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German Pages 411 Year 2006
Göttinger Forum für Altertumswissenschaft Beihefte Band 20 herausgegeben von Siegmar Döpp und Jan Radicke
Christian Flügel Spätantike Arztinschriften als Spiegel des Einflusses des Christentums auf die Medizin
Inh. Dr. Reinhilde Ruprecht e.K.
Mit 1 Tabelle und 1 Diagramm Der Umschlag zeigt einen Ausschnitt der Inschrift der Scantia Redempta
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
© Duehrkohp & Radicke Wissenschaftliche Publikationen Göttingen - 2006 und
Edition Ruprecht, Inh. Dr. R. Ruprecht e.K., Postfach 1716, 37007 Göttingen - 2006 www.edition-ruprecht.de
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urhebergesetzes bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Verlags. Diese ist auch erforderlich bei einer Nutzung für Lehrund Unterrichtszwecke nach § 52a UrhG. Satz: Christian Flügel ISBN-13: 978-3-89744-258-0 ISBN-10: 3-89744-258-2
Für meine Kinder Simon, Tobias und Rabea
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2005 von der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation für das Fach „Geschichte der Medizin“ angenommen. Das Thema der Arbeit ist zwischen den Fachgebieten „Klassische Philologie“, „Alte Kirchengeschichte“ und „Antike Medizingeschichte“ anzusiedeln. Für die Veröffentlichung im „Göttinger Forum für Altertumswissenschaft“ wurden nur geringe Änderungen vorgenommen. Die Arbeit wurde betreut vom Medizinhistoriker Christian Schulze, dessen eigener Forschungsschwerpunkt „Medizin und Christentum“ in der Spätantike ist. In seiner Habilitationsschrift leistet er – unter einer anderen Fragestellung – eine Auflistung aller bekannten christlichen Arztinschriften der Spätantike. Seine Prosopographie von über 100 Inschriften stellt das Ausgangsmaterial der vorliegenden Untersuchung dar. Für die hervorragende Betreuung meiner eigenen Arbeit möchte ich Herrn PD Dr. Christian Schulze meinen besonderen Dank aussprechen. Er hat diese Arbeit in jeder Phase ihrer Entstehung mit großem Interesse und Engagement sowie mit konstruktiver Kritik begleitet. Darüber hinaus bedanke ich mich bei Frau Elisabeth Urowski von der Bochumer Universitätsbibliothek sowie bei Herrn Dr. Norbert Friedrich von der Fliedner-Kulturstiftung in Kaiserswerth für die Unterstützung bei der Literaturrecherche. Hattingen/Ruhr, den 24.05.2006 Christian Flügel
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis Einleitung: • Einführung in das Thema 1. Ausgangssituation: vorchristliche heilreligiöse Konzepte 2. Heil und Heilung im Urchristentum 3. Das Christus-medicus-Motiv • Unterschiedliche zeitliche und geografische Entwicklungsstränge • Methodik und Problematik • Quellenlage und Forschungsstand • Zentrale Fragestellung • Gliederung: 1. Zeitliche Gliederung Ausbreitungsphase des Christentums Phase der Christenverfolgungen Konstantinische Wende ab 312 2. Örtliche Gliederung Ägypten Nordafrika Syrien Rom • Formalia • Quellenangabe
Seite 15 Seite 19 Seite 30 Seite Seite Seite Seite
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Seite 53 Seite 54 Seite 55 Seite Seite Seite Seite Seite Seite
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Inhaltsverzeichnis Kapitel 1: Kirchliche Sexualmoral und Arztberuf Das Beispiel d. christlichen Ärztin Scantia Redempta Seite 63 • Zeitliche und örtliche Einordnung der Fundstelle Seite 88 • Quellenangabe Seite 99 Kapitel 2: Kirchliches Frauenbild und Ärztinnenberuf Das Beispiel der Diakonissen und der Ärztin Amazone Seite 101 • Zeitliche und örtliche Einordnung der Fundstelle Seite 110 • Quellenangabe Seite 121 Kapitel 3: Das Gebot der Nächstenliebe und der Arztberuf Das Beispiel des Leviten Dionysius Seite 123 • Zeitliche und örtliche Einordnung der Fundstelle Seite 135 • Quellenangabe Seite 154 Kapitel 4: Die kirchlichen Ämter und der Arztberuf Auswirkungen der Institutionalisierung und Hierarchisierung am Beispiel der Diakone Seite 155 • Quellenangabe Seite 181 Kapitel 5: Seelsorge und Arztberuf Herausbildung einer „Seelenmedizin“ am Beispiel der Geistlichen-Ärzte • Quellenangabe
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Seite 183 Seite 208
Inhaltsverzeichnis Kapitel 6: Religiöse Überzeugungen und Ärzteschulen Die Präferenz einzelner Medizinschulen christl. Ärzte Seite 209 • Quellenangabe Seite 235 Kapitel 7: Christlicher Lebensschutz und Schwangerschafts-, Geburts- und Kindermedizin Prä- u. postnatale Medizin am Beispiel der ärztlichen Hebamme Stephanis • Quellenangabe
Seite 237 Seite 264
Kapitel 8: Auferstehungsglauben und Iatrotheologie Auswirkungen christlicher Passions- und Jenseinsvorstellungen auf die Medizin Seite 265 • Quellenangabe Seite 305 Zusammenfassung und Diskussion: • Vorgehensweise und Resümee • Zusammenfassung der einzelnen Kapitel: 1. Kirchliche Sexualmoral und Arztberuf 2. Kirchliches Frauenbild und Ärztinnenberuf 3. Gebot der Nächstenliebe und Arztberuf 4. Die kirchlichen Ämter und der Arztberuf 5. Seelsorge und Arztberuf 6. Religiöse Überzeugungen und Ärzteschulen 7. Christlicher Lebensschutz u. Schwangerschafts-, Geburts- und Kindermedizin 8. Auferstehungsglaube und Iatrotheologie
Seite 307 Seite 316 Seite 318 Seite 320 Seite 322 Seite 324 Seite 325 Seite 328 Seite 330 11
Inhaltsverzeichnis
• Zeitliche und örtliche Einordnung der Funde 1. Zeitliche Analyse der Inschriften Sehr frühe Phase der Ausbreitung des Christentums Phase der Christenverfolgungen zwischen 249-310 unter Decius bis Diocletian Konstantinische Wende ab 312 2. Örtliche Analyse der Inschriften Kleinasien Ägypten Nordafrika Rom • Bewertung der Befunde • Schlussbetrachtungen • Quellenangabe Literaturverzeichnis: • Quellen • Sekundärliteratur Autoren Zeitschriften, Reihen und Lexika
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Seite 332 Seite 337 Seite 340 Seite 341 Seite 344 Seite 347 Seite 348 Seite 353 Seite 363 Seite 368 Seite 369
Seite 370 Seite 374 Seite 385
Inhaltsverzeichnis Anhang: • Abkürzungsverzeichnis • Alphabethisches Verzeichnis der Inschriften • Personenregister Glossar antiker und mittelalterlicher Personen Autoren und Personen der Neuzeit • Sachregister
Seite 386 Seite 390 Seite 393 Seite 405 Seite 407
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Einleitung
Einleitung Einführung in das Thema: 1. Ausgangssituation: vorchristliche heilreligiöse Konzepte In der Antike greifen religiöse und heilkundliche Vorstellungen ineinander. Dieser Zusammenhang umfasst die theoretische Ebene theologischer und medizinischer Konstrukte ebenso wie den praktischen Bereich von Kult und Therapie. In der ägyptischen Medizin etwa ist eine „Koexistenz empirisch-rationaler und theurgisch-dämonischer Elemente“ zu beobachten, wie der Medizinhistoriker Wolfgang Eckart ausführt.1 Ärztliches Handeln umfasst religiöse Praktiken. Eckart beschreibt neben dem „Priesterheiler, der sich eng an den jeweiligen Heilsgottheiten orientiert, … den empirisch-rational arbeitenden Arzt, der sich wesentlich auf die somatischen Gegebenheiten konzentriert, aber wohl kaum völlig frei von magischem Denken ist.“1 Ärztliches Tun ist in diesem Sinne auf die jeweiligen Heilsgottheiten ausgerichtet. Der katholische Theologe Michael Dörnemann legt darüber hinaus dar, „dass der ‚Arzt’-Titel mehrfach auf Gottheiten übertragen wurde und über viele Jahrhunderte an Popularität gewann.“2 Er nennt für den ägyptischen Raum vor allem den Amon-Kult des siebten vorchristlichen Jahrhunderts, später bis in die römische Kaiserzeit hinein die Orientierung an den Heilgottheiten Isis, Osiris und anderen.3
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Einleitung In den antiken Kulturen werden einerseits Gottheiten als „Ärzte“ tituliert, andererseits ist das umgekehrte Phänomen zu bemerken, dass heilerfolgreiche Ärzte als Götter angesehen und verehrt werden, so „die von Heilheroen zu Heilgöttern gewordenen Imhotep/Imoutes und Amenhotep“ (Dörnemann3). Der Imhotep-Kult gilt auch als Traditionslinie zur griechisch-hellenistischen Medizin: „Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass zwischen dem ägyptischen Imhotep-Heilkult und dem späteren Asklepios-Heilkult eine gewisse historische Kontinuität bestand. Der historisch belegte Priesterarzt Imhotep (etwa 2600 v.Chr.) avancierte nämlich um das 7. bis 5. vorchristliche Jahrhundert selbst zu einem Heilgott und zum Kristallisationspunkt eines besonderen Heilkultes im späten Ägypten. Tempelmedizin und heilsame Inkubation (Schlafheilung) waren Elemente dieses ägyptischen Kultes.“, führt Eckart wesentliche Eckpunkte des hellenistischen Asklepioskultes in Verbindung zu Imhotep auf.4 Die antike hellenistische Medizin erfährt im vierten vorchristlichen Jahrhundert einen grundlegenden Wandel und eine wissenschaftliche Ausrichtung durch das Werk des Hippokrates von Kos. Durch genaue Krankenbeobachtung und Beachtung der Krankengeschichte unter Berücksichtigung der individuellen Aspekte seiner Lebensführung wechselt die primäre Perspektive des Arztes von der Heilgottheit hin zum Patienten. Insbesondere die schriftlichen Aufzeichnungen der medizinischen Erfahrung durch die hippokratische Schule und ihre Sammlung legt das Fundament für ein wissenschaftliches Betreiben der Medizin. Im Corpus Hip16
Einleitung pocraticum sind mehr als 60 Texte zusammengefasst, die außer von Hippokrates selbst von unterschiedlichen Vertretern seiner Schule im Zeitraum von 400 v.Chr. bis 100 n.Chr. verfasst worden sind. Auf der Grundlage der vorsokratischen griechischen Philosophen wie Herakleitos von Ephesos und Empedokles entwickelt Hippokrates das prinzipielle Krankheits- und Gesundheitskonzept der Eu- bzw. Dyskrasie, also der ausgeglichenen, harmonischen Mischung der Körpersäfte oder deren pathogenes Ungleichgewicht. Diese „Humoralpathologie“ wird dann etwa ein halbes Jahrtausend später von Galen voll ausgebildet. Trotz Hippokrates` Vorstoß zugunsten einer rational-empirischen Medizin bedeutet dies nicht das Ende anderer Heilmethoden: „Das im Corpus Hippocraticum repräsentierte Medizinkonzept war wahrscheinlich nicht das einzige in der langen Entstehungszeit der ihm zugerechneten Texte. Eine Reihe kleinerer und größerer Schulen bestimmte neben ihm das durchaus bunte und vielfältige Bild der antiken Medizin.“, betont Eckart.5 Insbesondere verschwinden theurgisch-dämonische Vorstellungen nicht aus der antiken Medizin. So existieren beispielsweise die Äskulap-Heilbetriebe fort, sie verfügen sogar über eine ungebrochene Infrastruktur.6 Im ersten nachchristlichen Jahrhundert erfährt die magisch-dämonische Medizin eine Renaissance, wie Kudlien berichtet: „Im 1. Jahrhundert n.Chr. ist ein neuer ungehemmter ‚orientalischer’ Einbruch in den Medikamentenschatz der griechisch-römischen Medizin zu konstatieren (z.B. Edelsteine, Amulette, Menstruationsblut usw.). Hier fehlt jedes Kon17
Einleitung zept außer dem einer naiven Gläubigkeit.“7 Kudliens Begriff der „Gläubigkeit“ weist daraufhin, dass auch nach dem Aufkommen einer „wissenschaftlichen“ Medizin im Sinne des Corpus Hippocraticum religiöse Vorstellungen tief im antiken Menschen verankert bleiben, die er trotz rational-empirischer Methoden nicht ablegt. Dörnemann führt demgemäß über das Verhältnis der hippokratischen zur theurgischen Medizin aus: „Die Kritik des Hippokrates besagt aber nicht, dass generell ab dem 5. Jahrhundert v.Chr. Heilkult und Heilkunst in Konkurrenz zueinander standen. … Es gab auch nach der Zeit des Hippokrates Beziehungen zwischen den vor allem griechisch gebildeten medizinischen Wissenschaftlern und den Priestern, die an den Heilstätten der Götter (z.B. des Asklepios und der Isis) tätig waren. Manchmal waren Arzt und Priester identisch.“8
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Einleitung 2. Heil und Heilung im Urchristentum In dieses religiös-kulturelle Umfeld der antiken Medizin bricht um die Zeitenwende in Form des Christentums eine „neue Religion“ hinein, die ihren Ursprung im jüdischen Kontext Palästinas hat. Die Ausbreitung des Christentums innerhalb weniger Jahrhunderte im gesamten Gebiet des römischen Weltreiches „ist im Laufe der Geschichte in einem religionsgeschichtlich singulären Ausmaß realisiert worden“, urteilt der katholische Kirchenhistoriker Norbert Brox.9 Er betont, dass sich die rasante Ausdehnung des Christentums schon in den ersten Jahrzehnten nach der Kreuzigung Jesu vollzieht und noch im ersten nachchristlichen Jahrhundert aus dem jüdischen Kulturbereich in die römisch-hellenistische Welt hineingetragen wird: „Schon in den ersten Jahrzehnten seiner Entstehung hat sich das Christentum ganz erstaunlich rasch ausgebreitet. Binnen kurzer Zeit war es in Palästina, Syrien, Kleinasien, Cypern, Griechenland, Ägypten und Rom, ohne dass für alle Gegenden bekannt wäre, wer das Christentum dorthin brachte.“10 Religions- und kulturgeschichtlich ist von besonderer Bedeutung, dass das Christentum durch die hellenistischen ehemaligen Diasporajuden der Jerusalemer Gemeinde in andere Kulturkreise transferiert wird. Die so genannten „Hellenisten“ der Urgemeinde geraten in Auseinandersetzungen mit dem jüdisch-kulturellen Umfeld und müssen Palästina im Unterschied zu den dort geduldeten hebräischen Judenchristen verlassen (vgl. Apg 7, Steinigung des hellenistischen „Diakons“ Stephanus). In der Auseinandersetzung 19
Einleitung um die Notwendigkeit der Annahme des jüdischen Gesetzes zur Aufnahme in die christliche Gemeinschaft (Unterwerfung unter das mosaische Gesetz, insbesondere hinsichtlich der geforderten Beschneidung) setzen sich die „Heidenchristen“ durch, die wie Paulus die „Freiheit vom jüdischen Gesetz“ vertreten, so dass den Konvertiten zum Christentum keine bzw. nur wenige Auflagen gemacht werden (vgl. Apg 15, so genanntes „Apostelkonzil“ sowie Gal 2).I Die Ausbreitung des Christentums außerhalb Palästinas bedeutet nicht nur den inhaltlichen Transfer des religiösen Inhaltes des Christentums in eine andere Kultur, sondern auch dessen Anpassung an die jeweiligen Umfelder. Brox spricht darum von der „Transformation in neue Umgebungen und Kulturräume“.10 Dieser Akt der Transformation kennzeichnet einen wechselseitigen Vorgang; einerseits tragen die heidenchristlichen frühen Missionare den Glauben an den auferstandenen Sohn Gottes in außerDie Apostelgeschichte führt nur vier Auflagen aus dem mosaischen Gesetz für Beitrittswillige zum Christentum an, nämlich: Enthaltung von Götzendienst, von Unzucht, vom Genuss von Blut sowie von nicht ausgeblutetem Fleisch (vgl. Apg 15, 20). Aus dem Verbot des Blutgenusses wird wenige Jahrzehnte später das Verbot des Blutvergießens, also von Kapitalverbrechen wie Mord. Hieraus leitet sich auch der Ausschluss von Soldaten aus dem Katechumenat ab, denn der Militärdienst wird wegen des Blutvergießens (sowie der Weigerung zur Leistung des Fahneneides) für Christen abgelehnt. Im Gegensatz zur Schilderung der Apostelgeschichte schreibt Paulus im Galaterbrief über die Entscheidungen des Apostelkonzils jedoch: „Aber auch von denen, die Ansehen genießen – was sie früher waren, kümmert mich nicht, Gott schaut nicht auf die Person –, auch von den ‚Angesehenen’ wurde mir nichts auferlegt.“ (Gal 2, 6). I
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Einleitung palästinische Kulturräume, andererseits nimmt das Christentum von Beginn an Elemente anderer Gesellschaften, Weltanschauungen und Religionen in den eigenen Vorstellungsbereich auf. Brox konstatiert: „So ist das Christentum von Anfang an eine synkretistische (‚vermischte’) Religion gewesen, das heißt, von religionsund kulturgeschichtlichen Einflüssen nichtchristlicher Provenienz mitgeprägt und mitgebildet. Aus zwei Bereichen hauptsächlich kamen diese Einflüsse, die miteinander die unmittelbare Umwelt des Frühchristentums ausmachten, nämlich aus dem hellenistischen Judentum und aus der heidnischen römisch-hellenistischen Welt. Sie haben das Christentum maßgeblich mitgeprägt.“11 Die Begegnung der klassischen jüdisch-orientalischen Tradition mit der hellenistischen Kultur hat schon vor der Entstehung des Christentums massive innerjüdische Konflikte heraufbeschworen, die ihren Niederschlag im Hinblick auf das Verständnis von Heilung und Krankheit auch auf semantischer Ebene gefunden haben. Dörnemann fasst die Bedeutung des Heilens im jüdischen Verständnis der Tora wie folgt zusammen: „Das Verb apr hat eine vielseitige Bedeutung und kann sowohl das Wiederherstellen und Heilen von körperlich kranken Individuen beschreiben als auch, metaphorisch gesprochen, das Gesunden des ‚kranken’ Volkes Israel durch JHWH verdeutlichen.“12 Im hellenistisch-jüdischen Kontext erfährt die weite Wortbedeutung von apr eine Einengung auf die medizinische Komponente des Begriffs. Im vierten vorchristlichen Jahrhundert wird im ägyptischen Alexandria die jüdische Bibel ins Griechische übersetzt (der Legende nach von 72 21
Einleitung Gelehrten), wahrscheinlich zunächst nur die Tora selbst, später folgen weitere Bücher, die größtenteils in den jüdischen Bibelkanon aufgenommen werden. Die Septuaginta (LXX) interpretiert das hebräische Verb des Ganz- und Einheitlichwerdens des Einzelnen und des Volkes mit JHWH im hellenistischen Verständnis von „gesund machen“; Dörnemann betont diese semantische Einengung: „Die LXX übersetzt die umfassende Bedeutung von apr mit iva/sqai.“13 In den frühen schriftlichen Zeugnissen des Christentums findet dieser therapeutische ivas/ qai-Begriff seinen Widerhall. Der Titel des Arztes ist in den neutestamentlichen Schriften in aller Regel positiv besetzt. (Eine Ausnahme bildet die Erzählung von der Auferweckung der Tochter des Jaïrus im Markusevangelium, wo es heißt: „Sie war von vielen Ärzten behandelt worden und hatte dabei sehr zu leiden; ihr ganzes Vermögen hatte sie ausgegeben, aber es hatte ihr nichts genutzt, sondern ihr Zustand war immer schlimmer geworden.“ [Mk 5, 26]). Besonders im Lukasevangelium wird der Aspekt des Heilens Jesu positiv herausgestellt. Der Neutestamentler Walter Kirchschläger stellt daher heraus: „Lukas stellt Jesus als einen menschenfreundlichen, gütigen, sich erbarmenden Messias dar: Die Lehrtätigkeit Jesu wird hervorgehoben; Jesu heilendes Wirken wird gegenüber den anderen Evangelien besonders betont (vgl. 5,17b; 7,13; 22,51). Jesus kommt zu den Armen, zu den Sünderinnen und Sündern, er ist der Heiland, der sich aller Menschen erbarmt“.14
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Einleitung Lukas hat sein Doppelwerk nach der Konsolidierung der ersten christlichen Gemeinden etwa 80-90 n.Chr. verfasst. Im Mittelpunkt seines Interesses steht nicht mehr die unmittelbare eschatologische Erwartung der Wiederkunft Christi und des Weltgerichtes, sondern die soteriologische Dimension des Christusglaubens als Menschwerdung, Lehre und Auferstehung des Sohnes Gottes. Die exegetische Forschung vermutet in Lukas wegen seiner literarischen Ausgestaltung einen heidenchristlichen Autor. Seine Herausstellung der heilenden Tätigkeiten und Fähigkeiten Jesu unterstützt schon früh die Vorstellung, Lukas sei selbst Arzt gewesen. „Die gleiche Überlegung ist auch gegenüber der bereits im Muratorischen FragmentII enthaltenen Annahme, Lukas sei Arzt gewesen, zu berücksichtigen. Diese Überlieferung bezieht die entsprechende Notiz in Kol 4,14 (‚Auch der Arzt Lukas, unser lieber Freund, und Demas grüßen euch.’) auf den Evangelisten. Auch hinsichtlich der feststellbaren Sachkenntnis in medizinischen Belangen ist jedoch eher der Rückschluss auf die schriftstellerische Kompetenz des Lukas als auf seinen Beruf zutreffend.“, legt Kirchschläger dar.14 Annette Weissenrieder geht im 9. Kapitel ihrer Untersuchung „Images of Illness in the Gospel of Als „Muratorisches Fragment“ wird ein Dokument bezeichnet, das LUDOANTONIO MURATORI 1740 in Mailand entdeckte und das eine bereits im zweiten nachchristlichen Jahrhundert entstandene schriftliche Zusammenstellung neutestamentlicher Schriften enthält, die als authentisch und unverfälscht durch „Häresien“ (v.a. durch die Gnosis) angesehen wurden. Im dritten Jahrhundert ergänzte ATHANASIUS VON ALEXANDRIEN diese Liste zum vollständigen Kanon der Schriften des Neuen Testamentes, der im 4.Jahrhundert von nordafrikanischen Synoden in Hippo und Karthago offiziell bestätigt wurde. II
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Einleitung Luke“ ebenfalls dieser Frage nach: „Ever since the days of the early church, the question about ‚Luke, the physician’ has been the focal point of interest, underlying alternate motivation and various objections. This chapter will therefore attempt to trace important trends in research in order to qualify the procedure represented in the analysis of this book more precisely.”15 Weissenrieder zeichnet die Forschungsarbeit zu dieser Frage nach und kommt zu dem Fazit: „One thing, we can say with certainty: The author of the Gospel of Saint Luke had some knowledge of ancient medicine.”16 Sie untersucht die Lukanischen Sprachbilder über Krankheit; in der Apostelgeschichte wird exemplarisch das 28. Kapitel unter diesem Aspekt betrachtet (Paulus auf Malta). Um eine Aussage darüber treffen zu können, ob die medizinischen Kenntnisse des Verfassers notwendigerweise auf dessen eigene Berufsausbildung als Arzt zurückgeführt werden müssten oder ob dieses Wissen auch durch die Allgemeinbildung eines gelehrten Zeitgenossen erklärt werden könne, unternimmt Weissenrieder einen Vergleich mit den medizinischen Aussagen bei Philo von Alexandria. Abschließend urteilt sie: „ Whether or not they may therefore be considered as ancient physicians remains uncertain. …However, one thing is certain: only Luke is said to have worked as a physician in several traditions.”17 In der Apostelgeschichte finden sich tatsächlich Aussagen, die den Vorstellungen der hippokratischen Medizin entsprechen. Humoralpathologische Konzepte von der Dyskrasie der Körpersäfte 24
Einleitung klingen an, wenn Lukas die Mahnung des Apostels Petrus an den samaritanischen Zauberer Simon wiedergibt: „Wende dich von deiner Bosheit ab, und bitte den Herrn; vielleicht wird dir dein Ansinnen vergeben. Denn ich sehe dich voll bitterer Galle und Bosheit.“ (Apg 8, 22-23). An diesem Beispiel lässt sich der Einfluss des antiken, medizinischen Denkens auf die religiösen Vorstellungen des jungen Christentums veranschaulichen. Obwohl keine Quellen darauf verweisen, dass Jesus in irgendeiner Form eine bestimmte medizinische Lehre wie etwa die Säftepathologie vertreten hätte, legt Lukas dem Apostel Petrus fast selbstverständlich eine solche medizinische Sichtweise in den Mund, wonach das Überwiegen des Körpersaftes „bittere Galle“ beim Samariter Simon zu Bosheit und Unaufrichtigkeit führt. Dieses Konzept entspricht schon weit gehend der von Galen wenige Jahrzehnte später aus der Humoralpathologie abgeleiteten Charakterlehre, wonach das Ungleichgewicht der Körpersäfte zugunsten der bitteren (gelben) Galle den Choleriker kennzeichnet. Diesem Persönlichkeitstypen wird analog zum erwähnten Zauberer Simon der Apostelgeschichte „ein aufbrausendes, jähzorniges und heftiges Wesen zugeschrieben“ (Eckart)18. Zugleich bleibt festzuhalten, dass die Schriften, die als „Neues Testament“ zusammengefasst werden, aufgrund ihrer unterschiedlichen Zielgruppen und -setzungen in keinem Fall eine medizinische Intention beinhalten, so dass entsprechende Textstellen lediglich ein indirekter Indikator dafür sein können, inwiefern der Begriff des „Arztes“ eine positive oder negative Konnotation transportieren soll. Dörnemann hält gegenüber solchen Interpretationsversuchen 25
Einleitung fest: „Da das NT nicht an medizinischen Fragen interessiert ist, ist es m.E. problematisch, immer wieder zu versuchen, positive wie negative Einstellungen zur wissenschaftlichen Medizin dort herauszulesen.“19 Das von Brox konstatierte „synkretistische“ Wesen des frühen Christentums zeigt sich im Bezug auf medizinische Vorstellungen darum in Einzelbeispielen an der unkritischen Übernahme paganer Menschen- und Heilsvorstellungen. Vivian Nutton erklärt daher lapidar im Hinblick auf die christliche Vereinbarkeit mit den medizinischen Ansichten des führenden Arztes der Spätantike, Galenos von Pergamon: „There were, at best, different strands of opinion, dependant far more on individual beliefs and experiences than on any scriptual text or ecclesiastical decision. The medicine of Galen and the medicine of Christianity were largely complementary.”20 Dass die inhaltliche Nähe etwa zu Galens Medizinkonzeption im Urchristentum trotz aller Versuche der Abwehr heidnischer Elemente in der frühen Kirche noch Bestand hat, zeigt ein Zitat aus der historia ecclesiastica des Eusebios von Caesarea. Der Kirchenvater berichtet von Christen aus Rom im frühen dritten Jahrhundert, die die heiligen Schriften Gottes im Stich gelassen hätten, um sich stattdessen der Geometrie hinzugeben. Einige hätten unter großer Anstrengung Euklid ermessen, Aristoteles und Theophrast hätten sie bewundert, Galen aber sei vielleicht sogar von einigen angebetet worden: 26
Einleitung
Euvklei,dhj gou/n para, tisin auvtw/n filopo,wj gewmetrei/taià VAristote,lhj de. kai.. Qeo,frastoj qauma,zontai) Galhno.j ga.r i;swj u`po, tinwn kai. proskunei/tai) 21 Dieses Zitat kann nicht als authentischer Beleg dafür betrachtet werden, dass Galen im wahren Wortsinne durch christliche Gläubige vergöttert worden ist. Der Kirchenvater polemisiert offenbar in der Intention, eine nach seinem Ermessen zu weit gehende Begeisterung gegenüber nicht- bzw. vorchristlichen Wissenschaftstraditionen zu brandmarken. Zweifelsfrei kann hingegen von einer positiven Haltung vieler Christen gegenüber hellenistischen Ärzten ausgegangen werden. Inwiefern eine enge Verbundenheit des Christentums mit der vorbestehenden paganen Medizin tatsächlich schon zu Beginn der religiösen Eigenständigkeit besteht, lässt sich nur anhand einiger Indizien hypothetisch beantworten. Die Ausgestaltung der Legende vom Arztberuf des Lukas` im Muratorische Fragment aus dem zweiten christlichen Jahrhundert greift vermutlich auf eine entsprechende mündliche Tradition zurück. Dass zu diesem Zeitpunkt allerdings einem Evangelisten problemlos dieser pagane Beruf zugeschrieben werden kann, ohne dass dies als anstößig oder problematisch herausgestellt wird, lässt eine grundsätzlich positive Einstellung der jungen Kirche gegenüber dem Berufsbild des Arztes vermuten. Die Verknüpfung zwischen religiösen und medizinischen Motiven des frühen Christentums bezieht sich nicht nur auf einen wichti27
Einleitung gen Glaubenszeugen wie den Evangelisten Lukas, sondern auf die zentrale Person dieser Religion selbst, auf Jesus Christus. Die Erlösungsdimension des Christentums beinhaltet prinzipiell die Vorstellung, dass Christus als Sohn Gottes in die Welt gekommen ist, um Heil zu wirken. Sein Erlösungstod wird bereits in der Paulinischen Theologie „zum Heil“ für die Menschen gedeutet: „Christus ist schon zu der Zeit, da wir noch schwach und gottlos waren, für uns gestorben.“ (Röm 5, 6). Die synoptischen Evangelien stellen das Heilswirken Jesu – besonders Lukas – durch zahlreiche Heilungserzählungen heraus: 17 Heilungsberichte bei Markus, 19 bei Matthäus und 20 im Lukasevangelium. Die theologische Absicht dieser Darstellung liegt darin, Jesus als den von Gott eingesetzten Bevollmächtigten zu offenbaren, der für das Heil der Menschen eintritt. Er ruft sie zur Umkehr, d.h. zur Rückbesinnung auf ihre Beziehung zu Gott. Durch diese Neuausrichtung der Menschen auf die Quelle ihres Lebens werden sie heil. Die Übertragung dieser soteriologischen Botschaft in den menschlichen Erfahrungshorizont wird durch konkrete körperliche Heilungen Jesu anschaulich gemacht. Die inhaltliche Bezogenheit von Heilung und Arzt hat die theologische und medizingeschichtliche Forschung um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert veranlasst, ernsthaft danach zu fragen, ob Jesus medizinisch gewirkt habe und ob er also selbst Arzt gewesen sei. Adolf von Harnack schreibt in seinem Werk „Medicinisches aus der ältesten Kirchengeschichte“: „Das Evangelium selbst ist als die Botschaft vom Heiland und von der Heilung in die Welt gekommen. Er wendet
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Einleitung sich an die kranke Menschheit und verspricht ihr Gesundheit. Als Arzt ist Jesus in die Mitte seines Volkes getreten.“22 Im Matthäusevangelium ist die Aussage Jesu über seine eigene Funktion wie folgt überliefert: „Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken.“ (Mt 9, 12). Dieses Zitat dient naturgemäß in den entsprechenden Untersuchungen als Ausgangspunkt für die These, Jesus sei realer Arzt gewesen. Dörnemann stellt demgegenüber in seiner Arbeit dieses wahrscheinlich authentische Jesuswort als ein Sprachbild heraus; es stelle eine „Metapher dar, die seine messianische Sendung zu den sündigen Menschen beschreibt.“23 Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts stellt Karoline Knur als Ergebnis ihrer Untersuchungen zum Arztsein Jesu fest: „er war nicht Arzt im eigentlichen Sinne, er war mehr als das.“24
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Einleitung 3. Das Christus-medicus-Motiv Die Betonung der Heilsbedeutung Jesu bewirkt in der Theologie der Alten Kirche die breite Verwendung des Motivs „Christus medicus“. Schulze widmet in seiner Arbeit ein Kapitel der Thematik „Der ‚Arzt’ als Metapher“, in dem er die Verwendung dieses Motivs bei den Kirchenvätern aufgreift: „Christus medicus wird im Zusammenhang mit der Erlösungslehre zum häufigsten und wichtigsten Christustitel in patristischer Zeit.“25 Während Schulze auf die Schwierigkeiten einer allgemeingültigen Definition des Begriffs „Metapher“ hinweist, legt Dörnemann für seine Arbeit fest, dass „der Begriff Metapher im Sinne der neueren kognitiven Semantik nicht nur eine sprachliche Ausdrucksform, sondern bereits eine Form des Denkens“26 darstelle. Im aristotelischen Sinne ist unter einer Metapher die Übertragung eines fremden Wortes in einen anderen Bedeutungsbereich nach den Regeln der Analogie zu verstehen. Eine solche allegorische Ausdrucksweise ist charakteristisch für die antike christliche Literatur. Schon in den neutestamentlichen Schriften werden Gleichnisse als spezifisches Stilmittel Jesu wiedergegeben, diese sprachliche Methode setzt sich in der christlichen Theologie fort. Das „Christus medicus“-Motiv der Kirchenväter ist in diesem Sinne als Sprachbild für die Botschaft von der Erlösung und vom Heil der Menschen durch die Person Jesu Christi zu verstehen. Das allegorische Prinzip findet Anwendung auch in der Interpretation alter biblischer Texte. Insbesondere die Theologen der alexandrinischen Schule vertreten, dass auch die Heiligen Schriften 30
Einleitung selbst auf mehreren Ebenen einen Sinn vermittelnIII: „Der Theologe Origenes (ca. 185 – 254) brachte in eine Theorie, was Paulus (z.B. 1Kor 9,9f), das gesamte Urchristentum und alle Späteren als Allegorese schon praktiziert hatten: Die Bibel hat mehrere Sinnebenen oder Bedeutungsschichten, nämlich neben dem buchstäblichen (oder historischen) Sinn auch den geistigen oder allegorischen und typologischen und moralischen Sinn.“, schreibt Brox.27 Diese Methode ist kein christliches Spezifikum: „Die christliche Theologie griff mit der Allegorese eine Methode auf, die in der vorchristlichen griechischen Philologie (an Homer etwa) entwickelt und von Juden bereits auf das Alte Testament angewendet worden war.“ (Brox)27, dennoch scheint der allegorische Ansatz so typisch für christliche Theologie und Philosophie gewesen zu sein, dass Galen eine weitere Form der Allegorie, nämlich die „Fabel“, als Kennzeichen des christlichen Denkens darstellt: „Die breite Masse ist unfähig, einer zusammenhängenden logischen Argumentation zu folgen, deswegen braucht sie Fabelgeschichten, die ihr nützlich sind. Wir sehen zur Zeit, wie die Leute, die Christen genannt werden, ihren Glauben nur aus Fabeln und Wundergeschichten ziehen und dennoch können wir an ihnen das Verhalten von Philosophen beobachten.“28
Zur Bedeutung der Allegorie und Allegorese in den neutestamentlichen Schriften vgl. etwa HANS-JOSEF KLAUCK, Allegorie und Allegorese in synoptischen Gleichnistexten, NTA 13, Münster, 1978 III
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Einleitung Das „Christus medicus“-Motiv bei den Kirchenvätern ist im 20. Jahrhundert in zahlreichen historischen und theologischen Arbeiten untersucht worden.IV Dieses Forschungsinteresse steht in di-
DÖRNEMANN widmet in seiner Arbeit ein eigenes Kapitel der „Dokumentation der Auseinandersetzung in der Literatur des 20. Jhdts“ in: DÖRNEMANN, S. 274-282. In den letzten 30 Jahren sind insbesondere folgende Arbeiten zu diesem Thema erschienen: DARREL W. AMUNDSEN, Medicine, Society and Faith in the Ancient and Medieval Worlds, Johns Hopkins University Press, Baltimore, 1996; RUDOLF DEGKWITZ, Christus medicus – medicus alter Christus, in: Arzt und Christ, Salzburg, Nr. 31, 1985, S.13-22; PAUL DESELAERS, Arzt (Teil 2), in: WALTER KASPER (Hrsg), Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 1, Freiburg i.Bsg., 1993, S. 1050; SAMUEL FERNÁNDEZ, Cristo médico, según Orígenes. La actividad médica como metáfora de la acción divina, in: Studia Ephemeridis Augustinianum 64, Rom, 1999; GARY B. FERNGREN, Early Christianity as a Religion of Healing, Bulletin of the History of Medicine 66, Baltimore, 1992, S. 1-15; GERHARD FICHTNER, Christus als Arzt. Ursprünge und Wirkungen eines Motivs, in: Frühmittelalterliche Studien 16, Berlin, 1982, S. 1-18; BARNABAS FLAMMER, Jesus der Arzt in der Sicht der Evangelien, in: Arzt und Christ 31, S. 1-6; MARTIN HONECKER, Christus medicus, in: Kerygma und Dogma (KuD), Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, Nr. 31, 1985, S. 387-323; JÖRG HÜBNER, Christus medicus. Ein Symbol des Erlösungsgeschehens und ein Modell ärztlichen Handelns, in: KuD 31, 1985, S. 324-335; HUBERTUS LUTTERBACH, Der Christus medicus und die sancti medici. Zum wechselvollen Verhältnis zweier Grundmotive christlicher Frömmigkeit zwischen Spätantike und Früher Neuzeit, in: Saeculum, Jahrbuch für Universalgeschichte, München, Nr. 47, 1996, S. 239-281; JOSEF N. NEUMANN, Gesundheit, Krankheit und Heilung aus der Sicht des Christentums. Christus medicus – Christus der Arzt, in: HEINZ SCHOTT (Hrsg), Meilensteine der Medizin, Harenberg, Dortmund, 1996, S. 88-94; BERNARD PALMER, Medicine and the Bible, Paternoster Press, Carlisle, 1986, S. 37-38; GOTTFRIED ROTH, Christus medicus – Leitthema der Pastoralmedizin, in: Arzt und Christ 21, 1985, S. 712; EKKART SAUSER, Christus medicus – Christus als Arzt und seine Nachfolger im Frühen Christentum, in: Trierer Theologische Zeitschrift, Trier, Nr. 101, 1992, S. 101-123; HEINRICH SCHIPPERGES, ‚Christus medicus’ als Leitbild, in: ders., Die Kranken im Mittelalter, Beck, München, 1990, S. 203ff.; IV
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Einleitung rektem Zusammenhang zur dargestellten Frage nach dem Arztsein Jesu. Wenn der Religionsgründer, der als göttliches Wesen verstanden wird, selbst ein Arzt gewesen wäre, dann stünde er auf derselben Ebene wie ältere Heilgötter. Dörnemann stellt darum in seiner Arbeit heraus, dass schon von den Kirchenvätern v.a. der Vergleich zwischen Christus und Äskulap immer wieder aufgegriffen wird. Diese Gegenüberstellung ist zum Teil positiv gefärbt, wenn etwa die Entsprechungen im therapeutischen Handeln der beiden göttlichen Heiler herausgestellt werden. Diese Übereinstimmungen finden in der äußeren legendenhaften Ausgestaltung der Geburt und des Lebensweges beider Götterfiguren ihre Entsprechung. Allerdings bedienen sich die unterschiedlichen Kirchenväter auch der verbreiteten Äskulap-Legende, um an ihr die soteriologische Dimension Christi exemplarisch darzustellen, der aus ihrer Sicht Äskulap natürlich überlegen ist. Origenes etwa greift in seiner Apologetik gegen KelsosV auf Äskulap zurück, um den hellenistischen Philosophen in seinem eigenen Bereich zu widerlegen. Kelsos hat im zweiten nachchristlichen Jahrhundert den Vorwurf erhoben, ein Gott bzw. sein Sohn könne nicht auf die Erde herabsteigen: RICHARD TOELLNER, Heilkunde/Medizin, in: Theologische Realenzyklopädie, Walter de Gruyter, Berlin, Bd. 14, S. 743-752 KELSOS lebt im zweiten nachchristlichen Jahrhundert. Er ist vom Stoizismus beeinflusst und ein rhetorisch und philosophisch gewandter Neuplatoniker. Als erklärter Gegner des Christentums verteidigt er das Heidentum. 178 erscheint seine Schrift „Alethes légos“ (Wahres Wort). Seine Werke sind verloren gegangen, können jedoch aus der vollständig erhaltenen Gegenschrift von ORIGENES „Katà Kélson“ aus dem Jahre 248 rekonstruiert werden.
V
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Einleitung
Eiv ga.r kaqo,lou lelegme,non to. qeo.j kai. qeou/ pai/j ouvdei.j kath/lqen ouvde kate,lqoi29 Origenes stellt in seiner Gegenargumentation die Verdienste Äskulaps nicht in Frage, sondern er versucht Kelsos zu entkräften, indem er die hohe Autorität Äskulaps gelten lässt und an ihr demonstriert, dass es in der hellenistischen Geisteswelt durchaus nichts Ungewöhnliches ist, dass Menschen zu Göttern werden, also auch der umgekehrte Weg nicht als Absurdität anzusehen sei: A v sklhpi.on proskunou/sin w`j evx avnqrw,pwn diV avreth.n eivj qeo.n metabeblhko,ta) o`t, an de. proskunw/si tou.j pate,raj tou,twn ovn` omazome,nouj parV auvtoi/j qeou,j( proskunou/sin ouvc w`j metabalo,ntaj evx avnqrw,pwn eivj qeou,j( avllV w`j evkei/noi oi;ontai( qeou.j avrch/qen o;ntaj 30 (Äskulap verehren sie als jemanden, der sich durch seine Verdienste von einem Menschen zu einem Gott verwandelt hat. Wenn sie jedoch die Väter derer verehren, die bei ihnen „Götter“ bezeichnet werden, verehren sie sie nicht als von Menschen zu Göttern Verwandelte, sondern als Götter von Anbeginn an, wie sie meinen)
Etwa hundert Jahre später verfasst auch Athanasius von Alexandrien eine durchaus positive Würdigung Äskulaps, wenn er schreibt:
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Einleitung A v sklhpio.j evqeopoih,qh parV auvtoi/j( o[ti th.n ivatrikh.n h;skhse( kai. bota,naj pro.j ta. pa,sconta tw/n swma,twn evpeno,ei( ouvk auvto.j tau,taj pla,ttwn avpo. gh/j( avlla th/| evk fu,sewj evpisth,mh| tau,taj evfeuri,skwn) Ti, de. pro.j to. u`po. tou/ Swth/roj geno,menonà o[ti ouv trau/ma evqera,peusen( avlla. ge,nesin e;plase kai. avpokate,sthse to. pla,sma* 31 (Äskulap wurde von ihnen als ein Gott verehrt, weil er die Heilkunst praktizierte und Kräuter für körperliche Leiden entdeckte, die er aber nicht selbst aus der Erde erschuf, vielmehr in der Natur vorfand. Doch was bedeutet das im Vergleich zu dem, was der Heiland tat, der nicht bloß eine Verletzung heilte, sondern die neue Schöpfung vollzog und deren Gestalt wieder erschuf.)
Neben der unhinterfragten Anerkennung der „Tüchtigkeit“ Äskulaps und seiner Heilerfolge ist in der Literatur der Kirchenväter andererseits auch eine abwertende und verurteilende Position zu finden. Insbesondere wenn bei den Apologeten der Eindruck entsteht, dass durch die positiven Vergleiche zwischen Äskulap und Christus dessen Einzigartigkeit relativiert wird, richten sie eine scharfe Polemik gegen die aus ihrer Sicht „falschen Götter“. Insbesondere Tertullian wettert geradezu gegen die paganen Heilgötter, die er in die Nähe von Dämonen und den Teufel stellt.32 Andererseits benutzt auch Tertullian das Bild des Arztes in einer positiven Konnotation. Der Arzt werde bewundert, weil er über Heilmittel verfügt, die dem geplagten Menschen Hilfe brächten:
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Einleitung „Sed medicum quidem miraberis etiam in illo, quod ferme pares adhibet qualitates medellarum adversus qualitates querellarum, cum quasi de perverso auxiliatur per ea subveniens per quae laboratur.“33 (Aber du wirst auch den Arzt selbst darin bewundern, dass er Heilmittel bereithält, die so beschaffen sind wie Plagen, wenn er nämlich gleichsam in verkehrter Weise mit eben dem Hilfe bringt, woran man leidet.)
Im Zuge der erwähnten Untersuchungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts über die Bewertung Jesu als Arzt sowie über die Auswirkungen des Christentums auf die Medizin ist die These aufgestellt worden, dass das Christus-medicus-Motiv schlicht eine Übertragung der paganen Vorstellung von Götterärzten auf einen neuen Gott, nämlich Christus, kennzeichne. Da aber Christus aus Sicht der neuzeitlichen Theologen tatsächlich existiert und Heil bewirkt, sei er den imaginierten Heilgöttern der Antike überlegen. Die heilende Wirkung der Religion, die sich auf diesen Heiland gründet, habe sich darum auch in so einzigartiger Weise in der Spätantike ausbreiten können. Harnack urteilt 1902 über die christliche Religion: „Nicht nur setzte sie dem erträumten Aesclepius den wirklichen Jesus gegenüber, sondern sie gestaltete sich selbst als ‚Religion der Heilung’, als ‚die Medizin der Seele und des Leibes’ bewußt und bestimmt aus, und sie sah auch in der tatkräftigen Sorge für die leiblichen Kranken eine ihrer wichtigsten Pflichten.“34
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Einleitung Auch Eckart sieht im Christus-medicus-Motiv das geistige Erbe der paganen Heilgötter-Vorstellungen. Unter Berufung auf den ägyptischen Imhotep- und den griechischen Äskulap-Kult schreibt er: „In der Traditionslinie gottbezogener Heilkulte liegt schließlich auch die Person des Kyrios christos, des Christus medicus, der uns als Heiland aus allen Unheilzuständen (sozial, wirtschaftlich, körperlich) befreien soll. Zwar gibt es keine unmittelbaren Beziehungen zwischen diesen drei heilenden Gottpersonen; man wird aber doch immerhin sagen können, dass die Rezeption[en] der alten Heilkulte auch in der christlichen Lehre unverkennbare Spuren hinterlassen hat.“35 In Eckarts vorsichtiger Formulierung klingt an, dass die Frage, inwieweit die breite Verwendung des Arzt-Motivs in der Literatur der Kirchenväter und die Vergleiche paganer Heilgötter wie Äskulap mit Christus die Verbreitung des „Kyrios christos“-Motivs gefördert haben, in der neueren Forschung umstritten ist. Dörnemann etwa widerspricht der Harnack`schen These. Zwar hält er fest, „dass es eine Auseinandersetzung zwischen Jesus und Aesklepios gegeben hat, aber nicht nur mit diesem populären Heilgott, sondern auch mit anderen, mit Isis und Zeus, auch mit dem Kaiserkult. Diese Auseinandersetzung begünstigte aber nicht die Entwicklung des Christus-medicus-Motivs; vielleicht trug sie sogar eher zu einer Verminderung dieses Topos bei; denn es sollte nicht der Eindruck erweckt werden, dass Jesus und die anderen Heilgötter qualitativ vergleichbar seien.“36
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Einleitung Die breite Verwendung des Arzt-Titels für Christus in der Theologie der Kirchenväter (sowie in einzelnen Textstellen des Neuen TestamentesVI) stellt zweifellos ein christliches Spezifikum dar, das einen markanten Unterschied zur jüdischen Mutterreligion kennzeichnet. An anderer Stelle betont Dörnemann, dass die direkte Titulierung des monotheistischen Gottes als ivatro,j im jüdischen Kontext nicht auftauche.37 Im Gegensatz zur Einheitsübersetzung von Ex 15,26 „Ich bin Jahwe, dein Arzt“, wie auch der Titel einer Untersuchung des Jesuiten und Alttestamentlers Norbert Lohfink lautet38, übersetzt die Septuaginta den hebräischen Begriff apr als Substantivierung des Partizips in der Wendung: ku,rioj o` ivwm, eno,j se (der dich heilende Herr). Hieronymus übersetzt in der Vulgata Ende des vierten Jahrhunderts den Begriff als „sanator“ (Heiler), was ebenfalls eine umfassendere Bedeutung ausdrückt. Inwiefern das Christus-medicus-Motiv die christliche Heilsbotschaft transportiert und allegorisch veranschaulicht, kann jedoch nicht nur aus theologischer Blickrichtung kontrovers diskutiert werden. Auch aus der Fragestellung dieser Arbeit ist zu prüfen, ob und gegebenenfalls in welcher Weise das Christus-Arzt-Bild seinerseits in die Medizin hingewirkt hat. Die bereits zitierte Arbeit von Karoline Knur aus dem Jahr 1905 behauptet abschließend, Christus sei das „Vorbild des Arztes“ geworden.24 Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Überprüfung, ob eine solche vordergründig schlüssige Behauptung in den Selbstzeugnissen der frühen VI
Mt 9, 12; Mk 2, 17; Lk 4, 23 und Lk 5, 31
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Einleitung christlichen Ärzte belegbar ist. Ist Christus für die spätantiken Christenärzte tatsächlich ein Vorbild? Worin besteht diese Beispielfunktion des Christus-medicus? „Da das NT nicht an medizinischen Fragen interessiert ist“, wie Dörnemann zutreffend feststellt39, ist die Wirkung des Christusmedicus-Gedanken auf den spätantiken Arzt daher hauptsächlich auf der Ebene seines Berufsethos zu vermuten. Die ethisch-philosophische Grundlage für den Umgang des Arztes mit Krankheit, Heilung und Tod wäre demnach die spezifisch christliche Versöhnungstheologie zwischen Gott und den Menschen. Heilung würde aus dieser Perspektive von Gott geschenkt, der Arzt wäre nach diesem Konzept nicht Wirker, sondern lediglich Vermittler dieses Heils. Selbst sein diagnostisches oder therapeutisches Handeln wäre dann nicht eigene Leistung, sondern Einsatz der von Gott geschenkten Tugenden. „Dem einen wird vom Geist die Gabe geschenkt, Weisheit mitzuteilen, dem andern durch den gleichen Geist die Gabe, Erkenntnis zu vermitteln, dem dritten im gleichen Geist Glaubenskraft, einem andern – immer in dem einen Geist – die Gabe, Krankheiten zu heilen,“ heißt es im ersten Korintherbrief (1Kor 12, 8-9). In diesem zwölften Kapitel breitet Paulus seine Lehre von den Geistesgaben aus; es fällt auf, dass er hier gleich dreimal explizit die Heilkunst als eine solche „Gabe“ benennt. Somit ist die Schlussfolgerung plausibel, dass in der von Paulus auf seiner zweiten Missionsreise etwa 50 bis 51 n.Chr. in Korinth gegründeten Gemeinde entsprechendes Heilen bekannt ist. Die These, dass zur Korinther Gemeinde, etwa 70 km vom 39
Einleitung Äskulap-Tempel und Zentrum in Epidauros entfernt, auch einige Ärzte gehören, ist nahe liegend. Andererseits lässt die mehrfache Erwähnung der Heilkunst bei Paulus die These Fridolf Kudliens unstimmig erscheinen, die frühen Christen hätten den somatischen Ärzten ablehnend gegenüber gestanden, „man traute unter Umständen ihrer Kunst und deren Möglichkeiten ganz einfach nicht viel zu.“40
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Einleitung Unterschiedliche zeitliche und geografische Entwicklungsstränge Die Auseinandersetzung des Christentums mit seiner paganen Umwelt ist durch unterschiedliche Phasen geprägt. Für die erste Ausbreitungswelle der neuen Religion durch die hellenistischen Christen, die aus dem palästinischen Gebiet von den ansässigen Juden (im Gegensatz zu den jüdisch-christlichen Gruppierungen) gedrängt werden, lässt sich wie beschrieben eine Anpassungsfähigkeit und Offenheit konstatieren, die Brox als „synkretistisch“ charakterisiert.41 Später findet die Integration hellenistischer Philosophie in den christlichen Glauben auch auf der Ebene der Theologie ihren Niederschlag. Auch geografisch entwickeln sich recht schnell in den unterschiedlichen Zentren der antiken Welt sehr verschiedene Geisteshaltungen. Die Kirchenväter der „alexandrinischen Schule“ wie der erwähnte Origenes bemühen sich um eine Aussöhnung der antiken Wissenschaftskriterien mit dem Christentum. Brox urteilt: „in diesem ‚platonischen’ Christentum liegt der erste methodische Versuch vor, die Möglichkeit des christlichen Glaubens rational auszuweisen und zu verantworten.“42 In den Auseinandersetzungen über die christologischen Fragen des dritten und vierten Jahrhunderts fließen schließlich auch in die offiziellen kirchlichen Dogmen griechisch-philosophische Begriffe ein. Das Konzil von Nizäa etwa wählt zur Festschreibung der Natur Jesu in der Auseinandersetzung mit den Arianern, die den Subordinatianismus vertreten (Unterordnung des Sohnes unter den Vater) die Formel 41
Einleitung „homoúsios“ (wesensgleich). Die Verwendung dieses nichtbiblischen Begriffes führt schon seinerzeit zu Protesten in konservativen kirchlichen Kreisen. Adolf von Harnack charakterisiert zu Beginn des 20. Jahrhunderts diese frühe kirchengeschichtliche Entwicklung als „Hellenisierung und Verweltlichung des Christentums“.43 In diesem Kontext erscheint die Tatsache, dass sich das Christentum scheinbar konfliktarm mit der Medizin paganen Ursprungs arrangiert, nachvollziehbar. Vivian Nutton hält dementsprechend fest: „As Christianity developed, the New Testament textes on healing promoted a range of often competing attitudes. Some were entirely compatible with what had gone before: the Hippocratic physician was easily turned to a model of Christian medical charity.”44 Etwa zeitgleich mit den ersten erhaltenen schriftlichen Zeugnissen der liberalen alexandrinischen Schule, den Büchern des Klemens von Alexandrien, ca. 140/150 – 220, wirken in der nordafrikanischen Kirche strenge Apologeten, die versuchen, jeden Einfluss heidnischer Traditionen oder Lehren auf das Christentum zu verurteilen und zu unterbinden. Die afrikanische Kirche ist generell durch eine rigorose Haltung in Fragen der Sündenvergebung und Bußmöglichkeit gekennzeichnet, so dass hier die moralisch strengen Sonderkirchen etwa der Donatisten und Montanisten besonders erfolgreich sind. Zu Letzteren konvertiert später der Kirchenvater Tertullian. Er gilt als besonders eifriger Bekämpfer der 42
Einleitung vermeintlichen heidnischen Unterwanderung und Infizierung der christlichen Lehre, die er vor allem in der unbemerkten Götzenanbetung, der Idololatrie, sieht, die auch dann geschehe, wenn pagane Wissenschaft betrieben werde, weil hierbei immanent die entsprechenden Götzen angebetet würden. Vor allem in der Weitergabe solcher Lehren vollziehe sich dieser Götzendienst: „Si fidelis litteras doceat, insertas idolorum praedicationes sine dubio, dum docet, commendat, dum tradit, affirmat, dum commemorat, testimonium dicit. Deos ipsos hoc nomine obsignat, cum lex prohibeat, ut diximus, deos pronuntiari et nomen hoc in vano collocari. Hinc prima diabolo fides aedificatur ab initiis eruditionis.“45 (Wenn ein Gläubiger elementare Wissenschaften lehrt, so empfiehlt er ohne Zweifel die darin eingeflochtenen Lobpreisungen der Götzen; wenn er sie weitergibt, dann stärkt er sie, und wenn er sie kennen lehrt, gibt er Zeugnis für sie ab. Die Götter selbst besiegelt er mit diesem Namen, obwohl uns, wie gesagt, das Gesetz verbietet, sie als Götter öffentlich zu benennen und diesen Begriff in einem nichtigen Umfeld anzusiedeln. Somit wird der erste Glaube für den Teufel errichtet vom Beginn des Unterrichts an.)
Der Bochumer Medizinhistoriker Christian Schulze bemerkt in seiner Habilitationsschrift, dass es unter diesen Vorzeichen verwunderlich ist, dass ausgerechnet Ärzte keine weiterreichende Einschränkung durch die strengen Apologeten erfahren; im Unterschied zu einer ganzen Reihe anderer „profaner“ Berufe, die 43
Einleitung aufgrund der unterstellten innewohnenden Idololatrie vom Katechumenat ausgeschlossen werden, findet sich eine derartige kirchliche Ausgrenzung von Ärzten in keiner bekannten Quelle.46 Im dargestellten Spannungsbogen zwischen toleranter Zugewandtheit zur hellenistischen Geisteswelt der alexandrinischen Schule und der rigorosen Abwehrhaltung gegenüber paganen Traditionen in der nordafrikanischen Kirche erscheint im Hinblick auf christliche Ärztinnen und Ärzte jedweder Richtung die Frage interessant, inwieweit die unterschiedlichen Einflüsse der christlichen Religion diesen Beruf verändert haben. Wie bereits erwähnt, hat das wesentliche theoretische Konzept der antiken Medizin, die Humoralpathologie, keine einschneidende Änderung durch das sich zunehmend etablierende Christentum erfahren. Dennoch ist es nahe liegend, dass das Christentum durch seine soteriologischen und ethischen Aussagen auf christliche Mediziner gewirkt hat. In Umkehr des Schlagwortes von der „Hellenisierung des Christentums“ bestimmt laut Schulze „ein christianisierter Galenismus“47 die medizinische Ausrichtung der Spätantike im Vorderen Orient.
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Einleitung Methodik und Problematik In der bisherigen Forschung über die gegenseitige Beeinflussung von Christentum und antiker Heilkunst finden Inschriften christlicher Ärzte nur eine untergeordnete Beachtung. Grabinschriften sind allerdings eine besonders bedeutsame Primärquelle, denn hier legen die Verstorbenen oder ihre Nachkommen eine Selbstaussage ab, die aus dem Alltagsgeschehen und wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Rücksichts- und Vorsichtsmaßnahmen herausragt. Das quasi sakrale Zeugnis einer Grabinschrift weist über die konkreten Aspekte des Arztberufes hinaus auf die grundlegenden Prinzipien und Werte des betreffenden Menschen. Wenngleich in den Zeiten der Kirchenverfolgung, v.a. in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts, ein zurückhaltendes Bekenntnis zum Christentum verständlich ist, fällt dieser Aspekt als quasi geistiges Testament bei Grabtituli naturgemäß nicht stark ins Gewicht; allenfalls kann eine entsprechende Vorsicht der Angehörigen (die ja letztlich für die Errichtung eines Grabmals sorgen!) erwartet werden, denn die Herausstellung eines christlichen Bekenntnisses des Verstorbenen kann auch die Familienmitglieder in den Verdacht bringen, ebenfalls Christen zu sein. Es kann davon ausgegangen werden, dass christliche Ärzte in ihren Grabinschriften vorrangig Aussagen zu ihrem Menschen- und Gottesbild und damit auch zu ihrem eigenen Berufsverständnis machen. V.a. der Auferstehungsglaube ist ein zentrales christliches Spezifikum, insofern ist zu erwarten, dass gerade im Bezug auf den Tod signifikante Unterschiede christlicher Ärzte zu ihren pa45
Einleitung ganen Standesgenossen bestehen, was in ihrem letzten Zeugnis auf den Grabmalen einen entsprechenden Niederschlag findet. Es kann davon ausgegangen werden, dass in der Rückschau auf das zu Ende gegangene Leben der ausgeübte Beruf als Arzt eine zentrale Rolle spielt, so dass durch eine Untersuchung der Inschriften christlicher Ärzte Rückschlüsse auf den Einfluss der religiösen Inhalte auf den Arztberuf gezogen werden können. Allerdings werden in der vorliegenden Arbeit nicht nur Grabtituli christlicher Ärzte, sondern auch Inschriften zu anderen Anlässen untersucht. Schulze leistet in seiner Habilitationsarbeit einen Forschungsrückblick über die wissenschaftliche Untersuchung christlicher Inschriften unter der speziellen Berücksichtigung des Arztberufes.48 Er listet 12 Arbeiten bzw. Zusammenstellungen auf, die ab 1900 diese Thematik zumindest in Teilaspekten behandelt haben. Schulze betont allerdings, dass hierbei zumeist nur thematische oder geographische Einzelfragen untersucht werden.VII Seine eiSCHULZE, Medizin und Christentum, S. 35ff.; die vorliegende Arbeit nimmt darüber hinaus Bezug auf folgende Arbeiten, die neben dem Verweis auf Schulzes Prosopographie ebenfalls als Quelle angegeben werden: LE BAS, Inscriptions Grecques et Latines recueillies en Grece et Asie Mineure, New York, 1972 ; LE BLANT, Inscriptions chrétiennes de la Gaule, Paris, 1865 ; BRECCIA, Guide de la Ville et du Musée d`Alexandrie, Alexandria, 1905; BUECHELER, Carmina Latina epigraphica, Leipzig, 1897; CALDER, MAMA 7, Monuments from Eastern Phrygia, Manchester, 1956; CAPPARONI, I titoli sepolcrali dei medici cristiani delle catacombe di Roma, London, 1914; CARLETTI, Volsinii, Bari, 1985; DAGRON und FEISSEL, Inscriptions de Cilicie, Paris, 1987; DIEHL, Inscriptiones Latinae christianae veteres, Bd 1 und 2, Berlin, 1961; DÖRNER und VON STRITZKY, Tituli Bithyniae linguis Graeca et Latina conscripti, Wien, 1978; ENGELMANN und MERKELBACH, Die Inschriften von Erythrai und Klazomenai, Bonn, 1972; FEISSEL, Recueil des VII
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Einleitung gene Arbeit stellt demnach die aktuellste und umfassendste Sammlung (spät)antiker Inschriften, die Christenärzte belegen, dar. Seine Prosopographie der Inschriften umfasst insgesamt 105 Fundstellen. Auf dieses Material stützt sich die vorliegende Arbeit, die freilich eine andere Fragestellung (siehe oben) bearbeitet als Schulzes Untersuchung, die danach fragt, welche Rolle christliche
inscriptions chrétiennes de Macédonie du IIe au VIe siècle, Paris, 1983; FLEMMING, Medicine and the Making of Roman Women, Oxford, 2000; FOSS, Ephesus after Antiquity, Cambridge, 1979; GRÉGOIRE, Recueil des inscriptions grecques chrétiennes d'Asie Mineure 1, Paris, 1922; GUARDUCCI, Epigrafia greca, Rom, 1978; GUMMERUS, Der Ärztestand im Römischen Reiche nach den Inschriften, Helsingfors, 1932; HAGEL und TOMASCHITZ, Repertorium der westkilikischen Inschriften, Wien, 1998; HARRAUER, Corpus Papyrorum Raineri (CRP XIII), Wien, 1987; KAUFMANN, Handbuch der altchristlichen Epigraphik, Freiburg, 1917; KEIL, Forschungen in der Erythraia, Wien, 1910; KEIL und WILHELM, Monumenta Asiae Minoris Antiqua (MAMA 3), Manchester, 1931; KORPELA, Das Medizinpersonal im alten Rom, Helsinki, 1987; LEFEBVRE, Recueil des inscriptions grecques-chrétiennes d'Égypte, Kairo, 1907; MARINI, Degli Archiatri Pontifici, Rom, 1784; ORANZIO MARUCCHI, Christian Epigraphy. An Elementary Treatise, With a Collection of Ancient Christian, Chicago, 1974; ORAZIO MARUCCHI, Il cimitero e la basilica di S. Valentino, Rom, 1890; MAZZOLENI, Inscriptions in Roman Catacombs, Regensburg, 1999; MERIÇ et al., Die Inschriften von Ephesos, Bonn, 1981; NORTHCOTE, Grabschriften der Catacomben van Rome, Utrecht, 1879; OEHLER, Epigraphische Beiträge zur Geschichte des Aerztestandes, Amsterdam, 1909; POLJAKOV, Die Inschriften von Tralleis und Nysa, Bonn, 1989; PREISIGKE et al. (Hrsg.), Sammelbuch griechischer Urkunden aus Ägypten, Bd 4, Heidelberg, 1944; RÉMY, Les inscriptions des médicins en Gaule, Paris, 1984; ROBERT, Les stèles funéraires de Byzance gréco-romaines, Paris, 1964; ROSSI, Inscriptiones Christianae urbis Romae septimo saeculo Antiquiores (IChrUR), Rom 1861-1888; ROUECHÉ, Aphrodisias in Late Antiquity, London, 1989; WESSEL, Inscriptiones Graecae Christianae veteres occidentis, Bari, 1989; sowie CIG, CIL und SEG
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Einleitung Ärzte beim „Wissenstransfer“VIII antiker medizinischer Kenntnisse (insbesondere hellenistischen Ursprungs) in den arabischislamischen Kulturraum spielen. Die vorliegende Arbeit untersucht den Einfluss des sich etablierenden Christentums auf die Praxis, das Berufsbild und die inhaltlichen Vorstellungen spätantiker Christenärzte. Die Arbeit geht dabei exemplarisch vor; zu unterschiedlichen Fragestellungen wird versucht, anhand epigraphischer Zeugnisse darzulegen, ob und ggf. inwiefern das Christentum den Arztberuf geprägt hat. In einer entsprechenden Kommentierung wird erörtert, ob die jeweiligen Auswirkungen kurz dauernde geschichtliche Phänomene geblieben sind oder ob sie den Arztberuf im christlichen Abendland langfristig beeinflusst haben. Selbstverständlich können die Ergebnisse dieser Einzelfalluntersuchungen nicht als wissenschaftliche Beweise verstanden werden. Aufgrund der insgesamt recht dürftigen Quellenlage können keine statistisch signifikanten Aussagen gemacht werden. Die Interpretation einzelner Fundstücke stellt immer die Gefahr dar, eine unzulässige Verallgemeinerung vorzunehmen. Die Überlieferung einer Fundstelle ist weitgehend Zufall, so dass aus einer einzelnen Quelle keine Aussage über die Gesamtheit christlicher Ärzte zu einer bestimmten Zeit gemacht werden dürfen. Dieser Begriff wird aufgegriffen aus dem Titel der Habilitationsschrift „Medizin und Christentum in Spätantike und frühem Mittelalter: Christliche Ärzte als Vermittler des graeco-orientalischen Wissentransfers“ von SCHULZE. Er merkt hierin selbst an, es handle sich um einen „bislang nicht als terminus technicus etablierten Begriff“. (SCHULZE, Medizin und Christentum, S. 7/8) VIII
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Einleitung
Um die Gefahr einer Über- oder Falschinterpretation zu vermindern, wird die Darstellung einer bestimmten Inschrift eingebettet in den historischen Kontext ihres jeweiligen Fundortes und ihrer Datierung. Diese Arbeit gleicht insofern einem Puzzlespiel, bei dem geprüft wird, ob sich ein einzelner Mosaikstein in das Gesamtbild einzufügen vermag oder nicht. Falls die einzelne Inschrift und die aus ihr gezogenen Schlussfolgerungen nicht mit unserem bisherigen Bild korrespondieren, muss geprüft werden, ob das Einzelstück abseits der historischen Allgemeinerscheinungen einzuordnen ist (als Außenseiterposition, die sich im Gegensatz zu „Mainstream“-Positionen jener Zeit erhalten hat), ob die Interpretation falsch ist oder ob gegebenenfalls Hinweise für eine Korrekturbedürftigkeit bisheriger historischer Thesen vorliegen. Der beschriebene örtliche und zeitliche „historische Kontext“ setzt sich aus profanhistorischen, medizin- und kirchengeschichtlichen Aspekten zusammen, so dass die vorliegende Arbeit insgesamt im Grenzbereich von Geschichte, Theologie und Medizin anzusiedeln ist. Quellenlage und Forschungsstand Die Wechselwirkungen zwischen christlichem Glauben und antiker Medizin sind bereits in mehreren Studien untersucht worden. Hinsichtlich der gegenseitigen Beeinflussungen bleiben ältere Arbeiten allerdings zumeist im spekulativen Bereich. Die vorliegende Arbeit versucht darum ausdrücklich, Fragen nach der Auswirkung des christlichen Glaubens auf die spätantike Medizin immer unter 49
Einleitung direkter Bezugnahme auf entsprechende Primärquellen, nämlich die Inschriften spätantiker Christenärzte, zu untersuchen. Bei der Darstellung des medizin-, kirchen- und profanhistorischen Hintergrundes wird dabei auf entsprechende Standardwerke Bezug genommen. Letztere sind für den Bereich der Kirchengeschichte Norbert Brox` „Kirchengeschichte des Altertums“ und Hubert Jedins „Handbuch der Kirchengeschichte“. Vor dem jeweiligen geschichtlichen Hintergrund werden die einzelnen Inschriften darauf überprüft, ob sie in diesem Zusammenhang stimmig sind oder ob sie im Widerspruch zum bisherigen Kenntnisstand stehen. Die jeweiligen Ergebnisse werden erörtert und entsprechend kommentiert. In einem kurzen Ausblick wird diskutiert, ob es sich bei dem jeweiligen Phänomen um eine kurzfristiges Schlaglicht handelt, das im weiteren Verlauf der Medizin- (und Kirchen-) Geschichte keine weitere Relevanz behält oder ob der entsprechende Einfluss des Christentums auf die abendländische Medizin langfristiger Natur bleibt. In jüngerer Zeit sind zwei Arbeiten zur übergeordneten Fragestellung des Verhältnisses von Medizin und Christentum in der Spätantike erschienen. Christian Schulze untersucht in seiner Habilitationsarbeit das Thema „Christliche Ärzte als Vermittler des graeco-orientalischen Wissenstransfers“; er richtet das Hauptaugenmerk also auf die funktionelle Bedeutung der christlichen Ärzte als Überträger eines vorbestehenden kulturellen Erbes, nämlich des hellenistisch-medizinischen Wissens, in die arabische und später islamische Welt. Die spezifisch christlichen Einflüsse auf 50
Einleitung eben dieses Kulturgut werden dabei nur marginal untersucht. Die Arbeit Schulzes stellt aber durch die weitgehende Erschließung der bekannten Primärquellen über christliche Ärzte in der Spätantike und im frühen Mittelalter eine enorme Arbeitserleichterung für die eigene Untersuchung dar. Ebenfalls jüngst veröffentlich wurde die Arbeit des katholischen Theologen Michael Dörnemann „Krankheit und Heilung in der Theologie der frühen Kirchenväter“. Das Untersuchungsthema ist hierbei quasi der Blickrichtung dieser Arbeit genau entgegengesetzt: es betrachtet die Beeinflussung der christlichen Theologie durch die Thematik Heil – Heilung – Medizin; insgesamt wird in dieser Arbeit also ein deutlich theologischer Fokus gesetzt. Auch diese Arbeit muss als Fundgrube gut aufbereiteter Textstellen der antiken christlichen Theologen zum Themenkomplex der Wechselbeziehung Medizin-Theologie herausgestellt werden. Zentrale Fragestellung In dieser Arbeit soll untersucht werden, welche Elemente der neuen, rasant wachsenden Religion in die Medizin eingeflossen sind. Die Arbeiten von Dörnemann und Schulze flankieren die vorliegende Arbeit, sie treten gewissermaßen immer wieder in Dialog miteinander. Dennoch bleibt der Schwerpunkt aller drei Arbeiten jeweils ein anderer. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich – im Gegensatz zu Dörnemann – mit einer explizit medizingeschichtlichen Fragestellung.
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Einleitung Anders als bei Schulze soll dabei jedoch nicht untersucht werden, wie die hellenistische Medizin das Christentum als „Transfer-Vehikel“ genutzt hat, sondern wie die christliche Lehre selbst die Medizin der Spätantike geprägt hat. Dabei soll es nicht nur um die medizinische Lehre als theoretisches Konzept gehen, sondern um die Auswirkungen des Christentums auf den ärztlichen Berufsstand, seine Geschlechterzusammensetzung, seine Haltung gegenüber der Sexualität sowie die Bedeutung des Leitmotivs der „Nächstenliebe“ für die abendländische Ärzteschaft. Außerdem soll der Einfluss der kirchlichen Hierarchisierungspraxis ins Auge gefasst werden, die Bedeutung des Leib-Seele-Dualismus für die christliche Medizin; ferner soll erneut – jetzt anhand der Epigramme – der alten Frage nachgegangen werden, ob eine christliche Präferenz für eine bestimmte antike Ärzteschule bestanden hat.49 Diese Untersuchungspunkte dürften wichtige, mindestens aber paradigmatisch wirkende Bereiche des Untersuchungsfeldes abdecken. Gliederung Der Untersuchungsteil dieser Arbeit ist entsprechend dem oben geschilderten Vorgehen in acht Kapitel gegliedert, in denen jeweils einer bestimmten Frage bezüglich des Einflusses des Christentums auf die Medizin nachgegangen wird. Dazu werden jeweils eine oder mehrere Inschriften unter diesem Aspekt diskutiert. Im Hinblick auf die Einordnung in den geschichtlichen Kontext der jeweiligen Primärquelle erfolgt eine „Zeitliche und örtliche Einordnung der Fundstelle“. Dabei wird grob die nachstehende zeitliche bzw. geografische Einteilung beachtet. 52
Einleitung
1. Zeitliche Gliederung: • Die Ausbreitungsphase des Christentums in „relativer Rechtssicherheit“ des römischen Reiches. Dieser Abschnitt endet in den großen Kirchenverfolgungen zu Mitte des 3. Jahrhunderts: In diesem Zeitraum interessiert vor allem der Beweggrund für die Konversion eines Mediziners zum Christentum, denn noch ist dieser Wechsel nicht gesellschaftlich opportun, er geschieht demnach vermutlich aus religiöser Überzeugung. Findet dies seinen Niederschlag im medizinischen Berufsethos, etwa in der Betonung von karitativen Elementen, in der Feindesliebe, in einem demütigen Selbstverständnis und in einem zentralen Auferstehungsglauben? Noch ist das christliche Bekenntnis formal strafbar.IX Dies zeigt sich möglicherweise in einer besonderen Zurückhaltung christlicher Ärzte beim öffentlichen Gebrauch christlicher Symbole, so dass zum Schutz der Hinterbliebenen etwa auf Grabinschriften nicht das offensichtlich christliche Kreuz, sondern die geheime Symbolik etwa des Fisches verwendet wird. In der Kirche selbst hat sich noch keine weitreichende zentralistische Kirchenstruktur herausgebildet, trotz zunehmender innerer Organisation nach dem monarchischen Bischofsmodell besteht an Ein Briefwechsel zwischen PLINIUS d.J., dem römischen Statthalter in Kleinasien, und Kaiser TRAJAN etwa aus dem Jahr 112 beschreibt die Rechtspraxis, wonach das christliche Bekenntnis zwar offiziell strafbar ist, der Staat allerdings nicht von sich aus nach Christen fahndet, sondern nur auf private Klagen reagiert. Auszüge dieses Schreibens werden im Kapitel „Kirchliches Frauenbild und Ärztinnenberuf“ wiedergegeben. IX
53
Einleitung der Basis oft noch eine vertraute und solidarische „Communiostruktur“, in der Mitglieder sehr unterschiedlicher sozialer Stellungen gleichberechtigt mitwirken. Brox betont: „Eine viel größere Bedeutung als in späteren Zeiten hatten in der Frühzeit die Frauen aller sozialen Schichten für Leben und Mission der Gemeinden, wie ihre vielen namentlichen Nennungen allein in den Petrusbriefen zeigen“.50 Hierin mag eine Ursache für den etwa doppelt so hohen Anteil von Frauen unter den christlichen Ärzten im Vergleich zu den paganen Ärzten liegen, wie Untersuchungen von Schulze ergeben haben.51 • Die Phase der Christenverfolgungen zwischen 249-310 unter Decius bis Diocletian: Das Christentum wird zur „Untergrundreligion“ (wodurch die Sozialstruktur einer solidarischen Gruppierung mit einer „Arkandisziplin“52 verstärkt wird). Aus dieser Notsituation könnte sich einerseits ein innergemeindliches Medizinsystem entwickelt haben. Aus der Erfahrung von Leid und Verfolgung entsteht andererseits eine besondere „Iatrotheologie“, die Eckart wie folgt definiert: „Der Versuch, Krankheit, auch wenn ihre natürlichen Ursachen möglicherweise erkennbar sind, als Teil eines göttlichen Plans, als unmittelbaren Ausdruck göttlichen Wollens und Handelns zu verstehen. Krankheit und Leiden werden dabei als göttliche Strafe (‚Weswegen?’) oder als Weg (‚Wozu?’), etwa in der Nachfolge Christi verstanden. Christus selbst verkörpert idealtypisch zugleich den Weg zum Heil durch Krankheit und Leiden.“53 In der Kirche entsteht das Problem des Umgangs mit den rückkehrwilligen Ab54
Einleitung gefallenen unter der Verfolgung („Lapsi“). Steht ihnen nach der Exkommunikation aus der sakramentalen Gemeinschaft der Gemeinde dennoch die Versorgung durch die karitativen und medizinisch-pflegerischen Strukturen der Gemeinden zu? • Die Konstantinische Wende ab 312: Mit der Anerkennung und Förderung des Christentums entstehen innerhalb der Kirche Schwierigkeiten im Umgang mit Konvertiten, die aus Opportunität zum Christentum übergetreten sind. Dies gilt natürlich auch für die Inhaber bestimmter gesellschaftlicher Ämter, etwa von öffentlichen Ärzten. Lässt sich eine religiöse Verflachung bei christlichen Ärzten nach 312 nachweisen oder gibt es Hinweise, dass durch den äußeren Wechsel auch ein innerer Zugang vormals paganer Ärzte zum christlichen Glauben und der daraus abzuleitenden ethischen Haltung entsteht? Vivian Nutton etwa erwähnt in seinem Beitrag „Medicine in Late antiquity and the Early Middle Ages“ das Beispiel des Alexandrinischen Iatrosophisten Gesius: „Gesius was official a Christian, but the true sympathies were revealed when he protected a pagan philosopher and doubted the miracles of SS. Cyrus and John. He was afflicted with a disease beyond mortal cure, and recovered only with the saints` assistance after a full and contrite confession of his impiety.”54 Durch das Edikt des Kaisers Theodosius vom 28.2.380 wird das Christentum zur verbindlichen Staatsreligion. Spiegelt sich die Zwangsmaßnahme unter Ärzten wider, die das christliche Be55
Einleitung kenntnis nur unter äußerem Druck übernehmen, sich jedoch innerlich distanzieren und sich weiterhin heidnischen Heilgöttern wie Äskulap zuwenden? 2. Örtliche Gliederung: Lassen sich durch die bereits angedeuteten unterschiedlichen theologischen Richtungen in den verschiedenen römischen Provinzen, die zum Teil später zu kirchlichen Patriarchaten werden, entsprechende positive oder hemmende Rahmenbedingungen für christliche Ärzte nachweisen? • Ägypten: Fördert die dargestellte liberale Ausrichtung der „alexandrinischen Schule“ auch die Vereinbarkeit des medizinisch-hellenistischen Denkens mit der christlichen Theologie? Wird dadurch eine unkomplizierte Integration konvertierter ehemals paganer Ärzte in die christlichen Gemeinden ermöglicht? Die alexandrinische Schule forciert die Methode der Allegorese als mehrschichtiges Verständnis der biblischen Texte. Hierin liegen erste Anklänge einer Deutung der religiösen Schriften im Sinne innerseelischer Aspekte des Menschen; unterstützt diese mehrdimensionale Sicht auch im ärztlichen Bereich die frühe Entwicklung einer Seelenmedizin? • Nordafrika: Die dargestellte strenge Heiligkeitsauffassung in der afrikanischen Kirche mit rigoroser Ablehnung paganer Traditionen (etwa bei 56
Einleitung Tertullian) deutet eine besonders schwierige Integrationssituation für Ärzte in dieser Region des römischen Weltreiches an. Lassen sich signifikant weniger christliche Ärzte in dieser Provinz feststellen? Bewirkt die augustinische Vorstellung von der metaphysischen Zweiteilung der Welt in irdische und göttliche Zuständigkeitsbereiche („civitas Dei“ und „terrena civitas“) für den Bereich der Medizin eine Beschränkung auf die Somatik als „diesseitiger“ Heilungsanteil? Der Bochum Kirchengeschichtler und Patristiker Wilhelm Geerlings charakterisiert das Menschenbild Augustins wie folgt: „Die augustinische Anthropologie, die ganz aus dem Gegenüber von erhabenem Gott und kümmerlichem Menschen lebt, ist von tiefem Pessimismus erfüllt. Der Leib-Seele-Dualismus – Augustin spricht auch vom Leib-Geist-Dualismus –, der der platonischen Tradition entstammt und durch ein manichäisches Lebensgefühl verstärkt wird, charakterisiert diese Anthropologie. Noch stark unter dem Einfluss der manichäischen Gedankenwelt bezeichnet der frühe Augustin den Körper als ‚drückende Fessel’ (mor. 1, 22). Der Mensch ist nichts anderes als eine ‚vernunftbegabte Seele, die sich eines sterblichen und irdischen Körpers bedient’ (mor. 1, 27).“55 Oder wirken andererseits die Ideen dieses bedeutenden Kirchenlehrers des 4. Jahrhunderts über das Seelenleben des Menschen (etwa seine Vorstellungen von der Analogie der psychischen Kräfte des Menschen zur Trinität Gottes) auch in den Bereich (psycho-) therapeutischer Behandlungen hinein? Geerlings führt über die so genannte „psychologischen Trinitätslehre“ aus: „Die Bedeutung des Aufweises dieser dreigliedrigen Strukturen im Be57
Einleitung wusstsein des Menschen liegt nicht allein darin, dass Augustin deutlich machen kann, wie im Menschen memoria, intelligentia und voluntas sich durchdringen. Er kann so auch ein Angemessenheitsargument als Grund für den Glauben an die Trinität anführen. Denn die Analyse des menschlichen Geistes hat ja gezeigt, dass die verschiedenen Funktionen des Geistes ‚trinitarisch’ zusammenhängen.“56 Findet die originäre Prädestinationslehre Augustins auch ihren Niederschlag in einem fatalistischen Umgang mit Krankheit und einer entsprechenden Zurückhaltung medizinischer Interventionen? • Syrien: Die „antiochenische Schule“ zeichnet sich durch ein sachlicheres Textverständnis und einen Sakramentskonkretismus aus. Ergeben sich hieraus Konsequenzen für das ärztliche Verständnis von Aussagen der Heiligen Schrift? Eine zentrale therapeutische Methode der hippokratischen und Galenschen Medizin ist die Diätetik. Wie wirkt sich etwa die Aussage des Matthäusevangeliums hierauf aus: „Nicht das, was durch den Mund in den Menschen hineinkommt, macht ihn unrein, sondern was aus dem Mund des Menschen herauskommt, das macht ihn unrein.“ (Mt 15, 11). • Rom ist das Zentrum der Macht zunächst des gesamten römischen Reiches, seit der vollzogenen Trennung in ein ost- und weströmisches Kaiserreich 395 zumindest des Westreiches. Hier fällt der 58
Einleitung Gegensatz des frühen Christentums zur offiziellen Staatsreligion besonders deutlich auf: der christliche Glauben wird aufgrund des anfänglichen Fehlens von Tempeln, Opfern, Priestern und Altären nicht als Religion angesehen. Den Christen wird daher sogar der gefährliche Vorwurf der Gottlosigkeit gemacht. Ihre religiösen Handlungen sind anfänglich geheim und finden nachts statt, was ihnen den Ruf einer verschwörerischen politischen Gruppierung einbringt, sie verweigern den Eid auf den Kaiser. Brox konstatiert: „Die Christen distanzierten sich also an den Brennpunkten des gesellschaftlichen Lebens- und Interessensbereiches.“57 Wie wirkt sich diese soziale Isolation auf den ärztlichen Berufsstand aus, der ja auf ein Vertrauensverhältnis zu seinen Patienten und auf soziale Anerkennung angewiesen ist? Brox führt weiter aus: „Das betraf auch die Spiele in Theater und Zirkus, die für die Öffentlichkeit und den einzelnen als religiöses und gesellschaftliches bzw. als Freizeitangebot eine beträchtliche soziale Rolle spielten.“57 Welches Verhältnis besteht etwa zu den Gladiatorenärzten, zu denen bekannte Mediziner wie Galen zählen, dem ja wie dargelegt einige römische Christen Bewunderung entgegen bringen und der sich selbst ebenfalls wohlwollend über die Christen äußert?58 Welche Auswirkung hat die stetig wachsende Einflussnahme der (West)Kirche auf die weströmischen Kaiser nach der Entwicklung zur Staatsreligion auf das öffentliche Gesundheitswesen der Stadt?
