Machens. Nicht nur geographische Räume werden durch Handlungen gemacht, auch politische Räume werden durch Handlungen eröffnet (Schönig 2014, S. 24f.). Deweys handlungsorientierter Demokratiebegriff basiert auf Visionen und handelnden Akteur_innen und verschiedenen Rückkopplungsprozessen, in denen Wirklichkeitsbeschreibungen, Ziele, Probleme, Lösungen und neue Wirklichkeitsbeschreibungen im Prozess des Handelns und der Bewährung beständig aufeinander folgen (Reich 2008, S. 28 und S. 32). Demokratie ist für ihn eine Lebensform; sie ist wie ein großes Haus, das ständig der Renovierung bedarf. Sie ist als Teil der Moderne noch unfertig (Dewey 1989, S. 203). Eben jenes Unfertige der Demokratie ist ein entscheidender Ansatzpunkt für Handlungsansätze in Armutsgebieten. Das Politische, was ihren Bewohner_innen als von oben oktroyiert und hermetisch abgeschlossen erscheint, ist daher zunächst einmal als unfertig und beeinflussbar wahrzunehmen. Daran anschließend sind es vor allem Handlungen, welche Druck auslösen und politische Wandlungsprozesse bewirken können. Dabei sind zwei Handlungstypen zu unterscheiden:
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Handlung kann dabei zum einen in Protest und Skandalisierung durch Aktionen bestehen, die auf Missstände hinweisen. Darüber hinaus ist Handlung sehr häufig Selbsthilfe zur Lösung eines sozialen Problems vor Ort. Diese wird dann politisch wahrgenommen. Jede dieser Handlungen ist nur als Gruppenaktion denkbar. Die isolierten Denker_innen, Bürger_innen und Politiker_innen weicht dem kreativen, tatkräftigen Kollektiv, das von Optimismus getragen wird. Es gilt also auch hier, bei den Bewohner_innen die Selbstwirksamkeitsvermutung zu bestärken, Erfolgsgeschichten zu erzählen, Ressourcen in Netzwerken zu aktivieren und kreative Lösungen kollektiv zu entwickeln. Das allein zweifelnde und allein kreative Individuum wird abgelöst von einer gemeinsamen Bewältigung realer Handlungsprobleme (Joas 1992, S. 12). So ist für Dewey – wie auch für viele nachfolgende Denker_innen wie etwa Habermas und auch mit Blick auf Hannah Arendts Vita activa – die Demokratie nicht nur eine Lebensform unter vielen, sondern ein soziales Ideal, dass dem einzelnen Menschen die meisten Interaktionsmöglichkeiten für ein erfülltes Leben bietet. Die offene Gesellschaft und ihre Demokratie sind auf diese permanenten Handlungs-Lern-Revolutionen angewiesen (Nagl 1998, S. 129). Durch dieses Lernen wird ihre zukünftige Lernfähigkeit erhöht. Diktaturen hingegen scheitern daran, dass in ihnen keine freie Handlung möglich ist. Sie lernen daher pathologisch, in dem die Vergangenheit und begrenzte Erfahrungen überbewertet, mögliche Überraschungen hingegen ausgeschlossen werden (Deutsch 1970, S. 329). Das aktive Politik-Machen in Armutsgebieten ist ein mögliches Labor der Demokratie für Überraschungen aller Art, für Protest und Selbsthilfe, von der die gesamte Gesellschaft profitieren kann (Dewey 2000, S. 77 und S. 80-99). Praktisch wurde dieses Verständnis von Demokratie zum einen in der von Dewey in Chicago begründeten und geleiteten Reformschule (Dewey School) und zum anderen in dem ebenfalls in Chicago gleichzeitig von Jane Addams und anderen ge-
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gründeten Nachbarschaftshaus (Hull House) umgesetzt. Beide propagierten demokratisches Learning by doing planvoll und experimentell. Die Situation: Staunen, Komplexität und Handeln Will man durch die Soziale Arbeit das praktische Politik-Machen in Armutsgebieten unterstützen, so ist zunächst einmal die Situation vor Ort wahrzunehmen. Das ist keineswegs trivial, und wird mit zunehmender Berufs- und Lebenserfahrung der Aktiven in der Sozialen Arbeit zunehmend schwerer. Es gilt, der eigenen Perspektivverengung entgegenzuwirken. Die Existenz des Menschen im »Situationsstrom des sozialen Lebens« (Sloterdijk 2012, S. 354, vgl. auch S. 98) erfordert bereits die Erfassung einer Situation – wie seit Richmond und Salomon in der Sozialen Arbeit bekannt – eine komplexe Konstruktionsleistung (Schönig 2012, S. 216f.). Sie schließt die Notwendigkeit ein, der Situation offen entgegenzutreten und »das Staunen wieder zu gewinnen« (Kleve/Wirth 2009, S. 40). Staunen wird dabei nicht im naiven Sinne verstanden, sondern als bewusste Haltung, die trotz aller Routine und Standardisierung verteidigt und eingeübt werden muss. Gefordert ist die Fähigkeit des Routiniers, sich vom Fall überraschen zu lassen. Die Situation als solche ist dabei immer ein »totales Feld« und »existentiell gegeben« und kann in ihrer Totalität grundsätzlich nicht erfasst werden – die Situationen »›haben‹ uns […] in Form körperhaften Fühlens und Handelns, bevor wir sie kognitiv im Denken ›haben‹« (Garrison 2004, S. 64). Situationen sind somit zunächst präkognitiv und intuitiv wahrzunehmen. In der Situation erfolgt eine »Realbegegnung« (Reich 2008, S. 145). Realbegegnungen sind unmittelbar (ohne Vorbereitung), direkt (ohne Vermittlung), konkret (nicht diffus) und sinnlich (nicht rein gedanklich). Kurzum: Der Situationsbegriff ist Ausdruck für die Komplexität von sozialen und räumlichen Faktoren und Rahmenbedingungen, die sich einem konkreten Vorhaben aus einer individuellen Perspektive stellen (Schönig 2012, S. 129ff.; Pantucek 2009, S. 62 und S. 83ff.). Durch seine Handlung aber – und dies ist der eher positive Ausblick – verändert der Mensch die Welt und die
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Welt den Menschen. Situationen und die ihnen folgenden Handlungen des Menschen sind daher Gegenstände gegenseitiger – zunächst oftmals ängstigender und damit Widerstände hervorrufender – Veränderung (Esser 1996, S. 2); der Mensch wird zunächst passiv in die Situation geworfen und hat dann die Aufgabe, aktiv seine Ohnmacht durch Handlung zu überwinden. Eine Situation ist somit immer politisch. Mit Blick auf die Handlungsfelder Sozialer Arbeit ist das skizzierte Situationskonzept des Staunens, der Komplexität und des Handelns umso bedeutsamer, je größer die individuellen Lebenswelt- und kollektiven Milieudifferenzen zwischen Bewohner_innen und Fachkräften oder innerhalb der Bewohner_innengruppen sind. In einigen Handlungsfeldern, wie z.B. der interkulturellen Arbeit, wird seit langem die notwendige Offenheit mit geeigneten Routinen und Methoden entwickelt und praktiziert (Freise 2005, S. 158ff.). Diese Erfahrungen können für die handlungsorientierte Sozialarbeitspolitik genutzt werden. Zwei besondere Methoden Aus der Fülle relevanter Methoden für eine handlungsorientierte Sozialarbeitspolitik in Armutsgebieten werden im Folgenden exemplarisch nur zwei herausgegriffen und mit Blick auf ihren besonderen Schwerpunkt dargestellt. Erstens ist dies die aktivierende Bewohner_innenbefragung als eine zentrale Methode von Gemeinwesenarbeit und Sozialraumorientierung mit einem Schwerpunkt in der themenzentrierten Arbeit. Ihr folgen zweitens die neuerdings viel diskutierten Ansätze des Community Organizing, die ihren Schwerpunkt stärker auf den persönlichen Bindungen zu den Bewohner_innen legen. Beide Ansätze lassen sich prominent bis zu Saul Alinsky zurückverfolgen. Als Sohn einer jüdischen Einwandererfamilie wuchs er in den USA auf und kam über sein Studium der Soziologie in Chicago mit der dort entwickelten Stadtsoziologie Parks in Kontakt. Angesichts der sozialen Segregation von Einwanderer_innen in den Städten stand bei ihm die politische Aktivierung von lokalen Selbsthilfepotentialen der Einwanderer_innen im Vordergrund. Er musste Methoden entwi-
