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German Pages 296 Year 2020
Emmanuel Ndahayo Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
Gesellschaft der Unterschiede | Band 67
Emmanuel Ndahayo, geb. 1974, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Seminar für Sozialwissenschaften an der Universität Siegen. Der Sozialwissenschaftler promovierte an der Universität Siegen und war Stipendiat der Hans-Böckler-Stiftung. Seine Forschungsschwerpunkte sind Staatsbürgerschaft, Migration, empirische Sozialforschung, Afrikanität, Entwicklungspolitik.
Emmanuel Ndahayo
Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche? Zur sozialen Lage von eingebürgerten Deutschen afrikanischer Herkunft
Diese Arbeit wurde als Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Universität Siegen 2018 angenommen. Die Promotionsarbeit wurde finanziell und ideell von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert.
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Inhalt
Danksagung ............................................................................. 9 Vorwort .................................................................................. 11 1 1.1 1.2 1.3
Erkenntnisinteresse und leitende Fragestellung .................................... 15 Einführung .......................................................................... 15 Schwarz-Sein in europäischen Gesellschaften ....................................... 16 Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung? Erkenntnisinteresse und Fragestellung ..... 21
2 2.1 2.2 2.3
Afrikanische Menschen in der deutschen Gesellschaft ............................. 27 Der Begriff »afrikanisch«: Historische und geopolitische Umstände.................. 27 Afrikanerinnen und Afrikaner in Deutschland ....................................... 32 Schwarze Menschen in Deutschland heute: Eine soziologische Annäherung .......... 53
3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8 3.9
Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung ............................................ 71 Das Konzept der Staatsbürgerschaft ................................................. 71 Die geschichtliche Entwicklung des Konzeptes der Staatsbürgerschaft............... 73 Staatsbürgerschaft im Kontext von Nationalstaaten und dem Spannungsfeld von Inklusion und Exklusion ........................................................ 75 Staatsbürgerschaft in Deutschland.................................................. 79 Historische Entwicklung der Staatsbürgerschaft in Deutschland ..................... 88 Der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ...................................... 91 Der Inhalt der deutschen Staatsbürgerschaft ........................................ 92 Realisierung der Staatsbürgerschaft Schwarzer Deutscher: Symbolische Kämpfe? ... 101 Zwischenfazit: Ambivalenz und ständige Entwicklung bei der Staatsbürgerschaft ... 104
4 4.1 4.2 4.3
Untersuchungsanlage und Methoden.............................................. 105 Die Datenerhebung .................................................................107 Phasen und Strategien der Untersuchung ........................................... 113 Die Datenauswertung ............................................................... 115
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Schwarze Deutsche: Selbsteinschätzungen zur Staatsbürgerschaft und Ungleichbehandlung ......................................................... 123 5.1 Resümee der Motive und Selbsteinschätzungen bezüglich der deutschen Staatsbürgerschaft ................................................ 123 5.2 Schwarze Deutsche und Ungleichbehandlung....................................... 140 5.3 Zwischenfazit ......................................................................157 6 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6
Sozio-ökonomische Verlaufsprozesse ............................................ 159 Konfusionsphase: Schwierige Lebensbedingungen ................................. 160 Orientierungsphase: Bemühungen um Perspektiven .................................170 Stabilisierungsphase: Familie, Bildungsabschluss und Arbeit ........................175 Konsolidierungsphase ..............................................................179 Attestierungsphase: Bleiben, Desillusion und Einbürgerung ......................... 182 Zwischenfazit ..................................................................... 186
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Verlaufsprozesse von gesellschaftspolitischer Partizipation und symbolischen Kämpfen ...................................................... 189 7.1 Konfusionsphase ................................................................. 189 7.2 Orientierungsphase ................................................................ 191 7.3 Stabilisierungs- und Konsolidierungsphase ........................................ 201 7.4 Attestierungsphase ............................................................... 204 7.5 Symbolische Kämpfe und gesellschaftspolitisches Engagement nach der Einbürgerung ............................................................ 206 7.6 Zwischenfazit ......................................................................215
8 Verlaufsprozesse sozialer Zugehörigkeiten ........................................219 8.1 Konfusionsphase: Soziale Zugehörigkeit durch Familienkreise und Verwandte ...... 220 8.2 Orientierungsphase: Soziale Zugehörigkeit durch Nachbarschaft und Bildungsabschluss ............................................................ 222 8.3 Soziale Zugehörigkeit in der Stabilisierungs- und Konsolidierungsphase............. 226 8.4 Soziale Zugehörigkeit in der Attestierungsphase.................................... 229 8.5 Soziale Zugehörigkeiten auf transnationaler Ebene ................................. 250 8.6 Zwischenfazit: Differenzierte soziale Zugehörigkeiten .............................. 257 Abschließende Diskussion ....................................................... 261 Deutsche afrikanischer Herkunft und die geschichtliche Entwicklung der deutschen Staatsbürgerschaft ..................................................... 261 9.2 Von außen an die Peripherie. Verlaufsprozesse nach der Migration: Vom Ausländerstatus zur deutschen Staatsbürgerschaft ........................... 263 9.3. Gesamtfazit: Sich positiv entwickelnde, aber noch defizitäre Staatsbürgerschaft ... 268 9 9.1
Literatur- und Quellenverzeichnis ....................................................... 271 Literaturverzeichnis ..................................................................... 271 Sonstige Quellen ........................................................................ 285 Annexe ................................................................................. 289
Danksagung
Mein Dank geht zunächst an meine Frau Mareike und meine Kinder Leon, Simbi und Alina. Ihr habt mir auf dem ganzen Weg der Dissertationsarbeit den Rücken gestärkt. Ihr habt meine arbeitsbedingte Abwesenheit geduldig ertragen. Ich werde nie vergessen, dass ich oft in mein kleines Arbeitszimmer verschwunden bin, wenn ihr mich an eurer Seite gebraucht hättet. Für eure Geduld würde ich euch auch einen Doktortitel verleihen. Ich denke an meine Herkunft, an meine ganze Familie. Einige von ihnen sind physisch nicht mehr auf dieser Welt, mit der ich mich wissenschaftlich befasse. Sie sind jedoch immer noch da, weil ich wie mein afrikanischer »Bruder« Birago Diop (1960) Folgendes glaube: »Les morts ne sont pas morts.« Besonders denke ich an meine Mutter und ich bedanke mich bei ihr. Ich werde nie vergessen, dass sie mich an meinem ersten Schultag bis in die Klasse begleitet hat. Das war der erste Schritt eines langen Wegs zum Doktortitel. Liebe Eltern, ich werde nie vergessen, dass ihr dafür gesorgt habt, dass ich gut lernen und studieren konnte. Ich denke an euch, an meine Geschwister und ich wiederhole, dass wir zusammengehören. Ich bedanke mich bei Prof. Dr. Karin Schittenhelm für ihre Begleitung und für ihre Geduld mit einem Sozialwissenschaftler, der in Afrika geboren und aufgewachsen ist, der Deutsch als Fremdsprache gelernt hat und seine Dissertation in dieser Sprache verfasst hat. Sie war nicht nur eine wissenschaftliche Betreuerin, sondern auch Vermittlerin in der deutschen Wissenschaftssprache und akademischen Kultur. Ich bedanke mich bei allen meinen Lehrerinnen und Lehrern, Professorinnen und Professoren von der Schule bis zur Universität. Sie haben eine tolle Arbeit geleistet. Ich bedanke mich bei allen Kolleginnen und Kollegen und anderen, die dazu beigetragen haben, dass ich diese Dissertation erfolgreich beenden konnte, sei es durch Kommentare zu einzelnen Kapiteln, Rückmeldungen in der Forschungswerkstatt oder durch Korrekturlesen. Ich sage Dankschön an euch alle, liebe afrikanische »Brüder und Schwestern«, die ihr mit mir Interviews geführt habt und eure Geschichte – manchmal mit traurigen Erinnerungen verbunden – erzählt habt.
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
Ich danke der Bundesrepublik Deutschland, die mich als politischen Flüchtling aufgenommen und es mir ermöglicht hat, meine Rechte zunächst als Mensch und dann als Staatsbürger wieder zu genießen. Dies war in meinem Herkunftsstaat Ruanda nicht mehr möglich. Ich bedanke mich bei den Einrichtungen und Einzelpersonen, die in meiner ersten Zeit in Deutschland sehr hilfreich gewesen sind. Insbesondere bedanke ich mich bei der Hans-Böckler-Stiftung, die die Fortsetzung meines Studiums in Deutschland und auch später die Promotion ermöglicht hat. In diesem Kontext bedanke ich mich bei Herrn Professor Dr. Albert Scherr für seine Begleitung vonseiten der Stiftung. Ich würde mit dieser Arbeit gern dazu beitragen, der Menschenwürde in Deutschland mehr Achtung zu verschaffen. Sie ist im Grundgesetz verankert, aber in vielerlei Hinsicht noch nicht vollständig umgesetzt. Diese Arbeit ist ein Appell für mehr gesellschaftliche Teilhabe und Anerkennung für die Minderheiten. Beide sind eine solide Basis für einen nachhaltigen gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Vorwort
Diese Arbeit untersucht die Realisierung der Staatsbürgerschaft durch deutsche Bürgerinnen und Bürger mit subsahara-afrikanischer1 Herkunft. Für ein besseres Verständnis, wie dies in der Gegenwart gelingt, habe ich zunächst an der historischen Entwicklung der Bevölkerungsgruppe der Schwarzen Menschen2 im Kontext der deutschen Gesellschaft gearbeitet. Anschließend habe ich mich mit der Entstehung und der geschichtlichen Entwicklung der deutschen Staatsbürgerschaft beschäftigt. Dabei wurde die historische Entwicklung der deutschen Gesellschaft in vergleichender Perspektive mit anderen Zuwanderungsgesellschaften untersucht.
1
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Menschen mit afrikanischer Herkunft in Deutschland werden unterschiedlich bezeichnet. Sie werden »Schwarze Menschen«, »afrikanische Menschen« oder »Afrikaner« bzw. »Afrikanerinnen« genannt oder sie nennen sich in vielen Fällen selbst so. Mit dem Begriff »Subsahara-Afrika« wird Afrika südlich der Sahara bezeichnet. Selten wird Subsahara-Afrika auch »Schwarzafrika« genannt. Subsahara-Afrika, das überwiegend von Schwarzen Menschen bevölkert ist, unterscheidet sich von Nordafrika bzw. vom Maghreb, das überwiegend von arabischen Menschen bevölkert ist. Das Adjektiv »subsahara-afrikanisch« bezieht sich auf den Namen »Subsahara-Afrika«. In der vorliegenden Arbeit werden die Begriffe »Subsahara-Afrika« und »subsahara-afrikanisch« oft durch die Worte »Afrika« und »afrikanisch« ersetzt. Die Begriffe »Afrikanerinnen« bzw. »Afrikaner« werden als Synonym für »Schwarze Menschen« betrachtet. Beide werden daher abwechselnd benutzt. Da es um Deutschland geht, ist mitunter auch von »Afro-Deutschen« die Rede. Mit diesem Begriff wird häufig zum Ausdruck gebracht, dass Personen einen schwarzafrikanischen und einen weißen, deutschen Elternteil haben. Der Benennung wird aber darüber hinaus eine bikulturelle Eigenschaft zugesprochen (vgl. Oguntoye, Opitz und Schultz 1986: 10). Diesbezüglich ist der Begriff »afro-deutsch« eine Imitation der Bezeichnung »afro-amerikanisch«, die auf den deutschen Kontext übertragen wurde, um deutsche Bürgerinnen bzw. Bürger mit afrikanischem Hintergrund unabhängig davon zu bezeichnen, ob beide Eltern Schwarzafrikaner sind oder ob nur ein Elternteil Schwarzafrikanerin bzw. Schwarzafrikaner ist (vgl. Oguntoye, Opitz und Schultz 1986: 10). Demnach gehören Deutsche mit afrikanischer Herkunft zu den Afro-Deutschen. In dieser Arbeit wird die Initiale des Adjektivs »Schwarz« im Zusammenhang mit der Bezeichnung »Schwarze Menschen« immer großgeschrieben. Die Initialen des Begriffs »Schwarze Deutsche« werden auch von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland großgeschrieben.
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
All dies diente nicht zuletzt zur Vorbereitung der empirischen Analyse im Rahmen der vorliegenden Arbeit. Die Untersuchung hat sich an bisherige Überlegungen in der Rassismus- und Migrationsforschung sowie in sozialwissenschaftlichen Debatten, z.B. in politischer Soziologie sozialer Ungleichheiten, angeschlossen. Die Bevölkerungsgruppe der Afrikanerinnen bzw. Afrikaner in Deutschland wurde als eine Minderheit mit Blick auf das Mehrheits-Minderheits-Verhältnis bzw. auf symbolische Macht/symbolische Kämpfe (vgl. Weiß 2001; 2013; 2017) verstanden. Dies bedeutet, dass es in der vorliegenden Arbeit um die Frage nach Macht- und Ungleichheitsverhältnissen geht, aber nicht nur wegen der zahlenmäßigen Unterlegenheit der afrikanischen Menschengruppe. Die Mehrheit verfügt auch über sehr viel mehr Deutungsmacht und Einfluss in der deutschen Gesellschaft, zu der auch die afrikanische Menschengruppe zählt. Schließlich habe ich die Art und Weise, wie deutsche Bürgerinnen und Bürger afrikanischer Herkunft die Realisierung ihrer Staatsbürgerschaft wahrnehmen, mittels einer qualitativen empirischen Untersuchung erfasst und analysiert. Insofern beinhaltet diese Arbeit zwei zentrale Teile: Der erste Teil wurde auf Basis eines Literaturstudiums verfasst. Der zweite Teil beinhaltet eine empirische Analyse auf Basis von narrativen Interviews. Der auf Basis eines Literaturstudiums verfasste theoretisch-konzeptionelle Teil nimmt sich einerseits die Entwicklung der Fragestellung für die spätere empirische Analyse vor. Er greift aber auch historische Bezüge und grundlegende Fragestellungen über die Staatsbürgerschaft insbesondere in Deutschland sowie deren Realisierung durch Schwarze Menschen auf und kann insofern auch einen eigenen Stellenwert beanspruchen. Die Untersuchung wurde sowohl mit einer gegenwartsbezogenen Perspektive als auch mit Blick auf historische Entwicklungen durchgeführt. Durch den empirisch-sozialwissenschaftlichen Ansatz habe ich mich mit der Realisierung der Staatsbürgerschaft durch deutsche Bürgerinnen und Bürger mit afrikanischer Herkunft in der heutigen Zeit beschäftigt. Um aber die Zusammenhänge und den Kontext zur Ausübung der Staatsbürgerschaft in der Gegenwart besser zu verstehen, war es wichtig, zumindest ansatzweise auch den Hintergrund des heutigen Zustands zu untersuchen. Die Inklusionsprozesse Deutscher mit afrikanischer Herkunft werden in historisch vergleichender Perspektive analysiert, womit der »Duktus des ›ganz Neuen‹« vermieden wird (vgl. Weiß 2017: 257). Es war also relevant, die historische Entwicklung der Realisierung der Staatsbürgerschaft durch die genannte Bevölkerungsgruppe zu berücksichtigen. Von Bedeutung war es auch, die Zielgruppe als Teil einer breiten Community von Menschen mit subsahara-afrikanischer Herkunft zu betrachten. Diese reale oder imaginierte Community ist weltweit verstreut und hat eine Geschichte. Diese Geschichte und die Zugehörigkeit zu dieser Community beeinflussen auch die Realisierung der Staatsbürgerschaft durch die Betroffenen in der Gegenwart in Deutschland.
Vorwort
Mit dem Fokus auf der Gegenwart war es wichtig, mehrere Zeitebenen zu berücksichtigen und zu vergleichen. Bezieht man sich nur auf das Bild vom gegenwärtigen Zustand des Untersuchungsgegenstands, kommt man zu deprimierenden Ergebnissen: Deutsche Bürger bzw. Bürgerinnen mit afrikanischer Herkunft werden trotz des Status der Staatsbürgerschaft sozial exkludiert, sozioökonomisch benachteiligt und in der Gesellschaft nicht anerkannt. Berücksichtigt man aber den Prozess bzw. die geschichtliche Entwicklung der Ausübung der Staatsbürgerschaft durch die Zielgruppe in Deutschland, bemerkt man einen positiven Trend: Gegenwärtig bewegen sie sich zwar in den Peripherien3 der Gesellschaft, in der Vergangenheit waren Schwarze Menschen aber nahezu außerhalb dieser Peripherien. Im vorherrschenden Bewusstsein der Gesellschaft wurden sie gar nicht als Teil der deutschen Gesellschaft betrachtet. Anders ausgedrückt: Schwarze Menschen haben sich in der öffentlichen Wahrnehmung von Fremden und »Ausländern« hin zu Inkludierungskandidaten mit Ansprüchen und Rechten als Staatsbürger bzw. Staatsbürgerinnen verändert. Der Blick auf gegenwärtige wie auch auf historische Verhältnisse ist für die Analyse der gesamten Untersuchung sehr wichtig, weil Afrikanerinnen und Afrikaner in Deutschland keine isolierten Einzelmenschen oder keine isolierte und neu in Erscheinung tretende Menschengruppe sind. Sie sind Teil einer Gesellschaft, die eine Geschichte hat, in der auch ihre eigene Geschichte angesiedelt ist. Es war für die vorliegende Arbeit außerdem wichtig, die Entstehung und Entwicklung der Staatsbürgerschaft als Konzept sowie als Status und ihre Realisierung in der deutschen Geschichte zu betrachten sowie die Bevölkerungsgruppe der Schwarzen Menschen in diesem Umfeld einzuordnen. Ich empfehle der Leserin und dem Leser dieser Arbeit, nicht nur einen derzeit möglicherweise als aktuell geltenden Teil, sondern die ganze Arbeit zu lesen. D.h. ich empfehle, nicht nur die heutige Situation von Afrikanerinnen und Afrikanern in Deutschland zu betrachten, ohne ihre Geschichte zu berücksichtigen. Mit ihrer finanziellen und ideellen Unterstützung hat die Hans-BöcklerStiftung diese Studie ermöglicht, die einen wichtigen Beitrag leisten möchte zur Erforschung sozialer Ungleichheit bzw. gesellschaftlicher Teilhabe im Kontext von Migration und Inklusionsprozessen, die in besonderem Maße von Rassismus, (post-)kolonialistischen Ansichten und fragilen Eingliederungsformen betroffen sind. Die Analyse der sozialen Lage von eingebürgerten Deutschen afrikanischer Herkunft trifft in eine Forschungslücke, die es dringend zu schließen gilt. Die empirische Studie mithilfe qualitativer Interviews bietet wichtige Erkenntnisse für diverse sozialwissenschaftliche sowie integrationspolitische Bereiche. 3
Der Begriff »Peripherie« wird oft in Bezug auf das Zentrum von etwas, z.B. von einem urbanen Milieu, benutzt. In dieser Arbeit benutze ich diesen Begriff nicht im geografischen Sinne, sondern vielmehr in Bezug auf die Macht- und Ressourcenverteilung in der Gesellschaft.
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1
Erkenntnisinteresse und leitende Fragestellung
1.1
Einführung
In der deutschsprachigen politischen Debatte ist Einbürgerung seit langem ein wichtiges Thema. Dabei gibt es keine Einigkeit darüber, ob der Erwerb des Staatsbürgerstatus durch Migrantinnen bzw. Migranten ein »Meilenstein«, d.h. ein integrationsförderndes Instrument, oder ein »Schlussstein«, d.h. das Ende eines erfolgreichen Integrationsprozesses, ist (vgl. BAMF 2008: 10). Während eine Seite die Einbürgerung als Abschluss eines erfolgreichen Integrationsprozesses ansieht, wird sie von anderer Seite als ein integrationsförderndes Mittel konzeptualisiert (vgl. Benndorf 2008: 173-230). Exemplarisch für die zweite Sichtweise sind die Standpunkte von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, deren Regierungskoalition (1998 bis 2005) das Einbürgerungsgesetz sehr stark reformiert und damit die Einbürgerung erleichtert hat (BAMF 2008: 5). Sie beschreiben die Einbürgerung als einen Weg, um »die gesellschaftliche Einbindung zu beschleunigen« (Benndorf 2008: 192). Diesen Standpunkt bekräftigt der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), der die Integration von Zugewanderten bzw. Eingebürgerten darüber hinaus als beidseitig und als einen nie abgeschlossenen Prozess ansieht (Benndorf 2008: 224). Für den DGB ist die Einbürgerung ein Weg zur besseren Teilhabe an der Demokratie und ein Instrument zur besseren Integration (vgl. Benndorf 2008: 226). Bei diesen unterschiedlichen Positionen ist jedoch auch eine Übereinstimmung festzustellen: Die Einbürgerung ist eng mit der gesellschaftlichen Partizipation verbunden. Doch wurde über den Zusammenhang zwischen der Einbürgerung und der gesellschaftlichen Teilhabe von Migrantinnen und Migranten in Deutschland bisher eher wenig empirisch geforscht. Daher ist es relevant, empirisch gestützte Studien darüber durchzuführen, inwieweit die Einbürgerung die Inklusion ermöglicht oder beschleunigt oder ob sie lediglich als Schlusspunkt eines bereits abgeschlossenen Inklusionsprozesses anzusehen ist. Für Sozialwissenschaftlerinnen bzw. Sozialwissenschaftler, die untersuchen, was hinter formalen und offiziellen Strukturen und Institutionen steht (vgl. Brubaker 1992: 22), reichen die Daten, die in den staatlichen Ausweispapieren aufgelistet sind, sicher nicht aus, um den Zusammenhang zwischen der Einbürgerung und der gesellschaftlichen Partizipation
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
der Eingebürgerten, also die tatsächliche Realisierung der erhaltenen Staatsbürgerschaft, zu bestimmen. Meines Wissens gab es bisher z.B. keine wissenschaftliche Studie darüber, ob eine Einbürgerung die Situation und die Integration der in Deutschland mit ungünstigen Lebensbedingungen konfrontierten afrikanischen Zugewanderten verbessert. Es war daher relevant, eine Studie über die Lebensgeschichten und Lebenssituationen von eingebürgerten Afrikanern bzw. Afrikanerinnen in ihrem Einwanderungsland durchzuführen. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit die Verleihung des formalen rechtlichen Status mit einer tatsächlichen Realisierung der Staatsbürgerschaft einhergeht. Die Realisierung der Staatsbürgerschaft beruht dabei nicht nur auf der formal-rechtlichen Zugehörigkeit zu einem Staat, sondern auch auf den faktisch vorhandenen Rechten, Pflichten und Privilegien der Staatsbürger bzw. Staatsbürgerinnen. Diese Realisierung setzt darüber hinaus Gelegenheiten für ihre individuelle, alltagspraktische Ausübung voraus. Eine solche Ausübung der Staatsbürgerschaft hängt wiederum von der Wahrnehmung der damit verbundenen Inhalte ab sowie auch von Restriktionen, die eine solche Wahrnehmung potenziell beeinträchtigen können. Im Zentrum dieser Arbeit steht also die Realisierung der Staatsbürgerschaft durch Bürger bzw. Bürgerinnen mit afrikanischer Herkunft in Deutschland. Dies erfordert einen Blick auf rassistische bzw. ethnische Klassifikationen, die kulturellpolitisch reproduziert werden und stark mit kollektiven Übereinkünften zusammenhängen (Weiß 2001: 79f.), sowie auf institutionalisierte und handlungspraktische Formen der Diskriminierung, die nur selten explizit mit Rassismus in Verbindung gesetzt werden (Weiß 2001: 81f.). Wie eingebürgerte Afrikanerinnen bzw. Afrikaner ihre Staatsbürgerschaft ausüben und sich diese vor dem Hintergrund ihrer Lebenswirklichkeit aneignen, wird qualitativ empirisch anhand ihrer individuellen Lebensläufe, Einstellungen, Lebensbedingungen, Aktivitäten und Engagements untersucht. Die Studie konzentriert sich ausschließlich auf die Population aus Subsahara-Afrika, da sie nach dem vorliegenden Forschungsstand aus unterschiedlichen Gründen von Eingewanderten aus Nordafrika zu unterscheiden ist (vgl. Benndorf 2008: 254; Elwert und Elwert 2011: 93).
1.2
Schwarz-Sein in europäischen Gesellschaften
Die Realisierung der Staatsbürgerschaft setzt u.a. die gesellschaftliche Partizipation voraus, die wiederum u.a. in der politischen Beteiligung oder Ausübung von öffentlichen Ämtern ihren Ausdruck finden. Die Ausübung eines Mandats durch Bürgerinnen und Bürger mit afrikanischer Herkunft wird in der europäischen Öffentlichkeit besonders diskutiert und häufig als »exotisch« und ungewöhnlich betrachtet. Dies passiert in der Gegenwart, obwohl viele afro-europäische Menschen
1 Erkenntnisinteresse und leitende Fragestellung
durch ihre bedeutenden Persönlichkeiten und Engagements die Geschichte Europas mitgestaltet haben. Zu diesen Leitfiguren zählen z.B. der Philosoph und Universitätsdozent Anton Wilhelm Amo aus Deutschland, der General Thomas Alexandre Dumas aus Frankreich, der Universitätsprofessor Juan Latino aus Spanien und der heilige Benedikt aus Italien (vgl. PÄZ 2017). Aden-Ugbomah weist darauf hin, »dass die afrikanische Einwanderungsgeschichte sowie Schwarze historische Persönlichkeiten weder in Schulen und Hochschulen noch in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen werden, obwohl einige von ihnen bis heute sehr verehrt werden.« (PÄZ 2017: 12) In diesem Zitat findet sich ein Teil der Antwort auf die Fragestellung, warum afrikanische bedeutende Persönlichkeiten in der Geschichte Europas unbekannt bleiben. Sie werden nicht oder anders als ihre weißen Kolleginnen und Kollegen wahrgenommen. Kulturelle bzw. rassistische Klassifikationen in Europa und in Deutschland vermitteln ein negatives Prestige von Schwarzen Menschen, welches mit Benachteiligungen oder sogar Exklusionen verbunden sein kann (vgl. Weiß 2001: 83). Die in dieser Einleitung im Folgenden angeführten Beispiele einiger bekannter afrikanischer Prominenter im heutigen Europa sind nicht unmittelbar Gegenstand der Untersuchung, aber sie dienen als Einführung und zur Generierung forschungsleitender Fragestellungen. Sie illustrieren Fragen der gesellschaftlichen Wahrnehmung der Partizipation bzw. der Ausübung der Staatsbürgerschaft von Bürgern bzw. Bürgerinnen mit afrikanischer Herkunft in europäischen Immigrationsgesellschaften, die traditionell und historisch als Gesellschaften weißer Menschen betrachtet werden. Sie zeigen, »wie sich kulturelle Klassifikationen in sozialstrukturelle Ungleichheiten und damit auch in alltagspraktische und institutionalisierte Diskriminierung übersetzen« (Weiß 2001: 83f.). Beispielsweise ist es interessant zu beobachten, wie es in den Medien dargestellt wird, wenn eine Staatsbürgerin bzw. ein Staatsbürger mit afrikanischer Herkunft ein öffentliches Amt in Europa bekleidet. Die Bekleidung eines Amtes zählt normalerweise zu den Rechten aller Staatsbürger bzw. -bürgerinnen. Bemerkenswert ist jedoch, welche Rolle die afrikanische Herkunft und die Hautfarbe bei dieser öffentlichen Wahrnehmung spielen. Die folgenden Beispiele verdeutlichen, dass die tatsächliche Realisierung der Staatsbürgerschaft nicht gleichbedeutend mit dem rechtlichen Status ist, sondern nur auf Basis der Erfahrungen und Alltagsrealitäten der betreffenden Personen verstanden und nachvollzogen werden kann. Mit anderen Worten: Es bedarf einer Rekonstruktion der Bedeutung von Kriterien wie Herkunft und Hautfarbe für die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte. Das Zusammenwirken verschiedener Formen von Ungleichheit und Diskriminierung ist ein Thema lang anhaltender Diskussionen, die u.a. unter dem Stichwort
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
der »Intersektionalität« stattgefunden haben (vgl. Brah und Phoenix 2004). Auch Weiß (2017: 30) unterscheidet diverse Dimensionen sozialer Ungleichheit, die sich »je nach Kontext verstärken, ergänzen, überschneiden oder auch abschwächen«. Eine dieser Dimensionen ist der Rassismus oder die rassistische Klassifikation, die mit Blick auf Fragen der Intersektionalität bereits früh zur Sprache kamen (vgl. Kimberle 1991). Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive ist es wichtig zu untersuchen, welchen Einfluss die Hautfarbe bzw. der anti-schwarze Rassismus auf das Leben der Bürgerinnen bzw. Bürger mit afrikanischer Herkunft hat, besonders in Gesellschaften, in denen nicht-schwarze Menschen die Mehrheit darstellen. So stellt sich die Frage, welche Rolle die Hautfarbe bei der Legitimierung und Verstärkung des (latenten) Rassismus, der Diskriminierung und der (vorhandenen oder zugeschriebenen) kulturellen Unterschiede (vgl. Castro Varela und Dhawan 2004: 68) spielt. Eine besondere öffentliche Wahrnehmung bei der Ausübung von Ämtern findet nicht nur in Deutschland statt, sondern auch in anderen Einwanderungsländern, in denen Schwarze Menschen zu den Minderheiten zählen. In Italien z.B. hat die Nominierung von Cecile Kyenge, Italienerin mit Subsahara-Herkunft, am 27.04.2013 als Ministerin viele Kommentare ausgelöst, die sich auf ihre Hautfarbe und Herkunft bezogen. Die Reaktionen bezüglich der ersten »afro-italienischen« Ministerin werfen viele interessante Fragen auf. Drei dieser Fragen verlangen aus sozialwissenschaftlicher Perspektive mehr Aufmerksamkeit: Die erste Frage bezieht sich auf die Darstellung und Kommentierung in den Medien, die die Nominierung der Schwarzen Politikerin begleitet haben. Die großen Presse-Agenturen wie Reuters, AFP und dpa haben sensationalistisch über die neue Regierung in Italien und die »afro-italienische« Ministerin berichtet. Diese »Sensation« wurde nicht nur in Italien und Deutschland, sondern auch in verschiedenen Zeitungen anderer Länder, sozusagen über Länder und Kontinente hinweg, in der Welt verbreitet. Doch warum wurde über »die Schwarze Ministerin in Italien« eigentlich so viel geschrieben bzw. welche Besonderheiten bringt diese Ministerin mit, die sie von anderen Ministern bzw. Ministerinnen unterscheiden und die eine solche mediale Aufmerksamkeit hervorgerufen haben? Welche Rolle haben die Hautfarbe und die Herkunft von Frau Kyenge bei den Reaktionen und Kommentaren zu ihrer Nominierung als Ministerin gespielt? Frau Kyenge war nicht die einzige Ministerin in der italienischen Regierung mit einem Migrationshintergrund. Josefa Idem ist eine gebürtige Deutsche und war ebenfalls Ministerin in derselben Regierung. Sie ist also keine gebürtige Italienerin, aber die Nachrichtenagenturen und Zeitungen haben ihre Nominierung als Ministerin weit weniger umfangreich kommentiert als bei Cecile Kyenge. Die unterschiedliche Herkunft und Hautfarbe der beiden Ministerinnen sind der Grund für diese »Sensation«. Neben den Fällen von Frau Kyenge und Frau Idem in Italien gibt es noch weitere interessante Fälle in anderen europäischen Ländern. Als Elio Di Rupo, belgischer
1 Erkenntnisinteresse und leitende Fragestellung
Bürger mit italienischen Wurzeln, Ministerpräsident in Belgien wurde, hat das keine besonderen Reaktionen in Bezug auf seine Herkunft ausgelöst. Dass die ehemalige französische Justizministerin Christina Taubira eine Nachfahrin von Sklaven sei, wurde hingegen in den Medien in Frankreich immer wieder betont. Und als Rama Yade 2007 in Frankreich als Ministerin nominiert wurde, wurde in Medienberichten über ihre Nominierung häufig hervorgehoben, dass die gebürtige Senegalesin zu einer auffälligen Minderheit (minorité visible) gehört. Hierdurch erschien ihre Wahl zur Ministerin eine Folge positiver Diskriminierung zu sein. Die Frage ist, warum eine Staatsbürgerin mit afrikanischer Herkunft in europäischen Regierungen nicht einfach als »gewöhnliche« Ministerin angesehen wird, da doch das Einnehmen eines Ministerpostens durch eine Staatsbürgerin bzw. einen Staatsbürger eigentlich selbstverständlich ist. Die Nominierung von Frau Kyenge führte zu offenen rassistischen bzw. fremdenfeindlichen Äußerungen1 gegen sie aufgrund ihrer Herkunft und Hautfarbe (vgl. SlateAfrique 2013a). Der Vize-Präsident des italienischen Senats, Senator Roberto Calderoli, der auch in Silvio Berlusconis Regierung Minister war, hat am 13.07.2013 die Schwarze Ministerin als einen »Orang-Utan« bezeichnet und öffentlich gesagt, dass Cecile Kyenge eine gute Ministerin »in ihrem Land«, also im Kongo, aber nicht in Italien sein könne (vgl. L’Obs avec AFP 2013). Eine vergleichbare Erfahrung hat Josefa Idem, die in Deutschland geborene Ministerin, nicht gemacht. Die zweite Frage bezieht sich auf die Darstellung durch die afrikanische Community. Es ist interessant zu beobachten, wie sich viele afrikanische Milieus, insbesondere »afrikanische Aktivisten« bzw. »Aktivistinnen«, in verschiedenen Ländern über die Nominierung von Cecile Kyenge als Ministerin gefreut haben. Sowohl in Afrika als auch auf anderen Kontinenten haben viele Internetseiten und Zeitungen, die sich mit Afrika, Afrikanern bzw. Afrikanerinnen oder mit Schwarzen Menschen beschäftigen, ausführlich über Frau Kyenge berichtet (z.B. SlateAfrique 2013b). In den sozialen Medien tauschten Afrikanerinnen bzw. Afrikaner zahlreiche lobende und gratulierende Botschaften untereinander aus. Das war auch der Fall bei den Nominierungen von Frau Yade und Frau Taubira als Ministerinnen in Frankreich und auch beim Wahlsieg Barack Obamas in den USA. All dies kann zu der Annahme führen, dass sich Afrikaner bzw. Afrikanerinnen oder Schwarze Menschen außerhalb des afrikanischen Kontinents in gewisser Weise durch ihre Herkunft und ihre Hautfarbe miteinander verbunden fühlen. Die dritte Frage thematisiert den Umstand, dass Cecile Kyenge sich selbst als Afrikanerin sieht oder definiert. Könnte ihre eigene Selbstbestimmung als »Afri-
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Diese rassistischen Äußerungen kamen auch vonseiten anderer Abgeordneter, wie die Online-Zeitung SlateAfrique vom 22.05.2013 berichtet. Online unter www.slateafrique. com/194971/kyenge-kashetu-ministre-noire-italienne-victime-insultes-racistes (Zugriff am 26.03.2018).
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
kanerin« als eine Reaktion auf die gegen sie ausgeübte Fremdenfeindlichkeit interpretiert werden? Frau Kyenge lehnt die Fremdbezeichnung »dunkelhäutig« ab. Sie sieht sich selbst »nicht als dunkelhäutige Frau, sondern als eine Schwarze, die stolz darauf ist« (Niakate 2013). Sie betont, dass man als Afrikaner bzw. Afrikanerin geboren wird und dass man Afrikaner bleibt, unabhängig vom Land, in dem man aufwächst oder lebt2 (vgl. Niakate 2013). Afrikaner bzw. Afrikanerinnen werden also nicht nur von den »weißen Europäerinnen und Europäern« oder anderen Zuwanderungsgruppen als Afrikaner bezeichnet, sondern es kommt vor, dass sie sich selbst in bestimmten Situationen auch so sehen und bezeichnen. Es ist durchaus bedeutsam, dass sich Barack Obama in Amerika als Mitglied der »afro-community« ansieht und dass sich Kyenge in Italien, Taubira und Yade in Frankreich und Diaby in Deutschland auch als Mitglieder einer länderübergreifenden Community betrachten und auch so wahrgenommen und rezipiert werden. Noch zentraler ist jedoch die Frage, welche Rolle diese Vorstellungen in der Gesellschaft spielen, welche Funktion sie erfüllen und was sie bewirken bzw. welche gesellschaftlichen Verhältnisse und Zusammenhänge darin zum Ausdruck kommen. Frau Kyenge vertrat die Meinung, dass die Zukunft von Afrikanerinnen bzw. Afrikanern und ihren Kindern auch davon abhänge, ob sie unter den Entscheidungsträgern vertreten seien (vgl. Niakate 2013). Darum habe sie sich dafür entschieden, Politikerin zu werden. Dieser Selbstdarstellung zufolge ist es auch Teil von Cecile Kyenges politischem Auftrag, die Interessen von Afrikanerinnen bzw. Afrikanern bei den Entscheidungsträgern bzw. Entscheidungsträgerinnen zu vertreten. Neben der Ausübung der politischen Tätigkeiten durch Afrikaner bzw. Afrikanerinnen kann man auch weitere Beispiele aus dem Alltagsleben nennen, die zeigen, dass Schwarze Menschen oft nicht als »normale« Bürger und Bürgerinnen betrachtet werden. Der Fall des deutschen Staatsbürgers Jérôme Boateng, der von einem deutschen Politiker3 als ein nicht normaler und nicht erwünschter Nachbar beurteilt wurde, nur weil er ein Schwarzer ist, wurde in Deutschland viel beachtet und kommentiert. Alle diese Beispiele zeigen, welche besondere Bedeutung das Schwarz-Sein in den europäischen Gesellschaften hat. Die vorgestellten Beispiele und die drei lancierten Fragen weisen darauf hin, dass Schwarze Menschen ihre Staatsbürgerschaft in den von weißen Menschen dominierten Gesellschaften anders als diese weiße Mehrheit ausüben. Diesbezüglich ist es interessant zu fragen, wie die Ausübung der Staatsbürgerschaft durch Bürgerinnen bzw. Bürger mit afrikanischer Herkunft in Deutschland
2 3
Frau Kyenge sagte wörtlich : »On naît africain et on le reste. Peu importe le pays où l’on vit, on est africain pour la vie« (Niakate 2013). Es handelte sich um den AfD-Politiker Alexander Gauland. Für mehr Informationen kann dieser Artikel der Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) interessant sein: »›Nicht als Nachbarn‹. Gauland beleidigt Boateng« (Wehner und Lohse 2016).
1 Erkenntnisinteresse und leitende Fragestellung
heute aussieht. Bei der Bearbeitung dieser Frage richtet sich der Blick auch darauf, ob die Realisierung der deutschen Staatsbürgerschaft durch Afrikanerinnen bzw. Afrikaner in irgendeiner Form mit der Gemeinschaftsbildung einer afrikanischen Community und ihren Erfahrungen zusammenhängt. Die Thematisierung von »Afrikanität«, d.h. einem Zusammenspiel von Eigenschaften und Merkmalen, an dem sich Afrikanerinnen bzw. Afrikaner erkennen und die sie ihrem Selbstverständnis nach von anderen Bevölkerungsgruppen unterscheiden, ist insofern für die vorliegende Arbeit auch von Interesse.
1.3
Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung? Erkenntnisinteresse und Fragestellung
Menschen mit subsahara-afrikanischer Herkunft wurden in der Vergangenheit im Bewusstsein der von Weißen dominierten deutschen Gesellschaft häufig gar nicht als Angehörige der deutschen Gesellschaft betrachtet. Einige Autoren und Autorinnen sind der Meinung, dass die Diskriminierung von afrikanischen Menschen in der deutschen Geschichte nicht nur übersehen wird, sondern dass diese Diskriminierung sogar »vorreflexiv« ist, sich also dem »Bewusstsein« vieler Deutscher entzieht (vgl. Wiedenroth 1986: 166). So wird Schwarz-Sein oft als Antonym zu Deutsch-Sein betrachtet, fast genauso wie Schwarz als Gegensatz zu Weiß gilt (vgl. Sow 2008). Insofern werden sie, wenn es um Diskriminierungen und stereotypisierende Vorstellungen in Bezug auf Schwarze Deutsche geht, oft nicht als diskriminierte »Deutsche«, sondern als diskriminierte »Andere« angesehen. Wie im Verlauf dieser Arbeit verdeutlicht wird, befinden sich die deutsche Gesellschaft und die Situation der dort lebenden Schwarzen Menschen in einem kontinuierlichen Entwicklungsprozess. Das Ziel dieser Arbeit ist, die Bedeutung der Einbürgerung in diesem Prozess zu untersuchen. Die Frage ist also, ob und wie Schwarze Menschen durch ihre Einbürgerung Deutsche werden.
1.3.1
Werden aus Schwarzen Deutsche?
Kulturelle bzw. ethnische Klassifikationen, die auch Schwarze Menschen in Deutschland betreffen, und die damit verbundene Gruppenzugehörigkeit, die häufig als askriptives Merkmal konstruiert ist, beeinflussen Prestigebewertungen in der deutschen Gesellschaft, die sich auf die Ressourcenverteilungen, z.B. auf die Arbeits-, Wohnungs- und Bildungsmärkte, auswirken (vgl. Weiß 2001: 84). In diesem Sinne und auf Basis einer Sonderauswertung des SVRIntegrationsbarometers weist der Forschungsbereich beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR-Forschungsbereich 2018) darauf hin, dass Menschen mit einem Erscheinungsbild, das nicht der deutschen
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
Mehrheitsgesellschaft entspricht, sich häufiger diskriminiert fühlen als Menschen mit Migrationsgeschichte, aber ohne sichtbarem Migrationshintergrund. Nicht zu bestreiten ist, dass die Hautfarbe auf dem ersten Platz steht, wenn es darum geht, Menschen nach ihrem Erscheinungsbild zu klassifizieren. Diese Realität ist aber nicht nur durch subjektive Benachteiligungswahrnehmungen von Betroffenen begründet. Auf Basis der Daten der Bundesagentur für Arbeit bezüglich der Jahre 1999 bis 2005 ist Benndorf (2008: 257-262) in seiner wissenschaftlichen Untersuchung über Afrikanerinnen und Afrikaner in Deutschland zu dem Befund gekommen, dass noch nicht eingebürgerte männliche Afrikaner im Vergleich zu anderen Migrantengruppen auf dem Arbeitsmarkt eine ungünstigere Position besaßen. Ihre Anzahl in geringfügigen Tätigkeiten und Teilzeitbeschäftigungen stieg (vgl. Benndorf 2008: 259). Ihre Einkommen befanden sich deutlich unter denen der Einheimischen und anderen Migrantengruppen (vgl. Benndorf 2008: 279). Nichts spricht dafür, dass die Situation von Afrikanern auf dem Arbeitsmarkt nach dieser Untersuchung von Benndorf besser geworden ist. Über die Ursache dieser Situation schreibt Benndorf (2008: 261f.): »Im Allgemeinen kann davon ausgegangen werden, dass (1) rechtliche Zugangsberechtigungen, (2) die demographische Altersstruktur und die Geschlechterverteilung, (3) schulische und berufliche Qualifikation, (4) landesspezifische (Sprach)Kenntnisse der Arbeitsmigranten und (5) Vorurteile und Diskriminierungen gegenüber ethnischen Minderheitengruppen bei der Personaleinstellung und dem beruflichen Aufstieg die Arbeitsmarktintegration beeinflussten.« Dass Afrikaner in Deutschland im Allgemeinen eine schlechte Position auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt haben, liegt also Benndorf zufolge u.a. an Vorurteilen und Diskriminierungen. Viele Autorinnen und Autoren vertreten die Auffassung, dass Schwarze Menschen in Deutschland besonders mit Rassismus, Stereotypen, Vorurteilen und Diskriminierung konfrontiert wurden oder immer noch werden (vgl. etwa ADB Köln und cbN 2004; Arndt 2006; Benndorf 2008; Campt 2010; Dettmar 1989; ECRI 2009; Mabuduko 2011; Mbombi 2011; Oguntoye, Opitz und Schultz 1986; Pokos 2009; Sow 2008; Wachendorfer 2006). Diesen Autoren bzw. Autorinnen zufolge beruht die heutige schlechte Position der afrikanischen Migrantinnen bzw. Migranten hauptsächlich auf immer noch bestehenden Stereotypen und Vorurteilen. So schreibt beispielsweise Wachendorfer (2006: 57): »Die Unterscheidung und Bewertung der Menschen nach Hautfarbe, die durch eine scheinbar natürliche Ordnung qua Biologie und Genetik sozusagen vorgegeben sein soll, hat in Deutschland eine lange Tradition. Heute wird die Hautfarbe mit Bedeutung aufgeladen, indem sie mit bestimmten Eigenschaften ausgestattet und hierarchisiert wird und zwar im Sinne einer Superiorität von Weißen und Inferiorität von Schwarzen.«
1 Erkenntnisinteresse und leitende Fragestellung
Interessant ist hier die soziale Bedeutung der Hautfarbe in der Gesellschaft. Sie wird mit einer Superiorität bzw. Inferiorität assoziiert und dies lässt erkennen, dass die Hautfarbe eine Rolle für den sozialen Status innerhalb von Gesellschaften spielen kann. Entsprechend stellten bisherige Debatten zur Diskussion, dass WeißSein mit strukturellen Vorteilen und Privilegien verbunden ist (u.a. Frankenberg 1993; Wachendorfer 2006: 57). Dies impliziert, dass Schwarz-Sein auch an strukturelle Nachteile und Einschränkungen gekoppelt ist. Die Diskriminierung stützt sich erheblich auf die Herkunft, Hautfarbe, Traditionen und auch auf die Kulturen der Mitglieder der betroffenen Gruppe. So meinte bereits Weber (1922: 217), dass Schwarze im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen in der Geschichte herabgesetzt wurden. Die Geschichte und die Gegenwart der Afrikaner bzw. Afrikanerinnen werden also durch gesellschaftliche Zuschreibungen und Zurücksetzungen gekennzeichnet. Die neuere ungleichheitssoziologische Debatte im deutschsprachigen Raum nimmt dies zur Kenntnis, indem sie rassistische Klassifikationen als symbolische Dimensionen sozialer Ungleichheit zur Diskussion stellt (Weiß 2001; 2017). Interessant ist die Frage, welche Rolle die Einbürgerung von Schwarzen Menschen für ihren Status in der deutschen Gesellschaft spielt. Es ist relevant, sich zu fragen, ob die Einbürgerung die Prestigebewertungen, die mit der Gruppenzugehörigkeit als askriptives Merkmal assoziiert werden, zum Vorteil der Betroffenen beeinflussen kann. Insofern ist von Interesse, inwiefern die Einbürgerung bzw. der neue rechtliche Status die soziale Gleichheit sowie ein von Diskriminierung eher unbelastetes Handeln der »neuen Deutschen« im alltagspraktischen und institutionalisierten Kontext ermöglicht.
1.3.2
Erkenntnisinteresse und Fragestellung
In der deutschen Gesellschaft, in der die Staatsbürgerschaft historisch hauptsächlich an die Abstammung (jus sanguinis) gebunden ist, kann der Begriff »andere Deutsche« (Mecheril und Teo 1994) für diejenigen gelten, die heutzutage als »Deutsche mit Migrationshintergrund« bezeichnet werden. Insofern führt die Einbürgerung der ehemals Nicht-Deutschen eine neue Sicht auf das Verständnis des »Deutsch-Seins« ein (vgl. Mecheril 2004: 83). Mit der Verleihung der deutschen Staatsbürgerschaft durch die Einbürgerung ist die deutsche Gesellschaft – zumindest formal-rechtlich betrachtet – nicht mehr »eine allein ›ethnisch‹ definierte nationale Gemeinschaft« (Mecheril 2004: 83). Die deutsche Gesellschaft wird also formell und formal multiethnisch und kann keine »Monovolkgesellschaft« (vgl. Pokos 2009) sein. Die Frage, die sich hier stellt, ist, ob sich diese formale rechtliche Betrachtung faktisch und praktisch im Leben – zum Beispiel im Berufsleben – der neuen Deutschen verwirklicht. Durch die Einbürgerung bekommen die neuen Deutschen – um den Begriff »andere Deutsche« zu vermeiden – formal den gleichen Status wie die »weißen
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
Deutschen«. Sie erhalten einen deutschen Ausweis und einen deutschen Pass. Aber, wie Mecheril (2004: 83f.) schrieb, es »herrschen unterhalb der offiziellen Regelung alltagsweltliche Konzepte vor, die ›Deutsch-Sein‹ weniger als eine Frage des Passes und weniger als eine Frage des Lebensmittelpunktes, sondern als eine der Abstammung und der Physiognomie begreifen. Für die Zugehörigkeitswirklichkeit anderer Deutscher sind solche alltäglichen Prozesse der Zuschreibung bedeutsam.« Hier geht man über den Besitz des deutschen Passes hinaus und kommt zur Bedeutung dieses Passes für die neuen Deutschen, zu seiner Funktion und zu seinem Wert. Dabei stellt sich nicht nur die Frage nach der sozialen Zugehörigkeit der Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger, sondern auch nach ihrer gesellschaftlichen Teilhabe und ihrer Gleichbehandlung. Für Autoren und Autorinnen wie Mecheril (2004: 82f.) werden Schwarze Deutsche nicht als Deutsche, sondern als »Andere« wahrgenommen. Dies führt dazu, dass manchmal auch die Betroffenen sich selbst als »Andere« und nicht als Deutsche ansehen. Es ist Realität und gesetzlich vorgeschrieben, dass deutsche Bürgerinnen bzw. Bürger mehr Rechte in Deutschland haben als Nicht-Deutsche (Laaroussi 2004: 232). Die Ungleichheit besteht aber auch unter den deutschen Bürgern und Bürgerinnen, d.h. zwischen Menschen mit einer formalen deutschen Staatsbürgerschaft. Einige werden bevorzugt oder benachteiligt. Die Gruppenzugehörigkeit von Schwarzen Menschen im Kontext der deutschen Gesellschaft ist mit einem negativen Prestige verbunden (vgl. Weiß 2001) und dies wirkt sich ungünstig auf ihre Position auf den deutschen Märkten (z.B. in sozio-ökonomischer, kultureller und anderer Hinsicht) im Allgemeinen aus. Berichte und wissenschaftliche Untersuchungen lassen konstatieren, dass sich Schwarze Menschen besonders diskriminiert und als Menschen »zweiter Klasse« fühlen oder so behandelt werden (vgl. Adomako 1986; Arndt 2006; Ayim 2006; ECRI 2009; Wachendorfer 2006) und dass ihre sozio-ökonomische Situation insgesamt schlechter als die von anderen Deutschen ist (Benndorf 2008). Im Jahr 2009 berichtete die ECRI (European Commission against Rassism and Intolerance) (2009: 39) über die Lage von Schwarzen Menschen in Deutschland, die mit einer Reihe verschiedener Formen von Diskriminierungen konfrontiert wurden und die sich nicht gleichbehandelt fühlten. Die Verfasser dieses Berichts sagen jedoch nichts darüber, welchen Status die genannten Schwarzen Menschen besitzen. Einige von diesen Schwarzen Menschen werden eingebürgert, d.h. formal mit den weißen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern gleichgesetzt. Ostendorf (1999: 72) schreibt in Bezug auf die Gleichheit und Gleichstellung der Staatsbürger bzw. Staatsbürgerinnen,
1 Erkenntnisinteresse und leitende Fragestellung
»dass die Neutralität des Staates zwar die Gleichheit des Individuums vor dem Gesetz sichert, dass aber eine solche Neutralität des Staates ebenso das historische Erbe rassistischer sozialer und wirtschaftlicher, weitgehend stillschweigender Arrangements einfriert. Schon de Tocqueville machte die Beobachtung, dass der Rassismus, wenn man ihn aus den expliziten Gesetzen entfernt, sich in den Sitten einnistet […].« Die Zeit hat sich geändert und sicherlich hat sich auch die deutsche Gesellschaft verändert. Die in der Vergangenheit mit der Abstammung eng verbundene Staatsbürgerschaft ist durch die Einbürgerung zugänglicher für Migrantinnen und Migranten – darunter auch Schwarze Menschen – geworden. Die Diskriminierung Schwarzer Menschen ist nicht mehr in den Gesetzen zu finden, sondern in den Wahrnehmungen und in der Praxis. Die Staatsbürgerschaft ermöglicht zwar einen Zugang zu Bürgerrechten, aber sie garantiert keine diskriminierungsfreie Behandlung. Die oben genannten Autoren und Autorinnen haben sich mit der Situation Schwarzer Menschen in Deutschland befasst. Sie haben sich aber nicht spezifisch mit eingebürgerten Afrikanerinnen bzw. Afrikanern als Zielgruppe beschäftigt. Die Frage bleibt also, inwiefern die Einbürgerung etwas an deren Situation ändert. Es fehlt bisher eine empirische Untersuchung zu der Frage, inwieweit der in den Papieren angeführte Status im Leben der eingebürgerten Schwarzen Menschen verwirklicht wird. Die durch die Einbürgerung erhaltene Staatsbürgerschaft ist also nicht nur auf die Einbürgerungsurkunde zu limitieren. Sie bezieht sich auch auf die praktische Beachtung und Umsetzung staatsbürgerlicher Rechte in der Gesellschaft. Die Relevanz liegt hier nicht mehr beim Status der »neuen Deutschen«, sondern bei der Bedeutung, dem Wert und der Funktion dieses Status. Es ist aus sozialwissenschaftlicher Sicht eine wichtige Frage, ob die erhaltene Staatsbürgerschaft im Leben der Eingebürgerten, d.h. auf dem Arbeitsmarkt, im Beruf, in der Bildung, bei der Ausübung öffentlicher Ämter, im Alltagsleben etc. eine Ressource darstellt, also inwieweit sie ihnen als Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürgern eine Partizipation oder auch die Gleichbehandlung in der Gesellschaft ermöglicht. Es stellt sich die Frage, ob der neue Status ihre Chancen verbessert, vollwertige Akteure in ihrer neuen Gesellschaft zu sein. Welche Rolle spielt der deutsche Pass darüber hinaus bei der Lösung des Problems der Stereotypisierung sowie der Benachteiligungen, die aus Zuschreibungen und Vorurteilen resultieren? Es ist wissenschaftlich und auch gesellschaftspolitisch von großer Bedeutung, ob sich die von Benndorf (2008) beleuchtete ungünstige Situation der noch nicht eingebürgerten Afrikanerinnen bzw. Afrikaner durch die Einbürgerung verbessert. Es ist relevant herauszufinden, mit welchem Bild deutsche Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger mit afrikanischer Herkunft porträtiert werden oder sich selbst por-
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
trätieren. Werden sie als Bürger, deren Rechte beachtet werden müssen, oder als hilfsbedürftige Afrikanerinnen bzw. Afrikaner betrachtet? Werden sie mit der Einbürgerung als Mitbürger bzw. Mitbürgerinnen angesehen und so behandelt oder weiterhin als »Afrikaner bzw. Afrikanerinnen«? Inwieweit macht die durch die Einbürgerung erhaltene Staatsbürgerschaft die eingebürgerten Afrikanerinnen bzw. Afrikaner zu Deutschen mit allen Rechten und Privilegien von Staatsbürgern bzw. Staatsbürgerinnen? Werden aus Schwarzen Deutsche? Daher lautet die zentrale Fragestellung wie folgt: Inwieweit geht die formale rechtliche Einbürgerung mit der faktischen Realisierung der Staatsbürgerschaft einher? Anders gefragt, inwieweit macht die durch die Einbürgerung erhaltene Staatsbürgerschaft die eingebürgerten Schwarzen Menschen zu dazugehörenden, gleichbehandelten, teilhabenden und teilnehmenden Mitgliedern in der deutschen Gesellschaft? Um diese zentrale Frage besser beantworten zu können, wird auch auf folgende Unterfragen eingegangen: • •
• •
Welche Motivationen stehen hinter der Einbürgerung und inwieweit werden die damit verbundenen Hoffnungen erfüllt? Inwieweit ermöglicht die Staatsbürgerschaft den eingebürgerten Afrikanern bzw. Afrikanerinnen mehr Chancengleichheit und Gleichbehandlung in der Gesellschaft? Welche Rolle spielt die Einbürgerung im sozio-ökonomischen Leben der Eingebürgerten? Welche Wahrnehmungen in Bezug auf die soziale Zugehörigkeit verbinden die Eingebürgerten mit ihrem neuen Status als deutsche Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger?
Diese Fragen standen im Mittelpunkt der Untersuchung und bildeten den roten Faden der im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Untersuchung. Dabei wurden die genannten Prozesse als mögliche Veränderungen im Leben der Betroffenen, die von der Einbürgerung beeinflusst werden, untersucht. Bevor ich mich direkt mit der Forschungsfrage befasse, ist es wichtig, zwei Punkte ausführlich anhand der Literatur zu erläutern: (1) Was ist genau mit dem Begriff »Schwarze Menschen« bzw. »afrikanische Menschen« allgemein und spezifisch im deutschen Kontext zu verstehen und inwiefern unterscheidet sich diese Menschengruppe von anderen? (2) Wie ist der Begriff »Staatsbürgerschaft« zu fassen, wie ist er im deutschen Kontext zu verstehen und wie werden Schwarze Deutsche bei der Realisierung der deutschen Staatsbürgerschaft wahrgenommen?
2 Afrikanische Menschen in der deutschen Gesellschaft
In diesem Kapitel befasse ich mich zunächst in einer historischen Perspektive mit der Präsenz afrikanischer Menschen in Deutschland, mit ihren unterschiedlichen Lebenserfahrungen, ihrer Beteiligung bzw. Ausgrenzung als afrikanische Migrantinnen bzw. Migranten, als deutsche Afrikanerinnen bzw. Afrikaner oder Schwarze Deutsche. Im Anschluss daran komme ich auf die gegenwärtigen Lebensbedingungen von afrikanischen Menschen in der deutschen Gesellschaft zu sprechen. Die Darstellung eines historischen Hintergrunds dient der besseren Einordnung des Themas und der Befunde der vorliegenden Arbeit. Es besteht kein Anspruch darauf, die jeweiligen Epochen und Entwicklungen im Sinne einer historischen Analyse umfassend aufzuarbeiten. Ich schreibe nicht als Historiker, sondern als Sozialwissenschaftler, der die gegenwärtigen Bedingungen auch unter Berücksichtigung der Vorgeschichte verstehen will. Bevor ich mich mit dieser Vorgeschichte beschäftige, finde ich es wichtig, zunächst den Begriff »Afrikaner« bzw. »afrikanisch« systematisch zu erläutern.
2.1
Der Begriff »afrikanisch«: Historische und geopolitische Umstände
Der Begriff »afrikanisch« wird generell auf den afrikanischen Kontinent zurückgeführt. Das heutige Afrika ist ein geografisch und politisch in 55 Länder aufgeteilter Kontinent mit vielen unterschiedlichen Kulturen, Sprachen und Völkern. Wie schon erwähnt, beschränkt sich die Arbeit auf Afrikanerinnen bzw. Afrikaner mit subsahara-afrikanischer Herkunft. Die Entstehung und Entwicklung afrikanischer Staaten weist im Verhältnis zu okzidentalen Nationalstaaten einige Besonderheiten auf. Die während der Kolonialzeit – vor ca. 135 Jahren – gezogenen geografischen Grenzen entsprachen nicht den in Afrika existierenden Bevölkerungsgruppen und nicht den dort gesprochenen Sprachen oder den dort bestehenden Kulturen. Bei der Aufteilung Afrikas 1884 im Reichkanzlerpalais während der »Berliner Konferenz« im Zuge des Kolonialismus wurde nicht auf kulturelle Unterschiede oder Bevölkerungsgruppen geachtet,
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
sondern auf die Interessen der Kolonialmächte (vgl. Heckmann 1992: 71). So sagte der britische Delegationsleiter Lord Salisbury auf der Berliner Kolonialkonferenz von 1890 in einem Interview mit der London Times: »[We] have been engaged in drawing lines upon maps where no white man’s foot ever trod, we have been giving away mountains and rivers and lakes to each other, only hindered by the small impediment that we never knew exactly where the mountains and rivers and lakes were.« (Zit. nach Aikins 2004: 60) Dies hat dazu geführt, dass verschiedene Volksstämme mit unterschiedlichen Kulturen, Traditionen, Sprachen, Mentalitäten usw. zusammengebracht wurden. Das Resultat ist u.a., dass in vielen afrikanischen Staaten Einwohnerinnen bzw. Einwohner keine gemeinsame Kultur, keine gemeinsame Muttersprache und keine gemeinsame Vorgeschichte haben. Viele afrikanische Volksgruppen befinden sich auf einem Gebiet, das sich auf mehrere Staaten erstreckt. Dementsprechend lassen sich in vielen Fällen transnationale Verwandtschaften und ethnische Zugehörigkeiten in Afrika beobachten. Diese Verhältnisse hinterlassen Spuren im Leben von Afrikanerinnen und Afrikanern. Sie stehen z.B. im Hintergrund von vielen blutigen Bürgerkriegen oder politischen Konflikten, wie beispielsweise in der afrikanischen Region der Großen Seen. Die gespaltete, ambivalente und möglicherweise transnationale Zugehörigkeit auf dem Herkunftskontinent kann eine neue Form der Zugehörigkeit bei den Betroffenen begünstigen. Dies erfolgt vor allem außerhalb des »Kontinents der Schwarzen Menschen«: Es gibt gute Gründe dafür, dass viele Afrikanerinnen und Afrikaner aus der Subsahara sich im Ausland einer umfassenden Gemeinschaft zugehörig fühlen. Diese Gemeinsamkeiten beziehen sich – wie schon erwähnt – auf ihre Geschichte und auf ihre Erfahrung als Schwarze Menschen, sowohl auf ihrem Herkunftskontinent als auch außerhalb desselben. Befasse ich mich mit dem Begriff »afrikanisch«, ist es notwendig, auf die Geschichte der Schwarzen Menschen zurückzugreifen, die auch Auswirkungen auf die Gegenwart hat. Nicht die Vergangenheit der Afrikanerinnen bzw. Afrikaner als solche ist hier von Interesse, sondern die Funktion dieser Vergangenheit in der Gegenwart. An dieser Stelle geht es z.B. um die Folgen der rassistischen »Rechtfertigungsideologie« der Sklaverei, des Kolonialismus und der postkolonialen Ausbeutung. Diese Ideologie stellt Afrika bzw. afrikanische Menschen als »homogene und unterlegene Andere« vor (Arndt 2004). Bezüglich der US-amerikanischen Gesellschaft ist beispielsweise von Weber zu erfahren, dass Schwarze in der Geschichte dieser Gesellschaft im Vergleich zu anderen »ethnischen Menschengruppen« auf der letzten Stufe der Gesellschaft eingeordnet wurden. Weber (1922: 217) schrieb: »Der winzigste Tropfen Negerblut disqualifiziert in den Vereinigten Staaten unbedingt, während sehr beträchtliche Einschüsse indianischen Blutes es nicht tut.
2 Afrikanische Menschen in der deutschen Gesellschaft
Neben dem zweifellos mitspielenden, ästhetisch gegenüber den Indianern noch fremdartigeren Gepräge der Vollblutneger wirkt dabei ohne alle Frage die Erinnerung mit, dass es sich bei den Negern im Gegensatz zu den Indianern um ein Sklavenvolk, als eine ständisch disqualifizierte Gruppe handelt.« Von Bedeutung in der Gegenwart ist nicht der Begriff »Sklavenvolk« an sich, sondern die sich darauf beziehenden Klischeevorstellungen und Benachteiligungen in vielen Gesellschaften, die nicht unbedingt mit der formal abgeschafften Sklaverei untergegangen sind. Entsprechende Vorstellungen spielen heutzutage immer noch eine Rolle und haben Folgen für das Leben der Schwarzen Menschen in Afrika und außerhalb dieses Kontinents. Dazu gehört, dass Afrikaner und Afrikanerinnen mittels »Tiermetaphorik« in die Nähe von Tieren gerückt wurden (vgl. Arndt 2004), dass sie somit als wild und unzivilisiert präsentiert wurden. Während in der Vergangenheit dadurch die Sklaverei und die Kolonisierung gerechtfertigt wurden, haben sich aus dieser Zeit resultierende Zuschreibungen bis heute mehr oder weniger bewusst erhalten. Das koloniale Gedankengut beeinflusst das Handeln von Menschen zu Ungunsten von Schwarzen Menschen bis heute, auch wenn die Sklaverei und der Kolonialismus offiziell abgeschafft worden sind. Der Begriff »afrikanisch« wird also in der Gegenwart immer noch häufig mit Vorstellungen über Schwarze verbunden, die eigentlich der Vergangenheit angehören sollten. In der gegenwärtigen deutschen Sprache beziehen sich viele Neologismen und Bezeichnungen bezüglich »afrikanisch« auf Vorstellungen von exotisch, durcheinander, nicht-ordnungsgemäß, nicht-ordentlich und sie werden mit den abwertenden Terminologien wie »Busch« und »Dschungel« in Verbindung gebracht (Arndt 2004). Arndt schreibt weiter: Die »beiden Begriffe bezeichnen nicht nur Vegetationszonen, sondern werden auch auf Kulturen und Menschen übertragen. In der deutschen Wahrnehmung kommen Afrikanerinnen und Afrikaner aus dem ›Busch‹.« (Arndt 2004: 2)
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
Oft wurde in der Geschichte der Schwarzen Menschen »afrikanisch« mit dem Begriff »negro« oder »Neger«1 verwechselt oder gleichgesetzt. Opitz2 (1986a: 20f.) weist darauf hin, dass die Bezeichnung »Neger« ein offenes negatives Etikett beinhaltet, das nicht von der Sklaverei, vom Kolonialismus und der Verweigerung der Selbstbestimmung der Schwarzen zu trennen ist. Dieses negative Etikett betrifft sowohl physische als auch geistige und kulturelle Eigenschaften der Schwarzen Menschen (vgl. Opitz 1986a: 21). Der Begriff bezeichnete eine »unzivilisierte und brutale Rasse«, die von den kultivierten, hellhäutigen Menschen aus dem Norden und rund ums Mittelmeer zu unterscheiden war (vgl. Fanon 1981: 138). Insofern steht der Begriff in Zusammenhang mit der Versklavung der Schwarzen Menschen und der Kolonisierung Afrikas sowie mit diskriminierenden Praktiken hinsichtlich dieser Bevölkerungsgruppe, wie z.B. der bekannten Apartheid in Südafrika oder der Diskriminierung Schwarzer in der Geschichte der amerikanischen Gesellschaft. Der Begriff kann ferner nicht vom politischen und menschenrechtlichen Kampf getrennt werden, der zur Geschichte der Schwarzen Menschen gehört und der oft als Reaktion auf ihre unmenschliche Behandlung anzusehen ist. Der Begriff »afrikanisch« bezieht sich insofern nicht nur auf die Menschen, die den heutigen geografisch und politisch bekannten Kontinent bewohnen. Er greift ebenfalls auf die Historie der Schwarzen Menschen und ihrer Vorfahren und Nachfahren zurück. Die Merkmale, an denen diese weltweit zerstreuten Menschen sich erkennen, beziehen sich auf ihre gemeinsame Herkunft vom afrikanischen Kontinent, aber auch und noch mehr auf ihre Hautfarbe. Daher gilt der Begriff »afrikanisch« als Bezeichnung für »Schwarze Menschen«. In dieser Hinsicht
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2
In Deutschland ist das Wort »Neger« mit einer negativen Konnotation behaftet. Es ist mit der Geschichte der Schwarzen Menschen, die als Sklaven gedient haben und die oft wie Menschen unterer Klasse behandelt wurden, verbunden. Der Begriff kommt ursprünglich aus dem Lateinischen »niger« und bedeutet »schwarz« (die Farbe). Zu der Zeit der Sklaverei und des Kolonialismus wurde dieses Wort aber abwertend und verletzend gegenüber afrikanischen Menschen benutzt: Mit dem Begriff »Neger« war nicht nur die Hautfarbe gemeint, sondern auch die den Schwarzen Menschen zugeschriebenen Charaktere wie Animalität, Primitivität, Unwissenheit, Chaos, Faulheit, Schmutz etc. (vgl. Kilomba 2009). Das »N-Wort« wurde strategisch genutzt, »um das Gefühl von Verlust, Minderwertigkeit und die Unterwerfung unter weiße koloniale Herrschaft zu implementieren« (Kilomba 2009). Wird dieses Wort in der Gegenwart benutzt, ist das eine Anlehnung an die Herr-Untertanen-Dichotomie der Sklaverei und des Kolonialismus und an die asymmetrischen Beziehungen zwischen den Weißen (in einer überlegenen Position) und den Schwarzen (in einer unterlegenen Position). In dieser Arbeit werde ich das Wort nur benutzen, wenn ich Autoren zitiere, wie z.B. Sédar Sénghor, die dieses Wort in ihren Werken benutzt haben. Ansonsten vermeide ich diese entwürdigende Benennung. Diese Autorin ist heute unter dem Namen May Ayim bekannt (vgl. Michaels 2006).
2 Afrikanische Menschen in der deutschen Gesellschaft
sagte der afrikanische Sänger McIntosh3 : »[A]s long as you’re black man, you are African«. Die Hautfarbe spielt also eine große Rolle bei der (Selbst-)Identifizierung von »Schwarzen Menschen« bzw. von »Afrikanern und Afrikanerinnen«, besonders in den Aufnahmegesellschaften, in denen Schwarze Menschen zu den Minderheiten zählen. Auf diese Weise ist afrikanisch als transnational zu verstehen. Der bereits erwähnte Fall von Cecile Kyenge, damals Ministerin in der italienischen Regierung, kann zu einem besseren Verständnis der Verwendung des Begriffs »afrikanisch« und seiner Transnationalität beitragen. Sie wurde mit den rassistischen Bezeichnungen »Negresse« und »Zulu« (vgl. franceinfo avec Reuters 2013) beschimpft. Ein Abgeordneter des italienischen Parlaments äußerte, dass Cecile Kyenge als Hausfrau tätig sein solle und nicht für das Amt in der italienischen (also weißen) Regierung geeignet sei (vgl. Niakate 2013). Die Italienerin mit kongolesischer Herkunft wäre auch dann »Negerin« und »Zulu« genannt worden, wenn sie aus Tansania oder dem Senegal gekommen wäre. Nicht ihr Herkunftsland, sondern ihr Herkunftskontinent und ihre Hautfarbe sind dabei entscheidend. Das »N-Wort« bezieht sich insofern mehr auf bestimmte Menschen mit einer bestimmten Hautfarbe und weniger auf die Herkunftsländer. Eine weiße Frau aus Südafrika oder Namibia, die dort geboren und aufgewachsen ist, wird nie als »Negerin« bezeichnet und sie würde in Italien nicht im gleichen Maße als »fremd« angesehen werden wie Frau Kyenge. Es ist weiterhin interessant zu bemerken, dass Zulu eine Bevölkerungsgruppe von Schwarzen Menschen in Südafrika und nicht im Kongo ist, woher Cecile Kyenge ursprünglich kommt. Für den Italiener, der Frau Kyenge Zulu genannt hat, gibt es keinen Unterschied zwischen südafrikanischen und kongolesischen Schwarzen Menschen. Und das ist keine Seltenheit. Afrikanerinnen bzw. Afrikaner werden außerhalb ihres Herkunftskontinents generell nicht mit einer bestimmten Bevölkerungsgruppe in Afrika oder in ihren Herkunftsländern, sondern mit dem »schwarzen« Kontinent allgemein identifiziert und vor allem nach ihrer Hautfarbe zugeordnet. Sie werden zunächst als afrikanische bzw. Schwarze Menschen angesehen, bevor sie als Kongolese, Togolese oder Südafrikanerinnen bzw. Südafrikaner angenommen werden. Zusammenfassend ist anzunehmen, dass die Bezeichnung »afrikanisch« mit einer bestimmten Menschengruppe assoziiert wird. Die Begriffe »afrikanisch« und »Afrikanerin« bzw. »Afrikaner« beziehen sich nicht nur auf Menschen aus Afrika, sondern auch auf ihre Hautfarbe, Geschichte, politische Auseinandersetzung, kulturelle Aspekte sowie ihr Fremd- und Selbstbild.
3
Hubert McIntosh (1944-1987) ist unter dem Namen Peter Tosh bekannt. Der Text seines Liedes »You are an African« kann unter dem folgenden Link nachgelesen werden: https://www. songtexte.com/songtext/peter-tosh/african-3bdb309c.html (Zugriff am 18.05.2020).
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
2.2
Afrikanerinnen und Afrikaner in Deutschland
Festzustellen ist, dass die Geschichte Schwarzer Afrikaner bzw. Afrikanerinnen in Deutschland in der deutschen Mehrheitsgesellschaft wenig thematisiert wird (vgl. Lauré al-Samarai 2004a: 198; Reed-Anderson 2004: 41). Auch die koloniale Vergangenheit, die die deutsche Gesellschaft in direkten Kontakt mit Afrikanern bzw. Afrikanerinnen gesetzt hat, wird oft ausgeklammert. Um die gegenwärtige Situation zu verstehen, ist es wichtig, die Präsenz von Schwarzen Menschen in Deutschland – insbesondere in Bezug auf ihre Zugehörigkeit – auch unter einem historischen Gesichtspunkt zu betrachten. Im deutschsprachigen Raum und in vielen von weißen Menschen dominierten Gesellschaften wurde ein bestimmtes Bild von Schwarzen Menschen im Prozess der sozialen Konstruktion des Weiß-Seins (Whiteness) entwickelt. Die soziale Konstruktion des »Weiß-Seins« beruht auf rassistischen Intentionen und Pseudotheorien und führt zur Schaffung von Rahmenbedingungen, die sich auf Machtverhältnisse und Ressourcenverteilungen in Gesellschaften und auch im globalen Sinne auswirken (vgl. Guess 2006). Diese Konstruktion hat als Konsequenz, dass weiße Menschen im Gegensatz zu Schwarzen Menschen privilegiert sind (vgl. Ihring 2015: 52f.). Die soziale Konstruktion des Weiß-Seins auf Kosten des »SchwarzSeins« fand bereits vor dem Kolonialismus und dabei auch im deutschsprachigen Raum statt. Die Pseudotheorien, die diese rassistische Suprematie und Konstruktion begründeten, wurden nicht nur in der Politik und im Geschäftsleben entwickelt, sondern in wissenschaftlichen und universitären Bereichen. So hatte schon Immanuel Kant 1764 in seinem Werk »Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen« geschrieben: »Die Neger von Afrika haben von der Natur kein Gefühl, welches über das Läppische stiege. Herr Hume fordert Jedermann auf, ein einziges Beispiel anzuführen, da ein Neger Talente gewiesen habe, und behauptet: dass unter den Hunderttausenden von Schwarzen, die aus ihren Ländern anderwärts verführt werden, obgleich deren sehr viele auch in Freiheit gesetzt werden, dennoch nicht ein einziger jemals gefunden worden, der entweder in Kunst oder Wissenschaft, oder irgend einer andern rühmlichen Eigenschaft etwas Grosses vorgestellt habe, obgleich unter den Weissen sich beständig welche aus dem niedrigsten Pöbel emporschwingen, und durch vorzügliche Gaben in der Welt ein Ansehen erwerben. So wesentlich ist der Unterschied zwischen diesen zwei Menschengeschlechtern und er scheint eben so gross in Ansehung der Gemüthsfähigkeiten, als der Farbe nach zu seyn.« (Kant zitiert nach: Rosenkranz und Schubert 1839: 458) Kant wuchs zu der Zeit auf, in der Anton Wilhelm Amo, der berühmte afrikanische Philosoph, an unterschiedlichen Universitäten im deutschsprachigen Raum lehrte.
2 Afrikanische Menschen in der deutschen Gesellschaft
Seine Kenntnisse, sein Wissen und seine Fähigkeiten lehnte Kant aber nur ab, weil er ein Schwarzer war. Kant behauptete: »[…] der Kerl war vom Kopf bis auf die Füße ganz schwarz, ein deutlicher Beweis, daß das was er sagte dumm war.« (Kant zitiert nach: Gutema 2011: 142) Aufgrund der Hautfarbe verband Kant Schwarze Menschen mit »Dummheit«. Kants Lehren und Schriften spiegeln das Meinungsbild der Gesellschaft und vor allem ihrer »Bildungseliten« in der damaligen Zeit wider. Die von Kant geäußerte Ansicht und ihre Spuren sind heute immer noch nicht verschwunden. Einige dieser Gedanken haben einen nachhaltigen Einfluss darauf, wie Schwarze in der Gesellschaft wahrgenommen werden. Es ist anzunehmen, dass dieses der deutschen Gesellschaft vermittelte Bild über afrikanische Menschen die spätere Situation der Afrikanerinnen bzw. Afrikaner in Afrika und in Deutschland beeinflusst hat. Der Effekt wirkte also nicht nur im deutschsprachigen Raum. Die Kolonisatoren nahmen sie nach Afrika mit. Die Bezeichnungen, die Situation und das Fremdbild der Schwarzen Menschen haben sich im Laufe der deutschen Geschichte verändert. Dies haben verschiedene Autoren und Autorinnen, die sich mit der Historie von Afrikanern bzw. Afrikanerinnen in Deutschland beschäftigt haben, herausgearbeitet.4 Einige dieser Veränderungen in der Geschichte und Präsenz von Afrikanern und Afrikanerinnen in Deutschland werden im Folgenden skizziert und zusammenfassend zur Diskussion gestellt. Es ist wichtig zu bemerken, dass die Verbreitung dieser Thesen und Fremdbilder über Schwarzafrikanerinnen bzw. Schwarzafrikaner in einer Zeit stattfand, in der das heutige Konzept der Staatsbürgerschaft entstand und sich formal und inhaltlich formierte, worauf ich in dieser Arbeit in einem späteren Kapitel zu sprechen komme (siehe Kapitel 3). Die Entstehung der Staatsbürgerschaft und die ersten Entwicklungsphasen dieses Status im deutschsprachigen Raum fanden also in einem Klima der Nicht-Anerkennung der Schwarzen Menschen als gleichwertige Menschen statt. Dies konkretisierte sich durch den Kolonialismus.
2.2.1
Afrikanische Menschen in Deutschland in der Kolonialzeit (1884 bis 1918)
Nicht nur die Ideologie der Überlegenheit von weißen Menschen im Vergleich zu Schwarzen Menschen verbreitete sich über den Kolonialismus, sondern auch Praktiken, die diese Denkweise untermauerten. Die Kolonisatoren in Afrika ließen sich
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Die wissenschaftlichen Arbeiten u.a. von El-Tayeb (2001), Lemke Muniz de Faria (2002), Eggers et al. (2009), Eggers (2008), Oguntuye, Opitz und Schultz (1986) liefern wichtige Informationen über die Zuwanderung von afrikanischen Menschen nach Deutschland und ihr Leben sowie ihre Bezeichnungen dort.
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
von Schwarzen vor Ort tragen. Welches Bild von Afrikanern und Afrikanerinnen konnte das Foto eines deutschen Ministers,5 der sich von Afrikanern auf ihren Schultern tragen und fotografieren ließ, der deutschen Gesellschaft vermitteln? Auf jeden Fall nicht, dass Afrikanerinnen bzw. Afrikaner europäischen Menschen gleichgestellt waren. Die Kolonialherrschaft drückte sich vor allem in einer massiven Ungleichheit und Dominanz zwischen den kolonisierenden und den kolonisierten Menschen bzw. ihren Ländern oder Gesellschaften aus. Die deutsche Kolonialisierung Afrikas erfolgte in der Kaiserzeit, als die Einigung des Deutschen Reichs erfolgreich gelungen war. Dies war zugleich eine Zeit, in der das Deutsche Reich in Europa und in der Welt sichtbarer werden wollte. Die zu vermittelnde Botschaft durfte diesem Ziel nicht widersprechen. Die mit dem Kolonialismus verknüpfte Vorherrschaft der Europäerinnen bzw. Europäer – darunter auch der Deutschen – wurde mit rassistischen Theorien zementiert, die dazu dienten, die Eroberung ausländischer Gebiete zu rechtfertigen und NichtEuropäer bzw. Nicht-Europäerinnen zu dominieren (vgl. Reed-Anderson 2004: 42). Nach diesen rassistischen Annahmen wurde die Überlegenheit der Europäer bzw. Europäerinnen, ihrer Kultur, Zivilisation, ihrer moralischen und religiösen Werte verbreitet (vgl. Ihring 2015: 49f.; Reed-Anderson 2004: 42). Die Verkündigung der Dominanz der westlichen Gesellschaften und ihrer Anschauungen ging mit einer Unterordnung der zu kolonisierenden Völker und ihrer Kulturen einher. Tausende Menschen aus Kolonien wurden ermordet und ihre Zivilisationen wurden mit allen Mitteln zerstört. Physische, moralische und emotionale Gewalttaten wurden gegen die zu zivilisierenden »Barbaren« praktiziert. Um u.a. das verfolgte ökonomische Ziel zu erreichen, mussten die Einheimischen aus ihren Ländern vertrieben und ihre Ressourcen geplündert werden. Die Widerstandsbewegungen wurden niedergeschlagen und die führenden Personen festgenommen, verbannt oder ermordet (vgl. Reed-Anderson 2004: 43). Das Beispiel des Völkermords an den Herero und Nama (vgl. Eicker 2009) zeigt, mit welcher Brutalität und Unmenschlichkeit der Kolonialismus auch durch die Deutschen gegen afrikanische Menschen durchgeführt wurde. Insofern konnte der Kolonialismus als eine Fortsetzung der Sklaverei angesehen werden. Obwohl es vielen Afrikanern bzw. Afrikanerinnen aufgrund eines von der Kolonialverwaltung ausgesprochenen Ausreiseverbots nicht möglich war, in das Deutsche Reich einzureisen (vgl. Möhle 2002: 244), ist es manchen Schwarzen Menschen
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Im Bundesarchiv, Bild 146-1984-041-07, Fotograf: o.A., liegt ein Foto des Reichsfinanzministers Dernburg, der sich 1907 während seines Besuchs in den afrikanischen deutschen Kolonien von Afrikanern auf ihren Schultern tragen ließ. Dieses Foto ist unter www.bpb.de/gesellschaft/migration/afrikanische-diaspora/59372/kolonialgeschichte?type=galerie&show=image&i=59854 abrufbar (Zugriff am 26.03.2018).
2 Afrikanische Menschen in der deutschen Gesellschaft
doch gelungen, in das Reichsgebiet zu kommen. Der erste wichtige Migrationsstrom von afrikanischen Menschen nach Deutschland hing mit dem Kolonialismus zusammen (vgl. Bechhaus-Gerst 2004: 21; Lauré al-Samarai 2004b). Im Zuge des Kolonialismus kamen Schwarze Menschen als teilnehmende Personen an Völkerschauen6 , Studierende, Handwerker, Artisten, Musiker, Arbeiter, Seeleute etc. (vgl. Bechhaus-Gerst 2004: 21). Weitere wurden als »sentimentale Mitbringsel« (Oguntoye 2004), als Hilfskräfte oder als Familienmitglieder von Kolonialherren und Schutztruppen nach Deutschland gebracht. Obwohl manche Afrikanerinnen bzw. Afrikaner freiwillig als Diplomaten, Geschäftsleute oder Studierende ins Reich der Deutschen kamen, weist Aikins (2004) darauf hin, dass die meisten »als Zwangsarbeiter, ›Zooattraktionen‹ und als ›Kriegsbeute‹ verschleppt« worden sind. Viele Schwarzafrikaner bzw. Schwarzafrikanerinnen betraten also den deutschen Boden als »Kolonialmigranten« (vgl. Lauré al-Samarai 2004b). Ihre Zahl ist aber schwer zu ermitteln. Diejenigen, die sich langfristig in der Kolonialmacht aufgehalten haben, sind auf einige Hundert zu schätzen (vgl. Möhle 2002: 244). Viele Schwarze Menschen sind im Reichsgebiet geblieben, obwohl ihre Präsenz ein »Dorn im Auge« der deutschen Behörden war und obwohl ihre Aufenthalte im Reichsgebiet nicht lange dauern durften (vgl. Möhle 2002: 244). Einige von ihnen erhielten sogar deutsche Ausweise. Diese wurden ihnen in vielen Fällen während des Nationalsozialismus wieder entzogen. Die Beziehungen zwischen den Kolonisatoren und den Kolonisierten waren häufig – wenn nicht immer – durch Spannungen gekennzeichnet. Widerstände vonseiten der einheimischen Bevölkerungen, ihre Erniedrigung und Hinrichtung durch die Kolonialherren, sind einige von vielen Merkmalen der kolonialen Geschichte (vgl. Reed-Anderson 2004: 43-48). In Bezug auf die deutsche Kolonialgeschichte gibt es Reed-Anderson (2004: 41-49) zufolge Hinweise, dass Schwarzafrikanerinnen bzw. Schwarzafrikaner unter der Kolonialisierung gelitten haben und aktiv dagegen eintraten: Viele Petitionen wurden sowohl aus Kolonialgebieten als auch aus Europa gegen die deutsche Kolonialpolitik eingereicht; Aufstände von den Gruppen Khoikhoin und Herero in Deutsch-Südwestafrika und Maji Maji in Deutsch-Ostafrika führten zu blutigen Niederschlagungen bzw. sogar Völkermorden durch die Kolonialherren. In Deutsch-Südwest-Afrika wurden von 1904 bis 1906 etwa 75.000 und in Deutsch-Ostafrika zwischen 1905 und 1908 etwa 200.000 Schwarzafrikanerinnen bzw. Schwarzafrikaner getötet und weitere Petitionäre und aufständische Menschen wurden in Kamerun und Togo hingerichtet (vgl. Reed-Anderson 2004: 46-49). Der Triumph der Hardliner der Kolonialpolitik
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Ein Beispiel dafür war die Zurschaustellung von Sarah Baartman, deren sterbliche Überreste erst im Jahr 2002 in ihr afrikanisches Herkunftsland überführt und dort beerdigt wurden (vgl. FAZ 2006).
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
(Reed-Anderson 2004: 47) bei den Reichstagswahlen 1907 verhinderte eine Verbesserung der Situation der kolonisierten Schwarzen Menschen. Das Machtverhältnis zwischen Deutschen und Afrikanern bzw. Afrikanerinnen in der Kolonialzeit ist somit insgesamt als hochgradig asymmetrisch zu bezeichnen. Laut Möhle (2002: 245) wurde die Anwesenheit der aus den Kolonialgebieten stammenden Menschen im Deutschen Reich als Bedrohung für das rassistische System der Kolonialherrschaft angesehen, obwohl ihre Zahl dort sehr gering war. Möhle (2002: 245) weist weiter darauf hin: »[…] dieses System beruhte auf der Konstruktion klarer Gegensätze: weiß gegen schwarz, deutsch gegen afrikanisch, Staatsbürger gegen ›Schutzbefohlene‹, Herren gegen Untertanen. Deutsche afrikanischer Herkunft hatten in diesem System keinen Platz.« Dies wirkte sich auf die Situation von Schwarzen Menschen sowohl in den Kolonialgebieten als auch im Deutschen Reich aus. In den »Schutzgebieten« wurden Afrikaner bzw. Afrikanerinnen als reine Objekte oder »Nutztiere« behandelt. Im Deutschen Reich kam es sogar vor, dass sie in erniedrigenden Völkerschauen und Kolonialfilmen (Lauré al-Samarai 2004b: 51) als »wild« vorgestellt wurden. Die mit dem Kolonialismus verbundene Demütigung afrikanischer Menschen durch ihre Kolonialherren beruhte u.a. auf den Vorstellungen der Kolonialherren in Bezug auf Afrikanerinnen bzw. Afrikaner, die sie als nicht-zivilisierte, rohe und wilde Menschen betrachteten, und auf rassistischen Vorstellungen, die Schwarze Menschen in eine untergeordnete Position im Vergleich zu Weißen setzten. Die bereits vor der Kolonialzeit existierenden Klischees und Stereotype über Schwarze wurden durch die Sklaverei und den Kolonialismus noch verstärkt und lediglich modifiziert. Die Übernahme bereits zuvor existierender rassistischer Bilder in den kolonialen Diskursen und die unterordnende Fremdwahrnehmung in Bezug auf afrikanische Menschen schufen die Bedingungen für Diskriminierung, Ausgrenzung und Ungerechtigkeit gegen die Betroffenen während und nach der Kolonisation und – wie sich in der weiteren Darstellung zeigen wird – auch für ihre spätere Verfolgung im Nationalsozialismus. Viele der sich in der Kolonialzeit im Deutschen Reich aufhaltenden Schwarzen Menschen erhielten den sogenannten Status der »Schutzgebietsangehörigen« (vgl. Möhle 2002: 244). Mit diesem Status wurden sie nicht volle deutsche Staatsbürger bzw. Staatsbürgerinnen und sie waren auch formal keine Angehörigen der verlassenen afrikanischen Herkunftsgebiete mehr. Dieser ambivalente Status führte häufig zu »Merkwürdigkeiten« und »Unzuträglichkeiten« in der deutschen Verwaltungspraxis (Möhle 2002: 245).
2 Afrikanische Menschen in der deutschen Gesellschaft
2.2.2
Afrikanische Menschen in der Weimarer Republik (1918 bis 1933)
Am Ende des Ersten Weltkrieges kamen manche ehemaligen Schwarzen Soldaten, die unter den deutschen Truppen gekämpft hatten, linksorientierte afrikanische politische Aktivisten und Schwarze aus den alliierten Besatzungstruppen sowie ihre Familienangehörigen nach Deutschland (vgl. Bechhaus-Gerst 2004: 21). Für viele Deutsche war es eine große Beleidigung, dass sie sozusagen von Menschen aus der »niederen Rasse« mit einer »niederen Herkunft« besetzt wurden (Opitz 1986a: 47- 49). In dieser Stimmung verlangten alle politischen Parteien bis auf die USPD (Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands) den Abzug der Schwarzen Besatzungssoldaten (vgl. Bechhaus-Gerst 2004: 26). Die Forderung nach einem Rückzug der Schwarzen wurde in den politischen Debatten teilweise folgendermaßen begründet: »[…] Für deutsche Frauen und Kinder – Männer wie Knaben – sind diese Wilden eine schauerliche Gefahr. Ihre Ehre, Leib und Leben, Reinheit und Unschuld werden vernichtet. Immer mehr Fälle werden bekannt, in denen farbige Truppen deutsche Frauen und Kinder schänden, widerstrebende verletzen, ja töten […].«7 Weil die Schwarzen aber nicht abgezogen wurden und freiwillig nicht zurückkehrten, wurde eine Hasskampagne gegen sie durchgeführt. Trotz dieses fremdenfeindlichen Klimas haben Schwarze Besatzungsmitglieder Kontakte und Beziehungen mit Deutschen gehabt. Afro-deutsche Kinder aus ihren Beziehungen mit deutschen Frauen wurden genau wie ihre Eltern mit vielen Problemen und mit Diskriminierung konfrontiert. Sie wurden demütigend als »Negermischlinge« (Opitz 1986b: 86) oder »Bastarde« bezeichnet. Schon seit 1923 wurden in der Weimarer Republik die sogenannten »Rheinlandkinder«, die auch »Rheinlandbastarde« genannt wurden (vgl. Lauré al-Samarai 2004b: 51), von den Behörden beobachtet. Formal besaßen die »Rheinlandkinder« die deutsche Staatsbürgerschaft durch ihre Mütter. Die Erfassung ihrer Daten und ihre Diskriminierung in der Gesellschaft stellten aber faktisch ihre deutsche Staatsbürgerschaft infrage. Trotz der deutschen Staatsbürgerschaft wurden sie nicht als deutsch angenommen – auch nicht seitens der Regierung. Diese Situation ging sogar so weit, dass es Überlegungen und Vorschläge dazu gab, Schwangerschaftsabbrüche im Fall einer Schwangerschaft mit einem Schwarzen Elternteil verpflichtend zu machen (Opitz 1986a: 53). Im Zuge einer zunehmenden rassistischen Ideologie auf dem Weg zum Nationalsozialismus wurden besondere Geburtenregelungen und Sterilisierungsmaßnahmen gegen Schwarze oder Afro-Deutsche durchgesetzt (vgl. Opitz 1986a: 53). Die 7
Verhandlungen der Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 343. Anlagen zu den Stenographischen Berichten Nr. 2676-3076. Berlin 1920, zitiert nach Opitz (1986a: 49).
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
Beziehungen zwischen Afrikanerinnen bzw. Afrikanern und Deutschen wurden als gefährlich für die deutsche Gesellschaft sowie die Eheschließung zwischen Weißen und der Bevölkerung aus den ehemaligen Kolonien als unsittlich angesehen (Möhle 2002: 244) und sollten deswegen verhindert werden. Diese Debatte wurde in einer Gesellschaft geführt, in der eine Abtreibung normalerweise nicht toleriert wurde. Im Fall der afro-deutschen Kinder wurde die Abtreibung mit der Erklärung begründet, dass die Schwangerschaften nicht aus Liebe zwischen Weißen und Schwarzen erfolgt seien, sondern aus Vergewaltigung durch Schwarze oder aus Verantwortungslosigkeit von den »prostituierten« weißen Frauen (vgl. Opitz 1986a: 53). Die Reichsregierung unterstützte den Plan, die »Bastarde« ins Ausland zu schicken (vgl. Opitz 1986a: 52). Schon in der Weimarer Republik wurden Menschen mit afrikanischem Hintergrund aufgrund ihrer Herkunft oder Hautfarbe auf dem Arbeitsmarkt entweder nicht mehr eingestellt oder entlassen und Mietwohnungen wurden für die Familien mit einem afrikanischen Familienmitglied gekündigt oder verweigert (Reiprich und Ngambi Ul Kuo 1986: 69). In dieser Zeit war die Situation nicht nur für die Kinder, die aus Beziehungen zwischen Schwarzen Menschen und Weißen geboren wurden, und für ihre Mütter schwierig, sondern auch für andere Schwarze Menschen. Manche Schwarzen Menschen wurden »unter besondere polizeiliche Fürsorge« gestellt, weil sie angeblich illegal in das Reichsgebiet eingereist waren, ihre Abschiebung jedoch nicht möglich sei, da die Deutschen ihre ehemaligen Kolonialgebiete (also die Herkunftsländer) nicht mehr kontrollierten (vgl. Möhle 2002: 244). Vor dem Aufkommen des Nationalsozialismus wurde die Lage der Afrikanerinnen bzw. Afrikaner in Deutschland immer schwieriger. Mit seiner Niederlage im Ersten Weltkrieg verlor das Deutsche Reich seine Kolonien, die unter die Macht der französischen, britischen und belgischen Regierungen fielen. Dies wirkte sich auf das Leben der Schwarzen Menschen im deutschen Reich aus. Sie verloren ihre Ausweise als Angehörige der deutschen Kolonien und erhielten Ausweise für »Angehörige ehemaliger Schutzgebiete« (Oguntoye 2004: 17). Nach dem Friedensvertrag von Versailles, der den Ersten Weltkrieg formal beendete, gehörten die Angehörigen der ehemaligen deutschen Schutzgebiete nicht mehr zu Deutschland, sondern zu den neuen Kolonialmächten (vgl. BechhausGerst 2004: 27; Oguntoye 2004: 17). Damit besaßen Afrikaner bzw. Afrikanerinnen, die in Deutschland waren, kein Recht mehr auf einen deutschen Ausweis. Die mit diesem Recht verbundenen Vorteile gingen ebenfalls verloren. Viele afrikanische Kolonialmigrantinnen bzw. Kolonialmigranten verließen Deutschland, aber einige blieben dort (vgl. Möhle 2002: 245). Sie hatten ihr Leben in die ehemalige Kolonialmacht verlegt: Sie arbeiteten in diesem Land und hatten dort mittlerweile Familien gegründet (vgl. Oguntoye 2004: 17). Die wenigen Verbliebenen wurden unter Druck gesetzt, damit sie Deutschland verließen.
2 Afrikanische Menschen in der deutschen Gesellschaft
Wie Möhle (2002: 245f.) weiter darlegt, wollte Deutschland jedoch sein »Image« nicht schädigen, weil es seine verlorenen Kolonien zurückhaben wollte. Die Kolonialmigranten, die in ihre Heimatländer zurückkehrten, seien von der ehemaligen Kolonialmacht Deutschland als »Botschafter« angesehen worden. Ihre Misshandlung im Reichsgebiet hätte ein negatives Bild von Deutschland verursacht und dessen Pläne gestört. Paradoxerweise habe Deutschland Schwarze Menschen jedoch auch nicht auf seinem Boden haben wollen. So habe man für eine »freiwillige« Rückkehr der »Botschafter« optiert, und ihre Existenz habe gesichert werden müssen, solange sie sich noch bei den ehemaligen Kolonialherren befunden hätten. Diese unklare und ambivalente Position des Deutschen Reichs führte zu heftigen Auseinandersetzungen8 zwischen den »Fürsorgern« und den »Besorgten« (vgl. Möhle 2002: 246). Die Hoffnung auf eine freiwillige Ausreise erfüllte sich nicht, und die zuständigen Behörden verloren ihre Geduld. Im Jahr 1928 wurde eine schriftliche Verpflichtungserklärung zur Ausreise für die unerwünschten Menschen als Voraussetzung für Sozialleistungen vom Staat festgelegt (vgl. Möhle 2002: 246f.). Wie Möhle weiter ausführt, bedeutete dies für die Schwarzafrikanerinnen bzw. Schwarzafrikaner, die schon Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt hatten, eine schwierige Lebenssituation und eine klare Absage eines längeren Aufenthalts im Deutschen Reich. Trotzdem sei die Abschiebung oder eine Rückkehr in vielen Fällen aus unterschiedlichen Gründen schwierig gewesen. Einige der afrikanischen Migrantinnen bzw. Migranten hätten unter den deutschen Truppen gegen die Alliierten gekämpft oder seien in der deutschen Propaganda gegen die »Feinde« eingesetzt worden und daher sei eine Rückkehr in die nun von »Feinden« kontrollierten Gebiete nicht einfach gewesen. Die Betroffenen hätten trotzdem keine gültige Aufenthaltserlaubnis in Deutschland erhalten. So seien einige Afrikanerinnen und Afrikaner ohne legalen Status dortgeblieben.9 Mit dem Verlust des deutschen Ausweises wurde die Lage für viele erneut als »Ausländer« in Deutschland lebende Afrikanerinnen bzw. Afrikaner in verschiedener Hinsicht schwierig. Die Situation von Schwarzen Menschen in Deutschland verschlimmerte sich wegen der wirtschaftlichen Krise rund um 1930, gerade in der Zeit, in der viele von ihnen keine Unterstützung und kein Arbeitslosengeld erhalten durften (vgl. Möhle 2002: 247; Oguntoye 2004: 18).
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Eines der bekanntesten Beispiele ist die Handgreiflichkeit zwischen Dr. Alfred Mansfeld, dem Geschäftsführer der »Deutschen Gesellschaft für Eingeborenenkunde« (DGfE), und dem Kameruner Peter Makembe am 30. April 1926, als der Kameruner sich weigerte, eine unterbezahlte Stellung auf einer Messe in Düsseldorf anzunehmen (Möhle 2002: 246). Zu dieser Lage gibt Möhle (2002) ausführliche Darstellung.
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
2.2.3
Afrikanische Menschen im Nationalsozialismus (1933 bis 1945)
Im Nationalsozialismus wurde die zuvor geschilderte schwierige Situation für die Menschen mit afrikanischem Hintergrund in Deutschland noch härter. Lauré alSamarai (2004b: 50) weist darauf hin, dass es im Reichsgebiet nicht nur Migranten und Migrantinnen aus den ehemaligen Kolonien und ihre Angehörigen gab, sondern auch Schwarze aus anderen europäischen Ländern oder vom amerikanischen Kontinent. Darunter gab es Studierende und andere Afrikanerinnen bzw. Afrikaner, die nicht vorhatten, in Deutschland zu bleiben. Je nachdem, aus welchem Grund diese Menschen nach Deutschland gekommen waren und welchen rechtlichen Status sie hatten, wurden Schwarze Menschen unterschiedlich, aber generell schlecht behandelt. Die Behandlung der Menschen mit afrikanischem Hintergrund wurde nicht nur von der Rassenpolitik, sondern auch von außenpolitischen sowie strategischen Interessen beeinflusst (vgl. Lauré al-Samarai 2004b: 50; Möhle 2002: 249; Opitz 1986a: 56f.). Die Kolonialmigranten bzw. Kolonialmigrantinnen wurden also anders als Afro-Amerikaner bzw. Afro-Amerikanerinnen, Schwarze Franzosen bzw. Französinnen oder Schwarze Engländer bzw. Engländerinnen behandelt. Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, verloren afrikanische Menschen, die noch als »unmittelbare Reichsangehörige« oder »deutsche Schutzbefohlene« eingetragen waren, diesen Status und wurden staatenlos (vgl. BechhausGerst 2004: 26f.; Möhle 2002: 249). Die Situation wurde mit den Nürnberger Gesetzen, die 1935 mit dem Ziel beschlossen wurden, das »deutsche Blut« und die »deutsche Ehre« zu schützen, noch schwieriger. Viele Afrikaner bzw. Afrikanerinnen wurden ausgebürgert (vgl. Reiprich und Ngambi Ul Kuo 1986: 72) und staatenlos. Möhle (2002: 249) weist darauf hin, dass nur zwei Menschen mit afrikanischer Herkunft, die die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten hatten, vorläufig von dieser Situation ausgenommen wurden. Die Bewegungsfreiheit und Beschäftigungsmöglichkeiten von Afrikanern bzw. Afrikanerinnen wurden durch diese Entwicklung stark eingeschränkt. Sie wurden verpflichtet, sich wöchentlich bei der Polizei zu melden (Oguntoye 2004: 18). Mit dem Plan, die ehemaligen deutschen Kolonien zurückzuerobern, wollte die nationalsozialistische Diktatur die auf deutschem Boden lebenden Afrikanerinnen bzw. Afrikaner für ihre Propaganda benutzen (Oguntoye 2004: 19). Schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts gab es die Befürchtung, durch die Misshandlung von Schwarzen Menschen könne ein schlechtes Image hinsichtlich der Deutschen entstehen. Dies wird durch eine Passage aus der Deutschen Kolonialzeitung10 bestätigt:
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Der genaue Titel der Zeitschrift hieß: »Deutsche Kolonialzeitung: Organ der Deutschen Kolonialgesellschaft«.