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Einleitung Formalia Sämtliche epigraphischen Texte werden in der von Schulze vorgelegte Weise wiedergegeben. Die Quellenangabe bezieht sich daher zunächst auf Schulzes Arbeit „Medizin und Christentum“, sie gibt darüber hinaus die von ihm genannten Sekundärquellen an. Der geografische Fundort und die vorgenommene Datierung werden jeweils im Text erörtert. Schulzes sonstige Anmerkungen zu den einzelnen Inschriften sind, sofern sie nicht ihrerseits im Text aufgegriffen werden, als Fußnote angegeben. Gleiches gilt für die Zitierung aus den Arbeiten „Christliche Ärztinnen in der Antike“ von Schulze und „Facetten antiker Krankenpflege und ihre Rezeption“ von Schweikardt gemeinsam mit Schulze. Griechische Texte werden nicht transliteriert, nur bei Zitierung von Sekundärliteratur wird die dortige Schreibweise in jedem Fall übernommen. Entsprechend transliterierte Begriffe werden nach ihrer Einführung auch im weiteren Fließtext verwendet (Beispiel „pneuma“ für pneu,ma usw.). Griechische und lateinische Texte werden ins Deutsche übersetzt. Sämtliche Bibelzitate stammen aus der Einheitsübersetzung (s. Literaturverzeichnis), auch alle Ortsangaben und Nennungen von Eigennamen entsprechen den Loccumer Richtlinien.X
Römisch-katholische Bischöfe Deutschlands (Hrsg.), Ökumenisches Verzeichnis der biblischen Eigennamen. Loccumer Richtlinien, Katholische Bibelanstalt, Stuttgart, 2. Aufl. 1981 X
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Einleitung Zur besseren Lesbarkeit des Gesamttextes erfolgt die Quellenangabe in fortlaufender arabischer Nummerierung als Endnote hinter jedem Kapitel unter Nennung des Autors und der Seitenzahl, bei mehreren verwendeten Werken desselben Autors unter zusätzlicher Nennung der Kurzbezeichnung des Werkes. Ein ausführliches Literaturverzeichnis mit vollständigen Angaben findet sich am Ende der Arbeit. Anmerkungen und Erläuterungen werden als Fußnoten unter fortlaufender römischer Nummerierung jeweils am unteren Ende jeder Seite aufgeführt. Quellenangabe Einleitung ECKART, S. 20/21 DÖRNEMANN, S. 23 3 ebenda, S. 24 4 ECKART, S. 44-45 5 ebenda, S. 60 6 vgl. SCHULZE, Medizin und Christentum, S. 31 7 KUDLIEN, Pharmakologie, S. 714 8 DÖRNEMANN, S. 42 9 BROX, S. 27 10 ebenda, S. 18/19 11 ebenda, S. 21 12 DÖRNEMANN, S. 21 13 ebenda, S. 22 14 KIRCHSCHLÄGER, S. 100-101 15 WEISSENRIEDER, S. 329 16 ebenda, S. 335 17 ebenda, S. 357 18 ECKART, S. 72 19 DÖRNEMANN, S. 61 20 NUTTON, Late Antiquity, S. 75 21 EUSEB, h.e, Bd 5, V. 28 22 HARNACK, Medicinisches, S. 125 23 DÖRNEMANN, S. 59
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Einleitung KNUR, S. 72 SCHULZE, Medizin und Christentum, S. 159 26 DÖRNEMANN, S. 10 27 BROX, S. 148 28 zitiert nach: STROHMAIER, S. 375-379 29 ORIGENES, Cels., V. 2 30 ORIGENES, hom. in Jer., V. 3 31 ATHANASIUS, inc. 49, 1-2 32 vgl. TERTULLIAN, apol., XXII, 1-3, 11 33 TERTULLIAN, scorp., V. 8 - 10 34 HARNACK, Mission und Ausbreitung, S. 136 35 ECKART, S. 45 36 DÖRNEMANN, S. 286-287 37 vgl. ebenda, S. 22 38 LOHFINK, 91-155 39 DÖRNEMANN, S. 61 40 KUDLIEN, Arzt des Körpers, S. 1-20 41 ebenda, S. 21 42 BROX, S. 158 43 ebenda, S. 158 44 NUTTON, Late Antiquity, S. 74 45 TERTULLIAN, idol. 10, 5 46 SCHULZE, Medizin und Christentum, S. 33 47 ebenda, S. 9 48 ebenda, S. 36-39 49 vgl. etwa DÖRNEMANN, S. 41 50 BROX, S. 20 51 SCHULZE, Ärztinnen, S. 91ff. 52 vgl. BROX, S. 24 53 ECKART, S. 104 54 NUTTON, Late Antiquity, S. 75 55 GEERLINGS, S. 25 56 ebenda, S. 51 57 BROX, S. 45 58 vgl. etwa WALZER, S. 16
24 25
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Sexualmoral
Kirchliche Sexualmoral und Arztberuf Das Beispiel der christlichen Ärztin Scantia Redempta Einen besonders nachhaltigen Einfluss auf spätantike Gesellschaftsnormen und Moralvorstellungen hat das Aufkommen des Christentums auf dem Gebiet der Sexualität. Diese Feststellung ist für Michel Foucault der Ausgangspunkt seiner Betrachtungen über die Geschichte der menschlichen Sexualität. „In welchen Punkten hat sich die Sexualmoral des Christentums am deutlichsten der Sexualmoral des alten Heidentums entgegengesetzt? Inzestverbot, Männerherrschaft, Unterwerfung der Frau? Dies sind wohl nicht die Antworten, die man zu hören bekäme: man kennt die Ausdehnung und die Beständigkeit dieser Phänomene in ihren verschiedenen Formen. Wahrscheinlicher würde man andere Unterscheidungspunkte anführen. Den Wert des sexuellen Aktes selber: das Christentum habe ihn mit dem Bösen, mit der Sünde, mit dem Tod verbunden, während die Antike ihn mit positiven Bedeutungen ausgestattet habe. Die Einschränkung des legitimen Partners: das Christentum habe ihn – im Gegensatz zu den griechischen oder römischen Gesellschaften – nur in der monogamen Ehe akzeptiert und ihm innerhalb dieser Ehelichkeit eine ausschließlich fortpflanzungsbezogene Rolle zugewiesen. Die Disqualifizierung der Beziehungen zwischen Individuen gleichen Geschlechts: das Christentum habe sie rigoros ausgeschlossen, während Griechenland sie gefeiert, Rom sie geduldet habe – zumindest zwischen Männern.“, skizziert Foucault den thematischen
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Sexualmoral Rahmen, in dem die christliche Sexuallehre in die Spätantike hineinwirkt.1 Die Sexualität stellt einen Verbindungspunkt zwischen Christentum und Medizin dar, beide Disziplinen befassen sich mit den menschlichen Geschlechtsfunktionen, -praktiken und deren Auswirkungen auf die körperliche bzw. seelische Gesundheit. Unter dieser Fragestellung imponiert bei der Durchsicht spätantiker Grabinschriften christlicher Ärztinnen und Ärzte der Titulus der Scantia Redempta. Es ist eine ungewöhnlich lange Inschrift aus dem süditalienischen Capua in der Region Kampanien, die die Eltern für ihre Tochter haben aufstellen lassen: Scantiae Redemptae incomparabilissimae feminae, queius de vitae documenta non sufficit mediocritas hominum at cumulum laudis pervenire. Fuit namque iuvenis ista omni genere laudis condigna: primo deificae sanctitatis pudicitiae vallata honestate morum [in]nata, piaetas in parentibus procliva, castitate inlustris [t]enacitatis, magistra (v)er(e)cundiae, antistis disciplin[ae] [in] medicina fuit et innocentiae singularis, [t]alis fuit, ut esset exemplum, matrimoni fuit t[alis], ut contemneret iuventutem, nam maritus am[isit] coiugem familiarem salutis et vitae suae nut[ric(em)] 64
Sexualmoral Haec vixit annis XXII, mensib(us) X Fl(avius) Tarentinus et Scantia Redempta parentes filiae dulcissimae sibique fecerunt.2 (Für Scantia Redempta, eine ganz unvergleichliche Frau. Die menschliche Mittelmäßigkeit reicht nicht aus, die Taten deines Lebens zum Gipfel des Ruhms gelangen zu lassen. Denn diese junge Frau war des Lobes jeder Art ganz würdig: Zuerst einmal war sie von der Ehrwürdigkeit gottgemachter Keuschheit und geschützt durch den ihr angeborenen sittlichen Anstand, ihre Frömmigkeit war ihren Eltern zugeneigt, sie war berühmt für ihre unverrückliche Sittenreinheit, eine Lehrerin des Anstandsgefühls, sie war eine Lehrmeisterin in der Medizin und von einer derartigen Rechtschaffenheit, dass sie ein Vorbild war. Ihre Ehe war so beschaffen, dass sie das Jugendalter verachtete, denn ihr Ehemann hat seine Gattin verloren, die Nährerin seines Wohls und Lebens. Sie lebte 22 Jahre und 10 Monate. Die Eltern Flavius Tarentius und Scantia Redempta ließen (dieses Grabmal) für ihre liebste Tochter und für sich selbst anfertigen.)I
In seiner Aufstellung „Der Ärztestand im Römischen Reiche nach den Inschriften“3 listet Herman Gregorius Gummerus diese Inschrift unter den christlichen Ärzten auf. Er datiert das Epigramm Die Übersetzung ist eng an SCHULZE angelehnt. Er weist in seiner Arbeit auf einige sprachliche Besonderheiten dieser Inschrift hin; so fällt die Schreibweise „queius“ statt „cuius“ sowie „at“ statt „ad“ in den ersten vier Zeilen auf. In der dritten Zeile schließt an die Präposition „de“ das Substantiv „vitae“ als Genitiv statt korrekterweise als Ablativ an. Diese Konstruktion betont den Bezug auf die am Satzbeginn genannte Scantia Redempta somit zweifach. I
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Sexualmoral aufgrund grammatikalischer Auffälligkeiten ins 4. Jahrhundert. Der Name der Verstorbenen „Redempta“, die „Erlöste“, der identisch mit dem der Mutter ist, verweist ebenso wie der Ausdruck der „gottgemachten Keuschheit“ auf das christliche Bekenntnis der jungen Toten und ihrer Familie. In dieser Inschrift wird mehrfach auf die sexuelle Enthaltsamkeit der jungen Ärztin hingewiesen: Es ist die Rede von Keuschheit, sittlichem Anstand, Sittenreinheit und Anstandsgefühl. Zwar kann aus dieser Inschrift nicht selbstverständlich abgeleitet werden, dass auch in der praktizierten Medizin christlicher Ärzte des vierten Jahrhunderts das Prinzip der Ausgeglichenheit der Lebensqualitäten im Hinblick auf das Sexualleben aufgegeben wurde zugunsten eines Postulats der Enthaltsamkeit. Die Eltern der Scantia Redempta bekunden in dieser Inschrift zunächst nur die sexuelle Enthaltsamkeit ihrer Tochter. Inwiefern die Eltern tatsächlich Einblick in deren Sexualleben hatten, ist selbstverständlich nicht zu klären. Die öffentliche Herausstellung dieser vermeintlichen Tugend allerdings verweist darauf, dass in der Epoche der etablierten Reichskirche ein entsprechendes Keuschheitsideal bereits ausgebildet ist. In der Verbindung mit der ebenso akzentuierten Betonung der beruflichen Verdienste der Ärztin stellt diese asketische Lebenshaltung einen auffälligen Unterschied zu den vorchristlichen antiken Gesellschaften Griechenlands und Roms dar, für die generell ein freizügiges Verhältnis zur Sexualität postuliert wird. Erwin J. Haeberle schreibt in seinem Standardwerk „Die Sexualität des Menschen“: „Allgemein gesprochen waren die alten 66
Sexualmoral europäischen Kulturen der Sexualität gegenüber sehr positiv eingestellt.“4 Die hippokratische Medizin ist gekennzeichnet durch ihr Konzept von der Ausgewogenheit der Körpersäfte, hierzu gehört selbstverständlich auch eine ausgewogene Sexualität, es geht insgesamt um eine Eukrasie der Lebenselemente: „Ihr Prinzip ist das ausgewogene Gleichmaß, etwa im Schlafen und Wachen, im Arbeiten und Ruhen, im Essen und Trinken, im Liebesleben und in der Enthaltsamkeit“, beschreibt Eckart.5 Das hellenistische humoralpathologische Konzept wird auch von den römischen Medizinern zur Zeit des sich ausbreitenden Christentums weiterhin vertreten. Celsus fordert im ersten nachchristlichen Jahrhundert auch auf sexuellem Gebiet das „gesunde Mittelmaß“.6 Auch Galen vertritt die Ansicht, wonach regelmäßige, nicht exzessiv praktizierte Sexualität gesund sei: „Längere sexuelle Abstinenz könnten daher zu ernstlichen Störungen wie Hysterie, Tollwut, Zittern, Krämpfen oder Wahnsinn führen. Aus diesem Grund empfahl Galen mäßige, aber regelmäßige sexuelle Betätigung. War Koitus unmöglich, wurde Masturbation empfohlen. Besonders lobend hob Galen den berühmten griechischen Philosophen Diogenes hervor, von dem überliefert war, dass er um der Gesundheit willen häufig masturbiert hatte.“, führt Haeberle aus.7 Obgleich in der Inschrift der Scantia Redempta nicht auf einzelne Sexualpraktiken eingegangen wird, ist dennoch ein deutlicher Paradigmenwechsel festzustellen. Die Formulierung „gottgemachter 67
Sexualmoral Keuschheit“ weist auf die religiöse Grundlage dieser Verschiebung hin. Haeberle betont für den hellenistischen Kulturkreis, dass ein hedonistisches Verhältnis zur Sexualität auch religiös begründet war: „Im klassischen Griechenland wurde Sexualität als eine elementare Lebenskraft angesehen, alle sexuellen Gefühle wurden daher als grundsätzlich gut aufgefasst. Viele Götter und Göttinnen der Fruchtbarkeit, der Schönheit und der sexuellen Freuden wurden in besonderen Tempeln oder zu besonderen Anlässen in oft orgiastischen Festen verehrt. Die Griechen glaubten auch, dass fast alle ihre Götter ein lebhaftes und vielseitiges Liebesleben hätten. Daher erachteten sie es nur als angemessen für die Sterblichen, diesem göttlichen Beispiel zu folgen.“8 In der hellenistischen Götterwelt versinnbildlicht Eros die Elemente von Leidenschaft, erotischer Ästhetik und sexueller Lust, Amor verkörpert die römische Entsprechung. In diese klassische Götterwelt hinein bricht mit dem Christentum eine monotheistische Religion, die auch im Hinblick auf die Auffassung von Sexualität andere Schwerpunkte setzt. Die jüdischen Wurzeln des Christentums vermitteln ein vielschichtiges Bild der Sexualität. Die mehrdimensionale Gestalt des Alten Testamentes drückt sich auch darin aus, dass hier immer mehrere Strömungen Gehör finden. Die Dynamik der geschichtlichen Entwicklung des Volkes Israel zeigt sich besonders eindrucksvoll in den Widersprüchen seiner Geschichte, die trotz redaktioneller Überarbeitung der biblischen Texte nie vollständig verleugnet oder übertüncht worden sind. Unverblümt erotisch beispielsweise erscheint das Hohe 68
Sexualmoral Lied Salomos: „Deine Brüste sind wie zwei Kitzlein, wie die Zwillinge einer Gazelle, die in den Lilien weiden.“ (Hld 4, 5). Hier wird auch der Beischlaf der Liebenden besungen: „Früh wollen wir dann zu den Weinbergen gehen und sehen, ob der Weinstock schon treibt, ob die Rebenblüte sich öffnet, ob die Granatbäume blühen. Dort schenke ich dir meine Liebe.“ (Hld 7, 13). Alle Versuche, diesen Text sexuell zu entschärfen, indem er als eine Allegorie der Liebe Gottes zu den Menschen interpretiert wird, scheitern an der eindeutigen Leiblichkeit dieses poetischen Textes. Darum hat er besondere Schwierigkeiten bei einer Einordnung in spätere jüdische und christliche Moralkodices bereitet, denn hier ist offenbar weder von einer ehelich institutionalisierten Liebe oder von einer Hochzeitsnacht die Rede. Es geht erst recht nicht um eine zielgerichtete Liebe etwa im Sinne der Fortpflanzung, sondern das Lied besingt schlicht „die Liebe um der Liebe willen“, wie der Schweizer Alttestamentler Walter Bühlmann formuliert.9 Das Hohe Lied bildet in seiner Freizügigkeit eine Ausnahme innerhalb der alttestamentlichen Schriften. In anderen Textstellen zeigt bereits das AT eine rigide Sexualmoral, etwa in den „Sexuellen Vorschriften“ des Levitikus (Lev 18). Insbesondere die Verbote von Homosexualität und Masturbation haben über viele Jahrhunderte die sexualmoralische Ausrichtung des AT bestimmt: „Schläft einer mit einem Mann, wie man mit einer Frau schläft, dann haben sie eine Gräueltat begangen; beide werden mit dem Tod bestraft; ihr Blut soll auf sie kommen.“ (Lev 20, 13). Auch die Bezeichnung „Onanie“ für die sexuelle Selbststimulation ist 69
Sexualmoral auf die alttestamentliche Gestalt des Onan zurückzuführen: „Sooft er zur Frau seines Bruders ging, ließ er den Samen zur Erde fallen und verderben“ (Gen 38, 9). Zwar ist umstritten, ob diese Textpassage statt der Masturbation nicht eher die Praxis des Coitus interruptus beschreibt, die Namensgebung lässt sich dennoch auf die biblische Figur zurückführen. In diesem kurzen Zitat ist schon die Verurteilung jeder sexuellen Praxis enthalten, die nicht der vermeintlich gottgewollten Zielgerichtetheit im Sinne der Fortpflanzung entspricht: der Samen „verdirbt“. Diese Sichtweise menschlicher Sexualität ist zweifelsfrei im AT angelegt, spiegelt aber nur eine Traditionslinie wider, die ihre Dominanz gegenüber einem ebenfalls in den Heiligen Schriften angelegten sinnesfrohen Verständnis erst durch die spätere Überbetonung erfahren hat. Neben dem Hohen Lied finden sich weitere sexuell gefärbte Textstellen im AT, die nur – insbesondere im christlich-kirchlichen Raum – eine wesentlich geringere Rezeption erfahren haben. „Wenn ein Mann neu vermählt ist, muss er nicht mit dem Heer ausrücken. Man soll auch keine andere Leistung von ihm verlangen. Ein Jahr lang darf er frei von Verpflichtungen zu Hause bleiben und die Frau, die er geheiratet hat, erfreuen.“, ordnet das Buch Deuteronomium an (Dtn 24, 5) und das Buch der Richter berichtet, dass sexuelle Freuden sich beileibe nicht nur im ehelichen Rahmen abspielen, wenn Simson zu einer Dirne geht (Ri 16, 1). Die Prostitution scheint nicht nur eine profane Angelegenheit gewesen zu sein. Beim Propheten Hosea heißt es: „Geh, nimm dir 70
Sexualmoral eine Kultdirne zur Frau, und (zeuge) Dirnenkinder!“ (Hos 1, 2a); allerdings ist diese Aufforderung in prophetischer Manier symbolhaft zu verstehen, um damit auszudrücken, dass Israel von JHWH abgefallen sei: „Denn das Land hat den Herrn verlassen und ist zur Dirne geworden.“ (Hos 1, 2b). Die selbstverständliche Erwähnung einer Kultdirne impliziert dennoch, dass diese Erscheinung auch im jüdischen Kontext bekannt gewesen sein muss. Nicht umsonst hält es das Deuteronomium für notwendig, explizit ein Verbot der Tempelunzucht auszusprechen: „Unter den Frauen Israels soll es keine sakrale Prostitution geben, und unter den Männern Israels soll es keine sakrale Prostitution geben.“ (Dtn 23, 18). Gegenüber den griechisch-römischen Liebesgöttern stellen die Schriften des NT Jesus Christus auffällig asexuell dar. Erotische Handlungen oder Situationen werden über ihn an keiner Stelle berichtet, andererseits werden sie auch nicht ausdrücklich verneint, so dass Befürworter oder Gegner einer christlich verwurzelten Sexualität stets versucht haben, aus entsprechenden Andeutungen in den neutestamentlichen Schriften eine asketische oder eine sinnliche Ausrichtung Jesu abzuleiten. Das innige Verhältnis Jesu zu Maria von Magdala (etwa: „Maria setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seinen Worten zu.“ [Lk 10, 39]) hat immer wieder zu Spekulationen Anlass gegeben, dass zwischen Jesus und Maria nicht nur ein Lehrer-Schülerin-Verhältnis, sondern wohl auch eine erotische Beziehung bestanden habe. Naturgemäß wird diese These von anderer Seite vehement verworfen. 71
Sexualmoral Einzelne Exegeten versuchen sogar, die Beschreibung des Johannes als der „Jünger, den Jesus liebte“ und „der sich bei jenem Mahl an die Brust Jesu gelehnt“ hatte, in einem homosexuellen Sinn zu interpretieren.10 Solche Auslegungsversuche lassen sich nicht belegen und erscheinen in aller Regel tendenziös in dem Sinne, dass eigene Anschauungen der Interpretatoren in biblische Texte hineingelesen werden. Was Dörnemann im Hinblick auf die medizinische Aussagekraft der Evangelien formuliert, kann daher gleichermaßen auf die sexuelle Ebene übertragen werden: „Da das NT nicht an medizinischen Fragen interessiert ist, ist es m.E. problematisch, immer wieder zu versuchen, positive wie negative Einstellungen zur wissenschaftlichen Medizin dort herauszulesen.“11 Allerdings kann diese Einschätzung nur auf die Evangeliendarstellungen Jesu selbst bezogen werden, durch Paulus erfährt die christliche Lehre bereits in den neutestamentlichen Schriften eine wegweisende Ausrichtung, was im Bezug auf die Sexualität deutliche Einschränkungen bedeutet. Im Römerbrief heißt es: „Darum lieferte Gott sie entehrenden Leidenschaften aus: Ihre Frauen vertauschten den natürlichen Verkehr mit dem widernatürlichen; ebenso gaben die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau auf und entbrannten in Begierde zueinander; Männer trieben mit Männern Unzucht und erhielten den ihnen gebührenden Lohn für ihre Verirrung.“ (Röm 1, 27-28).
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Sexualmoral Paulus kennzeichnet Homosexualität also eindeutig als lasterhaft und verurteilt diese sexuelle Praxis als „Verirrung“. Seine sexuellen Auffassungen bleiben keine Einzelmeinung, sondern die in seinen Briefen angelegte Sexualmoral wird von den frühen christlichen Theologen breit aufgegriffen und weiterverfolgt. Die Aufnahme der Paulinischen Schriften in den Kanon der neutestamentlichen Heiligen Schriften des Christentums bewirkt zudem eine gewisse Unangreifbarkeit als so genannte „inspirierte“ Texte, d.h. vom Geist Gottes eingegebene Texte. Paulus` Unterscheidung zwischen „natürlichem“ und „widernatürlichem“ Sexualverkehr hat die christliche Sexualmoral auch in ihrer Terminologie über Jahrhunderte geprägt. Mit dem Siegeszug des Christentums in die antike römisch-griechische Kultur wird damit zugleich eine rigide Sexualmoral importiert, die ihre Wurzeln im jüdischen Kontext hat und die der klassischen Grundeinstellung sexueller Libertinage fremd ist. Dieses Phänomen kennzeichnet zunächst den Umgang und die Haltung gegenüber homoerotischen Praktiken. Paul Veyne stellt in der „Geschichte des privaten Lebens“ für das gesamte klassische Altertum zusammenfassend fest: „Jedermann mochte mit einem Geschlechtsgenossen sinnliche Freuden teilen, und die Päderastie war im toleranten Altertum gang und gäbe. Viele im Grunde heterosexuelle Männer gaben sich zu sexuellen Zwecken mit Knaben ab. Geschlechtsverkehr mit Knaben galt sprichwörtlich als ein nervenschonendes Vergnügen, das die Seele nicht aufwühlte, wäh-
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Sexualmoral rend die Leidenschaft für ein Weib einen freien Mann in unerträgliche Sklaverei stürzte.“12 In dieser Ausführung klingt die prinzipiell unterschiedliche moralische Bewertung der Sexualität in der römischen Weltsicht und in der christlichen Lehre an: während das Christentum Sexualität in den göttlichen Schöpfungsplan einzuordnen versucht und insofern Sexualpraktiken, die nicht dem Genesisgebot „Seid fruchtbar, und vermehrt euch“ (Gen 1, 22) entsprechen, also v.a. die Onanie und die Homosexualität, verurteilt, zählen für die klassische römische Betrachtung andere Maßstäbe: es geht um die Machtfrage. Diese Perspektive gilt nicht nur innerhalb der jeweiligen Sexualbeziehung, wenn befürchtet wird, der römische Patriarch könne durch eine passive Rolle im Geschlechtsakt seine Dominanz einbüßen, sondern dieses Motiv bestimmt auch die gesellschaftliche Relevanz. Veyne korrigiert die Vorstellung, in der griechisch-römische Antike habe ausschließlich die besagte sexuelle Freizügigkeit geherrscht: „Gemeinhin glaubt man, in erotischen Belangen hätten im Altertum repressionsfreie Verhältnisse wie im Paradies geherrscht, und erst das Christentum habe den Gewissenswurm der Sünde in die verbotene Frucht transplantiert. In Wirklichkeit konnten sich die Heiden vor Verboten kaum retten.“13 Die tolerante Haltung gegenüber der Homosexualität dürfe nicht übertragen werden auf eine allgemeine sexuelle Freizügigkeit: „Zwischen homosexueller und heterosexueller Liebe wurde kein Unterschied gemacht. Was sie miteinander verband, war das Faktum der körperlichen Lust. Doch nicht die Geschlechtslust 74
Sexualmoral selbst erschien dem Moralisten der Oberschicht als anstößig. Was er übel vermerkte, waren die Auswirkungen dieser Lust auf das öffentliche Betragen und die sozialen Beziehungen des Mannes.“14 Als Motiv stecken hinter diesen Vorbehalten der römischen Oberschicht gegenüber sexuellen Ausschweifungen ihrer Mitglieder also keine religiösen oder moralischen Bedenken, sondern die Sorge um den Ansehens- und Autoritätsverlust des Mannes, dessen Nachgeben gegenüber geschlechtlichen Trieben mangelnde Disziplin und Durchsetzungskraft bedeuten könne. Darum wird Homosexualität nicht etwa an sich abgelehnt, sondern nur dann, wenn die Hierarchie dadurch umgekehrt wird, wenn der Vertreter der männlichen Hierarchie gegenüber dem „Lustknaben“ oder Sklaven eine passive Rolle innehat, sich also gleichsam den Stab aus der Hand nehmen lässt. Dieselbe Intention bestimmt die Regeln des heterosexuellen Verkehrs: „Die Beziehung zwischen Mann und Frau unterlagen denselben strengen Kriterien. Die Umkehrung der wahren Hierarchie durch oralen Sexualkontakt mit einer Partnerin war geächtet (und daher besonders reizvoll) – die Kapitulation des Mannes vor der ‚moralischen Ansteckung’ durch die minder wertvolle Frau. Furcht vor Unmännlichkeit und emotionaler Abhängigkeit – nicht von sexuellen Skrupeln diktiert, sondern von dem Bedürfnis, der Öffentlichkeit das intakte Bild des intakten Oberschicht-Mannes darzubieten – bestimmte die moralischen Codes, auf welche die meisten Notabeln ihr Sexualleben gründeten.“, führt Veyne aus.15
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Sexualmoral Aus diesen sexuellen Vorstellungen der römischen Oberschicht erwachsen entsprechende medizinische Folgen. Übermäßiges Ausleben des Geschlechtstriebes steht im Verdacht, die Tatkraft des Mannes zu untergraben. Im geringen Maße gilt daher auch für die Frau sexuelle Zurückhaltung als eine Tugend, aus der Gesundheit erwächst. Bezeichnenderweise charakterisiert Veyne diese Vorstellung mit dem medizinischen Begriff der „moralischen Ansteckung“: „Ein Mann war ein Mann, weil er sich wirkungsvoll in der öffentlichen Welt bewegte. … Übermäßige sexuelle Entladung kühlte sein Temperament ab; die Erschöpfung seiner Ressourcen verriet der nachlassende Schwung seines öffentlichen Auftretens. Jene vollklingende Stimme des ‚öffentlichen Menschen’, die QuintilianII und seine Zeitgenossen so gerne vernahmen, weil sie die Geschäftigkeit der Stadt übertönte – sie war die kostbare Frucht einer Männlichkeit, die durch ‚sexuelle Enthaltsamkeit’ sorgsam bewahrt wurde. Die puritanische Traditionsmoral der griechischen und römischen Oberschicht lastete schwer auf denen, die sich ihr verschrieben. Dieser Puritanismus zielte nicht auf die Sexualität an sich; er zielte auf die Sexualität als möglicher Quelle moralischer Ansteckung. Denn sexuelle Ausschweifung untergrub, da exzessiver Sexualgenuss mit Partnern beiderlei Geschlechts ‚verweichlichte’, die unangefochtene Überlegenheit der Vornehmen.“15
MARCUS FABIUS QUINTILIAN, um 30 - um 96 n. Chr., römischer Redner und Schriftsteller. II
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Sexualmoral In dieser Einschätzung korrespondiert das römische Oberschichtdenken mit der Sexualmoral der christlichen Theologie. Tertullian etwa schreibt in seiner montanistischen Phase, die unsittliche Genusssucht der laxen Christen schwäche ihren Geist. In seinem Buch „De ieiunio“ (Über das Fasten) wirft er den „Psychikern“III vor: „… ita passim indagandis turdis studes, ita de campo laxissimae disciplinae tuae venis, ita spiritu deficis.”16 (… kommst du vom Felde deiner laxen Sittenzucht heim, bist du wie er schwach im Geist.)
Aus der Inschrift der Scantia Redempta lässt sich nicht eindeutig ableiten, ob sie selbst die ihr zugeschriebenen Ideale der „Sittenreinheit“ und „Keuschheit“ tatsächlich als Maßstab ihrer eigenen Lebensführung akzeptiert hat – ganz unpassend werden diese Attribute wohl nicht sein. Falls diese Sittlichkeitscharakterisierung zutrifft, stellt sich die Frage, inwiefern die Ärztin diese Sexualeinstellung an ihre Patienten weitergegeben hat. Im vierten Jahrhundert hat sich die medizinische Sicht der Sexualität noch nicht eindeutig vom Prinzip der Ausgeglichenheit des Sexuallebens zugunsten eines Postulats der Enthaltsamkeit verschoben. Haeberle Gemäß der gnostischen Lehre stellen die „Psychiker“ die mittlere Menschenklasse zwischen der oberen Gattung der „Pneumatiker“, die als einzige zur vollen Gotteserkenntnis befähigt sind, dar und den Hylikern, denen die Erlösung versagt bleibt. Die Psychiker sind demnach zwar zu Glauben und sittlicher Erkenntnis fähig, nicht jedoch zur Erkenntnis Gottes. Es wird vermutet, dass TERTULLIAN das Schlagwort „Psychiker“ gegen die seiner Meinung nach laxen Vertreter der katholischen Großkirche richtet, die ihrerseits mit diesem Begriff Sektierer betitelt haben. III
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Sexualmoral stellt fest: „Die Griechen und Römer der Antike waren in sexuellen Dingen äußerst tolerant, und diese Toleranz drückte sich auch in ihren medizinischen Ansichten aus. Interessanterweise überdauerten viele dieser Ansichten bis ins Mittelalter und darüber hinaus. Tatsächlich blieb Galen für über 1500 Jahre die führende medizinische Kapazität der westlichen Welt. Aufgrund der Verdammung der ‚Sinneslust’ durch die christliche Kirche wurden seine Sexualtheorien dann aber wenig berücksichtigt, später aufgegeben und schließlich vergessen.“17 Denkbar ist, dass Scantia Redempta sich selbst zu einer christlich moralischen Oberschicht zählt, in der sie solche Enthaltsamkeit nur sich selbst abverlangt, diese jedoch nicht von ihrer Patientenschaft einfordert. Anders als in Tertullians allgemeiner Forderung nach Sittenzucht unterscheidet die frühe Kirche zwischen herausragenden Vorbildern der Selbstdisziplin und den einfachen Christen. Asketisch lebende Menschen werden als Vorbilder herausgestellt, deren Beispiel nicht identisch nachvollzogen werden kann, sondern dem im kleineren Maßstab nachgeeifert werden soll. Brox schreibt über diese Glaubensidole: „Sie bildeten die Eliten, an denen das Volk sich orientierte und aufrichtete. Ihr Leben zeigte das ideale Christentum, die Kraft des Glaubens, den Lohn der Mühe. Sie waren am Ziel, das alle anstrebten. Sie lebten vor, wie man es erreichte: mit Standhaftigkeit und Treue. Ihr heroisches Tun war übertragbar in die alltäglichen Tugenden, die auch der einfache Christ aufbringt.“18
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Sexualmoral Auch Scantia Redempta kann sich in diesem Sinn als ideale Christin verstanden haben. Die geistige Elite orientiert sich am Vorbild Jesus, von dem selbst wie bereits festgestellt, keine expliziten sexuellen Vorschriften überliefert sind, von dem die neutestamentlichen Texte jedoch berichten, dass er den Versuchungen in der Wüste widersteht (vgl. Mt 4). Zugleich ist Jesus, der an sich selbst offensichtlich hohe sittliche Maßstäbe anlegt, gegenüber den willensschwächeren Menschen um ihn herum nachsichtig und verzeihend. Das Lukasevangelium berichtet, dass er der Frau ihre Sünden verzeiht, die seine Füße mit ihren Tränen benetzt und mit ihren Haaren trocknet, die ihn küsst und mit Öl salbt: „Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben, weil sie so viel Liebe gezeigt hat. Wem aber nur wenig vergeben wird, der zeigt auch nur wenig Liebe.“ (Lk 7, 47). Auch die Erzählung der Ehebrecherin, die gesteinigt werden soll, illustriert die Vergebungsbotschaft Jesu. „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie.“ (Joh 8, 7) – aus dieser Perspektive müsste eine Zurückhaltung späterer christlicher Asketen bei der Verurteilung moralisch weniger konsequenter Zeitgenossen abgeleitet werden. Allerdings darf unterstellt werden, dass die Lebensführung eines Arztes in der Antike Auswirkungen auf seine Klientel hat, zumal in der besagten Inschrift ausdrücklich davon die Rede ist, dass Scantia Redempta „ein Vorbild war“. Außerdem benennt die Inschrift sie als eine „Lehrmeisterin in der Medizin“, ohne dass näher geschildert wird, worin ihre Lehrfunktion bestanden hat. Beide Äußerungen sind zwar möglicherweise topisch zu verste79
Sexualmoral hen; wenn jedoch unterstellt wird, dass der Begriff „Lehrmeisterin“ nicht völlig zusammenhanglos gebraucht wird, kann davon ausgegangen werden, dass Scantia Redempta trotz ihrem jungen Lebensalter in irgendeiner Form in die Ausbildung von medizinischem Personal einbezogen ist. In diesem Falle würde das christliche Keuschheitsideal in der Medizin der Spätantike – zumindest implizit durch das Vorleben einer Lehrerin – weitergegeben worden sein. Bemerkenswert an der Grabinschrift der Scantia Redempta ist darüber hinaus, dass trotz aller Betonung ihrer Keuschheit und Sittlichkeit dennoch von ihrem Ehemann die Rede ist, dessen „Nährerin seines Wohls und Lebens“ sie gewesen sei. Die Forderung nach sexueller Enthaltsamkeit betrifft aus den dargelegten gesundheitsfördernden Vorstellungen darum nicht nur außereheliche sexuelle Vergnügungen, sondern bestimmt als allgemeine Gesundheitsregel ebenso die eheliche Sexualität. Auch für den Verkehr der Eheleute wird die sexuelle Enthaltsamkeit zunehmend als erstrebenswertes Ziel von der römischen Oberschicht postuliert. „In der Privatsphäre der Notablen verschärfte sich, als Preis für die Aufrechterhaltung der imperialen Ordnung, der Anspruch der öffentlichen Zucht. So kam es im Laufe des 2. Jahrhunderts n.Chr. zu einem tiefgreifenden Wandel der Einstellung zum Ehepaar. In der Spätzeit der Republik und im frühen Kaiserreich betrachtete man die Frauen prominenter Männer als periphere Wesen, die für die öffentliche Erscheinung ihres Gatten so gut wie nichts leisteten. Man nannte sie ‚kleine Geschöpfe’, deren Ver80
Sexualmoral halten und Beziehung zum Mann ohne Belang für die männliche Welt der Politik war. Sie mochten mit ihrer Sinnlichkeit dem Mann das Mark aussaugen“, kennzeichnet Veyne den untergeordneten Status der älteren Tradition: „verheiratet zu sein wog in der Waagschale der Öffentlichkeit wenig.“19 Die stärkere Gewichtung der individuellen Unabhängigkeit des Mannes gegenüber der Gebundenheit in einer Ehe verträgt sich in gewisser Weise gut mit den moralischen Grundsätzen des Paulus, die mit der Ausbreitung des Christentums zunehmend in der römischen Mittelschicht Fuß fassen – allerdings ist die uneingeschränkte Freiheit des Mannes für den Apostel nicht als Voraussetzung für sein volles Engagement in der Politik entscheidend, sondern seine ganze Hingabe zu Gott: „Ich wünschte, alle Menschen wären (unverheiratet) wie ich. Doch jeder hat seine Gnadengabe von Gott, der eine so, der andere so. Den Unverheirateten und den Witwen sage ich: Es ist gut, wenn sie so bleiben wie ich.“ Allerdings ergänzt er direkt: „Wenn sie aber nicht enthaltsam leben können, sollen sie heiraten. Es ist besser zu heiraten, als sich in Begierde zu verzehren.“ (1Kor 7, 7-9). Paulus vertritt offensichtlich eine Haltung, wonach die Ehe das „kleinere Übel“ ist, damit der Mensch nicht aufgrund seiner fleischlichen Lust in Sünde verfalle. Implizit drückt diese Passage des ersten Korintherbriefes also auch eine strenge moralische Verurteilung anderwärtiger sexueller Betätigung außerhalb der Ehe aus. An anderer Stelle entwirft der Apostel dann allerdings für das innereheliche Verhältnis der Partner ein Modell der gegenseitigen Achtung und 81
Sexualmoral Liebe: „Was euch angeht, so liebe jeder von euch seine Frau wie sich selbst, die Frau aber ehre den Mann.“ (Eph 5, 33). Auch dieser Aspekt paulinisch geprägter Moraltheologie des Christentums fließt ab dem 2. Jahrhundert unproblematisch mit dem gesellschaftlichen Bedeutungswandel der Ehe zusammen. „Im Zeitalter der AntonineIV stand man den ehelichen Arrangements der Oberschicht nicht länger neutral gegenüber. Jetzt pochte man auf die ‚concordia’, die ‚homonoia’, der guten Ehe (oft in bewusster Anknüpfung an die eheliche Zucht, die angeblich in römischer Frühzeit geherrscht hatte), und diese Eintracht fungierte als tönendes Symbol für alle Formen sozialer Harmonie.“, schreibt Veyne.20 Die römischen Christen entwickeln diese veränderte Moral also nicht selbst, sie greifen vielmehr auf, was bereits durch Vertreter der Stoa postuliert worden ist. In der Ablehnung außerehelicher sexueller Vergnügungen „ähnelt der ‚stoische’ Plan täuschend der christlichen Askese.“, vermerkt Veyne.21 Allerdings ist die frühchristliche Theologie keinesfalls einförmig; der Kirchenvater Clemens von Alexandrien verfasst zu Beginn des dritten Jahrhunderts Eheregeln, die er weitgehend vom Stoiker Musonius übernimmt, lehnt dabei jedoch strikte Askese ab. „Die Thematik verweist darauf, dass das Christentum in den höheren Gesellschaftsschichten der Wohlhabenden und Gebildeten Im 2. Jhdt. n. Chr. hat das Römische Reich seine größte territoriale Ausdehnung erreicht. Diese Phase allgemeiner Konsolidierung unter den Kaisern HADRIAN und ANTONINUS PIUS (117-161) wird daher als Zeitalter der Antonine bezeichnet. IV
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Sexualmoral Eingang gefunden hat. Wenn C[lemens] bei der Erörterung dieser Fragen schroffe Askese ablehnt, aber fordert, dass der Christ das rechte Maß behalte und gegenüber den äußeren Gütern seine innere Unabhängigkeit bewahre, so hat er sein Material neben bibl[ischen] Weisungen weitgehend der antiken populärphilosophischen Anstandsliteratur entlehnt.“, resümiert Dietmar Wyrwa.22 Auch in dieser Charakterisierung der Haltung Clemens` klingt der Grundgedanke des antiken medizinischen Konzeptes der Einhaltung der „sex res non naturales“ an.V Die Bedeutung des Christentums liegt demnach nicht darin, die Idee ehelicher Treue aufgebracht zu haben, sondern dieses schon bestehende Ideal verbindlich durchgesetzt zu haben: „Daher rührt das Widersprüchliche am Aufstieg des Christentums als sittliche Kraft in der heidnischen Welt. Dieser Aufstieg hat die moralische Textur des spätrömischen Reichs erheblich verändert. Zwar haben die christlichen Kirchenführer kein neues Moralsystem eingeführt. Aber sie taten etwas viel Entscheidenderes: Sie bildeten eine neue Gruppe, die trotz ihrer Innenspannungen auf Solidarität setzte und damit gewährleistete, dass ihre Mitglieder das praktizierten, was heidnische und jüdische Moralisten seit geraumer Zeit predigten.“23 Die „sex res non naturales“ kennzeichnen den ausgewogenen Umgang mit der Luft (aer), den Nahrungsmitteln (cibus et potus), Bewegung und Ruhe (motus et quies), Schlafen und Wachen (somnus et vigilia), Füllung und Entleerung des Körpers (repletio et evacuatio) sowie den Emotionen (accidentia animi). Oberstes Prinzip ist die Ausgewogenheit zwischen allen Qualitäten und Elementen.
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Sexualmoral
Die Entwicklung der spätantiken Sexualmoral ist im Hinblick auf das Christentum jedoch durch einen weiteren, jetzt spezifisch christlichen Schritt gekennzeichnet. Nach der Eingrenzung des Sexuallebens auf den ehelichen Bereich vollzieht die christliche Kirche des 2. und 3. Jahrhunderts eine weitere Stufe der Selbstbeherrschung: „die nächste Revolution: Geschlechtliche Entsagung – sei es Keuschheit von Geburt an, bei der Taufe gelobte Enthaltsamkeit oder die Enthaltsamkeit von Ehepaaren oder Witwen“ (Veyne).24 Diese Ausprägung der Weltentsagung unterscheidet den Christen von der antiken Kultur deutlicher als bisherige Elemente seiner Sexualmoral. Besonderen Ausdruck findet dies in der Tatsache, dass das Griechische noch nicht einmal einen sprachlichen Begriff für diese Überwindung der sexuellen Triebe kennt: „Den Griechen lag sexuelle Abstinenz so fern, dass ihre Sprache nicht einmal ein besonderes Wort für Keuschheit enthielt.“, konstatiert Haeberle.25 Da die Enthaltsamkeit auch das Sexualleben von Ehepartnern einschließt, umfasst dieses asketische Moment auch einen Wandel im Eheverständnis des spätantiken Christentums: die Verbindung der Ehepartner ist nicht ausschließlich zielgerichtet auf die Fortpflanzung, diese Institution ist nicht nur der moralisch erlaubte Bereich ausgeübter Sexualität für diejenigen Christen, die „nicht enthaltsam leben können“, wie Paulus schreibt, sondern die Ehe 84
Sexualmoral behält einen eigenen Wert auch dann, wenn die Ehepartner bewusst enthaltsam leben. Sie wird als geistige Vereinigung liebender Menschen Sinnbild der göttlichen Liebe zur Kirche, mit der Besonderheit, dass diese Liebe selbstverständlich keine gleichberechtigte Beziehung ist, so wie es im bereits zitierten Epheserbrief ausgedrückt wird: „Wie aber die Kirche sich Christus unterordnet, sollen sich die Frauen in allem den Männern unterordnen. Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat, um sie im Wasser und durch das Wort rein und heilig zu machen. So will er die Kirche herrlich vor sich erscheinen lassen, ohne Flecken, Falten oder andere Fehler; heilig soll sie sein und makellos. Darum sind die Männer verpflichtet, ihre Frauen so zu lieben wie ihren eigenen Leib. Wer seine Frau liebt, liebt sich selbst.“ (Eph 5, 24-28). In der Beziehung zwischen Scantia Redempta und ihrem nicht namentlich genannten Mann scheint sich die ausgeprägte Form des stoischen Lebensprinzips in einem christlichen Ehepaar verdichtet zu haben, dessen Gemeinschaft nicht auf die Sexualität oder gar den Fortpflanzungsgedanken, auch nicht auf die Ästhetik ausgerichtet war („Ihre Ehe war so beschaffen, dass sie das Jugendalter verachtete“!), sondern eine Institution darstellt, die den schützenden Rahmen bildet, damit die christlichen Eheleute ihrer moralischen Verpflichtung zur Nächstenliebe nachkommen können. Veyne kommentiert diese geistige Entwicklung des Stoizismus wie folgt: „Die Pflichten des Menschen gegen sich selbst und gegen seinesgleichen wurden zunehmend an die Institutionen ge85
Sexualmoral koppelt, die man nunmehr in der Moral zu integrieren suchte: Die Ehe ist eine (ungleiche) Freundschaft zwischen Mann und Frau. Vorbei waren die Zeiten, da die Stoiker über die Sehnsucht nach dem Schönen spekulierten und über Knabenliebe als Typus der Liebe überhaupt. Die keuschen Gatten: Über diesen freiwilligen Konformismus hinaus, zu dem die spätere Stoa verkam, gab es noch einen engeren Zusammenhang zwischen ihr und der neuen ehelichen Moral. Diese verlangte nicht mehr die fügsame Erfüllung einer Reihe ehelicher Aufgaben, sondern forderte von den Gatten, als ideales Paar zusammenzuleben, und zwar auf der Grundlage einer ständig bewiesenen freundschaftlichen Gesinnung, die hinreichen sollte, die Pflicht zu tun.“26 Veyne sieht in dieser sexualmoralischen Entwicklung des Christentums einen genuin religiösen Aspekt: „Die Überwindung der Sexualität – oder bescheidener gesagt: die Abkehr von ihr – stand für jenen bereitwilligen Dienst an Gott und den Nächsten, in dem das Ideal der Herzenseinfalt verankert war.“27 Die Entsagung von der Sexualität, die Lebensenergie bindet, ermöglicht demnach einen uneingeschränkten Einsatz für Gott und den Nächsten. In diesem karitativen Zusammenhang gewinnt die sexuelle Entsagung des Christen auch wieder medizinisches Gewicht, wenn er sich völlig dem Dienst am Kranken und Bedürftigen hingeben kann. Norbert Brox stellt in diesem Zusammenhang dar: „Eine ganz andere Seite der von großen Teilen des Kirchenvolkes getragenen praktischen Frömmigkeit war die soziale Tätigkeit der Christen. Die alten Quellen betonen oft, dass es gerade der Weg 86
Sexualmoral der einfachen Christen sei, den Glauben ‚non-verbal’ zu bezeugen. Armensorge, Gefangenenbetreuung, soziale Dienste innerhalb und außerhalb der Gemeinde an Witwen, Kranken, Waisen, Notleidenden, gehörte zum Alltag der Kirche auch in nachkonstantinischer Zeit. Auch das soziale Verhalten von Vergeltungsverzicht, Friedfertigkeit und Gewaltverweigerung wird oft genannt. Die Heiden haben das alles wiederholt als auffälliges Merkmal und typische Verhaltensmuster der Christen registriert, spöttisch oder anerkennend. Schon im frühen 2. Jahrhundert ist die Askese (Verzicht auf Besitz, Ehe, Kultur, Komfort, Speise, Trank, Schlaf usw.), die aus philosophischen oder religiösen Motiven in der nichtchristlichen Umwelt in verschiedensten Formen praktiziert wurde, von Christen auch als Lebensform der Nachfolge Jesu gewählt worden.“28 Einer der Heiden, die diese christliche Askese und ihre soziale (eben auch medizinische) Dimension anerkennend registrieren, ist Galen. Er äußert sich Ende des 2. Jahrhunderts bewundernd über die christliche Enthaltsamkeit: „Ihre Todesverachtung steht uns Tag für Tag vor Augen, desgleichen ihre Zurückhaltung bei der Beiwohnung. Denn es gibt bei ihnen nicht nur Männer, sondern auch Frauen, die sich ihr Leben lang jeder Beiwohnung enthalten; sie haben auch einzelne, welche Selbstzucht und Selbstbeherrschung so sehr vervollkommnet haben, dass sie einem wahren Philosophen nicht nachstehen.“29 Der führende Arzt seiner Epoche sieht in der sexuellen Enthaltsamkeit der Christen offensichtlich nicht in erster Linie die Gefahr einer Unausgeglichenheit der 87
Sexualmoral Körpersäfte, die zu krankhaften Symptomen führen könne (was er ja an anderer Stelle selbst vertritt, s.o.), sondern im Gegenteil eine hervorzuhebende Tugend. Diese positive Bewertung legt den Verdacht einer partiellen Identifizierung Galens mit diesem Ideal des Aufopferns nahe, wonach der gute Arzt seine Kräfte auf die Fürsorge für die Kranken konzentriert. Zeitliche und örtliche Einordnung der Fundstelle Die von Gummerus vorgeschlagene und von Schulze übernommene Datierung der Inschrift Scantia Redemptas ins 4. Jahrhundert korrespondiert gut mit der dargelegten kulturgeschichtlichen Entwicklung dieser Zeit. Die Ausrichtung vieler Christen auf eine asketische Lebensweise erreicht in der Zeit nach der Konstantinischen Wende, also nach 312, ihren Höhepunkt. Durch den prochristlichen Kurs des Kaisers kommt es zu zahlreichen Beitritten zur christlichen Reichskirche von Menschen, die nicht innerlich diese „moderne Religion“ annehmen, sondern nur aus gesellschaftlichen Opportunitätsgründen konvertieren. Unter den überzeugten Anhängern des Christentums bildet sich als Reaktion auf diese Verwässerung ihres Glaubens in der Folge eine verstärkte Umsetzung christlicher Ideale in ihrer Lebensführung durch: „Dieser Neuaufbruch hatte auch mit den konstantinischen Verhältnissen zu tun, unter denen viele Christen nach ernsthaften, kompromisslosen Formen des Christseins suchten, die sie in der Reichskirche vermissten.“, erklärt Brox.30
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Sexualmoral Auch unter geografischen Gesichtspunkten lässt sich die Fundstelle gut in den Gesamtkontext integrieren. Capua liegt in der Region Kampanien am Fluss Volturno. Die Stadt ist etwa im 9. Jahrhundert v.Chr. gegründet worden und ist Hauptort des Kampanischen Städtebundes gewesen. Im 4. Jahrhundert v.Chr. erfolgt die Verbindung mit Rom. Während des 2. Punischen Krieges gibt die Stadt ihre Allianz mit Rom auf und schließt sich Karthago an, wird aber bereits 211 v.Chr. wieder von Rom zurückerobert. Die süditalienische Stadt steht somit stark unter dem Einfluss der weströmischen Kirche, wo ein asketischer Lebenswandel besondere Anerkennung findet und zu gesellschaftlichen Führungsrollen prädisponiert. Capua wird 456 n.Chr. teilweise von den Vandalen zerstört. In das Machtvakuum nach Auflösung des römischen Imperiums drängt im Westen zunehmend die Reichskirche. Insbesondere für kirchliche Ämter setzt sich das asketische Ideal als Voraussetzung einer Karriere in der Westkirche durch. „Damit hatte das Christentum die große Entsagung, ‚il gran rifiuto’, vollzogen. Ausgerechnet in den Jahrhunderten, in denen im Judentum das Rabbinat seinen Aufschwung nahm, weil es den Ehestand als Kriterium seines Wesens akzeptierte, schlugen die christlichen Gemeinden den entgegengesetzten Weg ein: Die Aufnahme in die Kirchenführung wurde an den Zölibat gekoppelt. Selten hat sich eine Machtstruktur so schnell und so klar konturiert über dem Fundament strenger Askese entfaltet.“, urteilt Veyne.31 Im Unterschied zur lateinischen Tradition konstatiert er: „In der Sittenlehre der Ostchristen war die Sexualität nicht sonderlich geheimnisumwoben. Entweder lebte man mit ihr, wenn man verheiratet war, 89
Sexualmoral oder man hatte sich ihrer entschlagen“.32 In der Ostkirche kann sich darum auch das mönchische Ideal des ehelosen Priesters nicht durchsetzen, dem orthodoxen Priester ist es freigestellt, ob er sich für oder gegen die zölibatäre Lebensweise entscheidet. In der Medizin hat sich die Überbetonung des asketischen Lebens offenbar in ihrer übersteigerten Form nicht halten können. In der Grabinschrift der Scantia Redempta liegt uns das Beispiel einer christlichen Ärztin vor, die im Zenit des Keuschheitsideales ihr Leben und ihren Beruf lebt. Noch im Verlauf des vierten Jahrhunderts erfährt die sexualmoralische Ausrichtung der Kirche eine entscheidende Korrektur durch die Werke des Bischofs von Hippo Regius, durch Augustinus. Der bedeutende nordafrikanische Kirchenvater hat in jungen Jahren selbst der gnostischen Sekte der Manichäer angehört, deren scheinbar radikale Askese ihn beeindruckt hat. Als er sich in seiner Konversion zur Reichskirche 387 endgültig vom Manichäismus abwendet, hat er auch die Vorstellung überwunden, der Mensch könne aus eigenem Vermögen das Heil erlangen, etwa durch strenge Askese. Er wendet sich daher vehement gegen neue asketische Bewegungen, insbesondere gegen den Pelagianismus: „Aus asketischer Tradition kommend, war Pelagius optimistisch bezüglich der sittlichen Fähigkeit des Menschen, aufgrund deren der Mensch verwirklichen könne, was Gott von ihm fordert. Die Beeinträchtigung der Fähigkeit zum Guten durch die Sünde Adams sei in der Taufe aufgehoben, die Freiheit des Menschen zur Entscheidung für Gott stark genug. Freilich war nach Pelagius die Wahl und das Tun des 90
Sexualmoral Guten durch Gottes Gnade gestützt. Augustin wendete aber unter Protest gegen ihn und die anderen Pelagianer ein, dass der Mensch aufgrund der ererbten Adamsünde zum Guten nicht mehr fähig sei, in der Taufe die Neigung zum Bösen behielt und ganz und in jeder Hinsicht auf Gottes Gnade angewiesen ist (sogar in Form einer Vorherbestimmtheit oder Prädestination zu Heil und Unheil). An sich war die pelagische Theologie die traditionelle, zumal in Rom, aber die Afrikaner unter der theologischen Führung Augustins setzten ihre Verketzerung in der Kirche durch und machten damit die augustinische Gnadentheologie zur Basis der westlichen Tradition“, führt Brox aus.33 Geerlings verdeutlicht, dass die unterschiedlichen theologischen Konzepte von Pelagius und Augustinus hauptsächlich durch deren eigene Lebens- und Körpererfahrungen geprägt sind: „Der durch asketische Übungen geschulte und damit an Erfolg und Fortschritt gewöhnte Pelagius konnte den Verlauf seiner asketischen Anstrengungen kontrollieren. Für den schon von der äußeren Physiognomie verschiedenen Augustinus, der Tiefen und Rückschläge in seinem Leben zu oft erlebt hatte, war klar: Die Gnade wird gegeben, damit man überhaupt etwas leisten kann.“34 Für ihn war der Mensch der Erbsünde unterworfen, durch die er zum Bösen verdammt sei, nur durch Gottes befreiendes Geschenk der Gnade kann er davon befreit werden. Die Unfreiheit des Menschen erkennt Augustinus insbesondere im Geschlechtstrieb. Für ihn offenbart sich in der menschlichen Triebhaftigkeit, dass der Mensch nicht durch seinen Geist, der im besten Falle 91
Sexualmoral zum Heiligen strebt, gelenkt werde, sondern dass er immer wieder von den äußerlich-irdischen Sinnlichkeiten überwältigt werde: „Extreme Erfahrungen, wie Sexualität oder Erfahrungen des Todes, Furcht und Schrecken, aber auch künstliche Erfahrungen wie der Musikgenuss, zeigen an, dass der Mensch, und das heißt: sein Geist, nicht völlig Herr seiner selbst ist. Neben dem platonischen Vorbehalt gegen alle Sinnenwelt treffen wir hier auf den psychologischen Hintergrund dafür, dass Augustin allen Sinneserfahrungen misstraut. Solche Verwirrung beunruhigt Augustin sehr“, führt Geerlings aus.35 Sexuelle Lust spielt in Augustins Erbsündentheologie die zentrale Rolle. Nach seiner Vorstellung wird die grundsätzliche Verdarbtheit des Menschen mit dem Sexualtrieb im Zeugungsakt vererbt: „Im Gegensatz zu Pelagius betont Augustin, dass die Erbsünde physisch übertragen wird. Sie wird durch die Geschlechtslust (cupiscentia carnalis) übertragen. Der Mensch ist von Geburt an mit dieser Erbsünde belastet. Er ist nicht mehr zum Guten fähig. Deswegen ist es auch konsequent, wenn Augustin betont, die Gnade sei nötig, damit der Mensch überhaupt etwas Gutes wirken kann. Kennzeichnend für die menschliche Natur ist nun fleischliche Begierde (concupiscentia carnis).“, charakterisiert Geerlings die sexuelle Prägung der pessimistischen Anthropologie Augustins.36 Sein Menschenbild beeinflusst auch die Auffassung von der Ehe. Da durch die asketische Lebensweise kein Beitrag zur Heilserlangung des Menschen geleistet werden könne, erscheint eine zölibatäre Eheführung sinnlos und überdies nicht zu leisten, da der 92
Sexualmoral Geschlechtstrieb den sündigen Menschen dennoch immer wieder heimsuche: „Eine stets rege, anonym-proteische ‚Begierde des Fleisches’, die im Geschlechtsverkehr Verheirateter unverstellt hervortrat und auch von den Enthaltsamen ständige moralische Wachsamkeit erheischte, war das Indiz einer verhängnisvollen Zerrüttung des einst harmonischen Verhältnisses zwischen Mensch und Gott, Leib und Seele, Mann und Frau, welches Adam und Eva noch erfahren hatten. Sie hatten im Paradies nicht als geschlechtslose Zölibatäre gelebt, sondern so wie ein verheiratetes Ehepaar und damit den Keim zu einer menschlichen Gesellschaft gelebt wie nur je eine christliche Familie in Hippo. Die Konfrontation des Ideals des Ehestandes mit der Realität des Ehelebens der Laien war ebenso treffend und wirksam, wie sie ungerecht gegen den Alltag war. Solche und ähnliche Auffassungen sind dem westlichen Christentum in Fleisch und Blut übergegangen, so dass man einen Schritt zurücktreten muss, um sie in ihrer geistigen Fremdartigkeit einschätzen und die besonderen Umstände ermessen zu können, die Augustinus und seine Nachfolger bewogen, das vom Osten ererbte mönchische Paradigma einschneidend zu modifizieren.“, urteilt Veyne.37 Mit der Aufgabe des asketischen Paradigmas für den Ehestand verschwindet einerseits das Phänomen eines innerehelichen Keuschheitsanspruches, wie er in der Grabinschrift der Scantia Redempta formuliert wird. Zugleich bezieht Augustin seine Liberalisierung jedoch nur auf den Ehestand, in dem sich in der legitimen Verbindung von Mann und Frau das paradiesische Ideal 93
Sexualmoral Adams und Evas widerspiegelt. Andere Formen der Sexualität werden rigoros verurteilt. In seiner Prädestinations- und Erbsündenlehre legt er den Grundstein für die Entwürdigung und Ausgrenzung bestimmter Gruppen von Menschen: etwa der Homosexuellen als abartige Sünder. Aus dieser Perspektive zieht Haeberle ein negatives Urteil über die veränderte Sexualmoral durch Augustinus: „Die von Augustinus hergestellte Verbindung von Sexualität, Erbsünde und Schuld hatte dauernde verhängnisvolle Auswirkungen auf das christliche Denken. … Als das Christentum schließlich im Römischen Reich zur offiziellen Religion erhoben wurde, führte die Regierung strikte Gesetze ein, die bestimmte sexuelle Handlungen als heidnische Relikte verurteilte. Besonders Homosexuelle und andere Menschen, die von der christlichen Sexualmoral abwichen, wurden als Kapitalverbrecher bezeichnet und öffentlich hingerichtet. So begannen die Christen, kurz nach dem Ende ihrer eigenen Verfolgung, andere zu verfolgen.“38 Die christliche Verwerfung „heidnischer Relikte“ bleibt dabei insofern willkürlich, als dass pagane Traditionen weiter gepflegt werden, wenn sie in das christliche Sexualkonzept passen. Das in der Einleitung dieser Arbeit bereits skizzierte Phänomen, dass die humoralpathologische medizinische Grundlage trotz ihres paganen Ursprungs auch im Christentum ihre Gültigkeit behält, gilt insbesondere im Hinblick auf deren restriktive sexuelle Vorstellungen. Augenfällig wird dies etwa im „Hippokratischen Eid“. Eckart führt hierzu aus: „Wir wissen nicht sicher, ob dieser Eid 94
Sexualmoral wirklich von Hippokrates verfasst wurde; dass er auf gar keinen Fall Allgemeingültigkeit für die Ärzte der griechischen Antike besaß, ist wohl unstrittig. Der Text wurde wahrscheinlich für eine kleine Gruppe – eine Sekte – von Ärzten, etwa im 4. Jahrhundert v.Chr. verfasst und wurde in seinen beiden Hauptteilen, dem Vertragspassus und dem Sittenkodex, durch die PythagoräischeVI Lebens- und Sittenlehre geprägt. Die starke Affinität zwischen Pythagoräismus und der frühen christlichen Lehre hat wohl maßgeblich die christlich bestimmte Rezeption des Eides befördert.“39 Obwohl die Formel eine eindeutige Idololatrie darstellt, die die paganen Heilgottheiten Apollon, Äskulap, Hygeia und Panakeia – und alle anderen Göttinnen und Götter – anruft, hat sich dieser Eid auch im christianisierten Europa halten können. Ausdrückliche Erwähnung findet im Hippokratischen Ärzteeid die sexuelle Abstinenz: „In alle Häuser, die ich besuche, will ich zum Vorteil der Kranken kommen, mich freihalten von allem vorsätzlichen Unrecht, von aller Schädigung und insbesondere von sexuellen Beziehungen sowohl mit weiblichen wie mit männlichen Personen, seien sie frei oder Sklaven.“40 In dieser Formulierung klingt das theurgische Konzept von der kultischen Reinheit des Priesterarztes an. Diese Vorstellung korrespondiert gut mit der rigiden Sexualmoral des Frühkatholizismus. Auch hier kann im Amtsverständnis ein Rekurs auf vorBezogen auf PYTHAGORAS VON SAMOS (ca. 570-497/96), der im 6. vorchristlichen Jahrhundert ein eigenes medizinisches Konzept entwickelt. Die nach ihm benannte Ärzteschule nennt sich „Pythagoräismus“. VI
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Sexualmoral christliche Reinheitskulte beobachtet werden: „Vom 2. bis 4. Jahrhundert verlagerte sich das theologische Verständnis des kirchlichen Amtes stark auf seinen Bezug zum Kult; unter Rückgriff auf alttestamentliche Ideen wurden Bischof und Presbyter zunehmend als Priester verstanden, die die Eucharistie als Opfer darbringen. Aus den damit verbundenen alttestamentlichen Begriffen von kultischer Reinheit des Priesters ist auch die Entstehung des Amtszölibats zu erklären, dessen frühe Spuren ins 4. Jahrhundert zurückreichen.“, erläutert Brox.41 Am Beispiel der Scantia Redempta lässt sich erkennen, dass im 4. Jahrhundert entsprechende Reinheitsideale über die Grenzen des engen kirchlichen Amtes hinaus auch andere christliche Berufe erreicht haben. In einem Zeitabschnitt, in dem das christliche Leben stark von kultischen Vorstellungen geprägt ist, lässt sich vermuten, dass auch in anderen Professionen wie dem Arztberuf kultische Elemente wiederentdeckt werden. Scantia Redempta wird fast im gleichen Atemzug gerühmt wegen ihrer „Frömmigkeit“ und als „Lehrmeisterin der Medizin“. Die Spekulation liegt nahe, dass hier wie in der theurgischen Medizin noch einmal eine enge Verbindung von religiösen und medizinischen Aspekten entstanden ist, jetzt freilich unter christlichen Vorzeichen. Zwar hat sich wie oben bereits dargestellt weder ein ärztliches Zölibat oder noch ein eheliches Keuschheitsideal dauerhaft durchsetzen können, allerdings kann spekuliert werden, ob sich im Phänomen der Krankenpflege durch zölibatär lebende Men96
Sexualmoral schen die Idee kultischer Reinheit der Heilenden bis in spätere Epochen gehalten hat. Im europäischen Frühmittelalter avancieren die Klöster zu Zentren des medizinischen Wissens. Hier überdauern die mönchischen Ideale der Spätantike für eine Personengruppe, die sich der Krankenbehandlung annimmt. „Wir können also davon ausgehen, dass die antiken medizinischen Texte in den Klöstern nicht nur gesammelt, übersetzt und vervielfältigt, sondern auch unmittelbar für die Krankenbehandlung angewandt wurden.“, mutmaßt Eckart.42 Weiterhin besteht also eine Verbindung zwischen sexueller Keuschheit und der Krankenbehandlung. Wie Schulze bereits für den frühchristlichen Zeitraum feststellt, „trugen den Hauptteil der Armen- und Krankenpflege im Christentum die Frauen (häufig Witwen)“.43 Er stellt die These auf, dass aus diesem Bereich der christlichen Kranken- und Armenpflegerinnen zahlreiche spätantike Ärztinnen hervorgegangen sein könnten. Er diskutiert in seiner Arbeit im Kapitel „Christliche Ärztinnen“, ob der etwa doppelt so hohe Anteil christlicher Ärztinnen gegenüber paganen Ärztinnen an der jeweiligen Gesamtärzteschaft hierdurch zu erklären sei, denn „diese Rekrutierungsquelle scheidet für den paganen Medizinbetrieb aus.“44 Im Hinblick auf die offenbar sozial gehobene Stellung der Scantia Redempta, die ihren Ehemann als „Nährerin seines Wohls und Lebens“ unterstützt, scheint die These Schulzes plausibel, „dass im Zuge der Ausdifferenzierung und Institutionalisierung der kirchlichen, männlichen Ämterhierarchie der den Frauen zuvor zugestandene Aufgabenbereich mehr und mehr beschnitten wurde, so auch die 97
Sexualmoral Ämter der Witwen und Diakonissen. Möglicherweise steht also hinter dem verstärkten Auftreten von christlichen Ärztinnen ein Ausweichphänomen vom immer stärker verloren gehenden Kirchenamt in die inhaltlich zumindest verwandte – und darüber hinaus vollwertige – Berufstätigkeit.“44 Wenn zudem unterstellt wird, dass die Motivation dieser Christinnen sich nicht in einer reinen beruflichen Karriere erschöpft, sondern dass auch inhaltlich asketisch-religiöse Überzeugungen eine entscheidende Rolle spielen, scheint die „zölibatäre“ Ärztin Scantia Redempta eine Art Ersatzpriestertum zu verkörpern. Einen solchen Bezug zum priesterlichen Verständnis des Ärztinnenberufes legt auch die Formulierung „antistis disciplinae in medicina“ nahe, eine antistita – hier übersetzt als „Lehrmeisterin der Medizin“ – bezeichnet in erster Linie eine Priesterin. In diesem Sinne kann die Grabinschrift der Scantia Redempta als ein frühes Zeugnis des asketisch-christlichen Einflusses auf die Medizin interpretiert werden.