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ckeln, die eben diese selbsttragende gemeinschaftliche Aktivierung initiieren und stabilisieren sollte. Beide Methoden haben gemeinsam, dass sie Politik handlungsorientiert konzeptionieren und damit unmittelbar einen Zugang zur Bevölkerung in Armutsgebieten öffnen, der ausschließlich verbal Konzepte nicht zu leisten wäre. Handlungsorientierung erlaubt – ganz ähnlich der Aktivierung bürgerschaftlichen Engagements sozial Benachteiligter (Schönig 2014, S. 129ff.) – überraschend positive Erfahrungen für die politische Arbeit vor Ort. Themenzentrierung in der aktivierenden Bewohner_innenbefragung Ziel der aktivierenden Bewohner_innenbefragung ist die Aktivierung von Handlungen und Selbsthilfepotentialen der Menschen in einem Stadtteil. Hierbei orientieren sich die Sozialarbeiter vor Ort immer an den Themen und Ressourcen der Bewohner_innen. Analyse und Aktion sind in der aktivierenden Bewohner_innenbefragung eng verknüpft (vgl. hier und im Folgenden ausführlich die Aufsätze in Lüttringhaus/Richers (2003, S. 11ff.) sowie die prägnante Einführung von Hinte/Karas (1989, S. 41ff.). Es ist das besondere Verdienst Alinskys (1973), mit ›Neugier‹ und ›Respekt‹ zwei Schlüsselwörter der aktivierenden Befragung herausgearbeitet zu haben, die zudem unmittelbar auf oben herausgestellten Begriffe wie ›Demokratie als Lebensform‹ und ›Situation‹ verweisen. Die Befrager_innen sollen bei der aktivierenden Befragung in einen ›sokratischen Dialog‹ mit den Bewohner_innen eintreten, also die Befragung themenzentriert durchführen, wodurch sich die Bewohner_innen im Verlauf der Befragung ihrer eigenen Situation, ihrer eigenen Meinung und eigenen Widersprüchlichkeit bewusst werden sollen. Am Ende sind die ›wahren‹ Themen bekannt und nun schließt sich die gemeinsame Handlung an. In Deutschland wurde die Methode der aktivierenden Befragung Anfang der 1970er Jahre durch Hepzibah und Richard Hauser (1971)
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verbreitet und vielfach praktisch erprobt. Auch sie waren jüdische Intellektuelle, emigrierten 1938 aus Deutschland, wurden ab 1945 international in Gemeinwesenprojekten tätig und nahmen ab 1962 Einfluss auf die Soziale Arbeit in Deutschland. Aufgrund der Erfahrungen des zweiten Weltkriegs schien es gerade in Deutschland wichtig, positiv die schöpferischen Möglichkeiten einer bürgerlichen Gesellschaft zu aktivieren und zu nutzen. Dieser Ansatz einer aktiven bürgerlichen Gesellschaft war – insbesondere mit Blick auf sozial Benachteiligte, ja sogar Wohnungslose – in Deutschland ein Novum. Hauser hat durch sein Charisma die aktivierende Befragung in der Hochphase der Gemeinwesenarbeit in den 1960er und 70er entscheidend geprägt und ist klassischer Referenzpunkt aller weiteren Arbeiten. Es passt in dieses Bild, dass auch Alf Seippel (1976) in seinem Band zur ›aktivierenden Gemeinwesenarbeit‹ die wesentlichen Bausteine der Methodik Hausers (1. Definition des Anliegens, 2. Voruntersuchung, 3. Hauptuntersuchung, 4. Aktion) übernommen hat und weiterentwickelte. Allerdings haben sich bei ihm die Akzente verschoben. Seippel betont die gesellschaftlichen Verhältnisse, analysiert die Klassen- und Sozialstruktur Deutschlands und fordert zum Konflikt auf. Die gesellschaftlich Machtlosen sollen aktiviert und bemächtigt werden, damit sie sich in die demokratischen Prozesse einmischen können. Seippels Ansatz ist aus heutiger Sicht typisch für die Aufbruchstimmung der 68er-Zeit, er ist nach außen gekehrt, will Widersprüche aufdecken und Apathie überwinden. Sein Ansatz ist somit – auch wenn er die Phasen und Begrifflichkeiten Hausers übernimmt – im Akzent politisch aggressiver. Zudem hat Seippel wesentlich die Methodik der aktivierenden Befragung verfeinert und auf den heute gültigen Stand gebracht. Er erläutert Vorbereitungen, Phasen, Fragetechniken und Fragetypen und gibt Hinweise zur Auswertung und zum Ablauf der Bewohner_innenbefragung. Eine weitere Zustimmung und Fortentwicklung erfuhr die Methode dann durch Fritz Karas und Wolfgang Hinte (1980), die weitere Details z.B. zur Interviewtechnik und zum Zeitraum ergänzten. Wesentlich ist bei ihnen, dass sie – wiederum auch ein Ausdruck des Zeitgeistes – das
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politisch-aggressive Element Seippels nun wieder in den Hintergrund rücken und statt dessen eher erneut auf die klassischen Ideen der Aktionsforschung im Sinne Hausers rekurrieren. Die aktivierende Befragung steht in Deutschland seitdem wieder mehr im Kontext des Selbsthilfegedankens, der Kooperation mit den sozialen Diensten vor Ort und der kommunalen Sozialpolitik. Sie ist ein zentraler Baustein der weitgehend unstrittigen katalytisch-aktivierenden, stadtteilbezogenen Gemeinwesenarbeit. Unterschwellig hat allerdings die aktivierende Befragung an politischem Gehalt eingebüßt und läuft heute Gefahr, kaum noch aggressiv politisch Themen nach vorne zu bringen. Es ist daher eine Aufgabe der Sozialarbeitspolitik vor allem in Armutsgebieten, die aktivierende Befragung wieder verstärkt zur Aktionsforschung (Karas/Hinte 1980, S. 99) zu nutzen. Dies bedeutet auch, eine Frontstellung zum Mainstream der empirischen Sozialforschung auszuhalten und offensiv zu vertreten. Aktionsforschung ist nach den Worten Lewins »eine Art Tat-Forschung, eine vergleichende Erforschung der Bedingungen und Wirkungen verschiedener Formen sozialen Handelns und eine zu sozialem Handeln führende Forschung. Eine Forschung, die nichts anderes als Bücher hervorbringt, genügt nicht« (Lewin 1975, S. 280; Hervorhebungen von W.S.).
Denn das Ziel der aktivierenden Befragung besteht eben nicht darin, theoretische Aussagen oder die Ergebnisse anderer Befragungen empirisch zu überprüfen, sondern es besteht darin, praktisch verändernd in gesellschaftliche Zusammenhänge einzugreifen. Die aktivierende Befragung ist kein Glasperlenspiel, sondern zielt darauf ab, Lernen und politisches Handeln der Befragten zu ermöglichen. Sie ist nur dann erfolgreich, wenn von der Diagnose Handlungsimpulse ausgehen, um die Betroffenen und die Verantwortlichen zu aktivieren (Seippel 1976, S. 157). Nur zu diesem Zweck werden sozialstrukturelle Fakten erhoben, Meinungen erfragt, Bewohner_innen informiert, Führer identifiziert, Konflikte ans Licht gebracht und Ideen für Handlungsansätze dokumentiert (Hinte/Karas 1989, S. 47ff.).
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Themenzentrierung in Armutsgebieten bringt dabei meistens Konflikte ans Licht, wobei nicht selten den Interviewenden oder Dritten offene Ablehnung entgegenschlägt (Rechtsradikalismus, ethnische Konflikte, Hass auf Sozialarbeiter_innen). Hier ist es entscheidend, diese Konflikte und Aversionen zunächst einmal als gegeben hinzunehmen und mit Blick auf deren politischen Gehalt zu erfassen. Welche politischen Konflikte und Protestbereiche zeichnen sich ab? Wo ist Selbsthilfe möglich und welche Formen bieten sich an? Zudem ist der Erfolg nicht garantiert: Ergibt sich kein Ansatzpunkt für eine politische Aktivierung, so kann dies aus Respekt für die Bewohner_innen auch dazu führen, dass eine aktivierende Bewohner_innenbefragung bereits nach der Voruntersuchung abgebrochen wird (Seippel 1976, S. 160). Die Gründe für solche Blockaden können vielfältig sein. Daher läuft grundsätzlich eine aktivierende Befragung Gefahr, geweckte Hoffnungen nicht zu erfüllen und die politische Apathie im Stadtteil am Ende noch zu verstärken (Karas/Hinte 1980, S. 120). Andererseits macht die Praxis stutzig: Kann es sich die sozialraumorientierte Soziale Arbeit mit Blick auf die interessierte Öffentlichkeit heute überhaupt noch leisten, das Projekt einer aktivierenden Befragung tatsächlich nach der Voruntersuchung abzubrechen? Ist nicht vielmehr die aktivierende Befragung in Zeiten der befristeten Finanzierung von Stadtteilprojekten zum Erfolg verdammt? Hier zeigt sich aktuell eine besondere Problematik der befristeten Finanzierung handlungsorientierter Sozialarbeitspolitik im Stadtteil. Sie kann letztlich nur dadurch gemildert werden, dass die politische Arbeit sehr bald in die Hände der Bewohner_innen übergeht und sich somit von der Sozialen Arbeit verselbständigt.