2 Afrikanische Menschen in der deutschen Gesellschaft
»Diese Missstimmung ist deswegen für uns besonders unangenehm, weil sie nicht auf die hier lebenden Neger beschränkt bleibt, sondern sich durch die Beziehungen, die sie selbstverständlicherweise nach Afrika haben, auch in Afrika auswirkt […]. Sollte die Frage einer Mandatserteilung an Deutschland in Afrika einmal akut werden, kann dieser Umstand für Deutschland höchst unangenehme Rückwirkungen haben. Die einer deutschen kolonialen Betätigung feindlich gegenüberstehenden Auslandskreise würden sicherlich versuchen, daraus Kapital zu schlagen, teils durch Aufstachelung der Negerbevölkerung des betreffenden Gebiets, teils durch Presse und andere Propaganda in den europäischen Ländern. Es sollte daher versucht werden, die Gründe für die Missstimmung der hier lebenden Neger nach Möglichkeit zu beseitigen.« (Zitiert nach: Oguntoye 1997: 133) Um eine Abschottung gegenüber Afrikanerinnen bzw. Afrikanern im Nationalsozialismus auszuüben, ohne eine »Missstimmung« zu provozieren, wurde der Versuch unternommen, ein »Negerdorf« für Schwarzafrikanerinnen und Schwarzafrikaner aus ehemaligen Schutzgebieten zu errichten und ihnen bezahlte Beschäftigungen zu erlauben. Dies könnte, so die Vorstellung, hilfreich sein, »um auf diese Weise Rassevergehen leichter unterbinden zu können« (Möhle 2002: 250). Afrikanische Menschen blieben nur in den Arbeitsbereichen beschäftigt, in denen sie unersetzbar waren, wie in den Völkerschauen und Kolonialfilmen (Lauré al-Samarai 2004b: 51). Diese Schauen entsprachen der nationalsozialistischen Ideologie, die eine klare Trennung zwischen den deutschen »Volksgenossen« und den afrikanischen »Schutzgenossen« propagierte (Möhle 2002: 250). Die Auftritte der ehemaligen Kolonialuntertanen dienten den Nationalsozialisten dazu, sie an die Überlegenheit der Deutschen in Bezug auf koloniale Bevölkerungen zu erinnern, wobei dies auch mit den Plänen der Zurückeroberung der verlorenen Kolonien zusammenhing (vgl. Lauré al-Samarai 2004b: 51). Schwarzafrikaner bzw. Schwarzafrikanerinnen erhielten einen »klar abgegrenzten Raum, ein mobiles Reservat, zugewiesen, in dem eine komplette exotische und ›wilde‹, aber unterworfene und beherrschte Gegenwelt zum Deutschland der ›neuen Ordnung‹ inszeniert wurde« (Möhle 2002: 250). Die Schaubeschäftigungen haben den Betroffenen bei ihrem materiellen Überleben geholfen, aber sie haben auch zur Verbreitung der Stereotype und rassistischen Vorstellungen über Schwarze Menschen im Allgemeinen beigetragen. Die sich widersprechenden Verhältnisse des nationalsozialistischen Systems bezüglich afrikanischer Menschen in Deutschland, das sie auf der einen Seite wegen der Rassenpolitik nicht gut behandeln, sich auf der anderen Seite aber aufgrund der beabsichtigten kolonialistischen Pläne als großzügig darstellen wollte, blieben bis zum Beginn der 1940er Jahre bestehen. Danach wurden Schwarze Menschen mit Zwangsarbeit, Internierung in Konzentrationslagern und Zwangssteri-
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
lisierung konfrontiert. Die offiziell genannten Gründe für die Deportierung und die Verhaftung waren sehr unterschiedlich. Nach der Untersuchung von OkparaHofmann (2004) wurden als Haftgründe für Menschen mit afrikanischer Herkunft »politische Gefangene«, »Mischling/Negermischling«, »Schuhkauf ohne Bezugsschein« und »Schutzhaft« angegeben. Die in den Konzentrationslagern getöteten Menschen mit afrikanischer Herkunft werden auf rund 2000 geschätzt (vgl. Lauré al-Samarai 2004b: 52). Diese Zahl berücksichtigt aber nicht die ermordeten afrikanischen Kriegsgefangenen von amerikanischen, belgischen, französischen und britischen Truppen. Die Schmach der Hetzkampagne gegen Schwarze (vgl. Lauré al-Samarai 2004b: 51; Pokos 2009: 147), die seit der Zeit der Weimarer Republik existierte, nahm im Nationalsozialismus zu. Fremdenfeindlichkeit und rassistische Äußerungen gegen sie wurden häufiger. U.a. wurden Partnerschaften oder Ehen mit weißen Deutschen nicht mehr toleriert und führten zur Verschleppung in Konzentrationslager. Den Deutschen, die Schwarze geheiratet hatten, wurde eine Scheidung vorgeschlagen (vgl. Reiprich und Ngambi Ul Kuo 1986: 70). Die rassistische Diskriminierung gegen Schwarzafrikaner bzw. Schwarzafrikanerinnen oder gegen die Menschen, die etwas mit Schwarzen Menschen zu tun hatten, verbreitete sich. All dies fand in allen Bereichen des Lebens statt: in der Schule, auf dem Arbeitsmarkt, auf dem Wohnungsmarkt, in der Verwaltung, im Alltagsleben etc. (vgl. Emde 1986: 105-107; Reiprich und Ngambi Ul Kuo 1986: 70-84). Eine offene Diffamierung der weißen Mütter von afro-deutschen Kindern wurde fortgesetzt (Opitz 1986a: 56). Aus rassenpolitischen Gründen wurde die Zwangssterilisierung von Afro-Deutschen weiter praktiziert (Opitz 1986a: 54; 1986b: 75). Junge Schwarze Menschen, die formal deutsche Staatsbürger bzw. Staatsbürgerinnen waren, wurden nicht als »richtige Deutsche«, sondern als »fremd« angesehen. In einer Gesellschaft von Deutschen könne es – diesem Verständnis nach – Schwarze Deutsche nicht geben (vgl. Bechhaus-Gerst 2004: 27). Ihre Vermehrung musste durch eine Zwangssterilisierung zum Schutz des »deutschen Blutes« und der »deutschen Ehre« verhindert werden. Trotz ihrer deutschen Staatsbürgerschaft hatten die »fremden Deutschen« keine Chance, sich gegen die Sterilisierung rechtlich zu verteidigen. Ihre faktische Staatsbürgerschaft konnten sie nicht ausüben.
2.2.4
Afrikanische Menschen in Deutschland von 1945 bis 1989
U.a. aufgrund der Präsenz der Besatzungstruppen nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg vermehrte sich die Zahl der Schwarzen Menschen in Deutschland deutlich (Kampmann 1994: 129). Mit dem Sturz des »Rassenreichs« am Ende des Zweiten Weltkriegs wurden zwar die Rassenpolitik und die offene Propaganda bezüglich der Überlegenheit der Deutschen gestoppt, aber die rassistischen Vorstellungen, die seit der Vorkolonialzeit konstruiert worden waren, sind nicht verschwunden
2 Afrikanische Menschen in der deutschen Gesellschaft
(vgl. Kampmann 1994: 133; Nagl 2004). Seit Hunderten von Jahren waren Afrikanerinnen bzw. Afrikaner u.a. als »teuflische Mohren«, brutal, primitiv, dumm, exotisch, als Sklaven, Diener und Wächter präsentiert worden (vgl. Nagl 2004). Die Vorstellung, nach der Deutschland eine »weiße Nation« sei, existierte auch noch nach der Niederlage des Nationalsozialismus. Afrikaner bzw. Afrikanerinnen und ihre Angehörigen, die die nationalsozialistische Diktatur erlebt und überlebt hatten, wurden weder als politisch noch als rassistisch Verfolgte anerkannt und erhielten daher keine Entschädigungsleistungen (vgl. Opitz 1986b: 85). Von verschiedenen Seiten aus wurde das als Diskriminierung angesehen. Die Diskriminierung gegen Afrikaner bzw. Afrikanerinnen fand also auch nach dem Ende des Nationalsozialismus statt. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen zugleich weitere afrikanische Menschen aus unterschiedlichen Gründen nach Deutschland. Zu diesen neuen afrikanischen Migranten bzw. Migrantinnen zählten Studierende, Auszubildende und Flüchtlinge (vgl. Kampmann 1994: 130), aber auch Diplomaten und Geschäftsleute gehörten dazu. Sie fanden in Deutschland die Überlebenden des Nationalsozialismus vor. Es gab weiterhin auch die sogenannten Schwarzen Besatzungssoldaten und auch »Negermischlinge« bzw. »Besatzungskinder« (vgl. Deutscher Bundestag 1952), die aus Beziehungen von ausländischen Schwarzen und inländischen Deutschen hervorgingen und die trotz ihrer weiß-deutschen Elternteile als Schwarze angesehen wurden. Die DDR (Deutsche Demokratische Republik) nahm in den 1960er bis 1980er Jahren aus Solidaritätsgründen unter Sozialisten bzw. Kommunisten viele Flüchtlinge auf, darunter auch die sogenannten afrikanischen »DDR-Kinder«11 aus Krisengebieten im südlichen Afrika. Wie schon erwähnt, blieb das Leben für Afrikanerinnen bzw. Afrikaner und ihre Angehörigen oder für andere, die etwas mit Schwarzen zu tun hatten, auch nach dem Nationalsozialismus schwierig und war oft von Diskriminierung geprägt. Viele deutsche Mütter von afro-deutschen Kindern wurden nicht nur als Prostituierte betrachtet, sondern sie wurden auch bei den Unterstützungsgeldern für Erziehung und Haushalt ausgenommen (vgl. Opitz 1986b: 94). Es wurde als »schändlich« verurteilt, die Mutter eines »Mischlings« zu sein (vgl. Opitz 1986b: 96). Afro-deutsche Kinder wurden sozialpädagogisch als problematisch bezeichnet und die Beziehungen zwischen Weißen und Schwarzafrikanern bzw. Schwarzafrikanerinnen, von denen diese »problematischen« Kinder kamen, als pathologisch vorgestellt (vgl. Nagl 2004). In der Schule wurden Schwarze Kinder erheblich mit Rassismus sowie Diskriminierung konfrontiert und wegen ihrer Hautfarbe unterbewertet (vgl. Kampmann 1994: 131). Es gab weiterhin die Vorstellung, dass Schwarze nicht für 11
Zur Zeit des Mauerfalls gab es allein aus Namibia rund 400 DDR-Kinder. Diese namibischen Kinder – auch als »Ossis aus Namibia« bezeichnet – mussten nach der deutschen Wiedervereinigung wieder nach Namibia zurückkehren (vgl. Ahr 2010).
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
akademische Berufe geeignet seien (vgl. Opitz 1986b: 98f.). Auf diese Weise wurde vielen afro-deutschen Schülerinnen und Schülern der Zugang zu bestimmten weiterführenden Schulen versagt, auch wenn sie von ihren Fähigkeiten her dazu in der Lage gewesen wären (vgl. Emde 1986: 105; Opitz 1986b: 99). Behauptungen, nach denen Afro-Deutsche unfähig seien, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, spielten auch in politischen Diskussionen eine Rolle (vgl. Opitz 1986b: 86). Im Bundestag hat man sich mit den »Besatzungskindern«12 , die als »Sonderproblem« angesehen wurden, befasst. Die CDU-Abgeordnete Frau Dr. Rehling äußerte in der 198. Sitzung des deutschen Bundestages 1952 die Idee, nach der es gut sei, diese »allein klimatisch« nicht für Deutschland geeigneten »Negermischlinge«, die »ein menschliches und rassisches Problem besonderer Art darstellen« (Deutscher Bundestag 1952: 8506f.), in die Heimatländer ihrer Väter zu schicken, wo sie sich klimatisch wohler fühlen würden (vgl. Kampmann 1994: 127). Tatsächlich wurde eine Adoptionsvermittlung für einige Afro-Deutsche im Ausland geschaffen (vgl. Opitz 1986b: 87). Afro-deutsche Kinder galten als »Ausländer« (vgl. Berger 1986: 117) und »nicht existenzberechtigt« (vgl. Emde 1986: 104-106). Damit mussten sie, auch nach dem Nationalsozialismus, weiterhin ein hartes Leben führen. Weiterhin wurden Schwarze Menschen als »exotische« und »groteske Fremdkörper« dargestellt, die nicht zur »Gesellschaft der Weißen« gehörten (Emde 1986: 105; Nagl 2004). Im Nachkriegsdeutschland zählten Schwarze Deutsche zu den »anderen Deutschen« (vgl. Mecheril und Teo 1994), die nicht als Deutsche angesehen wurden, obwohl sie die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen (vgl. Kampmann 1994: 126; Opitz 1986c: 135). So meinte der CDU-Abgeordnete Spranger 1983: »Wir müssen die berechtigten Sorgen der deutschen Bevölkerung ernst nehmen. Dies gilt vor allem für die Menschen, die sich um ihre eigene Identität sorgen, weil sie fürchten, im eigenen Land zur Minderheit zu werden.«13 Afrikanerinnen und Afrikaner mussten also auch nach dem Nationalsozialismus in einem fremdenfeindlichen Klima leben. Sie wurden als »Bedrohung« für die »deutsche« Mehrheitsgesellschaft empfunden. Für diejenigen, die die deutsche Staatsbürgerschaft während der Nazizeit verloren hatten, war es nicht selbstverständlich und nicht einfach, ihre Staatsbürgerschaft zurückzuerhalten. Bei manchen hat dieser Prozess mehr als 15 Jahre gedauert und andere sind mit einem staatenlosen Status gestorben (vgl. Reiprich und Ngambi Ul Kuo 1986: 81-83). 12
13
Die Angaben über die Zahl der sogenannten Besatzungskinder divergieren. 1952 wurde die Anzahl dieser Kinder insgesamt auf 94.000, darunter 3093 sogenannte »Negermischlinge«, geschätzt (Deutscher Bundestag 1952, 198. Sitzung). Aus der Ansprache des parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesministerium des Innern. Carl-Dieter Spranger, in: betrifft: Ausländerpolitik, hg. vom Bundesminister des Innern, Bonn 1983, S. 92 (zitiert nach Opitz 1986c: 135).
2 Afrikanische Menschen in der deutschen Gesellschaft
Schon vor der Wiedervereinigung versuchten Schwarze Menschen in Deutschland, über sich selbst zu bestimmen und positiver sichtbar zu sein. So entstand Mitte der 1980er Jahre eine Bewegung der Schwarzen Menschen in Deutschland. Diese Bewegung führte zu einigen Veränderungen. So konnte z.B. die Situation oder das Alltagsleben der Afrikanerinnen bzw. Afrikaner in einigen deutschen Medien aus der Perspektive der Betroffenen beschrieben werden und auf diese Weise wurden falsche Vorstellungen und seit langem propagierte Stereotype herausgefordert (vgl. Nagl 2004).
2.2.5
Afrikanische Menschen im wiedervereinigten Deutschland
Auch nach der deutschen Wiedervereinigung blieb die Lebenssituation von Menschen mit afrikanischem Hintergrund in Deutschland weiter schwierig. In den 1990er Jahren wies Kampmann darauf hin, dass der Rassismus sich von einem passiven Zustand in den 1950er Jahren zu einer gewalttätigen Form in den 1990er Jahren entwickelt habe (vgl. Kampmann 1994: 134, 136). Die Situation hat sich seit den 1990er Jahren sicherlich ein stückweit entwickelt und verändert. In der Gegenwart sind viele Begriffe wie »Neger« oder offene rassistische Äußerungen in Deutschland nicht mehr akzeptabel. Die Vorstellungen, die diesen Begriffen zugrunde liegen und zu ihrer Entstehung geführt haben oder immer noch führen, sind damit jedoch nicht automatisch verschwunden (vgl. Arndt 2004; Opitz 1986c: 127). Demütigende, verletzende, beleidigende, erniedrigende Worte und diskriminierende Praktiken – wie zum Beispiel die Kontrolle durch die Sicherheitskräfte auf Basis des Aussehens – werden immer noch gegen Schwarze Menschen ausgeübt (vgl. Kilomba14 2009). Insofern kann die heutige Situation der Afrikaner bzw. Afrikanerinnen in Deutschland nicht von der Geschichte der Schwarzen Menschen im Allgemeinen und insbesondere der deutschen Geschichte getrennt werden. Die Berücksichtigung der geschichtlichen Entwicklung der Präsenz von Schwarzen in der deutschen Gesellschaft hilft beim Verstehen ihres heutigen Alltagslebens und ihrer heutigen sozialen Zugehörigkeit. Sie impliziert die kollektive Ebene des Erlebten und des Erzählten der Schwarzen Afrikanerinnen bzw. Afrikaner als Mitglieder einer Gemeinschaft. Diesbezüglich weist Kilomba (2009: 2) auf Folgendes hin: Eine Schwarze Person wird »als stellvertretend für eine ›Rasse‹ gesehen, die nicht zum weißen Territorium gehört«. Einige Schwarze sehen sich auch selbst so, wie sich in den empirischen Ergebnissen der vorliegenden Arbeit zeigen wird. In ihrer Analyse eines Interviews mit einer Schwarzen Frau stellt Kilomba (2009) fest, dass weiße Menschen auch in der Gegenwart privilegiert sind und 14
Der vollständige Name dieser Autorin ist Grada Kilomba Ferreira. Bei einigen Werken erscheinen nur die Namen Grada Kilomba. Es handelt sich jedoch um eine gleiche Autorin.
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
dass einige von ihnen eine Vorstellung von Ehre und Macht haben, die sich aus der Degradierung der Anderen speist. Die benachteiligte Position der einen, so Kilomba (2009), sichert die Machtposition der anderen. Die Konsequenzen des Sklavenhandels, der Sklaverei, des Kolonialismus stehen also im Hintergrund des in vielen Fällen heutzutage erlebten Alltagsrassismus, der Diskriminierungen und erniedrigenden Stereotype (vgl. Opitz 1986c). Somit versteht Kilomba (2004: 174) den heutigen »Alltagsrassismus als eine Reinszenierung kolonialer Szenen […], die Menschen festschreiben in Diskurse der Unterlegenheit und Entfremdung […]«. Minderwertigkeits- und Unterlegenheitsgefühle bei den afrikanischen Menschen, insbesondere bei afrikanischen Kindern, werden also weiterhin auf unterschiedliche Weise durch die Realität im Alltagsleben, in der Schule, auf dem Arbeitsmarkt etc. vermittelt (vgl. Opitz 1986c: 132). Durch rassistische Äußerungen und Klischeevorstellungen werden Schwarze »negativ« präsentiert und das hat auch negative Auswirkungen auf das Gefühl vieler Schwarzer und auf ihr Selbstbild (vgl. Kilomba 2009). Das Minderwertigkeitsgefühl, das aus dieser Situation resultiert, wird auch auf Äußerlichkeiten der Betroffenen übertragen, und als Folge empfinden einige Schwarze ihren Körper als schlecht (vgl. Kilomba 2009). Bemerkenswert bei den Anmerkungen von Kilomba ist die Funktion der seit vielen Jahren existierenden Klischees und Vorurteile im heutigen Alltagsleben der Betroffenen. Untersuchungen wie diese gehen über die rassistischen Theorien, die in der Zeit der Sklaverei und der Kolonisierung entwickelt wurden, hinaus und haben Auswirkungen bis in die Gegenwart. Diskriminierende Bezeichnungen wie »Neger« oder andere rassistische Praktiken wie Sterilisierungen sind sicher verschwunden, aber wie Wiedenroth-Coulibaly (2004) schrieb, »bedeutet der so genannte ›latente‹ Rassismus nach 1945 für etwa zwei Generationen schwarzer Deutscher noch immer, der eigenen Stimme, der eigenen Meinung und Empfindung, beruflicher und persönlicher Entwicklungsmöglichkeiten beraubt, kurz, an den Rand gedrückt zu sein.« (Wiedenroth-Coulibaly 2004: 2) In ihrer Interviewanalyse ist Kilomba (2009) weiterhin der Meinung, dass sich die Vergangenheit und die Gegenwart durch die Zeitlosigkeit15 vermischen und dass das Trauma der Geschichte auch in der Gegenwart erlebt wird und fortlebt. Aus dieser Geschichte ist zu lernen, dass die Präsenz der Menschen mit afrikanischer Herkunft in Deutschland oft und zum Teil bis heute nicht als Fakt, sondern hauptsächlich als »vorübergehend« angenommen wird (vgl. Eggers 2004). Insofern argumentiert Odoi (2004: 2), dass der von Bürgern bzw. Bürgerinnen mit afrikanischem Hintergrund besetzte »Status als Deutsche oder Deutscher nicht unangreifbar ist«. Odoi (2004) zufolge entspricht die Behandlung von Schwarzen Menschen 15
Kilomba sagt leider nicht viel über diese Zeitlosigkeit. Wichtig an dieser Stelle ist aber festzustellen, dass die Vergangenheit von der Gegenwart nicht zu trennen ist.
2 Afrikanische Menschen in der deutschen Gesellschaft
in Deutschland nicht dem Gleichheitsprinzip. Insofern weisen bisherige Debatten wiederholt darauf hin, dass Schwarze Menschen in der Geschichte und in der Gegenwart nicht als Teil der Deutschen, sondern als »Andere« angesehen werden. Rassismus und Diskriminierung gegen Schwarze in der deutschen Gesellschaft sind demnach nicht verschwunden, sondern haben nur neue Gesichter. Sie treten in der alltäglichen Interaktion oder institutionalisiert in Erscheinung, sind aber eher latent und subtil geworden. Bezüglich Schwarzer Menschen sagt Ani (2004: 2), Deutschland leide immer noch unter »institutionalisiertem Rassismus, rassistischen und sexistischen Stereotypen und einer geringen Bereitschaft, schwarze Menschen als einen integralen Teil dieser Gesellschaft anzusehen.« Dies bestätigt Wiedenroth-Coulibaly (2004), die zu verstehen gibt, dass Menschen mit afrikanischer Herkunft mit einer verallgemeinernden Stigmatisierung in ihrem Alltag konfrontiert werden. Diese Stigmatisierung, so Wiedenroth-Coulibaly (2004), ist eine Form des »modernen Rassismus«, der Schwarze Menschen undifferenziert betrifft und bei dem der Aufenthaltsstatus oder die Staatsbürgerschaft der Betroffenen keine Rolle spielt. Dieses Problem der Diskriminierung und des »modernen Rassismus« bezüglich Schwarzer in der deutschen Gesellschaft wurde auch von der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) in ihren Berichten über Deutschland wiederholt benannt. Aus ihrem vierten Bericht, der 2009 veröffentlicht wurde, geht hervor, dass Schwarze Menschen in Deutschland »besonders von rassistischer Gewalt« betroffen sind (ECRI 2009: 39). Heute findet die rassistische Gewalt überwiegend subtil statt, und zwar in Form struktureller und institutioneller Benachteiligungen. In der Vergangenheit hat sich der Rassismus in Gewalttaten ausgedrückt, die allerdings bis heute ebenfalls eine Rolle spielen. Über 20.000 gewalttätige Angriffe gegen »schwarze Menschen, Immigrantinnen und Flüchtlinge […]« wurden in den 1990er Jahren in Deutschland nach der Wiedervereinigung offiziell erfasst (Oguntoye, Opitz und Schultz 1986). 2009 wurde im Bericht der ECRI die Existenz »roter Zonen« (die sogenannten »No go areas«) für Schwarze Menschen erwähnt (ECRI 2009: 39). Laut dem Bericht vom ECRI (2009: 39) fühlen sich Schwarze nicht gleichbehandelt, wenn sie unter rassistischen Angriffen leiden und diese zur Anzeige bringen. Sie fühlen sich als »Opfer zweiter Klasse« (ECRI 2009: 39). Sie werden durch die deutschen Sicherheitskräfte, d.h. bei der Behandlung ihrer Beschwerden und Hilferufe benachteiligt. Die Berichte der ECRI stellen heraus, dass Schwarze Menschen außerdem nach wie vor bei der gesellschaftlichen Teilhabe ausgegrenzt werden (2009: 39) und dass rassistische Einstellungen bei der Bevölkerung sowie in öffentlichen Debatten in Deutschland ermittelt wurden (ECRI 2014: 20). Dies betrifft Bereiche wie die Arbeitssuche, den Zugang zum Arbeitsmarkt, Bildung und berufliche Qualifizierung. Auch die Medien haben es noch nicht geschafft, sich von
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
den Klischeevorstellungen zu lösen, denn Schwarze werden auch in der Gegenwart noch als exotisch und als weniger menschlich dargestellt (vgl. ECRI 2009: 39).
2.2.6
Afrikanische Menschen und ihre »symbolischen Kämpfe« in Deutschland
In Anlehnung an Bourdieus (1991a; 1991b; 1992; 1994; 1997a; 1997b) Ansätze in Bezug auf »symbolische Herrschaft16 « und »männliche Herrschaft« weist Weiß (2001; 2017) auf symbolische Machtverhältnisse in Gesellschaften hin und spricht auf der einen Seite von »symbolischer Macht bzw. Gewalt« und auf der anderen Seite von »symbolischen Kämpfen«. Für Bourdieu (1991b: 487) ist die symbolische Macht »eine Macht, die jedes Mal ausgeübt wird, wenn eine Macht (…) in die Hände von Agenten gelangt, deren Wahrnehmungs- und Bewertungskategorien den Strukturen dieser Macht oder, genauer gesagt, ihrer Verteilung angepasst sind und die daher dazu neigen, sie als natürlich, als selbstverständlich wahrzunehmen und die ihr zugrunde liegende willkürliche Gewalt zu verkennen, sie also als legitim anzuerkennen.« Die Begriffe natürlich, selbstverständlich, selbstläufig und legitim gehen mit symbolischer Macht einher. In diesem Sinne sagt Weiß (2017: 230) auch Folgendes: »Symbolische Herrschaft wird aus der Perspektive der Akteure unsichtbar, weil asymmetrische Klassifikationen, inkorporierte Praxis und soziale Institutionen das Herrschaftsverhältnis so natürlich erscheinen lassen, dass die Welt nicht anders denkbar ist.« Für Weiß (2001: 96; 2017: 230) sind stabil institutionalisierte Aspekte des Rassismus hinsichtlich symbolischer Gewalt nur schwer erkennbar, da diese symbolische Gewalt in der dominanten Kultur als natürlich, selbstverständlich und selbstläufig wahrgenommen wird. So werden Rassismus und rassistische Klassifikationen (fast) unerkennbar durch symbolische Gewalt reproduziert (vgl. Weiß 2001: 96). Durch symbolische Kämpfe versuchen antirassistische Akteure »rassistisches symbolisches Kapital im Wert herabzusetzen oder in seinen Voraussetzungen zu untergraben« (Weiß 2001: 96). Einige politische und soziale Bewegungen wollen rassistische Klassifikationen und die entsprechenden Folgen konsolidieren, während Andere sie durch symbolische Kämpfe abbauen oder sogar abschaffen wollen (vgl. Weiß 2001: 96). Bei symbolischen Kämpfen wird »die doxische Selbstverständlichkeit rassistischer Klassifikationen in Frage gestellt« (Weiß 2013: 65). Für Weiß 16
In der vorliegenden Arbeit werden die Begriffe »Herrschaft, Macht und Gewalt« gleichbedeutend und abwechselnd benutzt, solange es um Dominanzverhältnisse in der Gesellschaft geht.
2 Afrikanische Menschen in der deutschen Gesellschaft
(2013: 61) geschehen symbolische Kämpfe nicht nur »in öffentlichen Arenen«, sondern auch »in halböffentlichen und in privaten Interaktionen«. Das Problem des Rassismus und der damit verbundenen sozialen Ungleichheit, die wegen der oben genannten Selbstverständlichkeit bzw. Selbstläufigkeit schwer zu identifizieren ist, wird für die dominante Mehrheitsgesellschaft erst erkennbar, wenn man versucht, rassistische Klassifikationen zu entschärfen (vgl. Weiß 2001: 96), d.h. durch symbolische Kämpfe. Wie in den vorangehenden Überlegungen gezeigt wurde, existierte der Rassismus gegen Schwarze Menschen in der deutschen Gesellschaft bereits vor und während der Kolonialzeit. Die rassistische Klassifikation ist mit dem Ende des formalen Kolonialismus nicht verschwunden. Weiß (2017: 58) zufolge sind ehemalige Kolonialherren – zum Beispiel weiße Deutsche – bis heute rassistisch privilegiert und die ehemaligen versklavten bzw. kolonisierten Bevölkerungsgruppen bis heute rassistisch und daher gesellschaftlich benachteiligt. Diese Situation wird wegen des Einflusses symbolischer Herrschaft übersehen oder nicht erkannt oder noch als normal, selbstverständlich und natürlich wahrgenommen. In diesem Sinne herrscht eine »fraglose Übereinstimmung zwischen Klassifikationen, Praktiken und deren Institutionalisierung« (Weiß 2017: 231-232). Diese Wahrnehmung bzw. Übereinstimmung herrscht in der Gesellschaft – zumindest in der Mehrheitsgesellschaft – und in vielerlei Hinsicht auch in der Weltgesellschaft. Symbolische Kämpfe, die »symbolische Herrschaft« bzw. Macht erkennbar machen (vgl. Wayand 1998; Weiß 2017: 232) entstehen, wenn diese Übereinstimmung, die wegen symbolischer Macht als fraglos gilt, infrage gestellt wird und wenn man versucht, sie aufzubrechen (vgl. Weiß 2017: 231f.). »Symbolische Herrschaft schafft die Gruppen, die sich in symbolischen Kämpfen gegenüberstehen« (Weiß 2017: 234). In diesem Sinne und schon in jener Zeit haben sich einige Afrikanerinnen und Afrikaner in Deutschland oder in Kolonien gegen Herabwertungen oder Benachteiligungen gegen sie ausgesprochen und protestiert. Gesellschaftspolitisches Engagement, das als Bestandteil von staatsbürgerlichen Rechten gilt, fand in ihrem Falle – je nach aufenthaltsrechtlicher Situation – teilweise unter sehr prekären Bedingungen statt. Das Engagement für die Rechte und für gute Lebensbedingungen von afrikanischen Menschen in Deutschland bzw. in Europa begann schon vor dem Kolonialismus. Das bekannteste Engagement in diesem Zusammenhang ist die wissenschaftliche Arbeit mit dem Titel »De Jure Mauro in Europa«, die Anton Wilhelm Amo im Jahr 1729 veröffentlichte.17 In seiner Arbeit schrieb Amo über die
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Laut verschiedener Quellen war Amo zur Ausbildung nach Holland gekommen und wurde dann 1707 dem Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel in Deutschland als Geschenk übergegeben. Weiterhin wird berichtet, dass Amo, der zwischen 1700 und 1703 in Afrika geboren wurde, als Kinder-Sklave nach Europa verschleppt worden ist. Amo wurde Hochschullehrer an den Universitäten Halle, Wittenberg und Jena (vgl. Gutema 2011: 133), Mitglied des Staats-
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
mangelhaften Rechte der »Mohren« bzw. der Schwarzen Menschen in Europa. Es ist von großer Bedeutung, dass diese Arbeit in einer Zeit geschrieben wurde, in der das heutige nationale Staatsbürgerschaftskonzept in Europa entstanden ist. In dieser Zeit kursierten die oben erwähnten Thesen von Kant. Amos wissenschaftliche Arbeit ist aus unbekannten Gründen leider nicht mehr zu finden (Opitz 1986a: 18). In der Kolonialzeit wurden viele Proteste und Petitionen von Schwarzafrikanern bzw. Schwarzafrikanerinnen gegen die deutsche Kolonialpolitik durchgeführt. Sie protestierten gegen das koloniale Unrecht und forderten dementsprechend eine Entschädigung. Viele Petitionäre und Protestierende wurden wegen ihres Engagements willkürlich verhaftet, vertrieben oder hingerichtet (Reed-Anderson 2004: 46f.). Im Zuge einer zunehmenden Diskriminierung und eines wachsenden offenen Rassismus gegen Schwarze wurde die erste Organisation von Schwarzen in Deutschland während der Weimarer Republik gegründet. Es handelte sich dabei um die deutsche Sektion der »Ligue Universelle pour la Defence de la race noire (Liga zur Verteidigung der Negerrasse e.V.)« mit Sitz in Berlin, die 1929 ins Leben gerufen wurde (Reed-Anderson 2004: 48). Als Reaktion wurde diese linksorientierte Bewegung unter strenge Beobachtung des Auswärtigen Amts gestellt. Manche politisch unerwünschten Afrikanerinnen bzw. Afrikaner wurden aufgrund ihres politischen Engagements in der Endphase der Weimarer Republik abgeschoben (vgl. Möhle 2002: 248f.). Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten mussten viele Mitglieder der Liga fliehen. Die meisten flohen nach Frankreich (vgl. Möhle 2002: 249). Schwarze Menschen haben sich auch im Nationalsozialismus über ihre schlechte Behandlung beschwert. Eine symbolische Beschwerde kam von dem Musiker Kwassi Bruce. Dieser durch Einbürgerung zum deutschen Staatsbürger gewordene Afrikaner protestierte 1934 mit einem zehnseitigen Beschwerdebrief gegen unmenschliche Lebensbedingungen von Schwarzen Afrikanern und Afrikanerinnen. Er schrieb: »Die Juden sollen heraus, und die Neger sollen nach ihrem Heimatkontinent zurück. Gut – wir wollen gehen!« (Sippel 2002: 415). Bruce meinte die Idee der freiwilligen Rückkehr ernst und er verlangte von der deutschen Regierung, die Afrikanerinnen bzw. Afrikaner bei ihrer Ausreise aus Deutschland und beim Aufbau eines neuen Lebens finanziell zu unterstützen.18 Die deutsche Regierung hat diesen Vorschlag jedoch nicht umgesetzt.
18
rates der preußischen Krone am Hof in Berlin und musste aufgrund des Rassismus gegen Schwarze 1743 schließlich nach Afrika zurückkehren (vgl. Opitz 1986a: 18). Für ausführliche Informationen zu Kwassi Bruce ist der Artikel »Afrika in Berlin. Ein Stadtspaziergang des Deutschen Historischen Museums« im Archiv des Deutschen Historischen Museums interessant. Er kann unter folgendem Link aufgerufen werden: www.dhm.de/ archiv/ausstellungen/namibia/stadtspaziergang/reichskolonialamt.htm#54 (Zugriff am 27. 03.2020).
2 Afrikanische Menschen in der deutschen Gesellschaft
Die Proteste von Schwarzen gegen Diskriminierung und Rassismus gingen auch nach Ende des Nationalsozialismus weiter. Auch in der Post-Nazi-Ära wurden, wie oben bereits dargelegt, Schwarze Menschen, darunter auch diejenigen, die einen weißen deutschen Elternteil hatten, oft nicht als Teil der deutschen Gesellschaft, sondern als fremd betrachtet und behandelt. Schwarze Menschen haben versucht, gegen diese Lage anzukämpfen. In den 1980er Jahren entstand eine Bewegung, die 1986 zur Gründung der ISD19 geführt hat. Die ISD wurde also im Zuge »des Sich-Selbst-Definierens, des Suchens, des Entdeckens und Freilegens verschütteter Wurzeln« der Menschen mit afrikanischer Abstammung in Deutschland gegründet (Wiedenroth-Coulibaly 2004: 1) und wollte die Würde sowie die Rechte von Schwarzen in Deutschland verteidigen und ihr gesellschaftspolitisches Engagement stärken (vgl. Oguntoye, Opitz und Schultz 1986: 11). Die ISD-Mitgründer bzw. -Mitgründerinnen wollten vor allem gegen Rassismus, Isolation und diskriminierende Fremdbezeichnungen für Schwarze Menschen in Deutschland kämpfen. Wie auf ihrer Homepage20 zu lesen ist, sind die Hauptziele der ISD u.a., Interessen der Schwarzen Menschen zu vertreten, gegen Rassismus zu kämpfen und Schwarze Menschen und ihre Organisationen zu vernetzen. Für die ISD ist es wichtig, dass sich Schwarze Menschen in Deutschland selbst definieren und für ihren Platz als Teil der Gesellschaft kämpfen, dass sie selbst ihre Geschichte aufarbeiten und auch veröffentlichen. Mit dieser Organisation wurde eine Vernetzung von Organisationen, Gruppen und individuellen Personen auf lokaler, regionaler und auf Bundesebene geschaffen (Wiedenroth-Coulibaly 2004), und im Geist der ISD wurden viele Initiativen auf lokaler Ebene gegründet und begleitet. Die ADEFRA ist als eine Schwesterorganisation der ISD anzusehen. Auf der Homepage der Organisation21 ist zu erfahren, dass es sich um ein kulturpolitisches Forum von und für Schwarze Frauen handelt. In der amharischen Sprache (Sprache in Äthiopien) bedeutet »adefra« »die Frau, die Mut zeigt« (Ani 2004). Die Organisation wurde Mitte der 1980er Jahre gegründet und ist seit 1994 als Verein eingetragen. ADEFRA und ISD entstanden also quasi parallel und ihre Ziele stimmen in vieler Hinsicht überein. Ein wichtiger Unterschied ist, dass die ADEFRA eine Frauenorganisation ist, die ihre Arbeit explizit für Frauen leisten will. Wie auf ihrer Homepage zu lesen ist, will ADEFRA ein Forum für Schwarze Frauen in ihrem Aktivismus für die Existenz der Schwarzen Bewegung in Deutschland sein. Die Vernetzung der Schwarzen Menschen aus Deutschland ging über die Grenzen des deutschen Nationalstaates hinaus. Afrikanerinnen bzw. Afrikaner aus Deutschland beteiligen sich auch an weltweit organisierten Aktionen und
19 20 21
ISD hieß zunächst »Initiative Schwarze Deutsche« und wurde später umbenannt in »Initiative Schwarze Menschen in Deutschland«. http://isdonline.de/ (Zugriff am 26.03.2020). www.adefra.com/ (Zugriff am 26.03.2020).
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
schließen sich mit Schwarzen Menschen anderer Länder zusammen und versuchen, ihre Diaspora bzw. Community zu vertreten. So nahmen Afrikaner bzw. Afrikanerinnen aus Deutschland beispielsweise an der von der UNO organisierten Durban-Konferenz gegen Rassismus und für Gleichbehandlung, Gerechtigkeit und Menschenwürde im Jahr 2001 in Südafrika teil. Die wichtigen Punkte, die bei diesem Gipfel von den teilnehmenden Schwarzafrikanern bzw. Schwarzafrikanerinnen angesprochen wurden, wie Sklavenhandel, Sklaverei, Kolonisation und Rassismus sowie ihre Folgen und Forderungen nach Reparation wegen des gegen Schwarze ausgeübten Unrechts (vgl. Gummich 2004), bestätigen, dass die reale oder vermeintliche Zugehörigkeit der Schwarzen Menschen zu ihrer Community einen transnationalen Charakter hat. Die Forderungen und die Wünsche von Schwarzen Afrikanern bzw. Afrikanerinnen beim Durban-Gipfel wurden aber nur eingeschränkt berücksichtigt. Der Sklavenhandel und die Sklaverei wurden zwar als Verbrechen gegen die Menschlichkeit anerkannt, aber Entschuldigungen sowie die förmliche Anerkennung der Kolonisation als Verbrechen sind nicht erfolgt und eine Entschädigung wurde abgelehnt (Gummich 2004). Die Durban-Konferenz kann für Schwarze Menschen trotzdem als Erfolg betrachtet werden. Diesen begründet Gummich (2004) dadurch, dass der Durban-Gipfel die erste Gelegenheit für Schwarze vom Kontinent und aus der Diaspora – auch aus Deutschland – gewesen ist, bei der Afrikanerinnen und Afrikaner in einer bedeutenden Zahl zusammengekommen sind, um sich mit ihren Problemen zu befassen und gemeinsam Forderungen zu formulieren. Aus Durban entstand der Geist der regelmäßigen und transnationalen Treffen von Menschen afrikanischer Herkunft. Überdies wurde im November 2002 eine Arbeitsgruppe von Menschen mit afrikanischer Herkunft (Working Group on People of African Descent) bei der Menschenrechtshauptkommission der Vereinten Nationen (United Nations High Commissioner for Human Rights – UNHCHR) geschaffen (Gummich 2004). Der Erfolg der Durban-Konferenz war auch in Deutschland zu spüren. Neben der Beteiligung von Afrikanern bzw. Afrikanerinnen aus Deutschland am Followup-Prozess der Konferenz wurden Vertreterinnen bzw. Vertreter der afrikanischen Diaspora in Deutschland im Bundestagsausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe empfangen. Die Afrikanerinnen bzw. Afrikaner in Deutschland wollten die Gelegenheit nutzen, um die Entwicklung eines nationalen Plans gegen Rassismus in Deutschland zu fordern, um damit ihre gesellschaftspolitische Auseinandersetzung für »Gerechtigkeit, Rehabilitation und Gleichberechtigung« fortzusetzen (Gummich 2004). Die Durban-Konferenz und die anschließende Follow-up-Arbeit bereiteten einen Weg für die internationale Dekade für Menschen afrikanischer Abstammung vor, die durch eine Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 23.12.2013 verabschiedet wurde. Die Dekade wurde für den Zeitraum von 2015 bis
2 Afrikanische Menschen in der deutschen Gesellschaft
2024 mit dem Motto »Menschen afrikanischer Abstammung: Anerkennung, Gerechtigkeit und Entwicklung«22 beschlossen. Sie zielt darauf ab, die Rechte der Menschen mit afrikanischer Herkunft zu stärken, rassistische Diskriminierung gegen sie zu bekämpfen und ihre Entwicklung zu fördern. Die gesellschaftspolitische Beteiligung von Menschen mit afrikanischer Herkunft auch in Deutschland nimmt eine große Bedeutung sowohl auf internationaler als auch auf nationaler Ebene ein. Ihre Teilnahme beschränkt sich nicht nur auf die Mitgliedschaft in Vereinigungen oder Gruppen mit »afrikanischem« Hintergrund, sondern sie erweitert sich auch auf andere Organisationen und Vertretungsorgane auf Lokal-, Regional-, Landessowie Bundesebene und wächst auch transnational. Diese Form des Handelns von Afrikanerinnen bzw. Afrikanern in Deutschland führt die Frage ein, wie afrikanische Menschen in Deutschland gegenüber der deutschen Gesellschaft und der afrikanischen Menschengruppe zu betrachten sind. Wie lassen sie sich in Bezug auf die Mehrheitsgesellschaft verstehen? Mit diesen Fragen befassen sich die Überlegungen im folgenden Unterkapitel. Die Diskussionen in Bezug auf diese Fragen ermöglichen eine bessere Analyse der Realisierung der Staatsbürgerschaft durch Mitglieder der untersuchten Gruppe.
2.3
Schwarze Menschen in Deutschland heute: Eine soziologische Annäherung
Die afrikanische Bevölkerungsgruppe in Deutschland ist zwar noch klein, aber sie ist in den letzten Jahren gewachsen. Ihre Anzahl wurde 2013 im »Neunzehnten bis Zweiundzwanzigsten« Bericht der Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 9 des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (International Convention on the Elimination of all forms of Racial Diskrimination, ICERD in Abkürzung) auf 200.000 bis 300.000 geschätzt (Bundesministerium der Justiz 2013: 11). Das ist allerdings eine sehr grobe, ungenaue Schätzung. Hier scheint eine sehr unsystematische Erfassung von afrikanischen Menschen in Deutschland stattgefunden zu haben. Es stellt sich die Frage, inwiefern diese Schätzung sich nur auf deutsche Staatsangehörige mit subsahara-afrikanischer Herkunft bezieht, da sie von den Angaben des statistischen Bundesamts stark abweicht. In seiner Pressemitteilung am 01.08.2017 gab das statistische Bundesamt an, dass 2016 rund 740.000 Menschen afrikanischer Herkunft in Deutschland lebten (Statistisches Bundesamt 2017). Laut diesem Bundesamt gab es 570.115 Menschen mit afrikanischer Staatsbürgerschaft 22
Vereinte Nationen. 2015-2024. International Decade for People of an African Descent. Online unter: https://www.un.org/en/observances/decade-people-african-descent (Zugriff am 24.03.2020).
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
in Deutschland (Statistisches Bundesamt (Destatis) 2019: 47). Diese Zahlen berücksichtigen weder eingebürgerte afrikanische Menschen23 noch Schwarze Menschen aus nicht-afrikanischen Staaten (beispielsweise aus europäischen und amerikanischen Staaten). Berücksichtigen wir diese beiden Angaben des Statistischen Bundesamts, können wir davon ausgehen, dass rund 140.000 afrikanische Menschen in Deutschland innerhalb von zwei Jahren eingebürgert worden sind. Abgesehen von diesem quantitativen Aspekt ist es relevant, afrikanische Menschen im soziologischen Sinne als Teil der deutschen Gesellschaft zu berücksichtigen. Versteht man die deutsche Gesellschaft als eine Gesellschaft von Individuen (Elias 1987), sind Schwarze Menschen, die dort leben, als individuelle Mitglieder dieser Gesellschaft zu betrachten. Als Menschengruppe sind die Schwarzen aber mehr als die bloße Summe dieser individuellen Mitglieder.
2.3.1
Die afrikanische Menschengruppe: Mehr als die Summe der Mitglieder
Norbert Elias (1987) vertritt die These, dass Gesellschaften mehr sind als eine bloße Summe isolierter Individuen. Zusätzlich zur Tatsache, dass diese Individuen existieren, gibt es u.a. ihr Zusammenleben, ihre Interaktionen, ihr MiteinanderHandeln, ihre gesamten Beziehungen, ihre gegenseitige Abhängigkeit (Elias 1987: 26f.). Die Gesellschaft ist kein geschlossenes und gemauertes Gebilde, sondern sie ist zeitlich und räumlich offen (Elias 1987: 29). Sie ist dynamisch und nie statisch. D.h. sie beinhaltet fortdauernde Bewegungen, Prozesse und Veränderungen, die schnell oder langsam erfolgen könnten (Elias 1987: 29). Die deutsche Gesellschaft ist auch in dieser Hinsicht zu betrachten. Zu diesen kontinuierlichen Veränderungen zählt die Tatsache, dass afrikanische Menschen, die ursprünglich nicht als Deutsche angesehen wurden, auch in dieser Gesellschaft angekommen und ein Teil von ihr geworden sind. Wie Elias (1987: 41) feststellt, leben und wachsen Menschen in Menschenverbänden auf und diese beeinflussen ihre Entwicklung, ihren Habitus, ihr Handeln etc. Dieser Einfluss ist nicht statisch und auch nicht immer gleich. Er steht in Relation zur Entwicklung der Gesellschaft, ihrer Geschichte, ihrem Aufbau, ihrem Werdegang und 23
Eine offizielle Erfassung von Deutschen afrikanischer Herkunft oder von eingebürgerten Deutschen ist nicht bekannt. Diese Einschätzung geht von Angaben des Statistischen Bundesamts (2017; 2019) und von der Tatsache aus, dass die Anzahl afrikanischer Menschen, die Deutschland verlassen (freiwillig oder durch Abschiebung) sehr gering ist. In Deutschland lebten am 31. Mai 2018 rund 30.132 afrikanische Menschen mit einem Duldungsstatus und rund 351 Menschen pro Jahr werden nach Subsahara-Afrika abgeschoben (vgl. Ndahayo und Schädler 2018: 13). Gehen wir von den Daten des Statistischen Bundesamtes aus, können wir vermuten, dass rund 140.000 afrikanische Menschen innerhalb von zwei Jahren eine deutsche Staatsbürgerschaft erworben haben; aus diesem Grund tauchen sie in den Daten des Statistischen Bundesamtes vom Jahr 2019 zu Afrikanerinnen und Afrikanern nicht mehr auf.
2 Afrikanische Menschen in der deutschen Gesellschaft
der Stellung der Menschen und Menschenverbände, in denen sie leben (vgl. Elias 1987: 41). Die Entwicklung der deutschen Gesellschaft wird in der vorliegenden Arbeit im Sinne des Prozesses bzw. im Sinne von prozesshaften Verläufen und ihren Wechselwirkungen betrachtet. D.h. die prozesshaften Verläufe – beispielsweise die Prozesse der Migration – beeinflussen die Entwicklung der Gesellschaft auf der einen Seite und diese Entwicklung beeinflusst die Prozesse der Migration auf der anderen Seite. Afrikaner bzw. Afrikanerinnen sind nicht nur Mitglieder einer afrikanischen Community, sondern auch Leistungsträgerinnen bzw. Leistungsträger verschiedener Teilsysteme (vgl. Bommes 2011: 60). Sie sind zum Beispiel als Ärztinnen bzw. Ärzte, Krankenschwestern, Pflegerinnen bzw. Pfleger, Apothekerinnen bzw. Apotheker etc. Teil des Gesundheitssystems. Als Busfahrerinnen bzw. Busfahrer, Taxifahrerinnen oder Taxifahrer, Kontrolleurinnen bzw. Kontrolleure in Zügen gehören sie zu einem anderen Teilsystem, das sich auf den Verkehr bezieht. Als Schülerinnen bzw. Schüler, Studierende, lehrende oder forschende Personen gehören sie wieder zu einem anderen System, nämlich dem Bildungssystem. Sie haben also mehrere Zugehörigkeiten in der komplexen deutschen Gesellschaft. Die Minderheitsgruppe von Afrikanern und Afrikanerinnen in der deutschen Gesellschaft betrachte ich nicht im Sinne von ethnischen Gruppen, von denen in außerokzidentalen Gesellschaften die Rede ist. In Deutschland ist es problematisch, von ethnischen Gruppen im Sinne der Bamiléké in Kamerun oder der Peul, der Malinke und der Susus in Guinea oder der Baganda und der Banyankoles in Uganda zu sprechen. In vielen außerokzidentalen Gesellschaften haben ethnische Gruppen ihre eigene Kultur, eine eigene Sprache und sogar eine eigene Region. Afrikanerinnen bzw. Afrikaner in Deutschland, zumindest die der ersten Generation, haben keine ursprüngliche gemeinsame Sprache und ebenfalls keinen gleichen kulturellen Hintergrund. All dies bedeutet aber nicht, dass es keine afrikanische Menschengruppe in Deutschland gibt. Sie existiert zumindest im Sinne der Gruppenzugehörigkeit als askriptives Merkmal (vgl. Weiß 2001). Die Konstruktion einer afrikanischen Community in Deutschland beruht nicht auf einer realen Verwandtschaft von Schwarzen Menschen. Sie beruht auch nicht unbedingt auf ihrer realen Herkunft, sondern eher auf ihren Vorstellungen einer »gemeinsamen« Herkunft, einer »gemeinsamen« Hautfarbe und geteilter Erfahrungen, zum Beispiel während der Migration. Diese Vorstellungen entstehen einerseits durch Fremdzuschreibungen gegenüber afrikanischen Menschen, andererseits werden sie durch Afrikanerinnen bzw. Afrikaner in Deutschland unter Umständen auch selbst in den Aushandlungsprozessen der Gesellschaft übernommen. Dieser Prozess bezieht sich u.a. auf in der Gesellschaft existierende politische, sozio-ökonomische und soziokulturelle Relationen und auf den damit verbundenen Wettbewerb um Ressourcen.
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
Schwarze Afrikanerinnen bzw. Afrikaner in Deutschland werden in der vorliegenden Arbeit nicht nur als Individuen, sondern auch als Mitglieder von Menschenverbänden mit vielfältigen, komplizierten, sichtbaren und unsichtbaren Beziehungen zu anderen Mitgliedern und Menschenverbänden betrachtet. Diese Beziehungen sind räumlich und zeitlich offen. Sie sind nicht vom Entwicklungsprozess der ganzen Gesellschaft zu trennen. Der Prozess der Ausübung der Staatsbürgerschaft, d.h. der Inklusion in die Gesellschaft wird von diesen Relationen beeinflusst.
2.3.2
Deutsche afrikanischer Herkunft als Teil der globalen afrikanischen Diaspora?
Die Zielgruppe der Untersuchung, d.h. deutsche Bürgerinnen bzw. Bürger mit afrikanischer Herkunft, betrachte ich als Teil der afrikanischen Menschengruppe. Wenn man systemtheoretisch denkt, könnte/sollte man Deutsche afrikanischer Herkunft als Teil der globalen afrikanischen Gemeinschaft betrachten. Denn »die Systemtheorie denkt weltgesellschaftlich« (Weiß 2017: 203). Die afrikanische Menschengruppe bzw. ihre Einzelmitglieder verfügen über mehrere Zugehörigkeiten. Manche von diesen Zugehörigkeiten gehen über die deutschen Grenzen hinaus. In diesem Sinne bestätigt sich folgende Bemerkung von Weiß (2017: 84): »Mit Blick auf die Soziologie sozialer Ungleichheit zeigte sich so auch, dass ein erheblicher Teil der Weltbevölkerung in Kontexten lebt, die von einem Nationalstaat geprägt sind, aber daneben auch von anderen Staaten, von supra- und internationalen Organisationen und von transnationalen Lebenswelten.« Auf diese Weise zählen deutsche Bürgerinnen bzw. Bürger mit afrikanischer Herkunft u.a. zur globalen afrikanischen Diaspora. Der Begriff »Diaspora« stammt aus dem Griechischen und bedeutet »Zerstreuung« oder »Verbreitung« (vgl. Mayer 2005: 8). »Diaspora« oder »Diaspora-Gruppe« bezeichnet folglich eine Menschengruppe, deren Mitglieder, die außerhalb ihres realen oder imaginierten gemeinsamen Heimatortes in unterschiedliche Länder und Regionen zerstreut sind. Mayer (2005: 8) stützt sich auf die von der jüdischen Diaspora erlebte Situation und verbindet den Begriff mit einer negativen Erfahrung aus einem meist unfreiwilligen Aufenthalt im Ausland, im Exil oder in der Verbannung. Häufig, aber nicht immer hängen Handlungen und Wahrnehmungen von Diasporagruppen mit negativen Erfahrungen zusammen, die sie außerhalb ihrer Heimat gemacht haben. Laut Vertovec (1997) können drei Typen von Diaspora definiert werden. Erkannt werden kann Diaspora an der sozialen Lebensform (social form) der Mitglieder, an ihrem Bewusstsein besonders in Bezug auf geteilte bzw. als geteilt betrachtete Erfahrungen oder an ihrer transnational geprägten sozialen oder kulturellen Produk-
2 Afrikanische Menschen in der deutschen Gesellschaft
tion bzw. Reproduktion, die oft mit der Globalisierung in Verbindung gesetzt wird (Vertovec 1997). Die afrikanische Diaspora kann – wie auch die jüdische und die armenische Diaspora – traditionell auf Basis der sozialen Lebensform als Diaspora verstanden werden (vgl. Vertovec 1997: 278). Dieser Diaspora-Typ beruht, so Vertovec (1997: 278f.): (1) auf spezifischen sozialen Beziehungen, die sich besonders auf die Geschichte und den Heimatort von der infrage kommenden Menschengruppe beziehen, (2) auf spannungsvollen politischen Beziehungen mit den Aufnahmegesellschaften, die sich auf ihre hybriden Loyalitäten bzw. Zugehörigkeiten beziehen, (3) auf den wirtschaftlichen Strategien und dem ökonomischen Handeln mit einer Art Kollektivismus und Zusammenarbeit insbesondere unter den Mitgliedern der Diaspora-Gruppe bis über nationalstaatliche Grenzen hinaus. Obwohl ich mich eher auf den ersten Typ der Diaspora beziehe, um über die afrikanische Diaspora zu sprechen, bin ich der Meinung, dass die drei Typen in Bezug auf afrikanische Diaspora zutreffend sein können. Denn es gibt eine Art von Bewusstsein unter afrikanischen Menschen in Verbindung mit ihrer Geschichte und ihren Erfahrungen als Schwarze Menschen und auch eine Art von (Re-)Produktion von sozialen, religiösen und kulturellen Phänomenen mit einem transnationalen bzw. globalisierten Charakter, wie beispielsweise die sogenannten afrikanischen Kirchen (vgl. Ndahayo 2011). In diesem Zusammenhang wird etwa versucht, transnationale Konferenzen oder Netzwerke von Menschen mit afrikanischer Herkunft zu organisieren. Die Betrachtung der deutschen Bürgerinnen und Bürger mit afrikanischer Herkunft als Mitglieder der afrikanischen Diaspora ermöglicht eine bessere Interpretation der Wahrnehmung ihrer Lebenserfahrungen und sozialen Zugehörigkeiten. Indem ich die afrikanische Diaspora als solche betrachte, impliziere ich, dass sich ihre Lebenserfahrungen auf spezifische Relationen in der Aufnahmegesellschaft beziehen, die nach Vertovec (1997: 278) mindestens auf folgenden Punkten beruhen: (1) auf einer Migration von einem Heimatstandort zu mindestens zwei anderen Orten bzw. Ländern, (2) auf einer Art von Bewusstsein und kollektiver Identität, die sich auf einen ethnischen Mythos in Verbindung mit einem gemeinsamen Ursprung, einer historischen Erfahrung und einem bestimmten geografischen Ort beziehen, (3) auf bestehenden transnationalen Netzwerken, (4) auf impliziten oder expliziten Beziehungen zum Herkunftsort, (5) auf die Entwicklung von Solidarität unter den Mitgliedern und (6) auf der Akzeptanzproblematik in der Aufnahmegesellschaft, die sich auf das Gefühl der Verfremdung, Exklusion oder andere Formen der Differenz beziehen. Im Hintergrund der afrikanischen Diaspora steht die Geschichte der Schwarzen Menschen, die stark von Rassismus, Diskriminierung, Sklaverei, Kolonisierung und Migration gekennzeichnet ist. So sind Bourdieu und Wacquant der Meinung, dass ein Gespräch zwischen einem Schwarzen und einem Weißen z.B. in den Ver-
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
einigten Staaten mehr als ein Gespräch zwischen diesen beiden Personen bedeutet. Sie sagen: »das sind nicht einfach zwei Personen, die miteinander reden, sondern, über sie vermittelt, die ganze Kolonialgeschichte oder die ganze Geschichte der ökonomischen, politischen und kulturellen Unterdrückung der Schwarzen (oder der Frauen, Arbeiter, Minoritäten usw.) in den Vereinigten Staaten.« (Bourdieu und Wacquant 1996: 178f.) Im deutschen Kontext sind Deutsche afrikanischer Herkunft nicht nur als isolierte Individuen, sondern auch als Mitglieder afrikanischer bzw. Schwarzer Menschen zu betrachten und ihre Geschichte muss berücksichtigt werden, wenn man sich mit ihren gegenwärtigen Lebensrealitäten beschäftigt. Die Zahl von Afrikanern bzw. Afrikanerinnen, die ihren Kontinent unter guten Bedingungen und freiwillig – z.B. im Fall eines Studiums oder »normaler« Arbeit – verließen oder auch heute noch verlassen, ist vergleichsweise gering. Viele Afrikanerinnen bzw. Afrikaner werden wegen ihrer religiösen, ethnischen oder kulturellen Zugehörigkeit oder wegen ihrer politischen Meinungen vertrieben. Aus diesen Gründen und in vielen Fällen wegen kriegerischer Konflikte, Bürgerkriegen oder Armut sind sie gezwungen, ihre Herkunftsgesellschaften zu verlassen. Sie müssen dann als Flüchtlinge oder Asylsuchende im Ausland leben und sind gezwungen, dort ein Leben unter schlechten Bedingungen zu führen (vgl. u.a. Ndahayo 2011; 2013). Diese Realität ist bewusst oder unbewusst in ihren Diskursen und Praktiken präsent. Die Geschichte und Lebenserfahrungen Schwarzer Menschen werden auch von unterschiedlichen Institutionen berücksichtigt, wenn es etwa um den Versuch geht, die sozialen Ungleichheiten gegen afrikanische Menschen zu behandeln. So erfährt man von den Vereinten Nationen24 in Bezug auf die verabschiedete Dekade (2015-2024) über afrikanische Menschen Folgendes: »Whether as descendants of the victims of the transatlantic slave trade or as more recent migrants, they constitute some of the poorest and most marginalized groups. Studies and findings by international and national bodies demonstrate that people of African descent still have limited access to quality education, health services, housing and social security.«25
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Für mehr Informationen in Bezug auf die Dekade für afrikanische Menschen empfehle ich die folgende Webseite der Vereinten Nationen: https://www.un.org/en/observances/decadepeople-african-descent. United Nations. International Decade for People of African Descent. Online unter: https:// www.un.org/en/observances/decade-people-african-descent/background (Zugriff am 30.03. 2020).
2 Afrikanische Menschen in der deutschen Gesellschaft
Die Dekade wurde mit dem Ziel verabschiedet, die Situation der afrikanischen Menschen mit Fokus auf Anerkennung, Gerechtigkeit und Entwicklung zu verbessern. Das Alltagsleben und die Situation von afrikanischen Menschen in verschiedenen Immigrationsgesellschaften unterscheiden sich, da dort auch soziale, politische, wirtschaftliche, historische und kulturelle Verhältnisse jeweils unterschiedliche Voraussetzungen bieten. Für die vorliegende Arbeit ist von Bedeutung, wie die Situation von Schwarzen Menschen in Deutschland aussieht und wie sie sich geschichtlich entwickelt hat. Deutsche Bürgerinnen und Bürger mit afrikanischer Herkunft gehören gleichzeitig zur afrikanischen Diaspora und zur Minderheitsgruppe der Afrikanerinnen und Afrikaner in Deutschland. Mit dem Diaspora-Begriff weise ich mindestens auf die Mobilität bzw. Migration von Afrikanerinnen bzw. Afrikanern oder ihrer Vorfahren hin, auf ihre Selbstidentifikation bzw. Selbstbehauptung und auf ihr Handeln, d.h. die Beteiligung am Wandlungsprozess in der Gesellschaft, in der sie leben. Während die Hautfarbe und die Herkunft der Afrikanerinnen bzw. Afrikaner auch im Fall einer Minderheit in Deutschland eine Rolle spielen könnten, impliziere ich mit dem Begriff Diaspora, dass ihre Mitglieder bzw. Vorfahren aufgrund der Migration im jeweiligen Land sind. Mit dem Begriff Diaspora schließe ich die Lebenserfahrungen nicht nur der Afrikanerinnen bzw. Afrikaner in der Gegenwart in Deutschland ein, sondern auch die Erfahrungen ihrer Vorfahren in der Vergangenheit. Indem ich den Begriff Diaspora benutze, erkenne ich weiterhin die Existenz des häufig mit Ethnizitätskonstruktionen verbundenen Wettbewerbs um Macht, Ressourcen und Anerkennung an, begebe mich aber auf eine andere Analyseebene dieses Wettbewerbs. Wie Afrikanerinnen bzw. Afrikaner handeln, wird dadurch beeinflusst, inwieweit sie als Afrikanerinnen bzw. Afrikaner Fremdzuschreibungen erfahren (z.B. als Minderheit) und inwieweit eher ihr über die eigene Geschichte und Herkunft definiertes Selbstbild im Vordergrund steht (Diaspora). Die Selbstdefinition in Bezug auf die afrikanische Diaspora bestätigt sich zum Beispiel in der wissenschaftlichen Zeitschrift, die von Mitgliedern derselben Diaspora gegründet wurde und die den Namen Journal of African Diaspora trägt (vgl. Dijk et al. 2008). Die Herausgeber dieser Zeitschrift betrachten Afrika nicht als eine geschlossene geografische Einheit und die afrikanische Diaspora auch nicht als eine einheitliche imaginierte Gemeinschaft (vgl. Dijk et al. 2008: 1-3). Stattdessen sehen sie die afrikanische Diaspora als eine Gesamtheit von mehreren afrikanischen Diaspora-Gruppen, die Beziehungen nach und mit Afrika pflegen. Mit dem Begriff afrikanische Diaspora stellen Dijk et al. (2008) Afrika in den Mittelpunkt von zugleich zentralisierten und dezentralisierten Bewegungen, die die unterschiedlichen afrikanischen Diaspora-Gruppen in Verbindung mit ihrem Herkunftskontinent setzen. Auf diese Weise sind sie der Meinung, dass es vielfältige afrikanische Diaspora-Gruppen gibt, die in einer bunten afrikanischen Diaspora miteinander
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
verbunden sind. Die Unterschiede dieser Diaspora-Gruppen beziehen sich, so Dijk et al. (2008: 1), auf geografische, kontextuelle und zeitliche Faktoren. Unter diesem Blickwinkel beruhen die afrikanische Diaspora bzw. die Diaspora-Gruppen auf unterschiedlichen Lebensformen, Netzwerken und Erfahrungen, die sich auf bestimmte historische, politische, sozio-ökonomische und soziokulturelle Bedingungen beziehen. In diesem Sinne wurde die Zeitschrift African Diaspora gegründet. Ihre Mitbegründer bzw. Mitbegründerinnen wollen Aufsätze über die afrikanische Diaspora bzw. über unterschiedliche Diaspora-Gruppen veröffentlichen. Bezüglich des Inhaltes der Aufsätze schrieben Dijk et al. (2008: 1): »[…] they [the Articles] demonstrate how diverse these diasporas are in what is being connected. These linkages range from musical styles in the Indian Ocean, to economic and educational relations in Russia, forms of political power and ideology in the presence of Ghanaian nationals in Germany, gender and sexual relations of Zimbabweans in Great Britain, family structures and religious expressions in various forms of Senegalese mobility to Europe. These articles bespeak the ways in which diasporas are multilateral in the way they link different regions, cultural orientations and expressions as well as varying socioeconomic interests and aspirations of people that partake in these forms of mobility.« In diesem Sinne betrachte ich die afrikanische Diaspora in Deutschland als einen Teil der gesamten und bunten afrikanischen Diaspora weltweit und ich ziehe in Betracht, dass sie sich von anderen afrikanischen Diaspora-Gruppen u.a. in ihren eigenen geografischen, kontextuellen, historischen, politischen und zeitlichen Bedingungen unterscheidet. Bei der afrikanischen Diaspora in Deutschland untersuche ich in der vorliegenden Arbeit die Ausübung der Staatsbürgerschaft durch eingebürgerte Afrikanerinnen und Afrikaner. In Deutschland lebende Afrikanerinnen bzw. Afrikaner sind in unterschiedliche Netzwerke und Communitys eingebunden. Sie stehen, auch wenn sie die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, in unterschiedlichem Maß in Relationen mit der afrikanischen Diaspora. Diese können direkt oder indirekt nicht nur ihre Zugehörigkeitsgefühle, sondern auch ihr Handeln, ihr gesellschaftspolitisches Engagement oder ihre sozio-ökonomische Situation beeinflussen. In diesem Sinne wirken sich diese Relationen auf die Realisierung ihrer Staatsbürgerschaft aus. Die afrikanische Diaspora oder die afrikanische Community kann beispielsweise einen Rückzugsraum vor der Diskriminierung in einer von Weißen dominierten Gesellschaft anbieten (vgl. Wiedenroth 1986: 169). Die Frage, die sich an dieser Stelle stellt und die später bei der Analyse empirischer Daten berücksichtigt wird, ist, inwiefern die afrikanische Diaspora bei der Ausübung der Staatsbürgerschaft durch ihre Mitglieder in Deutschland eine Rolle spielt.
2 Afrikanische Menschen in der deutschen Gesellschaft
2.3.3
Afrikanität oder Romantisierung in symbolischen Kämpfen der Diaspora
Ein Rückkehrwunsch in Bezug auf die Diaspora oder eine Diasporagruppe bezieht sich nicht nur auf den verlassenen geografischen Raum, sondern auch auf immaterielle Aspekte wie Kulturen, Traditionen und Wertevorstellungen. Dass die afrikanische Diaspora ihre immateriellen Eigenschaften als bewahrenswert empfindet, zeigt sich an Versuchen, diese auch im jeweiligen Ankunftsland aufrecht zu erhalten. Zahlreiche afrikanische religiöse Gemeinschaften (vgl. Ndahayo 2011; 2013) und Vereine mit afrikanischem Hintergrund wurden gegründet. Panafrikanische Vereine und afro-deutsche Vereinigungen vermehren und vernetzen sich. In der deutschen Gesellschaft wird also die »Afrikanität« verteidigt und Menschen afrikanischer Herkunft befinden sich an der Spitze dieser Verteidigung. Bei dieser »Verteidigung« greifen entsprechende afrikanische Autoren bzw. Autorinnen, auch außerhalb Deutschlands, die Themen Rassismus, Sklaverei und Kolonialismus auf. Der Rückgriff auf geistigen Reichtum erfolgt oft im Zuge des Kampfs gegen Stereotype und Klischeevorstellungen, die den Schwarzen Menschen zugeschrieben werden. Festgestellt wurde, dass die Abschaffung der Sklaverei nicht die Abschaffung der Stereotype und des fremd zugeschriebenen Bildes der Schwarzen Menschen, die die Sklaverei zementierten, bedeutet (vgl. Lozès und Lecherbonnier 2009: 64). Die Fremdzuschreibung in Bezug auf afrikanische Menschen und eine dabei häufig zu beobachtende Einordnung auf der untersten Stufe der Entwicklung ist nicht nur in der fernen Geschichte passiert, sondern auch in der neuesten und in der Gegenwart. Klischeevorstellungen über Afrikanerinnen bzw. Afrikaner, die sie als wild und primitiv beschreiben (vgl. Ayim 2006; Lozès und Lecherbonnier 2009; Opitz 1986a), sind nicht verschwunden. Als Reaktion auf diese Stereotype kommt es vor, dass Afrikanerinnen bzw. Afrikaner »ihre Kultur« romantisiert haben, und sie tun es immer noch. So versuchten entsprechende Autoren bzw. Autorinnen im Zuge des Kampfes gegen den Kolonialismus in Afrika und gegen Rassismus und Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe weltweit und insbesondere in den Immigrationsgesellschaften, ihren Stolz über ihre Kultur und Traditionen zu äußern und zu zeigen, wie sehr sie sich von den Vorstellungen der Anderen unterscheiden (vgl. Oguntoye, Opitz und Schultz 1986). Die romantisierenden Autoren und Autorinnen der »Afrikanität« bedauerten, dass ihre Kulturen von der westlichen Kultur und Religion degradiert oder sogar teilweise zerstört wurden. Die Romantisierung der eigenen Kultur und das Bedauern des Verlusts einiger ihrer Traditionen und Werte bestehen bis heute fort. Vor dem Hintergrund der Verteidigung der Werte von afrikanischen Menschen und der Bewahrung ihrer Kultur wurden beispielsweise auch Zeitschriften herausgebracht und Verlage gegründet. In Zeitschriften wie u.a. LoNam, Das AFRIKAMAGAZIN (Berlin), und Africa Positive (Dortmund) wird schwerpunktmäßig über
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
Themen in Bezug auf Afrikanerinnen bzw. Afrikaner weltweit, ihr Schicksal, ihre Geschichte, Erfahrungen, ihre Mode, Musik und Erfolge berichtet. Sie wurden hauptsächlich von Schwarzen Menschen initiiert und geleitet. Die Artikel oder die Werke, die dort veröffentlicht wurden, wurden jedoch weltweit und von unterschiedlichen Autoren bzw. Autorinnen mit unterschiedlichen Hautfarben verfasst. So erschienen z.B. zahlreiche Veröffentlichungen von afrikanischen, europäischen und amerikanischen Schriftstellern, Philosophen und Sozialwissenschaftlern wie Aimé Césaire, Léopold Sédar Senghor, Albert Camus (Nobelpreis für Literatur 1957), Richard Wright, André Gide, Jean Paul Sartre, Cheikh Anta Diop, Birago Diop, Wole Soyinka (Nobelpreis für Literatur 1986), George Balandier Alioune Diop. Zu nennen als Zeitschriften sind u.a. Présence Africaine26 , Peuples Noirs – Peuples africains von dem Franko-Kameruner Mongo Beti und L’étudiant noir von dem Senegalesen Léopold Sédar Senghor, dem Martinikaner Aimé Césaire und dem Guyaner Léon Gontra Damas. Einige Zeitschriften, die über Schwarze Menschen berichteten, wurden von Europäern gegründet und geführt. Ein Beispiel dafür ist die im Jahr 1957 von dem deutschen Wissenschaftler Horst Ulrich Beier27 gegründete Zeitschrift Black Orpheus. Es ist relevant zu erfahren, was diese auf eine Verteidigung ihrer Werte ausgerichteten Afrikanerinnen und Afrikaner geschrieben haben, zum Beispiel Léopold Sédar Senghor. Ihm zufolge gibt es eine Gesamtheit der kulturellen Werte der Schwarzen Welt, die sich durch das Leben, die Institutionen und Lebenswerke der Schwarzen ausdrücken (vgl. Senghor 1964: 9). Für Senghor (1964) haben Schwarze Menschen viele kulturelle Muster und Lebensführungen gemeinsam, die zu bewahren sind. Diese beziehen sich auf ihre Afrikanität28 , d.h. ihre Seele, Religiosität, Liebe, Gesellschaft (die die Familie als das Zentrum des Soziallebens betrachtet), Arbeitsstil und politische Form. Afrikaner und Afrikanerinnen, so Senghor (1964), sollten sich auf ihre Kultur, Traditionen und Werte etc. stützen, um ihre Zukunft zu gestalten.
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Présence Africaine war gleichzeitig eine Zeitschrift und ein Verlag mit dem Schwerpunkt auf afrikanische Menschen und ihrem »Schicksal«. Die Arbeitssprachen für Présence Africaine waren Französisch und Englisch. Présence Africaine organisierte 1956 den ersten internationalen Kongress afrikanischer Schriftsteller und Künstler. Zu diesem Kongress kamen auch viele Europäer wie der Spanier Pablo Picasso und der deutsche Wissenschaftler Horst Ulrich Beier (unter dem Namen Ulli Beier bekannt). Weitere Informationen zu Présence Africaine können der folgenden Webseite entnommen werden: https://www.presenceafricaine.com/ (Zugriff am 26.06.2020). Horst Ulrich Beier veröffentlichte auch eine Anthologie mit verschiedenen Artikeln von afrikanischen und afro-amerikanischen Autoren (vgl. Beier 1965). Senghor spricht von »Négritude«. Dieser Begriff bezieht sich auf das N-Wort. Ich nenne das »Afrikanität«, was Senghor mit dem Begriff Négritude meint.
2 Afrikanische Menschen in der deutschen Gesellschaft
Einige politisch, kulturell und literarisch engagierte Autoren und Autorinnen gingen weiter in ihrem Kampf gegen rassistische, fremd zugeschriebene Bilder über Schwarze Menschen und versuchten das »Bild und die Identität« von Schwarzen Menschen positiv zu vermitteln. So kamen sie zur »Négritude« (vgl. Senghor 1964). Die Négritude lässt sich als eine Art Selbstbild, Selbstbehauptung oder Selbstdarstellung gegen das negative Fremdbild beschreiben, das zu einer Reihe von Stereotypen, Vorurteilen und zu Nachteilen für Afrikanerinnen und Afrikaner geführt hatte. Die Geschichte der Schwarzen Menschen hat also auch dazu beigetragen, dass Afrikanerinnen bzw. Afrikaner versucht haben, sich zu verteidigen und ihr »richtiges, positives« Bild zu zeigen und zu bewahren. In Bezug auf die afrikanische Kultur und die Traditionen muss man nicht unbedingt mit Autoren und Autorinnen wie Senghor, die über Schwarze geschrieben haben, einverstanden sein. Wichtig ist festzustellen, dass in der Geschichte der Menschheit Schwarze Menschen und ihre Zivilisation generell negativ dargestellt und beurteilt wurden oder sogar immer noch werden. Im Gegenzug ließ sich beobachten, dass man vonseiten afrikanischer Menschen versucht hat oder immer noch versucht, darauf zu reagieren. Es wird deutlich, wie stolz Afrikanerinnen bzw. Afrikaner auf ihr immaterielles Vermögen sind und dass sie versuchen, es als bewahrenswert darzustellen. In den jeweiligen Immigrationsgesellschaften ist bis heute zu beobachten, dass sich Menschen mit afrikanischer Herkunft mit ihrer »Afrikanität« verbunden fühlen. So zeigt sich beispielsweise der Wille, überlebende afrikanische kulturelle Merkmale, wie das Konzept »Ubuntu« (Menschlichkeit, Solidarität, Familienfreundlichkeit etc.) oder auch andere kulturelle Eigenschaften, die mit afrikanischen Lebensmustern assoziiert werden, zu bewahren.
2.3.4
Schwarze in Deutschland: Eine Minderheitsgruppe in einer Einwanderungsgesellschaft?
Die Konzepte Gemeinschaft und Minderheit sind nicht nur sehr komplex, sondern auch sehr flexibel, unabhängig davon, ob es sich um industrialisierte Gesellschaften handelt oder um Gesellschaften anderswo in der Welt. Die Diskussion zwischen primordialistischen und konstruktivistischen Thesen29 oder anderen, sich davon 29
Die primordialistische These betrachtet eine ethnische Gruppe als eine auf Basis von wirklichen und substanziellen Gemeinsamkeiten (vgl. Sökefeld 2012: 45) gebildete quasi natürliche und quasi homogene Gruppe von Menschen. Die Existenz dieser Gruppe bezieht sich auf primordiale Bindungen, »primordial ties« (Geertz 1963: 109ff.), die sich wiederum komplett oder teilweise auf eine gemeinsame Herkunft, Sprache, gleiche Kultur, gleiche Traditionen, gleiche Geschichte usw. beziehen und die dadurch eine ethnische Gruppe von anderen unterscheiden. Der Glaube an Verwandtschaft kann auch als eine bindende Gemeinsamkeit gelten, die als starke, verbindende Grundlage für die Ethnizität dienen kann, die aber nicht zwingend real sein muss (vgl. Schammann 2013: 26). Die konstruktivistische These behaup-
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
ableitenden oder vermischenden Positionen bleibt spannend, ist aber für die vorliegende Arbeit nicht zielführend. Anzumerken an dieser Stelle ist, dass verschiedene Autoren und Autorinnen darauf hinweisen, dass beide Ebenen der Selbst- und Fremdwahrnehmung und ihre eventuellen gegenseitigen Einflüsse eine wichtige Rolle bei der Wahrnehmung der als Gemeinschaft oder auch anderweitig definierten Gruppen spielen. Beispielsweise weist Weiß (2001: 84) darauf hin: »Durch Rassenkonstruktionen wird Gruppenzugehörigkeit gerade auch dann zugeschrieben, wenn einem askriptiven Merkmal keine ethnische Gruppe ›für sich‹ entspricht. Zum Beispiel wurden viele Afrodeutsche ebenso wie assimilierte Jüdinnen und Juden erst sekundär durch Rassismus bzw. Antisemitismus zur ethnischen Vergemeinschaftung gezwungen.« Eine sich auf Migration und rassistische Diskriminierung beziehende Analyse einer Community in einer Einwanderungsgesellschaft sollte die sozialwissenschaftlichen Fragen mit Blick auf Minderheiten und die damit verbundenen eventuellen Konflikte, z.B. auf Basis rassistischer Exklusion, nicht versäumen, da Immigration mit der Problematik der Minderheiten und daraus resultierenden Konflikten in der Einwanderungsgesellschaft zusammenhängt (vgl. Bommes 2011: 159). Hintergründe, Konstruktion, Bedeutung, Funktion und Folgen der Selbst- und Fremdbilder der als Minderheiten betrachteten Menschengruppen sollten daher auch nicht außer Acht bleiben, wenn man sich mit der Situation von Schwarzen Menschen in Deutschland beschäftigen möchte. Der in den Sozialwissenschaften bekannte Begriff »imagined community« von Benedict Anderson (1991), der ursprünglich die Nationenbildung betraf, ist auch ein hilfreicher Zugang zu einem besseren Verständnis der Bedeutung von Wahrnehmungen und der Konstruktion von Ethnizität und von Zugehörigkeiten im Kontext der Migration. Mit seinem konstruktivistisch orientierten Konzept sieht Anderson eine Nation als eine sozial und gesellschaftlich imaginierte und konstruierte Gemeinschaft an, deren Mitglieder sich selbst als Teile dieser Community betrachten. Der Begriff von Anderson kann mittlerweile unterschiedlich angewandt werden (vgl. Castro Varela und Dhawan 2004: 70; Scherr 2000: 401) und lässt sich auch tet, dass Ethnizität konstruiert wird und flexibel und manipulierbar ist. Auf diese Weise sind – je nach Kontext – Veränderungen von Gruppen und Abgrenzungen zwischen unterschiedlichen Gruppen möglich. In konstruktivistischer Hinsicht werden ethnische Menschengruppen nicht als gegeben betrachtet, sondern u.a. als Resultat sozialen Handelns, von sozialen Diskursen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. Während konstruktivistische Positionen das Handeln in den Vordergrund der Ethnizität stellen und vermitteln, dass Ethnizität flexibel und daher verhandelbar sowie manipulierbar ist, sind Primordialisten der Auffassung, dass die Ethnizität »auf unmittelbaren, ursprünglichen Zugehörigkeiten beruht, die ein Individuum durch die Geburt erwirbt und die kaum und wenn dann nur sehr langsam verändert und manipuliert werden können« (vgl. Sökefeld 2012: 45).
2 Afrikanische Menschen in der deutschen Gesellschaft
auf aus der Migration entstehende Gemeinschaften übertragen. Die Gemeinschaften können aus Gemeinsamkeiten aufgrund von Verwandtschaft entstehen, aber auch aus einem gemeinsamen Glauben, einer gemeinsamen Kultur oder gemeinsamen Gefühlen (vgl. Weber 1922: 219f.). Ein kollektiver Glaube oder solidarische Empfindungen können als Grundlage für imaginierte Gemeinschaften fungieren. Gemeinschaften, so Weber (1922: 220), »können ihrerseits Gemeinsamkeitsgefühle erzeugen, welche dann dauernd, auch nach dem Verschwinden der Gemeinschaft, bestehen bleiben und als ›ethnisch‹ empfunden werden.« Dieser Standpunkt von Weber kann so interpretiert werden, dass Gemeinsamkeitsgefühle eine entscheidende Rolle spielen, wenn es darum geht, eine Minderheitsgruppe zu identifizieren. Weber ist der Meinung, dass die Gemeinsamkeitsgefühle dazu führen könnten, dass eine Menschengruppe als ›ethnisch‹ betrachtet wird. Auf diese Weise sind subjektive Wahrnehmungen, Glauben und Gefühle von Mitgliedern einer Menschengruppe von großer Bedeutung. Die Wichtigkeit des »Glaubens« an Gemeinsamkeiten bei einer Gemeinschaft bzw. einer Minderheitsgruppe wurde auch von anderen Autoren und Autorinnen bestätigt. In dieser Hinsicht sprach Heckmann (1992: 56) vom kollektiven Handeln, vom Glauben an eine gemeinsame Herkunft, von Gemeinsamkeiten in Kultur, Geschichte, Erfahrungen und von einem bestimmten Identitäts- und Solidarbewusstsein. Bezüglich afrikanischer Menschen schrieb Max Weber (1922: 219): »Wir wollen solche Menschengruppen, welche auf Grund von Ähnlichkeiten des äußeren Habitus oder der Sitten oder beider oder von Erinnerungen an Kolonisation und Wanderung einen subjektiven Glauben an eine Abstammungsgemeinsamkeit hegen, derart, dass dieser für die Propagierung von Vergemeinschaftung wichtig wird, dann, wenn sie nicht ›Sippen‹ darstellen, ›ethnische‹ Gruppen nennen, ganz einerlei, ob eine Blutsgemeinsamkeit objektiv vorliegt oder nicht.« Durch Weber ist zu verstehen, dass der Glaube von Menschen an Gemeinsamkeiten, also die »Gemeinsamkeitsgefühle« (Weber 1922: 220), wichtig für die Bestimmung der Gemeinschaft von Menschen ist. Diese Gefühle können auf äußerlichen Merkmalen (wie z.B. Tradition, Zeremonie) oder innerlichen Gemeinsamkeiten (Konfession, Verwandtschaft) sowie auf nicht-vergessenen Erfahrungen (wie Migration, Kolonisierung, Versklavung etc.) beruhen. In dieser Hinsicht kommt auch die Menschengruppe von Schwarzen Menschen bzw. von afrikanischen Menschen in Deutschland infrage. Die von Heckmann (1992: 56) erwähnten Merkmale betreffen in vielen Hinsichten auch die Menschengruppe afrikanischer Menschen in Deutschland. Seine Ansicht bekräftigt das Gewicht der von Weber angedeuteten »Gemeinsamkeitsgefühle« und betont weiter das Handeln, die Menge, die Herkunft, die Geschichte,
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
die Kultur, die Lebenserfahrungen und die heutigen Lebensrealitäten der Mitglieder der genannten Gruppe. Ein Hinweis auf die Menschengruppe von Schwarzen Menschen in Deutschland impliziert also ihre potenziellen Gemeinsamkeitsgefühle, die sich u.a. auf ihre Herkunft, Geschichte, Kultur und Migrationserfahrungen etc. beziehen können. Bei einer Gemeinschaft, gleichgültig ob es sich um eine reale oder imaginierte Gruppe handelt, ist festzustellen, dass es immer Merkmale gibt, die die Mitglieder auf der einen Seite als zusammengehörend verbinden und gleichzeitig auf der anderen Seite von anderen Gruppen unterscheiden. Diese Merkmale können askriptiv sein oder auch innerhalb der infrage kommenden Menschengruppe entstehen oder sich entfalten. Wenn »die Bart- und Haartracht oder ähnliches« eine Rolle bei der Erkennung einer Menschengruppe spielen und daher als »anziehend« oder »abstoßend« gelten können (vgl. Weber 1922: 221), liegt es nah, dass die Hautfarbe ebenfalls eine herausragende Rolle dabei spielt, dass Menschen mit einer gleichen Hautfarbe sich als eine Menschengruppe ansehen können. Die Hautfarbe zählt zu den Merkmalen, die dazu führen können, dass sich beispielsweise Afrikaner bzw. Afrikanerinnen als Solidargemeinschaft aufgrund eines gemeinsam erfahrenen Rassismus auf Basis ihres Aussehens fühlen können, oder dass sie von anderen aufgrund entsprechender Fremdzuschreibungen so betrachtet werden können. Für eine sozialwissenschaftliche Analyse ist aber die Funktion der Gruppenzugehörigkeit relevanter als die bloße Gruppenzugehörigkeit. Diesbezüglich ist die Debatte über kausale Beziehungen zwischen der Gruppenzugehörigkeit von Schwarzen Menschen und ihrer sozialen Ungleichheit relevanter als die Diskussion über das reale oder imaginierte Bestehen dieser Menschengruppe. An dieser Stelle komme ich zur Rolle der Gruppenzugehörigkeit von Schwarzen Menschen in der Machtund Ressourcenverteilung in Deutschland.
2.3.5
Schwarze Menschen in Deutschland: Macht- und Ressourcenverteilung
Handlungs- und Verhandlungsprozesse, die sich auf die Problematik der Immigration und die damit verbundenen Konflikte beziehen, zählen zu den alltäglichen Realitäten der deutschen Gesellschaft (vgl. Bommes 2011: 160, 163) wie auch anderer Einwanderungsgesellschaften. Dort gibt es gesellschaftliche Machtverhältnisse, die Menschen benachteiligend oder privilegierend prägen (vgl. advd 2013: 10f.). Menschen werden in diesen strukturellen Verhältnissen auf Basis ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe privilegiert (z.B. weiße Männer in vielen heutigen Gesellschaften) oder benachteiligt (z.B. Frauen oder Schwarze Menschen in vielen von weißen Menschen dominierten Gesellschaften). Afrikanische Menschen in Deutschland sind als Mitglieder einer Minderheitsgruppe von solchen Entwicklungsprozessen der deutschen Gesellschaft betroffen. Im Vergleich zu wei-
2 Afrikanische Menschen in der deutschen Gesellschaft
ßen Menschen mit Migrationsgeschichte werden Schwarze sowie ihre Kinder und Kindeskinder als Mitglieder einer »sichtbaren« Minderheit langfristiger und mehr von Diskriminierung in Deutschland betroffen (vgl. SVR-Forschungsbereich 2018; Weiß 2017: 89). Dies impliziert, dass die Hautfarbe und die Gruppenzugehörigkeit in diversen Lebensbereichen, z.B. auf dem Wohnungsmarkt oder auf dem Arbeitsmarkt, eine Rolle spielen und dass sich dies auf Lebens- und Anschlusschancen von Menschen auswirkt. Bommes (1999) analysiert soziale Ungleichheiten im Kontext von modernen Nationalstaaten und kommt zum Fazit, dass Zuwanderinnen bzw. Zuwanderer in Bezug auf das Wohlfahrtssystem im Vergleich zu Nicht-Migranten bzw. NichtMigrantinnen ungleich behandelt werden. In diesem Sinne führt Weiß (2001: 84; 2013: 44) aus, dass die Gruppenzugehörigkeit als askriptives Merkmal mit einem negativen Prestige und daher mit einer Benachteiligung in der Gesellschaft verbunden sein kann. Im Anschluss an die Überlegungen von Bommes (1999) und Weiß (2001; 2007) gehe ich davon aus, dass die Zugehörigkeit – beispielsweise zur Mehrheitsgesellschaft oder zugewanderten Populationen – innerhalb des deutschen Nationalstaats mit Vorteilen bzw. Nachteilen verbunden ist. Im Rahmen dieser Arbeit ist es relevant, sich zu fragen, inwieweit sich die Gruppenzugehörigkeit von Schwarzen Menschen auf ihre gesellschaftliche Teilhabe auswirkt, wobei sowohl die subjektiv wahrgenommene und praktizierte als auch die zugeschriebene Zugehörigkeit eine Beachtung finden. Ein Hinweis auf soziale Zugehörigkeit und symbolische Kämpfe von Schwarzen schließt ein, dass wirtschaftliche, soziale, politische sowie kulturelle Verhältnisse in Gesellschaften kontinuierlich verhandelt werden. Die Verhandlungen geschehen sowohl unter Individuen als auch unter Menschengruppen und sie sind von rassistischen Klassifikationen beeinflusst. Weiß (2001: 83) stellt dazu dar: »Man sollte soziale Ungleichheit also nicht einfach auf ihre kulturellen Aspekte reduzieren, sondern man muss genauer zeigen, wie sich z.B. rassistische Klassifikationen mit ökonomischen und anderen sozialen Strukturen vermitteln.« Die aktive Bindung an eine »ethnisch-kulturelle« Minderheit ist also in einem Zusammenhang mit wirtschaftlichen und anderen sozialen Strukturen zu sehen sowie mit Konflikten, die aus dem Kampf um die Machtverteilung und Teilhabe an Ressourcen erfolgen (vgl. Scherr 2000: 402). Minderheiten bzw. Ethnizität und die damit einhergehenden Deutungs- und Definitionsprozesse hängen mit Machtverhältnissen, verschiedenen Arten von Ungleichheiten und Diskriminierungen und mit Rassismus usw. zusammen. Sie schaffen eine Basis für alltägliche Konflikte in Gesellschaften. Diesbezüglich vertritt Scherr (2000: 403) die Position, dass
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
»Ethnizität – zumindestens in der deutschsprachigen Diskussion – gewöhnlich als Folge verweigerter politischer, rechtlicher und ökonomischer Gleichstellung von Migranten, nicht als eine mögliche Form der kulturellen Selbstbehauptung und des Widerstands gegen die Zumutung der Moderne bzw. des sich globalisierenden Kapitalismus [angesehen wird].« Ethnizität in Industrieländern und auch in Deutschland kann insofern das Resultat einer bestehenden sozialen Lage sein. In diesem Sinne interpretiert Scherr (2000: 410) Webers (1922) Ansatz und stellt mindestens drei Ursachen der Ethnizität fest: Sie kann (1) eine Reaktion auf die Erfahrung sozio-ökonomischer Ungleichbehandlung sein, (2) eine Reaktion auf gesellschaftspolitische Diskriminierung sein oder (3) als Folge sozialräumlicher Konzentration von Einwanderergruppen entstehen. Diese Ursachen können auch für den Konstruktionsprozess der afrikanischen Community gelten. Ethnizität kann, um Bommes (2011: 172) zu interpretieren, zur Orientierung und sozialen Sicherheit von Migrantinnen und Migranten in einer fremden Umgebung beitragen. Dies wird noch deutlicher bei meiner späteren empirischen Analyse der Wahrnehmungen von Schwarzen Menschen hinsichtlich ihrer sozio-ökonomischen Situation, Gleichbehandlung, sozialen Zugehörigkeiten und ihres gesellschaftspolitischen Engagements. Unter diesem Blickwinkel vertritt Wimmer (2009) die These, dass Ethnizität bei Migranten bzw. Migrantinnen als Resultat einer Interaktion zwischen nationalen Mehrheiten und Immigrantenminderheiten zu verstehen sei. Auch Heckmann (1992: 57) verbindet die Situation von Minderheiten mit ihren Relationen mit der Mehrheitsgesellschaft und weist darauf hin, dass Minderheiten mit Benachteiligung, Unterdrückung, Diskriminierung und Stigmatisierung in ihren Gesellschaften konfrontiert werden. Die Minderheitsgruppe von Afrikanerinnen bzw. Afrikanern in Deutschland kann und sollte auch in dieser Hinsicht analysiert werden. Scherrs (2000) Betrachtung bezüglich der Merkmale der Ethnizität weist einige Übereinstimmungen mit den vorhergehenden Ausführungen auf. Er betont die Bedeutung der Gemeinsamkeiten der Mitglieder einer Minderheit und die gleichzeitige Abgrenzung in Bezug auf andere Gruppen. In diesem Sinne denkt Bommes (2011: 168), dass der Begriff »ethnisch« sich an Merkmalen wie gemeinsamer Religion, gemeinsamer Sprache, gemeinsamer Geschichte oder Abstammung, dem Glauben an eine gemeinsame Volkszugehörigkeit orientiert. Ob von einer Ethnizität bzw. imaginierten Gemeinschaft30 gesprochen werden kann, sollte laut Scherr (2000: 406) durch folgende Erkennungszeichen festgestellt werden: 30
Scherr (2000: 401) stellt dar, dass der Begriff »imaginierte Gemeinschaft«, der von Benedict Anderson eingeführt wurde, um die Nationen zu bezeichnen, auch auf ethnische Gruppen zutrifft. Nach diesem Begriff kennen Mitglieder einer imaginierten Gemeinschaft einander nicht und die Gemeinschaft existiert nur in der Vorstellung (imaginär), aber ihre Mitglieder fühlen sich zusammengehörig.
2 Afrikanische Menschen in der deutschen Gesellschaft
• • • •
Bestehende Annahmen über eine gemeinsame Geschichte der Angehörigen. Begründete und als bewahrenswert betrachtete kulturelle Muster der Lebensführung als Unterscheidungsmerkmal. Zugehörigkeit zu beanspruchten Traditionen durch Kriterien der Abstammung bzw. des dauerhaft bindenden Bekenntnisses. Selbstabgrenzung der Gemeinschaft von der nationalstaatlichen Hochkultur und Fragestellung ihrer Hegemonie.
Ethnizität könnte also auf die Wahrnehmung bzw. Konstruktion von Gemeinsamkeiten auf der einen Seite und die Hervorhebung von Unterschieden bzw. Abgrenzungen auf der anderen Seite verweisen. Diese Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede können – unabhängig davon, inwieweit sie real existieren – als Basis von Konflikten und als mögliche Legitimation für eine Ressourcenverteilung oder Ungleichbehandlung dienen. Die sich auf Konstruktionen von Ethnizität beziehenden Gemeinschaften haben Erwartungen gegenüber ihren Angehörigen, und ihr Handeln in der Gesellschaft kann von ihrer Zugehörigkeit beeinflusst werden (vgl. Bommes 2011: 168). Ethnizität impliziert also ein soziales Handeln in der Gesellschaft. So schreibt Bommes (2011: 168) Folgendes: »Ethnische Gemeinschaftsangehörige stellen dann gegebenenfalls füreinander ökonomische, kulturelle, politische, religiöse, gesundheitliche oder fürsorgerische Ressourcen bereit, machen Organisationspotenzial verfügbar, mobilisieren soziale Netzwerke und streben zugleich in dieser Weise vielfach nach außen den privilegierten oder gar ausschließlichen Zugang oder die Kontrolle der ethnischen Gemeinschaft über ökonomische, politische, rechtliche, erzieherische oder gesundheitliche Ressourcen an.« Die Ethnizität bzw. das Zugehörigkeitsgefühl zu einer bestimmten Menschengruppe ist nicht konstant, d.h. sie bzw. es verändert sich und ist mit Blick auf soziales Handeln zu verstehen (vgl. Brubaker 2007). In diesem Sinne wirkt die Gruppenzugehörigkeit – und die Gruppenzugehörigkeit von Schwarzen Menschen in unserem Kontext – auf die Ausgangspositionen und die Lebenschancen der Mitglieder der Gruppe in der Gesellschaft. Weiß (2001: 88) zeigt, wie die Verfestigung von Differenzzuschreibungen bzw. Differenzzugehörigkeiten mit sozialen Ungleichheiten zusammenhängen. Versucht man den Standpunkt von Weiß (2001: 88) auf den Kontext von Schwarzen Menschen in Deutschland zu übertragen, kann man Folgendes annehmen: Eine langfristig stabile bzw. stabilisierte Ungleichheitsbeziehung zum Nachteil von Schwarzen Menschen wegen ihrer Gruppenzugehörigkeit hat sich in Deutschland mit der Zeit etabliert, da sich ungleiche Ausgangspositionen und Anschlusschancen auf den deutschen Märkten nach und nach durch die symbolische Macht stabilisiert haben. Dies bedeutet, dass die soziale Ungleichheit Schwarzer Menschen in Deutschland institutionalisiert ist und sich in symboli-
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
scher Gewalt ausdrückt, d.h. zur Selbstverständlichkeit bzw. zur Normalität geworden ist (vgl. Bourdieu 1991b: 487; Weiß 2001: 86; Weiß 2017: 29). Wie sich diese gegenwärtige Selbstverständlichkeit bzw. Normalität in der deutschen Gesellschaft konsolidiert hat, habe ich schon mit der geschichtlichen Entwicklung von Schwarzen Menschen in Deutschland dargestellt. Es ist zusammenfassend festzuhalten, dass ethnische Zuschreibungen und diesbezügliche Vorstellungen, Konstruktionen und soziale Ungleichheiten zur Realität der heutigen Immigrationsgesellschaften – wie der deutschen Gesellschaft – zählen. Diese »Realität«, die aufgrund symbolischer Macht oft nicht explizit genannt oder analysiert wird, steht hinter der ungleichen Verteilung von Ressourcen, »die die Lebenschancen ihrer BesitzerInnen maßgeblich beeinflussen« (Weiß 2001: 89). Es ist für die vorliegende Arbeit interessant zu wissen, ob und inwieweit die Einbürgerung von Mitgliedern der afrikanischen Diaspora in Deutschland ihr Prestige oder/und ihre Teilhabe an Ressourcen beeinflusst. Auf diese Frage werde ich im empirischen Teil eingehen. Bevor ich mich mit dieser Frage beschäftige, befasse ich mich im folgenden Kapitel mit dem Begriff »Staatsbürgerschaft«, der im Zentrum dieser Arbeit steht.
3 Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung
3.1
Das Konzept der Staatsbürgerschaft
Die Debatte zum Thema Staatsbürgerschaft in Einwanderungsländern1 – zu denen auch Deutschland gehört – ist aktuell. Sie bestätigt, dass die Staatsbürgerschaft mit bestimmten Erwartungen, Vorstellungen und Einstellungen verbunden ist. Der Begriff »Staatsbürgerschaft« benennt hauptsächlich Aspekte wie Staatsangehörigkeit und damit verbundene Rechte und Pflichten der Partizipation von Bürgerinnen und Bürgern in der Gesellschaft (vgl. Isin und Turner 2007: 5; Mackert und Müller 2000: 9). In Deutschland wird der Begriff »Staatsbürgerschaft« eher mit der formal-rechtlichen Ausgestaltung der gesellschaftlichen Partizipation verbunden (vgl. Brubaker 1992: 50). Dies hat eine erhebliche Bedeutung für das Verständnis der Staatsbürgerschaft, was in der vorliegenden Arbeit noch ausführlicher zur Sprache kommt. Die Bedeutung der Staatsbürgerschaft variiert je nach gesellschaftspolitischer Einstellung. In Kanada z.B., wo der Multikulturalismus politisch gewollt ist und in der Gesellschaft eine große Rolle spielt (vgl. Kymlicka 1995; 2001; 2010), wäre es unvorstellbar, sich mit dem Thema Staatsbürgerschaft zu befassen, ohne sich mit dem Thema der multikulturellen Gesellschaft zu beschäftigen. In Deutschland und
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Im Zuge des Kampfs gegen Terrorismus wird in einigen westlichen Ländern beispielsweise darüber diskutiert, in terroristische Aktivitäten involvierte Bürgerinnen bzw. Bürger auszubürgern. Die politische Diskussion hat in Deutschland zu der Feststellung geführt, dass die Staatsbürgerschaft durch das Grundgesetz geschützt sei und dass sie daher nicht einfach so entzogen werden könne (vgl. Schuler 2014). In Frankreich hat das Parlament jedoch am 09.02.2016 – trotz vieler Gegenstimmen – dem Entzug der französischen Staatsangehörigkeit im Fall terroristischer Aktivitäten oder einer Straftat zugestimmt (Lefigaro.fr avec agences 2016). Allerdings zog Präsident Hollande am 30.03.2016, nach zwei Monaten stürmischer Debatte, den Gesetzentwurf zurück (L’express 2016). Folglich wurde der Kongress nicht mehr vom französischen Parlament einberufen, um sich mit dem Thema zu beschäftigen. Der Kongress des französischen Parlaments (le Congrès du Parlement francais) ist ein Zusammenschluss der Nationalversammlung und des Senats. Er ist u.a. für die Reform des Grundgesetzes zuständig.
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
in Frankreich, wo der Multikulturalismus nicht stark vertreten ist, führt die Debatte über die Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung unmittelbar zum Thema Integration. Was mit dem Begriff »Integration« gemeint ist, bleibt dabei mehrdeutig. Die Beziehungen zwischen dem Staat und den Bürgerinnen bzw. Bürgern oder den Bevölkerungsgruppen werden formal durch Gesetze strukturiert. Wie diese Gesetze formuliert, interpretiert und in der Praxis umgesetzt werden, ändert sich von Staat zu Staat und historisch betrachtet innerhalb des jeweiligen Einzelstaates. Vor dem Hintergrund ihrer historischen Unterschiede werden die je anderen Entwicklungen von Staatsbürgerschaft und ihrer Bedeutung in einzelnen Nationalstaaten besser verständlich. In dieser Hinsicht und trotz vieler Gemeinsamkeiten unterscheidet sich die Staatsbürgerschaft in Deutschland in der Geschichte und in der Gegenwart von der in anderen Staaten. Wissenschaftliche Theorien und Debatten über die Staatsbürgerschaft befassen sich u.a. mit den Rechten und Pflichten der Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger und Themen wie sozialer Gleichheit, Gerechtigkeit, gesellschaftlicher Partizipation und Zugehörigkeit (vgl. Isin und Turner 2007; Mackert und Müller 2000: 10). Außerdem werden das Thema der Anerkennung innerhalb der Gesellschaft, die Bedeutung der Menschenrechte und die Mitgliedschaft von Bürgern und Bürgerinnen in einem globalen und kosmopolitischen Kontext diskutiert (vgl. Isin und Turner 2007). Die Staatsbürgerschaft ist also mehr als ein rechtlicher Status (vgl. Dahrendorf 2000; Isin 2008; Isin und Turner 2007; Mackert und Müller 2000). Ihre Analyse sollte sich nicht auf die Gesetze über die Staatsbürgerschaft oder auf den formalen Status der Staatsbürger bzw. Staatsbürgerinnen beschränken, sondern muss u.a. auch die politische, kulturelle, sozio-ökonomische Situation und die geschichtliche Entwicklung der Staatsbürgerschaft und ihrer Bedeutung berücksichtigen. Diesbezüglich und mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand muss die Realisierung der Staatsbürgerschaft in Deutschland durch Deutsche mit afrikanischer Herkunft mittels der Betrachtung der Realität der deutschen Gesellschaft erklärt werden. Die politischen Diskussionen und sozialwissenschaftlichen Theorien über die Staatsbürgerschaft beziehen sich insbesondere auf folgende Dichotomien: formaler Status versus aktive Praxis dieses Status, formale Gleichheit versus reale Ungleichheit, Universalismus versus Partikularismus, Inklusion versus Exklusion (vgl. Mackert und Müller 2000: 16-19), Anerkennung versus Ablehnung, Zugehörigkeit versus Ausschließung, global versus lokal, universal versus national (vgl. Isin und Turner 2007). Es besteht in der bisherigen Diskussion ein breiter Konsens darüber, dass die Staatsbürgerschaft u.a. auf gesellschaftlicher Teilhabe und Teilnahme von Bürgerinnen und Bürgern beruht und dass diese Partizipation nicht immer durch den legalen Status garantiert wird.