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Sexualmoral Quellenangabe Kapitel 1 „Sexualmoral“ FOUCAULT, Die ZEIT Nr. 11/1986 SCHULZE, Medizin und Christentum, Inschrift Nr. 93, S. 95-96; Verweis auf DIEHL, Bd. 1, S. 121, Nr. 615; CIL, Vol. X, Nr. 3980 3 GUMMERUS Nr. 218 4 HAEBERLE, S. 350 5 ECKART, S. 58 6 etwa: GALEN, loc. aff. 6 7 HAEBERLE, S. 412 unter Verweis auf GALEN, loc. aff. 6, 5, in: KÜHN 8, S. 419 8 ebenda, S. 350 9 WALTER BÜHLMANN, Liebeslyrik als Gotteswort, in: „Sonntag“, Katholische Familienzeitschrift vom 23.10.2003, Baden, Schweiz 10 vgl. etwa BÜRGER, S. 93 11 DÖRNEMANN, S. 61 12 VEYNE, S. 200 13 ebenda, S. 198 14 ebenda, S. 236 15 ebenda, S. 236-237 16 TERTULLIAN, ieiun., XVII, 1 17 HAEBERLE, S. 412 18 BROX, S. 135 19 VEYNE, S. 239-240 20 ebenda, S. 240 21 ebenda, S. 59 22 DIETMAR WYRWA, Eintrag zu Clemens von Alexandrien, LACL, S. 152 23 VEYNE, S. 251 24 ebenda, S. 256 25 HAEBERLE, S. 350 26 VEYNE, S. 57 27 ebenda, S. 257 28 BROX, S. 134 29 GALEN, zitiert nach WALZER, S. 16 30 BROX, S. 135 31 VEYNE, S. 256 32 ebenda, S. 289 33 BROX, S. 141 34 GEERLINGS, S. 81 1 2
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Sexualmoral ebenda, S. 26 ebenda, S. 85 37 VEYNE, S. 293-294 38 HAEBERLE, S. 356 39 ECKART, S. 59 40 Der Hippokratische Eid in der deutschen Übertragung nach Ludwig Edelstein, nach: ECKART, S. 59-60 41 BROX,, S. 97 42 ECKART, S. 105 43 SCHULZE, Ärztinnen, S. 108 44 SCHULZE, Medizin und Christentum, S. 140 35 36
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Kirchliches Frauenbild und Ärztinnenberuf Das Beispiel der Diakonissen und der Ärztin Amazone Schulzes These, dass der hohe Anteil von Ärztinnen an der Gesamtheit spätantiker Christenärzte auf die „Rekrutierungsquelle“ der Diakonissen zurückzuführen sei, weil sie aufgrund ihrer pflegerisch-heilenden Betätigung fundierte medizinische Kenntnisse und Fähigkeiten erworben hätten und sich dadurch selbst zu Ärztinnen qualifiziert hätten, muss als Spekulation herausgestellt werden. Der Grund hierfür liegt in der dürftigen Quellenlage für den Bereich der spätantiken Krankenpflege allgemein. Christoph Schweikardt und Christian Schulze führen in ihrer Arbeit „Facetten antiker Krankenpflege und ihrer Rezeption“ diesbezüglich aus: „Literarische wie epigraphische Zeugnisse sind nicht nur in quantitativer Hinsicht als relativ spärlich zu bezeichnen, sondern lassen, einzeln betrachtet, oft genug auch inhaltlich keine weitergehenden Schlüsse zu.“1 Schweikardt und Schulze listen in der anschließenden exemplarischen Darstellung inschriftlich belegter Krankenpfleger eine einzige Frau auf. Im Corpus Inscriptionum Latinarum ist das Beispiel der Sklavin Helpis verzeichnet, von der überliefert wird, dass sie im Krankenhaus, dem Valetudinarium, gearbeitet habe: Helpis Liviae ad valetudinar(ium)2
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Diese gerade mal vier Worte umfassende Inschrift ist insgesamt wenig aussagekräftig. Nicht eindeutig ist zu klären, ob die Tätigkeit der Helpis tatsächlich krankenpflegerische Aspekte umfasst. Im Hinblick auf die vorliegende Arbeit ist diese Inschrift insbesondere deswegen irrelevant, da sie keine Anhaltspunkte dafür liefert, dass Helpis Christin ist oder gar als Ärztin im Valetudinarium arbeitet. Der Begriff „Diakonisse“ ist seinerseits nicht eindeutig zu fassen. Schweikardt und Schulze verweisen in ihrem Aufsatz auf Theodor Fliedner, der im 19. Jahrhundert diese Bezeichnung als Rekurs auf das Frühchristentum wieder eingeführt habe: „In einem ganz anders gearteten Rückgriff auf die Antike verwirklichte 1836 Theodor Fliedner (1800 – 1864) den Gedanken, das altkirchliche Diakonissenamt als Frauenamt der evangelischen Kirche wiederzubeleben, ein frühchristliches Amt, zu dessen Aufgaben auch die Krankenpflege gehörte. Dies geschah mit der Gründung der Diakonissenanstalt in Kaiserswerth im Jahr 1836. In der Konkurrenz und in Abgrenzung zu den Orden der Katholischen Kirche betonte Fliedner, die Diakonissen hätten schon in der apostolischen Kirche und noch viele Jahrhunderte danach bewiesen, dass die christliche Liebespflege im Dienst der Kirche, für Kranke, Arme, SCHWEIKARDT und SCHULZE merken an, dass Helpis die einzige bekannte Frau der Antike ist, die in der Krankenpflege arbeitet. I
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Frauenbild Gefangene und hilfsbedürftige Kinder, bis zu einer gewissen Grenze, am passendsten und segensreichsten von ihnen ausgeübt werde.“3 Anna Sticker bemerkt in ihrer Biografie Theodor Fliedners und seiner ersten Frau Friederike, diese vermeintliche Wiedereinführung des Diakonissenamtes sei „eine von der Romantik aufgebrachte Idee: Wie das Pfarramt das Amt des Mannes in der Kirche war, sollte fürsorgerische Pflege als Diakonissenamt das kirchliche Amt der Frau sein.“4 Fliedner selbst hat bei den holländischen Mennoniten den karitativen Dienst von „Diakonissen“ kennen gelernt. Vor ihm wird die Idee der Wiedereinführung des Diakonissenamtes bereits von anderen evangelischen Theologen aufgeworfen. Pfarrer Franz Klönne schreibt bereits 1820 in einem Aufsatz „Über das Wiederaufleben der Diakonissinnen der altkirchlichen Kirche in unseren Frauenvereinen": „Zu jeder Gemeinde sollten die Frauen und konfirmierten Jungfrauen einen Verein bilden, der den Zweck hat, notleidende Gemeindemitglieder und unter ihnen vorzüglich die Kranken, Witwen und Waisen, verpflegen, unterstützen und erziehen zu helfen".5 Sticker charakterisiert die vermeintliche Wiedereinführung von Diakonissen im Raum des deutschen Protestantismus skeptisch als „romantische Idee eines Diakonissenamtes in der Kirche, das angeblich schon in der Urchristenheit bestanden habe.“4 Fliedner selbst bezieht sich in seinem Rückgriff auf die alte Kirche auf Textstellen des Neuen Testamentes. So heißt es etwa im 103
Frauenbild „Ersten Jahresbericht über die Diakonissen-Anstalt zu Kaiserswerth“ vom Oktober 1836 bis November 1837: „Die apostolische Kirche lehrt uns schon durch die Anstellung von Diakonissen, wie z.B. einer Phöbe in Kenchrea (Röm 16, 1), welche als Gehilfinnen der Diakonen die Krankenpflege in den Gemeinden besorgten, dass diese, eine große Sanftmut, Geduld und ausdauernde Liebe erfordernde, Pflege am besten von Christinnen geschehe. Viele Jahrhunderte wirkten diese Diakonissen zu großem Segen in der Pflege der Kranken, Armen, hilfsbedürftigen Kinder und Gefangenen der Christengemeinden. Als ihr Amt im Laufe der Zeit untergegangen war, suchten späterhin die barmherzigen Schwestern der katholischen Kirche diese Lücke auszufüllen“.6 Im zitierten Römerbrief finden sich solch dezidierte Angaben über die Aufgaben und Charaktereigenschaften der Phöbe hingegen nicht: „Ich empfehle euch unsere Schwester Phöbe, die Dienerin der Gemeinde von Kenchreä: Nehmt sie im Namen des Herrn auf, wie es Heilige tun sollen, und steht ihr in jeder Sache bei, in der sie euch braucht; sie selbst hat vielen, darunter auch mir, geholfen.“ (Röm 16, 1-2). Hier ist nicht die Rede davon, dass sie als „Gehilfin der Diakone“ tätig gewesen sei. Der Begriff „Diakonisse“ ist nicht biblisch; die Einheitsübersetzung gibt den griechischen Originalbegriff dia,konon als „Dienerin“ wieder, Luther übersetzt: „welche ist im Dienste der Gemeinde“. Für die ersten nachchristlichen Jahrhunderte ist die Quellenlage äußerst dürftig. Seit dem 4. Jahrhundert setzt sich die Bezeichnung „Diakonisse“ in den Gemeinden für diejenigen Frauen 104
Frauenbild durch, die sich für karitative Aufgaben einschließlich der Krankenpflege einsetzen. Vermutlich erwächst dieses Amt aus den Diensten, die unverheiratete Frauen in den Gemeinden wahrnehmen, dies sind zunächst die Witwen. Als aufschlussreiches biblisches Dokument gilt hierzu der erste Timotheusbrief. Dort klingen im fünften Kapitel erste Ansätze einer Institutionalisierung der Witwen als besonderer Stand innerhalb der Gemeinden an. Der Verfasser, der pseudepigraphisch als „Paulus“ schreibt, erwähnt in seinem Pastoralbrief an Timotheus eine „Liste der Witwen“: „Eine Frau soll nur dann in die Liste der Witwen aufgenommen werden, wenn sie mindestens sechzig Jahre alt ist, nur einmal verheiratet war, wenn bekannt ist, dass sie Gutes getan hat, wenn sie Kinder aufgezogen hat, gastfreundlich gewesen ist und den Heiligen die Füße gewaschen hat, wenn sie denen, die in Not waren, geholfen hat und überhaupt bemüht war, Gutes zu tun.“ (1Tim 5, 9-10). Im Smyrna-Brief des Ignatius` von Antiochien wird angedeutet, dass die karitativen Aufgaben der Gemeindewitwen von gottgeweihten Jungfrauen übernommen werden, die Diakonissen genannt werden.7 In diesen Stand gelangt – wie im Timotheusbrief ausdrücklich erwähnt – eine Frau nur nach vorheriger Prüfung: „Jüngere Witwen weise ab; denn wenn die Leidenschaft sie Christus entfremdet, wollen sie heiraten und ziehen sich den Vorwurf zu, ihrem Versprechen (das sie Christus gegeben haben) untreu geworden zu sein. Außerdem werden sie faul und gewöhnen sich daran, von Haus zu Haus zu laufen. Aber nicht nur faul 105
Frauenbild werden sie, sondern auch geschwätzig; sie mischen sich in alles und reden über Dinge, die sie nichts angehen.“ (1Tim 5, 11-13). Inwiefern tatsächlich von einem „Amt“ der Diakonissen oder Witwen gesprochen werden kann, ist umstritten. Gerhard Ludwig Müller, der heutige katholische Bischof von Regensburg, betont in seiner Schrift „Der sakramentale Diakonat“, dass die Beauftragung der Diakonissen in den frühchristlichen Gemeinden nicht im Sinne einer kirchlichen Ordination verstanden werden könne, da das kirchliche Amt nach der Kirchenordnung des Hippolyt ausschließlich auf die (männlichen) apostolischen Ämter begrenzt bleibt: „Sie wird gewählt und ernannt durch das Wort und für das Gebet bestellt im Unterschied zum Klerus, der bei Hippolyt auf Bischof, Presbyter und Diakone beschränkt ist.“8 Nach Eusebs Kirchengeschichte erleidet Ignatius von Antiochien unter Kaiser Trajan in Rom das Martyrium. Der Statthalter Plinius in Kleinasien nimmt in einem Brief an Kaiser Trajan Stellung dazu, wie das Imperium sich angesichts des Straftatbestandes „Christsein“ zu verhalten habe. Durch die Veröffentlichung dieses Schreibens erwächst in der Folge die Rechtspraxis, dass der Staat zwar nicht selbst aktiv nach Christen fahndet, dieses „Verbrechen“ allerdings auf private Denunziation verfolgt. In diesem Brief erwähnt Plinius auch zwei „Dienerinnen“:
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Frauenbild „Quo magis necessarium credidi ex duabus ancillis, quae ministrae dicebantur, quid esset veri, et per tormenta quaerere. Nihil aliud inveni quam superstitionem pravam et immodicam.“ Das Diakonissen-Lesebuch des Kaiserswerther Verbandes übersetzt folgendermaßen: „Umso notwendiger fand ich es, aus zwei Mägden, die Diakonissen genannt wurden, selbst durch die Folter herauszubringen, was an der Sache wahr sei. Ich habe nichts anderes gefunden als einen verkehrten, maßlosen Aberglauben.“9 Der Begriff „ancilla“, der die untergeordnete soziale Stellung einer Frau als Magd ausdrückt, ist in seiner griechischen Entsprechung dou,lh auch in der Grabinschrift einer christlichen Ärztin zu finden: ev¿nÀqa,deªkata,kiteªivaÄ tri,naªvAmazo,nhÅ A v maÎzÐo,nhªpisth. doulh.ªtou/ªÎqпeoÀu/ªÎavÐre,Ä sousaªq¿eÀw/ª | kai.ªavnÄ 10 qrw,poijÅ (Hier ruht die Ärztin Amazone. Amazone, eine treue Magd Gottes, soll Gott und den Menschen gefallen.) II Übersetzung wörtlich übernommen von SCHULZE. Er thematisiert in seinen Anmerkungen den Begriff ivatri,na als Femininum der Entsprechung ivatro,j. Er diskutiert insbesondere die Formulierung ÎaÐre,sousa, die er für ein Partizip Futur Aktiv hält: Amazone soll in der Zukunft – nach ihrem Tod – Gott und den Menschen gefallen. Das Fehlen der Konjunktion w`j sei für späte Inschriften nicht ungewöhnlich. II
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Amazones Berufsbezeichnung ivatri,na ist die weibliche Ableitung von ivatroj. Schulze bemerkt zu Recht, dass die neutrale Bezeichnung „Gott“ nicht eindeutig auf ein christliches Bekenntnis hinweist, „die Ausdrucksweise ‚Magd Gottes’ aber scheint hinreichend, um Amazone als eine Christin zu identifizieren.“11 Dieser spezifische Ausdruck entstammt dem Lukasevangelium, wo in der Verkündigungsszene das Bekenntnis Marias wiedergegeben wird: „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast.“ (Lk 1, 38). Diese Formulierung gibt Anlass zu Spekulationen, die über die bloße Fragestellung nach dem christlichen Bekenntnis Amazones hinausgehen. Möglicherweise kann aus der Bezeichnung „Magd“ eine Aussage über die religiösen Vorstellungen der Ärztin abgeleitet werden. Wenngleich der Titel dou,lh zunächst nur die posthume Bezeichnung Amazones durch ihre Angehörigen darstellt, ist dies doch ein für eine Ärztin ungewöhnlicher Titel. Die Begriffe „Magd“ oder „Dienerin“ drücken eine besonders demütige Haltung Gott gegenüber aus; die selbstlose Hingabe der Mutter Jesu hat in der Marienfrömmigkeit stets Vorbildfunktion. Noch heute berufen sich zahlreiche christliche Orden auf Maria: „Vom Geist bewegt, verpflichten wir uns, gleich unseren ersten Vätern das Evangelium in brüderlicher Gemeinschaft zu bezeugen, sowie Gott und den Menschen zu dienen, indem wir uns ständig ausrichten nach dem Vorbild Mariens, der Mutter und Magd des
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Frauenbild Herrn.“, heißt es etwa in der Ordensregel der Serviten, die sich 1233 in Florenz gegründet haben. Auch für die Urkirche kann ausgegangen werden von einer lebendigen „Volksfrömmigkeit, die den alten Titel ‚Gottesgebährerin’ für Maria liebte“, wie Brox konstatiert.12 Die Betitelung „Magd“ für eine Ärztin erscheint auffällig demütig; dieser Titel drückt Dienstbarkeit und Gehorsam aus. In diesem Sinne benutzt ihn Augustinus in seinen Psalmenauslegungen auch zur Charakterisierung der Kirche; diese sei in Bezug auf ihre Dienstbarkeit und Demut gegenüber Gott „Ancilla“.13 Hieraus kann die Hypothese abgeleitet werden, dass Amazone zu Lebzeiten ihre Tätigkeit als Ärztin selbst als einen christlich-karitativen Dienst aufgefasst hat. Der deutliche biblische Bezug der Grabinschrift auf das Lukasevangelium legt eine entsprechende Verbundenheit zur christlichen Gemeinschaft nahe, so dass die Bezeichnung als „Magd“ oder „Dienerin“ im Sinne der Beschreibung des Pliniusbriefes an Trajan verstanden werden kann. Mit aller Vorsicht kann ihre Inschrift vielleicht als Zeugnis einer frühchristlichen Diakonisse interpretiert werden, als eine Gemeindehelferin, die durch die Kenntnisse und Fertigkeiten, die sie aus der krankenpflegerischen Tätigkeit gewinnt, selbst zu einer Ärztin avanciert. Selbstverständlich müssen diese Überlegungen als spekulativ betrachtet werden, es gibt aber einige Argumente, die diese These stützen können. Wie die oben zitierten „Serviten“, deren Name sich von „Servus“, dem Knecht oder Sklaven, herleitet, verstehen sich auch die Dia109
Frauenbild konissen des Frühchristentums als „Mägde Gottes“, wie es auch die Inschrift der Amazone ausdrückt. Fast wie eine literarische Parallele zur Ordensregel der Serviten aus dem 13. Jahrhundert, die sich verpflichten, „Gott und den Menschen zu dienen“, erscheint auch Amazones Zeugnis, sie solle „Gott und den Menschen gefallen“. Der karitative Dienst wird im frühen Christentum in der Regel von den nicht akademisch gebildeten Christen versehen: „Die alten Quellen betonen oft, dass es gerade der Weg der einfachen Christen sei, den Glauben ‚non-verbal’ zu bezeugen. Armensorge, Gefangenenbetreuung, soziale Dienste innerhalb und außerhalb der Gemeinde an Witwen, Kranken, Waisen, Notleidenden gehörte zum Alltag der Kirche auch in nachkonstantinischer Zeit.“, fasst Brox zusammen.14 Zeitliche und örtliche Einordnung der Fundstelle „Die exakte Datierung der Inschrift scheint nicht möglich.“, schreibt Schulze in seiner Untersuchung „Christliche Ärztinnen in der Antike“.15 Allerdings lässt der Fundort an der Theodosianischen Landmauer in Konstantinopel einige Rückschlüsse zu. Wenn unterstellt wird, dass dieser Grabstein beim Ausbau der Befestigungsanlage Konstantinopels unter Kaiser Theodosius II. in der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts in das Bauwerk inkorporiert wird, muss er folglich älteren Datums sein. Diese zeitliche Eingrenzung entspricht der Datierung ins vierte bis fünfte nachchristliche Jahrhundert, die die französische Medizinhistorikerin Évelyne Samana in ihrem Werk „Les médecins dans le monde grec“ vornimmt, und der sich Schulze in seiner jüngeren 110
Frauenbild Arbeit anschließt.16 Da nicht zu erwarten ist, dass das Baumaterial über sehr große Entfernung transportiert worden ist, kann als Wirkraum Amazones Konstantinopel und Umgebung gelten. Auch diese Überlegung deckt sich mit Samamas Ortsangabe „Byzance-Constantinople“.17 Somit treffen bereits zwei Kriterien auf diese Inschrift zu, die es erlauben, in Amazone eine Vertreterin der „– besonders früh im Osten nachweisbaren – sogenannten Diakonissen“ zu vermuten, wie Schulzes zeitliche und örtliche Angaben über diese Gruppe frühchristlicher Frauen lauten.18 In der posthumen Titulierung „treue Magd Gottes“ in ihrer Mariologischen Diktion kann möglicherweise eine geistige Verbindung der Ärztin Amazone zu den Auseinandersetzungen um den qeoto,koj-(theotókos-)Begriff im Bezug auf Maria vermutet werden. 428 wird der Antiochener Nestor – einer der bedeutenden Vertreter der dortigen theologischen Schule unter dem Einfluss Diodors von Tarsus und Theodors von Mopsuestia – Bischof in Konstantinopel, der neuen Hauptstadt, die Konstantin ab 330 als christliche Kaiserstadt, als „Neues Rom“ hat bauen lassen. Der später als „Erzketzer“ verurteilte Nestor gerät gleich nach seiner Amtseinführung in den Streit um die Bezeichnung Marias. In der damaligen Zeit der christologischen Auseinandersetzungen und der dogmatischen Selbstfindung des jungen Christentums konzentriert sich die Frage nach dem Wesen Christi offenbar auch auf die Einschätzung seiner irdischen Mutter. Zwar geht es in der theotókos-Frage primär um die christologische Dimension, aber
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Frauenbild implizit kreist innerhalb der Gemeinden das Interesse auch um die Mutter Jesu. Nestor ist entgegen der alexandrinischen Forderung und entgegen der Volksfrömmigkeit zurückhaltend gegenüber dem Mariologischen Titel der „Gottesgebärerin“: „Als Antiochener hatte er Bedenken nicht eigentlich bezüglich der dogmatischen Zulässigkeit, aber bezüglich der Unmissverständlichkeit des Titels. Er hielt ihn für irreführend, weil man nur vom Menschen und nicht vom Gott in Christus sagen könne, dass er von Maria geboren sei. Er befürchtet auch, dass der Titel zu mythischen Vorstellungen von einer Gottesmutter führe. Darum schlug Nestorius vermittelnd den Titel ‚Christusgebärerin’ (christotókos) vor, weil der Name Christus beide Naturen in ihrer Verbindung meine.“, skizziert Brox den Kern dieses Streites.19 Die Alexandriner unterstellen der nestorianischen Position Häresie, weil sie Christus in zwei Naturen spalte, in eine göttliche und in eine menschliche. Der Titel Amazones als „treue Magd Gottes“ greift vor diesem inhaltlichen und zeitlichen Hintergrund möglicherweise tatsächlich diese Thematik auf, die in den christlichen Gemeinden die Gemüter erhitzt. Die Auftraggeber der Grabinschrift Amazones betonen insofern – wahrscheinlich im Einvernehmen mit den zu Lebzeiten geäußerten Ansichten der Verstorbenen – die „Niedrigkeit der Magd“ des Herrn (Lk 1, 48). Die Inschrift stellt einen auffallenden Kontrapunkt zum übermenschlichen Ruhmestitel qeoto,koj für Maria dar. Indem der Grabtitulus den irdisch112
Frauenbild demütigen Begriff der dou,lh aufgreift, kann spekuliert werden, ob diese Perspektive auch dem eigenen Berufsethos der Ärztin Amazone entsprochen hat, die dann nicht als überhebliche ivatri,na gewirkt haben dürfte, sondern eben als Dienerin der Bedürftigen. Wenn im Rahmen dieser Spekulation die Grabinschrift der oströmischen Ärztin des frühen fünften Jahrhunderts als christologisch-mariologisches Bekenntnis in jener Epoche scharfer dogmatischer innerchristlicher Kämpfe interpretiert wird, dann kann weiter davon ausgegangen werden, dass diese Frau ihre christlichen Wertevorstellungen auch aktiv und praktisch in den Gemeinden umgesetzt habe, dass sie demnach eine „Diakonisse“ gewesen wäre – gleichgültig, ob sie diese Bezeichnung selbst geführt oder gekannt bzw. akzeptiert hätte. Der Name dieser Ärztin weist ebenfalls auf ihre östliche, hellenistische Herkunft hin. Inwiefern die Namensgebung Amazones durch ihre Eltern als Rückgriff auf die griechische Tradition der Amazonen einen Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung des Mädchens gehabt hat, bleibt selbstverständlich ebenfalls spekulativ. Immerhin bleibt festzuhalten, dass die Eltern keine bekannte christliche Patronin für den Namen ihrer Tochter wählen, sondern eine Anleihe in der griechischen matriarchalischen Mythologie machen. Der Legende nach soll von den Amazonen auch das Artemision von Ephesos, der Tempel der Artemis, mitgegründet worden sein. Ein religiöser Kult für eine Fruchtbarkeitsund Muttergottheit ist bereits ab dem 9. vorchristlichen Jahrhundert in Ephesos nachweisbar, ursprünglich der Göttin Kube,lh 113
Frauenbild (Kybele) gewidmet, die später mit Artemis gleichgesetzt wird. Philon von Byzanz bezeichnet diesen Tempel der „Großen Göttermutter“ als das beeindruckendste Weltwunder der Antike.20 An diesem Ort wird im fünften nachchristlichen Jahrhundert auch unter christlichen Vorzeichen die Frage nach einer Gottesmutter ausgetragen. Der Erbauer der Konstantinopolitanischen Landmauer, Kaiser Theodosius II., beruft 431 das Konzil von Ephesos ein, das sogenannte dritte ökumenische Konzil der Alten Kirche. Seine Intention ist die Schlichtung der polemischen dogmatischen Streitereien in den christologischen Fragen des fünften Jahrhunderts, insbesondere zwischen den Vertretern der antiochenischen und der alexandrinischen Theologie, namentlich zwischen Kyrill und Nestor. Diese Synode kann rückblickend als ein Tiefpunkt der Dogmengeschichte und insbesondere der Streitkultur des frühen Christentums verstanden werden. Kyrill eröffnet das Konzil vor dem Eintreffen seiner Gegenspieler sowie der dritten innerkirchlichen Macht, der römischen Kirche, und führt selbst die Regie dieser Versammlung, was er dazu nutzt, Nestor zu verurteilen. Dessen Anhänger treffen wenige Tage später in Ephesos ein und halten ein Gegenkonzil ab. Auf beiden Seiten werden Verketzerungen und Exkommunikationen ausgesprochen. Theodosius lässt zeitweilig alle führenden Kirchenpolitiker, darunter Kyrill und Nestor, verhaften. Brox urteilt über die parallel abgehaltenen Synoden: „Beide waren streng parteilich, nicht ökumenisch. Aber das Konzil des Kyrill ist gezählt worden (wenn man von der nachträgli114
Frauenbild chen Bestätigung und Rezeption ausgeht). Worin liegt seine Bedeutung? Das einzige Ergebnis war die Verurteilung des Nestorius und die Bestätigung des Titels ‚Gottesgebährerin’“.21 Nestor wird das Opfer von Verleumdung und dogmatischer Blindwütigkeit; die ihm unterstellte Position, Christus in eine göttliche und in eine menschliche Natur zu teilen, hat er selbst nie vertreten: „Nestorius war kein ‚Nestorianer’“, pointiert Brox.22 Dennoch setzt sich in Ephesos die Betonung der Rolle Marias als Gottesgebärerin gegenüber dem Verständnis als Magd und Dienerin durch, der dogmatische Grundstein für die spätere Mariologische Entwicklung in der katholischen Kirche wird gelegt. Die Konzilskirche in Ephesos wird der Muttergottes geweiht, deren Reste bis heute gut erhalten sind. Auf Amazones Inschrift heißt es: „treue Magd Gottes, soll Gott und den Menschen gefallen.“ Wenn die dargelegten Mutmaßungen über Amazone richtig sind, liegt in ihrer Inschrift das Beispiel für eine Christin vor, die karitative Dienste verrichtet – möglicherweise als offizielle Inhaberin eines kirchlichen (Diakonissen-) Amtes, zumindest aber wohl aus ihrer Glaubensüberzeugung heraus – und die in dieser Betätigung eine hohe berufliche Qualifizierung erringt. In der weiteren Medizin- wie Kirchengeschichte wird die Rolle der Frau auf eben diese „Magdfunktion“ konzentriert, dadurch geht ihre Chancengleichheit in beiden Bereichen zunehmend verloren: der Weg in ein kirchliches oder ärztliches Amt wird den Frauen weitgehend verwehrt. Amazone ist insofern ähnlich wie ihre Kol115
Frauenbild legin Scantia Redempta ein Jahrhundert zuvor ein letztes Beispiel für eine frühchristliche Ärztin, die im oströmischen Bereich die Möglichkeit zu einer beruflichen Entfaltung besitzt und nutzt. Prägend für den weiteren Verlauf der Einwirkung des Christentums auf die abendländische Medizin wird eben nicht die berufliche Karrieremöglichkeit von Frauen im medizinischen Sektor, sondern die patriarchalische Sicht der Frau als „Magd“. Die Herausbildung des männlichen Amtsverständnisses in der Kirche hat ihre Spuren nicht nur in der Kirche selbst hinterlassen, sondern in der Folge seine Wirkung auch auf andere öffentliche Bereiche entfaltet, eben auch im Rollenverständnis der Frauen in medizinischen Berufen. Schulzes These vom „Ausweichphänomen“ christlicher Frauen, denen eine Karriere innerhalb der Kirche versagt wird und die deswegen vergleichbar hohe berufliche Qualifikationen im Medizinbereich etwa als Ärztinnen anstreben und erreichen, ist unter diesen Gesichtspunkten nur eine vorläufige Ersatzmöglichkeit. Nach heutigem kirchengeschichtlichem Forschungsstand ist allerdings die Position, die etwa Bischof Gerhard Ludwig Müller unter Berufung auf Hippolyts Kirchenordnung vertritt, umstritten, nämlich dass in der Urkirche das dreigeteilte apostolische Amt (Bischof, Presbyter, Diakon) ausschließlich Männern vorbehalten gewesen sei, so dass eindeutig zwischen dem Diakonenamt des Mannes und dem Diakonissendienst der Frau differenziert werden müsse: „Ein dem Diakonenamt innerhalb des dreigliedrigen Ordo entsprechendes Diakonat von Frauen hat es in den katholischen 116
Frauenbild Kirchen nicht gegeben. Das Amt der Diakonisse ist vom Amt der Diakone klar unterschieden. Es ist nicht das Diakonenamt, das auch von Frauen ausgeübt wird, sondern ein nur von Frauen ausgeübtes Kirchenamt“.23 Bekannt ist die Passage des Römerbriefes: „Grüßt Andronikus und Junias, die zu meinem Volk gehören und mit mir zusammen im Gefängnis waren; sie sind angesehene Apostel und haben sich schon vor mir zu Christus bekannt.“ (Röm 16, 7). Hier wird unter dem Namen Junias sogar ein Apostel genannt. Allerdings gibt es den männlichen Namen Junias gar nicht, sondern nur den Frauennamen Junia. In der Textgeschichte verändert sich der Name nachweislich von Junia zu Junias, so dass für die Urkirche von einem Apostelinnenamt auszugehen ist. Bemerkenswert an dieser Textstelle ist nicht die Erwähnung einer Frau in einem hohen kirchlichen Amt; auch anderswo werden Frauen als Missionarinnen, Mitarbeiterinnen des Paulus und als Leiterinnen von christlichen Hausgemeinden genannt (Phil 4, 2: Evodia und Syntyche; Phlm 2: Aphia; Apg 18: Priska und Aquila; Röm 16, 6: Maria; Röm 16, 1: Tryphäna, Tryphosa und „die liebe Persis“; 1Kor 1, 11: Chloë bzw. Kol 4, 15: Nympha). Im Hinblick auf die Fragestellung dieser Arbeit ist vielmehr die Tatsache relevant, dass sich die römische Amtskirche veranlasst sieht, diese frühchristliche Quelle (Röm 16) – immerhin ein Paulusbrief – zu fälschen, damit die männliche Amtstheologie nicht durch einen Apostelbrief unterlaufen wird. In den patristischen Texten lässt sich mehrfach nachweisen, dass Junia noch unhinterfragt als Frau akzeptiert 117
Frauenbild wird, etwa bei Johannes Chrysostomus (in seinen Homilien zum Römerbrief, die Isidor von Pelusium als das exegetisch beste Werk Johannes` bezeichnet) oder bei Origenes, von dessen Kommentar des Römerbriefes größere Fragmente erhalten geblieben sind.24 Erst im 13. Jahrhundert unter Papst Bonifatius VIII. lässt sich eine Veränderung des Textes durch Ägidius von Rom feststellen. Die bewusste Ausgrenzung von Frauen aus den kirchlichen Ämtern hat indes bereits wesentlich früher begonnen. Während Müller sich in seiner Argumentation auf Hippolyt von Rom zu Beginn des dritten Jahrhunderts beruft, stellt sein Regensburger Kollege Brox demgegenüber fest: „Wie immer das Amt strikt zu definieren ist, es hatte im 2. und 3. Jahrhundert noch eine gewisse Unschärfe. In der Frühzeit gab es auch Frauen in Ämtern (Leitung, Prophetie), aber eben nur in der Frühzeit.“25 Die Ausgrenzung der Frauen aus den öffentlichen gesellschaftlichen Bereichen wird durch die Etablierung des Christentums forciert und zeigt im frühen Mittelalter auch für den medizinischen Bereich deutliche Auswirkungen. Vivian Nutton konstatiert für diesen Zeitraum in Westeuropa über die Situation von Ärztinnen: „The number of known female practitioners is small, one or two per cent of all practitionersIII, and may be distorted by biases inherent in the Dies ist ein deutlicher Rückgang im Vergleich zur Spätantike, wo nach Schätzungen SCHULZES etwa 5% der paganen Ärzte Frauen sind und unter den christlichen Ärzten der Frauenanteil sogar etwa 10% beträgt, vgl. SCHULZE, Ärztinnen, S. 100. III
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Frauenbild sources. University-trained physicians, possessors of wealth sufficient to make a will, and guild officials are far better represented in surviving documents than women (of all classes). Furthermore, medical historians have tended to marginalise lesser healers as empirics, charlatans, wise-women, or midwives, terms which have led to an underestimate of the role (and abilities) of women healers. Nonetheless, although some women knew as much and practised in the same way as men, they were increasingly excluded in the late Middle Ages, caught in the middle of conflicts provoked by the increasing professionalisation of medicine. “26 Insgesamt kann am Beispiel der Amazone festgestellt werden, dass das sich etablierende Christentum in seiner patriarchalischen Ausprägung dazu beiträgt, eine untergeordnete Rolle der Frauen auch in der Medizin zu forcieren. Wenn für die spätantike Gesellschaft wiederholt eine gewisse Emanzipation der Frauen postuliert wird – so von Kudlien27 –, die ihren Niederschlag auch in der freieren beruflichen Betätigung, etwa als Ärztin, findet, dann kann andererseits durch den Aufzug des Christentums nach einer anfänglich gleichberechtigten Communiostruktur in den Gemeinden im Zuge seiner Etablierung als Staatsreligion der gegenteilige Effekt festgestellt werden. Innerhalb der Kirche setzt sich ein männliches Amtsverständnis im Sinne des alttestamentlichen Priesters durch, der als Repräsentant Christi wirkt. Für Frauen gewinnt stattdessen zunehmend das Motiv der „niedrigen Magd“ an Bedeutung, wie es auch in der Inschrift der Amazone formuliert ist. Diese Magd, die laut biblischem Zeugnis zunächst Gott hörig ist 119
Frauenbild („mir geschehe, wie du es gesagt hast.“, Lk 1, 38), hat sich in diesem Verständnis zunehmend dem Mann – eben als Repräsentant dieses männlich gedachten Gottesbildes – unterzuordnen. Während Amazone, die als oströmische Ärztin vermutlich im frühen fünften Jahrhundert lebt, noch eine selbstbewusste Vertreterin ihrer Zunft sein mag, die ihr Können demütig in den Dienst ihres Glaubens stellt, da sie „Gott und den Menschen gefallen“ will, werden ihre Nachfolgerinnen unfreiwillig in diese Dienstbereitschaft gedrängt, mit der bedeutsamen Verschiebung: „die treue Magd Gottes, soll Gott und den Männern gefallen“. Schulzes These, dass sich spätantike Ärztinnen aus dem Aufgabenbereich der Diakonissen rekrutiert haben könnten, mag am Beispiel der Amazone mit den erwähnten spekulativen Unsicherheiten nachvollzogen werden. Diese Inschrift ist bislang jedoch ein Einzelfund, der keine Verallgemeinerung rechtfertigt. Die stärkere Repräsentanz von Frauen in der christlichen Ärzteschaft bleibt auf die Anfangsphase der Reichskirche begrenzt, so dass das von Schulze diskutierte „Ausweichphänomen“ für Frauen, die aus kirchlichen Ämtern in den medizinischen Bereich wechseln, weil ihnen ein kirchliches Amt verwehrt wird, nicht über die Spätantike hinaus relevant bleibt.
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Frauenbild Quellenangabe Kapitel 2 „Frauenbild“ SCHWEIKARDT und SCHULZE, S. 121 ebenda, S. 127; CIL, Vol. VI, Nr. 9084 3 SCHWEIKARDT und SCHULZE, S. 119 4 STICKER, S. 55 5 KLÖNNE, 1820 6 FLIEDNER, Jahresbericht 1837 7 IGNATIUS, Smyrn. 13,1 8 MÜLLER, 43-68 9 Diakonissen-Lesebuch, S. 337 10 SCHULZE, Medizin und Christentum, Inschrift Nr. 6, S. 50; Verweis auf ROBERT, S. 176ff.; ebenfalls in: SCHULZE, Ärztinnen, S. 93 11 ebenda, S. 93 12 BROX, S. 187 13 AUGUSTINUS, en. Ps., 88, 2 und 14 sowie 122, 5 14 BROX, S. 134 15 SCHULZE, Ärztinnen, S. 93 16 SCHULZE, Medizin und Christentum, S. 50 17 SAMAMA, S. 414 18 SCHULZE, Ärztinnen, S. 108 19 BROX, S. 187 20 PHILON, Paradoxa 6 21 BROX, S. 191 22 ebenda, S. 188 23 MÜLLER, S. 43-68 24 vgl. MOLTMANN-WENDEL, S. 148ff. 25 BROX, S. 96 26 NUTTON, Medieval Western Europe, S. 170-171 27 KUDLIEN, Der griechische Arzt, S. 88 1
2
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Nächstenliebe
Das Gebot der Nächstenliebe und der Arztberuf Das Beispiel des Leviten Dionysius In der patristischen Literatur wird gerne darauf hingewiesen, dass Christus sich von Äskulap unter anderem darin unterscheide, dass die Absicht seiner Heilungen keine eigene Bereicherung oder Entlohnung sei, sondern ein selbstloser Dienst an den sich Gott anvertrauenden Menschen.I In der christlichen Nachfolge bildet sich daher das Motiv der „Nächstenliebe“ als zentrales Thema heraus. „Zudem fehlt dem Asklepios-Kult etwas Vergleichbares wie der caritas-Gedanke der Christen.“, führt Schulze aus: „In der Regel war nämlich die Heilung mit Geld oder einer Opfergabe bzw. einem Weihegeschenk zu entlohnen.“ 1 In der Antike ist das Arztsein in erster Linie ein Beruf, der den Lebensunterhalt zu sichern hat. Dörnemann fasst diesbezüglich zusammen: „Ärzte bekamen ihren Lohn. … Ärzte waren nicht arm. … Kostenlose Behandlung ist eher nicht üblich gewesen, denn der Arzt-Beruf war ein Broterwerbberuf.“2 Welche Auswirkungen hat insofern das caritas-Motiv auf christliche Ärzte? Geraten sie immer wieder in ein Dilemma, wenn sie aus religiöser Motivation hilflose Personen behandeln, von denen kein Lohn entrichtet werden kann? Sind christliche Ärzte in der Spätantike besonders arm, weil sie ihre Profession mehr aus religiöser Berufung denn als Erwerbsberuf I
So
schreibt
etwa
CLEMENS
VON
ALEXANDRIEN:
o` de. ivatro.j fila,rguroj h/n( VAsklhpio.j o;noma auvtw||)/ („Aber dieser Arzt, er heißt
Äskulap, war geldgierig.“) CLEMENS, prot. II, 30, 1. Vgl. auch DÖRNEMANN, S. 29
123
Nächstenliebe ausüben, im Sinne des Armutsauftrages Jesu an seine Nachfolger (vgl. Mk 6, 6ff.)? In den christlichen Arztinschriften der Spätantike wird in mehreren Fällen die explizite Aussage gefunden, dass der verstorbene Christenarzt nicht raffsüchtig gewesen sei. In den Katakomben von San Sebastiano in Rom ist der Titulus eines anonymen Arztes gefunden worden: Hic iacet amicus et caru[s omnibus …], medecus ingeniosus, pru[dens… pau-] peribus non cupidus, ne[mini…], cuius beneficia omnibus co[gnita…, vixit annis] p(lus) m(inus) XX, depositus pridie […].3 (Hier liegt der allen freundschaftlich und lieb gesonnene …, ein scharfsinniger Arzt, klug, … bei Armen nicht geldgierig, für niemanden…, dessen Wohltaten allen bekannt sind, … Er lebte um die 20 Jahre, gestern zu Grabe gelegt.) II
Diese Grabinschrift wurde in den Katakomben von San Sebastiano entdeckt; dieser Fundort weist den verstorbenen Arzt schon als einen Christen aus. Die unterirdischen Grabanlagen werden Übersetzung gegenüber SCHULZE leicht verändert. SCHULZE weist daraufhin, dass MAZZOLENI im Gegensatz zu DIEHL in seiner Darstellung die inkorrekte Schreibweise „medecus“ statt medicus mit einem Ausrufungszeichen versieht, so dass es sich wohl nicht um einen Schreibfehler in seiner Wiedergabe, sondern um die Originalversion handelt. II
124
Nächstenliebe insbesondere in Rom fast ausschließlich von Christen benutzt, die die heidnische Praxis der Totenverbrennung wegen ihres Glaubens an die leibliche Auferstehung ablehnen (siehe Kapitel „Auferstehungsglaube und Iatrotheologie“). Um angesichts der wachsenden Zahl christlicher Leichname ausreichend große Beerdigungsflächen zur Verfügung zu haben, weicht man auf unterirdische Grabanlagen aus. Damit folgt diese Sepulkralkultur auch dem Beispiel Jesu, von dem die Evangelientexte berichten, dass er in ein Leinentuch gewickelt in ein Felsengrab gelegt worden sei (Mt 27, 60; Mk 15, 46; Lk 23, 53). Das Johannesevangelium berichtet darüber hinaus, dass in das Grab Jesu zuvor noch niemand anderes gelegt worden sei (vgl. Jh 19, 41), woraus die christliche Tradition erwächst, Gräber stets nur einmal zu benutzen, was bei einer Oberflächenbestattung enorme Platzprobleme schaffen würde. Die christlichen Katakomben in Rom werden bis ins 5. Jahrhundert regelhaft benutzt, so dass Gummerus und Korpela diese Grabinschrift ins 4. bis 5. Jahrhundert datieren. Neben dem Fundort dieser Inschrift weist auch ihr Inhalt auf ein christliches Bekenntnis des Verstorbenen hin. Wenngleich das Adjektiv „cupidus“, gierig, nicht unbedingt im Sinne von „geldgierig“ übersetzt werden muss, bietet sich diese Deutung durch die Ergänzung [pau-]peribus, also „den Armen gegenüber nicht gierig“ an. Im Kapitel „Kirchliche Sexualmoral und Arztberuf“ wird am Beispiel des Keuschheitsideals der Scantia Redempta ausführlich dargestellt, dass sich das christliche Ideal der Bescheidenheit, der Lossagung von Begierden und Leidenschaften etwa ab dem 125
Nächstenliebe 2./3. Jahrhundert als erstrebenswerte Haltung im irdischen Leben durchsetzt. Der Verzicht auf irdischen Besitz und Reichtum wird in den Evangelien v.a. im Gleichnis vom reichen Jüngling veranschaulicht, von dem Jesus als Voraussetzung für eine echte Nachfolge verlangt: „Geh, verkaufe, was du hast, gib das Geld den Armen, und du wirst einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach!“ (Mk 10, 21; vgl. Mt 19, 21; Lk 18, 22). Bekannt ist der Aphorismus dieser Gleichniserzählung: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.“ Jesu Auftrag zu Verzicht und Demut ist nicht nur eine Aufforderung zur Weltentsagung, kein Auftrag zur bloßen asketischen Selbstbezwingung, sondern es wird explizit verlangt, das Geld nicht wegzuwerfen, sondern es den „Armen“ zu geben, also zur Verbesserung dieser Welt beizutragen, zu helfen, gerechtere Lebensbedingungen für die Gemeinschaft herzustellen. Hinsichtlich des christlichen Demutsgedankens, der eng mit dem caritas-Motiv und dem Verzicht auf Reichtum und Ansehen verknüpft ist, stößt die Untersuchungsmethode dieser Arbeit auf einen immanenten Widerspruch: wenn Ruhm, Ehre und Prestigebewusstsein keine Handlungsmotive christlicher Ärzte sind, dann kann unterstellt werden, dass sie auch in ihren Grabmalen Bescheidenheit präsentieren gemäß dem Jesus-Zitat des Lukasevangeliums: „Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“ (Lk 18, 14). Im Grunde müsste davon ausgegangen werden, dass Zeugnisse für 126
Nächstenliebe eine demütig-karitative Geisteshaltung christlicher Ärzte gar nicht vorliegen können, da schon die Aufstellung eines Grabsteines eine Egozentrik des Verstorbenen darstellt, die mit diesem Prinzip nicht vereinbar wäre. Selbstverständlich ist hierbei zu berücksichtigen, dass es letztlich die Angehörigen sind, die dem Verstorbenen ein Denkmal setzen, was in Einzelfällen gegen dessen Bescheidenheit geschehen sein mag. Im Gegenschluss könnte dies bedeuten, dass gefundene Inschriften, die Auskunft über die karitative Motivation christlicher Ärztinnen und Ärzte liefern, als nicht repräsentativ – im Extremfall sogar als posthume Beschönigungen einer im tatsächlichen Leben weniger christlich-bescheidenen Ausübung des Arztberufes – anzusehen seien. Schulze bemerkt: „Die Anfertigung eines Grabes kostete zuweilen viel Geld, da nicht nur das Material selbst bezahlt werden musste, sondern auch der Steinmetz oder gar ein mit der Anfertigung eines ganzen Grabgedichtes beauftragter Verfasser. Viele Ärzte werden auch mit ihrem Beruf also gutes Geld verdient haben, werden vor ihrem Tod finanziell hinreichend abgesichert gewesen sein, wie filigrane Reliefdarstellungen und ähnliches implizit bezeugen. Schon von daher dürfte die oft unterstellte soziale Minderrangigkeit des ärztlichen Handwerks zu relativieren sein.“4 Insofern könnte grundsätzlich von einem Widerspruch zwischen dem Demutsanspruch christlicher Ärzte und einer aufwendigen und selbstbewussten Grabgestaltung ausgegangen werden. Dieser These ist jedoch zu entgegnen, dass gerade die Praxis der Märtyrerverehrung darauf verweist, dass die Verdienste besonders 127
Nächstenliebe authentischer Nachfolgerinnen und Nachfolger Christi herausgestellt werden und als Vorbild dienen. In den synoptischen Evangelien findet sich bereits ein Jesuswort, aus dem die geläufige Redewendung abgeleitet ist, man solle sein Licht nicht unter den Scheffel stellen. „Man zündet auch nicht ein Licht an und stülpt ein Gefäß darüber, sondern man stellt es auf den Leuchter; dann leuchtet es allen im Haus. So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.“, heißt es im Matthäusevangelium (Mt 5, 15-16). Tatsächlich ist in den ersten Jahrhunderten in den christlichen Gemeinden die Herausstellung besonders verdienstvoller Glaubensgenossen zu beobachten: „Natürlich wurde es nirgends anschaulicher als im Leben idealer Christen, die allerdings zugleich als unerreichbare Heroen verehrt wurden, weil sie den Durchschnitt weit überragten. Für die ersten Jahrhunderte waren es die Märtyrer (Männer und Frauen), die die Verwirklichung biblischaltchristlicher Postulate wie ‚Nachfolge’, ‚Nachahmung’ Jesu auf geradezu buchstäbliche Weise vorlebten. Sie wiesen den Weg und waren in ihrer Vollkommenheit und ihrem Schicksal doch für die meisten unerreichbar. So wurde die Verehrung (nicht die Nachahmung) des Märtyrers, der Christus so nahe und ähnlich geworden war, zur konkreten Form, in der die vielen Christen sich zum christlichen Ideal bekannten. Andere Bedürfnisse wie die nach Fürbitte, Kraftmitteilung und Beistand eines Helfers spielten ebenfalls mit. Ab dem späten 2. Jahrhundert ist der Märtyrerkult in der Kirche geübt worden, und zwar sowohl liturgisch-kirchlich als auch in Formen privater Verehrung.“, schreibt Brox.5 128
Nächstenliebe
Ein bekanntes Beispiel für eine frühe Märtyrerverehrung in der Alten Kirche ist der Heilige Laurentius, der entweder bereits unter den Christenpogromen des Kaisers Valerian in der Mitte des dritten Jahrhunderts den Tod findet oder anderen Thesen zufolge erst unter der großen Kirchenverfolgung unter Diokletian ab 303 das Martyrium erleidet. „Auf jeden Fall steht fest, dass man von einem historischen Laurentius ausgehen muss, dessen Wirken einen tiefen Eindruck auf die Gemeinde in Rom gemacht hat. Sein Gedenkfest wurde bereits am Anfang des 4. Jahrhunderts auf dem Friedhof an der Via Tiburtina begangen (Depositio martyrum von 354), und gegen Ende des 4. Jahrhunderts gehörte das Martyrium des Laurentius in Rom zu den weithin bekannten Ereignissen der Alten Kirche, das viele Kirchenväter in ihren Predigten als herausragendes Beispiel standhaften Glaubensmutes würdigten.“, schreibt Jörg Dittmer, Dozent für Klassische Philologie an der Augustana-Hochschule in Neuendettelsau in seiner Arbeit „Das Martyrium des Heiligen Laurentius“.6 Ein ausführlicher Bericht dieses Blutzeugnisses ist in der Akte des Erzbischofs Ado von Vienne7 aus dem 9. Jahrhundert erhalten. Die Verehrung des Laurentius nimmt jedoch schon im 4./5. Jahrhundert schnell kultische Züge an. Sein Exempel dient als Vorbild in mehreren überlieferten Predigten, etwa bei Ambrosius von Mailand8, Papst Leo dem Großen9 sowie bei Augustinus.10 Die Verehrung von Märtyrern und die legendenhafte Ausschmückung ihrer Verdienste findet auch unter den so genannten christlichen Laien eine große Resonanz. So ist von Aurelius Prudentius Clemens, einem römischen 129
Nächstenliebe Juristen und Laientheologen, eine Sammlung von 14 Hymnen auf christliche Mäytryrer nach der Art antiker Versdichtung unter dem Titel „Peristephanon“ (Märtyrerkronen) erhalten. Prudentius besingt allein Laurentius in 146 Strophen. Nicht ganz so umfangreich und poetisch ausgeschmückt ist die Inschrift des christlichen Arztes Dionysius, die aber auch immerhin 20 Zeilen umfasst und damit den üblichen Umfang antiker Grabinschriften deutlich übersteigt. Auch Dionysius wird als ein Märtyrer in seiner Vorbildfunktion für nachfolgende christliche Generationen gerühmt:
Hic levita iacet Dionysius artis honestae functus et officio, quod medicina dedit. Huius docta manus famae dulcedine capta dispexit pretii sordida lucra sequi. Saepe salutis opus pietatis munere iuvit, dum refovet tenues dextera larga viros. Obtulit aegrotis venientibus omnia gratis, inplevit factis, quod docuit monitis. Laudibus aetheriis famulatus mente fideli destitit inlicitis actibus esse reus. amissis optibus robur non perdidit ullum, quo patiens praedae tempore, dives erat. Ars veneranda fidem, fidei decus extulit artem: haec studii titulos, altera mentis habet. 130
Nächstenliebe Civibus ac sociis qualis fuit, inde probatur, quem potuit victor hostis amare suus. Postquam Romana captus discessit ab urbe, mox sibi iam dominus subdidit arte Getas. Hosce suis manibus vitam committere fecit, quorum mortiferos pertulit ante metus.11 (Hier liegt der Levit Dionysius, von ehrenwerter Kunst, der auch die Pflicht erfüllte, die die Medizin gab. Seine geschulte Hand, von angenehmem Ruhm umfangen, verachtete es, dem schmutzigen Gewinn einer Entlohnung zu folgen. Oft unterstützte er ein Werk der Heilung in seinem frommen [=Leviten-] Amt, während seine gern gebende rechte Hand die schwachen Männer wiedererfrischte. Wenn Kranke kamen, gab er ihnen alles ohne Bezahlung, und er erfüllte durch seine Taten das, was er auch in seinen Mahnungen lehrte. Er diente himmlischem Lob in treuem Geist, er verwarf es, sich Prestigehandlungen zu unterwerfen. Wenngleich er seine Reichtümer eingebüßt hatte, verschwendete er keine Stärke, er war reich zu der Zeit, als er in der Lage war, seinen Gewinn zu machen. Seine bewundernswerte Kunst stärkte den Glauben, die Zierde des Glaubens steigerte die Kunst: diese war der Ruhmestitel seines Bestrebens, die andere seines Geistes. Gegenüber seinen Mitbürgern und Kameraden benahm er sich derart, dass er beliebt war, und auch der siegreiche Feind konnte ihn lieben. Nachdem er gefangen genommen die Stadt Rom verlassen hatte, überantwortete sein Herr ihn seiner Kunst wegen den Geten. Er bewirkte, dass gerade diese, vor denen er zuvor Todesängste ertrug, ihr Leben seinen Händen anvertrauten.) III
III
Übersetzung in einigen Abschnitten von SCHULZE abweichend.
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Nächstenliebe Wie auch im vorherigen Beispiel des anonymen Arztes wird auch bei Dionysius explizit sein Verzicht auf den „schmutzigen Gewinn der Entlohnung“ herausgestellt. Der gesamte Text scheint nach biblischen Motiven ausgelegt worden zu sein. „Wenn Kranke kamen, gab er ihnen alles ohne Bezahlung“ – neben dem Großmut Dionysius` wird ein weiteres biblisches Motiv aufgegriffen, wenn „seine gern gebende rechte Hand“ erwähnt wird. Diese Formulierung erinnert direkt an die Ermahnung aus dem Matthäusevangelium, karitative Werke nicht aus Heuchelei und Berechnung zu tun, um von den Menschen Lob und Anerkennung zu erheischen, sondern so unspektakulär zu geben, dass es nicht mal die eigene andere Hand bemerkt: „Wenn du Almosen gibst, soll deine linke Hand nicht wissen, was deine rechte tut.“ (Mt 6, 3). Genau in diesem Sinne betont die Inschrift denn auch, dass Dionysius „himmlischem Lob“ gedient habe, während er sich von schnöden irdischen „Prestigehandlungen“ abgewendet habe. Die theologische Intention dieser Formulierung ist klar; es geht nicht um Anerkennung, sondern um Barmherzigkeit. Wiederum bei Matthäus heißt es im Hinblick auf Opfergaben und Almosen: „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer.“ (Mt 9, 13). Überhaupt ist der ganze Text auffällig theologisch-didaktisch konzipiert. Die Wahrhaftigkeit des Dionysius wird herausgestellt, wenn ausdrücklich betont wird, dass er nicht nur theologische Mahnungen ausgesprochen habe, also nicht nur leere Worthülsen verbreitet habe, ohne selbst danach zu handeln, sondern: „er erfüllte durch seine Taten das, was er auch in seinen Mahnungen 132
Nächstenliebe lehrte“. Ein solcher Vorwurf scheint insofern nicht erst in der Neuzeit gegenüber kirchlichen Vertretern erhoben worden zu sein, wie etwa in Heines Wintermärchen-Spottlied über die Pfaffen: „Sie trinken heimlich Wein, und predigen öffentlich Wasser“.12 Insbesondere nach der Erhebung des Christentums zur Reichsreligion durch das Edikt vom 28.2.380 durch Kaiser Theodosius I. kommt es zu einer zunehmenden Unterhöhlung der Kirche durch zahlreiche Opportunisten. Die Würdigung der Authentizität Dionysius` stellt darum eine deutliche Abgrenzung gegenüber den so bezeichneten „Pharisäern“ dar, wie Heuchler in Anlehnung an die entsprechende Charakterisierung der Vertreter dieser jüdischen Volksbewegung in den Evangelientexten bezeichnet werden. Wiederum bei Matthäus heißt es über sie: „denn sie reden nur, tun selbst aber nicht, was sie sagen.“ (Mt 23, 3) Die starke Fixierung der gesamten Grabinschrift des Dionysius` auf das Matthäusevangelium findet seine Entsprechung besonders in den Parallelen der Inschrift zu den Seligpreisungen, die im Matthäus- und Lukasevangelium überliefert sind. Bei Matthäus steigt Jesus hierzu auf einen Berg und predigt in Analogie zu Moses, der vom Berg Sinai die Gebote Gottes dem Volk überbringt, die neue Weisung Gottes an die Menschen. Die so genannte Bergpredigt ist insofern eine zentrale Textstelle des Neuen Testamentes, in der elementare Inhalte der christlichen Religion herausgestellt werden. Matthäus gestaltet sein Evangelium in bewusster Absetzung vom Judentum. Der Inhalt der Seligpreisungen steht in vielfacher Hinsicht in auffälligem Widerspruch sowohl zu 133
Nächstenliebe den politisch-sozialen Vorstellungen des Judentums zur Zeit Jesu, in denen eine selbstbewusste Haltung, zum Teil auch gewaltsame Befreiung aus der römischen Hegemonie verlangt wird, als auch zu den machtpolitischen Überzeugungen des römischen Kulturkreises: „Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden. Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben. Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden satt werden. Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden. Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen. Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden. Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet.“ (Mt 5, 3-11). Diese revolutionären Aussagen Jesu finden besonderen Anklang unter den Verfolgten. Den Märtyrern wird zugesagt, dass ihr Leiden in dieser Welt nicht umsonst ist, sie können auf reichen Lohn in einer jenseitigen Welt hoffen. Aus diesem Motiv erscheint die ausführliche Textfassung der Grabinschrift nachvollziehbar. Die Hervorhebung der Märtyrerverdienste – hier in Analogie die des Leviten Dionysius – entspricht also dem hoffnungsvollen Aufscheinen der christlichen Botschaft in der dunklen Welt. Wie Jesus als „neuer Moses“ sollen auch christliche Vorbilder wie von einem Berg weithin sichtbar leuchten: „Ihr seid das Licht der Welt. Eine 134
Nächstenliebe Stadt, die auf einem Berg liegt, kann nicht verborgen bleiben.“ (Mt 5, 14). Zeitliche und örtliche Einordnung der Fundstelle Die Inschrift des Dionysius wurde auf dem Agro Verano in Rom entdeckt, also in eben jener Katakombe, wo sich auch das Grab des Heiligen Laurentius befindet. Auch aus dieser Perspektive wird die These unterstützt, dass die ausführliche, möglicherweise in den Bereich der Legendenbildung reichende Darstellung des Lebens des Dionysius dieselbe Funktion erfüllen soll wie die Märtyrerliteratur. Dieser Arzt soll als Vorbild dienen, einerseits als Christ, der all die erwähnten Tugenden in sich vereint, aber wohl auch als Arzt. Er ist nicht geldgierig, er erfrischt die „schwachen Männer“, leistet diese Arbeit nicht nur im Sinne eines Körperarztes, dessen „Künste“ sie genesen lässt, sondern Dionysius ist zugleich für die Seelen der ihm anvertrauten Menschen zuständig: „oft unterstützt er ein Werk der Heilung in seinem frommen Amt“. In dieser Formulierung spiegelt sich die Überzeugung (entweder des Dionysius selbst oder zumindest derjenigen, die diese denkmalartige Grabinschrift für ihn als Exempel errichten lassen), dass das „fromme Amt“, also der Dienst in der Nachfolge Christi, das medizinische Können unterstütze. Ärztliche Kunst und christlicher Glaube veredeln sich nach dieser Vorstellung gegenseitig: „Seine bewundernswerte Kunst stärkte den Glauben, die Zierde des Glaubens steigerte die Kunst“.
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Nächstenliebe In Dionysius begegnet uns offenbar ein frühchristlicher Vertreter der Auffassung, dass die Heilkunst eine von Gott gegebene Gabe ist; die zentrale Botschaft Jesu ist die Nächstenliebe, durch sie wirkt Gott in die Welt hinein, so verwirklicht sich das Reich Gottes unter den Menschen. Die Vollmacht zur Krankenheilung gibt Jesu nach biblischer Lesart an seine Jünger weiter, der einzelne Arzt wirkt insofern nicht aus eigener Machtvollkommenheit, sondern er ist Werkzeug Gottes, der sein Reich dadurch aufbaut. Der äußerlich auffällige Umstand, dass ein christlicher Arzt es aus dieser Intention heraus verachtet, „dem schmutzigen Gewinn einer Entlohnung zu folgen“, ist insofern nur folgerichtige Anwendung des Auftrages Jesu – wieder aus dem Matthäusevangelium: „Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus! Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben.“ (Mt 10, 8). Die Inschrift des Dionysius ist aussagestark, was ihren theologischen Hintergrund angeht; medizinisch gibt sie nur wenig Auskunft. Wir erfahren nicht, welche Art von Arzt Dionysius gewesen ist. Dreimal werden seine Händen erwähnt, die die ärztliche Kunst ausüben. Zu Beginn ist sogar von seiner „geschulten Hand“ die Rede, der sich später sogar die feindlichen Geten anvertrauen. Inwiefern dieser Ausdruck Rückschlüsse zulässt, dass Dionysius eventuell ein chirurgisches Fachgebiet ausgeübt hat, ist nicht sicher zu klären. Allerdings klingen hierbei die Attribute an, die Celsus von einem guten Chirurgen fordert: „Esse autem chirurgus debet adulescens aut certe adulescentiae propior; manu strenua, 136
Nächstenliebe stabili, nec umquam intremescente, eaque non minus sinistra quam dextra promptus“.13 (Der Chirurg soll ein jugendlicher Mann sein oder doch von dieser Jugend nicht zu weit entfernt; er soll eine geschickte, feste Hand haben, die nie zittert, er soll mit der linken so gewandt sein wie mit der rechten.)
Die letzte Passage der Grabinschrift, die berichtet, dass Dionysius von den Geten aus Rom verschleppt worden sei, um dann unter ihnen zu wirken, lässt vermuten, dass Dionysius in Rom ein bekannter Arzt gewesen ist, so dass er bei einem Einfall der „Feinde“ in die Stadt für diese eine lohnenswerte „Beute“ darstellt, die sie mit in ihre Heimat entführen. Die Geten sind ein Reitervolk, das in Thrakien bis zur unteren Donau siedelt. Erstmals finden sie im fünften Jahrhundert v.Chr. Erwähnung bei Herodot in seiner Schilderung des Feldzuges von Dareios gegen die Skythen. Im Jahre 46 n.Chr. wird Thrakien nach langer Gegenwehr zur Provinz des Römischen Imperiums, die Geten lassen sich schnell romanisieren. Allerdings verfasst in der Mitte des 6. Jahrhunderts der ostgotische Gelehrte Jordanes eine verkürzte Fassung der Geschichte der Goten, die ursprünglich Theodorich der Große bei seinem Minister Cassiodorus in Auftrag gegeben hat. Von Jordanes Werk ist nur der Abschnitt über die Geten, „De origine actibusque Getarum“, erhalten.14 Hierin behauptet er, die Geten seien identisch mit den ostgerma-
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Nächstenliebe nischen Goten – wobei er insgesamt eine politisch opportune Geschichte der Goten konstruiert. Gummerus und Korpela datieren beide die Inschrift des Dionysius in die Mitte des fünften Jahrhunderts. Auch für das Jahrhundert vor Jordanes Werk über die Geten sind genaue ethnische und politische Zuordnungen kaum möglich. In der Zeit der Völkerwanderung sind die früheren römischen Donauprovinzen ein Durchzugsgebiet vieler unterschiedlicher Stämme, neben Goten und Rugiern, Langobarden und Gepiden auch für Geten und Skiren. Es kommt zu einer unübersehbaren politischen Situation, die Grenzen werden aufgehoben, römische Provinzen gehen verloren und Rom wird in diesem Zeitraum zweimal geplündert. In diesem Chaos wechselnder Besatzungsmächte gelangen verschiedene Stämme in der Gefolgschaft der gotischen Herrscher nach Rom; es ist demnach nicht auszuschließen, dass sich auch die Geten im Zuge der Völkerwanderung an einer Plünderung Roms beteiligen und einen römischen Arzt gefangen nehmen. Andererseits ist vorstellbar, dass die Inschrift des Dionysius mit „Geten“ unspezifisch ostgermanische Besatzer meint. In jedem Fall scheint die Aussage des Epigramms glaubwürdig, Dionysius habe von seinen Feinden „gefangen genommen die Stadt Rom verlassen“, um dann seinen Beruf den Siegern zur Verfügung zu stellen. Interessant ist, dass etwa 4 Jahrhunderte zuvor auch der römische Dichter Ovid zu den Geten ins Exil gehen muss. Im Jahre 8
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Nächstenliebe n.Chr. wird er nach TomisIV verbannt. Er selbst nennt sein Gedicht „Ars amatoria“ als Verbannungsgrund, weil es Kaiser Augustus moralisch verwerflich erschienen sei. Vermutlich fürchtet der Kaiser jedoch um den Ruf seiner Familie, da Ovid als damals (nach dem Tod Horaz`) bekanntester Dichter der Hauptstadt Einblick in einen Skandal um die Enkelin des Augustus hat. Er schreibt aus der Verbannung in seinem Spätwerk Tristia: „cum maris Euxini positos ad laeva Tomitas quaerere me laesi principis ira iubet. Causa meae cunctis nimium quoque nota ruinae indicio non est testificanda meo.”15 (Der Zorn des beleidigten Herrschers sandte mich zu den Tomiten, sie leben links am EuxinischenV Meer. Der Grund meines Verderbens, der auch allen zu sehr bekannt ist, muss ich durch meinen Mund gar nicht benennen.)
Ovid schwankt während seiner Exilszeit zwischen Resignation und Hoffnung auf eine Rückkehr in seine Heimatstadt Rom. In seinen Spätwerken, den „Epistulae ex Ponto“, die in Gedichtform verfasst sind, und in den fünf Büchern der Klagelieder „Tristia“, beschreibt er sein trauriges Leben in der Verbannung. Hier finden auch die Geten als waffentragendes Nachbarvolk Erwähnung: „Tacta mihi tandem longis erroribus acto iuncta pharetratis SarIV
heutiges Constanta in Rumänien
Das „Euxinische Meer“ meint das Schwarze Meer, ein Wortspiel mit griechisch eu;xeinoj, also „gastfreundlich“.
V
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Nächstenliebe matis ora Getis. Hic ego, finitimis quamvis circumsoner armis, tristia, quo possum, carmine fata levo.”16 (Endlich habe ich, nachdem ich lange umhergeirrt bin, den sarmatischen Strand erreicht, in dessen Nachbarschaft die mit Köchern bewaffneten Geten wohnen. Wenn ich hier von den Waffen der Nachbarn umtönt werde, lindere ich mein trauriges Schicksal durch mein Lied.)
Ovid scheint sich hiernach durch seine Dichtkunst mit dem Verbannungslos hat abfinden können. Er stirbt 17 n.Chr. immerhin als Ehrenbürger der Stadt Tomis am Schwarzen Meer. Auch Dionysius kann sich mit seinem Schicksal bei den Geten arrangieren, die schließlich „ihr Leben seinen Händen anvertrauten“. In dieser wahrscheinlich authentischen Begebenheit schließt sich der Kreis zu den neutestamentlichen Texten über die Nächstenliebe. In den unsicheren Zeiten von Krieg und Plünderung wendet sich die christlich-römische Bevölkerung verstärkt den Verheißungen Jesu von Frieden und Gerechtigkeit zu, wie sie in den Seligpreisungen formuliert sind. Die eigentliche Herausforderung der Botschaft Jesu besteht in der Forderung nach der Feindesliebe: „Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen“ (Mt 5, 4445). Dionysius hat nach Aussage seiner Grabinschrift diese wohl schwierigste Stufe der Nächstenliebe bewältigt. In der Diktion seiner Inschrift „überantwortete sein Herr ihn seiner Kunst wegen 140
Nächstenliebe den Geten“. Sein Schicksal hat demnach einen bestimmten Sinn, Dionysius erfüllt eine Aufgabe im göttlichen Heilsplan. Geradezu literarisch spielt die Inschrift mit den Gegenpolen „Leben“ und „Tod(bringend)“, „vitam committere“ und „mortiferos pertulit“. Als Werkzeug Gottes kann Dionysius den Abgrund zwischen Tod zum Leben überwinden. Nach diesem theologischen – wie medizinischen – Konzept bewirkt die Überwindung von Feindschaft und Gewalt Heil und Gesundheit. Das Prinzip der Nächstenliebe wird bezeichnenderweise durch das Gleichnis des barmherzigen Samariters im Lukasevangelium illustriert (vgl. Lk 10, 25ff.). Hier erfolgt der selbstlose Einsatz aus Barmherzigkeit am wehrlosen Verwundeten. Der Helfer erwartet keine Gegenleistung; hierin unterscheidet sich das Handeln des Samariters deutlich von der Praxis antiker Ärzte, die – wie oben am Beispiel Äskulaps dargestellt – selbstverständlich einen Lohn erwarten. Das Gleichnis des barmherzigen Samariters betont die Bedeutung der tätigen Caritas gegenüber dogmatischen Festlegungen oder orthodoxer Korrektheit. Die Samariter stellen eine vom offiziellen Judentum nicht als jüdisch anerkannte religiöse Sondergruppe dar, dennoch ist der Samariter derjenige, der durch seine vorurteilsfreie Hilfe „Nächstenliebe“ praktiziert, während der Priester und der Levit als Vertreter religiöser Prinzipien offenbar versagen. Im Unterschied zu anderen neutestamentlichen Schriftstellen, in denen es darum geht, wie der gläubige Mensch selbst durch sein 141
Nächstenliebe bedingungsloses Vertrauen auf Gott in seiner körperlich-geistigenspirituellen Integrität durch Gott wiederhergestellt wird, geht es hier um die Weitergabe des Heils an andere Menschen. Während beim Heil-Erlangen in den Heilungsgeschichten des NT der Glaube an Gott die unaufgebbare Bedingung ist („dein Glaube hat dir geholfen“, vgl. Mt 9, 22; Mk 5, 34; Mk 10, 52; Lk 7, 50; Lk 8, 48; Lk 17, 19 und Lk 18, 42), ist die karitative Nächstenliebe gerade an keine Glaubensvoraussetzungen geknüpft. Hier ist – freilich in einem anderen Zusammenhang – schon in einer zentralen neutestamentlichen Schriftstelle das Prinzip „Wer heilt, hat Recht“ angelegt, wodurch es möglich wird, christlichen Glauben und pagane Heilkunst zu verbinden, wie in der Einleitung als Ausgangsbefund dieser Arbeit im Hinblick auf die hippokratischgalensche Medizin festgestellt wird. Unter diesem Aspekt besteht zwischen dem christlichen Prinzip der praktizierten Nächstenliebe und dem Äskulap-Heilkult die bedeutsame Übereinstimmung, dass keine inhaltlichen oder bekenntnishaft-religiösen Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um zu heilen: „Patienten, die keinen Glauben an den Heilungsvorgang mitbringen, werden trotzdem geheilt.“, konstatiert Dörnemann für die Praxis des Äskulap-Kultes.17 Freilich steht der christliche Arzt Dionysius in der Inschrift auf der „richtigen“ Seite, nicht er ist der – letztlich „falschgläubige“ – Samariter, sondern als Vertreter des „wahren Christentums“ setzt er um, was Gott durch Jesus gefordert hat. Wie in der Gleichniserzählung ist auch er ein „Levit“, allerdings wiederum auf der 142
Nächstenliebe „richtigen“ Seite; er ist nicht der heuchlerische Priesterdiener, der am Bedürftigen vorübergeht, sondern er ist ein wahrer Diener Gottes, der als Christ umsetzt, was in der Lesart des Lukasevangeliums die verdarbte jüdische Priesterschicht durch ihren Hochmut und ihr Desinteresse am „Nächsten“ verwirkt hat. Schulze kommentiert die kirchliche Amtsbezeichnung Dionysius wie folgt: „levita (Vers 1) wird etwa diaconus bedeuten.“18 Diese Begriffswahl verweist die Quelle ebenfalls in den Zeitraum nach dem Edikt Theodosius I. von 28.2.380, also nachdem die Kirche Körperschaft des öffentlichen Rechts und reichseinheitliche Religion geworden ist. Brox beschreibt den entsprechenden Wandel wie folgt: „Im Anschluss an römisches Religionsverständnis verstand sich das reichskirchliche Christentum sehr stark als Kult, wobei das Kultverständnis selbst wieder eher römisch als neutestamentlich-urchristlich geprägt war. Bezeichnend dafür ist, dass die biblischen Begründungen kultischer Einrichtungen der Kirche ab dem 4. Jahrhundert ausschließlich aus dem Alten Testament bezogen wurden, ohne Berücksichtigung der jesuanischurchristlichen Kritik bzw. Korrektur.“19 Insofern wechselt die Bezeichnung des Presbyters zum Priester und des Diakons zum Leviten. Die Leviten sind nach den Anweisungen des Pentateuchs die Diener im Haus des Herrn: „Betrau die Leviten mit der Sorge für die Wohnstätte der Bundesurkunde, für ihre Geräte und für alles, was dazu gehört. Sie sollen die Wohnstätte und alle ihre Geräte tragen und sollen sie pflegen; sie sollen ihren Lagerplatz rings um die Wohnstätte haben.“ (Num 143
Nächstenliebe 1, 50). Im Falle des Dionysius besteht einerseits die reaktionäre Bezeichnung „Levit“, andererseits lässt sich inhaltlich eine Besinnung auf die jesuanisch-urchristliche Botschaft (Brox) in seiner Inschrift ablesen. Auch im Hinblick auf den Levitentitel entspricht die märtyrerhafte Präsentation des Arztes Dionysius dem erwähnten Heiligen Laurentius. Auch er wird als Levit bezeichnet. Im besagten Hymnus des Prudentius heißt es in der 10. und 11. Strophe: Hic primus e septem viris, qui stant ad aram proximi, levita sublimis gradu et ceteris praestantior, claustris sacrorum praeerat caelestis arcanum domus fidis gubernans clavibus votasque dispensans opes.20 (Er war der erste der sieben Männer, die nah am Altar stehen, ein Levit hohen Ranges und übertraf die anderen. Er verwaltete die weggeschlossenen Kultgeräte, leitete das himmlisch abgeschiedene Haus, für das er zuverlässig die Schlüsselmacht ausübte und die Gaben austeilte.)
Die Aussage über die „sieben Diakone“, die am Altar stehen, ist offenbar eine Fehldeutung der Apostelgeschichte, in der beschrie144
Nächstenliebe ben wird, dass die zwölf Apostel sieben Diakone auswählen zum „Dienst an den Tischen“: „Da riefen die Zwölf die ganze Schar der Jünger zusammen und erklärten: Es ist nicht recht, dass wir das Wort Gottes vernachlässigen und uns dem Dienst an den Tischen widmen. Brüder, wählt aus eurer Mitte sieben Männer von gutem Ruf und voll Geist und Weisheit; ihnen werden wir diese Aufgabe übertragen.“ (Apg 6, 2-3). Brox vermutet, dass dieses Siebenergremium die Gemeindeleitung der hellenistischen Jerusalemer Judenchristen darstellt: „Die Gruppe der Sieben aus Apg 6,5 mit ausschließlich griechischen Namen (Stephanus, Philippus, Prochorus, Nikanor, Timon, Parmenas, Nikolaus) stellte wahrscheinlich die Gemeindeleitung der ‚Hellenisten’ dar, in Entsprechung zum Kollegium der Apostel in der ‚Hebräer’-Gemeinde.“21 Dessen ungeachtet entwickelt sich das Amt des Diakons zum Träger der karitativ-sozialen Aufgaben innerhalb der christlichen Gemeinden. Vivian Nutton betont, dass in den Anfängen des Christentums der Heilungsauftrag Jesu den Diakonen übertragen wird, der aber allen Bedürftigen gilt, unabhängig von ihrem religiösen Bekenntnis: „Christ`s order to his fellowers to care for the sick, the poor, the lonely, and the needy was swiftly given institutional form by the creation of ‚deacons’ charged with the distribution of alms. It was a commitment to all in need, Christians and non-Christians alike.”22 Am Beispiel der Ärztin und fraglichen Diakonisse Amazone wird in dieser Arbeit dargelegt, dass anfänglich Frauen und Männer 145
Nächstenliebe dieses Amt gleichermaßen ausgeübt haben (siehe Kapitel „Kirchliches Frauenbild und Ärztinnenberuf“). In der kultischen Rückbesinnung auf alttestamentliche sowie römisch-pagane Elemente werden die Aufgaben des männlichen Diakons neben den karitativen Aufgaben erweitert, Sorge um das „Haus des Herrn“ und um den Altardienst zu tragen. Hierdurch kommt es zu einer zunehmenden Auseinanderentwicklung zwischen der tätigen Nächstenliebe, die hauptsächlich den Frauen aufgetragen wird und dem liturgischen Dienst der ordinierten männlichen Diakone. Die kirchliche Funktion der Frauen wird fortan auf die dienende Rolle der Magd festgelegt. Das caritas-Motiv bleibt als zentrales Thema des Christentums auch über die Spätantike hinaus bestimmend. Für den Bereich der Medizin muss allerdings eine allzu positive Bewertung des christlichen Beitrags der Krankenbehandlung aus karitativer Motivation relativiert werden. Zum einen konkurriert das Gebot der Nächsten-, Fremden- und Feindesliebe nach der endgültigen Etablierung als Reichskirche mit dem Absolutheitsanspruch der Kirche. „Extra ecclesiam nulla salus“ – „Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil“. Dieser Satz, mit dem Bischof Cyprian von Karthago um die Mitte des 3. Jahrhunderts die Ungültigkeit einer Taufe durch vermeintliche Häretiker zu begründen versucht, gilt zunehmend auch für medizinische Behandlungsmethoden. Wer außerhalb der rechtmäßigen Kirche steht, hat kein Recht auf Heilung; andererseits wird versucht, die Heilungsdienste von „Ungläubigen“ an „Rechtgläubigen“ zu unterbinden. Wie Tertullian vertritt Cyprian 146
Nächstenliebe die rigide Haltung der nordafrikanischen Kirche. Neben den Heiden greift der Nordafrikaner auch die Juden scharf an (Adversus Judaeos). Die tolerante Grundhaltung „Wer heilt, hat Recht“ kann sich für weite Teile des christianisierten Abendlandes nicht durchsetzen; Behandlungsmethoden, die als „unchristlich“ verdächtigt werden, bleiben den Bedürftigen zunehmend vorenthalten. Vivian Nutton verdeutlicht den Unterschied der Bedeutung der Religion in der Medizin Galens zur christlichen Medizin beim Übergang von der Spätantike zum Mittelalter: „Galen`s religion had been his private affair, and the Methodists` rejection of divine healing had not brought down anathemas upon them. But in Late Antiquity and the Middle Ages religion and medicine interpenetrated in various ways. The Church`s insistence on a Christian community that extended from before birth to the grave and beyond left no aspect of life untouched. Determining when a foetus became alive, had both theological and medical implications. To hold a non-religious perspective in healing was risk to being accused of a religious offence, heresy”.23 Auf der anderen Seite sorgt die Kirche unter dem Paradigma einer solchen christlichen Gesellschaft für die Institutionalisierung karitativer Einrichtungen. Kranken- und Armenhäuser werden errichtet. Nutton benennt die Nächstenliebe als die zentrale Motivation für dieses Engagement der christlichen Kirche: „With the legalisation of Christianity in the fourth century, charity was given architectural form, at first in the Eastern Empire.“24
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Nächstenliebe Die Lehre des barmherzigen Samariters, einen Bedürftigen unabhängig von seinem religiösen Bekenntnis zu behandeln, besteht nicht unangefochten fort. Die Toleranz des Christentums findet in seiner Selbstgewissheit, als Offenbarungsreligion im Besitz der Wahrheit zu sein, ihre Grenzen. Das jüdische Motiv des „auserwählten Volkes“ gewinnt v.a. für die frühen Judenchristen große Bedeutung. Während der Heidenchrist Lukas in seiner Erzählung vom „barmherzigen Samariter“ religiöse Gräben überspringt, reiben sich die judenchristlichen Evangelisten an ihrer Wahrnehmung auf, dass das Volk Gottes seinen Messias nicht erkannt habe. Hieraus entstehen verhängnisvolle Aggressionen gegen die Mutterreligion. Diese habe versagt, die christliche Gemeinde sei das neue „auserwählte Volk“, außerhalb dessen Gemeinschaft es kein Heil geben könne. Das Matthäusevangelium, dem zahlreiche Motive der Dionysius-Inschrift entstammen, legt den Juden wegen ihrer angeblichen Schuld am Tod Jesu das eigene Vernichtungsurteil in den Mund: „Da rief das ganze Volk: Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!“ (Mt 27, 25). Der Philosophieprofessor Herbert Schnädelbach an der Humboldt-Universität Berlin hält fest: „Die christliche Judenfeindschaft hat ihre Wurzel in den Evangelien, während im Umkreis von Paulus davon kaum die Rede ist. Sie ist ursprünglich eine innerjüdische Angelegenheit, denn die Evangelisten sammeln frühestens drei Jahrzehnte nach dem Tod Jesu judenchristliche Berichte über dessen Leben und Sterben, und die kommen darin überein, die Hohepriester und Schriftgelehrten sowie das von ihnen angestachelte ‚Volk’ für die Kreuzigung verantwortlich zu machen. Es sind also 148
Nächstenliebe zunächst getaufte Juden, die Juden anklagen, den wahren Messias verkannt zu haben. … erst die Behauptung, ‚die’ Juden hätten doch selbst das Blut Jesu heraufbeschworen, verschaffte den christlichen Judenverfolgungen ein gutes Gewissen. So zieht sich von jener Blut-Stelle des Matthäus eine Blutspur über die ungezählten Judenpogrome im christlichen Europa bis hin zum rassistischen Antisemitismus als dem säkularen Erbe des religiösen Antijudaismus.“25 In der Medizin kann sich der christliche Exklusivanspruch „Extra ecclesiam nulla salus“ trotz aller Autoritätsforderungen der Kirche nicht vollständig durchsetzen. Nutton sieht in der Opposition weltlicher Herrscher zum kirchlichen Absolutheitsanspruch die Begründung, warum sich „gesellschaftliche Nischen“ bilden, in denen auch jüdische Ärzte bestehen können. Allerdings gilt das Aufsuchen eines jüdischen Arztes für einen Christen als Sünde. Nutton führt einen Bericht des Bischofs Gregor von Tours an, wonach ein gewisser Leunast, Erzdiakon aus Bourges, im Jahr 576 verschiedene Ärzte wegen seines Katarraktes aufsucht. Erst eine Wallfahrt zum Schrein des Heiligen Martin von Tours habe ihm Erleichterung gebracht, als er trotzdem noch einen jüdischen Arzt aufsucht, erblindet er vollkommen als angemessene Strafe dafür, dass er sich nach Gottes Hilfe noch einem Ungläubigen anvertraut.26 Ein besonderes Zentrum religiöser Toleranz und gegenseitiger wissenschaftlicher und medizinischer Bereicherung entsteht im mittelalterlichen Andalusien, wo christliche, islamische und jüdische Gelehrte ihr Wissen gegenseitig befruchten. Erst als 149
Nächstenliebe weltliche und kirchliche Herrscher sich zusammenschließen, können sie wirksam gegen diese Nischen vorgehen: „It is significant that the most effective religious action against any type of medicine did not take place until the sixteenth century, when Emperor and Inquisition, acting together in Spain to stamp out heresy, secured the destruction of a medical tradition based on a first-hand acquaintance with Arabic (and occasionally Jewish) sources. In the Middle Ages, neither Church nor State possessed such an efficient mechanism of control, whatever legislators thought to the contrary.”27 Das Ideal des Reichtumsverzichts setzt sich in der Geschichte des christlichen Abendlandes unter Ärzten nicht allgemeingültig durch. Nutton berichtet bereits aus dem Mittelalter, dass die klösterliche Krankenfürsorge nicht allein karitativen Intentionen folgt, sondern dass mit der Medizin schon damals Reichtum erworben werden kann: „Several Church Councils banned monks from learning medicine, practising outside their own monasteries, or spending too much time away on this secular (and lucrative) science, a rule frequently repeated and frequently broken. The possible riches from medical practice made it an attractive option – and ecclesiastical lawyers in no way prevented those clerics who were not monks from taking it.”28 Dieses Schlaglicht auf die Verdienstmöglichkeiten und -verlockungen für christliche Ärzte des Mittelalters kann selbstverständlich nicht zu der pauschalen Unterstellung verleiten, dass alle 150
Nächstenliebe Ärzte jener Zeit geldgierig gewesen seien. Andererseits wäre auch eine Idealisierung des Frühchristentums in dem Sinn, dass damals noch der reine Geist der Lehre Jesu praktiziert worden sei und (spät)antike Christenärzte aus reiner Nächstenliebe ohne persönliche Vorteile gehandelt hätten, eine unzulässige Verklärung. Wahrscheinlicher ist, dass es zu allen Zeiten Menschen gegeben hat, die durch ihre Lebensführung versucht haben, das von Jesus aufgezeigte Ideal der Nächstenliebe zu verwirklichen – selbstverständlich sind unter diesen Christen immer wieder auch Ärzte gewesen. Allerdings kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine so verstandene „karitative Maxime“ sich in irgendeiner geschichtlichen Epoche allgemeingültig durchgesetzt habe. Das Beispiel des Dionysius ist ein Einzelfall, er ist auch für das 5. nachchristliche Jahrhundert nicht typisch. Die Tatsache, dass Dionysius auf dem Märtyrerfriedhof an der Via Tiburtina beerdigt worden ist und seine Verdienste besonders herausgestellt werden, kann als Hinweis darauf verstanden werden, dass seine konsequente Umsetzung der Nächstenliebe auch zu seiner Zeit eine Ausnahme darstellt und anderen als Vorbild dienen soll. Nicht vergessen werden darf, dass Dionysius offenbar aus einer privilegierten Schicht stammt, dass er zumindest in früheren Jahren über Reichtümer verfügt hat, die es ihm möglich machen, auf Lohn und finanzielle Unterstützung zu verzichten. Für die Medizingeschichte gilt dessen ungeachtet, was Dörnemann für die antiken Ärzte der asklepischen Medizin konstatiert: „der Arzt-Beruf war ein Broterwerbberuf.“29 Insofern ist es nur wenigen Medizi151
Nächstenliebe nern möglich gewesen, wie Dionysius auf den „schmutzigen Gewinn einer Entlohnung“ gänzlich zu verzichten. Schweikardt und Schulze verweisen in diesem Zusammenhang auf die hohen moralischen Prinzipien, die die hippokratische Medizin schon in vorchristlicher Zeit als Richtschnur für Ärzte aufgestellt hatte, zu denen aber eben kein Lohnverzicht gehörte: „Die im Corpus Hippocraticum entworfene Ethik zeichnet ein Idealbild des Arztes, das in praxi gewiss nur selten verwirklicht wurde. Interessanterweise wird der Arzt trotz vieler hoher Ansprüche nicht darauf verpflichtet, auf ein Entgelt für seine Dienste zu verzichten. Zwar wird hässliche Gewinnsucht mehrfach kritisiert, und es wird im Hippokratischen Eid auch die (Selbst-) Verpflichtung ausgegeben, die Nachkommen des eigenen Lehrers ohne Lohn zu unterrichten, doch von einer generellen Pflicht zu kostenlosen Behandlung kann nicht die Rede sein. Freilich heißt dies nicht, dass nicht viele Ärzte doch Erbarmen hatten.“30 Bis in unsere Zeit hinein wirkt das Christentum dahingehend in die Medizin, dass es immer wieder Vertreter der Ärzteschaft gibt, die die Notlage ihrer Patienten nicht ausnutzen, die nur eine angemessene Bezahlung für ihren eigenen Lebensunterhalt fordern und unter Umständen auch kostenlose Hilfe leisten. Authentischer als das in gewisser Weise extreme Beispiel des Dionysius spiegelt den Einfluss der christlichen Nächstenliebe auf die ärztliche Berufsethik insofern die erstgenannte Grabinschrift eines anonymen Arztes aus den Katakomben von San Sebastiano wider, von dem es heißt, er sei „bei Armen nicht geldgierig“ gewesen.
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Nächstenliebe Die wirtschaftliche Dimension des freien Arztberufes ist dort aufgehoben, wo der Arzt in einem Angestelltenverhältnis einer Institution steht, die ihn bezahlt, so dass er von der Notwendigkeit entbunden ist, direkt von seinen Patienten eine Entlohnung entgegen zu nehmen, die seinen eigenen Lebensunterhalt sichert. Solche Einrichtungen wie Krankenhäuser oder Klöster können ihrerseits eine spezifisch karitative oder diakonische Intention haben, wie sie von den Kirchen schon seit der Antike betrieben werden – allerdings verhindert diese Grundabsicherung des Arztes keineswegs, dass einzelne darüber hinaus viel Geld verdienen durch so genannte „Privatpatienten“ – wie etwa Nutton angesichts der mittelalterlichen Beliebtheit des Arztberufes unter Mönchen schon für diese Zeit belegt. In Jedins Kirchengeschichte verweist Karl Baus darauf, dass in der Urkirche größere christliche Gemeinden selbst solche „Institutionen“ darstellen, die Diakone (und Bischöfe) bezahlen, damit diese ihren karitativen Aufgaben nachkommen können. „Da der Bischof und die Diakone in den größeren Gemeinden völlig durch ihren Dienst beansprucht wurden, war es Pflicht der Gläubigen, die Sorge für ihren Unterhalt zu tragen; er wurde aus den allgemeinen Gaben der Gläubigen für die Gesamtbedürfnisse der Gemeinde bestritten. Die übrigen Kleriker waren auf ihr Privatvermögen oder die Einkünfte angewiesen, die ihnen ihr Beruf im zivilen Leben einbrachte. Cyprian muss sich sogar über den zu großen Erwerbseifer mancher Bischöfe beklagen“, merkt Baus schon für die Spätantike an, dass weder das christliche Bekenntnis an sich noch ein kirchliches Amt vor der menschlichen Schwäche des Profitstrebens bewahrt.31 153
Nächstenliebe
Quellenangabe Kapitel 3 „Nächstenliebe“ SCHULZE, Medizin und Christentum, S. 165 DÖRNEMANN, S. 43 3 SCHULZE, Medizin und Christentum, Inschrift Nr. 99, S. 98, Verweis auf DIEHL, Bd. 1, S. 119, Nr. 609ff.; CIL, Vol. VI, Nr. 37805a; GUMMERUS, Nr. 131; KORPELA, S. 208, Nr. 302; MAZZOLENI, S. 183 4 SCHULZE, Ärztinnen, S. 102 5 BROX, S. 133 6 DITTMER, Laurentius 7 ADO, Ex Martyrologio Adonis 8 AMBROSIUS, De officiis ministrorum 9 LEO, sermo 85 10 AUGUSTINUS, sermo 303 11 SCHULZE, Medizin und Christentum, Inschrift Nr. 79, S. 87, Verweis auf MARINI, Bd. 1, S. 4; DIEHL, Bd. 1, Nr. 1233; BUECHELER, Nr. 1414; GUMMERUS, Nr. 133; KORPELA, Nr. 307 12 HEINE, Deutschland, ein Wintermärchen, z.B. Patmos-Verlag, Düsseldorf, 2000 13 CELSUS, med. 7, prooem. 4 14 IORDANES, De origine actibusque Getarum 15 OVID, Tristia, IV, 97-100 16 ebenda, S. 109-112 17 DÖRNEMANN, S. 28 18 SCHULZE, Medizin und Christentum, S. 88 19 BROX, S. 80 20 PRUDENTIUS, Peristephanon 21 BROX, S. 14 22 NUTTON, Late Antiquity, S. 77 23 ebenda, S. 72 24 ebenda, S. 77 25 SCHÄDELBACH, Die ZEIT Nr. 20/2002 26 vgl. NUTTON, Late Antiquity, S. 83 27 NUTTON, Medieval Western Europe, S. 146 28 ebenda, S. 147 29 DÖRNEMANN, S. 43 30 SCHWEIKARDT und SCHULZE, S. 129 31 BAUS, Urkirche, S. 395 1 2
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Institutionalisierung
Die kirchlichen Ämter und der Arztberuf Auswirkungen der Institutionalisierung und Hierarchisierung am Beispiel der Diakone Im Kapitel „Kirchliches Frauenbild und Ärztinnenberuf“ wird bereits die Idee dargelegt, dass aus der Praxis der christlichen Nächstenliebe die berufliche Qualifikation zu Ärztinnen oder Ärzten erwachsen sei, „dass sich der Dienst der Krankenpflege gleichsam verselbständigt hat.“, wie Schulze formuliert.1 Was Schulze hier als These für das häufige Auftreten christlicher Ärztinnen aufstellt, scheint auch für die männlichen Vertreter plausibel zu sein, die sich entsprechend von Diakonen zu Ärzten entwickeln könnten. Schulze differenziert zwar zwischen Diakonissen und Diakonen, aber im Hinblick auf die beruflichen Qualifikationsmöglichkeiten existieren keine Unterschiede: „Zwar waren die Tätigkeitsfelder von Diakonen und Diakonissen keineswegs deckungsgleich, – ‚Diakonisse’ ist im Grunde nicht das Gegenstück zu ‚Diakon’ – , doch gehörte gerade die Krankenpflege zu den Aufgabenbereichen beider.“, hält Schulze fest.1 Während die „Rekrutierungsthese“ für Diakonissen (abgesehen von der fraglichen Interpretation der Amazone-Inschrift) nicht durch Primärquellen belegt ist, weisen zahlreiche epigraphische Funde die Kombination von kirchlichem (männlichem) Amtsträger und Ärzteberuf auf: „Bei der Sichtung des zusammengetragenen Materials fällt auf, dass neben den zahlreichen einfachen Christen, über deren Gemeindetätigkeit man kaum jemals Näheres erfährt, sich nicht wenige Amtsträger unter den medizinisch tätigen Christen 155
Institutionalisierung befanden. Allein in den Inschriften begegnen 4 Diakone, 1 Erzdiakon, 2 Presbyter, 1 Levit, 1 Mönch und 1 Abt“, listet Schulze auf.2 Da die Bezeichnung „Levit“ – als alttestamentlicher Rückgriff zur besonderen Betonung des Kultischen – ebenfalls das Diakonenamt meint (siehe Kapitel „Gebot der Nächstenliebe und Arztberuf“) und ein „Erzdiakon“ wiederum nur eine besondere Stellung innerhalb der Diakonenschaft ausmacht, stellen die Diakone unter den kirchlichen Amtsträgern eine besonders starke Gruppe dar, was eine besondere Untersuchung ihres Einflusses auf das Medizinverständnis rechtfertigt. Vivian Nutton erwähnt die Diakone explizit als institutionalisierte Vollzugsbeauftragte des Nächstenliebegebotes: „Christ’s order to his fellowers to care fort he sick, the poor, the lonely, and the needy was swiftly given institutional form by the creation of ‚deacons’ charged with the distribution of alms. It was a commitment to all in need, Christians and non-Christians alike.”3 Die neutestamentlichen Quellen selbst sind nicht sehr aussagekräftig hinsichtlich der Entwicklung des Diakonenamtes. Baus weist in Jedins Kirchengeschichte darauf hin, dass die mit dem Vollzug der Nächstenliebe Beauftragten in der Jerusalemer Urgemeinde noch nicht „Diakone“ bezeichnet werden: „Ein besonderer Name wird dieser Gruppe von Amtsträgern in der Apostelgeschichte nicht gegeben, ihre Tätigkeit wird aber mit ‚Dienen’ (diakonein) bezeichnet (Apg 6, 2). Ob sie als Vorläufer der Dia156
Institutionalisierung kone in den Paulinischen Gemeinden zu betrachten sind, lässt sich schwer entscheiden, da die Tätigkeit der letzteren nicht klar erkennbar ist. Seinem Inhalt nach erklärt sich das Amt der Sieben aus den inneren Bedürfnissen der jungen Gemeinde.“4 In den Paulusbriefen werden „Diakone“ im ersten Timotheusbrief erwähnt. Timotheus wird als Mitarbeiter Pauli mehrfach in den neutestamentlichen Schriften genannt. Er ist ein Christ der zweiten Generation, seine Mutter ist bereits zum Christentum konvertiert. Er wirkt später als Beauftragter des Apostels in Ephesus. Die Pastoralbriefe wenden sich an die Vorsteher der Gemeinden, um die dortige Ordnung und Seelsorge zu regeln. Auch wenn angenommen wird, dass diese Schriften pseudepigrafisch unter dem Namen des Paulus verfasst worden sind, spiegeln sie doch die Situation in den Paulinischen Gemeinden authentisch wider. Hier ist bereits eine differenzierte Ämterverteilung abzulesen, während zeitgleich in den Johanneischen Gemeinden noch Wanderpriester, Propheten, Apostel und Lehrer wirken. Das Amt des Diakons ist insofern symptomatisch für die sich entwickelnde Kirchengestalt Paulinischer Prägung. Der erste Timotheusbrief liefert eine Idealcharakterisierung der Diakone als tragende Elemente der klar strukturierten Paulusgemeinden: „Ebenso sollen die Diakone sein: achtbar, nicht doppelzüngig, nicht dem Wein ergeben und nicht gewinnsüchtig;“ (1Tim 3, 8) und: „Die Diakone sollen nur einmal verheiratet sein und ihren Kindern und ihrer Familie gut vorstehen.“ (1Tim 3, 12). Die auf den ersten Blick harmlose Formulierung des „den Familien Vor157
Institutionalisierung stehens“ prägt nachhaltig die patriarchalische Familienstruktur in den christlichen Gemeinden. Die Unterordnung der Frauen wird hier explizit gefordert. Der erste Timotheusbrief formuliert eindeutig deren Ausgrenzung aus den gemeindlichen Ämtern, stattdessen sollen sie „gute Werke“ verrichten. Es ist insofern nahe liegend, in der Paulinischen Kirchenstruktur auch die Differenzierung des „Diener“-Amtes in Diakone und Diakonissen zu sehen: während erstere ein Weiheamt der Kirche innehaben, das ihnen eine hervorgehobene Position in den Gemeinden beschert, wird die Diakonisse auf das „Magd-Motiv“ zurückgeworfen, die „still“ und demütig ihre Arbeit zu leisten hat, aber ansonsten keinerlei Mitspracherechte besitzt: „Auch sollen die Frauen sich anständig, bescheiden und zurückhaltend kleiden; nicht Haartracht, Gold, Perlen oder kostbare Kleider seien ihr Schmuck, sondern gute Werke; so gehört es sich für Frauen, die gottesfürchtig sein wollen. Eine Frau soll sich still und in aller Unterordnung belehren lassen. Dass eine Frau lehrt, erlaube ich nicht, auch nicht, dass sie über ihren Mann herrscht; sie soll sich still verhalten.“ (1Tim 2, 11-13). Das Motiv der Ausgrenzung wird in den Evangelientexten mehrfach am Beispiel der religiösen Sondergruppe der Samariter aufgegriffen. Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter kann – wie im vorherigen Kapital dargelegt – als Positivfolie für das Gebot der Nächstenliebe gelesen werden, woran die Grundprinzipien „Selbstlosigkeit und Bedingungslosigkeit“ des karitativen Handelns illustriert werden, das auch von Vertretern einer nicht voll158
Institutionalisierung wertig anerkannten Religionsgemeinschaft ausgeübt werden kann. Hingegen spiegelt die Begegnung Jesu mit der Samaritanerin (Joh 4, 5ff.) die Ausgrenzung bestimmter Formen des christlichen Gemeindelebens durch die sich etablierende Großkirche Paulinischer Prägung aus der Perspektive der „freien Gemeinden“ wider. Die Hinwendung Jesu zur samaritanischen Frau kann als Berufung der Johanneischen Gemeinden auf Jesus selbst zugunsten der bei ihnen praktizierten Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen sowie zwischen den unterschiedlichen Funktionen innerhalb der Gemeinden interpretiert werden. Der Verfasser des Johannesevangeliums verteidigt diese offene Form des Christentums gegenüber der zunehmend institutionalisierten und hierarchisierten Struktur der Paulinischen Gemeinden. Das Johannesevangelium ist erst gegen 100 n.Chr. entstanden und spiegelt zeitnah den Reflex der charismatischen, offenen Gemeinden auf die Entwicklung in der Paulinischen Kirchenstruktur wider. Die Reaktion der Jünger auf Jesu Begegnung mit der Samariterin liest sich aus dieser Perspektive wie die skeptische Haltung der Großkirche gegenüber den Johanneischen Gruppierungen mit ihrer gleichberechtigten Einbindung der Frauen: „sie wunderten sich, dass er mit einer Frau sprach“ (Joh 4, 27). Diakone sind demnach mehr als die Ausführenden des urchristlichen Nächstenliebe-Gebotes; sie sind Garanten einer bestimmten kirchlichen Ordnung, zu der die Ausgrenzung der Frauen gehört, wie sie in den Hirtenbriefen vorgegeben wird. „Dass die Pastoralbriefe ein klareres Bild der Verhältnisse vermitteln, ist in der 159
Institutionalisierung durchaus begreiflichen Entwicklung begründet, die mit der wachsenden Zahl der Gemeindemitglieder die Funktionen der Ordnungsträger schärfer hervortreten lässt.“, kommentiert Baus diese Entwicklung mit einer positiven Konnotation.5 Aus dem 6. Jahrhundert stammt sowohl nach Angaben von Gilbert Dagron und Jean Marcillet-Jaubert als auch gemäß der Datierung Samamas6 die Inschrift des Diakons und Arztes Theodoros, die in Kilikien entdeckt worden ist: ! Qeo,doroj dia,konoj ke. ivatro.j ke. h` auvtou/ su,nbioj th/| tou/ Q¿eoÀu/ bohÄ qi,a| ke. tw/n avrca¿gÀge,lwn u`pe.r euvch/j evpoi,hsen to. e;rgon tou/toÅ ! 7 (Theodoros, Diakon und Arzt, und seine Frau, hat mit Gottes Hilfe und mit Hilfe der Erzengel das Gelübde erfüllt und dieses Werk errichtet.)I
Schulze stellt in seiner Arbeit verschiedene Erklärungsmodelle vor, warum das Verb evpoi,hsen hier fälschlich im Singular steht, obwohl es sich auf den Plural von Theodoros und seiner Frau Übersetzung geringfügig variiert gegenüber SCHULZE. SCHULZE verbucht diese Inschrift als ein „weiteres Beispiel für einen christlichen Arzt in einem abgelegenem Ort.“ (SCHULZE, Medizin und Christentum, S. 77). Er spekuliert, ob das erwähnte Gelübde mit einer in der Nähe befindlichen Kapelle zu tun habe, die den Erzengeln geweiht sei. Er weist auf die Unzugänglichkeit der Inschrift hin, die sich in 10 Metern Höhe über einer Tür befindet, so dass sie zunächst fotografiert werden musste, um sie zu entziffern, was wiederum der Grund für etwaige Wiedergabefehler sein könnte. I
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Institutionalisierung bezieht. Nicht auszuschließen ist hiernach, dass es sich schlicht um einen Schreibfehler für die entsprechende Pluralform evpoi,hsan handelt; andererseits kann auch ein Lesefehler vorliegen, da die Inschrift schwer zugänglich ist (s. Anm.). Als wahrscheinlichste Begründung führt Schulze allerdings auf: „Dass der Singular evpoi,hsen sich auf Theodoros und seine Frau zugleich bezieht, ist in Inschriften nicht ungewöhnlich.“8 Wenngleich diese Ausdrucksweise möglicherweise topisch ist, vermittelt die Namenlosigkeit der Frau dennoch den Eindruck, dass Theodoros ihr als so überlegen angesehen wird, dass sie ihm zugehörig betrachtet wird wie ein Körperteil, das keine wirkliche Eigenständigkeit besitzt, etwa wie in der Redewendung „Theodoros mit seiner starken Hand hat dies geschaffen“. Die Unterordnung der Frau wäre dann im Sinne des Timotheusbriefes in der Ehe des Diakons Theodoros verwirklicht. Diese Inschrift kann insofern als Indiz einer zunehmenden Patriarchalisierung der kirchlichen Ämter – wie im Kapitel „Kirchliches Frauenbild und Ärztinnenberuf“ dargestellt – mit entsprechenden Auswirkungen auch auf die medizinischen Berufe interpretiert werden: wenngleich Frauen und Männer gleichermaßen in der christlich-karitativen Krankenbetreuung aktiv sind, geraten die Diakonissen zunehmend in die Rolle der „Magd“, während die Diakone eine durchaus angesehene Machtposition innerhalb der kirchlichen Ämterhierarchie bekleiden und zugleich über bessere berufliche und soziale Aufstiegschancen verfügen.