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Personenzentrierung des Community Organizing Community Organizing akzentuiert die offensiv-politische Arbeit und ist ebenfalls eng mit der Person Alinskys verbunden. Aktuell scheint das Community Organizing in den USA eine Renaissance zu erleben, die auch nach Europa hinüberwirkt. Unter dem Leitbild der »Leidenschaft für den Nächsten« (Alinsky 1973; vgl. Schönig 2012a) folgt der Community Organizer einem personenzentrierten Ansatz. Dieser besteht zunächst und vor allem in einer Aufbau- und Beurteilungsarbeit und geht erst von dort aus in eine assistierende Funktion über (Gamble/Weil 2010, S. 125ff.). In der Praxis ist diese Beziehungs- und Personenzentrierung z.B. daran zu bemerken, dass Community Organizer in ihren Gesprächen von Beginn an stark auf die Biographie ihres Gegenübers abstellen, nach seiner biographischen Verbundenheit mit dem Sozialraum fragen und seine Person so in den Vordergrund stellen. Im amerikanischen Kulturkreis mit seiner besonderen Mischung aus höflicher Distanz und vertraulichem Du, aus Gruppenzugehörigkeit und flachen Hierarchien ist dieser Biographiezugang offenbar unproblematisch. Im deutschen und ebenso in anderen Kulturkreisen wird dieser Biographiezugang hingegen oftmals irritierend, distanzlos und übergriffig wahrgenommen. Der Community Organizer wird diese Probleme antizipieren und bei der Arbeit in Armutsgebieten berücksichtigen. Hierzulande ist generell eine höhere Vorsicht gegenüber Biographiefragen angeraten, als sie aus der amerikanischen Lehrbuchliteratur herauszulesen ist. Dies spricht eher für eine gewisse Themenzentrierung, wie sie stärker daher auch nicht überraschen in der traditionellen aktivierenden Befragung vorgesehen ist. Wie dem auch sei: Erst nach dieser Beziehungsarbeit erfolgen beim Community Organizing die Identifikation von Themen und Problemen mittels Gruppenarbeit, der Aufbau strategischer Allianzen und weitere Überlegungen zur Taktik des weiteren Vorgehens. Treten politische Widerstände auf, so werden – wiederum personenzentriert – Gegner_innen identifiziert und persönlich bearbeitet, die Öffentlichkeit ge-
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zielt eingesetzt und im besten Fall wird eine Organisation von Personen geschaffen, die das Erreichte langfristig stabilisieren kann (Müller 2013, S. 2f.). Bei all dem bleibt der Community Organizer aktiv, aber im Hintergrund. Im Vordergrund stehen die Bewohner_innen als Personen und ihr Handeln: »Ein Organizer sollte die Community, z.B. einen Stadtteil, die dort lebenden Menschen und ihre Geschichten, von Grund auf kennen. Er sollte zu diesen Beziehungen aufbauen, die von Achtung und wirklichem Interesse sogar von Neugierde im positiven Sinn getragen sind. So gesehen darf ein Organizer nicht für die Menschen sprechen, sondern sollte mit ihnen handeln. Ein wichtiger Leit- und Merksatz im CO lautet dementsprechend: Tue nie etwas für jemanden, was er oder sie selbst erledigen könnte!« (Müller 2013, S. 2; Hervorhebungen im Original).
Man kann in diesem Zitat eine Distanzierung gegenüber einer paternalistisch-sozialstaatsfinanzieren Sozialen Arbeit herauslesen. Auch dadurch bieten neuere Initiativen des Community Organizing der hiesigen Szene und insbesondere der Sozialarbeitspolitik in Armutsgebieten wichtige Anregungen. Sie reichen von der kritischen Distanz gegenüber der staatlichen Sozialpolitik und den Wohlfahrtsverbänden bis hin zur kritischen Sozialen Arbeit, wie sie sich in verschiedenen Arbeitskreisen etabliert. ›Welfare is hellfare‹ ist ein gängiges Motto des Community Organizing. Konsequenterweise haben sich daher im Zuge der Übertragung nach Deutschland zwei Varianten des Community Organizings herausgebildet, die zum einen eher kommunitaristisch-konservativ geprägt sind (hier kann Penta als Vertreter genannt werden), während der andere Ansatz eher sozial- und staatskritisch geprägt ist (mit Honneth und Fraser als Vertreter_innen). Beide Ansätze fundieren in Deutschland »eine kleine, aber bunte CO-Praxis« (Müller 2013, S. 6), die teils gänzlich privat finanziert ist, sich teils aber auch an Programme der Stadterneuerung anlehnt. Ansätze des Community Organizing finden sich
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zudem in gewerkschaftlichen und politischen Kampagnen, ohne dort jedoch als Methode der Sozialen Arbeit wahrgenommen zu werden. Probleme bereitet der in den letzten Jahren zu bemerkende Aufschwung des Community Organizing insofern, als insbesondere die privatwirtschaftlich und durch Stiftungen finanzierten Projekte häufig mehr oder weniger in Konkurrenz zu bestehenden sozialräumlichen Strukturen der Sozialen Arbeit etabliert werden. Die nicht staatlich finanzierten Projekte sind meist kein Thema staatlicher Sozialpolitik. Sie werden gleichwohl seitens der Politik und der Sozialverwaltung freundlich begleitet, da man eine Unterstützung in den Stadtteilen und auch eine Konkurrenz zur Arbeit der Wohlfahrtspflege erwartet. Vor Ort ist der Aufbau dieser Doppelstrukturen allerdings problematisch und konfliktträchtig. Er kann zudem für die Bevölkerung kontraproduktiv sein, wenn die private Finanzierung des Community Organizing ausläuft und keine Verstetigung der Arbeit in Sicht ist. Hinzu kommt, dass Community Organizing stark erfolgsorientiert ist und nicht nur Randgruppen und deprivierte Armutsbevölkerung im Blick hat. Die Habenichtse (Have-Nots) haben angesichts ihrer Sterblichkeit die Verpflichtung für ihr Lebensglück zu kämpfen. Daher kann der Community Organizer von ihnen ein Maximum an Eigeninitiative erwarten und sich darauf konzentrieren, sie zu vereinen und ihre Eigeninitiative zu wecken. Praktisch ist darüber hinaus die Perspektive der Mittelschicht (folks in the middle) von Bedeutung, also jener, die bereits etwas haben, jedoch mehr wollen (have-a-little-and-want-more) (Alinsky 1989). In der Praxis der Sozialarbeitspolitik haben indes beide Gruppen nicht unbedingt die gleichen Interessen und zudem sind die Erfolgsaussichten in der Arbeit mit der Mittelschicht tendenziell größer, da sie über mehr Ressourcen verfügt. So hat de facto ein beachtlicher Teil des privat finanzierten Community Organzings in Deutschland deutlich auch die Mittelschicht im Blick, um mit ihr soziale Bewegungen aufzubauen. Damit läuft man Gefahr, die gelegentlich sperrige Armutsbevölkerung – die ja traditionell im Fokus von Gemeinwesenarbeit und Sozialraumorientierung steht – im Community Organizing teilweise aus dem Blick zu verlieren.
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So sind letztlich Community Organizing der Sozialen Arbeit im deutschen Sprachraum nicht völlig fremd, da ihr Grundkonzept zum traditionellen Kanon der Gemeinwesenarbeit und damit auch der Sozialraumorientierung zählt. Jedoch sind die US-amerikanischen Ansätze tendenziell personenzentrierter, radikaler, aggressiver, sozialstaatskritischer und auch offener für soziale Bewegungen (Burghardt 2011, S. 91), was neben den benannten Problemen einen frischen Impuls in Theorie und Praxis bringt und auch ein Überdenken des Selbstverständnisses Sozialer Arbeit bewirken kann. Fragen des doppelten, dreifachen, vierfachen oder situativ-multiplen Mandates stellen sich in den USA offensichtlich nicht: Die Soziale Arbeit hat im Community Organizing nach Alinsky nur ein Mandat – das des Nächsten, für den sie ihre Leidenschaft aufzubringen hat. Zusammenfassung Die Arbeit mit der Bevölkerung in Armutsgebieten ist nicht einfach, noch schwerer ist es, ihre politische Apathie zu überwinden und sie zum aktiven Politik-Machen zu motivieren. Zudem sind hier die finanziellen Ressourcen Sozialen Arbeit noch beschränkter als in anderen Handlungsfeldern. Bei der Entpolitisierung der Sozialen Arbeit waren somit keine finsteren Mächte am Werke, sondern es war die Komplexität der Problemlage, welche eine am Erfolg orientierte Soziale Arbeit zurückweichen ließ. Gleichwohl zeichnen sich neue Politisierungslinien Sozialer Arbeit ab, wobei in Armutsgebieten Apathie nicht durch Worte, sondern durch Handlung überwunden wird. Jene Handlung hingegen setzt voraus, dass die Praktiker der Sozialen Arbeit das Staunen über die sozialen Probleme in den Armutsgebieten nicht verlernen und dass sie auf der Basis authentischer Problemanalysen zur Überwindung von Ohnmachtserfahrungen beitragen. Zur Aktivierung und Ohnmachtsüberwindung kann die Praxis der Sozialen Arbeit auf besondere Methoden zurückgreifen, die einerseits eher themenzentriert – wie die aktivierende Befragung – und anderer-