3 Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung
3.2
Die geschichtliche Entwicklung des Konzeptes der Staatsbürgerschaft
Das Konzept der Staatsbürgerschaft ist sehr dynamisch (vgl. Dahrendorf 2000: 133) und hat eine lange Geschichte hinter sich, die in der Polis der Antike anfing (vgl. Faulks 2000; Isin und Turner 2007). Die Staatsbürgerschaft hat heutzutage andere Formen, Inhalte und Kontexte, jedoch lässt sie sich besser verstehen, wenn ein Blick auf die Entwicklung der Gesellschaften und den Status ihrer Mitglieder geworfen wird. Mithilfe der Rekonstruktion der historischen Entwicklung westlicher Gesellschaften und des Wandels der Beziehung zwischen Staaten und ihren Bürgerinnen bzw. Bürgern lassen sich nach Faulks (2000: 26-28) vier Faktoren identifizieren, die wichtig sind, um heutige Tendenzen und Dynamiken des Status der Staatsbürgerschaft in westlichen Staaten zu verstehen: (1) Proteste und Sozialbewegungen für mehr Rechte (u.a. für Frauen, Minderheiten, behinderte Menschen) haben eine wichtige Rolle bei der Erweiterung der Staatsbürgerschaft gespielt. Inhaltlich und theoretisch wurde die Staatsbürgerschaft als Prinzip der Gleichheit und Gleichberechtigung aller Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger verstanden. Dies führte zur Forderung nach der Umsetzung dieser Prinzipien. (2) Die neuen Weltanschauungen auf Basis von Kapitalismus, Liberalismus und Sozialismus haben die Richtung der Staatsbürgerschaft stark beeinflusst und die Privilegien für Einige und die Exklusion von Anderen wirksam abgeschwächt. Dieser zweite Faktor ist mit dem ersten eng verbunden, da festzustellen ist, dass die neuen Weltanschauungen hinter den Klassenkonflikten und daher hinter den gesellschaftlichen Revolutionen und soziopolitischen Bewegungen standen. (3) Der wirtschaftliche Markt, der sich in einer Situation der Dominanz des Kapitalismus befindet, der aber durch die Rechte der Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger, ihre sozialen Rechte, durch den Druck der Gewerkschaften für mehr Rechte für Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeitnehmer gemildert ist. Dieser Faktor ist auch mit den beiden ersten Faktoren verbunden. (4) Der Status der Staatsbürgerschaft ist in westlichen Gesellschaften von dem Kontext der Nation, die kulturelle und ethnische Ausgrenzungen impliziert, geprägt. Die zeitgenössische Staatsbürgerschaft entwickelt sich also in einer Art Spannung zwischen Inklusion und Exklusion auf Basis ethno-kultureller Zugehörigkeit und der Spannung zwischen Mehrheitsgesellschaften und Minderheiten. Es ist zu bemerken, dass alle vier Faktoren miteinander verbunden sind und dass die Staatsbürgerschaft sich in einer heftigen Auseinandersetzung zwischen denjenigen, die für die Beibehaltung der Privilegien und gegen die Veränderung in der Gesellschaft sind, und den anderen, die für die Gleichheit und für den Wandel stehen, entfaltet hat. Der Status der Staatsbürgerschaft wurde also nicht aus dem Nichts erfunden (vgl. Brubaker 1992: 35). Er ist ein Ergebnis der Entwicklung von Gesellschaften,
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
die sich auf mehrere Jahrhunderte ausdehnt. Bestimmte Perioden in der Geschichte und ihre Ereignisse waren entscheidend bei der Erfindung und Konsolidierung der zeitgenössischen Staatsbürgerschaft. Durch ihre Werke führten verschiedene Autoren und Philosophen in der Renaissance und der Aufklärung die Ideen des Humanismus, Universalismus und auch des Individualismus, der Solidarität, der Rechte, der Pflichten, der Freiheit, der Gleichheit der Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger in politische und gesellschaftliche Debatten ein. Dies lässt sich durch die Ideen von Denkern dieser Zeit wie Thomas Hobbes, John Locke, Jean-Jacques Rousseau, Montesquieu und vielen anderen bestätigen. In ihren Werken (Thomas Hobbes in Leviathan, Johne Locke in Two Treatises of governement, Montesquieu2 in De l’esprit des lois, Jean-Jacques Rousseau in Du contrat social ou Principes du droit politique) plädierten die Denker für eine neue Form bzw. eine Reform der Gesellschaft, in der Bürgerinnen bzw. Bürger u.a. mehr Rechte, Schutz, Sicherheit und Gleichheit haben sollten. Diese manchmal unterschiedlichen, aber in vielerlei Hinsicht konvergierenden Ideen der Philosophen und Denker in der Zeit der Renaissance und der Aufklärung führten zu Veränderungen in den westlichen und später in vielen anderen Gesellschaften. Auf ihre Ideen stützten sich viele Bürger3 , um gleiche Rechte und Freiheit für alle Staatsbürger zu verlangen. Die Erklärung der Menschenund Bürgerrechte vom 26.08.1789 im Zuge der Französischen Revolution erfolgte in diesem Kontext. Die Ideen u.a. von den genannten Autoren, inspirierten die Revolutionen in Frankreich und den USA sowie die Befreiungskriege in mehreren europäischen Ländern. Damit war das Konzept der heutigen Staatsbürgerschaft schon auf dem Weg. Die Französische Revolution wird häufig als ein wichtiges Ereignis für das Verständnis zeitgenössischer nationaler Staatsbürgerschaften betrachtet (vgl. Brubaker 1992: 35). Die Staatsbürgerschaft ist also als Resultat der Auseinandersetzungen in verschiedenen westlichen Gesellschaften anzusehen, sie legte den Fokus auf die Rechte und die Gleichberechtigung der Bürger und ist mit der Demokratie verbunden (vgl. Isin und Turner 2007). Der mit der Staatsbürgerschaft einhergehende Begriff »Nationalstaat« bzw. »Staat« ist sehr bekannt, aber schwer präzise abzugrenzen. Damit bezeichnet man eine dauerhafte Herrschaftsordnung (Staatsgewalt) auf einem bestimmten Territorium (Staatsgebiet) für eine bestimmte Bevölkerung (Staatsvolk oder Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger) zur Erfüllung von Gemeinschaftsaufgaben (Staatsfunktionen) (vgl. Bartlsperger, Bolt und Umbach 1979: 12). Heutige Staaten haben sich
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Sein vollständiger Name lautet Charles Louis de Secondat, Baron de la Brède et de Montesquieu. In diesem Teil der Arbeit verzichte ich mit Absicht auf weibliche Bezeichnungen, da die Rechte, Gleichheit und Freiheit für Frauen in diesen Zeiten der Entstehung der nationalen Staatsbürgerschaft vielfach nicht gemeint waren.
3 Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung
über verschiedene Etappen und Formen entwickelt (vgl. Benz 2008: 11). Alle Formen des Staats haben aber einen gemeinsamen Nenner: Einen Staat ohne Staatsbürger gibt es nicht. Wird von Staatsbürgern gesprochen, impliziert dies, dass es auch Nicht-Staatsbürger gibt. Diese Realität verknüpft sich also mit der Inklusion von Einigen und der Exklusion von Anderen. So denkt Faulks (2000: 46), dass die Staatsbürgerschaft theoretisch und praktisch nicht von den Diskursen über Ethnizität und daher Rassismus und Exklusion getrennt werden sollte.
3.3
Staatsbürgerschaft im Kontext von Nationalstaaten und dem Spannungsfeld von Inklusion und Exklusion
Aufgrund ihrer Ambivalenz in Form von Inklusion/Exklusion4 bezeichnet Weiß (vgl. 2017: 237) die Staatsbürgerschaft als eine paradoxe Institution. Die Staatsbürgerschaft wird im Kontext vom Nationalstaat erhalten und ausgeübt. Dies bedeutet, dass die Staatsbürgerschaft die Angehörigkeit zu einem bestimmten Nationalstaat und gleichzeitig die Nicht-Angehörigkeit zu anderen Nationalstaaten einschließt. Die Staatsbürgerschaft im Kontext des Nationalstaates hat einen universalistischen Charakter, der aber paradoxerweise begrenzt und ausschließend ist (vgl. Dahrendorf 2000: 137), und somit beinhaltet sie eine Dialektik von Inklusion und Exklusion. Diese Dialektik bezieht sich auch auf die Tatsache, dass die formale Staatsbürgerschaft (Inklusion als Mitglied des Staates) nicht unbedingt mit Inklusion auf den Märkten (als teilhabend an Ressourcen des Staates) gleich zu setzen ist.
3.3.1
Zum Inklusions- und Exklusionscharakter der Staatsbürgerschaft
Der Status der Staatsangehörigkeit impliziert formale Inklusion in diversen »Funktionssystemen« in Bezug auf den Nationalstaat (Weiß 2017: 200) und damit auch eine mögliche Exklusion in Bezug auf unterschiedliche »Funktionssysteme« bei seiner praktischen Realisierung. So sagt Weiß (2017: 239):
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Zu diesem Thema wurde eine Tagung mit dem Titel »Staatsbürgerschaft im Spannungsfeld von Inklusion und Exklusion. Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen und nordamerikanischen Einwanderungsgesellschaften« an der Universität Siegen am 15. und 16.10.2015 organisiert. Mehr Informationen dazu sind unter dem folgenden Link zu finden: https://www.uni-siegen.de/phil/staatsbuergerschaft/ [Zugriff am 22.05.2020]. Der Autor war einer der Organisatoren der Tagung. Aus der Tagung entstand ein Sammelband mit dem Titel »Staatsbürgerschaft im Spannungsfeld von Inklusion und Exklusion. Internationale Perspektiven« (vgl. Grünendahl et al. 2019).
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
»Gruppen, die nominell über Rechte verfügen, können aufgrund eines Machtdefizits bzw. aufgrund einer Stigmatisierung von Bedürftigkeit de Facto von diesen Rechten ausgeschlossen sein.« Die formale Inklusion bedeutet also nicht die effektive und vollständige Inklusion in unterschiedlichen »Funktionssystemen« in der Gesellschaft. Ebenfalls bedeutet die formale Exklusion vom Staat – z.B. bei Migrantinnen bzw. Migranten mit ausländischer Staatsangehörigkeit – nicht Exklusion aus allen »Funktionssystemen« der Staatsgesellschaft (vgl. Weiß 2017: 200, 206). In der Geschichte der Staatsbürgerschaft gab es immer Bevölkerungsgruppen, wie beispielsweise Sklaven bzw. Leibeigene, Frauen, Migrantinnen bzw. Migranten, Minderjährige, arme Menschen, die vom Status der Staatsbürgerschaft ausgeschlossen wurden (vgl. Dahrendorf 2000: 133; Mackert und Müller 2000: 13). In der Vergangenheit bezog sich der Ausschluss neben den sozio-ökonomischen Kriterien auch auf die Konfession und Gläubigkeit (vgl. Mackert und Müller 2000: 14). Im Zuge der Entwicklung des heutigen Konzeptes der Staatsbürgerschaft betraf die Exklusion nicht nur Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger anderer Nationalstaaten, sondern ebenfalls Staatsangehörige innerhalb der Grenzen der jeweiligen Nationalstaaten (vgl. Mackert und Müller 2000: 18). In dieser Hinsicht bemerkt man, dass manche Bevölkerungsgruppen bei der Ausübung der Staatsbürgerschaft für eine lange Zeit zurückgedrängt wurden und in vielen Gesellschaften immer noch werden (vgl. Mackert und Müller 2000: 23; Marshall 2000: 56-62). Die Exklusion besteht also auf verschiedenen Ebenen und bezieht sich sowohl auf den Zugang als auch auf die Ausübung der Staatsbürgerschaft. Sie lässt sich u.a. durch physische Grenzen eines Staates und Abschiebung nicht-erlaubter Drittstaatenangehöriger, ungleiche Teilhabe in der Gesellschaft, Mangel an Anerkennung, Mangel an Gleichstellung von Bevölkerungsgruppen auf Basis des Geschlechtes oder der Herkunft etc. feststellen. In dieser Hinsicht werden einige Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger aufgrund bestimmter Charakteristika (z.B. Alter, Geschlecht, Herkunft) am Zugang zur Staatsbürgerschaft gehindert oder – im Falle ihres Erlangens – bei ihrer Ausübung eingeschränkt (vgl. Abraham 2002; Dahrendorf 2000; Faulks 2000; Mackert und Müller 2000), indem ihnen die Gleichstellung verwehrt bleibt. Im erstgenannten Fall kann die Exklusion unter Umständen auf die Rechtslage zurückzuführen sein. Im letztgenannten Fall hingegen ist die gelebte Praxis ursächlich für den Ausschluss von der gesellschaftlichen Teilhabe und fällt nicht immer ins Auge. Unabhängig vom Besitz der Staatsbürgerschaft kann also eine Exklusion bestehen. Hieran wird ein zentraler Widerspruch der Staatsbürgerschaft deutlich. Einerseits ist sie das Resultat einer Auseinandersetzung um Freiheit, Gleichberechtigung und Diskriminierungsschutz für alle (universeller und solidarischer Charakter); andererseits beinhaltet sie selbst Diskriminierungsformen, da der Staat bzw.
3 Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung
das Staatskonzept »für« eine bestimmte Gruppe (vgl. Brubaker 1992: 28) gilt und ipso facto Menschen, die nicht zu dieser Menschengruppe gehören, ausschließt. In heutigen Nationalstaaten setzen sich – mit Blick auf Ethnizität, Geschlecht und Sozialschichten – zum Teil bis in die Gegenwart Machtasymmetrien und Ungleichheiten aus der Zeit ihrer Staatswerdung (z.B. im Zuge von Freiheitskriegen und Revolutionen) fort, wenngleich in neuer Ausprägung. Staatsbürgerschaft impliziert also immer noch Exklusion und Inklusion (Abraham 2002: 5ff.; Brubaker 1992: 21ff.). Dies trifft auf Frauen zu, die in der Ausübung der Staatsbürgerschaft lange und teils nachhaltig eingeschränkt waren (vgl. Abraham 2002: 8; Mackert und Müller 2000: 23; Marshall 2000: 56ff.); ebenso werden Menschen mit Migrationshintergrund oft bei der gesellschaftlichen Teilhabe benachteiligt (Kiesel, Messerschmidt und Scherr 1999; Munsch 2010; Munsch, Gemende und Eber-Unger Rotino 2007). In vielen westlichen Gesellschaften war der Status der Staatsbürgerschaft lange Zeit ein Privileg für weiße Männer, »Verteidiger und Ernährer der Nation und des Volks«, und deshalb einfach an die »ethnische« oder nationale Zugehörigkeit gekoppelt. So durften in Staaten wie den USA oder Deutschland nur Männer politische Rechte ausüben. Frauen und Schwarze Menschen bekamen in vielen Fällen, wie in den USA, erst später ihr politisches Wahlrecht. Einige weiße Denker behaupteten, dass Schwarz-Sein nicht mit dem Status der Staatsbürgerschaft kompatibel sei. Sie zweifelten an den Fähigkeiten von Schwarzen Menschen, ihre politischen Rechte als Staatsbürger bzw. Staatsbürgerinnen auszuüben. Locke, der als der Vater des Liberalismus angesehen wird, machte einen Unterschied zwischen Menschen in Bezug auf die Staatsbürgerschaft. Er war z.B. der Meinung, dass Freiheit, Gleichheit und Unabhängigkeit nicht für Schwarze Menschen – für Sklaven – gelten könnten. Locke (1967: 245) plädierte dafür, dass jeder freie Bürger aus »Caroline« das Recht haben sollte, uneingeschränkte Macht und Autorität über seine Schwarzen Sklaven auszuüben, und dabei müsse die Meinung und der Glaube der Sklaven nicht beachtet werden. In diese Hinsicht sah Locke die Schwarzen nicht als Bürger an. Die Idee der Verbindung der Staatsbürgerschaft mit dem, was Bürger für ihren Staat leisten, und in vielen Fällen mit der militärischen Verteidigung der Staaten und der Männlichkeit, hat die Bedeutung der Staatsbürgerschaft beeinflusst. Zusammenfassend ist festzustellen, dass Nationalstaaten prinzipiell mit ihrem Exklusionscharakter eine Barriere gegen die »ideale« Staatsbürgerschaft bilden, die im Gegenteil dazu einen universellen Charakter einschließt (vgl. Brubaker 1992: 44f.; Faulks 2000: 30). Das Thema der Inklusion bzw. gesellschaftlichen Teilhabe gewinnt angesichts steigender Migrationsbewegungen, der Gleichstellung von Geschlechtern und des Säkularismus an Bedeutung. Der Ausschluss aus der Gesellschaft verknüpft sich u.a. mit den Themen des Umgangs mit den Nicht-Staatsbürgern, der Diskri-
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
minierung, des Rassismus, der Armut und der Ghettoisierung. An dieser Stelle konkretisiert sich die Frage der sozialen Staatsbürgerschaft (vgl. Dahrendorf 2000; Lockwood 2000; Munsch 2010; Munsch, Gemende und Eber-Unger Rotino 2007; Parsons 2000), die sich auf die Inklusion, gesellschaftliche Teilhabe, sozioökonomische Situation und auf die bürgerlichen, politischen und sozialen Rechte der Menschen bezieht (vgl. Mackert und Müller 2000: 18).
3.3.2
Staatsbürgerschaft und Inklusion von Einwandererinnen bzw. Einwanderern
Die Diskussion über die Inklusion der Migranten und Migrantinnen führt oft zur Debatte über verschiedene Integrationsmodelle wie die Assimilation oder den Multikulturalismus. Bei der Assimilation wird der Schwerpunkt auf die Inkorporation von Individuen in die Gesellschaft und nicht auf die Anerkennung ihrer Gruppenzugehörigkeiten oder der eventuell mitgebrachten kulturellen Wertesysteme gelegt. Dahingegen basiert der Multikulturalismus auf der Offenheit für diverse Kulturen, Zugehörigkeiten und Identitäten. Im Mittelpunkt des Multikulturalismus steht die Anerkennung der Differenzen, die sich auf das Prinzip ethno-kultureller Diversität bezieht, welches die Gruppe der zu integrierenden Personen als wichtig ansieht (Lacorne 2004: 189). Der Multikulturalismus erkennt den Wert der Gleichheit aller Bürgerinnen bzw. Bürger an, unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft oder ihrem kulturellen Hintergrund. Eine multiethnische und multikulturelle Gesellschaft erkennt die Rechte der Minderheitsgruppen an und bejaht das Beibehalten ihrer Religion, Kultur und Sprache (vgl. Kymlicka 2010: 33). Im Multikulturalismus teilen alle Bürger und Bürgerinnen die Grundwerte der Demokratie und sie können sich mit ihren spezifischen Gruppen identifizieren oder nicht. Mit dem Multikulturalismus erkennt der Staat das Potenzial aller Bürgerinnen bzw. Bürger an und ermutigt sie, sich am Leben ihrer Gesellschaft mit ihren verschiedenen Identitäten und Kulturen zu beteiligen. Mit seiner Umsetzung strebt die Gesellschaft nach mehr Offenheit in Bezug auf Migrantinnen bzw. Migranten und ihre Identitäten. Die Kandidaten zur Einbürgerung werden weder zur Assimilation noch zum Verzicht ihrer Kultur oder Identität gezwungen. Die Befürworterinnen und Befürworter des Multikulturalismus, wie z.B. Kymlicka (1995; 2001), sprechen sich für die Anerkennung und Aufnahme der kulturellen Minderheiten aus u.a. Migranten und Migrantinnen, und verlangen von den Staaten Maßnahmen und Gesetze, die den Minderheiten erlauben, mit ihren Kulturen am Leben der Gesellschaft teilzunehmen (vgl. Bloemraad, Korteweg und Yurdakul 2008: 160). So finden beim Multikulturalimus unterschiedliche Gebräuche, Traditionen, Lebensstile, Musikstile, Küchen und Kleider der Minderheiten ihren Platz in der Mehrheitsgesellschaft.
3 Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung
Die Kritiker bzw. Kritikerinnen des Multikulturalismus wie Barry (2001), Gitlin (1995) und Huntington (2004) befürchten, dass eine multikulturelle Gesellschaft mehrfache Loyalitäten ermöglicht und dass die Loyalität zum Nationalstaat, gesellschaftliche Beteiligung und Solidarität fehlen könnten (vgl. Bloemraad, Korteweg und Yurdakul 2008: 160). Aber das Fehlen von Solidarität und Zusammenhalten liegt, so Kymlicka (2001), nicht an der Anerkennung, sondern an der NichtAnerkennung der Rechte der Minderheiten. Während der Multikulturalismus in nordamerikanischen Einwanderungsgesellschaften generell seinen Platz hat, wird er in Europa sehr unterschiedlich beurteilt (vgl. Vertovec und Wessendorf 2010). In Frankreich z.B. spricht man sogar von seinem »Gegenteil«, d.h. von der Assimilation (vgl. Bommes 2011: 172). Diese verlangt den Verzicht auf mitgebrachte Traditionen und eigenkulturelle Orientierungen (vgl. u.a. Alba 2008).
3.4
Staatsbürgerschaft in Deutschland
Aufgrund der engen Verbindung zwischen der nationalen Staatsbürgerschaft und dem Nationalstaat betrachte ich in der Analyse der Staatsbürgerschaft zwingend die historische Entwicklung der Nationalstaaten. Diesbezüglich kann das Konzept der heutigen Staatsbürgerschaft im deutschen Kontext besser verstanden werden, wenn auf der einen Seite die historische und kontextuelle Entwicklung dieses Status in Deutschland berücksichtigt und auf der anderen Seite Deutschland mit anderen Staaten in einer historischen und kontextuellen Perspektive verglichen wird. Die historische Entwicklung des Status der Staatsbürgerschaft verläuft nicht nur in der ganzen Welt unterschiedlich, sondern auch zwischen den westlichen Staaten und sogar zwischen den verschiedenen westeuropäischen Ländern (Brubaker 1992; Münch 2010). Die Staatsbürgerschaft wird also von Land zu Land unterschiedlich wahrgenommen. Im Folgenden liegt der Fokus auf der geschichtlichen Entwicklung dieses Status in Deutschland mit einer international vergleichenden Perspektive.5 Dabei wird der Fokus auf Kanada und Frankreich gelegt. Die drei Länder (Deutschland, Frankreich und Kanada) werden oft in Bezug auf die Themen Migration und Integration verglichen. Hier wird auch das Thema Staatsbürgerschaft auf unterschiedlichen Ebenen, wie die der Wahrnehmung, die des Erwerbs und die der praktischen Nutzung und Ausübung dieses Status, behandelt. Frankreich ist im Folgenden interessant, weil es einen breiten Konsens gibt, dass das Konzept der nationalen Staatsbürgerschaft seinen Ursprung in der Französischen Revolution hat (vgl. Brubaker 1992: 35). Kanada wird als Staat betrachtet, für den Immigration eine wichtige Rolle bei der Entstehung und Entwicklung gespielt hat 5
Zu diesem Thema habe ich einen Aufsatz in englischer Sprache in der Zeitschrift The International Journal of Interdisciplinary Global Studies veröffentlicht (Ndahayo 2015).
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
(Bauder, Lenard und Straehle 2013: 203; Schmidtke 2013: 271f.). Daher unterscheidet sich Kanada trotz vieler Veränderungen in den letzten Jahren in Bezug auf die Migration stark von Deutschland, das mit der Unterstellung eines monokulturellen Nationalstaats entstanden ist (Brubaker 1992; Winter 2013: 298). In allen drei Fällen sollte die Analyse des Status der Staatsbürgerschaft die historische Entwicklung der jeweiligen Nationalstaaten nicht versäumen, wenn es darum geht, wie der genannte Status betrachtet, erworben und in der Praxis gelebt wird. Wie schon gesehen, bezieht sich dieser Status unweigerlich auf den Begriff des Nationalstaates und wird daher mit einigen Aspekten der Inklusion von Staatsangehörigen und Ausgrenzung von Nicht-Staatsangehörigen verknüpft. Die Kriterien und die Formen der Exklusion und Inklusion angesichts der Staatsbürgerschaft unterscheiden sich in der Geschichte und im Kontext des jeweiligen Landes.
3.4.1
Historischer Vergleich in Deutschland und Frankreich
Die Exklusion bzw. die Inklusion können sich im Rahmen der Realisierung der Staatsbürgerschaft auf Kriterien wie Ethnizität beziehen. Sie können sich auch auf die Umsetzung der Rechte der Bürgerinnen bzw. Bürger, auf die Erfüllung der Pflichten oder auch auf die Dienstleistung im Interesse des Staates beziehen. An dieser Stelle wurden politische Rechte und die Staatsbürgerschaft in Frankreich in der Vergangenheit den Ausländern erteilt, die die Französische Revolution unterstützten oder die eine starke Verbindung zur Republik beweisen konnten (vgl. Faulks 2000: 33). Sie war nicht nur mit Rechten verbunden, sondern auch mit dem, was die Staatsbürgerschaftsinhaber für den Staat machen konnten oder mussten. Das französische Grundgesetz von 1791 machte einen Unterschied zwischen aktiven und passiven Staatsbürgern (Brubaker 1992: 43; Faulks 2000: 34). Aktive Staatsbürger waren diejenigen, die eine bestimmte Steuerhöhe zahlen konnten und dies taten. Die Passiven waren eigentlich die armen französischen Bürger bzw. Bürgerinnen, die kein Recht hatten, sich am Entscheidungsprozess der Gesellschaft zu beteiligen. Die Staatsbürgerschaft war also mit militärischen und wirtschaftlichen Leistungen der Staatsbürgerschaftsinhaber und mit politischen Rechten verbunden. Auf diese Weise war die Staatsbürgerschaft im Prinzip diskriminierend. Zur Illustration weist Faulks (2000: 33) darauf hin, dass ein Angehöriger eines anderen Staates, dessen Sohn auf französischem Boden geboren wurde, der eine französische Frau heiratete oder Eigentum in Frankreich besaß, die französische Staatsbürgerschaft bekommen durfte. Hier ist es wichtig, eine Ungleichbehandlung zwischen Männern und Frauen bei der Realisierung der französischen Staatsbürgerschaft nach der Revolution zu bemerken (vgl. Brubaker 1992: 43). Frauen wurden auf eine untergeordnete Position in der Gesellschaft verwiesen und wurden benachteiligt. Die französische Staatsbürgerschaft, die von vielen als Mo-
3 Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung
dell für andere Staatsbürgerschaften angesehen wurde, beinhaltete schon bei ihrer Entstehung diskriminierende Aspekte. Beim Vergleich der Staatsbürgerschaft in Deutschland und Frankreich muss beachtet werden, dass die französische Staatsbürgerschaft aus der Revolution 1789 entstanden ist und sich in einem Nationalstaat, in dem die Monarchie und die katholische Kirche lange Zeit eine politisch, sozial und kulturell bedeutende Rolle gespielt hatte, entwickelt hat. Das Konzept der Staatsbürgerschaft in Frankreich basierte auf dem Willen, die Nation und die Errungenschaften der Revolution – Liberté, Egalité, Fraternité – zu verteidigen. Dies wird durch die Worte des Liedes der Revolution La Marseillaise, das später zur französischen Nationalhymne geworden ist, bestätigt. Im Text der Hymne ist Folgendes zu lesen : »Allons enfants de la Patrie le jour de gloire est arrivé, contre nous de la tyrannie l’étendard sanglant est levé […]. Que veut cette horde d’esclaves, de traîtres, de Rois conjurés? […] Aux armes citoyens! Formez vos bataillons! Marchons, marchons, qu’un sang impur abreuve nos sillons. […] Français! En guerriers magnanimes, portez ou retenez vos coups. Epargnez ces tristes victimes à regret s’armant contre nous. Mais le despote sanguinaire, mais les complices de Bouillé, tous ces tigres qui sans pitié déchirent le sein de leur mère.« Die französische Staatsbürgerschaft konsolidierte sich durch Kriege und Kämpfe gegen diejenigen, die als Feinde der Revolution und des Staates betrachtet wurden, und auch durch den für die »Grande Nation« geleisteten Dienst. Der Status entstand im Kontext eines politischen Willens, alle Bürger in einem zentralisierten Staat zu assimilieren. In dieser Hinsicht konnten ausländische Menschen, die die Revolution unterstützten und die bereit waren, die französische Nation zu verteidigen oder einen Beitrag zu ihrer Entwicklung zu leisten, schnell und einfach in die Grande Nation assimiliert werden, während Franzosen, die als Feinde der Revolution und auf diese Weise auch der Grande Nation identifiziert wurden, bekämpft und von der Gesellschaft ausgeschlossen wurden. Dies betont La Marseillaise. Am Vergleich zwischen Deutschland und Frankreich in Bezug auf die Staatsbürgerschaft wurde durch Brubaker (1992) gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts intensiv gearbeitet. Brubaker (1992: 5) weist darauf hin, dass der aktuelle Status der deutschen Staatsangehörigkeit im Kontext einer Ausgrenzung auf ethno-kultureller Basis in Bezug auf die deutschen und slawischen Völker entstanden ist. Er weist weiter darauf hin, dass sich der Status der Staatsbürgerschaft in Deutschland auf einen Nationalstaat bezieht, der bei seiner Entstehung multizentriert war und der Bezug auf zwei Kirchen hatte (Brubaker 1992: 5). Die Bildung des deutschen Nationalstaates fand in einer Konfliktsituation zwischen der Romantik-Bewegung des »Deutschtums« (Bauder 2013: 212) und dem Prozess der Reform des preußischen Staates statt. Die Romantik-Bewegung unterstützte die Konsolidierung, Verherrlichung und Politisierung des deutschen Volks und seiner
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
Kultur, während die Anhänger der preußischen Reform den Schwerpunkt eher auf den Staat, seine Institutionen und seine Reform und nicht auf das Volk und seine Kultur legten (Brubaker 1992: 9). In diesem Fall gab es zwei Hauptrichtungen bei der Bildung des deutschen Nationalstaats: Eine war politisch und staatlich orientiert und die andere akzentuierte die ethno-kulturellen Aspekte. Gegen Ende des feudalen Preußens (Ende des 18. Jahrhunderts und Anfang des 19. Jahrhunderts) tendierte der Deutsche Bund weniger zu einer politischen und mehr zu einer ethnisch-kulturellen Nation (Brubaker 1992: 6; Gosewinkel 2001). Nach dem Krieg im Zuge von Napoleons Invasion im frühen 19. Jahrhundert gab es 39 kleine souveräne deutsche Staaten, die durch eine Art schwachen politischen Vertrag verbunden waren (Brubaker 1992). Diese Staaten entwickelten sich im Kontext einer wachsenden wirtschaftlichen Verflechtung und einer relativ homogenen Kultur (Brubaker 1992: 26f.). Bis zur Vereinigung dieser kleinen Staaten 1871 gab es keinen deutschen Nationalstaat und auch keine feste politische Basis dafür. Stattdessen gab es eine starke kulturelle Verbundenheit, die auf einer gemeinsamen Sprache und auf der damit assoziierten realen oder fiktiven Nationalität basierte (vgl. Bauder 2013: 213; Brubaker 1992: 50). Die kulturelle Perspektive des Nationalstaats hatte mehr Gewicht im Vergleich zu den politischen Aspekten des Status der Staatsbürgerschaft und sie wurde daher für eine lange Zeit politisch gefördert. Die Zusammenführung der deutschen Kleinstaaten zum Deutschen Reich unter dem deutschen Reichskanzler Bismarck 1871 fand in einer Atmosphäre des Willens zur Einigung des deutschen Volkes statt, ohne nach einem politisch zentralisierten Staat zu streben. Brubaker (1992: 12) weist darauf hin, dass die Deutschen gleichzeitig dem Reich (Staatsbürgerschaft des Reiches) und dem Land (Staatsbürgerschaft eines der kleinen Staaten) angehörten. Dies war im zentralisierten Frankreich nicht der Fall. Bei der Entstehung des deutschen Nationalstaates gab es kein kristallisierendes Ereignis, das das Konzept der Staatsbürgerschaft bedeutungsvoll, wie die Revolution im Fall von Frankreich, beeinflusst hätte. Während der Status der französischen Staatsbürgerschaft durch die Abschaffung der absoluten Monarchie und ihrer Institutionen entstanden ist, entwickelte sich dieser Status im deutschen Preußen aus einer Verstaatlichung und Konsolidierung der bestehenden Institutionen durch eine Monarchie selbst (Brubaker 1992: 61f.). Dies bedeutet, dass gesellschaftliche und politische Veränderungen und daher die Staatsbürgerschaft in Preußen von oben eingeführt wurden, wohingegen der Status in Frankreich das Ergebnis eines Kampfes von unten ist und trotz des Widerstands von oben erhalten wurde. Dies führt zu der Annahme, dass viele Eigenschaften aus dem deutschen Preußen – im Gegensatz zu denen der französischen Monarchie – durch den neuen Status der Staatsbürgerschaft weiter übertragen und fortgesetzt wurden (Gosewinkel 2001). Im Unterschied zu Frankreich gab es im deutschen Kontext beispielswei-
3 Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung
se keine formale Forderung nach Gleichheit unter allen Bürgern und diese zählte auch nicht zu den großen Themen der deutschen Staatsbürgerschaft. Historisch gesehen verwies die Debatte über Migration und Migranten bzw. Migrantinnen in Deutschland häufig auf die ethno-kulturelle Zugehörigkeit (Bauder 2013: 211). Dies betrifft auch die Migrationsbewegung des 19. Jahrhunderts, als die deutsche Staatsbürgerschaft sich profilierte. Brubaker (1992: 66-69) beschreibt zumindest drei Ebenen, wie diese Bewegung in Bezug auf Zugehörigkeit und Staatsbürgerschaft behandelt wurde: auf Bundesebene, auf Ebene der Bundesländer (die Staaten) sowie auf lokaler Ebene. Die Mitgliedschaft oder Stadtbürgerschaft auf lokaler Ebene, die eine aktive gesellschaftliche Teilnahme implizierte, unterschied sich von der Staatsbürgerschaft oder Staatsangehörigkeit, die auf der Mitgliedschaft im Staat basierte, die den Inhaber bzw. die Inhaberin nur formal mit ihrem Staat verband. Diese Mitgliedschaft war nicht von großer Bedeutung, wenn es um die Teilhabe am gesellschaftlichen und alltäglichen Leben ging. Dies bedeutet, dass Migranten bzw. Migrantinnen oder auch andere Personen auf einer Ebene aufgenommen und auf einer anderen Ebene ausgeschlossen werden konnten (vgl. Gosewinkel 2001). Es ist interessant festzustellen, dass der Begriff »Staatsbürgerschaft« (Staatsangehörigkeit) in Deutschland zum ersten Mal im Zusammenhang mit der Regelung und Koordinierung der Exklusion und der Deportation von Migranten bzw. Migrantinnen auftauchte. Das neue Gesetz im Jahr 1842 im Zusammenhang mit der Bestimmung der preußischen Untertanen kündigte deutlich an, dass die Residenz nicht mehr ausreichte, um preußische Untertanen nachzuweisen (Brubaker 1992: 70f.). In dieser Hinsicht wurde die Exklusion von Einwanderern bzw. Einwanderinnen von der Staatsangehörigkeit und Staatsbürgerschaft generalisiert. Auf diesem Weg wurde das Konzept der Staatsbürgerschaft in Preußen stark von der Migration und der Ausgrenzung von Migranten bzw. Migrantinnen beeinflusst. Während das Konzept der Staatsbürgerschaft in Frankreich vor allem die Grundlage des Inhalts – Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit – betonte, akzentuierte das Konzept der Staatsbürgerschaft im deutschen Kontext vor allem die Grundlage der Zugehörigkeit in Bezug auf das deutsche Volk. Während die nicht-französischen Menschen leicht und schnell die französische Staatsbürgerschaft erwerben konnten, war die Situation anders im Falle der Nicht-Deutschen, die die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten wollten (Bauder, Lenard und Straehle 2013: 202; Brubaker 1992: 75). Der beschriebene Unterschied zwischen den beiden europäischen Ländern gibt eine Erklärung für die bestehenden Differenzen bei den Erwartungen, Wahrnehmungen und dem Verständnis in Bezug auf die Staatsbürgerschaft und Einbürgerung vonseiten der Migrantinnen bzw. Migranten in beiden Ländern. Die Staatsbürgerschaft basiert in beiden Ländern vor allem auf dem Prinzip des jus sanguinis (Abstammungsprinzip), aber in Frankreich spielt das Prinzip des jus soli
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
(Geburtsortsprinzip) eine größere Rolle. Nach der französischen Verfassung von 1791 durften Ausländer Franzosen werden, wenn sie fünf Jahre lang auf französischem Boden gelebt haben. Nach dem gleichen Gesetz konnten die Menschen, deren Eltern Franzosen waren, aber die im Ausland geboren worden waren, nicht automatisch die französische Staatsbürgerschaft erhalten. Um sie zu erwerben, mussten sie zuerst nach Frankreich ziehen und öffentlich einen Eid leisten – also eigentlich eingebürgert werden (vgl. Brubaker 1992: 87). Das Einbürgerungsgesetz in Frankreich hat sich erst in diesem Jahrhundert verschärft, aber es bleibt weniger hart im Vergleich zum deutschen. Das Prinzip des jus soli im Rahmen der Einbürgerung wurde auch in Deutschland eingeführt, aber nur in sehr begrenztem Umfang. Während in Frankreich im 19. Jahrhundert die zweiten bzw. dritten Generationen von Einwanderern die französische Staatsbürgerschaft bei der Geburt auf dem französischen Boden automatisch erhalten durften (vgl. Brubaker 1992: 85), können einige Einwanderinnen bzw. Einwanderer der dritten und sogar der fünften Generation bei ihrer Geburt heute in Deutschland die deutsche Staatsbürgerschaft theoretisch nicht erhalten. Im Jahr 1913 wurde das deutsche Staatsbürgerschaftsgesetz noch restriktiver als vorher. Viele der kleineren Elemente des Prinzips des jus soli, die in dem Gesetz bis dahin enthalten waren, verschwanden und es wurde noch mehr Gewicht auf den ethno-kulturellen Charakter gelegt (vgl. Bauder 2013). Während in Frankreich der Staat die Referenz für die Staatsbürgerschaft war und der Staat die Einwanderer und Einwanderinnen hinsichtlich der republikanischen Werte der Grande Nation assimilieren wollte, wurde die deutsche Staatsbürgerschaft 1913 noch einschränkender an Immigrantinnen und Immigranten verliehen und die ethno-kulturelle Zugehörigkeit im Mittelpunkt der deutschen Nation wurden gestärkt (vgl. Bauder 2013: 213f.; Brubaker 1992: 114). Brubaker (1992: 117f.) weist darauf hin, dass Deutsch-Sein nicht von einer juristischen, sondern einer ethno-kulturellen Natur war und somit Bürgerinnen bzw. Bürger ohne deutsche ethno-kulturelle Herkunft ausschloss. Dies hat zu einem ambivalenten Verständnis von Deutscher-Sein und Deutscher-Staatsbürger-Sein geführt (vgl. Brubaker 1992: 126f.). In Bezug auf die beiden Nationalstaaten ist zusammenfassend wichtig zu bemerken, dass die Nation in Frankreich als politisches Ergebnis zu betrachten ist, die vom Staat gewollt ist und sich aus dem Staat heraus entwickelt hat, während der Staat in Deutschland als Ergebnis einer Nation anzusehen ist, die sich zu Beginn auf einer romantisierten ethno-kulturellen Zugehörigkeit aufgebaut hat (vgl. Bauder 2013: 13; Brubaker 1992: 184; Winter 2013: 298). Der Staat in Deutschland kann also als Resultat einer ethno-kulturellen Zugehörigkeit betrachtet werden. Dies kann sich auf die Ausübung der Staatsbürgerschaft durch Migrantinnen bzw. Migranten – zum Beispiel bei ihrer sozialen Zugehörigkeit – auswirken. Im empirischen Teil der vorliegenden Arbeit wird dieser Aspekt mit dem Fokus auf Bürgerinnen bzw. Bürger mit afrikanischer Herkunft behandelt.
3 Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung
3.4.2
Historischer Vergleich in Deutschland und Kanada
Für Europa und Nordamerika werden in bisherigen Debatten wiederholt Deutschland und Kanada als Beispiele herangezogen und kontrastierend vorgestellt. Obwohl die beiden Länder seit Ende des 20. Jahrhunderts dazu tendieren, sich in den Bereichen Einwanderungs- und Migrationspolitik anzunähern (vgl. Winter 2013: 296f.), sind weiterhin Unterschiede zwischen ihnen zu beobachten: Während Kanada – stellvertretend für Nordamerika – oft als eine Gesellschaft der Siedler bzw. Siedlerinnen (vgl. Schmidtke 2013: 271) und daher als Immigrationsgesellschaft und multikultureller Nationalstaat betrachtet wird, gilt Deutschland – stellvertretend für europäische Einwanderungsgesellschaften – als ein ursprünglich mehr oder weniger homogener Nationalstaat, der sich lange Zeit geweigert hat, sich als Einwanderungsland zu verstehen (vgl. Abraham 2002: 26f.). Bauder (2013: 218) vertritt die These, dass die Betrachtung als ethno-kulturelle Gesellschaft zur Ausgrenzung von ursprünglich Nicht-Deutschen bei der Partizipation am gesellschaftlichen Leben führt. Im Fall Deutschlands wird darauf hingewiesen, dass man seit Ende des letzten Jahrhunderts auf politischer Ebene versucht hat, mehr Sorge für die Inklusion von Staatsbürgern und Staatsbürgerinnen mit Migrationshintergrund zu tragen (vgl. Abraham 2002: 28; Bauder 2013: 218). Die politische Debatte über die Inklusion führte zur Entwicklung eines nationalen Integrationsplans. Bauder (2013: 218) sieht hinsichtlich der Umsetzung desselben und der Inklusion von ursprünglich Nicht-Deutschen jedoch weiterhin Verbesserungsbedarf, da die getroffenen Maßnahmen seiner Ansicht nach immer noch auf einer Machtasymmetrie und Ungleichheit beruhen. Neben der unvermeidbaren Immigration wirken auch die Entwicklung der Europäischen Union sowie kulturelle, wirtschaftliche oder politische Interessen auf das Thema Staatsbürgerschaft in Deutschland ein. Einerseits wurde das Staatsbürgerschaftsgesetz weniger restriktiv gestaltet (vgl. Abraham 2002: 26); andererseits begreift sich Deutschland zumindest als Integrationsland (wenngleich nicht als Einwanderungsland) und hat ein entsprechendes Konzept entwickelt. Im Falle Kanadas spielen die Immigration und Teilhabe der Zugewanderten und Minderheiten in der Gesellschaft eine wichtige Rolle. Dies wurde u.a. bei der Änderung des Staatsbürgerschaftsgesetzes aus dem Jahr 1947 deutlich, das jedoch Diskriminierungen z.B. aufgrund von Geschlecht und Familienstatus zuließ (vgl. Winter 2013: 310). Außerdem widmet Kanada nun der indigenen Bevölkerungsgruppe (First Nations) durch eine veränderte Sozialpolitik stärkere Aufmerksamkeit. In beiden Ländern wird die Gleichstellung der Geschlechter durch entsprechende Maßnahmen (auf der Ebene von Politik, Verwaltung, Unternehmen, Zivilgesellschaft und im Bildungssektor) nun gefördert. Zugleich hält die Debatte in beiden Ländern darüber an, wie die Inklusion und der Zusammenhalt gestärkt werden können. Ein deutlicher Unterschied liegt zwischen den Integrationsmodellen von Migrantinnen bzw.
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Migranten in beiden Staaten. In Kanada wird der Multikulturalismus vorgezogen (vgl. Kymlicka 1995; 2001). Das ist in Deutschland nicht der Fall. Kanada wird als Einwanderungsgesellschaft und multikultureller Nationalstaat angesehen (Kymlicka 1995; 2001; 2010). Im Vergleich zu Kanada wird Deutschland als ursprünglich ethnisch-kultureller Nationalstaat dargestellt, der in seiner Geschichte versucht hat, ethno-kulturelle Eigenschaften zu bewahren. Die Annahme der deutschen Gesellschaft als ethnisch-kulturelle Gesellschaft trägt zur Exklusion der Nicht-Einheimischen bezüglich ihrer Teilhabe an der Gesellschaft bei. In diesem Sinne schreibt Bauder (2013: 218): »Like in Canada, the ability to frame national identity in Germany and exclude some groups from this identity is linked to the unequal distribution of power. In the German case, however, economic, military and political control rested with a population that embraced a mythology of territorial belonging based on language, ancestry and blood-lineage. Laws and policies towards foreigners have been shaped by the interests representing this population. Throughout much of Germany’s national history, newcomers without ancestral German connections were not entitled to belong in German society.« Bauder (2013: 218) weist jedoch darauf hin, dass Deutschland gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts versucht hat, auf politischer Ebene eine bessere Integration von Migrantinnen bzw. Migranten in die Gesellschaft zu fördern und zugewanderte Populationen in die nationale Identität zu inkludieren. Werden die beiden Länder bezüglich der Inklusion von Neuzuwanderern bzw. Neuzuwanderinnen verglichen, kann man feststellen, dass das deutsche Staatsbürgerschaftsgesetz von 1999 und die kanadische Politik des Multikulturalismus, die 1971 offiziell angekündigt wurde, zu ähnlichen Ergebnissen, aber auch zu Differenzen geführt haben. In beiden Fällen hat sich die Zahl der eingebürgerten Migrantinnen bzw. Migranten erhöht. Die beiden Länder unterscheiden sich aber durch die Form der Einwanderung und ihre Folgen für die Gesellschaft. Die Realität, in der die beiden Staaten entstanden sind und sich entwickelt haben, hat den Umgang mit Einwanderern bzw. Einwanderinnen und die Wahrnehmung in Bezug auf ihre gesellschaftliche Zugehörigkeit nachhaltig beeinflusst. Während Kanada historisch und politisch von Einwanderern bzw. Einwanderinnen und unter Ausschluss der Autochthonen konstruiert wurde, wurde der deutsche Nationalstaat von Einheimischen auf der Grundlage der Annahme des »Deutschtums« ins Leben gerufen. Dieses Ereignis war stark vom Kampf gegen Napoleons Truppen und seine Besatzung gekennzeichnet und daher geschah es in einer Atmosphäre der Ablehnung und Ausgrenzung von Menschen ohne deutschen Hintergrund (vgl. Bauder 2013: 211, 213). Diese Realität der Vergangenheit beeinflusst die Gegenwart. In Kanada, der Einwanderungsgesellschaft (vgl. Schmidtke 2013: 271f.), erwarten Einwanderer und Einwanderinnen ein leichtes und unkomplizier-
3 Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung
tes Einbürgerungsverfahren und sie sehen ihre Einbürgerung als normal und weniger anspruchsvoll an als in Deutschland. Die Tatsache, dass Kanada als Einwanderungsgesellschaft betrachtet wird, vermittelt ein Zugehörigkeitsgefühl für neue Einwanderergruppen, die sich selbst nicht als Außenseiter betrachten, sondern als neue Mitglieder der kanadischen multikulturellen Gesellschaft, und dies spielt eine direkte oder indirekte Rolle im Prozess der Einbürgerung und Integration (vgl. Bauder 2013: 212). In Bezug auf rassistische Klassifikationen und sich darauf beziehende Ungleichheiten zum Nachteil von Einwanderinnen und Einwanderern kann Deutschland viel von Kanada übernehmen. In Kanada können die Betroffenen sehr offen und mit sehr viel weniger Vorsicht ihre Situation thematisieren (Weiß 2017: 308). Die Einbürgerung in Deutschland, also das Verfahren bis zum Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft durch nicht-deutsche Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger, bleibt schwierig und unzugänglich für viele Einwanderinnen und Einwanderer, auch wenn die Bedingungen seit 2000 etwas gelockert worden sind. Die Einbürgerung ist in Deutschland oft nicht selbstverständlich und das Scheitern beim Einbürgerungsprozess wird nicht als ungewöhnlich betrachtet, wie es in Kanada der Fall ist (vgl. Brubaker 1992: 77). Das Prinzip des jus soli, das in nordamerikanischen Einwanderungsgesellschaften eine sehr bedeutende Rolle spielt, hat nur einen nachrangigen Platz im Verständnis und beim Erwerb der Staatsbürgerschaft in Deutschland und auch in Europa im Allgemeinen. Die Umsetzung des Jus-soliPrinzips in Kanada garantiert die Staatsbürgerschaft für die Kinder der Einwanderer bzw. Einwanderinnen, auch wenn ihre Eltern nicht eingebürgert worden sind. Dies ist ein typisches Merkmal von Einwanderungsgesellschaften, zu denen Kanada zählt (vgl. Bauder 2013: 212). Kinder, die in Deutschland von Nicht-Staatsbürgerinnen bzw. Nicht-Staatsbürgern geboren werden, erben in der Regel den ausländischen Status ihrer Eltern. Sie bekommen die deutsche Staatsangehörigkeit nur, wenn mindestens ein Elternteil eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzt. Die Bedingungen für diese Genehmigung sind sehr schwer zu erfüllen. Während die dritte Generation von Einwanderern und Einwanderinnen in Deutschland die deutsche Staatsbürgerschaft nicht automatisch erhält, bekommen Kinder von Migrantinnen bzw. Migranten, wenn sie in Kanada geboren werden, automatisch die kanadische Staatsbürgerschaft gemäß dem kanadischen Staatsbürgerschaftsgesetz (vgl. Government of Canada (2015): Citizenship Act, Teil I, Abschnitt 3 [1a)]. Migrantinnen bzw. Migranten der ersten Generation können auf Antrag eingebürgert werden, wenn sie fünf Jahre lang in Kanada gelebt haben. Diese Differenz wird durch die Einbürgerungsraten der beiden Länder noch deutlicher. Diesbezüglich stellte Brubaker (1992: 33f.) vor fast 30 Jahren fest, dass die Einbürgerungsrate in Frankreich vier Mal und in Kanada mehr als 20 Mal höher war als in Deutschland. Die Lage in Deutschland hat sich seit 2000 aufgrund der Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes geän-
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
dert und es gibt eine positive Entwicklung. Als Ergebnis ist die Einbürgerungsrate seitdem deutlich gestiegen, wie ich in den weiteren Überlegungen nochmals ausführlicher darstelle. Trotz dieser positiven Entwicklung müsste noch mehr getan werden, um das Niveau Kanadas zu erreichen.
3.5
Historische Entwicklung der Staatsbürgerschaft in Deutschland
Der Begriff »Staatsbürgerschaft« muss auf mindestens zwei Ebenen verstanden werden. Zum einen bezieht er sich auf den formalen bzw. rechtlichen Status der Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger. Hier liegt der Schwerpunkt auf dem Staatsbürgerschaftsstatus. In diesem Sinne unterscheidet die Staatsbürgerschaft sich nicht von der Staatsangehörigkeit. Zum anderen wird der Akzent auf die Ebene des Inhalts und der Bedeutung des Status gelegt. Auf dieser Ebene geht es nicht mehr um die Frage danach, wer den Status hat und wie dieser Status erworben wird, sondern um die Frage, was der Status dem Inhaber bzw. der Inhaberin anbietet und wie er konkret in der Praxis gelebt wird. Angesichts des formalen Aspektes des Status bezieht sich die nationale deutsche Staatsbürgerschaft heute auf das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz (RuStAG) aus dem Jahr 1913, das 1999 reformiert wurde. Die Entwicklung des deutschen Gesetzes über die Einbürgerung und Staatsbürgerschaft in der jüngeren Geschichte kann in zwei Hauptphasen analysiert werden: der Zeitraum von 1913 bis 1999 und der Zeitraum von 2000 bis heute.
3.5.1
Staatsbürgerschaft in Deutschland von 1913 bis 1999
Das Gesetz über die Staatsangehörigkeit, das unter dem Namen RuStAG 1913 in Kraft getreten ist, wurde bis zum Ende des vergangenen Jahrhunderts nur sehr leicht geändert. Fast ein Jahrhundert nach seiner Einführung wurde dieses Gesetz im Allgemeinen als veraltet, restriktiv und unvereinbar mit der Realität einer modernen westlichen Gesellschaft betrachtet. Es stützte sich hauptsächlich auf das Prinzip des jus sanguinis (vgl. Brubaker 1992: 165-167; Howard 2008: 42; Winter 2013: 301f.). Diesbezüglich schreibt Howard (2008: 42): »Jus sanguinis was first introduced by Bavaria in 1818, adopted more widely by the Prussian citizenship law of 1842, consolidated by the formation of the unified German Reich in 1871, and then finally concretised by the German Nationality Law of 1913. The purpose of the 1913 law, which was solidified by the Constitution of 1919, was to supplement, rather than replace, the citizenship of the individual states within the federation. And the principle of this policy – which would remain firmly
3 Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung
ingrained in German law for the next eight decades – was that German citizenship refers to a ›community of descent‹, with little regard for birthplace and residence.« Das Jus-sanguinis-Prinzip blieb fast die einzige Säule des Staatsbürgerschaftsgesetzes in Deutschland im 20. Jahrhundert (vgl. Brubaker 1992: 165; Howard 2008: 42; Winter 2013: 301). Das Gesetz aus dem Jahr 1935, das unter der Bezeichnung »Nürnberger Gesetze« bekannt ist, machte einen Unterschied zwischen Reichsbürgern und Staatsangehörigen (Brubaker 1992: 167). Dieser Unterschied war nicht nur formal. Reichsbürger waren Bürger mit deutscher Abstammung (jus sanguinis) und hatten volle Rechte. Staatsangehörige waren Bürger ohne deutsche Abstammung. Sie hatten die Staatsbürgerschaft auf anderem Weg – vor allen über Einbürgerung – als über das Prinzip des jus sanguinis erhalten. Ihre Rechte, z.B. die politischen Rechte, waren eingeschränkt. Dieses Gesetz wurde vom Nationalsozialismus für seine rassistische Ideologie verwendet, um beispielsweise Menschen, die – ethno-kulturell betrachtet – keine Deutschen waren, zu verfolgen (vgl. Brubaker 1992: 165-168; Howard 2008: 42). Auch nach dem Zweiten Weltkrieg blieb die Zugehörigkeit zum »deutschen Volk« (im Sinne einer Abstammungsgemeinschaft) weiterhin ein zentraler Bezugspunkt bei der Identifizierung von deutschen Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürgern. Mit der Absicht, den deutschen Aussiedlern bzw. Aussiedlerinnen und Übersiedlern bzw. Übersiedlerinnen die deutsche Staatsbürgerschaft zu garantieren und mögliche rechtliche und politische Barrieren vonseiten der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen, wurde das Jus-sanguinis-Prinzip als Grundlage für das Gesetz über die Staatsbürgerschaft in Deutschland aufrechterhalten (vgl. Howard 2008: 42; Winter 2013: 301f.). Das Gesetz über deutsche Aussiedlerinnen bzw. Aussiedler vom 28. Juni 1990, das am 1. Juli 1990 in Kraft getreten ist, erlaubte eine Rückkehr von Ausländern bzw. Ausländerinnen mit deutschen Vorfahren und ihrer Familien nach Deutschland und ermöglichte es ihnen, schnell die deutsche Staatsbürgerschaft wiederzuerlangen. Dieses Recht garantierte allen im Ausland lebenden Deutschen im Sinne des Volks und ihrer Nachkommen das automatische und vollständige Wieder-Genießen der deutschen Staatsbürgerschaft (vgl. Winter 2013: 301). Das Gewicht des Jus-sanguinis-Prinzips im deutschen Staatsbürgerschaftsgesetz hat es ermöglicht, dass Nicht-Staatsbürgerinnen bzw. Nicht-Staatsbürger mit einem deutschen Hintergrund (Aussiedler bzw. Aussiedlerinnen, Übersiedler bzw. Übersiedlerinnen und Spätaussiedler bzw. Spätaussiedlerinnen) mit wenig oder gar keinen materiellen Beziehungen zu Deutschland automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft wiedererhielten, wenn sie das wollten, wohingegen zahlreiche Migranten bzw. Migrantinnen und die sogenannten Gastarbeiter sowie ihre in Deutschland geborenen Kinder, die seit mehreren Jahrzehnten auf deutschem Boden lebten, nicht einbürgert werden konnten (vgl. Bauder 2013: 214; Brubaker 1992: 171f.; Hammar 1989; Howard 2008: 43; Winter 2013: 301).
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
3.5.2
Deutsche Staatsbürgerschaft von 2000 bis heute
Das heutige deutsche Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) ist am 1. Januar 2000 in Kraft getreten und wurde nach und nach leicht modifiziert. Dieses Gesetz basiert prinzipiell immer noch auf dem Gesetz aus dem Jahr 1913, aber viele Autoren und Autorinnen sind sich einig, dass sich die deutsche Staatsbürgerschaft mit der Reform des Gesetzes 1999 stark verändert hat (vgl. Green 2000; Gerdes und Faist 2006; Heckmann 2003; Howard 2008; Howard 2012; Winter 2013). Die Einführung von wesentlichen Aspekten des Jus-soli-Prinzips ist eine der wichtigsten Änderungen: Jetzt dürfen Kinder ausländischer Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit bei der Geburt in Deutschland erhalten, wenn ein Elternteil eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzt. Die Aufenthaltsdauer in Deutschland für Bewerberinnen bzw. Bewerber wurde von 15 Jahren auf acht Jahre verkürzt und in bestimmten Situationen sogar auf sechs Jahre. Durch das neue Gesetz kann die deutsche Staatsbürgerschaft auf drei Wegen erhalten werden: (1) Dieser Status kann durch die Geburt von Kindern, deren Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit haben (jus sanguinis), erworben werden; (2) die Staatsbürgerschaft kann durch das Geburtsortprinzip (jus soli) erhalten werden, wenn ein Elternteil seit mindestens acht Jahren in Deutschland lebt und eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzt; (3) die deutsche Staatsbürgerschaft kann auch durch die Einbürgerung erteilt werden (vgl. Die Bundesausländerbeauftragte.de). Für Erwachsene, die die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen, ist es erforderlich, dass sie sich mindestens acht Jahre rechtmäßig in Deutschland aufgehalten haben. Bei besonderen Integrationsleistungen oder im Fall eines besonderen Interesses für Deutschland, kann die Dauer auf sechs Jahre reduziert werden (vgl. Die Bundesausländerbeauftragte.de). Zusätzlich zur Aufenthaltsdauer gibt es eine Reihe von Bedingungen, die für den Erhalt der deutschen Staatsbürgerschaft erfüllt sein müssen (vgl. StAG § 10): Die Antragstellerinnen bzw. Antragsteller müssen eine dauerhafte oder unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzen; sie müssen eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausüben oder auf eine andere rechtmäßige und nachweisbare Weise sozial und wirtschaftlich unabhängig von staatlicher Hilfe sein; sie müssen die deutsche Sprache relativ gut sprechen (dies ist in der Gegenwart durch das Zertifikat B1 nachzuweisen); sie müssen einen Einbürgerungstest mit allgemeinen Kenntnissen über die deutsche Geschichte, die deutsche Sozial- und Rechtsordnung bestehen; bevor die Bewerberinnen bzw. Bewerber eingebürgert werden, muss geprüft werden, ob sie nicht an irgendwelchen kriminellen Aktivitäten beteiligt gewesen sind. Außerdem müssen sie die demokratische Grundordnung und die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland respektieren und sich zur ihr bekennen. Um die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten, müssen die Antragsteller bzw. Antragstellerinnen in vielen Fällen auf ihre frühere Staatsangehörigkeit verzichten.
3 Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung
3.6
Der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit
Die deutsche Staatsbürgerschaft wird in keinem Fall automatisch nur nach dem Prinzip jus soli erworben. Deswegen können Menschen aus mehreren Generationen von Migrantinnen bzw. Migranten in Deutschland leben, ohne dass ihnen die deutsche Staatsbürgerschaft gewährt wird. Wie oben erwähnt, kann die deutsche Staatsangehörigkeit nach dem heutigen Gesetz Ausländern bzw. Ausländerinnen oder ihren Kindern in folgender Weise gestattet werden: (1) Kinder eines Elternteils, welcher eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis hat, und die in Deutschland geboren sind, erhalten die deutsche Staatsangehörigkeit bei der Geburt (vgl. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, StAG § 29). Sie sind allerdings von der Optionspflicht betroffen, wenn sie nicht in Deutschland aufwachsen. (2) Bei Erfüllung der oben genannten Bedingungen können in Deutschland lebende Migrantinnen bzw. Migranten eingebürgert werden, wenn sie einen entsprechenden Antrag stellen (vgl. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, StAG § 10). (3) Nicht-Staatsbürgerinnen bzw. Nicht-Staatsbürger, die im Ausland leben, können auch eingebürgert werden, wenn ihre starken Bindungen zu Deutschland nachgewiesen werden (vgl. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, StAG § 14). Beim Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Menschen ohne deutschen Hintergrund ist zu bemerken, dass es weniger strenge Bedingungen für Bürgerinnen bzw. Bürger aus der Europäischen Union oder westlichen Ländern als für Staatsangehörige aus Afrika, Lateinamerika und Asien gibt. Es ist zu bemerken, dass das Kriterium des »Deutschtums« nach und nach eine weniger gewichtige Rolle als in der Vergangenheit spielt, wenn es um die Bestimmung der deutschen Staatsbürgerschaft geht. Dagegen gewinnen materielle Kriterien langsam an Bedeutung. Sowohl bei der Genehmigung einer ausländischen Staatsbürgerschaft für einen deutschen Staatsbürger bzw. eine deutsche Staatsbürgerin als auch beim Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch einen Nicht-Staatsbürger bzw. eine Nicht-Staatsbürgerin müssen private Interessen und Beziehungen zu Deutschland nachgewiesen werden (vgl. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, StAG § 25 Abs. 2) und diese Beziehungen beruhen teilweise auch auf einer materiellen Basis. Die kürzlich eingeführten Aspekte des Jus-soli-Prinzips betreffen also auch deutsche Bürger bzw. Bürgerinnen, die außerhalb Deutschlands leben. Laut dem StAG § 4 erhält ein Kind, das im Ausland von deutschen Eltern geboren wurde, keine deutsche Staatsangehörigkeit, wenn seine Eltern auch am 1. Januar 2000 oder später im Ausland geboren worden sind. Eine Ausnahme wird nur gemacht, wenn das Kind von der Staatenlosigkeit bedroht wird (vgl. StAG § 4). Ein Kind, das von deutschen Eltern im Ausland geboren worden ist, erhält die deutsche Staatsangehörigkeit nur, wenn es innerhalb eines Jahres bei einem zuständigen deutschen
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
Konsulat oder der zuständigen deutschen Botschaft angemeldet wird (vgl. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, StAG § 4, Abs. 4). Generell betrachtet ist die deutsche Staatsbürgerschaft seit drei Jahrzehnten zugänglicher geworden als in der Vergangenheit.6 Im Jahr 2000, als das neue Gesetz in Kraft getreten ist, stieg die Einbürgerungsrate7 um 30,3 % im Vergleich zum vorherigen Jahr (BMI 2014: 131). Seitdem – mit Ausnahmen der Jahre 2008 und 2009 – erhalten jedes Jahr mehr als 100.000 Nicht-Staatsbürgerinnen bzw. Nicht-Staatsbürger die deutsche Staatsbürgerschaft (vgl. Annex 1). Nach Angaben des Bundesministeriums des Innern (2014: 131) hat die Änderung des deutschen Staatsangehörigkeitsgesetzes bis zum Ende des Jahres 2013 es etwa 1.766.000 nicht-deutschen Menschen ermöglicht, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben. Zwischen 2000 und 2017 wurden insgesamt 2.204.135 Menschen eingebürgert (vgl. Annex 1). Trotz dieser Entwicklung bleibt das Jus-sanguinis-Prinzip im Zentrum der deutschen Staatsbürgerschaft. Im Rahmen des neuen Gesetzes wird die Staatsbürgerschaft den Nachkommen der ehemaligen Deutschen einfacher und schneller als anderen Einwanderern bzw. Einwanderinnen gewährt, wenn sie nach Deutschland zurückkehren (vgl. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, StAG § 7). Der Faktor »Spätaussiedler« ist der Grund dafür, dass die Einbürgerungszahlen zwischen 1990 und 1999 hoch waren. Allein in dieser Periode bekamen 2.502.831 Menschen die deutsche Staatsangehörigkeit (vgl. Annex 1). Das entspricht mehr als der Hälfte von 4.897.661 Menschen, die zwischen 1981 und 2017 in der Bundesrepublik Deutschland eingebürgert worden sind (vgl. Annex 1).
3.7
Der Inhalt der deutschen Staatsbürgerschaft
In der bisherigen Debatte zum Thema Staatsbürgerschaft tauchen wiederholt vier Dimensionen auf: (1) formal-rechtlicher Status, (2) Rechte und Pflichten, (3) Privilegien bzw. gesellschaftliche Partizipation und (4) Zugehörigkeit (vgl. Bloemraad, Korteweg und Yurdakul 2008). Die Analyse der empirischen Daten für die vorliegende Arbeit orientiert sich an diesen Dimensionen. In der vorliegenden Arbeit wurde bisher die deutsche Staatsbürgerschaft als formal-rechtlicher Status behandelt. Dabei wurden die Fragen beantwortet, wer deutscher Staatsbürger bzw. deutsche Staatsbürgerin ist oder wer das Recht auf 6 7
Der Annex 1 der vorliegenden Arbeit gibt weitere Informationen zur Entwicklung der Einbürgerungszahlen seit 1981 an. Laut dem Statistischen Bundesamt wurden 248.206 Menschen im Jahr 1999 eingebürgert. Dazu gehören auch Spätaussiedler. Die Angaben des Bundesinnenministeriums bezüglich des Anstiegs der Einbürgerungsrate um 30,3 % im Jahr 2000 beinhaltet sehr wahrscheinlich nicht die Aussiedler-Fälle, die »eingebürgert« worden sind.
3 Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung
diesen Status hat und wie man ihn erhält oder verliert. Es wurde gezeigt, dass die deutsche Staatsbürgerschaft in der Vergangenheit quasi synonym für die Zugehörigkeit zu den Deutschen war. Die Staatsbürgerschaft basierte fast exklusiv auf dem Jus-sanguinis-Prinzip und nicht unbedingt auf den Beziehungen zum Staat. Seit der Reform des deutschen Staatsbürgerschaftsgesetzes 1999 mit der Einführung von mehr Aspekten des Jus-soli-Prinzips wird die deutsche Gesellschaft pluralistischer und heterogener als früher. Die auch für die vorliegende Arbeit relevante Frage ist, ob diese quantitativ positive Entwicklung der formal-rechtlichen Staatsbürgerschaft mit einer positiven Entwicklung der Realisierung der Staatsbürgerschaft einhergeht. Mit dem Fokus auf Eingebürgerte mit afrikanischer Herkunft werde ich mich mit diesem Thema im empirischen Teil der vorliegenden Arbeit befassen. Um von der Realisierung der Staatsbürgerschaft zu sprechen, ist es sinnvoll, zunächst zu klären, wie sich die Ausübung der Staatsbürgerschaft verstehen lässt. Im Folgenden wird auf die Frage eingegangen, was der formale Status der Staatsbürgerschaft im deutschen Kontext tatsächlich beinhaltet. In der vorliegenden Arbeit stütze ich mich auf den Text von Lockwood (2000), um den Inhalt der Staatsbürgerschaft zu erläutern, sowie weiterhin auf die Überlegungen von Bloemraad, Korteweg und Yurdakul (2008), um darzustellen, unter welchen Dimensionen ich diese Inhalte im späteren empirischen Teil analysieren werde. Lockwood (2000: 163-173) identifiziert vier Formen, die in der Praxis [häufig] auftreten: Exklusion, Zugewinn, Defizit und Ausdehnung. (1) Mit staatsbürgerschaftlicher Exklusion meint Lockwood (2000: 164f.) den rechtlichen Ausschluss bestimmter Minderheitengruppen, wie dies in der Geschichte Deutschlands für Frauen, Juden und Schwarze Menschen der Fall gewesen ist. Diese Exklusion kann sich in dieser Hinsicht auf die Herkunft, die reale oder vermeintliche Zugehörigkeit, die Hautfarbe, das Geschlecht etc. beziehen. Im heutigen deutschen Kontext sind viele Migrantinnen und Migranten von dieser Situation betroffen. Deutsche mit afrikanischer Herkunft sind von dieser formal-rechtlichen Exklusion jedoch nicht betroffen. Ihre formal-rechtliche Exklusion in Bezug auf die Staatsbürgerschaft fand eventuell vor ihrer Einbürgerung, aber nicht danach statt. Daher ist diese Dimension für die vorliegende Arbeit nicht relevant. Die Frage ist stattdessen, ob die genannten Bürgerinnen bzw. Bürger einen staatsbürgerschaftlichen Zugewinn im Sinne Lockwoods (2000) genießen. (2) Beim staatsbürgerschaftlichen Zugewinn, so Lockwood (2000), haben Diskriminierung, Stigmatisierung, Machtlosigkeit und ein sozio-ökonomisches Defizit keinen Platz mehr. Statt demütigender Situationen genießen Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger dabei ein »Prestige« (Lockwood 2000: 171). Mit dem staatsbürgerschaftlichen Zugewinn werden alle möglichen Vorteile uneingeschränkt ausgenutzt, während die Vorteile beim staatsbürgerschaftlichen Defizit nur mangelhaft genossen werden (vgl. Lockwood 2000: 171). Der staatsbürgerschaftliche Zugewinn ist also eine gelungene Ausübung der Staatsbürgerschaft,
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
die über den formalen Status hinausgeht und die sich bei den Eigenschaften und Vorteilen dieses Status im praktischen Sinn konkretisiert. Bezogen auf die schon erwähnten zahlreichen Veröffentlichungen in Bezug auf ihre Diskriminierung ist ein staatsbürgerschaftlicher Zugewinn im Fall von deutschen Bürgerinnen bzw. Bürgern mit afrikanischer Herkunft infrage zu stellen. Daher ist eine empirisch fundierte Analyse zu diesem Thema nötig. (3) Die staatsbürgerschaftliche Ausdehnung nach Lockwood (2000) beruht auf dem Streben nach der Idealstaatsbürgerschaft oder anders gesagt nach der vollen Umsetzung der Prinzipien der Staatsbürgerschaft. Dabei werden mehr oder neue bürgerliche Rechte, politische und soziale Rechte, eine Verfassungsreform, Freiheit, die Ausweitung demokratischer Partizipation, Verbraucherschutz etc. verlangt und diejenigen, die dies erstreben, sind nicht unbedingt diejenigen, die es brauchen oder die davon profitieren würden (Lockwood 2000: 172f.). Bei der staatsbürgerschaftlichen Ausdehnung kämpft man weniger für die Umsetzung vorhandener Rechte, sondern mehr für die Rechte, die als notwendig und erforderlich für die Verwirklichung der Prinzipien der Staatsbürgerschaft betrachtet werden (vgl. Lockwood 2000: 172f.). In Bezug auf deutsche Bürgerinnen bzw. Bürger kann die Ausdehnung der Staatsbürgerschaft beispielsweise durch ihr gesellschaftspolitisches Engagement erkämpft werden. An dieser Stelle ist festzustellen, dass die staatsbürgerschaftliche Ausdehnung möglich ist, wenn der staatsbürgerschaftliche Zugewinn vorhanden ist. Ansonsten bewegt man sich im Bereich des staatsbürgerschaftlichen Defizites. (4) Staatsbürgerschaftliches Defizit findet entweder statt, wenn es an immateriellen und materiellen Ressourcen fehlt, um vorhandene formale Rechte und Privilegien zu verwirklichen, oder wenn es eine Verhinderung der Ausübung von vorhandenen Rechten gibt (vgl. Lockwood 2000: 165). Lockwood (2000: 165-176) unterscheidet drei Formen des staatsbürgerschaftlichen Defizits: Machtdefizit, stigmatisierendes Defizit und fiskalisches Defizit. Beim Machtdefizit, so Lockwood, geht es um eine Situation von Machtlosigkeit oder Machtasymmetrie, in der Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger ihre Rechte oder Privilegien nur eingeschränkt realisieren können. Bei diesen machtasymmetrischen Beziehungen haben rivalisierende Menschen oder Gruppen formal gleiche Rechte, aber unterschiedliche Ressourcen. Lockwood (2000: 176) weist darauf hin, dass in den kapitalistischen Demokratien besonders Frauen und Schwarze vom Machtdefizit betroffen sind. Betroffene Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger werden oft als »Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger zweiter Klasse« behandelt und mit ständigen Benachteiligungen und Erniedrigungen (vgl. Lockwood 2000: 166) konfrontiert. Das staatsbürgerschaftliche Defizit lässt sich durch eine mangelhafte gesellschaftliche Teilhabe feststellen. Konkret ist es z.B. bei Migrantinnen bzw. Migranten oder Minderheiten an einer hohen Arbeitslosigkeit, Ghettoisierung, schlechten Wohnsituation, materiellen Unsicherheit, freiwilligen oder
3 Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung
gezwungenen Marginalisierung bezüglich der Zugehörigkeit und der nationalen Identität zu erkennen (Lockwood 2000: 174). Interessant ist diese Form der staatsbürgerschaftlichen Praxis für eine Analyse der Realisierung der Staatsbürgerschaft durch Minderheiten oder Migrantinnen bzw. Migranten in Deutschland – auch durch Schwarze Deutsche wie in dieser Arbeit. Eine Untersuchung der Ausübung der Staatsbürgerschaft durch deutsche Bürgerinnen bzw. Bürger mit afrikanischer Herkunft sollte die Berücksichtigung ihrer sozio-ökonomischen und ihrer gesellschaftlichen Teilhabe nicht vernachlässigen. Auf Kriterien wie ihre berufliche Situation, Wohnsituation und fiskalische Lage muss besonders geachtet werden. Das fiskalische Defizit, so Lockwood (2000: 171), bezieht sich auf einen Mangel an finanziellen Ressourcen. Das Machtdefizit hängt in den meisten Fällen mit der Stigmatisierung von Bevölkerungsgruppen zusammen und beruht u.a. auf der sozio-wirtschaftlichen Situation der Betroffenen, ihrer ethnischen Zugehörigkeit und ihrer Herkunft etc. (vgl. Lockwood 2000: 170). Das Machtdefizit kann also in ein stigmatisierendes Defizit münden und umgekehrt. Stigmatisierung kann zur Zuschreibung von Minderwertigkeit bis hin zur Vorstellung eigener Minderwertigkeit auf der Seite der Betroffenen führen. Sie betrifft überwiegend Angehörige der Minderheiten in der Gesellschaft und verknüpft sich mit einer offenen oder subtilen Diskriminierung (Lockwood 2000: 167). Diese Stigmatisierung kann afrikanische Migrantinnen bzw. Migranten in Deutschland betreffen, die manchmal als sogenannte »Wirtschaftsflüchtlinge« oder gar als Parasiten oder Betrügerinnen bzw. Betrüger porträtiert werden. Diesbezüglich schreibt das Deutsche Institut für Menschenrechte (Hildebrand 2017): »In Deutschland sind Menschen afrikanischer Abstammung täglich rassistischer Diskriminierung, Afrophobie und Racial Profiling ausgesetzt. So lautete jüngst das Fazit der UN-Expert_innengruppe für Menschen Afrikanischer Abstammung, die Ende Februar [2017] die Situation von Schwarzen Menschen in Deutschland untersucht hat.« Afrikanische Menschen werden in Deutschland in vielerlei Hinsicht nicht als zugehörend betrachtet. Dies hat Auswirkung auf die Realisierung der Staatsbürgerschaft, für diejenigen, die sie besitzen.
3.7.1
Soziale Zugehörigkeit
Staatsbürgerschaft bedeutet nicht nur den Besitz des Status als Staatsbürgerin bzw. Staatsbürger, sondern auch, »als volles Mitglied der Gesellschaft anerkannt zu werden« (Marshall 2000: 49). In Deutschland beeinflusst das Prinzip jus sanguinis das Konzept der Staatsbürgerschaft und dies führt dazu, dass die deutsche Staatsbürgerschaft oft nicht von der Zugehörigkeit zu weißen Deutschen unterschieden
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
wird. Seit dem 21. Jahrhundert setzen sich immer mehr Aspekte des Prinzips jus soli durch. Trotzdem bleibt die Zugehörigkeit zum deutschen »Volk« sehr dominant. Eine relevante Frage für diese Arbeit ist, inwieweit diese Realität eine Rolle bei der Realisierung der Staatsbürgerschaft durch eingebürgerte Afrikanerinnen bzw. Afrikaner spielt. Ihre Einbürgerung impliziert, dass sie ursprünglich nicht zu den Deutschen gehörten. Die Frage bezieht sich also konkreter auf ihre soziale Zugehörigkeit als Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger. Das Gewicht des Prinzips jus sanguinis hat zur Konsequenz, dass diejenigen, die die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten, die also nicht von Geburt an zu den weißen Deutschen gehören, oft als Außenseiter bzw. Außenseiterinnen betrachtet und daher in vielen Hinsichten in der Gesellschaft ausgegrenzt werden (vgl. Gosewinkel 2001). Die soziale Zugehörigkeit impliziert auf diese Weise gleichzeitig den Sinn »Inklusion« und »Exklusion«. Denn sie hat als direkte Folge Ungleichheit und Diskriminierung zum Nachteil für diejenigen, die als Nicht-Angehörige angesehen werden (vgl. Bauder 2013: 218). Dies führt zu der Feststellung, dass die formale Angehörigkeit in Bezug auf den deutschen Nationalstaat nicht unbedingt Gleichheit und Gleichbehandlung für alle Inhaberinnen bzw. Inhaber dieses Status bedeutet. Die Nicht-Zugehörigkeit bzw. die Exklusion mit Blick auf die Staatsbürgerschaft wird ebenfalls kategorisiert. Auf der ungünstigsten Stufe in Deutschland befinden sich Migrantinnen bzw. Migranten ohne legalen Aufenthaltsstatus. Manche dieser nicht-zugehörigen Menschen werden beispielsweise »Scheinasylanten« oder »Wirtschaftsflüchtlinge« genannt und diese Bezeichnungen sind mit Ausgrenzungsmaßnahmen und Exklusionspraktiken verbunden (vgl. Bauder 2013: 217). Die Frage ist, was diese Realität in Bezug auf die Wahrnehmung sozialer Zugehörigkeit beispielsweise für die ehemaligen Flüchtlinge bedeutet, die nun deutsche Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger geworden sind, aber unter Umständen immer noch wie damals betrachtet werden bzw. die zumindest partiell die Erfahrung machen, dass sie so betrachtet werden. Auf diese Frage wird im kommenden, empirischen Teil eingegangen. Die Analyse der Staatsbürgerschaft mit Blick auf die soziale Zugehörigkeit bezieht sich auch auf die Loyalität der Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger gegenüber ihrer Gesellschaft und ihrem Staat (vgl. Bommes 2011: 65f., 170; Lockwood 2000: 160-170; Marshall 2000: 71). Auch die politische Debatte in Deutschland rund um die Staatsbürgerschaft und Einbürgerung der Migrantinnen bzw. Migranten berücksichtigt diesen Punkt. Es wird heftig u.a. über die doppelte oder multiple Staatsbürgerschaft debattiert. Die Gegner bzw. Gegnerinnen auf der einen Seite argumentieren, dass die multiple Staatsbürgerschaft die Bemühungen für die Integration der Eingebürgerten sowie ihre Loyalität gegenüber Deutschland verhindere und rechtliche Probleme und Identitätsambivalenzen verursache (vgl. Howard 2008: 51; Winter 2013: 302). Die Befürworter bzw. Befürworterinnen auf der anderen Seite sind der Meinung, dass die multiple Staatsbürgerschaft der Realität der
3 Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung
Menschen, ihrer Biografie und ihrer multiplen Zugehörigkeit entspricht. Im empirischen Teil wird gezeigt, wie sich diese Zugehörigkeitsthematik bei der Ausübung der Staatsbürgerschaft durch die im Rahmen der vorliegenden Arbeit befragten Personen konkretisiert. Die soziale Zugehörigkeit wird auch beim Erwerb der Staatsbürgerschaft durch Migrantinnen bzw. Migranten erwähnt. Wunderlich (2005: 181) hat in ihrer Arbeit mit Berücksichtigung verschiedener Migrantengruppen die subjektiven Dimensionen des Einbürgerungsprozesses in Deutschland bearbeitet. Sie ist zu dem Befund gekommen, dass instrumentelle Motive, wie Gleichberechtigung mit den Deutschen, Erleichterung beim Reisen und weniger Bürokratie, in den meisten Einbürgerungsfällen entscheidend sind und dass die nicht-instrumentellen Gründe, wie das Zugehörigkeitsgefühl gegenüber der deutschen Gesellschaft, dabei nur eine untergeordnete Rolle spielen. Die Frage an dieser Stelle ist, ob diese Befunde auch bei den im Rahmen dieser Arbeit befragten Personen bestätigt werden. Eine weitere Frage ist, wie sich diese soziale Zugehörigkeit mit dem Besitz der Staatsbürgerschaft entwickelt. Bleibt diese soziale Zugehörigkeit gleich, wenn die Betroffenen den neuen Status formal erhalten? Was passiert bei einer Enttäuschung, beispielsweise wenn der Erhalt der Staatsbürgerschaft nicht zu der erhofften Änderung ihrer sozio-ökonomischen Lage führt? Die empirische Analyse in dieser Arbeit bringt mehr Klarheit zu diesem Thema. Nach den bisherigen Überlegungen ist jedoch bereits deutlich geworden, dass der formale Status den Erfolg der Ausübung der Staatsbürgerschaft nicht garantieren kann. Dies zeigt sich ebenfalls, wenn sich die Diskussion mit weiteren Dimensionen einer Staatsbürgerschaft befasst und sich der Frage nach Rechten, Pflichten, Gleichberechtigung und Gleichbehandlung zuwendet.
3.7.2
Rechte, Pflichten, Gleichberechtigung und Gleichbehandlung
Die Staatsbürgerschaft drückt sich zunächst durch Rechte und Gesetze aus (Dahrendorf 2000: 133). Sie verbindet Staatsangehörige und ihren Staat durch Rechte, Privilegien, Ansprüche, Verpflichtungen usw. (Weiß 2017:199). Der rechtliche bzw. formale Status gibt den Inhabern bzw. Inhaberinnen einen Zugang zu Rechten und gleichzeitig werden ihm bzw. ihr Pflichten auferlegt. Der rechtliche Status der Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger, ihre Rechte und Pflichten, machen den kleinsten gemeinsamen Nenner von Staatsbürgerschaft und Nationalstaat aus (vgl. Mackert und Müller 2000: 12). Bei der Dimension der Rechte und Pflichten stehen vor allem die Beziehungen zwischen den Staatsbürgern bzw. Staatsbürgerinnen und ihren Staaten im Vordergrund. Dabei hat jede Seite Rechte und Pflichten gegenüber der anderen Seite (vgl. Mackert und Müller 2000: 15). Nationalstaaten stehen in rechtlichen und verpflichtenden Beziehungen nicht nur mit ihren Bürgerinnen und Bürgern, sondern auch mit anderen Staaten und
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürgern ausländischer Staaten, zum Beispiel im Migrationsfall. Die Aufgaben, die bei diesen Beziehungen vom Staat zu erfüllen sind, beziehen sich u.a. auf Schutz und Sicherung in verschiedenen Bereichen. Gleichheit, Freiheit, Solidarität und Rechtsstaatlichkeit zählen zu den wichtigen Grundlagen dieser Beziehungen. Diesbezüglich denkt Bommes (2011: 170), dass alle Staatsbürgerinnen und Staatsbürger Anspruch auf Gleichbehandlung bzw. Gleichheit haben. Der Staat darf seine Staatsbürger bzw. Staatsbürgerinnen nicht willkürlich behandeln und er muss verhindern, dass machtlose Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger durch mächtige Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger unverantwortlich und menschenunwürdig behandelt werden. Der Staat geht weiter und verlangt von seinen Staatsbürgern bzw. Staatsbürgerinnen Solidarität z.B. durch Steuerzahlungen. Die Beziehungen unter deutschen Staatsbürgern bzw. Staatsbürgerinnen auf der einen Seite sowie zwischen deutschen Staatsbürgern bzw. Staatsbürgerinnen und ihrem Staat auf der anderen Seite werden in der Form eines Vertrages beschlossen, der formal durch schriftliche Gesetze artikuliert ist. Theoretisch sind alle Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger vor diesem Vertrag gleich. Der Staat muss diese Gleichheit sichern und auch in der Praxis seine Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger gleichbehandeln. Findet das nicht statt, ist von einer defizitären Staatsbürgerschaft im Sinne Lockwoods (2000) zu sprechen. Hier greift man auf die allgemeinen Prinzipien der Staatsbürgerschaft zurück. Das Gleichheitsprinzip im Kontext der gegenwärtigen okzidentalen Nationalstaaten verweist nicht nur auf die Gleichheit vor den Gesetzen, sondern auch auf die Nicht-Diskriminierung in der Gesellschaft (vgl. Parsons 2000: 122). Der Ausschluss aus der Gesellschaft verknüpft sich u.a. mit den Themen Diskriminierung, Rassismus, Armut und Ghettoisierung. Hierbei stellt sich die Frage der Staatsbürgerschaft in Bezug auf Inklusion, gesellschaftliche Teilhabe, die sozioökonomische Situation und auf bürgerschaftliche, politische und soziale Rechte (vgl. Mackert und Müller 2000: 18). In Deutschland gilt die Gleichheit für alle Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger unabhängig von ihrem Geschlecht oder ihrer Konfession, Herkunft oder Weltanschauung. Die Rechte und Pflichten, die im Grundgesetz und in anderen Gesetzen festgehalten worden sind, werden formal mit dem Status der Staatsbürgerschaft verliehen, aber nicht unbedingt in die Praxis umgesetzt. Die Gleichheit oder Ungleichheit konkretisiert sich insbesondere durch die gesellschaftliche Teilhabe der Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger. In Deutschland wurde das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geschaffen, um vorhandene Ungleichbehandlungen zu beheben. Auf die Wahrnehmungen der im Rahmen dieser Arbeit befragten Personen über ihre Gleichbehandlung bzw. Ungleichbehandlung in Deutschland werde ich bei der Analyse der empirischen Befunde eingehen. An dieser Stelle weise ich aber schon darauf hin, dass die Art, wie Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbür-
3 Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung
ger behandelt werden, sich auf ihre gesellschaftliche Partizipation auswirkt. Das ist auch der Fall für die eingebürgerten Afrikanerinnen und Afrikaner.
3.7.3
Gesellschaftliche Partizipation
Die gesellschaftliche Partizipation geht mit einer effektiven Teilnahme und Teilhabe am Leben der Gesellschaft einher. Im Kampf gegen die Exklusion wird die politische und gesellschaftliche Partizipation als individuelles Menschenrecht angesehen, das vom rein rechtlichen Status unterschieden werden soll (vgl. Bloemraad, Korteweg und Yurdakul 2008: 156). Dieses Privileg der Staatsbürger bzw. Staatsbürgerinnen wird mit dem Erhalt des formalen Status also nicht unbedingt garantiert. Es bezieht sich auf die Praxis im bürgerlichen, politischen und sozialen Leben (vgl. Marshall 2000: 51) sowie auf die kulturelle und soziale Beteiligung. Dahrendorf (2000: 137) betrachtet die Chance auf Partizipation in der Gesellschaft als ein wesentliches Element der Staatsbürgerschaft. Mackert und Müller (2000: 28) bekräftigen Dahrendorfs Idee, indem sie darauf hinweisen, dass »Staatsbürgerschaft ohne die politische und gemeinschaftliche Praxis der Staatsbürger leer bleibt«. In dieser Lesart ist die Staatsbürgerschaft, die dann als volle Mitgliedschaft in der Gesellschaft zu verstehen ist, theoretisch mit jeder Form von Diskriminierung oder Ungleichheit unvereinbar (vgl. Marshall 2000: 49f.). Die Realität ist allerdings anders, da öfters auf asymmetrische und ungleiche Macht basierende soziale Strukturen die Ausübung der Staatsbürgerschaft beeinflussen (vgl. Lockwood 2000: 158). Auf diese Weise ist beispielsweise zu bemerken, dass das Recht auf politische Partizipation in der Geschichte vieler Staaten ein Privileg bestimmter Bevölkerungsgruppen war (Bloemraad, Korteweg und Yurdakul 2008: 156). Die formale Abschaffung diskriminierender Gesetze bedeutet nicht die Umsetzung der Gleichheit. Die politische Partizipation ist mittlerweile in Deutschland offen für alle Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger, aber Ungleichheiten unter »gleichen« Staatsbürgern bzw. Staatsbürgerinnen in unterschiedlichen Dimensionen wie Politik, Soziales, Wirtschaft und Kultur lassen sich immer noch beobachten (vgl. Parsons 2000: 122). Die gesellschaftliche Partizipation beschränkt sich nicht auf das politische Recht, d.h. die Teilhabe und die Teilnahme am kollektiven Entscheidungsprozess als Wähler bzw. Wählerin oder als Wahlkandidat bzw. -kandidatinnen, sondern sie bezieht sich auch auf die Zugehörigkeit, Anerkennung und auf die Akzeptanz in der Gesellschaft (vgl. Parsons 2000: 119). Die gesellschaftlichen Strukturen in Deutschland beeinflussen die gesellschaftliche Partizipation. Sie sind nicht frei von Ungleichheiten, die die Staatsbürger bzw. Staatsbürgerinnen, die formal gleichgesetzt sind, betreffen. Die Zugehörigkeit zu weißen Menschen, zu Männern und zu einer respektierten sowie sozioökonomisch privilegierten Schicht in europäischen Gesellschaften, wozu Deutschland zählt, spielt beispielsweise immer noch eine Rolle, wenn es um Macht- sowie
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
Ressourcenverteilung und politische oder gesellschaftliche Partizipation geht (vgl. Faulks 2000: 58). Frauen und Minderheitsgruppen werden in vielen Fällen immer noch auf eine untergeordnete Position verwiesen. Im Extremfall kann es passieren, dass die von sozialer Ungleichheit Betroffenen ihre Grundrechte nicht wahrnehmen können. All dies führt zur Feststellung, dass die Gleichheit unter Staatsbürgern bzw. Staatsbürgerinnen lediglich formal ist (vgl. Brubacker 1992; Faulks 2000; Mackert und Müller 2000) und nur ein Prinzip bleibt. Der Status der Staatsbürgerschaft beruht daher auf der Dichotomie der Gleichheit und Ungleichheit sowie des Universalismus und des Partikularismus (vgl. Dahrendorf 2000: 143), bei der manche Einzelpersonen oder Bevölkerungsgruppen privilegierter sind als andere. In Deutschland betrifft diese Situation auch viele Bürgerinnen bzw. Bürger mit Migrationshintergrund. Die Ausübung ihrer Staatsbürgerschaft erfolgt sicher uneinheitlich, aber sie findet in allen Fällen in Strukturen der Ungleichheit statt. An dieser Stelle ist zu bemerken, dass diese Situation der Ungleichbehandlung dem deutschen Staat bewusst ist und dass der Staat versucht, entgegenzuwirken. Entsprechend werden Maßnahmen getroffen. So wurde beispielsweise das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz in Deutschland verabschiedet.
3.7.4
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz
Der Staat spielt eine so unersetzbare Rolle bei der Institutionalisierung, Konsolidierung und dem Aufrechterhalten symbolischer Macht, dass Bourdieu (1992: 151) ihn als eine »Zentralbank« symbolischer Herrschaft betrachtet. Wenn der Staat eine wichtige Rolle bei der institutionellen Stabilisierung und daher bei der Reproduktion der Ungleichheiten bzw. Diskriminierung spielt (vgl. Weiß 2017: 228), kann er auch eine wichtige Rolle bei dem Abbau oder der Entschärfung der Ungleichheiten bzw. Ungerechtigkeit spielen. In diesem Sinne und im deutschen Kontext wurde das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) 2006 vom Bundestag beschlossen. Dieses Gesetz wurde 2009 leicht verändert. Das Ziel des Gesetzes ist, wie in seinem § 1 zu lesen ist, »Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.«8 Eine Antidiskriminierungsstelle wurde auf Bundesebene für die Umsetzung des AGG und zum Schutz vor Benachteiligungen aus diesen Gründen errichtet.
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Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz. Online unter www.gesetze-im-internet.de/agg/BJNR189710006.html (Zugriff am 03.02.2015).
3 Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung
Das AGG wird in der vorliegenden Arbeit nicht mit dem Ziel erwähnt, seinen Inhalt detailliert zu bearbeiten, sondern um zu zeigen, (1) dass Ungleichheiten bzw. Ungleichbehandlungen auf Basis der im Gesetz genannten Kriterien zur Realität in Deutschland zählen und dass sie festgestellt worden sind; (2) dass diese vorhandenen Ungleichbehandlungen gesetzlich abgeschafft worden sind, aber dass sie in der Praxis nicht verschwunden sind; (3) dass es einen deutlichen Willen gibt und dass Maßnahmen getroffen werden, um diese Ungleichheiten oder Exklusionsformen zu bekämpfen. Im Geist des AGG wird nach der Gleichbehandlung im Rahmen der bestehenden Gesetze gestrebt. Die für diese Arbeit interessante Frage ist, ob dieses AGG schon irgendeine Rolle bei der Behandlung der im Rahmen der vorliegenden Arbeit befragten deutschen Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger afrikanischer Herkunft gespielt hat, ob es ihnen beispielsweise eine Gleichbehandlung ermöglicht hat. Der rechtliche Status der Staatsbürgerschaft und die Gleichheit sind also zwei verschiedene Dinge (vgl. Dahrendorf 2000: 137). Das heißt, die Exklusion beschränkt sich nicht auf diejenigen, die diesen Status nicht besitzen, sondern sie kann auch einige betreffen, die diesen Status besitzen. Hierin findet das AGG seine Begründung. Exklusion oder Ungleichbehandlung existieren also unabhängig vom Status der Staatsbürgerschaft. Auf diese Weise versucht das AGG, Machtasymmetrien und Ungleichheiten – mit Blick auf ethnische Herkunft, Geschlecht, soziale Anliegen, Religionszugehörigkeit, Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexuelle Identität – mit rechtlichen Mitteln zu korrigieren. Diese Ungleichheiten waren schon bei der Entstehung der deutschen Staatsbürgerschaft spürbar und sie setzen sich bis in unsere Zeit fort, wenn sich auch die jeweiligen Ausprägungen und Formen verändert haben.
3.8
Realisierung der Staatsbürgerschaft Schwarzer Deutscher: Symbolische Kämpfe?
Das Thema Rassismus wird in der vorliegenden Arbeit erwähnt, weil rassistische Klassifikationen im Allgemeinen zu Benachteiligungen bei der Realisierung der Staatsbürgerschaft durch eingewanderte Populationen – durch Schwarze Deutsche im Hinblick auf diese Studie – führen. Viele Autoren und Autorinnen sind der Meinung, dass sich Rassismus mit der Zeit verändert und dass es daher einen traditionellen und neuen Rassismus gibt (vgl. Balibar 1990; Gaitanides 2012; Weiß 2013). Während der alte Rassismus mit »Rassen« verkoppelt wird, spricht man vom Rassismus ohne »Rasse« bei dem neuen Rassismus (vgl. Weiß 2013: 25ff.). Nach dem Zweiten Weltkrieg bezieht sich Rassismus überwiegend auf gesellschaftlich und kollektiv konstruierte abwertende Zuschreibungen, mithilfe derer eine Abgrenzung oder Distanzierung im Verhältnis zur (wahrgenommenen) Eigengruppe
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
vorgenommen wird (vgl. Gaitanides 2012: 8). Der neue Rassismus lässt sich von dem alten ableiten und er spielt eine vergleichbare Rolle wie der alte. Er zeichnet sich durch Abgrenzung, Ausgrenzung, Ungleichheit, Machtasymmetrie, Benachteiligung usw. aus. Weiß (2013: 30) merkt an, dass Rassismus mit Machthierarchien einhergeht und weist auf zwei Logiken des Rassismus hin: eine herabwürdigende und eine differenzialistische Logik. Weiß (2013: 30) zufolge lassen sich diese Logiken durch die Offensichtlichkeit von Machthierarchien unterscheiden. So sagt Weiß (2013: 30): »Während im herabwürdigenden Rassismus Höherwertigkeit und Definitionsmacht explizit beansprucht werden, reproduziert der differenzialistische Rassismus beide Dimensionen, obwohl sie im Diskurs verneint werden. Daher setzt der differenzialistische Rassismus das selbstverständliche Bestehen rassistischer Machtasymmetrien voraus, während der herabwürdigende Rassismus sich auch dafür anbietet, diese überhaupt erst durchzusetzen oder zu verschärfen.« Der Rassismus, abgesehen davon, ob er herabwürdigend oder differenzialistisch ist, führt zu Privilegien für einige und zu Benachteiligungen für andere. Diese Macht-/Privilegien-Ungleichheit besteht in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft wie Wirtschaft, Soziales, Kultur, Religion und Politik. Wie dann der »Andere« als Mitglied einer realen oder imaginierten Gruppe gesellschaftlich angesehen, beurteilt, verstanden, konstruiert und behandelt wird, kann zum einen durch seine Anerkennung, Akzeptanz, gesellschaftliche Teilhabe etc. geprägt sein oder aber indem Stigmatisierung, Diskriminierung, Ungerechtigkeit, Xenophobie, Gewalt etc. gegen ihn auftreten. All dies beeinflusst sein (negatives) Prestige. Dies entspricht der Auffassung von Albert Memmi (1992: 164), der »Rassismus« wie folgt versteht: »[…] die verallgemeinerte und verabsolutierte Wertung tatsächlicher oder fiktiver Unterschiede zum Nutzen des Anklägers und zum Schaden seines Opfers, mit der seine Privilegien oder seine Aggressionen gerechtfertigt werden sollen.« Stefan Gaitanides (2012: 4-8) findet Memmis Definitionsversuch des Rassismus den treffendsten und klarsten und erläutert ihn in vier Punkten: (1) Beim Rassismus wird der Akzent ausdrücklich auf tatsächliche oder/und fiktive Unterschiede zwischen Menschen gesetzt; (2) diese Unterschiede werden bewertet und maximiert zum Nutzen von einigen und zur Benachteiligung von anderen; (3) die Unterschiede werden als absolut, endgültig und allgemein konstruiert; (4) tatsächliche oder mögliche Aggressionen oder Schäden auf der einen Seite oder tatsächliche oder mögliche Privilegien auf der anderen Seite werden legitimiert. Es ist wichtig zu bemerken, dass Rassismus nicht nur mit Kategorisierung, Hierarchisierung und Herabwürdigung der Menschengruppen verbunden ist, sondern auch mit Privilegien und Machtverhältnissen. Machtasymmetrie ist also als eine zentrale Dimension des Rassismus zu betrachten (Weiß 2013: 27).
3 Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung
Die Machtasymmetrie unter Menschengruppen ist ein wichtiger Punkt in der Rassismusforschung. Sie wird durch symbolische Gewalt legitimiert und institutionalisiert und in einer Gesellschaft fast ungestört strukturell verankert. Zutreffend weist Weiß (2001: 81f.) darauf hin, dass sich »institutionalisierte und handlungspraktische Formen der Diskriminierung nur selten durch explizite Inhalte dem Problem des ›Rassismus‹ zuordnen lassen.« Die Legitimierung des Rassismus verhindert seine Aufdeckung und begünstigt daher rassistische Diskriminierungen. Gaitanides (2012) macht einen Unterschied zwischen dem alten, biologischen und dem neuen, kulturalistischen Rassismus, fügt aber hinzu, dass die beiden Formen sich mischen und überschneiden. Noch interessanter in seiner Analyse ist der Vergleich der von Rassismus erfüllten Funktion in der Gesellschaft: Die beiden Formen sind profitabel für Einige und schädlich für Andere. Die Definition von Memmi und die Interpretation von Gaitanides ermöglichen es, den Rassismus in drei Dimensionen zu analysieren: (1) In der ideologischen bzw. konzeptuellen Dimension verknüpft sich Rassismus mit rassistischen Theorien und Thesen, die sich oft auf pseudowissenschaftliche Befunde stützen; (2) in der Wahrnehmungsdimension wird ein Bild von »uns« (Selbstbild) und von »anderen« (Fremdbild) als Mitglieder einer realen oder fiktiven Gruppe konstruiert; (3) die praktische Dimension ist als Folge der beiden ersten Dimensionen anzusehen und manifestiert sich in Diskriminierung, Beschimpfung, Stigmatisierung, Gewalt, Ungleichheit, Ungerechtigkeit, Sklaverei, Kolonialismus, Vorenthalten von Menschenwürde anderer etc. So kommt man zum Nutzen der Situation für einige und zum Schaden für andere. Die Begründung dieser Praktiken stützt sich auf die beiden ersten Dimensionen. Während diese Menschen kollektiv betreffen, kann die Dimension der Praxis des Rassismus sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene stattfinden. Rassismus kann daher als ein von Menschen gegen Menschen auf Basis von pseudobegründenden Theorien und von in der Gesellschaft konstruierten Wahrnehmungen praktiziertes Unrecht und als Ungerechtigkeit bzw. Ungleichheit betrachtet werden, wobei beide als Folge Nutzen oder Schaden haben können. So betrachtet Weiß (2001) den Rassismus als symbolisch stabilisierte und vermittelte Dimension sozialer Ungleichheit. Zusammengefasst ist der Rassismus eine Art der Inklusion von einigen und Exklusion von anderen in Bezug auf Privilegien und auf Basis eines realen oder vermeintlichen ethnischen oder kulturellen Unterschiedes. Der Einfluss symbolischer Macht ist so stark, dass er dazu führen kann, dass auch rassistisch diskriminierte Menschen nicht bemerken, dass sie diskriminiert werden (vgl. Weiß 2017: 29). In diesem Sinne sehen sie (Diskriminierte) auch ihre Diskriminierung bzw. Benachteiligung als normal, selbstverständlich oder natürlich und daher legitim an (vgl. Weiß 2017: 231). Auf diese Weise können rassistisch betroffene Menschen bei der Stabilisierung rassistischer Herrschaftsverhältnisse
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mitwirken, den Rassismus gegen sich selbst praktizieren oder bei ihrer Reproduktion aktiv mitmachen (vgl. Weiß 2013: 48). So war Frantz Fanon (1952) der Meinung, dass Schwarze Menschen Opfer von Rassismus sind, aber dass dieser Rassismus einigen Schwarzen Menschen nicht bewusst ist, da sie auch selbst rassistische Wahrnehmungen verinnerlicht und in der Praxis gegen sich selbst unbewusst umgesetzt haben oder umsetzen. Rassismus wird konstruiert, pseudobegründet, verinnerlicht und praktiziert. Nicht nur Nutznießer, sondern auch Opfer des Rassismus konstruieren, pseudobegründen, verinnerlichen, praktizieren oder reproduzieren den Rassismus. Der Rassismus wird durch symbolische Gewalt stabilisiert und reproduziert (Weiß 2001: 96). Dies bedeutet, dass Rassismus durch dominierende Kulturen und dementsprechende Strukturen sowie Institutionen getragen wird. Dies bedeutet aber auch, dass diese symbolische Gewalt symbolische Kämpfe beinhaltet oder zumindest verbirgt. In diesen symbolischen Kämpfen versuchen politische und soziale Bewegungen die bestehende Situation zu destabilisieren oder zu verändern.
3.9
Zwischenfazit: Ambivalenz und ständige Entwicklung bei der Staatsbürgerschaft
Sich mit der Staatsbürgerschaft zu beschäftigen, impliziert, sich mit dem Thema Nationalstaat und seiner Entwicklung bzw. Veränderung zu befassen. An dieser Stelle gewinnen die Themen Migration und Umgang mit Minderheiten in Bezug auf die Staatsbürgerschaft in heutigen Migrationsgesellschaften, wozu die deutsche Gesellschaft zählt, an Bedeutung. Die Ambivalenz der Staatsbürgerschaft liegt daran, dass sich dieser Status zwischen den Prinzipien des Universalismus und des Partikularismus sowie zwischen Inklusion bzw. Exklusion bewegt. Die Staatsbürgerschaft ist immer zugleich inklusiv und exklusiv gewesen. Die Ambivalenz der Staatsbürgerschaft bezieht sich auch auf die Tatsache, dass die Staatsbürgerschaft ihrem Wesen nach nicht statisch ist. Sie entwickelt sich nach dem Kontext und den herrschenden Strukturen jeder Gesellschaft und jedes Staates. Staatsbürgerschaft ist also prozesshaft, wenn es um den damit verbundenen, sich historisch verändernden Status sowie um die Ausübung der daran gebundenen Rechte, Privilegien und Pflichten geht. Daraus folgt, dass ihre Bedeutung auch variiert. In Deutschland ging die Staatsbürgerschaft in der bisherigen Geschichte mit der Exklusion von Frauen und einigen Gruppen, wie Schwarzen Menschen, einher. Der universelle Geist desselben Status ermöglichte aber die Emanzipation der exkludierten Bürger bzw. Bürgerinnen und/oder marginalisierten Gruppen und die Forderung nach Gleichheit und Gleichberechtigung für alle Personen. Der Status befindet sich also in einer dynamischen Entwicklung, die nach Gleichheit und Gleichberechtigung für alle strebt.