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Institutionalisierung Der Titulus des Theodoros wurde in Kilikien gefunden, unweit der Stadt Anazarba. Aus dieser kleinasiatischen Provinz stammt eine weitere Inschrift, die die Doppelfunktion Diakon und Arzt aufführt, nämlich der Titulus des Erzdiakons Pantoleon: ! swmatoqh,kh Pantole,ontoj Pe,trou ! avrcidiak¿o,nouÀ k¿ai.À ivhtrou/) ! 9 (Sarg des Erzdiakons und Arztes Pantoleon, Sohn des Petros)II
Diese Grabinschrift stammt aus Corasion in Kilikien. Der Name des Verstorbenen scheint auf ein berühmtes christliches ArztVorbild zurückzugehen: Pantole,on (Pantoleon) ist die griechische Version des lateinisierten Namens Pantaleon, der als Märtyrer und Arzt Einzug in die Heiligenlegenden der katholischen wie orthodoxen Kirche gefunden hat. Torsys Namenstagskalender berichtet für den 27. Juli: „Pantaleon starb als Märtyrer in der Verfolgung des Kaisers Maximum um 305 zu Nikomedien in Kleinasien. Die Legende des 5./6. Jahrhunderts lässt Pantaleon Leibarzt Kaiser Maximians sein, der nach vielen Peinigungen an einen Ölbaum gebunden und enthauptet wurde, nachdem er vor seinem Tod noch Barmherzigkeit für seine Henker von Gott erfleht hatte. Sein Kult ist schon im 4./5. Jahrhundert bezeugt.“10
SCHULZE bemerkt, dass Pantoleon der einzige inschriftlich belegte Arzt der Spätantike ist, der das Amt eines Erzdiakons ausübt. SAMAMA gibt mit Fragezeichen das vierte bis fünfte Jhdt. n.Chr. an (SAMAMA, S. 451); SCHULZE übernimmt diesen Datierungsvorschlag, II
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Institutionalisierung Der Hinweis auf die weite Verbreitung der Pantaleonslegende gibt Anlass zu der Spekulation, ob für den Erzdiakon bereits bei seiner Namensgebung als Kind eine ärztliche Laufbahn von seinen Eltern vorgesehen wird, so dass er nach dem berühmten Arzt-Patron benannt wird. Möglicherweise stammt Pantoleon aus einer christlichen Medizinerfamilie – in Kilikien fällt eine diesbezügliche Häufung auf (s.u.). Die Legendendarstellung des Heiligen Pantoleon stellt eine auffällige Parallele zum ersten Märtyrer der Kirchengeschichte dar, zum Heiligen Stephanus, der seinerseits als „Diakon“ angesehen wird (zur fraglichen Interpretation der „sieben“ Gemeindeleiter der Hellenisten innerhalb der Jerusalemer Urgemeinde als „Diakone“ siehe vorheriges Kapitel). Stephanus betet wie Pantaleon für seine Peiniger: „So steinigten sie Stephanus; er aber betete und rief: Herr Jesus, nimm meinen Geist auf! Dann sank er in die Knie und schrie laut: Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an! Nach diesen Worten starb er.“ (Apg 7, 59-60). Die Verknüpfung von Diakonenamt und Arztberuf hat Einzug auch in die Märtyrerliteratur der Alten Kirche und in die frommen Volkslegenden gefunden. Hierbei scheint sich die Ausschmückung der Heiligenerzählungen an biblischen Vorbildern orientiert zu haben. Insofern scheint das bewusste Ergreifen des Arztberufes von Christen, die in der Nachfolge der Märtyrer ihren persönlichen Heilsweg sehen, eine stimmige These zu sein. Wo aber erlernen diese Christen der ersten nachchristlichen Jahrhunderte ihr medizinisches Handwerk? Von den Diakonen der Paulinischen Gemeinden wird berichtet, dass sie als stabilisierende Faktoren 163
Institutionalisierung vor Ort wirken, nicht für eine längere Ausbildungszeit ihre Heimat verlassen: „Dass diese an die lokalen Gemeinden gebunden waren, versteht sich aus der Natur der Sache; Aufseher-Älteste, Diakone ziehen nicht wie Paulus und seine engeren Mitarbeiter von Stadt zu Stadt, von Provinz zu Provinz, sondern erfüllen ihre Aufgaben im Rahmen einer bestimmten Gemeinde, von der gewiss weitere missionarische Wirkungen auf die nähere Umgebung ausstrahlen können.“, erläutert Baus.5 Die bemerkenswerte Häufung christlicher Ärzte in der „näheren Umgebung“ der beiden letzten Fundorte erwähnt Schulze in seiner Habilitationsschrift: „Ein auffälliger Kumulus von Christenärzten ist für die Küstengegend Kilikiens bezeugt: Insgesamt 17 Einträge, zumeist epigraphischer Provenienz, belegen eine außerordentlich rege medizinische Tätigkeit von einfachen Christen wie von Klerikern. Insbesondere die in der Literatur des Altertums sonst kaum je erwähnte Stadt Corycos ragt hervor; die ärztliche Profession von Christen findet sich hier gleich sechsmal bezeugt. … Die Befunde in den umliegenden Städten – Seuleucia ad Calycadnum, die Nachbarstadt Corasion usw. – flankieren unsere Beobachtung.“ Er hat hierzu eine interessante Theorie aufgestellt: „Möglicherweise existierte – die wohl zwangloseste Erklärung, in Corycos ein – dann freilich bislang gänzlich unbekanntes – Ausbildungszentrum für Mediziner, eine ‚christliche Ärzteschule’ gleichsam, deren Absolventen sich offenbar bevorzugt dort bzw. in der näheren Umgebung niedergelassen haben.“11
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Institutionalisierung Die Inschrift Theodoros findet sich nach Angaben Schulzes „in einem abgelegenen Ort“, nämlich in Çemkale, etwa 20 km nordöstlich von Kadirli. Wenngleich dieser Ort immerhin fast 250 km nordöstlich von diesem spekulativen Ärzte-Zentrum in Corycos entfernt liegt, ist nicht auszuschließen, dass auch er Anschluss zu christlichen Berufskollegen am Mittelmeer haben könnte. Beide antiken Städte liegen an großen Landverkehrswegen, die selbst größere Entfernungen überwindbar machen. „In Kleinasien gab es schon Straßen, bevor die Römer kamen. Die von ihnen eingeführten gepflasterten Straßen erschlossen jedoch den Verkehr auf dem Landweg für jede Jahreszeit, erleichterten die Verbindung von Stadt zu Stadt und machten das Reisen sicherer. Die wichtigsten Verbindungslinien verliefen dabei nach Osten in Richtung des Eufrat und nach Süden (auf ZilizienIII und Syrien zu).“, berichtet Herders Bibelatlas unter Hinweis auf die Missionen des Apostels Paulus, der jeweils vom syrischen Antiochia seine erste bis dritte Reise beginnt.12 Die Apostelgeschichte berichtet, dass Paulus nach dem so genannten „Apostelkonzil“ in Jerusalem zunächst wieder nach Antiochia zurückkehrt (Apg 15, 30), dann von dort aus durch Syrien und Kilikien, schließlich weiter nach Derbe, Lystra und Ikonion in Lykaonien zieht (Apg 15, 41- 16, 2). Dieser Landweg wird ihn wahrscheinlich auf der nachgewiesenen Straße über seine Heimatstadt Tarsus (vgl. Apg 9,11; 21, 39 und 22, 3) nach Elaeussa (Sebaste) bzw. nach Korykos geführt haben.
III
Zilizien ist synonym zu Kilikien.
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Institutionalisierung Brox benennt das ausgezeichnete Verkehrsnetz des Römischen Reiches als einen entscheidenden Faktor, der die Ausbreitung des Christentums in der antiken Welt begünstigt habe: „Zu den ausgesprochen günstigen Bedingungen gehörte die Pax Romana, das heißt die politisch stabile Lage der damaligen Welt unter dem autoritären Regime der Römer und der wirksamen Kontrolle ihrer Weltmacht, die mit Staats- und Militärgewalt die Völker in sicheren Grenzen befriedet hielt und in einem großen Verwaltungssystem einte. Zusammen mit dem exzellenten Netz römischer Straßen, die eine für damalige Verkehrsverhältnisse unerhörte Beweglichkeit auch über die großen Distanzen des Reiches ermöglichten, bedeutete das den großen Vorteil, dass sich ohne das Hindernis nationaler Grenzen und auf gesicherten Verkehrswegen eine vielfältige Kommunikation und Mobilität abspielte. Davon profitierte das Christentum und breitete sich vor allem entlang den Verkehrswegen aus.“13 Selbstverständlich nützt diese Infrastruktur nicht nur den ersten Missionierungswellen der Apostel, sondern lässt auch für die Folgezeit eine „vielfältige Kommunikation und Mobilität“ vermuten. Kilikien kann auch aus medizinischer, profaner Sicht als Ausgangspunkt einer erfolgreichen Ausbreitung verortet werden. Unweit des Fundortes der Theodoros-Inschrift befindet sich die antike Stadt Anazarba, die ebenfalls an einem großen Verkehrsweg liegt, welcher bei Mopsuestia (dem Heimatort des Lehrers von Bischof Nestor, Theodor von Mopsuestia; vgl. hierzu das Kapitel „Kirchliches Frauenbild und Ärztinnenberuf“) auf die Verbin166
Institutionalisierung dungsstraße zwischen Antiochien und Tarsus mündet. Anazarba ist eine regionale Hauptstadt, eine Metropolis. Hierher stammt einer der bedeutenden Pharmazeuten und Ärzte der Spätantike, Pedanius Dioskurides, der im ersten nachchristlichen Jahrhundert lebt. Über ihn schreibt Eckart: „Seine Geburtstadt Anazarba lag in der wilden, seeräuberischen Region Kilikien, einer Provinz im Südostwinkel Kleinasiens. Als Militärarzt war Dioskurides unter der Herrschaft des Claudius und des Nero tätig. Vielleicht stammen aus dieser Tätigkeit seine breiten, überregionalen pharmakologischen Kenntnisse. Seine fünf Teile (Bücher) umfassende Peri Hylês latricês (Materia medica), behandelt umfassend alle möglichen Heil- und Arzneimittel, Nahrungs- und Genussmittel, Salben, Mineralien, magische Zaubermittel und Amulette der Zeit.“14 Mit den letztgenannten Heilmitteln unterstreicht Eckart, dass auch kurz nach der Zeitwende trotz dem überwiegenden Gewicht empirisch-rationaler Elemente der hippokratischer Medizin noch magisch-theurgische Heilmittel bekannt und gebräuchlich sind, selbst im Repertoire eines Wegbereiters der modernen Pharmakologie wie Dioskurides. Bei Kudlien wird hierin sogar ein „ungehemmter ‚orientalischer’ Einbruch“ von Aberglauben festgestellt.15 Eckart betont in diesem Zusammenhang die Rezeption des Dioskuridischen Werkes über die Antike hinaus. Schulzes These einer christlichen Ärzteschule in Corycos muss vorläufig als reine Spekulation angesehen werden: außer der auffälligen Häufung antiker christlicher Ärzteinschriften in der nähe167
Institutionalisierung ren Umgebung konnten bislang keine weiteren Hinweise gefunden werden, die diese These stützen – etwa die Erwähnung einer entsprechenden Ausbildungseinrichtung in der antiken Literatur oder archäologische Funde medizinischen Geräts in dieser Gegend. Vor dem Hintergrund des spezifischen Amtsverständnisses der kleinasiatischen Kirche, wo eine häufige Personalunion von Kleriker- und Arztfunktion anzutreffen ist, können zumindest allgemeine Kriterien nachvollzogen werden, die die Errichtung einer spezifisch christlichen Ärzteschule begünstigen würden. Zum einen besteht vor Ort das Interesse an einer medizinischen Versorgung durch Ärzte, die denselben Glauben teilen und die darum möglicherweise keine heidnisch-magischen Heilungsverfahren verwenden. Die Verpflichtung zur medizinischen Betreuung lässt sich aus dem Gebot der Nächstenliebe ableiten. Baus formuliert (thematisch durchaus stimmig) aus rein maskuliner Perspektive pathetisch: „Einen Gradmesser für den Wert christlicher ethischer Grundsätze im Alltag stellen Art und Weise der Erfüllung des Gebotes christlicher Nächstenliebe dar. Die praktische Ausübung tätiger Caritas am Not leidenden Bruder im Glauben wie am von Krankheit oder Unglück betroffenen Heiden ist, im markanten Gegensatz zur entsprechenden heidnischen Haltung, ein unleugbarer Ruhmestitel für die frühchristliche Großkirche.“16 Wie eingangs bereits festgestellt, sind es vor Ort in den Gemeinden besonders die Diakone, die dieses Gebot konkretisieren, wo dabei medizinische Kenntnisse erforderlich sind, wächst somit ein spezifisch christlicher Arztbedarf. Die Inschrift des Theodoros und seiner Frau aus Çemkale nordöstlich 168
Institutionalisierung von Kadirli scheint die Aussage Baus zu belegen, dass der karitative (und medizinische) Dienst nicht allein den Mitchristen gilt, sondern auch den „Heiden“ zukommt, wenn sie ihn benötigen. In dem kleinen Ort Çemkale scheint ein ausschließlich für Christen zuständiger Arzt nicht denkbar, um mit diesem Beruf den eigenen Lebensunterhalt und den seiner nicht namentlich genannten Frau zu bestreiten und obendrein noch ein „Werk zur Gelübdeerfüllung“ zu finanzieren. Der Bedarf an einer Ärzteschule, die speziell christlich ausgerichtet ist, mag aus dem geistigen Klima Kleinasiens entstanden sein. Schon der Verfasser der „Apokalypse“, der „Geheimen Offenbarung des Johannes“, mahnt die sieben christlichen Gemeinden der römischen Provinz Asia minor: „Draußen bleiben die ‚Hunde’ und die Zauberer [griechisch: fa,rmakoi], die Unzüchtigen und die Mörder, die Götzendiener und jeder, der die Lüge liebt und tut.“ (Offb 22, 15). Dörnemann erläutert hierzu: „Mit dem Begriff fa,rmakoi sind keine Ärzte, sondern Giftmischer gemeint, sog. Kurpfuscher, die viel versprechen, aber den Menschen nicht heilen, sondern ihm schaden, da sie nur auf ihren Profit aus sind.“17 Das gerühmte vorzügliche Straßennetz Kilikiens nutzt auch Ignatius von Antiochia auf seiner Reise nach Rom, wo er hingerichtet wird. Er passiert die „Zilizischen Tore“, den Engpass zwischen dem Taurusgebirge und dem Meer. Von ihm sind verschiedene Briefe an kleinasiatische Gemeinden – u.a. in Ephesus, Philadelphia und Smyrna – sowie ein privates Schreiben an den dortigen 169
Institutionalisierung Bischof Polykarp überliefert, in denen er auch seine Reise erwähnt. Im Ephesusbrief greift er die Mahnungen der Johannesoffenbarung auf. „Ignatius übernimmt die Titulierung ‚Hunde’ im Sinne der Apokalypse. Nur ein einziger kann heilen, nämlich Christus. Der Begriff ‚Arzt’ bietet sich für Ignatius in diesem Kontext geradezu an.“, resümiert Dörnemann.17 Aus dieser Ablehnung paganer Heiler durch einflussreiche christliche Vordenker scheint die Forderung nach einer christlichen Ärzteschule nachvollziehbar; nicht den Zauberern und Giftmischern will man sich anvertrauen – erst recht nicht von ihnen ausgebildet werden, wenn es wie etwa bei Dioskurides u.a. um Edelsteine, Amulette oder Menstruationsblut geht. Zugleich findet sich beim „Kirchenvater“ Ignatius ein weiteres Anliegen, das offenbar prägend für die Ausformung des Diakonenamtes in der frühen Kirche ist. Neben der Forderung nach einer Medizin, die ganz auf Christus, den „einen Arzt“ ausgerichtet ist, verlangt er auch für das christliche Gemeindeleben eine hierarchische und auf den Alleinherrscher zugeschnittene Struktur. Ferdinand Prostmeier charakterisiert den Spannungsbogen zwischen den institutionellen Forderungen des Ignatius und der real existierenden Kirchenstruktur im antiochenischen Einflussbereich wie folgt: „Die auf Einheit der Gemeinde in Glauben, Gottesdienst und Handeln unter Führung des monarchischen evpi,skopoj [Bischof] angelegte, in oikonomischen Strukturen verwurzelte, durch den Vergleich mit Gott, Jesus Christus und dem Apostelkollegium begründeten hierarchische Ämtertrias 170
Institutionalisierung (evpi,skopoj( presbu,teroi( dia,konoi) [Bischof, Presbyter, Diakone] mit signifikanten Kompetenzen und Funktionen erscheint als bestehende, doch nicht unumstrittene Institution (in Syrien und Kleinasien).“18 Das kleinasiatische Gebiet ist insgesamt sehr ergiebig an epigraphischen Funden, die die Doppelfunktion von Diakon und Arzt (stets in dieser Reihenfolge!) belegen. Neben der Inschrift Theodoros (und seiner Frau) sowie dem Grabtitulus des Erzdiakons Pantoleon aus Corasion existieren noch folgende Inschriften: die des Anastasios, der nach eigenen Angaben aus Alexandria stammt, aber in Tralleis in Caria, im Südwesten der Provinz Asia begraben ist: ! u`pe.r euvch/j VAnastasi,ou dia& ko,nou VAlexandre,& wj ke. eivatrou/ ÆÆ A)
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(In Erfüllung des Gelübdes: [Grab] des Diakons und Arztes Anastasios aus Alexandrien // A.) IV SCHULZE weist darauf hin, dass das „A.“ nicht gedeutet werden könne. Er führt aus, dass die Formulierung u`pe.r euvch/j in der ersten Zeile eine häufige Sprachwendung im Sinne der obigen Übersetzung sei: zur Erfüllung eines (früher abgelegten) Gelübdes. Außerdem weist SCHULZE auf die ungewöhnliche Schreibweise für ivatrou (Arzt) hin: ei.atrou; diese itazistische Form sei häufiger überliefert. SAMAMA schlägt als Datierung das 4.-5. Jahrhundert vor. IV
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Institutionalisierung Ebenfalls in Caria findet sich im Presbyterium in Ephesos das Grabmal des Anatolios: VAnatolÎi,&Ð ou diako,& nou kai. ÎivaÐtrou/) 20 (Grab des Diakons und Arztes Anatolios.)V
Nordwestlich von Ephesus liegt die Halbinsel Ionia; dort ist in Erythrai die Inschrift des Johannes gefunden worden, deren Anlass wiederum die Erfüllung eines früher gemachten Gelübdes ist. Johannes wird hier nicht nur als „Diakon und Arzt“ ausgewiesen, sondern seine religiösen Tugenden werden besonders betont: ! Iv wa,nnhj o` euvlab¿e,statojÀ dia,ko¿nojÀ k¿ai.À ivhtro.j u`pe.r euvch/j evmautoÎu/Ð) 21 (Johannes, der äußert fromme Diakon und Arzt, in Erfüllung des Gelübdes.)VI SCHULZE betont in seinen Anmerkungen ebenfalls die häufige Verbindung von Arztberuf und Diakonenberufung; er stellt die inhaltliche Bezogenheit der entsprechenden Aufgabenbereiche heraus unter Verweis auf PAUL PHILIPPI, Geschichte der Diakonie, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 8 (TRE 8), de Gruyter, Berlin, 1981, S. 621-644. SCHULZE und SAMAMA geben übereinstimmend das 5.-6. Jh. n.Chr. als Entstehungszeit an (vgl. SAMAMA, S. 344) V
SAMAMA datiert diese Inschrift ins 5. bis 6. Jhdt. n.Chr.; SCHULZE übernimmt diese Zeitzuordnung. VI
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Institutionalisierung
Noch ein weiterer Kirchenvater scheint die Geschicke der kleinasiatischen Gemeinden hinsichtlich der Verknüpfung der Themenfelder karitative Gesundheitssorge einerseits und Hierarchisierung sowie Institutionalisierung kirchlicher Ämter andererseits bestimmt zu haben: Johannes Chrysostomus hat diese Kirchenprovinz nicht nur thematisch von zwei Seiten beeinflusst, er hat auch rein geografisch Kleinasien aus zwei Himmelsrichtungen flankiert. Seine Jugend verlebt er im östlichen Antiochien, wo er zum Christentum findet. Er unternimmt in dieser Zeit Reisen nach Kilikien, nach Tarsus und wahrscheinlich auch zum befreundeten Theodor von Mopsuestia. Etwa 50jährig bestimmt ihn Kaiser Arkadius zum Bischof der Reichshauptstadt Konstantinopel im Westen Kleinasiens, wo er bis zu seiner Verbannung 404 wirkt. Wie Ignatius ist auch Johannes Chrysostomus vehementer Vertreter eines hierarchischen und kultischen Priestertums. Als er selbst noch Diakon in Antiochien ist, schreibt er sein bekanntestes Werk, das bezeichnender Weise „De sacerdotio“ (Über das Priestertum) heißt.VII Baus betont: „Im Alltagsleben einer christlichen Durchschnittsgemeinde treten die Presbyter allerdings noch immer hinter den Diakonen zurück. Diese kommen als die hauptamtlichen Gehilfen des Bischofs vor allem in der Armenpflege und VermögensverDer lateinische Begriff „Sacerdos“ stellt bereits die Übernahme der Bezeichnung römischer Opferpriester für die christlichen Presbyter dar. VII
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Institutionalisierung waltung in häufigeren Kontakt mit den einzelnen Gemeindemitgliedern, sie sind daher, wie die ‚Didaskalie’VIII sagt, des Bischofs ‚Ohr und Mund, Herz und Seele’. Da der Diakon den Bischof über alle Vorgänge innerhalb der Gemeinde unterrichten soll, sichern ihm solche Besprechungen der Gemeindeangelegenheiten naturgemäß einen hohen Einfluss auf dessen Entscheidungen. Von der einmütigen Zusammenarbeit zwischen Bischof und Diakon hängt nach der ‚Didaskalie’ das Wohl der Gemeinde ab.“22 Der Diakon nimmt also eine Schlüsselposition innerhalb der christlichen Gemeinden ein; auf der einen Seite ist er Ansprechpartner und Fürsorger der Bedürftigen in den Gemeinden, auf der anderen Seite ist er der direkte Vertraute und „Assistent“ des monarchischen Bischofs. Das Diakonat gilt in der sich etablierenden Reichskirche nicht als „Durchlaufstadium“ vor der Priesterweihe; es ist ein eigenständiges, mit eigener Machtbefugnis ausgestattetes Amt, das von vielen Klerikern zeitlebens ausgeübt wird. Die Communio-Struktur der frühen Kirche, die in den Johanneischen Gemeinden noch bis etwa 100-150 besteht, ist jetzt vollständig überwunden, eine zunehmende Hierarchisierung und Institutionalisierung prägt das Denken und die Ausgestaltung des kirchlichen Lebens. Selbst das Amt des „Dieners“, des Diakons, wird in verschiedene Rangordnungen unterteilt. Die besprochene Inschrift aus Corasion etwa VIII Die Didaskalie ist wahrscheinlich in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts in Syrien entstanden und gibt ziemlich umfassende Regelungen für das Gemeindeleben an.
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Institutionalisierung bezeugt einen Erzdiakon. Dieses Amt des „Oberdieners“ bezeichnet ursprünglich den ersten Diakon an der Bischofskirche, später den Stellvertreter des Bischofs. Auch die im Epigramm Theodoros erwähnten „Erzengel“ erinnern daran, dass das christliche Denken früh von Fragen nach Rangordnungen und Zuständigkeiten geprägt ist: auch die Himmelswesen werden in einfache und hervorgehobenen Engel unterteilt. Wenngleich diese Vorstellung auch der jüdischen Mystik nicht fremd ist, taucht die Bezeichnung „Erzengel“ nicht im Alten Testament, sondern nur im Neuen Testament zweimal in den Episteln auf (1Thess 4, 16; Jud 1, 9). Dass das Bedürfnis nach Abstufungen und Unterteilung hiermit noch nicht abgeschlossen ist, macht Baus deutlich. Auch unterhalb des diakonalen Weiheamtes bringt die Kirche weitere Ämter und Positionen hervor: „Die wachsenden Bedürfnisse der Gemeinden des 3. Jh. führen schließlich zur Entwicklung weiterer Stufen in der Reihe der klerikalen Ämter, die aber alle unter dem Rang des Diakons bleiben. Sie werden aufgezählt in der Liste des römischen Klerus, die Bischof Cornelius in einen Brief an Fabius von Antiochien aufnahm. Danach stehen 7 Subdiakone, 42 Akolythen und 52 Exorzisten, Lektoren und Ostiarier im Dienst der Gemeinde. Die Inhaber dieser Ämter treten meist in liturgischer Funktion in Erscheinung, andere in Spezialaufgaben der Gemeindecaritas, wie der Betreuung der Geisteskranken und Epileptiker. Letztere Aufgabe war den Exorzisten zugewiesen, während die Subdiakone als direkte Gehilfen der Diakone und die Akolythen 175
Institutionalisierung wiederum als Stützen der Subdiakone anzusehen sind. Das am häufigsten genannte Amt unter den Ordines minores ist das des Lektors, des Vorlesers beim Gottesdienst, das eine gewisse Bildung des damit Betrauten voraussetzte und allgemein ein besonderes Ansehen verlieh. Der Ostiarier überwachte die Eingänge zu den gottesdienstlichen Räumen und verwehrte Unbefugten den Zutritt.“23 Die Erwähnung der Exorzisten zeigt sehr deutlich, wie stark auch in der christlichen Medizin theurgische Elemente verankert bleiben. Zwar betont Nutton, dass römische Ärzte Exorzisten nicht zu ihrem Berufsstand rechnen, unabhängig davon, wie vermeintlich erfolgreich sie sind.24 Deren Behandlungsform beruht auf heidnisch-dämonischen Vorstellungen, wonach ein böser Geist den Kranken befallen hat. Insofern greift hier die christliche Medizin auf ein Krankheitskonzept zurück, das durch die hippokratische Medizin bereits überwunden worden ist. Baus erwähnt als Einsatzgebiet christlicher Exorzisten explizit die Epilepsie. Das ist ein deutlicher Rückschritt hinter die zutreffende Feststellung des pseudepigraphischen Hippokrates-Autors des Buches über die (angeblich) „Heilige Krankheit“: „Schuld an diesem Leiden ist das Gehirn, wie auch an den anderen schwersten (Geistes-) Krankheiten.“25 Zwar besteht ein Misstrauen christlicher Kirchenführer gegenüber ehemals heidnischen Exorzisten, dennoch finden diese einen Platz innerhalb der christlichen Gemeinden. Nutton verdeutlicht: „Whatever learned clerics might think, there was an element of physical healing within Christianity. Hence a distrust of 176
Institutionalisierung converts who had been formerly pagan exorcists or diviners, and a particular animosity towards the competing cults of Asclepius, many of whose miracles paralleled those of Christian saints, and other healing gods.”26 Christliche Exorzismen finden ihr Vorbild nicht nur in der skeptisch beäugten heidnischen (nichthippokratischen) Medizin, sondern auch in den Heilungen Jesu. Das Neue Testament berichtet an acht Stellen von Dämonenaustreibungen Jesu (Mt 8, 28ff.; Mt 9, 32ff.; Mt 12, 22ff.; Mk 3, 21ff.; Mk 5, 1ff.; Lk 8, 26ff.; Lk 11, 14ff.; Lk 17, 21). Dörnemann führt Jesu Heilungen ausdrücklich auf die jüdische und antike Vorstellung zurück, „dass Krankheit und Tod auf die Einwirkung von Dämonen zurückgehen. Dass Jesus sich als Exorzist verstanden hat und sein Kommen als Ende der Dämonenherrschaft deutete, ist sicher. … die Vollmacht zu Krankenheilungen, Exorzismen und Sündenvergebung überträgt Jesus auf seine Jünger (Mt 10, 1; Mk 6,7.13; Mk 16, 17-20; Lk 9, 1; Joh 20, 23) und damit auf seine Kirche. Klar ist, dass die Heilungen und Exorzismen Jesu zwar in der Tradition damaliger Wunderheiler stehen, dass Jesus aber keinesfalls als Medizinmann, Arzt oder ‚charismatischer Kurpfuscher’ aufgetreten ist“.27 In der katholischen Praxis werden Exorzismen bis heute betrieben, wenngleich die römisch-katholische Kirche seit 1972 in der päpstlichen Enzyklika „Ministeria quaedam" die niedrigen Weihegrade Ostiarier, Lektor, Exorzist und Akolyth abgeschafft hat. In der römischen Kirche existieren die „Dienstämter" des
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Institutionalisierung Lektors und des Akolythen noch immer, sie können seither auch Laien übertragen werden. Aus dem späten 6. Jahrhundert28 belegt eine Inschrift aus dem kleinasiatischen Aphrodisias in Caria, dass ganze Familien in das fein gegliederte Ämtersystem der Kirche integriert sind: Î))) Î)))))Ðionanonu monÎ)Ðnemn tw/n genome,nwn ke. kurÎwqÐe,nÎtÐon evpi. Qeofula,kt¿ouÀ tou/ evndoxota,¿touÀ avpo. evpa,rcwn kai. qi,ou dikastou/ ÎivÐnd¿ikti,wnojÀ ie´Ã mh¿ni.À a´) Qeoca,ristoj VAcaei,ou Î))))Ð Î)))))))))))))Ð Î)))))Ð NouÎnÐe,cÎiÐoj ¿ÌÀ Fabouli,ou( ¿ÌÀ Proko,pioj ÎÌ kai.Ð Qeo,doroj avna& ÎgÐno,sth¿jÀ o@i`# ~Rou,& ¿ÌÀ ÎfouÐ ivatrou/( ¿ÌÀ Qeofu,laktoj 178
Institutionalisierung diako¿nojÀ( Mariano.j diako¿nojÀ( Geo,rgij o` avdelfo.j VAbel& vacat ki,ou) vacat 29 Schulze betont in seiner Prosopographie, dass die Bedeutung und Rekonstruktion dieser verlorenen Inschrift stellenweise sehr unsicher sei. Er übersetzt daher erst ab Zeile 15: Nounechios (?), Sohn des Phaboulios (?), Prokopios (?) […] und der Vorleser Theodoros, die (Söhne) des Arztes Rouphos (?), der Diakon Theophylaktos, der Diakon Marianos, Georgis, der Bruder des Abel IX
Laut Baus ist das häufigste Amt der Ordines minores das des Lektoren. Neben der zweifachen Erwähnung von Diakonen taucht dieses Amt auch in dieser epigraphischen Auflistung auf: der „Vorleser Theodoros“. Die enge Einflechtung des Arztes Rouphos in die diversen kirchlichen Ämter kann als Hinweis gewertet werden, dass die kirchliche Hierarchisierungs- und Institutionalisierungstendenz auf benachbarte Bereiche übergreift.
SCHULZE merkt an, dass diese Inschrift mittlerweile verloren gegangen ist. Lesart und Ergänzungen sind daher unsicher, so habe etwa GRÉGOIRE statt o@i`# ~Rou,&Æ ÎfouÐ ivatrou in Zeile 18/19 die Schreibweise W ; rou Æ evpia,trou vorgeschlagen: „Epiater“ – was immer dies bedeuten solle. SCHULZE hält es unabhängig von der genauen Bedeutung für sicher, dass hiermit eine Form ärztlicher Tätigkeit bezeichnet wird (SCHULZE, Medizin und Christentum, S. 73). IX
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Institutionalisierung Zusammenfassend kann aus der Sichtung und Interpretation der Inschriften, die Aussagen über frühchristliche Diakone machen, festgehalten werden: Diakone üben wie ihre weiblichen Kolleginnen karitative Arbeit in der Gemeinde aus. Im Rahmen einer zunehmenden Institutionalisierung und Patriarchalisierung der kirchlichen Ämter gewinnt der männliche Diakon aber zunehmend eine Machtposition; er wird als enger Vertrauter des Bischofs ein stabilisierender und einflussreicher Faktor im Gemeindeleben. Dadurch scheint er auch beruflich in der Krankenfürsorge häufiger eine höhere Qualifikation hat einnehmen können als die Diakonissen. Die zumindest für Kleinasien belegte häufige Verbindung von Diakonenamt und Arztberuf kann als Indiz für die Entwicklung einer christlich ausgerichteten Medizin interpretiert werden – eventuell gefördert durch die Entstehung einer eigenen christlichen Ärzteschule, die sich ggf. von paganen Einflüssen wie magischen Elementen etwa in der Pharmakologie des Dioskurides abzusetzen versucht. Die zunehmende Institutionalisierung und Hierarchisierung im theologischen Denken und in der Ausgestaltung bzw. Differenzierung der kirchlichen Ämter hat auf verschiedene andere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens abgefärbt, u.a. – zumindest in einigen geografischen Bereichen – auf die hierarchische Struktur in der Medizin.
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Institutionalisierung
Quellenangabe Kapitel 4 „Institutionalisierung“ SCHULZE, Ärztinnen, S. 109 SCHULZE, Medizin und Christentum, S. 143 3 NUTTON, Late Antiquity, S. 77 4 BAUS, Urkirche, S. 95 5 ebenda, S. 127 6 SAMAMA, S. 454 7 SCHULZE, Medizin und Christentum, Inschrift Nr. 60, S. 77, Verweis auf Bulletin épigraphique, Paris, Ausg. 92, 1979, S. 527, Nr. 600; Supplementum epigraphicum Graecum (SEG), Amsterdam, Ausg. 28, 1978, S. 363, Nr. 1261; DAGRON, S. 195ff., Nr. 116 8 SCHULZE, Medizin und Christentum, S. 77 9 ebenda, Inschrift Nr. 40, S. 67, Verweis auf KEIL, MAMA 3, S. 114, Nr. 167; HAGEL, S. 181, Nr. Krs 77 10 TORSY, S. 205-206 11 SCHULZE, Medizin und Christentum, S. 135-136 12 Bibelatlas, S. 187 13 BROX, S. 33 14 ECKART, S. 69 15 KUDLIEN, Pharmakologie, S. 714 16 BAUS, Urkirche, S. 351 17 DÖRNEMANN, S. 83 18 PROSTMEIER, LACL, S. 348 19 SCHULZE, Medizin und Christentum, Inschrift Nr. 7, S. 50, Verweis auf GRÉGOIRE, S. 45ff., Nr. 123; POLJAKOV, S. 199ff., Nr. 244 20 SCHULZE, Medizin und Christentum, Inschrift Nr. 10, S. 52, Verweis auf MERIÇ, S. 447, Nr. 4206; FOSS, S. 21 21 SCHULZE, Medizin und Christentum, Inschrift Nr. 28, S. 61, Verweis auf ENGELMANN, S. 244ff., Nr. 142; KEIL, Forschungen in der Erythraia, Beiblatt 74 22 BAUS, Urkirche, S. 394 23 ebenda, S. 394 24 NUTTON, Roman medicine, S. 45 25 Die Heilige Krankheit (Kap. 6), in: HANS DILLER (Hrsg.), Hippokrates Auserwählte Schriften, Reclam, Ditzingen, 1994; zitiert nach: ECKART, S. 56 26 NUTTON, Late Antiquity, S. 75 27 DÖRNEMANN, S. 66 1 2
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Institutionalisierung vgl. SAMAMA, S. 373-374 SCHULZE, Medizin und Christentum, Inschrift Nr. 51, S. 73, Verweis auf ROUECHÉ, S. 146ff., Nr. 91; Corpus Inscriptionum Graecarum, Berlin, Nr. 8644; GRÉGOIRE, S. 88, Nr. 247
28 29
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Seelenmedizin
Seelsorge und Arztberuf Die Herausbildung einer „Seelenmedizin“ am Beispiel der Geistlichen-Ärzte Neben der für den kleinasiatischen Raum auffällig häufigen Kombination von Diakonenamt und Arztberuf sind auch Kleriker anderer Rangordnung, die zugleich als Ärzte wirken, epigraphisch belegt. Im Vergleich zu den ärztlichen Diakonen fällt bei diesen Geistlichenärzten auf, dass in den Inschriften das kirchliche Amt deutlich weniger in den Vordergrund gestellt wird. Während bei allen Diakonen-Arzt-Verbindungen stets die Reihenfolge „Diakon und Arzt“ eingehalten wird, ist dies bei den Presbytern nicht der Fall. Eine der bekanntesten frühchristlichen Inschriften bezeugt die Doppelfunktion des Arztes und Presbyters Dionysios: Dionusi,ou ivatrou/ presbute,r, ou)
1
([Grab] des Arztes Dionysios, des Presbyters.)I
Dieser Titulus ist in den Kalixtus-Katakomben in Rom gefunden worden. Diese ausgedehnte, teilweise vier Stockwerke tiefe GrabSCHULZE erwähnt, dass diese sehr frühe christliche Inschrift eine der meistzitierten sei. Er bemerkt überdies, dass bei CAPPARONI 1914 offenbar Schreibfehler vorlägen, so werde der Eigenname Dioysios dort als Dionuci,ou wiedergegeben, Presbyter wird irrtümlich presbuts,r, ou geschrieben. I
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Seelenmedizin anlage mit verschachtelten unterirdischen Gängen ist der älteste offizielle Friedhof der christlichen Gemeinde in Rom. Der Pionier der christlichen Epigraphik, Giovanni Battista de Rossi, hat 1854 die so genannte „Krypta der Päpste“, die zum Komplex der Kalixtus-Katakomben gehört, entdeckt. Kalixt ist von 217-222 Bischof der römischen Christengemeinde. Von fünf der römischen Bischöfe sind Grabinschriften entdeckt worden, die noch wie die des Arzt-Presbyters Dionysios in Griechisch geschrieben sind. Baus bemerkt hierzu: „Der wesentlich andersartige Verlauf, den die Entwicklung der christlichen Literatur im Westen, speziell in Rom, im 3. Jh. nahm, war einmal bedingt durch die linguistische Situation der römischen Gemeinde, die sich anfangs mehrheitlich aus griechisch sprechenden Gliedern zusammensetzte und sich darum auch in Verkündigung und Liturgie des Griechischen bediente. Erst mit dem Schwinden der griechischen Majorität ergab sich die Notwendigkeit, die heiligen Schriften des neuen Glaubens ins Lateinische zu übersetzen, in lateinischer Sprache zu predigen und schließlich auch das Lateinische als Liturgiesprache in Gebrauch zu nehmen.“2 Gummerus und Korpela datieren übereinstimmend mit Samama3 diese Inschrift in die Zeit Diokletians, also Ende des 3. bzw. Anfang des 4. Jahrhunderts. Dieser Titulus ist damit eine sehr frühe Quelle. Jene Zeit der äußeren Bedrängnis des Christentums stellt zugleich die Periode seines stärksten Wachstums dar. Die enorme Zunahme der christlichen Gemeinde ist der Grund, warum diese Religion eine so große politische Aufmerksamkeit erfährt: „Der 184
Seelenmedizin nähere Grund dafür, dass die Kaiser sich jetzt politisch mit den Christen befassten, ist die spürbare Zunahme dieser politisch bedenklichen Minderheit im 3. Jahrhundert gewesen, die sich noch dazu also in einer Phase wachsender Probleme der Zeit in Politik, Wirtschaft usw. abzeichnete, als Geschlossenheit und Loyalität der Bürger sowie die Gunst der Götter wichtiger waren als je. Das alles fand seine Auswirkung auch in der Politik Diokletians (284305), die aufgrund ihrer Härte für die Christen katastrophal wurde. Die methodisch angelegte und gestuft (gegen Klerus, dann auch Laien) durchgeführte Repression ab 303 hatte deutlich wieder die Vernichtung und die Rückführung der Christen zu besserer Einsicht zum Ziel.“, erläutert Brox.4 Die Grabinschrift des Dionysios schweigt zur Art seines Todes; ob er also unter der diokletianischen Verfolgung das Martyrium erleidet, bleibt unklar. In jedem Fall belegt die Erwähnung seiner Funktion als Presbyter, dass er seinen christlichen Glauben aktiv in der römischen Gemeinde praktiziert hat. Es ist gerade der massive Mitgliederzuwachs der christlichen Gemeinden, der dem Amt der Presbyter zu einer wachsenden Bedeutung und Eigenständigkeit verhilft. Brox berichtet über den fraglichen Zeitraum der Wende zum vierten Jahrhundert: „Die Gemeinde in Rom musste sich teilen, weil sie stark gewachsen war: Man rechnet mit Zehntausenden Christen dort.“5 Die Versorgung der Tochtergemeinden kann nicht mehr überall gemäß der Bischofsverfassung von einem Episkopen geleitet werden. Baus bemerkt speziell für die Hauptstadt: „In Rom bringt die Errichtung der Tituli als eigener 185
Seelenmedizin Seelsorgsbezirke den damit betrauten Presbytern eine selbständigere Stellung, als sie in kleineren Gemeinden möglich war.“, er sieht auch insgesamt für das dritte Jahrhundert eine Aufwertung dieses Standes: „Das 3. Jh. kennt aber auch Anzeichen einer steigenden Bedeutung des Presbyteramtes wenigstens in einigen Ausbreitungsgebieten des Christentums. Sie hängt einmal zusammen mit der wachsenden Zahl von Christen in ländlichen Bezirken, für die kein Bischof, sondern nur ein Presbyter als Leiter der Gemeinde bestellt werden konnte. Dies war sicher in Ägypten nach der Jahrhundertmitte der Fall, wie Dionys von Alexandrien bezeugt.“6 Unter diesem geographischen Aspekt verwundert es nicht, dass die Mehrzahl der weiteren epigraphischen Befunde, die eine Personalunion von Arzt und Geistlichem bekunden, im Raum der alexandrinischen Kirche entdeckt worden ist. An der Küste westlich von Alexandria ist die Grabinschrift des Sohnes des Arztes und Klerikers Serenos gefunden worden: ! evkoimh,qh evn C¿ristÀw|/ o` avdelfo.j VIwa,n& nhj o` tou/ avbba/ Serh,& nou tou/ ivatrou/ mhni. Tubh|/ k´ ivnd¿iktiw/nojÀ id´ Dio& klhtianou/ ! snb´) ! 7
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Seelenmedizin (+ Zur Ruhe in Christo gekommen ist Bruder Johannes, Sohn des Paters und Arztes Serenos, am 20. Tag des Monats Tybi der 14. Indiktion Diokletians + 252 +)II
Schulze merkt in seiner Arbeit an, dass die Bezeichnung „avbba/“ – hier übersetzt als „Pater“ – nicht unbedingt einen „Abt“ meint (wohl nicht einmal zwingend als Mönchsanrede, „Pater“, zu verstehen ist), sondern allgemein der Titel eines Geistlichen ist, so wie etwa französische Weltgeistliche „Abbé“ genannt werden. Im Vergleich zu der exakten Amtsbetitelung der Diakone, bei denen großer Wert auf die unterschiedlichen Rangstufen etwa eines ErzNach der hier verwendeten, ab dem 4. vorchristlichen Jahrhundert gültigen dezimalen griechischen Zahlenkodierung steht das σ für 200, n für 50 und b für 2, also 252. Die Zeitrechnung der ägyptischen Kirche beginnt 284 n.Chr., als Diokletian römischer Kaiser wird. Diese Zählung bleibt auch nach dem Ende seiner Regierungszeit im Gebrauch, die allerdings im kirchlichen Umfeld wegen seiner Christenpogrome „Ära der Märtyrer“ genannt wird. Die erste Interdiktion Diokletians (Verbot kirchlicher Amtshandlungen) erfolgt im Jahr 303; wie BROX oben darlegt, gehen die folgenden Pogrome gestaffelt zunächst gegen Christen im Staatsdienst, dann gegen kirchliche Amtsträger vor. Das vierte Edikt verhängt 304 die Todesstrafe auch gegen Laienchristen, wenn sie das Opfer für den Kaiser verweigern. Wann genau die „14. Interdiktion“ Diokletians erfolgt, ist nicht bekannt. SCHULZE setzt den Höhepunkt der Christenpogrome, 304, als Berechnungsgrundlage an und ermittelt aus der Addition mit 252 als konkretes Sterbedatum des Johannes den 15.01.556 (der Monat Tybi entspricht etwa Januar). Allerdings ist denkbar, dass auch nach Diokletians Abdankung 305 die Verfolgungen unter seinem Sohn Galerius weiter als „Interdiktionen Diokletians“ gezählt werden. Insbesondere im Ostteil des Reiches gehen die Pogrome brutal weiter, während im Westen die Hinrichtungen eingestellt werden und Christen als Sklaven in Bergwerken eingesetzt werden. SAMAMA etwa geht vom Todesjahr des Galerius 311 aus und gibt 563 als Datierung der JohannesInschrift an (vgl. SAMAMA, S. 477). II
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Seelenmedizin diakons oder nur eines Vorlesers gelegt wird, scheint dieses Kriterium hier unbedeutend. Der Vater des Verstorbenen ist Arzt und Geistlicher, ohne dass sein Hierarchierang erwähnenswert erscheint. Diese Nichtdifferenzierung lässt vermuten, dass Serenos Presbyter gewesen sein könnte, denn wie dargestellt besitzen Diakone besonders hohes Ansehen, so dass deren Amt in aller Regel hervorgehoben würde – diese Überlegung gilt in noch stärkerem Maße für einen Bischof. Im vorherigen Kapitel wird Baus zitiert, dass die Presbyter zunächst noch eine untergeordnete Rolle im Vergleich zu den Diakonen und Bischöfen spielen. Baus vermerkt ab dem dritten Jahrhundert „Anzeichen einer steigenden Bedeutung des Presbyteramtes“.8 Die Aufwertung dieses Amtes sowie die Herausbildung der Lehre vom dreigeteilten apostolischen Dienst geht insbesondere auf einen Kirchenlehrer zurück, der auch als geographische Klammer zwischen der alexandrinischen Kirche und der römischen Gemeinde betrachtet werden kann: „Als Bindeglied zwischen Ost und West kann man Hippolyt ansehen, dessen Person und Werk bis heute die Forschung vor mehr als eine ungelöste Frage stellen. Mit Sicherheit lässt sich sagen, dass hier kein Römer von Geburt, sondern ein Mann aus dem Osten griechisch denkt und schreibt, dessen Heimat vielleicht Ägypten, näherhin Alexandrien war; ein wirklicher Römer hätte sich wohl kaum über Roms geschichtliche Vergangenheit so abwertend geäußert, wie Hippolyt es tut. Wohl schon unter Papst Zephyrin (199-217) ist er nach Rom gekommen und hat als Presbyter der dortigen Christengemeinde angehört, in der 188
Seelenmedizin ihm seine Bildung und geistige Regsamkeit beachtlichen Einfluss sicherten. Dieser wird in allen theologischen und disziplinären Auseinandersetzungen spürbar, die in den ersten Jahrzehnten des 3. Jh. die römische Christenheit bewegen. Seine hohe Auffassung von den Aufgaben eines Presbyters, zu denen er betont die Bewahrung apostolischer Überlieferungen rechnet, lässt ihn auch vor kühner Kritik an den römischen Bischöfen nicht zurückschrecken, wenn er jene durch ihre Haltung und Maßnahmen bedroht sieht.“, heißt es bei Baus.9 Auf Hippolyts „Kirchenordnung“ beruft sich die römisch-katholische Kirche in ihrem Amtsverständnis im Wesentlichen bis heute, etwa in dem Sinne des Zitates von Gerhard Ludwig Müller (siehe Kapitel „Kirchliches Frauenbild und Ärztinnenberuf“). Die besagten Auseinandersetzungen mit den römischen Bischöfen machen Hippolyt zu einem „unversöhnlichen Gegner“ insbesondere des oben erwähnten Kalixtus. Inhaltlich geht es um die Bußfrage. Bei dieser für die Alte Kirche äußert spannungsreichen Auseinandersetzung wird darüber gestritten, ob für getaufte Christen die Möglichkeit einer zweiten Sündenvergebung existiere – als erste Absolution gilt die Taufe selbst – und welche Voraussetzung dafür gegebenenfalls erfüllt sein müssen oder nicht. Die erwähnten Christenverfolgungen sind der äußere Anlass für diesen theologischen und kirchenpolitischen Streit, der für die Kirche zur Zerreißprobe wird. Zunächst unter Decius in der Mitte des dritten Jahrhunderts werden viele Christen unter der Verfolgung abtrünnig. Der Umgang mit diesen vom Glauben Abgefallenen, 189
Seelenmedizin den „Lapsi“, die nach der Verfolgung eine Rückkehr in die Kirche erbeten, spaltet das Christentum in verschiedene Lager: „Die Meinungen darüber bei den Kirchenführern reichten von der Großzügigkeit der ‚Bekenner’III, die kraft eigener Vollkommenheit die Abgefallenen (lapsi) ohne weiteres wieder aufnahmen, bis zur rigorosen Position, wonach es für die Unglücklichen keine Möglichkeit mehr gab als die, dass die Kirche sie dem Gericht Gottes überließ.“, fasst Brox die Gemengelage zusammen, aus der verschiedene Kirchenabspaltungen hervorgehen, etwa des römischen Presbyters Novatian, der eine besonders erbarmungslose Haltung einnimmt. Seine Sonderkirche der „Reinen“ (katharoí) findet besonders in Nordafrika großen Zulauf, wo ohnehin eine vergleichsweise strenge Kirchendisziplin geübt wird, wie auch aus den bereits zitierten Ansichten Tertullians abzulesen ist. Hier entstehen als weitere Abspaltungen die Montanisten, die jede „zweite Vergebung“ nach der Taufe ablehnen, denen sich schließlich auch Tertullian anschließt, sowie die Donatisten (nach dem Presbyter Donatus), die die Gültigkeit eines Sakramentes von der moralischen Vollkommenheit des Spenders abhängig machen, so dass etwa eine Bischofsweihe ungültig sei, wenn ein Zelebrant mitwirke, der unter der staatlichen Repression den Verfolgern Kirchengerät ausgeliefert habe (ein so genannte „Traditor codicum“).
„So nannte die frühe Kirche solche Christen, die in der Verfolgung ihren Glauben trotz der Bedrohung bekannt und nicht verraten hatten und womöglich dafür inhaftiert und misshandelt worden waren.“ (BROX, Anm. S. 57) III
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Seelenmedizin Das genaue Verhalten Hippolyts in dieser schismatischen Situation ist nicht sicher geklärt. Legenden besagen, dass er sich von einer rigoristischen Gruppe der römischen Gemeinde aus Opposition zu Kalixtus selbst zum Bischof habe weihen lassen, demnach der erste „Gegenpapst“ der Kirchengeschichte gewesen sein soll, was jedoch nicht nachgewiesen werden kann. Jedins Kirchengeschichte formuliert vorsichtig: „Es ist nicht ausgeschlossen, dass Hippolyt noch die Zeit des Novatianischen Schismas erlebte, eine Zeitlang dieser Bewegung angehörte und erst nach 253 nach Wiederaufnahme in die christliche Gemeinde starb. Sowohl Eusebius wie Hieronymus geben eine Aufzählung seiner Schriften, deren Titel ihn als Schriftsteller von beachtlicher Reichweite der Interessen erweisen, die einen Vergleich mit Origenes nahe legt, ohne dass er allerdings dessen schöpferische Originalität und Tiefe erreicht.“10 Der erwähnte Origenes nimmt seinerseits eine entscheidende Rolle in diesen Auseinandersetzungen ein. Obgleich er prinzipiell eine ähnliche Position wie die Donatisten vertritt, dass nämlich die Wirksamkeit der priesterlichen Vollmacht an die persönliche Heiligkeit ihres Trägers gebunden ist, nimmt er aufs Ganze doch eine versöhnliche Position ein, die sich letztendlich durchsetzt. Brox konstatiert besonders in der Bußfrage deutliche Tendenzen einer unterschiedlichen theologischen Entwicklung der Kirche im Osten und im Westen. Zwar sei auch in der antiochenischen und alexandrinischen Kirche die Absolution an die kirchliche Lossprechung gebunden: „Aber in den Ostkirchen galt letztlich trotzdem 191
Seelenmedizin nicht die alleinige Zuständigkeit des Amts für die Buße wie im Westen. Man sah nämlich in der Buße weniger eine Sache der kirchlichen Disziplin als einen Vorgang des inneren, geistlichen Fortschritts im Vollkommenheitsstreben des Christen. Darum spielte die geistliche Führung, die aus der Verstrickung in die Sünde heraushilft, die dominierende Rolle im Verständnis und Verfahren der Buße.“11 Die östliche Haltung des Origenes hat auch in der Westkirche schließlich Fuß gefasst. Origenes hat mehrere Reisen unternommen, u.a. nach Rom, um dort Hippolyt zu treffen. Die im Osten postulierte „geistige Führung“ in der Bußpraxis ist nicht ausschließlich kirchenamtliche Aufgabe, sondern seelsorgerliche, ja sogar medizinische Aufgabe. In den überlieferten Inschriften christlicher Klerikerärzte steht die Frage nach Vergebung und Läuterung im Mittelpunkt des Interesses. Aus Philippi ist die Grabinschrift des Presbyterarztes Paulos erhalten: koimhth,rion PaÎu,louÐ presb¿ute,rouÀ kai. ivatrou/ Filipphsi,wn) K$u,ri%e VI$hso%u/ C$rist%e. o` q$eo.%j o` poih,saj avpo. tw/n mh. o;ntwn eiv@j# ei=nai( evn th|/ h`me,ra| th/@j# kri,sewj mh.. mnhsqh|j/ tw/n a`martiw/n mou( evl@e,#& hso,n me) 12 192
Seelenmedizin
(Ruhestätte des Paulos, des Presbyters und Arztes der Einwohner von Philippi. Herr Jesus Christus, Gott, der aus dem Nichts etwas Seiendes geschaffen hat, am Tag des Gerichts erinnere dich nicht meiner Sünden, erbarme dich meiner.)IV
Auch Paulos – bzw. der Verfasser der Grabinschrift in seinem Namen – erfleht direkt von Christus die Vergebung der Sünden. Der Grabspruch wendet sich unmittelbar an Gott; es findet sich die direkte Anrede „Herr Jesus Christus, Gott“. Der Presbyter Paulos hinterlässt ein Gebet als sein Vermächtnis. Zwar bittet er hier zunächst um seine eigene Sündenvergebung, der Gebrauch dieser literarischen Gattung in einer Inschrift offenbart jedoch, dass diese Aussage auch an nachfolgende Generationen weitergegeben werden soll: Gott allein ist es, der Sünden vergibt – nicht die Kirche, keine Bischofs- oder sonstige irdische Amtsgewalt. Dieses Vermächtnis macht Paulos einerseits als Presbyter: Gottes Gnade ist dem Menschen direkt zugesagt, hierzu bedarf es nicht in erster Linie einer Vermittlungsinstanz. Paulos ist in der Hoffnung des Matthäusevangeliums gestorben: „Bittet, dann wird euch gegeben; sucht, dann werdet ihr finden; klopft an, dann wird euch geöffnet.“ (Mt 7, 7) Die Erwähnung des Jüngsten Gerichtes und die Hoffnung des Christusgläubigen gibt die Theologie des ersten Übersetzung wörtlich von SCHULZE übernommen, der in seinen Anmerkungen seinerseits auf FEISSEL verweist, dessen Lesart ihm am sinnvollsten erscheint. In Übereinstimmung mit SAMAMA wird das 4.- 5. Jhdt. als Entstehungszeit angegeben (vgl. SAMAMA, S. 189). IV
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Seelenmedizin Johannesbriefes wider: „Darin ist unter uns die Liebe vollendet, dass wir am Tag des Gerichts Zuversicht haben. Denn wie er, so sind auch wir in dieser Welt.“ (1Joh 4, 17). Diese theologische Position Paulos wird ihren Niederschlag auch in seiner ärztlichen Berufsauffassung und -ausübung gefunden haben. Auch im Frühchristentum wirkt als Erbe der jüdischen Mutterreligion noch der „Tun-Ergehen-Zusammenhang“: „Wie die ganze antike Welt, so war auch Israel davon überzeugt: Von guten oder bösen Taten wird eine Bewegung ausgelöst, die früher oder später auch auf den Täter selbst zurückwirkt. Er hat es also letztlich in der Hand, sich der Strahlkraft des Unheils oder des Segens auszusetzen.“, verdeutlicht Ursula Struppe diese Vorstellung.13 Die negativen Folgen bestehen hiernach nicht nur in der befürchteten endgültigen Verwerfung des Sünders im Weltgericht durch den Richterspruch Gottes, sondern schon in diesem irdischen Leben führt Sünde zu Krankheit. Nutton stellt demgemäß über das Hauptaugenmerk christlicher Medizin der Spätantike im Unterschied zur Gewichtung etwa bei Hippokrates und Galen fest: „Practice also differed from theory over the causes of disease. It was a truth, universally acknowledged, that disease and sin were closely linked; illness was a consequence of mankind`s fallen nature.”14 Diese Anschauung hat selbstverständlich ihre Konsequenzen in der christlichen Medizinkonzeption. Die Paulinische Theologie durchzieht eine Geringachtung des Leibes zugunsten der Erret194
Seelenmedizin tung der Seele: „Wenn Christus in euch ist, dann ist zwar der Leib tot aufgrund der Sünde, der Geist aber ist Leben aufgrund der Gerechtigkeit.“ (Röm 8, 10). Das Interesse der christlichen Seelsorge – und im Weiteren auch der christlichen Medizin – gilt daher besonders der Errettung der Seele. Nutton stellt dementsprechend als entscheidendes medizinisches Konzept des Frühchristentums fest: „The more the body appeared a mere temporary habitation of an immortal soul, the less the need to attend to it.“15 Hiernach zieht also folgerichtig das Gesunden der Seele die Heilung des Körpers nach sich. Eine ähnliche Anschauung begegnet uns bereits im Neuen Testament, wenn etwa in der Grußformel des dritten Johannesbriefes dieser Zusammenhang hergestellt wird: „Lieber Bruder, ich wünsche dir in jeder Hinsicht Wohlergehen und Gesundheit, so wie es deiner Seele wohlergeht.“ (3Joh 1, 2). Aus diesem Ansatz entwickelt schließlich besonders die alexandrinische Schule das Konzept des „Seelenarztes“. Zunächst ist Jesus gemeint, wenn etwa Clemens von Alexandrien schreibt: ouvci. o` swth.r w[sper th.n yuch,n( ou[tw de. kai. to. sw/ma ivat/ o tw/n paqw/n* (Der Erlöser heilte wie die Seele auch den Körper von den Leiden.)16
Hieran knüpft auch Origenes an; er führt den Gedanken des Seelenarztes weiter, dieses Motiv reicht jetzt über Jesus hinaus auf den Christen: Wer sich um das Heil der Seele eines Mitchristen 195
Seelenmedizin bemüht, der therapiert zugleich dessen Körper mit. Baus führt aus: „In seiner Wertung des Seelenarztes schreitet Origenes auf dem von Klemens gewiesenen Weg weiter; er muss durchaus nicht Priester sein, vor allem kann er dem Sünder bei der Tilgung geringerer Vergehen eine Hilfe sein, wenn er sich durch freiwillig übernommene Werke und Gebet an dessen Bußleistung beteiligt.“17 Paulos ist Arzt und Presbyter in einer Person. Es kann daher unterstellt werden, dass seine theologischen Vorstellungen auch in seine ärztliche Tätigkeit eingeflossen sind. Wenngleich die Bitte um Sündenvergebung in seiner Inschrift standardisiert erscheint, kann spekuliert werden, dass Paulos auch als Arzt mit seinen Patienten über deren Vergehen und über ihre Schuldgefühle gesprochen hat; hiermit läge eine direkte medizinische Auswirkung des eingangs geschilderten Christus-medicus-Motivs vor, freilich in der speziellen, quasi psychotherapeutischen und psychosomatischen Ausprägung im Sinne der alexandrinischen Schule. Eine Aussage darüber, ob Paulos, der Philippische Arzt des 4. oder 5. Jahrhunderts, Schriften des alexandrinischen Theologen Origenes aus dem 2. bis 3. Jahrhundert kennt und ob diese ggf. für seine Arbeit Bedeutung haben, ist nicht möglich. Dennoch kann aus heutiger Sicht wegen der inhaltlichen Parallelen in ihm ein „Geistesverwandter“ des Origenes gesehen werden. Der Alexandriner weitet den stetig benutzten Begriff des „Seelenarztes“ von Christus auf seine Nachfolger aus, die dafür sorgen, dass die 196
Seelenmedizin Seele der Sünder heil und dass der Mensch zu höherer Erkenntnis geführt werde: Kai. pro.j tau/ta de, famen o[ti ouv. tauvto,n evsti nosou/ntaj th.n yuch.n evpi. qerapei,an kalei/n kai. u`giai,nontaj evpi.. th.n tw/n qeiote,rwn gnw/sin kai. evpisth,mhn (Und wir ermahnen die Sünder zur Einsicht der Lehren zu kommen, nicht zu sündigen, und die Unwissenden, zu Zeugen der Weisheit zu werden)18
Origenes und seine theologischen (im weiteren Sinne auch medizinischen) Schüler setzen sich intensiv mit der heidnisch-hellenistischen Philosophie und deren Kritik am Christentum auseinander. Die in der Einleitung skizzierte Auseinandersetzung mit Kelsos zeigt die große Offenheit des Alexandriners gegenüber der paganen Denkkultur; wie aufgezeigt scheut er nicht den Vergleich Jesu mit heidnischen Ärzten. Seine Arztmetaphern haben eine positive Konnotation. Harnack kommt zu dem Ergebnis, dass Origenes „am häufigsten und eingehendsten Jesus als den Arzt geschildert hat.“19 Seine kosmologische Mystik prägt das ägyptische Mönchtum über viele Jahrhunderte. Insbesondere sein oftmals verfänglicher Gebrauch des belasteten „Gnosis“-Begriffs und seine Lehre, nicht alle Christen erreichten die höheren Erkenntnisstufen, bringen ihn posthum in Misskredit, so dass er mehrfach als Häretiker verurteilt wird. Ein besonderer Verdienst Origenes und der alexandrinischen Theologen ist die Weiterentwicklung und Ausgestaltung der „allegorischen Methode“, wo197
Seelenmedizin nach die biblischen Schriften mehrere Bedeutungsebenen transportieren, so dass neben einem konkreten, wörtlichen und geschichtlichen Textsinn auch geistige, moralische oder spirituelle Inhalte vermittelt werden. Die Verbindung seiner kosmologischen Deutung mit innerseelischen Vorgängen bringt Origenes bis heute den Ruf eines mystischen Spiritualisten ein. Hans-Georg Beck etwa urteilt in Jedins Kirchengeschichte über das von Origenes inspirierte Mönchtum: „eine extreme Spiritualisierung des geistlichen Lebens, erfasst vom Raptus des Aufstiegs zu Gott, um sich in ihm bis zum Verlust der Identität zu verlieren, um in ihm alles Gefallene in einer letzthinnigen Verklärung wiederzufinden. Was im einzelnen die origenistisch gesinnten Mönche ihrem Meister – näherhin den Schriften seines Adepten Euagrios Pontikos – entnahmen, ob sie sich mehr um eine kosmologische Deutung innerseelischer Vorgänge bemühten oder ob sie Origenes ‚privatisierten’, lässt sich nicht mehr sagen, denn was man gegen sie schrieb, ist von Spiritualität allzu weit entfernt.“20 Auch bei Paulos begegnet uns ein kosmologischer Ansatz. Er besingt hymnisch den „Gott, der aus dem Nichts etwas Seiendes geschaffen hat“. Die alttestamentliche, jüdisch-monotheistische Vorstellung des einen Schöpfergottes lebt im Christentum fort; neben der Vorstellung Gottes als Weltenrichter (die ja im vorliegenden Titulus ebenfalls auftaucht), bleibt das Schöpfungsmotiv in den neutestamentlichen Schriften aktuell. So besingt etwa der Kolosserbrief Gott: „Denn in ihm wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare, 198
Seelenmedizin Throne und Herrschaften, Mächte und Gewalten; alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen.“ (Kol 1,16). Im Hinblick auf das Grab, in dem der angebliche Verfasser dieser Zeilen liegt, gewinnt die Seinsfrage eine individuell existenzielle Bedeutung. „Sein oder Nichtsein“ – im Angesicht des Todes geht es hier um die Sinnfrage, um die Frage nach Gott. Die Antwort ist der fragmentarische kosmologische Gottesbeweis: wenn aus dem Nichts etwas Seiendes geschaffen worden ist, dann muss Gott als diese letzte Ursache existieren. Dieser Schöpfer ist nach christlicher Vorstellung zugleich der Vollender der Welt. Schließlich wird er sie von den negativen Erscheinungen und Einflüssen, von Sünden und Schuld, befreien. Origenes beschreibt diese Läuterung durch Gott wie eine ärztliche Heilung: Eiv ga.r kai. te,taktai auvtw|/ pa,nta ka,llista kai. avsfale,stata kata. th.n tw/n o[lwn dhmiourgi,an( avllV ouvde.n h/tton ivatrikh/j tinoj auvtw|/ evde,hse toi/j th.n kaki,an nosou/si kai. panti. tw|/ kosmw|(/ u`pV auvth/j w`sperei. molunome,nw| (Denn wenn von Gott bei der Erschaffung der Welt alle Dinge am schönsten und perfekt gebildet worden sind, so musste er dennoch eine Heilungsmethode bei denjenigen zur Anwendung bringen, die an der Krankheit des Bösen leiden, so wie bei der ganzen Welt, die hiervon quasi angesteckt wird.) 21
Durch das Erlösungswerk Christi sind seine Nachfolger, die Christen, in diese Aufgabe eingebunden. Sie sind mit der Heilung 199
Seelenmedizin von der „Krankheit des Bösen“ betraut. Nach Origenes obliegt diese Aufgabe insbesondere den Seelenärzten; wie deren Heilungsmethode aussehen solle, erläutert Origenes an anderer Stelle: „Si cum videris aliquem vulneratum peccatis et sagittis diaboli confixum, adhibueris curationem sermonum ac verbi Dei contuleris medicinam, ut peccati vulnera per paenitentiam sanes et medicinam confessionis ostendas“ (Falls du jemanden siehst, der durch Sünden verletzt und von den Teufelspfeilen durchbohrt ist, benutzt du die Medizin der Rede und wendest die Medizin des Gotteswortes an, um die Wunden der Sünde durch Buße zu heilen und auf die Medizin des Bekenntnisses hinzuführen.)22
Mit der Formulierung „Medizin der Rede“ beschreibt Origenes das Prinzip der „sprechenden Medizin“, die bei seelischen Krankheiten angewendet wird. Paulos könnte ein Vertreter dieser medizinischen Praxis sein – unabhängig, ob er konkret die Vorgaben des Origenes kennt und befolgt. In der Inschrift des Paulos begegnet uns die literarische Form des Gebetes: „Herr Jesus Christus, Gott, der aus dem Nichts etwas Seiendes geschaffen hat, am Tag des Gerichts erinnere dich nicht meiner Sünden, erbarme dich meiner!“. Diese Bitte erinnert an den Sprachstil der Psalme, etwa im Psalm 31 heißt es: „Herr, ich suche Zuflucht bei dir. Lass mich doch niemals scheitern; rette mich in deiner Gerechtigkeit! In deine Hände lege ich voll Vertrauen meinen Geist; du hast 200
Seelenmedizin mich erlöst, Herr, du treuer Gott. Herr, sei mir gnädig, denn mir ist angst; vor Gram zerfallen mir Auge, Seele und Leib.“ (Verse 2, 6 und 10). Struppe schreibt: „Solche Psalme sind ‚Gebetsformulare’, die dem Beten vieler Menschen vieler Jahrhunderte Sprache gegeben haben. Sie wurden immer weitergereicht und konnten zum Ausdruck stets neuer Erfahrungen werden – darin besteht ihre Dichte.“23 Auf dem „Ausdruck Verleihen“ innerer Ängste und Schuld, von Verfehlungen einerseits und Hoffnungen andererseits, basiert die „Medizin der Seele“. Die quälenden – häufig unbewussten Anteile – des Menschen können therapeutisch angegangen werden, wenn ihnen „Sprache verliehen“ wird. Da dies gegenüber unbewussten Elementen verständlicherweise nicht ohne weiteres möglich ist, helfen hierzu Sprachformeln, die uralte Menschheitserfahrungen transportieren. Die Urangst des Menschen vor dem Nichts, vor der Sinnlosigkeit, findet in der Grabinschrift des Paulos poetischen Ausdruck – und eine hoffnungsvolle Antwort zugleich. Natürlich können aus Paulos Grabinschrift keine verbindlichen Rückschlüsse auf seine Art der Medizin und seine therapeutischen Verfahren gezogen werden. Das psalmartige Gebet seines Titulus deutet primär sicherlich auf sein Presbytersein und die liturgische Ausdrucksweise weist zunächst auf sein klerikales Amt hin. Allerdings ist schwer vorstellbar, dass Paulos den Arztberuf und das Kirchenamt in seiner Person strikt trennt. Da die Frage nach der Schuld des Menschen und nach Gottes Erbarmen eine so hohe 201
Seelenmedizin Bedeutung in seinem Leben einnimmt, dass dieses Thema seine Grabinschrift bestimmt, kann vermutet werden, dass dieses Motiv auch seinen Umgang mit den Patienten und seine ärztliche Praxis prägt. Die Formulierung „Presbyter und Arzt der Bewohner von Philippi“ wirkt in ihrer Allgemeingültigkeit zudem wie eine amtliche (Doppel-) Funktion. Wir wissen nicht, ob Paulos tatsächlich ein öffentlich bediensteter Arzt ist, die Selbstverständlichkeit, mit der diese Kombination angegeben wird, spricht jedoch dafür, dass implizit von einer inneren Verbindung beider Aufgabenbereiche ausgegangen wird; „Presbyter und Arzt der Bewohner von Philippi“ – das hört sich nicht nach der willkürlichen Kombination zweier beliebiger Berufstätigkeiten an. In der Heimat des Origenes findet sich ein weiterer Beleg für die Verbindung von geistlichem und ärztlichem Amt. Im Epiphaniuskloster im ägyptischen Theben wurde die Inschrift eines weiteren Johannes gefunden, der Arzt und Geistlicher zugleich ist: K¿u,ri%e( boh,q¿hson% to.n d@ou/lo,n# sou a;pa VIwa,n@nhj# ivatro.j kai. pa@nti.# @tw/| oi;k#w| a@uvtou/( avmh,n#) 24 (Herr, hilf deinem Knecht, dem Pater und Arzt Johannes und seinem ganzen Haus. Amen.)V Übersetzung in enger Anlehnung an SCHULZE; hier a;pa = avbba/ (s.o.) wörtlich mit „Pater“ übersetzt. SCHULZE weist ausdrücklich auf den freizügigen
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Seelenmedizin
Samama schlägt als Entstehungszeit den großen Zeitraum vom 5. bis zum 7. Jahrhundert vor, versieht ihre Angabe allerdings mit einem Fragezeichen.25 Schulze deutet a;pa in der zweiten Zeile als avbba/, das er wieder neutral als „Geistlicher“ übersetzt.VI Diese Inschrift ist ein Graffito; es stellt ebenfalls eine Gebetsform dar. Die Bitte des Johannes „Herr, hilf deinem Knecht“ entspricht wiederum einem Psalmruf: „Hilf deinem Knecht, der dir vertraut! Du bist mein Gott. Sei mir gnädig, o Herr! Den ganzen Tag rufe ich zu dir. Herr, erfreue deinen Knecht; denn ich erhebe meine Seele zu dir. Herr, du bist gütig und bereit zu verzeihen, für alle, die zu dir rufen, reich an Gnade.“, heißt es im Psalm 86 (Verse 25). Die Gebetsform dieses Bittrufes wird durch den Abschluss „Amen“ noch besonders unterstrichen (der aber vom Herausgeber der Inschrift ergänzt wird). Die Formulierung im Psalm „die Seele zu Gott zu erheben“ erinnert stark an die von Beck oben beschriebenen mystischen Praktiken der von Origenes beeinflussten ägyptischen Mönche. Das über sich selbst Hinauswachsen als mystisches Prinzip stellt zugleich einen seelenmedizinischen Ansatz dar. Auch im Fall des Geistlichenarztes Johannes kann nicht rekonstruiert werden, wie seine medizinische Praxis konkret grammatikalischen Umgang im Anschluss an boh,q¿hson% hin: zunächst ein Akkusativ, dann ein Nominativ und schließlich ein Dativ. SCHULZE verweist auf die Arbeit von TOMASZ DERDA und EWA WIPSZYCKA „L`emploi des titres ‚abba’, ‚apa’ et ‚papas’ dans l`Égypte byzantine“, die im Journal of Juristic Papyrology erschienen ist (vgl. DERDA, S. 2356). VI
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Seelenmedizin aussehen mag, unter der Prämisse des beschrieben ganzheitlichmystischen Weges kann allerdings spekuliert werden, ob er entsprechende mystische Vorstellungen einer Schau Gottes in seine Medizin integriert. Ein „ganzheitlicher“ Ansatz des Johannes kann möglicherweise auch aus der Formulierung „und seinem ganzen Haus“ abgeleitet werden – obwohl dies auch schlicht einem topischen Standard entsprechen könnte. In jedem Fall geht es ihm offenbar nicht nur um einen individualistischen Heilsweg, sein Wunsch nach Hilfe von Gott (und vielleicht nach mystischer Verschmelzung mit ihm) erfleht er für weitere Menschen. Diese Formulierung kann sicherlich zunächst auf seine eigene Familie bezogen werden, vielleicht auch auf die Mönchsgemeinschaft, in der er lebt. Insbesondere in religiösen Fragen besteht in der patriarchalischen antiken Gesellschaft häufig die Gleichschaltung des Glaubens des Familienoberhauptes mit dem der restlichen Sippenmitglieder. Die Apostelgeschichte etwa berichtet mit derselben Formulierung von der Konversion des Krispus mitsamt seiner Familie und seinem Gesinde: „Krispus aber, der Synagogenvorsteher, kam mit seinem ganzen Haus zum Glauben an den Herrn; und viele Korinther, die (Paulus) hörten, wurden gläubig und ließen sich taufen.“ (Apg 18, 8). Andererseits sollte die Fürbitte des Arztes Johannes für die ihm Nahestehenden nicht überinterpretiert werden. Die Fürbitte besonders für geliebte Angehörige ist selbstverständliche Gebetspraxis seit der Urkirche. Der Apostel Paulus etwa bittet in seinen Briefen die Gemeinden wiederholt, für ihn zu beten (vgl. z.B. 204
Seelenmedizin Röm 15, 30 oder Hebr 13, 19). Dennoch kann spekuliert werden, ob die Fürsprache des Arztes Johannes bei Gott für die ihm Anvertrauten nicht auch Teil seiner ärztlich-seelsorgerischen Tätigkeit sein könnte. Wenn unterstellt wird, dass der Apa nicht nur in diesem Graffito um die Hilfe Gottes für sein Haus bittet, sondern als Priesterarzt auch Bittgebete in seine Heilungsmethoden integriert, gleicht dieser späte antike christliche Priesterarzt seinen heidnischen Vorgängern über 1000 Jahre zuvor. Der Medizinhistoriker Kamal Sabri Kolta berichtet, dass altägyptische Priesterärzte Heilgötter angerufen haben. Über Imhotep heißt es, dass an ihn Bittgebete gerichtet worden seien: „Nach seinem Tode findet sich in altägyptischen Quellen so manche Textstelle, die ihn mit der Heilkunst in Verbindung bringt: ‚Imhotep als wohltätiger Gott erhört die Bitte und gibt allen Menschen ... seinen Schutz, das Leben.’“26 Kolta macht die Verknüpfung von religiösen und medizinischen Vorstellungen der altägyptischen Hochkultur u.a. an ihren Beerdigungssymbolen fest: „Die Altägypter waren immer ein frommes und religiöses Volk, wie es ihre Bestattungsriten, ihre frühe Literatur und ihre ganze Kultur beweisen. Zauberformeln und Beschwörungen zur Heilung von Krankheiten finden sich schon in den PyramidenTexten des Alten Reiches.“26 In diesem Zusammenhang erscheint der epigraphische Fund des christlichen Mönchsarztes Petosiros als ein weiterer Anhalt für das
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Seelenmedizin Fortbestehen der religiös-medizinischen Verknüpfung im christlichen Ägypten: sth,lh Petwsi,rou monacou/ kai. ivatrou/) 27 (Grabmal des Mönches und Arztes Petosiros)
Diese Grabinschrift ist in Form einer Mumienetikette gestaltet. Samama datiert sie ins 4. – 6. Jahrhundert.28 Insgesamt fällt bei den Inschriften der Presbyter- und sonstigen Klerikerärzte im Unterschied zu den Tituli der Diakonenärzte auf, dass sie inhaltsreicher sind. Allerdings lässt die geringe Anzahl entsprechender epigraphischer Quellen keine sichere Verallgemeinerung zu. Dennoch bleibt festzuhalten, dass bei den Presbyterinschriften Gebete, Glaubensbekenntnisse und theologische Aussagen etwa im Sinne der Kosmologie (auf der Inschrift des Paulos) aufgeführt werden. In einer Vielzahl der Fälle geht die Inschrift explizit auf Christus als Grund und Ziel dieser Religion ein: in den Tituli von Johannes, dem Sohn des Serenos, von Paulos aus Philippi und von Johannes aus Theben. Eine ausdrückliche Erwähnung Christi findet sich bei den Diakonenärzten hingegen nicht. Die Presbyterinschriften verwenden des Weiteren eine Viel206
Seelenmedizin zahl sprachlicher Gattungen, etwa hymnische oder psalmartige Ausdrucksweisen, während die Diakonentituli insgesamt eher schlicht formuliert sind. Diese Auffälligkeit mag auf die stärke Verwendung liturgischer Sprache bei den Presbytern und Mönchen zurückzuführen sein, diese Beobachtung stärkt zugleich die These, dass christliche Presbyterärzte die Sprache auch als Heilmittel eingesetzt haben. Wie bereits konstatiert, bleibt abschließend herauszustellen, dass die Kombination des Arzt- und Presbyteramtes sich gegenseitig beeinflusst haben wird. Für den Bereich der Medizin kann daher erwartet werden, dass entsprechende theologische Vorstellungen in die Heilungsmethoden Einzug halten, etwa Sündenbekenntnisse und Vergebungsbitten und in Extremfällen vielleicht auch mystische Praktiken der Selbstüberwindung und des Ganzwerdens mit der göttlichen Natur. Die Personalunion von Klerikern und Seelenärzten wird durch die Theologie der Kirchenväter gestützt. Dörnemann schreibt über die Unterscheidung zwischen Leib und Seele: „In der platonischstoischen Philosophie wurde der Arzt als zuständig für den Leib, der Philosoph als zuständig für die Seele angesehen. Die Auffassung vom Arzt für den Leib wird von den Vätern übernommen, aber an die Stelle der Philosophen treten jetzt Christus und seine Kirche vor allem als Arzt für die als wichtiger angesehene Seele, die Christus vom Bösen befreit. Die Medizin ist keine wirkliche Konkurrenz, sondern Dienerin zum Zweck der gesamten Heilwerdung des Menschen.“29
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Seelenmedizin Quellenangabe Kapitel 5 „Seelenmedizin“ SCHULZE, Medizin und Christentum, Inschrift Nr. 20, S. 57, Verweis auf ROSSI, Nr. 9483; CIG, Nr. 9669; CAPPARONI, S. 213; ORANZIO MARUCCHI, S. 206, Nr. 219; NORTHCOTE, S. 125; WESSEL, S. 38, Nr. 145; KORPELA, S. 206, Nr. 283 2 BAUS, Urkirche, S. 279-280 3 SAMAMA, S. 530 4 BROX, S. 53 5 ebenda, s. 29 6 BAUS, Urkirche, S. 393 7 SCHULZE, Medizin und Christentum, Inschrift Nr. 52, S. 74, Verweis auf LEFEBVRE, S. 2, Nr. 4; KAUFMANN, S. 118, Anm. 1; BRECCIA, S. 12, Nr. 4 8 BAUS, Urkirche, S. 376 9 ebenda, S. 281 10 ebenda, S. 282 11 BROX, S. 129 12 SCHULZE, Medizin und Christentum, Inschrift Nr. 42, S. 68, Verweis auf FEISSEL, S. 200ff., Nr. 237; SEG, Bd. 17, 1960, Nr. 440 13 STRUPPE, S. 91-92 14 NUTTON, Late Antiquity, S. 75-76 15 ebenda, S. 77 16 CLEMENS, str., III, 104, 4; BKV, Bd. 17, S. 321 17 BAUS, Urkirche, S. 383 18 ORIGENES, Cels. III, 59 19 HARNACK, Mission und Ausbreitung, S. 137 (Anmerkung 6) 20 BECK, S. 28 21 ORIGENES, Cels., IV, 69 22 ORIGENES, Hom. in Num., XIV, 2. 23 STRUPPE, S 95 24 SCHULZE, Medizin und Christentum, Inschrift Nr. 27, S. 61, Verweis auf HARRAUER, S. 96, Nr. 150; PRIESIGKE, Bd. 4, Nr. 7491,3 25 SAMAMA, S. 498 26 KOLTA, S. 1308–1315 27 SCHULZE, Medizin und Christentum, Inschrift Nr. 44, S. 69, Verweis auf HARRAUER, S. 96, Nr. 151; Priesigke, Bd. 4, Nr. 7316 28 SAMAMA, S. 504 29 DÖRNEMANN, S. 295 1
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Ärzteschulen
Religiöse Überzeugungen und Ärzteschulen Die Präferenz einzelner Medizinschulen christlicher Ärzte Angesichts der Tatsache, dass es in der römisch-hellenistischen Antike mehrere unterschiedliche Ärzteschulen gibt, die jeweils auf einem anderen Welt- und Menschenbild beruhen, ist die Fragestellung interessant, inwiefern das Christentum mit seiner spezifischen anthropologischen und soteriologischen Konzeption in diese Pluralität hineinwirkt. Im Hinblick auf die bewusste Abgrenzung des Christentums und insbesondere des Christus-medicusMotivs vom asklepischen Heilkult liegt die Vermutung nahe, dass das Christentum den „wissenschaftlich-rationalen“ Schulen positiver gegenüber steht als der Medizin der Asklepieia. Dörnemann nimmt eine wohlwollende Haltung der Kirchenväter zugunsten der hippokratischen Medizin wahr: „Einflüsse der dogmatisch/logischen Schule und der Methodiker sind zu spüren.“ Insgesamt urteilt er: „Es dürfte allerdings schwer sein, eine bestimmte Schule festzustellen“.1 Eine pragmatische Vereinbarkeit der christlichen Lehre und der hippokratischen Medizin wird in der vorliegenden Arbeit bereits mehrfach festgestellt. Nutton vertritt z.B. die These, dass beide Systeme einander ergänzen, etwa in dem Sinne, dass das körperlich-leibliche Konzept der hellenistischen Medizin um die christliche Nächstenliebe ergänzt wird – oder andersherum formuliert, dass sich die christliche Ethik der hellenistischen Medizin als Werkzeug bedient: „the Hippocratic physician was easily turned to 209
Ärzteschulen a model of Christian medical charity. … The medicine of Galen and the medicine of Christianity were largely complementary.”2 Dörnemann ergänzt einen weiteren Grund, weshalb insbesondere die Theologen der alexandrinischen Schule der Medizin insgesamt positiv gegenüberstehen: „Die Medizin zählte in den Zeiten der Kirchenväter zu den anerkannten Wissenschaften, auch wenn sie nicht unbedingt zu den ‚artes liberales’ gerechnet wurde.“3 Diese Anerkennung als vernünftige und rational verantwortbare Wissenschaft erstreben die alexandrinischen Kirchenväter eben auch für die christliche Theologie. Brox beschreibt das Vorgehen der alexandrinischen Schule wie folgt: „Christliche Theologie hat sich hier in philosophisch-wissenschaftlichen Denkformen artikuliert, um den Wissenschafts-Kriterien der Epoche zu genügen und für den Gebildeten diskutabel und annehmbar zu sein.“4 Schulze vermerkt ergänzend über die Beziehung der Medizin zu den „Artes liberales“, jenen Wissenschafts- und Kunstdisziplinen also, die in der Antike umfassende Allgemeinbildung ausmachen: „Zwar ist sie letztlich in der Tat nicht in den verbindlichen Kanon der Artes liberales aufgenommen worden, aber kein anderes Fach darf eine größere Nähe zu diesem Kanon beanspruchen als eben die Medizin.“5 Auf nichttheologischem Gebiet existiert ebenfalls eine alexandrinische Schule: „Auch die medizinische Schule der Empiriker, die sich am Ende des dritten vorchristlichen Jahrhunderts formierte, hatte ihren Hauptsitz in Alexandria. Die Ärzte dieser außerordentlich 210
Ärzteschulen theoriefeindlichen Schule lehnten sich eng an die Philosophie der Skeptiker an und wiesen ätiologische Forschungen als medizinphilosophische Spekulation ebenso zurück wie medizinwissenschaftliche Experimente.“, charakterisiert Eckart diese Ärztegruppe.6 In der Ablehnung einer Überbewertung naturwissenschaftlicher Erklärungen für die Behandlung eines Kranken liegen sie in inhaltlicher Nähe zu den origenistischen Seelenärzten, die ihrerseits eine rein körperliche Sicht der Medizin als zu einseitig verwerfen: „Um ganzheitlich heilen zu können reicht dies jedoch nicht aus. Der Mensch muss sich immer wieder mit Leib und Seele Gott zuwenden und seinen Weisungen folgen.“, fasst Dörnemann die alexandrinische Haltung zusammen.7 Die empirische Medizin verwirft die Festlegungen auf bestimmte Weltbilder und Wissenschaftskonzepte; Dreh- und Angelpunkt wahrer Medizin sei ihr Erfolg, den aus Sicht ihrer christlichen Vertreter letztlich natürlich Gott bewirke. Die Heilung eines lebendigen Wesens dürfe sich nicht an einer toten Theorie ausrichten, die individuelle Erkrankung eines Menschen könne nicht aus starrer Medizindogmatik nach einem unbrauchbaren Schema behandelt werden, andererseits dürfe eine geeignete Therapie nicht deshalb ungenutzt bleiben, weil sie nicht in das wissenschaftliche Konzept einer bestimmten Ärzteschule passe. Dieser Haltung liegt die pragmatische Auffassung zugrunde: „Wer heilt, hat Recht.“ Dörnemann betont darum in diesem Zusammenhang: „Origenes erkannte manche Krankenheilungen von ägyptischen Zauberern an“.7 Er vermutet an anderer Stelle: „Die „positive Bewertung der Medizin durch Clemens, Origenes, Basilius, Gregor von Nazianz 211
Ärzteschulen und Gregor von Nyssa ist sicherlich auch biographisch bedingt.“8 Er unterstellt, dass sie in ihren Wirkorten „bedeutende medizinische ‚Fakultäten’ kennengelernt“ hätten.8 Ganz im Sinne des Gleichnisses vom barmherzigen Samariter (vgl. Lk 10, 25ff.), mit dem Jesus das konkrete Handeln als Prinzip der Nächstenliebe illustriert und das als Beispiel für das „empirische“ Motto „Wer heilt, hat Recht“ gelten kann (vgl. Kapitel „Gebot der Nächstenliebe und Arztberuf“), betont auch Origenes das Primat konkreten Handelns gegenüber unproduktiven Wissens: „Quae si quis tantum scierit et non opere fuerit subsecutus, cassa erit eius scientia. Similie quid scientiae medicinae et operi etiam in notitia ministerioque sermonis est.“ (Bliebe es bloß beim Wissen, ohne dass ein Handeln nachfolgen würde, gelänge es nicht recht, sondern würde unterbunden. Ähnlich wie sich Wissen und Handeln in der Medizin zueinander verhalten, ist es mit der Kenntnis vom und dem Dienst am Wort [Gottes].) 9
Dörnemann stellt angesichts dieser Veranschaulichung der theologischen These des Alexandriners durch ein Beispiel aus der Medizin fest: „Origenes vertritt mit diesem Vergleich die Schule der Empiriker, dass Medizin vor allem praktisch ausgerichtet ist.“10 Origenes` Vorstellungen bleiben in der Kirchengeschichte trotz seiner mehrfachen posthumen Verurteilungen als Häretiker keine Einzelmeinung. Seine theologischen Ansichten werden insbesondere durch die so genannten „drei Kappadokier“, die Brüder Ba212
Ärzteschulen silius von Caesarea und Gregor von Nyssa sowie Gregor von Nazianz, aufgegriffen: „In einem weiteren Sinn stehen die Kappadokier in der alexandrinischen Überlieferung von Origenes, Athanasius u.a.“, konstatiert Brox.11 Basilius und die beiden Gregors vertreten denn auch eine Medizin, die körperliche und seelische Belange gleichermaßen erfasst und die hierin der im Kapitel „Seelsorge und Arztberuf“ dargestellten mystischen Position der origenistischen Ärzte entspricht, wonach eine geistige Reifung des Menschen die Verschmelzung mit Gott – und somit ein vollständiges Heilsein – ermöglicht. „Die Kappadokier versuchen von den hier vorgestellten Autoren am intensivsten, Gottvertrauen und Heilungsglauben mit dem Vertrauen in die Heilungsmöglichkeiten der Ärzte zu verbinden. Die Ganzhingabe an Gott stellt für die Kappadokier das Ideal der Vollkommenheit dar. So verstehen sie unter dem Terminus ‚Philosophie’ nicht eine bestimmte Lehre der PhilosophenI, sondern den Aufstieg zu Gott, für den – nach Basilius und Gregor von Nazianz – in einer monastischen Gemeinschaft die besten Voraussetzungen gegeben sind.“, fasst Dörnemann zusammen.12 Ärztliches Handeln ist nach Lesart der Empiriker daher weniger eine akademische Tätigkeit, erst recht keine Ausführung ideologischer Medizinkonzepte, sondern bleibt in erster Linie „Heilkunst“. In der Beachtung des jeweiligen Einzelschicksals der Patienten Die „drei Kappadokier“ lehnen demnach wie die Empiriker das dogmatische Festhalten an einem bestimmten philosophischen oder ideologischen Weltund Menschenbild ab.