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seits eher personenzentriert – wie das Community Organizing – ausgelegt sind. Beide können in der Praxis scheitern, beide können aber auch Dinge bewegen, die man vorher nicht erwartet hätte. Auch in der Sozialarbeitspolitik in Armutsgebieten gilt: Am Anfang steht die Tat – Learning by doing. Literatur AKS (2014): Homepage des Arbeitskreises kritische Soziale Arbeit. www.kritischesozialearbeit.de/ [Zugriff am: 17.03.2014]. Alinsky, Saul D. (1973): Leidenschaft für den Nächsten. Strategien und Methoden der Gemeinwesenarbeit. Gelnhausen/Berlin: Burckhardthaus-Verlag. Alinsky, Saul D. (1989): Reveille for Radicals. London. Benz, Benjamin/Rieger, Günter/Schönig, Werner/Többe-Schukalla, Monika (Hg.) (2013/2014): Politik Sozialer Arbeit. Bd. 1: Grundlagen, theoretische Perspektiven und Diskurse. Bd. 2: Akteure, Handlungsfelder und Methoden. Weinheim/Basel. Burghardt, Steve (2011): Macro Practice in Social Work for the 21st Century. Los Angeles u.a. Deutsch, Karl W. (1970): Politische Kybernetik. Modelle und Perspektiven. 2. Aufl., Freiburg i.Br.: Rombach. Dewey, John (1989): Die Erneuerung der Philosophie. Hamburg. Dewey, John (2000): Demokratie und Erziehung. Eine Einleitung in die philosophische Pädagogik. 3. Aufl., Weinheim/ Basel. Esser, Hartmut (1996): Die Definition der Situation. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 48.1, 1-34. Freise, Josef (2005): Interkulturelle Soziale Arbeit. Theoretische Grundlagen – Handlungsansätze – Übungen zum Erwerb interkultureller Kompetenz. Schwalbach/Ts. Gamble, Dorothy N./Weil, Marie (2010): Community Practice Skills. Local to global perspectives. New York/Chichester. Garrison, Jim (2004): Deweys Konstruktivismus: Vom Reflexbogenkonzept zum sozialen Konstruktivismus. In: Hickman, Larry A./
S OZIALARBEITSPOLITIK IN A RMUTSGEBIETEN | 243
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Aktivierende Befragung im Stadtteil Baustein einer reflexiven Gemeinwesenarbeit?! J ANINE B IRWER
Gemeinwesenarbeit: klassische Methode der Sozialen Arbeit? Eine eindeutige Einordnung der »Gemeinwesenarbeit« vorzunehmen ist komplex und herausfordernd. Die historischen Wurzeln der Gemeinwesenarbeit liegen in der US-amerikanischen SettlementBewegung, die sich solidarisch mit Bewohnern_innen und Strömungen der historischen Massenbewegungen und Emanzipationsprozessen in der Gesellschaft erklärte. In Deutschland wurde Gemeinwesenarbeit von zeitlichen und gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen adaptiert und stand, als eine der klassischen Methoden der Sozialen Arbeit, im Dreiecksverhältnis zur Einzelfallhilfe und Gruppenarbeit. Gemeinwesenarbeit wurde sowohl als Arbeitsfeld Sozialer Arbeit bestimmt als auch als übergreifendes Arbeitsprinzip (vgl. Boulet/Krauss/Oelschlägel 1980) benannt und hierbei als übergeordneter »Kristallisationspunkt« für Arbeitsfelder in der Sozialen Arbeit verstanden. Aus gegebenem Anlass kritisieren Stövesand und Stoik (2013, S. 19) die Entnahme einzelner Aspekte der Gemeinwesenarbeit, beispielsweise »der Aktivierung«, die dann als Gemeinwesenarbeit deklariert auf Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit übertragen wird. Festzuhalten bleibt, dass Ge-
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meinwesenarbeit aufgrund seines am System ausgerichteten, individualzentrierten Ansatzes, keine normative Eindeutigkeit benötigt (Kessl 2011). Dem zustimmend verzichtet die Verfasserin auf einen raum-, steuerungs-, oder revolutionär-orientierten Fachdiskurs von (weiter)entwickelten Ansätzen, Handlungskonzepten (u.a. Sozialraumorientierung vgl. May 2011; Kessl/Reutlinger 2009; Hinte 2009) und implementierten Programmen der Gemeinwesenarbeit (u.a. Quartiersmanagement). Im Hinblick auf die aktivierende Befragung bleiben zunächst Bezugsrahmen und Verortung zu klären. Hierbei ist generell festzustellen, dass ein Gebiet aus Menschen besteht, die einem ökonomischen, politischen, kulturellen und psychosozialen Geschehen vor Ort angehören. Das Gemeinwesen lässt sich aber nicht auf eine territoriale Linie beschränken, sondern ist als Aneignungs-, Handlungs-, und Wirkungszusammenhang von Akteur_innen zu verstehen (vgl. u.a. Oelschlägel 2007). Die Komplexität des Gemeinwesens gründet sich auf die unterschiedlichen Kapital-, (Bourdieu 1983) und Ausstattungsmerkmalen (Staub-Bernasconi 1998) des Gemeinwesens und ihrer Bewohner_innen sowie deren gegenseitigen oder gesellschaftlichen Vergleichen und Erwartungen. In diesem Zusammenhang ist das Explorieren der Lebenslagen und Lebenswelten für die sozialarbeitswissenschaftliche Praxis von Bedeutung. Sozialraumanalysen (Schubert 2005) und Lebensweltanalysen (Deinet 2009) geben Aufschluss über Lebensbedingungen, Lebenssituationen und Lebenswelten von Menschen im Gemeinwesen und versuchen sie für Andere sichtbar zu machen. Gemeinwesenarbeit eröffnet in diesem Zusammenhang die Möglichkeit auf funktionaler und territorialer Ebene, strukturelle u.a. kategoriale Möglichkeiten und Grenzen des Gemeinwesens durch eine diskursive Zusammenarbeit mit Menschen und Einrichtungen vor Ort transparent zu machen. Damit will sie durch eine gemeinwesenorientierte Strategie Möglichkeiten, einer zumeist strukturellen Veränderbarkeit, herstellen. Eine aktivierende Arbeit im Gemeinwesen kann durch diese Kommunikationsprozesse Transparenz schaffen und Verantwortlichkeiten, z.B.
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der Kommune oder der Polizei, im Gemeinwesen aufdecken und einen Prozess eröffnen, »in dem Ideen in die Wirklichkeit übersetzt werden« (Seippel 2007, S. 25). Generell sollte eine aktivierende Befragung nicht allein »zum Zwecke der ›Gemeinwohldienlichkeit‹ (Bleck/ Knopp/van Rießen 2013 S. 281) durchgeführt werden, sondern als ergebnisoffener Prozess unter allen Akteur_innen im Stadtteil verstanden werden. »Forschung von unten« Im Rahmen einer »Forschung von unten« (Bleck/Knopp/van Rießen 2013, S. 281) soll infolgedessen das von der Autorin durchgeführte Projekt der aktivierenden Befragung zum Thema Senior_innen im Stadtteil einen Beitrag zu einer »reflexiven Gemeinwesenarbeit« leisten. Eine »reflexive Gemeinwesenarbeit« würde nach Kessl angelehnt an Butler »auf den Bestimmungskern Sozialer Arbeit selbst verweisen müssen: das Soziale«, dem keine normative Eindeutigkeit zugrunde liegt, sondern »das jeweilige historisch-spezifische Ergebnis kollektiver Vereinbarungen […] als sozialpolitische Programmierung ausgebildet hat« (Kessl 2011). Eine reflexive Gemeinwesenarbeit arbeitet das Soziale im Gemeinwesen heraus, grenzt sich von der »Aktivierungsfalle«, die Menschen für Strukturdefizite im Stadtteil verantwortlich macht ab, hebt thematisch geleitete Stadtteildiskussionen auf Stadtteil-, Bezirks-, Stadt-, Land-, und Bundesebene und weist auf strukturelle Veränderungen im Gemeinwesen hin. Die aktivierende Befragung könnte, als Instrument der Aktionsforschung, dazu dienen Stadtteilthemen offen zu legen und auf den entsprechenden Ebenen für sie einzutreten. Eine respektvolle Zusammenarbeit zwischen Individuum, der Gruppe und des Stadtteils würde dem zugrunde liegen. Ihr Augenmerk richtet die Befragung deshalb zunächst auf die Kunst des Fragens, die sich an einer (an)teilnehmenden und interessierten Haltung des/der Forschenden orientiert und auf die persönliche Ansprache des Menschen im Stadtteil konzentriert ist. Die Ansprache der Menschen im Stadtteil bildet das Fundament für eine aktivierende Arbeit in einem gemeinwesenorientierten Prozess, durch
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den die Bewohner_innen zu Experten_innen im Gemeinwesen und Akteur_innen der Forschung von unten werden (vgl. Szynka 2007, S. 11). Das Fundament «eine aktivierende Befragung« bildet kommunikatives Handeln in einem langfristig angelegten Gesamtprozess und unterscheidet sich hiermit von anderen Umfrageformen, die ausschließlich der Datenerhebung dienen. Sie ist ein Beitrag zur Demokratieentwicklung von unten, «da sie sich vor allem an Gruppen richtet, die bei anderen Beteiligungsprozessen zu kurz kommen oder nicht beachtet werden« (Reinert 2007, S. 5). Als methodisches Instrument kann die aktivierende Befragung zivilgesellschaftliches Handeln initiieren und eine andere Form demokratischer Beteiligung neben politischen Beteiligungsstrukturen, wie z.B. Wahlen oder der Mitarbeit in einer Partei, im Gemeinwesen fördern. Die inhaltliche Zusammenarbeit birgt die Chance der Stärkung des Einzelnen im Kollektiv des Ganzen. Zivilgesellschaftliches Handeln wird an dieser Stelle nicht als Herrschaftsprozess verstanden, sondern folgt der Vorstellung, dass sich das Gemeinwohl »nicht ausschließlich auf die eigenen, sondern auch auf die Bedürfnisse anderer richten müsse. Schließlich ließe sich Zivilgesellschaft noch handlungslogisch beschreiben, indem man ausschließlich gewaltfreie, demokratische oder pluralistische Ziele unter ihren Überbegriff fallen lässt« (Walter 2013 S. 42). In diesem Sinne sollte die hier beschriebene aktivierende Befragung durch gemeinsam gelebte Kommunikationsprozesse, Themen verbalisieren und in kooperativer Weise Handlungsoptionen im Stadtteil entwickeln, die das Fundament für eine gemeinsame Arbeit im Stadtteil bilden. Der nachfolgende Text nimmt im Folgenden Bezug zu den Prozess- und Datenergebnissen der aktivierenden Befragung und erläutert zu diesem Zweck zunächst deren Vorgehen.