4 Untersuchungsanlage und Methoden
Die Untersuchung der Verlaufsprozesse der Eingliederung der Deutschen afrikanischer Herkunft in Deutschland mit dem Fokus auf ihrer Einbürgerung stellt die Lebenserfahrungen der genannten Personen ins Zentrum der Analyse. Verlaufsprozesse (z.B. der Integration) beziehen sich auf eine Abfolge sich zum Teil wiederholender Ereignisse, die auf Basis sozialer Realität vorkommen. Verlaufsprozesse verweisen etwa auf »typische Abfolgen von Phasen, Stationen und Bewältigungsmuster […] oder auch Bewältigungsstrategien, die spezifische Orientierungsrahmen aufweisen und auf der Grundlage sozialer Lagen entstehen.« (Schittenhelm 2012: 420) Sie verfügen über einen holistischen Charakter und implizieren sukzessive Veränderungen bzw. Entwicklungen (vgl. Schütze 1989: 27). Sie erfolgen in der Gesellschaft in einer bestimmten besonderen Phase, z.B. in Krisen- oder Kriegszeiten, und können kollektiv analysiert werden (vgl. Schütze 1989: 28). In diesem Sinne hat Schütze (1989) beispielsweise kollektive Verlaufskurven und kollektive Wandlungsprozesse aufgrund von Kriegserfahrungen amerikanischer und deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg untersucht. Dabei hat er spezifische Erfahrungen und lebenslaufstrukturelle Effekte der im Krieg erlebten Ereignisse auf das Leben der Betroffenen, Einflüsse der gesamten Wandlungsprozesse und Auswirkungen der Kriegsereignisse auf die Identitätsentwicklung der Biografieträger erforscht. Er hat die Effekte der Kriegserfahrungen auf die Gesellschaft in einem umfassenden Sinn, d.h. auf das Verhalten, den Habitus und das soziale Handeln untersucht. Seine Analyse und Interpretation von biografischen Erfahrungen ermöglichten eine Interpretation der Haltung der Gesellschaft und der Attitüde von sozialen und politischen Kollektiven (vgl. Schütze 1989). Der Begriff »Verlaufsprozesse« bedeutet in dieser Arbeit Statuswechsel und die damit verbundenen prozesshaften Veränderungen sozialer Positionierungen, die durch Migration, Einbürgerung oder sonstige Statusübergänge, wie beispielsweise den Berufseinstieg, entstehen (vgl. Schittenhelm 2012: 418). Bei der Analyse der Interviews der Befragten interessiere ich mich für ihre sozialen Positionierungen und für die Orientierungsanforderungen während der u.a.
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
durch Migration und Einbürgerung erfahrenen Statusübergänge in ihren Lebensläufen (vgl. Schittenhelm 2012: 417). Die Staatsbürgerschaft ist eine der Statuspositionen, die durch Migration potenziell erreichbar wird. In meiner Untersuchung habe ich mich mit der Frage beschäftigt, ob und inwieweit die erworbene formale Staatsbürgerschaft tatsächlich realisiert wird und ob und inwieweit der damit verbundene politisch-rechtliche Status die sozio-ökonomische Stellung, die gesellschaftspolitischen Positionierungen und die sozialen Zugehörigkeiten der Eingebürgerten beeinflusst. Die Realisierung der Staatsbürgerschaft und die damit zusammenhängenden Wahrnehmungen dieser Position wurden durch die Erzählungen der Staatsbürger bzw. Staatsbürgerinnen selbst erfasst. Darum wurden die Methoden der qualitativen Sozialforschung für diese Arbeit ausgewählt. Mit qualitativen Methoden ist es möglich, die mit dem faktischen Erwerb des neuen Status verbundenen sozialen Prozesse, Sinngebungen, Einstellungen und Deutungen der Befragten zu berücksichtigen (vgl. Schittenhelm 2012). Die Erhebung wurde mit narrativen Interviews (vgl. Schütze 1983; 1984) durchgeführt; für die Auswertung wurde die dokumentarische Methode (Bohnsack 2009; Bohnsack, Nentwig-Gesemann und Nohl 2013) genutzt. Die Untersuchung von Verlaufs- und Wandlungsprozessen im Leben der Migranten bzw. Migrantinnen sowie von sich darauf beziehenden Wahrnehmungen verweist auf Themen wie gesellschaftliche Teilhabe, soziale Zugehörigkeit, Gleichberechtigung bzw. Diskriminierung. Es ist davon auszugehen, dass deutsche Bürger bzw. Bürgerinnen mit afrikanischer Herkunft in Deutschland ihre Staatsbürgerschaft ausüben, während sie ökonomisch, sozial und politisch am Leben der deutschen Gesellschaft partizipieren. Die Realisierung der Staatsbürgerschaft findet weiterhin statt, wenn Bürger und Bürgerinnen als Teil der Gesellschaft wahrgenommen werden und wenn sie sich selbst so wahrnehmen. Die qualitative Untersuchung ermöglichte zu verstehen, a) woran sich die Befragten bei der Ausübung der Staatsbürgerschaft orientieren, b) inwiefern sie dabei unter Umständen an Grenzen stoßen und c) welche Rolle die Einbürgerung innerhalb ihrer biografischen Verläufe gespielt hat. Die Informationen in Bezug auf ihr politisches und soziales Engagement, die Ausübung und das Wahrnehmen von Rechten (beispielsweise wählen und kandidieren) und Pflichten, die jeweiligen Positionen in der Gesellschaft (zum Beispiel die Gleichstellung im Berufsleben, der Zugang zu besseren Beschäftigungssituationen, zu besseren Wohnsituationen in schöneren Stadtvierteln), Lebens- und Alltagserfahrungen, soziale Kontakte, Einbindung in Netzwerke, aber auch die Wahrnehmung, das Selbstbild usw. aufseiten der Erforschten sind wichtig bei der Analyse der Realisierung der Staatsbürgerschaft, welche sich u.a. durch die Aspekte konkretisiert, die im Rahmen der vorliegenden Arbeit zu untersuchen waren.
4 Untersuchungsanlage und Methoden
Für diese Untersuchung wurden die Sichtweisen der Individuen selbst rekonstruiert. Über die in der Untersuchung erhobenen Erzählungen eröffnet sich ein Zugang zu den sozialen Bedingungen und Erfahrungen der eingebürgerten Deutschen mit afrikanischer Herkunft.
4.1
Die Datenerhebung
Bei der Untersuchung wäre es ideal gewesen, die Situation eines Kontingents von Menschen mit afrikanischem Hintergrund über mehrere Jahre zu beobachten und zu analysieren, um den ganzen Prozess der Einbürgerung, die Motivationen der Betroffenen und die Wirkungen der formalen Einbürgerung auf ihre gesellschaftliche Teilhabe sowie auf ihre Wahrnehmungen live zu verfolgen und empirisch zu untersuchen. Eine solche Untersuchung hätte vor der Einbürgerung beginnen müssen und wäre mehrere Jahre lang nach der Einbürgerung fortzusetzen gewesen. Diese Idee einer Längsschnittuntersuchung zur Entwicklung der Situation der Betroffenen vor und nach der Einbürgerung habe ich in der Phase der Findung und Präzisierung meines Untersuchungsvorhabens in Erwägung gezogen. Eine solche Untersuchung hätte vielleicht geholfen, die Situation der Migranten bzw. Migrantinnen vor der formalen Einbürgerung besser zu verstehen und die Bemühungen beim Einbürgerungsprozess zu erfassen. Die Idee wurde aber aus zwei Gründen nicht weiterverfolgt. Der erste Grund bezieht sich auf die Realisierbarkeit der Untersuchung: Die Auswahlkriterien der zu befragenden Personen stellen hierbei eine große Herausforderung dar. So wäre der Status als Migrant bzw. Migrantin mit afrikanischer Herkunft nicht ausreichend, um eine Person in das Sample mit einzubeziehen. Es hätte z.B. geprüft werden müssen, ob die Betroffenen eine realistische Chance haben, tatsächlich innerhalb eines gewissen Zeitraums eingebürgert zu werden, da die Einbürgerung nicht automatisch erfolgt und auch unterschiedlich lange dauern kann. Die Selektion der zu Befragenden nach ihren Chancen, eingebürgert zu werden, hätte an sich schon eine Schwierigkeit dargestellt. Zu einigen dafür relevanten Informationen hätte ich keinen Zugang gehabt. Die zeitliche Planbarkeit der Untersuchung ist ein zweiter Grund, warum ich von einer Längsschnittstudie abgesehen habe. Im Fall einer Ablehnung der jeweiligen Anträge auf Einbürgerung wäre es nicht mehr möglich gewesen, die Untersuchung weiter durchzuführen. Hinzu kommt, dass bei einer Verzögerung der formalen Einbürgerung die Studie nicht in der geplanten Zeit hätte abgeschlossen werden können. Aufgrund dieser forschungspraktischen Erwägungen habe ich mich entschieden, meine Analysen auf narrative Interviews mit bereits eingebürgerten Deutschen zu stützen.
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4.1.1
Kriterien der Fallauswahl
Die Daten wurden durch narrative Interviews mit Angehörigen einer bestimmten Personengruppe – nämlich deutsche Bürger bzw. Bürgerinnen afrikanischer Herkunft – erhoben, die darüber hinaus gemeinsame soziale Eigenschaften aufweisen (vgl. Schütze 1983: 283), indem sie beispielsweise alle über eine eigene Migrationserfahrung verfügen und eine Einbürgerung vollzogen haben. Die Auswahl der Interviewpartnerinnen bzw. Interviewpartner, die Durchführung der Interviews, ihre Transkription, die Literaturrecherche und die Auswertung der Interviews verliefen nicht in einer linearen Reihenfolge, sondern teilweise parallel. Die Erhebung und Auswertung von Daten erfolgten quasi nebeneinander mit dem Ziel, vollständige Informationen zu erheben und fehlende Auskünfte zu ermitteln und zu ergänzen (vgl. Flick 1996: 56f.). Die Auswahl der Personen für die ersten Interviews wurde auf Basis der Fragestellung getroffen (vgl. Przyborski und Wohlrab-Sahr 2010: 177), die Auswahlkriterien wurden zunächst nur vorläufig festgelegt und im weiteren Verlauf ergänzt (vgl. Schittenhelm 2009: 4). Das formale Bildungsniveau, das in den Sozialwissenschaften oft zu den relevanten Kriterien gehört, zählte nicht zu meinen Auswahlkriterien für die ersten Interviewpartner bzw. Interviewpartnerinnen. Dieses wurde stattdessen erst später eingeführt. Am Anfang der Untersuchung war ich mir nicht sicher, ob ich dieses Kriterium einbeziehen sollte, weil es bei Migranten bzw. Migrantinnen afrikanischer Herkunft in Deutschland nicht immer einfach zu definieren ist. Die Abschlüsse vieler Akademiker bzw. Akademikerinnen, die ihr Studium in Afrika absolviert haben, werden in Deutschland nicht anerkannt. Einige Abschlüsse aus dem Ausland, die in Deutschland »formal« oder »bürokratisch« anerkannt worden sind oder für die eine Äquivalenz erstellt worden ist, werden außerdem durch die Arbeitgeber bzw. Arbeitgeberinnen nicht als den inländischen Abschlüssen gleichwertig eingestuft. Bei anderen Migrantinnen bzw. Migranten ist das Schulsystem in ihren Herkunftsländern nur schwer vergleichbar mit dem deutschen System. Einige Migranten bzw. Migrantinnen haben in ihrem jeweiligen Herkunftsland die Schule und andere Bildungsinstitutionen besucht, die aber keinen formalen Abschluss verliehen haben. Dies gilt z.B. für religiös geführte Schulen. Die betroffenen Kinder und Jugendlichen erwerben Wissen, sie lernen zu lesen und zu schreiben, sie erhalten auch eine berufliche Ausbildung, aber keinen formalen Abschluss, der staatlich anerkannt oder der mit deutschen Abschlüssen vergleichbar wäre. Es gibt weiterhin auch Schulen und Hochschulen in Konfliktgebieten in Afrika (z.B. in von Rebellen kontrollierten Gebieten), die von den Zentralregierungen nicht anerkannt werden. Die Bildung und Ausbildung von Afrikanern bzw. Afrikanerinnen ist daher anhand ihrer formalen Bildungstitel aus dem Herkunftsland nicht immer eindeutig zu beurteilen. Das formale Bildungsniveau (Abschlüsse aus dem Herkunftsland und/oder Anerkennung und Einstufung
4 Untersuchungsanlage und Methoden
der Abschlüsse in Deutschland) eignet sich bei der ersten Generation der Migrantinnen bzw. Migranten also nur bedingt als Auswahlkriterium für die Wahl von Interviewpersonen. Das Kriterium des Bildungsniveaus hat sich im Laufe der Untersuchung jedoch trotzdem als wichtig herausgestellt und wurde insofern auch berücksichtigt. Es ist ein entscheidender Faktor bei der Partizipation am Leben der Gesellschaft, z.B. bei der Besetzung von Führungspositionen. Nach den ersten vier Interviews habe ich es trotz der beschriebenen Situation einbezogen. Für meine Studie war es entscheidend zu wissen, ob die Betroffenen eine staatlich anerkannte Schule besucht haben und ob sie berechtigt waren, ein Studium aufzunehmen. Diejenigen, die schon ein Studium in ihren Herkunftsländern oder in Deutschland begonnen hatten, zählten automatisch zu der zu untersuchenden Gruppe, auch wenn sie ihr Studium später nie beendet haben oder beenden sollten. Die Auswahl der ersten Fälle bezog sich auf folgende grob fixierte Kriterien: Die Interviewpartner bzw. -partnerinnen mussten eingebürgerte Deutsche mit subsahara-afrikanischem Hintergrund sein. Sie mussten aus der ersten Einwanderungsgeneration stammen und die Einbürgerung selbst veranlasst haben (also z.B. nicht über ihre Eltern eingebürgert worden sein). Diese Kriterien wurden während der Untersuchung anhand empirischer Befunde weiter ausgearbeitet und ergänzt (vgl. Schittenhelm 2009: 6), um mögliche Kontrastierungen und die Varianz des Feldes (Przyborski und Wohlrab-Sahr 2010: 178) zu ermitteln und die Untersuchungsfrage empirisch fundiert zu beantworten. In diesem Zusammenhang habe ich mich entschieden – wie oben erwähnt –, die Zielgruppe noch stärker einzugrenzen, indem ich das Bildungsniveau auf Abiturhöhe (Hochschulzugangsberechtigung) gesetzt habe. Bei der Untersuchung beruhte die Fallauswahl auf einem theoretisch begründeten Sampling (vgl. Glaser und Strauss 1967: 45-78; Schittenhelm 2012: 414-417). Zunächst wurden vier Interviews geführt und grob ausgewertet. Die Daten aus diesen ersten Befragungen stellten die Grundlage dafür dar, die Zielgruppe der Untersuchung klar zu definieren, die Kriterien für die Auswahl weiterer Fälle auszuarbeiten und die Interviewführung bei den nächsten Fällen zu optimieren. Die Anfangsphase der Untersuchung war hilfreich dabei, eine solide Basis für die Fortsetzung der Datenerhebung zu entwickeln. Die Auswahl weiterer Probanden und Probandinnen sowie die Durchführung der Interviews auf der einen und ihre Auswertung auf der anderen Seite verliefen gewissermaßen parallel und beeinflussten sich gegenseitig. Auf Basis erhobener Interviews und Erzählpassagen konnten weitere Interviewpartner bzw. -partnerinnen mit entsprechenden Kriterien ausgesucht werden. Es war also nicht möglich, die genaue Zahl der durchzuführenden Interviews am Anfang der Untersuchung zu definieren oder Angaben darüber zu machen, wie viele Fälle in die Befragung von Migranten und Migrantinnen einzubeziehen wä-
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ren (vgl. Glaser und Strauss 1967: 2; Przyborski und Wohlrab-Sahr 2010: 177; Schittenhelm 2009: 6-8). Die Typen, die nach und nach im Verlauf der Untersuchung entwickelt wurden, spielten also eine große Rolle bei der Auswahl der nächsten Interviewpartner und -partnerinnen. Die theoretische Sättigung und nicht die Zahl der Befragten war beim Abschluss des Samplings entscheidend (vgl. Glaser und Strauss 1967: 61; Pryzborski und Wohlrab-Sahr 2010: 178; Schittenhelm 2009: 17; Schittenhelm 2012: 413f.). Insgesamt umfasst das für die Auswertung berücksichtigte Sampling 17 Personen:1 sechs Frauen und elf Männer. Die älteste befragte Person ist 1943 und die jüngste 1979 geboren. Die befragten Personen waren im Rahmen einer Flucht-, Arbeits-, Heirats- oder Bildungsmigration aus dem subsaharischen Afrika nach Deutschland gekommen. Ihre Einbürgerung lag zum Zeitpunkt der Befragung zwischen 27 Jahren und einem Jahr zurück. Zwei Personen sind durch eine Familienzusammenführung nach Deutschland gekommen. Sechs Personen hatten bereits eine Familie oder waren verheiratet, sind aber zunächst allein angekommen und Mitglieder ihrer Familien folgten ihnen später. Acht Befragte aus dem vorliegenden Sampling kamen als alleinstehende Personen und haben erst in Deutschland eine Familie gegründet. Zwei Personen waren zum Zeitpunkt der Befragung alleinstehend. Alle bis auf eine Person hatten mindestens im Herkunftsland einen schulischen Abschluss, sieben Personen hatten in Deutschland einen weiteren Bildungsabschluss erworben.
4.1.2
Der Zugang zum Feld
Der Zugang zu möglichen Interviewpartnern bzw. Interviewpartnerinnen war am Anfang der Untersuchung schwieriger als erwartet. Um zu vermeiden, dass die persönliche Bekanntschaft die Gewinnung von Informationen verhinderte bzw. die Aussagen beeinflusste, wurden gezielt Personen ausgesucht, die mir vorher nicht persönlich bekannt waren. Die Teilnahme setzte nicht nur die Bereitschaft zu einem Interview voraus. Manche der angefragten Personen haben sich bereit erklärt, mit mir ein Gespräch zu führen, aber sie wollten nicht, dass unser Gespräch auf einem Aufnahmegerät aufgezeichnet würde. In dieser Situation wurde kein Interview durchgeführt. Über die Vermittlung durch meinen Bekanntenkreis habe ich außerdem viele interessierte Personen gefunden, die aber nicht alle die zuvor angeführten Auswahlkriterien erfüllten. Nach dieser Erfahrung kam ich auf die Idee, Anfragen nach Interviewpartnern bzw. -partnerinnen per Rundmail an verschiedene Organisationen und Vereine, 1
Der Annex 2 der vorliegenden Arbeit beinhaltet mehr Informationen zum vorliegenden Sampling der zwischen 2013 und 2015 durchgeführten Befragung.
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die sich mit dem Thema der Migration beschäftigen, zu schicken und auf Rückmeldungen von Interessierten zu warten. Die Ergebnisse hier waren positiv. Mehrere Interessierte meldeten sich aus unterschiedlichen Gebieten Deutschlands. Mit den Interviewpartnern bzw. Interviewpartnerinnen, die sich auf eigene Initiative bei mir gemeldet haben, lief die Erklärungsphase, d.h. die Information über Inhalte und Ziele der Befragung, überwiegend problemlos. Die Nachfrage nach ausführlichen Informationen über den Inhalt und die Form des Interviews kam wiederholt beim ersten telefonischen Kontakt. Ich machte eher grobe und weniger detaillierte Angaben über den Inhalt und die präzise Fragestellung, da ich die spätere Erzählung nicht beeinflussen wollte. Beim Austausch in der Erklärungsphase musste ich mich auch erkundigen, ob meine Gesprächspartner bzw. -partnerinnen die definierten Kriterien erfüllten. Wurden die Bedingungen erfüllt, habe ich um ein »Gespräch« gebeten. Der Ort des Interviews wurde von meinen Interviewpartnern bzw. Interviewpartnerinnen vorgeschlagen. So fand es u.a. auf der Arbeitsstelle des Interviewpartners, zu Hause in seiner/ihrer Wohnung, an der Universität oder im Raum eines Vereins statt. Bei der Interviewführung musste ich auf die Phasen achten – die Einführung durch mich, die Haupterzählung durch meine Gesprächspartner bzw. -partnerinnen sowie die Nachfragen und die Bilanzierung durch mich. Bei der Erzählung war es wichtig, die »Stegreiferzählung« (vgl. Schütze 1983: 285) nicht zu verhindern. Laut der Regel des Stegreiferzählens musste das Erzählen spontan und unvorbereitet in einer »Face-to-Face-Situation« stattfinden (Küsters 2006: 17) und das Gespräch sollte nicht unterbrochen werden.
4.1.3
Narrative Interviews und ihre Durchführung
Insgesamt wurden 22 narrative Interviews für die vorliegende Arbeit durchgeführt und 17 davon wurden analysiert. Bei der Durchführung der Interviews war das Ziel, Primärdaten über den Forschungsgegenstand zu erfassen. Für diesen Zweck waren narrative Interviews geeignet (vgl. Schütze 1983: 285). Um die Verlaufs- und Wandlungsprozesse rund um die Einbürgerung der Bürgerinnen bzw. Bürger mit subsahara-afrikanischem Hintergrund zu erkennen, ihre Handlungen und Erfahrungen in Deutschland zu erheben, zu verstehen und zu analysieren, habe ich mich entschieden, mich beim Eingangsstimulus auf die Migrationserfahrung der Befragten zu konzentrieren. Mein Ziel dabei war es nicht grundsätzlich, die vollständige Lebenserzählung zu erheben, wie Rosenthal (1995: 187f.; 2002: 210) es in der biografischen Forschung empfiehlt. Die Absicht war, über die autobiografische Stegreiferzählung Rohdaten in Bezug auf eine bestimmte Phase der Lebensgeschichte (vgl. Schütze 1983: 285), d.h. in Bezug auf die eigene Migrationserfahrung und insbesondere auf die Einbürgerung, zu erheben.
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Unterschiedliche Faktoren haben mich dazu gebracht, für meine Untersuchung narrative Interviews zu führen. Neben der Tatsache, dass es bisher nur wenige Arbeiten zu meinem Forschungsthema gibt, war es wichtig, den Befragten keine Meinungen, Einstellungen oder Orientierungen vorzugeben. Ich wollte vollständige und unbeeinflusste Informationen von der Seite der eingebürgerten Migranten bzw. Migrantinnen erheben. Narrative Interviews waren auch deshalb sinnvoll, weil sie die Erfassung von »Prozessstrukturen der Lebensläufe« sowie des »Prozesses des Geschehens« (Küsters 2006: 40) ermöglichten. Nicht nur die Informationen über die Einbürgerung von den Biografieträgern waren wichtig, sondern auch Auskünfte über langfristige Prozesse und Ereignisse vor und nach der Einbürgerung. Die Durchführung des Interviews musste also den Befragten die Gelegenheit geben, den Verlauf eines Teils ihres Lebens uneingeschränkt zu erzählen. Über die Analyse dieses Prozesses ist es möglich gewesen, die Verlaufsprozesse zu rekonstruieren. Um die Angaben über das heutige Leben und das aktuelle Engagement der interviewten Personen zu verstehen, war es wichtig, ihre Lebenserfahrungen zu berücksichtigen. Nicht nur die gegenwärtige Situation der eingebürgerten Afrikanerinnen bzw. Afrikaner, sondern auch ihre Vergangenheit, ihre Migrationserfahrung, der Prozess ihrer Einbürgerung, die Bedingungen und der Kontext, der zu ihrer Einbürgerung geführt hat, und die Veränderungen, die in ihrem Leben mit dem Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft stattgefunden haben, mussten erhoben und analysiert werden. Bei der Durchführung der Interviews lassen sich drei Schritte voneinander unterscheiden (vgl. Schütze 1983: 285): Der erste Schritt bezog sich auf die Haupterzählung bzw. auch Stegreiferzählung durch die Befragten. Diese Erzählung erfolgte nach der erzählgenerierenden Eingangsfrage. Der zweite Schritt umfasste Nachfragen zu der im ersten Schritt erzählten Geschichte. Im dritten Schritt wurden exmanente Fragen gestellt. Hierbei betrachtete ich die Befragten als Spezialisten für ihre eigene Geschichte und ich stellte dementsprechende Fragen, auch über die Themen, die bei der Erzählung nicht erwähnt worden sind. Bei der Erzählaufforderung im ersten Schritt habe ich mich also für die thematische Fokussierung entschieden. Dabei habe ich die Eingangsfrage auf die Erfahrung und das Erlebte der Befragten in Bezug auf ihre Migrationserfahrung konzentriert. In diese Richtung wurde der Eingangsstimulus folgendermaßen formuliert: »Ich interessiere mich für die Migrationserfahrung von Menschen, die nach Deutschland emigriert sind. Ich möchte Sie daher bitten, mir Ihre Migrationsgeschichte ausführlich zu erzählen, also alle Details in Bezug auf Ihre Migration, wie Sie auf die Idee gekommen sind, Ihr Herkunftsland zu verlassen, bis zu Ihrer Erfahrung als Migrant in Deutschland heute. Ich werde jetzt ruhig zuhören und
4 Untersuchungsanlage und Methoden
Notizen machen. Ich werde Sie nicht unterbrechen und keine Zwischenfragen stellen, bis Sie mit der Erzählung fertig sind.« Bei den Interviews stellte ich zunächst diese Eingangsfrage, die ich auswendig gelernt hatte und dann hörte ich zu. Erst nach einer »Erzählkoda« (vgl. Schütze 1983: 285), die das Ende der Stegreiferzählung signalisierte, meldete ich mich für die Phase der immanenten Nachfragen. Dabei stützte ich mich auf die von den Befragten erzählten Geschichten und forderte weitere Informationen darüber, was sie erzählt hatten. Das Ziel dieser Nachfragen war, bisher noch ungenaue und unklare Auskünfte zu verdeutlichen. Nach den immanenten Nachfragen folgten dann exmanente Fragen, die für meine Untersuchung wichtig waren, die aber nicht direkt in Bezug zu den Inhalten der erzählten Geschichten meiner Interviewpartnerinnen und Interviewpartner standen. Bei der Vorbereitung der Interviews hatte ich einen groben »Leitfaden« verfasst, der mich bei der Durchführung der Interviews unterstützte und bei den exmanenten Nachfragen zur Anwendung kam. Die Erhebung von soziodemografischen Daten folgte immer nach der Phase der exmanenten Nachfragen, d.h. am Ende des Interviews. Für die Erhebung dieser Daten hatte ich eine Checkliste erstellt. Diese Daten habe ich bewusst nicht am Anfang des Interviews erfasst, da dies die Befragten irritieren oder von ihren »Relevanzsetzungen« hätte ablenken können (vgl. Küsters 2006: 48). Die soziodemografischen Informationen wurden später bei der Interpretation der Daten berücksichtigt. Sie halfen, den Kontext, das Milieu und die sozialen Zusammenhänge zu verstehen.
4.2
Phasen und Strategien der Untersuchung
Das Auswahlverfahren verlief mehrstufig (vgl. Schittenhelm 2009: 22f.; Schittenhelm 2012: 415f.). Wie es in der qualitativen Sozialforschung oft der Fall ist, habe ich zu Beginn der Untersuchung keine Hypothesen formuliert (vgl. Schütze 1987: 258). Diese mussten durch die Arbeit selbst erst generiert werden. Mein theoretisches Vorwissen über den Gegenstand der Untersuchung hat mir sicherlich geholfen, die Fragestellung zu formulieren, aber dieses Wissen habe ich zunächst quasi zurückgestellt und mich langsam an mein Forschungsthema herangetastet. Diese Anfangsphase der Untersuchung zielte darauf ab, eine empirisch fundierte Basis für die weitere Datenerhebung zu schaffen. In dieser Phase habe ich zunächst nur vier Interviews durchgeführt und nachher abgehört, um eine Idee über die möglichen Varianten des Untersuchungsgegenstands zu erhalten und mögliche Missverständnisse in der Interviewführung zu identifizieren. Ich wollte in der Anfangsphase nicht zu viele Interviews führen, da ich eine eventuelle unnötige Verdoppelung oder Verdreifachung ähnlicher Fäl-
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le vermeiden wollte (vgl. Glinka 1998: 30). Mein Ziel war auch, auf die Interaktion zwischen den Befragten und mir zu achten (vgl. Küsters 2006: 53). Auf diese Weise konnte ich Fehler entdecken und versuchen, sie bei den weiteren Interviews zu vermeiden. Die Begriffe »Interview«2 und »Citoyenneté«3 habe ich beispielsweise nach den ersten vier Interviews nicht mehr benutzt. Die explorative Phase bzw. die Anfangsphase half mir bei der Gewinnung von ersten Informationen, die für das theoretisch begründete Sampling wichtig waren. Auf alle Kategorien, die theoretisch von Bedeutung erschienen, musste beim Sampling geachtet werden. Die Fälle mussten von den ersten Fällen abweichen und die Interviewpartnerinnen bzw. -partner mussten möglichst diversifiziert werden, um alle relevanten Daten zu erheben. Auf diesem Weg konnte ich diverse Daten aus unterschiedlichen Fällen erfassen. Die theoretische Sättigung wurde zumindest annähernd erreicht, als ich bei der Erhebung und Analyse der Daten keine neue bedeutende Information erhalten habe, d.h. als ich keinen Fall mehr finden konnte, der nicht den schon getroffenen Fällen zugeordnet werden konnte (Glaser und Strauss 1967: 61). Mein Ziel in der Anfangsphase war auch, die Zusammenhänge zwischen dem Untersuchungsgegenstand und meinem theoretischen Vorwissen zu reflektieren. Dies diente auch dazu, mich bei meiner Literaturrecherche für den theoretischen Teil der Arbeit auf bestimmte Aspekte zu fokussieren und manche Themen mit einer größeren Aufmerksamkeit zu berücksichtigen. Es ging in dieser Phase auch darum, meine exmanenten Forschungsfragen für weitere Interviews noch besser vorzubereiten. Die gelungene Anfangsphase erleichterte die weiteren Schritte des Forschungsprozesses. Die erhobenen Daten wurden später bei der Auswertung kontrastierend und vergleichend analysiert. Dabei wurden die Interviews schrittweise, im Wechsel aus Erhebungs- und Auswertungsphasen und nicht vorweg auf einmal durchgeführt. Dieses Vorgehen der abwechselnden Erhebung und Auswertung erstreckte sich bis hin zur theoretischen Sättigung.
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Durch die ersten Interviews habe ich herausgefunden, dass einige Migrantinnen und Migranten den Begriff »Interview« oft mit der Anhörung beim BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) und daher mit vielen schlechten Erinnerungen aus ihrer Migrationserfahrung verbinden. Außerdem musste ich auf das Wort verzichten, damit meine Gesprächspartner bzw. -partnerinnen unser »Interview« nicht mit einer Frage-Antwort-Vorstellung assoziierten (vgl. Küsters 49f.). Einige Interviews wurden auf Französisch durchgeführt. In den ersten Interviews habe ich den Begriff »Citoyenneté« benutzt, aber dann habe ich bemerkt, dass dieser Begriff zur Verwirrung führte. Aus diesem Grund habe ich ihn in den späteren Interviews durch den Begriff »Nationalité« ersetzt.
4 Untersuchungsanlage und Methoden
4.3
Die Datenauswertung
Mit der Untersuchung wurden zwei Hauptziele verfolgt: Zum einen wurden die Verlaufsprozesse der Lebensgeschichten in der Migration identifiziert und zum anderen wurde die gegenseitige Beeinflussung der Einbürgerung bzw. des Status der Staatsbürgerschaft und dieser lebensgeschichtlichen Verläufe analysiert. Diese beiden Ziele waren entscheidend bei der Auswahl des Vorgehens während der Datenauswertung. Von den insgesamt 22 durchgeführten Interviews wurden fünf nach dem ersten Abhören nicht weiter berücksichtigt. Dies war z.B. der Fall, wenn ich der Meinung war, dass die befragte Person für diese Studie relevante Informationen nicht angegeben hatte oder nicht bereit war, ihre soziodemografischen Daten mitzuteilen. Alle weiteren Interviews wurden zunächst mehrmals abgehört und die Abfolge der Themen wurde zeitlich und tabellarisch vermerkt. Dieser Verlauf erleichterte dann die Identifizierung und die Auswahl der Interviewpassagen, die für das Untersuchungsthema interessant waren. Drei Interviews wurden komplett transkribiert und ihr thematischer Verlauf zunächst rekonstruiert. Für weitere 14 Interviews wurden ausgewählte Passagen transkribiert. Die Passagen wurden also aufgrund ihres Inhalts und ihrer Bedeutung für den Forschungsgegenstand ausgewählt. Die ausgesuchten Passagen wurden dann transkribiert und für die formulierenden und reflektierenden Interpretationen sowie für die komparative Analyse und Typenbildung bereitgestellt. Die drei Interviews von Herrn Kwame4 , Herrn Kanambe und Frau Murube, die komplett transkribiert wurden, wurden auf Basis ihres Inhalts und der Qualität der Interviewführung ausgesucht. Sie wurden vollständig transkribiert, um ihre gründliche und vergleichende Auswertung, auch im Sinne eines maximalen und minimalen Vergleichs (vgl. Schütze 1983), zu ermöglichen. Da diese drei Fälle zentral für den empirischen Teil dieser Arbeit sind, möchte ich sie zusammenfassend darstellen: Fall Kwame Herr Kwame wurde Mitte der 1950er Jahre geboren. In Afrika ist er zur Schule gegangen und hat einen Abschluss erlangt, der mit dem Abitur vergleichbar ist. Er war 20 Jahre alt, als er sein Herkunftsland freiwillig verließ, um ein Studium in einem osteuropäischen Land aufzunehmen. Dort hat er ein naturwissenschaftliches Studium absolviert. Er hat in Osteuropa sieben Jahre lang zur Zeit des Kalten
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Es handelt sich hier wie bei allen weiteren Namen der Interviewpartner bzw. -partnerinnen um einen codierten Namen, der zum Zwecke der Anonymisierung verwendet wird. Die Anonymisierung betrifft sowohl die Namen von Menschen und Firmen als auch die Namen von Orten.
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
Krieges gelebt. Während seines Studiums ist er oft nach Deutschland gereist, entweder um seine Schwester, die dort lebte, zu besuchen oder um einen Ferienjob auszuüben. Nach seinem Studium ist er in seinem 27. Lebensjahr nach Deutschland eingereist, mit dem Ziel, dort ein Promotionsstudium aufzunehmen. Nach seinem Studium verließ er also Osteuropa. Nach Deutschland reiste er allein und mit einem Touristenvisum. Erst dort wollte er seine Einreiseerlaubnis in ein Studentenvisum umwandeln. Dies fand nicht automatisch statt. Die Situation wurde viel komplizierter und er war sogar von einer Abschiebung bedroht. Mit einer rechtsanwaltlichen Hilfe konnte er die Abschiebung verhindern und viele weitere Schwierigkeiten überwinden. So durfte er in Deutschland bleiben, die deutsche Sprache lernen und sein Promotionsvorhaben fortsetzen. Da er kein Stipendium und zunächst auch keine bezahlte Promotionsstelle hatte, war er viele Monate lang auf die Hilfe von Kirchen angewiesen. Seine prekäre materielle Situation hat sich dadurch verbessert, dass er nach einigen Jahren in einem Promotionsprojekt eine Stelle als wissenschaftliche Hilfskraft bekommen hat. Parallel zu seinen Promotionstätigkeiten hat er sich in afrikanischen Milieus im Kampf gegen Rassismus engagiert und auch eine Familie gegründet. Nach seiner Promotion hat er eine Arbeitsstelle über einen Bekannten aus dem Familienkreis gefunden. Er hat mehrmals den Arbeitsplatz gewechselt; zur Zeit des Interviews war er Geschäftsführer einer Firma. Er wurde 2001 eingebürgert. Er ist Christ und gehört keiner politischen Partei an. Zu seinen Prioritäten zählen seine Familie und seine Arbeit. Fall Kanambe Herr Kanambe wurde in den frühen 1940er Jahren geboren und ist einige Jahre älter als Herr Kwame. Er ist in seinem Herkunftsland zur Schule gegangen und hat dort ebenfalls einen Abschluss erreicht, der es ihm erlaubte, ein Studium aufzunehmen. Kurz nach der Unabhängigkeit seines Landes ist er im Alter von 20 Jahren mit dem Ziel nach Europa gereist, dort zu studieren. Dafür wurde ihm ein Stipendium der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gewährt. Er kam zunächst in ein Westeuropäisches Land, hat dort jedoch nicht gelebt. Ursprünglich war sein Studium dort vorgesehen. Er musste dann jedoch unerwartet weiter nach Deutschland reisen und dort studieren. Da er keinen Einfluss auf diese Entscheidung hatte, konnte er nichts dagegen machen. In Deutschland wurde er empfangen und betreut. Er wurde ohne seine Zustimmung zur Berufsschule geschickt. Sein Schulabschluss wurde unterbewertet bzw. nicht als eine Zugangsberechtigung zur Hochschule anerkannt. Das ursprüngliche Ziel, ein Studium aufzunehmen, war nun keine Option mehr. Nach Berufsschule und Praktika wurde er zum Programmierer ausgebildet. Während seiner Ausbildung hat er seine jetzige Frau kennengelernt und sie haben gemeinsam eine Familie gegründet. Die junge Familie zog aus einer Stadt in ein Dorf. Seine materielle Situation ist immer gesi-
4 Untersuchungsanlage und Methoden
chert gewesen. Nach seiner Ausbildung bekam er ohne große Schwierigkeiten eine Arbeitsstelle als Programmierer. Parallel zu seinen beruflichen Tätigkeiten und zu seinem Status als Familienvater wirkte Herr Kanambe in unterschiedlichen Nachbarschaftsinitiativen mit. Er spielte Fußball in einer Dorfmannschaft und ist später Trainer von Jugendlichen in seiner Gemeinde im Fußball und Basketball geworden. Obwohl er selbst rassistische Diskriminierung erlebt hat, hat er sich nicht in Initiativen gegen Rassismus und Diskriminierung engagiert. Er ist Mitglied in einer Gewerkschaft und einer politischen Partei und wirkt in der lokalen Politik mit. Zusätzlich ist er Mitglied in einem Verein, der das Ziel hat, seinem Herkunftsland bei seiner Entwicklung zu helfen. Er hat seine Arbeitsstelle nicht gewechselt, bis er in Rente gegangen ist. Er wurde 1987 eingebürgert. Fall Murube Frau Murube wurde in den späten 1970er Jahren geboren. Sie ist in ihrem Herkunftsland zur Schule gegangen, aber aufgrund des Krieges konnte sie keinen Schulabschluss machen. Sie war in der Pubertät, als der Krieg ausbrach. Sie heiratete, bevor sie ihr 20. Lebensjahr erreicht hatte. Aufgrund der Gewalt und Unruhe in ihrem Heimatland musste sie dieses im Alter von 21 Jahren mit ihren zwei Kindern verlassen. Sie war schwanger und ließ ihren Mann zurück. In Europa hat sie zunächst ihren Asylantrag in einem anderen westeuropäischen Land gestellt, aber sie wurde nach Deutschland weitergeleitet. Dort hat sie erneut einen Asylantrag gestellt und musste mehr als ein Jahr lang in einem Asylheim leben. Dort wurde ihr drittes Kind geboren; mittlerweile konnte ihr Mann auch fliehen und einen Asylantrag in Deutschland stellen. Die Familie lebte mehrere Jahre lang im ländlichen Raum unter schwierigen Bedingungen. Ihre Anerkennung als Asylberechtige hat kaum eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen gebracht. Die Familie war hart von Arbeitslosigkeit betroffen. Der Umzugsversuch in eine große Stadt mit der Hoffnung, dort einen Job zu finden, wurde ihnen versagt, da sie von staatlichen Sozialleistungen abhängig waren. Frau Murube musste dann zu ihrer Arbeit außerhalb des Wohngebietes mehrere Stunden am Tag pendeln, um einen niederschwelligen Job ausüben zu können. Diese Beschäftigung, obwohl sie prekär war, hat es der ganzen Familie ermöglicht, aus dem Dorf wegzuziehen. Das Leben in einer Großstadt hat zu keiner großen Erleichterung der Lebensführung beigetragen. In dieser schwierigen Situation trennte Frau Murube sich von ihrem Mann und musste ihre drei Kinder allein erziehen. In dieser Lage konnte sie keine Beschäftigung ausüben. Sie war mit einer dauerhaften Arbeitslosigkeit konfrontiert. Diese Zeit ohne bezahlte Tätigkeit nutzte sie für die Erziehung ihrer Kinder und für ehrenamtliche Tätigkeiten. Sie nutzte die Gelegenheit auch, um die deutsche Sprache zu erlernen und ihren Schulabschluss nachzuholen. Mit einem deutschen Fachabitur wurde sie zum Studium der Sozialpädagogik zugelassen und erwarb
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
2014 ihren Abschluss. Zum Zeitpunkt des Interviews war sie immer noch arbeitslos. Ihre Einbürgerung hat ihre prekäre sozio-ökonomische Situation nicht beendet. Sie besitzt seit 2005 die deutsche Staatsbürgerschaft. Sie engagiert sich weiterhin ehrenamtlich und ist sehr aktiv in afrikanischen Initiativen und Milieus.
4.3.1
Untersuchung von Verlaufsprozessen
In den Sozialwissenschaften sind Erfahrungen mit kollektivem Charakter interessant (vgl. Schütze 1983: 283f.). Das kollektive – und nicht ein individuelles – Lebensschicksal von Menschen mit gleicher Erfahrung, wie zum Beispiel Soldaten im Falle von Schütze (1989) oder afrikanische Migrantinnen und Migranten im Fall der vorliegenden Arbeit ist sehr relevant. Ich benutze den Begriff »Verlaufsprozess« mit Blick auf die geteilten Erfahrungen von deutschen Bürgerinnen und Bürgern mit einem eigenen afrikanischen Hintergrund. Die Migration bietet ihnen eine mehr oder weniger kollektive Ausgangslage, die Auswirkungen auf ihr Leben hat. Die Verlaufsprozesse im empirischen Teil der vorliegenden Arbeit verweisen auf die Lebensphase der Migration und beziehen sich auf Erfahrungen aus dieser Phase in der deutschen Gesellschaft, insbesondere auf ihre Einbürgerung. Der Verlauf des Einbürgerungsprozesses findet in verketteten Ereignissen statt und ist in einer globalen Struktur eingebunden.
4.3.2
Die dokumentarische Methode
Für die Auswertung der narrativen Interviews, die es mir ermöglicht haben, die Verlaufsprozesse der Migration aus den Sichtweisen von eingebürgerten Afrikanern und Afrikanerinnen zu erheben, habe ich die dokumentarische Methode benutzt. Die Interpretation oder die Rekonstruktion der sozialen Wirklichkeit erforderten eine Analyse auf mehreren Ebenen. Ich musste die soziale Wirklichkeit aus der Perspektive der Individuen erfassen und herausfinden, wie sich diese Sicht aufgebaut hat (vgl. Bohnsack, Nentwig-Gesemann und Nohl 2013). Die Interviewauswertung mit der dokumentarischen Methode ermöglicht es, einen klaren Unterschied zwischen dem, was gesagt wurde, d.h. dem Inhalt, und dem, wie es gesagt wurde, zu machen (vgl. Bohnsack, Nentwig-Gesemann und Nohl 2013: 15f.). Die beiden Ebenen waren wichtig für das Verstehen und die Interpretation des Erzählten. Die in der Wissenssoziologie von Karl Mannheim als methodologische Reflexion zur Interpretation der Weltanschauung und der sozialen Welt aus den Perspektiven der Handelnden (vgl. Mannheim 1964) eingeführte dokumentarische Methode wurde im deutschsprachigen Raum insbesondere von Ralf Bohnsack ausgearbeitet und zur interpretativen Methodologie in der qualitativen Sozialforschung entwickelt (vgl. Bohnsack 1989; Bohnsack, Nentwig-Gesemann und Nohl 2013; Nohl 2006:
4 Untersuchungsanlage und Methoden
7f.; Nohl 2013: 2). Diese Methode wurde schon in den 1990er Jahren für die Auswertung von narrativ-biografischen Interviews benutzt (vgl. Bohnsack, NentwigGesemann und Nohl 2013: 19; Bohnsack et al. 1995). In der Migrations- und Minderheitsforschung wird die dokumentarische Methode benutzt, um kollektive Orientierungen zu verstehen und zu interpretieren. In diesem Sinne konnte Weller (2003; 2006) beispielsweise mit dieser Methodologie die Ausgrenzungserfahrungen von Jugendlichen mit türkischer Herkunft in Berlin und von Schwarzen Jugendlichen in São Paulo aus der Perspektive der Betroffenen erforschen. Auch Nohl, Schittenhelm und Schmidtke (2010) haben diese dokumentarische Methode benutzt, um narrative Interviews über das kulturelle Kapital von Migrantinnen und Migranten und Statuspassagen hochqualifizierter migrierter Personen in den Arbeitsmarkt zu analysieren. Dabei spielte das von Nohl (2006) entwickelte Verfahren der dokumentarischen Interviewanalyse eine Rolle. Die dokumentarische Methode wird in der vorliegenden Arbeit mit dem Ziel genutzt, die Migrations- bzw. Integrationserfahrungen der Befragten zu verstehen, zu rekonstruieren und darzustellen. Dabei wurde ein Akzent auf die vergleichende Perspektive gelegt (vgl. Bohnsack, Nentwig-Gesemann und Nohl 2013: 19f.). Die dokumentarische Methode ermöglichte mir eine Rekonstruktion der praktischen Erfahrungen von deutschen Bürgerinnen und Bürgern mit afrikanischer Herkunft als Einzelbefragte und als Gruppe (vgl. Nohl 2006: 7f.). Im Rahmen der vorliegenden Arbeit fand der Prozess der Auswertung von narrativen Interviews mit der dokumentarischen Methode in einem mehrstufigen Sampling statt (vgl. Schittenhelm 2012: 415f.): Auswahlverfahren, Abhören und Transkription von Interviews, Rekonstruktion des thematischen Verlaufs, formulierende Interpretation, reflektierende Interpretation, vergleichende Analyse, Typenbildung und Generalisierung von Interpretationen. Die Arbeitsschritte der Auswertung werden in den folgenden Abschnitten zur Diskussion gestellt.
Formulierende und reflektierende Interpretationen Die formulierende Interpretation diente dazu, die Erzählungen zusammenzufassen (vgl. Nohl 2006: 9). Das, was erzählt wurde, wurde allgemein in einer einfachen und verständlichen Sprache zusammengefasst (Przyborski 2004: 53). Hierbei ging es um eine Wiedergabe des Inhalts der Passagen mit meinen eigenen Worten (vgl. Nohl 2006: 74) und ich ließ mich von der Frage leiten: Was wurde gesagt (Przyborski 2004: 53)? Die Auswahl der formulierend und dann reflektierend zu interpretierenden Abschnitte stützte sich auf drei Kriterien (vgl. Nohl 2006: 46): (1) Der Inhalt der Passage wurde mit Blick auf das Thema der vorliegenden Untersuchung als relevant betrachtet; (2) die Passagen, die »Fokussierungsmetaphern« beinhalteten, d.h. die Passagen, in denen sich die Interviewpartnerinnen bzw. -partner »ausführlich, en-
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
gagiert und metaphorisch« ausdrücken, wurden auch ausgewählt; und schließlich (3) wurden weiterhin die Passagen ausgesucht, deren Themen inhaltlich für die kontrastierende und die vergleichende Interpretation interessant waren (vgl. Nohl 2006: 46; Nohl 2013: 40). Anders als bei der formulierenden Interpretation ging es bei der reflektierenden Interpretation darum herauszufinden, wie etwas gesagt wurde. Es ging nicht mehr darum, Aussagen über eine soziale Wirklichkeit zu treffen (die Frage: Was?), sondern darum zu dokumentieren, wie diese soziale Wirklichkeit von den Befragten als soziale Akteure konstruiert wurde. Es ging mehr um die Umwelt, den Kontext und Rahmen als um den Inhalt der erzählten Geschichte. Die Orientierungsrahmen, die Form und Art und Weise, in der die Botschaft vermittelt wurde, mussten interpretiert werden. Bei dieser Interpretation berücksichtigte ich nicht nur die semantische Seite des Textes, sondern auch seinen formalen Aspekt (vgl. Nohl 2006: 47). Der Bezug auf den Inhalt des Textes und auf die formale Konstruktion, die ihn trägt, ermöglichte mir ein tieferes Verständnis von dem, was gesagt wurde und daher eine entsprechende Interpretation. Sogenanntes »atheoretisches« und »konjunktives Wissen« (Mannheim 1964) kam insbesondere in den Erzählungen und Beschreibungen zum Tragen. Das atheoretische Wissen ermöglicht einen Zugang zu den Routinen und zur Handlungspraxis. Bourdieu (1993) bezeichnet diese Form des impliziten, vorreflexiven und im Alltag angewendeten Wissens als praktischen Sinn (le sens pratique). Die eingebürgerten Deutschen in der vorliegenden Studie haben ebenfalls in ihrem Alltagsleben bestimmte Erfahrungen gemacht und atheoretische Wissensbestände inkorporiert. Dieses Wissen ist stark mit ihren Erfahrungen verbunden und daher mit dem Milieu, in dem sie es akquiriert haben. Das atheoretische und konjunktive Wissen war für die Auswertung Ausdruck dafür, dass die Befragten, die in einem gemeinsamen Milieu leben, über viele gemeinsame Erfahrungen verfügen, da sie sich in vergleichbaren Situationen befunden haben oder noch befinden. Dieses Wissen entsteht also aus gemeinsamen, wiederholten Erfahrungen sowie Handlungspraktiken und verbindet Individuen (vgl. Nohl 2006: 11).
Komparative Analyse Bei der Interpretation wurde der Inhalt von Textpassagen aus den Interviews analysiert und konsequent verglichen. Die komparative Analyse vollzieht sich dabei nicht nur im Fallvergleich, sondern auch durch Vergleiche von Textpassagen innerhalb eines Interviews bzw. einer Erzählung. Ziel der komparativen Analyse war die Entschlüsselung des Orientierungsrahmens, der sich in dem Gesagten dokumentiert. Bei der vergleichenden Analyse habe ich nach Gemeinsamkeiten und auch nach Unterschieden gesucht (vgl. Nohl 2013: 46f.).
4 Untersuchungsanlage und Methoden
Die komparative Analyse von homologen oder heterologen Äußerungen (Nohl 2013) fanden auf zwei Ebenen statt. Zunächst fand der minimale Vergleich bei Äußerungen mit Ähnlichkeiten statt und dann folgte der maximale Vergleich bei Äußerungen mit unterschiedlichen Informationen (vgl. Nohl 2013: 46; Schütze 1983: 287). Die Homologien kamen in vielen Fällen aus den Interviews von Herrn Kwame und Herrn Kanambe. Die Aussagen von Frau Murube, die eine sehr andere Erfahrung als die beiden Männer gemacht hat, wurden oft für die maximale Kontrastierung einbezogen. Die Überprüfung von minimal verglichenen Äußerungen geschah hauptsächlich im Vergleich mit maximal unterschiedlichen Aussagen. Wurde in der maximalen Kontrastierung mit dem dritten Fall, d.h. dem Fall von Frau Murube, keine Entsprechung gefunden, musste nach weiteren heterologen Aussagen aus anderen Interviews gesucht werden. Ohne diese komparative Analyse wäre es nicht möglich gewesen, meine Interpretation zu überprüfen. Die Interpretation stützte sich also auf unterschiedliche Vergleichshorizonte. Wenn ich ein Thema aus nur einer Passage eines Falles interpretiert hätte, ohne Berücksichtigung anderer Äußerungen aus anderen Passagen oder Fällen, oder – anders gesagt – ohne Vergleich mit dem Inhalt aus anderen Textabschnitten und anderen Fällen, hätte ich die Interpretation anhand meines eigenen Wissens, meiner Erfahrungen und meines alltagstheoretischen Wissens oder früherer empirischer Befunde gemacht. Dabei wären eigene »Normalitätsvorstellungen« und »Selbstverständlichkeiten« (Nohl 2006: 54) ein Bezugspunkt gewesen. In diesem Fall wäre es auch nicht möglich gewesen, den kollektiven Charakter der Verlaufsprozesse der Migration zu erfassen. Dies war jedoch mithilfe der komparativen Analyse möglich, da auf diese Weise für die Analyse eines Falles auch die in anderen Fällen vorgefundenen Vergleichshorizonte in Betracht gezogen wurden.
Typenbildung und Generalisierung von Ergebnissen Das mehrstufige Auswahlverfahren und der systematische und kontinuierliche Fallvergleich ließen eine Typenbildung zu (vgl. Schittenhelm 2012: 416). Die komparative Analyse hat es ermöglicht, eine Abgrenzung von Orientierungsrahmen (vgl. Nohl 2013) aus unterschiedlichen Fällen zu rekonstruieren. Sie hat einen Zugang zur Generalisierung von Ergebnissen geschaffen. Die Generalisierung fand auf zwei Ebenen statt (vgl. Przyborski und WohlrabSahr 2010: 336). Zunächst wurde jede Aussage in jedem Fall mit anderen Aussagen aus demselben Fall konfrontiert. Dieses Verfahren nenne ich interne Konfrontation. Dann wurde die intern konfrontierte Aussage mit Aussagen aus anderen Fällen konfrontiert. Dies nenne ich externe Konfrontation. Die Typenbildung fand statt, wenn Daten bzw. konfrontierte Aussagen mit ähnlichen Merkmalen kombiniert oder gruppiert wurden. Dies bedeutet, dass jede Fallgruppe eine inhaltliche Regelmäßigkeit aus unterschiedlichen Fällen voraussetzte. Die konvergierenden Äu-
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
ßerungen aus verschiedenen Fällen zu einem bestimmten Thema führten also zur Bildung einer Fallgruppe5 . Genau an dieser Stelle wurde der kollektive Charakter der Erfahrungen bestätigt. Um eine Fallgruppe zu bilden und zu bestätigen, wurden mindestens drei Aussagen von unterschiedlichen Interviewpartnern bzw. Interviewpartnerinnen berücksichtigt. Aussagen wurden auf der einen Seite sinngenetisch bzw. nach dem Inhalt und auf der anderen Seite soziogenetisch bzw. mit Berücksichtigung von Kontexten oder Orientierungsrahmen analysiert (Nohl 2012: 158-171). Die Untersuchung nach Kontexten, Genesen und sozialen Zusammenhängen, in denen die Orientierungsrahmen und Orientierungsschemata entstanden sind, fand mit der soziogenetischen Typenbildung statt (vgl. Nohl 2013: 52). Um die soziogenetische Typenbildung vollständig zu rekonstruieren, musste ich unbedingt mehrere Fälle berücksichtigen. Hierzu erklärt Nohl (2013: 52f.) Folgendes: »Wenn man herausfinden möchte, in welchem sozialen Zusammenhang die Orientierungsrahmen stehen, darf die Interpretation nicht mehr beim Vergleich zweier Interviews in Bezug auf ein Thema stehen bleiben. Die Interpretation muss vielmehr weitere Interviews und Interviewpassagen einbeziehen, in denen andere Themen bearbeitet und vor allem weitere Orientierungsrahmen rekonstruierbar werden. Die Fruchtbarkeit des empirischen Vergleichs steigt mit dem Variationsgrad der angewandten Tertia Comparationis.« Die Analyse der Verlaufsprozesse der Migration und Inklusion, d.h. vom Status eines »Ausländers« bzw. einer »Ausländerin« zu dem eines Staatsbürgers bzw. einer Staatsbürgerin sowie der Realisierung der Staatsbürgerschaft bezieht sich auf folgende Ebenen: sozio-ökonomische Situation, gesellschaftspolitische Partizipation, Gleichbehandlung und soziale Zugehörigkeiten. Anhand dieser Dimensionen wurden typische Verlaufsprozesse und ihre sozialen Bedingungen analysiert. Um die Verlaufsprozesse mit Fokus auf die Einbürgerung deutlicher zu machen, werden auch die Erwartungen und Einschätzungen von interviewten Personen rund um die Einbürgerung und die deutsche Staatsbürgerschaft ermittelt und vorgestellt.
5
Die Gründe der Migration und ihre Auswirkungen bei der Eingliederung in Deutschland haben eine enscheidende Rolle bei der Bildung der Fallgruppen gespielt. Insgesamt wurden vier Hauptgründe identifiziert: Asyl, Studium, Familie (Heirat oder Familienzusammenführung) und Arbeit. Annex 2 der vorliegenden Arbeit liefert Informationen zu Gründen der Migration beim jeweiligen Fall.
5 Schwarze Deutsche: Selbsteinschätzungen zur Staatsbürgerschaft und Ungleichbehandlung
5.1
Resümee der Motive und Selbsteinschätzungen bezüglich der deutschen Staatsbürgerschaft
Im Folgenden gehe ich auf die Fragen ein, welche Motive hinter der Einbürgerung der Befragten stehen, wie die Eingebürgerten den Status der Staatsbürgerschaft wahrnehmen bzw. einschätzen und welche Erwartungen und Bedeutungszuschreibungen sie mit diesem Status verbinden.
5.1.1
Motive
Anhand der vorliegenden empirischen Befunde ist deutlich zu erkennen, dass die Motive für die Einbürgerung und auch die Intensität der Bemühungen um die deutsche Staatsbürgerschaft in den Fällen des Samplings stark divergieren. Die Analyse der Interviews hat zur Bildung von zwei zentralen Typen von Motiven geführt: Instrumentelle Gründe bzw. Motive einerseits und Identitätsmotive andererseits. Diese Unterscheidung mit einer Akzentuierung von instrumentellen Motiven ist auch schon von Thränhardt (2008: 27f.) in Bezug auf eingebürgerte Deutsche aus unterschiedlichen Migrantengruppen vorgenommen worden. Thränhardt (2008: 27) weist zu Recht darauf hin, dass diese Motive sehr unklar, sind. Diese Undeutlichkeit ist auch in den Fällen meines Samplings vorhanden.
Instrumentelle Motive Instrumentelle Motive beziehen sich auf die materiellen sowie immateriellen Vorteile, die die Befragten mit dem Status der Staatsbürgerschaft verbinden. Die Beurteilung, was vorteilhaft bzw. unvorteilhaft ist, ist subjektiv. Im folgenden Teil der Arbeit werden die Wahrnehmungen der interviewten Personen hinsichtlich ihres neuen Status wiedergegeben.
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
Sicherster Aufenthalt, sozial-räumliche Autonomie Mit einer sozial-räumlichen Autonomie können Menschen sich ohne große Schwierigkeiten von Ort zu Ort bewegen (Weiß 2017:133). Die Erleichterung beim Reisen, die Freizügigkeit, die sicherste Arbeitserlaubnis, die über den sichersten Aufenthaltsstatus, d.h. die deutsche Staatsbürgerschaft, zu erhalten ist, die Ersparnis von Zeit, die durch die Bürokratie – z.B. bei aufwändigen Kontakten mit den Ausländerbehörden – verloren geht, sind einige von den als wichtig erachteten Gründen, die die Befragten dazu gebracht haben, sich einbürgern zu lassen. Im Fall von Herrn Kwame ist beispielsweise zu bemerken, dass sein Aufenthalt in Deutschland schon vor der Einbürgerung gesichert war. Er hatte eine unbefristete Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Trotzdem musste er regelmäßig zu den Ausländerbehörden gehen, um zum Beispiel seine Arbeitserlaubnis in seinem ausländischen Pass mit einem Stempel bestätigen zu lassen. Auf diese Weise war er ständig zwischen den deutschen Behörden und den Behörden seines Heimatlandes unterwegs. Obwohl es keine Schwierigkeiten gab, seine Papiere zu erhalten, war dieses Verfahren zeitaufwändig. Außerdem konnte Herr Kwame, der privat und beruflich viel unterwegs war, mit dem ausländischen Pass nicht uneingeschränkt reisen. In einem Beispiel argumentiert er, warum es ungünstig war, mit einem afrikanischen Pass, und daher vorteilhaft, mit einem deutschen Pass unterwegs zu sein:1 (aber) wenn ich Auslandreise hatte, zum Beispiel nach Holland oder (1) nach Frankreich oder so, konnte ich einfach nicht so gehen, ne, auf Geschäftsreise oder so. Gut, für Holland ging einigermaßen, du konntest ein einjährige Visum – äh kriegen. Du kriegst dann ein ein Jahr Visum und dann kannst du diese Reise immer hin und her machen, aber da war alle irgendwie – wie gesagt jetzt mit Österreich, damals sogar ging noch, ich komme dazu (wenn) in R-stadt, aber später wenn ich selbstständig war, war noch schlimmer (1), ne. Also wie gesagt () wenn man in Urlaub fahren will dann, gut ok, oder an Flughafen (2) du bist mit deine Familie, ne, gehst in Urlaub, kommt ihr zurück und dann steht EU und Non-EU, ne. Dann muss ich allein hier gehen und meine Frau muss mit den Kindern hier gehen. Die deutsche Staatsbürgerschaft, die auch mit dem deutschen Pass verbunden ist, hat Herrn Kwame also die Freizügigkeit und die Erleichterung beim Reisen ermöglicht. Fallübergreifend bestätigen die Befragten den Vorteil der deutschen Staatsbürgerschaft beim Reisen und bei der Freizügigkeit. Einige von ihnen, wie Herr Kwame und Herr Kanambe, verraten, dass sie vor der Einbürgerung und ohne benötigtes Visum außerhalb der deutschen Grenzen gereist sind und dass das negati1
Siehe zu den Richtlinien der Transkription Annex 3 der vorliegenden Arbeit.
5 Schwarze Deutsche: Selbsteinschätzung und Ungleichbehandlung
ve Konsequenzen hatte. Sie wurden als »illegal Reisende« angesehen und bestraft oder zurückgewiesen. Im erweiterten Sinn ist davon auszugehen, dass der Besitz der Staatsbürgerschaft das Reisen erleichtert und dazu beigetragen hat, unnötige Delikte, wie die illegale Grenzüberschreitung, zu vermeiden. Pragmatismus Die Beantragung der Einbürgerung wurde in vielen Fällen gründlich abgewogen und auch die Entscheidung darüber pragmatisch getroffen. Diesbezüglich teilt Herr Kwame Folgendes mit: Ich habe das nicht früher beantragen. Nein, das (lag) nicht an die Behörden. Ich hab nur – wenn das wirklich, wenn ich als [Staatsbürger eines afrikanischen Staats] hier leben kann und Visum kriegen kann ohne Problem, hatte ich die Pass auch nich gemacht. Wenn ich wirklich mit meine [afrikanische] Pass auch hier leben kann und überall reisen kann (ohne Visum) – hatte ich das nicht, weil ich denke nicht, das mit der Einbürgerung, (3) es geht nur um Papiere. Deswegen. Aber ich hatte Zeit, ich hatte die unbefristete seit ewig – ich war nur hier, ich wollte nicht meine Land irgendwie (2), jaaa, das ist das. Hat auch nicht unbedingt mit Deutschland oder so zu tun, aber war einfach so, ja. Ich hab meine Land geliebt und hab geträumt, dass irgendwann da wieder zu gehen, ja. Die Einbürgerung ist also im Fall von Herrn Kwame keine leichte Entscheidung gewesen und sie erfolgte nicht zufällig. Dies führt zu der Annahme, dass der Antragsteller die mit der deutschen Staatsbürgerschaft erwarteten Vorteile als wichtiger erachtete als die Nachteile. Obwohl der Mittelpunkt seines materiellen Lebens nach Deutschland verlagert worden war, fühlte Herr Kwame sich mit seinem ehemaligen Heimatland so verbunden, dass er zunächst nicht auf seinen ursprünglichen Pass verzichten wollte. Aber da er auch nicht mehr mit Schwierigkeiten ins Ausland reisen wollte und da er im deutschen Pass die Lösung für dieses Problem sah, traf er die für ihn schmerzhafte Entscheidung. Dies erklärt auch, wie stark die Motive für die Einbürgerung waren. Hier wird deutlich, dass die Entscheidung für die deutsche Staatsbürgerschaft auf Basis einer Abwägung getroffen wurde. Sie ist als Resultat einer Gewichtung von Vor- und Nachteilen bei der Einbürgerung zu betrachten. Die Befragten, die sich auf diese Weise für die Einbürgerung entscheiden, finden ihren ehemaligen ausländischen Status viel weniger nützlich als die deutsche Staatsbürgerschaft. Der Pragmatismus, der die Entscheidung beeinflusst hat, beruht auf den mit dem ausländischen Status gemachten Erfahrungen. Diese Erfahrung mit Störungen und Hindernissen beim Reisen mit einem ausländischen Pass haben andere Befragte wie Herr Kanambe, Frau Zuma, Herr Bagbo und Frau Foé2 bestätigt. Die 2
Annex 2 der vorliegenden Arbeit liefert mehr Informationen zu den befragten Personen.
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Erleichterung beim Reisen steht jedoch nicht direkt im Hintergrund des Einbürgerungsprozesses von Frau Murube und den anderen, die nicht viel reisten, da sie bei ihrer Einbürgerung in einer schwierigen beruflichen und sozio-ökonomischen Situation waren. Ausschlaggebend waren in diesem Typus nicht die bisherigen Erfahrungen, sondern eher die Hoffnungen für die Zukunft. Sozio-ökonomische Sicherheit und Zukunftsperspektive Auch die sozio-ökonomische Sicherheit und die Zukunftsperspektiven stehen im Hintergrund der Einbürgerung der befragten Personen, aber nicht in gleichem Maße und auch nicht auf eine gleiche Weise. Für Herrn Kwame geht es eher um die Bewahrung der schon erreichten sozio-ökonomischen Sicherheit und um die weitere Etablierung in der Immigrationsgesellschaft. Entsprechend erklärt er, wie er zur Entscheidung für die Einbürgerung gekommen ist: ich lebe hier, habe ich hier ein Haus gekauft, hab ich hier drei Kinder. Was soll das? (2) Was soll diese komische (Zoll) (), aber ja diese Heimat gebunden is, is eine schwierige Sache, is nicht so einfach, ne. Ja wenn man (1) – is nich so (2) – ja manche Leute haben damit kein Problem, der kommt (und sein Ziel) ist schnell Papiere zu kriegen, aber war für mich nicht sooo – hat schon lang gedauert. Lange Prozedere und irgendwann hab ich gesagt: ja komm, ok, jetzt bürger ich mich ein. Dann habe ich das gemacht. In Deutschland hatte Herr Kwame seine sozio-ökonomische und berufliche Sicherheit erreicht und er wollte diese Errungenschaften mit der deutschen Staatsbürgerschaft untermauern. Durch die Einbürgerung war die Unsicherheit zu Ende, die durch die Spannung zwischen seinem nach Deutschland verlegten sozioökonomischen Leben, dem schließlich die Familiengründung gefolgt war, und seinen nach wie vor existierenden Emotionen für die noch geliebte Heimat entstanden war. Mit der Einbürgerung akzeptiert Herr Kwame die Tatsache, dass seine Zukunft nicht mehr in Afrika ist, sondern dort ist, wo er lebt, wo er eine eigene Familie gegründet hat, wo er ein Haus besitzt und wo er Geschäftsführer einer Firma ist. Durch die Einbürgerung untermauerte er nicht nur den in Deutschland erreichten sozio-ökonomischen Status, sondern auch seine soziale und familiäre Situation. Als jemand, dessen Lebensmittelpunkt nach Deutschland verlagert wurde, sollte er auch dortbleiben. Die Sicherung der Errungenschaften bedeutet also für Herrn Kwame auch die Konsolidierung der Zukunft. Deswegen findet er, dass die Idee, die Einbürgerung zu verweigern, nicht vernünftig wäre. Im Fall von Herrn Kanambe geht es auch auf der einen Seite um die Bewahrung der erreichten sozio-ökonomischen Situation und auf der anderen Seite um die Zukunftsperspektiven der ganzen Familie. Aber die Begründung von Herrn Kanambe unterscheidet sich von der von Herrn Kwame. Herr Kanambe zum Beispiel weist auf die Perspektivlosigkeit im Herkunftsland hin und argumentiert, dass sei-
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ne Familie in einer guten beruflichen Situation in Deutschland war und dass sie diese Situation nicht aufs Spiel setzen wollten. Er argumentiert, dass der BeamtenStatus seiner Frau verloren gegangen wäre, wenn sie Deutschland verlassen hätten. So argumentiert Herr Kanambe, dass er nicht in sein Herkunftsland zurückgehen konnte, weil er schon eine Familie in Deutschland gegründet hatte. Hier wird deutlich, dass das Bleiben in Deutschland damit zusammenhängt, dass der Mittelpunkt des Lebens nach Deutschland verlagert wurde. Herr Kanambe sowie Herr Kwame hatten ursprünglich den Wunsch, irgendwann in ihre Heimatländer zurückzukehren. Dieser Wunsch wurde nicht erfüllt, da sie mit der Zeit bemerkt haben, dass sie ihre Zukunft schon in Deutschland aufgebaut hatten. Bei anderen Befragten, insbesondere in der Fallgruppe von ehemaligen Asylsuchenden, beispielsweise im Fall von Frau Murube, ist die Bewahrung der sozioökonomischen Situation kein Motiv für die Einbürgerung. Die Idee der Sicherung der familiären und wirtschaftlichen Situation ist aber vorhanden. Diese Idee bezieht sich in ihrem Fall nicht auf die Vergangenheit oder auf die bisher erreichte gegenwärtige Situation, sondern auf die Zukunft. Für die alleinerziehende Mutter, die zum Zeitpunkt der Einbürgerung noch keinen Ausbildungsabschluss und keine vernünftige Arbeitsstelle hatte, war die sozio-ökonomische Situation noch nicht gesichert. Mit der Staatsbürgerschaft hoffte sie auf eine gute Zukunft für sich und ihre drei Kinder. Der Zusammenhalt der Familie Wie schon erwähnt, hat die Familie eine Rolle bei der Einbürgerung der Befragten gespielt. Wie das zur Wirkung kam, war aber unterschiedlich. Bei einem Teil der Fälle (z.B. Herr Kwame und Herr Kanambe) wollten die Befragten uneingeschränkt bei ihrer ansonsten deutschen Familie sein, zum Beispiel beim Reisen am Flughafen. In anderen Fällen (z.B. Frau Foé, Frau Murube, Herr Buyoya) fand die Einbürgerung zwecks guter Zukunft der Kinder statt. Für weitere Fälle (z.B. Herr Kodjo, Herr Gnassimbe, Frau Fatou) war die Einbürgerung wiederum der Weg zur Familienzusammenführung. Die Familie war also ein wichtiger Faktor bei der Entscheidung für die Einbürgerung der Befragten. Herr Kwame und Herr Kanambe sagen jeweils deutlich, dass die Familie in Deutschland einer der zentralen Gründe war, warum sie in Deutschland bleiben mussten. Wie im Fall von Herrn Kwame war die Entscheidung für die Einbürgerung auch für Herrn Kanambe nicht einfach. Es war schwer für ihn, sich entweder für das Herkunftsland oder für sein Aufnahmeland zu entscheiden. Die Situation wurde aber geklärt, als der Familienvater, der in Deutschland aufgrund seiner Familie und seines Berufs geblieben war, nicht nach Paris zu seinem verunglückten Sohn fahren durfte. Das berichtet er selbst:
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Deswegen diese ganze Problematik (2), ob du nach Prag fahren willst – du musste ein Visum haben hä. Das war immer (2) oder nach Belgien, nach Frankreich, ja. Und dann is immer – ja das war gerade bevor mein Sohn verunglückt war, ich dürfte nicht mit nach Paris, weil ich kein Visum hatte. [Mein Land] und äh – wie heißt das – Frankreich hatten ein Abkommen, keine Personen aus meinem Herkunftsland nach Frankreich. Dann bin ich hiergeblieben, meine Frau und Kinder sind (2) nach Paris gefahren. Da hab ich gesagt °is ja total scheiß° und als die zurückkamen (und) da war mein Sohn gerade verunglückt, als (er) dann aus der Reha und so weiter – ich glaub 87 war das – hab ich dann Antrag gestellt. Für Herrn Kanambe war es einfach nicht möglich, notwendigerweise ins Ausland zu fahren. Ihm wurde zu diesem Zeitpunkt klar, dass es schwierig war, mit seinem ausländischen Status immer mit seiner Familie zusammenzubleiben. So kam er auf die Idee, sich einbürgern zu lassen, um ab diesem Moment uneingeschränkt für seine Familie da sein zu können. Der Zusammenhalt der Familie ist auch im Fall von Frau Murube präsent, aber ganz anders. Für die alleinerziehende Mutter sind ihre Kinder alles. Deutschland hat ihr bei der Erziehung ihrer Kinder geholfen, da sie vom Staat Kindergeld und für eine Zeit eine vom Staat geförderte Betreuungsunterstützung erhalten hat. Deutschland bedeutet für Frau Murube soziale und materielle Sicherheit und das Überleben der Familie, die unter der Scheidung der Eltern gelitten hat. Deutschland bietet ihr ein Schutzgefühl. Es hilft ihr, die Schwierigkeiten zu überwinden und ihre Familie zusammenzuhalten. Auch in weiteren Fällen spielte der Zusammenhalt der Familie eine Rolle für die eigene Einbürgerung. Herr Kodjo beispielsweise lässt wissen, dass er sich einbürgern ließ, um seiner Frau, die Asylbewerberin war, zu helfen, eine stabile Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Auch Herr Buyoya sieht den Vorteil der Staatsbürgerschaft in der Sicherheit und Zukunft seiner Familie. Dies bezieht sich aber nicht auf seine Frau, wie im Fall des Herrn Kodjo, sondern, wie im Fall von Frau Murube, auf die Kinder, die schon in Deutschland leben. Herr Buyoya sieht keine besonderen Vorteile der deutschen Staatsbürgerschaft für sich persönlich, außer dass das Reisen einfacher geworden ist. Er schließt aber nicht aus, dass die deutsche Staatsbürgerschaft vorteilhaft für seine Kinder ist. Der geschiedene und alleinerziehende Vater freut sich darüber, dass seine Kinder diesen Status haben und er ist bezüglich ihrer Zukunft in Deutschland optimistisch. Die Zukunft der Kinder stand auch hinter dem Streben Frau Fatous nach der Einbürgerung. Frau Fatou hatte in Afrika vier Kinder zurückgelassen und wollte sie nach Deutschland holen. Ihr deutscher Mann war dabei aber nicht kooperativ. Frau Fatou sah die Einbürgerung als den einzigen Weg, der ihr die Familienzusammenführung in Deutschland ermöglichen könnte. Aus diesem Grund hat sie die Misshandlung durch ihren Mann ausgehalten und quasi akzeptiert, bis sie die deutsche
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Staatsbürgerschaft erhalten hat. Frau Fatou beschreibt ihr Leben mit ihrem Mann als einen Kampf, der zur Staatsbürgerschaft führen sollte. Sie war entschieden, diesen Kampf bis zum Ende zu führen, und war bereit, alles zu machen, um diesen Kampf zu gewinnen. Mit dem Sieg wollte sie nicht nur den Status als deutsche Staatsbürgerin bekommen, sondern auch und vor allem ihre Kinder endlich aus Afrika holen. Das ist ihr auch gelungen. Persönliche und familiäre Sicherheit Die Periode vor der Einbürgerung wurde von den Befragten insgesamt als unsicher oder unangenehm bewertet. Je nach dem zuvor bereits vorhandenen Status zeigte sich dies aber auf sehr unterschiedliche Art. Von der Fallgruppe Asyl denkt Frau Murube beispielsweise, dass sie staatenlos geworden wäre, wenn ihre Einbürgerung abgelehnt worden wäre. Die Idee der Staatenlosigkeit war mit Ängsten und Unsicherheiten verbunden. Die Einbürgerung war für Frau Murube die Gelegenheit, diese unsichere Situation definitiv zu beenden. Wie andere Befragte, die Erfahrung mit dem Asylverfahren gemacht haben, wollte Frau Murube sicher sein, dass sie dortbleiben durfte, wo sie lebte, und dass sie endlich einem Staat angehörte, der sie schützte. Das war nicht der Fall bei denjenigen, die nicht als Flüchtlinge migriert sind, wie Herren Kwame und Kanambe, und die bis zu ihrer Einbürgerung die Pässe ihrer Herkunftsländer besaßen. Diese ausländischen Pässe waren mit persönlichen Unsicherheiten verbunden. Vor der Einbürgerung konnten die Befragten nicht sicher sein, ob sie ihre Tätigkeiten ungestört würden ausüben können. Wie Herr Kwame mitteilte, verursachte die unangenehme Situation des »Papierkrams« die Unruhe. Die Befragten wünschten sich fallübergreifend die sicherste Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Solange die deutsche Staatsbürgerschaft, die als der sicherste Aufenthaltsstatus in Deutschland gilt, noch nicht erreicht war, konnten die Migrantinnen bzw. Migranten nicht völlig sicher sein, dass sie in Deutschland oder in Europa uneingeschränkt leben und arbeiten durften. An dieser Stelle ist es interessant, dass sie sich nicht auf den Aufenthaltsstatus und die Arbeitserlaubnis fokussierten, sondern auf die Atmosphäre der Unsicherheit, in der die Betroffenen lebten, als sie noch nicht eingebürgert worden waren. Die Unsicherheit taucht wieder auf, wenn es um den Aspekt »Zusammenhalt der Familie« geht. Für den Familienvater Kwame beispielsweise war es »Blödsinn«, beim Reisen, beispielsweise bei der Kontrolle an Flughäfen, von seiner Familie getrennt werden zu müssen. Es ist wichtig, an dieser Stelle festzustellen, dass es hier nicht mehr um das Reisen geht, sondern um Emotionen, die durch die Familientrennung entstanden sind. Die unangenehme Situation erklärt sich hier nicht durch die unterschiedliche Behandlung bei der Kontrolle der Familienmitglieder aufgrund unterschiedlicher Papiere, sondern eher durch die »Zwangstrennung«
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von den Mitreisenden. Diese unangenehme Lage konnte nur durch die Einbürgerung beendet werden. Die Suche nach emotionaler Sicherheit in Bezug auf die Familie durch die Einbürgerung ist auch bei Herrn Kanambe spürbar. Dass Herr Kanambe nicht nach Frankreich zu seinem verunglückten Sohn fahren durfte, weil er kein Visum hatte, hat ihn emotional sehr getroffen und dazu geführt, dass er endlich seine Meinung in Bezug auf die Einbürgerung geändert hat. Wie er selbst sagt, hatte Herr Kanambe den Traum, irgendwann in sein Heimatland zurückzugehen. Deswegen wollte er seine ehemalige Staatsbürgerschaft nicht verlieren. Die mit dem Unfall seines Sohnes verbundenen Emotionen haben ihn aber bewegt und ihn zu der Entscheidung geführt, sich einbürgern zu lassen und für immer bei seiner Familie zu sein, wie er selbst sagt: Das sind die zwei Sachen. Die eine Sache habe ich selber (3) an meine Körper gespürt. Ich durfte nicht ohne Visum, obwohl ich hier schon 20 Jahren, 25 Jahren hab ich der Botschaft – also in Hamburg erklärt dem Konsul. Meine Frau ist fast verrückt geworden. Ja mein Mann wohnt schon 25 Jahre hier (und dann). Der Konsul fragt: sind sie [afrikanischer Staatsbürger]? Ja, es tut mir leid Madame, wenn Ihr Mann eine [afrikanischen] Pass hat, darf er nicht nach Paris. Zack. Sonst können Sie sich in Hotel () also sich beschweren. (3) Ja bis dahin war der Termin schon fast vorbei. Sind die alleine gefahren. Diese Schwierigkeiten, die hab ich äh mit der deutsche Pass eigentlich erledigen wollen. Und dadurch dass ich für mein Sohn hier (2) bleiben wollte – es hat (nur) bekräftigt dass man hier bleibt. Zur Zeit des Unglücks seines Sohnes hatte der Vater eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis und daher durfte er eigentlich ungestört in Deutschland bleiben. Aber um sicher zu sein und auch zu signalisieren, dass er für seinen Sohn immer da sein wird, hat er sich einbürgern lassen. Der Traum, irgendwann nach Afrika zurückzukehren, wurde damit beendet. Ein anderer wichtiger Aspekt der Sicherheit lässt sich bei Heiratsmigration beobachten. Die Betroffenen hatten Angst, ihre Aufenthaltserlaubnis im Fall einer Scheidung zu verlieren. Frau Fatou beispielsweise wollte sich so schnell wie möglich einbürgern lassen, um ihren Aufenthalt in Deutschland zu sichern. Es kann also angenommen werden, dass die Migrationsheirat und die Familienzusammenführung zu einer schnelleren Entscheidung für die Einbürgerung führen. Rechte und Privilegien der Staatsbürger bzw. Staatsbürgerinnen Die Rechte und Privilegien der Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger kommen auch bei den befragten Personen als Motive vor, die sie zur Einbürgerung gebracht haben. Die deutsche Staatsbürgerschaft wurde in vielerlei Hinsicht ohne eine besondere emotionale Zugehörigkeit erhalten. Sie war ein Mittel zum Zweck und deswegen nennt Herr Kwame sie nur ein »Stück Papier«. Mit dieser Metapher lässt er
5 Schwarze Deutsche: Selbsteinschätzung und Ungleichbehandlung
verstehen, dass die Einbürgerung eher materiell begründet ist. Dieses Stück Papier ist mit Rechten und Pflichten verbunden. Diese sind u.a. das passive und aktive Wahlrecht, das Recht auf einen deutschen Ausweis und einen deutschen Pass, der mit einer Erleichterung beim Reisen verbunden ist. Rechte und Privilegien als Staatsbürger konnten in den Fällen von Herrn Nkurumah und Herrn Dos Santos sogar als Hauptmotive angesehen werden. Diese beiden Befragten teilen mit, dass sie die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt haben, damit sie besser oder mehr am Leben der Gesellschaft partizipieren können. Dazu sagt Herr Nkurumah: B (Befragte/r): Da ich ich festgestellt in die Grünen, man kann nicht mitmachen, ohne dass man eh (3) eine:::::: deutsche Bürgerschaft hat. #00:34:51-2# I (Interviewer): //mmh//#00:34:51-2# B: So habe ich mir (4) seit meine Gedanken in [Herkunftsland], meine meine Theorie, dass (3) wenn man etwas ändert in Gesellschaft will (3), muss hingehen auch durch Partei::::in die Politik, in Grünen in wo::: Entscheidungen getroffen sind. Herr Nkurumah hat sich einbürgern lassen mit dem Ziel, sich in die deutsche Politik einzumischen. Die Mitwirkung in der deutschen Politik ist ohne die deutsche Staatsbürgerschaft sicherlich eingeschränkt und schwierig. Ohne Staatsbürgerschaft ist die Ausübung eines politischen Mandats zum Beispiel nicht möglich. Nach seiner Einbürgerung ist Herr Nkurumah einer politischen Partei beigetreten und hat ein Mandat im Stadtrat übernommen. Herr Dos Santos sagt auch deutlich, dass er dafür gesorgt habe, die Doppelstaatsbürgerschaft zu erhalten, um einen Einfluss auf beide Gesellschaften (Herkunfts- und Aufnahmegesellschaft) ausüben zu können. Aus dem Interview mit ihm geht aber nicht hervor, wie er diesen Einfluss realisieren konnte. Die deutsche Staatsbürgerschaft war für beide Migranten ein Weg, um gesellschaftspolitisch mitzuwirken. Die politischen Rechte von Staatsbürgern und Staatsbürgerinnen werden aber unterschiedlich wahrgenommen und beansprucht. Während einige Befragte (z.B. Frau Fatou und Herr Kodjo) politisch gar nicht aktiv sind und nie wählen gehen, sind andere Mitglieder von politischen Parteien (wie die Herren Kanambe, Dos Santos, Bagbo, Nkurumah). Es ist festzustellen, dass die Mitwirkung in politischen Parteien erst nach der Einbürgerung stattfand. Herr Kanambe wie auch Herr Nkurumah verbinden ihren Beitritt zu einer politischen Partei mit ihrer Einbürgerung. Vorher waren sie gesellschaftspolitisch aktiv, aber noch nicht in der Parteipolitik. Es ist wichtig zu bemerken, dass die Einbürgerung nicht hinter dem gesellschaftspolitischen Engagement steht, da dieses schon vor der Einbürgerung begonnen hat. Die Einbürgerung ermöglichte nur die Fortsetzung und bot dafür weitere Möglichkeiten. Hieraus kann geschlussfolgert werden, dass die politische Partizipation der beiden Herren hinter ihrer Einbürgerung steht – und nicht umgekehrt.
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Identitäts- und emotionsbezogene Motive Bei den identitätsbezogenen Motiven wird der Schwerpunkt der Analyse der Beweggründe der Einbürgerung nicht mehr auf »Vorteile« gelegt, sondern u.a. auf eine wahrgenommene soziale Zugehörigkeit sowie auf Emotionen und das Selbstbild der Befragten gegenüber der deutschen Gesellschaft.3 Beziehungen zu den Herkunftsländern und zu Deutschland Bei der Analyse der Interviews wurde festgestellt, dass die Erfahrungen der Befragten in oder mit den Herkunftsländern einen Einfluss auf ihre Entscheidung für die Einbürgerung gehabt haben. Die Entscheidung für die deutsche Staatsbürgerschaft fiel sehr viel leichter bei schlechten Erfahrungen als bei guten Beziehungen in Bezug auf die verlassene Heimat. Frau Murube, die ihr Heimatland als Flüchtling verlassen musste, wollte so schnell wie möglich eingebürgert werden. Darüber erzählt sie beispielsweise: Ähm Motivation ähm es war – diese Motivation hatte ich auch als ich [mein Herkunftsland] verlassen habe – wirklich als ich [mein Herkunftsland] verlassen habe hatte ich [Herkunftsland] gehasst und [Menschen aus dem Herkunftsland] gehasst. (1) Durch meine Gebete auch habe ich immer Gott gesagt, hilf mir, dass ich nie mit zu tun haben werde und dass ich irgendwo hinkomme, wo keine [Menschen aus dem Herkunftsland] sind. [Menschen aus dem Herkunftsland] sind sagt man. Ähm (1) und ich hatte gesagt, wo ich hingehe und wenn ich diese Möglichkeit habe, werde ich mich einbürgern lassen. Das ändert sich nach der Zeit, weil man sieht ok ich bin auch kein Deutscher oder so, aber (2) ich habe mir gewünscht wirklich äh keine [Staatsbürgerin meines Herkunftslands] mehr zu sein, weil das, was bei uns passiert is, ich fand es unmöglich. Frau Murube hatte keinen Wunsch, in ihr Heimatland zurückzugehen. Im Gegensatz zum Traum von Herrn Kwame und Herrn Kanambe war es der Plan von Frau Murube, sich so schnell wie möglich in einem ausländischen Staat einbürgern zu lassen. Der Traum von Frau Murube hängt mit der in der Heimat erlebten schlechten Situation zusammen. Sie teilt mit, dass ihr ihr eigenes Heimatland fremd geworden war. Darüber sagt sie: Dass ich auch ähm (1) weil ich – in [Herkunftsland], ich habe keinen Bezug mehr so zu [Herkunftsland] (1) also ich, sonst wäre ich (hier) irgendwie ohne Land, ohne ohne (2), ich bin ja in [Herkunftsland] geboren, aber (2) ich (1) auch nach dem Krieg, wo ich in [Herkunftsland] war, is es so, dass die Leute (1), man hat nichts mehr gesehen, was man kannte. Also ganze Familie war weg, Freunde war weg,
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Es ist wichtig, hier auf die unterschiedlichen Perioden bzw. Zeiten zu achten, da der Wandlungsprozess nicht linear verläuft.
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die nich gestorben war, war gef – raus also aus dem Land, also (1) man hat nur neue Gesichter gesehen, Leute die andere Sprache gesprochen haben, es wurde nur Englisch gesprochen, Kiswahili gesprochen, Kirundi gesprochen. Es – man is irgendwohin gegangen, hat nach nach Ausweis gesucht. Ich erinnere mich, ich habe einmal nach Ausweis gesucht und dann jemand hat mir gesagt, warum kenne ich dich nicht? Obwohl dass er aus andere Land gekommen is. Und dann wollte ich ihm sagen, warum kenne ich dich nich? Wer kennt denn jemand nicht? Und in [Herkunftsland] is alles neu, es is andere Land. Frau Murube erzählt, dass sie zu ihrem eigenen Staat quasi nicht mehr gehörte, obwohl sie dort geboren und aufgewachsen war. Deswegen wollte sie keine Staatsbürgerin des Herkunftslandes mehr sein. Sie hat schon die Verbindung zu ihrem Land verloren, als sie es verlassen hat. Sie wollte mit ihm nichts mehr zu tun haben. Sie hat es sogar gehasst. Der »Hass« hat auch dazu geführt, dass Frau Murube keinen Kontakt zu dem verlassenen Land gepflegt hat. Sie wollte ein neues Leben in einer neuen Welt beginnen. Da Frau Murube erzählt, dass sie die Idee der Einbürgerung durch einen ausländischen Staat schon hatte, als sie ihr Herkunftsland verlassen hat, ist die Einbürgerung in Deutschland als die Verwirklichung ihrer Wunschvorstellung anzusehen. Die Art der Verbindung zu den Herkunftsländern hat in den aufgezeigten Fällen also die Einbürgerung der Befragten in Deutschland stark beeinflusst. Der Fall von Frau Murube steht hier auch für andere Fälle von Befragten, die schlechte Erfahrungen mit den Herkunftsländern hatten, die zum Beispiel als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind. Die Situation ist bei denjenigen anders, die kein Problem mit ihren Herkunftsländern hatten. Zu dieser letzten Fallgruppe zählen diejenigen, die überwiegend als Studierende nach Deutschland gekommen sind, wie Herr Kwame und Herr Kanambe oder Frau Foé. In dieser Kategorie zeichnet sich deutlich eine Resistenz oder Verzögerung bei der Entscheidung für die Einbürgerung ab. Obwohl der Mittelpunkt ihres materiellen Lebens nach Deutschland verlagert wurde und sie dort familiär und beruflich glücklich waren, fühlten sich die befragten Afrikanerinnen bzw. Afrikaner aus dieser Fallgruppe mit ihrer ehemaligen Heimat stark verbunden. Sie wollten diese Verbindung nicht kappen. Hier wird deutlich, dass die Entscheidung für die deutsche Staatsbürgerschaft emotional nicht unbelastet getroffen wurde. Die Einbürgerung geschah bei einigen Befragten mit gemischten Gefühlen. Diejenigen, die gute Beziehungen zu ihren Herkunftsländern haben, bedauern generell, dass sie keine Gelegenheit haben, die Doppelstaatsbürgerschaft zu erhalten und damit auch ihre ehemaligen Staatsbürgerschaften beizubehalten. Während die Liebe und das Gefühl für die ehemalige Heimat die Einbürgerung in einigen Fällen verzögert haben, wurde die Entscheidung in anderen Fällen von der Tatsache forciert, dass die Befragten irgendwann keine Verbindung zu ihrer
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Herkunft mehr hatten. Herr Kanambe erzählt beispielsweise, dass er ab einer bestimmten Zeit keine Beziehung mehr zu seinem Herkunftsland hatte, und dass er sich dann einbürgern ließ. Er beschreibt diese Lage durch die Metapher »aus dem Himmel fallen«. Er wäre vom Himmel auf die Welt gefallen, wenn er in das Herkunftsland zurückgekehrt wäre. Die Einbürgerung von Herrn Kanambe hängt also nicht allein mit der Familie zusammen, sondern auch damit, dass er die Verbindung mit dem Herkunftsland verloren hat und dass er im Gegensatz dazu diese Verbindung in Deutschland aufgebaut hat. Diese starke Verbindung mit Deutschland geht damit einher, dass er bei der Einbürgerung nicht viel tun musste, da er die Einbürgerungsbedingungen seit langem erfüllt hatte. Herr Kanambe ist der Meinung, dass er sich vor der Einbürgerung in der Gesellschaft so benommen hat, dass er keine Belastung für die Gesellschaft war und dass es daher keine Hindernisse für seine Einbürgerung gab. Dies konnte durch ein Führungszeugnis, das er vorlegen musste, bescheinigt werden. Die Verbindung bzw. Nicht-Verbindung zeichnet sich also sowohl in Bezug auf die Identität und Zugehörigkeit als auch in Bezug auf die berufliche und wirtschaftliche Situation ab. Auf der einen Seite wurde die Entscheidung für die deutsche Staatsbürgerschaft von materiellen, sozialen, beruflichen und familiären Verbindungen zu Deutschland beeinflusst. Auf der anderen Seite bezieht sich die Verbindung eher auf die Akzeptanz oder Ablehnung gegenüber den Herkunftsländern. Umstände der Migration Von Einfluss sind bereits die Umstände der damaligen Migration. Wie schon gesehen, gibt es einen Unterschied bei den Einbürgerungsmotiven zwischen denjenigen, die dazu gezwungen waren, nach Deutschland zu kommen, und denjenigen, die freiwillig dorthin migriert sind. Der Zweck der Migration hat die Entscheidung dadurch beeinflusst, dass er auch eine wichtige Rolle für die Situation der Befragten und die Schaffung von Zukunftsperspektiven in Deutschland gespielt hat. Befragte, die als Studierende nach Deutschland gekommen sind und dort einen Abschluss erlangt haben, haben bessere Chancen, dort beruflich erfolgreich zu sein, als Flüchtlinge, die entweder ohne Bildungsniveau nach Deutschland migriert sind oder deren Bildungsabschlüsse aus ihren Heimatländern nicht anerkannt wurden oder, wenn sie formal anerkannt wurden, nicht auf dem gleichen Niveau wie die deutschen Abschlüsse eingeordnet wurden. Die Situation der letztgenannten Menschen auf dem Arbeitsmarkt ist oft prekär. Bei einer guten sozio-ökonomischen Situation in Deutschland hat man eine sichere Aufenthaltserlaubnis und es gibt oft keinen Druck mehr hinsichtlich der Einbürgerung. Es ist interessant, auch die Fallgruppe der Migrantinnen, die im Zuge einer Heirat oder einer Familienzusammenführung nach Deutschland kamen, zu berücksichtigen. Ihre Eingliederung in die Gesellschaft ist auch relativ schnell ver-
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laufen. Dank der vielen Kontakte, die sie in der deutschen Gesellschaft haben und die ihnen das Leben in vielen Bereichen erleichtern, erfüllen sie schnell die Bedingungen für die Einbürgerung. Diese Situation und die Tatsache, dass sie schon vor dem Heiraten – also schon in ihren Herkunftsländern – die Entscheidung getroffen hatten, ihre Heimat für immer zu verlassen, beseitigen das Dilemma in Bezug auf die Entscheidung für die Einbürgerung. Wie ehemalige Flüchtlinge wollten sie sich auch schnell einbürgern lassen. Durch das Heiraten oder die Familienzusammenführung hatten sie schon eine starke und langfristige Bindung zur deutschen Gesellschaft geschaffen. Bei ihnen stellte sich die Frage, ob sie in Deutschland bleiben werden, nicht.
5.1.2
Wahrnehmungen der deutschen Staatsbürgerschaft
Neben den Motiven für die Einbürgerung gibt es Wahrnehmungen in Bezug auf die deutsche Staatsbürgerschaft, die auch eine Rolle bei der Entscheidungsfindung für die Einbürgerung gespielt haben. Bei der Analyse dieser Wahrnehmungen berücksichtigt man nicht nur die Einschätzungen der Befragten über den Status, sondern auch den Kontext, in dem die Einbürgerung stattfand. Dieser Kontext bezieht sich auf die Emotionen der Befragten, auf ihr Selbstbild gegenüber der deutschen Gesellschaft.
Pluralistische und vielfältige Entwicklung der Gesellschaft Die Entwicklung der deutschen Gesellschaft wird generell als positiv beurteilt. Den interviewten Personen ist fallübergreifend bewusst, dass die deutsche Gesellschaft in der Vergangenheit viel weniger offen für nicht-deutsche Menschen war. Der Schatten der Geschichte ist also präsent und beeinflusst die Wahrnehmungen der Befragten. Diesbezüglich meint Herr Kanambe Folgendes: Ähm man is zwar Deutscher laut (1) Pass, aber man fühlt sich nicht als Deutscher. (3) Ähm auch ein Freund von, von mir – also Freunde von uns (2) äh (2) sagte ich ja (lachend), (wie) Deutsche () ah du bis ja gar nich so ein richtige Deutsche. Ja? (lachend) Verstehst du? Du bist aber nicht ri – richtige Deutsche. Ja weil du bist zwar – du bis eine (2) Fremdkörper. (Zwar) du hast den Status Deutsche zu sein, aber du bis (3) äh kein Deutsche in herkömmlichen Sinn. Das is ähm (2) im Gesetz, ich glaube in Frankreich oder in Deutschland – weiß ich nicht genau, (wird unterschieden). (2) ob du Blutdeutsche bist oder nich Blutdeutsche. (2) Heutzutage is sehr schwer zu definieren (1) wer is Blutdeutsche. Das muss damals als Hitler (1) diese sogenannte (1) Ahnenforschung gemacht (2) äh um zu sehen wer (2) seit wann man hier is. (1) 100 Jahren, 200 Jahren, ob man Juden war oder nicht (2). (Arbre généalogique), ah, um zu beweisen, dass man (1) Blutdeutsche ist.
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
Herr Kanambe verweist auf die deutsche Geschichte und behauptet, dass er ein »Fremdkörper« in der deutschen Gesellschaft sei, weil er kein »Blutdeutscher« sei. Davon ausgehend kann entnommen werden, dass Herr Kanambe bei seiner Interpretation der Gegenwart von der Vergangenheit beeinflusst wird. Mit der Metapher »Blutdeutscher« erinnert er an den Nationalsozialismus, unter dem Rassentrennung betrieben wurde. Er weist aber darauf hin, dass es mittlerweile schwierig geworden ist, die Nicht-Blutdeutschen von »Blutdeutschen« zu unterscheiden. Er erkennt an, dass die deutsche Gesellschaft in einem Veränderungsprozess begriffen ist. Ganz deutlich unterscheidet Herr Kanambe sich, als eingebürgerter Staatsbürger, von anderen sonstigen Deutschen. Dieser Unterschied ist auch bei anderen Befragten (z.B. Herr Gnassimbe, Herr Kodjo, Frau Foé) zu bemerken. Sie sind der Meinung, dass ihre Hautfarbe ihr »Ausweis« sei. Frau Foé gibt aber zu verstehen, dass sie mit diesem besonderen Ausweis auch zu Deutschland gehört. Fallübergreifend sehen die Befragten sich als Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger Deutschlands mit Rechten und Pflichten, aber sie sehen sich nicht als Deutsche. Sie glauben an die Vielfalt der Gesellschaft und deswegen haben sie sich getraut, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen. Indem sie annehmen, dass sie für diesen Status legitimiert sind, glauben sie, dass sich die deutsche Gesellschaft verändert. Sie glauben aber nicht nur an die Vielfalt, sondern auch an unterschiedliche Schichten der Zugehörigkeit. Der Unterschied zwischen »Deutsch-Sein« und »Deutscher-StaatsbürgerSein« sollte hier noch einmal betont werden. Die eingebürgerten Deutschen afrikanischer Herkunft sind diesem Verständnis nach keine Deutschen im Sinne der Abstammung. Sie zählen zu den sogenannten deutschen Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürgern mit Migrationshintergrund oder zu den »neuen Deutschen« oder »anderen Deutschen« (vgl. Mecheril und Teo 1994). Einige Befragte, wie Herr Kwame und Herr Kanambe, ordnen sich selbst dieser Gruppe zu, während andere, wie Frau Murube, behaupten, dass sie ihr zugeordnet werden. Frau Murube findet es nicht wichtig, dass sie nicht in Deutschland geboren wurde. Wichtiger für sie ist, dass sie dort eine Familie und Kinder hat, dass sie dort einen Bildungsabschluss erworben und Arbeitserfahrung gesammelt hat. Sie beschwert sich aber darüber, dass die deutsche Gesellschaft sehr darauf achte, dass sie nicht in Deutschland geboren wurde. Die Wahrnehmung von Frau Murube, die von anderen Befragten mitgetragen wird, kann zu der Interpretation führen, dass das »Deutsch-Sein« mit der Herkunft verbunden wird und dass das »Deutscher-Staatsbürger-Sein« weitergefasst ist und außerdem derzeit mit mehr Bedeutung aufgeladen wird. Sofern Befragte diese Wahrnehmung mitteilen, gehen sie davon aus, dass die deutsche Gesellschaft heterogener und liberaler wird.