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Ärzteschulen sowie im kreativen Umgang mit der individuellen Problematik liegt diese Kunst – schon die Wortwahl verrät hierbei die Nähe zu den Artes liberales. Unter Berücksichtigung dieser Aspekte der empirischen Ärzteschule liest sich das nachstehende Epigramm des Dioskoros wie das eines Vertreters dieser medizinischen Richtung: ivhtrou/ ta,foj eivmi. Diosko,rou( o`j dia. te,cnhn polla,ki ka,mnontaj r`u,sa@to k#ai. qana,tu\ ou-t- oj pantoi,hj sofi,hj evpi. te,rmatV evla,ssaj evnqa,de sw/ma lipw.n evj para,dison e;bh) 13 (Ich bin das Grab des Arztes Dioskoros, der durch seine Kunst oft Kranke rettete und dies sogar vor dem Tod; nachdem dieser zum Ziel seiner vielfachen Weisheit geleitet worden war, verließ er den Körper und ging ein in das Paradies.)II
Wenngleich Dioskoros mit keinem Wort einer bestimmten Ärzteschule zugeordnet wird, lassen doch einige Formulierungen seiner Grabinschrift in ihm einen Empiriker vermuten. Zunächst fällt der Begriff te,cnh auf: vor dem Hintergrund des zuvor Ausgeführten ist dies ein deutlicher Hinweis auf seine Sichtweise des Übersetzung eng an SCHULZE angelehnt. Seiner Einschätzung nach belegt die Erwähnung des Paradieses das christliche Bekenntnis Dioskoros`. SCHULZE gibt unter Verweis auf GUARDUCCI als Entstehungszeit das 4. – 5. Jhdt. an, was mit SAMAMAS Angaben übereinstimmt (vgl. SAMAMA, S. 535). II
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Ärzteschulen ärztlichen Handelns als „Kunst“, eben nicht als medizinisch-wissenschaftliche Kenntnis. Zwar taucht der Begriff „Erfahrung“ bzw. Empirie in dieser Inschrift nicht auf, der Terminus sofi,a bezeichnet allerdings aus Empirikerperspektive dasselbe: der Arzt, jeder Mensch, reift durch die Erfahrungen seines Lebens zu einem „Weisen“ heran. Friedrich Kirchner definiert im „Wörterbuch der philosophischen Grundbegriffe“ die Weisheit in bewusster Abgrenzung zum erlernten Wissen: „Sie besteht in einem Wissen des Wahren, welches aber nicht in der Theorie bleibt, sondern praktisch wird und die Gesinnung und Handlungsweise veredelt. Nicht Gelehrsamkeit und Bildung gehört dazu, aber praktische Lebensklugheit, Einsicht in das wahrhaft Gute und guter Wille.“14 Dies entspricht weitgehend der oben beschriebenen Vorstellung der Kappadokier: nicht durch das Festhalten an einer bestimmten Sichtweise wächst der Mensch in der Erkenntnis, sondern durch das Sich-Gott-Anvertrauen gelangt er zu größerer Vollkommenheit – er wird „zum Ziel (seines Lebens) geleitet“ und steigt zu Gott auf, in der Diktion des Dioskorischen Epigramms geht er „in das Paradies ein“. Neben dieser Geistesverwandtschaft der mystisch ausgerichteten Christenärzte mit der Theoriefeindlichkeit der Empiriker kann überdies ein verstärktes Hinwenden ihrer eher pragmatisch-karitativ orientierten Glaubensgenossen und Berufskollegen zur Schule der Methodiker vermutet werden, die ihren Höhepunkt unter dem Einfluss des Thessalos von Tralleis im ersten nachchristlichen Jahrhundert erreicht und deren Medizinkonzept auf215
Ärzteschulen grund seines vergleichsweise überschaubaren Inhalts leicht erlernbar ist. Damit stellt dieser geringe Ausbildungsumfang ein ideales Angebot an Christen dar, die aus karitativer Motivation diesen Beruf erlernen wollen. Die Aussage Thessalos`, in nur sechs Monaten jeden Interessierten zu einem fähigen Arzt auszubilden15, kommt dem Anliegen dieser Gruppe entgegen, möglichst schnell ihrer Aufgabe nachgehen zu können, nämlich den Armen, Kranken und Bedürftigen zu helfen. Das Heilungsgebot Jesu an seine Jünger beinhaltet keine lange Ausbildungs- oder Vorbereitungszeit, sondern verlangt konkretes und unverzügliches Handeln. Es gilt keine Zeit zu verlieren, denn das Reich Gottes steht nach seiner Überzeugung unmittelbar bevor: „Geht! Ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. Nehmt keinen Geldbeutel mit, keine Vorratstasche und keine Schuhe! Grüßt niemand unterwegs! … Heilt die Kranken, die dort sind, und sagt den Leuten: Das Reich Gottes ist euch nahe.“ (Lk 10, 3-4 u. 9). Auch Thessalos` besondere Beachtung der niedrigen sozialen Schichten scheint gut mit der frühchristlichen Communio-Struktur zu korrespondieren. Eckart stellt fest, dass diese Ausrichtung der Methodikerschule den Bedürfnissen des ersten nachchristlichen Jahrhunderts entspricht: „Tatsächlich scheint es unter dem Einfluss des Thessalos zu einer Massenproduktion von Ärzten auf der Grundlage des einfachen Systems der Methodiker gekommen zu sein, das wohl auch den sozialen Bedürfnissen Roms zur Zeit Neros entsprach, die durch massiven Bevölkerungswachstum und extremen Ärztemangel geprägt war.“16 Diese „Schmalspur“-Ärzte (zumeist aus
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Ärzteschulen der Sicht der akademischen Ärzteschaft) stoßen auf vehementen Widerspruch und auf Zurückweisung etwa durch Galen.17 Direkte epigraphische Hinweise darauf, dass Christenärzte der Methodikerschule angehören, liegen jedoch nicht vor, allerdings kann als indirekter Hinweis das relativ häufig bezeugte geringe Lebensalter der verstorbenen Ärzte betrachtet werden. Hinzuweisen wäre hier auf zwei schon angeführte Epigramme: zum einen auf die Inschrift der Scantia Redempta (siehe Kapitel „Kirchliche Sexualmoral und Arztberuf“), die nach dortigen Angaben 22 Jahre und 10 Monate gelebt hat. Legt man zugrunde, dass die Elementarschulzeit etwa bis zum 12. Lebensjahr dauerte, kann keine allzu lange Ärztinnenausbildung angesetzt werden, wenn Scantia Redempta schon mit 22 Jahren eine „Lehrmeisterin in der Medizin“ gewesen sein soll. Zum anderen bescheinigt auch der in den Katakomben von San Sebastiano in Rom gefundene Titulus eines anonymen Arztes, der dort gerühmt wird, „bei Armen nicht geldgierig“ gewesen zu sein, diesem das jugendliche Alter von 20 Jahren (siehe Kapitel „Gebot der Nächstenliebe und Arztberuf“). Ebenfalls in der Weltstadt Rom, wo der Ärztemangel nach Eckarts Ausführungen gravierend ist, was wohl auch noch Jahrhunderte nach Nero gilt, ist die Grabinschrift des besonders jungen Arztes Miggin gefunden worden:
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Ärzteschulen
Miggini medico qui vixit anz AW V, minsis si, diebus AW I.
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(Dem Arzt Miggin [geweiht], der 25 Jahre, … Monate und 21 Tage lebte.)III
Diese Inschrift wird von Gummerus und Korpela ins vierte Jahrhundert datiert; das Zeichen AW in der zweiten und vierten Zeile wird als „20“ gedeutet, so dass auch Miggin bereits in sehr jungen Jahren als Arzt verstorben ist. Freilich bleibt ungeklärt, ob die Interpretation des fraglichen Zeichens AW korrekt ist; noch zweifelhafter ist die Auslegung des nachstehenden Titulus des Arztes Aratus: …aratus (Blatt) arc(h)iater, (Blatt) filius Haeracli (Blatt), [vix(it) ann(os) …] XVI (Blatt) mens(es) (Blatt) IIII (Blatt) di(e)s XVI (Blatt) [dep(ositus) B]asili(o) v(iro) c(larissimo) cons(ule) (Blatt).19 SCHULZE bemerkt, dass der Anfangsbuchstabe „M“ des Arztnamens nicht sicher zu entziffern ist. „Miggin“ deutet auf eine afrikanische Herkunft. Die Monatsbezifferung bleibt ungeklärt, KORPELA deutet „minsis si“ als halbes Jahr. III
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(… der Oberarzt Aratus, Sohn des Haeracles. Er lebte 16 Jahre, 4 Monate und 16 Tage. Beerdigt zur Zeit des äußerst berühmten Konsuls Basilius.)IV
Schulze merkt an, dass die Inschrift vor der Altersangabe des Aratus beschädigt ist und somit ein möglicherweise vorstehendes Zahlzeichen verloren gegangen sein könnte, so dass das tatsächliche Sterbealter des Aratus ggf. wesentlich höher ist. Für den Fall jedoch, dass Aratus wirklich mit 16 Jahren als Archiater verstorben ist, dann kann dieses Faktum als bedeutsames Indiz dafür gewertet werden, dass Aratus eine Ausbildung als Methodikerarzt erfahren haben müsse, um in solch jungem Lebensalter bereits eine ärztliche Führungsposition erlangt zu haben. Auch seine Grabinschrift ist in den römischen Katakomben gefunden worden. Diehl datiert die Inschrift in die Mitte des sechsten Jahrhunderts. Im Unterschied zu Vertretern der Empiriker oder Methodiker, wo nur indirekte Hinweise eine Zuordnung zur jeweiligen Ärzteschule erlauben, liegen zwei Epigramme vor, die den Verstorbenen ausdrücklich als „Pneumatiker“ bezeichnen. Allerdings lässt sich auch aus dieser scheinbar sicheren Bezeugung nicht zweifelsfrei ableiten, dass der Betroffene tatsächlich der pneumatischen ÄrzteSCHULZES Anmerkungen besagen, dass nicht nur hinsichtlich der Altersangabe des Archiaters Zweifel angebracht sind, sondern auch im Bezug auf den Namen. Möglicherweise ist „Aratus“ nicht der vollständige Name, sondern nur ein Namenssuffix. IV
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Ärzteschulen schule zuzurechnen ist. Die „Pneumatiker“ stellen eigentlich keine homogene Ärztegruppe dar, die nach einem bestimmten Medizinkonzept vorgeht, sondern diese Bezeichnung ist ein Sammelbegriff für eine sehr heterogene Ärzteschaft. Eckart erklärt die Bezugnahme auf das pneu/ma als „Luft“ und als „Geist“ damit, dass die Pneumatiker in diesen Kräften den maßgeblichen Lebensspender des Organismus sehen, der über das Herz den Körper durchströme (zusammen mit dem in der Leber produzierten Blut) und der dadurch die einzelnen Körperfunktionen sowie die Gesundheit als Ganzes erhalte: „Obgleich diese Auffassung vom pneuma namengebend für die gesamte Gruppe war, so verbargen sich doch hinter dieser Bezeichnung sehr unterschiedliche Vertreter, die im Prinzip nur die enge Bindung zur Stoa einte.“20 Eckart erwähnt ausdrücklich, dass sich die Gruppe der Pneumatiker durch einen ausgesprochenen Eklektismus auszeichnet. Als Begründer der medizinischen Pneumatikerschule gilt Athenaios von Attaleia, der im ersten vorchristlichen Jahrhundert wirkt und ein Schüler des Stoikers Poseidonis von Apameia ist. Nach der Entstehung des Christentums wirkt in Rom unter Kaiser Trajan ebenfalls ein Syrer aus Apameia, der häufig den Pneumatikern zugerechnet wird (u.a. bei Eckart): Archigenes, der Sohn des Philippos. Er entwickelt vor allem operative und gynäkologische Untersuchungs- und Behandlungstechniken und praktiziert entsprechend. Die Unschärfe des „Pneumatiker“-Begriffs rührt u.a. daher, dass im zweiten nachchristlichen Jahrhundert auch Galen eine eigene, ebenfalls „Pneuma“- oder „Spiritus“-Lehre genannte 220
Ärzteschulen Disziplin innerhalb seines Gesamtkonzeptes aufstellt. Er zitiert dabei vielfach Athenaios von Attaleia, dessen Originalwerk nicht erhalten ist, sondern über Galens Aufgreifen rekonstruiert worden ist. Der griechische Begriff pneu/ma kann ins Deutsche am besten mit „bewegte Luft“, „Hauch“ übersetzt werden, er besitzt damit eine doppelte Bedeutung: einmal im rein physikalischen Sinn als „Wind“; darüber hinaus aber auch im Sinne einer Dynamik des Lebens, als „Geist“ oder „Seele“. Auch Galen differenziert aus diesem Ansatz zwischen dem Lebenspneuma, „Pneuma zootikon“ oder „Spiritus vitalis“ einerseits, womit er die biologisch zur Atmung notwendige Luft meint, und dem Seelenpneuma („Pneuma psychikon“ bzw. „Spiritus animalis“) andererseits. In Erweiterung der Pneumalehre des Athenaios erklärt Galen, dass zunächst das Pneuma zootikon über die Einatmung in die Lungen gelange, von dort über die Arteria venosa das Herz erreiche, wo es durch das „innere Feuer“ des Menschen in das „Pneuma psychikon“ umgewandelt werde. Auch im Gehirn entstehe aus dem Lebenspneuma das Seelenpneuma. Die Dynamik des Atmens als „Lebensodem“ überspringt als Motiv die Grenzen zwischen Philosophie, Religion und Medizin. In der Antike vermutet man daher im Zwerchfell, das als Hauptatemmuskel für den lebenserhaltenen Rhythmus des Ein- und Ausströmens verantwortlich ist, den Sitz der Seele. Die griechische Bezeichnung frh,n (Geist, Verstehen) hat daher auch dem 221
Ärzteschulen Zwerchfell seinen Namen gegeben, was noch heute in der anatomischen Nomenklatur am Begriff „Nervus phrenicus“ erkennbar ist. Der Bonner Medizinhistoriker Heinz Schott sieht in Galens erweiterter Pneuma-Lehre, wonach auch im Gehirn das „Seelenpneuma“ entstehe, den Beginn der neuen Theorie vom dortigen Seelenort (im Unterschied zum Zwerchfall), die sich im weiteren Verlauf durchsetzt: „Dagegen sah der griechische Arzt Galen (2. Jahrhundert n.Chr.) in seiner für die abendländische Medizin grundlegenden Lehre das Gehirn als Seelensitz an.“21 Die Mehrdeutigkeit des „Pneuma“-Begriffs als physisches und psychisches Element erfährt im Hinblick auf das Christentum eine zusätzliche Bedeutung, die eine eindeutige Definition erschwert. In der hebräischen Bibel stammt der Lebensodem, der die gesamte Schöpfung belebt, von Gott selbst. Die x;Wr (Ruach) ist identisch mit Gott. Sie schwebt in der elohistischen Schöpfungserzählung vor der Erschaffung der Welt über dem Urchaos: „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde; die Erde aber war wüst und wirr, Finsternis lag über der Urflut, und Gottes Geist schwebte über dem Wasser.“ (Gen 1, 1-2). In der lebensnahen jahwistischen Schöpfungserzählung ist es Gott selbst, der die „ruach“ dem zuvor unbelebten Wesen einhaucht, so dass es lebendig wird: „Da formte Gott, der Herr, den Menschen aus Erde vom Ackerboden, und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen.“ (Gen 2, 7).
222
Ärzteschulen Dieses Motiv greift das Neue Testament auf. In der Überzeugung der Christen ist es der „Heilige Geist“, der von Gott ausgeht und in die Welt hineinwirkt. Dieser Geist verbindet den Mensch neu mit Gott, er wandelt ihn von einem bloß existierenden Wesen erneut zu einem lebendigen Wesen. Der Heilige Geist kommt aus Sicht der Apostelgeschichte des Lukas am Pfingsttag auf die Jünger Jesu nieder. Sie werden aus der Angst und Niedergeschlagenheit, die sie nach dem Kreuzestod ihres Herrn befallen hat, befreit und verkündeten öffentlich das Evangelium von Jesus als dem Christus. Petrus, der zuvor noch aus Angst Jesus verleugnet hat, wird zum furchtlosen Bekenner. Der Geist überwindet alles Trennende, hebt Unverständnis und Fremdheit auf. In Spiegelung zur alttestamentlichen Babelerzählung, in der durch menschlichen Hochmut die „Sprachverwirrung“ über die Menschheit kommt (vgl. Gen 11, 1-9), konstruiert der Autor der Pfingsterzählung das allgemeine Verstehen und Begreifen der frohen Botschaft über alle Sprachgrenzen hinweg. Die Apostel predigen vom Leben, Sterben und Auferstehen Jesu Christi in den unterschiedlichsten Sprachen. Alle können sie in ihrer Muttersprache verstehen: „Parther, Meder und Elamiter, Bewohner von Mesopotamien, Judäa und Kappadozien, von Pontus und der Provinz Asien, von Phrygien und Pamphylien, von Ägypten und dem Gebiet Libyens nach Zyrene hin, auch die Römer, die sich hier aufhalten, Juden und Proselyten, Kreter und Araber“ (Apg 2, 9-11). Diesen Geist nennt der Verfasser der Pfingstgeschichte ebenfalls pneu/ma, es ist derselbe Lebensodem, den die hebräische Bibel 223
Ärzteschulen „ruach“ bezeichnet. Schon die Septuaginta übersetzte die „ruach“ mit „pneuma“. Diese Kraft Gottes gewinnt für das Christentum eine zentrale Bedeutung; in der christlichen Deutung bricht nach Tod und Auferstehung Jesu die geschichtliche Epoche der Kirche an, in ihr lebt dieser Heilige Geist, er leitet sie. Er wirkt auch in den Verfassern der Heiligen Schriften, welche daher als (vom göttlichen Geist) „inspiriert“ gelten und demnach nicht irren können. Der Heilige Geist gewinnt in der Dogmengeschichte der Kirche schließlich den Rang einer Person innerhalb der trinitarischen Gottheit. Die Auseinandersetzungen um die christologischen und trinitarischen Fragen werden mit vehementer Verbissenheit geführt. Die Anerkennung des Heiligen Geistes als wesensgleich mit dem Vater stößt auf große Ablehnung innerhalb des Christentums, die Bestreiter der Homousie des Geistes werden „Pneumatomachen“ bezeichnet. In der frühen Kirche kommt es – wie bereits im Kapitel „Kirchliche Ämter und Arztberuf“ am Textbeispiel der samaritanischen Frau (Joh 4, 5ff.) dargestellt – bereits sehr früh zu Auseinandersetzungen zwischen der sich etablierenden Großkirche mit der Herausbildung ihrer Ämterhierarchie einerseits und den freien, charismatischen Johanneischen Gemeinden andererseits. Um die erste Jahrhundertwende wird das Johannesevangelium mit einem deutlich anderen Schwerpunkt als die synoptischen Evangelien verfasst; hier wird die unmittelbare Offenbarung der frohen Botschaft durch den Geist Gottes verkündet, die keiner amtlichen Vermittlung bedarf. Ähnlich wie in der Pfingstgeschichte wirkt die 224
Ärzteschulen göttliche „ruach“ in jedem einzelnen. Das Johannesevangelium – und im gleichen Sinne auch die Johannesbriefe – betonen die unmittelbare Geistbeziehung: „Ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand geben, der für immer bei euch bleiben soll. Es ist der Geist der Wahrheit“ (Joh 14, 16). Die Gemeinden, die sich um dieses Evangelium der unmittelbaren Gottesbeziehung sammeln, zeichnen sich durch offene Strukturen ohne fest umrissene Dienste aus; hier gibt es Wanderprediger und Propheten. Aus diesen deutlichen Unterschieden zu den großkirchlichen Gemeinden erwächst ein schwerwiegender Konflikt. Die etablierten Gemeinden verweisen auf Textstellen der Paulinischen Briefe, wonach das Prophetenamt dem Apostelamt untergeordnet sei – und damit laut Interpretation der Großkirche auch den Ämtern, die in der Sukzession der Apostel stehen –, etwa im ersten Korintherbrief: „Wenn einer meint, Prophet zu sein oder geisterfüllt, soll er in dem, was ich euch schreibe, ein Gebot des Herrn erkennen. Wer das nicht anerkennt, wird nicht anerkannt.“ (1Kor 14, 37-38) Die Apostel und ihre Nachfolger stellen hiernach die Garanten der Weitergabe der frohen Botschaft von Jesus Christus dar. Diese „gute Nachricht“ (Evangelium) beinhalte bereits die ganze Heilslehre, so dass es keiner Ergänzungen oder gar Korrekturen durch vermeintliche oder tatsächliche Propheten bedürfe. Diese Sichtweise betont die Vorstellung vom „apostolischen“ Wert der Beständigkeit, der Bewahrung und Reinhaltung der Lehre – je nach kirchlicher Tradition bildet sich ein entsprechendes Amts225
Ärzteschulen verständnis heraus, das die besondere Bedeutung etwa der „apostolischen Sukzession“ als juridisch entscheidendes (und abbzw. ausgrenzendes) Kriterium der „Gültigkeit“ einer Amtsbeauftragung ausmacht. Naturgemäß besteht schnell eine Skepsis gegenüber den angeblich freien Bevollmächtigungen durch den Heiligen Geist. Die Johanneischen Gemeinden erleben in ihren eigenen Reihen zunehmend Abspaltungen; in ihnen verkündeten angebliche Propheten Lehren, die selbst den liberalen schwärmerischen Christen Johanneischer Prägung suspekt werden. Im Wesentlichen sind es innerhalb der Johanneischen Gemeinden die Gnostiker, die in ihrer „Geisteserleuchtung“ den gemeinsamen christlichen Nenner verlassen und von einer jenseitigen heilen Lichtwelt ausgehen, aus der durch das Werk eines Demiurgen die diesseitige zweite und minderwertige Welt hervorgegangen sei. „Teile des oberen Lichts sind dabei in die unglückliche Gefangenschaft oder Verbannung in die Materie geraten. Sie sind das eigentliche Selbst in den Menschen, genauer aber nur in denjenigen, die eine pneumatische (geistige) Natur haben. Nur sie, nicht alle sind erlösungsfähig. Durch Erkenntnis (=Gnosis) ihrer selbst und ihrer Lage kommen sie nämlich zur erlösenden Gotteserkenntnis und sind befreit, so dass sie in die Welt des oberen, eigentlichen, guten Gottes zurückkehren. Oft wird das so beschrieben, dass ein Erlöser (in einem Scheinleib) zu ihrer Hilfe in diese Welt kam.“, schildert Brox Kernaussagen der Gnosis22 – in ihr berufen sich so genannte „Pneumatiker“ auf die Befreiungstat durch einen Erlöser, der leicht mit Jesus gleichgesetzt werden kann.V V
Vgl. hierzu im Kapitel „Kirchliche Sexualmoral und Arztberuf“ die Anmer-
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Ärzteschulen
Die gnostischen Gruppierungen werden zu einer realen Konkurrenz des Christentums, insbesondere für die offenen, liberalen Johanneischen Gemeinden, die zunehmend zwischen der Großkirche und den zahlreichen Erscheinungsformen des Gnostizismus zerrieben werden. Diese ersten Spaltungen haben in den neutestamentlichen Schriften Spuren in den Johannesbriefen hinterlassen, wo vor „falschen Propheten“ gewarnt wird, über die es heißt: „Sie sind aus unserer Mitte gekommen, aber sie gehörten nicht zu uns; denn wenn sie zu uns gehört hätten, wären sie bei uns geblieben. Es sollte aber offenbar werden, dass sie alle nicht zu uns gehörten.“ (1Joh 2, 19). Brox berichtet, dass unter der Sammelbezeichnung „Gnosis“ eine vielfältige esoterische Richtung zusammengefasst wird: „Die gnostische Religion war eine ungemein pluriforme Bewegung in vielen Gruppen und Lehrsystemen mit verschiedensten Selbstbezeichnungen. Sie nahm die soziale Form von religiösen Gemeinden an, aber auch die von (Philosophen-) Schulen, Einzelexistenz oder magischen Zirkeln. Manche gnostische Gruppen haben für den Ausbau ihrer Weltund Erlösungslehre biblisch-christliche Elemente entlehnt und kirchliche Praktiken nachgeahmt“.23 Die vermeintlich erleuchteten Gnostiker nennen sich selbst „Pneumatiker“, da in ihnen angeblich der göttliche Geist wirke. In dieser Grauzone ist eine exakte Differenzierung zwischen religiösen und medizinischen „Pneukungen zu Tertullians Angriffen auf die „Psychiker“, welche nach gnostischem Konzept zwischen den erlösungsfähigen „Pneumatikern“ und den -unfähigen „Hylikern“ stehen.
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Ärzteschulen matikern“ unmöglich; auch letztere stellen eine Sondergruppe unter den Ärzten mit unterschiedlichen religiösen Anschauungen dar, so dass Nutton sie als eine „Sekte“24 bezeichnet. Vor diesem Hintergrund lässt sich nicht eindeutig klären, in welcher Hinsicht der nachstehende Titulus des Arztes Alexandros diesen als „Pneumatiker“ bezeichnet: (Christogramm) evnqa, kata,kite VAle,@x#an& droj ivatro.j Cristiano.j kai. pneumatiko,j) (Christogramm) 25 VI
(Hier ruht der christliche Arzt Alexandros, nämlich ein Pneumatiker.)
Die Interpretation dieser Inschrift bereitet in vielfacher Hinsicht Schwierigkeiten. Es existieren unterschiedliche Wiedergaben des Textes, z.B. lautet bei Samama die erste Zeile abweichend: VEnqa,de kei/tai VAle,@x#an& droj( ))) 26 Schulze hält eine erneute Autopsie des Fundes in Rom für unumgänglich, da nicht auszuschließen sei, dass tatsächlich zwei verschiedene Inschriften existieren, die beide den häufigen ArztnaVI SCHULZE merkt bei allen Deutungsunsicherheiten dieser Inschrift an, dass durch die beiden Christogramme zu Beginn und zu Ende des Epigramms die christliche Identität des Bestatteten zweifelsfrei feststeht.
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Ärzteschulen men „Alexander“ ausweisen. Neben den sprachlichen Unstimmigkeiten dieser Inschrift bereitet auch ihre Datierung Kopfzerbrechen. Gummerus und Samama setzen als Entstehungszeit das vierte oder frühe fünfte Jahrhundert an, einen Zeitraum also, als die Hochphase der medizinischen Pneumatiker längst vorüber ist. Dörnemann etwa beschreibt ein wesentlich früheres Abklingen der Pneumatikermedizin: „Bis ins 2. Jahrhundert n.Chr. wirkt dieses Denken fort.“27 Schulze formuliert entsprechend vorsichtig in Anlehnung an Nutton: „Alexandros ist möglicherweise der späteste uns bekannte Pneumatiker der Antike.“28 In diesem Kontext kann vermutet werden, dass sich die Bezeichnung pneumatiko,j gar nicht auf Alexandros` Arztsein bezieht, sondern eine besondere „Konfession“ seines christlichen Glaubens ausweist. Denn auch wenn die Gnosis selbst ihren Höhepunkt ebenfalls im zweiten Jahrhundert hat, existiert sie in bestimmten Erscheinungsformen fort: „Der Gnostizismus lebte als Manichäismus, nach dem Gründer Mani (3. Jh.) benannt, bis zur Zeit Augustins und noch länger als aktuelle Konkurrenz und Versuchung für viele Kirchenchristen weiter.“, schreibt Brox.29 Aber auch innerhalb der Kirche bilden sich im weiteren Verlauf immer wieder kirchliche Sondergruppen, die sich selbst „Geistesbevollmächtigte“ und „Pneumatiker“ nennen. Zu erwähnen ist hierbei die Bewegung der Montanisten, denen sich im späten Lebensabschnitt auch Tertullian zuwendet. Ihr Begründer und Namensgeber Montanus beruft sich auf den oben zitierten angekündigten 229
Ärzteschulen „Beistand des Heiligen Geistes“ (Joh 14, 16) und versteht sich selbst als dieser Paraklet. Aufgrund der kaum auflösbaren Verknüpfung von religiösen und medizinischen Bedeutungen, die dem Begriff „Pneumatiker“ zugrunde liegen, wird man gleichwohl in Alexandros einen pneumatischen Arzt vermuten dürfen. Auch wenn seine Medizinausbildung möglicherweise nicht in einer Pneumatikerschule erfolgt und Alexandros als „Schulmediziner“ anderer Provenienz ärztlich tätig ist, wird seine religiöse Überzeugung auf seine Berufsausübung abfärben. Insofern könnte die Diskussion um die Frage, ob Alexandros ein pneumatischer Arzt oder im theologischen Sinne ein Pneumatiker ist, als Pseudoproblem bezeichnet werden. Auch als z.B. Schüler Galens ist gut vorstellbar, dass er in der religiösen Überzeugung, dass es der „Heilige Geist“ sei, der Heil bewirke, seinen Schwerpunkt innerhalb des Medizinkonzept Galens in dessen Spiritus-Lehre gesetzt hat. Insofern kann trotz aller Vorbehalte hinsichtlich der ursprünglichen Intention der Angabe „Pneumatiker“ letztlich festgehalten werden: sie „bezeichnet die medizinische Schule“, wie Schule überzeugt formuliert.30 Diese Gewissheit kann für eine zweite Inschrift aus Schulzes Prosopografie christlicher Ärzte der Spätantike nicht bestehen: (Taube [mit Zweig?]) evnqa,de kata,keitai VAbla,bhj( Gala,thj cwri,ou Mouli,ko@u( u`#io.j 230
Ärzteschulen Fwtinou/) zh,saj e;th tria,konta( pneumatiko,j· calu,ptei gh/) 31 Eivrh,nh soi) (Hier ist zur Ruhe gelegt Ablabes, ein Galater vom Land des Moulikos, Sohn des Photinos. Er, ein Pneumatiker, lebte 30 Jahre lang; es bedecke ihn die Erde. Friede dir!)VII
Diese Inschrift wird von Gummerus ebenfalls ins vierte bis fünfte Jahrhundert datiert. Schulze listet Ablabes` Titulus unter der Rubrik „Unsichere Bezeugung des Arzt-/Christseins“ auf, denn weder aus dem Inschriftentext noch aus den bildlichen Elementen dieses Grabsteines geht hervor, dass der Galater den Arztberuf ausgeübt hat. Die Zuordnung zu dieser Berufsgruppe erfolgt bei Schulze also allein aufgrund der Bezeichnung pneumatiko,j, was, wie oben diskutiert, in diesem Zeitraum vermutlich nicht die gleichnamige Ärztegruppe meint, denn die medizinische Schule der Pneumatiker hat ihren Zenit bereits überschritten. Wahrscheinlicher ist in diesem Fall, dass der Titel „Pneumatiker“ eine religiöse Zuordnung des Ablabes zu einer Sonderkirche oder Sekte kennzeichnet, die sich besonders auf das Geistwirken beruft. Im vierten und fünften Jahrhundert ist etwa – wie oben beschrieben – der Manichäismus noch weit verbreitet, der u.a. zentrale Elemente SCHULZE merkt an, dass KORPELA nicht VAbla,bhj, sondern Mouli,ko@u] für den Namen des Verstorbenen hält, allerdings unberücksichtigt lässt, dass dieser Begriff im Genitiv steht (hier interpretiert als „vom Land des Moulikos“). VII
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Ärzteschulen der christlichen Geist-Lehre in sein (gnostisches) Konzept integriert. Samama vermutet hingegen unter Verweis auf William Tabbernee in Ablabes einen Anhänger der Montanisten, die sich ja unter Berufung auf die Ankündigung der Geistsendung im Johannesevangelium (vgl. Joh 14, 26) als geisterfüllt betrachten. Samama listet diese Inschrift nicht unter ihren „Sources épigraphiques“ griechischer Ärzte auf, führt aber als Anmerkung zum Stichwort „Pneumatiker“ im Bezug auf die oben angeführte Inschrift des Alexandros aus: „Ablabès était membre d`une communauté montaniste. Ce mouvement, d`origine phrygienne, avait été fondé dans les années 170 par le prophète Montanus”.32 Auch die ornamentale Symbolik der Taube weist daraufhin, dass Ablabes in erster Linie aus religiöser Perspektive als Pneumatiker verstanden werden kann. Schulze wertet dieses Motiv als Beleg für das Christsein Ablabes: „Dass Ablabes Christ war (Montanist?), steht dagegen wegen der Taube und der Eivrh,nh soi-Formel außer Frage.“33 Schulze schließt sich demnach Samamas These an, Ablabes könne Montanist gewesen sein, denn diese Sonderkirche versteht sich selbst zweifelsfrei als christliche Gemeinschaft, was der Beitritt des strengen Apologeten Tertullian unterstreicht, der bekanntlich vehement gegen häretische Strömungen wie den Gnostizismus vorgeht. Die Manichäer hingegen (denen wiederum ein anderer bedeutender nordafrikanischer Kirchenvater, nämlich Augustinus, ursprünglich angehört, bevor er 386 zur katholischen Kirche konvertiert) sind als solch eine gnostische Bewegung einzustufen, die zwar auch christliche Symbole übernimmt, als syn232
Ärzteschulen kretistische Gruppierung jedoch genauso Elemente anderer religiöser Traditionen integriert: „Zoroastrische Motive von einem Jenseitsgericht der individuellen Seele verbinden sich mit (möglicherweise indisch beeinflussten) Seelenwanderungslehren und werden zusammen mit stark christlich gefärbten apokalyptischen Vorstellungen zu einem mehr oder minder kongruenten System der kollektiven Erlösung vereint.“, führt Sven Bretfeld vom Institut für Religionswissenschaft der Universität Bern aus.34 Im Zusammenhang mit der Symbolik der Taube auf dem Ablabes-Grabmal gibt Schulzes in eckige Klammern gesetzte Frage „Taube [mit Zweig?]“ allerdings nicht notwendigerweise Ablabes` christliche Identität preis, denn dies ist ein alttestamentliches Motiv aus dem Buch Genesis, wo die von Noach ausgesandte Taube mit einem Ölzweig zu ihm zurückkehrt als Zeichen, dass die Sintflut abgelaufen ist (Gen 8, 11). Die „Taube mit Zweig“ kann als gemeinsames christlich-jüdisches Symbol für den Friedensschluss (Gottes mit den Menschen) betrachtet werden. Im gesamten Neuen Testament taucht das Motiv der Taube nur in einem einzigen – allerdings programmatischen – Kontext sowohl im Matthäus-, Lukas- und Johannesevangelium auf (Mt 3, 16; Lk 3, 22; Joh 1, 32). In diesen Textstellen geht es um die Taufe Jesu. Bezeichnenderweise erscheint der Heilige Geist hierbei jeweils als Taube, etwa im Lukasevangelium: „und der Heilige Geist kam sichtbar in Gestalt einer Taube auf ihn herab, und eine Stimme aus dem Himmel sprach: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden.“ (Lk 3, 22). 233
Ärzteschulen In Ablabes kann also ein Christ (z.B. montanistischer Konfession) oder ein Manichäer gesehen werden, der von der Ausgießung des göttlichen Geistes überzeugt ist. Im Gegensatz zum zuvor dargestellten Titulus des Alexandros wissen wir allerdings nichts über den Beruf des Galaters, so dass der Rückschluss wie bei Alexandros nicht möglich ist, dass seine religiösen Überzeugungen auch in sein medizinisches Wirken eingeflossen sein wird. Obwohl insbesondere die Schule der Pneumatiker in vielerlei Hinsicht den Inhalten des christlichen Glaubens sehr nahe steht – Geisttheologie und Eingebundensein des Menschen in den Schöpfungsrhythmus – kann insgesamt keine Präferenz christlicher Ärzte für eine bestimmte antike Medizinschule festgestellt werden. Vielmehr gibt es Hinweise darauf, dass Christenärzte aus unterschiedlichen Beweggründen in allen antiken Schulen (mit Ausnahme wohl der asklepisch-theurgischen Richtung, die nicht als „Schule“ im engeren Sinne anzusehen ist) vertreten sind. Nur in den wenigen dargestellten Einzelfällen lassen sich Rückschlüsse – bzw. Spekulationen – auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten „Schule“ ziehen. Die große Mehrheit der überlieferten epigraphischen Quellen macht keine diesbezüglichen Angaben. Als Ursache für die Nichtthematisierung der ärztlichen Ausrichtung auf den Grabmalen kann unterstellt werden, dass diese Frage für den Christenarzt im Hinblick auf seinen Tod keine herausragende Bedeutung hat, beim Einzug „in das Paradies“, wie es in der dargestellten Inschrift des Dioskoros heißt, spielen offenbar andere Zeugnisse über das zurückliegende Leben eine wichtigere 234
Ärzteschulen Rolle. Das dargestellte positive und weitgehend spannungsfreie Verhältnis des Christentums zu Galen lässt vermuten, dass sich die Mehrheit der Christenärzte schon in der Spätantike seinem Medizinkonzept anschließt. Auch der weitere Verlauf der europäischen Medizingeschichte, die weitgehend durch die Dominanz der Galenschen Lehre bis in die Neuzeit geprägt ist, spricht für diese Vermutung. Innerhalb der großen Spannbreite der Galenschen Medizin hat es hingegen stets die Möglichkeit gegeben, einen besonderen Schwerpunkt zu setzen, etwa im Sinne der pneumatischen Medizin. Galen hat gewissermaßen die zuvor bestehenden Schulgegensätze „eingeebnet“. Dörnemann stellt abschließend treffend fest: „Daneben gibt es zu allen Zeiten Ärzte, die keiner Schulrichtung zuzuordnen sind. Dies ist verständlich, da Medizin nicht nur reine, sondern vor allem angewandte Wissenschaft ist.“35 Quellenangabe Kapitel 6 „Ärzteschulen“ DÖRNEMANN, S. 297 NUTTON, Late Antiquity, S. 74-75 3 DÖRNEMANN, S. 293 4 BROX, S. 156 5 vgl. SCHULZE, Medizin und Christentum, S. 175 6 ECKART, S. 62 7 DÖRNEMANN, S. 296 8 ebenda, S. 295 9 ORIGENES, hom. in Luc., I, 5 10 DÖRNEMANN, S. 128 11 BROX, S. 160 12 DÖRNEMANN, S. 296-297 1 2
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Ärzteschulen SCHULZE, Medizin und Christentum, Inschrift Nr. 22, S. 58, Verweis auf GUARDUCCI, S. 505ff. 14 EISLER, Weisheit; Quelle: www.textlog.de 15 vgl. NUTTON, S. 42; ECKART, S. 64 16 ECKART, S. 64-65 17 vgl. GALEN, meth. med. 1,1 18 SCHULZE, Medizin und Christentum, Inschrift Nr. 87, S. 92, Verweis auf DIEHL, Bd. 1, S. 119, Nr. 608; CIL VI, Nr. 9592; GUMMERUS, Nr. 93; KORPELA, S. 207ff., Nr. 295; CAPPARONI, S. 221 19 SCHULZE, Medizin und Christentum, Inschrift Nr. 75, S. 88, Verweis auf DIEHL, Bd. 1, S. 119, Nr. 606; CIL VI, Nr. 9563; OEHLER, S. 116; GUMMERUS, Nr. 65; KORPELA, S. 210, Nr. 314; CAPPARONI, S. 220 20 ECKART, S. 65 21 SCHOTT, DÄB, Seite A-1420 22 BROX, S. 139 23 ebenda, S. 139 24 vgl. NUTTON, Roman medicine, S. 44 25 SCHULZE, Medizin und Christentum, Inschrift Nr. 4, S. 48/49, Verweis auf CIG, Nr. 9792; CAPPARONI, S. 214; MARUCCHI, S. 234, Nr. 280; WESSEL, S. 38, Nr. 143; GUMMERUS, Nr. 161; KORPELA, S. 208, Nr. 298; NUTTON, Pneumatiker, S. 1183ff. 26 SAMAMA, S. 531 27 DÖRNEMANN, S. 41 28 SCHULZE, Medizin und Christentum, S. 49; vgl. NUTTON, Pneumatiker, S. 1183ff. 29 BROX, S. 140 30 SCHULZE, Medizin und Christentum, S. 49 31 SCHULZE, Medizin und Christentum, Inschrift Nr. 65, S. 80, Verweis auf CIG, Nr. 9578; ROSSI, Nr. 4437; GUMMERUS, Nr. 159; KORPELA, S. 210, Nr. 311; CAPPARONI, S. 215 32 SAMAMA, S. 531 33 SCHULZE, Medizin und Christentum, S. 80 34 SVEN BRETFELD, Tod, Wiedergeburt und Erlösung im Manichäismus, Unipress 118, Bern, 2003 35 DÖRNEMANN, S. 41 13
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Perinatale Medizin
Christlicher Lebensschutz und Schwangerschafts-, Geburts- und Kindermedizin Prä- und postnatale Medizin am Beispiel der ärztlichen Hebamme Stephanis Besonders nachhaltigen Einfluss übt die Kirche schon in der Spätantike in den Grenzgebieten des Lebens aus. Sie vertritt eine Ethik, wonach unabhängig von medizinischen Aspekten das menschliche Leben unverfügbar ist, da es ein Geschenk Gottes sei. In diese thematische Schnittmenge sowohl medizinischer als auch ethisch-religiöser Fragestellungen wirkt das Christentum direkt in den Entscheidungshorizont der Medizin hinein und unterscheidet sich dadurch von der „Privatangelegenheit“ früherer religiöser Anschauungen im Sinne des bereits angeführten Zitates Nuttons: „Galen`s religion had been his private affair… But in Late Antiquity and the Middle Ages religion and medicine interpenetrated in various ways. The Church`s insistence on a Christian community that extended from before birth to the grave and beyond left no aspect of life untouched. Determining when a foetus became alive, had both theological and medical implications.”1 Für den Bereich der perinatalen Medizin findet sich unter den bekannten Inschriften spätantiker Christenärzte der Titulus des Georgios, dessen Mutter Stephanis einen ärztlichen Beruf mit diesem inhaltlichen Schwerpunkt ausübt:
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Perinatale Medizin  swmatoqh,kh Gewrgi,o ui`ou/ Stefa,nou ma,gkipoj kai. Stefani,doj ivatrome,aj)2 (Sarg des Georgios, des Sohnes des Bäckers Stephanos und der ärztlichen Hebamme Stephanis.)I
Stephanis wird in der Inschrift ivatro,mea genannt; dies ist offenbar eine Wortneubildung, die sich aus den Begriffen ivatri,na, Ärztin, und mai/a, Hebamme, zusammensetzt und die in Anlehnung an Schulze hier als „ärztliche Hebamme“ wiedergegeben wird.3 Eine Verbindung der Aufgabenfelder „Schwangerschaftsbetreuung und Geburtshilfe“ einerseits und der Frauenheilkunde in ihrer Gesamtheit andererseits scheint nahe liegend. Eckart erwähnt in seinem Überblick der antiken Frauenheilkunde eine gewisse Phanostrate, die beide Funktionen in Personalunion ausübt und die demnach ebenfalls als ivatro,mea bezeichnet werden könnte: „SiSCHULZE übersetzt in seiner jüngeren Arbeit „Medizin und Christentum“ ma,gkipoj mit Bäcker; in der älteren Untersuchung „Ärztinnen“ gibt er den Begriff mit „Pächter“ wieder und reflektiert dort, dass dies kein Beruf sei. Im SEG 37 wird 1987 ma,gkiy unter Verweis auf FEISSEL mit „Bäcker“ übersetzt. SCHULZE weist zudem darauf hin, dass auch die feminine Variante magki,pissa „Bäckerin“ existiert, dass andererseits der griechische Begriff auch eine Übertragung des lateinischen manceps, eben „Pächter“ darstellen könne (SCHULZE, Medizin und Christentum, S. 51). In diesem Sinne übersetzt SAMAMA ma,gkipoj ins Französische mit „fermier“ (Pächter) – insgesamt bleibt die Bedeutung ungeklärt, wenngleich überwiegend die Lesart „Bäcker“ favorisiert wird, die den folgenden Überlegungen zu Grunde liegt. SCHULZE weist außerdem darauf hin, dass das Christsein hier durch das Kreuz nur für den verstorbenen Sohn Georgios belegt ist, nicht notwendigerweise auch für die Eltern. I
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Perinatale Medizin cher hat es auch Frauenärzte, Frauenärztinnen und Hebammen gegeben. So kennen wir etwa bereits aus dem 4. Jahrhundert v.Chr. das Grabrelief der Hebamme und Ärztin Phanostrate, aus dem 1. Jahrhundert v.Chr. das Grabrelief der Ärztin Mousa und aus dem 2. nachchristlichen Jahrhundert das Grabrelief der Hebamme Scribonia Arrice. Besonders dieses Relief ist interessant, weil es zeigt, wie die Hebamme einer Frau hilft, die auf einem Gebärstuhl entbindet. Ein besonderes Lehrbuch der Frauenheilkunde hat der bereits als Hippokrates-Biograph erwähnte Methodiker Soranos von Ephesos (um 100 n.Chr.) verfasst.“4 An Eckarts Aufzählung fällt auf, dass er einleitend zwar auch männliche Frauenärzte anführt, in der namentlichen Aufzählung allerdings nur Frauen nennt, die diesen Beruf auch praktisch ausüben, während Soranos als Autor eines Lehrbuches gewissermaßen eine akademische, theoretische Funktion im Bereich der Gynäkologie einnimmt. Wenngleich dieses kurze willkürliche Schlaglicht auf die antike Frauenheilkunde keine Verallgemeinerungen zulässt, scheint die These dennoch plausibel, dass dieser spezifisch weibliche Bereich der Medizin in erster Linie den Frauen selbst überlassen wird. Kudlien stellt die These auf, dass sich im Rahmen eines Spezialisierungsprozesses innerhalb der antiken Medizin aus dem Hebammenwesen die Frauenmedizin als eigener Teilbereich verselbständigt habe, dass sich demnach Hebammen zu Frauenärztinnen qualifiziert hätten.5 Die Überlegung, dass angesichts der männlichen Ignoranz im Bezug auf die Bedürfnisse der Frauen u.a. in medizinischer Hinsicht Hebammen zunehmend die Funk239
Perinatale Medizin tion von Gynäkologinnen übernehmen, wird von Schulze aufgegriffen: „Ob letzteres der hauptsächliche Grund ist, wie Kudlien behauptet, sei dahingestellt, aber dieser Faktor spielt schon deshalb eine Rolle, weil das Wissen antiker männlicher Mediziner bzw. Medizinschriftsteller über das Befinden der Frau als relativ gering und unsicher einzustufen ist. … Ärztinnen mussten demnach gleichsam diesen von Männern naturgemäß nicht recht nachempfindbaren Bereich ausfüllen. Aus dieser zunächst spezialisierten Gruppe von Hebammen bzw. Gynäkologinnen werden sich immer wieder einmal Ärztinnen emporgearbeitet haben“.6 So stichhaltig diese Überlegung zunächst erscheint, kann sie bislang nicht durch archäologische Funde belegt werden. In seiner Darstellung der antiken Frauenheilkunde beschreibt Eckart spezielle chirurgische Instrumente: „Aus der römischen Kaiserzeit besitzen wir auch eine Reihe gynäkologischer Untersuchungsinstrumente, so u.a. einige gut erhaltene Vaginaspecula. Sie waren zum Teil bereits mit Schraubgewinden ausgestattet, die eine Öffnung und Feststellung der Blätter zur individuellen Anpassung des Instruments an die Körperverhältnisse der Frau sowie an die diagnostischen und therapeutischen Erfordernisse erlaubten.“7 Entgegen der Erwartung, dass diese medizinischen Geräte also v.a. von Frauenärztinnen bzw. Hebammen eingesetzt werden, stellt Ernst Künzl in seiner Untersuchung der Gräber römischer Ärztinnen genau den gegenteiligen Befund heraus. In drei Fällen entdeckt er zwar auch chirurgische Instrumente, allerdings betont er: „Die Gynäkologie ist dabei nicht vertreten. Es sind auch keine 240
Perinatale Medizin Hebammen, sondern Zahnzieherinnen, Baderinnen und Chirurginnen.“8 Auch Künzls Untersuchung lässt keine Verallgemeinerung zu, zumal er eben nicht auf christliche Ärztinnen fokussiert, dennoch kann vermutet werden, dass „ärztliche Hebammen“ ein eher seltenes Phänomen sind – dass sie zumindest innerhalb der gynäkologisch tätigen Ärzteschaft i.d.R. nicht zu der (finanziellen und medizinischen) Elite zählen, die über aufwendige und teure Instrumente verfügt. Das seltene Vorkommen ärztlicher Hebammen kann hingegen noch verstärkt für die christliche Ärzteschaft festgestellt werden – wo der Frauenteil insgesamt sogar etwa doppelt so hoch liegt wie unter den paganen Berufskollegen (vgl. Kapitel „Kirchliches Frauenbild und Ärztinnenberuf“). Zwar finden sich mehrere inschriftlich belegte christliche Hebammen, Stephanis ist jedoch die einzige ivatrome,a, darüber hinaus lassen die Berufsbezeichnungen anderer Christenärztinnen keine frauenheilkundliche Spezialisierung erkennen. Die einmalige Erwähnung einer gynäkologisch tätigen Ärztin im christlichen Umfeld stellt somit eine auffällige Unterrepräsentanz dar, zumal die frauenärztliche Medizin dieser Zeit im paganen Bereich, wie Eckart darlegt, fest etabliert ist. Die Ursache für die augenscheinliche Vernachlässigung dieses medizinischen Teilgebietes durch die Christenärzte und -ärztinnen ist daher in ihrem religiösen Hintergrund zu vermuten. Insbesondere die ärztliche Schwangerschaftsbetreuung mag für sie einen 241
Perinatale Medizin verfänglichen medizinischen Schwerpunkt darstellen, da die Kirche dem traditionellen Aufgabengebiet der Hebammen mit deutlichem Misstrauen begegnet, denn diese sind auch für Schwangerschaftsabbrüche zuständig. Veyne stellt einen freizügigen Umgang mit Abtreibungen der spätantiken paganen Gesellschaft fest: „Empfängnisverhütung, Abtreibung, das Aussetzen freigeborener Kinder und die Tötung des Kindes einer Sklavin sind übliche und legale Praxis.“9 Er führt weiterhin aus, dass – ähnlich wie im Umgang mit der Sexualität (vgl. Kapitel „Kirchliche Sexualmoral und Arztberuf“) – schon vor dem Durchbruch der christlichen Moral die Stoiker einen ethischen Wertewandel vertreten: „Die strengsten Moralisten mochten es der Mutter zur Pflicht machen, ihre Leibesfrucht zu hüten; doch nicht im Traume wäre ihnen eingefallen, ein Recht des Fötus auf Leben anzuerkennen.“10 Ein Abtreibungsverbot taucht zwar bereits im Hippokratischen Ärzteeid auf: „Ebenso will ich keiner Frau ein abtreibendes Mittel geben.“11 Die Bedeutung dieses Passus ist aber umstritten; symptomatisch ist die Tatsache, dass sich dieser Eid trotz seinem paganen Ursprung (mit der Anrufung heidnische Götter!) im christlichen Abendland halten kann (vgl. im Kapitel „Kirchliche Sexualmoral und Arztberuf“ Anmerkungen zum Verbot des Ärzteeides von sexuellen Beziehungen). Die Ursache für die Beständigkeit der Eidesformel ist in der Kompatibilität ihrer Vorgaben mit den ethischen Vorstellungen der christlichen Kirchenväter zu sehen, die gleichfalls einen Schwangerschaftsabbruch verurteilen. Tertullian schreibt in seinem Werk „Über die Aufforde242
Perinatale Medizin rung zur Keuschheit“: „Quid ergo facies, si novam uxorem de tua conscientia impleveris? Dissoluas medicaminibus conceptum? Puto nobis magis non licere nascentem nocere quam et natum. Sed fortasse illo tempore praegnantis uxoris remedium tantae sollicitudini a deo petere audebis, quod in te positum recusasti?” (Was wirst du also tun, wenn die neue Gattin ungewollt schwanger wird? Willst du das Empfangene durch Arzneimittel beseitigen? Ich meine, es ist uns genauso wenig erlaubt, einen in der Geburt befindlichen Menschen wie einen schon geborenen zu töten. Aber möglicherweise wirst du dich erdreisten, in jener Zeit, wo deine Frau schwanger ist, ein Heilmittel für diesen großen Kummer von Gott zu erbitten, weil du das dir mögliche Mittel verschmäht hast.) 12
Hier klingt an, dass die Verabreichung von Substanzen, die einen Schwangerschaftsabbruch bewirken können, eine private Angelegenheit ist, dass man sie nötigenfalls im Sinne einer „Pater-familias-Medizin“ selbst verabreicht. Allerdings ist davon auszugehen, dass durch entsprechend unerwünschte Erfahrungen die Risiken einer Überdosierung etwa von Mutterkornalkaloiden bekannt sind, so dass in der Antike Schwangerschaftsabbrüche nach Möglichkeit fachkundig durchgeführt werden. Die Schwangerschaftsbetreuung ist die Domäne von Hebammen. Sie begleiten die Frauen bis zum Ende der Schwangerschaft, das entweder durch die Geburt oder eben mitunter durch eine Abtreibung erreicht wird. (Der lateinische Begriff „abortus“ meint sowohl einen chirurgischen Schwangerschaftsabbruch als auch generell eine Kon243
Perinatale Medizin trazeption.) Hebammen stehen daher aus der Sicht der christlichen Apologeten prinzipiell unter dem Verdacht, Helferinnen des „Embryonenmordes“ zu sein. Tertullian wettert in seiner Schrift „Über die Ehrbarkeit“ zwar primär über die Sünde des Ehebruchs (der durch den unreinen Geist des Götzendienstes [Idololatrie] veranlasst werde und der weitere Verbrechen nach sich ziehe), benennt aber die Hebammen als Zeuginnen für diesen Mord: „Sciunt etiam obstetrices, quot adulteri conceptus trucidentur. Etiam apud Christianos non est moechia sine nobis. Ibidem sunt idololatriae, ubi immundi spiritus res est; ibidem est et homicidium, ubi homo, cum inquinatur, occiditur.“ (Auch die Hebammen wissen davon zu berichten, wie viele Empfängnisse des Ehebruches gemordet werden: Auch bei den Christen gibt es keinen Ehebruch ohne uns. Die Idololatrie treibt ihr Wesen da, wo der unreine Geist sein Wesen treibt, und wo ein Mensch, wenn er befleckt wird, dem Tode verfällt, da liegt Menschenmord vor.) 13
Schulze diskutiert in seiner Untersuchung „Medizin und Chrisentum“, warum Ärzte trotz ihrer zahlreichen Verflechtungen in die pagane Kultur und Wissenschaft dennoch nicht in der Zusammenstellung unerlaubter Berufe für Taufbewerber im Frühchristentum auftauchen, etwa in der Traditio apostolica.14 Eine ganz natürliche Erklärung ist, dass die Ausübung medizinischer Berufe in der christlichen spätantiken Gesellschaft genauso unverzichtbar ist wie im paganen Umfeld. Dasselbe Argument besteht hinsichtlich der Hebammentätigkeit: obwohl die Geburtshelferinnen im 244
Perinatale Medizin Vergleich zum medizinischen Personal anderer Fachgebiete besonders verdächtigt werden, bei vermeintlichen Verbrechen wie Schwangerschaftsabbrüchen Hilfestellung zu leisten, kann dennoch nicht gänzlich auf ihren Berufsstand verzichtet werden. Dem entspricht der Befund, dass zwar einige christliche Hebammen in der Spätantike inschriftlich belegt sind – etwa im Sinne einer „hinzunehmenden Erfordernis“ – , dass ihnen aber durch die geschilderten Vorbehalte im kirchlichen Umfeld wohl weiter gefasste Verantwortungsbereiche verwehrt werden, so dass eine christliche ivatro,mea eine Ausnahme ist. Wie bereits im Kapitel „Kirchliches Frauenbild und Ärztinnenberuf“ festgestellt wird, spielen Frauen – über die Schwangerschaftsbetreuung hinaus – aus der „patriarchalischen“ Perspektive der Kirchenväter ohnehin eine untergeordnete Rolle. Wiederum bei Tertullian kann eine entsprechend frauenfeindliche Aussage gefunden werden. Er verfasst ein eigenes Buch „Über den weiblichen Putz“15, wo er einleitend schreibt, die Frau müsse in Buße und Trauer leben. Theologisch leitet der nordafrikanische Kirchenlehrer seine Ansichten aus dem Schöpfungsbericht ab; Eva habe durch ihren Sündenfall das Verderben über die Menschheit gebracht (vgl. Gen 5, 6). Tertullian nimmt entsprechend ungerührt Stellung zu Themen, die den Arbeitsbereich der Hebammen betreffen, und verweist auf Gottes Aussage im Buch Genesis: „Zur Frau sprach er: Viel Mühsal bereite ich dir, sooft du schwanger wirst. Unter Schmerzen gebierst du Kinder. Du hast Verlangen nach deinem Mann; er aber wird über dich herrschen.“ (Gen 245
Perinatale Medizin 3, 16). Aus dem kirchlichen Verständnis heraus, dass die körperlichen Beschwerden der Frau – insbesondere bei der Geburt – von Gott gewollt seien, wird ihrer medizinischen Betreuung insgesamt wenig Bedeutung beigemessen. Diese Beobachtung wird dadurch untermauert, dass bei der Durchsicht der immerhin über 100 Inschriften christlicher Ärzte und Ärztinnen in Schulzes Prosopographie allein die Stephanis-Inschrift gynäkologische Tätigkeiten andeutet. Trotz der Herausbildung der Gynäkologie als eigenes Fachgebiet findet sie in den frühchristlichen Ärzteinschriften eben keinen entsprechenden Niederschlag. Schulze betrachtet sowohl in seiner 2002 verlegten Untersuchung „Christliche Ärztinnen in der Antike“16 als auch in seiner Habilitationsschrift diese „besondere Gruppe“17; dort listet er neben Stephanis als einzige explizite „Frauenheilkundlerin“ immerhin sieben weitere sichere Christenärztinnen aufII (darunter Scantia Redempta und Amazone, die in den Kapiteln „Kirchliche Sexualmoral und Arztberuf“ sowie „Kirchliches Frauenbild und Ärztinnenberuf“ besprochenen werden, außerdem die Archiatrina Augousta, s. Kapitel „Auferstehungsglaube und Iatrotheologie“). Schulze kommt zu dem Urteil, „dass es offenbar ein differenziertes und wohlbeachtetes HierarZusätzlich führt SCHULZE in seiner Prosopographie noch eine gewisse Restitouta auf, Inschrift Nr. 71/72, S. 83, die den kaiserlichen Arzt Tiberios Klaudios Alkimos als ihren Patron und Lehrer bezeichnet, so dass sie demnach selbst als Ärztin anzusehen ist; SCHULZE erwähnt allerdings, dass sie (wahrscheinlich) keine Christin sei. II
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Perinatale Medizin chiesystem auch innerhalb des weiblichen Medizinpersonals gab. Insbesondere die heftig umstrittene Frage, ob die ivatri,nh von ihrem Aufgabenfeld her weitgehend mit dem männlichen ivatro,j parallelisiert werden darf, kann nicht zuletzt mit dem christlichen Inschriftenmaterial deutlich bejaht werden. Inwieweit man bei ivatri,nh bzw. medica von einem echten Pendant zum ivatro,j bzw. medicus sprechen kann, ist in der Tat kontrovers diskutiert worden. Wir glauben, aus dem inschriftlichen Material schlussfolgern zu dürfen, dass die ivatri,nh / medica aus verschiedenen Gründen als Pendant zum männlichen Kollegen aufgefasst werden darf“.18 Künzl bestätigt diesen Ansatz: „Die Berufsbezeichnung medica oder ihre griechischen Analogien sollte man in den Inschriften in Zukunft tatsächlich auch daraufhin überprüfen, ob mehr gemeint ist als nur ein besserer Hebammenstatus.“8 Künzl scheint seinerseits in dieser Aussage den Berufsstand der Hebamme abzuwerten, indem er darauf hinweist, dass die Bezeichnung medica wohl tatsächlich eine Ärztin meint, die er offenbar innerhalb der medizinischen Berufshierarchie höher einschätzt. Andererseits widerspricht er damit der Unterstellung, die den antiken Hebammen sowohl in der damaligen Literatur als auch in der neuzeitlichen Forschung gemacht wirdIII, sie bezeichneten sich als „Ärztinnen“, ohne es tatsächlich zu sein. Bekannt ist ein Zitat Galens, das eine entsprechende Interpretation nahe legt, ohne den Vorwurf einer falschen Berufsbezeichnung explizit zu erheben:
III
Vgl. etwa NICKEL, S. 517
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Perinatale Medizin evgw. de. qeasa,menoj polla.j gunai/kaj u`sterika,jà w`j auvtai, te sfa/j au`ta.j ovnoma,zousin ai[ tV ivatri/nai pro,teraià parV w-n eivko,j evsti ka|kv ei,naj avkhkoe,nai tou;nomaà ÅÅÅ (Ich habe aber viele ‚hysterische’ Frauen gesehen, wie sie wohl sich selbst bezeichnet haben, als auch dass Ärztinnen sie zuvor so bezeichnet haben, von denen sie wahrscheinlich diesen Begriff gehört haben,…)19
Inwieweit Galen hier den Begriff „hysterisch“ im Sinne von Hippokrates verwendet, also dass bestimmte Verhaltensauffälligkeiten durch den herumwandernden Uterus verursacht werden, ist nicht eindeutig auszumachen. Eine entsprechende Interpretation als Ursache „konversionsneurotischer“ Symptome legt der Kontext nahe, in dem beschrieben wird, die besagten Frauen würden (psychogene) Erstickungsanfälle erleiden.IV Alternativ kann ein rein anatomischer Bezug auf die Gebärmutter gemeint sein, so dass gunai/kaj u`sterika,j Frauen bezeichnet, die „mit der Gebärmutter zu tun haben“, also eben Hebammen oder Gynäkologinnen. Der Vorwurf einer „Amtsanmaßung“ oder gar „Hochstapelei“ gegen Hebammen, die sich selbst „Ärztinnen“ nennen oder von ihren Patientinnen so genannt werden, ist letztlich substanzlos. Schulze betont gegenüber solchen Unterstellungen: „Es gab keine Nach HIPPOKRATES verursacht das Umherwandern der Gebärmutter entsprechende Symptome; CHARCOT, FREUD u.a. greifen diesen Begriff auf und verstehen darunter neurotische Krankheitsbilder, bei denen seelische Störungen zu körperlichen Symptombildungen führen. IV
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Perinatale Medizin Examina, keine ‚Approbation’, also keine einheitlichen Richtlinien, über die man einen Arzt und seine Fähigkeiten definieren könnte. … Speziell Handwerker – und ein medicus zählt dazu – definieren ihr wahres Können eher durch einen zunftinternen Leistungswettstreit, gleichsam im Kampf um Markt- und Kunden(=Patienten)Anteile.“20 Demnach kann sich eine erfolgreiche Hebamme durchaus als Ärztin verstehen, wenn sie ihr Handwerk solide zu verrichten versteht. Insofern wird auch Künzls Wertung, die ärztliche Profession bedeute mehr als „nur ein besserer Hebammenstatus“ dieser Berufsauffassung nicht gerecht; es handelt sich um zwei benachbarte Handwerke, die eine große Schnittmenge aufweisen, so dass nicht nur semantische Mischformen wie ivatro,mea entstehen, sondern diese Bezeichnung authentisch den tatsächlichen Aufgabenbereich der Hebammenärztinnen wiedergibt. Die Verbindung zur Handwerkerschaft besteht in Stephanis` Fall auch in ihrer Ehe zum Bäcker Stephanos. Schulze zieht in seiner Arbeit spätantike Inschriften christlicher Bäcker als Vergleichsgröße heran, um exemplarisch zu untersuchen, ob der Arztberuf unter Christen im Verhältnis zu anderen Handwerken tendenziell häufiger oder seltener zu finden ist. Trotz aller methodischen Bedenken hinsichtlich der Aussagekraft einer solchen Gegenüberstellung merkt er an: „Dennoch vermag man auf diesem Wege zumindest einige allgemeine Anhaltspunkte für die Frage zu gewinnen“.21 Schulze listet einige Argumente auf, weshalb ausgerechnet Bäcker einen geeigneten Vergleichsberuf darstellen; 249
Perinatale Medizin es handelt sich wie bei der Arztprofession eben um ein Handwerk, das „auf der sozialen Rangskala in Rom vergleichbar einzuordnen“21 ist; die Dienste der Bäcker wie der Ärzte werden einerseits fast überall benötigt, andererseits stehen sie gerade deswegen in Konkurrenz zur „amateurhaften“ Betätigung in diesen Bereichen. So wird in den Privathaushalten der Spätantike Brot selbst gebacken, Erkrankungen der Familienangehörigen werden zunächst mit Hilfe der bewährten „Hausmittel“ behandelt. Schulze erwähnt neben diesen allgemeinen Kriterien der antiken Gleichrangigkeit von Bäcker- und Ärztegewerbe noch die spezifisch christliche Bedeutung des Bäckerberufes. Zum einen ist er wie das Arzthandwerk keine Tätigkeit, die von der Aufnahme in das Katechumenat ausschließt. Darüber hinaus betont Schulze: „Vor allem in dem primär interessierenden christlichen Umfeld hat das Brot eine besondere Bedeutung, so dass gerade hier Bäcker zu erwarten sind.“22 Trotz des geflügelten Bibelwortes „Der Mensch lebt nicht nur von Brot, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt.“ (Mt 4, 4), ist Schulzes pauschale Aussage über die hervorgehobene Bedeutung des Brotes als christliches Motiv zutreffend: allein im Neuen Testament taucht dieser Begriff in verschiedenen Formulierungen (Brot, Brote, Brotkrumen etc.) über 100mal auf. Das Brot als Grundnahrungsmittel eignet sich als zentrales Symbol für das Geschenk des Lebens, mit dem die Sorge Gottes für sein Volk illustriert wird. Gott schenkt das Leben und er erhält das Leben ununterbrochen, so dass eine Kernbitte des 250
Perinatale Medizin Vaterunsers lautet: „Gib uns täglich das Brot, das wir brauchen.“ (Lk 11, 3). Jesus bewirkt daher durch das Brot besondere Zeichen; in Anlehnung an die alttestamentliche Geschichte von der Speisung der Israeliten in der Wüste durch das himmlische Brot „Manna“ (vgl. Ex 16, 14ff.) berichtet auch das Neue Testament von der „wunderbaren Brotvermehrung“: Jesus speist am See Tiberias eine Volksmenge von über 5000 Personen mit einer Ausgangsration von fünf Broten und zwei Fischen. „Als die Menge satt war“ (Joh 6, 12), sammeln die Jünger 12 Körbe voller Brotreste auf. (Mt 14, 13ff.; Mk 6, 31ff.; Lk 9, 10ff.) Besonders das sechste Kapitel des Johannesevangeliums kann als „Brotkapitel“ verstanden werden: 14mal wird der Begriff „Brot“ gebraucht. Hier greift der Evangelist bereits das zentrale Motiv der Eucharistie auf. Jesus deutet sich selbst als dieses Lebensmittel: „Ich bin das Brot des Lebens.“ (Joh 6, 48); mehr noch: dieses göttliche Manna wandelt denjenigen, der sich auf Jesus einlässt, von einem bloß existierenden Wesen zu einem lebendigen Menschen, es schenkt die Urkraft des Lebens insgesamt: „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben. Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch, (ich gebe es hin) für das Leben der Welt.“ (Joh 6, 51). Hieraus ergibt sich die Bedeutung des Stiftungsmahles Jesu für den Neuen Bund: „Und er nahm Brot, sprach das Dankgebet, brach das Brot und reichte es ihnen mit den Worten: Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird. Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ (Lk 22, 19 et Parr.) 251
Perinatale Medizin
Allerdings kann die hervorgehobene Bedeutung, die das Brot in den neutestamentlichen Texten und in der kirchlichen Liturgie einnimmt, nicht zwangsläufig auf den Bäcker übertragen werden, die sakramentale Handlung des Abendmahles ist nicht herausgelöst aus ihrem Kontext zu verstehen. Jesus feiert mit seinen Jüngern das Abendmahl am Passahfest, dem Fest der „Befreiung“. Die Juden erinnern sich an das Heilshandeln ihres Gottes: er hat sie aus Ägypten befreit, aus der Sklaverei, der Unterdrückung, aus der Angst. Die ungesäuerten Brote des Passahfestes erinnern an die Nacht vor dem Auszug der Israeliten aus der Knechtschaft. Als die Israeliten Ägypten verlassen, ist allerdings Eile geboten: „Das Volk nahm den Brotteig ungesäuert mit; sie wickelten ihre Backschüsseln in Kleider ein und luden sie sich auf die Schultern.“ (Ex 12, 34); erst später backen die Israeliten auf der Flucht selbst: „Aus dem Teig, den sie aus Ägypten mitgebracht hatten, backten sie ungesäuerte Brotfladen; denn der Teig war nicht durchsäuert, weil sie aus Ägypten verjagt worden waren und nicht einmal Zeit hatten, für Reiseverpflegung zu sorgen.“ (Ex 12, 39) – von einem Bäcker ist nicht die Rede, im Gegenteil: das ungesäuerte Brot symbolisiert den nicht-professionellen, vorläufigen Charakter des Passahbrotes. Dessen ungeachtet stellt das Kommunionbrot und die Teilhabe am „Leib des Herrn“ Gemeinschaft mit Gott und untereinander dar. „Wie die Körner einst verstreut in den Feldern, und die Beeren, einst zerstreut auf den Bergen, jetzt auf diesem Tisch, vereint 252
Perinatale Medizin sind in Brot und Wein, so lass deine ganze Kirche bald versammelt werden von den Enden der Erde in deinem Reich.“, so heißt es in der Abendmahlsliturgie; dieses Bild greift einen Gedanken auf, den Paulus bereits im ersten Korintherbrief anlegt: „Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib; denn wir alle haben teil an dem einen Brot.“ (1Kor 10, 17). Zugleich symbolisiert das Brot das Geheimnis des christlichen Glaubens wie kaum ein anderes Motiv. Seit der Neolithischen Revolution erfahren die Menschen, dass die „Unterwerfung der Erde“ (vgl. Gen 1, 28), d.h. deren Nutzbarmachung durch den Ackerbau, dem Menschen Leben sichert. Das Getreidekorn, das in die dunkle Erde fällt und stirbt, woraus eine reichhaltigere Ernte als das „investierte“ Saatkorn entsteht, symbolisiert die Auferstehung: „ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.“, fasst Jesus seinen Auftrag zusammen (Joh 10, 10). Stephanos und Stephanis stimmen also nicht nur in ihrem Namen überein, der an Stephanus, den legendären ersten Märtyrer des Christentums erinnert, der sein Leben ebenfalls für den wachsenden Glauben an Jesus Christus hingibt (vgl. Apg 7, 54ff.), sondern auch darin, dass sie aus ihrem christlichen Glauben heraus einen Beruf wählen, der dem Leben dient. Jenseits aller Verdächtigungen über die Beihilfe zur Tötung ungeborenen Lebens versinnbildlicht der Hebammenberuf eine spezifisch christliche Perspektive: ihr Dienst gilt den Kindern. In der römischen Antike zählt das Kind nicht viel; Veyne schildert, dass ein Kind, das nach seiner Geburt nicht vom Vater toleriert wird, kurzerhand dem 253
Perinatale Medizin Schicksal preisgegeben wird: „Das Kind, das der Vater nicht vom Boden aufgehoben hat, wird ausgesetzt, sei es vor der Haustür, sei es an einem öffentlich zugänglichen Ort – jeder, der mag, kann es nehmen. Ausgesetzt wird das Kind auch, wenn der Vater abwesend ist und es seiner schwangeren Frau so befohlen hat.“23 Dieser gängigen Geringachtung setzt die Bibel eine herausragende Bedeutung des Kindes entgegen: „Als Jesus das sah, wurde er unwillig und sagte zu ihnen: Lasst die Kinder zu mir kommen; hindert sie nicht daran! Denn Menschen wie ihnen gehört das Reich Gottes.“, heißt es im Markusevangelium, als die Jünger die Kinder von Jesus zurückhalten wollen (Mk 10, 14). Der Evangelist Lukas konstruiert in seiner Weihnachtsgeschichte ein Bild der Menschwerdung Gottes, das den antiken Maßstäben diametral entgegensteht: der Sohn Gottes liegt als schutzloses Kind in einer ärmlichen Krippe (Lk 2). Im weiteren Verlauf seines Evangeliums berichtet Lukas, dass Jesus ausdrücklich die Kinder als Maßstab für die Annahme der Gottesherrschaft herausstellt: „Amen, das sage ich euch: Wer das Reich Gottes nicht annimmt, wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen.“ (Lk 18, 17). Gemeint ist nicht die kindliche Gutgläubigkeit und naive Beeinflussbarkeit im negativen Sinne des Wortes, sondern das Urvertrauen des Kindes, das sich unverstellt und furchtlos seinem Vater zuwendet: „Abba, Vater!“ (Röm 8, 15; Gal 4, 6). Durch den Versöhnungsdienst Jesu Christi werden seine Nachfolger zu Kindern Gottes: „Seht, wie groß die Liebe ist, die der Vater uns geschenkt hat: Wir heißen Kinder Gottes, und wir sind es.“ (1Joh 3, 1), das zentrale Gebet, das Jesus 254
Perinatale Medizin seinen Jüngern mitgibt, redet Gott als „Vater unser!“ an (Mt 6, 9). Durch die gemeinsame Kindschaft gegenüber Gott werden die Christen und Christinnen einander „Brüder und Schwestern“. Der Dienst der Hebammen ist daher aus christlicher Sicht nicht nur eine unverzichtbare Unterstützung biologischer Vorgänge, sondern er fördert den Aufbau des Reiches Gottes. Aus diesen beiden Gründen entwickelt der Beruf in den christianisierten Gesellschaften des Abendlandes eine einzigartige Stellung, die ihn mit einer Machtfülle ausstattet, die ansonsten keiner Frau zugestanden wird. Zum einen erfüllen sie bis ins Mittelalter hinein medizinische Aufgaben, die über die Schwangerschafts- und Wochenbettbetreuung hinausgehen. Nutton konstatiert: „It is a commonplace that in the Middle Ages women`s illnesses were women`s business. True, the process of childbirth was largely left to women… From 1400 onwards, midwives were being paid by some town councils to act in a variety of cases involving female physiology, obstetrics, and infant care. They tested for virginity or impotence, and certified the deaths of infants.”24 III Auch auf religiösem Gebiet erlangen die Hebammen Vollmachten, die ansonsten im männlichen kirchlichen Amtsverständnis unbekannt sind; durch ihre Präsenz beim Geburtsakt wird ihnen das Recht zur Taufe in Notfällen eingeräumt, damit beim Tod Allerdings berichtet NUTTON, dass seit dem Mittelalter der geschilderte Aufgabenbereich den Hebammen zunehmend durch männliche Ärzte entzogen wird (vgl. NUTTON, Medieval Western Europe, S. 169ff.) III
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Perinatale Medizin eines Neugeborenen der Kinderseele der Einzug ins Paradies nicht verwehrt bleibe. Nutton schildert: „Hence it was concerned to see that Christian midwives, not Jews or heretics, attended births, were they might, in extremis, baptise the new-born and thereby help them to Heaven.”25 Wie Nutton ausdrücklich hervorhebt, unterscheidet die Kirche sehr genau zwischen christlichen und nicht-christlichen Hebammen. Besondere Vorrechte werden selbstverständlich nur den Vertreterinnen der eigenen Religion zugestanden; das Christentum bringt quasi ein eigenes christliches Berufsbild der Hebamme hervor, die eben keine Abtreibungen mehr vornimmt, sondern im Gegenteil eindeutig eine „Dienerin des Lebens“ ist, so wie es auch von der Hebammen-Ärztin Stephanis und ihrem familiären Umfeld vermutet werden kann. Trotz aller Privilegien bleiben auch die christlichen Hebammen der Kirche suspekt. Ihre Einblicke in die weibliche Sexualität, ihr Wissen um die Geheimnisse von Fruchtbarkeit, Geburt und Tod drohen die Autorität der männlichen Amtskirche zu untergraben. Nutton berichtet über das 15. Jahrhundert: „By the end of the century midwives were coming under increasing suspicion of witchcraft. A papal Bull of 1484 drew attention to the attacks of witches on the reproductive functions and fertility of men and women, an area of special interest of midwives. Two years later, in their widely influential Malleus maleficarum (Hammer of Witches), Henricus Institoris and Jacob Sprenger accused midwives of a 256
Perinatale Medizin variety of crimes – killing a child in the womb or shortly after birth, eating a child in a witches` congress, and offering a newborn child to the devil in a blasphemous parody of baptism.”26 Die Vorbehalte gegenüber der Macht der Hebammen über Leben und Tod bestehen bis in das Mittelalter fort – mit verheerenden Konsequenzen für die betroffenen Frauen. Angelegt ist das Misstrauen den Hebammen gegenüber schon in der frühen Kirche. Mit auffallend detailreicher Kenntnis der chirurgischen Instrumente schildert Tertullian in seiner Schrift „Über die Seele“ den Hergang einer antiken Abtreibung. Der Kirchenvater charakterisiert hierin den Eingriff als „Mord“ am ungeborenen Kind; er bezeichnet die medizinischen Geräte als „Waffen“, spricht von Abschlachtung und Raubmord: „Itaque est inter arma medicorum et cum organo, ex quo prius patescere secreta coguntur tortili temperamento, cum anulocultro, quo intus membra caeduntur anxio arbitrio, cum hebete unco, quo totum facinus extrahitur violento puerperio. Est etiam aeneum spiculum, quo iugulatio ipsa dirigitur caeco latrocinio; evmbruosfa,kthj appellant de infanticidii officio, utique viventis infantis peremptorium.“27 (Und so gibt es unter den Waffen der Ärzte auch ein chirurgisches Instrument, mit dem zuerst die Gebärmutter geöffnet und offen gehalten wird, und mit einer ringförmigen Klinge, mit der im Innern auf unberechenbare und willkürliche Weise die Körperglieder abgeschlagen werden, mit einer stumpfen
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Perinatale Medizin Klammer wird der ganze Fötus in einer gewaltsamen Niederkunft herausgezogen. Überdies gibt es eine eiserne Spitze, mit der seine Abschlachtung bewirkt wird in einem verblendeten Raubzug. Aufgrund seiner kindermörderischen Funktion nennen sie es „Embryonenschlachter“, den Totschläger des lebenden Kindes.)