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»Ausgangspunkt für uns ist dort, wo die Leute stehen, nicht dort, wo wir sie haben wollen«1 Diese Prämisse bildet(e) den Aktionsrahmen der aktivierenden Befragung Senior_innen im Stadtteil.2 Die Initiative für die Befragung ging aus dem neu konstituierten Stadtteilarbeitskreis Senior_innen hervor, der auf Bewohner_inneninitiative entstand und dem unterschiedliche Akteur_innen 3 des Stadtteils angehörten. Die Bewohner_innen im Arbeitskreis benannten folgende konkrete Bedarfe und Problemfelder im Gemeinwesen: 1. Isolation und Verwahrlosung älterer Menschen im Stadtteil durch
u.a. Immobilität und Familienabwanderung, 2. hohe Pflegebelastungen von Angehörigen deren Familienangehöri-
ge unter Demenz leiden und 3. die generelle Lebenssituation von älteren Menschen im Stadtteil, geprägt durch den demographischen Wandel und infrastrukturellen Defiziten. Die eigens formulierten Bedarfe und Problemlagen und der Wille gemeinsam »etwas zu tun«, waren Ausgangspunkt für die aktivierende Befragung von und mit älteren Menschen im Stadtteil; zweitrangiges Ziel stellte die Datenerhebung dar. Die aktivierende Befragung Senior_innen im Stadtteil gliederte sich in folgende sechs Phasen: Klärung des Anliegens, Voruntersuchung, Durchführung, Ergebnisauswertung, Bewohner_innenversammlung und Nachhaltigkeit und 1
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Im Text wurde bewusst auf Namen des Stadtteils sowie den Menschen und Einrichtungen vor Ort verzichtet.
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Dies waren sieben Ehrenamtliche (der Diakonie und der Kirchengemeinde), ein Bewohner, der seine Frau mit Demenz pflegt, dem Pfarrer, zwei Mitarbeiterinnen aus dem Pflegedienst, einer Mitarbeiterin aus der Einrichtung »Häusliche Unterstützung für Menschen mit Demenz«, der Seniorenvertreterin aus der Bezirksvertretung und der Gemeinwesenarbeiterin.
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wurde von einem zehnköpfigen, ehren- und hauptamtlichen Interviewteam durchgeführt. Methodisch arbeitete die Befragung methodenintegrativ und verband methodisch-didaktische Elemente der sozialen Gruppenarbeit, der Netzwerk- und Gremienarbeit sowie der empirischen Sozialforschung. In den Interviews wurde mit offenen Fragestellungen in Form von Face-to-Face-Interviews gearbeitet. Durch die offene Fragestellung und einer »wertneutralen« Haltung wurde einer Problem- und Wertorientierung während der Interviews versucht entgegenzuwirken. Insgesamt wurden 103 Personen in 103 Haushalten dazu befragt, was ihnen gut oder weniger gut am Leben älterer Menschen im Stadtteil gefällt und wie sie daran mitwirken wollen, dies zu ändern. 4 Zur soziodemographischen Struktur lässt sich verzeichnen, dass 62 Frauen und 41 Männer befragt wurden, bei denen mehr als die Hälfte (62 %) Wohnungs-, oder Hausbesitzer_innen waren. Die Gesamtgruppe der Interviewten bestand aus Menschen unterschiedlicher politischer, sozialer und kultureller Hintergründe. Die Prozess- und Datenergebnisse der aktivierenden Befragung wurden auf der Bewohner_innenversammlung präsentiert, diskutiert und mündeten in der Gründung von thematisch angelegten Aktionsgruppen. Zwei Studierende der Universität zu Köln bereiteten die Daten anhand der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2003) auf, indem sie die Antworten in die Kategorien »Infrastruktur« und »soziale Verhältnisse« einordneten. Zwei Bewohner_innen mit türkisch und russischem Hintergrund standen dem Gesamtprozess als Übersetzerinnen zur Seite. Eine Ankündigung der aktivierenden Befragung und der Bewohner_innenversammlung wurde durch eine mehrdimensionale Presse- und Öffentlichkeitsarbeit geleistet. Eine ausführliche Darstellung der aktivieren-
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Folgende Fragen wurden den Interviewpartnern_innen gestellt: 1. Wenn Sie an das Leben der älteren Menschen im Stadtteil denken, was gefällt Ihnen gut? 2. Wenn Sie an das Leben der älteren Menschen im Stadtteil denken, was gefällt Ihnen weniger gut oder gar nicht? 3. Was haben Sie für Ideen? Wie würden Sie das Leben der älteren Menschen verbessern? Wie würden Sie mitwirken wollen?
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den Befragung ist u.a. bei Lüttringhaus/Richers S. 73f, Seippel S. 25f., Spieckermann S. 155f. zu finden. Selbsttragender Nahbereich oder abgeschriebenes Quartier? Der untersuchte Stadtteil ist gekennzeichnet durch seine Insellage, eingekesselt von einer Eisenbahnlinie, Autobahnen und einem Autobahnzubringer. Die vorhandene bebaubare Fläche ist belegt und bebauungsfähige Baugrundstücke wurden von den Baubehörden nicht freigegeben. Das Image des Stadtteils wurde von Tageszeitungen als verödet beschrieben. Im Gegensatz zu einer Bevölkerungszunahme im gesamtstädtischen Vergleich, verzeichnete die lokale Sozialstrukturanalyse des beschriebenen Stadtteils einen Bevölkerungsrückgang von knapp 19 % seit dem Jahr 1980.5 In den letzten vierzehn Jahren ist die ältere Bevölkerung um 39,5 % im Stadtteil angewachsen und verzeichnet damit eine überdurchschnittlich hohe Zunahme der Bevölkerungsgruppe im gesamtstädtischen Vergleich. Die Strukturdaten korrelieren mit den genannten Bedarfen und Problemfeldern, da eine Anpassung der Infrastruktur an die Belange älterer Bürger_innen nicht stattgefunden hat. Mit ca. 3500 Einwohner_innen weist der Vorort nicht mehr die Größenordnung eines selbsttragenden Nahbereichs auf, der bei 5.000 Einwohner_innen liegt. Dies ist die Grenze, bei der sich Unternehmen und Einzelhandel überhaupt erst rentierten, so dass die Situation vor Ort vor allem durch leere Ladenlokale auffällt und die Nahversorgung mit Gütern des alltäglichen Lebens nicht ausreichend gewährleistet ist. Neben der Strukturanalyse, gaben in den Voruntersuchungen durchgeführte Beobachtungen, Hinweise auf die Situation älterer Menschen im Stadtteil. Fehlende barrierefreie Übergänge und Wohneinheiten für ältere Menschen sowie angstbesetzte Orte wurden hierbei identifiziert.
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Den Zahlen liegen kommunale Strukturdaten aus dem Jahre 2006 zugrunde auf deren Name ausgegeben Anlass verzichtet wird.
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Die befragten Schlüsselpersonen 6 , die als Multiplikator_innen durch ihr Handeln und Wirken der Schlüssel zur Erklärung bestimmter Sachverhalte im Gemeinwesen sein können (vgl. Deinet/Krisch 2009), berichteten von fehlenden Senior_inneneinrichtungen und einer unzulänglichen Bekanntheit bereits bestehender Senior_innenaktivitäten. Auch die hohe Schwierigkeit, Bedarfe von älteren Menschen im Stadtteil feststellen zu können, da man keinen Kontakt zur Zielgruppe fand, wurde in den Voruntersuchungen festgehalten. Darüber hinaus konnten in den Befragungen erste Einschätzungen über die Zusammenarbeit im Stadtteil und weitere Partner für den Gesamtprozess gewonnen werden. Die Kontrastierung der Stadtteilsituation durch die Beobachtungs- und Befragungsergebnisse und die Sozialstrukturanalyse kann aus heutiger Perspektive um die Ergebnisse der Lebenslaufforschung erweitert werden, indem sich »[…] neue Kategorien sozialer Probleme herausgebildet haben, wie beispielsweise die Versorgung alleinlebender Älterer, die Zunahme von Demenzerkrankungen im höheren Alter oder auch die Gefahr altersbedingt in wirtschaftliche Not zu geraten« (Schubert 2013, S. 33). Experten_innen für Stadtteilfragen?! Generell verdeutlichen die Bewohner_innen die enorme Wichtigkeit der persönlichen Ansprache (62 %) während des Interviews und die große Freude über den Status, der ihnen als Experte im Stadtteil befragt zu werden, zuteilwurde. Diese Aussagen wurden von dem Interviewteam nicht explizit abgefragt sondern von den Bewohner_innen, durch die offene Fragestellung, immer wieder aufgeführt. Jenes Ergebnis unterstreicht die Wichtigkeit der Beziehungsarbeit im Gemeinwesen und die damit verbundenen Kommunikationsprozesse, die den Zu-
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Die Experten_innenbefragungen fanden mit einer Seniorennetzwerkerin im Bezirk, einem Community Organizer, einer Pflegedienstmitarbeiterin, der Sozialraumanagerin der Wohnungsbaugesellschaft, dem Kioskbesitzer, der Bäckersfrau und dem Vorsitzenden des Karnevalsvereins statt.