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Deutsch-Sein versus Deutscher-Staatsbürger-Sein: Emotionale und soziale Zugehörigkeiten Die interviewten Personen erleben fallübergreifend ein Spannungsgefühl zwischen ihren Herkunftsländern und ihrer neuen Heimat. Die Einbürgerung ist in einigen Fällen des vorliegenden Samplings mit Emotionen verbunden. Diese Emotionen beziehen sich jedoch eher auf die ehemalige Heimat. So gab es Befragte, die sehr ungerne auf ihre ehemalige Staatsbürgerschaft verzichtet haben. Die gefühlsmäßige Seite der Einbürgerung bezieht sich weiterhin auch auf die Familie der betreffenden Befragten. Der Erwerb der Staatsbürgerschaft bedeutet nicht nur viel für die Eingebürgerten, sondern auch für ihre Familien. Die Wahrnehmung sozialer Zugehörigkeit spielt eine uneinheitliche Rolle bei den Entscheidungen für die neue Staatsbürgerschaft. Einige Befragte empfinden zwar ein Zugehörigkeitsgefühl in Bezug auf die deutsche Gesellschaft, aber dieses Gefühl ist nicht unbedingt mit der deutschen Staatsbürgerschaft verbunden, sondern mit der Tatsache, dass sie in dieser Gesellschaft leben. Weiterhin teilen Befragte mit, dass sie nicht als zur deutschen Gesellschaft zugehörig wahrgenommen werden. Frau Murube beispielsweise sieht sich mit Deutschland verbunden, auch wenn ihr bewusst ist, dass sie nicht als Deutsche akzeptiert wird. Die Einbürgerung hat es ihr nicht ermöglicht, als Deutsche betrachtet zu werden. Sie werde immer als Schwarze bzw. Afrikanerin angesehen, so sagt sie. Für einige Befragte, wie Herrn Kanambe und Herrn Kwame, ist es nicht so relevant, ob sie als Deutsche akzeptiert werden oder nicht. Dies ist nicht der Fall für Frau Murube, die Deutschland als einen »Teil« ihres Lebens sieht. Sie sieht sich selbst als deutsche Staatsbürgerin, die nicht nur die materiellen Vorteile der deutschen Staatsbürgerschaft nutzen möchte, sondern die auch völlig zu Deutschland gehören will. Sie sagt selbst, dass sie keinen Bezug mehr zu ihrem ehemaligen Land habe. Daher braucht sie eine neue Zugehörigkeit. Die Suche nach der Zugehörigkeit in Bezug auf das Land, das ihr eine Chance gegeben hat, nochmal eine Staatsbürgerin zu sein, ist spürbar. Die Bedeutung der Staatsbürgerschaft bezieht sich aber nicht allein auf sie selbst, sondern auch auf ihre Kinder bzw. Familie. Ihre Argumentation beruht auf ihrer Einschätzung der sozialen Zugehörigkeit ihrer Kinder. Sie bekräftigt diese Aussage mit der Begründung, dass die Zukunft ihrer Kinder in Deutschland liege und dass sie daher auch dortbleiben müsse. Ihre Familie und die Erziehung ihrer Kinder und ihre Zukunft sind wichtig und generieren eine besondere Zugehörigkeitsorientierung in Bezug auf Deutschland. Dazu sagt Frau Murube: Also mir ist es wichtig, dass ich äh eingebürgert bin, so wie ich hier lebe und meine Kinder, eine is hier geboren und die werden hier aufwachsen auch. Ähm, ich würde sagen Deutschland is ein Stück, macht auch ein Stück meines Lebens oder für meine Kinder und ähm (1) obwohl dass is egal dass ich hier nich geboren bin,
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aber ich habe mein – viel Erfahrung hier gesammelt im Leben. Ich hab meinen Abschluss hier gemacht, ich arbeite hier, ich habe meine Kinder großgezogen hier und ich weiß die werden auch hier aufwachsen. Frau Murube ist von ihrem Mann getrennt und erzieht die Kinder allein. Ihre beiden Kinder waren klein, als sie nach Deutschland kam, ein weiteres wurde dort geboren. Diese Kinder haben keinen konkreten Kontakt zum Land ihrer Eltern und sie sprechen auch nicht die Muttersprache ihrer Mutter. Frau Murube sagt, dass sie selbst auch keinen Bezug mehr zu ihrem ehemaligen Land habe. Sie sieht ihre Zukunft und die Zukunft ihrer Kinder in Deutschland, das einzige Land, zu dem sie einen Bezug haben. Frau Murube betrachtet Deutschland als die Heimat ihrer Kinder. Dies könnte der Grund dafür sein, dass sie sich keine Mühe gegeben hat, ihren Kindern ihre Muttersprache beizubringen. An dieser Stelle ist es wichtig, daran zu erinnern, dass Frau Murube ihr Herkunftsland nicht mehr als ihre Heimat ansah, als sie es verließ. Einer der Gründe dafür war, dass ihre Familie und ihre Bekannten und Freunde nicht mehr da waren. Deutschland wird als das Land angesehen, das es ihr ermöglicht hat, wieder eine Familie und neue Freunde zu haben. Sie meint jedoch, sie werde in Deutschland nicht als zugehörig wahrgenommen. Die Analyse der Erzählungen führt zu der Interpretation, dass die Befragten fallübergreifend »Deutsch-Sein« vom »Deutscher-Staatsbürger-Sein« unterscheiden. Sie denken nicht, dass sie mit der Einbürgerung deutsch geworden sind, sondern dass sie als deutsche Bürgerinnen bzw. Bürger handeln können. Dies bedeutet wiederum, dass sie die Staatsbürgerschaft erwerben können, ohne Deutsche im herkömmlichen Sinne zu werden. Herr Kwame beispielsweise erzählt Folgendes in Bezug auf seine Einbürgerung: … Is einfach eine Notwendigkeit und dann wird gemacht, was (2), wird beantragt und dann (2) is abgehakt. (2) Ich weiß wirklich nicht wann ich das – gut ich vergesse auch heutzutage sehr viel – aber ich weiß wirklich nicht, wann ich das beantragt. (2) Gut, seitdem bin ich dann (2) – eigentlich seitdem kann ich auch reden – also kann ich als Deutscher dann reden, seitdem kannst du mich interviewen, vorher war ich kein Deutsch (lachend). Aber gut ok, das ist jetzt nur ein Witz. Die Einbürgerung hat es ihm ermöglicht, als Deutscher zu reden und zu handeln, ohne Deutscher zu werden. Er lacht darüber und er findet es witzig, dass er deutsch sein kann. Seine Äußerung über sein »Deutsch-Sein« setzt er nicht fort, sondern er zieht sie zurück. Er wollte sagen, dass er »deutsch« ist, aber er hat den Satz nicht zu Ende gebracht. Dies ist so zu interpretieren, dass er an seinem »DeutschSein« zweifelt. Seine Wahrnehmungen lassen ihn daran zweifeln. Er hat aber keinen Zweifel an seinem deutschen Pass. Statt zu sagen »seitdem bin ich Deutscher«, präferiert Herr Kwame zu sagen: »Seitdem kann ich auch als Deutscher reden.« Dies ist so zu interpretieren, dass er vor der Einbürgerung zwar reden oder han-
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deln konnte, aber nicht als Deutscher. Die Situation hat sich mit dem Status der deutschen Staatsbürgerschaft geändert. Bei Herrn Kwame lässt sich eine Haltung aufzeigen, die sich auch bei anderen Befragten beobachten lässt (z.B. Herr Kanambe, Herr Kodjo, Frau Foé). Sie verbinden Deutsch-Sein mit der ursprünglichen Herkunft eines Menschen. Weiterhin kombinieren sie Deutscher-Staatsbürger-Sein mit dem deutschen Pass sowie mit den Rechten, Pflichten und Privilegien, die damit verliehen werden. Sie verbinden Deutscher-Staatsbürger-Sein mit dem Handeln. Mit diesem Verständnis fand die Entscheidung für die Einbürgerung statt. So lässt Herr Kwame mit spürbarer Emotion wissen, dass er »sein Land« so geliebt hat, dass er seine ehemalige Staatsbürgerschaft nicht verlieren wollte. Es ist interessant zu bemerken, dass Herr Kwame, der nun eine deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, nicht Deutschland meint, wenn er von »seinem Land« spricht. Damit meint er sein verlassenes Heimatland, von dem er keine Staatsbürgerschaft mehr hat. Für Herrn Kwame ist die Einbürgerung ein Weg, deutsche Papiere bzw. Privilegien zu erhalten. Die Einbürgerung selbst scheint bei ihm keine besondere Freude ausgelöst zu haben. In diesem Sinne teilt auch Frau Foé mit, dass das Bestehen der Prüfung der deutschen Sprache für den Hochschulzugang wichtiger als die Einbürgerung war. Herr Kwame fand seine Arbeitserlaubnis von damals wichtiger als die Staatsbürgerschaft. Fallübergreifend sehen die Befragten den deutschen Pass nicht als wichtiger als andere Dokumente an. Einige finden ihre Bildungsabschlüsse zum Beispiel bedeutender. Sie betrachten die Einbürgerung nur als einen Weg, um deutsche Papiere zu erhalten und damit in der Welt besser handeln zu können. Die Einbürgerung führt zu keiner besonderen sozialen Zugehörigkeit. Um dies zu verdeutlichen, weist Herr Kwame beispielsweise darauf hin, dass seine Kollegen bzw. Kolleginnen und Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter es nicht gemerkt hätten, als er die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten hat. Nicht nur die Umgebung, sondern auch er selbst sieht keine Veränderung in seinem Alltagsleben durch die Einbürgerung. Er beschreibt, dass die deutsche Staatsbürgerschaft für ihn gefühlsmäßig nichts Besonderes bedeutet. Die Einbürgerung sieht er als einen formalen Prozess, der das Erhalten von deutschen Papieren ermöglicht. Dieses »Stück Papier« – wie er es nennt – ist nicht mit besonderen Gefühlen, sondern eher mit besonderen Privilegien, Rechten und Pflichten verbunden. Die Logik »wie ein Deutscher zu leben, aber ohne Deutsch zu sein«, ist auch bei anderen zu finden. Herr Kanambe beispielsweise sieht sich nicht als Deutschen und betont, dass er ein Afrikaner mit deutschem Pass ist. Wie im Fall von Herrn Kwame denkt Herr Kanambe, dass er schon vor seiner Einbürgerung wie ein Deutscher gelebt hat – ohne deutsch zu sein – und dass die Einbürgerung als eine Bestätigung dafür gesehen werden kann.
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
5.1.3
Einbürgerung: Anfang, Meilenstein oder Endstation?
Die Bedeutung der Einbürgerung kann unterschiedlich interpretiert werden. Zum einen kann der Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft als das Ende einer langen Odyssee angesehen werden, die mit einer schlechten Erfahrung von Rechtlosigkeit und Ungleichheit schon in der ehemaligen Heimat begonnen hatte. Das ist der Fall – wie dargestellt – bei den Befragten, die als Geflüchtete nach Deutschland kamen, wie beispielsweise Frau Murube, Herr Bagbo, Herr Kodjo und Frau Zuma. In diesen Fällen setzte die Einbürgerung einen Schlusspunkt hinter einer langen persönlichen Geschichte, die mit vielen Unsicherheiten verbunden war. Zum anderen ist die Einbürgerung das Ende eines Traums, der nicht mehr verwirklicht werden kann. Herr Kanambe und Herr Kwame beispielsweise haben immer geglaubt, dass sie irgendwann in ihre Heimatländer zurückgehen würden, aber eines Tages ist ihnen klar geworden, dass dies eine Illusion war. So haben sie sich dazu entschieden, sich einbürgern zu lassen. In diesen Fällen ist die Einbürgerung auch das Ende eines Lebens in zwei Welten. Die Einbürgerung ist die formale Bestätigung dafür, dass die Betroffenen sich von ihrer ehemaligen Heimat trennten. Während die Einbürgerung mit Blick auf das Herkunftsland einen Endpunkt oder Abschluss darstellen kann, kann sie im Ankunftsland für einen neuen Anfang stehen. Sie kann auch als wichtige Gelegenheit für den Ausbau von dem gelten, was während der Migration erreicht wurde. Herr Kwame erzählt beispielsweise, dass die Einbürgerung es ihm erleichtert hat, seine Arbeit auszuüben. Die Einbürgerung hat es ihm auch ermöglicht, sich politisch mehr zu beteiligen. Auch bei Herrn Kanambe zeigt sich der Beginn von besseren Partizipationsbedingungen. So ist er der Meinung, dass ihm die Einbürgerung eine Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt ermöglicht hat. Seine Wahrnehmung an dieser Stelle bezieht sich nicht auf die Ungleichstellung von Einheimischen und Bürgerinnen bzw. Bürgern mit Migrationshintergrund, sondern auf unterschiedliche Rechte von den Besitzern bzw. Besitzerinnen einer deutschen Staatsbürgerschaft und den Inhabern bzw. Inhaberinnen eines ausländischen Passes. Je nach Verlauf der Migration und den Versuchen, sich im Ankunftsland zu etablieren, und je nachdem, welche Perspektive eingenommen wird, kann die Einbürgerung entweder als Anfang, als Meilenstein oder als Endstation einer Phase im Leben der Betroffenen betrachtet werden.
5.2
Schwarze Deutsche und Ungleichbehandlung
Die ausgewerteten Interviews weisen darauf hin, in welcher Weise Diskriminierungen gegen die Befragten zum Bestandteil ihres alltäglichen Lebens werden.
5 Schwarze Deutsche: Selbsteinschätzung und Ungleichbehandlung
Mit einer Ungleichbehandlung werden Schwarze Menschen in besonderer Weise konfrontiert und nach vorliegenden Kenntnissen oft anders als die europäischen Bürger bzw. Bürgerinnen mit weißer Hautfarbe behandelt (vgl. ADB Köln und cbN 2004; Arndt 2006; Benndorf 2008; Campt 2010; Dettmar 1989; ECRI 2009; ENAR 2016; Mabuduko 2011; Mbombi 2011). Diese Diskriminierung ist u.a. mit Rassismus, Vorurteilen und Klischees gegen Schwarze Menschen verbunden. Im Folgenden werden die Wahrnehmungen der befragten Deutschen afrikanischer Herkunft bezüglich ihrer Gleichbehandlung in der deutschen Gesellschaft dargestellt. Es wird auf die Frage eingegangen, ob die Befragten sich angesichts der sichtbaren afrikanischen Herkunft bzw. Zugehörigkeit zu Schwarzen Menschen gleichbehandelt fühlen. Außerdem beschäftige ich mich mit der Frage, ob es für die Gleichbehandlung eine bedeutende Rolle spielt, ob die Betroffenen die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen oder nicht. In den Interviews zeigte sich, dass die Befragten des Samplings fallübergreifend ihre sozio-ökonomische Situation mit ihrer Behandlung auf dem Bildungsund Arbeitsmarkt verbinden. Daher möchte ich mich im Folgenden auf die Wahrnehmungen der Befragten bezüglich ihrer Behandlung (Gleich- bzw. Ungleichbehandlung) auf dem Bildungs- und Arbeitsmarkt konzentrieren.
5.2.1
Differenzierte Erfahrungen der Gleich- bzw. Ungleichbehandlung
Die Erfahrungen der Befragten des vorliegenden Samplings in Bezug auf ihre Gleichbehandlung sind unterschiedlich und auch nicht durchgehend negativ. Hinsichtlich der beruflichen Karriere von Herrn Kwame stellt man fest, dass es ihm immer gelungen ist, seine Arbeitsstelle zu wechseln, wenn er das wollte. Während er nach der Promotion in Naturwissenschaften die erste Stelle über Bekannte aus seiner Familie ohne schriftliche Bewerbung erhalten hat, musste er sich in anderen Fällen genauso wie andere Arbeitssuchende bewerben. Abgesehen von der Situation des Einstiegs in den Beruf, in der er sogar bevorzugt behandelt wurde, ist festzustellen, dass sich Herr Kwame auf dem Arbeitsmarkt gleichbehandelt fühlt. Er selbst teilt mit, dass er einmal eine Stelle unter Hunderten anderen Mitbewerberinnen und Mitbewerbern bekommen hat. Er sieht keinen besonderen Unterschied bei der Behandlung im Vergleich zu anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Firmen, in denen er tätig ist bzw. gewesen ist. Herr Kanambe ist auch der Meinung, dass er als gelernter Programmierer von seinem Chef im Vergleich zu anderen Mitarbeitern gleichbehandelt wurde. Mit seinem ausländischen Status fühlte Kanambe sich auf seiner Arbeitsstelle gut behandelt, aber noch nicht gleichberechtigt. Ohne den deutschen Pass war klar, dass er im Vergleich zu Einheimischen weniger Rechte hatte. Er brauchte beispielsweise eine Begründung seines Chefs für die Verlängerung seiner Arbeitsgenehmigung. Dies ist nicht der Fall bei deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern. Die
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
Gleichberechtigung kam später mit der Einbürgerung, als er deutscher Staatsbürger geworden war. Die guten Erfahrungen der Herren Kwame und Kanambe hat Frau Murube nicht gemacht, die in Deutschland ihren Schulabschluss nachholte und ein Sozialpädagogik-Studium absolvierte. Ihr Leben auf dem Bildungs- und Arbeitsmarkt in Deutschland ist ihren Erzählungen nach voll von Diskriminierungen. Erstaunlicherweise hat Frau Murube im Vergleich zu den beiden zuvor genannten Personen eigentlich immer einen besseren und sichereren Aufenthaltsstatus gehabt. Nach einem Jahr Aufenthalt in Deutschland hat sie eine Aufenthaltserlaubnis auf Basis der Anerkennung als Asylberechtigte erhalten, die ihr im Inland fast die gleichen Rechte wie den deutschen Staatsangehörigen gewährte. Frau Murube hat sehr schnell auch ihre deutsche Staatsangehörigkeit erhalten, aber das konnte sie ihrer Meinung nach nicht vor Diskriminierungen schützen. Die Staatsbürgerschaft ermöglicht eine formal-rechtliche Gleichstellung bei allen, die sie innehaben. Sie schützt aber nicht davor, dass Menschen trotzdem diskriminiert werden, arbeitslos werden oder keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben, weil ihr Bildungsabschluss nicht anerkannt wird oder weil sie aufgrund von stereotypen, Vorurteilen o.ä. nicht anerkannt werden. Während einige interviewte Personen der Meinung sind, dass sie in vielen Fällen gleichbehandelt wurden oder werden, weisen andere auf »schockierende« Diskriminierungserfahrungen hin.
5.2.2
Gleichbehandlung bzw. Ungleichbehandlung auf den Märkten
Es ist generell bekannt, dass die Chancen, eine Arbeitsstelle zu finden, nicht nur auf den Qualifikationen der Bewerberinnen bzw. Bewerber beruhen, sondern auch auf anderen Faktoren wie unbewussten Wahrnehmungen oder Assoziationen, Vorurteilen, Stereotypen, Klischees, Interessen und Erwartungen von Kunden sowie der Bevorzugung von Menschen der eigenen Gruppe, persönlichen Kontakten etc. (vgl. SVR 2014). In diesem Sinne verfügen Personen über ungleiche Ausgangspositionen zu den Märkten in der Gesellschaft (vgl. Weiß 2001) und wenn sie schon auf diesen Märkten sind, können sie ungleich behandelt werden. Zutreffend schrieb Schittenhelm (2012: 418): »Selbst, wenn Übergänge eher vereinzelt, z.B. auf indirekten Wegen in den akademischen Beruf (vgl. Schittenhelm 2012) vollzogen werden, sind Personen in soziale Beziehungen eingebunden, die potenziell für ihre beruflichen Orientierungen von Einfluss werden. Ein Bildungstitel verwertet sich also nicht per se, sondern erst vermittelt über das soziale Handeln der jeweiligen Personen, die überdies in vielfältige Beziehungen eingebunden sind. Von Interesse sind daher die bio-
5 Schwarze Deutsche: Selbsteinschätzung und Ungleichbehandlung
grafischen Erfahrungen und sozialen Lagen im Verlauf eines solchen Übergangs einschließlich der währenddessen erfahrenen sozialen Interaktionen.« Eine gute Qualifikation bietet gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt, aber sie ist nicht allein entscheidend. Sie verhindert beispielsweise nicht die Benachteiligung der Bewerberinnen bzw. Bewerber. Bei der Analyse der Interviews im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde festgestellt, dass einige Befragte einen Abschluss besitzen, aber dass sie keine passende Arbeitsstelle gefunden haben, da sie bestimmte Kriterien nicht erfüllten, die eher als informell bezeichnet werden könnten. In diesem Sinne weist Weiß (2017) zutreffend darauf hin, dass Menschen, die »hohes soziales Kapital, z.B. ein einflussreiches Netzwerk wechselseitiger sozialer Verpflichtungen, besitzen« (Weiß 2017: 36), Vorteile auf Märkten haben. Die Einbindung in entsprechende soziale Netzwerke, die eine bedeutende Rolle auf dem Ausbildungsund Arbeitsmarkt spielen, ist in den meisten der untersuchten Fälle nicht vorhanden. Und wenn, dann genügt dies nicht, um die Betroffenen wirksam zu unterstützen. Weiß (2017: 185) zufolge hängt der Wert des sozialen Kapitals bzw. der Netzwerke davon ab, »wie gut die Personen, zu denen Netzwerkbeziehungen bestehen, selbst mit Ressourcen ausgestattet sind.« Dort, wo sich ein nützliches soziales Kapital beobachten ließ – wie im Fall von Herrn Kwame –, bemerkt man, dass soziale Netzwerke zum Erfolg beigetragen haben. Hier waren seine persönlichen Kontakte sehr entscheidend für seine erste Stelle. Der in Naturwissenschaften Promovierte erzählt, dass er sich um mehrere Stellen erfolglos beworben hatte, bevor er über seinen Familienkreis ein Stellenangebot in einem Labor bekam. Dort hat er als Analytiker in einem Bereich gearbeitet, für den er nicht speziell qualifiziert war. Herr Kwame, der mit einer deutschen, weißen Frau verheiratet ist, hat ohne Schwierigkeiten eine Arbeitsstelle bekommen dank der sozialen Kontakte aus der Familie seiner Frau. Er berichtet selbst, dass er über seine familiären Kontakte zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurde und die Stelle erhalten hat. Dafür hatte er sich vorher nicht schriftlich beworben. Informelle Kriterien – wie persönliche und familiäre Beziehungen – können also eine Rolle auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt spielen. Die Ungleichbehandlung von Afrikanerinnen und Afrikanern in Deutschland liegt auch zum Teil daran, dass sie im Vergleich zu den sonstigen Deutschen bei diesen informellen Kriterien schlechter abschneiden. So ist Herr Kwame der Meinung, dass Schwarze Menschen weniger Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben als die Weißen. Er sagt, dass es immer einfacher ist, über eine Empfehlung von einem Bekannten eine Arbeitsstelle zu bekommen: Und da – normalerweise wenn du eine Bewerbung schickt irgendwohin, musst du die Chance haben, um dich vorzustellen. (2) Und wenn du nicht aufpasst und () einfach raussortiert. Das is immer die Problem. Und das kenne ich nur von meine Erfahrung, wenn () is auf Empfehlung, sagen wir das, auf Empfehlung. Auf Emp-
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
fehlung is immer die beste. Dass wenn du eine Job sucht – und ich kenne eine () muss sogar nich mit mir verwandt sein und ich kenne eine und ich sag: hier, das ist der Emmanuel, ich kenn den, der macht das und das und das, hast du was für den? Es (2) geht wesentlich besser. (2) Das hat geholfen auch mindestens zum Beispiel (bei) diese andere Stelle – das is keine Stelle, was ich zum Beispiel mach mit diese Job hier. Das hatten die nie in Zeitung gebracht. Nicht alle Mitbürgerinnen bzw. Mitbürger mit afrikanischer Herkunft verfügen über gute Kontakte, wie die von Herrn Kwame, die auf dem Arbeitsmarkt hilfreich sein könnten. Dies könnte ihre Benachteiligung4 teilweise erklären. Diskriminierungserfahrungen gegenüber Schwarzen Menschen in Deutschland haben die im Rahmen der vorliegenden Arbeit befragten Deutschen mit subsahara-afrikanischer Herkunft bestätigt. Es handelt sich dabei zum Beispiel um die Fälle von Frau Murube, Herrn Kanambe, Herrn Gnassimbe, Herrn Nkurumah und Frau Foé. Von Frau Murube ist zu erfahren, dass sie trotz ihres Abschlusses in Sozialpädagogik keine angemessene Stelle hat. Sie teilt mit, dass alle ihre ehemaligen weißen Kommilitoninnen und Kommilitonen direkt nach dem Studium oder sogar schon vor dem Ende des Studiums eine Stelle bekommen haben, und fügt hinzu, dass es für sie als Schwarze schwierig sei, einen Job zu finden. Dies sei so, obwohl sie sich durch ihre ehrenamtlichen Tätigkeiten bemühe, ihre Jobchancen zu erhöhen. Frau Murube sieht das als Diskriminierung an, die sie auf eine nachrangige Position im Vergleich zu den weißen Menschen setzt. Diskriminierung gegen Schwarze Menschen wird, laut Frau Murube, nicht nur von weißen Deutschen praktiziert, sondern auch von anderen Migrantinnen bzw. Migranten mit einer helleren Hautfarbe.
5.2.3
Vorurteile, Klischees und negatives Prestige
Auch für Schwarze Menschen ist eine gute Qualifikation sicher ein gutes Instrument, um beruflich erfolgreich sein zu können. Dieses Instrument verhindert die Diskriminierung und das negative Prestige jedoch nicht, die oft auf Basis von Vorurteilen und Klischees bestehen. In Bezug auf den Arbeitsmarkt ist der Sachverständigenrat der deutschen Stiftungen (SVR 2014) der Meinung, dass unbewusste Assoziationen, Stereotype und Vorurteile eine entscheidende Rolle bei der Auswahl und Einstellung von Arbeitskräften spielen. Diese Entscheidungsfaktoren beeinflussen die Situation auf dem Bildungs- und Arbeitsmarkt in erheblicher Weise, wie die Darstellung des SVR (2014: 29) verdeutlicht (s. Abb. 1, S. 145). 4
Dass Schwarze Menschen in Deutschland aufgrund ihrer Herkunft und Hautfarbe benachteiligt werden, wird von wissenschaftlichen Studien bestätigt. Zu diesen Studien zählen die von der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI 2009) und vom Europäischen Netzwerk gegen Rassismus (ENAR 2014).
5 Schwarze Deutsche: Selbsteinschätzung und Ungleichbehandlung
Abb. 1: Mögliche Entscheidungsfaktoren bei der Auswahl von Bewerbern
Quelle: Infografik SVR-Forschungsbereich/Deniz Keskin
Wenn es um die Benachteiligung aufgrund von Stereotypen, Vorbehalten und Vorurteilen geht, die eher unterschwellig zur Wirkung kommen, bedeutet die formale Qualifikation nicht mehr viel. Die Diskriminierung fängt also schon vor dem persönlichen Kontakt mit den Bewerberinnen bzw. den Bewerbern an. In vielen Fällen erhalten afrikanische Arbeitssuchende wegen Vorurteilen, unbewussten Assoziationen und mangelnden nützlichen Kontakten etc. keine Einladung zum Vorstellungsgespräch. Dies lässt sich durch Befunde aus der Arbeit von Benndorf (2008) und den Berichten von ECRI (2009) und ENAR (2014) bestätigen.
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
Es ist irreführend, Diskriminierungen immer mit einer bewussten bösen Absicht zu verbinden. Diejenigen, die eine diskriminierende Entscheidung treffen, hegen nicht unbedingt »böse« Absichten gegenüber den Betroffenen. Sie haben oft keine Intention, andere Menschen zu benachteiligen. In vielen Fällen glauben sie wirklich, dass sie richtig und gerecht handeln. Dies kann am Beispiel von Herrn Zenawi, der sich auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert fühlte, verdeutlicht werden. Er erzählt: ja gut bin ich hingegangen zu dieser (2) Angestellte dieses Unternehmen, ja haben die Formular alles, ja ne dann habe ich alles hingelegt, dann haben Sie weiß ich nicht Ihren Pass () meinen deutschen Ausweis habe ich ä:::::: hingelegt, dann fragte Ihre Arbeitserlaubnis haben Sie dabei? @Ch::@ Herr Zenawi weist darauf hin, dass man ihn nach einer Arbeitserlaubnis gefragt hat, obwohl er einen deutschen Ausweis vorgelegt hatte. Wegen seines Aussehens wurde Herr Zenawi trotz seines deutschen Passes nicht als Deutscher betrachtet, der hierzulande selbstverständlich über eine Arbeitsberechtigung verfügt. Wegen dieses Aussehens, das mit »Deutsch-Sein« oder mit »Nicht-Deutsch-Sein« assoziiert wird und oft mit Stereotypen und Klischees verbunden ist, können die betreffenden Personen unterschwellig ganz unterschiedliche Assoziationen hervorrufen und entsprechend betrachtet und bewertet werden. So könnten die in Kapitel 2 der vorliegenden Arbeit erwähnten Assoziationen mit Schwarzen Menschen eine Rolle bei ihrer Benachteiligung spielen. Neben der Arbeitserlaubnis kann dies potenziell auch Fragen der Qualifikation, der Kompetenzen oder der Zuverlässigkeit betreffen. So kann eine »harmlose« rassistische Diskriminierung zu einer signifikanten Benachteiligung werden. Frau Murube hat eine ähnliche rassistische Diskriminierung wie Herr Zenawi erlebt, aber bei ihr ging diese in der Praxis noch erheblich weiter. Sie stellte im Interview dar, dass manche Ansprechpartnerinnen bzw. Ansprechpartner in Ämtern und Beratungsstellen oder auch Personen, die über eine Einstellung entscheiden, oft nicht auf den Ausweis oder auf die Qualifikation schauen. Stattdessen nehmen sie eine schnelle Beurteilung anhand der Hautfarbe vor. Frau Murube hat diese Erfahrung gemacht, als sie auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz war. Ein Sachbearbeiter habe ihr mitgeteilt, dass weiße Menschen bei der Verteilung der Plätze Vorrang haben. So erzählte Frau Murube: ich habe Rassismus ähm am Arbeitsplatz, wo ich arbeiten konnte in, in (1) L-Stadt, beim Arbeitsamt – ich fand das rassistisch, weil wo ich dann nach ein Möglichkeit ähm gesucht habe (1) mich weiterzubilden halt wie ich – hab ich Ausbildung, ich denk ich wollte auch Fotografin werden und so alles. Und dann bin ich zur Arbeitsamt und dann der Typ der da gearbeitet hat, alles was er gemacht is mir dann ein (1) ein Liste zu zeigen von Deutsche. Und er hatte das ganz deutlich gesagt (1)
5 Schwarze Deutsche: Selbsteinschätzung und Ungleichbehandlung
es is nich übertrieben oder so, er hat gesagt: Guck mal das is eine Liste von deutsche Kinder, die einen Platz suchen und die warten auf Plätze. Nach dem Motto was, was denkst du denn was wir für dich sollen (halt)? (1) Ja. Und im Krankenhaus auch, L-Stadt war sehr schlimm. Frau Murube ist davon überzeugt, dass die erfahrene Diskriminierung mit ihrer Herkunft und ihrer Hautfarbe zu tun hatte. Sie denkt, dass die Tatsache, dass sie Afrikanerin ist, mit bestimmten Assoziationen verknüpft wird, die oft eine Sonderbehandlung und einen Nachteil für sie verursachen. So sagt Frau Murube: Und ähm (1) ja sonst, manchmal auch in der Uni (1) hat man gesehen – wenn du Afrikaner bist es is – oder Schwarz bist, ich weiß es nich dass das wegen diese (2) diese, diese, was die über Afrika wissen, was die über Afrika im Fernsehen sehen. Du wirst so empfangen wie jemand der gar nich kann. Frau Murube zufolge sind die Vorurteile und Klischees, die hinter der Diskriminierung stehen, in der Mehrheitsgesellschaft verbreitet und werden oft mitgeteilt. Ihr zufolge sind sie auch in den Bildungsinstitutionen wie in Schulen und Universitäten vorhanden. Verbreitete Stereotype und falsche Vorstellungen (vgl. Kapitel 2 in der vorliegenden Arbeit) könnten dazu führen, dass an den Fähigkeiten von Afrikanerinnen bzw. Afrikanern gezweifelt wird oder sie sogar ignoriert werden. So kann es passieren, dass eine Person nur aufgrund ihrer Hautfarbe, Herkunft oder ihres Hintergrunds als unfähig beurteilt wird. Auch weitere Befragte haben wie Frau Murube beschrieben, dass sie wiederholt aufgrund ihres Aussehens als dumm und unwissend angesehen wurden. Die Auffassung von Frau Murube wird z.B. durch die Aussage von Herrn Kanambe bekräftigt: Ja, das ist oft äh, äh – auch ich hatte. Die Leute – also in Deutschland eigentlich. Jetzt ist weniger geworden. Also damals in den 60er, 70er, 80er waren sehr wenig Afrikaner hier oder Migrante. Und die haben immer gezweifelt an dem (was ich mach). Weil die haben immer so – den Afrikaner ist primitiv (2) aufgenommen. Ja wieso? Du bist – du kommst doch aus Afrika. Du musst nicht – sowas kannst du gar nicht kennen. Herr Kanambe berichtet wie Frau Murube von der Erfahrung, dass abwertende Vorurteile über Schwarze Menschen in der Gesellschaft verbreitet sind und dass sie auch unter Kollegen bzw. Kolleginnen zu finden sind. So erzählt er weiter: Es passierte eigentlich äh (4) wie ich gesagt habe. In () ich habs gezeigt, ne. Wir haben Fußball gegen eine Mannschaft aus K-tadt – (is nich) weit von hier – gespielt. Dann saßen wir so (nach em) Spiel, wir haben etwas gegessen und getrunken. Dann sagte einer, der da saß, sagt ja was macht der Bimbo hier? (4) Dann, mein Kumpel der daneben saß war damals Programmierer, war eine sehr hohe qualifizierte Arbeit, der sagt ja Mensch das is ja – er is Programmierer in H-Stadt ja. (1)
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
Und (2) der Typ, dann is er plötzlich höflich zu mir geworden. (2) Ja. Wenn der gesagt hätte, ja ja ja, das is unser Kanambe, der arbeitet bei der Müllabfuhr oder ja, der hätte noch eine drauf gemacht. Also, also ich möchte damit sagen, wenn man eine Bildung hat oder eine bestimmte Niveau hat, wird man respektiert. Hat man keine Niveau (1), dann wird man nicht respektiert – nich nur bei Migranten, das is überall. (1) Nur die zweifeln, dass ein Afrikaner oder (1) eine Migrant – Afrikaner vor allen Dingen, weil es geht um die Afrikaner. Viele Menschen hier haben ihre Probleme zu glauben, dass (2) man (Doktor) macht, dass man studiert oder man ist Professor. Ich habe unseren Gitarristen, der wohnt hier nicht weit weg, der is in H-Stadt als Dozent (3). Manche die glauben das nicht. (2) Die zweifeln, die sagen ja wieso? (2) Kann der hier, der Schwarze, uns unterrichten? (2) Das geht gar nicht. Weil die gehen davon aus ein Schwarzer (3) is nich so (3) – wie heißt das – intelligent wie der Deutsche. Dass der (2) eigentliche Problem der Deutsche. Herr Kanambe erzählt ferner, wie auch an seinen in Deutschland gemachten Qualifikationen aufgrund seiner Herkunft und Hautfarbe gezweifelt wurde: Mit der Einstellung, dass er als Afrikaner nicht so hoch qualifiziert sein könne, habe ein Arbeitgeber Herrn Kanambe eine Stelle angeboten, für die er deutlich überqualifiziert war. Es kann sein, dass der Arbeitgeber diese Stelle auch einem »deutschen« Bewerber bzw. einer »deutschen« Bewerberin mit gleicher Qualifikation wie Herrn Kanambe angeboten hätte. Wichtig für die Interpretation in dieser Arbeit sind aber die Wahrnehmungen von Herrn Kanambe darüber. Er betrachtet das Verhalten des Arbeitgebers als diskriminierend und abwertend auf Basis der Herkunft.
5.2.4
Ausbeutung und Nachrangigkeit
Der Einstieg in den Beruf entsprechend der jeweiligen Qualifizierung war nicht für alle Personen innerhalb des Samplings möglich. Einige der betroffenen Befragten (z.B. Frau Murube, Herr Kodjo und Herr Gnassimbe) beschweren sich im Verlauf des Interviews darüber, dass sie keine Arbeitsstelle bekommen, die ihrer Qualifikation und ihren Kompetenzen entspricht. Sie teilen mit, dass sie stattdessen Beschäftigungen ausüben müssen, die eine deutlich geringere Qualifikation – oder gar keine besondere Qualifikation – verlangen. In einigen Fällen arbeiten sie ohne Bezahlung. Die Betroffenen verstehen das als Diskriminierung und Ausbeutung. Frau Murube erzählt, dass sie trotz ihrer ehrenamtlichen Tätigkeiten und nachgewiesenen Kompetenzen keine bezahlte Stelle bekommt. Stattdessen werden von ihr initiierte Projekte »geklaut«, so Frau Murube. Ihre Umsetzung werde von anderen mit einem festen Arbeitsvertrag übernommen. Nicht sie, sondern andere profitieren also von ihren eigenen Initiativen. Sie denkt, dass sie rassistisch diskriminiert wird und dass man sie ausbeutet. Dazu erzählt sie:
5 Schwarze Deutsche: Selbsteinschätzung und Ungleichbehandlung
Überall, wo du bis auch bei der Arbeit, du kannst dich bemühen, Projekte machen oder sowas, aber dass die, dass die das anerkennen, dass du das gemacht hast (2). Du kannst lesen in Zeitungen, dass jemand ander das gemacht hat, obwohl dass du das machst. Also es is (1) – es is äh (1) schlimm, aber (1) man versucht zu leben halt (und sag) also es is so, wenn ich die ganze Zeit jammern muss nur – dass ich Afrikaner bin und (1) es passierte das und das und dann kommst du nich weiter, dann machst du dich kaputt und dann – manchmal is es sehr schwer, schwer zu ertragen, aber (2) ich weiß nich ob in Deutschland das sich ändern, aber ich bin froh, dass hier in dieser Stadt anders, bisschen anders is als in L-Stadt war. War schlimm. Frau Murube bedauert, dass ihre Bemühungen nicht belohnt werden und dass nur andere davon profitieren. Sie ist sogar der Meinung, dass sie ausgenutzt wird und dass diese Ausnutzung bewusst betrieben wird. Diese Situation ist für sie schwer auszuhalten, aber sie hat keine Kapazitäten, um dagegen anzugehen. Sie denkt, dass der Faktor, dass sie eine Schwarze ist, eine Rolle bei ihrer Benachteiligung spielt. Von ihr erwarte man, dass sie als Afrikanerin nur nachrangige Tätigkeiten ausübe und dass sie das so akzeptiere. Sie vertritt den Standpunkt, dass ihre Fähigkeiten wichtig seien und dass man sie brauche, aber dass man sie nicht fest beschäftigen, sondern nur von ihr profitieren wolle. Entsprechend erzählt sie weiter: Wenn sie dich nehmen, das is so diese, diese Verträge wo du als Honorarkraft arbeitest. Freiberufler, das is was anderes, es sei denn du hast dich so beworben, aber es is so halt irgendwas nebenbei, wo die dich nutzen, aber die sitzen auf diese Post halt so, obwohl dass sie keine Ahnung – wirklich ich hab das mehrmals erlebt – viele haben keine Ahnung was Leute mit Migrationshintergrund oder die Leute aus Afrika (2) wie sie gelebt haben, was sie hier brauchen, was die durchmachen hier, welche Probleme sie haben. Die sehen das von außen, die ähm die haben ihre andere Idee oder die die bewerten das irgendwie oder analysieren sie, aber ohne ähm Idee zu haben, ohne ohne Information zu haben so wie halt so von weit weg, aber das sind die da sitzen. Und wenn du auch eine Projekt machst, die wollen dass du (1) diese Projekt vielleicht machst ehrenamtlich, du bringst auch Kunden, halt diese Betroffene, weil du die schnell dran kommst, aber du würdest das nicht leiten können oder Entscheidung treffen können. Die wollen nur oben sein, du bist unten. Und du arbeitest für den und die schreiben Berichte. So is das. Frau Murube ist der Meinung, dass man sie absichtlich auf eine nachrangige Position verweist oder ihr lediglich ehrenamtliche Tätigkeiten aufträgt. Sie werde benutzt, um Kunden mit Migrationshintergrund anzuziehen. Ihre Betreuungstätigkeit, die eigentlich angemessen bezahlt wird, werde von anderen Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeitern übernommen, die in den Augen von Frau Murube dafür nicht
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
gut genug seien. Sie selbst, findet Frau Murube, könne das besser machen, sie sei dazu befähigt und qualifiziert. Sie beurteilt diese Situation als Ausnutzung und Diskriminierung. Frau Murube, die Erfahrungen bei verschiedenen Einrichtungen und in unterschiedlichen Städten gemacht hat, ist der Auffassung, dass dies nicht überall im gleichen Maß der Fall ist. Sie macht Unterschiede zwischen Städten und meint, dass der Zustand in einer anderen Stadt, in der sie früher gelebt hat, schlimmer gewesen sei. Dies führt zu der Annahme, dass diese Diskriminierung oder Ausbeutung auch nicht bei allen Firmen oder Arbeitgebern vorhanden ist. Auch dort, wo es sie gibt, erfolgt sie in unterschiedlichen Maßen. Die Erfahrung von Ausbeutung wird auch im Fall von Herrn Kanambe beschrieben. Dies geschah, als er auf Arbeitssuche war. Obwohl die Stelle eines Programmierers frei war und er sich darum beworben hatte, hat man ihm vorgeschlagen, als Operator zu arbeiten, was deutlich unter seiner Qualifikation lag. Bei dieser Arbeit, die er abgelehnt hat, hätte er weniger Geld verdient und vielleicht trotzdem die Arbeit eines Programmierers ausgeführt. Herr Kanambe ist der Auffassung, dass es hier um Diskriminierung ging und um den Versuch einer Ausbeutung aufgrund seiner Hautfarbe. Er ist auch der Meinung, dass Schwarze Menschen in ihren Karrierebestrebungen nachrangig behandelt werden, und er nennt ein Beispiel aus der Lokalpolitik, in der er aktiv ist. Er teilt mit, dass es schwierig für ihn als Schwarzer sei, an eine gute Position zu kommen. So sagt er: Ja das ist zu der Geschichte mit der (3) Integration – auch so im Rat bin ich – jetzt im Gemeinderat. (3) Wenn man so die Ausschüsse (2) – ja, sieht man auch im Bundestag – du kriegst dann Jugend und Soziales (1), also Ausschuss für Finanzen, für (1) Bau – die wichtigste, da kommst du nicht ohne weiteres rein, ja. Es hängt ja auch damit zusammen, dass man auch nicht so fachlich äh (1) ja. Aber zum Teil auch wiederum, weil man glaubt nicht, dass du so fähig bist, dass du so eine Ressource (1) leiten kannst. Zwar bist du gewählt und du bist dabei, das ist sehr gut und schön, aber (2) wenn’s drauf ankommt (3) bist du doch (1) draußen. Herr Kanambe glaubt also, dass er aufgrund seiner Herkunft weniger Chancen als seine weißen Kolleginnen bzw. Kollegen hat. Es kam in einigen Fällen des vorliegenden Samplings sogar vor, dass die Befragten alles akzeptieren mussten, um überhaupt eine Arbeitsstelle zu bekommen. Diese Beispiele verdeutlichen, dass Diskriminierung Schwarzer Menschen nicht immer als Ablehnung, sondern auch in Form einer Ausbeutung und Erniedrigung oder als Ungleichbehandlung im Zugang zu wichtigen Ressourcen und Positionen praktiziert werden kann.
5 Schwarze Deutsche: Selbsteinschätzung und Ungleichbehandlung
5.2.5
Ungleichbehandlung im Alltagsleben
Ungleichbehandlung und Diskriminierungen finden nicht nur auf dem Ausbildungsund Arbeitsmarkt statt. Sie sind auch im Alltagsleben zu finden. Aus den im Rahmen der vorliegenden Arbeit geführten Interviews ist zu entnehmen, dass Schwarze Menschen im Alltagsleben – zum Beispiel auf der Straße, im Zug oder beim Umgang miteinander in einem Stadtviertel – wiederholt sonderbetrachtet und sonderbehandelt werden. Einige interviewte Personen behaupten, dass diese Sonderbehandlung teilweise auf rassistischen Einstellungen beruht. In diesem Sinne antwortete Herr Kanambe Folgendes auf die Frage nach seiner Wahrnehmung bezüglich der Gleichbehandlung: Vom Gesetz ja. (3) Sozial (1) auch. Auch wenn es so ein bisschen Zweifel gibt. (1) Es gibt immer Abstriche (1), wo man is. Und wie man is. Herr Kanambe ist der Meinung, dass er gleichberechtigt ist. Er ist sich jedoch nicht ganz sicher, ob er im Sozial- bzw. Alltagsleben nicht diskriminiert wird. Herr Kanambe erzählt in einem anderen Abschnitt, dass es in den 1960er Jahren – als er nach Deutschland kam – aufgrund von Diskriminierung sehr schwer war für Schwarze Menschen, in Deutschland zu leben. Er berichtet, dass es auffallenden Rassismus gab: Schimpfwörter, Diskoverbot und sogar Prügeleien etc. Er sagt, dass Schwarze mehrmals auf den Straßen und in manchen Kneipen hören mussten: »Ausländer raus«. Als Reaktion auf diese Diskriminierung in seinem Wohnort wurde eine Diskothek für ausländische Menschen, die Ausländerclub genannt wurde, geschaffen. Dieser Club war aber offen für alle, auch für weiße Menschen. Dort hat Herr Kanambe seine weiße Frau kennengelernt. Es ist interessant zu bemerken, dass Herr Kanambe auf »Abstriche« bei der Gleichbehandlung in der Gegenwart hinweist. Dies kann damit erklärt werden, dass die Situation sich positiv entwickelt hat und die Diskriminierung subtiler und weniger augenfällig geworden ist. Diese positive Entwicklung hat aber mit seiner eigenen Einbürgerung nichts zu tun, sondern vielleicht mit der Entwicklung der ganzen Gesellschaft, die immer weltoffener wird (vgl. Ndahayo 2015). Trotz der positiven Entwicklung berichten die Befragten fallübergreifend, dass sie in vielen Fällen immer noch Rassismus und Diskriminierung im Alltagsleben aufgrund ihres Aussehens erfahren. Einige der Betroffenen versuchen sogar (oder haben versucht), etwas dagegen zu unternehmen. Das ist beispielsweise der Fall bei Herrn Kwame. Er hat viel Zeit und Energie in den Kampf gegen Rassismus und Ausgrenzung investiert. Über einen afrikanischen Verein hat er versucht, Vorurteile und Klischees über Afrika und afrikanische Menschen zu bekämpfen. Er fühlte sich gezwungen, etwas dagegen zu unternehmen, und dies war für ihn zeitlich aufwändig. Diese wertvolle Zeit hätte er gerne anders genutzt. Er hat viel Zeit investiert, um für Bedingungen zu kämpfen, für die andere gar nicht kämpfen müs-
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
sen. Er betrachtet das als »Zeitverlust«. Mit Zeitverlust meint er nicht, dass der Kampf nicht nötig war, und auch nicht, dass es keinen Rassismus gab. Zeitverlust bedeutet stattdessen, dass von ihm ein sehr viel höherer Zeitaufwand gefordert ist, um so zu leben, wie andere es können, ohne dafür kämpfen zu müssen. Er nimmt den Preis wahr, den es ihn kostete, um für seine Akzeptanz zu kämpfen, und dass Weiße dies ohne Zeitinvestition bekommen.
5.2.6
Diskriminierung trotz deutscher Staatsbürgerschaft?
Die Gleichberechtigung vor dem Gesetz bedeutet nicht unbedingt die Gleichbehandlung in der Praxis. Gleichberechtigung heißt: Die Menschen sind vor dem Gesetz formal gleichgestellt und haben theoretisch die gleichen Rechte und Pflichten. Die Gleichbehandlung, um die es im vorliegenden Kapitel geht, bezieht sich nicht nur auf die theoretische Gleichheit, sondern auch auf ihre Umsetzung. Diese Ungleichheit trotz der formalen Gleichheit wurde auch von den Befragten hinsichtlich des Einstiegs in den Arbeitsmarkt angedeutet. Den Erfolg von Herrn Kwame und Herrn Kanambe beim Einstieg in den Beruf nach ihrer Ausbildung bzw. ihrem Studium haben andere Befragte wie Herr Dos Santos, Frau Murube und Frau Milla nicht gehabt. Es ist wichtig zu konstatieren, dass die beiden erfolgreichen Personen ihre erste Arbeitsstelle im Vergleich zu Frau Murube relativ problemlos bekommen haben, obwohl sie noch keine deutsche Staatsangehörigkeit besaßen. Im Gegensatz dazu gelingt es der studierten Sozialarbeiterin Frau Murube, die die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, immer noch nicht, einen Arbeitsplatz zu bekommen. An dieser Stelle kann man daran zweifeln, dass die deutsche Staatsbürgerschaft etwas an den Chancen Schwarzer Menschen auf dem Arbeitsmarkt ändert. Frau Murube zufolge hängt ihr Misserfolg mit ihrem Schwarz-Sein zusammen und ihr gegenwärtiger Status kann daran nichts ändern. Auch mit der deutschen Staatsangehörigkeit nehmen die Befragten fallübergreifend ihre Situation so wahr, dass sie ihre Fähigkeiten stärker beweisen müssen als andere Mitbewerberinnen und Mitbewerber. Wie ist es zu erklären, dass auf der einen Seite Schwarze Menschen wie Herr Kwame und Herr Kanambe ohne deutsche Staatsangehörigkeit relativ schnell zu einer Einstiegsstelle gekommen sind, wohingegen Menschen wie Frau Murube mit dem Status als deutsche Staatsbürgerin auf der anderen Seite Schwierigkeiten haben, eingestellt zu werden? An diesem Punkt können die unterschiedlichsten Hypothesen aufgestellt werden. Es ist möglich zu argumentieren, dass Schwarze Menschen, die über nützliche Kontakte verfügen und die dank dieser Kontakte vermittelt werden, bessere Chancen als Bewerberinnen und Bewerber ohne wertvolle Kontakte haben. Dies wäre zum Beispiel der Fall bei Herrn Kwame. Es ist auch nicht auszuschließen, dass die Vorurteile, Klischees und andere unbewusste negative Assoziationen bezüglich Schwarzer Menschen bei einigen Arbeitgebern bzw.
5 Schwarze Deutsche: Selbsteinschätzung und Ungleichbehandlung
Arbeitgeberinnen nicht vorhanden sind und dass manche Schwarze Arbeitsuchende zufällig bei ihnen gelandet sind. Es ist außerdem nicht auszuschließen, dass im Fall von Frau Murube auch geschlechterbezogene Ungleichheiten eine Rolle spielen. Eine weitere Hypothese bezieht sich, wie oben gesehen, auf das studierte bzw. gelernte Fachgebiet und die Arbeitsmarktsituation. Die Einbürgerung spiele keine Rolle dabei, so meinen die Befragten. Bezüglich der Einbürgerung denkt Frau Murube, dass ihre deutsche Staatsbürgerschaft nichts an der Ungleichbehandlung, die ihr hierzulande widerfahren ist, geändert hat. Auf die Frage, ob sich ihre Situation nach der Einbürgerung verbessert hat, antwortet sie: Nnnnein. Also ich nichts was ähm ich hier so (1) viel verändert hat. Also (1) mit meine Anerkennung hab ich gleiche. Also man hat fast so gleiche äh (1) gleiche Rechte wie – weil ich habe unbefristet Anerkennung und dann darfst du in Deutschland leben, darfst du so genau viel Rechte wie ein äh ein Deutscher. Die unbefristete Anerkennung, von der Frau Murube spricht, ist nicht mit der Anerkennung in der Gesellschaft zu verwechseln. Anerkennung bedeutet hier nur die unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die Frau Murube mit ihrer Anerkennung als Asylberechtigte erhalten hatte. Für ihre Anerkennung in der Gesellschaft im Sinne von Akzeptanz (vgl. Isin und Turner 2007) und für die Umsetzung der Rechte, die ihr formal mit der Anerkennung als Asylberechtigte garantiert worden sind, muss Frau Murube weiter kämpfen. Frau Murube stellt die formalen Rechte nicht infrage. Das Problem taucht bei der Umsetzung dieser Rechte auf. An dieser Stelle wird deutlicher, dass die Staatsbürgerschaft mehr ist als nur Rechte und Pflichten, die mit dem Status der Staatsbürgerschaft verbunden sind. Der Status der deutschen Staatsbürgerschaft ermöglicht – im Ganzen betrachtet und je nach aufenthaltsrechtlichem Status im Vorfeld – unter Umständen auch keine besonderen zusätzlichen Vorteile oder Chancen in Bezug auf die berufliche Situation. In einem Interviewabschnitt lässt Frau Murube wissen, wie unsicher ihr berufliches Leben auch noch nach der Einbürgerung bleibt. Ihr berufliches Leben war so unsicher, dass sie sich entschlossen hat zu studieren, um ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Nach dem Studium wurde ihr klar, dass nicht nur der fehlende Abschluss das Problem war, sondern dass auch ihre Herkunft und ihre Hautfarbe eine Rolle bei ihrer Benachteiligung spielten. Ihren Erzählungen nach übertönen der Lebenslauf und das Aussehen der Bürgerin mit afrikanischer Herkunft ihren Abschluss und ihre Fähigkeiten. Beim Vergleich ihrer Situation mit der von anderen Bürgern bzw. Bürgerinnen mit Migrationshintergrund ohne afrikanische Herkunft ist Frau Murube der Meinung, dass die anderen im Allgemeinen besser behandelt werden. Sie betrachtet das Schwarz-Sein als einen der entscheidendsten Faktoren, die den Unterschied machen. So erzählt sie:
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
B: Oder wenn ich seh hier, Leute die halt die mit mir studiert haben, die sind gekommen, haben einen Job bekommen nach mir haben Jobs bekommen und noch zweite Job dazu bekommen. Ähm (1) und ja. #00:57:21-8# I: #00:57:21-8# Auch Migranten? #00:57:23-8# B: #00:57:23-8# Ja, mit Migrationshintergrund aber Weiße halt und die haben ähm, die haben Verträge als Sozialarbeiterin – ich nich. (2) Und ich arbeite, ich ärger mich auch – wenn du wüsstest was von Arbeit hier is mit, mit Kinder (1) und ähm mit ähm (1) alles was man mit Kindern hier machen mit den Eltern zu sprechen (1) und Vorbereitung, Nachbereitung das die alle Kinder Übungen bekommen und gucken und korrigieren und so. Und dann kriegst du (1) das Geld was ich bekomme also das sind Sachen wo man sich fragt. (1) Und wie lange ich hier bin und diese Projekte habe ich hier gebracht, es gab nich – verstehst du? Aber (1) wo sie dann diese Pro (räuspernd) Projekte gemacht haben so groß (2) dann tun sie zwei Leute da (1) als Leiter von diese Projekt, die tun – was tun die? Gar nichts. Bücher die ich benutzt habe – ich habe jetzt mittlerweile paar Bücher gekauft mit Geld von hier, aber viele Bücher die ich benutzt habe oder Unterlage – irgendwie die wussten gar nichts – habe ich selber. Meine Bücher von Zuhause (1) gebracht. (1) Diese ganze Sachen, ganze Flyer mache ich selber, alles – also diese Methode, alles was ich nutze, das is meine Methode, das is meine Ding. Keine, keiner weiß – ich meine wenn das so scheiße wäre dann würden wir nich äh überfüllt mit Kinder, aber wenn die jemand nehmen, der ähm das leitet dann nehmen die jemand anderen, dann bleibst du so wie es () und dann arbeitest du für zehn Euro die Stunde oder so. (1) Das, aber was soll man machen? Trotz ihres Abschlusses, bewiesener Kompetenzen und dem Status als deutsche Staatsbürgerin wird Frau Murube nicht fest angestellt, auch nicht bei der Umsetzung der Projekte, die sie selbst initiiert hat. Sie möchte in der Einrichtung, in der sie ihre ehrenamtlichen Tätigkeiten ausübt, eine feste Arbeitsstelle haben und hat ihren Wunsch auch mitgeteilt. Man hat sie aber gebeten, auf Jobs zu warten, bei denen ihre Kompetenzen auf Basis ihrer Herkunft gebraucht werden könnten. Ihr wurde wiederholt versprochen, dass sie einen Arbeitsplatz bekäme, wenn es darum ginge, Migrantinnen bzw. Migranten zu betreuen. Sie beurteilt das Versprechen als eine leere Ausrede und eine höfliche Weigerung, sie aufzunehmen. Sie begründet ihre Einschätzung damit, dass sie sich nicht nur für Migrantinnen bzw. für Migranten interessiert. Sie beschwert sich darüber, dass sie nur auf ihr »Schwarz-Sein« reduziert wird. Mit der Zeit hat sie ihre Hoffnung verloren und sie überlegt, sich von der Einrichtung abzuwenden und anderswo ganz neu anzufangen. In diesem Sinne erzählt sie weiter: Woanders anders halt mich neu zu bewerben wo keiner mich kennt zum Beispiel. Wo ich dann neu anfangen kann wenn Kollege und so (1) und es is auch nich einfacher so, weil man sieht auch in diesem Bereich auch (1) wie gesagt in diese Be-
5 Schwarze Deutsche: Selbsteinschätzung und Ungleichbehandlung
reich mit Migrationshintergrund wie jemand mit Migrationshintergrund passen würde, da sitzen auch Deutsche. Da kommst du auch nich dran. Nich einfach so dran. Mit dem Begriff »Deutsche« meint Frau Murube nicht Deutsche im Sinne von deutschen Staatsangehörigen – wozu sie auch zählt –, sondern weiße Deutsche. Frau Murube ist im Endeffekt davon überzeugt, dass sie gegenüber weißen Deutschen – oder im erweiterten Sinne zu weißen Menschen – in der Gesellschaft benachteiligt wird. Diese benachteiligende Diskriminierung hat Frau Murube vor ihrer Einbürgerung und auch danach erlebt und sie ist fest davon überzeugt, dass nicht ihr Status, sondern ihr Schwarz-Sein im Vordergrund dieser Diskriminierung stehen. So erzählt Frau Murube, wie sie wegen ihrer Hautfarbe schlecht behandelt wurde und dass der formal-rechtliche Status mit dieser Behandlung nichts zu tun habe: Also die gucken dich, du bist Schwarz und für den die fragen erste Mal manche: Kannst du mich hören und so. Und äh das spielt keine Rolle. Das spielt eine Rolle, wenn die anfangen zu fragen nach deine Ausweis oder Reisepass – viele die sagen so wie so: haben Sie Reisepass? Die fragen nich nach Ausweis, weil die gehen davon aus, dass du das nich hast. Weil, deswegen diese Papier kommt zum Schluss, wenn es sein soll. Aber (1) dieser erste Eindruck du bis (2) du bis fremd, du bis Schwarz, du bis Afrikaner. (1) Das is was die Leute erste Mal sehen. Nich die Frage, dass du eingebürgert bis kommt zum Schluss, ja. Wie Frau Murube weisen weitere Interviewpartnerinnen bzw. Interviewpartner fallübergreifend darauf hin, dass sie formal die gleichen Rechte wie andere deutsche Staatsangehörige haben, aber dass sie nicht gleichbehandelt werden. An dieser Stelle ist zu bemerken, dass die Gleichberechtigung Schwarzer Deutscher nicht unbedingt mit der Gleichbehandlung verbunden ist. Einige von ihnen haben gekämpft oder kämpfen immer noch dafür, dass der mit der formalen Staatsangehörigkeit verbundene Gleichheitsanspruch auch tatsächlich verwirklicht wird. Es ließ sich insgesamt beobachten, dass die Betroffenen unterschiedlich auf Ungleichbehandlung bzw. Rassismus reagieren, wie im folgenden Abschnitt deutlich wird.
5.2.7
Reaktion, Resignation oder Wegschauen beim Umgang mit Diskriminierung
Obwohl in den Interviews auch dargestellt wird, dass sich die Situation mit der Zeit verbessert hat, betonten die Befragten fallübergreifend wiederholt, dass sie immer noch mit Rassismus und Diskriminierung konfrontiert werden. Wie gesehen, versuchten einige Befragte des Samplings (z.B. Herr Kwame und Herr Bagbo) aktiv dagegen zu wirken, andere entwickeln eine »Strategie des Ignorierens« (z.B. Herr Kodjo, Herr Kanambe und Herr Gnassimbe). Mit dieser Strategie entscheiden
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
die Betroffenen, sich so zu benehmen, als ob sie nichts gehört und gewusst hätten oder als ob nichts passiert wäre. Diese Strategie wird oft genutzt, wenn der Rassismus nicht direkt etwas mit der materiellen oder beruflichen Benachteiligung zu tun hat. Dieses Verhalten ist u.a. bei Herrn Kanambe identifizierbar. Er hat nicht nur »blöde Wörter« gehört, sondern er hat selbst eine Situation erlebt, in der er eine Diskothek aufgrund seiner Hautfarbe nicht besuchen durfte. Er hat nicht darauf reagiert, obwohl er betroffen war. Er empfand das als unfair, aber auch als harmlos. Die Option des Ignorierens kann u.a. mit einer guten sozio-ökonomischen Situation der Betroffenen erklärt werden. Seit seiner Ankunft in Deutschland hat Herr Kanambe keine Probleme mit seinem wirtschaftlichen Auskommen gehabt. Er war mit seinem Stipendium finanziell abgesichert. Das war nicht der Fall bei anderen befragten Personen, wie Herrn Kwame oder Frau Murube. In der Vergangenheit hat Herr Kwame versucht, gegen Rassismus zu handeln. Bei ihm ist nicht klar, ob er angesichts dieser Situation resigniert hat oder ob er selbst aktuell keine Diskriminierung mehr erfährt und sich deshalb nicht mehr dagegen einsetzt. Klar ist, dass er sich nicht mehr damit beschäftigt, gerade in der Zeit, in der es ihm sozioökomisch gut geht. Die Situation ist anders bei Frau Murube. Sie möchte sich in dem von ihr gegründeten afrikanischen Verein mit Rassismus auseinandersetzen. Es ließ sich anhand der Interviews beobachten, inwiefern die Betroffenen Diskriminierung unterschiedlich wahrnehmen, je nachdem, ob sie eine »ökonomisch gute Position« innehaben bzw. sich die Betroffenen in ökonomischer Hinsicht diskriminiert fühlen oder nicht. Die beiden Männer (Herr Kwame und Herr Kanambe) haben gemeinsam, dass sie beruflich zufrieden sind. Durch ihren sozialen Status fühlen sie sich von der Gesellschaft respektiert und nicht diskriminiert und betrachten rassistische Äußerungen gegen sie als »Ausnahme«, als abweichendes Verhalten oder als »Blödsinn«. Wenn ihnen gegenüber jemand respektlos und rassistisch ist, halten sie das für unwichtig. Das ist aber nicht der Fall bei den Befragten, wie Frau Murube und Herr Bagbo, die sozial und beruflich in einer unsicheren Situation leben. Sie sehen jeden rassistischen Ausdruck im Alltagsleben als erniedrigend an und als Ausdruck für ihre Ungleichbehandlung. Die Befragten, die mit Schwierigkeiten in ihrem beruflichen Leben konfrontiert sind, sind nicht nur verletzbarer durch diskriminierende Praktiken oder Parolen, sondern sie vertreten auch den Standpunkt, dass ihre schlechte soziale und berufliche Situation eine direkte Folge des Rassismus, der Diskriminierung, von Klischees und falschen Vorstellungen über sie als Afrikaner bzw. Afrikanerinnen ist. Die Einbürgerung, die oft mit der Hoffnung nicht nur auf Gleichberechtigung, sondern auch auf Gleichbehandlung beantragt wurde, hat in vielerlei Hinsicht zur Enttäuschung oder – besser gesagt – zur Desillusionierung geführt. Der neue
5 Schwarze Deutsche: Selbsteinschätzung und Ungleichbehandlung
Status hat allgemein betrachtet nicht in besonderer Weise zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Betroffenen beigetragen.
5.3
Zwischenfazit
Während die Gleichberechtigung mit der Einbürgerung erreicht wurde, sind die Befragten fallübergreifend der Meinung, dass die Gleichstellung und -behandlung in der Gesellschaft damit nicht automatisch garantiert wird. Mit der Staatsbürgerschaft haben die neuen Bürgerinnen und Bürger instrumentelle Vorteile wie einen sicheren Aufenthalt, Freizügigkeit und Erleichterung beim Reisen gewonnen. Diese Vorteile bedeuten jedoch nicht, dass Benachteiligungen auf den Märkten (z.B. auf Arbeits- und Ausbildungsmarkt) verschwunden sind. Die identitätsbezogenen und emotionalen Erwartungen der Befragten sind auch überwiegend noch nicht erfüllt. Die Analyse der Wahrnehmungen der Befragten führt zu der Feststellung, dass sie an die Vielfältigkeit und auch an unterschiedliche Ebenen der Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft glauben. Sie unterscheiden »Deutsch-Sein« und »Deutscher-Staatsbürger-Sein«. Sie tendieren dazu, Deutsch-Sein mit der Herkunft und Deutscher-Staatsbürger-Sein mit dem Handeln als Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger in Verbindung zu bringen. Während die Abstammung im Hintergrund des Deutsch-Seins steht, wird Deutscher-Staatsbürger-Sein mit Aspekten wie soziale Lebensverhältnisse, Beruf, Lebensführung, Rechte, Pflichten, Vermögen, Familie und Nachbarschaft definiert. Diese werden im Verlauf des Lebens umgebaut, aufgebaut und ausgebaut. Die Einbürgerung fand in diesem Umbauprozess des Lebens statt. Sie ist nur ein Teil davon, warum sich ihre Bedeutung erst mit Blick auf den Verlauf des bisherigen Lebens in der Migration erschließt.
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6 Sozio-ökonomische Verlaufsprozesse
Mit der »sozio-ökonomischen Situation« ist in der vorliegenden Arbeit die soziale und wirtschaftliche Lebenssituation gemeint, die sich durch Merkmale wie formale Bildung, beruflicher Abschluss, berufliche Tätigkeit, Einkommen, Wohnsituation, Vermögensverhältnisse, Prestige, sozialer Status usw. feststellen lässt. Die sozioökonomische Situation von Menschen ist in der Regel nicht statisch. Sie kann sich in der Migration und im Prozess der Inklusion, wie es sich im Weiteren zeigt, verändern. Die sozio-ökonomische Situation der im Rahmen der vorliegenden Arbeit interviewten Personen in Deutschland entwickelte sich nach ihrer Migration sehr unterschiedlich. Die am jeweiligen Fall beobachtbare Entwicklung wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst und wirkt sich wiederum auf die Lebensbedingungen der Befragten aus. Während manche der Befragten des vorliegenden Samplings sozial und beruflich sehr gut situiert sind, sind einige von Arbeitslosigkeit betroffen. Andere sind zwar nicht arbeitslos, aber ihre Situation ist prekär. In einigen Fällen spiegeln sich die aus den Herkunftsländern mitgebrachten immateriellen Ressourcen in der sozio-ökonomischen Entwicklung der interviewten Personen in Deutschland wider. Die Umstände und die Wege der Migration beeinflussen das Leben der Befragten in der Aufnahmegesellschaft und hinterlassen ihre Spuren in ihren Lebensläufen. Im Blickwinkel der Umstände der Migration habe ich vier Fallgruppen identifiziert: Asyl, Studium, Familie (Heirat oder Familienzusammenführung) und Arbeit. Die Analyse der im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Interviews hat zu der Feststellung geführt, dass sich die Lebensläufe der Betroffenen zwar unterschiedlich entwickelt haben, aber dass es eine Art Regelmäßigkeit und gemeinsame Nenner bei dieser Entwicklung gibt. Im vorliegenden Kapitel berichte ich über die Entwicklung der sozioökonomischen Situation der Befragten. Diese Entwicklung findet in mehreren Phasen statt. Ich habe folgende fünf Phasen in Verlaufsprozessen der Migration identifiziert: Konfusionsphase, Orientierungsphase, Stabilisierungsphase, Konsolidierungsphase und die Attestierungsphase. Die genannten Phasen überschneiden sich und ihre Abgrenzungen sind unscharf. Die leitende Frage ist, ob
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
die Einbürgerung die Verlaufsprozesse der jeweiligen Phasen beeinflusst hat, und wenn ja, wann und inwieweit.
6.1
Konfusionsphase: Schwierige Lebensbedingungen
Die Konfusionsphase bezieht sich hauptsächlich auf die erste Zeit der im Rahmen dieser Arbeit Befragten in Deutschland. Sie war im Allgemeinen durch eine rechtliche Exklusion, unsichere aufenthaltsrechtliche Situation, restriktive Aufnahmebedingungen, existenzielle Bedrohung, materielle und psychologische Unsicherheit gekennzeichnet. Die sozio-ökonomische Lage der Befragten war, bis auf den Fall von Herrn Kanambe, der zur Fallgruppe »Studium« gehört, in der ersten Zeit in Deutschland sehr prekär. Die Situation war insbesondere bei denjenigen noch prekärer, die als Asylsuchende1 nach Deutschland kamen. Die Interviewten aus dieser Fallgruppe mussten in vielen Fällen zunächst am Rande der Gesellschaft leben. Ihr Leben in Deutschland fing mit einer ungesicherten Aufenthaltserlaubnis, manchmal mit einem Aufenthalt im Gefängnis oder auch mit der Abschiebebedrohung an. Sie mussten ihr Leben unter schwierigen Bedingungen führen. Dieser schlechte Anfang hat sich in vielen Fällen stark auf das weitere Leben der Migranten bzw. Migrantinnen ausgewirkt. Der unsichere Aufenthaltsstatus in dieser Phase schaffte die Basis für eine soziale Exklusion, z.B. auf dem Bildungs- und Arbeitsmarkt, sowie für soziale Unsicherheit, Stigmatisierung und Diskriminierung.
6.1.1
Unsicherer Aufenthaltsstatus und soziale Exklusion
In ihrer prekären Lage, die auch ihrem Status von Personen ohne EU-Staatsangehörigkeit und teilweise ihrem Status als Asylsuchende geschuldet war, wurden die Befragten mit Ausnahme von Herrn Kanambe in ihrer ersten Zeit in Deutschland mit harten Lebensbedingungen konfrontiert. Die Situation betraf insbesondere die Fallgruppe »Asyl«. Die Betroffenen mussten in Sammelunterkünften wohnen und hatten keinen Anspruch auf Wohngeld (vgl. Ndahayo 2014: 183). Aufgrund des Wohnortes konnten sie nur sehr schlecht ihre alltäglichen Anforderungen erfüllen. Sie konnten nur mit Schwierigkeiten einkaufen gehen, zum Arzt oder, bei Familien mit Kindern, zu Schulen und Kindergärten fahren. In vielen Asylunterkünften wurden die familiären Verhältnisse, wie die Haushalts- und Lebensgemeinschaft zwischen Eheleuten und Kindern, nicht berücksichtigt. Dort gab es oft keinerlei
1
Von den schwierigen Lebensbedingungen von Asylsuchenden spreche ich in meinem Aufsatz, der 2014 veröffentlicht wurde (vgl. Ndahayo: 2014). Informationen aus dieser Arbeit wurden auch teilweise im genannten Aufsatz publiziert.
6 Sozio-ökonomische Verlaufsprozesse
Privatsphäre.2 Unter solchen Bedingungen hat zum Beispiel Frau Murube mit ihrer Familie gelebt. Die Isolation auf der einen Seite und die Gemeinschaftsunterbringungen auf der anderen Seite hatten ungünstige Folgen für das Leben der Migranten bzw. Migrantinnen, die oft nur unter sich bleiben konnten (vgl. die Fälle Herr Bagbo und Frau Murube). Ihre Bekannten waren Menschen, die mit ihnen zusammenlebten, und die Landsleute, die sie in dieser unsicheren Situation unterstützten. Netzwerke, die in dieser Lage geschaffen wurden, waren fast homogen. So blieben Frau Murube oder Herr Bagbo – genauso wie viele andere Asylsuchende – in diesem Moment fremd in dem Land, in dem sie lebten, und ihre Sozialinklusion sowie ihre sozio-ökonomische Entwicklung wurden dadurch belastet. In diesen Zeiträumen der Exklusion hatten Frau Murube und Herr Bagbo keine Gelegenheit, nötiges Wissen und eine kognitive Sozialisation in Bezug auf die deutsche Gesellschaft zu erlangen. Ihr Zugang zu bestimmten Positionen wurde ihnen verwehrt. Dies hat sich negativ auf ihre ökonomische und gesellschaftliche Teilhabe ausgewirkt. Diese soziale Exklusion hat beispielsweise im Fall von Frau Murube ein Jahr gedauert, aber ihre Auswirkung auf ihre weitere Lebensgeschichte hielt viel länger an. Außer bei denjenigen, die als Studierende nach Deutschland kamen, war die Einschreibung der Befragten an staatlich anerkannten Bildungsinstitutionen mit Komplikationen verbunden. Mit einem unsicheren Aufenthaltsstatus war es für die Migranten bzw. Migrantinnen, wie beispielsweise im Fall von Herrn Kwame, nur mit immensen Schwierigkeiten möglich, die Ausbildungs- und Bildungsinstitutionen im Ankunftsland zu besuchen. Für Asylsuchende wie Herrn Bagbo war es noch komplizierter, die bestehenden Hürden zu überwinden. Die Anerkennung der aus dem Herkunftsland mitgebrachten Abschlüsse war nicht selbstverständlich. Es gab keine Gelegenheit, die deutsche Sprache zwecks Zugangs zu einem Studium zu erlernen. Für die Einschreibung mussten ausländische Bewerberinnen und Bewerber nachweisen, dass sie krankenversichert waren. So waren Asylsuchende automatisch bei der Einschreibung ausgeschlossen, weil sie mit ihrer aufenthaltsrechtlichen Situation nicht krankenversichert waren. Außerdem konnten sich viele Befragte nicht weiterbilden lassen, weil ihre materielle und finanzielle Lage es nicht erlaubte. Auch diejenigen, die nicht asylsuchend waren, waren betroffen. So war es beispielsweise bei Frau Fatou, die über eine Heiratsmigration nach Deutschland kam. Sie hatte kein eigenes Einkommen und ihr Mann wollte ihre Bildung nicht finanzieren. Als Neuankömmling in Deutschland ohne deutsche Sprachkenntnisse und ohne Informationen über das Sozialsystem war es auch schwierig, sich von Sozial- oder Arbeitsämtern unterstützen zu lassen. Aus unterschiedlichen Gründen 2
Über das Leben in Sammelunterkünften für Eltern und ihre Kinder gibt es eine kritische Diskussion. Beispielsweise betrachtet Heinhold (2007: 68) die Situation als nicht menschenwürdig.
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
blieben also viele Befragte fern von einer schulischen und beruflichen Ausbildung und ihr Wunsch, zumindest deutsche Sprachkurse zu besuchen, blieb unerfüllt. Die Isolation von Befragten aus der Fallgruppe »Asyl« in ihrer ersten Zeit in Deutschland beschränkte sich also nicht nur auf die Erwerbstätigkeit, sondern sie griff auch auf das Wissen und die Kenntnisse über, die durch Bildung normalerweise zu akquirieren sind. Der Mangel an Fertigkeiten und Fähigkeiten durch Bildung verschlechterte die Chancen der Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt und so blieben ihre Lebensbedingungen auch längerfristig schwierig. Die Befragten, die als Asylsuchende kamen, verbrachten eine lange Zeit ihres Lebens in solchen Situationen, in denen sie in Flüchtlingsghettos vom Rest der Gesellschaft quasi getrennt waren. Sehr schwierig war es für die Betroffenen, soziale Kontakte in der Aufnahmegesellschaft zu finden. Die Isolation verringerte ihre Handlungsmöglichkeiten, ihre Teilnahme am Leben der Gesellschaft, ihren Kontakt mit den neuen kulturellen Lebenswelten und sie verhinderte ihre eigene sozio-ökonomische Entwicklung.
6.1.2
Desorientierung: Unsichere Aufenthaltserlaubnis als Barriere auf dem Arbeitsmarkt
Eine Reihe von Abschottungsmaßnahmen kamen gegen Befragte aus der Fallgruppe »Asyl« ins Spiel: ein hartes Asylverfahren, Isolation, Residenzpflicht, schlechte Wohnbedingungen, mangelnde medizinische Versorgung, Arbeitsverbot, erschwerter Zugang zu Bildung, das Sachleistungsprinzip etc. Für eine lange Zeit durften die Betroffenen aufgrund ihres unsicheren Aufenthaltsstatus keine bezahlte Beschäftigung annehmen. Da die Arbeit in der deutschen Gesellschaft »die soziale Identität und das Selbst- bzw. Fremdbild wesentlich« beeinflusst (Brunner, Jost, und Lueger 1994: 326), verstärkte die Nicht-Erwerbstätigkeit oft den negativen Zuschreibungsprozess zum Nachteil der Betroffenen. Ohne Zugang zum Bildungs- und Arbeitsmarkt war die Zukunft der Betroffenen alles andere als sicher. Dies führte dazu, dass die Betroffenen versucht haben, Überlebensstrategien zu entwickeln und die Isolation zu durchbrechen. So gingen einige Betroffene, wie Frau Zuma, illegal arbeiten. Auf solche Situationen reagierte der Staat nicht selten mit strengen Maßnahmen. Als direkte Folge wurden Betroffene bei irregulärer Arbeit oder illegalen Geschäften erwischt und als Straftäterinnen und Straftäter bestraft. Auf diese Weise landeten manche Befragte, wie Frau Zuma, im Gefängnis. Diese Phase der Konfusion folgte direkt auf die Ankunft in Deutschland. Dabei wussten die Betroffenen oft nicht, welchen Verlauf ihr Leben in Deutschland nehmen würde. Sie wussten gar nichts über Deutschland und hatten keine Bekannten dort, als sie dort ankamen. Sie kamen planlos. Sie waren ahnungslos darüber, was sie dort erleben würden. Der Fall von Frau Zuma zeigt, wie schwierig die Situation
6 Sozio-ökonomische Verlaufsprozesse
der Befragten insbesondere in der Fallgruppe »Asyl« in der ersten Zeit in Deutschland sein kann. Sie erzählt: B: Die einzige Person, ich in Deutschland damals kenne, war ein Student. #00:06:40-9# I://mmh//#00:06:40-9# B: Da war er war in E-Stadt, an der Universität E-Stadt bin ich (2) ehh nach E-Stadt gefahren und der Student hat mir gesagt, bei mir kannst nicht Asyl (2) bewerben, ich schicke dir zu einer Schwester in D-Stadt, bin ich nach D-Stadt gefahren unin ein Asylheim. Aber leider die Frau hat mir nicht so::: richtig akzeptiert, die hat mir gesagt, nein bitte kannst du bei mir nicht bleiben, weil (2) dav- dat wird mein selbe mein einige Asyl komplizieren. #00:07:16-1# I://mmh//#00:07:16-1# B: Ich schicke dir zu einer Schwester im W-Stadt. Denn habe ich nach einer Woche (5) nach ehhhh dem W-Stadt gefahren #00:07:32-5# I://mmh//#00:07:32-5# B: Un- da habe ich ein Cousin von mir wohnt in W-Stadt, aber ich habe kei- nicht viel Glück, weil dieselbe Woche (2) mein Cousin hat eine Unfall, °ein Auto-Unfall gehabt°. Ich konnte () und ich habe bei eine:::: (2) Jungen Mann, das ich nicht kenne. Aber die junge Mann war ein ganz nett junge Mann, weil bei Ihm war schon Fünf Leute. Wir haben auf Matratze (2) geschlafen und nach einer Woche (weinend) °ich konnte nicht (3) mbzz (3) ich konnte nicht mehr machen, ich hab(2) gesagt, ich fahre wieder nach Hause. Denn°.(4) Wie ein Magic, wie ein Fra- ein Tag ich wo- ich sitze im Wohne Zimmer ich weine und eine Frau geh durch und sieht mich durch die Fenster. Die kommt und sagt, was ist? () ich erzähle: Ich bin gekommen, ich habe ein 3 Monate Visum und ich weiß nicht, was ich machen solle (2) und ich möchte wieder nach Haus. °Es geht nicht°. Und die Frau Lucia heißt sie () sag: sieht du meine Schwester es ist nicht leicht. Wir alle wir haben dies Erfahrung gemacht (2) und du schaffst das auch (3). Bleib hier und (2) ich kenne eine Frau aus deinem Land (3), sie kommt auch aus Afrika und sie ist auch (2) [aus deiner Region], ich komme morg- und wir f- wir gehen, sie ist in W-Stadt, aber in G-Viertel, ich gehe mit dir zu dieser Frau. Nächster Tag Lucia ist gekommen, wir sind zu dieser Frau geg- gangen. Sie is eine Frau, wir kommen aus selbe Stadt, ich kenne sie nicht und da hat sie gesagt (3), bei mir kannst du auch nicht wohnen. Es geht nicht, meine Wohnung ist zu voll. Aber ich kann eine ehm:::: Wohnheim, wo gibt es viel Frauen. Morgen wir fahren zu diese Wohnheim und verg- villeich du krieg ein Schlafplatz, bis wann du dein Asyl machen kann. Dann bin ich zu dieser Frau (3) und ich habe diese Frau ein Monat gewohn- und nach (3) mbzz, ich habe nicht viel Glück, ich habe Arbeit gekriegt so, Schwarzarbeit gekriegt #00:10:04-8# I://mmh//#00:10:04-8# B: und (3) nach diese ein Monat, ich arbeite ein Monat, die Zeit #00:10:13-6#
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I: Diesen Monat haben sie bei der Frau #00:10:13-6# B: Gewohnt #00:10:16-5# I: Und nicht ehh in Asyl #00:10:16-9# B: Ich habe noch nicht (), weil ich habe keine Ahnung, ich wiss- ich weiß nicht, wie es geht #00:10:21-3# I://mmh//#00:10:21-3# B: Ich hab- (3) keine Ahnung, wie man das ich (3), wie Asyl, was ist Asyl? Ich habe keine Ahnung davon. Ich habe in W-Stadt gearbeitet #00:10:33-4# I://mmh//#00:10:33-4# B: Und da (3) haben die Leute (4) ein Tag (3), die is wo ich habe nicht m- ein F- ein Mann hat so… er hat arrangier- mit einem Papier in mit anderer Name zu arbeiten, ich habe auf diese anderer Name gearbeitet und da ein Tag die meine ich soll die Steuerkarte (4). Was ist eine Steuerkarte? Ein Tag, ich rufe die Mann und sag, die brauch- eine Steuerkarte von mir und der meinte, komme ich komme ich komme ich und er hat mir eine falsche Steuerkarte mitgebracht. Ich habe abgegeben. Und die Leute guck mal etwas stimmt nicht. Sie haben Polizei angerufen (3). Und ich bin fast () das ist gekommen bin. Und da::: (3) haben die Polizei gesagt, ehh die haben mir zu ein Gericht und Gerichtverfahrung und ganz ein Monat ich bin ein Monat in (2) Mo-Stadt, in eine Gefängnis in Mo-Stadt geblieben, ein Monat #00:11:46-3# I://mmh//#00:11:46-3# B: Also dies ein Monat soll, ich habe ein Anwalt (2) vom Staat gekriegt, weil die meint- ich konnte hier mein Asyl beantragen (3). Und ich habe ein Anwalt gekriegt und er hat mir geholfen. #00:12:05-7# I: Und diese Information haben Sie erst im Gefängnis bekom- #00:12:05-7# B: bekommen. #00:12:06-2# I: Vorher #00:12:06-2# B: Vorher nicht. Ich habe keine Ahnung davon, wie es geht, ich habe gar nicht g was ist Asyl? () #00:12:14-2# I:/mmh/#00:12:14-2# B: Da habe ich meine Geschichte erzählt, zu diese Anwalt, wir haben geschrieben und ein Richter ist da in (3) in Mo-Stadt Gefängnis gekommen und ich habe wieder fünf Stunde mit ihm (3) erzählt. Fünf Stunde. °Fünf Stunden°. Wie Frau Zuma haben auch andere Befragte aus der Fallgruppe »Asyl« schlechte Erfahrungen in ihrer ersten Zeit in Deutschland gemacht. Sie sind planlos in einem fremden Land gelandet. Frau Zuma ist als Asylsuchende in Deutschland geblieben, aber sie wusste nicht, wie das Asylverfahren aussah. Sie hatte keine Ahnung davon, was sie erledigen musste und an wen sie sich wenden konnte. In dieser Situation hat sie sich zunächst an einen Bekannten aus ihrem Heimatland gewendet, der ihr mit Kontakten aus seinem Netzwerk weitergeholfen hat. Diese konnten ihr aber
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nicht richtig helfen, da sie auch in prekären Situationen lebten und keine richtigen Informationen hatten. So hat Frau Zuma auch keine professionelle Beratung zu ihrer Orientierung in Deutschland bekommen. Dass sie in dieser Situation geweint hat, ist ein Zeichen dafür, dass sie wirklich fassungslos war. Die Situation war sogar so schlimm, dass die Geflüchtete (also Frau Zuma) daran dachte, nach Afrika zurückzukehren. Dies bedeutet, dass Frau Zuma dachte, die schwierige Lage in Deutschland sei schlimmer als die im Herkunftsland erlebte Situation. Um ihre schlechte sozio-ökonomische Lage im Ankunftsland etwas zu verbessern, hat Frau Zuma illegal gearbeitet. Sie wurde erwischt und auf diesem Weg landete sie im Gefängnis. Erst dort erfuhr sie, dass sie einen Asylantrag stellen musste. Die harten Lebensbedingungen in den ersten Tagen in Deutschland betrafen nicht nur die Fallgruppe derjenigen, die als Flüchtlinge dort ankamen. Andere Interviewpartner bzw. -partnerinnen ließen wissen, dass sie nicht als Asylsuchende kamen, aber dass sie trotzdem mit enormen Schwierigkeiten konfrontiert waren. Das war z.B. der Fall bei Herrn Kwame, der mehrmals in Deutschland gewesen war und dort in den Semesterferien gejobbt hatte, bevor er sich entschieden hat, dort mit einem Promotionsstudium zu beginnen. Aufgrund seiner Vorkenntnisse über Deutschland und das Leben dort hat er die Entscheidung getroffen, das Osteuropäische Land zu verlassen. Dort hatte er sein Studium absolviert und er hatte schon ein Kind. Mit Absicht und auch Vorbereitung ist er also nach Deutschland migriert. Trotzdem musste er dort in der ersten Zeit ein hartes Leben führen. Es ist sinnvoll, darüber zu reflektieren, dass Herr Kwame schon in diesem anderen europäischen Land studiert hat, dass er die dortige Sprache konnte und dass er schon familiäre Beziehungen aufgebaut hatte, aber dass er trotzdem in Westdeutschland promovieren wollte. Das Promotionsstudium ist sicher einer von mehreren Gründen dafür, dass er sich für die BRD entschieden hat. Die Frage bleibt, warum er unbedingt dort promovieren wollte und nicht in dem Osteuropäischen Land oder in der DDR? Soziofamiliär, geografisch und politisch betrachtet wäre es einfacher gewesen, in dem Osteuropäischen Land zu bleiben oder in die DDR zu ziehen. Dass er in der BRD schon eine Schwester hatte, reicht nicht als Argument. Denn er hatte auch einen Sohn in dem Osteuropäischen Land. Die gute wirtschaftliche Situation Westdeutschlands muss auch zu den Gründen zählen, warum er dort promovieren wollte. Dass er dort schon mehrmals vorher in den Semesterferien gejobbt hatte, ist ebenfalls ein gutes Argument dafür. Es ist also im Fall des Herrn Kwame deutlich, dass die Entscheidung, nach Deutschland zu migrieren, nicht spontan getroffen wurde und dass der Betroffene Schritt für Schritt seinen Aufenthalt organisiert hat. Er berichtet selbst, dass er schon vor seiner Migration damit angefangen hatte, sich selbst die deutsche Sprache beizubringen. All dies zeigt, dass Herr Kwame mit seiner sozio-ökonomischen Situation vor seiner Ankunft in Deutschland nicht zufrieden war. Diese prekäre Situation ging in Deutschland in der ersten Zeit trotz der Vorbereitung weiter. Er hat sein Leben
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auch unter schwierigen Bedingungen führen müssen. Trotz der Vorbereitung ist die Eingliederung in Deutschland am Anfang seines Aufenthalts nicht glatt gelaufen. Die Situation und der Weg der Immigration von Herrn Kanambe sind anders als die von Herrn Kwame und Frau Zuma. Für Herrn Kanambe war zwar auch ein Studium der Grund dafür, dass er sein afrikanisches Land verlassen hat, aber im Gegensatz zu Herrn Kwame war es nicht die Absicht von Herrn Kanambe, in Deutschland zu studieren. Er kam als Stipendiat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und sein Zielland war ein anderes Westeuropäisches Land. Für ihn war das logisch, da er die Sprache des Ziellandes sprach. Er war überrascht, als er nach Deutschland weitergeschickt wurde, um dort eine Ausbildung zu beginnen. Dabei hat man nicht nach seiner Meinung gefragt. Deutschland hat er also nicht als Zielland ausgewählt. Seine Konfusion liegt darin, dass er keine Wahl hatte, wohin er gehen und was er tun konnte. Seine Laufbahn ist ganz anders geworden, als er sie sich vorgestellt hatte. Mit Überraschung erfuhr er, dass er kein Studium machen durfte, wie es ursprünglich geplant war, sondern dass er ein Berufskolleg statt einer Universität besuchen musste. Er war auch orientierungslos und wusste nicht genau, was auf ihn zukam. Er musste nur folgen. Materiell betrachtet war Herr Kanambe im Vergleich zu Herrn Kwame und Frau Zuma gut versorgt. Aber diese gute Versorgung hat die Desorientierung nicht verhindert. Sein Lebenslauf entsprach nicht seinem mitgebrachten Plan und Wunsch. Er musste sich neu orientieren. Ungefähr den gleichen Weg wie Herr Kanambe hat Frau Murube durchlaufen, aber unter anderen Umständen. Frau Murube kam ebenfalls über ein anderes Westeuropäisches Land nach Deutschland, aber als Flüchtende. Anders als Herr Kanambe und Herr Kwame wurde sie dazu gezwungen, ihre Heimat zu verlassen und in Deutschland einen Asylantrag zu stellen. In Deutschland ist sie planlos angekommen und hat viele schlechte Erfahrungen während der Zeit des Asylverfahrens und auch danach gemacht. Im Unterschied zu Frau Zuma wusste Frau Murube, dass sie einen Asylantrag stellen musste. Dies hat aber nicht verhindert, dass sie ihr Leben in der ersten Zeit in Deutschland unter schlechten Bedingungen führen musste. Sie erlebte die oben beschriebenen Lebensumstände von Asylsuchenden, beispielsweise in Sammelunterkünften.
6.1.3
Diskriminierung und Kriminalisierung
Frau Murube hatte – als Asylbewerberin – kein Recht auf Freizügigkeit und durfte ihren Wohnort nicht auswählen. Diese junge Mutter, die schon zwei Kinder hatte und die noch dazu schwanger war, musste ein Jahr lang in einem Asylheim verbringen. Sie war alleinerziehend und hat ihr drittes Kind dort bekommen. Zu dieser Zeit war ihr Ex-Mann noch im Ausland. Ihre sozio-ökonomische Lage war unan-
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genehm und wirklich eingeschränkt. Diese Einschränkung breitete sich auf viele Bereiche des neuen Lebens aus, wie z.B. auf Bildung, Arbeit und die Gesundheitsversorgung. Frau Murube erzählt, dass ihre Mutter, die auch Asylbewerberin war, keinen Zugang zu medizinischen Behandlungen hatte, während sie unter einer Augenkrankheit litt. Frau Murube zufolge ist die Krankheit ihrer Mutter aufgrund mangelnder medizinischer Behandlung noch schlimmer geworden und ihre Mutter letztendlich erblindet. Mit dieser Geschichte ihrer Mutter versucht Frau Murube zu zeigen, wie kompliziert das neue Leben in seinen unterschiedlichen Facetten war. Der Versuch seitens der Betroffenen, aus dieser schwierigen Situation herauszukommen, hat in einigen Fällen zur Verschlimmerung der Lage geführt. Dabei haben die Betroffenen bewusst oder unbewusst Ordnungswidrigkeiten und Straftaten begangen. Asylsuchende üben oft – aufgrund fehlender Möglichkeiten auf dem legalen Arbeitsmarkt – illegale Beschäftigungen aus. Von dieser Situation ist Frau Zuma beispielsweise betroffen gewesen. Sie hat ohne Arbeitsgenehmigung eine bezahlte Beschäftigung ausgeübt. Sie wurde verhaftet und ins Gefängnis gebracht, als die Polizei sie erwischte. Von den Befragten – insbesondere in der Fallgruppe »Asyl« – werden repressive Maßnahmen dargestellt, die gegen sie als »auffällig aussehende Personen« (vgl. Cyrus 2005) gerichtet sind. Diese Erfahrungen verbinden sie damit, dass sie aufgrund ihrer – in Deutschland – auffälligen Hautfarbe oft ins Visier genommen und diskriminiert werden. Das war beispielsweise der Fall bei Herrn Bagbo bei seinem Versuch, die Residenzpflicht als Asylbewerber zu umgehen. Herr Bagbo ist der Meinung, dass er am Bahnhof nur von der Polizei kontrolliert wurde, weil er ein Schwarzer war. Er begründet seine Aussage damit, dass andere Menschen mit weißer Hautfarbe, die dort waren, nicht kontrolliert wurden. Er wurde unter anderen Menschen gezielt ausgesucht. Ob er aufgrund seiner Hautfarbe diskriminiert wurde, ist an dieser Stelle nicht allein relevant. Entscheidend ist hier auch, dass er nur mit Sondergenehmigung eine bestimmte Zone verlassen durfte.
6.1.4
Bemühungen in Zeiten von Schwierigkeiten und Unsicherheiten
In der ersten Zeit ihres Lebens in Deutschland war die sozio-ökonomische Lage der Befragten fallübergreifend, bis auf den Fall von Herrn Kanambe, alles andere als sicher. Der Faktor der unsicheren Aufenthaltserlaubnis stand im Vordergrund dieser schwierigen Situation, aber sie erklärt nicht alles. Mangelhafte Sprachkenntnisse, fehlende Informationen über das deutsche System, nur wenige Kontakte mit Einheimischen und viele andere Faktoren verursachten die schwierige Lage der Befragten. Aus dieser Situation wollten sie herauskommen. Es ist interessant zu wissen, wie die Betroffenen diese Situation überstanden haben. Wie schon im Fall von Frau Zuma festgestellt wurde, spielten afrikanische
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Netzwerke eine große Rolle dabei. Die afrikanischen Netzwerke haben auch im Falle von anderen Befragten aus allen vier Fallgruppen eine unterstützende Rolle gespielt. So erzählt Herr Nkurumah, wie er zu seiner ersten Arbeitsstelle kam: Kon- Kontakt war estmal mit der da früher als Asylverfahren ich wir haben ein [Afrikaner] kennen gelernt, die ein Reinigungfirma hatt, wir sind bei ihm gegangen er hat normalerweise eine Organisation () der Arbeitsgeber konnte unsere Antrag bei Arbeitsamt stellen, (3) wenn niemand da (2) gibt, dann kann Arbeitsamt eine Genehmigung erteilen. () so habe ich richtige Kontakt zu diese [Afrikaner] eine Arbeitserlaubnis für drei Monaten nach drei Monaten gehabt. Herr Nkurumah, der in Afrika ein Studium in Pharmakologie absolviert hatte, musste also im Restaurant und in einer Reinigungsfirma arbeiten, um überleben zu können, aber auch um die Zusammenführung seiner Familie organisieren zu können. Dies war nicht einfach, aber er hat es geschafft. So beschreibt Herr Nkurumah seine Bemühungen in dieser schwierigen Situation: B: Als ich hier kam, war ein bisschen Problem eh: mein Zeugnis wurde nicht anerkannt (3) #00:10:05-5# I://mmh//#00:10:05-5# B: Das heißt ehm:::::: du musst zurück oder °@chch@° Studium anfangen. Aber es war auch schwieriger, wir hatten Kinder (3) was haben wir nicht gemacht?, was arbeiten als Putzfrau, () arbeiten bei Kuhlhaus (3) Arbeit bei sag- Metal firma in W-Stadt gearbeitet in a Restaurant, auch in Restaurant habe ich gearbeitet in LuStadt, in Lu-Stadt, jetz (2) bis die Kinder sind gekommen, Kinder sind gekommen und () die Entscheidung weiter zu studieren. #00:11:03-4# In meinem Studium ich habe () Sprachkurse, Sprachkurse war auch nicht einfach (3) h::: (tiefes Atmen) (lachend) ich hatte immer ei:::::::::: eine Arbeit gehabt, wo (2) ich vo::::n acht Uhr bis sechs Uhr gearbeitet habe und (4) kam zu früh morgen um sieben Uhr oder sieben Uhr dreißig () bin ich unterwegs zum Deutschkurs. Als ich die DSH bestanden habe, eh hat mir viel Mut gegeben, weiter (lachend) ananzusteigen. In seinen ersten Tagen musste Herr Nkurumah alle möglichen bezahlten Beschäftigungen annehmen. Mit dem Satz »Was haben wir nicht gemacht?« zeigt er, dass er nicht auf die Qualität der Beschäftigung achtete und dass er bereit war, alles zu tun, um seine prekäre Situation zu verbessern. Der Pharmakologe hat seinen in Deutschland nicht anerkannten Abschluss nicht nutzen können und als ungelernter Arbeiter gejobbt. Dadurch wollte er unbedingt seine Isolation durchbrechen, aber vor allem eine Zukunft für seine in Afrika gebliebene Familie ermöglichen. Diese Beschäftigungen machte er illegal, da er noch keine gültige Aufenthaltserlaubnis hatte. Er fühlte sich dazu gezwungen, unter solchen Umständen zu arbeiten, um die Zusammenführung seiner Familie finanzieren zu können. Parallel zu
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diesen niederschwelligen Beschäftigungen besuchte er einen Deutschkurs mit dem Ziel, später studieren zu können. Die beiden Ziele – Familienzusammenführung und nochmal studieren – konnte er verwirklichen. Als er einen gültigen Aufenthaltsstatus bekam, hatte er schon einen Teil seiner Familie zu sich geholt. Ganz im Gegenteil zu Frau Fatou und Herrn Gnassimbe, die auch ihre Familien aus Afrika nach Deutschland holen wollten, hat Herr Nkurumah nicht auf die deutsche Staatsbürgerschaft gewartet, um sein Ziel zu realisieren. Sein Ziel wurde dank seiner Mühe und der Hilfe aus afrikanischen Netzwerken schon vor der Einbürgerung – und teilweise in der Konfusionsphase – verwirklicht. Es wurde aber auch dadurch realisiert, dass er das Risiko eingegangen ist, illegale Beschäftigungen auszuüben. Außer von afrikanischen Netzwerken bekamen die Befragten in der Fallgruppe »Asyl« und »Studium« in der Konfusionsphase auch Unterstützung von Wohlfahrtsverbänden und Kirchen. Diese Unterstützung ist im Fall von Herrn Kwame sehr deutlich. Die Schwierigkeiten in seinen ersten Jahren lagen u.a. darin, dass er nicht mit einem ordentlichen Visum eingereist war. Sein Aufenthalt in Deutschland in den ersten Monaten war nicht konform zu seinem Einreisezweck und daher auch nicht gesichert. Im Gegenteil zu Herrn Kanambe, der überhaupt kein Problem mit seinem Aufenthalt gehabt hat, hat Herr Kwame kämpfen müssen, um sein touristisches Visum in eine Aufenthaltserlaubnis mit dem Zweck der Promotion umzuwandeln. Obwohl Herr Kwame für seine Promotion keine deutschen Sprachkenntnisse brauchte, hat er sich bei einem Deutschkurs angemeldet. Über diese Anmeldung konnte er eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Wichtig für ihn war nicht, dass er für die Promotion oder für den Sprachkurs angemeldet war, sondern dass er mit dieser Anmeldung eine Aufenthaltserlaubnis bekommen konnte. Um der Ausreisebedrohung durch die Ausländerbehörde entgegenzuwirken, hat er einen Rechtsanwalt eingeschaltet. Im Gegensatz zu Herrn Nkurumah hat Herr Kwame keine illegalen Beschäftigungen ausgeübt. Stattdessen hat er finanzielle Hilfe von Kirchen erhalten, die ihn die schwierigen Zeiten überbrücken ließ. Die finanzielle Lage von Herrn Kwame war in der Konfusionsphase besonders schlimm, da er als Student keinen Anspruch auf Sozialleistungen hatte. Um leben zu können, hat er später legal gejobbt und in günstigen Studentenwohnheimen gewohnt. Das Geld aus diesem Job reichte aber nicht aus und daher hat er sich an kirchliche Hilfsorganisationen gewendet und eine Unterstützung von ihnen erhalten. Die sozio-ökonomische Situation für ihn war schwierig, wie er sagt: Und auf jeden Fall hab ich mir diese – es gab, es gab hier einmal die Katholiken und dann die Evangeliken, die helfen Studenten in Not oder Studenten die – dann habe ich, gut ich hab zuerst, ich denke mit den katholischen oder so, ist egal welche zuerst, geredet und die haben mir diese Sache berechnet und ich glaub das waren 150 DM oder mehr oder weniger 300 DM, um diese Anfangszeiten zu über-
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brücken. Und der Pfarrer hat er dann mich gesprochen auf jeden Fall drei Monate, ne, das zu machen und dann ich denke, die nächste drei Monate hatte dann die evangelische Kirche auch gemacht, das haben diese beide Kirchen gemacht – ich muss sagen, ich bezahle immer diese Kirchensteuer, das ist wirklich eine von die Gründe wo ich sage, komm damals hatten die wirklich geholfen ohne (1) der hat mich nicht gekannt oder so und ich hatte wirklich nichts, wir haben wirklich berechnet, Miete, Versicherung 150 das eine war die Versicherung, wenn du keine Versicherung hast, kriegst du sowieso keine (1) ähm (1), keine Schein von der Uni und dann () sowas in der Richtung, da hatten die mich wirklich die erstes halbes Jahr so geholfen und dann später hatte ich Jobs gekriegt, das war während der Sprachschulzeit. Herr Kwame teilt mit, dass es ihm in der Konfusionsphase richtig schlecht ging. Dies wird bestätigt durch den Satz: »Ich hatte wirklich nichts.« Er ist der Meinung, dass er die schwierige Phase nicht überlebt hätte, wenn er keine Unterstützung bekommen hätte. Den Kirchen, die ihm geholfen haben, die schwierigen Zeiten zu überwinden, ist er immer noch – mehr als 30 Jahre später – dankbar. Diese wirtschaftliche Unsicherheit hat Herr Kanambe, der als Stipendiat nach Deutschland gekommen war, nicht erlebt. Von Anfang an war alles für ihn organisiert und gesichert. Herr Kanambe ist aber eine Ausnahme. Die anderen Befragten mussten, wie Herr Kwame, Herr Nkurumah oder Frau Zuma, die sozioökonomische Knappheit erleben. Die von Frau Fatou, Frau Murube, Herrn Nkurumah und Herrn Kwame gemachten Erfahrungen sind keine Ausnahme. Sie betreffen auch andere Befragte, die auf unsicherem Weg nach Deutschland kamen. Wie oben gesehen, waren diejenigen besonders betroffen, die als Flüchtlinge kamen. Diese Phase mündete in der Orientierungsphase.