Dieser Praxis setzt das Christentum eine eindeutige Ethik entgegen: Der Tod eines Kindes soll nicht sein; Jesus weckt zeichenhaft die kleine Tochter des Synagogenvorstehers aus dem Tode auf (vgl. Mt 9, 18). Der durch das Christentum unterstützte Wertewandel zugunsten des Lebensrechtes unterscheidet allerdings nicht zwischen einem geborenen und ungeborenen Kind. Die Kirche beansprucht für sich auch die Autorität über die intrauterine Symbiose aus Kind und Mutter. Der Einsatz der Kirche für das Lebensrecht der Kinder verändert das spätantike Denken nachhaltig; auch in der Medizin wächst das Engagement gegen die Kindersterblichkeit. Andererseits setzt die Kirche in diesem Themenfeld ihre Bevormundung und Unterdrückung der Frauen durch. Abtreibung wird mit Mord gleichgesetzt, der besonders verwerflich ist, weil das Opfer noch selbst ohne Schuld ist (abgesehen von der allgemeinen Erbsünden-Unterwerfung nach Augustinischer Lehre). Die reine Seele der verstorbenen Kinder zieht aus diesem Verständnis direkt in das göttliche Paradies ein, sie werden Märtyrern gleichgesetzt. Um die Heilsnotwendigkeit der Taufe in einem solchen Fall des ungetauft verstorbenen Märtyrers nicht aufgeben zu müssen, bringt die spätantike Theologie das Konstrukt einer „Bluttaufe“ hervor: „Die Bischöfe und Kir258
Perinatale Medizin chenväter beruhigten: Der Märtyrer ist in seinem Blut getauft.“, führt Brox aus.28 Als biblisches Motiv des Kindermordes dient die Erzählung der Tötung neugeborener Knaben in Bethlehem durch König Herodes. Im Matthäusevangelium wird berichtet, dass der jüdische König, nachdem er von den morgenländischen Weisen erfahren hat, dass ein neuer „König der Juden“ in Bethlehem geboren worden sei, aus Angst um seine eigene Macht alle männlichen Neugeborene als potenzielle Rivalen umbringen lässt (vgl. Mt 2, 16ff.). Der 28. Dezember wird bereits in der Spätantike zum Gedenktag der unschuldigen Kinder von Bethlehem. Dieses Gedächtnisfest wird Anfang des 6. Jahrhunderts in einem Kalender in Nordafrika erwähnt. Aus der christlichen Sicht verkörpert sich im Kind mit seiner unverdorbenen Seele Gottes Zuspruch zum Menschen. Das Kind drückt die Hoffnung auf eine bessere Zukunft der Menschen mit Gott aus; deshalb gilt der Tod eines Kindes als Heimkehr zu Gott von einem besonderen Zeugen der göttlichen Liebe. Aus dem 4. Jahrhundert ist die zweisprachige Grabinschrift eines Kindes aus Nikomedia erhalten, die der Vater für seinen Sohn Oktimos (griechisch) bzw. Octemos (lateinisch) aufstellen lässt: Fl$a,bioj% Maximi/noj skout@a,#& rioj sina,twr avne,sth& sa th.n sti,lhn tw|/ ui`w|/ 259
Perinatale Medizin mou VOkti,mw| zh,santi e;th e´ h`me,raj ie´· tmhqi.j u`po. ivatrou/ evmartu,rh& sen) (Blatt) Fla[vius] Maximinus scutarius sinator levavi statu(am) filio meo Octemo, vicxit annos V dies XV. precisus a medico (h)ic po(i)tus est ad martures. 29 (Ich, Phlabios Maximinos, Schildmacher und Senator, habe diese Grabstele aufgestellt für meinen Sohn Oktimos, der 5 Jahre und 15 Tage lebte; geschnitten von einem Arzt kam er zu den Märtyrern. / Ich, Flavius Maximinus, Schildmacher und Senator, habe diese Grabstele aufgestellt für meinen Sohn Octemus. Er lebte 5 Jahre und 15 Tage. Geschnitten von einem Arzt ist er hier den Märtyrern an die Seite gelegt worden.)IV
Der Vater setzt seinem verstorbenen Kleinkind ein Denkmal wie für einen Märtyrer. Zwar bezeichnet die Inschrift Oktimos nicht ausdrücklich selbst als Märtyrer, der Text impliziert dennoch, dass dem kleinen Sohn eine vergleichbare Ehrerbietung wie den Märtyrern entgegen zu bringen sei. Natürlich hat der Fünfjährige keine Verdienste um das Christentum errungen wie die „echten“ BeÜbersetzung wörtlich von SCHULZE übernommen. Er weist auf die unterschiedlichen Schreibweise des Kindsnamen in der griechischen und lateinischen Version hin: Oktimos gegenüber Octimus. SCHULZE konstatiert, Flavius Maximinus sei „der Erwähnung der Märtyrer nach zu urteilen, zweifellos Christ, ebenso sein Sohn Octimus“ (SCHULZE, Medizin und Christentum, S. 101). IV
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Perinatale Medizin kenner, seine heiligmäßige Gleichrangigkeit wird wohl allein aus der Tatsache abgeleitet, dass er noch ein Kind ist, seine Seele also genauso rein ist wie die eines christlichen Glaubenszeugen. Demnach erleidet auch Oktimos den Ehrentod eines Märtyrers; pikanterweise stirbt er offenbar an den Folgen eines ärztlichen Eingriffs. Schulze spekuliert: „Möglicherweise stammt der Arzt, von dem man indes nichts Näheres erfährt, ebenfalls aus dem christlichen Umfeld.“30 Wenn auch die Gleichsetzung eines verstorbenen Kleinkindes mit den Blutzeugen des Christentums aus heutiger Sicht unpassend erscheint, so lässt sich diese Erhöhung des Oktimos durch den Schmerz seines Vaters erklären, der Trost über den Verlust seines geliebten Sohnes in der Vorstellung findet, Oktimos habe wie die Märtyrer direkt Einzug in das Paradies gehalten. In der frühen Kirche entsteht die Vorstellung, ein Märtyrer würde direkt zu Gott auferstehen und dort als Fürsprecher für die Gebetsbitten der Gläubigen beim Herrn eintreten. Das Supplementum epigraphicum Graecum (SEG) datiert diese Grabinschrift des Oktimos ins 4. Jahrhundert. Für diesen Zeitraum konstatiert Baus tatsächlich die Ausdehnung des Märtyrerbegriffs: „Die Heiligenverehrung, die Nichtmärtyrern gilt, setzt in der 1. Hälfte des 4. Jh. noch etwas tastend ein und entfaltet sich voll in dessen letzten beiden Jahrzehnten; sie ist letztlich eine Ausweitung des Martyrerkultes auf eine Gruppe von Verstorbenen, deren Leben und Tun sich dem der Martyrer in etwa verglei261
Perinatale Medizin chen ließ, weil es ebenfalls ein herausragendes Bekenntnis und Zeugnis für Christus darstellte. Zu ihnen gehörten in erster Linie jene, die in der Verfolgungszeit im Kerker, auf der Folter oder im Exil für den Glauben gelitten hatten, denen aber die begehrte Bewährung im blutigen Tod versagt blieb. ... Ihnen allen gesteht man das Martyrium sine cruore zu“.31 Selbst bei großzügiger Auslegung werden diese Kriterien für den Fünfjährigen nicht zutreffen. Eine Beziehung zwischen dem Tod des Oktimos und einem Martyrium ist nur herzustellen, wenn sein Sterben Folge eines unchristlichen Aktes wäre. Schulzes Vermutung, dass der Arzt, der Oktimos behandelt hat, ebenfalls aus dem christlichen Umfeld stamme, ist allerdings nicht nachvollziehbar. Für das vierte Jahrhundert kann nicht notwendigerweise davon ausgegangen werden, dass für einen Christen nur ein christlicher Arzt als Behandler in Frage kommt, weil die Konsultation eines heidnischen oder jüdischen Arztes als Sünde gilt, wie Nutton am Beispiel des Leunast aus dem 6. Jahrhundert schildert32 (vgl. Kapitel „Gebot der Nächstenliebe und der Arztberuf“). Wenn Oktimos nämlich an den Folgen eines Kunstfehlers eines christlichen Arztes gestorben ist, wäre kaum zu erwarten, dass sein Vater Flavius Maximinus dies einem Martyrium gleichsetzt. Wenn hingegen Oktimos an den Komplikationen eines Eingriffs durch einen nichtchristlichen Arzt gestorben ist, liegt der Gedanke an ein christliches Blutszeugnis näher. Zwar heißt es in der Inschrift lapidar „geschnitten von einem Arzt“, so dass diesem 262
Perinatale Medizin wohl keine mörderische Absicht unterstellt wird; die Nennung des Arztes ohne weitere Attribute steht aber in auffallender Neutralität zu Flavius Maximinus, der als „Schildmacher und Senator“ bezeichnet wird und zu Oktimos, von dem das exakte Lebensalter angegeben wird. Dem Arzt wird keine weitere Bedeutung zugemessen, es entsteht nicht der Eindruck, dass er ein wichtiger Glaubensbruder ist, der alles versucht hat, um das Leben des Oktimos zu retten. Vielmehr impliziert seine nüchterne Erwähnung eine leidenschaftslose Haltung gegenüber dem Schicksal des Oktimos – es kann spekuliert werden, ob hierin möglicherweise die Geringachtung eines paganen Arztes gegenüber einem minderjährigen Patienten gesehen werden kann. Insofern könnte das Beispiel des Oktimos als indirekter Hinweis auf die christliche Aufwertung des Kindes auch in der Medizin verstanden werden. Die kirchliche Betonung des Lebensschutzes führt indes nicht zur unmittelbaren Ausbildung einer medizinischen Disziplin für Kinderheilkunde, die den besonderen Bedingungen des heranreifenden Menschen gerecht wird. Erst im 19. Jahrhundert entwickelt sich in Westeuropa die Pädiatrie als eigenständige medizinische Fachrichtung. Die prä- wie postnatale Sorge für Kinder bleibt bis in die Neuzeit weitgehend – trotz aller Verdächtigungen – den Hebammen vorbehalten; nur in Fällen einer notwendigen chirurgischen Intervention wendet man sich an einen operierenden „Erwachsenenarzt“, wie im Falle Oktimos: „geschnitten von einem Arzt“.
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Perinatale Medizin Quellenangabe Kapitel 7 „Perinatale Medizin“ NUTTON, Late Antiquity, S. 72 SCHULZE, Medizin und Christentum, Inschrift Nr. 54, S. 75, Verweis auf KEIL, MAMA 3, S. 144, Nr. 292; HAGEL, S. 285, Nr. Kry 543; ROBERT, S. 176ff.; SCHULZE, Ärztinnen, S. 95 3 SCHULZE, Ärztinnen, S. 96 4 ECKART, S. 79 5 KUDLIEN, Der griechische Arzt, S. 88ff. 6 SCHULZE, Ärztinnen, S. 108 7 ECKART, S. 79 8 KÜNZL, S. 317 9 VEYNE, S. 23 10 ebenda, S. 25-26 11 zitiert nach: ECKART, S. 60 12 TERTULLIAN, castit., XII, 5 13 TERTULLIAN, pudic., V, 11-12 14 vgl. SCHULZE, Christentum und Medizin, S. 29ff. 15 TERTULLIAN, cult. fem. 16 SCHULZE, Ärztinnen 17 SCHULZE, Christentum und Medizin, S. 138ff. 18 ebenda, S. 140-141 19 GALEN, loc. aff., 6, 5 20 SCHULZE, Medizin und Christentum, S. 28 21 ebenda, S. 148 22 ebenda, S. 158 23 VEYNE, S. 23 24 NUTTON, Medieval Western Europe, S. 168 25 ebenda, S. 147 26 ebenda, S. 171-172 27 TERTULLIAN, anim., XXV, 5 28 BROX, S. 117 29 SCHULZE, Medizin und Christentum, Inschrift Nr. 104, S. 101, Verweis auf SEG 37, 1987, S. 353, Nr. 1081; CIL 3, Suppl., Nr. 14188; DÖRNER, S. 84, Nr. 367; GUMMERUS im Kommentar zu Nr. 164 30 SCHULZE, Medizin und Christentum, S. 101 31 BAUS, Reichskirche, S. 360 32 vgl. NUTTON, Late Antiquity, S. 83 1 2
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Iatrotheologie
Auferstehungsglauben und Iatrotheologie Auswirkungen christlicher Passions- und Jenseins vorstellungen auf die Medizin Nutton stellt dar, dass die Kirche für sich die ethische Autorität über alle Lebensabschnitte beansprucht, „von der Geburt bis zum Grab“.1 Im vorherigen Kapitel wird der Einfluss des Christentums auf die Medizin am Beginn des Lebens, in der Schwangerschaftsbetreuung, Geburtshilfe und Kindermedizin beleuchtet. Für das andere Ende der menschlichen Lebenslinie kann ebenfalls ein besonders nachhaltiger Einfluss dieser Religion erwartet werden. Die Bereiche von Medizin und Religion überlagern sich in der Frage um Leiden, Krankheit und schließlich um den Tod. Genau in diesem thematischen Kontext bewegt sich die zentrale Botschaft des christlichen Glaubens, der durch die hervorgehobene Bedeutung der Passion, des Todes und der Auferstehung ihres Herrn Jesus Christus eine besondere Dimension in diese Auseinandersetzung bringt. Bei den zuvor untersuchten Auswirkungen des Christentums handelt es sich vielfach um Rand- oder Begleiterscheinungen im Zuge seiner Etablierung, etwa hinsichtlich der Sexualität, der Ungleichgewichtung der Geschlechter oder der allgemeinen Tendenz zur Hierarchisierung und Institutionalisierung der kirchlich beeinflussten Gesellschaft. Die Bedeutung der Nächstenliebe (s. Kapitel „Gebot der Nächstenliebe und der Arztberuf“) behandelt den zentralen ethischen Impuls des Christentums. Der Kern der sote265
Iatrotheologie riologischen Dimension hingegen liegt in der Überzeugung, dass das menschliche Leiden und Sterben nicht willkürlich und letztgültig sei, sondern dass Gott durch das Erlösungswerk Jesu Christi einen Sinn hierein legt, dass der Mensch durch den Glauben an den Erlöser aus dieser Sinnlosigkeit gerettet werde. Vor diesem Hintergrund ist gerade gegenüber Krankheit und Tod eine grundlegende Neubewertung durch die Christenärzte im Unterschied zu ihren paganen Standesgenossen zu erwarten. In diesem thematischen Fokus müsste sich demnach die Tragfähigkeit des christlichen Glaubens erweisen, seine Versöhnungskraft angesichts des ansonsten oftmals trostlosen menschlichen Schicksals. Im auffälligen Widerspruch zu dieser Ausgangshypothese scheint das Epigramm des weströmischen Arztes Felix zu stehen: Praeteriens hominum sortem miserare, viator, deque meis, restent quae tibi fata, vide. En mihi terra domus praebet cin(er)isque sepulcrum, vermis et exiguus membra caduca vorat. Conditor omnipotens paradysi quem esse colonum iusserat, hanc tribuit culpa nefanda vicem. Nomine Felicem me olim dixere parentes, vita dicata mihi hic medicina fuit. Aegros multorum potui relevare dolores, morbum non potui vincere ab arte meum.2
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Iatrotheologie (Vorübergehender Wanderer, beklage das Schicksal der Menschen und sieh an meinem Schicksal, welches dir bevorsteht. Sieh, die Erde gewährt mir Wohnstatt als Grab für meine Asche und ein kleiner Wurm macht sich über meine vergänglichen Glieder her. Wem der allmächtige Schöpfer des Paradieses befohlen hatte, hier Bewohner zu sein, dem bescherte die verruchte Schuld dieses Schicksal. Mit dem Namen „Felix“ riefen mich einst meine Eltern, hier wurde mir die Medizin zum Lebensglück. Die mühseligen Schmerzen vieler vermochte ich zu mildern, meine eigene Krankheit konnte ich mittels meiner Kunst nicht zu besiegen.)I
Rémy datiert diese sehr frühe Inschrift auf die Zeit nach der Konstantinischen Wende, etwa nach 330. Während Rémy in Übereinstimmung mit Le Blant, Diehl und Gummerus als Fundort dieser Inschrift Gallien (la Gaule) annimmt, listet de Rossi diese Inschrift unter den „Inscriptiones Christianae urbis Romae“ auf. Schulze vermerkt in seiner Arbeit unter Verweis auf Rémy zum Fundort: „Ursprünglich vielleicht Lugdunum“, also Lyon. Die Originalquelle ist verloren, es existieren nur zwei handschriftliche Wiedergaben. Inhaltlich scheint die Elegie über das Schicksal des Felix die einleitenden Überlegungen über die christliche Neubewertung von Leiden und Krankheit nicht zu bestätigen. Falls die Datierung von Rémy zutrifft, liegt der Tod des Felix in der Zeit zwischen dem Übersetzung nicht wörtlich von SCHULZE übernommen. Die Inschrift ist in elegischen Distichen abgefasst (vgl. Anmerkungen zur Elegie der Mutter über ihren Sohn am Ende dieses Kapitels). I
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Iatrotheologie Mailänder Protokoll Kaiser Konstantins 313 zur rechtlichen Gleichstellung des Christentums mit anderen Kulten und dem Reichskirchenedikt Theodosius` vom 28. Februar 380, in einer Phase also, in der das Christentum zwar nicht mehr aktiv verfolgt wird, andererseits aber auch noch nicht zur verpflichtenden Reichsreligion deklariert worden ist. Es ist demnach zu erwarten, dass der christliche Glauben in dieser Zeit noch nicht aus reinen Opportunitätsgründen angenommen wird, sondern dass ein Beitritt aus innerer Überzeugung geschieht. Die Inschrift vermittelt zunächst keine hoffnungsvolle Perspektive über das Schicksal eines Christen. In der Krankheit wird augenscheinlich kein metaphysischer Sinn gesehen, die Schmerzen der Menschen werden als „mühselig“ bezeichnet, nicht ihrer Erduldung wird eine Bedeutung beigemessen, sondern ihrer Linderung. Als Wortspiel mit dem Namen des Verstorbenen „Felix“ wird dessen einziges Lebensglück in der Medizin, also in der Bekämpfung dieses Schicksals, gesehen. Im Hinblick auf die eigene Krankheit des Felix spricht die Inschrift gar vom „Besiegen“, was dem Arzt offenbar nicht gelungen ist. Die Inschrift ist insgesamt als Klagelied gestaltet; die äußere Form elegischer Distichen entspricht dieser literarischen Gattung ebenso wie der wehklagende Inhalt. Das menschliche Schicksal wird allgemein beklagt; der Betrachter der Inschrift wird aufgefordert, nicht nur das Los des Felix zu bedauern, sondern „das Schicksal der Menschen“ soll generell beklagt werden – in keiner Hinsicht wird der entscheidende christliche Inhalt des Glaubens 268
Iatrotheologie an einen Sinn des Leidens oder gar an die Auferstehung explizit erwähnt. Es stellt sich sogar die Frage, ob zweifelsfrei feststeht, dass Felix tatsächlich Christ ist. Aufgrund der Bezeichnung „der allmächtige Schöpfer des Paradieses“ könnte man in Felix auch einen Diasporajuden vermuten, denn einerseits belegt diese Formulierung eindeutig ein monotheistisches Gottesbild, andererseits fehlt eine spezifisch christliche Aussage. Der lateinische Namen des Verstorbenen widerspricht dieser These nicht notwendigerweise, da schon die neutestamentlichen Quellen eine entsprechende Assimilationsbereitschaft von Diasporajuden belegen, die – hier aus dem hellenistischen Umfeld kommend –, demgemäß griechische Namen tragen, etwa Stephanus, Philippus, Prochorus, Nikanor, Timon, Parmenas oder Nikolaus (vgl. Apg 6, 5). Die Inschrift verschweigt nicht nur jede Form einer soteriologischen Beurteilung von Leiden und Krankheit, sie lässt nicht nur die Hoffnung auf die Auferstehung unerwähnt, sie scheint geradezu einen Kontrapunkt zum Glauben an die leibliche Auferstehung zu setzen: „die Erde gewährt mir Wohnstatt als Grab für meine Asche und ein kleiner Wurm macht sich über meine vergänglichen Glieder her.“ Diese plastische Darstellung der posthumen Verwesungsvorgänge erinnert an die explizite Trostlosigkeit im alttestamentlichen Buch Ijob, in dem ebenfalls ein Wurm erwähnt wird: „Ich habe keine Hoffnung. Die Unterwelt wird mein Haus, in der Finsternis breite ich mein Lager aus. Zur Grube rufe ich: Mein Vater bist du!, Meine Mutter, meine Schwester!, zum Wurm.“ (Ijob 17, 13-14). 269
Iatrotheologie
Auch der Tenor der Inschrift, der den Betrachter ermahnen will, sich seiner eigenen Vergänglichkeit bewusst zu werden, greift alttestamentliche Motive auf (vgl. z.B. Ps 103, 14ff.). Schulze bemerkt: „Der Schlusssatz, dass Felix, der so vielen helfen konnte, selbst an einer unheilbaren Krankheit sterben musste, wirkt anrührend.“3 Auch dieses als besonders ungerecht empfundene Schicksal des Felix scheint ein jüdisches Sprichwort aufzugreifen, das uns zwar nicht in den Schriften des AT überliefert ist, von dem wir aber durch die Erwähnung einer offenbar in seinem Kulturkreis bekannten Redewendung durch Jesus wissen: „Sicher werdet ihr mir das Sprichwort vorhalten: Arzt, heile dich selbst!“ (Lk 4, 23) Der einzige religiöse Inhalt dieser Inschrift, die bereits erörterte Formulierung des monotheistischen Gottesbildes, nimmt ebenfalls eindeutig Bezug auf die alttestamentliche Schilderung der Vertreibung des Menschen aus dem Paradies: „Wem der allmächtige Schöpfer des Paradieses befohlen hatte, hier Bewohner zu sein, dem bescherte die verruchte Schuld dieses Schicksal.“ (vgl. Gen 3, 23-24). Das Paradies besitzt in dieser Darstellung nur die Dimension des verloren gegangenen Bereiches, in dem der Mensch bis zur Sünde des Adams in Einklang mit seinem Schöpfer lebte (vgl. Gen 3). Die Natur des Menschen hat ihn veranlasst, gegen das göttliche Gebot zu verstoßen (das Verbot zu überschreiten, vom Baum der Erkenntnis zu essen, um Gott gleich zu werden). Dadurch ist die Schöpfungsharmonie zerbrochen, der 270
Iatrotheologie Mensch wird aus dem Garten Eden vertrieben. Der Mensch lebt darum in der Gottferne des Diesseits: im Schweiße seines Angesichts soll er sein Brot essen, bis er zurückkehrt zum Ackerboden, von dem er genommen ist. Denn er ist Staub und zum Staub muss er zurück (vgl. Gen 3, 19) – dieses grausame Schicksal bedeutet es, „hier Bewohner zu sein“. Hier fehlt jede christliche Vorstellung von der Neuordnung der Schöpfung. Das Erlösungswerk Jesu Christi besteht in der Paulinischen Theologie gerade darin, dass er die beschriebene Gesetzmäßigkeit außer Kraft setzt, wonach dem Menschen „die verruchte Schuld dieses Schicksal“ beschert. Gerade in Anlehnung an das Bild der Vertreibung aus dem Paradies verdichtet Paulus im Römerbrief seine Rechtfertigungslehre, wonach der Mensch die Zusage Gottes nicht durch die Einhaltung des göttlichen Gesetzes (im engeren Sinne des mosaischen Gesetzes, der Thora) erhält, sondern indem er sich der Versöhnung in Jesus anvertraut: „Denn wir sind der Überzeugung, dass der Mensch gerecht wird durch Glauben, unabhängig von Werken des Gesetzes.“ (Röm 3, 28). Nach Paulus hebt Jesus die Sünde des Adam für alle auf, die sich auf ihn einlassen: „Wie es also durch die Übertretung eines einzigen für alle Menschen zur Verurteilung kam, so wird es auch durch die gerechte Tat eines einzigen für alle Menschen zur Gerechtsprechung kommen, die Leben gibt.“ (Röm 5, 18) In der christlichen Theologie vollzieht sich in der Versöhnung zwischen Gott und Mensch durch das Erlösungswerk Jesu eine neue Schöpfung. Die alten Mechanismen von Tod und Leid sind 271
Iatrotheologie machtlos geworden; die Annahme des Menschen durch Gott, die „Gerechtsprechung“, ist es, „die Leben gibt.“ Dieses neue Leben zeigt sich nach christlicher Deutung in der Auferstehung Jesu von den Toten; dies ist ein uraltes eschatologisches Symbol für die Neuordnung der Welt durch Gott; wer sich Christus anvertraut, hat Anteil an dieser neuen Welt: „Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung: Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden.“ (2Kor 5, 17). Zentraler Inhalt des christlichen Glaubens ist eben gerade die Auferstehung. Aufgrund dieser Erfahrung kommt es überhaupt zur Bildung der Kirche; die Apostel erfasst kurz nach Jesu Kreuzigung die übernatürliche Gewissheit, „dass er lebt“ (vgl. Apg 1, 3). Die Erfahrung der Auferstehung ist insofern der Kristallisationspunkt des christlichen Glaubens, mit der alles steht oder fällt: „Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer und euer Glaube sinnlos.“, schreibt Paulus (1Kor 15, 14). Der Auferstehungsglaube als Kern des Christentums ist zumindest in der Urkirche kein abstrakter Glaubenssatz, durch den man sich dogmatisch von anderen Religionen der Antike abgrenzt, sondern es ist die zentrale Erfahrung der Anhänger Jesu. In der Antike ist die Vorstellung eines Weiterlebens nach dem Tod auch außerhalb des Christentums weit verbreitet. Grabbeigaben in unterschiedlichen frühen Kulturen belegen völlig unabhängig voneinander Auferstehungsideen bereits in vorgeschichtlichen Gesellschaften. Auch dem antiken römisch-hellenistischen Kulturkreis, in den das Christentum hereinbricht, sind Auferstehungs272
Iatrotheologie und Jenseitsvorstellungen nicht fremd. Mythologische Vorstellungen vom Einzug in den Götterhimmel oder in die Unterwelt nehmen dabei auch kultische Ausgestaltungen an, im griechischrömischen Kontext insbesondere in unterschiedlichen Mysterienkulten, die um Vergehen und Wiedererstehen kreisen. Auch die christliche Vorstellung, dass es zunächst ein göttliches Wesen ist, das den Tod überwindet, bevor die „normalen“ Menschen folgen, ist den religiösen Vorstellungen im Kulturkreis, in dem sich das Christentum ausbreitet, nicht fremd. Vergleichbare Vorstellungen existieren etwa gegenüber dem ägyptischen Vegetationsgott Osiris oder im Adonis-Kult des syrischen Byblos. Auch das Judentum zur Zeit Jesu selbst kennt den Glauben an die Auferstehung der Toten. Allerdings ist diese Idee im Judentum sehr jung. Sie setzt sich erst etwa seit dem 3. Jahrhundert vor Christus vor dem Hintergrund wachsender apokalyptischer Erwartungen durch.II Besondere Aktualität erfährt der jüdische Auferstehungsgedanke durch das Schicksal der Märtyrer beim Aufstand der Makkabäer gegen die Unterdrückung des jüdischen Glaubens durch die Seleuziden (vgl. dazu 2Makk 7). In der Überzeugung, dass ihr Blutopfer nicht vergeblich sein könne, setzt sich die Hoffnung auf ein Weiterleben der Rechtgläubigen nach dem Tod durch. Diese Vorstellung wird besonders von der Volksbewegung der Pharisäer übernommen, während die gesellschaftlichen Kreise um die Jerusalemer Priesterschaft, die Sadduzäer, den Auferstehungsglauben deshalb ablehnen, da sie in der Thora keine explizite Bestätigung dieser Idee finden. II
vgl. etwa das Buch Daniel
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Iatrotheologie
Auch die Variante, dass ein Wesen, das göttlicher und menschlicher Natur zugleich ist, durch das Zutun der Gottheit zunächst den Tod erleiden muss, bevor es zu neuem Leben erweckt wird, kennt kultische Parallelen. Im bereits erwähnen Kult der Kube,lh (Kybele)III ist der Mythos verbreitet, dass der Geliebte der Göttin, der Halbgott Attis, ihr untreu wird und dafür von Kybele mit einer Krankheit bestraft wir, an der er stirbt, später aber von der Göttin zu neuem Leben erweckt wird. Karl Baus führt in Jedins Kirchengeschichte im Kapitel „Die östlichen Mysterienkulte“ aus, dass gerade diese vorbestehende Ideenwelt den Boden für den Erfolg des Christentums bereitet. Zunächst charakterisiert er die Attraktivität der Mysterienkulte, wenn der antike Mensch sich angesichts des hoffnungsvollen Schicksals der mythischen Götter und Halbgötter fragt: „Sollte es nicht wie für den jungen Gott des Mythos auch für ihn eine Auferstehung in einem geheimnisvollen Jenseits geben? Schon die im Mythos angedeutete Möglichkeit solch eschatologischer Hoffnung musste den hellenistischen Menschen ansprechen. Gerade weil die alten Religionen Griechenlands und Roms auf diese erregende Frage keine aufrichtende Antwort wussten, hat er sich diesen neuen Formen religiösen Glaubens zugewandt, deren Zugkraft noch erhöht wurde durch das Geheimnisvoll-Fremdartige des Einweihungszeremoniells, das ein Widerhall aus dem Jenseits zu sein schien, und durch die Lieder und Kultgebete, die manches III
vgl. Kapitel „Kirchliches Frauenbild und Ärztinnenberuf“
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Iatrotheologie geängstigte und erregbare Gemüt durch die Intensität des Gefühls in ihren Bann zogen.“4 Das Leiden und Sterben Christi unterscheidet sich von diesen mythologischen Überlieferungen deutlich darin, dass er durch Menschenhand als Verbrecher getötet wird. Der Kreuzestod gilt als besonders entehrende Hinrichtungsform; Paulus spricht deswegen vom „Ärgernis des Kreuzes“ (Gal 5, 11). Die Verehrung eines so schändlich zu Tode Gerichteten zieht darum den Spott und die Polemik der Nichtchristen auf sich; ein Graffito in einer Katakombe auf dem Palatin um 200 stellt einen Gekreuzigten mit einem Eselskopf dar mit der Inschrift: „Alexamos betet seinen Gott an.“5 Paulus reagiert schon um 53-55 n.Chr. im ersten Korintherbrief auf wohl ähnliche Anfechtungen in der dortigen Gemeinde, wenn er hervorhebt: „Denn das Wort vom Kreuz ist denen, die verloren gehen, Torheit; uns aber, die gerettet werden, ist es Gottes Kraft.“ (1Kor 1, 18). Dass die „frohe Botschaft“ der Auferstehung in der Grabinschrift des Felix völlig unerwähnt bleibt, beweist natürlich keinesfalls, dass er und seine Angehörigen keine Christen sind. Es ist vorstellbar, dass im vierten nachchristlichen Jahrhundert die christliche Hoffnung auf die Neuschöpfung der Welt bereits verblasst ist. Die unmittelbare Erwartung des Reiches Gottes hat sich nicht erfüllt, die Parusie-Hoffnungen sind enttäuscht. Für den Fall, dass Felix einer christlichen Familie entstammt, ist bei einem Sterbedatum um das Jahr 330 n.Chr. denkbar, dass er Verfolgung und 275
Iatrotheologie Anfeindung in der Zeit vor der Konstantinischen Wende noch erlebt hat. Explizit erwähnt die Inschrift zwar, dass er an einer Krankheit und nicht etwa an einer Christenverfolgung gestorben ist. Wenn sein Umfeld jedoch Repressionen gegen die Christen miterlebt hat, scheint die negative Sicht dieser Welt auch aus dieser Perspektive plausibel. Viele „Lapsi“ haben in der Zeit der Verfolgung ihren Glauben an eine Überwindung des Elends und des Todes verloren; auch die Familie des Felix könnte ihre Hoffnung auf eine bessere Welt aufgegeben haben, so dass angesichts der Trauer um den geliebten Felix der christliche Auferstehungsglauben nicht mehr trägt. Als weitgehend sicher ist anzusehen, dass Felix entweder Jude oder Christ ist. Weiterreichende Vermutungen sind bloße Spekulationen. Darum wäre die Einordnung seines Epigramms auch unter der Rubrik „Unsichere Bezeugung des Arzt-/Christseins“ gerechtfertigt. Auf der anderen Seite kommt gerade in der Trauer um verstorbene geliebte Angehörige die besondere Attraktivität des Christentums zum Tragen: Im Hinblick auf den Tod ist dies die Hoffnung auf die Auferstehung für alle, die Christus im Glauben nachfolgen. Schon in der ältesten erhaltenen christlichen Schrift, dem ersten Thessalonicherbrief, nimmt Paulus um 50-51 n.Chr. Stellung zur Frage, wie es um die „in Christus Entschlafenen“ (diese Formulierung stammt allerdings aus 1Kor 15, 18) bestellt ist. Nachdem sich die urchristliche Naherwartung des kommenden Reiches Gottes nicht erfüllt hat und die erste Generation der Glaubenden langsam ausstirbt, schreibt Paulus im ersten Thessa276
Iatrotheologie lonicherbrief: „Brüder, wir wollen euch über die Verstorbenen nicht in Unkenntnis lassen, damit ihr nicht trauert wie die anderen, die keine Hoffnung haben. Wenn Jesus – und das ist unser Glaube – gestorben und auferstanden ist, dann wird Gott durch Jesus auch die Verstorbenen zusammen mit ihm zur Herrlichkeit führen.“ (1Thess 4, 13-14). In diesem Sinne zu interpretieren ist etwa die Inschrift des Dioskoros, die im Kapitel „Religiöse Überzeugungen und Ärzteschulen“ dargestellt wird. Dort heißt es über ihn: „nachdem dieser zum Ziel seiner vielfachen Weisheit geleitet worden war, verließ er den Körper und ging ein in das Paradies.“ Im Unterschied zur Elegie über das Schicksal des Felix besitzt der Begriff „Paradies“ hier offenbar eine gegenwärtige und positive Bedeutung, nämlich als Ort, wohin der Verstorbene nach seinem Tode einziehen wird, während in der Felix-Inschrift das Paradies ausschließlich eine vergangene Dimension darzustellen scheint. In Übereinstimmung mit dem Felix-Epigramm geht auch die Dioskoros-Inschrift trotz dem Motiv vom Einzug in das Paradies nicht von einer leiblichen Auferstehung aus; es heißt dort über den seelischen Kern des Dioskoros, nach seinem Tod „verließ er den Körper“. Die realistische Beschreibung der Zersetzung des Leichnams durch Würmer bei Felix kann nicht nur als Anlehnung an die entsprechende Ijob-Schilderung im AT verstanden werden, sondern könnte auch als Hinweis auf das medizinische Wissen des Felix (bzw. seiner Hinterbliebenen) über die organischen Abbau277
Iatrotheologie prozesse gedeutet werden. Bei Dioskoros hingegen scheint der Leib-Seele-Dualismus weniger medizinischen Erkenntnissen als der gängigen griechischen Philosophie zu entstammen. Dieser Dualismus existiert im damaligen jüdischen Denken gerade nicht, Leib und Seele bilden eine unauflösliche Einheit, so dass auch die Auferstehung Jesu von den Judenchristen der ersten Generationen nur leiblich verstanden werden kann. Durch die heidenchristliche Mission und die Auseinandersetzung mit dem Hellenismus taucht die Frage nach dem Verhältnis von Leib und Seele bei der Auferstehung im theologischen Denken auf, auf die bereits Paulus im ersten Korintherbrief eingeht: „Nun könnte einer fragen: Wie werden die Toten auferweckt, was für einen Leib werden sie haben? Was für eine törichte Frage!“ (1Kor 15, 35-36). Das jüdische Denken vertraut in Gottes Allmacht, die alles möglich macht, auch wenn es das menschliche Vorstellungsvermögen übersteigt, so auch die Wiederherstellung der körperlichen Integrität bereits verwester Glieder: „Die Gebeine rückten zusammen, Bein an Bein. Und als ich hinsah, waren plötzlich Sehnen auf ihnen, und Fleisch umgab sie, und Haut überzog sie.“, heißt es in der Vision des Ezechiel über die Auferweckung des Totengebeins (Ez 37, 7-8). Paulus lässt sich in seiner Stellungnahme zu den leib-seelischen Detailfragen des heidenchristlichen Umfeldes auf den hellenistischen Dualismus ein, wobei er nicht die Unterscheidung zwischen Leib und Seele betont, sondern dem Leib selbst sowohl eine irdische, vergängliche, als auch eine überirdische Erscheinungsform 278
Iatrotheologie beimisst: „Gesät wird ein irdischer Leib, auferweckt ein überirdischer Leib. Wenn es einen irdischen Leib gibt, gibt es auch einen überirdischen.“ (1Kor 15, 44). Demnach widerspricht weder die Aussage der Felix-Inschrift über die Zersetzung des Körpers durch Würmer noch die Vorstellung des DioskorosTextes über die Trennung der unsterblichen Seele vom vergänglichen Körper der christlichen Auferstehungstheologie. Bei Dioskoros impliziert die Formulierung, er „ging ein in das Paradies“, zudem eine unmittelbare Aufnahme des Verstorbenen in das jenseitige Reich Gottes. Auch die Frage nach dem Zeitpunkt der Auferstehung ist Thema innerchristlicher Auseinandersetzungen: geht der Verstorbene unmittelbar nach seinem Tod bzw. kurze Zeit später – am dritten Tag, wie die Evangelien über die Auferstehung Jesu berichten – in das Paradies ein? Oder geschieht dies erst am Ende der Tage, wenn „der Herr selbst wird vom Himmel herabkommen, wenn der Befehl ergeht, der Erzengel ruft und die Posaune Gottes erschallt. Zuerst werden die in Christus Verstorbenen auferstehen“, wie es im ersten Thessalonicherbrief heißt (1Thess 4, 15)? Die Vorstellung einer Auferstehung bereits vor dem Weltgericht setzt sich insbesondere im Rahmen der Heiligenverehrung durch. Wenn diejenigen Christen, die durch ihr tugendsames Leben oder durch ihr Martyrium Christus besonders ähnlich geworden sind, als Fürsprecher der Betenden vor ihrem himmlischen Herrn fungieren sollen, dann müssen sie „in der Herrlichkeit des Jenseits mit ihm vereint“ sein, wie Baus formuliert.6 279
Iatrotheologie Häufig wird eine bestimmte Abfolge der Auferstehung gemäß dem Rang der Heiligkeit, den ein Mensch in seinem irdischen Leben erreicht hat, angenommen – in Anlehnung an das Pauluswort im ersten Korintherbrief: „Es gibt aber eine bestimmte Reihenfolge: Erster ist Christus; dann folgen, wenn Christus kommt, alle, die zu ihm gehören!“ (1Kor 15, 23). Die Erwartung der Hinterbliebenen, der Verstorbene sei in das Paradies eingezogen, drückt also auch die Würdigung eines heiligmäßigen Lebens aus. In der Inschrift des im vierten Jahrhundert in Volsinii in der Toskana beerdigten Arztes Aelius Gentilis wird dieser mit entsprechenden Attributen bezeichnet: „lobwürdig“, „verdienstvoll“ und „ehrenwert“: Aelio Gen[ti]li laudabili viro medico qui vixit ann(os) LXX VIII m(ense)s X d(ies) VIII honestae fame fili patri merito f(ecerunt). d(epositus) VII idus nobembres p(ax) t(ibi) c(um) s(anctis).7 (Für den lobwürdigen Mann und Arzt Aelius Gentilis, ihren verdienstvollen Vater, der 78 Jahre, 10 Monate und 8 Tage lebte, errichteten [dieses Grabmal] die Söhne. Zu Grabe gelegt 7 Tage vor den Iden des Novembers sei dir Friede zusammen mit den Heiligen.)IV
Übersetzung eng an SCHULZE angelehnt; SCHULZE führt an, dass Aelius Gentilis wegen der Erwähnung der Heiligen und des Fundortes in einem christlichen Grabplatz für einen Christen gehalten wird. IV
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Iatrotheologie Zwar kann wegen des topischen Charakters dieser Formulierungen nicht zweifelsfrei davon ausgegangen werden, dass Aelius Gentilis tatsächlich ein ungewöhnlich heiliges Leben geführt hat, die Vorstellung jedoch, dass ein solches Leben „Friede zusammen mit den Heiligen“ bringe, verdeutlicht entsprechende Erwartungen der Christen. Die Zusammenführung mit den Heiligen im himmlischen Reich kann durch die räumliche Nähe zu ihren Gräbern in der irdischen Welt unterstützt werden. „Die Überzeugung von der fürbittenden Macht der Märtyrer ließ viele Christen wünschen, selber möglichst in der Nähe eines Märtyrergrabes bestattet zu werden. Von dieser Beisetzung ‚ad sanctos’ erhoffte man sich Hilfe in der Stunde der Auferweckung, da man von dem mitauferstandenen Märtyrer vor Gottes Richterstuhl geleitet wurde.“, berichtet Baus.8 Der römische Arzt Pastor errichtet im fünften Jahrhundert seine Grabbauten schon zu Lebzeiten in der Basilika („Märtyrerresidenz“) des Heiligen Valentinus: Hic Pastor medicus monumen[ta in martyris aula f]elix, dum superest, condidit i[lla sibi.] Perfecit cuncta, excoluit. Qui [volt violare,] cernet quo iaceat, poena [manebit eum.] Additur et tibi Valentini gloria s[ancti,] vivere post ovitum dat … digna …9
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Iatrotheologie (Hier baute sich der zu Lebzeiten glückliche Arzt Pastor jene Grabbauten in der Märtyrerresidenz. Er vollendete alles und pflegte es gründlich. Wer es schänden will, wird sehen, wo er liegt, und es wird ihn Strafe erwarten. Auch dir wird der Ruhm des Heiligen Valentin zuteil, … gibt, nach dem Tod zu leben, … würdige Dinge …)V
Die Inschrift ist insofern erwähnenswert, als hier einerseits eindeutig der Auferstehungsglaube des römischen Arztes belegt ist. Wenngleich der genaue Zusammenhang der Formulierung „vivere post ovitum [= obitum]“ nicht zu rekonstruieren ist, beinhaltet diese Passage unzweifelhaft ein Weiterleben nach dem Tod. Der Begriff „obitus“ ist überdies keine wertfreie Bezeichnung für den Tod, sondern meint „Vernichtung, Untergang“. Diese negative Bedeutung steht im Widerspruch zur eigentlich hoffnungsvollen christlichen Auferstehungserwartung. Die von Pastor offenbar selbst arrangierte Beerdigung in der Nähe des Märtyrers Valentin von Terni belegt ebenso die Hoffnung des Arztes auf ein Leben nach dem Tod. Insgesamt vermittelt die Inschrift des Pastor den Eindruck eines skeptischen Menschen. Als Arzt weiß er um das Verbleiben des Körpers im Grab, wer die Gruft öffnet, wird sehen, wo er liegt: „cernet quo iaceat“. Als Christ scheint er sich schon lange vor dem Tod damit beschäftigt zu haben, möglichst günstige Voraussetzungen für die Auferstehung zu schaffen, so dass er die erwähnte Grabanlage „ad sanctum“ anlegt und gründlich pflegt, wie die Inschrift ausdrücklich betont. SCHULZE erwähnt, dass CAPPARONI stellenweise erheblich von dieser Rekonstruktion und Lesart abweicht. V
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Iatrotheologie
Die Androhung von Strafe, falls jemand das Grab öffnet, begegnet in vielen christlichen Inschriften. Auch zahlreiche Grabtituli von Christenärzten warnen vor dieser Schändung: ! kumhth,rion VIwa,nnou ivatr& ou/ Kotah,tou kai. th/j gamet$h/j% auvtou/ Dimhtri,aj) h; tij auvto. avnu,xh| co& ri.j ton evmon( do,si lo,gon to qew|)/ ! 10 (Ruhestätte des Arztes Johannes aus Kotiaeion und seiner Gattin Dimetria. Wer auch immer außer meinen Angehörigen diese Ruhestätte öffnet, wird Gott Rechenschaft ablegen.)VI
Diese Inschrift stammt aus Thessalien. Schulze merkt an: „Die Inschrift enthält, wie häufig zu finden, eine Warnung vor unberechtigter Öffnung des Grabs.“11 Offensichtlich stellt dies auch im christlichen Umfeld ein Sakrileg dar. Auch wenn der antike Mediziner offenbar illusionslos vom Vorhandensein der sterblichen Überreste im Grab ausgeht, während die Seele schon im Paradies SCHULZE weist darauf hin, dass in den Zeile 7 und 8 Kurzvokale statt Längen verwendet werden: ton evmon = pw/n evmw/n und to = pw|Å/ SCHULZE übernimmt die Datierung SAMAMAS, die als Entstehungszeit das 4. – 5. Jhdt. angibt (vgl. SAMAMA, S. 174). VI
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Iatrotheologie oder bei den Heiligen sein kann, stellt die Graböffnung dennoch eine Störung der Totenruhe dar. Darauf weist auch der Begriff „Ruhestätte“ hin. Die genauen Gründe für die Schonung des Gebeins sind nicht eindeutig; möglicherweise besteht trotz der Paulinischen Ankündigung eines „überirdischen Leibes“ die Vorstellung, dass dieser mit dem irdischen Körper in Verbindung stehe, etwa in Anlehnung an Ezechiels Prophetie der Rekarnation des Totengebeins. Es besteht die paradoxe Situation, dass die Kirche einerseits Leicheneröffnungen ablehnt, da dies die Auferstehung des Fleisches verhindere. Andererseits kommt es im Rahmen der zunehmenden Märtyrerverehrung dazu, dass die Reliquien von Heiligen, die überregionale Bedeutung erlangen, aufgeteilt werden, um möglichst vielen Gläubigen die Verehrung zu ermöglichen. Von Valentin, der in der oben angeführten Inschrift des Pastor genannt ist, existieren schon im vierten Jahrhundert zwei Grablegungsstätten, jeweils an der Via Flaminia: zum einen beim 63. Meilenstein der Straße in der Nähe Ternis, wo Valentin als Bischof gewirkt hat. Zum anderen am 2. Meilenstein noch innerhalb des römischen Stadtgebietes. Hier errichtet Papst Julius I. noch im selben Säkulum die Valentinsbasilika, in der auch Pastor beerdigt ist. Für den Bereich der Medizin stoßen anatomische Studien schon in der Spätantike auf kirchlichen Widerstand und Polemik. So schreibt etwa Tertullian in „De anima“ über Herophilus, der aus anatomischem Interesse Leicheneröffnungen vornimmt: 284
Iatrotheologie „Herophilus ille medicus aut lanius, qui sexcentos exsecuit, ut naturam scrutaretur, qui hominem odiit, ut nosset, nescio an omnia interna eius liquido explorarit, ipsa morte mutante quae vixerant, et morte non simplici, sed ipsa inter artificia exsectionis errante.“12 (Da gibt es diesen Herophilus, der bekannte Arzt – oder auch „Metzger“ – der unendlich viele Menschen aufschnitt, um die [Geheimnisse der] Natur zu erforschen, der den Menschen gering achtete, um ihn zu untersuchen; ich weiß nicht, ob er alle Innereien erkundete, die der Tod selbst verändert hat gegenüber dem Zustand, als sie lebten, auch wenn der Tod nicht natürlich war, aber dies selbst führt in die Irre bei der Künstlichkeit der Leicheneröffnung.)VII
Im Mittelalter kommt es schließlich zum offiziellen Verbot der Leicheneröffnung durch Papst Bonifaz VIII. im Jahr 1300. An den Warnungen vor Graböffnungen der angeführten ÄrzteInschriften ist weiterhin interessant, dass sie den Schändern eine göttliche Strafe androhen. Hierin zeigt sich ein weiterer zentraler Aspekt der christlichen Eschatologie: der Mensch wird sich vor Gottes Weltgericht verantworten müssen für das, was er zu LebTertullian entspricht in seiner Argumentation, dass der Tod den Organismus so verändere, dass daraus keine Rückschlüsse auf die Verhältnisse des lebendigen Menschen gezogen werden könnten, der Sichtweise der Empiriker, die ebenfalls den Erkenntnisgewinn durch Sektionen ablehnen. NUTTON fasst die empirische Haltung wie folgt zusammen: „they argued, the dissection of a corpse, logically, revealed information about the dead, not the living; it dealt in structures, not in the processes of life, health and disease.” (NUTTON, S. 36) VII
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Iatrotheologie zeiten getan oder unterlassen hat. Während in der Inschrift des Johannes aus Kotiaeion noch ergebnisoffen davon die Rede ist, ein Grabschänder müsse „Gott Rechenschaft ablegen“, heißt es im vorherigen Titulus des Pastor mit abschreckendem Unterton: „es wird ihn Strafe erwarten“. Unauflöslich mit der christlichen Vorstellung von der Vollendung der Welt verbunden ist der Gedanke vom „jüngsten Gericht", in dem Gott Gerechtigkeit herbeiführen wird („jüngst" im Sinne vom jüngsten Kind: danach kommt keines mehr). Christus hat gemäß der theologischen Überzeugung des Paulus stellvertretend die Sünden der Welt auf sich genommen und durch seinen Sühnetod am Kreuz die Versöhnung mit Gott geschenkt. Dennoch verlieren die irdischen Taten der Menschen dadurch nicht an Bedeutung, Gott wird am Ende der Zeit das Weltgericht über die Menschen abhalten. Paulus schildert dieses Gericht in irdischen Kategorien. Die „Schuld“ eines Menschen wird bei ihm in materieller Dimension wie eine Zahlungsverpflichtung gedacht, die Christus für denjenigen, der sich ihm anvertraut, begleicht: „Er hat den Schuldschein, der gegen uns sprach, durchgestrichen und seine Forderungen, die uns anklagten, aufgehoben. Er hat ihn dadurch getilgt, dass er ihn an das Kreuz geheftet hat.“, heißt es etwa im Kolosserbrief (Kol 2, 14). Genau in diesem konkreten Wortsinn ist ursprünglich auch die Bitte im Herrengebet „Vater unser“ gemeint: „Und erlass uns unsere Schulden, wie auch wir sie unseren Schuldnern erlassen haben.“ (Mt 6, 12 et Parr.). Dennoch geht es nach christlichem Verständnis im Weltgericht nicht 286
Iatrotheologie um reines Vergeben und Vergessen der Schuld, sondern Gott wird seine Schöpfung vollenden, indem er Gerechtigkeit herstellen wird. Darum gehen die Ausgebeuteten und Betrogenen nicht leer aus, sondern Gott wird jedem zuteilen, was ihm zusteht. In der christlichen Theologie hat Jesus der Kirche die Vollmacht erteilt, in dieses Gerichtsgeschehen einzugreifen, nach dem Johannesevangelium gilt dies auch für das Erlassen der Schuld, wenn Jesus seinen Jüngern sagt: „Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert.“ (Joh 20,23). Das Matthäusevangelium fasst den kirchlichen Einfluss auf die Modalitäten im Himmelreich noch weiter. Im 16. Kapitel überträgt Jesus dem Petrus die Schlüsselgewalt für die menschlichen Beziehungen über das irdische Leben hinaus: „Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein.“ (Mt 16, 19). Insbesondere aus dieser Textstelle leitet später das Papsttum seine hervorgehobene Machtstellung in der Kirche im Sinne der Nachfolge auf dem angeblichen Bischofssitz des Petrus in Rom ab. Brox bemerkt hierzu, dass es „Sätze der frühchristlichen Theologie, nicht historische Worte Jesu sind. … Ein einzelnes, besonderes Petrusamt (Papsttum) als gesamtkirchliches Leitungsamt gab es in der Urkirche nicht, und es lässt sich hier auch nicht als Absicht (‚Stiftung’) erkennen. Als sich später der römische Primat herausgebildet hatte, wurde nachträglich der Zusammenhang zwischen den biblischen Petrusstellen und dem 287
Iatrotheologie römischen Papsttum hergestellt.“13 Bei der Begründung der Vorherrschaft des römischen Bischofs wird in diesem Zusammenhang die fast wortgleiche Passage im 18. Kapitel bei Matthäus außer Acht gelassen, in der die Bindungsvollmacht allen Jüngern (demnach der ganzen Kirche) übertragen wird: „Amen, ich sage euch: Alles, was ihr auf Erden binden werdet, das wird auch im Himmel gebunden sein, und alles, was ihr auf Erden lösen werdet, das wird auch im Himmel gelöst sein.“ (Mt 18, 18). Die Verbundenheit von Menschen im Diesseits soll im Jenseits weiter Bestand haben. Die Eheschließung ist im Frühchristentum eine öffentlich-rechtliche, keine kirchliche Angelegenheit. Ab dem 4. Jahrhundert lässt sich jedoch der Brauch nachweisen, nach der vollzogenen Trauung einen Priester um den Segen für diese Verbindung zu bitten. Offiziell als kirchliches Sakrament anerkannt wird die Ehe erst durch das II. Laterankonzil 1139. Dass schon in der Spätantike im christlichen Umfeld die familiäre Verbundenheit über den Tod hinaus Bestand haben soll – möglicherweise vor dem Hintergrund eines kirchlich gespendeten Segens im Sinne der „Schlüsselvollmacht“ – lässt die Inschrift des Familiengrabes des phrygischen Arztes und Ratsherrn Aurelios Messalas vermuten: Auvr$h,lioj% Messa,laj b Sebas& thno,j( ivatro,j( bouleut@h,j#( zw/n evautw|/ kateskeu,a& sen kai. th|/ sumbi,w| VAmmi,a| kai. tw|/ evkgo,nw| Messa,lla| 288
Iatrotheologie to. h`rw|o/ n· ouvk e;contoj evxousi,an e`te,rou evpise& nenkei/n meta. th.n teleu& th.n tou/ Messa,la· eiv de. m@h,#( e;stai auvtw|/ pro.j to.n qeo,n) 14 (Aurelios Messalas, Sohn des Messala aus Sebaste, Arzt und Ratsherr, hat zu Lebzeiten dieses Heldengrab für sich und seine Gattin Ammia sowie seinen Sohn Messalas errichtet: nach dem Tod von Messalas hat kein anderer die Erlaubnis, sich zusätzlich mit ins Grab zu legen; falls doch, wird er es mit Gott zu tun bekommen.)VIII
Die aus neuzeitlicher Perspektive skurrile Vorstellung, ein weiterer Toter könne in einer fremden Familiengruft beerdigt werden, scheint in der Spätantike eine so reale Befürchtung darzustellen, dass sie der Errichter der Aurelios-Inschrift ausdrücklich erwähnt. Offenbar stellt dieses Grab in der Machtart eines „Heroentempels“ einen Prestigebau dar, der es attraktiv macht, dort selbst beerdigt zu werden bzw. eigene Angehörige dort zur Ruhe zu betten. Schulze merkt zum Ausdruck „Heroen“ an: „Offenbar haben auch verstorbene Christen sich – wie von paganen Gräbern bekannt – zuweilen als Heroen bezeichnet.“15 Wie in den zuvor besprochenen Inschriften von Pastor und Johannes SAMAMA veranschlagt das dritte Jahrhundert als Entstehungszeit; SCHULZE übernimmt diesen Vorschlag. Dieser sehr frühen Datierung schließt sich diese Arbeit aus inhaltlichen Überlegungen an; vgl. hierzu die Ausführungen im Kapitel „Zusammenfassung und Diskussion“ unter der Überschrift „Zeitliche Analyse der Quellen“. VIII
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Iatrotheologie aus Kotiaeion wird auch hier mit dem göttlichen Gericht gedroht. Neben dem Sakrileg, das wie in den vorherigen Inschriften in der Graböffnung an sich gesehen wird, wird in dieser Inschrift aber besonders die Befürchtung, ein Fremder könne in diese Grabgemeinschaft eindringen, als Frevel angesehen. Die namentliche Nennung der Familienmitglieder (anders z.B. als in der Inschrift des Arztes Theodoros und seiner namenlosen Gattin; siehe Kapitel „Kirchliche Ämter und Arztberuf“) vermittelt den Eindruck einer engen Verbundenheit, die durch den offenbar über mehrere Generationen tradierten männlichen Namen „Messala“ noch verstärkt wird. Die Androhung göttlicher Strafe bei Grabschändung ist insgesamt weit verbreitet und korrespondiert mit der christlichen Erwartung eines göttlichen Gerichtes. Die Vielzahl entsprechender Warnungen in Grabinschriften deutet darauf hin, dass solche Entehrungen der Totenruhe ein häufiges Phänomen sind. Die Androhung einer göttlichen Strafe scheint also nicht immer die gewünschte Abschreckungskraft zu beinhalten; die Vermutung liegt nahe, dass insbesondere nichtchristliche Grabschänder von der Erwähnung eines Richterspruches eines fremden Gottes am Ende aller Tage recht unbeeindruckt sind. Gegenüber diesen Delinquenten scheinen konkrete irdische Sanktionsankündigungen angemessener, wie die Inschrift des Flavius Aristo aufführt: Fl(avius) Aristo archiater fidelis et Aur(elia) Veneria fidelis coniuges 290
Iatrotheologie carissimi. Arcam corporale(m) de proprio suo vivi sibi conparaverunt. Si quis post obitum eorum eam aperire voluerit dabit rei publicae solidos LXXXc ite(m)q(ue) q(uod) s(upra) nostris liceat.16 (Der treue Archiater Flavius Aristo und seine treue Aurelia Veneria, das liebste Paar. Das Behältnis für ihre Körper haben sie sich zu Lebzeiten aus eigenen Mitteln verfertigt. Wenn irgendjemand nach deren Tod dieses öffnen wollte, dann wird er dem Staate 80 Goldmünzen Strafgeld geben und ebenso, was darüber hinaus den Unsrigen zusteht.)IX
Während Oehler diese Inschrift 1909 zu den christlichen Epigrammen zählt, weist Schulze in seiner Arbeit zu Recht darauf hin, dass der Text keine Hinweise beinhaltet, die diese Annahme belegen können. Gummerus datiert den Titulus ins vierte bis frühe fünfte Jahrhundert; für diesen Zeitraum ist eine umfassende Christianisierung des Großraumes Germanien und Gallien, woher diese Inschrift stammt, noch nicht gegeben, so dass die Androhung von 80 Goldmünzen die pagane Variante des göttlichen Strafgerichtes im christlichen Kontext darzustellen scheint. Inwiefern das „öffentliche Wesen“ (res publica, oben übersetzt Übersetzung wörtlich von SCHULZE übernommen. SCHULZE bemerkt, dass diese Inschrift nur als CIL-Wiedergabe und bei GUMMERUS vorliegt, während OEHLER, der sie zwar als „christlich“ einstuft, sie nicht ausschreibt. IX
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Iatrotheologie als „Staat“) in diesem Fall tatsächlich die Zuständigkeit für die Wahrung der Totenruhe innehat, lässt sich aufgrund der ungenauen räumlichen und zeitlichen Angaben nicht nachvollziehen. Wie oben ausgeführt, wird die Rechtsprechung Gottes im Weltgericht auch pekuniär gedacht. So heißt es etwa im zweiten Korintherbrief: „Denn wir alle müssen vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden, damit jeder seinen Lohn empfängt für das Gute oder Böse, das er im irdischen Leben getan hat.“ (2Kor 5, 10). Ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass diese Entlohnung nicht nur im negativen Sinne als Rückerstattung von Schulden verstanden wird, sondern auch als zu erwartendes himmlisches Entgelt, liefert die Inschrift des Archiater-Ehepaares Aurelios Gaios und seiner Frau Augousta: ! Auvr$h,lioj% Gai,oj avrci& ei,atroj avne,s& thsa eivsth,lhn qh|/ sumbi,ou mou Auvgou,sthj( avrci& eia,trhna h[tij follw/n sw,ma& @si#n av@r#rw,sqwn @i;asi#n de,dw& @ke( h-j# dw,si auvth/j @s$wth.%r VI$hsou/%j# Cr$isto.%j avm@oi#& @bh.n&&& @&&&&&) 17 292
Iatrotheologie
(Ich, der Archiater Aurelios Gaios, habe hier den Grabstein aufgestellt für meine Gattin Augousta, die als Archiatrina den Körpern vieler Kranker ein Heilmittel gab, wofür ihr ihr Heiland Jesus Christus ein Entgelt geben wird…)X
Diese Inschrift wird von Flemming ins vierte bis sechste Jahrhundert datiert, während Samama sogar das dritte bis vierte Säkulum ansetzt18; sie stammt wie viele der im Kapitel „Kirchliche Ämter und Arztberuf“ untersuchten Tituli aus Kilikien, und zwar aus Gdanmaa an der Küste oberhalb von Corycos. Schulze schlussfolgert aus diesem unbedeutenden kleinen Ort, „dass ‚Archiater’ bzw. ‚Archiatrina’ hier lediglich so viel heißt wie ‚angesehene(r) Arzt/Ärztin; der Ort hatte wahrscheinlich keinen Archiater bewilligt bekommen“.19 Schulze lässt bei dieser Interpretation seine eigene Hypothese unberücksichtigt, dass in Corycos möglicherweise eine christliche Ärzteschule existieren könnte (siehe Kapitel „Kirchliche Ämter und Arztberuf“). Die Konstellation eines Arztehepaares ist, wie Schulze hervorhebt, insgesamt selten – auch im heidnischen Bereich. Dass außerdem beide Ehepartner Christen sind und jeweils eine ärztliche Autorität darstellen, gibt angesichts der relativen Nähe zu Corycos Anlass zu weiter gehenden Spekulationen, ob Aurelios Gaios und Augousta möglicherweise in Verbindung zu diesem christlichen Ärztezentrum stehen Übersetzung wörtlich von SCHULZE übernommen, der seinerseits darauf hinweist, unsichere Ergänzungen des Textes von CALDER übernommen zu haben. X
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Iatrotheologie und dort vielleicht Führungspositionen innehaben könnten, die den Titel „Archiater“ bzw. „Archiatrina“ im Sinne übergeordneter Ausbildungstätigkeit rechtfertigten. Das Motiv dieser Inschrift, der Christ könne für die Leiden und Mühen, die er in dieser Welt erduldet, im Jenseits mit einem Ausgleich rechnen, wo der „Heiland Jesus Christus ein Entgelt geben wird“, kennzeichnet ein zentrales Kriterium der christlichen Heilslehre. Diese Perspektive wirkt in zweifacher Hinsicht in den Bereich der Medizin hinein. Einerseits stellt die Hoffnung auf einen Ausgleich bzw. eine Belohnung im Jenseits eine entscheidende Voraussetzung für karitatives und medizinisches Engagement der Christenärzte im Diesseits dar – etwa im Sinne der oben zitierten Inschrift der Archiatrina Augousta. Auch der Verzicht auf den „schmutzigen Gewinn einer Entlohnung“ des LevitenArztes Dionysius (vgl. Kapitel „Gebot der Nächstenliebe und Arztberuf“) könnte aus dieser Motivation erfolgen. Der Vorwurf, hinter der christlichen Nächstenliebe stecke letztlich also nur Berechnung, ist insofern durchaus richtig, läuft aber ins Leere. Der Heidelberger Neutestamentler Klaus Berger betont: „Wir meinen seit Jahrhunderten, Altruismus sei dasselbe wie Christentum, Jesus fordert dagegen auf zum rechten Vorbeugen für übermorgen.“20 In den Evangelien ist das Motiv des zukünftigen Ausgleichs für karitative Werke im irdischen Leben unmissverständlich angelegt: „Gebt, dann wird auch euch gegeben werden. In reichem, vollem, gehäuftem, überfließendem Maß wird man euch beschenken;
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Iatrotheologie denn nach dem Maß, mit dem ihr messt und zuteilt, wird auch euch zugeteilt werden.“ (Lk 6, 38 et Parr.). Berger korrigiert eine falsch verstandene christliche Demut: „Es geht Jesus durchaus um das wahrhaftige Eigeninteresse. Alles Lieben und Almosengeben ist letztlich nicht vergebliches Verschenken, sondern durch dieses Tun wird gerade für den Täter Sinnvolles erreicht. Es geht um ihn dabei. Und das will er doch eigentlich; nur im Nebeneffekt geht es auch den Nächsten gut dabei.“21 Die unauflösliche Verknüpfung von Selbst- und Nächstenliebe betonen die synoptischen Evangelien unmissverständlich (vgl. Mt 19, 19; Mt 22, 39; Mk 12, 31; Lk 10, 27). Berger deutet diese Gegenseitigkeit als seelische Voraussetzung des Menschen für seine Zuwendung zum anderen: „Sich zu freuen über die Freude des Beschenkten, das macht das Weggeben erst menschlich. So erst wird das Ganze aus der Selbstquälerei herausgehoben und ist des Menschen würdig. Nur auf diese Weise geht es nicht um grenzenlose Vertröstung. Indem man sich freut über die Freude, die man anrichtet, hat man sich schon selbst gewonnen. Die Freude beim Schenken, das sind die Geburtswehen des Selbst.“22 Auf der anderen Seite kann die Sorge des Menschen um das „Übermorgen“ (Berger) dazu führen, das „Heute“ aus den Augen zu verlieren. Isidor Baumgartner charakterisiert die Jenseits-Verlagerung christlicher Soteriologie unter der Überschrift „Marginalisierung der heilend-befreienden Praxis“ für die Zeit der Konzilien von Nizäa (325), Chalkedon (451) und Konstantinopel III 295
Iatrotheologie (680/81) mit den dogmatischen Definitionen Christi als „wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater“ (Nizänisches Symbolum) wie folgt: „Mit der christologischen Wende vom heilenden Jesus zum Heil schenkenden Christus geht für die Diakonie eine nachhaltige Akzentverschiebung einher. Die Verkündigung des auferstandenen Christus überlagert die ursprüngliche Reich-Gottes-Praxis des vorösterlichen Jesus immer mehr. Seine umfassende Heilsmächtigkeit wird nicht mehr mit dem konkreten Heilen (sozein), sondern mit Heil (soteria), nicht mehr als Befreiung durch Jesus, sondern als ‚Freiheit in Christus’ beschrieben. … Der Ort des Heiles und damit auch der Heilung ist der Himmel und nicht die Erde, das Jenseits und nicht die Welt.“23 Im Bereich der Medizin tritt unter diesen Vorzeichen das Phänomen der Iatrotheologie stärker hervor, das in der Einleitung dieser Arbeit unter Bezug auf Eckart dargestellt wird. 24 Krankheit und Tod, aber auch gesellschaftliche Benachteiligung werden zunehmend als vorläufige Leidensstrecke im Diesseits betrachtet, wofür im Jenseits die Entlohnung erwartet werden darf. „Von entscheidender Bedeutung war, dass den Christen in ihrer Not nicht nur allgemeine Tugenden der Treue, Standhaftigkeit, Todesverachtung usw. als Halt blieben, sondern dass sie in ihrem neuen Glauben ganz singuläre Bewältigungs- und Trostmöglichkeiten für diese Situation besaßen: Der gefolterte, hingerichtete und auferstandene Jesus, das Ideal seiner Nachfolge im Schicksal als Durchgang durch den gewaltsamen Tod zum Leben, die 296
Iatrotheologie handgreifliche Ähnlichkeit mit ihm im Leiden (Passion) – das alles ließ unmittelbar Sinn im grausamen Geschehen erkennen.“, charakterisiert Brox die Geisteshaltung vieler Christen in der Erduldung irdischer Not.25 Schulze formuliert angesichts der Vorstellung, dass alles Leiden gottgewollt sei und einen bestimmten Sinn trage, den Grundkonflikt, ob dann überhaupt durch menschliches, ärztliches Handeln eingegriffen werden dürfe: „Potentiell tat sich jedem Christen ein innerer religiöser Konflikt auf, der sich daran entzünden vermochte, dass man Gottes allmächtigen Willen – worunter, je nach Glaubensrichtung, das Senden und Heilen von Krankheit zählt – gleichsam unterläuft.“26 Schulze stellt in seinem Exkurs „Durfte ein Christ der Heilkunst vertrauen?“ zusammenfassend fest: „Die Bedenken hielt man klein. Im Großen und Ganzen beobachtet die Forschung im Rückblick ein konfliktloses Nebeneinander zwischen täglich praktizierter, rationaler Medizin und herrschender Religion“.27 Nur einzelne Christen lehnen aus der dargestellten iatrotheologischen Haltung heraus die Hilfe durch die Medizin ab. Die Ursache für die weitgehende Integrierbarkeit von religiöser Sinngebung gegenüber Krankheit und Leiden einerseits und dem ärztlichen Bemühen andererseits, diese Not zu lindern, sieht Schulze hauptsächlich in der theologischen Untermauerung dieser Vereinbarkeit von Heilkunst und Christentum durch Kirchenväter wie etwa durch Gregor von Nyssa.28 Ein weiterer zentraler Faktor, der der großen Mehrheit der Christen eine konsequente Ab297
Iatrotheologie lehnung irdischer Hilfe bei Krankheit und Leiden nicht ohne Weiteres möglich macht, kann zudem im menschlichen Naturell selbst vermutet werden. Auch die Christen haben Todesängste, sehnen sich nach Erlösung von Schmerzen; längst nicht alle Christen erweisen sich als Märtyrer, die ihren Glauben auch in der existentiellen Anfechtung aufrecht halten, wie das Problem der „Lapsi“ während der Kirchenverfolgung zeigt. Auch in der individuellen Krise sucht ein christlicher Patient Hilfe bei irdischen Ärzten. Die Hochachtung in den christlichen Gemeinden vor den Märtyrern beruht gerade darauf, dass diese ein Ideal verkörpern, das die Mehrheit nicht erreicht. Dass nicht alle Christen solche Vollkommenheit auszeichnet, gilt nicht nur in der Erduldung des irdischen Leids, sondern auch im Hinblick auf die Notwendigkeit einer Entlohnung für ärztliche Tätigkeiten in dieser Welt. Wie im Kapitel „Gebot der Nächstenliebe und Arztberuf“ dargestellt wird, können nur wenige Christenärzte auf den „schmutzigen Gewinn einer Entlohnung“ (vgl. Epigramm des Dionysius) verzichten und wie die Archiatrina Augousta darauf vertrauen, dass „ihr ihr Heiland Jesus Christus ein Entgelt geben wird“. Brox stellt die Glaubensstärke der frühen Christen in ein realistisches Verhältnis, wenn er betont: „Natürlich gab es nicht nur Glaubenshelden, aber aus diesen Quellen kam für die Gemeinde und den einzelnen die Erklärung der Vorgänge. In der Elite der Märtyrer als der Christusähnlichen fand die ganze Gemeinde die
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Iatrotheologie Verwirklichung ihres Ideals und so ihre Identität, ohne dass alle dieses Ideal erreichten.“29 Dass das Christentum trotz aller soteriologischen Jenseitshoffnungen selbst in den eigenen Reihen urmenschliche Gefühle wie Angst und Trauer nicht überwindet, zeigt die Elegie einer Mutter über den Tod ihres Sohnes: Haec quaecumque legis devoto pectore mater, da lacrimas et me sic peperisse dole. Hic iacet extinctus crudeli funere natus, ultima vivendi qu(i) mihi causa fuit. Maxima praestabat miserae solacia matri consilio fratres et pietate colens. Plurima restituit curando corpora vitae, quem mihi tam subito mors properata tulit. 30 (Mutter, die du dies mit anhänglicher Brust liest, weine und wehklage darüber, dass du mich geboren hast. Hier liegt dein Sohn, ausgelöscht vom grausen Tod, [mein Sohn], der mir der letzte Grund zum Leben war. Den größten Trost gewährte es der armen Mutter, wenn er mit Rat und Frömmigkeit für die Brüder Sorge trug. Sehr viele Körper brachte er durch seine Pflege wieder zurück ins Leben, er, den mir der so plötzlich herbeigeeilte Tod wegnahm.)XI
XI Übersetzung wörtlich von SCHULZE übernommen. Er weist auf den Wechsel der Perspektive vom Sohn zur Mutter hin.
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Iatrotheologie Wie die erste Inschrift dieses Kapitels, die Elegie des Arztes Felix, ist auch dieser Text nach Form und Inhalt ein Klagelied, das in elegischen Distichen abgefasst ist. Auch hier fehlen – wie in der Felix-Inschrift – eindeutige Hinweise auf das Christsein des namenlosen Verstorbenen. Der Sohn kümmert sich mit „Rat und Frömmigkeit“ um seine Brüder; es ist anzunehmen, dass die Bezeichnung „Brüder“ hier nicht im biologisch-verwandtschaftlichen Sinn verwendet wird, sondern dass dies die Bezeichnung für geistesverwandte Nahestehende des Verstorbenen ist; dies legt den Gedanken an eine christliche Gemeinschaft nahe, z.B. das Diakonenkollegium einer Gemeinde, das sich gemeinsam um Kranke und Hilfsbedürftige kümmert. Schweikardt und Schulze interpretieren in ihrer Veröffentlichung „Facetten antiker Krankenpflege und ihre Rezeption“ den Wortstamm „curare“ in der vorletzten Zeile ebenfalls im Sinne von „pflegen, versorgen“ und vermuten daher in dem Verstorbenen eher einen Krankenpfleger als einen Arzt.31 Auf ein christlich motiviertes karitatives bzw. krankenpflegerisches Engagement weist auch der Begriff „Frömmigkeit“ hin, der häufig in den neutestamentlichen Episteln gebraucht wird (v.a. im ersten Timotheusbrief); allerdings trifft letztlich auch für dieses Epigramm die Argumentationsführung wie bei der Felix-Inschrift zu, dass der christliche Hintergrund nicht bewiesen werden kann, dass stattdessen auch eine andere religiöse Ausrichtung gemeint sein kann, der die „Frömmigkeit“ des Verstorbenen gilt, etwa auch hier dem Judentum. Bezeichnenderweise findet sich der 300
Iatrotheologie Ausdruck „Frömmigkeit“ im jüdischen KanonXII nur im Buch Ijob (Ijob 2, 3 und 2, 9), der Erzählung über jene Gestalt des AT also, die ungerechtfertigtes Leid und den Tod seiner Familienangehörigen ertragen muss und die daher trotz ihrer Gottesfürchtigkeit mit dem Weltenlenker hadert. Aber schließlich lernt Ijob, das irdische Schicksal als Gabe Gottes anzunehmen: „Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen; gelobt sei der Name des Herrn.“ (Ijob 1, 21). Der Schmerz der Mutter über den Tod ihres geliebten Sohnes ist so tief, dass – selbst unter Berücksichtigung der topischen Ausschmückung der Elegie – Formulierungen benutzt werden, die dem christlichen Glauben entgegenstehen. So ist aus theologischer Sicht die Aussage sicherlich nicht vertretbar, dass der Sohn der Zurückgebliebenen „der letzte Grund zum Leben war“. Auch die Formulierung, die Mutter solle weinen und wehklagen, ihren Sohn je geboren zu haben, trägt fast häretische Züge, denn im Matthäus- und Markusevangelium wird eine ähnliche Aussage über den Verräter Jesu gemacht: „Doch weh dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird. Für ihn wäre es besser, wenn er nie geboren wäre.“ (Mt 26, 24; Mk 14, 21). Ebenfalls in Analogie zur Felix-Inschrift beklagt auch diese Elegie die vermeintliche Ungerechtigkeit, dass der, der selbst so viele Körper „durch seine Pflege wieder zurück ins Leben“ brachte, selbst daAußerhalb der kanonischen jüdischen Schriften findet sich der Begriff noch im apokryphen zweiten Makkabäerbuch bzw. im deuterokanonischen Buch der Weisheit.
XII
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Iatrotheologie hingerafft wird. Diese Klage kennt keinen „Trost“ – dieser positiv besetzte Begriff fällt nur im Zusammenhang mit den edlen Taten des Sohnes: „Den größten Trost gewährte es der armen Mutter, wenn er mit Rat und Frömmigkeit für die Brüder Sorge trug.“ – aber jetzt ist dieser edle Helfer „ausgelöscht vom grausen Tod“. Die Formulierung „auslöschen“ scheint letztgültig zu sein, hier schimmert keine Jenseitserwartung, keine christliche Hoffnung auf Überwindung von Tod und Leid durch – etwa im Sinne der Worte des Johannesevangeliums: „In der Welt seid ihr in Bedrängnis; aber habt Mut: Ich habe die Welt besiegt.“ (Joh 16, 33). Diese Inschrift ist ein authentisches Zeugnis des Schmerzes einer Mutter über den Verlust ihres Sohnes, der durch keine religiösen Anschauungen gemildert wird. Schicksalsversöhnter klingt gegenüber dieser urmenschlichen Klage die Grabinschrift des ägyptischen Arztes Biktor (Viktor), die fast eine Antwort auf das Wehklagen über die Vergänglichkeiten des Diesseits zu geben scheint: Bi,ktwr) @evkoi#mh,qh Bi,ktwr ivatro.j ªe;th iq´ Pau/ni kh´) @mh.# luphqh|j/ · ouv@de#i.j @ga.r# avqa,natoj evn ªtw|/ ko,smw tou,tw|) 32 302
Iatrotheologie
(Biktor. Hier wurde zur Ruhe gelegt der Arzt Biktor im 19. Jahr am 28. Pauni. Sei nicht betrübt: Niemand nämlich ist unsterblich in dieser Welt.)XIII
Das entscheidende Wort steht am Ende der Inschrift: in dieser Welt. Der Verfasser der Biktor-Inschrift impliziert mit diesem Demonstrativpronomen, dass es nach seiner Überzeugung wohl noch eine andere Welt gebe, sonst wäre auch der Vorsatz „Sei nicht betrübt“ sinnlos. Hier klingt im Unterschied zur vorherigen Elegie eben die Hoffnung auf eine andere Welt an, in der Gottes Gerechtigkeit herrscht. Wiederum das Johannesevangelium gibt den Ausspruch Jesu wieder: „Mein Königtum ist nicht von dieser Welt.“ (Joh 18, 36) Dieser christliche Glaubensinhalt erleichtert bereits in der Spätantike für viele Gläubige das Sterben; nicht nur das Phänomen des Märtyrertums in der Verfolgungszeit belegt eine entsprechende christliche Todesverachtung, auch der natürliche Tod im Alter und durch Krankheit wird demjenigen, der die christliche Hoffnung auf eine vollendete Welt im Jenseits teilt, erträglicher. In der Urkirche liegen bereits die Wurzeln des mittelalterlichen Konzeptes der „Ars moriendi“. Für den ärztlichen Umgang mit Sterbenden ist davon auszugehen, dass auch für ihn das Verscheiden eines Patienten in der Hoffnung auf ein Weiterleben in göttlichen SCHULZE weist darauf hin, dass der Name des Verstorbenen, Bi,ktwr, an der Stelenspitze steht, während sich der Haupttext auf einem Medaillon befindet. SAMAMA schlägt (mit Fragezeichen) das 4. Jhdt. vor (vgl. SAMAMA, S.500). XIII
303
Iatrotheologie Sphären eine psychische Entlastung bedeutet, dass ihn diese Hoffnung möglicherweise selbst anrührt. Origenes schreibt treffend: Oi` ivatroi. tw/n swma,twn para. tou.j ka,mnontaj gino,menoi kai. avei. th|/ qerapei,a| tw/n kamno,ntwn e`autou.j evpidido,ntej kata. to. bou,lhma th/j te,cnhj th/j ivatrikh/j o`rw/si deina. kai. qigga,nousin avhdw/n( @kai.# evpV avllotri,aij sumforai/j karpou/ntai ivdi,aj lu,paj (Ärzte, die zu den körperlich Kranken gehen und sich nach den Regeln der Heilskunst stets um die Heilung der Kranken bemühen, sehen Schreckliches, werden Zeugen trauriger Dinge und nehmen das Unglück anderer als Trauer auf sich.)33
Allerdings kann der Auferstehungsglaube die Angst vor dem Tod nicht bei allen Christen aufheben; die Vorstellung vom Weltgericht schürt schon in der Spätantike die Furcht, ohne Sündenabsolution zu sterben und der ewigen Verdammnis anheim zu fallen. Ursprünglich kennt die Kirche nur die Taufe als zentralen Akt der Sündenvergebung: „Die Taufe war als totale und augenblickliche Vergebung aller Sünden begriffen. Dabei wurde zuerst nicht an weitere, wiederholbare Sündenvergebungen nach der Taufe gedacht.“, hält Brox fest.34 Hieraus entsteht in der Spätantike das Phänomen, dass Sympathisanten des Christentums erst unmittelbar auf dem Sterbebett dieses Sakrament erflehen, um möglichst keine Gelegenheit mehr zu einer Todsünde zu haben.