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gang zu Menschen im Gemeinwesen bereiten und das Fundament sozialarbeiterischen Handelns im Gemeinwesen bilden. Im Interview konnte zumeist eine Beziehung zu den Menschen aufgebaut werden, die in der weiteren Zusammenarbeit im Gesamtprozess noch verstärkt wurde. Die in den Interviews entstandenen Face-to-Face Beziehungen mündeten in Solidarisierungsprozessen der Aktionsgruppen und der Durchsetzung von Stadtteilvorhaben. Ein sensibler und verantwortungsvoller Umgang mit der Beziehungsmacht sollte von allen Akteur_innen gewährleistet und einer stetigen Reflexion durch eine objektive Prozessbegleitung begleitet werden. Eine objektive Prozessbegleitung könnte dem Gesamtstätischenprozess moderierend geleiten und bereits in der Fortbildungsphase des Interviewteams begleitend zur Seite stehen und die gemeinsam gesetzten Ziele im Gesamtprozess mit der Interviewgruppe reflektieren. In der Zusammenarbeit mit allen Akteur_innen kann sie als objektive Prozessbegleitung in den gesamtstädtischen Verhandlungen herangezogen und in Konfliktsituationen moderierend zur Seite stehen. Eine vollständige Ergebnisdarstellung der aktivierenden Befragung kann an dieser Stelle nicht geleistet werden, ist aber als graue Literatur einsehbar. Aus den benannten Kategorien Infrastruktur und soziale Verhältnisse wurden im weiteren nun zwei Befragungsergebnisse ausgewählt, die das Vorgehen sowohl während der Bewohner_innenversammlung, die mit ca. 100 Personen besucht war, und den Aktionsgruppen verdeutlichen soll.7 In der Kategorie Infrastruktur korrespondierte das Ergebnis der aktivierenden Befragung mit den Beobachtungen aus der Voruntersuchung, in der die Senioren_innen sich angemes-
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Die Bewohnerversammlung setzte sich aus folgenden Personen und Gruppierungen zusammen: (interviewten) Bewohnern_innen, das Interviewteam, die Studierenden, interviewte Experten_innen und Schlüsselpersonen, Arbeitskreismitglieder_innen, politischen, sozialen, kirchlichen, kommunalen Vertreter_innen des Stadtteils/des Bezirks (Bezirksbürgermeisterin, Mitglieder_innen der Bezirksvertretung), Familien, Sozialraumkoordinatorin und Pressevertreter_innen.
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sene, barrierefreie, öffentliche Aufenthaltsorte und Räume im Stadtteil wünschten. Während der Bewohner_innenversammlung bildete sich eine Aktionsgruppe der Bewohner_innenschaft, die gemeinsam mit der Gemeinwesenarbeiterin und dem Vermieter der Senior_innenwohnungen vor Ort Möglichkeiten für ein zielgruppenübergreifendes Stadtteilcafé andachten. Aufgrund finanzieller Engpässe konnte kein abschließendes Ergebnis erzielt werden. Die Verkehrsberuhigung eines Straßenzuges sowie die bauliche Verbesserung einer anderen Straße waren weitere infrastrukturelle Aspekte, die von Senior_innen in der Befragung benannt wurden. Dieser Punkt wurde von der Bezirksvertretung im Entwicklungskonzept (vgl. BMVBS 2013) des Bund-Länder Programms ›Soziale Stadt‹ aufgenommen. Die Entstehung des Entwicklungskonzepts, als kommunale Aufgabe im Hinblick auf das Programm ›Soziale Stadt‹, verlief parallel zur aktivierenden Befragung und war nicht Instrument des Entwicklungskonzeptes, sondern ein eigenständiger, offener Prozess. Aufgrund der Wichtigkeit des Entwicklungskonzeptes für die kommunalen und politischen Vertreter und Vertreterinnen, wurde der aktivierenden Befragung im Stadtteil große Aufmerksamkeit geschenkt. Hinzu kam ein hohes Interesse am Thema Senior_innen im Kontext von gesellschaftlichen, kommunalpolitischen, sozialwissenschaftlichen und ökonomischen Zusammenhängen in Presse und Wissenschaft. Der günstige Zeitpunkt der Befragung, die zunehmende Verarmung des Stadtteils und die dazu passende Themenwahl der aktivierenden Befragung verhalfen Zugänge auf unterschiedlichen Ebenen: Banken, Kommune, Vereine, Dienstleistungssektor etc. zu erhalten und diese aktiv in den Prozess einzubinden. Ein Beispiel für die Zusammenarbeit im Stadtteil wird an der »Rollenden Bank« deutlich, einer rollenden Bank-Filiale in einem umgebauten Lastkraftwagen, die auf Initiative von Bewohner_innen Einzug in den Stadtteil erhielt. Aus Organisationsgründen musste die »Rollende Bank« in einer dunklen Ecke des Stadtteils platziert werden, jene Platz der zuvor Treffpunkt von Jugendlichen und jungen Erwachsenen darstellte. Vorherige Bemühungen, die Bank auf dem einzusehenden Marktplatz aufzustellen, zerbrachen an finanziellen Mietforderungen
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der Stadt. Die Bank verließ nach ca. vier Monaten Betrieb aufgrund von Sachbeschädigung von Jugendlichen und unter Verängstigung der Bankangestellten den Stadtteil. Der Gesamtprozess der Befragung gerät an Grenzen, wenn Kommunikationsprozesse dieserart nicht von allen Akteur_innen konsequent verfolgt und Absprachen eingehalten werden. Die Umsetzungsideen benötigen, neben Interesse und Mitwirkungsbereitschaft, eine sorgsame, bindende Kommunikation und die Möglichkeit von Organisationen, sich auf das Tempo von unterschiedlichen Akteur_innen im Stadtteilprozess einzulassen. In der Kategorie soziale Verhältnisse organisierte eine Aktionsgruppe aus Ehren- und Hauptamtlichen ein Bürger_innenforum. In dem Forum erläuterten städtische Vertreter den Informationsstand des Entwicklungsberichtes und eine Aktionsgruppe den Stand des Gesamtprozesses Senior_innen im Stadtteil erläuterten. Im Anschluss fand eine moderierte Diskussion der Bewohner_innenschaft mit den genannten Akteur_innen statt. Das Bürger_innenforum, das mit 60-70 Personen gut besucht war, wurde von der Bewohner_innenschaft als Erfolg verbucht, da sie die Möglichkeit der Information, Diskussion und der Mitbestimmung hatten, weil ihnen Verwaltungsabläufe nun besser bekannt waren und ihre Anliegen unmittelbar an die entsprechenden Kontaktpersonen äußern oder schriftlich einreichen konnten. Lang andauernde städtische Organisationszusammenhänge, wie beispielsweise die Baumaßnahmen eines Straßenzuges, waren und sind für Bewohner_innen schwer nachvollziehbar. Der damit verbundene Unmut wurde lautstark in dem Bürger_innenforum kundgetan. »Wir haben die Schnauze voll; das dauert uns einfach zu lange« (Zitat älterer Bewohner_innen des Stadtteils, 2010). Wechselnde Ansprechpartner bei städtischen Angelegenheiten verschärften den Eindruck der Organisationsmacht und ließen Bewohner_innen häufig aufgeben. Deliberative Beteiligungsverfahren in Form von Bürger_innenentscheiden, Bürger_innenbegehren, Bürger_innenversammlungen, Unterschriftenlisten (Früchtel/Budde/Cyprian 2010, S. 259f.) sind Möglichkeiten, Bürger_innenrechte einzufordern und könnten Bestandteil einer reflexiven Gemeinwesenarbeit sein, da die genannten Beteiligungsformen
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einem Teil der Bewohner_innen im Stadtteil nicht bekannt waren und zumeist Bewohner_innen aus gutsituierten Kreisen, städtische und kommunalpolitische Strukturen kennen und die Beteiligungsverfahren entsprechend nutzen, um Macht aufzubauen (vgl. Munsch 2005; Walter 2013). Nachthaltige Arbeit im Stadtteil Die aktivierende Befragung wurde in ein langfristiges Stadtteilkonzept eingebettet. Es sind Folgeprojekte, wie die gemeinsame Bepflanzung eines Hochbeetes, entstanden. Die Organisation und Gestaltung eines Spielenachmittages und des Demenzcafés, getragen von Ehrenamtlichen, sind bis dato fest installierte Programmpunkte im Stadtteil. Die Aktionsgruppe »Demenz«, die weiterhin besteht, wird bis heute von der Gemeinwesenarbeiterin unterstützt. Das Interesse sich langfristig in den Aktionsgruppen zu engagieren war in dem Vorhaben nur bedingt vorhanden und verringerte sich mit der Zeit. Das Ziel der aktivierenden Befragung, die Selbstorganisation und Verselbstständigung von Aktionsgruppen zu unterstützen – einzuordnen am Beispiel des Stufenmodells der politischen Partizipation von Bewohner_innen (Lüttringhaus 2007, S. 66f.) – ist in den vier Jahren nur begrenzt eingetroffen. Als mögliche Gründe wurden der Positionswechsel der damals tätigen Gemeinwesenarbeiterin und das Interesse an einer zeitnahen und kurzfristigen Mitarbeit benannt. Die Gemeinwesenarbeiterin begleitete und unterstützte die Aktionsgruppen in ihrer Arbeit und tappte dabei in die »Aktivierungsfalle«, indem sie eine hohe Prozess- und Ergebnisverantwortung übernahm. Die aktivierten Bewohner_innen erwarteten bewusst oder unbewusst eine Übernahme der Verantwortung für den Prozess. Das könnte auch Grund für eine, nur zum Teil eingetroffene, Verselbstständigung der Aktionsgruppen sein. Eine objektive Prozessbegleitung könnte anhand gemeinsam entwickelter Reflexionspunkte beispielsweise der Verselbständigung der Aktionsgruppen bereits während der Fortbildungsphase eine Prozessreflexion moderierend einleiten und diese im Weiteren verfolgen.