6.2
Orientierungsphase: Bemühungen um Perspektiven
Die in dieser Arbeit als Orientierungsphase bezeichnete Etappe reicht vom Erhalt eines gültigen Aufenthaltsstatus bis zur Schaffung einer Basis mit soliden sozioökonomischen Perspektiven. Sie dauerte bei manchen Betroffenen nur ein paar Monate, aber bei anderen viele Jahre oder sogar das ganze Leben lang. In dieser Phase ging es um die Anpassungsbemühungen vonseiten der Betroffenen und um den Aufbau von soliden materiellen Aussichten, nachdem sie das Bleiberecht erhalten hatten. Die hinter der Migration stehenden Umstände, der Weg der Migration, das Ziel der Migranten und Migrantinnen, bestehende unterstützende Strukturen und individuelle Kapazitäten sind einige der Faktoren, die dem Leben der Betroffenen eine neue Orientierung gaben. Das Ende dieser Phase kann daran erkannt
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werden, dass die Betroffenen eine konkrete berufliche Perspektive haben oder auf einem guten Weg sind, eine feste Basis für ein sozio-ökonomisch gesichertes Leben zu schaffen. Die schwierige Lebenssituation setzte sich in vielen Fällen fort, auch nachdem die Betroffenen ihre Aufenthaltserlaubnis erhalten hatten. Die diesbezügliche Situation von Frau Fatou illustriert diese Phase besser als andere Fälle. Frau Fatou hat einen deutschen Mann geheiratet und ist zu ihm nach Deutschland gekommen. Dort bekam sie keine Unterstützung von ihm, obwohl er diese als Geschäftsführer einer Firma hätte leisten können. Frau Fatou schildert, wie sie durch ihren Mann malträtiert wurde. Sie berichtet, dass er sie wie ein Objekt behandelt habe. Sie hat unter häuslicher Gewalt gelitten und wurde materiell in Abhängigkeit oder, besser gesagt, in Armut von ihrem Mann gehalten. Sie hatte vier Kinder in Afrika zurückgelassen und war – zum Teil aus ökonomischen Gründen – manchmal nicht in der Lage, dort anzurufen, um zu erfahren, wie es ihren Kindern ging. Mehrere Jahre lang durfte sie keinen deutschen Sprachunterricht besuchen und konnte auch nicht berufstätig sein. Sie hatte keine Krankenversicherung und konnte auch keine staatlichen Sozialleistungen beziehen, da der Mann gut verdiente. Erst später konnte sie ungünstige Tätigkeiten ausüben, um zu versuchen, diese schlechte Situation zu bewältigen. Der Fall von Frau Murube zeigt auch, wie schwierig die Orientierungsphase war. Die Aufenthaltserlaubnis führte auch nicht automatisch zur Verbesserung ihrer sozio-ökonomischen Lage. Mit ihrer Anerkennung als Asylberechtigte durfte Frau Murube das Asylheim verlassen und sich eine Privatwohnung suchen, die aber in der Kommune befindlich sein musste, in der sich das Asylheim befand. Trotz der Anerkennung als Asylberechtigte, obwohl sie einen legalen Aufenthaltsstatus hatte, war ihre Freizügigkeit also immer noch eingeschränkt. Diese eingeschränkte Freizügigkeit hat im Fall von Frau Murube mehr als sechs Jahre angehalten. Die häufig getätigten Versuche durch die Betroffenen, sich von dieser Unfreiheit zu befreien, scheiterten oft an den zuständigen Ämtern. Frau Murube hat mehrmals versucht, ihren Wohnort zu verlassen, aber ohne Erfolg. Sie musste dort weiterleben, obwohl sie dort keine Perspektive sah. Obwohl sie relativ schnell eine sichere Aufenthaltserlaubnis erhalten hat, hat sie beruflich nicht viel erreicht. Dieser Misserfolg hat mit Passivität nichts zu tun. Ihrer Erzählung ist zu entnehmen, dass Frau Murube viele Bemühungen auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt angestrengt hat, aber dass sie erfolglos geblieben ist. Ihr ist es beispielsweise nicht möglich gewesen, ihre vor der Flucht unterbrochene Schullaufbahn direkt nach Erhalt ihrer Aufenthaltserlaubnis in Deutschland fortzusetzen, obwohl sie das tun wollte. Bezieht man sich auf den Fall von Herrn Kwame, bemerkt man, dass er weiter mit harten Lebensbedingungen konfrontiert war und das auch noch nach seiner Anmeldung für den Sprachkurs, d.h. nachdem er die Aufenthaltserlaubnis erhalten hatte. Er war für eine lange Zeit auf die Hilfe von kirchlichen Organisationen ange-
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wiesen. Erst als er die Promotionsstelle bekommen hat und als wissenschaftliche Hilfskraft fungierte, wurde das Leben weniger hart für ihn. Nach der Promotion hat er bereits nach nur einem Monat eine gute Arbeitsstelle gefunden. Während diese Orientierungsphase bei ihm relativ schnell – in weniger als zwei Jahren – zu Ende ging, hielt sie bei Frau Murube auch noch 16 Jahre nach ihrer Ankunft in Deutschland an, als das Interview mit ihr durchgeführt wurde. Auch nach 15 Jahren mit einer gültigen Aufenthaltserlaubnis und nach mehr als acht Jahren mit der deutschen Staatsbürgerschaft hat sie noch keine sichere Arbeitsstelle. Die Befragten sehen sich selbst im Allgemeinen nicht in der Verantwortung für diese unglückliche Situation. Im Gegensatz dazu denkt Frau Murube beispielsweise, dass dieses Scheitern daran liege, dass die Menschen, die sie bei staatlichen Institutionen angetroffen hat, schwierig und nicht hilfsbereit gewesen seien. Sie hätten ihr nicht geholfen oder sogar verhindert, dass sie sich Perspektiven erarbeitet. Als Beispiel führt sie an, dass man ihr nur Berufsorientierungsmaßnahmen oder Umschulungen angeboten habe, die sie nicht für vernünftig hielt und die sie daher nicht besuchen wollte. Frau Murube ließ wissen, dass alle eigenen Vorschläge und Pläne für ihre eigene Zukunft von den zuständigen Ämtern abgelehnt worden seien. Sie teilt mit, dass sie so behandelt worden sei, als ob sie nicht wüsste, was sie wollte. So erzählt sie: Aber sonst haben die nicht akzeptiert, dass ich was anders mache. Und dann würd ich in eine – wie heißt das nochmal? von ähm von Arbeitsamt, ein ähm das ist keine Umschulung, das is äh Maßnahme zur Berufsorientierung, haben die mich reingesteckt halt, dass – als ob ich nich wusste was ich machen wollte. Aber alles was ich gesagt habe, ich würde das, das, das machen äh haben sie gesagt, ich bin nich dafür geeignet, die wollten dass ich dann ähm Ausbildung zu (1) ähm – wie heißt das nochmal? dass ich lern zu putzen oder solche Sachen. Also ich hab gesagt ich mach das nich, weil das, da brauch man keine Ausbildung drei Jahre um ähm (1) Hauswirtschaftlerin zu werden. Ich hab gesagt, ich will das nich. Und ich habe dann angefangen, ähm (1) äh zu überlegen, dass ich in eine große Stadt umziehe. Wie im Fall von Frau Murube wurden eigene Wünsche und Pläne von den Befragten insbesondere in der Fallgruppe »Asyl« auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt auch in der Orientierungsphase häufig nicht berücksichtigt. Ihnen habe man oft nur unattraktive Angebote gemacht. Frau Murube beurteilt diese Erfahrung als Diskriminierung aufgrund ihrer Herkunft und ihres Hintergrunds als Migrantin. Diese Diskriminierung sei also ein Hindernis in Bezug auf ihre schnelle soziale und berufliche Eingliederung in die Gesellschaft. Nach sechs Jahren der Perspektivlosigkeit hat Frau Murube die Entscheidung getroffen, den Wohnort zu wechseln. Der Umzug war nicht einfach. Auch als Arbeitslose in Deutschland war sie in ihrer Freizügigkeit benachteiligt. Sie hatte ei-
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gentlich kein Recht darauf. Um umziehen zu dürfen, durfte sie keine staatlichen Hilfeleistungen beziehen. So musste sie einen Job suchen. Der gefundene Job war außerhalb ihres Wohnortes und daher für die Mutter mit drei Kindern mit vielen Umständen verbunden. Aber da sie unbedingt die für sie deprimierende Stadt verlassen wollte und da sie keine andere Wahl hatte, musste sie es akzeptieren, in einer belastenden Arbeitsatmosphäre zu arbeiten. Job um Job hat sie schließlich mit der Hoffnung gewechselt, eine Erleichterung in der Arbeitsbelastung zu erhalten, aber immer mit dem Ziel, längerfristig in einen anderen Ort zu ziehen. Ihr Ziel, aus der Stadt wegzuziehen, die ihr letztlich keine Perspektiven geboten hat, wurde also mit den größten Bemühungen und unter großen Belastungen erreicht. Sie hoffte nicht nur auf eine bessere Behandlung durch die Behörden am neuen Wohnort, sondern auch auf eine bessere Lebenssituation. Ihre Phase der Orientierung bzw. Orientierungslosigkeit ist aber mit dem Umzug nicht beendet worden. Frau Murube wollte während der Zeit ihrer Arbeitslosigkeit nicht nur zu Hause bleiben. Sie hat diese Gelegenheit genutzt, um ihre Schulbildung nachzuholen. Sie beschreibt, wie schwierig auch das war. Ihre schon geleistete Schulbildung wurde heruntergestuft und nur auf Hauptschulniveau anerkannt. Da sie aber ein festes Ziel hatte, welches sie unbedingt verwirklichen wollte, hat sie dieses Herunterstufen akzeptiert. Darin sah sie sogar auch eine Chance und nicht nur einen Nachteil. Ihrer Argumentation nach war das Herunterstufen eine Gelegenheit für sie, ihre deutschen Sprachkenntnisse zu verbessern. An dieser Stelle kann man feststellen, dass Frau Murube vorher keine Gelegenheit hatte, einen wirklichen Deutschkurs zu besuchen. Die Schwierigkeiten beim Besuch der Schule sind auch anhand des Schulverlaufs festzustellen. Sie fing mit der Volkshochschule an und wechselte von Schule zu Schule, bis sie zu einem Berufskolleg kam. Dort konnte sie ihr Fachabitur machen. In dieser belastenden Atmosphäre hat Frau Murube es geschafft, die Fachhochschulreife zu erwerben. Anschließend wollte sie Sozialpädagogik studieren, hat aber keinen Studienplatz erhalten. Dies war für die couragierte Frau kein Grund, auf das Studium zu verzichten. So hat sie sich im Fach Elektrotechnik einschreiben lassen. Frau Murube erzählt, dass es schwierig war für sie als alleinerziehende Mutter, ohne Vorkenntnisse in diesem Fach das Studium fortzusetzen und es mit den Familienverpflichtungen zu vereinbaren. Sie hat sich noch einmal um einen Studienplatz in der Sozialpädagogik beworben. Frau Murube erzählt, dass die Bewerbung wie beim ersten Mal ohne Begründung abgelehnt wurde. Dieses Mal wollte sie aber nicht passiv bleiben. Nach einer Klage durch einen Rechtsanwalt bekam sie den gewünschten Studienplatz. So durfte sie studieren und kurz vor dem Interview hatte sie gerade ihren Abschluss als Sozialpädagogin erhalten. Sie befand sich auf der Suche nach einer Stelle und dachte, dass die von ihr schon seit lan-
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gem ausgeübten ehrenamtlichen Tätigkeiten in eine richtige Stelle umgewandelt werden könnten. Der Erhalt einer Aufenthaltserlaubnis bedeutete also nicht, dass die harte Lebenssituation der Betroffenen vorbei war. Er war eine Gelegenheit, sich im deutschen Bildungs- und Arbeitssystem zu orientieren, aber ohne Erfolgsgarantie. Die Orientierung verlief insgesamt sehr unterschiedlich. In der Orientierungsphase hat sich ein Teil der Befragten afrikanischen Netzwerken angeschlossen, um von ihnen eine materielle oder moralische Unterstützung zu bekommen. Diese Netzwerke sind in vielen Fällen hilfreich gewesen. Sie halfen zum Beispiel Herrn Nkurumah, Frau Foé und Frau Fatou, ihre erste bezahlte Beschäftigung zu bekommen. Frau Fatou, die eigentlich kein Problem mit dem Aufenthaltsstatus gehabt hat, da sie aus Afrika zu ihrem Mann nach Deutschland mit aus familiären Gründen gesicherten Aufenthaltsperspektiven kam, war trotz dieses Status desorientiert in ihrer ersten Zeit in Deutschland. Sie bekam weder Unterstützung von ihrem Ehemann noch von den dafür zuständigen Ämtern für ihre Orientierung in der neuen Gesellschaft. Stattdessen erhielt sie bei ihrer Orientierung Hilfe von afrikanischen Netzwerken. Die Desorientierung oder die Konfusion endete also nicht mit der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis. Die legale Aufenthaltsgenehmigung war nur der Schlüssel für die Eingangstür zum Orientierungskampf. In diesem Kampf erleben die Befragten fallübergreifend die schwierige Vereinbarkeit von Familie, beruflichen Tätigkeiten und fortgeschrittenem Alter. Es ist wichtig, daran zu erinnern, dass einige der Befragten in einem Alter nach Deutschland kamen, in dem es quasi nicht mehr möglich war, sich ausbilden zu lassen. Das war zum Beispiel der Fall bei Frau Fatou (Fallgruppe »Heirat«), Herrn Kodjo (Fallgruppe »Arbeit«) und Herrn Gnassimbe (Fallgruppe »Asyl«). Die Abschlüsse, die sie mitgebracht hatten, wurden nicht anerkannt und selbst wenn sie formal anerkannt wurden, wurden sie auf dem Arbeitsmarkt meist geringgeschätzt. So war es schwierig, eine passende Arbeitsstelle zu finden. Zur mangelnden Anerkennung der ausländischen Abschlüsse kamen unzureichende Sprachkenntnisse (vgl. der Fall Bagbo). All dies machte die Lage der Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt kompliziert und das mitgebrachte kulturelle Kapital blieb oft ungenutzt (vgl. Nohl, Schittenhelm und Schmidtke 2010). Nach erfolgreichem Bestehen der Orientierungsphase gelangten3 die Betroffenen zur Phase der Stabilisierung ihrer Situation.
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Nicht alle Befragte haben den Orientierungskampf überwunden. Manche waren noch dabei, als ich mit ihnen die Befragungen durchgeführt habe. Daher kann das Verb »gelangten« auch in der Gegenwart benutzt werden.
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Stabilisierungsphase: Familie, Bildungsabschluss und Arbeit
Die Stabilität der (Lebens-)Situation der Befragten ist außer an der Aufenthaltserlaubnis an Kriterien wie Familie, sozialem Netzwerk, Bildungsabschluss und einer soliden Arbeitsstelle zu erkennen. Trotz einiger Gemeinsamkeiten verlief die Stabilisierung der sozio-ökonomischen Lage in den untersuchten Fällen unterschiedlich. Frau Murube hatte z.B. bis zu der Zeit des Interviews ihre Situation noch nicht stabilisiert. Trotz der Aufenthaltserlaubnis, des Wechsels des Wohnorts und des Abschlusses in Sozialpädagogik befand sie sich immer noch in einer Art Unsicherheit bezüglich ihrer sozio-ökonomischen Lage. Sie hat viel gekämpft und schon viel erreicht. Für die Alleinerziehende ist es aber schwierig, die Familie und die Arbeit miteinander zu vereinbaren. Ohne einen Ausbildungsabschluss musste sie zunächst nach dem Erhalt der Aufenthaltserlaubnis unter ungünstigen Bedingungen tätig sein. Sie erzählt, dass sie früh morgens das Haus verlassen musste und dass sie keine Gelegenheit hatte, die Kinder für die Schule vorzubereiten und dorthin zu bringen. Das Jugendamt habe sie dabei unterstützt und eine Tagesmutter für sie bezahlt, aber leider nur für eine kurze Zeit. Als sie keine Unterstützung mehr vom Jugendamt erhielt, konnte sie nicht mehr arbeiten gehen. Sie wurde wieder arbeitslos. Dann traf sie die Entscheidung, diese Gelegenheit zu nutzen und ihren Schulabschluss nachzuholen. Auf dem Weg von der Orientierungs- zur Stabilisierungsphase machten die Befragten eine Ausbildung, ein Studium oder übten bezahlte Tätigkeiten aus. Für einige Befragte war es wegen ihres Alters leider zu spät für die Ausbildung. Sie bekamen kein Angebot dafür. Ihre mitgebrachten Abschlüsse wurden auch nicht anerkannt. So wurde Herr Gnassimbe mit seinem Universitätsabschluss in Architektur aus Afrika zum Beispiel dazu gezwungen, ungünstige Tätigkeiten auszuüben. Wenn die Betroffenen schon eine Familie hatten, wie im Fall von Frau Murube, war es oft hart, diesen Beschäftigungen nachzugehen und sich gleichzeitig um die Familie zu kümmern. Das Alter und die familiäre Situation wirken also stark auf die Stabilisierung bzw. Nicht-Stabilisierung der sozio-ökonomischen Situation der Befragten. Diejenigen, die noch relativ jung waren, als sie eine gültige Aufenthaltserlaubnis erhalten haben, und die sich ausbilden lassen wollten, wurden jedoch auch mit erheblichen anderen Schwierigkeiten konfrontiert. Sie sprechen darüber, dass sie auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt aufgrund ihrer Herkunft und Hautfarbe benachteiligt wurden. Sie berichten davon, dass diese Benachteiligung in einigen Fällen sogar auf rassistischer Diskriminierung beruht. Dabei waren sie oft nicht in der Lage, sich offensiv mit dem Unrecht auseinanderzusetzen. Herr Bagbo, Herr Diouf, Frau Milla und Frau Murube zählen zu denjenigen, die von dieser Situation betroffen waren. Teilweise haben die Betroffenen versucht sich zu wehren, aber leider ohne Erfolg. In solchen Fällen kam es vor, dass die betreffenden Personen nur
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resignieren konnten. Zu den erwähnten Faktoren des Misserfolges bei der Sicherung sozio-ökonomischer Lagen zählen unzureichende Kenntnisse in Bezug auf die deutsche Sprache und auch über die deutschen Systeme, z.B. das Bildungs-, Arbeitsmarkts- und Sozialsystem. Einige wussten beispielsweise nicht, dass es Beratungsangebote gibt und konnten diese Angebote daher nicht in Anspruch nehmen. Stabilität im Berufsleben und hinsichtlich der sozio-ökonomischen Lage in Deutschland zu erreichen, war relativ einfach für diejenigen, die dort einen Bildungsabschluss erworben haben. Der Status als »Ausländer oder Ausländerin« oder deutscher Staatsbürger bzw. deutsche Staatsbürgerin spielte eine geringe Rolle dabei, sofern eine uneingeschränkte Arbeitserlaubnis vorlag. Denn es gibt auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt kaum einen Unterschied zwischen Migrantinnen bzw. Migranten, die eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Arbeitsgenehmigung besitzen, und Migrantinnen bzw. Migranten mit einer deutschen Staatsbürgerschaft. Also nicht nur der Status auf dem Ausweis, sondern auch andere Kriterien determinieren die Chancen der Bewerber bzw. Bewerberinnen auf dem Beschäftigungsmarkt. Im Fall von Herrn Kwame waren diese anderen Kriterien u.a. der Bildungsabschluss, das studierte Fach und seine persönlichen Beziehungen. Durch seine Promotion und mit Hilfe aus dem Bekanntenkreis hat er keine besonderen Schwierigkeiten gehabt, relativ schnell eine interessante Stelle zu finden. Auch ist festzustellen, dass das Fach, in dem Herr Kwame promoviert hat, eine Rolle bei der Arbeitsfindung gespielt hat. Der in Naturwissenschaften Promovierte mit legaler Aufenthaltserlaubnis hat nur einen Monat nach seiner Promotion eine gute Stelle erhalten. Neben der Qualifikation ist aber die Jobvermittlung durch einen Bekannten entscheidend gewesen. Für die zweite Stelle war später seine Arbeitserfahrung maßgeblich. Als er mit der Arbeitsatmosphäre bei der ersten Stelle nicht mehr zufrieden war, konnte er ohne Schwierigkeiten eine neue Stelle finden. Seine Prioritäten waren jetzt seine Arbeit und seine Familie. Die Familie zählt auch zu den Stabilisierungsfaktoren der Lebenssituation der Befragten. Während eine unglückliche Familie im Fall von Frau Murube als eine Ursache der Instabilität betrachtet werden kann, steht eine als glücklich wahrgenommene Familie hinter der Stabilität von Herrn Kwame und Herrn Kanambe. Herr Kwame erzählt, dass er die Informationen in Bezug auf seine erste Stelle aus seinem Familienkreis erhalten habe. Der Einfluss der Familie von Herrn Kwame beschränkt sich nicht nur auf die Unterstützung auf dem Arbeitsmarkt. Sie wirkt auch auf das Wohlfühlen und auf das Bleiben – anders gesagt: auf die Stabilität seiner Lebensbedingungen – in Deutschland. Herr Kwame sieht seine Familie in Deutschland als einen der wichtigsten Gründe dafür, dass er nicht in sein Herkunftsland zurückgekehrt ist. Er argumentiert, dass die Familie für ihn und für die Menschen aus seinem Herkunftsland sehr wichtig ist. Er meint, dass die Familie
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nicht unbedingt mit einem Ort, sondern mit den Familienmitgliedern verbunden ist. Dies kann so interpretiert werden, dass der Ort, an dem die Familie sich befindet, weniger wichtig ist als eine glückliche Familie. In dieser Hinsicht vermisst er nichts von Afrika in Bezug auf die Familie, da er in Deutschland mit seiner Familie glücklich ist. Darüber erzählt Herr Kwame: Ohne Vorurteil, das – ich hab einfach so das genommen, ja (hustend). Gut, jetzt wir (2), ich hab jetzt () 85 bis 88, ja. Ja gut, dann hab ich, ja gut angefangen ein bisschen Familienleben, ne, (1), Schwiegervater, Schwiegermutter und so was eigentlich (1) habe ich ein schöne Familienleben. Ich bin eigentlich dran so auch gewohnt in [afrikanisches Land], die Familie ist bei uns oder bei mir (1) unser wichtigste. Verstehst du? Und das ist (2), ähm das war auch so, dass das (hustend) bei meiner Frau, die hatte auch mehr oder weniger eine Familie, das auch so () wo die Familie auch, wie heißt dat, auf erste (3) äh (2) Priorität hat, ne? Die Situation der Familie in Deutschland trägt zur Stabilität von Herrn Kwame bei. Dies hat dazu geführt, dass er seine Absicht, irgendwann nach Afrika zurückzugehen und dort zu arbeiten und zu leben, geändert hat. In Deutschland zu bleiben, war nicht sein Ziel gewesen, bevor er seine Familie gründete. Im Laufe seines Aufenthalts hat sich der Schwerpunkt seines Lebens dorthin verlagert und stabilisiert. Nur der Kontakt zur Familie in Afrika und nicht mehr das genannte Ziel, dorthin zurückzukehren, ist immer noch da. So erzählt Herr Kwame: Das ist das () zwischen unsere Familien sogar, meine Vater und Mutter war auch hier, mein Schwiegervater war (1) mit mir auch in [meinem Herkunftsland], wir waren schon auch Zuhause, hab ich dann da gesagt () inzwischen 80 Jahre, es gab wirklich gute Kontakt, also hat er mich auch sehr, sehr geholfen, irgendwohin, diese ähm, diese Heimat (1), ja weil ich muss sagen, ich bin wirklich nach [Herkunftsland], ich bin von [Herkunftsland] rausgegangen nicht mit dem Gedanken hier zu bleiben (1), das war nicht mein Ziel. Meine Ziel war wirklich (2) irgendwohin in Europa kommen (1) mich sich bilden lassen oder was studieren und wieder zurück (2), in mein Land zu arbeiten oder so. Das war eigen – aber man vergisst das und ich war fast 20, 21 Jahr – also egal wo du gehst ist nicht nur – du lebst nicht isoliert. (1) Du lebst in diese Land, du wächst mit, das bedeutet wir, du bekommst auch Kinder, du heiratest, du bist nicht in eine isolierte – wie ich früher das gedacht hab, dass ich komme einfach, lebe ich mehr oder weniger in Isolation, () ich ohne links und rechts zu gucken oder so und danach sage ich tschüss hier, ich bin weg – das ist nicht so. Du, du gewöhnst dich an das Land, du (2) bist ein Alter wo du auch (wächst), wo du auch ernsthaft Freundinnen oder so hat, wo wahrscheinlich sogar Kinder herauskommen kann usw. usw. Anhand dieses Interviewausschnitts ist u.a. festzustellen, dass Herr Kwame sich inzwischen mit seiner Familie in Deutschland sein Leben eingerichtet hat. Er ist
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nicht mehr sozial isoliert. Er hat eine Frau und auch Kinder dort. Mit »wir« meint er seine Familie aus Deutschland, darunter auch seine Schwiegereltern. Gleichzeitig sieht er aber sein Herkunftsland immer noch als seine Heimat und als sein Zuhause an. Dieses ambivalente Zugehörigkeitsgefühl während der Stabilisierungsphase wird noch intensiver im Kapitel über die soziale Zugehörigkeit thematisiert. Wichtig an dieser Stelle ist zu konstatieren, dass Herr Kwame sich – aufgrund der in Deutschland gegründeten Familie – dort heimisch fühlt. Eine mehr oder weniger sichere Arbeitsstelle nach einer guten Ausbildung und eine stabile Familiensituation sind die Faktoren, die dazu beigetragen haben, dass auch Herr Kanambe sein Leben in Deutschland stabilisiert hat und dortgeblieben ist. Herr Kanambe, der während seiner Ausbildungszeit eine Familie gegründet hat, hatte beabsichtigt – wie Herr Kwame –, nicht dauerhaft in Deutschland zu bleiben, als er sein Herkunftsland verlassen hatte. Herr Kanambe hatte auch vorgehabt, nach seinem Studium nach Afrika zurückzukehren. In seinen Aussagen wird deutlich, dass er wegen seiner Familie und der beruflichen Perspektive in Deutschland bzw. der Perspektivlosigkeit in Afrika die Entscheidung getroffen hat, in Deutschland zu bleiben. Er hat seine Augen nicht vor der Realität verschlossen und seine Entscheidung war klar und nachvollziehbar. Der junge, verheiratete Mann dachte nicht nur über seine Zukunft, sondern auch über die Perspektive seiner Familie nach. Seine verbeamtete Frau hätte ihren Arbeitsplatz und ihren Status verloren, wenn sie ausgewandert wäre. Für den jungen Programmierer gab es keine Arbeitsstelle im Herkunftsland, wo die Technologie und die Informatik noch fremde Themen waren. Sein Leben war in Deutschland stabil und deshalb hat er sich dafür entschieden, dort zu bleiben. Zu bemerken ist, dass die Einbürgerung keine besondere Rolle bei der Stabilisierung der Lebenssituation der Betroffenen auf sozio-ökonomischer Ebene gespielt hat. Die Stabilität kam in einigen Fällen innerhalb des Samplings bereits vor der Einbürgerung. In anderen Fällen fand die Einbürgerung ohne Stabilisierung der sozio-ökonomischen Situation statt. Auch nach der Einbürgerung, d.h. als die Interviews geführt wurden, war die sozio-ökonomische Situation in diesen anderen Fällen noch nicht stabilisiert. Insgesamt gibt es also kein Indiz dafür, dass es eine direkte Verbindung zwischen der Stabilität und dem Status der Staatsbürgerschaft gibt. Es gibt keine einzige Aussage, wonach die Betroffenen aufgrund der Einbürgerung einen sicheren Arbeitsplatz bekommen hätten. Dies erklärt sich auch durch die Tatsache, dass alle neuen deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger auch schon vor der Einbürgerung über eine solide Arbeitsgenehmigung verfügten. Diejenigen, die ihre Situation stabilisiert haben, gehen zum nächsten Schritt, d.h. zur Konsolidierungsphase, über.
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6.4
Konsolidierungsphase
Die Konsolidierungsphase ist als eine fortgeschrittene Entwicklung der Stabilisierungsphase zu betrachten. In dieser Phase kämpften4 die Befragten des vorliegenden Samplings nicht mehr für eine angemessene Arbeitsstelle oder für die sozioökonomische Sicherheit im Alltagsleben, sondern sie konzentrierten sich selektiv darauf, was sie für wichtig in ihrem Leben hielten. Es ging in dieser Phase nicht mehr um das Überleben oder um eine Familiengründung, nicht mehr um eine Ausbildung oder um das Streben nach einem Bildungsabschluss. Es ging eher um die Festigung von dem, was man schon erreicht hatte. Diese Bekräftigung verlief unterschiedlich, was an verschiedenen Aspekten zu erkennen ist. Zu diesen Aspekten gehören u.a. die berufliche Situation, Sozialkontakte, Beziehungen außerhalb des Familienkreises, das Engagement in der Gesellschaft und der Genuss von Freizeit. Im Fall von Herrn Kanambe wird die Konsolidierung u.a. durch die Tatsache gekennzeichnet, dass er mit seiner Familie das Wohnmilieu gewechselt hat und sehr zufrieden mit seinem Leben auf dem Land als Mittelschicht-Bürger ist. Die Projekte, die er dort übernommen hat, sind ein Zeichen dafür, dass er nicht daran zweifelt, dass sein Leben dauerhaft in Deutschland liegt. In seinem Dorf hat er am Leben der Gesellschaft in unterschiedlichen Zusammenhängen teilgenommen. Er hat wichtige Rollen in verschiedenen Vereinigungen, insbesondere im Bereich Sport, gespielt. Er fungierte im Fußball und Basketball als Spieler, Betreuer oder Schiedsrichter. Später ist er einer politischen Partei beigetreten und nun hat er ein politisches Mandat. Seine Hautfarbe war dort auffällig, aber sie war kein Hindernis für sein Engagement. Außer seiner Hautfarbe sieht man keine weiteren besonderen Äußerlichkeiten, die Herrn Kanambe von den anderen Bürgern aus dem Dorf unterscheiden könnten. Er lebt schon wie ein Deutscher, wie er selbst sagt. Diese Aktivitäten haben ihm geholfen, seinen Bekanntenkreis auf dem Dorf zu erweitern. Er berichtet, dass junge Menschen, die er trainiert hat, »seine« Wähler in der Politik geworden sind. Seine Aussage ist ein Zeichen, dass er sich als integraler Bestandteil der Dorfgemeinschaft sieht. Durch die Erzählungen bemerkt man, dass Herr Kanambe nicht viel umherreist und dass er eher auf dem Dorf in Nachbarschaftsvereinigungen aktiv war und ist. Solange er sich im Dorf aufhielt, hatte Herr Kanambe kein besonderes Problem. Es ist anzunehmen, dass diese Situation der Gewohnheit und der Konsolidierung, die in seinem Fall bereits vor der Einbürgerung eintrat, dazu geführt hat, nicht viel auf seinen Status zu achten. Dies könnte der Grund dafür sein, dass es ihm nicht aufgefallen war, dass er ein Visum brauchte, um in Europa außerhalb Deutschlands reisen zu dürfen. So wurde er in der Schweiz ohne Visum bei einer 4
Die Verben können auch in die Gegenwartsform konjugiert werden, da einige Befragte immer noch in dieser Phase sind.
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Reisegemeinschaft erwischt. Durch die Erzählung von Herrn Kanambe wird deutlich, dass er nicht wusste, dass er ein Visum für das Reisen brauchte. Er hat sich seinem Verständnis nach nicht von seinen »Mitbürgern« unterschieden. Aufgrund seines Lebenslaufs und seiner selbst gewählten Migration unterscheidet Herr Kanambe sich von »Flüchtlingen«, die zum Beispiel wegen Hungersnot oder Krieg ihre Länder verlassen. In der Flucht sieht er einen Zwang. Er selbst sieht sich als einen Migranten an, der nicht unter Zwang, sondern freiwillig migriert ist. Er betrachtet die Migration als eine Änderung des Milieus, in dem er lebt. Er ist der Meinung, dass man bei der Migration sein Land verlässt und sein Leben irgendwo anders fortführt. Als er sein Land verließ, hatte er auch nicht vor, dass er im neuen Land bleiben würde. Herr Kanambe erzählt, dass er die Entscheidung, in Deutschland zu bleiben, erst getroffen hatte, als er dort war und es ihm dort gut ging. Alles verlief freiwillig und erfolgreich und auf dem Weg des Erfolgs traf er auch die Entscheidung, seine Situation dort zu konsolidieren. Diese Freiwilligkeit und dieser Erfolg fingen bereits in seinem Herkunftsland an. Die Ausbildung und nicht die Situation in seinem Herkunftsland war der Grund, warum Herr Kanambe nach Deutschland gekommen ist. Diese Ausbildung spielte auch eine Rolle bei seinem Verbleib in Deutschland. Dank der Ausbildung konnte er in Deutschland eine gute Arbeitsstelle finden, die er in Afrika nicht finden konnte, und er hat sich dort gut etabliert. Sein Erfolg in Deutschland steht hinter seiner Entscheidung, dort zu bleiben. Die schlechte Lage in seinem ehemaligen Heimatland hat dabei bestimmt auch eine Rolle gespielt, aber dies kam erst später hinzu, als er schon in Deutschland war. In Bezug auf sein Bleiben in Deutschland argumentiert er, dass er kein Idealist war, der die Situation im Herkunftsland unter einem diktatorischen Regime ändern wollte. An dieser Stelle wird deutlich, dass auch die Situation vor Ort in seiner ehemaligen Heimat die Entscheidung in Deutschland zu bleiben, beeinflusst hat. Seine Aussagen können in die Richtung interpretiert werden, dass er pragmatisch war und dass er sein Leben in Zufriedenheit führen wollte und sich dort engagieren wollte, wo er lebte. Aus seinen Erzählungen über sein Verhältnis zu seinem Herkunftsland geht hervor, dass sich Herr Kanambe nicht mehr als ein Teil des Volkes seines Herkunftslandes ansieht. Er ist der Meinung, dass er sich von ihnen unterscheidet. Er beschwert sich darüber, dass Menschen aus seinem Herkunftsland keine Initiative ergreifen und keine Verantwortung übernehmen würden. Er begründet seine Position damit, dass seine Projektpartner im Herkunftsland von ihm erwarteten, dass er alles tue. An dieser Stelle wird deutlich, dass er sich in einer anderen Art des Denkens und des Handelns sowie der Lebensbedingungen sieht als die Menschen in seinem Herkunftsland. Er grenzt sich selbst von seinen ehemaligen Landsleuten ab. All dies bestätigt die Konsolidierung seines Lebens in Deutschland. Wie Herr Kanambe hat auch Herr Kwame seine Lebenssituation in Deutschland schon stabilisiert und konsolidiert. Während sich die Tätigkeiten von Herrn
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Kanambe in der Konsolidierungsphase auch über die Familie und die Arbeit hinaus erweitern, konzentriert sich Herr Kwame in dieser Phase nur auf seine Familie und die Arbeit. Seine Sorge ist es nicht mehr, eine Arbeit zu finden, wie es der Fall für Frau Murube ist, sondern in einer guten Arbeitsatmosphäre tätig zu sein und mit seiner Familie glücklich zu bleiben. Er berichtet, dass er seine Arbeitsstelle gewechselt hat, als das Arbeitsklima wegen seines Chefs nicht gut war. Er betrachtet seinen Ex-Chef als einen schwierigen und unhöflichen Menschen. So erzählt Herr Kwame: So, so jemand denkt, denkt der kann alles kaufen und das war – der hatte kein Respekt (2) vor (1) – und der zeigt das nicht so ja, nicht so ja – der ist schwierig, der is ein ganz ganz schwieriger Chef. Ich bin nicht der einzigste, der mit dem Problem – auch Deutsche – ich war eigentlich mehr oder weniger der einzigste Afrikaner da. Es ist interessant, an dieser Stelle zu bemerken, dass Herr Kwame einen Unterschied zwischen sich und den »Deutschen« macht, aber dass er glaubt, dass die Schwierigkeiten mit seinem Chef nichts damit zu tun hatten, dass er Afrikaner ist. Er sieht sich im Vergleich zu seinen Kollegen gleichbehandelt und kann sich genau wie andere darüber beschweren, wenn ihm eine Situation unangenehm ist. Er lässt sich nicht unterdrücken. Er muss nicht alles akzeptieren, um seinen Arbeitsplatz nicht zu verlieren. In ihren Phasen der Konfusion, der Orientierung oder der Stabilisierung akzeptierten es die Befragten, unter nachrangigen Arbeitsbedingungen tätig zu sein. In der Konsolidierungsphase war das nicht mehr der Fall. Dies wird an Herrn Kwames Beispiel deutlich. Er hat selbst die Stelle gekündigt, als er mit den Arbeitsbedingungen nicht zufrieden war. Außer dass Herr Kwame beruflich kein Problem mehr hat, verfügt er über ein Vermögen in Deutschland. Er besitzt zum Beispiel ein eigenes Haus. Dies bestätigt, dass sein materielles Leben in Deutschland gesichert ist. Im Gegensatz zu Herrn Kanambe ist Herr Kwame sehr viel unterwegs, sowohl mit der Familie als auch beruflich. Herr Kwame erzählt, dass er viele Geschäftsreisen in Europa und Privatreisen nach Afrika gemacht hat. Er teilt mit, dass er wiederholt Visumsanträge stellen musste, um diese Reisen machen zu können. Er fand es mühsam, mit einem afrikanischen Pass zu reisen. So wurde ihm bewusst, dass der Status als afrikanischer Staatsbürger nicht mehr zu ihm passte. Dass er endgültig auf den Pass seines Herkunftslandes verzichtet hat, ist auch ein Zeichen für die Konsolidierung seines Lebens in Deutschland. Sowohl bei Herrn Kwame als auch bei Herrn Kanambe kam die Konsolidierungsphase ihrer Lebensverhältnisse in Deutschland in der Zeit, in der sie noch einen ausländischen Status besaßen. Die deutsche Staatsbürgerschaft kam erst später und hat eigentlich keine Rolle in den Stabilisierungs- und Konsolidierungsphasen gespielt.
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Frau Murube, die zum Zeitpunkt des Interviews arbeitslos war, hat diese Etappe nur in sehr begrenzten Maßen erreicht. Obwohl sie eingebürgert ist, befindet sie sich eigentlich noch in der Phase der Orientierung. An ihrem Beispiel wird noch deutlicher, dass die Einbürgerung nicht unbedingt zur Verbesserung der sozioökonomischen Situation der Betroffenen geführt hat. Aus ihrer Erzählung wird klar, dass es ihr und ihrer Familie sozial und materiell immer noch nicht gut geht und sie daher keine Freizeiten genießen kann. Sie erzählt: Ähm ich meine Freizeit hin und her das kostet auch Geld und ich war seit (1) ok ich habe gearbeitet und nachher dann angefangen zur Schule zu gehen und das alleinerziehende Mutter, Schule, Studentin, das Geld was man bekommt is wirklich zu wenig. Ich musste noch nebenbei jobben. Aber es gab Monate wo ich kein Geld hatte, weil (1) ähm um Bafög zu bekommen, muss dann schon die Bescheinigung von Uni da sein und ähm (2) dann musste ich dann erstmal zahlen bis die dann anfangen, dann hast du die Bescheinigung und dann gibst du Bafögamt. Dann Bafögamt, dann (1) dauert auch bis die dann eine Bescheinigung gegeben haben. Da kannst du zu Wohnungsamt – das war so eine Kette. Und wenn eine (1) äh verschlafen hatte dann is alles nach hinten, dass man zum Beispiel zwei Monate kein Geld hat und da kannst du kein Urlaub machen. Kann man auch nich so viel machen von (deswegen) irgendwelche Freizeit oder sowas. Ich habe nur Sachen gemacht, wo ich nich so viel Geld ausgeben (1) brauchte, so wie diese Gesang oder sowas, Chor, Kirchechor oder sowas, aber sonst nich. Dies erzählte Frau Murube nur ein paar Wochen nach dem Abschluss ihres Studiums. Ihre Situation hat sich bisher nicht viel verbessert. Sozio-ökonomisch hat sie also noch nichts zu konsolidieren. Zu bemerken ist aber auch, dass Frau Murube seit mehr als acht Jahren eingebürgert ist. Während sie mit einer deutschen Staatsbürgerschaft immer noch versucht, sich in ihrer Immigrationsgesellschaft zurechtzufinden, haben Herr Kanambe und Herr Kwame ihre sozio-ökonomische Stabilität erreicht und diese wurde sogar bereits vor der Einbürgerung konsolidiert.
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Attestierungsphase: Bleiben, Desillusion und Einbürgerung
Die Attestierungsphase ist hauptsächlich daran zu erkennen, dass die Befragten festgestellt haben, dass ihre Träume – zum Beispiel in ihre Herkunftsländer zurückzugehen – nicht mehr verwirklicht werden können. Mit der Konsolidierung ihrer Errungenschaften in Deutschland zementierten sie ihr Bleiben dort. Langsam und manchmal unbewusst haben sie Umstände geschaffen, die dazu führten, dass sie ihre Pläne, irgendwann in die Heimat zurückzukehren, aufgaben. In der Attestierungsphase haben sie festgestellt, dass ihre Verankerung – vor allem ihr
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sozio-ökonomisches Setting – fest nach Deutschland verlagert worden ist. Auch die Wahrnehmungen der Befragten in Bezug auf soziale Verbindungen haben sich verändert. Den Herren Kanambe und Kwame zum Beispiel ist in dieser Phase klargeworden, dass ihr Leben fest mit Deutschland verbunden ist. So erzählt Herr Kwame: Und irgendwann hab ich gesagt: komm, (das) ist eigentlich Blödsinn. () ich lebe hier, habe ich hier ein Haus gekauft, hab ich hier drei Kinder. Was soll das? (2) Was soll diese komische (Zoll) (), Herr Kwame argumentiert selbst, dass er sich entschieden hat, sich einbürgern zu lassen, weil er den Schwerpunkt seines Lebens in Deutschland und nicht mehr in seiner ehemaligen Heimat sah. An dieser Stelle gibt es viele Ähnlichkeiten zum Fall von Herrn Kanambe. Da sich jeweils der Schwerpunkt ihres Lebens insbesondere in Bezug auf Familie und Beruf in Deutschland befand, trafen sie die Entscheidung, ihr Leben dort weiterzuführen. Ihnen ist bewusst geworden, dass ihr ausländischer Status in Deutschland ein Hindernis für den Zusammenhalt ihrer Familie war. Herr Kanambe stellte das fest, als es ihm ohne Visum nicht erlaubt war, zu seinem Sohn zu fahren, der einen Unfall in Frankreich gehabt hatte. Seine deutsche Frau, die kein Visum brauchte, musste allein hinfahren. Er sah dadurch seinen Status als eine Mauer zwischen ihm und seiner Familie und entschied sich für die Einbürgerung, um diese Mauer fallen zu lassen und mit seiner Familie uneingeschränkt zusammenzuleben. Eine solche Entscheidung für die Einbürgerung ließ sich innerhalb des Samplings auch bei weiteren Befragten beobachten. Die Situation ist aber anders für diejenigen, die es nicht geschafft haben, ihre sozio-ökonomische Situation zu stabilisieren und zu konsolidieren, wie Frau Murube. In diesem Fall wollten die Betroffenen oft so schnell wie möglich die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben, mit der Hoffnung, dass sie ihnen helfen könnte, ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Mit anderen Worten, sie erwarteten von der Staatsbürgerschaft die Stabilisierung und Konsolidierung ihrer sozioökonomischen Situation. Außerdem wollten sie sicher sein, dass sie trotz ihrer prekären Situation in Deutschland bleiben könnten. In diesem Sinne wurden sie nicht enttäuscht. Die Illusion – und die Desillusion nach der Einbürgerung – fand hinsichtlich der Hoffnung auf die Verbesserung der sozio-ökonomischen Lage in Bezug auf den neuen Status statt. In beiden Fällen – erzwungene Flucht und freiwillige Migration – ist die Einbürgerung als Attestierungsvorgehen für das Bleiben zu betrachten. Der Unterschied bei den Befragten in Bezug auf diese Sicht ist nicht groß. Er bestand im Wesentlichen im Zeitpunkt, an dem deutlich wurde, dass man nicht mehr in sein ehemaliges Heimatland zurückkehren werde. Ehemalige Geflüchtete, wie Frau Murube, wollten mit ihren ehemaligen Heimatländern nichts mehr zu tun haben. Sie, die als Flüchtling nach Deutschland kam, hatte schon in ihrem Herkunftsland die
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Entscheidung getroffen, eine ausländische Staatsbürgerschaft anzunehmen, sobald dies möglich wäre. Sie träumte also nicht davon, in das Herkunftsland zurückzukehren. Es war in ihrem Fall nicht nötig, alle oben beschriebenen Phasen durchlebt zu haben, um sich für das Bleiben in Deutschland zu entscheiden. Die Phase der Attestierung kam früh, sogar viel früher als die Phasen der Stabilisierung und der Konsolidierung. Wie schon erwähnt, war das Leben von Frau Murube und ihrer Familie materiell und beruflich noch nicht stabil, als das Interview mit ihr stattfand. Der Einbürgerungsprozess hat in ihrem Fall fast drei Jahre gedauert. An dieser Stelle ist daran zu erinnern, dass die arbeitslose alleinerziehende Mutter Schwierigkeiten hatte, die Voraussetzungen für die Einbürgerung zu erfüllen. Eine dieser Bedingungen ist die sozio-ökonomische Unabhängigkeit vom Staat. Diese war nicht vorhanden in ihrem Fall, da sie keinen Job und keine andere Einkommensquelle hatte. Sie träumte von einer Verbesserung ihrer Situation durch die Einbürgerung. Sie wusste schon, dass das Verfahren in ihrer Situation schwierig sein könnte, aber sie hat den Antrag trotzdem gestellt. So erzählt sie: Das hat lange gedauert. Ich denke ich habe 2003 oder so angefangen und dann 2005 oder 6 habe ich dann (1) – ich denke 2006 war das, nich 2005 (2) ne ne ne, das stimmt. 2005 denk ich, habe ich dann diese Einbürgerung bekommen. Das hat zwei, zwei fast drei Jahre gedauert. Ja. […] Ich habe dann angefangen das zu beantragen, wo ich wusste, ja das wird nich klappen, weil die verlangen dass man auch gearbeitet hat und sechs Monate in die Kasse gezahlt hat, halt ohne Sozialhilfe zu bekommen, aber das geht nicht. Also wenn man in Asyl is, bis man Asyl ähm diese Anerkennung bekommt und so das dauert. Bei mir das war ein Jahr, ich kenn ein paar Leute das hat (3) lang gedauert, aber die Möglichkeit zu arbeiten hatte man auch nich. Ich habe einen Job gesucht seit ich in in Deutschland war, auch wenn ich nich, wo ich nich anerkannt war hab ich überall nach Job gesucht, aber ich hab keinen Job bekommen. Erstmal wo ich nich anerkannt war, durfte ich nicht arbeiten, wie ich anerkannt war – auch in L-Stadt wo ich gewohnt habe, die waren schlimm. Also du, da hat man wirklich keinen Job bekommen – auch putzen nich. Trotz dieser Unsicherheit glaubte Frau Murube fest daran oder zu mindestens wünschte sie es sich, dass ihre Zukunft in Deutschland liegt. Aus diesem Grund ist die Entscheidung, sich einbürgern zu lassen, nie ein Thema gewesen. Die Frage war nur, ob, wie und wann sie die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten durfte. Diese Erfahrung von Frau Murube haben auch andere Befragte gemacht, die als Flüchtlinge nach Deutschland kamen. Unabhängig davon, dass sie als Asylberechtigte anerkannt wurden, fand die Desillusionierung derjenigen, die gezwungenermaßen nach Deutschland kamen – zum Beispiel in der Fallgruppe »Asyl« – viel früher statt, als die derjenigen, die freiwillig nach Deutschland migriert sind – zum Beispiel in der Fallgruppe »Studium«. Dies wird beim Vergleich der Fälle von
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Frau Murube, Herrn Kwame und Herrn Kanambe deutlich. Die Attestierungsphase kam bei beiden Männern viel später: nach mehreren Jahren in Deutschland und nachdem ihr Leben dort materiell, familiär, sozial und beruflich stabilisiert und konsolidiert war. Für Herrn Kanambe bedeutet die Einbürgerung vor allem die Attestierung seines Status als Migrant für immer, weil er nicht mehr vorhatte, in sein Herkunftsland zurückzukehren. Dagegen bedeutet die Einbürgerung für Herrn Kwame eher die Attestierung dessen, dass er wie ein Deutscher lebt. Herr Kanambe betrachtet die Einbürgerung in erster Linie nicht als Attestierung seines Status als »Deutscher«, sondern als Migrant. Darin liegt der Unterschied in Bezug auf die Bedeutung der Einbürgerung und der Attestierung bei beiden Männern. Herr Kanambe sagt: Ja dann bin ich eigentlich (2) – hab ich 69, 70 geheiratet. (3) Und (2) bin ich dann hier – also (3) weitergearbeitet. (2) Und immer mit der – im Hinterkopf zurückzugehen irgendwann. (2) Aber, (2) als ich zurückgehen wollte, hab ich gemerkt, da gab es keine große Perspektive. Und damals hat [der President im Herkunftsland] die (1) sogenannte () und eine Partei (3) System eingeführt. Das war sehr schwer. Meine Frau ist Lehrerin (2) und (Beamte). Wir hätten, wenn wir zurückgegangen wäre (1) dann hätte sie ihr Status als Beamte (2) verloren oder drauf verzichten müssen. Wenn wir zwei – () hätten sie beurlaubt (1) für zwei oder drei Jahre, aber danach müsste sie zurückkommen oder drauf verzichten. (2) Das wollte sie nicht und da sowieso in [Herkunftsland] keine große Perspektive war, dann habe ich gesagt, ich bleibe dann – das ist die Migration dann. Äh und wie ich vorhin gesagt hatte, dass 85, mein Sohn 86 verunglückt war, da (3) hab ich auch die Staatsbürgerschaft (1) 87 (2) beantragt (1) und bekommen. (3) So bin ich eigentlich immigriert. Also als Migration, mein Weg ist ein bisschen anders als manche äh andere, sag ich mal, die jüngere jetzt. Die als Flüchtling oder irgendwas (2) äh nach Deutschland gekommen (1) sind. Herr Kanambe unterscheidet sich als Migrant von den Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen, um dort zu bleiben. Er argumentiert, dass es sein Ziel war, in Europa zu studieren und später in sein Heimatland zurückzugehen. Er setzt die Begründung bezüglich des Unterschieds fort und erklärt, dass nicht nur das Ziel, sondern auch die Umstände nach Deutschland zu kommen unterschiedlich sind, je nachdem ob man Flüchtling oder Migrant ist. Die Einbürgerung kam in seinem Fall als formale Bestätigung dafür, dass er Migrant ist. Damit erkannte er, dass sein ursprünglicher Traum und sein Ziel der Rückkehr nicht mehr verwirklicht werden konnten und dass er nun sein ganzes Leben ein Migrant bleiben würde.
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6.6
Zwischenfazit
In diesem Kapitel wurde auf die Frage eingegangen, wie sich die sozioökonomischen Situationen der im Rahmen der vorliegenden Arbeit interviewten Personen in Deutschland entwickelt haben und welche Rolle die deutsche Staatsbürgerschaft bei diesem Verlaufsprozess gespielt hat. Es wurde untersucht, ob die Einbürgerung die Lebensläufe der Befragten in Bezug auf ihre sozio-ökonomische Situation beeinflusst hat und wenn ja, wie. Um sich mit dieser Frage zu befassen, war es wichtig, zunächst die Lebenslage der Betroffenen von Anfang an in Deutschland zu beschreiben und darzustellen, wie sie sich mit der Zeit verändert hat. Die befragten Personen haben die dargestellten Phasen nicht gleichmäßig erlebt. Zusammengefasst und fallübergreifend bemerkt man, dass die Befragten meist unvorbereitet (bis auf einen Fall) und manchmal auch unfreiwillig nach Deutschland kamen, in ein Land, das ihnen unbekannt war. Sie haben in der ersten Zeit dort eine Konfusionsphase mit erheblichen Schwierigkeiten erlebt. Die schwierige Situation von den Befragten des vorliegenden Samplings in dieser Phase erinnert an empirische Befunde von Anja Weiß (2010) bezüglich rechtlicher Exklusion von hochqualifizierten Migrantinnen und Migranten. In der Konfusionsphase wurden die Befragten mit einer rechtlichen Exklusion oder Einschränkung konfrontiert, die sich überwiegend durch eine Orientierungslosigkeit, eine unsichere Aufenthaltserlaubnis und ein prekäres sozio-ökonomisches Leben beobachten lässt. Die Dauer dieser Phase war sehr unterschiedlich und sie dehnte sich bei einigen auf mehrere Jahre aus. Der Fall von Herrn Kanambe ist eine Ausnahme. Er war kaum von diesen Schwierigkeiten betroffen. Er kam als Studierender mit einem Stipendium und einer gesicherten Sozialbegleitung nach Deutschland. Die Befragten des vorliegenden Samplings beschritten also unterschiedliche Wege in Bezug auf ihr soziales, materielles und berufliches Leben in Deutschland. Die Umstände für die Migration und auch die Situation, in der sie migriert sind, sind in ihrer Lebenssituation in dieser Phase spürbar. Man bemerkt einen deutlichen Unterschied zwischen der Fallgruppe derjenigen, die als Studierende gekommen sind, und der derjenigen, die als Flüchtende gekommen sind. Die Phase der Unsicherheit und Konfusion mündet in einen Orientierungskampf, der eigentlich erst dann richtig beginnt, wenn man eine Aufenthaltserlaubnis bekommen hat. Der wesentliche Unterschied zwischen der Phase der Konfusion und der der Orientierung ist, dass die Betroffenen in der Orientierungsphase eine Aufenthaltserlaubnis besaßen. In vielen Fällen ging die prekäre sozioökonomische Lage auch nach der Konfusionsphase weiter. In der Orientierungsphase versuchten die Befragten, ihre Zukunft zu planen und klar das zu definieren, was sie erreichen wollten. Das Schaffen von Zukunftsperspektiven verlief sehr unterschiedlich, und an dieser Stelle bemerkt man wieder die Differenz unter den
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Befragten je nach ihren Migrationsgründen. Die Orientierung war deutlich einfacher für diejenigen, die mit einem bestimmten Ziel nach Deutschland gekommen waren – zum Beispiel für ein Studium –, als für diejenigen, die auf der Suche nach Sicherheit, Orientierung und neuen Lebensperspektiven gekommen waren. In diese Kategorie fallen beispielsweise Schutzsuchende, die in Deutschland bleiben wollten, weil sie sich dort in Sicherheit fühlten. Während diese Phase bei einigen ziemlich kurz war, dauerte sie bei anderen mehrere Jahre lang. Weiß (2017: 186) weist darauf hin, dass das soziale Kapital aus Migrationsnetzwerken, das generell in der Mehrheitsgesellschaft als nachrangig oder wertlos betrachtet wird, eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen kann. Dies wurde in den Konfusionsund Orientierungsphasen bestätigt. Migrationsnetzwerke halfen den Betroffenen bei der Bewältigung der schwierigen Lebenssituation. Eine erfolgreiche Orientierungsphase führte5 zur Stabilisierung. Mit diesem neuen Schritt versuchten die Betroffenen, sich in den Arbeitsmarkt einzugliedern und Familien zu gründen oder zusammenzuführen. Das zentrale Kennzeichen dieser Phase ist ein Bildungs- bzw. Ausbildungsabschluss und eine erste Arbeitsstelle, die oft befristet und mit prekären Bedingungen verbunden war. Wenn die Orientierungsphase nicht mit Erfolg beendet wurde, blieben die Betroffenen und ihre Familien zwischen der Orientierungsphase und der Stabilisierungsphase hängen. Die Dauer dieser Phase ist auch sehr unterschiedlich. Einige Befragte haben die Stabilisierungsphase zwar erreicht, aber zur Zeit der Interviewführung immer noch nicht verlassen. Eine gelungene Stabilisierung leitete in die Konsolidierung über. Dabei ging es eigentlich um den Ausbau der Errungenschaften der vorherigen Phase. Die berufliche und die familiäre Situation verbesserten sich deutlich. Dies war beispielsweise an einer guten und sicheren Arbeitsstelle zu erkennen. Es ist klar, dass diese Phase nicht erreicht wurde, wenn die Betroffenen die Orientierungs- und Stabilisierungsphase noch nicht durchlaufen und bewältigt haben. Manche Befragte des vorliegenden Samplings kennen diese Phase also noch nicht. Gegen Ende der Konsolidierungsphase kam die Feststellung, dass sich der Schwerpunkt des Lebens nach Deutschland verlagert hatte. Dort hatten die Befragten Familien gegründet oder zusammengeführt. Ihre Prioritäten schwankten zwischen einer sicheren Arbeit und einer glücklichen Familie. Im sozialen Leben waren sie gut in ihren Dörfern oder Stadtvierteln eingebunden. Die Betroffenen nahmen an Nachbarschaftsaktivitäten teil. Das Dorf oder die Stadt, aber noch nicht Deutschland, war in dieser Phase die Heimat der Betroffenen geworden. Die Konsolidierung der Lebenssituation beendete den Rückkehrtraum. In dieser Zeit wurde den Betroffenen deutlich, dass sie nicht mehr in die Herkunfts5
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länder zurückgehen würden. In Deutschland hatten sie schon eine gesicherte Arbeitsstelle und/oder manche besaßen schon Eigentum. Die Betroffenen bemerkten, dass nirgendwo ein besseres Leben als in Deutschland zu erwarten war. Eine gelungene Konsolidierungsphase mündete in einen Attestierungszustand. In der Attestierungsphase wurden die Betroffenen desillusioniert und sie entschieden sich dafür, ihr ganzes Leben in Deutschland zu bleiben. Sie wollten diese Entscheidung durch den Einbürgerungsakt bestätigen. Die Desillusion betraf auch diejenigen, die viele Hoffnungen in die Einbürgerung gesetzt hatten. Der erhaltene Status konnte ihre Lebenssituation kaum verändern. Es ist hier wichtig, daran zu erinnern, dass die Entscheidung für die deutsche Staatsbürgerschaft zu unterschiedlichen Zeitpunkten von den Migranten bzw. Migrantinnen getroffen wurde und dass die Migrationsgründe dabei eine große Rolle spielten. Ehemalige Asylsuchende zum Beispiel wollten sich generell so schnell wie möglich einbürgern lassen. Die Illusion einiger Migrantinnen bzw. Migranten der ersten Generation ist mit dem Traum verbunden, irgendwann in die Heimat zurückzukehren. Geflüchtete oder Vertriebene hatten diesen Traum nicht. Zum Schluss ist also zu bemerken, dass nicht alle diese Phasen von allen Befragten durchlaufen wurden. Allgemein ist festzustellen, dass die interviewten Personen mit schwierigen Lebensbedingungen ihre Anträge auf die deutsche Staatsbürgerschaft früher gestellt haben als diejenigen, die beruflich erfolgreich waren. Es ist den Interviews zu entnehmen, dass die Betroffenen – denen es sozioökonomisch nicht gut ging – hofften, ihre Situation mithilfe der Einbürgerung verbessern zu können, was jedoch kaum in Erfüllung gegangen ist. Ein anderes Motiv für die Einbürgerung war die Sicherung des unbedingten Bleiberechts. Für diejenigen, die ihr Leben bereits stabilisiert hatten, war die Einbürgerung oft weniger mit einem Sicherheitsgefühl als mit der Etablierung und Festigung der Errungenschaften verbunden. Zwecks Aufbaus und Entwicklung ihres sozioökonomischen Status mussten die Betroffenen aktiv werden, sich in die Gesellschaft einbringen und sich oft gegen Diskriminierung wehren. So sind einige Betroffen gesellschaftspolitisch aktiv geworden.
7 Verlaufsprozesse von gesellschaftspolitischer Partizipation und symbolischen Kämpfen
Mit symbolischen Kämpfen sind u.a. »Kämpfe« um Anschlusschancen, d.h. um die Teilhabe an Ressourcen und am Leben der Gesellschaft gemeint (vgl. Weiß 2001; 2017). Unter symbolischen Kämpfen von Schwarzen Deutschen in Bezug auf die Realisierung ihrer Staatsbürgerschaft sind u.a. ihre gesellschaftspolitischen und sozialen Kämpfe innerhalb symbolischer Herrschaft zu verstehen. Diese Kämpfe beziehen sich beispielsweise auf ihre politische Beteiligung, Wahrnehmung gesetzlicher bzw. rechtlicher Ansprüche, Verantwortlichkeit in der Gesellschaft, aktive bürgerliche Partizipation, ihr Engagement für gemeinsame Werte (vgl. Fangen 2007: 415), ihre Anschlusschancen auf den deutschen Märkten (vgl. Weiß 2017), Anerkennung und Mitbestimmung usw. In der Untersuchung im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde eine Vielfalt des gesellschaftspolitischen Engagements der Befragten festgestellt. In vielen Fällen ist es möglich gewesen, eine Verbindung zwischen der Lebenserfahrung in der Vergangenheit sowie der Migrationssituation und der Art des gesellschaftspolitischen Engagements in der Gegenwart herzustellen. In diesem Kapitel werden die zuvor genannten Verlaufsprozesse der Migration der interviewten Personen in Bezug auf ihre gesellschaftspolitische Partizipation analysiert. Auch in diesem Kapitel stützt sich die Analyse auf die in Kapitel 6 über die sozio-ökonomischen Verlaufsprozesse geschilderten Phasen einer (Neu-)Orientierung und einer mehr oder weniger gelungenen Stabilisierung und Etablierung im Ankunftsland.
7.1
Konfusionsphase
In ihrer ersten Zeit in Deutschland waren die Befragten fallübergreifend – mit Ausnahme von Herrn Kanambe – nicht nur in Bezug auf ihren Aufenthalt unsicher, sondern auch in Bezug auf das, was sie in der Gesellschaft tun durften oder konnten. Sie waren orientierungslos im Bezug darauf, was sie in der Zukunft tun würden. Es war schwierig für sie, sich gesellschaftspolitisch in einem Umfeld zu
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engagieren, in dem sie mit formaler, rechtlicher und struktureller Exklusion konfrontiert wurden. Wie Bukow (2012: 7f.) sagt, ist »der Platz, der dem Einzelnen aufgrund der formalen Strukturen innerhalb des Alltags, genauer innerhalb der Bildung, der Arbeit, der urbanen Versorgung, des Wohnens, der Politik und Öffentlichkeit, des Rechtssystems usw. zugestanden wird […], entscheidend für die Inklusion.« Dieser Platz, der für die Inklusion erforderlich ist, fehlte bei den Befragten in der Konfusionsphase. Sie waren – temporär oder auf Dauer – in Bezug auf Bildung, Arbeit, Wohnen, Politik oder Öffentlichkeit ausgegrenzt. In dieser Phase hatten die Befragten keine Ahnung davon, wie sie ihr Alltagsleben gestalten könnten. Diese Orientierungslosigkeit betraf nicht nur die Fallgruppe der Asylsuchenden, sondern auch andere neue Migranten und Migrantinnen, darunter auch solche, die keine Probleme bezüglich der Aufenthaltserlaubnis hatten, wie z.B. Studierende oder nachziehende Familienangehörige. Dies lässt sich beispielsweise am Fall von Herrn Kanambe beobachten. Er war materiell gut versorgt, aber zunächst orientierungslos. Typisch in dieser Phase ist die große Machtlosigkeit aller Befragten des Samplings. Im Fall des Herrn Kanambe ist festzustellen, dass er beispielsweise keinen Einfluss darauf hatte, wo er leben oder wohnen würde, was er studieren würde und was er tun könnte. So erzählt Herr Kanambe: B: So bin ich (1) hab ich von der (1) EWG damals, Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, ein Stipendium bekommen, um (2) in (2) M-Ville zu studieren. Aber dann hat Deutschland Veto gesetzt, dass alle Techniker nach Deutschland kommen mussten. 1964. So bin ich in D-Stadt gelandet, im September. Und dort ein bisschen – also Deutsch (2) Kurs äh gemacht. War sechs Monate, nee vier Monate war das. Danach bin ich nach S-Stadt gekommen, um (3) Praktikum zu machen – bei B-Firma. #00:03:16-7# I: #00:03:16-7# Mhm. #00:03:19-0# B: #00:03:19-0# Da wir aber nich (2) direkt, also (1) sofort studieren konnten, (2) hat man uns vorgeschlagen erstmal die Techniker-Schule zu besuchen, um die deutsche Sprache ein bisschen zu intensivieren. Weil an der Uni hätten wir nich mitkommen können nach sechs Monat. Und außerdem unser () Diplom in Afrika wurden als mittlere Reife (1) eingestuft, hier. (2) Ja, dann bin ich äh – nach langen Protest (2), weil wir haben unser Praktikum praktisch in der Firma gemacht, zugeguckt wie die Leute gearbeitet haben – da bin ich nach (2) B-Stadt gekommen zur Techniker-Schule. Die haben da alle (2) äh Stipendiaten, die studieren wollten – Techn – also (2) eine Techniker-Schule in B-Stadt (3) gebracht. Es ist interessant zu bemerken, dass Herr Kanambe unter relativ guten Bedingungen nach Deutschland gekommen ist. Trotzdem war er nicht in der Lage, sich persönlich zu orientieren, und daher auch nicht in der Lage, sich gesellschafts-
7 Gesellschaftliche Partizipation und symbolische Kämpfe
politisch zu engagieren. Die Situation war so wenig in der eigenen Hand, dass er nicht viel unternehmen konnte. Das Handeln zu dieser Zeit, wenn es das überhaupt gab, beschränkte sich auf persönliche Bedürfnisse, auf das Überleben. Die Unkenntnisse der deutschen Sprache und der Mangel an Informationen über das deutsche System und die deutsche Gesellschaft waren insbesondere große Hindernisse für diejenigen, die gesellschaftspolitisch aktiv sein wollten. Die Sprache ist normalerweise der entscheidende Schlüssel für das Handeln und ein selbstbestimmtes Leben. Wer die Sprache beherrscht, kann sich am Alltagsleben oder an Politik und Öffentlichkeit beteiligen. Ohne Sprachkenntnisse wäre die Partizipation auch dann noch schwierig oder sogar unmöglich gewesen, wenn die Betroffenen rechtlich nicht eingeschränkt gewesen wären. Das Handeln war auch schwierig aufgrund der Tatsache, dass die Befragten fallübergreifend in einem fremden Umfeld waren. Ihre grundlegenden Bedürfnisse konnten nicht einfach erfüllt werden. In der Konfusionszeit bewegten sich die Befragten (z.B. Frau Zuma, Herr Bagbo und Herr Dos Santos) hauptsächlich in den Milieus anderer Migrantinnen bzw. Migranten. Sie vernetzten sich dort. Die gebildeten Netzwerke haben es den Betroffenen ermöglicht, zusammenzukommen. Das heißt, die Ausgrenzung in der Phase der Konfusion trug auch zur Gemeinschaftsbildung und zur Entwicklung des Zugehörigkeitsgefühls zur Community von »Ausgeschlossenen« bei. Das »WirGefühl« als Afrikanerinnen bzw. Afrikaner oder als Migrantinnen bzw. Migranten in Deutschland entstand und wuchs in dieser Situation. Es steht sogar hinter dem Versuch von einigen befragten Personen, wie Herr Bagbo, Herr Kwame, Frau Murube und Frau Foé, als »wir-afrikanische-Migrantinnen bzw. Migranten« zu handeln, was im folgenden Abschnitt zur Sprache kommt.
7.2
Orientierungsphase
Wie gesehen, mündet die Phase der Konfusion in eine Phase der Orientierung. In dieser Phase handelt es sich um Bemühungen der Betroffenen, aus der Unsicherheit herauszukommen, sich im neuen Umfeld zu orientieren, und um den Versuch, die Basis für ihre Zukunft zu schaffen.
7.2.1
Bruch der Konfusion. Erscheinung der »Afrikanität«
Fallübergreifend versuchten die befragten Personen aus der Konfusion und Isolation herauszukommen. Sie wollten zumindest in der Nachbarschaft mitwirken. Aber es gab viele Hindernisse, die eine effektive Mitwirkung in der Gesellschaft, selbst im lokalen Umfeld, verhinderten. Das sieht man deutlich zum Beispiel im Fall von Herrn Bagbo. Er erzählt:
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Und:: dort, bz eh:::nach dem Asylgesetz sein Kreis nicht ver- ver- ver- verlassen. Also Kreis () habe ich nicht verlassen. Ich bin nich- ich war Vorsitzender von der afrikanische Verein, das war ein (2) Verein und wir treffen uns jeden Monat, wir haben ein monatlich Treffen, wo ich am Wochenende von S-Stadt nach P-Stadt fahren wollte. Am Bahnhof F-Stadt (2) wurde ich von der Polizei kontrolliert und (), weil nach dem Asylgesetz darf ich mein Kreis nicht verlassen. So für mich habe ich das gar nicht verstanden. Warum ein Mensch wie die andere, der sich:::: bewegen kann darf muss nur in ein Kreis bleiben, wie ei- ei- ein- wie ei- ein Gefangner? Das war mir wirklich eh::::::: eh::::::: seh::::::::r enttäuscht, ehn also gegenüber den Deutschen, weil für mich war das:::: wie eh::: Hitlerzeit, wo e::: Leute umgekreist sind und:::durften einige Stellen nich- nicht verlassen, also () von den Nazis ah:::gebracht. Da habe ich ohh ich lebe ich oh ich erlebe ich jetzt die die die deutsche Geschichte, also was ich in der Geschichte gelernt habe ist noch da, weist du? Die Residenzpflicht für Asylbewerber bzw. Asylbewerberinnen hat bei Herrn Bagbo zu dem Gefühl geführt, als Gefangener unter den Deutschen zu leben. Wie schon gesehen, waren die Befragten der Fallgruppe »Asyl« besonders ausgegrenzt und in ihren Verhandlungsmöglichkeiten eingeschränkt. Frau Murube war beispielsweise mehrere Jahre lang nicht freizügig. Aber auch andere, die nicht als Schutzsuchende kamen, haben eine Art Einschränkung erlebt. Das war beispielsweise der Fall bei Herrn Kwame und Herrn Dos Santos, die Studenten waren, und bei Frau Fatou, die zu ihrem Ehemann nach Deutschland gezogen war. Herr Dos Santos weist darauf hin, dass die Kälte und die Distanz der deutschen Gesellschaft ihn dazu gezwungen haben, unter anderen Migrantinnen und Migranten und vor allem Afrikanerinnen bzw. Afrikanern zu bleiben. Dies hatte zur Folge, dass sein Handeln auch auf Afrikanerinnen bzw. Afrikaner oder ausländische Bekannte limitiert war. Er erzählt: B: Ehm (3) ehm (3) ja das Leben in dem ehm ehemaligen DDR (3) unter den Studenten ehm wir hatten wir auch ein (2) distanziertes Verhältnis zu den deutschen Studenten und Studentinnen, und es wurde aber nicht so gerne gesehen, das Freundschaft zwischen ausländischen Studenten und deutsche Studenten sozusagen entstanden. Man hat es gemiedet, man hat es nicht hab- wollen, dass wir praktisch unter uns, ausländischen Studenten sozusagen (3) unsere Freizeit, e:::::h organisiert haben, und dass unsere Party irgendwie nur unter ausländischen Studenten, wir konnten selbstverständlich eingeborene Studenten einladen, aber wir waren (2) verordnet irgendwie unter uns zu bleiben und die meisten Zeit waren wir auch unter ausländischen Studenten sozusagen (3) #00:12:31-6# I://mmh//#00:12:31-6# B: Und wir besuchten uns gegenseitig, wenn man in A-Stadt gewohnt hat, hat man jemanden besucht, und anderen Student, – der in Be-Stadt gelebt hat, oder in Ka-
7 Gesellschaftliche Partizipation und symbolische Kämpfe
Stadt oder in () oder andere in Di-Stadt, man hat sich ehm, unsere Ticket wurden auch subventioniert 75 % subventioniert und dadurch konnten wir (2) sozusagen (2) überall fahren sozusagen ehn konnten wir die s- das Land irgendwie rumfahren. Konnten wir uns leisten, sozusagen, von A nach B eh eh zu @fahren@. Das hat uns irgend lebendig eh, weil mit der deutschen Gesellschaft außerhalb der Universität oder so, eh (2) kein Kontakt, keine richtige Kontakt gab. ….ich fand für mich war persönlich war ehm (3) eine sehr schwierige Zeit, besonders anfangs, (3) weil alles ungewohnt wa::r, und zwar, das Essen war ungewo::hnt und und _e:::::_ das trinken, zu mindestens das was man betrunken hat, war alles f- alles ungewohnt, die Sportarten mit Kälte umzugehen, die Kälte sowohl (2) eh die Menschen, aber auch eh die Temperaturen. Herr Dos Santos, der als Student in die DDR kam, spricht von einer Distanz auch gegenüber deutschen Kommilitonen, als er noch Student war. Die Exklusion fand also auch in studentischen Milieus statt. Man kann sich vorstellen, dass die Situation in anderen Milieus, die als weniger offen gelten, schlechter war. Die Befragten der Fallgruppe »Arbeit« kamen mit Hoffnung und viel Energie nach Deutschland. Sie wollten sich in die Gesellschaft einbringen. Aber in vielerlei Hinsicht war es nicht einfach. Herr Kodjo zum Beispiel, der mit dem Ziel nach Deutschland immigriert ist, seine Karriere als Künstler weiterzuentwickeln, teilt mit, wie er bei der Realisierung seines Ziels in Deutschland enttäuscht worden ist: B : Ce que j’ai connu en Allemagne, or jjjj- j’étais ce quelqu’un qui:: : qui était en::::en effervescence, j’étais resplendissant en Chine, jjjjj je sautais en ébullition, eh::::::: : eh::::::: : donc en Allemagne c::::- c- tu sens le blocage, tu sens le blocage, tu sens ça, tu sens ça. Eh:::::::(3). Tu peux pas trouver un () il ya plusieurs écoles beaux-arts en Allemagne, mais tu ne vas trouver une école beaux-arts où tu vas trouver un noir là-bas, tu sens le blocage #01:14:23-3# I ://mmh//#01:14:23-3# B : °le blocage°. In dieser Passage erzählt Herr Kodjo, dass er glaubt, in Deutschland bei der Verwirklichung seines Wunschs blockiert worden zu sein, weil er ein Schwarzer ist. Er hatte viel Energie und gehofft, seinen in China begonnenen Erfolg in Bezug auf seine Karriere in Deutschland fortzusetzen. Diese Fortsetzung fand nie statt. Er habe »le blocage« seitens der deutschen Gesellschaft gefühlt. Er hat zum Zeitpunkt der Befragung auch keine Hoffnung mehr, dass er irgendwann in Deutschland erfolgreich sein wird. Einige Befragte waren relativ jung, als sie nach Deutschland kamen. Manche besaßen schon gute Bildungs- und Berufserfahrung und andere akademische Abschlüsse. Mit diesen Hintergründen konnte man relativ einfach aktiv in der Gesellschaft werden. Auch diejenigen, die ein niedriges Bildungsniveau hatten, wie
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Frau Murube, waren hoch motiviert und wollten in ihrem Leben etwas Vernünftiges schaffen. Dies war nicht einfach. Bei ihrer Ankunft in Deutschland bekamen die Befragten keine professionelle Beratung und Begleitung. Der Fall von Herrn Kanambe, der von Anfang an begleitet wurde, ist eine Ausnahme. Andere wie Frau Murube erhielten keine gezielte und rechtzeitige Förderung ihrer Potenziale und daher konnten sie sich nicht schnell in die Gesellschaft eingliedern. Andere wie Herr Kwame bekamen rechtliche Unterstützung und wurden materiell und ideell von unterschiedlichen Akteuren, sowohl von Einzelpersonen als auch Organisationen wie Kirchen, unterstützt. Aber das kam erst später. Wenn die Orientierungsunterstützung nicht zu spät angeboten worden wäre, hätten die Befragten versuchen können, die mitgebrachten Fähigkeiten zu nutzen und schnell in der Gesellschaft aktiv zu werden. Die gesellschaftliche Partizipation der Befragten im Allgemeinen hat viel später begonnen. Ihnen wurde die Anerkennung und daher auch die Mitwirkung als Mitbürgerinnen bzw. Mitbürger für eine lange Zeit verwehrt (vgl. der Fall Bagbo). Die von ihnen erfahrene Ablehnung konnte sich beispielsweise auf den Lebensstil, die Familie, den Freundeskreis, die Ausübung der Religion auswirken und wurde zur Einschränkung für die Partizipation in der Nachbarschaft, im Stadtviertel, in der Kommune, in der Politik und in der Zivilgesellschaft etc. Aus den Befragungen erfährt man, dass die Betroffenen Kontakte überwiegend zu Landsleuten und anderen afrikanischen Migranten bzw. Migrantinnen herstellten (z.B. Frau Fatou, Herr Kwame, Herr Dos Santos und Frau Zuma). Dort fing das Engagement in vielen Fällen an. Die erfahrene Ablehnung durch die Gesellschaft erklärt zum großen Teil, warum einige Betroffene versuchten, mit ihren Landsleuten oder ähnlich aussehenden Menschen Kontakte zu knüpfen und eigene Gemeinschaften zu bilden. Die Orientierungsphase folgte, als die Befragten versuchten, die Isolation zu durchbrechen und mit ihrer Situation klarzukommen. Diese Phase zeichnet sich dadurch aus, dass die Befragten andere Afrikaner bzw. Afrikanerinnen gesucht und sich bestehenden Gruppen angeschlossen oder wie im Fall von Herrn Kwame und Frau Murube neue Vereinigungen gegründet haben. Das Ziel war es, ihre Isolation zu durchbrechen, und das ging mit einem Kampf für ihre Anerkennung in der Gesellschaft einher. Als Mitglied einer fiktiven Gemeinschaft sahen die Befragten sich u.a. als Afrikanerinnen und Afrikaner bzw. als zugehörend zur afrikanischen Gemeinschaft und versuchten so zu handeln (vgl. oben genannte Interviewausschnitte von Herrn Bagbo und Herrn Dos Santos). In vielen Fällen organisierten einige Befragte sich lokal, regional und sogar überregional. Diese Zugehörigkeit und das Handeln wurden und werden immer noch sowohl fremd- als auch selbstbestimmt hergestellt. Ungeachtet, ob es sich um eine fiktive oder reale Zugehörigkeit handelt, gibt es eine Verbindung zwischen der von den Befragten des vorliegenden Samplings erlebten Situation und den ersten Schritten ihrer gesellschaftspolitischen Partizi-
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pation. Der erste Schritt des Handelns bezog sich also fallübergreifend auf den Versuch, die »Kette« der Isolation zu durchbrechen. Das war eine Reaktion auf die erlebte Erfahrung. Die Auseinandersetzung in der Phase der Orientierung drehte sich oft um den Kampf für die Anerkennung in der Gesellschaft – für die Betroffenen und ihre Familien, in manchen Fällen auch für ihre imaginierte oder reale Gemeinschaft. Die Anerkennung wurde als eine wichtige Voraussetzung angesehen, um sich eine Perspektive in Deutschland zu schaffen. Diese Anerkennung sollte durch eine Aufenthaltserlaubnis materialisiert werden, aber nicht auf das in den Pass gestempelte Bleiberecht reduziert werden. Das Engagement von Herrn Kwame und Herrn Bagbo beispielsweise zielte auf mehr als nur den Aufenthaltstitel. Sie kämpften für die Akzeptanz der Schwarzen und engagierten sich nicht nur für sich persönlich, sondern auch für die Gemeinschaft, deren Mitglied sie waren oder immer noch sind. In ihrem Aktivismus bezogen sie sich auf Menschen mit subsaharaafrikanischer Herkunft, auf ihre Hautfarbe und nicht auf ihre Herkunftsländer. So ist Herr Kwame in seiner Erzählung unzweideutig: Das ist – das hat mich – das ist diese Sache, was uns früher – das hat mich früher, oder nicht nur ich, das hat uns eigentlich, sagen wir – Schwarzafrikaner – gestört und deswegen haben wir diese Union so genannt, um uns irgendwo(hin) Solidarität irgendwoher, hä, zwischen uns und versuchen irgendwo () uns, sagen wir, besser zu verkaufen. Herr Kwame sagt klar, dass er und seine afrikanischen Partner aus der genannten Union, die sich für die Verbesserung ihrer Situation in Deutschland einsetzten, das Ziel hatten, Solidarität unter afrikanischen Menschen zu schaffen und gemeinsam als »Schwarzafrikaner« gegen ihr negatives Fremdbild zu kämpfen. Die Gemeinschaftsbildung rund um »Afrikanität« fing also als Reaktion auf eine Unzufriedenheit über die Situation der Betroffenen an.
7.2.2
Kampf um Anerkennung
Die Akzeptanz und die Anerkennung in der Gesellschaft verlaufen sehr unterschiedlich und auf verschiedenen Wegen. Der formale Aufenthaltsstatus spielt eine große Rolle dabei. Die Verweigerung der Aufenthaltserlaubnis schadet nicht unbedingt dem Zugehörigkeitsgefühl in Nachbarschaften. Sie wirkt sich aber stark auf das Sentiment der Betroffenen gegenüber der Gesamtgesellschaft und ihren Institutionen aus. Der Kampf um die formale Anerkennung erfolgt in vielen Fällen mit der Unterstützung aus den Nachbarschaften. Die Anerkennungskämpfer bzw. Anerkennungskämpferinnen stützen sich auf ihre Bekannten- und Familienkreise vor Ort, um ihren Kampf in der Gesellschaft zu führen. Aus den Erzählungen von ehemaligen Ausländern ist festzustellen, dass diejenigen, die Probleme mit der Aufenthaltsgenehmigung gehabt haben, vor Ort gesellschaftspolitisch aktiver
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waren oder geworden sind als diejenigen, die kein Problem mit der Aufenthaltserlaubnis gehabt haben. Herr Kanambe zum Beispiel, der als Student mit einem gesicherten Stipendium nach Deutschland kam, hat sich nie für mehr Anerkennung eingesetzt, obwohl er selbst darauf hinweist, dass er – wie beim Diskoverbot – rassistisch diskriminiert worden ist. Er sagt: Ja man merkt – bei mir is ja unbewusst. Natürlich als wir hier kamen in den 60er Jahren war sehr schwer als Afrikaner hier zu leben. Es gab – es bestand noch diese (2) äh diese Diskoverbot. Ausländer raus oder die haben (1) manche Diskotheken die haben – ja wir waren alle jung so um die 25, 27. Wir wollten in die Diskothek (und dann) wenn man hinkam als Schwarzer (2) nee, für Ausländer nicht. So eigentlich (2) sind wir – die Gesellschaft, die uns betreut hat, die () Gesellschaft, äh hat dann die Räumlichkeiten in F-Stadt gehabt, wo wir dann – es hieß auch damals äh Ausländerclub. Herr Kanambe ist der Meinung, dass Afrikanerinnen bzw. Afrikaner nicht akzeptiert waren, als er nach Deutschland kam. Er teilt mit, dass es sogar eine offene Diskriminierung gegen sie gab. Aber er persönlich hat sich mit einer sicheren Aufenthaltserlaubnis einigermaßen akzeptiert und gut betreut gefühlt. Es ist zu bemerken, dass Herr Kanambe sich nie im Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung eingesetzt hat. Ein solches Engagement konnte jedoch wiederholt bei den Befragten beobachtet werden, die mit Schwierigkeiten bei der Aufenthaltserlaubnis konfrontiert wurden. Diese Situation spiegelt sich beispielsweise im Fall von Herrn Kwame wider. Er kam als Student nach Deutschland, aber ohne eine gesicherte Aufenthaltserlaubnis und ohne Stipendium. In seiner ersten Zeit hat er sich unsicher und nicht willkommen gefühlt. Sein Kampf in afrikanischen Bewegungen gegen Rassismus ist ohne Zweifel auch ein Kampf für seine eigene Anerkennung als Afrikaner. So erzählt er: Wir wollten eigentlich (2) die was – das hat so angefangen, wir haben gemerkt, dass irgend, – die Leute haben irgendwie (2), ja eigentlich sich über die auch nicht geändert, die haben irgend (2) ihre eigenartige (1), äh wie heißt das, Vorstellung über Afrika (2). Und da wollten wir irgendwieee durch diese afrikanische Studentenunion – irgendwie uns anders verkaufen () anfangs zeigen wie man denkt und so weiter. Das Gefühl, nicht akzeptiert zu werden, hat dazu geführt, dass sich die Betroffenen für ihre Akzeptanz engagiert haben. Sie wünschten sich eine bessere Aufnahme durch die deutsche Gesellschaft. Und diese war vor allem mit einer garantierten Aufenthaltserlaubnis verbunden. Dies bestätigt sich dadurch, dass das Engagement nicht fortgesetzt wurde, nachdem das Problem des unsicheren Aufenthalts
7 Gesellschaftliche Partizipation und symbolische Kämpfe
für die Betroffenen definitiv gelöst war. Über den unsicheren Status der Aktivisten berichtet Herr Kwame: Gut und wir waren mehr oder weniger () gab dann in dieser Zeit gleichzeitig auch über 30 (Asylanten) oder so (1) aus [einem afrikanischen Land] und es gab mehrere Asylanten aus [einem afrikanischen Land], die wirklich – und die haben wir versucht dann auch die in diese afrikanische Gemeinschaft irgendwo (hier) reinzukriegen. Durch ein positives Bild von Afrika und Afrikanern hofften die Betroffenen auf die Akzeptanz in der deutschen Gesellschaft und damit auch auf das Recht, dort zu bleiben.
7.2.3
Führungsrolle in der Community
Innerhalb der am Ende der Konfusionsphase gebildeten Netzwerke und Gemeinschaften tauchten kreative Menschen auf, die die Führungsaufgaben übernahmen. Hier bemerkt man einen Unterschied zwischen denjenigen, die mit einem geringeren Bildungsniveau nach Deutschland kamen, und denjenigen, die eine solide Bildungserfahrung hatten. Einige Befragte wie Herr Kwame, Herr Bagbo und Herr Nkurumah, die schon an der Universität gewesen waren, bevor sie nach Deutschland kamen, spielten eine große Rolle beim Ergreifen von Initiativen und bei der Vernetzungsarbeit sowie bei der Sensibilisierung oder Mobilisierung von Mitgliedern der Community. Herr Kwame beispielsweise gibt zu verstehen, dass er eine bahnbrechende Rolle hatte. Er teilt mit, dass es keine aktiven Afrikaner bzw. Afrikanerinnen in seiner Stadt gab, als er damit anfing, sich für afrikanische Menschen gesellschaftspolitisch zu engagieren. So erzählt Herr Kwame: ich war hier 1983, jetzt geh ich wieder zurück ein bisschen, (1) ähm jaaa, gab hier keine – ja gab hier Afrikaner, aber nicht so viel Studenten, muss ich sagen. Und wir sind dann von P-Stadt gekommen, ne, ich hatte noch eine Freund oder wir waren sogar drei, muss ich sagen, und wir war gewohnt () es gab immer so Studenten (1) clubs oder afrikanische Studenten (Union) und das gabs auch in Deutschland, aber in S-Stadt gabs nicht. Und dann war hier eine aus Nigeria, aus ähm Simbabwe, dann haben wir wirklich (2) eine Studentenunion gegründet. Herr Kwame sagt deutlich, dass er sich als Afrikaner engagiert hat und dass er mit Afrikanern und Afrikanerinnen zusammenwirken wollte. Er hat mit zwei anderen Studenten aus Subsahara-Afrika eine afrikanische Studentenunion an der Universität S-Stadt mit dem Ziel gegründet, Vorurteile und Klischees über afrikanische Menschen abzubauen. Er teilt mit, dass es solche Vereinigungen an mehreren Universitäten in Deutschland gab, aber noch nicht in S-Stadt. Die von ihnen gegründete afrikanische Vereinigung wurde Baobab genannt.
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Das Engagement von Herrn Kwame begann zu der Zeit, als eine große Bewegung von Schwarzen Menschen in Deutschland, die sich ISD (Initiative Schwarze Menschen in Deutschland) genannt hat, ins Leben gerufen wurde und noch sehr aktiv war. Auf diese Bewegung weist Herr Kwame auch hin, wenn er sagt, dass es in dieser Zeit afrikanische Clubs oder Studentenunionen in ganz Deutschland gab. Dies bestätigt noch einmal, dass er sein Engagement im globalen Kontext der Community der Menschen mit afrikanischer Herkunft sah. Er war kein formales Mitglied von der ISD, aber als Afrikaner fühlte er sich mit anderen Afrikanern bzw. Afrikanerinnen verbunden. Die Begriffe »Union« und »Baobab« sprechen für das Ziel der Vereinigung. »Union« macht klar, dass sich Herr Kwame und seine afrikanischen Freunde zusammengeschlossen haben, um stärker zu sein. Sie haben sich als Afrikaner identifiziert und wollten als Mitglieder dieser Community handeln. Bedeutend ist auch der Begriff »Baobab«. Dies ist ein Name eines afrikanischen Baums, der in mehreren afrikanischen Ländern der Subsahara wächst. Der Baum Baobab spielt eine große Rolle in vielen Dörfern in Afrika. Er wird dort als Lebensbaum betrachtet. Er ist widerstandsfähig und ein großer Wasserspeicher, der für Menschen und Tiere in den Trockengebieten sehr wichtig ist. Er wird nicht nur als Nahrungsmittel genutzt, sondern auch in der Volksmedizin gegen viele Krankheiten wie Malaria, Pocken, Masern und auch als Rohstoffmaterial für langlebige und robuste Kleidung, Halsschmuck, Seile, Netze, Matten, Körbe, Papier etc. Er bietet Schutz vor Unwettern oder starker Sonne. Er erfüllt auch eine soziale Rolle: Menschen in vielen afrikanischen Dörfern treffen sich darunter, um sich auszutauschen oder über mögliche Konflikte zu beraten. Die Bedeutung und die Rolle dieses Baums in vielen afrikanischen Gesellschaften und das, was man mit dem Baum assoziiert, symbolisierten das Ziel, eine Solidarität und Union unter Afrikanerinnen und Afrikanern und einen Schutz für sie zu schaffen. Die Vereinigung Baobab wurde gegründet, um ein reales Bild von Afrika und Afrikanerinnen bzw. Afrikanern zu vermitteln. Der Name war also ein Symbol für die Einheit von Menschen mit afrikanischem Hintergrund, mit dem Ziel, gemeinsam handeln zu können. Herr Kwame sieht die gegründete Vereinigung »wirklich« als afrikanische Union. Die Gründungsmitglieder kamen aus unterschiedlichen afrikanischen Ländern. Das Wort »wirklich« bekräftigt die Tatsache, dass die Bahnbrecher aus unterschiedlichen afrikanischen Ländern kamen, und dass sie in Form einer Union handelten oder handeln wollten, um ihre gemeinsamen Angelegenheiten als »Schwarze Menschen« voranzutreiben. Nicht die Herkunftsländer, sondern der Herkunftskontinent und ihr Aussehen waren bedeutend. Ihre Auseinandersetzung ging hauptsächlich um den Kampf gegen Klischeevorstellungen über Afrikaner bzw. Afrikanerinnen und Afrika und nicht über ihre speziellen Herkunftsländer. Zu den Aktivitäten zählten soziokulturelle Aktivitäten mit Trommeln und Tanzen und auch Diskussionsveranstaltungen.
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Die führenden Köpfe haben nicht nur die afrikanische Union gegründet, sondern sie haben neben Studierenden bzw. Akademikern bzw. Akademikerinnen auch andere Afrikaner bzw. Afrikanerinnen wie Asylsuchende oder sonstige Migrantinnen und Migranten aus Afrika einbezogen. Sie haben die Führungsrolle übernommen. Solidarität zwischen Studierenden, deren Aufenthalt in Deutschland nicht direkt bedroht war, und Asylsuchenden, deren Status ungesichert war, wurde geschaffen. Sie hatten aber einen gemeinsamen Nenner: In beiden Kategorien waren die Akzeptanz als Afrikanerinnen bzw. Afrikaner und ihre Zukunft in der Gesellschaft, in der sie lebten, nicht gesichert. Sie wollten gemeinsam für ihre Akzeptanz und Zukunft handeln. Die gesellschaftspolitische Partizipation der interviewten Personen in der Phase der Orientierung zielte nicht darauf ab, die afrikanischen Erfahrungen und Realitäten aus den Herkunftsländern in Deutschland zu reproduzieren, sondern darauf, den Betroffenen zu helfen, sich einen Platz in Deutschland zu erkämpfen. Dies erfolgte methodisch, wie Herr Kwame mitteilt: Über kulturelle Veranstaltungen hinaus wurden ernsthafte Diskussionen geführt. Die beteiligten Afrikanerinnen bzw. Afrikaner fingen mit Tanzen und Trommeln an, die oft pauschal mit Afrika verbunden werden, und kamen langsam zu Diskussionen mit dem Ziel, das »falsche« Bild zu dekonstruieren. Herr Kwame sieht dieses Engagement als Erfolg an. Er erzählt: das haben wir immer so getrommelt und dann ein Theaterstück gespielt und dann danach gab (1) Diskussion. Das war eigentlich so ein Programm hatten wir. Immer mehr oder weniger durch diese Kulturzeit, dann kommt zu ernsthafte Diskussion oder so. War eigentlich, muss ich sagen, erfolgreich (1). Bei diesem gesellschaftspolitischen Engagement haben Herr Kwame und seine Union gemeinsam mit deutschen Kirchen und mit Kommunen bzw. Gemeinden zusammengearbeitet. Es ging dabei also nicht darum, dass Afrikanerinnen bzw. Afrikaner unter sich blieben, sondern darum, dass sie für ihren Platz unter anderen Mitgliedern der Gesellschaft kämpften, so dass sie in der neuen Gesellschaft akzeptiert wurden. Bei den Aktivitäten in der Orientierungsphase zeigten die Betroffenen, dass sie offen waren, ihre Isolation durchbrechen wollten und dass sie mit anderen in Kontakt kommen wollten. Diese Bereitschaft für Offenheit und für eine gesellschaftliche Teilnahme lässt sich in vielen Aspekten beobachten. Die Partizipation erfolgte aber nicht bei allen Afrikanerinnen bzw. Afrikanern unter den gleichen Umständen und auch nicht mit den gleichen Zielen. Herr Kanambe war während seiner Orientierungsphase nicht engagiert. Der in einer relativ unbelasteten Situation nach Deutschland gekommene Afrikaner beschäftigte sich nach seiner Ankunft mit seiner Schule bzw. seiner Ausbildung. Während dieser Zeit hat Frau Murube sich zunächst mehr um ihre Familie als um die Gesellschaft gekümmert. Die ohne Schulabschluss in Deutschland einge-
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reiste Frau wollte – neben den familiären Verpflichtungen – zunächst ihr Abitur nachholen. Später hat sie sich ehrenamtlich am Leben der Gesellschaft beteiligt. Sie teilt mit, dass sie in der Bibliothek einer Schule – ohne dafür bezahlt zu werden – gearbeitet hat. Außer der Tätigkeit in der Bibliothek hat Frau Murube sich auch bei einer Nicht-Regierungsorganisation für Menschenrechte engagiert. Dort ging es um Flüchtlingsarbeit. Es handelte sich um die Beratung und Begleitung von neuen Asylbewerberinnen bzw. Asylbewerbern während ihrer Asylverfahren und auch um materielle Hilfe während ihrer ersten Tage in Deutschland. Frau Murube arbeitete ehrenamtlich und hoffte, dass sich ein fester Arbeitsplatz daraus entwickeln könnte. Bei ihrem Engagement ging es zunächst nicht um die Anerkennung in der Gesellschaft. Sie wurde aber enttäuscht, da sie arbeitslos blieb. Ihr Engagement in der ersten Zeit hat sie – im Gegensatz zu Herrn Kwame und Herrn Bagbo beispielsweise – nicht in oder mit der imaginierten Community der Afrikaner bzw. Afrikanerinnen geleistet. Vergleicht man die Lebensläufe von Herrn Kwame, Herrn Kanambe und Frau Murube während ihrer ersten Zeit in Deutschland, bemerkt man, dass Herr Kanambe eine leichtere Konfusions- und Orientierungsphase erlebt hat. Er hatte kein Problem zumindest in Bezug auf sein materielles Leben und auch nicht in Bezug auf seinen Aufenthaltstitel. Er ist mit einem studentischen Visum und einem Stipendium eingereist. Er gründete bald eine Familie und zog in ein Dorf. Er hat kaum gegen Schwierigkeiten in Bezug auf seine Anerkennung kämpfen müssen. Diese Situation kann erklären, warum sein Engagement als Schwarzafrikaner oder Mitglied in der afrikanischen Community quasi inexistent gewesen ist. Eigentlich ist er schnell in die Konsolidierungsphase gekommen und hat die früheren Phasen fast übersprungen. Seine Tätigkeit in der Orientierungsphase hat ihn dazu gebracht, die Ausbildungen zum Mannschaftsbetreuer und zum Schiedsrichter zu absolvieren. Sein späteres soziales Engagement während der Stabilisierungs- und Konsolidierungsphase hing mit diesen Ausbildungen zusammen. Frau Murube musste im Unterschied dazu einen Asylantrag stellen und entsprechende Verfahren durchlaufen, um ihre Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Die Erfahrung aus dem Asylleben führte dazu, dass sie sich später in diesem Bereich engagiert hat. Der Promotionsstudierende Herr Kwame hat in seiner ersten Zeit in Deutschland Schwierigkeiten gehabt, akzeptiert zu werden. Ihm wurde die Aufenthaltserlaubnis zunächst verweigert. Dafür musste er kämpfen. Seinen Kampf führte er mit anderen Menschen aus Afrika und für Afrikanerinnen bzw. Afrikaner im Allgemeinen. Dieses Engagement in afrikanischen Milieus kam im Fall von Frau Murube erst später, als sie mit Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt konfrontiert wurde. Das gesellschaftspolitische Engagement in der Orientierungsphase, insbesondere in einer Führungsrolle, bezieht sich also auch auf die in Deutschland als Migrant bzw. Migrantin mit afrikanischer Herkunft gemachten Erfahrungen.
7 Gesellschaftliche Partizipation und symbolische Kämpfe
7.3
Stabilisierungs- und Konsolidierungsphase
In der Orientierungsphase drehte sich das Engagement der Befragten des vorliegenden Samplings im Allgemeinen um den Kampf für die Anerkennung in der Gesellschaft. Es handelte sich um Bemühungen, die Isolationskette zu durchbrechen und sich in die neue Gesellschaft einzugliedern. Es ist wichtig, nicht zu vergessen, dass die Befragten zur ersten Generation der Migranten bzw. Migrantinnen gehören. Fallübergreifend wollten sie rasch etwas in ihrem Leben erreichen und eine Basis für ihr materielles und familiäres Leben schaffen. In dieser Hinsicht versuchten sie, schnell einen Bildungsabschluss zu erhalten, einen ersten Job zu bekommen oder eine Familie zu gründen. An dieser Stelle waren die Befragten schon in die Stabilisierungsphase ihres Lebens in Deutschland eingetreten. In der Stabilisierungsphase ging das Engagement nicht mehr in erster Linie um Bemühungen für die Anerkennung und die Sicherung des Aufenthalts, sondern um den Versuch, die Lebenssituation zu sichern. Das gesellschaftspolitische Engagement vonseiten der Befragten ging während dieser Phase in vielen Fällen zurück. Herr Kwame zum Beispiel, der einen afrikanischen Verein mitgegründet hatte, mit dem Ziel, Solidarität unter Afrikanern bzw. Afrikanerinnen zu schaffen und ihre Interessen gemeinsam zu vertreten, hat selbst diesen Verein verlassen. Nichts aus dem Interview mit Herrn Kwame spricht dafür, dass die Ziele des Vereins erreicht worden sind. Herr Kwame teilt mit, dass sie mit ihren Aktivitäten erfolgreich gewesen seien, aber mit diesem Erfolg ist weder der Rassismus noch die Diskriminierung gegen Schwarze Menschen verschwunden. Es gab und es gibt also immer noch viel zu tun in diesem Bereich. Festzustellen ist aber, dass seine Lebenssituation mit der Zeit anders und besser geworden ist als während der Orientierungsphase. Mit der Verbesserung und Stabilisierung seiner Lebenslage wurde das Engagement im Verein nicht mehr als Priorität angesehen. So erzählt Herr Kwame: Ja, ja. Ja und das sind Sache, wo (2) – wie heißt dat – is nicht ernsthaft oder so. Die ernsthafte Sache die is aber noch da. Die ernsthafte Sache sind noch seriöser, wenn es um Wirtschaft oder sowas geht. Das finde ich schon ernsthafter, diese Gedanken – gut, jeder kann denken was der will, aber wenn der um die Realität kommt und wird die Leute wirklich – mehr oder weniger – ja, wegen ihr Farbe oder so (2) – wie heißt dat – benachteiligt oder so. Das ist wirklich was ganz anders. (3) Ja. Wenn es nur um Klischees is, das is – und deswegen, ich hab – ich hab mich wirklich mit dieser Sache wirklich beschäftigt eine Zeit lang (2) bis () zur Studentenzeit, aber seit ich arbeite, muss ich sagen, ist wesentlich weniger geworden. Gut, ich beschäftige das jetzt nur mit meine Kinder, mehr oder weniger, wo wir das diskutieren und ich hab diese drei Kinder hier.
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
Nachdem Herr Kwame eine Arbeitsstelle bekommen und eine Familie gegründet hat, sind seine gesellschaftspolitischen Aktivitäten also weniger geworden. Es war sicher nicht einfach, neben der Promotionsstelle und der Familie weiter gesellschaftspolitisch aktiv zu bleiben. In dieser Situation musste er seine Prioritäten neu setzen. Die Führungsrolle im Verein wurde an andere weitergegeben. Nach der Promotion bekam Herr Kwame eine gute Arbeitsstelle. Die Arbeit und die Familie waren so anspruchsvoll, dass keine Zeit übrig blieb für andere Unternehmungen. Aber dies ist nicht der einzige Grund, warum Herr Kwame gesellschaftspolitisch weniger aktiv geworden ist. Ein anderer Grund und vielleicht der wichtigste ist, dass sein Aufenthalt in Deutschland nicht mehr bedroht war und dass seine sozio-ökonomische Situation schon gesichert war. Dieser Verlauf ist fallübergreifend festzustellen. Sobald das Leben im Ankunftsland relativ stabil war, ging das gesellschaftspolitische Engagement zurück. Das Engagement der Befragten vor dieser Phase fand überwiegend in afrikanischen Milieus statt und diente u.a. dazu, sich als Afrikanerinnen und Afrikaner gut zu präsentieren und zu vertreten. Es ging um die Förderung und Verteidigung der »Afrikanität«. Diese Arbeit und das damit verbundene Engagement gingen in der Stabilisierungsphase zurück. Herr Kwame bestätigt, dass es immer noch ernsthafte Gründe gab, um sich für die »Community« zu engagieren, und er weiß, dass der Verein und seine Zwecke unter mangelnder Führungskompetenz litten. Er weist aber darauf hin, dass es ihm nicht mehr möglich gewesen sei, das gesellschaftspolitische Engagement mit seiner beruflichen und familiären Situation zu vereinbaren. Es ist nicht deutlich, ob sein eigenes Ziel (anders als die Vereinsziele) während seiner Mitwirkung im Verein erreicht worden ist und ob er aus diesen Gründen den Verein verlassen hat oder ob es wirklich darum ging, dass er keine Zeit mehr für die Aktivitäten im Verein hatte. Deutlich ist, dass der Vereinszweck nach wie vor vorhanden war und dass Herr Kwame sich auf seine Arbeit und seine Familie konzentrierte. Klar ist auch, dass seine Aufenthaltserlaubnis gesichert war und dass er nicht mehr dafür kämpfen musste. Sein gesellschaftspolitisches Engagement versucht er jetzt nur in der Familie weiterzuführen. Dort führt er gelegentlich Diskussionen mit seinen Kindern über Rassismus. Das Engagement von Herrn Kanambe ist anders als im Fall Kwame verlaufen. Der ehemalige Stipendiat ist während seiner Konfusions- und Orientierungsphase nicht gesellschaftspolitisch aktiv gewesen. Seine Aufenthaltserlaubnis und seine finanzielle Situation waren von Anfang an relativ sicher. Sein gesellschaftspolitisches Engagement kam erst später, als er seine Familie gegründet hat und schon beruflich tätig war. Er gibt zu verstehen, dass sich seine Motivation bei diesem Engagement darauf bezog, dass er dort aktiv sein wollte, wo er lebte, d.h. vor Ort im Dorf. Seine Mitwirkung beruhte kaum auf Afrikanität und hatte nichts mit Afrikanern bzw. Afrikanerinnen zu tun. In seinem Leben auf dem Dorf hat er sich als Dorfbewohner, Familienvater und Sportler und später als sportlicher Betreuer
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und lokaler Politiker engagiert. All das bezog sich nicht auf sein Afrikaner-Sein, sondern auf seinen Status als Einwohner, Bürger und Sportler. Er war im Dorf als Schwarzafrikaner auffällig – wie er selbst mitteilt –, aber das hat keinen Einfluss auf sein gesellschaftspolitisches Engagement gehabt. Bezüglich der gesellschaftlichen und politischen Partizipation ist der Fall von Herrn Kanambe atypisch. Während sich andere Befragte, die gesellschaftlich aktiv sind oder waren, auf ihre eigene Situation und Geschichte als afrikanische Migrantinnen bzw. Migranten in Deutschland bezogen haben und daher ihr Engagement eigentlich als Reaktion hinsichtlich der erlebten Erfahrung angesehen werden konnte, hat die gesellschaftspolitische Partizipation von Herrn Kanambe nichts mit einer möglichen Reaktion auf die Bedingungen im Ankunftsland zu tun. Sein Engagement in der Gesellschaft kam erst nach der Stabilisierung und Konsolidierung seiner Situation in Deutschland. In der Konsolidierungsphase fand eine Sortierung der Schwerpunkte des Lebens und auch des Engagements statt. An dieser Stelle haben die Befragten eine Entscheidung darüber getroffen, was wichtig und weniger wichtig in ihrem Leben war, und sie fingen damit an, sich darauf zu konzentrieren, was sie als wichtig empfanden. Man stellt die Tendenz fest, dass das gesellschaftspolitische Engagement während der Konsolidierungsphase zurückging, wenn es sich hauptsächlich um eine Reaktion gehandelt hat. Herr Kwame, dessen gesellschaftspolitisches Engagement als Reaktion zu betrachten ist, hat selbst Folgendes festgestellt: Und wie gesagt, viele Sache für mich die sind, die haben ihre – wie heißt dat – ihre Wichtigkeit verloren, weil (2) ich hab viel dazu gelernt und was ich mich immer gesagt hab, was ich mich schade gefunden hat, auch früher, ich verliere immer Zeit gegen sowas zu kämpfen. (2) Verstehst du? Is – das gehört normalerweise nich dazu. Wir müssen unsere Zeit – wie heißt dat – für was Besseres benutzen, ne. Aber du bist gezwungen, um deine Zeit – diese gute Zeit, um sowas zu kämpfen. Herr Kwame sieht seine gesellschaftspolitische Auseinandersetzung für seine Akzeptanz im Ankunftsland als Zwang an: Er musste reagieren. Er betrachtet sein ehemaliges Engagement als Zeitfresser und ist der Meinung, dass ihn der Kampf gegen Rassismus und für seine Anerkennung als Afrikaner gewissermaßen daran gehindert hat, sich auf wichtigere Themen zu konzentrieren. Die Zeit, die er in dieses Engagement investiert hat, hätte er lieber für seine Familie oder andere wichtigere Dinge genutzt. Herr Kwame empfindet den Kampf gegen Rassismus und für die Anerkennung als wichtig, aber er beschwert sich darüber, dass er gegen die im Ankunftsland gebotenen Bedingungen aktiv werden musste. Er ist der Meinung, dass die Auseinandersetzung mit Rassismus ein Kampf fürs ganze Leben sei, aber dass es eher eine Aufgabe von Politikerinnen bzw. Politikern und Soziologinnen bzw. Soziologen sei.
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
Da er kein Politiker und auch kein Soziologe ist, denkt er, dass die antirassistische Arbeit nicht zu seinen Aufgaben zählen sollte. Im Fall von Herrn Kanambe, dessen Konfusions- und Orientierungsphase schnell und unbelastet vorbeigegangen sind, ist sein Engagement auf dem Dorf als Familienvater und Sportler eine gute Basis dafür gewesen, sich als Schiedsrichter und im Bereich der Betreuung von Mannschaften fortbilden zu lassen. Im Hintergrund seines Einsatzes für die Betreuung von Mannschaften von Jugendlichen stand die Tatsache, dass sein Sohn auch dabei war. Daher kann man davon ausgehen, dass die Familie in der Stabilisierungs- und Konsolidierungsphase zu den Schwerpunkten von Herrn Kanambe zählte – wie auch im Fall von Herrn Kwame. Es ist aber wichtig zu bemerken, dass Herr Kanambe es geschafft hat, seine Familie mit dem gesellschaftspolitischen Engagement zu vereinbaren, und dass Herr Kwame mit seinen gesellschaftspolitischen Aktivitäten aufgehört hat, sobald er seine Familie gegründet hat. Da hat sein Engagement für die afrikanische Gemeinschaft an Gewicht verloren und es zählte nicht mehr zu seinen Prioritäten. Mit kleinen Nuancen verlief die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung von den Befragten, die in der deutschen Gesellschaft etwas bewegen wollten, in die im Falle von Herrn Kwame aufgezeigte Richtung. Ihr Einsatz für die Community ging in den Phasen der Stabilisierung und Konsolidierung zurück.