304
Iatrotheologie Auch Kaiser Konstantin empfängt die Taufe aus dieser Motivation erst direkt vor seinem Tod. Für die spätantiken Christenärzte kann dies bedeuten, dass sie dafür Sorge zu tragen haben, dass Sterbenden, die sie betreuen, noch das Taufsakrament gespendet wird. Später ergibt sich die gleiche Aufgabe hinsichtlich der Erteilung der Sterbeabsolution. Möglicherweise liegt auch in dieser Aufgabenverflechtung ein Grund für die mehrfach begegnende Kombination von geistlichem und ärztlichem Amt (vgl. Kapitel „Kirchliche Ämter und Arztberuf“ sowie „Seelsorge und Arztberuf“). Quellenangabe Kapitel 8 „Iatrotheologie“ vgl. NUTTON, Late Antiquity, S. 72 SCHULZE, Medizin und Christentum, Inschrift Nr. 80, S. 88/89, Verweis auf LE BLANT, Nr. 666; ; CIL, Vol. XIII, Nr. 2414; DIEHL, Bd. 1, S. 120, Nr. 612; GUMMERUS Nr. 354; RÉMY, S. 139ff., Nr. 19; DE ROSSI, S. 261, Nr. 4 3 SCHULZE, Medizin und Christentum, S. 89 4 BAUS, Urgemeinde, S. 412 5 abgedruckt z.B. in: Chronik des Christentums, Chronik Verlag im Bertelsmann Lexikon Verlag, Gütersloh, München, 1999, S. 37 6 BAUS, Reichskirche, S. 354 7 SCHULZE, Medizin und Christentum, Inschrift Nr. 74, S. 85, Verweis auf CARLETTI, S. 6ff., Nr. 6; ; CIL, Vol. XI, Nr. 2835; GUMMERUS, Nr. 240 8 BAUS, Reichskirche, S. 359 9 SCHULZE, Medizin und Christentum, Inschrift Nr. 88, S. 92, Verweis auf ORAZIO MARUCCHI, S. 323, Nr. 55; CIL, Vol. VI, Additamente S. 3480; GUMMERUS, Nr. 129; KORPELA, S. 210, Nr. 312; BUECHELER, S. 674, Nr. 1415; CAPPARONI, S. 221 10 SCHULZE, Medizin und Christentum, Inschrift Nr. 35, S. 66, Verweis auf EEBS 8, 1931, S. 130 11 SCHULZE, Medizin und Christentum, S. 62 12 TERTULLIAN, anim., X, 4 1 2
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Iatrotheologie BROX, S. 105-106 SCHULZE, Medizin und Christentum, Inschrift Nr. 14, S. 54, Verweis auf LE BAS, S. 224, Nr. 734; CIG, Nr. 3872b 15 SCHULZE, Medizin und Christentum, S. 54 16 SCHULZE, Medizin und Christentum, Inschrift Nr. 102, S. 100, Verweis auf OEHLER, S. 10, Nr. 117; CIL, Vol. V/2, Nr. 8741; GUMMERUS, Nr. 285 17 SCHULZE, Medizin und Christentum, Inschriften Nr. 12 und 13, S. 53, Verweis auf CALDER, MAMA 7, S. 119, Nr. 566; ROBERT, S. 176ff., SCHULZE, Ärztinnen, S. 94, Nr. 2; FLEMMING, S. 390, Nr. 28 18 SAMAMA, S. 442 19 SCHULZE, Medizin und Christentum, S. 54 20 BERGER, S. 102 21 ebenda, S. 99 22 ebenda, S. 116 23 BAUMGARTNER, S. 405 24 vgl. ECKART, S. 104 25 BROX, S. 56 26 SCHULZE, Medizin und Christentum, S. 182, unter Verweis auf SIEBENTHAL, Krankheit als Sünde 27 SCHULZE, Medizin und Christentum, S. 182 28 ebenda, S. 182-183, Verweis auf GREGOR VON NYSSA, virg. 23; c. Eunom. 12 29 BROX, S. 56-57 30 SCHULZE, Medizin und Christentum, Inschrift Nr. 100, S. 98/99, Verweis auf DIEHL, Bd. 1, S. 120, Nr. 611; GUMMERUS, Nr. 134; CAPPARONI, S. 222; SCHWEIKARDT und SCHULZE, S. 132ff. 31 SCHWEIKARDT und SCHULZE, S. 133 32 SCHULZE, Medizin und Christentum, Inschrift Nr. 67, S. 81, Verweis auf LEFEBVRE, S. 91, Nr. 496a 33 ORIGENES, hom. in Jer., XIV, 1 34 BROX, S. 118 13 14
306
Zusammenfassung und Diskussion
Zusammenfassung und Diskussion Vorgehensweise und Resümee In der vorliegenden Arbeit werden insgesamt 32 Inschriften daraufhin untersucht, ob und ggf. inwiefern das Christentum die Medizin der Spätantike beeinflusst. 31 dieser Tituli betreffen frühchristliche Ärztinnen und ÄrzteI, die aus der Prosopographie Schulzes1 entnommen sind; die Inschrift der Valetudinariums-Mitarbeiterin Helpis im Kapitel „Kirchliches Frauenbild und Ärztinnenberuf“ dient nur Vergleichszwecken und wird weder als christliche noch als ärztliche Inschrift angesehen. Dennoch erstreckt sich die vorliegende Untersuchung auf insgesamt 32 epigraphische Erwähnungen frühchristlicher Ärzte, da der Titulus des Archiaterpaares Augousta und Aurelios GaiosII zwei Arztnennungen beinhaltet. Drei der inschriftlich belegten Ärzte werden bei Schulze nicht als eindeutig christlich identifiziertIII, bei einem Darunter eine „ärztliche Hebamme“ (vgl. Kapitel „Christlicher Lebensschutz und Schwangerschafts-, Geburts- und Kindermedizin“), die im Folgenden ebenfalls zu den Ärztinnen gerechnet wird. Auch die Elegie einer Mutter über den Tod ihres namentlich nicht bezeichneten Sohnes im Kapitel „Auferstehungsglaube und Iatrotheologie“ weist diesen nicht eindeutig als Arzt aus; wahrscheinlich ist er Krankenpfleger. Er wird hier dennoch als Arzt gezählt. I
II
Vgl. Kapitel „Auferstehungsglauben und Iatrotheologie“
Es handelt sich um die Inschrift des Kindes Oktimos, das aus einem christlichen Umfeld stammt und das an den Folgen eines ärztlichen Eingriffs stirbt, wobei unklar ist, ob der Operateur ebenfalls Christ ist (vgl. Kapitel „Christlicher Lebensschutz und Schwangerschafts-, Geburts- und Kindermedizin“). Die Inschrift des Flavius Aristo (vgl. Kapitel „Auferstehungsglauben und Iatrotheologie“) wird von OEHLER 1909 als christlich eingestuft. III
307
Zusammenfassung und Diskussion weiteren Titulus bleibt der Medizinerstatus offenIV – diese vier Inschriften werden bei Schulze unter der Überschrift „Unsichere Bezeugung des Arzt-/Christseins“ aufgelistet. In aller Regel ist der erwähnte Arzt bzw. die Ärztin auch Gegenstand der Untersuchung dieser Arbeit; in einigen Fällen wird der Arzt/die Ärztin nur beiläufig genannt, etwa als Familienangehörige(r) der Verstorbenen. In diesen Fällen fokussiert die Auslegung der Inschrift dann auf die zentrale Person der Inschrift – gleichwohl unter der Fragestellung des Einflusses des Christentums auf die Medizin. Dieser Problematik wird in acht ausgewählten Themenkomplexen nachgegangen, die jeweils in einem eigenen Kapitel dargestellt werden. 20 Inschriften sind in griechischer Sprache geschrieben, 10 in Latein; die Grabinschrift des fünfjährigen Oktimos ist zweisprachlich sowohl griechisch als auch lateinisch abgefasst (vgl. Kapitel „Christlicher Lebensschutz und Schwangerschafts-, Geburts- und Kindermedizin“).
Dies geht nicht aus dem epigraphischen Text selbst hervor; den genauen Fundort, aus dem möglicherweise das Christsein des Flavius Aristo hergeleitet werden könnte, gibt OEHLER hingegen nicht an. Auch das Christsein des ägyptischen Arztes Biktor, dessen Grabtitulus im Kapitel „Auferstehungsglauben und Iatrotheologie“ untersucht wird, zweifelt Schulze an, obwohl in der vorliegenden Arbeit der Tenor der Inschrift, der die Hoffnung auf ein Weiterleben in einer jenseitigen Welt impliziert, als christlich gewertet wird. Es handelt sich um die Inschrift des Ablabes, der nur als „Pneumatiker“ ausgewiesen wird, wobei unklar bleibt, ob hiermit die medizinische Schule der Pneumatiker gemeint ist (vgl. Kapitel „Religiöse Überzeugungen und Ärzteschulen“). IV
308
Zusammenfassung und Diskussion Die Blickrichtung der Untersuchung setzt in einigen Fällen bei der vorchristlichen Medizin an und geht der Frage nach, ob das Christentum eine Akzentverschiebung innerhalb der vorbestehenden medizinischen Prinzipien bewirkt. Diese Perspektive wird etwa verfolgt im Hinblick auf die Sexualität: innerhalb des hippokratischen Konzeptes gilt hier wie für andere Lebensbereiche die Ausgewogenheit zwischen Triebbefriedigung und -kontrolle als zentraler gesundheitsfördernder Grundsatz. Von diesem Ausgangspunkt wird der Einfluss der kirchlichen Sexualmoral und des frühchristlichen asketischen Ideals anhand der Grabinschrift der Scantia Redempta untersucht. Die gleiche pagan-medizinische Ausgangsperspektive wird im Kapitel über die Präferenz bestimmter medizinischer Schulrichtungen durch die Christenärzte verfolgt: auch hier setzt die Untersuchung beim Vorbefund an, nämlich dass unterschiedliche antike Ärzteschulen existieren, die z.T. in vehementer Konkurrenz zueinander stehen. Ausgehend von dieser Gegebenheit wird nach etwaigen Akzentverschiebungen durch die religiöse Ausrichtung der christlichen Ärzte geforscht. Bei anderen Themen ist die Frageperspektive genau umgekehrt: hier werden spezifisch christliche Inhalte ins Auge gefasst, die einen deutlichen Wertewechsel gegenüber der gängigen Ethik darstellen und von denen daher zu erwarten ist, dass sie auch in den Bereich der Medizin hineinwirken. Diese These wird etwa für das Gebot der Nächstenliebe sowie für den Passions- und Auferstehungsglauben aufgestellt. In den entsprechenden Kapiteln wird 309
Zusammenfassung und Diskussion Hinweisen nachgegangen, ob und ggf. in welcher Weise diese religiösen Grundsätze medizinische Konsequenzen bei den christlichen Ärzten bewirken. Neben der Unterscheidung zwischen pagan-medizinischer oder christlich-religiöser Ausgangsperspektive ist auch eine Einteilung der Untersuchungsthemen unter dem Aspekt möglich, ob die konstatierten Einflüsse des Christentums auf die spätantike Medizin eher inhaltlicher oder struktureller Natur sind. Eine solche Untersuchung primär der äußeren Auswirkungen liegt etwa im Kapitel über die Institutionalisierung und Hierarchisierung kirchlicher Ämter vor, in dem den Auswirkungen dieser kirchlichen Strukturen auf medizinische Berufe nachgegangen wird. Auch die Betrachtung über die veränderte Stellung der Frauen innerhalb der Ärzteschaft durch das kirchliche Frauenbild entspricht einer strukturellen Blickrichtung. Demgegenüber verfolgen die Untersuchungen über den Einfluss christlicher Seelsorge-Konzepte auf entsprechende medizinische Ausprägungen (vgl. Kapitel „Seelsorge und Arztberuf – Herausbildung einer Seelenmedizin“) sowie über die Konsequenzen der christlichen Aufwertung von Kindern für die Schwangerschafts-, Geburts- und Kindermedizin überwiegend inhaltliche Gesichtspunkte. Schematisch können die unterschiedlichen Untersuchungsperspektiven in der nachstehenden Tabelle dargestellt werden. Selbstverständlich lassen diese Kriterien keine exakte Zuordnung ausschließlich zu den strukturellen oder den inhaltlichen Auswir310
Zusammenfassung und Diskussion kungen zu. Es gibt eine große Schnittmenge. Zum Beispiel wird im Kapitel „Religiöse Überzeugungen und Ärzteschulen“ deutlich, dass der „äußere“ (strukturelle) Befund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten medizinischen Schulrichtung durchaus inhaltlichen Überzeugungen entspricht (etwa im Hinblick auf die „Pneumatiker“), so dass eine Differenzierung in „strukturelle“ oder „inhaltliche“ Aspekte letztlich künstlich bleibt. Tabelle 1:
Einteilung der Untersuchungsthemen in christliche oder pagane
Ausgangsperspektiven sowie in inhaltliche oder strukturelle Auswirkungen
christlich-religiöses Ausgangsmotiv • „Gebot der Nächstenliebe und Arztberuf“ • „Seelsorge und inhaltliche Arztberuf“ Auswirkungen • „Christlicher Lebensschutz und Schwangerschafts-, Geburts- und Kindermedizin“ • „Auferstehungsglauben und Iatrotheologie“ • „Kirchliches Frauenbild strukturelle und Ärztinnenberuf“ Auswirkungen • „Kirchliche Ämter und Arztberuf“
pagan-med. Ausgangsmotiv
• „Kirchliche Sexualmoral und Arztberuf“
• „Religiöse Überzeugungen und Ärzteschulen“
311
Zusammenfassung und Diskussion Diese Einteilung dient lediglich zur Veranschaulichung, dass – bei allen Überschneidungen im Einzelfall – das Hauptgewicht der Untersuchungen auf den inhaltlichen Auswirkungen christlicher Motive auf die Medizin liegt. Der Aufbau der Gesamtarbeit entspricht allerdings nicht dieser Gliederung, sondern folgt der thematischen Linie „Sexualität“ → „Rolle der Frauen“ → „Diakonissen“ → „Gebot der Nächstenliebe“ → „Diakone“ → „kirchliche Ämter“ → „Seelsorger und Seelenmedizin“ → „religiöse Präferenz bestimmter Ärzteschulen“ → „Anfang und Ende (des Lebens): perinatale Medizin“ und → „Leiden, Sterben und Auferstehung“. Bereits in der Einleitung wird darauf hingewiesen, dass diese Arbeit exemplarisch vorgeht, d.h. zu den einzelnen Themen sind jeweils passende Ärzteinschriften gesucht worden, die bestimmte Interpretationen zur Fragestellung zulassen. Hierbei sind oftmals keine beweisbaren Schlussfolgerungen möglich, wohl aber werden Thesen aus den Inschriften abgeleitet, die hinsichtlich ihrer Plausibilität diskutiert werden und mit dem jeweiligen profan- und kirchengeschichtlichen Hintergrund abgestimmt werden. In Einzelfällen werden weiterreichende Vermutungen vorgestellt, die nicht mehr eindeutig in den epigraphischen Befunden verankert sind – in diesen Fällen wird ausdrücklich auf den spekulativen Charakter dieser Überlegungen hingewiesen. Nochmals sei ausdrücklich betont, dass diese Methode keinen Anspruch auf wissenschaftliche Beweisbarkeit erhebt, sondern lediglich als Diskussi-
312
Zusammenfassung und Diskussion onsbeitrag zur zentralen Fragestellung zu verstehen ist: Welchen Einfluss übt das Christentum auf die spätantike Medizin aus? Die fehlende statistische Aussagekraft der untersuchten Quellen liegt an der insgesamt geringen Anzahl frühchristlicher Arztinschriften. Zwar kommentiert Schulze seine eigene Prosopographie wie folgt: „Die Zahl von über 150 sicher bezeugten christlichen ÄrztenV mag als absolute Zahl beeindrucken.“2 Natürlich muss davon ausgegangen werden, dass die tatsächliche Anzahl der Christenärzte innerhalb des fraglichen ZeitraumesVI wesentlich größer ist, so dass die bislang entdeckten Inschriften eine willkürliche Auswahl darstellen, die keine allgemeingültigen Schlussfolgerungen zulässt, zumal keine mathematische Randomisierung vorliegt. Aus dieser ohnehin schon arbiträren Sammlung der durch geschichtlichen Zufall erhaltenen Inschriften werden in dieser Arbeit einige Tituli herausgegriffen, wiederum nicht randomisiert, sondern gezielt nach thematischen Kriterien. Die Ergebnisse dieser Methode sind darum vorläufig und können jederzeit durch
SCHULZE rechnet hierbei die von ihm zusammengetragenen 90 Fundstellen auf Papyri und in der antiken Literatur zu den 104 Inschriften (die aufgrund der Nennung jeweils zweier Ärzte in zwei Tituli insgesamt 106 Ärztinnen und Ärzte belegen), von denen 5 lateinische und 8 griechische Inschriften mit „Unsichere Bezeugung des Arzt-/Christseins“ gekennzeichnet sind (unter letzteren findet sich die Doppelnennung der Ärztin Restitouta mit ihrem „Patron und Lehrer“ Tiberios Klaudios Alkimos; vgl. Kapitel „Christlicher Lebensschutz und Schwangerschafts-, Geburts- und Kindermedizin“). V
VI Die untersuchten Inschriften liegen im Datierungszeitraum von (frühestens) der Mitte des 3. bis zum 7. nachchristlichen Jahrhundert.
313
Zusammenfassung und Diskussion gegenläufige Thesen sowie durch weitere Funde korrigiert oder widerlegt werden. In den einzelnen Kapiteln werden unterschiedlich viele Inschriften zur jeweiligen Fragestellung herangezogen. Die Anzahl der untersuchten Tituli schwankt von jeweils einer einzigen Inschrift in den Kapiteln „Kirchliche Sexualmoral und Arztberuf“ und „Kirchliches Frauenbild und Ärztinnenberuf“VII bis zu 6 Diakonen-Inschriften im Kapitel „Kirchliche Ämter und Arztberuf“ bzw. sogar 9 Tituli im Abschlusskapitel „Auferstehungsglauben und Iatrotheologie“. Hierbei ist hervorzuheben, dass eine höhere Anzahl von untersuchten Inschriften keine höhere Aussageevidenz bedeutet, denn einerseits sind auch hierbei die absoluten Fallzahlen noch bei Weitem unter einer statistischen Verwertbarkeit, andererseits erklärt sich das häufige oder seltene Auftauchen eines Themas durch die untersuchte Textgattung. Bei den 31 untersuchten Inschriften handelt es sich in der großen Mehrzahl um Grabinschriften. Nur in drei Fällen scheint es sich nicht um Grabtituli zu handeln: die Diakone Theodoros (mit seiner Frau!) und Anastasios aus Alexandrien haben Gedenkinschriften zur Erinnerung an die Erfüllung ihrer Gelübde aufgestellt (vgl. Kapitel „Kirchliche Ämter und Arztberuf“), die Inschrift des Geistlichen-Arztes Johannes hingegen ist ein Graffito aus dem Epiphaniuskloster in Theben (vgl. Kapitel „Seelsorge und Arztberuf“). Der Anlass für dieses Graffito bleibt unklar, wahrscheinlich wird eine in die Wand gekratzte Inschrift jedoch nicht als Grabtext VII
Hier nicht eingerechnet die Inschrift der Helpis (s.o.).
314
Zusammenfassung und Diskussion verwendet. Der Anlass der unvollständig erhaltenen Inschrift des Rouphos im Kapitel über die Auswirkungen der Institutionalisierung und Hierarchisierung am Beispiel der Diakone bleibt ungeklärt, so dass insgesamt 27 eindeutige Grabtituli übrig bleiben. Vor diesem Hintergrund ist verständlich, dass das Thema Tod und Sterben ein häufiger Gegenstand dieser Inschriften ist, während andererseits die Sexualität auch in der Spätantike nur in Ausnahmefällen auf einem Grabmal thematisiert wird. Die dürftige Quellenlage beim Diakonissen-Kapitel „Kirchliches Frauenbild und Ärztinnenberuf“ kann zum einen mit der Tatsache erklärt werden, dass die Diakonissen ein sehr frühes Phänomen der Urkirche sind. Aus den ersten drei Jahrhunderten liegen hingegen bislang fast keine christlichen Arztinschriften vor. Zum anderen stellen die dürftigen epigraphischen Funde, die auf eine ärztliche Diakonisse hinweisen könnten (eine weitergehende Interpretation erlaubt auch die Inschrift der Amazone nicht!), Schulzes diesbezügliche These in Frage: er führt in seinem Aufsatz „Christliche Ärztinnen in der Antike“ aus, dass der etwa doppelt so hohe Anteil von Frauen an der christlichen Gesamtärzteschaft im Vergleich zu den heidnischen Standesgenossinnen u.a. darauf zurückgeführt werden könne, dass sich Diakonissen in nennenswertem Umfang aus der krankenpflegerischen Tätigkeit zu Ärztinnen herausbildeten.3 Demgegenüber scheint die Kombination des männlichen Diakonenamtes mit dem Arztberuf durch immerhin sechs Inschriften besser belegbar zu sein, aber – wie oben bereits verdeutlicht – auch diese insgesamt noch kleine Fundzahl lässt keine Verallgemeinerungen zu. 315
Zusammenfassung und Diskussion Zusammenfassung der einzelnen Kapitel Als Fazit der in acht Kapitel gegliederten Untersuchungsthemen lässt sich komprimiert Folgendes festhalten: 1. Kirchliche Sexualmoral und Arztberuf Das Christentum hat die sexualmedizinischen Konzepte der Antike nachhaltig beeinflusst. In der hippokratischen Medizin ist die Sexualität in das diätetische Prinzip der Ausgewogenheit der Lebensführung eingebettet. Diesem Verständnis setzt die Kirche ein gegenläufiges Konzept strenger Sittenzucht entgegen. Ein repressives Sexualitätsverständnis ist dabei zunächst kein urchristliches Anliegen; es ist kein jesuanisches Thema. Asketische Ideale entstehen innerhalb der Glaubensgemeinschaft in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten als Reflex auf eine religiöse Verflachung des christlichen Glaubens, als nach der staatlichen Anerkennung und Förderung des Christentums viele Beitritte aus Opportunität erfolgen. Angeregt durch das entstehende östliche (v.a. ägyptische) Mönchtum gewinnt eine enthaltsame Lebensweise allgemeine Bedeutung als Ideal christlicher Lebensführung. In der spätantiken römischen Gesellschaft existieren Keuschheitsforderungen (v.a. durch den Stoizismus für die soziale Elite) unabhängig vom Christentum. Nach Veyne fungiert das Christentum als Katalysator, der diese Vorstellungen fördert und schließlich allgemeingültig durchsetzt. Sexuelle Restriktion ist zwar kein Motiv in den neutestamentlichen Evangelien, aber es findet Einzug in das Christentum durch 316
Zusammenfassung und Diskussion den Rekurs der frühen Kirche auf kultische Vorstellungen des Heidentums sowie des Judentums; der Presbyter wird zum Priester, der die Eucharistie als Opfergabe auf dem Altar darbringt. Entsprechend gewinnen sexuelle Regelungen des AT Bedeutung für die christliche Sexualmoral (vgl. Lev 18, Lev 20, 10ff., Num 6 u.ä.). Auch in das NT findet diese Thematik durch die jüdisch geprägte Theologie des Paulus Einzug (vgl. z.B. Röm 1, 27-28). Im übrigen untermauern viele frühchristliche Theologen in ihren Schriften eine entsprechende sexualfeindliche Haltung (v.a. Tertullian und Augustin). Die Übertragung solcher restriktiven Sexualvorstellungen aus dem jüdisch-orientalischen Kulturraum in den durch vergleichsweise sexuelle Libertinage geprägten römischhellenistischen Einflussraum kann als „orientalisch-griechischer Kulturtransfer“VIII verstanden werden. Die Abkehr vom hippokratischen Sexualverständnis als Aspekt der DiätetikIX hin zu einem Sexualverständnis im Sinne Umkehr des in SCHULZES Habilitationsschrift „Medizin und Christentum“ gebrauchten Begriffs des „graeco-orientalistischen Wissenstransfers“ im Sinne der Übermittlung des hellenistisch-medizinischen Wissens durch das Christentum in den orientalisch-islamischen Kulturraum. VIII
ECKART definiert den Begriff „Diätetik“ wie folgt: „Teil der hippokratischen Medizin, der sich auf die gesamte Lebensführung des Menschen und deren Zusammenhang mit Krankheit und Gesundheit bezieht. Ihr Prinzip ist das ausgewogene Gleichmaß, etwa im Schlafen und Wachen, im Arbeiten und Ruhen, im Essen und Trinken, im Liebesleben und in der Enthaltsamkeit, in der intellektuellen Beanspruchung und in der Muße etc. Als Ausgewogenheitslehre fügt sie sich so in das System der Elementen-, Qualitäten- und Säftelehre. Die Diätetik wird in der Römischen Kaiserzeit von Galenos von Pergamon (130-200) aufgegriffen und erweitert.“ (ECKART, S. 58). IX
317
Zusammenfassung und Diskussion körperlich-seelischer Reinheit bzw. Unreinheit ist keine direkte Auswirkung des Christentums auf die Medizin. Vielmehr führt die Kirche einen allgemeingesellschaftlichen Wertewandel herbei, der dann indirekt im dargestellten Sinne auf die Medizin wirkt. Das Beispiel der christlichen Ärztin Scantia Redempta ist als Fallbeispiel auf dem Höhepunkt des Askese-Ideals im vierten Jahrhundert im Einflussgebiet der römischen Kirche zu betrachten. Inwiefern die Ärztin entsprechende Sexualkonzepte in die Behandlung ihrer Patienten einfließen lässt, bleibt offen. 2. Kirchliches Frauenbild und Ärztinnenberuf Die oben ausgeführten Feststellungen zum kulturellen Transfer jüdisch-orientalistischer Vorstellungen in die römisch-hellenistische Gesellschaft durch das Christentum treffen weitgehend auch für das Bild der Frau und die ihr zugewiesene Rolle zu. Obgleich auch für die Sozialstruktur des römischen Imperiums eine eindeutig patriarchalische Ausprägung zu konstatieren ist, lassen sich gerade für den Bereich der Medizin Anzeichen einer Emanzipation von Ärztinnen im paganen Umfeld ausmachen.4 Wie im Hinblick auf die sexualmedizinischen Auswirkungen des Machtzuwachses der Kirche, so lässt sich auch für das kirchliche Frauenbild ein Rückgriff auf vorbestehende patriarchalische Traditionen feststellen. Insofern ist das Urteil von Claudia Bischoff zutreffend, dass das „Christentum auf orientalisch-jüdischem Hintergrund mit extrem patriarchalischen Strukturen entstanden“ sei.5 Allerdings besteht in den frühen Gemeinden das Gegenmodell der „Communio“, das sich gerade durch eine weitgehende Gleichberechti318
Zusammenfassung und Diskussion gung auszeichnet, wodurch die christlichen Gemeinden ursprünglich konträr zur nichtchristlichen Umwelt stehen (vgl. Gal 3, 28). Anfänglich wirken Frauen gleichberechtigt sowohl in der krankenpflegerischen Arbeit als auch in kirchlichen Leitungsfunktionen mit; Söding bemerkt, „dass auch Frauen als Diakone, um die Caritas besorgt, in der Gemeindeleitung tätig sind (1Tim 3, 11) – eine Praxis, die in der lateinischen Kirche verlorengegangen ist“.6 Die Verschiebung des Frauenbildes in der sich etablierenden Kirche am Übergang vom ersten ins zweite Jahrhundert findet ihren Niederschlag in den neutestamentlichen Pastoralbriefen an Titus und Timotheus; die unmittelbare Parusie hat sich nicht erfüllt, die Kirche richtet sich auf eine beständige Existenz ein und regelt die Weitergabe ihrer Glaubensinhalte, indem sie auf bewährte Strukturen zurückgreift. Für die Verfasser der Pastoralbriefe soll die Kirche wie eine patriarchalische Familie organisiert sein: „Ein wohlgeordnetes Hauswesen soll sie sein, eine glückliche Familie, die nach antiker Vorstellung unter der Autorität des Familienvaters steht.“, charakterisiert Söding diese Neuausrichtung.7 Die entstehenden Kirchenämter verdrängen Frauen aus Leitungsfunktionen: „je deutlicher sich die Konturen eines kirchlichen Amtes herauszubilden beginnen, desto mehr setzt sich die Auffassung durch, nur Männer könnten es innehaben.“, stellt Söding fest.8 Durch die Ausdehnung dieses Amtsverständnisses u.a. auf die Diakone wird Frauen zunehmend auch im karitativen Bereich eine untergeordnete Rolle zugewiesen. Als Diakonissen sind sie nicht mehr gleichberechtigt gegenüber den Diakonen. Später setzt die Kirche ihr internes Patriarchat zunehmend auch in der von ihr 319
Zusammenfassung und Diskussion dominierten Gesellschaft um; für den Bereich der Medizin wird Frauen der Zugang zum Ärztinnenberuf immer mehr erschwert. Die Inschrift der Ärztin Amazone wird in der vorliegenden Arbeit auf ein frühes Datum geschätzt, vor bzw. zur Zeit des Baus der Theodosianischen Landmauer in KonstantinopelX. Die demütige Bezeichnung „Magd“ ist für eine Ärztin auffällig und weist daraufhin, dass gewöhnlich auch im medizinischen Bereich christliche Frauen untergeordnete Aufgaben erfüllen. 3. Gebot der Nächstenliebe und Arztberuf Die Caritas bewirkt als christliches Leitmotiv die besondere Zuwendung dieser Religion zu den Bedürftigen, zu den Armen, Einsamen und Kranken. Insofern liegt im christlichen Gebot der Nächstenliebe ein zentraler Berührungspunkt zwischen Christentum und Medizin. In der Umsetzung dieser religiösen Ethik wirkt das Christentum besonders nachhaltig auf die spätantike Medizin ein. Die Erfüllung des Auftrags Jesu an seine Jünger: „Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus! Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben.“ (Mt 10, 8) stellt die direkte Verbindung zum Stifter dieser Religion her. Die Krankenheilung orientiert sich an seinem Beispiel, das eingangs besprochene „Christus-medicus“-Motiv hinterlässt hier Auch der aus der hellenistischen Tradition stammende Name „Amazone“ weist darauf hin, dass die Ärztin in einem noch nicht allgemein christianisierten Umfeld geboren ist, also wahrscheinlich noch vor dem Reichsedikt von 380. Falls die Mutmaßungen dieser Arbeit über ein Widerspiegeln des nestorianischen Streits (428/431) in ihrer Grabinschrift zutreffen, wäre Amazone also über 50 Jahre alt geworden. X
320
Zusammenfassung und Diskussion sichtbare Spuren. Das Beispiel des Leviten Dionysius zeigt, dass sich die Nachfolge Christi auch in ärztlicher Hinsicht an seinen Vorgaben orientiert: ärztliches Handeln dient nicht der Bereicherung, geschieht nach Möglichkeit ohne Bezahlung („Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben“). Es geht darum, den Bedürftigen zu helfen, die Inschrift des Dionysius formuliert, dass dieser „die schwachen Männer wiedererfrischte“. Weiter stellt dieser Titulus heraus, dass der christliche Arzt nicht nach Prestige strebe und dass er authentisch sei, indem seine Ermahnungen und sein Handeln übereinstimmen. In der Umsetzung des „Christusmedicus“-Vorbildes dehnt sich die Nächstenliebe sogar zur Feindesliebe aus: auch ehemaligen persönlichen oder militärischen Gegnern kommt die ärztliche Heilkunst zugute, wie bei Dionysius den Geten. Die Überwindung von Gegnerschaft und kulturellreligiösen Grenzen schildert bereits der zentrale Evangeliumstext zur Veranschaulichung der Nächstenliebe: im Gleichnis vom barmherzigen Samariter (vgl. Lk 10, 25ff.) vollzieht der aus jüdischer Sicht nicht rechtgläubige Samariter die Heilung des Verletzten. Im Kapitel über den Leviten Dionysius wird heraus gearbeitet, dass diese Haltung allerdings im Zuge der Ausprägung eines kirchlich-religiösen Alleinvertretungsanspruchs („Extra ecclesiam nulla salus“) zunehmend verloren geht. Eine Legende zur Abschreckung vor nichtchristlichen Ärzten ist etwa bei Bischof Gregor von Tours aus der Mitte des sechsten Jahrhunderts erhalten, wonach der Erzdiakon Leunast aus Bourges göttliche Strafe erfährt, weil er einen jüdischen Arzt aufsucht.9
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Zusammenfassung und Diskussion 4. Die kirchlichen Ämter und der Arztberuf Bei der Untersuchung von 6 Inschriften, die die Doppelfunktion eines Diakons und Arztes belegen, lässt sich eine deutliche Tendenz zur Institutionalisierung und Hierarchisierung der kirchlichen Dienste und Ämter ablesen; es wird exakt unterschieden wird zwischen Diakonen, einem Erzdiakon und etwa Vorlesern. Diese besondere Beachtung der äußeren Struktur hat Auswirkungen auch für den Bereich der Medizin. Nutton stellt heraus, dass das oben besprochene Motiv der Nächstenliebe an die Gruppe der Diakone delegiert wird: „Christi Auftrag an seine Jünger, für die Kranken, Armen, Einsamen und Bedürftigen zu sorgen, erhielt schnell eine institutionalisierte Form durch die Einrichtung von ‚Diakonen’, die mit der Verteilung von Almosen beauftragt waren.“ 10 Die Konzentration des „Grundvollzugs der Diakonie“ einer christlichen Gemeinde auf eine umschriebene Gruppe mag einerseits vermutlich eine effektivere Organisation der Caritas bewirken, andererseits führt die Spezialisierung der Nächstenliebe auch zur Aufspaltung der ursprünglichen Communio-Struktur. Baumgartner konstatiert dementsprechend: „Das hatte einen fatalen Verlust an Praxis- und Lebensnähe der Reich-Gottes-Botschaft zur Folge. Es kam zur Abspaltung und Marginalisierung der Diakonie von der Liturgie und Verkündigung.“11 Die in dieser Arbeit besprochenen Diakonen-Inschriften sind im Mittel um das 5. Jahrhundert anzusetzen, allerdings kann als Beginn der zunehmenden Strukturierung und Abgrenzung der kirchlichen Ämter bereits die Wende vom ersten zum zweiten nach322
Zusammenfassung und Diskussion christlichen Jahrhundert betrachtet werden, was seinen Niederschlag in den oben erwähnten Briefen an Titus und Timotheus findet. Söding greift angesichts der zunehmenden Ämterfixierung des kirchlichen Lebens in diesem Zusammenhang den Begriff der „Verbürgerlichung des Christentums“ auf.12 Es geht um die Reinhaltung der christlichen Botschaft in Abgrenzung gegenüber esoterischen, v.a. gnostischen Geheimlehren. Nach Ansicht der Verfasser der Pastoralbriefe müssen die Vertreter der Kirche von dieser legitimiert sein, damit niemand im Namen der Kirche unchristliche Lehren verbreite: „Es geht um die Sicherung der Glaubensüberlieferung in nachapostolischer Zeit angesichts einer tiefen Glaubenskrise. Die Pastoralbriefe treten dafür ein, dass diese Aufgabe im Namen der Kirche, also der gesamten Glaubensgemeinschaft, von einem durch Handauflegung ‚ordinierten’ Episkopos übernommen wird (1Tim 5, 22), der seinerseits an die apostolische Norm gebunden ist und in dieser Bindung, so die feste Glaubenszuversicht, kraft des Geistes verbindlich zu lehren versteht. Gewiss birgt dieses Konzept die Gefahr, dass die Charismen der Gemeindeglieder, besonders auch der Frauen, in den Schatten gestellt werden.“, urteilt Söding.13 Bei der Untersuchung der Diakoneninschriften fällt in diesem Zusammenhang die Inschrift des Theodoros aus Kilikien ins Auge, in der nur er selbst in seinen Funktionen als Diakon und Arzt erwähnt wird, während seine Frau namenlos bleibt, wenngleich sie bei der Erfüllung eines Gelübdes mitgewirkt habe. Die Konzentration auf die Ämterstrukturen zur Abwehr falscher Lehren fördert die Unterordnung der Frauen. Für den Bereich der 323
Zusammenfassung und Diskussion Medizin kann davon ausgegangen werden, dass der Einfluss heidnischer und magischer Elemente zurückgedrängt werden soll. Aus dieser apologetischen Geisteshaltung scheint das Bedürfnis nach einer spezifisch christlichen Ärzteschule gut nachvollziehbar, so dass die Spekulation Schulzes angesichts der Häufung christlicher Ärzteinschriften in der Umgebung der kilikischen Stadt Corycos, hier könne eine solche Ausbildungsstätte bestanden haben, inhaltlich plausibel erscheint. Andererseits bewirkt die Orientierung christlicher Mediziner am biblischen Zeugnis im Sinne des oben angeführten Zitates bei Matthäus, „treibt Dämonen aus!“ (Mt 10, 8), ihrerseits einen Rückgriff auf Elemente wie den Exorzismus, die durch die hippokratische Medizin überwunden worden sind. Die Inschrift des Arztes Rouphos aus dem kleinasiatischen Caria, die ins 6. Jahrhundert datiert wird, weist auf die Verflechtung von Ärzten in die zahlreichen kirchlichen Ämter hin (zu denen auch Exorzisten gehören). 5. Seelsorge und Arztberuf Die starke Betonung von Hierarchie und Struktur kennzeichnet besonders die Inschriften der ärztlichen Diakone, bei anderen Klerikerärzten tritt dieser Aspekt in den Hintergrund. Bei der Untersuchung von 5 Inschriften spätantiker Ärzte, die zugleich ein anderes kirchliches Amt als das Diakonat bekleiden, fällt vielmehr eine inhaltliche Schwerpunktsetzung auf. Im Gegensatz zu den Diakoneninschriften wird hier in mehreren Fällen Christus erwähnt, in einigen Inschriften wird er in Gebetsform angerufen. 324
Zusammenfassung und Diskussion In der Grabinschrift des Presbyters und Arztes Paulos von Philippi wird ausdrücklich um die Sündenvergebung gebetet. Aus dieser Beobachtung kann auf ein bestimmtes Menschenbild einiger Geistlichenärzte geschlossen werden, wonach die Sünde Ursache für Krankheiten des Menschen ist. Um dieses Leiden zu behandeln, bedarf es der Hilfe Gottes, um die etwa das Graffito des Arztes Johannes bittet, das im Epiphaniuskloster im ägyptischen Theben gefunden wurde. Voraussetzung zur Sündenvergebung ist die Gewissenserforschung und Selbsterkenntnis der Menschen sowie das Bekennen von Schuld. Hierin unterstützt der Pastoralmediziner seine Patienten, ärztliches Handeln ist nach diesem anthropologischen Konzept in vielerlei Hinsicht deckungsgleich mit Seelsorge. Die Kombination beider Berufe erscheint daher nicht willkürlich, sondern aufeinander bezogen. In der sprachlichen Gestaltung verwenden die Inschriften häufig liturgische Stilmittel wie die Anrede Jesu in der Paulos-Inschrift, „Herr Jesus Christus, …, erbarme dich meiner“ oder die Bestätigung mit dem liturgischen Ausdruck „Amen“ im Graffito des Johannes. Es scheint daher wahrscheinlich, dass die Sprache im therapeutisch-pastoralen Wirken der Geistlichenärzte eine zentrale Funktion einnimmt. 6. Religiöse Überzeugungen und Ärzteschulen „Da das NT nicht an medizinischen Fragen interessiert ist“, wie Dörnemann zutreffend feststellt14, gibt es für christliche Ärzte keine spezielle medizinische Schulrichtung der Antike, von der aus 325
Zusammenfassung und Diskussion innerer Übereinstimmung mit ihrer Heiligen Schrift zu erwarten wäre, dass sich ihr die Mehrheit christlicher Mediziner anschließt. In negativer Hinsicht kann hingegen eine Abgrenzung von heidnisch-theurgischen Heilungskonzepten erwartet werden, wie sie etwa in der asklepischen Medizin praktiziert werden. Aus dieser Motivation wird in der Besprechung der Diakonen-Inschriften die Möglichkeit einer eigenen christlichen Ausbildungsstätte für Ärzte begründet (s.o.). Hinsichtlich der anderen Schulrichtungen der spätantiken Medizin lässt sich keine einheitliche Präferenz nachvollziehen. Allerdings lassen sich unterschiedliche theologische Ausrichtungen in der Frühkirche ausmachen, die jeweils gut mit dem Konzept einer bestimmten Ärzteschule korrespondieren. So kann für die praktisch-diakonisch orientierten Christenärzte unterstellt werden, dass sie kaum an abstrakten medizinischen Theorien und Konzepten interessiert sind, sondern dass ihr Schwerpunkt auf der möglichst schnellen und konkreten Hilfeleistung für die Bedürftigen liegt. Dieser Ansatz verträgt sich gut mit den Vorstellungen der Methodiker; nach deren Vertreter Thessalos von Tralleis lässt sich diese Form der Medizin wegen ihres überschaubaren Inhalts leicht und schnell erlernen. Zwar gibt es keine explizite Nennung von Methodikern unter den christlichen Arztinschriften, allerdings lässt das junge Lebensalter einiger Ärzte, die schon früh höhere medizinische Positionen innehaben, darauf schließen, dass die Betreffenden nur eine kurze Ausbildungszeit absolviert haben, was gut mit dem Methodikerkonzept übereinkommt.
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Zusammenfassung und Diskussion Das anthropologische Konzept der Empiriker hingegen stimmt in vielen Punkten mit der Sichtweise der alexandrinischen Theologie überein. Auch die Empiriker haben ihr geographisches Zentrum in Alexandria. Die medizinische wie die theologische Schule ist von der philosophischen Richtung des Skeptizismus beeinflusst. Abgelehnt wird eine strenge und starre dogmatische Sichtweise vom Menschen (auch in der Medizin), vielmehr gilt es, einen Entwicklungsprozess, der im Leben jedes Menschen stattfindet – auch in geistiger Hinsicht – zu beobachten und jeweils situationsgerecht auf bestimmte Symptome zu reagieren. Ärztliches wie pastorales Handeln ist demnach Heilkunst, keine „Wissenschaft“. Dieses Empiriker-Konzept stimmt in vielfacher Hinsicht mit der im vorherigen Kapitel besprochenen Pastoralmedizin überein. Als weitere antike Ärzteschule sind die „Pneumatiker“ überliefert, nach deren Konzept der „Lebensatem“ im Menschen Gesundheit bewirkt. Diese Sichtweise korrespondiert eng mit entsprechenden christlich-jüdischen Vorstellungen, wonach der Geist Gottes, das „pneuma“, Lebendigkeit und Gesundheit bewirke. In dieser Vorstellung einer Leben und Heil schaffenden Kraft als „bewegte Luft“ fließen medizinische und religiöse Vorstellungen ineinander. Zwei Inschriften weisen den Verstorbenen jeweils explizit als „Pneumatiker“ aus; sofern der Betreffende tatsächlich Arzt ist (was in einem Fall sehr zweifelhaft bleibt), kann davon ausgegangen werden, dass seine medizinische Praxis vorrangig pneumatische Ansätze beinhaltet, unabhängig davon, ob er eine medizinische Ausbildung als Pneumatiker erfahren hat oder ob er seine
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Zusammenfassung und Diskussion religiösen Vorstellungen in seine ärztliche Tätigkeit einfließen lässt. Die weitgehend konfliktlose Kompatibilität der dogmatisch-hippokratischen Medizin mit dem christlichen Glauben und das überlieferte wohlwollend-neutrale Verhältnis zwischen dem Christentum und Galen, der als Vertreter bzw. Weiterentwickler dieser Medizinschule anzusehen ist, lässt vermuten, dass viele christliche Ärzte dieser medizinischen Richtung zuzurechnen sind. Zwar fehlen hierfür eindeutige epigraphische Hinweise aus der Spätantike, allerdings unterstützt die Tatsache, dass die Galensche Medizin über viele Jahrhunderte die kirchlich geduldete Hauptrichtung bleibt, die Annahme, dass schon in der frühen Kirche diese Schule breite Zustimmung christlicher Ärzte erfährt. 7. Christlicher Lebensschutz und Schwangerschafts-, Geburts- und Kindermedizin Eine deutliche Akzentverschiebung im Wertesystem der antiken Medizin bewirkt das Christentum mit seiner Betonung des Lebensrechtes geborener wie ungeborener Kinder. Diese Aufwertung des Kindes geht mit der bereits dargestellten untergeordneten Rolle der Frauen einher. Während Apologeten wie etwa Tertullian gegen die Abtreibung wettern, scheint im medizinischen Bereich die Frauenheilkunde unter christlichen Ärzten im Unterschied zu ihren paganen KollegInnen unterrepräsentiert zu sein – soweit die dürftige Quellenlage eine solche Interpretation zulässt. In Schulzes Prosopographie lässt sich unter über 100 christlichen 328
Zusammenfassung und Diskussion Ärzteinschriften nur der Titulus der ivatro,mea Stephanis finden, was etwa „ärztliche Hebamme“ bedeutet. Wenngleich auch christliche Hebammen der Antike belegt sind, steht ihre Berufsgruppe aus Sicht der strengen Apologeten wie Tertullian im Verdacht, gegen das göttliche Schöpfungswerk zu agieren, denn zu ihren Aufgaben gehört auch die Durchführung von Abtreibungen. Die Inschrift der christlichen Standesvertreterin Stephanis gibt nur indirekte Hinweise auf eine christliche Neuausrichtung zugunsten einer stärkeren Beachtung des Lebensrechtes. Auf der Inschrift ihres Sohnes Georgios findet auch Stephanis Ehemann Stephanos Erwähnung, der Bäcker ist. Das Bäckerhandwerk mit seiner Konzentration auf das Brot dient wie die Hebammentätigkeit aus der Perspektive christlicher Symbolik dem Leben. Beide Namen, Stephanis und Stephanos, leiten sich gleichwohl vom ersten schriftlich belegten Blutzeugen des Christentums ab, vom Diakon Stephanus, von dem die Apostelgeschichte berichtet, dass er bereit ist, sein Leben für den Glauben an Christus hinzugeben (Apg 7, 54ff.). Hierin zeigt sich eine Lebensauffassung im Sinne der Jesusworte des Markusevangeliums: „Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen und um des Evangeliums willen verliert, wird es retten.“ (Mk 8, 35). Eine Grabinschrift für den fünfjährigen Oktimos aus dem 4. Jahrhundert stellt ebenfalls eine Verbindung des Kleinkindes zum Märtyrertum her. Dies kann als indirekter Hinweis darauf verstanden werden, dass die christliche Aufwertung des Kindes u.a. in der Vorstellung besteht, dass ein (getauftes) Kind noch unschuldig sei
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Zusammenfassung und Diskussion und daher wie ein Märtyrer direkt nach seinem Tode zu Gott aufsteige. 8. Auferstehungsglaube und Iatrotheologie Der Auferstehungsglaube des Christentums ist nicht einzigartig; Jenseitsvorstellungen sind auch in anderen religiösen Erscheinungen der Antike bekannt, im hellenistischen Kulturraum v.a. in den Mysterienkulten. Im Unterschied zu anderen abstrakten Auferstehungs- oder Reinkarnationsvorstellungen ist die konkrete individuelle Hoffnung auf ein Leben nach dem irdischen Tod zentraler Inhalt des Christentums. Die Vorstellung einer leiblichen Auferstehung wirkt in den Bereich der Medizin hinein durch ein über viele Jahrhunderte aufrecht erhaltenes Verbot menschlicher Leichensektionen, was die Verbreitung anatomischer Kenntnisse lange Zeit erschwert. Auf die apostolische Erfahrung der Auferstehung Jesu Christi gründet sich diese Religion, die frohe Botschaft vom Sieg des Lebens über den Tod ist darum Kern der christlichen Verkündigung. Dieser Glaubensinhalt bietet für breite Schichten des christianisierten Abendlandes Trost und Stärkung in der Todesstunde. Für den Bereich der Medizin erwächst hieraus auch für den Arzt eine Erleichterung der Sterbebegleitung. Dennoch kann das Christentum den Umgang mit dem Sterben nicht generell verändern, der Umgang mit dem eigenen Tod bzw. mit dem Verlust nahe stehender Menschen bleibt eine individuelle Angelegenheit mit einer großen Bandbreite menschlicher Empfindungen. Auch im christlichen Umfeld sind aus der Spätantike
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Zusammenfassung und Diskussion Verzweiflung und Schmerz der Hinterbliebenen epigraphisch überliefert. In ihrer Jenseitserwartung erfährt die christliche Botschaft durch die kirchliche Etablierung eine theologische Akzentverschiebung. Zugleich mit der Herausbildung einer hierarchisch-monarchischen bischöflichen Amtsstruktur der Kirche gerät die Gerichtseschatologie in den Vordergrund. Aussicht auf einen jenseitigen Einzug in das Paradies hat nur, wessen Sünden restlos vergeben sind, wer also nach der Taufe keine Schuld mehr auf sich lädt. Daraus entsteht in der Spätantike eine ausgeprägte Sündenangst, so dass viele Christen vermutlich voller Angst in den Tod gehen. Für den christlichen Arzt erwächst daraus für die Sterbebegleitung die Aufgabe, möglichst genau den Todeszeitpunkt einzuschätzen, um einen Kleriker hinzuzuziehen, damit dieser noch rechtzeitig die Taufe oder in späteren Epochen die Sündenabsolution spenden kann. Die hervorgehobene Bedeutung der Taufe bewirkt sogar, dass in der Sakramentstheologie der Vollzug dieser kirchlichen Heilshandlung in Notfällen auch von christlichen Laien vorgenommen werden darf. Diese Ausnahmeregelung trifft naturgemäß besonders für medizinisches Personal zu. Im Kapitel „Christlicher Lebensschutz und Schwangerschafts-, Geburts- und Kindermedizin“ betont Nutton im Bezug auf christliche Hebammen, dass die Taufe als einziges Sakrament sogar von Frauen gespendet werden kann.15
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Zusammenfassung und Diskussion Zeitliche und örtliche Einordnung der Funde Bereits in der Einleitung dieser Arbeit wird darauf hingewiesen, dass der Aufzug des Christentums kein eindimensionaler Vorgang ist. Die neue Religion bricht nicht als „monolithisches Ereignis“ in das spätantike Gesellschafts- und Medizinwesen ein, sondern zeigt ihrerseits sehr unterschiedliche Ausprägungen in verschiedenen Phasen ihrer Ausbreitung bzw. an den unterschiedlichen Orten ihres Auftretens. Im Folgenden soll ein Resümee unter Berücksichtigung der in der Einleitung zur „Zeitlichen und örtlichen Gliederung“ aufgeworfenen Fragen gezogen werden. 1. Zeitliche Analyse der Inschriften Von den 31 in dieser Arbeit analysierten Christenarzt-Inschriften gibt Schulze in 30 Fällen eine vermutete Entstehungszeit an; lediglich die Inschrift der „gynäkologischen Hebamme” Stephanis bleibt ohne Datierungsvorschlag. Die Zeitangaben der griechischen Inschriften beziehen sich am häufigsten auf die entsprechende Datierung bei Samama, die für sämtliche ihrer untersuchten (griechischen) „Sources épigraphiques“ eine Entstehungszeit vorschlägt; die ivatrome,a Stephanis wird bei ihr nicht aufgeführt, die sie demnach im Gegensatz zu Schulze offenbar nicht dem Ärztestand zurechnet. Samamas Datierungen decken sich weitgehend mit den Zeitvorschlägen der anderen angeführten Sekundärquellen, lediglich im Falle der Doppelinschrift des Archiaterpaares Aurelios Gaios und seiner Frau Augousta besteht eine deutliche 332
Zusammenfassung und Diskussion Diskrepanz zwischen Samama, die das 3.-4. Jhdt. veranschlagt und Flemming, die vermutet, der Titulus sei im 4.-6. Jhdt. angefertigt worden. Die zeitliche Skalierung erfolgt in aller Regel in der Zuordnung zu einem Jahrhundert, nur in einem Fall werden in der Sekundärliteratur konkrete Jahreszahlen angegeben: Im Falle der Grabinschrift des alexandrinischen „Bruders Johannes“, Sohn des Arztes Serenos (im Kapitel „Seelsorge und Arztberuf“), rekonstruieren Schulze und Samama aus den Angaben der Inschrift jeweils ein konkretes Sterbejahr des Johannes. Wie in der Fußnote zu diesem Titulus bereits ausgeführt, interpretieren beide die Nennung der „14. Interdiktion Diokletians“ jeweils unterschiedlich, so dass Schulze auf das Jahr 556 kommt, während Samama sieben Jahre später, also 563, angibt. In einem anderen Fall grenzt hingegen die vorliegende Arbeit den Datierungsvorschlag von Schulze unter Bezug auf Samama aus inhaltlichen Aspekten weiter ein: Für die Inschrift der Ärztin und fraglichen Diakonisse Amazone, die im Kapitel „Kirchliches Frauenbild und Ärztinnenberuf“ untersucht wird, lautet Samamas Datierungsvorschlag „4. bis 5. Jahrhundert“. Aufgrund des Fundortes und der fraglichen thematischen Einbettung der Inschrift in die (kirchen-)geschichtlichen Ereignisse in Konstantinopel unter Kaiser Theodosius II. wird in dieser Arbeit davon ausgegangen, dass der Grabtitulus um 430 aufgestellt wird.
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Zusammenfassung und Diskussion Während ansonsten alle Datierungsvorschläge bei Schulze (unter Berufung auf weitere Sekundärquellen) übernommen werden, weicht diese Untersuchung im Fall des Titulus des römischen Arztes „Aratus“ (oder „...-aratus“) im Kapitel „Religiöse Überzeugungen und Ärzteschulen“ von den Vorgaben Diehls ab. Die Inschrift nennt als Beerdigungszeitpunkt das Konsulat eines gewissen Basilius (der angeblich „äußerst berühmt“ sei). Insofern kann Schulzes Verweis auf Diehl „Zwischen 542 und 565“ nicht stimmen,16 denn in (West-)Rom endet diese politische Organisationsform im Jahr 534 mit dem Konsulat des Flavius Decius Paulinus, während im Osten noch sieben Jahre länger Konsule existieren.XI Im fünften Jahrhundert gibt es allerdings eine Vielzahl (mehr oder minder berühmter) Konsule mit dem Namen „Basilius“, so dass die fragliche Inschrift in der vorliegenden Arbeit ein Jahrhundert früher als bei Diehl veranschlagt wird. (Vgl. hierzu die Anmerkungen zur „Araratus/…-aratus“-Inschrift unter der örtlichen Einordnung „Rom“). Am unsichersten bleibt – wie oben erwähnt – die Datierung der Inschrift des Archiaterpaares Aurelios Gaios und seiner Gattin Augousta: während Flemming schon großzügig das „4.-6. Jahrhundert“ vorschlägt, setzt Samama das „3.-4. Jahrhundert“ an, so In Byzanz endet das Konsulat 541 tatsächlich mit einem gewissen Basilius: Anicius Faustus Albinus Basilius. Dieser oströmische Konsul wird jedoch kaum von DIEHL für seinen Datierungsvorschlag 542 herangezogen, da „Aratus/…-aratus“ in Westrom zu Grabe gelegt wird. Das römische Selbstverständnis als „Caput mundi“ würde wohl kaum einen byzantinischen Konsul als Bezugsgröße anführen. XI
334
Zusammenfassung und Diskussion dass insgesamt ein potenzieller Entstehungszeitraum von 400 Jahren genannt wird. Auch für die ägyptischen Geistlichenärzte Petosiros und Johannes bleibt Samamas Datierung in der Größenordnung von 3 Säkula unscharf; sie gibt das „4.-6.“ bzw. „5.-7. Jahrhundert“ an. In allen anderen Fällen wird die Entstehungszeit zwar ebenfalls nur ungenau geschätzt, allerdings beschränkt sich die Festlegung immerhin nur auf ein Jahrhundert – einige Datierungen werden noch vage weiter eingegrenzt wie etwa die römische Inschrift des Dionysius (s. Kapitel „Gebot der Nächstenliebe und Arztberuf“), wo „Mitte des 5. Jahrhunderts“ angesetzt wird oder die seines griechischen Namensvetters Dionysios, die auf „Ende des 3./Anfang des 4. Jahrhunderts“ geschätzt wird. Dieser Titulus ist demnach zusammen mit der ebenfalls ins 3. Jahrhundert datierten Inschrift des Aurelios Messalas die früheste in dieser Arbeit untersuchte Inschrift. Nach Schulze ist der Dionysios-Titulus außerdem „eine der meistzitierten christlichen Inschriften“.17 Am anderen Ende der Zeitachse steht das Graffito des Arztes „Abba Johannes“ aus dem Epiphaniuskloster im ägyptischen Theben; wie erwähnt wird es von Samama ins fünfte bis siebente nachchristliche Jahrhundert datiert. Nach üblichen Epocheneinteilungen der europäischen Geschichte läge dieses Datum schon jenseits der (Spät-)Antike, deren Ende oft mit dem Untergang des weströmischen Reiches 476 angesetzt wird. Allerdings scheint eine Zurechnung dieser späten Quelle zu den spätantiken Inschriften 335
Zusammenfassung und Diskussion für den nordafrikanischen Raum gerechtfertigt, da hier der entscheidende Epocheneinbruch in der Ausbreitung des Islam bis zum Tod Mohammeds im Jahr 632 zu sehen ist, so dass das Johannes-Graffito noch in dieser letzten Phase der Spätantike Nordafrikas anzusiedeln ist. In der nachstehenden Grafik werden alle analysierten Inschriften (mit Ausnahme des undatierten Grabtitulus des Georgios, das seine Mutter Stephanis als „ärztliche Hebamme“ ausweist) jeweils einem Säkulum oder einer „Jahrhundertwende“ (z.B. 3./4. Jht.) zugeordnet. Bei größeren Zeiträumen in den angegebenen Datierungen wird jeweils die rechnerische Mitte angesetzt (demnach findet sich also z.B. der Titulus des bereits mehrfach erwähnten „Abba Johannes“ aus Theben, für den Samama das 5.-7. Jahrhundert veranschlagt, am äußeren rechten Rand der Grafik im 6. Jahrhundert). Amazone wird gemäß den oben ausgeführten Überlegungen ins 5. Jahrhundert eingeordnet, gleiches gilt für „Aratus/…-aratus“. Die Doppelinschrift des Archiaterpaares Aurelios Gaios und Augousta wird nur einmal eingerechnet und zwar ins 4. Jahrhundert, denn diese Periode bildet die Schnittmenge zwischen Samamas (3.-4. Jht.) und Flemmings Datierung (4.-6. Jht.).
336
Zusammenfassung und Diskussion 12
Anzahl der Inschriften
10 8 6 4 2 0 3. Jht.
4. Jht.
5. Jht.
6. Jht
Diagramm 1: Zeitliche Verteilung der untersuchten Inschriften
Demnach stammt das Gros der Funde aus dem 4.-5. Jahrhundert, also nach der Konstantinischen Wende und der staatlichen Anerkennung des Christentums. Das Tal an der Wende vom 5. zum 6. Jahrhundert könnte möglicherweise eine Folgeerscheinung des Untergangs des römischen Imperiums sein. Unter Zugrundelegung der in der Einleitung vorgenommenen Gliederung ergibt sich hieraus folgender Befund: • Die sehr frühe Phase der Ausbreitung des Christentums ist in der vorliegenden Arbeit durch keine sicher datierte Inschrift vertreten. Dies mag zum einen schlicht daran liegen, dass das Christentum in den ersten Jahrhunderten trotz der geschilderten 337
Zusammenfassung und Diskussion Missionserfolge dennoch nur wenige Menschen umfasst, so dass die Quellenmenge insgesamt sehr klein ist und aus der Schnittmenge „Christ und Arzt“ kein inschriftlicher Fund vorliegt. Der größere zeitliche Abstand zur Neuzeit hingegen kann nicht als Begründung für die leere Quellenlage angeführt werden, denn für den paganen Bereich existieren aus dieser Zeit durchaus Inschriften von Medizinern. Wenngleich in der Einleitung dieser Arbeit die ersten zwei Jahrhunderte nach Jesu Tod als Phase „relativer Rechtssicherheit“ beschrieben werden, da die großen Kirchenverfolgungen erst ab 250 unter Decius und Diokletian einsetzen, gibt es auch in diesem Zeitraum Christenpogrome und Repressalien, so dass auch für den ersten Abschnitt erwartet werden kann, dass die Christen aus Vorsicht vor der heidnischen Umwelt ihre Toten nicht immer mit eindeutig christlichen Symbolen bestatten – oder dass entsprechende Inschriften durch Christenverfolger zerstört werden. Bereits in der Einleitung wird über diese Periode der äußeren Bedrängnis vermutet, dass „zum Schutz der Hinterbliebenen etwa auf Grabinschriften nicht das offensichtlich christliche Kreuz, sondern die geheime Symbolik etwa des Fisches verwendet wird.“ (Vgl. hierzu den nächsten Abschnitt „Die Phase der Christenverfolgungen“.) Die Zuordnung der Inschriften jeweils zu einem Säkulum bzw. zum Übergang zwischen zwei Jahrhunderten stellt insbesondere für das dritte Jahrhundert eine unbefriedigend unscharfe Einteilung dar. Die massiven Kirchenverfolgungen ab der Mitte dieses Säkulums sind die entscheidende Zäsur dieses Zeitraums, so dass 338
Zusammenfassung und Diskussion die Frage relevant ist, ob ein bestimmter Titulus vor oder nach diesem Einschnitt angefertigt wird. In der vorliegenden Arbeit werden zwei Inschriften in das fragliche Jahrhundert datiert, die Inschrift des Presbyter-Arztes Dionysios im Kapitel „Seelsorge und Arztberuf“ sowie die des Aurelios Messalas im Kapitel „Auferstehungsglauben und Iatrotheologie“. Während für die Dionysios-Inschrift eher der Übergang vom dritten zum vierten Jahrhundert angesetzt wird und inhaltlich im entsprechenden Kapitel diskutiert wird, ob Dionysios ggf. Opfer der besagten Pogrome sein könnte, scheint eine Zuordnung des Titulus des phrygischen Arztes und Ratsherrn Aurelios Messalas in die sehr frühe Phase der Ausbreitung des Christentums gerechtfertigt. Folgende inhaltliche Überlegung stützen diese Datierung: Phrygien gehört zu den Gebieten, die Paulus auf seiner zweiten Missionsreise 48-51 durchquert: „Weil ihnen aber vom Heiligen Geist verwehrt wurde, das Wort in der Provinz Asien zu verkünden, reisten sie durch Phrygien und das galatische Land.“ (Apg 16, 6). Später kehrt der Apostel erneut nach Phrygien zurück (vgl. Apg 18, 23). Es ist demnach möglich, dass dort sehr früh Christen existieren. Die Warnung des Grabtitulus des Aurelios Messalas gegenüber einem potentiellen Grabschänder, er werde „es mit Gott zu tun bekommen“, mag diese These unterstützen: zum einen wird diese Drohung kaum an die eigenen Glaubensgenossen gerichtet sein, von denen Aurelios wohl annehmen kann, dass sie seine Grabruhe achten; gegenüber der polytheistischen Umwelt soll die Mahnung vor einem anonymen Gott dennoch 339
Zusammenfassung und Diskussion genug Abschreckungskraft haben, um ihren Zweck zu erfüllen. Den thematischen Einstieg über einen nicht näher bezeichneten Gott zur hellenistischen Zuhörerschaft wählt auch Paulus auf der besagten zweiten Missionsreise in Athen, wo er über den „unbekannten Gott“ predigt (Apg 17, 23). In der Grabinschrift des Aurelios fällt zudem die besondere Verflechtung dieser offenbar christlichen Familie auf. Auch dieses Indiz spricht für die frühchristliche Praxis, beim Übertritt eines Familienoberhauptes zum christlichen Glauben dessen gesamten Hausstand mit zu taufen. So berichtet die Apostelgeschichte z.B. wenige Zeilen nach Paulus` Durchquerung Phrygiens über seine Begegnung mit der Purpurhändlerin Lydia aus Thyatira: „Als sie und alle, die zu ihrem Haus gehörten, getauft waren, bat sie: Wenn ihr überzeugt seid, dass ich fest an den Herrn glaube, kommt in mein Haus, und bleibt da.“ (Apg 16, 15) • Die Phase der Christenverfolgungen zwischen 249 - 310 unter Decius bis Diocletian: Die Überlegungen im vorherigen Abschnitt „Die sehr frühe Phase der Ausbreitung des Christentums“ über die Vermeidung eindeutig christlicher Symbolik auf Grabmalen zum Schutz der Hinterbliebenen treffen für diese Periode sogar noch verstärkt zu. Es kommt daher zum Wiederaufgreifen altchristlicher Erkennungszeichen in der Verfolgungszeit.XII In diesem Sinne interpretiert wird etwa die Inschrift eines gewissen Aurelios Priskos in SCHULZES Prosopographie (SCHULZE, Medizin und Christentum, Inschrift Nr. 15, S. 55, Verweis auf LAMINGER-PASCHER, S.
XII
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Zusammenfassung und Diskussion Unter den im Hauptteil dieser Arbeit untersuchten Inschriften finden sich solch ornamentalen Indizien indes nicht; allerdings kann mit einiger Wahrscheinlichkeit der im Kapitel „Seelsorge und Arztberuf“ besprochene Titulus des Presbyters Dionysios in die Zeit der Kirchenverfolgung unter Diokletian eingeordnet werden (siehe hierzu die Ausführungen im entsprechenden Kapitel), u.a. weist der Gebrauch der griechischen Sprache mitten in Rom auf diese frühe Phase hin. • Die Konstantinische Wende ab 312 bringt auch im Hinblick auf die in der vorliegenden Arbeit untersuchten christlichen Arztinschriften den Durchbruch: fast alle Funde stammen aus der Zeit der staatlichen Anerkennung des Christentums. Insofern stellt die in der Einleitung vorgeschlagene Zeiteinteilung nur ein unscharfes Gliederungssystem dar, das sich an den äußeren Fixpunkten der Kirchengeschichte orientiert. Entscheidender für eine sinnvolle Rubrifizierung der einzelnen Inschriften in bestimmte Zeitspannen sind eher innere kirchliche Entwicklungen, auf die im Hauptteil dieser Arbeit näher eingegangen wird. 199, Nr. 326; CALDER, S. 20, Nr. 118; RAMSAY, S. 53ff., SAMAMA, S. 443, Nr. 344). Die eindeutig christliche Ornamentik oberhalb des Textes zeigt weder ein Kreuz noch ein Christogramm, sondern drei Fische. GERTRUD LAMINGERPASCHER führt dementsprechend aus: „Dass man hier zum alten christlichen Symbol der Fische zurückgreift, das in Isaurien schon im ersten Jahrhundert auftritt, zeigt, dass der Stein während der Christenverfolgungen des 3. Jh. (Decius oder Diocletian) gesetzt sein muss.“ (LAMINGER-PASCHER, S. 199).
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Zusammenfassung und Diskussion Eine solche zeitliche Feingliederung könnte etwa folgende Punkte umfassen: − die stärkere Betonung der Askese, ausgehend vom ägyptischen Mönchtum ab dem Ende des 3. JahrhundertsXIII, vgl. etwa die Einordnung der Inschrift der Scantia Redempta im Kapitel „Kirchliche Sexualmoral und Arztberuf“ − der Rekurs auf jüdische und heidnische Kultelemente ab dem vierten Jahrhundert, in dessen Folge der Presbyter zum „Priester“, der Diakon zum „Leviten“, die Eucharistie zum „Opfermahl“ werden, vgl. etwa die entsprechende Einordnung des Dionysius-Titulus im Kapitel „Gebot der Nächstenliebe und Arztberuf“ − die Ausdehnung des Märtyrerbegriffs über die kleine Gruppe der echten Blutzeugen hinaus ab der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts; vgl. hierzu etwa die Ausführungen zur Inschrift des fünfjährigen Oktimos im Kapitel „Christlicher Lebensschutz und Schwangerschafts-, Geburts- und Kindermedizin“ − die Auswirkungen der nordafrikanisch-ägyptischen Mystik mit der Vorstellung eines Aufstiegs der Seele zu Gott auf entsprechende Konzepte einer „Seelenmedizin“ vom 4. bis zum 6. Jahrhundert; vgl. hierzu etwa die Inschrift des Dioskoros aus Mailand, deren Entstehungszeit auf die Wende zum 5. Jahrhundert datiert Das ägyptische Mönchtum wird maßgeblich vom Einsiedler Antonius († 356) ausgestaltet.
XIII
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Zusammenfassung und Diskussion wird (Kapitel „Religiöse Überzeugungen und Ärzteschulen“) − die Abfärbung der dogmatischen Auseinandersetzungen der jungen Kirche auf das geistige Klima der Zeit. Wenn z.B. die Annahme richtig ist, dass ein thematischer Zusammenhang zwischen dem Ausdruck „Magd Gottes“ und dem nestorianischen Streit um den theotókos-Begriff besteht, muss der Grabstein der Amazone folglich aus dem fünften Jahrhundert stammen; vgl. Kapitel „Kirchliches Frauenbild und Ärztinnenberuf“ 2. Örtliche Analyse der Inschriften Naturgemäß liegen über den jeweiligen Fundort einer Quelle in aller Regel gesichertere Kenntnisse vor als über ihre Entstehungszeit, die oftmals nur anhand stilistischer oder thematischer Kriterien geschätzt werden kann. Von den untersuchten 31 christlichen Arztinschriften bleibt nur in wenigen Fällen der genaue Fundort ungeklärt: Vom Grab des Mönches und Arztes Petosiros wird nur angegeben, dass es in Ägypten liegt, „genauer Fundort unbekannt“, wie es lapidar bei Schulze heißt.18 Bei der überwiegenden Mehrzahl der untersuchten Inschriften ist eine genauere geographische Angabe überliefert, wenngleich wiederum eingeschränkt werden muss, dass in einigen Fällen ein Gedenkstein als Baumaterial von seinem ursprünglichen Aufstellungsort wegtransportiert und in ein Bauwerk inkorporiert worden ist. Dies gilt für die bereits mehrfach als Ausnahme herausge343
Zusammenfassung und Diskussion stellte Inschrift Amazones, die in die Theodosianischen Landmauer eingebaut war, aber auch für die Inschrift des Diakons und Arztes Theodoros und seiner Frau, die Gilbert Dagron und Jean Marcillet-Jaubert in 10 Metern Höhe in einem Gebäude gefunden haben; vgl. hierzu die Anmerkungen im Kapitel „Kirchliche Ämter und Arztberuf“. Allerdings kann in diesen Fällen davon ausgegangen werden, dass dieses „Baumaterial“ nicht über sehr weite Entfernungen herbeigebracht worden ist, dass also der Fundort nah beim Aufstellungsort liegt. Diese Überlegung ist insbesondere unter dem Aspekt stichhaltig, dass in der vorliegenden Untersuchung ohnehin nur eine grobe geographische Einteilung vorgenommen wird. In der Einleitung wird zwischen folgenden christlichen „Großräumen“ unterschieden: Ägypten, Nordafrika, Syrien und Rom. Auch diese Einteilung hat sich in strikt geographischer Hinsicht bei der Analyse der untersuchten Quellen nicht bewährt, nur aus Rom und Ägypten stammen einige der Inschriften, aus Nordafrika oder Syrien selbst kommt kein einziger der hier untersuchten Tituli. Wenn diese räumliche Einteilung hingegen nicht im strengen Sinne geographisch, sondern nach „Einflusssphären“ bestimmter theologischer Richtungen betrachtet wird, ergibt sich ein differenzierteres Bild: • Kleinasien Die „antiochenische Theologie“ wirkt über den Bereich Syriens hinaus. Dies gilt in erster Linie für das benachbarte Kilikien, wo 344
Zusammenfassung und Diskussion viele der im Kapitel „Kirchliche Ämter und Arztberuf“ untersuchten Diakonen-Arztinschriften gefunden wurden. Einer der bedeutenden Theologen der antiochenischen Schule, Theodor von Mopsuestia, stammt offenbar selbst aus dieser kilikischen Stadt. Im Kapitel „Kirchliche Ämter und Arztberuf“ wird darüber hinaus darauf hingewiesen, dass der Einfluss der antiochenischen Schule wohl den gesamten kleinasiatischen Raum erreicht haben dürfte; zwei weitere prominente Vertreter der antiochenischen Schule beginnen ihr theologisches Wirken im syrischen Bereich und werden später jeweils beide Bischof in der oströmischen Hauptstadt Konstantinopel: Johannes Chrysostomus und Nestorius. Sie umklammern die kleinasiatischen Christengemeinden demnach geographisch – und möglicherweise auch inhaltlich. Wenn der gesamte kleinasiatische Großraum als Einflusssphäre der antiochenischen Theologie zu Grunde gelegt wird, umfasst die vorliegende Arbeit demnach 11 Inschriften, die von der antiochenischen Schule beeinflusst scheinen, hierunter wiederum der Amazone-Titulus, der aus Konstantinopel, also dem äußersten westlichen Punkt dieses konstruierten Bereichs, stammt. Seine Zuordnung zum kleinasiatisch-syrischen Gebiet erfolgt einerseits, weil im östlichen Frühchristentum das Auftreten von Diakonissen belegt ist, andererseits weil in dieser Arbeit spekuliert wird, ob der Ausdruck „Magd Gottes“ die Frage nach der Rolle Marias im nestorianischen Streit aufgreife. Die übrigen Inschriften stammen
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Zusammenfassung und Diskussion aus den kleinasiatischen Provinzen KilikienXIV, KarienXV, IonienXVI, Bithynien (Nikomedia)XVII und PhrygienXVIII. Eine zusammenfassende Charakterisierung der „antiochenischen Schule“ ist problematisch. Sie wird in erster Linie als Gegenstück zur alexandrinischen Schule gesehen, deren spekulative und idealisierende Methode abgelehnt wird. Am deutlichsten wird der unterschiedliche Ansatz in der Exegese, wo eine zu weitreichende Allegorisierung abgelehnt wird (s.u.). Als Hauptmerkmal zeichnet demnach die antiochenische Schule ihre größere Nüchternheit und Sachlichkeit aus, ihr Widerstand gegen substanzlose Vergeistigung des christlichen Glaubens, eine stärkere Orientierung an der äußeren Struktur. Wenngleich bei den untersuchten kleinasiaDie Inschriften der Diakonenärzte Theodoros und Pantoleon, die im Kapitel „Kirchliche Ämter und Arztberuf“ besprochen werden, außerdem die der ärztlichen Hebamme Stephanis aus dem Kapitel „Christlicher Lebensschutz und Schwangerschafts-, Geburts- und Kindermedizin“ stammen ebenso aus Kilikien wie der Titulus des Archiaterpaares Aurelios Gaios und Augousta im Kapitel „Auferstehungsglauben und Iatrotheologie“. XIV
Hierher stammen die Diakonenärzte Anastasios, Anatolios und Rouphos, die ebenfalls im Kapitel „Kirchliche Ämter und Arztberuf“ besprochen werden. XV
Als weiterer Diakonenarzt stammt auch Johannes aus dem kleinasiatischen Ionien, siehe Kapitel „Kirchliche Ämter und Arztberuf“ XVI
In Nikomedia wurde das Grab des fünfjährigen Oktimos gefunden, das im Kapitel „Christlicher Lebensschutz und Schwangerschafts-, Geburts- und Kindermedizin“ aufgeführt wird.
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Hierher stammt die vermutlich früheste Inschrift dieser Arbeit: der Titulus des Aurelios Messalas.
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Zusammenfassung und Diskussion tischen Inschriften kein Beispiel für ein wörtliches Bibelverständnis im Sinne des in der Einleitung angeführten Beispiels gefunden wurde („Nicht das, was durch den Mund in den Menschen hineinkommt, macht ihn unrein, sondern was aus dem Mund des Menschen herauskommt, das macht ihn unrein.“; Mt 15, 11), zeichnet die starke Beachtung der äußeren Struktur insbesondere die kleinasiatischen Diakonen-Arzt-Inschriften aus; hier wird großer Wert auf hierarchische Abstufungen unter den kirchlichen Ämtern gelegt. • Ägypten Wie dargestellt, untersucht die vorliegende Arbeit keine Inschriften, die aus dem Kernland Syriens stammen, so dass die kleinasiatischen Tituli einem virtuellen kleinasiatischen Einflussgebiet der „antiochenischen Schule“ zugeordnet werden. Für Ägypten werden hingegen vier Inschriften in der vorliegenden Arbeit analysiert, die aus dem Umland Alexandriens stammen. Drei davon werden im Kapitel „Seelsorge und Arztberuf“ besprochen, wo es um die Herausbildung einer Seelenmedizin geht: davon sind zwei Grabinschriften – die des Petosiros und des „Bruders Johannes“ (in der sein Vater, der Arzt Serenos, erwähnt wird) sowie das Graffito eines weiteren Johannes`, das aus dem Epiphaniuskloster in Theben stammt. Während Petosiros in seiner Inschrift explizit „Mönch“ (monacou/) genannt wird, lautet die geistliche Bezeichnung der beiden Johannes` avbba bzw. a;pa, was wohl beides etwa „Pater“ bedeuten wird, also ebenfalls auf einen mönchischen Hintergrund deuten könnte (vgl. hierzu die Anmerkungen im ent347
Zusammenfassung und Diskussion sprechenden Kapitel unter Verweis auf die diesbezügliche Arbeit von Derda und Wipszycka). Es ist also eine Verbindung zum ägyptischen Mönchtum mit seiner spirituell-mystischen Ausprägung zu unterstellen, was thematisch gut zum Konzept einer Seelenmedizin passt. Dieses Konzept wird in der Darstellung der Rolle von Augustinus aufgegriffen (s.u.). Als vierte Inschrift aus dem ägyptischen Raum wird im Kapitel „Auferstehungsglauben und Iatrotheologie“ der abgeklärte Grabspruch des Biktor besprochen: „Sei nicht betrübt: Niemand nämlich ist unsterblich in dieser Welt.“19 Auch diese Aussage passt gut in das mystische Konzept der alexandrinischen Theologie, wonach konkreten, irdischen und materiellen Werten weniger Bedeutung beigemessen wird, sondern der geistige Aufstieg zu Gott im Vordergrund steht. Insofern ist auch der Tod kein Anlass, „betrübt“ zu sein, sondern er markiert die Loslösung der Seele vom erdverbundenen Leib, um jetzt befreit eben diesen Aufstieg endgültig zu vollziehen, was zuvor nur in mystischen Praktiken vorläufig und unvollständig gelungen ist. „Dieser Welt“ wird in Biktors Inschrift offensichtlich kein allzu großes Gewicht beigemessen. • Nordafrika Wie bereits erwähnt, stammt keine einzige der Inschriften dieser Arbeit aus Nordafrika selbst. Die epigraphische Quellenlage ist für dieses Gebiet ohnehin dürftig; Schulze listet in seiner Proso-
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Zusammenfassung und Diskussion pographie ganze 5 InschriftenXIX aus dem nordafrikanischen Raum auf; eine so geringe Anzahl an Funden wird der Größe und der Bedeutung der afrikanischen Kirche nicht gerecht. Allerdings kann der Mangel an überlieferten Christenarzt-Inschriften aus diesem Bereich nicht schlicht als Bejahung der in der Einleitung aufgeworfenen Thesenfrage gewertet werden: „Die dargestellte strenge Heiligkeitsauffassung in der afrikanischen Kirche mit der rigorosen Ablehnung paganer Traditionen (Tertullian) deutet eine besonders schwierige Integrationssituation für Ärzte in dieser Region des römischen Weltreiches an. Lassen sich signifikant weniger christliche Ärzte in dieser Provinz feststellen?“ Einer solchen Interpretation ist entgegen zu halten, dass – neben der noch immer geringen archäologischen Forschung in diesem Gebiet – die nordafrikanische Kirche zwei schwere Erschütterungen erfahren hat, zunächst die Eroberungen durch die Vandalen im fünften Jahrhundert, gut zwei Jahrhunderte später der völlige Untergang durch den Einfall des Islam. Baus urteilt dementsprechend, „dass das nordafrikanische Christentum anders als das ägyptische oder syrische unter ähnlichen Bedingungen als größere organisierte Gemeinschaft relativ rasch untergegangen ist. Die oft gestellte Frage nach den Ursachen dieses Vorganges lässt sich nur mit dem Hinweis auf eine Mehrzahl von Faktoren beantworten. Diese Inschriften sind die des Cottinus aus Furnos Minus in Africa proconsularis (Inschrift Nr. 78, S. 87), des Flabius Quintus aus Mactaris in Africa proconsularis (Nr. 81, S. 89/90), des Rozonus aus Cartenna in Mauretanien (Nr. 91, S. 94), eines anonymen Synodenarztes aus Karthago (Nr. 97, S. 97) sowie als unsicherer Befund die Inschrift eines gewissen Archiaters Filiossus aus Karthago (Nr. 106, S. 102). XIX
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Zusammenfassung und Diskussion Eine weit zurückreichende Ursache war schon mit der Spaltung der afrikanischen Christenheit in eine katholische und donatistische Konfession gegeben, die ihre innere Kraft immer wieder minderte. Eine weitere Schwächung erfolgte durch die vandalische Verfolgung mit ihrer zermürbenden Dauerwirkung, von der sich die Kirche nie recht erholt hat.“20 Bemerkenswert hierbei ist die Tatsache, dass die nachhaltigere Verwüstung und Zerstörung christlichen Kulturguts in Nordafrika nicht durch die islamischen Eroberer des achten Jahrhunderts geschieht, sondern durch die ebenfalls christlichen, aber arianischen Vandalen. Baus listet bei seiner Beschreibung des Vandalismus ausdrücklich die Zerstörung von Friedhöfen auf, was den spärlichen Erhalt von Grabinschriften erklären kann: „Verbrannte Kirchen, zerstörte Klöster, geschändete Friedhöfe, geplünderte Privathäuser“.21 Der Einfluss der großen Kirchenlehrer Nordafrikas geht ohnehin weit über das eigene Gebiet hinaus. Dies gilt insbesondere für Augustinus, der als Reaktion auf den Untergang Roms und den gegen das Christentum gerichteten Vorwurf, zur inneren Schwächung des einstigen Weltreichs beigetragen zu haben, sein Werk „De civitate dei“ verfasst, in dem er seine „Zwei Mächte“-Theorie anlegt. Dieser Dualismus, der zunächst die weltliche Macht des Staates und die geistige Macht der Kirche meint, durchzieht auch Augustins Anthropologie. Geerlings beschreibt Augustins Menschenbild als „von tiefem Pessimismus erfüllt. Der Leib-Seele350
Zusammenfassung und Diskussion Dualismus – Augustin spricht auch vom Leib-Geist-Dualismus –, der aus platonischer Tradition entstammt und durch ein manichäisches Lebensgefühl verstärkt wird, charakterisiert diese Anthropologie.“22 Der nordafrikanische Kirchenvater ist nicht nur biographisch mit Rom und der Westkirche verbunden, er hinterlässt hier auch wirkungsgeschichtlich deutliche Spuren, bis hinein in den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit. Im Rahmen des dargestellten Dualismus liegt Augustins Gewichtung eindeutig auf Seiten der menschlichen Seele, während der menschliche Leib als vernachlässigbares Gut anzusehen ist. Geerlings führt hierzu aus: „Die augustinische Anthropologie ist im wesentlichen Seelenlehre, und deshalb bezieht sich die Gottähnlichkeit des Menschen im Paradies allein auf die Seele, nicht auf den Leib. Denn die Seele ist ein großes Gut (bonum magnum), während der Leib nur ein schwaches Gut (bonum infirmum) ist.“23 Aus dieser Präferenz für die Seele zu Lasten des Körpers entstehen Konsequenzen für das medizinische Konzept Augustins. In seinen „Confessiones“ entwickelt er ein seelenmedizinisches Konzept, das stark an entsprechende mystische Prinzipien des ägyptischen Mönchtums und Vorstellungen der alexandrinischen Schule erinnert. Geerlings fasst solche Ansätze bei Augustinus, in denen es um meditative Praktiken der Selbstfindung und um ein Aufsteigen zu Gott geht, wodurch Heil erlangt werde, wie folgt zusammen: „Der Mensch kehrt also bei sich selber ein und stellt fest, dass die Sinne gelenkt werden durch die Seele. Diese gilt es daher auch zu übersteigen: ‚Hinaus351
Zusammenfassung und Diskussion schreiten also will ich auch über diesen Teil meines Wesens und auf Stufen mich zu dem erheben, der mich geschaffen hat.’“24 Das Besondere an Augustinus ist die Rezeption seiner Konzepte weit über den Raum der nordafrikanischen Kirche hinaus. Dies gilt insbesondere für seine Gnadentheologie und die Prädestinationslehre, die er gegen Pelagius herausstellt. Brox betont: „An sich war die pelagische Theologie die traditionelle, zumal in Rom, aber die Afrikaner unter der theologischen Führung Augustins setzten ihre Verketzerung in der Kirche durch und machten damit die augustinische Gnadentheologie zur Basis der westlichen Tradition.“25 Die Wirkung Augustins hinterlässt epigraphisch-medizinische Spuren im Einflussbereich der Kirche von Rom. Seelenmedizinische Konzepte, die den zitierten Vorstellungen des Nordafrikaners weit gehend entsprechen, sind etwa in der Inschrift des Arztes Dioskoros zu finden, die in der Basilica degli Apostoli in Mailand gefunden wurde (vgl. Kapitel „Religiöse Überzeugungen und Ärzteschulen“). Auch Augustins Einschätzung vom Unvermögen des Menschen, durch eigenes Handeln, z.B. durch Askese, etwas zum eigenen Heil beizutragen, sondern eben gemäß seiner Gnadentheologie ganz auf Gottes Gunst angewiesen zu sein, bewirkt letztlich die Überwindung eines übersteigerten asketischen Anspruchs an die christliche Lebensführung. Im Kapitel „Kirchliche Sexualmoral und Arztberuf“ wird dargestellt, dass es gerade Augustinus ist, der durch seine Anthropologie dazu beiträgt, dass Extremformen wie das „keusche Ehepaar“, das in der Inschrift
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Zusammenfassung und Diskussion der Scantia Redempta anklingt, keinen Bestand in der weströmischen Kirche haben. • Rom Die beiden letztgenannten Inschriften des Dioskoros und der Scantia Redempta sind jeweils zum Einflussraum der römischen Kirche zu rechnen, obgleich sie nicht aus der Stadt Rom selbst stammen. Während der Titulus der Scantia Redempta aus dem süditalienischen Capua kommt, ist Dioskoros` Inschrift in Mailand gefunden worden. Dort bringt die Ortskirche zwar zu Ende des vierten Jahrhunderts ein gewisses eigenständiges Profil unter Bischof Ambrosius von Mailand hervor, der sich für eine größere Autonomie der Kirche gegenüber der Zentralmacht in Rom einsetzt. Diese Abgrenzung gilt allerdings hauptsächlich für den kirchlichen Freiraum gegenüber den staatlichen Behörden. Obwohl z.Zt. der Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert die Mailänder Kirche auch eine eigenständige Liturgie entwickelt 26 (zur selben Zeit, als Augustinus seine „Confessiones“ verfasst und aus der die Dioskoros-Inschrift stammt), ist es vor allem Ambrosius, der gegenüber den Kaisern die kirchliche Hoheit in Fragen des Glaubens durchsetzt. Er übt auf Gratian, Valentinian II. und Theodosius I. mehrfach Macht aus, um kirchenpolitische Interessen zu verfolgen. In einem Brief an Letzteren formuliert er den Führungsanspruch der Kirche über den Kaiser: „Die staatliche Aufsichtspflicht hat sich den Ansprüchen der Gottesverehrung unterzuordnen.“27 Der Mailänder ist darum ein wichtiger Wegbereiter für die Durchsetzung eines Führungsanspruches der Kirche gegenüber der staatli353
Zusammenfassung und Diskussion chen Macht. Augustinus beschreibt ihn in eben seinen „Confessiones“ als vornehmen und gütigen Kirchenführer.XX Insgesamt können also die Mailänder Gemeinde und ihr Führer Ambrosius der römischen Kirche zugerechnet werden. Markschies urteilt zusammenfassend über Ambrosius: „Man hat es bei Ambrosius mit einem überzeugten Römer (hereditas maiorum fides uera est: in psalm. 36, 19) zu tun“.28 In der Spätantike hat sich noch keine allgemeine Hegemonie der römischen Kirche durchgesetzt, dennoch kann zumindest für die Apenninische Halbinsel eine im Wesentlichen römisch dominierte, einheitliche theologische Richtung unterstellt werden. Die Bischöfe von Rom formulieren in dieser Zeit einen allgemeinen Führungsanspruch ihres Episkopates über die Gesamtkirche, den sie als Erben der kaiserlichen Zentralmacht übernehmen. Theologisch wird die Vorrangstellung des römischen Bischofssitzes auf die angebliche Gründung durch die beiden Hauptapostel Petrus und Paulus zurückgeführt, insbesondere verstehen sich die römischen Bischöfe als Nachfolger auf dem „Stuhl Petri“. Biblisch untermauert wird dieser Primatsanspruch mit dem Satz aus dem Matthäusevangelium: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen“ (Mt 16, 18).XXI Bischof Damasus I., der von 366 bis 384 römischer Bischof ist, versteht sich selbst als Oberhaupt der ganzen Kirche, unter seinem Pontifikat wandelt XX
AUGUSTINUS, conf. 5, 13, 23
BROX betont, dass dies „Sätze der frühchristlichen Theologie, nicht historische Worte Jesu sind.“ (S. 105) XXI
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Zusammenfassung und Diskussion sich das Bischofsamt zu einer politischen Führungsfunktion: „Die Formen des autoritären Dekretierens, wie sie im Bereich der Politik üblich waren, wurden übernommen; die päpstliche Kanzlei sprach jetzt im kaiserlichen Dekretalstil, das heißt im obrigkeitlichen Befehlston von Dekreten und Edikten. Das ist besonders der Fall gewesen unter Papst Siricius I. (384 – 399), der das Papsttum weiter durchsetzte. Die Ansprüche dieser römischen Bischöfe auf den Primat wurden (auch im Westen) zwar nur teilweise anerkannt, aber sie hatten doch ihre Langzeitwirkung.“, beschreibt Brox diese römische Entwicklung.29 Beim Übergang vom 4. zum 5. Jahrhundert kann zumindest auf der italienischen Halbinsel eine weitgehende Anerkennung der römischen Führungsrolle vorausgesetzt werden. Neben den Tituli der Scantia Redempta und des Dioskoros wird in der vorliegenden Arbeit eine weitere Inschrift untersucht, die nicht aus stadtrömischem Gebiet stammt und aus diesen Überlegungen dennoch zu den „römischen Inschriften“ hinzugezählt wird: die des Aelius Gentilis, die in Volsinii in Etruskien bzw. in der Toskana gefunden wurde (vgl. Kapitel „Auferstehungsglauben und Iatrotheologie“). Hingegen ist die Inschrift des Flavius Aristo aus Gallien oder Germanien, die im selben Kapitel besprochen wird, nicht zu den römischen Tituli zu rechnen. Für den Zeitraum des 4. bis 5. Jahrhunderts, aus dem auch diese Inschrift stammt, kann noch nicht von einer einheitlichen Westkirche ausgegangen werden, die im 355
Zusammenfassung und Diskussion Kontrast zu den Vorläufern der Orthodoxie oder des Koptentums stünde. Gerade theologisch unterscheidet sich die germanische Kirche massiv von der katholischen Kirche Roms. Seit der erzwungenen Zustimmung zum Arianismus durch den Konstantin-Sohn Constantinus II. 353 und 355 ist die germanische Kirche arianisch geprägt. Die theologischen Unterschiede zwischen dem katholischen Glauben in der Apenninischen Kirche und dem Arianismus sind so gravierend, dass für die Spätantike keine einheitliche Westkirche unter römischem Primat unterstellt werden kann.XXII Die Inschrift des Flavius Aristo bleibt darum ein nicht einzuordnender Einzelfall, der weder zu den kleinasiatischen oder ägyptischen noch zu den römischen Inschriften gerechnet werden kann. Die Mehrzahl der „römischen“ Inschriften stammt hingegen aus dem Stadtgebiet selbst. Neben den Tituli der Scantia Redempta, des Dioskoros und des Aelius Gentilis werden in dieser Arbeit 9 weitere Inschriften analysiert, deren Fundort Rom ist: der Titulus eines anonymen Christenarztes aus der Stadt Rom sowie die Inschrift des Dionysius aus der Mitte des 5. Jahrhunderts werden im Kapitel „Gebot der Nächstenliebe und Arztberuf“ besprochen; die sehr frühe Grabinschrift eines gleichnamigen Presbyter-Arztes (allerdings in der griechischen Version „Dionysios“), die auf die Wende vom 3. zum 4. Jahrhundert datiert wird, wird im Kapitel „Seelsorge und Arztberuf“ untersucht. Sämtliche im Kapitel „ReVgl. hierzu die Anmerkungen über die arianischen Vandalen im vorherigen Abschnitt „Nordafrika“.