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Auf Mikroebene stießen die Ergebnisse der aktivierenden Befragung in benachbarten Stadtteilen sowohl methodisch als auch ergebnisorientiert auf großes Interesse und wurden in verschiedenen Arbeitskreisen vorgestellt und mit den Akteur_innen in den Stadtteilen diskutiert. Die Präsentation der Ergebnisse in stadtteilübergreifenden Arbeitskreisen, die Rolle des Interviews und die Präsenz in der Öffentlichkeit ließ die Mitwirkenden im Prozess in eine neue Funktion und Position im Stadtteil wachsen und zu einer »intermediären« Instanz zwischen Bewohner_innen, der Gemeinwesenarbeiterin und weiteren Akteur_innen werden (Fehren 2008, S. 185f.). Der Machtgewinn durch Information, Status und Ansehen ist von den Beteiligten als positiv verzeichnet und Ich-Stärkung beschrieben worden, die noch nachwirkt. Die hervorgehobene Rolle des Interviewteams und der Aktionsgruppen und der damit erhaltene Machtgewinn benötigt zu gleicher Zeit eine kritische Betrachtung, um einer Ausnutzung der Macht im negativen Sinne zu begegnen. Die zugeschriebene, unterschiedlich wahr- und angenommene Rolle der »Experte und Expertinnen« für die aktivierende Befragung sollte in den thematischen Aktionsgruppen sukzessive reflektiert und in die Öffentlichkeit transportiert werden. Diese behutsame, auch zeitintensive Zusammenarbeit lässt einen reflektierten, weiterhin offenen Gesamtprozess im Gemeinwesen zu. Das in der Literatur beschriebene, zunehmende Interesse von Fachleuten u.a. von Politik und Stadtplanung für aktivierende Methoden im Stadtteil, konnte auch in diesem Stadtteilvorhaben festgestellt werden (vgl. Lüttringhausen/Richers 2007, S. 23). Es verdeutlicht den Handlungsdruck kommunaler Akteur_innen im Hinblick auf die Aktivierung der Bewohner_innenschaft vor allem in sogenannten »benachteiligten« Stadtteilen tätig zu werden. Der von Politik und Wirtschaft zusammengetragene Aktivierungsdruck in der Gesellschaft findet sich in dem Anwachsen unterschiedlicher geförderter Programme u.a. Bundesfreiwilligendienst, Freiwilligendienste aller Generationen (2009-2011), Freiwilligensurveys, Ehrenamtsbörsen und ehrenamtlichen oder bürgerschaftlichen initiierten Vorhaben wieder, der u.a. von Pinl 2013 kritisch betrachtet wird.
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»Man kommt dort, wo man nicht hingehört, schwer rein und von dort, wo man ist, nicht einfach weg«8 In der aktivierenden Befragung treten Menschen formell und informell in Kontakt. Die Chance über gemeinsame Themen in Verbindung zu treten, bot Möglichkeiten für Austauschprozesse zwischen ganz unterschiedlichen Menschen und Gruppencliquen im Gemeinwesen. Die Bewohner_innenschaft konnte in Folge der Befragung, thematische Auseinandersetzungen auf der Bewohner_innenversammlung initiieren und durch die organisierte Strukturform der Aktionsgruppen Macht aufbauen. Durch den gemeinschaftlichen Prozess auf Stadtteilebene und neu geknüpften Beziehungen konnte der Themenbereich Senior_innen im Stadtteil überdacht und durch alle Beteiligten (weiter-) entwickelt werden. Auf der Bewohnerversammlung erfuhren ältere Bewohner_innen, dass sich auch andere Menschen im Stadtteil mit ihrem Thema z.B. einer fehlenden Bank für Geldgeschäfte beschäftigen. Das entstandene Gemeinschaftsgefühl mündete in Solidaritätsprozesse und Auseinandersetzungen in den Aktionsgruppen. Die Prozesse und Auseinandersetzungen trugen zu einer (erhöhten) Identifikation, aber auch zu einer Abgrenzung zu verschiedenen Themen und Gruppen im Gemeinwesen bei. Das in diesen lebensweltlichen Zusammenhängen geschehende »Lernen« passierte in Umfeld-Umwelt-Bezügen und Beziehungen. Thematische Austausch- und Auseinandersetzungsprozesse schafften die Möglichkeit einer differenzierten Wahrnehmung eben dieser Beziehungen und einer möglichen differenzierten Auseinandersetzung mit sich selbst. Homogenisierungsverfahren in Form von »reproduzierten stereotypen Zuschreibungen spezifischer kultureller Muster«, beispielsweise einen oktroyierten türkischen Kochkurs stattfinden zu lassen, vermieden die Akteur_innen (Kessl 2009). Die in dem Vorgehen der aktivierenden Befragung hergestellten Verbindungen von Lebenswelten (Menschen) und Systemen (Einrichtungen) gilt es bei älteren Menschen zu bewahren, die oft seit mehreren 8
Früchtel/Cyprian/Budde 2007, S. 20.
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Jahrzehnten mit ihrem Stadtteil verwurzelt sind und deren Mobilität und Flexibilität oft eingeschränkt ist. Die aktivierende Befragung ermöglicht durch den Ansatz der Selbstorganisation horizontale Vernetzungen an der Lebenswelt der Menschen im lokalen Gemeinwesen (Fehren 2008, S. 217) und somit die Möglichkeit Macht- und Herrschaftsverhältnisse im Gemeinwesen zu überdenken, bzw. neuzudenken und vor allem zu leben. Als Methode der Gemeinwesenarbeit leitet die Befragung die Selbstermächtigung von Menschen im Stadtteil ein und stößt durch einen Bottom-up Prozess im Zusammenspiel mit Politik, Kommune und weiteren Einrichtungen im Stadtteil gesellschaftliche Emanzipations- und Solidaritätsprozesse von Bewohner_innen an. Die »Hut-Wahl« der Gemeinwesenarbeit ist unterschiedlich, zuweilen zugeschrieben und mit unterschiedlichen Erwartungen behaftet. In der Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen kann generell von gleichberechtigten Partnern »im Prozess des Suchens nach Lösungen zur Verbesserung der Lage« (Hinte/Karas 2003 S. 37) gesprochen werden. Die Zuschreibung und Übernahme von Organisations- und Koordinationsaufgaben der Gemeinwesenarbeiterin, des Gemeinwesenarbeiters im Prozess der aktivierenden Befragung kann eine personelle und strukturelle Abhängigkeit »von Professionellen« im Stadtteil und die Entwicklung einer Verschiebung von Macht(-positionen) begünstigen. Eine mögliche unbewusste Steuerung von Themen- oder Projekten im Stadtteil kann die Machtposition weiter ausbauen. Die gewissenhafte Abgabe von Verantwortlichkeiten beispielsweise von Koordinierungsaufgaben der Aktionsgruppen an Ehrenamtliche bereits während der Fortbildung, kann den Grundstein für eine höhere Selbstverwaltung im Prozess legen. Gemeinwesenarbeiter_innen werden aufgrund ihrer vielfältigen Auftragslagen und dem Mehrebenenansatz (vgl. Früchtel/Budde/Cyprian 2010) häufig zu »Alleskönnern« (deklariert) mit mannigfachen Fähigkeiten und Kompetenzen. Die Zuschreibungen und das Bündel an vielfältigen Kompetenzen können sie zu einer glänzenden Persönlichkeit und unerlässlichen Figur im Stadtteil werden lassen. Das schillernde Dasein sowie die Entstehung starker Bindungen an die
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Professionellen können bewusste und unbewusste Machtasymmetrien im Haupt- und Ehrenamtsgeflecht fördern und wiederstrebt dem Auftrag und Ziel Sozialer Arbeit von Entpflichtung und dem Entgegenwirken von Abhängigkeitsverhältnissen. Eine Transparenz und Offenlegung von Funktionen und Rollen der unterschiedlichen Akteur_innen, kann durch die moderierende Prozessbegleitung geschehen und eine bewusste Auseinandersetzung mit Machtpositionen auf unterschiedlichen Ebenen im Gemeinwesen initiieren, Machverhältnisse verdeutlichen und möglichen Frustrationen frühzeitig entgegen wirken. »Die gesellschaftlichen Probleme sind nicht allein auf Ebene des Wohnquartiers zu lösen«9 Die aktivierende Befragung ermöglichte einen differenzierten Einblick in die Situation von älteren Menschen. Auf Basis der soziodemographischen Datenanalyse, der Ergebnisse der aktivierenden Befragung, den Themen der Aktionsgruppen wurde u.a. folgende Stadtteilthemen offen gelegt, die nicht alleine auf Stadtteilebene zu lösen sind: »Wegzug von älteren Menschen«, »Gentrifizierung durch Segregationsprozesse«, »Ergebnisse der Wohnungspolitik auf Stadteilebene«. Die Akteur_innen des Prozesses haben gemeinsam mit lokalen, bezirks- oder kommunalen Vertretern Handlungsmöglichkeiten ausgelotet und u.a. eine halbe Stelle für Senior_innennetzwerkarbeit eingerichtet. Durch die Verankerung der Akteur_innen in lokalen und (über-) regionalen Arbeitskreisen wurden Themen gebündelt und gemeinsame Strategien ausgearbeitet. Eine systematisch angelegte Problem- und Ursachenanalyse basierend auf der Datenlage, den Interviewergebnissen und den Resultaten aus den Aktionsgruppen, eröffnete die Möglichkeit strukturelle Defizite der (Sozial-)Politik zu identifizieren, sie auf Kommunaler-, Landes-, und Bundeseben anzusprechen, für Veränderungen einzutreten und sie u.a. mit der Fortführung des Entwicklungskonzept umzusetzen. 9
Knopp/van Rießen 2014, S. 43.