7.4
Attestierungsphase
Die Attestierungsphase ist die Phase, in der den Betroffenen klar geworden ist, dass sie für den Rest ihres Lebens in Deutschland bleiben werden. Das war die Zeit der Desillusion. In vielen Fällen verschwand die gesellschaftspolitische Partizipation komplett, und zwar bei denjenigen, die ihr Engagement als Reaktion ausgeführt hatten. Bei anderen ging das selektive Engagement, das sie in der Konsolidierungsphase unternommen hatten, weiter. Dieses Engagement priorisierte in vielen Fällen nicht mehr die gesellschaftspolitischen Aktivitäten. Die Entscheidung für die Einbürgerung wurde in fast allen Fällen in dieser Zeit getroffen. Nur in wenigen Fällen wurde die Staatsbürgerschaft mit dem Ziel beantragt, sich weiter und besser gesellschaftspolitisch einzubringen. Von allen Befragten gibt es nur einen Fall – den von Herrn Nkurumah –, in dem die Staatsbürgerschaft direkt mit einer deutlich politischen Ambition verbunden wurde. Er sagt im Verlauf des Interviews, dass er einer politischen Partei in Deutschland beitreten und auch ein Mandat ausüben wollte. In einigen anderen Fällen hat der neue Status eine intensivere politische Partizipation ermöglicht, aber ohne, dass diese Partizipation im Vordergrund der Einbürgerung stand. In den meisten Fällen hat die deutsche Staatsbürgerschaft an ihrem gesellschaftspolitischen Engagement nicht viel geän-
7 Gesellschaftliche Partizipation und symbolische Kämpfe
dert. Im Gegensatz zu den Herren Kanambe, Nkurumah und Dos Santos sind Herr Kwame und die anderen Befragten keiner politischen Partei beigetreten. Die Einbürgerung bedeutete also nur bei einem Teil der Befragten die Intensivierung des gesellschaftspolitischen Engagements. Herr Kanambe beispielsweise war vor der Einbürgerung sehr aktiv in einer Gewerkschaft. Er wirkte im Betriebsrat mit. Er berichtet, dass er sich durch seine Partizipation in der Gewerkschaft gegen mögliche willkürliche Entlassungen und andere Benachteiligungen gegen Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeitnehmer stellen wollte. Er gibt zu verstehen, dass er selbst den Rechtsschutz und den Rechtsbeistand der Gewerkschaft in Anspruch nahm und dass er arbeitenden Menschen helfen wollte, damit sie auch die genannten Leistungen in Anspruch nehmen konnten. Diese Form der gesellschaftspolitischen Partizipation fand auch schon vor der Einbürgerung statt. Nach der Einbürgerung ist er Mitglied im Betriebsrat geblieben, aber zusätzlich dazu ist er einer politischen Partei, die im politischen Jargon als »Arbeiterpartei« bekannt ist, beigetreten. Sein Engagement für Arbeiterinnen bzw. Arbeiter ging also weiter. Seine Mitgliedschaft in der Arbeiterpartei sieht er als eine selbstverständliche Folge nach mehr als 20 Jahren des Engagements im gewerkschaftlichen Bereich an. Die Intensität des Engagements in afrikanischen Milieus bei den Befragten ist fallübergreifend gestiegen, als sie sich unsicher fühlten, und sie ist geringer geworden, als sie mit keinen besonderen Bedrohungen mehr konfrontiert wurden. Diese Unsicherheit oder Bedrohung bezieht sich nicht nur auf den Aufenthalt, sondern auch auf sozio-ökonomische oder berufliche Bereiche. Das wird deutlich am Beispiel von Herrn Kanambe, der sagt, dass er sich in Deutschland immer wohlgefühlt hat. Seine Zusammenarbeit mit Afrikanerinnen bzw. Afrikanern begann erst in seiner Attestierungsphase und sie war auch sporadisch und gering. Daher kann man annehmen, dass die intensiven Aktivitäten oder, anders gesagt, der Rückzug in afrikanische Milieus stark mit der Situation der Unsicherheit, die von den Betroffenen erlebt wird, korreliert. An dieser Stelle können wir verstehen, warum Herr Kwame in seiner Konfusionsphase und in der Orientierungsphase sehr aktiv war und warum sein gesellschaftspolitisches Engagement mit der Zeit zurückgegangen ist. Das kann auch dabei helfen zu verstehen, warum Herr Kanambe sich zurückhaltend in afrikanischen Milieus engagiert hat. Festzustellen ist, dass die Art der Partizipation in der Konsolidierungsphase auch in der Attestierungsphase oder, anders gesagt, in der Zeit der Einbürgerung fortgesetzt wurde. Im Fall von Herrn Kanambe und Herrn Nkurumah hat die Einbürgerung dazu geführt, dass sie einer politischen Partei beitraten und dass sie auch dort ihre gesellschaftliche und politische Partizipation weiterbetrieben haben. Die deutsche Staatsbürgerschaft eröffnete ihnen die Gelegenheit, dieses Engagement zu stärken. Diese Stärkung erfolgte tatsächlich, da sie nicht nur als Mitglied in einer politischen Partei fungierten, sondern sie haben auch für eine Mandatsträgerschaft kandidiert. Sie bekamen neue Rechte, die neue Positionen in der
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
Gesellschaft ermöglicht haben. Ohne die Staatsbürgerschaft wäre es nicht möglich gewesen, ein Mandat auszuüben. In ihren Fällen gibt es eine Verbindung zwischen ihrem gesellschaftspolitischen Engagement vor der Einbürgerung und ihrer politischen Arbeit danach. Aber im Fall von Herrn Kanambe – im Gegensatz zu dem von Herrn Nkurumah – wurde die Einbürgerung nicht mit dem Ziel beantragt, das gesellschaftspolitische Engagement in Deutschland zu stärken. Im Gegensatz zu Herrn Kanambe teilt Herr Dos Santos mit, dass er mit der Einbürgerung auch mehr gesellschaftspolitischen Einfluss in der Gesellschaft haben wollte. Nichts in seinem Lebenslauf weist aber darauf hin, dass er diesen Einfluss verstärkt hat oder dass er es zumindest – zum Beispiel durch eine Kandidatur in der Politik – versucht hat.
7.5
Symbolische Kämpfe und gesellschaftspolitisches Engagement nach der Einbürgerung
Die interviewten Personen sind mit unterschiedlichen Hoffnungen und Plänen nach Deutschland gekommen. Vor der Einbürgerung dachten diejenigen, die noch nicht erfolgreich waren, dass die Einbürgerung die Verwirklichung dieser Pläne ermöglichen würde. Sie wurden aber enttäuscht und dachten sogar, dass die deutsche Gesellschaft zu ihrem Misserfolg beigetragen oder dass sie zumindest ihren Erfolg verhindert habe. Das ist der Fall bei den Herren Gnassimbe, Kodjo, Diouf und Dos Santos. Hierzu sagt Herr Kodjo beispielsweise : B : A l’époque je pouvais faire quelque chose mais quand tu sens des blocages quand il ya des blocages #01:13:22-1# I ://mmh//#01:13:22-1# B : (2) A pa- partir de 35 ans, si tu arrives ici c’est à 22 ans que tu as des blocages ça va mais, à 35 ans quand tu as des blocages, maintenant pour ta nouvelle vie, c’est la catastrophe. In dieser Passage berichtet Herr Kodjo, dass er auf seinem beruflichen Weg blockiert wurde und zwar in einem relativ fortgeschrittenen Alter, als er keine Zeit verlieren wollte. In vielerlei Hinsicht hat diese reelle oder imaginierte Blockierung dazu geführt, dass die Befragten afrikanische Milieus aufgesucht und sich dorthin zurückgezogen haben. Das geschah hauptsächlich, als die Betroffenen versuchten, aus der Konfusion herauszukommen. Der Kontakt mit afrikanischen Milieus wurde in diesen Fällen wieder gesucht, als den Befragten auffiel, dass die Einbürgerung die Blockaden in der Gesellschaft nicht verhindert hatte.
7 Gesellschaftliche Partizipation und symbolische Kämpfe
7.5.1
Transnationale gesellschaftspolitische Partizipation
Ähnlich wie im Fall von Schwarzen oder anderen benachteiligten Bevölkerungsgruppen sind transnationale Netzwerke für die soziale Lage von Deutschen afrikanischer Herkunft wichtig, vielleicht mehr oder weniger ebenso wichtig wie die Ressourcen, die der deutsche Nationalstaat zur Verfügung stellt (vgl. Weiß 2017: 15). Einige Befragte wie Herr Bagbo, Frau Fatou und Herr Gnassimbe engagierten sich zur Zeit der Befragung in transnationalen afrikanischen Vereinigungen, die sich auch außerhalb Deutschlands für afrikanische Belange einsetzen. Auch dieses Engagement kam erst – oder wieder – nach der Einbürgerung. Das heißt, darunter waren auch Menschen, die vor der Einbürgerung nicht in afrikanischen Milieus aktiv waren. Einige von diesen Vereinigungen haben ihren Sitz in Deutschland, aber sie sind transnational aktiv. Andere – wie z.B. die sogenannten afrikanischen Kirchen – wurden im Ausland gegründet und verbreiten ihre Aktivitäten bis nach Deutschland. Oder sie wurden in Deutschland gegründet und wirken weltweit, meistens in den Herkunftsländern der Gründer bzw. Gründerinnen. Die Partizipation der befragten deutschen Bürger in diesen transnationalen Milieus findet vielfältig und unterschiedlich statt. Die Faktoren Migration und Afrikanität kommen wiederholt im gesellschaftspolitischen Engagement der interviewten Personen vor und bereiten eine solide Basis für ihr weltbürgerschaftliches Engagement. Durch die Befragung ist es möglich, eine Verbindung zwischen der Lebenserfahrung in der Vergangenheit sowie der Migrationssituation der Betroffenen und der Art ihres gesellschaftspolitischen Engagements herzustellen. Es ist allgemein festzustellen, dass das Engagement von denjenigen, die unter harten Lebensbedingungen in ihrer ersten Zeit in Deutschland gelebt haben, oft in der Flüchtlingsarbeit lag oder in der Anwaltschaft für die Anerkennung von Afrikanerinnen bzw. Afrikanern durch die Mehrheitsgesellschaft. Das ist beispielsweise der Fall bei Herrn Kwame, Herrn Bagbo, Herrn Nkurumah und bei Frau Murube. Im Unterschied dazu hat sich Herr Kanambe zwar für Afrikanerinnen bzw. Afrikaner engagiert, aber nicht im Rahmen des Kampfs für ihre Akzeptanz im Ankunftsland. Es ist auch nötig daran zu erinnern, dass Herr Kanambe unter guten soziomateriellen Bedingungen nach Deutschland kam. Er brauchte keine afrikanische Unterstützung in seiner ersten Zeit in Deutschland. Es war also nicht notwendig, andere afrikanische Menschen aufzusuchen. Er hatte auch keine besonderen Erwartungen in Bezug auf die Einbürgerung. Daher konnte er auch nicht dadurch enttäuscht werden, dass sich seine Situation durch den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft nicht verändert hat. Diese Enttäuschung, die einige der befragten Afrikaner bzw. Afrikanerinnen dazu geführt hat, sich in transnationalen afrikanischen Netzwerken zu engagieren, ist im Fall von Herrn Kanambe nicht vorhanden.
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
Das transnationale Engagement von Herrn Kanambe in afrikanischen Milieus ist daher auch sehr eingeschränkt, aber es ist vorhanden. Die Indikatoren seines Willens, sich bei den Afrikanerinnen bzw. Afrikanern zu beteiligen, sind spürbar. Er wurde angefragt und hat auch akzeptiert, sich mit anderen zusammenzuschließen, um den Bau eines Brunnens im Herkunftsland und einen Verein mit diesem Zweck zu finanzieren. Die Aktivitäten des Vereins drehten sich um Gelder und Spendensammlungen. Der in Afrika errichtete Brunnen konnte aber vor Ort nicht gut gepflegt werden und daher war Herr Kanambe von Afrikanerinnen und Afrikanern enttäuscht. Als Folge hat er seine Teilnahme beendet. Sein letzter Versuch, sich in die Politik des Herkunftslandes, seines ehemaligen Staats, einzumischen, ist daran gescheitert, dass er sich mit seinen Landsleuten nicht verstanden hat. Bei diesem Versuch hat er eine schlechte Erfahrung gemacht. Er teilt im Verlauf des Interviews mit, dass seine Landsleute nur gute Posten haben wollten und nicht die Ziele der gegründeten Vereinigung verwirklichen wollten. Deshalb hat er sich zurückgezogen. Im Gegensatz zu den anderen Befragten wurde Herr Kanambe nicht wegen der Einbürgerung, sondern wegen des Engagements in transnationalen afrikanischen Netzwerken enttäuscht. Dies bestätigt die These, dass das gesellschaftspolitische Engagement nach der Einbürgerung mit den Erwartungen an den Status der Staatsbürgerschaft verbunden ist. Bei enttäuschten Erwartungen begaben sich die Befragten in ihren Rückzugsraum in afrikanischen (oft transnationalen) Milieus. Bei der Einbürgerung ohne besondere Erwartungen fand keine Enttäuschung darüber statt, dass sich der eigene Status in vielerlei Hinsicht nicht verändert hat. In diesem Fall hat das gesellschaftspolitische Engagement sich nicht geändert. Der Versuch von Herrn Kanambe, für Afrika oder bei Afrikanerinnen bzw. Afrikanern mitzuwirken, kam nach der Konsolidierung seines Lebens in Deutschland und nicht erst nach seiner Einbürgerung. Die gesellschaftspolitische Partizipation von Herrn Kanambe ist also atypisch, wenn man das Engagement der anderen befragten Afrikaner bzw. Afrikanerinnen beobachtet. In den Interviews ist allgemein festzustellen, dass die neuen Bürger bzw. Bürgerinnen ihre Kontakte nach ihrer Einbürgerung transnational intensiviert haben. Sie haben sich engagiert bzw. engagieren sich sogar noch intensiver innerhalb ihrer afrikanischen Familien oder Netzwerke – in Deutschland oder/und auf transnationaler Ebene. Einige waren oder sind immer noch Mitglieder in eingetragenen Vereinen mit afrikanischem Hintergrund oder in sogenannten afrikanischen Kirchen. Das ist der Fall beispielsweise bei Frau Murube, Herrn Bagbo, Herrn Nkurumah, Herrn Dos Santos, Herrn Gnassimbe, Frau Foé, Frau Fatou und Frau Milla. Die meisten Vereine oder Kirchen sind lokal, regional, national und auch transnational vernetzt (Ndahayo 2011). Die Befragten haben, unabhängig von der Reichweite und der Art ihrer gesellschaftspolitischen Partizipation, einen gemeinsamen Nenner: Sie sind der Meinung, dass Migrantinnen bzw. Migranten mit afrikanischem Hintergrund mit Dis-
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kriminierung und Mangel an Anerkennung konfrontiert werden. Während manche ihre Hoffnung auf Gleichbehandlung und Akzeptanz in Deutschland verloren haben, sind andere der Meinung, dass das Engagement zahlreicher afrikanischer Migrantinnen bzw. Migranten und ihr Zusammenschluss mehr Anerkennung ermöglichen könnten. Die Befragten einigen sich aber nicht darüber, wie und wer genau diese Situation bekämpfen sollte. Herr Kanambe, der im Vergleich zu den anderen Befragten des vorliegenden Samplings sehr wenig mit der afrikanischen Community zu tun hat, teilt mit, dass er zu alt für eine solche Auseinandersetzung sei, und wünscht sich, dass junge Leute sich damit beschäftigen. Diese Ansicht erinnert an die Meinung von Herrn Kwame, der der Meinung ist, dass der Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung von Soziologinnen bzw. Soziologen oder Politikerinnen bzw. Politikern geführt werden sollte. Beide halten diese Auseinandersetzung für wichtig, finden aber, dass sie von anderen Akteuren zu führen ist. Wichtig ist es zu bemerken, dass auch diejenigen, die es nicht schaffen, sich für eine bessere Anerkennung von Afrikanerinnen bzw. Afrikanern einzusetzen, glauben, dass dieses Engagement nötig ist. Die Tatsache, dass die Befragten fallübergreifend wahrnehmen, dass Menschen weniger Anerkennung aufgrund ihrer Herkunft und Hautfarbe bekommen und sich betroffen fühlen, auch wenn sie persönlich keine Ablehnung erlebt haben, begründet ihre Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, die als ein Resultat gesellschaftlicher Konstruktionen zu betrachten ist. An dieser Stelle bestätigt sich die Annahme, dass es eine imaginierte afrikanische Community gibt, die auch Mitglieder in Deutschland hat. Das Engagement der Befragten für die Community erfolgt auf unterschiedlichen Wegen und in unterschiedlichen Phasen. Grob betrachtet haben sich die Befragten, deren Aufenthalt in ihrer früheren Zeit in Deutschland unsicher war, früher in afrikanischen Milieus engagiert als diejenigen, deren Aufenthalt gesichert war, als sie nach Deutschland kamen. Die Community bietet den desillusionierten und enttäuschten neuen Bürgern bzw. Bürgerinnen also auch einen Rückzugsraum. Die schon erläuterte These über die Verbindung des gesellschaftspolitischen Engagements mit der Situation der Unsicherheit und Enttäuschung hilft bei der Erklärung des Rückzugsraums. Sie findet ihre weitere Bekräftigung durch den Fall von Frau Murube. Die neue deutsche Bürgerin hat an vielen verschiedenen ehrenamtlichen Tätigkeiten teilgenommen. Anfangs hat sie sich nicht besonders in der afrikanischen Community engagiert. Sie hat in einer Nicht-Regierungsorganisation für Menschenrechte und an einer Schule in der Schulbücherei geholfen. Später hat sie bei der Hausaufgabenbetreuung für Schüler und Schülerinnen bei einem Wohlfahrtsverband mitgewirkt. Dabei hat sie nicht nur bei der Betreuung geholfen, sondern auch bei der Entwicklung von Ideen und neuen Projekten. Frau Murube teilt aber deutlich mit, dass sie ihrem Verständnis nach in ihrem Engagement nur ausgenutzt wurde und dass sie nicht davon profitiert habe. Sie überlegt, ob sie mit ihren Tätigkeiten aufhören sollte und
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ihr Engagement irgendwo anders leisten könnte. Frau Murube war enttäuscht, dass ihr Umfeld ihre Partizipation nicht anerkannt und auch nicht belohnt hat. Sie wollte irgendwo anders hingehen. Tatsächlich hat sie sich dafür entschieden, ihre Mitwirkungen im deutschen Milieu zu reduzieren und sich mit Afrikanerinnen bzw. Afrikanern zusammenzuschließen. Später hat sie selbst einen afrikanischen Verein gegründet. Im Hintergrund des Engagements eines großen Teils der Befragten des vorliegenden Samplings in der afrikanischen Gemeinschaft steht die Feststellung der Situation und die Frustration, dass sie durch bestehende Strukturen nichts Konkretes erreichen konnten und dass sie auch nicht davon profitieren, sondern nur als Kunden oder als bedürftige Menschen betrachtet und ausgenutzt werden. Der von Frau Murube neu initiierte Verein wurde mit dem Ziel gegründet, die Integration von Afrikanerinnen bzw. Afrikanern in Deutschland zu fördern und auch Brücken zu den Herkunftsländern zu schlagen. Wie Frau Murube mitteilt, will der Verein die Isolation von afrikanischen Menschen in Deutschland durchbrechen, einen Begegnungsraum für Afrikanerinnen bzw. Afrikaner und Deutsche schaffen und eine transnationale Brücke zwischen Deutschland und dem afrikanischen Kontinent aufbauen. Sie lässt weiterhin wissen, dass ihr Verein vorhat, Projekte anzubieten, die sowohl für Deutsche als auch für afrikanische Migrantinnen bzw. Migranten interessant sein könnten und auch einen Austausch in verschiedenen Bereichen zu ermöglichen. Der Verein möchte sich dafür einsetzen, dass die Potenziale afrikanischer Migrantinnen bzw. Migranten anerkannt werden. Außerdem hat der Verein vor, Aufklärungsarbeit über die Gründe der Migration aus Afrika zu leisten und auch über die Situation in den Herkunftsländern zu berichten. Dies ist mit der Erwartung verbunden, dass dies zu ihrer Akzeptanz und Integration in Deutschland beiträgt. Wie die nicht mehr existierende Vereinigung Baobab von Herrn Kwame beabsichtigt Frau Murubes Verein, Veranstaltungen über die Lebensrealität von afrikanischen Menschen in Afrika und auch in Deutschland zu organisieren. Sowohl im Fall von Frau Murube als auch im Fall von Herrn Kwame erfolgt dieses Engagement in einer Zeit, in der die Betroffenen mit ihrer Situation in Deutschland nicht zufrieden waren bzw. sind. Diese Unzufriedenheit gibt es bei Herrn Kwame nicht mehr. Bei Frau Murube hält sie auch nach der Einbürgerung weiter an. Auf diese Weise und in dieser Situation kann die Community auch als Rückzugsraum betrachtet werden sowie als Solidargemeinschaft, um mit anderen in vergleichbarer Lage eine Veränderung der Bedingungen im Ankunftsland zu erreichen. In diesem Sinne kann die Community auch als Sprungbrett betrachtet werden.
7 Gesellschaftliche Partizipation und symbolische Kämpfe
7.5.2
Kosmopolitische Haltungen und Partizipation in der Community
Alle Befragten des vorliegenden Samplings haben in afrikanischen Organisationen oder informellen Gruppen mitgewirkt oder wirkten dort zum Zeitpunkt der Befragung immer noch mit. Einige von diesen Organisationen bzw. Gruppen wurden in der Diaspora gegründet. Sie zielten oder zielen immer noch hauptsächlich darauf ab, die afrikanischen Migranten bzw. Migrantinnen in ihrem Alltagsleben und bei ihrem Kampf für ihren Platz in der deutschen Gesellschaft zu unterstützen. Herr Kwame, Herr Bagbo, Frau Foé und Herr Nkurumah, die afrikanische Vereinigungen in ihrer ersten Zeit in Deutschland initiiert hatten, bezogen sich auf ihre Afrikanität, um ihre Ziele zu definieren und zu erreichen. Später, als sie Fuß in Deutschland gefasst hatten, haben sie versucht, ihre Organisationen kosmopolitisch zu entwickeln. Dies zeigt sich beispielsweise darin, dass die Initiatoren sich oft bemühen, Menschen aus der Mehrheitsgesellschaft oder mit anderem Hintergrund für die Mitwirkung zu gewinnen. Das Handeln geht bis über die deutschen Grenzen hinaus. Einige Befragte, die nach der Einbürgerung in afrikanischen Organisationen aktiv geblieben oder geworden sind, wirken auch in anderen Organisationen, wie deutschen politischen Parteien oder Kirchen, mit. Das gesellschaftspolitische Engagement in der Community bringt Schwarze Menschen aus unterschiedlichen Ländern zusammen und führt nicht nur zur Unsichtbarkeit der einzelnen Herkunftsländer, sondern es trägt auch zur Dämpfung der Bedeutung der afrikanischen Volksstämme bei. Unter den Befragten gab es keinen einzigen Fall, bei dem das Engagement gezielt auf eine afrikanische ethnische Gruppe gerichtet war. Ihre afrikanischen Organisationen zielen nicht darauf ab, die Werte und Interessen von den in Afrika hinterlassenen Ethnien in Deutschland zu vertreten oder zu reproduzieren. Sie bieten einen Handlungsraum für Menschen, die aufgrund ihrer Hautfarbe und ihres Herkunftskontinents sozusagen als eine »neue Ethnie« von afrikanischen Menschen in Deutschland und in der ganzen Welt betrachtet werden. Die Bildung von afrikanischen Gemeinschaften oder Organisationen in Deutschland sollte also nicht in dem Sinne interpretiert werden, dass die Beteiligten ihre ursprüngliche ethnisch definierte Identität voranstellen. Vielmehr wollen sie als eine Minderheit von Menschen mit afrikanischem Hintergrund in der deutschen Mehrheitsgesellschaft handeln. Den Interviews ist zu entnehmen, dass die Befragten generell davon ausgehen, dass sie besser handeln können, wenn sie sich zusammenschließen. Das kosmopolitische Handeln der Interviewten stützt sich nicht allein auf ihre partikularistischen Fähigkeiten, Motivationen und Ziele etc., sondern vor allem auf ihre kollektive Lebenserfahrung als afrikanische Migrantinnen bzw. Migranten. Diese Kollektivität bezieht sich weiterhin auf weltweite historische Ereignisse, zu der Schwarze Menschen mit ihrer Geschichte gehören. Wie schon gesehen, ist die Beteiligung der Befragten in ihren Orga-
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nisationen in mehreren Fällen eine Art Reaktion auf Vorurteile, Ausgrenzung und Mangel an Anerkennung durch die Mehrheitsgesellschaft. Die Aktivitäten und die Beteiligung einiger Befragter in afrikanischen Milieus könnten also als Handeln sowohl von Einzelpersonen als auch von der Minderheitsgruppe, zu der sie gehören, betrachtet werden. Das Handeln und die Partizipation der Befragten sowie die Bedeutung ihres Engagements variieren je nach Akteuren und ihren Ressourcen. Der gemeinsame Nenner ist aber, dass das Handeln als Afrikanerinnen bzw. Afrikaner in einer mehr oder weniger synchronischen und diachronischen Bewegung erfolgt, die historisch und räumlich über die Grenzen des deutschen Nationalstaats hinausgeht und die vielfältig ist. So gibt es innerhalb des Samplings Befragte, die glauben, dass afrikanische Organisationen, auch wenn sie nur lokal handeln, eine Art Sprungbrett sind, das es ihnen ermöglicht, auf lokaler, regionaler, nationaler und transnationaler Ebene zu handeln. Dies wird beispielsweise mit den Äußerungen von Herrn Nkurumah über die Ziele seines Vereins deutlich: B: Ja die Ziele wir haben viel Einrichtungen, wir haben- ich glaube die Flyer, ich hab- e:::::: (4) eh erstemal interkulturelle, eh interreligiöse Dialog und Kultur. (4) #01:35:37-6# I://mmh//#01:35:37-6# B: Wir arbeiten in die Richtung Familie, Migration und Integration. #01:35:46-6# I://mmh//#01:35:46-6# B: Wir arbeiten auch in Richtung Bildung (2) jugendliche Arbeit, wir machen selb empowerment, eh international Zusammenarbeit und Partnerschaft () Entwicklungspolitik. Die Partizipation von Herrn Nkurumah ist also auch transnational ausgerichtet. Sein Engagement für die Community in Deutschland ist im internationalen bzw. transnationalen Kontext eingebettet. Das ist auch der Fall bei Frau Murube und ihrem neu gegründeten Verein. Nicht nur das, was die Befragten in Deutschland erlebt haben, sondern auch die mitgebrachten Ressourcen spielen eine wichtige Rolle bei ihrer gesellschaftspolitischen Partizipation, auch noch nach der Einbürgerung. In diesem Sinne ist zu bemerken, dass die Befragten, die mit einem eher niedrigen Bildungsniveau einreisten, sich weniger gesellschaftspolitisch beteiligen oder beteiligt haben. Herr Kwame beispielsweise, der mit einem Universitätsabschluss nach Deutschland kam, hat sich wie Herr Bagbo viel früher als andere Befragte für seine Anerkennung als Afrikaner engagiert. Auch Herr Bagbo, der in seinem Land – wie er im Verlauf des Interviews mitgeteilt hat – aufgrund der von ihm als Mitglied einer studentischen Vereinigung organisierten politischen Demonstrationen verfolgt wurde und dann deswegen sein Land verlassen musste, hat sich sehr schnell gegen die schlechte Behandlung als Asylbewerber gestellt. Dies ist nicht der Fall bei Frau Murube, die
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zwar auch in ihrem Herkunftsland malträtiert wurde und auch schlechte Lebensbedingungen als Asylbewerberin erlebt hat, aber ohne Schulabschluss und auch ohne gesellschaftspolitische Erfahrung nach Deutschland kam. Ihre politische Partizipation in Deutschland fing viel später an, als sie dort ein Studium absolvierte. Es ist also anzunehmen, dass sich das Denken und das Handeln der Befragten des vorliegenden Samplings in Deutschland auch von der vorherigen Erfahrung oder den mitgebrachten Ressourcen aus den Herkunftsländern beeinflussen lassen. Neben der Vergangenheit und dem mitgebrachten Kapital spielt das Milieu, in dem die Befragten in Deutschland leben, eine Rolle bei der Orientierung der Partizipation und auch bei der Entwicklung eines neuen entsprechenden Habitus. Die Basis des Engagements von einer Person wie Herrn Kanambe, der auf dem Land lebt, unterscheidet sich deutlich von der von jemandem wie Herrn Nkurumah, der in einem urbanen Milieu wohnt. Im Gegensatz zum ländlichen Raum bietet die Stadt den dort lebenden befragten Personen generell mehr Möglichkeiten, mit Menschen mit ausländischem Hintergrund – darunter auch Afrikanerinnen und Afrikaner – in Kontakt zu kommen. Es macht einen deutlichen Unterschied beim Engagement aus, ob man sich in einem universitären Bereich bewegt wie Herr Kwame oder ob man durch eine Heirat nach Deutschland gekommen ist und als Hausfrau – wie im Fall von Frau Fatou – in einer Familie lebt und wenig Gelegenheit hat, mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen. Es ist auch wichtig festzustellen, dass sich die Bedeutung des Engagements in afrikanischen Milieus zwischen den Zeiten der Konfusionsphase oder dem Versuch, diese Phase hinter sich zu lassen, und den Zeiten nach der Einbürgerung unterscheidet. In der Konfusionsphase engagierten sich die im Rahmen der vorliegenden Arbeit Befragten in ihren afrikanischen Gemeinschaften, weil sie nur einen sehr schwachen Kontakt mit der Mehrheitsgesellschaft hatten. Da kämpften sie noch gegen ihre Isolation, während sie nach der Einbürgerung für eine gesellschaftliche Teilhabe kämpfen. Während sich einige Befragte wie Herr Dos Santos in der Konfusionsphase quasi unter Afrikanerinnen bzw. Afrikanern bewegten, bezieht sich ihr Handeln nach der Einbürgerung auf unterschiedliche Organisationen und nicht nur auf die von Afrikanerinnen bzw. Afrikanern. Nach der Einbürgerung wirken die Befragten bewusst und reflektiert in afrikanischen Milieus mit. Es wird kosmopolitisch gehandelt und die Partizipation für eine breitere Beteiligung wird auch außerhalb der deutschen Grenzen betrieben. In der ersten Zeit beschränkte sich das gesellschaftspolitische Engagement generell auf Deutschland und in den meisten Fällen auf die lokale Ebene. Die folgende Äußerung von Frau Foé verdeutlicht diesen Unterschied: B: Erst Mal in S-Stadt, das war mehr ah engagiere dich einfach erst Mal, weil du kannst was für die Leute, (2) du kannst die Menschen eh::: helfen und das kann Menschen gut ankommen, das war erst mal engagiere dich (2), komme in die Sys-
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
tem rein, lerne wie die Sache hier funktioniert und ein bisschen (), aber in G-Stadt Afrika-Forum, das ist mehr, das ist was anderes, das ist mehr sin- mehr Ziele, wir sollen das gründen. Wir hab- wir leben hier in derselben Stadt, mit unseren Kindern hier (4) und wir bezahlen auch Steuer hier, dann sollen wir uns, wir sollten nicht mehr (3) wie ich sehe am Rande der Gesellschaft leben (2), aber uns integrieren. Das ist das Ziel, Integration der Menschen afrikanischer Herkunft. Deswegen bin ich hier in G-Stadt zum Beispiel, Afrika-Forum, in Afrika-Forum engagiert. Und (3) und ich sage immer (lachend) alle Afrikaner Schwarz sind, wir haben ganz gleich Schicksal (4). Wir haben Schwarz @gleich Schicksal@, wenn man uns uns sieht, man:::::: merkt nicht, der kommt aus Ruanda, die aus Kamerun, der aus Kongo:::, die sind alle Afrikaner. Sie werden immer pauschalisiert. Ja, deswegen kann ich nicht sagen, ja (2) ich engagiere mich nur für [meine Landsleute] und für die andere nicht. Das wäre für mich finde ich blöd […] Naja, wir kommen alle aus dem gleichen Kontinent #00:57:35-6# I://mmh//#00:57:35-6# B: Das ist erste Sache. Wir haben gleiche Hautfarbe (lachend), ist zweite Sache, worauf ich stol- daruf stolz bin, auf schwarze Hautfarbe und (3) ja ich- (2) ich glaglaube auch, wenn ich eh mich hier umsehe, wie alles funktioniert, wir sind immer so:::: ein bisschen mehr benachteiligt. Das Engagement von Frau Foé – sowohl in der Konfusionsphase als auch nach der Einbürgerung – dreht sich um »Afrikanität«. Sie handelte und handelt immer noch als Afrikanerin und ihrer Meinung nach auch im Interesse von anderen Afrikanerinnen bzw. Afrikanern. Der Unterschied im Engagement liegt nicht nur in den zu erreichenden Zielen, sondern auch darin, wie man sich engagiert. Während Frau Foé in der Konfusionsphase nur eingeschränkte Möglichkeiten hatte, um sich in die Gesellschaft einzubringen, verfügt sie nach der Einbürgerung über mehr Mittel und mehr Verhandlungsmöglichkeiten sowohl auf materieller und moralischer als auch auf rechtlicher Ebene. Sie ist gelassener und inhaltlich gerüsteter als früher. Bei ihrem Handeln geht es nicht ums Bitten, sondern ums Verlangen und Fordern. Sie will nicht nur eine Akzeptanz in der Gesellschaft, sondern auch eine Gleichbehandlung erhalten. Mit ihrem kosmopolitischen und transnationalen Handeln will sie auch die Gesellschaft beeinflussen. Herr Dos Santos bestätigt dies auch. Er teilt ganz deutlich Folgendes mit: B: Dafür gesorgt habe, dass ich- Doppelstaatsangehörigkeit besitze (2) und das war mir wichtig (3). #00:30:48-4# I://mmh//#00:30:48-4# B: (2) So habe ich ehm- teilweise Einfluss auf beide (3) Gesellschaften. Und ich kann vielleicht bestimmte positive Einflüsse aus eine Gesellschaft in das andere transportieren, oder von B nach A (2) °transportieren° und ehh (5) und ist man
7 Gesellschaftliche Partizipation und symbolische Kämpfe
sozusagen ein genannten Weltbürger. Man kann beide Welten sozusagen (2) zu Hause sein und es ist auch kein Widerspruch. Herr Dos Santos sieht sich als Weltbürger an. Er sieht sich sozusagen dafür prädestiniert, auch außerhalb der deutschen Grenzen zu handeln. Seine Biografie hilft ihm, dieses Ziel zu realisieren. Die deutsche Staatsbürgerschaft trägt auch zu diesem kosmopolitischen Handeln bei. Neben dem deutschen Pass ist es wichtig, dass er sich in der deutschen Sprache verständigen kann. Alle diese Bedingungen ermöglichen es ihm, einfacher zu reisen, und sie stiften das Gefühl bei dem eingebürgerten Afrikaner, freier und freizügiger geworden zu sein. Er hat eine Art Macht, die er zum Beispiel in der Konfusionsphase nicht hatte. Diese Macht, diese materiellen Mittel, dieses Gefühl, diese Sicherheit und diese Handlungsmöglichkeiten werden zum Bestandteil eines neuen Habitus. Die Familie, die Arbeit, die Schule, der Bildungsabschluss, der deutsche Pass, Erfahrungen in Vereinigungen, die Peer-Gruppe, die Umgebung etc. sind die Faktoren, die den Style, das Denken und das Handeln von Herrn Dos Santos oder Frau Foé stark beeinflussen. Um das Thema über den kosmopolitischen Habitus zusammenzufassen, ist es wichtig zu bemerken, dass das gesellschaftliche Engagement der Befragten des vorliegenden Samplings hinsichtlich der Migration u.a. auf der Erfahrung aus der Vergangenheit und auch auf der Sozialisation im gegenwärtigen Milieu, in dem sie leben, beruht. Diese Faktoren beeinflussen die Entwicklung des Habitus der interviewten Personen, d.h. ihr Denken, Handeln und Aussehen, ihre Freizeitaktivitäten, kulturelle und politische Partizipation etc. In dieser Hinsicht ist anzunehmen, dass die Erfahrung aus Afrika bzw. der mitgebrachte Habitus eine Rolle bei der Determinierung des gesellschaftspolitischen Engagements der Befragten in Deutschland spielt, aber dass dieser Habitus mit den neuen Lebensbedingungen, neuen Arbeitspositionen, der neuen ökonomischen Situation etc. konfrontiert wurde und dass er sich dadurch entwickelt. Diese Entwicklung führt in vielerlei Hinsicht zu einem kosmopolitischen Denken, Handeln und entsprechendem Auftreten. Es gibt also Wechselwirkungen und eine gegenseitige Beeinflussung zwischen dem mitgebrachten Habitus und den mitgebrachten Ressourcen auf der einen Seite und der Lebensrealität auf der anderen Seite, die die Entwicklung eines neuen Habitus beeinflussen.
7.6
Zwischenfazit
Als übergreifende Regelmäßigkeiten habe ich in diesem Kapitel die Verlaufsprozesse des gesellschaftspolitischen Engagements ermittelt. Schritt für Schritt wurden die Etappen eines Migrations- und Inklusionsverlaufs hin zur Einbürgerung und die dabei zu beobachtenden Formen eines gesellschaftspolitischen Engagements
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in Deutschland analysiert. Mit Blick auf individuell variierende Abläufe und Haltungen hat die Analyse eine Rekonstruktion von kollektiven grundlegenden Phasen in den Verlaufsprozessen der Migration mit Fokus auf die Einbürgerung und ihre Folgen ermöglicht. Dabei war das Hauptziel herauszufinden, ob die Einbürgerung die Abläufe und Formen eines gesellschaftspolitischen Engagements im Ankunftsland beeinflusst hat. Die gesellschaftspolitische Partizipation der Befragten des vorliegenden Samplings verlief zwar unterschiedlich, die vorliegenden Ergebnisse verweisen aber auf kollektive Gemeinsamkeiten und soziale Regelmäßigkeiten. Die Rekonstruktion des gesellschaftspolitischen Engagements der Befragten zeigt generell, dass sie nach ihrer Ankunft in Deutschland zunächst mit unterschiedlichen Schwierigkeiten konfrontiert waren. Diese Schwierigkeiten bezogen sich auf das Alltagsleben, aber auch auf strukturelle und rechtliche Räume, in denen die Betroffenen sich bewegten. Die Belastungen in dieser Phase der Konfusion hingen mit der Ungewissheit bezüglich der Aufenthaltserlaubnis zusammen. Fallübergreifend wussten die Befragten nicht, ob sie in Deutschland bleiben durften. Zusätzlich zu dieser Unsicherheit erlebten sie verschiedene Arten von Ausgrenzung oder Einschränkung in der Gesellschaft. In dieser schwierigen Phase der Konfusion war es in vielerlei Hinsicht sehr schwierig, sich gesellschaftspolitisch zu engagieren. Bei den Befragten entstand oder verstärkte sich das Zugehörigkeitsgefühl zur Gemeinschaft der Afrikanerinnen bzw. Afrikaner. Innerhalb der Gemeinschaft, die aufgrund der gemeinsamen afrikanischen Herkunft wahrgenommen wurde und nicht notwendigerweise organisiert war, entwickelte sich das Gefühl oder der Bedarf, gemeinsam zu handeln. An dieser Stelle machten die Befragten ihren ersten Schritt in die Orientierungsphase. Zu diesem Zeitpunkt versuchten z.B. studierte Befragte, der afrikanischen Gemeinschaft zu helfen, sich lokal zu strukturieren und zu organisieren. In einigen Fällen sind diese Versuche gescheitert, in anderen Fällen blieben sie ohne großen Erfolg. Unabhängig davon, ob dieser Versuch erfolgreich gewesen ist oder nicht, schuf er den Raum und die Gelegenheit für einen Austausch unter Migrantinnen bzw. Migranten und eine gegenseitige Unterstützung zwischen den Betroffenen. Die Orientierungsphase bereitete die Stabilisierungs- und die Konsolidierungsphase vor. Beim Orientierungsschritt bezog sich das gesellschaftspolitische Engagement der Befragten auf den Kampf um eine Aufenthaltserlaubnis und die Anerkennung in der Gesellschaft. Als diese Beweggründe einigermaßen erreicht worden waren, d.h. als die Befragten beispielsweise ihre Aufenthaltserlaubnis erhalten hatten, richteten sich ihre Bemühungen auf ihre materiellen und familiären Wünsche. Das Ziel an diesem Punkt war, eine Basis für ihr eigenes Leben zu schaffen. In dieser Phase gingen das Gefühl und das Handeln als »wir Afrikanerinnen bzw. Afrikaner« zwar nicht verloren, aber deutlich zurück. Die Community steht dabei nicht mehr im Vordergrund des gesellschaftspolitischen Engagements. Dieses ging an dieser Stelle auch langsam zurück.
7 Gesellschaftliche Partizipation und symbolische Kämpfe
Die Konsolidierungsphase mündet in der Attestierungsphase. Diese Phase war hauptsächlich von der Einbürgerung der Befragten gekennzeichnet. In dieser Phase haben die befragten Personen sich dafür entschieden, auf ihre ehemalige Staatsangehörigkeit zu verzichten, um deutsche Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger zu werden. Nur eine Person durfte eine doppelte Staatsangehörigkeit haben und damit ihre alte Staatsangehörigkeit beibehalten. Schon vor der Attestierungsphase war das Leben der Befragten materiell nach Deutschland verlegt worden. Die Einbürgerung und die dadurch erhaltene Staatsbürgerschaft haben an diesem Zustand nichts geändert. In vielen Fällen hat die Einbürgerung nicht zur erwarteten besseren Anerkennung und besseren gesellschaftlichen Teilhabe geführt, und dies schuf die Basis für eine Rückkehr zum Engagement in die afrikanischen Milieus. Nur in einigen Fällen hat dieser neue Status eine deutlich aktive gesellschaftspolitische Partizipation, zum Beispiel in der deutschen Politik, ermöglicht. Es ist festzustellen, dass sich die Befragten fallübergreifend in afrikanischen Milieus engagiert haben oder immer noch engagieren. Diese Gemeinschaft bot einen Rückzugsraum und die partizipatorische Gelegenheit des gemeinsamen gesellschaftspolitischen Engagements. Bei diesem Handeln, das auch transnational erfolgt, lassen sich die Spuren der Migration, der Zugehörigkeit zur afrikanischen imaginierten Gemeinschaft und des mitgebrachten Habitus identifizieren. Die Faktoren Migration und Community schaffen die Grundlage für ein weltbürgerschaftspolitisches Engagement, das auf einer kosmopolitischen Partizipation beruht. Dabei entwickelt sich ein neuer Habitus, der teilweise auf der Vergangenheit vor der Migration und teilweise auch auf der Erfahrung der Migration selbst beruht. Bei ihrer gesellschaftspolitischen Partizipation werden die interviewten Personen unterschiedlich behandelt und nicht immer akzeptiert. Dies stiftet ein Ablehnungsgefühl und begründet auch Versuche, sich in transnationale Milieus zurückzuziehen. An dieser Stelle taucht die Frage nach der sozialen Zugehörigkeit der Betroffenen auf. Um die Frage, wie soziale Zugehörigkeiten entstehen und sich verändern, geht es im folgenden Kapitel.
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8 Verlaufsprozesse sozialer Zugehörigkeiten »Ich bin nicht anders, aber die Leute denken, dass ich anders bin.« (Kwame)
Die Staatsbürgerschaft bezieht sich inhaltlich auch auf die soziale Zugehörigkeit und die Identität der Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger. Das vorliegende Kapitel berichtet über die wahrgenommenen sozialen Zugehörigkeiten der im Rahmen dieser Arbeit befragten Personen in der deutschen Gesellschaft. Die sozialen Zugehörigkeiten werden anhand von Wahrnehmungen, Gefühlen, Praktiken und kognitiven Vorstellungen der Befragten ermittelt. Bei der Analyse der Befragungen war das Ziel, die Entwicklung sozialer Zugehörigkeiten nach den in den vorherigen Kapiteln erwähnten Phasen zu rekonstruieren und zu überprüfen, ob und inwieweit die Einbürgerung die wahrgenommenen sozialen Zugehörigkeiten beeinflusst. Es wird auf die Frage eingegangen, wie sich die Wahrnehmungen von Zugehörigkeiten bei den Befragten entwickelt haben und wie sie auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen entstehen und sich verändern. Die Interpretation und die Rekonstruktion der Verlaufsprozesse der sozialen Zugehörigkeiten verliefen etwas unterschiedlich im Vergleich zur Analyse und Rekonstruktion der sozio-ökonomischen Verlaufsprozesse und der der gesellschaftspolitischen Partizipation. Zusätzlich zur zeitlichen Entwicklung der Zugehörigkeiten – also nach den erwähnten Phasen – wurden auch die (sozial-)räumlichen Wandlungsprozesse analysiert. Hierzu habe ich untersucht, wie sich soziale Zugehörigkeit im Zusammenhang mit dem Raum bzw. dem Milieu – Nachbarschaft, lokale Ebene, mittlere Ebene, nationale Ebene – verändert. Die Typenbildung bzw. Analyse wurde also sowohl mit Blick auf den zeitlichen Verlauf als auch mit Blick auf verschiedene räumliche Ebenen durchgeführt. Auf diese Weise war die Typenbildung komplexer als in den vorhergehenden Kapiteln.
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
8.1
Konfusionsphase: Soziale Zugehörigkeit durch Familienkreise und Verwandte
Wie oben gesehen, hatten die Befragten in ihrer Konfusionsphase fallübergreifend sehr eingeschränkte Bekanntschaften in Deutschland. Sie haben sich in einem isolierten Umfeld bewegt. Auch dadurch, dass einige Betroffene rechtlich ausgegrenzt wurden, haben manche sogar ein Gefühl der Ablehnung durch die Gesellschaft und auch in vielerlei Hinsicht durch ihre Umgebung gehabt. Das war beispielsweise der Fall bei Herrn Nkurumah. Darüber sagt er: So bin ich gekommen, i: ä:: habe den Asylantrag gestellt, (3) ja diese Antrag, ja Asylzeit war nicht einfach. War sehr langweilig, wenn man immer beschäftigt war, wenn ehm mbzs mmh:::: plötzlich findet man ein- ein begrenzt (2) (lachend) Bezirk oder Re- Region, was man (3) °vielleicht° immer an Erlaubnis nachfragen, wenn man (3) raus aus Bezirkregion eh::: fahren sollte. […] Ja, jaja, in Deutschland war nicht einfach estmal ehm:::::(3) viel Sachen sind ba- anders bei uns diese disjetzt sie erklären diese Willkommenkultur, aber früher war nicht einfach so mit Kon- Kontakt mit Deutsch zu knüpfen, aber manchmal mit Gewohnheit durch Kirche:::: durch::::, (3) ehm::::: ich glaube Verein Mitgliedvereine, dann habe ich Kontakt mit den andere Deutsche, aber auch gelernt wie eh::: wie oder was Verhalten () von- °wie sagt? ein Besuch° wie sagt? (3), ein Migranten. Die Isolation bei der Fallgruppe, die ich hier als »Asyl« bezeichne, bezog sich auch auf den Wohnort. Die Befragten, die Asylbewerberinnen bzw. Asylbewerber gewesen sind, mussten an Orten außerhalb der normalen Wohngebiete wohnen (vgl. Frau Murube und Herr Bagbo). Wegen der Residenzpflicht durften sie bestimmte Orte bzw. Gebiete nicht verlassen. Die soziale Zugehörigkeit der Betroffenen hat unter dieser Situation gelitten. Herr Bagbo, der zu dieser Fallgruppe gehört, teilt mit, dass er aufgrund der Residenzpflicht das Gefühl hatte, die Internierung der Nazizeit zu erleben. Die soziale Zugehörigkeit der Befragten ist nicht statisch. Sie ändert sich je nach Kontext und je nach Milieu, in dem die Eingebürgerten sich bewegen. Auf lokaler Ebene verspürt man eine Form von Zugehörigkeit, die sich u.a. auf den Familien- und Freundschaftskreis sowie auf Kontakte mit Nachbarn bezieht. Die soziale Zugehörigkeit vor Ort, die teilweise aus den alltäglichen Praktiken entsteht, spiegelt nicht unbedingt das Zugehörigkeitsgefühl auf anderen gesellschaftlichen Ebenen wider. Familie und Verwandte beeinflussen und vermitteln das Gefühl der Zugehörigkeit in der Gesellschaft zumindest auf lokaler Ebene. Sie spielten eine wichtige Rolle bei der Überwindung der Konfusionsphase im Fall von Herrn Kwame. Sie halfen beim Durchbrechen der Isolation und bei den ersten Eingliederungsschritten in die Gesellschaft. Herr Kwame ist beispielsweise davon überzeugt, dass er
8 Verlaufsprozesse sozialer Zugehörigkeiten
über seine deutsche Frau mit der deutschen Gesellschaft in Kontakt gekommen ist. Diesbezüglich erzählt er: Gut, dann während dieser Zeit, wie gesagt, hatte ich meine jetzige Frau auch getroffen, kommt ein Mann mehr oder weniger irgendwie in Kontakt, dann mehr in Kontakt mit der mh, mit der deutschen Gesellschaft oder so. Es ist festzustellen, dass der Betroffene empfindet, dass er langsam und »irgendwie« sowie »mehr oder weniger« und nicht plötzlich und völlig mit der Gesellschaft in Kontakt gekommen ist. Dabei hat seine ehemalige Freundin und jetzige Frau eine wichtige Rolle gespielt. Durch seine Aussage gibt Herr Kwame zu verstehen, dass die soziale Zugehörigkeit bezüglich der Gesellschaft erst richtig entstanden ist, als er feste Freundschaften mit einigen Mitgliedern der Gesellschaft geknüpft hat. Zu diesen Mitgliedern zählen seine Frau und ihre Familie. Die Familie, die die soziale Zugehörigkeit ermöglicht, muss nicht unbedingt eine deutsche Familie sein und ihre Mitglieder müssen nicht unbedingt deutsch sein. Das ist zum Beispiel der Fall bei Frau Murube und Frau Foé, die sich mit Deutschland und der deutschen Gesellschaft verbunden fühlen, weil sie dort mit ihren Kindern als Familie leben. Wie schon in einer früheren Interviewpassage gesehen, berichtet Frau Murube mit großer Emotion, dass Deutschland ein Teil ihres Lebens ist. Dafür hat sie viele Argumente: Ihre Kinder wachsen dort auf und eins von ihnen wurde sogar dort geboren; sie hat dort studiert und auch gearbeitet. Ihre Zugehörigkeit zu Deutschland verbindet sie nicht mit der Einbürgerung, sondern mit ihrer Familie und ihren Errungenschaften. An dieser Stelle bedeutet Deutschland nicht das Land an sich, sondern der Ort, wo sie und ihre Familie leben. Sie hat dort viel erlebt und geschafft, was dazu führen konnte, dass sie sich zugehörig fühlt. Die Familien stiften ein Zugehörigkeitsgefühl im Ankunftsland. Dies erfolgt unabhängig davon, ob die Betroffenen mit ihren Familien migriert sind, oder ob sie ihre Familien erst in Deutschland gegründet haben. Die Familie ermöglicht ein Gefühl der Verbundenheit, die die Betroffenen an den Ort bindet. Frau Zuma und Frau Fatou, die ihre Familien in Afrika zurückgelassen hatten, teilen mit, dass sie sich in der Konfusionsphase überlegt haben, nach Afrika zurückzukehren, obwohl die Situation dort nicht besser als in Deutschland war. Die harten Lebensbedingungen der Konfusionsphase haben aber nicht bei denjenigen zu Rückkehrgedanken geführt, die mit ihren Familien nach Deutschland migriert sind. Dafür spricht der Fall von Frau Murube. Die Rückkehr-Überlegungen von denjenigen, die ihre Familien zurückgelassen hatten, wurden nicht weiterverfolgt bzw. realisiert, zum Teil weil sie Bekannte oder Nachbarn in Deutschland gefunden hatten, die sie in dieser Phase unterstützt haben.
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
8.2
Orientierungsphase: Soziale Zugehörigkeit durch Nachbarschaft und Bildungsabschluss
In der Orientierungsphase waren die Betroffenen nicht mehr sozial isoliert. Sie bewegten sich nicht mehr nur in eingeschränkten Kreisen. Sofern sie zuvor an isolierten Wohnorten, z.B. in Asylheimen und Flüchtlingsunterkünften, gewohnt haben, verließen sie diese und zogen in »normale« Wohngebiete. Die neue Nachbarschaft setzte sich nun nicht länger ausschließlich aus anderen Geflüchteten zusammen. Vielmehr bestand diese nun aus deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern. Ihr Kontaktumfeld vergrößerte sich und ihre soziale Zugehörigkeit entwickelte sich.
8.2.1
Zugehörigkeit durch Nachbarschaft
Nach Ende der Konfusionsphase – d.h. in der Orientierungsphase – wurde die Isolation der Betroffenen u.a. durch Kontakte zu anderen Menschen in der Nähe, durch eine Partizipation in Bürgerinitiativen, Vereinen, Kirchen, Selbsthilfegruppen sowie durch verschiedene Aktivitäten in der Nachbarschaft aufgebrochen. Durch solche Aktivitäten merkten die Betroffenen langsam, dass sie einen Platz unter den Nachbarn erhielten. Sie teilen mit, dass die Kontakte in Nachbarschaften zu richtigen Bekanntschaften und Freundschaften geführt haben. Diese Bekanntschaften bestehen immer noch und spielen eine wichtige Rolle im sozialen Leben der Befragten. Dazu sagt Frau Foé beispielsweise: B: Wie ich mich in Deutschland fühle, ich fühle mich gut integriert (2) es ist als eh:::m (3) auf jeden Fall manchmal schwierig, (2) mit meiner Herkunftskultur, ododer meiner Haut- Hautfarbe auch, was man nicht leugnen, ist manchmal schwierig (2) einige Stellen (4) was () sich anzupassen, weil eh einige Leute nicht so offen sind, aber im Grob eh:: im Ganzen würde ich sagen, ich bin (3) integriert, ich habe wunderbare Leute kennen gelernt °hier in Deutschland°, besonders an der Universität, wo ich studiert und sozial engagiert war mhhhh und aber im Rahmen meiner Gemeinde, deutsche christliche Gemeinde, wo ich hingehe, so dass ich heute sagen kann, ich habe wichtige Freunde, ich habe ehhh @manchmal sage ich deutsche Opas und Omas@ #00:04:26-9# I://mmh//#00:04:26-9# B: @und deutsche Eltern@, genau, weil ich () die Leute, wenn sie mich nicht sehen, zwei Wochen lang, sie rufen an und fragen, wo bist du? was machst du? ehh genau wie mein Eltern. #00:04:39-5# I://mmh//#00:04:39-5# B: Das sind genau gebürtige Deutsche und andere Leute von ein- anderartige Migration auch jh::::.
8 Verlaufsprozesse sozialer Zugehörigkeiten
Der Kontakt mit der Nachbarschaft ermöglicht ein Zugehörigkeitsgefühl unter den Nachbarinnen bzw. Nachbarn oder in den Bekanntenkreisen. Er vermittelt bei einigen sogar das Gefühl, in einer Familie zu leben. Dieses Gefühl kann einerseits wichtig für afrikanische Menschen sein, die in großen Familien aufgewachsen sind. Das Gefühl ist außerdem wichtig bei denjenigen, die allein nach Deutschland immigriert sind, wie Herr Oyono beispielsweise. Er sagt dazu : j’ai connu beaucoup de personnes ehh qui me sont très très chères aujoud’hui, ehh::: : (2) avec qui j’ai fait de très très bonnes expériences et qui étaient eh::::: : enfin qui étaient eh::: : en fait qui sont ouverts qui sont un peu comme ma famille. C’est comme dans chaque pays il y a des gens qui sont ouverts et d’autres qui ne sont pas ouverts. #00:04:53-2# concernant::::: : eh::::: : la (3) eh le permis de séjour, (3) eh:::::bon:::: : l’accueil n::::'a pas été toujours le meilleur accueil au service des étrangers (2). Herr Oyono berichtet in dieser Interviewpassage, dass er manche seiner Bekannten wie Mitglieder seiner Familie betrachtet. Die Familie in diesem Zusammenhang sollte nicht im Sinne der Familie in Deutschland verstanden werden. Es handelt sich nicht um die Kernfamilie und auch nicht um Verwandte, sondern um Menschen, die im Leben von Herrn Oyono wichtig sind. Es ist wichtig festzustellen, dass Herr Oyono in der oben genannten Passage seine Beziehungen in Bezug auf die Freundschaft und in Bezug auf die Behörden unterschiedlich bewertet. Herr Oyono betrachtet seine Situation in seinem Umfeld als familiär. Während er in seinem Bekanntenkreis »Familienmitglieder« gefunden hat, weist er auf die Beziehungen mit dem Ausländeramt hin, die nicht immer gut gewesen sind. Diese Situation beeinflusst auch die soziale Zugehörigkeit. Sie führt dazu, dass sich das Zugehörigkeitsgefühl auf den beiden Ebenen unterschiedlich entwickelt. Die soziale Zugehörigkeit der Befragten des Samples zeigt sich nicht nur durch ihre Beziehungen und Aktivitäten in der Nachbarschaft, sondern auch dadurch, dass ihr Leben zur Normalität geworden ist. Mit Normalität ist gemeint, dass es keinen besonderen Unterschied zwischen ihnen und ihren Nachbarn gibt. Die soziale Zugehörigkeit auf lokaler Ebene ist unterschiedlich, je nachdem ob die Betroffenen in normalen Wohnungen bzw. Stadtvierteln wohnen oder ob sie in einem abgelegenen und von Wald umgebenen Asylheim leben. In der Orientierungsphase bewegt man sich von der Situation der Isolation zu der der Normalität. Aus dieser Normalität können sich eine Freiheitswahrnehmung und soziale Zugehörigkeit entwickeln. Mit der Freiheit der Auswahl des Wohnorts, der Nachbarinnen bzw. Nachbarn und der Aktivitäten, in denen sie mitwirken können, nehmen sie sich schrittweise als aktiver Mitbürger bzw. aktive Mitbürgerin wahr. Diesbezüglich fühlt sich Herr Kanambe – trotz seines »AndersAussehens« – als Teil der Nachbarschaft und er fühlt sich respektiert. Diese Wahr-
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
nehmung führt dazu, dass er manche Wörter oder Situationen, die als diskriminierend oder rassistisch verstanden werden könnten, nicht so betrachtet, sondern dass er sie als »Blödsinn« bezeichnet. Das gehöre zur Normalität, zur Routine unter den Nachbarinnen bzw. Nachbarn. So erzählt Herr Kanambe: Es gibt be, blöde (2) Wörter – man sitzt zusammen, irgendeiner der erzählt irgendwelche Blödsinn, aber nicht so direkt diskriminier – du kommst nich mit, nee du oder hä. Nee, du kommst nicht hier rein oder ja. (2) Ich bin hier in Männergesangverein, das ein sehr alte (2) über 1800 so und so gegründet, über 100 Jahren. (3) Äh ich bin im Chor angekommen, der der Chorleiter der wollte, dass ich dahin komme (3) ich bin drin wie so als wär ich schon seit 100 Jahre drin. (2) Also da merke ich auch gar keine Diskriminierung mehr, weil die Leute – wie ich gesagt habe – die sind offener geworden, die äh is – es gibt keine (1) große Frage mehr, ja wie is das denn in Afrika? Was macht ihr in Afrika? Früher gab es solche Fragen viel mehr. Aber direkt Diskriminierung nich mehr. (3) Weil ich bin ja auch – die Leute, die kennen mich ja auch, sag ich mal so. Herr Kanambe hat das Gefühl, dass er in der Nachbarschaft gut inkludiert ist. Er unterscheidet die Vergangenheit von der Gegenwart. In der Nachbarschaft hat sich die Lage so positiv entwickelt, dass er denkt, dass es keine Diskriminierung mehr gegen ihn gibt. Er verbindet diese gute Beziehung und dieses Gefühl gegenüber seinen Nachbarinnen und Nachbarn mit der Tatsache, dass sich alle untereinander kennen. Er hat das Gefühl, dass sie ihn nicht mehr als Fremden ansehen. Er ist in seinem Chor bzw. seiner Nachbarschaft so gut sozialisiert, dass er nicht mehr empfindlich ist, wenn es um »harmlose« Diskriminierungen geht. Der Verlaufsprozess sozialer Zugehörigkeit auf lokaler Ebene hat sich bei Herrn Kanambe positiv entwickelt. Das ist aber auf anderen Ebenen nicht immer der Fall gewesen.
8.2.2
Soziale Zugehörigkeit durch einen Bildungsabschluss
In der Orientierungsphase versuchen die Befragten auch, durch die Bildung bzw. Ausbildung ihre Zukunft in Deutschland aufzubauen. Durch die Analyse der durchgeführten Interviews ist deutlich geworden, dass der Bildungsabschluss nicht nur die Sicherheit im beruflichen Leben ermöglicht, sondern dass er den Betroffenen auch das Gefühl gibt, dass sie ihren Platz in der Gesellschaft haben. Da afrikanische Migrantinnen und Migranten, zumal diejenigen, die als Flüchtlinge nach Deutschland kamen, nicht selten als Wirtschaftsflüchtlinge bzw. als »Parasiten« porträtiert werden, hilft der Besitz eines Abschlusses, diesen Klischees zu widersprechen, zumindest aus der Perspektive der Betroffenen. Herr Kanambe beispielsweise meint, dass die Menschen ihm gegenüber höflich werden, wenn sie erfahren, dass er gut qualifiziert ist. Er ist davon überzeugt, dass sein Sozialstatus, der auf seiner Qualifikation beruht, ihm Respekt unter seinen Nachbarinnen bzw. Nach-
8 Verlaufsprozesse sozialer Zugehörigkeiten
barn und Freundinnen bzw. Freunden ermöglicht. Er ist der Meinung, dass er diesen Respekt nicht gezollt bekäme, wenn er z.B. bei der Müllabfuhr tätig wäre. Sein Bildungsabschluss und seine Tätigkeit geben ihm das Gefühl, dass er einen Platz in der Gesellschaft hat, in der Schwarze Menschen rassistisch stereotypisiert und abgewertet werden. Herr Kanambe weist im Interview darauf hin, dass die verbreiteten Vorurteile und die allgemeinen Vorstellungen über Afrikanerinnen bzw. Afrikaner in Deutschland dazu beitragen, dass Afrikanerinnen und Afrikaner pauschal als Ungelernte oder sogar weniger intelligent als andere Menschen abgestempelt werden. Diese Klischees über afrikanische Menschen in Deutschland sind bereits bekannt. Hervorzuheben ist hier, dass Herr Kanambe das Gefühl zum Ausdruck bringt, eine Qualifikation, wie beispielsweise ein Studienabschluss, spiele eine wesentliche Rolle, wenn es darum geht, diese Vorstellungen abzubauen. Sein Abschluss als gelernter Programmierer nimmt Herrn Kanambe ebenfalls von dieser Pauschalisierung aus. Er hat mit seinem Abschluss die Möglichkeit, faktisch am Leben der Gesellschaft teilzunehmen und er hat auch ein entsprechendes Gefühl der Partizipation, auch wenn dieses manchmal schwankt. Eines der Argumente, das Frau Murube glauben lässt, Deutschland sei ein Teil ihres Lebens, ist, wie in einer Interviewpassage oben gesehen, dass sie dort studiert und Erfahrungen gesammelt hat. Das ist auch der Fall für Herrn Kwame. Bildung und ein Abschluss haben ihnen eine besondere Zugehörigkeits- und Sicherheitsempfindung ermöglicht. So glaubt Herr Kwame, dass sein Doktortitel es ermöglicht hat, wie ein Europäer behandelt zu werden, als er in Frankreich mit einem afrikanischen Dokument unterwegs war. Er erzählt dazu: Aber der hat in meine Pass geguckt, hat er Doktortitel gesehen und meine Koffer, er hat gedacht () und dann sagt er, komm is in Ordnung. (2) wirklich der hat gesagt, (lachend) is kein Problem an die französische Grenze. (2) (Das) hat dann – ja – mit welche Leute man zu tun () aber immer diese zwei Sachen. Hier ist es wichtig, das zu berücksichtigen, was der Betroffene selbst glaubt. Man weiß nicht genau, warum die Grenzschutzbehörden ihn bei dieser Illegalität nicht zurückgewiesen haben. Man weiß aber, dass der Betroffene glaubt, dass sein Doktortitel eine überwiegende Rolle dabei gespielt hat. Seine Meinung wird dadurch gestärkt, dass er vorher an der österreichischen Grenze zurückgewiesen wurde, als er noch keinen Doktortitel hatte. An dieser Stelle ist zu bemerken, wie der Abschluss ein Sicherheits- und Zugehörigkeitsgefühl generieren bzw. vermitteln kann. Dieses Gefühl kam schon vor der Einbürgerung und hatte mit der Staatsbürgerschaft nichts zu tun.
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
8.3
Soziale Zugehörigkeit in der Stabilisierungs- und Konsolidierungsphase
Wie schon gesehen, beziehen sich die Phasen der Stabilisierung und Konsolidierung sehr stark auf die Situation auf dem Bildungs-, Ausbildung- sowie Arbeitsmarkt und auch auf die familiäre Lage. Die Stabilisierung in Bezug auf die Familie erfolgte zum Beispiel durch eine Zusammenführung von Mitgliedern der Kernfamilie, für diejenigen, die sie in Afrika zurückgelassen hatten. In der Konsolidierungsphase ging es um den Ausbau von Errungenschaften der Stabilisierungsphase. Konsolidierung für die Familie bedeutete beispielsweise die Eingliederung von Kindern in das deutsche Bildungs- und Ausbildungssystem. Familie in diesen Phasen bezieht sich eher auf die Kernfamilie und nicht auf Bekannte, die als Familienmitglieder betrachtet werden. Wie schon erwähnt, ist die Abgrenzung zwischen den Phasen aber sehr unscharf. Da die Situation auf dem Arbeitsmarkt bei diesen beiden Phasen entscheidend ist, ist es wichtig anzuschauen, ob die berufliche Situation der Befragten des vorliegenden Samplings eine Rolle bei der Entwicklung ihrer sozialen Zugehörigkeit spielt.
8.3.1
Berufliche Situation und soziale Zugehörigkeit
In der Stabilisierungs- und Konsolidierungsphase bewegt sich die Analyse über die Wahrnehmungen der Befragten in Bezug auf ihre soziale Zugehörigkeit langsam weg vom Umfeld mit bekannten Gesichtern, hin zu Menschen, die die Betroffenen nicht oft sehen und die fast keinen direkten Kontakt mit ihnen haben. Es geht in diesen Phasen um Kontakte auf einer breiteren und eher anonymen Ebene der Gesellschaft. Konkreter handelt es sich um die Wahrnehmungen, die beispielsweise von den Beziehungen zu unterschiedlichen Ämtern, Behörden oder Dienstleistern beeinflusst werden. Wahrnehmungen über die soziale Zugehörigkeit auf dieser Ebene beruhen überwiegend auf schlechten Erfahrungen u.a. von Ablehnung, Diskriminierung und rassistischen Behandlungen.1 Der Analyse der Befragungen ist zu entnehmen, dass die berufliche Situation der Befragten fallübergreifend ihr Zugehörigkeits- bzw. Anerkennungsgefühl beeinflusst. Ist man sozio-ökonomisch und beruflich gut situiert, fühlt man sich eher akzeptiert (z.B. Herr Kwame und Herr Kanambe). Bei denjenigen, die mit einer schlechten Situation auf beruflicher und sozialer Ebene konfrontiert sind, tendieren die Betroffenen dazu zu denken, dass die Gesellschaft sie ausschließt.
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Eine der bekanntesten rassistischen Diskriminierungen, die auch gegen die befragten Afrikanerinnen bzw. Afrikaner aufgrund ihres Aussehens praktiziert wurde, ist die des Racial Profiling. Diese Praxis beeinflusst nicht zuletzt auch die Wahrnehmungen über die soziale Zugehörigkeit der Betroffenen.
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So sind die Betroffenen oft bei jeder Form des Rassismus oder der Diskriminierung sensibel, während diejenigen, denen es gut geht, viele Formen von Rassismus als »harmlos« betrachten. Frau Murube zum Beispiel, die zum Zeitpunkt des Interviews arbeitslos war, reagiert auf alle Diskriminierungen sehr alarmiert. Im Gegensatz zu ihr beurteilen Herr Kwame und Herr Kanambe, die beruflich gut etabliert sind, rassistische Äußerungen ihnen gegenüber als nicht schlimm. Bei der Analyse der Äußerungen der Befragten ist festzustellen, dass die Diskriminierung als entscheidend beurteilt wird, wenn es um eine materielle oder berufliche Benachteiligung geht. Die Interviewpartner bzw. -partnerinnen, deren berufliche Situation gesichert ist, teilen mit, dass sie auch bereits Formen von Diskriminierung erlebt haben, aber sie beurteilen diese Diskriminierung als »Blödsinn« und sie wollen sich damit daher nicht beschäftigen. Das ist beispielsweise der Fall bei Herrn Kwame. Er macht einen Unterschied zwischen dem »blöden« Rassismus, mit dem er sich nicht beschäftigen will, und der ernsthaften Diskriminierung, gegen die etwas unternommen werden muss, wie er in einem früheren Interviewabschnitt erwähnt. Herr Kwame lässt wissen, dass er schon gegen jede Form von Klischees und Vorurteilen aufgrund der Hautfarbe gekämpft hat. Diesen Kampf hat er aber nicht fortgesetzt. Nun beurteilt er selektiv, was ernsthaft bzw. nicht ernsthaft bei der Diskriminierung ist. Diese Selektion führt ihn zur Feststellung, dass sich die ernsthafte Diskriminierung auf wirtschaftliche, d.h. auf die sozio-ökonomische Benachteiligung bezieht. Damit betrachtet Herr Kwame, der auch in seinem Alltag mit »blöden« Kommentaren mit einem rassistischen Hintergrund konfrontiert wurde, den Alltagsrassismus ohne direkte sozio-ökonomische Benachteiligung als harmlos. An dieser Stelle kann die Betrachtung von Herrn Kwame so interpretiert werden, dass eine gute Qualifikation und eine gute sozioökonomische Situation helfen können, Rassismus zum Teil zu bewältigen. Herr Kanambe und Herr Kwame scheinen ihre Energie für andere Dinge zu verwenden, als die vielen subtilen, kleinen Angriffe jedes Mal zu thematisieren. Dies bedeutet aber nicht, dass sozio-ökonomisch gut situierte Menschen nicht vom Rassismus betroffen sind. An den Verlaufsprozessen des sozio-ökonomischen Lebens von Herrn Kwame ist zu erkennen, dass seine sozio-ökonomische Situation seine Wahrnehmungen, Gefühle und entsprechend seine Reaktionen in Bezug auf soziale Zugehörigkeit bzw. Nicht-Zugehörigkeit beeinflusst. Diesbezüglich lässt die Analyse der Aussagen von Herrn Kwame feststellen, dass es ihm in der Zeit seines Kampfs gegen rassistische Vorstellungen sozial und wirtschaftlich noch nicht gut ging. In dieser Zeit fühlte er sich im Ankunftsland abgelehnt, ausgegrenzt und nicht zugehörig. Dies ist jetzt nicht mehr der Fall. Seit mehreren Jahren haben sich sein sozialer Status und seine berufliche Lage positiv entwickelt. Er sagt dazu:
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
ich meine, ich hatte eine gute Stelle, ich war mehr oder weniger – ich hatte immer, ja, zwischen ähm (2) drei bis acht Leute unter mir oder so. Das bedeutet, egal was ist oder so (könnte keiner mich direkt irgendwo ins Gesicht was Blödes sagen) (lachend) oder so, ja. Is irgendwo (hin) anders, ne. Und (auf) die Straße, gut und dann nimmt man keine Bus mehr, fährt man keine Zug mehr äh, man is mehr oder weniger immer privat unterwegs – du bewegst dich irgendwo in ganz andere Kreise. Herr Kwame berichtet, dass er jetzt eine bessere Situation erlebt und sich in anderen Milieus als früher bewegt. Er ist beruflich glücklich. Seine soziale Mobilität ist positiv. Der Entwicklungsprozess der sozio-ökonomischen Situation von Herrn Kwame gibt Anlass zur Frage, warum er sich mit voller Energie mit Klischees und rassistischen Vorstellungen auseinandergesetzt hat, als er sein Leben noch unter schwierigen Bedingungen führte, und warum er damit später aufgehört hat. Damals war er gegen jede Form rassistischer Äußerungen und hat sich aktiv dagegen engagiert. Dies ist aber nicht mehr der Fall. Der ehemalige anti-rassistische Aktivist reagiert nun eher gelassen auf Stereotype über Schwarze Menschen. Er ist mittlerweile weniger daran interessiert, welches Bild man über ihn oder Afrikanerinnen bzw. Afrikaner hat. Die Situation ist aber anders in den Fällen von Frau Murube und Herrn Bagbo, die noch immer sehr unter jeder Form von Klischees leiden. Vergleicht man die Situationen von Herrn Kwame auf der einen Seite und von Frau Murube oder Herrn Bagbo auf der anderen Seite, stellt man fest, dass Erfolg im sozio-ökonomischen und beruflichen Leben die soziale Zugehörigkeit erhöhen kann. Im Gegensatz dazu kann eine schlechte sozio-ökonomische Situation das Gefühl sozialer Zugehörigkeit negativ beeinflussen. Es ist zu bemerken, dass die Phasen der Stabilisierung und Konsolidierung eher auf Interaktionen zwischen den Befragten und Institutionen bzw. juristischen Personen hinweisen. Die soziale Zugehörigkeit, die sich aus Kontakten in Familienkreisen, in der Nachbarschaft und in den Milieus, in denen die im Rahmen dieser Arbeit interviewten Personen leben, entwickelt, unterscheidet sich von der, die aus Interaktionen zwischen den Befragten und den Behörden zum Beispiel entsteht. Das Gefühl, das aus Beziehungen mit dem Staat bzw. seinen Ämtern entsteht, entspricht nicht unbedingt dem Gefühl auf lokaler Ebene, in Familienkreisen, in Nachbarschaften oder lokalen Bürgerinitiativen.
8.3.2
Differenzierte soziale Zugehörigkeit innerhalb des Ankunftslands
Die im Rahmen der vorliegenden Arbeit befragten Personen, die rassistische Diskriminierungen erlebt haben, sind der Meinung, dass es Unterschiede bezüglich rassistischer Behandlungen zwischen den Städten und Kommunen gibt. Frau Mu-
8 Verlaufsprozesse sozialer Zugehörigkeiten
rube, die diese These vertritt, hat nach ihren Aussagen diese Unterschiede selbst erfahren. Sie teilt mit, dass sie aufgrund der erlebten rassistischen Diskriminierung die Stadt hasst, in der sie früher gewohnt hat. Sie erzählt, dass sie dort mehrmals und in unterschiedlichen Fällen rassistisch behandelt wurde. Die Situation scheint an ihrem neuen Wohnort anders zu sein. Frau Murube ist der Meinung, dass sie dort nun mehr Anerkennung bekommt. Sie fühlt sich in manchen Situationen, beispielsweise an ihrem Arbeitsplatz, diskriminiert. Aber sie ist der Meinung, dass es nicht überall gleich ist. Dass sie überlegt, den Arbeitsplatz, aber nicht die Stadt zu wechseln, um der Diskriminierung zu entfliehen, ist ein Zeichen dafür, dass sie die Stadt nicht pauschal als rassistisch betrachtet. Vielmehr ist sie der Ansicht, dass sie auf anderen Stellen innerhalb derselben Stadt besser behandelt werden könnte. Der Umstand, dass Frau Murube denkt, sie würde möglicherweise anders behandelt, wenn sie das Umfeld wechsele, ist auch ein Zeichen dafür, dass sie Rassismus und Diskriminierung nicht als systematisch und allumfassend wahrnimmt. Die Betroffene hat also ihr Zugehörigkeitsgefühl auf dieser lokalen und mittleren Ebene nicht komplett verloren. Sie glaubt also nicht an eine pauschalisierte und überall praktizierte Diskriminierung, sondern an mögliche Unterschiede in der Art, wie sie behandelt wird. Die Wahrnehmungen über einen differenzierten Umgang mit ihrer Person implizieren auch, dass sie die Behörden bzw. Ämter differenziert beurteilt. Insofern ist davon auszugehen, dass differenzierte Wahrnehmungen bei Frau Murube auch die Entwicklung ihrer sozialen Zugehörigkeiten beeinflussen. Die Ergebnisse führen zu der Feststellung, dass diejenigen, die in einem Kontext eine Ausgrenzung erlebt haben, davon ausgehen, dass diese Ausgrenzung nicht zwangsläufig in einem anderen Kontext oder in einer anderen Stadt stattfände. Die Wahrnehmung von Ablehnung in einer Stadt des Ankunftslandes bedeutet also nicht, dass die Ablehnungserfahrung sich auf das ganze Ankunftsland übertragen lässt.
8.4
Soziale Zugehörigkeit in der Attestierungsphase
Das Kennzeichen der Attestierungsphase ist die Entscheidung, endgültig in Deutschland zu bleiben. Diese Entscheidung geht mit der Einbürgerung einher. Die zuvor dargestellten Zugehörigkeiten auf lokaler und mittlerer Ebene der Gesellschaft blieben in dieser Phase überwiegend unberührt. Die soziale Zugehörigkeit auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene ist flächendeckend, während soziale Zugehörigkeiten auf lokaler und mittlerer Ebene als ihre Teile zu betrachten sind. Die gesamtgesellschaftliche Zugehörigkeit betrifft die Zeit vor und nach der Einbürgerung. Sie bezieht sich sogar auf die Zeit vor der Ankunft in Deutschland.
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8.4.1
Zugehörigkeitsvorstellung vor der Ankunft in Deutschland
Vor ihrem Kontakt mit der deutschen Gesellschaft hatten die Befragten des vorliegenden Samplings ein eigenes Bild von Deutschland, das bereits ihr Zugehörigkeitsgefühl zu Deutschland beeinflusst hat oder später wahrscheinlich beeinflussen sollte. Herr Dos Santos aus einem afrikanischen Land, das gute Beziehungen zur damaligen kommunistischen bzw. sozialistischen Welt hatte, hatte eine positive Vorstellung von der DDR (Deutsche Demokratische Republik) schon vor seiner Ankunft dort. Er teilt dazu Folgendes mit: Ja, ich::::(4) oder wir hatten damals sozusagen (3) eine andere (2) Sicht über Europa, oder über die sogenannten (2) kommunistischen Länder, wo wir gelesen haben oder mitgekriegt hab-, dass dort hervorragende Gesellschaft ist. (2) Wo es keine Diskriminierung ist, wo es keine Ungleichheit gibt, wo es (4) alles super funktioniert. U::nd (3) Die Propaganda der DDR hatte ihn schon in Afrika erreicht. Seine Erwartung war eine warme deutsche Gesellschaft ohne Diskriminierung. Er träumte davon, in einer Gesellschaft zu leben, in der alle Menschen gleich und gleichgestellt sind. Seine Aussage kann so interpretiert werden, dass er sich schon vor seiner Ankunft in der Aufnahmegesellschaft akzeptiert fühlte. Seine spätere Erfahrung dort widersprach aber seinen Erwartungen. Wie er selbst sagt, wurde er dort »kalt« empfangen und behandelt. Vor seiner eigenen Erfahrung hatte er aber eine positive Vorstellung über seine Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft. Die Situation war ganz anders bei den Herren Bagbo, Gnassimbe und Diouf. Sie hatten schon in ihren Ländern ein negatives Bild von Deutschland. Schon in Afrika hatten sie – zum Beispiel im Schulunterricht – Kontakt mit der deutschen Gesellschaft, seiner Geschichte oder Sprache gehabt. Dieser erste Kontakt war bei ihnen bereits im Vorfeld eher abschreckend. Herr Bagbo, Herr Gnassimbe und Herr Diouf hatten vor ihrer Immigration schon Bedenken darüber, wie sie in Deutschland behandelt werden würden. Sie waren unsicher. Sie hatten Ängste vor dem Land, das sie mit Ausländerfeindlichkeit verbanden. Jeder hatte aber seine eigene Erfahrung gemacht. Herr Gnassimbe zum Beispiel kommt aus einer ehemaligen deutschen Kolonie. Seine Erfahrung bezieht sich auf die schreckliche Geschichte seines Landes als eine deutsche Kolonie und auf den Unterricht der deutschen Sprache in der Schule, der ihm gar nicht gut gefallen hat. Er berichtet, dass er mit dieser Sprache immer Schwierigkeiten gehabt hat. Die deutsche Sprache, die er als schwierig empfand, hat dazu geführt, dass er sich der deutschen Gesellschaft nie verbunden gefühlt hat. Er erzählt : B : Moi je n’ai jamais je n’ai jamais (2), l’allemand même je ne l’aime pas (2) en parlant même (2) à l’école je ne l’aime pas. Parce que c’est une langue très difficile.
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C’est mon grand papa, parce que le [le pays natal] a été colonisé par l’Allemagne. Mes grands parents parlaient l’allemand. Le reste c’est le français que mon papa a appris, eh notre génération c’est le français aussi, donc c’est quelque chose qui::: : n’était pas () le choix était venu, je suis arrivé ici dans ce pays que::: : je:: : je n’aimais pas, je ne l’aimais pas quoi, parce qu’au niveau de la langue ehn (3) #00:11:00-4# I ://mmh//#00:11:00-4# B : J- je ne parlais même pas l’allemand quelques mots () tu sais, non non c’est en seconde qu’on avait fait ça un peu, et en première aussi on avait parlé, mais je n’avais pas choisi ça aussi. Parce que la langue c’est autre chose. (2) Bon (3) je suis venu, on est tombé ici::, donc c’était très difficile, il (2) faut aller demande::r l’asile, et dans quels moments tout ça c’est quelque chose qui était très très trè:::::s (2) très compliqué. In dieser Passage berichtet Herr Gnassimbe, dass er bereits in seinem Herkunftsland eine Distanz zur deutschen Gesellschaft gespürt habe, insbesondere aufgrund der schwierigen deutschen Kolonialsprache, die er schon in der Schule lernen musste. Dies habe auch dazu geführt, dass er keine Sympathie für das Land empfunden hat, aus dem diese Sprache kommt. Es ist wichtig zu bemerken, dass Herr Gnassimbe in dieser Passage auf die Kolonialgeschichte hinweist, wenn er die Beziehungen zwischen seinem Herkunftsland und Deutschland sowie der deutschen Sprache erwähnt. Dadurch zieht er Parallelen zur Kolonialgeschichte, die er generell negativ beurteilt. Während Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache und die kritische Beurteilung der Kolonialgeschichte den Hintergrund für das distanzierte Verhältnis von Herrn Gnassimbe zur deutschen Gesellschaft bilden, entstand die Distanz in den Fällen Bagbo und Diouf aus ihren Ängsten in Bezug auf die deutsche Geschichte. Herr Bagbo erzählt beispielsweise Folgendes: Am Anfang war eh::::mein Ziel war nicht Deutschland () Deutschland wegen deutsche Geschichte eh::: hat man in Afrika Angst von as- eh:::: von Rassismus u:::nd Nazizeit und soweit (1) weil wir die deutsche Geschichte in Schule gelernt haben, man hat Angst vor Deutschland und::: ich wollte normalerweise nach England eh:::: fliehen. Durch den Einfluss des Schulunterrichts in seinem Herkunftsland verband Herr Bagbo Deutschland mit dem Nationalsozialismus. Schon in Afrika hat er vom Rassismus in Deutschland gehört und er glaubte nicht, dass dies der Vergangenheit angehörte. Deswegen wollte er nicht nach Deutschland, sondern nach England fliehen. Diese Angst von Herrn Bagbo vor Deutschland, schon vor seiner Ankunft in diesem Land, ist auch bei Herrn Diouf, zu finden. Dazu erzählt auch Herr Diouf Folgendes:
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B: Also als ich mein Visum nach (2) B-Stadt bekommen habe, im ersten Blick habe ich mich sehr gut gefreut, wo ich dachte, oh endlich kann ich mal ruhig (4) eh mein Ziel erreichen. Das heißt studieren, ein Diplom bekommen und weiter auf den Arbeitsmarkt sich zu beschäftigen #00:03:24-3# I://mmh//#00:03:24-3# B: aber das war auch so::: nicht (2) nur Freude nach Deutschland zu kommen, aber das war ein bisschen sozusagen () eine Angst (4) dann man weiß diese Geschichte von Deutschland, dass man irgendwie auch Neonazis trifft. Das is- (2), das war (2) in- in mein innerer Gefühl so, wo ich dachte, humm, ja Deutschland, man freut sich, einerseits man weißt, die Deutschen haben (hustet) gute Universitäten und so weiter, aber da ist auch die Neonazi da::: #00:04:09-5# I://mmh//#00:04:09-5# B: Wie kann man in so einem Land leben als Ausländer? (3) und dachte ich, ja ich bete, dass ich die Neonazi nicht treffen, ich denke nicht, dass alle Deutsche sind Neonazi, (3) aber als Ausländer muss sagen, wenn man hier lebt, muss man diese Neonazi-Leute irgendwie irgendwo treffen. Herr Diouf war glücklich über die Chance, die er durch dieses Visum erhielt. Damit konnte er studieren, weitere Qualifikationen erwerben und vielleicht eine gute Arbeit finden. Gleichzeitig hat er von Deutschland aber von Beginn an ein eher negatives Bild, hinsichtlich einer »Willkommenskultur« für Schwarze Menschen. Während die Wertschätzung der Zukunftsperspektive auf der einen Seite erscheint, tauchen große Bedenken hinsichtlich Rassismus auf der anderen Seite auf. Es ist nicht zu vernachlässigen, dass Herr Diouf sagt, dass er ein Visum nach B-Stadt (seiner Wahrnehmung nach nicht gleichbedeutend Deutschland als Ganzes!) bekommen hat. Dies kann so interpretiert werden, dass er unterstellt, dass vielleicht B-Stadt anders als Deutschland sein könnte, obwohl B-Stadt ein Teil Deutschlands ist. Er hat sich also auf B-Stadt und nicht auf Deutschland gefreut. Er hoffte, dass er sein Ziel in B-Stadt erreichen könnte. Bedenken hatte er in Bezug auf das Land, das er direkt mit Angst und Neonazis verband. Er hatte also ein gemischtes Gefühl. Er dachte, dass die Neonazis »auch« an den guten Universitäten anzutreffen sein könnten. Aber genau mit dem Wort »auch« stellt er einen automatischen Vergleich mit dem Land Deutschland an. Ein Vergleich unterstellt, dass mindestens zwei unterschiedliche Dinge gegenübergestellt werden, und dass nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten gesucht wird. Auf diese Weise kann Herr Diouf unterstellen, dass es vielleicht einen Unterschied zwischen Milieus in Bezug auf Rassismus bzw. Neonazismus gibt. Die Universität oder die B-Stadt könnten also eine Ausnahme in Bezug auf Deutschland darstellen. Er ging davon aus, dass es Gebiete oder Städte in Deutschland gibt, in denen keine Neonazis angetroffen werden. Seine Hoffnung war also nicht, dass es keine Neonazis in Deutschland insgesamt gibt, sondern dass er keine Neonazis in B-Stadt treffen würde und dass
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er die Möglichkeit finden würde, zu studieren, ein Diplom zu bekommen und auf den Arbeitsmarkt eine Beschäftigung zu finden.
8.4.2
Soziale Zugehörigkeit in Deutschland: Unterbewertung aufgrund der Hautfarbe
Trotz gemischter Gefühle und Ängste kam Herr Diouf mit der Hoffnung, sein Ziel zu erreichen. Seinen »Traum« hat er aber nicht verwirklicht. Es ist ein Albtraum geworden. In dieser Hinsicht erzählt er: Und das ist mir mehrmals getroffen, dass ich Leute treffe, entweder an der Uni, entweder auf die:::: auf der Straße, auf de Arbeitsmarkt, sie sind da. Sie wollen uns nicht hier haben. Das bis () auch nicht. Man trifft Neonazi als Professoren an der Universitäten hier in Deutschland und kein tut was (2), die Politiker nicht, sie sagen, wir sollten uns integrieren, aber das geht aber nicht. Wenn die Professoren selbst, uns nicht hier wünschen (3). Herr Diouf denkt, dass er in Deutschland nicht erwünscht ist. Er behauptet, dass er mehrmals und in unterschiedlichen Situationen – auch während seines Studiums – Neonazis getroffen hat. Er ist der Meinung, dass nichts unternommen wird, um die Neonazis zu bekämpfen. Er findet es widersprüchlich, dass Politikerinnen und Politiker in dieser Situation von Migrantinnen und Migranten eine Integration in die Gesellschaft verlangen. Indem Herr Diouf denkt, dass nichts gegen Neonazis gemacht wird, unterstellt er eine generalisierte Ablehnung und Unterbewertung durch die Mehrheitsgesellschaft. Dazu sagt er: Ja, (hustet) dann habe ich die Neonazi hier an der Universität B-Stadt erst Mal getroffen. Sie denken, die Afrikaner können nix, wir können nix, die Asiaten sind sogar viel besser als wir (4). Es ist wichtig darüber zu reflektieren, dass Herr Diouf sich nicht mehr auf seine Person bezieht, sondern auf eine Menschengruppe. Er denkt also, er ist abgewertet, weil er zu der Menschengruppe der Schwarzen Menschen gehört. Dies sagt viel aus über seine soziale Zugehörigkeit in der deutschen Gesellschaft. Das könnte bedeuten, dass er eine Ablehnung vonseiten weißer Deutscher fühlt. Diese Ablehnung verbindet er mit seiner Wahrnehmung, dass Schwarze Menschen abgewertet werden. Dabei unterstellt er eine Zugehörigkeit zu der »abgelehnten« Menschengruppe. Die Unterbewertung und die damit verbundene Ablehnung, so lässt Herr Diouf verstehen, werden auch in die Praxis umgesetzt. Herr Diouf denkt, er werde aufgrund seiner Hautfarbe unter Verdacht gestellt und nach seinem Verständnis auch nicht menschenwürdig behandelt. Dazu erzählt er, wie er selbst solche Situationen erlebt hat:
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B: Ja, erstens. Und wo das noch am schlimmsten war in der (3) als ich mal nach Afrika ein Urlaub gemacht habe und reis- so nach T-Stadt, da habe ich Neonazi wieder getroffen #00:05:46-4# I://mmh//#00:05:46-4# B: Die haben mich geschleppt, () in Keller mitgenommen #00:05:49-9# I://mmh//#00:05:49-9# B: und haben mich gedemütig- (4) fertig gemacht. Und als ich zurück nach Haus kam, ich habe mein Anwalt genommen, wir wollten die Akten (4) sehen, die haben verweiger-, alles gelösch- und kein tut was hier in Deutschland gegen diese Neonazi-Leute (4) #00:06:11-5# I://mmh//#00:06:11-5# B: (er weint) #00:06:29-3# […] #00:12:21-0# ja, so war es mein Fall in T-Stadt, das kann ich nochmal wiederhol- wie ich erzählen eh. Ich komme in ein Flugzeug von Marokko nach T-Stadt. Da waren nur Deutschen, ich der einzige Schwarze. Als wir ausgestiegen sind, alle haben ihre Weg genommen weiter gegangen, aber ich wurde festgenommen, weil ich Schwarz bin. Der einzige (2) über Schwarze hunderte ehhh Fluggäste. Herr Diouf geht davon aus, dass er aufgrund seiner Hautfarbe diskriminiert wurde. Er wurde beim Verlassen des Flugzeugs anders als die sonstigen Deutschen behandelt, obwohl er schon deutscher Staatsbürger war. Darüber hinaus berichtet er, dass er in einem Kellergebäude festgehalten und gedemütigt wurde. Seine Bemühungen, etwas dagegen zu tun – beispielsweise mithilfe eines Rechtsanwalts – sind gescheitert. Er glaubt, dass seine Rechte und Würde verletzt wurden, und dass der Staat dabei durch die Behörden Versäumnisse begangen hat. Es ist wichtig zu bemerken, dass das Fremdbild (das Bild von Deutschland), das die drei Befragten (Herr Diouf, Herr Bagbo und Herr Gnassimbe) vor ihrer Ankunft in Deutschland hatten, nicht durch ihren persönlichen Kontakt mit der Gesellschaft einfach verschwunden ist. Die Erfahrungen, die sie dort gemacht haben, haben dieses Bild zementiert. Das Bild entwickelte sich in eine negative Richtung. Die Befragten haben fallübergreifend mitgeteilt, dass sie oft eine Art von Diskriminierung, Erniedrigung oder Abwertung wegen ihrer Hautfarbe erlebt haben. Ihren Aussagen zufolge werden Schwarze Menschen in Führungspositionen bei der Arbeit von Außenstehenden oft verwechselt und für Arbeiterinnen bzw. Arbeiter oder Putzkräfte gehalten. Das ist beispielsweise der Fall bei Herrn Kwame. Er ist Geschäftsführer einer Firma, aber er wird von Besucherinnen bzw. Besuchern, die ihn noch nicht kennen, nicht als solcher wahrgenommen. Er erzählt, dass Kunden oder Gäste der Firma sich nicht vorstellen könnten, dass er Geschäftsführer sein kann. Stattdessen halten sie seine »weißen« Mitarbeiter für den Chef. Diese Wahrnehmungen sind zwangsläufig mit dem Bild der Gesellschaft über Afrikane-
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rinnen bzw. Afrikaner verbunden. Dieses Bild beruht wiederum auf bestimmten Assoziationen. Über diese Assoziationen erzählt Herr Kwame Folgendes: Ich hab auch – ich kann mich auch noch eine Geschichte erzählen, und zwar eine hat mich auch angerufen, die rufen auch oft immer – die haben eine Geschäftsführer für eine U-Firma in X-Stadt gesucht. Und der hat mit mir geredet und ob ich Interesse daran hab und so weiter und so weiter. Ja, es gibt diese Telefone, die vermitteln, die suchen ja – ich hab denen gesagt: nein. Ich hab – meine Job is wirklich (2), das gefällt mir, ich bin gut in meine Job, ich werde den Job für keine andere Job zur Zeit wechseln. Haben wir hin und her geredet, am Ende dann fragt eigentlich – woher kommen Sie? Ich sag ja, aus [afrikanischem Land]. Dann sagt die Frau, eigentlich die [Menschen aus diesem afrikanischen Land], was ich kenne, die sind fast alle Putzfrauen oder – wie heißt dat – oder Putzmänner. Ja. Am Telefon wohl gemerkt. Ich hab nur gesagt, ich komme aus [diesem afrikanischen Land]. (5) Ja, jetzt ist Klischee is – aber die meisten Afrikaner hier auch, machen diese Jobs. Die haben keine – viele machen solche Jobs auch. Putzfrau, Klofrau oder so, das machen viele Ausländer oder so, ne. Das is nicht – und deswegen erwarten die nich, das eine für so eine hochwertige Job macht, ne, das ist das. Ganz ähnlich, aber aus eigener Erfahrung bei ihren ehrenamtlichen Tätigkeiten, erzählt Frau Murube, wie sie aufgrund ihrer Hautfarbe unterbewertet wurde: einmal ist zum Beispiel jemand gekommen, Elektriker der musste irgendwas reparieren. Ich war nur diejenige da, die äh ja gearbeitet hat, die zuständig war. Hab ich auf ihn gewartet (1) aber er is gekommen, is ja zu anderer, ich bin aus ihm gegangen, weil ich wusste er kommt deswegen, aber der guckte mich nich, er is an mir vorbei und hat andere gefragt, weil die weiß waren und da saßen. Und haben gesagt, aber frag mal sie. Ich hab gesagt, ja ich komme auch zu Ihnen, aber Sie sind mir vorbei gegangen, weil ich wollte ihn drauf hinweisen halt. Aber für ihn, er war schockiert und dass ich da bin, zuständig bin und Weiße sitzen da oder so. Ich weiß es nich warum, aber es is so. Vielleicht is nich so gewohnt und (2) ja. Wie im Fall von Herrn Kwame kann diese Erzählung von Frau Murube so interpretiert werden, dass der weiße Deutsche (in diesem Fall der Elektriker) sich keine Schwarze Afrikanerin als Ansprechpartnerin vorstellen konnte. Seine Erwartung war, dass Frau Murube eine Kundin sei. Die Nicht-Zugehörigkeit an dieser Stelle erklärt sich mit dem Hautfarbenfaktor. Damit kann man annehmen, dass es ungewöhnlich ist, in einem von Weißen dominierten Milieu einen Afrikaner bzw. eine Afrikanerin in einer Führungsposition zu sehen. Die Besetzung einer guten Position in der Gesellschaft entspricht nicht dem Bild, das über Schwarze Menschen entwickelt worden ist. Solche Vorstellungen sind aber nicht nur bei den »weißen« Deutschen verbreitet, sondern auch bei ausländischen Menschen oder deutschen Bürgerinnen bzw.
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Bürgern mit ausländischer Herkunft sowie auch bei Afrikanerinnen bzw. Afrikanern selbst. Diesbezüglich erzählt Herr Kwame aus eigener Erfahrung: Und was is noch blöder is, das passiert öfter sogar äh, fast mit der Ausländer noch mehr manchmal. Mit diese K-Menschen() oder so, wenn die in Labor kommt oder so, ich bin Geschäftsführer von der Labor – (nein ich sag), gut ich versuch dann die Sache zu erklären, dann sagen die, ja die wollen mit jemand anders reden. Die erwarten nich, dass ich da die Sagen habt. Herr Kwame ist der Meinung, dass er aufgrund seiner Hautfarbe unterbewertet wird. Er denkt, dass diese Unterbewertung häufiger durch die Menschen mit Migrationshintergrund als durch weiße Deutsche betrieben wird. Dass auch andere Migrantinnen bzw. Migranten Bürger bzw. Bürgerinnen mit afrikanischer Herkunft sie wegen ihrer Hautfarbe unterschätzen oder anders wahrnehmen, kann ein Zeichen dafür sein, wie verbreitet die Abwertung von Schwarzen Menschen ist. Dieses Bild geht über die deutschen Grenzen hinaus. Die Abwertung von Afrikanerinnen bzw. Afrikanern ist also nicht nur unter Deutschen zu finden. Sie bezieht sich nicht auf Personen, sondern auf ihre Hautfarbe. Auf die Frage, woran diese Wahrnehmungen und Erwartungen liegen könnten, antwortet Herr Kwame ganz eindeutig: Ist einfach an die Farbe, das is alles. (3) Ja die kommen ins Labor, da steht da eine Schwarze, in der Regel eine Schwarze macht irgendwo(hin) ja, der putzt da. Der ist ein Putzmann oder (1) der erwartet nicht, dass der Schwarze Mann der Chef da ist. Und da sind wir nicht im Anzug oder so, wir sind ganz normal angezogen und der kommt irgendwo (hustend) in die Betrieb und sieht dich da, der denkt du bist ein normal Arbeiter, (2) weil das ist im Kopf (). Ja ja, der kann nicht Chef sein, der Schwarze kann nich – das ist der letzte, dass der Chef sein können. (3) Das ist sein erster Eindruck, ja. Abwertung auf Basis der Hautfarbe wird auch durch andere Befragte bestätigt. Dazu sagt zum Beispiel Herr Kanambe: Und das haben viele heute noch. (4) Zu glauben die sind über (3) alle Menschen. Die sind intelligenter als andere. Intelligenter oder fähiger als andere. Und wenn ich (traurige) Beispiel gebe, dass mit unsere afrikanische (3) ja Politiker oder die Entwicklung geht nicht voran, ja und die sagen immer ja was macht ihr denn überhaupt? Es gibt keine Entwicklung bei euch. Wir müssen euch immer helfen. Herr Kanambe bringt im Vergleich zu Herrn Kwame ein weiteres Element von Abwertung bzw. Unterbewertung zur Sprache. Er meint, dass die heutige Realität Afrikas auch als Vorwand dient, Afrikanerinnen bzw. Afrikaner geringzuschätzen. Er impliziert, dass Afrikanerinnen bzw. Afrikaner in Afrika mit ihren Taten und Haltungen zum Anlass genommen werden, die Vorurteile gegen sie zu zementie-
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ren. In diesem Sinne argumentiert er, dass die schlechten Nachrichten aus Afrika im Bereich der Entwicklung oder Politik als Bestätigung für das negative Bild über Afrikanerinnen und Afrikaner dienen und dass das auch Auswirkungen auf das Image von Schwarzen Menschen in Deutschland hat. Schwarze Afrikaner bzw. Afrikanerinnen in Deutschland werden mit bestimmten Erwartungen, Praktiken oder Stereotypen assoziiert. Dabei kann es sich um Klischees handeln, die mit der Erfahrung und Geschichte der Menschengruppe innerhalb oder außerhalb der deutschen Gesellschaft in Verbindung stehen. Diese Assoziationen oder Bilder variieren je nach Milieus oder Gesellschaften. Der gemeinsame Nenner ist, dass die Hautfarbe mit diesen Assoziationen verbunden wird. Es ist also zu bemerken, dass auch die im Rahmen dieser Arbeit befragten Afrikanerinnen bzw. Afrikaner in Deutschland von diesen Wahrnehmungen der Gesamtheit von Schwarzen Menschen betroffen sind. Die Unterbewertung aufgrund der Hautfarbe kann dazu führen, dass die Betroffenen an ihrer Zugehörigkeit zur Gesellschaft zweifeln. Alle hier vorgestellten Befragten berichten von rassistischen, diskriminierenden Erfahrungen (interpersonal oder institutionell oder beides gleichzeitig). Es geht bei diesen Erfahrungen nicht nur um »harmlose« Klischees, sondern um eine rassistische Sozialisation, die Schwarze Menschen in Deutschland erfahren und die sich auf ihre soziale Zugehörigkeit auswirkt.
8.4.3
»Ich bin nicht anders, aber die Leute denken, dass ich anders bin.« (Herr Kwame)
Für Herrn Kwame bedeutete die Tatsache, dass er ein Schwarzer ist, nicht viel, als er nach Europa bzw. nach Deutschland kam. Er gibt zu verstehen, dass er schon in Afrika wusste, dass Menschen unterschiedliche Hautfarben haben und dass nicht alle Menschen gleich aussehen. Aber ihm war noch nicht bewusst, dass und inwieweit seine Hautfarbe mit bestimmten Vorstellungen und Bildern assoziiert wird. Herr Kwame und Frau Murube erklären, dass sie oft pauschal als Schwarze Menschen in Deutschland bzw. europäischen Gesellschaften durch konstruierte Bilder angeschaut werden. Sie sehen sich aber weder als Vertreterinnen bzw. Vertreter der Schwarzen Menschen noch als Vertreterinnen bzw. Vertreter im Sinne jenes Bildes von Schwarzen Menschen an. Zu diesem Punkt sagt beispielsweise Frau Murube: Äh ich fühl mich (1) ich ich fühl mich auch nich als Afrikaner. Also ich persönlich würde ich mich auch nich als Afrikaner, ich präsentiere auch nich Afrika hier, weil wie viel Leute anfangen: du Afrikaner und diese ganze, ich sag ich präsentiere keine Afrikaner hier. Ich bin hier als ich (1) aber ähm (1), das – dieser Eindruck, was
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die andere mir geben oder die Deutsche mir gegenüber is äh halt ähm (1) ja so wie die halt alle Afrikaner sehen. Es is so. Diese Passage kann so interpretiert werden, dass Frau Murube weiß, dass sie eine Schwarze Afrikanerin ist, aber dass sie nicht mit dem über Schwarze Afrikanerinnen bzw. Afrikaner verbreiteten Bild assoziiert werden möchte. Sie sieht sich von ihrem Selbstverständnis her als Person und nicht als eine Repräsentantin, die in irgendeiner Weise Afrikaner bzw. Afrikanerinnen in ihrer Gesamtheit repräsentieren würde. Unabhängig davon, ob sie es will oder nicht, wird sie aber oft nicht als die Person Frau Murube betrachtet, sondern als Afrikanerin mit bestimmten Einstellungen und Erwartungen. D.h. es gibt eine bestimmte Zuordnung in der Gesellschaft, die für Menschen mit der gleichen Hautfarbe oder Herkunft gilt, womit Frau Murube pauschal als »Afrikanerin« zugeordnet wird. Herr Kwame und Frau Murube haben die Erfahrung als »andere Deutsche« (vgl. Mecheril und Teo 1994), d.h. das »Othering« oder die Zuschreibung, dass sie als grundlegend »anders« im Verhältnis zu einer konstruierten »Normalität« in einer überwiegend weißen Mehrheitsgesellschaft betrachtet werden, wiederholt erlebt. So erzählt z.B. Herr Kwame über seine Anfangszeit in Europa, in der seine Erfahrung von Zuschreibungen begann, die sich später auch in Deutschland fortsetzten: Aber gut, die Zeiten sind (1) längst vorbei, das ist das erste Mal wirklich in P-Stadt, wo ich sowas gedacht hab: oh Gott, ich bin wirklich (1) anders oder die Leute – nich anders, ich bin nich anders, aber die Leute denken, dass ich anders bin – das is das. Ich bin nicht anders, aber das denken die Leute. Und is immer sehr tief in die Leute, das – das is auch sehr, sehr manchmal enttäuschend, ne, das man kennt Leute – manchmal jahrelang (und so weiter), aber trotzdem denken die immer noch so. Es war nicht einfach für Herrn Kwame, die Erfahrung zu machen, dass er »anders« als die ihn umgebenden Menschen betrachtet wird. Mit dem Eindruck der wiederholten Erfahrung von Zuschreibungen ist er bezüglich seines Anders-Seins unsicher geworden, da er immer geglaubt hatte, dass er genauso wie die anderen Menschen ist. Aufgrund dieser Verunsicherung fragte er sich selbst, ob er wirklich anders ist oder nicht. Seine Überlegung führte zu der Annahme, dass er nicht anders ist, aber dass die Anderen bzw. die Gesellschaft ihn als anders betrachtet. Diese Schlussfolgerung Herrn Kwames ziehen nicht alle Befragten. Einige andere (z.B. Frau Foé und Herr Kodjo) verinnerlichen dieses konstruierte Bild und glauben, dass sie tatsächlich anders sind.