XXII
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Zusammenfassung und Diskussion ligiöse Überzeugungen und Ärzteschulen“ besprochenen Tituli werden der römischen Einflusssphäre zugerechnet; außer den erwähnten Mailänder Arzt Dioskoros bezeichnen sie die Ärzte Miggin, Aratus, Alexandros und Ablabes; all diese Inschriften sind in Rom selbst gefunden worden. Im letzten Kapitel „Auferstehungsglauben und Iatrotheologie“ wird neben der Inschrift des Aelius Gentilis aus Volsinii (s.o.) die des stadtrömischen Arztes Pastor sowie die eines anonymen Kollegen besprochen. Aus diesen 9 stadtrömischen Inschriften lassen sich einige Charakteristika für die Hauptstadt des römischen Imperiums bzw. für das spätere Zentrum der westlichen Kirche feststellen. Drei dieser 9 Inschriften sind in Griechisch abgefasst; im Hinblick auf den Dionysios-Titulus aus dem 3./4. Jahrhundert wird bereits im entsprechenden Kapitel darauf hingewiesen, dass in den ersten Jahrhunderten die Verkündigungs- und Liturgiesprache in der römischen Christengemeinde noch Griechisch ist.30 Die beiden anderen griechischen Inschriften werden jeweils fast 100 Jahre später datiert: die des Alexandros und die des Ablabes sollen um die Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert entstanden sein. Die Namensgeber dieser beiden griechischen Inschriften scheinen selbst keine Römer gewesen zu sein. Zwar ist auch der lateinisierte Name „Dionysius“ eindeutig griechischen Ursprungs (der zudem noch die pagane Bedeutung „dem Gott Dioysios geweiht“ trägt!), aber dieser Name verbreitet sich schnell auch unter den römischen Christen: Als 259/260 der 357
Zusammenfassung und Diskussion Grieche Dionysios Bischof von Rom wird, fällt dies mit dem Ende der staatlichen Christenverfolgungen unter Decius und Valerian zusammen, unter dessen Sohn Gallienus kommt es zu einem Toleranzedikt, das für etwa 40 Jahre eine Duldung der Christen bewirkt. Mit dem Namen Dionysios verbinden die römischen Christen offenbar das Ende der Repression, so dass er weite Verbreitung findet und auch in den untersuchten Inschriften ein zweites Mal in der lateinisierten Version „Dionysius“ vorliegt. Im Gegensatz zu diesen Namen griechischen Ursprungs kann der Arzt „Pastor“ eindeutig als römischer Christ identifiziert werden. Dies ist kein weit verbreiteter christlicher Name. In der Frühkirche ist nur die Legende des Pastor von Alcalá überliefert, dem späteren Schutzpatron Madrids. Er soll zusammen mit seinem Bruder Justus als Kind 305 das Martyrium unter Diokletian erfahren haben. Insofern ist anzunehmen, dass die Namensgebung im Sinne der Wortbedeutung „Hirt“ erfolgt ist und somit ein christliches Motiv aufgreift, das im Zuge der theologischen Untermauerung des Papsttums im römischen Gebiet besonderes Gewicht erfährt. In den Evangelien taucht der Begriff „Hirt“ v.a. im Johannesevangelium auf (nämlich viermal, sonst nur jeweils einmal bei Markus und Matthäus). Das Grabmal des Pastor wird ins 5. Jahrhundert datiert. In dieser Zeit wird die Begründung eines päpstlichen Primates mit einer angeblichen Einsetzung durch Jesus selbst zu begründen versucht, indem entsprechende Bibelstellen angeführt werden. Neben dem zitierten Fels-Wort (Mt 16, 18) wird dazu auch ein Ausspruch eben aus dem Johannesevangelium 358
Zusammenfassung und Diskussion an Petrus herangezogen: „Jesus sagte zu ihm: Weide meine Lämmer!“ (Joh 21, 15), was möglicherweise den Titel „Pastor“ im römischen Bereich populär macht. Die frühe Schrift des „Pastor Hermae“ (um 140 entstanden) hat diesen Namen hingegen nicht verbreitet. Die Hauptstadt des römischen Imperiums zieht als politisches und kirchliches Machtzentrum Menschen aus der ganzen damals bekannten Welt an, was seinen Niederschlag auch in den hier untersuchten Arztinschriften findet. In der Inschrift des Ablabes heißt es ausdrücklich, dieser sei „ein Galater vom Land des Moulikos“. Im entsprechenden Kapitel „Religiöse Überzeugungen und Ärzteschulen“ wird Eckart zitiert, dass im ersten nachchristlichen Jahrhundert die römische Metropole „durch massiven Bevölkerungswachstum und extremen Ärztemangel geprägt“ sei.31 Diese Großstadt bietet auch Ärzten aus fremden Ländern eine Berufsund Lebensperspektive. Schulze bemerkt zu einem weiteren Titulus dieses Kapitels: „Dem Namen nach zu urteilen, stammt Miggin aus Afrika“.32 Die Anziehungskraft der Imperiumshauptstadt spiegelt sich indirekt auch in der Inschrift des Leviten Dionysius (in der lateinisierten Form) wieder, die aus der Mitte des 5. Jahrhunderts stammt. Die Machtstellung Roms bewirkt die wiederholte Einnahme und Plünderung der Stadt durch die einfallenden Germanen. In der Folge eines solchen Überfalls scheint Dionysius von den Geten in deren Heimat an das Schwarze Meer verschleppt zu 359
Zusammenfassung und Diskussion werden. Dass sein Grabmal dennoch in Rom gefunden wird, lässt vermuten, dass er nach seiner Gefangenschaft noch lebend in die Hauptstadt zurückkehrt, wo er schließlich stirbt. Wenngleich seine Inschrift auf dem Agro Verano entdeckt wird, in jener Katakombe also, wo sich auch Märtyrergräber wie das des Heiligen Laurentius befinden und wo eine entsprechende Heiligenverehrung vermutet werden kann, ist unwahrscheinlich, dass die Reliquien des Dionysius posthum aus dem Land der Geten nach Rom gebracht werden. Die Gefahren der politisch-staatlichen Wirren jener Zeit bieten der Kirche in Rom eine günstige Voraussetzung zum eigenen Machtausbau: „Am Ende der Spätantike, im 5. Jahrhundert, ergaben sich politisch-historische Bedingungen, die sich für die Entwicklung des Papsttums außerordentlich günstig auswirkten. Das westliche Reich wurde im Zuge der Völkerwanderung von den Fremdstämmen besetzt und in neue Reiche aufgeteilt. Für die einheimische römische Bevölkerung entstand machtpolitisch ein Vakuum: Das Reich war zerstört, es gab im Westen keinen Kaiser. Und es war die römische Kirche unter Führung des Papstes Leo I. (440-461), die die Nachfolge von Kaiser und Imperium antrat. Diese neue politische Rolle, die dem Papst zufiel, brachte seiner Stellung und der Papstidee eine eminente Aufwertung.“, urteilt Brox.33 Ein entsprechendes Selbstverständnis der römischen Christen als Bürger der Hauptstadt klingt bereits in der Dionysius-Inschrift an. 360
Zusammenfassung und Diskussion Hier wird sein einwandfreies Verhalten gegenüber den Mitbürgern („civibus“) herausgestellt, weswegen er bei ihnen beliebt sei. Auch der Titulus des Arztes Aratus (oder …aratus) stellt eine eindeutige Beziehung zum politischen Zeitgeschehen in Rom her, indem als Zeitangabe seiner Beerdigung das Konsulat eines gewissen Basilius angegeben wird. Eine solch enge Verknüpfung mit dem politischen Geschehen in der Reichshauptstadt findet sich bei keiner nicht-römischen Inschrift; lediglich in der Grabinschrift des Sohnes des ägyptischen Klerikerarztes Serenos wird als Zeitangabe die 14. Interdiktion Diokletians genannt. Allerdings hat die Bezugnahme auf einen römischen Kaiser, der 20 Jahre von 284 bis 305 herrscht und der auch unter Christen eine – wenngleich negative – Berühmtheit als brutaler Christenverfolger besitzt, einen anderen Stellenwert als der Verweis auf einen Konsul Basilius, wovon es in einem Zeitraum von 23 Jahren vier Namensträger gibtXXIII, der außerdem nur ein Jahr eine Führungsposition innehat und jenseits der Stadt Rom wahrscheinlich keine größere Bekanntheit besitzt. Der Ausbau des Papsttums wird – wie oben geschildert – theologisch durch die Berufung auf die doppelte Apostelgründung durch Petrus und Paulus begründet. Brox stellt hierzu heraus, dass das Thema „Apostolizität“ besonders in der römischen Kirche eine hervorgehobene Rolle spielt: „Was sich behaupten wollte, musste auf apostolische Ursprünge zurückführbar sein. Dabei scheint es, Es gibt mehrere Konsuln aus dem fraglichen Zeitraum, die den Namen Basilius tragen: Flavius Caecina Decius Basilius im Jahr 463, Flavius Caecina Decius Maximus Basilius 480, Decius Marius Venantius Basilius 484 und Caecina Mavortius Basilius Decius im Jahr 486. XXIII
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Zusammenfassung und Diskussion dass zuerst allein die Bischöfe von Rom auf theologische bzw. apostolische Fundierung ihres Vorranges insistiert haben, während sich die Kirchen des Ostens zunächst mit der politischen Begründung begnügten. Die Bedeutung der Apostolizität war im Westen, wo allein Rom als apostolische Gründung (Petrus) galt, kirchenpolitisch generell viel höher eingeschätzt als in den Kirchen des Osten“.34 Hiermit einher geht insgesamt eine starke Ausrichtung der römischen Kirche auf die Vorläufer und Vorbilder des Glaubens. Zusätzlich unterstützt durch die begrenzten örtlichen Möglichkeiten des urbanen Lebensraumes (vgl. hierzu entsprechende Ausführungen im Kapitel „Gebot der Nächstenliebe und Arztberuf“) resultiert aus der Orientierung an Führungspersönlichkeiten die Beerdigungskultur in den Katakomben und in der Nähe von Märtyrergrabstätten; fast alle stadtrömischen Inschriften dieser Arbeit wurden in Katakomben gefunden, lediglich beim Titulus des Pneumatikers Alexandros und der Elegie der Mutter über den Tod ihres nicht namentlich genannten Sohnes, der Krankenpfleger oder Arzt gewesen ist (vgl. Kapitel „Auferstehungsglauben und Iatrotheologie“), wird der genaue Fundort bei Schulze nicht angegeben, sondern lediglich „Roma (Travestere)“ bzw. nur „Roma“. Alle anderen Inschriften wurden in Katakomben gefunden, die zumeist einem Heiligen zugeschrieben werden. Die Inschrift des Pastor erwähnt sogar ausdrücklich die „Grabbauten in der Märtyrerresidenz“. Da Ärzte ihrerseits eine gewisse gesellschaftliche Führungsposition bekleiden, findet sich auf ihren Grabmalen gelegentlich eine Ausdrucksweise, die an den oben beschriebenen Dekretalstil erin362
Zusammenfassung und Diskussion nert, den die Päpste von den Kaisern übernehmen. So droht der Titulus von Pastor einem möglichen Grabschänder: „es wird ihn Strafe erwarten“. Bewertung der Befunde Inschriften sind naturgemäß kurze Texte, deren jeweiliger inhaltlicher Gehalt zumeist recht dürftig ist und die nur zu wenigen Themen Informationen liefern – selbst die in dieser Arbeit diskutierten längeren Inschriften, etwa die der Scantia Redempta oder des Leviten Dionysius (vgl. Kapitel „Kirchliche Sexualmoral und Arztberuf“ bzw. „Gebot der Nächstenliebe und Arztberuf“) sowie die beiden Elegien im Kapitel „Auferstehungsglauben und Iatrotheologie“, haben einen begrenzten Aussagewert. Sie werfen nur ein Schlaglicht auf herausgegriffene Themen, die die Person charakterisieren sollen, der die Inschrift gilt bzw. denjenigen, der sie hat anfertigen lassen. Die Auslegung einzelner Begriffe (wie etwa „Sittenreinheit“ in der Inschrift der Scantia Redempta) steht darum immer in der Gefahr einer Überinterpretation. Dennoch kann das häufige Aufgreifen eines Themas in unterschiedlichen Inschriften (z.B. die auffällig wiederkehrenden Ämterabstufungen in den Diakonen-Tituli) oder der Gebrauch eines Begriffs in einem ungewöhnlichen Kontext (wie z.B. die Erwähnung von „Keuschheit“ in einer Grabinschrift wie bei Scantia Redempta oder die Bezeichnung „Magd“ für eine Ärztin in der Amazone-Inschrift im Kapitel „Kirchliches Frauenbild und Ärztinnenberuf“) als Symptom dafür betrachtet werden, dass entsprechende Themen für das Umfeld der verstorbenen Person eine herausragende Bedeu363
Zusammenfassung und Diskussion tung besitzen. Selbst wenn in Grabinschriften immer die spezifische Sicht der Angehörigen zum Ausdruck kommt (s.u.), kann vorausgesetzt werden, dass ein Bezug zum Verstorbenen besteht. Darüber hinaus kann in Einzelfällen vermutet werden, dass eine zeitbedingte Thematik in einer Inschrift aufgegriffen wird (so spiegeln sich die nestorianischen Auseinandersetzungen über die Bezeichnung Marias als „Gottesgebärerin“ möglicherweise im Begriff „Magd Gottes“ in der Inschrift Amazones wider). In dieser Arbeit wird der Einfluss des Christentums auf die Medizin der Spätantike aus einer ganz bestimmten Perspektiven betrachtet. Der Untersuchungsgegenstand sind Inschriften über Menschen, die in ihrer Person den christlichen Glauben und die medizinische Heilkunst miteinander verbinden, die also eine Schnittmenge zwischen den beiden Größen „Christentum“ und „Medizin“ darstellen, wobei die Blickrichtung der Arbeit den Auswirkungen der Religion auf die Heilkunde bzw. -kunst gilt. Diese Inschriften sind allerdings in aller Regel keine Selbstzeugnisse dieses Personenkreises (Ausnahmen bilden die Gedenkinschriften zur Erfüllung eines Gelübdes im Kapitel „Kirchliche Ämter und Arztberuf“ sowie möglicherweise das Graffito des Johannes, das dieser vielleicht von eigner Hand anfertigt, vgl. Kapitel „Seelsorge und Arztberuf“), sondern fast alle sind Grabtituli, die von Angehörigen oder Nachkommen dieser Christenärzte verfasst werden, die natürlich ihre eigene Sichtweise einfließen lassen, die sich außerdem stilistischen Gepflogenheiten (topischen
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Zusammenfassung und Diskussion Formulierungen) ebenso wie ethischen Vorstellungen („De mortuis nihil nisi bene“XXIV) unterwerfen. Die untersuchten Quellen sind demnach Zeugnisse aus zweiter Hand, die nur indirekt Auskunft über bestimmte Phänomene geben. Diese Einschränkung gilt selbstverständlich für die meisten schriftlichen Quellen der Antike – dies trifft nicht zuletzt auf das zentrale Schriftstück des Christentums selbst zu, auf die Bibel. Die Bibel ist wie eine Grabinschrift kein objektiver Informationstext, sondern eine tendenziöse Schrift, die eine bestimmte Intention erfüllt. Wie bei einem Grabtitulus erlauben auch die biblischen Schriften darum keine wörtliche Auslegung und geben kein unverstelltes Porträt der betroffenen Personen wieder, sondern zeichnen ein Bild etwa von Jesus und seinen Jüngern aus der jeweiligen Sichtweise eines Evangelisten oder Briefautors. Außerdem liegt zwischen schriftlicher Abfassung der jeweiligen Quelle und dem beschriebenen Ereignis mitunter ein längerer Zeitraum mündlicher Überlieferung oder persönlicher Erinnerung, was naturgemäß ebenfalls Verklärungen, Interpretationen und Gerüchte einfließen lässt. Während z.B. zwischen Jesu Tod und Auferstehung und der Abfassung des jüngsten Evangeliums nach Johannes immerhin etwa 70 Jahre liegen, ist die Zeit zwischen Tod eines Christenarztes und der Anfertigung seines Grabsteines in der Regel wesentlich kürzer; allerdings wird etwa im Titulus des Leviten Dionysius in Grundzügen dessen Biografie dargestellt (vgl. nach DIOGENES LAERTIUS 1, 3 aus dem 3. Jahrhundert n.Chr: „Über die Toten nur Gutes!“
XXIV
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Zusammenfassung und Diskussion Kapitel „Gebot der Nächstenliebe und Arztberuf“), so dass auch zwischen Details seiner Lebensgeschichte, etwa seiner Verschleppung durch die Geten aus Rom, und der Abfassung der Inschrift ebenfalls mehrere Jahre liegen. Die Analyse der Inschriften gleicht daher den Methoden der Theologie, die in der historisch-kritischen Exegese genau diese beschriebenen Störfaktoren zu berücksichtigen gelernt hat und durch den Abgleich mit anderen historischen Quellen die Authentizität einzelner Aussagen überprüft. Die kritische Bewertung einzelner Textaussagen bedeutet natürlich nicht, dass damit ihr Inhalt gänzlich verworfen wird, sondern auch die persönlich gefärbten Darstellungen eines Verfassers erlauben im Rahmen einer entsprechenden Kommentierung indirekte Rückschlüsse auf das fragliche Thema. Die Mehrzahl der untersuchten Inschriften übermittelt also nur indirekte Informationen über den Einfluss des Christentums auf die Medizin. Nicht nur im Hinblick auf das Untersuchungsmaterial ist eine Unterscheidung in direkte oder indirekte Informationen sinnvoll, auch für die Blickrichtung dieser Arbeit ist eine entsprechende Einteilung sinnvoll: insgesamt kann unterschieden werden, ob eine bestimmte Auswirkung des Christentums auf die Medizin der Spätantike direkt oder indirekt geschieht. In vielen Bereichen bewirkt das Christentum gesamtgesellschaftliche Veränderungen, die dann ihrerseits auf die Medizin übergreifen, so etwa im Bereich der Sexualität (vgl. Kapitel „Kirchliche Sexualmoral und Arztberuf“). Die Abkehr vom Prinzip der sexuellen Ausgeglichenheit 366
Zusammenfassung und Diskussion geschieht nicht als direkte medizinische Einflussnahme des Christentums, sondern erreicht die Medizin über den Umweg eines sozialen Wertewandels, der asketische Tugenden einfordert. Auch im Kapitel „Kirchliche Ämter und Arztberuf“ wird dargestellt, dass durch den Machtausbau der Kirche klerikale Hierarchien und Abgrenzungen Einfluss auf das gesamte Gesellschaftswesen gewinnen, was dann wiederum auf entsprechende Strukturen in der Medizin abfärbt. Eine solche „katalysierende Wirkung“ auf soziale Prozesse übt die Kirche außerdem in der Diskriminierung heidnischer oder jüdischer Ärzte aus, auch hinsichtlich der Unterordnung der Frauen innerhalb des Gesundheitswesens ist in diesem Sinne ein indirekter kirchlicher Einfluss auszumachen (vgl. Kapitel „Kirchliches Frauenbild und Ärztinnenberuf“). Direkte Einflüsse des Christentums auf die spätantike Medizin können hingegen in der Verbreitung des Motivs der Nächstenliebe festgestellt werden (vgl. hierzu das Kapitel „Gebot der Nächstenliebe und Arztberuf“). Zwar erreicht dieses Motiv auch die nicht-medizinische Gesellschaft und führt hier entsprechende Werteverschiebungen herbei, es wirkt dennoch direkt auf den medizinischen Bereich, d.h. dieser Impuls nimmt nicht den „Umweg“ über gesamtsoziale Veränderungen, sondern hat einen eigenen Ansatzpunkt im ärztlichen Metier, wo es ja naturgemäß um Hilfeleistung und deren ethische Begründung und Differenzierung geht. Ähnliches gilt auch für die Seelenmedizin (vgl. Kapitel „Seelsorge und Arztberuf“), wo der Themenkreis „sprechende Medi367
Zusammenfassung und Diskussion zin“ und „Befreiung aus Schuldgefühlen“ eine direkte Anknüpfung in der Medizin findet. Auch die Renaissance von Exorzismen in der spätantiken christlichen Medizin sowie die Iatrotheologie können als solche direkten Einflüsse gewertet werden. Schlussbetrachtungen Während in jüngeren Arbeiten die Auswirkungen der Medizin auf das theologische Denken der Kirchenväter untersucht wird35 bzw. „wie sehr die Medizin als Vorstellungspool ins christliche Denken und Schrifttum aufgesogen wurde“, wie Schulze formuliert,36 gilt für den gegenläufigen Einfluss des Christentums auf die Heilkunde das Paradigma, hier seien inhaltlich keine wesentlichen Auswirkungen feststellbar. Gewissermaßen aus Ernüchterung über die Unbelegbarkeit der These, Christus selbst sei Arzt gewesen und habe insofern auch medizinisches Wissen offenbart, die zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert breit diskutiert wird, setzt sich in der Folgezeit für die Wirkungsgeschichte des Christentums die Einschätzung durch, die Religion habe im Großen und Ganzen die Medizin unbeeinträchtigt gelassen. Der Medizinhistoriker Hans Schadewaldt stellt 1965 lapidar über die medizinischen Auswirkungen fest: „auf diesem Sektor hat das junge Christentum kaum Spuren hinterlassen“.37 Dieser These wird – zumindest in dieser Pauschalität – in der vorliegenden Arbeit widersprochen. Das Christentum hat die Medizin in vielfacher Hinsicht geprägt und zeigt Auswirkungen, die teilweise bis in die Neuzeit bestimmend bleiben. 368
Zusammenfassung und Diskussion Quellenangabe „Zusammenfassung und Diskussion“ SCHULZE, Medizin und Christentum, S. 46ff. ebenda, S. 144 3 SCHULZE, Ärztinnen, S. 108-109 4 vgl. etwa KUDLIEN, Der griechische Arzt, S. 88 5 BISCHOFF, S. 18 6 SÖDING, S. 128-129 7 ebenda, S.121-122 8 ebenda, S. 128 9 vgl. NUTTON, Late Antiquity, S. 83 10 ebenda, S. 77 11 BAUMGARTNER, S. 405 12 SÖDING, S. 125 13 ebenda, S. 124 14 DÖRNEMANN, S. 61 15 NUTTON, Medieval Western Europe, S. 147 16 SCHULZE, Medizin und Christentum, S. 86 17 ebenda, S. 57 18 ebenda, S. 69 19 ebenda, Inschrift Nr. 67, S. 81 20 BAUS, Reichskirche, S. 252 21 ebenda, S. 231 22 GEERLINGS, S. 25 23 ebenda, S. 26 24 ebenda, S. 27 unter Berufung auf AUGUSTINUS, conf. 10, 8 25 BROX, S. 141 26 vgl. BROX, S. 111 27 zitiert nach BROX, S. 76, Verweis auf AMBROSIUS, ep. 40, 11 28 CHRISTOPH MARKSCHIES, in: LACL, S. 21 29 BROX, S. 108 30 vgl. BAUS, Urkirche, S. 279-280 31 ECKART, S. 64-65 32 SCHULZE, Medizin und Christentum, S. 92 33 BROX, S. 108-109 34 ebenda, S. 103-104 35 vgl. DÖRNEMANN, S. 288ff. 36 SCHULZE, Medizin und Christentum, S. 155 37 SCHADEWALDT, S. 128 1 2
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384
Literaturverzeichnis Zeitschriften, Reihen und Lexika: CIG / IG August Boeckh, Adolf Kirchhoff, Ulrich v. Wilamowitz-Moellendorff, Günther Klaffenbach et al. (Preußischen Akademie der Wissenschaften), Berlin, ab 1828 als CIG, seit 1873 Neubearbeitung als IG CIL • Guilelmus Henzen, Giovanni Battista de Rossi, Eugenius Bormann, Christianus Huelsen, Martinus Bang, CIL, Vol. VI, Inscriptiones urbis Romae Latinae, de Gruyter, Berlin, 1876 • Theodor Mommsen, CIL, Vol. X, Inscriptiones Bruttiorum, Lucaniae, Campaniae, Siciliae, Sardiniae Latinae, de Gruyter, Berlin, 1883 • Eugenius Bormann, CIL, Vol. XI, Inscriptiones Aemiliae, Etruriae, Umbriae Latinae, de Gruyter, Berlin, 1888 • Otto Hirschfeld, Karl Zangemeister, CIL, Vol. XIII, Inscriptiones trium Galliarum et Germaniarum Latinae, de Gruyter, Berlin, 1905 DÄB Bundesärztekammer und Kassenärztliche Vereinigung, Deutsches Ärzteblatt, Köln EEBS Epeteris Hetaireias Byzantinon Spoudon (EEBS), Athen LACL Siegmar Döpp und Wilhelm Geerlings (Hrsg), Lexikon der antiken christlichen Literatur, Herder, Freiburg i. Brg., 2. Aufl., 2002 SEG Bd. 1 – 12, Jacob E. Hondius (Hrsg), SEG, Leiden, 1922 – 1950; Bd. 13-25, Arthur G. Woodhead (Hrsg), Amsterdam, 1951-1971; Bd. 26ff., Henry W. Pleket, Ronald S. Stroud et al. (Hrsg), Amsterdam, seit 1978/79 Die ZEIT Dr. Marion Gräfin Dönhoff (†), Helmut Schmidt, Dr. Josef Joffe, Dr. Michael Naumann (Hrsg.), Die Zeit, Wochenzeitung, Zeitverlag Gerd Bucerius, Hamburg
385
Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis (einschließlich bibliographische Abkürzungen)
CIL:
Abk.: AD:
CPR:
a.M.: angebl.: Anm.: Apg: AT: Aufl.: Ausg.: BAHI :
BC: Bd./Bde: bearb.: BKV: bzw.: ca.: CCL: CIG:
386
Abkürzung Anno Domini (im Jahre des Herrn) am Main angeblich Anmerkung Apostelgeschichte (neutestamentliche Schrift) Altes Testament Auflage Ausgabe Bibliothèque archéologique et historique de l`Institut Française d`archéologie d`Istanbul, Paris before Christ Band/Bände bearbeitet Bibliothek der Kirchenväter beziehungsweise circa Corpus Christianorum, Series Latina Corpus Inscriptionum Graecarum
CML:
CSEL:
DÄB: ders.: d.h.: d.J.: dt.: Dtn:
EEBS:
Eph: et al.: etc.: et Par(r).:
Corpus Inscriptionum Latinarum Corpus Medicorum Latinorum Corpus Papyrorum Raineri Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum Deutsches Ärzteblatt derselbe das heißt dem Jüngeren deutsch(e, -er, -es) Deuteronomium (alttestamentliche Schrift, 5. Buch Mose) Epeteris Hetaireias Byzantinon Spoudon Epheserbrief (neutestamentliche Schrift) et alii (und andere) et cetera (und so weiter) und Parallelstelle(n)
Abkürzungsverzeichnis Ex:
Ez:
Buch Exodus (alttestamentliche Schrift, 2. Buch Mose) Buch Ezechiel (alttestamentliches Prophetenbuch)
ff.:
folgende
Gal:
Galaterbrief (neutestamentliche Schrift) GriechischChristliche Schriftsteller Buch Genesis (alttestamentliche Schrift, 1. Buch Mose) gegebenenfalls Gesellschaft mit beschränkter Haftung
GCS: Gen:
ggf.: GmbH:
i.Bsg.: IChrIt: IChrUR: i.d.R.: IG: Jg.: Joh: 1Joh/3Joh:
Jh./Jhdt: JHWH:
JÖAI: Hebr: Hld:
Hos: Hrsg:
Hebräerbrief (neutestamentliche Schrift) das Hohelied Salomos (alttestamentliche Schrift) Buch Hosea (alttestamentliche Schrift) Herausgeber
JRS: Jud: jüd.:
im Breisgau Inscriptiones Christianae Italiane Inscriptiones Christianae Urbis Romae in der Regel Inscriptiones Graecae Jahrgang Johannesevangelium (neutesta mentliche Schrift) 1. bzw. 3. Johannesbrief neutestamentliche Schriften) Jahrhundert Tetragramm der vier Konsonanten des jüdischen Gottesnamen Jahwe) Jahreshefte des Österreichischen Archäologischen Instituts in Wien Journal of Roman Studies Judasbrief (neutestamentliche Schrift) jüdisch
387
Abkürzungsverzeichnis Kap.: Kol: 1Kor:
LACL: Lev:
Ltd.: Lk: LXX:
Kapitel Kolosserbrief (neutestamentliche Schrift) 1. Korintherbrief (neutestamentliche Schrift) Lexikon der antiken christlichen Literatur Buch Levitikus (alttestamentliche Schrift, 3. Buch Mose) limited Lukasevangelium (neutestament liche Schrift) römisches Zahlzeichen „Siebzig“ als Abkürzung für die griechische Toraübersetzung der Septuaginta, angeblich von 72 Gelehrten verfasst
Mk: Mt:
n.Chr.: NF: Nr.: NT: NTA: Num:
MAMA: m.E.:
388
2. Buch der Makkabäer (alttestamentliche Schrift, deutero kanonisches Buch d. jüd. Bibel) Monumenta Asiae Minoris Antiqua meines Erachtens
nach Christus neue Folge Nummer Neues Testament Neutestamentliche Abhandlungen Buch Numeri (alttestamentliche Schrift, 4. Buch Mose)
Offb:
Offenbarung des Johannes (neutestamentliche Schrift, „Apokalypse“)
Phil:
Philipperbrief (neutestamentliche Schrift) Philemonbrief (neutestamentliche Schrift) Psalm
Phlm: 2Makk:
Markusevangelium (neutestamentliche Schrift) Matthäusevangelium (neutestamentliche Schrift)
Ps: Ri: Röm:
Buch der Richter (alttestamentliche Schrift) Römerbrief (neutestamentliche Schrift)
Abkürzungsverzeichnis u.a.: S.: SEG: s.o.: sog.: s.u.: Suppl.: TAM: teilw.: 1Thess:
1Tim:
Seite Supplementum Epigraphicum Graecum siehe oben so genannt(e, -er, -es) siehe unten Supplement(um) (Ergänzungsband) Tituli Asiae Minoris teilweise 1. Thessalonicherbrief (neutestamentliche Schrift) 1. Timotheusbrief (neutestamentliche Schrift)
usw.:
unter anderem, unter anderen und so weiter
V.: v.a.: v.Chr.: Verl.: vgl.: Vol.:
Vers vor allem vor Christus Verlag vergleiche Volumen (Band, Schriftennummer)
z.B.: z.T.: z.Zt.:
zum Beispiel zum Teil zur Zeit
389
Verzeichnis der Inschriften Alphabetisches Verzeichnis der untersuchten Inschriften Name d. Arztes/Ärztin Ablabes (VAbla,bhj) Aelius Gentilis
Aussage d. Inschrift Pneumatiker
Alexandros(VAl e,xandroj) Amazone ( vAmazo,nh) Anastasios ¿Anastasi,oj) Anatolios (VAnatoli,oj) anonymer Christenarzt anonym. Krankenpfleger
Pneumatiker
heiligengläubig
„Magd Gottes“ Diakon Diakon
„nicht geldgierig“ schicksalshadernde Mutter d. Verstorb. Aratus (oder: vermutl. „…aratus“) Methodiker Arzt d. Okti5-Jähriger wird mos (VOkti,mw) Märtyrern gleichgesetzt Aurelios Gaios Archiatereheund Augousta paar in Erwar(Auvrh,lioj tung göttl. Gai,oj kai. Entlohnung Auvgou,sta) Aurelios MesRatsherr, salas Warner vor (Auvrh,lioj Me Grabschändung ssa,laj) Biktor schicksals(Bi,ktwr) versöhnt
390
Kapitel Ärzteschulen Iatrotheologie Ärzteschulen Frauenbild Institutionalisierung Institutionalisierung Nächstenliebe Iatrotheologie
Datierung u. Fundort 4./5. Jh., Rom 4. Jh., Volsinii, Toskana 4./5. Jh., Rom 4./5. Jh., Konstantin. 4./5. Jh., Karien 5./6. Jh., Ephesus 4./5. Jh., Rom 4./5. Jh., Rom
Seite 230 280 228 107 171 172 124 299
Ärzteschulen perinatale Medizin
6. Jh., Rom
218
4. Jh., Nikomedien
259
Iatrotheologie
4.-6. Jh., Kilikien
288
Iatrotheologie
3. Jh., Phrygien
292
Iatrotheologie
4. Jh., Ägypten
302
Verzeichnis der Inschriften Dionysios (Dionusi,oj) Dionysius Dioskuros (Diosko,roj) Felix Flavius Aristo Johannes ( Iv wa,nnhj) Johannes (VIwa,nnhj) Johannes aus Kotiaeion (VIwa,nnhj Kotah,toj) Miggin Pantaleon (Pantole,on) Pastor Paulos (Pau,loj) Petosiros (Petwsi,roj) Rouphos (~Rou,foj) Scantia Redempta
Presbyter
Seelenmedizin Presbyter Nächstenliebe vermutl. ÄrzteEmpiriker schulen SchicksalsIatrohaderer theologie Warner vor IatroGrabschändung theologie Diakon Pater
Institutionalisierung Seelenmedizin
Warner vor IatroGrabschändung theologie vermutl. Methodiker Erzdiakon Märtyrergläubiger Presbyter Mönch Verflechtung m. zahlr. kirchl. Ämtern Keuschheitsmotiv, vermtl. Methodikerin
Ärzteschulen Institutionalisierung Institutionalisierung Seelenmedizin Seelenmedizin Institutionalisierung Sexualmoral
3./4. Jh., Rom 3./4. Jh., Rom 4./5. Jh., Mailand 4. Jh., Gallien 4./5. Jh., Germanien/ Gallien 5./6. Jh., Ionien 5.-7. Jh., Theben, Ägypt. 4./5. Jh., Thessalien
183 130 214 266 290 172 202 283
4. Jh., Rom
218
4./5. Jh., Kilikien 5. Jh., Rom
162
4./5. Jh., Philippi 4.-6. Jh., Ägypten 6. Jh., Karien
192
4. Jh., Capua, Süditalien
281
206 178 64
391
Verzeichnis der Inschriften Serenos (Serh,noj) Stephanis (Stefani,doj) Theodoros (Qeo,doroj)
392
Vater d. Verstorbenen „Abba Johannes“ ärztliche Hebamme, Mutter d. Verstorbenen Georgios Diakon
Seelenmedizin
6. Jh., Ägypten
187
perinatale Medizin
nicht datiert, Kilikien
238
Institutionalisierung
6. Jh., Kilikien
160
Antike Personen
Personenregister Glossar antiker und mittelalterlicher Personen, Götter- und Heiligenfiguren und biblischer Gestalten A ADO VON VIENNE, Benediktiner, ab 860 Erzbischof v. Vienne, Verfasser einer „Weltchronik“ (Grundlage f. die Geschichte d. fränk. Könige) u. eines Märtyrerverzeichnisses, lebte 799 – 875 n.Chr. 154, 370 ADONIS, in d. gr. u. röm. Mythologie Gott der Schönheit, Geliebter d. Aphrodite bzw. d. Venus, vermutl. ursprüngl. Vegetationsgott in der syr.-phöniz. Kultur 273, 370 ÄGIDIUS VON ROM, röm. Augustiner-Eremit, Schüler Thomas v. Aquins, Theologielehrer in Paris, ab 1295 Erzbischof v. Bourges; auf einem seiner Traktate beruht die Bulle „Unam Sanctam“ v. Papst Bonifatius VIII. (s. dort) 118 AMBROSIUS VON MAILAND, ab 374 Bischof v. Mailand, stammte aus christl. röm. Beamtenfam., schlug selbst Beamtenlaufbahn ein, erst nach seiner Wahl z. Bischof Taufe
u. Priesterweihe, „Kirchenlehrer“ d. Westens, setzte Einfluss d. Kirche gegenüber Staat durch, lebte etwa 340 – 397 n.Chr. 129, 353, 354, 370 AMENHOTEP (auch: Amenophis), ägypt. Baumeister, Berater d. Pharao Amenophis III., lebte etwa 1388 – 1350 v.Chr., später als Heilgott verehrt (v.a. in Theben) 16 AMON (auch: Amun), ägypt. Windgott 15 AMOR, in der röm. Mythologie Gott d. Liebe bzw. des Verliebens, gr. Entsprechung: Eros, s. dort 68 ANICIUS FAUSTUS ALBINUS BASILIUS, letzter oström. Konsul, seine Amtszeit endete 541 n.Chr. 334, 361 ANTONIUS DER EINSIEDLER (auch: Antonius d. Große), ägypt. Asket u. Mönch, gilt als „Vater d. Mönche“, lebte etwa 251 – 356 n.Chr. 342 ANTONINUS PIUS, röm. Kaiser v. 138 – 161 (Adoptivkaiser Hadrians, s. dort); lebte 86 – 161 n.Chr. 82 APOLL(ON), Gott der gr. Mythologie, Sohn d. Zeus (s. dort) u. d. Leto; sein Orakel wurde in Delphi befragt 95
393
Antike Personen ARCADIUS (Flavius Arcadius), seit 395 oström. Kaiser, Sohn Theodosius I. (s. dort), herrschte als „christl. Kaiser“, lebte etwa 377 – 408 n.Chr. 173 ARCHIGENES VON APAMEIA, syr. Frauenarzt u. Medizinschriftsteller, praktizierte 95 – 117 n.Chr. in Rom, v. ihm liegen Schriften über Blutungen d. Gebärmutter u.a. vor, lebte im 2. Jh. n.Chr. 220 ARISTOTELES (gr.: Aristote,lhj), gr. Philosoph u. Naturforscher, lebte etwa 384 – 322 v.Chr. 26ff. ASKLEPIOS (lat.: Aesculapius, dt. Version: Äskulap), Gott d. Heilkunst in d. gr. Mythologie, Vater v. Hygeia u. Panakeia (s. jew. dort) 16-18, 33-35, 37, 40, 56, 95, 123, 141-142 ATHANASIUS VON ALEXANDRIA (auch: A. der Große), Bischof v. Alexandria, alexandrin. Kirchenvater, lebte etwa 298 – 373 n.Chr. 23, 34, 213, 370 ATHENAIOS VON ATTALEIA, Begründer d. ärztl. Schule d. „Pneumatiker“ (s. Sachregister), Schüler d. stoischen Philosophen Poseidonis v. Apameia (s. dort), anerkannte die Humoralpathologie, ergänzte unter stoischem Einfluss jedoch d.
394
Pneuma-Konzept, lebte im 1. Jh. v.Chr. 220-221 ATTIS, in d. gr. u. phryg. Mythologie Halbgott, Sohn d. Flussnymphe Nana, Geliebter d. Kybele 274 AUGUSTINUS VON HIPPO, nordafrik. Kirchenlehrer, ab 396 Bischof v. Hippo Regius; einflussreicher Theologe der Westkirche (hier als Heiliger verehrt; vgl. Sachregister: Prädestinations- u. Erbsündenlehre) 57-58, 90-94, 109, 129, 229, 232, 258, 317, 348, 350-354, 370
B BASILIUS VON CAESAREA (Basilius der Große), seit 370 Erzbischof v. Caesarea, Kirchenlehrer u. Mönch, Bruder Gregors v. Nyssa u. Freund v. Gregor v. Nyzanz (s. jew. dort), bilden zs. die „drei Kappadokier“; lebte etwa 330 – 379 n.Chr. 211, 213 BONIFATIUS VIII. (eigentl.: Benedetto Caetani), Papst v. 1294 – 1303, lebte 1235 – 1296 n.Chr. 118, 285
C CASSIODOR (Flavius Magnus Aurelius Cassiodorius), röm. Politiker, Historiker u. Schriftsteller, Minister unter Theodorich (s. dort); lebte etwa 490 – 583 n.Chr. 137
Antike Personen CELSUS (eigentl.: Aulus Cornelius Celsus), röm. Medizinschriftsteller u. frgl. Arzt ; lebte etwa 25 v.Chr. – 50 n.Chr. 67, 136, 371 CLAUDIUS (Tiberius Claudius Drusus Nero Germanicus), seit 41 n.Chr. röm. Kaiser, Geschichtsschreiber, lebte 10 v.Chr. – 54 n.Chr. 167 CLEMENS VON ALEXANDRIEN, s. Klemens v. Alexandrien CONSTANTINUS II. (Flavius Claudius Constantinus), seit 337 röm. Kaiser, ältester Sohn Konstantins (s. dort), erbte als Anteil d. Imperiums Gallien, Spanien, Britannien u. Teile Afrikas, förderte d. Arianismus, lebte 317 – 340 n.Chr. 356 CORNELIUS, seit 251 röm. Bischof, wg. angebl. Glaubensverrats während d. Verfolgung unter Decius wurde er v. Novatian angegriffen (s. dort); in der Frage der Wiederaufnahme d. „Lapsi“ (s. Sachregister) Vertreter e. tolerant. Position im Unterschied zur rigorosen Haltung Novatians, der sich ebenfalls z. Bischof weihen ließ („Gegenpapst“, s. Sachregister), es kam zur Spaltung d. röm. Gemeinde („Novatianisches Schisma“, s. Sachregister), lebte bis 253 n.Chr. 175
CYPRIAN VON KARTHAGO (Thascius Caecilius Cyprianus), seit 248 Bischof von Karthago, Kirchenvater; ihm wird der Satz zugeschrieben „Extra ecclesiam nulla salus“ (Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil, s. Sachregister), lebte etwa 200 – 258 n.Chr. 146, 153
D DAMASUS I., seit 366 Bischof v. Rom, beendete d. arianischen Streit durch Festnahme d. arian. Bischöfe Valens u. Ursacius; er beauftragte Hieronymus (s. dort) m. d. Übersetzung d. Bibel ins Lateinische (Vulgata), lebte etwa 305 – 384 n.Chr. 354 DAREIOS DER GROßE (Dareios I.), pers. Großkönig d. Achämenidenreiches, 513 Feldzug gegen d. Skythen, annektierte Makedonien u. Thrakien, unterlag d. Griechen in der Schlacht v. Marathon, lebte etwa 549 – 486 v.Chr. 137 DECIUS (eigentl.: Gaius Messius Quintus Traianus Decius), seit 249 n.Chr. röm. Kaiser, unter seiner Herrschaft brutale Christenverfolgung; lebte etwa 190 – 251 n.Chr. 54, 189, 338, 340-341, 358 DIODOR VON TARSUS, antioch. Theologe u. Vorsteher e. Klosters, Lehrer v. Theodor v. Mopsuestis
395
Antike Personen u. Johannes Chrysostomus (s. jew. dort), seit 378 Bischof v. Tarsus, lebte etwa 320 – 390 n.Chr. 111 DIOGENES VON SINOPE, gr. Philosoph (Kyniker), lebte etwa 399 – 323 v.Chr. in Athen 67 DIOGENES LAERTIUS, Philosoph, Verfasser einer 10 Bücher umfassenden „Geschichte d. gr. Philosophie“, lebte im 3. Jh. n.Chr. 365, 371 DIOKLETIAN (auch „Diocletian“, eigentl.: Gaius Aurelius Valerius Diocletianus), röm. Kaiser v. 284 – 305 (freiw. Amtsverzicht); unter seiner Herrschaft brutale Christenverfolgung; lebte etwa 240 – 313 n.Chr. 54, 129, 184-185, 187, 333, 338, 340-341, 358, 361 DIONYSIUS VON ROM, seit 260 n.Chr. Bischof v. Rom, seine Amtszeit fiel m. d. Ende d. Christenverfolgung unter Kaiser Valerian (s. dort) zs., lebte im 3. Jh. – 268 n.Chr. 358 DONATUS VON KARTHAGO, Presbyter in Karthago, lehnte 312 die Bischofsweihe Caecilians v. Karthago als ungültig ab, da einer der Konsekranten e. „Traditor codicum“ war (s. Sachregister); eine von ihm als Bischof geführte Sonderkirche verlangte als Voraussetzung f. d. Gültigkeit e. Sakramentes die Heiligkeit d. Spenders; die Dona-
396
tisten (s. Sachregister) verstanden sich selbst als „Kirche d. Märtyrer“ u. lehnte die kath. Großkirche als „Traditorenkirche“ ab, Donatus lebte etwa bis 355 n.Chr. 42, 190191
E EMPEDOKLES VON AGRIGENT, gr. Philosoph, Arzt u. Priester, lebte etwa 494 – 482 v.Chr. 17 EROS, in der gr. Mythologie Gott d. Liebe, röm. Entsprechung: Amor, s. dort 68 EUAGRIOS PONTIKOS, Mönch u. Verfasser theol. Schriften, als Anh. d. Origenes v. Bischof Theophilos v. Alexandria (gest. 412, Vater Kyrills, s. dort) verbannt, fand Aufnahme bei Johannes Chrysostomus (s. dort), lebte etwa 346 – 399 n.Chr. 198 EUKLID VON ALEXANDRIA, gr. Mathematiker, lebte etwa 365 – 300 v.Chr. 26 EUSEBIOS VON CÄSAREA, Kirchenvater („Vater d. Kirchengeschichte“), lebte etwa 260 – 337 n.Chr. 26, 106, 191, 371
F FABIUS VON ANTIOCHIEN, lt. Euseb Bischof v. Antiochia (h.e.
Antike Personen VI, 43, 11); als Briefpartner des röm. Bischofs Cornelius (s. dort) dessen Zeitgenosse im 3. Jh. n.Chr. 175 FLAVIUS DECIUS PAULINUS, letzter weström. Konsul, Amtszeit endete 534 n.Chr. 334
G GALENUS VON PERGAMON (auch: Galen), gr. Arzt u. Anatom, lebte etwa 129 – 199 n.Chr. 17, 25-27, 31, 58-59, 67, 78, 87-88, 147, 194, 210, 217, 220-222, 230, 235, 237, 247-248, 317, 328, 371 GALLIENUS (Publius Licinius Egnatius Gallienus), Sohn d. Kaisers Valerian (s. dort), bis zu dessen Tod 360 Mitregent, danach röm. Kaiser, erließ ein Toleranzedikt f. d. Christen, lebte 218 – 268 n.Chr. 358 GRATIAN (Flavius Gratianus), seit 375 weström. Kaiser, Halbbruder Valentinians II. (s. dort), verfasste gemeins. m. seinem oström. Mitkaiser Theodosius I. (s. dort) das Reichskirchenedikt 380 (s. Sachregister), lebte 359 – 383 n.Chr. 353 GREGOR VON NAZIANZ, (Ehrentitel: „der Theologe“), 372 durch seinen Freund Basilius (s. dort) z. Bischof v. Sasima geweiht, bildete
zs. m. dessen Bruder Gregor v. Nyssa die „drei Kappadokier“, wurde 379 n. Konstantinopel gerufen, v. antiarianischen Kaiser Theodosius I. (s. dort) zum Metropoliten v. Konstantinopel berufen, vom Konstantinopeler Konzil 381 (s. Sachregister) bestätigt; lebte etwa 329 – 390 n.Chr. 211, 213 GREGOR VON NYSSA, Kirchenlehrer, seit 372 Bischof v. Nyssa, Bruder v. Basilius u. Freund Gregors v. Nazianz (s. jew. dort), bildeten zs. die „drei Kappadokier“, nahm am Konzil v. Konstantinopel 381 teil (s. Sachregister), lebte etwa 335 – 394 n.Chr. 212-213, 297, 372 GREGOR VON TOURS, seit 573 Bischof v. Tours, kirchl. u. profaner Geschichtsschreiber (u.a. „Geschichte d. Franken“), lebte 538 – 594 n.Chr. 149, 321
H HADRIAN (Publius Aelius Hadrianus), seit 117 n.Chr. röm. Kaiser, lebte v. 76 – 138 n.Chr. 82 HERAKLEITOS VON EPHESOS (auch: Heraklit), vorsokrat. Philosoph, lebte etwa 540 – 480 v.Chr. 17 HERODOT V. HALIKARNASSOS (gr.: VHro,dotoj), gr. Geograph, Ethno-
397
Antike Personen loge u. Geschichtsschreiber (Verfasser d. „Historien“, lt. Cicero „Vater d. Geschichtsschreibung“), lebte etwa 484 – 425 v.Chr. 137 HEROPHILOS, v. Aristoteles u. den Empirikern (s. jew. dort) beeinflusster Arzt, lieferte detailgenaue anatom. Beschreibungen (u.a. erstmalig des Gehirns); u.a. Celsus u. Tertullian (s. jew. dort) warfen ihm vor, seine Erkenntnisse z.T. in Vivisektionen erhalten zu haben; lebte im 3. Jh. v.Chr. 284-285 HIERONYMUS, Kirchenvater, Übersetzer der lat. Bibelübersetzung „Vulgata“, lebte etwa 347 – 420 n.Chr. 38, 191 HIPPOKRATES VON KOS, bedeutender Arzt d. Antike, Begründer d. logisch-dogmatischen Medizinschule, lebte etwa 460 – 375 v.Chr. (vgl. Sachregister: hippokr. Medizin, Eid) 16-18, 95, 176, 194, 239, 248 HIPPOLYT, röm. Kirchenschriftsteller u. Presbyter, angebl. „Gegenpapst“ v. Kalixt I., lebte etwa 170 – 235 n.Chr. 106, 116, 118, 188-189, 191-192 HORAZ (Quintus Horatius Flaccus), röm. Dichter, lebte etwa 65 – 8 v.Chr. 139 HYGEIA, Göttin der Heilkunst in der gr. Mythologie, Tochter d.
398
Asklepios (s. dort), Schwester d. Panakeia (s. dort) 95
I IGNATIUS VON ANTIOCHIEN (Beiname: Theophoros), angebl. Bischof v. Antiochien etwa ab 68 n.Chr., lt. Eusebs Kirchengeschichte unter Trajan in Rom 107 n.Chr. hingerichtet 105-106, 169170, 173, 372 IMHOTEP (auch: Imoutes), ägypt. Arzt u. Baumeister (Pyramide v. Sakkara), lebte etwa 2700 v.Chr. 16, 37, 205 ISIDOR VON PELUSIUM, aus Ägypten stammender Theologe u. Mönch, Verfasser zahlreicher theol. Briefe, Schüler v. Johannes Chrysostomus (s. dort), theolog. v. d. antiochen. Schule beeinflusst; lebte etwa ab Mitte d. 4. Jh. – 436 n.Chr. 118 ISIS (auch: Iset), ägypt. Göttin, Ehefr. d. Osiris 15, 18, 37
J JOHANNES CHRYSOSTOMUS (eigentl.: Johannes v. Antiochien, wg. seiner hervorragenden Predigerfähigkeiten seit dem 6. Jh. Beiname Chrysostomus: „Goldmund“), antioch. Theologe, ab 398 Bischof v. Konstantinopel, lebte
Antike Personen etwa 349 – 407 n.Chr. 345
118, 173,
JORDANES, got. Gelehrter, verfasste im Auftrag des Ostgotenkönigs Theodorichs (s. dort) eine „Geschichte d. Goten“, lebte im 6. Jh. n.Chr. 137-138, 372 JULIUS I., seit 337 n.Chr. Bischof v. Rom, baute im Konflikt der alexandr. Kirche um Athanasius (s. dort) die Rolle der röm. Kirche als gesamtbzw. westkirchl. Entscheidungsinstanz aus; lebte im 4. Jh. – 352 n.Chr. 284
K KALIXT I., seit 217 röm. Bischof, Gegner Hippolyts (s. dort), lebte bis 222 n.Chr. 183-184, 189, 191 KELSOS (lat.: Celsus), gr. Philosoph, Gegner d. Christentums, lebte im 2. Jh. n.Chr. 33-34, 197, 372 KLEMENS VON ALEXANDRIEN (Titus Flavius Clemens), gr. Theologe, wirkte in Alexandria, lebte etwa 150 – 215 n.Chr. 42,
82-83, 123, 195-196, 211, 371 KONSTANTIN (auch: Konstantin d. Große bzw. der Erste, lat.: Flavius Valerius Constantinus); röm. Kaiser v. 306 – 337, unter seiner Herrschaft Gleichstellung u. Förderung d. Christentums (vgl.
Sachregister: Konstantinische Wende): 313 Toleranzedikt von Mailand, 325 Einberufung des Konzils v. Nizäa (s. dort); lebte etwa 280 – 337 n.Chr. 111, 268, 305, 356, 374 KYBELE (gr.: Kube,lh), in der phryg. Mythologie Gottesmutter vom „Berg Ida“ (Kreta), ab 200 v.Chr. auch in Rom Kult der „Magna Mater“ 114, 274 KYRILL VON ALEXANDRIEN (auch Kyrill I.), alexandr. Theologe, 412 – 444 Bischof v. Alexandria, im „theotókos”-Streit (s. Sachregister) Gegner Nestors (s. dort); ließ diesen durch das Konzil in Ephesos (s. Sachregister) zum „Erzketzer“ verurteilen, lebte etwa 375 – 444 n.Chr. 114
L LAURENTIUS VON ROM, Erzdiakon v. Rom, erlitt der Legende nach unter Valerian (s. dort) d. Martyrium am 10.08.258 n.Chr., Heiligenverehrung bereits in der Antike, lebte im 3. Jh. n.Chr. 129130, 135, 144, 360, 370, 376 LEO DER GROßE (Leo I.), 440 – 461 Bischof v. Rom, unter seinem Episkopat besondere Herausstellung d. röm. Primatanspruchs; lebte etwa 400 – 461 n.Chr. 129, 360, 372
399
Antike Personen LUKAS, heidenchristl. Evangelist, Verfasser d. gleichnamigen Evgl. (Abk.: Lk) u. der Apg; wahrscheinl. nicht ders. Lukas, der in Kol 4, 14 als „Arzt“ u. in Phlm 24 als „Mitarbeiter“ d. Paulus bezeichnet wird; lebte bis etwa 80-90 n.Chr. 22-23, 25, 27-28, 148, 223, 254
M
Parakleten, trat in Phrygien zs. m. zwei Prophetinnen (Priska u. Maximilla) auf; wirkte in der Mitte d. 2. Jhdts. Tertullian wandte sich etwa 207 dem Montanismus zu 229, 232 MUSONIUS (Gaius Musonius Rufus), röm. Philosoph (Stoiker), lebte etwa 30 – 80 n.Chr. 82
MANI, pers. Begründer d. Manichäismus (s. Sachregister), Fam. stammte aus juden-christl. Sekte, lebte etwa 216 – 276 n.Chr.; die nach ihm benannte synkretist., gnostisch beeinflusste Religion verbreitete sich in Persien, später im ges. Röm. Reich (Höhepunkt im 3./4. Jhdt); ursprgl. gehörte Augustinus der manich. Sekte an (s. dort) 229
N
MAXIMIANUS, ab 286 n.Chr. MitKaiser Diokletians (s. dort), unterstützte dessen Christenverfolgung ab 303, dankte zs. m. Diokletian 305 als Kaiser ab, lebte etwa 240 – 310 n.Chr. 162
NESTORIUS, aus Antiochien stammender Kirchenlehrer, Schüler Theodors v. Mopsuestia (s. dort); 428 v. Kaiser Theodosius II. (s. dort) zum Bischof Konstantinopels ernannt; im „theotókos”-Streit Gegner Kyrills (s. jew. dort); vom Konzil in Ephesos (vgl. Sachregister) zum „Erzketzer“ verurteilt, lebte etwa 381 – 451 n.Chr. (in d. Verbannung in Ägypten gestorben) 111-112, 114-115, 166, 345
MOHAMMED, Religionstifter, nach islam. Glaube der zeitl. letzte Prophet („Siegel d. Propheten“), lebte etwa 571 – 632 n.Chr. 336 MONTANUS, Begründer e. gnostisch-pneumatisch ausgerichteten Sonderkirche; hielt sich selbst f. den in Joh 14, 16 angekündigten
400
NERO (Nero Claudius Caesar Augustus Germanicus), seit 54 n.Chr. letzter röm. Kaiser d. julisch-claudischen Dynastie, angebl. Verursacher des Brandes v. Rom 64 n.Chr., in dessen Folge erste Verfolgungen v. Christen als vermeintl. Schuldige, lebte 37 – 68 n.Chr. 167, 216-217
NOVATIAN, röm. Presbyter, nach d. Wahl v. Cornelius (s. dort) zum röm. Bischof ließ er sich selbst
Antike Personen zum Bischof weihen („Gegenpapst“, s. Sachregister), eine Wiederaufnahme d. „Lapsi“ (s. Sachregister) lehnte er im Unterschied zur tolerant. Position Cornelius` rigoros ab, dadurch kam es zur Spaltung d. röm. Gemeinde („Novatianisches Schisma“, s. Sachregister), lebte etwa 200 – 258 n.Chr. 190
O ONAN, bibl. Gestalt d. AT (vgl. Gen 38, 8ff.) 70 ORIGENES, alexandr. Kirchenvater, aufgr. seiner myst. gefärbten Theologie sehr umstritten, posthum wurden wdh. einige seiner Werke als häretisch verurteilt, lebte etwa 185 – 252 n.Chr. 31-34, 41, 118, 191-192, 195-200, 202-203, 211-213, 304, 372 OSIRIS, ägypt. Gott der Fruchtbarkeit, d. Wiedergeburt u. d. Todes 15, 273 OVID (Publius Ovidius Naso), röm. Dichter, u.a. Verfasser d. „Metamorphosen“ u. d. „Tristia“; lebte 43 v.Chr. – 17 n.Chr. 138-140
P PANAKEIA, in der gr. Mythologie Göttin der Medizin u. d. Zauberei,
Tochter d. Asklepios u. Schwester d. Hygeia (s. jew. dort) 95 PANTALEON (gr.: Pantole,on, Pantoleon), der Legende nach christl. Arzt, Leibarzt Kaiser Maximians (s. dort), lebte etwa von d. Mitte d. 3. Jhts – 305 n.Chr. 162-163 PAULUS, lt. Apg zunächst als „Saulus“ jüd. Verfolger d. Christen (vgl. etwa Apg 7, 58ff.), später durch Vision d. auferstandenen Christus vor Damaskus zum Christentum bekehrt (vgl. Apg 9, 3ff.), danach als „Apostel d. Heiden“ mehrere Missionsreisen, lebte etwa bis 64 n.Chr. 20, 24, 31, 39-40, 72-73, 81, 84, 105, 117, 148, 157, 164-165, 204, 253, 271-272, 275-276, 278, 280, 286, 317, 339-340, 354, 361 PEDANIUS DIOSKURIDES (gr. Pedanio,j Dioskoui,dhj, Pedanios Dioskurides), gr. Arzt im Dienst des röm. Militärs unter d. Kaisern Claudius u. Nero (s. jew. dort), bedeutender pharmakol. Schriftsteller d. Antike, lebte etwa 40 – 90 n.Chr. 167 PELAGIUS, Laienmönch, Asket; nach ihm wird e. Erlösungslehre „Pelagianismus“ benannt (vgl. Sachregister), wonach der Mensch durch d. Taufe v. der Erbsünde befreit sei u. durch die eigene Lebensführung zum Seelenheil gelangen könne, insofern Gegen-
401
Antike Personen spieler Augustins; lebte etwa 360 – 435 n.Chr. 90-92, 352 PHILO VON ALEXANDRIA, jüd.hellen. Autor, lebte etwa 15 v.Chr. – 40 n.Chr. 24 PHILON VON BYZANZ, gr. Schriftsteller, Verfasser d. „Sieben Wunder d. Welt“ (vermutl. 5. Jh. n.Chr.) 114, 372 PLINIUS DER JÜNGERE (Gaius Plinius Caecilius Secundus), röm. Senator, Schriftsteller, unter Trajan Statthalter d. Provinz BithynienPontus; lebte etwa 61 – 113 n.Chr. 53, 106, 109, 373 POLYKARP VON SMYRNA, lt. Euseb u. Tertullian (s. jew. dort) v. Apostel Johannes im 2. Jh. als Bischof v. Smyrna eingesetzt, Briefpartner d. Ignatius v. Antiochien, lebte etwa 70 – 155 n.Chr. 170, 372 POSEIDONIS VON APAMEIA, stoischer Philosoph, Universalgelehrter, Einflüsse u.a. auf den Bereich d. pneumat. Medizin (Athenaios v. Attaleia, s. dort), lehrte auf Rhodos; lebte etwa 135 – 51 v.Chr. 220 PRUDENTIUS (Aurelius Prudentius Clemens), christl. Rhetoriker u. Dichter, wurde v. Theodosius I. (s. dort) als Beamter an den Hof geholt; lebte etwa 348 – 405 n.Chr. 129-130, 144, 373
402
PYTHAGORAS VON SAMOS, gr. Philosoph, Musiktheoretiker, Mathematiker, Begründer e. umfassenden religiös-weltanschaulichen u. ärztlichen Sittenlehre („Pythagoräismus“), lebte etwa 570 – 497 v.Chr. 95
Q QUINTILIAN (Marcus Fabius Quintilian), röm. Redner und Schriftsteller, lebte etwa 30 - 96 n.Chr. 76
S SIRICIUS I., seit 385 Bischof v. Rom, (Gegenkandidat bei seiner Bischofswahl war Hieronymus, s. dort) zuvor Diakon d. röm. Gemeinde, nannte sich als erster röm. Bischof „Papa“, lebte im 4. Jh. – 399 n.Chr. 355 SORANOS VON EPHESOS, Frauenheilkundler u. Medizinschriftsteller, verfasste außerdem die erste erhaltene Hipokrates-Biographie (s. dort), seine gyn. u. pädiatr. Abhandlungen beruhen auf eigenen Untersuchungen, lebte im 2. Jh. n.Chr. 239
T TERTULLIAN (eigentl.: Quintus Septimus Florens, Beiname: Tertullianus), nordafrik. Kirchen-
Antike Personen vater, später vermutl. Montanist, lebte etwa 150 – 230 n.Chr. 35, 42, 57, 77-78, 146, 190, 227. 229, 232, 242, 244-245, 257, 284-285, 328-329, 349, 373 THEODOR VON MOPSUESTIA, antioch. Theologe, seit 392 n.Chr. Bischof v. Mopsuestia; Schüler Diodors v. Tarsus (s. dort); lebte etwa 350 – 428 n.Chr. 111, 166, 173, 345 THEODORICH DER GROßE, sit 474 König d. Ostgoten, ab 497 offiz. Stellvertreter d. oström. Kaisers in Italien, lebte etwa 451 – 526 n.Chr. 137 THEODOSIUS I. (auch: Th. der Große, lat.: Flavius Theodosius), oström. Kaiser v. 379 – 394, ab 394 letzter gesamtröm. Kaiser; er erhob 380 das Christentum zur röm. Staatsreligion, berief 381 das erste Konzil v. Konstantinopel ein; lebte 347 – 395 n.Chr. 55, 133, 143, 268, 353 THEODOSIUS II., seit 408 (als Siebenjähriger) oström. Kaiser, Erbauer der Theodos. Landmauer (s. Sachregister), berief Konzil v. Ephesos 431 ein (s. Sachregister) 110, 114, 333 THEOPHRAST (gr.: Qeo,frastoj), gr. Philosoph u. Naturforscher, lebte etwa 390 – 287 v.Chr. 26
THESSALOS VON TRALLEIS, gr. Arzt d. ersten nachchristl. Jh., Weiterentwickler d. MethodikerLehre, bekannt f. d. Aussage, Ärzte nach seiner Methode in nur ½ Jahr auszubilden, lebte im 1. Jh. n.Chr. 215-216, 326 TRAJAN (eigentl.: Marcus Ulpius Traianus), röm. Kaiser v. 98 – 117 (Adoptivkaiser Nervas); lebte 53 – 117 n.Chr. 53, 106, 109, 220, 373
V VALENTIN VON TERNI, im 3. Jh. n.Chr. Bischof v. Interamna (heute: Terni) an d. Via Flaminia; d. Legende nach hat er unter Kaiser Claudius II. 269 d. Martyrium erlitten, da er entgegen dem kaiserl. Verbot Verliebte gesegnet habe, daher Schutzpatron d. Verliebten, lebte im 3. Jh.– etwa 269 n.Chr. 281-282, 284 VALENTINIAN II. (Flavius Valentinianus), seit 383 (nach d. Tod seines Halbbruders Gratian, s. dort) weström. Kaiser, lebte 371 – 392 n.Chr. 353 VALERIAN (Publius Licinius Valerianus), röm. Kaiser v. 253 – 260 n.Chr., z.Zt. der Reichskrise d. 3. Jhs.: fast alle Grenzen d. Imperiums wurden v. feindl. Mächten bedroht; Valerian machte u.a. die Christen als innere Feinde
403
Antike Personen f. die Destabilisierung d. Reiches verantw., Christenverfolgungen 257 u. 258 (u.a. Martyrium d. Cyprian v. Karthago, s. dort); lebte etwa 200 – 260 n.Chr. (gestorben in pers. Gefangenschaft) 129, 358
Z ZEPHYRIN, seit etwa 198 n.Chr. röm. Bischof, lebte bis 217 n.Chr. 188 ZEUS, oberster Gott in der gr. Mythologie 37
404
Personen der Neuzeit Autoren und Personen der Neuzeit Baumgartner, Isidor 295, 322, 374 Baus, Karl 153-154, 156, 160, 164, 168-169, 173, 175-176, 179, 184185, 188-189, 196, 261, 274, 279, 281, 349-350, 374 Beck, Hans-Georg 198, 203, 374 Berger, Klaus 294-295, 374 Bischoff, Claudia 318, 374 Le Blant, Edmond Frédéric 46, 267, 374 Bretfeld, Sven 233 Brox, Norbert 19-21, 26, 31, 41, 50, 54, 59, 78, 86, 88, 91, 96, 109110, 112, 114-115, 118, 128, 143145, 166, 185, 187, 190-191, 210, 213, 226-227, 229, 259, 287, 297298, 304, 352, 354-355, 360-361, 375 Bühlmann, Walter 69 Calder, William Moir 46, 293, 341, 375 Capparoni, Pietro 46, 183, 282, 375 Charcot, Jean-Martin 248 Dagron, Gilbert 46, 160, 344, 375 Diehl, Ernst 46, 124, 219, 267, 334, 375 Dittmer, Jörg 129, 376 Dörnemann, Michael 15-16, 18, 2122, 25, 29-30, 32-33, 37-39, 51, 72, 123, 142, 151, 169-170, 177, 207, 209-213, 229, 235, 325, 376
Eckart, Wolfgang 15-17, 25, 37, 54, 67, 94, 97, 167, 211, 216-217, 220, 238-241, 296, 317, 359, 376 Flemming, Rebecca 47, 293, 333334, 336, 376 Fliedner, Friederike 103, 384 Fliedner, Theodor 102-103, 377 Foucault, Michel 63, 377 Freud, Sigmund 248 Geerlings, Wilhelm 57, 91-92, 350351, 377 Grégoire, Henri 47, 179, 377 Guarducci, Margherita 47, 214, 377 Gummerus, Herman Gregorius 47, 65, 88, 125, 138, 184, 218, 229, 231, 267, 291, 377 Haeberle, Erwin J. 66-68, 77, 84, 94, 378 von Harnack, Adolf 28, 36-37, 42, 197, 378 Heine, Heinrich 133, 378 Jedin, Hubert 198, 274, 374
50, 153, 156, 191,
Kirchner, Friedrich 215 Kirchschläger, Walter 22-23, 378 Klönne, Franz 103, 379 Kolta, Kamal Sabri 205, 379 Korpela, Jukka 47, 125, 138, 184, 218, 231, 379 Kudlien, Fridolf 17-18, 40, 119, 167, 239-240, 379 Künzl, Ernst 240-241, 247, 249, 379
405
Personen der Neuzeit Laminger-Pascher, Gertrud 341, 380 Lohfink, Norbert 38, 380 Luther, Martin 104
340-
Marcillet-Jaubert, Jean 160, 344 Markschies, Christoph 354 Mazzoleni, Danilo 47, 124, 380 Müller, Gerhard Ludwig 106, 116, 118, 189, 381 Muratori, Ludovico Antonio 23 Nutton, Vivian 26, 42, 55, 118, 145, 147, 149-150, 153, 156, 176, 194-195, 209, 228-229, 237, 255256, 262, 265, 285, 322, 331, 381 Oehler, Johann 381
Tabbernee, William 232 Veyne, Paul 73-76, 81-82, 84-86, 89, 93, 242, 253, 316, 384
47, 291, 307-308,
Prostmeier, Ferdinand Rupert 170, 382 Ramsay, William Mitchell 341, 382 Rémy, Bernard 47, 267, 382 de Rossi, Giovanni Battista 47, 184, 267, 382 Samama, Évelyne 111, 160, 162, 171-172, 184, 187, 193, 203, 206, 214, 228-229, 232, 238, 283, 289, 293, 303, 332-336, 341, 382 Schadewaldt, Hans 368, 383 Schnädelbach, Herbert 148, 383 Schott, Heinz 32, 222, 383 Schulze, Christian 30, 43-44, 46-48, 50-52, 54, 60, 65, 88, 97, 101-102, 107-108, 110-111, 116, 118, 120, 123-124, 127, 131, 143, 152, 155156, 160-162, 164-165, 167, 171-
406
172, 179, 183, 187, 193, 202-203, 210, 214, 218-219, 228-233, 238, 240, 244, 246, 248-250, 260-262, 267, 270, 280, 282-283, 289, 291, 293, 297, 299-300, 303, 307-308, 313, 315, 317, 324, 328, 332-335, 340, 343, 348, 359, 362, 368, 383 Schweikardt, Christoph 60, 101102, 152, 300, 383 Söding, Thomas 319, 323, 383 Sticker, Anna 103, 384 Struppe, Ursula 194, 201, 384
Weissenrieder, Annette 23-24, 384 Wyrwa, Dietmar 83
Sachregister Sachregister Abtreibung 242-243, 256-258, 328329 Alexandria/alexandr. (theolog.) Schule 30, 41-42, 44, 56, 112, 114, 186, 188, 191, 195-197, 210213, 327, 346-348, 351 Anatomie/anatomisch 222, 248, 284, 330 Antiochia/antioch. (theolog.) Schule 58, 112, 114, 165, 167, 169-170, 173, 191, 344-347 Antonine (Zeitalter der Herrschaft der röm. Kaiser Hadrian und Antoninus Pius, vgl. Antike Personen) 82 Allegorese 31, 56 Antijudaismus/-semitismus 149 Apostelkonsil 20, 165 arianisch/Arianismus 41, 350, 356 Ars moriendi 303 Artemision (Tempel d. Artemis) in Ephesos (Weltwunder d. Antike) 113-114 Artes liberales 210, 214 Ärztin (gr.: ivatri,na) 64, 66, 77, 90, 97-98, 101-102, 107-111, 113, 116, 118-120, 145, 155, 238-241, 246249, 313, 315, 318, 320, 333, 363 ärztliche Hebamme (gr.: ivatro,mea) 238, 241, 249, 253, 255-256, 307, 329, 332, 336, 346 Asklepieia 209 Auferstehung(sglaube) 23, 45, 53, 125, 224, 246, 253, 265, 269, 272280, 282, 284, 304, 309, 312, 330, 365
Bergpredigt (vgl. Mt 5 – 7) 133 Buße/Bußfrage 42, 189, 191-192, 196, 200, 245 Christenverfolgung(en), vgl. Kirchenverfolgung(en), Pogrome 54, 189, 276, 338, 340-341, 358, 361 Christogramm 228, 341 Christusgebärerin („Christotokos“) 112 Christus-medicus(-Motiv) 32, 3639, 196, 209, 320 Coitus interruptus 70 Communio(struktur) 54, 119, 174, 216, 318, 322 „Confessiones“ („Bekenntnisse“, Werk Augustins, vgl. Antike Personen) 351, 353-354, 370 Corpus Hippocraticum 17-18, 152 „De civitate dei” (Werk Augustins, vgl. Antike Personen) 350 Demiurg 226 Diakonisse(n) 98, 101-107, 109, 111, 113, 115-117, 120, 145, 153, 155, 158, 161, 180, 312, 315, 319, 333, 345, 377 Diätetik 58, 316-317 Didaskalie 174 Donatisten 42, 190-191, 350 Dyskrasie 17, 24 Eid (Hippokratischer Ärzteeid) 9495, 152, 242 Empfängnis(verhütung) 242, 244 Empiriker 119, 210-215, 219, 285, 327 Erbsünde 91-92, 94, 258 Eschatologie 23, 272, 274, 285, 331
407
Sachregister Eukrasie 17, 67 Exegese 23, 72, 118, 346, 366 Exkommunikation 55, 114 Exorzisten/-mus 175-177, 324, 368 „Extra ecclesiam nulla salus” 146, 149, 321 Frauenheilkunde/Frauenärzte/innen 220, 238-241, 246, 248, 328 Galle 25 Gegenpapst 191 Gericht (Gericht Gottes, „jüngstes Gericht”) 23, 190, 193-194, 200, 233, 279, 285-287, 290-292, 304, 331 Geschlechtsverkehr 67, 73, 93 Gladiatorenarzt, -ärzte 59 Gottesgebärerin (gr.: qeoto,koj, theotókos, vgl. Antike Personen: Anm. zu Nestor) 111, 343 Gottesmutter (vgl. Antike Personen: Kybele) 112, 114 Graffito 203, 205, 275, 314, 325, 335-336, 347, 364 Gynäkologie/-log(inn)e(n), s. Frauenheilkunde Hebamme (gr.: mai/a) 238-245, 247249, 253, 255-257, 263, 329, 331 Hippokratische Medizin (nach Hippokrates benannte dogmat.logische Richtung d. antiken Medizin, vgl. Antike Personen) 16, 18, 24, 58, 67, 142, 152, 167, 176177, 209, 309, 316-317, 324, 328 „Historia ecclesiastica“ (Abk: h.e., bis etwa 324 reichende 10bändige Kirchengeschichte des Eusebius, vgl.. Antike Personen) 26
408
Hohe Lied Salomos, alttestamentl. Buch (Abk: Hld) 68-70, 387 Homosexualität 69, 72-75, 94 homoúisios (omoousioj, „wesenseins, -gleich“) 42, 224, 296 Humoralpathologie (vgl. Säftelehre) 17, 24-25, 44, 67, 94 Hyliker (untere Menschenklasse nach gnost. Lehre) 77, 227 Iatrotheologie 54, 265ff., 330-331, 368 Idololatrie 43-44, 95, 244, 373 Inkubation (Schlafheilung) 16 Islam/islamisch 48, 50, 149, 317, 336, 349-350 Kappadaokier, die drei 212-213, 215 Katharer („ katharoí”, vgl. Novatianisches Schisma) 190 Keuschheit 66, 68, 77, 80, 84, 86, 90, 93, 96-97, 125, 243, 316, 352, 363, Kinderheilkunde/-medizin 263, 265, 310, 328 Kirchenverfolgung(en), vgl. Christenverfolgung(en), Pogrome 45, 53, 129, 298, 338, 341 Koitus, s. Geschlechtsverkehr, vgl. auch Coitus interruptus Konstantinische Wende 312 (vgl. Antike Personen: Konstantin) 55, 88, 267, 276, 337, 341 Konsul(at) 219, 334, 361 Konzile: • Apostelkonzil, s. dort (vgl. auch Apg 15, 1-35)
Sachregister • Chalkedon (viertes ökum. Konzil 451) 295 • Ephesos (drittes ökum. K. 431) 114-115 • Nizäa (erstes ökum. Konzil 325) 41, 295-296 • Konstantinopel III (sechstes ökum. K. 680/681) 295 • II. Laterankonzil 1139 (aus ostkirchl. Sicht kein ökum. Konzil) 288 Kopten(tum) 356 Krankenhaus 101, 153 Krankenpflege 96-97, 101-102, 104-105, 109, 155, 300, 307, 315, 319, 362 „Krypta der Päpste“ 184 Landmauer, Theodosianische (vgl. Antike Personen: Theodosius II.) 110, 114, 320, 344 „Lapsi“ (unter der Verfolgung vom christl. Glauben Abgefallene) 55, 190, 276, 298 Leib-Seele-Dualismus 52, 57, 278, 350 Leicheneröffnung 284-285, 330 LXX, vgl. Septuaginta Mailänder Protokoll 313 268 Makkabäer(aufstand) 273, 301, 388 Manichäer/Manichäismus (nach ihrem Gründer Mani, vgl. Antike Personen) 57, 90, 229, 231-232, 234, 351 Masturbation, vgl. Onanie 67, 69-70 Mennoniten 103 Methodiker 209, 215-217, 219, 239, 326
Monogamie, monogame Ehe 63 Montanisten (vgl. Antike Personen: Montanus) 42, 77, 190, 229, 232, 234 Mysterienkulte 273-274, 330 Mystik 197-198, 203-204, 207, 213, 215, 342, 348, 351 Nestorianischer Streit (vgl. Antike Personen: Nestor) 112ff., 320, 343, 345, 364 Neolithische Revolution 253 Novatianisches Schisma 191 Onanie, vgl. Masturbation 69, 74 Ornamentik 232, 341 Orthodoxie 90, 162, 356 Pädiatrie, s. Kinderheilkunde Papsttum 287-288, 355, 358, 360361 Paradies 74, 93, 214-215, 234, 256, 258, 261, 267, 269-271, 277, 279280, 283, 331, 351 Parusie(-erwartung) 275, 319 Pastoralmedizin(er) 325, 327 „Pax Romana” 166 Pelagianismus (nach Pelagius, vgl. Antike Personen) 90-91, 352 Pharisäer 133, 273 Pharmakologie 167, 180, 379 Pneuma (gr.: pneu/ma) 60, 220-222, 224, 327 Pneumatiker (1. obere Menschenklasse nach gnost. Lehre; 2. gleichnamige Ärzteschule der Antike) 77, 219-220, 226-232, 234235, 308, 311, 327, 362, 381 Pogrome 129, 149, 187, 338-339
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Sachregister Prädestination(slehre) 58, 91, 94, 352 Priesterarzt 16, 95, 205 Primatsanspruch (Roms) 287, 354356, 358 Prostitution 70-71 Psychiker (mittlere Menschenklasse nach gnost. Lehre) 77, 227 psychologische Trinitätslehre 57 psychotherapeutisch/-somatisch 196 Rechtfertigung(slehre) 271 Reichskirche(n-Edikt 380) 55, 133, 143, 268, 320, Reliquie(n) 284, 360 Sadduzäer 273 Säftelehre (vgl. Humoralpathologie) 317 Seelenmedizin 56, 183ff., 324-325, 347-348, 351-352, 367 Sektion(en), s. Leicheneröffnung Seligpreisungen (vgl. Bergpredigt) 133, 140 Septuaginta 22, 38, 224, 388 Serviten 109-110 sex res non naturales (sechs nichtnatürliche Dinge, Bestandteil der Diätetik, s. dort) 83 Skeptizismus 211, 327 „sprechende Medizin“/ „Medizin der Rede“ 200, 367 Stoa/Stoiker/Stoizismus 33, 82, 85-86, 207, 220, 242, 316 Sukzession, apostolische 225-226 Theotókos (gr.: qeoto,koj) s. Gottesgebärerin
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Traditio apostolica (Werk Hippolyts, s. Antike Personen) 244 Traditor codicum 190 Tun-Ergehen-Zusammenhang 194 Valetudinarium (lat.: Krankenhaus) 101-102, 307 Vandalen 89, 349-350, 356 Völkerwanderung 138, 360 Weltwunder 114, 372 „Wer heilt, hat Recht” 142, 147, 211-212 wesenseins, wesensgleich (omoousioj), s. homoúisios widernatürlicher Geschlechtsverkehr 72-73 Zölibat 89-90, 92-93, 96, 98 „Zwei-Mächte“-Theorie 350