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Autorinnen und Autoren
Blandow, Rolf, Dipl.-Soz.-Arb., ist Geschäftsführer des Veedel e.V. Gemeinwesenarbeit in Köln. Kontakt: [email protected] Birwer, Janine, Dipl.-Soz.-Päd., M.A. ist Lehrkraft für besondere Aufgaben an der Fachhochschule Köln mit dem Lehrgebiet: Methodische Grundlagen beruflichen Handelns und dem Schwerpunkt Gemeinwesenarbeit und Sozialraumorientierung. Als Mitglied im Institut für angewandtes Management und Organisation in der Sozialen Arbeit beschäftigt Sie sie sich mit Themen zur Gemeinwesenarbeit, Sozialraumorientierung und Professionalisierung der Sozialen Arbeit. Kontakt: [email protected] van Elten, Ludger, Dipl.-Soz.-Päd., ist Sozialraumkoordinator für die Kölner Stadtteile Rondorf und Meschenich. Kontakt: [email protected] Knabe, Judith, Dipl.-Soz.-Arb., M.A., ist Lecturer an der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften der Fachhochschule Köln mit den Arbeitsschwerpunkten Methoden der Sozialen Arbeit, Gemeinwesenarbeit und Sozialraumorientierung, Armut und Erwerbslosigkeit sowie Wohnungspolitik, Mitglied im Promotionskolleg »Leben im transformierten Sozialstaat« (www.promotionskolleg-transsoz.de). Kontakt: [email protected]
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Knopp, Reinhold, Prof. Dr., Dipl.-Soz.-Arb., Dipl.-Päd., ist Professor für Stadt- und Kultursoziologie an der Fachhochschule Düsseldorf, Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften. Arbeitsschwerpunkte: Stadt- und Raumsoziologie, Stadtgestaltung im Kontext der demografischen Entwicklung. Kontakt: [email protected] Lang, Susanne, Dr. phil., ist Professorin für außerschulische Kinderund Jugendarbeit/-bildung sowie ästhetische Bildung und Medienpädagogik an der Hochschule Mannheim, Fakultät für Sozialwesen. Arbeitsschwerpunkten: Social Cultural Studies, Raumbildungsprozesse und Bildungsräume von Kindern und Jugendlichen, Migration und Diversityorientierung. Kontakt: [email protected] Munsch, Chantal, Prof. Dr., ist Professorin am Lehrstuhl für Erziehungswissenschaft der Universität Siegen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Diversity, Partizipation, bürgerschaftliches Engagement, Gemeinwesenarbeit, Sozialpädagogische Ethnografie, flexible, integrierte, sozialraumorientierte Erziehungshilfen und Praxisforschung. Kontakt: [email protected] Ottersbach, Markus, Prof. Dr. habil., ist Professor für Soziologie an der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften der Fachhochschule Köln, Institut für Interkulturelle Bildung und Entwicklung. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Migration, Stadt- und Jugendforschung, Politische Partizipation, Empirische Sozialforschung. Kontakt: [email protected]. van Rießen, Anne, Dipl.-Soz.-Arb., ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fachhochschule Düsseldorf, Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften. Arbeitsschwerpunkte: Sozialer Raum, demografischer Wandel und alternde Gesellschaft(en), Nutzer_innenforschung, partizipative Forschung, junge Erwachsene im Übergang zwischen
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Schule und Erwerbstätigkeit, Kulturpädagogik – insbesondere im Kontext des SGB II. Kontakt: [email protected] Sauter, Matthias, Dr. ing., Raumplaner NDS ETH und DiplomGeograph, ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Stadtteilentwicklung und Sozialraumorientierte Arbeit und Beratung (ISSAB) der Universität Duisburg-Essen. Arbeitsschwerpunkte: integrierte Stadt(teil)entwicklung, soziale Stadterneuerung, anwendungsbezogene Quartier-, Stadt- und Sozialraumorientierung; Regionalforschung, Evaluation und Begleitforschung. Kontakt: [email protected] Schönig, Werner, Prof. Dr. rer. pol., ist Professor im Fachbereich Sozialwesen an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen in Köln. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Soziale Dienste, Armut, Sozialraum und sozialökonomische Fragestellungen. Kontakt: [email protected] Schubert, Herbert, Prof. Dr. phil. Dr. rer. hort. habil., ist Professor für Soziologie und Sozialmanagement an der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften der Fachhochschule Köln, Direktor des Instituts für angewandtes Management und Organisation in der Sozialen Arbeit (IMOS) und Leitung des Forschungsschwerpunkts »Sozial • Raum • Management«, Arbeitsschwerpunkte: Netzwerkentwicklung, Sozialplanung, Kontakt: [email protected] Stockdreher, Petra, Dipl.-Soz., Gründerin von zweiplus Beratung Entwicklung Evaluation. Durchführung von Evaluationen im Kontext der Sozialen Arbeit in der LH München. Begleitung von Entwicklungs- und Qualitätsprozessen bei verschiedenen Trägern der Sozialen Arbeit, ebenfalls in München. Schwerpunkte: Prävention von
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Wohnungslosigkeit, institutionsübergreifende Kooperationen und Vernetzungen, Kulturelle Bildung, Interkultur. Kontakt: [email protected] Wehrheim, Jan, Prof. Dr. habil., ist Professor für Soziologie an der Universität Duisburg-Essen, Institut für Soziale Arbeit und Sozialpolitik. Arbeitsschwerpunkte: Stadt- und Devianzsoziologie. Kontakt: [email protected]
Urban Studies Marco Thomas Bosshard, Jan-Dirk Döhling, Rebecca Janisch, Mona Motakef, Angelika Münter, Alexander Pellnitz (Hg.) Sehnsuchtsstädte Auf der Suche nach lebenswerten urbanen Räumen 2013, 286 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2429-8
Alain Bourdin, Frank Eckardt, Andrew Wood Die ortlose Stadt Über die Virtualisierung des Urbanen 2014, 200 Seiten, kart., zahlr. Abb., 25,99 €, ISBN 978-3-8376-2746-6
Karsten Michael Drohsel Das Erbe des Flanierens Der Souveneur – ein handlungsbezogenes Konzept für urbane Erinnerungsdiskurse Oktober 2015, ca. 250 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3030-5
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Urban Studies Anne Huffschmid, Kathrin Wildner (Hg.) Stadtforschung aus Lateinamerika Neue urbane Szenarien: Öffentlichkeit – Territorialität – Imaginarios 2013, 464 Seiten, kart., 25,90 €, ISBN 978-3-8376-2313-0
Andra Lichtenstein, Flavia Alice Mameli (Hg.|eds.) Gleisdreieck/Parklife Berlin Juli 2015, 252 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3041-1
Lilo Schmitz (Hg.) Artivismus Kunst und Aktion im Alltag der Stadt September 2015, ca. 200 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 24,99 €, ISBN 978-3-8376-3035-0
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Urban Studies Alenka Barber-Kersovan, Volker Kirchberg, Robin Kuchar (Hg.) Music City Musikalische Annäherungen an die »kreative Stadt« | Musical Approaches to the »Creative City« 2014, 342 Seiten, kart., zahlr. Abb., 33,99 €, ISBN 978-3-8376-1965-2
Simone Egger »München wird moderner« Stadt und Atmosphäre in den langen 1960er Jahren 2013, 482 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2282-9
Sandra Maria Geschke Doing Urban Space Ganzheitliches Wohnen zwischen Raumbildung und Menschwerdung 2013, 360 Seiten, kart., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-2448-9
Johanna Hoerning »Megastädte« zwischen Begriff und Wirklichkeit Über Raum, Planung und Alltag in großen Städten Oktober 2015, ca. 320 Seiten, kart., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3204-0
Antje Matern (Hg.) Urbane Infrastrukturlandschaften in Transformation Städte – Orte – Räume Dezember 2015, ca. 230 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3088-6
Daniel Nitsch Regieren in der Sozialen Stadt Lokale Sozial- und Arbeitspolitik zwischen Aktivierung und Disziplinierung (2., korrigierte Auflage 2014) 2013, 300 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2350-5
Dominik Haubrich Sicher unsicher Eine praktikentheoretische Perspektive auf die Un-/Sicherheiten der Mittelschicht in Brasilien
Sebastian Schweer Skateboarding Zwischen urbaner Rebellion und neoliberalem Selbstentwurf
Juli 2015, 380 Seiten, kart., 44,99 €, ISBN 978-3-8376-3217-0
2014, 184 Seiten, kart., zahlr. Abb., 19,99 €, ISBN 978-3-8376-2780-0
Jörg Heiler Gelebter Raum Stadtlandschaft Taktiken für Interventionen an suburbanen Orten
Karin Wilhelm, Kerstin Gust (Hg.) Neue Städte für einen neuen Staat Die städtebauliche Erfindung des modernen Israel und der Wiederaufbau in der BRD. Eine Annäherung
2013, 352 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2198-3
Corinna Hölzl Protestbewegungen und Stadtpolitik Urbane Konflikte in Santiago de Chile und Buenos Aires August 2015, ca. 450 Seiten, kart., ca. 39,99 €, ISBN 978-3-8376-3121-0
2013, 350 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-2204-1
Susana Zapke, Stefan Schmidl (Hg.) Partituren der Städte Urbanes Bewusstsein und musikalischer Ausdruck 2014, 146 Seiten, kart., 24,99 €, ISBN 978-3-8376-2577-6
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de