8.4.4
Entdeckung eigener Fremdheit. Die Renaissance der Weltgeschichte
Herr Kwame teilt mit, dass ihm sein »Anders-Sein« erst bewusst geworden ist, als er in Europa war. Er ist immer ein Schwarzer Afrikaner gewesen, aber seine Haut-
8 Verlaufsprozesse sozialer Zugehörigkeiten
farbe spielte keine Rolle, als er noch in der Gesellschaft seines Herkunftslandes lebte. Hierzu ergänzt Herr Kwame in Verbindung zu seiner oben bereits genannten Aussage: Und ehrlich gesagt, ich hab nie meine Farbe oder so (2) hatte ich nie – wie heißt dat – wahrgenommen. In [meinem Herkunfsland] hatte ich meine Farbe nie wahrgenommen. Ich hab nur über Rassismus gelesen (1), es gab Apartheid in Südafrika und Rassismus in Amerika oder so, aber ich hab mich selber damit irgendwie nich (2) – irgendwo (hier) angesprochen gefühlt. (2) Die erste Mal, was ich das hier wirklich erlebt hab, war in der T-Land – war in P-Stadt. Das is wo ich wirklich, gemerkt hat, was das bedeutet mit dieser Apartheid und Rassismus und so weiter. Die erfahrene Zuschreibung bringt Herrn Kwame dazu, nach seiner Zugehörigkeit zu suchen und auf die Vergangenheit zurückzugreifen, um zu versuchen, eine Erklärung für seine Nicht-Zugehörigkeit zu finden. Herr Kwame verbindet seine Erfahrung in europäischen Ländern mit der Geschichte. Er argumentiert, dass sein Aufenthalt in Europa – erst in T-Land (Osteuropäisches Land) und dann in Deutschland – ihn hautnah erleben ließ, was er bis dahin nur gelesen oder gehört hatte. Er hatte vom Rassismus gehört, aber dieses Mal hat er ihn persönlich als Mitglied einer bestimmten Menschengruppe erlebt. Er erwähnt den Begriff »Apartheid« und damit schließt er sich der imaginierten Community der Schwarzen Menschen zum Beispiel in Südafrika an, die auch aufgrund ihrer Hautfarbe Rassismus und Diskriminierung erlebt haben. An dieser Stelle ist zu bemerken, dass die Vergangenheit der imaginierten Community die Gegenwart ihrer einzelnen Mitglieder direkt oder indirekt beeinflusst. Dafür muss nur ein Auslöser vorhanden sein. Mit seinen eigenen Erfahrungen im Einwanderungsland wird Herrn Kwame bewusst, dass er dort als »anders« betrachtet wird und dass sein Bild als Afrikaner dort schon vor langer Zeit konstruiert wurde, sogar bevor er selbst dort ankam. Herr Kwame erklärt aus seiner Perspektive, wie dieses Bild außerhalb Afrikas entwickelt wurde: (Weil) im Fernseher, was wir gemerkt hat, im Radio und im Fernseher, war immer negative, immer negative Nachrichten. Immer Armut, immer Hungersnot, immer Krieg – das war nur, wenn es – jedes Mal wenn was gesagt von Afrika, das war nur das. Aber dass die Leute auch ganz normal leben, wie auch hier, wurde das nie so – das hat keiner gedacht. Jeder denkt immer, ja die haben nichts zu essen, is – und das ist wirklich auch nicht so. (2) Es gibt wirklich – die leben anders da, aber wie die Leute hier denken is wirklich auch nicht – is die halbe Wahrheit. In den Augen von Herrn Kwame entspricht das verbreitete Bild über Afrikanerinnen bzw. Afrikaner nicht der Realität. In dieser Hinsicht teilt Herr Kanambe auch die Aussage von Herrn Kwame, nach denen das Bild Afrikas negativ geformt ist. So weiß Herr Kanambe, dass Afrikanerinnen bzw. Afrikaner oft als primitiv bewer-
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
tet werden. Fallübergreifend fühlen die Befragten sich durch dieses negative und pauschale Bild teils verletzt, teils beunruhigt.
8.4.5
Schwarze Menschen in Deutschland: Zuschreibungen
Herr Kanambe weist darauf hin, dass Afrikanerinnen bzw. Afrikaner oft als primitiv bewertet werden. Auch wenn die Erfahrungen in den untersuchten Fällen variieren, ist die Herabsetzung bzw. die Zuschreibung eines niedrigeren Status die Gemeinsamkeit, die sich in den Fällen von Herrn Kwame, Herrn Kanambe, Herrn Bagbo und Frau Murube beobachten ließ. Zu den Zuschreibungen und Klischees in Bezug auf afrikanische Menschen teilt Herr Kwame seinen Eindruck mit: Ich merk (2) einfach zu wenig – wie heißt dat – Schwarze hier oder so. Die Leute kommen nicht in Kontakt mit – die kennen einfach – wir sind (Exoten) hier immer noch. Und das hat man – muss man das akzeptieren. Is nicht – wir sind einfach zu wenig hier in (dieser Stadt) (), wenn du zu ein Dorf gehst oder so – die erwarten bestimmte (2) jaaa die bestimmte Voraussetzung denken die immer, dass du kannst tanzen – diese Sache, was in die Kopf (), woher das kommt, aber ja. Das ist diese automatisch Vorstellung und das denken die Leute immer noch. (3) Viele – nicht alle, aber trotzdem is viele. Herr Kwame führt seine Erfahrung auf seine Stellung als Angehöriger einer Minderheit zurück. D.h. die Tatsache, dass es nicht viele Afrikanerinnen bzw. Afrikaner in seiner kleinen Stadt gibt, trägt ihm zufolge dazu bei, dass sie weiterhin als anders oder als »Exoten« betrachtet werden. Der Umstand, dass Schwarze Menschen in Deutschland noch eine relativ kleine Anzahl ausmachen, könnte seiner Einschätzung nach dazu führen, dass sie nicht nur auffällig sind, sondern auch als anders angesehen werden. Das Fremdbild über Afrikanerinnen bzw. Afrikaner, das auch ihre soziale Zugehörigkeit in der jeweiligen Einwanderungsgesellschaft beeinflusst, ist mit Zuschreibungen und bestimmten Erwartungen verbunden. Ein Afrikaner bzw. eine Afrikanerin, der bzw. die diese Erwartungen nicht erfüllt, wird nicht als »richtiger Afrikaner« bzw. »richtige Afrikanerin« beurteilt. Er bzw. sie passt einfach nicht ins konstruierte Bild und wird eher als Ausnahme abgestempelt. Dadurch werden die Konstruktionen nicht überdacht, sondern bleiben bestehen. Das erfundene Bild betrifft Afrikaner bzw. Afrikanerinnen unabhängig von ihrem Status. Es macht in solchen Fällen kaum einen Unterschied, ob eine Afrikanerin bzw. ein Afrikaner die deutsche Staatsbürgerschaft, eine Aufenthaltserlaubnis oder nur eine Duldung besitzt. Den Erzählungen von Herrn Kwame und weiteren Befragten, die vergleichbare Erfahrungen mitteilen (Herr Kanambe, Herr Bagbo, Frau Murube), ist zu entnehmen, dass die pauschale Zuschreibung von bestimmten Erwartungen kein iso-
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liertes Ereignis ist. Stattdessen erfahren sie ihrem eigenen Verständnis nach pauschale Zuschreibungen als Menschen afrikanischer Herkunft von der Mehrheitsbevölkerung in Deutschland. Die konstruierten Bilder beinhalten, dass Schwarzen Menschen eine untergeordnete Position in der Gesellschaft zugeschrieben wird. Auch wenn die Erfahrungen in den genannten Fällen variieren, ist die Herabsetzung bzw. die Zuschreibung eines niedrigeren Status die Gemeinsamkeit, die sich in den Fällen von Herrn Kwame, Herrn Kanambe, Herrn Bagbo und Frau Murube beobachten ließ. Die damit einhergehenden Klischees sind nicht immer harmlos. Aus der Auswertung unterschiedlicher Interviews folgt, dass diese Klischees zu einer Reihe von Nachteilen führen. Frau Murube erzählt beispielsweise, wie sie aufgrund ihrer Herkunft und Hautfarbe auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt wurde. Sie teilt mit, dass sie wiederholt Stellen aufgrund ihrer Hautfarbe nicht erhalten habe. Sie denkt, dass diese Benachteiligung etwas mit dem, was man von ihr als Afrikanerin erwartet, zu tun habe. Frau Murube vertritt den Standpunkt, dass ihre Hautfarbe und Herkunft eine wichtigere Rolle als ihr Abschluss auf dem Arbeitsmarkt spielen. Die Zuschreibungen und Erwartungen über Afrikanerinnen bzw. Afrikaner betreffen sie und behindern ihr Handeln. Sie ist demotiviert und enttäuscht. Weiter teilt sie im Interview mit, dass sie darüber nachdenkt, ihr ehrenamtliches Engagement zu verlagern, da es nicht bei der Anerkennung ihrer Kompetenzen geholfen hat. Die Erfahrungen von Frau Murube und Herrn Kwame zeigen sich auch in anderen Fällen des vorliegenden Samplings. Die Befragten – auch diejenigen, die karrieremäßig gut arriviert sind – beklagen die vorrangige Bedeutung des Schwarz-Seins und die mangelnde differenzierte Berücksichtigung individueller Fähigkeiten. Fallübergreifend fühlen die Befragten sich durch dieses negative und pauschale Bild teils verletzt, teils beunruhigt. Dies kann dazu führen, dass sie aktiv werden, wie im Fall von Herrn Kwame, der von Versuchen spricht, dem entgegenzuwirken.
8.4.6
Soziale Zugehörigkeit als Prozess
Die soziale Zugehörigkeit der Befragten des vorliegenden Samplings verläuft prozesshaft. Dies wurde durch die Analyse der Interviews deutlich. Die Befragten stellen fallübergreifend dar, dass ihre Eingliederung in die deutsche Gesellschaft lang andauern wird und dass sie vielleicht nie völlig abgeschlossen sein wird. Diese Eingliederung ist auch nicht mit der Einbürgerung zu verwechseln. Diesbezüglich sagt Herr Kodjo beispielsweise mit dem Zeitfaktor als Argument Folgendes: Voilà (2) maintenant est-ce qu’on peut dire que eh::::: : en tant que immigrant ici en Allemagne avec la nationalité allemande, est-ce que:: : je suis allemand? Ça c’est une question (3) qu’on se posera::, je crois toujours(3). Tout le monde se posera toujours cette question, eh:::::(7) ça dépend de celui q- de l’immi- de l’immigré et
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de celui qui est du pays d’origine. Il s’agit de deux personnes : l’allemand qui est de na- ehhh qui est né chez lui, ses exar- arrières grands parents sont tous ici et qui voit un africain qui arrive comme moi et qui après (2) eh::: : une dizaine d’années ou peut-être une quinzaine d’année a la nationalité allemande comme lui aussi eh:::::(3) je crois qu’il(1) ne peut pas me mettre à sa place () mais ce comportement ou bien cette façon de parler un tout petit peu montre que bo::n bon j’ai(2) sur papier la nationalité allemande mais lui ne me voit pas allemand (3) eh::h il ne me voit pas vraiment allemand #00:08:13-4#. #00:08:15-9# et moi-même personnellement si je suis fier de moi, de ma culture eh:: : comment est-ce que je peux (2) dans l’intervalle de 10 ans devenir allemand? (5). In dieser Passage fragt Herr Kodjo sich, ob er als Immigrant mit der deutschen Staatsbürgerschaft Deutscher sein kann. Er sieht einen Unterschied zwischen sich und den »Urdeutschen«. Nach mehr oder weniger zehn Jahren in Deutschland könne er sich nicht als Deutscher sehen, auch wenn das auf Papier stehe. Der Übergang von der alten zur neuen Zugehörigkeit ist in den Augen von Herrn Kodjo ein Prozess, der vielleicht kein Ende hat. Dieser Wandlungsprozess findet auf beiden Seiten statt (bei den Einheimischen und bei Herrn Kodjo) und er wird von beiden Seiten gelenkt. Bei weiteren Befragten gibt es generell auch Verständnis dafür, dass sie in Deutschland anders betrachtet werden. Diesbezüglich sehen sie die deutsche Gesellschaft nicht als Ausnahme an. Herr Kwame erzählt dazu: Wie gesagt, ich denke die Menschen überall in der Welt sind irgendwie (3) einigermaßen gleich, ne. Wenn man irgendwo (hier) aus (2) in ein Land geht, ne, wo man da nicht geboren is, wo man seine Kindheit oder so nicht verbracht hat, is immer anders. Manche schaffen das wirklich, sich richtig reinzuintegrieren oder irgendwie mit zu machen, aber es ist ein bisschen anders. Das merke ich immer in der tägliche Leben. Das, man kann hier über etwas reden, ob das bei der Arbeit oder so was diskutieren, wo ich () die Sprache auch nicht 120 % nich auch kenne und nich hier geboren bin, habe ich meine Kindheit auch nicht hier verbracht und so weiter. (2) Komme ich nich richtig rein. Und das ist aber in jede Land so, weil wenn ich zurückdenk, ich kann mich auch erinnern, auch in [meinem Heimatland] war auch Leute, die auch Ausländer war – nich dass man hat sich rassistisch behandelt oder so, aber die waren auch anders (2) behandelt oder gepackt. Weil die waren einfach anders. Ob Schwarz oder weiß oder so. Die hatten eine andere Kultur und so weiter und das ist nicht nur Deutschland-typisch oder so is wirklich überall in die Welt so. Manche Leute – das hängt auch von Mensch zu Mensch anders – manche Menschen kann sich besser in eine Gesellschaft integrieren, manche auch nicht. Und für uns hier in Deutschland is so – in Länder wie England oder Frankreich oder Amerika, da gibt viel mehr sagen wir, solche Leute wie ich und so weiter.
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Herr Kwame spricht darüber, dass Menschen als anders gelten anhand dessen, ob sie in einem Land geboren und aufgewachsen sind. Dies kann seinem Verständnis nach in jedem Land auftreten, was er auch in seinem afrikanischen Herkunftsland erfahren hat und seinem Verständnis nach keine Frage der Hautfarbe ist. Er macht abschließend einen Unterschied zwischen Deutschland und anderen Einwanderungsländern wie Frankreich, England oder den Vereinigten Staaten, wo es mehr afrikanische Menschen gibt. Seine Aussage kann an diesem Punkt so interpretiert werden, dass Schwarze Menschen weniger als anders wahrgenommen werden, wenn sie sich in Ländern befinden, wo viele Menschen mit der gleichen Hautfarbe zu finden sind oder wo es mehr Schwarze Menschen gibt. Der Zeitfaktor beim Wandlungsprozess in Bezug auf die soziale Zugehörigkeit ist an den Generationenfaktor gekoppelt. Einige Befragte wie Herr Buyoya, Frau Murube, Herr Kwame, Herr Kanambe, Frau Foé und Frau Milla gaben zu verstehen, dass es nicht einfach sei, sich von ihrer Kultur zu trennen, um »deutsch« zu werden oder sich »deutsch« zu fühlen. Sie weisen aber darauf hin, dass ihre Kinder, die hier geboren wurden und die in der deutschen Kultur aufwachsen, eine andere soziale Zugehörigkeit als sie selbst haben oder jemals haben werden. Diese Befragten erkennen die Tatsache an, dass sie nicht in Deutschland geboren wurden und dass sie das von den in Deutschland geborenen Menschen unterscheidet. Der Fakt, dass sie eingebürgert worden sind, kann diesen Unterschied nicht beseitigen. Herr Kwame argumentiert, dass auch diejenigen, die sich integriert haben, immer irgendwie anders sind oder als anders betrachtet werden. Herr Kwame ist beruflich und familiär sehr glücklich, aber er bemerkt die Grenzen seiner sozialen Zugehörigkeit in der deutschen Gesellschaft. Er argumentiert beispielsweise, dass er die deutsche Sprache nicht wie sonstige Deutsche spricht. Dies sieht er als normal an und seine Begründung beruht u.a. auf dem, was er selbst in seinem ehemaligen Heimatland erlebt hat. Dort habe es auch ausländische Menschen gegeben, die er als anders betrachtet hat. Herr Kwame beurteilt diese Betrachtung nicht als rassistisch, sondern als gebräuchlich. Er vergleicht die Situation in Deutschland und in seinem Herkunftsland und kommt zu der Schlussfolgerung, dass Menschen mit einem ausländischen Hintergrund immer als anders angesehen werden, wenn sie sich als Zugewanderte in einem Land befinden. Es ist wichtig, hier anzumerken, dass diese Betrachtung als »anders« bzw. als »fremd« oft mit Bewertungen einhergeht. Die Befragten, so auch Herr Kwame, haben ja mehrfach geschildert, dass es für sie »minderwertig« bedeutet. Das Fremd-Sein im Kontext von Schwarzen Menschen wird mit negativer Abweichung konnotiert (vgl. Kapitel 2 der vorliegenden Arbeit). Auch Herrn Kanambe ist bewusst, dass er in der deutschen Gesellschaft als anders angesehen wird. Er sieht sich selbst nicht als Deutschen, sondern als Afrikaner mit einem deutschen Pass. Aufgrund der langen Zeit, die er in Deutschland verbracht hat, hat Herr Kanambe das Gefühl, dass er wie ein Deutscher lebt. Es ist
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
es interessant festzustellen, dass Herr Kanambe nicht sagt, dass er als Deutscher lebt, sondern wie ein Deutscher. So sagt Herr Kanambe: Deutscher zu sein? (2) Eigentlich bedeutet nur, dass ich ähh (1) Bürgerrechte habe. (2) (Aber) Ich bin kein Deutscher. (2) Ich bin [afrikanischer Staatsbürger] mit deutsche Pass. deutschem Pass. (2) Aber inzwischen – aufgrund dessen, dass ich solange hier lebe (2) hab – und in deutsche Milieu oder Gesellschaft lebe, bin ich – lebe ich wie ein Deutscher. (3) Ja? Ich äh (1), aber (2) das Gefühl zu sagen, ja ich bin jetzt (3) wie – also Blutdeutsche (1) is – hat man nich. Hier sagt Herr Kanambe, dass man nur durch einen Pass nie Deutsch werden kann. Das bedeutet für ihn, dass ein Pass sozusagen nur ein Papier ist. Zudem impliziert seine Aussage, dass ihm von den »echten« Deutschen das Deutsch-Sein abgesprochen wird und er nicht als zugehörig anerkannt ist. Herr Kanambe erkennt einen Unterschied zwischen sich, der nach Deutschland migriert ist, und den »echten« Deutschen. Herr Kwame erweitert diesen Unterschied auch auf die jungen Generationen. Er weist darauf hin, dass auch Schwarze Menschen, die seit langer Zeit in Deutschland sind oder die dort geboren wurden und aufgewachsen sind, immer durch Klischee-Brillen angesehen werden. Diesbezüglich sagt er: Verstehst du? Bestimmte Grundsätze oder so is immer noch da. (3) Egal wie lang du hier lebst oder so (2). Ja, die denken () jede Mensch is ein bisschen anders, aber diese Klischees – is manchmal ja, die denken, ja du fühlst dich zum Beispiel besser in die Sonne als (hustend) (lachend), weiß ich auch nicht woher das kommt, ja. Ne, Wetter hat nicht mit die Menschen zu tun, jede Mensch (1) – wenn es kalt ist, jeder fühlt das irgendwo, aber jeder Mensch nimmt das anders. Ob weiß oder schwarz, es gibt Weiße die mögen auch die Sonne und es gibt Weiße die mögen auch die Sonne nicht. (2) Das hat nicht mit der Farbe zu tun. (4) Und wenn einer sowieso hier geboren ist und der ist schwarz, ja, der kennt nicht anders. Was ist dann für den? (3) Ja, wie soll der ja, ja der kennt keine Sonne; der kennt nur die deutsche Wetter, aber der ist trotzdem schwarz? Dass Afrikanerinnen bzw. Afrikaner der zweiten Generation auch als anders angesehen werden, ist ein weiteres Argument von Herrn Kwame dafür, dass Bürgerinnen bzw. Bürger mit afrikanischer Herkunft überwiegend mit Klischees in Bezug auf ihre Hautfarbe betrachtet werden. Hier ist es wichtig, daran zu erinnern, dass sich die vorliegende Analyse nicht mit der Zugehörigkeit der Betroffenen für sich genommen beschäftigt, sondern mit ihren Wahrnehmungen dazu. In einer in Kapitel 5.1.2.1 der vorliegenden Arbeit zitierten Interviewpassage berichtet Herr Kanambe, dass er sich nicht als Deutscher fühlt u.a. weil er ein Schwarzer ist. Er weist darauf hin, dass ihm auch seine deutschen Freunde sagen, dass er kein Deutscher ist, obwohl er die formale deutsche Staatsbürgerschaft hat. Diese Äußerung von den Freunden findet er ehrlich und nicht bösartig. Er ist davon
8 Verlaufsprozesse sozialer Zugehörigkeiten
überzeugt, dass er zwar ein Teil der deutschen Gesellschaft ist, aber er sieht sich als Fremdkörper an. Er meint weiterhin, dass die deutsche Gesellschaft nicht bereit sei, ehemalige ausländische Menschen wie ihn, als deutsch zu betrachten: Sowohl von Politik, aber auch von der Mentalität der Menschen her. (3) Weil viele, die haben sich nie (3) äh, die haben nicht vorstellen können, dass (3) ein Ausländer hier als Deutscher werden kann. Herr Kanambe macht einen Unterschied zwischen »Deutschen« und »NichtDeutschen« im Sinne des imaginierten »deutschen Volks«. Um diese Situation zu erklären, weist er in der oben erwähnten Passage in Kapitel 5.1.2.1 auf die Geschichte Deutschlands hin, in der Menschen rassistisch behandelt wurden. Er selbst stellt aber fest, dass die Situation heutzutage anders ist und dass der Begriff »Deutsche« im Sinne des Volks an Bedeutung verloren hat. Herr Kanambe ist davon überzeugt, dass sich das Bild von afrikanischen Menschen mit der Zeit ändert. Der Zeitfaktor wird also als wichtig angesehen. Obwohl er denkt, dass er anders angenommen wird, ist er der Meinung, dass die soziale Zugehörigkeit Schwarzer Menschen in Deutschland nach und nach zur Realität wird und dass die ausländischen Spuren langsam verblassen. Dazu gibt Herr Kanambe einen Hinweis auf ehemalige Ausländer, die heutzutage in Deutschland rechtsradikal oder nationalistisch geworden sind: Und Migration in Deutschland fängt erst jetzt an. Hä, ich wiederhole, wo die Leute jetzt sagen: ja naja, Herr () is ein Deutscher, ja. Ja bei uns mit Generation, die Kindeskinder, ja deine Kinders Kinder oder hä, wenn du Urgroßvater bist, da dann sind wieder die Spuren, die afrikanische Spuren, die verlieren sich (1) ein bisschen. Es sind auch viele hier, die (2) (Kajewski), die (2) die polnische Ursprung haben, die sagen wir sind Deutsche. Aber wenn man genau guckt so (1) 100 Jahre später äh früher, die sind alle Migranten. (3) Die hier, während der (Boom) äh (2) in Rheinland, Kohleboom. Die sind alle aus Polen gekommen (2) die in Rheinland sind viele (Kajewski, Tilkowski). Ja? Die sind alle aus dem Osten gekommen (1) äh vor 120 Jahren oder sowas, die sind heute – die Kinder, die sagen: wir sind Deutsche und das sind manche, die sind in der NPD, aber die wissen gar nicht wo die herkommen. (3) Viele. (2) Aber die sind Migranten dann. (2) Das heißt, die haben ihr eigenes Zuhause verlassen, um woanders (1) zu leben. Für Herrn Kanambe ist es noch zu früh, dass afrikanische Menschen als Deutsche betrachtet werden oder sich so betrachten. Er ist der Auffassung, dass ihre Migration nach Deutschland oder ihre Präsenz dort ganz frisch ist und dass ihre Assimilierung in die Gesellschaft über mehrere Generationen stattfinden wird. Dadurch ist deutlich, dass er in der neuen Gesellschaft noch nicht definitiv angekommen ist. Er platziert dieses Ankommen in der Zukunft bei den Kindern seiner
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Kinder. An dieser Stelle denkt er, dass er nur langsam und nach und nach ein Teil der deutschen Gesellschaft wird. Um seine Aussage über die Assimilierung in die Gesellschaft mit der Zeit zu begründen, bezieht Herr Kanambe sich auf Beispiele von Migranten bzw. Migrantinnen aus Osteuropa, die nach Deutschland gekommen sind und die mittlerweile Deutsche geworden sind oder die sich zumindestens so fühlen. Ihre Zugehörigkeitswahrnehmung als Deutsche, so Herr Kanambe, ist wirklich vorhanden. Ein Hinweis darauf ist, dass die neuen Generationen dieser früheren Migranten und Migrantinnen sich in der heutigen Zeit rechtsradikalen Szenen gegen neue Migrantinnen und Migranten anschließen können. Wenn sie diese Wahrnehmung hätten, dass sie auch Migrantinnen und Migranten wären, so Kanambes Argument, würden sie nicht bei den Rechtsradikalen mitwirken. Auch Frau Murube teilt aus ihrer eigenen Erfahrungen mit, dass Rassismus und Diskriminierung durch andere ehemalige Migranten bzw. Migrantinnen, die sich nun einheimisch fühlen, vorhanden ist. Herr Kanambe spricht einen anderen wichtigen Punkt in dieser Passage an, der die Zeit- und Generationenfaktoren relativieren kann: Es ist offensichtlich für Weiße mit einer Migrationsgeschichte (welche auch an Nachnamen erkennbar sind) möglich, innerhalb weniger Generationen als zugehörig zu Deutschland empfunden zu werden oder sich auch zu empfinden. Dies ist für Menschen mit afrikanischem Hintergrund aufgrund ihrer Hautfarbe nicht so. Neben dem Zeitfaktor erwähnt Herr Kodjo auch den Akzeptanzfaktor hinsichtlich des Verlaufsprozesses der sozialen Zugehörigkeit. Er meint, dass die soziale Zugehörigkeit von der Akzeptanz oder von der Ablehnung vonseiten der »weißen« Deutschen abhängig ist. Er sagt : eh:: : je sais pas comment l’expliquer c’est à dire que eh::::je sais pas vraiment comment l’expliquer et ça ce sont des exceptions des cas rares, il faut pas complètement le- et je crois que c’est à cent pour cent que:::, si le pays dans lequel on se trouve, en tant qu’immigrant, si le pays-là est un pays ehh: : d’hospitalité :: : et que ce qu’on doit chercher dans ce pays on le retrouve et qu’on est accepté dans ce pays, on peut se sentir chez soi quelque part, je dis bien quelque part parce que ce mot est très important, vous voyez, mais quand il n’y a pas ça et que tu as un re- tu ressens qu’on te repousse, (2) je ne sais pas jusqu’à quand tu vas finir par te sentir chez toi même si tu as la nationalité(5). Herrn Kodjo zufolge erfordert die Wahrnehmung einer sozialen Zugehörigkeit auch die Akzeptanz der Gesellschaft. Er ist in dieser Interviewpassage der Meinung, dass die deutsche Gesellschaft die Ablehnung gegen ihn als Afrikaner auch aktiv betreibt. Das wird mit dem Begriff »repousser« (»zurückschieben«, »zurückdrängen«) zum Ausdruck gebracht. Er hat den Eindruck, dass er wiederholt zurückgedrängt wird.
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8.4.7
Soziale Zugehörigkeit durch Staatsbürgerschaft?
Das Anerkennungs- bzw. Zugehörigkeitsgefühl hat etwas mit der formalen Aufenthaltserlaubnis zu tun. Deswegen fühlten sich die Befragten fallübergreifend während der Konfusionsphase ausgegrenzt ohne konkrete Zugehörigkeitsverbindung zur deutschen Gesellschaft. Die Situation hat sich mit der Aufenthaltserlaubnis in der Orientierungsphase positiv verändert. Aufgrund dieser Verbesserung fühlten sich die Befragten in vielerlei Hinsicht als Vollmitglieder z.B. von Einwohnerinnen bzw. Einwohnern in einem Stadtviertel oder Kolleginnen bzw. Kollegen auf der Arbeitsstelle. Diese Wahrnehmung als Mitglieder auf lokaler Ebene entspricht aber nicht immer der Wahrnehmung der sozialen Zugehörigkeit auf anderen Ebenen der Gesellschaft. Der Analyse der geführten Interviews ist zu entnehmen, dass die im Verlaufsprozess der Einbürgerung in der Attestierungsphase erhaltene deutsche Staatsbürgerschaft nicht viel an ihrer Wahrnehmung sozialer Zugehörigkeiten zur deutschen Gesellschaft ändert. Nicht die Einbürgerung, sondern das Bleiberecht wird von den Befragten als maßgeblich für ihre Akzeptanz und Anerkennung betrachtet. Die Wahrnehmung, in Deutschland akzeptiert zu sein, entstand also nachdem die Befragten eine sichere Aufenthaltserlaubnis erhalten hatten und nicht erst nach der Einbürgerung. Die Einbürgerung kann als anerkennungsfördernd angesehen werden, nicht in dem Sinne, dass die Betroffenen deutsche Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger werden, sondern in dem Sinne, dass die deutsche Staatsbürgerschaft als ein Mittel betrachtet wird, das den Aufenthalt im Ankunftsland für immer sichert. In diesem Sinne kann die Staatsbürgerschaft als sicherste Aufenthaltserlaubnis betrachtet werden und sie kann auch auf diese Weise die schon existierende Wahrnehmung der sozialen Zugehörigkeit zementieren. An dieser Stelle ist es wichtig zu präzisieren, dass die Befragten übergreifend die Einbürgerung nicht als eine »Eindeutschung«, sondern insbesondere als einen sicheren Aufenthalt in Deutschland betrachten. Eine sichere Aufenthaltsgenehmigung, gleichgültig ob sie problemlos oder durch einen schwierigen Kampf erhalten wurde, verstärkt die Wahrnehmung von Zugehörigkeiten in der Gesellschaft. In dieser Hinsicht ist der Status der Staatsbürgerschaft nicht von anderen Formen der Aufenthaltserlaubnis zu unterscheiden. Die Staatsbürgerschaft stiftet die Wahrnehmung von Zugehörigkeit zum Beispiel auf der Nachbarschaftsebene nicht mehr als die unbefristete Aufenthaltserlaubnis. So sind einige der Befragten des vorliegenden Samplings (z.B. Herr Buyoya, Herr Kwame, Herr Kanambe, Frau Murube, Frau Foé, Herr Zenawi) der Meinung, dass sie so geblieben sind, wie sie vor der Einbürgerung waren. Herr Buyoya teilt beispielsweise mit, dass er sich in Deutschland wohlfühlt. Er fügt in der folgenden Interviewpassage hinzu, dass nicht die Staatsbürgerschaft,
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sondern die Beziehungen zu den Menschen seines sozialen Umfeldes hinter seiner Wahrnehmung stehen: B : Ce n’est pas la nationalité qui me fait être satisfait (2) #00:42:44-2# I ://mmh//#00:42:44-2# B : C’est la communauté (3) #00:42:44-5# I ://mmh//#00:42:44-5# B : C’est la communauté, parce que là où je suis, avec la communauté, avec les gens que nous travaillons ensemble, donc je me sens vraiment dans la communauté et je su je me sens vraiment bien installé. Frau Foé geht noch weiter als Herr Buyoya. Sie ist beispielsweise der Meinung, dass die Staatsbürgerschaft nicht viel in ihrem Leben oder an ihren sozialen Zugehörigkeiten geändert hat. Aus diesem Grund habe sie sich nicht besonders über ihren neuen Status gefreut. Darüber berichtet sie: B: °Genau°, das war (3) () kein wesen- so Jubilä::um so, ich glaube, ich habe mich mehr gefreut, als ich meine DSH (Deutsche Sprache für Hochschulen)-Prüfung bestanden habe, als wenn ich die Staatsbürgerschaft @bekommen habe@ #00:29:15-6# #00:34:17-1# Eine Sache ist klar, ich bin eh::::, (2) ich bleibe die die Sch- Schwarze, die @ich bin@, #00:34:28-2# I://mmh//#00:34:28-2# B: Und wenn die Leute mich sehen, die sehen nicht auf mein Kopf, dass ich deutsch bin, dass ich einen deutschen Pass habe. #00:34:32-5# #00:34:53-1# das das ändert nichts an d- ne überhaupt nicht. (3) #00:34:57-9# I://mmh//#00:34:57-9# B: Man wird immer betrachtet, wie man bevor, wie früher #00:35:05-1# I://mmh//#00:35:05-1# B: Man kommt rein in einem eh:::: ffff sagen mal in einem:: Büro:: oder in einer Beratung und einfach Berater, wenn man da vorn als Schwarz steht, hat der Berater schon tausend Vorurteile (2) #00:35:21-2# I: Ok #00:35:21-2# B: Das heißt, der deutsche Pass spielt hier keine Rolle @hch::::::@. Man wird tja (2) wie @die Afrikaner behandelt@. Wie Frau Foé weisen auch die anderen Befragten fallübergreifend darauf hin, dass sie in den Augen vieler Menschen in Deutschland Schwarze Menschen geblieben sind, wie sie es vor der Einbürgerung waren. Dies impliziert, dass sich ihre soziale Zugehörigkeit als Schwarze Menschen in der deutschen Gesellschaft durch die Einbürgerung nicht verändert hat. Herr Zenawi teilt auch diese Einstellung. Er ist zum Beispiel sehr skeptisch darüber, ob die deutsche Staatsbürgerschaft ihm eine besondere Zugehörigkeit ermöglicht hat. Er sagt dazu:
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Es gibt sowohl solche solche und solche Deutschen, die uns Migranten egal welchen Pass du hast, Hauptsache bist die und für diese bleibst Du immer der Ausländer, der Migrant °solche Sache° ne? Das heißt, du gehörst nicht dazu, du bis ja (2), eh du bist ein Gast, so nach dem Motto, weil es oft wieder wird gefragt, wann gehst Du nach Hause, verstehst Du, ohne zu wissen n-, dass ich seit 33 Jahren hier lebe und als Kind hier nach Deutschland kam, und war nicht meine freie (1) Entscheidung nach Deutschland zu kommen. Herr Zenawi gibt zu verstehen, dass man ihn immer wie einen Ausländer behandelt, der irgendwann nach Hause gehen müsse und der, in anderen Worten, nicht zur Gesellschaft gehört, obwohl er die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt und sein Herkunftsland eigentlich nicht kennt. Denn er hat sein ehemaliges Land als Kind verlassen und ist in Deutschland aufgewachsen. Insofern unterscheidet er sich in vielerlei Hinsicht nicht von den sonstigen Deutschen. Er geht aber davon aus, dass er in der deutschen Gesellschaft immer als »Ausländer« betrachtet wird. In dieser Hinsicht ist Herr Gnassimbe noch deutlicher. Er empfindet es in der folgenden Interviewpassage so, dass seine Hautfarbe und sein Aussehen seinen »richtigen Ausweis« ausmachen: Mais tu sors le passeport, on te dit (4) ist dein Passport? Ist dein Ausweis? (3) Je te jure. #01:41:22-8# #01:41:32-9# comment quelqu’un qui sort un passeport, tu tu vois le passeport, tu vois la photo de la personne (2) et tu lui poses la question de savoir, ist dein Ausweis? Donc, tu ne le crois pas! Parce que tu es déjà () dans ta tête que c’est un noir (2), donc ce n’est pas son passeport. C’est là où (1) je te dis que (2) ce n’est pas encore encré au niveau de la population. Die Aussagen von Herrn Gnassimbe in dieser Passage sind deutlich und zeigen ausführlich, wie er sich in Deutschland mit dem deutschen Pass fühlt. Er ist der Meinung, dass er weiterhin als Afrikaner und nicht als Deutscher betrachtet wird, trotz seines Status als deutscher Staatsbürger. Aufschlussreich ist hier auch sein Sprachwechsel in der Aussage: Er spricht Französisch und wechselt nur dann zur deutschen Sprache, um die Sichtweise der deutschen Bevölkerung auf seine Person darzustellen. Er weist darauf hin, dass es vorkommt, dass deutsche Behörden die »Echtheit« seines Passes oder Ausweises bezweifeln, nur weil er ein Schwarzer ist. In den Fällen, in denen die Staatsbürgerschaft nicht gleichermaßen zur Wahrnehmung einer Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft führte, war dies nicht nur ein Fremdbild, sondern auch ein Selbstbild. Auch in weiteren Interviews findet sich die Aussage, dass die Hautfarbe der eigentliche »Ausweis« sei. Die betreffenden Personen nehmen selbst wahr, dass die Einbürgerung oder die formale deutsche Staatsbürgerschaft keine besondere Zugehörigkeit generiert hat. In diesem Sinne erzählt Frau Murube beispielsweise:
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
Wie ich mich fühle? Also (2) ich weiß nich ähm ich (3) ich ähm ich weiß nich, ich weiß nich ob es mir wichtig, so wichtig is hier in Deutschland. Ich weiß nich wie ich das erklären kann. Es is nich wegen diese Einbürgerung, dass ich alles was ich mache, dass ich wegen diese Einbürgerung mache. Ich weiß nur ähm (2) im Hintergrund ich mit Deutscher, ich darf das fragen, aber es is nicht ähm im Vordergrund, dass ich sage ich geh mal studieren, weil ich Deutscher bin oder ich geh mal arbeiten, weil ich Deutscher bin. Ähm ich mach das, auch wenn ich auch keine deutsche Einbürgerung hätte dann würde ich versuchen das zu machen. Die Befragten glauben fallübergreifend, dass der Status der Staatsbürgerschaft nicht viel hinsichtlich ihrer Zugehörigkeiten in ihrem Alltagsleben verändert hat. An dieser Stelle sollte deutlich gemacht werden, dass es hier nicht um die Frage geht, ob die Staatsbürgerschaft tatsächlich nichts im Leben der Eingebürgerten verändert hat, sondern darum, wie sie sich selbst mit diesem neuen Status wahrnehmen. Die im Rahmen der vorliegenden Arbeit interviewten Personen wissen, dass sie gesetzlich einen anderen Status als früher besitzen, aber sie sind nicht der Meinung, dass dieser neue Status mit einer besonderen Zugehörigkeit verbunden ist. So erzählt Frau Murube: Ja, das is gesetzlich. Ja, Alltagsleben auf der Straße nicht. Ich bin Schwarze und wer weiß denn, ich komme nicht irgendwohin dann sehen die dass ich Deutsche bin, dass ich deutsche Einbürgerung habe. Ich bin (1) hier (1) ähm so mit mein Körper, physische durch die () und Afrikaner wie manche fremd. Ich bin keine Deutsche. Ja das is nur mein Ausweis. Bei der Äußerung von Frau Murube ist festzustellen, dass sie versucht, das zu interpretieren, was andere über sie oder ihre Zugehörigkeit denken. Die soziale Zugehörigkeit der Betroffenen wird also von der Einwanderungsgesellschaft, der dort angetroffenen Umgebung, dem verlassenen Herkunftsland, aber auch von den in der Migration entwickelten Kontakten beeinflusst.
8.5
Soziale Zugehörigkeiten auf transnationaler Ebene
Die soziale Zugehörigkeit der interviewten Personen geht über die deutschen Grenzen hinaus. Dabei sind die Spuren ihrer Biografien erkennbar. Diese Art der Zugehörigkeit bezieht sich hauptsächlich auf das verlassene Herkunftsland und auch auf die imaginierte Community. Die Befragten schließen von sich auf andere Schwarze Menschen, die ihrer Ansicht nach ähnliche Unterdrückungserfahrungen gemacht haben.
8 Verlaufsprozesse sozialer Zugehörigkeiten
8.5.1
Verbindende Herkunft und Hautfarbe
»Afrika, Afrika…« dieses Lied von Salif Keita aus Mali konnte ich hören, als ich die Wohnung von Frau Fatou, meiner Interviewpartnerin, betrat. »Wenn ich dieser Musik zuhöre, denke ich immer an Afrika«, erzählte mir die Deutsch-Afrikanerin. Im Herkunftsland habe sie überwiegend Musik aus ihrem Heimatland, aber auch aus anderen afrikanischen Ländern und von außerhalb des Kontinents, vor allem Hip-Hop von Afro-Amerikanern gehört, teilte sie mir mit. Sie fügte hinzu, dass ihr Interesse an afrikanischer Musik im Ausland, in Europa gewachsen sei. Ihre Lieblingsmusik sei nun Reggae und ihre beliebtesten Musiker seien Alpha Blondy, Lucky Dube und Bob Marley. Sie höre aber auch Salif Keita und immer noch sehr gerne Hip-Hop von Afro-Amerikanern, die sie »ihre Brüder« nennt. Diese Aussage meiner Interviewpartnerin erinnert an die Bewegung Rastafari, die aus Jamaika stammt und für die Bob Marley eine Legende und ein Held ist. Fast alle Afro-Jamaikaner und Afro-Jamaikanerinnen sind Nachfahren von Sklaven, die im Zuge des Sklavenhandels von Afrika nach Amerika deportiert worden sind. Anhänger der Rastafari-Bewegung glauben, dass alle Schwarzen Menschen, die weltweit verstreut sind, »bald« »ihre Freiheit« bekommen und »bald« nach Afrika zurückkehren werden (vgl. Cashmore 1979: 243). Diese Botschaft wird hauptsächlich durch Reggae-Musik propagiert. So sang der Afro-Jamaikaner Hubert McIntosh, der Mitbegründer des Reggaes, in seinem Lied »African«2 : »Don’t care where you come from; as long as you’re black man, you are an African. No mind your nationality, you have got the Identity of an African…and if you come from Brixton, you are an African… and if you come from Canada, you are an African… and if you come from Germany, you are an African… and if you come from Russia, you are an African […]« Die Benennung von Afro-Amerikanern bzw. Afro-Amerikanerinnen durch Frau Fatou als ihre »Geschwister« ist als Bekräftigung für die Aussagen von McIntosh zu werten. Die Hautfarbe verbindet Frau Fatou mit ihren »Verwandten«, die sie nicht persönlich kennt. Diese Verbindung ist noch stärker geworden, seitdem sie nicht mehr in ihrem Herkunftsland lebt. Sie hatte natürlich schon ihre dunkle Hautfarbe in Afrika, aber diese hatte dort keine besondere Bedeutung. Es gab sicher Erkennungszeichen, mit denen sie in ihrem Heimatland identifiziert werden konnte, aber dabei spielte die Hautfarbe oder das »Schwarz-Sein« noch keine besondere Rolle. Es kann also entnommen werden, dass ihr Bewusstsein als Afrikanerin in Bezug auf ihr Schwarz-Sein bedeutender geworden ist, als sie nicht mehr in Afrika lebte. Ihre Hautfarbe sowie ihre Erfahrungen als Afrikanerin in einem Land, in 2
Der Text des Lieds »African« kann unter dem folgenden Link abgerufen werden: www.songtexte.com/songtext/peter-tosh/african-3bdb309c.html (Zugriff am 02.07.2020).
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
dem sie als afrikanische Migrantin lebt, tragen nicht nur dazu bei, dass sie sich als Angehörige einer Gemeinschaft fühlt, sondern auch dazu, dass sie in vielen Fällen für ihre Gemeinschaft etwas unternehmen will. Diese Wahrnehmung von Zusammengehörigkeit bietet eine Basis für eine imaginierte Gemeinschaft von Schwarzen Menschen. So fühlt sich Frau Fatou als »Schwester« von »Afro-Amerikanern«, die sie nicht kennt.
8.5.2
Das Leben zwischen zwei Welten: Die gemischte soziale Zugehörigkeit »Was soll man den Kindern beibringen?« (Herr Kwame)
Weiß (2017: 321) weist darauf hin, dass Menschen in mehreren Welten und oft zwischen diesen Welten leben. Dies hat sich bei Analyse der Befragungen im Rahmen dieser Arbeit bestätigt. Die Entscheidung für die deutsche Staatsbürgerschaft kam bei einigen Befragten nach einem langen inneren Kampf. Die Betroffenen fühlten sich mit ihren ehemaligen Heimatländern so verbunden, dass es ihnen schwerfiel, von ihnen komplett loszulassen. Wie Herr Kwame in einer Interviewpassage berichtet, sei es nicht einfach gewesen, seine ehemalige Staatsangehörigkeit aufzugeben. Die deutsche Staatsbürgerschaft bedeutete für ihn, dass er sich von seinem Zuhause formal trennte. Herr Kwame lebt in Deutschland und er ist dort beruflich, sozio-ökonomisch und familiär sehr glücklich, aber trotzdem war das Gefühl für die Heimat so stark, dass es ihm schwergefallen ist, sich als Deutscher einbürgern zu lassen und dadurch definitiv formal auf seine Zugehörigkeit zur ehemaligen Heimat zu verzichten. Herr Kwame lässt wissen, dass er nichts gegen die deutsche Staatsbürgerschaft hatte, aber dass er sich mit der Heimat stark verbunden fühlte. Sein Leben war zwischen Deutschland und seiner Heimat geteilt. Herr Kwame hat versucht, weiter »zwischen« Deutschland und dem Herkunftsland zu leben. Er hat versucht die Kultur, die Traditionen, die Sprache usw. aus seinem Heimatland in Deutschland beizubehalten und an seine Kinder weiterzugeben. Herr Kwame teilt mit, dass er versucht hat, den Kindern immer etwas über sein Heimatland zu erzählen. Sein Wunsch, seinen Kindern afrikanische Märchen zu erzählen und seine Muttersprache beizubringen, ist aber nicht verwirklicht worden. Abgesehen davon, dass Herr Kwame keine Zeit dafür hatte, war er sehr unsicher darüber, was er den Kindern beibringen sollte. Er berichtet, dass er nicht wusste, ob er den Kindern die in seinem Heimatland gesprochene Kolonialsprache oder seine richtige Muttersprache (Ashanti) beibringen sollte. Ihm wäre es lieber gewesen, wenn seine Kinder Ashanti erlernt und gesprochen hätten, aber es war ihm auch klar, dass er und seine Kinder nicht »Zuhause« lebten und vielleicht dort auch nie leben würden. Es sollte nicht vergessen werden, dass Herr Kwame mit
8 Verlaufsprozesse sozialer Zugehörigkeiten
dem Begriff »Zuhause« sein Herkunftsland meint. Er sieht Deutschland nicht als sein Zuhause an, sondern nur als den Ort, wo er physisch lebt. Gleichzeitig stellt er aber fest, dass er dort eine Familie hat, die er liebt und die seine Heimat aber nicht kennt. Gefühlsmäßig ist der Familienvater weiterhin mit seiner afrikanischen Heimat und gleichzeitig auch mit seiner Familie in Deutschland verbunden. Die Einbürgerung war für ihn ein Schritt, der ihn seiner Familie näherbrachte, aber der ihn von seiner Heimat noch weiter entfernt hat. Die Befragten (z.B. Herr Kanambe, Frau Foé, Herr Kodjo, Herr Gnassimbe) sagen wiederholt, dass sie Afrikanerinnen bzw. Afrikaner geblieben sind, auch wenn sie die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen haben. Sie verbinden Deutsch-Sein mit Weiß-Sein. So sagt Frau Foé: B: Man fühlt sich einfach, also ich fühle mich (3) () deutsche Staatsbürgerschaft ich fühle mich halt als Afrikanerin, egal was ist, ich werde mich nie als deutsch definieren (3). #00:12:51-0# I://mmh//#00:12:51-0# B: Durch meine Herkunft her, ich habe keine weiße Haut, Deutsch nein ist nicht meine Muttersprache, (3) von der Kulturseite ich koche jetzt zwar einige deutsche Gerichte, aber (4) ich esse hauptsächlich [afrikanisch] (4). Für mich identifizieren sich als Afrikaner ist erstmal durch unter anderem sein aus- seine Hautfarbe, seine Kultur, (5) die Herkunftsland und die Muttersprache (7). Frau Foé denkt, dass sie trotz ihrer deutschen Staatsbürgerschaft nicht deutsch geworden ist. Das Gefühl für die Heimat in Afrika ist also mit der Einbürgerung in Deutschland nicht verschwunden. Die Betroffenen leben zwischen zwei Welten: Eine Welt des Gefühls (Herkunftsland) und eine Welt des materiellen Daseins (Deutschland). Diese Situation wird noch deutlicher, wenn man nochmal die Motive für die Einbürgerung analysiert. Die deutsche Staatsbürgerschaft ist oft nicht mit einer besonderen Zugehörigkeitserwartung verbunden, sondern mit einem Zweck. Sie ist für die Befragten ein wertvolles Stück Papier, ein Status und ein Mittel zum Zweck. Auf diese Weise werden die Eingebürgerten in vielerlei Hinsicht nicht als Deutsche, sondern als Migrantinnen bzw. Migranten mit der deutschen Staatsbürgerschaft betrachtet. Dies bezieht sich aber nicht nur auf das Fremdbild, sondern auch auf das Selbstbild. Die interviewten Afrikaner bzw. Afrikanerinnen sehen sich also auch selbst nicht als Deutsche an, sondern als Afrikanerinnen bzw. Afrikaner mit einem deutschen Pass. Eine Doppelstaatsbürgerschaft würde ihrer Lebensrealität und ihren Gefühlen entsprechen. Bezüglich des Fremdbildes argumentiert Herr Kanambe, dass eingewanderte Bürgerinnen und Bürger, wozu auch Schwarze Menschen gehören, eine offizielle Bezeichnung haben. Sie werden als »Deutsche mit Migrationshintergrund« be-
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
zeichnet. Herr Kanambe sieht in dieser Bezeichnung die offene Aussage, dass diese Bürgerinnen bzw. Bürger nicht als Deutsche angesehen werden. So sagt er: Äh, da ist ja auch diese äh (2) Wort rausgekommen ich bin Deutsche mit Migrationshintergrund. (3) Ja? Davor gab es sowas nich. Es gab nur Gastarbeiter. (2) Na jetzt, als die (2) deutsche Türken oder die Türkendeutsche (2) ja? Dann hat man denen einfach äh neue Namen verpasst, da sind Deutsche mit Migrationshintergrund. Heißt immer noch du bist Ausländer. Du bist nicht der Deutsche, der hier geboren ist. Du hast immer Migrationshintergrund, heißt es. Hab ich immer gefragt: ja was – wer hat das () – weil das zeigt immer wieder, dass man (3) Ausländer ist. Man ist nicht Deutscher. Herr Kanambe geht sogar noch weiter und behauptet, dass diese Situation mit einer Diskriminierung verbunden ist: Die Diskriminierung is ja (1) im Hinterkopf, (unter)schwellig. (2) Die sagen zwar, du bist nicht so richtige Deutsche, aber du bist äh eben ein Mitarbeiter. Anhand dieser Zitate wird auch ganz deutlich, welche Macht Sprache hat. Migrationshintergrund ist ein Begriff, der benutzt wird, um zu kennzeichnen, dass es eine unsichtbare Norm gibt und dann wieder diejenigen, die von dieser Norm abweichen, da sie z.B. einen Migrationshintergrund haben. Der Migrationshintergrund wird betont und diejenigen ohne Migrationshintergrund bleiben unbenannt. Genau das gleiche Vorgehen findet man auch in Bezug auf die Hautfarbe Weiß als unbenannte Norm: Schwarz wird benannt und bildet eine (negative) Abweichung. Insofern kann die Bezeichnung »Migrationshintergrund«, wie Herr Kanambe schon sagt, durchaus in Verbindung mit einer (rassistischen) Diskriminierung gesehen werden. Den Aussagen von Herrn Kanambe zufolge werden deutsche Bürger bzw. Bürgerinnen mit Migrationshintergrund einfach nicht als Deutsche betrachtet. Herr Kanambe nimmt wahr, dass er durch seinen Alltag und seine Arbeit an Deutschland gebunden ist, aber nicht als Deutscher wahrgenommen wird. Die Frage ist nun, welche Folgen dies für seine eigene Wahrnehmung und für seine soziale Zugehörigkeit hat. Richtig ist, dass diese Wahrnehmung der »Halbzugehörigkeit« nicht nur auf der Seite der Betroffenen besteht. Es wird so auch durch die Mehrheitsgesellschaft mitgeteilt. Laut Herrn Kanambe erfolgt das auch durch die Bezeichnung »Menschen mit Migrationshintergrund«. An dieser Stelle bestätigt Herr Kanambe die Aussagen von anderen Befragten (z.B. Herrn Kodjo, Herrn Gnassimbe, Frau Fatou, Frau Foé), die feststellen, dass ihr Leben in Deutschland verankert ist, aber dass sie gefühlsmäßig immer noch mit der verlassenen Heimat verbunden sind. Weiterhin teilen sie mit, dass sie auch das Gefühl haben, dass die deutsche Gesellschaft sie auch nicht als Deutsche wahrnimmt. Einige der Betroffenen versuchen, ihre nicht eingetretene soziale Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft zu kompensieren. Diese Kompensierung wird u.a. außerhalb der deutschen
8 Verlaufsprozesse sozialer Zugehörigkeiten
Gesellschaft gesucht. Auf dieser Ebene ist man schon auf dem Weg zur transnationalen Zugehörigkeit oder, anders gesagt, zur imaginierten Gemeinschaft.
8.5.3
Community-Bildung bei der gemischten Zugehörigkeitswahrnehmung
Auf den Mangel an Anerkennung und hinsichtlich der Unsicherheit in Bezug auf die soziale Zugehörigkeit reagieren die Betroffenen unterschiedlich. Manche schauen der Realität ohnmächtig zu. Andere schauen einfach weg. Andere versuchen, für ihren Platz und ihre Akzeptanz in der Gesellschaft zu kämpfen. Wie schon gesehen, schließen sich einige Afrikanerinnen bzw. Afrikaner zusammen mit der Hoffnung, dass sie gemeinsam dazu beitragen können, dass die Gesellschaft sie besser kennt und akzeptiert. Die Intensität und die Ausdauer hinsichtlich des Engagements für die Akzeptanz und Anerkennung sind bei den Befragten unterschiedlich. Rund um dieses Engagement bildet sich eine Zusammenhörigkeits- oder Gemeinschaftswahrnehmung. Diese Wahrnehmung konsolidiert wiederum die Idee einer imaginierten Gemeinschaft. Die Gemeinschaft von Afrikanerinnen und Afrikanern stellt sich also zum Teil auf Basis einer erfahrenen Ablehnung in Migrationsgesellschaften und einer gemischten sozialen Zugehörigkeit her. Die erlebte Erfahrung insbesondere der Migration führt dazu, dass die Betroffenen glauben, dass sie aufgrund des gleichen Schicksals zusammengehören. Aber wenn sie zusammengekommen sind, bemerken sie oft, dass sie in Wirklichkeit unterschiedlich sind, und dass sie nicht unbedingt zusammengehören. Herr Kwame beschreibt diese Konstellation folgendermaßen: Wenn ich eine [Person aus meinem Herkunftsland] trifft oder so, der is, der is auch kaum – du kannst auch eine [Person aus deinem Herkunftsland] treffen, aber der hat nich die gleiche – wie heißt dat – Lebensablauf gemacht wie ich oder so. Is ein ganz anderer Lebenslauf und da kannst du auch () nicht verstehen, weil du musst auch nicht mit jede [Person] in [deinem Heimatland] verstehen. Du bist nur hier, weil ihr beide [Landsleute] sind, bedeutet nicht, dass ihr euch verstehe. Aber ihr zwingt euch zu verstehen, weil ihr in Ausland sind und [Landsleute] sind. Und das haben wir damals auch – gut wir haben inzwischen hier probiert auch – das war sowieso nur eine [Herkunfslands]-Union, da habe ich nicht gesagt – vor zwei, drei, vier oder fünf Jahr sind Leute zu mir gekommen, sie wollten hier eine [Herkunftsland]-Union hier formieren, um irgendwo (hier) Leute zusammenzubringen und so weiter. Da haben wir aktiv mitgemacht, aber ist auch auseinandergegangen. War – die Ziele war sehr viel verschiedene und das ist was ich meine damit – du kannst, weil die [Landsleute] sind kannst du die nicht einfach so zusammenbringen (lachend). Verstehst du? Und das ist die Pro-
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
blem, was wir immer hier – weil wir [Landsleute] sind oder weil wir aus Ruanda kommen, versuchen wir uns zusammen – oder weil wir Afrikaner sind versuchen wir uns zusammenzutun. Aus eigener Erfahrung erzählt Herr Kwame, dass Menschen, die aus demselben Land stammen, versuchen, im Ausland – also in Deutschland – zusammenzukommen und gemeinsam zu handeln. Im Hintergrund dieses Versuchs steht ihre nationalstaatliche Herkunft. Es ist wichtig festzustellen, dass einige Schwarze Menschen glauben, dass sie auf Basis ihrer Herkunft und Migrationserfahrung gemeinsam handeln können. Nicht ausschlaggebend ist an dieser Stelle die Frage, ob sie es tatsächlich können. Wichtig ist festzustellen, dass einige Afrikanerinnen bzw. Afrikaner glauben, dass ihre Herkunft oder ihre Hautfarbe und die damit verbundenen Unterdrückungserfahrungen eine Grundlage für ihr gemeinsames Handeln schaffen. Erst wenn sie versucht haben zusammenzukommen, bemerken sie, dass sie nicht gleich sind und dass sie unterschiedliche Ziele haben. Aber diese Feststellung kommt erst später. Zunächst besteht die Zusammengehörigkeitswahrnehmung, die sicherlich für ein gemeinsames Handeln nicht genügt. Das Scheitern beim Versuch, gemeinsam zu handeln oder das Auseinandergehen von existierenden Vereinigungen bedeutet nicht, dass die Zusammengehörigkeitswahrnehmung verschwindet. Die Wahrnehmung hinsichtlich der Zusammengehörigkeit von Schwarzen Afrikanerinnen oder Afrikanern könnte u.a. auf einer gleichen Herkunft oder Hautfarbe beruhen. Sie wird sich dadurch konsolidieren, dass die Betroffenen vergleichbare Erfahrungen machen oder ein gleiches Schicksal erleben. Dies erklärt beispielsweise, warum manche Vereinigungen von Schwarzen Menschen nicht immer auseinandergehen. Neben ihrer Herkunft und Hautfarbe spielt die erlebte gleiche Erfahrung (z.B. Rassismus) eine wichtige Rolle dabei, Schwarze Menschen zusammenzubringen. In einigen Fällen versuchen sie, aus der geteilten Erfahrung heraus zu handeln, indem sie zum Beispiel ein gemeinsames Ziel (z.B. den Kampf gegen Rassismus) formulieren und es verfolgen. Dieses Gefühl und einigermaßen auch dieses Handeln sind transnational. Aus diesem Gefühl entstehen konkrete Organisationen und die imaginierte Gemeinschaft konsolidiert sich dadurch. Auf diese Weise werden die Betroffenen Mitglieder – wenn auch nur passiv und manchmal unbewusst – einer breiten und transnationalen Gemeinschaft von Afrikanerinnen bzw. Afrikanern. Die Befragten sind fallübergreifend der Meinung, dass sie, gewollt oder ungewollt, der Community der afrikanischen Menschen angehören. Sie werden dieser Gemeinschaft zugeordnet oder sie ordnen sich ihr selbst zu. Die Wahrnehmung einer transnationalen Zugehörigkeit, die mit der imaginierten Gemeinschaft verbunden ist, könnte den Betroffenen dabei helfen, die mangelhafte Anerkennung und ambivalente Zugehörigkeit auf der gesamtge-
8 Verlaufsprozesse sozialer Zugehörigkeiten
sellschaftlichen Ebene zu bewältigen. Die Nicht-Akzeptanz in Deutschland kann dadurch abgemildert werden, dass die Betroffenen das Gefühl haben, dass sie eine zweite Heimat gefunden haben. Sie erkennen, dass sie tatsächlich lange Zeit ihren Heimatländern ferngeblieben sind, aber sie fühlen sich nicht komplett von ihnen getrennt. Auch diejenigen, die keine physische Verbindung mehr zu ihren ehemaligen Heimatgesellschaften haben, lehnen diese transnationale Zugehörigkeit nicht ab. Sie erkennen ihr kosmopolitisches Gefühl, das auch ihr Handeln in Deutschland und in der Welt beeinflusst.
8.6
Zwischenfazit: Differenzierte soziale Zugehörigkeiten
In diesem Kapitel wurden Verlaufsprozesse sozialer Zugehörigkeiten während und nach der Migration und die entsprechenden Wahrnehmungen der Befragten des vorliegenden Samplings präsentiert. Aufgrund der Analyse der Interviewaussagen lässt sich zusammenfassend sagen, dass die Wahrnehmungen sozialer Zugehörigkeiten je nach Milieu und Kontext veränderbar sind. Diese Kontexte und Milieus unterscheiden sich wiederum je nach gesellschaftlicher Ebene. Daher spiegelt die soziale Zugehörigkeit auf lokaler Ebene (Stadtbürgerschaft) nicht unbedingt die Zugehörigkeit auf der mittleren gesellschaftlichen oder auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene (Staatsbürgerschaft) wider. Die soziale Zugehörigkeit der Befragten entwickelt sich also unterschiedlich und auf mehreren Stufen der Gesellschaft. Bei der Analyse der Interviews wurden vier Stufen identifiziert: die nachbarschaftliche Ebene vor Ort, die mittlere gesellschaftliche Ebene, die gesamtgesellschaftliche Ebene und die transnationale Ebene. Die Befragten waren in ihrer Konfusionsphase generell auf unterschiedlichen Ebenen exkludiert und ihre soziale Zugehörigkeit war durch diese Exklusion belastet. Die Situation hat sich jedoch nach der Konfusionsphase in vielerlei Hinsicht verbessert. Fallübergreifend haben die Befragten die Wahrnehmung, dass sie ab der Orientierungsphase anerkannte Mitglieder ihrer Nachbarschaften, Familienund Freundeskreise und Bekanntenkreise etc. geworden sind. Sie wirken auch in ehrenamtlichen Initiativen vor Ort mit. Sie wohnen in gleichen Familienhäusern wie die Einheimischen und gehen in den gleichen Geschäften oder Supermärkten einkaufen. Sie haben die gleichen Hausärzte und teilen das Alltagsleben miteinander. Ihre Kinder spielen mit den Kindern der einheimischen Nachbarn und gehen zur gleichen Schule. Vor Ort fühlen sie sich gut eingegliedert. Bei ihrem Handeln in der Gesellschaft stützen sie sich oft auf diese angenehme Atmosphäre in ihren Umgebungen vor Ort. Auf der mittleren gesellschaftlichen Ebene ist die Situation anders. Dort geht es um das Handeln und die Interaktionspraxis zwischen Bürgerinnen bzw. Bürgern und unterschiedlichen Akteuren (in vielen Fällen anonymen bzw. unbekannten Ak-
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
teuren wie den Behörden) aus der Gesellschaft. Bei diesem Handeln wird die Zugehörigkeit der Betroffenen zur Gesellschaft nicht selten infrage gestellt. Auf dieser Ebene passiert vieles, das eine positive Wahrnehmung generieren, aber auch die Zugehörigkeitswahrnehmung gefährden könnte. Die Situationen, die für eine gute Zugehörigkeitswahrnehmung sorgen, sind beispielsweise ein freundlicher Umgang mit Menschen vonseiten der Ämter und die Vermittlung des Gefühls, dass die Betroffenen respektiert und wahrgenommen werden und dass ihre Rechte nicht verletzt werden. Laut der Befragung ist jedoch festzustellen, dass der auf dieser Ebene erfahrene Umgang durch die Betroffenen im Allgemeinen negativ bewertet wird. Die interviewten Personen berichten fallübergreifend zum Beispiel von unterschiedlichen Situationen, in denen sie aufgrund ihrer Hautfarbe diskriminiert wurden. Die vollzogene Einbürgerung bedeutet nicht, dass die neuen Bürgerinnen bzw. Bürger damit ihre völlige Eingliederung und soziale Zugehörigkeit in die Gesellschaft erreicht haben. Auf der Ebene der sozialen Zugehörigkeit geht es nicht allein darum, dass die Betroffenen sich zugehörig fühlen, sondern auch darum, dass sie so wahrgenommen werden. So meint ein Interviewpartner: »Ich bin nicht anders, aber die Leute denken, dass ich anders bin« (Interview Kwame). Der formale Zugang zur Staatsbürgerschaft bedeutet also nicht die erfolgte soziale Zugehörigkeit zur neuen Gesellschaft. Für Migrantinnen und Migranten ist es oft schwer, den Prozess ihrer gesellschaftlichen Eingliederung einzuschätzen. Sie sind der Meinung, dass dieser Prozess lange andauert und dass er sich auch auf die nächsten Generationen erstrecken wird. Das jeweilige Selbst- und Fremdbild unterscheidet sich von Person zu Person. Daher nehmen sich Eingebürgerte in der Gesellschaft als Bürgerinnen bzw. Bürger in Bezug auf ihre Zugehörigkeiten und Identitäten unterschiedlich wahr. Doch gibt es bei all diesen Unterschieden eine Gemeinsamkeit: Bezüglich der Einbürgerung und der sozialen Zugehörigkeit sind die Befragten fallübergreifend nicht der Meinung, dass die Einbürgerung das pauschale Fremdbild – zum Beispiel rassistische Vorurteile und herabsetzende Klischees – über sie ausgelöscht hat. Der Analyse ist zu entnehmen, dass diejenigen, denen es sozio-ökonomisch und beruflich gut geht, eine positive Zugehörigkeitswahrnehmung auch auf der mittleren Ebene der Gesellschaft haben, im Gegensatz zu denjenigen, die für mehr gesellschaftliche Teilhabe kämpfen müssen. Die Wahrnehmung der Nicht-Zugehörigkeit entsteht oder verstärkt sich aus der Wahrnehmung der Ungleichbehandlung, der Herabsetzung oder der Umsetzung von diskriminierenden Maßnahmen, wie beispielsweise der »Racial-Profiling-Praxis«. Es ist interessant zu bemerken, dass rassistische Diskriminierungen durch diejenigen Befragten des vorliegenden Samplings, die beruflich glücklich sind, als »blödsinnig« beurteilt werden.
8 Verlaufsprozesse sozialer Zugehörigkeiten
Auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene ist die Situation wieder anders. Der Nationalstaat beeinflusst das Leben der Befragten anders als z.B. die Städte und Stadtviertel, in denen sie wohnen. Bei allen Befragten verspürt man den Zweifel an ihrer Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft. Dieser Zweifel fing bei einigen Befragten schon vor ihrer Ankunft in Deutschland an. Aus ihren Erfahrungen heraus beschweren sich die Befragten generell darüber, dass sie oft aufgrund ihrer Hautfarbe und Herkunft unterbewertet und diskriminiert werden. Sie teilen mit, dass sie mit bestimmten Erwartungen und Zuschreibungen assoziiert werden und dass sie oft darauf reduziert werden. Auf dieser Ebene empfinden sie, dass sie als anders angesehen werden. Der Untersuchung ist zu entnehmen, dass die Befragten fallübergreifend der Meinung sind, dass der Prozess der sozialen Eingliederung in die Gesellschaft lange andauert und dass dieser Prozess nicht bei allen und auch nicht in gleicher Weise stattfindet. Das Zugehörigkeitsgefühl in Bezug auf die verlassene Heimat bleibt auch noch nach mehreren Jahren, auch nach der Einbürgerung. Obwohl die Betroffenen selbst erkennen, dass sie mit ihrem Geburtsland nicht mehr viel zu tun haben, sind sie gefühlsmäßig immer noch mit ihrer Heimat verbunden. Die Betroffenen werden auch ein Stück weit dazu gedrängt, da sie hier als Nicht-Zugehörige gelten, sich mit ihrer vermeintlich »wahren« Heimat weiterhin zu identifizieren. Die mangelnde Zugehörigkeit auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene wird in vielerlei Hinsicht durch die Zugehörigkeit auf transnationaler Ebene kompensiert. Die mit ihren Biografien verbundene kosmopolitische Wahrnehmung ermöglicht in unterschiedlicher Weise das Handeln außerhalb der deutschen Grenzen. Es stiftet die Zugehörigkeitswahrnehmung gegenüber der imaginierten Gemeinschaft der Afrikanerinnen bzw. Afrikaner und führt in manchen Fällen zum Engagement in dieser Sphäre.
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9 Abschließende Diskussion
9.1
Deutsche afrikanischer Herkunft und die geschichtliche Entwicklung der deutschen Staatsbürgerschaft
In der vorliegenden Arbeit habe ich ausführlich gezeigt, dass das Konzept Staatsbürgerschaft unmittelbar mit dem Begriff des Nationalstaats verbunden ist. Die Entwicklung der jeweiligen Staatsbürgerschaft ist daher zwingend an den Entwicklungsprozess und die Veränderung des jeweiligen Nationalstaats gekoppelt. Im deutschen Kontext bezog sich die Staatsbürgerschaft bis Ende des 20. Jahrhundert fast ausschließlich auf Basis des Prinzips jus sanguinis. Sie hat sich in einer Gesellschaft entwickelt, die sich von einer ethno-kulturellen Nation (vgl. Habermas 1996) in einen konstitutionellen und föderalen Nationalstaat umgewandelt hat. In der Vergangenheit war der Begriff »Deutsch-Sein« quasi ein Synonym für »Deutscher-Staatsbürger-Sein«. Aufgrund der historischen Ereignisse und der heutigen Realitäten im Zusammenhang mit Themen wie Migration und Globalisierung haben sich die deutsche Gesellschaft und ihre Institutionen prozesshaft verändert. Mit der Reform des deutschen Staatsangehörigkeitsgesetzes 1999 gewann das Prinzip jus soli (Geburtsort und Wohnsitz) mehr Gewicht. Die deutsche Staatsbürgerschaft als Status wurde liberaler und offener für Menschen, die nicht zum deutschen »Volk« gehören. Seitdem ist die Einbürgerungsquote deutlich gestiegen. Die Gesellschaft ist damit vielfältiger geworden. Bei dieser Entwicklung der deutschen Gesellschaft und der Staatsbürgerschaft können die Spuren von Schwarzen Menschen in Deutschland identifiziert werden. Schwarze Afrikanerinnen bzw. Afrikaner kamen schon vor der Kolonialzeit nach Deutschland. In diesem Land galten sie als »Exoten«, deren Existenz mit erheblichen Klischees in der Gesellschaft von weißen Menschen wahrgenommen wurde. Viele rassistische Konstruktionen, die noch aus der Vorkolonialzeit und dem Kolonialismus stammen, wurden in die Propaganda des Nationalsozialismus und teilweise in modifizierter Form auch anschließend bis in die heutige Zeit weiter übertragen. Historisch betrachtet lässt sich der Trend eines Entwicklungs- und Veränderungsprozesses des Bildes über Afrikanerinnen bzw. Afrikaner feststellen. Trotz
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
der teilweise noch andauernden Klischees verlief diese Entwicklung eher positiv. In der deutschen Vergangenheit gab es historisch betrachtet einen Willen, die Präsenz von Schwarzen Menschen auf deutschem Boden zu limitieren oder sogar zu verhindern. Dies fand nicht nur im Nationalsozialismus, sondern auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg statt. Es gab im Nachkriegsdeutschland z.B. politische Debatten und Überlegungen darüber, in Deutschland geborene afro-deutsche Kinder in die Herkunftsländer ihrer Schwarzen Elternteile zu schicken (siehe Kapitel 2). Dies wirft die Frage auf, in welcher Lage ihre Eltern und andere Schwarze Menschen in Deutschland in der Vergangenheit lebten. Trotz des insgesamt positiven Trends werden Bürgerinnen bzw. Bürger afrikanischer Herkunft in Deutschland bis in die heutige Zeit weiterhin mit rassistischen Vorstellungen und Praktiken konfrontiert. Das Deutsch-Sein wird im vorherrschenden Denken immer noch mit Weiß-Sein verbunden und Schwarz-Sein wird als fremd betrachtet. In diesem Klima haben Bürgerinnen bzw. Bürger mit afrikanischem Hintergrund wiederholt versucht, sich zu wehren und entsprechend zu handeln. Ihre Geschichte und geteilten Erfahrungen haben dazu beigetragen, dass sie sich oft bemüht haben, sich als Schwarze Menschen zusammenzuschließen und als Gruppe aktiv zu werden. In diesem Sinne gründeten sich mehrere afrikanische Vereinigungen. Einige der bekanntesten Vereinigungen sind die »Liga zur Verteidigung der Negerrasse«, die 1929 gegründet wurde, die »Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD)« und die »Schwarze Frauen in Deutschland (ADEFRA)«, die in den 1980er Jahren gegründet worden sind. Die enge Verbindung zwischen den Konzepten Staatsbürgerschaft und Nationalstaat verweist auch unmittelbar auf die Dichotomie von Inklusion und Exklusion. Das Dilemma von Inklusion und Exklusion im Kontext der Realisierung von Staatsbürgerschaft bezieht sich insbesondere auf die Gleichheit bzw. Gleichbehandlung der Bürger und Bürgerinnen, ihre Rechte, Pflichten, Privilegien, gesellschaftliche Teilhabe und soziale Zugehörigkeit. Abgesehen davon, dass die Nichtstaatsbürgerinnen bzw. Nichtstaatsbürger automatisch von der Staatsbürgerschaft ausgeschlossen sind, ist festzustellen, dass auch alle Staatsbürgerinnen bzw. Staatsbürger nicht immer gleichbehandelt werden. Die Staatsbürgerschaft soll zwar in einem bestimmten Nationalstaat formal die Inklusion und die Anwendung gleicher Rechte sicherstellen, aber manche Bürgerinnen bzw. Bürger – in vielen Fällen Angehörige von Minderheiten – erleben soziale Ungleichheit und ausgrenzende Praktiken. Das ist auch der Fall für Bürgerinnen und Bürger mit afrikanischer Herkunft in Deutschland. Die Exklusion von eingebürgerten Afrikanerinnen bzw. Afrikanern lässt sich, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß und in anderen Formen, an einer verringerten gesellschaftlichen Partizipation, einem eingeschränkten Genießen von Rechten, wohlfahrtsstaatlichen Leistungen und Diensten sowie an einer mangelhaften Anerkennung, an mangelhafter sozialer Zugehörigkeit und an Ungleichbe-
9 Abschließende Diskussion
handlung feststellen. In dieser Hinsicht realisieren die Betroffenen nur eine defizitäre Staatsbürgerschaft. Dies habe ich empirisch untersucht und die Ergebnisse dazu fasse ich im folgenden Abschnitt zusammen.
9.2
Von außen an die Peripherie. Verlaufsprozesse nach der Migration: Vom Ausländerstatus zur deutschen Staatsbürgerschaft
Die empirische Arbeit zielte darauf ab, die Verlaufsprozesse des Lebens nach der Migration aus der Perspektive der im Rahmen dieser Arbeit befragten Personen zu rekonstruieren und die Rolle der Einbürgerung bei diesen Prozessen zu untersuchen. Unterschiedliche Phasen dieser Entwicklungsprozesse wurden dargestellt. Die Analyse der Wahrnehmungen aufseiten der Befragten über die Realisierung ihrer Staatsbürgerschaft bezog sich auf vier Hauptaspekte: die sozio-ökonomische Situation, die gesellschaftspolitische Partizipation, die Gleichheit bzw. Gleichbehandlung und die sozialen Zugehörigkeiten. Diese Aspekte beeinflussen sich gegenseitig und sie überschneiden sich auch. Der gemeinsame Nenner aller dieser Aspekte ist, dass die Umstände der Migration und auch die Situation, in der die jeweiligen Personen aus ihren afrikanischen Herkunftsländern migriert sind, zusammen mit den Bedingungen im Ankunftsland die Verlaufsprozesse des Lebens in Deutschland und auch der Einbürgerung beeinflusst haben. Festgestellt habe ich einen deutlichen Unterschied zwischen Migrantinnen bzw. Migranten, die freiwillig, beispielsweise zu ihrer Ausbildung oder zum Studium, nach Deutschland migriert sind, und Geflüchteten, die zur Migration gezwungen wurden. Der Eingliederungsprozess insbesondere der zu Bildungszwecken eingereisten Migrantinnen bzw. Migranten verlief relativ einfach. Ihre berufliche und sozio-ökonomische Situation hat sich schnell und deutlich verbessert, was wiederum Auswirkungen auf ihre soziale Zugehörigkeit hatte. Das ist aber nicht der Fall für diejenigen gewesen, die dazu gezwungen waren, ihre Heimatländer zu verlassen, die unvorbereitet nach Deutschland kamen und die dort in ihrer ersten Zeit viele Jahre lang mit erheblichen Schwierigkeiten konfrontiert worden waren. Einige Befragte erfahren bis heute, d.h. auch nach ihrer Einbürgerung, immer noch schwierige Lebensbedingungen. Ihre Wahrnehmungen in Bezug auf ihre Gleichbehandlung, gesellschaftliche Teilhabe und ihre sozialen Zugehörigkeiten in Deutschland stimmen sie eher skeptisch. Obwohl die Umstände der Migration und der Einbürgerung sowie auch die jeweilige Wahrnehmung der Staatsbürgerschaft bei den Befragten variieren, ließen sich – wie dargestellt – im vorliegenden Sampling fallübergreifende Verlaufsprozesse mit jeweils typischen Phasen beobachten. Die Ausprägung der Verlaufsprozesse soll im Folgenden nochmals zusammengefasst und diskutiert werden.
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
9.2.1
Sozio-ökonomische Verlaufsprozesse
Auf der Ebene der sozio-ökonomischen Verlaufsprozesse der Migration und Inklusion der im Rahmen der vorliegenden Arbeit Befragten in Bezug auf die Realisierung ihrer Staatsbürgerschaft habe ich einen Prozess rekonstruiert, der sich sukzessiv auf die Phasen der Konfusion, Orientierung, Stabilisierung, Konsolidierung und Attestierung bezieht. Die Konfusionsphase fand direkt nach der Ankunft in Deutschland statt. Sie wird durch schlechte Lebensbedingungen gekennzeichnet. Die in dieser Phase erlebten Schwierigkeiten beruhen hauptsächlich auf einem unsicheren Aufenthaltsstatus. Die Konfusion bezog sich auf die Tatsache, dass die Betroffenen vom aktiven Leben der Gesellschaft ausgeschlossen wurden. Ihre sozio-ökonomische Situation in dieser Zeit war mehr als prekär. Von Schwierigkeiten besonders hart betroffen waren die Befragten, die unvorbereitet und eher unfreiwillig nach Deutschland kamen. Dieses Land war ihnen komplett fremd. Sie hatten keine Bekannten dort und mussten in vielerlei Hinsicht quasi isoliert leben. Sie blieben überwiegend unter ihren Landsleuten oder Menschen, die in einer ähnlichen Situation lebten. Die Konfusionsphase endete generell mit dem Erhalt einer Aufenthaltserlaubnis. Diese führte zu Bemühungen um Orientierung in der Gesellschaft, aber die prekäre sozio-ökonomische Situation hielt an. Das Hauptzeichen dieser Phase ist, dass die Betroffenen einen Zugang zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt und zu unterschiedlichen Arten von Wohlfahrtsleistungen hatten. Das Ende dieser Phase ist daran zu erkennen, dass sie einen Ausbildungs- bzw. Bildungsabschluss erlangt und eine Arbeitsstelle gefunden haben. In dieser Situation handelte es sich nicht um einen Traumjob, sondern um jede Form einer angemessen bezahlten Beschäftigung. Wurde die Orientierungsphase mit Erfolg abgeschlossen, begann die Phase der Stabilisierung. Darin bemühten sich die Befragten, ihren sozio-ökonomischen, beruflichen und familiären Status zu sichern. In der Stabilisierungsphase wurden Familien gegründet oder zusammengeführt. Einige Befragte haben diese Phase noch nicht abgeschlossen, obwohl sie eingebürgert worden sind. Eine gelungene Stabilisierung führte zur Konsolidierungsphase. Dabei ging es um den Ausbau der Errungenschaften. An dieser Stelle handelte es sich um eine gute, sichere und oft unbefristete Arbeitsstelle. Diese Phase zeichnete sich durch eine deutliche Verbesserung der sozio-ökonomischen, beruflichen und familiären Lebensbedingungen ab. Die Konsolidierung brachte Sicherheit für die Betroffenen, aber auch die Feststellung, dass sich ihr Leben schwerpunktmäßig nach Deutschland verlagert hat. Dabei ging es nicht nur um das materielle Leben, sondern um fast alles, was in ihrem Leben zählte. Die Betroffenen stellten fest, dass sie ihren Traum, irgendwann in ihre geliebten Herkunftsländer zurückzugehen und dort zu leben, nie realisieren
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würden. Dies führte zur Desillusion und zum Ende des Traums. Sie entschieden sich dann dafür, in Deutschland zu bleiben und sich weiter auf ihre Arbeitsstelle und auf ihre Familien zu fokussieren. Die Desillusion machte den Weg für die Attestierung frei. In dieser Phase wurde die Entscheidung getroffen, in Deutschland zu bleiben und dies durch einen formalen und offiziellen Akt zu attestieren. So erfolgte die Einbürgerung derjenigen, die sich eine lange Zeit geweigert hatten, auf ihre alte Staatsbürgerschaft zu verzichten. Bezüglich der Einbürgerung ist der Empirie zu entnehmen, dass nicht die Einbürgerung den sozio-ökonomischen Verlaufsprozess des Lebens nach der Migration beeinflusst hat, sondern umgekehrt. Die Befragten des Samplings mit schwierigen Lebensbedingungen versuchten so schnell wie möglich, sich einbürgern zu lassen. Ihren Antrag auf die Einbürgerung haben sie schon in der Orientierungsphase oder in der Stabilisierungsphase gestellt. Sie haben die Konsolidierungsphase nicht erreicht und sie haben auch nicht auf die Konsolidierung ihrer Situation gewartet, um sich einbürgern zu lassen. Sie kamen schnell in die Attestierungsphase. Sie wollten zügig die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen, mit der Hoffnung auf Verbesserung und Sicherung ihrer Situation. Sie wurden in vielerlei Hinsicht enttäuscht. Diese Enttäuschung bezog sich beispielsweise darauf, dass sich ihre sozio-ökonomische Lage durch den Status der Staatsbürgerschaft nicht verbessert hat. Der Prozess ist bei denjenigen Befragten anders verlaufen, die eine gelungene Orientierungsphase erlebt haben und die seit der Stabilisierungsphase über relativ gute sozio-ökonomische Lebensbedingungen verfügten. In diesem Fall kam die Entscheidung für die Einbürgerung mit etwas Verzögerung und zwar erst in der Attestierungsphase. Eine sichere Lage im Hinblick auf eine gesicherte sozio-ökonomische Situation in Deutschland war im letzten Fall mehr wert als die eigentliche Einbürgerung.
9.2.2
Gleichheit bzw. Gleichbehandlung in Verlaufsprozessen nach der Migration
Gleichheit bzw. Gleichbehandlung ist einer der wichtigsten Aspekte, an denen die Realisierung der Staatsbürgerschaft zu erkennen ist. Der Untersuchung ist zu entnehmen, dass die Befragten trotz der deutschen Staatsbürgerschaft nach wie vor mit Diskriminierung und Ungleichbehandlung konfrontiert werden. Die diskriminierenden Praktiken werden insbesondere wegen des Aussehens und der afrikanischen Herkunft ausgeübt. Sie finden auf Basis bewusster und unbewusster Assoziationen und stereotyper Bilder über Schwarze Menschen statt und stellen insofern auf symbolischer Ebene eine Nichtanerkennung dar, die auch ungeachtet ihres rechtlichen Status existiert. Eine mangelnde Gleichbehandlung wirkt sich auf die sozio-ökonomische Entwicklung und gesellschaftspolitische Partizipation
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der befragten Personen aus. Dabei zeigen sich Hürden, die die Stabilisierung ihres Lebens verhindern. Diskriminierung oder Ungleichbehandlung findet im Alltagsleben statt, hat aber vor allem auf sozio-ökonomischer und beruflicher Ebene bzw. auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt besonders einschränkende Folgen. In manchen Fällen wurde die Einbürgerung mit der Hoffnung beantragt, in der Gesellschaft mehr Anerkennung und Gleichbehandlung zu gewinnen. Dies wurde aber nach der Einbürgerung oft als falsche Hoffnung beurteilt. Der neue Status verhindert die Diskriminierung auf Basis von Hautfarbe und Herkunft nicht. Er kann die auf Basis verinnerlichter Assoziationen, Klischees und des Rassismus praktizierte Ungleichbehandlungen gegen die Betroffenen nicht beseitigen.
9.2.3
Verlaufsprozesse gesellschaftspolitischer Partizipation
Ein ähnlicher Verlaufsprozess wie bei der sozio-ökonomischen Entwicklung ist auch auf der Ebene der gesellschaftspolitischen Partizipation zu beobachten. Das Engagement der Befragten des vorliegenden Samplings verlief zwar auch hier unterschiedlich, war aber in quasi gleichen Phasen und unter gleichen Bedingungen wie in den sozio-ökonomischen Verlaufsprozessen der Migration und Inklusion zu beobachten. Die Analyse und Rekonstruktion der Spuren der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung der Befragten führte zur Feststellung, dass sie in ihrer ersten Zeit, also in der Konfusionsphase, in Deutschland erhebliche Schwierigkeiten und Einschränkungen erlebt haben. Diese Situation hat ihre Partizipation in der Gesellschaft beeinflusst: Auf der einen Seite hat diese Lebensrealität die Befragten generell dazu gezwungen, unter sich oder ihnen ähnlich aussehenden Menschen zu bleiben. In dieser Phase verstärkte sich die Afrikanität bzw. das »Wir-Gefühl« als Afrikanerinnen und Afrikaner. Auf der anderen Seite wollten die Betroffenen handeln, um aus dieser Lage herauszukommen. Sie wollten als »wir Afrikaner bzw. Afrikanerinnen« oder als »wir Migrantinnen bzw. Migranten« handeln. Mit dem Handlungsversuch waren die Betroffenen schon auf dem Weg zur Phase der Orientierung. Sie versuchten sich selbst zu organisieren, neue Organisationen zu gründen oder sich bestehenden Gruppierungen anzuschließen. Das Engagement in der Orientierungsphase bezog sich hauptsächlich auf den Kampf um Anerkennung in der Gesellschaft. Es handelte sich hier um die formale Anerkennung, die mit einer Aufenthaltserlaubnis symbolisiert wird, aber auch um die Akzeptanz in der Gesellschaft. Eine mehr oder weniger gelungene Orientierungsphase ermöglichte die der Stabilisierung und der Konsolidierung. In diesen Phasen verminderte sich das Gefühl und das Handeln als »wir Afrikaner bzw. Afrikanerinnen«, und das gesellschaftspolitische Engagement insgesamt ging zurück.
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Die Konsolidierung des sozio-ökonomischen Status führte also nicht zur Konsolidierung des gesellschaftspolitischen Handelns, sondern zu seinem Rückgang. In diesem Kontext entstand die Attestierungsphase. Auch diejenigen, die sich bis dahin geweigert hatten, sich einbürgern zu lassen, änderten ihre Meinung. Sie entschieden sich dafür, in Deutschland zu bleiben. Die Attestierung fand in der Zeit statt, in der das gesellschaftspolitische Engagement der Befragten quasi nicht mehr existierte. Später, nach der Attestierungsphase kamen aber einige Befragte zum Engagement in afrikanischen Vereinigungen zurück. Die Feststellung einer andauernden Ungleichbehandlung und einer fortdauernden mangelhaften Akzeptanz auch nach der Einbürgerung begünstigten diese Rückkehr in die Community und ein Engagement dort. Diese bietet einen Rückzugsraum oder eine Art »Sprungbrett« für das gesellschaftspolitische Engagement an. Das Handeln an dieser Stelle wird hauptsächlich weniger lokal und stattdessen regional, national und transnational betrieben. Dabei lassen sich die Spuren der Migration, der sozialen Zugehörigkeit und des mitgebrachten sozialen und kulturellen Kapitals feststellen. Die Erfahrungen aus der Migration und der Community schaffen die Basis für eine kosmopolitische und weltbürgerschaftspolitische Partizipation, die über die deutschen Grenzen hinausgeht.
9.2.4
Verlaufsprozesse von sozialen Zugehörigkeiten
Auch beim Aspekt der sozialen Zugehörigkeiten sind die bisher genannten Entwicklungsphasen spürbar. Diese fallen mit unterschiedlichen Formen der Zugehörigkeiten zusammen. Es wurde festgestellt, dass die Wahrnehmungen von Zugehörigkeiten sich je nach Umgebung und Kontexten ändern. Die soziale Zugehörigkeit ist also nicht gleich auf den verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen. Auf diese Weise unterscheidet sich die Zugehörigkeit auf lokaler und nachbarschaftlicher Ebene (Stadtbürgerschaft) in vielerlei Hinsicht von der Zugehörigkeit auf der mittleren gesellschaftlichen oder der gesamtgesellschaftlichen Ebene (Staatsbürgerschaft). In der Phase der Konfusion fühlten sich die interviewten Personen von der Gesellschaft, auch auf lokaler Ebene, generell ausgeschlossen. Dieses Ablehnungsgefühl hat dazu geführt, dass einige Betroffene beim Versuch, eine Orientierung zu finden, ihr Zugehörigkeitsgefühl zu den Communitys ähnlich aussehender Menschen entwickelten. Die formale Anerkennung durch eine Aufenthaltserlaubnis hat bei den Befragten des Samplings die Wahrnehmung vermittelt, dass sie zur Nachbarschaft gehören können. In einigen Fällen hat sie auch eine Tür zum Kampf für die Akzeptanz und die Zugehörigkeit in der deutschen Gesellschaft geöffnet. In der Orientierungsphase entwickelte sich, zusätzlich zu Familien- und Freundeskreisen, langsam eine Zugehörigkeitswahrnehmung in Nachbarschaften und in
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lokalen Initiativen. Diese Wahrnehmung entwickelte sich in der Stabilisierungsund Konsolidierungsphase weiter. In diesen Phasen kam auch die Arbeitsstelle ins Spiel und die Bekanntenkreise vergrößerten sich. Die soziale Zugehörigkeit konsolidierte sich in dieser Phase auf dieser lokalen Ebene. Diese konkretisiert sich auch im Alltagsleben. Die Befragten wirken beispielsweise in Initiativen vor Ort mit; sie und ihre Familien wohnen in den gleichen Stadtvierteln wie die Einheimischen; sie teilen das Alltagsleben miteinander. In diesen Phasen ging die Zugehörigkeitswahrnehmung zur afrikanischen Community manchmal hin und her. In der Attestierungsphase kam der Antrag auf die deutsche Staatsbürgerschaft. Die Kandidaten und Kandidatinnen für die deutsche Staatsbürgerschaft fühlten sich zur Gesellschaft zugehörig oder stellten fest, dass sich ihr Leben nach Deutschland verlagert hatte. Nach der Einbürgerung wurde dieses Gefühl aber in vielerlei Hinsicht durch Erfahrungen mit Diskriminierungen und Ungleichbehandlungen insbesondere auf der mittleren Ebene der Gesellschaft vermindert. Diese Verminderung wird auch vom Fremdbild auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene verstärkt. In diesem Kontext bot die afrikanische Community wieder ein Sprungbrett oder einen Rückzugsraum an. Dieser Raum unterscheidet sich aber sehr von dem der Konfusionsphase. Das heißt, dieses Mal schließen sich die Betroffenen der Community mit einem anderen Habitus an. Sie wollen kosmopolitisch und auch transnational handeln. Es ist allgemein festzustellen, dass diejenigen, denen es sozio-ökonomisch und beruflich gut geht, ein positives Zugehörigkeitsgefühl auch auf der mittleren Ebene der Gesellschaft haben im Gegensatz zu denjenigen, die immer noch eine berufliche Instabilität erleben. Die Wahrnehmung der Nicht-Zugehörigkeit entsteht oder wird verstärkt, wenn die Betroffenen die Erfahrung machen, dass sie nicht gleichbehandelt werden oder dass sie Opfer von Erniedrigungen und rassistischen Diskriminierungen sind. Auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene spielt die sozioökonomische Situation aber kaum eine Rolle. Bei den Befragten des Samplings lässt sich ein generalisierter Zweifel an einer völligen sozialen Zugehörigkeit beobachten. Die nicht vorhandene Zugehörigkeit auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene wird in unterschiedlichen Maßen und Weisen durch Zugehörigkeiten auf transnationaler Ebene ausgeglichen.
9.3.
Gesamtfazit: Sich positiv entwickelnde, aber noch defizitäre Staatsbürgerschaft
Über die Einbürgerung erhielten Deutsche subsahara-afrikanischer Herkunft einen formal-rechtlichen Status der deutschen Staatsbürgerschaft. Die formale Staatsbürgerschaft führt jedoch nicht immer zu einer uneingeschränkten Realisierung der Staatsbürgerschaft. In vielerlei Hinsicht trifft eine Staatsbürgerschaft mit
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Defiziten auf die Schwarzen Deutschen zu. Defizitäre Staatsbürgerschaft bedeutet nicht nur, dass bei Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern ihre Anschlusschancen auf den deutschen Märkten durch symbolische Herrschaft eingeschränkt sind, sondern auch, dass der Staat es noch nicht geschafft hat, diese Einschränkungen bzw. Defizite zu behandeln oder zu beseitigen. Die defizitäre Staatsbürgerschaft könnte zu Defiziten der Gesellschaft bzw. des Staats führen. Sie könnte eine Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sein. Deswegen muss der Staat dafür sorgen, dass aus der defizitären Staatbürgerschaft eine völlige Staatsbürgerschaft entwickelt wird. Die Einbürgerung verändert kaum ihre sozio-ökonomische Situation, gesellschaftspolitische Partizipation und sozialen Zugehörigkeiten. Auch mit der deutschen Staatsbürgerschaft erleben sie weiterhin Diskriminierungen auf Basis ihrer Hautfarbe und ihrer afrikanischen Herkunft. Diese Situation stelle ich mit der folgenden Abbildung1 dar:
Abb. 2: Staatsbürgerschaft: Zentrum und Peripherien
Quelle: Eigene Darstellung
1
Bei dieser Abbildung habe ich mich von Überlegungen von Deimann (2012: 110) bezüglich der Exklusion der Migrantinnen und Migranten inspirieren lassen. Deimann bezieht sich auf den Autor Castel (2000; 2008) und bildet folgende sechs Typen der Exklusion bzw. Inklusion ab: totale Exklusion, räumliche Exklusion, Statusexklusion, Marginalisierung, Peripherie und Zentrum.
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Diese Abbildung ist so zu interpretieren: Der formale Zugang zur Staatsbürgerschaft bei den Befragten des vorliegenden Samplings eröffnet sich durch die Einbürgerung. Damit werden die Eingebürgerten unter formal-rechtlichen Gesichtspunkten Vollmitglieder des Staates. Die Staatsbürgerinnen und Staatsbürger gehören insgesamt zu unterschiedlichen sozialen Schichten, die an ihrer sozio-ökonomischen Lage, gesellschaftspolitischen Partizipation und an ihren sozialen Zugehörigkeiten zu erkennen sind bzw. die sich u.a. dadurch unterscheiden. Durch ihre Einbürgerung werden nicht unbedingt die soziale Zugehörigkeit, die Gleichbehandlung, die gesellschaftliche Teilhabe und die sozio-ökonomische Sicherheit erreicht. Der formale Zugang zur deutschen Staatsbürgerschaft bedeutet nicht die völlige Eingliederung in die neue Gesellschaft. Er bedeutet auch nicht unbedingt eine Akzeptanz und Gleichstellung in der Gesellschaft. Die Einbürgerung löscht beispielsweise nicht das vorherrschende pauschale Fremdbild über Schwarze Menschen aus. Die neuen Bürgerinnen und Bürger zählen zu den Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern, aber landen an den Peripherien der Gesellschaft, wenn es um die faktische Realisierung der Staatsbürgerschaft geht. An ihrer Gleichbehandlung und diskriminierungsfreien gesellschaftlichen Teilhabe muss weitergearbeitet werden.
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287
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Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
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Annexe
Annex 1: Einbürgerungen in Deutschland von 1981 bis 2017 Einbürgerungen von Ausländern (inkl. Veränderungsrate): Deutschland, Jahre Einbürgerungsstatistik Deutschland Einbürgerungen von Ausländern
Veränderungsrate zum Vorjahr
Anzahl
Prozent
1981
35 878
0,0
1982
39 280
9,5
1983
39 485
0,5
1984
38 046
-3,6
Jahr
1985
34 913
-8,2
1986
36 646
5,0
1987
37 810
3,2
1988
46 783
23,7
1989
68 526
46,5
1990
101 377
47,9
1991
141 630
39,7
1992
179 904
27,0
1993
199 443
10,9
1994
259 170
29,9
1995
313 606
21,0
1996
302 830
-3,4
1997
278 662
-8,0
1998
291 331
4,5
1999
248 206
-14,8
290
Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
2000
186 672
-24,8
2001
178 098
-4,6
2002
154 547
-13,2
2003
140 731
-8,9
2004
127 153
-9,6
2005
117 241
-7,8
2006
124 566
6,2
2007
113 030
-9,3
2008
94 474
-16,4
2009
96 122
1,7
2010
101 570
5,7
2011
106 897
5,2
2012
112 348
5,1
2013
112 353
0,0
2014
108 422
-3,5
2015
107 317
-1,0
2016
110 383
2,9
2017
112 211
1,7
© Statistisches Bundesamt (Destatis), 2018 | Stand: 25.06.2018/08:58:18 Bis 1990: Einbürgerungen im früheren Bundesgebiet Bis 31.07.1999: einschließlich Spätaussiedler
Herr Kodjo
Frau Milla
Herr Kanambe
Herr Bagbo
Frau Murube
Herr Buyoya
Frau Fatou
Frau Zuma
1
2
3
4
5
6
7
8
Anonymisierte Namen
Asyl
Familie/Arbeit
Asyl
Asyl
Asyl
Studium
Studium
Arbeit/ Weiterbildung
Grund der Migration
2000
2002
1994
1997
1995
1964
2000
1995
Ankunft in Deutschland
Annex 2: Liste der Interviewpartnerinnen bzw. Interviewpartner
2014
2006
2006
2005
2005
1987
2015
2007
Einbürgerung
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Arbeitslos
Abitur (vergleichbar) im Herkunftsland/Ausbildung zur Kosmetikerin im Herkunftsland Master in Linguistik im Herkunftsland
Arbeiter
Arbeitslos
Arbeiter
Rentner/Ehrenamtliche Tätigkeiten
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Arbeitslos
Beschäftigungsverhältnis zur Zeit des Interviews
Abitur (vergleichbar) im Herkunftsland
Bachelor in Sozialpädagogik in Deutschland
Abitur (vergleichbar) im Herkunftsland/Studium ohne Abschluss im Herkunftsland
Abitur (vergleichbar) im Herkunftsland/Ausbildung zum Programmierer in Deutschland
Diplom-Ingenieurin in Naturwissenschaften in Deutschland
Master in Kunst im Transitland
Abschluss und Ort des Abschlusses
Annexe 291
Herr Kwame
Herr Diouf
Herr Zenawi
Frau Foé
Herr Dos Santos
Herr Nkurumah
Herr Gnassimbe
Frau Engamba
Herr Oyono
10
11
12
13
14
15
16
17
Studium
Arbeit
Asyl
Familie/Asyl
Studium
Studium
Familie
Studium
Studium/ Arbeit/ Familie
2000
2004
1997
2005
1986
2003
1980
1994
1983
2011
2015
2009
2012
2005
2012
1990
2000
2001
Diplom in BWL in Deutschland
Master in Linguistik im Herkunftsland
Arbeitslos
Angestellte Migrationsberaterin
Lager-Arbeiter
Ehrenamtliche Tätigkeiten
Diplom-Pharmakologe im Herkunftsland Diplom-Architekt im Herkunftsland
Angestellter Migrationsberater
Angestellte Migrationsberaterin
Bachelor in Soziale Arbeit in Deutschland Diplom Sportwissenschaft/Ausbildung zum Erzieher in Deutschland
Krankenpfleger
Arbeitslos
Abitur (vergleichbar) im Herkunftsland/Studium ohne Abschluss in Deutschland Diplom-Ingenieur in Deutschland/Ausbildung zum Krankenpfleger in Deutschland
Geschäftsführer einer Firma
Diplom im Transland/Promotion in Naturwissenschaften in Deutschland
9
292 Staatsbürgerschaft – wie werden aus Schwarzen Deutsche?
Annexe
Annex 3: Richtlinien der Transkription der Interviews Folgende Richtlinien1 gelten für die Transkription von Interviews: (3) Anzahl der Sekunden, die eine Pause dauert. . stark sinkende Intonation. schwach steigende Intonation , Verweig- Abbruch eines Wortes Viellei:::cht Dehnung, die Häufigkeit von ::: entspricht der Länge der Dehnung (Vielleicht) Unsicherheit bei der Transkription unverständliche Äußerung, je nach Länge ( ) //mmh// Hörersignal des Interviewers @Vielleicht@ lachend gesprochen °Vielleicht sehr leise gesprochen
1
Vgl. Bohnsack 2003: 235.
293
Soziologie Naika Foroutan
Die postmigrantische Gesellschaft Ein Versprechen der pluralen Demokratie 2019, 280 S., kart., 18 SW-Abbildungen 19,99 € (DE), 978-3-8376-4263-6 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4263-0 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4263-6
Maria Björkman (Hg.)
Der Mann und die Prostata Kulturelle, medizinische und gesellschaftliche Perspektiven 2019, 162 S., kart., 10 SW-Abbildungen 19,99 € (DE), 978-3-8376-4866-9 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4866-3
Franz Schultheis
Unternehmen Bourdieu Ein Erfahrungsbericht 2019, 106 S., kart. 14,99 € (DE), 978-3-8376-4786-0 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4786-4 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4786-0
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Soziologie Sybille Bauriedl, Anke Strüver (Hg.)
Smart City – Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten
2018, 364 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-4336-7 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4336-1 EPUB: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4336-7
Weert Canzler, Andreas Knie, Lisa Ruhrort, Christian Scherf
Erloschene Liebe? Das Auto in der Verkehrswende Soziologische Deutungen 2018, 174 S., kart. 19,99 € (DE), 978-3-8376-4568-2 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4568-6 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4568-2
Juliane Karakayali, Bernd Kasparek (Hg.)
movements. Journal for Critical Migration and Border Regime Studies Jg. 4, Heft 2/2018 2019, 246 S., kart. 24,99 € (DE), 978-3-8376-4474-6
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de